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Full text of "Allgemeine deutsche real-encyklopädie für die gebildeten stände. (Conversations-lexikon)"

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—ADIVI 


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THE GIFT OF 


Neathanlel Schmid 


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VVII 


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727 
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133 


Eonverfotiond-Lerifon. 


Neuer wortgetreuer Abprud 
| der 
„fiebenten Driginals» Ausgabe, 


(Zweiter durchgeſehener Abdruck.)“ 





Vierter Band. 
8 bis G. 


Allgemeine deutſche 


Real-Encyklopadie 


für 


Die gebildeten Stände, 
(Eonverfationd-Lerifon.) 


In zwolf Banden. 


l 





Vierter Band. 
$ bis ©. 


Neue, wörtlich nach dem zweiten durchgefehenen Abdruck der 
Leipziger fiebenten Original-Ausgabe 
'abgedrudte Auflage. 

Motto der PeisisalsKusgabe: 

Wie fie der Verfaſſer ſchrie 
Ri a wie Pi der iebfiahl nie, 
hi, daß er ‚Kite 


Andrer Ih. ders zu 
Salderon) 





Reutlingen. 
Bei Fleifähbauer und Spoon N 





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S5-24-3 











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J. 


8, der 6. Buchflabe des. deutfchen Abe, ein Blafelaut, der durch ein Zus 

fommenfloßgen der Lippen, verbunden mit einem zifchenden Ausſtoßen der Luft, 

jwifchen dieſelben bindurch hervorgebracht wird. In der Muſik bezeichnet die: 

ke Suglab⸗ die 4. diatoniſche Klangſtufe des Tonſyſtems. gl. Ton, 
onart. 

.Fabel, im weitern Sinne fo viel als Märchen, Erzählung einer er: 
dichteten Begebenheit, wird in der Poetik doppelt gebraucht, indem man eins 
mal in epifchen und dramatifchen Gedichten das Gewebe der Begebenheiten (das 
Bujet), dann aber auch eine eigne Dichtungsart mit diefem Namen bejrich- 
net. Wenn man von der Fabel der epifchen und dramatifchen Gedichte fpricht, 
fo gefchieht es tm Gegenſatz der Sefchichte. Des Dichters Darftellung ſtrebt 
nah Schönheit, fein dargeftelltes Ganzes foll gefallen, er wird alfo die darzu⸗ 
fiellenden Begebenheiten ſo ordnen und einrichten müffen, wie es fein Zweck 
erheiſcht. Nicht das Wirkliche foll er darftellen, fondern das Mögliche; nicht 
wie es war, fondern wie es wahrfcheinlich iſt; nicht mit hiftorifcher Treue, fon- 
dern mit poetifcher Nothwendigkeit. Der Dichter läßt daher weg, was nicht 
weientlich zum Ganzen gehört, ändert ab, damit fich Alles zum Zwecke füge, 
nfeßt Hinzu, wodurch diefer beffer erreicht wird. Auch der biftorifch gegebene 
toff wird dadurch Werk feiner Erfindung: er fehafft etrong Neues aus dem 
Alten. Mag der Stoff von der Geſchichte geliehen oder neu erfunden fein, fo 
unterwirft ihn der Dichter dem Geſetze der poetifchen Form. Die Fabel, die 
man als befondere Dichtungsart nach ihrem angeblichen Erfinder die Aſopi⸗ 
ſche Fabel oder auch Apolog nennt, zähle man mit Recht zu den ditaftifchen: 
oder Lehrgedichten, und zwar iſt fie eine Art Allegorie. Man kann fie erklären, 
als Darftellung einer praftifchen Negel der Lebensklugheit oder Lebensweisheit 
unter einem aus der phufifchen Welt hergenommenen Sinnbilde. Sie beſteht 
aus zwei weſentlichen Theilen: dem Sinnbild und der Anwendung, oder einer 

in derfelben Tiegenden Lehre, : welche man auch die Moral der Fabel genannt hat, 

die aber in dem Bilde fich felbft deutlich ausfprechen muß, wenn die Fabel poe: 
tiſch fein foll. Wegen ihres Zweds, welcher auch die Erfindung beflimmt, liegt 
die Babel auf der Grenze der Poefie und Proſa; felten iſt fie rein poetifch, und 

i gefällt abgefehen von ihrem Zwecke. Das Wohlgefallen an ihr wird nicht blog 
erregt durch das Dergnügen, welches der Witz an der finnlichen Einkleidung fin: 
det, fondern eb liegt tiefer, in der anfchaulichen Erfenntniß, daß die Haushal⸗ 
tung der Natur in der phufifchen und geiftigen Welt diefelbe ſei. In der nicht 
moralifchen Welt zeigt fich nur die ewige Form jener Sefege und Charaktere deut: 
licher und offenbarer als in der Menfchenwelt, und dies ift der Orund, warum 
der Sabeldichter (dem es alfo nicht bloß darum zu thun iſt, eine Lehre Durch einer 
gegebenen Fall anfchaulich zu machen, wozu das Sleichnig oder die Parabel 
dingereicht Haben wurde) feine Perfonen aus der nicht menſchlichen Welt 'wählı, 

Converſations⸗Lexicon. Bd. IV. | d 


2 Faber 


Hieruͤber bat Herder (in den „Berfireuten Blättern”, 8. Bd.) das Treffendfte 
gefagt. Seit Aphthonius hat man die Fabeln in vernünftige, fittliche und vers 
mifchte eingetheilt. Herder theilt fie in: 1) Theoretiſche (den Verſtand bil: 
dende); ein Factum der Natur, als Geſetz und Weltordnung aufgeftellt, übt den 
Derftand. So 5 B., wenn man mit vollem Munde nah dem Bilte im 
Waſſer Tchnappt; wenn man als Schaf mit dem Wolfe ſtreitet; als Haſe mit 
dem König Löwen jagt. 2) Sittliche, welche Verhaltungsregeln aufftellen für 
. den Willen. Nicht bloße reine Moral follen mir von den Thieren lernen, die 
große Hausbalftung der Natur aber fehen wir, und erfennen, wie fie die 
Stücfeligkeit aller Lebendigen an unveränderliche, ewige Geſetze des Sttebens 
geknüpft bat, 3. DB. Sehe hin zur Ameife, du Träger! 3) Schickſalsfabeln. 
icht immer fann im Naturgange felbft anfchaulich gemacht werden, wie aus 
diefem ein Andres durch innere Conſequenz folge; da tritt nun die Verfettung 
der Begebenheiten, die wir bald Schickſal, bald Zufall nennen, ins Spiel, und 
zeigt, ‚wie Dies und Das, wo nicht aus: , fü doch nacheinanderfolgt, durch eine 
höhere Anordnung. Der räuberifche Adler trägt mit dem Raube einen Funfen 
vom Altar in fein Neſt, der es in Flammen feßt, und feine unbefiederten Jungen 
Dem zur Beute gibt, dem er einft treulos die jungen geraubt. Bei den fchön: 
fen Fabeln diefer Art wird unfere Seele groß und meit, wie die Schöpfung. 
Nach diefer dreifachen Eintheilung des Inhalts und Ganges der Fabel richtet 
fi auch der Vortrag. Im Allgemeinen muß er einfach fein, damit das Ganze 
leicht durchfchauet werde, edel, weil der Gegenftand .eine gewiſſe Würde bat. 
Doch ſchließt dies den Scherz nicht aus, weil gleihfam mit dem Wunderbaren 
ein Spiel getrieben wird, noch das Satyriſche, weil ein Theil der Fabeln auf 
Ironie ruht; einige find rührend, und die Schidfalsfabeln flreifen an das Er: 
b:bene bin. Einfach, heiter und ernft in ihrer Darftellung waren die alten Fa⸗ 
buliften (Fabeldichter); die älteften Fabeln glaubt man in dem Drient zu 
finden. Hier find die indifchen Fabeln des Bidpai oder Bilpai und die Fa⸗ 
bein des Arabers Lockman berühmt (f. diefe Art.) Unter den Griechen ift 
fop allbekannt, melchen Phädrus unter den Romern nachahmte. Deutfche 
Gabeln aus der Zeit der Minnefinger gab Bodmer heraus. Boner, der am 
Schluſſe des 14. Jahrh. lebte, ift als treuberziger Fabeldichter Durch feinen „Edel: 
ftein‘‘ befannt. Der Verfaffer des „Reinecke der Fuchs“ Tieferte eine epifche Fa⸗ 
belnreihe. Burkard Waldis ift aus dem 16. Jahrh. anzuführen. Im 17. zeiche 
nete fich der englifche Fabeldichter John Say aus, unter den Franzofen Lafontaine, 
Diefer führte den Scherz ein und fprach im gefelligen Weltton. Leffing, Pfef⸗ 
fel u. A. befreunteten die Fabel mit der Satyre durch den Stachel des Sinnge⸗ 
dichte. In jedem fann man zu viel thun, und befonders hat eingemiffes fcherz: 
haft fein follendes Sefchrong Die Fabel nicht nur breit, fondern wol gar verächts 
lich gemacht, das Hafchen nah Witz fie aus ihrer Sphäre gerückt. Manches Hl: 
flörchen, das wir unter den Fabeln fehen, mag wißig, finnreich und anmuthig fein, 
nur eine Fabel ift es nicht. Die Form der Fabel ift übrigens verſchieden; es gibt 
bloß erzähfende und dialogifirte. (5. Mythen, Mythologie.) di. 
aber (Theodor v.), Faif. ruffifcher Staatsrath, mehrer Orden Comman: 
deur und Kitter, geb. zu Riga 1768, batte in der früheſten Kindheit feine Al: 
tern verloren und ward von feinem Vormunde nach Deutfchland geſchickt. Er 
befuchte die Schulen in Magdeburg, wo Funk und Reſewitz als Pädagogen ver: 
dienfilich wirkten. Er ging nach Halle, als Forſter und Mater, Eberhard, Nie: 
meyer, Karften, Bahrdt, Semler dort blühten; nach Jena, als Eichhorn, 
Schuͤtz, Loder dort glänzen. Zu Commilitonen hatte er hier Storch, nachmals 
Lehrer der ruffifchen Großfürſten, den verfk Schlichtegroll, Münch u. A. 1787 
begab er fich nach Strasburg; dies war die Epoche der Notablen in Frankreich, 


j Jaber 8 
dann der allgemeinen Stände. 17189 befand er ſich in. Paris, is er am 14. Juli 


Zeuge der Erftürmung der Baftille war. Als der Krieg mit ſtreich ausbruch , 
war er von allen Verbindungen mit feinem Daterlande abgefchnitten. Im erften 
Aufgebot der Trtationalfreiwilligen mit begriffen, diente er als gemeiner Soldat 
unter Lafayette; unter Dumouriez focht er in der Champagne und in Belgien; er 
soohnte dem Treffen bei Valmy und der Schlacht bei Jemappe bei. Ami. Maͤr 
1793 ward fein Corps, das 3. Bataillon von Paris, an der Roder von der Armee 
des Prinzen von Koburg überfallen und vernichtet; mit einigem Wenigen blieb er 
auf dem Schlachtfelde zurüd und gerieth in oftr. Gefangenſchaft; .diefe war hart 
durch Krankheiten, Möärfche und Elend aller Art; durch den Starrfinn des Nas 
tionalconvents ward fie bis gegen zwei Jahre verlängert. “Die Flucht rettete ihn 
som Untergange, der ihm im Ungarn bevorſtand. Seine Herkunft war in der 
bſtr. Sefangenfchaft, fowie in. der franz. Armee Geheimnis geblieben. Nach 
Paris unter dem Directorium zurüdigefehrt, erhielt er feine Entlaffung aus dem 
Mititairdienfte. Er ward darauf bei der Sentralverwaltung des Roer-Depart. 
in Aachen angeflellt, nachher mußte er als Commiſſair der vollgiehenden Gewalt im 
Kleveſchen, bei der erſten Organifation des Landes, mitwirken. Hier Iernte er 
das innere Getriebe der’ franz. Staatsvermaltung praftifch Fennen. Nach Rube 
fi febuend, gelang es ihm, einen Ruf als Profeffer der franz. Literatur und 
Sprache an der Sentralfchule zu Köln zu erhalten, wo er Wallraf, Daniels, den 
Matbematifer Kramp, den nachher in Moskau verſt. Profeffor Reinhard, Bru⸗ 
der des nunmehrigen franz, Sefandten am Bundestage, zu Sollegen hatte. Mit 
Legterm anfangs in. Verbindung, nachher allein, fchrieb er. den „Beobachter im 
Roer⸗Depart.“. Er batte inzwiſchen von Köln aus, nicht ohne Gefahr, feine 
Verbindungen mit feinem Baterfande wieder angelnüpft. Gegen Ende 1805 er: 
Bielt er vom Fürften Czartoryski, damals Turator der Univerſitat Wilna, einen 
Ruf an diefelbe, Diefer literarifche Ruf war aber blog ein Vorwand; denn bei 
dem ruffifchen Sefandten zu Berlin fand der Berufene die Weifung vor, fich nach 
Petersburg zu begeben, wo der Fürft, welcher damals das Portefeuille des Mi⸗ 
nifleriums der auswaͤrt. Derbältniffe hatte, ibn bei feinem Miniſterium zu 
brauchen dachte. Anfangs hatte. man den Plan , durch ihn einen Anti:Moniteur 
ſchreiben zulaffen, aber verfchiedene Umflände verbinderten die Ausführung. — 
Unabhängig von der Regierung und aus eignen Mitteln benußte der Zurückge⸗ 
kehrte feine freien Stunden, ılm feine Anfichten über das Syſtem und den Mann, 
welche damals die Welt beberrfchten, in einem Buche nieberqulegen: „Notices 
sur l’interiear de la France dcrites en 1806 (Peters un 41807), Der 
Friede von Tilfit verhinderte die Erfcheinung des 2. Theile. Die Verbreitung 
Diefer Schrift durch den Buchhandel ward unmöglich gemacht, Sie ward in 
London, ohne Wiffen des Verfaſſers, u. d. Tit.: „Offrandes à Bonaparte”, 
wieder aufgelegt. In Petersburg gaber 1807 heraus: „Observations sur l’ar- 
mee francaise” (ins Deutfche uͤberſ. Königsberg 1808). Bei ben veränderten 
politiſchen Umfländen brachte der Verf. außer Dienftthätigkeit mehre Jahre in 
Liefland, in Ländlicher Abgefchiedenheit zu. 1814 ließ er in Petersburg druden: 
„Bagatelles on promenades d’un désoeuvré“. Diefe Schrift fand in Franks - 
reich eine günfige Aufnabme und pard 1812 in Parts nachgedrudt. Eine man⸗ 
geibefte, ft und Ton verfehlende, deutfche Überfegung erfchien in Leipzig. 

813 ward der Verf. von der Regierung beauftragt, ein franz. Tagblatt für das 
Depart. ber ausmwärt. Angelegenheiten zu gründen; fo entfland der „Gonscıva- 
teur impartini“, welchen er anfangs felbft ſchrieb, bald aber feinen Mitarbeis 
tern zur Fortfeßumg überließ, weil andre Arbeiten, Ihn in Anfpruch nahmen, 
Wahrend des Befreumgskrieges fchrieb er: „Beitraͤge zur Charakteriſtik der franz. 
Stantswerfaffung und Staatsverwaltung” (1. Th., Re 4816), 1816 


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4 Fabier Sabre b’Eglantine 


ward et der ruſſiſthen Geſandiſchaft im deutfchen Bundestage beigeordnet, dann 
auf dem Congreſſe zu Aachen zum Staatsrath erhoben. 

Fabier, em berühmtes altes Gefchlecht der Romer. Die ganze ſtreit⸗ 
bare Mannfchaft deffelben (306 an ber Zahl) kampfte einft (477 v. Chr.) ver: 
eint gegen die Dejenter am Slüßchen Sremera, und Alle ftarben den Heldentod 
fürs Vaterland. | 

Fabius Marimug (Nuintus), mit dem Beinamen Cunctator, 
der Zauderer, einer der größten Feldherren des alten Noms, rettete fein Vater: 
land, als es nach der Niederlage am Trafimen dem Untergange nahe fehien, und 
Hannibal mit feinem fiegreichen Heere gegen die Hauptſtadt im Anzuge war, 
In jenem entfcheidenden Zeitpunfte trat 5. als Dictator an die Spitze der rö- 
mifchen Legionen und entwarf, da er fein Heer muthlös, das feindliche aber 
furchtbar und zahlreich fand, um nicht das Schickſal der Republif auf den Aus: 
gang einer Schlacht zu feßen, den Plan, jedes Treffen zu vermeiden und ſei⸗ 
nen mächtigen Feind durch Märfche und Zaudern zu ermüden und zu entfräften. 
Hannibal, der feinen gefährlichen Gegner wohl erfannte, lieg ihm fagen, um 
ihn zu einer Schlacht zu reizen: „Wenn Fabius ein fo großer Feldherr ift, als 
er uns glauben machen will, fo fleige er herab in die Ebene und nehme die 
Schlacht an, die ich ihm biete“, F. aber antwortete ibm Falt: „Wenn Han 
uibal ein fo großer Feldherr ift, als er glaubt, fo zwing’ er mich, fe anzuneb: 
men”. Unzufrieden mit feinen Zögerungen, deren Grund fie falfch deuteten, 
riefen die Römer ihn unter dem Vorwande zurüd, einem feierlichen Opfer bei: 
zuwohnen, und übertrugen unterdeß die Hälfte feiner Gewalt dem Minutius Selig, 
der ebenfo verwegen, als 5. vorfichtig war. Schon war diefer in einen Hinter: 
halt des punifchen Feldherrn gefalle» und einer Niederlage nahe, als F. noch zei: _ 
Kg genug berbeieilte und ihn rettete. Von Dankbarkeit durchdrungen, gab ihm 

inutius feine Truppen zurüd, um von, ihm ſchlagen und fiegen zu lernen, 
Als er, nach Beendigung des Feldzuges, fein Amt niedergelegt hatte , wagte der 
neue Sonful, Terentius Varro, ein aufgeblafener und unmwiffender Diann, die 
Schlacht bei Tann, in melcher befanntlich das römifche Heer faft gänzlich aufs 
gerichen ward. F. unterbandelte nach der Schlacht mit Hannibal über das 
öfegeld der gefangenen Römer, und ale der Senat den Vertrag nicht halten 
wollte, verkaufte er alle feine Güter, um fein Wert zu löfen. Er farb in ei: 
nem hoben Alter 202 vor Chr. 
—Fabliers und Fabliaug, f. Franzdfifche Literätur. \ 

Sabre d'Eglantine (Philippe Francois) , geb. zu Carcaffonne 
- 47155 in einer bürgerlichen Familie, hatte fich in feiner Jugend vielfachen Aus⸗ 
fehroeifungen überlaffen, ward Soldat und nachher Schaufpieler. Er fpielte 
auf den & heatern zu Senf, yon und Brüffel, ohne großen Beifall, Belieb⸗ 
ter war er als Gefellfchafter und durch fein Dichtertalent. Schon in feinem 
16. Jahre fchrieb er ein Gedicht: „Letude de la natnre“, zur Preisbe⸗ 
werbung bei .der franzöfifchen Akademie 1771. Als er fpäter bei den Blu: 
menfpielen ' zu Touloufe” den Preis der wilden Roſe (Eglantine) erhalten 
batte, fügte er dieſes Wort feinem Namen bei, Er fchrieb jeßt mehre Thea: 
terſtucke, wovon jedoch nur „L’intrigue epistolaire” und der „Philinte de 
Motiere” Süd machten: Leßteres wird noch jeßt zu den beften Charafter: 
ftüden der neuern franzöfifchen Bühne gerechnet. Don ehrgeizigem Charakter, 
nahm er bald an der Revolution Antheil, verband fih mit Danton, Lacroig 
und Gamille Desmoulins, fehrieb mehre revolutionnaire Schriften; und wirfte 
zu den Auftritten des 10. Aug. mit. Er wurde von Paris zum Abgeortne- 
ten bei der Nationalverfammlung ernannt, gear anfangs gemäßigte Grund⸗ 
füße, flimmte aber nachher für den Tod Ludwigs XVI. ohne Appellation, 


— Tg - 


- Babretti 5. 


und wurde Diitglied des Wohlſahrtxaugſchuſſes. Er zeugte gegen Nie Sironbiften 
md gegen Briflot, und war Berichterſtatter über die Ei des republikani⸗ 
ſchen Calenders, wobei er viel Unwiſſenheit in aftronomifchen Kenntniffen verriet. 
©piterhin machte er fich den Jacobinern verdächtig; Robespierre haßte ihn; man 
befepuldigte ihn des Ropalismus, und er wurde nebſt Danten u. 3. am 5. April 
47194 guilletinirt. . " . 

Fabrett i GRafaeh), einer der größten Altenhumsforſcher, geb. 1618 zu 
Urbino im Kirchenftaate, beftimmte fich dem Studium der: Rechtswiſſenſchaften 
auf der Schule zu Cagli, woſelbſt er im 18. Jahre den Doetorhut erhielt. Hier⸗ 
auf ging er nash Rom, wo ein älterer Bruder von ihm, Stephan, ale angeſehener 
Rechtsanwalt lebte. Auf diefem claffifchen, mit den Werken deg Alterthums be: 
dedien Boden gewann er jene Wiffenfchaft, lieb, in welchen er ſich durch gründliches 
Studium, Scharffinn und Geiſt fo großen Ruhm erwarb, Die Gunſt einiger 


Grohen unterftüßte ihn mächtig auf der begonnenen Bahn. Durch den Cardinal 


Lorenzo jmperiali in Staatsgefchiften nach Spanien gefendet, wand er, nach 
glüllicher Beendigung derfelben, von Alerander VII. zum —— des heil. 
Stuhles, und bald darauf zum Rechtsanwalt der paͤpſtlichen Geſandtſchaft bei 
dem madrider Hofe ernannt. Die Muße, welche ihm diefer Poſten 13 jahre 
hindirch gewährte, ward von ihm zur Vervollkommnung in den archäslogifchen 
Wiſſenſchaften benugt. Dann glüdte es ihm, die römifchen Alterthümer noch⸗ 
malsan Ort umd Stelle genau zu unterfuchen, als der Nuntius, Carlo Bonelli 
in Spanien zum Sardinal ernannt, ihn mit zurüd' nach Rom nahm. Auf der 
Keife durch Frankreich und Oberitalien unterfuchte 5. alle ihm aufftoßende Denk⸗ 
mäler des Alterthums und ſchloß mit den berühmteften Gelehrten feines Faches, 
mit Menage, Mabillen, Hardouin und Montfaucon, dauernde ‚Berbindungen. 
Dei feiner Ankunft in Rom ward er zum Appellationerath am capitolinifchen Se: 
tihtehofe befürdert: eim Amt, melches ihm hinreichende Muße gewährte, feinen 
Lieblingsbefchäftigungen unermüdlich obzuliegen. Bald wies ibm das Vertrauen 
des Cardinals Eefi eine andre Laufbahn an. Er mußte diefen Herrn, den die Le: 
gr von Urbino erhalten hatte, als Rechtsbeiftand begleiten und erbielt dadurch 
legenheit, feinem Vaterlande fich vielfach nüglich zu erweifen. Nach 3 Jah⸗ 
ren kehrte er nach Nom zurück, das er. nun nicht N verließ, und fand da: 
felbfi an dem Vicar von Innocenz XI., dem Cardinal Gasparo Sarpegna, einen 
müchtigen Befchüger. Don jeßt an überließ fich F. gaͤnzlich ſeinem Eifer für die 
Alterthumskunde. Die erfien Werke von ihm in diefem ‚Sache (3 Differtationen 
über die römifchen Aquäducte und ſ. „Syatagına de colunına Trajanı“) erwar⸗ 
ben ihm die Anerkennung aller Dinner von Fach, gusgenommen des Holländers 
Gronovius, mit welchem er wegen Auslegung einiger Stellen im Titus Livius in 
eine Fehde gerieth, die von Beiden nicht ohne Verletzung des guten Tons geführt 
wurde. Mit derfelben Gelehrſamkeit unterfuchte $. fpäter die devinalen im Muſeo 
Capitolino befindlichen und auf die-Belagerung von Troja Bezug babenden Bas: 
teliefs, die u. d. N. Table iliaque ‚befannt. find, ſowie die vom Kaifer Claudius 
angelegten unterirdifchen Sanäle zum Abfluß der Gewaͤſſer des Sees Fucinus, 
und fowol Hier, als bei Erklärung der zahlreichen von ihm entdeckten und gefants 
melten nfchriften, ‚zeigte er die ganze. Tiefe feiner archiwlogifchen und archäogra: 
phifcheh Kenntniſſe. Carpegna hatte: ihm die Aufficht über, das fogenannte unters 
irdiſche Kom oder die Katakomben anvertraut; die Schüße, welche 5. bier zu Tage 
förderte, und mit denen er zum Theil fein Haus zu Urbino und feinen Land: 
fi ausſchmückte, wurden der Begenftand feines legten Werkes. Gleichen 
ug, mie der Sardinal Sarpegna, ließ ihm auch Alesander VIII. (vorher Cars 
dinal Ottoboni) angedeihen. Er ernannte 5. zum Secretario de’ memoriali, 
zum Kanonicus an der Kirche Sta, Maria Transtiberiana, und zuletzt zum Ka: 


_Gabrichus (Eauch Babrichus (Joh. Albert) 


nonicus bei &t.» Peter. Aleranders Nachfolger, Innocens XTI., machte Ihe 
zum Oberauffeher des geheimen Archivs der Engelsburg, welchen Platz der‘ Alter⸗ 
thumsforfcher bis an fein Ende (1700) behielt. Mehre Abhandlungen 5.8 er: 
lenen erft nach feinem Tode; feine Lebensbefchreibung, verfaßt von feinem 
Nachfolger im Amte ale Auffeher des geheimen Archivs, dem Cardinal Riviert, 
befindet fich in Crescimbeni's „Vite degli Arcadi illustri“, fowie eine andre von 
dem Abbe Macotti verfaßte, in Fabroni’s „Vitae illnstrium Italorum“. 5.6 reiche 
Sammlung an Inſchriften und Monumenten wurde vom Tardinal Stopani, wel 
cher unter Benedict XIV. Urbino vermaltete „ gekauft, umd befindet fich jegt im 
berzoglichen Palafte dafelbf. Man erzaͤhlt, das F.'s Pferd, auf weichem er 
feine Ercurfionen in die Umgegenden von Rom machte, nach und nach daran gee 
wöhnt, vor jedem Monumente fleben zu bleiben, oft auch dann nicht weiter ges 
Hangen fei, wenn fein in Gedanken verlorener Reiter vielleicht eine am Wege lie⸗ 
gende, halbverſchuͤttete Inſchrift nicht bemerkte, wodurch es nicht felten 
laffung zur Auffindung manches Denkmals gegeben habe. ' Unter dem Namen 
Jaſithous (die griechifche liberfegung von F's Vornamen Rafael), und welcher 
Benennung er fi auch in feinen Streitfchriften mit Gronovius bediente, war 
F. in die Zahl der Arcadier aufgenommen morden. 

Fabricius (Cajus), mie dem Beinamen Luſcinus, ein Mufter altroͤmi⸗ 
ſcher Tugend, vorzüglich durch feine Surgttofigkeit, Rechtſchaffenheit, Enthalt⸗ 
famkeit und Tapferkeit. Nachdem er die Samniter und Lucaner geſchlagen und 
fein Vaterland mit großer Beute bereichert hatte, von welcher allein er Nichts be: 
hielt/ wurde er als Sefandter za dem König von Epirus, Pyrrhus, geſchickt, um 
die gefangenen rämifchen Soldaten auszuläfen, Pyrrhus wollte den F., deffen 
Armuth ihm befannt war, durch Geſchenke für den Frieden gewinnen; allein F. 
lehnte ſie ab; eben fo wenig ließ er ſich von einem Elefanten fihreden, welchen 
MPyrrhus hinter einer Tapetenwand bervortreten ließ. Mit Bewunderung entließ - 
ihn Pyrrhus und erlaubte den Gefangenen, nach Rom zu den damals einfallen: 
den Saturnalien zu gehen, unter dem Derfprechen, nach der Feier in die Gefangen⸗ 
ſchaft zurückzukehren, welches fie auch hielten. Pyrrhus wurde bald fo für F. 
tingenc” men, dag er ihm die erfle Stelle in feinem Reiche anbot, wenn er nach 
gefchloffenem Frieden zu ihm kommen’ wollte, welches Anerbieten aber F. freimür 
thig ablehnte. Als Conſul (279 v. Chr.) zwang er dem Pyrrhus von Neuem Bes 
wunderung ab, indem er ihm Nachricht gab, daß fich des Königs eigner Leibargt 
erboten habe, ihn gegen eine Belohnung zu vergiften. „Eher“, fagte Pyrrhus, 
„kann die Sonne von ihrem Laug, als dieſer Homer von dem Wege der Rechte 
fhaffenheit abgelenkt werden‘. Aus Dankbarkeit entlieg er die gefangenen Rd: 
mer ohne Löfegeld. In das J. 279 v. Chr. füllt auch die Schlacht bei Afculum, 
in welcher Pyrrhus zwar fiegte, aber den befter Theil feines Heeres verlor. 275 
v. Chr. befleidete F. mit dem Amilius Papus das Cenſoramt; Beide fliegen den 
Cornelius Rufinus aus dem Senate, weil derfeibe 10 Pfund Silber an Tifchges 
räthen beſaß. Ein Mann, wie $., Eonnte nicht reich fterben; er flarb fo arın, 
daß _feine Tochter aus dem öffentlichen” Schage verbeirathet mwerden- mußte, 
Um ibn noch im Tode zu ehren, murde von dem Geſetze der 12 Tafeln, wel 
ches die Begräbniffe in der Stadt verbot, eine Ausnahme gemacht, (©. 
Pyrrhus und Tarent,) 

Fabricius (Johann Albert), ein berühmter deutfcher Gelehrter, umfaßte 
beinahe fümmtliche Zweige des Wiffens, befaß eine unglaubliche Beleſenheit 
und einen unerfchöpflichen Schatz, befonders philologifcher Kenntniffe, und vers 
fland es, diefen Reichthum auf das vielfeitigfte zu verbreiten. Er war zu Leip: 
ig 1668 geboren, mo er auch Philoſophie, ve und Theologie ftudirte, 
und lebte ach in Hamburg als ‘Profeffor Ber Beredtſamkeit und Moralphi⸗ 


/ 


Fabricius (Joh. Chriſtian) Sb 7 


loſophie am dortigen Gymnaſium. 1719 trug ihm der Landgraf von Heſſen⸗ 
Darmſtadt die erſie theologiſche Profeſſur zu Gießen und die Superintendentur 
der lutheriſchen Gemeinden in ſeinem Lande an, allein der Magiſtrat von Ham⸗ 
burg mußte ihn für die gebotenen Vortheile zu entſchaͤdigen, und er blieb in Ham⸗ 
burg zurüd, wo er 1736 ftarb. Ein Muſter der Gründlichkeit, Vielſeitigkeit 
"und Fülle der Selehrfamfeit ift f. Darftellung der griechifcyen Literatur: die von 
Harles fortgef, „Bibliotheca graeca”, Nicht minder brauchbar find feine „Bi- 
bliotheca latina“; die „Bibliotheca mediae et infimae actatis”, „Bibliotheca 
ecclestiastica” und „Bibliographia antiquaria”, Überdies zeugen von ſeinen 
grünklichen und ausgebreiteten Kenntniffen f. Ausg. des Sertus Empiricus und 
a wg um Dio Caſſius. S. Schrockh's „Lebensbeſchreibungen“, 2, Bd, 
g. u u — 
Sabriciug (Johann Ehriftian), der berühmtefte Entomolog des 18, 
abe. geb. zu Tondern im Herzogthume —— den 7. Jan. 17143. 
achdem er im 20.. “jahre feinen. afademifchen Curſus zu Kopenhagen vollen: 
det batte, ‚feßte er zu Leyden, Edinburg umd Freiberg in Sachfen, dann gi 
Upfala unter inne feine Studien fort. . Wenige Schüler des großen. Man: 
nes haben den Unterricht deffelben beffer benußt als 5. Seine Werke über 
die Entomologie zeigen unverkennbar die Grundſatze, die Meggede ja ſogar 
die Formen des Ausdrucks von Linnée, angewandt auf die Entwickelung ei 
ner einzigen, neuen, :glädlichen und fruchtbaren Idee. F. ſuchte keineswegs 
zu verbergen, was er feinem Lehrer zu verbanfen hatte. Auch ‚bat er 
der Nachwelt vielleicht das Bedeutendſte Hinterlaffen, was zur vollſtandigen 
"Biographie des großen Naturforfchers gehöre. Durch den Umgang mit dem: 
felben wurde in ihm Die erfte bee feines Syftems, die Inſekten nach dem 
Organe des Mundes zu ordnen, rege, und. er ſchlug Finne vor, davon in 
der neuen Ausgabe feines „Systema natnrae” Gebrauch zu machen; fort 
ches Linne aber ablehnte. F. erbielt bald darauf..die Stelle eines Lehrers 
der Naturgefchichte an der Univerfität zu Kiel; nun gab er fich ganz feinem 
Lieblingsftudium. hin. 4715 erſchien fein „Syften der Fntemologie”, wo⸗ 
"durch dieſe WWiffenfchaft -eine ganz neue Seftalt befam. Zwei Jahre nachher 
entwickelte er in einem. zweiten Werke die Charaktere der Claſſen und, Arten, 
und zeigte in den Prolegomenen die Vortheile feiner Methode... ITT8 machte 
er feine „Philosophia entomolagica”, nach, dem Mufter der „Philogspphia 
botanica” von Linné bekannt. Mon dirfer Zeit bis zu feinen Tode, alib 
faſt 30 Jahre lang, war er unaufhörlich befchäftigt, fein. Syſtem tr’ erwei- 
tern und es unter verfchledenen Formen in Werfen von verfchiedener Behreil 
rung darzulegen, Er durchreiſte faſt jedes Jahr einen Theil Europas, be: 
fuchte die Muſeen, knüpfte Bekanntſchaften mit Gelehrten "an urid befchrieh 
mit unermüdeter Thaͤtigkeit die noch unbefannten Inſekten, ‚die et kennen 
fernte: Allein in dem Maße, wie die: Zahl der. Arten unter feiner fleißigen 
Feder wuchs, wurden ‚auch die Kennzeichen der Gattungen und felbft die Claf⸗ 
en ungetviffer und willkuͤrlicher, fobaß,. aus diefem Sefichtspunfte betrachtet, 
ne neuejten "Schriften den Altern faft nachfichen. Die Grundlage, die ee 
angenommen hatte, war vortrefflich, allein fie Eonnte ihr nicht, wie er meinte, 
zu einem Syſteme ver Natur, ſondern bloß zu einer natürlichen Methode 
führen. Er flarb den 3. März 1808. S. feine Autobiogr. in den „Kieler 
Blaͤttern“, I, 1. (4819.) zu u 0 
Fabrik, die Werkflatt oder Anſtält, wo Maaren im Ganzen verfer: 

tigt werden, Der Unternehmer. oder Herr, der Fabrik beißt Fabricant, 
die Arbeiter Fabrikarbeiter oder "Manufictirifter. Die Fabrik hetßt auch 
Manufacturer „ invoiefern dabei,auf die Art von Arbeit gefehen. wird. Fabrik 


8 | Subroni Barciolati 


deutet die Art diefer Arbeit an. Die fonftigen Unterfchiede, die man zwiſchen 
Fabrik und Manufactur angibt, find ungegründet. Fabricat, mas in ber 
Fabrik verfertige worden if. In der Malerei verfteht man unter Fabriken alle 
von dem Maler in feinem Gemälde dargeftellten Gebaͤude, befonders wenn fie, 
wie bei Landfchaften und in Hintergründen hiſtoriſcher Sompofitionen, nicht der 
Hauptgegenfla:d des Semältes find. | 

$abroni (Angelo), ein berühmter italienifcher Biograph, geb. zu Mar: 
- radi im Toscanifchen am 7. Sebr. 1732, erhielt den erften Unterricht zu 
Faenza, dann fludirte er in Rom in dem Collegio Bandinelli Logik, Phyſik, 
Metaphyſik und Geometrie, und fchrieb das Leben Clemens's XII. Unter: 
ftüßt und aufgemuntert in’ feinen Studien, faßte er den Gedanken, das Leben 
der italienifchen Gelehrten zu befchreiben, welche im 47. und 18. Jahrh. ges 
blüht hatten, und verwandte auf diefes Werk, wovon der erfie Band 1766 
erſchien, feine angeftrengtefte Thätigkeit. Seinem Glücke ftellten ſich viele Hin: 
derniffe in den Weg, unter andern auch die Feindfchaft der Jeſuiten. Er begab 
fih daher nach Florenz, wo er 1767 vom Greßherzog Leopold die Stelle eines 
‚Priore ‚erhielt, und nun feine Zeit zwifchen den geiftlichen Sefihäften und 
iterarifchen Arbeiten theilte. 1769 reifte er nah Rom, wurde von Cie 
mens AlY, mit großer Freundfchaft enıpfangen und zu einem Prälaten der 
päpfllichen Kammer ernannt; doch er kehrte nach Floreng zurüd und gab 
bier Briefe von Gelehrten des 17. Jahrh. aus den Archiven der Medicis 
brraus. 17713 ward er zum ‚Erzieher der großherzoglichen Prinzen ernannt; 
nun gemann er Zeit, fich wieder mit feinen Biographien zu befchäftigen. 
machte Reifen ins Ausland, befuchte Mien, Dresden und Berlin. In feinen 
legten Lebensjahren beſchoſtigte er ſich mit theologiſchen Arbeiten und ſtarb 
den 22. Sept. 1808. Die beſte Ausgabe feiner in gutem Latein gefchriebe: 
nen „Vitae Italoram doctrina excellentium qui saeculo XVII, et XVII. 
floruerunt” erfchien zu Piſa 1778 — 99 in 18 Bdn. Der 19. und 20, 
Bd. famen nach feinem Tode hinzu, wovon der eine fein eignes Leben ents 


hilft, von ihm felbft gefchrieben bis 1800. Diefes Werk von, 167 Lebens. 


befgreibungen gehört unter die vorzüglichfien feiner Art und umfchliegt einen 
Schatz von Gelehrſamkeit. Mufterhaft find F.'s „Iaurentii Medicis M, vita’ 
und „Magni Cosmiei Med, vita“ (Pifa 1784 und 17189, 4). Auch gab 
er dns „(riornale de Litterati“ feit 1771 zu Piſa heraus und feßte es bis 
zum’ 162.::Bbe. fort. . J | 
oe acade, die Aufenfeite oder äußere Anficht eines Gebäudes. Weil 
man .an’,den meiften Gebäuden nur Eine Außenfeite zu fehen bekommt, die nach 
der Straße fehende, fo hat man diefe Außenfeite mit dem Haupteingange auch 
yorzugsweiſe Facade genannt. Als Werk fchöner Baukunſt muß fie ein Ganzes 
bitten, deſſen Theile ein fchönes Verhaͤltniß an fich, eine fommetrifche Stellung 
gegen einander und Harmonie im Ganzen haben, und in ir muß fich vorzüglich 
der Charakter des Gebäudes ausfprechen, on Fe 
Facciolat i Giacomo, , ein italienifcher Philolog, geb. zu Torreglia 
unmelt Padua den 6. Jan. 1682. Die Anlagen des Knaben veranlaßten den 
Sardinal Barbarigo, ihn ins Seminar zu Padua aufjunehmen. Hier wurde er 
im Zeitraume von wenigen Jahren D..der Theologie, Profeffor diefer Wiffen: 
haft, ſowie der Phitofophie, endlich Praͤfect des Seminars. und Generaldk 
restor der Studien. Er wandte feine vornehmfte Sorge auf die Wiederher: 
ftellung des Studiums der alten Literatur; daher unternahm er auch eine 
neue Ausgabe des Worterbuchs in 7 Sprachen, „welches nach feinem erſten Verf., 
dem Mönd -Ambrofius von Calepio (Calepinus), das Calepinifche ‚genannt 





Fachinger Waſſer Facſimile N 


wird, Er hatte dabei feinen gelehrten Schüler Forcellini ‚Sehülfen, und 
fo wurde das Werk von 1745 — 19 beendigt (2 Bände, Fol.). Nun faßte er 
mit feinem fleißigen Mitarbeiter die Idee zu einem lateinifchen Wörterbuche, 
welches alle Wörter diefer Sprache und alle verfchiedene Bedeutungen derfelben, 
durch Beifpiele aus claffifchen Schriftfielleen erläutert, nach dem Mufter des 
italienifchen Wörterbuchs della Erufa, enthalten follte. Diefes ungeheure 
Unternehmen befchäftigte Beide faft 40 Jahre. $. leitete es, und Forcel 
lini (f. d.) führte es faft ganz aus, . Mit demfelben Sehülfen und einigen 
andern beforgte 5. auch neue Ausgaben von dem Leriton des Schrevelius und 
dem „Lexicon Ciceronianum” von Nizoli. Er ließ viele Iateinifche Reden 
druden, welche fich durch die claffifche Fleganz des Ticeronianifchen Styls 
ausgichnen, aber von ihrem Borbilde durch präcife Kürze unterfeheiden. Er 
feste die Sefchichte der Univerfitit Padua fort, welche Pappadopoli bis 1740 
gebracht hatte. 5. ftarb 1769. 

Fachinger Waſſer, ein Mineralmaffer, das in ziemlicher Stärke 
bei den Dorfe Fachingen an ber Zahn, im Herzogthume Naffau, nicht fern 
von Diez, entfpringt. Es ward gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts 
entdeckt. Es ift ganz Elar, entroidelt viele Luftblafen, fchmedt angenehm 
ſauerlich, geiftig, etwas ſalzig und erfrifchend.. Badeanſtalten find nicht hier; 
das Waffer wird nur verfendet .und Hält fih fo wohl, daß, nachdem man . 
daven nach dem Dorgebirge ber guten Hoffnung verfchidt, und nach Jahren 
Flaſchen damit wieder nach Holland gebracht, es doch Nichts von feinem Ge: 
balte verloren. 4803 wurden über 300,000 Krüge verfendet. Außer dem 
. medicmifchen Gebrauch dient dies Waffer noch zur &rquidung und Stärkung | 
bei ſchwuͤler Sommerhige und nach genoffenen hitzigen Setränten. Mit Wein 
und Zuder fchnell vor dem Merbraufen getrunfen, bebt es die Muskel: und 
Nervenfräfte, nad; gehabten koͤrperlichen Anftrengungen oder ausgeftandener 
Hitze, fehr ſchnell. S. Thielenius's „Befchreibung des Fachinger Minerals 
baffers“ (Marburg 1799). . 

Fackeltanz Tanz und Mufit waren fehon bei Griechen und Rs 
mern zwei nothwendige Erfoderniffe zur Verherrlichung eines Feftes; vor Allem 
durften fie bei der Hochzeitfeier nicht fehlen, welche fich damit endigte,. daB Die 

lobte ihrem Bräutigam ins Haus geführt wurde, wobei ihr ein Juͤngling, 
der den Hymen vorftellte, die brennende Hochzeitfackel vortrug, und Hymnen 
zur Verherrlichung diefes Gottes gefingen wurden, Die Römer, welche diefe 

bräuche von. den Griechen angenommen hatten, mifchten „ihre. Fescennien 
binein, Dies fcheint der Urfprung des Fackeltanzes zu fein, den Kaifer Ken: 
ſtantin, als er feine Refiden; yon Rom nach Byzanz verlegte, am Hofe ein 
führte. So war diefer Tanz ſchon dem erften chriftlichen Kaifer, im 4. Jahr: 
hundert, als ein Hof: und Teremonientanz befannt, In fpätern Zeiten ward 
er ein Theil der Turniere, womit Kaifer und Könige ihre Hochzeiten verherr⸗ 
lichten, Auf den Turnieren, die Heinrich der Vogler anftellte, tanzte der Rit⸗ 
ter, der den Sieg davon getragen, mit der Dame, die ihm den Danf .ertheilt 
hatte, unter Vor⸗ und Nachtragen der Fackeln ganz allein. "Als die Turniere 
aufbörten,. blieb der Fackeltanz zurüd als ein Denkmal der alten Ritterzeit, und 
bis auf unfere Zeiten pflegt er bei Wermählungen fürftlicher Perfonen zum Be: 
ſchluß mit. vieler Pracht und Feierlichkeit getanzt zu werden, wenn das Paar in 
das Brautgemach geführt wird, N | 
$aefimile, die einer Urſchrift in allen Ihren Zügen und Eigenthüm: 
lichkeiten vollkommen ‚ähnliche Nachbildung. Man pflegt dergleichen von alten 
Nanuſcripten oder. auch von der Handſchrift berühmter Männer in Kupfer: 


40 u Taler : Bagel (Familie) 


ſtich oder Steindrud pr fieferrl, im erften Falle, weil die Befchaffenheit der 
Schriftzüge ihr Alter beftimmt, im leßtern Falle, weil man geneigt ift, nach 
Lavarer’s und Andrer Meinung in der Handfchrift etwas Charakteriſtiſches 
zu finden, oder fich gern an gewiffe Perfonen durch Spuren Ihrer Hand erins 
nert. ©, „Isographie des homnies celebres, ou colleotion de Fac-simile, 
de lettres autographes etc.” (Paris 1827). . 
Factor, in der Arithmetit (fp viel als Efficient) eine Zahl, welche 
man mit einer andern multiplicirt; fo find 7, 4, die Factoren der Zahl 28, - 
Man theilt die Factoren in einfache und in zufammengefegte ab. Erftere un: 
terfcheiden fich von leßtern dadurch, daß fie durch Feine andre Zahl als durch 
ſich ferbft theifbar find. — Im SKaufmannsivefen beißt Factor der Aufſeher, 
Vorſteher einer Handlung, Fabrik, Manufactur oder fonftigen größern. öffent: 
lichen: bder Privatunternehmung, 3. B. Bergwerksfactor; fein Amt Factorei. 
Auch pflegt man alle in fremden Welttheilen befindliche Handelsniederlaſſum 
gen Factoreien zu nennen. Factoreibandel oder Sommilfionshandel, 
wenn für frenwe Rechnung Waaren eingefauft und verkauft, Gelder und 
Waaren empfangen ımd verfendet werden, 
Facultäten, f. Univerfitäten ° N | Ä 
Faden, ein Längenmoß, fo viel als 1 Klafter (6 Schub); auch Tagt 
man 4 Faden —— Holz, deſſen Kubus nach der verſchiedenen Örtlichkeit 
von einander abweicht. Ä 
 Fagel, eine niederländifche Familie, die der Nepublif der Vereinigten 
Niederlande eine Reihe mürdiger Stoatsmänner und Krieger gefiefert dar 
Don 1670 — 95 war die wichtige Stelle eines Staatsfecrefairs bei den Se: 
neralftanten flets einem Gliede dieſer Familie anvertraut, ‘die dagegen immer ' 
der oranifchen Partei ergeben mar, jedoch immer mit Nechtlichfeit und -obne 
Mebenabfichten. 4. Der große Ahnherr Kaspar Fagek, geb. zu Harlem 
1629 und geft. 1688, beffeidete die anfehnlichften Amter und zeichnete fich 
'ingbefondere bei der Invaſion Ludwigs XIV, durch Muth und Standhaftig: 
keit aus, Mit dem Chevalier Temple legte er 1618 die Grundlagen Bes nims 
foeger Friedens. Bei den Unterhandlungen mit Frankreich widerftand er allen 
Berführungskünften des franzdfifchen Gefandten D’Avaur und lehnte ſtolz eine 
umme von .2 Millionen Livres ab, die ihm d'Avaux anbot, um ihn zu ge: 
minnen, Fagel's Triumph war die Erhebung Wilheims HI. auf den engli⸗ 
(hen Lhron Er war es, der Wilhelms Manifeft bei dieſer Gelegenheit ent⸗ 
arf, und. von ‚dem Alles geleitet wurde. F. ſtarb, noch ehe die Nachricht vom 
vollftändigen "Gelingen derfelben eingegangen war. Er war unverheirathet 
geblicden und hinterließ kein Dermögen. Uber feinen Charakter höre man 
emple, Wiequefort und Burnet. 2. Franz, Neffe Kaspars ımd Sohn 
Heinrich Fagel's, war, wie jener, Stantsfecretair der Generalſtaaten, geb. 
1659, geſt. 1746. Dieſer große Staatsmann hatte einen trefflichen ' Bis: 
granben an Onno Zwier von Harlem gefunden; leider wurde die Handfehrtft 
ein Raub der Flammen: 8. Franz, geb. 4740 und geſt. 1773. 
er war Ötantsfecretair. Franz Hemfterhuis hat feine Lobfchrift‘, mielſterhaf 
entroorfen. 4. Heinrich, ‚geb. 1706 und geft. 1790, Hatte veorzüglich ’a 
der Erhebung Wilhelms IV. zur Statthalterwuͤrde, 41748, Theil. 6. Sran) 
Nicolaus, auch ein Neffe Kaspars, trat 1672 in Dienſt, ımd ffarb 474 
als Seneral der Infanterie im, Dienfte der, Senerafftaaten und kaiſerl. Feld: 
marfchalllieutenant; er zeichnete fi in der Schlacht bei Fleurus 1690 aus; 
die berühmte Dertheidigung von Mons 1691 murde von ge befehligt; auch 
bei der Belagerung von Namur, bei der Einnahme wort und in Por: 


Fagoit Fahne 11 


tugal 1708, in Flandern 17141 und 1742, und bei den Schlachten von Ra⸗ 
millles und Malplaquet beivies er große militairifcehe Talente, 6. Heinrich, 
ein Sohn Heinrichs (4.), war Sefandter der Bereinigten Atiederlande in Ko: 
genbagen 1793, um Dünemarks Beitritt zur Coalition zu bewirfen; dann um: 
terhandelte und fchloß er den Bund Hollands mit Preußen und England 1794, 
folgte dem Erbftatthalter nach England, und kehrte 1813 mit dem jeßigen 
Könige der Niederlande nach Holland zurüd. Er beroäbrte, wie feine Brüder, 
die treuefte Anihänglichkeit an das oränifche Haus in den Zeiten des Unglüuͤcks. 
1814 unterzeichnete er als ‚niederländ, Sefandter in London den Friedensfchluß 
geifchen Stroßbritannien und den Niederlanden; 1822 ging er als niederlind. 
Sefandter nach Liſſabon, farb aber auf der See den 16. Nov. Scin Bru⸗ 
ber, 7., Jakob, war 17195 Sefandter in Kopenhagen und nahm an der 
Revolution zu Gumften des Haufes Dranien 9813 wirkfamen Antheil. Ein 2. 
Bruder, 8., Robert, iſt niederland. Sefandter in Paris. 

Fagott (Baffen), ein fanftfingendes, in den höhern Tönen dem Tes 
nor ſich näherndes Blasinftrument von Ho, mit einer gekruͤmmten meflinges 
nen Röhre, in welche ein Rohr eingebracht ift, durch welches es geblafen 
wird. Es diente ehedem der Hoboe zur Begleitung, daher es auch Basson 
de hautbois hieß; es ift. aber jetzt durch mehre Klappen fo vervollfommnet, 
dag man auch Solo darauf blaͤſt. Es umfaßt 3 Octaven, und feine Vor: 
geichnung iſt gesoöhnlich der Fs oder Bapfehläffel; doch bedient man ſich 
auch jet in deri höhern Tönen, der bequemern Uberficht wegen, des Tenor: 
fehtüffele. Es bilder bei den Harmonien blafender Inſtrumente gewoͤhnlich 
den Bag. Im vollften Drchefter füllt es gewöhnlich aus und verftärkt die 
Eelfi und Grundbäffe, mo es nicht eigne Soloſtellen bat oder in der Octave 
mit hohern Juſtrumenten gebt,. welche die Melodie haben. In den "Ton: 
arten G - dur, F-dur, B- und G- dur ift es am leichteſten zu behan⸗ 
bein; fehmwieriger im E-, A- und H-dur. Einer der nusgegeichnetiten Fa⸗ 
gortiften ift Ant. Homberg. Vier Tone tiefer flieht der ſtaͤrkere Quartfagott, 
—* man fich bei der Feldmuſik ſtatt des ſonſt mehr gebrauchten Serpent 

ient. BE ’ 

Fahne, urſpruͤnglich ein Zeichen, das auf einer Stange, einem Spieß 
oder Balken aus verfchiedenen Abfichten aufgeftecdt wurde. Unter den Hebraͤern 
waren die Fahnen ſchon zu Mofes’s Zeiten befannt, und mit Sinnbildern 
— Ephraim führte einen Stier, Benjamin einen Wolf u. ſ. 1% 

in Gleiches finden wir bei den Griechen, bie Athenienfer hatten eine Eule, 
die Thebaner' einen: Sphynx auf ihren Fahnen, durch deren Emporbeben oder 
Senken fie das Zeichen zum Angriff oder Ruͤckug gaben. Die Fahne des 
Romulus war ein Heubändel, welches an eine Stange gebunden war. An 
die Stelle deffelben trat fpäter eine Hand, und dann ein Adler. Die wirk⸗ 
Jichen Fahnen kamen erft unter den Kaifern auf; fie behielten den Adler bei. 
Außerdem hatten die Bahnen auch Drachen und filberne Kugeln zum Zeichen; 
die Fahnen der rbmifchen Reiterei beftanden: aus einem viereckigen; purpur⸗ 
farbenen, mit Bold gegierten Tuche, worauf man in der Folge noch das Bild 
eines Drachen anbrachte: Die Deutſchen knuͤpften ein Band an eine Lanze, 
welche der Herzog vor dem Heere hertrug. Von dieſem Bande ſoll das Wort 
Fahne entſtanden fein, indem aus Band Ban, Fan, Fahne geworden fel, 
daher bandum ıind banderium (bandiera, Banner‘, Panier) eine "Fahne, 
und banderesius ein Fäͤhnrich heißt. In der Folge wurde aus diefem Bande 
ein großes Tuch, das mit Sinnbildern und Inſchriften geziert wurde. “Die 
neufrangöfifchen Heere hatten zu ihren Fahnen, nach Art der römifchen, Adler, 


nur von verſchiedener Geſtalt. (©, Adler.) 


hy 


42 Sahnenberg Fahrbuchſe 


Fahnenberg (Agid Joſeph Karl von), von 1795 — 1806 Bflreich. 
Directorialgefandter zu Kegensburg , geboren 1149 zu Mons im Hennegau, 
wo fein DBater zu jener Zeit als öfter. Rittmeiſter fland. Der urfprüngliche 
Name feiner Familie war Mayer, den aber einer feiner Borfahren, der fi 
bei der Belagerung’ der Stadt Freiburg im Breisgau durch den franz. Mar: 
ſchall von Billars um die Rettung der Stadt verdient gemacht hatte, Eraft 
eines Eaiferl. Adelsbriefs in Fahnenberg verwandelte. Nach dem Tode feines 
Daters ging F. nad Weblar, wo fein mütterlicher Großvater die Stelle eines 
eichsfammergerichts = Affeffors bekleidete. Der junge F. beſuchte dort das 
Gymnaſium und fludirte fpäter in Würzburg und Heidelberg die Rechtswiſ⸗ 
fenfchaften mit einem Erfolge, der ihn zu einem der grimdlichfien Rechtsge⸗ 
lehrten machte. 1773 trat er als Secretair in üftreich. Dienfte und erhielt 
den Auftrag, unter Auffiche feines Oheims, des öfter. Directarialgefandten 
von Borie in Regensburg, ein Repertorium über die Urkunden des weſtfali⸗ 
fihen Friedens zu verfaffen. Diefe Arbeit, welche ebenfo ausgebreitete hiſto⸗ 
rifche als publiciftifche Kenntniffe erfoderte, wurde von ihm binnen 2 Jahren 
zu Stande gebracht; dabei befchäftigte ihn. noch die Reichstagspraxis. 1775 
ward er zum vorberöftr. Regierungsrathe in Freiburg ernannt, und erhielt, 
ein Jahr fpäter, die bungundifche Präfentation ans Kammergericht. 17182 
trat er wirklich beim Reichskammergericht ein, nachdem er bis- dahin feine 
Stelle in Freiburg mit jenem Eifer und jener- firengen Redlichkeit verſehen 
Datte, die einen Dauptzug feines Charakters machen. Als Directorialgefand: 
ter in Regensburg benahm fih Herr v. F. in einer verhängnißvollen Zeit 
als Mann von Grundſahen, Energie und reiner, deutſcher Sefinnung. Die 
Auflöfung - des germanifhen Bundes veranlaßte ihn, ins. Privatleben zurück⸗ 
äutreten, und wenn je von einem ruhenden Staatsmanne das gtium cum 
dignifale gegolten, fo fann es von ihm gefagt werden. Er lebt jegt im 
Wien ſich und den Wirfenfchaften. Der Kaifer hat ihm zum Zeichen feiner 
Zufriedenheit mit. fo vielfach erprobter Treue die ganze Directorialbefoldung 

laflem, 5.8 biflorifche und publiciflifhe Schriften, unter denen wir nur 
—* eſchichte des Reichskammergerichts unter den Reichsvicarien erwähnen, 
find mit, ſeltener Gründlichkeit abgefaßt. Von einigen noch ungedruckten waͤre 
die Bekanntmachung zu wuͤnſchen. 

abnemeid, der Soldateneid, weil die Soldaten auf die Fahne 
ſchwẽren müffen. — Fahnenlehen, ein kaiſerliches Lehen, weil es ehemals 
mit Überreihung einer Fahne. verliehen ward, welches in der Folge vermit: 
telft eines: Schwertes geſchah, deflen Kopf der auf dem Throne figende Kai: 
fer den Bafallen nach abgelegten Lehneide küſſen ließ, — Fahnenſchmied, 
ein Feldſchmied bei einer Fahne der Reiterei. — Fahnenſchuh, die lederne 
Scheide, worein das Untertheil der Fahnenſtange gefedt wird. — Fahnen 
— die feierliche Ehrlichmachung eines dure ein Derbrechen oder eine 
Beſchimpfung unebrli gewordenen Soldaten. — Fahnenwache, die Wache 
por der erften Linie des Lagers... - 0 

Fahrbuͤchſe, biejenige Büchfe, in-melche der Muͤnzwardein ein 
Stud von jeder geprägte Munze einwarf, um fie nachher auf Kreispros 
bationstagen nah dem Schmelz> und Tiegelregifter gehörig unterfuchen zu lag 
fen. .— Fahrende Habe oder Fahrniß, im deutfchen Rechte, bewegliche 
Güter, oder alles Dasjenige, was von einem Orte zum andern gebracht 
werden fann, und ben liegenden Gründen enigegengefegt if. Desgleichen 
auch Hausgeräth, im Gegenfage von Geld und Kleinodien. — Fahrrecht, 
fo viel als Strandrecht (f. d.), auch das an defien Stelle eingeführte 
Dergegeld. — Fahrt beim Bergweſen, eine Leiter, wodurch man in die 


Fahrenheit Fairfax 43 


Grube feige. Eine ganze Fahrt iſt 12, eine Kalbe 6 Ellen fang — Fahr ' 
fhacht, derjenige Schacht, durch welchen man in eine Grube hinabftelgt; 
ee ift von dem Förderfchacht durch eine Scheidewand getrennt. — Fahr: 
waffer, diejenige Gegend eines Canals, Hafens oder Stroms, wo feine Uns 
“tiefen find, und wo daher ein Schiff ficher fahren kam. 

Fahrenheit (Gabriel Daniel), geb. zu Danzig gegen das Ende des 
17. Jahrh., befannt durch eine neue Einrichtung der Thermometer und Bas 
rometer, follte anfänglich fi der Handlung widmen, Seine Neigung für 
die Ponftf zog ihn jedoch von diefem Stande ab, und nachdem er, um feine 
Kenntniffe zu erweitern, Deutfchland und England bereift hatte, ließ er ſich 
im Holland nieder, wo die berühmteften Männer .feines Faches, Gravefande 
u. A. feine Lehrer und Freunde murden. 4720 kam er zuerft auf die Idee, 
fich des Zuedfilberg flatt des bis dahin üblichen Weingeiftes bei Anfertigung 
der Thermometer zu’ bedienen, ein Verfahren, wodurch dies Inſtrument un: 
gemein an Genauigkeit gemann; er nahm dabei für die Grenze der größten 
möglichen Kälte diejenige an, bie er im Winter 1709 zu Danzig, Beobadptet 
batte, und die er immer wieder berporbringen fonnte, wenn er Schnee und 
Salmiak zur gleichen Theilen mifchte; der Raum zwifchen dem Punkte, bis 
zu welhem das Queckſilber bei diefer Fünftlichen Kälte fiel, bis zu demjeni⸗ 
gen, den es bei der Siedhitze des Waffers erftieg, theilte er in 212 Theile; 
und hierdurch unterfcheidet fich feine Thermometerfcala von der Reaumur’fchen. 
Bol. Thermometer.) Er befchreibt diefes Verfahren felbft in den „Philos, 
trausact.” f. 4724. — Ferner befchäftigte er fih, während feines Aufenthal: 
tes in Holland (woſelbſt er 17140 flarb), mit Anfertigung einer Mofchine zum 
Austrocknen von den Überfpwemmungen ausgefegten Gegenden, auf welche er 
such ein -Privilegium von der Regierung der Niederlande erhielt, das Ganze 
indeg nicht vollenden Fonnte, indem ihn ber Tod überrafchte. Die Veraͤnde⸗ 
rungen , welche Sravefande, dem er den Auftrag ertheilt hatte, zum Beſten 
feiner Erben das Werk zu vollenden, fpäter daran anbrachte, machten aber 
das Ganze bei dem erften Verſuche fo unbrauchbar, daß man feitdem die wei: 
tere Ausführung unterlaffen hat. Über F.s Thermometertheorie f. Luys 
„Anweiſung, Tbermomet®® zu verfertigen” (Nürnberg 1781). 

Kaktir oder Senaffey ift in Dflindien eine. Art von fchwärmerifchen 
Mönchen, die fih von der Welt abfondern und der Betrachtung widmen. 
Bie beftreben ſich zum Theil durch graufame und Lücherliche Kaſteiungen ib: 
res Körpers fich Unterhalt und Ehrfurcht bei dem großen Haufen zu verfchaf: 
fm. Manche wälzen fi im Koth, andre halten einen Arm fo lange unbe 
weglich in die Höhe, bis er völlig erftarrt und lebenslang in diefer Richtung 
Beibt; noch andre halten die Hände fo lange zufammengedrüdt, bis die Naͤ⸗ 
gel in die flache Hand hineinwachſen und auf der andern Seite wieder her: 
anstommen; wieder andre drehen das Seficht über die Schulter, oder die 
Augen gegen die Mafenfpigen fo lange, bis ſie in diefer Richtung unveräns 
derlich Sieben bleiben. Sie thım das Selübde der Armuth, um auf Koften 
der Glaͤubigen zu leben, Einige befißen jedoch Dagrfhaft und Grundſtüuͤcke. 
Es gibt mohammebdanifche und binduifche; die Zahl der erftern iſt beträchtlich. 

Fairfax (Thomas, Lord), General der Parlamentstruppen in Eng: 
land zur Zeit der bürgerlichen Kriege unter der Regierung Karls I., war 
1611 geboren. Er fludirte in Cambridge und diente nach vollendeten Stu: 
dien als Freimilliger in Holland unter Horazio, Lord Vere, um den Waffens 
dienft zu lernen. Bei feiner Ruͤckkehr nach England faßte er eine auferor: 
dentlihe Abneigung gegen Karl 1. Als der Bürgerkrieg ausbrach, ernannte 





— 


14 il Bald 


ihn das. Parlament . zum General der Heuterei. Er zeichnete ſich durch Ta⸗ 
pferfeit, Kiugheit und Thätigfeit fo aus, dag ihm das Parlament 1645, an 
des Grafen Effer Stelle, den Heerbefehl übertrug. Zugleich ward ibm Crom⸗ 
weil mit dem Titel eines Senerollieutenants beigegeben. Er erhielt Vollmacht, 
alle Generale unter. feinem Befehle zu ernennen, und ging im April nach 
Windfor, 10 er die neue Armee arganifiren wollte. Allein Cromwell hatte 
einen folchen Einflug auf ihn gewonnen, daß er Alles bei ihm durchfeßen 
konnte. Daber bandelte auch diefer unter 5.8 Namen. Der König war 
von Drford im Anzuge. Den 14. uni kam es zur Schlacht, welche Karl 
verlor. F. unterwarf fich alles weftlih von London gelegene Land, 309 dann 
nach Süden und biodirte Exeter. Überall fiegreich, rüdte er endlich vor Or 


ford, wo „eine beträchtliche Befaßung fand. Der "König entkam verkleidet 


aus der Stadt, um fich den Schotten in die Arme zu werfen. Oxford cas 
pitulirte, und Karl 1. hatte Fein Heer und keinen feſten Platz mehr in Eng: 
land. Als F. in: London angefommen mar, Ddanfte ihm das Parlament 
durch eine Deputation und trug ihm auf, die Summe von 400,000 Pf. 
Sterl. zu begleiten, welche das Parlament der Armee von Schottland für 
die Auslieferung des Königs gab. Den 30. Jan. 1646 wurde Karl I. den 
Sommiffairen des Parlaments übergeben. F. begegnete dem Monarchen mit 
vieler Achtung. Das Parlament batte ihn zum General der Armee eknannt, 
welche man noch beibehalten wolle, nachdem ein Theil verabfchiedet und der 


andre nach Irland gefchidt worden fei. Allein die Truppen’ waren diefer 


Maßregel nicht geneigt, und Cromwell benußte dies, um die Armee zur Ems 
pörung gegen das Parlament zu verleiten, F. wollte feine Stelle niederles 
gen; die Führer des Heers wußten jedoch die Ausführung diefes Entfchluffes 
zu verhindern, und er gab fih nun den Mafregeln bin, die man ergriff, 
um das Parlament zu flürgen. Gegen den Befehl deffelben zog er triums 
phirend in London ein und erfuhr bier nicht fo bald, daß der König mit 
Gewalt von Holdenby entführt worden fei, ‚als er eilte, denfelben bei Cams 
bridge aufjufuchen. Gern hätte er ihn gerettet, allein: Cromwell beberrfchte 
ihn und die Umflinde. Nach des Königs Tode ernannte man ihn zum Bes 


‚feblshaber der Truppen in England und Srland; Yllein bei der Expedition, 


welche -das Parlament 1650 gegen Schottland vorbatte, weil es fih für 
Karl 11. erflärte, weigerte er fich zu dienen. &o erhielt Cromwell den Ober: 
befehl. F.'s Tehnlichfter Wunſch war die Wiedereinfeßung der koönigl. Famis 
lie; auch verfuchte er nach Cromwell's Tode (1658), fie thaͤtig zu bemirfen, 
und brachte zu dem Ende felbft ein Heer zufammen, machte fich zum Meiſter 
von York und erfchien noch ein Mal auf der Bühne der Welt. Die Graffchaft 
Dorf wählte ihn zum Deputirten im Parlament, und 1660 war er unter den 
Abgeordneten, die nach dem Haag gefandt wurden, um Karl II. zu veranlafs 
fen, fo fehnell als möglich die Ausübung feines fünigl. Amts zu übernehmen. 
Nah Auflöfung diefes Parlaments begab er ſich auf feine Güter und ftarb . 
4674. Seine icbe zu den Wiffenfchaften hat er durch mehre Schriften, wors 
unter die Denkwürdigfeiten feines Lebens find, bewährt. 

Bald (Anton Reinhard), k. niederkind. Staatsminifter und Gefandter in 
London, einer der aufgeflärteften Staatsmänner der Miederlande, geb. 1776 zu 
Amfterdam in einer anfehnlichen Familie, fludirte auf dem amfterdamer Athenaͤum 
unter dem vortrefflichen Craß; dann befuchte er deutfche Akademien und vermweilte 
längere Zeit in Göttingen. In feinem Daterlande eröffneten fich dem geifts 
reichen und auf eine feltene Weiſe ausgebildeten, dabei von förperlicher Ans 
muth reichlich .unterftüäßten jungen Manne viele Ausfichten. Seine Studien 
waren insbefondere der Diplomatie gewidmet; er begleitete daher den ehema⸗ 


Be 4 


"figen Profeffor in Leyden, Valkenaer, der zum Gefandten am mabrider Hofe . 
ernannt wurde, als Ambaffadefecretoir. alfenaer gewann burch fein klu⸗ 
ge Benehmen bild ein großes Gewicht am madrider Hofe, und F. fand 

legenheit, in die Geheimniſſe der damaligen europäifchen Diplomatie einges 
weiht zu werden. Nachdem Valkenaer 1805 zurüdberufen war, nahm F. 
deſſen often am fpanifchen Hofe wahr, bis auch er ins Vaterland zurüd: 
fehrte, mo eben die Erblindung des Rathepenfionnairs Schimmelpenninf Na: 
poleon Beranlaffung ‘gab, feinem Bruder auf den Trümmern der alten nies 
derlindifchen Srerheit einen Thron zu errichten. F. und eine Eleine Anzahl 
fühner Dünner bemühten ſich, das niederlandifche Volk über die Gefahren, 
weiche es bedrohten, wenigſtens aufzuklären. Unter dem Könige Ludwig 
lehnte F., fo viele Einladungen er auch erhielt, alle Anftellungen bei Hofe 
und in ber neuen bolländifchen Diplomatie ab, Dagegen wurde er Mitglied 
des neuerrichteten Inſtituts und bald nachher Seneralfecretair des Departes 
ments der oflindiichen Angelegenheiten, eine Stelle, .die er aus Patriotismus 
nicht glaubte ablehnen zu dürfen. Als die Begebenheiten im Herbſte 1813 
eine für.die Franzofen unglädfiche Wendung nahmen, wendeten die Freunde 
der niederländifchen Freiheit ihre Blicke nach Deutfchland; ein Verein uners - 
fhrodener Männer feste fi mit den vordringenden Heeren der Allürten in 
Berbindung, um im erſten günftigen Augenblid eine Bewegung zu Gunſten 
des oranifchen Hauſes bewirken zu fönnen. F. gebörte zu benfelben, und 
ale Hauptmann der amflerdbamer Mationalgarde wurde er die: Seele der zahls 
reihen Bürger, welche Alles aufjuopfern bereit waren, ihrem unglädlichen 
Paterlande feine verlorene Unabhängigkeit Biere tehaffen Er entiwidelte 
in diefen £ritifchen Zeitumftänden ebenfo viel Muth als Klugheit, und kein 
Name war in jener Zeit in den Niederlanden mehr gefeiert als der feinige, 
Profeſſor von der Palm fagt in feinem „Denfmal auf Hollande Wiederher⸗ 
ſtellung“ („Gedenkstuk von Nederlands herstelling‘), einem Meifterftüd der 
Beredtfamfeit in hollindifcher Sprache, von Bald: „Es gibt wenige Mens 
ſchen, welche fo große Figenfchaften des Herzens und des Geiſtes zufammen 
vereinigen, als F.; gebildet durch das Lefen der Alten und die tieffinnigften 
Studien, welche ihm als Gelehrten einen Platz unter den erfien niederländis 
fen Gelehrten im Nationalinftitute verfchafft haben; ausgeſtattet mit Bie⸗ 
derfeit und einem geläuterten Geſchmacke; großer Menſchenkenner, außergrs 
dentlich welterfahren und meltgebildet, ift er allenthalben an feiner Stelle, 

wol im Cirkel der Gelehrten als in der guten Gefellfehaft und in den - 

echtsfälen der Staatsmänner”. Zuerſt ©eneralfecretair der proviforifchen 
Regierung , welche ſich bei der Entfernung der Franzofen im Haag gebildet 
Batte, wurde 5. nach der Ankunft des Prinzen von Dranien aus England, 
und nachdem derfelbe,als Zürft der Niederlande proclamirt war, zum Staats: 
fecretair ernannt: ein Poften, der als der wichtigfte von allen Dkinifterien zu 
betrachten war, und 'den er bis zum Jahr 1818 Zur Zufriedenheit feines 
Konige und des Landes behauptet hat. Jetzt wurden ihm die Minifterien 
des öffentlichen Unterrichts, der Nationalinduftrie und der Colonien anver- 
traut; außerdem volljog er mehre wichtige diplomatifche Sendungen, mie 
1819 und 1820 eine nach Wien. : Sein bervegtes üffentliches —* hat 
ihm feine Zeit gelaſſen, ſich oͤfter als Schriftſteller zu zeigen; mir kennen 
von ihm, außer einzelnen kleinen philoſophiſchen Abhandlungen in van Ha⸗ 
mert's, Kritiſchem Magazin” nur Eine größere Schrift: „Über den Einfiuß 
der holländifchen Kivilifation auf die Völker des nördlichen Europa, befon: 
ders der Dänen” (in den Memoiren dE3 niederländifchen Synftituts), welch 
als ein Meiſterſtuͤck hiſtoriſcher Forſchung betrachtet wird, r Ä 


46 Falconet Falk 


Falcon et Etienne Maurice), ein berühmter Bildhauer, Prof. der ko⸗ 
nigl, Akademie zu Paris, geb. 1716 im Waadtlande von wenig bemittelten 
Itern, fam mit denfelben nah Paris. Als Lehrling eines gemeinen Holz 
fepneiders, der Peruͤckenſtocke und dal. Dinge verfertigte, hörte er von dem Bild: 
bauer Lemoine und wagte es, 17 Jahre alt, ihm einige Arbeiten zu zeigen, Die 
er in feinen Mußeſtunden verfertigt hatte. Lemoine nahm ihn in feine Werfflätte 
auf und unterftüßte ihn. Nach 6 Jahren hatte er folche Fortfchritte gemacht, 
daß feine Statue, den Milo von Krotona vorftellend, ihm die Aufnahme in 
die Akademie (1745) verfchafftee Man Hält diefe Arbeit für eine der beften 
der nenern Skulptur. Auch lernte er die lateinifche und italienifche prade, 
und machte ſich mit den Werfen der griechifchen Philofophen befannt. Zu 
feinen Kunfterzeugniffen aus jener Zeit gehören: ein Pygmalion, eine Bas ' 
dende, ein drohender Amor. Für die Kirche von St. Roch arbeitete er einen 
fterbenden Ehriftus, und mehre andre Werke für Kirchen. 17166 Iud ihn Ka⸗ 
tharina 11. nach Petersburg ein, um die Statue Peters des Großen zu ver 
fertigen. Dies Denkmal, welches zu den ausgezeichnetften Werken der neuern 
Zeit gehört und den großen Monarchen nebft dem Pferde, aus Metall ges 
goffen, auf einem Felfen barftellt, die Schlange des Meides unter die Füße - 
tretend, befchäftigte F. 12 Jahre. Katharina I. wurde dem Künfller per: 
ſonlich eroagen und unterhielt fich oft mit ihm allein, doch entzog fie ihm 
fpäter ihre Gunſt; auch erhielt er für feine Arbeit nichts weiter als den be 
dungenen Preis. 4778 kehrte er nach Paris zurüd und ſchickte ſich nach 
einigen Jahren an, eine Reiſe nach Italien zu machen, woran ihn aber eis 
ne Krankheit hinderte. Er farb zu Paris 1791. Er hat wenig Schüler 
ezogen, allein mehre Schriften verfaßt, welche viel Treffliches enthalten. 
emerfenswertb find f. „Reflexions sur la scalpture“ ı4768), fomwie f. 
„Observations sur la statue de Marc Aurele” (11171), ©. „Oeuvres” er: 
fehienen zu Paris 1787 , 6 Bde. | 
Falieri (Marino), Doge von Venedig, in der Mitte des 14. Jahrh., 
war vorher Befehlshaber der Truppen der Republik bei der Belagerung von 
Zara m Dalmatien, wo er einen. glänzenden Sieg über den König von Un: 
garn erfocht, dann Sefandter der Republik in Genua und Rom. Sein Cha: . 
rafter iſt biftorifch treu gezeichnet in Byron’s Trauerfpiel „Falieri” (London 
4821), wozu Folgendes aus F.'s Leben den Stoff gegeben hat. Ein Pa: 
trier, Michael Steno, verliebte fich in ein Fräulein im Gefolge der Do: 
gareffa. Getaͤuſcht in feinen Abfichten, fuchte er fich durch einige Zeilen zu 
rächen, welche für die Gemahlin des Doge kraͤnkend waren, und weßhalb 
der Doge, ein Mann von wilden, furchtbar aufbraufendem Temperamente, 
firenge Beftrafung foderte. Da nun dem Patrizier bloß ‘kurze Sefängniß: 
ſtrafe zuerfannt wurde, fo beſchloß F., an der gelanmten folgen Ariſtokra⸗ 
tie, die er von ganzer Seele haßte, furchtbare Rache zn nehmen, und bil: 
dete eine Verſchwoͤrung, um an einem beftimmten Tage alle Senatoren zu 
ermorden und die Macht des Senats zu vernichten. Allein wenig Augen: 
blicke, bevor der Plan ausgeführt werden follte, wurde er verratben, und der 
Doge mit den Verſchworenen verhaftet und hingerichtet. Dies geſchah am 
47. April 1355. Mehr über Ddiefe letzte Befeftigung des von dem Doge 
Sradenigo 1297 eingeführten Erbariflofratismus erzählt Daru in feiner „Hist. 
de Venise”. Auch Delavigne bat den Stoff als Trauerfpiel 1829 auf die 
Bühne gebracht. | 
Fark (Johann Daniel‘, großherzogl. fachfen:weimar. Legationsrath, geb. 
zu Danzig 1770., Seine früh ermachte Lernbegierde hatte mit großen Schwie⸗ 
rigfeiten zu kaͤnpfen. Sein Vater, ein armer Perüdenmacher, harte ihn 


— 


Fall; on 4 


num nethdärftig leſen und ſchreiben lernen laſſen, als er ihn ſchon bei feiner 
Arbeit gebrauchte und die Wißbegierde des Knaben auf alle Weiſe zu unter: 
brüden fuchte, deffen Neigung jedoch durch den Widetſtand nur wuchs, und 
der fein Eleines Spargeld in die Leihbtblierhek: trug, und Sellert’s, Wleland's, 
Lefling’s -u. A. Werte bei Tag. und bei Nacht Ins, wie fich ihm eben bie 
Selcgenheit darbot. Oft fland er zur Winterszeit leſend unter einer vaterne 
auf freier Gaſſe, und. wenn er ber fein langes Außenbleiben zur Rede ge⸗ 
flellt wurde, gab er vor, .bei feinem‘ Großvater gewefen zu fein. : Nber mit 
den jahren nahm feine Unzufriedenheit mit feiner ‚Lage zu. Er foßte den 
Entſchluß, das vaterliche Haus zu verlaffen und zur See zu gehen. Wirk: 
lich entfernte er fich und irrte einige Tape in den Waldern an der Meeres 
kuͤſte umher; da ihm aber die Schiffer die Mitreife verweigerten, wei. er nicht 
englifch srfland , fo mußte er wieder zuruͤckkehren. Endlich erhielt er von 
feinem Bater die Erlaubniß zu fludiren, Fam mit dem-16. Sabre auf das 
Gymnaſium und fludirte unter des gelehrten Trendelenburg Anleitung,/ jedoch 
immer mit Mangel kaͤmpfend, die alten Dichter und Proſaiſten. | 
bjaͤhrigem Beſuch des —3 — Gymmaſiums ging er nach Halle two: fich 
durch den Unterricht und Ungang eines Wolf,. Forſter, Klein dh. U. weiter 
ausbildete. 17798 verließ rr Halle und begab fi, die. Unabhängigkeit. eines 
Privatgelebrten eines Anftelung vorgiehend, nach Weimar, 1806 ‚hatte er 
Gelegenheit, fich _ Einmarfche der Franzoſen und nach der. jenaer Schlacht 
weſentliche Berdienfle um die Stadt Weimar zw erwerben, welche der’ Her⸗ 
303 dadurch belohnte, daß er ihn zum Legationsrath ernaunte und ihm einen 
! Gehalt anwies. Noch größer find die Verdienſte, welche 8. fih um die 
Lidende, hülfsbebürftige Menſchheie erworben hat, -1813, als Sachſen von 
| $reunden und Feinden verheert wurde, drang bie Noth der verlaſſenen Kin⸗ 
ter und die Furcht vor der :zu iesmwänenben Verderbtheit derfelben an fein 
Herz. Er ſelbſt hatte an dansıherrfhhendenn Typhas in einem Monate 4 
heffrungsvolle Kinder verlorens: Damals’ ec den Grundſiein zu einem 
Im jetzt wohlthätig. wirkenden: Vereineni „Sefellfchaft der Freunde in der 
ı Roth, Ihr erfler Zweck warr verlaffenen ımd verwilderten KRinderm zur 
Erlernung von müglichen. Veiperben.befatlfbich gu fein, Dieſer Verein dauerte 
hub 5’ DBemü n auch unter veränderten: Seinimfländen fort und er: 
warb fich durch bferiptionen‘. ein neuerbamtes Schulgebäude. Der Groß⸗ 
herxg ihn großmuͤthig und ernannte F. 41815 zum Ritter des 

. wrjüngten Falkenordene. F. hatte bis 1824 Über 250 Lehrburſchen aus der 
Anſiali als Geſellen entlaffen; einige Böglinge haben ſtadirs; andre find Schul: 
I bier, Kaufleute, Kuͤnſiler geworden. Mehre Mädchen. fidd in Dienft ge: 
ganzen. 5.8 Anflalt veranlaßte die Sründung ähnlicher zu Overdyk, Afchers« 
keben, Jena, Erfurt, Potsdam, Berlin und a. a. O. — Als Schriffſieller 
tat 5. werft in der Sathre. auf und ward vom Wieland auf eine ſo ausge: 
—* Weiſe eingeführt, daß er die geſpannteſten Erwartungen. erregte, 
| waren feine erflen Satyren: „Die Sräber von Kom und „Die Se: 
‚ dete”, reich am treffenden Witz. Ihnen folgten von 17 bis 1808 fechs 
Jahrgänge eines „Tafchenbuchs für Freunde des Scherzes und der -Satyre”, 
in denen ſich ebenfalls viel Gelungenes findet. 4808 erfchlenen von ihm 
Heine Abhandfmgen, :die Poeſie und Kimft betreffend, und fein dramatifches 
Sedicht Prometheus⸗, ein treffliches Wert voll Tiefe, dem nur die Harme: 
a und Bollendung im Einzelnen fehlt; 1884 eine Sammlung kleiner Sa⸗ 

' Iren und Erzaͤhlungen; und 1805 ‚Leben, wunderbare Reifen und Srrfahr: 
ı in des Johannes von der Dftfee”. Sein „Elyſium und Tartarus”, eine. 
' Beitung artifliſch⸗ literariſchen Inhalts, beſtand nur kurze Beit. Seitdem ließ 

Eomerfarions s Legicon. Bd. IV. | 2 


48 | Falke 


der Dichter bis 1817 wenig von ſich hoͤren; uns iſt, außer dem 1. Bd. fi 
„Claſſiſchen Theaters der Engländer und Franzoſen“ nichts befannt geroorden. 
In dem genannten Jahre aber feierte er das 3. Reformationsjubiläum duch 23 
fhöne Gedichte in Stangen: „Johannes Fales Liebe, Leben und Leiden in 
Sort, und 1848 ließ er fr „Auserlefenen Schriften” (größtentheils bisher un⸗ 

druckte), in 3 Bon, erfcheinen (Liebesbüchlein, Ofterbüchlein, Narrenbüchlein). 

er Extrag von f. Schrift: „Das Vaterunfer in Begleitung von Evangelien 
u:d uralten chriſtl. Choraͤlen“ u. ſ. w. (Weimar 1822), ward von ihm zur Voll⸗ 
endung des Bet: u. Schulbaufes der Anftalt beſtimmt. F. ftarb den 14. Febr. 
41826. Die durch ihn gegründete Privatanftalt ward durch f. Freund und Gehül⸗ 
fen, son der Regierung unterflüßt, fortgefeßt, 1829 aber vom Großherzog aufe 
arboben, und an deſſen Stelle eine, offentl, Erziehungsanftalt für vermahrlofte 
Kinder als Nebenanftalt des Landes: Waifeninftisuts ervichtet;. Doch IN! Nie neue 
Anflaft den Ramen: Falk'ſches Inſtitut, führen. 

Galfe, der, eine. Art Kaubvögel, die zu den Habichten gerechnet 
wird, und. ſich durch einen fürzern Hals, einen kurzen Schnabel ‘von der 
Wurzel an,:und andre. Kennzeichen von den Adlern und Geiern unterftheis 
det Es gibt viele Arten, 3. B. Lerchenfalke, Taubenfalle u. f. wm. Mehre 
derfelben, befonders ‚der Edelfalfe, laſſen ſich zur Beize abrichten, daher Fals 
tenbeige, oder die ‚Jagd mit Fallen und andern dazu abgerichteten Naubyb- 
gen. Diefe Art zu jagen ift in Europa wie im Morgenlande fehr. alt. Im 
Müttefalter mar fie die Hauptbelukiigung der Yürften und des. Adels, und de 
auch die Frauen Theil daran nahmen, fo kam fie, befonters in Frankreich, 
febr in Aufnahme. . In einem von Curne de Sainte: Palaye in f. Werke 
über das. Nitterwefen auszugsweiſe mitgetheilten, alten Gedichte des Kapellans 
Gaſſe de la Bigne von den Jagdbeluſtigungen (Roman des deduits), das 
im 14. Jahrh, gefchrieben wurde, ward bei der Verhandlung über die :gegens 
feitigen Vorzüge der Jagd mit Hunden und. der Kalfnerei, von diefer beſon⸗ 
ders gerübmt, daß Königinnen, Herjoginnen:. md Gräfinnen, mis: Einflinee 
mung ihrer. Gemahle, den Sperber auf der Hand tragen Einen, : ohne "gu 
Verunglimpfimgen Anlaß zu, gebeit, und alle Beluſtigungen der Falkenjagd 
mitgeniegen dürfen, _mogegen ihnen bei der Jagd mit Hunden der Wohlftand 
höchftens geftattek, ‚mit. iyrem Gefolge in breiten Wegen über Waldblößen 
auf ihren Zeltern zun reiten, um die Hunde vorüberlaufen oder die Winde⸗ 
hunde jagen zu fehen, .Der-feine Ritter beftrebte ſich, zu zeigen, wie ange= 
legen es ihm war, einer verehrten Grau durch Sorgfalt und Aufmerkſamkeit 
für feinen Selten Fe gefallen. Man mußte. ihn zu rechter Zeit loszulaſſen 
wiften, ihm fehnell-fo 
ihn ermuntern, die gefaßte Beute fehleunig. aus feinen Kläuen losıwideln, 
ihn flreicheln, die Haube ihm auffegen und dann gefchidt:iän auf die. Fauſt 
feinee Sebieterin fielen. In Deutfehland fand die Falknerei ſchon unter 
Kaifer Friedrich; 11. in hohem Anſehen. Er mar ein. fo eifriger Falfenjäger, 
daß er felb im Kriege feine Lieblingsbeluſtigung fich. nicht verfügte und 
eine eigne, ven ſe Sohn Manfred. von Hobenflaufen mit. Anmerk. begleitete 
Schrift über die Falfnerfunft „Reiigua Jibrorum Fried, H, .de arte ve- 
nandi cum avibus ete.“ (heramsgag. ‚vom J. G. Schneider, Leipz. 4188, 
2 Bde., 4.) hinterließ. Auch im Lehnweſen ſtoͤßzt man auf Spuren der Ach⸗ 
tung, worin einft die. Falknerei in. Deutfchland fland, in den fogenannten 
Habichtslehnen, wie denn ſchon im 414. Jahrh. Beiſpiele ſich finden, daß für 
ein Ritterlehn der Vaſall jährlich mit einem mohlabgerichteten Habicht, mor- 
unter man ehedem Häufig Falken verftand, ſowie man auch zur Falkenbeize 
oft abgerishtete Habichte gebrauchte, und einem zum Gebrauche des Stoßvo⸗ 


lgen, ja nie aus dem Geſichte verlieren, . durch Zuruf 


a A_-__ — — 


Salfiren Bol der Körper 49. 
gels dienenden Hunde, fich ek mußte. In Frankreich fand die Falke 


zerei unter Franz 3. im böchfien SHanze, obgleich der König, der Vater der 
Jigerei genannt, die Jagd mit Hunden vorzog. Die Falfnereianflalten ſtan⸗ 
den unter dem Befehl eines Dberfaltenmeifters, der 4000 Livres Schalt 
bg, 15 Edelleute, 50 Salkenmeifler ımter ſich batte, über 300 Beizvoͤgel 
gebet, das Recht genoß, überall im ganzen Königreiche nach Belieben zu ja- 
gen, und von allen Vogelhaͤndlern, vie ehne feine Erlaubniß nicht einen ein- 
gen Vogel verfaufen durften, eine [Abgabe erhielt. Die Falknerei, die jähr: 
lich gegen 40,000 Livres foflete, folgte dem König überall, wie die Jagerei. 
Ein Edelmann, der fich durch feine Geſchicklichkeit in der Falknerei bei Hofe 
empfahl, wurde von dem Könige mit fo viel Gnade überbäuft, daß er in 
Klee Umflände fam ımd 60 Pferde für feine eione Falkenjagd unter: 
konnte. Die alte Eiferfucht zwifchen Jagern und Falfnern zeigte fich 
uch in dem Gebrauche, tab amı Feſte der Kreuzerfindung im Mai, mo die 
Vegel ſich maufern, die Sjüger, alle grün gekleidet, mit Trompeten und 
ießgerten kamen, um die Falkner aus dem Hofe zu jagen und die Hirſch⸗ 
jagd zu beginnen, \ wogegen die Faltner im Winter, wo die NHirfche nicht 
mehr zur Jagd taugten, wieder die “Jäger nussrieben und die Hunde ein: 
fperren liefen. Die Falfenjagd blieb bis ins 17. Jahrhund. in Anfehen und 
fam erfi nach der Erfindumg des Schrotes in Verfall. In neuern Zeiten hat 
mon in England , wo die Falfnerei gleichfalls fehr beliebt war, wieder angefan- 
gen, fich mit der Beige zu beluſtigen, doch kann fie bier, wegen ber all: 
in eingeführten Einfriedigung der Felder, noch weniger als anderswo in 
fommen, Unter Ir morgenlaͤndiſchen Volkern verſtehen fich vor- 
zaglich die Perſer ſehr gut die Abrichtung der —— Sie gewoͤhnen 
die Falken, auf alle Arten von Voͤgeln zu ſtoßen, und haben ſogar Falken 
ir Jagd der Gemſen und Gazellen, welchen die Stoßvoͤgel ſich auf die Na-⸗ 
ſe ſehen, um den Hunden Zeit zu geben, die flüchtigen Thiere einzuholen. 
Die Kunſt, Falten und ähnliche Vogel zur Jagd abzurichten, wird Falkner⸗ 
. tft oder Falknekei (Fauconnerie) genannt. “Der weiße oder islindifche 
Felt gilt ımter allen in Europa für den fchönften und geſchickteſten zur Beige, 
Unter den übrigen Arten werden der Geierfalt, der Sperber, der Baum: 
falt, der Schlechtfalt, der Taubenfalk, ber Fleine Falk und der gemeine 
Falk, der, abgerichtet, Edelfalk Heißt, zum Beizen gebraucht. 
Die Falten werden. jung aus dem Neſte genommen und Monate lang 
wit friſchem Fleiſch von Tauben und Waltvögeln aufgezogen, che man fie 
Sitzen auf der Hand gewöhnt, wozu fie durch Sitzen auf Stangen und 
umsten vorbereitet werden, Späterhin gewöhnt man fie durch langwieri⸗ 
ges Wachen, das fie zahm und kirr machen muß, jum Tragen ber ledernen 
‚ und nachher auf Weidwerk. Iſt der Falk völlig gezahmt, oder berich- 
‚wies in der Falfnerfprache beißt, fo wird er. ins Feld getragen, und wenn 
fich eine Beute zeigt, die Haube ihm abgenommen, worauf er fehnell in die 
Hohe zieht, feinen Raub faßt und auf des Jägers Lockung dantit zurückkehrt. 
ds Ifiren. Ein Pferd falkiren laffen, beißt in der Reitfchule, Das 
Pferd plöglich anhalten, daß es feine Füße fenfen muß. Die Stellung, 
weiche das Pferd dabei annimmt, indem, es mit dem Sintertheile auf der 
zu fißen fcheine, heißt Falkade. 
Gallder Körper. Alle Körper auf ber Erde fireben, vermöge 
rer Schwere und der Attraction, dem Mittelpunfte der Erdfugel zu. Kann 
dieſes Streben frei wirken, fo entſteht daraus der Fall, wird es aber durch 
en Hinderniß aufgehalten, fo'entiieht - daraus der Drud; ift es zum Theil 
sughoben und zum Theil wirkſam, fo äußern fi Drud und Gel zugleich. 


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7 





2 


7] Fallgut, Falllehen 


Die Kugel, auf der Hand getragen, druͤckt; frei gelaſſen, füllt fie lothrecht 
berab; auf eine fehiefe Fläche gelegt, rollt fie herab, wobei fie zugleich bie 
Fläche mit einem Theile ihres ichts drückt. Mach welchen Geſetzen biefe 
Bewegung gefchiebt, darüber beftanden ehemals die irrigſten Vorftellungen. 
Mach der Ariftotelifchen Phyſik verhält fich die Geſchwindigkeit des Falles 
verfchiedener Körper zu‘ einander, wie das Gericht derfelben. Demnach follte 
ein 10 Mal fchwererer Körper auch 10 Mal fchneller fallen als der leichtere, 
Diefen Ittbum beſtritt Galilei ſchon zu der Zeit, als er noch in Piſa ſtu⸗ 
dirte. Kaum war er Lehrer daſelbſt geworden, ſo erklaͤrte er ſich öffentlich 
gegen dieſen und andre Lehrfüge. der peripatetiſchen Philoſophie. Er beſtieg 
die Kuppel des dortigen hohen Thurmes und ließ Körper von fehr unglei⸗ 
chem Gewicht herabfallen, die, wenn ihre Materien nur nicht zu fehr an 
Dichtigkeit verfehieden waren, den Boden faft zu gleicher Zeit erreichten. Ga⸗ 
Iilet erwies in der Folge, als Lehrer in Padua, die Richtigkeit feines Satzes 
auch durch 2 Pendel von gleicher Länge und fehr ungleichem Gewichte, die, 
deffenungeachtet, ihre. Schwingungen mit gleicher Gefchwindigkeit verrichteten. 
Zu ebenfo irrigen MVorftellungen hatte die Wahrnehmung Anlaß gegeben, 
dag die Schnelligkeit des Falles mit der Länge des Weges zunimmt. Die 
Ariftoteliker fagten, alle Körper hätten ein inneres Beftreben nach dem Mit- 
telpunfte der Erde, und eilten demfelben um fo fehneller zu, je näber fie ihm 
fümen, Andre erklärten die zunehmende Schnelligkeit des Falles aus dem 
zunehmenden Drucke der Luft, und die allgemeine Meinung rear, daß die 
Geſchwindigkeit in dem Verhaͤltniß des zurüdgelegten Raums zunehme, daß 
alfo ein Körper, wenn er 5 Klafter gefallen fei, 5 Mal fo viel Geſchwindig⸗ 
feit erlangt babe, als er am Ende der erften Klafter Weges gehabt: eine 
Meinung, die bei ihrer großen Einfachheit und feheinbaren Natürlichkeit doch 
etwas ganz Unmögliches enthält. Auch Galilei hatte Mühe, fich von ihr 
loszumachen. Endlich gelang es ihm, ihre Nichtigkeit zu beweifen, indem er 
dartbat, daß fie bei’ der Anwendung auf den Fall der Körper mit fich feibft 
fireite, weil aus ihr folgen würde, daß der Körper durkd 5 Kiafter in eben 
der Zeit falle, in voelcher er durch eine Klafter füllt. Dagegen kam bdiefer 
Naturforſcher auf den richtigen Gedanken, daß die Sefchwindigkeit beim Falle 
im Merbhältniffe der verfloffenen Zeit zunehmen müffe, und zeigte, daß, da 
die Körper von der Schwert nie verlaffen werden, fie alfo auch in jedem 
Zeittbeile einen neuen Eindruck von derfelben erhalten, der fich mit der Wir: 
fung der vorigen verbinde, Aus diefem Geſetze folgt ferner, daß die von 


: freifallenden Körpern durchlaufenen Raͤume fih wie die Quadrate der Zeiten 


verhalten. Verſuche Gaben gelehrt, daß der Fall in der erften Secunde et⸗ 


"was MWeniges über 15 parifer Fuß betrage. Um daher die irgend einer ans 


dern Secundenzahl — t zugehörige Fallhöhe —= h fennen zu lernen, muß man 
fegen 1: ? = 15: h. Iſtuz. B. = 3, fo wird h== 135 erhalten, d. h. 
in 3 Secunden füllt ein Körper durch 435 parifer Fuß. Zur bequemen Ans 
ftellung von Verſuchen über dieſen Segenftand bat der Engländer Atwood el 


. nen Apparat angegeben, welcher unter dem Namen der Atwood'ſchen Fall: 


mafchine befannt if. Man findet eine ausführliche Befthreibung in Silbert’s 
„Annalen“, 1808, St. 5, und in Neumann’s „Lehrb. der Phyſik“ (Wien 
1818), Bd. 1, S. 186 fo. ; 

| Sallgut, Fallleten In Schroaben, wie in den angrenzenden 
Provinzen, bediente man fich feit langer Zeit faſt ausfchliegend einer Ver⸗ 
pachtungsweife der Feldgüter, wobei der Pächter, indem er das Gut antrat, 
eine Art Abfindungsfumme zahlte, und dann auf feine Lebenszeit, oft auch 
auf die Lebensdauer feiner Gattin das Gut uͤberkam, ohne jedoch daffeibe 


Falliment | 21: 


in Aſterpacht geben,. noch veräußern, verpfänden oder weiter vererben zu können. 
Außer der obenerrsäbnten Summe hatte der Pächter die öffentlichen Laſten zu über: 
nehmen und jährlich eine unbedeutende Abgabe an Geld, Maturalien oder Dienft- 
kiftungen an den Sutsherrn zu entrichten. Pachtgüter diefer Art hießen in der 
Landesfprache gewoͤhnlich Teibfällige Güter, oder Herrengunft, in der Schriftfprache 
aber auch Häufig Schupf: oder Falllehen, Im Würternbergifchen erfchien unterm 
18, Nov. 1817 eine königliche Verordnung, wodurch jedes bisher Leibfällige Shut 
als erbliches für die männliche und weibliche Nachkommenſchaft des bisherigen 
Dichters erflärt ward. 

Fallim ent tritteinmitdererwiefenen Zahlungsunfaͤhigkeit eines Schub: 
ners, und heißt Banfrutt, wenn grobe Fahrläffigkeit oder Betrug es herbeiführen. 
Es ift ein Hauptgegenfland aller Handelsgeſetzgebungen, und namentlich zeichnen 
fih das preuß. Landrecht und das ran, feßbuch durch zweckmaͤßige Verfüguns 
gen, befonders über bie Falliments der Kaufleute, fo rübmlich aus, als die gemei- 
nen Rechte, desgleichen der fächf. Soncursproceß, entfeßlichen Mißbraͤuchen und 
Übelftinden Raum geben, welche, wenn fie auch bei verwidelten Soncurfen, als 
Lehnsconcurſen, Creditweſen zahlungsunfaͤhig verftorbener Gefthäftsleute, bei 
Bürgern und Bauern, welche über ihren Haushalt weder Buch noch Rechnung 
führen, und dergleichen, kurz bei Nichtfaufleuten nicht ganz vermieden werden kön: 
sen, doch defto auffallender und vermeidlicher bei Kaufleuten find. Der Zweck des. 
Eoncursverfahrens ift: Berichtigung der activen und paffiven Maffe, und fodann 
deren gerechte Vertheilung. Daß Beides fchnell gefchehe, erfodert Die Natur der 
Bache, zumal eines taufmännifchen Ereditwefens. - Nach dem franz. Handelsriechte 
muß der kaufmanniſche Fallit binnen 3 Tagen, von Einftellung feiner Zahlung an, 
folches beim Handelsgericht anzeigen, welches ot auch wenn etron die Anzeige 
mmterbleibt, auf den Antrag der Gläubiger und felbft von Amtswegen mit der Ver: 
fiegelung und mit Ernennung eines Commiffairs (Serichtsdeputirten) und einiger 
verpflichteten Agenten verführt, und den Falliten entweder ins Sefüngnig oder 
unter Wache ſetzt, woraus er jedoch nach der vorläufigen Unterfuchung feines Ber- 
mögensftandes wieder ganz oder gegen Caution entlaffen werden kaun. Die Berfüs 
gungen werden öffentlich angefehlagen und in die Zeitungen eingerüdt. Der Com: 
miffeir und Die Agenten betreiben das Verfahren, und Leßtere verwalten die Se: 
fhöfte des Falliten, welcher ihnen binnen 24 Stunden von Antritt ihres Amteseine 
Bilanz einhändigen muß. Die Agenten, deren einftweilige Gefchäftsführung nicht 
linger alg 14 Tage dauern darf, übergeben die Bilanz fofort dem Commiſſair, 
welcher binnen 3 Tagen das Verzeichniß der Gläubiger auffeßt und fie durch Briefe 
und öffentliche Blätter zufammenberuft. Die Gläubiger verfammeln fich am be: 
flimmten Tag und Ort in Gegenwart des Commiſſairs und überreichen dieſem 
eine Lifte, welche 3 Mal fo viel Namen enthält als ihrer Meinung nach provifori- 
fhe Bermalter (Syndics provisoires) der Maffe zu ernennen find, swelche nach 
diefer Lifte vom Handelsgericht erwaͤhlt werden. In den nächften 24 Stumden 
nad Ernennung der Dermwalter ftellen die Agenten ihre Verrichtungen ein und 
legen jenen Rechenfchaft ab, welche nun unter Aufficht des Commiſſairs das 
F Creditweſen betreiben. Sie tragen gleich auf Entſiegelung an, inventiren in 

egenmart des Friedensrichters und mit Zuziehung des Gemeinſchuldners, geben 
binnen 8 Tagen, von Antritt ihres Amts, bei der Polizeibehorde eine Lberficht des 
Ereditiwefens ein, übernehmen nach gefchehener Aufnahme die Maffe, und vertre: 
ten ſolche activ und paffiv. Alle eingehende Gelder kommen in eine Caſſe mit dop- 
peltem Schloß, wovon der Altefte Maſſenverwalter (Turator) den einen Schlüffel, 
dm andern ein vom Sommiffatr hierzu ermählter Gläubiger erhält. Alle Wochen 
abilt der Commiſſair einen Auszug vom Caſſenbeſtande des Creditweſens, und hat 
nach Mapgabe für Ausleihung des Beflandes zu forgen. “Die Euratoren haben die 


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ger, nach der Entfernung des Wohnorts des nicht erfchienenen Glaubigers be: 
fimmt wid, ſodaß für 8 Meilen 1 Tag gerechnet wird, Bei ausläntifchen 
Stäubigern werden längere Zriften geſtattet. Nach Berlauf bdiefer Fri wers 
den die Ausgebliebenen von fünftiger Vertheilung ausgefchlofien. Bi 8 
Tagen nach der Frift der Eidesleiftung werden die für zuläffig erfannten Gläu⸗ 
iger zufammenberufen, und ihnen in Gegenwart des Sommiffairs und des Ge⸗ 
meinfchuldners der Zuſtand des Eredimefens vorgelegt. Hier tritt der Zeit: 
punft des Accorts ein, welcher nur t.e.n flattfindet, wenn die Mehrzahl der 
Glaubiger, deren Geſammtfoderung wenigſtens 4 der liquidirenden 

ausmacht, dazu einwilligt; Hypothekarier haben dabei keine Stimme. Im Fall 
oder bei Vorausſetzung eines Bankrutts gilt kein Accord. Kommt der Ac⸗ 
cord zu Stande, fo muß er noch wihrend der Sitzung unterzeichnet werten. 
- Wer dagegen ift, bat binnen einer Nothfriſt von 8 Tagen feine Einwen⸗ 
dungen anzuzeigen. “Der gerichtlich beftätigte Accord feßt den Falliten in ten 
vorigen Stand. Kommt fein Accord zu Stande, fo haben tie verfammels 
ten Gläubiger, nach perfönlicher Stimmenmehrheit, definitive Suratoren (>yn- 
dics detinitifs) und einen Caffirer. zu ernennen, welche die Maffe genau ers 
örtern, den Verkauf der Grundſtücke, Meublen und Waaren des Falliten bes 
treiben, und monatlich dem Commiffeir eine liberficht des Creditweſens umd 
des Caſſenbeſtandes übergeben, ter ſodann die Vertheilungen und tie Divi⸗ 
dende zu beftimmen bat, Ber der lebten Vertheilung werden die Släubiger 
unter Vorſitz des Commiſſairs zufammenberufen, und von ten Curatoren die 
Schlußrechnung abgelegt. Das Unterpfandsrecht der Ehefrau, rüdfichtlich ih⸗ 
res Eingebrachten, betrifft bloß die unbeweglichen Güter des Gemeinſchuld⸗ 
ners, welche er zur Zeit der Verheirathung befaß, und das Separationsrecht 
bloß die dſtücke, welche Die Ehefrau, laat des Ehecontracts, von der 
Gütergemeinfihaft ausnimmt, oder ererbt oder gefchenkt befommen hat, oder 
welche auch aus dem Erldſe folcher ererbten oder gefchenften Grundſtücke ers 
Eauft worden. Hingegen auf Mobilien darf die Frau fein Separationsrecht 
ausüben, ausgenommen auf Schmuck und Eoftbares Sefchirr, wenn fie be 
weift, daß fie ihr durch den Ehecontract zugeeignet oder durch Erbfchaft zus 
gefallen find. Abgefendete Waaren koͤnnen zurüdgefodert werden, fo lange 
fie noch unterwegs umd nicht in das Waarenlager des Falliten, oder ‘des 
von dieſem zum Derfaufen beauftragten Commiffionnairs abgeliefert find, 
doch Haben die Euratoren das Recht, die Waaren gegen Erlegung des bes 


 Salliment (nach. engl., hollaͤnd. Red) 23 


bungenen Preiſes zu behalten, desgleichen koͤnnen zuruͤckgenemmen werden 
Conmiſſionswaaren, und ſogar deren Erle, wenn der Fallit folche noch nicht 
in laufende Rechnung gebracht bat; ferner Remeſſen in Handeispapieren, wel: 
che fi noch im Poriefenille des Falliten vorfinden, und ihm zum Eincaffiren 
(Fmeaffo) mit oder ‚ohne weitere Beflimmung gemacht waren, jedoch im letz⸗ 
tm Falle bloß dann, wenn fie in einer laufenden Rechnung eingetragen wor⸗ 
den, nach welcher der Einfender allein gut bat. Der einfache Banfruttirer 
(d. h. welcher nur der Fahrlaͤſſigkeit überführt wird) hat Gefangnißſtrafe ver⸗ 
wirft, weiche nicht unter 1 Monat und nicht über 2 Jahre erkannt werden 
kann. Der betrügerifche Bankruttirer wird. auf heſtummte Zeit zu äffentlichen 
Arbeiten (travanx forcks) verurtheit. on 

Nah englifhen Rechten kaum bloß ein Kaufmann (mozu aber Alle 

m, die kaufen und verkaufen, Sleifcher, Bäder x.) zum Falliment im 
geſeßlichen Sinne des Worts ‘gebracht werden, und es find gewiſſe Handlun⸗ 
gen feſtgeſetzt, welche den SHäubiger berechtigen, feinen Schultner für zah⸗ 
kmgsunfübig anzugeben. Dahin geberen: die Flucht des Schuldners aus 

land, wenn er das Haus hütet, und fich, wenn er gemahnt wird, ver: 
Uingnen läßt; Arreft wegen Schulden, ferner Beräußerungen, wm die Glaͤu⸗ 
biger I betrügen x. in Gläubiger, welcher feinen Schuldner zum Fallie 
went bringen will, muß die Nichtigkeit feiner Schuld, daß der Schuldner ein 
Handelsmann und folche Handlungen vorhanden find, darthun, um eine Com⸗ 
miffien gegen den Schuldner beim Lord = Kanzler ausgubringen: Die Schuld 
muß wenigfiens 400 Pfund: fein, wenn Ein Gläubiger, 160 Pf., wenn zwei, 
und 200 Pf., wenn mehre Gläubiger um Commiſſion nachfuchen. : Der Lord: . 
Kanler erfennt und ernennt fodann die Commiſſion aus einer dazu aufgeſtell⸗ 
ten Lifte von Maͤnnern, welche alle Habfchaften des Schuldners in Beſchlag 
nimmt und unterfucht, ob das Falliment zu 'erflüren ſei. Unmittelbor nach 
diefer Erklärung berufen die Commiffaire die Gläubiger auf das Stadt⸗ oder 
Rathhaus, um zur Wahl der Turatoren zu fehreiten, welche aus den Glau⸗ 
bigern, jedoch nur aus folchen gewahlt werden, deren Foderung 10 Pf. und dar: 
über beträgt, Die Curatoren müffen 4 Donate nach, und innerhalb 12 Mo: 
naten von der erfannten Commiſſion an, eine Vertheilung in der Zeitung an: 
Fündigen, und binnen 18 Monaten eine zroeite Bertheilung vornehmen, in 
welcher Zeit auch noch fich meldende Gläubiger zugelaffen werden, Der Schuld: 
ner muß von der Zeit der Erklärung feines Falliments an bis zu einer ge 
wiften Zeit fich den Commiſſarien überliefern und dem ſtrengſten Verhoͤr un 
terwerfen. Wird feine Angabe treu und ohne Betrug erfunden, fo fanı er 
nah dem letzten Verhoͤre Durch ein deffallfiges Zeugniß befreit werden und fein 
Geſchaft von Neuem Anfangen. Dieb Zeugniß muß wenigſtens von $ ber 
Ölsubiger , deren Foderung nicht unter 20 Pf. beträgt, mit Beitritt der Cu: 
roteren und vom Lord Kanzler beftätigt fein; ohne ſolches Zeugniß beißt der 
Sollit ein ungerechtfertigter Fallit (uncertificated bankrupt) und bleibt mit 
feiner Habe den Suratoren unterworfen. Die Competenzwohlthat (f. Compe: 
tenzrecht) richtet fich nach der Größe der Concursmaſſe, both darf fie nie 
über 200 Pf. fleigen. 

In Holland beſtand feit 1643 zu Amſterdam und in andern Han—⸗ 
delsflädten ein, befonderes Soncursgeriht (Kaıner van desolade Boedels), 
balb aus Kechtsgelehrten, halb aus Kaufleuten, welche 2 Mal in der Woche 
fi) verfammeln, um die laufenden Bankruttfachen vorzunehmen. Bei Aus 
bruch des Concurſes beftellt diefes Gericht 2 Commiſſarien (einen. Kaufınann 
wd einen Rechtsgelehrten) zur Leitung des Creditweſens, welche fich, nebfl 
mem Secretair, fogleich zum Falliten begeben, verfiegeln, inventiren, vie 





- 


24 Baliment (nad) dan., ſchweb. Reh) 


Bücher an fig nehmen ıc Den folgenden Tag berufen fie die Immohment 
den Gläubiger zufammen, und fegen darüber und über nachfolgende: Ders 
fammlungen der Sfiubiger einen Bericht auf. Mun werden 2 ober 3 
Glaubiger ernannt , der Habſchaften des Falliten fich zu verfichern, ie 
verroalten und zur Klarmachung gi bringen. Bon da an bat der 

einen Monat Zeit, feinen Glaͤubigern einen Accord vorzulegen, welcher von 
den Commiffarien durch öffentlichen Anfchlag den in= und ausländifchen 
Glaubigern befanntgemacdt wird. Sat ein Gläubiger dagegen Etwas eins 
gımenden, fo muß er dies triftig anführen. Soll darauf Nirkficht genom⸗ 
men verden, fo muß es entweder ein Sauptgläubiger fein, der F oder 3 
zu fodern, oder menigfiens 2 Gläubiger, welche Ir zufammen zu fodern 
haben. Kommt kein Accord zu Stande, fo wird der Fallit von den Com⸗ 
miffarien für zahlungsunfaͤhig erklärt, feine Maffe ‚zur Euratel gebracht, und 
die zeitherigen Beſchlagnehmer werden in Curatoren verwandelt, die mit 
Hülfe eines Buchhalters zur Klarmachung ſchreiten. Die Zahlungsunfühlge 
eit wird nun von ber Beſchlagnahme an gerechnet, und alle 4 Wochen 
vorher gefchehene Abtretungen, Dedungen ıc. für null und: nichtig ange⸗ 
fehen. Die Euratoren berichtigen die Maffe und vertheilen, jedoch muß die 
letzte DVertheilung 18 Monate nach erfannter Turatel berichtigt fein. “Die 
Kompetenzwohltbat ift, nach Maßgabe der Maſſe, 8 — 10 Proc; doch darf 
fie nie über 10,000 Son. ſteigen. Wird der Fallit fchuldlos erfunden, fo 
fann er ein Zeugniß erhalten, welches von den Curatoren und von den 
Släubigern , wenigftens von 4 der Zahl und & der Schuld, oder von $ der 
Zahl und 4 der uld, unterzeichnet fein muß, und ihn nicht nur im den 
Kamen nt fest, fondern auch von allen Nachfoderungen bisheriger Glaͤu⸗ 
iger frei macht. 

- Auch in Dänemark bat man ein befonderes Theilungsgericht (Skif- 
teret), welches Curatoren ernennt, die das. Berhältnig mit den Släubigern, 
unter Genehmigung des Gerichts, einrichten. Kein Gläubiger darf unter die: 
fen Suratoren fein. — In Schweden muß der Schuldner, von Anzeige 
der Zahlungsunfähigkeit an, fi zu Haufe halten. Die Gläubiger des Orte 
und der Machbarfchaft werden fofort berufen, der Kallit befhwört feine Habs 
fhaft, und die Maffe wird gu einftweiliger Derwaltung an 2 oder mehre 
gute Männer übergeben. Sammtliche Gläubiger werden nun auf eine 6mo: 
natliche Frift öffentlich zur Klarmachung ihrer Foderungen vorgeladen. Bor 
12 Uhr müſſen die Häubiger am beftimmten Tage erfcheinen, ihr Anbrins 
gen wird vorgelefen, und, wo möglich an bemfelben Tage, die Foderungen 

eſchworen. Nun treten die guten Männer ab, und 2 von den Släubigern 
erwaͤhlte Dermögensverwalter übernehmen die Maffe. Drei Wochen nach der 
erften Friſt gefchieht der zweite, und 14 Tage nachher der dritte Aufruf an 
die Gläubiger, und num wird vertheilt. — Alle diefe Sefeßgebungen find 
zweckmaͤßiger als die gemeinrechtlichen Dorfchriften über den Concurs, ob⸗ 
ſchon in deutfchen ı Handelsorten häufig durch befondere Geſetze abgeholfen 
ifl. Die BVerfehleifung und Koftbarkeit der deutſchen Concurſe iſt fündlich, 
und felbft der reblichfte Nichter ift oft nicht im Stande, die Raͤnke einzelner 
Theilhaber zu hindern. Die langweiligen öffentlihen Borladungen, die viel: 
fachen Liguldationsverfabren, die Zulaffung der verzdgernden Rechtsmittel, 
die haufigen Streitigkeiten über Erftigkeitsrecht, Alles diefes trägt dazu bei, . 
daß die Kaufleute überhaupt, zumal auswärtige, einen Abfcheu gegen alles 
Concursverfahren haben, und, wo möglich, außergerichtlich accordiren. Oft 
mehr als die Hälfte der Maffe wird durch die Koften oder durch den unver: 
meidlichen Verzug der Derfilberung erfchöpft, und man hat traurige Bei⸗ 





 Galfhän Ge 288 

+ über 100 Saie gedauert haben. “Die Strafe der keit 

foiche — en Banken K unbefimu, gewöhnlich ee * 
——n 


Fallſchirm, Parachnte, ein taffetner Schirm von etwa 20 Fuß im 
Durcmeffer, mit welchem man-fich aus einer Höhe Tangfam auf die Erbe herab⸗ 
laſſen kann. Blanchard machte 1795 zuerft einen glädlichen Verſuch - damit in 
London. Auch Sarnerin erfand eine eigne Art von Fallſchiim. 

Salfch, im Allgemeinen. Das, was Etwas ſcheint, das es nicht iſt, 
and durch feinen Schein trügt. Wo jener Schein abfichtlich Kervorgebracht 
wird, alfe im Meraliſchen, da ift Betrug jederzeit der Zweck. — Falfce 
kit, im .moralifchen Sinne, ſeht der Aufrichtigkeit entgegen, au ift als 

fler das zur Fertigkeit gewordene Beftreben, Andre durch feine Außerungen 
zu einerruittwahren Vorſtellung von feinen Eigenfchaften, Sefinnangen, Hand: 
Ingen, Sefühlen ‚und Berhältniffen zu beſtimmen. Syn allen dieſen Faͤllen 
ſteht das Falſche dem Wahren entgegen, üfter nber wird es auch nur, ala 
dem Richtigen entgegenficehend, für gleichbebentend mit umrichtig gebraußt, | 
, 2. im Aſthetiſchen und Logiſchen; falſche Zeichnung, falfher Wis, fala 
ſches Urtheil 0. — In der ie Bedient man fih des Ausdruds Yalfıya 
j) wenn ein Ton nicht rein angegeben wird, 2) wenn die-Fortfchreitung der 
Intervallen fehlerhaft iſt, und 8) als Prüdicat der Eleinen oder verminderten 
Quinte, d. i. Detjenigen, die um einen halben Ton kleiner ift als die reine, 
und der großen oder übermäßigen Quarie. — Falfches Licht (aux jour), 
en Kımflausdrud der Malerei, Wenn ein Gemälde fo geftellt ift, daß das - 
Licht von einer andern Seite darauf füllt als von der, von welcher der Ma: 
kr die Beleuchtung ausgehen ließ, oder wenn vom Standpunfte des Betrach⸗ 
ters aus ein blendender Glanz darüber erfcheint, der das deutliche Unter⸗ 
Miele, der GSegenflände verhindert, fo fagt man, das Gemälde fteht in fals 

te 


ichte. | 
Falſtaff GSir John). Unter die originellften dramatifchen Perſonen, 
die Shakſpeare's Meifterpinfel gezeichnet bat, gehört Sir John Falftaff, 
ber Begleiter und Spaßmacher des ausfchweifenten Prinzen Heinrich von 
Wales, —— Konigs Heinrich V. von England (ſt. 1421). Dieſer 
Falſtaff iſt der Gipfel der komiſchen Erfindungskraft unſers Dichters, wel⸗ 
her ihn in 8 feiner Stücke (der 1. und 2. Abtheil. „Heinrichs IV.“ und 
„Die Iufligen Weiber von Windfor”, und zwar im leßtern auf ausdrüdlis 
des Verlangen der Königin Eliſabeth, die diefen Charakter bemunderte) ans 
gebracht Hat: ein wahrer Heros der Saugenichtfe, dabei aber unterhaltend 
und angenehm, und überfließend. von guter Laune, deren Energie man gar 
nicht genug bewundern kann. Er ift Soltat, ‘aber ein ebenfo feiger Soldat . 
als Lügenhafter Prahler; ergraut im Wohlteben, aber noch im Alter gleich 
lüſtern und Tiederlich; übermäßig toohlbeleibt, und immer nur auf Schwel⸗ 
—* dann Ausſchlafen ſinnend. Unter dieſem plumpen Außern aber vers . 

er ben gewandteften Schalt, den gefchickteflen, einzulenfen, wenn die 
Dreiſtigkeit feiner Spaͤße anfüngt übel empfunden zu werden, und paßt fol 
chergeſtalt unübertrefflich zum Sefellfchafter prinzlichsjugendlichen Müßiggangs 
und Leichtſinns. Doch ſteht dieſer dramatifche Charakter unnachgeahmt und 
unnacpabmlich da, und feine genauere Bekanntfchaft, in deren Beſitz feine 
er kann nur auf dem Boden erlangt werden, auf welchem er 

tt, ® ’ 


i 

Ben m Biel | 
altenwurf,f. Draperie, Gewand. ' 

Falter, eine Benennung alles Geziefers mit 4 Flügeln, das biefelben 


! 


N 
26 Fama Banatiemus 


auf mancherlei Art zufe Itet, und die mit einem farbigen Staube bedeckt 
find. Im gemeinen Leben: Schmetterling, Sommer 
Famad, nach Einigen die Böttin des Ruhms, oder richtiger, des Nufes, 
des Gerüchte. Ste war die jüngfie Tochter der’ Erbe, welche fich durch Her⸗ 
vorbringung derfelben an den Böttern megen der Ermordung ihrer Sohne, 
der Giganten, rächte. Die geſchwätzige Fama macht die Thaten der Gotter 
befannt, ſowie fie die Sagen unter den Menfchen verbreitet. . Sie wird mit 
Zlügeln vorgeftellt; ferner fchreibt man ihr ebenfo viel Augen, Obren und 
Zungen äls Federn zu, erziblt, daß fie des Nachts tie Melt burchfliege 
und des Tages von hoben Thürmen umd Däthern betabfchaue, daß fie ans 
fange Klein fei, allein im Fortgang immer wachfe ıc. Dichtungen des’ Virgik 
und Ovid. ’ 

anal, 1) jedes Feuer, welches auf hohen Thärmen, Bergen ıc., 
wol auch am Eingange eines Hafens oder an den Küften des Nachts un— 
terhalten wird, damit es als Signal diene; 2) ein Leuchtthurm für die 
Seefahrer, ein Pharus; 3) bei den Schiffen eine große Laterne am Hinz 
ame des Schiffes oder am Maſtkorbe; 4) bei der Artillerie die Larm⸗ 

nge, 

Fanarioten, die Beroobner des Griechenguartiers Fanal in Kon: 
flantiopel; insbefondere die daſelbſt wohnhaften edein griechifchen Samilien der 
Maurocordatos, Morufi, Dpfilantis, Kalimachi, Suzzo, Karadja, Hantecherli, 
und Maprogeni, aus den Zeiten der byzantinifchen Kaifer. Die Srau eines 
folhen Fürften hieß Domna, die Tochter Domnizza. Aus ihrer Mitte wur: 
den die Dolmetfcher der Pforte genommen; von 17131 — 1822 wählte die 
Dforte aus ihnen auch die Hospodare der Moldau und Walachei. Bis 1669 
bediente fich die Pforte zu Dragomans nur der Juden und Renegäten. Das 
mals. wurde von Mohammed IV. zum erften Mal ein Grieche, Panapotofi, 
zum Großdolmetfcher gebraucht. Bald flieg die Macht der einflugreichen Fa⸗ 
narioten fo fehr, dag nach dem graufamen Tode des letzten Hospodars der 
Walachei aus den Eingeborenen, Daflarabe Brancareo 41731, ein Maurocor: 
datos Hospodar wurde. Sin den legten Zeiten (vor 1822) befchrintkte Halet 
Effendi’s Einfluß diefe Wahl auf die Familien Moruſi, Kalimacht und Suz 
30. Ein griechifcher Arzt (in Marfeille), Marco Zallony, früher erfter Leib⸗ 
arzt des Großweſirs Juſſuf Paſcha, dann in Bukareſcht bei den feßten grie: 
chiſchen Hospodars, entwidelt in f. „Esssi sur les lanariotes” (Marſeille 
1824) die Umtriebe diefer fanariotifchen Emportümmlinge, ihre Erpreifungen, 
worein fie ſich mit den Bojaren teilten, die Beftechungen und Ränfe, wo⸗ 
durch fie fih fo lange in jenen Fürftenethümern behaupteten, indem fie Die 
unwiſſenden Türfen zu ihren eigennüßigen Abfichten mißbrauchten. Auf den 
Aufftand der Griechen 1821 hatten die Fanarioten feinen, oder nur einen 
verderblichen Einfluß. Auch Hr. v. Hammer bat in feinem Werke „Uber 
Konftantinopel und den Bosporos” die Ausartung der Fanarioten ermühnt. 
Doch urtheilt Walſh (Kaplan der britifchen. Sefandtfchaft in Konftantinopel) 
über fie günftiger. 20. 

Fanatismus oder Fanaticismus, die durch religioe Mei: 
nungen entzündete Schwärmeret Derer, welche bei dem Urtheile über Gott 
und die göttlichen Dinge nicht der Vernunft und der Schrift, fondern Eins 
Bildungen und Gefühlen folgen, und von denfelben bis zum. wäthenten und 
verfolgenden Religiongeifer, welchen man vorzüglich Fanatismus nennt, fort: 
geriffen werden. Zumeilen werden jedoch die Worte Fanatismus, Fanatiker 
und fanatifch auch von andern Schwaͤrmereien und Schwaͤrmern gebraucht, 


welche fich lebhaft und flürmifch äußern, z. B. von politifchen. Es kann 


Fandango Farao 27 
verfihiebene Gattungen und Grade des Fanatiemus geben, nach der Derfeies 
denfeit der Meinungen, von denen er ausgeht, und der größern oder gerins 
gen Stärfe, mit welcher die Phantafie wirkt. ine befoutere Art deſſelben 
der Wahn, wo man m Semeinfchaft mit höhern Naturen zu fliehen und 
ihren Einfluß zu fühlen meint. Bald glaubt der Fanatiker mit den Engeln 
"und mit den Seelen der Verſtorbenen umzugehen, bald wähnt er Jeſum und 
Sort felbft zu ſchauen, bald kämpft er mit böfen Seiftern, bald fühlt er fich 
in mnausfprechliche Entzückungen verfegt. Die Züge, weiche den yligidfen Fa⸗ 
natiter charakterifiren, find glühende Einbildungsfraft, verbunden mit einem 
heftigen able, ſtolze Vera Derer, welche dem kuͤhnen Schwunge 
ſeiner Phantaſie nicht folgen können, hartnaͤckige Rechthaberei, weil eiſe 
Nichts Uber ihn vermögen, Geringſchatzung der Gelehrſamkeit und des mübs 
ſamen Forſchens, Unduſdſamkeit und Berfolgungsfucht. u N, 
Fandango, ein altr Nationaltanz in Spanien, wo er anf dem 
Lande am fchönften und graziöfeflen getanzt wird. Er fchreitet von riner ein 
fermigen zu der lebhafteſten Bewegung fort, welche den ganzen Körper ers 
fpüttert. Der Tact wird dazu mit Caſtagnetten angegeben, 
Ganfare, ein Eleines, Eriegerifches, für Trompeten und Pauken ges 
ſetztes Tonſtuck von glänzendem und lürmentem Charakter (daher Fanfas 
ron: Großſprecher, Prahler, Windbeutel, und Fanfaronnade, Sroßfpres 
So heißen auch Fleine muntere, bei der Jagd eingeführte Tonftäde 
. dd. 


Fantucci (Graf), Gelehrter und erfier Beamter in Ravenna, zu 
deſſen angefehenften Familien er gehörte, geb. dafelbft gegen 1745, ging fehr 

zu feinem mütterlichen Oheim, bem Kardinal Saetani, nach Rom, um 
feine Ausbildung zu vollenden. Als er nah 42 Jahren in feine Vaterſtadt 
zerũckkehrte, war er durch feine Kenntniffe im Stande, die erfien Amter zu 
verwalten. Die Erinnerung an den ehemaligen Glanz feiner Baterftadt und 
der Anblick ihres Derfalles erwedte in ihm das Berlangen, die Urfachen dies 
fer Umwandlung aufjufuchen. Er entwidelte biefelben in einer Schrift, die 
er dem Papſte Clemens XIV. überreichte und fpäter druden ließ. Ravenna 
serdanft ihm die Vollendung eines fchiffbaren Canals, welcher der Stadt 
einige der verlorenen Vorzuge wieder gibt; doch erhielt diefes auf feinen bes 
harrlichen Betrieb 1781 befchloffene Unternehmen nicht die gänzliche Vollen⸗ 
dung; die Arbeiten wurden eingeftellt, ehe der Canal alle Berfchönerungen 
mb Vorzũge erhalten hatte, deren derfefbe fühig ‚war. 5. erfand auch 1780 
eine hydrauliſche Maſchine, die den Landberwohnern um Ravenna fehr nüßlich 
ward. Er zog fich fpäterhin von den öffentlichen Angelegenheiten zurüd, um 
rubiger über die Mittel zur Beförderung der Wohlfahrt feiner Mitbürger 
nachzudenken. Eine Seuche, welche die Umgegend von Ravenna verbeerte, 
gab ihm Gelegenheit, feine Einfichten und fein mwohlmollendes Herz tm gans 
zen Umfange zu zeigen. Nachdem er Alles aufgeboten hatte, die Leiden der 
Mitbürger zu lindern, zeigte er in einer trefflichen Schrift die Nothwendig⸗ 
keit, die Suͤmpf ein den der Mittagsfonne ausgefeßten Thaͤlern auszutrodnen, 
Unter feinen Schriften ift auch ſ. Werk: „De’ mornumenti ravennati” auszu⸗ 
zei Nach ſ. Tode (den 10. Jan. 1809) erſchienen (Venedig 1804, in 
4.) fehr anziehende „Memorie di vario argomento”, Dentmürdigfeiten, die 
er hinterlaſſen Hatte. Auch verdankt man ihm eine Prachtausd. der „Papiri 
diplomstici” des Abbate Gactano Marini. | 

Farao, aub Faro oder Pharao, ein Hazardfpiel, bei welchen 
Einer die Dank hält, und die Übrigen (Pointenrs) auf felbftgewählte Kar: 
tenblätser, die" fie vor ſich hinlegen, Geld ſetzen. Das Farao ift faft allent: 


28 Sarbe Farbengebung 


halben, wegen ber überwiegenden Vörtheile, weiche der Banquler Hat, und 
weiche auf die Länge. den Berluft des Peintsurs allemal herbeifähren ' müffen, 
fowie überhaupt wegen feines verführerifchen Charakters, verboten. 
Garbe, eine Eigenfehaft des Lichtes, welche fich durch Leine Befchreis 
bung angeben, und deren Kenntniß fich bloß durch den Sinn des Geſichts 
erlangen lift, Körperliche Farben, oder Pigmente, oft auch fchlechte 
kin Sarben, beißen die farbigen Körper, deren man fich‘ bedient, um andern 
Körpern dich Überziehen oder durch Miſchung mit denfelben eine beftimmte 
Garbe zu geben. Weiß und Schwarz rechnet man zwar mit zu den Farben 
im leßtern Sinne, nicht aber, oder wenigfiens nicht immer im erſtern Sinne, 
in welchem man einen weißen Körper Bäufig farblos nennt. Schwarz ift 
Mangel an allem Lichte. Die Farben haben durch ihre verfchiebene Wir⸗ 
tung. auf die Empfindung nicht nur an fich, fondern auch vereint, durch 
Harmnie nder Contraft, verfchiedene Eigenfchaften, welche befonders der “Ma: 
Kr ‚richtig beurtbeilen muß; was jedoch Sache der Empfindung, und niche 
der Worte iſt. Scharlachrorh ift z. B. eine brennende, dens Auge wehthuende 
Sarbe, daher manche Thiere bei ihrem Anblid in Zorn gerathen. Grün 
iſt mild umd fchmeichele dem Auge. Gelb ift umter allen farbigen Lichtern 
das bellfte, roth das heißefle, dunkelbraun und violett das fanftefle. Auf 
diefen Verſchiedenheiten beruht auch die Symbolit der Farben. Die Über: 
ginge einer Farbe in die andre durch Miſchung bat man auf verfchiedene 
rten, zum Behuf der Maler, der Särber, der Mineralogen, in Tafeln, in 
Pyramiden u. f. f. darzuftellen verſucht; mir eigne Befchäftigung mit den 
Farben drüdt der Seele die Bilder derfelben tief genug ein, um diefe feinen 
—— ſogleich zu erkennen und ſie richtig zu beurtheilen. (S. Far⸗ 
benlehre. 

Farben der Pflanzen Man nimmt 8 Grundfarben an, die 
man auch-reine, ungemifchte Sarben nennt: weiß, grau, ſchwarz, blau, grün, 
gelb, roth, braun. Jede gibt fieben beftimmte Abaͤnderungen, die fich, hin⸗ 
fichtlich ihrer Abftufungen, faft durchaus gleich find, 3. B. das Weiß gibt: 
Rein⸗ oder Schneeweiß, Weißlich oder Schmutzigweiß, Milch = oder Blau⸗ 
lichweiß, Amiant⸗ oder Graulichweiß, Eifenbein : oder Gelblichweiß, Porzel⸗ 
Ian: oder Köthlichweiß und Kreide: oder Braͤunlichweiß. er Blaue Crocus 
verwandelt ſich oft in gelben, das blaue Veilchen oft in ein weißes, das blaue 
Akelei in ein rotbes, die rothe Tulpe in eine gelbe, und die gelbe in eine 
‚weiße u. f. w. Ein Gleiches läßt ſich an Früchten beobachten. Linne bat von . 
den Farben der Pflanzen auf ihre Eigenfchaften, befonders auf ihren Geſchmack, 
gefchloffen. Selb werräth nach ihm einen bittern, Roth einen fauern, Grün 
einen rohen alkalifhen, Blaß einen faden, Weiß einen füßen und Schwarz 
einen efelhaften, unangenehmen Geſchmack, und überdies noch eine verderblis 
che, ja tödtende Eigenfchaft. . 

Sarbengebung (Lolorit), ein Hauptbeſtandtheil der Malerei 
(f. d.), nämlich der, roelcher die Farben betriffe Sie hat ihren technifchen 
und äffhetifchen Theil. Zu dem technifchen gehören die KHandariffe des 
Malers für Bereitung und Miſchung der Farben, und-für das ganze mecha= 
nifche Verfahren, von der Anlage bis zur Vollentung eines Semäldes, welche 
in den verfchiedenen Arten der Malerei nach dem Material einer jeden ver- 
fhieden find. Sie machen das eigentliche Handwerk des Malers aus, wel⸗ 
es der Schüler von dem Meifter lernen muß. Berner ift hierher zu rech= 
nen die Kenntniß der Geſetze des Lichts und der Sarben, und was aus der 
Beobachtung ihrer Wirfungen in der Natur für die Ausübung des Malers 
als Regel aufgeftellt werden Faun, z. B. über die Farbenbrechung (welche 


Farbenlehre | 


nicht mit ——— verwechſelt ‚Weiden darf), ©; 5. diejenige Farben⸗ 
mifhung, wodurch ein enftand vor: dem andern ausgezeichnet wird. Lu: 
oarde da Vinci in f. Abhandl. von der; Malerei; Lomazzo und Gerhard 
Loireffe in ihren Malerbüchern, Mengs in f. „Praktiſchen Unterricht” w A. 
haben davon gehandelt. Göthe, in f. „Farbenlehre“, gibt uns gleichſam eine 
geiflige Geſchichte des Eolorits. Der äfthetifche Theil des Eolorits iſt der- 
jenige, der es mit Wahrheit und Schönheit der Sarbengebung zu thun bat. 
Hierzu wird eine befondere, in der Empfindung gegründete Anlage vorausge- 
ſetzt, die ein wefentlicher Beſtandtheil des Malettalents iſt, die Anlage naͤm⸗ 
lich: den eigentlihen &toff und die Farbe der Segenflände unter den Ein 
flüffen des Lichts und der Luft mit Enmfindung aufzufaſſen und in ber 
Nachbildung mir charakteriſtiſcher Wahrheit auszudrüden. Soll diefer Aus 
druc in der Nachbildung gelingen, fe wird genaue Beobachtung der Lorak 
tone und Dinten erfodert. Unter Localtönen verfiehe man die natärliche Farbe 
eines Segenflandes , wie-fie aus dem Standorte deſſelben, oder in der Ente 
ſernung vom Zufchauer erfcheint. In der Kunft erfcheint aber die natürliche 
Sarbe der Gegenftände immer als Localten, weil Alles nur als ven einem 
gewiſſen Standpunkte aus betrachtet) "und ‚dem gemaß auch die natärliche 
Farbe nach dem jedesmaligen Abfland abgeſtuft wird. Unter Dinten verfteht 
man (in engerer Bedeutung) die Abflufungen des Hellen und Dunfeln, tel 
de Licht und Schatten auf der farbigen Oberfläche bervorbringen, An ker 
nem Segenftande der Kunſt finden fich diefe Veränderungen und Verſchattun⸗ 
gen in größerer Zartheit und Mannigfaltigkeit, als ar dem Nackten“ des 
menfchlichen Körpers, der daher auch der ſchwierigſte Gegenſtand des Malers 
R. Die Farbengebung, infofern fle ſich mir der Nachahmung der Farbe und 
Defchaffenheit des Fleifches (des Nackten) beſchaͤftigt, beißt Carnation. 
Kommt zu der genauern lbereinftimmung der natürlichen: Farbe, der Localtb⸗ 
ne und “Dinten eines. Semäldes mit deffen Gegenſtand im der Natur ; noch 
en Ausdrud des eigenthuͤmlichen Charakters des Stoffes, woraus det 
fiand befleht, fo Heißt die Farbengebung wahr. Zur Wahrheit ſoll fich 
aber die Schönheit gefellen, ‘welche durch harmoniſche Derrinigung aller Tü: 
me des Semäldes in Einen Hauptton erreicht wird, Das Eolorit muß dem 
äfthetifchen Zwede der Darftellung gemäß fein, diefen unterflügen, und bei 
aller Wahrheit der Localfarbe und des Stoffes im Einzelnen, durch die Har⸗ 
monie der Karben ımd der Beleuchtung ein kunſtmaͤßiges fchönes Ganzes aus: 
machen. Die Wahl ber Beleuchtung, die Vertheilung ber Farben ſollen 
nicht allein auf die Deuslichkeit der Daritellung, fondern zugleich auf die Be⸗ 
ssirfung einer zwedmäßig wöhlgefälligen, ernften oder reigenden, düftern oder 
Beitern Harmonie abzweden; welche den Geſammteindruck des Kunſtwerks un: 
terfiügt. Dieſer Foderung zufolge gehoͤren auch —— Haltung und 
Eee mit in den’ Begriff einer Eunftmäßig fehönen Farbengebung. {Dok 
ccord. | Kae 
Farbenlehre, im allgemeinen Sinne, die Lehre von dem Un 
forunge, der Miſchung und den Wirkungen der Farben, als Eigenfchaften des 
Lichts. Woher kommt es, daß einiges Licht fich farbig, andres weiß zeigt, 
und nach welchen Gefegen erfolgen die Erfcheinungen ber Farben? Das 
Glaoprisma iſt die erfie Vorrichtung, weiche zu grändlichen Antworten auf 
diefe Fragen geführt, und Iſaak Newton („Optice”, Zond. 17106) der erfle 
Phyoſiker, der diefe Antworten der Natur zu entloden gewußt hat. Laͤßt 
won in ein verdunfeltes Zimmer durch ein kleines rundes Loch einen Sons 
wenfirahl auf einen gefchliffenen, dreifeitigen, ſenkrecht prismatifchen Glaskoͤr⸗ 
pe follen, fo fieht man deutlich: I) daß der Lichtſtrahl, bei dem Eintritte 


89 Farbenlehre 


in den Glaskorper und wieder bei dem Austritte aus demſelben, von feiner 
Bahn abgelenkt und in eine andre geradlinige Bahn (von dem Winkel der 
beiden Slasflichen, durch bie er ein= und austritt, dem fogenannten -Bre: 
chungswinkel, abwärts) gebrochen wird; 2) daß der Lichtſtrahl, der vor dem 
Prisma auf einem Papier (weiches man in denfelben fo haͤlt, daß er darauf 
fen£recht füllt) einen völlig weißen Kreis bildet, hinter dem Prisma, auf 
einem ebenfo gehaltenen Papiere, ein farbiges Bild darfiellt, das ungefähr 
5 Mal fo lang als breit ifl, und die Farben des Regenbogens genau in 
derfelben Folge und Art zeigt, wie wir fie in der Luft ſehen. Man nennt 
diefes Bild das prismatifche Farbenbild oder Farbenfpectrum. Die Länge 
deffelben befindet: ſich in einer auf der Are des Prisma fenkrecht ſtehenden 
Ebene; an dem Ende, welches nach dem brechenden Winkel des Prisma zu 
liegt, iſt es roth, an dem von dem brechehden Winkel am weitellen abwärts 
liegenden Ende violett, dazwiſchen orangefarben, gelb,. grün, blau und indigblau. 
Newton bat aus diefen und ühnlichen, mannigfach abgeänderten und genau 
beobachteten Erfcheinungen gefchloffen, daß diefe farbigen Lichter die einfachen 
‚ find, und daß alles weiße Licht aus ihnen, nach eben dem Berhältniffe, zu⸗ 
fammengefeßt ift, worin fie fich in dem prismatifchen Farbenbilde zeigen. 
Jeder weiße Lichrftrahl. enthält,. nach ihm, alle fieben farbigen Lichter zu⸗ 
‚ gleich; dieſe erfennen wir aber nicht, weil fie in ihrem Zuſammenwirken auf 
jedem. Punkte der Neßhaut, in ihrem völligen Verſchmelzen in der Empfine 
dung , den Eindruck, welchen wir weiß nennen, bervorbringen. Dieſe farbigen 
Lichter werden von den Körpern alle nach einerlei Geſetz zurückgeworfen, da⸗ 
ber weißes Licht beim Zurüdiwerfen weiß bleib. Uber fie haben eine ver- 
fhiedene Brechbarfeit ; die rothen Strahlen: die Fleinfte, Die grünen die mite 
lere, die violetten die größte, und merden daher, fo oft weißes Licht eine 
Brechung erleidet, won einander abgefondert, weil fie, vermöge ihrer verſchie⸗ 
denen Brechbarkeit, “wenn fie gleich parallel einfallen, doch in verfchiedenens 
Grade abgelenft, und daher in verfchledenen Richtungen gebrochen werden; 
das North am mwenigften, Drange flärfer, noch flärfer Gelb, Grün, Blau, 
Andig, am. allerftärkften Diolete oder Purpur. Wenn diefe fiebenfarbigen 
Strahlen wieder möglichft nahe einer neben dem andern parallel ins Auge 

fallen, ſehen wir ſie als weißes Licht. Die mehrſten Körper haben die Eier 
genſchaft, von den farbigen Strahlen, welche darauf: fallen, einige zu binden 
und zu verfchluden, und nur eine oder ein Paar Arten zurüdzumerfen oder 
durch ſich hindurchzulaffen; daher rühren, nach Newton, die Zurben der 
Körper. - Blaue Seide z. B. verfchlude fechs farbige Lichter des weißen 
Strahls und wirft nur. das blaue Licht zurüd, und Cochenilletinctur Tage 
vom weißen Lichte bloß den rothen Theil hindurch und verſchluckt die andern 
Theile. Für alles Diefes fprechen die Verſuche mit Sarbenfcheiben, die auf 
einem Meinen Rade fchnell in die Munde getrieben werden, und Verſuche 
mit dem Farbenfpeetrum, das man auf farbige Körper fallen laͤßt. Newton 
bat dieſe Theorie in feiner „Optik“ (welche vielmehr die Überfprift Farbenlehre 
verdiente) auseinandergefeßt; fie iſt, alles Scharfſinns ungeachtet, welcher 
aus ihr hervorleuchtet, nicht in jeder Hinſicht genügend, Mehre (nantentlich 
Wunfch: „DBerfuche und Beobachtungen über die Farben des Lichts‘, Leipz. 
. 4792) haben daran geändert und gebeſſert, befonders was die Zahl der ein- 
fachen Farben. betrifft, die Einige auf drei, Andre auf zwei haben vermindern - 
wollen. Unter die Hauptgegner der Lehre Newton's vom farbigen Lichte 
ehbrt Gothe. Er erklärt alle Farbenerfcheinung daraus , daß entweder das 
dir durch ein trübes Mittel gefehen wird, ohne daß ſich inter einem be⸗ 
leuchteten trüben Mittel die Finſterniß als ein Hintergrund befindet. Ge⸗ 


Faͤrbekunf FSoaͤrberrdehe 31 


ſchicht das Erſte, ſo erfcheint das Licht bei geringer Trübung des Mittels 
gelb, und geht, mit zunehmender Trübung des Mittels, in’ das Gelbrothe 
und Rothe uber, So fieht man die Sonne, menn fie ihren höchſten Stand 
reicht hat, ziemlich weiß, obgleich auch hier ins Gelbe fpielend; immer gel 
ber aber erfcheint fie, je tiefer fie fich fenft, und je dichter demnach der 
Theil der- Atmoſphaͤre wird, den ihre Strahlen zu durchlaufen haben, bis fie 
endlich roth untergeht. Sieht man dagegen durch ein weiß erleuchtetes Trüs 
be in die Finſterniß des unermeßlichen Raumes, ſo erfcheint diefer, wenn die 
Trübe dicht iR, blaͤulich; iſt fie weniger dicht, fo nimmt die Bläue an Tiefe 
pi, und verliert ſich ins Violette und endlich in das tiefſte Schwarzblay. 
Die prismatifchen Verſuche ſucht Gothe durch eine Verrückung des Nellen 
4. B. des Sonnenbildes in der dunfeln Kammer) über das Dunfele, und 
aus einer Bedeckung des Hellen durch das Dunkeie zu erflüren, Man fieht 
im Allgemeinen, daß dieſe Theorie, deren Mangel an mathematifcher Klars 
Brit des Begriffs ſich überall offenbart, die Karben dem Geſetze der Polaris 
ut (d. h. dem Gegenſatze yon Eigenfchaften, welche fih, nach Maßgabe der 
Innigkeit ihrer Verbindung, gegenfeitig. ganz, oder theilmeife neutralifiren) 
unterwoirft, indem fie ſich Lichte und Nichtlicht einander wechfelfeitig bedingen 
and einfehränfen, und folchergeftalt die Farbe entſtehen laßt, welche alfo ein 
verbüflertes Licht oder ein erbeiltes Finftere fe — Göothe trug feine neue 
Deorie der Farben in f. Werke „Zur Farbenlehre“ (Zub. 1810, 2 Bde., 
mit-einem Hefte illum. Rpf.) vor; dee 4. Bd. enthält den didaktifchen und 
golemifchen Theil, der. 2. ift hiſtoriſch. Damit verbinde man: Schopenhau⸗ 
ws „Abbandi. über das Sehen und die Farben“ (Leipz. 1816) und-drewer’s 
„Derf.. ‚einer neuen Theorie den. Lichtfarben” (2. Aufl, Düffeldorf. 1816). 
Vogegen bat Pfaff in f. Schrift: „ler Newton's Farbentheorie“ (Leipj. 
1813) letztere fiegreich vertheidigt. Sedrängter, aber lichtvoll flellt: den gane 
Mn Degenfland dar Meumann’s „Phyſik⸗ (Wien 1810) um. 2 DD. ©. 


g. “N... 
Farbekunſt, Färberei, die Kunft, allerlei Zeuchen, Sefpinnfien 
oder Geweben beftimmte Farben zu geben. Sie bildet ein jünftiges Gewerbe 
md theilt fih in Schwarir, Schön: und Seidenfürberei. Der praftifche 
Farber unterfcheidet einfache Farben, wohin er .roth, blau und gelb ‚rechnet, 
und zuſammengeſetzte. “Die Kunft beruht 1) auf der Vorbereitung der. gu 
fürenden Stoffe, indem ihnen der firnißartige überzug, den fie im nanirfi- 
Gen Zuſtande haben, und der die Annahme des Faͤrbeſtoffs hindert, ‚genom- 
men, und durch Beizmittel die gehönige. Verwandtſchaft gegeben wird; 2) auf 
der richtigen Bereitung der Farben; 8) auf der. Auswahl dauerhafter. Farben, 
daher man echte und unechte unterfcheidet. Zu dem Faͤrben der Wellee ge: 
hert: das Anfieben oder das Auflochen mit der Beige, das Ausfärben: oder 
bas Eintauchen in die beftimmten Farben (Flotten genannt), "das. Spülen in 
altem, reinem Flußwafſer, und zuweilen noch das Schauen.oder Scheuen, 
oder das Hinzufegen eines gewiffen Stoffs, durch deſſen chentifche Einwit⸗ 
fung die fchon fertige Karbe noch abgeändert wird. Der Seide muß allemal 
Srörderft der Gummi entzogen werden. Baumwolle bedarf zur Vorbereitung 
Entſchalung) einer ſchwachen Pottaſchenaufloſungz bei der Leinwand mad 
daffelbe. Durch die Bleiche erreicht... S. Hölterhoffs „Praft. Handbuch der 
Kunfifsrberei, mit Holzſchn.“ (Erf. 1808, 4. Bde). In Frankreich haben 
Chaptal und Vitalis die Farberei auf rationale Grundſade zurüdgeführt. ©. 
d. J. B. Vitaliss „Lehrbuch der gefammten Färberei ıc., nebft einem: Anh. 
%, Indiennedruderei; nach d. Franz.” (Ymenon 1824). *2 
Särberräth.e (Krapp), eine Pflanze, die man auf vorzüglich gutem 


2 Faͤrbeſtoffe Sara y Souſa 


Boden anbaut. Sie bedarf ſehr ſorgfaltiger Pflege und wird ſowol friſch 
als getrocknet gebraucht. Sie hat ſchwache viereckige gegliederte Stengel. 
Erhaͤlt fie eine Stüße, fo klettert fie 8 Fuß be fonft rankt fie auf der 
Erde; jedes Gelenk bat 5 bis 6 lanzenformige Bhätter,: 3 Zoll lang, in 
der Mitte faft 1 Zoll breit und an beiden Enden zugeſpitzt. Ans den Ges 
Tenfen kommen im Yunius Zeige, die Fleine Blumen mit 4 gelben Blättern 
tragen. Die Frucht iff eine. kaum in Süddeutfchland reifende Beere von ſchwar⸗ 
zer Farbe, mit einemrunden Samenkorn. Die-runden Wurzeln find dauernd; 
werden bisweilen einen Finger di und Haben ein gelbrothes Marl. Sie für: 
ben die, Knochen der Thiere, welche davon freffen, roth. ' 

. Bärbefoffe, Pigmente, alle zum Färben, Malen oder Anſtreichen 
brauchbaren: Materiale. Blaue Farben. geben Indig, Waid, Campecheholz, 
Bertinerblau ; rothe, Sochenille, Krapp, Brafilienholz, Rothholz, Safler; gelbe, 
Wau, Gelbholz, Duescitronrinde, Scharte, Fuͤſetholz; ſchwarz firben Gall 
apfel, Rnoppern, Schmad, Campecheholz wit Eifenvitrio. Die übrigen Far 
ben find aus den genannten zuſammengeſetzt, S. Moalerfarben.) 

—Far ce, franpf., 1) in der Kochkunſt em Gemifih von gebadtem 
Fleiſch, Weigbrot, Gewürz ıc., womit befonders das Geflügel gefüllt wird: 
Gefuͤllſel; 2) eine dramatifche Poſſe. Es herrſcht darin das niodere Komi⸗ 


ſche, und viele Nationen haben eigne ſtehende Charaktere dazu, die Spanier 


den Gracioſo, Gallego; die Italiener den Arlchine, Scaramuß u. A; 
die Deutſchen den Hanswurſt, Kasperle u. ſ. w. (S. Komiſch.) “Der franz 
Ausdruck Farce kommt von dem italieniſchen Farſa, dieſes aus dem Lari- 
niſchen von farsum geſtopft), und bedemtes eigentlich ein Miſchmaſch von 
Allerlei. Leffing will daher, man fell Im Deuffſchen Farſe ſchreiben. Abe⸗ 
Jung bemerft, daß in ben mittlern Zeiten Garfe eine Art Sefänge geweſen 
ſeien, welche zwiſchen den Sebeten u, f. f, geſungen wurden. Demnach koͤnnte viel⸗ 
Jeicht die urſprungliche Bedeutung dieſes Worts, auf die Komödie angewande, 
fo viel als Intermezzo, Zwiſchenſpiel, fein. Nach der Meinung des Proven⸗ 
‚calen. Abbare Paolo‘ Bernardy wäre es aber von einem prodencalifchen Ges 
richte Farſum berzuleiten. ' 5 
Fariay Souſa (Manoeſh), ein caſtilianiſcher Geſchichtſchreiber und 
Iyriſcher Dichter, geb. den 18. März 1890 zu Suto in Portugal, aus einer alten 
'erlauchten Familie. Schon im 9. Jahre fandte ihn fein Bater auf die Univer- 
:fieat zu Braga , wo er große'Fortfihritte in Sprachen und in der Philofrhie 
machte. Im 14. Fahre wat er als Sefellfchafter in die Dienfte des Biſchofs 
von Oporto und bildete fich unter deſſen Leitung weiter in den Wiſſenſchaf⸗ 
‚ten aus, Die Liebe zu einer jungen Schönheit entfaltete ‚Hier fein bichterifches 
Talent, er befang fie u. d. N. Albania, vermäblte fich mit ihr 1613 und 
ging nach. Madrid, Allein er konnte bier fein Glück nicht finden und fehrte 
nah Portugal zurüd, Er befuchte auch Rom 1631 und erwarb fich die 
Aufmerkſamkeit des Papſtes Urban VA, und aller Gelehrten , die ihn umga= 
‘ben, durch feine ausgebreiteten Kenntniſſe. Nach Madrid zurückgekehrt, wid⸗ 
imete er fich einzig den Wirfenfchaften und arbeitete fo anhaltend, daß er fich 
dadurch im 69. Jahre feines Alters (den 3. Juni 1649) den Tod zuzog. 
Unter feinen Schriften. zeichnen fich aus: . „Discursos mierales y politi- 
:cos” (Madrid 1623 — 26, 2 Bde); „Comentarios sobre la Lu- 
'siada” (Madrid 1639, 2 Bde, Fol); „Epitome de las historias portu- 
‚guesas” — und dann „El Asia”, „EI Europa”, „Et Africa”, und „El 
‚America portuguesa”, jedes ein befonderes Wert, wovon jedoch das legte 
nicht gedrudt worden, Auch eine Sammlımg von Gedichten: „Euente de 
‚Aganipe, rimas varias” (1644 46) (Aganipyens Quelle), iſt von ihm vorz 


— 


Sarindli Ä 33 
handen. Gein Gy iſt ven und kraftig, und feine Darfellung voll dichterifchen 
ens , 


Farinelli (Carlo Broſchi genannt), einer der größten Singer des 
verigen Jahrh., wurde 1705 Fu Neapel geboren. Sein Bater unterrichtete ihn 
in den Anfangsgründen der Mufif; darauf genoß er der Anmeifung Porpora's, 
den er auf mehren Reiſen begleitete. Er war 17 J. alt, alser fi) na, Nom . 
begab, wo er mit feiner hellen und volltönenden Stimme einen Mettfrreit mıt 
einem berühmten Virtuoſen auf der Trompete einging und ihn durch Kraft und 
Ausdauer befiegte. Darauf ging er nach Boloona, um Bernacchi, damals den 
erfien Sänger Italiens, zu boren und feinen Unterricht zu genießen. 1728 
veifie er nach Wien, wo Kaifer Karl VI. ihn mit reichen Geſchenken überhäufte. 
Diefer Kaifer war es, der einft, als er 5. gehört hatte, zur ihm fagte, dag er 
zwar durch. den Umfang und die Schönheit feiner Stimme Erjlaunen errege, 
daß es aber nur von ihm abhänge, auch zu rühren und zu intereffiren, wenn 
er fich eines narürlicgen Gefanges befleigigen wolle. F. benußte diefen Wink 
und bezauberte feitbem feine Hörer ebenfo fehr als er fie berrafchte. Als 
41134 Porpora eine Theatergefelifchaft nach London führte, beriefer F. zu fich, 
der Durch die Schönheit feiner Stimme und den Zauber feines unvergleiwlichen 
Sefanges das Publicum dergeſtalt anzog, daß, wie Laborde erzählt, Händel, 
der an der Spitze einer andern Geſellſchaft ſtand, vergebens alle Hülfsmittel 
feines Genies aufbot, die Auflofung berfelben zu verhindern. &enefino und $. 
waren beide zu derfelben Zeit in England, aber an 2 verfehiedenen Theatern. 
ongeftellt, und da fie immer an gleichen Tagen fangen, hatten fie nicht Ge⸗ 
legenheit fich zu hören. Der Zufall führte fie einft zufammen. Seneſino 
barte einen blutdärftigen Tyrannen, F. einen unglüdlichen, in Feffeln fchmach: 
senden Helden darzuftellen. F.'s erfie Arie aber ermeichte das harte Herz des 
graufamen Tyrannen fo fehr, das Senefino, den Charakter feiner Rolle ver: 
geffend, ihn entzüdt an feine Bruft drüdte. 1757 ging 5. über Paris, mo 
der König ihn reichlich befchenfte, und nacy einem £urzen Aufenthalte in Frank: 
reich nach Madrid. Zehn jahre hindurch fang er. jeden Abend vor Philipp V. 
und der Königin Eliſabeth. Als diefer Fürft in eine tiefe Melancholie ver: 
ſank und alle Sefchäfte vernachläffigte, verſuchte die Königin die Gewalt der 
Mufit, m ihn zu heilen. Sie ließ ein Concert dicht neben dem Appartement 
des Königs veranftalten, und’ F. faug plößlich eine feiner fchönften Arien. Der 
König ſchien anfangs betroffen und bald heftig bewegt. - Am Schluffe der zwei⸗ 
ten Arie rief. er den Virtuoſen zu fih, überhäufte ihn mit Liebfofungen und 
fragte ihn, welche Delohnung er verlange, indem er ihm Alles gemähren zu 
wollen ſchwur. F. bat den König, fich rafiren zu laffen und in das Conſeil 
zu geben. Don dem Augenblide an wurde die Krankheit des Königs einer Arzt: 
lichen Behandlung fühig, und F. hatte die ganze Ehre feiner Senefung. ' Dies 
war der Grund feiner umbefchränften Gunſt. Er wurde erfter Minifter , Ritter 
des Calatravaordens, aber er vergaß nicht, daß er zuvor Sänger gemefen war, 
Er nahm: nie die Einladungen der Großen des Hofes an, bei ihnen zu fpeifen. 
Tiberall bediente ſich 5. der Gnade des Königs nur, um Gutes zu thun. Das 
ber kam es auch, daß nach einander 3 Könige von Spanien, Philipp V., Fer: 
dinand VI. und Karl II.,. ihn mit ihrer Gunſt beehrten. Nachdem er 20 
Sabre lang die böchften Ehren in Spanien genoffen hatte, fah er ſich genöthigt, 
4761 nach Stalien zurüdzufehren. Er. lieh fih in der Nähe von Bologna ein 
geſchmackvolles Landhaus bauen, mit der Inſchrift: „Amphion Thebas. go 
domum”. Hier fammelte er die anfehnlichfte Bibliothek für Muſik, die man. je 
geſehen bat, erwarb fich dns Verdienſt, den P. Martini zur Abfaffung feiner Ge: 
ſchichte der Muſik zu veranlaffen, die diefer gelehrte Literator 2 nicht vollen⸗ 


Semerfasiond»Lericon. Bd. IV. 
‘ 


34, Farneſe (Haus) 


den Fonnte, und flarb am 15. Sept. 4752, nachdem er in einem glüdlichen Als 


ter die Huldigungen feiner Mitbürger und befuchender Fremden in reihem Maße 
genogfen. 


arnefe, ein italienifches Fürftenhaus, deffen Genealogie feit der ' 


Mitte des 13. Jahrh. befannt iſt. Es befap damals das Schloß Farneto bei 
Drvieto und lieferte der Kirche und der Republik Florenz mehre ausgegrichnete 
Heerführer, namentlich Pietro Farnefe (fl. 1363), dem die Florentiner eis 
nen großen Sieg über die Pifaner verdanken. Papft Paul It., ein Farnefe, 
betrieb die Erhöhung feiner Familie mit ſolchem Eifer, daß er nicht nur Pietro 
Luigi (oder Aloyfus), feinen natürlichen Sohn, fondern auch deſſen fünf Söhne 
auf das berrlichfte verforgte, vor Allem aber lieg er fich die Beförderung Pietro 
Luigi’s angelegen fein, eines von allen Laftern gebrandmarkten Dienfchen, der 


als folcher ſchon den Lefern des Benvenuto Cellini bekannt if. Paul lit. fuchte - 


für ihn von Karl V. das Herzogthum Mailand zu erhalten, um welches der Rais 
fer und frankreich damals ſtritten. Da er jedoch die ungeheuerfien Summen 
vergebens bot, f- befchloß er, die Staaten von Parma und Piacenza, die Ju⸗ 
lius If. von den Mailändern erobert hatte, in ein Herzogthum zu verwandeln, 
welches er im Auguft 1545 feinem Sohne übergab. Pietro Luigi lieh fich in 
Miacenza nieder, wo er eine Citadelle anleate und feine tyrannifche — 
mit allerlei Beſchraͤnkungen und Mißhandlungen des vorhin freien Adels begann, 
As das Map feiner Graufamfeiten immer böher flieg, erhoben fi, im Em: 
verfländniffe mit Ferdinand von Gonzaga, Statthalter zu Mailand, die Häͤrp⸗ 
ter der adeligen Samilien. 37 Verſchworene begaben fich (10. Sept. 1547) 
unter dein Borwande, dem Herzöge aufzumwarten, in die Sitadelle und bemaͤch⸗ 
tigten fich der Zugänge, Giovanni Anguiffola drang in das Zimmer des Her: 
3098, der, von den fcheußlichfien Krankheiten entnervt, einen Widerfland zu 
leiften vermochte, und unter dem Dolche feines» Gegners fiel, worauf Gonzaga 
im Namen des Kaifers Piacenza befegte und Abftellung aller Beſchwerden vers 
fprad. Ottavio Farnefe, der Sohn und Nachfolger Pierros, befand fich 
gerade damals bei Paul IN. in Perugia. Zwar erklärte fi Parma für Dte 
tavio, der fich auch mit einem päpftlichen Heere dorthin begab, allein er war 
zum Angriffe von Piadenza zu ſchwach und mußte. mit Gonzaga einen Waf: 
fenftillftand fchliegen, indeß er fi) um den Schuß Frankreichs bewirb. “Der 
Nachfolger feines Sroßvaters, Julius III., verfchaffte ihm, aus Anhängliche 
keit an das Farneſe'ſche Haus, 1550 das Herzogthum Parma wieder, und 
ermwählte ihn zum Gonfaloniere der Kirche; allein ein Bündniß, welches er bald 
darauf mit Heinrich 11. von Frankreich fchloß, 308 ihm den Unmillen des Kai: 
fers und des Papfles zu, und er gerietb abermals in größe Beträngniß, aus 
welcher nach 2 Jahren ein ehrenvoller Vergleich ihn erldſte. Mit dem Haufe 
Dftreich ſohnten ihn die Derbdienfte feiner Gemahlin Margaretha und feines 
Sohnes Aleffandro um die fpanifche Monarchie wieder aus. Margaretha, eine 
natürliche Tochter Kaifer Karls V., die als Starthalterin in den Niederlanden mit 
vieler Maͤßigung regierte, aber 1562 dem Herzog Alba hatte toeichen müffen, 
befuchte ihren Gemahl, mit dem fie nur wenig zufammengelebt, in Parma , 
und 309 fich dann nach Abruzzo zurüd, Ottavio flarb 1586, nachdem er SO 
Jahre eines ungeftörten Friedens genoffen und diefen benußt hatte, alle wäh⸗ 
rend der vorigen Regierungen eingeriffenen Unordnungen zu verbeffen und das 
Süd feiner Untertbanen zu befördern. Ihm folgte fein und Morgaretbens 
ältefter Sohn, Aleffandro Farneſe, als dritter Herzog von Parma un 
Piacenza, und General Philipps 1. in Flandern. Als Kind begleitete er feine 
Mutter dorthin, mo er bereits in feinem 10. Jahre ſich mit Maria, einer Nichte 
König Johanns von Portugal, vermäblte. Neigung, Muth, Gegenwart des 


\ 
J 


Zarnefe Hau) 35 


Geiſtes und Stärfe des’ Körpers beftimmten ihn zu den Waffen. Die erften 
Probm feiner Tapferkeit legte er unter Don Yuan P’Auftria in der Schlacht bei 
£ranto ab. 1577 rief ihn Philipp I8. aus Abruzzo, wo er fich bei feiner Mut⸗ 
ter befand, um dem Don “Juan die Truppen wieder zujuführen, die diefer aus 
Slandern, mo die fpanifchen Angelegenheiten jeßt fehr fehlecht flanden, hatte 
gwüdfhiden müffen. Don Juan, der fchon lange gefräntelt hatte, flarb im 
nächften Jahre; Aleffandro ward nun Statthalter, gewann Maftricht und 
andre Städte zurüd, und ließ ſich mit den Inſurgenten in Unterbandlungen ein, 
webei es ihm gelang, die Farholifchen Untertbanen mit Philipp 11. zu verfühnen, 
indeß fich die proteflantifchen Durch die utrechter Union unter einander verbanden, 
und um von Anjou, einem Bruder Heinrichs IN. von Frankreich, eis 
nen neuen beidiger herbeiriefen. Diefer erfchien mit 25,000 Dann; bei 
ollen Gelegenheiten aber trug Aleffandro. Siege und Vortheile über ihn dovon. 
Mitten unter diefen Triumphen erhielt er die Nachricht vom Tode feines Vaters. 
Um jet die Regierung feiner Staaten anzutreten, verlangte er den Abfchied aus 
iſchen Dienften, erhielt ihn aber nicht, und fah das Land-, deſſen Herzog er 
geworden war, nie wieder. Das Glück der Niederlande, die fich fehwerlich lange 
gegen einen fo tapfern, talentvollen und edelmüthigen Feldherrn behauptet haͤt⸗ 
ten, waren die frangöfifchen Bürgerfriege. Aleffandro rüdte in Frankreich ein 
und nötbigte Heinrich IV., die Belagerung von Paris aufjubeben. Während 
feiner Abweſenheit hatte Morig von Naffau in den Niederlanden viele Bortheile 
gewonnen; doch ſtand er nicht nur ihm, -fondern auch Heinrich IV., mit obenein. 
wnrubigen und fchlecht befoldeten Truppen, fiegreich entgegen. Bei ter Rück⸗ 
fehr von diefem Feldzuge erhielt er 1592 vor Saudebec eine Wunde am Arme, 
deren Dernachlüffigung ihm zu Arras im 47. Lebensjahre den Tod zuzog. Als 
Herzog von Parma folgte ihm fein ältefter Sohn, Ranuzio J., der feine von 
den glänzenden Tugenden feines Vaters befaß, fondern finfter, firenge, babfüch: 
tig und mißtrauifch war. Die Unzufriedenheit des Adels mit feiner Regierung 
veranlaßte ihn, den Häuptern der angefehenften Familien eine Verſchwoͤrung an: 
gidichten, ihnen heimlich den Proceß machen, fie Binrichten (19. Mai 1612) und 
ihre Süter einziehen zu laffen. Diefes unerbörte Verfahren empörte viele ita- 
lieniſche Fürften, und nur der Tod des aufgebrachteften, des Herzogs Vincenzo 
Gonzaga von Mantua, binderte den Ausbruch eines Krieges. Seinen natürli: 
Sohn Ottapis, der die Liebe des Volks befaß, lieh er im Kerfer unbarım- 
berg verſchmachten. Er felbft fiarb 1622. Ungeachtet der Rohheit feines Cha: 
tafters zeigte er Geſchmack für Wiffenfchaften und Künfte; auch wurde unter fei- 
ner Regierung das berühmte Theater zu Parma nach dem Mufter der Alten von 
Job. Bapt. Aleotti erbaut, Sein Sohn und Nachfolger, Odoardo F. (geſt. 
1646), befaß viel Talent zur Satyre, große Beredtfamfeit, aber noch mehr Duͤn⸗ 
kel und Eigenliebe. Hang zu Abenteuern und die Eitelkeit, auch in den Waffen 
gingen wollen, verwidelten ihn in Kriege mit den Spaniern und mit Papſt Ur: 
VL, dem er große Summın ſchuldig war. Seine übermäßige Beleibtheit, die 
er auch auffeine Kinder vererbte, machte ihn zum Kriegsweſen fafı gan ungefchickt, 
wie leidenfchaftlich er es auch liebte. Nicht fo graufam mie fein Großvater, auch 
nicht fo voll Duͤnkel wie fein Dater, war der nun folgende Ranuzio I. (geſt. 
1694), aber ſchwach, und haufig ein Spielball unwuͤrdiger Sünftlinge. Einer 
von diefen, Namens Sodefroi, den er aus einem franzdfifchen Sprachlehrer zum 
erfien Dinifter und Marchefe umgefchaffen hatte, ließ den neuen Biſchof von 
Caſtro ermorden, den Farnefe nicht anerkennen wollte. ntrüftet darüber, ließ 
Papſt Innocenz X. Caſtro fchleifen, und Godefroi, der von den päpftlichen Trup: 
ven gefchlagen wurde, verlor endlich die Gunſt feines Herrn, und bei feiner Ruͤk⸗ 
Ihe Gater und Leben, Der ältefle Sohn Ranugio’s, Obomte, wurde fo dick, 


* 


| — | 
36 Farquhar O Farrill 


daß er erſtickte. Von 2 noch übrigen Söhnen, Francesco und Antonio, folgte zu⸗ 
erft Francesco F. (geſt. 1727). deffen ungeherere Dicke auch feine Hoffnung 
ju einem Nachfolger geftattete. Philipp V. von Spanien heirathete indeffen Eli— 
faberh Farneſe, eine Tochter des erſtickten Odoardo und Nichte des Herzogs 


Francesco, Da man die Kinderlofigkeit des Letztern vorausfah, fo befchloffen die 


erjien Mächte Europas, das ein Sohn Philippe V. und Cliſabeths, der nicht: Kö 
nig von Spanien mürde, die Sarnefefchen Befiethümer erben füllte. Auf diefe 
Weiſe fielen fie dem Haufe Bourbon zu. Auf Francesco F. der fich alle dieſe 
Anordnungen gefallen laffen mußte, ohne dabei befragt zu werten, folgte fein Bru⸗ 
‚der Antonio F., der achte Herzog von Parma (geft, 1731). Auch er blieb 


feines Alters und feiner Beleibtheit megen ohne Kinder, und hatte während feiner 


Degierung nnarfbörlih Schmach und Demüthigungen zu befichen Mach feinem 
Tode wurden Parma und Piacenza von 8000 Spaniern für Don Carlos in Beſitz 
genommen. (&. Parma.) F—r 
Farquhar (Georg), ein englifher Dramatifer, geb. 1678 zu London 
tern in Irland, verließ Dublin, wo er auf Schrien mar, um fih mit einer Sefell: 
ſchaft von Schaufpielern zu vereinigen. Daer aber auf der Bühne fein Glück 


machte, ging er nach London und trat als Lieutenant in das Regiment des Grafen 
Drrery. Seine Neigung fürs Theater befriedigte er jetzt durch "Arbeiten für daſt 


felbe. 1698 gab man fein erftes Luftfpiel: „Amor in einer Flaſche“, welches ge 
fiel; 17100: „Die flandhaften Liebenden‘, und bald darauf: „Sir Harry Wil: 
dair“, „Der Unbeftindige” und „Der Officier auf Werbung“. Sein leßtes und 
mit dem größten Erfolg aufgeführtes Luſtſpiel find „Die Kriegsliſten“. Er ftarb 
den 29. April 1707 in der Mitte feiner Laufbahn und hatte fich durch feine höchft 
ergöglichen und ziemlich ausgelaffenen Theaterftüde Ruf ermorben. 


Farrill(Don Sonzal, DO’), k. fpanifcher Senerallieutenant, geb. zır. 


Havana 171583, aus einer dafelbft angefiedelten irländifchen Familie. Diefer 
. ausgezeichnete Krieger und Staatsmann ward in Frankreich in der Schule zu So— 
reje erzogen und trat 1766 in fpanifche Kriegedienfte. Er bereies Muth und Ta⸗ 
Ient bei den Belagerungen von Mahon und Gibraltar. 1780 machte er fich mit 
der Einrichtung der franz. Artillerie und Genieſchule bekannt ; hierauf fandte ihn 
feine Regierung nach Berlin, mo er die Taktik Friedrichs des Großen in den Heer⸗ 
übungen des preuß. Fußvolks fludirte. Dann ftellte man ihn an die Spitze der 
Mititairatademie zu Puerto⸗de⸗Santa⸗Maria bei Cadir, aus welcher die beften 
fpanifchen Taktiker und Officiere, wie Caſtanos u. A., bervorgegangen find. 
4703 und 1794 diente D’F. unter den Heerführern Bentura Caro und Colomera 
gegen die Franzoſen in den weft. Pyrenäen, und leitete 1795 als General-Quar⸗ 
tiermeifter den Feldzug des Heeres von Catalonien, welches den Feind an der Flu- 
via jurüddrängte und bis Werpignan vordrang. Nach dem basler Frieden über- 
trug ihm Karf IV. die Grenzberichtigung in den Pyrenäen und ernannte ihn 
1798 zum Oeneralinfpector des Fußvolks. In der Folge machte er Reiſen in 
Deusfchland, der Schweiz, Holland und England. 1808 ernannte ihn Ferdi. 
nand VII. zum Generaldirector der Artillerie und zum Kriegsminifter, Auch er 
rieth damals dem Könige, Napoleons Schuß in Bayonne zu ſuchen. Als Mitglied 
der unter dem Infanten D. Antonio niedergefegten oberften Kegierungsjunta bes 
baupteten er und Azanza die Rechte ihres Souverains gegen Murar’s Drohungen. 
Auch that er bei dem Aufftande zu Madrid am 2. Mai dem Blutvergießen Einhalt. 
As Murat, nach der Abreife des Präfidenten der Junta, des Infanten, Sig und 
Stimme in der Junta verlangte, widerſetzte ſich O’F. nebſt den Miniftern Azanza 
und Gil, aufs nachdrüdfichfte, und nahm, als die Mehrzahl in der Yunta nadh- 
gab, feine Entlaffung. Unter Joſephs Regierung war O'g. wieder Kriegsmini⸗ 
fir. Damals (Aug. 1808) faßte er gemeinfchaftlich mit Azanza und den Diini- 


+ 


Bafanerien | Faſch | 37 


fiern Mazaredo und Cabarrus die Fühne Denffchrift an Napoleon ab, welche den 
Zweck hätte, die fpanifche Nation vor allen nachtheiligen Folgen ihrer Verbindung 
mit den Franzoſen ſicherzuſtellen. Nach der Rücitehr Ferdinands auf den ſpani⸗ 
fihen Thron erklürte fi) O'g. in einen Schreiben an den Konig über die Beweg⸗ 
gründe feines Verhaltens auf eine ebenfo edle als befriedigende Art. Alleın Ferdi 
nand VH, ließ den durch eine faſt 50jihrige Dienftzeit um den Staat wahrhaft ver: 
dienten Dann als Syofefino, oder als Verräther an der ".eligion und an dem König, 
zum Tode verurtheilen und feine Güter einziehen. OD’ fard ein Aſyl in Frank⸗ 
reich, Das von ihn und Azanza in Paris hera::sgegebene „„vicmoire de D. Miguel 
Azanza et de D. Gonzalo O’Farrill, el expose des fa:ls qui justißent leur con- 
duite politigue depuis Mars 1808; jusqu'en Avril 1814” ift ein wiry:iger Bei⸗ 
trag zur Sefchichte der ſpan. Revolution. 1329 wurde O'F. vom Könige Ferdi⸗ 
nand VL, in die Ehrenftellen, Grade und Orden wieder eingefeßt, die er fich als 
Minifter unter 4 Königen erworben hatte. ”) 

Safanerien, Anlagen zer Hegung wilder Hübner in Prunkgärten. In 

wilden Safanerien ift der Faſan fich felbft überlaffen und moird nur im Winter ge 
füttert. Es bedarf feiner Gebäude, fondern nur einiger Kirrungen und Stände in 
dem Sebüfih, auf welchen man zu gewiffen Seiten mit Haferſtroh, Campher, 
Anis u, f. w. räuchert, um die Kafanen zufammenzubalten, die diefen Geruch fehr 
lieben. Mehr Sorgfalt und Koften erfodert eine- zahme Faſanerie. An einem 
gutgemäblten Orte, von dem alle Raubthiere abzuhalten find, werden ein Faſa⸗ 
nenhaus mit einem beizbaren Zimmer zur Beherbergung derfelben, vor demfelben 
ein Zwinger, der mit dem Haufe durch Locher zum Eine und Auslaffen in Verbin: 
dung ſteht, ferner ein Brüthaus, ebenfalls mit einem Zwinger, außerdem ein 
Hauschen für Trut: und Haushühner, noch verfchiedene kleine Haͤuſschen mit 
Zwingern, und eine Wohnung des Fafanenmirterg erfodert. In jeden Zwinger 
fest man einen Hahn mit 9— 10 Hennen, welche man wohl füttert und Abends 
und Morgens ein⸗ ımd austreibt. Zur Legzeit fammelt man forgfültig die Eier, 
und laßt fie entroeder durch die Fafarenhennen oder durch Trut: und Haushühner 
ausbruten. Da das Fleifch diefes Vogels für etwas befonders Köflliches gilt, fo 
ift er in den meiften Ländern Eigenthum des Landesherrn, dem es auch allein zu: 
kommt, Safanerien anyılegen. Die prüchtigften von allen Safanenarten find der 
chineſi ſche Goldfaſan und Sitberfafan , beide Sattungen komnmen auch in unferm 
nördlichen Klima gut fort. &. des Crernim’fchen Forftbeamten Ant. Schönberger 
„Anleit: zur Fafanenzucht” (‘rag 1822). 

Fasces, bei den alten Romern ein Bündel glatter Stäbe, in deren Mitte 
fi, zım Zeichen der Gewalt über Leben und Tod, ein Beil befand. Dieſe Fasces, 
deren Anzahl verfchieden beftimmet war, wurden den höhern Magiſtratsperſonen 
von den Lictoren auf den Schultern vorgetragen. Bor dem Volke mupten jedoch 
die Lictoren, zu Anerkennung der Obergewalt deffelben,, die Fasces fenten; auch 
wurden in der Hauptftade die Beile aus denfelben weggelaffen. 

Faſch (Karl Friedrich Ehriftian), Fonigl. Kammermuſikus zu Berlin, geb. 
zu Zerbit 1736, wo fein Vater Capellmeifter war. &ein muſikaliſches Talent 
entwickelte fi früh, Sein Vater ſchickte ihn nach Strelitz, wo er Unterricht bei 
dem Deufikdirector Haͤrtel erhielt. 1756 kam er in die Capelle Friedrichs Il. nah 
Berlin, und flarb dafelbit 1800. In den Werfen diefes großen Muſikers ift die 
tieffle Kenntniß der mufikalifchen gelehrten Kunſt mit dem verftändigften Sinn und 


* Der Ritter d Azanza, ehemal, Vicekoͤnig von Merico und Miuiſter Ferdi⸗ 
nands VII. und Joſephs, der 1814 Spanien verließ und feit 6 Jahren zu Bordeau 
von der Unterfüguung jeiner Freunde lebte, erhielt 1825 vom Könige Sertinand VII. 
u Penfion von 6250 St. -Auch durfte er um die Wiedereinfegung in jene vorigen 
Virden anhalten, ſtarb aber ſchon den 20. Juni 1826 im 80. J. ſeines Alters. 


— 


3 Bafchinen Faſtnacht, Faſtnachtſpiele 


dem nnigften Ausbrude verknuͤpft. Im vielftimmigen Sage zeigt er eine fels 
gene Vollkommenheit. Dan findet darin den Fünftlichften Contrapunkt verbunden 
mit der größten Einfachheit und mit der ausdrucksvoliſten Melodie in allen Stims 
men. fonders zeichnet fich in diefer Hinficht fein Sftimmiges Miferere als ein 
vollendetes Meifterftül aus. Sein 16ſtimmiges Kyrie und Gloria wurde von 
Hiller als ein Werk angekündigt, das an Tiefe und Geſchmack Alles übertreffe, 
was man früher in diefer Sattung gehört habe; und diefes großen Meifters Urteil 
aben die Kenner unterfchrieben. Ein wahrer Verluſt iſt es, daß F., der in 
llem nach böchfter Bolllommenpeit frebte, feine meiften Compoſitionen noch vor 
feinem Tode verbrennen ließ, ſodaß wir der Zahl nach nur wenig von ihm befii 
Sein größtes Verdienft iſt die Stiftung der in ihrer Art einzigen berliner Singe 
akademie, der nach ihm fein Schüler Zelter (f. d.), der auch feines großen Börs - 
Be oDerbienfe in einer eignen Schrift (Berlin 1801) gemürdigt hat, mit 
uhm vorſteht. 

Faſchinen, Gebunde von Reiſig, 6— 16 Fuß lang und gewöhnlich 1F. 
ſtark. Um fie zu verfertigen, ſchlaͤgt man 2 F. von einander entfernte Kreuzboͤcke 
(2 nach Art der Sügeböde fich kreuzende Pfähle) ein, deren Kreuzungspunkte ges 

nau in einer horizontalen Linie liegen muͤſſen, wirft ein Bündel Ruthen auf dieſe 
- fo gebildete Fafchinenbant, zieht fie mit einem Strict feft zufammen und legt alle 
28. eine zufammengedrehte Wiede um die entflehende Fafchine. Die über der 
beſtimmten Länge hervorragenden Ruthen werden abgefügt oder umgebogen und 
. mit eingebunden, wo dann die Faſchine eine Kopffafchine heißt. n braucht 
die Safchinen bei Belagerungen, Wafferbauen u. dgl. Werden fie zum Bat: 
teriebau fehr lang und dünn gemacht, fo erhalten fie den Namen Batteriewuͤrſte. 
(5, Bekleidungsmaterialien.) | 

N j ee 9: } f. Faſtnacht und Carneval. 

Eafti, marmorne Tafeln in Rom, worauf entweder Me jährlichen Feſte 
und Feiertage, oder die Namen der Conſuln, Dictatoren ıc. eingehauen waren, 
jene, fasti minores genannt, waren nichts Andres als der Calender, woraus 
man toiffen Eonnte, wann die Fefttage einfielen, dies wußte ehedem Niemand als 
die Pontifices, welche dann die Fefte, freilich nach ihren oder der Vornehmern 
Staatsabfichten, dem Volke anfagten. 204 v. Chr. brachte fie C. Slavius, wel⸗ 
cher beim Pontifer Dar. Appius Claudius Schreiber geweſen war, unter das Volk; 
von diefer Zeit an waren fie ein Gegenſtand der öffentlichen Kunde. 

Faſtnacht, Faſtnacht ſpiele. ‘Diefelben Anfichten, welche die 
Menſchen beroogen, den unfichtbaren höhern Mächten durch Opfer, Gaben und Rei: 
nigungen zu gefallen, brachten fie auch zu Faſten, Enthaltungen und Bußun⸗ 
gen. Unter Faften verfteht man eine Berfagung gewohnter Nahrungsmittel, die 
man fich auferlegt, um die Gottheit damit zu verfühnen. Man findet Eein bedeu⸗ 
tendes Volk ohne Gebräuche diefer Art: der hiſtoriſche Urfprung liegt in dem Reli⸗ 
gionscultus des Orients, wo Priefter anfänglich auch bie Ärzte des Bolfs waren 
und bie in diefen heißen Rindern nothivendige Diät zugleich zur Sache der Religion 
machten. Auch find die Faften noch heutiges Tages im Drient gebräuchlich. ‘Die 
Religionen der Perſer, der Hindus, des Lama, des Mohammed und die Mer 
faifche halten viel auf Faften. Syn der Religion der nordifchen Borzeit finden ſich 
dagegen wenig Spuren davon. “Die älteften Ehriften fafteten an den Bigilien 
(f. d.). Büßend waren die Faften an den jejuniis quatuor tempestatum, die in 
jedem Vierteljahre 3 Tage dauerten, in den 40 Tagen (vor Oſtern nämlich, oder 
vielmehr vor dem Charfreitage, Quadragesimae), welche ausſchließlich die Fa⸗ 
flenzeit oder Faſten genannt wurden und fich auf das AOtägige Faſten Jeſu 
in der Wüfte beziehen ſollten. Über den Urſprung der Faſten find die Meinun⸗ 


Faſtnacht, Faſmacheſpiele Br 


gen verfihieden, Die gewoͤhnliche tft, daß Telesphorus, Biſchof zu Rom in ber 
Miüte des 2, Jahrh., dies 40tägige Faften zuerft durch ein Rirchengefeß verord: 
net habe. Durch Papſt Gregor den Broßen: wurde, um 600, die Afchermitt: 
woche zum Anfange.der Faſten gefeßt, und der Tag vorher hieß Faftnacht, 
weil in der Macht deffelben, mit 12 Uhr, die Faſtenzeit eigentlich anhob. Diefem 
Faſten voran ging ein Itägiges, wie ehedem die firengen Eiferer fich arsdrüdten, 
‚ganz teuflifches Feſt, das fie die Bacchanalien nennen. „Da die Thriften“, Heißt 
es, „am diefen Tagen vorfüglich rafeten , fo banden fie Zarven vor, taufchten Die 
er aus, verkleideten ſich in Sefpenfter, gaben fich dem Bacchus und ber 

Venus bin und hielten allen Muthwillen ſich erlaubt”. Dies iſt der Urſprung 
des heutigen Carne vals oder Faſchings, mie. er im fühlichen Deutfchland 
t wird, welcher vom heil. Dreikönigstage bis Aſchermittwoche dauert, “Der 
Carneval wird a. d. Latein. von carıe und vale (nach Adelung, von der 

latein. Benennung im Mittelalter: Garne levamen) abgeleitet, weil man gleich: 
farm dem Fleiſche Lebewohl füge. Man wollte ſich vorher noch gütlich thun, und 
dies geſchah im reichſten Make, vornehmlich während der 3 legten Tage des Car⸗ 
nevals. UÜbrigens iſt das Carneval ſelbſt nichts Andres als die Saturnalien der 
qhriſtlichen Römer, die ihre heidnifchen Feſte nicht vergeffen Eonnten; am wenigften 
ein ſolches, wie die Saturnalien waren, die dem Saturn und der goldenen Zeit 
feiner ehemaligen Weltregierung zu Ehren, um das Andenfen der Freiheit und 
Gleichheu der Menſchen in der erſten Jugend der Welt lebendig zu erhalten, alljahr⸗ 
kb im December mit allerlei Muthwillen, Scherz und Ausgelaffenheit gefeiert 
wurden. Zu Rom brachte das Sarneval die alten Saturnalien in einer neuen 
Form lebhaft wieder vors Auge, und bei den neuen Gebraͤuchen ſchimmern die alten 
durch. Weil in den letzten Lagen des Sarnevais, alfo Faftnacht, und vornehm: 
lich noch an dem dieſer Nacht langer Faſten vorhergehenden Tage, der Muthwille in 
nmereien, Scherzen, Poſſen und Ausgelaffenheiten aller Art fich drängte, ſo 
erſchien Faſtnacht befonders als die Zeit des privilegirten Muthwillens, und Fall: 
aachtsſtreich galt für gleichbedeutend mit muthwilliger Poffe Aus Italien 
gingen die neuen Saturnalien in die andern chriftlichen Linder über, und Deutſch⸗ 
land biieb mit Mummereien, Schmaufereien und luſtigen Poffen nicht zurüd. 
In Deutfchland wurde dadurch die dramatifche Poeſie entwidelt, nachdem bie 
Städte yı Wohlhabenheit ang! waren. Im 13. Jahrh. zeigen fich davon 
erften Spuren. Die Diummereien des Sarnevals führten von felbft auf den 
Gedanken, eine angenommene Rolle durchzuführen. Um dem Haufen zu gefallen, 
ahmte man Die Sitten des gemeinen Lebens mit Übertreibung nach, um das Lachen 
deſto ficherer zu erregen. Was anfangs nur ein Saftnachtseinfall geweſen mar, 
erhielt nachher Ausbildung. „Um die Faſtnachtszeit“, fagt Flögel in feiner „Se: 
ſchichte der komiſchen Kiteratur” (Bd. 4, ©. 292), „zogen zuweilen verkleidete Per: 
fonen aus ehem Haus ins andre, um ihren Freunden und Bekannten cine Luſt 
zumachen, Eine luſtige Sefellfchaft diefer Art kam auf den Einfall, in diefer 
idung Etwas vorzuftellen und eine dieſer Mummerei gemäße Unterredung zu 
halten. Diefer Verſuch gelang ihr, man lobte die unbekannten Schaufpieler, man 
bewirthete fie oder befchenfte fir Durch diefen Beifall aufgemuntert, verftärkten 
fh die Banden, und ihre Fabeln und Sefpräche wurden allmälig länger, bis fie 
gr ordentlichen Nachahmungen menfchlicher Handlungen anrouchfen”. In Nürn: 
‚ wegen feiner Waaren und feines Witzes berühmt, tvar es, wo aus der Bruͤ⸗ 
derſchaft der Meiſterſanger die erſten Zaftnachtsfpiele hervorfamen, derb und luſtig, 
wie fie dem bürgerlicgen Geſchmacke der Reichsflädter zuſagten. (S. Folz, Ro: 
ſenblüt und Sachs.) Dieſe Stücke find verwandt mit den Masks der Eng: 
Under und den Farces der Franzoſen, und die geiftlichen Saftnachtsfpiele, religiofe 
en, mit dem ‚Mysteres und Moralites. Nach alter Sitte wurden dieſe 





40 Fatalismus Faltum 


Faſtnachtsſpiele durch einen Ausrufer oder Herold eröffnet und beſchloſſen. 
den neueften Zeiten hat man die Faften aus der Religion größtentheils in die Heil- 
kunde verröiefen. Die Katholifhen haben noch als Fafttage die Mittwoche, Frei⸗ 
sage und Sonnabende der Quatemberwoche, und die Tage por den Fefttagen; als 
Abflinenztage, an t.elchen nur die Fleifchfpeifen verboten dr, alle Sreitage und 
Sonnaberde. Luther nennt das Foften eine feine Teibliche Zucht, und wenn man 
noch jeßt in den vrotefiantifchen Ländern Fafttage ausfchreibt, fo find dies Über⸗ 
bleibfel der katholiſchen Liturgie. ' 
Satakismus, der Glaube an ein Fatum. Fatalift heißt ein Anhän- 
ger jenes Slacbene, (S. Fatum und Determinismus.) 

Fata Morgana(Mirnge, Kimmung, Luftfpiegelung) heißen auf der 
Küffe der ficilifchen Meerenge die bei heiterm, warmem und ftillem Wetter über 
dem Meer auffteigenden Lufterſcheinungen, die fich oft zu feltfamen Bildern von 
Schiffen, Thürmen, Schlöffern u. f. w. geftalten, und felbft den Naturfundigen 
taͤuſchen. Sie entftehen aus den von der Sonne emporgejogenen Dünften des, 
Meeres und kommen auch in den großen Sandflächen Perfiens, der aflatifchen 
Tatarei, in Niederägypten, in Mericos Ebenen und a. a. O. vor, worüber Biot’s 
„Astron. phys.“ (Paris 1810, 3 Bde.) im 1. Bde, viel Intereſſantes mittheilt. 
Figürlich nennt man fo wunderbare Traumgebilte, 

Gatum , umvermeidliches Schickſal. Alles, was dem Menſchen begegnet, 
kann man fich denfen entweder als unbedingt nothwendig, ohne Hinficht auf gött- 
lichen Rathſchluß, oder als bedingt nothwendig, vom göttlichen Rathſchluß abhäne 
gig, oder endlich, als völlig zufällig. Im Allgemeinen verffanden die-alten Philo⸗ 
fophen unter dem Fatum im enaffen Sinn eine geroiffe unvermeidliche Nothwendig⸗ 
feit der Ereigniffe und Begebenheiten in derXßelt, wodurch fie freilich) in die. größten 
Widerfprüche mit der Lehre von der menſchlichen Freiheit und der Natur der Gott⸗ 
beit verwickelt werden mußten. Es ift ſchwer zu beſtimmen, ob alle Weltweifen, 
befonders die Steifer, in der Bedeutung das Fatum behauptet haben, in welcher 
man fie deffelben beſchuldigt. Man unterfcheidet gewöhnlich folgende Arten des Fa⸗ 
tums: dag vernünftige, pantheiftifche, aftrofogifche, türkifche und jeoifeye. SJene une 
vermeidliche Nothwendigkeit der- Begebenheiten hängt nämlich entiweder davon ab, 
daß die Welt den Grund ihrer Wirklichkeit in fich felbft hat und Leine andre Urfache 
außer fich erkennt (das pantheiftifche Fatum), oder von einem Weſen, das nicht zur 
Welt gehört, und zwar entiveder unmittelbarer Weife, ohne Hinſicht auf gemiffe 
Mittelurfachen, dergeftalt, daß Dasjenige, was einmal beſchloſſen iſt, gefchehen muß, 
es mögen die Begebenheiten eine Urſache haben oder nicht (das tünkifche), oder mit⸗ 
telbarer Weiſe, nämlich durch den Einfluß der Seftirne, welchem die freien Weſen 
nicht entgehen koͤnnen (das aftrologifche Fatum der Chaldäer), oder durch andre 
Mittelurfachen, und zwar fo, daß diefe Mittelurfachen und ihre Subordination 
von einem abfoluten Entfchluß, worauf das Betragen verftändiger Ibefen aus Bes 
mwegungsgründen gar Eeinen Einfluß bat, herrühren (das floifche , oder, daß die 
Subortination der Urfachen von einem freien Entfchfuß der Gottheit und in objecttz 
ver Hinficht von dem freien Betragen vernünftiger Weſen herkommt (das vernünf. 
tige Fatum). Wir begnügen uns, von dem Leßtern noch dies zur Erläuterung hin⸗ 
zugufegen. Der Menfch ift als ein Sinnenweſen phyſiſchen Sefegen unterworfen. 
Da er nicht Herr der Natur iſt, muß er-fich ihren Einflüffen auf feine Lage und 
Umftinde unterwerfen. Wann, von wen, und wo er geboren wımde, fland nicht 
in feiner Gewalt zu beftinnmen, indem er nun fagt, das Verhaͤngniß oder Schidfat 
bat es fo gewollt, fo glaubt er damit nicht an ein blindes Ungefähr, fondern er be 
ruft fich nur auf Urfachen, die über feinen Kräften und Einfichten find. Glaubt 
er dabei: 1) daß die Veranſtaltung und Subordination aller vorhergehenden Urfachen 
von einem höhern Weſen, welches nicht zur Welt gehört, angelegt ſeien; 2) daß 


Fauche⸗Bore 4 


dieſes Weſen durch einen freien Entfchluß diefen großen Weltplan aisführe, und 
3) nach Berbältniß feines firtlichen Verhaltens, nach der Auantifät und Qualität 
feiner Kräfte, auch ihn in diefem Man mit aufgenommen und ihn andie Stelle in 
der Welt, durch den Zuſammenfluß der ihnm oft imdurchdringlichen, unbegreiflichen 
Urfachen gefett habe, mo er nach feinen Kräfte: für das Ganze und Meifte wirken 
und an der ſittlichen Ordnung Antheil nehmen kann: fo gibt er ein vernünftiges 
Fatum zu. Das Verhalten bes Menfchen fommt als objectiver Grund durchaus 
dabei in Anſchlag. Denn es wäre ungereimt, ein Schickſal in der Bedeutung ans 
zunehmen, dag Alles, was Einen begegnet, unabhängig von dem eignen Handeln 
und ohne vorgingigen Grund gefchehe. Es ift falfch zu.fagen, das Zukünftige 
wird gefcheben, man thue auch was man wolle; fondern es gefchieht, roeil man 
Etwas thut, wodurch es veranlagt wird. Iſt im Buche des erpängnifes das 
Bufünftige gefihrieben, fo ift auch zugleich die Urfache davon gefchrieben. gißt 
daher keine abſolute, fondern nur eine hypothetiſche Nothwendigkeit. | 
Fauche⸗Borel (Louis), bekannt durch die von ihm mis großer Gewandt⸗ 
beit und Bebarrlichkeit zum Vortheil des vertriebenen Königshaufes während der 
franz. Revolution geleiteten Berhandlungen, ward 17762 zu Neufchatel geboren, wo 
feine ans der Franche⸗ Tomte ſtammende Familie feit der Verfolgung der franz. 
Proteftanten fich angefiedelt hatte. Beim Ausbruche der Revolution widmete er 
die Buchdruderei, welcher er vorftand , der Sache der Ausgetvanderten. Einige 
Auffäße zogen ihm Verbannung zu. Nun diente er ganz der Partei, welche der 
nenen Ordnung inranfreid) entgegenroirfte. Bon 1793 — 1814 wird fein Name 
bei allen Berfuchen genannt, die. man machte, um die Bourbons wiederherguftellen. 
‚ So ward er 1795 im Namen Ludwigs AYIN, als Vermittler zwiſchen Pichegru 
und dem ‘Prinzen von Sonde gebraucht, um jenen für die Sache des vertriebenen 
—— zu „geroirmen. Er bedung ſich auf. den Fall des Selingens eine Mil⸗ 
kion Livres, den Michaelorden und die Stelle eines Oberauffebers der königl. Buche 
druckerei aus. Bei unglüdlichen Erfolg aber wollte er fich mit 1000 Louisd’or 
Entſchadigung begnügen. Als Pihegru dieihm gemachten Anträge, jedoch unter 
der Bedingung der Mitwirkung Öftreichs, angenommen batte, begab fich F.⸗B. 
ya ‘Prinzen -Eonde, der ihn nach Strasburg fehickte, 100 der Mittelpunkt des franz. 
Heeres war. Um Berdacht zu entfernen, gab er vor, ein Haus zur Anlegung einer 
Druderei taufen zu wollen. Als jedoch Argwohn entfland, wurde er verhaftet, und 
Pichegru verlor den Dberbefehl. 5.8. erhielt bald feine Freiheit, da man in feinen 
Papieren nichts fand, das den Verdacht begränten tonnte, Er fnüpfte 1796 mit - 
Pichegru in Arbois neue Berftindniffe an, und die Folge der Unterhandlungen war, 
daß fid) der Sieneral, als er 1797 an der Spiße des Raths der 500 fland, in Ent: 
wurfe zu Gunſten des beurbonifchen Haufes einließ, die der 18. Sructidor gerflörte, 
5.2. ſtand auf den Verzeichniſſe der Seächteten, und da man. feinen Briefwechſel 
mit Pichegru im Wagen des öfte, Senerals Klingling gefunden hatte, fo mußte er 
fich verbergen. Nach feiner Angabe bat er Mittel gefunden, den Director Barras 
für die Herftellung der Monarchie zu gewinnen; allein Barras bat 1819 diefe Bes 
hauptung öffentlich für eine Verleumdung erklärt. Der 13. Brumaire fiörte alle 
Entwürfe, und F.⸗B. begab fie nach London, wo er fich abermals bewegen ließ, zu 
Sunften der Bourbons den Vermittler zwifchen Moreau und Pichegru zu machen. 
Nach feiner Ankunft in Paris aber wurde er verhaftet und mußte 18 Monate im 
Temple gefangen fißen, bis er- anf die Fürfprache des preuß. Sefandten entlaffen 
und mit Sendarmen auf das preuß. Gebiet gebracht wurde. Gleichwol wagte er es, 
1804 in Sranfreich einen Aufruf Ludwigs XVIII. an das franz Volk zu verbreiten. 
a Gefahr, verhaftet zu werden, girig er nach England, dann nach Schweden, und 
16 wieder nach London. 1814 fam er im Gefolge der Verbündeten nach Paris, 
gay darnuf mit dem Fürften Hardenberg nach London und begab fich endlich in 


! 


43 Faujas⸗ de⸗ Saint- Fond . Faͤulniß 


keine Heimath. Schon traf er Anſtalten, ſich in Paris niederzulaſſen, als Mapo⸗ 


leons Landung feine Plane flörte. Bon Wien, wohin der preuß. Geſandte, Graf 
von Golz, ihn geſchickt hatte, begab er fich zu Ludwig XVIII. nach Gent, wo aber 
der Ruf von feiner Geſchicklichkeit in geheimen Unterhandlungen ihn bei dem Mi⸗ 
nifter Blacas in den Verdacht eines Berfländniffes mit Napoleon brachte. Die 
Folge davon war, daß er vertiefen wurde und in Brüffel gefangen faß, bis der 
preuß. Sefandte fich für ihn verwendete. Mach der Schlacht bei Waterloo kam er 
nach Paris; fpäter begab er fich nach England, wo er ein Jahrgeld von der Regie⸗ 
rung genießt. Er felbft gibt Nachricht von feinen Unterhandlungen in f. „Precis 
historique de differentes missions dans lesquelles M. Louis Fauche-Borel a 
et6 emplaye pour la cause de la Monarchie etc:”, der 1815 in Paris heraus⸗ 
gegeben, Hier aber unterdrückt wurde, und dann 1816 zu Brüffel erſchien. “Der 
Wahlſpruch auf dem Titel: Poenam pro munere (Strafe für Lohn), verräch, 
daß er fich in feinen Erwartungen betrogen gefehen hat. — Seine Betriebſamkeit 
fand feitdem ein andres Feld; es gelang ihm, in Berlin ein Patent zur Bereitung 
des Kotbftaubes, eines wirkſamen Düngungsmittels aus den Abfällen der thierk: 
ſchen Okonomie, zu erhalten. S. „Memoires“ (3 Bde., Paris 1829), mit Bilde 
niffen und Facſimiles, enthalten manchen guten Beitrag zur Geſchichte der franz. 
Emigration. 26. 
FGaujassde:Saint:Fond Garthélemy), Geolog und Natınz 
forfcher, geb. 1750 zu Montelimart. Auf feinen Reifen durch faft alle Zander Europas 
und der neuen Welt richtete er feine Aufmerkſamkeit beinahe einzig auf Gegenſtaͤnde 
der Naturforſchung, befonders auf vulfanifche Erzeugniffe. Was er darüber mit: 
getheilt bat, gab neue Auffchläffe.. In feinen „Rechurches sur les volcaus dleints 
du Vivarais et du Velai“ (1778) entwickelte er feine Anfichten über die Entftes 
* der Vulkane, die er aus der Verbindung des Waſſers mit dem unterirdiſchen 


euerherd erklärt. Seine Unterſuchungen machten ihn der Anſicht derjenigen 
ologen geneigt, die den Urfprung aller Trappgebirge für vullanifche Erzeugniffe 
Halten, wie er in feinen „Essais geologiques”.darthat. Unter feinen zahlreichen 
Schriften find zu ermähnen: „Die Maturgefchichte der Trappgebirge” (1788 und 
n. %. 1813), „Die Befchreibung der Gebirge bei Maftricht“ (1798 — 1808, 
10 Liefer. in Fol.) und ſ. „Reife durch England, Schottland und die Hebriten” 
(1797, 2 Bde), Die auch auf die Sittenverhältmiffe jener Länder belehrende Rück⸗ 
fiht nimmt, und in Wiedemann’s deutfcher ÜÜberfegung (Göttingen 1799) durch 
die Anmerkungen des Schottlinders Macdonald bereichert ward. Cr ſtarb zu 
Daris den 26. Juli 1819. 
Faulniß, der dritte Grad der Gaͤhrung, in welchem ſich ſowol thierifche 
als auch Pflanzenftoffe, jeder nach feiner Eigenthümlichkeit oder Natur, freiwil⸗ 
lig, unter Entwidelung kohlenſaurer, ſtick⸗ und mafferftoffhaltiger Sasarten, de⸗ 
nen burch die Beimiſchung von mehr oder weniger Schwefel und Phosphor ein 
mepbitifcher Geruch: zugefelle ift (mas jedoch mehr bei Faulung thierifcher Stoffe ge: 
funden wird), gerfeßen, und zuleßt eine mehr oder weniger erdige, reine Maſſe zu⸗ 
rüdlaffen, an der die vorausgegangene Faulung durch den Seruch zuweilen n 
Iange errathen werden ann. Ein fehr geminderter rad oder gänzliche Aufhebung 
der Rebensthätigkeit, Zutritt der Luft, Wärme und Feuchtigkeit, Annäherung 
ſchon faulender Körper, bedingen, unterhalten und vollenden fie, jedoch iſt der Aus⸗ 
druck von Faulung bei noch verhanderrem, wenn auch fehr vermindertem Leben niche 
deutlich; daher auch nur Geneigtheit zur Fäulniß in den fogenannten Faulfie- 
„ Faulfrankheiten, und nicht wahre Faulniß angenommen werden kann. Beinz 
kalten Brande hingegen iſt wahre Faulung, hier iſt aber auch in dem brandigen 
Theile alles Leben völlig verſchwunden, es ift eine örtliche Faulniß zu nennen. Die 
Saulung von Pflangenftoffen geht langſam vor ſich, fie müffen mit Waſſer ange- 





Fauna Fauſt (Johann) 43 


ſenchtet fein, der Geſtank ift nicht fehr Durchdringend, der Rückſtand ſchwaͤrzlich, 
erdig, gefäuert und mit Kohle verbunden; thierifche Stoffe Hingegen faulen ſchnel⸗ 
ker, der Geſtank iſt viel Durchdringender, es entwidelt ſich mehr Stickſtoff, dev, mit 
Wafferſtoffgas zu Ammonium verbunden, größtentbeils fich verflüchtigt, fobald 
diefes fich gebildet bar; es vermindert ſich die Maſſe des faulenden Körpers bes 
tröchtlicher, und Nichts als eine fette, fehmierige, noch ſtinkende Erde bleibt zuruͤck, 
die erft ſehr fpat fo austrocknet, daß fie wie Afche ausſieht. Boiffien hat den zur 
vollkommenen Zerfeßung erfoderlichen Zeitraum in 4 Perioden getheilt. Falſchlich 
wird die Faulung thierifcher Stoffe alkaliſche Gaͤhrung genannt, weil fie nicht als 
kin Alkali (Zaugenfalz) bildet. Fehlen gewiſſe Bedingungen, fü kann zwar auch 
eine g der Beftandtheile gefchehen, die aber nicht Faulniß iſt; ſo z.B. vers 
wandeln fich im Innern der Erde die Degetabilien in bitumindfe, verfteinerte Hölzer, 
in Torf, Erdharze mancherlei Art. Nicht fo iſt es, unter gleichen Umfländen, 
wit thierifchen Storfen der Fall; diefe Baben fchon viel Feuchtigkeit In fich, werden 
unter der Erde für fich warm, in der Erde felbft ift etwas Luft, fie faulen nur lang⸗ 
km, So z. B. fand man beim Ausgraben der Leichname auf dem Cimetière des 
inaocens zu Paris, daß manche erft nach einer Zeit von 7, 30 und mehren Jah⸗ 
ven, aber auch manche früher ihre weichen Theile verloren hatten. Je mehr Kelch: 
name zufammen auf einem Fleinen Raume liegen, defto fpäter faulen fie zu einer 
erdigen Maffe, fie bilden mehr eine feifenartige Maſſe. Da die Bedingniffe zur 
Fuiniß fo befannt find, fo kann man,’ wenn man fie entfernt hält, die Faulniß ab⸗ 
halten, wonach das Räuchern, Austrodinen, Kalthalten, in Säure einlegen, Eins 
„kein berechnet iſt; fo find in dem agyptiſchen Sande Körper ohne weiteres Zus 
them mumienartig ausgetrodinet. worden. Auch wirkt man der Faͤulniß durch Ans 
Pr brandigen Holzſaure enigegen. Die Fiulnig wird benußt, um mans 
Gerlei Zubereitungen verfchiedener Subftanzen möglich zu machen, fo 4 ®. beru 
hierauf das Röften der Flachspflanze, des eins, die Papierbereitung; durch fie 
en der Danger, die Garten = und Pflanzenerde, die Möglichkeit, das Leder 
ni gerben u. w. 
Sauna, der Inbegriff der in einem Lande oder Erdtheile einheimiſchen 
en, auch ein Verzeichniß derfelben. | 
Faum e n find Maldodtter der Römer, d. i. eine Art von Dämonen, wel⸗ 
he in Wäldern und Hainen wohnten, und vorzüglich von Denen, die das Feld 
‚ verehrt wurden. Sie werden meiftentheils ganz in menfchlicher Geſtalt 
 Abgebiltet, nur mit einem kleinen Ziegenſchwanz, fpißigen Obren und hervorkei⸗ 
menden Hoͤrnern. Ihre Kleidung ift ein Biegenfell oder ein andresThierfell. Mar 
ſieht fie auch mie Weinranken befränzt, weil fie, gleich den Satyrn, zu dem Gefolge 
des Bacchus gehören. Zu den berühmteften antiten Faunenbildern gehört der alte 
touynte Zaun im florentinifchen Muſeum, der jugendliche Faun, als Flötenfpieter. 
Die Dichter fchildern fie uns als mißgeftaltete, grob finnliche Götter, und di 
Chorakter erkennen wir auch in den auf uns gekommenen alten Statuen. 
werden als Söhne des Faunus betrachtet. Diefer wurde als einer der alteſten Kd⸗ 
nige in Latium, zugleich ale weiffagender Gott verehrt, und ift der Pan der Ads 
mer, ſowie auch feine mit der Fatua oder Fauna erzeugten Söhne, gleich den grie⸗ 
Gilden Panen, als Schüger und Mehrer der Heerden::, Wald : und Yeldgötter 
Fi r weden, Über den Unterfchied von denfelben f. Voß, „Mythologifche Briefe“ 
“ Y (1) 9. e 
5 au ft (Johann) oder Fuft, Soldarbeiter zu Mainz, einer der Erften, wel⸗ 
die Buchdruderfunft ausübten. (S. Buchdruckerkunſt.) — Verſchieden 
vn dieſem iſt der berüchtigte Schwarzkuünſtler D. Johann Kauft, im Anfange 
da 16. Jahrh. Ob er aus Rnittlingen im Oberamte Maulbronn in Schwaben, 
ea aus Anhalt, oder aus der Mark Brandenburg gebürtig gewefen fei, Mt 


ge Johann) 


mentfſchieden. Das Erſte iſt am wahrſcheinlichſten. Er war der Sohn eines 
Bauern, der ihn nach Wittenberg fendete, wo er ſich den Wiffenfchaften wid⸗ 
meta Syn feinem 16. Sabre ging er nach Ingolſtadt, fiudirte Theologie, wurde 
8 Jahre nachher Magifter , wendete fich aber von der Theologie zu der Medicin, 
Aftrologie und Magie, worin er auch feinen Famulus, oh. Wagner, eines Pre⸗ 
Bigers Sohn zu Waſſerburg, unterrichtete. Nachdem er die reiche Erbfchaft feines 
Oheims verſchwendet hatte, bediente er fich, der Sage nach, feiner erlangten Kraft, 
die Seifter zu beſchwoͤren, beſchwor den Teufel und machte mit ihm einen Bund 
auf 24 Jahre. Er erhielt einen Seift, Mephiftopheles, zu feinem Diener, mit 
welchem er nun umherreiſte, luſtig Iebte und durch Wunder die Welt in Erſtau⸗ 
nen feßte (3.B. auf einem Weinfaſſe aus Auerbach’s Keller 1523 in Leipzig Davon: 
ritt, worauf fich noch ein altes Bild in diefem Keller bezieht), bis endlich ini Dorfe 
Rimlich, Nachts zwiſchen 12 und 4 Uhr, der Teufel ihn graufamlich umbrachte, 
wie folches von Georg Rudolf Wiedemann in den „Wahrhaftigen Hiftorien von 
denen greulichen Sünden D. job. Fauftens” (Hamb. 1599), und in dem alten 
beliebten Volksbuche: „Des durch die ganze Welt verrufenen Erzfehwarzfünfflers 
md Zauberers D, Fauft mit dem Teufel aufgerichtetes Bündniß, abenteuerlicher 
Lebenswandel und ſchreckliches Ende“ (gedr. zu Köln am Rhein und Nürnberg), 
berichtet wird. Ob an diefer Sage Etwas wahr fei oder nicht, darüber iff mans 
cherlei Streit gewefen. Einige, welche diefen 5. mit dem vorigen verwechfelten, 
ivaren der Meinung, die Mönche, welche damals durch Abfchreiben der Bücher 


nicht wenig verdienten und durch Erfindung der Buchdruckerkunſt ſich beeinträch- 


tigt fahen, Hütten, aufgebracht hierüber, die neue Erfindung als des Teufels Werk 
verfihrieen und dem Damen Fauft ein ewiges Brandmal durch die Erfindung 


jener Sefchichten aufdrüden. wollen. Diefe Meinung aber reiderlegt ſich dadurch, 


— 


daß jener F. in das 15., dieſer in das 16. Jahrh. gehört, und gegen 1560 ver⸗ 
ſchwand. Die, melde fein Dafein gänzlich Tugnen wollten, haben die Zeugs 
niffe Tritheim’s, Melanchthon's u, X. gegen fich, die ihn felbft gefeben hatten. 


Demnach würde uns wol am Ende ein ungewöhnlicher Menfch übrigbleiben, mit 


phnfifalifchen Einfichten, die fein Zeitalter als Wunderwerke, und mithin als 
Werke des Teufels, anflaunte und fürchtete. Vielleicht 309 er auch umber, Durch 
Tafchenfpielerfünfte und natürliche Magie die. Augen der Menge zu blenden. Die 
Erziblung der Faufffchen Abenteuer hat die Entfiehung eines andern Buchs ver. 
anlapt: „Fauſt's Höllenzwang, oder der fihwarze Rabe”. Diefem Buche 
fchrieb fonft der Aberglaube Wunderdinge zu. Es enthält fehon auf dem Titel, 
dem zufolge es 1404 zum erfien Mal gedruckt ift, eine Lüge, und ift mit lauter 
finnfofen Charafteren und Figuren und fehindlich gemißbrauchten Bibelſpruͤchen 
angefuͤllt, — jene Legende hat der Poefie Stoff zu mehr als einem Meifterwerke 
geliefert. Nachdem Liefer Stoff lange Zeit nur für Farcen und Marionettenthea= 
few war benußt worden +f. Görreg, „Aber die deutſchen Volksbücher“, verglichen 
nit den Spittler'ſchen Zufigen zu Moſer's „Würtemb. Bibliothek“), foßte Leſ— 
fing die dee, ihn zu höhern Zwecken zu benußen, und entwarf 2 Trauerfpiele 
von D. Fauſt, wovon leider nur ein Eures, aber meifterhaftes Bruchſtück übrig 
iſt. Klinger, in „Fauſt's Leben, Thaten und Höllenfahrt”, und Göthe, in ſei— 
nem unübertroffenen „Fauſt“, gehen Beide von derfelben dee aus, nur mit dem 
Unterfehiede, daß es bei Beiden nicht der Teufel ift, dey$. an der ſchwachen Seite 
der Wißbegierde faßt, um ihn zu verleiten, fondern dag die Wißbegierde felbft ihn 
dem Teufel in die Arme führe, ſodaß man mit dem Gothe ſchen Mephiſtopheles 
gen möchte: rn 

Und hätt’ er ſich auch nicht dem Teufel übergeben, 

Er müßie doch zu Grunde gehn. 
Fauſt ift bei Beiden eine hypergeniale Natur. Früh ſchon fand er die Grenzen 


Fauſt (Bernhard Chrifteph) Fauſtina | 45 


der Menſchheit zu enge und ſtieß mit wider Kraft dagegen an, um fie über die 
Mirflichfeit hinuberzuruͤcken. Er warf fich in die Wiffenfchaften. Kaum aber 
barte er ihren Zauber gefoftet, als der heftigſte Durft nach Wahrheit in feiner 
Seele entbrannte. Mach langem Herumtappen maren feine Ärnte: Zweifel, Ins 
wille über die Kurzfichtigkeit der Dienfchen, Mißmuth und Murren gegen Den, der 
ibngefchaffen, das Licht zu ahnen, ohne die dicke Finfterniß durchbrechen zu fünnen. 
Sin der weitern Ausführung weichen aber Beide fehr von einanderab, und eg findet 
eigentlich Feine Dergleichung zroifchen Klinger’s Roman und, Göthe's Drama wer: 
ter ſtatt; jener ift turchdrungen von philofophifchem, diefer von poetifchem Geiſte. 
Bei Klinger trifft Fauft Das unvermeidlihe Schidfal, des Teufeld Beute zu 
werden; darum iſt auch bei Klinger Alles greller unddüflerer, bei Goöthe milder und 
yarter- gehalten. Bei Klinger vermifchen: ſich die Sagen von beiden Fauff, 
Gothe Hat fich aber bloß an die von Fauft dem Zauberer gehalten. Nach Söthe 
und Klinger verdienen die Bearbeitungen diefes Stoffes von Schink, Schreiber 
und dem Maler Müller genannt zu werden; die lefrere ift die robefte, aber unter 
defen dreien die Fräftigfte umd genialfte. Liber die tiefere Bedeutung der Sage vol. 
man die ·Schrift: „Über Kauft und den ewigen Juden“ (Reipz. 1824). 
5 au ft Gernhard Chriſtoph), D. der Med., Leibarzt und Hofrath zu Buͤcke⸗ 

| burs feit 1788, als Schriftfteller feit 17780 befannt, geb. den 23. Mai 1755 zu Ro⸗ 

tenburg in Heſſen, wo f. Bater Arzt war. Vom Carolino zu Kaffel ging er nach 
- Böttingen, promovirte 1777 zu Rinteln ımd prafticirte zu Rotenburg, Dach u. a, 
a. O. 1794 fehrieb er über die Perioden des Lebens, Sein Streben nach Gemein: 
nüßigkeit ließ ihn nicht einzig bei gelehrten Gegenſtaͤnden verweilen ; er ergriff, ebfehon 
bejahrt, gleich einem Jünglinge mit warmem Eifer oft die Feder, um die Mitwirkung 
Hoher und Niederer für das gemeine Geſundheitswohl zu gewinnen und üble Ge⸗ 
bräuche einzuftellen. Schon 1794 fehrieb er über die Pflicht der Menſchen, jeden 
Dlatternfranfen von der.Semeinfchaft der Gefunden abjufondern und dadurch die 
Ausrotiung der Blatternpeft zu bewirfen. Obſchon man diefen beherzigungswerthen 
Vorſchlag wenig beachtet harte, ließ fich F. nicht abhalten, denſelben fogar den zum 
iedenscongreß zu Raftadt verfammelten Miniftern 1798 nochmals vorzulegen. 

1802 und 1804, als Jenner's Entdedung F.'s philanthropifehem Plane zu Hülfe 
kam, thaterviel für die Berbreitung der Kuhpocken; er ſchrieb deghalb einen Zuruf 
an die Menſchen, ſchlug auch öffentliche Inipfanftalten vor. Mehre Gebrechen, die 
in der Ausübung der Geburtshilfe eingewurzelt find, entgingen ihm nicht, und er 
hat deßhalb viele gute und gutgemeinte Vorfchläge befanntgemacht. Mit noch eine 
dringendern Worten fprach F. für die menfchlichere Behandlung der Verwundeten 
auf dem Schlachtfelde, inallen periodifchen Blättern, auch mit Ph. Hunold gemein: 
Khafılich über die Anwendung und den Nußen des Hls und der Wärme bei chirur- 
giſchen Operationen, welcher Schrift 3 Abhandl. angehängt find: „Über die Heilig: 
keit der Feldlazarethe“, „Befchreibung einer Beinbruchmafchine” und „Das Leben: 
digbegraben auf den Wahlplägen zu verbüten” (1806). ein gemeinnübigftes 
Werk ift f. „Populaire Diätetik” oder f. „Sefundheitsfatechismus“. Am 19. Juli 
1827 feierte er f. 50jähr. Doctorjubilsum. Der Fürft von Schaumb.-Lippe ver 
ehrte ihm eine darauf geprägte Denfmünze, und der König von Preußen den rothen 
Adlerorden Lritter Claſſe. | F, 
Fauſtina. 1) Die Gemahlin des Raifers Antoninus Pius, und 2). deffen 
Tochter, welche nachher an den Kaifer Marcus Aurelius Antoninug verheirathet 
wurde. Die Sefchichtfehreiber jener Zeit haben die fihonen Befchreibungen, welche 
fe von dem glüclichen Zuftande des Neichs unter der Regierung diefer Antonıne 
wochen, mit ärgerlichen Anekdoten von ihren Gemahlinnen befledt. Aber zur 

e der jüngern Fauftina, welche diefe Flecken am meiften treffen, darf man nicht 

bergehlen, daß ihr eigner Gemahl, Marcus Aurelius, der fich durch feinen treff- 








6. Ä Fauſtrecht 
lichen Charakter und durch ſeine Neigung zur Philolophie den Beinamen des Phi⸗ 
oſophen erwarb, ihrer Tugend Gerechtigkeit widerfahren lieg, und ihr, in den 
achtungen über fich felbft, das Lob einer mufterhaften Sattin beilegt. In 
unfern Tagen hat Wieland verfucht, fie gegen die Schmähungen der plauderhaften 
Geſchichtſchreiber der römifchen Kaifergefchichte zur rechtfertigen. 

Fau ſt recht (jns manuarium), Recht der Selbfthülfe mit gewaffneter 
Sand: ein Übel, welches alle Staaten in ihrer Kindheit treffen muß, fo lange 
fie nicht eine mohlagorbniste Gerichtsverfaſſung und eine kraftvolle Regierung be: 
figen. In Deutfchland dauerte daffelbe bei weitem länger als in Frankreich und 
England, weil die Zerftüdelung bes Reichs und die Schwäche der kaiferlichen Re⸗ 
gierung wirffamen Maßregeln im Wege fland. Noch ziemlich lange Zeit na 
der Stiftung des Reichstammergerichts und .des ewigen Landfriedens (1495 


waren, wie man u. A. aus dem Leben Gotz's von Berlichingen fieht, viele von 


den Dingen im Sange, welche der Landfriede Hatte abflellen follen. Das Fauſt⸗ 
recht hatte vornehmlich zweierlei Segenflände, die Befehdungen und das Necht 
der Pfündungen, und beide arteten oft, fo wenig auch. ihre urfprüngliche Beſtim⸗ 
mung darauf gegangen war, in ein wahres Raubgewerbe aus. ‘Den Befehduns 
gen arbeitete man feit den erften Zeiten ber Monarchie entgegen (f. Land: 
frieden), aber vergeblih; man fuchte fle wenigfiens dadurch zu mindern, Daß 
nach den ältern Reichsgefegen ein Derfuch vorbergeben follte, fein Recht durch 
Guͤte oder richterliche Hülfe zu erlangen, fowie man fie durch das DVerbor, kriege⸗ 
rifche Angriffe am Freitag, Sonnabend und Sonntag vorzunehmen, zu mildern 
ſuchte. Allein Alles das rourde wenig beobachtet. Die Privarpfündungen waren 
erlaubt, wenn man eine Elare verbriefte Foderung hatte, in Güte aber von 
- feinem Schuldner nichte erhalten Eonnte. Man wandte fich dann an einen, Rit⸗ 
ter, welcher geaen billige Vergütung es übernahm, dem Schuldner aufzupaffer, 
ihn ſelbſt oder ihm gehörige Güter anzubalten, und ſowol feinen Schüßling als 


fich felbft bezahlt zu machen. Dabei kamen aber gar viele Inregelmäßigkeiten vor, _ 


welche Durch Geſetze verboten, aber Durch alte Gewohnheit dennoch aufrecht gehal: 
sen wurden. Erftlich follte Dem Schuldner die Pfandung 4 Wochen zuvor an⸗ 
gekündigt werden, was nicht auszuführen war, weil derfelbe dadurch nur gewarnt 
worden wäre, feine Perfon und Sachen in Sicherheit zu bringen. Zweitens follte 
gleich nach der Pfündung der nächfte Richter aufgefucht werden. Das waren 
denn, wenn es ja gefchab, die Gerichte eines Burgherrn, mit welchem man fich 
abfand, ſodaß es mit der Gerechtigkeit fo genau nicht genommen wurde, Auch 
wurden unter irgend einem Vorwande die Sachen wol wieder weiter gefchafft, ſodaß 
der Sepfandete zu thun hatte, ehe er ausfindig machte, wohin fie gefommen was 
ren. Drittens, die Hauptſache aber war, daß man fich nicht an den Schuld: 
ner allein, fondern an den erflen beften feiner Mitbürger hielt, deffen man habhaft 
werden konnte. Dies war ein liberbleibfel der alten deutfchen Sefammtbürgs 
ſchaft der Semeinden gegen einander (Iranciplegium , frankpledge), welche die 
Geſetze laͤngſt gemißbilligt Hatten, ‘aber nicht ausrotten Eonnten, daher Kaiſer 
Friedrich I.. 1158 nur die Studenten dagegen in feinen Schuß nahm, daß fie 
nicht wegen angeblicher Schulden ihrer Landsleute angegriffen werden follten, 
Diele Burgbefiger und Ritter lebten ganz von diefem Gewerbe, welches zur wahren 
Straßenräuberei ausartete, indem der Mangel fie trieb, reifende Kaufleute nieders 
zuwerfen, wenn auch feine Schuld von ihnen beizutreiben war, oder ihnen mehr abs 
zunehmen, als die Schuld betrug. Damit waren noch andre Pladereien verbunden : 
das Aufdringen von ©eleite, das Erheben von Abgabenfür die Sicherheit der Stra⸗ 
fen u. dal,, welches Alles von den Städten für Ungerechtigkeitund Raͤuberei erklärt 
und an den Urhebern mit fchimpflichen Hinrichtungen beftraft wurde. Die gänzliche 
Abftellung diefer ‘Dinge gelang erft gegen das Ende des 16. Jahr. 3, , 


m 


Favart (Charles Simon) Favart (Marie Juſtine Benedicte) . 47 


Favart (Charles Simon), der Schöpfer der feinern komiſchen Oper unter 
den Frangofen, Sohn eines Paftetenbäders in Paris, den 13. Nov. 1710 geboren. 
Auf dem von Ludwig XIV. geftifteten Collegium vollendete 5. einen Theil feiner 
Oradien ; bald fich der Poefie ergebend, trat er mit einem Gedicht: „La France de- 
lirree per la pucelle d’Orleans”, auf, welches ihm den Preisin den Jeux floraux 
werfchaffte, reinen eigentlichen Dichterruhm errang er aber erſt durch feine zahlrei⸗ 
hm Arbeiten für das italieniſche Singfpiel und Die komiſche Oper. Da die letztere 
jedech, mit welcher F. aufsinnigfte verbunden war, 17745, in Folge der Kabalen der 
Sroliener, denen durch die franzöfifche Lomifche Oper großer Abbruch gefihab, ein⸗ 
eben mußte, fo fab fich der Dichter gezwungen, die Direction einer wandernden 
—* zu übernehmen, welche der Marſchall von Sachſen auf feinen Feldzügen 
nach Flandern mitnahm. So mußte F. oft vor den Beginn einer Schlacht oder 
fonfligen entſcheidenden Begebenheit fein Talent dazu anwenden, das Heer anzure⸗ 
* wie dies z3. B. den Abend vor der Bataille von Roconz der Fall war, mo der 

ichter auf Des Marfchalls Befehl in der Eile ein Couplet entwarf, dasvon einer 
beliebten Actrice in den Zwiſchenacten vorgetragen, und in welchem in der beborfles 
benden Schlacht der Sieg unzweifelhaft dargefiellt wurde. So wohl es nun auch 
bier im Ganzen F. aing, fo hatte er Doch den Schmerz, feben zu müffen, wie feine 
Sattin (ſ. d. folg. Art.) dem Sieger von Fontenoy und Roceuz nur zu ſehr gefiel, 
Endlich zruͤckgekehrt in die Hauptfladt, widmete fich 5. gänzlich der dramatifchen 
Poeſie und ſchrieb in diefer Periode, vereint mit dem Abbe Voiſenon, feinem Haus: 
freunde, eine Menge feiner beften Städe, andenen auch zumeilen die geiftvolle Mad, 
8. Antheil hatte, ſodaß man beiden meiften derſelben annehmen kann, daß F. felbft 
ken Man, Styl, Charakteriſtik und Dialog gab, feine Frau die einzelnen Züge von 
Raivetit und weiblicher Schalkheit einmifchte ; von dem Hausfreunde aber, der zu 
feiner Zeit in der Literatur viel zu fehr überfchägt wurde, die nicht immer gluͤcklichen 
Kertfpiele und froftigen Allufionen herrübrten, die fich zumeilen in den Bavart’fchen 
Crüden finden. Die Zahl diefer Arbeiten ift fehr groß, und mehre derfelben, wie 
B. „Ninette & la coar“ (wonach Weiße in Leipzig feine Operette: „Kottchen am 
Hefe‘, dichtete), „La chercheuse ‚d’esprit”, „L’astrologue de village”, „Soli- 
man H}.. on les trois sultanes”, „L'Anglais à Bordeanx” u. a., find zum Theil 
noch auf den Repertoiren derfranz. Opernbühnen, zum Theil auch in Überfeßumgen 
und Bearbeitungen auf die andern Nationen übergegangen. Sn der letzten Zeit ſei⸗ 
ms Lebens 309 %., der den 12. Mai 17192 indem Alter von 81 J. ſtarb, eine Pens 
fon von 800 Fr. von dem italienifchen Theater. Friſchheit der Ideen, Grazie und 
Natürlichkeit im Ausdrud fanfter Emwfindungen, richtige Zeichnung feiner meiſt 
Endlichen Charaktere, und’eine reine und angenehme Diction, im Versbau wiein 
tr Sprache, gehören zu den Hauptvorzũgen von 8.6 Mufe. Beine und feiner Frau 
fteben in den „Oenvres de Mr. et de Mad. Favart“ (Paris 1762, 
8 Be). Diefen folgten 17772 noch 2 Bd. und 1809 fam eine Auswahl der - 
beften Operetten in 3Bdn. heraus. — Ein Sohn von ihm, Charles Nicolaus 
Favart (geb, 1749, geſt. den 4. Febr. 1806), ausgegeicmet als Schaufpieler 
uf dem italienifchen Thenter, hat gleichfalls mehre Stüde verfaßt, die nicht one 
all aufgenommen wurden. 
d av art (Marie Juſtine Benedicte, geb. Duronceran), geb. zu Avignon den 
18. Juni 1727, wurde zu Luneville erzogen, wo ihr Vater in der Tapelle des Königs 
Sianislaus Lesczinski angeſtellt war. Durch Talent und Schönheit ausgezeichnet, 
kam die junge Duronceran 1744 nach Paris, wo fie im folgenden Jahre, unter 
tkm Namen Demeifelle Ehantilly, auf. dem Theater de l'Opéra comique debus 
Ste und fich ebenfo viel Beifall als Schaufpielerin, wie im Ballet als Tänzerin 
werd. Diefer allgemeine Beifall war aber auch mit die Urſache, warum die an⸗ 
vera Theater auf die Unterdruͤckung der ihnen fo vielen Schaden zufügenden komi⸗ 


48 Favier 


ſchen Oper drangen. Dem. Chantilly, jetzt aus den ihr fo ſehr zuſagenden Fuͤchern 
des Geſanges und Tanzes herausgeriſſen, mußte ſich auf die einfache Pantomime 
beſchraͤnken. br Talent erwarb ihr indeß auch hier fortwaͤhrend die Bewunde⸗ 
rung des Publicumse, Am Ende des Jahres 1745 vermählte fie fich mit Favart, 
dem fie, als derfelbe die Direction des ambulanten Theaters bei der flandrifchen Ars 
mee-übernahm, dahin folgte. Hier fand fie bald an dem Marfchall von Sachfen 
einenebenfo glühenden als fein Ziel mit jedem Mittel verfolgenden Verehrer. Lange 
weigerte ſich Mat. F., die Wünfche des Marſchalls zu erfüllen; da derfelbe aber 
endlich in feiner verliebten Heftigkeit fo weit ging, nicht allein ihren Mann mög: 
licht zu bedrüden, fondern auch fie felbft, mitteljt feiner Verbindungen, in ein 
Kiofter bringen ließ, mwofelbft fie über Jahr und Tag fehmachten mußte, fo 
fügte fie fi endlich den despotifchen Wünfchen; worauf fie dann mit ihrem 
Panne wieder nach Paris zurückkehrte, 100 fie als Mitglied der italjenifchen Oper 
auftrat und fich fortdauernd des allgemeinften Beifalls erfreute. Sie flarb den 
20. Aprit 1712 in ihrem 45. Sabre und binterließ den Ruhm, eine ebenfo 
geiftreiche und ausgezeichnete Künftferin als liebenswürdige Frau geweſen zu fein. 
Sie war die Erfte, welche es wagte, Soubretten und Landmädchen (ihr Haupt: 
fach) in der dieſen Ständen angemeffenen Tracht zu fpielen, denn bis dahin hatte 
man, befangen in höfifcher Steifheit, die Kammermätchen und Bäuerinnen auf 
den franz. Bühnen nie anders als in dem gefuchten Puße der Hofdamen, mit Se: 
fehmeide bededt, mit hohen Auffißen und weißen Handſchuhen auftreten, ſehen. 
Als fie das erſte Mal in dem natürlich -idealifirten Coſtum einer Dürfnerin (in - 
der Favarefchen Operette: „Bastien et Bastienne“) erfchien, machte dies zwar 
eine ungemeine Senfation, bald fand man aber die Sache gut und fah die liebens⸗ 
wuͤrdige Künftlerin fo nur noch lieber. 

Aavier, Publicift und Diplomat, geb. zu Touloufe im Anfange des 18, 
Jahrh., folgte im 25. Jahre feinem Vater als Seneralfecretair der Stände von 
Languedoc; allein die Ausfchweifungen feiner Jugend nöthigten-ihn, diefe ebenfo 
ebrenvolle als einträgliche Stelle zu verkaufen. Geymungen, fih mit den Wiſſen⸗ 
fchaften zu befchäftigen, ftudirte er befonders Geſchichte und Politik, wobei ihm 
fein außerordentliches Gedaͤchtniß fehr nüßlich war. Nachdem er eine Zeit lang 
als Sefandtfchaftsfecretair am turiner Hofe geftanden hatte, wurde er von d'Ar⸗ 
genfon zurüdberufen, für den er mit feltenem Talent mebre bedeutende Denke 
fhriften arbeitete. Auch der Minifter Ieiftete ihm richtige Dienfle, und voll Bere 
trauen auffeinen Patriotismus, enthüllte er ihm das ganze alte Syſtem der franz. 
Politik gegen die andern europäifchen Mahte. Nach diefer Miittheilung verfaßte 5. 
das Memoire: „Réflexions contre le trait© de 1756 (3wiſchen Frankreich 
und Öffreich). Diefe Schrift ift eine der beften über die Diplomatie jener Zeit 
und noch jeßt für alle Staatsmänner fehr wichtig. Er machte fich aber damit viel 
Feinde, und als D’Argenfon das Minifterium verließ, Eonnte auch er feine Stelle 
nicht behalten. Doch erhielt er unter Choiſeul verfchiedene geheune Sendungen 
nach Spanien und Rußland. Der Graf Broglio, der damals auf Ludwigs XV, 
Befehl mit den Sefandten Frankreichs im Auslande einen geheimen Briefroechfel 
führte, trug ihm die Abfajfung mehrer Denkfchriften auf, worin er feine tiefen 
Kenntniffe entfaltete: F. gerieth dabei in große Gefahr, weiler dem Monar⸗ 
ER felbft gegen die Minifter diente, und mußte aus Srankreich fliehen. Syn 

olland lernte er den Prinzen Heinrich von Preußen fennen, Dem er wichtige Er⸗ 
öffnungen über feine diplomatifchen Miffionen machte. Allein die Rückkehr nach 
Frankreich fonnte er nicht für fich gewinnen; der Haß der Müchte, gegen die er 
‚gefehrieben hatte, verfolgte ihm auch im Auslande. --Er wurde fogar, unter dem 
orwande einer Verſchwörung, in Hamburg ergriffen und als ein Störer deg 
Sriedens von Europa nach Paris gebracht. Sein Briefwechſel mit dem Prinzen 


Faxardo | Februar | 49 


Heinrich von Preußen wurde für firafbar erflärt, und er in die Baftille gefeßt, wo 
er mehre Sabre ſaß. Auf. Broglio's Verwenden erhielt er endlich feine Freiheit, 
lebte aber nun ohne Anftellung, bloß von den Früchten feiner Talente. Er fehrieb 
Denkſchriften über die Angelegenheiten der Zeit, und erft bei Ludwigs XVI. Thron: 
befteigung erhielt er eine Penſion von 6000 Livres. Er flarb zu Paris 1784. 
Segur hat einen Theil feiner Schriften gefammelt und herausgegeben: „Politi- 
gue de tons les cabinets de !’Ermope” (S Bde., 1802). - 

Zurardo (Diego de Saavedra), berühmt als Staatsmann ımd einer der 
geiſtreichſten fpanifchen Profaiften, geb. 1584 zu Algezarez aus einem edeln 
Haufe der Provinz Murcia, fludirte zu Salamanca und ward dafelbft D. der 
Rechte. Als Secretair für die neapolitanifchen Gefchäfte ging er mit dem fpan, 
Sefandten Borgia 1606 nach Rom, ward hierauf fpanifcher Agent am romifchen 
Hofe, begab fich 1636 nach Negensburg, um der Wahl Ferbinande zum römi- 
den Könige beizuwohnen, und wurde, nach andern diplomatifchen Sefchäften, 
von Philipp IV. 1643 auf den Friedenscongref nach Münfter geſchickt. Don hier 
1646 zurüdberufen, flarb er,. als Mitglied des hoben Raths von Indien, zu . 
Madrid 1648.” Seine Schriftenfind: „Idea d’nn principe politico Christiano 
sepresendado en cien empresas” (Monaco 1640, und mehrmals, ein Gürftens 
fiegel in Bildern; auch ital., franz., latein. und deutfch), ferner: „Corona ' 
Gotien, Castellana y Austriaca, politicamente illnstrada”, Er wollte von 
diefem in den bifterifchen Unterfuchungen unfritifchen und flüchtigen, aber claffifch 
gefhriebenen Werke 3 Theile herausgeben; es ift aber nur diefer erfte erfchienen. - 

ons Nuñez de Caſtro lieferte eine ſchlechte Fortſetzung. Endlich „Republica 
hteraria‘‘, Madrid 1655 (eine launige, oft beißende Kritik älterer und neuerer, 
vorzüglich ſpan. Schriftſteller, deusfch mehrmals, 3. B. Jena 1808) und „Lo- . 
caras de Europa, dialago postlumo”; deutfch Leipzig 1748. Seine fimmtle 
chen Werke erfchienen Antwerpen 1688, 4. 

Fayence, Halbporzellan oder unechtes Porzellan, eine Art Geſchirr, das 
ſch von der gemeinen Töpferarbeit durch Feinheit und feinere Glaſur, gewöhnlich 
auch Durch edlere Formen und beffere Malerei unterfcheidet. Es hat feinen Namen 
von der Stadt Faennza in Romagna, wo e8 1299 erfunden fein fol. Man verfer: 
tigte dort zu jener Zeit eine Art feiner irdener Gefaͤße, welche die Italiener, wahr: 
fiheinlich nach dem Erfinder, Majolica nannten, Einige Stüde wurden von 
den damals lebenden großen Kuͤnſtiern, einem Rafael, Siulio Romano, Titian 
u. A., mit Malereien geziert und fliehen als Denkmäler alter Kunſt in hohem 
Werthe. Die höchfle Feinheit in der Majolica ward in der Zeit von 1530 — 60 er: 
reiht. Der König von Würtemberg befigt eine Eofibare Sammlung davon. Die 
Erfindung der heutigen Fayence feheint aber erſt gegen die Mitte des 16. Jahrh. 
in Faenza gemacht worden zu fein, und befam den Namen Fayence in Frankreich, 
08 em Mann von Faznza, durch zuffndung einer ähnlichen Erde bei Nevers in 
Frankreich, die Runft dahin verpflanzte. Gegen das Ende des 17. Jahrh. zeich- 
nete fich die Stadt Delft in Holland durch Sabrication der Fayenceaus, welche man 
auch deiftifches Porzellan nannte. Es hältaber im Feuer wenig Stand. Dasengl. 
Gteingut, welches aus geflogenen Feuerfteinen bereitet wird, ift zwar der Fayence 
ähnlich, aber doch wefentlich davon verfchieden. 

Fayet t e« Marquis de la), f-Lafayette. 

Fayette (Marie Magdalene, Gräfin de la), ſ. Lafahette. 
Febronius, ſ. Hontheim. 
Februagr, von der romiſchen Gettin Febria oder Februa, die den geſetz⸗ 

Ih vorgeſchriebenen Reinigungen (z. B. der Wöchnerinnen) vorſiand und zuwei⸗ 
Ian mit der Yang verwechſelt / wird. Auch die Moſaiſche Religion ſchrieb derglei⸗ 
Ge Reinigungen won. Bei ugs. füllt moch jetzt das Feſt der Reinigung Mariä 

UmverfationssLericon. Bd. IV. 4 ' 


1 Gebure Feder 


auf den 2. Februar. (S. Lichtmeſſe.) Der deutſche Name des Februars, 
Hornung, ſoll von hor (Koth) herſtammen, weil in dieſem Monate die Wege 
aufzuthauen und daher kothig zu werden pflegen. Im Hollindifchen heißt er 
Sporkelmaend, . 

Febvre (Francois Joſeph Le), f. Lefebure (Frangois Joſeph). 

Fechter, Fechterſtatuen. Einen befondern Kreis der Daritellungen 
in der Bildhauerfunft machten die Darflellungen der Fechter aus. Die Fechter 
bei den Römern (mit den Athleten oder Ringern nicht zu verwechfeln) waren Skla⸗ 
ven, welche zum DBergnügen der Vornehmen und des Bolfes mit und ohne Waffen 
gegen einander kaͤmpften. Solche blutige Kämpfe, wo oft Fechter zu ganzen 
Scharen auf einander losgelaffen wurden, fanden bei religiöfen Feften, fowie bei 

roßen Trauerbegängniffen flatt. Die Griechen hatten in diefem Sinne feine 
Fechter. Die berüßmteften Fechterftatuen find: 1) der fogenannte Borghe⸗ 
fe’fche Fechter, welchen Windelmann für einen Discuswerfer oder Krieger, Leſ⸗ 
fing für den Chabrias hielt; Nibby Hält fie für eine Edfigur in dem Giebelfelde 
des Apollstempels in Delphi, welches die Niederlage der Sallier, die einen Eins 
fall in Griechenland gewagt hatten, darftellt, und zwar für einen Gallier. Es ift 
ein Kämpfer, der einen Angriff nach oben zu abwehrt, mit gefpannten Muskeln; . 
eine Statue erften Ranges, von feinfürnigem Marmor gearbeitet und im Sapitol 
aufgeftellt, auch 1815 aus Paris wieder dahin gebracht. 2) Der fogenannte 
fterbende Fechter, der aus der Ludovififchen Sammlung in das Museum capi- 
tolinam getauft wurde; es iflein fterbender Kämpfer, nach Zoega ein Barbar, der 
eine Wunde in die Bruft empfangen und mit Ingrimm im Sefichte in Begriff iſt 
niederzufinfen. “Der Knebelbart, der Strid um den Hals find vielleicht Berk 
des modernen Ergänzers, Mich. Angelo. 

Fechtkun p ie Kunſt des geſchickten perſoͤnlichen Angreifens und Der: 
theidigens, beſonders durch Degen und Schwert. Sie fann nicht bloß im Fall des 
wirklichen ernſtlichen Kampfes, ſondern auch zur Staͤrkung und Geſchmeidigung 
des Korpers durch regelmaͤßige Bewegungen, ja ſelbſt zur hoͤhern Beluſtigung, als 
vollendete Darſtellung eines wechſelſeitigen Kampfes, angewendet werden, und naͤ⸗ 
hert ſich hierdurch der ſchönen Kunſt, obgleich die Bewegungen des Körpers nicht 
frei, ſondern durch den Zweck des Angriffs und der Vertheidigung ſehr beſchruͤnkt 
find. Die Frangofen haben cs in diefer Kunft vorzüglich weit gebracht. Die Werk: 
jeuge, deren man fich zur bloßen Übung bedient, find fiumpfe Degen: pder Saͤbel⸗ 


£lingen, an der Spiße mit Knöpfen verfehen, und heißen Rappiere. S. Schmid’ts 


„Lehrſchule der Fechtkunft“ ; der befte Unterricht ift aber hierin der praftifche. 

Gecialen, f. Herold. \ 

Feder. Die federn, das charakteriflifche Eigentbum des Vogelgeſchlechts, 
befteben, ihrer äußern Bildung nach, aus dem Kiele und der Sahne. An dem 
Kiele unterfcheidet man: die Spule, eine runde, durchfichtige, hoͤhle, hornartige 
Roͤhre, gleichfam die Wurzel der Feder; und den Schaft, welcher elaflifch ift und 
aus einem weißen, trodenen und fehr leichten Marke befteht. In der Spule findet 
fich ein haͤutiges Gefaß (Seele der Feder), welches aus lauter ineinandergefcho: 
benen Trichterchen oder Bläschen befteht, die mit einander Gemeinſchaft, haben. 
Oben endigt es in einer Röhre, unten aber ſieht es, mittelft einer kleinen Öffnung 
des Kiels, mit der Haut des Vogels in Verbindung, und ift wahrfcheinlich das 
Werkzeug, wodurch der Feder die Nahrung zugeführt wird. Der Schaft iſt zu bei: 
den Seiten mit gleichlaufenden, dicht nebeneinanderftehenden Faſern befeßt, de: 
ren jede wieder einen Eleinen Schaft mit ähnlichen Eleinen Seitenfäferchen ent⸗ 
halt. Diefe Bekleidung des Schafts nennt man die Fahne, und fie ift bei den 
Flügelfedern an der einen Seite breiter als an der andern, bei den uͤbrigen aber an 
beiden Seiten gleih. Die Fafern find mit Harchen und Haͤutchen befebt, mittelfl 


J 


Federharz Feen, Seenniärchen 5 


welcher fie fich fo feſt aneinanderfhließen, daß fie aneinanderzufleben fcheinen, 
obne jedoch zufammen vermachfen zu fein. Das Gefieder der Vögel bat die Ei- 
genthümlichkeit, Daß es fich zu gewiſſen Zeiten erneuert; roir nennen dies Mauſern. 
i den meiften einheimifchen Dögeln gefchieht es nur ein Dial im Sabre, und 
par im Herbft, bald früher, bald fpäter; nur wenige, wie die Wachteln, maus 
femfih 2 Mal des Jahrs. Da die Federn die Eigenfchaft haben, dag fie, wenn 
ir Wachsthum vollendet ift, troden werden, und nur die Spule oder das in ihre 
enthaltene Gefäß noch einige Feuchtigkeit oder Fettigkeit einfaugt, fo wächft auch 
ein abgefchnittener Theil der Feder nicht roieder, und ein Vogel, dem die Flügel 
verſchnitten find, bleibt bis zur nächften Mauferung in diefem Zuflande, 100 dann 
die Stumpfen ausfallen, und ihm neue Schwungfedern wachfen, man müßte fie 
ihm denn früher allmälig ausziehen, wobei der Vogel nichts leidet und fein Gefie⸗ 
der in einigen Wochen wieder erlangt. Die Bewohner des hohen Nordens bedies 
nen fich der abgezogenen befiederten Haute mehrer Waffervögel yır Unterfleidung. 
Der Srönländer trägt den Feberbalg der Eider mit der Federfeite auf dem bloßen . 
Körper und widerflebt darin der furchtbaren Kälte feines Himmeleftriche. Die 
alten Mericaner verfertigten aus den prachtvollen Federn ihres Colibris allerlei Ges 
wälde, nach Art der Mofaik, die aber höchſt unvollfommen fein mußten. Prof, 
Blank in Würzburg hat eine Federpflanzeninoſaik ähnlicher Art erfunden, 
Sederbarz.(insbefondere, Gummi elafticum). ‘Der Baum, von wel⸗ 
dem Diefes merfioärdige Naturproduct geroonnen wird, wächft in mehren Gegen: 
den Cüdamerifas und wird von Gmelin unter dem Namen Caoutchova elaslica 
m Epitem aufgeführt. Ritzt man den untern Theil feines Stammes mit einem 
fharfen Inſtrumente, fo ergießt er einen milchähnlichen Saft, der fich an der Luft 
verdickt. Die Eingeborenen ziehen diefen Saft zur Zeit feiner Stüffigfeit über thör 
nerne Formen, bie fie nachher in Waffer auflöfen und herausfpälen; daher rührt 
die flafchenformige Geſtalt, in weicher das Gummi nach Europa kommt. 
Federici (Camillo), Dieſer Luftfpieldichter und Begründer einer neuen 
dramatifhen Schule hieß eigentlich Giov. Battiſta Viaſſolo, geb. 1755 zu Pog⸗ 
giolo di Gareſſio in der Provinz Mondovi. In Ceva und Turin gebildet, ftudirte 
er die Rechte, ward D. und Advocat. 47184 war er Richter zu Govon, einem, 
Sieden der Provinz Aſti. Hier lernte ihn der. König Victor Amadeus HI. kennen 
und ernannte ihn zum fönigl. Richter in Moncalieri, einem Städtchen unweit Tus 
rin. „Aus Liebe zu einer Schaufpielerin, Camilla Ricci, widmete er fich dem Thea⸗ 
ter und fchloß fich an eine Schaufpielergefellfchaft an... Deßhalb von feinen Ältern 
jurüdgefeßt, nannte er fich Federici (Fedele alla Ricci). Er ftarb im Febr. 1808 
p Turin. Seine Stücke find mit allgemeinem Beifall aufgenommen worden; 
fie haben einen regelmäßigen Sang und anziehende Situationen. Die Charaktere 
find treffend und ohne Üjberladung gezeichnet. Der Dialog ift zwar nicht allemal 
dm Stande und der Perſon ganz angemeffen, aber fließend und rein, und die 
Feinheit der Scherze verräth einen Mann, der feine Bildung der vornehmern Welt 
verdankt. Wir nennen: „Illusione e veritàâ“, „Il tenıpo fa giustizia a tutti‘, 
und als die vorzüglichfien: „L’avviso a’ mariti“; Loscultore’e il cieco” ; En» 
rico IV, al passo della Marna”. Gein Lufifpiel: „La bugia vive poco“, unter 
dem Titel „leiches mit Sleichem” von Vogel bearbeitet, wird auf der deutfchen 
ühne nech immer gern gefehen. Seine „Opere teatrali’ erfchienen zu Tu⸗ 
tin 1793 fg. in 6 Bänden. 20, 
Federkraft, f. Elaflicität. | 
Feen, Geenmärcen. Daß die Feen weibliche. Geiſter feien, eine 
Art yon Schick ſalsgottinnen, gute und böfe, weiß Jeder aus feiner Kindheit. Ger 
wohnlich find jene die Ichönften Damen von der Welt, dieſe die haͤßlichſten Mißge⸗ 
burn, Oft finden fie fich. beider Wiege oder, in euſcheidenden Augenbliden des 


J 


. 
. 


3 Seen, Seenmärdhen 


Lebens ein, beflimmen und wenten das Schickſal, geben und nehmen Geſchenke. 
Reben einer Art von Allwiſſenheit ward ihnen hohe Macht, und ihr Stab thut 
Bunter, wie ein Zauberſtab. “Doch find beite, ihr Wiſſen und ihre Macht, 
nicht unbefchränft. Der Macht des Zauberers unterliegen fie oft felbft. und man 
bar Beifpiele, dag Feen, die ſonſt durch eigne Mache die wunderbarften Ver: 
wandlungen der Weſen bewirften, ſelbſt Berwantlungen unterliegen mußten, 
Beichränft, wie ihre Macht, ift auch ihre Rillfür; nur unter Bedingungen, 
find, Eonnen fie wirfen; denn mächtiger ale 

een und Zanberfiab iſt das im Dunkeln waltente Exhidfal. Wer erkennt 
icht in bi poetifhen Weſen und ihrer vermittelnden Wirffamfeit einen 


; 
5 
3 
5 
* 
9 
= 
5 
2 
2 


e . 

terland diefer Mythologie der Feen ift Arabien, von wo fie durch die Trou⸗ 
badours nach Europa t wart. " 
von fatum. Schickſal; bei den Italienern heißt See 
florifhen Sagen der Italiener ſiößt man öfters auf Feen, und es gab hier, 
wie bei den Arabern, Sagen, worin behauptet, ward, daß eine Provinz von 
Feen bewohnt fei. In Sranfreich erhielten fie im 12. Goprh. durch Lancelot vom 
See ihre poetifche Beglaubigung. Die wunderbare Macht der Dame vom See 
verbreitete in Zranfreich und dem Auslande den Geſchmack an der Feerei, wozu 
Philipp, Graf von Flandern (1191), nicht wenig beitrug. Die Klügern glaub: 
sen daran in den Romanen, das Bolt ſah Feen überall, befenders aber in verfal⸗ 
Ienden Schlöjfern oder folchen, die in Wäldern lagen. Im Schloſſe von Rus 
fignan waltete die Fee Dielufine; aber auch um Quellen unt Bäume webten fie. 
Eine bedeutende Rolle fpielten fie fortan in den Ritterromanen, und Sabliaur, und 
gaben der romantifchen Poeſie des chrifllichen Ritterthums einen eignen Reiz; fie 
gehörten zur Mafchinerie derfelben, und die romantifch <epifchen Gedichte eines 

jardo, Ariofto u. A. gersannen nicht wenig dadurch. In England führten fie 
nicht etwa erft Ehaucer und Spencer ein, fondern Erzaͤhlungen von ihnen waren 
fo verbreitet und in den Glauben des Volks übergegangen, daß die Feen ſelbſt dann 
nicht feltfam und unnatürlich ſchienen, ale Shakfpeare fie auf die Bühne brachte. 
Neben der chrifllichen Lehre von guten und böfen Geiftern Eonnten fie recht gut bes 
ſtehen, und Taffo machte in feinem „Befreiten Jeruſalem“ einen Verſuch, diefe 
geiftigen Mittelweſen des Shriften- und Heidentbums in eine poetifche Harmonie 
zu bringen. Im letzten Viertel des 17. Jahrh. wurden aber befonders die eigentli- 
hen Feenmaͤrchen Mode, und es ſchrint, daß auch hier die Italiener voran⸗ 
gingen. „Der Pentamerone‘ von Baſilio, vermehrt von Aleffia Abbatutis, brach 
1667 die Bahn. Durch Urfachen, weiche ihren Grund in der Privatgefchichte 
Ludwigs XIV, haben, kamen diefe Märchen, feit ter Aufhebung des Edicts von 
Nantes, 1685, in Ftankreich an die Tagesordnung, und es famen, nachdem 
Perrault 1697 die „Contes de ma mere I’Ove” herausgegeben hatte, ihrer faft 
zu gleicher Zeit eine- Dienge von verfchiedenen Berfaffern und Verfaſſerinnen in 
Umlauf. Es fiheint faſt, daß der gelehrte Drientalift Antoine Galland zur 
Überſetzung der arabifcheh Feenmärchen: Taufend und eine Nacht (f. d.), 
welche 1304 berausfam, erſt durch die Damals herrſchende Vorliebe für Erzah⸗ 
Iungen diefer Art veranlagt worden ſei. Vielleicht aber Hatte Galland durch 
frühere Mitteilung in Privateirkeln die Idee davon geweckt, die Erinnerung an 
die Seen in den alten Fabliaux int Nitterromanen kam hinzu, und man verfuchte 

a k - 


’ 


lets geläugnet. Die Bibelftellen, auf welche man fich dephalb en 


Begfeuer 43 


ahealiche Erfindungen, Dit welcher Begierde dieſe aufgenommen wurden, be⸗ 
weiſt die Menge, welche ſeit der Zeit erſchien. Man bat die vorzüuglichſten ger 
fammelt in dem „Gabinet des fees‘ (Paris und Genf 1786, 371 Bde.), deren 
bester Band Nachrichten über die Verf, enthält, Die erften Geſchmacksrichter 
ans der Schyule Boileau’s, die fo fehr den Verſtand der Einbildunggkraft vorzogen, 
fyüttelten gewaltig die Köpfe, allein der Modegefchmad kehrte ſich nicht daran, 
bis die berfüllung endlich Ekel erregte. Dann fah man freilich ein, daß Hamil: 
ton, der felbft fo vörtreffliche Seenmärchen fchrieb, Recht gehabt haben möge, fich 
darüber luſtig zu machen. Indeß fagen wir mit Herder: „Daß nicht ſelbſt in 
verſtand⸗ und zweckloſe Erzählungen diefer Art Berftand und Zweck ˖gebracht wers 
den Eonne, wer wollte daran zweifeln? die Blume der Arabesfe fteht da; laßt aufs 
ſteigkn aus ihr fchöne Geſtalten! Keine Dichtung vermag dem menfchlichen Herzen 
fo feine Dinge fo fein zu fagen ale der Roman, und vor allen Romanen das Teens 
marchen. Syn ibm iſt die ganze Welt und ihre innere Werfflätte, das Menſchen⸗ 
herz, als eine Zauberwelt an unfer, Nur fei man felbft ein von der Fee begabter 
Hüdlicher, um in diefer Zauberwelt ihre Öefchäfte zu verwalten. Nirgends mehr 
als in ihr wird das Gemeine abgefchmadt, haͤßlich, unerträglich”. S. „Mytho⸗ 
logie der Feen und Elfen; vom lirfprunge diefes Glaubens an bis auf die neueſten 
Zeiten”; a. d. Engl. von G. C. B. Wolff (Weimar 1828, 2 Thle). 
Fegfeuer, von fegen, reinigen, alfo Reinigungsfeuer, iſt nach ‚einer 
gereinigten Fatholifchen Dogmatif der Übergang noch unyollendeter Gerechten zum 
endlichen Tıefige der bimmlifchen Seligkeit. Das Concilium zu Trient. beftätigt 
dieſen Artikel des Eatholifchen Glaubens, als in der ‚heiligen Schrift und auf 
Überlieferung gegründet; die Proteftanten und die griechifche Kivche haben ihn 


Dffenbarung Johannis 21, V. 27, fodann 2, Makkabaͤer 12, fg., 
Matth. 25, Lucas 12, DB, 58, 4. Korinther 3, V. 2. Von den Kirchen; 
sätern haben befonders Drigenes und Auguftin die Idee des Fegfeuers augges 
bildet, und die finftern katholiſchen Dogmatiker, mit Hülfe des grübelnden 
Monchsgeiſtes, haben diefe Lehre in die Licherlichlten Hypotheſen ausgeſponnen. 
Sie feßen das allgemeine Fegfeuer neben oder rund um den Höllenpfuhl; fie bes 
Baupten, ein Sunfe des Feofeuers fei empfindlicher denn aller Förperlicher 
Schmerz; jeglicher Fromme werde darin gereinigt, und zwar an dem Gliede ge; 
brannt, womit er gefündigt babe; durch Seelenmeſſen ıc. werde der Aufenthalt 
im Fegfeuer erleichtert und verkürzt, manche Seelen hätten ihre befondern. Fege 
feuer auf gewiffen Orten der Erde, wohin fie gebannt mürden, z. B. in Backofen ıc, 
und befonders da, wo fie eine Hauptfünde begangen hätten ꝛc. Der hiftarifche 
Urfprung des Feafeuers iſt in der Platon’fchen Philofophie, und zwar in der 
ſchoͤnen, aber hernach fo verunftalteten Borftellung von einem Reinigungszuftande 
nach dem Tode, zu fuchen, welche die Kirchenväter, namentlich Clemens von 
Alerandrien (flarb 220 nach Chr.), in das chriffliche-Religionsfuftem auf diefe Art 
eingeſchwaͤrzt haben. Papſt Gregor I., der Große, mar es, welcher infonderbeit dies 
fer Lehre ihre völlige Ausbildung gab und aus ihr einen einträglichen Erwerbszweig 
für die Priefterfchaft ableitete. Auf den Concilien fam das Fegfeuer zuerft 1439 
auf dem zu Florenz zur Sprache, Die proteftantifchen Theologen haben diefes 
Dogma mysglichft angegriffen, was ihnen bei deffen Entflellung durch das Monchs⸗ 
thum fehr leicht werden mußte. Philoſophiſch betrachtet ift es, mie jede andre 
Hypotheſe über den Zufland der Seelen nach dem Tode, Sache des Glaubens, 
wad übrigens in folgerechtem Zufammenhange mit andern katholiſchen Glaubens: 
kehren. Der Religion der Phantafie fagt diefe Feuerreinigung, fowie die Wirkuns- 
gen frommer Fürbitten und Süßnopfer, fehr zu, und die Unvollkommenheit des 
irdiſhen Menſchen gibt fogar innere Gruͤnde an die Hand, einen allmäfigen Lber:. 


5 Fegfener (Tafel) 

gang in die vollfenmene Seſiʒfei⸗ eine Kemigunz wat finnlichen 
Exhefiiche Kirche mim een Mittelpifland fr 
nıche fe gramtbife fiat, Taf fur Das Zees ter ewigen 
vertirarn, die aber am mach macht fe weremmgt find, daß fie der 





die Syeiligfeit Gottes, den ohne Syeiligkeit Niemand fehen, d. 6. mit chen in Ver⸗ 


mi verfiel, die zu einem 
genanen Umgange mit ihm erfodert wird (Offenbarung 21, 27). Schon die 
Sjuben hatten diefe Schre. Judas ter Makkabſser ließ für die in einer Sunde 

opfern, damit fie von ter Sũnde Insgefprechen wür: 


Berbammmiß . 
(1. Job. 5, 16.17), fagt austrüdfiich, daß zwar jetes Unrecht Sünde, aber nicht 
jedes Unrecht Tobfünde fe. — Auf welche Weife übrigens die Luterung der mit 
minderer Schuld beladenen Seele bewerkſtelligt werde, iſt ungewiß, und die Kirche 
Bat die ſinnlichen Begriffe, die Manche hierüber haben, nie anerfannt. Wenn 
die Bruderliebe uns gebietet, für das unferer Nebenmenfchen zu bitten (Ja⸗ 
ob. 5, 16), follte fie uns nicht auch antreiben, für diejenigen unferer Brüder 
unfere Wunſche zu Gott zu fenden, von denen reir nicht wiſſen, ob fie in jener 
Zaffung diefes Leben verlaffen haben, welche fie zu dem Genuffe ihrer völligen Se: 
figfeit tũchtig gemacht habe? Würde es nicht hartherzig fein, ihnen eine Art von 
Ife zu entziehen, von der es unmöglich ifl zu bemweifen, daß fie ihnen unndß fey? 
f die jüdifche Kirche für die Berflorbenen betete, erhellt aus der oben angeführ: 
ten Stelle der Makkabaͤer. Und in den älteften Documenten des chriftlichen Alter: 
thums finden wir diefes Gebet als etwas Ungezweifeltes und Allgemeines. Nicht 
bloß im Privatnachrichten gefchieht Davon die deutlichfte Meldung, fondern in allen 
Liturgien, die den Glauben aller Kirchen enthalten, kommt das Gebet für Verſtor⸗ 
bene vor. Auch die Kirchenwäter find von jeher diefer Meinung gervefen. Ss 
liegt doch gewiß etwas Menfchliches in dem Gedanken, daß man feinen abgeſchiede⸗ 
nen $reunden noch nüßen Eonne; preßte ja doch dem Nömer diefes edle Gefühl den 
Wunſch aus: Sit tibi terra levis! lberhaupt betrachtet der Katholik ſammt⸗ 
liche Glaͤubige als Einen Körper, ſowol die Bier flreitenden, als die in jenem Leben 
wallenden. Die Liebe vereinigt Alle, aus Liebe beten die Streitenden für die noch 


„ Verboten, wenn ber 


Fehde Fehrbellin 55 


unvollendeten Abgeftörbenen, — Daß man die vernünftige Anficht des Reini: 
gungsactes und des den Derfterbenen zu weihenden Gebets zu fehindlichen Ser 
winnszwecken gemißbraucht habe, kann Keiner, der die Sefchichte des Ablapframs 
fennt, LAugnen. Das Eoncilium von Trient hat ſich aber dagegen erklärt, indem 
es in dem in feiner XXV. Sitzung abgefaßten Decrete de purgatorio überhaupt 
Folgendes über das Fegfeuer decretirte — nicht aber als Slaubensfag vorfchrieb: 
„Da die atholifche Kirche, vom heiligen Geiſte belehrt, aus der heiligen Schrift 
und der uralten Läberlieferung der Kirchenväter auf heiligen Concilien und zuleßt 
auf gegeniwärtiger dEumenifcher Synode gelehrt bat, dag ein Neinigungsort fei und 
den Dort aufbewahrten Seelen durch die Fürbitte der Gläubigen, vorzüglich aber 
durch das angenehme Opfer des Altarfacraments geholfen werde: fo befiehlt die 
heilige Synode den Bifchöfen, dafür zu forgen, daß die gefunde Lehre vom Reini: 
Sungsorte, wie fie von den heiligen Vätern und Concilien überliefert worden, von 
den Ehriftgläubigen geglaubt und darob gehalten, und daß fie gelehrt und allent: 
halben gepredigt werde. Bei dem gemeinen Volke foll man jedoch die beſchwer⸗ 
lichern und feinern Sragen, welche zur Erbauung nichts beitragen, und aus denen 
meiſtentheils der Frömmigkeit fein Zuwachs kommt, von den Bolkspredigten aus: 
ſchließen; zugleich follen fie nicht erlauben, daß Dasjenige, was ungewiß oder wahr: 
ſcheinlich falſch ift; verbreitet und behandelt werde. “Das aber, was auf eine ge: 
wiffe Neugierde oder Aberglauben binzielt, oder gar nach einem fehändlichen Ge: 
winn ſchmeckt, follen fie als Argerniß und als die Gläubigen beleidigende Segen: 
finde durchaus verbieten”. v. e. K. 
Fehde (faida, diffidatio), ein offenet Krieg einzelner Familien gegen ein: 
ander, hauptfichlich als Blutrache, für einen erfchlagenen Berwandten. Schon 
Tacitus fpricht davon, wie man denn diefe Gewohnheit bei allen noch rohen Vol⸗ 
fern wiederfindet. PN den germanifchen Neichen waren fie allgemein, und nur dann 
eleidiger fich roeigerte, die geſetzliche Genugthuung zu leiften, 
beſonders das Sühmegen (compositio) zu bezahlen. Noch die fpätern Geſetze, die 
Landfrieden der fchroäbifchen Kaiſer und Kaifer Rudolfsl., die goldene Bulle u.f. w. 
erfennen das Recht der Fehde an, wenn fein andres Mittel übrig ift, zu feinem 
Rechte zu gelangen. Durch die Stiftung partieller Verbindungen, des rheinifchen, 
des ſchwaͤbiſchen Bundes u. a., zu deren Grundgeſetzen es gebörte, daß die Mit: 
glieder ihre Streitigkeiten gütlich oder rechtlich (durch Schiedsrichter oder Austräge) 
ausmachen, fich aber nie befehden ſollten, wurden die Fehden vernundert, und vom 
Anfang des i6. Jahrh. an alles Mögliche gethan, um den Landfrieden aufrecht zu 
halten. (5, Fauſtrecht und Landfriede.) 57. 
Fehmgericht, f. Femgericht. 
Fehrbellin, Städtchen in der Mittelmark im oſthavelland. Kr. des Re⸗ 
gierungsbez. Potsdam, am Rhin, mit 1200 Einw., merkwuͤrdig durch den Sieg 
des großen Kurfürften Friedrich Wilhelm (f. d.) von Brandenburg, 1675 am 
18. Juni, durch welchen er fein Land ımter den bedenflichften Umſtänden rettete. 
Als Mitglied des deutfchen Reichs hatte er, als 16714 der Krieg des Reichs gegen 
Ludwig XIV. befchleffen wurde, 16,600 Mann feiner Truppen nach dem Elſaß ge: 
führt, für die er von Dftreich, Holland und Spanien Subfidien bezog, Je mehr 
man am Hofe zu Paris das Gewicht eines folchen Heerführers kannte, und je mehr 
man darüber erbittert war, daß der Kurfürſt nicht bloß als Mitglied des Reichs, 
fondern in Folge der Subfidien feindlich auftrat, deſto mehr arbeitete man von dort 
aus, ihm Feinde im Hüden zu erwecken, und die Schweden, von Frankreich aufge: . 
müntert, fielen unter dem General Wrangel zu Ende 16714 von Pommern bee 
in die Mark Brandenburg ein. Der Kurfürft, welcher am Main in den Winters 
Wartieren ſtand, verlangte von ſtreich, von Holland, von Hanover und den an⸗ 
dern deutfchen Färflen die Hilfe, bie ihmn, der nur für Deueſchiands Schug in die: 


| 8 
56 Fehrbellin 


fen Krieg verwickelt war, mit Recht gebuͤhrte. Mehre Monate lang hoffte er ver⸗ 
geblich durch Unterhandlungen Das zu erlangen, was ihm die Gewalt der Waffen 
binnen 8 Tagen verſchaffte. Er brach im Anfange des Juni aus Franken unver⸗ 
muthet auf und marſchirte fo raſch, daß, als er Magdeburg am 11. Juni erreichte, 
die am rechten Ufer der Havel liegenden Schweden nicht das Geringſte davon erfah⸗ 
ren hatten, Magdeburgs Thore wurden verfchloffen gehalten und Keinem der Aus: 
gang gellatte: am folgenden Tage Abends um 9 Uhr ging die ganze Reiterei über 
die Elbe, 10 leichte Geſchütze begleiteten fie; 1000 M. ausgefuchtes Fußvolk folg- 
ten auf 146 Wagen nach, von denen jeder einen Kahn geladen hatte. So wurde 
den ganzen Tag marfchirt, und am folgenden (14. Juni) land der Kurfürft Abends 
eine Stunde vor Rathenau. 600 M. Fugvolf gingen lie in den mitgebrachten 
Kähnen über die Havel. Die Reiterei hatte fich durch Liſt und Gewalt in den Be⸗ 
fiß der Brüde gefegt. Mit Tagesanbruch war die Stadt umringt, der Eingang 
erzwungen, und Alles, was ſich von Schweden vorfand, niedergehauen oder ge: 
fangen genommen. Durch diefen Überfall war die ſchwediſche Linie, die fich upn 
Havelberg bis Brandenburg ausdehnte, im Mittelpunfte durchbrochen. Xu 
Schweden eilten rafch von Brandenburg nah Nauen zu, immer in den Slanfen 
und dem Rüden aufs lebhaftefte von den preuß. Dragonern gedrängt, und auf 
jedem Schritte Gefangene, Gepäck verlierend., Der Kurfürft batte bereits die 
Brüden, die über das hinter 5. fließende Waſſer führen, abmerfen laffen, und die 
davon zurüdehrenden Reiter trafen bereits auf die Schweden, die nun fahen, daß 
obne Schlacht auf dem diesfeitigen Ufer der fernere Rüdzug nicht möglich fei. Sie 
machten daher bei Havelberg, eine Stunde vor $., Halt. “Der Kurfürft fand bei 
feinen Unterbefeblehabern, als er den Angriffsplan mittheilte, die Meinungen vers 
ſchieden. Es fchien diefen zu gewagt, mit bloßer Reiterei — denn das Fußvolk hatte 
nicht folgen konnen — die Feinde anzugreifen. “Dagegen bemerkte der Fürſt, wie: 
der Feind beflürzt, und General Wrangel, der das ganze feindliche Heer befebligte, 
mit den beflen Truppen in Havelberg abgefchnitten fei; wie Unentfchloffenheit alle 
Schritte der Schweden hier laͤhmen müffe; und fo griff er am Morgen des 18. 
raſch an. Sein linker Klügel litt anfangs nicht wenig vom feindlichen Geſchütz. 
Endlich warf er die feindliche gegenüberftehende Reiterei. Das ſchwediſche Fußvoik 
_ machte einen rafchen Angriff auf das brandenb. Geſchuͤtz, allein die brandenb. Leib⸗ 
trabanten und die anhaltifchen Krieger trieben fie zurüd‘; fo war bald nach 8 Uhr 
der Sieg entfchieden. Der Feind z0g, jedoch in ziemlicher Ordnung, nach F., und 
Binterlieg 1500 Todte, außer ebenfo viel Bermundeten. In der Fact ftellte er 
die Bruͤcken wieder ber, und als früb Morgens die kurfürſtl. Truppen einrüdkten, 
nahmen fie den größten Theil des Geſchützes und Sepädes. Die Feinde eilten nun 
im vollen Marfche nach Ruppin und Wittſtock, daß der Kurfürft fie kaum erreichen 
Eonnte. Was der Sefangenfchaft entging, wendete fich zum größten Theil nach 
Hamburg und nahm hier andre Kriegsdienfle. — Die Stärke des in den Staaten 
des Kurfürften ſtehenden feindlichen Heeres betrug überhaupt 20,000 M. Man 
kann alfo die Maffe der von Brandenburg nach F. bin aufgejagten Feinde höchftens 
zu 10,000 M. annehmen. Allein der Kurfürft felbft führte nur in Allem etwa: 
6000 M. heran, lauter Reiter, durch den Marſch aus Franken erfchöpft, und 
‚ gewann mit ihnen die Schlacht, fodaß der Feind auf Diefer Seite nicht mehr Stand 
Halten Eonnte, und auf der andern nicht mehr zu halten wagte. Er hatte mit einem 
Schlage die Sicherheit feines Landes. Bergeftellt und machte fich zum Herrn vom 
größten Theile Pommerns. Inſofern hatte das Treffen Folgen, wie fie manche 
große Schlacht in neuerer Zeit nit hatte. Ein Denkmal auf der Anhöhe bei. er⸗ 
innert an jenen Tag. Der Stallmeifter Sroben foll an dieſem Tage dem KRurfürften 
Das Leben dadurch gerettet haben, daß er ihm fein Pferd gab, um die Aufmerkfams 
Feit der Feinde von dem Schimmel, den der Kurfürft ritt, zu leiten. Eine Kanonen: 


KFeigen Feitch 57 


kugel ſtreckte den Edeln zu Boden. Pufendorf in ſeiner, Geſchichte des gr. Kurf. 
v. Brandenb.“ ſagt Nichts davon, ſondern bemerkt nur, es habe den Stallmeiſter 
eine Kugel getödtet, als er zurüdgeritten ſei (retro equitantem). ‘Da er in Berlin 
felbit (1694) diefe Worte fchrieb, fo dürfte alfo jene Aufopferung wol in Zweifel 
gesogen werden. Ludwig XIV. hatte, feinen Zweck, den im Kelde fo thätigen 
Kurfürfien aus der Reihe feiner Feinde zu verdrängen, volllommen erreicht; deun 
Sriedrih Wilhelm war nun theils damit befchäftigt, Pommern zu erobern, theils 
das Eroberte zu befchüßen, und daher nicht im Stande, am Kriege gegen Lud⸗ 
wig XIV. Theil zu nehmen, mit dem er im Segentheil einen Separatfrieden zu 
fihließen fuchte, 

S eigen, die getrodneten Früchte des Feigenbaums, gedeihen vorzüglich 
auf den Inſeln des griech. Archipele und des mittelländ. Meeres, ſowie in den dies 
Meer begrenzenden Ländern. Der Geigenbaum, welcher bei uns in Töpfen gegagen 
wird und flein bleibt, erreicht in jenen Ländern die Höhe eines Birnbaums. Die 
Blüthe der Feigen fit, von Außen unfichtbar, innerhalb der Frucht verfchloffen. 
. Die fünftliche chtungsart der Feigen, welche in der Levante gebräuchlich ifl, 
indem mon die abgepflücten männlichen Blüthen auf die Baͤume bringt, welche 
bloß weibliche Blüthen tragen, nennt man Saprification. in fo behandelter 
Daum kann 2 bis 3 Tentner Feigen liefern. Die geringe Öffnung der Feigenblüthe 
erſchwert ſehr das Eindringen des männlichen Blüthenflaubes auf die weiblichen 
Blüten durch den Wind. Gemeiniglich gefchieht diefe Mittheilung durch die 
Fliegenwespe, die ihre Eier in die innere Hohlung der Geige legt. Aus diefen Eiern 
entfiehen Larven, die ausgebildet hervorkriechen, fich verpuppen, und bald als ges 
flügelte Inſekten die männlichen und die weiblichen Feigenblüthen beſuchen. Durch 
den an ihren Flügeln hängen geblirbenen männlichen Bluthenſtaub befruchten jene 
Inſekten die weiblichen Blüthen, Im Handel find befonders dreierlei Sorten von 
Feigen, die fmyrnifchen, die genuefifchen und die von Marfeille, bekannt. — Der 
fogen. Feigenfäfe, welcher aus &panien und Portugal zu ung fommt, wird 
aus den erlefenften Feigen, mit gefchälten Mandeln, Nüſſen, Pinien, Piſtazien 
und fonftigen feinen Gewürzen und Kräutern vermengt, in eine Käfeform gepreßt 


und als Confect gebraucht. Aus dem Hole des Keigenbaums werden jierliche 


und dauerhafte Sachen gemacht, 3. B. Tabadsdofen, Gewehrſchaͤfte ıc. 

Feit h Mhymvis), einer der erften neuern Dichter Hollande und mit Bil⸗ 
derdyk (f.d.) Wiederherfteller der verfallenen bolländifchen Poeſie, geb. d. 7. Febr. 
1753 zu Zwoll in Oberyffel, flammt aus einem Sefchlechte, das ſchon mehre in 
©taatsimtern oder der Literatur ausgezekhnete Männer, z. B. den Verf. der 
„Homeriſchen Alterthuͤmer“, Eberhard Feith, hervorbrachte. Er zeigte früh die 
glücklichſten Anlagen zur Dichtkunſt. Nachdem er in Leyden die Rechte ftudirt 
hatte, lebte er 1770 in ſ. Vaterſtadt feiner Lieblingsbefchäftigung. Auch als Bürs 
germeifter und bald darauf Einnehmer beim Admiralitätscollesium in Zwoll hörte 
er nicht auf, die Dichtkunft auszuüben und die holländifche Literatur mit vorzügs 
lichen Werfen zu bereichern. Mehre feiner Schriften wurden von den gelehrten 
Geſellſchaften Hollands mit Preifen gefront. Die poetifche Sefellfchaft zu Leyden 
erfannte 1785 zwei von ihm eingefchickten Lobgedichten auf den Admiral Runter 
die beiden erften ‘Preife au; F., mit der Ehre zufrieden, wollte die Denkmuͤnzen 
nicht annehmen. Die Geſellſchaft ſchickte ihm dagegen Wachsabdrüde der beiden 
Münzen in einer filbernen Kapfel, worauf das Bildnig des befungenen Helden 
-gegraben war, mit der Inſchrift: „Unfterblich wie er’. Spaͤterhin, bei einer aͤhn⸗ 
lichen Gelegenheit, ſchickte er eine ihm für f, Gedicht: „Die Vorſehung“, zuerfannte 


Denfmünze derfelben Sefellfchaft gerad, mit dem Wunfche, da fie dem Dichter. 


zugetheilt werden möchte, deſſen Werk des zweiten Preiſes wuͤrdig wäre, Er vers 
fuhse ſich faſt in allen Dichterifspen Formen. . Zn frühern Beiten neigte er fich ſehr 


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58 | Felbigee Geldaͤrzte 


zu dem, beſonders von Bellamy (ſ. d.) angeſtimmten empfindſamen Tone, 
der in feinem Roman „Ferdinand und Conſtantia“ (17185) vorherrſcht und durch 
fein Beifpiel in Holland eine Zeit lang fich verbreitete. Nach dem Wiedecaufleben 
der Poeſie Hollands fchrieb er das erſte Lehrgedicht: „Das Grab”, “Diefes bat bei 
einer guten Anlage, bei vielen trefflichen Stellen und bezaubernder Melodie, noch 
viel von jenem empfindfamen Tone; ein Fehler, voovon „Das Alter” („De Ouder- 
dom“, 1802) zwar frei ift, das aber feinen beftimmten Plan bat. Unter ſ. Igrifchen 
Gedichten („Oden en Gedichten”, Amft. 1798, 3 Bde.) find mehre Hymnen und 
Dden durch hoben Echwung und Gefühl ausgezeichnet; berühmt iſt feine „Ode 
an.Rupter”. Diefen Seehelden machte er auch zum Segenftande eines epifchen 
Geſanges. Bon ſ. Trauerfpielen twerden befonders „Ihirza”, „Johanne Gray“, 
und am meiften „Ines de Caſtro“ gefchägt. In Verbindung mit Bilderdyk gab er 
Syaren’s berühmten Gedichte „De Genzen”, deffen Segenftand die Gründung der 
niederländ. Freiheit ift, eine edlere Form. Seine poetifchen Briefe an Sophie über 
die Kant'ſche Philoſophie („Brieven aan Sophie ever de Kantiaansche Wijs- 
begeerte‘, Amft. 1805) find ein ſchwaches Werk des Alters. Unter feinen profats 
ſchen Werken zeichnen fich f. „Briefe über verfchiedene Segenflinde der Literatur” 
(6 Bde., 1784 fg.), die viel zur Verbreitung eines guten Geſchmackes beitrugen, 
durch gebildeten Styl und feine Bemerkungen aus. 5. flarb 71 J. alt zu Zwoll 
im ‘an. 1824. 26. 

Felbig er (Johann Ignaz von), ein um das Fatholifche Schulweſen ver- 
Dienter Mann. Er war am 6. San. 1724 in Großglogau geboren, fludirte 
in Breslau, widmete fich dem geiftlichen Stande, ging in ein Klofter zu Sagan 
und ward 1758 Prälat. Längft mit dem Gedanken befchäftigt, wie nothiwendig 
dem Schulmwefen eine Verbefferung fei, reifte er nach Berlin, um die Einrichtungen 
der dafigen Fönigl. Realfcyule näher Eennen zu lernen. Hier war die Hihn’fche 
Literalmethode eingeführt, deren Figenthümliches darin befieht, daß man bloß 
mit den Anfangsbuchftaben der Worte die Hauptgegenflände des Unterrichts an 
die Tafel fchreibt, und insbefondere die Folge der Hauptideen in den Lehrgegen: 
fländen tabellarifch auf diefe Weiſe vorftellt. F. begann mit der Schulverbeſſe⸗ 
rung feines Stifts und dehnte diefelbe, unter Fönigl. linterflüßung, auf alle 
kathol. Schulen Schlefiens aus. Mach feinem Plane wurden Schulfeminarien 
(. Schullehrerfeminarien) angelegt, in welchen fich jeder Prediger mit der 
neuen Lehrart befanntmachen mußte. Zu Sagan hatte 5. eine Vorbereitungs⸗ 
ſchule geftiftet, und nach. diefem Mufter wurden andre, ein Hauptfeminar aber in 
Breslau angelegt, deffen Directoren und Lehrer F. felbft untermies. 17774 berief 
ihn die Kaiferin Draria Therefia zum Seneraldirector des Schulmefens nach Wien, 
wo er in den gefammten öftreichifchen Schulen die Literalmethode einführte und 
viele Methoden: und Schulbücher herausgab, unter welchen befonders fein Kate⸗ 
chismus häufig in Schulen gebraucht wird, 1782 entlieg ihn Kaifer Joſeph der 
Oberbdirection. Er ging nach Presburg und flarb hier als Propſt des Colle⸗ 
giatſtifts am 17. Mai 1788, 

Feldärzte und Feldlazarethe kamen wahrfcheiniich aus dem 
Orient zu uns. Schon die Argonauten und die Griechen auf ihrer Unternehmung 
gegen Troja hatten Feldwundarzte bei fih. Kaiſer Mauritius hatte im 6. Jahrh. 
‚ ‚eine Einrichtung zum Transport der Verwundeten, und nannte ihre Pfleger de- 
putatos. Sie hatten an der Iinfen Seite des Sattels 2 Steigbügel, um die 
Verwundeten aufzunehmen, und mußten zum Beiftand der Ohnmaächtiggeworde⸗ 
nen eine Flaſche Waſſer bei fih führen. Der byzantiniſche Kaifer Leo VI., im 
9. Jahrh., nennt diefe deputatos Ärzte und Krankenwaͤrter. König Heinrich V. 
von England nahm 1445 auf ein Jahr den Nicolaus Tolnet als Seldarzt an. Ko⸗ 
ig Guſtav Adolf von Schweden fol bei jeden Regimente 4 Wundärjte anges 


> 


Belögefchrei Feld meſſen bo 


ſtelſt haben. Wei den ſtreichern wurden 1788 He Compagniefeldſcherer abge: 
ſchafft, und dafür Regimentschirurgen mit 6 Geſellen angenommen. In der 
- Mitte des 16. Jahrh. Hatte man in Deutfchland bereits, freilich fehr unvollfom: 
mene, Feſdlazarethanſtalten. Sie wurden in neuern Zeiten zwar verbeffert und 
von den Franzofen ſogar in ein Syſtem gebracht, welches fich ganz gut ausnahm. 
Auch laͤßt fich nicht verfennen, daß man diefem Segenffand überall die möglichfte 
Sorgfalt zu widmen fuchte; aber dennoch blieb er ſiets eine der dunkelften Schar: 
tenfeiten des Kriege. Das liegt in der Natur der jeßigen Kriegfährung, weiche 
fhonungsios den höhern Sefichtspunften alles Andre -aufopfert. Es kann nicht 
fehlen, daß bei der Aufftellung immer gahlreicherer Streitmaffen und der reißen: 
den Schnelligkeit, mit welcher die Ereigniſſe fich Drängen, die Verwundeten und 
Kranken fich auch auf Einer Stelle, befonders auf den Kriegsftragen, haufen. Die 
Mittel zu ihrer Wartung, Pflege, zu ihrem Unterhalte, ja felbft zu ihrem 
Unterkommen reichen nie zu, werden ihnen nicht felten durch das thätige Heer 
entzogen; fie müffen im Strome der großen Begebenheiten hülflos untergehen. 
Es ift noch nicht möglich geweſen, mit dem Vorſchlage durchzudringen, daß dem 
ganzen Feldhoſpitalweſen mit allem dazu gehörigen Perſonal und Fuhrweſen von 
Haus aus eine unverlegtiche Neutralität zugeflanden werden möchte. Man unter: 
ſcheidet inzwifchen die großen oder fiehenden Hofpitäler von den beweglichen, flie: 
genden oder Ambulancen. Es ift ein bedeutender Fehler, wenn die erftern nicht 
fo weit als möglich von der Kriegsſtraße ab und außer den Bereich der Operationen 
gelegt werden. Auch in Feftungen gehören fie nicht, wo fich ohnehin Kranke von 
der Beſatzung genug häufen, Thierfeldhofpitäfer würden ebenfalls fehr zweckmaͤßig 
fein. DBortrefffich eingerichtet find die ruffifchen und englifchen Wagen zur Forts 
ſchaffung der Verwundeten, reichen aber nie zu. Lg. 
Geldgefthrei, überhaupt das wilde Sefchrei, mit welchem ehemals 
die Krieger eine Schlacht begannen, um fi Muth zu machen und den Feind 
ja fchreden. Ss ift bei den Türken und andern rohen Völkern no Sitte. — 
engern Sinne und bei uns hat man. Feldgefchrei, Parole und Lo: 
fung zu unterfcheiden, woran fich die Parteien hm Felde, zumal in der Nacht, 
erkennen. Erſteres pflegt der Mame einee Orts, die Parole der Name einer 
Derfon, und Teßtere einer Sache, oft au eine Phrafe oder ein verabredetes 
Zeichen, ein Ton zu fein. &ie müffen augenblidlich verändert werden, wenn 
man fürchtet, daß fie dem Feinde koͤnnten verrathen worden fein. 
Feldmarfhalf, Seneralfeldmarfhartl, ber oberfte 
Befehlshaber eines ganzen Heeres, wenn Fein Sieneraliffimus befteht. Bei dem öftr. 
kaiſerl. Heere fteht der Feldmarfchall zroifchen dem General en chef und dem Feld: 
jeugmeifter. — Feldzeichen, alles Das, was Officiere und Soldaten bei einem 
nächtlichen Unterneßnien, um fich gegenfeitig zu erkennen, tragen, 3. B. ein weißes 
Tuch um den Iinfen Arm, eine weiße Hutcocarde, fonft auch Alles, wag eine, bes 
fonders alliirte Armee, zum feſten Kennzeichen anlegt, 3. B. bei den Öftreichern - 
ein grüner Ziveig auf dem Hute. — Feldzeugmeifter, ehemals der Befehls: 
haber der ganzen Artillerie, jegt bei den Öftreihern der Rang zwifchen dem 
Feldmar ſchallleutenant und dem Feldmarſchall. 
Feldmeſſen, entweder bie Ausmittelung des Flaͤchenraums gewiſſer 
durch Felder, Wälder, Wieſen, Wege, Gewäaͤſſer und Gebäude ſich bildender Fi: 
guren, öber die Entwerfung eines verjüngten, ber Natur ganz ähnlichen Bildes 
diefer Segenflände im Srundriß auf einer ebenen Fläche. Da die Feldmeßkunſt 
ein Zweig der angewandten Mathematik iſt, fo ſetzt fie gründliche Kenntniſſe der 
Arteiimetif und Geometrie voraus. Das Ausmeffen felbft gefchieht mit mehr 
oder weniger zuſammengeſetzten Inſtrumenten. Linien werden mit Meßſtangen, 
Meßtetten und Meßleinen im Dinge gefunden. Bu Winkelmeffimgen dient das 


60 Feldyrediger — 
Aftrolabium, Per 


empfe zur p 
berg’s „Seodäfte” (181 1): Lehmann’s „Anweifung zur —— Er ennung und 
genauen Abbildung ter Erdeberfläche” (1812), md». 9. Schlieben: „Der ſelbſe⸗ 
Iernende Seldmeffer“ (1811). 

Geldprediger. Die erfie Kirdpenverfammlung zu Regensburg vom 
J. 7142 — daß jeder Heerführer ein Paar Biſchofe nebſt Prieſtern und 
Kaplanen, und jeder Oberſte einen Beichtvater bei ſich haben felle.. “Die Fran: 
zofen hatten neuerdings die —— außer Gebrauch gebracht, dagegen legte 
man im legten Befreiumgsfriege wieder größern Werth auf religiefen Ginn bei 
den verbündeten Heeren. 

Feld wacht, inder Kriegskunft, ein vorgefchobener Poften, welcher das " 
Lager vor ploglichen Anfällen ſchaͤtzt. öl bat vor ſich noch Deppeipefien und 
Dedetten, hinter ſich einen flärtern Trupp zur Unterftügung; im Lager felbft iſt 
Snpbchen Angriffe 1a unerfiähen. Da Da8 yeige Srtennen und Aufpalrn bes 
ein? nagriffe ennen 
Feindes ihr Zwed ift, fo richtet ſich ihre Stärke und Aufftellung nad) den Umftän: 
den, der Hrtlichkeit sc. Doch wird man nie durch Seldwachten allein ficher fein, 
und fortwährendes aufmerffames ‘Patrouilliren bleibt unmer nötbig. 

Gelicitas, bei den Römern die Göttin der Glückſeligkeit, vorgeſtellt 
als weibliche Figur, die auf einem Füllhorn ruht, bald einen Olzmeig, bald eine 
Lanze in der Hand. —— Bezeichnungen derfelben find auch übereinander> 
gelegte Fullhorner, Kornäßren zwiſchen ihnen, in einem Scheffel fichende Korm: 
äbren, ein Setreidefchiff ıc. 

Gellenberg (dhilipp Emanuel v.), geb. 1774 zu Bern, ſchweizeriſcher 
Landwirth und Erzieher zu Hofwyl. Sein Vater, welcher Mitglied der Re: 
gierung zu Bern gewefen und eine juriſtiſche Profeſſur zu Bern, auch die Stelle 
eines dvogts zu Wildenſtein im Aargau bekleidet bat, wandte die größte 
Sorgfalt auf feine Erziehung, Mehr noch that diefes feine Mutter, eine Enkelin 

des berühmten Admirals Tromp. 1795 kam F. in das Inſlitut Pfeffel's zu 
Kolmar. Nach einigen Jahren Eehrte er in die Schweij zuräd. Ununterdrochenes 
Studium hatte feine Geſundheit gefchroächt; um fie zu flärken, und um in jeder 
Eelbftverläugnung fich zu üben, that er freimillig auf die fginern Speiſen und 
Setränfe des väterlichen Tifches Verzicht, begnügte fich mit Waſſer und Bröt 
oder einfacher Haferfuppe, haͤrtete feinen Körper ab und verwendete fein Erfpar: 
tes zu wohlthätigen Zwecken. Am meiften war es ihm um Kenntniß des Den: 
ſchen in allen Ständen und Verhältniffen zu thun. Zur Vollendung feiner Lehr⸗ 
‚Jahre begann er daher fchon früh die Wanderjahre. Allein anflatt in großen 
Städten lebte er in Dörfern mit dem Volke, deffen Sebräuse, Bedürfniffe und 
Ideenkreiſe er fludirte, nicht nur in allen Cantonen feines Baterlandes, fondern 
auch in Frankreich, Tivol, Schwaben und andern deutfchen Ländern. Eines Ta: . 
ges fprach ihn zu Rigolsau ein junges Frauenzimmer an, er möchte ihren Oheim 
zu einem troftreichen Glauben befehren, da er, von religiöfer Schwaͤrmerei wer: 
leitet, an feiner Seligkeit verzweifelte. Der Antrag reijte den 18jährigen Mens 
fhenbildner um fo mehr, je abenteuerlicher es ihm vorkam, daß er einen 30 Jahre 
ältern Mann befehren follte. Der Oheim war taub. %. machte fich ihm bald 
durch Gebarden verfiindlich. Der Dann gewann ihn lieb, und fie wurden einig, 

ahr lang mit einander ganz allein am Züricherfee zu leben, zum zu verfuchen, 
7 iner den Andern zu feinem Glauben oder Unglauben bekehren konnte. Es 


| | Fellenberg | | 61 


geleng Keinem von Beiden. Allein: diefer Dorfall und die Befanntfchaft eines 

jährigen Genfers, der ihn bat, daß er ihm einige angenormmene böfe Se: 
wohnheiten abgemöhnen möchte, beftimmten F., der außerdem fehr freigebig 
und wohlthätig war, noch entfchiedener für Volksbildung und Erziehungs 
weſen. Auf diefen Kreuz: und QDuerzigen fludirte er griechifche Literatur 
und Kant'ſche Philofophie. Auch Peſtalozzi ſah er öfter, und ehrte den von 
feinen Mitbürgern oft verfannten Mann ſehr hoch. Inzwiſchen näherte fich 
der Zeitpumft, in welchem F. feine Ideale in die Wirklichkeit rufen wollte. Aber 
der Gang der franz. Revolution und der öffentlichen Angelegenheiten in der 
Schweiz bedrohte die Sicherheit jedes großen Unternehmens. Aus Furcht, ein 
freies Baterland einzubüßen, bewog er feinen Vater, einen Theil des Vermögens 
in den öffentlichen Fonds von Amerika anzulegen. Aber der Unterbändler, deſſen 
fie-fih dabei bedienten, war-ein Berrüger, und F. erhielt keine Zuruckzahlung: 
ein Umftand, der nicht ohne Einfluß auf feine Lage blieb. Bei der 1798 in ſei⸗ 
nem Baterlande entflandenen Revolution verhielt er fich leidend. Er übernahm 
r das Amt eines Quartiercommandanten der obern Diftricte des Cantons 
und Teiftete als folcher bei dem Bauernaufftande des Oberlandes wichtige 
Dienſte; als man aber fine den Bauern gemachten Zuficherungen richt er= 
füllte, nahm er feinen Abfchied und beharrt feitdern in dem Entichluffe, feine 
öffentliche Stelle mehr zu befleiden und allein feinem Lieblingsfache, der Land: 
wirthſchaft, * leben. Vermaͤhlt mit einer liebenswuͤrdigen Frau, die ihn zum 
ater hoffnungsvoller Kinder machte, baute er bereits 1199 einen 
rten zu Kerfaß unweit Bern. In demfelben Jahre Hatte er, gemeinfchaftlich 
mit feinem Dater, das But von Hofwyl, 44 Stunde von Bern, um 225,000 
fran. Livres erkauft, und brachte es 2 Jahre fpäter, nach feines Vaters Tode, 
jan fih. Bon nun an ging er muthiger dem großen Ziele feines Lebens, der 
Hung des Landbaues und der Menfchen, die ihm gewidmet find, entgegen. 
Kaum hatte er auf feinem Gute den beffern Anbau des Bodens begonnen, als er 
mit Peftalozzi, ‘der eben didGrundzüge feiner Methode entworfen, in Berbindung 
trat. Die Schule deffelben ward von Burgdorf nach dem Schloſſe Buchfee vers 
legt, welches nahe den Fellenberg’fchen Äckern umd nur einen guten Buͤchſenſchuß 
von den Hofwylgebaͤuden Tiegt. Beide Maͤmer wollten gemeinfam das Werk 
keiten; ihre durchaus entgegenftehenden Sharaftere vermochten fich aber nicht zu 
ertragen. Jeder hatte bald bittere Klage über ben Andern zu führen; Sellenberg: 
dag Peſtalozzi fich der nöthigen Ordnung in dfonomifchen Dingen nicht fügen 
wolle ; ımd Diefer: dag der Andre aus ihrer Berbindung nur Gewinn zu ziehen 
fuche ımd berrfehfüchtig fei. Endlich tremmten fie fih. Peſtalozzi begab fich nach 
Iferten; 5. bingegen fuhr mit verdoppeltem Eifer fort, durch neue Einrichtun⸗ 
gen, nach dem Vorgang englifcher und deutfcher Agronomen, den Ertrag ſeines 
tes zu heben , und ſowol auf die Dörfer der Umgegend durch fein Beifpiel zu 

wirken als durch Herausgabe landwirthſchaftlicher Blätter die Welt mit feinen 
Berfuchen befanntzumachen. Schweizeriſche Hkonomen und Freunde der Agri: 
caltur famen zur Berathung und zu landwirtbfehaftlichen Feflen nach Hofwyl, mo 
zugleich umter die beften Arbeiter des Guts reife vertheilt wurden. In gleicher 
Zeit führte er aus, was Peſtalozzi nicht gelungen war, nämlich die Anlage 
eines Inſtituts für gänzlich verlaffene Kinder, die er großentheils von der: Land: 
- firaße aufraffte und fo behandeln Tieg, daß fie gefittet und brauchbar werden moͤch⸗ 
tm. An Herrn: Wehrli, einem fehlichten, gutherzigen, fi) ganz der Sache hinge⸗ 
benden Landmanne, fand er den paflichften Führer diefer mit der Landwirchfchaft 
verbundeken und durch fie beftebenden Anſtalt. — Außerdem! ward ein bfono: 
hen: Gehrinſttrut erbffnet, wozu man von der.berner Regierung einſtweilen das 
wo ſrecſtehende Schloß Vuchſee eingerhumd erhiéelt. Es fanden fich: junge 


4 


62 Sellenberg 


Männer, ſowol ermachfene Söhne vornehmer Landbeſitzer als auch. ſolche, bie 
dereinft in Dermwaltung fremder Güter ihren Erwerb fuchen wollten, und felbft 
ältere Herren bei ihm ein. Nöthige Lehrer und praftifche üÜbungen für die Zog⸗ 
linge wurden beforgt, und $. felbft übernahm die Vorleſungen über den Lan: 
bau. - Hiermit trat 1808 der Gedanke einer durchgeführten Erziehung für Kins 
der höherer Stände in Verbindung; anfangs nur Flein und an den Hausbedarf 
ſich anfchliegend, da F. für feine eignen und einige. ihm anvertraute Sohne eis 
nen Erzieher bedurfte, bald aber an Zahl der Zöglinge und Lehrer beträchtlich 
roachfend. — Daß in jenen Jahren einige Male die Dorflehrer des Cantons 
nach Hofwyl geladen wurden, um ihnen dort beffern Unterricht zeigen und fogar 
ertbeilen zu laffen, verdient gleichfalls der Erwähnung, wenn auch der Erfolg ges 


ring war, und die Erneuerung folcher Berfanmlungen gehemmt rourde. — Auf 


diefe Art find die hofwyler Anftalten (fe Hofmwy!) mit und nacheinander entſtan⸗ 
den, und zwar fo, daß jede zur Förderung: des Sedeihens der andern beitrug, alle 
aber die größte Sorgfalt des aemeinfchaftlichen Hauptes erfoderten. Ungeachtet 
feiner vielen noch durch ausgebreiteten Briefwechſel vermehrten Gefchäfte fuhr 
der Stifter fort, auf Verbefferungen und neue Anlagen zu finnen. Eine ihm 
zu Händen gefommene Überficht der verfchiedenen, freilich nur mercantilifchen, 
aber großartig ineinandergreifenden Fabriken des magdeburger Kaufmanns Nas 
tbufius (f. d.) erregte in ihm, wiewol er fein eignes Thun als Refultat höherer 
Ideen betrachten mußte, mancherlei Bedenken und Projecte. Eine Fabrication 
von Rübenzuder hatte er fchon früher in Plan gehabt, nun aus eine Bierbrauerei 
urd Branntweinbrennerei. Allein die Ausführung diefer Projecte unterblieb,. 
So befchäftigte ihn einmal die Erwägung, ob eine Gasbeleuchtung feiner vielen 
Gebäude und Werkftätten nicht erfprießlich fein würde, Über Alles ging ifm aber 
der Entwurf einer pädagogifchen Nepublif. Er gedachte namlich außer Hofwyl 
noch mehre Erziehungshäufer, felbfi in andern Santonen der Schweiz, zu ers 
richten, alle unter feiner Leitung, und zwar fo, daß es einem Lehrer freifiehe, 
etwaigen Colliſſonen ausweichend, das eine mit dem ridern zu vertaufchen, wos 
durch eine perfönliche Harmonie unter den Lehrern jeder Anftalt möglich werde, 
Diefen weitausfehenden Plan zu verwirklichen, wuͤnſchte ee zunächft den Beſitz 
des Schloffes zu Iferten im Santon Waadt, wo Peftalozzi’s Inſtitut ſchon 1817 
den Sinfen nahe war. Eine völlige Ausſehnung mit Peſtalozzi ward eingeleitet. 
Dem verehrten Sreife follten feine lebten Lebensjahre verfüßt werden, indem F. 
die dronomifche Rettung und fernere Leitung des Inſtituts auf fih nehmen, 
zugleich aber die Anlage einer Armenanftalt auf Peſtalozzi's Gute Neuhof im 
Santon Aargau fordern wolle, wozu ſich vielleicht Herr J. Schmid koͤnne ges 
brauchen loffen. Herrn Peſtalozzi flehe es dann frei, fich abwechfelnd in Iferten, 
Hofwyl oder zu Neuhof als geliebter und gepflegter Vater aufzuhalten. Diefer 
Plan ſcheiterte. Auch rietd man F., feine Kräfte durch zu weit verzweigte 
Anernehlnungen nicht zu zerfplittern, und fie vielmehr auf die intenfive Voll: 
endung des bereits Geſtifteten zu richten. Bald fab er fich auch in dem fol: 
genden Jahre genöthigt, feine Iandwierhfchaftliche Lehranflalt zu Buchſee eins 
gehen zu laſſen, weil das andre Inſtitut zur Erziehung der höhern Stände 
zu einem bedeutenden Umfange herangemwachfen und unter allen hofwyler Stife 
tungen die reichfle geworden war. — So ift 5. nicht bloß Landwirth; er ver: 
dient auch als Stifter eines großen "Philantropins und einer Armenfchule, 
wie feine bisher geweſen, genannt zu werden. F.'s Außeres verkündet den 
ernften, vielfach befchäftigten Mann, der fteb weder vernachläffige noch irgenb 
der Mode huldigt.: ‚Allen Schimmer und Schein für feine Perſon und Familie 
verfchmäßend, Iebt er nur der Ausführung:feinge philantropiſchen Plane, und 
bat feit 20 Jahren als Privatmann: mehr gewirkt, als in den Auen, weiche 


Fellenbeg 63 


die Herren von Bern, mit ‘denen er feit der Zeit der belvetifchen Regierung 
nicht im befien Vernehmen ftand, ihm als einem Verwandten des Haufes Wat⸗ 
tenwyl hätten verleihen können, Er bat feine Uninerfität befucht, wohl aber früh 
feinen im Denfen geübten Geiſt aufs thätige Leben und auf Abhülfe mancher Ge: 
brechen im Staate gerichtet. Wahrfcheinlich würde er in der Zeit der helveti⸗ 
ſchen Unruhen mehr bervorgetreten fein, wäre ihm bei innerer Stärfe der Lei: 
denfchaft die Gabe der Rede in höherm Grade zu eigen geivefen; denn es wird 
ihm fchwer, ſowol ans Herz zu reden, als überhaupt fich Elar und rund auszu: 
drüden; und felbft in Entwidelung einer ihn geraume Zeit beſchäftigenden Idee 
fann er fie im gleichen Augenblicke verneinen und bejahen, und fo verwirren, daß 
man fich wundern muß, wie er dennoch Beftimmtes gedacht, Vieles combinirt und 
fo Großes praftifch geleiitet bat. Iſt er daher keineswegs flar, fo bekommt doch, 
was er fpricht, einen geroiffen Nachdruck durch die innere Thätigfeit, die es er: 
zeugt. Unempfänglich für Poefie und Philoſophie, weil beide eine Hingebung an 
eine außer unferm Treiben liegente Welt und an rein tbeoretifche Ideen erfodern, 
intereffirt ihn Alles, was fich in Beziehung auf feine Zwecke betrachten läßt, in: 
dem er fortwaͤhrend nach Mitteln zu ihrer Erreichung finnt und, wenn auch oft die 
feltfamften faft abenteuerlich ihn befchäftigen, doch die rechten Flug zu wählen ver: 
ſteht. Don früh bis ſpaͤt und Tag für Tag befchäftigt, Eennt er Feine meitern 
Dergnügungen; geftattet.er fie den Untergebenen, fo gefchieht es weniger aus 
einer Theilnabme des Gemüths als aus der Reflexion, fre feien Andern ein Be: 
dürfniß und alfo nicht wohl zu entziehen. Sein Herz wird ihm feinen Streich 
ſpielen; «8 ſteht unter völliger Zeitung des Kopfes, welthen manche für den Sitz 
feiner Leidenfchaften, ja faſt fogar feines Wohlwollens gehalten haben. Früher 
beftigen Temperaments, bat ihn die Einficht, daß Ausbrüche deffelben mit der 
lung eines Volkserziehers fich nicht vertragen, zu. dem edlen Entfchluffe ges 
bracht, es zu zügeln, und feine Selbftbeherrfchung, die nur in unbewachten Aus 
pehliden ſich verliert, ift ihm beinahe zur natürlich befonnenen Ruhe geworden. 
berhaupt muß man die Stärke und Beharrlichkeit feines Willens rühmen, der, 
mit rofttofem Thun verbunden, den eigentlichen Grund und Boten feines Ruhms 
bidet, — Mit Peftalozzi ift er nur wenig in Parallele zu ftellen. Haben gleich 
beide Männer fich für Volksbildung bemüht, fo geſchah es doch auf fehr verfchie: 
dene Art. Wenn der unfterbliche Büricher, voll des innigften Gefühle, dem Zuge 
feines Herzens und einer oft täufchenden Imagination folgend, haufig im Leben 
fein Ziel verfehlte, bis er endlich im Alter auf einige Zeit eine blühende Anftalt um 
fi ber gefchaffen fah, fo bat der caleulirende Berner, Schritt vor Schritt weiter 
gehend, in kurzer Zeit mehr und Glaͤnzenderes erreicht. Irrig behauptete man 
in Iferten: „Wir haben nicht die Mittel wie Fellenberg”. Im Gelde lagen nicht 
die Mittel allein. Abgerechnet aber, was beide Männer praftifch mehr oder we: 
niger in ihrer Nahe errungen, gehözen Peftalozzi’s Ideen der vervolllommnenden 
Wiffenfchaft. an, was fich von den Fellenberg’fchen weniger fagen läßt. Denn $. 
iſt kein Reformator pädagogifcher Principien; er hat Nichts in der eigentlichen 
Erziehungskunde geleiflet und ſieht nicht in der Literarifchen Welt gleich Peftalozzi 
da, der mie Mund und Feder als begeifterter Volksredner zu Geift und Herzen 
‚ feiner Zeitgenoffen zu fprechen verftand. Endlich ift zu bemerken, daß gerade Pe: 
ozzi es war, der zuerft auf den 27 Jahre jüngern 5. heilfam wirkte und die 
proftifche Thaͤtigkeit deffelben ins Gebiet der Erziehung hinuͤberzog. Auf Be: 
fehl des Kaifers von Rußland erflattete 1844 der Graf Tapodiftrias an ihn 
einen Bericht über die hofwyler Anftalt; und der Monarch überfandte an F. den 
&t.::Wladimirorden 4. Ttaffe. Auch ließ Kaifer Alexander mehre junge Ruffen 
und Polen dafelbft zu Lehrern und Landwirthen bilden. Map vgl. in der „Bibl. 
britannique” die Briefe des Hrn. v. 5. an Hrn. Charles Pictet von Genf, im Nov, 


64 Selonie : Semgerichte 


und Dec, 1807, und Hm. Picteys Brief ebendaſ. Letzterer Hat auch Ts 
„Blicke auf den Aderbau in der Schweiz, und die Mittel, ibn zu vervoll: 
kommnen“, ins Franzoͤſ. aberfeßt. Ferner vgl. man die Berichte über die 
Anftalten zu Hofwyl von dem Zandammann der Schweiz, von einem Toms: 
miffair des Könige von Würtemberg, von Chavannes, an die Agricultur: 
gefellfchaft des Waadtlandes, vom Grafen Tapodiftrias, und den von Reng⸗ 
ger, im Namen der zur Unterfuchung der Armenfchule zu Hofwyl von der Re⸗ 
gierung niedergefeßten Unterfuchungscommiffton (4815), S. ferner Hofmann's 
„Reife nach Hofwyl, in Auftrag der Fürftin, von Schwarzburg-Rudolftadt, mit 
Bemerkungen vom Staaterath Thaer“. Über diefe Schrift hat F. ebenfalls 
Bemerkungen befanntgemacht in Thaer?s „Annalen der Landwirthſchaft“ und 
in den „Blättern von Hofwyl“, die feit 1808 heftweiſe erfchienen find. Über 
die Lehrmerhoden in Hofwyl, weiche auf Peftalozz’s Grundfüßen beruhen, 
fehe man, außer den angeführten Schriften, insbefondere den Bericht der Her: 
ren Kuͤnzli und Berfch, Mitglieder der Negierung des Cantons St.-Sallen, welche 
im Auftrag derfelben ein ganzes Jahr den Unterricht in Hofwyl beobachtet ha⸗ 
ben; ferner Julien's „Precis sur les instituts d’education de M. de Fellen- 
ber Preis ne und die „Landwirthſchaftl. Blätter von Hofroyl” (Aarau 
" 8 1, „7 m, vJe a‘ 
1 $elonte, I) imLehnrechte die Verlegung ber Lehnstreue ſowol von Seiten 
des Lehnsherrn gegen den Dafallen , als von diefem gegen jenen; 2) jedes Ber: 
brechen, wodurch das Leben verwirkt wird (fo befonders bei den Briten), Ob das 
Wort ausdem Lateinifehen (von fallere, betrügen), oder aus dem Deutfchen (von 
fehlen), oder aus dem Fränkiſchen (von felons, Untreue) berflamme, ift un: 
gewiß. Felonie des Lehnsherrn gegen den Belehnten oder Bafallen wird begangen 
durch alle Handlungen gegen Leben, Ehre, Geſundheit und Dermögen deffelben ; 
von Bafallen gegen den Lehnsherrn, durch Wermeigerung des Lehnseides oder der 
Lehnsdienfte, Verlaſſung des Lehnsherrn in Gefahren, Bündnig mit deffen Fein⸗ 
den, DVerrath, Anklage, Offenbarung der Seheimniffe deffelben und Verfuche auf 
‚fein Leben, ferner durch grobe Beleidigung der Gattin und Familie des Lehnsherrn, 
auch unkeuſchen Umgang mit Sattin, Tochter oder Schweſter (cucurbitatio), 
Die Strafe der Felonie ift Verluſt der Lehnsherrlichkeit und des Lehns. Aus 
einer folchen Felonie entſtand die Souverainetät der Eleinen Herrfchaft Yvetot in 
Frankreich, oder das fogenannte Königreich Yvetot. Ad. 
Felsarten, fe Geognoſie. 
Femgerichte waren im Mittelalter eine Criminalanſtalt in Deutſch⸗ 
land, welche die Stelle der damals ganz in Verfall gerathenen Rechtspflege, 
beſonders in peinlichen Sachen, erſetzen ſollte. Sie hatten ihren Urſprung und 
- Hauprfig in Weſtfalen, und ihre Verhandlungen wurden mit dem größten Ges 
heimniffe betrieben; daher nannte man fie weftfälifche, auch heimliche 
Gerichte. Das Wort Tem kommt wahrfcheinlich‘ von dem altfaffifehen Worte 
verfemen her, das fo viel als verbannen‘, verfluchen bedeutet: Femgericht ift 
olfo ein Sericht; das den Merbrecher verbannen und für vogelfrei erklären kann, 
Diefe Serichtsftühle Teiteten ihren Urfprung von Karl dem Großen ber; allein 
man findet vor dem 13. Jahrh. Feine beftimmte Nachricht von ihnen. Sie das 
ben fich durch Gewohnheit und mancherlei Zeityerhälmiffe, vorzüglich nach dem 
Falle Heinrichs des Lowen (1182), ausgebildet und größeres Anfehen erhalten, 
Als das Herzogtbum Sachfen aufgelöft wurde, erhielt der Erzbifchof von Köln 
von Heinrichs Ländern Engern und Weſtfalen u. d. N. eines Herzogthume. Da⸗ 
mals mögen, bei der in der ©erichtspflege eingeriffenen Unordnung, an die 
Stelle der Gerichte, welche vorher die Bifchofe oder die Fönigl. Commiffarien 
(Missiregii) hielten, diefe heimlichen, oder — wie ſie ſich felbft nannten — Sreige: 


Bemgerichte 65 


richte, getreten fein. Während der allgemeinen Verwirrung, die zu jenen Zeiten 
in Deutfchland berrfchte, konnte es ihnen leicht werden, fich ein furchtbares An⸗ 
fehen zu verfchaffen, auch Eonnten fie bisweilen veohlthätige Wirkungen bervorbrin- 
gen, und die Raifer vergrößerten jenes Anſehen in der Folge dadurch, da fie felbft 
diefe Sreigerichte bisweilen zu ihren Abfichten brauchten, um mächtige Große 
dadurch zu fchredden. Aber fie arteten in der Folge aus, banden fich nicht mehr an 
Geſetze und Vorfchriften, und das Seheimniß, in das fie fich huͤllten, diente zulegt 
bloß dem Eigennuß und der Bosheit zum Deckmantel. Durch die große Menge 
ihrer Mitglieder, die überall verbreitet waren, wurde es ihnen möglich, ihre Wirk: 
ſamkeit über ganz Deutſchland zu erſtrecken. Wer in irgend einer deutfchen Pro: 
Yinz eine Foderung an einen Andern hatte, der ihm vor feinem ordentlichen Richter 
nicht zu Recht ſtehen wollte, wendete fich an ein weſtfaͤliſches Gericht und ver- 
fhaffte fi) von demfelben Ladungen und Urtheile. — Am furchtbarfien waren 
die heimlichen Gerichte im 14. und 15, Jahrh. Es mar daher Fein Wunder, daß 
fo viele Stimmen.fich gegen fie erhoben, und daß 1461 verfchiedene Fürften und 
Städte in Deutfchland, denen auch die fehmeizerifchen Eidgenoffen beitraten, unter 
fih Bereine errichteten, um: einen Jeden bei fich Recht finden zu Inffen, und um 
ja verhindern, dag Niemand folches bei dem heimlichen Gerichte fuche. Auch 
wurden von einzelnen Ständen des Reichs befondere Faiferliche Schußbriefe gegen 
die Anmaßungen der meftfälifchen Gerichte verlangt. _ “Die Kaifer felbft ließen es 
bloß bei fruchtlofen Verſuchen beivenden, Verbeſſerungen in der Berfaffung der 
heimlichen Gerichte einzuführen. Aber diefe waren fühn genug, fich den Kaifern 
zu viderfegen. Ihre Wirkſamkeit hörte dann erft völlig auf, als in Deutfchland 
der allgemeine Landfriede errichtet, eine verbefferte Serichtsform und die peinliche 
guisgerichtsordnung eingeführt worden. Das legte Femgericht wurde 1568 bei 
elle gehalten. Außerhalb. NBeftfalen gab es auch in Niederfachfen und felbft in 
einigen andern deutfchen Provinzen Femgerichte; doch hatten fie Hier ein weit ges 
fingeres Anſehen, und ihre Serichtsbarfeit war Bloß Auf einen gewiſſen Bezirk ein- 
geſchrankt. — Bei dem Geheimniſſe, in welches diefe Gerichte fich verbargen, 
it von ihrer innern Einrichtung wenig biftorifch befannt. Der Stuhlherr, ges 
wöͤhnlich ein Fürſt oder Graf, hatte die oberfte Leitung des ganzen Gerichts, deſſen 
—— oder Freigrafſchaft mehre Freiſtuͤhle enthielt. Der Vorſitzer des heim⸗ 
lichen Gerichts hieß der Freigraf (Grafen hießen in fruͤhern Zeiten die, welche 
in den Provinzen im, Namen des Königs Recht fprachen), feine Beifiger, die bei 
den Urtheilen ſtimmten und fie vollzogen,-bießen Freifchöffert, ihre Sigungen 
öreibinge, und der Ort, wo die Sißung gehalten wurde, der freie Stuhl. “Der 
frein Schöffen, die von den Sreigrafen ernannt wurden, gab es in-allen Provinz - 
gen und Städten Deutfchlande. Man behauptet, daß ihre Anzahl fich auf hun⸗ 
derttaufend belaufen habe, Sie erkannten einander an gewiſſen Zeichen und Lo⸗ 
fingen, welche den Nichteingeweihten unbefannt waren; daher: wurden fie auch 
die Wiffenden genannt, Sie band ein furchtbarer Eid, denn fie gelobten, „die 
beilide Feme halten zu helfen und zu verbehlen vor Weib und Kind, vor Vater und 
Mutter, vor Schweſter und Bruder, vor Feuer und Wind, vor Allem, was die 
‚Sonne befcheint, der Regen negt, vor Allem, was zwifchen Himmel und Erde 
„if. Sie erkannten den Kaifer als ihr Oberhaupt an-und machten ihn deßhalb 
meiftentheils bei feiner Krönung in Aachen zum Mitroiffenden. Die Aufnahme 
follte, nach firenger Regel, nur auf rother, d. h. mefifälifcher, Erde gefchehen. 
Die Sikungen des Gerichts waren. öffentliche und heimliche; jene wurden bei’ 
Tage unter freiem Himmel, diefe des Nachts n einem Walde oder:in unterir- 
diſchen verborgenen Orten gehalten. In beiden waren die zu beurtheilenden Ge⸗ 
geuflände und der Gang des Proceffes verfchieden. Die Verbrechen, über welche 
bie heimlichen Gerichte fih das Urtheil anmaßten, waren: Ketzerei, Zauberei, 
Eonverfationd » Lericon. Bd. IV, ‘5 


‘ _ r 
66 | Bendion 


Mothzucht, Diebſtahl, Raub und Mord: Die Anklage geſchah durch einen Frei: 
fehöffen, der, obne weitern Beweis, durch Ablegung eines Eides verficherte, daß 
Der, den er anflagte, mwirflih das Verbrechen begangen habe. Der Angeflagte 
wurde nun 3 Mal vor dag heimliche Gericht gefodert, indem man die Koderung 
insgeheim an die Thür feiner Wohnung oder in deren Nähe heftete; der Anfläger 
blieb unbefannt. Wenn der Angeklagte auf die dritte Ladung nicht erfchien, fo 
ward er in einer feierlichen Sigung des Gerichts, die man die heimliche Acht 
nannte, noch ein Mal vorgeladen, und wenn er auch dies Mal ausblieb, verfemt, 
- dag hieß, den Freifchöffen preisgegeben. Der erfte Freifchöffe nun, der ihn traf, 
£nüpfte ihn an einem Baume, nicht an einem Salgen, auf, zum Zeichen, daß ?in 
Freifchöffe es gethan habe. Wehrte fich der Verurtheilte, fo hatten die Sreifchöffen 
das Recht, ihn niederzuflogen. &!e legten dann ihr Meffer neben den Körper, 
ebenfalls um anzuzeigen, daß es Fein Mord, fondern die von einem Freifchöffen 
vollzogene Strafe fei. — Wie viel unverantroortliche Juſtizmorde auf diefe Art 
aus Rache, Eigennug oder Bosheit begangen worden fein mögen, tät ſich Teicht 
denken. Der Freifchöffe, der. einem DBerurtheilten einen geheimen Winf zu feiner 
Rettung gab, ward felbft mit dem Tode beftraft. Wie leicht war es aber auch 
möalich, daß mancher Furchtfame durch einen Wink auf diefe Art aus feiner 38 
math entfernt werden konnte, ohne wirklich angeklagt worden zu. fein! — Mit 
vollem Rechte kann man diefe geheimen Gerichte die abfcheulichften Mißgeburten 
von Juſtizanſtalten nennen, die es bei einem gefitteten Volke jemals gegeben bat. 
Denn mas kann entfeßlicher gedacht werden als Richter, die die Gründe ihrer Ur- 
theile nie befanntmachen, nie von der Austibung ihrer Gewalt Rechenfchaft geben 
wollen, und die, ohne den Angeklagten zu hören, ihre Urtheile auf meuchelmörde: 
rifcye Art vollziehen Taffen ? Auch in Italien foll es ähnliche Geſellſchaften gegeben 
Haben. (Stolberg’s „Reifen nach Italien“, IM, &. 448.) Paul Wigand 
(Stadt: und Landgerichteaffeffor in Hörter) hat in f. Werfe: „Das Femgericht 
Weftfalens (Hanau 1825), neues Licht über Diefen Gegenſtand verbreitet. 
Fenelon (Francois de Salignac de la Motte), einer der ehrwuͤrdigſten 
franz. Prälaten, der an einem verderbten Hofe als Muſter der Tugend lebte. Er 
wurde 1652 auf dem Schloffe Fenelon in Perigord geboren und flammte aus 
einem alten, mit Staatsimtern,und geifllichen Würden gefehmüdten Sefchlechte, 
Ein fanfter Tharafter, verbunden mit einer großen Lebhaftigfeit des Geiftes bei 
einem ſchwachen und zärtlichen Körperbau, zeichneten ihn früh aus, Sein Obeim, 
der Marquis von Fenelon, ließ ihn zu Cahors unter feinen Yugen erziehen. Der 
Yünaling machte reißende Fortfchritte, die ſchwierigſten Studien waren ihm nur 
ein Spiel. Schon in feinem 15. Jahre predigte er mit ungetheiltem Beifall, 
Der Marquis, welcher fürchtete, daß die Lobeserhebungen und Schmeicheleien 
der Menge ein fo gut geartetes Herz verderben möchten, bewog feinen Neffen, fich 
in der Stille und Einfamtert fortzubilden. Er übergab ihn der Leitung des Abbe 
Troncon, Superiors von St.⸗Sulpice zu Paris. m 24. Jahre trat $. in den 
geiftlichen Orden und verrichtete die befchwerlichften Dienftgefchäfte in dem Spren⸗ 
gel von St.⸗Sulpice. Der Erzbifchof von Paris, Harlay, vertraute ihm $ 


Jahre darauf‘ die Aufficht über die zur Eatholifchen Kirche übergegangenen Pro: 


teftanten. In diefem Poften verfüchte er zuerft fein Talent, zu beichren und zu 
überzeugen. Als der König von dem guten Erfolge feiner Bemühungen hörte, . 
ernannte er ihn zum Vorſteher einer Miſſion zur Belehrung der Hugenotten an 

den Küften von Saintonge, wo feine einfache und tief ergreifende Beredtſamkeit, 
- verbunden mit den fanfteften Sitten, ganz die erwarteten Wirfungen berbor: 
brachte. 1581 trat ihm fein Oheim das Priorat von Carenac ab, Bald darauf 
ſchrieb er f. erfies Werk: „Bon der Erziehung der Töchter”, welches den Grund 
zu feihem Ruhme legte, 1689 vertraute ihm Ludwig XIV. die Erziehung feiner 


Feodor Iwanowitſch 67 


Enkel, der Herzoge von Burgund, Anjou und Berry, an. F. bildete mit Gluͤck 
den Geiſt des Herzogs von Burgund, der zum künftigen Beherrſcher Frankreichs 
beffimmt war, und fireute den Samen aller einen Fürften zierenden Tugenden 
in fein Herz, aus denen das Glück Frankreichs entfproffen fein- würde, wenn 
nicht ein frübzeitiger Tod diefe ſchöͤnen Hoffnungen Yernichtet hätte. 1695 wurde 
5. zum Biſchof von Sambray ernannt... Ein theologifcher Streit (f. Quie⸗ 
tismus), den er damals mit Boffuet, feinem vormaligen Lehrer, hatte, endigte 
damit, dag feine Lehrfüße von Innocenz XII. verdammt, und er von Lud⸗ 
wig XIV. in feinen Sprengel verwiefen wurde. %. unterwarf ſich unbedingt 
md ohne Vorbehalt, In diefe Zeit (1694 — 97) fällt fein erft 1825 bekannt 
gewwordenes Schreiben an Ludwig XIV., in welchem er dem verblendeten Mon⸗ 
orchen die Wahrheit offen fagt („Lettre de Fenelon à Louis XIV, avec 
facsimile” , berausgeg, vom Buchhandl. Kenouard, Paris 1825). Er Iebte 
ven jegt an in feinem Eprengel als ein würdiger Erzbiſchof und chriftlicher Phi: 
loſoph. Eine Bruftentzündung endigte fein Leben 1715. Pbilofophifche, theo: 
logiſche und belletriſtiſche Werke haben feinen Namen unfterblih gemacht. Man 

t in ihnen einen, durch die beiten Altern und neuern Schriften genährten, 
and durch eine lebendige, anmuthige und blühende Pbantafie befeelten Geift, 
Beim Styl ift fließend, angenehm, rein und harmoniſch. ein vorzüglichftes 
Werk ifl: „Les aventures de Telemaque”, in. welchem er als Erzieher des 
Prinzen das Muſter einer fürfilichen Erziehung aufftellen wollte. Es foll ihm 
durch feinen Kammerdiener heimlich weggenommen und nachher zum Drud be 
fordert. worden fein. Seit erfiheinung diefes Buchs war Ludwigs Ungnade gegen 
5. entfhieden. Denn der König. erblidte in. diefem biftorifchen Romane. eine 
Satyre auf feine Regierung und verbot die Vollendung des ſchon begonnenen 
Druds, Übelmollende erkannten, woran F; nicht gedacht hatte, in der Kalypſo 
die Frau von Miontefpan, in der Eucharis das Fräulein Fontanges, in der Ans 
tiope die Herzogin von Burgund, im Protefilaus den Louvois, in dem Idome⸗ 
news den König Jakob, und im Sefoftris Ludwig XIV. Leute von Geſchmack, 
die nur auf das Werk felbft ſahen, bemwunderten es als ein Meiſterſlück, das 
eine treffliche Regentenmoral in dem gefälligften, wenn auch modernen Gewande 
verträgt. Zwei Jahre nach des Verfaſſers Tode gaben feine Erben den „Telemach! 
vollfiändig in 2 Bänden heraus; er ift feitdem unzählige Mal gedrudt und 
überfeßt worden, 1819 wurde F. durch öffentliche Unterzeichnung von der 

ation ein Denkmal beftimmt, und am 7. Jan. 1826 feine vom Bildhauer 
David verfertigte Bildfäule zu Cambray aufgerichte. 8 „Lebensgefchichte 
nach Driginalbandfchriften‘‘ gab Bauſſet heraus (deutfch von Feder, 3 Bde, 
Würzburg 1811), und Champollijon⸗Figeac mad;te noch ungedrudte Briefe von 
ihm durch den Druck befannt. „Oeuvres choisies de Fenelon”, nebft feinem 
„Eloge“ von Laharpe und einer biogr. literar. Notiz von Villemain, erfchienen 
ia Paris 1825 in 6 Bon. . 

Feodor Jwanowitſch, großherzoglich badiſcher Hofmaler. Diefer 
merkwũrdige Kuͤnſtler wurde um 1765 in einer kalmückiſchen Horde an der ruſ⸗ 
ſiſch· hineſiſchen Grenze geboren; von feinen Gamilienverhältniffen weiß er nichts, 
und es ift ihm aus feiner Kindheit bloß die Erinnerung an feine Öefangennefmung 
durch die Ruſſen geblieben. Da er von den Ruffen weggeführt worden ift, fo - 
muß er zum torgotfchen Stamm gehört haben, der fich unter ruffifchen Schuß be: 
geben hatte, aber, aus Unzufriedenheit mit den Moskowiten, zu Ende 1770 feinen 
damaligen Aufenthalt verließ und fich zu den Chinefen wendete. Auf diefem Zuge 
wurde ein Eleiner Haufe der flüchtigen Horde von den Koſacken auf einem Berge 
eingeholt, und, da die Männer Widerſtand leiſteten, Aare niedergemacht, 
der Reſt aber gefangen, F. erinnert fich noch des berſals Line Frau, von 


* 


— 


68 Feodoſia Ferbdinand I, NH. (deutſche Kaifer) 


welcher er glaubt, fie möge wol feine Mutter geweſen fein, verſuchte das Außerfle 
zu feiner Rettung, doch ohne Erfolg, Der 5 — Gjährige Knabe wurde nach 
Metersburg gebracht und von der Kaiferih in Schuß genommen, woraus fich muth⸗ 
maßen läßt, dag er einem falmüdifchen Kürftenflamme angehörte, was auch ein 
ruffifcher Officier beflätigte, der bei dem Lberfalle zugegen war. In der Taufe 
erbielt er den Namen Feodor Iwanowitſch. Die Kaiferin Katharina fchenkte den 
Knaben der damaligen Erbprinzeffin (jeßigen Frau Marfgräfin Mutter) Amalie 
von Baden. Diefe edle Fürftin forgte für feine Erziehung und Ausbildung. Er 
befuchte die Schule in Karlsruhe und wurde hierauf in das Philanthropin nach 
Marfchlins geſchickt. Seine Neigung entfchied fich für Dealerei, und er erhielt 
den erften Unterricht von dem Hofmaler Melling, defien Sohne wir die fhonen 
“ Anfichten von Ronftantinopel verdanken, Später genoß er der Leitung des Gale⸗ 
riedirectors Becker. Gehoͤrig vorbereitet, ging er nach Italien und blieb 7 Jahre 
in Rom, wo fein Kunfttalent fich vielfeitig entwidelte. Von da ging er mit 
Lord Elgin nach Griechenland und zeichnete die Bildwerke, deren Defanntmachung 
wir dem Eifer des britifchen Reiſenden verdanken. Er folgte hierauf dem Lord 
nach London, um die Aufficht über den Stich des Elgin’fchen-Werfes zu führen. 
Nach einem Sjährigen Aufenthalte dafelbft Lehrte er nach Karlsruhe zurüd und 
wurde vom verftorbenen Großherzoge, Karl Friedrich, als Hofmaler angeftellt. 
— Die Natur hatte diefen Künftler vielleicht mehr zum Bildhauer als zum 
Maler beftimmt, denn in feinen Werfen herrſcht durchaus das plaftifche Princip 
vor, wie er fie denn auch meift Grau in Grau ausführte, wobei er fich dem Relief 
mehr nähern konnte. Durch ein anhaltendes Studium der Antike und der alten 
florentinifchen Meiſter hat er fich ihren beftinmten, firengen, großartigen Styl 
volltommen angeeignet, und wenn in feinen veligisfen Darftellungen die Ruhe 
waltet, welche der feierliche Ernst des Segenftandes erheifcht, fo iſt Dagegen in 
feinen Bacchanalen Alles in Iebenvoller Bewegung, und er vereinigt hier mit 
dem Feuer des Giulio Romano die Kühnheit und Kraft von Buonarotti, In 
- feinen Köpfen zeigt fich eine erftaunliche Mannigfaltigfeit und jene Individualität, 
wie fie nur ein Künftler hervorbringen kann, der mit hellem, freiem Blid ins Le 
ben ſchaut. Nur Eines ift ihm fremd geblieben — weibliche Huld. Zwar fehlt es 
feinen Frauen nicht immer an Hoheit, doch ift Hanfig ein Zug unangenehmer Sen: 
fualität beigemifcht; mitunter find feine Seftalten auch zu gedrungen, und er liebt 
es zu fehr, die Sewänder in eine Menge Eleiner Falten zu brechen. Meifterhaft 
bat er verfchiedene Blätter radirt, u. a. die Thüren von Ghisberti, eine Kreup 
abnahme nach Volterra ıc. | 16. | 
Feodoſia, f Kaffe. u 
Ferdinand, römifch-deutfche Kaiſer. 1) Ferdinand L, Karls V. 
Bruder, dem er als deutfcher Kaiſer 1558 folgte, nachdem er fchon 1531 zum 
romifchen König erwählt worden, und feit 1526 König von Ungarn und Böhmen 
“war. 1559 bielt er einen Reichstag zu Augsburg, auf welchem Deutfchland 
eine Müngordnung erhielt, und mo von den Proteftanten mehre Religionsbe- 
fchwerden vorgetragen wurden. Ferdinand war- fehr duldfam und wirfte adf 
dem tridentinifchen Soncilium, das 1562 wieder eröffnet worden war, feinen Un 
terthanen mehre religiöfe Freiheiten aus. Auch erhielt unter ihm der Reichshof: 
rath feine beftinunte Ordnung. “Doch er beftieg fhon zu bejahrt den deutfchen 
Thron, um fo viel Gutes, als er wol gekonnt, für Deutfchland ausjuführen. Er 
ftarb 1564. — 2) Ferdinand U., dem fein Finderlofer Vetter Matthiag, 
welchem er als deutfcher Kaiſer folgte, ſchon 1617 die Nachfolge in feinen gefamm- 
ten Staaten zugefichert hattk, beſtieg zu einer Zeit den Kaifertdron, wo der Drei 
Gigjährige Krieg (f. d.) im Ausbruch und. das öfter. Haus in großer Gefahr 
war. Er war ein finfierer, verſchloſſener Mann, von den Jeſuiten zu Ingolftadt 


+ 2) 


- 


Ferdinand III. (deutfcher Kalfer) 69 


und in seligisfer Hinficht feinen Vorfahren Gerdinand J. Marimilian, ja 

ſelbſt Audolf und Matthias fehr unähnlich, Gegen jede von dem. tridentinifchen 
Lehrbegriffe abweichende Meinung erglühte fein Eifer, der hartnädig jener be: 
ſchruͤnkten und einfeitigen Religionsanficht folgte, “Der Rüdzug der Böhmen, die 
ſchon unter Thurn’s Anführung vor Wien ftanden, gab ihm Zeit, feine Kaiſerwahl, 
trog aller TWiderfprüche der Union und der Böhmen (1619), durchzufeßen, Die 
Unterftüßung der Ligue und des Kurf. von Sachfen, Johann Georg I., befeftigte 
ihn auf dem Throne von Böhmen; deſto härter und willfürlicher verfuhr er nun in 
diefem Lande gegen die Proteſtanten; sie proteftantifchen Lehrer wurden vertrier 
ben; viele taufend fleißige Böhmen wanderten ins Ausland; dagegen rief er die 
Jeſaiten zurüd und Sſorit mit eigner Hand den Majeſtaͤtsbrief Rudolfs II. 
(&. Calixtiner.) ine Gegner, vorzuͤglich Friedrich V., erklaͤrte er in die 
i t, und Die Kurwurde der ‘Pfalz übertrug er 1622, trotz des Widerſpruchs 
von Kurfachfen, dem Herzog von Baiern, der ihm Beiſtand geleiftet. Durch 
Tilly und Wallenſtein befiegte er Ehriftian IV., König von Dänemark, Chriſtian 
von Braunſchweig und den Grafen ven Mansfeld; die beiden Herzoge von Medr 
lenburg, welche an dem daͤniſchen Kriege Theil genommen, that er in die Acht 
und belehnte Wallenſtein mit Mecklenburg; auch wollte er fich.der Handelsherr: 
ſchaft auf der Oftfee bemächtigen, aber diefes Project feheiterte bei der Belagerung 
son Stralfund an der Unterftügung biefer Feſtung durch die Hanſeſtaͤdte. Nun 
erließ er das Reſtitutionsedict (1629), nach welchem alle gegen den geiſtlichen 
Vorbehalt (f. Meligionsfriede) von den Proteflanten aufgehobene, un: 
mittelbare Stifter wieder mit katholiſchen Bifchöfen und Prälaten befegt, die 
Reformirten vom Religionsfrieden ausgefchloffen, und die proteflantifchen Unter: 
thanen katholiſcher Fürften zum Katholicismus zurücgeführt werden follten: ein 
Edit, welches mit Gewalt der Waffen zu Augsburg, Ulm, Kaufbeuren und Re⸗ 
gensburg vollzogen wurde. Aber.die Entlaffung Wallenflein’s, welche die Reiches 
fünde einftithmig verlangten, und die Gegenwirkung Richelieu’s, der alle palitifche 
Triebräder in Bewegung fegte, um Frankreich einen mächtigen Einfluß in Europa 
gu verfchaffen und die faſt überrsiegende Macht des Haufes Oftreich zu beſchraͤn⸗ 
fen, endlich Guſtav Adolfs Macht, von Frankreich unterflügt, und das fpä- 
tere Anfchließen der Proteftanten an denfelben, feit- fie fich dureh die Belagerung 
Magdeburgs, mo das Religionsedic: voilſtreckt werden follte, in der Hoffnung 
eines Vergleichs getäufcht fahen, hinderten Ferdinand an der Ausführung feiner 
Plane. Er Hoffte jedoch nach Guſiav Adolfs Tode, durch die von feinem Sehne, 

bem Erzherzog Ferdinand, fiber Bernhard von Weimar bei Nördlingen gewonnene 
Schlacht, und durch den Particularfrieden mit Sachfen zu’ Prag 1635, bedeu: 
tende Bortheile über die Proteflanten zu gewinnen. Aber die Behandlung des 
Kurf. von Trier, welcher franz. Schuß gefucht und franz. Truppen im feine Fe⸗ 
genommen hatte, und nun, auf Ferdinands. und Philipps. 1V. Befehl, 

von fpanifchen Truppen von Luxemburg aus, nach Niedermetzelung der franz. 
Garniſon, als Gefangener hinweggefüͤhrt wurde, gab Frankreich Vorwand zum 
rnmittelbaren Kriege gegen Hſtreich und Spanien, Schweden konnte nun kraͤfti⸗ 
ger wirken; Banner ſchlug die kaiſerlich⸗ſaͤchſiſchen Truppen bei Wittſtock 1636, 
verdrängte fie aus SHeffen, und Ferdinand flarb d. 15. Gebr. 1637, ohne daß er 
feine Abficht, die Bernichtung des Proteflantismus und der. politifchen Freiheit in 
Deutfihlend, erreicht hatte. — 8) Sein Sohn Ferdinand IIi., der Bieger 
ördlingen, folgte ihm als KRaifer. Er war geneigter zum Frieden als fein 

. Banner und der Herzog Bernhard von Weimar hatten die Kaiſerlichen 
Mehrmals geſchlagen. Der Reichstag, den Ferdinand 1649 zu Regensburg ver- 

Onfaltete, fühete jedach den Frieden nicht herbei. Obgleich Ferdinand ſich nicht 

Mauiſh von dem ntereffe Spaniens und den Jeſuiten keiten lieh, und auf dem 


— 


70 Ferdinand V. (v. Aragonien) Ferd.L (R. beider Sicilien) 


Reichstage viel Muth zeigte, konnte er dennoch weniger durchſetzen, als er 
wünfchte, wozu die Schrift des ſogenannten Ilippolytus a lapide viel beitrug, 
deren Zwei war, die Stände gegen den Kaifer zu erbittern: der erfie mächtige 
Einfluß, welchen der große Kurf. von Brandenburg damals äußerte. “Doch feßte 
man die Unterhantlungen eifrig fort; auch bemilligte der Kaifer mehren Reichs. 
fländen, welche ſchwediſche Partei genommen hatten, Amneftie. Endlich kamen 
die hamburger Präliminarien (1641) zu Stande, nach welchen ein allgemeiner 
Sriedenscongreß zu Münſter und Osnabrüd gehalten wurde. “Doch dauerte es 
längere Zeit, bis diefer Eongreß feinen Anfang nahm; auch währte der Krieg, 
weil fein Waffenftillftand feftgefest war, fort, mit abivechfeindem Güde. Erft 
4648, als die Schweden (die früher unter Torftenfon fogar Wien bedroht hatten) 
fi eben, unter WBrangel, der Hauptſtadt Bohmens bemächtigen wollten, ent: 
got fih F. zur Unterzeichnung des Friedens, (S. Weftfälifher Friede.) 
Id darauf bewirkte $. die römifche Königswahl feines Sohnes Ferdinand IV., 
der aber ein “Jahr nachher flarb. Auf dem Reichstage von 1653 — 54 wurden 
wichtige Deränderungen in der Juſtizverfaſſung durchgefegt. Kurz vor feinem 
Tode (1657) ſchloß F. noch ein Bündnig mit Polen gegen Schweden. 
Ferdinand V., König von Aragonien, dem der Papft, wegen Ber: 
treibung, der Mauren aus Spanien, den Titel: der Katholifche, beilegte, war ein 
Sohn Königs Johann H,, und 1453 geboren. Durch feine Bermäblung mit 
der Königin Iſabelle von Caſtilien legte er den Grund zur Bereinigung aller einzel: 
nen fpanifchen KRönigreiche, twelche 42 Jahre fpäter vollig zu Stande kam. 5. 
und Iſabelle lebten mit einander, bemerkt ein Sefchichtfchreiber, nicht wie zwei 
Gatten, deren gemeinfames Eigenthum umter den Befehlen des Mannes ſteht, 
fondern wie zwei ihres gemeinfamen Syntereffes willen eng mit einander verbun: 
dene Monarchen. Iſabelle verflattete ihrem Gemahl keinen weitern Aritheil an 
der Regierung Eafliliens, als feinen Namen in den Verordnungen zu unterzeich- 
nen und fein Wappen dem ihrigen beizufügen. Beide, vereint mit Kimenes 
-(f.d.), bildeten eine Macht, wie fie Spanien zuvor noch nicht gefehen hatte. Sie 
unterwarfen ſich nach einem 10jährigen biutigen Rampfe (1491) Granada, das 
einzige Reich, welches den Mauren in Spanien übriggeblieben war; aber den 
ee Slanz gewann ihre Regierung durch die Entdeckung Amerifas, wozu 
. die Schiffe ausgerüftet hatte, und die ihn zum Souverain einer neuen Welt 
machte. (©. Colombo.) Zugleich legte diefer ftantsfluge Fürft den ‚Grund 
zu Spaniens Übermacht in Europa, indem er fich durch feinen Feidherrn, Sons 
falvo von Cordova, des Konigreihs Neapel (1515) bemächtigte und 1512 Nas 
varra eroberte; aber feine Politit war argliflig und despotifh. Diefe Flecken 
verdunfeln feine großen Eigenſchaften, die An zum erften Monarchen feines Jahr: 
bunderts machten. "jenes Streben nach Vergrößerung und Befefligung feiner 
Macht und.blinder Religionseifer verleiteten ihn zu großen Mißgriffen. lm die 
Gewiſſen feiner Untertbanen zu beherrfchen, ſchuf er 1480 das Gericht der Inqui⸗ 
fition, ohne einzufehen, daß er dadurch der Seiftlichkeit eine Gewalt einräumte, 
die fie bald über den Monarchen felbft ausüben würde. Ebenfo ungerecht und 
nachtheilig war 1492 die gewaltfame “Bertreibung der Juden, und 1501 die 
Berfolgung der Mauren. Nach dem Tode feiner Gemahlin Syfabelle, 1504, 
vermählte fih 5. mit Germaine de Foir, und flarb zu Madrigalejo dem 23. 
San. 1516 an der Warferfucht, die durch einen Trank verurfacht worden fein 
foll, den ihm feine ziweite Gemahlin eingab, um ihn der Zeugung fühig zu ma⸗ 
ben. Ihm folgte Karl, (V.) 
Ferdinand I, (vorher IV.) von Bourbon, Infant von Spanien, Rh 
nig beider Sicilien, geb. den 12. Yan. 1351, dritter Sohn Karls III. von Spas 
nien, der ihm 1759 den Thron von Neapel überließ, als er felbft den fpanifchen 


Serdinand I. (König beider Sicilien) 1 


‚ beflieg. Ferdinand IV. übernahm die Regierung, die bis dahin durch einen von 
ſeinem Bater eingefeßten Regentſchaftsrath, unter dem Vorſitze des berühmten 
Marchefe Tanucci, vormaligen Profeffors der Rechte zu Piſa, geführt war, am 
13. Jan. 1767. Seine und feines Altern Bruders (Karls IV., Königs von Spa: 
nien) Erziehung hatte der Prinz von Santo Nicandro geleitet, ein rechtfchnffener 
Mann, aber von befchränfter Einficht, daher auch Ferdinand, obwol nicht ohne 
glũckliche Anlagen, ſehr unwiſſend blieb und fich fpäterhin vergnügenten Zers 
freunngen (Jagd, Fifchfang u. ſ. w.) ganz überließ. Als Kind äußerte Ferdi: 
nand viel Liebe für das Volk; auf feinen Spaziergingen verweilte er oft mitten 
unter Knaben feines Alters, plauderte mit ihnen, gabihnen Geld und lud fie ein, 
ihn zu befuchen. An Feſttagen ergößten ihn die Spiele einiger Kinder der Lazza⸗ 
reni, under ließ feine lieben Kameraden, wie er fie nannte, gut bewirthen. Ein fok 
der Knabe gewann fogar feine Freundfchaft, und er forgte für deffen Stud, So 
ward Ferdinand der Liebling des Volks. 17168 vermählte er fich mit Marie Karo: 
Iine, Tochter der Kaiferin Marie Thereſia. Diefe geiftuolle und liebenswuͤrdige 
Sirftin erlangte bald auf F. einen entfchiedenen Einfluß. An der Spige der Bere 
woltung fland Damals noch der erſte Miniſter Tanucei. Diefer fchaffte 1764 den 
ut des weißen Zelters, Den der Papſt bisher jährlich erhalten hatte, ab, vers 

lor aber tie Gnade Karls III.'von Spanien und nahm 1777 feinen Abfchied, An 
feine Stelle trat der Marchefe della Sambuca, Jetzt widmete der König, von feiner 
Gemahlin aufgefodert, feine Zeit öfter den Kegierungsgefchäften, doch that er nichts 
ohne den Kath der Königin. Sambuea fuchte daher den König durdy eine fihöne 
Engländerin, die in Neapel mit einem Sranzofen (Soudar) verbeirathet war, von 
feiner Gemahlin abzuziehen ; allein die Königin bemerfte dies, und Hr. und Mad. 
Geudar wurden aus Neapel verbannt. Seitdem flieg die Macht der Königin, und 
Sambuca, der von ihr in einem aufgefangenen Briefe dem madrider Tabinet eine - 
angünftige Schilderung gemacht hatte, mußte fich 1784 in feine Boterftadt Pa: 
lermo prrũckziehen. Der Ritter Heron (f. d.) wurde fein Nachfolger. Diefer folgte 
ganz dem Willen der Königin, und das Cahinet von Madrid verlor allen Einfluß. 
auf das von Neapel, welches ſich mehr an Hſtreich und England anfchlog, Aber 
bald zog die franz. Revolution Neapel in ihre Wirbel hinein. Als nämlich auf das 
Berlangen der franz. Regierung, alle Verbindung mit England abzubrechen, der 
Hef von Neapel ſchwankte, erfchien La Touche mit einem franz. Geſchwader vor 
der Hauptftadt und erzwang die Annahme der vorgefchriebenen Bedingungen. Als 
kein mach Ludwigs XVI. Tode trat Ferdinand zu der Coalition gegen Sranfreich 
.. and nahm von 1793 — 96 an dem allgemeinen Kriege Theil. Mach 2 Friedeng: 
jahren machte ihn Nelfon’s Sieg bei Abufir abermals zu einem Feinde Franfreiche, 
weldes aber, nach den Niederlagen der Neapplitaner unter Me, fich des ganzen 
Königreichs bemichtigte (28. Jan. 1799) und die parthenopeifche Republik pro: 
damirte. Der Hof, nebftActen, hatte fich bereits den 24, Dec. 1798 von Neapel 
nah Palermo geflüchtet. Doch ſchon den 21. Juni 1799 fiel die Hauptſtadt wies 
der in die Gewalt des Royaliftenbeers unter dem Card, Ruffo (f. d.), und viele 
Anhänger der Republit wurden bingerichtet. (5, Speziale) Erft un Jan. 
1800 kehrte der Hof nach Neapel zurüd, und Spanien f$loß mit dem erften Con⸗ 
fal einen Vertrag, durch welchen die Integrität des Königreichs beider Sicilien ges 
fihert wurde. Deffenungeachtet mußte Ferdinand in dem Frieden mit Frankreich 
(Florenz, 28. März 1801) den Stato degli Preſidj u, f. w. ahtreten und franz. 
Trappen in feinem Konigreiche aufnehmen; auch in dem Neutralitätsyertrage von 
1805 verfprechen, den Truppen der kriegführenden Machte Feine Landung zu ge: 
Als nun gleichwol im Nov. 1805 eine ruſſiſch⸗ engliſche Flotte yor Neapel 
erkhienen war und 412,000 M. Ruffen gelandet hatte, fo ließ Napoleon, der in 
dieſem Schritte eine treulofe Theilnahme Neapels an den Geindfeligkeiten gegen 


72 Ferdinand VIL 


Srantreich erblickte, das Land befeßen, und die konigl. Familie flüchtete 1806 aber: 
mals nach Sicilien. Hier behauptete ſich Ferdinand mit Hülfe der Engländer, 309 
fich jedoch, da feine Gemahlin mit den Engländern entzweit war, 1809 auf einige 
Zeit von allen Sefchäften zuidt, indem er einfhweilen feinem Sohne Franz die Re 
gierung übergab. Die Königin Karoline aber mußte im Dec, 1811. Sicilien vers 
laffen, und ging über Konftantinopel nach Wien, Hierauf bewogen die Engländer 
den König, die Regierung wieder zu übernehmen. Endlich erkannte der wiener Tone 
greß Ferdinand IV. in allen feinen Rechten als König beider Sicilien an (1814) 
(Bol. Murat.) Die koͤnigl. Familie zog am 17. Juni 1815 in Neapel ein, und 
5. vereinigte (12. Dec. 1816) feine fimmtlichen Staaten diesfeits und jenfeits der 
Meerenge in ein Königreich beider Sicilien, und nannte fi Ferdinand I. Den 
27. Nov.1814 verzsählte er fich, nachdem feine erſte Semahlin am 8. Sept. 1814 
zu Heßendorf bei Wien geftorben war, mit der verwitio. Pringeffin von Partana, 
feit 1815 Herzogin von Floridig. 1801 ftiftete er den Ferdinand: VBerdienfl- 
orden. Am 16. Febr. 1818 ſchloß Ferdinand J. ein Concordat mit dem Papfte, 
wodurch die langen Mißhelligkeiten zwifchen Neapel und Rom endlich ausgeglichen 
wurden. Über den perfönlichen Charakter diefes Könige urtheilen felbft parteiifche 
Schriftfteller, wie Sorani u. A., günftig. Das Wohl feines Volks lag ihm wahrs 
haft am Herzen. Die Nachricht von dem Erdbeben zu Meffina und Salabrien,. 
1788, erfchütterte ihn fo, daß er vor Schmerz faſt wahnfinnig wurde. Mit dem 
größten Eifer traf er Anftalten, um den Unglüdlichen beizufiehen. Auch hat er 
miehre Wohlthätigfeitsanftalten geftiftet; dahin gehört die Colonie von St.⸗Leucio 
(1713), deren Befchreibung er felbft befanntmachte. Abbe Elemaron hat fie ins 
Sranz. überf.: „Origine de la population de S. Leucio, et ses progres, avec 
les lois pour sa bonne police, par Ferdinand IV.” Nach dem Abzuge der öflreis 
chiſchen Truppen blieb der äftr, General Nugent als Senesalcapitain an der Spitze 
“ der Armee; er bob die franz. Einrichtung derfelben auf, wodurch er fich verhaßt 
machte. Die Minifter fuchten die innere Sicherheit herzuftellen, die Armen durch 
öffentliche Arbeit zu befchiftigen und den Staatscredit zu fichern. In dem Frie⸗ 
den mit Algier, der unter Englands Dermittelung 1816 abgefchloffen wurde, bes 
voilligte Serdinand die Fortdauer eines jühr!. Sefchenks von 25,000 Piaftern. Die 
Seele der Staatsverwaltung war der Ritter Medici (f. d.). Gleichwol mußte 
Serdinand 1820 die von Soldaten und Bürgern Ihm aufgedrungene fpanifche Cou⸗ 
flitution, befhwören. (&. Neapel, Revolution von, und Gicilien, beide.) 
Dur Hftreichs Waffen in die vorige unbefehränfte Gewalt 1821 eingefeßt, unters 
drüdte er die Sarbonari (f. d.) und farb den 4. “Yan. 1825. hm folgte ſ. 
Sohn Franz. Die Herjogin von Floridia farb den 25. April 1826 zu Neapel, 
Ferdinand VII, König von Spanien und beiden Indien, geb. den 14. 
Oct. 17184, Prinz von Afturien felt dem 13. Dec. 1788, nach dem 19. Mai 1808- 
6 Wochen fang König von Spanien, darauf unter franz. Staatsaufficht zu Valen⸗ 
cay in Frankreich bis zu feiner Reflauration 1814. Sein Bater, König Karl IV., 
und feine Deutter, Marie Louife von Parma, ernannten den Herzog von San Car⸗ 
108 zu feinem Erzieher, und in der Folge den Örafen von Alvarez, einen ausgezeich- 
net rechtfchaffenen Mann, zu feinem Oberhofmeifter, undden Domberrn D. Juan 
Escoiquiz zu feinem Lehrer. Der Prinz zeigte Anlagen und machte Fortfchritte in 
der Mathematif. Da er gegen den Sünftling Sodoy, Herzog v. Alcudia (f. d.), 
eine große Abneigung verrietb, fo entfernte diefer von ihnt den Grafen von Alvarez, 
den F. fehr liebgewonnen Hatte, unter dem Vorwande, daß er durch feine firengen 
Srundfäge dem Charakter des Prinzen eine fehiefe Richtung gebe. Auch Escoiquiz, 
an deffen Bortrag der Geſchichte der Prinz zu viel Geſchmack fand, ward nach To: 
ledo verfeßt; doch unterhielt ſich 5. mit ihm ſchriftlich. Nun wollte man dem. 
Prinzen Bergnügen an der Jagd beibringen; allein F. liebte diefe Zerftreuung 


— 


nicht, Im Oct. 1804 ward er zn Barcelona mit Antoinette Therefie, Koͤnig Fer⸗ 
dinonde IV. von beiden Sicilien ter, vermählt. Diefe Drinzeffin war liebens⸗ 
würdig, geiſtvoll und gut erzogen, Sjedermann beeiferte fih, ihr zu gefallen, und 
der Prinz von Afturien liebte fie zärtlich. Da man über fie die Königin vernachlaͤf⸗ 
figte, fo entſtand Eiferfucht. Der König und die Königin liebten die Schwiegertoch⸗ 
ter nicht. Weil fie dem Gunſtlinge, der vergebens ihre Gunſt gefucht hatte, feine 
Ergebenheit bewies, fo befchuldigte man fie, Daß fie einen zu großen Einfluß auf den 
Prinzen, ihren Gemahl, ausübe, und ihm ihren Haß gegen die Franzoſen mittheile. 
Bon Kummer und Verdruß über erlittene Krankungen, befonders von Seiten der 
Königin, verzehrt, ftarb die Prinzeffin den 21. Mai 1806, 22 Jahre alt, ohne Kin: 
der. Godoy dachte jeßt daran, den Prinzen mit einer Bermandten des franz. Kai⸗ 
fers aus der Familie Beauharnais zu vermählem;, allein F. wiberfegte fich riner 
folchen Verbindung; auch gab er dem flolgen Gunſtlinge noch bei andern Gelegen⸗ 
beiten feine Berachtung zu erkennen. Einige Große fuchten daher das Vertrauen 
des Prinzen, mebr in der Abficht, durch ihn ihren Haß gegen den Friedensfürften 
Godoy zu befriedigen, als eine beffere Ordnung der Dinge in Spanien hetzufiellen. 
An der Spitze dieſer Partei fland der Herzog von Infantado. Um den Prinzen. 
für feine Abfichten zu getoinnen, 309 er einen Feind des Friedensfürften, den Ka: 
nonicus Escoiquiz, der mit Hülfe nglanbe auf Spaniens Wiedergeburt wirken 
zu konnen glaubte, in den Berein. n fiellte $. vor, daß Godoy nady des Ki: 

nigs Tode ihn Mol gar vom Throne verdrängen Eönne, da er ohne allen Einfluß, 
von feinem Vater verfannt und von der Königin gehaßt fei. Schon 1806 murde 
der Prinz fo weit gewonnen, daß er dem Herzoge von Infantado für den Sterbe: 
fall Karls IV. den Oberbefeht über die Truppen in Neucaflilien übertrug. Zus 
gleich fchrieb er mit eigner Hand einen Auffag, worin des Friedensfürften Liber: 
amth und Habfucht mit den grellften Farben gefchildert, und der König gebeten 
wurde, den Sünftling zum Wohle des Throns und der Nation zu entfernen. 
Diefe Denkſchrift follte dem. Könige überreicht werden. Man ging noch weiter. 
Als 1807 ein franz. Heer, um Portugal zu befegen, in Spanien einrädte, näherte 
man fih dem franz. Sefandten zu Madrid, Beauharnais,. und auf den Rath 
deffelben fchrieb 5. (11. Det. 1807) an Napoleon und gab demfelben den 
Wunſch zu erfermen, fich mit einer franz. Prinzeffin (der Alteften Tochter Lucians) 
gi vermißlen. Diefer Schritt blieb dem Frietensfürften nicht verborgen; er 
wußte fich der Papiere des Prinzen zu bemächtiger, und mit ihnen lag der Plan 
deffeiben gegen ihn Elar vor Augen. Er eilte zur Königin, und Beide fuchten den 
Knig zu ü gen, dag fein Sohn ihm nach Leben und Krone trachte. F. und 
ſeine Dienerfehaft wurden im- Escorial verhaftet; das Verhör deffelben fand 
in der Nacht vom 28.— 29. Oct. in den Zimmern des Königs, in Gegenwart 
der Minifter umd der Prüfidenten des Conſeils, ftatt. Eine vom Friedensfür: 
flen eigenhändig gefchriebene, an den Rath von Caſtilien gerichtete Fonigl. Rund: 
machung vom 30. Oct. 1807 erklärte den Prinzen und deffen Diener für Ver⸗ 
rather. Allein Die öffentliche Stimme Elagte den Friedensfürften ale den Urhe⸗ 
ber der ganzen Sache an. Diefer machte daher den Vermittler, und der Prinz 


unterzeichnete im feinem DBerhaft einen Brief, worin er feinen koͤnigl. Vater um 


Verzeifung bat. Dieferverzieb, aber der Herzog von Infantado und die übrigen 

nehmer wurden vom Hofe verwieſen. Die Erbitterung des Dolfs gegen 
Godoy führte, als der König Anftalt treffen ließ, feinen Sig nach Sevilla zu ver: 
legen, die Resolution von Aranjuez (18. März 1808) herbei. (©. Spa- 
nien.) Der König entfagte am 19. feiner Krone, und Serdinand VII. wurde 
von dem Volke als Netter des Baterlandes begrüßt. “Der Herzog von Infantado 
wer Commandant der fpanifchen Garden und Präfident des Rachs von Eaftilien. 
Alk der alte Konig ſchrieb durch Murat an Napoleon und erklärte feine Thron 


74 | Ferdinand VII. 


entſagung für ergeungen. Ferdinand VII. hatte Mapolesn feine Thronbefleigung 
befanntgemacht und um eine Prinzeſſin angehalten; zul aber durch die Bes 
Eanntmachung der Actenflüde über die Begebenheiten im Escorial ſich von der 
Beſchuldigung feines Vaters zu reinigen gefucht. Mapoleon empfing die Abges 
fandten fehr kalt: „Kart IV. fei kein Bendeegensffe und Freund, er konne daher 
Ferdinand VL. nicht anerfennen“. Doch ließ er tem Prinzen von Afturien m2l- 
den, daß er fich auf der Keife nach Spanien befinde, und lud ihn ein, ihm entges 
genzufommen, um mündlich diefe Angelegenheiten zu ordnen. Nun reifte 5, 
in Begleitung des Herzogs von SInfantade, des Staatsfecretairs Cevallos, des 
Kanonicus iquiz und Andrer, am 10. April ab. In allen Städten auf 
feiner Reife umringte das Volk den Wagen und bat ihn, das Reich nicht gu ver: 
koffen. Nahe an der Grenze erbielt er ein Schreiben NRapol:ons aus Bayonne 
vom 16. April, worin diefer ihm erklärte, daß er ihn nur dann als König von 
©panien anerfennen werde, wenn feines Vaters Abdankung freiwillig fi. Auf 
Savary’s Betheuerung, dag der Kaifer ihn beftimmt als König anerkennen werde, 
fegte 5. feine Reife fort und kam am 20. April zu Bayonne an, wo ihn 
Napoleon mit Auszeichnung empfing. Als ober der alte König bier feine Abs 
dankung für nichtig erklärt und des Prinzen Entfagung auf die Krone, welche 
5. nur in Madrid und vor den „verfammelten Cortes“ feinem Vater zurück⸗ 
geben wollte, am 1. Mai verworfen batte, fo mußte der ‘Prinz, nach dem 

uftritte am 5. Mai, wo ihn fein erzürnter Bater und die erbitterte Mutter, in 
Gegenwart Napoleons, ter Infanten, Sodoy’s und des Minifiers Tevallos, wie 
einen Verbrecher mit den beftigfien Vorwürfen überfchütteten und mit einer ger 
richtlichen Verurtheilung als Thronräuber bedrohten, unbedingt der Krone Spas 
niens entfagen. Doch hatte er vorher der von ihm in Madrid unter des In⸗ 
fanten D. Antonio Vorfig errichteten oberften Regierungsjunta, als er gehört, 
daß der Großherzog von Derg des Infanten Stelle eingenommen, mit uneinges 
fchränfter Vollmacht das Recht ertheilt, die Sortes zu berufen und Krieg mit 
Franfreich zu führen. Ferdinand erhielt als Apanage eine jührl. Rente von 
600,000 Fr. für fich und feine Nachkommen aus dem Kronfchage von Franfreich, 
fowie die Paläfte und Parks von Navarra als Eigenthum für fich und feine Erben. 
Er bezog Hierauf mit feinem Bruder D. Carlos, feinem Dheim D. Antonio, den 
Kanonicus Escoiquiz, dem Herzog von San Carlos und dem Secretair Diacanaz 
das Schloß DValen:ay (eine Befigung des Fürften Talleyrand), wo er fo fireng 
bewacht wurde, daß der Plan des englifchen Minifteriums 1810, ihn von dort zu 
entführen, fehlſchlug. Daffelbe hatte einen gewiſſen Baron Kolly an ihn abge: 
ſchickt, welcher aber verhaftet. wurde. Ein Spion mußte deſſen Rolle fpielen; 
doch der Prinz ging nicht in die. Falle. Um ſich den Schein zu geben, als verab⸗ 
ſcheue er das beabfichtigte Unternehmen, machte er (freilich zu einer Zeit, wo Alles 
ſchon entdedt war) eine Anzeige davon und drüdte zugleich den Wunſch aus, 
von Napoleon adoptirt zu werden. Erſt am Ende 1813 bot Napoleon, um feinen 
‚ Rüden zu fihern, F. die Wiederherſtellung auf feinen Thron an, und diefer wil⸗ 
ligte in den am 11. Dec. zu Balencay von dem Herzog von San Carlos und dem 
Strafen La Fort unterzeichneten DBertrag, durch weichen F. Spaniens Inter⸗ 
effe von der Sache Europas trennte. Die Tortes verweigerten daher die Be⸗ 
ſtatigung. F. verließ Palencay am 3. März 1814; den 19. kam er in 
Perpignan an, und den 23, in Figuieras, wohin ihn der Marfchall Suchet 

egleitete. F. wurde mit den rührendfien Bezeigungen von Liebe und Treue 
von feinen Unterthanen empfangen. In Serona fchrieb er an die Cortes: „Ge⸗ 
neral Copons hat mir das Schreiben der Regentſchaft zugeſtellt. Ich werde Euch 
von Allem unterrichten. Unterdeffen verfichere ich die Regentfchaft, daß ich nichts 
fo fehr wünfche, als ihr Beweiſe meiner Zufriedenheit zu geben“. Allein geleitet 


Ferdinand (Erzherzog von Oftreich) 15 


von einer Partei des Hofadels, der Seiftlichkeit und einiger Senerale, verwarf er 
den Eid auf die Eonflirution der Cortes von 4812 und fließ diefe um, weil fie die 
monarchifche Gewalt zu fehr befchräntte. Doch ertbeilte er die Berficherung, 
ſelbſt eine Conſtitutionsurkunde zu geben, wie die Aufklärung von ganz Europa 
und die allgemeinen Bedürfnijfe der fpanifchen Unterthanen auf beiden Halbkugeln 
der Erde fie nothwendig machten. General Eguia mar aber faum mit einer br 
theilung der Garden, 2 Tage vor $., in Madrid angefommen, fo ließ er des 
Nachts die Mitglieder der Regentfchaft, mehre Deputirte der Cortes und die 
Minifter verhaften. Hierauf hielt Ferdinand VIL am 14. Mai 1814 feinen 
Einzug in Madrid, wo er durch freundliche Herablajfung den groben Saufen fehr 
an fih 309. Don dem Xugenblide des Regierungsantritts des Königs aber er: 
folgten jogt Schritte und Handlungen, welche das Erflaunen von Europa erregten. 
&tatt der verfprochenen Verfaſſung bildete fich ein furchtbares Verfolgungsſyſtem 
gegen Alle, denen man liberale Ideen zutraute, und feine Schläge trafen vicle von 
den verbienten Männern, deren patriotifhem Sinne F. die Wiederberftellung 
feines Throns verdanfte. Hinrichtungen, Gefangnißſtrafen, Berbannungen und 
Bermögensconfiscationen hatten in allen Gegenden des Reichs ſtatt. (©. 
Afrancefados und Farril,) Die Cenſur ward in ihrem ganzen Umfange 
bergeftellt; Daffelbe geſchah in Anfehung der Meonchsorden, der Jeſuiten und der 
Inquiſition, fammt der Folter. Kurz, es zeigte fich in den meiften Acten der Res 
gierung ein mit Heftigkeit nurehgrehenber und auf Unterdrüdung der Geiſtesfrei⸗ 
beit hinſtrebender Charakter. Zulegt wurde die Bermaltung ganz abhingig von 
dem Einfluffe einer talentlofen und leidenfhaftlich verblendeten Samarilla. (Vgl. 
Ugarte.).. Welche Verwirrung, welches Elend und welche Unzufriednkeit hier⸗ 
aus entfland, wie die Verzweiflung Fühne Männer hinriß zu aufrührerifchen Un: 
ternehmungen, wie der Aufftand des nach Amerifa beflimmten Heeres im Jan. 
1820 den König nöthigte, am 7. März d. J. die Conſtitution der Cortes von 
1812 wiederberzuftellen, wie endlich 1823 die bewaffnete Dazwiſchenkunft Frank⸗ 
reihe die abfolute Gewalt in Spanien wwiederherftellte, und wie feitdem Fl's 
n von feindfeligen ‘Parteien umlagert, mit der Zeit und mit der Erfahrung 
erfolglos kaͤmpft, wird in dem Art. Spanien feit 1808 erzählt werden. Fer⸗ 
dinand VI. vermählte fich 1816 mit der ziweiten Tochter des Königs Nohann VI, 
von Portugal, Maria Iſabella Francisca; als diefe den 26. Dec. 1518 flarb, 
im Aug. 1819 zum zweiten Male mit der Prinzeffin Joſephe von Sachfen (geb... 
den 6. Dec, 1803, Tochter des Prinzen Maximilian), und nach deren Tode, am 
11. Mai 1829, mit einer Tochter des Königs Franz I. von beiden Sicilien, 
Seine Brüder: Don Carlos, vermählt mit Francisca, dritter Tochter des 
serfiorbenen Königs von Portugal, und D. Francisco de Paula, vermaͤhlt 
mit Louiſe, der zweiten Tochter des Königs Franı I. von beiden Sicilien, haben 
jeder 3 Söhne. Der König hat feine Kinder. Die „Memoires historiques sur 
Ferdinand VII. et snr les evenemens de son regne, par Don...”, überf, 
0. d. Span, ins Engl. von. Mich. 3. Auin, und a. d. Engl. ins Franz. von 
M. G. H: mit Anm. (Paris 1824) fehildern Ferdinands VII. Regierung von 
1814 bis 1820. Auch findet man viel über ihn in den „Memoires“ von de 


et. 

Ferdinand (Karl Anton Joſeph), Erzberzog von Hſtreich, Eonigl. Prinz 
von Ungarn und Böhmen, Bruder des Kaifers Leopold II. und Oheim des Kai: 
fers Franz I., war geb. den 1. “jan. 1754, wurde Seneralgouverneur, in der 
Lombardei und vermäßlte fich 4771 mit Maria Beatrix von Efte, wodurch 
er die Erbfolge erhielt. Allein fein Schwiegervater verlor 1796 fein Land 
ws erhielt 1802 als —— den Breisgau und die Ortenau, die er, 
cuem Herzogthum erhoben, feinem Schwiegerſohne, dem Erzherzog Fert 


t 


u 


— 


76 gerdinand (Erzherzog von Oftreic) - 


. dinand, überließ, welcher Letztere den Titel eines Herzogs von Modena: Breisgau 


annahm. Durch den presburger Frieden mußten das Breisgau und die Dre 
tenau an Baden abgetreten werden, die dem Erzherz. Ferdinand dafür zuges 
fiherte Entfhädigung aber wurde nicht geleiftet. Der Erzherzog ftarb den 
24. Dec, 1806. Ihm folgte fein Sohn, Franz IV,, welcher durch den 
wiener Songreß das Herzogthum Modena zurüderhielt. (S. Efte und Mo: 
dena.) Seine Tochter, die edle, unvergeßliche Ludovike Beatrir von Efte, wurde 
4808 die dritte Gemahlin des Kaifers Franz. und farb zu Verona den 7. April 
41816. — Der zweite Sohn des Erzherz. Ferdinand ift der in der neuern Kriege: 
gefchichte befannte Kerdinand Karl Joſeph von Efte, geb. den-25. April 
4781, Erzherz. von Oflreich, Eönigl, Prinz von Uingarn und Böhmen, Prinz von 
Modena, gegenwärtig k. €. General der Tavalerie und feit dem 22. Mai 1816 
commandirender Seneräl in Ungarn, wo er zu Ofen lebt. In dem Kriege, den 
Oſtreich 1805. gegen Frankreich führte, erhielt er den Dberbefehl des dritten Heeres 
von 80,000 M., das Baiern befeßte und in Schwaben fich aufflellte. Uuter ihm 
leitete das Ganze, als Chef des Generalfiabes, der von England dazu empfohlene 
Öeneralfeldzeugmeifter Mad. Diefer lieg fich in feiner Stellung an der Syller, 
zwiſchen Ulm und Günzburg umgeben, und von der Berbindungslinie mit Baiern, 
Hſtreich und Tirol abfcgneiden. Darauf wurde der Erzherz. Ferdinand, welcher 
fih an der Spitze des linken Flügels der oſtr. Armee befand, am 9. Det. vom 
Marfhall Ney bei Günzburg gefchlagen, wo die Sranzofen auf den Querbalken 
der abgetragenen untern Donaubrüde, unter dem Flintenfeuer der Oftreicher, duf 


das rechte Ufer übergingen. VBergebens-drangen jegt der Erzberz. Ferdinand, Fürft 


Schwarzenberg, General Kollowrath u. X. in den General Mad, dag er, um ſich 
aus feiner verwidelten Lage bei Ulm zu ziehen, das linke Donauufer behaupten 
und Nördlingen gewinnen follte. Als nun Ferdinand am 14. Det. das Schickſal 
des in Ulm eingefchloffenen Heeres vorausfah, erklärte er feinen Entſchluß, fich 
mit 12 Schwadronen Reiterei durchzufchlagen. Fürft Schwarzenberg führte.noch 

in derfelben Nacht den Zug glüdlich bis Geißlingen, weil man fich mit dem Heer⸗ 
theile des Senerals Werned zu vereinigen hoffte; allein dieſer mußte bei Trochtel⸗ 
fingen am 18. capitulicen, rährend der Erzherzog feine Scharen mitten durch den 


‚ feindlichen Troß nach Httingen führte, die Trümmer des Heertheils von Hohen⸗ 


zollerri an fich 309 und Murat's Reiterhaufen durchbrach. Doch bei Gunzenhau⸗ 
fen an der Altmuͤhl wurde der Erzherzog, deffen ganze Schar nicht über 3000 M., 
darunter etwa 1800 Reiter, zählte, von Murat's 6000 M. ſtarkem Reiterhaufen 
eingeholt; indeß gelang es dem Fürften Schwarzenberg, durch eine Unterredung 
mit dem franz. General Klein fo viel Zeit zu geroinnen, daß der Erzherzog mit der 
Meiterei entkam, ſodaß bloß das Fußvolk nebft dem ſchweren Geſchütze in Fein: 
des Hand fiel. Darauf ward der Erzherzog nochmals bei Efchenau vom Feinde 
erreicht; hier rettete ihn aber der heldenmuͤthige Widerfland der Nachhut unter 
dem General Mecferey, welcher, tödtlich verwundet, vom Feinde gefangen wurde, 
So enttam der Erzherzog mit noch nicht 1500 M., welche in 8 Tagen, troß der 
täglichen Gefechte, über 50 deutfche Meilen geritten waren, am 22. Oct. nach 
Eger. Er erbielt jeßt den Oberbefehl über die k.k. Truppen in Böhmen, organi: 
firte den Landfturm und machte den Baiern in mehren glüdlichen Sefechten jeden 
Fußbreit Landes flreitig, Dadurch dedfte er mit etwa 18,000 M. den rechten 
Flügel der großen verbündeten Armee, bis diefe die unglüdliche Schlacht bei Au⸗ 


-  fierliß lieferte. 1809 erhielt der Erzherz. Ferdinand von Efte den Oberbefehl 


über den 1. Heertheil, der 36,000 M. ftark, am 15. April über die Pilica in das 
Herzogthum Warfchau einrüdte, deſſen Voͤlker der Erzherzog aber vergeblich 
durch öffentlichen Anfchlag zum Aufftande gegen Napoleon und den Herzog von 
Warſchau aufrief. Fürft Poniatowski leiſtete ihm mit 13,000 M. bei Rascyn 


L 


Serbinand ul. (Großherzog v. Toscanı) 17 


am 19, April tapfern Widerſtand; der Ort, welchen die Sachfen, unter General 
Dyherrn, vertbeidigten, fonnte nicht genommen werden, und nur die Nacht endigte 
den Kampf. Poniatowski übergab hierauf Warfchau am 22. mit Capitulation, 
indem er Praga und das rechte Weichfelufer behauptete. So gelang es ihm, waͤh⸗ 
rend der Erzherrog gegen Kaliſch 309 und Thorn vergebens angriff, die Oftreicher 
zu umgehen, eir.zelne Abtheilungen derfelben zu fehlagen, und zu Rublin, im öftr. 
Galizien, einen Volksaufſtand anzuordnen. Hierauf eroberten die Polen Sen: 
domir, Zamosk und am'28. Mai Semberg, die Hauptſt. Saliziens; endlich no⸗⸗ 

tbigte Donibrowski durch feinen libergang über die Bzura die Oftreicher, am 2. 
uni Warſchau zu räumen. Nun eroberte zwar der Erzherzog Galizien wieder; 
allein die Polen vereinigten fich mit dem beranrüdenden ruffifchen Hülfsheere, un: 


‚ter dem Fürften Gallitzin, worauf Poniatowski die Hftreicher aus Lemberg und 


Sendomir vertrieb, Salizien für Napoleon in Befig nahm und am 15. Juli Kra⸗ 


tkau befegte. “Der Erzherzog zog fich nach Ungarn zurüd, und der Waffenitillftand 
- Znaim am 12. Juli machte dem Kriege ein 


| nde. Indem Feldzuge 1818 über: 
nahm der Erzherzog den Heerbefehl über die dftreichifche Reſerve, die 44,000 M. 
ſtark war, und ging mit 2 Abtbeifungen derfelben, am 26. Juni, über den Rhein, 
worauf General Colloredo den feindlichen General Zecourbe zwang, fich nach Bel: 
fort zu werfen, Fürft Hohenzollern gegen Strasburg und der Erzherzog nach Zune: _ 
ville vorrüdte. Damit endigte feine Theilnahme an diefem Feldzuge. Er ging 
zırüd und erhielt 1816 das Seneralcommando im Ungarn. - » mM. . 
Ferdinand III. (Joſeph Johann Baptift), Großherzog von Toscana, 
Bruder des Kaifers Franz 1., sräberäog von Öftreich ıc., geb. den 6. Mai 1769, 
folgte als 2. Sohn feinem Bater, dem Kaifer Leopold II., als Großherzog v. Tos⸗ 
cana, den 2. Juli 1790. Diefer Fürft, deffen Charakter zugleich mild und feſt war, 


-regierte fein glückliches Land im Geifte feines Baters, Als ein Freund ded Friedens 


und der Künfte beobachtete er eine firenge Neutralitätin dem Kriege gegen Frank⸗ 
reich und war der erfte Souverain, der die franz. Republi (den 16. jan. 1792) 
anerkannte und mit ihr in diplomatifche Verbindung trat, Diefe Politik mißfiel 
den Höfen von St.-Petersburg und von London, und die englifche Regierung 
verlangte im Sept. 1798, der Großherzog folle den Sefandten der Republik fort: 
ſchicken und alle Handelsverbindungen mit Frankreich aufheben. Da dies nicht 
Ko, fo drohte der britifche Sefandte, Lord Hervey, am 8. Det. mit einem. 
mbardement Livornos und einer Zandung der Flotte, mit welcher Admiral Hood 
vor jenem Hafen fich zeigte, wenn der Großherzog nicht binnen 12 Stunden fek 
ner Neutralität entfagte. So mußte Toscana zu der Coalition treten; indeß vers 
mied Ferdinand jede gehäffige Maßkegel und geflattete z. B. nicht, dag man in 
feinem Staate falfche Affignaten verfertigte. Als in der Fölge die franz. Heere 
Piemont befegten, war Ferdinand der erfte Souverain, welcher fich von der Coali⸗ 
tin trennte. Er fandte den Grafen Carletti nach Paris, der dafelbft den Frie⸗ 
den am 9. Gebr. 17195 abſchloß. Allein die Engländer. verlegten die von Frank: 
reich anerkchute Neutralitaͤt Toscanas, weßhalb Bonaparte im Juni 1796 Li⸗ 
vorno befegen und das englifche Eigenthbum wegnehmen ließ. Dagegen bemaͤch⸗ 
tigte fich eine englifche. Siotte den 10. Juli des Hafens Porto:Ferrajo auf Elba, 
franz. Directorum wollte hieräuf Toscana mit Cisalpinien vereinigen; doch 
gelang es dem Großherzoge, durch den im Febr. 1797 von Manfredint mit dem 
General Bonaparte abgefchloffenen Tractat die Neutralität feines Landes wieder: 
berzuftellen, worauf die Engländer Porto⸗Ferrajo, und die Franzofen Livorno 
tüumten. Ferdinand zahlte an die franz. Regierung eine Summe Geldes und 
(mdte einige Meiſterwerke aus der florentiner Galerie, unter andern die Medi: 
he Denas, in das parifer Mufeum. Indeß nöthigten ihn revolutionnaire Um: 
triebe, mehre Perfonen verhaften zu Iaffen und die fremden Aufwiegler zu verban- 


= 


18 Ferduſi 


nen. Auch Bier verfuhr er mit der größten Maßigung; doch bald nothigte ihn 
die politifche Lage Italiens, fich dem wiener Hofe zu nähern, wohin er den Ritter 
Manfredini fondte. Das franz. Directorium verlangte nun von ibm, im Ans 
fange 1798, die beflimmte Erklärung, ob er mit oder gegen Franfreich fich ver: 
binden wolle? Als hierauf im Dec. die Truppen des Königs von Neapel Livorno 
befeßten, fo gelang es dem Großherzog nur durch große Seldfummien, fie zum Ab⸗ 
zuge zu bewegen, worauf auch die franz. Truppen unter Eerrurier Toscana wieder 
röumten, Gſeichwol erklärte Frankreich, da Hftreich den Frieden von Campo 
Formio aufhob, nicht blog an Oftreich, fordern zugleich auch aus fcheinbaren Bor: 
mwänden on Toscana im März 1799 den Krieg und ließ das Öiroßberzeathum be: 
feßen. Fertinond begab fich jeßt nach Wien. Im Frieden zu Luneville 1804 
nmußte er auf Toscana Verzicht leiften (f. Etrurien und Toscana) und er- 
hielt dafür, darch den Bertrag zu Paris am 26. Dec, 1802, Salzburg als Kur⸗ 
fürftenehum, nebft Berchtesgaden, 3 Biertheile von Ecchſtedt und die Haͤlfte 
von Paffau, deren Siefammteinfünfte aber nur die Hälfte derer von Toscana be⸗ 
trugen. Allein ſchon im presburger Frieden 1805 mußte er feinen Kurfiaat an 
Oſtreich und Baiern abtreten; man gab ihm dafür Kürzburg. Die dahin mit 
übertragene Kurmürte erlofch, nach feinem Beitritt zu dem Rheinbunde (am 25. 
©ept. 3807), und Ferdinand war jetzt Großherzog von Würzburg. Napoleon 
zeichnete diefen Fürften bei mehren Gelegenheiten fehr aus. Er kündigte ihn fo: 
ar den Polen im juni 1812 als ihren künftigen König on. Allein der parifer 
riede vom 30. Mai 1814 gab ibm fein Großherzogthum Toscana zurüd, in 
Folge des Bertrags, den Joahim Murars Commifjarien am 20. April mit denen 
des Erzherzogs abfchloffen, und der Congreß zu Wien fügte zu Toscana noch hinzu 
den Stato degli Prefidi, den Theil von Elba, welchen bisher der König von Nea⸗ 
pel befefien hatte, die Landes: und Lehnshoheit des Fürftenthums Piombino und 
einige Enclaven. Auch wurden nach der zweiten Einnahme von Paris die dort _ 
bin entführten Meifterwerfe von Antifen und Gemälden der florentiner Galerie 
jurüdgegeben. Noch einmal mufte der Großherzog feine Reſidenz verlaffen, als 


* Joahim Murat 1815 Italien unabhängig machen mollte und gegen Oftreich zu 


Felde zog. Ferdinand begab fich nach Pifa und Livorno, kehrte aber, nachdem 
der öftr. General Graf Nugent die Neapolitaner am 10. April bei Piftoja geſchla⸗ 
gen batte, fchon den 20. April 1815 nach Florenz zurüd. Mach dem parifer 
ractate vom Sjuni 18123 wird fünftig, nach der Erzberzogin Marie Louife von 
Parma Tode, auch Lucca an Toscana fallen, ‘der Erzherzog Großherzog aber als⸗ 
dann dem Herzoge von Reichftadt feine pöhmifchen Szerrfchaften überlaffen. Fer⸗ 
dinand verlor feine erfie Gemahlin, eine neapolitanifche Prinzeffin, 1802, vers 
mählte ſich 18241 mit Marie von Sachfen, der ältern Schweſter feiner Schwie⸗ 
gertochter, und fiarb den 37. Juni 1824. Ihm folgte fein einziger Sohn Leo: 
pold II, geb. den 8. Det. 1797, verm, wit Maria Anna, Tochter des Prinzen 
Marimilion von Sachfen, 20. 
Fer du Tilnac Andern Firdufee oder Firdoufee, Iſhak Ben Scheriffſchah), 
der größte epifche Dichter der Perfer, blühte um das %. Chr. 1020. Er war zu 
Thus geboren. Die alte Gefchirhte Perfiens reizte feine Wißbegierde, und als er 
fi) mit ihr befanntgemacht hatte, befchloß er, fie durch die Dichtfunft zu verherr⸗ 
lichen. Einige Befchwerden anzubringen, wanderte er nach Gasne, wo Sultan 
Mahmud feinen Hof hielt, welcher Dichter und Gelehrte um ſich verfammelte. 
Er trat in den Garten des kaiſerl. Palaſtes und fand in einer Laube den Dichter 
des Raifers, Anafari, - mit zweien feiner Schüler, welche ſich eben mit Verſe⸗ 
machen aus dem Stegreif unterhielten. F. näherte fich ihnen und mifchte fich 
in ihre Unterhaftung. Anafari erflaunte, einen Fremdling in Bauernfleidung fo 


geiftreich fich Außern zu hören, und feßte das Gefpräch mit ihm fort. Er 


Fere Champenoife j Ferney 79 


von ihm, in welcher Abſicht er gekommen ſei, und erzaͤhlte den Vorfall dem Kaiſer, 
welcher dem Ferduſi ſpater den Auftrag gab, die perſiſche Bearbeitung des alten 
„ESbanameh oder Baſtanameh“ (mörtl.- das alte Buch), welches die Sefihichte 
Perfiens enthielt, die Dakiki angefangen und ein Jahrh. fpäter Anßeri fortgefegt 
batte, zu vollenden, und verhieg ihm für jeden Ders ein Soldftid. F. widmete 
diefer Arbeit 40 jahre feines fpätern Alters und brachte ein Biftar pen Gedicht 
von 60,000 Berfen, N (Buch der Könige) betitelt, zu Stande, mel: 
ches die Geſchich te Perfiens von Nuſhirvan bis auf Kerpejerd umfaßt und eigent- 
lich aus einer Reihe Hiflorifcher Epopöen befteht. Die Thaten des Helden Ru: 
fan, des yerfifchen Hercules, machen eine ter fchönften Epifoden darin aus, 
5. übergab fein Gedicht dem Sultan, welcher, von Berläumdern gegen ibn 
eingenommen, für jeden Ders ihm nur eine Silbermuͤnze auszahlen lieg. Un: 
willig über diefe Behandlung , verfehenfte F. das Geld, ftrich ein!" Menge von 
Verſen zum Lobe Mahmuds , die er in fein Gedicht vermebt hatte, weg, und 
rächte ſich durch eine bittere Satyre (welche in Jones's „‚Poeseos asiaticne com- 
mentar.” zu finden iſt). Gendthigt, die Flucht zu nehmen, begab er fish nach 
Thus und lebte dort in der Berborgenheit. Inzwiſchen bereuete Mahmud feine 
Ungerechtigkeit, und ließ, als er auf feine Machforfehungen erfuhr, daß F. noch 
 kebe und Mangel leide, 12 Kameele.mit reichen Geſchenken für den Dichter be: 

laden. Als fie vor das Thor von Thus komen, begegnete ihnen der Leichenzug 
Ferduſis. — Das „Shanameh“ ifl unter den Dichterwerfen Aſiens eins ber 
eusgereichnetfien ; die perfifche Sprache bat kein Wert ihm an die Seite zu feßen. 
Für die Geſchichte iſt es von unfchäßbarem Werthe, aber noch wenig benußt. Ein 
Druchſtũck, betitelt „Sohreb”, erfchien nebft einer engl. überſ. von Atkinſon in 
Calcutta 1814. 1814 begann der Prof. Lumsden das Ganze herauszugeben, 
das auf 8 Bde. Fol, berechnet mar; doch ift bis jeßt nur der 1. Bd. erfchienen. 
Gerres gab 1820 in 2 Bdn. einen Kusjug aus dem Ganzen. Eine engl. Überf., 
welche Champion 17790 anfing, blieb ımvollendet. Bruchſtuͤcke finden fich über: 
feßt in Jones’s „Commentarien“, in Wilken's „Perf. Chreftomathie“, ferner in 
Schlegepᷣs „Europa“, im „Deutfchen Mercur“, in den „Zundgruben des Orients 
und in Hammer’s „Gefchichte der fchönen Nedekünfte Perfiens“. S. much „Wie⸗ 
ner Jahrbücher der Literatur”, 9. Bd. 

Gere Champenoiſe, f. Paris (Einnahme im Yahre 1814), 

Serien. Feriae waren bei den alten Römern gewiſſe zur Ruhe von aller 
Arbeit und zum Gottesdienfte beflimmte Tage. Diefer Ausdruck ift in unfere 

‚prache übergeaangen, wo er, bei den Schulen und auch bei den Serichtshöfen, 
Die außergewöhnlichen oder Doch nur ein Mal im Jahre eintretenden Ruhe⸗ oder 
Feiertage bezeichnet. " 

Sermate, in der Mufit das Aushalten einer Mote über ihre eigentliche 
Geltung, weiches durch das Zeichen ”°“ angedeutet wird. Sie bringt einen Ruhe⸗ 
punft hervor, der aber weder der Muſik nothwendig ift noch die mufikalifche Pe⸗ 
riode ſchließt. Bisweilen werden Cadenzen dabei angebracht. 

Ferney, ein durch Voltaire's langen Aufenthalt beruͤhmt gewordenes 
Dorf mit anfehnlichen Ländereien im franzoſiſchen Departement Ain, an der 


ifehen Grenze, eine deutfche Meile von Genf. Unter Ludwig XUL 


md XIV, waren die Einwohner, größtentheils Proteflanten, gezwungen aus: 
zuwandern, um den religiofen Verfolgungen zu entgehen. Voltaire kaufte ſich 
«1762 bier an und bemühte fich, durch Thaͤtigkeit und Unterftügung aller Art, 
die er den Anfiedlern zufließen ließ, aus dem Dorfe eine Stadt zu bilden. Ins⸗ 

befondere fuchte er den Runfifleip und vor Allem die Uhrenfabrication, durch ge: 

Arbeiter, die er aus Genf dahin 309, in Aufnahme zu bringen. Die 

‚ die aus allen Theilen der gebildeten Melt Ferney befuchten, um Vol- 


Dertraitiren 
—— übte ————— in ——— aber ſeine Ar⸗ 
beiten, fowol in diefer als in jener Kunfl, bring Toblichen Eigen: 
fihaften Loch, daß fein Beruf nicht in der Ausübung derfelben fei. In Ludwigs⸗ 
luſt lernte 5. ein junges Frauenzimmer Eeunen Ca weiches ihn baib dir weine 
Liebe knüpfte. &r folgte ihr nach Weimar, fand aber fine Hoffnungen geräufhk 
und ging nach Jena. dier machte er bie befannte und Ieprreiche Befennefheft 
des trefflichen Keunhoft, in deffen Kaufe er Baggeſen kennen lernte, der, im Be⸗ 
griff, nad der Schweiz und Italien zu reifen, F. den Antrag machte, ihm Das 
bin zu begleiten. Nichts Eonnte dem —— willkonmener fe 
in 


a ea 
einen kleinen 
rüdgerufen wurde. a ren Baer ans on ak af 


2 Gonner, die ihn in den Stand febten, ſich dennoch nach Rom zu begeben 
(17194) und ſich dort einige Zeit aufzuhalten. Entzüdt durch die Eunfrichen Um: 
gubungen der alten WBeltgebieterin, geleitet durch feinen väterlichen Freund ar: 
fiens, den er in Kom traf, und mit dem er Eine Wohnung bezog, begann er die 
Theorie und Geſchichte der Kumfl, ſowie die Eprache und die Dichter Italiens zu 
ftudiren. Eeine Anfichten erweiterten und berichtigten fich, und als die Unter 
Rüung feiner Gönner aufbörte, hielt er Borlefungen. 1803 fehrte er, mit einer | 
Romerin irathet, nach Deutſchland zurüd und ward auſerordentl. Profefſor 
in Jena. Seine nicht günſtige Lage daſelbſt dauerte bis zum Frühjahr 1804, wo 
er die Durch Jagemann’s ao erledigte Bibliothefarftelle bei der vermitie, Herjpgin 
Amalie befam und nach Weimar zog. Diefes Amt gewährte zwar fein hin⸗ 
reichendes Ausfommen, aber viel Muße, und mwürte 58 in den Stand geſetzt 
haben, ungeflört den Schatz feiner Kenntniſſe zu verarbeiten, wenn er nicht auf 
der Rüdreife über die Alpen eine Krankheit eingefogen hätte, die ibn, nachdem er 
‚in Karlsbad und Dieberflein Geneſung gefucht hatte, am 4. Dec. 1808 feinen 
Freunden entrig. F. flarb an einer Pulsadergeſchwulſt in einem Alter von kaum 4& 
Jahren, Seine reichhaltigen „KRömifchen Erutien” Zürich 1806— 8, 3 Bir), 


Fernrohr | 81 


. feine gelehrte und geſchmackvolle Ausgabe der italieniſchen Dichter (Jena 1807 

—9, 12. Bde.) und feina „itallenifche Sprachlehre” (2. Aufl, Tübingen 1815, 
2 Bde.) werden feinen Namen erhalten. Auch verbanfen wir ihm die.geiftreiche 
Biographie feines Freundes Carſtens und den Anfang der Herausgabe der Windel: 
mann’ichen Werke. Eine Freundin des Derftorbenen, Johanna Schopenhauer, 
bat uns F.s Biographie gegeben, 

Fernrohr (auch Perfpectiv od. Sehrohr), Telefipp und Tubus find 
Bezeichnungen, die man nicht vermwechfeln darf. Unter Bernglas, welches 
entweder auf beiden oder nur auf einer Seite hohl gefchliffen iſt, wird eigentlich nur 
ein einzelnes zur Berdeutlichung entfernter Segenftände dienendes Glas verflanden, 
und diefen Zweck konnen unser gewiſſen Bedingungen alle Zinfengläfer (f. d.) 
erfüllen. Das Fernrohr hingegen ifl ein aus einer oder‘ mehren ineinander: 
gefchobenen Röhren beftehendes Werkzeug, welches einige kunſtmaßig gefchliffene 
und in gehöriger Entfernung. eingeſetzte Släfer enthält, und vermöge n ents 
fernte Segenflände näher und vergrößert vors Auge gebracht werden. Willkür: 
lich, aber fehr gewöhnlich. nennt man ein fleineres Fernrohr Perfpertiv, ein groͤ⸗ 
feres vorzugsroeife Fernrohr oder Tubus. Ein für beide Augen zugleich Dienendes 
boppeites Sehrohr nennt man Binocularteleſtop; man gebraucht folche Werkzeuge 
jedoch Faum mehr, weil man gefunden hat, daß fie mehr hinderlich als nüßlich 
find. — Teleſkop ift, wie Tubus, eigentlich ein allgemeiner Name für. jedes 
Fernrohr oder wielmehr, nach dem urfprünglichen Sprachgebrauche, für die voll: 
fommenern Arten diefer optiſchen Inſtrumente; daber bezeichnet man damit vor⸗ 
zugeweiſe die Art der Fernröhre, bei welchen, flatt des Objectivglafes, ein me⸗ 
tallener, die Segenflände fehr vergrößernder Hohblfpiegel gebraucht wird (Spiegel: 
teleftop), oder Die zu aſtronomiſchem Sebrauche dienlichen Fernröhre, Der Name 
Feflector für Spiegelteleſtop ift aus dem Englifchen Herübergenommen. Unter: 
Kefractor (f. d.) endlich verfieht man ein zu genauern mitrometrifchen Meß 
füngen vorgerichtetes Fernrohr. — Ferngläfer und Fernröhre waren den Alten 
vblig unbekannt, und ungeachtet der Spuren, die fich bei Baco u. A. von dem 
Gebrauche gefchliffener Glaͤſer finden, koͤnnen doch erft die J. 1608 und 1609 als 
bie wahre Zeit diefer Erfindung angefehen werden, welche von Holland ausging, 
ehne daß wir den Urheber derfelben anzugeben wiſſen. Unbeflimmte Nachrichten 
nennen eimen Brillenmacher in Middelburg. Calilei, damals Profeffor der 
Mathematik zu Padua, hörte von diefer Erfindung, und fein Scharffinn errieth 
ſchnell die a Ein Verſuch, den er mit einem planconveren und 
Planooncaven Glaſe anftellte, die er in eine bleierne Röhre fügte, entfprach feiner 
Erwartung. Er berfertigne ungefäumt ein beflerse Sehrohr und Arntete Bewuns 
derung und Belohnung. Bei dem Allen war Salile’s Fernrohr hoͤchſt unvollkom⸗ 
men. Es beftand dies bolländifche oder Galileiſche Fernrohr, nach feiner urfprüng: 
lichen Einrichfung, aus einem erhabenen Vorder: oder Objectivglafe, und einem 
hehlen Augen: oder Ocularglaſe. Beide find in die Enden eines Rohres in einer 
folchen Entfernung eingefeßt, daß der Brennpunkt des Vorderglafes mit Lem jen⸗ 
fitigen Zerfireuungspunfte des Deulars ungefähr zufammenfällt, Um nach den 
Umfländen die Entfernung der Glaͤſer ändern zu konnen, find die Röhre aus zivei 
&täden gemacht, die auseinander: und ineinanbergefihoben werden koͤnnen. 
Man muß, um fich eine deutliche Borftellung von der Wirkungsweife eines folchen 
Inſtruments zu machen, die Natur der Linfenglöfer fennen. Weide Släfer, ſo⸗ 
wol das erhabene als das Hohlglas, müffen auf einerlei Achfe geftellt fein, damit 
der eingebildete Brennpunkt des legten mit dem wahren Brennpunfte des erften 
wlammensreffe. Die Entfernung der Glaͤſer iſt alfo der Differenz ihrer Brenn: 
weiten gleich. Gegenflinde, durch. diefes Fernrohr betrachtet, erfcheinen gerade 

und unter einem größern Sehwinkel eigentlich fo viel Mal vergrößert, ale die 
Eonverfatious s Zericon. Bd. IV, 6 


\ 


82 Seronia 
Brennteite des Augenglafes in der des Objectivglafes enthalten fl. Später er: 

dachte man außer dieſem holländifchen oder Salile’fchen Fernrohr, das nur als 

Tafchenperfpectiv gebräuchlich iſt, noch andre vollfommnere Einrichtungen; fü 

entftanden nach und nach das aftronomifche Fernrohr, das Erdfernroßr, das achro: 

matifche Fernrohr und das Spiegelteleffop. Erſteres beiteht. aus einem erhobenen 

Vorder: und Augenglafe, deren Brennpunfte in der Röhre, an deren Enden fie 

eingefügt find, zufammenfallen. Kepler gab die dee dazu an, und Pater Schei⸗ 

ner führte fie aus.. Das. Sternrohr ftellt die Gegenſtaͤnde zwar verkehrt dar, allein 
bei den Himmelsförpern ift diefer Umftand gleichgültig. Das Erdfernrohr weicht 
von dem vorigen darin ab, daß ihm noch 2, auch wol 3 und 4 Släfer zugefügt 
find, theils um das Bild wieder umzufehren, theils um die Abweichung wegen der 

Sarbenzerftreuung zu vermindern und das Gefichtsfeld zu vergrößern. Allein die 

aus der Farbenzerftreuung nothwendig entftehende beträchtliche Undeutlichkeit war 

nicht ganz zu entfernen, bis es gelang,. in dem Spiegelteleffope und achromatifchen 

Fernrobre Inſtrumente aufzuftellen, bei welchen, wenn fie volltommen gut gearbeis 

tet find, gar feine Zerftreuung der Farben ftattfindet, und fich die Gegenftände 

in ihrer ganzen Reinheit dem Auge darftellen. (©. Achromatifch, Dollond 
und Spiegelteleſkop) Zur Theorie des Fernrohrs gehören folgende Sätze: 

) Jedes erbabene Glas vereinigt Strahlen, welche aus einem Punkte des Segen: 

flandes fommen, fo, ale ob fie aus einem in. der Achfe des Glaſes liegenden nähern 
Punkte ausgegangen wären. Diefer Bereinigungspunft heißt für parallel aufs 
fallende Strahlen der Brennpunkt, und fein Abfland vom Safe die Brennweite. 
Die im Dereinigungspuntte aufgefangenen Strahlen geben das Bild umgekehrt. 
2) Jedes hohle Glas zerftreut ‚die von einem Punkte des Gegenſtandes ausgehen: 
den Strahlen fo, als ob fie aus einem in der Achfe des Glaſes liegenden nähern 
Punkte ausgegangen wären, . Für parallel auffallende Strahlen heißt diefer Punkt 
auch der Brennpunft, und fein Abfland die Birennweite des Glaſes, eigentlich der 
Zerſtreuungspunkt und die Zerftreuungsweite defjelben. 3) Strahlen, welche auf 
ein erhabeges Glas aus feinem Brennpunkte oder Brennraume fommen, oder 
auf ein Hohlglas fallen, als ob fie fich in feinem Brennpunkte vereinigen woll⸗ 
ten, werden von beiden fo gebrochen, daß fie nachher mit einander parallel laufen. 
4) Wenn die Släfer nicht allzu dick find, laͤßt ſich ohne Fehler annehmen, daß 
der Strahl, der auf ihre Mitte füllt, ungebrochen durchgehe. Die Erfindung 
des Galileiſchen Fernrohrs, und die große Menge der damit gleich anfänglich 
am Öternendimmel gemachten Entdedungen erzählt Galilei feibft im „Nantias 
sidereus” ($lorenz 16410, S. 4— 11), ausführlicher Viviani in der „Vita“ 
‚vor den „Opp.” (Florenz 1718, 3 Bde, 4.). Aber die erften deutlichen Begriffe 
von der Theorie der Fernröhre entwickelte Kepler in f. „Dioptrice” (Augsburg. 
1611, 4.) (f. befonders prop. 86, wo des hernach von Scheiner ausgeführten _ 
aftronom. Fernrobrs und feiner Wirkungen in den beflimmteften Ausdrüden er: 
waͤhnt wird), Bufch’s „Handbuch der Erfindungen‘ (Eifenach 1808) gibt in 
der 2. Abth. 4. Th. S. 133 fg., eine.brauchbare Zufammenftellung der auf die 
Sefchichte der Fernröhre Bezug habenden Notizen. Das Theoretiſche in der jeßigen 
Ausbildung erläutern die Lehrbücher der Phyfik; wir empfehlen u. A. Neumann’s 

„Lehrbuch der. Phyſik“ (Wien 1818, $. 768 fg.). Auch vgl. Prieftley’s „Geſch. 

und gegenw, Zufland der Optik, aus dem Engl. durch Klügel, mit Anmerk. und 

(Leipz. 1776, 4.). Uber die neueften Vervollkommnungen der Sernröhre 

. Refractor. - 

Feronia, eine der älteften italienifchen Söttinnen, welche den Wäldern 
und Obflgärten vorſtand. Berühmt iſt der uralte Hain unweit Anxur (Terrasina), 
der ihr geweiht war. In ihrem Tempel enpfingen die Freigelaffenen einen Hut 

zum Zeichen der Freibeit,. 


& 


—Gerrand Ferrara 8 


Ferrand (Antoine, Graf), Mitgl. der franz. Akademie und Verf. meh: 
rer geſchaͤtzten gefchichtlichen Werke, geb. 1762, zeichnete fich vor der Nevolution 
als Parlamentsrath zu "Paris durch Beredtſamkeit und Patriotismus aus, Er wi: 
derfeßte fich den Anleihen, die das Minifierium verlangte, und foderte den König 
auf, durch die Einheit des Throns mit dem Parlamente den öffentlichen Credit zu 
befeftigen. Ber Gang, den die Mevolution bald nach ihrem Ausbruche nahm, 
beſtimmte ihn zur Auswanderung. 1801 Eehrte er nach Frankreich zurüd, ohne 
jedoch an öffentlichen Sefchäften Theil zunehmen. Jetzt erfehien fein berühmtes 

ef: „esprit de lPhistoire“ (4 Bde., 5. Ausg. 1816), Dann febte F. 
aus Rulhirres Papieren die Sefchichte Polens fort. Mach dem Einzuge der 
Perbündeten in Paris war er Einer von. Denen, welche fi) am fräftigften für die 
Zurüdberufung der Bourbons verwendeten. Er wurde dafür von Ludwig XVIII. 
1814 ins Minifterium berufen. Zu der Somite ernannt, welche mit dem Entwurfe 
der Berfoffungsurfunde beauftragt wurde, hatte er an diefer den größten Antheil. 
Später trat er aus dem Miniflerium in die Pairsfammer. 1817 erfchien feine 
„Ehtorie des rerolutions“ in 4 Bon. Syn den legten "Jahren war er blind und 
litt an einer Lahmung der Süße, fand fich aber regelmäßig in den Sißungen der 
Pairskammer ein. &: flarb den 16. Januar 1825. eine Stelle in der franz. 
Atademie erhielt Caſimir Delavigue. - 

Serrara, ehemaliges Herzogthum in Oberitalien. Das alte, aus Toscana 
ſtammende, und fchon im 9. Jahrh. berühmte Haus Efte Hatte über Ferrara das 
Vicariat. (S. Efie.) Als 1597 der Mannsflamm diefes Haufes in der Haupt: 
linie ausgeſtorben war, folgte aus einer Nebenlinie Herzog Caſar. Diefem entriß 
Cemens Vils. Ferrara (1598), das er als eröffnetes Lehn zum Kirchenſtaate 
flug. Die Herzoge von Modena haben ihre Anfprüche darauf vergebens geltend 
ji machen gefucht. Die Hauptſt. Ferrara der Delegation gi. N. in einer niedrigen 
und ungefunden Gegend (Maremmen von Comacchio) an einem Arme des Po, bat 
8600 Hauſer, 23,600 Einw., über 100 Kirchen, eine Univerfität, ein Muſeum ıc, 
So bläßend fie unter der Regierung der Herzoge von Eſte war, als 80,000 Mens 
ſchen den glänzendflen und gebilderften Hof Italiens ummohnten, fo verfallen und 
ormfelig ift fie jetzt. Ihre Straßen find breit und regelmäßig, aber öde; ihre Pas 
laſte groß und gut gebaut, aber wenig bewohnt. Das Schloß, vom päpftlichen 
Legaten bewohnt, enthält noch Üiberbleibfel guter Frescomalereien von Doffi und 
Titian. In den Kirchen finder fich manches gute Bild, befonders von dem hier ein: 
beimifch gewefenen Garofalo, einem Schüler Rafael's. Der Dom, mit einer alt: 
gothiſchen Vorderfeite, aber inwendig in neuerm Style ausgebaut, ifl ein großes, 
doch eben nicht anfprechentes Gebäude. SDeflo anziebender iſt die Bibliothek, wo 
außer fehr ſchaͤtzbaren Sammlungen alter Handfehriften, Antiten, Munzen u. dgl, 
fi) mehre Andenken an die glorreiche Zeit der Stadt befinden. Man zeigt hier das 
Dintefaß und den Stuhl des Artofto, das Manufeript feiner Satyren, me Briefe, . 
und auch fein Denkmal, welches aus der Kirche ©.:Benebdetto, wo er begraben liegt, 
hierher gebracht worden ift. Ferner bewahrt man hier die Handfchrift des „Pastor 
fido‘' von Guarini und viele lÜberbleibfel des Taſſo auf, unter dieſen ein Heft feiner 
„Rime”, mit der Zueignung an Zeonore von Efie, ein Manufcript des „Befreiten 
Jeruſalems“ von fremder Hand, wo er Stellen am Rande verbeffert, mehre Briefe 
u. ſ.w. Auf das wehmüthigfte wird man an den unglüdlichen Dichter im St.- 
Annenfpitale erinnert, wo eine Marmortafel mit einer flogen Inſchrift über. dem 
feuchten und finftern Kerfer prangt, in welchem ihn Herjog Alfons Ih 7 Jahre 
ſchmachten lieg, (Bol. Efte und Taffo.) Erfreulicher find die Erinnerungen 
om Ariofto; ihm zu Ehren heißt ein Plag der Stadt Piazza Arioſtea, und fein 
Wohnhaus, von Innen und Außen mie Infchriften geziert, wird wie ein Hei⸗ 
ligthum von Eingeborenen und Fremden. mit Antacht betreten, ‚Die Feſtungs⸗ 


84 Ferraris Ferraras 


werke Ferraras find nicht unbeträchtlich. ſtreich hat hier nach der wiener Con⸗ 
greßacte das Beſatzungsrecht. xx. 

Ferraris GJoſeph, Graf von), oſtr. Feldmarſchall, Vicepräfitent des 
Hofkriegsraths, gehört zu einem aus Piemont ſtammenden, feit dem 17. Jahrh. in 
Lothringen angefiedelten Gefchlechte, geb. den 20. April 1126 zu Luneville. Er 
kam als Edelfnabe an den Hof der Witwe des Kaiſers Joſeph l., trat nach Aus: 
bruch des öfter. Erbfolgefriege in Kriegsdienfte, wo er bis zum aachener Frieden 

auptmann geworden war. Im fiebenjähr; Kriege zeichnete er fich befonders in der 
chlacht bei Hochkirchen aus, und flieg 1761 bis zum Generalmajor. Nachdem er 

1773 Generallieut. geroorden war, ward er 4 Jahre fpäter zum Oberauffeber der . 
Artillerie in den Niederlanben ernannt und befchäftigte fich daſelbſt mit der ausge- 
zeichneten harte von Belgien, die unter f, Namen befannt iſt. Beim Ausbruche 
des baierifchen Erbfolgefriegs übergab Maria Therefin den jungen Erzherz. Mari- 
milian Franz, nachmal. Kurf, von Köln, feiner Zeitung. Im franz. Revolutions⸗ 
Eriege focht er, beinahe 70 J. alt, tapfer bei Famars und vor Balenciennes, Im 
Det. 1793 verließ er die Armee, ward 17198 Dicepräfident des Hoffriegsrards, 
1801 Seheimerath und Feldmarſchall, und ftarb d. 1. Aprit 1807 zu Wien. 

Ferreira (Antonio), einer der. claflifchen Dichter Portugals, geb. zu 
Liſſabon 1528. Er vervollfommnete die fhon von Seide Miranda mit Erfolg bes 
arbeiteten Gattungen der Elegie und Epiftel, und gab der portugiefifchen Poefie 
überdies das Epithalamium, das Epigramm, die Ode und, Tragödie. Seine 
„Ines de Caſtro“ ift die zweite vegeimüßige Tragbdie nach der Wiederberftellung der 
Wiſſenſchaften in Europas nur Triffino ging ihm mit. der „Sophonisbe“ voran. 
Sie wird noch jeßt, 'weger des erhabenen Watbos und der Vollkommenheit des 
Style, von den Portugiefen als eins der fehönften Denfmäler ihrer Literatur bee 
trachtet, Übrigens find die Werke F.'s nicht zahlreich, da fein Richteramt ihm 
wenig Muse übrig ließ,. und er fehon 1569 ftarb. Dias Bomesfagt von ihm: „Die 
Lecture des Horaz, die Begierde, Miranda nachzuahmen, und die natürliche Strenge 
feines Seiftes wurden Ihm DVeranlaffung, nach Kürze in der Schreibart zu fireben; 
aber er geht darin fo weit, daß er den Wohlklang faſt immer dem Gedanken auf: 
opfert. In allen feinen Werfen find Verſtand und Tiefe die charafteriftifchen 
Kennzeichen. Seine Gemaͤlde find ernft, aber ein wenig geringfügig; fein Ausdruck, 
mehr Eräftig als fanft, iſt ſehr lebendig und woll jenes Feuers, das den Geiſt erhebt 
und das Herz erwaͤrmt. : Er verfland das utile dulci des römifchen Lyrikers“. 
Seine „Poemas lusitanos” erfehienen zuerſt gefammelt: Ziffabon 1598, 4., and 
‚„Todas as obras de Feireira”, Liſſabon 1771, 2 Bde 

Ferreras (Juan de), ein ſpan. Gefhichtfchreiber, geb. zu Labañeza 1652 
von edeln, aber. armen Altern. Ein väterlicher Onkel übernahm die ersiehung des 
jungen F. und fandte ihr Ins Jeſuitencollegium von Monrfort de Lemos. Nach⸗ 
dem er bier Griechiſch und Lateinifch gelernt hatte, Fudirte er nach und nach in$ 
Dominicanerflöftern Poefle, Beredtfamkeit; Philoſophie und Theologie. Überall 
zeichnete er fich durch Scharffinn und Fleiß aus; zugleich machte er-fich durch feiz 
nen fanften Charakter ſowie Durch feine gute Aufführung beliebt. F. war zum geift- 
lichen Stande beftimmt und vollendete feine Studien auf der Liniverfität zu Sala⸗ 
manca. Nachher zeichnete er ſich als Pfarrer durch feine geiftl, Berettfamfeit aus, 
In dem Umgange des Marquis de Mendoza, eines Kenners der Mufen und der 
Gelehrſamkeit, gewann er nicht nur an Kenntniffen, fondern lernte auch die ſchwere 
Kunft des Gefchichtfehreibers. &Späterhin ermachte feine Neigung zur Theologie 
von Neuem, und er fchrieb einen vollftändigen Curſus derfelben. Sein Name wurde 
immer befannter. Er flieg von einer Ehrenſtelle zur andern und wurde ſelbſt bei 
der Congregation der Inquiſition angeftellt. Andre Ehrenämter fchlug er aus, 
Die neue fpanifche Akademie ernannte ihn 1713 zum Mitgliede; er war an dem 


Im Beh 38 


417189 erſchienenen ſpaniſchen Woͤrterbuche ein fleißiger Mitarbeiter. Yu gleicher 
Zeit ernannte ihn Philipp V. zu ſeinem Bibliothekar. Hier ſetzte er ſeine fruͤher 
angefangene Geſchichte Spaniens fort. Nachdem er mehre Jahre in dieſem Amte 
geſtanden hatte, ſtarb er 4735 im 83. Fahre feines Alters, Er hatte im Ganzen 
88 Werfe verfaßt, von denen jedoch nicht alle durch den Druck befanntgemacht 
worden find. ie „Historia de Espana” (Madrid 1700-27, 16 Bde, 4.) 
ift fein wichtigftes Werk. Er Hat fich Baducch fehr um Die Berichtigung und Aufe 
bellung der Gefchichte Spaniens verdient gemacht, Diefes Berk gebt vom erfien 
Urfprunge der fpanifchen Volkerſchaften bis 4589, und verdient meift unbedingtes 

auen. Der Styl iſt rein, männlich und gedrängt, aber nicht immer elegant 
und belebt. Syn diefer Sinficht übertrifft ihn Mariana. | 

Ferro, die weſtlichſte unter dencanarifchen, der Krone Spanien gehörigen 
Inſeln, AIOM., 5000 Einw, Sie ift waſſerarm, hat aber einen großen Linden: 
baum, deffen Blätter aus einer über ibm flets rußenden Wolke Tropfen fammeln, 
die eine Eifterne füllen, Die mehrften Seograppen ziehen oͤſtlich neben diefer 
Jnſel (20° weſtl. von Paris) den erflen Mittagskreis. j 

Ferſen (Arel, Graf), Reichsmarſchall, aus einer alten liefländifchen Fa⸗ 
mifie, die feit der Regierung Chriftinens, Karls X. und XI. Schweden viele reich: 
tige Männer geliefert hat, geb. zu Stockholm gegen 17150, vollendete unter Leitung 
feines Waters feine Studien in Schweden und ging nach Sranfreich, wo er Ober: 
fler des Regiments Royal Suedois wurde. Er dientemun in Amerifa und reifle 
noch England und Italien. Als die Revolution in Frankreich ausbrach, zeichnete 
fih Graf F. durch feine Anhaͤnglichkeit an die Fönigliche Familie aus, Er troßte 
allen Hinderniffen, um diefer unglücklichen Familie, maͤhrend ihres Aufenthalts im 
* Temple, Troft und Linderung ihres Elends zu gewähren, wie er früber auch ihre 
Flucht nach Varennes eingeleitet und fie felbft, als Kutfcher verfleidet, aus Paris 
gebracht hatte. Als er Frankreich hatte verlaffen muͤſſen, bielt er fich in Wien, 
Dresden und Berlin auf, und fehrte endlich nach feinem Baterlande zuruͤck, wo 
ihn der König zum Großmeiſter feines Haufes, Ritter feiner Orden und Kanzler 
der Univerfität Upfala ernannte. Der Graf von. fiel in dem Auflaufe, welcher 
am 20. Juni 1810, nach dem Tode des Prinzen von Holſtein⸗Auguſtenburg, der 
fur; zuvor zum Kronprinzen erwählt worden war, in Stockholm ausbrach, als ein 
Opfer der Volkswuth, bei dem Leichenbegängniffe diefes Pririzen, Die Urfache 
wor der grumblofe Verdacht, daß F. und feine Schweſier an dem plöglichen 
Tode des Prinzen Schuld Hätten, 

Feſcenniſche Verſe, von der Stadt Fefeennia in Etrurien, wo fie 
zuerſt gebräuchlich waren, fo genannt, Beftanden-in Sefprächen zwiſchen 2 Land- 
leuten, die ſich einander in muthwilligen, oft fehlüpfrigen oder fehmußigen Aus: 
drüden ihre Fehler und Sebrechen vorwarfen; alfo eine Art von dramatifchen Ges 
diehten. wielleicht aus dem Stegreife. Die jungen Römer fangen fie vorzüglich 
beim Ärntefefte ab, begleitet mit mimifchen Leibesbeivegungen, Kaifer Auguflus 
verbot die Hffentliche Aufführung. derfelben als unfittlich. 

Feſch (Joſeph), Sordinat, Ef von Lyon, ein Onkel von Napoleon, 
geb. zu Ajaecio den 3. Yan, 17168. in Bater, Sram Se kam von Bafel, 
als Oberkieut. im Schweijerregimente Boccard, nach Eorfifa. Seine Mutter 
war die Wittwe Ramolini (Mutter der Madame Lütitia, verehel. Bonaparte, geb, 
17150), welche in zweiter Ehe ich mit Franz Fefch verheirathet hatte. Big zu 
feinem 18. Bahre ward er in Corſika, hierauf im Seminarium zu Aix erzogen, 
wo er fich noch: befand, als tie Keichsfkinde zufammenberufen wurden, Waͤh⸗ 
rend der Schreckensperiode begab er fich nach Savoyen zur Armee des Generals 
Montesquion, wo er als Kriegsoommiſſair angeſtellt wurde. “Diefelbe Function 
bekleidete er 1796 Dei der von Bonaarte befehl aten Krane in Italien; er trat erſt 


se Gb Seiler 


dann in den früher ergriffenen geiftlichen Stand zurück, als fein großer Verwand⸗ 
ter die Zügel der Regierung von Frankreich übernahm. Nach dem Toncordat von 
41801 wurde er Erzbifchof von non, und 1803 Eardinal. Als franz. Sefandter 
in Rom, feit dem 1. Juli 1808, betrug er ſich mit Berfland und Feinheit. 1804 
begleitete er den Papſt nach ‘Paris zu dem Krönungsfefte. Im jan. 1805 er⸗ 
nannte ihn Napoleon zu feinem Stroßalmofenier, und, mit dem großen Bunde der 
EHrenlegion geſchmückt, den 1. Febr. zum Senator. Im Juli gab ihm der Kö- 
nig von Spanien den Orden des goldenen Bließes. 1806 beftinmte ihn der Kurf. 
Erzkanzler, nachmals Fürft Primas, von Dafberg, zu feinem Coadjutor und 
Nachfolger; allein Napel:on genehmigte dies nicht, weil er fich im Nationalcon- 
ciltum 1810 feinen Abfichten und feinem Verfahren, in Betreff des Papfles, wit 
Nachdruck widerfest hatte. 5. ſchlug nun feinerfeite 1809 das Erzbisthum von 
ris aus und lebte in einer Art von Ungnade auf feinem erzbifchöfl. Sige „zu 
n bis 1814. Bon bier flüchtete er, bei der Anniherung der Hſireicher, nach 
Roanne, und begab fich darauf mit Mad. Latitia Bonaparte nach Rom. Nach 
Napoleons Rüdkehr von Elba ſtellte er fich, nebft andern Mitgliedern der Familie, 
wieder in Paris ein und wurde zum Pair ernannt, mußte aber nach der Schlacht 
von Waterloo abermals Frankreich verlaffen. Seitdem lebt er in Rom, wo ihn 
Pius VII. fehr ſchatzte. F. — mit eben dem ſtandhaften Muthe, mit 
welchem er ſich früher der Willtür Napoleons in der Periode von deſſen hoͤchſter 
Macht zu widerfegen wagte, das Anfinnen der Bourbons, fein Recht auf den 
Biſchofſtuhl von Lyon einem Andern abzutreten; die jeßige —— Frankreichs 
at ſich jedoch dadurch nicht abhalten laſſen, gegen des —* — illen, einen 
bbe von Rohan, der kürzlich Seminariſt war, aber von altem Geſchlecht iſt, 
zum Generalvicar des Erzfliftes zu ernennen. Indeß hat auch ein päpftl. Breve 
41824 dem Card. 5. die Ausübung feiner geiftl. Gerichtsbarkeit in dem Sprengel 
son Lyon unterfagt. 

Feß oder Fey und Marokos, ein mohammed. Reich, welches bie 
Meiche Fez oder Feb, Marokos, Sus und Tafilet begreift. (S. Marocco.) 
Das Königreich Fez, ein Rüftenland im nordroefli. Afrika, greng örtlich an Algier, 
it 4200 OM. groß und bat gegen 5 Mill. Einw. (Mauren, Berbern, Chriſten, 
Juden, Renegaten), Das Klima ift wegen der verfchiedenen Arme des Atlas: 
gebirges, die das Land durchflreichen, und wegen der Nähe des Meeres gemaͤßigt. 
Der überaus fruchtbare Boden bringt Getreide im Überfluß, Wein, Baummolle 
und Südfrüchte hervor, und die Viehzucht, Hauptfächlich Die Pferdezucht, iſt vor: 
trefflih. Die Bergwerke find ergiebig an Gold, Silber, Eifenund Kupfer. “Die 
DManufacturen liefern vorzüglich Torduan, Saffian und vergoldetes Leder. Mit 
Diefen Artikeln und mit den natürlichen Producten des Landes wird ein bedeutender 
Handel geführt. Feß, die roichtigfte Handelsftadt des Reichs, die fchönfte in der 

berei, an dem Eleinen Fluſſe Geb (oder Perlenfluffe), bat über 10,000 Einw., 
berühmte Schulen, eine für Afrika fehr bedeutende Bibliothek, 200 Mofcheen und 
wichtige Fabriken. Liber den Zuftand der arabifchen Literatur in Fez f. Ali Bey’s 
(eines Spaniers) „Reiſe in Marocco, Tripoli u. f. w. 1803 und 1807”. Moch 
liegen im Königr. Fez die kaiſerl. Reſidenzſt. Mekines, die Hafenflädte Tetuan, 
Tanger, Zarafch, wo im uni 1829 öftreich. Kriegsfchiffe einen Angriff verfuchten 
und die Küfte blodirten, um wegen tveggenommener dftr. Handelsſchiffe Genug 
thuung zu erhalten. Über die fpanifchen Prefidios f. Ceuta, 

Feßler (Ignaz Aurelius), D. der Theologie, berühmt durch feine man- 
nigfaleigen Schickſale und Schriften, und vorzüglich durch fein Wirken als Geiſt⸗ 
licher und Freimaurer, lebt jegt ala bifchöflich conſecrirter Superintendent der evan⸗ 
geichen Gemeinden in den neuen ruffifchen Sortvernements an der Wolga, und 
als Sonfiftorialpräfident zu Saratow. Er wurde im Juli 1756 zu Czurendorf in 


u Feßler 87 


Niederungarn geboren, woſelbſt fein Water als verabfihiedeter Wachtmeiſter den 
berrfchaftlichen Safthofin ‘Pacht hatte. Bon feiner Mutter, einer firengen Katho⸗ 
fin, gebildet und dem Klofter beftimmt, trat er 1773 in den Orden der Sapuziner 
zu MoMing und wurde 1781 in das Klofter zu Wien verfegt. 1783 ernannte 
ihn der Koifer Joſeph, dem er, in Verbindung mit dem Praͤlaten von Rauten- 
ſtrauch u. A., vieles von dem damaligen Unfug in Lehre und Handlungen in den 
Kloſtern entdeckt Hatte, wofür ihn die Mönche aufs grimmigfte anfeindeten, an: 
fünglich zum Lector, dann zum Profeffor der orientalifchen Sprachen und der Her: 
meneutik des alten Teflaments auf der Univerfität zu Lemberg; auch trat er in 
demſelben Jahre, in der Zoge Phemix zur runden Tafel in Lemberg, in’ den Frei 
meurerorden. Zugleich wurde er, auf fein Verlangen, gefeglich aus dem Capuzi⸗ 
nerorden entlaffen. Sein Lehramt veraltete er bis 1788; denn als er 1187 fein 
Trauerfpiel „Sidney auf das Theater von Lemberg gebracht hatte, verwickelten 
ihn feine Feinde in einen fiscalifchen Proceß, denuncirten das Stud als gottlos 
und aufrühreriſch, und nöthigten F., der bei der eben ausgebrochenen Revolu⸗ 
tion in den Niederlanden feiner günfligen Entfcheidung feiner Sache entgegenfah, 
auch feine Lage als unficher betrachtete, im folgenden Sabre, fein Amt niederzulegen 
und fih nach Schlefien zu flüchten. Hier fand er bei vem Buchhändler W. G. 
Kon zu Breslau eine freundliche Aufnahme und wurde bald bei dem Erbprinzen 
von Karolath angeftellt, der ihm, als er feinem Vater in der Regierung folgte, den 
Unterricht feiner Söhne übertrug, 4791 trat $. zur lutheriſchen Religion tiber 
und ging 1496 nach Berlin, wofelbft er anfänglich als Privatmann von dem Er: 
trage feiner fehriftftellerifehen Arbeiten lebte, einige Bereine (Diittmochs: und Hu: 
manitätsgefellfchaften genannt) fliftete, endlich aber von den Brüdern der Loge 
Royal⸗York in Berlin den Auftrag erhielt, mit Fichte die Statuten und das Ri⸗ 
tual diefer Loge (deren Vorſitzer er fpäter einige Zeit ward) zu reformiren: eine 
GSache, die in der Freimaurerwelt viel Auffehen machte: Bald darauf erhielt er 
eine Anftellung als Sonfulent für die katholiſchen, neu erroorbenen polnifchen Pro: 
Yinen. Er hatte in Berlin. geheirather und lebte auf einem kleinen erfauften 
Landfig (zu Kleinwall), ein Paar Meilen von der Stadt, als die Folgen der jenaer 
Schlacht auch ihn trafen. : Er verlor fein Amt, mußte fein Grundeigenthum mit 
Verluſt verkaufen, ließ fich in Niederfchönhaufen bei Berlin, und bald darauf in 
Bukow nieder. Keinen andern Ermerb jeßt vor fich, als der ihm aus feiner litera⸗ 
rifchen Thätigkeit entfprang, gedruckt von den harten Laſten des Krieges, umgeben 
von einer zablreichen Familie, deren einziger Verſorger er fein fpllte, gerieth er in 
die traurigfte Lage und lebte oft nur von den Gaben, die ihm die Brüder verſchie⸗ 
dener Logen zukommen ließen. Endlich wurde er 1809 mit dem Charakter eines 
Hofraths, ale Profeffor der orientalifchen Sprachen und der Philoſophie bei der 
Herander-Nersty: Akademie, mit einem Gehalte von 2500 Mubeln nach Peters⸗ 
burg berufen. Lange dauerte jedoch diefe glüdliche Lage auch nicht, Er verlor 
fein Amt oder nahm feine Entlaffung, weil ein griechifcher Priefter, Theophilakt, 
feine Lehre der Philofophie des Atheismus befhuldigte. Dann wurde er zum 
Mitgl. der Sefeßgebungscommiffion mit 2500 Rubeln Gehalt ernannt, und ers 
bielt dabei die Erlaubniß nach Wolsk zu gehen, im ſaratowſchen Gouvernement, 
um dort die philanthropifchen Ideen des Collegienrarhes Stobin, eines großen 
Sutsbefigers, realifiren zu helfen. 4816 verlor er feinen Gehalt als Mitgl, der 
Geſetzgebungseommiſſion, erbielt ihn aber 18473 mit allen Rüdflinden wieder. 
Syierauf lebte er zu Sarepta, dem Hauptfige der Herrnhuter in jenen Gegenden. 
Hier mit diefen fich aufs engfle verbindend und, wie, freilich nicht ſehr glaubroür: 
dig, in der Schrift des Paſtor Limmer: „Meine Verfolgung in Rußland rc.“, bes 
Suptet wird, den Plan. faffend, die Tendenzen des Jeſuitismus und der römi- 
ſchen Hierarchie in die proteflantifche Kirche, durch das Medium des Herrnhutias 


88 Feſt⸗ und Feiertage Feſte (kathol.) 


nismus, uͤberzupflanzen, blieb er bis 1820, wo es ihm bei der neuen Organk 
fation des evangel. Kirchenweſens und bei Errichtung von "Provinzialconfifterien 
gelang, durch die in Petersburg erlangten und feinen myſtiſch⸗religiöſen Anſich⸗ 
ten zugethanen, einflugreichen Goͤnner, in einen bedeutenden Wirkungskreis als 
Superintendent und Eonfiftorialpräfident nach Saratoro zu fommen, wo er, den 
von dorther erfchollenen Nachrichten zufolge, den in feinen zahlreichen Schriften 
fi vorfindenden muftifch -frommelnden und hierarchifchen Anfichten Anwendung 
zu verfchaffen fucht. Über fein Wirken als Maurer und auf die Maurerei (mel: 
chen Orden er 1802 verließ) findet man in dem erſten Bande von Lenning’s „En 
enflopädie der Freimaurerei” genuͤgende Auffchlüffe. F. bat viel gefchrieben; be= 
fonders machten feine biftorifchen Romane: „Ariſtides und Themiſtokles“, 
„Matthias Sorsinus”, „Mark⸗Aurel“, „Attila‘’ ıc. eine Zeitlang Auffehen. Da 
indeß in allen feinen Werken eine gewiffe Eintönigkeit berrfcht, in mehren ders 
feiben über, wie 5 B. „Abälard und Heloiſe“, der „Nachtiwächter Bentir‘, 
„Alonſo“ u ſ. f., eigenthümlich myſtiſche Anfichten die Grundlage bilden, fo bar . 
fih fein Ruf als Autor nicht dauernd in gleicher Höhe behauptet. Sein bes 
deutendſtes Werk ift die „Sefchichte der Ungarn und deren Landfaffen‘‘ (Leipzig 
feit 1812), mit dem 10. Theile vollendet. Höchft intereffant iſt feine Kutobio- 
geaphie: „Feßler's Ruͤckblick auf feine TOjährige Pilgerfehaft ıc.” (Breslau 1826). 

uch haben er und der k. ruff. Staatsrath Peſarovius in befondern Schriften 
1823 auf die gegen F. erhobene bffentlihe Anklage des abgefegten Predigers 
zu Saratom, Zimmer, geantivortet. 

Feſt- und Feiertage, dem gemeinfamen Sottesdienfte der Kirche ge: 
widmet, find theils bewegliche (f. d.), theils unbewegliäe, theils befon= 
dere Feſte. Dean ift in Preußen, Oftreich u. a. Staaten übt gewefen, ihre 
Zahl durch Abfchaffung oder durch Verlegung auf den nächiien Sonntag zu ver- 
mindern, Dagegen fehlt es unferm GSottesdienfte an Befltagen, welche mit den 
die Religiofität der Dienfchen anfprechenden Perioden der Natur in Berührung 
voären, Ein Eirchliches Fruͤhlingsfeſt, ein allgemeines Ärnte⸗ und Herbſtfeſt, 
‚eine Allgemeine Todtenfeler, und, feit der Befreiung Deutfchlands, erhebende Fefte 
der Dankbarkeit, Erinnerung und Stärkung der Nationalfraft, mit weltlichen 
Seften verbunden, wären treffliche Mittel, um, mit Beibülfe paſſender Feierlich- 
feiten, den’ äußern Gottesdienft zu heben. Denn nur diefer ifl wegen der einförs 
migen Kirchengebräuche gefunfen, nicht aber die wahre Religion, welche ihren 
Altar in jedem denkenden und fühlenden Menſchenherzen findet und ihren Gottes⸗ 
dienft ohne Ruͤckſicht auf den Calender hält. (&. Bemwegliche Felle.) liber 
die Feſte der alten Chriſten f..Augufti’s „Dentwürdigkeiten aus der alten chriſtl. 
Archäologie ꝛc.“ (Leipz. 181T—20, 3 Bde.) und Byliegan, „Die Altern und 
neuern Fefte aller chriftlichen Confeſſionen“ (Danzig 1825). 

Feſte. Alle Religionen haben Feſte, diefe Feſte erhalten und erneuen, 
das religiöfe Leben. Wie die Religion fich überhaupt den finnlichen Menfchen in 
finnlicher Weiſe nähern muß, ſo gefchieht das insbefondere bei den Feſten, mo 
gleichfam die Zeiten Heilig werden. Tertuflian fagt in feinem Buche von der Abs 
getteri: „Wir fürchten nicht für Heiden gehalten zu werden; wenn man auch der 

innlichfeit ihre — einraͤumen muß, ſo haben wir auch dies; ich meine nicht 
bloß deine (heiligen) Tage, ſondern noch eine größere Zahl, denn die Heiden feiern 
jedes Feſt nur einmal im Jahre, du aber jeden achten Tag (Sonntag); berechne 
die einzelnen Feierlichkeiten der Nationen, und du wirft finden, daß fie der heiligen 
Pfingftzeit nicht gleich kommen“. — Es gibt wol Eeine Religion, welche ganz 
rein aus fich, ohne alle Einwirkung andrer ſchon befannter Religionsfinnesarten, 
fi ausbildete; das vorhandene Ältere wirft unmwillkürlich ein, fei es nun, daß. 
man es fich aneignet oder es bekaͤmpft. So find die Spuren des Sndifchen im 


[ 


Feſte (kathol. 89 


Judenthum unverfennbar, fo iſt das Chriſtenthum aus dem Judentchum hervor⸗ 
gegangen, und verkehrte mit dem Heidenthum, indem es baffelbe befämpfte, und 
dos. Heitere, was es.den Volkern bot, in erhabener Weiſe zu erfegen fuchte. Wen 
den wir das auf die Fefle an, fo werden wir ung nicht wundern, daß für fo viele 
chriftliche Feſts die Anklänge in fremden Religionen fich finden. Das erfte Fell, 
das die Chriſten feierten, war der Auferflehungstag des Herrn, er fiel mit dem 


Dfierfefte der Juden zufammen; der Tag der Ausgiefung des heiligen Seifles ers ' 


feßte die jüdifchen Pfingften. Fine wöchentlich wiederkehrende Auferfiehungsfeier 
war der Sonntag, zugleich ein Surrogat des jüdifchen Sabbaths. — Die Fefte 
fheilten fi) mannigfach ab: in Wochen: (Sonntag) und “Jahres: oder eigentliche 
Feſte, in ordentliche oder außerordentliche, unbewegliche und bewegliche, große und 
bobe (3. B. Oftern, Pfingften, Weihnachten), mittlere und Eleine, ganze und 
halbe, alte und neue, allgemeine und befondere. — Ordentliche beroegliche Feſte 
find z. B. Oſtern, Pfingften u. ſ. w, unbewegliche: Weihnachten, Michaelis-, 
Dreitönigss, Lichtmeß⸗, Johannis⸗, Marienfefle u. f. w. Außerordentliche 
Feſte oder Feiertage werden in befondern Fällen von den Landesregierungen anges 
ordnet, So z. B. in neuern Zeiten die Geier des 18. Oct, des 18. Juni u. ſ. w. 
In den erfien Jahrhunderten war die Zahl der Eirchlichen Feſte noch fehr gering, 
welches aus den drüdenden Verhaͤltniſſen, womit das Chriſtenthum anfangs zu 
kampfen hatte, nicht ſchwer zu erklären if, In den älteflen Zeiten finden wir, 
außer dem Sonntage, nur noch den flillen Sreitag, Oftern, Pfingſten und die 
nicht genau beflimmten Gedächtnißtage einiger Dräffyrer, wozu noch feit dem 4. 
Jahrh. das Weihnachtsfeſt kam, als heilige Zeiten har Chriſten angeführt. Ob⸗ 
gleich aber in der Feier diefer Feſte der jüdifche, zum Theil auch heidniſche Urfprung 
unverfennbar ift, fo ward Doch fpäter Durch befondere Kirchengeſetze verordnet, daß 
diefe Fefte nicht in Gemeinſchaft mit Juden, Heiden, Häretikern gefeiert werden 






follten. Die Grundidee und Abficht diefer heiligen Zeiten und Felle war, ‘die Er⸗ 


innerungen an die Hauptwohlthaten des Ehriftenthums und die Perfon des Hei⸗ 
Iandes lebendig zu erhalten, zum Dank gegen die göttliche Borfehung aufzufodern 
umd zur Ansübung chriftlicher Tugenden zu ermuntern. Man füchte fich durch 
Faſten auf Die würdige Feier derfelben vorzubereiten und betrachtete die Fefte ſelbſt 
als Sreudentage, wo fich der Ehrift, durch keine profanen Gefchäfte geflört, nur 
mit frober Betrachtung und Übung des Heiligen befehäftigen ſollte. Diefe Feft: 
freuden aber follten fo wenig in Sinnenluft ausarten und Son den heidnifchen Ges 
wohnheiten fo fehr fich unterfcheiden, daß die chriflliche Kirche von dem Augen: 


ie an, wo fie im Staate zu herrſchen anfing, Eeine ernftlichere Angelegenheit; | 


kannte, als die Staatsgewalt um die Befchügung der heiligen Tage und Gebräuche 
und das Verbot aller öffentlicheu Luftbarfeiten, wodurch die Heiligkeit des Gottes⸗ 
dienſtes beeinträchtigt werden konnte, anzurufen. Auf diefe Weife vereinigten 
Ne criftlichen Fefte das ernfte Sittliche der jüdifchen Fefte, und nahmen zugleich 
aus dem jopialen Heidenthum eine gewiffe Liberalität und Heiterfeit an. Obglei 

die heiligen Tage Ferien, d. i. folche Tage waren, an welchen alle öffentliche und 
“ gerichtliche Arbeiten, ſowie alle die Andacht ftbrende Lufibarkeiten unterbleiben 
mußten, fo wurden doch alle fogenannte Noth⸗ und Liebeswerke erlaubt, ja gebo- 
ten, egen ward die Theilnahme an dem Gottesdienſte jenem Chriften zur be⸗ 


fondern Pflicht gemacht, und nicht nur die gottesdienfllichen Orter, fondern auch 


die Wohnungen der Chriflen auf eine ungewöhnliche Art ausgefehmücdt, auch die 
Epriflen zu einer anfländigen und feierlichen Kleidung ermahnt. Man enthielt 
ſich alles Faſtens und hielt die Liebesmahle (Agapen), und nach deren Abfchaffung 
Wurde es den Meichen zur Pflicht gemacht, die Armen zu fpeifen oder durch Almo⸗ 
‚ fen ze unterflügen. — Sowie die Religion als eine gewaltige Herrin das Leben 
zeig, fo ergriff fie auch das Fahr und die Zeit. Es bildete ſich ein vollfländiger 


N 


90 > Belle (£athol.) 


Kirchencalender aus, der das Jahr nach den Welten eintheilte, die Zeit heiligfe. 
Die Feſte theilten das Jahr in 3 Haupteyklen. Zwar nicht der gefchichtlichen 
Entftehung nach, aber doch im Kirchencalender der 1. Cyklus, iſt der Weihnachte: 
cyklus oder die Zeit des Andenfens an Die Menfchteerdung, Geburt und das Lehr⸗ 
amt des Heilandes. Diefe heilige Zeit beginnt mit dem erften Advent (f. d.) 
und dauert bis zum Epiphaniafeſte. Wann das Weibhnachtsfeft (f. d. ent: 
flanden, und über die Seranlaffung feiner Entftehung find die Meinungen gleich 
getheilt, und e8 genügt uns, die Anficht v. Hammer’s ahzuführen, dag bei den 

gyptern das Geburtsfefl des Harpokrates, bei den Perſern das des Mithras, und 
dajfelbe auch bei der Römern am 25. Dec, gefeiert worden, daß alle Feftlichkeiten 
der Ehriftimeßnacht und der darauf folgenden 12 Tage fich fehon in den von den 
Agyptern, Indiern und Perfern um diefe Zeit begangenen Spielen und Erluſti⸗ 
gungen finden, und daher die Kirche gerade diefen fchon heidnifch =feierlichen 25. 

ec. zum Seburtsfefte des Herrn gewählt habe, Es ift allerdings Feine ganz ver: 
werfliche Bermutbung, daß auf folche Weife eine heidnifche Zeit zu heiligen verſucht 
worden. Ermägt man, daß der Mithrasdienft mit dern Sonnencultus zufam: 
menfaͤllt, und dag mehre alte Kirchenhymnen von Weihnachten unverfennbare Be: 
ziehungen und Anfpielungen auf das ehemalige Sonnenfeft enthalten, fo wird die 
von Hammer’fche Hypotheſe keineswegs ganz unmahrfcheinlich feheinen. Auf 
Weihnachten, ein Seburtsfeft, folgen unmittelbar 3 Todesfeiern, der Gedaͤcht⸗ 
nißtag des Maͤrtyrers I er gegen das vierte bis fünfte Jahrh. bin 
entſtanden, des Evangeliften “Johannes, und der unſchuldigen Kinder. Acht Tage 
nach Weihnachten wird daseſt der Befchneidung und des Namens Jeſu gefeiert, 
und damit das Neujahrsfeſt verbunden. Eins der merkwuͤrdigſten Feſte war die 
Epiphania am 6. Januar, mit der vor Entflehung des MWeihnachtsfeftes auch das 
Seburtsfeft des Herrn verbunden war. Diefes Feſt vereinigte in ſich alle Denk: 
swürdigfeiten aus dem Leben Jeſu, wodurch die göttliche Vorſehung feine Beglau⸗ 
bigung als Sohn und Sefandter Gottes, vom erften Augenblicke ſeines irdifehen 
Dafeins bis-zum Antritt feines Lehramtes, verherrlichte. Das ganze Jugendle⸗ 
ben Jeſu follte durch diefes Felt in einer Hiftorifch-pragmatifchen Gberfiche darge: . 
ftelle werden. Daher ann es nicht befremden, wenn fo verfchiedene Momente 
aus der heiligen Gefchichte, wie die’ Geburt des Heilandes, fo lange dafür noch 
kein eignes Feſt angeordnet war, die Erfcheinung der Magier, die Taufe Chriſti 
im Jordan und das von Jeſus verrichtete erſte Wunder zu Kana in Galiläa anein- 
andergereiht wurden, Merkwuͤrdig iſt es doch auch, daß derfelbe 6. Jan. das 
- größte Feft der Agypter war, an welchem die Epiphania des Oſiris gefeiert ward; 
ein Feſt der Freude bes gefundenen Oſiris. — Der 2. Cyklus find die Oſtern 
(f. d.) oder die heiligen Tage zur Zeier des Todes und der Auferfiehung Jeſu 
Chriſti. Das Palmfeft eröffnet diefe durch die AOtägigen Faften vorbereitete Ofter: 
feier. Die griechifche Kirche har diefes Fort ſchon früh, die lateinifche erſt gegen 
das 7. Jahrh. Hin zu feiern angefangen, Am grünen Donnerstage wird das Feſt 
des heiligen Abendmahls und des Fußwaſchens gefeiert Schon im 4. Jahrh. 
finden ſich Spuren diefes Feftes in der afritanifchen Kieche, und in den folgenden 
Jahrhunderten in den übrigen Rirchen. Uber den Urfprung des Namens „grüner 
Donnerstag” (ſ. d.) find die Meinungen getheilt. Es folgt Tharfreitag, das 
Feſt des Todes Chrifti, zugleich ein gs des Schmerzes und der Trauer. Die 
Feier diefes Tages ift fo alt ale die Oſter- und Sonntagsfeier. “Der heilige 
Sabbath, oder der heilige Ofterabend, ift unter allen jüdifchen Sabbathtagen der 
einzige, den die chrifffiche Kirche beibehalten hat; das Hauptdogma diefes Feſtes 
ift das Hinabſteigen des Heilandes in die Unterwelt, ımd die Taufe auf den Tod 
Jeſu. Endlich erfeheint das heilige Oflerfeft oder die Feier der Auferftehung Jeſu 
Thriſti, das ältefle chriſtliche Feſt und das größte, indem alle Sonntage des abs 






Feſte (kathol) 9 


res Octaven von ihm find. Über Die Ableitung des Namens iſt man keineswegs 
einig. Oſtern iſt ein Tag der Freude; vorzüglich lebhaft find die Ausdrücke diefer 
$reude bei den Griechen. Was Gothe's Fauſt am Oftermorgen gedacht über die 
Töne mächtig und gelind, die ihn fuchten im Staube, ihn, der fie Elingen hieß, 
mo weife Menſchen find, ihn, der fich fo fehnfüchtig der Jugendzeit, mo er diefes 
Seiles Dogma noch glauben und fühlen Eonnte, erinnert — dies tft den Sebildeten 
im Gedaͤchtniß. — Der Oſtercyklus theilt fich in 2 Wochen, in die Woche vor. 
Oftern, die fchwarze Woche, und- die nach Dflern, die weiße Woche. Der 
: weiße Sonntag oder die Oſteroctave befchließt diefe Woche. — Der 3. Cyklus 
find die Pfin gfle n, oder die hohere Beglaubigung und Bergeiftigung des Chri⸗ 
ſtenthums als Lehre und Anflalt. Das von der Kirche in den 2 erften Ipflen 
verfinnbildete und gefchichtlich feierlich begangene Erdenleben Chriſti war nun be 
endet, Ehriftus wohnte nun beim Vater und hatte den Tröfter gefandt, der da er⸗ 
leuchtet und flürket des Menfchen Gerz. Der eigentliche erfte Felttag im Pfingſt⸗ 
aklus it das Himmelfahrrsfeft, und die Octave des Pfingſtfeſtes endet den Sr flus 
mit dem auf feinen Fall vor dem 9. Jahrh., und zwar in der katholiſchen Kirche 
entfiandenen Zrinitätsfefte, welches nun die firchliche Zeitrechnung bis zum Ad: 
vent begründet. Dan fann mit Sicherheit annehmen , daß ſowol das Feſt der 
Himmelfahrt Chriſti äls auch das Pfingſtfeſt Toon am Ende des 4. Jahrh. beſon⸗ 
ders und allgemein gefeiert worden. — Auf diefe Weiſe find die 3 Cyklen abge: 
fhloffen. Dieſe befaffen ſich aber nur mit den Fellen des Herrn. Die übrigen 
Seite gehen durch dieſe Cyklen durh. Die Maria: Verehrung beginnt im 
b. Jahrh. und von der Zeit an, wo der von Neſtorius angefochtene und von der 
Kirchenverſammlung zu Ephefus (431) und Chalcedon (451) fanctionirte Aus: 
drud: Otoroxoc, eine befondere Wichtigkeiterhalten hatte; der Ausdruck felbft war 
fhon alt, Die Veranlaffung der Maria⸗Verehrung ift in Dunkel gehüllt. Es 
laßt fich allerdings denken, daß, ſowie die heidnifche Verehrung der aus dem 
Meere erftiegenen Göttin aufhörte, diefes in den Gemüthern entflandene vacuuın 
durch die Verehrung der reinen Jungfrau and Sottesgebärerin erfeßt ward ; ſchon 
der Gegenſatz zwiſchen dem ſinnlichen Heidenthum, derfen Geſchichten von der ch⸗ 
prifchen Benus nicht zu den erbaulichen gebören,: und dem erniten Chriſtenthum, 
das die Idee Der Keufchheit fo Hoch hielt, führte dazu, für diefe Keufchheit ein 
wirflich geiwordenes “deal binzuftellen. Das Zarte, Semüthanfprechente, mas 
indem Cultus der Uranifchen Benus lag, ward auf folche Weiſe erhalten, veredelt 
md son dem Beiwerke der chprifchen befreit. Es liegt in der menfchlichen Natur, 
daß das Strenge mit dem Zarten verbunden werde, und wenn Schlegel den Bund 
der Kirche mie den Künften befungen bat, wo die Himmlifche die auf den Parnaß 
entflohenen Künfte tröftet und fie zu ihrem Dienfte in das Chriſtenthum herein: 
führt, fo bedarf es bier nicht weiterer Erbrterungen. Die Maria:Verebrung, - 
da fie genau von Anbetung 'der Gottheit unterfchieden ward, hat dem Thriften: 
thume nicht gefchadet, fie hat es und feine Reufchheitsidee popularifirt. Selbſt die 
Kirchenväter laſſen es an etymologiſchen Anfpielungen auf das Meer (Maria), auf 
den aus dem Meere fich erhebenden Abendflern (Ave maris stella, Stern der 
Liebe) nicht: fehlen. Der Marienfefte find neun: 1) das Feſt der Verkündigung 
Maris, 2) Maris Reinigung oder Lichtmeß, 3) Maria⸗Heimſuchung, 4) Ge⸗ 
dachtnißtag der Maria Magdalena, 5) Maria Empfüngniß, 6) Marig Geburt, 
T) Maria Opferung, 8) Maria Himmelfahrt (Krautweihe), 9) mehre Eleinere 
Marienfeſte. Die 8 erften werden auch in der proteflantifchen Kirche gefeiert. — ' 
Kuch die Sedächtniftage der Märtyrer uud Apoftel werden gefeiert, 
ferner noch verfchiedene Heiligen:, Engel: und Chriftusfefte. Am 1. Nov. ift das 
FR aller Heiligen. :-Schon im 4. Jahrhundert feierten die Griechen in der 
Pfnsfiortane — heutissage Trinitätsfeft ein allgemeines Feſt aller Maͤrtyrer und 


22 Hufe (kathol) 


Heiligen. G. Allerheiligſtes.) Am 2. Nov. wird das Feitaller Seelen 
gefeiert, ein allgemeiner Trauer⸗ und Erinnerungstag an die Verblichenen, die 
noch nicht zur Anſchauung des Urweſens gelangt find. Odilo von Clugni ſcheint 
Res zuerſt 998 in feinen Klöftern eingeführt zu haben, von wo es allmälig in die 
Kirche Eingang gefunden. Den iuverläffigften Beweis, daß es kein eigentlich alle 
gemeines Feft der Kirche fei, gab das Neformationsproject des Cardinals Cam⸗ 
pagnt von 1524, worin er (cap. 20) in Beziehung auf die Gravamina der deut: 
ſchen Reichsftände von 1523, die Abfchaffımg diefes Feſtes fogleich bewilligte. — 
. Am 29. Sept. wird das Fett Michaelis als ein allgemeines Feſt der Engel ges 
feiert, welches einestheils als Feft des Sieges des guten Principe über das Böfe, 
und zum andern als Rinderfeft (nach Matth. 18, 1 — 11) zu betrachten. — Am 
6. Aug. ift das Feft der Verklärung Chriſti, weiches vorzüglich bei den Gries 
chen fehr feierlich begangen wird. — Die Verehrung des Kreuzes führte zu 
2 Seften, das Feſt der Kreuzeserfindung am 8, Mai, und das Feſt der Kreuzes: 
erhöhung am 1. Sept. — Das Bronleihnamesfeft (f. d.), 1264 entflans 
den, wird am Donneßstage nach dem Trinitätsfefte" gefeiert. Die Euchariflia 
wird an dieſem Tage in feierlicher Proceffion herumgetragen, und diefes Feſt trägt 
dazu bei, den Glauben an die Euchariftia, den edelften Theil der chriftlichen Myſtik, 
zu erhalten. Durch feine Feier beurkunden die Katholiken, daß fie noch praesens 
Numen haben. Selbſt Luther ſagt in feinen Tifchreden ©.359: „Das Feſt des 
Fron-Leibs Bat unter allen den größten und fhönften Schein, — Als befons 
deres und außerorbentliches Yeft erwähnen wir nur noch die Kirchenfeſte (Festa Ex- 
caeniorum), welche offenbar aus dem Judenthume flammen.. — Welche große 
Wirkung die Eirchlichen Fefte auf die Gemuͤther äußern, bedarf hier keiner Ausfuͤh⸗ 
rung. Nur des Bortheils muß noch gedacht werden, daß fie zugleich der Unter: 
richt in den Religionswahrheiten für das Volk in einer Zeit waren, wo Druckerei 
und Schulunterricht noch nicht KRenntniffe verbreiteten. Selbſt jest noch ift die 
Feftfeier ein die Semüther erhebendes und unterrichtendes Mittel. — Im 18, 
Jahrh. find in der katholiſchen Kirche viele Feſttage abgefchafft oder aufdie Sonns 
tage verlegt worden, und die Juriſten waren edeldenkend genug, auf diefen abge⸗ 
festen Feiertagen keine Frohnen ftattfinden zu laſſen. In der fügenannten Auf: 
Flärungszeit erklärte man ſich aber häufig ganz gegen bie Feiertage, und zwar die 
Theologen, teil fiedie Dogmen, die die Belertnge verfinnbifden follten, nicht mehr - 
glaubten, die Cameraliſten aber, teil fie engherzig genug waren, die Güterpro⸗ 
duction als das Höchfte im Xeben zu betrachten, chne zu bedenken, daß der Menſch 
und feine Behaglichkeit — die offenbar durch Feſttage, in mäßiger Zahl verſteht fich, 
ewinnt — der höchfte Zweck aller dkonomiſchen Prodüctionen fein muͤſſe, daß die 
atur der nothwendigen Guͤter immer noch genug gebe, daß der durch Yefltage an 
der Production fich ergebende Ausfall dadurch, dag Alle nicht arbeiten, ſich wieder 
ausgleiche. Freilich, wenn man alleandre Staaten als Fefltage feiernde, und nur 
einen einzigen producirenden Staat als nicht feiernd denkt, fo iſt ein Nachteil für - 
die übrigen vorhanden, ebenfo als wenn ein Staat fein Mercantilfgftem, nur zu 
verkaufen, nicht zu kaufen durchfegt. Mach folchen einfeitigen Anfichten kann 
man.aber fo große Fragen nicht entfcheiden.. — Diejenigen unter uns, twelche die 
* religisfen Feſte gern durch profane Feſte, z. B. neue Natur:, Fruͤhlings-, Herbſt⸗ 
u. f. w. Feſte erfegen möchten — weil fie feinen Sinn haben für die hohe Bes 
deutung der chriftlichen Yefte, für das Symboliſche, Erhabene und Reinmenſch⸗ 
liche, was darin liegt — werden doch immer nur einen ſchwachen Nachklang Deffen 
geben fönnen, was die franz Republik ſchon laͤngſt weit grandiofer ausſprach. 
nämfich der Nationalconvent 4198 auf Robespierre’s Antrag das Daſein des 
böchften Weſens und die Unfterblichkeit der Seele beeretirte, und dieſem Weſen 
auf den 20. Prairial ein Nationalfeſt widmete, wurden zugleich folgende an den: 


Feſton Feſtung 93 


—— von der Mepubtit zu feiernde Feſttage angeordnet: das Feſt 1) des 
böchflert Weſſens und der Natur; 2) des Menfchengefplechts; 3) des franzöfifchen 
Volks; 4) der Wohlthater der Menſchheit; 5) der Freiheit und Gleichheit; 6) 
der Maͤrwrer der Freiheit; 71) der Republif; 8) der Freiheit der Welt; 9) der 
Barerlandsliebe; 10) des Haffes der Tnrannen und Verräther; 11) der Wahr: 
keit, 12) der Gerechtigkeit; 13) der Schambaftigkeit; 14) des Ruhms und der 
Unſterblichkeit; 15) der Freundfchafts 46) der Maßigkeit; 17) des Heldenmuths; 
18) der Treue; 19) der Uneigennügigkeit; 20) des Stoicismus; 21) der Liebe; 
22) der ehelichen Treue; 28) der Eindlichen Liebe; 24) der Kindheit; 25) der Ju⸗ 
gend; 26) des männlichen Alters; 27T) des Shreifenalters; 28) des Ungluͤcks; 29) 
des Aderbaues; 30) der Induſtrie; 31) unfern Ahnen; 82) der Nachwelt und 
der Hüdkfeligkeit.. - oo Ve K. 
Zerfton (Fructfehnur, Gehaͤnge) eine lebendige oder kuͤnſtliche, und im 
Ießten Falle entroeder gemalte oder von Stein (oder Stucco) erhaben gearbeitete, - 
architeftonifche Verzierung aus zufammengebundenen Zweigen, mit Blumen und 
Früchten vermifcht. Bisweilen nimmt man auch, je nach der Beſtimmung des 
Ortes, flatt der Blumen umd Früchte Muſcheln, mathematifche und mufika⸗ 
Iifche Inſtrumente, Thiere m. ſ. w. als Bilder der Fifcherei, der. Jagd, der Muſik, 
der Jahreszeiten. Die Art, diefe Feftons aufjuhängen, ifl verfehieden, denn bald . 
hängen fit nur an einem Ende gerade herab, bald find fie an 2 Enden befeflige 
und bitden halbe Cirkelbogen, bald find beide Arten vermifcht,. dd. 

- Fe flung nennt man in der Kriegsfprache jeden Ort, der durch Natur 
md Kunſt eine folche Befchaffenbeit erhalten bat, dag er den Angriff bedeutend 
aufhält und erfihrnert, die Vertheidigung aber bedeutend und für längere Zeit, ſelbſt 
gegen die libermacht, begünftigt, Unter einer Feſtung muß man einen Platz, ge⸗ 
wöhnlidy eine Stadt, verftehen, deren Lage und Eigenthümlichkeit nach allen Re 
gein der Befeſtigungskunſt benußt, und der fo eingerichtet worden ift, daß eine Bes 
faßung darin Schuß, und Gelegenheit findet, den Feind zu einer formlichen Belage⸗ 
rung zu nöthigen. in folcher Pla wird deßhalb mit allerhand Hinderniffen ume 
baut und umgeben, welche der Feind nur mit der größten Anftrengung und eineni 
uugeröhnlichen Aufwande von Zeit, Mitteln und Krüften zu überroinden im 
Stande iſt. Diefe Hinderniffe werden bei ihrer Anlage auf ewige Dauer berechnet 
md heißen Seftungswerfe zum Unterfchiede von leichtern Verſchanzungen, deren 
Sweck vorübergehend ift, mie bei bloß befeftigten Lagern und andern Punften. — 
Man tbeik die Werke einer Feſtung in 1) Hauptwerke, 2) Außenwerke, 3) befons 
dere Verſtarkungen und Hinderniſſe. Die Hauptwerke, welche den Ort zunächft 
ſchuͤtzend umgeben, vorrden in ihrem Umriffe nach gewiſſen Grundſatzen und genau 
berechneten eingehenden und ausfpringenden Winkeln, durch gerade Linien verbun⸗ 
den, gebildet. Dadurch ner wird es mbglich, daß alle Theile der Feſtung einander 

egenfeitig vertheidigen und auf den vorliegenden Boden ein fich vielfach kreuzendes 
—* bringen konnen, welches ein Haupterfoderniß der Vertheidigung iſt. Der 
Umriß muß fich nach der Ortlichkeit richten, kann alfo felten regelmäßig, im inne 
regulairer mathematifcher Figuren, fein, daher: Die-ganz regulairen Feftungen nur 
suberft felten angetroffen werden. Dus den Ort zunachft umgebende, aufgeführte 
Merk ift der Walt; bisweilen läuft noch ein zweiter, niedriger LUntermall oder 
fausse braye mit ihm parallel oder ift an ihn angehängt. “Die worfpringenden 
Theile des Hauptwalls nenne man Bollwerke, Baſtionen (f. d.) (daher 
baftionirte Feftungen; Marchi, Pagan, Freitag, Vauban, Coehorn, Carmon⸗ 
taigne u. A. befeſtigten auf dieſe Art), ober auch, wenn vorſpringende und einge⸗ 
ende Winkel mit einander ohne gerade Linien verbunden find, Tenaillen (da= 
ber tenaillirte Feftungen, rote Dillich, Landsberg, Montalembert vorfchlagen, Die 
aber nur theilweiſe ausgeführt warden). Dem Walle folgt nach. dem Umriſſe des 


94 |  Seflung 


Walles der große, breite und tiefe Hauptgraben, in welchen, mo es die Umflände 
zulaſſen, Waſſer geleitet zu ‚werden pflegt. Jenſeits des Grabens zieht fich eine 
niedere Bruſtwehr um die Feſtung, der bededte Weg, und flache fich fanft 
ins freie Feld ab, Glacis, dergeftalt, daß jeder Schuß vom Hauptwalle das 
Glacis rafirend beflreichen kann. Theils im Graben, theils im bedediten Wege, theils 
noch entfernter und abgefondert von der Feflung liegen die Außenwerke, die 
detachirten Werke (f. d.) und die befondern Berftärfungen oder Hinderniffe, 
als: Minen, Thürme, Verhaue, Blodhäufer, Verpalliſadirungen und dgl. — 
Alle Werfe einer Feftung bilden ein Syſtem. Man unterfcheidet das italienifche, 
fpanifche, franzöfifche, niederländifche u. ſ. w. Jedes weicht von dem andern in 
der Anordnung der Theile, Berechnung der Bertheidigungslinien, einfachern oder 
Fünftlichern Zufammenfegung berfelben Bauart ab, (Bol. Befefligungss 
tunft.) — Dei der Anlage und Beurtheilung einer Feſtung laffen ſich vornehm⸗ 
lich 3 Sefichtspunfte annehmen: der politifhe, der militairifche oder flrategifche 
und der funftgemäße. Wir berühren den erflern hier nur flüchtig, da er fein bleiben- 
der, überhaupt ſchwankend und an fich der untergeordnete iſt. Sicherung offener 
Landesgrenzen, Echogkaften für den Staat, Gefaͤngniß, Drehort gegen unrubige 
Parteien find, recht betrachtet, nur Nebenzwecke bei einer Seftung; man wird heut: 
zutage deßhalb ſchwerlich neue bauen. Etrategifch wichtig fann eine Feſtung da: 
gegen werden durch ihre Lage, als Strebepfeiler, an welchem fich die feindlichen 
Mogen in ihrer Etrombahn nothwendig brechen müffen, als Riegel vor Paſſen, 
die nicht umgangen werden fünnen, als ©tüße oder Örundlage verfchiedener Ope⸗ 
rationen, als Lehne zu Stellungen, als Ruhepunkt für verfolgte, geſchlagene 
Heere oder für folche, melche frifch Athem fchöpfen und fich zu fernern Unterneh; 
mungen fammeln, flärfen, rüften wollen, mithin als Waffenplag, Vorrathshaus 
u.dgl. Es fpringt ins Auge, dag eine Feflung, die außer dem Wege liegt, mits 
bin leicht umgangen werden fann, die vielleicht noch obendrein Elein ift, alfe vom 
Feinde nur leicht beobachtet werden darf, Nichte deckt, nur Wenigen eine Zuflucht 
geftattet, eher nachtheilig als vortheilhaft fein wird, märe fie auch noch ſo ftarf; 
denn ohne zu nüßen, ſchließt fie eine nügliche Heeresabtheilung als Beſatzung zur 
Unthaͤtigkeit ein und koſtet viel. Betraͤchtliche Vortheile verfprach man firh dage⸗ 
gen von einer Feflungsfette, deren Glieder fich gegenfeitig unterfläßen und. den 
zwifchen ihnen durchtringenden Feind jedes Mal auch zwifchen 2 Feuer bringen 
fonnten. Dazu gehören aber. Außerft beroegliche Feflungscommandanten, welche 
die Ausfälle gefchickt zu leiten verftchen, und unermüdliche Truppen, endlich ein 
Feind, der unflug genug die Kette nicht irgendwo mit ganzer Kraft zerfprengt. 
Die Erfohrung bat 1814 und 1815 gegen den gehofften Bortheil bewiefen; in 
deß konnten fie unter andern Umftänden auch dafür bemweifen, dies Ichrten rübm: 
liche Beifpiele in einzelnen Fällen. — Bon Seiten der Kunft betrachtet, eignet. 
fich die Lage eines Orts vorzüglich zu einer Feftung, wenn fie die Annäherung des 
Zeindes mit geringer Mühe verfperren und erſchweren läßt, eine zweckmaͤßige 
Eünftliche Befeſtigung nicht allzu weitlaͤufig, ſchwierig und Eofifpielig macht, eine 
genaue Überſicht auf jeden im Bereich des Geſchützes und Feuergewehrs Jiegenden 
Punft gewährt und von keinem Punkte in Diefem Bereiche beberrfcht wird, man 
müßte ihn denn, wie bei Ehrenbreitfiein, ſelbſt vortheilhaft mit in das Spftem 
der Befeftigung ziehen können; endlich, wenn fie nicht ungefund und wo möglich 
nie ganz abzufchneiden ift, d. d. durch Meer oder einen Strom noch immer Gele: 
genheit und Möglichkeit geftattet, Zufuhr und Berbintung mit dem Heere zu erhal: 
ten. — Nicht die Größe einer Feftung macht ihre Stärke aus; im Gegentheil 
find meitläufige, volfreiche Orte fehtvierig zu behaupten, erfodern eine zu flarke 
Beſatzung, zu viel Bertheitigungsmittel und Verpflegung, auch eine Überſicht und 
Thaͤtigkeit des Kommandanten, die nur zu leicht menſchliche Kräfte überfleigt, 


— — 


Fetfa Fetiſchismus 95 


Nicht dir Genauigkeit und Schärfe der Berechnung vieler und Fünfllicher Werke 
tragen zur mehren Haltbarkeit befonders bei, werden fogar oft verderblih. Nicht 
die zahlreiche Beſatzung verftürft eine Feſtung; «8. gibt vielmehr ein Verhaͤltniß, 
welches nicht überfihritten werden darf, wenn die Dertheidiger einander nicht im 
Wege fein, den Unterhalt wegzehren und der nüglichen Wirkfamfeit im Felde nicht 
entzogen werden Tollen. Wohl aber. entfcheiden die Tapferfeit und Treue der Be: 
fagung, die eiferne Feftigkeit des Commandanten, das Senie Deffen, der die Ver⸗ 
theidigung feitet, der, wenn die Truppen unermüdet thätig den Feind abzuwehren 
und durch Ausfälle zu verfeheuchen füchen, unerfchöpflich im Auffinden neuer Hin: 
fe, Benutzung der Umftände und Zufälle it, den wahren Werth einer Fe⸗ 
flung. Feig und fehlecht vertheidigt, fallt die ftärkfte und befte fehnell; hartnackig 
md geſchickt vertheidigt, wird die fchlechtefte zum trefflichfien Kriegsmittel, deſſen 
Nußen fein feichtes Raifonnement der Erfahrung abftreiten kann. Man hat die 
Schaͤdlichkeit der Feftungen überhaupt für einen Staat durch Beifpiele und ſelbſt 
durch Gründe nicht ganz glücklich zu ermeifen gefucht, man hat dabei nicht: an 
Bälle wie Diffolumghi gedacht, an welchen die ältere Gefchichte wie Dig neuere nicht 
ſo arm ift, alfo einfeitige Behauptungen aufgeftellt. 5. 
Fetiſchis mus, die Verehrung einzelner natürlicher oder kuͤnſtlicher 


Körper, belebter oder unbelebtet Wefen als göttlicher. Das Wort iſt neu, die Sache: 


alt, De Broffes in feiner. Schrift: „Du culte des Dienx Fetiches‘‘ (1760, 
überf. von Piftorius, Stralfund 1785), hat den Ausdruck Fetifch, der entweder 
aus dem Portugiefifchen von fetisso, ein Zauberfioß, oder .nach Winterbottom 
von feticzeire, Zauberin, abflammt, zuerft in Umlauf gebracht. Die Portu⸗ 
gieſen nannten die Gögen der Neger am Senegal und andrer. wilden Nationen fo, 
und nachher erhielt das Wort eine umfaffendere Bedeutung. Man kann zweierlei 
Setifche unterſcheiden: 1) Theile und Werke ber Natur, und 2) Werke von Men⸗ 
ſchenhand. Zu den erftern gehören Elemente und Berge, welche die Bewohner 


des Kaukaſus, die Perfer, Araber,-alten Deutfihen, Mongolen, Peruaner, Ne . 


ger, Buraten; Slüffe und Quellen, welche die Hindu, Parther, Kamtſchadalen; 
Wälder und Bäume, welche. die Slawen, Tfcheremiffen und Jabuten; Steine, 
Welche die Syrer, Phrygier, Tunkinefen, Lapplinder; Ihiere, weiche die Ngypter, 
Öftioten u, %. anbeteten oder noch anheten; ferner Häute, Gerippe, Klauen, 
Kıpfe, Federn u. a. m. Die zweite Claſſe iſt nicht minder zahlreich: Pfeile und 
Dfisde verehrten die Parias, Scytben, Taurier; andre Bingegen Töpfe, Pfühle, 
Schilde u. dal. Wichtig iſt die Frage, wie der Menfch darauf gefommen fei, 
Fetiſche zu verehren? Bei einigen dieſer Betifche-ifPs begreiflich; bei andern folite 
man meinen, die Dienfchen hätten durchaus nur eine Gottheit haben wollen, und 
das Erfte Beſte dazu gemacht. Woher kam ihnen aber Die Ahnung des Göttlichen, 
die fie. nothwendig haben mußten, ebe fie darauf verfallen konnten, irgend Etwas, 
was es auch fel, zum Gott zu erheben? Die Quelle alles Fetiſchismus iſt die dem 
Naturmenſchen cigenthumliche Anficht von der Natur. Ihm unbewußt trägt er 
fin Leben hinüber in die Natur, und was dann außer ihm durch ihn lebendig ge: 
werden iſt, das erſcheint ihm hoͤher und mächtiger, als er felbft IR, und im fremden 
Weſen findet er das Eigne und Menſchliche göttlich. Dies iſt der reinere und edlere 
Betifhismus der Natur. Hierbei aber blieb es nicht... Sowie der Naturmenſch 
dem Todten außer ſich fein Leben gegeben hatte, fo aab er dem Lebenden, der Thier⸗ 
welt, feinem. Zinn und fein inneres Leben. Der Inſtinkt des Thieres wurde ihm 
Abfichtlichkeie ud Überlegung, und da es durch Kunfttriebe, durch Lift, in der Art 


finem Feinde zu entgehen, feine Nahrung. zu finden, menfehliches Nachdenken 


übertraf, da es ſogar das Lingefehehene wußte, durch Witterung feiner Nahrung 
Aus der Ferne Worempfindung des Wetters, fo gab die Thierwelt dem -Menfchen 


eo 


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9% "Bett Heuer 


feinen eignen Sinn Höher und übermenfchlich zuruͤck (Thierfetiſchesmus). Nicht 
Thiere, fondern die belebte Natur mit Sinnen und Geſtalt der Thiere betete ur: 
fprünglich diefer Setifchismus an. Den niedrigfien Fetifchismus diefer Art erzeug⸗ 
ten die brennendften Klimate von Xfrifa und die Fälteflen des Nordens. Die au 
Berfte Ausartung des Fetifchismus im Alterthume war unflreitig in Agypten; von 
den Wilden der neuern Zeit ift es befannt, daß fierihre ben, wenn fie ihre 
Wünfhe und Gebete nicht erhören, verkaufen und.erfäufen, ihnen droßen, fie be: 
fehimpfen, prügeln und zerflören. Die feinfte Deredlung des Fetifchismus hatte 
ohne Widerrede Griechenland, wo durch die Saͤngerſchulen und die bildende Kımfl _ 
aus ibm ein fchönes geordnetes Söttergefchtecht —— Der edlere Fetiſchis⸗ 
mus oder Polytheismus bildete das Leben in der Natur zu Naturgeiſtern, mit eigen⸗ 
thuͤmlicher Perfönlichkeit in menſchlicher Geſtalt, mit menſchlichem Willen und 
Denken, und ordnete diefelbe zu einem Ganzen (zu einem Goͤtterſtande oder einer 
Sötterfamilie) an. Die dritte Art des Fetiſchismus gilt nur unrigentlich für fol- 
hen, denn wenn manche Wilde die Gottheit in Shierfellen, Pfählen u. f; w. an: 
. beten, fo ift eine Anbetung unter folder Geſtalt nicht unmittelbar aus Belebung 
der Natur entfprungen, fondern nachdem: biefe im Cultus untergegangen war, als 
Eultus felbft entflanden. Daß Fetifchismus die erfle Art der Religion geweſen, 
wird von Dielen bejroeifelt. 

Gert, ein Beſtandtheil thierifcher Körper, weich, beinahe flüffig, fo lange 
es warm und im lebenden Körper enthalten; hart, feft, weiß und blätterig, wenn 
es Ealt if. Es beficht nach den neueflen chemifchen Unterfuchungen größtentheils 
aus Waſſerſtoff und Kohlenfloff, mit einem. geringen Antbeil von Sauetſtoff. 
Bon der vorberrfchenden Neigung des Waſſerſtoffs und Kohlenſtoffs, fich mit-ets 
nem größern Antheil von. Sauerftoffe zu verbinden, rührt die Berbrennlichkeit des 
Fettes ber. (©. Hle.) Der chemiſchen Kunſt ift es gelungen, durch die Berbins 
dung von Kohlenſtoff und Waſſerſtoff eine Maſſe bervorzubringen, welche fich ganz 
gie Fett verhält {f, Handwoͤrterbuch der Chemie‘ von “john, 1817 —19). Auch 
bat man gefunden, daß.andre weiche tbierifche Theile fich in eine fettaͤhnliche Waffe 
verrvandelten, wenn fie lange unter Waſſer, welches fich ſtets erneuerte, oder in 
feuchter Erda aufbewahrt wurden. In dem thierifchen Körper ift die Erzeugung 
und. Abfonderung des Fettes die Berrichtung desjenigen Theils des Haargefuͤß⸗ 
ſyſtems, welcher fich in Zellchen des Zefigewebes ſowol unter. der Haut ais mm ver: 
ſchiedene Eingeweide, befonders aber in den Netzen des Unterleibea befindet, wo fich 
‚alsdann das Fett anfammelt. - (Vgl. Sorpulenz) Blut und Lymphe find 
wahefcheinlich die einzigen Körper, welche kein Fett enthalten. Bei jungen Thies 
ren ift das Fett weicher -als bei ältera. Im Weſentlichen befißen die fetten Erzeug⸗ 
niffe der Pflanzen gleiche Eigenfchaften mit: den-thierifchen Betten. - Das härtefle 
Gert ift dasjenige über der Augenhoͤhle der Hirſche. Sehr verbünnte Minepalſau⸗ 
ven orydiren dag Fett und mühern es dem Wachfe. Alle Fette laffen fich in Hl und 
in Talg fcheiden; die Butter ift Winters talg- und Sommers Streicher. 

Feudalrecht, FGeudalfyftem, f. Lehnrecht, Lehnfoflem. 

Feuer, fe Wärme, 

G euer (das griechifihe) ward im J. Jahrh. erfunden, Als 668 die Araber 
Konftantinopel belagerten, ging der griechifche Baumeiſter Kallinitus aus Helio⸗ 
polis von dem Khalifen zu den Griechen über und brachte eine Miſchung mit, 
deren-unerhorte Wirkungen den Feind in Schrecken feßten und zur Flucht zwangen. 
Bald wurde es mittelft flachsummundener Pfeile und Wurfſpieße auf feindliche 
Seftungsiverfe und Gebäude abgefchoffen, um fie in Brand zu fieden; bald trieb 
man durch daffelbe aus eifernen oder metallenen Röhren fleinerne Kugeln gegen bie 
Feinde. Der Gebrauch diefes Feuers dauerte wenigfiens bis zu Ende des 18, 
Jahrh. fort; aber Fein einziger gleinhzeitiger Schriftfieller hat ns die Beſtandtheile 


I 


* 

Br 5; “ Fenerbach TE N 9 
defielben in einer genauen Angabe aufbehalten. Mach:den Wirkungen zu ſchließen, 
waren nicht Naphtha. Schwefel und Har), ſondern wahrſcheinlich Salpeter ein 
Hauptbeſtandtheil deſſelben. Übrigens folgt aus den Nachrichten der Alten nicht, 
daß es unter, ſondem nur, daß es quf dem Waſſer brannte; ein ſolches Feuer er: 
fand Cardanns auch. Nach einer Angabe im, Magazin der. Erfindungen” ſoll der 
rider von Aretin zu München in der dortigen Centralbibliothek, im eimer.Iateink 
hen Handfehrift aus dem 13. Jahrh., eine Abhandlung über.bas griech. Feuer 
gefunden haben, welche das verloren. geglaubte Recept.deffelban enthält, 1. 

Seuerbac (Paul Johann Anfelm von), ſeit 1824 F.'bairifcher Wirkt, 
Staatsrath, feit 1817 Praſident des Appellationsgerichts des Rezatkreiſes, Com: 
mandeur des Ordens der bairifchen Krone (womit die Erhebung in den Adelsſtand 
verbunden iſt), des ruſſ. St.» Annenordens, des großherzgli fächf, Ordens vom rock 
fen Helfen, Mitgl. der Sefegcommiffion zu St.Petersburg ıc,, iſt geb. d. 14. Non, 
17715 und wurde in Granffurt. a. Me., wo.fein Bater als. Adyocat lebte, erzogen. 
Auf dem Gymnaſium daſeibſt ſtudirte ex die griechifchen und römäfchen Elaffiker; 
bierauf feit 1792 in Jena Philoſophie und Rechtswiſſenſchaft. Reinhold's Vor: 
trag zog ihn fo febrran, daß die Werke von Kant, Lade, Hume, Tetens, Lambert 
1. A. fein Hauptſtudium wurden, was ihn auf Die. Ergründung der Principien der 
Rechtswiſſenſchaft hinfuͤhrte. Davon beugen feiuserfien Abhandlungen in Nieth⸗ 
Jammer’s „journal“ (1795), und zwei Schriften: „Die einzig. möglichen Be⸗ 
weifgründe gegen die Guͤltigkrit der natürlichen echte, und die „Kritik des 
natürlichen Rechto“. So durch philofophifche Studien geiflig erftarkt, wandte ſich 
fin Eifer zu dem pofitiven Rechte ;-er fchrieb 1198 feinen „AntiwHobbes”, und trat 
durch eine Unterfuchung über. den Hochverrath und. Durch aine Abhandlung über 
ben- Zweck der Strafe, Bft in die Reihe der Criminaliſten cim, zugleich fand er 
fit 1199 in Jena als Lehrer der Rechtswiſſenſchaft großen Beifall, Durch die 
„Revifion.der Srundfige und Sirundbegriffe bes peinlichen Rechts (2 Thle., 1799 
fg.) und. durch die von ihn, Grolmann und v. Almendingen herausgeb. „Bibliothek 
der peinl. Rech tswiſſenſchaft“ leitete er eine neue Bearbeisimg der Strafrechtgmig 
ſenſchaft ein, Die er inf. „Lehrbuche Des gemeinen in Deutfchland: geltenden peinle 
hen Privatrechts” (Siefen 1801, 9. fafl ganz umgenrh. Aufl. 1826) füftemasifch 
ausfuͤhrte. Er flellte fih dadurch an die Spitze der neuen Schule der Erimina- 
liten, der fogenannıten Rigoriften, ‚Die bloß auf die Rechtsverfaffung Rüdficht neh⸗ 
men und dag richterliche Urtheil ganz dem Ausfpruche des Ssrafgefeßes unteren 
fen 5. erhielt 1801 in Jena eine ordentl. Deofeffur, folgte 1802 einem Rufe 
nach Kiel, wo er, von einem bairifchen Gelehrten dazu aufgefpdert, eine „Kritik 
des Kleinfhrod’fchen Entwurfs zu einem peinlichen Geſetzbuche für die furpfalg 
obbairiſchen Staaten‘ (3 Thle.,. 1804) herausgab. 1804 wurde er, dererfle Pro: 
teflant und Auswärtige auf einer bairiſchen Univerfität, nach Landshut berufen 
und erhielt den Auftrag, den Entwurf zu einem bairifehen Strafgeſetzbuche auszu⸗ 
arbeiten; meßhalb er auch nach München als Seh, Referendair in das Miniſterial⸗, 
Juſtiz⸗ und Poligeidepart. verfeßt und 1808 zum Geh.Rath ernannt wurde. Die 
gänzliche Umbitdung der bairiſchen Strafgefeßgebung begann 1806 mit der Ab: 
ſchaffung der Folter und mit: der Vorfchrift des gegen Isugriende Inquiſiten zu ber 
obachtenden Berfahrens, weiche Verordnung F. abfaßte. . Das von ihm entworfene 
neue Strafgeſetzbuch für das Königreich Baiern erhielt, nach vorläufiger Prüfung 
und einigen Anderungen, am 16. Mai 1813 die Eönigl. Oenehmigung. Man hat 
doffelbe in Weimar, Würtemberg und andern Ländern bei der Bearbeitung neuer 
Zandesgefegbücher zu Grunde gelegt; im Herzogth. Oldenburg ift es als Gefetzbuch 

Benamayen, dann. auch ing Schwediſche überfegt worden. Zu gleicher Zeit arbei- 
tete 5.448077 fg.) auf Ehnigl. Befehl den „Code Napoleon” in ein allgem, bürgerL 
Geſehhnch für das Königr. Baiern. um das aher ebenfp wenig, als das 1812 vom 

Convrrietions  Zericon. Bd. IV, LE 


[4 


98 Feuerdienſt, Fenerverchrung Feuerland 


Freih. Adam von Aretin imb dem Staatsrathe von Goͤnner auf die Grundlage des 
„Codex Maximilienen«“ bearbeitete bürgerliche Geſezbuch, in Wirkſamkeit ae 
ten ift. Unter den Schriften, die F. damals herausgab,: find „Merfmürdige Erimi: 
nalrechtsfälle (2 Thle., 1808 — 14); , Themis oder Beiträge zur Gefeßgebung‘ 
(1812, darin A, der erfle Entwurf zu dem nachmaligen Staatsvertrage zwiſchen 
Baiern und Würtembirg über die gegenftitigen Serichtsberhältniffe enthalten tif), 
und „Betrachtungerlüiber das Sefchwornengericht” (Landshut 1812) zu bemerken. 
5. verwarf die fran]. Aut, mas vielen Schriftenwechſel für und mider veranlafte; 
inf Schrift: „LÜber Offentlichkeit und Muͤndlichkeit gerichtlichen Verhandlungen“ 
(Gießen 1821), bat er manche feiner Anfichten noch mehr entwickelt, und gezeigt, 
wie ein der deutſchen Cultur und den Bedürfniffen unfers Volks entfprechendes, of: 
fentliches gerichtliche Derfahten, in welchen das Mündliche mit dem Sthriftlichen 
geſchickt verbimden fet, fich-Herftellen laſſe. — Bei der Wieberherftellung der deut: 
ſchen Unabhangigkeit 1813 fg. bezeugte 5. feinen Nationalſinn und Gemeine 
geift durch mehre Schriften, z. DB. „ber deutfehe. Freiheit und Vertretung 
deutfcher Völker durch Landſtaͤnde“ (Leipzig 1814). Um dieſe Zeit ernannte ihn 
der König zum zweiten Präftdenten des Appellationsgerichts in Bamberg; dann 
unternahm F. einige Reifen ins Ausland und lebte zu München den Wiſſenſchaf⸗ 
‚ten, bis er im März 1817 zum erften Praſidenten des Appellationsgerichts für den 
Rezatkreis zu: Ansbach ernannt wurde, In feiner Muße befchäftigt fich diefer une 
ermüdete Geſchaͤftsmann und Gelehrte mit einer metrifchen Überfeßung und einem 
Conmentar des indifchen Gedichts, Gita Gowinda“. Sim Srübjahr und Som: - 
mer 1821 machte er mit Eönigl. Unterſtuͤtzung eine juridifche Beobachtungsreiſe nach 
Paris, Bruͤſſel und einigen Rheinprovinzen, worauf er die lehrreiche ft: „ 
die Gerichtsverfaſſung und das gerichtfiche Berfahren Frankreichs‘ (Gießen 1825) 
derausgab, worin er die Wahrheit bis auf die Fleimften Züge mit Treue und Klar⸗ 
Heit darftellt. . Auch ift ſein Name in dee Presbuterialangelegenbeit, welche in und 
außerhalb Baiern gegründeten Wiberſpruch erregte, rer genannt morden, 
welche in Ansbach (1822) gegen die Einführung der byterien. proteflirt 
Saben. Don feiner „Aktenmaßigen Darftell. merkwuͤrd. Verbrecher” find 2 Bände 
(Gießen 1828 fg.) erfchienen. — Betrachten. mir das ganze Leben dieſes geiſteskraͤf⸗ 
tigen Diannes,' fü gehört: fein Name nicht bloß den Annalen der Literatur, fondern 
auch der Geſchichte der Geſetzgebung an,. und F. wird ſtets mit Achtung ge: 
nannt werden neben einem DBeccaria, Hommel und v. Sonnenfels. 2. 
Seuerdienft, Feuerverebrung, eine Art des edlen Fetiſchis⸗ 
mus (f. d.) oder remern Naturdienſtes, welche vorzüglich bei den Perſern 
herrſchend und ausgebildet war. (S. ®ebern.) J 
Feuerkugel, 1) in der Naturlehre feurige Lufterſcheinungen in Kugel 
geftalt, die fich in verfchirdenen Oroͤßen ſchnell oder langſam durch die Buft bewegen, 
oft auch feurige Schweife haben, in welchem Falle man fie feurige Drachen nennt; 
Heine Kugeln der Art werden auch Sternfihnuppen genamt. Es gibt über diefe 
Erfcheinung vielerlei Muthmaßungen. Chladni erklärt fie für dichte Deaffen, welche . 
fi) außer unferer Atmoſphaͤre im Höhern Weltraume gebildet Haben. - und fegt fie 
mit den Aörolithen oder fogenannten Mondſteinen in die nämliche Claſſe. (©. 
Meteorfteine) 2) In der Geſchuͤtzkunſt jede Kugel, welche angezümder 
werden und brennen fann. 0 Ä 
$euerland (Tierra del fuego), eine 1520 OHM. große Maffe von 11 | 
großen und mehr als 20 Eleinen Inſeln (zroifchen 52° 41’ bis 55° 11° ©. Br.umd | 
87— IT W.L), an der füdlichen Spitze von Amerika, die von Paragonien 
durch die80 Meilen lange Magellaniſche Strafe, und von der Staateninfel im Oſten 
durch die Straße le Maire getrennt fmd. Der Entdedier Magellan nannte es fo, 
Weil er zur Nachtzeit aberall Feuer ſah, und glaubte, dag dieſes von Vulkanen her: 


." Jutsvas 73h rs 4.. ⸗ 


geuemolizei : geuerſteii :99 


vühee. Wahrſcheinlich harten die Eingeborenen Diefe Feuer angezändet. Die füblichfte 
Inſel iR PHermite, deren Sudfpige Cap Horn heißt. Unweit diefes Punktes lies 
gen’ die von Krufenftern 1804 entdedten Orloffsinfeln. Das Klima iſt au: 
ag rauh; in manchen Thalern thaut Im dortigen Sommer das Eis nie 

mo. iftein rauchender Vulkan. DasLand hat eine ganz eigenthümliche 
Bla, und Böchflens einige Gewaͤchſe mit Patagonien und den böhern Andes ge: 

mein, z. B. antiſcorburiſche. Inſekten dat man kaum bemerkt, wenigftens feine I& 
figen; auch wenig Sanduögel, als einige Geier und Habichte. Das einzige vierfä: 
fige Thier iſt der Hund, auch hier der treue Begleiter des Dienfchen. Dagegen wim⸗ 
melt die See von Wallfifchen, Seehunden und Seelowen, von Schalthieren aller 
Art, von Waſſervogeln, unter denen ine Ente genannt wird, Die auf dem Waſſer 
luft. Auchermahnrman einer Möve, des Port:Egmentshuhns und fehr fhmad: 
hafter wilder Gaͤnſe. Die Eingeborenen (etma 2000) find die befehränkteften und 
verlaffenften Sterblichen, von der Raubigfeit ihres Klimas fo zu Boden gebrüdkt, 
dag fie fich auch die gemeinften Bequemlichkeiten des Lebens nicht zu verfchaffen wif: 
fen; ein Eleiner, haͤßlicher, magerer, bartlofer Schlag Menfchen mit langen ſchwar⸗ 
jen und von einer Farbe, als wenn Eiſenroſi mit Hi vermiſcht eingerieben 
wäre. Sie kleiden ſich in das Fell eines Seehundes, ſelten eines Llamas, wie es vom 

abgezogen worden, welches fie um die Schulter werfen und beutelformig um 
die Fuße binten. “Doch Lieben fie den Putz; Arm: und Fußbaͤnder tragen fie von 
Meinen Mufcheln oder Rnochenftädchenz um die Augen malen fie fich weiße Ringe; 
was roth ausficht, gefüllt ihnenungemein. Sie verzehren Alles, Seethiere vorgig: 
ich, rob oder halb verweſt. Kein andres Getraͤnk kennen fie als Waffer, Ohne fefte 
Far siehen fie von einem ‚Det zum andern, wo fie Borräthe von Seethieren 

hre Huͤtten befiehen aus einigen Pfahlen, kegelformig zufammengeftellt, 

mit Zweigen und etwas Gras bededit, und einer Vffnung unter dein Binde, die zus 
gleich als Thar und als Schornflein dient. Kein Gerath fieht man darin.. Sie fühs 
ren nichts als eine Taſche auf dem Rüden, einen Korb in der Hand und eine Blaſe, 
worin fie Waſſer tragen. Wo fie Halt machen, zänden fie ein Feueran; von dem be: 
flündigen Rauche Haben fie faſt alfe rothe Augen. Auch ihre Kühne zeugen von dem 
Mangel aller Kunſtfertigkeit; fie find aus Baumrinden mit Sehnen Bufommenges 
naht und auswendig mit irgend einem Harz überzogen. Nur an ihren Maffen be: 
merkt man einige Kunſt. Die Bogen, die Dfeile,pie@Burffpieße und die F ifehangeln 
find nett gearbeitet, und fie wiſſen fie wohl zu gebrauchen. Man hört das Wort 
Peſche raͤh (d. i. Freunde) am haͤufigſten von ihnen und nennt fie Daher ſelbſt fo 
Mach einigen Nachrichten find fie Flüchtlinge, die aus beffern Gegenden in Dies une 
wirthbare Land verdrängt warden; denn Stammverwandte von ihnen fanten die 
jefuitifchen Miffionarien aufder Weſtkuͤſte von Patagonien. 

Beuerpolizei, f. Polizei und Rettungsanflalten, 

Keuerprobe, . Ordalien. 

Feuerſchwamm wird gemieiniglich von Virkenſchwamm verfertigt, in 
ſtarker Salpeterlauge gekocht, im Backofen getrocknet, dann durch Klopfen und 
Schlagen zum Feuerſchwamm zubereitet. Wenn man in deſſen Oberfläche fein⸗ 

Schießpulver einreibt, ‘fo zundet er noch leichter und heißt dann Pulver: 
ſchwamm. Auch füngt der Schwamm. ſchnell Feuer, wenn man 2 Loth gereinig: 
ten Salpeter im fo viel heißes Waſſer fehüttet, als der Schwamm zur Saͤt⸗ 
tigung, bedarf, ‚und: ihn dann trocknen laße. " 

Zenerfpeiender Berg, f. Vulkane. 

Sewerftein, ein hit allen’ Farben, gewdhnlich gelblich und vanchgrau, 
meiſtens derb/ ſelten kryſtalliſirt vbrkvmmendes Foſſil, ha ſich weit auf der Erde 
verbreite in Ur⸗, Flotze und aufgeſchwemmten ebirgen (vorzüglich in Kreidege 
birgen) findet. Dan: een ORFbe, befönders in mn in Ber, it 


100 Seuerhergoldung :.. Feuerſeug 


Galizien, zu Avio in Welſch⸗Tirol, zur. Verfertigung der. Flintenfleine, mozu man. 
eine Art wählt, welche binlänglich fcharffantig und fehalig zerfpringt. Die rege 
mäßige Form wird ihnen mit eignen Inſtrumenten gegeben... Das DBerfahren va: 
bei, welches fo fehnell ven flatten gebt, daß der ungeübtefte Arbeiter täglich 500 
Stuͤck verfertigen fann, war lange ein Geheimniß und ift erft durch Dolo⸗ 
mieu bekannt gemorten. | | 

Geuervergoldung entfieht aus der Auftragung eines Amalgama von 
Sold und Auedfilber auf ein metallenes Gefaͤß. Wird diefes auf Kohlen gelegt, 
fo verraucht das Quedfilber, und das auf der Oberfläche des Metalls firirte 
Gold bedarf dann bloß der Politur.. 

Fenerverſicherung oder Brandaffecuranz wird ſowol durch bie 
Staatsverwaltung als durch Privatcompagnien veranflalte. Der Segenfland 
derfelben find bauptfächlich Gebäude; aber auch Mobilien und Waaren Eönnen, 
befonders bei den Privascompagnien, affecurizt werden. “Da, wo die Staatsver⸗ 
waltung die Brandaffesuranz für das Land regulirt, wird als Grundſatz betrachtet, 
daß jeder Eigenthümer von Gebäuden nach gewiffen Berbältniffen und Taxationen 
daran Theil nehmen müffe. Was nun in einem geroiffen Zeitraume durch Brand 
verloren gebt, wird auf die Gefammtbeit der Eigenthümer von Gebäuden vertheilt. 
Der Dermaltungsgrundfag ift alfo bier gegenfeitige Garantie, die unflreitig ihre 
großen Bortheile hat. Weil die Smatsvermaltung in der Regel fich nicht auf Ders 
fiherung von Waaren und Mobilien eintigt, ſo haben fich in den bedeutendſten 
Handels: und Hauptftädten Europas große-Bereine gebüdet, die auf jede Feuers⸗ 
gefahr und für jeden Gegenſtand (Pretioſen, Gold, Silber und Documente aus: 
genommen) Berficherung geben. Die großen Enpitalien diefer Sefellfchaften, die 
Schnelligkeit, womit fie ihre Derbindlichfeiten zu erfüllen pflegen, die aufmerk⸗ 
ſame Verwaltung, begründen die Vorliebe, welche das Publicum zu diefen Inſti⸗ 
tuten bat. Als das bedeutendfte gilt die berühmte Pbhonirgefellfehaft in London. 
In Paris gibt es ähnliche ‚Anftalten, In Deutschland macht feit mehren Jahren 
die leipziger Feuerverficherungsanflalt, die ebenfalls auf große Tapitafe und eine 
folide Berwaltung begründet iſt, anfehnliche Geſchaͤfte. Auch in Gotha hat ſich 
eine ähnliche Anftalt auf den Grundſatz der gegenfeitigen Garantie gebildet. 

Feuerwerkerkunſt Pyrotechnie, die Kunfl, aus Schießpulver und 
andern Stoffen fünftliche und dem Auge mohlgefüllige brennende Figuren zu bils 
den. Man theilt fie in Land⸗ und Waſſerfeuerwerkerkunſt ein. Zu erflerer ges 
Bären Raketen, Landpatronen, Geuerräder, brennende Sonnen, Namen u. f.w.; 
zu leßterer die Fenerkugel, Waſſerteufel, Igel ıc. Verſchieden von der Luft: 
feuermwerferei iſt die Ernfifeuerwerferei, die ſich mit Geſchützpatronen, 
Brandkugeln, Petarden befchäftigt. - 

Feuerzeug, eine Beräthfchaft zur örtlichen Erjeugung des Feuers, oder 
zur Erregung des Verbrennungsproceſſes. So gemein das gewöhnlichfte Feuer: 
zeug, Stahl und Feuerfiein, tft, fo wichtig iſt diefe Erfindung, gleichfam der Ta⸗ 
lisman aller Cultur, welcher dem Menſchen das maͤchtigſte Element, die erſte Kraft 
der Natur, dienftbar. macht. Der Gebrauch des Otahls und Feuerfteins, um damit 
Zunder und Schwefel gu entzunden, beruht auf dem Erfahrungsſatze, dag durch 
Das Reiben zweier harter Körper an einander Waͤrme erzeugt wird, welche, wenn 
das Reiben ftarf genug üf, infimtbares Fener-dder Entzimdung übergeht. Daher 
bedürfen rohe Völker, deren Individuen viel förperliche Stärke brfigen, Feines be 
fondern Feuerzeuge, indem ſie trockene Holzer ˖ durch heftiges Reiben entzünden, 
Unfer Feueranſchlagen iſt ebenfalls ein Reiben; der den Stein ſchnell ſtreifende 
Stahl · wird durch dieſe Reibung theilweiſe an feiner Oberfläche elektriſch entzundet, 
Die entgündeten Theile erſcheinen als Funken, und wenn man diefe auf-emem wei⸗ 
Ben Papier auffängs, um ſie, nach dem Erfalten, mit einer Loupe (Vergroͤßerungs⸗ 


! 


Feuerzeug 0 101 


glas) zamterfuichen , fo findet man ſchlackenartige Kügelchen, deren Sabſtanz ver: 
£altter (oxyderter) Stahl if. Daß nicht hilfe fe gleich gute Dienſte leiften, 
berußt auf der verfchietenen Cute td Hartung des Stahls, moraus fie verfertigt 
find, und wenn ein Feuerſtahl auch am ſcha Steine nur ſparſame Sunten 
fhlägt, fo ift es ein Zeichen, daß er entweder aus ſchlechterm Stahl gemacht oder zu 
weich (fchlecht gebärtet) iſt. Auch Die Feuerfleine find, ‚Hinfichtlich der Härte, von 
verfihiedenem Werthe; ein zu weicher Stein fchlügt ſich bald flumpf; ein fcharf 
— Achat bil am langſten. Da nun auch‘ der Zunder (Feuerſchwamm, 
ndſchwamm) nicht immer gut fimgt, ſo iſt das: Feueranſchlagen oft ein langſames 
Geſchaͤft, was denkende Köpfe zur Erfindung eines Geſchwindfeuerzeugs veranlaßt 
hat. Man kennt gegenwaͤrtig folgende Arten ſolcher Feuerzeuge: 1) Das mech as 
nifhe Feuerzeug, in form eines Flinten-= oder Piſtolenſchloſſes, deffen aufs 
r, mit einem Ylinsenfleine verfepener Hahn (mie beim Schießgewehre) die 
aufſchlaͤgt und den darin befindlichen Lumpenzunder entglimmt. Der 

Werth deffetben beruht a) auf der leichten Beweglichkeit des Pfannendeckels (welche 
mar durch Finölen, oder beffer- durch Beftreichen des. Gewindes mit Knochenfett 
snterflüßen muß), b) auf der Säte und Härte des Stahls, woraus der Pfannen⸗ 
deckel befleht. 2) Das pneumatifche Feuerzeug. Diefes beftebt in «iner 
Heinen Luftcompreffunspumpe ‚' ähnlich der zu einer Winbbüchſe gehörigen. Die 
Entyi des. Feuerſchwamms oder Anders wird. bier durch fehnelles Bufammen: 
peefien der Zuft bewirft. : Stegen diefes:Feuerjeug läßt ſich einwenden, daß zwar der 
Erfolg ficher iſt, Bie-Koflen feiner Anfchaffung aber micder geringen Bequemlichkeit, 
weiche es gewaͤhrt, zu wenig im Berbältniffe ſtehen. 3) Das eleftrifche- Feuer: 
keu g (Tachypyr ium; Safopyrium, Brennluftlampe ıc.). Die Einrichtung ift, der 
Hauptfache nach , folgende: Bon 3 über einander angebrachten, mit ihren engen 
Mündıngen in einander übergehenten (geroshnlich gläfernen) Gefaͤßen enthält das 
obere Waſſer, Dasuntere Waſſerſio ffgas (Brennluft, brennbares Gas). Durch eis 
nen Hahn wird die Semeinfchaft zwiſchen beiden Gefäßen für die meiſte Zeit aufge: 
hoben, durch das Drehen diefes Hahns wird fie wiederbergeftellt,, und zugleich ein 
Seitenrohr geöffnet, durch welches aus einer "engen Mündung Wafferftoffgas aus 
dem untern Gefaͤße entweicht, weil beider Erpffnung des Hahns Waſſer aus dem 
obern Gefaͤße in das untere berabfiel, und das dafelbft eingefchloffere Gas durch 
Berengerung des Raums gepreßt wurde. Durch diefelbe, „Drehung bes Hahns wird 
jugleich die. Trommel eines kleinen verborgenen Elektropbors in Bewegung gefeßt, 
welches Dadurch elektriſch wird und feine: Elektricitaͤt einem meflingenen Saͤulchen 
(als Conductor) mittheilt, rorlches.in-der Nähe des Seitenrohrs mit einer magerech: 
ten Spiße verfehen iſt, weicher gegenüber in einiger Entfernung eine Gegenſpitze an- 
gebracht if. Wenn nun beim Drehen des Hahns ein eleftrifcher Funke aus der 
Soitze des Conductors in die Gegenſpitze fehlägt, fo gebt der Weg des Funkens gera- 
de Durch den Gasſtrom, welcher Dadurch entzündet wird, ſodaß man ein Papier oder 
tinen Wachsſtock daran anſtecken kann; der Hahn aber wird fogleich wieder ge- 
ſchloſſen, um den Gasſtrom zu hemmen. Dieſe koſtbare Geraͤthſchaft eignet fich, 
wegen der nothigen Aufftche zur Unterhaltung in gutem Stande, mehr für den im 
Srperimentiren geübten Phyſiker als zu allgemeinem Gebrauche. Der Opticus Oſter⸗ 
land in Leipzig Hat kuͤrzlich das elektrifche Feuerzeug durch Anbringung des Platina 
an die Stelle des Elektraphors, nach Döbereiner’s Berfahren, ſehr vervollkommnet. 
4) Das Phosphorfeuerzeug. Der Phosphor, unter allen brennbaren Sub- 
fangen eine der entzündlichften, Teuchtet im Dunkeln ſchon vermoͤge der bloßen Be⸗ 





rübrung der Luft, deren geringfie Bewegung das Leuchten erhöht, Es bedarf daher | 


mr einer geringen Reibung des Phosphors mit feften Körpern, um ihn völlig zu 
entämden und ſchnell verbrennen zu laffen, Daher beffen Anwendung zu einem Ge⸗ 
ſchwindfeuerzeuge. “Der —2 wird. zu die ſem Behuf in einem Glaschen auf: 


4102 Feyerabend (Famulie) Fiber 


bewahrt, das mit einem eingeſchliffenen Glasſtopſel verſehen iſt, und man-har au⸗ 
ßerdem bloß für einen Vorrath von Schwefelholzchen zu ſorgen; ‚denn mit einem 
ſolchen nimmt man beim Gebrauch etwas Phosphor aus dem Glaͤschen auf, und 
reibt es einwenig am Rande des leßtern oder an einem andern Körper, fo erfolgt fox 
gleich die Entzündung des Schwefelhölgchens, um damit ein Licht. anzuſtecken. “Der 
Gebrauch diefes Feuerzeugs erfodert Borficht, indem 5. B. das Berbreihen des Glas⸗ 
chens mit augenblicdlicher Entzündung ſeines Inhalts verbunden fein würde. Zur 
Vermeidung diefer Gefahr muß das Bläschen mit einer Blechkapſel verfehen fein. 
Da jedoch der Phosphorgeruch, zumal in Verbindung mit dem Schiwefelgeruche, für 
feine Niechnerven angreifend iſt, ſo eignet fich diefe an fich wohlfeile Vorrichtun 
nicht zu jedermanns Gebrauch. 85) Das hemifhe Feuerzeug, f. Eupr- 
rion (Schnelle oder Gutfeuerzeug). 6) Das galvanifche Feuerzeug Bo’ 
laſton's. Syn einem an beiden Enden offenen, etwas: plattgedrüdten filbernen 
Schneiderfingerhut wird. ein Binkplättchen ifolirt befeſtigt. Zink und vom 
Suber erheben ſich Drähte, welche durch ein Eurzes, fehr duͤnnes Stuckchen Platine 
draht mit einander Semeinfchaft Haben. Taucht man nım den Fingerhut in werk 
dünzte Salpeterfäure, fo wird der Platindraht glühend, ſodaß man Zunderſchwannn 
daran anzünden kann. 7) Als Geſchwindfeuerzeug find auch die Zundfidibus 
brauchbar: 4 — 5 Zoll lange und etwa 1 Zoll breite Papierſtreifen, deren jeder 
an einem Ende mit einer Schwefelmaſſe beftrichen iſt, mit welcher ein über das 
Dapierende hervorragendes Streifchen eines Fehr entzündlichen Feuerſchwamms 
feft vereinigt if, Der Schwamm wird, wie gewohnlich, auf der Rante eines 
Feuerſteins (am beften eines Flintenfteins) angefhlagen, und wenn der Stahl gut 
und der Stein nicht allzu ſtumpf iſt, fo wird felten ein Schlag verfügen. 
olinmende Schwamm entzündet die Schwefelmaffe, und diefe entflammt dann 
das Papier, um daran wieder ein Lichtzc. anzuſtecken. ' Endlich hat Döbereiner 
neuerfich entdedt, daß, wenn ein anhaltender Strom Waſſerſtoffgas auf geglüße: 
tes, falzfaures, ammıoniafalifches Platin gerichtet wird, das Platin zum Glühen 
kommt, und davon die Anwendung zu einer neuen Art von Feuerzeugen gemacht. 
©. Bilberr’s „Annalen“, 1824, St. 1. - ' 

Geyerabend, eine Familie zu Frankfurt a. M., berähmte im 16. Jahrh. 
durch eine Menge von Künfllern und Literatoren, welche aus ihr hervorgingen. 
Der ältefte, den man kennt, Johann $., ein Holzfchneider, hat f. Werke mit den 
beiden Anfangsbuchftaben feines Namens bezeichnet und ſoll ein M. Teft, in latein. 
Sprache mit ſ. Holzſchnitten verziert haben. — Hieronymus und Johann F. 
waren —— Buchdrucker. — Chriſtoph F. war Verf. einer deutſchen 
überſ. der Commentarien von Julius Caſar (Fkf. 1565; 1688 u. 1620, Fol). — 
Sigismund F. Zeichner, Holsfchneidek und Buchdrucker, beforgte treffl. Ausg. 
alter Schriftfteller, worunter fich die des Livius (1568, Fol., mit faubern Kupferſi. 
von ze Amman) auszeichnet. Papillon führt eine Sammlung von Figuren ats 
der Bibel an (1569, 4.), welche mehre Blätter, ‚mit den Anfangebuchflaben des 
Sigism, F. bezeichnet, enthält. Auch fpricht er von „Icones novi testamenti artd 
et industria singulari expressae” (1571, 4.),; wotin fly Kupferſt. von dieſen 
Küunſtler befinden follen. Sigism. 5, war auch Herausgeber folgender Sammlun: 
gen: 4) „Annales sea historia rerum belgioarum a diversis autoribns ad 
haee usque nostra tempora conscriptae et deductae“ (FEf. 1580, 2 Bde. Fol.); 
2) „Monumenta illustrinm eraditione et doctriha virorum figuris artifictosis- 
simis expressa” (ebend. 1585, Fol.) Er gab ferner auf f. Koften dis Gynne- 
ceum”', eine Sammlung von Frauentrachten, heraus. — Karl Sigismund 
5. folgte 1580 feinem Vater in demfelben Gewerbe. Er hat mehre Kupferflich: 
fammlungen erfcheinen laſſen. u 

Fiber, Fibern, die feinen Faſern oder zarten Fäden, mit welchen bie 


Fichte u EEE | 4103 


feßen Tpelle der Theer⸗ und Plängenkürpet nfamimengeroebt: find; — Bibrbg, 
was Faſern Hat, oder faferig; was aus Faſern beſteht. 
Biere (Johann Gottlieb), geb, zu Rammenau bei Biſthofswerda in des 
Dberaufip 1762, verdantraf.erfle Erziehung der Unterſtutzung eines. Ken, 9, Miltitz 
Machher erhielt er in Schulpforte eine claſſuſche Bildung end ſtudirte zu Ferm, 
Leipzig und Wittenberg. Dann Irbte er. einige Jahre in der Schweiz (gr Ziwich als 
Hauslehrer), wo er Peſtalozzs Freumd wear, und in Preußen, wo er in Königsberg 


den Umgang Kant’s genoß. Sein „Berfirch einer Aritit eier Offenbarung‘ (Königeb; 


17192), der allgemeine Aufmerkſamkeit erregte, verfchaffte ihm 1793 den Ruf als 
erden. Drof. det Philoſophie nach Jena, und er war eine der. erſten Zierden diefer 
Univerfttät wahrend ihrer glänzendften Zeit. Ohne feinen Dramen erfchienen 1799 
2 Hefte von f. „Beitrag zur Berichtigung der Urtbeile des Publicums üb, die franz. 
Revolution” (435 ©.), In Jena machte er u. d. N; der Wiffenfchaftslehre 
ein philoſ. Syſtem Ix kannt, weiches er früher auf dem Kant'ſchen fortbaute, von 
weichen letztern er aber nachher fich immer weiter entferete. Wegen eines in das 
von ihm herausgeg.Philoſ. Journ.“ (Bd.8; 9. 1) eingeruͤckten Auffaßes: „Uber 
den Grund unfers Glaubens an eine göttliche Weltregierung“, fiel et in den Ber: 
dacht einer. wreiigiöfen Denkart, wodurch oine Unterfuchung veranlagt wurde, wel: 
che bei der aufgefiärten, milden wrimarifchen Regierung feine nachtheiligen Folgen 
für iha gehabt haben würde, mwehn er nicht mit Niederlegeang f. Stelle gedroht hätte, 
bie feine firenge Wahrheitsliebe ihm zur Pflicht machte, worauf en ſ. Entlaſſung er: 
Bielt, Er fand:eine freundliche Aufnahme im preuß. Staate,! Ichte eine Zeit lang in 
Berlin, und ward im Sommer 1805-Prof. der Philofophie in Erlangen, mit der 
Erlaubniß, den Winter in Berlin auyubiingen. Wahrend des franz.⸗preuß. Kriegs 
ging er nach Königsberg, wo er eine kurze Zeit Vorleſungen hielt, kehrte aber nach 
bergeftelltem Frieden nach Berlin zuruͤck und ward 1809. beider new errichteten 
Univerfität als Prof. dee Philoſophie angeſtellt. F. war. ein Dann von großem 
a und hoher Beredtſamkeit in f. Vortrage. In f. weniger wiffenfchaftf; 
Werten iſt ein Muſter deut ſcher Proſa aufgeftellt. Seinen Einfluß auf die Geiſter⸗ 
weit, den großen und gerade für die letzte Zeit der Selbſtſucht ſo wohlthatigen An⸗ 
ſtoß, den er ihr gab/ bezeugen Tauſende, und ihn wird erſt die Nachwelt ganz unpar⸗ 
teiiſch beurtheilen. Sein Streben war immer auf das Ewige und Hoͤchſte gerichtet, 
Dit beifpiellofer Kraft und Stärke des Geiſtes durchdrang er die Tiefen des menfch: 
Bchen Wiſſens und gründete ein neues Syſtem der Philofophie, melchem er jedoch 
fpäter nicht ganz treu geblieben iſt, indem fein religiöfer Sinn ihn in dem innerften 
Gemuͤthe (ch) Sort finderi ließ. Das frühere Princip deffelben follte der Satz fein: 
A—— A oder Ich bin. ch. Das Ich iſt das Abfolute, das ſich feibft fegt. Dieſes 
Ich fol ferner ale ein reines Handeln gedacht werden, das aber, weil es in gewiſſe 
unbegreifliche Schranken eingefchloffen ift, fich in feiner Thätigkeit gehemmt fieht, 
und num vermöge diefes Anfloßes ein Nichte Ich feßt und es als eine objective Welt 
anfchaut. Das Sch Tann fich daher nicht felbft feßen, ohne zugleich fich ſelbſt ein 
Micht⸗Ich entgegengufeßen, das aber eben darum ein bloßes Erzeugniß des Ichs ifl. 
DasFichte che Syſtem iſt ſonach ein ſtrenger Idealismus, indem bas Reale oder 
bas Wirkliche, was wir außer uns ſetzen, nach dieſem Syſtem nur ein Geſchopf uns 
ſerer eignen innern Tätigkeit iſt. Daſſelbe Ich, welches fich ein Nicht⸗ Ich entge⸗ 
genſetzt, ſtrebt aber auch nothwendig nach einer ſittlichen Ordnung der Dinge in der 
son ihm ſelbſt geſchaffenen Welt. Dieſe moraliſche Weltordnung nannte ſonſt die 
Biffenfchaftsiehre Gott. Später ſtollte fie Gott als das Eine, was ſchlechthin durch 
ſich felbft und Iauter Leben iſt, an die Spige des Syſtems, und betrachtete die Welt 
eis eine Ruternug des Wefens Goters, als ein Bild oder Schema deffelben. Dal. 
9 Scpeiften: „Über den Begriff.der Wiſſenſchaftsle hre (Jena 1794); „Die 
——— ia ihrem allgemeinen Umriſſe 


(Berlin 1810), und die Anwei⸗ 


toa Fichtelberg.:Fieinus 


fang zum ſeligen Reben“ (Bert; 1806). Dem Gent zu erheben über Korer und 
Sinnlichkeit, nur des Geiſtes Leben als wahres Leben, alles Andre als Scheinleben 
Batzuftellen, und daburch das Gemüth zu entflammen zu. höchfter Reinheit, Tugend 
und Gelbfiverliugnung, das war fein tägliches Streben, uis Lehrer und. Schriftflel: 
ler, and was ihm ſo Herrlich gelang in den Jungen Gemuthern, nicht bloß Durch die 
ihm ganz eigne Kraft des Gedankens undider Sptache, ſondern mehr noch ducch die 
Gewalt feines ganzen Seins; dadurch, daß erreanicht bloß fagte, fondern war. Denn 
was diefem außgerorberttlichen Geiſte die Krone auffeste, war ein Herz, wahr-unis 
. rein, und empfänglich für alles Schöne und Gute, für Freundfchaft und Liebe, eine 
unerfchütterliche Rechtfehaffenheit, die hochſte Wahrheitsliebe und wahrer Heldene 
muth in Bertheidigung derfelben, der bei der Feſtigkeit f. Liberzengung und bei der 
Abgefchloffenheit ſ. Charakters jedoch oft in Eigenfinn, Hartuädigkeit und wiffen: 
ſchaftliche Unduldſamkeit ausartete, mas ihm nicht felten große Unannehmlichfeiten 
und Feindfchaft zuzog. Mit welchem Muthe trat er4808, mis :n in dem von Fran⸗ 
zofen befeßten Berlin, als echter deutfcher Dann auf, hielt ſ. Reden an die deutfche 
Station“ Perl. 1808), und verfündigte ſchon damals den Kampf des guten Prin⸗ 
cips mit dem böfen, den wir hernach fo Herrlich in. die Wirklichkeit übergeben fahen. 
Wie F. für das Gute lebte, ſo ftarb er dafür. - Seine-würdige Gattin, eine geb. 
Schweizerin, hatte fich, nicht bloß aus eignem Antriebe, fondern auch auf ſ. Aufe 
foderung, der Sorge für die Militairhofpitiier in Berlin gewidmet; ſie ward vom 
Hofpitalfieber befallen, won dem fie wieder genas; ihn traf ed, um ihn am 29. Jan. 
1814, in feinem 54: J., der Welt zu entreißen. Er binterließ einen Sohn, Im⸗ 
manuel Hermänn, ber ſich ebenfalls der Philofophie geroidmet und „Weis 
träge zur Charakteriftif der neueften Philoſophie“ (Sulzbach 1829), auch „J. G. 
Fichte’ Leben, ‚befchrieben und mit einer Sammlung ungedrudter Briefe und 
Actenftüde” herausgeg. hat (2 Thle., b. Cotta, 1830). 
. Fichtelberg. Zwei Berge führen diefen Namen: 4) Der Fichtelberg 
im Fürftenthume Baireuth (bairifchen Obermainfreife), aus dem mehre Berg: 
reihen nach allen Gegenden auslaufen. Er ift mit Fichten bemachfen und bat 
gegen 7 Meilen in der Laͤnge und über 4 in der Breite, Die Hauptmaſſe 
der beiden Bergrüden, aus denen diefes Gebirge befteht, ift Granit, die Seiten⸗ 
zweige aber, vorzüglich gegen die Regnitz bin, find Kalkſtein. Er iſt reich an 
Eifen, Vitriol, Schwefel, Kupfer, Blei, Marmor. Bei Wunftedel fieht man 
auf einer Anhöhe diefes Gebirges die Lurenburg, worauf das zerftorte Raubſchloß 
Rudolfſtein geflanden. Die vornehmſten Spitzen find der Schneeberg, 3682 Fuß 
boch, der Dchfenkopf, 3621 F., der Fichtelberg, 3521 $., der Zinnberg, 3316 
5. boch. Auf dem — iſt der Fichtelſee, ein ganz mit Moos und Schilf 
bewachſenes Sewäffer, 154 Schritt im Umkreiſe. Es entſpringen auf dieſem 
Gebirge die Saale, Eger; Nabe und der Main. 2) Der kleine Fichtel⸗ 
berg bei Wiefenthal, der böchfte Berg (3731 par. F.) im ſachſiſchen Erzgebirge: 
Auf ihm entfpringen die Zfchopau, Mitweida ıc., die ſchoͤne Waſſerfaͤlle bilden. 
©. Helfrechr’s „Befchreib. des Sichtelgebirges” (2 Thle. 1799), und die „Phyſtk. 
facift Befchreib, des Fichtelgebirges von Goldfuß und Bifchef“ (Ruͤrnb. 1847, 
le, . u. f ’ 
Ficinus (Marfilius), ein berühmter Arzt zu Florenz, welcher. um das 
Studium der Platom’fchen Philoſophie in Italien ſich großes Berdienft erworben 
bat, Sein Vater war Leibarzt des äftern Cosmus von Medici, den diefer fehr 
ſchaͤtzte. 5. mar 1433 zu Florenz geb.; da mar ausgezeichnete Talente in ihm er: 
blidte, fo lieb Cosmus ihn in den alten Sprachen unterrichten. Spuͤterhin trug er 
ibm die Uberfegung des Plato und der Neuplatoniker ins Latein. auf und bediente 
fich feiner zur Stiftung einer Platonifchen Akademie (um 1440). - 5. unternahm 
dieſes Sefchäft mit um ſo größerer Liebe, weil ex die Plateniſche Philoſophie als ein 


Fictinen  : : "Bieber 405 


Beubereitings- atd Bepfiigdäneneitiel des hrißk Eaubens betrachtete. In der 
— diefer Philoſophie unterſchied er freilich nicht. immer genau Plate und: 
die fpitere Meuplatoniſche Schule, wie auch aus'f. „Ihevlogia Piatonica” odet 
„De inmortalitate animorum ac neterne faliciHato“ hervorgeht, im weicher er 
vornehmlich Die Linfierblichkeit der Seele gegen Die Ariſtoteliker feiner Zeit verthei⸗ 
bist. Dazu gefeliten fich auch viele unklare und ſchwärmeriſche Anfichten, 3.8. 
aftrelogifche Lebren, die er jehech ſpuͤter anfgab. Er ftarb 1499, nachdem er durch 
Schrifien —— eifrig. für die Plotenifche Phaloſophie geloirkt und wackere 
Schüler gebildet Seine latein. Werke find ii gefamnuch berausgegeben 
u Dafel 1561. 2 Die, Sol. T. 
tctisnen, den Öefeßen ang ge weiche 
Niemand weit.dvem Beweiſe des Ge gebart m wird. — —55* * 2 
fflem in ſich —— — warden tft durch oamfequente Entwickelung weriger 
einfacher. Grundlagen. deſto öfter iſt es nöthig, einzelnen Harten deſſelben Dadurch 
sbzubeifen, daß: in foichen Füllen entweder auf.einen erweislich eingetretenen Linse 
fand gar feine Rüdficht genommen wird (. B. wenn cin rümifcher Bürger, nach⸗ 
dem er ein —— hatte, in feindliche Gefangenſchaft gerieth und darin 
verſtarb, fo nahm man verrange rines Geſetzes vom Dictaser Sulla an, daß er vor⸗ 
her geſtorben ſei, und erhielt das Teſtament bei Kräften), oder man einen. andern 
nicht vorbandenen Limfland dennoch als vorhunden anſieht, wie z. B. in' England 
das Gericht Der Exchequer in gewohnlichen Schuldſachen nur dadurch competent wird, 
daß der Kläger fingirt, er ſelbſt ſei dem Könige ſchuldig und konne nicht bezahlen, 
wern ihm nicht gegen den Beklagsen zu ſeinem Rechte verholfen werde. Das remis 
echt iſt reich au folchen Fictionen, aber das Engliſche noch viel mehr. we 
anımer eine Unvollkommenheit des Rechtsſoſtems. 
idalgo, (Hidalgo. 
idei commiß VGur,, die Beflimmung eines Erblaſſers, daß ſein Eria 
ꝓine Sache (Singularfideicommiß. Legat) oder einen Theil, oder das Ganze 
der 55 (Uiniverfalfibeinemmiß) an einen Andern entweder ſofort, oder 2 
geroigfert Zeit, auch wol bei dem Eintritte gewiſſer Bedingungen herausgeben 
Der Erbe, weicher bie Erbſchaft abzutreten hatte, hieß fidassarins: der Cu 
Bfinger Adeicommissarius. Unter Befpafien murde verordnet, daß der Fidutiar 
bei Ver Deramssgabe den vierten Theil der Erbſchaft für ſich behalten dürfe(Senmtns- 
cwalitam Pegasinnum; quarta Trebellianioe). Davor find die neuern Fideis 
commiſſe ſehr werfihieden, indem diefes Stiftungen find, wodurch eine Vermoͤgens⸗ 
mare für unveräußerlich erklärt; und die Ordnung vorgefeprieben iſt, nach melcher 
einer Familie ‘oder. andre dazu Berufene einander in:dem Genuſſe 
* Guterma ſſe felgen follen. Dergkicen Fideicommiſſe bedürfen nach fehr wies 
km Landesgefeben und vermöge allgemeiner Grundſatze immer einer Erlaubuiß des 
Staats, da fie, wenn fie fehr häufig werden, . in alle Berhältniffe des gemeinen 
tief eingreifen. Der Staat kann daher auch die beſtehenden Fideis 
fie auftoslic, erflären und. die Perwandlung in freies Erbe fpdern. Don 
— eicommiſſen (lideicomm iscis successivis) wird natürlich die 
 quarta. Trebellianien nicht abgezogen. In Frankreich wurden während der Re— 
solution alle Fideicommiffe aufgehoben und für Me Zukunft verboten. Dies Ge⸗ 
ſeh beſteht noch; doch wurden 1826 zum Vortheile der Urenkel Subflitutionen, 
in diefem * bang alfe Gideicommiffe, bis auf den zweiten Grad ve Abs 
erlau 
Sieber (iebri), tinenligemeine Krankheit des Körpers, nelche vom Bit 
ausgeht und von biefem fich über mehre Organe des Körpers verbreitet. 
er ik veründerter Du Pulsſchlag und yeränderte Temperatur des Körpers eine we: 
Erfegeinung:beim Sicher, weicher ſich gewohnlich noch Ötörungen andrer 





Rn 


Ann 






106 - : Bieber (gelbes); 


unetlonen im Korper Darft, Mangel an Epheft, Abgeſchlagenheit x.) Hinzugefel: 
ben. Sieber begfeiter die meiſten —— bes Körpers und ift theils eine heilfame 
Veſtrebung der Natur, die Kraufheit gluͤclich zu heben, theils ein Zeichen, daß die 
Krankheit den Körper überhaupt und das Sefüßfyftem insbefondere in bedeutende 
Mitleidenheit gezogen habe. So verlaufen Me acuten Krankheiten (Katarch, Drufte 
entzundung, Scharlach x.) in Begleitung von Fieber und werden von diefem zur 
Keifis und glädlichen Beendigung: geführt; fo nehmen ſelbſt fieberlofe Grsithe 
Krankheiten den Fiebercharakter an, wenn fie fd heftig werden, daß fie das 
ganzen Körpers ergreifen, z. B. bösartige Flechten, Abzehrungen ıc. Als — 
Kranfpeiteform erfcheint das Fieber ron als kaltes oder Wechſelfieber, acut ats 
tehies Gefaß⸗ oder Rervenfieber. Bas Fieber zeichnet fich überhanpe durch einen 
regelmäßigen Berlauf und.durch deutliche Krifen aus; der * zeigt ſich im den ſogein 
Stadien des Fiebers, deren man 5 annehmen kaun der VBorboten, der Bus 
nahme, der Höhe, der Abnahme und —— — die Kriſen treten in dem 
itraume der Abnahme ein, und wenn fie gehoͤrig von ſtatten gehen, iſt meiſtens 
der Ausgang ein gluͤcklicher. Eintheilen kann man die Fieber 4) nach ihrem Typus, 
im anhaltende (fehres continuae continentes), in nachlaffende (febres oontinuse 
remittentes) und in ausfegende ober Wechſelſieber (febires intermittentes); bei 
den anhaltenden Fiebern ift eine Fortdauer her Krankheit ohne Unterbrechung vor⸗ 
Banden; bei den nachlaffenden vermindert fich zu gewiffen Zeiten die Zahl and Heftigs 
feit der Symptome Harhlag, Remiffion) und. kehrt zu andern wieder in früherer 
Stärfe zurüd Gerſchlimmerung, Exacerbation); bei den ausſe Fiebern vers 
ſchwinden für eine Zeit lang /die ——— ganz ( Intermiſſion, Apy⸗ 
rexie) und kehren als Anfall Paroxismus wieder zurück; dieſe legten ausfegenden 
oder MBechfelfieber theilt man wieder nach der. Lange der topifchen Periode ein je 
eintägige (quotidianae), bei denen der Anfall täglich, —8* —— bei 
welchen er einen Tag um den andern, viertügige’(quartanke), bei welchen er am 
vierten Tage wiederkehrt. 2) Nach ihrer Dauer und der Regelmaͤßigkeit ihres 
Verlaufs theilt: man die Sie ein in acute und chronifche. 8) Nach ihrem Cha⸗ 
rakter in Entzundungsfieber, Nervenfieber, Faulfieber. 4) Nach den dabei. vorfoms 
menden örtlichen Krankheiten oder befondern Zufallen in Darmfieber, Gallenfieber, 
Schleimfleber, Schnupfenfieber, Ausfchlagsfieber, Wundfieber ıc. . Die Der 
Handlung der Fieber kann, wie man aus dem Bisherigen erfieht, weder eine all: 
eine, für alle Fieber paffende,. noch auch eine leichte fein; ja in den meiflen 
allen iſt das Fieber gar richt Gegenſtand ber. ärztlichen Kunſt, indem es zar Heilung 
gewiffer krankhafter Zuflände weſentlich erfodert wird; #8 zu vertreiben, wuͤrde alfo 
ein ztvar- Teichtes, aber fiir den Kranken hoͤchſt verderbliches Unterniehinen fein. 
Unter Fieber verfteht der gemeine Mann meiftentbeits nar das kalte Fieber, unter 
Kiebermitteln alſo auch nur Mittel gegen diefe Fleberaru· Im allgemeinern Sinne 
kann es in der rationnellen Mebicin gar keine Fiebermittel gebm. 

Sieber (gefbes), eine dutch den Kandel aus der neuen Welt nach Europa 
verpflanzte peftartige Krankheit, iſt ſchos langſt im den weſtindiſchen Eolonien und: 
in allen tropifchen Gegenden als ein befkiges, mit Gelbſucht und ſchwarzem Erbres 
chen verbundenes Fieber einheimifh. Es vernichtete Cromwells Macht, als ex 
1635 Jamaica erobert Hatte, —**— verheerend aͤußerte es ſich ſeit 17485 
damals ward es zuerſt in Deutſchland bekannt, und von. dem Engländer Hughes 
beſchrieben. 17193 zeigte em erſten Dale außer den tropiſchen Gegenden feine 
verheerenden Wirkungen. Weſtindiſche Schiffe hatten-es nach Philadelphia ger 
bracht: 1798 wuͤthete es in den Bereinig. Staaten, und durch ein in Cadiz angefom: 
menes amerikaniſches Schiff brach diefe occidentalifche: Peſt in der Nahe der: Stadt 
aus und verbreitete fich in ganz Andaluſien. Vorzuglich ſtark war die Sterblich⸗ 
keit unter den jungen Perfonen männlichen Sefchledte - In drittehalb. Monaten 


dletding 102 
ſtarben gegen 160,000 M. Mie dem Einwitt der. kuhlern Yuhreszeit Ne fie 
allmaͤlig nach, ergriff dagegen aber a und ander Gegenden, die fie verwuͤſtete, 
bis die verritigerte Bevölterung ihr ein Biel feget. Sie war indeß nur auf Eurze 
Zeit gewichen und kehrte 1804 mit fo verwüſtender Gewalt wieder, daß fie in 
wenigen Disnaten ein Drittel der Bevolkerang von Malaga wegraffte und fie 
auf der gamzen Küfle des Mittelmeers verbreitete. Man bemerkte damals‘, daß 
fie anf ſchwachliche Perſonen minder einmirkte ale auf ſtarke, daß dem weiblichen 
GSeſchlecht eine unglis geringere Gefahr drohte, und alte Frauien ganz verſchont 
blieben. auch daß Niemand zum zweiten Mal davon angefallen ward. Seitdem iſt 
diefe Krattkheit ofter in ſpaniſchen und portugieſiſchen Häfen von Amerika aus vers 
breiter: worden; doch befüllt fle:micht Leicht: VBewohner höherer Stockwerke und iſt 
am tbdelichiten in der Nahe faulender Sumpfluft. : 1821 kam das gefbe Fieber Bis 
in die ndordl. Häfen von Catalsnien, in Nordamerika Bis Boſton. 1828 brach es in 
Gibraltar aus, Es wird nicht Teiche fich weiter närbiich Verbreiten, außer etwa in den 
heißen Monaten und in den Hufen, die wegen fumpfigee Bläge in der: Nähe eine 
an Stickluft ſchwere Atmoſphaͤre beſitzen. &chlechte, ungefunde Schiffsproviſio⸗ 
nen, als Haupenahrung. der. Matroſen, greifen die Geſundheit der Seeleute an, 
und fie find nach geſchwachter Geſundheit dem gefben Fieber ausgefeßter als ſonſt. 
©: Dally’s Schrift: „Du typhus d’Amerigne ou ha fiävre jeune” (Maris 1814), 
and die „Media. Geſchichte des gelben Fiebers in Catalonien 4821, von Bally, 
Tranesis und Patiſot; a. d. Franz. von Liman’ (Berlin 1824). 

Sielding (Henry), ein In der Gattung des Familienromans berühmter 
englifchee Dichter, geb. am 22. April 1707 zu Sharpham⸗Park in der Sraffchaft 
Somerfet, flammte aus einem edien, dem herzogl. Haufe Kingſton verwandten 
Öefchiechte, und war dadurch auch mit der berühmten Marie Worthley Monta zue 
befreundet. Sein Bater, englifcher General, hatte eine zahlreiche Familie, und 
ber Aufroand, den Diefe einem Märme koſtete, dem überdies Teichtfinnige Sorgloſig⸗ 
keit eigen war, feheint die erſte Urfäche gervefen zu fein, daß F. früh in jene ums 
gewiſſe Lage geroorfen ward, womit er faft während feines ganzen Lebens. zu 
rampfen hatte; Er empfing den erflen Unterricht von einem Geiſtlichen, Namens 
Oliver, welchen er in dem ‘farrer Trufliber, in feinem Romane „Joſeph Anz 
drewo⸗, gefchildert hat. Dann kam er auf die Schule zu Eton, wo jene Neigung 
zu claſſiſcher Gelehrſamkeit in ihm geweckt wurde, deren Spuren man in allın 
feinen Schriften findet. Zum Rechtsgelehrten beſtimmt, ging er nach Leyden, 
mo er fich mit Eifer feiner Wiſſenſchaft gewidmet haben ſoll. Die Unterflütung 
aus ter Heimath aber blieb bald.aus, und F. fah fich in feinem.20. Jahre 
genötigt, nach London zuruckzukehzren. Der lebensluſtige Juͤngling, der bei einer 
wohlgefailigen· Geſtalt eine ungewoͤhnlich ruͤſtige Korperkraft beſaß, überließ ſich 
nun unbeſonnen allen Lockangen zu Zerſtreuungen und Ausſchweifungen, und fein 
Vater war nicht in Stande, ihn hinreichend zu unterſtutzen. F. mußte die 
Hũlfsmittel, die er bei feiner Lebensweife immer dringender brauchte , in feiner Fe⸗ 
Ber ſu⸗hen. Er hatte, foie- er zu fagen pflegte, Feine andre Wahl, als ein Lohn: 
ſchreiber oder ein Lohnkutſcher zu werden. Anfänglich fihrieb er für die Bühne, 
Die zur jener Zeit, wo Congreve, Farquhar und Vanbrugh ihre Seiftesgaben ihr 
widmeten, in hohem Anfehen fland. Seine beiden erfien Stüde: „Love in se- 
veral masks” und „The Temple Beau“, fanden eine Zrit lang Beifall. Luſt⸗ 
fpiele und Poffen gingen num rüfch nach einander über die Breter, und von 1727 
bis 1785 wurden deren 18 aufgeführt; doch iſt von ſeinen dramatiſchen Arbeiten, 
deren man überhaupt 28 zaͤhlt, hentinee Tages nurnoch das burleske Trauerfpiels 

chen” (,Thom Thumb”), und die beiden Poffen: „Der falſche Arzt‘ (‚Ihe 
Mock Doctor”) und „Das rnkevolle Rammermädchen” („The ing ine cham- 
kermaid“)-befamint. Ale diefe Schaufpiele warf er mit forglofer Eile zufammen, 





iden befonders an ei 
fh bier. nicht im dem feinem Geifte zufagenden Zeite bi | 
möchte. Die ungeriffen Hülfsmittel, weiche die Bühne ihm gab, fischte er da⸗ 
Durch zu fihern, daß er 17135 an die Spige einer Geſellſchaft trat, die er aus eut⸗ 
laffenen Schaufpielern ſammelte, und Be unter dem Namen der Schauſpieler⸗ 
truppe des Seofmeguls feine Stüde auf dem Fleinen Theater in Haymarket aufs 
führen follte; aber ber Plan m . Bald nachher verheirathete er ſich mit 


gut in der Sraffchaft Derby erbte, das jährlich 200 Pfund eintrug, fe hatte er 
ein Einfommen, wovon mar zu jeuer Zeit anfländig leben konnte. Er og aufs 
Land, nahm aber zumlinglüd auch feinen Reichtfinn mit, und in-3 “jahren wor er 
ohne Landgut, ohne Obdach, ohne einen Schilling Einkünfte, umd brachte wahrs 
—— weiter nichts mit nach London als die Kenntniß des Laundlebens und feiner 
Annehmlichkeiten, die ihn fpäter in den Stand fehte, den unvergleichlichen unter 
Weſtern (im „Zom jones’) zu fehildern. Er widmete fi) nun wieder ter Rechts⸗ 
soiffenfchaft, und nach der gewöhnlichen Vorbereitung im Tempfe übernahn ex 
Sachwaltergefchäfte; die Altern Rechtsgelehrten aber, die auf das Fortfommen der. 
jüngern Berufsgenoffen einen fordernden oder hemmenden Einfluß auszuüben im 
Stande find, mochten einem Schöngeifl und Lebeınann nicht fo vieh Fleiß zutrauen, 
daß fie ihm Aufträge bitten geben mögen; auch foll F. duch fein Betragen diefes 
Mißtrauen gerechtfertigt haben. Als Gichtbefchroerden, tie nachtheiligen Folgen 
feiner Lebensweiſe, feine Kräfte unterg ‚ nabın er feine Zuflucht wieder zur 
Bühne, aber ohne Erfolg; politifche Streitfihriften, Flugblätter und Auffäge 
in Zeitfchriften gaben ihm zunächft die Mittel zum Unterhalte der Seinigen. - 
lich führten ihn zufällige Umflinde um 17144 dahin, fich einem Sache zu widmen, 
das er aus dem Derfalle, worin er es fand, erheben und zu einem claſſiſchen Ge⸗ 
biete der englifchen Literatur umbilden follte. Unter allen Erzeugniffen des englis 
ſchen Senius find 3.8 Romane vielleicht am meiften volksthümlich; fie find nicht 
nur im eigentlichften Sinne des Wortes unüberfegbar, fondern fie mochten felbit 
von denjenigen Bewohnern Schottlands und Irlands, die mit Altenglands Sit⸗ 
ten und Eigenheiten nicht ganz vertraut find, Faum vollig verfianden aber genoffen . 
werden können. Diefe Bolksthümlichkeit fiheint darin ihren Grund zu haben, 
daß F. in verfchiedenen Lebenszeiten einen genauen Verkehr mit allen Bolksclaffen 
in England hatte, aus welchen er, unnachahmlich in feiner Auswahl und lebens 
diger Schilderung, feine Bildniffe aufgegriffen hatte. Der Roman „Pamela“, 
der 1740 erfchien, hatte Richardfon (f. d.) berühmt gemacht. 5. war. es 
vielleicht überdrüffig, ein Buch uͤberſchaͤßen zu hören, das man fogar von der 
Kanzel empfahl, vielleicht war ihm auch, als einem Schriftfteller, der für das 
tägliche Brot arbeitete, jeder Gegenſtand willkommen, der gerade die Menge bes 
ſchaftigte, oder vielleicht Eonnte er fich nicht enthalten, die Soßen des Tages zus 
verfpotten: genug, er wollte die Darftellung,. die Grundſatze und Iharaktere des 
viel gelefenen Buches in ihrer komiſchen Seite zeigen, und fo entfland die Geſchichte 
des, Joſeph Andrews”. Die fo fein verfpottete „Pamela’ ift faft vergeffen, a 
„Joſeph Andrews” wird immer gelefen wegen.der trefflichen Sittengemälde, die ex 
ung liefert, und vor Allem wegen ber unvergleichlichen Schilderung des Abraham 
Adams, die allein hinreichend fein würde, F.'s Vorzüge in diefem Fache zu bes 
gründen. Der gefränkte, für Lob und Schmeichelei fo empfaͤngliche Richardfon 


Fielding 409 


wor dochuch deleidigt, und feine Erbitterumg fo groß, duß er Fielding, ſelbſt nach 
deſſen Tode, mit den unedelſten Schmaͤhungen verſolgte; dieſer hingegen ſcheint 
dieſe feindſeligen Angriffe nicht erwidert zu haben, und wenn er ungereizt die erſte 
Beleidigung zufügte, fo ließ er auch zuerſt vom Kompfe ab und geftand ſeinem 
Mebenbubler affentlich die Borzäge zu, die ihm gebührten, Mach der Herausgabe 
Diefes Romans wollte er ſich wieder zur Bühne wenden: und fchrieb Fin Luftfpiel, 
„Der Hochzeittag”, das lebte. Stück, das. bei feirten:Rebzeiten aufgeführt wurde, 
aber im Ganzen wenig Beifall fand. In den nächften Jahren gab er, außer ver: 
fhiedenen Flugfehriften, einen. Band vermifehter Auffüpe heraus, worunter auch 
„die Reiſe aus dirfer in die andre Belt” war: eine Schrift, die viel von der ihm 
eignen Laune enthält. Darauf folgte die „Geſchichte Jonathan Wild's des Gro⸗ 
Gen“, worin er einen berüchtigten Räuber eine Reihe erdichteter Abenteuer bei 
legte. Wenn auch die Anlage des Buches ungeſchickt, und die Schilderung des 
vollenteten Lafters zurückſtoßend ift, fo gibt es doch in F.s berühmtern Werken we: 
nig Stellen, die mehr das Sepräge feines eigenthumlichen Seiftes hätten, als die 
Scene zwiſchen dom Räuber und dem Sefängnißpeediger. In derfelben Zeit gab 
er die SJacabiten:Schrift („The Jacobite-Journal”) heraus, die gegen.die. Grund⸗ 
füße der Anhänger des Hauſes Stuart gerithtet.war. An ähnlichen Werken, be: 
fonders an der Zeitfihrift „The Champion‘, hatte er bedeutenden Antbeil; aber 
fin Eifer: für die Grundſaͤtze der Whigpartei blieb lange unbeachtet, während 
Schriftſteller von weit geringern Borzügen freigebig belohnt wurden. ‚Endlich er: 
hielt er 17149 ein Fleines Jahrgeld, nebſt dem: Amt zines Sriedensrichters von Weſt⸗ 
winfter. und Middleſer, das zu jener Zeit deßwegen verzufen war, weil diefer Be 
amte, gegen bie ſonſt gewoͤhnliche Einrichtung, für ſeine dem Gemeinweſen gelei⸗ 
ſteten Dienfte Gebühren erhielt, und dadurch verleitet wurde, jeden unbedeutenden 
Streit, der vor ſeinen Richterfichl kam, anzufachen, und feinen Unterhalt von 
Dieben. md Gaunern zu ziehen.  $., nie zart und efel in der Wahl feines Lime 
gangs, wurde es noch weniger in ben Berhältniffen, worein fein Amt ihn brachte; 
doch Hat ihm Niemand vorgeworfen, daß er dabei je die Grundſaͤtze eines recht: 
lichen Mannes verläugnet habe, oder feine eigne Angabe beyveifelt, dag er ein 
Amtseintommen von 500 Pfund, in dem fchmaßigfien Gelde auf Erden, wie er 
fast; auf 300 herabgebracht habe, wovon ein anfehnlicher Theil feinem Schreiber 
jugefloffen ſei. Während diefer Zeit fehrieb er einige, durch feine Berufsgefchäfte 
veranloßte Abhandlungen, unter Anderm eine Unterfuchung über die Zunabıne von 
Dieben und Raͤubern, die viele gute, zum. Theil fpäterhin von der Regierung ber 
mutzte Winke enthält, und ein Werk über das engl, Recht, das er Bandfchriftlich 
Binterließ. Unter allen den nachtheiligen Umſtaͤnden, worin fich ein Schriftfteller 
befand, der bald von unangenehmen Amtsarbeiten, bald von der Nothwendigkeit 
gedrängt war, fich durch Flugſchriften das tägliche Bedürfniß zu verfchaffen, ent 
ſtand fein Meifterfüf „Zum jones“, das 1150 erfchien und durch verzügliche 
Erfindung und glüdliche Entwickelung der Geſchichte, durch wahre, kraͤftige und 
geiftreiche Charakterſchilderung die hohe Auszeichnung verdient,. die es erhielt. Es 
iſt nicht. zu läugrien, wir finden auch in diefem Werke zuweilen Anlaß zu glauben, 
daß 5.5 Begriffe von Anſtand und Achtbarkeit durch feine unglücklichen Le 
niffe und durch den Umgang, wozu diefe ihn verurtheilten, ein wenig 
Berabgerwürdigt waren; dagegen aber muß für manche anflößige Stellen die Sitte 
feiner Zeit; die in gewiften Fällen eine Eräftigere Sprache erlaubte als unfere 
Tage, Entſchuldigung geben. Nach den Anfichten unferer Zeitgenoffen gibt es 
viele Stellen. darin, die das Zartgefähl zurückſtoßen; nur daß ſie eher ſpoßhaft roh, 
als verführend zu nennen find, und daß fie durch den Geiſt und die Gruͤndlichkeit, 
weit in andern Stellen die Sache der Sittlichkeit geführt und gefördert wird, ver 
Hüset werden. Err ſchildert das Leben, wie es war, mit allen feinen Schatten and 





4130 Gase 





glaczendſten Wehes Drei " in Bi 
Gab er, im Oci. 1754, ck, in der Kraft feines gerriften Geiftes i 
—5 —— 2——— in 10 Van) 





Bande der m Erinber — —— — ge 
Diefem Art. 5 — von Baker Sc, —— 


benupten hiſch⸗ fkritiſchen 
gegeben werten. Den „Im ones“ lirferte Boðe 
Sure I von Mödbehm von Südemann (4 Dir, 1826). 
Fresco —⏑— 


Mittel, den kunftigen Regenten ®enuas zu ſturzen, als den Umſturz der ganzen 
Olegierung , da Frankreich und der Papft ſchon längft mit Genua und‘Derie, und 
überhaupt mit der Macht des Kaifere in Italien unzufrieden waren, fo wendete er 
ſich an Beide. Er ging felbft nach Rom; die ihm vom Papfte are — 
Bedingungen nahm er nicht fogleich an, Faufee jetoch 4 Galeeren, Die dir  popft 
zu bemannen verfprochen batte, unter dem Vorwande, fie unter feinem Bruder 
Hieronymus gegen die Türken kreuzen zu laffin; 2000 IR. Hülfstruppen waren 
ihm überdies von dem Herzog von Parma verfproden. Durch diefe Zuficherume 
gen aufgemsuntert, duch Johann Doarin’s wachſenden Übermuth noch mehr erbits 


Biescn | a1 


tert, hatte er fchon in die pApfllichen Bedingangen gewilligt, als er fich egeſchloß 
feine drei vertrauteften Freunde, Bincenz Salcagno, Jöhann Derina md. Rafael 
Saced, über dieſen Plan um Rath zu fragen. : Berina behauptete, daß Fiescn 
auch ohne auswaͤrtige Hülfe gebietender Herr von Genua werben könne, und feine 
Meinung bebielt bei dem Grafen die Oberhand. Man nahm nun nähere Maß⸗ 
regeln: der Tod der Dürin wurde befehlöffen; die 3 Freunde tes Grafen ſollten, 
ohne Jemand ihr Vorhaben zu entdecken, fo viele Anhänger, als moͤglich, zumer 
ben fuchen; der Graf ſeibſt bewarb fich mehr als jemals um die Liebe des Volks, Die 
er ohnehin: genoß, bewies dem alten Doria große Ehrfurcht und aberbäufte den jun⸗ 
gen mit Breundfchaftsverfiderungen. Den Sommer brachte er auf feinen Gütern 
ja und übte ſeine Bafallen in den Waffen, unter dem: Vorwande, daß er einen 
Angriff vom Herzog von Parma befürchte, - ließ auch eine feiner 4 Galeeren nach 
Genua fommen, unter dem Vorgeben, fie.gegen die Tuͤrken auszurüften. Er mel: 
dete dies im Vertrauen dem jungen Doria und. fehte hinzu, daß er eine große Anzahl 
feiner Vaſallen kommen kaſſe, um aus ihnen die beflen Leute zur Bemannung feiner 
Galeeren zu wählen. Es fiel Daher nicht auf, als man viele bewaffnete Leute bei 
dem Strafen anfommen ſah. Verina hatte indeß auch einige hundert Bürger auf 
kine Seite gebracht: -Die- Ausführung des Unternehmens ward auf einen Tag 
angefegt, an roelchem: der Graf, bei Sielegenheit der Dermählung feines Schwar 
gas mit der Schweſter des jungen Doria, ein Gaſtmahl gab. Allein da beide 
Deria, der Oheim wegen Krankheit, der Neffe wegen einer andern wichtigen An⸗ 
gelegenheit, die Einladung ausfchlugen, fo warb De Nacht zwiſchen dem 1. und 2. 
Jan. 15493 dazu. beſtimmt. Am 1. Jan. meldete F. dem jungen Doria, dag ° 
ein diefer Nacht feine Galeere auslaufen Iaffen wolle, und bat um die dazu.nbthi 
gen Befehle, mit der Bemerkung, es fich nicht- befremden zu laffen, wenn dabei 
einiges Seräufch entfliehen ſollte. Dieſor, dadurch gefchmeichelt, verfprach dem 
Grafen Alles, was er verlangte, und nahm es über fich, bei feinem Oheim bie Ge⸗ 
nehmigung auszumwirken, Verina hatte indeß 28 ber vornehmſten Bürger bi 
tinem feiner Freunde gleichfam zufällig verfammelt; dieſe lud der Graf zu einem 
Abendeffen in feinem Palaſte ein, wo “Jedermann hinein, aber Niemand heraus 
gef wine, Sie erſchienen; der Graf teilte ihnen feinen ‘Plan, Genua von 
den Dorias zu befreien, mit, ‘und foderte fie auf, den Ruhm diefer Unternehmung 
mit ihm zu theilen. Mur 2 von ihnen fchlugen es aus, die indeß in ein Zimmer 
des Palaſtes eingefchloffen wurden. Jetzt erſt, waͤhrend die Verſchworenen eine 
kurze Mahlzeit genoffen, entdeckte der &raf fein Vorhaben auch feiner Gemahlin, 
die ihn befchiwor, taffelbe hıfjugeben. Allein der Graf bfieb gegen ihre und. feines 
Freundes Panſa Borfiellungen unbeweglich und kehrte zu den Verſchworenen zu: 
rad, Berina lieg auf der Galeere des Grafen, der Verabredung gemäß, eine 
Kanone abfeuern, der Graf bemächtigte ſich der Galeeren Doria’s, feine Brüder 

die Shore, und beide Doria follten nun im Palaft ermordet werden. 
Über der große Larm weckte die Doria. Der Meffe, die Urfache vermuthend, 
alte dennoch, um Unordnungen vorzubeugen, an das Thor des Hafens. Die 
Verſchworenen äffneten es, und in deimfelben Augenblick ward er niedergeſtoßen. 
Der alte Andreas Doria wurde indeifen durch feine Bedienten, zu Pferde, durch 
ein unbefegtes Thor der Stadt-auf ein entferntes Schloß gebracht. Gleich zu Ant 
fange des Tumults hatte ſich F. nach dem Hafen begeben und gerufen: „Es 
lebe die Freiheit!" Der Ausruf wurde von den Galeerenſklaven wiederholt: allein 
da er von dieſen letztern Ausfchtoeifungen befürchtete, wollte er, um Befehle zu 
. ttheilen, ſelbſt Die Galeeren befleigen. Indem er aber den Fuß auf ein vom Ufer 
Rdn Galeeren führendes Bret feßte, fehlug diefesum, er flürjte ins Waſſer, und 
da ex ſich von feinen ſthweren Waffen nicht loemachen fonnte, Niemand bei ihm 
wo, auch fein Hufen bei dem großen Tumuit nicht gehdet ober nicht beachtet wurde, 


Tr Fieſole 


verſank er in den Schlamm und mußte ohne Huͤlfe erſtichen. Da man ihm. nirgends 
fand, abnte man feinen Tod. Sein Bruder, umüberfegt genug, den ihm entge- 
genfommenden Senatoren, die mit dem Grafen reden wollten, defien Tod zu ver 
rathen, verlangte, daß man ihm den Palaſt der- Republik (mo fich der Senat ver: 
“ fammelte und der regierende Doge wohnte) übergeben follte: allein da es indeſſen 
200) und Des: Grafen Tod allgemein bekannt ward, verlor ſich das Volf, das ihm 
zu Liebe die Waffenergriffen hatte, und felbft die Berfchworenen zogen fich nach und 
nach zuruͤck. Dian trat in Unterhandlungen, die Verſthworenen mußten .die Waf⸗ 
fen niederlegen und erhielten dafür einen Generalparton. Hieronymus Fiesco 
begab fich auf fein Schlog Drontobio,. und fein Bruder Dtteboni, Verina, Cal⸗ 
cagno und Sacco fegelten auf des. Graſen Galeere nach Frankreich, wo fie glücklich 
anfamen. Des Srafen Körper wurde erft nach 4 Tagen gefunden; allein der 
Senat, der vielleicht einen neuen Tumult befürchtete, verbot, denfelben aus dem 
Schlamme —— Erſt nach 2 Monaten wurde er heimlich heraus: 
enommen und ins Meer geworfen. Hieronymus hatte inbejfen fein Schloß m 
ertheidigungsftand, gefegt, theils weil er der zugefiandenen Begnadigung nicht 
srauete, theils weil er anneuen Entwürfen arbeitete. Bald fanden ſich auch Bes 
rina, Salcagno und Sacco bei ihm ein; auch Ottoboni Fiesco kam nach Italien 
zurüd. Unterdeffen wandte Andreas Doria, troſtlos über den Tod feines Neffen, 
voU Rache Alles an, die Begnadigungsacte vom Senate vernichten zu laſſen; dies 
geſchah, indem man fie, theils als erzwungen, theils weil fie von feiner hinlang⸗ 
lichen Anzahl Senatoren beflätigt. fei, für nichtig erklärte. Fiesco's Familie und 
die vornehmſten Verſchworenen wurden nun auf ewig aus Genuas Staaten var 
bannt, die Häufer und Palaͤſte des Grafen dem Erdboden gleich gemarht, alle feine 
Güter eingezogen, und alle Schlöffer, bis auf Montobio, in Befchlag genommen. 
Da fich Hieronymus auf diefem anfbielt, und von bier aus Genua viel Schaden 
gefchehen konnte, fo ließ der Senat ibm für folches 14000 Zechinen anbieten; bei 
feiner Weigerung fehritt man zur Belagerung des Schloffes, das endlich, da man 
Breſche ſchoß, und die fchlecht bezahlten Soldaten einen Auffland erregten, nach 
einer A2tägigen Belagerung fich auf Gnade nder Ungnade ergeben mußte. Die 
Soldaten wurden freigelaffen, fümmtliche Verſchworene aber entweder hingerichtet 
oder auf die Galeeren geſchmiedet; das Schloß ward gefchleift.” Ottoboni Fiesco 
allein hatte fih zeitig genug wieder nad) Sranfreich begeben und trat in franz. 
Dienfte. Aber als er 8 Jahre hernach in die Gefangenfchaft der Spanier fiel, 
bewirkte Doria feine Auslieferung, ließ ihn in einen Eat näben und ins Meer 
werfen. Des Strafen Witwe war die einzige. Perſon, die nicht .mit in den Uuters 
ang der Familie ihres Gemahls verwidelt wurde. Sie Heirathete in der Folge den 
eruͤhmten General Chiappino Vitelli, der zuletzt als fpanifcher Generalfeldmar⸗ 
fchall in den Kriegen wider die Niederländer diente und 1575 ſtarb. Doch verlor 
fie noch in demfelben Jahre, da ihres Gemahls Verſchworung erfolgte, auch ihren 
Bruder auf dem Vlutgerüfte, weil diefer, aus Haß gegen Doria und den Kaifer, 
iesco’g Unternehmung erneuern und Genua in franz. Hände bringen wollte, der 
Entwurf aber entdedit wurde. — Wenn wir in Schiller's Trauerfpiel „Fiesco das 
Mißlingen der Verſchwoͤrung an einen andern Umſtand geknüpft fehen, als das Um⸗ 
fehlagen des Bretes, auf weichem Fiesco in die Saleeren fleigen wollte, fo darf das 
nicht befremden, da es dem dramatifchen Dichter nicht erlaubt iſt, die Kataftropbe 
auf eine Begebendeit zu gründen, die das Werk des blinden Zufalls war. 
Biefole Mit diefem Namen des Klofters, in welchem er eingefleibet 
wurde, wird einer der berühmteſten unter den Wiederberftellern der Malerkunſt in 
Italien bezeichnet. Sein Familienname foll Santi Tofini geweſen fein, und. man 
weiß, daß er 1387 in Mugello, einer Landfepaft des florentinifchen Sebiets, gebo⸗ 
ven wurde. „4407 trat er in dan Dominicancxorden nad erhielt den Namen. —* 


— 


Fieſole 113 


der Johannes; daher nennt man ihn Fra Gievanni da Fieſole. Den Beinamen 
Angelico, oder ĩl beato (der 3. hat er ſich durch ſein fremmes Leben und den 
Geiſt feiner Schilderungen erworben, in’ denen Andacht und Engelsſchoͤnheit herr⸗ 
ſchend ſind. Man nennt, ohne hinlaͤnglichen Grund, den Gherardo Starnina als 
ſeinen Lehrer, und führt an, daß er ſich durch das Studium der Bilder des Ma⸗ 
ſaccio vervollkommnet habe. Letzteres iſt nicht mahrfcheinich, da Maſaccio 15 
—5 jünger als F. war. F. hatte fich früher mit der Malerkunſt zu heiligem 

brauch befchäftigt und nebſt feinem Altern Bruder, einem Miniaturmaler, ver: 
ſchiedene Chorbũcher mit kleinen Bildern verziert. Dieſe erfie Richtung feiner arti- 
ſtiſchen Fähigkeit ift auch bei feinen nachherigen Werken in dem reichlichen Gebrauche 
der Bergoldung,, der Behandlung der Farben und der forgfäftigen Ausführung klei⸗ 
ner Zierratbhen fichtbar. In feinen Gemälden aber ſah man mehr von der alten 
Weiſe des Meifters Giotto, als in denen der meiften damaligen Maler. Der Dos 
minicanererden besünfigte unter feinen Mitgliedern auch die Ermerbung and Aus: 
übung weltlicher Wiffenfchaften und Fertigkeiten, und Johann widmete feine Kunſt 
ausfcjlieglich religiöfen Darftellungen. Er verzierte aber nicht nur die heiligen 
Bücher, fondern unternahm auch große Srescobilder zunaͤchſt für fein Klofter. Er 
arbeitete viel, und der Erwerb feiner Werte tourde zu mildehätigen Saben verwandt, . 
Sein Berdienft wurde bald anerkannt. Cosmus von Medici, der den frommen 
Maier perſonlich kannte und liebte, ließ durch ihn dns Kloſter S. Mareo und die 
Kirche St.» Annunciata verzieren. In dem Kofler ©.: Marco bat er jede Zelle 
mit einem großen Frescobilde geſchmuͤckt, und unter mehren Gemälden an den 
Bänden zeichnet fich noch jegt eine ſchͤne Verkundigung ans. Dieſe Bilder ver- 
ſchafften ihm folchen Ruhm, daß felbft Nicolaus V. ihn nach Rom berief und 
dur; ihn feine Brivatcapelle im Batican, die Capelle des heiligen Laurentius, mit 
den wichtigfien Scenen aus diefes Syeiligen Leben ſchmücken ließ. ine Befchrei- 
bung diefer Capelle befindet fi in Hirt's, Italien und Deutfchland”, 4. &t., auch 
find roße Umriſſe von diefen Bildern 1840 zu Rom erfchienen („La pitinra della 
capella di Nioslo V. etc.) von Franc. Giangiacomo Romane. Bafari erzahlt 
die rührendflen Züge von der Frommigkeit, Demuth, Unſchuld und Eittenrein: 
beit unfers Dieifters, swelche zugleich beftätigen, wie er die Kunft als eine ernſte und 
heilige Sache betrieben.” Man erzählt , daß er nie an einer Lebens: und Leidens: 
geſchichte ohne die tiefſte Rührung gearbeitethabe, und daß er in der Unfchuld feines - 
Staubens nie zur Veranderung eines feiner Gemaͤlde zu beivegen geweſen, indem: 
er feine Kunſt nur ale Werkzeug .einer höhern Eingebung betrachtet habe, Er war 
ein fo firenger Beobachter der Regeln feines Kioftere, daß der Papft, welcher bes 
merft hatte, wie fehr ihn fein frommes Kaften und fein großer Fleiß beim Arbeiten 
angriff, ihm Fleiſch zu effen befahl; worauf er in feiner Unſchuld erwidert Haben - 
pl: ‚Mein Prior erlaubt mirs nicht?“ Auch war er feinen Ordensobern fo erge: + 

‚ daß er ohne ihre Erlaubnig weder für fremde Klöfter noch für Privatleute 
eine Arbeit übernahm, und jenen den Preis derfelben überließ. Machte man ihm 
Borwürfe daräber, fo fagte er: „Der wahre Reichthum befteht darin, wenig zu be⸗ 
dürfen”. Die ihm vom Papft angebotene Würde eines Erzbifchofs von Florenz 
lehnte er demũthig ab, aber auf feinen Vorſchlag erhielt fie der Bruder Antonino, 
den er für würdiger dazu erklarte. Ihm genügte feine Eleine Zelle, in welcher er 
fih der unabläffigen Betrachtung des Himmlifchen und der DarftellungHeiliger 
Befchichten widmete. Er flarb endlich 1454, 68 J. alt, in. Rom, wo er auch 
noch die Eapelle des heil. Sacraments im Datican gemalt hat, wurde in der Mi⸗ 
nervenfirche begraben und von feiner Kirche fellg gefprachen. Sein einziger uns 
beftrittener Schüler, von welchem man noch Werke hat, iſt Benozzo Gozzoli, 
Veften ee und mwohlerhaftene Gemälde fich im Canıpo santo in Piſa befin⸗ 
den. A. W. v. Schlegel's Urtheil Bat derfelbe die Sarbenpracht, die Mannig: 

Eonwerfetionds tericon. Bd. IV. 8. 


114 Fience 


faltigfeit in den Hintergründen, die Wahrheit in den Gebärden der Handelnden 
von feinem Lehrer ererbt, aber in der Anmuth und zarten Gemuͤthlichkeit denfelben 
nicht ganz erreicht. Lanzi hat den Angelico, ſowol wegen der überirdifchen Schöns 
heit reiner Köpfe und feiner Engel = und Seiligenfiguren, als auch wegen der 

ieblichfeit feiner Farben, die er mit ungemeiner Kunft behandelte, den Guido 
* feines Zeitaltess genannt. In der Galerie von Florenz befinden fich mehre Stoffe: 
leibilder diefes Meiſters, deren Farbenglanz noch ganz unverändert iſt. Eins, 
welches die Geburt "Johannes des Taufers darftellt, zeichnet ſich durch die naive 
Grazie aus, die bei den Künftlern jener Zeit fo felten if. Hierher gehört auch das 
Tabernafel, auf welchem die Madonna mit den 4 Evangeliften über Lebensgröße 


ſteht. Eins feiner fehonften und größten Gemälde aber, auf welchem efusdie 


Maria mitten unter einer Dienge von Engeln und Heiligen in denmannigfaltigften 
Stellungen und Ausdrüden front, im ımtern Rahmen aber die Geſchichte der 
Maria und die Wunder des heil. Dominicus dargeſtellt find, zierte ehemals die 
Kirche diefes Heiligen zu Fiefole; jetzt befindet es fich in der Galerie des Louvre zu 
Maris und ift uns kürzlich in 15 Bl., von Ternite trefflich gezeichnet, befannter ge 
soorden (Paris 1817, Fol., in der Griech.zlat. Buchhandlung). Diefen Blättern 
bat A. W. v. Schlegel eine Anficht vom Leben des Malers und eine Erflärung 
des Siemäldes beigegeben, welcher Bafarı’s Befchreibung deifelben vorausgefchickt 
ft, Schlegel, der die angeführte Außerung Lanz?’s fehr untreffend finder, füllt 
über.den Künffler folgendes Urtheil: „Johann von Fiefole theilt im Ganzen Die 
Tugenden und Mängel feiner Zeitgenofien. Im Berflindnig der malerifchen 
Wirkung und in manniofoltigen wiffenfchaftlichen Theilen ifl er, vielleicht aus 
Anhänglichkeit an die ihm ebrwürdige alte Weife, einigermaßen zurüngeblieben. 
Seine eigenthümlichen Vorzüge find Süßigkeit, Zartheit und Anmuth. Seine 
Einbildungstraft nimmt nicht eben einen fühnen Schwung in das Gebiet; des 
Außerordentlichen und Wunderbaren, wie z. B. die des Drgagna, aber nirgends 
auch wird mar Dürftigkeit oder Ohnmacht gewahr. Seine Kunft if eine ergie- 
bige Auellader, die gleichmäßig, ohne Ungeflüm und ohne Zwang, einem liebe: 


vollen, durch Andacht und Befchaulichfeit geläuterten Gemüthe entfließt”. &, 


über F.: Quandt im „KRunftblatt‘‘ zum „DMorgenbL”, 1816, Ir. 17T — 20. . 


Fiéevée SR fharffinniger und geiftreicher franzöf. Sarifthelier, " 


vorzüglich über Gegenftände der Politik und der höhern Staatsvermaltung. 

Paris 1770 geboren, widmete er fich zuerfi der Buchdrudere, Beim Ausbruche 
der Revolution ging er in ihre Srundfüge ein; et verfuchte fich als Mitarbeiter an 
Journalen; dadurch kam er mit Millin und Sondorcet in Befanntfchaft, mit 
welchen er fich 1791 und 1392 zu der Herausgabe der „Ghronique de Paris” ver: 
band. Die Schredtenszeit wandelte feine Girundfüße um, und nach dem 9. Ther⸗ 
, midor wurde er in den Zectionsverfammlungen und in den dffentlichen Blättern 
einer der beftigften Gegner des Tonvents. Am 18. Fructidor wurde auch er wie 
alle andre Redacteurs der fogenannten royaliftifchen Journale zur Deportation ach 
Eayenne beftinmt. Es gelang ihm, fich durch die Flucht der Ausführung des 
Decrets zu entziehen und fich einige Jahre lang auf dem Lande zu verbergen, wo er 
2 Romane fihrieb: „La dot de Suzette” und „Frederic“, die großen Erfolg 
batten und auch ins Deutfche überfeßt wurden. Er trat jeßt mit den Bourbons 
in geheime Verbindung und fuchte für ſie zu wirken. Es wurde verratben, und er 
mußte dafür mit einem Jahre Gefängnig im Temple bügen. Als die. Confular- 
regierung eintrat, wendete er fich diefer zu. 1802 gab er, nachdem er England be⸗ 
fücht hatte, „Leitres sur l’Angleterre” heraus, die Auffehen erregten. 1805 
par er inder Gunſt Napoleons fo geftiegen, daß er Eigentbümer des „Journal de 
l’Empire” (oder des „Journal des debats”) und Eaiferl, Senfor wurde. 1810 
wurde ihm eine geheime Sendung nach Hamburg und eine Präfectur anvertraut. 


Flgur 115 


Bei ſeiner Gewandtheit war es ihm nicht ſchwer, ſich auch in bie Grundſatze der 
Reflauration zu finden. Er fhrieb die Sefchichte der merkwurdigen Sitzung der 
Kammern 1815 und eine dem Grafen Blacas geroidmete fehr unziehende „Corre- 
sponılance politique et administrative”, In neuefter Zeit fchloß er fich als 
Eeprififieller den Grandfüßen des Iinfen Sentrums in der Deputixtenfammer on, 
wie f gedanfenreiche Schrift: „De Ia guerre d’Espagne et des consequences 
d’ane intervention armee” (Apr. 1823, 4, Aufl., Maris 1824) darthut, in der 
er fich entfchieden gegen alle bervaffnete Einmifehung in die fpan. Angelegenheiten 
" e. Moch wichtiger iftf, „Nouvelle corresp, polit, et administrat.“ (8 Th., 
Paris 1828). Alle Parteien in Frankreich kommen überein, daß $. zu ben aufge: 
flörteften und tieffinnigften franz. Pubkiciften gu zählen fei und Peiner Partei aus: 
ſchließlich angehoͤre. 
Figur, figürlich, figurirt, Figurantenufm. Des 
Ausdrucks Figur bedient man ſich bei mehren Kuͤnſten, bei einigen in eigentlichen, 
bei andern in uneigentlicher oder figüklicher Bedeutung. Die eigentliche Bedeu 
tung iſt äußere Geſtalt, welche entſteht durch jeden befchränften und umfehriebenen 
Kaum, fei dies nun bei Flächen (Blächenfiguren), oder bei Kurpern:(förperliche 
iguren). Auf diefe Weife werben die mathematifchen Figuren; z.B. Eirkel, 
iangel, Quadrat, nach Linien oder Winkeln beftimnit. In der Tanzkunſt fine 
den fich Die Flächen, in ben bildenden Känften auch die Korperfigurenz jedoch wird 
der Ausdrud Figur bei den bildenden Künften meift in einem beſchruͤnkten Sinne 
gebraucht. In der Tanzkunſt verfteht man darunter ben nach gewiſſen Linien be: 
ſchriebenen Weg, welchen der Tänzer zu nehmen hat; bei der bildenden Kunfl 
ſchraͤnkt man den Begriff Figur meift auf die Dienfchenfigur ein, und bedient fich 
für die übrigen Seftalten des Ausdrude Form, Da jede Figur, als folche, dem 
Raume angehört, fü ergibt fich von’ felbft, daß nur im den Kunſten des Raumes 
von Figur in eigentlicher Bedeutung die Rede fein, und dag in.den Künften der 
: Zeit dieſer Ausdrud nur uneigentlich genömmen werden fünnes Dies ift der Fall 
in der Poefie. Gewoͤhnlich fpricht man zwar bloß von rhetoriſthen, und nicht von 
poetifchen Figuren, unftreitig aber nur darum, weil die Rhetoriker früher darauf 
-Rüdfiht genommen hatten als die, Poetifer. Wir wollen die Nedefiguren 
überhaupt nennen, und fragen zubörderft, wie man wol darauf kam, der Rede 
Figuren zuzufchreiben?. Adelung vermutbet, der Name Figur ſei von den ſtaͤrkſten 
md lebhafteſten Hülfsmitteln, dem Style Mannigfaltigkeit zu geben, ' entlehnt, 
welche wirklich etwas Bilbliches enthalten; und nachher auch auf die übrigen aus: 
hnt worden; man kann aber im Allgemeineitfagen; diefe. Figuren ſeien Beſtre⸗ 
3 der Sprache, ſich beſonders zu geſtalten, und dann: erklärt fich der Name 
von felbfi. Wie dem aber fei, fo ift gewiß, daß jene befonbere. Seftaltung jedes 
Mal eine Abweichung von der Sprache des gemeinen Lebens,: und oft aus der Ab- 
ſicht entftanden ift, dadurch Iebhafter auf die Einbildangskraft zu wirfen. “Der 
Ausdruck ift nun nicht mehr ein eigentlicher (um den Gegenſtand für den Verſtand 
durch Begriffe zu bezeichnen), fondern ein uneigentlicher oder figürkicher, bildlicher, 
für die Einbildungstraft. Bon einem Sreife fagt man z. B.: der Abend feiner 
age, und dadurch wird der trodtene Begriff vom Ende des Lebens In eine fehöne 
Umgebung: eingebüflt, wodurch das Unangenchme diefes Begriffs auf eine bewun⸗ 
dernswürdige Weiſe gemildert wird. Dean kann übrigens der Sprachfiguren 
dreierlei unterfeheiden: 9) ſolche, die fich auf beftimmte Worte beziehen (Wortzu⸗ 
fammenfegungen, Epitbeta, Inverſion, Wiederholung, Apoſtrophe; Ausruf); 
2) folge, die fich auf die ganze Wendung des Gedankens beziehen (DBefchreibung, 
Vergleichung, Sleichniß, ‘Derfonification, Anrufung, Andeutung, Haufung, Antie 
thefe, Berglieberung, Steigerung, Hyperbel, Metapher, Allegorie); 3) ſolche, 
die fig auf den Klang beziehen, umsfitalifch-portifche Borpie, Gcho, Annomi⸗ 


BD 


TIRTLLL, Zilangieri 
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N XE Ne ee“ ftgurirte Dana 
gefchicht. 


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N . Nitesung jeugen Tänzer, Die nicht eirszeiz 

RR wu ‚u Auefüllung nd’ gleichfom jum Om 

x Nam u Dchauſpiel: Perfonen, die nichts zw 

£ NN train muſſen, um den leeren Raum auszufiilier 

N N r ꝛ4 ig ih wachen; won nennt fie auch) Statiften 
\\ ‘ y 

\ tayien Mind um Grunde eine arithmetifche Spielkame, 


so Neuss 6 AL Jahrh. gern befehäftigte. Selbſt Jaf. Ber 

NEN AT Nude ın k „Arıth, iufinit.“ und Ehuilier i ın f. Mm Algebes* 
W Nayuudaad ıhrer Unterfuchungen gemacht. Sie werben gebaitet 
AN Wale siuhüserper Heiden aller Ordnungen, deren erfies Glied Bir 


Ska ’ 5‘ 

l. l1, y 8, 4 ß, 6, “x. 

ut. 8. 6. 10, 15, 2, x. 

u td, 4 9, 16, S, 36, x. 

iv. 1. 6. 12. 22. 8. Bl, x 
u.N dıaudent beit Die Werbe 1. Trianaularzahlen eder dreiedige Zablen, weil 
ON ru Mtuderten m lauter ee rn Tal; Nie olicder der 
\m til Quamatgahlen, werredhge 
—BX Rethe IV, funfedhae oder 
yua Nengemellfablen x. (Pelegenalzbien). 
yeunımıdien mach der Orteumg srerderum famnmmert, fo erhält msn Keiben, wie: 

1.83 6.19, 16, 21, x 

Rt. 4. 10, MO, S5, 36. x. 

1314.88, 9, 

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won 06 niten tee Süerder vriifken Veramstul;-hien, sei Sauter Voramiben em: 
AA wenn arm ter Dobpaenaljahlen nach dur Urteuna. see für feiert inerdem, 
—XXEEX NG ter Hemera über ter nacht grichers der acrrchen Gee⸗ 
war Mr IN Üaunanen, — dir Sineter der Schr a Derinduge ter Reihe 





N rarnftat wad der Kedbe c fnniechige Verummiben, Bier Veräbır Pater (eb um 
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staagıeri; "Bars Lena tur keratenırän Tiahäriien des 18. Nahe 
wniee au wrtlen jur NDertufierema der Orirkocheng bragreınaen bit, geb. dem 


A Naa 1852 m Sand. war un Ciobe der Yıranya Exiar Ararare mad der 


Filangieri 497 


RN 
Filangieri, ale der dritte Sohn feines nicht fehr Bemittelten Baters zum Militair⸗ 
dienſte beftimmt, begann denfelben in feinem 14. Jahre, verfieß ihn jedoch bald 
und widmete fich den Wipferrfchaften mit ſolchem Eifer, daß er, troß der Berfium: 
niß in feiner Jugend, bereits im 24. Fahre Griechiſch, Lateinifch, alte und neue 

ichte, das Naturrecht und das bürgerliche Recht vollkommen inne hatte, und 

dabei noch bedeutende Kenntniffe in der Mathematik beſaß. Jetzt ſchon faßte er 
den Plan zu 2 Werfen, einem über die öffentliche und Privaterziehung,, dem andern 
über die Moral der Fürften, gegründet auf Bernunft und die bürgerliche Ordnung, 
Auch widmete er fich, nach dem Wunſche feiner Familie, den Gefchäften des 
Sachwalters. Seine Beredtfamkeit und Wiffenfchaft verfchafften ihm großen Bei 
fall, und als er die zeit: und vernunftgemäßpen Keformen, welche der damalige erſte 
Minifier in Neapel (Tanucci) 1774 durchfeßte, in einer Rede gegen die blinden An⸗ 
feindungen der Anbanger des alten, fehlechten Syſtems fiegreich vertheidigfe, de 
erklärte ſich Tanucci zu feinem Beſchuͤtzer. F. erhielt bald Anfehnliche. Stellen 
am Hofe, was ihn jedoch nicht verhinderte, auch ferner feinen Lieblingsſtudien 
tren zu bleiben. Er arbeitete an einem Werke, weiches im Fache der Theorie der 
Geſetzgebung mufterhaft werden ſollte, und da eben der beruͤhmte Beccaria zu 
Mailand fein Werk über Verbrechen und Strafen Batte erfcheinen laffen, welches 
eine Art von Epoche in der Criminalgeſetzgebung bildete, fo wollte nun 5. in dem 
feinigen die Geſetzgebung in allen ihren Zweigen und Beziehungen umfaffen und 
Ne allgemeinften Grundſaͤtze derfeiben aufftellen. Er begann diefes große Unter: 
nehmen mit Muth und Befonnenheit, und führte es zu feiner und der Wiſſenſchaft 
Ehre mit Srundlichkeit und Hefem Geiſte aus. Er theilte das Werk: „la scienza 
della legislazione”, in 1 Bücher, wovon das erfte, welches die allgemeinen Re⸗ 
gein der Sefeßgebung enthält, und das zweite, welches dir politifchen und okonomi⸗ 
ſchen Sefeße zum Segenftande hat, 1780 zu Neapel in 2 Bon. erſchienen. Nicht 
aur in Stalien, fondern in ganz Europa machte dies Werk augerordentliches Auf: 
ſehen, und der Verf. ſah fich in feinem 28. Jahre unter den berüibmteften Publi⸗ 
eiften genannt. Er fpricht mit Freimäthigfeit über viele Mißbraͤuche, allein ohne 
zu beleidigen, und obgleich Vieles fein eignes Vaterland traf, ertheilte ihm der Kü- 
rig doch eine Sommanderie des Tonftantinordens. 14'183 gab er die folgenden 2 
Binde heraus, welche die Sriminaljuffi betreffen. Dieſe Materie ift bier in ihrem 
vollen Umfange behandelt, und die freimüthigften und umbefangenften Anſichten 
herrſchen durch das Ganze. Eben diefe Freimüthigkeit und Offenheit erbitterten 
aber den für feine Feudalrechte fürchtenden hohen Adel und Klerus, und man trieb - 
nicht allein einen feilen Autor. (Joſeph Grippa) auf, welcher F. widerlegen mußte, 
fondern verbot auch durch ein geiftliches Dreret vom 6. Dec. 1784 das Buch als 
aufrührerifch und gottlos. Dem elenden Grippa antwortete F. gar nicht, den 
Seudaliften und Curialiſten aber bloß tm nächften Jahre durch den B., 6. und 7. 
Band feines Werkes, in derien von der Erziehung, den Sitten und dem öffentlichen 
Unterrichte gehandelt wird. 1783 Hatte fih-F. mit Karoline von Frendel, der 
Tochter eines ungarifchen Edelmanns und Erzieherin der zweiten Tochter des Kö: 
nigs von Neapel, vermählt, undfich bald darauf, mit Bewilligung des Monarchen, - 
nach Cava, einer Fleinen Stadt im Neapolitaniſchen, zurädgegogen, um bier in 
Eindlicher Stille den Ießten Band feines großen Werkes, welcher die Religion in Bes 
zehung auf den Staat betreffen folkte, auszuarbeiten. Allein feine Geſundheit hatte 
ſchon fehr gelitten, und er ruͤckte nur langſam vor. Auch berief ihn Ferdinand IV. 
(1187) in feinen höchften Finanzrath. So mußte er nach Meapel zurüdtehren 
und fich faft ausfchliegend feinem neuen Berufe widmen. Bald wurde er ernftlich 
krank und flarb am 24. Juli 1788 in einem Alter von 36 Jahren, Vorher hatte 

erden 8. Theil feines Werks vollendet, worin von den Religionen vor dem Chriftens 

thame die Kede iſt. Man findet auch Hier den ſcharfſinnigſten Forſcher und treffe 


— 


448 Filicaja 


lichen Darſteller. Bon den Schluſſe des Werks hat man nur die Abthellung der 
Capitel in der Handſchrift gefunden. Diefes dem menfchlichen Seifte überhaupt 
zu hoher Ehre gereichende Werk, welches des Guten fo viel gefliftet bat, iſt in alle 
lebende Sprachen überfeßt worden. (Deutfch 17184 zu Altdorf in der Schweiz, 
mit einer Vorrede von Siebenfees, eine andre von Guſtermann zu Wien in dem⸗ 
felben jahre. Auch von Lin befigen wir eine. Die franzöfifde 1289 — 91 im 
1Bdn., Paris, ift von Gallois.) Aus F.'s Nachlaß ſah mar, daßer eine „Nuora 
scienza delle scienze”, worin er alle menfchliche Wiffenfchaften auf ihre Grund⸗ 
principien zurüdzuführen gedachte, und eine „Storia civile universale perpetua”, 
in welcher aus der Sefchichte der Nationen die Gefchichte des Dienfchen in feiner 
geiftigen Entwickelung erklärt werden follte, auszuarbeiten die Abficht gehabt hat. 
Sein fhneller Ted und fein offener Widerfland gegen die Anfthläge des berüchtig- 
ten Acton (f. d,) veranlaßten den Slauben, als fei F., ein Opfer der Rache diefes 
‚ Menfchen, an Gift geſtorben; doch hat kein gegruͤndeter Beweis dieſe Muthma⸗ 
ßung beſtaͤtigt. 
Filicaja ®i von), ein italieniſcher Dichter des 17. Jahrh., weicher 
fih mit Erfolg dem hereinbrechenden Strome des Ungeſchmacks in der Poeſie in 
feinem Vaterlande entgegenftellte, wurde 1642 zu Florenz geboren, wo er zuerft das 
Collegium der Jeſuiten und dann die Akademie von Piſa befuchte. Beine erften 
poetifchen Derfuche waren einer Geliebten gewidmet; da ihm indeß der Tod die 
Verehrte bald entriß, fo nahm er fich vor, nie wieder eine Zeidenfchaft zu befingen, 
deren Stüd,“ feiner Meinung nach, für ihn aufimmer verfchtwunden war, und feine 
Leier von nun an bloß heiligen oder bereifchen Segenfländen zu widmen. Bei feis 
ner Ruckkehr nach Florenz ward er zum Mitgliede der Akad. della Trusca ernannt, 
und bald darauf verheirathete er fich mit der Tochter eines Senators, Scipio Caps 
poni, mit welcher er, nach dem Tode feines Vaters, aufs Land zog und fich bier 
ganz der Erziehung feiner Kinder und der ihn begeifternden Muſe hingab. Cine 
Menge lat. und ital. Gedichte wurden bier gedichtet; da er indeß, vermöge feiner 
großen Befcheidenheit, felbft mehr daran auszufegen fand, als die wenigen Freunde, 
denen er fie mittheilte, fo gab er nichts davon heraus, und würde auch wahrſchein⸗ 
lich fo fortgefahren haben, fein herrliches Talent zu vergraben, hätten nicht feine 
Freunde am Ende das Geheimniß gebrochen. F. hatte nämlich die um diefe Zeit 
flattfindende Befreiung des von den Türken belagerten Wiens durch Johann So⸗ 
biesfi von Polen und deu Herzog von Lothringen, forvie die bald darauf folgende 
Niederlage der Türken in 6 verfchiedenen Oden gefeiert, die fo viel Bewunderung 
fanden, daß fie der Großherzog von Florenz jenen Fürften mittheilte. Sie wurden 
1684 in Florenz gedrudt, und F.'s Ruf, als erſter damaliger Dichter SYtaliens, 
war gegründet. Seine befchränften bürgerlichen Verhaltniſſe verbefferten fich indeß 
durch diefe Anerfennung keineswegs; erft die Königin Chriftine von Schweden 
nahm fich des bedrängten Dichtersan, emannte ihn zum Mitgliede der von ihr in 
Rom errichteten Akademie ausgezeichneter Männer und ließ feine beiden Töchter, 
aufihre Koften erziehen, fich Dabei ausbedingend, daß Niemand es erführe, weil fie 
ſich ſchaͤme, fo wenig für einen Dann wie er zu thun. Später wandte fich auch 
ber Blick des Großherzogs von Florenz auf ihn; einer feiner Söhne, der jedoch 
bald flarb, ward von demfelben als Page in Dienfle genommen, und F. ſelbſt zum 
Senator und Souvernementsfecretair der Regierung von Dolterra, und fpäter von 
der zu Pifa ernannt. In diefen Amtern wußte fich F. die Liebe und Achtung des 
Volkes und des Souverains zu gewinnen, und troß feiner vielen Geſchafte noch im⸗ 
mer Zeit zu finden, um auch hier feinem Lieblingsfache zuleben. Im vorgerüdten 
Alter und durch den Berluft mehrer feiner Kinder erfchättert, wandte fich fein Seift 
immer mehr auf religiöfe Gegenſtaͤnde, und einzig damit und mit der Herausgabe 
einer gefeilten Geſammtausgabe f. ſammtl. Werke befchäftigt, überrafchte ihn der 


3 


Filigranarbeit Sindltr 419 


Tod im 86. J., am 24. Sept. 1707 zu Florenz. Sein Sohn Scipio gab nun die 
beabfichtigte Sefammtausgabe u. d. T.: „Poesie toscane di Vizenzu da Filicoja‘ 
Beraus und widmete fie Cosmus Ill. Kine andre Ausgabe, mit dem Leben des 
Dichters von Thomas Bonaventuri, erfchien 1720, und eine dritte in 2 Bänden 
Benedig 1162, nach welcher die ſpaͤter erfchienenen geordnet find. Befonderes Ber 
dienft Hatte F. in der. Dichtungsart der fogenannten Canzoni, und einiger ſei⸗ 
ner Sonette, wie z. DB. das, welches mit. den Derfen: 

Atalia, Italia, o tu cui feo la sorte 

Dono infelice di bellezza’’ etc. 
beginnt, gehören in Hinficht ihres lyriſchen Schwunges zu dem Beſten, was 
man in dieſer Art hat. | j 

Giligranarbett, die zu Laubwerk durcheinandergezogenen Verzierun⸗ 
gen aus Silber: und Soldfäden (da, 100 «8 die Form und Zeichnung erfodert, 
auch zufamınen verfihmolzen), die man bei mancherlei Kunftfachen und Zierrathen 
anwendet. Sie war ehemals mehr in Anwendung als gegenwärtig. 

Filtrirem, durchfeiben, das Verfahren, vermöge deffen man mittelfl 
. eines Siebes oder Tuches oder Löfchpapiers grübere Theile von einer Flüffigkeit ab- 
fondert. Zum Filtriren des Waffers bedient man fich auch einer gewiffen Stein: 
ort von grobem Korn, welche die darauf gegoffene Fluͤſſigkeit Leicht einfaugt und 
durchläßt, die unreinen Theile aber zurüdhält. Ein folder Stein heißt Filtrir⸗ 
fein. Außerdem "hat man noch andre Vorkehrungen und Mafchinen erfunden, 
durch welche fich ſelbſt fehleimiges, verdorbenes und flinfendes Waſſer Klar 
und trinkbar machen läßt. Filtrirungsmittel find Sand und Kohlen, welche 
die Unreinigfeiten des Waſſers an fich ziehen, und eben daher. von Zeit zu 
Zeit rein ausgeſchwemmt werden mäffen, um deſto länger das Waſſer reinis 
gen zu koͤnnen. Eine der größten Filtriranftalten befindet fich in Paris, um 
dos Seine⸗Waſſer zu reinigen. In London filtriert eine Wapfercompagnie 
Siglih 500,000 Cubikfuß Waſſer. 

5 il z überhaupt ein durcheinandergewirftes, gefehlungenes und feftes Ges 
webe oder zeuchartige Maſſe. Gewohnlich wird Filz von einem zu Huͤten vor: 
bereiteten Werke der Hutmacher gebraucht, das aus Pardätfcher Wolle und Lars 
datſchen Haaren durch verfchledene Bearbeitung ineinandergefchlungen und ge: 
trieben worden if. Es werden auch andre Kleidungebediirfniffe Daraus verfertigt. 
Bei den Papiermachern wird Filz; ein Stück von mollenem Tuche genannt, 
welches fie über das eben gefihöpfte Papier ausbreiten. 

Zinale, der Schlupfaß eines Tonftüde, z. B. eines Quartetts, einer 
Symphonie, eines Opernactes, Ballets u. ſ. w. Es beficht aus Sägen von 
-verfchiedenem Charafter. Meiftentheils bat inden SYnftrumentalftäden das Finale 
den Charakter der Munterkeit und erfodert geſchwinde Bewegung und Iebhaften 
Bortrag. Sn der Oper beficht das Finale meiſt aus mehren aneinandergereihten, 
mehrſtimmigen Sägen von verfchiedenem Charakter und verfchiebener Taftart und 
Bewegung. Doch ſchließt man einen Act auch zumeilen mit einem QLuartett, 

erzett, Duett, ja auch mit einer Arie, z. B. Mozart den erſten Act des „Figaro”. 
Es ift der Natur der Sache gemäß, daß das Finale des leßten Aufzugs das kuͤrzeſte 
und glaͤnzendſte fei; das des erfien, ober bei einer dreiactigen Oper des zweiten 
Actes aber das ausgeführtefte. | 

Finanzwifſenſchaft, ſ. Staatsfinanzwiffenfhaft. 

Findlater (2ord; James Earl of Findlater and Seafield), ein um 
das Wohl feiner Mitbürger in Schottland, Sachfen und Böhmen fehr verdienter 
Mann, geb. 2749 auf f. väterlichen Stammfchloffe zu Eullnous an der Grenze 

von Hochſchottland, flarb 62 Fahre alt zu Dresden im J. 1811. Er flammte 
aus dem alten, feit dem 10. Jahrh bekannten ſchottiſchen Geſchlechte der Ogilvies, 


Tv Findling 


die mit dem Hauſe Bouillon u. a. m. verwandt waren. Der Graf beſuß in Schott 
land an Allodial⸗ und Lehnguͤtern den Werth non 4 — 600,000 Pf. St. Weil 
er fie aber ſehr gering verpachtete, fo bezog er an jährl. Einnahme aus Schottland 
nur 44 — 17,000 Pf, St.; feine Pächter wurden daher wohlhabende Leute; 
Lord 5. batte den größten Theil feiner Jugend auf dem feften Lande verlebt, vor: 
züglih an den Höfen zu Paris, Wien, Berlin und Brüfel, mo die Erzherzogin 
Thriſtine und Herzog Albrecht von Sachfen:Tefchen damals Hof hielten. Dann 
hielt er fich längere Zeit in England und Schottland auf, brachte aber Die letzten 20 _ 
Joh f. Zebens in Frankfurt, Hamburg, Altenburg und Dresden zu, jedoch mehre 
ommer auch in den böhmifchen Bädern zu Teplig und Karlsbad. ' Er war ein 
soiffenfchaftlich gebildeter Dann, der Seift, Geſchmack und viele Renntniffe befafi, 
vorzüglich in fhänen Baumerken und Sartenanlagen; damit verband er den thä« 
tigften Eifer für Landescultur und für Semeinmwohl überhaupt. Don feinen wiſ⸗ 
fenfchaftl. Talenten bat er Beweiſe binterlaffen in dem „Journal agronomique” 
und in dem Werke „Liber die ſchöne Baukunſt“, mit vielen Kupf. (bet Voß in Leip⸗ 
zig), Don feinen Anlagen find befannt: die reizend gelegene Findlater'ſche Billa, 
ein Weinberg bei Dresden, jetzt ein fehr befuchter öffentlicher Luſtort, an der bautz⸗ 
ner Straße und an der Eibe bis zu dem fogenannten Mordgrunde — eine Wald⸗ 
fehlucht, deren Flugfandhügel Lord F. mit großen Koften in einen anmuthigen Park 
umfchuf —, ferner die Berfchönerungen bei Teplig und vorzüglich die Wege, Stra⸗ 
Gen und mehre Anlagen bei Karlsbad, wo er unter andern den Weg nach dein Poft: 
hofe zuerft fahrbar gemacht dat. (S. Stär’s „Befchr. von Karlsbad“). Die 
Dankbarkeit der Karlsbader errichtete ihm dafür auf einer Höhe des Waldruͤckens 
den fehönen Obelisk von Granit. Mit dem Grafen Clam gemeinfchaftlich grüne 
dete er das Armenhaus in Teplig. Überhaupt war der größte Theil feiner Eins 
fünfte, manches jahr an 100,000 Thlr., dem Ankauf und dem Anbau wüſter 
Plaͤtze bei Dresdengemwidmet. Lord F. vereinigte mit dem einfachen Charakter eines 
Detille’fchen Landmanns die feltenften Talente für den gefellfchaftlichen Umgand.- 
Er fand in einer nahen und durch einen ansgebreiteten Briefivechfel fortgefeßten 
Verbindung mit den bedeutendften Männern feiner Zeit. Die franz. Emigranten 
wurden von ihm großmäthig unterflüßt, und mit dem Duc de Caſtries lebte er in 
freundfchaftlichen Verhältniffen. Überhaupt fand man oft bei Lord F. eine ausge: 
waͤhlte Sefellfehaft von geiftuollen Deännern und Srauen, obne Unterfchied des 
“ Ranges; er felbft war bei ‚feiner vielfeitigen Welterfahrung, bei feiner genauen 
Kenntniß der meiften Höfe von Europa, und bei feinem yon einem treuen Ger 
dachtniffe begleiteten Wiße der unterhaltendfie Sefellfchafter, unerfchöpflih ar 
Anekdoten und Erinnerungen qus feinem reichen Leben. Mit ihm erlofch der 
Name Findlater. Er wählte fich fein Grab bei der Kirch? des Dorfes Lofchroiß. 
Durch ein von ihm zu Gunſten der. Grant's in Schottland, die feine Bettern was 
ren, gemachtes Teflament kamen diefe in den Beſitz feiner fimmtlichen Güter in 
Schottland, und der ältefte der Familie der Barone von Grant führt jeßt den Titel: 
Earl of Seafield. Da jedoch fein Liebling und nächfter Erbe, der junge Grant, 
in Indien geflorben war, fo vermachte er feine Grundftüde in und bei Dresden, 
nebft anfehnlichen Legaten, der Familie Fifcher daſelbſt. Seine ausgewählte 
Dibliorhek hat Graf Thun in Tefchen gekauft. 
Sindling, ein Kind, welches von feinen Altern an irgend einen Ort ger 
bracht, verlaffen, und von Andern gefunden wird. Obgleich bei den alten Völkern 
die Dernichtung der Frucht nicht beftraft rourde, fo führte doch das natuͤrliche Ger 
fühl darauf, fie lieber auszufegen, und ihr Schickſal dem Zufall zu überlaffen. 
Man wählte gern befuchte Örter, Damit eine großere Hoffnung der Rettung übrige 
bliebe. Sn Athen und Rom geſchah es an beftimmten Orten. Erſt in dem 
4. Jahrh. verboten die Kaiſer Balentinian, Valerius und Gratian diefe graufame 


- Bingal 4124 


Sewohnheit, weiche jeßt in allen gefitteten Staaten als Verbrechen grahndet wird. 
Doch auch in den älteften Zeiten fuchte der Staat die ausgefegten Kinder zu erhals 
ten; die Findelhäufer aber find erſt eine Einrichtung der neueften Zeitm. “Das 
partfer wurde 1620 eingerichtet und hat feit diefer Zeit bis 1807, 464,628 Kine 
der aufgenommen. Sin ganz Sranfreich betrug 1784 die Anzahl der Findelkinder 
nicht über 40,000; dagegen im J. 17198 über 51,000, und im J. 1822 zählte 
man 138,500! Vgl. die von der par. Akad. d. Wiſſ. gefr. Preisfchr. des Hrn. 
Beneiften de Chateauneuf: „Considerations sar les enfans trouves dans les 
principaux etats de l’Europe” (1824), Nach dem Verf. bat fich faft in allen 
europ. Ländern die Zahl der Aindelfinder feit 40 jahren fehr vermehrt, am meiſten 
in Frankreich. Durch die Sindelhäufer wird nicht nur das Ausfeßen der Kinder, 
fondern auch der Kindermord und das Abtreiben der Frucht fehr befehräntt, ferner 
werden die Kinder oft phyſiſch und moraliſch beffer erzogen als bei fchlechten Altern 
und: fehlechten Ziehemättern. Der Einwand, dag durch die Kindelhäufer die Sie: 
ten gefährdet und verfchlechtert werben, ift nur fcheinbar, weil der Staat eben 
durch fie die unglüdlichften Weſen vom Verderben rettet. Hoch macht man ihnen 
die große Sterblichkeit, welche in den Findelhäufern derixht, zum Vorwurf. nz 
deſſen iſt dieſelbe in den beffern bereits fehr vermindert worden, vorzüglich Dadurch, 
dat mar die Kinder zur Erziehung an ausmärtige, auf dem Lande lebende, fü 
gende Mütter gibt, und diefe in geböriger Aufficht behält. Don den Kendern, 
welche Privarperfonen fogenannten Ziehemüttern ohne Aufficht überläffen, werden 

Bei weitem mehre auf unmenfchliche Weiſe vernachläffigt und getödtet, als im Fins 
bdelhauſe fierben. Gut eingerichtete Sindelhäufer find daber ein wichtiger Ges 
genfland der medicinifchen "Polizei. 

Fingal (Fin Mac Coul oder Fionghal), der Vater des fchottifchen Barden 
Dffian, und durch deffen Sefinge fo berühmt germorden, wie Achill durch Homer, 
Er war Fürft in Morven (Morbhein), einer Prosinz des alten Caledoniens, in der 
‚goeiten und auch wol in der erflen Hälfte des 3. Jahrh. nach Chr., und ſchon 

feine Borfahren fcheinen lange über den Stamm geberrfcht zu haben, an deſſen 
Spitze er ſich als Held und Menfch auszeichnete. “Der Umfang feines Reichs läßt 
fid nicht beſtimmen, weil wahrfcheinlich Jagd die Hauptbyfchäftigung. feines 
Stammes war. Wahrfcheinlich find die Herrfcher der Hebriden, der nördlichen 
und weſtlichen Hochländer, von ihm zu Lehn gegangen, und er felbft mag feinen 
Sig in der Nähe von Ölenco, zu Selma, gehabt haben, Wenn füh in allen Theis 
len der Hochlaͤnder große Gebaͤude, Gewoͤlbe sc, finden, die feinen Namen tragen 
und auf die Ehre Anfpruch machen, daß er darin gehauft habe, fo kann dies Folge 
des mit ‘der Jagd verbundenen ‚unftäten Aufenthalts “fein, einen Eriegeri 
ſchen Ruhm verdanfte F. beſonderb den Kampfen mit den das jetzige England beherr⸗ 
ſchenden Römern. In ihre Provinz machte er oft Streifzüge und brachte dann, 
den Wein und das Wachs der Fremden als köftliche Beute heim. Ob der Römer 

Caracul, denÖffiannennt, Saracalla gewefen fei, ift, obfehon Gibbon, Whiteber 
und Macpberfon es meinen, fehr unmahrfcheinlich, da diefer im Anfange des 
8. Jahrh. herrſchte, und 5. 283 ſtarb. Zur See wagte er häufig Fahrten nach 
Schweden, den Orfneyinfeln, nach Irland; Offian bezeichnet diefe Punkte mit 
dem Namen: Lochling, Innislore und Ullin. onders find folche Züge durch 
die 2 übriggebfiebenen epifchen Gedichte Offian’s, „Fingal’' und „Temora“, vers 
berrficht. Im letztern erfcheint der Held mit feinem Entel Oskar, Oſſian's Sohne. 
Seinen Tod (im J. 283) befingt Offian gelegentlich, ohne die nähern Umſtaͤnde 
anzugeben. Der Charakter 5.8 ift der edelfte, den ein Dichter je gefchildert hat. 
Unbefiegbar in der Schlacht, ift er auch Vater feines Dolls, Großmuth und 
Menfchenliebe beivegen ihn zum Mitleiden mit dem befiegten Feinde; „fein Armer 
ging betrübt von Fingal weg!" — „Oscar, bekaͤmpfe die Stärke in Waffen, aber 


1232 Fingalshoͤhle Finisterrae 


ſchone bie ſchwache Hand!” — „Mein Arm war die Stuͤtze der Gekrunkten, ber 
Schwache fland binter meinem glänzenden Stuhl!" “Dies find einige der Züge, 
die Dffian ihm leiht, um das Herz für ihn zu gewinnen; F.'s Ruhm ift überall 
verbreitet; die Tapferften erkennen feine Größe an; bei feinem Namen zittert der 
Feind. Wie in jener Zeit der Held oft ein gefeierter Barde war, fo erfcheint auch 
5. folder, und der Vater des Dichters Oſſian fcheint.auf diefen feine Harfe . 
vererbt zu haben. | Br . 
Fingalshohle (Melodiehöhle, Habhinn), eine auf Baſaltſaulen ruhende 
Grotte auf der hebridifchen Inſel Staffa, die zu den ſchönſten Naturmerkwuͤrdig⸗ 
feiten gehört. Sie ift 300 Fuß lang, 160 Fuß hoch und 50 F. breit, und wird 
uon einem See durchfchnitten, den man befchiffen kann. Auf beiden Seiten ragen 
theils ganze, theils abgebrochene, aber fehr —— von der Natur gebildete 
Saͤulen von Baſalt empor, die mit ihren abgeſtumpften Enden das Gewolbe bilden 
und tragen. Die im Innern der Höhle von dem Felſen herabtraͤufelnde Feuch⸗ 
tigkeit bildet fo harmonifche Töne, dag fich der Reifende, der diefe Grotte befucht, 
durch eine Art von unfichtbarer, einem Zauber ähnlicher Muſik überraſcht fins 
det, Daher fie auch den Ftamen Delodiehöhle befommen bat. | 
Fingerfegung (Applicatur), die Art des Gebrauchs oder der Anfegung 
der Finger bei folchen mufifalifchen Inſtrumenten, bei welchen die Berfchiedenheie 
des Tons hauptfächlich durch den Griff oder Anfag der Finger hervorgebracht wird. 
Da bei den meiften Inſtrumenten diefer Art die reine Intonation, die Deutlichkeit 
und der unvermifchte Dortrag ſchwerer Stellen hHauptfächlich davon abhängt, fo ers 
belt von felbft, wie wichtig es fei, die richtige Applicatur frühzeitig zuerlernen, um 
Sertigkeit auf einem Inſtrumente zu gewinnen. (Bol. Logier’s Methode.) 
Finiguerra (Tommaſo, durch Verfürzung Mafo), ein berühmter Bilds 
bauer und Soldarbeiter, dem die Erfindung der Kupferftecherfunft zugefchrieben 
wird. Er lebte zu Florenz um die Mitte des 15. Jahrh. Seine Familie hatte 
feit 1218 in dieſer Stadt geblüht. Das Jahr feiner Geburt und feines Todes 
iſt unbefannt. Er war ein Zoͤgling von Lorenzo Shiberti, der die berühmten 
brongenen Thüren des Baptifteriums St. Johannis des Täufers zu Florenz ver⸗ 
fertigte; ja er fcheint felbft an der zweiten, die 1425 angefangen und 1445 voll- 
endet wurde, befchäftigt geroefen zu fein. Er mar ausgezeichnet in der Kunſt zu 
nielliren, die man auch Niello nennt, Dieſe Kunft, die erft zu Leo’s X. Zeiten 
aufgegeben wurde, beftand in Verzierungen, die man in Metall eingrub, fodag in 
die Bertiefungen eine fchroärzliche, metallartige Waffe, Tateinifch nigellum genannt, 
eingelaffen wurde, welche man durch Gießung mit dem Stücke befeftigte, worauf 
fie fich befand. Manche halten den deutfchen Maler Martin Schön fül den Er- 
finder des Abdrucks von Kupfer: und andern Stichen, allein diefer bat erſt nach 
1460 diefe Kunſt geübt, Dean hat den Srieden, von F. niellirt, noch jeßt in der 
Kirche St.-Johann zu Florenz, und die Krönung der Jungfrau, die er 1452 ver⸗ 
fertigte. Diecorrecte und wahre Zeichnung zeigt zugleich viel Adel. Er führte auch 
. eine große Menge Basreliefs in Silber aus, aufeinem Altar, der an großen Feſten 
noch jeßt in der genannten Kirche ausgeftellt wird. Don feinen Arbeiten in Niello 
nur fol 5. Abgüffe in Schwefel gemacht haben. Zani fand aber auch einen Ab: 
druck von der Platte, welche von jener Krönung in der genannten Kirche aufbewahrt 
wird, im Cabinet national in Paris, und dies ift der Grund, ihm die Erfindung 
der Rupferftecherkunft beizulegen. In Hinficht der Erfindung F.'s gibt das Werk 
des Abbate Zani: „Materiali per servire alla storia dell’ origine e de’ pro- 
gressi della incisione in rame ed in legno” (Parma 1802) Auskunft; ebenfo 
Bartſch's „Peintre-gravear” (13. Bd.). In der florentinifchen Galerie wer: 
ben auch Zeichriungen in Aquarell von ihm aufbewahrt. 
‚$inisterrae, das Cap, das aͤußerſte Borgebirge auf der Weſtkuͤſte von 


N 


Fink: :. Sinnen 4123 


Galicien in Spanien. Much Ein ‚franz: Departement an der Weſtſpitze von 
Bretagne heißt Finisterre (mit Breft), | 
Fink, preuß. General.im fiedenjähr. Kriege, geb. zu Strefig 1718, nahm 
4735 faiferl., dann ruſſ. imd 4144 preuß. Kriegsdienfte. 17159 zum Sen. Lieut. 
ernannt, befebligte er ein Corps won 12,000 M., mußte aber mit demfelben am 21. 
Ron. 1759 bei Maren ſich gefangen geben, da feine Truppen durch das Öefecht 
am 20. Nov. mit den-Öftreichern, unter Sincere, Brentano und Prinz Stofberg, ' 
faſt auf die Hälfte gefehmolzen, ohne Munition und auf allen Seiten von einem 
überlegenen Feinde umgeben waren. F. hatte Friedrich den Großen mehrmals auf 
das Gefaͤhrliche feiner Stellung aufmerkſam gemacht und den Unfall vorhergefagt ; 
er erfcheint Daher vor dem Urtheil der Sefchichte völlig gerechtfertigt, wenn auch Das 
nach dem Frieden auf des Konigs Befehl niedergefeßte Kriegsgericht ihn nebft den 
Generalen von Rebentifch und Gersdorf für fehuldig erfannte, F. wurde caffirt und 
auf 1 Jahr nach Spandau gebracht... Er ging darauf als General der ne 
faterie in dänifche Dienfte und flarb 17166. 

Finnen. Diefe Hauptſtamm der nordeuropäifchen Volker (geg.2,400,000) 
ift wahrſcheinlich mongolifchen Urfprungs. Er breitet fich vom ftandinavifhen bis 
tief in den aflatifchen Norden, von da bis an die Wolga und das kaspiſche Meer aus, 
Schon Tacitus kennt diefe Ration u.d. N. Finnen, deren Aufenthalt vonjeher nörd> 
liche Walder und Moräfte waren, daher fie fich ſelbſt Moraftbervohner (Suamolainen 
in ihrer Sprache) nannten. Jagd und Fifcherei waren flets ihre vorzüglichften Ge⸗ 
werbe. Librigens ift es bemerkenswerth, wie ähnlich die zerftreuten finnifchen Völkers 
ſchaften in Koͤrperbildung, Nationalcharnfter, Sprache u. Sitten fich geblieben find, 
ſodaß man fie nirgends verfennen kann. Eine eigne Geſchichte haben fie nicht; im 
einfachen nomadifchen Leben wurden fie die Beute der Norweger, Schweden und 
Kuffen. Die Norweger unterwarfen zuerft fih $innmart, und ihre Züge zu 
den Permiern, einer firmifchen Völkerfchaft am meißen Meere, hörten dann erft 
auf, als die Fürften von Nowgorod ſich Permiens und des dortigen Handels 
bemächrigt hatten, umd die Norweger durch die Einfälle der Mongolen befchäftigt 
wurden. Dig Ruffen begannen nun, fich in den Landen der Finnen auszubreiten ; 
Karelien und ganz Permien famen in ihre Gewalt, und im 14. Jahrh. fah man 
am Geſtade des weißen Meers durch Biſchof Stephan das Kreuz errichtet, und den 
meitftrablenden Tempel bes großen Öottes Jomala zerflört. Ganz Lappmarf und 
bald auch alle Finnen in Oſten, an der Wolga und in Sibirien, wurden nun von 
den Rufen unterjocht, welche felbft die Norweger zuräcktrieben, als diefe ihr früher 
ufurpirtes Tributrecht in Lappmarf geltend machen wollten, Endlich fielen noch 
die Schweden über die übrigen an fie angrerizenden Finnen ber; Erich der Heilige 
befebrte in der Mitte des 12. Jahrh. die Bewohner des heutigen Finnlande, und 
hundert Jahre danach eroberten die Schmeden Tawaſtland und bezwangen die Ka⸗ 
relier und Lappen, ſo weit beide nicht ſchon Rußland angehörten. Hiermit war 
Die Unterjochung der finnifchen Nation im Norden vollendet, von welcher 12 Vol⸗ 
kerſchaften ganz oder zum Theil zu den Bewohnern des ruffifchen Reichs gehd⸗ 
ren, naͤmlich die Lappen, Finnen, Efihen, Liven, Tfcheremiffen, Tſchuwaſchen, 
Mordiwinen, Wotjaken, Parmjaͤken, &urjänen, Wogulen und obiſche Oftiäfen. _ 
Hierzu kann man noch die Tepteri rechnen, einen Volkshaufen, der aus Vermi⸗ 
hung mehrer finnifcher Volkerſchaften, befonders der Tfiheremiffen, Tſchuwa⸗ 

und Mordwinen entftanden und noch mit Tataren vermehrt worden ifl, “Die 
finniſchen Bölkerfchaften haben nur eine mittelmäßige Leibesgröße, aber einen dauers 
haften Körperbau. Die harakteriftifchen Züge ihrer Geftchtebildung find ein 
plattes Geficht mit: eingefallenen Baden, dunkelgraue Augen, ein Minner Bart, 

braungelbes Haar und eine gelbliche Geſichtsfarbe. Diefe Bildung tft aber beiden 
Finnen, im engern Berftande, fchon durch Wohlftand und Eultur veredelt; doch 


[ 


124 Finnland F 


8 


bleibt der Charakter der Phyſiognemie derſelbe. DE Tfcheremiffer und Tſcchuwaä· 


ſchen haben in ihrer Korperbildung mehr von den Tataren; die Mordwinen aber 
kommen darın den Ruffen, und di“ Wogulen den Kalmüden näher. Die Finnen 
find größtentheils Chriſten und befennen fich entweder zur Intherifchen oder gries 
difchen Kirche, doch findet man auch nech unter den Tſcheremiſſen, Mordwinen, 
Wotjaken und Wogulen Heiden, oder eigentlich Schamanen. Ein Theil der Fine 
nen treibt ordentlichen Aderbau und Hat eine gewiſſe Cultur erlangt, befonders die 
eigentlichen Finnen; ein andrer Theil lebt nematifirend, ſowol ven Viehzucht als 
Jagd und Fiſcherei. Unreinlichkeit und Trägbeit iſt einem großen Theift der finnis 
ſchen Bölkerfchaften eigen. Die Finnen, im engern Sinne, ſind ernfihaft, uners 
mübdet, arbeitfam, zu allen Befchwerlichkeiten abgebirtet, unerſchrocken, tapfer, 
flandhaft, aber auch fehr eigenfinnig und flarrfüpfig; dabei dienfifertig und gaſit⸗ 
frei. Es fehlt ihnen nicht an Geiſtesanlagen: eine ausgezeichnete Neigung haben 
fie zur Dichtkunſt und Muſik. S. eine liberficht der ſinniſchen neuern Literatur 
in den „Wiener Jahrbüchern“, 9. Bd., S!t 19. Eine finnifche Sprachlehre 
‘Bat der Propft Strahlmann gefchrieben.. - 
N Finnland, ein ruffifhes Großfuͤrſtenthum (6402. IM, 1,3718,500 
Eins.) mit 12 Kreifen. Es beflehe 1) aus den ſchon 1724 und 4743 (f. Abo 
und Nyſtabt, Frieden zu) von Schweden an Rußland abgetretenen Theilen des 
Großfürſtenthums Finnland (welche feitdem ein befonderes ruffifches Gouverne⸗ 
ment mit der Hauptfladt Wiburg bildeten); 2) aus dem 1809 durch den Frieden 
zu Friedrihshamm von Schroeden an Rußland abgetretenen Großfuͤrſteuthum 
Finnland mit den Alandsinfeln (f d.), und 3) aus den durch denfelben Frieden 
von Schweden abgetretenen Theilen von Ofterbottn und Lappland. Aus diefen drei 
Beſtandtheilen wurde den 6. Aug. 1809 das jeßige Großfürſtenthum 5. errichtet, 
deſſen Verwaltung von der der äbrigen ruffifchen Provinzen ganz derfchieden iſt. 
Ein Seneralgouverneur fteht an der Spiße des finnland. Regierungsconfeils, deſſen 
44 Mitglieder Finnländer find. In &t.-Petersburg werden die finnländ. Ange⸗ 
Vegenheiten feit 1826 voneinem befendern Staatsfecretariat geleitet. Staatsſecre⸗ 
tair für Finnland ift gegenwärtig Baron v. Rehbinder, deffen Adjunct der wirkliche 
Staatsrath Hartmann if. — Die Hauptſt. Helfingfors, wohin den 1. Oct. 
819 die höchfle Behörde (der finnlaͤnd. Senat oder das Regterungstonfeil) von 
bo (f.d.), und 1827 die Univerfitäit verlegt wurde, hat 8000 Einw. und Seehan⸗ 
del. Unweit davon liegt die ſtarke Feſtung Smweaborg (f. d.). Der Boden des 
Landes ift theils bergig und felfig, indem er von Fortfeßungen des ſtandinaviſchen 
Gebirge durchzogen wird, theils flach, fandig, fumpfig und mit einer Menge größe⸗ 
rer und Eleinerer Seen angefüllt. Unter den Fluͤſſen ift der Kummenefluß der bes 
trächtlichfte. Obgleich Selfen, Sümpfe, Seen, Sandftriche und Waldungen (ein 
Hauptreichthum des Landes) einen großen Theil der Oberfläche einnehmen, fo fehlt 
es doch nicht an Gegenden, welche ergiebigan Getreide, Kartoffeln und Flache find, 
amd auch guten Wieſewachs haben; daher die Viehzucht wichtig if, An Bären 
und Wölfen ift das Land, fowie die Gewaſſer an Fifchen, fehr reih. Die 
Einwohner find größtentheils Finnen (f. d.), die fich meiftene zur Iutherifchen 
Kirche bekennen, ferner Ruffen, Schweden und Deutfche in geringer Zahl. 
Eigentlihe Fabriken und Manufacturen gibt es, mit Ausnahme einiger der grö⸗ 
Fern Städte, in Finnland nicht. Die flürkfie Bevölkerung findet man an den 
. Küften, Das innere des weitläufigen Landes ift noch fehr menfchenleer, und 
der von Lappland und Oſterbottn hinzugekommenẽ Theil," feines eifigen Kli⸗ 
mas halber, nur einer geringen Bevölkerung fühle. Finnlands Fellungen 


und Lage machen es für Rußland fehr wichtig. Die Grenzen gegen Schwer: - 


den wurden 1821 gu Tornea (ſ. d.), und die gegen Norwegen 1826 fefl: 
beflimmt. . Ä 


[4 


len?‘ Er Finßerniß on “ 7 125 


* $infternig. Anſere/ bisherige Phyſik erklaͤrte die Finſterniß als blohe 
Negatin.(Berneinunig, Mangel) des Lichts, wie die Kalte als Negation oder Man⸗ 
der Waͤrma. Dies iſt aber eine nichtsfagende Erklärung, da gs überhaupt feine 
enflände geben kann, wovon der sine Die bloße Verneinung des andern wäre; denn 
dao Nichts, der Mangel iſt ja kein Sag, feine Pofition, folglich auch fein Gegenſatz, 
keine Öegenpofitine;: fondern es wird vielmehr.dusch Das Wort Mangel das Daſein 
einer Bolition gelaͤugnet. Wäre z. B. die Kälte blog Mangel an Warme, fo konnte 
wan fie nicht eiupfinten, denn nur mas iſt und wirft, kann empfunden ıverden, 
nicht aber mas mangelt; alfo nicht iſt und nicht, weirdt. Iſt irgend ein Satz real 
(mirktih), "fo muß es auch fein enfaß fein, und daher iſt auch. die Finfternig 
I reale ent den Lichte, —e** Sage — —E — 
man Haͤnden grei nte, deutet wenigſtens darauf bin, daß d 
Alten vonder Realisit der Finſternißz überzeugt waren. Die Finſterniß if} der Ge⸗ 
genſatz des Lichts, undıeus. der rechten Erkenntniß des lehtern (vgl. Licht) mind 
auch Die wahre Auſecht den erſtern henvor gehen, wenn man die wiſſenſchaftliche 
Kenntaiß der Elemente Iſ. d.):zu Mathe zieht. Wenn das Licht die Erſchei⸗ 
nung der Wechſelwirkung zwifchen der Sonne und den Planeten ift, welche nit 
einander uns. die Obeparrfehraft fireiten,. init vorberefchetder Sonnenthätigkeit, fo 
wird ah die Finſlerniß das Reſultat der Wechſelwirkung entgegengefeßter Thaͤtig⸗ 
keiten fein, aber ein Refultet; welches den Gegenſatz des Kichta darfiellt. In die: 
fon Wechſelſpiel odey Kampfe ift aber die Sonne nicht mit begeiffen, denn die 
Nathtſeite des · Planeten iſt die men der Sonne abwaͤrts gekehrte. Hier kann der 
Streit nur innerhalb des Planetenreichs. fallen, d. h. die Wechſelwirkung kann nur 
geifchen- feinen, Elementen ſtattfinden, in welche deu Manet oder deſſen Einheit, 
unter dein kraͤftig Arragenben Einfluß. der Sonne, zerfallen iſt. Der größte Theil 
der planetifihen Materie har fich der Sonnenherrſchaft eutzogen, iſt undurchfichtig 
ud feft geworden: Erde, Erdelement (af8 feiter Kern des Planeten); ein andrer 


Bleinerer Theil hat fich dem Zepter der Sonne unterworfen, fich gleichfam ihrer . 


bung’ büngegeben, und tft daher folar (ſonnerhaft), di h. durchſichtig, leicht, 
gafig, Richter und Wärmeorgan, : mit Finem Worte, ätherifch geworden: Luft. 
Das Mittel zroifchen dieſen beiden. entgegengefeßten Elementen haͤlt das neutrnfe 
Waſſer, welches weder feſt noch gafig, ſondern gleichfam Beides zugleich, oder ein 
Drittes: aus Beiden, :d. h. fläffig.ifl, und auch in allen übrigen Eigenfchaften das 
Mittel zwiſchen den genannten beiden Extremen des Planeten Hält, daher beiden 
nur vermittelnd entgegengefeßt if. So fiehen alfo Erde und Luft, oder Atmo⸗ 


ſphare, cinander feindlich gegenüber, jedes mit dem Streben, fich in diefem Streite 


zu behaupten und auf-Koflen des. Andermzu ergalten. Das Streben der Erde oder 
des Erdelements geht auf Berfeflung der Luft, um dieſe gleichfam als Nahrungs⸗ 
mittel in ſich aufzunehmen und in feine Eubſtanz zu verwandeln, was aber nur 
theilweiſe gelingt; undicht: orte Mitwirkung ( Vermittelung) des Waſſers. Ein 
gleichen ſelbſliſches Dtreben hat im Stegentheil auch die Luft, weiche das Feſte zu 
Isfen, zu verflüchtigen und fo In fich aufzunehmen, gafig zu machen fucht. Dies 
‚gelingt ihr. am wreiften.bei Tageslicht, wo fie Durch die Mitwirkung. ber Sonne in 
ihrem Alfimilgtionsgefchäft unterftüße wird. Dagegen bat zur Machtzeit die Erde 
in ihrer. verfeflenden, erſtarrenden Thätigfeit das übergewicht, und der Ausdruck 
"diefes Strebens und Ankaͤmpfens gegen die Luft offenbart fich als: Finfterniß. 
Wenn nım die Finſterniß der Gegenſatz (nicht die Negation) des Lichtes ifl, fo wird 
fie ein dem Sonnenfichte, überhaupt dem kosmiſchen Lichte entgegengefeßten Licht 
fein wüffen, und wenn das. fosmifche Licht das Medium des Sehens für das Kopf⸗ 
‚Ser Tagange ift, ſo wird die Finſterniß, als planetifches Licht, das Medium des 

Sehens für ein andres; dem Tagauge entgegengefeßtes Auge, d. b. für ein Nacht 

“ar, ſtin. Daß es ein ſolches Auge gibt, davon belehren uns die Exrfcheinungen 


\ 


k 


126 Fioravanti Firmian (Familie) 


des Hellſehens im Somnambulismus (f. d.), indem es eine durch haufige 
Beobachtungen beflätigte Thatſache iſt, dag die Seerrmambulen, in der Regel, 


B 


ihrem (meidhes in Drfn Buflande an Ä 


fhanıngeioe HR), auch dazu nicht des gewöhnlichen Lichtes bedürfen. “Da nun 
bie Sinfterniß in aller Hinft —— Fchtes if, fmußpauh : 
—— der olanerifgen Sharkrit oder die man 
—— die entgegengeſetzte der Lichtverleiblichung fein, Die fi im Ärher 
flellt. (S. Licht.) Dee tem Ather entgegengefeitte TRaterie üt aber der fefle Erd- 
floff, welcher daher als ber Acid ber Ginfirrmip erfeheint, wenn diefe als verfeſtende 
Thaͤtigkeit des Planeten betrachtet werden muß. Die Finſterniß —— 
fen mut tem Erdmagnetismus (f. Magnetismus) planen, als | 
ichte ebenfo entgegengefeßt iſt als die Finflerniß. Dir Kafick von dei ! 
Weſen der Finflernig (mern das Verdienſt einem Runge gebührt) üft noch neu, 
und man muß die Ausbildung derfelben ju einer einer heorie von bar Bulargeis ermanten, 
wor: die nöthigen Erfahrungen bauptfächäich die fernere Geſchechte des thierifigen 
— liefern dürfte. — T ſ. Near: uud Seanen- 
ernt 
fin — —— ang et ‚ in der Tomifchen 
eat; fit dem Sul 1816 Eepelmrier bi Er-’Deur ia Aa. An 
eapel fiutirte er, in Turin aber betrat er feine theatraliſche Laufbahn. 17971 
FRChb ei nlanlich für bes fieial, Shrarr zu Serien: „ll farbo contro il farbe‘; 
ihr folgte: „A Karo Parigino”. Darauf fchrieb er mehre Opern für 


jr 


. ital. Bühnen. 1801 fam er nach Poris, mo man von dem „I virtuosi ambu- 


lanti” Aufführte, ten Tert tiefer Oper ahmte Picard nach in f. „Comediens am- 
bulans“, ——ã—— pentita“, Wie 
zwon in Paris 1805 gegeben hatte In f. zu Reapel aufgeführten Oper: „Gh 
amori dı Comi e d’Adelside“ ft ter Componifl der echten Muſikgattung 
treu geblieben. Ve nrihen beiiche har cn Reh, auch in Deutfchland, durch f. Ee: 
- wifehe Oper: „Le cantatrici vilane” („Die Sängerinnen auf dem Lande”) ge: 
macht, welche voll heiterer, Ichhafter Laune und gefälliger Melodien if, und um 
Seyl ter omıfihen Oper claffifch genannt werden fanm. librıgens hat er eine 
Menge reigenter Lieder mit Begleitung tes Piomoforte geſchrieben, von denen ei- 
nige zu Yonten un Druck erfihienen find. 
Sirenzjuole, f. Rannini. " 

 girmament, am gewäßnlschen Sprachgebrauch bei uns das fheinberr 


Simmelegewölbe. Draennung, 3, „die mir fon in ben Srtigiensbdchern der 
Iuden finten, bat in ber allen rohen Bölfern gemeinen Borfieliung, dag der Sim: 
mel ein fefles Gewölbe 

Fir man, 1) bei den Türken em Befehl, deu ter Gireferier m Ra: 
an reiben. ; 2) in Oflinlien dee fipeiftliche Kabel 


Tirmeln oder Firmen heißt in ter römifchen umb griechiſchen Kirche, 
ein Kind zu einer gewifſen Zeit (gemeiniglich .in femem 6. Jahre) mt Ehryfam 
falben, unit dem Sreuge begeichuen und iben einen 

Eenfirmation, taber auch der Mame. 

Sirmien, 1) Karl Jofeph, Graf von; 

— geb. 1711 — ienti 






Sirmung (fathol.) 427 


refla fandte. ihn als Ihren Bevollmächtigten Miniſter näch Neapel, und in der 
Folge in gleicher Eigenfchaft nach der oͤſtr. Lombardei. Hier eröffnete fich ihm ein 
. weites Feld, alle Tugenden eines durch Religion, Philofophie.und Wiſſenſchaften 
geleiteten Staatsmannes im größten Glanze zu zeigen. Er mar es, der die Liebe 
zu den Wiffenfchaften in jenen Gegenden wieder erweckte, geiftlichen Despotismus 
und Vorurtheile zu vertreiben anfing, Bibliotheken errichtete und die Umiverfität 
Pavia herzuftellen fuchte. Das ehemalige Herzogthum und die Stadt Muiland 
baben ihm fit 1759 vorzüglich ihre Bevälferung, Gründung verfehiedener Mann⸗ 
fücturen, Ausbreitung des Handels, Verbefferung der Landwirthfchaft, tolerante 
Geſinnungen in der Religion und Eultur der Künfte und Wiffenfchaften zu danken. 
Diefe Verdienfte erhöhte er durch die ungemeine Zeutfeligkeit, mit welcher er jeden 
Künftler und Gelehrten aufnahm und unserftügte, und durch die Einfiehten, die er 
felbft in vielen Fächern der Literatur. zeigte, Er befag eine augerlefene Bibliothek 
von 40,000 Bdn. und koſtbare Kunftfammlungen. Sein Tod erfolgte den 20. 
Juli 17182. — 2. Baptift Anton, Erzbifchof von Salzhurg, Bruder des 
Borbergehenden, ift bekannt durch feine Verfolgung der fpgenannten Keßer in dem 
ganzen Umfange:des Erzbisthums, wodurch nach und nach über 30,000 fleißige 
und rubige Menſchen gewaltfam (die esften mitten im Winter 173-4) .aus dem 
Lande gejagt wurden,. „Sein unmittelbarer Vorgänger, rin Fürft von Harrach!, 
Kat Henke (,„Kirchengefchichte‘, 5. Bd.), „hatte ihm gewiefen, wie ſelbſtiein 
geiftlicher Fürſt ſich mit Weisheit leidend bei einem Zuſtande ber Dinge verhalten 
konn, wo ein guter Theil Unterthanen hartnaͤckig auf Lehren hält, welche die Herr: 
fhende Kirche für irrig und verbammlich erklärt hat. Aber der Graf von Firmian 
* feinen Sinn für deutſche Verfaſſung, ließ ſich von italieniſchen Sünftlingen 
| en und von feinem Kanzler, einem unwiſſenden aber fehlauen Tiroler, 
in ollen Dingen berathen, . Er kannte einen hoͤhern Fürftenberuf, als fich wohl 
Fin zu laffen und feine unbegüterte Familie zu bereichern. Schon die Abzugsgel⸗ 
der, auf die er rechnete, wenn die Reber auswandern mußten, reizten ihn; ließ vs 
füh aber einleiten, daß fie als Empärer befträft werden konnten, fo: lachte ihm. Die 
Erbſchaft entgegen”. Seine DVerdienfte zu belohnen, verommete der Pabſt, daß 
ihm und feinen Nachfolgern künftig der Titel: „Hoheit“ (Excelsus, sua.Gel- 


* 


sitado) auch von Cardinalen gegeben werden folle. Er farb 1744. —. 3) Rarl 


Leopold Max, geb. 1760, Fürf : Erzbifchof zu Wien; der legte maͤnnliche 
Sproͤßling der Familie, ’ .. 
Firmung, die Häindeauflegung, ein Sacrament der Katholiken; ber 


Zwed derfelben ift die Vollendung und Beflätigumg der Getauften. Das Wefen 


dieſes Sacraments ergibt ſich am beften aus Apg. 8,14 — 21: 19; 1 — 6. Die 
Auflegung der Hände, welche der Taufe folgte, ohne mit ihr Eins zu fein, gab 


den heiligen Geift, dieſelbe Önade des Heil. Geiſtes, welche. die Apoftel am . 


Pfingfifefte erhalten hatten, und die in den erften Zeiten der Kirche zumellen auch auf 
eine wunderbare Weiſe fich äußerte, 3. B. durch Sprechen fremder Sprachen, 
Veiffagungen. Nothivendig sonren diefe beiden Wirkungen aber nicht (1 Kor, 4%, 
1,4, 9 — 14). Überhaupt aber ward die Gnade des & 

Belt die Handeauflegung in die Meihe der allgemeinen und ewigen Lehren und An: 
flalten des Chriſtenthums (Hebr. 6, 1 — 5). Die Nachfolger der Apoftel, und 
fort alle Vorſteher der chriftlichen Kirche haben diefe Handeauflegung ftrenge und 
allgemein beobachtet, obgleich Diefelbe nicht immer und fpäterhin garnicht mebr mit 
wunderdaren Gaben verbunden war: ein offenbarer Beweis, dag man von jeher 
den Glauben hatte, daß diefe Handeauflegung für alle Zeiten angeordnet, und durch 
fie fortwährend der Heilige Geiſt, das ift eine innere Gnade, mitgetheilt wird, wenn 
auch hiervon gar nichts mehr in der Erfcheinungsmelt eintritt. — Die katholiſche 
Kirche Hat fich ‚hier an die übereinftimmende Überlieferung gehalten, Mit diefer 


iftes ertheilt. Paulus 


. | 

128° Firniß 

Handeauflegung iſt auch die Salbung der Getauften an der Stirne mit geweihtem 
Öle verbunden, und für die ganze Handlung iſt im 5. Jahrh. der Ausdruck Confir⸗ 
mation, Firmung, aufgefommen. “Die Firmung iſt das zweite der fieben Sacras 
‚mente, Das 2. Concilium von Lyon von 1274 fagt: „Die heilige Kirche lehrt . 
und hält feſt darauf, daß fieben Sacramente feiern — dag zweite iſt das Sacrament 
‚der Firmung‘, welches die Bifchöfe durch Auflegung der Hände verleihen, indem 
fie. die Wiedergeborenen ſalben“. Das Eoneiltum von Trient enthält folgende 
Beftimmungen über die Firmung: „Wenn jemand fagen möchte, die Firmung 
der Oetauften fei eine müßige Ceremonie, und nicht vielmehr ein wahres und eigent- 
liches Sacrament, oder fei ehedem nichts Anderes gewefen als eine gewiſſe Katechefe, 
worin die dem SJünglingsalter Nahe, vor der Kirche den Grund ihres Slaubens 
auslegten — anathema sit. (Sess. VII. de Confirm. cap. 1.) Wenn Jemand » 
fügen möchte, dag Die, welche dem heiligen Chryfam der Firmung einige Wirkung 
zufchreiben, . den heiligen Geiſt beleidigen — anathema sit (cap. 2). Wenn es 
mand fagen möchte, dag der ordentliche Ausfpender der Firmung nicht der Biſchof 
allein, fondern jeder einfache Priefter fi — anathema sit (cap. 8). Wenn Je⸗ 
mand fagen möchte, daß in den drei Sacramenten — der Firmung naͤmlich — 
‚nicht ein Charakter der Seele aufgedrücdkt werde, das iſt ein geiftliches und unvers 
loſchliches Zeichen, weßhalb die gedachten Sacramente nich lee werden duͤt⸗ 
fen — anathema sit“, (Sess. Vil. de Sacram. cap. 9). — brigens ift die 
Firmung nur ein nüßliches, nicht aber ein nothiwendiges Sacrament. Leibnitz fagt 
in f. „Syſtem der Theologie”, S. 2413 — 215: „In Betreff des Sacraments 
‚der Firmung, welches einige (Proteflanten) in Zweifel ziehen, haben wir, außer 
Dem, was die Schrift von der Hindeauflegung kurz andeutet, die apoftolifche Über: 
lieferung der erften Kirche, wovon Cornelius, Bifchof von Rom, bei Eufebius, 
und Cyprian der Märtyrer, das Eoneil von Laodicen, Bafılius und Cyrillus von 
Serufalem und andre Väter mehr zeugen. Gelehrte Männer glauben, .die Fir⸗ 
‚mung fei vormals mit der Taufe ausgefpendet worden; es waren jedoch zwei von 
einander unterfchiedene Sacramente. Denn die Kirche fand für gut zu entſcheiden 
(nachdem genug darüber geflritten worden), daß Keber taufen und getauft werden 
fonnen, die Sirmung aber von dem gefeglichen Ausfpender derfelben ertheilt werden 
‚müffe. Auch fand fie für gut, die Taufe fobald als möglich den Kindern zu er- 
theilen; allein die Firmung kann nach ihrem Sutachten bis zu den Jahren der 
Vernunft verfchoben werden. Woraus erhellt, daß die Taufe, welche den rund 
legt, viel nothioendiger fei, die Firmung aber dem durch die Taufe begonnenen 
Werke die Krone auffeße; daher glauben einige der Alten, die auf den Namen des 
Chryſams, oder die Salbung, Anfpielung machen, daf Derjenige, welcher nach 
‚der Taufe gefalbt worden, erft nach empfangenen Gaben des Geiftes den Namen 
‚eines Chriften volllommen verdiene, weil er, wie der Apoftel fagt, da gleichſam 
König und Priefter geworden ifl’. vr. e. K. 

X; irniß, der Name eines jeden glenzgebenden und gegen Feuchtigkeit 
fehügenden Anftrichmittele. Nach diefer Erklärung find. die Lackfirniſſe vorzuge 
weiſe Firniffe, und e8 gehört die Farbe, die maneinem Firniß beimifchen foll, nicht 
mit zum begriff deffelben, weil fie eben nur Beimifchung,, nichts Wefentliches iſt. 
Malerfirnig iftein aus Leinäl bereiteter Firniß, deffen man fich in der Olma= 
leret bedient, um die Farben damit anzumachen (anzureiben) und aufjutragen, 
Die mit diefem Firniß vermifchten (eingerührten) Farben beißen Olfarben, womit 
man ſowol hölzerne Geraͤthe anflreicht, als auch Ölgemälde verfertigt, welche ihre 
Dauer gegen die Feuchtigkeit der Luft, Motten u. dgl. dein Firniß (Malerfirniß) 
verdanken. : Die Bereitung diefes Firniffes beruht darauf, daß man das Leindl 
mit Bleiogyden oder Bleikalken 4 B. Bleigiätte, Bleiweiß, Mennige), welchen 
man auch etwas weißen (Zink⸗) Vitriol zufegt, vermifcht, wodurch dem Leindl die 


Sirnißbaum Siſchart 1420 


ſchleimigen Theile entzogen werden, indem fie ſich in der Waͤrme mit den genann- 


ten Dingen verbinden; denn der ſchleimige Beſtandtheil der fetten Die ift eben Das, 
was fie fehmierig macht, d. h. das Trocknen derfelben verhindert. Daber nennt 
man den Malerfirniß auch trocknendes (entfchleintes) Leindl. Man erreicht denfel: 
ben Zweck, in gewiffem Grade, auch ohne Zufag, durch bloßes Eindicken (Einko⸗ 
en), auf welche Art der Druderfirnig (Firniß der Buch: und Kupferdruder) 


bereitet wird. Außer der Beflimmung des Malerfirniffes zur Olmalerei und zum 


Anftreichen mit Dlfarben, bedient man fich deffelben auch zur Bereitung der fetten 
Lackfirniſſe (Hllacke), als Lofungsmittel der Erdharze. (S. Ladiren), 

irnigbaum wächſt in Nordamerika und Japan. Der Gummi deffel: 
ben ift der Stoff der feinften chinefifchen Firniffe, womit die Chinefen faft alle Mo⸗ 
bilien äberziehen., Diefer Summi entſchwitzt diefem Baume bereits im 7. und 8. J. 
f Alters. Der Einfchnitt in die Rinde liefert zwar mehr Gummi, reift ihn aber 
früber, als fich fonft die Vegetationsjahre auszudehnen pflegen, dem Abfterben. 
Diefer giftige Saft muß, um nicht beim Kochen als Gift dem Firnigverfertic 
ger zu fihaden, fehr vorfichtig behandelt werden. 50 Stämme geben in einer 
Nacht 16 Unzen Firniß. 


Fis cal, in den meiften deutfchen Staaten ein Beamter, welcher die Ge: . 
rechtfame und das Intereſſe des Staats vor Gericht zu vertreten bat, alfo eigentlich 


Daſſelbe, was in Frankreich unter dem Ministere public, dem Staatsanwalt, ver 
fanden wird. Im ehemaligen deutfchen Reiche waren bei dem Reichskammerge⸗ 
richt und bei dem Neichshofrathe Neichsfiscale angeftellt, deren Obliegenheit war, 
ols Anfläger aufjutreten, wenn die Serechtfame, Geſetze und Berfaffung des 
Reichs verlegt wurden, z. B. gegen Mißbräuche des Münzregals, gegen Sto⸗ 
rungen des Landfriedens u, dgl. | 87. . 

Fiſchart (Johann), genannt Menzer, und in verfchiedenen Schriften 
mit andern Namen bezeichnet, war nach Einigen, die feinen Beinamen daher er: 
klaten, aus Mainz, nach X. aus Strasburg, D. der Nechte und Reichskammer⸗ 
edmocat, um 1586 Amtmann zu Forbach bei Saarbrück, und flarb vor 1591. 
GSo unbefarmt feine Lebensumftände find, fo dunkel iſt noch Manches in Hinficht 
auf feine Schriften, die, meift ſatyriſchen Inhalts, theils in Profa, theils in Ber: 
fen, theils aus beiden gemifcht, und faſt mit den fonderbarften Titeln verfehen find. 
Als Satyriker ift erunftreitig der zugelloſeſte ſeines und vielleicht aller Jahrhunderte; 
anerſchopflich an drolligen, launigen, witzigen, nicht felten zugleich zweideutigen 
und fchmugigen Einfällen, auf das genauefle'befannt mit den Thorheiten feines Zeit: 
alters, und nie ungewiß über den Ton, in welchem fie bald.verlacht und ausgehöhnt, 


bald wieder gegeißelt werden müffen. Die deutſche Sprache behandelte er. mit un: ° 


gemeffener Freiheit, fchaffte ſich Wöorter und Wendungen, ohne die Analogie im 
geringften zu berückſichtigen, zeigte aber auch in den willkürlichſten Sprachformen 
feine Gelehr ſamkeit und feinen Wis. Im ſfiarkkomiſchen und burlesken Ausdruck 
- er unäbertreffbar,, und felbft aus den fchalthafteften Ergiegungen feines frucht: 
baren Genies leuchtet überall eine natürliche Heiterkeit und treuherzige Nedlichkeit 
hervor. Beine betannteften Arbeiten find eine freie Bearbeitung des „Sargantun‘ 
von Rabelais (zuerſt gedr. 1552); „Das gläickhaft Schiff von Zürich” (1576, 4.); 
. Adler Praktik Großmutter“ (1514); „Bienenforb des heiligen römifchen Reichs 
Imenſchwarms (1519); „Hultrich Elloposcleron Flohfehag und Weiberfchag‘‘ 
8 O.u. J.(nochher Strasb. 1577) u.a. Wir finden bei ihm den erften Verfuch in 
futſchen Hepametern, den er nach feiner ÄAußerung gemacht bat: „dieweil daraus 
fe Kunſtlichkeit der deutſchen Sprache.in allerhand Carmina befcheint, und wie 
fie nun. nach Anfleltung des Hexametri oder fechsmäßiger Sylbenbeſtimmung mit 
nlbenmägigenz Sechsſchlag weder den Griechen noch Latinen (die das Mus allein 
effen wollen) fort hin weiche. Sie firid zugleich gereimt und in ihrem Bau ſehr willkuͤr⸗ 
Converfatious » Lexicon. Bd. IV. 9 on 


* 


# 


4130 Fiſchbein Fiſche 


lich. „An Sprache, Bildern und finnlicher Fülle“; ſagt J. Paul Fr. Richter, „Aber: 
trifft F. den Rabelais weit, und erreicht ihn an Gelehrſamkeit und Ariftopbanifcher 
Wortſchoͤpfung. Er iſt mehr deffen Wiedergebärer alsliberfeger ; fein golthaltiger 
Strom verdiente die Soldwäfche der Sprach: und Gittenforfcher. Sein fünftes 
Eapitel über Eheleute ift ein Meiſterſtück finnlicher Befchreibung und Beob: 
achtung, aber keuſch und frei wie die Bibel und unfere Borältern”. 

Fiſchbein, vorzüglich die Kiefern und Barten des Wallfiſches. Barten 
find die, oft 100 Pfund wiegende Hernlagen im Oberfiefer des Wallfifches, die 
man fpaltet, reinigt und zu Stäben und Stangen unter dem Namen ſchwarzes 
Fifchbein ſchneidet, und zu Stödten, Schnärleibern, Regen: und Sonnenfchirmen 
u. f. m. verbraucht. — Weißes Fifehbein nennt man die Bemme oder Knochen 
der Meerfpinne oder Seekatze, welches von den Gold: und Silberarbeitern 
gepulvert gebraucht wird. 

Fiſche, Woafferthiere mit rothem, kaltem Blute, mit Knorpeln und Graten 
flatt der Knochen, und mit Fleffen flart der Gliedmaßen, welche die im Waffer 
aufgelöfte Luft Durch Kiemen, flatt der Lungen, einziehen und zerfeßen. Außer 
dem Waſſer leben fie nur für eine kurze Zeit, doch fieht man Aale oft auf dem Trock⸗ 
nen und zwiſchen Erbfenfeldern; ja bei Tranquebar gibt es Barfche, die, vermit: 
telft der Dornen an ihren Floffen, auf Palmenbaͤume flettern. Nachdem die Fiſche 
Knorpel oder Sräten baben, werden fie in 2 allgemeine Claſſen getheilt. Die 
Knorpelfiſche Haben entweder Kiemendecken oder nicht. Zu diefen gehören die Lam⸗ 
preten, Kochen und Haien, zu jenen die Store, Stachelbaͤuche, Meernadeln, 
Aale und Schwertfifche. Die eigentlichen Sirätenfifche werden nach tem Stande 
der Bauch- und Brufifloffen abgetheilt. Bei der Aalraupe, dem Dorſch und 
Schellfiſch figen die Bauchfloffen vor den Bruftfloffen; bei den Seebrachfen, Bar: 
ſchen, Zandern, Mafrelen und Kaulföpfen finden fich die Daucfioffen gerade un: 
ter den Bruftflofien ; hinter den legtern aber ſtehen die erftern bei den Kachfen, Hech⸗ 
ten, Heringen, Karpfen und Karaufchen. In dem Bau des Fifchkörpers find die 
Floſſen, als die einzigen Bewegungswerkzeuge, fehr bemerfensiwerth. Sie 
aus dünnen Sräten, von der Dberhaut bededit, aneignen Knorpeln oder Graͤten bes 
feftigt, die durch beſtimmte Muskeln bewegt. werden. Der Schwanz mit feiner Floſſe 
dient als Steuerruder, um den Bewegungen des Thieres die gehörige Richtung zu 
geben. Auch der erfte Antrieb zum Schwimmen geht offenbar vom Schwanze aus; 
doch muͤſſen die übrigen Floffen nicht allein die Lage des Fifches führen, ſondern 
auch die Richtung feiner Berveguingen befördern; daher der Aal, der keine Bauche 
floffen bat, ebenfo ſchwimmt wie die Wafferfcehlangen, indem er mit dem ganzen 
Körper wellenformige Bervegungen macht. Die Muskeln der Fifche find von dem 
Fleiſchgewebe warmblütiger Thiere gimzlich zu unterfcheiden. Sie beſtehen aus 
weißen oder bleichen Schichten dickerer Faſern, als die Muskeln warmblütiger Thiere 
haben; zwiſchen dieſen Schichten befindet ſich Eiweißſtoff, der ſehr ſchnell nach dem 
Tode in Faͤulniß übergeht. ‚Sehen wir auf die Sinnenwerkzeuge und das Nerven⸗ 
ſyſtem der Fiſche, ſo iſt erſtlich die außerordentliche Kleinheit des Gehirns im Ver⸗ 
haͤltniß zum übrigen Körper merkwürdig. Wenn daſſelbe bei dem Menſchen 20 
bis 80 Mal Eleiner ift als der übrige Körper, fo ifl es beim Hai 2500 und beim 
Thunfifch fogar 37,400 Mal kleiner, if dabei von geringerer Feſtigkeit als bei 
warmblütigen Thieren, und befleht größtentheils aus Hügeln, den Nervenknoten 
ähnlich. Das kleine Gehirn iſt nur eine Querplatte, und es fehlt ihm vollig der 
Dau, den man unter dem Namen des Lebensbaums bei den höhern Thiergattungen 
kennt. Die Nerven der Fiſche find im Ganzen weicher als die der höhern Thiere, 
und flellen bei einigen fo flarke Erreger der Elektricität dar, daß die michtigften 
Schläge gegeben werden, die aber fogleich aufhören, wenn man die Nerven zer 
ſchnitten hat, Der Zitterrochen, der Bitternal, der efektrifche Ufals, der indifche- 


L ‘ - wuNnlıe, . 


Siſche aa 
Spitzſchwanz und der eleftrifche Stachelbauch find die 5 Fifche, die man als leben⸗ 


dige Volta’fihe Säulen betrachten kann; denn fie haben 2 muskuldſe Säulen, 
durch ein netzformiges Gewebe von- einander getrerint, die wenigſtens beim Zitter- 


sochen unter den krummen Knorpeln'der großen Zeitenfloffen liegen und vori eig: - 


nen Nerven regiert werben. Was die Sinnorgane der Fiſche betrifft, fo find die 
Riech⸗ und Sehwerkzeuge unftreitig am meiften ausgebildet. Auch riechen die Fifche 
den Köder. viel weiter als fie ihn fehen, und der Hai ſcheint die Ausdünftungen 
ſchwarzer Menfchen in unglaublichen Entfernungen zu wittern. Zwar entdehren 
die Fifche der großen Stirn: und Kieferhöhlen, welche bei höhern Thieren gleichfalls 
mit der Niechhaut überzogen find ; zwar ſieht ihr Riechorgan in feinem Zuſammen⸗ 
hange mit den Athemmwerkjeugen, und das Waſſer leitet die Riechtheilchen wahr: 
ſcheinlich viel weniger als die Luft; aber fie haben fehr große Riechnerven, deren 
Anfänge bisweilen für das wahre Sehirn genommen worden find. Was das Seh⸗ 
werkzeug betrifft, fo haben fie im Ganzen fehr große Augen, in der Regelaber keine 
Augenlieder, fondern die Oberhaut deht gerade über das Auge weg und ſcheint bei 
dem Blindfiſch fogar nur eine geringe Durchfichtigfeit zu haben. Die Hornhaut 
Mehr flach ; dicht Hinter ihr liegt gewöhnlich die Kryftalllinfe , die felbft durch das 
Sehloch vortreten kann, ſodaß wenig Kaum für die wäfferige Feuchtigkeit iſt. Die 
Kroftalllinfe der Fifche tft Dagegen faft kugelig, und dabei von einer viel größern 
Dichtigkeit als beiden Landthieren; fie wird wahrfcheinlich von einem fücherförmi- 
gen Organ regiert, welches von einem Knoten des Sehnerven ausgeht und fich an fie 
anlegt. Die Regenbogenhaut hat meifteinen außerordentlichen Glanz und eine fehöne 
rothe oder Goldfarbe; der Stasförper iftaber fehr klein. Die Werkzeuge des Gehors 
find wenig ausgebildet, obgleich dieſer Sinn ſich durchaus ten Sifchen nicht abläug- 
nen läßt. Ein äirßerer Sehörgang kommt nur bei Knorpelfifchen mit innern Kiemen 
ver, wie bei den Haien und Kochen; die eigentlichen Srätenfifche entbehren dagegen 
desäußern Ohrs a Alle haben 8 gekrummte Röhren in ihrem Schädel, die fich 
in einem Sade, mit Nervenmark gefüllt, welcher 3 fteinharte Knöchelchen enthält, 
endigen; dies ift das ganze Gehorwerkzeug. Noch unvollkommener fcheint das Se: 
Komadsorgan zu fein. Ihre Zunge hat nicht einmal Nervenmwärjehen, ‘und die . 
erven derfelben find Zweige derer, die die Riemen verforgen. Das Athmen der 
Fiſche gefchieht durch Hülfe der Riemen; diefes find bekanntlich fehr gefüßreiche 
Blätter, 4 an jeder Seite,’ die an einem frummen, gelenfigen Knorpel befeſtigt 
find; Diefer haͤngt mit den Jungenfnorpeln und mit deni Schädel zufammen. Bel 
ben Knorpelfiſchen liegen die Kienen innerhalb des Körpers, den Süden gleich, und 
es führen äußere Offnungen in beflimmter Anzahl hinein; fo, haben die Lampreten 
und Neunaugen 7, die Rochen und Haien aber 5 dergleichen-Offnungen. Außer: 
Dem haben mehre Fifche einen eignen Kiemendedel und oft auch eine Riemenhaut, 
die fich zufammenziehen und ausdehnen kann, &ie enthält eine beftimmte Menge 
von krummen Knörpelchen, welche man ihre Strahlen nennt. Offenbar kann durch 
die Kiemen nur die mit dem Waffer gemifchte Luft aufgenommen werden. Dazu 
femmt bei den meiften die fogenannte Schwirmmblafe durch’einen eignen Luftcanal 
mir dem Magen oder dem Schlunde in Verbindung. Dieſe foll Stickgas enthal⸗ 
ten; gewiß aber iſt es, daß fie das Auffleigen im Waſſer befürdert. “Daß mehre 
Zifche, wie der Peizker und der Bartgründel, auch Durch den After arhmen, ift 
solltommen erriefen. Ja den Langfiſch foll man⸗in der "Tiefe des Meeres ſchon 
on den Auffleigenden Ruftblafen erfennen, - in der Regel haben die Fiſche Feine 
* Stimme ; der Knurrhahn aber, der Peizker/ die Forelte umd einige andre geben, 
wenn man fie drüdt, einen knurrenden Laut von fich, wobei fie Die größten An- 
firengungen beweiſen und mit den ganzen Veibe zittern, Es ift fehr wahrſcheinlich⸗ 
daß diefer Larit durch die aus der Schreimmblafe mit Gewait hervorgepreßte Luft 
bewirkt wird, Natürlich gebt der Kreislauf des Blutes bei den Fiſchen auf andre 
| " 9 


Deutfegland und ih. In Paris befehäftigte er fich unter Tuviers Leitung 

tglich mit der vergleichenden Anatomie, weg die reiche Sammlung, die er 
dort fand, ihn reizte. Die nächflen Grüchte diefer Beſchaftigung waren f Schrift 
„Aber die verfihiedene Zorn des Sintermazillarfnochens” (Beipr. 1800), werin er 
neue Anfichten über dieſen Gegenfland auffiellte, f. reichen „Beiträge zur Natur: 
geſchichte der Affen‘ (in f. „Raturhifle ‚ > 1 x 
tungen über die abweichende Bildungsart der der Saugthierr und Fiſche 


phie und befonders zu Forfchungen über die Sefchichte des Bücherdrudis und der äls 
teften Druckwerke. Er enideckte den damals äAlteflen Druck mit Jahrszahl, bes 
frieb eine Menge alter Drude und bemühte fich vorzũglich, Guttenberges Ans 
theil an der Erfindung der Buchdruderkunft geriau zu beſtimmen, in f. Schrift: 
„25621 sur les wauareas Iypographignes de Jesn Guttenberg (Mainz 1804), 
Mehre —— aber dieſen Gegenſtand enthält ſ. in 6 Lief. (Nũrnb. 1801, 
enene, 


erſchi 
Beitr. zur Erfindungsgeſchichte der Buchteudherfunft“, und ſ. „Notire du premier 
monument trpographique en caracteres mobiles avec date” "Mainz 1804). 


Zapf und Mill erfannten Zifcger’s Verdienft in diefem Gebiete laut an, S 


ſiſcher (Chtiſtan Augufl) 133 


zum Mitgliede des Gemeinderaths von Mainz erwahlt, ward er ſpäterhin zum Ab: 
geordneten nach Paris ernannt, als die Gemeinde dem erften Conſul das Geſuch vor: 
legte, in eine Handelsſtadt umgefchaffen zu werden. 5. erlangte bei diefer Gelegen⸗ 
Seit die Erlaubniß, aus den verfchiedenen, zum Staatseigenthume gehörigen Bü: 
chervorräthen in ‘Paris eine Bibliothek für Mainz auszuwählen, die aus franzöf. 
Elaffifern und andern wiffenfchaftl. Werken in 3000 Bin. beſtand. Wahrend ſei⸗ 
nes Aufenthalts in der Hauptſtadt machte er den Entwurf zu einer Schilderung des 
Nationalmuſeums der Naturgefchichte, worin er befonders gefchichtlich darzuthun 
fuchte, daß nicht eigentlich die todten, obgleich reichen Sammlungen allein diefer 
Anftalt ihren Glanz verliehen, fondern daß der Zweck derfelben, ſtets auf den Un- 
terricht einzuwirfen, und eine Reihe für diefelben ausgewählter Lehrer fie zu ihrer 
Höhe emporgehoben haben, In Mainz beförderte er die Entftehung einer Sefellfchaft 
der Wiſſenſchaften, dern befläntiger Secretair er wurde. Die Naturgefihichte und 
vergleichende Anatomie befchäftigten ihn jedoch fortdauernd, wie f.2Berk „Über die 
Anatomie der Mati’ (1804) bewies, In demf. J. verließ er Mainz, um die Stelle 
eines Profeſſors und Directors des Muſeums zu Moskau anzunehmen. Die reiche 
Sammlung, der er vorftand, wurde dem Publicum geöffnet und von ihm in f. „De- 
scription du Museum d’histoire naturelle” (Moskau 1805) befchrieben, wozu 
er die Rupfer felbft radirte, da es an Rupferftechern mangelte. Er ward in demfelben 
% Stifter der Sefellfchaft der Naturforſcher zu Moskau, welche fpäter den Titel der 
kaiſerl. ımd die damit verbundenen Borrechte erhielt. F. beobachtete alle Theile des 
weiten Gebiets der Naturgeſchichte; daher verdankt ihm auch Die Kunde der foffilen 
Thier korper ſchaͤtzbare, felbft von Cuvier anerkannte, Entdeckungen. Für ſ. Beruf 
als öffentlicher Lehrer wirkte er durch ſ. „Äberficht ber Thierfunde” (‚‚Tabulae syn- 
opticae zoognasine”, 3. Aufl, 1813), ein bequemes Hülfsmittel zur Beftimmung 
Bes Platzes, der jedem Thiere in der füftemat. Anordnung gebührt, und durch feine 
Hauptfüchlich auf Werner’s Syſtem gegründete „Darftellung der Oryftognofie” 
(„Onomasticpn du systeme d’oryctognosie”, Moskau 1814), dns auch durch 
Zufammenftellen der ruffifehen, deutfchen, franzöf. und latein. Namen nüglich iſt. 
Später (1811) erſchien diefes Werk in erweiterter Geſtalt in ruffifcher Sprache. 
Bei dem Brande von Moskau traf ihn das Unglüd, nicht nur das große Muſeum, 
das feine Thätigkeit zu fo glänzender Höhe dehoben hatte, fondern auch feine eignet 
- Sammlungen, viele Präparate, die zur Fortfebung der Anatomie der Mafi gehoͤr⸗ 
ten, foroie eine reiche Schädelfammlung, die für eine bereits angefündigte vergleis 
chende Anatomie der Thierſchaͤdel war angelest worden, von den Flammen vernichs 
tet zu ſehen. Micht gebeugt von diefem Verlufte, fing er gleich nach der Rückkehr 
des Friedens an, das Muſeum der Univerfität herzuftellen, welches auch bald. wie: 
der zu einem fo fchönen Ganzen fich bildete, daß es ſchon jeßt eine der reichiten 
Sammlungen ifl. Er wurde 18177 zum DBieepräfidenten der kaiſerl. mediciniſch⸗ 
chirurgiſchen. Akademie ernannt, der er ſowol durch Berbefferung der innern Ber: 
waltung als durch Gründung eines Klinikums und eines durch Beiträge entſtan⸗ 
denen Muſeums große Dienfle geleiftet hat. Die neuefte Bereicherung, welche die 
Naturgefchichte ihn verdankt, iſt ſ., Beſchreibung der Inſekten Ruplande” („En- 
tomographie de la Russie et genres des insectes‘), 2 ®de. Bon f. Befchreib, 
des nach dem Brande neu angelegten „Museum d’hist. naturelle de l’universite - 
de Moscon” erfchien zu Moskau 1827 der 2. Th. der 3. Abth., welcher bie „Col- 
lection oryetognostique des Bergraths Fretesleben in Freiberg enthält. 26. 
‚Fir er (Chriſtian Auguft), Verfaſſer eigner und Bearbeiter fremder Rei: 
febefchreibungen, herz. meiningifcher Legationsrath und geweſener Prof. der Eultur- . 
geſchichte und Literatur der fchönen Redekünſte auf der Univerfität zu Würzburg, 
96.1771 zu Leipgig, ſchrieb und überfegte zum Theil fehr fehlüpfrige Romane; 
dann machte ihn f. „Reife von Amſterdam über Madrid und Cadiz nach Genua” 


’ 


1 / 


Dr." ee Pass 155 


dentlich ausgedehnt, obgleich ſie im Ganzen allerbings auf richtigen Gruͤnden beru⸗ 


ben. Es gehören dahin: das gefeßliche LUinterdfandsrecht, weiches dem Fiscus auf 
die Güter feiner Verwalter und Derer, die mit ihnen contrabirt haben, zukommt, 
das Recht, Zinfen zu fodern, wen fie auch nicht bedungen find, dagegen nie Ber: 
jugszinfen zu entrichten, längere gegen ihn ſtattfindende Verjährungsfriften, Be⸗ 
freiung von Sautionen und von Procefkoften u.f.m. Das Recht, einen Fiscus 
zu haben (Fiscalgerechtigkeit), bedeutet alfo theils das Recht, in einem gewiffen Bes 
zirke die fiscalifchen Nutzungen und anfallenden Bortheile zu berieben, theils die be: 
fondern Borrechte des Fiscus zu genießen, und ſteht im Allgemeinen nur der 
Staatscaſſe zu, iſt aber auch haufig andern Caſſen und Behörden, als den Ararien 
der Staͤdte, den landfchaftlichen Saffen, den Stiftungen, Univerſitaͤten, ritter: 
ſchaftlichen Ereditvereinen u. ſ. w. mit den aus’ der Natur der Sache flie: 
Senden Deodificationen eingeraͤnnt worden, 38B8317. 
Fiſt el, beſſer Falſet, in der Geſangkunſt diejenigen höhern, die natuͤr⸗ 
liche Stimme überfchreitenden Töne der Menſchenſtimme, welche durch eine gewiſſe 
Preſſung des Kehlkopfs erzwungen werden: Kopfſtimme, im Gegenſatz der 
imme, d.i. der Töne, die im natürlichen Umfange der Stimme liegen, Syn 
der Fiſtel, durch die Fiftel fingen, gebraucht man befonders don Perſonen, welche 
mit niedern Stimmen die Höhe der Alt⸗ und Discanttone erzwingen. Ehedem 
sannte man.die hoͤchſten und tiefften Tone der Blasinftrumente, deren man fich 
nur felten bediente, ebenfalls Falſettoͤne. — Fiſtel (Krankheit), ein Rohrge⸗ 
ſchwuͤr, Hohlgeſchwuͤr mit einer oft ganz geringen Offnung, welches in mehr oder 
weniger langen, geraden oder gefränmten, weitern oder engern, einfachen oder 
vieläftigen Sanälen unter der Haut, zwiſchen Muskeln, Knochen, Bändern, Häu: 
ten sc. im Zeflengemebe fortläuft, und bisroeilen in eine innere Höhle, felbit in die 
Subſtanz eines innern Organs führt. . Aus der Fiftel fließt entweder bloße Sauche 
in verfehiedener Menge und Befchaffenheit, oder zugleich die Feuchtigkeit, die ein 
damit in Verbindung ſtehendes Organ gibt, auch andre daher Eommende Dinge. 
Nach dem Theile, woran fie vorkommt, beſtimmt man ihren Namen: Thrä- 
nen:, Speichel:, Hals, Bruft:, Bauch:, Zahnfiftel u. ſ. w. 


Fig, eine bei engliſchen Eigennamen nicht ungewöhnliche Vorſetzſylbe (Fig: . 


Herbert, Fitz⸗Clarente, Fiß: James), welche infofern mie dem ſchottiſchen Mae, 
dem irländifchen O und dem hebräifhen Ben verwandt ift, daß fie, gleich jenen, 


fo viel als Sohn bedeutet, und in Verbindung mit dem Namen, welchem fie vorge: 


feßt voird, auf den Stammvater Derer, die fie tragen, hinweiſt; wobei jedoch der 
wefentliche Unterfchied nicht zu überfehenift, dag Fig Immer die uneheliche Abfunft 
bezeichnet. So find die Fitz-Clarence, Söhne des koͤnigl. Herzogs Clatence und der 
Schauſpielerin Mrs. Gordon. Eine ſolche Abkunft thut übrigens in England der 
bürgerlichen Ehre fo wenig Abbruch, daß ſelbſt unter dem hohen Adel viele Fiße ih: 
ren Eöniglichen Erzeuger ungefcheut in ihren Stammbaum feßen. | 
Siume St. Veit am Flaum), mit 748 H. und 7600 Einw., Freibafen 
am äußerftien Ende des Golfs von Quarnaro am adriatifihen Meere, und als 
Haupift. des ungarifchen Küftenlandes oder Litorale (64 OM.), das zum König: 
reiche Kroatien gehört, der Sitz des kuͤſtenlaͤnd. Guberniums. Hier befindet fich 


ein Wechſelgericht, Santtätsamt, Oymnaſium, ein ital, Theater ꝛc. Die Fabris 


Een find bedeutend; befonders wird Roſoglio, Taback, Tuch, Zuder, Pottafche, 
Wachs, Seilerarbeit verfertigt, und bamit, ſowie mit ungarifchen Producten, ein 
flarker Handel getrieben. Auch verfendet: $. nach dem Innern der oͤſtr. Staaten 
Salz Gewürze, Reis und a. Objecte, deren Einfuhr erlaubt if. Don 1809 
— 18 war F. im Befige Frankreichs, Es liegt etwa 20 Stunden von Trieft. 
Fir (lat. iixus), feſt, unverrückt, unwandelbar, daher firiren, ſcharf 
umichen,, feſthalten einen Gegenſtand, oder ſich fixiren, einen feſten Wohnort 


136 Jipmißner Firſterne 
nchesen. Fire dee € IM eine fefhft gebildete Borfickung, welche der Seele u: 
aufbartich vorſchwebt oder durch die Abnlichfeiten 


abgegeben, unb nicht einmal in der L 
Wiſſenſchaft zu Haufe war. Balandes XBerfe und ein gemeinedfDerfjinmer 
mann, der weder fchreiben fonnte, aber große mechanifche Talente hatte, 
wurden feine Letzterer ‚nad feiner Yinleitung fer gute Dlaner- 


ine Hanprffüf 
quadranten, Zenithfecteren, Paffageinflrumente und Pendeluhren. “Den übrigen 
Bedarf gab die Gremie, und fo ward die Sternwarte zu Kremsmünfter bald eine der 
eefeingerüipeetfien un? berübmteften Deutfchlande 3 F.s Thaͤtigkeit, der ihre 
Geſchichte und feine Beobachtungen in eignen Werken (Decennium astr. ab a. 
765 ad a. 1715 und „Acta asir. Cremissamensia ab a. 17716 ad a. 1191) 


dern Aſtronomen, daß er alle feine Beobachtungen auch felbit, und zwar doppelt 
berechnete, Er flarb den 27. Aug. 1191, 12 %al alt. Der Charakter diefes Dir 
fiers eines wahren Ordensmannes war fanft und liebenswürdig. 
. Bizrflerne, diejenigen Sterne, die flets in einerlei Lage zu einander und 
flets in einerlei Entfernung von einander zu bleiben ſcheinen; es find mithin alle 
Seflirne am Firmament, mit Ausnahme der Planeten (ſammt ihren Dionden) und 
Kometen, unter diefem Namen begriffen. Außer den feheinbaren Bewegungen der 
Fixſterne aber, welche von dem täglichen unferer Erde um ihre Achfe, 
von dem Fortrüden der Aquinoctialpunfte (¶ Borrüden der Nachtgletpen) 
und don der Abirrung b des Lichtes (f. d.) verurfacht werden, bat man doch eine 
eigne fehr langfame Bewe — an denſelben beobachtet, ſodaß die Angabe, daß die 
Sisfterne in einer gleichen zu einander bleiben, nicht fireng richtig iſt. So dat 
man gefunden, daß z. D. der Öirins feit Tycho de Brahe um 2 Minuten von 
Stelle gerüdt fei zc., wogegen indeß namentlich Herfhel („On the proper * 
tion of the san and solar syst,” in den „Philos, trans.”, Bd. 18) mit überwiegen: 
den Gruͤnden darthut, daß jene fheinbare Ortsueränderung vielmehr von einer wirf= 
lichen Orssveränderung unfers Soenenſyſeme im Böeitrarumme beräbre Ferner 


Flaccus 137 


dat man Sterne bemerkt, welche unvermuthet am Himmel erſchienen und wieder 
verſchwunden find; an andern bemerkt man, dag ihre fcheinbare Groͤße abwerhfelnd 
zu= und abnimmt. Ihre Entfernung von unferer Erde ift ip der eigentlichflen Bes 
‚deutung des Wortes unermeßlich; die flärkften Teleflope find nicht vermögend, an 
‘ihnen einen merflichen Durchmeffer wahrzunehmen. Einen Begriff von der Größe 
derſelben gibt der Umſtand, daß, obgleich wir uns ihnen abwechſelnd um 40 Mill, 
Meilen (als den Durchmeffer der Erdbahn) nähern, und um ebenfo viel von ihnen 
entfernen, doch fein Unterfchied an ihnen wahrzunehmen if, Huygens bat, durch 
Bergleichung der Lichtflärke des Sirius u. der Sonne, die Beflimmung feiner Ent: 
fernung von der Erde verfucht, und fie, unter der Borausfegung, daß der Sirius nur 
die —— unferer Sonne habe,‘ auf 27,664 Mal größer, als die Entfernung der 
Senn chnet. So ungleich defigleichen Angaben fein mögen, fo reichen fie doch 
vollfommen hin, uns zu überzeugen, daß der Weltenraum einen, jede menfchliche 
Faſſungskraft überfteigenden Umfang habe. In gleicher Unwiſſenheit befinden wir 
uns über die Natur und Befchaffenheit der Fixſterne; doch konnen wir als bachft 
mwabrfcheinlich annehmen, daß fie leuchtende Welten oder Sonnen find, ym deren 
jede fich vielleicht, vote um unfere Sonne, eigne’Planeten in feften Bahnen dreben, 
die Licht u. Wärme von ihr,empfangen. Die Firfterne werden nach der Berfchieden: 
beit ihres Glanzes, die auch dem bloßen Auge fehr wahrnehmbar ift, in Sterne er⸗ 
er, zweiter, dritter Größe u. f. f. eingetheil. Aber außer diefen, als einzelne und 
e Lichtpuntte füch geigenden, Sternen erblict in hellen Winternächten das 

ge noch Hier u. da Fleine weiße Wölkchen unter den Sternen zerſtreut; dieſe nebel- 
artigen Flecken, deren das bewaffnete Auge noch vielmehr entdeckt, find ganze Grup⸗ 
pen unzähliger Sterne, wie man deutlich durch Teleflope wahrnimmt, und nur die 
Beſchraͤnktheit unferer Werkzeuge ift Urfache, daß wir Diefe Wahrnehmungen nicht 
ins Unendliche fortfegen fünnen. Kant, in der „Allgem. Naturgeſchichte u. Theorie 
des Himmels” (n. A. Königsb. 1798) und Lembert in f. „Kosmolog. Briefe über 
die Einrichtung des Weltenbaues‘‘ (Augsb. 1760, ein noch immer fchägbares Werk, 
das der Baron v. Utenhoven 1804 zu Amfterdam ins Franz. überf. u.m, Anm, 
berausgeg. bat), trägen über diefen Gegenſtand mit den tiefften pbilofophifchen und 
aſtronom. Einfichten Gedanken u. Muthmaßungen vor, welche feiner Erhabenheit 
angemeffen find. Allgemeine Belehrung gewährt Bode’s „Anleitung z. Kenntn. d. 
—— Himmels” (O. A., Berl. 1823). Auch iſt von Herſchel's berühmten Ab⸗ 
l.? „Über den Bau des Himmels“, 1791, zu Königsberg eine deutſche überſ. 
erfihienen. — Um die einzelnen Firfterne leichter von einander unterfcheiden zu kon⸗ 
nen, bat man zum Theil fchon im Altertbume den bervorftechendften derfelben Na— 
men gegeben, und fie außerdem in gewiffe Gruppen oder Sternbilder abgetheilt, 
Die Aftronomen haben von allen nach ihren Stellungen beſtimmten Sternen, mit 
Angabe ihrer Namen, Größen ıc Verzeichniffe angefertigt, 3. B. Caſſini, Zalande, 
Bach, Piazzi; vorzügliche Empfehlung verdient J. E. Bode: „‚Uranographia, sivo 
ssiroram deseriptio, XX tab. acneis incisa, ex recentissimis et absolutissi- 
mis astrorum observatt.” (Berlin 18041). Den Tert dazu in deutfch. u. franz, 
Sprache: „Allgemeine Nachweiſ. u. Befchreib. der Geſtirne, nebft Verzeichn. der 
gerad. Auffleig. und Abweichung von 171,240 Sternen”, 34 Bog. Fol. (gegen. 
Preis von Charten u. Tert 4 Frͤ'or.). Ein Verzeichn. älterer Sternverzeichn. von 
Sternfegeln, Hohl: und Himmelstugeln, gibt Bode’s „Anleit.” S. 100 fg. 
Flaccus (Cajus Valerius), ein römifcher Dichter aus der letzten Hälfte 

des 1. Jahrh. n. Chr., der in Padua (Pataviumi) lebte, und jung flarb, Er bes 
fang den Argonautenzug in einem epifchen Gedichte („Argonautica”), wovon ſich 
1 Bücher und ein Theil des 8. erhalten haben. Sein Borbild war der Alerandriner 
Apellonius Rhodius. Iſt F. auch nicht dem Virgil an die Seite zu fegen, fo hat 
fein Gedicht doch einzelne ſchone und gelungene Stellen; ihm die hoͤchſte Vollen⸗ 


438 Fläche Flageolet 


bung gu geben, wurde er durch feinen frähen Tod verhindert. Nach Nic. Heinſius 
und Pet. Burmann lieferten neuere Ausgaben Harles (1781) und Wagner (1806) 
mit Sommentar. Derdeutfcht von Wunderlich. 

Fläche, in der Geometrie, eine Ausdehnung nach der Ränge und Breite. 
Es gibt gerade Flächen (Ebenen), wo jeder Punkt eine auf ihr gezogene gerade Linie 
berührt, und gefrümmte. Unter den krummen Flächen wird diejenige 
werth, dienach ihrer Länge u, Breite in Cirkelform gebogen ifl, und eine Kugelfläche 
heißt. — Die Flächenmegfunft, ein Hauptzweig der Geometrie, wird in ſei⸗ 
ner Anwendung auf Stücke unferer Erde Meßkunſt oder Geodaͤfie genannt. 

Flachs, FZlahsfpinnmafdgine, f. Lein. 

Flacius (Matthias), mit dem Beinamen Illyricus, ein berüchtigter Theo: 
log, geb. zu Albona in Illyrien 1520, geft. zu Frankfurt a. M. 1575. „Er hieß 
eigentlich lach, gab aber, nach damaliger Eitte, feinem Namen eine latein. 
Endung. Er war ein Schüler Lurher’s und Melanchtbon’s, nahm an den. kirchli- 
hen Streitigkeiten feiner Zeitgenoffen Antheil, war aber dabei fo heftig und unge: 
zogen, daß nech jeßt in einigen Gegenden Deutfchlands mit einer, von feinem Ma⸗ 
men abgeleiteten Benennung (Flaz ein ungefchliffener Menſch bezeichnet wird. 

Slagellanten, Seife rüder, Geißler, auch Flegler und Bengler, hieß 
eine Brüderfchaft im 13. Jahrh, die ihre Buße nicht beffer als durch Geißeln üben 
zu Eonnen glaubte. Der Einfiedler Rainer in Perugia wird als ihr Urheber um 
41260 genannt. Band fand er faftan allen Orten Stalins Anhänger. Alt und 
Jung, Vornehm und Bering zog durch die Städte, geißelte fich und vermahnte zur 
Buße. Die Anzahl vermehrte fid; bis zu 10,000, die umherzogen, von einigen 
Prieſtern geführt, die Fahnen und Kreuze vorantrugen. So ſchwaͤrmten fie zu 
Taufenden von Land zu Land und ſammelten Almofen; 1261 brachen fie in meh: 
ren Scharen über die Alpen in Deutfchland ein, zeigten fich im Elſaß, in Baiern, 
Böhmen und Polen, und fanden dafelbft viele Nachahmer. 1296 zeigte fi in 
Strasburg noch ein Eleiner Haufen Seiler, die mit verhällten Sefichtern fih um 
die Stadt und zu allen Kirchen peitſchten. So fehr indeß das Volk diefa neuen 
Brüderfchaft anhing, fo wenig fand fie die Billigung der Fürften und der böhern 
Seiftlichkeit. Die öffentliche ſchamloſe Entblögung beleidigte die guten Sitten, das 
Umberfhrwärmen gab zu aufrührerifchen Bersegungen und Ausfchweifungen aller 
Art Anlaß, und das abgedrungene Almofen feßte die ruhigen Bürger in eine nicht 
unbeträchtliche Contribution. Daher ergingen auch in Deutſchland und Italien von 
mehren Fürften nachbrüdliche Verbote gegen diefe Aufzüge der Geißler, die Könige 
von Polen und Böhmen verjagten fie mit Gewalt, und die Bifchofe fegten fich ih⸗ 
nen ernftlich entgegen. Deffenungeachtet pflanzte fich dies Unmefen in andrer Ge⸗ 
ſtalt unter den Berbrüderungen der Begharden in Deutfchland und Frankreich, und 

‚nom im Anfange des 15. Jahrh. unter den in Thüringen umherſchwaͤrmenden 
Kreugbrüdern (fo genannt, weil fie an ihren Kleidern auf Bruft und Rüden 
Kreuze trugen) fort, deren 91 auf ein Mal 1414 zu Sangerhaufen verbrannt 
wurden; auch die Kirchenverfammlung zu Konſtanz (4414 — 18) ſah fih zu 
entfcheidenden Maßregein gegen die Geißler gendthigt. Seit diefer Beit bat 
man u einer Bruͤderſchaft diefer Art nichts mehr gehoͤrt. DBgl. Geige 

ungen. 

Flageolet. 4) Der Name einer Meinen Tlöte à bec, womit man den: , 
Singvögeln Melodien einlerntz 2) eine befondere Art des Seigenfpiels, wodurch 
der Ton einer folchen Flöte nachgeahmt wird. Der Finger nämlich, welcher den zu 
intonirenden Ton greift, drüdt die Saite nicht, wie gewöhnlich, auf das Sriff: 
bret nieder, fondern berührt fie nur sang fanft, während der Bogen mit einem febr 
gleichen, aber fchneidenden Striche über die Saite geführt wird. Die Stellen, 
090 dieſes gefchehen foll, pflegte man mit Flautino, oder Sons harmoniques,, oder 


® 


Flagge Flammoͤfen I 438 


Suons armenichi zu bezeichnen, und über die ganze Stefle eine murmförmige 
Linie zu ziehen. . dd. 
Flagge, Parillen, die große, insgemein viereckige Schiffsfahne von leichte 
tem wollenem Zeuche, welche auf die Spiße eines Maſtes oder auf das Hintertheil 
des Schiffs geſteckt zu werden pflegt und ſich durch ihre Breite und Größe von an- 
dern Schiffsfahnen unterfcheidet. Alle Schiffe fonnen hinten und vorn eine Flagge 
auffieden; aber nur der Admiral führt die feinige auf dem großen Maſte (melche 
auf den Kriegsfchiffen in engerer Bedeutung die Flagge genannt wird), ein Unter: 
admiral auf der Vorftange, ein Contreadmiral auf der Kreuzflange, und nur dann 
auf der großen Stange, wenn er ein beſonderes Geſchwader befehligt. Die Admi⸗ 
role führen unter der Flagge noch eine Fleinere Fahne, einen Wimpel, Das Wap⸗ 
pen und die Farbe der Flagge bezeichnen die Nation, den Stand der Officiere und 
die außerordentlichen Gelegenheiten, bei welchen auf dem Sintertheile des Scheffs 
befondere Arten son Flaggen gebraucht werden, befonders die Hülfsflagge, durch 
welche andre Schiffe zu Hülfe gerufen werden; die Todtenflagge, wenn fich eine 
vornehme Leiche auf dem Schiffe befindet; die Friedensflagge, melche faft bei allen 
Nationen weiß if. Das Streichen. oder Senken der Flagge ift die größte Ehren: 
bejzeigung, die ein Schiff dem andern erzeigen kann; das Halten der Flagge im 
Arme ift eine geringere. . Die Fonigl. Flagge, die ein koͤnigl. Schiff führt, flreicht 
vor Niemand. In der Schlacht iſt das Streichen der Flagge das Zeichen, daß fich 
das Schiff ergibt. — Das Flaggenfchiff, ein Schiff, auf welchem ein hoher 
Hfficier (Admiral, Diceadmiral) befindlich iſt, der feine Flagge wehen läßt. — 
Sion enofficiere heißen die vornehmften Seeofficiere, welche jeder feine Flagge 
om Bord ihres Schiffes führen dürfen. Der Oberbefehlshaber aufeiner Flotte be 
ſetzt proviforifch alle erledigt werdende Officierſtellen. Am Kriegsrath einer Flotte 
nehmen nur die Klaggenofficiere und der erfte Hauptmann Theil, Wenn aber nicht 
wenigftens 3 auf der Flotte find, fo beruft der Admiral.die Hauptleute, deren Mei: 
ming er vernehmen will. jeder Slaggenofficier, welcher ein Schiff befteigt, wird 
mit Irommelfchlag und der Wache im Gewehr empfangen. Bor dem oberften Bes 
ſehlshaber wird Marfch aefchlagen. Die Zaht der Wirbel ift nach ihrem Kange 
verſchie den. — liber den Satz des Seevälkerrechts: „Le pavillon cöuvre ja mar- 
chandise”, ſ. d. Art. Meutralität. 
Flah ault (Frau von), ſ. Souza. 
ei ndifche oder flämifhe Schule, ſ. Niederländifche 
ule, .. 
Flammen, bei den Römern, ein Priefter, deffen Dienft einer einzelnen 
Settheit gewidmet tar, und der von ihr feinen Namen erhielt, 3. B. Fla⸗ 
men Meptunalis, Pomonalis u. f. w.; auch von den unter die Götter verſetz⸗ 
kn Kaifern, 3. B. Flamen Augufti, | 
Flämifch bedeutet Flandrifch, aus Flandern berrührend u. f. m. — Das 
—5 Recht, ein beſonderes Recht, welches vor Zeiten den Coloniſten aus 
landern in Deutſchland gelaſſen wurde und hin und wieder noch gilt. — In 
Geloberechnungen gibt es Pfennig, Schilling und Pfund Flamiſch. M 
Flamme, f. Bärme n | 
Slammöfen, Reverberiröfen, find Ofen, in denen durch den 
Bogen Luftzug mit Flammenfeuer geſchmolzen wird, und die einen befondern Roſt 
dm Verbrennen des Brennmaterials haben. Die zu verfchmelzenden Erze, Me⸗ 
tale ıc, kommen mit dem Brennmaterial nicht unmittelbar in Berührung, fondern 
nerden den Flammen deffelben ausgefegt. “Der Raum, in welchem das Brenn: 
Weterial verbrennt, beißt der Feuerraum, der, worin fich die zu behandelnde Sub: 
Pan befindet, der Schmelz: oder Slühraum, oder Herd. Das Brennmaterial 
leg auf dem Moft, und unter dieſem befindet fich der Afchenfall, in den die zur 


440 Flamſteed Flanke 


Verbrennung nothwendige atmoſphaͤriſche Luft treten kann. —— und Herd⸗ 
raum find vermittelſt eines Gewolbes mit einander verbunden. Das Brennmate⸗ 
rial beſteht aus Steinkohlen, —— Hol, w wird durch das Schürloch in den 
Ofen gebracht, das Erz x. durch —— Die Slemene jiebt durch ten 
Fuchs ob. der mit der Eſſe in Verbindung flieht iten fehlt die Eſſe, und Die 
Flamme zieht dann durch die Finfaköfinung ab. Die Eonflruction der Flamm⸗ 
öfen ifl zu ihrer verfchiedenartigen Benutzung ſehr verfchieden; man gebraucht fie 
vorzüglich zum Roften, zum Schmelzen verfchietener Sg, zum Umfchmeljen des 
Koheifens, des —— zum Verfriſchen des Roheiſens, zum Glühen 
des Stabeiſens, Zaineifens, Ba ge und Drahtes, zum Saigern des Kupfers, 
“ zum Abtreiben des Werkbleies 

dla m. ſteed Sohn), in e nolifcher Afrenea; geb. ten 19. Aug. 1646 

lieferte fchon in f. 24. Fahre aftronomifide Berechnun⸗ 

gen für die „Philosophie transactions‘ und gab f. „DiatriLe de acquatione 
temporis etc.” heraus. In der Folge ging er nadı London, wurde da mit New⸗ 
ton und Halley näher befannt, und 1670 537* der koniꝗl. Societät. Karl II. 
ernannte ihn zum Fönigl. Aftronomen auf der neu errichteten Sternwarte (Flam- 
steedhoase) zu —— Hier ſetzte er von 1671 en feine aſtronomiſchen Be⸗ 
obachtungen ununterbrochen fort bis an feinen Tod, 1720. Man wünfhte die 
Ergebniffe feiner vieljährigen Beobachtungen befanntgemacht zu fehen, aber «6 es 
war ein befonderer Befehl der Königin Anna dazu nöthig, um ihn dazu zu u 
gen, und fo erſchien f. „Historia cwelestis britannica” (Xond. 1712, 2 Fersles 
melhes feine bis dahin angeflellten Beobachtungen und fein berühmtes Verzeichnig 
von 3000 Sternen enthielt. In vervollkommneter Seftalt kam es nach f. Tode 
47125 zu London in 3 Thin. heraus. Die erften beiden enthalten feine Beobach⸗ 
tungen über die Sterne; im dritten befinden fich eine Einleitung in die Geſchichte 
der Aſtronomie, die fimmtlichen vor feiner Zeit erfchienenen Sternverzeichniffe, und 
f. eignes, vollſtandiger als alle vorhergehenten, unter dem Namen „Der briti 
Catalog” befannt. Dieſes Verzeichniß iſt in neuern Zeiten durch Herfchel berich- 
figt und fehr vermehrt worden. Ein andres zur Kenntniß der Geſtirne brauchba⸗ 
ves Werk F.'s iſt ein koſtbarer „Atlas coelestis“ (London 1729, Fol.), mit 25 
großen Charten, auf weichen alle in England ſichtbare Eonftellationen vorgeftelle 
find, und wovon 1753 eine noch prächtigere Ausgabe mit 28 Charten erfchien. 
Einen abgefürzten Nachdruck derfelben, der aber vor dem Driginal manche Vor⸗ 
güge —* hat 342 1776 zu Paris beſorgt. 

Flanke, in der Feſtungsbaukunſt derjenige Theit eines Werks, welcher 
einem andern Seitenvertheidigung gibt. Bei der Baftion find die Flanken diejeni: 
gen Linien, welche an den Mittelwall anſtoßen. In ältern Zeiten pflegten fie recht⸗ 
winkelig auf dem Mittelwalle zu ſtehen, jeßt feßt man fie beffer rechtwinkelig auf die 
Berlingerung der Face des Nebenbollwerks (die Defenslinie). Ehemals feßte man 
oft 5 Flanken Hinter einander, jet böchftens 2. Die Beſtimmung der Flan⸗ 
Een ift, den Graben vor den Facen des Nebenbollwerfs und vor der Linie zu Vers 
theidigen, ein Zweck, den fie indeh nur felten erfüllen, indem das Geſchuͤtz auf 
ihnen! früher, als bis der Feind dorthin kommt, durch Ricochetſchuͤſſe und Bomben: 
twürfe zerflört zu fein pflegt. — In der Taktik bedeutet arte das äußere Ende 
des Flügels einer Armee, und es if eins der gewoͤhnlichſten Manoeuvres, den Feind, 
befonders in ftrategifchem Sinne, durch Umgehung gerade auf diefem ſehr em⸗ 

pfindlichen Punkte anzugreifen. Er wird dann, wenn er nicht Maßregeln dagegen 
trifft, feine Flanke zurũckziehen, alſo feine Fronte verändern müffen und meift be: 
fiegt werden. Eine fühne, aber ſelten anwendbare dee iſt es, diefem Angriffe 
durch Wiederumgebhung des Feindes zuvorzukommen. — Flanqueurs find ber: 
umftreifende Reiter, um den Feind theils zu beobachten, theu⸗ gu beunruhigen. — 


- 


Blafche (lepbner) Flaſſan 444 


Flanquiren, in. der Kriegsfimfi, eine Feflung mit Seitenvertheidigung ver: 
„ fben; auch: won der Seite beftreichen, beſchießen. Flanquiren und umber: 
flangniren heißt: umpberftreifen, umberfchweifen. 

Tlafche (leydner oder elektriſche). Wenn man eine gläferne Flafche non 
Außen und Sinnen, bis aufeinige Zoll unter dem obern Rande, mit Stanniol (Blatt: 
zinn) überzieht, auf einen die Elektricität leitenden Tiſch ftellt, und den Boden der 

lafche mirtelft eines Metalldrahts mit dem Conductor einer Elektrifirmafchine in 
bindung feßt, alsdann die Mafchine dreht, und mit der einen Hand den äußern 
. Überzug der Flaſche, mit der andern aber den Draht oder den Eonductor, mit wel⸗ 
dem der innere Überzug der Flaſche noch in Verbindung fieht, faßt, fo zeigt fich ein 
wit Sepraffel hervorbrechender Funke, der mit einer Erfchütterung in dem Arm: 
elenke begleitet iſt. Einen ganz ähnlichen Erfolg nimmt man wahr, wenn man die 
laſche nach dem Elektrifiren (oder Laden) von der Maſchine abnimmt, und dann 
beide Üiberzüge zugleich berührt. . In dem Zuflande, 100 die leydner Flaſche den 
Tunfen mit Erfehütterung gibt, Heißt fie geladen, im entgegengefegten Falle entlas 
dm, Wird fie überladen, fo entladet fie fich über dem unbelegten Raume von 
felbſt, vnd nicht felten wird fie dadurch zerfchmettert. Zu bemerken ift, daß die 
iufere Belegung der geladenen leydner Flaſche allemal die entgegengefeßte Elektri⸗ 
atät der innern Belegung bat; fie hat negative, wenn jene pofitive hat, und um: 
gekehrt. Iſolirt man eine leydner Flafche und ſetzt he Außere Belegung mit der 
tanern Belegung einer andern nicht ifolirten Flaſche in Berbindung, fo werden beide 
Flaſchen gelaten. Dies kann man mit mehren Flaſchen fortfegen. Je größer die 
Zahl der Flafchen iſt, defto mehr eleftrifche Materie nehmen fie in fich auf, und um. 
ſo heftiger und verftärkter ift die Wirkung bei der Entladung. “Die auf diefe Art 
verbundenen Slafchen machen eine eleftrifche Batterie, deren Wirkung fich fo weit 
verſiͤrken laͤßt, dahß man damit kleine Thiere tödten, Metalldraht ſchmelzen kann 
ufm. Den Namen der leydner Flaſche hat fie, weil Cunaͤus, Allemand und, 
Muſſchenbroek dieſe Verſuche zuerſt in Leyden anſtellten; Andre nennen: fie 
uch nach Kleiſt, der denſelben Verſuch ſchon ein Jahr früher machte. 

Slafchen zug, Polyfpaft, ein mechanifches Werkzeug zum Heben großer. 
Yaftın. Es ift aus 2 Kloben oder Flafchen zufammengefegt, deren jede mehre. . 
Sollen enthält, Dierobere Flafche ift befefligt, an der untern aber hängt die Lafl, 
weiche durch ein um alle Rollen gehendes Seil zugleich mit der untern Flaſche in 
die Höhe gehoben wird. Man kann hierbei annehmen, je mehr Rollen in jeder 
Sufche befindlich find, deflo länger muß das Seil zum Heben der Laft fein, und, 
deſto weniger Kraft hat man nöthig anzuwenden; aber um fo länger wird. es auch 
Innern, ehe die Laſt einen gewiſſen Punkt der Höhe erreicht. Die Erfindung‘ 
wird dem Archimedes von Syrakus zugefchrieben. 

, „Slaffan Gaetan de Xaxis de), amtlich angeftellter Sefchichtfchreiber 
im Geſchaͤftskreiſe der auswärtigen Angelegenheiten; flammt aus einer urfprünglich. 
Liechiſchen Familie, welcher Bapft Paul 111. 1536 die Herrfchaft Flaſſen in der 
ft Denaiffin verlieh. Sein Vater war Militair. Der junge Flaffan 

‚ward in derfelben Militairſchule erzogen, aus welcher Napoleon, Champagny, 
Carke, Bourgoing, Duroc ıc. hervorgegangen find. In der Folge-hielt er fich 
‚Beit zu. Rom auf, wo fein Bruder Oberofficier in der konigl. Leibwache 

Wer, Pius VI. war ihm gewogen und gab ihm eine Laienpfründe. 1787 kehrte 
er nach Paris zurüd, wo er 1790 eine „Question du divorce“ herausgab. ‚1791 
eich nach Koblenz zu dem ausgervanderten Adel, Mach der Auflöfung des 
Mcichen Corps bielt er fich 2 —* re in Florenz und Venedig auf. Als das 
yſtem in Frankreich geflürzt war, kehrte er zuruͤck, wählte die diploma⸗ 
Mir Laufbahn und wurde als Chef der erfien Abtheilung im Miniſterium der 
“mirtigen. Angelegenheiten angeftellt, nahm aber bald feine Entlaſſung. Der. 


dı 


442 Flau Flarman 


Auswanderung verdachtig, ſollte er verhaftet werden; allein er rettete fich, indem 
er den Poligeicommiffair und Die beiten Soldaten in feinem Zimmer einfperrte, 
Darauf verbarg er fih in Marſeille. Nach dem 18. Brumaire lebte er wieter in 
Paris, wo er fein großes Werk über die Gefchichte der franz. Diplomatie ausarbei: 
tete. Der erfte Conſul hatte gegen die Abgeortneten der hiſtoriſchen Claſſe des 
Nationalinſtituts geäußert, daß er ein folches Werf wünfche. %. wurde bei ber 
Abfaffung verfelben durch feine Berbindungen mit wichtigen Gefchäftsmännern 
und Gelehrten, z. B. Koch, ſowie durch die Erlaubnig, die Archive zu benutzen, 
weſentlich unterflüßt. &o erſchien zuerſt in 6®dn. 1808 feine „Histoire generale 
de la diplornatie francaise jusqu’a la fin da regne de Louis XVL., avec des 
tables chrronologigues de tous les trait&s conclus par la France” (n. 3., Paris 
1811, 7 Bde.). Diefes, aus den Verträgen, Wanifeflen, toten, Inſtructio⸗ 
nen und Berichten der Zeitgenofien, Die mithbantelnde Perfenen waren, gefchöpfte, 
jedoch nicht ganz unparteiifche Werk, wobei die Quellen mit Eritifcher Zahl be: 
nußt, die Data mit Scharffinn zufammengeftellt find, und das Ganze geiftvoll 
ie einer beurtbeilenden Geſchichte der Diplomatifchen Verhaͤltniſſe Frankreichs vom 
nfange der Monarchie bis zur Enttbronung Ludwigs XVI. verarbeitet ifl, hat 
den Verfaſſer mit Recht berühmt gemacht. Außer der Entwidelung der vorgig- 
lichften Unterhantlungen und Verträge, der Mitteilung der bedeutendften Staats⸗ 
fihtiften, wird man von der jetesmaligen Organifation tes Departements der aus: 
wärtigen Angelegenheiten unterrichtet, und höchſt anziehend und beiehrend iſt zu⸗ 
gleich die Art, wie der Berfaffer die Charaktere der Minifler und Geſandten zeich- 
net. In dem Berichte über die-des Preifes würdigen Erzeugniffe der legten 10 
Jahre im Fache der Literatur nnd Kunft hat die Fury den hiftorifchen Werth diefes 
Werks anerkannt, jedoch dabei bemerkt: „II n’est pas remarquable par l’art de la 
composition. et J’on y desireroit plus d’elegance dans le style”. Bis 1814 
war 5. Profeffor der Sefchichte an der Kriegsfchule zu St. Germain⸗en⸗Laye. 
Er har u. A. auch noch gefchrieben: „De la colonisation de St-Domingue” 
(1804); „De la restauration politique de l’Europe et de la France” (1814) 
und „Des Bourbons de Naples” (41811). Nach Napoleons Sturze hat v. 5. 
auch eine Sefchichte der franz. Diplomatie von 1794 an bis gum parifer Frie⸗ 
den in 6 Bdn. angefündigt. Aus den Discuffionen über das Budget des 5.1827 
ergab fich, dag 5. eine Penften.von 12,000 Livres erhalte, um ihn von der Her: 
ausgabe diefer Gefchichte der franz. Diplomatie während der Revolution abzubal: 
ten. Als Hifloriograph des Departements der auswärtigen Angelegenheiten be: 
gleitete er die franz. Sefandtfchaft 1814 zum wiener Congreß. Seine „Hi- 
stoire du congres de Vienne” (3 Bde.) ift noch nicht getrudt. 

Flau, im Niederſaächſiſchen: 1) Lau, ſchal (auch als mercantilifcher Aus⸗ 
drud); 2) ohnmächtig, Eraftlos Aus der niederländifchen Schule haben die Mas 
ler das Wort beibehalten, und es ift ſelbſt zu den Franzofen übergegangen (fon). 
Dennoch ift fein völlig beftimmter Begriff Damit verfnüpft, und es ift am beften, 
fich des Ausdrucks nicht: zu bedienen, da er im Grunde doch kaum etwas Andres bes 
zeichnen dürfte, als das Derblafene, il sfumato. Es foll das fanfte oder 
matte Verſchmelzen der Farben damit angedeutet werden. 

Flaxman (Sohn), neben Thantrey und Weſtmacot der ausgezeichnetfle- 
Bildhauer Englands, Profeffor an der konigl. Akademie zu London, geb. zu Yorf' 
den 6. Yuli 1355, wurde in Europa vorzüglich befannt durch mehre Kunſtwerke, 
in denen er als ein geiſtreicher Manieriſt, die Antike ziemlich modern auffaſſend 
Homer's Werke, dann Äſchylus, Heſiodus und Dante erläutert hat. („The 
Odyssee of Hom., engr. by Th. Piroli“, Rem 1793, 4.; im Deutf@pland zu⸗ 
erſt nachgeflochen von Kiepenhaufen, Göttingen 1808,’ dann vom Schnerr u. A.; 
„Ihe lliad, engr. by Piroli‘‘, London 1795 ;- „La divina commedia di Dante 


Stechier - 843 


klighieri”, 1793, 4.; „Campos. from the tragedies of Asschylas, engr. br 
Piroli“, 1794.) Alle diefe Umriſſe find, außer in Deutſchland, auch in Frankreich 
(Daris, Nitot:Dufresne, an X 1) wiederholt worden, und der Eifer, mit dem dies ge: 
ſchah, beweiſt dafür, daß F. die Art traf, wie die Meiften das Antike gern fehen 
möchten. Man kann nicht behaupten, daß er immer den prägnanteften Moment 
3* daß er dieſen Moment auf eine Art dargeſtellt habe, die nach keiner Seite 
iterungen zuließe; Bilder ſind fie ſelten, organiſch geſchloſſen faſt nie; doch 
erſchien feine Form zu einer Zeit, wo Angelica's Verfloſſenheit und David's Kälte 
überall wiederke hrten, neu, kühn, und darum anſprechend. „Unlaͤugbar findet ſich 
in Slarman’s erwähnten Skizzen“, ſagt Gothe („Winckelmann und. f. Jahrh.“), 
„mancher giiiefliche Gedanke; er bat in den Gegenſtaͤnden aus den griech. Dichtern 
den Geſchmack antiker Bafengemälde und Basreliefs nachzuahmen getrachtet, in 
den Darftellungen aus Dante Hingegen die dem Seifte derfelben fo paffende Einfalt 
der olten florentin. Bilder benußt; deffenungeachtet ift felbft Das gelungenfte dieſer 
Enide immer bloß als ein leicht hingeworfener Gedanke zu betrachten, und nur in 
felcher Hinficht ſchaͤtzbar. Sie fuͤr wirkliche, Prüfung ertragende Kunſtwerke erklaͤ⸗ 
ren, heißt die wahre Kunſt, die Vollendetes fodert, verkennen; dieſe Manier nach: 
abmen, ift verderblich”. Mährend feines Aufenthalts in Rom befchäftigte fich $; 
biel mit dem Belvedereſchen Torſo. Auch er, wie Tiſchbein, - dachte an eine-Bruppe, 
wo Hebe dem von allen Muͤhen des Lebens geprüften Sieger den Labebecher der 
ewigen Sötterjugend darreicht. Außerdem berounderte man fein Talent, charafte: 
riſtiſche Gruppen aus dem Volksleben gleihfam im Fluge aufzufaffen, wofür feine 
Btigenbächer Beweis gaben. Don feinen plaftifchen Werken war ftets weniger die 
Arte, Mehre derfelben befinden fich in England (wohin er 1794 zurückkehrte), und 
aomentlich rübmt Dallaway, der Flaxman den Pouſſin der Skulptur nennt, fein 
. Baseelief zum Andenken des Dichters Collin in der Kirche zu Chicheſter. Bekannt 
find außerdem f. Denkmäler des Lords Mansfield, Lord Howe's, Abercrombie's, die 
Düfte Waſhington's und die Statue Reynold's. %.’s Geſchmack liebt bei offentli⸗ 
den Monumenten das Koleffale. Statt des Haufes des Gouverneurs zu Green⸗ 
wich, das den Platz nicht gehörig ſchließt, hatte er eine Statue der Siegesgöttin, auf 
Schiffsſchnabein flehend, von 230 Fuß Höhe, vorgefehlagen. Zur Empfehlung ſ. 
Angabe findet man die Gründe in einer „Letter of Ihe committee far raising the 
naval pillaror monument” (£ond. 1799, 4.). Auch Ntelfon’s Andenken trug er an 
durch ein ähnliches Standbild zu ehren. Durch einen erleuchteten tern auf der 
Bruft follte es den Schiffen zur Nachtzeit als Richtpunkt dienen. Sein Urtheilüber 
den Werth der Elgin⸗Marmor trug vorzüglich dazu bei, ihren Anfauf dem Parla⸗ 
mente zu empfehlen. F. ſtarb zu London den 7. Dec. 1826 im 72. J. &,f. Leben 
in: „Beitgenoffen”, 1828, H. 1 (mo aber |. Todestag nicht richtig angegeben iſt). 
Floͤch ier (Esprit), ein ehrwuͤrdiger Seiftlicher, dem feine ſalbungsvollen 

und geiftreichen Schriften ebenfo fehr die Achtung der Nachwelt erworben haben, 
ls feine Syerzensgüte und Wohlthätigkeit ihm die Liebe feiner Zeitgenoffen gewann. 
Geb. den 1. Juni 1632 zu Pernes, einer kleinen Stadt in der Grafſchaft Benatffin, 
ud bei f. Oheim, dem P. Hercule Audiffret, in dem Schoße der Wiſſenſchaften 
und der Tugend erzogen, trat er inden Sefuitenorden, den er jedoch nach f. Oheims 
Jede verließ um in Paris als Ranzelredner aufzutreten. Er ertourb fich einen gro⸗ 
Pen Ruf und wurde von Ludwig XIV. mit Wohlthaten überhäuft. Aufgemuntert 
durch, firebte F. nach immer höherer Vollkommenheit und lieferte in feinen 
Beidenreden auf Boſſuet und Turenne 2 Meiſterwerke, welche noch jetzt mit Theil: 
nahme geleſen werden. Der Hof belohnte feine Talente 1685 mit dem Bisthume 
von davaur und 1687 mit dem Bisthume von Nismes, und Ludwig XIV. begleis 
tete die Ernennung zu dem erftern mit den fchmeichefhaften Worten: „Sein Sie 
wicht verwundert, daß ich Ihr Berdienfi fo fpät beloßne ; ich fürkhtete des Ver⸗ 


44 Flechſen Fleck 


nügens beraubt zu werden, Sie zu hören”. Außer feinen geiſtlichen Reden bat 
. ſich auch in f. „Histoire de l’Empereur Theodose le Grand“ und der „Vie 
u Cardinal Ximenes” als einen beredten Hiftorifchen und biographiſchen 
Schriftfteller gezeigt. Er ftarb den 16. Febr. 17110 zu Montpellier. - Ä 

Flech ſen, die weißen, zähen, faferigen Adern der Muskeln, weiche fih . 
idlich in dem fogenannten Haarwachs vereinigen. (&. Muskeln) Die 
lechfen enthalten materiell viel Leim, mit Spuren pbosphorfauren Kalks. 
Yırch Kochen geben fie daher Gallerte. Be 

Flecht en, eine chronifche Hautkrankheit (impetigo herpes), welche zu: 
eilen abheült und dem Anfcheine nach ganz verfchrindet, aber bald von Neuem . 
usbricht. Man unterfcheidet mehre Arten derfelben, wovon immer eine beſchwer⸗ 
cher und hartnädiger ift als dieandre. Bei der erften ift die Haut fehr wenig ges 
‚het, und wie mit Mehl beftreut, geroöhnlich fühlt man einiges Juden; bier hei⸗ 
en fie auch gemeiniglich Schwinden. Bei einer andern Art find die röthern Stel- 
n mit einer gelben Borke bededit, unter welcher fich eine fcharfe, nach Kagenurin 
echende Feuchtigkeit abfondert. In einer dritten iſt eine freie ſchwaͤrende Stelle 
abrzunehmen, die immer größer wird, ein freffendes Geſchwür. — Flechten - 
ennt man auch ein Eriechendes, wirriges Moos, welches gemöhnlich an Eteinen, 
jaumen, j B. der Birke, vorkommt. Etwas Andres if eine Korb: oder 
Bagenflechte.e Auch wird der Name Flechte von einer weichen faftigen 
the und andern zum Derflechten tauglichen Sachen gebraucht, dann von 
roßen Heflochtenen Körben. 

Fleck (Johann Friedrich Ferdinand), Schaufpieler, geb. in Breslau am 
2. jan. 1757, fludirte nach dem Willen f. Vaters, eines Nathsherrn zu Bres⸗ 
u, feit 1736 in Halle Theologie. Allein er fonnte nicht auf diefer Bahn an ein 
inftiges Fortkommen glauben, nachdem er bemerken mußte, daß die fühnen Ideen, 
e in ihm lebten, hier in mancher Hinficht gebunden, zum Theil gar nicht anwend⸗ 
ir waren, Als nun noch roährend der Univerfitätsjahre, durch den Tod feines 
aters, alle Unterſtützung von Haufe aufhörte, beſchloß er Schaufpieler zu werden. 
chon früher hatte er in Privatcirkeln zumeilen Rollen fpielen müſſen, und na⸗ 
entlich faft immer Maͤdchenrollen, weil man dazu feine hübfchen Sefichtszäge in 
ver Jugendlichkeit fehr paffend fand. Er ging von Hallenach Dresden, lieg fich 
i der dortigen Hoffchaufpielergefellfehaft engagieren und trat zuerft in Leipzig auf, 
um aber bald nach Hamburg, mo er, neben Schröder, feinen Ruf begründete, 
dag 1783, wo er, 26 J. alt, nach Berlin fam, fein erftes Erfcheinen (am 12. 
Rai d. J.) als Graf Horazio Capacelli, dann fein Spiel in einem längft vergeffe: 
n Schaufpiele: „Natur und Liebe im Streit”, von d'Arien, ibmy wie in jeder - 
[genden Rolle, fo ausgezeichneten Beifall erwarb, dag man ihn nicht wieder forte 
5. Er blieb nun bei der Döbbelin’fchen Sefellfchaft, bis 1186 (vom 1. Oct. an) 
r König Friedrich Wilhelm II, die berliner Bühne zum Nationaltheater erhob, 
ad F. bet diefem angeftellt wurde, Bier Jahre darauf (1790) ernannte ihn der 
önig zum Regiffeur, und fpäter, als der Prof. Engel an fortwährender Kraͤnk⸗ 
hkeit litt, wurden ibm auch mehre Directionsgefchäfte übertragen. Sein Ruf 
s Schaufpieler war indeß fo hoch geftiegen, daß die Berliner feinen Namen nur 
it Enthufiasmus nannten, und die allgemeine Stimme ihn zu den berühmteften 
arftellern der Vorzeit und Gegenwart zählte. Als Künftler bezeichnet ihn Tieck 
n „Pbantafus”, Bd. 3): „Fleck war ſchlank, nicht groß, aber vom ſchoͤnſten 
senmaße, batte braune Augen, deren Feuer durch. Sanftheit gemüdert war, fein 
zogene Brauen, edle Stirn und Nafe; fein Kopf hatte in der Jugend Ähnlich⸗ 
it mit dem Apollo. In den Rollen eines Effer, Tancred (nach der alten über⸗ 
zung), Ethelwolf (nach Fletcher), war er bezaubernd, am meiften ale Infant 
edro in „mes de Caſtro“, der, wie das ganze Stuck, fehr ſchwach und ſchlecht 


a ee Sr, 4 7 445 


heſcheieben ift, von ihm geſprochen klang aber jeee Wert wie die Begeifteviiug:-bes 
ebelften Dichters. Sein Organ war. von der Reinheit dee Glocke, und fo reich an 
vollen, klaren Tanen, inder Tiefe wie:in der Höhe, daß nur Derjenige mir glauben 
wird, der ihn gekannt hat ; denn wahres Flätenfpiel ſtand ihm in-ber Zartlichkeit, 
Bitte und Hingebung zu Gebot, und ohne je in den Enarrenden Baß zu fallen, der 
umsoft fo unangenehm flört, war fein Tom in der Tfefe wie Metall Elingend, fonnte 
in verhaltener Wuth wie Donner rollen, und in insgelaffener Leidenſchaft mit dem 
Liwen brüllen. Der Tragifer, für den. Shakſpeare dichtete,, muß, nach meiner Eins 
By viel von F.'s Bortrag und Darflellung gehabt haben, denn diefe wunderbaren 
bergänge, Diefe Interjectionen, dies Anhalten, und dann den flürmenden Strom 
der Rede, ſowie jene zruifchengersorfenen naiven, ja an das Komiſche grengeriden Ratur- 
ksıteund Nebengedanken, gaberfanatürlich wahr, daß wir gerade biefe Sonderbar: 
keit des Pathos zuerfi verflanden.. Sah man ihn in einer diefer großen Dichtungen 
auftreten, fo umieuchtete ihn etwas Überirdifchen, ein unfichtbares Grauen ging mit 
ihm, undjeder Ton ſeines Lear, jeder Blick ging durch unfer Herz. In der Role des 
Lear zog ich ihn dem großen Schröder vor, denn er nahm fie poetifcher und dem 
Dichter angemeffener, indem er nicht fo.fichtbar auf das Eutſtehen des Wahnſinns 
Vinnrbeitete, obgleich. er diefen in feiner ganzen furchtbaren Erhabenheit erſcheinen 
ließ. Wer damals feinen Othello fah, bat auch etwas Großes erlebt. Im Macher 
mag ihn Schröder übertroffen haben, denn den erften Act gab er nicht bedeutend 
genug und den zweiten ſchwach, ſelbſt ungewiß; aber vom dritten an war er unver: 
* lich, und groß im fuͤnften. Sein Shylock — nach einer ganz ſchlech⸗ 
ten itung) war grauenhaft und gefpenftifth, aber nie gemein, ſondern durch⸗ 
ms edel. Viele der Schillerfehen Charaktere waren ganz für ihn gedichtet; aber 
der Triumph) feiner Größe war, fo groß er auch in Bielem feinmochte, der Raͤuber 
Moor. Diefes titanenartige Geſchoͤpf einer jungen und kuͤhnen Imagination er- 
hielt durch ihn folche furchtbare Wehrheit, edle Ergebenbeit, die Wildheit war mit 
frührender Bartheit gemifcht, daß ohne Zweifel der Dichter.bei diefem Anblide 
ſelbſt über feine Schöpfung hätte erflaunen müffen. „Hier konnte der Künftler alle 
fine Tone, alle Furien, alle Verzweiflung geltend machen, und entfeßte fich der Zu: 
hirer über dies ungeheure Sefühl, das im Tom und Körper diefes Juͤnglings diegange 
volle Kraft antraf, foerfiarrte er, wenn in der finchtbaren Rede an die Häuber, nach 
Etennung feines Vaters, noch gewaltiger derfelbe Menſch rofet, ihn aber nun das 
Gefãhl des Ungeheuerften niedermirft, er die Stimme verliert, fehluchzt, in Lachen 
wsbricht uber feine Schwäche, fich Enirfchend dufrafft, und nun noch Donnerthne 
susflößt, wie fie vorher noch nie gehört waren. Alles wong Hamlet von der Gewalt 
fat, die ein Schaufpieler, der felbft dns Entfeglichfteerlebt Hätte, über die Gemuͤ⸗ 
ter haben müßte, alle. jene dort gefchilderten Wirkungen traten in diefer Scene 
wörtlich ein, Auch die fogen. Charakterrollen in bürgerlichen Dramen gab er tüch- 
ig, edelund brav, und mifchte ihnen einen Humor bei, der fie hoͤchſt liebenswürdig 
machte. Der Oberförfber in den, Jaͤgern“ war eine feiner launigſten und tiefften 
Darſtellungen (Iffland felbft hat ihr nie darin erreicht), und Kogebue Eonnte fich 
ja Mich ſchatzen, daß ein folches Talent ihn in Berlin zuerft befanntmachte”, Die 
nwirkung eines Meiflers wie F. auf andre Schaufnieler konnte nicht fehlen; 
Diele bildeten fich nach ihm, und noch heute hört man von ältern Schaufpielern oft 
die Worte: So bat es Fleck gemacht!” Die legte Wolle, in welcher er mit feiner 
ifigen Kraft alle Herzen erfchütterte, war Schillers „Wallenſtein“, den nach 
dm auf der berliner Buͤhne noch Keiner fo hat darſtellen konnen, daß er auch nur 
genägt hätte. F. ftarb zu Berlin am 20. Dec. 1804, im noch nicht vollendeten 45. 
hre. Iffland gab die erfte Anzeige von ſ. Tode, und ſagt darin: „Die innere: 
itt, weiche ihm bewohnte, Kat es für ihn unnothig gemacht, fein Talent durch . 
geringe Huͤlfsmittel, welche fie fein mögen, geltend zumachen. Er war der Ber: 
EonverfationdsLerkon. Bo. IV. 40 





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Flemming (Jak. Heint. Oraf) Bien MAT 


Gonetten („Beiftl: und voeltliche Poemata“, Jena 1642 fg.) iſt eine liebliche 
Schreinerei mit tiefer und feitriger Empfindung gemifcht; feine längern Ges 
Dichte befingen zum Theil die Abentener der Reife mit hoher und Eräftiger Begeifte 
sg, zum Theil andre gelegenheitliche Ereigniffe mit Eigenthumlichkeit und Ans 
muth, und allen ſ. Werken bat er. den Stempel. echter Senialität aufgedrückt. 
Eine Auswahl f. Gedichte ift in der Sammlung der „Biblisthef deutſcher Dichter 
des 17. Jahrh. von W. Miäller, 8. Bd. (2pj. 1829) aufgenommen... Eine 
en von größerm Umfange hat Guſtav Schwab beſorgt (Stutt⸗ 

gt . * 3 
Flemming (Jakob Heinrich, Graf v.), geb; den 8. Maͤrz 1661, ging 
vollendeten Studien .1688 nach England, diente: gegen frankreich unter den 
krandenburg. Truppen, und trat hernach in fächfifche Dienfte. als Generaladjutant 
des Kurf. Johann Seorg zu Sachen. Der Kurf. Friedrich Augufl erhob ihn zum 
deldmarſchall. Als diefer Fuͤrſt fich 1697 ums die polnifche Krone bewarb, fandte 
er, als feinen Sefandten, 5. nach Warfchau, deſſen Bemühungen und Beftechuns 
nicht fruchtlos blieben, ‚Sin dem Kriege gegen Schweden (1699) bemächtigte 

5.des Forts Dunamunde bei Riga, und nannte es Auguftusburg. Bald a 

mußten fich Die ſachſ. Truppen zuruͤckziehen. Der fiegreiche Karl X11. foderte von 
ſt die Auslieferung F.'s, welcher fich genöthigt ſah, nach Brandenburg zu 
n der Folge durfte er jedoch nach Dresden zurückkehren, und es lag 
‚ daß Karl AU. nicht bei feinem Befuche, den er dem Konig in Dres: 
Als Sefangener zurüdbehalten wurde, Als Karls Stud (ih gewen⸗ 
bemuͤhte ſich F. vergebens, feinem. Fuͤrſten Liefland zu verſchaffen und 
von Preußen zu einer Kriegserklaͤrung — Schweden zu bewegen. 
len mußte er feine Plane, die Macht des Königs zu erweitern, aufgeben. 
d zu Wien den 80, Aprü 1128; F. war ein Mann von unbegrenztem Ehr: 
ij; ee damit die hoͤchſte Tapferkeit, ſchnelle Faſſungskraft und un: 
tigkeit. 4 


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‚, bioß von 2 Facen und hinten . | 
etcher.(Xobn), ſ. Beäumons und Fletcher. 
eur ie u ( Charles Pierre Claret, Graf v.), Mitglied des franz. Inſtituts 
der frang. Marine sc., einer der gelehrteſten Hydrographen der neuern Zeit, 
2. Juli 1738 zu Lyon, trat, 43 J. alt, Inden Seedienſt und zeichnete fich 
ungemeinen Fleiß und muſterhafte Aufführung aus. Nach Beendigung des 
jähr. Kriegs, den er zum Theit mitmachte, widmete er fi) von Neuem den 
mutigen Studien, und die von ihm und. dem Uhrmacher Gerd. Berthoud erfun: 
dene Seeuhr (die erſte, welche in Frankreich gemacht wurde) ward 1768 und 1769 
von ihm ſeibſt, auf der von ihm befehligten Fregatte Iſis, verfucht. Der Erfolg 
übertraf alle Erwartaung. 5. gab darüber das geſchaͤtzte Werk Heraus: „Voyage 
fit parordre du roi en 4'168 et 17169, pour eprouver tes horloges marinds” 
(Paris 1773, 4 Bde, m. Rpf.). 1776 erhielt er den wichtigen 'Poften eines - 
Directors der Haͤfen und der. Arfemale, und von ihm rührten in diefer Eigenfchaft 
ale Entwürfe in dem Seekriege von 1778 ber, forwie die Inſtruction für Ne Ent: 
tifen Laperoufe’s und Entrecaftenug’s, zu denen übrigens Ludwig XV, 
fÜbR, als kundiger Geograph, die. Hauptideen angab, 1790 wurde F. Marine: 
winifter, und einige Beit nachher. wurde ihm die Leitung der Erziehung des Dau- 
Wins agen. Der Sturm der Revolution zwang auch ihn, fi von allen . 
hen Arbeiten zurückzuziehen. Er lebte nun ganz feiner Wilfenfchaft. Als : 
de Zeiten ruhiger geworden waren, trat er in den Rath der Alten (1797) , dann in . 
den Stantsrath, und fpäter, unter der Eaiferl. Regierung, in den Senat. Er ſtarb 
den 18, Aug. 1810. Man hat von ihm noch: „Decouvertes * Frangais dans 
1 


H.. 


53 


⸗ 
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Lefch e, im der Öefefligungsfunft, eine kleine, pfeifdrmige Schanze lhalbe 


448 : Yleimus Sleury (Andre Hercule de); . _ 


le Sud-Bst de la nourelle Guinde”. Er gab ferner Etinme Morchand's ‚Reife 
um die Welt in den J. 1790 — 92” Heraus. Die vortrefflihe Einleitung dazu 
rührte ganz von 5. ber. Andre geographifche und hydrographiſche Werke, wie 
f „Atlıs de la Baltique et du Cattegat” und f. „Neptune amerion-septen- 
trional”, deren Herausgabe angefangen war, find nicht von ihm vollendet worden. 
Auch Hatte er eine allgemeine. Geſchichte der Seereifen auszuarbeiten angefangen, 
die vollendet wol das. vollkommenſte Werk diefer Art hätte werden fönnen, was wit 


en, j . 
Fleurus, Dorf von 2160 E. in der niederl. Provinz Hennegau, an ber 
Sambre, bekannt durch die Schlachten 1622, 1690, 17794 ımd 1815. Durch den 
Sieg, welchen hier die Franzoſen über die Dfireicher am 26. Juni 17794 erfochten, 
eroberten fie Belgien, und die feit einem Monate, nad) dem Falle der Feſtung Lans 
drecy, bedrohte Haupiil Frankreichs wurde dadurch völlig gefichert. Die 
der verbuͤndeten Armee berührten ſchon Perronne (etiva 18 Meilen von Paris); 
zwiſchen diefem Ort und Paris war Leine Feſtung mehr. Aber Pichegru hatte mit 
der Nordarmee den rechten Flügel ber. Berbürndeten umgangen und eine broßende 
Stellung gegen Flandern genommen, Charbennier mit der Ardennenarmee den lim 
Een Flügel zurüfgebrüdt, und Jourdan mit der Mofelarmee fich von Luremburg 
aus in Marſch gefeßt. Bei Dornick (Tournay) gewannen die Berbändeten endlich 
- wieder eine fefte Stellung; Pichegru wollte fie herauswerfen, ward aber vom Rat 
fer Franz ſelbſt zurücdtgefchlagen. ging die. Sambre : und Maasarmee, vereint 
mit der Armee der Ardermen, unter Jourdan über die Sambre, griff Charleroi an 
und eroberte es den 25. Juni 1794. Diefer Verluſt war den Oftreichern unbekannt 
geblieben. Der Prinz Koburg eilte von Nivelles herbei, um Charleroi zu Halfe zu 
fommen und zugleich einen großen Verſuch zur Wiederbefreiung der Niederlande 
zu wagen, Dies führte zur Schlacht von Sleurus am 26. Juni 1794. Während 
Koburg den Sen. Devay mit einem nicht unbedentenden Corps vor Tournay eine 
Stellung nehmen ließ, griff er Fourdan an, und der Anfang des Treffens berech⸗ 
tigte zu den fehönften Erwartungen. Schon war der Erbprim von Oranien mit dem 
rechten Flügel fiegend bis Marchienne:au⸗Port vorgedrungen ; ſchon hatte der linke 
Flügel unter Beaulien beim Angriff auf die. Bruͤcke von Auveloy und die Nebouten 
von Fleurus 20 Kanonen erobert, als Beide gegen Abend den Befehl um. Ruckzug 
erhielten, denn während der Schlacht hatte der Prinz Koburg die Tapitulation 
von Eharleroi erfahren und war von diefer Nachricht fo ergriffen worden, daß er 
den in der That fihon faſt errungenen Sieg aus ben Händen ließ und jede Hoffnung 
aufgab, die Niederlande zu retten. Noch iftes dunkel, was eigentlich denöflr. Feld⸗ 
beren zu diefem Rückzuge beflimmte; denn während feine beiden Flügel mehr oder 
weniger fiegreich waren, batte das Tentrum faft noch gar nichtsgethan. 1515 fiel 
in der Gegend von F. ziwifchen den Preußen and Franzoſen die Schlacht. von Liguy 
vor. Auf dem Müdzuge nach der Schlacht bei Waterloo (48. Juni 1815) wurde 
5. von den Sranzofen verbrannt. " z 
Fleury (Andre Hercule de, Sardinalund Premierminifter Ludwigs XV. 
geb. zu Lodeve in Languedoc 1658, fludirte die Schulmiffenfchaften in dem Jeſui⸗ 
‚tensollegium, und Philofophiein dem Collegium Harcourt zu Paris. Dank ward er 
Kanonicus von Montpellier und Doctor der Sorbonne. Am Hofe gewann er bald 
durch eine einnehmende Seftalt ımd einen feinen Berftand allgemeine Yunft, ward 
Almofenter der Königin und in der Folge des Königs. 1698 ‚eriheilee ihm Lud⸗ 
wig XIV. das Bisthum Frejus und ernannte ihn kurz vor feinem ode zum Lehrer 
Ludwigs XV, Syn der ſchwankenden Zeit der Regentſchaft mußte er fich das Wohl: 
wollen Des Herzogs v. Orleans zu erhalten, denner foderte feine Gnadenbezeigungen 
, und hielt ſich von allen Raͤnken fern. Der Herzog, der die Neigung des jungen 
Könige für feinen Lehrer bemerkte, trug ihm das Erzbisthum Rheims, eine der 


f \ € 


ie Sleury line) 20 © 148 


Häfen gifitichen Stellen in Frankreich, an; aber Fifchlug es aus, eier Herzog 
md’ Pak von freich zu werden, um fich nicht son feinem Zoͤglinge trennen zu 
mäffen. 1726 ward er Sardinal, und bald darauf ftellte ihn der junge König Lud⸗ 
wig XV. an Die Spitze des Miniſteriums. ‚Seitdewmleiters. der bereits 73jührige 
Greis bis gegen fein 99. jahr die. Angelegenheiten ‚feines Batrelandes mit vielem 
Otüde. Krieg, den er (1133) wegen der. poln. Königemahl:gegen Karl VI. 
und das deutfche Reich begann, endigte er ruͤhmlich; ‚er brachte in dem Frieden von 
1136 Lothringen an Frankreich. —* war der oͤſtr. Enbfolgekrieg für Frank: 
reich ungluͤcklich. F. ſtarb/ ver dem Ausgange deffelben; den 29. an. 1743 zu Iſſy 
bel Varia; Die Hegel’ feiner Politik war Erhaltung des Friedens. Während feines 
Pinifieritums vermittelte Frankreich den Frieden. zwiſchen dem Kaiſer und Spanien, 
peifchenn der ‘Pforte, Dftreich und Rußland; auch war er mehrmals bemüht, Eng: 
und wit Spanien aus en. So wog und leitete 3. mit weifer Maͤßigung die 
Angelegenßeiten Eurcpas bis 1740. ‚Der Krieg, der damals ausbrach, iſt Der ein: 
ijge Flecken feines Ruhms. Die beiden Brüder Belle: Zsle mißbrauchten fein hohes 
Alter nad ihren Einfluß, um ihn zu überreden, dag er mit einer mäßigen Macht die 
Groͤße Hſtreichs zertrummmern Tonne: eine Hoffaung,. welche Durch. Therefiens Hel: 
denmuth vernichtet wurde. Als 5. an die Spitze des Staats trat, befand fich 
Iemtreichiin der bedenflichften Lage. Die Finanzen waren gerrüttet, die Handlung 
verfallen, der Eredit vernichtet, der Hof wenig geachtet, die Kirche in Verwirrung, 
das Bittenverderbmiß allgemein, die Nation verarmt und entirüftet und von äußern 
Seinden beyroht. F., minder flolz als Richelien und minder raͤnkevoll als Ma⸗ 
rin, heilte Diefe tiefen Funden, und wenn er weniger berühmt iſt, fo gebührt 
ihm bei weiten mehr Achtung, weil er ohne Blutvergießen und graufame Mit: 
wi. Frankreichs Süd im Innern, fowie fein Anfehen von. Außen erhöhte und 


.$lenry (Claude), Abbe, Erzieher mehrer konigl. Prinzen von Srantreich 
ws Berf. einer großen Kirchengeſchichte, geb.den 6. Dec. 1640 zu Paris und ge 
bildet in dem Sefuitencollegium zu Clermont, wurde von feinem Vater, einem Ad⸗ 
vocaten, zum Rethtsgelehrten beſtimmt, und ırnt als foldyer 1658 beim Gerichts⸗ 
befe des Parlaments auf; allein bald entfchied er fich für. den geiftlichen Stand 
und übernahm 1672 die Leitung des jungen Pringen: von. Sonti, der mit dem Daue 
„hin gemeinfchaftlich erzogen wurde. Hier lernte ihn Ludwig XIV. kennen, welcher 
das fpäter.die Erziehung des jungen Grafen v Wermandois übertrug, und, als dies 
fer 1683 ſtarb, ihn nach Verlauf einiger Jahre um zeiten Hofmeifter der Prin- 
ga von Bourgogne, Anjou und Berry; ſowie zum Abt des Ciftercienferflofters Lot 
Dien ernannte. Er theilte fich mit dem berühmten Sencloh in die Sorge des lin: 
richte. der genannten Prinzen und wandte feine Wu den zur Ausarbeitung 
mehrer en Werke an, die feinen Mamen auf die Nachwelt brachten. Nach⸗ 
dem fein und Fenelon!s Sefchäft bei den Kindern der Eimigl. Familie beendigt war, 
belehnte ihn Ludwig. XIV. mit dem Priorat von Argenteuil. Ludwig AV. (Bleu: 
ry s and · Fent lon s Zögling) ernannte ihn, feiner gemäßigten Gefinmungen in ben 
damaligen Streitigkeiten en den Moliniften und Janſeniſten wegen, zu fet- 
wem Beichtvater, welche Stelle er. 1 Jahr vor f. Tode, großer. Altersſchwaͤche me: 
sen, nieberlegte.. ‚Ex flarb den 14. Juli 1723, 83 9. alt. F. mar ebenfo gelehrt 
ls beſcheiden, ebenſo fanft und gutmütbig als einfach in feinen. Sitten, und recht: 

Den feinengsielen gelehrten Arbeiten ‚nennen wir nur f. „Kirchenrecht“ 
(4687, 2Bde.), f. „Rirchengefeichte in 20 Quartbon. (Par. 1694), auf deren \ 
ee. 30 J. verwandte, und die, von Sabre, Pater des Oratoriums, 
w16 Don. fortgefegt, aus 36. Quartbanden beficht. (mehre Ausg. davon erfchie- 
u n Brüffel»Zaen u. a. O); ferner-feine Dieden „Über bie Frecheiten ter galli- 
ungen Kigcher', „LÜber Das bffentliche Recht in Frankrrich⸗, K„Geſchichte des 


250 Slenry de Epabanton .i’: Flibuſtier 


franz. Recheo“ u. f. — Werte von. bleibendem Werthe, fo verſchis 
* auch die Meinungen die hin und wieder darin ausgeſprochenen Anfichten 
ein mögen, — tn D— 
 $leuryde Chabeoulon (P.A. Eduard, Baron), ehemal. Cabinets⸗ 
ſecretair Napoleons, war ſchon im 15. J. Anführer eines Bataillons der Na⸗ 
tionalgarde; im 16. zog er. am 18. Vendemiaire (5. Ort. 1196) mit den emphr⸗ 
ten Parifern gegen .den Nationalconvent, ward gefangen und verdankte fein Leben 
nur der Theilnahme, welche die Vertwegenheit junger immer: erweckt. Untet 
dem Minifter Fermont bei der Finanzverwaltung angeſtellt, trug er durch ſeine Rede 
lichkeit dazu bei, den öffentlichen Schatz gegen mehre Beraubungen zu-fichern‘ As 
Staatsrathsauditeur arbeitete er in der Domainenverwaltung und erhielt nachher 
die wichtige Unterpraͤfectur zu Chateau? : Bois im Weurthedepart., wo erdie 
Einführung der Schußpoden auf: eigne Koſten befärderie. Napebcon bewilligte 
ihm bei diefer Gelegenheit (1804) eine der. beiden: für verbienflvolle' Beamte ges 
fhlagenen Ehrenmänzen. Bei der Hungersnoth 1812 gelang es ihm, anſehnliche 
Beiträge zur Unterftügung der Bedrängten zu ſammeln. Ebenſo anerumkdet:that 
er 1813 in feinem Amtsbezirke ben Fortfchritten der Kriegspeſt Einhalt, welche die 
aus dem Feldzug in Deutfchland zuruͤckgekehrten Fieberkranten verbreiteten. Bel 
dern Einfalle der Berbündeten in Frankreich mußte er mio femen obrigbeitlichen Ges 
ſchaften auch das Amt eines Kriegsanführers übernehmen. Er ward endkich bei 
dem DBorrüden der Feinde won feinem Poſten verdrängt und kam als Auditeur it 
Napoleons Hauptquartier, der. ihm einige Sendimgen auftrug undfpäter Die Praͤ⸗ 


fectur von Rheims übergab, das Eorbintau den Feinden entriffen hatte. F. ih 


auf erhaltenen Befehl, das Landvolk durch die Sturmglocke zu den Waffen tufen, 
Der feindliche Anführer drohte jeden Beamten, der das Belt bewaffnene,:fäe vogelt 
frei zu erklären; der unerfchrodtene Praͤfect aber verbreitete Eraftvolle Belanntmas 
chungen in dem Augenblicke, wo 25,000 Ruffen nach mehren abgewieſenen Aufs 
foderungen Rheims mit Sturm nahmen. Den Nachforſchungen der Feinde ent: 
ronnen, blieb $. in: der Stadt verborgen, bis Napoleons leßter Sieg ihm Freiheit 
und, Leben rettete. Nach der Rüdtrhr des Bourbonifchen Hauſes begab firh F. nach 
Statien, fam aber nach Frankreich an demfelben Tage zurüd, an welchem Diane: 
leon landete, der ihn zu. feinem geheimen Secretair machte, Wie er in fı hägbaren 
„Memoires pour servir &1’histoire du retour et du regne de Napolkon en. 
‚ 1815” erzählt, wurde er gleich ndch dieſem Ereigniffe zu einer Sendung nach Bas 
fel gebraucht, deren Abſicht nach feiner Erzahleng ſo gut gelang, daß Napsleoa 
Unterbandlungen mit Öftreich ankrüpfte, "weiche durch die Schlacht von Warerkoo 
geflört wurden. Nach Napoleons Abdankung begab ſich $., den die konigl. Ver⸗ 
ordnung vom 6. Marz 1845 geachtet hatte, nach London, mo er das genannte 
Werk berausgab, worin er über die Urſachen, die Napoleons Ruͤckkehr berbeifäfen 
ten, viel Licht verbreitet und der gefallenen Größe muthvoll die Huldigung ſeinet 
Liebe und Deiwunderung darbringt. | Es; 355 
— u eury (Bernard), ſ. Franzoͤſiſche Schaufpielfunft' und Park 
er eatet. * 
Flibuſtüer, ein Verein engliſcher und franzoſiſcher Freibeuter in Amerika, 
der zu den merfiwürdigen Erſcheinungen in der Geſchichte des 17. Jahrh. gehöre 
Na der Ermordung Beinriche IV, in Sranfreich (1610) fuchten verſchiedene Fran⸗ 
zoſen einen freien Aufenthalt auf St. Chrifteph, einer Inſel der. Antillen.‘ Den 
iefer Inſel 1630 vertrieben, fiächteten. einige auf die weſtliche Küfte von St.Do⸗ 
mingo, andre auf die ‚benachbarte kleine Inſel Tortue Mit den Letztern hatten 
fich viele Engländer, von gleichen Sefinnungen geleitet; vereinigt. Die Flüchtlinge 
auf St.-Domingo: befchäftigten fich vorzugsreife mit der Jagd der Dtierr, bie in 
großen Heerden wild umherliefen. Die Haͤute verkauften ſie an: bie. Seefahrer, - 


BSielbuſtie 434 


um ders Räfße lendeten. cu) weil fle udn Lu ſenders nach 

der heit der amerilaniſchen Wilden, bloß am roſteten, ſo erhielten 
fie, wegen dieſes Gebrauchs, den Namen Boucaniers. Ohne Oberhaupt und 
‚ und ohne Gemeinſchaft mit Weibern, lebten diefe Otierjaͤger in dem robes 

fen der Natur, je zwei und zwei zuſammen, und in.einer völligen Ge⸗ 
meinſchaft der Guter, welche fie theils durch die Jagd, theils wurch Mäubereien ers 
warben. Die Spanier, ‚die ihre Begner nicht bezwingan konmen, "fielen auf den 
Geronten, ſammiliche Stiere aufder Infel ausparetten, umd naͤthigten ſo die Dan 
anders ‚- Die dadurch ihren einzigen Unterhalt und Erwerb verloren, entweder als 
Coleniſten das Land zu bauen oder fich. mit den Blibuftiern.auf.der Inſel la Tortua 
ziverbinden, Diefe tollfühnen Abenteurer, die den Namen Flibuſtier roahrfehein: 
bi von einer Gattung kleiner Fahrzeuge, deren fie ſich bei ihten erſten Sitrtifereien 
ledienten / erhalten haben, griffen in geringer Anzahl nid aur mit geringen Mi 
tin, aber weit einer Kahnheit, die jeder Gefahr und dem Tode ſelbſt trobte nicht 
bloh eingelne Rauffahrer, fondern auch mehrz. zugleich, ja felbft bewaffnete Schiffe 
or Ihr Hauptmanoenvre befland darin, daß fie das feindliche Sohiff zu entern 
ſechten Sie machten vorzüglich auf. die ſpaniſchen Schiffe Jagd, die, mir den 
Cchäpen Amerikas beladen, nach Eumepn fegelten. Die Spanier maren endlich 
kurch Die Banfigen Uingküdtefälle, welche fie von den Flibufkiera erlitten Hatten , ff 
muthlos geworden, Daß fie felten ernftlichen Widerfland leiſteten. Eimft wurde sin 
der iee von 2 fpanifchen Galeeren, beren ‚jede 60 Kanonen: und 

4600 Mann an Bord hatte, überfallen. Es mer ben. Klibufliern nicht möglich zu 
mifieben; aber fie dachten auch ebenfo wenig daran, fick zu ergeben... Ihe Capt- 
sin Saurent bielt,eine kurze Anrede an: fie, ließ einem feiner Leute an die Pulver» 
Ber treten, mit dem Befehl, fie auf das erſte Zeichen, ‚das er ihm geben wuͤrde, 
hogieich anzuzunden, und flellte nun fein Schiffsvolk aufbeiten Seiten in Schlacht; 
nung. „Mitten durch Die. feindlichen Schiffe müfße wir ſegeln“, rief er feinem 
Leuten zu, „„arid rechts und links auf ſie fepiehen‘. Diefes Manoeuvbe wurde mit 
aerordentlicher Schaelligkeit volkführt. Das Feuer der Flibuſtier hatte auf. bei: 
den 26 fa viele Leute getodtet, daß die Spanier einen weidern Angriff aicha 
wagten. Befehlshaber der Galionen mußte mit feinen: Kopqe für die Schande 
hißen, welche ber (panifihen Nation.dadurch erwachfen war... Die büufig erlitten 
wen Unfälle machten, daß die Spanier ihre Schifffahrt in Amerika ehr einſchraͤnk⸗ 
ven, : Die Flibuſtier unternahmen nun Landungen an den. Kuͤſten und .pländerten 
die ſpani Städte., Ihr⸗ Art, den Raub;zu heilen, war ſonderbar. Jeder 
bee den Zug mitgemacht hatte, ſchwor mit aufgehobener:- Hand, bag er tom der 
Beute miches für: füch. behalten habe. : Ein falſcher Eid, der jedoch äußerft felten vor 
fl, wurde mit der Verbannung in eine unbeohnte Juſel beſtraft. Die Verwum⸗ 
deten erhielten zierfi ihren Antheil nach ‚dem. Verhaliniſſe der. Wunde, : Das 
Übrige wurde nach ven Köpfen in gleiche Ancheile durch das Loos vertheilt. Der 
Anführer erhielt nur: dann ; wenn er. fich befonders auagezeichiiet hatte, mehr als 
jeder Andre. “Auch die auf dem Buge Gebliebenen wurden nicht vergeſſen; ber auf 
fie fommende. Antheil fiel ihren Berwtindten oder. Freuuden, umd.in deren Erman⸗ 
gelung den Arwen unit den Kirchen gu. Denn bei allen ihren Laſtern hatten diefe 
rohen Menſchen doch eine gewiſſe Netigiofltät, und fie.fingen ihre. wichtigern Unter⸗ 
kehmungen immer wit Gebet an. Die vrworbenen Reichchũmer wurden in Spiel 
und Sachweltgerei verſchwendet, denn der Grundſatz diefer Mbensueer war, dem Au 
genblick zu genießen umbnicht fir die ſt zu forget. Klima und Lebensart 
versinderie,mach und nach die Zahl der Flibuſier, unddie vachdeücklichſten Mah⸗ 
vogeln der eugl. nnd fonnz. Megierung ſteuerten endlich dem Unweſen, das man frü⸗ 
Ser vielleacht nicht ahme ABſicht gudet: hastes: : Aue: daſem Sreraͤuberſtaate gin- 
gn die franz. Mir derlaſſan gen auf der weſtlichen Haͤlfte Kon St.⸗Domingo hervor, 








ty Siege: ": "Flinbere 


und mit dein Aufangs DIES. Juͤhrh Yhiten bie Rüubereierr- bei FUbuſfler gan 
aufgehört. : Eine Schiltueung ihttr Lebensart und eine Menge kuhner Tha 
enthält Rayılaps „Mefchichte beider Indien“, 10, Th., und der 2. Theil der 
„Hiſtoriſchen Schriften“ von Archenhol. J 
Fliege, eine Menge kleinerer und ge Inſekten mit 2 Flügeln. Die 
Naturgeſchichte, welche dieſen Begriff beſchraͤnkt, zähle ‚dennoch gegen 400 vers 
ſchiedene Fliegenguttungen. Die Stiegen nähren fi von Säften, die ſie ‚mittetf® 
eines Ruſſels einfangen. ®ie entſtehen aus Eiern, welche die Sonnenwarme 
ausbrütet, und welche fede Battung ‚ ihrem Inſtinkt gemäß, auf folche- Körp 
legt, die den Jurgert ſogleich zur Nohtung dienen. Die Jungen werden gewoͤhn⸗ 
lich geterft Maden, :d, h. Larven ohne Fuße. Manche Fliegen brüten,-befonders zu 
geeiften Zeiten, ihre Ser ih ihrem eignen Leibe aus, und geben alfo fcherı wiekliche 
en von fich. Diefe Maden, die mit allen Inſektenlarven eine große Sefräßige 
keit gemein haben, verpuppen fich, ſobald fie-ihr gewohnliches Wachsthum erreicht 
haben. Erſt ans dieſer Puppe entwickelt fich die * — Die fpanifche Fliege, 
die vormals aus Spanien zu uns gehracht wurde, woher auch ihre Benennung ent⸗ 
flahden iſt, gehört nicht unter Das Fllegengeſchlecht. Sie iſt ein 4 Zoll langer, 
ſchmaler/ glänzend. grüner Käfer mit ſchwarzen Fühlbörnern, der wegen feiner bias 
ſenziehenden Eigenſchaft auch Blafenfäfer genannt wird und ſich auf den Blaͤttern 
des ſpaniſchen Hollanders, des Liguſters und beſonders der gemeinen Eſche aufhält: 
Er zeigt ſich bei uns nur ai gewiſſen Jahren, in den Monaten Rai, Juni und 
Juli, und zuweilen in folder Menge, daß alle Blätter won ihm abgefreffen werden, 
Der‘ Geruch diefes Jaſekts iſt stelhafe füglich und betsubend, der Geſchmack: uns 
fange unmerftich,; nachher aber brennend und ätzend. Es iſt allon Dhieven, bis 
auf den gel, ein tödtendes Gift. In den Apotheken werden die paniſchen Fliegen 
unter dem Namen Kanthar iden zu blafenziehenden Pflaftern gebraucht, Man 
faınmelt fie bei segnigem Wetter oder .vor Sonnenaufgang, wo fie ganz ſtill 
fißen, tönt fie in eine gläferne Flaſche, tödtet fie durch Effigddmpf ober in rineni 
beißt Ofſen, und trodnet fie dann an der freien Luft. Zum Biafonziehen fireme 
man gepülverte ſpaniſche Fhiegen auf irgmd ein klebendes Pflafter und ‚legt dies 
auf. Mean darf fie ohne Machtheil nicht.zu ange ziehen Kaſſen; ebenſo fehr muß 
man fich. vor dein innerlichen Gebrauche hüten, ‚woraus Haenpumig, Blucharnen 
und ſelbſt der Tod entſtehen kann, F 
Flind ers (Matthias), geb. zu Doningtoman Lincolnſhire, bekannt Durch 
feine Entdeckungsreiſe, widmete ſich fruͤh dem Seedienſte. 1795 ſchiffte er fich nach 
Port⸗Jackſon in Neuſudwallis mit Capit. Himter em: ‘. Er fand an dem Schiffes 
chirurgus Baß einen ihm in Beziehung auf Erdkunde gleichgefunmn Ma, und 
Beide vereinigten fich ur Ausfuͤhrung ihrer Entdeckungsentwuͤrfe. Huf der Colonie 
fanden fie aber wenig Unterſtützung, und nur mit Muͤhe gelang es ihnen, fich ein 
Feines Fahrzeug, das von einem einzigen Schiffsjungen bedieut warde, zu ver 
ſchaffen. Indeſſen waren die beiden Frtunde fe glädlich, über mohre unbeßannte 
wichtige Punkte der: Kuſte und über den vauf des Bworofiuffes'geier Beobachtungen 
anzuftellen, welche die Aufmerkſamkeit des QCorwerneurs erregen: F. erhielt nun 
den Befehl über eine Corvette, und Bag wurde ein mit 6 Matroſen betmannirg 
— anvertraut, ww: damit ihre Entdeckungen fortzufeßen. Das Reſultat 
ihrer Reifen war die Gewißheit einer Durchfahrt zwiſchen Wandiemensland und 
Neuholland. 4798 erhietten F. und Baß den ˖ Befehl über rine andre Torveisei 
Sie unterfuchten Wie Küſten von Bändlemensiand: und überzeugten ſich von Den 
Daſein des Canals, der dieſe Inſel bori Reuholland erermut: Fu nannten, ſeinem 
Freunde zu Ehren, Baßſtraße. 1800 kehrie F. nach Londesrparüd.. gab: hier rine 
Schrift über die Kuͤſte von Vandiemensland und: eine Charte vor der Boaßſtraße 
heraus. Im folgenden Jahre ging er, nachdem: die Regigrang bie von ihm vdrge⸗ 


Slinte Flittergotd, 482 

legten Planei genehm harte pud Unterfucheng ‚der Nſten von Nevholland wies 
der ats England abi. “ wow jetzt rrichlich mirallen.Hulfsmitteln uerfehen, die fsis 
nen Bemühungen einen guten Erfolg ſichern konnten. Zwei wolle Jahre bracgterez 
jetzt zu, um die Tüdlichen und Aftlichen Küſten von Neuholland, die Meerenge Tar⸗ 
res und den Meerbuſen Earpentaria zu unterfuchen. Am 17. Aug. 1808 eslist ex 


rochen ſei. Obgteich er mit-einem Paffe Der franz Regierung verſehen mar, 
fo fand ſich der Befehlshaber anf Isle de France, wegen verfchiedener Unregeimäßigs 
feisen in demſelben, doch veranlagt, F. als Kriegsgefangenen zu behandeln und ihn 
beinahe "1 Fähre purachzuhalten. Die Entdeckungen der franz Reifenden Baudin 
und Entreoafaur in jenem Gegenden, welche in diefer Zeit gemacht und befanw 
wurden, ‚Hätten. die Folge, daß F.s Verdienſt nicht gebdrig anerfannt wurbe 
Auch erfielten mehre geographifche Puukte, „denen .er Damen gegeben, andre. Erſl 
1810 kehrte J. nach zurück, wo er ſich ſofort mit der Herausgabe, ſeinen 
Tagebficher uud Reifen befchäftigte, die m d. T. „Lay: à Terra Australis ete.! 
1814 in.2 Quattbaaden mit einem Atlas kurze Zeit vor feinem Ableben, ane 
Licht unten. Mech :werdient von ihm eine Schrift über den Gebrauch des Barın 
metens, une. Die Nahe der Küfien zu beſtimmen, bemerkt zu warden. 
Bliamte, em Schießgewehr, weiches von: dem; alten Worte Flins feinen 
Blunsen hat. line: nämlich (emglifch Stine wrd ˖ daniſch Flinta) bezeichnet einen 
Kiefel oder Hornſiein, dergleichen man ſich bei Diefer Gewehrgattimg, welche.am die 
Stelle ber Musketen trat, beiienite, : Zubreig XIV. wor.der Erle, der 1674. vin 
Regiment: unit Sliäten bewaffnen Sieg, twelches daher den Namen Füfelierregingenf 
befam, zum Unterfchied von den Musketierern. Man bat nachher diefes Gewehr, 
vervollkonimnet und mie. dem Schloffe Derimderungen: yorgenommen, theüs um 
grvgere Dicherheit des Eosfchirgens' zu bewirken, tbeils nın es vor dem Roſten und 
unjeitigen hg bewahren, Anfang wurden die Slinten oder Büchfen, 
nach Art der ide, mit⸗Lunten aus freier Hand abgebranut, machher erdacht⸗ 
man den Hahn/ in weichen die Bunte eingefchraubt murde, um fie mit einem Druck 
nach Dach Zimdinche: zu dciten. Dies war das Luntenſchloß.· Dann ſchraubte a8 
einen Feuerflein in den Hahn und brachte dabei ein flühlernes Rad ay, maelchen 
umlich und Feuer aus dem Kieſel ſchlug. Dirs if das alte zu Nürnberg 1517 ers 
funbene dertifche Schloß, dergleichen man uch an den Doppelhaken ſieht. Einige 
nürnberger Meiflerund auch Konig Guſtav Adolf brachten Derbefferungen darau 
an. So ſacher auch diefes Schloß if, fo nimmt das jedesmalige Aufziehen deſſele 
ben misiden Schluſſei Dach zus viel Zeit hinwet, als daß nicht Die franzeſiſche Ers 
ſindung des Schloſſes nut der Ruß und ter Pfonne, an dem man dem Dahn mis 
dem Daumen zurüdzieht und ihn gegen den Pfannendeckel abdrückt, wodnrch di 
fer gerädtgefehlagen wird und Feuer gibt, den Vorzug. hüste erhalten ſollen (S. 
Percaſſionaflinten.) ME .. * 
Flintg.las ober Kiefelglas, eine durch vorzügliche Reinheit und 
Helligkeit vor allen übrigen fich:auszeichnente Glasart, welche in England 
auch zu. Benedictheurn in Buiern) verfertigt wird. Es verdankt diefe orale 
dem beigemiſchten Bleileike. Oolland hat es in Verbindung mit dem E rarons 
glas (f.d.) zur Derfertigung, feiner achromatifchen Sernröhre angewandt. G. 
Doltis nd und i raunhofer.J)j. a A 
: Ehitrergobd, Zlätterfilber, $littern, Erzeugniſſe der 
kuggold ſchlager, werden vorzüglich is Nurnberg / Berlin und Wien aus jeifchen Le⸗ 
der dunn geſchlagenem und cementirtem Meſſing verfertigt und. zu allerlei Putz aw 





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ſchichte der Hofnarren (Eben. —** re 
des Wurlesten‘‘, welche nad deb :lierfoffere Tore (1184) ber. 
Flor, Gaze, Dr fine un ⏑ ⏑ ale Benheren, vom Exit, Bf 
felgarn md auch von Felle. - Frankreich und Italien liefern die fehäuflen Arten, 
=, Blemenftor (ter Sischepfind der Blumen. —— nen in Der 
Vötanit Fler alle die Pflanzen, die in einer gemiffen G ——— In 
dieſeim Sinne nehmen die Botaniker für Europa, zeit der eurspäifchen 
Bartei, fü! Siören on: die nordifche, Die See, Die Hreicifige, ie pie 
ad ie apenniniſche. 
era, » bei den Orion Shlaris, Die Gittin der Dlumeen sind Blkähen, 
des Beinftede., Sie war die Gattin des Zephyhrus 
— — ne meibtiche Figur abgebildet, mit einen Viumenkrauje 
tem Kopfe oder in der linken Hand; ea Ave bee 
Überfluffes. Ihe ja Ehren warten in Bam die Anenlifigen 
Ken, Be Auberfi ausfhichfenb warn. — — 


327 
Eins 


ı Seerhj 488 

Becher fanden ıbiehe Farbe trefflich, worauf bei. Erfinder fie in Wienge.urib in grbe 
po sid it.Heferte, der. * ME ER * 
toren; Etal. Firenze); Hamptſtadt des Großherzogthiams Toerand und 
Ei der Landesſtellen (mit 10,000 H. und 718,000 :Einw.), gehört wegen ihrer 
Kunſtſchaͤtze, beſonders Werke der Baukunſt and Malerei, und wegen ihrer 


Merkwuͤrdigkeiten und ihres Gewer zu den —2 
Sudem der Belt. —* t in einem —— —— Thale und oh 
vusih den Arns in / zwei ungleiche Halften getheilt, welche durch 4 fleinerne'Brüs 






den mil: der in Verbindung ſtehen. Day Mima iſt mild und geſund. In den’ 


Umuhen des Mittelalters ſchwang ſich Florenz zu einer ſeltenen Bluthe ber Mache 


ai welche befonders durch die Familie Medici (f. d.) glänzend entwidelt und 


befefligt wede, daß es fein Haupt über alte Nichbarſtäaten erheben und diefe 
unter feine: · Botmaßigkeit bringen konnte. Aus dieſen Sehen ſchreibt ſich auch Die 
hentige Geſtalt Der Stadt der, deren GSebaude groͤßtentheils yı Schub md 
agelegt find; wie es die damaligen Parteienkriege nothwendig machten; aber wenn 


der Architrktur auch jene heitere Eleganz griechiſcher Formen abgeht, wie fe Dollar, 


Ne in Bicenza und Denedig herworrief , fo befigt fir dafür alles Edle, Wahre und 
edisgene eines maͤnnlichen Styls. Wen diefee Art find z. D. der Palaſt Pitti 
hen Großherzeg bewohnt, wo bie herrlich⸗ Galerie) mit dem feiner Bage wegen 
mrnefener Garten mer er — und Nicareı (damals Medien 
alte unregelmäßige Rathopalaſt am gro tabtpla jazza del re 
daca). Die Außenſeiten der Kirchen ſind *7 faſt alte ——* das Innere 
hingegen, in Rädficht der Bunsart und Ausfehmädung, groͤßtentheils wurdig und 
. weteefflich,. Der Dem (ta chetia politane), ein: riefenhaftes. &baude aus dem 
- 18 Johrh., von Außen gang mit ſchwarem und weißem Marmortbekleidet, prangt 
nwit einer hoben, von’ Brunellescht erbauten Kuppel. Ihm zur Seite ſteht der ziers 

Ipe, nach SHorte’s Zeichnen erbaute Glockenihurm, und gegenüber die uralee 
Ynıfcapelle (Battisterin); mit den in Er) gegoffenen- Thüren von Gh iberti (f. d.) 
u Andrea Piſano. Der Dem wird in dem Buche befehrieben‘: „La "metropoli= 
ana forentina ilfustrata” (Fler. 1820): DieKirche Se Lorenzo enthalt die mit 
Precht übirfadene, aber unvollendete Kürftengruft; zugleich die Monumenie ber beie 
ten Medici mit: den berdbunm Statuen des Tages, der Nacht, Dämmerung und 
NMorgenrdthe, in weichen fich Mich. Angelo veremige at. In dem Ktofter befindet 
fi die ihrer Codices und Handfehriften wegen hochſt koſtbare Laurentiniſche Biblia⸗ 
thek. Die Kirche St. rove beſtht, außer einem: Schahe von Denkmalen alter mid 
euer Kunſt, bie herrlichſten vateriandifchen Mauſolren! amtrr welchen wit nur die 
—— — Macchiavelli, Galilei und Atfieri nennen. Die Kirchen Et. 
Narco, St: Nunenciata, in deren Kreuzgang ſich Vieles von dei Sares finder, 
St⸗Naria Movella, wo Die herrlichſten Werke von Eimabue amd den üteften Flo⸗ 


reitinern, Ot.⸗Spirits, &t.:Trinita find ebenſo wardige Vempel der Andacht als 


VDeſeen der Kunſi, umd vorzüglich veich an den ſchaͤtzbarſten Freocogenialden ter 
Reiſter, unter weichen die von: Mafactio in der Kirche’del Carmine noch heute den 
Snſſtlern eine Quelle des Geudicime ſind, wie ſie ro einſt für 2 da Winch) MRS: 
—— wi N geweſen · Auch in den Palaflen finder man Gäterken 
Saum von⸗ 
da find —— er und befonders. Pitti, welcher ietztere alle nach 
De uf re Schahe, und unter dieſen Die Madonna della Sedia, zurücker 

ihrer 







ing ſindet man in Spety s Wert Aber Itallen. Doch wicht 
wur dieſe, fondern vielleicht alle Sammlungen Eurvpas verdankelt durch Anzahl und 
*& er Kumſtwerke die großherzogliche Galerie. (Eine Sammi. in timräfen 
vn dieſer Galerie ward durch die Conſervatsren Zannoni, Maltalvi und Vargigli, 
unter der Leituig: des Petra Dervenuti, in 100 Lieferungen vetanſtulitt.). 


ogen Aller Art. Rrich am den trefflichſten Gernale 


—32 


138 * 


antifen Statuen grhoͤren zu ihre — — 
beiten Ringer, Der Apollia der tanzende Faun, der Schleifer, ‘der Hermaſhrodic 
die Oruppe der Miobe, Amer und Pſoche u. ſ. w. Unter ten Gemaͤlden behäupten 
den erſten Rang die in der Tribume befindlichen von Mafael (das Bid 


Angelo, Cocreggio, Fra Dartolomeo u. A. Sie wird befdgrieben in dem Buches 
„Rei galteria di Firenze isciss in cartonni“ (Stier. 1824). — in ihrer 
Art ift Die Sammlung von beinahe 400 Bildoiſen der beruhinteſten Waler , de 
von den Meiflern ſelbſt gemalt. Noch befinden fich hier die Sammlungen alter 
euer Brongen, Münzen und der koſtbarſten gefchmittenen Steine, die, wie * 
Abrige, Jedamann mit uneigenmügiger Hoflichkeit gezeigt werden und ber Bene 
Ei offen fichen. Auch die Akademie der fchönen Künfte, die unter der Zeitung 
Y) —— Merghen’stüchtige Schüler bitder, befikt eine fchome Galeri⸗ 
alter florentiniſcher, aus anfgebobenen Kloſtern und — hierher vers 
feßter — Nicht minder berũhmt find die wiſſenſchaftlichen Anſtalten. Flo⸗ 
renz hat eine 1488 geſtiftete Univerfität, die Accademia della crusea. die Akad, der 
Georgefili ıc. Außer der Laurentiniſchen und vielen andern Privatbiblisthefen, 
musee Dehdren die bes Großherzogs die kofibarfien Werke der neuern Lureranır in 
allen Sprachen fammelt, find noch die Marucelliana und WRagliabecchiang berühmt, 
—ã (ehr reich vexh an Danhfpriften und den feltenfien gebeuchten Büchern il 
„welches in 40 Ei bedeutende Samm⸗ 
nn für — ta nif und Zoologie enthalt, verdient ſchen der weiter: 
haften auatomifchen Wachspraͤparate wegen, die unter Fontana's Aufficht von Cle⸗ 
mens Dafıni d berfeetigt find, Bewund und rechtfertigt die Ansrufuugen des 
begrifterten Dupaty. In den Gpitälern Ör.ı Maria nnova und ©.:Bonifacio 
—— hunger Beute Gnleamnbei, unter der Leitung geſchickter Lehrer 
— —** und praktiſch mit der Heillunde zu befchäftigen, deren Studiums 
medicinifche Bibliotheken, ——— Theater, botaniſche Garten 
u. * w. —— wird. Bon mehren Theatern find gewöhnlich —— 
und das Ballet, beide mit Prache und Geſchmack a tet, ver: 
de um peter della Pergola, die komiſchen Opern im Theater 8* ocomero aufs 
arfüber. ch Außerdem gibt es mehre Winkel : und Marionettenthecrer, and auf den 
hen treibt bei Tag und Macht der hoͤchſt ergößliche, witzige Pulcinello in einer 
wandernden Breterbude fein Iuftiges Weſen. Der unbefchreiblihe Zauber, den 
Storenz auf jeden enpfünglichen Menfchen ausübt, iſt nicht nur in den Einf 
einer reichen und beitern Gegenwart, fondern auch in den Erinnerungen an eine 
- — Dprzeit, deren Denkmale bei jedem Schritte aufſtoßen, zu ſuchen. Mehr 
als das Andenken an feine kriegeriſche Sröße, an feine Helden im Mittelalter und 
on die AH auch polttifch merfwürdige Kirchenſynode von 1478, befchiftigt dem 
Greif danke, daß Künfte und Wirfenfchaften bier ver allen andern Orte 
geblüht und Die — Früchte zur Erquickung und Wiedergeburt Europas ge 
wagen haben. “Die gefelestfien Namen der italieniſchen Literatur und Kunſt find 
darentinifpen Urfp runge. ‚Bildung, Karſtſinn und Geſchmad, die, früh geweckt 
und genaͤhrt, das ae ter Sprengo’s von Medici-g einem der glänzendfien in der 
Geſchichte machten, fcheinen fo tiefe Wurzeln. geſchlagen zu haben, daß fie do6 fie ns 
heute. noch hervorſtechend find. Die Sprache, ſelbſt des gemeinen Wlammes, ig 
ebenfo sein und zierlich 2 an feinen und witzigen Wendungen; überhaupt iſt 
das Volk heiter, gefällig, lebensluſtig und ſchauſpielſũchtig, wie alle 
Sytaliener, aber in Fleiß und Induſtrie übertrifft es * meiten. Floxenz, befist be: 
rahmte Seidenmanufacturen und Färbereien: feine Yrbeiten in —8 Metall, 
Moſaik, feine Stroheeſlechs Kusihen, Pianefsrie,. mathematifhe ud phpfile: 


| 1 Flotcti· Florian: vo | 75% 


ME Infienhsehte, Druckerelen; kurz alle Segenflinbe, Die Kam Wenärfiiffe oder 
dem feinern SSennnffe des Lebens zu ſtatten kommen, werden ausgegichnet gt geare 
beket;' der Händel (mit Lworno) ift beträchtlich. Die ganze Umgegend gleicht einem 
blahender <’srten und fcheint, von einer Anhöhe Betrachtet, mit Villen und Därk 
fern überfäet, Die, wie Ariofle ruͤhmt, ein zwiefaches Rem abgeben würden, wenn 
son fie zuſammenrücken und mit einer Ringmauet umſchließen fonnte. Ein Part 
wit einer BReterei Dicht ander Stadt, die Eafeine genännt, rwimmelt jeden Abend, 
beſenders an Feſtiagen, von fehöner Welt; auch die großherzoglichen Luftfchlöffer‘, 
Poggio imperiale, Sarreggi, Pratolino (mit dir Biſdfaule des Apennin), Poggio 
Cajano, ben der Natur und Kunſt reichlich geſchmuͤckt, geben reigende Punkte zu 
den khönften Ausflügen ab. So führt Florenz den Beinamen 1a beila mit volle 
Recht ımd gertießt, faſt mehr als Nom, "die Huldigungen der Wanderer, welche 
den Seburtsoet: des Boccaccio und Macrchiavellis ſiets ungern verlaffen. Dem 
Heifenden gibt Aundkunft die „Naova guida per In cittä di Firenze” (mit Au: 
fihten, Flor. 1820), 2x; 
Florett, das rauhe Geſpinnſt, womit die Seidenwuͤrmer ihr Gehaͤuſe ame 
fingen, ehe fie ordentliche Fäden ziehen, und welches nicht mit abgehaspelt werden 
kann, fontern gefponnen werden muß. Die aus diefer Seide gewonnenen Bänder, 
Beuche u. f. ro. erhalten. zugleich durch den Zuſatz Flor ett die Bezeichnung ihrer 
It und Gattung. " 
Flor ian (Jean Pierre Claris de), Mitgl. der franz. Akad. ein fruchebarer 
iftſteller voll Annnuth und Seift, geb. d. 8. Marz 1755 auf dem Schloſſe Flo⸗ 
rin unmeit &ause in den Nieder: Sevennen, verdankte feiner Mutter Gilecte de 
Salgue/ einer geb. Eaftilianerin, die lebhafte Neigung für die ſpaniſche Literatur. 
Die damit verbundene Hinneigung zum alten Ritterchum, welches aus den roman: 
then Dichtungen der Spanier anfpricht, Kißt fich deutlich in feinen Werken er: 
kanm. Ein Oheim F.'s hatte eine Nichte Boltaire's geheirathet; fein Vater ward 
von dieſem beruͤhmten Schriftſteller geliebt, und der Dichter der Henriade“ fand 
Vergnügen darin, die angeborenen Talente des Sohnes feines Freundes zu entiok 
dein, der bald fein Liebling wurde. F. trat als Paye in die Dienfte des Herzogs 
von Penthicvre und verfebte den größten Theil des Jahres mit dem Herzoge in Pa⸗ 
rit, wo dArgental, ein Freund Voltaires, der Gelehrte und Künftler um fich ve 
fimmelte, ein Privqttheater Hatte erbauen laſſen. Hier trat F. zuerſt mit feinen 
theatraliſchen Arbeiten auf, in denen er die Rolle des Haelekin feibft übernahm, 
un wovon „Die beiden Billets” noch fegt gern gefehen werden. Er machte fich 
ſagleich Durch die gefrönten Preisgedichte: „Voltaire et le serf.du Mont- Jura”, 
ferner durch f. Efloge: „Boas’ et Ruth“, bekannt. Weniger Beifall erhielt feine 
bobſchrift auf Ludwig XII. 1788 wurde er Mitglied der franz. Akademie. Beim 
Ausbruche der Revolution ımd nach dem Tode des Herzogs von Penthievre hatte 
efih, auf das Decret, dasalle Adelige aus Paris verbannte, nach Seauxr begeben. 
Hierwarder, während er ſein Gedicht „Ephraim‘‘ zu vollenden beſchaftigt war, auf 
Vefehl des Sicherheitsausſchuſſes verhaftet. Der Sturz"Robespierre's rettete ihn 
vom Öfntgerüft und erlaubte einem feiner Freunde, fürfeine Befreiung zu arbeiten; 
lkider war es fchon zu fpät; Die erfahrenen Leiden, vorzüglich die deinliche Ungewiß⸗ 
heit, in der er lange das Schlimmſte fürchten muͤſſen, hatten feinen Geiſt niederge: 
draft. Einige Tage nach feiner Befreiung flarb er am 18. Sept. 1794 yı Seaux. 
As Dichter hat ſich F. in mehr als einer Sattung mit Gluͤck verfucht. Im Allges 
meinen find Leichtigkeit, Anmurh, Wohllaut und eine bei den Franzofen feltene Ge⸗ 
müthlicgeit die bervorftechenden Eigenfchaften feiner Werke; in den hoͤhern Gat⸗ 
tungen aber fehlt es ihm an Lebendigkeit, Kraft und Colorit. Er fchildert die Sit⸗ 
ten mit treffender Wahrheit. Mor Allem gelangen ihm Gemälde aus der Schäfer: 
Belt, wie z.B. inf beliebten „Eftelle“, und als Kabeldichter ſteht er in ber franz. 


eo‘. 





458 Florjda Floridp-Planca 
nach Lafontaine. Boltaire nannte 


womit die Sattung, in welche 5. —S— 


Mamen 7 

Bart, Galathue (nach Cervantes), Fables, Contes en vers, zugleich ſehr treffend 
bezeichnet wird. Peine Hauptwerke find: , „Estelle”, „Gonzalve de Cordoae‘; 
„Numa Pompilios‘, und von feinen Theaterarbe iten die bereits genanuten Deux 
billela. Seine freie Bearbeitung des „Don Quixote“ lieſt ſich wie ein franz, 
Driginal und gewährt, wie groß auch die Verachtung fei, mit welcher unfere neuerm 
— auf fie herabſehen, eine höchſt anziehende Unterhaltung. Das 

erfchien erfl nach dem Tode feines Verfaſſers. 

Were Lo rida, feit 1822 ein Gebiet der Berein. Staatenvon Nordamerika, ifl 
eine füdlich in den mexikaniſchen Dieerbufen bis zum Bahama-Eonale ſich hinabe 
giehente, 10 Meilenlange und 20 — 30 M. breite Halbinfel, die an Lonißana im 
S. und andas atlantifche Meer im D., an den Staat Georgien im N. grenzt, bat 
mit Einſchluß deu zu Louifiona ‚gefchlagenen Theils des: ehemaligen 
27145 IM. und etwa 20,000 weiße Eu. Der Fluß Apalachicola theilt das Land 
in OR: und Weſiflorida; injenem iſt die Hauptſtadt S.⸗Auguſtin, in diefem Pens 
ſacola. Andre Fluͤſſe von Bedeutung darin find: der Miffifippi, St.: John, St.⸗ 

. Der See Mapaco, die Baivon Penfacola, Apalache, vom heil. Seift, die 
Gorlos- und Syatoimbai, das Vorgebirge Sable verdienen Erwähnung; im au 
nern gibt es die mit der apalachifchen Sebirgskette zufammenhängen. 

Klima ift inden —ã und in den Ebenen heiß, aber größtentheils gefund. 32 
Land iſt reich an Producten aller Art, vorzüglid aus dem Thier⸗ und Pflamzen 
reiche. Die Einwohner theilen fich in Eingeborene, die unter ihren eigen Obers 
hauptern fichen (Ereesindianer und Moscoculgen), und Europäer (Spanier, Frans 
ae und Sriechen); Die Leßtern wurden durch die Briten, um ben 
cultivicen, aus dem Archipelagus dorthin verfeßt, —Se— fafı game 
ausgeflorhen. fein. Im Frieden zu Fontaineblrau (1762) mat Spanien Florida 
Das. ihm nie ie febr einträglich gemwefen war, bis an den Miffifippian England ab, ers 
hielt es aber im Frieden zu Derfailles (1782) zurüd und trat es 1819 an die 
Derein. Staaten (ſ. d.) ab 

Glorida:dlonc a (Francois Antoine Monine, Grafv.), fan. Spmates 
miniſier unter Karl IH, ein Mann von großen Thaten, der viel zum Beſten Spa⸗ 
niens unternahm, aber auch einen großen Wechſel des Schidfals erfahren mußte. 
Sein Familienname war Domino. Er murde 17130 zu Murcia geboren, wo fein 
Vater Notorius war, fludirte auf der Univerfität zu Salamanca und machte ſich 
. bald fo bemerkbar, daß ihm der wichtige Poften eines fpanifchen Sefandten gı Rom 
unter Clemens XIV. anvertraut rourde, wo er in —— Füllen große Ge⸗ 
ſchicklichkeit zeigte, befonders durch Bewirtung der Aufhebung des Jeſuitenordens, 
und zur Wahl Pius Vi. viel beitrug. Als Kal Il. fich genöthigt ſah, feinen Mis 
nifler der auswärtigen Angelegenheiten, Grimaldi, zu entlaffen, und von ihm die 
Wahl eines Nachfolgers verlangte, fchlug diefer den Monnino ver. — 
wurde hierauf zum Grafen von Slorida-Blarıca ernannt und erhielt zu feiner Mi⸗ 
nifterfielle noch das Departement der Sinaden: und ? uſtizſachen und die Oberaufe 
ſicht über die Poſten, Heerſtraßen und bffentlichen Magazine in Spanien, ſodaß 
fein Anfehen faft uneingefcpränft war. Er legte Diligencen und fahrbare Pofls 
fragen an, richtete auf die wichtigſten Zweige der allgemeinen Polizei feine Serg⸗ 
falt, befonders in der Hauptftadt, verfchönerte diefe, und zeigte ſich allenthalben als 
einen thätigen -Befdrderer der Künfte und Wiffenfchaften. Das gute Bernehmen 
zwiſchen dem fpanifchen und portugiefifchen Hofe fuchte er (1785) Durch eine Dope 

pelheirath zu befeftigen, doch wurde feine Abficht , einem fpanifchen Prinzen bie 
Thronfolge in Portugal zu verfchaffen, * erreicht. Die kriegeriſchen Unternebs 
mungen, zu welchen er feinen Monarchen bewog, ber Angriff gegen Algier (1771) 


Sloris . . Bidße 488 


und die Belagerung ven Gibraltar (4'182), hatten einen nachcheiligen Ausgang, 
Kurı vor dem Tode Karls III. im Oct. 17188, verlangte er feine Entlang und 
legie dem König eine Rechtfertigung feines geführten Minifleriums vor. Der Kir 
wis billigte die ſelbe und verweigerte die Entlaffung. Aber unter Karl IV. gelang eg 
feinen Feinden, unser denen auch der Friedensfuͤrſt war, ihn 179% zu flärzem. ‚Sein 
Nachfolger war der Graf Aranda (f. d). F. wurde in die Citadelle zu Pampelona 
gebracht, nach einiger Zeit aber freigelaſſen und auf feine Guͤter derwieſen. 1808 
exſchien er noch einmal auf dem Schaupiage beider Derfammlung der, Cortes, 
farb aber im nämlichen Jahre am 20. Row, fat. 80 Jahre alt, : .» -: 
Floris (Franz), ein niederfändifher Maler, deſſen Familienname de 
Brieabt. war, geb. zu Antiverpen 1520, von feinen Zeitgenoffen der niederländifche 
Rafel genannt. Er fludirte die Malerei zu Lüttich bei Lombard. Der Schüler 
übertraf bafd feinen Meiſter. G. ging mach Antwerpen zuruͤck und errichtete. Das 
ſelbſt eine Schule, hierauf nach Italien, wa die Meiſterwerke Mic, Angelo’s fe 
um Geſchmack, befonders in der Zeichnung bildeten; doch erreichte er die Anmuth 
und Reinheit der Formen der florentinifchen und romifchen Schule nicht. Seine 
Manier war groß, aber an feinem Colorit und den Umriſſen feiner Figuren wird 
Berfchiedenes getadelt. Mach der Ruͤckkehr ins Vaterland erhielt en wichtige Be⸗ 
fellungen von Gemaͤlden und erwarb fich bald Reichthumer, verfchwendete fie aber 
wieber durch Unmaͤßigkeit. Er rähmte fich,. der flärkfte Trinker feiner Zeit zu fein, 
md machte, um dieſen Ruhm zu behaupten, die. unfinnigfien Betten. Er malte 
mit anßerorbentficher Leichtigkeit, und, vom eine befeuert, war er in der Ausfuͤh⸗ 


rung bisweilen fo kuͤhn, daß er felbſt darüber erflaunte, wenn er feine Arbeit nae 


_ Iermitnüchternem Auge betrachtete, Aber diefe Unmäßigfeit fidrzte ihn früh ine 
Grab. Die meiften feiner Werke, namentlich feine Triumphbogen für den Einzug 
Kater Karls V. und Philipps IN, in Antwerpen, und die 12 Arbeiten des Hercules 

find von geſchickten Künftlern gefiochen worden. Seine Gemalde finden ſich in 
Flaudern, Holland, Spanien, Paris, Wien und Dresden... Er ftarb 1570. 
Wenig Känftier haben fo viele Schuͤler gehabt, er hatte deren 120. Unter ihnen 
waren feine beiden Söhne, von.denen Franz Floris auch als Dialer; beruͤhmt 


Slorms (Lucius Annäus), ein romifcher Sefehichtichreiber, wahrfcheinlich 
Spanien oder aus Sallien gebi’-tig, Er Iebte im Anfange.des 2. Jahrh. nach 
Ehe. und ſchrieb eine kurze —* t (Epitome) der romiſchen Sefchichte in 4 Buͤ⸗ 
Gern, von Erbauung der Stadt bis gar erſten Schließung bes Janustempels unter 
Anguftus. Sein Siyl ift blühend, aber für die Geſchichtſchreibung nicht:einfach 
ang. Einige halten dafür, das Werk des 3. gehöre dem Auguſtiſchen Zeitafr 
kran, fei aber, in Sachen und Sprache interpolirt, auf uns gefommen. . Die 
— iſt von Duker (Leyden 1744); neuere von Fiſcher (1760) und 
Floöße. Um Bau:, Schiff⸗ und Zimmerholz zu Waſſer ausführen 
finnen, — auf mehren Perl in Süd: und —E ße —* 


fläche Fahrzeuge erbaut, die, wenn fie von einiger Bedeutung find, ſich dem Auge 


‚ ds ſchwammende Inſeln darftellen. Die größten Fahrzeuge (Sicher Art hat, unter 
dem Namen Holländerflöße, nur der Rheinftrom, weil Holland, des meiften Hols 
#5 für feine Marine, ſowie andres Bauholzes bedürftig, dem großen Holzhandel, 
der einen der wichtigſten Artikel der Ausfuhr auf dem Rhein ausmacht, den vors 
en Markt darbietet, da es nur einen Theil feines Bedarfs bei offener See 
ms dem Norden beziehen fann. Ein Selländerfioß Fi anzen, ” * Fänge 
emandergele umflänynen oder Balken von Eichen, Tannen, Foͤhren u 
Sehen, 4 —— 92 Fuß Länge, 20 — 30 Zoll Dicke haben, und durch Floß⸗ 
band ua Floßwieden mit einander verbunden werden, zuſammengeſetzt. Es bes 


480 7 Biße 


Sieht durchgehende aus 8 Haupttheilen, nämfich dem Steifftacke und 2 Mnieen 
oder :ewmmalligen Slößen, deren jeder wieder aus 3 heilen, dem Miirtelftäde und 
3 Anhaͤngen, gufammengefeßt if. An den äußern Seiten der 'Iegtern find. über: 
Dies noch Viele einzelne, oder zu 2 und & der Breite nach mit einander verbsms 
dene Tannenſtaͤmme befeſtigt. Die erften heißen Streich, die andern Schormäfle. 
Das Steifſtück ift der rwefentlichfte und vornehmſte, aber auch der unbehtifflichtte 
Theil eines Syolländerfloffes. Zuweilen macht es auch mit feinen Anhängen das 
Ganze aus, und beftedt, den Boden mitgerechnet, aus 4, und au manchen 
Stellen aus 5 Lagen Holzes über ‚einander. Die Richtung in der Fahrt wird 
ihm durch die Knie = oder bewegliche Worverflöße gegeben. Die Anhänge zu beiden 
Seiten haben eine verſchiedene Beſtimmung. Wrbrend der Fahrt dienen fie, den 


Stoß beim etwaiger Anlaufen des Floffesan die Ufer abzuhalten, beim Lan: - 


erfien 

Ben dazu, "dab das Floß zum Stehen gebracht wird, und endlich bieten fie bei Un⸗ 
gluckofallen das Holz zu neuen Böden bar. Am äußerfien Ende des Floffes befins 
den fich eine Reihe Ruder (auch- Riemen und Etreiche genannt), die fich je zwiſchen 
2 und 2 hölzernen Bapfen bermegen, An dem einen Ende bat es ‚gewöhnlich 20, 
und am entgegengefekten Ende 22 dergleichen Ruder, außer denen, die fich auf 
jedem Anhande deffelben befinden. An jedem Ruder find in der Regel 7 

zum Arbeiten angeftellt. Ver Steuermann, welcher das ganze Fahrzeug dirigirt, 
gibt auf einem erhabenen Stuhle das Zeichen, obrechts oder links gerudert werden 
- fell. Dem Stoffe gebt eine Stunde weit ein Machen voraus, umwegen der Schiffe, 
Muhlen und Brüden Warnung zu geben. . Es wird von 16 — 20 Machen (jeder 
mit 7 Wann), wegen der nöthigen Anker, Seile und Taue, begleitet. Einen Rachen 
mit Anfern, den man voraus-an das Land führt, um dem Floffe inden Krümmuns 
gen die Richtung defto ficherer zu geben, nennt mar den Poſtwagen. Die Ber 
ftandrheile eines ſoſchen großen Floſſes find folgende: Eine beinahe vollflindige 
Wohnung für den Flößer, Küche, Backerei, Kammer des Küchenmeiſters, Waſch⸗ 
Haus, Magazin ir die Lebensmittel, Wohnung des Steuermanns, eine Hütte 
für die An te, 6 Hütten für die Ruderknechte, wovon jede 50 Mann auf: 
nehmen kann, Diebflälle, ein Schlachthaus, eine Wohnung der Köche und eine 
Huͤtte für 7 Mann am fogenannten Kapftänder. Das Floß hat rechts und links 
Anhänge, um es flott zu halten, wenn es vor Anker liegt. Die fogenannten Kniee 
des Floffes dienen zu deffen Leitung in den Krümmungen des Stromes, und auch 
dieſe haben ihre Anhänge. Die Bemannung eines Holkinderfloffes beſteht gewohn⸗ 
lich aus 500 Köpfen. Es bar 20-40 Anker bei fih und bedarf für eine Reife 
nach Dordt in Holland 40 50,000 Mund Brot, 12 — 20,000 Pfd. Fleiſch 
J0 — 15,000 Pfd. Kaſe, 10 — 15 Sentner Butter, 8 — 10 Centner geſalzenes und 
60 — 80 Eenmer trodenes Semüfe, 5—600 Ohm Bier u. f. m. Den beflen 
Begriff von der Größe eines folchen Floffes macht man fich, wenn man bedenkt, 
daß die Rheinſchifffahrtsverwaltung anden Zollämtern für Mannſchaft, Provifion, 
Anker und Serärhfchaften 6000 Eentner in Abzug bringen füßt, die nicht verzollt 
werben. Solche große Hollinderflöße, die man nach der Verſchiedenheit ihres 
Baues gepadte oder ungepadte nennt, werden. nicht auf einmal, fondern aus den 


som obern Rhein, dem Neckar, dem Main und der Mofel kommenden Eleinern ' 


Flögen zufammengefeßt. Die Hanptbanpläge hierzu find bei Wanheim, am Außer: 
fen Ende des Necars, kurz vor feiner Mündung in den Rhein, zu Kaffel, Mainz 
gegenüber, beim Einfluß Des Diains in den Rhein, oder unterhalb der Stadt an 
dem fogenannten Sartenfelde, und zwifchen Andernach und Unkel an dem Rhein. 
“Für die kleinern Flöße, die über den Main zum Bauplatz bei Kaffel gebracht wer: 
den, liefern die Waldungen des Fichtelberges und die Provinzen Bamberg, Würp 
burg und Baireurh Das erfoterliche Holz. Der Schwarzwald in Wurtemberg und 


» 


Baden gibt hauptſachlich die Materialien zur Erbauung der Kleinen Floße, die von 


2Sioͤbe wvwat 


der Nagolb und Enz in den Neckar, und von der Kinzig oder Ding Auf den Athein 
gebracht, amd vorzäglich. zu Manheim, weniger aber zu Mainz, in große Eldge: 
vereinigt werden. Tür die Floßchen der Enz und Nagold find Pforzheim und Jaxt⸗ 
baufen die Otapelplaͤtze, wo gervähnlich durch Aneinanderfägung dreier derſelben 
breitere Maſchinen: gemacht werden, die man Thalflöße nennt und den Neckar herab 
bis Manheim ſchwimmen lüßt, um da zur Erbaumg der Holländerflöße :' dienen.’ 
Die Waldungen zumächft der Moſel ſind die Holzmagazine für die Eleinen auf die⸗ 
fen Strome herabkommenden, aus Kiefern und Führen zufammengefeßten, ſoge- 
nannten Marineflogchen, die auf: dem Bauplatze zu Andernach in chende 
länderflöße verwandelt werten, : Die Floßerei auf den Eleinen 
der Steg, Ruhr und Lippe, ift tm Verhaͤltniß zum Ganzen nur unbedeutend, Die’ 
fürkfte iſt in dor Regel bie vom Oberrhein und dem Neckar. — Man nerführt auf: 
deu Flohen auch Sügebolz ımter den Namen: Breter, Borden, Latten, Dielen’ 
md Rahmſchenkel, ſowie auch Fapı, Daub: und andres Werkholz. Die Murg: 
und Rheinfchifferichaft: Hefert allein auf den Rheinftrom im Durchſchniet Jährlich 
500,000 Stück Barden zum Berfauf. Das. gewöhnliche Rheinflop: und "Rune: 
helz unterfcheidet ſich dadurch von einander, daß letzteres ſchaͤrfer dehauen ma Bes 
fhlagen ift, und wenigoder gar feine Schalkante hat. Die Holzkoͤrper der Floͤße ſind 
ſchr verfchieben, denn es gibt balkenartige, welche rechtwinkelige, wen: gleichen oder 
angleichen Seiten umgebene Grundflaͤchen haben, wie z. B. die Eichenruthen; runde 
md ſpitzige, als Eichen, Kiefern und. Tannen; :die oben rund und pieig zulaufen;, 
walxenformige Holzkorper, deren ‚beide Durchmeffer gleich lang find, ihn Körper: 
aber gerade und von verſchiedener: Laͤnge iſt, auch runde. abgekuͤtzzte ſtumpfe oder 
frißige Regel, zu welchen die meiſten Maintannen und Kiefeen geheren, die 
eefloßt zu werden pflegen. In den ledten Jahren hat die Floßung des Eichenholzes 
d zugenommen, — Wie beträchtlich der Holzhandel: durch Floͤße auf dem 
Rheinſtrom, und beſonders die Ausfuhr nach Holland ifi, laßt ſich loeicht nach der 
Nuantität des an den rheiniſchen Zoliſtaätten vorbeigefühlten Holzes ſowie des 
dafür entrichteten Zollbetrags beſtimmen. Man kann annehmen, daß im Durch: 
ſchnitt jährlich zwiſchen 60 70, 000 Kubilmeter Eichen: und andern hatten ⸗Hol⸗ 
Xc, und zwiſchen T0-—80,000 Kubikmeter Tannen und andern weichen‘ Holzes 
durch die Floße des Rheins nach Holland verführt werben. Die Floßzebũhren ma: 
den beilänfig den 54 der gefammmten Einnahmen der Mbeinzölle aus, "1848 be: 
trugen fie 472,945 Francs 99° Eentim., 1819 608,012 Fr. 58 Eent’und 1820 
483,819 Fr. 61. Cent. Um die Zolgebühren, welche von den Floßen bezahlt wer⸗ 


den müffen, zuberethnen, werden dieſe nach Lange, Breite und Tiefe unter Waffen . 


gemeffen. Das Prohuct aus dieſen 3 Bermeffungen ſtobbe den rohen Kubikinhalt 
das unter Waſſer gehenden: Theiles des Körpers bar. Um ſofort den reine, für' 
den Anfchlag geeigneten Inhalt zu erhalten, werben für den’ Laſt, der nichtin Holz 


beftebt, und für die holzleeren Räume, bei großen Flößen 6000, bei andern 40008 - 
6 


entner abgezogen. Diefer reine Kubikinhalt des unter Waſſer gehenden Theiles 
im Verhaͤltniß der pecififchen Schwere des Floßkorpers zu der fbecififchen Schwere 
des Waſſers (reiches. bei Flügen mit. Anhängen wie 8 zu 9, und ohne Anhänge inte 
I 12angenommen if) vermehrt, liefert .den ganzen anfchlagbaren inhalt’ eines 
ſolchen Floßkörpers. Das Floßrecht muß in jedem Staate bei Dem: Landesherrn 
nachgeſucht “und kann nur von ihm beivilligt werden, da es unter die Regalien ge: 
Bürt, Wo auf einem Fluffe Schifffahrtsfreiheit ſtatt hat, kann die Regierung die 
Fahrt mit Floͤßen nicht unterfagen; es muͤſſen aber die Floßborſchriften zu Verhinde⸗ 
rung der Schäden genau beobachtet werden. Inſofern die Floͤße nicht zum Verkauf 
der Hölzer, aus weichen fie zuſammengeſetzt find, ſondern vielmehr zur Verfuͤhrung 
leichter Waaren auf Flügfen dienten, find.fie uralten Urſprungs und haben viele Ähn⸗ 
lichkeit mit den erfien Fahrzeugen der Alten, Die Araber bauten fie fchon zu dem 

Eomverfations sericon. Bd. IV. \ 11 


debenſtroͤmen/ 


182 Sidte Site 


Gebräuche auf dem Euphrat. In China gibt es ganze Dörfer, dieans Flößen von 
ſtarkem Bambusried erbaut find und auf den großen Slüffen umherſchwimmen. — 
5106 beißt auch in der Schiffbauſprache ein aus 3 bis 4 Maſten mit Bretern bes 
legtes Seraft, um ficher darauf fichen zu konnen, wenn das Schiff Ealfatert wird. 
- ; Side (Flauto), ein Ölasinftrumentvon Holz, Horn oder Eifenbein. Es 
ibt deren verſchiedene Arten: 1) Fiäte a bec (Fiüte douce, Ploch: oder Plock⸗ 
Aare) ift veraltet, war mit einem Kern verfehen, hatte 7 Tonlöcher für die Fin 
ger, ein Tonloch für den Daumen, und wurde wie die Hoboe gehalten. Der Ton⸗ 
umfang erſtreckte fich von dem eingeflrichenen f bis zum dreigeftrichenen g. 2) Die 
jetzt gewöhnliche und feit Friedrich dem Gr deſſen Lieblingsinfirument ſe war, 
ehr beliebte Querflöte, Flaute traverso, dem Kopfſtück, 2 Mittelſtücken 
und dem Fuße beftehend. Sie wird durch ein Mundſtück angeblafen und das Offe 
nen und Schließen der Tonlöcher bringt die verfchiedenen Töne hervor. Das Kopf⸗ 
ftü enthält Mundloch und Pfropffchraube, mittelft deren ein in der Höhlung des. 
Inſtrumems über dem Mundloche befindlicher Pfropf von Kork höher oder tiefer ge⸗ 
ſchraubt werden kann, um bei dem Gebrauche verfchiedener Mittelftüde die reine 
Stimmung der Dftaven zu erhalten. Das obere Dlittelftüd dat 8 Tonlöcher für 
die Finger der linken, das untere 8 für die Finger der rechten Hand, und an dem 
Fuße befinden fih 2.Rlappen für die Töne es und dis. Man hat außerdem noch 
verfchiedene Klappen angebracht, um einzelnen Tönen mehr Reinheit zu geben ; 
indeffen gewinnt das Inſtrument im Ganzen ang wenig. “Der Umfang der 
Flöte erſirekt fich von dem eingeftrichenen d (neue Flöten gehen noch tiefer) bie: 
zum dreigeflrichenen b. Ihr Charakter iftfanft; doch dringt fie in der Höhe auch 
durch die Eräftigfte Orchefterbefeßung durch. Im Solo thut fie trefiliche Wirkung; 
nze Soncerte aber follte man nicht für fte fchreiben und auf ihr fpielen, da ibe 
Son auf die Länge ermüdet, und ihr Ton nichtgenug Mannigfaltigkeit hat. Aus 
erden hat man Fid’ed’amoar, eine Eleine Terz tiefer, eine Tersflöte, eine Meine 
erz böder, eine Duartflöte, eine Quart höher, Octavflöte oder Flauto piccolo, 
eineganze Octape höher als die gewöhnliche Flöte, .fie ift für rauſchende, A: B. für 
Mititgirmufit, Das befte Werk über Klötenfpiel war fonft Tromiig’s „Ausführlis 
chet und gründlicher Unterricht,. die Flote zu fpielen”. Neuerdings ift die Floten⸗ 
ſchule des pariſer Conſervatoriums und die von Froͤlich in Gebrauch. 

Flott, in der Schäfferfprache, auf dem Waſſer ſchwimmend. Ein Schiff flott 
machen, beißt: ein feftftehendes Schiff, das z. B. auf eine Sandbank gefahren iſt, wie⸗ 
der in Sang bringen. Ein Schiff wird flott, indem der Anlauf der Flut daffelbe hebt, 
wenn es während der Ebbe trocken oder im Schlamme lag. — Flotte, eine Anzahl 
Schiffe, die einen gemeinfehaftlichen Anführer haben. Es gibt Kriegs und Han⸗ 
dels:oder Kauffahrteiflotten. — Flottille, eine Bleine Flotte. Escadrenermet 
man eine Zahl von wenigſtens 9. Kriegsfchiffen, die unter einem Befehlshaber 

Contreadmiral) ſtehen. | 
„Flötze, Flötzgebirge, ſ. Seologie und Geognoſie. 

Flüchtigkeit, in der Chemie die Eigenſchaft eines Körpers, nach wel⸗ 
cher er ſich bei einem gewiſſen Grade der Hitze in Daͤmpfe aufloͤſt und verflüchtigt; 
fie ſteht der Feuerbeſtaͤndigkeit entgegen, Wahrſcheinlich haben jedoch alle Körper 
die Eigenfchaft der Flüchtigkeit, nur dag wir einige nicht zu verflüchtigen vermögen, 
weil ung die erfoderlichen Grade der Hiße fehlen; eine abfolute Feuerbeſtaͤndigkeit 
findet mithin wahrſcheinlich gar nicht ftatt. 

Elüe (Nicolaus von der, Bruder Klaus), geb. 1417 im Dorfe Sareln, 
Tantons Unterwalden ob dem Walde, bewirtbfchaftete mit feinen Altern und Kin⸗ 
dern das väterliche Gut und führte ein durchaus unbefcholtenes Leben. Auf f. 
verfchiedenen Kriegszügen zeigte er fich ebenfo menfchlich als tapfer. Als Landrath 

des Cantons bewies er eine eigne Geſchicklichkeit, die vorkommenden Angelegenhei⸗ 


Bügel | 163 


tm zu einem guten. Ende zu beingen. Die Wuͤrde eines Landammanns ſchlug er 
ans, Den Jugend auf zum contemplativen Leben geneigt, dabei enthaltfam und 
—A ſich ſelbſt, faßte er, nachdem er fuͤnfzig Jahre hindurch alle Pflichten 
ale er treu erfüllt hatte, und Vater von 10 lebenden Kindern gewor⸗ 
ben war, mit Zuflimmung feines Weibes den Entfchluß, ein Einfiedler zu werden, 
and wählte zu feinem Aufenthalte eine bloß durch einen Wafferfalldes Milchfluſſes 
Belebte Wildniß unweit Sareln. Hier brachte er feine Zeit in Gebet und frommen 
Detrachtungen zu. &einen Ruf vermehrte die Sage, daß er ohne alle Nahrung 
lebe und ſich bloß durch das Abendmahl flärfe, welches er alle Monate genoß. Zu 
ihm, dem erfahrenen, hellfehenden Manne, wallfahrtete von nahen und fernen Or⸗ 
sn, wer Rath und Troft bedurfte. Wald wurde er felbf der Netter des ganzen 
Vaterlandes. Unter den 8 Cantenen, welche damals die Eidgenoffenfchaft aus: 
mochten, war Eiferfucht und Mißtrauen entſtanden. Man argwohnte, daß die 
Beute der vor Kurzem bei Nanch erfchlagenen Burgunder nicht gleich getheilt wors ' 
den; die grögern ariftofratifchen Städte hielten zufammen- und wollten Freiburg 
md Solothurn in ihren Bund-aufnehmen, welchen Borfihlage die kleinern demo⸗ 
fratifchen Cantone ſich roiderfeßten. Auf einer (1481) zu Stanz (dem Hauptorte 
des Cantons Unterwalden) zur Berathung über diefe Angelegenheiten gehaltenen 
Tagſatzung erhitzte fich der Warteigeit in fo hohem Grade, daß eine Trennung des 
Bundes, und mit ihr de* baldige Berluft der Freiheit der Schweizer für unvermeid: 
fh gehalten wurde. Da erfchien plöglich, durch einen Freund ‚dazu aufgefodert, 
Druder Rlans in der Verſammlung der Abgeordnetn. Das große Anfehen des 
Mannes, feine hohe, edle Geflalt, in der man einen Boten des Himmels zu ers 
Biden glaubte, feine herzliche, aber kraͤftige Rede, in welcher er die Sefahren der 
bevorſtehenden Trennung fehilderte und zur Einigkeit ermahnte, ergriff die Ber: 
ſammlung fo ſehr, daß augenblicklich ein in der Schweizergeſchichte berzihmtes 
Srundgefeß: das Verkommniß zu Stanz (22. Dec. 1481) befchloffen und abge: 
faßt wurde; alle bisherige Streitigkeiten wurden beigelegt, Freiburg und Solothurn 
Inden Bund aufgenommen, und die Freiheit der Schweizer war gerettet. Unter 
den Begnumgen feiner Miebürger kehrte Bruder Klaus, nach vollbrachtem Werke, 
inf. Einfamfeit zurüd, wo er fortfuhr, Tugend und Weisheit zu lehren, bis er, 22. 
Mai 1487, 70 J. alt, flarb. Ganz Unterwalden begleitete feine Leiche zur Grab⸗ 
Räte, alle Eidgenoffen betrauerten ihn; fremde Fürften ehrten noch nach dem Tode 
fein Andenken ; Papft Clemens X. verfeßte ihn 1671 unter die Zahl der Heiligen. 
Flügel, I)inder Baukunſt: a)die an beiden Enden des Hauptgebäudes 
sagebauten Nebengebäude, auch wol, wenn Das Sebäude felbft lang ift und nur 
me Hauptmaſſe bildet, die beiden Seiten beffelben, die rechts und links von feiner 
Ritte abflehen ; im Feltungsbau die langen Seiten eines Horn: und Kronenwerks, 
weiche von dem Haupt oder Außenwerke beftrichen werten, b) Die beweglichen 
Theile einer Thür oder eines Fenfters, womit diefe Öffnungen gefchloffen werden, 
e) In der Waſſerbaukunſt heißt aleszum Echuße und zur Haltbarkeit außer den ei: 
gentlichen Grenzen des Baues Aufgeführte, Flügel, 3. B. die verlängerte hölzerne 
ferbefleidung an einem Stil. Mebengräben zur Abwaͤſſerung umbdeichter Laͤnde⸗ 
teien, die ſeitwaͤrts von den Hauptabmwäfferungscanälen abgehen, werden Flügel: 
gräben, und diean einer fleinernen Schleuſe mittelſt einer Band won Steinen ver: 
löngerten Bekfeibungen, Flügelmauern genannt. 2) In der Mufit, ein Taftin- 
frument in Geſtalt eines Bogelflügels, deffen metallene Saiten von Federkielen, wel- 
che an den Tangenten befindlich find, geriffen ıwerden. Ehedem war das Clavecin das 
einige Clavierinſtrument in diefer Form und wurde deßhalb gemeiniglich Flügel 
nnt, feit Erfindung des Pianoforte verfieht man gewöhnlich ein Pianoforte in 
lügefform darunter, und jenes wırd felbft im Orchefter bei Begleitung des Recita⸗ 
"6 wenig mehr gebraucht. 3) In der Sriegstunft find .. die beiden Außer- 


‘ 
“ 


Be Stugfand Slußſpath 


ſten Enden oder Seiten eines Bataillons, Regiments oder ganzen Heeres. Die 
——— rechts oder links ſind von dem Geſichtspunkte der aufgeſtellten Maſſe 
"aus zu ehen. 

kr (ug fand findet fichin den Gegenden, wo der Hauptbeſtandtheil des Bo⸗ 


dens Sand iſt, wenn bie cultivirte Erde der Oberfläche weggeſchwemmt oder durch 


unvorfichtige, zu häufige Erdruͤhrung allmaͤlig verſchwunden iſt. Die Natur gibt 
jedem Boden diefer Art Pflanzen, die, wenn fie auch nur ein “Jahr vegetiven, durch 
die Faulang der Wurzeln das Erdreich fefter machen. Manche ſchießen aber im 
Frühjahr Eräftig empor aus den Wurzeln, welche der Winter nicht vertilge hat. 
Plaggt man aber einen folchen Boden ab oder vernichtet die Wurzeln gänzlich, ſo 
ift die Oberfläche zu trocken, um ſich gegen def Liirren Wind halten zu fünnen, und. 
der Sand der Oberfläche wird immer weiter auf beffere Adler getrieben, die dann 
auch verfanden. Das Übel ift in der Richtung herrſchender Winde om flärfften, 


* und nur durch Sandbafer, Anpflanzung ‚von Stauden und Pflanzen, die einen 


dürren Boden allenfalls ertragen ünnen, endlich Durch. todte Zäune, die die Macht 
des Windes brechen, und durch Aufbören aller Weide, bisfich die Erde einigermaßen 
gefegt hat, läßt fich Dies am Seeſtrande und hier und da in Gemeinheiten herrfihende 
Übel allmälig oustilgen. - — 
Fluß oder Strom. Der Sprachgebrauch macht keinen Unterſchied zwi⸗ 
ſchen beiden Benennungen ; doch ſcheint es, daß man dieje digen Fhüffe vorzugsweiſe 
Ströme nennt, welche fich bei anfehnlicher Größe unmittelbar ins Meer ergießen. 
Faſt alle Flüffeentfpringen auf Gebirgen aus Quellen, einige wenige, wie der Diif 
fifippi, der Don u. %., entſtehen aus Seen. Merkwuͤrdig ift es, daß fich die Ge⸗ 
ſchwindigkeit der Flüffe nicht nach dem flärfern Abhange der Fläche richte. Sa 
fließt die Donau viel fehneller als der Rhein, obgleich das Bette des leßtern bei wei⸗ 
tem abbängiger if. Die Donau, der Tiger und der Indus find unterden befanns 
ten die ſchnellſten Fluͤſſe. Da in der Regel die Strömung eines Fluffes in der 
Mitte am flärkften ift, fo fteht auch Bier fein Waſſer beträchtlich höher als. nach 
den Ufern zu; an der Mündung hingegen ift der Fluß in der Mitte niedrigen oder 
hohl, weil das Meerwaffer, mit dem er fich Bier vermifcht, an beiden Seiten ana 
färfften.auffteigt. Die Menge des Waſſers, welches die Flüſſe dem Meere zus 
führen, ift ungeheuer, Man hat z. B. berechnet, dag die Wolga in einer Stunde 
über 1000 Mill, Kubitfug Waſſer ins kaspiſche Meer ergiegt. — Flußgötter, 
bei den Alten, die Schußgötter der Flüffe oder die, perfonificirten - Flüffe.felbft, 
Bie werden als Sohne des Dceanus, ein Ruder oder Fuͤllhorn in der Hand, mit 
elf gekrönt, und neben einer Urne, aus welcher der Strom fließt, liegend abe 
gebildet. j 
Fluß, in der Chemie, Probirkunſt und Hüttenkunde, eine falzgige Beimi⸗ 
fehung, durch welche die Schmelzung der Erze befördert ‚wird (Dalpeter, Borax, 
Weinſtein, Zaugenfalz u. f. w.), auch Zufchlag genannt; dann auch die Schmels 
ung felbfl. — Glas flug ift.eine fehr harte Glasmaſſe, die zur Nachahmung der’ 
deifteine auf mancherlei Weife gefärbt und gefchliffen soird. Es werden die uns 
echten oder böhmifchen Steine daraus gemacht. 
Flußſpath, ein Mineral, welches in Oktacdern und Mürfeln kryſtalli⸗ 
firt, derb_und eingefprengt vorfommt. Es ifi weiß, gras, blau, grän, gelb und 
roth von farbe, glasglänzend, durchfichtig, bis-an die Kanten durchfcheinend, der 
Bruch Erpflallinifch blätterig und uneben. Als Pulver auf heißem Eifenbleche phos⸗ 
phoreseirend. Sehr verbreitet auf Gaͤngen und Lagern, als Begleiter verfchiede: 
‚ner wichtiger Metallgebilde. Man braucht den F. beim Schmelzen von Silber:, 
Kupfer = und Eifenerjen, beim Probiren der Eifenfteine als Flugmittel oder Zus 
flag ; bei der Glas- und Porzellanfabrication;, zur Anfertigung von Vaſen, Leuch⸗ 
tern, Säulen, Bechern u, f. 10. (befonderg in der engl. Grafſchaft Derby), Die 


* 


Ölußgebiet 50 '165 


Yen Minerale eigenthuͤmliche Saͤure, die Flußſaure, wird zum Üben dis 
Slaſes angersendet. i | J 
—Flußgebiet, der Inbegriff aller Quellen, Baͤche, Fluͤſſe, die ihre Ge⸗ 
waͤſſer ins Meer oder in einen groͤßern Fluß ausſtromen. Daſſelbe beträgt bei gro⸗ 
hen Fluͤſſen oft mehre tauſend Quadratmeilen. Zumeilen liegen die Quellen ver: 
fhiedener Flußgebiete nahe bei einander, rote auf dem Fichtelberge die Quellen des 
Mains, der Nab, der Eger und der Saale, wovon die erfte zum Rheingebiete, 
bie zweite zum “Donaugebiete, die letzten zum Eibgebiete gehören. 
Flüffigkei.t(Fluiditär), beffer Tropfbarfeit,'der zroifchen dem Zuftande 
der — und Luftformigkeit in der Mitte liegende Zuſtand eines Körpers, wor: 
in feine Theile zwar noch als ein einziger, ununterbrochen zufammenbhängender Kür: 
per erfcheinen,- I aber leicht trennen und wieder vereinigen laffen. An allen flüf- 
figen Körpern bemerken wir, daß fich.ihre Theile faft ohne merklichen Widerfland 
trennen laſſen, daß fie die Seftalt des Gefaͤßes annehmen, worin fie fich befinden, 
daß die. Form ihrer Theile nicht durch die Sinne wahrzunehmen iſt, daß fie fich in 
fin aneinanderhängen, und daß fie im Stande der völligen Ruhe eine ebene 
und wagerechte Oberfläche annehmen. Auch den Körper felbft, der unter diefer 
Ferm erfcheint, nennt man Flüſſigkeit, richtiger Fluidum. Der Wärmeftoff 
iſt eine Miturſache aller Stüffigkeit der. Körper. Ä 
Flut, f. Ebbe ' 2 
Flynz, Flinz, ein ©bge der alten Deutfchen, weicher nach Einigen den 
Tod, nach Andern die Zeit vorftellte, und bald als ein Greis, der in der rechten 
Sand eine Fackel oder einen brennenden Stab hält und auf der Schulter einen fie: 
‚ ‚senden Löwen trägt, bald als ein menfchliches Gerippe In ein leichtes Gewand ge: 
Yale, mit den nämlichen Attributen, bald als ein gefrönter, kurzer, dicker Mann, 
der auf einem Throne fißt und eine Fackel hält, auch mit kurzen Füßen, welche 
wförnliche Klauen haben, abgebildet wird. 
50, Foé , Fohi, derMame des in China göttlich verehrten Stifters ei: 


ner fremden Religion, welche im erften Jahrh. unferer Zeitrechnung dafelbft einge: | 


führt wurde. Die Beranlaffung dazu wird auf folgende Weife erzaͤhlt. Der Kaifer 
Ming-ti XV., aus der Dynaftie Han, erinnerte ſich des Ausfpruchs des Confu⸗ 
aus: „Im Abend findet man den wahren Heiligen“, und fandte Daher 2 Große 
tes Reichs, den Tſay und Tſin⸗king, nach jenen Gegenden, mit dem Befehle, nicht - 
eher zurückzukehren, als bis fie den Heiligen gefunden und fein Geſetz gelernt haͤt⸗ 
tim. Sie brachten aus Indien die Lehre des 8 mit, Diefer war, wie die Beken⸗ 
ner feiner Lehre erzählen, um 1021 v. Chr. in Kaſchmir geboren. Sein Bater, 
wit Namen In⸗fan⸗wang, war König diefes Landes, feine Mutter hieß Mope. 
Cie gebar ihn durch die.rechte Seite des Leibes, und flarb nach der Geburt. Bei, 
terfeiben follen die Sterne verfinftert, und 9 Drachen vom Himmel gefliegen fein. 
Beim Anfange der Schwangerſchaft träumte feiner Mutter, fie babe einen weißen 
Elefanten verſchluckt, woher fich die Verehrung dieſer Thiere in Indien fehreiben. 
fl, Rach andern Berichten foll die Diutter des Fo von der Erfcheinung eines 
&chtes empfangen haben. Im Yugenblide, als er auf die Welt gekommen war, 
fand er fogleich aufrecht auf den Füßen, dann that er 1 Schritte vorwärts, zeigte 
mit der einen Hand gen Himmel und mit der andern auf die Erde, und fprach 
mit deutlichen Worten alfo: „Es ift Niemand außer mir, weder im Himmel noch 
af Erden, der Anbetung würdig”. Damals hieß er Sche⸗kia oder Schaka. Als 
© 17 Jahr alt war, heirathete er 3 Weiber und geugte einen Sohn; aber in fei- 
nam 49. J. verließ er die Seinigen und zog mit 4 Weifen in die Wüſte. In 
kim 30. J. wurde er plöglich von der Gottheit erfüllt und zu einem Fo oder gott⸗ 
len Weſen gemacht. Durch ZBunder beftätigte er feine Lehre; eine unglaubliche 
Anghl von Schülern verfammelte ſich um ihn und verbreitete fein Geſetz durch den 


' 
sv 


N 


. muß wnaufbörlich feine 


466 30 


Orient. Sie und die Priefter diefer Religion beißen in Seng, in der Tate: - 
rei Lamas, in Siam Talapoinen,, und bei den Europäern Bonzen. Als der große 

8o im 719. J. feines Lebens fein Ende nahe fühlte, erklärte er feinen Schülern: 
„daß er bisher nur in räthfelbaften und bilMichen Redensarten zu ihnen gefprochen 
babe, daß er ihnen aber jegt, da er von ihnen fcheide, das Geheimniß feiner Lehre 
entdecken wolle”. „Wiſſet“, fuhr er fort, „daß kein andres Srundwefen aller Dinge 
ift, als das Leere und das Nichts, daß daraus alle Dinge hervorgebracht werden, 
dahin wieder zurüdfehren, und darin alle unfere Hoffnungen fich endigen“. Dieſer 
legte Ausfpruch des To theilte feine Schüler in 3 Sekten. Einige flifteten, dem⸗ 
felben gemäß, eine atheiftifche Sekte, die Meiften blieben den frühern Lehren treu; 
noch Andre endlich unterfchieden eine öffentliche u. eine geheime Lehre und bemübten 
fih, beide in Harmonie zu bringen. Diefe effentliche Lehre des Fo enthält die 
Moral. Sie unterfcheidet das Gute und Boͤſe; wer Gutes im Leben getban hat, 
wird nach dem Tode belohnt, wer aber Böfes getban hat, wird beftraft; für beider 
lei Seelen, heißt es, feien Fl Platze, und darin jeder nach ihren Verdienſten 
eine Stelle beflimmt; der Sort Fo fei geboren, die Menfchen zu retten und die 
vom Wege der Seligkeit Berirrten dahin zurüdzuführen; er habe. ihre Sünden abs 
gebüßt und ibnen eine felige Wiedergeburt in der andern Welt erworben. Nur diefe 
5 Gebote habe er ihnen gegeben: ein Iebendiges Sefchöpf zu todten; Eein fremdes 
Sur an fich zu bringen; Unreinigkeit und Unfeufchheit zu vermeiden; nicht zu lü⸗ 
gen und Eeinen Wein zu trinken. Insbeſondere dringen fie auf die Ausäbung ge- 
wiſſer Werke der Barmherzigkeit, empfehlen die Freigebigkeit gegen fie, die Pries 
ftir. Man fol ihnen Klöfter und Tempel-bauen, damit fie durch ihre Gebete und 
Bußübungen Andre von der Strafe befreien, der fie außerdem unterworfen find. 
Sie erklären, da, wer ihre Gebote verabfiume, nach dem Tote die graufamften 
Martern zu erwarten habe, und daß feine Seele in einer langen Wanderfchaft felbft 
in die Körper der geringften und unreinften Thiere fahren werde. Die Hauptgrund: - 
füge der geheimen Lehre, in roelche nur Wenige eingeweiht find, beftehen in folgene 
den. Der Grund und Zweck aller Dinge iſt der leere Raum und das Nichte: Aus 
Nichts entftanden die Spammältern des Menfchengefchlechts, und in diefes Nichts 
find fie zurüdgefehrt. Der leere Raum ift Dasjenige, was unfer Weſen ausmacht. 
Aus dem Nichts und aus der Vermifchung der Elemente ift alles Vorhandene ent: 
flanden, und Alles muß dahin zurückkehren. Alle Wefen, befebte und unbelebte, 
find nur in Seftalt und Eigenfchaften verfehieden; fie machen fümmtlich nur ein 


Gaanzes aus und find von ihrem Grundwefen nicht unterfchieden. Diefes Grund⸗ 


wegen ift rein, von aller Veränderung frei, böchft zart umd einfach, und um feiner 
Einfachheit willen die Vollkommenheit aller andern Weſen. Es iſt höchft vollkom⸗ 
men und dabei in einer beftändigen Ruhe, ohne Tugend, Macht, noch Verftand zu 
Baben; ja was noch mehr ift, fein Weſen befteht eben darin, daß es ohne Verſtand, 
ohne Wirkſamkeit und an Verlangen oder Begierde iſt. Wer glücklich leben will, 

danten und Überlegung anftrengen, fich felbft befiegen 
und jenem Grundweſen gleich werden. Zu dem Ende muß man fich gewöhnen, 
nichts zu thun, nichts: zu voünfchen, nichts zu empfinden und nichts zu denken. Nach 
Klaproth war fein Srundfag: Strebe dich felbft zu vernichten, denn ſowie du aufs 
Hörft, Etwas für dich zu fein, fo wirft du mit Gott eins und kehrſt in feine Weſen⸗ 
beit zurücd, Die öffentliche Lehre des Fo, welche Bolkereligion wurde, heißt in In⸗ 
dien die bramanifche,, Ste ift durch Hindoſtan, Tibet und die Tatarei verbreitet, 
jedoch mit manchen Anderungen. Die übrigen Anhänger des Fo folgten der Lehre 
vom Michts und dem Leeren. Doch vereinigen fich alle in den Lehren von der See: 
Ientvanderung. Wenn, nach denfelben, eine Seele zum erften Dal auf Erden er: 
fheint und den Korper eines Dienfchen belebt, fo bewohnt fie ben Körper eines Bra⸗ 
manen. Nach feinem Tode w.ndert fie, nach Maßgabe feiner guten oder böfen 


Foeus :. Höderativfpflem 47 


Handlungen, in Menſchen oder Thiere, bis fie in die Elaffe der Samander tritt, - 
uud zuletzt in dem Leibe eines vollkommenen Samanaͤers erfcheint. Ein folcher- hat 
nicht mehr Fehler ausgıfohnen; fie find in den vorherigen Wanderungen ſchon ab: 
gewaſchen; er braucht nicht mehr die Gotter zu verehren, die nur Diener des hoͤch⸗ 
fien Gottes der Welt find. Frei von Leidenfchaften, und feiner Unreinigkeit mehr 
Rßig, flirbt er nur, um wieder in die einige Gottheit zurüdtzufehren, von der feine 
Seele ein Ausflug ifl. Diefes Höchfte Weſen, der Urftoff aller Dinge, ift von Ewig⸗ 
keit her unfichtbar, unbegreiflich, allmächtig, gütig, gerecht, barmberzig, und hat fei: 
sen Urfprung von fich ſelbſt. Es kann durch feine Abbildung dargefteltt werden; 
man kann es nicht anbeten, weil es über alle Anbetung erhaben ift; aber feine Eigens 
ſchaften kann man abbilden, und diefe verehren und anbeten. Hier füngt der Bi. 
derbienft der indifchen Bölker an; daher Die Menge der Schußgötter in China. Je: 
des ‚ die Veränderung des Weiters, die Lufterfcheinungen, felbft jeder 
Stand und jedes Gewerbe hat feinen eignen Schutzgott. Alle Feuer:, Waffers, 
Boldatengötter ıc. der Chineſen find aber bloß vornehme Beamte des böchfien Gottes 
eng Bang:Mau, der von feinem Sitze in der oberften Himmelsgegend in müßi⸗ 
Ruhe auf das Treiben der Menſchheit herabblickt. Jeder Chineſe bildet feinen 
xhußgott in Holz oder Stein, und verrichtet vor diefem Bilde 3 Mal des Tages 
feme Berebrung. Der Samanier aber, in beſtaͤndiger Betrachtung und Nachden: 
kn über diefen großen Gott verloren, ſucht nur fich felbft zu vernichten, um wieder 
in den Schoß der Gottheit zurückzukehren und fich in ihr zu verlieren, die alle Dinge 
aus dem Michts gezogen bat, und felbft nichts Rörperliches ift. Als diefer reine Geiſt 
die Materie erfchaffen wollte, nahm er felbft eine materielle Form an, und fonderte_ 
die in ihm vereinigten männlichen und weiblichen Kräfte. Durch die Wiedervereini- 
gung derſelben wurde die Schöpfung des Weltalls möglich.. Der Zingam (f. In⸗ 
difhe Mythologie) ift das Symbol diefer erften Handlung der Gottheit. Durch 
- fe wurden Drama, Wifchnu und Iswara hervorgebracht, welche nicht fowel 
Götter als Eigenfchaften oder Attribute der Gottheit find.  - | 
g o cus, ſ. Brennpunkt im Art. Brennglas. 
ödberatiufpyftem, Staatenbund, und Foöderativſtaat, Bundes: 
ſtaat find verfchiedene, oft nicht ſcharf genug beflimmte Begriffe. Bei jenem ift 
der Bund das Mittel, durch welches fich mehre Staaten frei und auf immer recht- 
ih vereinigen, fodaß fie in Anfehung ‚des Bundeszwecks, einzeln genommen, 
aufhören, unabhängig zu fein; bei diefem ift der Staat, d. i. die Sicherheit aller 
Dlieder des Vereins ımter einer höchften Gewalt, der Zweck, für welchen der 
Staatsverein errichtet if. Hierin liegt es, warum jenes Spftem feiner Natur 
nach die Freiheit oft unterdrüden muß, indem, was an fich Mittel für Alle fein foll, 
von Einigen bloß als Mittel für fich berechnet wird; diefe Staatsform dabingegen 
die Freiheit Aller im Ganzen fichert. In dem Foderativſyſtem nämlich. ift es dem . 


mächtigern Mitgliede, darum, weil es fchon vor Errichtung des Bundes volle Selb: . , 


fändigfeit befaß, unangenehm, in die Kategorie eines Mittels für Andre zu treten. 
Es wird daher feine unabhängige Stellung behaupten und die ſchwaͤchern Mitglie 
der des Bundes, ja den Bund felbfl, als Mittel für feine Zwecke in die politifchen 

nungen feiner Berbältniffe hineinziehen. Hieraus ı* ;fleht nothwendig eine 
Ungleichheit; jede Ungleichheit aber ift der politifchen Freiheit nachtheilig. Indeß 
fräuben ſich auch Die ſchwaͤchern Mitglieder, ihr befonderes Syritereffe dem allgemeis 
nen nachzufegen. Als Staaten für fich wollen fie unabhängige, moraliſche Perſo⸗ 
nen vorftellen, und vergeffen, daß fie, indem fie fich einem politifchen Bunde für 
inmer anfchloffen, in Anfehung mehrer Rechte, die mit ihrer Selbfländigkeit we: 
fntlih zufammenhängen, einen böhern Willen über fich geiese haben, entweder 
im der Geſammtheit oder den der Mehrheit. Diefe im Begriffe des Foͤderativ⸗ 
Mens kiegende politifche Beſchraͤnkung der jedem einzelnen Staate zukommenden 


- 


408 = — gederativſvſtem 


vollen Unabhaͤngigkeit iſt der Souverainetar allemal laſtig, daher erfährt der Bun: 
deswille · oft von Seiten der unbedeutenden Bundesglieder Hemmung von mancher: 
lei Art. Doch gibt es auch Foöderativſyſteme, in welchen alle Staaten, einer mehr, 
ber andre weniger, Einem aus ihrer Dritte — entweder ausdrüdlich oder ſtill⸗ 
ſchweigend — fich unterworfen haben; in dem Föderativftante Hingegen gehorcht 
“feder Theil, Einer wie der Andre, Allen, als Einheit gedacht. Hier alfo geborcht 
- "ngeder fich ſelbſt; dort folgt der Schwaͤchere dem Zuge nach dem Mittelpunfte der 
acht; Bier beſitzt die Geſammtheit, dort erlangt gewoͤhnlich der Mächtigfte die 
böchfte Bundesgewalt, zwar, der Form nach, unter'einfcpränkenden Bedingungen, 
‚Die aber zu wenig Seftigkeit haben, als daß fie dem Einfluffe der Machtüberlegenheit 
fteuern konnten. Eine folche foderative Befchränfung kann einem Staate nur 
dann nötig und müglich fein, wenn er feine innere Unabhängigkeit, d. h. die Selb- 
fländtgfeit in der Landespolizei, Geſetz- ımd Finanzverwaltung, nicht anders zu 
ſcchern weiß als durch freiwillige Aufopferung feines äußern, d. h. des felbftändigen 
Rechts, über feine politifchen DVerhältniffe zu andern Staaten aus eiguer Macht: 
vollfommenheit zu verfügen. Gewoͤhnlich treten mehre Staaten in einen Bund 
zuſammen, wenn das-gegenfeitige Bedürfnig, Schwaͤche und die gefahrvolle Lage 
der Einzelnen, die drohende Nachbarfchaft eines Mächtigen x. fie dayı nöthigt, 
- Sind. fie als einzelne Volksſtamme in Urfprung, Sprache und Sitten einander ahn⸗ 
lich, ſo haben Alle ein gleiches fortdauerndes Beduͤrfniß, ſich zu einem Foderativ⸗ 
ſtaute zu vereinigen. Fin Föderativfoftem hingegen entfteht aus verfehiedenartigen, 
oft zufülligen, oft wechſelnden Küdfichten und Bedürfniffen. Der Maͤchtige fucht 
fih mit einer Reihe Mittelftaaten zu umgürten; der Mindermächtige will fi) an 
den Stärfern anlehnen, um durch denfelben noch etwas zu bedeuten oder zu gewin⸗ 
nen; den Schwachen treibt Furcht oder Zwang in den bedenklichen Bund hinein. 
Zwar kommt auch hier Alles auf die Bundesform an, wie naͤmlich der Zwed der au⸗ 
gern Unabhängigkeit Aller mitteiſt des Bundes, unbeſchadet der innern Selbſtaͤndig⸗ 
keit eines Jeden, erreicht werden ſoll. Allein es folgt ſchon aus der verſchie denarti⸗ 
gen Entſtehung des Foöderativſyſtems, daß die Form deſſelben gewöhnlich unbe: 
flimmt und in wefentlichen Stucken mangelhaft bleibt, dahingegen fie in dem 50: 
derativſtaate ein fefles, auf dem rundfabe der Gleichheit u. Freiheit aller Staats⸗ 
theile rubendes Regierungsprincip hat. Wenn, wie die Erfahrung lehrt, ein Staa: 
tenbund, dergleichen der Rheinbund fein ſollte, oft feinen Bundestag, noch weniger 
eine Bundesgefeßgebung und Bundesregierung hat, fo find in dem Bundesftaate 
beide durch gemeinfchaftliche libereinkunft feffgefegt. Dort entfcheidet in-der Kegel 
ber Mächtige, als der erfle Stifter des Bundes, und die Zeitung des Geſammt⸗ 
zwecks ſchwankt nach Zeit und Umſtaͤnden; die Bollziehung foll zwar von der Bun⸗ 
besgewalt abhüngen, oft iſt aber diefe gar nicht vorhanden oder: befteht nur in dem 
Einfluffe des vorftehenden oder des mächtigften Bundesgliedes. Hier hingegen ent: 
ſcheidet die Stimmenmehrheit, und ihr Beſchluß wird gefeßmäßig im Namen Aller 
vollzogen. Nach der Geſchichte begeben fich die Eleinern Staaten lieber in ein Fode⸗ 
rativfoftem als in einen Foͤderativſtaat, weil dort jeder noch immer einen Staat für 
fich vorzuftellen glaubt. was er Bier nicht mehr ift. Aber jene Souverainetät, welche 
die Mitglieder eines C* aatenbundes zu retten glauben, ift nichts als Selbſttaͤuſchung. 
Denn, wie ſchon gefagt worden ift, die Eleinern fouverainen Höfe bleiben dennoch 
abhaͤngig von der. Politif eines Diächtigen. Im Bundesflaate dagegen iſt freilich 
kein einzelnes Glied fouverain; aber jeder iſt frei und ſtolz mit und in dem Ganzen, 
nach dem politifhen Sinnworte der Hollinder: Eintracht macht Macht. 
Die ältere Gefchichte beſtatigt diefe Bemerkungen mie die neuere, Die gries 
chiſchen Volkerſtamme und Staaten bilderen zufammen einen Staatenbund. In 
diefem berrfchte der Mächtige, oft mit Harte die Schwaͤchern unterdrüdend. So 
entſtand anfangs das Principat"der Achenäcr; hierauf folgte die Hegemonie der 





N 


. Göberatiofnftem | 488 


Spartaner; muletzt flellte ſich der Macedonier Philipp an die Syige,den gfiech Otaa⸗ 
tenbundes. Alle hellſehende Staatsmärnner Griechenlands erkannten in dem Fodert 
tioſyſtem den Geiſt der Unterdrückung. Späterhin wollte der achaiſche Bund durch 
eine innigere Berbindung der Einzelnen zu eye Dann das Vaterland retten ; aber 
Me einzelnen Staaten waren auf ihre volle Selbftändigkeit zu eifenfüchtig, als daß fie 
fich Einem gemeinfchaftlichen Strategen hätten gleichmäßig unterwerfen ſollen; viel: 
mehr fiellte der aͤtoliſche Bund dem achiifchen ein Foͤderativſyſtem entgegen, So tra⸗ 
ten die Römer zwiſchen beide, vorgeblich ale Befchüßer des Föderativfuftenns, umd 
kiteten die Politik deſſelben fo lange, bis mit ihm alle Selbftändigkeit.Sriechenlands 
verſchwand, und Rom die einzige berrfchende Macht blieb. Daſſelbe war früher der 
Sell bei den Städten des Iatein. Bundes gemefen. Anfangs trat Rom in die Deitte 
des Foderativſyſtems, bald darauf an — endlich war es die Herrſcherin. Ebens- 
ſo Carthago in Anſehung der Freiſtaaten Nordafrikas; wie ſchon vorher Tyrus das 
Haupt der phoͤniziſchen Städte geworden war, — Ein ähnliches Schickſal hatte 
Deutfchland. Anfangs traten. mebre Bölferflämme in Bündniffe zufammen, einem 
tpfern Heerfuͤhrer zu großen Unternehmungen folgend; aber fie vereinigten fich im 
keinen Bundesſtaat; daher zerriffen im Hordengedränge der Volkerwanderung ber 
Sueven⸗, der Franten:, der Markomannen⸗, der Alemannenbund u. a.m. Hermann 
und Marbod, die im 1. Jahrh. an der Spitze zweier großen Volkerbuͤnde ftanden, 
wurden die Opfer des german. Freiheitsgefühls, weil ſolche Heerführer in einem Foͤ⸗ 
derativ ſyſtem allemal entiveder verdächtig oder geführlich fein mußten. In der Folge, 
feit Ludwig des Deutfchen Zeit, wurde zwar Dentfchland eine eingeſchraͤnkte Monar⸗ 
die; aber bald erwuchs aus dem Lehnweſen das Streben der Bafallen nach Selbſtaͤn⸗ 
digkeit. Diefe ward ihnen endlich unterdem Namen Landeshoheit zu Theil, Kitten fie 
jeßt nur um fo fefter die Bumdesftantsform gegründet! Allein unglüdlichermeife ſetzte 
der weſtfaͤl. Friede Alles in eine Wortbeftimmung, ohne Ruͤckſicht auf das Weſen der 
Begriffe. Sonſt hätte er nicht, indem er die Landeshoheit unter Kaiſer uud Reich 


fiellte und nur das Ganze als einen Staat anerfannte,, den einzelnen Landesherren. _ 


(Art. 8, 2) das freie Recht gegeben, unter fi und mit Auswärtigen zu ihrer Sichers 
heit Bündniffe zu fehliegen, alfo auch das Recht des Kriegs und Friedens) mithin Aus 
Bere Selbfländigfeit, und zwar um ihrer Sicherheit willen ! Diefe Eonnte forlach das 
Reich ihnen nicht geben. Aber eben darum Eonnte das Reich nicht fehügen, weil die 

irſten jenes Recht der äußern Unabhängigkeit behaupteten, wodurch das Reich aufs 
Dörte, ein Bumdesftant zu fein. Der Zufaß: „jedoch fo, daß nichts gegen den Eid, 
wonrit Jeder dem Kaifer und Reich verpflichtet ift, gefchehe‘, war ohne Kraft, weil 
Kaiſer und Reich ohnehin nichts galten, fobald der einzelne Reichsſtand durch Buͤnd⸗ 
niffe mit Ausroärtigen feine Sicherheit befefligen durfte. Durch diefen Widerſpruch 
laſte fich das⸗Reich deutfcher Nation der That nach in ein Föderativſyſtem auf, das 
nur dem Namen nach einen Foderativſtaat vorftellte, Die Franzoſen fprachen daber 
&n presburger Frieden von einer coufederalion germonique. In diefem Foͤderativ⸗ 
fofiem entfchieden feit 1648 Öftreich, Schroeden und Frankreich, bis Friedrich Wil⸗ 
beim der Große Schweden, und Friedrich II. Fronkreich verdrängte. Nun flanden 
Ofireich und Preußen ads die bewegenden Kraͤfte des deutfchen Staatenbuntes da. 
Friedrich II. und Joſeph I, begriffen daher leicht, daß eine für eine eingefchränfte 
Monarchie entrvorfene Staatsform nicht mehr für ein Föderativfpftempaffe. Darum 
wollte Friedrich II. die Fortdauer feiner Monarchie durch die Fortdauer des deurfchen 
Foderativſyſtems fichern, fich felbft aber den Einfluß auf das leßtere durch eine pafz 
ſendere Form für daffelbe, durch den deutſchen Fürftenbund, bewahren. Joſeph IT. 
hingegen mollte dunch Taufchentrourfe Oftreichs übergewicht dauerhaft flügen. Un: 
terdeſſen neigte fich Europa durch das Gleichgewichtsſyſtem, welches mehre Allianzen 
veranlaßte, zu einem Gemeinweſen bin, das aus Fonföderationen befland, Jene A 
lianzen unterfehieden fich von einen Foderativ ſyſtem dadurch, daß fie zu einem be 


a \ 


AND Ä Söberatiofoftem . 


fininter Beedle der Politik eingegangen, durch die Erreichung oder Dauer diefes 
Zweckes bedingt, und unter gegenfeitigen Zeiftungen, bei der vollkommenſten Gleich⸗ 
heit aller Theilnehmer, ohne eine oberfte Keitungsmacht, gefchloffen, und oft einfeitig, 
felbſt gegen Die. Beſtimmung des Vertrags wieder aufgehoben wurden, “Der natiee 
liche Gegenſatz zwifchen Sroßbrisannien und Frankreich bildete dieſe Allianzpolitik 
immer mehr aus. Da aber Allianzen Eeinen feften Beftand haben, fo fiel die revo⸗ 
Iutionnaire Politif Napoleons auf das Continentalſyſtem, durch welches er das bri⸗ 
tiſche Continentalſyſtem vernichten wollte. Zu Elug, um eine Univerfalmonarchie für 
möglich zu halten, wihlte er das Foderativſyſtem als ein Erfaßmittel, um Frankreich 
zum Sentralpunfte der polit. Kräfte des feften Landes, und dadurch über England zu 
erheben. Nun zeigten fich alle Erfcheinungen, welche aus der Natur eines Foͤderativ⸗ 
ftems, wie wir oben dargethan haben, nothivendig folgen müffen. “Der franzdf. 
aifer taͤuſchte jeden einzelnen Staat mit dem Worte Souverainetät, die er in die 
volle innere freie Staatsgewalt deffelben feßte, indem er deffenäußere: Krieg, Friede, 
DBündniffe, Handel, dem Staatszwecke Frankreichs unterordnete. Aber auch jene ins 
nere Selbftändigkeit Eonnte nichts Andres als ein Blendwerk fein, da fich das Hans 
dels⸗ und Finanzfyftem jedes Verbündeten zulegt doch, wenigfiens mittelbar, nach 
Napoleons Kriegsfuften oder nach feiner Staatskunſt fügen mußte, und die franz. 
Berraltungsformen mehr oder weniger inden Staaten der Bundesgenoffen Eingang 
fanden. Diefe felbft hingen unter fich nicht zufammen; denn Napoleon fettete jeden 
Staat auf verfchiedene Weife an fein Syſtem: die einen enger, wie die Familien⸗ 
flaaten; die andern, dem Anfcheine nach, weniger enge, wie die Rheinſtaaten, welche 
er mit dem Worte Bund bloß binhielt, damit fie glauben follten, fie Hätten, an der - 
Einheit nichts verloren, an Sicherheit aber nur gewonnen, indem fie fich von Oftreich 
weg unter Sranfreiche oberfte Leitung begaben. Noch andre benußte er ganz militais 
rifch s politifch, woie die Schweiz, Warſchau und Danzig, oder machte fie unmittelbar 
von feiner Willtür abhängig, wie Yllyrien und die tonifchen Inſeln. Die übrigen 
Mächte hielt er als Bundesglieder unter dem Namen von Allürten feft; fie mußten 
fein Sontinentalfhftem annehmen und dadurch fich an fein Foͤderativſyſtem anſchlie⸗ 
Ben, oder fie hatten von ihm Krieg und Unterjschung zu fürchten. Vorgeblic war 
der natürliche Zweck jeder polit. Verbindung auch der Bene diefes Syſtems: Sicher: 
beit und Schuß; aber nur Furcht oder Zwang, dann auch die Hoffnung, an Macht 
zu geroinnen, fchloffen jenen Verein, durch welchen zuleßt Keiner gewann als Frank⸗ 
reich. Übrigens hatte in Napoleons Föderativfpftem Fein Staat eine polit. Stimme; 
der Rheinbund insbefontere hatte keine Bundesform, keine Vertreter und Feine rich: 
terliche Behörde. Hatten Herrfchfucht und -Dergrößerungstrieb diefes Syſtem ber: 
vorgebracht, fo bildeten dagegen gemeinfchaftlicher Widerftand und Volkskraft den 
Bund der europ. Hauptmächte, in welchem die Formen einer durch Erreichung und 
Bicherftellung des Zwecks bedingten Allianz oder Coalition wieder auflebten; jedoch 
fo, daf die Hauptmächte die Leitung der Streitkräfte der hinzutretenden Mächte vom 
zroeiten und dritten Range fich vorbehielten. (&. Chaumont, Vertrag von.) Als 
man hierauf die. deutfihen Staaten durch ein Föderativſyſtem wieder vereinigte, fü - 
wollte man die Souverainetät der einzelnen durch eine Bundesform (in der Acte des 
wiener Songreffes, Art. 382 u. 43, die Föderative Conſtitution Deutfchlands 
genannt) ficherftellen, in welcher der Grundſatz politifcher Gleichheit nach dem. 
Meachtverhältniffe obmwaltete. Der deutfche Bund iſt daher kein Bundesitaat, ſon⸗ 
dern ein Ötaaten:, oder nach der Zufaßacte vom 15. Mai 1820, ein Fürftenbund. 
Dagegen waren die Bereinigten Niederlande ein Bundesſtaat (Union). Solcher 
Staaten, too jedes Bundesglied im Innern feine Selbfländigkeit ausübt, im Aus 
Bern aber dem Geſammtwillen des Ganzen folgt, — diefer werde num monarchifch 
erblich oder durch Repräfentanten, mit oder ohne Directorialvorrechte Einzelner, aus: 
gefprochen und vollzogen, — gibt es gegenwärtig folgende : 1) die Berein, Stanten 


dee Sgolard 4174 
yon Rorbunerfla; 2) bie Union von Mexico; 8) Die Union von Mittelnmerkta; 4) 
die Union.der Provingen am Plata; 5) die fünfhundertjähr. Eidgenoſſenſchaft der 
Schweiger; 6) Norwegen und Schweden unter einem Erbkönige, mit 2 Berfaffune 
gen, unftreitig Die freieften in Europa; und in gewiſſer Hinficht 7) Ungarn und Of: 
reich, ſowie 8) Polen und Rußland unter einem erblichen Monarchen. K. 
Foe oder de oe (Danied), ein fruchtbarer. engtifcher Schriftfteller, der 
Sohn eines Fleifchers in Londen, geb. 1668, wurde in einer Schule der Diffenters, 
zu deren Partei der Bater gehörte, mit Sorgfalt erzogen, und dann zu einem Strumpf⸗ 
händler in die Lehre gegeben, Jeden freien Augenblid verwandte er auf die Lecture, 
befonders öffentlicher Blätter; der Parteigeift, den Jakobs II. unmweife Regierung 
aufs Irene erregt hatte, ergriff auch F., und in einem Alter von 21 Jahren trat 
er ſchon als politifcher Schriftfleller auf. Später erregte feine Fluofchrift: „Der 
echte Engländer”, in welcher er die Sache König Wilhelms 111. verfocht, ſo viel 
Theilnahme, daß der König nach dem Berfaffer forfehte und ihn anfehnlich belohnte. 
hr able a unter ber —— der Kain —* die —* 
irche angriff, und für deſſen Verfaſſer er ſich freimuthig befannte, zog ihm 
von Seiten des Parlaments —E des Prangers, einer ſtarken Geldbuße und 
eines zweijährigen Sefängniffes zu. Während Diefer Gefangenſchaft ſchrieb er in 
Profa und Berfen über allerlei Gegenſtande, vorzüglich fing er 1704-ein periodi: 
ſches Werk: „Uhe revivw”, an, welches er 17113 mit dem 9. Bande endigte. 
Diefes Merk übertraf Alles, was bis dahin in diefer Art erfchienen war, und foll 
Steele und Addiſon die Idee zum „Spectator” gegeben haben. In der Folge 
floffen aus 5.6 fruchtbarer Feder fatyrifche Pamphlets, Gedichte, moralifche 
Schriften, Hiftorifche Werke, Romame u. dgl., die längſt vergefien find. “Das 
Wert aber, das ihn auch außer feinem Vateriande befanntgemacht hat, ift: „Das 
Leben und die Begebenheiten Robinfon Cruſoe's“, die Lieblingslecture der us 
d, derem fich auch mol das fpätere Alter noch mit Dergnügen erinnert. F. 
atte fich nicht up erfefler genannt, und daher wurde Steele eine Zeit lang das 
für gehalten. F. 1719 feinen Robinfon vollendet hatte, ſuchte er lange Zeit 
einen Berleger dazu; endlich. wagte der Buchhändler W. Taylor die Unternehmung 
und gewann in k Zeit damit 1000 Pf. Sterl. Diefer ımermartete Erfolg 
Sıranlaßte $., 4 nate fpäter einen zweiten Theil des Robinſon herauszuge: 
ben, der jedoch nicht fo viel Beifall fand. Ob er die Abenteuer feines Robinſon 
völlig erdichtet oder die wahre Sefchichte eines. englifchen Seemanns dabei zum 
Grunde gelegt, Darüber find die Urtbeile verfchieden. (S. Robinſon.) $. ftarb 
zu London im April 1731. 
Foi x Gaſton de), f. Safton, | 
‚ „5olard (Chevalier Charles de‘, Taftifer, geb. zu Avignon 18069, nahm 
in ſ. 16. Jahre Kriegsdienfie und war Unterlieutenant im Regiment Berry, als 
er während des Feldzugs von 1688 in einem Freicorps auftrat, Diefes Gefthäft 
wurde für ihn eine Schule des Krieges. Im Feldzuge von 1704 fand er neue Ge: 
legenheit, feine Kenntniffe za zeigen. Der Herzog von Vendame machte ibn zum 
Oeneraladjutanten und überließ ihn nur ungern feinem Bruder, der in der Lom⸗ 
bardei befehligte. F. entfprach den von ihm gefaßten Erwartungen, In der 
Schlacht von Caſſano, 1705, ward er gefährlich verwundet, aber mitten unter 
den heftigften Schmerzen, die 8 Schußwunden ihm verurfachten, dachte er über die 
Anordaung dieſer Schlacht nach, und bildete feitdem fein Colonnenſyſtem aus, dem 
er einen Theil feines Rufs verdankt, Nachdem er fich bei mehren DBelagerungen 
ie italien, befonders vor Modend, ausgezeichnet hatte, ging er nach Flandern, 
werd bei Malplaquet verwundet und bald nachher gefangen. Eugen bemühte fich 
vergebene, ihn Durch die vortbeilhafteften Anerbietungen ju gewinnen. Er verwicelte 
den Peinxn in in nachtheiliges Manoeuvre, das Billars aus einer fehr geführli- 


172 ‚Zolie Fonde 


hen Rage zog. Nach der Ruͤckkehr in fein Vaterland ward er Cermckbant von 
Bourbourg. 1744 ging er nach Maha, welches die Turken belagerten, und zeigte 
dort neue Proben feines Talents. Der Wunſch, unter Karl All. zu dienen, 309 
ihn nad) Schweden; aber nad) des Könige Tode kehrte er nach Franfreich zurüd. 
4719 machte er ımter dem Herzog von Berwid als Meftre:de:-Camp feinen leßten 
Feldzug. Das Hauptwerk, worin er feine neuen Entdeckangen niederlegte, find 
feine Commentare zum Polybius. Außerdem fchrieb er: „Nouvelles deoouvertes 
sur ia guerre”, einen „Traite de la defense des placrs” und einen „Traite dia 
‚metier de partisan“. 5. flarb zu Avignon 1752. — Sein Neffe Hubert v. F. 
eb. d. 29. Juni 1709, ein verdienftvoller franz. Diplomat, war von 1741—7T6 in 
chland an verfchiedenen Höfen, 1748 — 51 als Sefandter beim Reiche, und 
‚feit 1766 als Sefandter am bairifchen Hofe mit wichtigen Geſchaͤften beauftragt. 
Er flarb zu Paris den 26. Yan. 1802. . 
 "&olie (Blatt), jedes bünne Blättchen von Metall, Papier u. dgl., welches 
durchfichtigen Stoffen, 3. B. Edelfleinen, zur Erhöhung ihres Glanzes und Feuers, 
untergelegt mird, indem es die durch den Durchfichtigen Rörper fallenden Lichtſtrah⸗ 
len zurüdtwirft. Daher figürlich alles Unechte, das einer Sache einen hoͤhern Glanz, 
Schein gibt, und ihr fo gleichfam zur Unterlage dient, um ihren Werth feheinbar 
zu erhöhen. Auch das Spiegelglas bedarf einer Folie von amalgamirtem Metall, 
wodurch es erft die Eigenfchaft, das Bild vollkommen zurückzuwerfen, erhält. 

5013 :Hans), aus Worms, Barbier zu Nuͤrnberg in der zweiten Hälfte des 
45. und gu Anfang des 16. Jahrh., war ein zu feiner Zeit berühmter Meifterfinger. 
Einer dererften, führte er die drainat. Gattung „Sefprächfpiel” 1470 in die deutfche 
Literatur ein, indem er den Faftnachtsfpielen eine vollklommnere Seftalt gab. Wir 
befigen von ihm noch 4 folcher Faſtnachtsſpiele: „Salomon und Marcoif“, „Ein 

uerngericht“‘, „Eine gar bäurifche Bauernbeirath“, „Der Arztund der Kranfe”. 
Noch zu Anfang des 16. Jahrh. wurden fie wiederholt gedrudt. Hans F. nahm 
übrigens felbft fehr lebhaften Antheil an der neuen Erfindung der Buchdruderfunft 
und an der Reformation, der er zugethan war. — 

5 on ds (öffentliche) heißen in England die Taxen und andre öffentliche Ab⸗ 
gaben, welche gu Bezahlung der Zinfen oder des Capitals der Nationalſchuld be: 
flimmt find. Als man nämlich den Ausweg ergriff, für den öffentlichen Dienſt 
beträchtliche Summen zu erkorgen, wies man den Darleibern den Ertrag irgend . 
eines Zweige der Ötaatseinfünfte an, den man als ausreichend zur Bezahlung der 
Binfen oder des Capitals, oder beider, nach Maßgabe des Tontracts, anfehen 
konnte. So hatte jede Anleihe ihren Fonds, Um aber die Unbequemlichkeiten 
wegzuräumen, die daraus entftanden, dag ein einzelner Fonds einmal nicht zu 
reichte, während cin andrer Uberfchuß hatte, fehlug man mehre Fonds zuſammen 
und beftritt aus ihrem gemeinfchaftlichen Ertrage die Zahlungen, für welche fie be: 
flimmt waren, So entflanden die Geſammtfonds (Aygregate fund) 1715, der 
Süpdfeefonde 17116 , der allgemeine Fonds 17116, der Amortifationsfonde (Sin- 
king fund), in welchen die Überſchüſſe der fogenannten 3 Fonds fließen, und wel- 
cher urfprünglich zur Berminderung der Nationalfchuld beftimmt, in den legten 
Jahren aber auch für die Staatsbedürfniffe verwendet wurde; endlich der confoli- 
dirte Fonds, unter welcher Benennung man 1786, indem man bie genannten 
Fonds aufhob, die Geſammtheit der öffentlichen Einkünfte (mit Ausſchluß der jaͤhr⸗ 
lichen Bewilligungen) vereinigte. Aus diefem Fonds werden die Zinfen und fülli: 
gen Sapitale des ganzen Staatsſchuldweſens, die Zinfen der Schatzkammerſcheine, 
die Eiviflifte, alle Penſionen, Gehalte und einige andre jährliche Ausgaben bezahlt. 
Der Uberfchuß wird jährlich von bem Parlamente für die Beduͤrfniſſe des laufenden 
Jahres angewieſen. Da nun jeder Staatsſchuldſchein für Zinfen oder Capital auf 
einen geroiffen Fonds angewieſen ift, fo hat man, indem man ähn:felbfl ale einen 


Sonf | 174 


Dieil dieſes Bande anfah;; auch hieſe Benennung darauf uͤbertkagen, und dar use 
druck:: 1008: Pfund in den offentlichen Fonds, bedeutet jetzt fo Biel ale ein Capi⸗ 
tal von 1000 Pfund, das nach Maßgabe der urſprunglichen Bedingungen / der An⸗ 
leihe gewiſſe jahrliche, vom Staate zu bezahlende Zinſen trägt. Die Staatsſchub⸗ 
‚den, welche bis zur Abzahlimg des Capitals Zinſen tragen, werden in der Finanp. 
ſprache formsährende oder einläglithe (perpetual or. redeemabie) Annuitäten 
(£ d.), in gemeimen Leben aber Fonds oder Stodis genannt; ein kleiner Theil. der 
öffentlichen Schulden befleßt aus Annuitäten für eine gewiſſe Reihe vor Yahbren, 
weicher mit deren: Ablauf erlifcht. Ste heihen unablösliche (irrodeemabie or de- 
terminate) Aunuitäten, und zerfallen in lange (long annuities), die 90. oder⸗400 
Jahre dauern (zu König. Wilhelms: Zeiten trugen fie 10, 42 und 14 Prous die; 
gegenwärtigen werden alle mitdem J. 1860 aufhören , und in Eur (short 2,33 
velche 1778 Denen, die an den einlöstichen Annuitäten eingebüßt hatten, ouf,.604 

20, höchfiens 30 Jahre als Entfehäbigung beroilligt wurden.. Außerdem gibt. ea 
noch tilc.aumuilies,. Die auf das Leben einer oder mehrer Perſonen fortdauern. 
Den bei weitem groͤßern Theil machen die fortmährenten Anmmitaͤten aus., welche 
nach den. Binfen verfchieden find, welche fietrngen. &o oft aber die Regierung eine 
neue Anleihe macht,. fchlägt fie diefelbe zu dem Theil ter dffentlichen Schul dr. en 
gleiche Zinſen tragt, die zur Bezahlung der Zinfen der.neuen Anleihe angespiafenen 
Auflagen aber zur dem Fonds, der zur Bezahlung der Zinfen des ältern: Capitala 
vorhanden war. &o werden biealten und neuen Schulden confolidirt, und. die gana 
ien Binfen aus dem Geſammtertrag des Bonds bezahlt. Die Sefchäfte, welche 
töglich in dieſen verſchiedenen Sonde, aber Dauptfüchlich in den confolidirten 8 Pros 
centen, worin der.bei meitem.größte Theil der Staatsſchuld befleht, gemacht werden, 
find außererdentlich.graß und werden durch eine Art Handel noch vermeßrt, weile. 
cher in England stock-johbing heißt und darin beftehr, dag 2 Theile nach, demp 
gegenwaͤrtigen Stande der Stocks einen Contract auf eine gewiſſe Summe fchliee 
fen, wel Her nach einer beftininten Beit.erflillt werden foll, wohei nicht das: Capi⸗ 
tal, fondern nur die Summe bezahlt und empfangen wird, um welche den Stand, 
der Stods am Derfalltage von dem Starde am Tage des Abfchluffes verfihiehen 
iſt. Obgleich die Geſetze dieſe Art Handel verbieten, und die Erfüllung der Berbinds 
lichkeit nur von der Ehre der Parteien abhaͤngt, fo werden dennorh ungeheure Gen 
fhäfte Darin gemacht. (S. Staatspapiere) - oo. 

Fonk (Peter Anton), Kaufmann zu Koln. Der Triminalproceß, welcher 
feit 1836 gegen diefen Mann .megen Ermerdung des Kaufmanns Wild. Könen aug 
Krefeld anbängig war und endlich am 9. Juni 182%, nach einer Sigung von 
1 Wochen, mit der Berurtheilung F.'s zum Tode beendigt wurde, gedart zu den 
merkwuͤrdigſten Erſcheinungen der neuern Zeit. Dieſer Criminalfall erregte eine 
weitverbreitete Theilnahme durch die Verwickelung und das Unerklaͤrliche der That⸗ 
ſachen; überdies wurde er als em Pruͤfſtein betrachtet, auf welchem fich ent⸗ 
ſcheiden muͤſſe, ob das frangäfifche Triminalverfahren mit üffentlicher, münds 
licher Verhandlung und einem Urtheile der Schöffen über die Thatfachen nach 
individuellem Furwahrhalten, oder ob das deutfche, mit geheimer Unterfuchung und 

‚ nach beftimmten Rechtsregeln von rechtsfundigen Richtern zu fällenden Urs 
theile über farmellzjuridifche Wahrheit den Vorzug verdiene, Und wenn auch ein 
einzelner Fall fchrverlich Dazu geeignet ift, in einer fo reichtigen Angelegenheit, als 
die Abwägung dieſer beiden, Inſtitutionen gegen einander ift, eine Entfcheidung zu 
begründen, fo verftattet doch die große Zahl der darüber erfchienenen Schriften eing 
fo genaue Prüfung jedes einzelnen Punktes, daß man fich auch künftig oft auf ihn 
wird berufen muſſen. — ‘Peter Anton Fonk, geb. um 4784, Sohn eines reichen: 
Kaufmanns zu Goch bei Kleve, aus einer angefehenen Familie) war zuerft in Rob 
terdam Affecis eines dortigen Handelshauſes, mandte fich aber 1809 nach Köln, _ 





⸗ 


478 Fonf 


wo. er ſich mit der Tochter eines angefehenen Tabadefabritanten,’ Herrn Foveaur, 
verheirathete. Eine Bleimeißfabrif, melde er zuerſt betrieb, gab er 1815 auf, 
am 'einen Handel mit Branntwein und Ligueurs, gemeinfchaftlich mit dein Apo: 
thefer Schröder in Krefeld, zu betreiben. Schröder beforgte die Fabrication, wozu 
er die Geraͤthe mit Aufwand von 6000 Thlr. angefchafft hatte; 5. follte dus Geld 
anſchaffen, den Verkauf (zum Theil durch Schleichhandel) und das Mercantilifche 
betreiben. Zwiſchen Beiden brachen aber, ungeachtet des großen Gewinns (der in 
kaum 18 Monaten von $. auf 20,000 Thlr. angegeben war), bald Mißhelligkei⸗ 
ten aus; Schröder foll mehr Geld, als fich gehörte, zu feinem befondern Auf 
toande aus der gemeinfchaftlichen Caſſe genommen , feheint aber feinerfeits gegen 
F. den Verdacht gefaßt zu haben , daß er von ihn unredlich behandelt werde. Es 
Som dahin, dag Schröder, mit 5.’ Zuflimmung, einen jungen Kaufmann, Wils 
heſm Tönen, mit dem Sanblungsgehälfen Elfes, einem frübern Diene F.'s, 
welchen er ſelbſt nach Krefeld zu Schröder geſchickt Hatte, mit dem Auftragenach _ 
Köln abordnete, eine von 5. ihm zugefandte Rechnung aus 5.5 Buchern zu un: 
terfüchen. Elfes (welcher zuerfl Schröder's Verdacht gegen F. rege gemacht haben - 
mag) wurde, als er mit Cönen am 1. Nov. 1816 bei 5. erfchien, von diefem zu: 
ruckgewieſen, Conen aber zur Unterfuchung der Rechnung angenommen, Er ging 
mit entfehiedenem Mißtrauen gegen $. an diefe Arbeit und wurde von dem Buchs _ 
haiter 5.8, J. J. Hahnenbein, darin beftärkt, äußerte fich auch in mehren Bries 
fen an die.= einigen und Schröder aufdas Verächtlichfte über F. deffen Betragen 
er fehr ungleich , ‘bald fchmeichelnd, bald Falt und unhöflich ſchildert. Er verglich 
zuerft die Seldeinnahme 8.8, offenbar für Schröder das Michtigfie, wit der 
Prima Nota und den Belegen, und fand fie zu feiner Verwunderung richtig. 
Dies Gefchäft hatte er am 6. Nos. beendigt; nun aber verlangte er von F. die 
Borlegung des Hauptbuche und des “Journals, in welchen, nach Hahnenbein’s 
Berficherung, ein Betrug von 8000 Thalern ſtecken ſollte. Diefe verweigerte 
F. mit Heftigkeit, brach das Sefchäft ab und reifte noch an diefem Tage nach, 
Neuß, um durch ein Paar Freunde, ohne Tönen, mit Schröder felbft einen Ber: 
gleich zu Stande zu bringen. Schröder ließ fich, durch Conen gewarnt, auf Nichte 
ein, kam aber am 8. Nov. felbft nach Köln, wohm auch $. am Sonnabend (9. Nov. 
zwiſchen 11 und 12 Uhr) zurückkam. Conen überbrachte dieſem bald nachher Der: 
gleichsvorſchlaͤge, nach welchen er dem Gewinne des Branntweingeſchaͤfts, welcher 
von F. auf 20,000 Thlr. berechnet war, 8000 Thlr. zuſetzen, dagegen aber 
den Vortheil von mehren noch unverkauften Gegenſtanden allein haben, und Eini⸗ 
ges von den Vorraͤthen ihm gänzlich abgetreten werden follte, ſodaß man nicht. 
fügen konnte, ob F. durch diefen Vergleich ein wirkliches Opfer brachte und damit 
gewiffernaßen ein Geſtaͤndniß ablegte. F. und Schröder num hielten mit Hahnen⸗ 
in und Conen eine Conferenz im Fonk'ſchen Haufe (auf dem Wege dahin will 
Hahnenbein eine Annäherung zwifihen F. und Cönen bemerkt haben), in welcher 
fih $. zu einem Zufag zum Gewinn von 8000 Thlr. verftand; der Dergleich kam 
jedoch nicht zum Abfchluß, weil Schröder fich noch über einige Punkte mit Cönen 
befprechen wollte. Dean ging Abends, etwas nach 8 Uhr, aus einander; eine 
zweite Conferenz wurde auf den folgenden Tag (Sonntag, 10. Nov.) früh 9 Uhr 
verabredet; Fönen und Schröder gingen in ihr Gaſthaus zurück; dabin kam fpäs 
ter auch Habnenbein , welchen Conen noch, ehe er von $. nach Haufe gekommen 
war, in feiner Wohnung aufgefucht hatte; man blieb bis nach 10 Uhr beifam: 
men, und als Hahnenbein nach Haufe ging, nahm Tönen feinen Hut, ihn zu be: 
gleiten — und einem gerwaltfamen Tode entgegenzugeben. Er verließ Hahnenbein 
in der Mitte des alten Markts und wendete fich wieder nach der Mlühlengäffe, in 
welcher, nur etwa 30 Schritte entfernt, fein Gaſthaus Tiegt, Pam aber nicht mehr 
in darfelbe zurüd. Am 19. Dec, wurde fein Leichnam unterhalb Köln im Rhein 


\ 


Fonk u 475 


gefunden. Er war vollſtandig befleibet, die beiden oberſten Knöpfe feines Lelbrocks 
weichen er gerohhnlich ganz zugefnöpft hatte, waren ausgerifien. Eine Rocktaſche 
auf der-Bruft, in weicher er fein Taſchenbuch zu tragen pflegte, war leer ; das Tas 
ſchenbuch iſt nie wieder zum Borfchein gefommen, “Dagegen wurde feine goldene 
Ube in der Uhrtafche gefunden. Am Kopfe hatte er bedeutende Berlegungen, .eine 
gequetfihte Wunde über dem linfen Yuge, eime ſtarke Contuſion am Hinterhaupte, 
eine geriffene (vermutblich erft im Waſſer entflandene) Bunde auf dem Scheitel. 
am Halfe, tief unten gegen dieBruft, Spuren der Ermürgung. Die Obducenten 
urtheilen. daß diefe Berlegungen dem Conen im Leben: zugefügt worden feien und 
feinen Tod unvermeidlich bewirkt hätten; daß die Wunde an der Stirn wol von 
einem Schlage mit einem fcharftantigen Werkzeuge etwa dem Ruͤcken eines Band⸗ 
meffers der Faßbinder) zugefügt fein kͤnne. Ein dagegen: von einem: berühmten 
Anatessen (Ur; von Walther in Bonn) erbobener Zweifel, und-die Behauptung, 
daß vielleicht alle Diefe Berlegungen des Körperg arftim Waſſer entflanden feien, hat 
keinen Unbefangenen irre gemacht oder Die volle berzeugung von der gewaltſamen 
Todesart Cönm’s durch vorfüßlichen Mord im Geringſten erſchüttert. Denn daß 
Conen nicht vorfüglich oder zufällig feinen Tod im Rhein gefunden habe, iſt ſchon 
daraus klar, daßer, ohne fich ein Thor öffnen zu laffen, nicht zu demſelben kommen 
Bermte, injener Nacht aber Niemand eine Dffnung des Thors verlangt hat. Schrös . 
der und Conen's Verwandte und Freunde ftellten ſogleich eifrige Nachforſchungen 
an; zwan wußte fich Beinen Grund feines Verſchwindens anzugeben, und.ee ent» 
ſtand bald der Verdacht, daß er abfichtlich auf die Seite gefchafft worben fein möge, 
wobei denn 5. der Einzige roae, bei welchem man einen Beweggrund, ſich Co⸗ 
nes zu enti"digen, vorausfegen konnte, Ein Beſuch dreier Erefelder Freunde bs 
nen’s, am 21. Nov., mobei F. fich fonderbar benahm, verſtuͤrbte diefen Verdacht; 
F. hatte ihnen einen Brief vorgelefen, welchen er über diefen befondern Fall ger 
fiprieben,, hatte dabei geweint und fie auf Die Thränen, dieer vergiefe, anfmerkfany 
ht; hatte ihnen einen Zettel vorgewiefen, mit den Worten: Sehen Sie hier. 
Eonen's eigne Hand! und — es mar nicht Conen's Hand; hatte feinen Buchhalten 
gerufen, um Dinge zuhören, welche fie.in Etſtannen feßen wurder +. und fie hat⸗ 
ven Nichts vernommen. So lange indeffen Conen's Leichnam nicht aufgefunden 
war, konnten gerishtliche Maßregeln nicht gegen F. ergriffen werden; die Polizet 
b ſich afle Mühe, eine Spur von ihm zu entdecken; ein Bordell, in welchen 
dnen einige Mal gewefen war und fich mit einem Madchen aus Florenz abgesehen 
hatte, wurde unterfitcht, aber Leine Urſache zum Verdacht gefunden; Tönen fellte 
an jenen Abende nicht da geweſen fein; alle Bewohner und Nachbarn bezeugten, in 
der Nacht vom 9. zum 10. Nov. kein Gersufch gehört zu haben, was bei der Lage 
und Bauart deffelben nicht haͤtte unbemerkt bleiben konnen. Bergebens feßte man 
eine Belohnung von 3000 Frances aus. F. und Hahnenbein wurden polizeilich bes 
obachtet, und es iſt aus diefem Zeitabfchnitte noch zu bemerken, daß 5. an dem⸗ 
felben Tage, als ihm ber. Befuch jener 3 Erefelder Maͤnner geworden war, zum 
Polizeibeamten Guiſez ging, um ihn um Rath wegen feines Benehmens in diefer 
ſchwierigen Lage zu bitten, deſſen Rath, fich der Juſtiz indie Arme zu werfen, aber 
nicht befolgte; daß er dagegen nun Schroͤder zur Auseinanderfegung vor das Hans 
delstribunal laden Jieß und den vorher eifrig geſuchten Vergleich. beharrlich ablehnte, 
auch em ſchiedsrichterliches Urtheil won 20. “Yan. 1817 erhielt (wobei der General⸗ 
procurator von Sandt von Schröder zum Schiedsrichter gewählt morden war), 100: 
durch Cichräders Schuld an die Gefellfchaft auf 7791 Thlr., 8.8 Guthaben . 
an’diefelbe auf 16,132 Thlr. feſtgeſtellt wurde. Daß dieſes Reſultat durch eine _ 
Verfaiſchung der $’fchen Bücher herbeigeführt. worden fei, ift zwar von dem 
Gen⸗Proc. von Sandt behauptet , jedoch in der Unterfuchung felbft zwar nicht als 
unmoglich, aber auch nicht einmal als wahrſcheinlich dargethan worden. Gleichwol 


178 | Fonk 


fonnte hlerin allein, ſowie in $.’8 ganzer kaufmannlſchen Lage, für ihn ein Grunud 
ee Könen’s Entfernung zu wünfchen, und wie tief hutte derfelbe in die bürgerz 
iche Exiſtenz :deffelben eingveifen nyiffen, um ibn bis- zu dem Entfchluffe eines 
Mordes zu treiben, zu dem Entfohluffe einer That, welcher das natürliche. Befüͤhl 
ſtarker als alle Bunt vor Entdedung und Strafe entgegenwirkt. Wenn aber ein⸗ 
mal die öffentliche Meinung irgend eine Richtung genommen bat, fo ift fie nicht 
mehr durch ruhige. liberlegung zu beberrfchen; fie ergreift Alles, fie zieht Mahrung 
aus Allem, Uubedeutende Dinge tverden verdreht, Zeit und Ort verwirrt, bis fie 
irgend eine Bedeutung bekommen. So ging es auch hier. Wie viele Anzeigen: 
wurden gemacht und find wieder verschwunden, als eine genauere Nachfrage gehal⸗ 
ten wurde. Die Auffindung des Leirhnams gab diefer einmal erweckten Meinung 
einen. beftimmten Stoff. Die Wunde.an der Stirn wies auf ein Werkzeug him, 
welches 5. in feinem Comptoir ‘Haste und täglich brauchte, auf einen Gehälfen; 
weicher ihm täglich: zur Hand und durch Intereſſe an ihn gefettet war, auf Das. 
Bandmeffer und den Kiefer, Chriftian Hamacher. Schon wollte man bemerkt 
Baben, daß diefer Menfch, feit Cimen vermißt wurde, einen. größern Aufwand in 
Weinhauſern und in feiner Hausbaltung gemacht babe. Man trug fich mit Reden, 
welche er babe: fallen laffen, daß F. diefen Aufwand bezahlen müffe. Aber auch” 
diefe Umftände find in dem Verfahren vor dem Affifenbofe nicht mit einer ſolchen 
Beſtimmtheit hervorgetreten, als ein thätiger und geſchickter Inquirent fie wärde: 
ins Nicht gefeßt haben. Auch gegen F. hatte man entfcheidendere gerisheliche 
‚ Mafregeln nothig gefunden. Sowie am 22. Dec. die Nachricht in Köln eintraf 
daß man Cdnen's Beide im Rhein gefunden habe, wurde er in feinem Haufe von- 
daumen bewacht, und eine linterfuchung gegen ihn eröffnet. Christian Hama⸗ 
her wurde in einem Weinhauſe zu dinem Streite veranlaßt und unter diefem Vors: 
wande am 81. Yan. 1817 in Derhaft gebracht: Man hatte ihm Conen's Ermors, 
dung geradezu vorgerworfen: und ihm Außerungen zu entloden geſucht, welche als 
Regungen des böfen Gewiſſens gedeutet wurden. Im Oefängniffe behorchte mar 
ihn; ein andrer Öefangener mußte fein Vertrauen zu erfchleichen fuchen, aber — 
zu gleicher: Beit-fuchte auch Hamacher’s Frau den “Polizeiinfpectsr Schoͤning mit 
einem Gefaß von Silber zu beftechen, welches ein Seiftlicher ihrem Schwager zu 
dieſem Endefür 22 Kronthaler verfauft hatte. Hamacher wurde in einem dunkeln 
und feuchten Kerfer gehalten; er fing am 10. Dlärz 1817 an, dem Seneralproaz 
totor von Sandt Seftändniffe abzulegen, und befannte ihm endlich, daß F. mit 
feiner Beibülfe den Wilhelm Conen am 9. Nov. Abends in F.'s Haufe wirklich 
erfchlagen habe: Erft am 16. April 1817 wurde diefes Geſtandniß im gerichtlicher. 
Form niedergefehrieben (von Sandt fürchtete, daß es gleich nach dem gerichtlichen 
Derbör befannt werden, und dies die fernere Linterfuchung erfchiveren werde); und: 
es enthielt im Wefentlichen. Folgendes: F. habe ihm (Hamacher) fihon am 4. 
Nov. angelegen, den Conen aus der. Welt zu fehaffen, wozu er fich aber Damals. 
nicht verftanden habe. Am 9. Nov. aber habe Hamacher bei F. wieder gearbei⸗ 
tet, feivon demfelben auf den Abend nach 9 Uhr wieder beftellt worden; 5. Babe 
ihn ins Comptoir geführt, welches im F.'ſchen Hauſe "Parterre neben der Hause 
tbür liegt, ihm Wein vorgefeßt und ihn angewiefen, tern Cönen fomme, der 
twas vergeffen habe, und die Klingel ziehe, ihm.die Thür zu öffnen, Tönen ſei 
nach 104, vieleicht 114 gekommen, babe gefchellt, Hamacher die Thür geöffnet, 
Jener habe:nacdh F. gefragt, der auch gleich hinzugefommen; fie'hätten ſich gegrüßt, 
und Tönen gefagt, er habe Etwas vergeſſen, worauf F. erwidert: Das dachteich wol. 
(Dan bat es fehr unnatürlich gefunden, daß F. im voraus geroußt, Tönen werde, 
um etwas Dergeffenes zu holen, zu einer beftimmten Stunde fommen; aber wenn 
eine Beftellung flattgefunden hatte, fo war diefe Art. fie za maskiren — denn Ha: 
marher war wol in F.'s, aber nicht in Sönen’s Vertrauen — diejenige, welche fich am 


Zen | 477 


erſten und faſt ausfchließlich darbot.) Beide, F. und Tönen, ſeien ſodann in 


— J 


das Zimmer gegangen, wo ſie gearbeitet haͤtten; als ſie wieder herabgekommen, 
habe F. von Schroͤder's Branntwein und in Vergleich damit von ganz altem ech⸗ 
tem Franzbranntwein gefprochen, den er Conen zum Koſten angeboten. Conen 


habe fiih anfangs geweigert, aber F. ihm zugeredet: „Nun thun Sie mirden Se: 


fallen, ihn einmal zu verfuchen, fo werden Sie echten frangöfifchen Branntmwein 
ſchmecken“. Zu Hamacher babe er gefagt, ein Glas und eine Pumpe zu holen, 
felbft aber babe er das auf dem Tiſche liegende Bandmeſſer genommen und unter 
den Rod geſteckt. Sie feien fodann Alle in das Padhaus gegangen (einen Raum 
im Fonkſchen Haufe, gerade unter dem Schlafzimmer der Maͤgde), dort habe ſich 
5. geftellt, als wolle er das Faß mit dem Bandmeſſer auffchlagen, fich aber ge: 
wendet und unter den Worten: „Da, Kerl, haft du die Probe!“ Sönen einen Schlag 
auf den Kopf gegeben, daß dieſer gleich geblutet Habe und auf einen Stoß, den ihm 


5. auf Sie Bruft’gegeben, ruͤckwaͤrts hingeflürzt fei, wobei er noch mit dem Kopfe. 


auf einen nahe Dabei fiehenden Gewichtſtein gefallen. Nun babe F. zu Hamas 
her gefagt : „Haltet dem Kerl die Kehle zu, daß er nicht ſchreien kann“, welches er 
n, bis er nach einer Weile geſpürt babe, daß er nicht mehr ſchreien könne; 
babe ihm die Brieftaſche aus der Rocktaſche auf der Bruſt gezogen, worauf 
Samacher den Leichnam in ein Faß geſteckt, ihm den Kopf mit einem Sade um: 
wickelt, das Faß mit Stroh ausgefüllt und zugemacht habe. Sie hätten dann mit 
einander verabredet, das Faß durch Hamacher’s Bruder Adam aus der Stadt fchaf: 
fen zu laſſen; Hamacher babe diefen. Bruder am nächften Tage ermartet und; ihn 
wirklich gedungen, am Montage früh mit feinem Karren bei 5.8 Haufe zu fen. 
Adam Hamacher fei ſchon Sonntags (10. Nov.) in Köln gewefen, des Morgens um 
4 Uhr feien fie Beide ans Fonffche Thor gekommen, 5. habe die Thür geöffnet, der 


Karren fei in den Sof gefhoben, das Faß aufgeladen und unweit Mühlheim an.den 


Rhein geführen worden, Bis dahin habe Adam Hamacher nichtgeroußt, was in.dem 
Faſſe fei, als er aber das Faß abgeladen hatte und fortfahren wolfte, habe Chriſtian 
Hamacher ihm in der Angſt gefagt: „Du mußt bei mir bleiben, in dem Faß iſt ein 
Todter!" „Sort, ein Todter ! wenn ich das gewußt hätte, hätte ich das Faß nicht 
aufgeladen”. Darauf babe Chriſtian Hamacher das Faß aufgefchlagen, fie hätten 
den Leichnam herausgenommen, Chriſtian Hamacher habe einen ſchweren Stein ge- 


fücht, folgen mit einem Niemen an den Körper gebunden, ‚und diefen inden Rhein: 


verfenkt, Er, Chriſtian Hamacher, feitabei, um den Körper nach der Tiefe zu fchie: 
ben, fo tief ins Waſſer getreten, daß ihm daffelbe in die Stiefeln gegangen fei. Pfeife 
und Hut Conen's hatte F. nach diefer Erzählung gleich nach der That im Comptoir 


—5 war damit zur Thür hinausgegangen, und nach etwa 10 Minuten ohne 


girüdgefommen: Hamacher wußte alſo nicht, wohin Beide gekommen. (Bei 
Conews eiche ſollte eine Pfeife, wie Cönen führte, am 19. Dec. 1816 gefunden 
worden fein, fie kam aber erſt 1822 ins Bericht, Eonnte nicht beſtimmt anerfannt 
werden, und es ift alfo hierauf fein Gewicht zu legen... Einen Hut zog der Nachbar 
8.8, der Bäder Engels, zwiſchen Oſtern und. Pfingften aus dem gemeinfchaftli- 
Brunnen.) Hamacher'n verfprach F. für feine Theilnahme und Berfchwie: 
genheit 100 Kronenthaler, Hatte ihm auch 30 fofort bezahlt. Dies Geftändnig 
wiederholte Ehriftian Hamacher noch am 9. Mai, fing aber bald darauf an zu 
wanken und widerrief zuerft Das, ‚was feinen Bruder betraf (welcher, wie F.'s 


halter Hahnenbein, der Kiefer Ulrich und deffen Sohn, und Hamacher’s Ehe: _ 


‚ auch verhaftet worden war), zuleßt die ganze Erzählung. Er behauptete 
Nunmehr, der Generalprocurator v. Sandt habe ihn zu diefem falfchen Geſtaͤndniſſe 


verleitet, habe die ganze Erzählung zufammengefeßt und ihm eingelernt. 5.8 Ber: - 


theidiger Haben. Hauptfächlich diefe Behauptungen aufgegriffen; fie haben den Ge⸗ 
Beralptocurator v. Sande befchuldigt, dag er, um die Sjllegalität feiner erſten Pro: 
Eomerſations⸗ Lexicon. Bd. IV. 12 | 


[5 





& 
ner Schuld der vorigen Beamten ats F.'s und feiner Mitſchuldigen die Rede war. 
Ein Uriheil vom 23. Juni 1818 erfannte zwar die Anflage gegen Hamacher, ent: 
band aber F. und Habnenbein von ver nflanz Er wurde auf neue Berbachts 
gründe bald darauf zum weiten Mal eingezogen ; durch ein Urtheil des Auflage: 


etzt. Syamacher’s 
vor dem Affifengericht in Trier verhandelt, und diefer dort am 31. Oct. 1820 als 
Gehuͤlfe bei Eonen’s Ermordung, jedoch ohne Borbedacht, zu 16jahriger Zwangs⸗ 
arbeit verurtheilt. F. wurde am 3. Nov. 1820 pm dritten Mal ın Verhaft ge: 
nommen, Die Unterfuchung bis zum juni 1821 fortgefeßt, am 22. April 1822 die 
öffentliche und feierliche Verhandlung vor dem Aſſiſenhofe zu Trier eröffnet und am 
9. Juni damit beendigt, daß die Sefchiworenen mit 7 Stimmen gegen 5 den Ange: 
klagten eines in der Nacht vom 9. yım 10. Nov, 1816 an Wilhelm Conen verübten 
vorfiglihen und vorbetachten Mordes für fchuldig erflärten, der Affıfenhof aber 
darauf die Todesfirafe gegen ihn ausfprach. ein Geſach um Caſſation diefes Ur: 
theils wurde von dem Revifionshofe zu “Berlin zurückgewieſen. — 5.65 Sache 
ift feitdem, und fchon während der Verhandlung vor den Affifen, in getrudten 
Schriften mit ebenfo großem Eifer und mit größerer Leitenfshaftlichkeit als vor 
dem Gerichte felbft verhandelt worden, obgleich es Denen, welche der Berbandlung 
ſelbſt nicht beigewohnt haben, fo gut wie unmöglich ift, ein Urtheil Darüber zu fafz 
fen. Es fehlt die unmittelbare Beobachtung des Angeklagten und der Zeugen, Die 
Kenntniß ihrer Berhäftniffe und der Slaubmürdigkeit, welche fich aus ihrem Rufe, 
aus ihrer bürgerlichen Lage, aus ihrem perfönlichen Auftreten abmeffen ift. Darin 
foll ja aber die Borzüglichkeit des öffentlich: mündlichen Verfahrens beftehen, daß 
die Entfcheidung nicht durch den toben Buchſtaben, bei welchem fich erft tie Phan- 
tafie ein trügerifches Bild der Handlung: zufammenfegen muß, und auf welchen die 
Überzeugung des Richters (oder gar deſſen abfichtliche Leitung) einen fo großen Eins 
flug bat, fondern durch die Iebendige Anfchauung aller handelnden Perfonen, durch 
die gleichfam dramatifhe Wiederholung der ganzen Handlung beftimmt wird. Das 
ber ift es ebenfo voreilig, die Schöffen eines unbegründeten Urtheils anzuflagem, 
als ihre Bertheitigung zu übernehmen, Aber freilich, gerade der größte Wenfchens 
kenner wird am vorfichtigften fein, wenn esgilt, auf ſolche aͤußerliche Dinge, To”, 
Haltung, Sefichtszüge und Mienenfpiel eines Menfchen, ein Urtheilüber Freiheit, 
Leben und Ehre eines Angeklagten zu bauen, Wie viele Menſchen gibt es über: 
haupt, und wie felten müffen fie alfo auch unter den Geſchworenen fein, deren Blick 
fo fharf und fo geübt ift; um Heuchelei von Wahrheit, Furchtfamfeit und natür- 
liche Verlegenheit von böfem Bewußtſein, Frechheit von dem Trotz eines guten Ge⸗ 
wiſſens, in der zufammenhängenden Erzählung den geübten Zügner von dem wahr⸗ 
haften Manne, und in der ſchwankenden den furchtfarnen Unfchuldigen von “Dem, 
welcher ein Verbrechen zu verbergen hat, mit voller Sicherheit zu unterfcheiden ? 
Und wer kann ſich wol rühmen, Alles richtig aufzufarfen, treu zubewahren, eine ge 
faßte Meinung weder durch fpätere Eingrüde verwiſchen zu laſſen, noch auch gegen 
beffere Gründe feſtzuhalten, wenn, wie in F.'s Fall, die Verhandlungen 7 Bo: 
hen dauern, und 247 Zeugen auftreten? Wird nicht zulebt Doch das Meifte von 
der Gewandtheit der Sachmwalter und dem Vortrage des vorfigenden Richters ab: 
hängen, und jene Kunft, die Wahrheit in den Schatten zu flellen, die Gegner vers 


Bonf u 179 


dachtig, das Mitlerden, den Unwillen und andre Leidenfchaften rege zumachen, am 
Ende Alles entfiheiden? Und doch ift Dies vielleicht noch das toeniger Seführliche, 
Denn ſchlimmer ift es noch, wenn die Stimme des Volks bereits vor dem Urtheil 
entſchieden hat, umd das heilige Recht, Ehre und Leben allen Rlatfchereien hingege⸗ 
ben, von dem Geſchwaͤtz der Bier:und Weinhäufer entfchieden wird. Sinfofern 


bietet 5.6 Sache allerdings Beranlaffungen zu den wichtigſten Betrachtungen | 


der. Es gibt keine einzige unmittelbare Anzeige gegen ibn; es if in feinem Haufe 
Nichts von Conen's Sachen, feine Epur von Blut oder fonft Verdaͤchtiges ges 
finden worden. Wie viele Zufälle Eonnen. einen Hut in den Brunnen gefÜhrt ba. 
ben, da es gänzlich ungewiß geblieben ift, ob der gefündene Conen's Hut mar, Es 
Beibt gegen: 5. nichts ftehen als die Möglichkeit, daß Rachfucht oder Eigennutz 
ihm einen Beweggrund abgeben Eonnten, Conen zu morden, und Als Chriſtian Has 
mincher’s zurũckgenommenes Sefländnig. Der Schluß waͤre ein gewagter, daß, 
weil man feine andre DBeranlaffung zu Conen's Tod auffinden Eonnte (der Raub: 
nord wird durch das Vorfinden der goldenen Uhr bei der Leiche ausgefchloffen, an 
eine Ermordung im Schumacher’fchen Bordell wird Niemand im Ernfte glauben) 
und weil bei F. theils in feinen frühırn Äußerungen gegen Conen, theils in der 
Porausfegung , daß Conen einen geführlichen Bid in feine faufmännifchen Ber: 
haltniſſe getban, die Moͤglichkeit eines Antriebes zum Mord angenommen werden 
fann: dag F. auch wirklich der Morder fe. Bedenklich ift allerdings fein Beneh⸗ 
men nach Sönen’s Verſchwinden, und das fchiedsrichterliche Urtheil ift ebenfo we⸗ 
nig entſcheidend für ihn als dag Urtheil der Kaufleute, daß in dem Hauptbuche 
fein Betrug ſtecken konnte. Jenes mar auf Bücher gegründet, deren Nichtigkeit 
beftritten üft; dieſes ift nur in dem Sinme richtig, dag das Hauptbuch bloß Reſul⸗ 
tate enthält, nicht die Angaben, aus welchen diefelben hervorgehen, Wie aber, 
wenn F. in das Hauptbuch Dinge notirt hatte, die dahin nicht gehören ; die aber 
dem Conen das gefuchte Licht geben konnten? Dann hatte Hahnenbein Recht, von - . 
Betrug zu ſprechen, der im Hauptbuche zu finden, obgleich nicht in demfelben bes 
gangen fei, und F. felbft gibt at, daf in feinen Hauptbuche fremdartige Notigen - 
und todte Rubriken eingetragen geweſen wären, So kommt am Ende Alles auf 
Chriſtian Hamacher’s Seftändnig ganz allein hinaus, Mit dieſem findet man ſich 
"wieder in einer bedentlichen Wahl. ft fein Widerruf der Wahrheit gemäß, fo füllt - 
auf einen Beamten, deffen Leben bisher unbeſcholtemgeweſen zu fein fcheint, der 
Vorwurf eines Verbrechens, welches an Abfcheulichkeit noch den Mord übertrifft. 
JR Hamacher’s Sefländniß Aus eigner freier Bewegung abgelegt, ſo ift F. der 
Mörder Conen's. Nun hat man fich große mit grorben, eine innere Unwahr⸗ 
Meinlichkeit ober gar Unmöglichfeit in Hamachers Erfiplung darzuthun, welches 
aber nicht gelungen iſt. Daß fie wahr fei, kann Niemand behaupten, daß fie aber 
nicht wahr fein fünne, auch nitht; F. bat fich auf das Zeugniß feiner Migde be 
rufen, daß eran jenem Abend nicht von der Seite feiner Frau gekommen fei. Das 
haben aber diefe nicht einmal giant Er war bisum 9 Uhr im Comptoir (was mit 
Hamacherꝰs Angabe ſtimmt), hat mit ſeiner Familie zu Nacht gegeſſen, dann hat 
ihm die Gallibert haid 12 Uhr (mie fie in Hamacher’s Proceß angad) den Haus: 
fhläffel überbracht, Das Kindermädchen hat ihn var 10 Uhr ſchlafen geben fehen, 
eine Andre will Mit der Gallibert ſchon um 10 Uhr zu Bett gegängen fein. In 
diefem Allen liegt nicht die Unmöglichkeit, daß J. eitte Viertel -oder halbe Stunde 
im Packhauſe getvefen ſei. Daß die Mägde weder Chnen’s Schellen und Herein⸗ 
kommen, noch Das unverineidliche Geräufch Im Packhauſe tinter ihrer Schlaffant: 
mer vernommen haben, mag ein befonderer Zufall fein, unmöglich iſt es nicht. 
Was aber vielleicht am wichtigffen ift, Hamacher bat Leiten Ort nachivelfen kon⸗ 
ben, wo et am 9. Nov. Abends geweſen waͤre, obgleich man fich deßhalb ſehr be: 
müht hat, Wäre Hamacher an dieſem Abende, einen — in irgend 


⸗ 


180 0 ont 


einem TBeln<oder Bierhauſe geweſen, fo würde bei der.allgemeinen Aufmerkſamkeit 
auf diefen Vorfall, welche fobald nach Coͤnen's letztem Lebenstage erregt ivurde, der 
Beweis eines ſolchen Umſtandes fehr leicht geroorden fein. Alles dies zuſammenge⸗ 
nommen, fo wird gewiß kein befonnener und kalt prüfender Richter eswagen, auf 
die Berbandkungen, wie fie im Druck erfchienen find, eine Berurtheilung F.'s aus⸗ 
jufprechen, und felbft die Schöffen, welche Doch nur von einem individuellen Für: 
wahrhalten ausgehen, waren hierin ſo wenig gewiß, daß nur die geringfte Mehrheit 
von 12, nämlich 7 gegen5 Stimmen, fich für das Schuldig erflärten. Esift unge: 
reimt, "diefe Mehrheit deßhalb mit Vorwürfen zu befaften, weil fie nach dem Seifte 
der Verfaſſung eben nur fagen follen, wie ihrem Geifte fich die Sache darſtellte. 
Aber eine Berfaffung kann allerdings dem gerechten Tadel nicht entgehen, welche auf 
ſo ſchwankenden Grundlagen Ehre, bürgerliche und phufifche Exiſtenz der Bürger 
dem Zufahe preisgibt: Oder will man es keinen Zufall nennen, daß ein einziger 
Schoͤffe der Anficht der 6 verurtheilenden und nicht den 5 freifprechenden beitrat, und 
fo 5.8 ganzes Schickſal von dieſem einzigen Manne abbing. Indeſſen glaube man 
nicht, Dapdie engl. Einrichtung, nach weicher die Schöffen nur einhellige Urtheife fül- 
Ien Eonnen, hier größere Sicherheit darbiete. Dort iſt der Leichtfinn ſowol im Ber: 
urtbeilen als Sreifprechen auf den höchften Sipfelgeftiegen, und man wirderflaunen, 
wenn einmal ein aufmerffamer Beobachter die fehreienden Ungerechtigkeiten u, Miß⸗ 
geifle der Schöffen ang Licht zieht, welche dort faft in jeder Gerichtsſitzung vorfallen. 
on einzelnen Fällen kann man freilich noch feinen Salub über das Ganze füllen, 

und es gibt Feine Formdes Eriminalproceffes, in welcher man ficher roäre, jeden Schul: 
digen zu ergreifen und feinen Unfchuldigen zu kraͤnken. Beſonders waͤren im F. ſchen 
Falle die Schwierigkeiten für den Unterfuchungsrichter auch nach dem deutfchen Cri⸗ 
minalproceß fehr groß geroefen, weil durch das ſpaͤte Auffinden der Leiche allen Schul: 
digen zulange Zeit gelaffen rourde, die Spuren des Verbrechens in jeder Hinficht zu 
befeitigen. Allein doch würde ein folcher Richter dadurch, daß erden ganzen Lebens⸗ 
lauf der Verdächtigen und alle ihre Verhältniffe genau unterfuchen’mußte, daß jedes 
Geſtaͤndniß im Augenblicke feines Entſtehens menigftens 2 Beamten zu Zeugen hatte, 
fogleich feftgeftelle und geprüft und weiter verfolgt wourde, demendlichen Urtheil eine 
weit zuverläffigere Bafıs gegeben haben. Die Befchuldigung gegen den Beneralproc, 
v. Sandt war alsdann faum möglich; F.s Lage als Kaufmann genau erörtert, 
führte zu wichtigen Schlüffen und fonnte wenigftens den noch immer im Dunkel 
liegenden Amſtand aufhellen, ob bei, ein fo großes Intereſſe des Bankrutts, der 
Entlarvung als Betrüger u. dgl. wirkfich auf dem Spiele ftand, in welchem man 
- vernünftigerweife hinreichend Grund zueiner defperaten That antreffen konnte. Um 
den Berlufteiner Seldfumme, welche noch verfchmerzt werden kann, wird ſich fein 
Bürger, Satte und Vater, wie F. es war, zum Mord entfchließen, wohl aber kann er, 
wenn es Ehre und alle bürgerliche Berhältniffe gilt, einer folchen Berfuchung unters 
‚ liegen. Darin liegt aber der große Vorzug des deutfchen Criminalproceffes, daß er 
fich nie auf den trügerifehen Schein aͤußerer Umflände und Anzeigen befchräntt, ſon⸗ 
dern aus dem Innern des Menfchen heraus die That mit allen ihren nähern und ent⸗ 
ferntern Neranlaffungen zu entwickeln fucht. Während man in England jedes Geſtaͤnd⸗ 
niß eines Angeklagten ( plenofguilty) zurüdweift, damit Niemand f. eigner Anklaͤger 
werde, geht man in Deutfchland nur auf ein freies und volles Seftändnif aus, damit 
Niemand voneinem andern Richter verurtheilt werde als von feinem eignen Gewiſſen. 
Dies iftgeroißvieltiefer aus der Natur des Menfchen gefchöpft als jenes Schaufpiel 
eines Volksgerichts, und außerdem vielmehr geeignet, eine&ache in ihrem ganzen Zu: 
fammenbange aufzuklären. So würde auch der ſchwierige Punft, wie Sänen am 
.. 9. Nov, Abends noch ein Mal zu F. gekommen fei, leicht mehr ins Licht zu feßen gewe⸗ 
fen fein. Eine Stelle in einem der legten Briefe Cönen’s an die Seinigen, wel⸗ 
cher in der legten Procedur gegen 3. nicht mehr vorkam, aber in dem Proceß gegen 


) 


Fontaine Fontana (Domenico) 181 


Hamacher in Trier mit verlefen wurde, erweckte ſchon den Verdacht, daß Thnen der 
Verſuchung doch nicht widerftanden habe und auf F. s Anträge der Beftechung ein: 
gangen fei. Conen fpricht darin von Vortheilen, welche nun doch für ihn abfallen 
önnten. Seine Freunde haben aus einem ungeitigen Eifer für den Ruf des Ber: 
unglüdten alle diefe Spuren zu entfernen gefucht, in denen gleichwol die einzige: 
Möglichkeit Liegt, Cönen und F. noch an jenem Abende, ſodaß diefer es vorher ge: 
wußt, zufammenzubringen. „Tönen“, fagte Hahnenbein auf dem Todbette zu ſei⸗ 
nem Bruder, „bat fich ein Berfprechen holen wollen, und hat fich den Tod geholt!‘ 
Bar eine folche Beftellung etwa am 9. Nov. Morgens, wo Tönen und 5. fich allein 
ſprachen, und die erfie Einleitung zu dem damals von F eifrig betriebenen Der: 
leiche gemacht rourde, zwiſchen ihnen vorgegangen, fo mußte Tönen unbemerftvon 
Opröter noch einmal zu 5. zu kommen fuchen; er; hatte dazu Eeine andre Zeit als 
den Abend, denn auf den andern Tag war Abfchluß und Abreife feftgefeßt, und nach. 
dem Abschluß des Vergleichs Hatte er Fein Mittel mehr, F. zur Erfüllung feiner 
Verfprechungen zu nöthigen, Er mußte einen Vorwand bei Schröder haben, fo 
fpät noch auszugeden, und dazu nahm er es, Hahnenbein beim Weggehen zu be 
leiten. Es iſt zu bedauern, daf in den legten Verhaͤndlungen von diefem Briefe 
gar nicht mehr die Rede geivefen ift, mwierwol nun, da Hahnenbein und Echröder . 
todt waren, auch diefe Spur nicht viel weiter hätte führen fünnen. — So würden 
fih noch eine Menge andrer Betrachtungen an diefen Criminalfall anfnüpfen la: 
fen, deren letztes Refultat vielleicht der Wunfch fein koͤnnte, daß die, Gruͤndlichkeit 
und Befonnenheit des deutfchen Unterfuchungsverfahrens, befonders fein Wirken 
auf das Gewiſſen der Angefchuldigten, mit einem öffentlichen Hauptverſahren vor 
den Urtheil verknüpft, und fo die wahren und wefentlichen Vorzüge beider Proceß⸗ 
arten vereinigt werden möchten. Bekanntlich find 5. und Hamacher durch eine 
fonigl. Cabinetsordre vom 10. Aug. 1823 nicht begnadigt, fondern, roeil der That: 
beftand, die Ermordung Conen's, nicht erriefen fei, freigefprochen, auch von den 
Koften durch das koͤnigl. Decret vom 9. Det. befreit worden. 317. 
Fontaine (Jean la), ſ. Lafontaine (Jean). 
Fontainebfeau, Stadt von 7400 Einw. im Depart. der Seine und 
Marne, mit, einer Militairſchule. Das mit Waldungen umgebene Luſtſchloß beſteht 
aus A Gebaͤuden, zu welchen Franz J. den Grupd legte, und welche Heinrich IV., Lud⸗ 
wig XIV, und XV. ausbauten. Hier war es, wo die ſchwediſche Chriftina 1654 
ihren Stallmeifter, den Grafen Monaldeschi, hinrichten ließ, und wo die Monte: 
fan und dur Barry die Schige des fehönften und reichfien Landes in Europa ver: 
fhwelgten. In dem Schloffe von $. wurden am 5. Nov. 1762 die Friedenspräfi- 
Minarien zwifchen Frankreich, England, Spanien und Portugal unterzeichnet, und 
den 20. die Katificationen ausgewechfelt. Hier hielt Napoleon von 1809 bis 1814 
den Papſt Pius VII. gefangen; er felbft unterzeichnete hier am 11. April 1814 f. 
Thronentfagung. Liber die dafıgen Kunſtwerke von Primaticcio u. A. f. „Descrip- 
ton historique de Fontaincbleau par l’Abbe Gnilbert” (Paris 1731, 2Bde.). 

‚ $ontana (Domenico), Baumeifter des 16. —206 geb. 1543 zu Mili, 
einem Dorfe am Comerſee, trieb in feiner Jugend fleißig Geometrie; 20 Jahre alt, 
ging er nach Rom, findirte die Antifen und die beffen unter den neuern Meiftern. 
Ver Card. Montalto (nachmals Papft Sixtus V.) nahm ihn als Architeft an und 
trug ihm den Bau einer Capelle in der Kirche De anaria Maggiore und eınes Pa: 
laſtes auf. Montalto hatte, wie viele italienifche Große, den Wunfch, feinen Na: 
men dur imponirende Werke zu verewigen, F. follte daher Eeine Koſten fparen. 
Aber dem Cardinal fehlte endluh dag Geid, und der Bau würde endlich unter: 

rochen worden fein, wenn F. night Die Koften aus feinen eignen Mitteln hergege⸗ 

und fo.den Bau vellendet hätte, . SMontaltp wußte es ihm fehr Dank, und 
als er bald. nachher-auf den päpftlichen Stuhl kam, beägjgfe er. ihn in feiner Stelle 


} 


log. aufrichten laffen: ein ‚ tes fihen mehre —F befehtoften, 
Auftrag day und führte ihm (1586) glädtfich ans... Fa der Felge rühtete 5. noch 
drei andre Obel man yım unter den gefunden hatte, an 


verfihiedenen freien Pisten auf, Umer den übrigen Gebissten, die er auf Befehl 
Eirtuns V. ‚vellfähre, und die den Surfen, der fie anertutte, ebenfowel ehren als 
. der fie aufführte, zeichnen ſich die vericamifihe Bibliochek und die 
—— Au unter Clemens VIIL voliführte 5. vers 
fihiedene Baue und Berönterungen mit den antifen Denfmitern. Endlich befchuls 
i Cr yum üffentichen ———— uns 
terfchlagen habe. (Er verior feine Stelle am pipfllichen Hefe, erhielt aber 


Bologna, ging hierauf nach Rom, und von ta nach Florenz, Der 
Tronz (nachmal. Kaifer) ernannte ihn zum Prefeffer der PHrfik auf der univerfität 
ne a eher Be Ba Broreng 
Matbhematifer, mıt Beibehaltung feiner Stelle in Pifa, um? trag ihm auf, das 
aturafineabisrt ennersheen weldjes noch jebt eine von den vielen Sehenswüre 
ten in Sloreng Mt —— Seren un gehn 


ehe filosofiche sopra ia fisica anim>le” Florenz 1781, 4.; deutſch, 
1781, 4. m. Kpf.). Seine politifchen Grundſatze jagen ihm in den neueften Zeiten 
bei ten Beränderun i Tes cani ent 


Fontanes | Sontanges 4183 


1. Dec, 1735, Prof, der Mathematik und Philoſophie in Mailand, dann. zu 
Pavia, farb in Mailand als Mitglied des gefeßgebenden Raths — 1803, 
berühmt durch treffliche Abhandlungen über mathemat. und phyſikal. Gegenſtande. 
. — Der Pater Mariano F., geb. 1746, berühmt als Mathematiker („Cours de 
dynamiqne“, Paris 1792, fg., 3 Bde., 4.) und Kunſtkenner, ftarb zu Mailand 
den 18. Nov, 1808. — Der Card. Franc, $., geb. 1750, berühmt als Literas _ 
tor und Vertheidiger der rom. Kirche, sourde yon Napoleon 4810 nebft andern 
Prälaten in Vincennes gefangen ‚gehalten; nach feiner Befreiung 1814 wurde er 
Secretair der Eirchlichen Songregation und 1815 Cardinal. Er entwarf 1816 den 
neuen Codes der Inquiſition und den Studienplan; auch war er Präfect der 
Propaganda. Er flarb den 19, März 1822. Ä Ä 
Gontanes (Louis, Marquis von), aus einer Familie altfpanifchen Ur: 
frrungs, geb, den 6. März 4757 zu Niort, ging nach Vollendung feiner Studien 
nach ‘Daris, wo er fich durch eine metrifche überſetzung von Pope's „Verſuch über 
den Menfchen‘‘, die er mit einer geiftreichen und tefgebachten Einleitung begleitete, 
bemerkbar wacht. Andre Gedichte und poetifche Itachahmungen, unter welchen 
vorzüglich die nach Gray's berühmter Elegie die günftigfte Aufnahme fand, fichers 
ten ihm bald einen gewiffen Rang unter. den jungen Schriftftellern und Dichtern 
der Zeit, welche der Revolution unmittelbar vorherging. Van einem größern Ge⸗ 
dichte: „Das gerettete Griechenland“, von welchem man die größten Erwartungen 
Beate, find nur Bruchſtücke bekannt geworden. Als profaifcher Schriftfieller wurde 
5. ebenfalls zu den vorzüglichften feiner Zeit gerechnet. Er fland mehren Sournalen . 
vor, u. a. dem „Mercure francais”, Zu feinen beredteften Schriften aug diefer Zeit 
‚find zu rechnen eine 1794 dem Tonvent Zu Sunften der unglüdlichen Lyoner über: 
reichte Adreſſe und eine Lobrede anf Waſhington. Der 18. Fructidor ächtete auch 
8.5 er flüchtete fich nach Hamburg und von da nach London, wo er fich mit Cha: 
teaubriand aufs engfte verband, “Der 18. Brumaire gab ihn feinem DBaterlande 
jurüd. Bald. wurde er Mitglied und 1804 Präfident,des gefeßgeb. Körpers. Er - 
wurde aufs neue in das Inſtitut ernannt, da er während der Dauer feiner Pro⸗ 
feription darin war erfeßt morden, und erhielt die wichtige Stelle eines Großmeiſters 
der fogen. Univerſitaͤt (d. h. er wurde Vorſteher des gefammten Erziehungsmwefens 
in Sranfreich), In diefen verfchiedenen Stellungen hielt er die wichtigften Parade: 
reden, und fand immer neue Gelegenheit, fein Talent als Redner und die Gewandt⸗ 
beit bewundern zu laffen, mit welcher er ſtets den Kaifer lobte, ohne zu platten 
Schmeicheleien herabzuſinken. . Er wußte nicht felten die freimüthigften Andeutun: 
gen, die Napoleon vielleicht nur ihm verzeihen mochte, damit zu verbinden. Cine 
der glänzendften Reden diefer Art iſt die, welche er als Präfident des gefeßgeb. Kor: 
pers bei Gelegenheit der Raiferfrönung hielt. Die republifanifche ‘Partei, die F. 
überhaupt fehr abbold war, konnte ihm insbefondere nicht verzeihen, daß unter Ita: 
poleon und noch als Conſul er zuerft die Franzofen wieder als Unterthanen (sujets) 
qualificirt Hatte. 1810 ward er in den Senat ernannt, wo feitdem ebenfalls bei 
feierlichen Gelegenheiten feine Rednergaben fehr in Anfpruch genommen wurden. 
So ſchwer es ſchien, dag F. fich bei der Reftauration wuͤrde behaupten fünnen, fo 
Kan dies dennoch durch die betvundernsiohidige Gewandtheit, mit der er. jedes 
haͤltniß zu benußen verftand. Ludwig X VII, ernannte ihn zum ‘Pair und jum 
Marquis. F. ftarb am 17T. März 18211. Seine Schriften find Muſter von Cor: 
rg und Eleganz. Unter feinem Nachlaß follen ſich Diemoiren über die neuere 
t befinden. 


Fontanges (Herzogin von), geb. 1661, ſtammte aus einer alten Fa: 
milie von Rouergue, und ward Ehrendame der Königin Mutter. Schön wie ein - 
Engel, fagt der Abt von Ehoify, aber albern in gleichem Maße, unterjschte fie - 
nichts deſtoweniger das. Herz Ludwigs XIV., das der herrfchfüchtigen und bizarren 


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erbielt. — Fontenad, Def mn der Graffch. Krenmegan, befannt durch die 
Schlacht am 11. Mai 1745, welche dir franz Armee unter tem Marfchall von 
Sachſen gegen tie Berbünteten wir Com 


als er im 13. Jahre in tie Schule der Rhetorik hinaufgerückt war, erbult er für 
ein lat. Sieticht einen Preis der Akademie. Nachtem er den Curſus der Phyſik 
und ter Rechtswiſſenſchaften vollendet hatte, mark er Advocat, führte einen Pro⸗ 
ceß, verlor ihn, und ſchwor, nie wieder einen '‘Proceß zu führen. 1614 fam er nach 
Paris und wurde bald rühmlich befannt, ſowol durch feine poetifchen Erzeuaniffe 
als Durch feine wiffenfchaftlichen Werke. Mehre in den „Mercure galant“ einge 
rüdte Poeſien fündiaten einen überans jorten und ebenfo züchtigen Dichter an. 
Noch nicht ganz; 20 J. alt, hatte er einen großen Theil Ver Opern „Pſoche“ und 
„Bellerophon“ verfertigt, dien. d. M. feines Oheims, Thomas Corneille, erſchie⸗ 
nen. 1681 ließ er fein Trauerfpiel „Afpar” aufführen; es mifftel, und fein Fall 
erreate fo viel Auffeben, daß felbit Racine Spigramme auf ihn machte. Fifer für 
den Ruhm feines Oheims und perfanliche Empfindlichkeit brachten ihn dahin, eine 
Partei zu ergreifen, die ganz den Anfichten Derer, die damals ummmfchränft in der 
Literatur herrſchten, entgegen war. Sein fünfter Charakter aber und feine Liebe 
zur Ruhe, die er immer jedem Genuſſe der Eitelkeit vorzog, verhinderten ihn, irgend 
eine Meinung mit Leidenfchaft zu behaupten. In dem Streite über die Alten und 
Neuern neigte er fich auf die Seite der Gegner des Altertbums. In feiner Jugend 
war er mit der Philoſophie des Tarteſius befannt geworden; er blieb ihr zugethan, 
ohne fie vertheidigen zu wollen. Er hatte als Dichter fein Feuer, feine Einbildungss 
fraft, und als Gelehrter menig Erfindumgsgeift. Er behandelte die ſchoͤnen Wiſſen⸗ 
ſchaften troden und fleif und gab den firengen Biffenfchaften einen zu leichten An- 
ih. Seine „Dialognes des morts” (1683) wurden günftig aufgenommen, , 
wiewol fie durch die Zucht, ſtets geiftreich, neu und ungewöhnlich zu fein, ermmidend 
und unnatärlich werden. Seine „Entretiens surda pluralitè des mondes (1686, 
deutfch, mit Anmerf. u. Kupf. v. Bote, Berlin 1798) find das erſte Buch, in wel: 
chem aftronsmifche Segenflinde mit Geſchmack und Anmuth vorgetragen werden. 
Durch die Fortfchritte der Wiffenfchaften bat es feine Brauchbarfeit verloren. Als 


} ⸗ 


Fontevraud, Foote 185 


Seeretair der Akad. der Wiſſenſchaften machte ſich Fr durch die ſeit ihm üblich ge⸗ 
werdenen Eloges berühmt. Kein Gelehrter hat wol einen bedeutendern Einfluß auf 
fin Zeitalter gehabt als er. Er verdiente ihn ebenfo fehr durch feine Lebensweisheit 
md durch Die Yauterfeit feiner Sitten als durch feine Schriften, in denen Feinheit 
und Eleganz des Styls der Höchfte Vorzug ift. Eine vollftänd. Ausg. derfelben er: 
ſchien mit feinem 2eben in 40 Boͤn. 1751. Nivernois charakterifirt ibn auf folgende 
Reife: „Als Sontenelle aufden Kampfplatz trat, waren fchon alle. Preife vertheilt, 
alle Palmen gebrochen; nur der Preis der Univerfalität soar noch übrig. Fontenelle 
wagte um ihn zu ringen, und gewann ihn. Er ift nicht nur Metaphyſiker mit “Dia 
kbranche, Phyſiker und Seometer mit Neroton, Siefeßgeber mit Peter dem Großen, 
Staatsmann mit D’Argenfon: er ift Alles mit Allen, er ift Alles überall“, | 
Fontevraud, Ebraldsbrunnen, ein Thal an den Grenzen von Poitou 
md Anjou, im Depart. Mayenne und Loire, ward 1099 von dem durch feine ſelt⸗ 
Amen Bußübungen befannten Robert von Abriffel (über diefen Bekehrer gefallener. 
Mädchen f. d. Art. Fontevr aud in Bayle’s Dictionnaire) zum Stammfige feiner 
aus büßenten Frauen und Mädchen zufammengefegten Kloftergefellfchaft gewaͤhlt; 
dader erhielt Diefe den Namen des Ordens von Fontepraud, In den dafelbft auf: 
geführten Kloftergebäuden verfammelte Robert bald mehre Taufende von Religio⸗ 
fen beiderlei Sefchlechts, denen er die gefchärfte Kegel Benedicts auflegte und eine 
gang eigenfhümliche Verfaffung gab, bei der die Nonnen die Herrfcherinnen, und. 
die Moͤnche der jedesmaligen Xbtiffin unterworfen wurden, Diefer Orden breitete 
fh nach Spanien, vorzüglich aber-in Frankreich aus, wo die zahlreichen Klöfter 
deffelben bedeutende Schenkungen erhielten. Die Abtiffin von Sontevraud, meift 
eine vornehme Dame, regierte fie alle als Seneralfuperiorin, und war, von jeder 
biſchdflichen Serichtsbarkeit frei, nur dem Papſte untergeben. Zu Gunſten ihres 
Geſchlechts wußte fie die ftrenge Regel fpäterhin zu mildern, und im 14. Jahrh. 
waren auch andre Unordnungen in den Klöftern diefes Ordens eingeriffen, ungeach⸗ 
tet die ıefprünglichen Sagungen für eine ſcharfe Abfonderung beider Sefchlechter 
geforgt harten. Er verlor dadurch an Anfehen, hatte aber doch vor ter Revolution 
noch 57 Häufer oder Priorate in Frankreich. Seitdem ift er erlofchen. 
“> Sontinalien, Fefte, welche die Römer den Nymphen der Brunnen 
a feierten, und an welchen fie die Brunnen befränzten und Blumen bins 


5 0 0 t e.(Samuel), der engl. Ariftophanes, geb. 1719 zu Truro in Cornwallis, 
ſtammte aus einer guten Familie. Die Rechtsgelehrſamkeit, die er anfangs fludirte, 
erregte ihm Widerwillen. Er heirathete ein vornehmes junges Frauenzimmer, alkein 

ider Neigungen flimmten wenig überein. $.überließ fich ohne Maßigung feinem . 
Hange zum Mergnügen und flürzte fich in die größten DBerlegenheiten; daher 
nahm er feine Zuflucht zum Theater. Er deburirte mit der Rolle des Othello, in 
welcher er unmöglich gefalken konnte, wie er denn übrhaupt nie in fremden Stüden 
vorzüglich fpielte. Um 1747 eröffnete er auf dem Haymarket (Heumarkt) eine Eleine 

übne und erſchien als Derfaffer und Schaufpieler zugleich in einer Sattung von: 
haufpielen, die ein Mittelding zwiſchen Luftfpiel und Poffe waren, und in nel: 
er Begebenheiten des Tages und lebende Perfonen mit defto, größerm Süd 
aufs Theater brachte, je mehr er das feltene Talent befaß, Gebärden und Sprache 
Andrer auf das Treffendfte nachzuahmen. Sein erfter Verſuch iftu.d. N. der Mor: 
genbeluftiaung befannt, 1748 that F. eine beträchtliche Erbſchaft; er verließ fo: 
gleich die Bühne, und erft als feine Hülfsquellen verfiegten , erfchien er wieder auf 
dem Theater. Bon 17152 an fpielte er bald in Drurylane, bald in Coventgarden, 
1760 im Sommer auf dem Haymarfet, und feit 176% alle Sommer dafelbft, wo: 
durch er fich ebenfo viel Ruhm erwarb als Geld gewann. 1766 brad) er auf der 
Jagd mit dem Herzog von Vork das Bein; gleichwol betrat er noch immerfort die 
übne, In den leßten Jahren feines Lebens erfuhr er mancherlei Kraͤnkungen. 


— 1 


. ordnete er die überreſte des yon den Derbündeten gelegen Muſeums. 


186 Forbin Forcellini 


1 

Seine Neider klagten ihn eines ſchandlichen Verbrechens an; der Kummer daruͤber 
verurſachte ihm eine vorübergehende Gliederlaͤhmung, und er faßte den Entſchluß, 
fih nach dem füdlichen Frankreich zu begeben, utzriee ſ. Theater an Colman, ward 
aber ſchon zu Dover 1777 vom Tode ereilt. Er hinterließ einen natürl. Sohn als 
Erben ſ. Dermägens, F. war ein Mann von unerfchöpflichen Wis, fowol auf dem 
Theater als im Umgangs; aber er verfchonte Niemand, und keines f. Bonmots ging 
verloren, Die Tugend inde& war ihm heilig, nur das Lafter und die Thorheit gets 
Belte er ohne Rüdficht und Schonung. Als eine Probe f. flets' fertigen Witzes wird 
folgende Anekdote erzähle. F. hatte den Grafen Sandwich lächerlich gemacht; dies 
fer erfuhr es, und als er mit ihm zuſammenkam, fagte er: „Ich möchte doch on 

Soote, ob Sie einmalan den Fr... oder an dem Galgen fterben werden”. „My 
lord‘ antwortete dieſer fogleich, „Bas würde nur davon abhängen, ob ich es mit 
Ihren Maitreffen oder mit Ihren Srundfigen hielte“. Diele tomifche Anekdoten 
enthält: Coofe’s „Mem. of Sam. Foote“ (%ondon 1805). F. war fhormauf den 
erſten Anbtid eine lücherliche, drollige und burleske Figur, lurz und unterfegt, mit 
vollen Baden und großen, muthwilligen, geiftvollen Augen; dabei mußte er auf f. 
hölzernen Beine fich mit einer feltenen Gewandtheit fortzubervegen. Seine ſammtl. 

dramat. Werke, meift Farcen, erfchienen 1788 in 4 Bdn. unter Solman’s Auflicht. 
Gorb in (Louis Nicolas Philipp Auguft; Graf v.), Senerallieut. und Ober⸗ 
auffeher der Kunftfammlungen in Srankreich, geb, 17719 zu Roque im Depart, der 
Rhonemuͤndungen. Als Flüchtling in Lyon zur Zeit der Belagerung fah er ſ. Oheim 
und ſ. Vater vor f. Augen umfommen und fand eine Zuflucht in dem Haufe des 
Zeichners Boiffieu, dem er die erfte Anleitung zur Kunſt verdankte, Alser fpäterhin 
mit einem gegen Nizza und Toulon beftimmten Bataillon ber Nationalgarde aus⸗ 
ziehen mußte, fchloß er in Toulon mit dem Maler Granet eine Sreundfchaft für das 
ganze Leben. Dach dem Ende des Feldzugs ging er nach Paris und arbeitete in Da: 
pid's Schule mit dem angeftrengteften Fleiße, bis er das Alter der Kriegspflichtigs 
feit erreicht hatte. Er mußte zum zieiten Mal von der Kunft Abſchied nehmen, 
und als er einige Zeit. bei der Reiterei, wo ihm der General Sebaftiani die Beſchaͤf⸗ 
figungen mit der Kunſt erleichterte, gedient hatte, erhielt er feinen Abſchied und bes 
gah fich nach Italien. Zur Zeit der Kaiferfrönung Fam er nach ‘Paris zurüd und 
ward Kammerherr der Prinzeffin Pauline Borghefe. Er trat wieder in Kriegsdienfte 
und machte mehre Feldzüge in Deutfchland, Portugal und Spanien, nahm aber 
nach dem wiener Frieden, durch einige Hofränfe unmuthig gemacht, f. Abfchied 
und ging nach Nom. Hier widmete er fich der Kunft, bis er 1814, nach der Wies 
derberftellung des Rönigthums, nach Parts zurückkehrte, wo er f, Arbeiten fortſetzte. 
Zum Mitglied der Akademie und Oberauffeber der Eönigl. Kunftfammlung ar. 
r machte 
1817 eine Reife nach Griechenland, Syrien und Agypten, die er befchrieben und 
mit fehönen Zeichnungen begleitet Bat. 1821 ward ihm die Oberaufficht über die 


- Künfte, Kunftdentmale und die Kunfkfachen in den Departements aufgetragen, 


Die neue Einrichtung des Muſeums, das aus einer Galerie und 20 großen Saͤlen 
beſteht, iſt f. Werk. Ihm verdankt man auch die Stiftung des Nationalmufeums 
(Arbeiten franz. Künftier) im Palaft Luxembourg und des Mufeums in Verſailles. 
Seine Reife nach Sicilien gab feiner Sammlung von Sandzeichnungen einen Zu: 
wachs, den Ofterwald u, d. T,; „Erinnertingen aus Sicilien“, herausgegeben hat, 
Zu f. gefchäßteften Gemälden gehören: Ines de Eoftro, der Tod des Pliniug, 
Sonfalvo von Cordova, ein peſikranker Araber, In f. Jugend fehrieb er einige 
Theaterftüde, u. A, gemeinfchaftlich mit Revoil in Lyon ein artiges Baudenille: 


„Sterne, oder die empfindfame Reife“, und einen Roman: „Karl Barrimore”. 


Forcellimi(Egidio), ein italienifcher Philolog, berühmt als Lexikograph, 
ge 1688 in einem Dorfe unweit Seltre, im ehemaligen venetianifchen Gebiete. 
ie Armuth feiner Altern hinderte ihn, eine Schule zu befüchen, und er war ſchon 


⁊ 


Shrderung . Form 


remlich erwachſen, als er auf dem Seminarium zu Padua anfing Lateiniſch; 
men. Sein Lehrer in diefer Sprache, und bald fein Freund, war der Literats 
Prof. Faccio la to (ſ. d.). F. machte ſchnelle Kortfchriste in den alten Spr 
mad Facciolato bediente fich f. Hulfe bei der neuen, von ihm fehr verm. Aus 
Calepinꝰs „Lerikon in fiben Sprachen“. Beide Freunde faßten darauf 171 
Entſchluß, ein vollftänd. Wörterbuch der latein. Sprache herauszugeben, Die 
führung wurde jedech verzögert, da F. nach Ceneda in der trevifaner Mark als 
der Rhetorik und Director des Seminariums verfeßt wurde. Alser aber 173: 

Padua zurüdberufen worden war, und durch die Gunſt des Bifchefs diefer € 
des Card. Rezzonico, hinlängliche Muße erhalten hatte, vollbrachte er unte 
cislato’s Leitung f. Arbeit u. d. T.: „Aegidii Forcellini totius latinitatis 
con etc.“ (Padua 17714, 4 Foliobde., R verb. A. Pad. 1827, Auch in 2 
erſchlen diefes Werk, und umgearb. von Voigtländer u, Hertel, Schnee 
fa). F. flarb 1768. Sein Werk ift ein Denkmal f. genauen Kenntniß 
tinität , ausgebreiteten Belefenheit und richtigen Beurtbeilung, _ 

g örderung, f Bergwerkskunde. 

Forkel (Johann Nikolaus), D. der Muſik, der größte muflkalifche 
tor und Hiſtoriker unferer Zeit, geb, 4749 zu Meeder, einem Fleden bei K 
verdankte feinen erften Aufflug in der Kunft dem „Bolllommenen Tapellmı 
einem Werke bes großen hamburg. Mufifers Matthefon. Er ging zu Koburg 
Schule, kam bald nach Lüneburg, von da im 17. J. durch Empfehlung 
Pröpofitus des Chors nach Schwerin. Hier machte er durch f. Stimme wie 
f. Harfenfpiel auch bei der herzogl. Familie Slüd, Man fuchte ihn zu bered: 
Rechte zu fludiren, um ihn dereinft in Schwerin anzuftellen. So menig ihr 
Aasficht wünfchenswerth ſchien, fo ding er doch, weil er fo arm als wißbegieri 
nach Göttingen und widmete dort 2 Jahre den Rechten. Doch bald war fei 
ſchluß gefaßt, der Tonkunft f. ganze Kraft zu weihen. In diefer Zeit ſchrie 
„Muſikaliſch⸗kritiſche Bibliothek‘, in der gleich die erfie Necenfion des nö 
Studenten über Glucks, Alceſte“ viel Aufſehen erregte. Als die Stelle ber 
certmeifters, die bisher ein Violinſpieler aus der Benda’fchen Schule verfehen 
im oringen erledigt wurde, erhielt F. diefelbe mit dem Titel eines Muſi 
tors. Er bekleidete fie bis an das Erbe f. Lebens, und fie gewaͤhrte ihm die r 
Muße, die wichtigen Werke, die wir von ihm befißen, auszuarbeiten.- Seine 
ratur der Muſik“, die erften 2 Bde. einer Sefchichte dieſer Kunſt, eine F 
phie und Charakteriſtik Sebafttian Bach's“, machen ſ. Namen unflerblich, 
gleich bildete F. theoretiſch und praktiſch viele Schüler, denn er war einer di 
nigen, welche Sebaſtian Bach's Methode des Slavierfpiels in ihrer R 
bewahrt hatten, Er flarb zu Göttingen 1818, Ä 

Form wird in der Philoſophie der Materie (fi d) entgeger 
und bedeutet die Art und Weiſe, wie eine Thätigkeit wirft, ferner die Art de 
bindung eines Mannigfaltigen zu einem Ganzen; auch fo viel als Geftalt, ( 
tung, Das Formale dem Materialen entgegengefeßt, deutet die Seftaltun: 
fimmung, Derbindung der Theile eines Dinges an, — Formalismı 
der Wiſſenſchaft, namentlich in der Philoſophie, das bloße Berudfichtige 
Beobachten der formellen Erfoderniffe, oder Berudfichtigung der Art, w 
Thärigkeit wirkt, mit Dernachläffigung ihres Gehalts, des Gegenſtand 
. Tätigkeit (Diateriei, daher auch formelle Philoſophie; — Formalph 
phie aber, welche von der Form des philoſophiſchen Erkennens handelt. - 
der Buchdruderkunft heißt Form die in ihre Eolumnen und Spalter 
theilte und zum Abdruck gefeßte, in eiferne Rahmen eingefchloffene Hälft« 
Dogs; welche auf eine Seite des Dapierbogens fommt, Sie enthält in F 
in Quart 4, in Octav 8 Columnen ıc., welche auf einmal abgedruckt werd 


488 Formalien Formey (Johann Samuel) 


—Formalien, Formalitaäten (Ärmlichkeitn), find äußere, außer: 
wefentliche Limflände, womit eine Handlung begleitet wird, von denen aber, in rechts 
licher Hinſicht, die Sultigkeit eines Geſchaͤfts Durch die Sefeße abhängig gemacht . 
ift, infofern fie als Zeichen der Rechtsgültigkeit angefehen werden können. 3.2. 

emand mit allen Formalien empfangen; ein Teflament mit den gemöhnlichen 
ormalien eröffnen; daher formaliter, in gewöhnlicher Form und Art. — 
Sich formalifiren, Etwas übel nehmen, fich durch die Form, durch die Art 
und Weife, wie Etwas gefchieht, für beleidigt en fein Befremden oder Miß: 
faßen über Etwas äußern, ſich über Etwas aufhalten — Formalift, Derjenis 
ge der fich genau an die vorgefchriebenen Formalien bindet,_ daher auch ein 
eremönien = oder Complimentenmacher. — Formeln, für befondere Faͤlle 
vorgefehriebene oder durch den Gebrauch eingeführte Worte, Wendungen oder 
Kedensarten. In der Buchftabenrechnung (Algebra) find es die Borfchriften zur 
Auflöfung einer Aufgabe — Formulare aber find ganze Auffüße, welche 
Pr Mufter und ohne Abweichung mündlich oder fhriftlich gebraucht werden 
ollen. 
Formerei und Gießerei, ſ. Eiſen. 
Formey (Johann Samuel‘, Prof. und immerwaͤhrender Secretair der 
Akad. der Wiſſenſch. zu Berlin, geb. daſelbſt 1711, aus einer Familie der Refu⸗ 
gies, die einft der Neligion wegen aus Frankreich auswanderten, und von denen 
ein Thesl fich in den preuß. Staaten niederließ.. F. widmete fich der Theologie und 
ward ig vor feinem 20. J. von der franz.:reformirten Gemeinde zu Brandenburg 
(an der Havel) zum Prediger gewaͤhlt, 6 Wochen darauf aber in gleicher Eigens 
daft bei der friedrichsflädter Gemeinde in Berlin angeftellt. Kräuklichkeit wegen 
mußte er jedoch fein Amt mit einem Gehülfen theilen, und von diefer Zeit, an legte 
er ſich mehr auf Literatur. Außer mehren Überfegungen gab er von 1733 an mit 
DBeaufohre die „Bibliotheque germanique”, fpäter das „Journal litiernire de 
l’Allemagne” und den „Mercure et Minerve” (gleichfalls ein periodifches Blatt), 
und von 1750 —59 mit Perard die „„Nourelle bibliotheque germauiqne“ bers 
aus. oft zu gleicher Zeit übernahm er auch die Stelle eines Directors und erften 
Lehrers am franz. Gymnaſium in Berlin, welche er 1739 mit der eines ‘Prof. der 
Philoſophie an derfelben Anftalt vertauſchte. Als Friedrich 11. 1740. die Akademie 
umſchuf, ward F. durch Maupertuis dem Könige zum Secretair und Hiſtorio⸗ 
raphen derfelben vorgefchlagen. Sein Geiſt und ſ. Thätigfeit gemannen ihm 
Bier des großen Koͤnigs Vertrauen und Zuneigung, und als 1748, nach Jariges's 
Tode, die verfchiedenen Secresariatsftellen diefes Inſtituts in Eine zufammenge: 
ſchmolzen rourden, erhielt er Die Verwaltung derfelben mit dem Titel eines inımers 
währenden Secretairs In den gelehrten Streitigkeiten, welche fich bald nach 
Poltaire’s Aufenthalt in Berlin zwifchen diefem und Maupertuis erhoben, ımd in 
denen der König felbft ziemlich Tebhaft Partei nahm, mußte fih F. mit fo viel 
Umficht zu benehmen, daß er, obne feinen Anfichten und f. Würde Etwas zu ver: 
eben, ſich doch die Achtung und Gewogenheit aller Streitenden erhielt, und 
— II. Nichts an ihm auszuſetzen fand, als daß er in feinen philoſ. Anfichten 
nicht mit feinem Liebling Voltaire übereinftimmte. Durch: fehriftflellerifchen Fleiß 
und die Gewogenheit der Großen, die auch auf f. Familie überging , hatte fich F. 
nach ‚und nach ein bedeutendes Vermoͤgen gefammelt; 17178 erbielt er noch die 
Stelle eines Secretairs bet der Prinzeflin Henriette Marie von Preußen; 1788 
seurde er Director der philoſ. Tlaffe an der Akademie, Außerdem befleidete er wich: 
tige Amter bei dem franz. Depart. und war Mitgl. vieler ausmärt. gelebrten Aka: 
demien. Friedrich II. erwies ihm, fo lange er lebte, die größte Achtung; auch der 
Nachfolger diefes Konigs fchäßte den vielfach verdienten Mann. 5. flarb den. 7. 
Marz 1797, beinahe 86 J. alt. Merkwuͤrdig ifl, daß diefer in Deutſchland ge: 


A 

. Bormey: (Johann Ludwigh 488 
borene und nie über die deutſchen Grenzen gekommene berliner Belehrte, der noch 
dazu eine Deutfche Mutter Hatte, niemals dahin gelangte, das Deutfche geläufig 
und gan; rd zu fpreöhen, obgleich ihn die greifswalder Geſellſchaft zur Be: 
ferderung und Reinigung der deutfchen Sprache zu ihrem Mitglied ernannte, ſon⸗ 
dern ſtets Franzoſe in Sprache und Eigenthümlichkeit blieb. Seine fchriftfellerk 
ſchen Arbeiten find meift. in Meuſel's „Gelehrtem Deutfchland“ verzeichnet ; ihr 
größter Theil iſt in franz., Einiges auch in fat. Sprache verfaßt, die er fo gut wie 
das Franzöfifche fprach und fchrieb. Beinahe ebenfo gewandt war F. im Griechi⸗ 
fhen und nicht minder wohlbewandert im Hebrüifchen. Seine afademifchen. Ab- 
handlungen gehören meift in das Gebiet der praftifchen Philofopbie, oder find Denk: 
fhriften auf verftorb. Akademiker, Reden bei öffentlichen Sitzungen (durch welche 


er fich, ſowie früher durch f. Kanzelvortraͤge, vielen Beifallerwarb) u.f. mw. Fürden - | 


geiftlichen Stand, aus welchem er bald nach f. Ernennung zum Secretair der Aka⸗ 
demie trat, bebielter, gegen die Sitte der Philoſophen feiner Zeit, große Hochach⸗ 
tung, und feine Defcheidenheit blieb, bei allen Auszeichnungen, die ihm wurden, 
flets gleich groß. In fe „Souvenirs d'an citoyen“ finten fi) anziehende Nach: 
sichten über ihn. | 


Formey (Johann Ludwig), Ehnigl. preuß. Geh. Obermebicinalraͤth, geb. 


zu Berlin 1766, Sohn des Vorigen, erhielt feine Bildung theils im väterlichen 
Haufe, theils in dem franz. Gymnaſium f. Baterftadt. Als er fich dafelbft für das 
Studium der Anatomie und der Naturmwiffenfchaft vorbereitet ‘hatte, ging er 17S4 
nach Halle, dann nach Göttingen, und 1788 zurüd nach Halle, wo er die medici⸗ 
nifche Doctormwärde erhieltaund eine Differt.: „De vasorum absorbentium in- 
dole“, berausgab. 1789 ging er über Strasburg, wo Spielmann, Lauth und 
Hermann ihm nüßlich wurden, nach Paris. Hier gaben Fourcroy, Vicq D’Agyr, 
Portal, Lackpide, Thouret, de Machy, Sabanis feiner Wißbegierde volle Nahrung, 
ſowie die Aufnahme bei Lalande, Thiebault, Lagrange, Bailly (Maire von Paris), 
dem Abbe de P&pee und bei Soldoni ihm den Zutritt in die ausgewählteften Cirkel 
verfchafften. Die ſchauderhaften Vorfälle zur Zeit der Revolution beftimmteh ihn 
zur Abreife. An der Barriere aufgehalten, rourde er nach dem Rathhauſe gebracht, 
wo er f. Rettung vor der Volkswuth dem Maire Bailly'verdankte, Nach 14 Tagen 
gelang esihm, Maris zu verlaffen. Hierauf ging er nach Zürich, Senf und Bern, 
ſodann über München und Regensburg nach Wien, überall die SYnftitute und den 
Umgang mit ausgezeichneten Männern I ſ. Bildung benußend. Nah f. Rückkehr 
ward er als Feldarzt angeftellt, und der Seneralftabsmedicus Riemer übertrug ihm 
die sichtigften Lazaretbeinrichtungen. 1791 wurde er tum Oberflabsmedicus er- 
nannt; 1794 führte er gemeinfchaftlich mit dem Generalchirurgus Murſinna die 
Direction des Lazareths. Als Leibarzt 1796 von Friedrich Wilhelm IN. nach Pote- 
dam berufen, blieb er daſelbſt bis zum Tode des Monarchen. Auf feine Bitte er- 
biele er f. Entlaffung und trat in feinen Wirkungskreis bei dem Ober: Collegio 
medico, dem Ober: Collegio Sanitatis und der Hofapothekeneommiſſion wieder 
ein. Seitdem prafticirte er in Berlin. Auch gab er eine „Medicinifche Topographie 
von Berlin”, „Mediciniſche Ephemeriden” und eine neue Bearbeitung von Zu: 
dert’s „Anweiſ. zur Erziehung der Säuglinge” heraus. Er erhielt den Preis der 
kaiſerl. btonomifchen Geſellſch. zu "Petersburg über die Mittel zur Derbefferung 


der Luft inden Zimmern. 1798 röurde ihm die Profeffur der Kriegsarzneitunde, 


md fpäter die der gefammten Heilkunde bei dem Collegio medico-chirurgico 


übertragen, Der im Nov. 1810 erfolgte Tod Selle’s (feines Lehrers) vermehrte ſ. 


praftifchen Wirkungskreis bedeutend. 18014 wurde er zum Geh.⸗Obermedicinalrath 
ernannt, 1803 zum Arzte bei der franz. Colonie von Berlin, und 1804, nach Rie⸗ 
mers Tode, zum Generalſtabsmedicus der Armee. Die legte Stelle legte er 1805 
"nieder, weil durch den Einfluß des Seneralftabschirurgus Börde und durch eine 


* 


— 


490 Formſchneidekunt FJorſt 


Verdrdnung von dem Oberkriegecolleglum die nüßliche Einwirkung des General⸗ 


ftabsmedicus gehemmt wurde. 1806 wurde er zu einer Confultation des Prinzen 
Ludwig, nachherigen Königs von Holland, nach Paris berufen, wo er durch fein 
ärztliches Verhaͤltniß am Hofe Gelegenheit hatte, Murat, Joſeph Bonaparte, die 
Königin Hortenfia und die bedeutendften Staatsmänner damaliger Zeit perfänlich 
Eennen zu lernen. Nach einem 6wochentlichen Aufenthalte dafelbft reifte er in dag 
mittägliche Srantreich, die Bäder zu Aix, und auf die Nachricht des zwiſchen Preu⸗ 
ben und Frankreich ausbrechenden Kriegs, durch die Schweiz nach Berlin zurück. 
Im Det. wurde er mit dem Fürften Hatzfeld und dem- Juftigminifter v. Kircheifen 
son dem Magiftrate von Berlin dem Kaifer Napoleon nach Potsdam entgegenges 
chickt. Durch die 1809 erfolgte Auflöfung des Ober: Gollegii miedici und der 
w d. N. des Collegii medico-chirurgici blühenden Militairanflalt wurde F., mit 
Beibehaltung feines Mebengebalts, in Ruheſtand verſetzt. Er fchrieb damals ei⸗ 
nige Athandlungen: „Über den Wafferkopf der Kinder‘, „Liber die Bildung der 
rjte'‘ sc. 4811 wurde das aufgrhobene Lollegum ineuico -chirugicnım 
u. d. N. einer mediciniſch⸗chirurgiſchen Akademie für das Militair hergeftellt, und 
F. trat wieder als Prof. der praftifchen Heilkunde in Thätigkeit, 1817 ward er 
vorticagender Rath in der Medicinalabtheilung des Miniſteriums des Innern, wel: 
che sın der Stelle des ehemaligen Ober: Collegii medici die Verwaltung des Medi: 
cina lweſens erhielt. 1821 erfchienen f. „Dermifchten medicin. Schriften“, und inf. 
legten Krankheit arbeitete er den „Derfuch einer Würdigung des Pulſes“ (Berl. 
pe 8) Auen Er farb als praftifcher Arzt von großem Rufe zu Berlin am 23. 
uni . a 
Formfhneidetunft, ſ.Holzſchneidekunſt. 
Forsk à I Peter). ſchwed. Botaniker und Schüler Linne’s, geb. 1736, 
fludiirte zu Goͤttingen und vertheidigte (1756) eine Disput.: „Dubia de princis 
iis philosophiae recentioris”. ine franz Brofchüre: „Gedanken über die 
ürgyerliche Freiheit“, welche er nach ſ. Ruͤkkunft in Schweden herausgab, miß⸗ 
fiel der berrfchenden oligarchifchen Partei. 5. erhielt bald darauf einen Ruf nach 


. Kopenhagen als Profeffor, und da er fish auch auf Naturgeſchichte gelegt hatte, 


fo nıurde er, auf Linne’s Empfehlung, mit zu der gelebrten Reife nach Arabien be: 
ſtiment, welche Friedrich V. von Dänemark veranftaltete, und es wurden ihm da⸗ 
bei tie Unterfichungen im Sache der Natürgefchichte aufgetragen, 4761 trat er 
mit Carſten Niebuhr, v. Haven und Kramer die Reife an und botänifirte unter: 
wegs in der Gegend von Marfeille, von welcher er eine Flora berausgab, und auf 
Malta. Auch in Agypten und Arabien botanifirte er mit dem größten Sleife: Allein 
Bon der Peft befallen, ftarb er 1768 zu Dierim in Arabien, zu früh für die Wiſſen⸗ 
ſchaſ ten überhaupt. Niebuhr hat F.'s Papiere, die.aus einzelnen Blättern mit Bes 
mer kungen beftanden, gefammelt, und aus denfelben beraitsgeg.: „Descriptiones . 
aniınaliüm, avium, amphibiorum, piscium, insectorum, quae in itinere 
orientali observavit P. Forskael” (Kopenh. 1775, mit 4 Kpf.). (Dem ſyſtema⸗ 
tiſch en Namenverzeichniffe in lat. griech. und arab, Sptache folgten gegen 300 
Beſchreib. von Thieren ıc., nach dem Linne'fchen Syftem geordnet, ind dann die 


“ maiteria medica in der anfehnlichen Apotheke zu Kabira in Agypten.) Ferner: 


„Flora aegyptiaco-arabica etc.“ (ebend.). „Icones rerum naturalium, quas 
in ĩ tinere oriental. depingi curavit Forskael” (ebend. 1776, mit 48 Kpf,, wo: 
von 20 Pflanzen, 23 aber Thiere vorfiellen). Die Zeichnungen find von dem eben: 
fabls unterwegs geftorb. Maler der Reifegefellfchaft, Baurenfeind, von Hass fau: 
ber: geftochen. — Linne gab feinem Schüler und Freunde zu Ehren einer erotifchen 
Yyflanze den Namen Forskalen. 

or fi, derjenige Theil eines Waldes, der als ein gefchloffenes Ganze für 


| fig, Beiirthfepafte wird; alſo eine geſchloſſene Forſtwirthſchaft, oder ungefaͤhr 


a . N 


$ 


Sorfter (Johann Reinhold) 4194 


Das, was bei der Landwirthſchaft kin Landgut tft. Der Verwalter derfeiben heißt 
‚ daber die Benennung Foͤrſterei; feine Untergebenen find Unterförfter, 
echte, Zeichenfshläger, Holzläufer oder Holztwächter, öfter auch Fußknechte 

genannt. Nicht felten bezeichnet man mit dem Namen Förftden Wald, oder über: 

haupt Srundftäcde, die zum Holzwuchſe beftimmt find. Das vorhandene Holz 
beißt der Forſt⸗ oder Holzbeftand, ſowie die nach gersiffen Regeln begrenzten und 
öhnlich nach Nummern bezeichneten Theile, Forſtreviere, Reviere oder auch 
läge, Holsfchläge. Stellen, auf denen in einem Forſte fein Holz fteht, heißen 
Blößen, im Gegenſatz von beftandenen, d. imo geböriger Holzwuchs iſt. Diefer 
beſteht entweder aus Nadelholzarten (Schwarjwald), oder Laubholzarten (leben⸗ 
diges Holz). Ferner unterfcheidet man Ober und Unterholz. jenes gibt fläm: 
mige Bäume, die eine geroiffe Reihe Jahre zur verlangten Stärke heranwachſen 
mäüffen, ehe fie abgetrieben werden können. Unterholz heißt dasjenige, weiches nur 
einige Jahre waͤchſt, ehe es gefchlagen, d. i. abgehauen wird, und beißt darum 
auch Schlagholz. Es gibt nur Reißig, Stangen, und felten Scheitholz Den Nas 
men Unterholz führt es, weil es gegen das Oberholz, das auch Hochwald beißt, 
nietrig , oder in Anſehung der vänge Unter demſelben bleibt. Syn manchen Segen: 
den nennt ınan das Unterbolz auch Buſchhotz. Nicht felten werden beide auf einem 
und demfelben Schlag unter einander gehalten. An fich find im Unterholz oft: 
mals diefelben Holzarten befindlich, aus weichen das Oberholz beſteht, nur mit 
dem Unterfchiede, daß leßteres zum vollwüchfigen Stamm ausmächft und der 

Stock davon nachher gersdet wird, bingegen das Unterholz in einem Alter ge 

ſchlagen wird , in welchem es fähig ifl, aus der Wurzel wieder auszufchlagen, 

d. i. Stammlatten, Schößlinge zu machen. “Doch gibt es allerdings eine Menge 

Straucharten, 3 B. Haftin, Schwarzdern, Weisdorn, Hartriegel. u. a., die 

nie zum Baume heranwachſen, und fo von Natur zum Unterholze beſtimmt find. 

— Ein Forft dat feine Gerechtfame, Forſtrecht. Forftordnung, Forſtregel. Der 

Sorfinugen befteht theils im Holzgewinne, theils in fogen. Nebennußungen, wozu 

vorzugsweife dis Wild oder die Jagd gehört; beträchtlich pflegt auch üfters bie 

Maft in Buchenzund Eichenrevieren zu fein. Streu⸗und Laubharken, ſowie 

Biehweiden im Forfte, find demfelben mehr nachtbeilig als nuͤtzlich. Daſſelbe ift 

auch vom Harzſcharren zu behaupten. — Faßt man Alles, was den Forft. insbes 

fondere , oder auch nur darauf beziehend betrifft, zufmnmen, fo bedienen wir uns 
der Benennung Forſtweſen If. d.). —— 

For ſt er (Johann Reinhold), geb. zu Dirſchau den 22. Get. 1429, konigl. 
preuß. Prof. der Naturgeſchichte zu Halle. Seine Familie, aus dem alten Hauſe 
der Lords Foreſter in Schottland abſtammend, hatte ſich nach Polniſch⸗Preußen 
geflüchtet, und einer derſelben, Buͤrgermeiſter in Dirſchau, unweit Danzig, war 
ſein Vater. Reinhold legte zu Berlin auf dem joachimsthaliſchen Gymnaſium 
in Sprachen, Chronologie und Volkerkunde einen tüchtigen Grund, ſtubirte dann 
ſeit 1748 zu Halle gegen feine Neigung Theologie, kam 17151 nach Danzig, und 
erhielt die Predigerftelle zu Naſſenhuben (Naſſenhof). Sein Amt verwaltete er 
nur, fo viel es die Nothdurft heiſchte, und Bing dagegen feinen Lieblingsfächern, 
Mathematik, Philofophie, Landerzund Völkerkunde, auch alten Sprachen,. mit 
voller Seele nach. Bei ſ. Reifeluft war ihm der Antrag willkommen, dus Eolonies 
weſen in Saratow, im nfiatifchen Rußland, zu unterfuchen;- er reifte im März 
1765 ab. Seine Berichte deckten VBerwaltungsmißbräuche auf und machten ihm 
Feinde. Doch ward ihm nach f. Ankunft in Petersburg von der Kaiferin Katha⸗ 
rina 11. der Auftrag, mit Zugiehung mehrer Gelehrten ein Geſetzbuch für die Co: 
loniflen zu verfertigen. Allein der fleißige Dann erhielt für diefe Arbeitenumd Rei⸗ 
fen, ja für die nun verlorene ‘Predigerflelle, die man wegen feines langen Außen: 
bfeibens unterbefien anderweit befegt hatte, nicht die erwartete Entfehädigung, und 


un 7 


192 Forſter CJohaun Georg Adam) 


er reifte ohne die geringſte Belohnung im Aug. 1766 nach London. Hier erhielt er 
ſich und f. Sohn Georg theils durch Verkauf mehrer von f. Reife mitgebrachten 
Seltenheiten , theils durch Überfegungen. Zwar murden ihm mehre ameritanifche 
Predigerſtellen angetragen; allein er ſchlug fie aus, indeſſen fein Sohn Georg eine 
Stelle auf einem Comptoir annehmen mußte. Er felbft ging als Prof. der Natur: 
geſchichte und der franz. und deutfchen Sprache nach Warrington in Zancafbire, 
wohin auch f. Frau, Georg und f. übrigen 6 Kinder nachfolgten. Hier unterrichtete 
er, felbftalser die Profefforftelleniederlegte, die Jugend, und lebte mehre Jahre in 
nicht unangenehmen Berhältniffen. Endlich kam der Antrag an ihn, den Capitain 
Eoof bei f. zweiten Entdeckungsreiſe als Naturforfcher zu begleiten. Er nahm ihn 
ern an und ging mit feinem damals 1’Tjährigen Sohne den 26. Juni 1772 von 
dondon ab. Diefe Reife, auf welcher ſie volle 3 Jahre zubrachten, hatder Sohn, 
Georg $., in dem beruhmten Werke (Lond. 17771, 2 Bde, 4., und deutfch Berl. 
47178 u. 1780) ausführlich befehrieben, da dies dem Vater, welchem es zur Bes 
dingung gemacht worden, Yeichts für fich von diefer Reiſe druden zu lajfen, nicht 
erlaubt war. Der Vater gab nachher f. reichen Bemerkungen über Gegenftände 
der phyſiſchen Erdbefchreibung, Naturgefchichte und Philoſophie, die er auf die: 
fer Reife gefammelt hatte, zu London 1778 in 4. (verdeutfcht von f. Sohne zu 
Berlin 17183) heraus. Die Weltcharte, welche die berühmten Weltumfegler auf 
ihrer Reife mit hatten, befindet fich in der Galerie zu Wörliß. Belohnungen wur: 
den übrigens Reinhold F. fo wenig zu Theil, daß er vielmehr bei f. zahlreichen 
Familie in Schulden geriet und deßwegen verhaftet wurde, bis ihn der Herzog 
Ferdinand v. Braunfchweig befreite. Endlich ging er 17180 als ‘Prof. der Natur: 
geſchichte nach Halle, wocr 18 J., bisan feinen Tod, eine Zierde diefer Afademie 
war. Auch bier fchrieb er fleißig und mar mit Überfegung der neueften Reifen aus 
mehren Sprachen, unter welche vorzüglich die von Cook's dritter Neife gehört, bes - 
ſchaͤftigt. Dabei fehlte es nicht an Derdrieplichkeiten, welche ihm f. Heftigkeit, 
f. Seradheit und f. offenes Herz zuzogen; auch fein Hang zum Spiel und die Be: 
ierde, feine Sammlungen um jeden Preis zu vermehren, feßten ihn oft in große 
erlegenheit. Der Verluſt f. trefflichen Sohnes Georg vermehrte diefe Leiten noch, 
Er flarb den 9. Dec. 17198. Seine Tochter Wilhelmine wurde Sprengel’s Gattin. 
Scharffinn und fehnelle Faſſungskraft waren bei diefem merkwürdigen Manne zu⸗ 
gleich mit dem bemimder.mmürdigften Gedaͤchtniß verbunden. 17 lebendige und 
todte Sprachen redete oder fchrieber. Er befaß eine hoͤchſt feltene Kenntniß der Li: 
teratur in jedem Sache; inder Sefchichte, der Botanik und Zoolsgie wird er immer 
- mit ſ. Sohne als einer der erften Entdecker des verfloffenen Jahrh. glänzen. Ob⸗ 
‚gleich von heftigem, aufbraufendem Temperamente, hatte er dennoch fo viel Gut⸗ 
müthigkeit, daß er.nicht leicht beleidigte. Er war ausnehmend gefällig und dienſt⸗ 
fertig; auch fremden Verdienſten ließ er volle Gerechtigkeit widerfahren. Eine uns 
erfchütterlich frohe Laune gab f. Umgange ein eignes Sntereffe In ſ. zahlreichen 
Schriften, unter denen ſ. oben erwaͤhnten, Beobachtungen auf einer Reiſe um die 
Welt“, ſ. „Geſchichte der. Schifffahrten und Entdeckungen im Norden”, ſowie ſ. 
„Antiquariſcher Verſuch über den Byſſus der Alten” die erſten Stellen einnehmen, 
war fein Styl zwar Eräftig und lebhaft, aber nicht ganzrein. 

Forſt er (Johann Georg Adam), der ültefte Sohn des Vorhergehenden, geb, 
den 26. Nov. 1754 zu Naſſenhuben bei Danzig, folgte ſ. Vater, 14 %. alt, nach 
Saratow, und fegtein Petersburg f. unter des Waters Leitung begonnenen Studien 
fort. Als diefer fich nach England begab, wurde er bei einem Kaufmann in London 
in Die Lehre gegeben; indeß nöthigte ihn ſeine ſchwache Geſundheit bald, der Hand⸗ 
lung zu ensfagen. Er kehrte zu f. Bater nach Warrington zurüd, feßte feine Stu: 
dien fort, überfeßte mebre Werke ins Engliſche, und gab in einer benachbarten 
Schule Unterricht im Deutſchen und Franzöfifchen. San marhte er, nebft ſ. 


| Forſter (Georg) . j | 198 


Water, von 1772 — 15 die Reiſe um die Welt unter Cook mit, welche durch Por: 
butifche Übel f. Sefundheit untergrub, begab fich 1777 nach Paris, wo er fich nies 
derzulaffen gedachte, ging aber bald nach Holland, und war auf dem Wege nach 
Berlin, als der Landaraf von Heffen ihm einen Lehrftuhl der Naturgeſchichte an der 
kaſſeler Ritterafademie anbot, den er 6 “Jahre lang, bis 1784, einnahm, in welchem 


Sabre er einem Rufe als Lehrer der Naturgefchichte nach Wilna folgte. Hier ward 


er zum D. der Medicin promovirt. Die Kaiferin Katharina harte die Abficht, 1787 


eine Reife um die Welt zu veranflalten, und $. zum Hiftoriograpben diefer Unters . 


kehmung ernannt, bie jedoch wegen des Türkenkriegs unterblieb. Um nicht müßig zu 
fin, kehrte F. nach Deutfchland zurädt, wo er mehre Schriften über Naturgefchichte 
md Literatur herausgab. Der Kırfürfl von Mainz ernannte ihn 17188 zu feinem 
eften Bibliothefar. F. ftand diefem Amte mit Auszeichnung vor, bis 1792 die 
Sranzofen nach Mainz famen. Er hatte die Sirundfüße der Revolution mit Feuer 
agriffen und wurde von den. republifanifch sim Mainzgernnach Paris geſchickt, 
um ihre Vereinigung mit Frankreich beim Konvent nachzuſuchen. Er befand fich 
noch daſelbſt, als die Preußen Mainz wieder eroberten. Dies Ereigniß zog den Vers 
luſt einer ganzen Habe, auch feiner Bücher umd Handfchriften, nach fich. Er fah 
k. ganze Lage erfchüttert, trennte fich von einer geliebten Sattin, die fich unter f. 
uftimmung mit ſ. Sreunde Huber wieder verband, und faßte den Entfchluf, nach 
Indien zu gehen. Er begann zu dem Ende das Studium der morgenländifchen 
Eprachen, unterlag aber den Anftrengungen und Unfällen der leßtern Jahre und 
fürb zu Paris den 12. Yan. 1794. F. gehört zu unfern claffifchen Schriftftellern, 


nf. Profa verbindet fich franz. Leichtigkeit mit engl, Gewicht, Wirübergehenf - 
ühlreichen Liberfegungen und führen bier von f. Schriften nur an: Die anziehende, 


für NRaturgeſchichte und Menfchentenntniß fo wichtige Befchreibung der denkwurdi⸗ 
gen Reiſe umdie Welt; f. „Kleinen Schriften, ein Beitrag zur Länder:und Vol⸗ 
kerkunde, Naturgefchichte und Philoſophie des Lebens” (6 Thle.); und insbefontere 
f reichhaltigen „Anftchten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, 
England und Frankreich im April, Mai u. Juni 17190” (3 Thl.). Auch Bat er das 
Berdienft, Die Bafttiche Frucht des indiſchen Kiterarifchen Himmels, die „Safontala‘ 
des Kalidas, auf deutfchen Boten verpflanzt zu haben, ‚Seine geweſene Frau, 
Therefe Huber, geb, Heyne aus Göttingen, gab „I. ©. Borfter?s Briefivechfel, 
rebſt Nachrichten von f. Leben” (Leipz. 1829, 2 Bde.) heraus; die ein wichtiger 
Beitrag find zu der Kenntniß jener Zeit und des Menſchen überhaupt: 

Forfter (Georg), ein durch die kuͤhne Reiſe, die er 1182 aus Indien, wo 

e im Dienfle der oftindifchen Compagnie ftand, durch Nordindienund Perfiennach 
Europa machte, befannter Brite. Er übermand Gefahren aller Art und jabllofe 
Veſchwerden. Dit den Sprachen und Sitten der Länder, die er berühren mußte, 
befannt, Iegte er morgenländifche Kleidung an. Das Sebiet der Seiks vermeidend, 
ging er über Kaſchemir, und den gemöhnlichen Caravanenweg über Kandahar. Bon 
‚nun an veifte er nicht mehr allein, aber immer mußte er gegen die ſcharfe Beobach⸗ 
tung feiner Reifegefährten fich fichern und befondersmitder Sprache und den Bits 
ten der durchwanderten Ränder fich vertraut zeigen, um nichtals Fremdling erkannt 
d werden. Darum verfagte er fich manche Bedürfniffe und begnügte fich mit einer 
weiſt fchlechten Nahrung. Nach Verlauf eines Jahres hatte ernicht mehr als 900 
Stunden Wegs gemacht und den füdlichen Theil des faspifchen Meeres erreicht, 
Vach 2. Jahren Bam er nach England zurüd und gab 1785 ein Werk über die 
thologie und Sitten des Hinduflammes ‚heraus, worin er das Ergebniß f. Bes 
Oachtungen geſchickt mittheiltes f. Darfteflung würde noch belehrender geworden 
fein, wenn er umfaffendere ‚allgemeine Kenntniffe —28— hätte, Der 1. Th. der 
eigentlichen Beſchreibung f. Reiſe erfchien 17190 zu Calcutta, wehin er zurüdiges 
kehrt war, Ehe er den 2. Th. vollenden Eonnte, farb er 1792 in Nagpur, wäh: 
Cowerſations⸗ Lexicon. Bd. IV. 13 





194 Forſtweſen 


rend er als Geſandter auf dem Wege zu dem Oberhaupte des Marattenftaates war. 
Diefer Theil erfihien 1798, ohne daß man erfahren hätte, durch wen und wie feine 
Schriften nach England gefommen waren. Meiners überf. (1196 und 1800) dies 
ſes anzichende Werk, das auch über die zu jener Zeit noch wenig befannten Seiks 
(f d.) und Rohillas ſchãtzbare Nachrichten mittheilte. Überſ. u. d. T. „Voy. da 
Beugyale a St.-Petersbourg, & travers les provinces septentr. de l’Inde etc, 
par feu George Forster” (Paris 1802, 3 Bde., mit Charten). 
Eorftmwefen, der gemeinſchaftliche Begriff der Theorie und Ausübung eis 
ner Wiſſenſchaft, welche, zuerftin der zweiten Hälfte des vorigen SJahrh. ausgebildet, 
die Lehre von der zweckmaßigen Behandlung der Waldungen zum Segenflande hat. 
Die Geſammtheit der hierauf abzielenden Grundſatze wird Forftwiffenfchaft, 
und der Inbegriff der Maßregeln, welche über die Anwendung diefer Grundſaͤtze auf 
ein gegebenes Holzland zu nehmen find, Forftwirthfchaft, und Forſtwirth 
daher Derjenige genannt, der fich mit der pfleglichen Erziehung und zweckmaͤßigen 
Benutzung des Holzeszu beichäftigen Beruf und Beſtimmung hat. Das Forſtwe⸗ 
fen pflegt man in Das innere und Außere einzutheilen. Unter jenem werden alle 
in dem Umfange der Wälder, und in Abficht aufihre unmittelbare Benußung und 
Erhaltung abzielinde Verrichtungen, und die Perſonen verftanden, denen diefelben 
aufgetragen find, während mit dem Ausdruck Außeres Forſtweſen jene Geſchaͤfts⸗ 
verbindung bezeichnet wird, welche ziwifchen dem innern Waldhaushalte und den 
©taatsbehorden flattfindet, und deren Charakter fich in höherer Anortnung und 
Leitung, richt aber in unmittelbarer Ausübung ausfpricht. Mit diefer Eintheilung 
vereinigt fich im Wefentlichen die neuere und fireng miffenfchaftlichere Abtheilung 
der Forſtwiſſenſchaft, oder vielmehr der Forftwirtbfchaft, weiche in der zwiefachen 
Richtung thätig erfcheint: die ſchon vorhandenen Wälder zu erhalten, zu befhügen, 
zwedtmäßig zu benußen, daher für die ununterbrochene Fortdauer der Berußung , 
in der technifchen Sprache Nachhaltigkeit der Benußung, zu forgen, und demnach 
die genußten Flächen mit Holz wieder zu beflellen, dann die Walderträgniffe unter 
die Staatseinwohner im Berhältniffe des allfeitigen Bedarfs angemeffen zu verthei⸗ 
Ien, den Holzanbau mit den übrigen Zweigen der Urproductton im entfprechenden 
Verhaͤltniſſe zu halten, feinen Gang und feine operative Wirkſamkeit Der Staates 
verfaffing anzupaffen und die politifchen Intereſſen der Wälder zu bersachen. Nach 
der Berfchiedenheit diefer Zwecke zerfällt der Waldhaushalt in die Waldwirt h⸗ 
(haft und in die Staatsforftwiffenfchaft. Jene gehört zu den Ausflüffen 
des Eigentbumsrechts, und nach der Verſchiedenheit der Waldbeſitzer ergibt fich der Be⸗ 
riff eines Domanial-, gemeinheitlichen, gutsherrlichen, Privat: ıc. Waldhaushaltes. 
uf_ den unmittelbaren Waldbetrieb foll die Staatsregierung nur infofern wirken, 
als ſie in der Behandlung ihrer Domainwaldımgen eine Mufterroirtbfchaft zur Nach: 
ahmung aufftellt, roogegen die Thätigkeit der Befondern Staatsforftregiminalbehörs 
den fich darin äußern muß, zweckmaͤßige Vertheilung der Waldflaͤchen zu erftreben, 
damit einerfeits die Gebiete der Land: und Zorftwirthfchaft gehörig abgegrenzt, ans 
drerfeits die allfeitigen und allortigen Bedürfniffe zureichend befriedigt werden. Die 
Waldungen, ſowie jedes andre Eigenthum, gegen Angriffe und Befchadigungen zu 
fpügen, liegt in den allgemeinen Pflichten der Sicherheitspolizei, und die Staatse 
forftbehörde wird in diefer Beziehung um deßwillen nur in das Intereſſe der Sache 
befonders gezogen, weil genaue Würdigung und Beurtbeilung der Forſtvergehen, 
und dadurch Beſtimmung des zu leiftenden Schadenerfaßes und der zu erlegenden 
Strafe, durch techniſche Renntniffe und Urfheile ermeffen werden muß. Mit jenen 
Mapregeln, welche aus Zweck und Wirkſamkeit des Staatsforftwefens hervorgehen, 
hangt indeſſen nicht ſelten die innere Waldbehandlung ſo innig zuſammen, daß ohne 
auf dieſelbe direct zu wirken, die Staatsbehorden br laufen, ihre Zwecke zu 
verfeblen. Es kann daher Bälle geben, wo ſelbſt die innere Behandlung der Wal⸗ 


- ı 


Dan 2 


Forſtweſen (Waldungen) 195 
bangen vorgeſchrieben werden muß, wenn die Aufgabe der forſtlichen Regierungs⸗ 
kunſt erfchöpfend geloſt werden ſoll, und wo daher präceptive Beſchraͤnkungen der 
aus dem Eigenthumsrechte fließenden freien Verfügbarkeit über Denugung ber Holz 
gründe gerechtfertigt erfcheinen. Es ift Demnach ebenfo verwerflich, den Waldhaus 
halt der Staatsbürger der! befchränfenden und anorduenden Iandesherrlichen Obers 
auffiht ohne Reftriction und Bedingung unterzuordnen, als nicht zu rechtfertigen, 
denfelben unbedingt freigugeben , und der Hauptgrundfaß des Staatsforſtweſens 
ſpricht fi, in Beziehung auf den Privathaushalt, darin aus, daß die Regierung 
dert imperativ einzufchreiten habe, wo, die Rüdfichten des mit dem guten Zuſtande 
der Waldungen eng verbundenen Gemeinwohls von einem durch Zeitconjuncturen 
nwaͤchtiger wirkenden größern Scheinintereffe des Augenblicks überwogen und die 
Pflicht für die Zufunft dem ſchnoden Vortheile der Gegenwart aufgeopfert zu fehen, 
Gefahr droht. Mit dem Privathaushalte tritt der gemeinheirliche nicht in gleiche 
Kategorie, da es bei demfelben von dem Gebrauche der obervormundfchaftlichen 
Rechte und Pflichten des Staates abhängt, zu beftimmen, auf welche Weiſe die 
innere Wirthfchaft unmittelbar oder mittelbar zu mobdificiren ſei. 

Die Waldungen werden eingetheilt: in Anfehung ihrer Subſtanz, in Laub: 
md Nadelholz; in Anfehung ihrer Behandlung, in Hoch:, Mittelzund Nieder: 
wald; die aus ihrer Benutzung fallenden Erträgniffe aber in Haupt: und Neben: 
mißungen. Die Laubholzwaldungen beftehen aus jenen Holarten, deren Blätter 
eine größtentheils mehr breite als lange Form und wäſſerige Säfte haben, und, bis 
auf wenige. Sattungen, an den Bäumen nicht überwintern, fondern im Herbſte ab: 
fallen, Die Nadelholzer haben dagegen nadelförmige, meift überwinternde, undfich 
in langern Zeiträumen, z. DB. von 3 zu8 Jahren, nicht gleichzeitig, fondern allmaͤ⸗ 
lig und unmerflich erneuernde Blätter (Nadeln), und harzige, ülige Säfte. Die 
in Deutſchland herrſchenden eingehorenen, im Forfibetriebe vorzüglich brauchbaren 

Laubholzgattungen find: die Eiche, die Rorbbuche, die Birke, der Hornbaum, die 
Ehe, Ulme, Linde, Erle, Ahorn. Die Akazie, nordamerikan. Abkunft, wurde in 
muern Zeiten in Deutfchland einheimiſch, nicht aber mit den von ihr geträumten 
Bortheilen, und eshat überhaupt bis jet kein fremder Forſtbaum folche Vorzüge er: 
wobt, weiche nichtan eingeborenen Holzern nachgewieſen werden fönnten, fodaß die: 
ſelben durch exotiſche Holzarten zu verdrängen, zu rechtfertigen wäre, ohne dadurch 

den Außen beflreiten zu wollen, den einzelne Fremdlinge neben einheimifchen Hot: 

gewaͤhren. Die vorzüglichften Nadelholzarten find: die Kiefer oder Führe, die 
ihte, die Weißtanmne und Die Lärche, letztere nur im füdlichen Deutfchland heimifch, 
mn aber in ganz Deutfchland angezogen, Unter Hochwaldwirthfchaft wird jene 
Waldbehendlung verftanden , wo man jede Holzart ihr natürliches Alter erreichen 
laßt, und wo daher der Natur überlaffen bleibt, das gefchlagene Holz durch Samen 
bi verjängen. Für diefe Behandlung eignen fich alle Holzarten, jedoch pflegt man 
m Hochwalde nur die befonders hochſtaͤmmigen zu erziehen. Wenn dagegen der 
Venutzung des Holzes ein engeres Ziel geſteckt wird als an der natürlichen Mache: 
erisde deffelben, ımd wenn. die Berjüngung der Waldungen durch die Hufe: 
rung der angeflammten Neproductiongtraft, daher durch den Ausfchlag der Stau: 
den bezweckt wird, fo ergibt fich der Begriff von Niederwald. Für diefe Wirthe 
ſchafrsmethode eignen fich mm die Laubhdizer, weil das Nadelholz am Stocke nicht 
tagt. Schlagwaldungen nennt man die Niederwaͤlder dann, wenn die Ab: 
fiht des Forſtwirthes dahin geht, Holz von einer nicht ganz unbedeutenten Stärfe 
Beriehen, und bei folchen Waldungen wird die Abholzung in wiederkehrenden Zeit: 
tiumen son S0 — 40 Jahren norgenommen, in der Zorftfprache, fie ftehen auf 
80 — 40jahrigem Umtriebe. Bufchhölzer nennt man jene Waldungen, welche in 
ſehr kurzen Beiträumen.ahgeholgt werden, und Rindenſchlage Diejenigen, bei denen 
bie direcie Mutzungsabſicht auf Gewinnung gerbftoffpaltiger eg Daß bei 
4 


\ 


496 Forſtweſen (Forſtbenutzung) 


der Wahl dieſer verſchiedenen Rindenwaldwirthſchaftsmethoden die Natur der Holy 
arten, insbefondere daher ihre Groͤßenverhaltniſſe, ihre Lebensdauer und die Aus⸗ 
fchlagungsfähigfeit der Stoͤcke wefentlich entſcheiden, Tiegt im Begriff der Sache. 
Wenn örtliche Derbältniffe gebieten, beide Wirthfchaftsarten in Verbindung zur 
ſetzen, wo z. B. der fehnelle Umſatz des Waldcapitals nöthig, dabei aber die Ers 
ziehung flarfen Bau: und Werkholzes unentbehrlich iſt, entfteht der Mittelmald oder 

Sompofitiongbetrieb, der befonders in der franz. Forftfprache durch die Benennung: 
futaie sur taillis, fehr richtig bezeichnet wird, ‚Eigentlich wird alle Niederwald⸗ 
wirthſchaft zu einer Art von Mittelmaldwirthfchaft, da die immer ausgehenden 
Stöde durch neue Holzpflanzen-aus dem Samen erfegt werden mäffen. Der Um: 


trieb der Hochwaldungen richtet fich nach der phyſikaliſchen, Hfonomifchen oder mer⸗ 


cantilen Haubarfeit, daher nach der Natur, nach dem Holzbedarfe einer Gegend 
und nach dem Seldbedarfe der Waldeigenthümer. “Die natürliche Haubarfeit tritt 
bei einer und derfelben Holzart verfehieden ein, nach der Verſchiedenheit der Lage und 
des Klimıs. Das mildere Klima befchfeunigt, das ſtrengere verzögert die Haubar⸗ 
£eitsperisde, welche zunächft Durch den Grund ſatz beftimmt wird; daß bei längerm 

Stehen"leiben (Üiberhalten) der Stämme der Verluſt an Holzzund Seldertrag durch 

die Vermehrung an Holzmaffe Zuwachs) nicht ausgeglichen werde. In allen Laub» 

holzhochwaͤldern wird die Verjuͤngung immer durch die Natur, und gewöhnlich durch 

Führung dreier Hiebe, des Befamungs : oder Dunkel, des Licht und des Abtriebs⸗ 
oder Reinigungsfchlags, bemwirft. In Nadelholzwaldungen findet auch der kahle 

Abtrieb und die IBiederbeftellung der Schlagfläche durch Handſaat ftatt. 

Alle jene Grundfüße, welche das Verfahren bei den Waldnubungen angeben, 
machen die Zehre der Forftbenußgung aus-und befaffen fowol die Haupt: als 
die Nebennugungen. Unter jenen wird der Holgertrag der Wälder im engern Sinne 
Hauptziel ihrer Bewirthſchaftung, unter diefen alles Dasjenigeverflanden, was aus 
den Mebenbeftandtheilen des Holzes, z. B. der Rinde zur Benutzung als Serbeftoff, 
dem Holzfamen zur Gewinnung von DI, zur Schweinemaft ıc. eingeht; dann, was 
Benußung und Verwerthung im Walde nach Erzeugtwerden der Gegenſtaͤnde lies 
fern, 3. B. das Gras als Viehfutter, dürres Laub, wo es, ohne die Berbefferung des 
Waldbodens zu beeinträchtigen, genommen werden kann, und Forftunfräuter zur 
Streu, Steine und aͤhnliche Producte. Auch rechneteman den Jagdertrag zu den 
Forftnebennugungen, aber unrichtigerweife, da die Jagd ein felbfländiger Segen: 
fland des Betriebes und Einkommens ift und auch nicht ausfchließlich in Wäldern 
ausgeübt wird. Ebenfo wenig find Waldbodenzinfe Forftnebennußungen, da jeder - 
in einen andern Cultur⸗ und Benutzungsſtand übergegangene Beftandtheil des Wals 
des aufgehört hat, Wald zu fein. Indem die Holzbedürfniffe eines Waldes fich in 
der Verwendung des Holzes.zur Aufführung von Siebäuden, zu Gewerben und zur 
Feuerung ausfprechen, fo muß die vorzügliche Rüdficht in der Forftbenußung dahin 
gehen, die verfchiedenen Holzarten zweckmaͤßig zu fördern, und: jeder Beſtimmung 
jenes Holz zuzuweiſen, was für diefelbe am beften fich eignet, und was nur dazu, 
und nicht mit größerm Bortheile zu andern Verwendungen abgegeben werden fönnte. 
Daher muß eine genaue Ausfcheidung der Holsforten flattfinden, und der Forft: 
wirth die vorläufige Zurichtung des Holzes zu dem verfchiedenen Sebrauche auch 
um de&willen noch’ vorbereiten, um dadurch den Transport zu erleichtern umd den 
Transportaufivand zu vermindern, ſowie felbft die zweckmuͤßigſten Transportmaß- 
regeln zum Bereiche des forftwirthfchaftlichen Wirkens gehören. Der Inbegriff 
aller hierauf abzielenden Srundfüße, mit Einfehluß der Kenntniffe der zur Holz 
gewinnung, Zurichtung und zum Transport dienenden Werkzeuge und Anſtalten, 

. begründet den Begriff der Forſttechnologie. 

Nicht, alle Waldungen find ih ‚einem guten Zuflande, fondern manche heil: 

weife bolzleer. Diefe nicht beftandenen Waldtheile (Blößen, Odungen) wieder mit - 


— 


Borfioefen ( Forſiwiſſenſchaft 197 


Holz zur beftellen, muß daher ebenfalls Sorge: des Forſtwirthes fein, worüber er 
durch die Lehre der Holzzucht oder des Holzbaues Anleitung erhält. Solche 
fünftliche, durch Saat oder Pflanzung gemachte Waldanlagen nennt man Eultu- 
ven, Die Bloßen entflanden meiftens durch fehlerhafte Wirthfchaft, gewinnſüchtige 
Angriffe auf die Waldungen, Ungluͤcksfaͤlle, Berbeerungen durch Thierg und aͤhn⸗ 
liche Beranlaffungen. Gegen folche nachtheilige Ereigniſſe Waldungen za fichern, 
if Gegenſtand des Forfifchußes, womit die Stantsforftregierung. jene Anord: 
nungen in Derbindung feßen muß, welche darauf abzweden, den Forfifchug in der 
9 zu unterftüßen, durch zweckmäßige innere Anftalten zu erleichtern, auf 
Dermeidung von Vergeben binzupirfen und von ihrer Wiederholung durch Be⸗ 
frafung ber: entdeeften Vergeben abzuſchrecken. Diefen Theil des Forſtweſens zu 
erdnen und zu regeln, übernimmt die Forftpolizei, deren Ausübung zum Theil‘ 
den Sorfibedienten, zum Theil aber auch eignen Forft- oder den allgemeinen Landes: 
jaſtiz⸗ und Doltpeibepörden überlaffen iſt. Eine eigne gefonderte Forfipolizeige: 
ruhtsbarfeit bleibt immer ein Mißſtand in einer guten Forſwwerfaſſung, und Q.uelle 
manches libels. Nur dann, wenn alle Räder in der Maſchine der Forftverwaltung 
gehörig zuſammen⸗ und ineinandergreifen, wenn Einheit und Übereinftinnmung in 
den Sefchäften diefelbe vereinfachen, wenn in der ganzen ob: und fubjectiven Forſt⸗ 
verfaffung. vom Höchiten bis zum Niederften Zufommenhang und Verbindung ifl, 
find die wichtigen Zwecke des forftlichen Betriebes erreichbar, wozu befonders gehört, \ 
daß jeder Forftbediente die Pflichten und Befugniffe feines Amtes genau Eenne, Reis 
bungen unter den verfchiedenen Dienftesclaffen vermieden werden, jeder Sorfibediente 
für feinen Dienfigrad und den Umfang feines Wirkens die nöthige Bildung babe, 
daß daher für zweckmaͤßige Bildung und Unterricht, zugleich aber auch dafür aus: 
reichend geforgt werde, Daß die Befoldung dem Dienfigrade, den damit verbundenen 
Ausgaben ur) dem Bildungsaufgdande der Forfibedienten gehörig entfpreche, und 
endlich aus folchen Beftandtheilen zufammengefeßt fei, daß einerfeits dem localen Be: " 
bürfniffe der Forfldiener begegnet, und andrerfeits dag Intereſſe der Forftverwaltung 
gegen ausdehnende Befoldung binreichend gefichert werde. Die Forftdirection 
wird daher zweckmaͤßigere Forſtgeſetze der Stantsgefeßgebung verfchlagen, für Zeit:, 
Sach: und ortsgemäge Inſtructionen der Forftbedienten forgen, angemeffene Be: 
ſoldungsſyſteme und Etats entwerfen, und den forftlichen Schulunterricht und die 
maftiiche Ausbildung der angehenden Forſtwirthe lüten. Ein Zweig der Forſtdi⸗ 
rection ift das Forftmaterialrechnungsmefen, deſſen Anordnung und Zeitung von der 
Forſtdirection ausgeben muß. Den’adminiftrirenden und ausübenden Forftwirthen 
Gelderhebung und Verrechnung aufzutragen, ift, einzelne Fälle ausgenommen, z. B. 
bedeutende Befchränkung der Waldungsbesirfe, ein fehr verwerfliches Verfahren. 
Nur dann erhebt ſich der Forftbetrieb zur möglichften Vollkommenheit, wenn nicht 
nur die gegenwärtige Benußung gehörig geleitet, fondern zugleich für die Zukunft 
geforgt wird. Die Lehren von der Forfibenugudg und dem Holzanbau zeigen wol, 
wie Waldungen benußt und verjüngt werden follen; allein fie geben nicht die Ne: 
gen an, in welchen Verhältniffen des Raumes ein gegebener Wald benugt werten 
fol, umefich gleichbleibende Nugungen immer zu liefern. Dies ift Gegenftand der - 
Torfitaration und Forfleinrichtung, deren Srundlage die Forftvermef: 
fang, Aufnahme und Chartirung ift. 
Die Forftwiffenfchaft entftand, als einerfeits drohender Holzmangel den 
tgierungen die Wichtigkeit der Waldungen fühlbar machte, andrerfeits aber die 
beſſere — des Holzüberfluſſes eine neue Quelle des Staatseinkommens 
Fin Welche Summen fließen nicht aus der Berwerthung diefer Naturfchäße, 
+ D. aus den Waldungen des Oberrheins, des Speffarts, des Fichtelgebirges 
und mehrer andern, für den Vortheil der holländifchen Marine: und Landbauten in 
die Staatscaſſen! Denkende Forſiwirthe fingen an, eigne und fremde Erfahrungen 


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198 | Zoridauer der Seele 


zufammenzuftellen und in der Natur der Waͤlder das Syſtem der Wiſſenſchaft auf: 
zufuchen. In Iterddeutfchland wurde zuerſt der oft rohen Jagdherrſchaft über die 
Waldungen der Stab gebrochen, und der Grund zu einer auf natürliche Principien 
geftügten Forffwiffenfchaft gelegt. Sowol Lehrer auf Univerſitäten als im prakti⸗ 
ſchen Dienfte ftehende einfichtsvolle Männer wirkten für diefen wichtigen Zweck mit 
Erfolg durch Schriften und Handlungen, und immer werden die Namen eines 
Kramer, Gleditſch, Bedimann und Zanthier mit Achtung genannt werden. Die: 
fer Letztere war der Erfte, der den forftwiffenfchaftlichen Unterricht felbftandig zu 
Ilſenburg im Stollberg: Werningerodefchen ing Leben rief. Dann machte das Forſt⸗ 
wefen in Preußen in Grundſatz und Ausübung rafche Sortfchritte; während Burgs⸗ 
dorf mit dem erften vollftändigen Syſtem der Forftwiffenfchaft die deutfche Litera- 
tur bereicherte, forgte er zu Tegel ber Berlin für Unterricht und Bildung fünf: 
tiger Förfter, Auch im füdlichen Deutfchland mar man in der Ausbildung des 
Forſtweſens nicht unthaͤtig, obgleich andre Rocalverbältniffe und Anfichten der Ne: 
ierungen dem fehnellen Aufſchwunge diefes Faches nicht fo günflig waren wie im 
orden unferes Daterlandes; indeffen wurden Lehrftühle der Forfhoiffenfchaft an 
Hochſchulen, oder auch befondere Forfklehrinftitute errichtet, roie im Kurfürftenthum 
Mainz, in Baiern, MWürtemberg und im Breisgau; Muͤhlenkamp, Daͤßl, Reu- 
ter, Jaͤger und Trunk machten ſich mehr und weniger um die Forftwiffenfchaft ver- 
dient. Man fing nun auch an, einzelne Theile diefer Wiffenfchaft mit befenderm 
Fleiße zu bearbeiten. Hennert 3. ®. fchrieb über Forfttaration mit Scharffinn und 
Sründlichfeit. Die fchnellften und Eräftigften Fortſchritte machte die Forſtwiſſen⸗ 
[haft vom Ießten SYahrzehend des vorigen Jahrh. an; befonders that Hartig vor 
züglich viel für die Bildung der Forftleute, Er verfah lange Zeit hindurch aus feinen 
Lehranſtalten zu Hundingen und Dillenburg einen’ großen Theil von Deutfchland 
mit Forſtwirthen. Auch durch einfache und für die untern Claſſen vır Forftdiener 
faßliche Lehrbücher erwarb ſich Hartig eine gewiffe Berühmtheit, die ihnr immer 
bleiben wird, wenn auch ſchon in fpäterer Zeit die Wiffenfchaft logiſch firenger und 
gründlicher behandelt wurde. Insbeſondere zeichnete ſich Hartig in Theorie und 
Praxis des Tarationsmefens aus, Don nun an folgten ſich die Forſtlehranſtalten 
ſchnell, unter denen aber einige nur vorübergehende Erfcheinungen waren; die Kite: 
ratur fing an, von Überfluß zu flrogen, nicht immier durch Erweiterung des Volu⸗ 
mens auch an Vergroͤßerung des Kerne gewinnend. Beſonders wurden die Hülfs⸗ 
wiffenfchaften der Forſtkunde mit regerem Eifer betrieben, und Bechftein, hoch⸗ 
verdient um die Bildung junger Forftleute durch die Gründung der Forftlebranftalt 
zu Waltershaufen, gegenwärtig zu Dreifigader, wird immer unter den Naturfor⸗ 
ſchern Deutſchlands, ‘welche ihre Thätigkeit vorzüglich gegen die Forftiwiffenfchaft 
hin richteten, eine der erfien Stellen einnehmen. In neuerer Zeit hat zwar die 
Zahl der deutfehen Ferftfchulen abgenommen, allein die der Schriftfteller hat 
ſich vermehrt. Unter denen des erften Ranges glängen die Namen eines Witzleben, 
Cotta (f. d.) und Hundeshagen; durch fleißige Bearbeitung einzelner Theilc der 
Forſtw ſſenſchaft haben fich Laurop, Hoßfeld, Schleevogt, Heldenberg, Maier, 
Nebauer, König u. X. verdient, Einige jedoch für die Wiffenfchaft gewinnloſer 
Dielzund Breitfchreiberei fehuldig gemacht, ſowie felbft aus zu meit getriebener 
Speculationg:, Reformations:und Neuerungsfucht die gehaltvollſten Schriftfteller 
fih in die Raume unpraktifcher Vorfchläge verirrten. Bu empfehlen find Cot⸗ 
ta’8 Werke; insbefondere St. Behlen's, Lehrbuch der Forſt- und Jagdthierge⸗ 
fehichte” (Leipz. 1826); überhaupt: Bechſtein's „Forft: und Jagdwiſſenſchaft 
nach allen ihren Theilen“ ıc., fortgef. von Laurop u. A. (1824, 8 Thle., m. Kupf.). 
. Fortdauerder Seele oder Unfterblichfeit des Geiſtes iſt 
die Sortdauer unferer geiftigen Perfonlichfeit mit Beroußtfein und Willen. Zmar 
fepreibt man auch dem Körper eine Art von Unfterblichfeit, aber nur infofern zu, 


Fortdauer ber Selle . 5 49 


als die Eörperlichen Stoffe, weiche ihre bisherige Daſeinsform verlaffen, unter 
neuen Berbältniffen in der Natur fortiwirfen und in andre Körper übergeben (f. & 
Art. Tod), nicht als ob derfelbe Körper bliebe. Da nım der Leib unmittelbar nach 
dem Tode in Berwefung übergeht und damit als beſtimmter arganifcher und mit 
Lebensthaͤtigkeit begabter Körper zu fein: aufhört, fo kann auch eine Auferfte: 
bung des Leibes nicht als eigentliche Fortdauer deffelben, fondern nur als eine 
neue Schöpfung eines ähnlichen und zwar vollkommenern Körpers gedacht werden. 
Die Fortdauer nach dem Tode oder die Unfterblichfeit der Seele hat man auf ver: 
fehiedene Art zu beweifen geſucht; befonders hat man fie in neuern Zeiten aus der 
Immateriaſitaͤt der Seele gefolgert. Allein diefe Immaterialitaͤt laͤßt ſich felbft 
nicht fireng ermweifen; und wenn auch, fo würde daraus folgen, daß die Seele nicht 
fowie der Leib durch Verweſung zerflört werden künnse, nicht aber, daß fie auch 
mit vollem Bewußtſein ihrer felbft fortfahre zu fein und zu winken, . Denn eg bliebe 
ühmer möglich, daß die Seele nach dem Tode in einen bewußtlofen Zuſtand über: 
ginge, aͤhnlich demjenigen, worin fie fich während eines tiefen Schlafe oder einer 
langen Ohnmacht befindet. Dies wäre aber Eeine wahre Fortdauer, fontern nicht 
siel beffer als Vernichtung. Gleichwol ift der Gedanke, daß der Menfch nach dem 
Tode aufhören foll, als ein vernünftiges und freies Wefen thaͤtig zu fein, ſo troſtlos 
und, man möchte fagen, empörend für die Menſchheit, daß ihn die Weifeften und 
beiten von jeher als einen unswahren Gedanken verworfen, und alle gebildete Vol: 
ker die Hoffnung der. Fortdauer nach den Tode, als einen wefentlichen Beſtandtheil 
ihrer religiofen Übergeugung anerfannt haben. Die Hoffnung der Unfterblichkeit 
ift daher als religiüfer GClaube zu betrachten... Es ift nämlich eine unabweisliche Fo⸗ 
‘derung ber Bernunft an den Menſchen, daß er nach einer ins Unendliche fortgehen⸗ 
‘den Vervollkommnung firebe. Diefe Foderung fann und darf der Menfeh nicht 
aufgeben, wenn er nicht auf feine ganze Wurde als ein vernünftiges und freies We: 
fen Berzicht leiften will, Er darf daher auch mit Recht erwarten, daß eine eroige 
Sortdauer feines beffern Selbft, als die unumgänglich nothwendige Bedingung 
eines unendlichen Fortfchritts im Guten, flattfinden werde, wenn ihm auch die 
Möglichkeit einer ſolchen Fortdauer ein ebenfo unauflosliches Raͤthſel if. ‘Der 
Glaube an die Unfterblichfeit get daher einerlei Grund: und Quelle mit den Glau⸗ 
ben an die Gottheit, und Niemand kann mit. fefter Zuverficht an Gott glauben, 
ohne zugleich an feine Freiheit und Unfterblichfeit zu glauben. Es befindet fich da- 
ber der Glaube qn Unfterblichkeit- auch in den Religionen der gebildetſten Völker 
aller Zeit, nur wird die Idee der Sortdauer von den verfchiedenen Völkern mannig: 
foltig modificirt. Am meiflen aber ift fie abhaͤngig von der Anftchr, welche man 
von der Seele und ihrem Verbältniffe zum Körper hat. Nur der roheſte Materia⸗ 
lismus ift diefer Dorftellung unfaͤhig. Sobald man aber anfüngt, das eigenthüm⸗ 
liche Wirken der Seele wahrzunehmen und feinen Bhi von der finnlichen Gegen⸗ 
wart abzuwenden, fobald entfteht auch der Gedanke an die Fortdauer und wird 
‚durch die Regungen der Hoffnung: und Furcht, ſowie durch mannigfaltige noch uns _ | 
erklarbare Erfcheinungen der. Natur, ja ſelbſt durch Täufchungen unterſtützt. Frü⸗ 
‚ber aber wird die Kortdauer als eine Kortdauer mit dem Körper, ohne Vorſtellung 
eines von diefem Leben verfchiedenen Zuftandes gedacht ‚vielleicht Darum fuchte 
man zuerft die Korper der Todten unverweſt zu erhalten), fpäter mit einem an: 
dern nenverliebenen Körper. Oder die Seele wird wie ein feinerer Körper vorgeftellt, 
befonders als Luftweſen (daher die Benennungen des Geiſtes in den ältern Spra⸗ 
en durch Hauch und Luft), oder als ein Schatten, der getrennt vom Korper nad) 
dem Tode.iebe. Syn diefem Falle ift auch das Leben nach dem Tode, wie nach der 
Mythologie der Griechen, nur ein Schatten von dem gegenwartigen. Aber dies iſt 
fon fpatere Vorſtellung und fegt eine Heruſchaft der Sinnlichkeit voraus, Indem 
man aber das Leben. der Seele verbunden mit dem vorigen oder einem neuen , wen 


200 gForteplano  Borkinguerra 


auch &therifigen Körper dachte, war man genbthigt, daſſelbe in einen beftimmten, 
von diefem Leben geſchiedenen Raum zu verfegen, Das Unfichtbare aber wird zus 
nächft als unterirdifch vorgeftell. Daher der Glaube an eine Unterwelt (f. d.), 
oder ein Zodtenreich, mit dem Glauben an bie Fortdauer in der engften Vers 
bindung fteht. indem die Dhantafie nun den Wechfel der Zuflinde auch auf ein 
andres Leben überträgt und ein ununterbrochenes Bortbilden der Natur in verfchie- 
denen Formen, was auch der Erhaltung des todten Körpers widerfivebte, oder ein 
Fortſchreiten des Seiftes auf verfchiedenen Stufen annimmt, entroidelt fich die 
Lehre von einer Metenfomatofe oder Metempfuchofe. (Bol. Seelenwande: : 
rung.) Ferner hängt mit dem Glauben an eine Untervoelt wiederum der Glaube an 
Erfcheinungen (Geſpenſter), Todtenbefehwörungen mit Einwirfung der Verftorbe: 
nen auf die Rebenden zufammen, die fich in fpätern Zeiten bei den Volkern entwideln.. 
Nach den Bedürfniffen und ter Bildung geftaltete man fich den Zufland nach dem 
Tode früher auf eine finnlichere Art, und zwar fo, daß Das, was man hienieden fiir 
Borzug und Verdienft hielt, auch dort als Solches fich geltend machen follte, aber 
Alles, was als Schwäche und Unvollkommenheit verachtet wurde, auch jenfeits einen 
unvollkommenen Zuftand bewirkte. Natuͤrlich war es ferner, daß die Fortdauer 
nach dem Tode mit dem Leben auf diefer Erde in Verbindung gebracht wurde, und 
fo trat der Zufland nach dem Tode in Beziehung auf Das, was man für. Beſtim⸗ 
mung des Menſchen hielt, mit dem Begriffe der Vergeltung, welcher moralifchen 
Urfprunges ift, in Verbindung. Daraus entwidelten ſich die Vorftellungen von 
Belohnungen und Strafen nach dem Tode, und von befondern Arten für diefelben 
(Hölle und Himmel), welche die Phantaſie der Völker mannigfaltig ausſchmückte. 
Erft unter Vorausfegung der Vorftellung von einem vergeltenden Zuflande fcheint 
ſich die Lehre von einer Auferſtehung oder Wiederbelebung der Grundſtoffe) des 
menſchlichen Körpers entwidelt zu haben. Mit diefer und mit der Seelenwande⸗ 
rung ſcheint die Lehre von einem dem Seelenfchlafe entgegengefeßgten Reinigungszu⸗ 

flande (purgatorinm) zufammenzubängen, forwie die Annahme eines Gerichts nah 
bem Tode In der Unterwelt (mie das des Oſiris, der drei Richter in der griechifchen 
Mythologie), oder eines Gerichts am Ende der Welt oder einer Wiederkehr in die 
Oberwelt. &o war die Unfterblichkeit cheils beſchrankter und rober,.theils umfaf: 
fender und geiftiger. Spuren von dem Slauben’an die Fortdauer des Geiſtigen 
nach dem Tode liegen fehon in der frühen religibſen Verehrung verftorbener Perſo⸗ 
nen, “Der reinere Glaube an die Unfterblichkeit iſt erft durch die chriflliche Religion. 
berrfihend geworden, Dieſer chriftliche Glaube an die Unfterblichfeit zeichnet fich 
aus theils durch die Zuverficht und Gewißheit, mit welcher er ſich ausfpricht, theils 
durch die Beziehung auf das Neligiöfe und Sittliche im Menſchen. Nur der edlere 
und wefentlichere Theil des Menſchen follnach ihm leben. Wir wandern nach ihm 
aus diefem Vorbereitungsleben in ein andres, wir laffen an der Schwelle deffelben 
die Hülle, aber nehmen das tröftende oder quälende Bewußtſein unferer freien 
Handlungen mit hinüber zu Segen oder Strafe. Man hat über diefe für das 
menfchliche Herz fo anziehenden Gegenflände zwei fehr leſenswerthe Schriften von 
Sintenis: „Elpizon, oder über meine Fortdauer im Tode“, und „Piſtevon, oder 
über das Dafein Gottes" (auch als Anhang zum „Eipigon‘' betrachtet), " 

Fortepiano, f. Pianoforte, 
Fortification, Befeftigungsktunft, ſ. Kriegsbaukunſt. 

— — Fortinguerra (Miecolo), geb. zu Piftoja 1674, Bräfat an dem Hofe 
Papft Clemens XT., einer der beften italienifcyen Dichter aus der erflen Halfte des 
18. Jahrh., welcher die verwandten Manieren Ariofto’s, Bern?’s und Taſſenis 
glücklich zu vereinigen wußte. In feinem nach einem Paladin Karls d. Gr. genann- 
ten epifchen Gedichte: „Richardet“ („Ricciardetto“), wollte er zeigen, daß Ariofto 
nachahmlich ſei. Den erften Sefang derfelben foll er in einer Macht. angefangen 


‚Fortuna Forum 204 


und beendigt haben. Auf das Verlangen ſ. Freunde ſetzte er dieſes Werk fort. So 
wuchs es bis zu 30 Geſangen an. Aber er erlaubte nicht, daſſelbe vor ſ. Tode dru⸗ 
den zu laſſen; auch nannte er fich als Berf. Sarteromaco, unter roelchem Namen 


diefes Sedicht nach f. Tode (den 17. Febr. 1735) erfihien (17138, 2 Bde., 4., und . 


mebrmals deutfch, Leipz. 1782, und 8 Sef. in Dttaven von Heife, Berl. 1810). 
Die Erfindung fcheint größtentheils ihm anzugehören. Mit der wirklichen Se: 
ſchichte fpielt er fo willkürlich, dag er feinen Nichardet nach Karls des Großen Tode 
den Kaifertbron befteigen läßt. An fommetrifcher Einheit war ihm wenig gelegen; 
Situationsfchilderung war ihm Hauptfache. Die Faden der Erzählung reift er” 
nach Luft und Laune ab und Enüpft fie «benfo willfürlich wieder an, wie Arioſto. 
Aber f. Darftellung ift komiſcher ale die des Ariofto, und. fatyrifcher als in Berni's 
und Taffon?’s Werken. Der Spott über die Entweihung des Chriſtenthums durch 
die verderbte Seiftlichkeit ift das Fräftigfte Salz derfelben, und wahrfcheinlich der 
rund, warum $. mit f. Gedichte fo zurüdhaltend war. Deffelben kleine Gedichte 
und Sonette find in verfchiedenen Sammlungen italienifcher Dichter zu finden. 

Sortuna, bei den Öriechen Tyche, die Lenkerin der guten und böfen 
Schickſale. Nach Hefiod eine Tochter des Dceanus, nach Pindar eine Schwerter 
der Parzen. Sie Hatte zu Korinth, Elis und Smyrna ihre Tempel. In Italien 
sourde fie fehon vor Erbauung Roms verehrt. In Antium hatte fie einen berühms 
ten Tempel, in welchem ſich 2 Bildfäulen von .ihr befanden, die man als Orakel 
befragte, und die ihre Antworten entweder durch Winke oder Looſe ertheilten. Fer: 
ner in Praneſte, daber fie auch Dea Praenestinn genannt rourde, Auch in Rom 
batte fie zahlreiche Tempel, Man findet fie gewöhnlich mit einem doppelten Steuer: 
ruder abgebildet; mit dem einen regierte fie den Machen des guten, mit dem andern 
den des widrigen Geſchicks. In fpätern Zeiten bekam fie eine Binde vor die Augen, 
eine Deichfel, ein Rad oder eine Kugel, indem fie auf leßterer entweder faß oder 
fland. Gewöhnlich ift fie als eine Matrone gekleidet. Auf verfchiedenen Gemmen 
findet mon noch befondere Symbole, 5. B. einen über. eine Weltkugel ausgefpannten 
Eirkel, eine Weltkugel zwoifchen einem Steuerruder und einer Kornaͤhre, worauf 
ein Rad ſteht. Auf einer Muͤnze des Kaifers Geta figt fie mit entblößtem Ober⸗ 
leibe auf der Erde, lehnt fich mit dem rechten Arm auf ein Rad und hält in der 
linken Hand ein auf ihrem Schoße ſtehendes Fuͤllhorn. Ahr Steuerruder fügt 
fich bald auf eine Kugel, bald auf ein Rad, bald auf einen Schifffehnabel. Oft 
wird fie auch geflügele abgebildet, doch von Römern nie. Denn nachdem fie 
die ganze Erde durchflogen, ohne irgendwo zu verweilen, foll fie endlich auf dem 
palatinifchen Berge ſich niedergelaffen, ihre Flügel abgelegt baben und non ihrer 
Kugel heruntergeftiegen fein, um für immer in Nom zu bleiben. 

Forum, bei den Römern, überhaupt jeder offene Plag, wo Markt und - 
Gericht gehalten rourde. In Rom war das Forum ein prächtiger Platz, der zugleich 
zum Epaziergange diente und wegen f. Öröße Forum ınagnum hieß, Bei der zu: 
nehmenden Bevölkerung wählte man befondere Pläge zum Serichthalten und zu 
Märkten; die Zahl derfelben belief fich am Ende auf 17. Das große römifche Fo⸗ 
rum, welches fübl, vom palatinifchen und nordweſtl. vom capitolinifchen Berge be: ' 
grenzt wurde und vorzugsweife den Namen Forum erhielt, hatte ſchon Romulus 
für die Zufammenfünfte des Volks beſtimmt. Tarquinius Priscus lieg ringsherum 


bedeckte Gänge anlegen, damit man fich gegen jede Witterung fehügen Eonnte. An 


demfelben waren fiufenförmige Erbbhungen , von welchen man vor Einrichtung der 
Theater die Schauſpiele, die auf dem Markte angeftellt wurden, anſah. Später 
wurde das Forum mit einer fo ungeheuern Menge Statuen, die aus, Sriechenland 
dahin gebracht worden waren, geziert, daß man einen großen Theil derfelben wieder 
wegraͤumen mußte. Befonders prächtig waren die vergoldeten Statuen der 12 obern 
Gotter. Jetzt heiße diefer ehemals mit Palaͤſten und Prachtgebaͤuden gezierte Platz 


— 


⸗ 


— 


202 Foſcolo | 


Campo Vaccins (Dehfenplag) und ift faft wüſte, aber mit unzähligen Ruinen f. ehe 
maligen Herrlichkeit befüet. — In unferer Gerichtsſprache heißt Forum Gerichts 


hof, die Serichtaftelle, vor welcher ftreitige Rechtsfachen entfchteden werden; rote auch 


die richterliche Behörde, der Gerichteſtand und die Serichtebarkeit; daher: forum 
competens, das befugte Gericht, wohin die Rechtsfache eigentlich gehört; forum 
incompetens hingegen ein unbefugtes Gericht. Forum contractus ift der Gerichts⸗ 
hof des Orts, wo ein Vertrag gefchloffen ward; forum delicti (commissi), der Ges 
richtshof des Orts, wo ein Verbrechen begangen ward; farum domicilii und foram 
babitationis (ſ. Domicilium); forum apprehensionis, 100 der Verbrecher ergrif: 
fen ward; forum originis, der Heimath, des Seburtsorts; forum rei sitae, der 
Gerichtshof des Orts, 100 die flreitigen Segenflände liegen; forum privilegiatum, 
ein Serichtshof, unter welchen jemand f. Amts oder f. Perſon wegen ſteht. So 
Haben z. B. Seiftliche ein forum privilegiatum. infofern fie nicht unter der allge- 
meinen Gerichtsbarkeit, fondern unter dem ’Lonfiftortum ftehen; desgleichen Stu⸗ 
denten als unter dem alademifchen Serichte ſtehend. 

5 ofx< ol o (Ugs), italien, Dichter und Schriftfteller, geb, aufder Inſel Zante 
47783. Er mar ein Zögling Sefarort?’s m Padua und trat zu Venedig, ungeführ ein 
Jahr ver dem Fall diefer Republik, als dramatiſcher Dichter mit f. „Ihyeftes” auf, 
bei dem ihm die Einfachheit und Strenge Alfıeri’s und der Griechen zum Muſter ges 
dient hatten. Gegen den Beifall, den diefes Werk erhielt, trat er felbft mit einer 
ſtrengen Kritif hervor, Als Bonaparte die Verfaſſung Denedigg, flürzte und eine 
Demofratie einführte, zeigte fich F. als einen eifrigen Anhänger der neuen Grund⸗ 
füge; f. Hoffnung aber, einen bedeutenden Platz in der neuen Republik einzuneh⸗ 
men, wurde darch die Abtretung Venedigs an Dftreich vereitelt. Seinen Geiſt zu bes ’ 
ſchaͤftigen, fehrieb er einen durch glühende Leidenfchaft ausgezeichneten Roman 
n. d. Titel: „Ultime lettere di Jacopo Ortis” (Mailand 1802, deutfch, Leipzig 
1829). Mean erkennt darin die Nachahmung des „Werther“; inde find es wol 
Hauptfächlich die dem Werke eingemwebten politifchen Beziehungen und ein geroiffer 
trüber ‘Patristismus, wodurch es die SJtaliener fo allgemein anfprach. Dabei ver⸗ 
dient es von Seiten der Sprache großes Lob, F. begab ſich nach Mailand, wo ein 
Freund, General Pino, ihm eine militairifche Anftellung verfchaffte, Seine Rede in 
der Confulta zu Lyon 1801 und 1802, über Italiens Schickſal („UOrazione a Bo- 
naparte pel congresso' di Lione”, Lugano 1829) ift das Kühnfte ımd Feurigſte, 
was die ital. Beredtſamkeit aus dieſer Zeit beſitzt. 1808 ſchrieb er in der Form eines 


Commentars über das von Catull überf. Gedicht des Kallimachus auf das Haupt: 
Haar der Berenice, eine Satyre gegen verfchiedene Gelehrte. Als einige franz. Trup: 


pencorps nach Frankreich zuruͤckkehrten, benußte $. dieſe Gelegenheit, Paris zu be: 
ſuchen. Nach ſ. Ruͤckkehr lieg er 1807 das Eleine Gericht „I sepoleri‘ drucken, wor⸗ 
in er die Mailänder übel behandelt, Die Kritif dagegen tadelte mit Recht f. Berfe 
als rauh und ohne Wohlklang. Darüber erzürnt, beſchloß er eine andre Bahn zu 
betreten. Er unternahm die Bearbeitung und Herausgabe der Werfe Montecuculi's, 
nach den Urhandfchriften (Mail. 1897, 2 Bde. Fol.), ein verdienftliches Unterneh: 
men; doch warfen ihm die Renner Mangel an gründlicher Kenntniß der Kriegstunft 
und eine zu große Keckheit im Ausfüllen der in den Handſchriften vorhandenen Lüden 
vor. Mit Monti, deffen Freund und Bertheidiger F. gewefen, zerfiel er dadurch, daß 
er, als Jener ſ. Überf. der, Ilias“ herauszugeben im Begriff war, ebenfalls mit einer 
Überf. der erften Gefünge des Sebichts hervortrat und fie zugleich mit Abhandlun- 
gen begleitete, die offenbar gegen Monti gerichtet waren, Man glaubt, daß er diefelbe 
Abficht mit f. beiden Tragödien „Rieciarda” und’ „Ajace“ hatte. Die Regierung 
aber, die hier noch andre Beziehungen finden wollte, befahl ihm, Mailand zu verlaf: 
fen. Um den Schein der Verbannung von ihm abzuwenden, fandte ihn ſ. Freund 
Pins mit angeblichen Aufträgen nach Mantua. Hier lebte er bis zur Entthrenung 


Foſſile Knochen  Bouche 203 


Napoleons. Mit großem Eifer ſprach er damals für die Unabhängigkeit Italiens 
und machte fich, als Murat f. Kriegszug unternahm, den Öftreichern fo verdächtig, 
daß er esgerathen fand, Italien zu verlaſſen. Er ging nach der Schweiz, und lebte 
feit 1815 in London, wo fü treffl. „Discorsn sul testo di Dante” :1826 erfchien, 
5. farb in London den 11. Sept. 1827. Sein größeres Werk über Dante, den 
er als Apoftel einer verbefferten Religion darftelle, erſchien nad: ſ.: Tode. | 
Foſſile Knochen, f. Urmelt. 

Foſſilien, 1) fonon. mit Mineralien; 2) mit VBerfteinerungen. 

Fothergil!l (John), engl Ay oo eines Brauers, geb. am 8: Marz 

47712 zu Sarrend bei Richmond in. der Grafſch. Dorf: and erzogen In einer Erzie⸗ 
Bumgsanftalt der Quaͤcker zu Richmond ‚"befanmte fich ſ. ganzes Leber hindurch zu 
Diefer Sekte, Er fhidirte Medicin zu Edindurg; ward an dem St. :Sbomasbofpirct 
in London angeflellt, machte dann 1740 eine gelehrte Reife durch Holland, Deutfch: 
land und Frankreich, und lieh ſich in London nieder, wo er 30 J. hindurch/ als der 
berühmtefte der damaligen Arzte, eine ausgebreitete Praxis trieb. Seine Geſchick⸗ 
lichkeit und fein Steig, foroie feine Wohlthärigkeit gegen die Armen, denen er fort: 
waͤhrend große Summen austheilte, errsarben ihm allgemeine Achtung. Als 1746 
Die haͤutige Braͤune in London epidemiſch wurde, befolgte 8; in der Behandlung 
derſelben eine neue Methode, gebrauchte Brechmittel und Mineralfäuren, und brachte 
feine Kranken faſt alle gtücklich durch, 1748 gab er eine Schrift: „Liber die Natur 
und Behandlung der Brantbräune”, heraus, die in verfchiedene Sprachen überfeßt 
wurde. Noch befchäftigte fich F. eifrig mit der Krauterkunde. Er kaufte 1762 
zu Upton ein großes Stück Geld und legte da einen botanifchen Garten an. Durch 
die beften Künſtler in London ließ er die Pflanzen f. Gartens abzeichnen; nach f. Tode 
-Samen 1200 folcher Zeichnungen in das faif. Cabinet zu Petersburg. Sein zoologi⸗ 
ſches und mineralogifches Cabinet gehörte zu den vorzüglichften in England. Er er: 
richtete auf f. Koſten eine große Erziehungsanftalt für arme Quaͤkerkinder. Zuf. . 
Lieblingsentroürfen gehörte die Abfchaffung des Negerhandels. Er ftarb am 16. 
Dec. 1780. Nach ſ. Tode gab Elliot eine vollſt Sammtl. f. medicin. und philoſoph. 
Werke, mit f.Lebensbefchreib. Lond. 1781 heraus (deutſch, Altenb. 1785, 2Bde.). 

5 dt u heißt der thierifche Keim (Embryo) dann, wenn eine der Gattung 
entfprechende Seftalt aus ihm fich entwickelt hat. Dach den verfchiedenen Thier⸗ 
gattungen gefchiebt dies zu verfchiedenen Zeiten, je nachdem die Geburt früher oder 
fpäter eintritt. Bei Kaninchen 3. B., die alle 4 Wochen Junge zur Welt bringen 
können, muß dies früher gefcheben als bei den Kagen, Hunden u.f.w. Beim 
Menfchen hebt es gewähnlich von der 3. und 4. Woche an, im 6. und 7. Me: 
nate beißt er Frucht, bis zum 10, Kind. Mit der Unterſcheidung diefer 
Begriffe wird es jedoch nicht fo genau genommen; einmal ıft der Begriff 
Embryo, ein andres Mal Foͤtus oder Frucht für alle, und Kind heißt der Fb: 
tus dann erft, wenn er zur Welt gefommen iſt. Frucht feheint der paffendfte 
Hrame zu fein, ! 

5 0 u ch & (Joſeph), Herzog von Otranto. Wenn die Sefchichte überhaupt 
die denkwürdigen Manner eines Zeitalters nicht nach einem frühern oder fpätern be: 
urtbeilen und würdigen darf, fondern allein nach dem Charakter der Zeit, in der fie 
lebten, fo gilt Dies noch weit mehr von ben Männern eines Zeitalters, deffen Jahr: 
bücher noch nicht gefchloffen find. F. gehört ganz dem Zeitalter der franz Ne: 

‚solution an: Die innere Nothwendigkeit diefer großen Begebenheit und der Art 
ihrer Entwickelung hat die Sefchichteforfefumg inſoweit wenigfteng erklärt, Daß man 
einfteht, der Maßſtab der Sefchichte für diefe Begebenheit darf nicht derfelbe fein, 
nach welchem fie ein Volk und Menſchen richtet, deren Leben in eine Zeit füllt, in 
welcher die moralifch=politifche Entwickelung der gefellfehaftlichen Ordnung gefeglich 
fortſchreitet. F. darf daher fo wenig als .das franz Volk, deffen böfe Genius 


204 J a, Fonchoͤ 

auch üͤber ſhn walten mußte, nach britifchen oder deutſchen Anſichten, noch. nach 
dem Zuſtande der Dinge im J. 1817. oder 4788 betrachtet werden; am allers 
wenigften darf man ihn verurtbeilen auf dos bloße Zeugniß diefer Revolution, deren 
‚eigne Ausfagen eben darum verdächtig find, weil fie felbft den wilden Charafter der 
Zeidenfchaft und der Verblendung, wie der Lüge und der Gewalt im fich trug: ein 
Charakter, der. mit der moralifchspolitifchen Ordnung der Sefellfchaft zugleich den 
noahrbeitsfinn der öffentlichen Meinung gerflörte. ur über einen Theil ſ. öffent- 
lichen Zebens, den ſpaͤtern, feit 1799 ,: wo Napoleon über Franfreich zu gebieten 
anfing, bat er fich zu rechtfertigen verfucht, und hier müffen felbft feine Feinde ges 
fteben, daß er viel Boſes gehindert und Napoleon bei mehr als einem wichtigen Ans 
laß mit furchtlofer Feftigkeit fich entgegengeftellt bat. Joſeph $., geb. zu Nantes 
- den 29, Mai 1768, vom 9. J. an dafelbft von den Bätern des Oratoriums erzo⸗ 


‚gen, follte, wie fein Vater, Schiffscapitain werden. Allein er war fürıdas©ee 


leben nicht ſtark gen daher fegte er feine. Srudien in ‘Paris fort, Hierauf hielt 
er Borlefungen über Methaphyſik, Phyſik und Mathematik in der Akademie zu Juils 
Iy, zu Arras und zu Vendome. Er war nie Priefter,, heirathete noch vor der Ne 
‚solution, und lebte dann zu Nantes als Advocat. Hier wählte ihn 1792 das Des 
part. der. untern Loire zum Mitgl. des Nationalconvents, Am 20. Sept. 17192 
(mithin nachdem die Republik fchon errichtet war; trat F. zum erfien Male im pa⸗ 
riſer Yakobinerclubb auf, Im Convent flimmte er für den Tod des Königs und ge: 
gen die Appellation an das Volk. Er wirkte befonders im Ausfchuß des dffentlichen 
Unterrichts und ſtand mit Condorcet in enger Verbindung. Genothigt, Sendungen 
nach Nevers, und mit Collot d'Herbois nach Lyon, 1793 anzunehmen, war er ges 
zwungen, die Sprache ‚der damaligen Zeit des Schreckensſyſtems zu führen; doch 
erklärte er fich mit Muth gegen allgemeine Denunciationen, gegen anarchifche Will: 
für und Plünderung. Bei feiner Rückkehr nach Paris wurde er im Juni 1796 
‚zum Präfidenten des Jacobinerclubbs erwählt, bald aber von Kobespierre, gegen 
deffen Tyrannei er fich erflärt hatte, angeflagt, er unterdrüde die Patrioten und 
Bergleiche ſich mit den Ariftokraten. Man fließ ihn daher aus dem Elubb. Nach 
Robespierre’s Sturz fchien F. auf die Seite der Gemaͤßigten zu treten; allein bei der 
gefahrvollen Lage der Republik fprach er auf der Rednerbühne für die Maßregeln des 
Schreckensſyſtems; daher verlangten Tallien und die Thermidorlaner am 2. April 
1795 feine Verhaftung. Ale nun auch heftige Flugfchriften, wie: „Die Anklage 
‚der Bretagner”; „Der Racheruf der Lyoner” ; „Die Annahme des Terrorismus‘; . 
„Der entbüllte Fouche⸗ u. a. m., ſowie die Einwohner von Gannat im Allierdepart. 
und die Behörden tm Nievredepart. feine Beſtrafung foderten, beſchloß der Con⸗ 
vent, auf den Antrag der Mepräfentanten Lefage, Boiffy D’Anglas u. A., am 9. 
Aug. 5.8 Derbaftnegmung und Ausftoßung aus dem Convent als Terrorift. Am 
26. Det, 1795 erhielt er, in Gemaͤßheit einer allgemein erklärten. Amneflie, feine 
‚Freiheit wieder und lebte dann 2 Jahre als Privatmann. Nach dem 18. Sructi: 
dor (4, Sept, 1797), wo Barras über die Partei der Semäßigten fiegte, ernannte 
ihn das Directorium im Sept. 1798 zum Botſchafter bei der cisalpinifchen Re⸗ 
publif, Der Oberbefehlshaber der italienifchen Armee, Gen. Sjoubert, war fein 
Freund; als ſich aber F. mit ihm gegen die Partei von Reubel, Merlin u. A. ver: 
‚bunden hatte, rief ihn das Directorium von feinem Poſten ab. Er kehrte im Anz 
fang 1799 nach Paris zurüd. Die Mitglieder des Damaligen Directoriums eur: 
den bald nachher durch Siiyes, Ducos, Gohier und Moulins erfebt, welche F. 
zum Polizeiminiſter der Nepublif ernannten, - Als folcher entwidelte er feltene Ta: 
‚Iente, mit Kühnheit, Feftigkeit und außerprdentlicher Thärigkeit gepaart. Wegen 
‚der von ihm getroffenen Magregeln zur Unterdrüdung der Bolfsgefellfchaften wurde 
er von dem &ubb da Manege und im Rathe der Fünfhundert heftig angegriffen. 
Allein er. ging auf feiner Bahn entfehloffen fort und bielt alle Parteien im Zaum, 


Yonde 205 


Nach Bonaparte's Nüdkehr aus Ägypten wirkte er mit zur Aufrichtung der Con⸗ 
fularregierung am 18. Brumaire. . Er ward defwegen als Polizeiminifter beftäs 
tigt. Die Partei Beauharnais und Sjofephine, welche mit Lucian gefpannt war, 
ſchloß fich an ihn an. Er entdeckte den Briefwechſel einiger Eönigl, Agenten und 
machte ihn befannt. Er vereitelte die Verſchworung Arena’s, Ceracchi's und To⸗ 
pine Lebrun's, und 509 die Urheber der Höllenmafchine vor Gericht, Doch war er 
weniger geneigt zu gewaltfamen Maßregeln, und bewirkte das Meifte durch Kund⸗ 
fehafter, Beftechung und Verführung. indem er viele Noyaliften vor Bona⸗ 
parte's Rache ſchutzte, diefen aber mit der Furcht vor DVerfchwörungen Angfligte, 
ſachte er fich felbft allen Parteien nothiwendig zu machen. Wie er über die Grund⸗ 
füge feiner Amtsführung dachte, fieht man aus den Umfchreiben, die er erließ. 
Allein Napoleon war damit nicht einverftanden, fondern errichtete eine befondere, 
geheime Polizei. F. fiel in Ungnade und wurde den 15. Sept. 1802 in den Se: 
nat verfeßt. Er lebte 21 Dronate von Sefchäften entfernt. Damals vereinigte 
Napoleon, auf Yucians und Joſephs Rath, die Polizei mit der Juſtiz, unter dem 
Großrichter Regnier. Doch die Gaͤhrung, welche über die Faif. Polizeimaßregeln, 
befonders zur Zeit des Proceffes von Moreau, entftanden war, nötbigteden KRaifer, 
8. im Juli 1804 wieder an die Spiße des Polizeiminiſteriums zu flellen. Savary 
blieb jedoch Chef von Napoleons befonderer Polizei; F. aber hatte die Gefaͤngniſſe 
des Temple unter feiner Verwaltung. Darum wurde ihm die angebliche Ermor: 
bung des engl. Sapitains Wright (f. d.) Schuld gegeben; allein dieſes Gerücht 
ift Hinlänglich widerlegt. Jener Staatsgefangene batte fich felbft am 27. Det. 
1805 mit einem Rafırmeffer die Kehle abgefchnitten. Während Bonaparte durch 
feinen Sroberungsgeift im Ausfande befehäftigt wurde, erhielt F. die Ruhe im In⸗ 
hern, Vergebens fuchte er die Thätigkeit des Kaifers auf die innere Dermaltung 
hinzulenken umd ihn von dem, Entwurfe gegen Spanien abzuhalten. Als Napo: 
leon 1809 an der Donau mit Oftreich Krieg führte, und die Engländer Walcheren 
befeßt hatten, bot F., der zugleich Minifter des Innern umd in demf. Jahre zum 

g von Dtranto ernannt war, allenthalben die Nationalgarden auf; allein die 
Worte feines Aufrufe: „Beweiſen wir, dag Bonaparte’s Gegenwart nicht noth⸗ 
wendig ift, um unfere Feinde zurüdzufchlagen”, bewirkten feine abermalige Un« 
gnade, Doch ward er im Juni 1810 zum Souverneur von Rom ernannt, follte 
aber dem Kaifer feine Brieffchaften zuftellen. Da er dies flandhaft vermeigerte,' ſo 
ward er in feine Senatorie Air verwiefen. Doch rief ihn Bonaparte bald zurüd'; 
allein F. Eonnte nicht mit den Anfichten des Kaifers übereinftimmen und ging auf 
feine Güter. In der Folge berief ihn Napoleon nach Dresden und ernannte ihn 
im Juli 1813 zum Statthalter von Illyrien; der Krieg nöthigte ihn aber bald, 
nach Frankreich zuruckzugehen; Napoleon ſchickte ihn Hierauf nach Neapel. End: 
lich kam F. nach ‘Paris zurüd, als Jener abgedankt hatte. Er ſchlug dem Exkaiſer 
vor, flart nach Eiba, nach Amerika zu gehen. Ebenfo vernünftig waren die Bor: 
fehläge, die er den Miniftern Ludwigs XVIII. mittheilte. Hätte man auf ihn ge 
hört, fo würde die Katafirophe im März 1815 mahrfcheinlich nicht ftattgefuriden 
haben. Da F. fah, daß neue Leidenfchaften an die Stelle der alten getreten waren, 
fd ging er aufs Land. Unzufriedene fuchten vergebens, ihn in ihre Derbindung zu 
—* Bein Brief, den er von feinem Schloſſe Ferrieres bei Paris, den 25. Sept. 
1814, an ein Mitglied des Congreſſes zu Wien fchrieb, enthält gewiffermaßen fein 
politifches Slaubensbefenntniß. Bei der Landung Bonaparte's follte der Herzog 
von Otranto, weil er zu einem Prinzen bei der Prinzeffin von Baudermont gefagt 

e: qa'il etait trop tard pour qu’il püt servir la cause du roi, verhaftet wer⸗ 

den; allein er entkam durch’ einen geheimen Ausgang. Bonaparte berief ihn fofort 
zu ſich; Doch F. nahm ‚von ihm nicht eher das Polizeiminifterium an, als auf 
feine Verſicherung, dag Oftreich und England die Rückkehr Napoleons insgeheim 


206 Foulis (Robert und Andreas) 


gut hießen, - &obald aber F. von der Acht, ‚die der Congreß gegen Napoleon ausger 
fprochen, gewiffe Kunde erhalten hatte, fchlug er dem Kaiſer vor, wenn Unterhand⸗ 
lungen nichts ausrichteten, abzudanfen und in die Vereinigten Staaten zu geben, 
Im Befiße der öffentlichen Meinung, nahm 5. gegen Bonaparte eine feſte Stel: 
lung an und machte die Örundfüge der Freiheit bei ihm geltend. Auf feinen Betrieb 
entfehloß fih Napoleon, nach der Niederlage bei Waterloo, zur Abdankung. Jetzt 
ftellten die Kammern den Herzog von Dtranto an die Spige der proviforifchen Res 
gierung. Er beförderte Napoleons Abreife. Zu gleicher Zeit unterhandelte man 
mit den Verbündeten, und es gelang dem Nerzog, die Anficht Sarnot’sund Andrer 
zu befämpfen ; welche das Außerfte, felbft mit Gefahr für die Hauptftadt, wagen 
pollten, Indeß war 5. anfangs nicht für die Wiederberftellung des Thrones Lud⸗ 
wigs XVIII. Endlich trat er mit Wellington zu Neuilly in Unterhandlung. Paris 
capitulirte, die franz. Armee zog fich hinter die Loire zurüd, und Ludwig XVII, 
berief den Herzog von Dtranto, welcher ihm den 7. Juli über die öffentliche Mei⸗ 
nung in Sruntreich ‚offen geſchrieben hatte, zu ſich nach St.-Denis und ernannte 
ihn zum Polizeiminifter. Als folcher legte er dem Ktnige zwei von Huet abgefaßte 
Berichte über die Lage Frankreichs vor, die durch ihre Kuͤhnheit den Haß aller Par⸗ 
teien gegen den Herzog aufreizten. Sein Kath, Alles zu vergeben, ward nicht bes 
folgt, und er mußte als Polizeiniinifter die Verortnung Ludwigs XVIII. vom 
24. Juli 1815 unterföhreiben, durch welche Mehre als Staatsverräther von dem 
Amnefliegefeß ausgendmmen wurden. Bald fiegte der Haß der prinzlichen Partek 
über das Minifterium, und F. nahm feine. Entlaffung im Sept. 1815. Das 
Depart. der Seine wählte ihn zum Deputirten der Rammer ; allein der Haß der 
Royaliſten hielt ihn ab, in diefelbe einzutreten. Hierauf ernannte ihn der König zu 
feinem Sefandten am dresdner Hofe. Doch bald traf ihn das Geſetz vom 12. Jan, 
41816, daß Alle, die für den Toddes Königs geſtimmt und von Napoleon ein Amt 
angenommen hätten, aus Frankreich verbannt fein und ihre durch Schenkung erhal: 
tenen Guͤter verlieren fellten. F. lebte feitdem mit feiner Familie erftin Prag, dann 
in Linz, und ftarb in Trieft den 26. Dec, 1820. Im Aug. 1815 hatte er ſich zum 
zweiten Male nit dem Fräulein von Caſtellane, einer Verwandtin Talleyrand’s, 
vermaͤhlt. Er befchäftigte fich mit der Erziehung feiner Kinder und war als Satte 
und Vater ein dchtungswerther Mann. "Sein Kußeres verrieth Scharfblid und 
Willenskraft. Er war von mittler Größe, mehr hager als voll, won fefter Geſund⸗ 
beit, ſtarken Nerven, in der Rede, deren Ton hohl und etwas heifer Flang, rafch, 
beftimmt und lebhaft ; in der ganzen Haltung fehlicht und einfach. Die in Paris 
4824 erfchienenen „Meinvires de Jos. Fouche, duc d’Otrante etc.” (2, Th., 
Brüffel 1824) find von den Söhnen deffelben nicht anerfannt; auch haben dieſe 
den Proceß gegen den Verleger gewonnen; allein deffenungeachtet fiheinen ung die 
innern Gründe für die Echtheit diefer Memoiren überwiegend zufein. Gewiß iſt es, 
daß 5. feinem Secretair Demarteau Memoiren dictirt bat. 5.6 Leben in den 
„Zeitgenoffen” 9. 3, ift aus F.'s Mittheilungen verfaßt. K. 
Foulis (Nobert und Andreas, Gebrüder), waren in der Mitte des 18, 
Jahrh. geſchickte und gelehrte Buchdruder zu Glasgow in Schottland, Ihre Auge 
gaben claffifcher Autoren verdienen denen von Barbouund Bodani an die Seite ges 
ſetzt zu werden. Robert 5. war Barbier, wurde nachher Buchdruder und machte 
ſich 1743 durch eine Ausg. des Demetrius Phalereus vortheilhaft befannt. 1744 
erſchien f. berühmter Horaz in 12., der ohne Drudfehler if. Er hatte die Probe: 
bogen zu Glasgow öffentlich ausgebangen und, wie Robert Stephan, einen Preis 
für jeden Druckfehler beftinmt. In dem nänlichen Jahre ward fein Bruder Ans 
dreas Theilnehmer des Sefchäfts, und Beine gaben nun 86 J. nach einander ihre 
fehr gefuchte Folge cloffifcher ‚Autoren heraus, unter denen die vorzüglichften find: 
Homer (1156—58, 4 Bde, Fol), Thucydides (mit Intein, übe rſetz, 1759, 


Fouqus (Heinrich Augufd) Bongus (Friedrih) 207 


8 Bde.); Herodot (mit lat. Überf., 1761, 9 Bde); Zenophon (mit Tat. ÜÜberf., 
41363—87, 12 Bde); Cicero (17149, 20 Bde. in 12.); „Das neue Teſtament 
(oriechifeh, 1750). Der große Eifer beider Brüder, die ſchoͤnen Kuͤnſte in ihrem 
terlande emporzubringen, verurfachte ihren Ruin, Sie wollten in Schottland 
eine Kunſtakademie errichten, unterhielten deßwegen mit großen Koften Schüler in 
Italien und liegen von daher eine Menge Kunftfachen kommen. Da fie aber nicht 
unterftüßt wurden, Eonnten fie diefen Aufwand nicht weiter beftreifen. Andreas F. 
ftarb 1774, und Robert $. war genöthigt, feine Kunftfammlung, wovon der Kata⸗ 
log 3 Bde. ausmachte, nach London zu fhiffen, wo fie um einen Spottpreis ver: 
kauft wurde. Er flarb zu Glasgow 1776.— Ein Nachkomme der Geb. F. bat 
noch big 1806 fehöne Ausgaben von Elaffifern, namentlich einen Birgil 1778, und 
einen Aſchylus 1795, beide in Fol., geliefert, oo 
"& ougue (Heinrich Auguft, Sreiberr de la Deotte), k. preuß. General der 
Inf. geb. 1698 in Haag, aus einer alten normännifchen Familie, welche der Re⸗ 
figion wegen Sranfreich verlaffen hatte, Sm 8. Jahre ward er Page am Hofe des 
Sürften Leopold zu Anhalt: Deffau. Wider deffen Willen machte er 1715 den 
Feldzug gegen Karl All. als Gemeiner mit, wurde 1719 Faͤhnrich und 10 Jahre 
darauf Hauptmann. Der Kronprinz (nachmals Friedrich 11.) ſchenkte ihm fein 
Vertrauen, und Friedrih Wilhelm 1, erlaubtees, daß F. den Kronprinzen im Ges 
füngniffe zu Küftrin befuchte. Derdrieglickkeiten nit feinem Chef, dem Sürften von 
Deifau, bermogen $., den preuß. Dienft 1788 ale Major zu verlaffen und in dani⸗ 
fiye Dienfte zu geben. Als aber Friedrich 11. den Thron beftieg, rief er 5. wieder 
zu fich und ernannte ihn zum -Oberften und Commandeur eines neuerrichteten Res 
giments. F. machte nun die Feldzüge in Schlefien mit und zeichnete fich 1742 als 
Eommandant der Feflung Glatz aus. Noch mehr that er fich als Generallieutenant 
im fiebenjähr; Kriege durch Klugheit und Tapferkeit hervor. Er befehligte öfters 
abgefonderte Corps. 1760 ward er (23. uni) mit feinem aus’ 10,000 M. be 
Rebenden Eorps in den Verſchanzungen bei Landshut in Schlefien, die nicht Hinz 
ianglich befeßt werden konnten, von 30,000 Öftreichern unter Laudon angegriffen und 
uberwaͤltigt. Nur 1500 Preußen entfamen; der Neft mußte fich, nachdem die 
meiften Anführer getödtet oder gefangen worden waren, ergeben. Auch der tapfere 
&. wurde ſchwer verwundet und gefangen. Bei der darauf erfolgten Übergabe von 
Glatz verlor er fein ganzes Bermögen und wurde von den Öftreichern, fo lange der 
Krieg dauerte, nicht ausgewechfelt. Die Kaiferin Maria Thereſia fuchte ihn in ihre 
Dienfte zustehen, aber vergebens. Nach gefchloffenem Frieden (1763) kam er wie⸗ 
der zu f. Regimente nach Brandenburg und genoß fortroährend das Wohlwollen 
und die Freundfhaft des guoßen Königs, welcher, obgleich felbft anders gefinnt, die 
religiöfe Denkart 5.8 mit fchonender Achtung behandelte. Er farb den 2. Mai 
4714. Die „Mem. du Bar, de la Motte Fouque,” (Berl, 1788, 2 Bde; 
‚ deutfch, ebend. 1788, von Büttner, $.6 Privatfecretair) enthalten F.'s Brief: 
wechfel mit Friedrich 1. Sein Enkel (f. d. folg. Art.) gab zu Berlin 1825 aus 
Familienpapieren die Rebensbefchreibung des Generals 5. heraus, mit einem Plane 
des Treffeng bei Landshut. | | 
Fouqu é (Friedrich, Baron de la Motte), fin. preuß. Major und Ritter 
des Johanniterordens, geb. zu Neubrandenburg den. 12. Febr. 1777, lebt abwech- 
fend in Berlin und in Nennhauſen bei Rathenau. Diefer Enkel des berühmten 
preuß. Generals al, I. hat fich mit dem Schwert und mit der Leier Lorbern er 
rungen. Seine Jugendbildung verdankt er dem Sokratiſchen Hülfen, Mit feinem 
anglucklichen Freunde, Heinrich von Kleift, machte er als Lieutenant im Reg. der 
Garde du Corps den Feldzug am Rheine in den neunziger Jahren mit und lebte 
Hierauf in landlicher Stille der Greundfchaft, der Liebe und den Mufen, bis 18183 
der Aufruf feines Königs zu den Waffen erfcholl, welchem er felbftein Sähnlein er- 


- 


7 


208 > Fouquier⸗Tiwille 


leſener Krieger zufuͤhrte. Im Laufe des Krieges, wo er als Lientenant, dann als 
Aittmeiſter bei den freiwilligen Jagern des brandenburg. Cäraffierregiments ſtand 
und wo er mehre Kriegslieder aus freier Bruſt ſang, wohnte er den bedeutendſten 
Schlachten bei, und ale er nach der Schlacht bei Kulm in Böhmen krank gelegen 
Batte, war er noch fo glüdlich, am Tage tes 18. Det. den glorreichen Kampf mit- 
zufämpfen; aber die Folgen körperlicher Anftrengungen nöthigten ihn, den Abſchied 
zu nehmen, und der König belobnte feine Dienfte mit dem Majorscharakter und 
dem Johanniterkreuze. Als Dichter trat er früher u. d. N. Pellegrin auf, überfegte 
Eervantes’s „Numancia” und Dichtete Einiges im Geiſte der fpanifchen Poeſie. Er 
betennt, diefe Weihe von f. Freunde U. W. Schlegel empfangen zu haben, dem er 
feine dramatifchen Spiele zugeeignet hat, in welchen man Feinheit der Empfindung 
mit füdlihem Sarbenfchmelz vereinigt findet. In diefelbe Zeit fallen der Roman 
„Alwin“ (2 Thle.), die „Hiſtorie des edeln Ritters Salmy und einer fehönen Here 
zogin aus Bretagne” und einige Schaufpiele. Indeſſen ſchien ihn doch der Geiſt der 
nortifchen Sage umd aAltdeutſchen Dichtung am meiften anzufprechen, welchen er mit 
bewundernswürdiber Sruchtbarfeit in vielen Werken dargelegt hat. Diefen kraft⸗ 
vollen Geiſt athmet vor Allem das dramat. Gedicht: „Sigurd, der Echlangentödter”’ 
(Berl. 1809, 4.), mit dem er zuerft unter ſ. wahren Namen auftrat. Ferner gehoͤ⸗ 
ren bierber die vaterländifchen Schaufpiele: „Alboin, der Longobardenkönig“, und 
„Eginhard und Emma’: vorzüglich aber „Der Zauberring” (Nürnberg 1816, 3 
Thle.), in welchem das Südliche mit dem Nordiſchen verſchmolzen ifl. Erwaͤhnung 
verdient noch unter 5.6 zum Theil vortrefflichen Fleinen Erzählungen das zarte, 
finnvolle Märchen Undine“, vielleicht die ſchoönſte Gabe feiner reichen Phantaſie. 
Diele Almanache und Zeitfchriften, befonders feineeignen, „Die Mufen“ und „Die - 
Jahreszeiten”, der „Almanach der Sagen und Legenden” und das „Frauentafihens 
buch” enthalten von ihm Beiträge. Sein romantifches Heldengedicht „Torena” 
erfchien 1814. und das gefchichtliche Epos „Bertrand du Guesciin“ 1821. Im 
Sanzen kann man behaupten, dag Religiofität, Ritterlichkeit und Salanterie bie 
Elemente diefes Dichtergemüths find. Mur ift zu bedauern, daß tiefer reichbegabte 
Geiſt in der legten Zeit in eine manierirte DVielfchreiberei gerathen ift, welche, ver: 
bunden mit gewiffen politifchen Ideen von feudaliſtiſchem Kriflofrarisuns, die große 
Zahl feiner neweften Komane und Schaufpiele felbft für feine Verehrer ungenießbar 
macht. — Auch feine Gattin, Karoline, Baronin de la Motte Fouguc, iſt als 
fruchtbare Schriftflellerin befannt. Mehre Romane von ihr, z. B. „Roderich”, . 
„Die Frau des Falkenſtein“, „Gedore“, ihre Erzählungen, ihre Briefe über Zweck 
und Richtung weiblicher Bildung, ſowie ihre eigenthuͤmliche lüberficht der griech. 
Mythologie, nach den neneften Korfchungen, find mit Achtung für das Talent diefer 
ausgezeichneten Frau zu nennen. Ihre neueften Romane fcheinen fi Walt. Scott 
" zum Dufter gefeßt zu haben; aber fie theilen das Schickſal der letztern Werke ihres 
Gemahls: die Gunſt des Publicums hat fich von ihnen abgemendet. bb; 
Fouguier:Tinville (Antoine Quentin), ein Ungeheuer, das die 
franz. Revolution erzeugte, F., geb. 1747 zu Herouelle bei St.: Quentin, war Pros 
cureur am Chatelet. Unmäßige Berfeh wendung zwang ihn, feine Stelle zu verfaus 
- fen und Bankrutt zu machen. Als Geſchworener bei dem Kevolutionstridus 
nal (f. d. erregte er durch feine Begierde zum DBerurtheilen die Aufmerkſamkeit 
Robespierre's, der ihm daher das Amt eines öffentlichen Anklägers bei dieſem Ges 
richte ertbeilte. Nun haͤuften fich die Opfer, und das Blutgeruͤſt empfing ohne 
Unterlaß Jeden, der einen ausgezeichneten Itamen führte und Anfprüche auf die 
allgemeine Achtung hatte. $. entwarf die fehändliche Anklageacte gegen die Koͤni⸗ 
in. Zabllos find die Schandthaten , die diefer Elende veruͤbte, deffen Durft nach 
lut immer heftiger wurde. Nachdem er felbft auf die Hinrichtung Robespierre’s 
und aller Mitgl. des Revolutionstribungfe am 9. Ihermibor 17194 angetragen 


Fourerogt:.i: TyIo ( George) 609 


hatti ivaf thn erwvtich am 14. Thermidor £1 3 Me, 1786): Abſttautz und Berhafe |. 
tung. teile den 1: Mai 1196, ftarb er. unser der Qulllosize feig und nieder⸗ 
wichtig wie er gelebt hatte. AZ ET u IE ZZ Zu ' 
- 7.5 our cry 0 y (Antoine Iran/ vie), eines dor erſten neunten Ehemiker, geb.den 
15. Juni. 4755 zu Paris, wo fein Vater Apetheker war, befischte vom 9. bis 
Jum 14. Jahre das Collegium Harcourt. Muſik und Dichtkunſt zogen ihn an; 
er verſuchte für das Theater zu arbeiten und. war geneigt; Felbft Schauſpieler zu 
werden. ‚Allein die ungünftige Aufnahme, melde :einwrofeiner Framsk:auf dem 
Theater fand, ſchreckte ihn ab, Endlich beſtimmte ihn Micq WRGIr, mis denver in 
dem vertrauteſten Umgange lebte, Medicin zu ſtudiren. Der junge F. widmete ſich 
ganz dein Stadium ber. Anatomie; Chemie, Botanik und. Naturgeſchichte. 1777 
gab er eine überſ. von Ramazziva Gert: „Sur les maladies des artisans” mit 
trefft. Anmert. heraus, 1780 wird er D. der Mediein.und Praͤſes der Facultaͤt. 
Borlefungen über die Chensie :vermehrten:feinen Ruf. Eine glänzende Einbildungs- 
kraft, ein leichter und ebenfo. edler nle angenehmer Mortsag zogen «ine Menge Zu: 
hörer herbei. Mach dem Tode Macquerꝰs, 2784; .erhiett. rin dem konigl. Pflan⸗ 
— den Lehrſtuhl der Chemie, und das: Jahr darauf trat er als Mitgl. der 
ad. der Wiſſenſch. in die Section der Anatomie, aus derernachher in Die Section 
bee Chemie üderging. Als jegt die Chemie eine durchaus neue Geſtalt gewann, 
waren Die franz. Chemiker, deren Werk diefe mpefteleung war, zugleich auf eine 
zwedinäßigere- Terminologie bedacht. Das Ergebniß ihrer Bemuͤhungen legte $. 
1787 der Welt vor Augen und gab mehre Schriften. über Medicm, Naturge⸗ 
fhichte und Chemie heraus, unter denen wir f. faft in alle lebende europaͤiſche Spra⸗ 
chen überf. „Philosophie chimique” (Paris 1792, 3. 4.1806, deutſch nach der 
2. A., Leipj. 1796), und f. „Eegons.dl&ment, d’hästohre naturelleet de chimie” 
(Paris 1798, 4. A., 6Bde.; beutfch, nach der frühern A. v. Loos, Erf. 1189) aus⸗ 
zeichnen. . Much gab er mit Lavolfier u. A. die „Aunales de chimie” (48 Bpe,, 
17189 — 94) heraus. 1789 wurde er Wahlherr von Paris, und 1793 Mitgl. des 
Nationaleonvents, Er bewirkte, daß ein deſeen wurt für die Gleichformigkeit des 
Maßes und Gewichts angenommen wurde. Bald darauf ward er beiden Jakobi⸗ 
mern wegen feines Stillſchweigens im Convent angegeben, undentging ber Achtung 
nur mie Mühe, So lange die Tyrannei Robespierre’s dauerte, war F. einzig in der 
Eomits des öffentl. Unterrichts und in der Section desarmes mit Arbeiten befhäf: 
tigt, die fich.auf den Kriegund die Wirfenfchaften bezögen, - Tach tem 9. Thermi- 
dor wurde er in den neuem Wohlfahrtsausſchuß berufen, wo man ihm die Sorge 
für die Artillerie übertrug. Er organifirte die Centralſchule der dffentlichen Arbei- 
ten, aus welcher nachher die polytechniſche Schule entſtand; er gründete die$ 
-Specialfchulen der Medicin und wirkte bei der Einrichtung der Normalſchulen mit, 
Tach dem 13. Vendemiaire trat er in den Rath der Alten, in welchem er 2 Jahre 
biieb. Hierauf verwaltete er aufs Neue fein Amt als Profeffor und fehrieb f. 
„Systeme des connaissanıees chimiques“ (Paris 1801, 6 Bde. in 4. oder 11 
Bbe. in8.; deutſch durch Vieth und Wiedemann, Braunſchw. 1804): das ſchon⸗ 
ſte Denkmal der franz. Chemie. Nach dem 18. Brumaire wurde er Staatsrath 
und entwarf einen Plan für den öffentlichen Unterricht, der mit einigen Veraͤnde⸗ 
rungen angenommen wurde. Sein. Amt als. Seneraldirector des dffentlichen Un: 
rerrichts Iegte ihm die Pflicht auf, 1802 und 1804 einen Theil der Depart. zu’ 
durchreiſen und Die Organifation der Lyceen zu befchleunigen. Bei Errichtung der 
kaiſ. Univerfität wurde er zwar ebenfalls mit feinen Vorſchlaͤgen gehört, erhielt aber 
doch nicht, wie er gehofft hatte, die Stelle eines Großmeiſters an derfelben: eine 
Zuruckſetzung, die ihn bitter Eränfte. Er ward indeß zum Staatsrath, Reichsgra⸗ 
:fen und Mitglied des Nationalinſtituts ernannt, F. finrb den 16. Dec, 1809, 
‚50x (Beorge), ſ. Quaker. Ä 
Eonserfationssezicon, Bd. IV. | 14 


210 2 (James-⸗ 


....$ 65 (Charles James), dieſer in den Annalen Großbritanniena unflerbliche. 
Staatsmann, geb..d. 24: Jan. 1.748, der zweite Sohn des Lord KHollariund Enz‘. 
Eel des Dir Stephan For, welcher das Chelfenhofpital gegründet hatte, ward von 
f. Vater vollig zwanglos erzogen vad dabei gewöhnt, feine Meinungen über die Ger 
genflände der Unterhaltung zu fügen, was nichtnur zur Schärfung feiner Urtheils⸗ 
kraft, fondern auch zur Ausbildung des Kedhrrtalents beitrug, durch welches 3. im 
der Folge *8 .Gewoͤhnlich las der. junge F. die Depeſchen ſ. Vaters, welcher 
eine Zeit lang Staatsſecretair war, und ſoll oft treffende Bemerkungen darüber ge: 
macht baben. : Einft warfer den Auffag einer Otaatsſchrift von f. Vater mit den 
Worten, fie fei zu ſchwach, ins Feuer. Er befuchte die Schulen von Weſtminſter 
und Eton, wor, 13 Jahre alt, mit den geübteiten Schülern in Taseinifchen Ver⸗ 
fen wetteiferte. Er fchrieb das Griechiſthe und ſprach das Franzoͤſiſche faft gelaͤu⸗ 
figer als feine Mutterfprache. Doch zeigte er ſchon in Eton Hang zur Berfchwen- 
dung und beging, durch die Freigebigfeit f. Vaters.nach mehr dayı veranlagt, viele 
Ausfchweifu gen. Auf der Univerſitaͤt Oxford erregten feine Kenntniſſe um fo mehr 
Bewunderung, als er feine gange ‚Zeit. dem Spiele und andern Zerfireuungen zu 
widmen ſchien. Dann unternahm er eine Reife durch die Hauptlinder Europas, 
und obgleich er fich allen Senüffen bingab, zu denen die reizenden Gegenden des 
Südens die Briten im Taumelder jugend locken, fo erwarb er fich doch eine um: 
faffende Kenntniß der natürlichen Befchaffenheit, der Sitten, Künfte, Geſetze und 
Regierungsformen der verfchiedenen Länder, welche er ſah. Im 20. J. trat F. 
den fein Vater als Tory erzogen hatte, und der jeßt als ein vollendeter Staßer zu: 
rüdgefommen war, als Repräfentant des Fledens Middurft in das Parlament ein. 
Anfangs war er auf der Seite der Regierung, die in ihm baldeinen ihrer geſchickte⸗ 
ften Berthridiger fand. Aber während er mit Kraft und Einficht indie öffentlichen 
Angelegenteiten eingriff, unterhielt er eine genaue Verbindung mit wuchernden 
Seldjuden. So theilte diefer außerordentliche Mann fein Leben zwiſchen den ern: 
fteften Sefchäften und ter wildeften Ausgelaffenpe Er war zugleich Commiſſair 
‚der Adnziralität, und nachdem er diefe Stelle 1772 niedergelegt hatte, Commiſſait 
der Schaßfammer; als er fich aber 1714 der Regierung vwiderfeßte und mit der 
Dppofition verband, erhielt er feine Entlajfung. Lord Holland mar ſchon früher 
geftorben und hatte ſ. Sohne, außer einem bedeutenden baaren Vermoͤgen, ein 
prächtiges Landgut, mit einem nach dem Mufter von Cicero's Wille Formia erbau: 
‘ten Kaufe, binterlaffen. diberdies war F. Buchhalter der koͤnigl. Schatzkammer in 
Irland. Alle diefe bedeutenden Mittel waren in Kurzemerfchöpft. Statt jedoch 
durch die auf ihn einftürmenden Ungemächlichkeiten niedergebeugt zu tmerden, ents 
wickelte fich erft jeßt die ganze Stärke feines Geiſtes. Der eben beginnende Streit 
mit den nordamerifanifchen Colonien ergriff ihn fo mächtig, daß er plößlich als ein 
andrer Menſch aufızat, Er gefellte fich zu Burke und antern trefflichen Maͤn⸗ 
nern, welche die Ungerechtigkeit, womit die Solonien behandelt wurden, laut aus: 
ſprachen. Bald fland F. zum Erflaunen Aller, die ihn vorher kaum bemerkt hat: 
ten, gehoben durch die Kraft feiner Talente und feiner Beredtſamkeit, ander Spiße 
der Oppoſition. Nichts brachte er aus der vorigen wilden Lebensperiode in die neue 
binüber als die Anmuth des Umgangs, die Offenherzigkeit des Gemüths und die 
fühne Entichloffenheit des Mannes, der feiner Kraft fich bemußt if. Dereint mit 
Burke befümpfte er die Grundſatze Norıh’s; Beide widerfeßten fich einem Kriege, 
den fie ungerecht und unpolitifch nannten. Endlich mußten Lord h und feine 
Sreunde (1782) ihre Minifterflellen aufgeben. Rockingham, Shelburne und 3. 
wurden ihre Nachfolger. Als der Erftere flarb, 3095. , der mit Shelburne nicht 
einverflanden war, de in das Privatleben zurũck. Doch hatte er während feiner 
kurzen Staatsverwaltung mit den Amerikanern und Holländern Friede zu-machen . 
geſucht. Shelburne ſchloß nun (1783) den Frieden zu Berfailles, mußte aber bald 


®e ’ 


For· (James) 211 


nachher mit feinen Freunden (Pitt u, X.) der unter Deus Namen der Coalition ganz 
unerwartet erfolgten Bereinigung der beiden ehemals fo heftigen Gegner, Lord 
North und F. weichen. Der Herzog von Portland ward nunmehr erfier Lord der 
Schatzkammer, und North und F. bie beiden Staatsfecretaire. Waͤhrend diefer 
ten Adminiſtration brachte F. die oftindifche Bill ins -Unterhaus, welche die 
ierung der oftindifchen Sefellfchaft in Oftindien faft.ganz in die Hände des Mic 
nifteriums bringen ſollte. Die von der britifchen Regierung bisher unabhüngigen 
Eompagnieländer wurden nämlich fo fehlecht verwaltet, daß eine durchgängige Re⸗ 
form nötbig ſchien. %. und North boten einander die Haͤnde, und die Bill ging im 
Unterbaufe durch. Allein die mächtigen Intereſſenten der oftindifchen Handelsge⸗ 
fellfehaft wollten ihre Direction des britifch-orientalifrpen Reiche nicht. gern aufge: 
ben und vermittelten, daß der König durch den Strafen Temple erklärte, er würde 
den für feinen Feind halten, der-dafür flimmte. So wurde die Billverworfen; aber 
fie dem Miniſter Kaleid dag Zutrauen feines Souyeraing geraubt und führte 
finen Sturz herbei Das ganze Miniſterium wurde in den legten Tagen des J. 
1188 verabfchiedet. Pitt trat wieder in die Bermaltung.ein, und 3. beftritt nun un: 
abläflig ſeinen großen Gegner, unbeftechlich durch Geldſummen, Titel u. Ehrenſtel⸗ 
len, die der Minifter für feine Zwecke vertheilte. Mehr als ein Mal fühlte Pitt ſei⸗ 
‚nes Gegners liberlegenheit. Da er den Krieg gegen Rußland, wegen Oczakow, 
. beginnen, da er ein andres Mol den Frieden mit Spanien brechen wollte, war es 
F. welcher beide Kriege verhinderte. Endlich ermüdete 5.8 Ausdauer in dem un: 
gleichen Kampfe gegen den mächtigen Pitt. Begleitet. von.einer Miſtriß Armflead, 
die er nachher als feirie Gemahlin erkannte, machte er eine Reife nach Frankreich, 
der Schweiz und Italien. Die franz. Revolution brach aus. Pitt und F. billig: 
ten das Beſtreben eines Volks, die Seffeln des Despotismus zu brechen. Als 
aber daſſelbe in sin Chaos beifpiellofer Verbrechen ausartete, änderten Beide ihre 
Anfichten. Auch trennte fih damals (12. Febr. 1791) Burfe von $. Pitt wollte 
Krieg; F. rieth, die gährende Nation ihrem Schickſale zu. überlaffen. Als ein 
unerfchütterlicher Vertheidiger der Nechte des Volks, mußte 5. es fich gefallen 
‚laffen, daß politiſcher Fanatismus ihn einen Jakobiner fchalt, und der König ihn 
aus der Lifte der Geheimenraͤthe ausflrich. Hatte er auch Kraft, diefe Kraͤnkun⸗ 
gen mit Gleichmuth zu ertragen, fo ward er es doch müde, die politifchen Anfichten 
feines Gegners ohne Erfolg zu bekämpfen. Er hielt fih feit 1797 haufiger auf 
dem Lande auf. In diefer Muße, die er den Wiffenfchaften midmete und der - 
Dichtkunſt, welcher er Tlets mit. jugendlichem Feuer zugethan blieb, entſtand in 
ihm der Wunſch, durch ein bedeutendes Werk feinen Charakter als Staatsmann zu 
rechtfertigen. Den Vertheidiger altbritifcher Freiheit lag die vaterländifche Se: 
ſchichte am nächften. Welchen Abfehnitt derfelben hätte er aber zweckmaͤßiger waͤhlen 
tounen, als jene Wendung der Dinge, durch welche die englifche Mationalfreiheit 
wahrhaft gegründet ward, jene Wendnug, die nach den heillofen Zeiten der Ießten 
’6 den großen Dranier auf den britifchen Thron brachte! Doch mußte er, 
um dieſe Revolution barzäftellen, wie fie aus den frübern Zuſtande des Reichs her: 
vorging, Karls li. und Jakobs 11: ſchmachvoll⸗traurige Zeit wenigſtens im Allge: 
meinen ſchildern. Indeß haben ihn die Angelegenheiten des Vaterlandes und fein 
früber Tod verhindert, feiriem Werke in Umfang und Darftellung die Vollendung 
Ja geben, bie er demſelben zu geben fühig war. So erfihien nur ein Bruchſtück: 
nA history of the early part ol the reigu of James tbe second ; withan in- 
troductory chapter” (2ond, 1808, überf. von D. W. Soltau, Hamb. 1810); 
ober es ift groß genug, um zu fühlen, wie viel wir an den beige verloren haben, 
vorzuglich da F. die Parteilichkeit Hume's in dieſem Theile der Geſchichte aufdeckt. 
As Redner befümmerte ſich F., bei feiner natürlichen Begeiſterung, wenig um 
einen forgfältig gennihlten Ausdruck und um firenge logifche ee Seine Re⸗ 
1 


212 509 


den find, in 6 Bdn. geſcimmelt, in London erſchienen. — Pitt verlieh endlich 
nachdem er 18 J. die größte Macht geübt hatte, feinen hoben Poſten. Addin 

nahm deffen Stelleein, und, unterflüßt von F. fchloß er mit Frankreich den Frie⸗ 
den von Amiens (27. Mar, 1809). „Hart 'iſt dieſer Friedel? rief F., „unzähliges 


Blut, unziblige Summen’ wären erfpart, und der Friede ehrenvoller gefchloffen 


worden vor 6 “Jahren; aber beginnt den Krieg, und ihr werdet ünftig einen ns 


viel herbern Frieden ſchließen müffen”. Seine Warnung war umfonft, Pitt übers\ 
nahm wieder das Ruder des Staats und entriß bald nach dem Ausbruche der Feind⸗ 


feligfeiten den friedensbetürftigen Spaniern die Neutralität. F. nannte dieſe Maß⸗ 
regel eine charakteriftifche Falfchheit, und das Betragen der Diimifter ein Gewebe 


von Ungerechtigkeit und Unklugheit. Doch Pitt ſah den Ausgang feines Werks 


nicht; er flarb, und — $: trat als Staatsfecretair an feine Stelle. Ein ehren: 
voller Friede mit Frankreich war fein Ziel, und obgleich Preußens Politik zu feindfes 
ligen Maßregeln gegen diefes Reich nöthigte, fo hatte er döch die erften Einleitungen 


zu einem allgemeinen Frieden getroffen. Allein mitten in feinem wohlthatigen Wir _ 
Een, nachdem er alle Hinderniſſe zu heben geſucht hatte, welche die Verfehiedenheit 


der Religion der Vereinigung des englifchen und irländifchen Syntereffe entgegen: 
ftellte, nachdem er das Parlament bewogen hatte, die Abfchaffung des Sklavenhan⸗ 
dels zu erklären, ſtarb er an der Wafferfucht am 13. Sept. 1806,- in den Armen 
des Lords Holland, f. Neffen, und im Palafte des Herzogs von Devonfhire, d. 
Sreundes. Die Nation trauerte um den Mann, von deni einft Burke fügte: „ 

war geboren, um geliebt zu werden”. Seine Freunde errichtetenden 49. Juni 4816 
5.8 Bildfiule auf dem Bloomsburg Square, in Bronze, ein Meifterflüd von 


Meftmoreott. F., in confularifcher Tracht, Hält mit halbausgeſtrecktem Arm die . 


Magna Charta. 1818 ward ihm ein Denfmal in der Weftminfterabtei errichtet. 
Im 1. Bd. der „Zeitgenoffen“ (1816) befindet fich $.’8 Biographie md Charakte⸗ 
riſtik, von. Ch. A. Haffe. Auch vgl. m. Prior’s „Memoirs of Burke”, 

509 (Marimitian Sebaftian), Generallieut. und Deput. inder franz. Kam⸗ 
mer, einer der vorzüglichflen Redner der linfen Seite, geb. zu Hamm den 3. Febr. 


17715 und gebiltet inder Kriegsfchule la Fere, ſchloß fich 1791 den Freimilligen an, 


die an die Örenzen eilten. Seit 1792 diente er in der Artillerie bei der Mordarmee 
unter Dumouriez, ‚hierauf unter Dampierre, Cuſtine, Houchard, Jourdan und 
Pichegru. In der Schlacht von Jemappes erhielt er feine erften Wunden. 1794 
ließ ihn der beruͤchtigte Joſeph Lebon, Commifſſair des Convents, verhaften, weil 
er fich gegen ihn erklärt hatte; der 9. Thermidor rettete dem Capitain das Leben, 
Er machte hierauf bei der Rheinsu. Mofelarmee die Feldzüge von 1795, 1796 m. 
1797 mit, wo er fich vorzüglich beim zweiten Rheinübergange bei Diersheim 1797 
auszeichnete und Möreau’s perfonlicher Sreund wurde, daher ihn Bonaparte eine 
Zeitlang beinahe feindfelig behandelte. Ende 1798 diente er in der Schweiz ımter 
dem Seneral Schauenburg, und 1799 bei der Donauarmee unter Maſſena, twoer 
zu dem Übergange über die Limmat viel beitrug. 1800 fand er als Generaladju⸗ 
tant bei dem Corps des Generals Moncey von der Rheinarmee, das durch die 
Schweiz nach Italien zog, und befehligte Die Vorhut des Heeres yon SFtalienin Dem 
Feldzuge 1801, wo er beim Einrüden in Tirol den Feind bei Peri zurückſchlug. 
Als der Krieg mit England 1803 wieder ausbrach, befehligte er.die ſchwimmenden 
Batterien, welche die Küfte des Canals vertheidigten; hierauf die Artillerie: des 
zweiten Armeecorps in dem Kriege mit Oftreich 18056. 1807 fandte ihn Napoleon 
mit einem Hülfscorps von 1200 Artilleriften in die Türfei, umdem Sultan Selim 


goen die. Kuffen und Engländer beizuftehen; allein nach der Revolution, welche 
elim vom Throne flürzte, kehrte jene Schar nach Frankreich zurädy nur der 


Obriſt $. blieb daſelbſt und Half unter des franz. Botfchafters, General Seba⸗ 
ftiani, Leitung die Vertheidigung KRonflantinopels und der Dardanellen orgamntfi- 


Fracaſtoro 243 
sen, welche fo kraͤftig war, daß der engl. Admiral Duckworth, der mit feiner Slotte 
durch die Meerenge his.in die Naͤhe der Hauptſtadt vorgedrungen war, fich mit 
Verluſt zurüdzieben mußte. Hierauf commandirte er als General Abtheilungen 
des Heeres von Portugal von 1808.— 12, Am 21. Juli 1812 übernahm er, an 
Marmonr’s Stelle, den Oberbefehl des bei Salamanca an diefem Tage gefchlage- 
nen Heeres, das er an den Duero zurüdführte. Nachdem Wellington die Bela; 
gerung des Schloſſes von Burgos (21. Ort. 1812) hatte aufheben, müffen, rüdte 
er an der Spitze des rechten Slügels der Armee won Portugal wieder vor und bewirktẽ 
den Übergang über den Duero bei Tordefillas den 29. Oct. Mach Joſephs und 
Jourdan's Niederlage bei Vittoria⸗den 21. Juni 1813 fammelte er. bei Bergarg 
20,000 M. und fehlug den linken Flügel des aniſchen Heeres —* vertheidigte 
hierauf jeden Schritt Landes, ſodaß Graham nur nach einem ſehr mörderifchen 
Kampfe tie Stellung bei Tolofa einnehmen konnte. Hierauf verftärfte General 
Foy die Befagung von St. Sebaſtian und zog fich ohne Verluſt über die Bidaſſoa 
zuruͤck. In dem Treffen bei Pampeluna und in dem bei Jean Pied:de-Port befeh⸗ 
ligte er den linken Flügel des Heeres; auch an allen übrigen Gefechten in den Pyre⸗ 
nen nahm er Theil und verließ das Schlachtfeld erft am 27. Febr. 1814, wegen 
einer gefährlichen Wunde, 1814. und 1815 war er Seneralinfpecteur der Infan⸗ 
terie umd .befebligte eine Divifion in dem Feldzuge 1815, wo er, das fünfzehnte 
Mal, in der Schlacht bei Waterloo verroundet wurde. 1819 ward er zum General: 
infpecteur der Infanterie in der 2, und 16, Militairdivifion ernannt; auch waͤhlte 
ihn das Depart, der Aisne zum Deputirten. Seitdem bat er flets auf ber linken 
Spite der Kanmer den conftitutionneli-liberglen Charakter behauptet und große Red⸗ 
nertalente, ſowie nicht gemeine Kenntniffe in jedem Zweige der politifchen Ofonomie, 
ſowol was die bürgerliche als was die Heerverwaltung betrifft, gezeigt. Insbeſon⸗ 
dere bat er das alte Wahlgefeß, das Recrutirungsgefeg und jede andre Bürgfchaft 
der Nationalfreiheit mit Geiſt und Feuer vertheidigt, auch gegen den Krieg in Opa: 
nien (1823) mit — Beredtſamkeit ſich erklaͤrt. — dieſer Mann, der als 
einer der entſchloſſenſten Krieger und Heerführer in den Schlachten von Hohenlin⸗ 
den, bei Ulm, Aufterlig, Jena und Friedland, in Portugal und Spanien, in dem 
denkwuͤrdigen Feldzuge von. 1814, undzulegt bei Ligny und Waterloo, mit Achtung 
genannt worden ift, über das von einer Partei in Frankreich begünftigte Syſtem der 
Wiederderftellung alter Privilegien gedacht, und wie fcharf und beftimmt, auch un- 
vorbereitet, er äffentlich zu fprechen gewußt hat, ef man aus feiner Antwort auf 
die Trage eines Ultra in der Deputirtenkammer im Febr. 1821: „Quest ce que 
c’est quo l’aristocratie ?’’ — „Je vais vous le dire. L’aristocratie au dixneu- 
vieme sieele c'est la ligue, c’est la coalilion de ceux, qui veulent consom- 
mer sans produire, vivre sans Lravailler, tout savoir sans Tien avoir appris, 
envahir tous Jes bonneurs, sans les avoir mieriles. occuper toutes les pla- 
ces, sanıs être en Etat de les remplir“. Diefer ale Menfch und Bürger gleich: 
verehrte Mann flarb zu Paris den 28. Nov. 1825 an einer Herzpulsadergeſchwulſt. 
Die zu einem Denkmale für ihn und zur Unterftüßung ‚feiner Sinterlaffenen veran: 
ſtaltete Unterzeichnung flieg binnen 3 Monaten auf mehr als 900,000 Fr. Seine 
Witwe gab heraus f. „Hist. de la guerre de la peninsulesous Napoleon” (Pa: 
ris 1827, 2 Thle.). Die „Discours du gener, Foy“ (Paris 1826 ’ 2 Bde.) 
‚enthalten über Foy eine „Not. biogr.“ von Tiffot, f. „Eloge“ von Etienne und 
‚einen „Essai sur l’eloquence politique en France, depuis 1789 von Jay. 

Fracaſtor o (Geronimo), einer der gelebrteften Maͤnner feiner Zeit, geb. 

4483 zu Verona. Seine Mutter erfchlug. als fie ihn eben im Arme trug, der 

" ‚Big, ohne daß er Dabei verlegt wurde. Bon feinem Vater empfing er eine treff⸗ 
iche Erziehung und widmete fich zu Padua den marhematifchen, pbilofophifchen 

. F medieinifchen Studien. 19 J. alt, ward er Profeſſor der Logik zu Padua. 


N 


+‘ 


Als aber hier der Krieg den Unterricht unterbrach, folgte er einem Ruf auf die neu⸗ 
errichtete Univerfität zu Pordenone in Friaul, 180 er durch Die Herausgabe ſeines lat. 
Gedichtes „De 8 yphilitide“ feinen Namen durch ganz Italien bekanntmachte. 
Von da kehrte er in ſein Vaterland zurũck und bezog ein Landhaus bei Verona. Den 
Kranken, die zu ihm ſtromten, ertheilte er Rath und Hülfe; zugleich beſchäftigte 
er fich mit Abfaffung feiner Werke. - Paul II. ernahnte ihn zum Archidiacon und 
um erften Arzt beim tridentinifehen Concilium. Auf feinen Rath ward daſſelbe nach 
ologna verlegt, indem er die 1547 in Trient herrfthende Krankheit für eine anſte⸗ 
dende erklärte. Er flarb den 6. Aug. 41553. Seine Landsleute ehrten fein Andene 
Een durch eine Märmorflatue; fein Freund Ramufio ließ ihm eine Statue aus 
Bronze zu Padua errichten. F. hat in der Philoſophie, Aftronomie, Medicin und 
Poeſie geglanzt. Don f. Schriften iſt die berühmtefte das oben genannte Gedicht: 
„Syphilitidissive morbi gaHici libri tres” (QBerona 1530). Mehre Kritiker haben 
es, Hinfichtlich des Neichehums der Derfification, des Adels der Gedanken, der Ele⸗ 
ganz des Ausdrucks und der Lebhaftigkeit der Bilder, der „Seorgicn” des Virgil an 
die Seite gefeßt. Seine fünmtl, Werke erfchienen zuerft zu Venedig 1555 und find 
mebrmale aufgelegt worden. Die Ausg. des 17. Jahrh. find die vollftändigften. Diem: 
Een hat einen Kommentar über $.’5 Leben und Werke gefihrieben (Leipzig 1731). 
Tracht, die Ladung, welche man einem Fuhrmanne zu Lande oder Schiffer _ 
anvertrauet, um fie’ yon einem Orte zum andern zu überbringen. Je nachdem das 
Schiff oder der Frachtivagen ganz oder zum Theil belaftet iſt, wird die Ladung ganze 
oder halbe Fracht genannt. Nimmt der Frachtfahrer eine neue Ladung für den Rück 
weg mit, fo heißt fie Rüdfracht. Im uneigentlichen, aber gewöhnlichen Sinne . 
nenntman auch die Fracht den, entweder durch libereinfunftoder durch obrigkeitliche - 
Verfügung feftgefeßten Fuhr: oder Schiffirlohn, für richtigen Transport der Ladung. 
Der Srachtfahrer erhält ‚bei der Einladung des ihm anvertrauten Gutes einen ofe 
fenen Frachtbrief, Diefer enthält, der Hegel nach, I)den Ort, Tag, Monat und 
Fahr, mo und wann die Güter eingeladen wurden; 2) den Namen des Fuhrmanns, 
und woher er ift; 3) Die Zahl der Suter, Packen, Kiften oder Fäffer, welche ihm 
für feinen Frachtwagen oder fein Schiffübergeben wurden, nebft deren Zeichen, Num⸗ 
mern, Gewicht und Befchaffenheit; 4) den für die Fracht, nach dem Gewicht oder 
den einzelnen Stücken, bedungenen Lohn (falle nicht derfelbe durch eine obrigkeitliche 
Tare beftimmt if), wie viel im voraus darauf bezahlt wurde, und in welcher Geld: 
forte er bezahlt werden foll;, 5).die weitern befondern Bedingungen mit dem Schiffer 
oder Fuhrmann, z. B. in Anfehung der Zeit der überlieferung ıc. Er wird von dem 
Pr Sa er fei Eigenthümer oder Spediteur der Ladung, mit feiner Namensunter: 
ſchrift verfehen, und auf die Außenſeite des Frachtbriefs die Huffchrift gefeßt, an wen . 
die Güter abgeliefert werden follen. — Der Schiffer bedarf auf denjenigen Fluͤſſen, 
- woeine gute Schifffahrts: und Zollordnung eingeführt iſt, außer feinen Frachtbrie⸗ 
fen über die einzelnen Güter (die man in der Handelsfchifffahrtsfprache Stüdgäter 
beißt), auch eines Manifefles, das aus den Frachtbriefen zufammengefegt wird. Daſ⸗ 
felbe muß germöhntich enthalten: 1) Namen und Wohnort des Schiffseigenthlimers 
und Deffen, der das Schiff führt; 2) Namen des Schiffes, deffen Tragbarkeit und 
Flagge; 3) Einladeort und Beftimmungsort der Wanren; 4) Nummern der Fracht: 
briefe nach der Zahlenfolges 5) Namen der Verfender ımd Empfänger; 6) Zeichen. 
und Zahl der Colli oder Gebmte: 7) Benennung der Haaren; 8) Gewicht derfel: 
ben, und 9 Unterfchrift des Schiffers, mit Berficherung der Richtigkeit des Inhalte, 
Das Manifeft dient'zur Leichtigkeit und Sicherheit der Sebirhrenerhebung an den 
Zoliftellen der Fluͤſſe, wobei aber doch dem Zollbeamten, bei obwaltendem Verdachte, 
ftets die Befugniß bleibt, die Ladung felbft zu befichtigen und mit dem Manifefte zu 
vergleichen. Haben die Schifffahrts: oder Zellbeamten die Gattung und Dienge ° 
der Waaren an dem Einladungsorte mit dem Manifefte übereinftimmend —* 


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37 


Buachurcgulirung 215 


ſo atteſtiren fie bafelbe. For deſſen Inhal · bieche aber ber. Schifſer in jedem Fall 
verantwortlich, er mag es ſelbſt abgefaha oder ſich fremder Huͤlfe dazu bedient ha⸗ 
Unter Fracht (RNolis in Beziehung auf Schifffahrt zur See, verſteht man 
welcher entweter für.bas ganze Schiff oder einen Theil deffelben, 
eine ganze Reife oder beſchraͤnkte Zeit,. tonnen⸗ oder centnerweiſe, oder in. 
ch und entrichtet wird. Den.darüber gefhloffenen Dertrag, der fchriff: 
werden muß, ent man Certapartei (1 :harte-partie) oder (befonders 

auf dem mitsellindifchen Meere) No liſſement. Sowie der Schiffer auf Fluͤſſen 
mit Frachtbriefen und einen Manifeſte verfehen fein muß, foift es Pflicht des Ta⸗ 
pitains eines Seeſchiffes mit Süterladungen, dab er an Bord babe: 1} die Urfunte 
über das Eigenthum des Schiſſes; 2) aus weichem Hafen cs ausgelaufen ift; 3) 
das Vergeichniß der Mannſchaft, die Eonnaiffeinents oder. Certaparteien; 4) Be: 
Meinigurig, daß das Schiff, und von wem es gomiethet ift; 5) die Befcheinigungs: 
geotofolle, 6) die Befcheinigungen Aber die baar oder durch Caution berichtigten 
Wlke, und 7) das yarmphirte Regiſter über- Alles, was feine Gefchäfte betrifft. 
Beim Einlaufen in einen Hafen des Landes, dem das Schiff angehert, muß der 
Capitain binnen einer beſtimmten Frift.fein Sefchäftsregifter vifiren laffen, und feis 
nen Berisht abflatten über: Zeit und Ort der Abreife, genommenen Weg, wrlittene 
Bufülle, auf. dem Schiffe etwa entftandene Unorduungen.und alle Merkwuͤrdigkei⸗ 
ten der Reife. Lauft der Capitain in einen fremden Hafen ein, fo hat er diefelben 
Pflichten gegen den Conſul feiner Nation, der ihm die Zeit feiner Ankunft und Ab: 
see, nebft dem Zuſtande und der Matur feiner Ladung beglaubigte. — Fracht: 
fadrer übernehmen folgende Berbindlichkeiten ‚gegen die Abfender der ihrem Ges: 
hr anvertrauten Ladungen. Sie müffen diefelben in dem Zuftande, in welchem 
fie ihnen übergeben worden, abliefern. Sie haben daher für jeden Schaden zu 
haften, der nicht durch Zufähle, unabwendbare Gewalt oder durch einen innern 
Fehler an den Gütern veranlagt wurde. Sie find verpflichtet, den Transport in: 
nerhalb der feſtgeſetzten Zeit zu vollenten, es fei denn, daß eine unswiderftehliche Ge⸗ 
walt fie aufgehalten habe. Dagegen hat der Srachtfabrer, nach erfolgter unwider⸗ 
fprgchener Annahme der Ladung von Seiten des Empfängers, das Recht auf voll: 
fändigen Empfang des Frachtlohne und der Mebenkoften, in der bedungenen oder 
obrigfeitlich vorgefchriebenen Art; auch ſteht ihm bis zur Befriedigung feiner Foderung 
eine ſtillſchweigende Hypothek an der Ladung zu. Segen den Staat iſt er verpflichtet, 
alle in Hinſicht der Frachtfahrerei beftehende Verordnungen genau zu beobachten, und 
ndet ift im Segenfüße fein Hecht auf Güte und Sicherheit der Wege, auch 


| Schadloshaltung im Fall erlittener Befchidigung und erlegten Weg⸗ oder Geleits: 


geldes. Der Inbegriff von Geſetzen, Herfommen und Rechtsfprüchen, welche die bei 
Gelegenheit des Transportes einer Ladung vorfommenden Nechtsfülle entfcheiden, 
beißt das Frachtfahrerrecht. Unter allen Sefeßbüchern neuerer Zeit enthält 
‚Code Napolcun“ und das franz. Handelsgefeßbuch über diefen Rechtstheil die ' 
beſtimmteſte n und zweckmaͤßigſten Derfügungen. Das befte Werk über das Fracht: 
ſahrerrecht Hat 1826 D. Munter zu Kanover herausgegeben. 
TGrahtregulirung.. Die Beilimmung des Frachtlohns gefchieht ent: 
sseder durch eine vertragsmäßige DBerabredung zwiſchen dein Frachtfahrer und Ber: 
fender, oder durch eine obrigkeitliche Tape nach dem Gewicht oder den Gattungen 
der Säter, und nach den Entfernungen der Einladungs: von den Ausladungs- 
orten. Die erftere Art ift die Faft allgemeine für die Transporte zu Lande auf den 
Frachtwagen. In den groͤßern Handelsflädten wird felten. eine befondere Verabre⸗ 
dung bierüber nothig, da fich ein gleichformiger Srachtlohn geröhnlich unter den 
Frachtfahrern ſelbſi regulirt‘, und diefer von den fogenannten Güterbeflätern be: 
tgemacht wird. Auf eirigen der vorzüglichften Flüffe Deutfchlands, Deren Hans 
ſchifffahrt geregelt ift, find dagegen die Srachttagen befonders in der Art ein- 









Bmdimegukirung 
tt, daß die Veireffeuden obeigkeitlicheri Behbrden / gleichſan Herinittelnd zw⸗ 
den Foderungen der SHlffer und den ——— einfchreiten,. Es 
kuͤrlich, daß der Waaremwerfſender, er ſei Eigenthuͤmer oder Spediteur, dem 
chſt niedrigen, der Schiffer-aben ven moͤglichſt Haken Frachtlohn winfcht, und 
ie Schifffahrtsbehoͤrde den Streitigkeiten bei.diefen ensgegengefebten Insereffen 
em hieraus entſtehenden Unterbrechungen in.cegelmägigem Transpore der 
n beften vorbeugen ann, wenn fie burch Beſtimmung eines Mittelpreiſes aufl 
der beiden Theile eine unparteiſche Nadficht nimmt. Am gründkichften iſt die, 
‚über die Regulirung der Waſſerfrachten von den Haudels und Schifffahrts 
den des Rheinſtromes erintert: worden; umd, fowie felt geraumer: Zeit :Die 
fchifffahetseinrichtungen: Mufter für die Schifffahrtsenſtalten nicht Kloß:der: 
aftröme, 2 DB. des Mains, Neckars, der Moſel u. ſ. w., fondern auch ſelbſt 
nter Hauptfträme waren, ſo tourte auch das Syſtent der Frachtenregulirungauf 
Kheinftrome bald als Vorbild fir die Handelsſchifffahrt andrer Shaaten anges 

— Schön in frühern Jahrhunderten, wo überhaupt das: Taxen ſyſtem nuht 
zt inter die allgemeinen polizeilichen Maßregeln gehörte, war bie Zayfracktets ' 
rung in einem großen Theile der Rheinuferſtauten herkommlich. Gewöhnlich 
n hieruber: auch in den Zollconferenzen (Zofcapiteln, d. h. Guſammentkũnften 
egenten der Rheinuferftanren oder ihrer Bevollmächtigten) zu Bacharach weita 
e Derabredungen gepflogen. : Nach und nach ward es Herkommen, daß bie 
irften: von Mainz und Köln. die Frachtpreife; ‘eher für die mittelcheinifche 
nſtrecke, Diefer für die Strecke von Köln nach Holland, vegulirten. Die hol⸗ 
he Regierung-twar dagegen im Befig, die Preife fuüͤr die Fahrt aus Ihren Haͤ⸗ 
ich Holland zu beſtimmen. Da' aber biefe Tarregulative nur für immte 
laſſen und höchſt uwollſtaͤndig waten, ſodaß bei vielen Artikeln noch beſon 
terabredungen zwiſchen Verſender und Schiffer nothwendig wurden, fo konnten 
a Zwecke wenig entſprechen. Den Schiffern nützten fie oft gar nichts, weil in 
iden Stapeiſtaͤdten Mainz und Köln feine Hang: oder Reibefahrten exiſtirten, 
aber um geringere Preife als die Tare fahren mußten, wenn fie Ladung has 
ollten, obwol die Tarfracht und ein geringeres Gewicht der Güter auf den 
'briefen notitt wurden, welche twiderrechtlichen bedeutenden Vortheile fich die 
iffionnairs und Spediteurs einzig zum Schaden der ohnehin gedrüdten Schif. 
igneten. ' Um daher das alte unzureichende Taxfrachtenſyſtem in:eine zweck⸗ 
ere Ordnung zu bringen, ward in der Convention über die Rheinſchifffahrts⸗ 
von 1804, Art. 13 verordnet: daß die Ährinfchifffaßrtsverwaltung von einer 
urter Meffe zur andern die Frachten beflimmen folle, welche in den beiden 
insflädten (Mainz und Köln) von den Gütern bezahlt werden müffen, die da⸗ 
ür verfehledene Orte eingeladen werden. Sie hat über diefes zu entwerfinde 
nent das Gutachten der Handelsfammern von Köln, Maing und Strasburg 
r obrigfeitlichen Behörden von Düffeldorf, Frankfurt und Manheim einzu: 
und wenn diefe nicht einftimmig find, fol fie einen Mittelpreis annehmen, 
urch das Tarreglement beftimmten Frachtlöhne dürfen nie überfchritten: wer⸗ 
So befteht die Frachtenregulirung gegenwärtig noch auf dem Rheinſtrome, 
ı Abnlicher Art geſchieht fie auf deſſen Nebenftrömen, nur mit dem Unters 
„ daß bei entgegengefeßten Anträgen der Schiffer und. Handelsleute, nicht, 
n der Rheinfchifffahrtsverwaltung, der Mittelpreis arithmetifch calculirt, 
n nach billigem Ermeſſen frei regulirt wird. Inzwiſchen haben fich in das 
Iren bei der Rheinifrachtentarregulirung, das ſchon urfprünglich mehr zum 
eile der Häfen des Iinfen, Damals franzöfifchen, als des rechten Rheinufers 
1et war, noch unter der ehemaligen Seneraldirection der Rheinfchifffahrt ver: 
ne Migbräuche eingefchlichen, roelche die Willkür begünftigten, und der fi 
en Verabredungen einzelner Handelskammern für ihr befonderes Inte 


es 











\ 


Frachtregulirung | UT 


freien Cipiehraum: Affneteh. - Da - hatrunter Baden; nis dee bebentendfle Sambrian 
Raot Des. rechten Rheinußens, am. miriften litt, ſo entiwarf ber. badiſche Eammiflaie 
bei der Sentrakommiffien- für die Rheinſchifffahrt 1820. aine Verbeſſerung be 
Verfahrens ‚bean Vollzug des Art. 18 in ber Hetroconventiom/ wonach ber. Bes 
ſchluß von deu Stimmmenmehrheit.der. Sommiflies.algefaßt wurde. Die Minoris 
(dt, aus den 8 großen Rheinuferfinnten Franireich, Peelhen mıb Holland beftehend, 
widerſetzte fich, vorgen Derfchiedener Nehenintereſſen, deffien Bollmıg,- und fo blieh:ee 
aus politifch-Diplamatifchen Rückſichten, Die bisher übenhaupt, ſchon manches Unheil 
in die Rheinfchifffahrtsuerbindungen gebraspt haben, ganz unausgeführt. (S. Neue 
Orgenifation . ver Schifffahrts⸗ und Handelsperbiltniffe- guf dem Rheinſtrome“, 
Dofel 1322) Ein die: Dakunſt ifsey zufolge des der Rheinſchafffahrtscemralto⸗ 
mifften von ‘Preußen vorgeiegren. Entwurfs einen Schtfffechntexeglementsr. im Aug 
ag, ‚die Frachtoreife, wie ſeit demm Maͤrz 1822. auf.der Elbe geſchieht, der freiwil⸗ 
bgen Übereinkunft der Schiffer und. Verfänäer oder deren Cocmiſſionnaice gu übers 
laſſen. Ob dieſes Freiheitsprincip, Bas auf den Flüffen, deren Schüfffahrt noch uns 
geregelt ift, wie 3. DB. der Donau, dem Sinn, der Iſar ıc., feit alten Zeiten beſteht, 
für den Tranſit⸗ und Commiſſionshandel dem regelmöhige Transportanftalten 
unentbehrlich find,” gute Folgen haben · wird, iſt aus der bisherigen Erfahrung ziem: 
Ich Leicht zu beurtheilen. Bei ſtarker Concurrenz überbieten fie fich in Hinfiche den 
mindeften Frachtpreiſes. Die Nath zwingt fie, den billigen Anfpruch auf Koſtemn 
ofeh, Arbeitslohn und Gewinn aufjugeben. Dieg führt zu Unterfchleifen, die 
Srachtfahrer zu Waſſer weit leichter ausführen und ſcheinbar entfehuldigen konnen 
als Fuhrlente zu Lande, und es tritt noch überdies.der Nachtheil ein, daß der Dans 
el an pecuniatrer. Kraft des Schiffers, das theure Schiff und. Geſchirr in gutem 
de zu erhalten, mehr linglüdsfälle zur Solge hat, die er entweder nicht zu «rs 
feßen oder leichter von fich abzuwenden vermag. Die Marime der Frachtlohns⸗ 
beſtimmung ze Lande. ift in diefer und mancher andern Hinficht auf die Handels 
ſchifffahrt nicht anwendbar. Es haben daher ſelbſt Die unter der vormaligen Rheins 
fhifffabrtsgenerafdisection zum Shutachten aufgefoderten rheinifchen Handelsfaum 
mern darauf angetnagen, daß die Tarfrachtenregulirung auch fernerhin beibehalten 
werden möge, weil fie dem Schiffer feine zureichente Nahrung bei einem muͤhſeli⸗ 
gen Öewerbe, dem Kaufinanne dagegen größere Sicherheit für feine Güterverſen; 
dungen, durch gute Fahrzeuge, Seräthfchaften und eines zureichenten Erwerbes ge: 
ſicherte Arbeiter, gewaͤhre, ihn nicht zum Zeitverluſt mit Accorden. über die Srachten 
fo verfchiedenartiger Artikel nöthige, vor dem Vorwurfe feiner Sorrefpondenten 
fichere, daß andre, gewinnſüchtige und meniger delicate Spediteurs beffere Bedin⸗ 
ungen anbieten, umdie Spedition an fich zu reißen ꝛc. Auf der Wefer, deren 
chifffahrroregulative nächft den rheiniſchen als die beften anzufehen fein dürften, 
bewilligt der bremer und oberländifche Handelsftand den zu den Nangfahrten ges 
wählten Schiffern mit ihrer Einwilligung die Tarfrachten nach 3 Claſſen. Diefe 
richten fich nach der Höhe des Fahrwaſſers und der Größe der Zölle, ohne dag man 
Schiffer zulaͤßt, die fich zu niedrigen Schiffsfrachten erbieten, weil, wie es im Re⸗ 
gulative heißt, die Schiffergefellfchaft zur Sicherheit der Kaufleute müſſe anfländig 
auf Schiffermweife leben, und gute fichere Fahrzeuge unterhalten konnen. — Dex 
richtige Mittelweg über Srachtregulirung feheint uns daher darin zu liegen, daß 
man ſie in der Hegel, befonders wenn der Eigenthümer oder Spediteur einer Ladung 
ein ganzes Schiff defrachtet, der Übereinkunft zwiſchen Schiffer und Kaufmann über; 
laffe, ausnahmsweiſe aber die Schifffahrtsbehörde, vermittelnd oder entfcheidend, bei 
den Reihe: oder fogenannten Beurtbfahrten, die regelmäßig. von einem Hafen zum 
andern zum Transporte der Stuͤckguͤter geſchehen müffen, eintrete, wenn fich beide 
ffirte Theile nicht vereinigen fonnen. ‘Der entfcheidenden Behörde muß in dies 
allen nicht, wie einft ein gewiſſes Minifterium glaubte, die Zeit, welche der 


ur 


‚1418 Fractur Franciscaner 


Schuffer wort einern "Orte Jam: andern zubringt, als Semihlage ber Frachtbe⸗ 
ſtimmung dienen, fondern ‚die. combinirte Ruckſicht, wie viel Thal = und Berg: 
reifen der Schiffer machen kann, auf den Anfihaffungs « und Unterhaltungs: 
werth “feines iffes, den Abgang bei der Reife, die Reiſekoſten, den Arbeits 
kon und den Beitrag zur-Unterhaltung.der Familie des Schiffes. 
“ Braseur, in der Buchdruckerkunſt, gebrochene, d. i. edige, deutſche Schrift) 
nm Unterſchiede von ber runden oder ſchwabacher Schrift. Auch die größere, 
enannte Kanzleifihrift wird Sractur genannt. (S. Schriften.) . 
Fragmente Wolfenbuͤttelſche), f. Leſſing. 
Fraiß, Fraiſchhohe Fraiß,fraißliche Obrigkeit, 
die peinliche 'ett oder die Gerichtsbarkeit über Leben und Tod, von 
dem alten Worte Be Screen, Furcht, Sefahr.. | u 
- Trance, franzsf. Silbermünze, deren 6 einen Laubthaber ausmachen ; etwa 
6 Gr. 4 Pf. Tonventionsgeld, alfs etwas mehr als 1 Livre. In dem neuern 
franz. Münzwefen theilt man die Francs in Behntheile (Decimes) und in Hund 
derttheile (Centimes), 2 . 
rancia(nD.), fe Paraguay. Ä ..: — 
rancta (Francesco), ſo heißt der beruͤhmte ital. Hiſtorienmaler Franc. 
Reibolini, geb. 1450 in Bologna. Er war früher zum Goldſchmied beſtimmt; 
bier befchäftigte ihn vornehmlich das Wielliren, worin er es ebenfo weit brachte wie 
‚indem Stempelfchneiden. Nach Vaſari verfertigte er die fehönften Medaillen und 
erhielt die Aufficht über die Münze in Bologna. Als Maler übertraf er bald den 
Marco Zoppo, bei welchem er im Malen Unterricht nahm, und flellte fich den groͤß⸗ 
ten Rünftiern gleich, die zu f. Zeit blühten, Rafael ehrte fein Urtheil und theilte 
ihm feine Arbeiten mit. Seine herrlichiten Werke befinden fich in f. Baterfladt, 
befonders haben f. Madonnen einen Ausdrud von Einfachheit und überirdifcher 
Unfchuld, welchen felbft Rafael nicht erreicht bat. Auch war- fein heil, Seba⸗ 
ſtian in der Kirche delia Misericordia dafelbft berühmt, ſtatt deffen man jeßt 
nur eine Sopie fiebt; er wurde von vielen-Künftlern als ein Kanon gebraucht, 
5. wird auch als das Haupt der bolognefer Schule angefehen. Zu feinen zahle 
reichen Schülern gehörte auch fein Sohn Giacomo F., der viele gute Bil⸗ 
der geliefert bat. | u 
Francisca (Herzogin v. Württemberg), ſ. Hohenheim. 
FranciscaneroderMinorisen, mindere Brüder (Fratres mi- 
nores), tie ihr ‘Patriarch fie zum Zeichen der Demuth nannte, heißen alle Glieder 
des geiftl. Ordens, den der h. Franz von Affifi:(f. d.) 1208 durch Sammlung 
einiger Schüler feiner Mönchstugenden bei der Kirche Porticella oder Portiuncula zu 
Affıfi in Neapel fliftete. Erniedrigung zur aͤußerſten Armuth und Entbehrung aller 
feinern Sinnengenüffe follte fein Ruhm, Fleiß in der von den Weltgeiftlichen damals 
fehr vernachläffigten Seelſorge fein Berdienftum die Kirche, Gelehrſamkeit und Gei⸗ 
ftesbildung ihm aber fremd fein.- Daher verbot Franciscus feinen Minoriten, das 
mindefte Eigne zu haben, und beftimmte fie, in den 1240 und 1223 vom ‘Papfte bes 


ſtaͤtigten Ordensregeln, zum Betteln und ‘Predigen; ter Papft aber ertbeilte dieſer 


neuen Sattung von Mönchen die als Privilegien der Bettelorden (f. Orden) be: 
kannten, für Staat und Kirche gleich bedenklichen, großen Borrechte, vermöge der 
ren fie die Welt durch Betteleien aller Art in Eontribution feßen, die Parochialrechte 
als Prediger, Beichtuäter und Meßpriefter beeinträchtigen, papſtliche Ablaͤſſe, die 
ihrer Stammtirche (daher Portiuncula:Ablag) reichlicher als irgend einem andern 
Orden gefchenft wurden, verhandeln, und ihre in Alles ſich einmifchende Thärigfeit 
unmittelbar unter der Autorität ihrer Obern und des Papftes, jeder roeltlichen und 
geiftlichen Obrigkeit zum Troß, über die Länder der Erde ausdehnen durften. Dex 
Orden zaͤhlte bald Taufende von Klöftern, die, ohne Geld gegründet, dem 


1 








% 


Franeiscaner (Barfuͤßer) 9 
glauben und der Mdthaͤtigkeit anſehnlſehe Neichthiumer verdankien Wie Noth⸗ 
wendigkeit, dem Orden Glanz und Anſehen zu geben, mußte nun Milderungen det 
Regel enſchuldigen; die Lebensapt wurde uͤppiger, und gelehrte Bildung, als ein 
wirkſames Mittel der Herrſchaft über die Menſchen, ——— geiſtreiche Mino⸗ 
riten, wie Bonaventura, Alerander von Hales, Duns Scotus, Roger Bacon 
u. A.m., rech fertigten durch Ihre Verdienſte un Die ſchokaſtiſche Philoſophie das 
Eindringen ihrer Ordensbruͤder in Die Lehraͤmter an den Univerſitaͤten. So erhielt 
ten fie, geftäßt auf die Beweisgründe ihres Lehrers Duns Scotus, als Streiter für 
die unbefleckte Smpfingniß ver Jungfrau Marla, eine gewichtvollere Stellung ges. 
gen die fiolzen Dominicaner, und reiglichen Zündftoff in dem langen Kampfe, dern 
der Ordensneid zreifchen den Scoriften (Franciscanern) und Thomiften (Domink 
canern) anfüchte und bis in die neuern Zeiten unterhielt. iVgl. Dominicaner 
d Thomas von Aquino Mit diefen, ihren natkrlicden Mebenbublern, 
baben fie als Gewiſſensrathe, Regierungsgehülfen und politifche Agenten: ber Fürs 
fin vom 13. bis in das 16. Jahrh., ganz im Widerſpruche mit ihtem damaligen 
eutſchen Namen: Nullbrüder, die Herrſchaft über die chriftlichen Mölfer getbeilt, 
und, endlich von den Jeſuiten verdrängt, durch Eluge Verträglichkeit mit den Lee 
tern mehr, als die Dominikaner, von ihrem alten Einfluſſe zu behaupten gewußt. 
Sranciscaner gelangten bäufig zu den höchften KRirchenämtern; die Paͤpſte Nico⸗ 
laus IV., Alerander V., Sixtus IV. und V., und Elemens XIV. waren aus Dies 
fem Orden. Bolchen gelehrten und potitifchen Glanz ſahen jedoch die Eiferer für 
die Beobachtung des Buchſtabens der alten Ordensregel ftets als Folgen einer uns 
gewiffenhaften Abweichung von demfelben an, and bildeten daher die befondern Brüs 
derfchaften der Caſariner und Coleſtiner, oder FranciscanersEremiten, noch im 18. 
Jahrh., der Spiritualen, Clareniner, Amabeiften im 14. Jahrh., welche, obwol 
meiſt mit Gewalt unterdruͤckt, den Geiſt der Widerfeglichkeit und inneren Uneinig⸗ 
keit im Orden durch ihre Nefte fortpflangten,, bis fie in der 1868 bei Setign! in 
Italien vom heil. Paulus geftifteten, und durch Wiederderftellung der vom Stifter 
vorgefehriebenen vollfommenen Armuth und Strenge in der Lebensart ausgezeichne: 
ten Brüderfchaft der Soccolanti Sandalenträger, Barfüher) einen Bereinigung - 
punkt fanten. Diele Brüderfchaft wurde erft vom Papfte, dann auch von dem 
Concilium zu Konſtanz 1415, als ein befonderer Zeig des Franciscanerordeng, 
ud. M. „Obfervanten, mindere Brüder von der Obſervanz“, anerfannt und bes 
Biele bei der Ausgleichung, durch welche Leo X. 1517 die bisherigen Streitigkeiten 
der verfchiedenen Parteien niederfchlug, die Oberhand. Seitdem ift der Obfervan: 
tengeneral Seneralminifter (Miniſter, Diener, nennen die Minoriten aus Demuth 
ihre Dbern) des ganzen Ordens, und der Superior der Sonventualen oder Minori⸗ 
ten der gemilderten Regel, welcher nur den Titel Sieneralmagifter führen darf, ihm 
untergeben. Unter den Obfervanten find im 16. und 17. Jahrh. neue Formen im 
Puntte der Armuth und Kaſteiung des Leibes entfianden, zufolge deren fie fich nach 
den verfchiedenen Graben der Verfchärfung ihrer Regel in regulirte, ſtrenge und 
firengfte eintheilen. Die regulirten wurden in Frankreich Cordeliers (Strid: 
träger, wegen ihres Guͤrtelſtricks mit Knoten), andermwärts Soccolanten, Obſer⸗ 
bantiner genannt, unter welchem Namen fie in Stalien, der Schweiz, der pyrenäts 
ſchen Halbinfel und Amerika noch beftehen. Zu den firengen Obferbanten gehören 
die Barfüger in Spanien und Amerika, die Verbefferten (Riforinati) in Ita⸗ 
lien, und die ehemals in Frankreich blühenden Recollecten, d. h. Eingezogenen, weil 
fie bloß dem ftillen Nachdenken ergeben waren und durch ihre dienenden Brüder Al: 
mofen fammeln ließen. Die ftrengften find die Alcantariner, nad) der Reform Pe- 
ters von Alcantara, mit ganz bloßen Füßen; man findet fie noch häufig in Spa: 
und Portugal; felten in Italien. Sammtliche Zweige der Obfervanten ma: 
unter ihrem gemeinfchaftlichen Generale 2 Familien aus: die cismontanifche, 


RR Manciscaner.(apuʒinet) 


unit 05 Dept meiſt Gabe ſchwachen Prowingen: in ¶ Italien, Oberdeatſcland, op die 
Kloſſer heils eingegangen , theils durch die Regierungen vom -Senernie getrenm 
worden ſind, in Ungarn, Polen, Palaſiina und Syrien; die ultramentandfchr, mit 
81 Provinzen. in Cipanien, Portugal und den fremden Welttheilen, die bekanntlich 
eingegangen franz. und. nordifchen Provinzen find: von diefee Zahl abzuyechnen, 
bie übrigen aber größteneheils ia Amerika, Afien, Afrifa und den Sjufeln zu fuchen, 
wo · nr diejenigen kleinern Geſellſchaften von Sranciscanerklöftern, die noch als 
Miffionspläge.unter den Heiden betrachtet werden, Prafecturen heißen. Die: wiel 
(hwäcere Drüderfeßoft der Beſchuheten pder Tonventunlen hatte var der franz 
Revolution in 80 Provinzen gegen 100 Kloſter and 15,000 Mönche; jetzt findet 
man fie nur noch bier und da im füblichen Deutſchland, der Schweiz und Itglien, 
10 fie Jebräunter ıbei- den «Uiniyerfipiten befleiden, denn fie befchäftigen fich mit den 
iffenfchaften und umserlaffen das Betteln. Die graue wollene Kutte mit einem 

Strick um don Leib, an dem ein Enotiger Geißelſtrick hängt, haben alle dieſe Zweige 
Des Franeigeancrordens gemein ; ihre-Sapuze ift rund und kurz. Eine lange und 
ſpitzige Canuze und ein langer Bart find die einzigen befondern Merkmale der fonft 
in der Regel und Lebensart den firengern Obfervanten ganz ähnlichen, nur noch 
yohern und fchmußigern Sapuziner, welche Matthaus van Baffi 1528 als eine 

für ſich beſtehende Brüderfchaft der Minoriten ſtiftete. Seit 1619 haben fie einen 

eignen upofhängigen General, und. ſowol in Europa, als durch ihre Miſſionen in 
Amerika⸗und Afrika, folchen Zuwachs erhalten, daß fie im 18. Jahrh. 1700 
Klöfter und 25,000 Glieder in 50 Provinzen zählten. ’ 
Monnen feines Ordens fammelte der heil. Franciscus felbft ſchon 1209 und 
nannte fie arme verfchloffene Frauen, auch Daminniftinnen, nach ihrer Stamm: 
Eirche zu St.⸗Damian in-Affifi; fpAter wurden fie nach der heil. Clara, ihrer erften 
Priorin, Eloriffinnen gerannt, und theilten fich, wie der erfte Orden, nach den 
perfchiedenen Graden der Strenge ihrer Regel, in mehre Zweige Dahn gehören 
3 ——n — Urbaniſtinnen, die ihre Regel vom Papſt Urban kV. haben, die heil. 
zfabeile (Tochter Ludwigs Vill, von Frankreich), welche 1260 für fie das Kloſter 

ongchanıps bei Paris fliftete, als ihre Mutter verehren, und zum Theil auch bet- 

seln dürfen; die Sapyzinerimnen, die unter den Capuzinern ftehen, die Alcanta: 

rinnen und Clariſſinnen oder Borfüßerinnen von der firengfien Obfervanz, welche 

jest amı fchroächften find, und die Annuneinden mit ihrer Uinterabtheilung , den 

fogen, himmliſchen Annunciaden, Diefe Nonnen heißen insgefommt auch Srancie 

canerinnen, flehen, mit Ausnahme der Annunciaden, die zum zweiten Orden gehö- 

ren, theilg unter der Aufficht des erften Ordens, theils unter den Bifchöfen, haben 

die Kegel der Dönde, und zählten im 18, Jahrh. zufammen auf 28,000 Glieder 

ia 900 Ktöftern. onſt erhielten fie Bettelbrot yon den Moͤnchen, jetzt leben fie 

von den. Befigungen ihrer Klöfter. 

Der Heil, Franciscus jtiftere 4221 auch einen dritten Orden für die Weltleute 
beiderlei Geſchlechts, die es bleiben wollten, und doch einige leichtere Beobachtungen 
und den Bürtelftrif von den eigentlichen Mjnoriten annahmen. Dieſe Ter tia⸗ 
rier waren fyon im 13. Jahrh. fehr zahlreich, Menſchen von allen Ständen tra: 
‚sen dazu. Aus ihnen gingen nicht nur Eegerifche Werbrüderungen, wie die Frati⸗ 
cellen und Begharden, fondern auch. 4287 die regulirte Brüderfchaft formlicher 
Mönche des dritten Ordens der Minpriten von der Buße hervor, die in Frankreich 
Picpuces genannt wurden , fich zu den Obfervanten bielten, jetzt aber eingegangen 
find. Die Geſammtzahl aller. Franciscaner und Capuziner belief fich im 18. Jahrh. 
auf 115,000 Mönche in 7000 Klöftern. Jetzt dürfte fie ein Dritttheil betragen, 
da diefer Orden in Sranfreich und in den meiften Rindern Deutſchlands, zum Theil 
‚auch in Spanien, Portugal und Dberitalien aufgehört bat, in den öfter, Sta 
Eeine Novizen mehr annehmen darf und unter Murat auch in Neapel vigle K 

















agrauciocus · Vlandois Wa 


deenar. ODie Erhaltung der noch vorhandenen Wi Warn Soncðᷣ dirt Ada 
Het ausdrädtich bedächt. In den Colonien außer‘ Enröpa bluht der Orden im 
auf die alte Weiſe; Amerika iſt ſein Paradies; in Jeruſalem bewächt er-däs Beil. 
Gerbveredelt zeigt et ſich in ‚Mer katholiſchen Scht6ktg, wo die Frankist aner von 
tagte fich zbeckmaͤßig mit Untertiche und Erziehung der Sg bes 
en, 3. Te Pe N PR oa. e. . 


Franerscus Gte), ſ. Franz von Affifi. = ielemu en 


Franck (Johann Peter), k. ruff. wirkl. Stautsruth und Leibimit;- geb: im 


Batifchen am 19. März -1745, hatte als Knabe auf: der Ex uk} ſtadt eine 
fhone Stimme, weßhalb die Markgraſm von Baden aus ihm in Italien einen 
kuͤnſtlichen Sopranfinget machen laſſen woͤllte. Nur mit Diühe bewog Yeln Gon⸗ 
ner, der General reger, die Fürftn, dieſen Plan aufzugeben. Er wurde Doctor 
zu Pont:4:Mouffon, praftkitte zu Pirmaſens, Bitſch und —— 
mediciniſche Profeffür zu Göttingen 1184, das Fahr darauf die Profeffim der Kli⸗ 
nit zu Pavia, son wo er, 1705, als k. k. Hofrach und Direstor des großen Hoſpi⸗ 
tals nach Wien kam. Aleranker h berief ihn 1804 an:die Niiverſitat zu Wilng, 
md das Jahr darauf als kaiſ. Leibarzt nach Petensburg. 8608 verließ er Rußland 
mit einer" von 3000 Rub. und lebte ſeitdem als prakriſcher Aezt ja Wien, 
wo er um 24. April 1815 ſtarb. Bonaparte wunſchte ihn in Paris anzuſtellen; 
allein'er ſchlug die glänzenden Anträge aus, um ſeine Schtiften zu volkenden. Line 


ter dieſen find claſſch dasSyſtem der mediciniſchen Polizei soft Dr. Woigt 


in Leipzig aus 5.6 hinterlaſſ. Papieren 2 Supplein.Bde. (Leipz. 182%) heraus⸗ 
gegeben bat, und fein Werk: „De curandis hominnm morbis“, : 1802 erfehien 
von ihm zu Wien eine Selbſtbiographie. — Sein Sohn,’ Jofſeph Franch, geb. 
zu Raftadt am 28. Dec. 1771, ‚berühmt als Arze und Schriftfteller, orig in 
der Geſchichte der Erregungstheorie (ſ. d.), folgte feinem Vater in der kiini⸗ 
ſchen Drofeffir zu Pavia, und ging als ruſſiſcher Hofrath nach Wilna. Er wurde 
zum Dtaatskath ernannt und nahm 1824 feines Alters und des Verkuftes feines 
Sefichts wegen den Abſchied, den er miteinem Gehulte von 2000 Rub. Silber ers 
hielt. Außer feinen Minifchen Schriften ift auch ſ. „Reife nach Paris und Lon: 
den” u. ſ. w., in. Beziehung auf Spitäler, Verforgungshäufer, medicinifche Lehrs 

anſtalten und Gefangniſſe, wichtig (Wien 18046, 2 Thle.). 
grancois von Neufhateau Micolas, Graf), Mitglieb- des 
franz. Nationalinftituts, geb. zu Neufchateau in Lothringen d. 17. April 1760 von buͤr⸗ 
gerl. Altern, geigte Talent für die Dichtkunſt; noch eheer das 13. Jahr vollendet bat: 
te, beſaß man von ihm eine gedrudte Sammlung von Gedichten, die Telbft von Bots 
taire ſchmeichelhaft beurtheilt wurde, Mehre franz. Akademien in den Provinzen er: 
nammen ihn zu ihrem Dritgliede, und man erwartete, einen Stern erfter Groͤße fuͤr die 
franz: Oirhtkunſt in ihm aufgehen zu ſehen. Diefe Hoffnung ift nicht in Erfüllung 
gegangen, allein um fo mehr batfich F. im Laufe ter Revolution als Patriot, vor 
trefflicher Adminiftrator und Staatsbürger auszuzeichnen Gelegenheit gefunden. 
Die Handſchrift feiner überſetzung des „Orlando furioso” in Verſen verlor er in 
einem Schiffbruche, als er von ©t.:Domingo zurüdfehrte, wo er ſeit 1782Gen. 
Procurator gefdefen war. Inder Revolution Mitol.der erſten Nationalverſamm. 
lung, : zeigte er ſich als Freund der Freiheit. Die Ernennung zum Mitglied der 2, 
Nat.Verſamml. lehnte er ab. Sein Drama „Pamela“, das 17193 auf die Bühne 
kam, brachte ihn wegen der darin herrſchenden Maͤßigung ins Gefaͤngniß, aus wel⸗ 
chem ihn der 9 Thermidor rettete. 1797 wurde er zum Miniſter des Innern und 
nach dem 18: Fructidor an Carnot's Stelle ins Directorium ernannt. Deine ge: 

mößigten Geſinnungen führten aber bald feine Entfernung aus demſelben herbei, 
d er erhielt den Auftrag, in Selz mit dem Grafen Cobenzl über die Volksbewe⸗ 
gen, die in Wien gegen Bernadette flattgefunden, zu unterhandeln. Hierauf 


\ 


399 Frenagole de Paule - . iyanke (Auguſt Hermann) 


417. Yani-1798) ward er um yneiten Mal zum Minifler des Innern ernaunt. 
n Bene jegt die Idee der gffentlichen Ausſte lung der Ergeugniffe des Gewerb⸗ 
fleißes aus, die feit dieſer Zeit alle — 5 “Jahre in Frankreich ftattönden, und die 
in andern Ländern nachgeahmt worden. chen vor dem 18. Brumaire verkor er 
diefen Poſten. Napoleon grnannte ihn zum Senator, und 1804 zum⸗Eeafen. 
Er 309 ſich aber ſeitdem von den öffentlichen Verhandlungen zurüd, um den Wiſſen⸗ 
fhaften zu leben. Er flarb den 10. Jan, 1828. ©. „Memoires sur ‚Fraugois de 
Neufchäteau“ von Sippolyte Bonnelier (Paris 1829). 
grangois be Paule, f. Franz von Paula. . 
Fran ke (Auguſt Hermann), Stifter des halfifchen Waiſenhauſes und vie⸗ 
ler damit verbundenen Anftalten, einer der wirkfamfien Männer ſ. Zeitalters , oft 
durch falfcheg Lob und ungerechten Tadel mißkannt, aber mit jedem Fortſchritt der 
gel richtiger gewürdigt und nach feinem wahren Verdienſt verehrt. 5. war den 28. 
rz 1668 zu Lübeck geboren, Sohn des.2ortigen Domſyndicus, des aber (em : 
1666, von Ernſt dem Frommien berufen,. als Juſtizrath nach Gotha 82 daher 
ſ. Sohn auf dem dortigen Gymnaſium ſeine erſte Bildung empfing. Er zeigte ſo 
Seltene Fähigkeiten, daß er im 14. J. reif zur Akademie erklaͤrt wurde. Hieraluf bes 
fuchte er die Univerfitäten Erfurt, Kiel und Leipzig, und trieb varzuͤglich Theolo⸗ 
gie, doch in fleter Verbindung mit alten und neuen Sprachen. 1681 promovirte er, 
bielt ipzig praktiſche Borlefungen über die Bibel, dereneinfache Lehre ihm mehr 
war als alle dogmatiſche Spigfindigkeiten, ward aber wegen des großen Bei⸗ 
falls ſo angefeindet, daß der berühmte Thomafius, der damals noch in Leipzig, ber: 
nach in Halle lehrte, eine Bertbeidigungsfchrift für ihn auffegte, F. aber, den. Ders 
folgungen ausweichend, den Ruf nach Erfurt als ‘Prediger annahm. Hier wurden 
f ebigten, die fich viel mehr durch Herzlichkeit und warmen Eifer als durch homi⸗ 
letifche Künftelei auszeichneten, felbft von Katholiken fo zahlreich befucht,. daß man 
‚in Mainz Gefahr für die Religion fürchtete, und katholiſche Eiferer wußten den Hof - 
zu beflimmen, daß 5. Befehl erhielt, binnen, 24 Stunden die Stadt zu räumen, 
was auch, unter heißen Thränen der Bürger und Kinder, deren er fich fo väterlich 
angenommen hatte, gefchah. Er erhielt bald mehre Einladungen, zog aber den Ruf 
‚nach Halle, wo eben dieneue Univerfität errichtet ward, allen andern vor. 
wurde ihm die Profeſſur der orientalifchen Sprachen, fpäterbin der Theologie über: 
tragen. Bngleich erhielt er das Paſtorat in der Vorſtadt Glaucha, daher diefe auch 
der Sig feiner Stiftungen geworden iſt. Die Unwiſſenheit und Berwilderung der 
glauchaifchen Semeinde aufder einen, die große Armuth vieler Einwohner duf der 
andern Seite, gaben feiner Thärigfeit, praktifch zu wirken, die erfte Anregung. 
Dies geſchah befonders feit 1694. Er unterrichtete die ganz verftumten Armen und 
‚Kinder auf feiner Hausflur und gab ihnen dann kleine Almofen. Bald nahm er 
auch ein Paar Vaterlofe auf, deren Zahl fich ſchnell vermehrte. Wohldenkende un: 
terflügten ihn mit Fleinen Beiträgen. Wenn man den Umfang feiner nachmaligen 
Etiftungen anfieht, muß man über einen fo geringen Anfang erſtaunen. Bon nun 
an wuchſen f. Anftalten für Erziehung und Linterricht mit jedem Jahr. Es wurden 
unter f. Leitung Schulen für alle Stände, und eine Erziehungsanftalt für Vater: 
loſe, das eigentliche Waiſenhaus (das jedoch den Eleinften Theil des Ganzen aus: 
macht) errichtet. 1698 ward der erfte Grundſtein zu allen den Sebäuden, die jegt 
zwei.über 800 Fuß lange Straßen bilten, gelegt. %. hatte jedoch anfangs feinen 
fo großen Plan entworfen, Nie Hätte er vorberfehen konnen, daß der Ruf feiner 
ſfrommen Menfchenliebe fo viele Theilnehmung erwedten, daß man non allen Seiten 
ber Summen zu 50, 100 und 1000 Thalern zuſchicken, daß ihm ein fliller Freund 
der Chemie und Pharmacie, den er auf feinem Todbette befuchte, Recepte zu aller: 
lei Arzneien übergeben würde, die hernach fo viel Auffehen gemacht, und deren Ver⸗ 
‚Eauf vormals einen jührl. Sewinn von 80—40,000 Thlrn. abgeworfen hat, wer: 


“ 
bi 


.. Buntes Stfuungen 2 


on ſich allein bie Moglichkeit erflärt, ohne alle Unterflügung der Regierung fo 
große Anflalten ausgeführt zu fehen. Ihn felbft beflärkte dies Alles in ſeinem uner: 
‚Khütterlichen Bertrauen auf die göttliche Borfehung, zumal es ſich oft traf, daß ge 
ade inder Stunde, wo Bein Groſchen vorhanden war, um die wartenden Arbeiter 
zu bezahlen, die nöthige, und nicht felten eine größere Summe, als man bedurfte, 
‚mit der. Poft von bekannten und unbefannten Perfonen einging. Er ſah darin Got⸗ 
tes Wink, daß er ihn zum Werkzeug beftimmt habe, Bieles und Großes zu vollen: 
den. Und fo hat man dennmit Recht feine Stiftungen ein Werk des Glaubens und 
der Liebe und die in ihrer Art legte große Erfcheinung des religiäfen Geiſtes in 
Deutſchland genannt, und über einen der Saupteingänge die Inſchrift gefeßt: ., 
„arembling, was du erblicktt, hat Glaub’ umd Liebe vollendet, — 
Ehre dei Stiftenden Geiß, glaubend und liebeud wie Er, , 

Was ibm dabei Alles fehr erleichterte, war der fo ganz uneigennüßige Eifer feiner 
erſten Dlisarbeiter, die nur gerade ihre nothwendigen Bebürfniffe verlangten, und . 
dafür mehr Leifleten, alsanandern Drtenreich befoldete Maͤnner, denen jener Geiſt 
fremd war. Da er bei allen f. Unternebniungen von Religion ausging und prafti- 
ſche Frommigkeit für die Hauptfache aller Erziehung und alles Unterrichts hielt, 
dabei von firengen Sitten und ein Gegner weltlicher Bergnügen war, als gefahrvoll 
für die Sittlichkeit, fo füchte man diefe Denkungsart u. d. N. des Pietismus (An: 


- Nichtelei, Frommelei) verächtlich zu machen. Ihn felbft kann nie der Borwinf des | 


leeren Scheins treffen. Daß es aber unter f. Schülern viele gab, die es mehr in 
Worten und Sebürden als dem Geiſte nach waren, daß die allerdings übertrieben ge: 
bäuften Andachtsübungen, welche ehemals in den Franke'ſchen Anftalten herrſchten, 
Diele mehr mit Widerwillen als mit Liebe zur Gottſeligkeit erfüllt haben mögen, 
laͤßt fich nicht iugnen, und man ift Davon fpäterhin zuruckgekommen. Er felbk war . 
von aller Froͤmmelei entfernt, ein beiterer, offener, liebevoller Mann, edel und 
unbefangen in f. Sitten, als Erzieher der Jugend einfichtevoll, feſt und mild. Das 
bei war er.im hohen Grade arbeitfam, pünftlich inf. afadem. Borlefungen wie in 
f. Predigten, ſowol in Glaucha als in Halle. Seine Gefchäfte und befonders der 
Andrang der Correfpondenten nahmen fo fehr zu, daß er oft nurerfinach dem Abend: 
eifen an fehr.ftftellerifche Arbeiten kommen konnte, deren Ertrag er immer wohlthä: 
tigen Zwecken beftimmte. Die meiften f. Schriften find deutfch und afcetifchen In⸗ 
halts. Früher hat er auch mehre Iateinifche herausgegeben, tie er denn überhaupt 
in alten und neuen Sprachen fehr geübt war. 1727 erlag f. Körper den viefjährigen 
Anjtrengungen. Er flarb am 8. Tani. 64 J. alt, und hinterließ feinem Schwie: 
gerfohne, Johann Anaftafius Frevlingbaufen, und feinem einzigen (ohne 
dachkommen verft.) Sohne, Gottlieb Auguft, die Direction, unter denen nur noch 
einige Gebäude errichtet wurden. liber die Säcularfeier feines Todes 2828 f. die 
Denkſchrift: „Aug. Herm. Franke‘ von D. H. E. F. Guericke (Halle 1828). 
Franke's Stiftungen murden vormals u. d. N. des haklifchen 
Waiſenhauſes begriffen, weil Alles von einer Anftalt für vaterlofe Kinder 
ausging. Dies ift aber der Eleinfte Theil des Ganzen, :und es gibt im engern 
Sinne größere Waifenhäufer in Deutfchland, wiewol;. wenn man Alles, was mit 
dem ballifchen verbunden tft, dazu rechnet, das hallifche unftreitig den größten 
Umfang hat. Die vornebmften Inſtitute find: 1) Die eigentliche Waiſenan⸗ 
ſtalt. In ihr find feit der Stiftung an 4500 Kinder ganz unentgeltlich erzogen, 
wovon geroöhnlich 3 männlichen, 4 weiblichen Befchlechts waren. Erſtere gehen 
größtentheifs zu Handwerken und Künften über. Vorzügliche Köpfe. widmet man 
den Studien, und fie bleiben bis zur Univerſitaͤt in der Anſtalt. Die höchſte Zahl 
zugleich erzogener war 200. Die fehr verminderten Einnahmen haben fie jeßt bis 
‚auf 100 Herabgebracht. 2) Das koͤnigl. Padagogium, die Srpiehungs-und 
Sehranftsit für junge Leute aus den mittlern und böbern Ständen. Seit der 





221 KFrankers Guͤftungen | 
me Acos) ſind darin 2790 gebildet. 3) Die taselfifige Schule, be 
ſtehe ſeit 1807 als eine gelehrte Bildungsanftatt in 9-10 Claſſen für minder Be⸗ 
üterte, ' Sie hat Penſionnaire "ehemals oft an 4509) und Stadeſchuͤler, und 
Int Immer den Ruf gründlichen Unterrichts, befonders in den alten Sprachen, bes 
hauptet. Seit 180% find mit ihr die beideh fehr herabgekommenen Stadtgym⸗ 
naſien, Bas linheriſche und refermirte, u. d. M. der bafkifchen Hauptſchule, im 
Waiſenhauſe verbunden, welche fich in eine Fateinifche ımd eine Realſchule theilt. 
4) Die deutfchen oder Buͤrgerſchulen. Urfprünglich wurden eine Knaben: und 
eine Mädchenfhule gefliftet, welche im Bezirk des Waifenhaufes lagen, -und wovon 
jede nach und nach zu 10—1%2 Claſſen anwuchs. In beiden Abtbeilungen wurden 
oft an 150 Kinder aus der Stadt und den Borflädten unterrichtet. Hierzu kamen 
fpäterbin zwei davon abhingende Nebenſchulen, in Glaucha, die Miitteltwach’fche 
und Weingaͤrtner'ſche für die entfernt Wohnenden. Leßtere ſind hernach in das Wai⸗ 
ſenhaus verlegt, und gegenwärtig beftehen die deutfchen Buͤrgerſchulen aus 4 Abs 
theil. von.denen 2 für. Knaben und Maͤdchen, die einiges Schulgeld bezahlen, L 
für ganz Arme, als Freiſchulen, beftimmt find. Im Unterricht wird dabei auf die 
Bedürfttiffe der Mittelſtaͤnde und der niedern Volksclaſſen Rüdficht genommen. 
Sammiliche Schulanftalten find zugleich Seminarien für angehende Lehrer, die 
ſich dabei üben, Methode lernen, und dadurch um fo fühiger werden „ mandern 
Hreiſen als Lehrer zu wirken. : Als ein Anhang der Franke'ſchen Stiftung tft nach 
5) die Sanftein’fche Bibelanftalt zu betrachten. Sie ward von dem Barın K. H. 
‘son Canſtein (f..d.), einem vertrauten Sreande Franke's, geftiftet, und nahm 
‚ihren Anfang 1112. Der Zweck war, durch ſtehende Formen der ganzen Bibel in 
‚verfchledenen Formaten, welche den jedesmaligen Satz bei neuen Ausgaben er- 
‘fparen, den Preis auferft wohlfeil zu machen, und dadurch den. Verkauf der heil, 
‚Schrift zu befördern. Bereits find über 2 Mill. ganze Bibeln und 1 WAL. Neue Left, 
verkauft. Die Directoren der Franfe’fchen Stiftungen find zugleich die Vorſteher 
dieſer Anftakt, ohne daß jedoch das Waifenhaus Einkünfte davon hat; die vielmehr 
allein der Beftimmung der Anftalt gemäß verwendet werden. Zu den Beſitzungen 
des Waifenhaufes gehören noch eine große Bibliothet in einem eignen Gebaͤude und 
. ‚eine Naturalien:und Kunſtkammer von geringerer Bedeutung. — Zu den Erhal⸗ 
tungsquellen diefer vielumfaſſenden Stiftung gehören: 1) Bedeutende Güter und 
liegende Gründe, 2) Die Medicamente, zum Theil Arcana, welche aber im Ab⸗ 
(ei ‚ durch die Verbote in vielen Ländern und durch den veränderten Geiſt der Zeit, 
fehr gelitten haben. (S. Madai's „Befchreib. der Wirkungen und Anwendungsart 
der hallifchen Waifenhausarzneien“, mit neuen Erfahrungen verm. vom Prof. 
Düffer, Halle 1803.) 3) Die Apotheke; weit mehr aber 4) die Buchhandlung, 
welche von einem fehr geringen Anfang, den ein Candidat Ehlers mit dem Druck 
einer Sranke’fchen Predigt machte, durch die Thätigkeitund Einficht dieſes Mannes 
zu einer der anfehnlichten Handlungen Deutſchlands herangewachſen iſt. Sie bes 
ſigzt eine eigne Druckerei und hat vorzüglich wiſſenſchaftliche, afcetifche und Schul: 
bücher, z. B. faft alle claflifche Autoren, um fehr geringe Preiſe geliefert und ſich 
mit dem ganzen In-und Auslande in Verbindung gefeßt. “Der reine Überſchuß 
wird jährlich an die Hauptcaffe abgegeben und zur Erhaltung der Vaterloſen und der 
Schulen verwendet. 5) Das Schul: und Penſionsgeld. 6) Königliche Hülfsgel: 
der, Der jeßt regierende König von Preußen war der erfte, welcher den abnehmen: 
den Einkünften durch einen jühr!. Zufchuß zu Hülfe kam. Die vormalige Eonigl. 
weſtfaͤliſche Regierung hat diefe nicht nur fortgefeßt, Tondern auch vermehrt. 7) 
Milde Gaben. Diefe find ehedem bedeutend gewefen. Seitdem aber das Waiſen⸗ 
baus in den, wiewol fehr übertriebenen, Rufgroßer Reichthiimer gefommen, haben 
fie faſt gänzlich aufgehört. Selten iſt's, daß dankbare Zöglinge ihm Legate verma⸗ 
chen, was früherhin öfter der Fall war. (S. d. Zeitfchrift: „Franke's Stiftungen”, 


Franke @Sebaflan) Frankenberg 225 


von 1792 — 91, 3 Bde.) und die „Beſchreib. des halliſchen Waiſenhauſes 
und der damit verbundenen Franke’fchen Stiftungen, nebff der Geſchichte ih: 
res erften Jahrh.“ (1 199, mit Kupf.). l. 
Franke (Sebaftian), der Verf. der Weltchronit, kann für den Erften gel: 
ten, welcher die Lniverfalgefchichte in deutfcher Sprache behandelt dat, Er mar 
proteftant. Geiſtlicher, ein unruhiger:und flreitfüchtiger Kopf, welcher ein unſtetes 
Leben führte. Geb. um’1500 zu Donauworth in Schwaben, ohne Amt und be: 
—— Geſchaͤft bald in Strasburg, bald in Ulm, bald in Baſel, meiſt aber in 
türnberg lebend, unternahm er Maucherlei, Tief fich zu vielen Schwärmereien und 
Ausfchweifungen hinreißen, und ftarb wahrfcheinlich zu Bafel 1545 als Buch: 
druder und Berleger. Bon feinen zahlreichen Schriften nermen wir die „Chronica, 
Zeytbuch und Sefchichtbibel von anbegyn bis auf das jar 1631‘ (Strasb. 1531, 
Fol, Ulm 1536; fortgef. bis 1654, o. Ortsangeige, 1554),.f. „Sprichwoͤrter 
Schöne Weife Herrliche Clugreden und Hofffpräch” (Frank. a. M. 1541, 4., und 
öfter). Beide Werke verdienen eine ehrenwerthe Auszeichnung in der Literatur des 
16. Jahrh. 8 Styl ift kräftig, witzig und faft lakoniſch, befondens in den - 
 Gprüchwörtern. Die Chronik empfiehlt der kecke und freimüthige Sinn und die 
‚allfeitige Serechtigkeit ihrer Weltanficht, von welcher. nur das Papfithum ei: 
nigermaßen ausgefchloffen ift. Er 
Franke, der in den Meorgenländern allen chriſtlichen Europäern beige: 
legte Name, vermuthlich weil ſich in den Kreuzzügen die aus den ehemaligen 


Franken bervorgegangenen Franzofen bervorthaten. 


Franken, eine deutfche Völkerſchaft. Sie erfiheinen zuerſt feit 238 nach 
Chr, und wohnten groifchen dem Hliederrhein und der Wefer, flreiften auch biswei⸗ 
fen über die Weſer bis nach der EIbe zu. Schon im 4. Jahrh. machten fie Einfälle 
in Sallien, und zu Anfange des 5. Jahrh. fingen fie an, in das beigifche Gallien 
einzudringen. (S. Frankreich.) Aus dem großen Landtheil, welchen die Franken. 
fpäterhin den Alemannen am Rheine wegnehmen, entfland eine neue Provinz un: 
ter dem Namen des rheiniſchen Franken (Francia rhenana), Das nachherige 
Sranfenland, fpäterhinder fraͤnkiſche Kreis, gehörte den Franken damals noch gar 
nicht, fondern war ein Theil von Thüringen (f d.), von welchem es mahrfchein: 
lich unter Karl dem Großen getrennt worden ifl. Im 9. Jahrh. findet fich ein Her- 
zogthum Franken in der deutſchen Geſchichte, welches fpäterbin.an die Familie der 
Hohenſtaufen, die auch das Herzogthum Schwaben befaß, fam, und mit dem Er: 
löfchen des hohenſtaufiſchen Haufes einging. S. K. Mannert’s „Sefchichte der al- 
ten Deutfchen, befonders der Franken” (Stuttgart 1829). 

Franken, Fränkiſcher Kreis, einer von den 10 Kreifen Deutfch: 
lands vor der 1806 erfolgten Auflöfung der deutfchen Reichsverfaſſung; er begriff 
einen der fhönften Striche Deutfchlands, vom Main von O. nach W. durchflof: 
fen, zwiſchen Schwaben, den Rheinlanden, Sachen, Böhmen und Baiern, 
ungefähr 490 OM. groß, mit 1,500,000 E. Jetzt befißt. der König von 
Baiern den größten Theil Frankens, gegen 430 IM. mit 4,200,000 E.: 
das übrige iſt unter Würtemberg, Baden, Heffen:Dgrmfladt, Preußen, Kur: 
beffen und die fürftlich fühl. Häufer ungleich vertheilt. 

Sranfenberg (Sylvius Friedrich Lutwig, Freiherr v.), diefer um Gotha 
und Altenburg bochverdiente Staatsminifter, geb. 1728, flammte von einem 
Zweige des alten Geſchlechts ber Frankenberg ab, der fich im 11. Jahrh. in Schle: 
fien niederließ. Der Bater fand der Herrfchaft Schmalkalden: als Iandgräflich- 
heſſiſcher Oberauffeher vor, und der Sohn machte fich als Rath, dann Präfident 
des Conſiſtoriums in Hanau, und als Sefandter in Kopenhagen und Wien um 
Heffen verdient. Dann trat er, vom Herzog Friedrich III. berufen, 1765 in das 
herzogl. fachfen:gothaifche Geheimerathscollegium. Seit 1788 fand er als Staats⸗ 


Eonverfationsstepiton. Bd. IV. 45 


226 Stanfenweine Sranffurt am Main 


minifler an ber Spitze diefer hoͤchſten Bandesbehörde und leitete in den feit 1789 fo 
ſchwierigen Zeiten die polit. Berhältniffe mit folcher Umficht und weifen Mäßigung, 
daß die Länder feines Fürften unerfchüttert blieben und ihre Landes: und Regierungss 
verfaffung ungefränft erhielten. Als Chef des Steuercollegiums mußte er nicht nur, 
fo groß auch der Druck verberblicher Kriege und die Stockung des Ermerbes war, 
den Erebit des Landes aufrecht zu erhalten, fondern auch noch für die Verbefferum: 
gen der öffentlichen Linterrichtsanftalten Mittel berbeizufchaffen und andre gemein: 
nügige außerordentliche Ausgaben zu beflreiten. Nachdem er den Serzogen Fried: 
rich, Ernft und Auguſt mit gleichem Eifer, gleicher Treue und. gleichen Erfolg 
gedient und bis in fein ſpaͤtes Alter ungefchwächte Körper: und Geiſteskraft erhal: 
ten, ftarb er bald nach der Feier feines Deinifterjubiläums, zu Anfange 1815. 
Frankenweine, eine. Gattung deutſcher Weine, die vorzüglich im bai- 
riſchen Untermainfreife gebaut wird und zu den angenehmften und gefunteften 
Tiſchweinen gehört. “Die vorzäglichtte Sorte ift der Zeiftenwein, der, menn er ein 
ereiftes Alter hat, durch feinen angenehmen Duft oder feine Firne und feine Zart⸗ 
beit vielleicht alle deutſche IBeine übertrifft. Feuriger noch als diefer ifl der Stein: 
mein, aber es fehlt ihm das Bouquet [der würzige Duft) und die Lieblichfeit bes 
Leiſtenweins. Andre gute Gewaͤchſe find der Werthheimer, der Dettelbacher ıc. 
Bon Kisingen unweit Würzburg, von Bamberg, von Benshaufen und von Wuͤrz⸗ 
burg wird mit diefen Weinen ein großer Handel getrieben. Die neuern bes 
fin Jahrgaͤnge find die von 1783, 91, 1811, 19 und 20. ' 
Frankfurt am Main, als Sitz der Bundesverfammlung die erfte der 
4 freien Staͤdte des deutfchen Bundes, ift durch ihren Handel, Gewerbfleiß, Neichs 
thum und ihre fehönen Umgebungen eine von den feheneiwertheften Städten Deutſch⸗ 
lands, Sie liegt in einem weiten Thale des Mains, in einer reigenden Gegend, 
welche lebhafte, mit Alleen befeßte Kunftftragen in allen Richtungen durchſchnei⸗ 
den, und prachtvolle Land: und Sartenhäufer, ſchöne Luftgärten, reiche Korn: 
fluren und trefflihe Obft:, Semüfe: und Weingarten fhmiiden. Das eigent: 
liche %. breitet fich am rechten Ufer des Mains aus, über welchen mit Schif⸗ 
fen bededtten Fluß eine 380 Schritte lange, auf 14 Bogen ruhende fteinerne Brüde 
führt und es mit der auf der linken Mainſeite liegenden Vorſtadt Sachfenhaufen 
verbindet. Sonſt hatte die Stadt Feſtungswerke und enge, finftere Thore; jetzt 
find eiferne Gitterthore angebracht, neben welchen ſchöͤne Wacht: und Zollhäufer 
ehen, die Feftungswerfe find niedergeriffen, die ausgetrockneten Gräben mit 
aumpflanzungen verfehen, die Wälle geebnet und theils mit fehönen Häufern 
und Straßen befeßt, theils zu Sartenanlagen im englifchen Geſchmacke benußt. 
F. enthält mit Sachfenhaufen über 200 Straßen, 14 Kirchen, 3500 Haͤuſer, Wovon 
470 in Sachfenhaufen, und jeßt gegen 60,000 Einw., größtentheils Lutheraner ; 
doch find darunter 5800 Katholiken, 2000 Reformirte und gegen 6000 Juden. 
Es gibt in 5. viele enge, finftere Sitaßen und eine Dienge alter, mit abgefchmad: 
ten Verzierungen bemalter Häufer; aber man findet auch an den öffentlichen 
lägen und in den Hauptfiraßen, befonters an der fogenannten belle vue am 
Main, geſchmackvolle, palaftmägige Gebäude, und es find feit 1814 viele neue 
Häufer in einem guten Style aufgebaut worden, Die Straßen find wohl gepfla: 
flert und zum Theil durch Gas gut erleuchtet. Die öffentlichen Gebäude find we⸗ 
niger anfehnlich, als man es von einer fo reichen Stadt vermuthen follte. In der 
kathol. Stiftskirche St. -Bartholomäi, gerwöhnlich die Domkirche genannt, wurden 
die römifch:deutfchen Kaifer gekrönt. Sie murde zur Zeit der erften Forolingifchen 
Kaifer gefliftet, erhielt aber ihre jeßige Bauart in den %. 1415—1509. Unter 
den vielen Denfmilern in diefer Kirche ift das des Kaifers Günther das merkwür⸗ 
digſte. Der Römer, das Rathhaus der Stadt, iſt eine Miſchung von mehren 
Bauarten, die fein übereinftunmendes Ganzes ausmacht. Die goldene Bulle wird 


- Sranffurt an. ber Oder 227 


noch jetzt darin aufbewahrt. Das Thurn: und Taxiſche Palais, ehemalige Refidenz 
des Fürſten Primas, worin jetzt die Sitzungen des deutſchen Bundes gehalten werden, 
iſt in einem edeln Style erbaut. F. enthält gute Lehranſtalten, darunter auch eine 
gut organifirte ifraelit. Bürger: und Realfchule, die der Fürft Primas 1813 erwei: 
tert hatte; mehre gemeinnüßige und gelehrte Vereine und fehenswerthe Samm⸗ 
lungen, als: die 100,000 Bde. ftarfe vereinigte Stadt: und Rathsbibliothek, für Die 
ein neues Bibliothekgebaͤude errichtet ifl, wohin auch das zur Beförderung der ge 
nen Rünfle errichtete Muſeum kommt; ferner Die Sammlung von Kupferftichen, Se: 
mälden, Zeichnungen und Antifenabgüffen des 1816 verft, Banquiers Stadel (f. 
d.); Rothſchild's neues Gewächshaus; Jugel's Kunſtmagazin; Bethmann's An- 
tifenfaal ; endlich die Serning’fchen Sammlungen von Muͤnzen, Gemaͤlden und An- 
tifen, nebft einer Schmetterlingsfammfung, welche vielleicht die erfte in Europa ifl 
und 50,000 Stüd enthält. Unter den —— zeichnet ſich das 
Senkenberg'ſche Stift aus mit einem naturhiſtor. Muſeum, einem botan. Garten, 
einer Bibliothek, einem anatom. Theater und dem trefflichen Buͤrgerhoſpitale. Die 
franffurter Handwerker und Künſtler liefern tuͤchtige Arbeiten; unter vielerlei Fabri⸗ 
fen find die Rauch: und Schnupftabacks⸗ und die Kupferdruckſchwaͤrzefabriken bie 
wichtigften. Noch wichtiger ift der Handel, weichen. theils mittelbar, theils unmit⸗ 
teilbar in alle Gegenden Europas und felbft in andre Welttheile treibt. “Derfelbe bee 
ſteht, aufer dem nicht unbedeutenden Vertrieb von eignen Fabricaten (befonders 
Kauch: und Schnupftaback) umd Landeserzeugniffen, Wein ıc., in eignem Großhan⸗ 
del mit franz., engl., ſchweizer., füchf. und fonftigen deutfchen Fabricaten, wopon man 
Bier fehr große Lager antrifft; ferner in einem wichtigen Speditions =, Commiffions: 
und Zwifchenhandel, und einem großen Wechfelhandel. Auch der Buchhandel und der 
Handel mit Ötaatspapieren aller Art ift von Bedeutung. Der Handel wird fehr be 
fördert durch die Main: und Rheinfchifffahrt, durch 2Meſſen (die Oſtermeſſe ward 
1330 von Ludwig dem Baier bewilligt) und durch die Hier durchgehende Hauptſtraße. 
Luftörter find: Oberrad, mit der Ausficht auf das fchöne Mainthal und die Stadt 
felbft; Bornheim, Haufen, mit derromantifchen Ausficht auf das nahe Taunusge: 
birge; Bodenheim, Rödelheim, Offenbach, das Forſthaus, wo fich ein angenehmer 
Wald und eine geſchmackvolle engl. Anlage befinden; der Sandhof und Niederrad. 
Zu den entferntern Bergnügungsärtern gehören Hanau, das Wilhelmsbad, Hom: 
burg und Wisbaden. — Vgl. die „Anfichten von Frankfurt a. M. und der umlieg. 
Gegenden” von A. Rirchbach (Franff. 1818).. 5. war feis 1254 eine kaiſerl. freie 
Reichsftadt ; ihre Entftehung ſchildert v. Fichard in einem befondern Werte, 1806 
wurde fie dem Fürften Primas zugetheilt und nach der Vernichtung der franz. Liber: 
macht, 1815, zu einer freien Stadt des deutfchen Bundes und zum Giße der deut: 
fchen Bundesverfammlung erklärt. Sie gab ſich am 18. Yuli 1816 eine Demokrat, 
Berfaffung, indem man die ehemal, reichsſtaͤdt. mit.einiger Abänderung wieder ein: 
führte. Unter den 4 freien Städten des deutfchen Bundes hat fie. ben Borfiß, aufder 
Bundesverfammlung mit den übrigen zufammen die 17. Stelle, im Plenum eine 
eigne Stimme, und befißt außer der Stadt ein Gebiet von 44 IM, mit 183,000 
Dem. hr Bundescontingent, 433 M.,ftellt fie zum 8. Heerbaufen: Im Oct. 1822 
unterhielt 5. 600 M. Soldaten. Die Schuld, welche 1823 noch 8 Drill, Gldn. be⸗ 
trug, wird jührl, vermindert. Für den ausfchließlichen Genuß der Poften m F. zahlt 
der Fürft von Thurn und Taxis jährl. 10,000 Gldn. Die Einkünfte betragen über: 
haupt an 270,000 Stdn. jährl. — Zum Beſten des deutfchen Handelsverfehrs bil: 
dite fich 1819 in F. der deutfche Handels: und Gewerbeverein. Das „Frankfurter 
journal” (feit 1615) ift die aͤlteſte gedruckte Zeitung Deutfchlands. Auch bat 
e 2,5 1819 geftiftete Sefellfchaft für ältere. deut ſche Sefchichtsfunde : 
. d,) ihren Sitz. | .. 
Frankfurt ander Dder, Handelsfladt in ber Mittelmart Branden: 
‘ 45 


. 228 ' | Sranflin 


burg (1306 H. ımd 16,00, €), der Sitz einer Regierung und eines Oberlandes⸗ 
gerichte des Bezirks Frankfurt in der Provinz Bramdenburg; hat ein Gymnaſium, 
eine landmirtbfchaftliche Sefellfchaft, ein Hebammeninftitut, eine jüdifche Buch: 
druderei, eine zu des Herzogs Leopold von Braunfchweig Andenfen gefliftete Frei⸗ 
ſchule, ein. Sefundheitsbad, verfchiedene Fabriken und jährlich 3 Meffen ; auch als 
lein die Schifffahrt auf der Dder nach Breslau. Sehenswerth find dag Denkmal 
des Dichters Kleift, das Denkmal Leopolds von Braunfchmweig (f. beide 
Art.), und in der Nachbarſchaft das Schlachtfeld bei Runersdorf. “Die Univerfität 
ward 1810 nach Breslau verlegt. - | 
Franklin (Benjamin), geb. zu Boſton in’ Nordamerika den 17. Fan. 
1706 von unbemittelten Altern, mußte aus Mangel an den nötigen Mitteln die 
theolog. Studien aufgeben und f. Vater beim Lichtziehen und Seifenfieden hülfreiche 
Handleiften. In den Stunden der Muße las erdie wenigen Bücher f. Baters, then: 
log. und afcetifche Schriften, Plutarch’s Lebensbefchreibungen und de Foe's,Verſuch 
über die Projecte“. Aus den letztern ſchoͤpfte F. Ideen, welche wichtigen Einfluß auf 
fein Leben gehabt haben. Zwoͤlf J. alt, erlernte er bei f. aus England zurüdgefom- 
menen Bruder, Jakob, die Buchdruderfunft. Die Freiftunden, oft felbft.einen Theil 
der Nacht, widmete er dem Leſen, wozu ihn ein wohlmwollender Kaufmann, Matthiew 
Adam, mit Büchern verfah. Eine Schrift von Tryon, worin dievegetabilifche Kuſt 
empfohlen wird, brachte ihn zu dem Entfchluß, diefe Diät zu verfuchen. Er verfer: 
tigte fich, während die übrigen Arbeiter zur Mittagsmahlzeit Die Druckerei verlaffen 
Batten, feine frugale Mahlzeit felbft und fparte dadurch Geld und Zeit. Er las das 
mals Lodes Verſuch, Kenophon’s Denfwürdigfeiten und die Schriften von Shafts⸗ 
bury und Collins. Schon früher hatte er fich als Dichter verfucht. Zwei Balladen 
auf damalige Ereigniffe, die er auch felbft zum Berfauf berumtrug, fanden Beifall, 
der ihn zu weitern Arbeiten diefer Art wuͤrde beroogen haben, wenn ihn nicht f. Vater 
aufmerkſam darauf gemacht hätte, daß alle Verfemdcher arm wären. Als aber 17120 
oder 21 fen Bruder eine Zeitung unternahm, in roelche auch umtechaltende Auffüße 
eingerüct wurden, fehrieb er einen Auffag mit verftellter Hand, legte ihn vor die Thür 
der Druckerei und hatte die Freude, ihn aufgenommen zu ſehen. Er fuhr damit 
fort und gabfich endlich zu erkennen. Mißhelligkeiten, in die er mit feinem Bruder 
gerieth, bewogen ihn, Bofton zu perlaffen, In Philadelphia fand er Arbeit, machte 
angenehme Bekanntichaften und fegte feine Studien fort. Der Gouverneur der 
Provinz, William Keith, der von dem jungen $. durch einen feiner Briefe die vor: 
theilhaftefte Meinung gefaßt hatte, ermunterte ihn, eine eigne Druckerei anzulegen, 
und ſchoß ihm 100 Pfund vor, um das dazu Nothige in England felbft anzufaufen. 
5. jögerte nicht, dahin zu reifen, nachdem er fich vorber mit Miß Read, der Toch⸗ 
ter ſ. Wirthes, verlobt hatte, fand fich aber in England in allen feinen Hoffnungen 
‚getäufcht, Seine Verlegenheit wurde noch dadurch vermehrt, daß er eirten jungen 
Menfchen, Namens Ralph, der ihn begleitet hatte, mit ernähren mußte. Beide, 
ergaben fich einen ziemlich unregelmäßigen Leben. %. arbeitete um diefe Zeit en 
MWollafton’s Wert über die narürliche Religion; eine Schrift, die er darüber her: 
ausgab, brachte ihn mit einigen englifchen Gelehrten in Verbindung. Er blieb 
18 Deonate in London und Eehrte 1726 nach Philadelphia zurüd.. Unterwegs 
machte er die Bekanntfchaft des Kaufmanns Denbam und ward deffen Buch: 
halter; als diefer-aber bald darauf flarb, mußte er aufs Neue zur Buchdruderei 
feine Zuflucht nehmen. Dabei fliftete er eine Titerarifche Gefellfchaft junger Leute, 
unter dem Namen Junta, die fich wöchentlich verfammelte und über Moral, Po: 
litik, Phyſik ıc, Uinterfuchungen anftellte. Endlich errichtete er eine eigne Buch: 
druderei und feßte diefes.Sefchäft, von einigen Freunden unterftüßt, allein fort. 
Damals trat er zuerft als politifher Schriftfteller atif und fand den ungetheil⸗ 
teften Beifall. Seine ſchon erwähnte Braut, Miß Read, hatte fich wahrend 


« 


Franklin 229 


8.8 Aufenthalt in London, ha fie fich fehr kalt von ihm behandelt ſah, verheirathet, 
lebte aber in einer unglüdlichen Ehe. F. eilte, f. Unrecht gut zu machen, bot der 
wieder Sefchiedenen ſ. Hand an und heirathete fie 1780, Indeſſen ging f. Geſchaͤft, 
das er durch einen Papierhandel erweitert hatte, ſehr gluͤcklich; dabei wuchs die Ach: 
tung für ihn, Man erkannte in f. pennfolvanifchen Seitung und in ſ. jübrlichen Als 
manach feltene Einfichten und trug ihm 1743 auf, den Plan der philofophifchen 
Sefellfchaft in Amerika genauer zu entwerfen. Um dieſe Zeit fing er an, fich mit der 
Elektricitat zu befchäftigen, und der gluͤcklichſte Erfolg Erönte f. Bemühungen, Die 
orforder Univerfität ernannte ihn 17162 zum D. der Rechte. Schon jest ſchieden ſich 
die amerikaniſchen Patrioten und die Anhänger des engt. Miniſteriums in 2 entge⸗ 
gengefegte Parteien, und beide benühten fich, einen Mann zu gewinnen, deffen Ein: 
fihten und Einfluß ihnen den größten Vortheil verfprachen. F. wurde nach f. Ruͤck⸗ 
kunft von einer Reife nach London Beneralpoftineifter aller englifch:ameritanifchen 
Colonien; aber diefer mit anfehnlichen Einkünften verbundene Poften beftach ihn 
nicht zum Nachtheil der Sache f. Vaterlandes. Demm als bei den zunehmenden Un- 
ruben in den Colonien das Haus der Gemeinen in London alle Agenten der Provin⸗ 
jen vor feine Schranfen lud, um die Beſchwerden zu unterfischen, erfehien (17767) 
auch F. für Pennfplvanien, fprach mit ebenfo viel Freimüthigkeit als Einficht für die 
gerechte Sache und erließ an f. Landsleute Sendfchreiben, welche allenthalben Be: 
geifterung erregten. Der Hof entfeßte ihn daher von feinem’Poften, und F., in Ger 
fahr verhaftet gu werden, kehrte 1775 nach Philadelphia zuruͤck, wo der C onen ver: 
ſammelt war. Bon jeßt an wirkte er thaͤtig mit zu der Behauptung der Unabhängig: 
keit und ging in ſ. 71. Lebensjahre (177776) nach Paris, wo er anfangs insgeheim 
unterhandelte; als aber Ludwig XVI. 17778, nach der Schlacht bei Saratoga, die 
Unabhängigkeit der 13 Verein. Staaten von Nordamerika anerkannt hatte, erfchien 
der fhlichte, ehrfurchtgebietende reis als bevoltmächrügter Minifter f. Vaterlandes 
an dem glänzenden Höfe von Berfailles und wurde der Begenftand allgemeiner Ver: 
ehrung. Am 20. jan. 1783 unterzeichnete ee mif den engl. Commiffarien zu Paris 
die Präliminarien des Friedens, der f. Baterlande die Unabhängigkeit zuficherte, und 
kehrte hierauf nach Philadelphia zurück, mo Alles metteiferte, ihm Beweiſe der Ach- 
timg und Dankbarkeit zu geben, Er befleidete noch in einem Alter von 18 J. die 
Stelle eines Präfidenten der Verſammlung von Pennſylvanien, und ftarb, bis arı f. 
Tod für das Wohl f. Mitbürger durch Heilfame Einrichtungen ununterbrochen thaͤ⸗ 
tig, den 17. April 1790. — Die Phyſik verdankt ihm die Erfindung des Blitzablei⸗ 
ters und des elektrifchen Drachen (f. d.); auch bat er zuerft die Natur des Nord: 
lichte erklärt, Seine Xheorie der Elektricität (f.d.) bat er in f. „Newexp. and 
obs. on electricity in several letters ete.“ (Lond. 1751, 4., deutfch Durch Wilke: 
„Fr. Briefe von d. Elektricit.“, Leipz. 1758) entwidelt. — F. erfand einen eignen 
Sparofen und vervollkommnete die Harmonica, für deren Erfinder er fälfchlich ge⸗ 
halten wird. Die Nationalverfammlung in Frankreich legte, auf Mirabeau's An- 
trag, eine dreitägige Trauer um ihn an. F. gehört zu den ausgezeichnetflen Maͤnnern 
f. Fahr), Mit ruhiger Klarheit durchfchaute ſ. fcharffinniger Seift die Berhältniffe 
des Lebens im Großen wie im Kleinen, ohne je von der Bahn der Wahrheit abzu: 
gleiten, and f. edles Herz umfaßte das Wohl der Menſchheit. Ohne in die Irrgaͤnge 
einer unfruchtbaren Srübelei einzugehen, hatte er fich ein Syſtem der Lebensweisheit 
ebildet, das f. Anwendbarkeit ftets bewaͤhren wird. Unübertrefflich ift er in der Kunft, 
ie Lehren der Moral zu entroideln und fie auf die Pflichten der Yreundfchaft und 
der allgemeinen Liebe, auf dieBenußung der Zeit, auf das Gluͤck der Wohlthätigkeit, 
auf die nothwendige Verbindung des eignen Wohls mit dem allgemeinen, aufdie 
Früchte der Arbeitfamfeit, auf den füßen Genuß, den die gefelligen Tugenden ung ver: 
ſchaffen, anzuwenden. Man kann nichts Schöneres in diefer Art lefen als.die „Sprüch- 
worter des alten Heinrich” oder Die „Weisheit des guten Richard‘, die durch Einklek- 


* 


230 Frankreich, alte Zeit bis 843 


dung und Inhalt Muſter von Vokkeſchriften find. Eine Samml. f. Schriften und f. 
Briefmechfel ift nach f. Tode, auch ins Deutfche überfeßt, erfchienen (Lond. 1806, 
3 Bde.). D’Alembeit bewilltommnete den Erfinder des Bligableiters und den Be⸗ 
- freier ſ. Baterlandes, bei f. Aufnahme in die franz. Akademie, mit dem eben fo 

Schönen als wahren Herameter: 

Eripuit coelo fulmen, sceptrumque nnis. 

Er entriß dem Himmel den Blig, den Thrannen dad Scepter, 

Folgende Srabfchrift har fich F. ſelbſt gefegt: „Hier Liegt der Leib Benjamin Franke 
lin’s, eines Buchdruckers (gleich tem Deckel eines alten Buchs, aus welchem der 
Inhalt herausgenommen, und- der feiner Inſchrift und Vergoldung beraubt if), 
eine Speife für die Würmer; doch wird das Werk ſelbſt nicht verloren fein, fondern 
(wie er glgubt) dermaleinft erfcheinen in einer neuen fchönern Ausgabe, durchgefehen 
und verbeffert von dem Verfaſſer“. — Eine Berwandte von ihm, die Dichterin © ur 
fanne v. Bandemer, geb. v. Franklim die mit Wieland, Herder und Ramler in 
Verbindung fland und ihre feltenen Leiden u. Schickſale in einem ihrer frühern Werke: 
„Geſch. der Clara von Burg”, erzählt hat, fl. zu Koblenz d, 20. Dec. 1828,17 3. alt. 

Frankreich. 1. Geſchichte Frankreichs bis 1789. Dal. Sismyn⸗ 
d’’8 „Hist. des Franc.is” (Paris 1821 —28, 12 Th. bis zum %.1422). I) Ale 
tete Geſchichte. Ein Bund deutfcher Völker gab fich den Namen „Franken“, 
die Freien, als ihnen die Befiegung der Longobarden gelungen war. Diefer Franken: 
bund hatte fih von der Mündung der Lahn, länge dem Rheine hinunter ausgebreis 
tet, und beftand aus den Chaujen, Sigambern, Attuariern, Bructerern, Cha⸗ 
mavern und Catten. Nach vielen Raubzügen durch Gallien bis über die Pyre⸗ 
näen, führten fie blutige Kriege mit den Regionen der römifchen Kaiſer Sordian, 
Marimian, Pofthumius, Conſtantius und —*— Julian, in Gallien, in der ba⸗ 
taviſchen Inſel und in Britannien, wo ſie auch mit den Sachſen dem Afterkaiſer 
Carauſius beiſtanden. Unter ihnen zeichneten ſich die Salier, die Bewohner des 
Landſtrichs an der Saale, aus, mit denen Julian in harten Kampf gerieth, als fie 
bis an die Schelde-vorgedrungen waren. Sie wurden im 4. Jahrh. dem Welten 
des römifchen Reichs ebenfo furchtbar, als die Gothen dem Offen deffelben waren, 
und hatten fich bereits im beigifchen Gallien und um die Somme feftgefegt, ale 
Chlodowig der Große, aus dem Sefchlecht der Dierovinger, in der Schlacht 
bei Soiffong, die er 486 über den römifchen Feldherrn Syagrius gewann, der rö- 
mifchen Herrſchaft in Gallien ein Ende machte. Diefer 2Ojührige Eroberer unter 
warf feiner Herrfchaft die Alemannen nach der Schlacht bei Zülpich (496), an beis - 
den Ufern des Rheins, 507 die Briten in Arınorica (Bretagne), und die Weſtgothen 
in Aquitanien (das Küftenland von der Saronne bis an die Pyrensen). Auch feine 
Vettern, die Fürften der verfchiedenen Volkerſtaͤmme der Franken, räumte er durch 
Lit und Meuchelmord aus dem Wege. Zu Rheims feßte er ſich (496) die Krone 
der Franfen auf, nachdem er fich vom Bifchof Nemigius hatte taufen und. mit dem 
Wunderöle, das eine Taube brachte, falben laffen”). Er nahm das Bekenntniß der 
ortbodoren Kirche an. Dadurch gewannen die Merovinger und Carolinger den Beis 
ftand der rom. Kirche gegen bie arianifchen Weftgothen und Longobarden. Chlodos 
wigs Nachfolger befamen deßwegen vom Papfte den Titel: Allerchriftlichfter König 
und erfiseborener Sohn der Kirche. Seine Dynaflie (die Merovinger) befaß das 
Sranfenland in Gallien und Sermanien bis 152. Chlodowigs 4 Söhne theilten das 
Reich in Auftrafien und Neuſtrien, oder in die öftfiche und wefkliche Monarchie; die 
le&tere wieder in die Reiche Orleans, Soiſſons und Paris. Sie eroberten Thürins 
gen und Burgund; allein die verfchiedenen Theilungen des Reichs, — daher blu: 


‚*) In der Revolution foll ein Bürger zu Rheims die Scherben diefer Aimpoulle 
mit den darin befindlichen Tropfen des Shrifam gerettet haben. Man nahm Diele 
Tropfen in das neue Ölfläfchchen bei der Krönung Karla X, 


æv⸗ 


Frankreich von 843. bis 987 234 


tige Familienkriege und Verwandtenmord! — das kraftloſe Regiment der Könige 
und die Einfälle der Araber von Spanien her, zerrütteten das Reich. Doch hielt 
die Kraft Der Majores-: Domus (Haushofmeifter, Hausmair, daher fpäter Maires 
du palais) das. Ganze noch einigermaßen .zufammen. Aber eben diefe waren. es; 
welche die merovingifche Dynaftie endlich vom Throne verdrängten. S. Perb’s . 
„Bei. der Merovingiſchen Hausmeier (Hanov. 1819). Unter ihnen ragen befons 
ders hervor: Pipin von Heriſtall, Karl Martell, Rarlmann und Pipin der Kurze oder 
Kleine, Heriſtall machte die Friefen jinsbar; Martell vereitelte Durch den Sieg bei 
Tours über tie Araber 732 die Eroberungsentwürfe diefer Nation; er unterwarf - 
die Frieſen gaͤnzlich, nöthigte die Sachfen zum Tribut und beförderte die Ausbrei: 
tung des Chriſtenthums durch den heil. Bonifaz, den Apoftel der Deutfchen, der in 
Karlmann und Pipin noch größere. Befchüger erhielt, Endlich mußte der ſchwache 
Childerich HH. den königlichen Schmuck mit der Moͤnchskutte vertaufchen, und der 
Major: Domus Pipin beftieg mit des Papftes Genehmigung 752 den Thron. 
Aus feinem Blute ffammten die Karolinger, die 235 J. lang die franz. Krone trugen, 
Bein Sohn, Karl der Große, war Beherrfcher der Länder vom Ebro bis an 
die Iitederelbe, die Saale und den Raab; von der Nordfee und der Eyder bis an den 
Barigliano in. Neapel. hm, dem Herrn von Frankreich, Deutfchland und Italien, 
gab Papſt Zeo 111. im 3.800 Die römifche Kaiferkrone des Dccidents, und der Drient 
(Ronftantinopel und Bagdad) fam ihm mit Verehrung und Sreundfchaft entgegen. 
Allein ſchon unter f. Sohne und Nachfolger, Ludwig Dem Frommen (814— 40), 
zerfiel Die Monarchie... Ludwigs Söhne theilten, nach blutigem Hader, das Reich 
durch den Vertrag von Berdun (843), welcher die Trennung der deutfchen und 
ital. Kronen von der fränkifchen zur Folge hatte. Karl l., der Rahle genannt, 
erhielt Frankreich. Don diefem Vertrage, von 843 an, beginnt die Sefchichte des 
eigentlichen Königreichs Frankreich. 
2 Bon Karl dem Kahlen bis Hugo Capet (848987). Mit Karl 
dem Kahlen begann der Verfall des Reichs, feitdem er 8771 den Grafen und Herze- 
gen ihre Amter hatte erblich übertragen muͤſſen. Auch erwarb unter ihm der Adel dad 
Borrecht, nur dann zum Heerbann verpflichtet zu fein, tvenn Feinde des gefamm: 
ten Baterlandes, wie Normaͤnner und Araber, mit einem Einfalle drohten. ber 
eben dieſe Gefahr von Seiten der Normaͤnner veranlagte die Baronen, welche nach 
Unabhängigkeit ffrebten, fefte Schlöffer zu bauen, Diefe wurden bald die vornehmfte 
Schutzwehr des Feudaladels und zugleich Zwingburgen gegen das unterdrücte Volk, - 
Die konigl. Macht fank zu einer bloßen Suzerainete, d. i. Oberlehnsherrlichkeit, 
berab. Auf kurze Zelt vereinigte Karl der Dicke die Linder Karls des Großen, 
Nach f. Abfegung (887) trennte fih Burgund von Franfreich, und Odo, Graf 
von Paris, feiner großen Figenfehaften toegen von .den franz. Ständen zum 
König angenommen, mußte Karl dem Einfältigen, den eine Gegenpartei begün: 
fligte, nach mehrjährigem Kriege, 897, die Krone Frankreichs überlaffen. So 
berrfchten zwar die Karolinger in Frankreich noch bis 987; allein der hohe Adel 
fpielte mit der Macht des Throns; er theilte fich in die Domainen des Reichs, und 
die Kronvaſallen (die bedeutendften waren: die Herzoge von Sranıien, Burgund, 
Scogne, Normandie, Aquitanien [uienne], die rafen von Flandern, Ber: 
Mandois, Champagne, Isle de France und Touloufe) hatten endlich fo viele Pro: 
binzen an fich geriffen, daß nur Soiffons, Laon und einige Eleine Ländereien dem 
legten. Rarolinger noch gehörten. Lothringen ward mit Deutfchland vereinigt, In 
diefem unglücklichen Zuflande des Reichs fank das Anfehen der herrfchenden Dyna⸗ 
fie immer mehr, bis endlich, noch Ludwigs V., des Faulen,; Tode (987), dem 
mächtigen Herzog von Ysle- de France, Grafen von Paris und Orleans, Hugo 
apet, es gelang, ſich auf den Thron zu ſchwingen, indem Ludwigs Obeim, 
Karl, Herzog von Niederlochringen, unter dem Vorwande, daß er als Vaſall des 


h 


| 


232 Granfreich bis 1589 | | 


deutfchen Kaffers Otto nicht König von Frankreich fein Fönne, von der Nachfolge 
ausgefchloffen wurde. So trat an die Stelle ber Karolinger der Stamm der Ca⸗ 
petinger (f. d.). ‘Der Staat felbft war eine durch die Feudalariſtokratie bes 
fchränfte, kraftloſe Monarchi⸗. Es waren nämlich aus den Erwerbern der vertheil⸗ 
ten Zänderbeute, die unter Karl dem Kahlen ſchon den erblichen Befig erlangt hate 
ten, mitten unter einem zahlreichen Dienft: und Kriegsadel, vierzig mächtige Va⸗ 
fallen entfianden, und der Inhaber der Krone herrfchte nur als primus inter pa- 
res. Daher mußten die Könige jedes Vorrecht der Krone den flogen Baronen fo 

lange gleihfam abfämpfen, bis fich endlich aus diefem formlofen Zuflande die 
Etats generauz entridelten. (Bol. Franzöfifche Staatsfunft) 

8) Die Befefligung der Monarchie und die Ausbildung ber 
Feudalftände (9871328). Schon die Erbfönige der erften capetingifchen 
Saupelinie beſchraͤnkten die Macht der Kronvafallen, indem fie fich mit einzelnen 

roßen gegen die übrigen, und mit der Kirche gegen die weltlichen Bafallen übers 
haupt verbanden. - Dadurch erwarben fie Kronländer und Regalien. Der Staat. 
felbft umfaßte in der Mitte des 12. Jahrh. nur ein Areal. von 8 bis 9 der heutigen 
Departements, mit etwa IE Mill, Einw. Er enthielt die Städte Amiens, Laon, 
Beauvais, Paris, Dielun, Orleans, Nevers und Moulin. So weit herab war 
das eigentliche Beſitzthum der Krone durch die Anmafungen der herrfchfüchtigen 
Großen geſchmolzen. (Die jegige Bewölkerung diefes Bezirks beläuft fich auf 8 
Mil.) Damals befaßen namlich: 4) Thierry D’Alface, Graf von Flandern, mit 
oberberrlicher Gewalt, 46 der heutigen Depart., die jet 6,600,000 Einw. haben; 
2) Thibaut, Graf von Champagne, 71 Depart. mit den Städten Mesieres, Cha: 
lons, Troyes, Chaumont, Chartres und Blois, mit 1,800,000 Bewohnern; 3) 
der Herzog von Burgund 6 Depart. (das ——— Burgund und die Franche⸗ 
Comte) mit 2 Mill. Einw. Der ganze mittägliche Theil von Frankreich gehörte 
mehren fouverainen Großen, als den Grafen von Touloufe, Languedoc, Lyon, 
Provence u.a.m. Doch der bedeutendfte Theil war der des Kbnigs von England 
(Heinrichs II.), welcher 28 der heutigen Depart, befaß, die jeßt von 104 Mitt. 
Menfchen bewohnt find. Dabin gehörten Nantes, Bretagne, Gueret, Limoges, 
alle Provinzen von der Mündung der Saronne bis zu ihrem Urfprung, von Car: 
eaffonne bis Bayonne, und im Norden Boulogne. Alle diefe Linder mußten nach 
und nach von den Königen der Krone wieder erworben werden. . Die Kreuzzuͤge 
begünftigten ihre Entwürfe, Indem feit der Eurzen Verwaltung des Abts Suger, 
unter Ludwig VI. (flarb 1187), das allmälige Verſchwinden der Leibeigenfchaft 
und das Emporfommen freier Stadte das bürgerliche Dafein des Volks vorbereites 
ten. Unter Philipp II. Auguft (1180 — 1223), dem Eroberer, wurde die Zahl 
der Pares regni auf 6 geiftliche und'6 weltliche beſchrankt. Darauf gab Lud: 
voig IX., der Heilige (1270), durch, die Einführung einer neuen Rechtspflege der 
Fonigl, Würde mehr Kraft. Ein neues Gegengewicht gegen den Sefchlechtsadel 
entftand unter Philipp IM. (ft. 1285) durch die Ertheilung des Briefadels. Moch 
wichtiger war unter Philipp IV. dem Schönen (ft. 1314), die Einführung des 
“dritten Standes (Tiers-etat), oder der Abgeordneten der Städte in Die Reichsver⸗ 
ſammlung der Seiftlichkeit und des Adels, feit 1301. (S. März: und Mais 
eld,) Mit Hülfe diefer Feudalfiinte widerfland ſchon Philipp IV. dem Interdicte 
onifaʒꝰs VILl., 1302, und der Priefterfchaft. Derfelbe Philipp dehnte die Gerichts: 
barkeit des parifer Parlaments über fimmtliche Kronländer aus. Aber das Ganze 
befand noch immer aus widerftrebenden Theilen, und die graufame Bertilgung der 
Templer, 1314 (f. d.), ift nur Ein Zug aus der Sefchichte eines Zeitalters, in 
welchem nicht das Recht herrfehte, fondern Gewalt und Unterdrüdung. 

4) Frankreichs Kriegsmacht und Eroberungspolitif. Unter den 

Dalois, der zweiten Linie des Mannsſtammes der Capetinger (1328 — 


⸗ 





Frankreich bis.1589 | 233 


1589), welche, mit Benehthigung der Stände, in der Perfon Philipps VI. (Eine 
fels Philipps Ill.) zur Thronfolge gelangte, warb der Feuerbrand des. Kriegs mit 
England in das formlofe Gebaude der franzöfifchen Monarchie geworfen, welcher 
den Seift des Aufruhrs im Adel entzündete, die Krieger in-Rauber und die 
Bauern durch den Druck des Elends in wilde Tiere verwandelte. “Der König von 
England, Eduard III., machte nämlich, als Philipps IV. von Frankreich Tochter: 
fohn, Anfprüche auf den franz. Thron, indem das falifche Geſetz, welches die weib⸗ 
lichen Nachkommen davon ausfchließt, noch nicht Reichsgefeß war, Während er, 
der Sieger bei Crech, Calais eroberte (1347) und den gefangenen König Johann 
den Guten nöthigte, im Frieden zu Bretigny (1360) Guienne und andre Provin: 
yen an England abzutreten, wurde Frankreich von den Räuberbanden der Camerad⸗ 
ſchaften geplündert, und die Jaquerie, ein Haufe wwüthender Bauern (um 1358) 
fättigte eine. unmenfchliche Rache in dem Blute des Adels. Nur augenblicklich 
flellten Karl V., der Weife (fi. 1380), und fein Sonnetable, der tapfere du Gues⸗ 
din, die Ordnung twieder her. “Denn es kamen unter dem wahnfinnigen Karl VI, 
(ft, 1422) die Zeiten der Armagnacs über Franfreich: ein Bürgerfrieg der Großen, 
von Orleans und Burgund mit Meuchelmord geführt, in welchem Heinrich V. von 
England, als Gemahl der Tochter Korls VI. und mit Zurüdfegung des Dau= 
phins, nachherigen Königs Rarls VII., die Erbfolge in Frankreich erlangte, Hein⸗ 
rich V. flarb noch vor Karl VI,, und fein minderjähriger Sohn, Heinrich VI, 
ward vom größten Theile Sranfreichs als König anerkannt, auch fogar (1431) in 

Paris gekrönt. Da begeifterte, mitten unter der Zügellofigkeit des Kriegs, des 
Parteigeiftes und der Ditten, eine. Jungfrau (f Jeanne B’Arc) die Franzofen 
für die Sache des Dauphin 1429, und die Engländer verloren in Frankreich Alles, 
was fie befaßen, bis auf Calais. In diefer Zeit vermehrten die Könige den Laͤn⸗ 
derbefig der Krone, 3.8. Philipp Vi, 1349 durch den Erwerb der Daupbind; 
und der Krieg berechtigte fie, Steuern zu erheben, ohne die Einwilligung der 
Stände. Hierauf gründete zuerft Karl VII. 1444 ein flehendes Heer. Seits 
dem ſtrebten die Könige immer planmäßiger, durch Unterdrädung der fländifchen 
Rechte, nach unumfchräntter- Gewalt im Sinnern, und zugleich, um den Eriegeris 
ſchen Seift der verwilderten Nation auf Beute hinzulenken, nach auswärtigen Ers 
oberungen. jenen Zweck erreichte vr Lift und Gewalt die defpotifche Staats: 
Eunft Ludwigs XI. (1461 — 85), deffen Regel war: „Dissimuler, c’est regner”, 

Unter ibm entfland der 280 Fahre fortdauernde Zwiefpalt mit dem Haufe Habs: 
burg, als diefes die burgundifche Erbſchaft nach Karls des Kühnen Tode (1477) 
erwarb. (©, Niederlande) “Dagegen erzwang fein Sohn und Nachfolger, 
Karl VII. (fl. 1498), die gen der Erbin von Bretagne und die Vereinigung die⸗ 
fes Herzogthums mit Frankreich. Hierauf ſchloß er mit Oflreich den Frieden zu 
Senlis 1493 und unternahm 1494 den Eroberungszug nach Neapel, als Erbe 
der Anfprüche des Haufes Anjou. Damit begarın die Eroberungspolitik der franz, 
Könige gegen Italien, Deutfchland und die Niederlande, yooraus zuleßt das neuere 
politifche Syſtem von Europa hervorging. Er war der legte Balois der Haupt: 
linie. Ihm folgte ein Seitenaft diefes Stammes, das aus Orleans, 1498, 
Der gutgefinnte Ludwig XII. (f. d.), vermäblt mit Anna, Erbin von Bretagne, 
kannte nicht den Macchiavellismus feiner Vorfahren, und das Land verdanfte ihm 
Vieles für feine innern Verhaͤltniſſe; allein die Sucht, feine Staaten zu vergrö- 
fern, verwidelte ihn in nachtheilige Kriege. Zwar behauptete er feine Familienans 
frrüche auf Mailand durch die Beſitznahme diefes Herzogthums; auch eroberte und 
theilte er das Königreich Neapel mit Ferdinand. dem Katholifchen von Spanien; 
aber bald ſah er ſich mit dem Bundesgenoffen felbft im Zwiſt, der ihm feinen Ans 
theil entriß, ſowie er in dem Kampfe gegen die vom Papft Julius 11. wider ihn mit 
Spanien, Hftreich, England, Helvetien und Venedig gefliftete Ligue uch Mai⸗ 


234 Sranfreich bis 17189 
land und die Lehnshoheit über Genua verlor. Sein Nachfolger, Franz T., 
(1516 47) und deffen Sohn, Heinrich II., befämpften in 5 Kriegen die Macht 
Karls V. und Philipps I1.; allein vergebens ſchloſſen fie einen Bund mit der 
Pforte. Dagegen vereinigte Franz I, das Herzogthum Bretagne (vgl. des 
Grafen Daru „Histoire de Bretagne”, Paris 1826, 3 Bde.) auf immer mit der 
Krone und machte die konigl. Gewalt unumſchraͤnkt, indem die mächtigen Vaſallen 
Hofbedienungen annahmen, und ſelbſt das Parlament ſich allmaͤlig des Königs 
Willen fügen lernte; Heinrich 11. aber gelang es, den Englandern Calais (1558) 
zu entreißen und im Bunde, den er für die deutfche Freiheit mit Morig von Sach: . 
fen gefchloffen hatte, die deutſchen Bisthümer Dies, Toul und Verdun zu erobern, 
Unter Franz I. (f. d.) nahm mit Verbreitung der Reformation die Religionsver: 
folgung auch in$ranfreich ihren Anfang, Er und feine Nachfolger, Heinrich I. 
(1547 — 59) und Franz Il. (fl. 1660, f. d.), ließen die Calviniſten verbrennen. 
So wenig milderte die unter Franz I. in Frankreich aufblübende Bildung des Geis 
fles und der Sitten den graufamen Charakter des Fanatismus! übrigens wurde 
jest der Anfang zu den Staatsfchulden gemacht, deren ungeheure Laft nach 250 
Jahren den Thron umfhürzte, und ein Geiſt der Intrigue, mit Unſittlichkeit gepaart, 
verfchaffte den Frauen einen gefährlichen Einfluß auf Hof- und Staatsangelegen: 
beiten. Karls 1X. Regierung (welche während feiner Minderjährigkeit die Königin: 
Mutter, Katharina von Medici, führte) zeichnete fich durch die Blutſtroͤme aus, 
welche in den Religiongfriegen feit 1562 Sranfreich befledten. (S. Bluthoch⸗ 
eit.) Die Herrfchfucht der Guiſen verdrängte die Prinzen von Geblüt, die 
urbons, weil fie Hugenotten waren, ‚aus der Nähe des Throns, und trachtete 
endlich, diefen felbft zu befteigen. Der Eraftlofe Heinrich IN. ließ den Herzog von 
Guiſe meuchlings, und deffen Bruder, den Sardinal, im Sefängniß ermorden - 
(1588). Dies war für die Liguiften in Paris die Kofung zum Königsmord (1589). 
(S. Heinrich IE. und IV.) Bol. Mignet: „Hist, de la ligue et du regne de 
Henri IV.” (65 Bde., Paris 1829). Ä | 
55 Franfreich eine europäifhe Hauptmacht unter den Bour: 
bons bis 1789, Zweihundert Jahre vor der Revolution beftieg der erfte 
Bourbon aus Sapet’s Stamme, Heinrich IV., der Große, König von Na: 
sarra, den Thron von Frankreich. Er brachte wieder Ordnung in das Chaos, be; 
Eannte fich zur katholiſchen Religion und ftellte feine alten Shlaubensgenoffen unter 
den Schuß des Edicts von Nantes (1598). Im Verein mit dem weifen Bully * 
arbeitete Heinrich raftlos für des Neiches Wohlfahrt. - Die Franzoſen erhielten die 
erfte Ahnung von der Wichtigkeit des Colonialweſens; Pondichery in Dftindien, 
Martinique, Suadeloupe, Domingo in Weftindien und Quebeck in Nordamerifa 
wurden von ihnen befeßt. Mach Heinrichs IV. Ermordung (1610) ſchwankte das 
franz. Regierungsfuftem unter Ludwig XIII., bis ihm der Premierminifter, Cars 
dinal Richelieu (f.d.), eine fefte Richtung gab. Der dreißigjährige Krieg ward 
von ihm zur. Schwächung Öftreichs und Spaniens benußt. Im nnern erſchuf 
er jenes Syſtem von unbiegſamem Defpstisinus, welches die Autofratie in Frank: 
veich vollendete, aber zulegt den Throm untergrub. Die Reichsftinde waren 1644 
das letzte Mal verfammelt worden. Nicheliew’s Plane brachte Mazarin unter 
Ludwig XIV. (f. beide Art.) zur völligen Reife. Der meftfälifche Friede (1648) 
verfchaffte Frankreich Elſaß, den Sundgau und die Beſtaͤtigung des Befißes der 
Bisehümer Meg, Toul und Berdun: der pyrenüifche Vertrag (1659) mit Spa⸗ 
nien vereinigte einen Theil der Niederlande und die Grafſchaft Rouffillon mit 
Frankreich. Nach Mazarin’s &ode (1660) und dem Sturze des Oberauffehers 
der Finanzen, Fouquet (1661), erhob Colbert (f. d.) Frankreich auf eine hohe 
Stufe der Eultur und des Wohlſtandes. eine großen Ideen wußte er überall 
mit einer immer fiegenden Thätigkeit zu verwirklichen. Neben ihm ordnete Lou⸗ 


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Frankreich bis 1789 - 235 


vois (f. d.) Das Heerweſen; die Feldherren Turenne, Luxembourg, Catinat, 
Boufflers, Bendöme feffelten den Sieg an Sranfrichs Fahnen, und Bauban ums ' 
ghrtete den Staat mit Feſtungen. So Eonnte Ludwig in den großen Welthändeln 
eine entfcheidende Stimme führen, .. Aber die Aufhebung des Edicts von Mans 
tes (1685) °), Die Einmifchung in fremde Händel, und vor Allem der fpanifche 
Erbfolgefrieg (1701 — 18), zernichteten Frankreichs Größe. Ludwigs Minifter 
und Feldberren waren todt, und fein Sabinet lenkten der Beichtvater le Tellier 
und die Frau von Maintenon (f. d.). Als Ludwig, den die Sranzofen, gleich 
Heinrich IV., den Großen nennen, ftarb (1715), betrug die Schuldenlaft nicht wes 
niger als 4500 Mill. Livres. Ihm folgte fein Bjühriger Urenkel, Ludwig XV. 
Die Regentſchaft des Herzogs von Orleans, Law's Actienfoftem, die Verwaltung 
des verrufenen Dubois, das Jjährige Minifterreich des Herzogs Ludwig von Bours 
ben, die mufterbafte Wirtbfchaft und redliche Politik des ehrwuͤrdigen Fleury, der 
nachtbeifige Einfluß der berüchtigten Marquiſe von Pompadour und das thatens 
reiche Leben ihres. Guͤnſtlings, des Staatsminifters, Herzogs von Choifeuls dies 
find die Hauptpunfte in dem Gemälde jener Zeit, wo die NBohlfahrt des Reichs 
und das Glüd ‚feiner Bewohner allen Leidenfchaften mehr als je zum Spiele diens 
ten. Die Ermwerbimgen von Lothringen und Corfifa, die wechfelnde Ebbe und Flut 
in Sranfreichs Colonialweſen, worauf befonders der aachener Friede (17148) und 
der von Paris (1163) bedeutenden Einflug hatten, die Folgen der Kriege über, die 
polnifche Königswahl (1733), gegen Oftreichs Erbfolgegefeß (1740) und für Oft 
reich feit 1786— 63, die Aufbebung des Sefuitenordens, der Familienbund der 
bourbonifchen Häufer, der immer mehr zunehmende Defpotismus, welcher vorzügs 
lich in den zahlloſen Lettres de cacliet, diefem Mittel höchfter Schwäche und feis 
gr Gewalt, fich ausſprach; Namen endlich, wie Montesquieu, Buffer, Boltaire, 
uffeau ıc.: dies find die Merkwürdigkeiten der Regierung Ludwigs X V., der 
durch Verſchwendung aller Art, durch unfinnige Unternehmungen, durch fein Hin⸗ 
geben an Deenfchen, die mit feinen Pflichten ein fchredliches Spiel trieben, dem 
Bolfe eine niederdrüdende Abgabenlaft aufge bürbdet und Schulden auf Schulden 
gehäuft Hatte. (Vgl. über ihr Zeitalter d. Art. Ludwig XIV. und XV.) Unter 
f. Enkel und Nachfolger, Ludwig XVI. (11774— 92, ſ. d.), gefchah manches 
Gute. Aber Alles, was Maurepas und Vergennes, Turgot und Neder thaten, 
war doch nur Palliativ gegen ein unbeilbares übel. Durch feine Theilnahme an 
dem Sreibeitsfampfe der Amerikaner gegen England (1773— 83) befchleunigte 
Frankreich den eignen Untergang. Meder verließ. den geführlichen Poften eines * 
nanzminiſters, und fein Nachfolger Calonne wußte mit unnachahmlicher Gewandt⸗ 
heit die Verlegenheit des öffentlichen Schatzes noch eine Zeitlang zu verhüllen. Auf 
feinen Vorſchiag wurden endlich die (146) Notabeln des Reichs nach Verſailles bes 
rufen (22. Febr, 1787); doch, ſchon zu vertraut mit der Stimmung des Volks, 
lehnten fie die Anträge des Minifters, eine Land: und Stempeltare einzuführen, 
ab, indem fie die Zufammenberufung aller Reichsftände als nothwendig erklärten. 
Calonne erhielt Hierauf feinen Abfchied, umd Brienne, Erzbifchof von Sens, wurde 
erfter Miniſter. Um den jährlichen Ausfall von 140 Mil. Livres zu decken, fchlug 
Drienne große Erfparniffe, neue Auflagen und Anleihen vor; die perfonlichen 
Trohndienfte wurden in Auflagen an Geld verwandelt, und die von Calonne vorges 
fhlagenen Taren wollte der König, nach der Weigerung der Notablen, durch das 
parifer Parlament in einem Lit de justice einregiftriren laſſen. Allein das Par: 


..* Man f. das feltene Werk aus d. Duellen von Aulhieres: „Eclaircissemens 
histor. aur les causes de la rerocation de l’edit de Nantes ot sur l’etat des Pro- 
testans en France etc.” (1788). liberhaupt verlor Frankreich durch die Reben großen 
Answanderungen der franz. Vroteſtanten: 1666, 181, 1685, 1688, 1715, 1724 uud 
1744, Hunderttauſende fleißiger Bürger, große Reichthuͤmer und — feine Sitten. 


236 Frankreich von 1789 bis 4792 


lament vwoiderfeßte fich fo fiandhaft, daß es nach Troyes verwiefen wurde. Bald 
darauf zurücdberufen, gab es ebenfo wenig nach. Selbſt eine Anleihe von 456 
Miu, Livres wurde verworfen, und die Verhaftung des Herzogs von Orleans, der 
an der Spitze der Pairs fland, und zweier Parlamentsglieder, hatte feine andre 
Folge, als dag das Parlament den Mißbrauch der Verhaftsbriefe rügte, worauf 
der König die Abfchaffung aller Parlamente und Einführung eines bloß von feinem 
Willen abhängigen Gerichtshofes (cour pleniere) decretirte. Diefes Werf eines 
Brienne und Breteuil erregte eine allgemeine Unzufriedenheit. Der Adel von Rem 
nes erklärte fogar jeden, ‘der eine Stelle bei dieſem Gerichtshofe annehmen würde, 
für ehrlos. Man fah die ganze Neichsverfaffung dadurch im Innerſten verlegt; 
und nie hatte man lebhafter und mit mehr Theilnahme von Ntordamerifas Bes 
freiung gefprochen als jetzt; Montesqwieu, Voltaire, Diderot, d'Alembert und 
Rouſſeau wurden gelefen, zergliedert, und ihre oft fühnen Gedanken vergleichend 
neben die Wirklichkeit geftell. Dem Principalminifter Eonnte die wahre Lage der 
Dinge nicht verborgen fen; er gab daher der Volksſtimme nach und trug auf die 
Verſammlung der Keicheflände an; einſtweilen follten alle Zahlungen theils eingen 
fihränft, theils um ein ganzes “Jahr aufgefchoben werden. Zugleich nahm er feine 
Entlaffung, denn des Königs Hoffnung war bloß auf den perfonlichen. Credit des: 
berühmten Necker gebaut, der jeßt als Generaldirector der Finanzen und Staates 
minifter zuruͤckberufen wurde. Er fam und fand in der Staarseaffe Frankreichs — 
419,000 Livres baares Seld! Seine erften Schritte waren, daß er die Einſtel⸗ 
Jung der Zahlungen voiderrief, den König zur Wiedereinfeßung det alten Parlamente 
bewog und die Motabeln-abermals verfammelte (5. Nov. 1788), um über bie 
Organifation der Reichsftinde einen Befchlug zu faffen. Im Bortgange der Bes 
‚rathungen verlangte der Bürgerfland (Tiers-Etat), mit den beiden privilegirten 
Ständen, dem Adel und der Geiftlichfeit, in gleich ftarfer Anzahl repräfentirt zu 
werden, und das Parlament bat den König um gleichfürmige Bertbeilung der Aufe 
lagen auf alle Stände, um Preffreiheit und um Abfchaffung der Berhaftsbriefe 
(Leitres de cachet), indem zugleich die Pairs und der Adel allen bisherigen Bor: 
rechten entfagten und freimillig ihre Befißungen für fleuerbar erflärten. + Hierauf. 
wurden die Reichsflände auf den 1. Mai 1789 befchieden: zum erften Male wieder 
‚ feit 175 Jahren, Das Gefchäft der Deputirtenwahlen feßte ganz Frankreich in 
heftige Berwegung, und in Paris fprach man bereits laut von „Bolfsfreunden und 
Volksfeinden. Der Reichstag ward am 5. Mai in Berfailles vom Könige mit 
einer Rede vom Throne eröffnet. Die Frage, ob nach Köpfen oder Ständen ges 
flimmt werden follte, führte zu heftigen Debatten; der Bürgerftand, zu deſſen “De: 
putirten auch Mirabe au (f.d.) gehörte, gab fich (d. 17T. Juni) auf des Abbe Sieyes 
Kath, den Namen Nationalverfammlung; ein Theil des Adels und der Geiſt⸗ 
lichkeit vereinigte ſich mit derfelben, und — die Revolution war entfchieden. 

IM. Frankreich von 1789 bis 1814, oder die franzdfifche Revo— 
Iution bis zur Reflauration im Jahre 1814. — Die franz, Revolution 
macht eine Hauptepoche in’ der Gefchichte der bürger!. Sefellfchaft. Wer fie als 
ein zufällig entflandenes Ereigniß anfieht, hat weder in die Vergangenheit geblickt, 
noch Eann er In die Zukunft fchauen. Aus Leidenfchaft.und Vorurtheil hält er eine 
Degebenbeit, die aus dem Schoße von Jahrhunderten hervarging, für das Werk 
der Menfchen des gegenwärtigen Augenblids. Er. nimmt die Schaufpieler für 
das Stuͤck. So beurtheilte Frau von Stael in. ihren „Gonsiderations sur les 
principaux evenemens de la revolution frangrise” (womit, Bailleul's „Exa- 
men critique” diefes Werks zu verbinden iff) jene große Begebenheit. Nicht 
Zufälle von geftern haben die Baftille geftürzt und Maupeous Edict an die Par: 
lamente zerriffen; nicht das Deficit, nicht die Berufung der Stände, haben die Feu- 
dalmonarchie zerſtort; auch ohne die Verdoppelung des dritten Standes würde die 


Tranfreich von 1789 bis 1192 _ 237 


‚Revolution entſtanden ſein. Das Deficit war nicht die Urſache, es war eine Folge; 
Diefelbe Regierungsweiſe/ welche jenes Deficit hervorgebtacht hatte, wuͤrde bald ein 
andres erzeugt haben: denn Verſchwendung iſt die meue Seführtin der Willkür! 
Der Haß wegen Bedruckungen trieb das Bolt zum Aufftande hin, es erfkirmte die 
Battille,; man fonnte das Volk mit'KRartätfchen zerfireuen; allein es wärde dens 
noch die Zwingburg, wenn auch naht heute, doch morgen zerfiort haben. Nicht 
durch Kanonen, um Druck und Willkür zu befchüßen, ſondern wenn man beiden 
ein Ende macht, fiellt man einen dauerhaften Frieden.voieder her. Ludwig XVI. 
£onnte die conftituirende Verſammlung mit Baporinetten auseinanderjagen; er 
wuͤrde dennoch das Bedürfniß der Freiheit nicht aus den Köpfen und aus den Her- 
zen der Nation geriffen Haben. Nicht die Dienfchen aus der legten Hälfte des 18. 
Jahrh., fondern alte Mißbräuche, Leidenfchaften und Vorurtheile haben die Re 
volution gemacht. Die als Hüuptlinge darin auftraten, waren nicht ihre Urheber, 
fondern nur ihre Werfzeuge. Die wahren Urheber ter Revolution find gervefen der 
Kardinal Richelieu und feine Tyrannei, Mazarin und feine, Arglift: Jener machte 
den Thron verhaßt, diefer machte ihn verächtlih; dann Ludwig XIV. und feine 
Verfehwenterifche Pracht, feine unnuͤtzen Kriege und feine Dragonaden! Die wah⸗ 
ren Urheber der Revolution find geweſen die unumſchraͤnkte Gewult der Regierung, 
defpotifche Minifter, ein übermätbiger Adel, babfüchtige Guͤnſtlinge und das Raͤn⸗ 
fefpiel der Maitreſſen. Aber Nevolutionen, aus Haß erzeugt, von der Leidenſchaft 
enährt und von der Selbſtſucht geleitet, geben nicht die Freiheit, fie geben nur 
Sammer und Elend; den Altar der Freiheit kann allein- das Gefeß der Ordnung 
aufrishten, fowie das Gefeß der Drdnung nur aus der Freiheit entfpringt. Darum, 
ihr Völker, fürchtet die Revolutionen; aber wehe der Regierung, welche fie durch 
illkũr und IIngerearigfeit hervorruft! — Daß aber die franz. Revolution in ihrer 
Entwidelung .einen fo bösartigen Charakter, den des Despoticmus der Anarchie, 
wie mar die Politik der Jakobiner bezeichnen kann, und den der gröbften und wil: 
deften Ausſchweifung der Selbftfucht und Grauſamkeit, bei gänzlicher Erſtarrung 
des fittlichen Sefühls, annahm: wer trägt davon die Schuld ?_ Hatten nicht Prie⸗ 
ſter diefes Volk erzogen, welches den Altar umſtürzte? Hatten nicht Miniſter und 
Hofleute, Stantsmänner im Sardinalspurpur, Prinzen, weiche ſich ronts (Lieder⸗ 
liche) nannten, und Hofdamen die Sitten der Hauptftade durch ihr Beiſpiel feit den 
Zeiten der Regentfchaft vergiftet und das Volk verführt, dag es in Ruchlofigkeit 
verfiel? Frammelei und Wolluft, Uppigkeit und geſetzloſe Willkür verbreiteten fich 
aus dem Hofleben in die höhern Stände und verpefteten endlich den fittlichen Zu⸗ 
fland des Volkes fo, daß es flatt der Freiheit Die Frechheit umarmte und für feine 
wilden Selüfte feinen Zügel mehr kannte ). — In dem Fortgange der franz. Re⸗ 
volution bemerkt man drei verfhiedene Richtungen: die monarchifche, die demokra⸗ 
tifche und. die militairifhe. Man kann daher folgende Abſchnitte machen: 
A Bon derconftituirenden Nationalverfammlung bis 
zur Errihtung der Republik (17. Juni 1789 bis 21. Sept. 1792). 
Die Nationalverfammlung beftand aus 600 Abgeordneten vom dritten Stande, 
300 vom Adel und 300 von der Geiſtlichkeit. In ihrem Schoße entrwidelte fich 
aus dem Kampfe der Nichtprivilegirten mit den Privilegirten, der unterdrüdten 
Bolksrechte mit den Feubalvorrechten des Adels und der Priefterfchaft, allmälig’der 
Widerftand gegen den Thron felbft, welcher das Feudalweſen für feine Bafıs bielt. 
Sn dem Augenblide, in welchem die Volksvertreter gegen die Befchlüffe dee Königs 
ihre Berfammlung fortfeßten und den feierlichen Eid ausfprachen:- daß fie nicht 
eher fich trennen wollten, als bis die Conſtitution vollendet fei (20. Juni 1789); 
als der Bürgerftand (28. uni) unter den Augen des Königs fein Recht behaup⸗ 
®) Aus den „Memoires du Duc de Lauzun“ kann man die zügellofen Sitten 
in der Zeit vor der Revolution kennen lernen. 


238° Frankreich von 17189 bis 4792 


tete, und der geängflete König endlich felbft dem Adel und der Seiftlichkeit befehlen 
mußte, fich mit dem dritten Stande zu vereinigen (27. Juni): da war der bisheri⸗ 
gen Alleinherrfchaft das Urtheil gefprochen. Hatten diefe Schritte des Monarchen - 
feine Annäherung an die Sache der Nation wahrfcheinlich gemacht, fo mußte die 
Zufammenziehung eines Heeres von 20,000 Dann, unter dem Marſchall Broglis, 
fowie die plogliche Verabfchiedung Meder’s, die Siemüther um fo mehr aufreizen. 
Die Sturmgloden ertönten, und als der König dcs Verlangen, die Truppen aus: 
einandergehen zu laffen, verweigerte, entfland in Paris, wo Camille Desmoulins 
(guillot. 5. April 1794) das Volk bearbeitete, ein Aufruhr. Die Baftille ward er⸗ 
obert (14. juli 1789), eine Nationalgarde unter Lafayette errichtet, und Ludwig 
enöthigt, Necker zurüdzurufen, feine Truppen zu entfernen und die dreifarbige 
ationalcocarde aufzufteden, wofür ihm nach der Sißung der Nationalverfamm: 
lung vom 4. Aug., woorin, auf des Bicomte von Noailles einmüthig angenommes 
nen Borfchlag, das Feudalfpftem aufgehoben ward, der Titel: Wiederherfteller der 
Freiheit, gegeben wurde. Während in diefem Sturme der Leidenfchaften „die 
echte des Menfchen” feierlich anerkannt wurden, nahmen die Thon begonnenen 
Ausmwanderungen täglich zu, aber auch die Gewaltſamkeiten. Die Brotnoth in 
Paris erregte eine Gaͤhrung, welche das Gerücht von dem Bankett im Opernhauſe 
zu Berfailles bis zur Wuth gegen den Hof und die Königin fleigerte. Ein Volks: 
baufe 309 von Paris nach Verfailles, den 5. Det., und nöthigte den König mit ſei⸗ 
ner Familie, am 6. feine Reſidenz in die Tuilerien zu verlegen. Ihm folgte ans 
49, die Nationalverfammlung, Am in Paris dem Staate eine gefeßlich freie Ver⸗ 
faoffung zu geben. Die neue Eintheilung Frankreichs in 83 Departemente, die 
Einziehung aller, auf 3000 Millionen angefchlagenen, Güter der Geiſtlichkeit, die 
Berwandlung des bisherigen Titels „König von Frankreich und Navarra” in „Kb: 
nig der Franzoſen“, die Bildung der Parteien in Clubbs, unter welchen der der 
Jakobiner (f. d.) der mächtigfte wurde, die Annahme einer neuen Conflitution 
von Seiten des Königs, der Bürgereid: „der Nation, dem König und dem Sefeße 
treu zu fein und die Conſtitution aufrecht zu erhalten‘, die romantifche Feier des 
Bundesfeftes auf dem Marsfelde (14. Juli 1790), waren die Hauptmomente im 
erften Acte diefer ungeheuern Ummälzung aller Verbältniffe. Die Beflimmung 
der Eivillifte für das Hausmwefen des Monarchen (25 Mill, Livres jährl.), die Er- 
Elärung der königl. Domainen und der geiftlichen Befißungen für Nationalgüter, 
die Aufhebung des Unterfchieds der Stände, der Geburt und Titel, die Einziehung 
der Klöfter und Penſionirung ihren bisherigen Bewoͤhner, das Decret, daß die 
GSeiftlichkeit den Bürgereid ſchwoͤren folfe, die Errichtung eines hohen National: 
erichts für die beleidigte Majeſtat der Nation, die Abfchaffung der Abgaben auf 
der, DI, Seife, Stärke, Salz und Tabad, die Verlegung der Accife (Douane) _ 
aus dem Innern an die Örenzen, die Einführung der Orundfteuer, der Gewerb⸗ 
fcheine, der Stempel: und Protocollgebühren, und das Decret zur DVerfertigung der 
Affignaten auf Mirabeau’s Vorſchlag: diefes wwaren die hauptfüchlichten Der- 
fügungen der Nationalverfammlung in jener erfien ‘Periode. Der zweite Act be: 
gann mit der Verordnung der Nationalverfammlung, daf der König fich nicht über 
. 20 Stunden von Paris entfernen dürfe, und daß er, wenn er das Reich verließe 
und auf die Einladung der Nationalverfammlung nicht zurückkehre, des Thrones 
verluftig fein folle. Die Berbrennung des Papftes im Bilde, zu Paris, gab das 
Zeichen zu der Revolution im Religionsmefen, und der Clubb der Eordeliers (die 
Partei Marat, Danton u. X.) verbreitete unter dem Volke Haß gegen den König. 
Nun entfloh Ludwig aus Paris; er ward aber von Barennes aus (25. Yuni 1791) 
zurüdgebracht. Raum vermochte er dadurch, daß er die neue Conſtitution vom 
3. Sept. 1194, die ihn zum Oberhaupte der Land= und Seemacht erklärte und 
ihm zu Negierungsgehülfen 6 Miniſter beigab, in der Nationalverſammlung am 


Frankreich von 1189. bis 4792 238 


14. Sept. beſehwor, das anfgebrathte Volk wieder zu befänftigen. Hierauf ſchloß er 
(30. &ept.) die Sigungen der conftituirenden Nlationalverfammlung. An ihre 
Stelle trat d. 1. Det. 1791 die legislative Mationalverfammiung. Unterdef: 
fen war die Zahl der ausgewanderten Adeligen und Seiftlichen fehr angewachſen. 
. Unter ihnen befanden fich die Brüder des Königs, die Grafen von Provence und 
Arteis; Prinz Tonde mit feinem Sohne und Enkel, den Herzogen von Bourbon 
und Enghien, und der Marſchall von Broglio. Sie fammelten zu Koblenz und 
Worms franz. Linientruppen, und fanden Unterflügung bei mehren deutfchen 
Fürſten (Würtemberg, Zweibrüden, Baden, Darmſtadt und Speier), welche 
bisher Befißungen auf franz. Boden gehabt, fie aber Durch die Bereinigung derfel: 
ben mit dem neu conflituieten Frankreich verloren hatten, und, ungeachtet der Ber: 
wendung des Kaifers und des Reichsſchluſſes, dag dieſes Derfahren Frankreichs 
friedensfchlußmwitrig fei, bloß die Hoffnung einer Entſchaͤdigung erlangen fonnten. 
Sowol Das als auch die Beforgniß, daß Frankreichs ſchwaͤrmeriſcher Eifer für Frei⸗ 
beit und Sleichheit und das Beſtreben der Jakobiner nicht ohne Einfluß auf die 
Gefinnungen andrer Nationen bleiben möchten, veranlaßte, nebft dem Antheile, 
den das Haus Dftreich und andre Regenten an dem Schickfale Ludwigs X VI. nah: 
men, den Entfchluß, mit der Gewalt der Waffen die Bourbons zu retten, und eine 
Flamme zu erſticken, von der eine allgemeine Zerftörung der beftehenden Orbnung 
der Dinge zu befürchten war. “Doch war die Erklärung, welche ſtreich und Pren⸗ 
ßen zu Pillnig den 27. Aug. 1791 an die Brüder des Königs erliegen, nur allge 
mein und bedingt. .Die Nationalverſammlung fprach laut ihre friedlichen Geſin⸗ 
nungen aus und deeretirte: daß Frankreich nie einen Eroberungskrieg führen wolle. 
Defto größer war der Haß des Hofadels und der meiften Cabinette gegen die Grund: 
füße der neuen Ordnung in Frankreich. Selbſt Ludwigs Erklärung an die ausmär: - 
tigen Mächte, daß er freiwillig die Sonflitution angenommen babe, Eonnte fie Tamit 
nit ousfühnen. Rußland und Schweden verbanden fich ausdrüdlich (19. Der. 
1791) zur Wiederherftellung der ausgermanderten Prinzen. Vergebens erließ Lud⸗ 
wig Abmahnungsfchreiben an feine Brüder und Decrete gegen die Auswanderer; 
diefe fuhren fort, unter Begünftigung deutfcher Fürften und Rußlands, ein royali- 
füfches Heer zu bilden. Als nun in Paris das von Öflreich und Preußen zu Berlin 
am". Febr. 1792 abgefchloffene Schugbündniß befanne wurde, gewann die Partei, 
welche in der zweiten Nationalverſammlung den Krieg mollte, die Oberhand, und 
auf des Miniſters Dumouriez Vorſchlag erflärte Franfreich dem Königevon Ungarn 
den Krieg (20. Aprıl 1792). Jetzt traten zu dem Bunde gegen Sranfreich, außer 
und Sardinien, auch noch Rußland, d. 14. Juli 1792, und 1793 das deut: 
ſche Reich. Während diefes Krieges erhob fich in Paris die Partei der Jakobiner. 
Sie wollten den Thron umflürgen und beberrfehten Burch ihren Einfluß dir Natio⸗ 
nalverſammlung. Ihr Angriff auf die Tuilerien (10. Aug.) entfchied den Sieg für 
die Demokratie. (S. Petion.) Der ungtüdliche Ludwig wurde von.der Na⸗ 
tionalverſammlung als Berräther des Baterlandes angeflagt und mit feiner Familie 
gefangen in den Temple gebracht. Die Wuth ſtieg bis aufs Höchfte, als die Preu. 
hen in Franfreich vorkrangen und Lafayette das Heer verließ; denn nun verbreitete 
fih das Serücht, dag in der Hauptfiadt die gefährlichfien Feinde ber Freiheit felbft 
lebten, Es erfchien der blutige 2. Sept. (1192), ähnlich dem Tage der Armagnacs 
(12. Juni 1418), am welchem eine Rotte menfchenähnlicher Tiger in Paris mehre 
Taufend Gefangene erwürgte, morauf auch zu Rheims u. a. a. D, ähnliche 
Schreckensſcenen erfolgten. Der Schwur der Nationalverſammlung (4. Sept.), 
„daß fie alle Könige baffe und alle Rönigsmacht, und nie zugeben werte, daß je ' 
ein Fremder den Franzofen Geſetze vorfchreibe‘‘, hatte zur nächften Folge, daß der 
ationalconvent, der an die Stelle der zweiten Nationalverfommlung trat, 
feine Sitzung am 21. Sept. 1792 mit dem Defchluffe eräffnete: das Konigthum 





210 GWrankreich von 4792 bis 1804 


. fei abgefchafft, und Franfreich fortan eine einzige und untheilbare Republik. 
Mit diefem Tage begann auch die republifanifche Zeitrechnung, weiche Na: 
poleon mit dem 1. jan. 1806 wieder aufbob. 
2) Die Gefhichteder Republit Frankreich bis zur Er: 
sihtung des Kaifertbums (21. Sept. 17192 bis 18. Mat 1804). Sie 
esnachrichten feierten die Geburt der Republik. Cuſtine harte Mainz erobert, Die 
einde hatten den Boden Franfreichs räumen müffen. Dumoureiz hatte bei Je⸗ 
mappes gefirgt. Sofort erklärte der Nationalconvent fich bereit, „allen Völkern 
beizuftehen, die 10 die Freiheit verfchaffen wollten”, indem er den von den franz. 
Truppen befegten Ländern die Aufbebimg aller aus dem Feudalſyſtem herrührenden 
Laſten verfprach. Zugleich erflärte er die Todesflvafe gegen alle Auswanderer und 
verurtheilte Ludwig XVI. (f. d.) Die Mehrheit des Convents war unterjocht 
‚von der wilden Kotte, die in Paris den Kopf des Königs foderte, und in feinem 
Ubermutbhe Findigte der Convent den Königen von England und Spanien und dem 
Erbftatthalter (nicht den Völkern) den Krieg an. (©. Briſſot.) Run traten 
auch Portugal, Neapel, Toscana und der Papft m den Bund gegen die Republik, 
die nur von Venedig anerfannt ward. Zu dem äußern Kriege kam noch der innere: 
die Dendee fland auf, um den Tod des Königs zu rächen. Die Republik ſchien 
verloren. Da umgürtete fie.fich mit dem Schwerte. bes Schreckens und der Ver⸗ 
zweiflung. Die Partei des Berges fehmetterte die Gemaͤßigten, die Girondi- 
ften (f. d.), zu Boden. Ein Revolutionstribunal ward errichtet, und die Schre⸗ 
Eensmänner Danton, Robespierre und Marat (f. d.) regierten die Na⸗ 
tion mit der Buillotine. Maria Antoinette, Königin von Sranfreich, flarb den Tod 
ihres Gemahls (16. Det. 1793); ihr folgten Orleans Egalits und die fromme 
Elifabeth, die großherzige Schmefter Ludwigs XVI.; alle Kirchen zu Paris waren 
geſchloſſen, alle Kirchengerätbfchaften für Nationaleigenthum erklärt, und in der 
ehemaligen Kathedrale feierte man am 10. Nov. ſtatt des Gottesdienftes das Feſt 
der Vernunft! Auch den Eolonien gab man Frankreich demofratifche Verfaſ⸗ 
fung, und allen Negern die Freiheit: die Lofung zur Ermordung der Weißen! 
(S. Haiti.) Am wildeften verfolgte man die Eradeligen. : Man fah in ihnen nür 
den Drud der Borrechte vieler Jahrhunderte und übte jeßt. die Rache der Nieder: 
vergeltung. Neun Monate dauerte das Schreckensſyſtem, während deffen Robes⸗ 
pierre Felle der Natur, dem böchfien Wefen, dem Stoicismus, dem Ruhme 
u. ſ. w. zu feiern befahl, wobei das Blut in Stroͤmen von der Öuillotine und un: 
ter ven Kartätfchen des ſchrecklichen Collot d'Herbois u. X. (befonders zu Lyon, 
Bordeaur, Nantes, Toulen ıc.). fih ergoß. Mit Kobespierre’s Falle (21. Juli 
17194, 9. Thermidor) hörte das Schreckensſyſtem auf. Sogar der Saal des Sa: 
kobinerclubbs war eine Zeit lang gefchloffen, und. das Revolutionstribungl neu ges 
bildet. Der Nationalconvent erkannte feine Volksgeſellſchaften mehr an und de: 
cretirte eine allgemeine Freiheit aller Gottesverehrungen (21. Febr. 1795). Indeß 
£oftete es noch manchen Kampf mit den gegen den Geiſt der Diibigung fich erheben: 
den Schreckensmaͤnnern und Jakobinern (3. B. den 20. Mai 1195). Eine neue 
(die dritte) Conſtitution ward nım als Grundgefetz der franz. Republik erklaͤrt. 
Vergebens ſuchten die Sectionen von Paris das Königthum wiederherzuſtellen. 
Der Convent befiegte fie durch Barras.und Bonaparte (f. d.) am blutigen 
418. Vendemiaire (5. Oct. 1795). Hierauf löfte er ſich am 26. Det, auf, und bie 
Directorialregierung nahm ihren Anfang, (©. A. €. Thibeaude au's 
„Mem, sur la Convention et le Directoire”, Paris 1824, 2 Bde.) Das gefeß: 
ebende Corps befland jetzt aus dem Rathe der Alten (250 Mitgliedern) und dem 
Rathe der Fünfhundert. Das vollgiehende Directorium (Barras, Reubel, Sarnot, 
Lareveillere-2epaug und Letourneur) berubigte die Vendée; allein vergebens feßte 
es flatt der Affignaten Mandate in Umlauf (41. März 17196), Es vermehrte 


Fraukreich von 1702 Eis 1904 24 


dadurch nur Die Finanznoth, welche aus dem dappelten Banfrutte, den’ bie Repu⸗ 
blik gemacht hatte, entflanden mar. Damals hielt das Nationalimftitut der Wi 
fenfchaften (6. Det. 17196) feine erſte Sigung, und ein Nationalkirchenrath, vers 
eidet auf das tridentinifche Condlium,. ward errichtet. Die Revolution vom 18, 
Gructibor (A. Sept. 17197) befeftigte die Macht des Directoriums. 
Waͤhrend jener vielfachen Deränderungen im Innern hatten die franz. Waf⸗ 
fen Savoyen und Nizza, Belgien 2 Mal, Deutfchland bis an den Rhein und die 
Niederlande, erobert. Große Feldherren fiegten an dev Spitze ungeäbter Truppen 
unter Catnot's firategifcher Leitung. Ihrem neuen Kriegsfuftem und ihrer neuen 
Kriegskunſt vermochte die alte europaͤiſche Taktik nicht zu widerſtehen. Die ganze 
Mation wurde in Maſſe aufgeboten, und 18 Heere erfämpften der Republik den . 
Sieg über die. Hanaveraner, Engländer, Holländer, Oftreicher und Preußen, 
Darauf ſchloß Toscana(am 9. Febr. 1795) Frieden mit der franz. Republik. Das 
Gluck der franz. Warfen in den Niederlanden, und zum Theil noch unenthüllte Be: 
gebenbeiten beftimmten auch Preußen ‚" einen &eparatfrieden (6. Apr. 1796) zu 
Bafel abzufchliegen.‘ Spanien folgte am-22. Juli, und Heſſenkaſſel den 28. Aug. 
. Syahres. Darauf ficherte eine Demarcationslinie dem nördl. Deutfchland die 
Neutralitätunter preuß. Schutze. Die Niederländer vereinigten ſich fogar (16. Mai) 
wit Frankreich durch ein Schuß-und Trußbündniß gegen England. üſtreich, 
England und Rußland aber hatten nach den bafeler Friedensſchlüſſen fich feft ver- 
einigt (28. Sept. 1795), um das beginnende libergewicht Frankreichs in feinen Fort? 
ritten möglichft zu hemmen. So glüdlich die Neufranken aufdem feften Lande 
isher gefochten hatten, fo unglüdlich waren fie im Seekriege. England bot alle 
Kräfte auf, um feine Herrfchaft zur See und in beiden Indien zu vergrößern. Doch 
war Pitt's unausführbares Aushungerungsfpftem für andre Staaten nicht weniger, 
nachtbeilig als für Srankreich Auch hatten die Lantungsverfuche der Engländer in 
Sranfreich, zur Linterftüßung der Ropaliften, nicht den erwarteten Erfolg. Aber 
ein großer Theil der franz. Colonien gerieth in englifche Gewalt, und die Angriffe der 
Engländer auf die touloner und brefier Slotten ſchlugen der republikaniſchen Sees 
macht unheilbare Wunden. Öftreich, Preußen und Sardinien führten den Krieg 
größtentheils mit engl, Subfidiengeldern. Dagegen verfchaffte fich das Directos 
rium der Republik durch Requifition der Kriegsbeduͤrfniſſe und durch Papiergeld die 
Mittel, um die auf dem Wege der Tonfeription gebildeten Heere berzuftellen und 
zu erhalten. Die reichſten Hülfsquellen boten die befegten feindlichen Länder dar; 
vorzüglich Holland, Deutfihland und Stalien, Endlich erkaͤmpfte Bonaparte den 
Frieden. Die Siege, melche er 1796 in Italien bei Montenotte, Millefimo, Lodi, 
Arcole, Rivoli und am Tagliamento in 11 Monaten erfocht, führten ungeachtet 
der Siege des Erzherzogs Karl in Deutfchland und des Rüdzugs von Moreau, zu 
den Unterbandlungen gu Leoben (18. Apr. 1797), welchen endlich der Friede von 
Campo⸗Formié {f.d.), 17. Det. 4797, und der zum Abfchluffe des Friedens 
mit dem deutfchen Keiche eröffnete Congreß zu Raflade erfolgten. Unterbeffen bat: 
ten ſich Frankreich und Spanien (19. Aug. 1796) eng verbunden,. weßwegen Eng⸗ 
Iand Spanien den Krieg erklärte, Venedig wurde demofratifirt, dann mit Oftreich 
heilt, Genua in die ligurifche Republik verwandelt, und eine Allianz zwifchen 
ranfreich und Sardinien gefchloffen. Holland verlor dagegen immer mehr Colo⸗ 
stien an England, welches ſich des Alleinhandels bemächtigte; auchntraten Mißver⸗ 
Hältniffe zwifchen Frankreich und Nordamerika ein. Aber die neue Republik zer 
forte ſelbſt dur ihre Eroberungspolitit den Brieden auf dem feſten Londe, Rom 
ward in einen Freiſtaat verwandelt (10. Febr. 1798), Helvetien befiegt, und der 
Gedanke: Britannien, dieſe ewige Feindin Frankreichs, an dem innerfien Nerp, 
‚Feiner Macht, in Indien, anzugreifen, follte durch Bonaparte’s Zug nach Ägypten 
in. Ausführung gebracht werden, Als jedoch Frankreichs lan De Abufir (fd) 


Converſations Lericon. Br. IV, . 


242 Frankreich von 1792 bie. 1804 


durch Nelſon vernichtet war, und fein Feldherr in Syrien nicht Ilucklich kampfte 
bildete fih auf Englands Antrieb und durch deffen Subfidien die zweite Coali⸗ 
tion. Die Pforte erklärte Frankreich den Krieg; der Congreß zu Raſtadt loſte 
ſich nach Ermordung zweier franz. Geſandten auf; Hſtreich und Rußland vereinigs 
ten fich mit der Pforte, und Neapel übernahm die Rache des Papſtes. Nun ers 
drückte die Republik ihren Bundesgenoffen, den König von Sardinien (Dec. 1798), 
um Oberitalien zu behaupten, und die republifanifchen Heere zogen fiegend nach 
Neapel, wo die parthenopäifche Republik errichtet ward. Auch Toscana wurde 
befegt. Aber fehnell wandte fich das Süd. Die. Oftreicher und Ruſſen fiegten 
In 6 Hauptſchlachten und eroberten SJtalien 1799. . Nur Holland und die Schweiz 
wurden, jenes von Brune, diefes von Maffena, behauptet. Da trat Bonas 
parte, von Sieyes und Lucian Bonaparte aus Ägypten jurüdgerufen, .an bie - 
Spitze der Republik. 

Das Directorium ward aufgehoben, und der 18. Brumaire (9. Nov, 
1799) gab Frankreich eine confularifche Regierung und die vierte Conſtitu⸗ 
tion. Diefe näherte ſich der monarchifcehen Form. Drei auf 10 Jahre gewahlte 
und wieder wählbare Confuln wurden an die Spige der Negierung gefielt; der 
erfte von ihnen aber, Napoleon Bonaparte, Eonnte allein die Mitglieder des 
Staatsraths, die Miniſter, die Sefandten und alle Officiere der Land: und Sees 
macht ernennen und abfeßen, auch in allen übrigen Negierungsangelegenheiten ent= 
ſchied er, indem die beiden andern Confuln (Sambactres und Lebrun) nur eine bes 
rothfchlagende Stimme hatten. Die gefeßgebente Macht übten aus das Tribus 
nat von 400, und-das gefeßgebende Corps von 300 Deitgliedern, die jährlich zum 
fünften Theile erneuert wurden. Jenes debattirte über die von den Conſuln vor: 
gefchlagenen Geſetze, diefes entfchied hierauf durch geheimes Stimmengeben; Eeis 
nes der beiden Corps durfte Geſetze in Vorfehlag bringen. Confuln, Geſetzgeber 
und Tribunen wurden nicht vom Volke, fondern von einem Erhaltungsfenat (SE- 
nat conservateur) gewählt, der aus 80, wenigſtens 40 Jahre alten Mitgliedern 
beftand, die nach den Borfchlägen des erften Confuls, des Tribunats und des ges 
ſetzgebenden Corps fich ſelbſt waͤhlten. Alle dieſe Behörden waren keiner Berant 
wortung unterroorfen. Diefe Sonftitution erhielt jedoch im Aug. 1802 einige Abaͤn⸗ 
derungen, als Bonaparte lebenslänglicher Conſul wurde; nunmehr ernannte die Re: 
gierung die Präfidenten der Cantonsverfammlungen und Wahlcollegien, und der 
erfte Conſul feinen Nachfolger und die Senatoren ꝛe. Den gefeßgebenden Körper 
berufte, vertagte, prorogirte die Regierung nach Gefallen. Kaum hatte Bonaparte 
die Zügel der Megierung ergriffen, fo erhielt Alles eine lebensträftige Geſtalt. Er 
erfchuf ein neues Heer, mit dem er, nach fruchtlofen Sriedensanträgen an England 
und Oftreich, den großen Bernhard überftieg, die cisalpinifche Republik Herftellte 
und bei Marengo fiegte (14, Juni 1800), worauf Moreau bei Hohenlinden (3. 
Dec. 1800) den Krieg mit Oftreich entfchied. . Die Bender wurde beruhigt, und 
mit Nordamerika ein Freundfchaftsvertrag gefchloffen. Vſtreich mußte fi) von 
England trennen und im Namen des deutfchen Reichs den Frieden von Zune 
ville (9. Febr. 1801) unterzeichnen. - Diefer gab der Republik das linke Rhein: 
"ufer, und der Thalweg des Rheins ward Frankreichs und Deutfihlands neue 
Grenze. Diefem Frieden folgten.die mit Neapel, Rußland, mit der Pforte und der 
zu Amiens mit England (27. Mai 1802), ſowie das mit Pius VII. abgefchlof: 
fene Soncordat, das die katholiſche Religion wieder zur berrfihenden in Sranfreich 
machte. Seitdem lenkte 18 Jahre lang die Diplomatie des Eroberers Das Schid: 
fal des feften Landes von Europa. Das Königreich von Etrerien wurde errichtet 
and dem Herzog von Parma überlaffen; dem deutfchen Reiche wurde der große 
Entſchaͤdigungsplan von Frankreich vorgefchrieben; Helvetien erhielt eine Media⸗ 
Honsacte und mußte fich auf das engfte mit Frankreich verbinden; Holland wurde 


‚wi — 6 b⸗ rd 


—* 


Frankreich von 1804 bis 1814 243 
rd als ein Theil Frankreichs benußt und erhielt aus Paris eine Eonftitution; 


iemont, Parma und Piacenza wurden Sranfreich einverleibt, und der.erfte Son: 
ſul 1802 zum Präfidenten der italieniſchen Republik erhannt.. In Frankreich felbft 
traten Ordnung, Sicherheit und Ruhe an die Stelle des revolutionnairen Zuſtan⸗ 
des. Diele Deportirte erhielten die Erlaubnig zur Rüdkehr, die Härte der Emi⸗ 
grantenliften ward gemildert, die Freiheit des Sottesdienftes ward hergeftellt, und 
die Errichtung der Ehrenlegion (19. Mai 1802) verband die Nation und das Heer 
mit dem Chef der Regierung. Als nun der Krieg mit England (18. Mai 1803) 
aufs Meue ausbrach, und Verfhwörungen im Annern Furcht verbreiteten, da 
wurde die Nation für die Anficht empfänglich, daß Frankreichs Glück von einet 
feftern Staatsverfaffung, die zugleich dem Chef volle Sicherheit gemähre, abhaͤn⸗ 
gig fei, und fo war es, nach den vorbergegangenen Schreden der Anarchie, leicht, 
die Republik Frankreich in ein Kaiſerthum zu verwandeln. 
3) Geſchichte des Kaifertbums Frankreich bis zur Reftauration 
des Haufes Bourbon und der Königsmwürde (18. Mai 1804 bis 8. 
Mai 1814). Am 18. Mai 1804 eifchien das organifche Senatusconfult, welches 
Napoleon zum Kaiſer der Franzofen, und die kaiſerl. Würde für erblich in feiner 
Samilie erklärte. Durch diefes Senatusconfult und durch das nachherige kaiſerl. 
Starut-vom 30. März 1806 wurden die Familiengefege bes kaiſ. Haufes, in 
Rüdficht der Erbfolge, der. Titel und Appanagen der Mitglieder der Eaif. Familie, 
und ihre befondern Berbältniffe zu der Perfon des Kaiſers feftgefebt; die Civilliſte 
blieb fo, tie fie durch die Sonflitution von 1791 feftgefegt worderf war, nämlich 
25 Mill, Livres jährlich. : Zugleich wurden errichtet: die Großmwürdenträger _ 
(Grands-Dignitaires) oder Erzämter des Neiche, die Großofficiere des Reichs, zu 
welchen die Marfchälle und Hofämter gehörten, und der hohe kaiſerl. Gerichtshof, 
der über die Vergehungen der Mitglieder der kaiſ. Familie und der erfien Staates 
beamten, über Hochverrath und über alle Berbrechen gegen den Staat oder den Kai⸗ 
fer erfennen follte. Auch die Wahlcollegien erhielten eine beftimmte Einrichtung. 
Der Senat blieb; aber die Wahl und die Zahl der Senatoren hingen vom Kaifer 
ab; auch blieb das gefeßgebende Corps; aber das Tribunat, welches allein noch zu 
widerfprechen magte, wurde den 19. Aug. 1807 aufgehoben. Am 2. Dec. 1804, 
ward der Kaifer mit feiner Gemahlin von Pius VII. in der Kirche Notredame ges 
falbt. Die Krönung volljog Napoleon felbf. Drei Monate darauf (18. März 
4805) ward der Kaifer der Franzofen auch König von Italien. Er feßte zu 
Mailand (26. Mai) die eiferne Krone auf fein Haupt und errichtete den Orden der: 
ſelben. Am 4. Juni wurde die ligurifche Republik und am 21. Yuli Parma nebſt 
Piacenza mit Frankreich, Guaftalla aber (24.Mai 1806) mit dem Königr, Italien 
vereinigt. Eine Schweſter des Kaifers, Elife Bacciochi, erhielt Lucca und Piom⸗ 
bino als Herzogthum und franz. Keichslehen. Der Erbkaifer von Dftreich und viele 
Fürften Deutfchlands erkannten Napoleon als Kaiſer an; dagegen verließen der rufs 
fifche und ſchwediſche Sefchäftsträger Paris, und die franz. Sefandten gingen von 
Metersburg und Konftantinopel weg. Schweden ſchloß mit England einen Subſi⸗ 
dienvertrag, und Rußland verband fich (Aprit 1805) mit England. zur dritten Com 
lition wider Frankreich. Die Franzofen hatten nämlich ſchon am 6. Juni 1803 Ha: 
nover in Befiß genommen. Überdies vollzog die franz. Regierung, fo weit ihre Waf⸗ 
fen reichten, das Verbot des engl. Manufacturhandels mit größter Strenge und be: 
drohte England mit einer andumg. Pitt 309 daher auch Dftreich/ (Aug. 1805) in die 
&oalition. Nun brach die franz. Armee aus dem Lager bei Boulogne nach Deutfchs 
land auf. Der Krieg war von furser Dauer. Die Übergabe eines öſtr. Heers unter 
Mod bei Um (17..Dct,) und die Schlacht bei Aufterlig (2. Dec,) führten den Frie⸗ 
- den von Presburg (26. Dec. 1805) herbei, durch welchen Oftreich gegen 1000 
OM. und 3 Mill. Einm, (unter diefen die sreuen Tiroler) verlor. Napoleon gab in 
16 


Frankreich von 1804 bis 1814 


E’ouverainetät, die auch Baden erhielt, und jedem diefer 3Staaten wich⸗ 
igrei mit 


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flie von Neapel ward, als warnendes Deren, was jeni 

in Frankreichs Anfichten nicht eingehen wollte, zu erwarten Babe, der Regierung 
verfuflig erflärt; Sjofepb Bonaparte ward König von Neapel und Eicilien (30. 
März 1806); der ziweite Bruder Napsleons, Ludwig, Konig von Holland; Ras 
poleons Stieffohn, Eugen (Beauharnais), als Faiferl. Prinz adeptirt, Picefonig 
von Italien und Schwiegerfohn des Könige von Daiern; des Kaiſers Maffenge- 
fährte, Alegander Berthier, ward Fürſt von Neufchatel; Talleyrand, Min iſter 
der ausıwärt. Angelegenheiten, Fürft von Benevent; Bernatotte, Fürft von Pons 
tecorvo; Joachim Murat, Großherzog von Kleve und Berg; und Stephanie Beau⸗ 
Barnais, eine Nichte der franz. KRaiferin, ward als aboptirte Prinzeflin die Gemah⸗ 
lin des Erbprinzen von Baden. Alle, die der neuen Dynaſtie unmittelbar ange: 
Börten oder fonfl mit ihr verbunden waren, follten, von einem Foderativſyſtem 
umfchlungen, an $ranfreich gefettet werden. In diefem Sinne wurden die großen 
Reichslehen errichtet, und das kaiſ. Familienftatut am 30. März 1806 gegeben. 
So ward das bisherige Gleichgewichtsſyftem vernichtet. Baierns, Würtembergs 
und Badens Berband mit dem Foderativſyſtem des „großen Reichs“, und tes Kurs 
fürſtenthums Hanover Einverleibung in den preuf. Staat hatten den deutfchen 
Staatskorper gerriffen; Napoleon bewirkte nun die Errichtung dee rheinifchen 
Bundes, deifen Grundvertrag mit dem franz. Kaifer, als Protector des Bun⸗ 
des, am 42. Juli 1806 abgefchloffen wurde. Hierauf legte Franz Il. am 6. Aug. 
Die deutfche Kaiferfrone nieder. Während deffen hatte die Mittheilung von einem 
Anfchlage auf des Kaifers Leben durch For an Talleyrand einen Zunten des gegen: 
feitigen auens erweckt; Rußland, mit Dem in Presburg nicht Friede gefchlofs 
fen worden mar, trat den Unterhandlungen bei; doch der Tod des englifchen Mini: 
flers Fox und die veränderte Lage der Dinge vernichteten den Erfolg. “Der Kaiſer 
von Rußland beflätigte die von Dubril angenommenen Präliminarien nicht; auch 
der engl. Sefandte, Zauderdale, ward zurüdberufen, und noch im Herbſte 1806 
fah man Preußen mit Rußland, Schweden und England vereint auf dem Kampf: 

plaße gesen Sranfreih. Das preuß. Sabinet war mim durch die ihm zugekom⸗ 

mene Nachricht, daß Frankreich Hanovers Zurũckgabe an England dargeboten habe, 

zu einer drohenden Rüftung gegen Frankreich bewogen worten, und hatte ten Plan 

zu einen nordifchen Bunde, als Gegengewicht des rheinifchen, entwerfen. Na: 

poleon nahm die Ausfoderung an, und die Schlachten von Jena und Friedland 

Eofieten Preußen fein halbes Reih. Drei deutfche Fürftenhäufer (Heſſenkaſſel, 

Braunſchweig u. Dranien) wurden aus der Reihe der Regierenten geföfcht; © neue 
Könige (Bochfen u. Weftfalen), ein Herzog von Warſchau und die Republik Dan⸗ 

fig erhielten ihr Dafein; der rheinifche Bund ward durch den Beitrüt von 11 Fuͤr⸗ 


23 


J 


finbäufern erweitert, und der Briede von Tilfit (7/, Juli 1807) hatte den Bei⸗ 
tritt Rußlands u. Preußens zum Tontinentalbunde gegen England zur Grundlage, 
Hſtreich war neutral geblieben. indem es einen andern Zeitpunkt abwarten wollte, 
um feine nie aufgegebenen Entwürfe gegen Srantreiche Übermacht auszuführen. 
Kaum Hatte jetzt Napoleon fich im Dften und Norden gefichert, als der Zuftand der 
pyrenäifchen Halbınfel ihn zu neuen Erobesungen reigte. Portugal trennte fich nur 
ſcheinbar von England ; ein franz. Heer durchzog daher Spanien und befeßte Por⸗ 
tugal ohne Widerftand ; die regierende Dynaſtie floh nach Brafilien (Nov. 1807). 
Ein Familienzroift am madrider Hofe verfchuffte zugleich Napoleon Gelegenheit, 
fih unter der Maske eines fchiederichterlichen Freundes einzumifchen. Der ſchwache 
Karl IV. verzichtete in Bayonne zu Gunſten Napoleons auf die Krone Spar 
niens; ein Gleiches wurde von den fpan. Dringen erzroungen ; der König von Neapel, 
Joſeph, ward König von Spanien, und der Großherzog von Berg beftieg den Thron 
von Neapel. Aber die Begebenheiten in Spanien berührten das Familienintereffe 
des Haufes Habsburg, und der muthige Widerfiand der Volker der phrendifchen 
Halbinfel gegen Frankreichs Heere zeigte dem wiener Cabinet eine günflige Belegen: 
it, die neue Staatsordnung in Deutfchland u. Italien zu zertrüämmern, Ungeach⸗ 
tet der Zufammenkunft Napoleons mit dem Koifer von Rußland in Erfurt (img 
Oct. 1808), ungenchtet der von dort aus gepflogenen Verhandlungen mit Wien u. 
London, ungenchtet des feftern Dereins zwiſchen Paris u. Petersburg und der Fort: 
fihritte Napoleons in der pyrenäifchen Halbinfel, ergriff daher Hſtreich, im neuen 
Berbande mit Britannien, im April 1809 die Waffen; allein es erlag und mußte 
fi im wiener Frieden (44, Oct, 1809) gefallen laffen, daß 2000 IM, mit 3A 
MU €, von feinen Provinzen abgeriffen und den benachbarten Staaten zugetbeilt 
wurden, daß ein neuer Staat, die illgrifchen ‘Provinzen, gebildet, der Kirchenftant 
(den 11. Mai 1809) mit Tranfreich vereinigt, und ihm, durch den Verluſt der 
Adriatifchen Häfen, alle Verbindung mit der See entzogen wurde. Frankreichs 
Herrſchaft über ganz Italien und Deutfchland ſchien jegt unerfchütterlich feft ge- 
gründet; der Kaifer von ſtreich war eingefchloffen in einen, zwar noch bedeuten: 
den, aber von franz. Föderatinftnaten und ihnen befreundeten Mächten völlig um: 
gebenen Staat: der mächtige Kaifer des Nordens, durch perfönliche Freundfchaft 
an den Souverain Frankreichs geknüpft, zwang Schweden, zum Eontinentalverein 
tider England zu treten, während die Pforte, in ſchwankenden Berbältniffen zwi⸗ 
ſchen Frankreich und England, durch die ruffifchen Angriffe abgehalten wurde, et: 
was Großes zu unternehmen, In Frankreich felbft betrachtete man die Revolu: 
tion als ganz beendigt, da der Kaiſer, von feiner bisherigen Gemahlin gefchieden, 
mit der Erzherzogin Marie Louife von Oftreich (1, April 1810) fich vermäßlte, 
früher hatte Napoleon, um feinen Thron mit aͤußerm Glanze und treuen 
Anhängern zu umgeben, durch ein Decret (vom 1. März 1808) außer den aeracal 
Würden, mit denen die Helden des Vaterlandes belohnt wurden, einen Erbadel, 
und die Majorate durch das conflitutionswidrige Senatusconfult vom 14. Aug. 
4806 hergeftellt, jedoch ganz verfchieden.von dem ehemaligen Feudaladel, indem der 
arue franz. Adel an ein geroiffes Vermögen geknüpft wurde, ohne daß Vorrechte in 
Rüdficht auf Abgaben, Gerichtsbarkeit, Eonfeription, Amter ıc. flattfinden ſoll⸗ 
ten, auch aufhoͤrte, fobald die Grundlage deffelben, jenes Vermögen, fehlte, Zu 
den beiten Orden der Ehrenlegion und der eifernen Krone fügte Napoleon in feinem 
Feldlager vor Wien (1809) noch den der 3 goldenen Vließe hinzu, So war für 
den Glanz des Thrones, für die Belohnung des Verdienfles und die Befriedigung 
der Reidenfchaften zugleich mit umfichtiger Klugheit geforgt. Indeß widmete Na: 
poleon auch allen übrigen Zweigen der Staatsyermaltung feine thätige Aufmerf: 
ſamkejt. Dem Juri fen war ein fefter Gang durch neue Sefeßbücher vorge; 
zeichnet, und die Vollziehung der Geſetze durch die Organifation der Gerichtshoͤfe 


Frankreich von 1804 Bis dA 226 


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246 Frankreich von 1804 bis 1814 


und aller niedern Inſtanzen feftgeflellt worden. Um dem Bucher zu fieuern, warb 
(17. März 1808) ein Decret erlaffen, das die Landleute vor den Dedrädungen 
der “Juden ficherte, ımd es war einer der unausgeführten Lieblingspiane des Kai⸗ 
fers, eine politifch=moralifche Wiedergeburt des jüdifchen Volks durch ganz Eu⸗ 
ropa zubewirfen. (S. Juden.) Ebenfo thaͤtig arbeitete er an der Belebung des 
Serverbfleißes und des innern Handels; daher die Anftrengung zur Herſtellung 
brauchbarer Surrogate für die verpönten Colonialwaaren; daher die Ausſetzung des 
großen Preifes auf die Erfindung der beſten Slachsfpinnmafihine; daher die 
ten in allen Zweigen des Bauweſens, z. B. Eanäle und Straßen. Aber wenig 
wurde erreicht, weil Alles nach Zwangsbefehlen und militairiſchen Borfehriften ge: 
ſchehen follte, wo doch freie Thätigkeit die Seele des Selingens war. Auch die 
Unterrichtsanftalten im Reiche erhielten eine militairifche Form. Am 11. März 
1808 ward eine Eaif. Univerfität gefliftet, unter welchem Namen alle Unterrichts: 
anflalten im ganzen Umfange des Reichs in ein großes Ganzes vereinigt wurden. 
(5. Fontanes und Fourcroy.) Bon den durchgreifendfien Einwirkungen 
auf alle Verhaͤliniſſe waren die Verfügungen, die Napoleon wegen des Handels 
mit Colonialwaaren traf, welche die politifche Richtung aller Staaten des Feſtlan⸗ 
des befti und in ihren Folgen fo verderblich für den Einzelnen wie für die 
Maffe gewirkt haben. (&. Tontinentalfyftem und Eolonialwaaren.) 
Englarıd hatte den Decreten von Berlin u. Mailand feine Geheimerathsverordnun⸗ 
gen entgegengefiellt umd trieb feinen Handel noch auf verfchiedenen Punkten des fe 
Ten Landes. Napoleon ergriff dagegen geroaltfame Dragregeln, in denen auch die 
Beweggründe zu dem Kriege mit Rußland 1812 zu fuchen find. Schon imBertrage 
zwifchen Sranfreich u. Holland, vom 16. März 1810, hatte Holland fein Brabant, 
ganz Seeland mit der Inſel Schoumen, den Theil von Geldern auf dem linken Ufer 
der Baal an Frankreich abtreten müffen, wozu der Angriff der Engländer auf Hol⸗ 
land 1809 den Vorwand gegeben hatte. Als darauf, 1. Juli 1810, der König von 
Holland zu Gunſten feines Sohnes die Krone niederlegte, ward, durch das Decret 
von Rambouillet vom 9. Juli 1810, das Königreich Holland dem franz. Reiche 
. einverleibt. Da aber England in der Feſthaltung feiner Sabinetsbefehle unbeugfam 
blieb, fo erklärte Napoleon, die ganze Küfte der Nordſee unter feine unmittelbare 
Aufſicht feßen zu müffen; daher wurden die Mündungen der Ems, Weſer und 
Elbe, nebfl den Hanfeflidten (etrva 600 CM. und über 1 Mill. Menfchen) mit 
- einer unerhörten Willkür (10. Dec, 1810), mit Frankreich vereinigt, was früher 
(12. Nov. 1810) auch mit Wallis, um fich ganz der Straße über den Simplon zu 
verfichern, gefcheben war.”) Hiermit fland in Verbindung der Handelstarif von 
rianon, der, allen Föderativflaaten aufgedrungen, eine Zollordnung für die Co: 
lonialwaaren feftfegte, die den Verbrauch diefer Artifel ganz vom Feſtlande verban: 
nen follte, indem zugleich das Decret von Fontainebleau die Verbrennung aller, in 
Sranfreich und in den unter feinem Einfluffe ftehenden Staaten befindlichen engli⸗ 
fhen Manufactur: und Fabrikwaaren anordnete. In Frankreich felbft wurde diefe 
Maßregel mit Strenge gehandhabt, während für gewiffe Hauptartikel, Zuder, 
Tabak, Indigo, Mittel ergriffen werden follten, um das —— derſelden im 
Lande zu befordern. Auch ward durch Licenzen die Einfuhr zum Vortheile der Re⸗ 
... 9) Das franz. Reid ¶ Empire) unter Napoleon beſtand jetzt aus 130 Departements. 
Uberhauyt betrug, feit jener Zeit, wo die Könige die maͤchtigen Kronvaſallen ſich ums 
terworfen und den Briten die franz. Provinzen entriſſen hatten, bis auf Napoleons 
geit, durch deſſen gewaltige Kraft Karls des Großen alte Reich feR gam wieder 
hergeftelit worden war, die Zabl der eroberten Depart. 82, zu denen das deutiche 
Reid 39 hergegeben hatte, mit 12 Mill. Seelen; 24 wurden deu Hollaͤndern eut⸗ 
riffen, 18 den Stalienern und 1 den Spanier. Davon hatten die Könige von 
—R 38 erobert, 17 die franz. Waffen bis 1799, und 27 der Kaiſer von 


” 
. 


Frankreich von 1804 bis 1814 4 


gierung erlaubt. Aber die Vereinigung Norddeutſchlands mit dem großen Meiche 
atte ſelbſt mehre Bundesfürften beeinträchtigt. Die ihnen verheißenen Entfchäz 
ungen milderten das Gehaͤſſige dieſes Gewaltſchritts keineswegs. Der bedews 
tendſte jener beraubten Furſten war der Herzog von Oldenburg, der nahe Ver⸗ 
wandte der ruff. Herrſcherfamilie, und man fuͤrchtete ſchon jetzt für die Erhaltung 
des Friedens. Ehe jedoch diefe Beforgniffe in Wirklichfeit-übergingen, gab dem 
Karfer die Geburt des Königs von Kom (f. Reich ſtadt) neue Hoffnungen. 
Schon 1809, ale Napoleon den Kirchenftaat für eine franz. Provinz, und Rom 
gar kaiſerl. Meichsflade erklärt harte, ward beflimmt, daß der jedesmalige franz. 
Kronprinz ven Titel: König von Rom, führen, auch jeder Kaiſer von -Sranfreich 
in den erften 30 Jahren feiner Regierung fih in Rom kroͤnen laſſen fölle. 
Die Angelegenheiten in Spanien, deſſen Bewohner den Franzoſen einen un⸗ 
erwartet hartmädigen Widerſtand entgegenſetzten, und die täglich ſich erweiternde 
Ausficht auf einen bevorſtehenden Kampf mit dem Norden, der nicht-Ianger für 
Frankreichs Zwecke wirfen wollte, obgleich die Sreundfchaft mit St. Petersburg 
noch nicht foͤrinlich abgebrochen‘, und des franz. Kaiſers naher Verwandter, der 
Prinz von Pontecorvo, zum Chromfeger in Schweden erwaͤhlt worden war, liegen 
jedoch Eeine heitere Zukunft ahnen. : Überdies trieben die Engländer in- Sothenburg 
and in verfchiedenen Häfen der Oftfee einen bedeutenden Handel mit Colonialman: 
ren nach Rußland, rooräber von Paris aus in Stockholm und Petersburg viel Ber 
Ichwerden geführt wurden. Als nım, Rußlands Handelsverfigungen 1810 und 
41811, ımd feine mißbilligenden ÄAußerungen über das Schickſal, das den Herzog von 
Oldenburg getroffen, Napoleons Mißtrauen erregt hatten, under eines Kriegs von 
Seiten Nordamerikas, mit dem er fich verföhnt hatte, gegen England gewiß war, 
glaubte er, gegen Rußland die Sprache des beleidigten Vertrauens führen zu koͤn 
nen. Die Folge davon war: der Ausbruch eines neuen Krieges, der im Juli 1812 
begann, und in welchem, außer den Völkern des Rheinbundes u, des Herzogthums 
Warfchau, auch Öftreich und Preußen als Verbündete Frankreichs auftraten. über 
den Gang diefes Kriegs, und wie er von Mosfaus Kreml, wo Napoleon unter den 
rauchenden Trümmern der Kaiſerſtadt fein Hauptquartier hatte, fiber die Leichen: 
felder bei Leipzig bis an den Montmartre 309. fe Ruffifh:Deutfcher Krieg 
son 1812—15. Faſt ganz Europa erhob fich gegen Frankreich und Napoleon. 
Eine Heeresmaffe von 812,000 M., zu welcher, nach dem zu Zrachenberg in 
Schleſien (12. Juli 1813) gehaltenen Kriegsrarhe, Oftreich 262,000, Rupland 
249,000, Preußen 277,000, und Schweden 24,000 M, ftellten, zerfrümmerte 
Binnen, 9 Monaten das franz. Kaifertfum, und die Trophäen 2ojähriger Siege der 
Sranzofen. So ging das große Wort von Pitt in Erfüllung ; „Unter allen Regie⸗ 
rungen iſt militairifcher Defpotismus von der Eürzeften Dauer“, Am 81. März 
1814 zogen die Verbündeten mit ihren Truppen zu Paris ein, und fofort erklärte - 
Alexander im Namen der verbündeten Souverains, daß man nicht mehr mit Na⸗ 
poleon Bonaparte, noch mit einem Gliede feiner Familie unterhandeln werde, daß 
man Srahfreich nur fo anerfenne, wie es unter den Königen gervefen, und baß man 
endlich die Staatsform anerkennen und gewähren wolle, welche die franz. Nation 
fich geben werde, weßhalb manden franz. Senat einlade, für die Verwaltung des 
©tants und die Abfaffung einer Conſtitution eine Zwifchenregierung zu ernennen, 
Dem zufolge verfammelte fich der Senat am 4. April unter Talleyrand’s Vorſitz 
und übertrug Letzterm, nebft 4 andern feiner Mitglieder, die Zwiſchenregierung. 
Den Tag darauf erklärte er Napoleon und feine Familie des Thrones von Frank: 
reich verluſtig. Biefen Befchluß beftätigte der gefeßgebende Rath, und die Zivifchen: 
regierung machte ihn, und bald darauf auch Ludwigs XVIII. (ſ. d.) Berufung 
auf den franz. Königstöron bekannt, Napoleon hatte indeffen zu Gunſten feines 
Sohnes der' Krone entfagt. Ex that esunbedingt am 14. April zu Fontainebleau, 


‚218 Braufrei ft 4844 bis 1820 


ba die Moerſchaͤlle ſich weigerten, fortan für ihn ‚gegen ihr Vaterland zu fechten. 
Durch einen an demſelben Tage A Bertrag ward ibm die Inſel Elba 
als Eigenthum überlaffen, . Über die 1. Periode der Revolution iſt das Hauptwerk 
bie „Hist. de Passembléo constituante‘ von Alex. Lameth (Paris 1828, 4 Bde.). 
Die Literatur über diefe Zeit findet man in d. A. Napoleon, und f. Zeit, 
. Schriften von und über ihn, Zu der von Barricre u. Berville herausgeg. 
Samml. von „Mem. sur la revolat. francaise” gebärt die ſehr nothige „Intro- 
‚dnction-(ou tableau comparatif des mandats et pouvpirs. donnes par les pro- 
yinces & leurs deputes aux Etats-Generaux de 1789) par F. Grille“ (Paris 
1825, 2 Bde); Dulaure's „Esquisses histor. des princip. evenem. de la 
rev. franc.” (Paris 1826, 84 Lief.) iſt ein anziehendes Büderbud. 
UL Geſchichte Frankreichs feit der Reflaurarien von 1814 bie 
1820. Die alte Feudalmonarchie- war vernichtet; an ihre Stelle trat-die legitime 
Monarchie. Damit fie in. Feine Autokratie ausarte, ward Ludwig XVill. die 
Sirumdlage einer Berfaffung vorgelegt und von ihm angenommen. So erfolgte die 
Reflauration der Bourbons auf den Thron von Frankreich, mit dem Einzuge Luds 
wigs XVIII. zu Paris, den 3. Mai 1814. Ein Staatsverfaffungsentiwurf, wel: 
cher den 5. April vom Senate und den 6. vom gefeßgebenden Rathe angenommen 
worden war, erhielt nicht Ludwigs KV IL. Beftätigung; dagegen gab er als König 
von Frankreich und Navarra zu St.⸗Ouen den 2. Mai eine Erklärung, in welcher 
er.die Srundfige der neuen Staatsform, wie fein Bruder, der Graf Artois, in der» 
. Eigenfchaft eines königl. Senerallieutenants ſchon früher gethan, Hffentlich aus⸗ 
ſprach, die genauere Abfaffung der Urkunde aber, da die des Senats Spuren der 
Eile zeige, ſich vorbehielt. Diefe neue Verfaffungsurfunde wurde am 4. Juni vom 
Könige der Nation übergeben. Sie enthält die Grundſatze einer freien, befchränft 
monardifchen Stantsform, als: Gleichheit Aller vor dem Geſetze; gleiche Ders 
pflichtung zu den Stantslaften; gleiches Recht auf-alle Amter; perfonliche, Relis 
gions⸗ und Preßfreiheit; Unverleglichkeit des Eigenthums; Vergeſſenheit des Ver: 
gangenen ; Abfchaffung der Conſcription; Unverleglichkeit des Königs, der die aus⸗ 
übende Gewalt hat, an der Spitze der beivaffneten Macht fieht, Krieg erklärt, Vers 
träge fchließt, Amter ertheilt und die Geſetze vorfchlägt und kundmacht. Der König 
übt die gefeßgebende Gewalt mit den beiden Kammern aus, doch muß das Geſetz 
der Steuern und Auflagen zuerft in die Kammer der Deputirten gebracht werden; 
auch die Häufer Eonnen Sefege vorfchlagen ; dem Könige bewilligt die Legislatur für 
die Dauer feiner Regierung eine Civillifte. Der König beruft die Kammern; er er⸗ 
nenntalle Pairs, erblich oder perfonlich, hebt die Berfammlungen und löſt das Un⸗ 
terbaus auf, muß aber binnen 3 Monaten ein neues berufen; beide Haͤuſer koͤnnen 
nur zu.gleicher Zeit Sißungen halten; das Haus der Deputirten wird aus den von 
den Wahlcollegien ernannten Deputirten zufammerigefeßt und jedes Jahr um ein 
Fünftel erneuert; jeder Deputirte muß: 40 5%. alt fein und 1000 Sr. directe Steuern 
erlegen. Der König ernennt die Präfidenten der Wahlcollegien, und aus 5 von dem 
Haufe vorgefehlagenen Deputirten den Präfidenten des Unterhaufes. Der Kanzler . 
ift Pröfident des Oberhaufes, Die Grundfteuer gilt nur für ein Jahrıc. Am 18. 
Mai errichtete Ludwig XVII. das neue Staatsminifterum (Talleyrand, d'Am⸗ 
bray, Dontesquieu, Louis ıc.) und am 3. Aug. einen neuen Staatsrath. Eine 
Zpeite Einrichtung betraf den Hofſiaat. Hier trat der alte Adel in feine perfönlichen 
orrechte wieder ein. Die ehemaligen konigl. Orden (des heil. Geiſtes, des Militaire 
verd,, der Ludwigs- u. der Michaelsorden) wurden hergeftellt, dem Orden der Ehren⸗ 
legion ward eine neue Decoration, das Bild Heinrichs IV., und eine neue Einrich⸗ 
tung gegeben, und das Ehrenzeichen der ſilbernen Lilie geſtiftet. Der mit den Ver⸗ 
bündeten zu Paris am 30. Mai 1814 gefsplöffene Friede befehränfte Frankreich auf 
feine alten. Srengen vom 1. Jan. 1792; doch behielt es 1) Anignen und Denaif: 


Frankreich feit 1814 bie 1820 249 
fin, obwol der Papſt dagegen proteflirte {f. Mourean’s „Refiexions sur.les pro. 


testations du Pape Pie Vil, relatives & Avignon et au C. de Venaissin“, 
1818); 2) Mömpelgard und ähnliche Einfchlußorte ; 3) halb Savoyen (Annecy, 
und Chambery); dagegen behauptete Großbritannien den Beſitz von Malta, und 
Frankreich trat an daflelbe ab: die Antillen Tabago und St.⸗Lucie, ſowie sie 
de France. Die übrigen Colonien wurden an Frankreich zurückgegeben ; auch blieb 
diefe Macht im Befige der geraubten Kunftfchäße. Zur Reorganifation des Reiche 
erfchtenen eine Menge Verordnungen, 3. B. die Bildung einer neuen Armee durch 
Werbung betreffend; die Herſtellung der gerrütteten Finanzen ıc. Da jedoch die 
fhwierigen Umflände feine Erleichterung der. Abgaben geftatteten, fo mußten die 
der Nation ˖verhaßten droits reunis und das Tabacksmonopol beibehalten werden. 
Die Civilliſte des Königs wurde wieder auf 25 Mill. Fr. beſtimmt, und die 60 
Mill. Schulden, welche der König während feines Aufenthalts im. Ausfande ges, 
macht hatte, wurden auf den öffentlichen Schatz angewieſen. Die in der Conſti⸗ 
tution verheißene Sreibeit der ‘Preffe aber mard durch die Anordnung einer Cenſur 
befpränkt; auch mißfiel mehr als eine Polizeiverordnung den Franzofen, welche, 
pen in Paris, an die Ruͤckkehr alter Formen fich nicht gewohnen konnten. Das 

i berrfchte unter den Mitgliedern der Eonigl. Familie felbft und unter den Mi⸗ 


aiftern eine auffallende Verfihiedenbeit der Anfichten. Wan fah die fich regende 
Herrſchſucht der Seiftlichkeit, und wie felbfi Bigptterie ihr Haupt erhob. Die gro⸗ 


Sen Auszeichnungen, welche der alte Adel und die mit dem Hofe zuruͤckgekehrten 
Emigranten faft durchaus erhielten, erregten ebenfalls viel Mißvergnuͤgen. Den 


Nationalftolz verlegte des Königs öffentliche Erklärung, er habe feine Krone dem 


nzregenten von England zu verdanken. Am allermeiften fühlte die Armee, bei 
welcher das Andenken an den Mann, unter deffen Leitung ihr fo viel Ruhm und 
Gewalt zu Theil geworden, noch zu lebhaft war, fich gereißt‘ da fie ihre Maffen 
aufgelöft, ihre Dotationen, ihren Sold und ihre Penfionen vermindert, ihr Anfehen 
und ihren Einfluß befchränft fah, und felbft ihre Außern geliebten Abzeichen gegen 
andre, die fie ehemals bekämpft hatte, vertaufchen mußte, Die Befißer ehemaliger 
Natienalgüter befürchteten den Verluſt derſelben. Das Volk war unwillig über die 
fortdauernde Laſt der Abgaben, deren Erleichterung ihm verheißen worden war. Da 
erwedte Napoleons plögliche Erfcheinung auf der Küfte Frankreichs am 1. Marz 
1815 die alte Begeifterung des Heeres und der Taufende, welche aus den zurüd: 
gegebenen Feſtungen und aus der Sefangenfchaft zurüdigefehrt waren. Dies und 
die allgemeine Volksſtimmung machen es begreiflich, wie, ohne daß eine eigentliche 
Verſchwoͤrung zu Gunſten Napoleons eriftirte, ‚die gegen ibn ergriffenen Maßregeln 
ohne Erfolg blieben. Das Heer und ein großer Theil des Reichs erklärten ſich für 
den ruhmgefrönten Seldherrn, und Napoleon zog, nach einem Marfche von 18 
Tagen, ohne einen Tropfen Blut zu vergiegen, den 20. Märzin Paris ein. Der 
önig entfloh mit wenigen Setreuennach Gent. Napoleon hob fogleich die mei⸗ 
ſten Anordnungen der konigl. Regierung und die beiden Kammern auf, und er 
nannte ein neues Miniſterium. Er verficherte, daß er fich mit der Durch den parifer 
Frieden beftimmten Grenze von Frankreich begnügen und feine Regierung nach libe⸗ 
ralen Grundſatzen einrichten werde. Aber auch er Eonnte die Ermartungen der vers 
ſchiedenen Parteien nicht befriedigen, noch weniger die Gefahr eines neuen Kriegs 
mit Europa von Frankreich abmenden. Denn fobald die Nachricht von Napoleons 
Entfernung son Elba in Wien befannt wurde, achteten die zum Congreſſe dafelbft 
verfammelten Diinifter ſammtlicher verbündeten Mächte (am 13. März 1815) 
Napoleon alg einen Feind und Störer des Weltfriedens.. Darauf fchloffen (am 
25. März) Offreih, Rußland, England und Preufen einen neuen Allianztractat 
in Beziehung auf den von Thaumont (vom 1. Mär; 1814), wodurch fich jede dies 
fer Mächte verpflichtete, 150,000 M. gegen Napoleon ins Feld zu ſtellen. Dies 


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250 Frankreich felt 1814 bis 1820 ° 


fer rüftete ſich mit großer Anſtrengung zu dem Kriege, den er fo nahe nicht geglaubt 
batte. Zugleich machte er den 22. April eine Zufaßurkunde zu den Verfaſſungs⸗ 
gefeßen bekannt, und verfammelte das Maifeld, welches am 4. Juni jene Ure 
kunde annahm, (S. März: und Maifeld und Gent jours.) Hierauf 
eröffnete er am 7. juni die neu gewählten Kammern. Aber bei aller Anbäng: 
lichkeit, die ihm das Heer bezeigte, fand er Doch in den übrigen Vokksklaſſen nicht 
überall den Eifer, feine Abfichten zu befördern; die größte Schwierigkeit lag 
in dem Mangel der erfoderlichen Hülfsmittel. Dazu kam, daß Murat's ei⸗ 
genmächtiger Feldzug gegen Hftreih (April 1815): die geheimen Unterhande 
lungen Napoleons mit bem wiener Hofe vereitelte. _ a 
Die Heere der Verbündeten bildeten um die Grenze Frankreichs eine große 
Kette, die fich von Dftende aus nach der Schweiz, und durch diefe nach Italien 
erſtreckte. Den Engländern und Preußen, welche unter Wellington und Blücher 
von den Niederlanden ber anrüdten, ftellte Napoleon feine Hauptmacht entges 
gen.- Pac) einigen Vorpoftengefechten auf der Grenze griffen die Franzofen am 
15. Juni die Preußen bei Thuin an der Zambre an und drängten file zuräd, 
Am 16. erfocht Napoleon in der Ebene von Fleurus einen Sieg über Bie Preußen, 
(S. Ligny und Quatrebras.) Aber am 18. wurde er bei Waterloo 
ef. d.) gänzlich gefchlagen. Die Alliirten drangen faft ohne -Widerftand gegen - 
Paris vor. Napoleon fab, dag Frankreich für ihn verloren war, er legte daher 
am 21. Juni durch eine Erflärung an das franzöfifche Volk Die Krone nieder, ins 
dem er zugleich feinen Sohn, als Napoleon II., zum Kaifer proclamirte. Nun 
übernahm eine provifürifche Regierung, an deren Spitze Fouche fland, die Zeitung 
des Staats. Napoleon wollte fih nach Amerika einfchiffen, als ihm aber diefer 
Weg verfperrt war, ergab er fich den englifchen Kreuzern. fiber die Geſchichte 
der hundert Tage f. Benj. Conftars und Fleury de Chaboulon's Schriften, 
Unterdeffen war die Armee der Alliirten in der Nahe von Paris angekommen, wo 
Blücher und Wellington am 3. Juli mit Marfchall Davouſt eine Militairconven- 
tion abfchloffen, nach welcher die franz. Armee fich hinter die Loire zog, und 
Paris den allürten Truppen übergeben ward. Diefe ruͤckten am T. in Paris ein, 
und am folgenden Tage nahm Ludwig XVHI. von feinem Thron aufs Neue Befig, 
Darauf ward eine neue Kammer der Deputirten ernannt, die binter der Loire 
ftehende franz. Armee aufgelöft, und der Befehl zur Bildung einer neuen Armee 
gegeben, Gegen die Anhänger Napoleons wurden firenge Maßregeln genommen, 
(S. Ludwig XVHL) Der Zuftand Frankreichs war traurig; da, mo die 
Heere der Verbündeten ſtanden — fie nahmen faft 2 Dritttheile des Landes ein — 
berrfchte eine durch-die Gewalt der Waffen gebbtene Ruhe; aber in den übrigen 
Theilen des Reichs erregten die Factionen Unordnungen und felbft blutige Auf: 
tritte. Die verbündeten Mächte behandelten das beftegte Frankreich jegt nicht 
mehr mit der Schonung, wie im vorigen jahre. Nach verfehiedenen Unterhand⸗ 
Eungen kam zwiſchen ihnen und Ludwig X VILT, zu Paris am 20. Nov. ein Vertrag 
zu Stande, in welchem Folgendes feftgefeßt ward: Frankreichs Grenzen follen fo 
Bleiben, mie fie 1790 waren, aber Sranfreich tritt 4 Feſtungen (Landau, Philip⸗ 
peuile, Saarlouis und Marienburg), das Herzogthum Boniflon, den auf dem 
infen Ufer der Lauter gelegenen Theil des Depart. des Niederrheins, einen Theil 
der-Landfchaft Ger, und den ihm 1814 noch verbliebenen Theil von Savoyen (zu: 
fammen mit 434,000 Bew.) ab; es verpflichtet fich, die nach ihrer Einnahme fo: 
gleich geſchleiften Feſtungswerke von Hüningen durch keine andern in einer Entfer: 
nung von 3 Stunden von Bafel erfeßen zu laſſen; es entfagt feinen. Rechtensauf 
das Fürftenthum Monaco; es zahlt an die Allürten 700 Mill. Fr. Tontribution, 
räumt ihnen auf3— 5 Sabre 17 Feſtungen ein und unterhält waͤhrend diefer Zeit 
eite Arntee alliirter Truppen von 160,000 M. überdies machte ſich Die franz. Res 


Ftankrrich ſeit 1814 bie.1820 251 


gierung verbindlich, die rechtmäßigen Anfpräche zu befriedigen, welche: Indivi⸗ 
duen, Corporationen oder Inſtitute in den Ländern-der Verbündeten an fie zu 
machen batten, und alle Echäße der Literatur und Kunft, welche die Franzofen 
aus den von ihnen befeßten Ländern meggenommen hatten, zurüdzugeben. Das 
Leßtere wurde noch während der Anweſenheit der fremden Truppen in Paris auss 
geführt, Endlich mußte Frankreich dem: Sklavenbandel unbedingt entfügen. 
iefen Vertrag unterzeichnete Richelien, der an der Spitze des neuen, im Sept. 
3815 errichteren Miniftertums fland, Die Nation mar ungufrieden; aber der 
Seift der Reaction‘, welcher in der fogen. Chambre introuvable (f. d.) 
fih zeigte, erflichte jeden Widerſpruch. Das Geſetz vom 29. Det. 1815 räumte 
fogar der Regierung die außerordentliche Macht ein, alle Diejenigen zu verbaften, 
weiche firafbarer Anfchläge gegen den König und den Staat ſchuldig ſchienen, 
wenn auch vor Gericht die Schuld nicht eriwiefen war, und oft feine Hffentlichkeit 
zuließ. Endlich fehärften beide Rammern das vom König ihnen vorgelegte Amne⸗ 
fliegefeß (6. San. 1816), nach welchem Alle, ‘die für den Tod Ludwigs XxVI. 
geſtimmt und von Napoleon während der hundert Tage Amter angenommen hats 
sen, für‘ immer aus dem Konigreiche verbannt wurden. Auf diefen &ieg der 
Royaliſten folgte die Abſetzung von vielen taufend Michtern u. a. Beamten. Gleich⸗ 
son! waren die Minifter und andre Beamte den Ultraroyaliften (f. Ultra) nicht 
royaliftifch genug! Diefe hielten den Zufland Frankreichs vor 1789 für den einzig 
rechtmäßigen. Alles, was feitdem gefchehen war, und jedes Einzelnen Antheil 
daran, ſchien ihnen Verbrechen zu ſein. Sie nannten daher plein-purs, oder 
echte Franzoſen, folche, die fich nie mit irgend einer Theilnahme an der Revolus 
tion befleckt hatten, und die.bereits Gegner der erften Conftiturion geroefen waren; 
minder rein aber Diejenigen, welche zwar für die erfle Ständeverfammiung fi 
flärt, darin jedoch feſt an den König gehalten hatten. Alle librige waren in ihren 
ugen mehr oder minder verdächtig, und keine guten Franzofen. Dagegen fahen 
die Gegner der Ukras in Allem, was fich feit 25 Jahren in Frankreich zugetragen, 
die geſchichtliche Entwicdelung der Nation; 28 war, fagten fie, jedes Sranzofen 
Pflicht, in diefer Entwickelung nach feinen Kräften zu wirken, Wer in diefer 
Reit das Vaterland verlaffeh, wer fich dem Dienfte deffelben entzogen, oder wer 
gar gegen daffelbe, die Form der Negierung fei geweſen welche fie gewollt, die 
Maffen geführt habe, der fei ein Verräther an dem Vaterlande gewefen. So 
nannte jede Partei ihre Sache die der Sierechtigkeit, Die Sache der andern dagegen 
die des Verraths. Die Angriffe der Ultras in beiden Kammern airf die Miniſter 
führten endlich zu dem entfcheidenden Schritte vom 5. Sept. (ſ. Ludwig XVIII), 
nach weichem der König die Kammer der Deputirten auflöfte. Darauf erhffnete 
Ludwig XVIII. die Sißung der neuen Kammer am 4. Nov. 1816 mit einer Rede, 
welche die ungünftige Lage Frankreichs offen darftellte, Das Budjet für 1817 
war weit flärfer als das für 1818, weil das Deficit der 3 vorhergehenden “jahre 
gedeckt werden follte- Die Kammern befhäftigten ſich vorzüglich mit den Wahl⸗ 
collegien, den Finanzen, der Berantwortlichkeit der Miniſter und der Preßfreiheit. 
Die Liberalen erlangten zwar das Wahlgeſetz vom 5. Febr. 1817 und das Re 
erutirungsgefeb vom 6. Maͤrz 1818, beflritten aber vergebens ’die Ausnahme 
geſetze, welche die volle Gültigkeit der Charte einfchränkten. Doch verloren die 
Ultras viel von ihrem Anfehen, als man ihre Ranke bei den von ihnen abfichtlich 
in Grenoble 1846 und in Lyon 1817 angeflifteten Unruhen entdedte. Auch in 
der Sißung der Kammern von 1817, tie am 17. Mai 1818 gefchioffen wurde, 
hatte die minifterielle Partei. die Stimmenmehrheit. Indeß ſchwankte die Re 
gierung zwiſchen entgegengefeßten politifchen Anfichten, bis fie fich, nach der im 
Juli 1818 entdeckten weißen Berfchwbrung, durch welche die Ultras die Alliirten 
zum Umſturze den Charte in ihr Intereſſe ziehen. wollten, mehr auf die Seite ber 


252 Frankreich ſeit 1814 bio 1820 


Liberalen und: der Natidnalpartel hinneigte. G. Decazes.) Bei der ſchein⸗ 


bar befeſtigten Ruhe im Innern gelang es dem Minifterium , die Occupations⸗ 
armee:um ein Fünftheil zu vermindern, weßhalb im Frühjahr 4817 30,000 
Mann .zurüdmorfchirten; die finanziellen Schwierigkeiten des J. 1817 aber 
wurden durch eine Anleihe. mit den Banquiers Baring in London und Hope 
in Amſterdam befeitigt. Das öffentliche Vertrauen zu der georbneten Fi 
‚verwaltung befefligte fich noch mehr, als die Negierung zu ihrer Anteihe 1818 
auch franz. Handelshaͤuſer zuließ, die fogar. mehr darboten, als die Regierung 
verlangte, und das Gefchäft auf beffere Bedingungen abfchloffen als’ die Aus- 
länder. Dagegen wurde die neue Anleihe von 24 Mill. Renten, welche, um 
den günzlichen Abzug des Dechpationsheeres im Herbft 1818 .zu bewirken, noth⸗ 
wendig war, nach dem Derlangen der betheiligten Dlüchte, bloß mit den Häus 
fern Baring und Hope abgefchloffen, ungeachtet die franz. Banquiers Lafitte, 
Eafim. Perrier u. A, die ganze Summe auf vortheilhaftere Bedingungen hats 
ten übernehmen wollen: ein Umſtand, der in Frankreich fo großes Mißvergnü⸗ 
gen. erregte, daß die fremden Syandelshäufer endlich einen Theil jener Summe 
franz. Haͤuſern überliegen. Mit-diefer Räumung des franz. Gebiets von den 
fremden Truppen, twelche auf der Mornarchenverfammlung zu Aachen den 9. Oct. 
1848 befchloifen und noch im Laufe deſſ. J. vollzogen ward, hing auch die Bes 
zahlung der Kriegsbuße und die Tilgung der Privatfoberungen, welche die Unter 
tbanen der fremden Mächte an die franz. Regierung und Nation machten, zus 
ſammen. Hier flegte die franz; Diplomatif, Sie hielt nämlich die Erfüllung 
diefer Dusch den Zractat vom 30. Mai 1814 von Frankreich übernommenen, und 
durch die Kammer 4815 - wie durch den Tractat vom 20. Nov. 1815 aners 
- Eannten Verpflichtung , bei dem Ziquidationsgefchifte, welches die ganze Sum 
me jener Foderungen von 1600 Mill. Sr. auf 1390 Mill. feftfegte, bis 1818 
Bin; und ſelbſt dann noch mußten, weil Rußland und Wellington dahin 
flimmten, die übrigen Commiffarien.es fich ‚gefallen laſſen, für die liquide Fo⸗ 
derung von 1390 Mill, nur eine Rente von 16 Mill, und 40,000 Sr. an Zah⸗ 
Iungsftatt anzunehmen; welche nach dem Marktpreis ungefähr einem Capitaf 
von 275 Mill, Fr. entfprachen; fie mußten folglich mit einem Siebentheil der 
‚ rechtmäßigen Foderumg zufrieden fein! England ward für die Foderungen bri- 
tifcher Unterthanen in einer befondern Convention eine Rente von 3 Mill, bewilligt. 
Endlich ward in Aachen die noch vüdftänbige frang. Eontributionsfumme von 
289 Mill. auf 266 Dil. Fr. herabgeſetzt. Nun trat Frankreich den 12. Nov, 
als fünfte Macht zu dem Friedensbunde der europäifchen. Hauptmächte (fi 
Quadruplealliang), und unterzeichnete. die Declaration des chriſtlichen Bob 
ferrechts, als die neue Grundlage der europäifchen Staatsfunft, zu Aachen 
den 15. Nov. 1818. Ä i " 
Jetzt erhob fich in Frankreich der alte Geiſt des Royalismus,. und ber erſte 
Minifter, Herzog von Rich elieu (f. d.), erflärte ſich gegen die weitere Ausbil: 
dımg des:conftitutionnellen Spftems, ſowie gegen die Beibehaltung ber bisherigen 
MWahlform. Darüber entfland im Minifterium eine Spaltung, bis im Dec. 1818 
der Miniſtes Decazes in Hinſicht des Wahlgefeßes und der liberalen Grundfäße 
einen vollftändigen Sieg tiber die Ultras davon trug. Ludwig XVIII. ernannte 
den 28. Dec. ein neues Miniflerium (das twitte feit 1815), in welchem an Riche⸗ 
lieu's Stelle Marg. Deffotles (General und Pair‘) den Vorſitz führte, an Corvetto’s 
Stelle Bären Louis die Finanzen, Marfchall St.» Tyr das Kriegsweſen, an 
Löineis Stelle Graf Decazes das innere (nach Aufhebung des Minifleriums der 
allgemeinen Polizei), und der Siegelbewahrer Deferre das Juſtizweſen verwaltete, 
Allein in dem doppelten Rampfe mit den Ultraroyaliften ſowol als mit den Inde⸗ 
pendenten oder Ultsaliberalen, .:Eonmte ſich dieſes Miniſterium nur bis zum 19, 


- tr 


u / / . 
Frankreich feit 1944 bis 1820 258 


Nov. 1819 behaupten. Deſſolles, St. Cyr und Louls welche für dir freifinnige 
Vollziehung der Eharte flimmten, traten aus demſelben; Pasquier, Latour⸗Mau⸗ 


bourg und Roy nahmen ihre Stellen ein, und Decazes wurde fer. Miniſter. 


Diefer hatte fich, weil die ultraliberale Partei in ihren Koderungen feine Mäßigung 
zu Eennen fchien, nebft Deferre und Portal, für die Anfichten der. gemäßigten rechs 
ten Seite erklärt, Aber das neue Minifterium wurde, feines gemäßigten Royalis⸗ 
mus wegen, von ben Ultraroyaliſten in der Kammer (der außerſten vechten Seite) 
ebenfo heftig angegriffen als von dem Ultrafiberalen (der äußerfien linken Seite); 
Bisher harte nämlich die Regierung, bereits durch das zweite Miniſterium (Riches 
lieu und Laine), um den Widerftand aller Parteien zu: befiegen, mebre Ausnahmen 
von den Beflimmungen der Charte geltend zu machen gewußt, . u. a. die firengen 
Verfügungen gegen indireste Provocationen ımd die Cenſur gegen Journale und‘ 
periotifche Schriften politifchen Inhalts, - Hieraus entfland ein⸗fortwaͤhrender 
Kampf der liberalen Journale (der. „Minerve francaise”, der „Biblistheque hi- 
storique‘‘, des „Gensenr européen“ u, a.) mit den minifteriellen Blättern, unter 


welchen Damals das „Journal des debats” das bedẽutendſte wur, und mit den Blätz 


teen der Ultraroyaliften, welche, wie Die „Quotidienne“, der’ „Gonservateur”, 
der „Drapeau blanc” u. a. die Charte felbft anfeindeten. Geiſtvolle Schriftftels 
kr, u.% Beni. Sonftant, Tomte und Dunoyer, fegrieben im &inne ber 
Liberalen; Donald, Fienee und Chateaubriand (ſ. d) für die Ultras. Da 
die Schriftfieller oft die Geſetze anders verftehen als die Nichter-und der Krons 
advocat, fo trafen nicht felten Verhaftungen und Beldbußen den freimärhigen 


Schriftfieller. Doch wurden am Schluffe der Kammern (1818) die Yrevötalge- _ 


richtshofe aufgelöft, und die Bergehungen, die bisher zu ihrer Beurtheilung gehoͤr⸗ 
ten, wieder an die Affifen gewieſen. Aug das Abzugs⸗ und Heimfallsrecht (droit 
d’aubaine), welches Napoleon hergeflellt hatte, ward 1819 abgefchafft. Allein 
bei der geheimen Reaction der Anhänger des alten Syſtems, unter denen die theo> 
kratiſche Partei vorzüglich durch das Miffionss und Schulmefen der Peres de la 
foi das conftitutionnelle Syſtem umzuftogen bemüht war, wünfchte die Mehrheit 
der Nation ein rein conflitutionnell gefinntes Miniſterium, das die Charte durch eine 
{hr analoge Geſetzgebung mit Nationaleinrichtungen umgäbe, und dadurch die Ums 
triebe der Ultras vereitelte, welche das alte Fendalweſen: die-drei Stände mit ihren 
" Privilegien, Parlamente und die Lettres de cachet, wiederherzuftellen verfuchten. 
(Bol. die Sefchichte des franz, Miniſteriums in. den „Zeitgenoffen”, Heft XIX.) 
Es gab fogar ein fbgen. Gouvernement oceulte, das Baron Bitrolles im Sinne 
der Ultras Teitete, unter deffen Schutze Negterungsbeamte ihre Gewalt mißbrauchten. 
Insbeſondere aber litt die ECriminaljuftiz an großen Bebrechen, und war durchans 
nicht mit der Freiheit der Perfonen, welche Die Charte anerkennt, zu vereinigen (vol. 
Berten: „Observat. crit. sur la procedure ceriminelle d’apräs: le oode qui 
regit la France”, und-Berenger: „De la justice erimmnelle en France”, Paris 
1818); die Charte hatte Die Strafe der Conficcatien abgeſchaffe, ‚aber die: ſtarken 
Geldbußen, welche das Gef vom 9. Nev. beſtimmte, glichen wahren Tonfisvaties 
ven; eine Art Folter war die enge Haft, le secret, weiche oft Jahre dauerte, ehe 
man die Schulslofen freifprach; in den Sefängniffen mifchte man zufommen Ber: 
brecher und bloß Angeklagte, Berurtheilte und din mit Haft Beſirafte, den Abe 
ſchaum der Geſellſchaft mit Männern, Bie maͤn wegen · politiſcher Berirrungen ein⸗ 
ſerrte. Ein andrer Grund der Unzufsiebenheit:befland und haſteht auch, darin, mE 
die Nation nicht eine ihrer Obrigkeiten ernennt. Vom Flarwoachter des Dorfs bis 
zum Municipafbeamten und Maire werben alle'Belihiten von der Regierung ers 
kühle, und die Departementsräthe fprechen im Mamen ihrer Depnrtements die 
Münkpe der Nation auf, ohne yon ihr, Oguollmächtigt zu fein; ;daherihre Stimme 
oft den Nſichten Der Mehrheit in den Debartemante ganz entgrgeugrfebt in Hat⸗ 


264 Frankreich feit 1814 bis 1820 


ten ſich bach ganze Rathe für das Eoncordat und gegen die Schutzblattern erffärt! 
Selbſi diẽ Nationalgarde, welche nicht einen ihrer. Dfficiere ernennen durfte, war 
nicht überall aus den Eigenthumern zum Schuße des Eigenthums zufaı 


.. fest, fondern nach Gunſt und Willkür oft aus Heimathloſen und Unbegüterten, — 


daß ſie in manchem Departement nur die Rotte einer durch ſie bewaffneten Partei 
war. Daher konnten in mehren Gegenden Frankreichs ſo viel Gewaltthaten gegen 
die Proteſtanten ſtraflos geſchehen! Lieſt man, was ein Mitglied der franz. Akade⸗ 
mie, Aignan: ‚De l’etat des Proteslans en France depuis le seiziéme sicelo 
jusqu’ä nos jours“, 1818, darüber fagt, fo glaubt man fich in die Zeiten der “Dras 
gonaden zurückverſetzt. “Die Regierung that endlich diefen Graͤueln Einhalt; aber 
die Treftaillons u. a. Mlörder wurden nicht beftrgft.”) Dem ariftofratifchen Geiſte 
der Privilegienfreunde war vorzüglich das St.⸗Cyr'ſche Necrutirungsgefeß verhaßt, 
welches die alte Sleichheit des Kriegsdienftes wiederherftellte. Der Adel beklogte 
ſich über ungerechte Zurüdfeßung; allein der Staatscalender bewies, daß er fieben 
Achtel der Präfesturen und die wichtigfien Maireftellen inne hatte. Er fland an der 
Spitze der Militairdivifionen, der Zegionen, der Sendarmerie, der Tribunäle, der 
Sefandtfehaftenz felbft in der Ginanzverwaltung fand man ihn! Dagegen bes 
ſchwerte fich das Volk, daß feine bürgerliche Gleichheit in Frankreich vorhanden, 
und daß die vollziehende Gewalt größtentheils in den Händen einer Kaffe fei, die 
ihrer verlorenen Borrechte mit Haß gegen das neue Derfaffungsgefeß gedenfe! Das 
zu fam, daß die polizeilichen Maßregeln benachbarter Staaten, namentlich die in 
Frankfurt gefagten Befchlüffe, die alten Leidenfchaften der beiden Parteien Frank: 
reichs in entgegengefeßter Richtung aufregten. Endlich erhißten die Semüther zahl: 
Lofe Proceffe wegen Meuterei, Hochverrath, Unfug der Miffionnaire und das Raͤnke⸗ 
fpiel bei den Deputirtenwahlen, So gefchad es, dag alle Stimmen fich verwirrten, 
und daß der Wunfch der gebildeten und Eunftfleißigen Deittelclaffe, eine wahrhaft 
eonftitutionnelleSefeßgebung und Verwaltung in den Kammern und in dem Mini⸗ 
fterium zu erbliden, mit den beftigften Außerungen der Ultraliberalen verswechfelt 
und nicht beachtet wurde. . on 
In der Sefchichte der innern Angelegenheiten Frankreichs ift daher die 
durch das conflitutionnelle Syſtem bald mehr, bald weniger bedingse Sefeßgebung 
und Verwaltung der roichtigffe Gegenſtand. Mit dieſen innern politifchen Leben 
ſteht das Außere, oder Frankreichs Stellung in dem neuen europ. Staatenſyſtem, 
in einer gegenfeitigen Wechſelwirkung. Sowie nämlich in Frankreich das fireng 
monarchifche Princip auf alle Zweige der innern Staatsverwaltung an Einfluß und 
dadurch an Macht. gewann, fo fchloß.fich das franz. Cabinet immer enger an das 
Continentalſyſtem der europ. Hauptmächte an. Schon der Beitritt Frankreichs zu 
dem Bunde.der Hauptmuͤchte auf dem Eongreffe zu Aachen 1818 hatte die franz. 
Megierung zu einer Politik verpflichtet, welche die Ausbildung der innern Berfaffung 
und Dermaltung Frankreichs immer mehr nit den menarchifchen Örundfüßen des , 
Stabilitäesfußems.:in Übereinfiimmung zu bringen fuchte. ungeflümer nun 
die linke Seite der Deputirtenkammer ihre zum heil ultraliberalen Anfichten. vers 
focht und in diefem Sinne das Minifterium gufammengefegt zu ſehen wuͤnſchte, um 
befto eher netgte fich die Regierung zu. den Anfichten des Sentrums der Kammer bin, 
beffen Mitglieder fich zu einem -gemäßigsen Ropalismus befannten, wodurch ſelbſt 
ein großer Theil der ſtrengen Royaliſten von der rechten Seite im Sinne des Minis 
M Er als Im März 1819 eine geoße Anzahl Sevenneubewohner der Stadt Nik 
mes drohte: „Dreißigtauſend Männer And bereit; mir den Waffen der Verzweiflung - 
von ihren Bergen herabzuſteigen, wenn ihrer Brüder Heil ed erfodert”, man die 
Proteitonten in Ruhe. Damals. waren die Merhodiften ın Fngland ſeht thaͤtig, um 
den Proteſtanten in Frankreich Huͤlfe und Schutz zu fchaffen. üͤber die Prot —F 
den Klerus, die Miſſſonnaire und das Conkorbat in Frankreich nach der Keflanration |. 
die Schrift: Die Hierarchie und Ihre Baudesgenbſſen in Zi LATE 1829). " 


Frogkreich feit 1820 bis AB2I. 255 


ſterinums zu ſtimmen fich: bewogen fand. Das bisherige Wahlſyſtem begfinftigte jer 
doch viel zu ſehr die liberalgefinnte Volkspartei, als daß richt die Regerung auf 
eine tag repräfentative Dyſtem mehr befchränfende Wahlform haͤtte denken. follen, 
Sie fuchte daher. durch ein neues Wahlgefeg dem Ariſtokratismus der reichern 
Grundbeſicher den .überwiegenden Einfluß auf die Wahlen für die Deputirtenfam: 
wer zur verfchaffen, und zugleich die.bedenkliche Stimmung der öffentlichen Dieis 
ming durch Ausnabmegefeße, welche bie perfünliche und die nur eben erft (9: Juni 
4819) gefeßlich beftimmte Preßfreiheit betrafen, in Schranken zu halten, | 
W. Geſchichte Franfreihs.von 1820 bis 4829. Über die Ums 
bildung der Wahlforh entbrannte der heftigfte Parteienfampf in der Sigung 
von, A849 (vom 29. Nov. 1819 bis. zum 22. Yuli 1820). Der Einfluß des 
firengen Royalismus zeigte fich zuerft in der Ausfchliegung des Deputirten Gregoire; 
jedoch konnte die rechte Seite es nicht durchfeßen, daß feine Unwürdigkeit als Pies 


I 


weggrund ausgefprochen wurde, Hierauf griffen fich beide Parteien mit gegenfeitiz - 


en Oekbufbigumgen an, und der Minifterpräfident Decazes bereitete fchon einige 
feßentwürfe vor, um die Gemaͤßigten von jeder Seite mit fich enger zu verbinden, 
als die blutige That eines politifchen Fanatikers (am 13. Gebr. 1820), die Ermors 
dung des Herzogs von Berry (ſ. d,), die ganze Nation in Beftürzung feßte und die 
Ultrag der rechten Seite zu der heftigften Erbitterung anreizte. Herr de Labourdon⸗ 
naye foderte die Kammer auf, alle Maßregeln zu befördern, wodurch Die geführlis 
hen Lehren, welche dem Throne und der ganzen Civiliſation gleiche Gefahr braͤch⸗ 
ten, unterdeückt werden konnten, Insbeſondere wandte fich-der Haß der rechten 
Seite gegen den Minifler Deenzes. Diefer legte zwar noch der Kammer die Ent: 
würfe eines nehen Wahlgefeges und zweier Ausnahmegefeße vor; als er aber ſah, 


da er die Mehrheit verkoten, danfte.er ab den 18. Febr. An feine Stelle trat am 


20. $ebr. 1820 als Präfident des Miniſterraths der Herzog von Richelieu, und 
Graf Simeon als Minifter des Innern. (Das fünfte Minifterum.) Nun ents 
fland über jene 3 (Sefeßentwürfe der entfcheidende Kampf, welcher den Sieg des 
ſirengen Monarchismus über die Partei der Liberalen zur Endfolge hatte. Geſetz⸗ 
gebung und Bermwaltung wurden ſeitdem immer mehr im inne des ariftofratifch: 
monarchifchen Syſiems geleitet, und die Kraft wie der Einfluß der Regierung durch 
Deferre’s Beredtſamkeit und fpäterhin (feit 1822 durch Villele’s Talente), 
ohne jedoch die Charte gu verleßen, immer mehr erhoben. Das erfte Ausnahmege: 


f$ (Loi sur a liberte individnelle) vom 26. März 1820 gab nämlich den Mini⸗ 


ſtern die Gewalt, auf-bloßen Verdacht des Hochverraths, durch einen von 3 Mini: 
‚fern unterzeichneten Befehl, jeden Angefthuldigten verhaften zu laffen, fodaß er 
fräteftens erft in 3 Dionaten vor Gericht geſtellt werden mußte; doch follte diefes 
Geſetz nur bis zum Schluffe der künftigen Sigung von Dauer fein. Vergebens hats. 
ten fich die erfien Redner der Oppofition, welche das Geſetz als eine Anklage der gan⸗ 
gen Nation betrachtete, wodurch man fie: der Willkür preisgäbe, zu zeigen bemüht, 
daß fchon die vorbandenen Geſetze hinreichten, um aufrübrerifchen Entwuͤrfen vorzu⸗ 
gen. Noch heftiger war der Kampf über das zweite Ausnahmegeſetz vom 31. 

13 1820 (Lei sur la pablication des journaux; 'ecrits.p6riodiques, des- 

sins etc.), wodurch bie Tenfur wieberbergeftellt. wurde. Jede Partei war damit uns 
zufrieden, Die linke Seite erinnerte das Miniſterium an die noch fehlenden Geſetze 

* Über die Localverrdaltung, über die Nationalgarde, die Geſchworenen u, a. m. ”). 
Sie foderte dagegen die Regierung auf, ihr, die conftitutionnelle Freiheit und die 
fiße der Tharte, welche die gegenfeitige Buͤrgſchaft des Throns und der Na: - 

tion enthalte, bedrohendes Syſtem ju ändern und:den:Bulfan der Volksunruhe 
lieber anszuitöfchen, last ihn zu vermauern. Es hatten ſich ſelbſt einige fehr geach⸗ 
*) Den Seſetzentwurf über die Verautwortlichkeit der Miniſtet vom 28. Zaun. 1810 
die Miniſter ſelbſt aufgegeben. DE EEE ——— 


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⸗ 


256 Frankreich feit 1820 bis 1829 


tete Mitglieder des Eentrums, welche eine fölgerechte Entwickelung ber Srimdfäße 
der Chartẽ mit logifcher Strenge vertheidigten, die fogen. Doctrinaires, fchon vor 
dem Austritte des Herrn v. Decazes aus dem Minifterium von Demfelben getrennt 
und fich mehr oder weniger der linken Seite genähert, weßhalb man jetzt das linke 
Eentrum von der rechten Mitte, in welcher die minifteriellgefinaten, gemäßigten 
Royaliſten faßen, zu umterfcheiden anfing. Allein Deferre und Pasquier behaupte⸗ 
‚ten dennoch die Stimmenmehrheit in den Kammiern. Indeß machten die Minifter 

von der Gewalt, weiche ihnen das Geſetz über die perfönliche Freiheit erteilte, kei⸗ 
nen willfürlichen oder einfeitigen Gebrauch. Dagegen brachte das Journal⸗ oder 
&enfurgefeß, welches jedoch nur bis zu Ende der Sigung von 1820 gelten follte; 


eine gänzliche Veränderung im Journalwefen hervor; denn da die Eenfür faſt nur 


gegen bie liberalen Blätter mit Strenge ausgeübt wurde, fo verloren diefe einen 
oßen Theil ihres Einfluffes, was befonders bei den beuorfichenden Wahlen dee 
Regierung Vortheil brachte: Am entfcheidendfien waren die Folgen des neuen. 
Wahlgefeßes vom 29. Juni 1820, deffen zweiter, von.dem Minifter. Simon 
am 17. April vorgelegter Entwurf nach dem Heftigften Widerftande der Doctrinais _ 
ren und Liberalen in beiden Kammern, umd nach unrubigen Auftritten im der Haupt⸗ 
ſtadt nur mit einigen Abänderungen durchgefeßt werden fonnte, Die bisherige Zahl 
der Deputirten von 258 wurde Dadurch bie auf 480 vermehrt, von denen 258 von 
den Bezirkscollegien und 172 von den Departementscollegien gewählt werden. Die 
letztern beftehen aus den am meiften befteuerten Wahlmännern, die den vierten Theil 
aller Wahlmänner des Depärtements ausmachen, und die denmach eine boppelte 
Wahlſtimme haben, eine in ihrem Bezirks - und eine in dem Departementscollegium, 
Die großen Güterbefiger erhielten feitdem einen überwiegenden Einfluß auf bie 
Mehrheit der Wahlen. Denn wenn die durch das neue Sefeß berufenen Wahl⸗ 
männer und Wählbare, wie Herr Ternaux behauptete, zufammen kaum den 40; 
Theil der öffentlichen Abgaben bezahlen, fo find 39 Theile der Befteuerten von dem 
MWahlrechte ausgefchloffen. Die Zahl der Wählbaren aber, die 40 Jahr alt fein und 
1000 Fr. und darüber an Steuern bezahlen müffen, belief ſich "damals in ganz 
Frankreich nur auf 16,062. Die erfte Folge der neuen Wahlform war, daß ſchon 
1820 unter 220 neu erwählten Deputirten nur einige und dreißig liberale fich befanz .. 
den; auch 1821 verflärften von 877 neu gewaͤhlten Deputirten zwei Drittel die rechte 
©eite; die übrigen gehörten theils zum Centrum, theils zur linken Seite, — Es 
war natürlich, daß viele Beamte mit dem neuen Syſtem der Regierung nicht übers 
einftimmend dachten, auch wol als Deputirte und Schriftfteller demfelben ihre Mei⸗ 
nungen und Anfichten entgegenfeßten; daber fand jedes neue Miniſterium für nd= 
thig, viele Dienftentlaffungen zu verfügen, und geachtete Männer, mie Royer:Cols 
lard, Camille Jordan, Herr von Barante, Guizot u. A., wurden ſchon damals 
aus dem Stantsrathe ausgefchloffen. - Noch willfürlicher frich.der Kriegsminifter 
fortreährend Officiere, wenn fie entweder. zu liberal oder zu ropaliftifch gefinnt 
‘waren, ohne vorberigen Urtelsfpruch aus. den Liflen. aus, worüber fich beide 
MDarteien in den Kammern mehrmals far. beſchwerten. Die Regierung mußte 
aber freilich um fo mehr fich auf alle Angeftellte verlaffen Eonnen, weil fich viel 
fache Spuren von geheimen Berfchwörungen gegen die Sicherheit des Staats 
eigten. Das meifte Auffehen machte die Derfchwörung vom..19..Yug. 1820, 
ine Menge Officiere und Unterofficiere wurden verhaftet, weilfie die Truppen in 
Paris und andern Orten zum Abfall Hatten verleiten wollen; der angebliche Haupts 
anftifter, Capitain Nantil, war entfloben. - Da diefer Hochverratbefall von der 
Pairskammer, als dem höchflen Serichtshofe für folche Sachen, unterſucht werden 
follte, fo ftellte fie bei diefer Gelegenheit den flantsrechtlichen Grundſatß auf, daß 
dem Hofe der Pairs das Recht zuftehe, zu beflimmen, ob ein Fall von der Art ſei, 
daß er vor die richterliche Unterfuchung der Pairsfammer gehöre. In der gegene 


Frankreich feit ‘1820 ‚bis 1829 257 


\ 
wärtigen Sache hb.die Kammer den Thatbefland als erwiefen an und verurtheilte 
3 Abrvefende zum Tode, 6 Abmefende zu Geld: und Sefängnißftrafen; die Übrigen 
wurden ſaͤmmtlich freigefprochen. -Wieübertrieben jedoch manchmal die Furcht der 
Regierung vor geheimen Anfchlägen war, bewies die fogen. öftliche Verſchworung 
(Conspiration de l’Est), indem alle darein verwidelte Perfonen im Juli 1821 von 
den Affıfen zu Riom ſchuldlos gefunden wurden. Dagegen zeigte Madier de Mont: 
jau, Hofgerichtsrath zu Nismes, der Kammer an, daß die Machinationen eines ge: 
heimen SDirectorialausfchuffes,. zu welchem nach ihm die Verf, der „Note secröte“ 
gehören follten, den Fanatimus, zu ihren Abfichten benntzten und im Garddepart. 
den- Aufſtand formlich erganifirt hatten. Da aber das Miniſterium die Verf. der 
Note nicht zur Berantwortung z09, ſo weigerte er ſich, die Mitglieder des geheimen 
Ausfihuffes zu nermen, und‘die Sache hatte feine Folgen. : — .. 

Die Royaliften, benusten ihrerfeits jeden Vorfall; um das Miniflerkum zu ei: 
em firengern Syſtem zu bemegen, und die bedeutendften Deputirten der rechten 
Seite arbeiteten eifrig darauf hin, felbft in.das Minifterium zu fommen. Dies ge: 
lang ihnen gleich nach der Eröffnung der Sigung von 1820 (vom 19. Dec. 1820 
bis zum 31. Juli 1821). Denn ſchon am 21, Dec, wurden Laine, de Billdie und 
Eorbicre zu Diinifterflantsfecretairen, zwar ohne Verwaltungszweig, jedoch mit dem 
Stimmenrechte im Minifterrothe, ernannt. Durch diefe Wortführer wollte fich das 
damal. Minifteriumder Leitung der rechten Seite verfichern;; allein ſehr bald zeigte fich 
unter den firengen Royaliſten gegen die Minifter eine Oppoſition, welche Graf Don: 
nadieu, Delalgt, Graf Baublanc.u. A. leiteten. -. Ya eg fchienen ſich eine Zeit lang 
beide ‘Parteien, ſowol diejenige, der das Miniſterium bisher den Ziep verfehafft hatte, 
als diejenige, welche durch daffelbe Miniſterium vernichtet worden war, mit gleicher 
Erbitterung zum Sturze des Minifteriums zu vereinigen, Die linke, Seite griff vor: 
zũglich den Einfluß der Regierung auf die Wablcollegienan. Indeß zeigte fich bald, 
wie ſchwach fie war, indem die rechte Seite ſtets die Stimmenmehrheit behauptete, 
Die Kammer drüdte daher inihrer Adreffe an den König den Wunfch aus, die Sitten 
gereinigt zu ſehen durch ein chriftt. monarchifches Erziehungsfpflem, was in Zinficht . 
auf das ganze Unterrichtsfoflenn wichtige Folgen gehabt: bat; Übrigens: wiederholte 
die rechte Seite unaufhörlich die Durch mehre Vorfälle zweibeutiger: Art-veranlafte 
Beſchuldigung, daß es in Frankreich eine. fortdauerude Berfchrogrungugebe ;.ja fie 
machte dies fogar der Oppofition ber linken Seite zum Barwurf; worüberdie heftig; 
fien Wortfämpfe.entftanden, die zu den bitterfien Außerungen:und Gegenbefchufdte 
gungen führten. Dagegen hatten. die gemäßigten Liberalen, wie es Unparteiiſchen 
erfchien, in der That fein andres Ziel.vor Augen als dasjenige, welches einft Benj. 
Eonflant am: Schluffe feiner baruͤhmten Rede über das Wahlgefeß mit.den: Wer: 
ten bezeichnet hatte: „Les Beurhorms, rien que ‚les Bourbons’ zver.la charte,; 
toute la charte sous les Boyrbpns!“ oo 4 e 


Die michtigſten Verhandlungen betrafen die auswärt, Verhältniffe und. das ” 
Kecht der Deputirten, ihre Meinung frei heraugzufagen, Royer:EoHard entwickelte 
bei diefer Gelegenheit die Theorig der Oppofition auf die biinbigfie Art. "Allein der, 
Großſiegelbewahrer Deferre befümpfte die linfe Seite mit ollen Waffen feiner: Bei 
redtſamkeit fo glüdlich, daß das Drdnungspglizeigsfeß der Kammer einigeiftrengere 
Beſtimmungen exbielt, welche den heftigen: Ausbrüchen des Parteienkampfes in 
dem Schoße der Nationalrepraͤſentation vorbeugen ſollten. Mehre Geſetzentwürfe, 
welche die innere Verwaltung betrafen, veranlaßten gründliche Erörterungen ſtaats⸗ 
wirthſchaftl. ragen, wozu ingbefondere, wie gewoͤhnlich, Die Prüfung des Budgets 
den reichhaltigſten Stoffdarbot. Endlich wurde ie Dauer des Cenfurgefeßes vamS1, 
Maͤrz 1820 verlängert. Dagegen nahm das Miniſterjum f. Entwurf eines. von der 
linfen Seite und dem Centrum wiederholt verlangten Geſetzes, die Organiſation der: 
Municipal: und Departementalverwaktung betreffend, zurück, weil Feine Partei da⸗ 
Converſatious· Lapieg; Sb. . Er © EEE 


nm 
2 


258 Frankreich feit 1820 bis 1929 


mit einverflanden war. Kurz vor dem Schluffe der Sigung von 1820:(am 34. Juli 
41821) entzweiten fich die Miniſter untereinander, theils über die weitere Entwickelung 
ihres Syſtems im Allgemeinen, theils über den Anteil, den die Minifter ohne Se: 
ſchaͤftszweig (Portefeuille) an der Verwaltung fünftig nehmen follten. Billele und 
Eorbiere gaben daher ihre Entlaffung, was eine Spannung des Minifteriums mit 
der rechten Seite zur Folge hatte. Deffenungeachtet glaubte das Minifterium fo feft 
an feine Fortdauer, daß es die Sißung von 1821. früher erdffnen ließ, damit über 
das Budget yon 1822 noch vor dem Schluffe des Jabresabgeftimmt werden konnte. - 
Denn beider bisher im Spätjahreerfolgten Eröffäung der Kammer mußten gewöhn: 
lih 6 Monate des nächften Finanzjahres, oder ein fügen. Proviſorium von 6 Zwoͤlf⸗ 
theilen im voraus ohne nähere Prüfung bewilligt werden, was jedes Mal zu fehr ge: 
gründeten Beſchwerden Anlaß gab. Zugleich hofften die Miniſter durch die Befol⸗ 

ung eines gemäßigten Syſtems ihren Einfluß auf die Mehrheit m der Kammer zu 

ebaupten, und die Cenſur verfuhr jeßt aus demſelben Grunde mit mehr Strenge ge: 
gen die "Journale der artticonftitutionnell Sefinnten. 

Aber die neue Wahlferm führte den Gegnern des Miniflerums, den firengen 
Noyaliften, eine beträchtliche Verſtaͤrkung zu und fchreächte in demfelben Berhüte 
niffe die linke Seite und das Centrum. Als nun die Sißung von 18241 am B. 
Nov. eräffnet wurde, hatten fich bereits die Mitglieder der rechten Seite enger vers 
bunden, um die Mebrheit zu erlangen. Sie wurden die Wortführer und Bericht: 
erſtatter der aus der Mitte der Kammer gewaͤhlten Ausfchüffe. Übrigens waren beide 
Seiten, dierechte und die linke, mit der Politik der Regierung in Anfehung Neapels 
und Piemonts auf dem Congreſſe zu Laibach (f. d.), obwol in einem entgegenge: 
feßten Sinne, gleich unzufrieden ; daher die auffallende Stelle inder Adreſſe der De: 
putirtenfammer an den König vom 26. Nov. „Nous nous felicitons, Sire, de 
vos relations constamment hmicales avec les puissandes’&irangeres. dans la 
juste confiance que la paix si precieuse n’est point achetee par des sacrifices 
incompatibles avec l’honneur de la nation et la dignite de votre conronne“. 
Die Minifter bewogen nun Ihrerfeits den König, daß er fich die Adreffe nicht wie ges 
woͤhnlich durch eine große Deputation, fondern bloß von dem Präftdenten und den 
beiden Secretairen der Kammer übergeben ließ, und daf er in feiner Antwort jene 
Stelle migpifligte. Hierauf legte der Großſiegelbewahrer Deferre 2 Gefeßentwürfe 
vor, welche / bie Verlängerung der Cenſur bis zu dem Ende der Sißung von 1826, 
und ftrengere Zufüße zu den beflehenden Gefegen tiber die Preßvergehen betrafen. 
Allein beide Seiten der Rainmern nahmen fie mit entfchiedenem Widerwillen auf, und 
von der rechten Seite gab Delalot das Zeichen zum Angriffe, worauf fich auch Sen, 
Donnadieu, de Labourdonnaye und Saftelbajac gegem die Miniſter erhoben; von der 
Unten Seite aber deutete Herr v. Chauvelin auf eine Veränderung des Miniſteriums 
bin. Da diefeg weder dem gemeinfchaftlichen Angriffe der beiden Parteien einen frafs 
tigen Widerftand entgegenfeßen formte, noch die Auflöfung der Rammern zu befchlie- 
pen wagte, fo fiegte endlich die Hofpartei, welche das Minifterium aus ftrengern Ros 
paliften zufammengefeßt zu fehen wuͤnſchte. ni nahmen daher fümmtliche Mini⸗ 
ſtet, ſelbſt Deſerre, deffen Royalismus über jeden Verdacht erhaben, und Roy, deffen 
Derdienft um die Finanzvermaltung unbeftritten war, ihre Entlaffung am 17. Dee. 
1824. Das fechste Miniſte rium beftand jeßt aus Herrn de Peyronnet für das 
Juſtizdepart. aus dem Vicomte de Montmorench für die auswaͤrt. Angelegenheiten, 
dem Marfchall, Herz v. Belluno (Mictor) für das Heermefen, Graf Corhiere für dag 
innere, dem Marquis de Clermont⸗Tonnere für das Seeweſen, uud dem Hrn. v. 
Diklöle für das Finanzdepart. Diefe Berändermg hatte auch die Entlafftıng des Po: 
kigeidirectors Baron Mounter, des Wolizeipräfecten von Paris, Grafen Angles und 
des Unterflaatsfecretairs im Juſtizdepart. Grafen Portalis u. X. mi. zur Folge; am, 
die Dtelle des nunmehrigen Herr Decazes aber ging der Bicomte de Thatenubriand 
als Botſchafter nach London. Das Syſtem des firengen Royaliemus hatte nun ganz 


Sranfreich feit 1820 bis 1820 259 


die Oberhand ; die rechte Seite fehien beruhigt, und die linfe bildete eine nur noch 
fehr kraftloſe Öppofition, Das neue Miniſterium nahm fogleich den Vorfchlag einer 
Berlingerung der Cenſur zurüd, und dieſe hörte geſetzlich auf mit dem 5. Febr. 1822, 
Dagegen wurde die Unterfuchung aller Vergehungen durch die Preffe den Geſchwor⸗ 
nen entzogen, obgleich Deferre für Die Beibehaltung der Jury ſ. Stimmeabgeben ließ. 
Die Rechtsgelehrten im rechten Centrum, vorzüglich Bellart und Martignac, fimmt: 
lich Segner Des Geſchwornengerichts, drangen mit ihrer Anficht durch. Unter diefen 
Umſtanden gab es feine Zeit, das Budget von 4822 vorzulegen ; die Kammern be= 
willigten Daher abermals der Regierung ein Provifortum. — Das neue Regierungss 
fiem hatte auf den öffentlichen Credit feinen nachtheiligen Einfluß; doch äußerte 
& in den Provinzen die Linzufriedenheit der demokrat. Partei. Man entdedte fogar 
am Ende 1821 in der Kriegsfchule za Saumur unter'den Dfficieren und Soldaten 
eine Derfchwärung zu Bunften des jungen Napoleon, und 1822 mehre gleichzeitige 
Anfchläge zum Aufftande der Sarnifonen von Belfort, Saumur, Meubreifach und 
Meb, 100 die dreifarbige Fahne wyhen follte: es gab Unruhen in Srenoble, Bordeaux, 
Rennes, Rochelle und Nantes, Die Verſchwoͤrung des Sen. Berton fam wirklich 
zum Ausbruche, den 24. Febr., allein f, Unternehmen auf Saumur mißlang; fo auch 
im Aug. der Aufruhr des Obriftlieutenant Caron im Elſaß. In Paris verahlaßten 
die Miffionarien unruhige Auftritte, und mehrmals wiederholte Studententumulte 
Batten die Aufhebung der medicin. Facultät (die jedoch im März 1823, new'urgani- 
- firt, wiederhergeſtellt wurde) in Parisund das Verbot aller Vorlefungen Aber neuere 
Geſchichte, Naturrecht und Philoſophie zur Folge. Zu gleicher Zeit wurden einige De: 
partements durch viele Brandſtiftungen beunruhigt. Alles dies reizte die Partei der 
ſogen. Fanatiker (wie man die uͤberſpannten Royaliſten nannte, zum Unterſchiede 
von den Politikern oder den gemäßigten Royaliſten) zu heftigen Ausfällen auf die An: 
hanger des Liberalen Syſtems, welche oft mit Bitterkeit und rüdfichtslofer Leiden: 
haft die Refultate der Revolution als wohlthätig für Frankreich darzuftellen ſuch⸗ 
tm. Doch behauptete Lafitte nicht mit Unrecht, der Ackerbau vertanfe feine Fort: 
ſchritte vorzüglich der Revolution, und die Induſtrie ihren Flor der kaiſerl. Regie⸗ 
rung. Da die linfe Seite aber flers überflimmt, und ihre Redner öfters zur Ordnung - 
gerufen wurden, fo ergriff fie zufeßt den Entſchluß, nicht mehr zu ſtimmen. Auch 
im der Pairsfammer fiegte das ariftofrat. Princip. Sie faßte u. A. den Beſchluß, 
daß fein Pair jemals wegen bürgerlicher Schulden in Verhaft genommen werden 
Tonne, ungeachtet nach der Charte alle Franzoſen vor dem Geſetze gleich fein follten. 
Endlich wurde die ftürmifche Sigung von 1821 am 1. Mai 1822 geſchivſſen. 
Die Wahlen der neuen Deputirten wurden jeßt von der Regierung beinahe 
msfchließend geleitet, der Finanzminifter Billele erließ fogar ein Umlauffchreie 
. ben, worin allen wahiberechtigten öffentlichen Beamten zur Pflicht gemacht wurde, 
im Sinne des Miniftertums zu ſtimmen. Obgleich nun die Candidaten der Op: 
pofition bei den Wahlen in Yaris den Vorzug erhielten, fo betrug dennoch unter , 
80 neu gewählten Deputirten die Zahl der antiminifteriell Sefinnten nur 81. Hier: 
auf eröffnete der König im Saale des Louvre am 4. Juni die Sißung der Kams 
mernvon 1822, weiche bis zum 17. Aug. d. J. dauerte, und fhon am 14. Juni 
erklärte Villele, daß die feit 9 Jahren nothwendig geweſene Bewilligung ‚eines 
Proviferiums aufhöre, indem er den Entwurf des Budgets von 1823 vorlegte, 
Die Talente ımd die Mäfigung diefes Minifters erwarben ihm in der Leitung der 
öffentlichen Angelegenheiten ein folches libergerwicht, dag ihn der König am 4. 
Sept. zum Präfidenten des Minifterconfeils ernannte, Auch auf die öffentliche 
einung wußte er durch das minifterielle Organ, das „Journal des débais“, mit 
ig einzuwirken. Allein die Ultras der rechten Seite waren mit feiner Maͤßi⸗ 
gung fehr ungufrieden. „Wir Haben ihn erhoben‘, fagten fie in den Salons, 
„umd nun, da er oben flieht, wendet er der Leiter den Rüden Herr v. Villel⸗ 
* 1 


J 


260 Sranfreich felt 1820 bis 1829 


that namlich nicht Alles, was fie verlangten, und was er that, geſchah ifmen nicht 
raſch aenıg, Dagegen wurde bemerkt, dag auch Herr v. Billele, wie jeder fram: 


R ürf . .” ° » 
Burd) die Galgen dee 092 mu Pac und Zponare das Dinerüfl Wiegen 


hen Wortrnas De Denuairıen Sale —* 
Foy, als mit in jene Verſchwoͤrung verflechten, deargeftellt, und wurde deßhalb vom 

diefen als Verlaͤumder in Anfpruch genommen. Allein feine Amtspflicht fchüßte den 
Procurater, und Benj. Conflant wurde fogar wegen feines beleitigenden Schreibens 
andenfelben zu einer ſtarken Geldbuße verurtheilt. Jene Rede von Mangjn aber und 
eine ähnliche von dem Seneralprocureur Diarchangy enthielten fo ſtarke Außerungen 
über ein in Eurspa angeblich, allgemein verbreitrtes reyolutionnaires Streben, daf 
man fie als den Ausſpruch der jegt an Einfluß überwiegenten leidenſchaftlichen 
Partei anfehen und daraus beurteilen konnte, wie Haß und blinder Argmohn auf 
der einen Seite die Unzufriedenheit, und den Widerfiand von der antern Seite un: 


eugverbunbene, mächtige Partei jeßt fireite. Diefe Partei ſtärzie den Minifter 
Decayes, weil er die Demokratie mit dem Konigehum zu verbinden fuchte, Aber 
auch eine vernünftige Ariftofratie, welche Graf Billcle mit dem Konigthum ver: 
fihmelgen wollte, war nicht nach ihrem Sinne. Doch näherte fich endlich der 
Kampf feiner Entſcheidung durch die völlige Niederlage der liberalen Partei, als 

‚große. Frage erörtert wurde: Soll Frankreich das demokratiſche Princip 

—— — mit den Waffen in der Hand bekampfen? 

Dies geſchah in der Sigung von 1823 (gefchloffen den 9. Mai 1823), 
welche der König am 28. jan. mit einer Rede eröffnete, in welcher er den Marſch 
v0n:100,000 Franzofen gegen Spanien antindigte, um diefes Königreich mit Eus 
ropa auszufohnen. Die Oppofition, in welcher Diesmal der nicht wiederermäßlte 
Depntirte Benj. Conſtant fehlte (von 51 ausgetretenen Deputirten, Die gegen die 
Regierung geſtimmt hatten, waren nur 6 wieder erwaͤhlt worden), konnte nicht eins, 
mal in der ‘Pairsfammer den vom Baron Baränte ausgegangenen und vom Süre 
fien Talleyrand unterftüßten Borfchlag durchfegen, und in der Ädreſſe an den König 
ihre Mißbilligung des fpanifchen Feldzugesausdrüden. Indeß batte ſchon un Dec, 
1822 Villele, welcher nicht unbedingt für den Krieg war, fi) mit dem Minifter 
der auswartigen Angelegenheiten, Herzog von Moutmorency, der eben van feiner 
Sendung nah Verona, wo er dem Congreſſe beigewohnt hatte, zurüdgefehrt. 
mar, tiber die Abfaſſung der Note an die fpan. Regierung nicht vereinigen fünnen, 


I 


Stanfreich feit 1820 Siy:Ig2E 261 


und da feine in abgemeffenen Ausdrůcken abgefaßte Erkfäkung vom Könige gebilfigt 
worden war, fü gab der Herzog von Montmorency ſ. Intlaffung, worauf der Vicomte 
de Chatenubriand die Zeitung der ausmwärt. Angelegenheiten erhielt, In den fpätern 
Verhandlungen der Kammer wurde das Budget von 1824, die Ereditbemilligung 
von vorläufig 100 Mill. zu den aufererdentlichen Ausgaben 1823, die Einberufung 


der Veteranen und die Dotation der beiden Kammern erörtert, und bis zum Aprif _ FW 


1828 waren die dringendſten Vorſchlaͤge mit geringen Abaͤnderungen angenommen. 
nur bei den Debatten über den außerordentlichen Credit von 100 Mill. die Morb: . 
wendigkeit und die Kolgen eines Kriegs mit Spanien prüfen. Die Sriedenspartei 
in beiden Kammern hatte diesmal die glängendften Talente und fehr erfahrene Staats; 
männer, Darunter auch Zaine, und ausgezeichnete Generale auf ihrer Seite; allein 
in der Deputirtenkammer veiste Manuel, der Abgeordnete der Bender, der ſchon 
in der vorigen Sitzung von dein Widerwillen (repugnance) Frankreichs gegen die 
Bourbons gefprochen hatte, durch eine doppelfinnige Äußerung, welche ben Ein: 
marfch einer fremden Atmee als gefahrbringend für die Sicherheit Ferdinands dar: 
ſtellte und in der franz. Revolution unter den traurigen Folgen des Coalitionskrieges 
mich den Rönigsmord als eine Art Rothwehr zu rechtfertigen fehien, die Wuth der 
techten Seite in einem fo heftigen Grade, daß fie ſeine Ausſchließung von der gegen⸗ 
wärtigen Sißung , ohne ihn anzuhören und ohne auf die Vorfchriften des Regle⸗ 
ments fonderlich Müdkficht zu nehmen, am 3. März Durchfegte. Da nın Manuel 
am 4. deffenungeachtet feinen Siß in der Kammer einnabm, fo wurde er, weil die 
Nationalgarde dies zu thun fich weigerte, von Gendarmen mit Gewalt aus dem 
Saale gefchufft, Die linke Seite verlieg hierauf die Kammer, bis auf wenige Mit: 
glieder, welche aber nebft mehren des linken Centrums an keiner Abſtimmung Theil 
nahmen, 62 Deitglieder legten gegen Manuel's Ausſchließung eine formliche Pro: . 
teftation ein, Das Geſetz wegen des Credits von 100 Mill. und das wegen Ein- 
ng der Deteranen wurden nunmehr, ebenfo fie die übrigen Sinanzmaßregeln, 
mit unbedeutenden Abänderungen von beiden Kammern im Xaufe des Marz ange: 
nommen. Es mar nur noch eine fprachlofe Oppofition für den Srieden in den 
rechten Sentrum, mo die Herren Bellart und Lainsé fißen, vorhanden; doch hörte 
darım der Widerfpruch der Außerflen Rechten, oder die Opppfition Labourdonnaye, 
gegen den ihr verhaften erften Miniſter Villele nicht auf. Jener Redner druͤckte 
—— feinen Unmillen über die Charte und über die vicht erfolgte Rückgabe der 
ationalgüiter an die Emigranten aus.) Die lebten Erörterungen betrafen das 
Budget von 1824, Da diefes noch immer bei 900 Mill. Ausgaben betrug, fo 
ſagte der Berichterflatter in der Deputirtenfammer: Dieſe beträchtliche Summe 
fei Die Folge der Revolution, welche die Güter der Geiſtlichkeit, die num der Staat 
zu bezahlen habe, verfchlungen, die Fonds für wohlthätige Anftalten, die gegen: 
waͤrtig durch Auflagen beftritten wuürden, fich zugeeignet, ein ungeheures Beam: 
tenperfonal, das man nur mit der Zeit vermindern könne, enfchaffen, die Colonien, 
wovon hie übriggebliebenen 6 Mill. Sr. mehr Eofteten als eintrügen, größtentheils 
verloren, endlich, mit Inbegriff der Folgen des 20, Nov. 1815, die dffentliche 
Schuld um 132 Mill. Zinfen gegen 1813, und um 100 Mill. gegen 1788 ge: 
balten, vermehrt habe. Am heftiaften fprach Labourdonnaye gegen die halfen 
Mofregein des Miniftere Villoͤle. Er verlangte räftigere Einrichtungen zur Be: 
felligung des Throns nannte die Veräußerung der Emigrantengüter ilegitim und ' 
foderte die Befchleunigung des Krieges. Ä | 
Der Krieg begann, und fein Erfolg (fi Spanien im J. 1823) war der 


*) Uber das Gefep wegen des außerordentlichen Credits von 1823 und über das 
wegen Einbernfung der Veteranen hatten 176 Deputirte nicht geſtimmt. Die Partri 
tabonrdonnape gählse etwa 50 Glieder. Die Regierung Kracht nach der Charte un, 
sd 218 Stimmen, um ihre Vorfchläge duechzufegen. | | 


. Da die Erflärung des Kriegs ein Dorred;t der Krone ift, fo fonnten die Kammern 


22 Geaufreich fit 1820 bis 1529 





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verzäglch unterflüßte, 

Ludwig XVIII. flarb am 16. Sept., und fein Bruder (f. Karl X.) beflieg den 
Diefer Monarch erflirte fogleich f. Abſicht, Die Chartr ı befefligen; er er⸗ 

nannte den Dauphin (Herzog von Angoul:me) zum Mitgl. des , und 
hob ſchon am 29. Sept. Die Cenſur der öffentl. Blätter wieder auf. Dann trat der 
Graf von Elerment:Tonnere als Kriegsminiſter in das Miniflerium ein; der Herzog 


Dertrauen des Königs, ſowol durch die Eluge Leitung des Staatshaushalts als auch 
durch die Bewilligungen, welche er dem arifiofrat. und dem theofrnt. Eimflnffe bis zu 
einem seniffen Fan zngefland. Unter f. vielen Gegnern war Chateaubriand, in 
feinem Organ, em „Journal des debats”, der 
In der Sißung von 1825, weiche fhon am 2%, Dec. 184 eröffnet und 
am 13. Juni 1825 gefchloffen wurde, war Villeles Triumph vollfländig. Ihn uns 
terftüßte in der Wahlkammer, in welcher freilich 320 alte Privilegirte fahen,! Mar: 
tignac’s (f. d.) Beredtfamkeit. Vergebens erhob Sen. Foy (ſ. d.) Stimme ge 
gen das Geſetz über bie Entfchädigung der Emigranten, welche für ihre —— 
des Staats verkauften Güter 1000 Mill. Fr. in Renten erhalten ſollten. Auch das 
Rrntenreductionsgefeß (f. d.) ging jetzt durch; indeß fand deifen Bolljiehung 
vi⸗le Hinderniffe in dem Widerſtande der öffentl. Meinung. Um dem kathol. Cultus 


Stanfreich feit 1820 bis 1829 268 


mehr Achtung’ zu verfchaffen, ward das Sefeg, nach welchem das Sacrilegium firen: 
ger beftraft wird, gegeben. Unmittelbar nach Annahme des Budgets für 1826 er- 
folgte (29. Mai) die glänzende Krönung des Königs Karl X. zu Rheims, nach dem 
alten Herfonnnen; ebenfo neu als wichtig war jedoch der Schwur des Monarchen, 
nach der Charte zu regieren. Schon vorher hatte der König durch die Ordonnanz v. 
173. April 1825 die Unabhängigkeit von Haiti (f. d.) anerkannt; fpäterhin ward 
der Handelsverkehr mit den ſpaniſch⸗ amerikan. Nepublifen begünftigt, die ſtillſchwei⸗ 
gende Anerkennung derfelben erfolgte jedoch erft in Folge eines Artik. im, Monit.“ 
vom 18. Oct. 1826, nachdem Billele, mit Sanning, der fich um diefe Zeit in Paris 
befand, über die Angelegenheiten Brafiliens, Portugals u, Spaniens einverftanden, 
vergebens ſich bemüht hatte, das ſpan. Cabinet zu demſelben Schritte zu bewegen. 
Damit fand auch der Abſchluß eines vorläufigen Schifffahrtevertrags mit Groß⸗ 
britanmien,' ſowie eines Handels: und Freundfchaftsvertrags mit dem Kaiſerreiche 
Brafilien (vom 4. Oct. 1826) in Berbintung. — Diefem, das Intereſſe der Indus’ 
firie und des Handels berädfichtigenden Syſteme der Regierung konnte der Wider: . 
fpruch der Eontreoppofition in der Sißung der Kammern von 1826 (eröffs 
net am 31. Yanstund gefchloffen den 6. Juli d. 5.) den Beifall der Nation nicht 
entziehen; überdies. hatte fid) das Minifterium in der Pairsfammer durch die Er: 
nennung von Bi: neuen Pairs verftärft. Gleichwol ward das Gefeß über das Bor: 
zugsrecht der Erfigeborenen bei Erbfchaften und über die Subftitutionen nur in Ans 
fehung des letztern Punktes angenommen. Syn jenem Erfigeburtsrechte erblidte die 
Nation die. Grundlage einer neuen Ariftoßratie und die Aufhebung des Rechts der 
Gleichheit aller Franzofen vor. dem Geſetze; daher verwarf die Pairsfanmer diefen 
Vorſchlag am:8. April 1825, Unter den übrigen Gegenftänden befehäftigten die 
öffentl. Aufmerffamfeit am meiſten der Proceß Duvrard’s und des Strafen Mont: 
Isfier Denunciation der Congregation oder des in Sranfreich um fich greifenden Je⸗ 
ſuitismus, der die allmälige Unterdruckung der gallican. Kirchenfreiheit und die Ver: 
finſterung ‚der Nation beabfichtigt. (Dal. Ultramontanismus.) Das parifer 
. Appellationsgericht erklärte ſich am 18. Aug. 1826 in Anfehung der Denunciation 
zwar für incompetent; ailein der Abbe de la Mennais ward wegen f. Angriffs’auf 
die Grundlage der gallican. Kirche (auf die Decdlaration v. 1682) von dem Berichte: 
bofe ſchuldig befunden und beftraft. Der Proceß Duvrard’s betraf die Armeeliefe: 
rungsverträge zu Bayonne für den fpan. Feldzug, wobei der öffentl. Schag durch 
Irrthum, Machläffigkeit und Übereilung der Kriegsvertwaltungsbehörden mehre 
Mil. Berluft gehabt harte. Weil hohe Staatsbeamte, felbft der geweſene Kriegs: 
minifter, Herzog v. Belluno, der Majorgeneral des Heeres, Guilleminot (f.d.)- 
und der Sen. Bourdefoult (Deitglieder d. Pairskammer) in denfelben verroidelt wur: 
den, fo mußte er vor ber Pairskammer, als dem oberften Serichtshofe, geführt wer⸗ 
den. Das Geheimniß diefer Sache, insbefonbere der Umſtand, mie viel Millionen zu 
Deftechung derjenigen Spanier, welche die Verteidigung der Conſtitution aufgaben, 
verwandt worden find, iſt im Dunkeln geblieben. Das Eridurtheil der Pairstammer 
aber fiel am 3. Aug. 1838 dahin aus, daß fein Grund vorhanden fei, gegen die Se: 
nerale Guilleminst und Bourdeſoult gerichtlich zu verfahren, noch gegen die Ange: 
fHuldigten; Ouvrard, Tourton, Sicard ic, das Verfahren fortzufeßen; jedoch wur: 
den einige Lieferanten. wegen ber ihnen Schuld gegebenen Verſuche der unausgeführt 
gebliebenen Beftechungen vor den gehörigen Richter gewieſen. Außer diefen Ber: 
Bandlungen fam auch die Mationaltheilnahme an der griech. Sache in der Deputir: 
tenfammer zur Sprache und veranlafkte den Präftdenten Willele im Juni 4826 zu 
der Erklärung, daß die weite Diplomatif der Cabinette bald den Leiden ein Ziel fegen 
würde, über welche man feufje. Zuletzt bewirkte eine mächtige Partet in der Naͤhe 
des Hofs und in der Kammer die Wiederherſtellung der Cenſur. Seitdem beſchul⸗ 
bigte die äffentl. Meinung das Miniſterium immer lauter der Deaünfligung des Ab: 
ſolutisnꝛus und Jeſuitismus. Nun ſchlugen zwar die Miinifter 1827 ein firenges 


264 Frankreich or der Revolution. I. Allgem. Anfichten 


Preßgeſetz vor, allein die Pairckammer feßte demſelben fo viele Anderungen hinzu, 
daß tie Diinifler es zurüduahmen. Ganz Paris war über diefen Sieg in Jubel, und 
als der Konig am 29. April 1837 Heerfchau über die Narionalgarbe hielt, äußerten 
fi einige Stimmen gegen das Minifterium; deßhalb ward das.gange Corps auf- 

eloſt. Dies fleigerte den Haß gegen die damal. Regierung noch mehr. Lim diefe 

—* erklaͤrte der Dey von —* — 1818 Huſſein⸗Paſcha), nachdem er wegen Bes 
leidigung der franz. Flagge alle Genugthuung verweigert hatte, an Frankreich den 
Krieg (15. Juni 1827). Algier rourde darauf bis 1829 erfolglos blodirt. Zugleich 
ſchloß Frankreich mit Großbritannien und Rußland den Iondner Pacificationsvertrag 
(6. Juli 1827) zu Gunſten der Hellenen. Unterdeſſen hatte Villele die Auflöfung 
der Wahlkammer (5. Nov. 18237) und die Ernennung von 716 neuen Pairs von 
König erlangt; allein die in Folge jener Auflsfung freigemordene ‘Preffe verband fich 
mit dem öffentl. Unmillen der Station, und Die Wahlen der neuen Kammer fielen fo 
ungünftig für das Minifterium aus, daß Villele und die übr. Miniſter am 4. jan. 
1828 ihre Entlaffung gaben. Nun bildeten la Ferronnays, ‘Portalis, Martignac, 
Roy, Hyde de Neuville, St.Cricq, Caux, Feutrier und Vatismenil das neue Mir 
nifterium (das neunte feit 1814), welches aber den Erwartungen nicht entfprechen 
Eonnte. Doch wurde Spanien geräumt, die Eongregat. der Jeſuiten und ihre Schu: 
len rourden durch die Ordonn. v. 16. Juni 1828 aufgehoben; Morea wurde dur 
ein franz. Heer von den ägpypt.-türf. Truppen befreit (f. Griechenaufſtand); 
ein neues Preßgeſetz fchaffte die Tendenzproceffe, ſowie ein andres die Mißbraͤuche 
bei den Wahlen ab. Als la Ferronnays im “jan. 1829 feiner Sefundheit wegen 
aus dem Minifterium trat, erhielt Portalis die Leit. der ausw. Angeleg., und Bour⸗ 
deau wurde Juſtipminiſter; allein der Sang der Verwaltung blieb unftcher. Zwar 
legte Deartignac 1829 die Entwürfe eines längft erwarteten Communal⸗ und De 
partementalgefeßes vor, allein die von der Kammer verlangten Abanderungen des 
leg ern bewogen den Minifter, beide Entwürfe zurüdzunehmen. Endlich wurden bei 
dem Budget für 1830 die Klagen über fchädliche Prohibitiv: und Monopolmagres 
geln, über den Berfall des Weinbaus und der Fabriken, über den Drud der Abgaben, 
über die Berlufte in Spanien, das endlich 1829 flatt 95 nur 80 Mill. Fr. an Frank: 
reich zu bezahlen verfprach ıc. fo lauf, daß man der Auflöfung eines Minifterums 
entgegenfab, welches im Innern keiner Partei genügte und im Außern zwiſchen engl. 
und ruff. Politik fchroanfte. Graf Guilleminot war namlich um Juli 1829 auf f. 
Poſten in Konftantinopel zurüdgekehrt, und der franz. Borfchafter in London, Fuͤrſt 
v. Polignac, näherte ſich immer mehr den Anfichten des engl. Cabinets, das ihn an 

die Spitze des franz. Miniftertums zu bringen wunſchte. Dajfelbe erftrebten in Paris 
die Hofpartei und die Apoftolifchen. Es gelang. Raum war die Sißung der Kam⸗ 
mern von 1829 am 31. Juli gefchloffen, fo kam Polignac nach Paris. Saͤmmtl. 

Minifter nahmen ihre Entlaffung; Portalis wurde 1. Praſid. des Caffationshofes, 
und am 8. Aug. 1829 ernannte Karl X. das zehnte Minifterium feit der Reſtau⸗ 
ration. Polignac trat an die Spiße als Min. der ausw. Angel.; Courvoiſier wurde 
Sropfiegelbewahrer; Gr. v. Bourmont Kriegsminifler; Graf de Rigny erhielt die 
Marine und die Cofonien, nahm fie aber nicht an; Graf de Rabourdonnaye das In⸗ 
nere; Bar. v. Montbeldie geiftt. Angelegenheiten, den öffentl. Unterricht und die 
Grogmeifterftelle der Univerfität; Graf Chabrol die Finanzen. K. 

Um den gegenwärt. Zuftand Frankreichs zu beurtheilen, ifl es nöthig, denfelben 
vor der Revolution und dann in den Folgen derfelben zu überfehen. 

Srankreich vor der Revolution. 1. Allgemeine Anfichten. Uns . 
ter allen politifchen Segenftinden unferer Zeit hat feiner eine fo große praftifche 

Wichtigkeit als ein richtiges Urtheil über Die Urfachen und die bleibenden Wir⸗ 
Eungen der Revolution. Denn davon hängt die Beantwortung der Fragen ab: 
1) ob eine gemaltfame Erfchätterung des öffentlichen Zuftandes zu beforgen, 
und 2) durch welche Magregeln fie zu verhindern iſt? -Unrichtige Maßregeln 


Sranfreich wor Bir Revolution. NcBedkoverfafſung 265 


ind nicht nur einelingerechtigkeit, indem fie den Volkern ein unverdientes Mßtruuen 


beweifen, und wenn fie in Beſchraͤnkung dee natuͤrlichen Freiheit beftehen, ihm eine 
mwerdiente Härte zuziehen, 'fondern fie find auch gerade Dasjenige; wodurch der 
gefürchrete Ausbruch befchleunigt und f. Beführlichkeit vergroͤßert wird. Das Recht⸗ 
liche ift Hierin von einer [ehr untergeordneten Bedeutung, “Durch die Meinung, daß 
ein Bott befugt fei, f. Staatsverfaffung abzuändern, ſobald ihm die Luft dazu an⸗ 
wandte, wird ein wohlregiertes Voik ebenfo wenig angereist werden, den Zuſtand 
sechtlicher Sicherheit und Drbnung mit den Gefahren einer Staatsummälgung zu 


vertaufchen, als man ein fhlechtregiertes, welchem der jeßige Zufland unerträglich ' 
geworden iſt, Durch die Idee des Rechts ubhalten wird, ſich, wenn es die. Möglichkeit 
des Gelingens vor fich fieht, durch den Gebrauch ſ. Kräfte von wahren oder eingebil: - 


deten bein zu befreien. Die’ontfcheidende frage ift die rein factifche, ob eine folche 
allgemeine Urſache der Unzufriedenheit im Volke vorhanden fei, daß fie eine hinrei⸗ 
end große Maſſe antreiben Fan, Habe und Leben durch einen Auffland gegen-die 
Regierung aufs Spiel zu fegen? Dazu gehört, wie man es nimmt, viel und wenig. 
Es iſt leicht, einen bereits verfammelten Bolkshanfen in Lipenfliche Bewegung 
u verfeßen, und daher Bann in grofen Städten mit einem zahlreichen Pobel durch 
jemand, der ein Loſungswort zu finden weiß, bald ein geführlicher Volkotumult er 
fegt werden. Aber viel gehört dazu, einen folchen Widerftand gegen die dffentliche 
Macht zu veranlaffen, bei welchem ein anbaltendes und kaltblutiges Handeln erfor 
derlich ift. Es ift dies nicht anders möglich, als roenn der Glaube in dem Volke Wure- 


vl gefaßt Hat, daß es in einem ſ. Rechte verlegt,fei. Je unmiffender ein Bolt ift, deſto 


leichter wird es fein, ihm eine folche allgemeine Landesbeſchwerde vorzufpiegeln, obs’ 
leich es auf der andern Seite auch mehr Kenntniffe, Geſchicklichkeit und ernfte 
ichterfüllung erfodert, ein aufge Flärtes Volt zu regieren. Frankreichs Revolution 
ift der Anfang der neuern europ. Volksbewegungen, und ſowol in fich felbft noch kei⸗ 
neswegs ganz vorüber als auch in a. Landern dadurch immer noch fortwirkend, daß 
die Kunſt des Revolutionirens dort nach ihre Meifter, und jeder ernfihafte Volksauf⸗ 
fland wenigftens einige Begüunftiger finden kann. " Aber dies legte ifl nur etwas Zus 
fülliges; auch eine franz. Propaganda wird revolutionnaire Gaͤhrungen andrer Lan: 
der zwar fordern, aber nicht erzeugen, und es kommt zuletzt immer auf jene erfte 
Trage hinaus: ob in einen Staate folche allgemeine und wichtige Landesbeſchwer⸗ 
den angetroffen werden, als fie In Frankreich vor der Revolution in allen Zweigen‘ 
der Landesverwaltung vorhanden waren. Eine flaatswiffenfthaftliche Unterfuchung 
des vorigen Zuflandes und der durch die Revolution bewirkten Beränderungen würde 
daher 1) zeigen, daß eine Reform der ganzen Staatsverfaffung in Frankreich north: 
wendig war, und 2) den Beweis liefern, dag manche Reformen, welche in de. Revo: 
Iution zu Stande getommen find, mit ihren Berirrungen und Verbrechen Nichts ges 
mein haben, daß darunter in der That viel Heilfames iſt, und man die revolutions- 
naire Gahrung nicht durch eine Wiederherſtellung ehemaliger Ungerechtigkeiten und 
Mifbräuche, fondern nur durch Befthügung und Fortbildung des in, und man kann 


von Bielem fogen, trotz der Revolution geroonnenen Beſſern dämpfen fann. Aus 


einer folchen Bergleichumg würde fich ergeben, daß die Regierung jeßt, ungeachtet 
ihrer conftitutionnellen Befchräntung, mächtiger ift, als fie unter Ludwig XV, 
Fr XVI. war, und daß ihre Stärke gerade in diefer conflitutionnellen Befchräns 


t. 
U. Volksverfaſſung. Die Forſcher der franz. Geſchichte find darin ei⸗ 
nig, daß es unter der erſten Dynaſtie der frank. Könige keinen erblichen Adel gab, 
auch bier das Princip ter freien Semeindeverfaffung fi in immer größern 
fen bis zur allgemeinen Staatsgemeinde wiederholte. Aber unter den Nachfol⸗ 
gern Karls d. Gr. fing die Erblichkeit der Reichsämter an, und die genteine Freiheit 
der Franken ging in der Lehnbarkeit, dem einzigen Schußmittel der Schwächern, zu 
Grunde. Ein Jeder mußte einen Lehnsobern, ein jedes Grundſtuͤck f Lehnsherrn 


* 
‘ 


268. FZrankreich werdet Mevolation. IL Wolfsnetfaffng 


haben (Nulle terre sans seigneur). Die Staatsveränderung von 987, woburdh 
die dritte Dynoſtie den Thron.beftieg, vollendete auf der einen Seite die.allgemeine 
Begründung: diefer Lebnsherrſchaft, auf der andern die Unabhängigkeit der unmits 
telbaren Vaſallen der. Krone, von welchen die mächtigften als Fürſten und Pairs 
des Reichs ihre Länder mit völlig ausgebildeter Hoheit, aber wiederum eingeſchraͤnkt 
durch ihre Magnaten und. Landesherren tegierten. Gerade diefe frähe und vollſtaͤn⸗ 
dige Ausbildung der Landeshoheit iſt der Staatseinheit Frankreichs guͤnſtig gewor⸗ 
den. Denn indem es den Königen glückte, nach und nach alle diefe Souveraine⸗ 
täten theils für. die Krone, theils für ihr Haus zu erwerben, befamer fie mit ihnen 
nicht bloß eine unfruchtbare Oberberrlichkeit (mie die deutfchen Kaifer über die ge⸗ 
forengten alten Herzogthümer),. fondern eine wirkſame Zandesherrlichkeit; der 
Freiheit des Volkes kamen diefe Beränderungen fehr wenig zu flatten, da fie unter 
der Grundherrlichkeit einmal zu Grunde gegangen war, Mit den Confotidationen - 
der großen Leben erlofeh der alte Fürftenftand' des Reiches; in feine. Stelle traten. 
uerft nur Prinzen des Eönigl, Haufes, fpäter einige auswärtige Fürften (1505 
'ngelbert von Khee als Herzog von Nevers und Pair von Frankreich); endlich in 
der Mitte des 16. Jahrh. fing man an, die-angefebenften aus den Familien des 
bisherigen niedern Adele zur Pair: oder Herzogswürde zu erheben, ohne daß fie 
jedoch Hierdurch den alten Pairs des Reiche gleich geworden wären. Der Erfte da: 
von war der Baron v. Montmorency. 1789 beftand die meltliche Pairfchaft aus 
44 Mitgl, von weichen die Herzoge v. Uzes (Cruſſol 1872) die Alteften, die Her⸗ 
zoge v. Choifeul und v. Coigny (1787) die neueſten waren. Dagegen hatten fich 
die 6 geiſtl. Pairs, der Erabifchof v. Rheims und die 5 Biſchofe aus dem Fami⸗ 
lienherzogthume Hugo Tapet’s aus den erften Zeiten der Pairie erhalten. Die welt⸗ 
lichen Pairs (unter welchen feit 1690 der Erzbiſchof v. Paris ale Herzog v. St.: 
Cloud feinen Platz hatte) machten nur die erfte Stufe des niedern Adels aus; doch 
befanden fich darunter 6 Familien (die in, Frankreich Tandfüffigen Zweige der. Haͤuſer 
Lothringen und Savoyen, Grimaldi, Rohan, Tremeuille und Latour d'Auvergne), 
welchen man den Rang ſpuverqiner Fürftenhäufer zugeſtand. Den erſten Stand 
des Neiches machte die Seiftlichfeit, welche durchgängig, wenn auch nicht den 
Rang, doch die perfönlichen Befreiungen des Adels (von Steuern und den meiften 
öffentlichen Laften) genoß und auf den Reichstagen die erfte Stimme führte Man 
unterfchied die Geiftlichkeit im alten Frankreich, welche die eigentliche Staatscorpo⸗ 
ration bildete und aus 16. Erzbifchöfen und 400 Bifchöfen, Pfarrern und Klöftern 
ihrer Sprengel beftand. und die auslaͤndiſche Seifllichkeit in den feit Heinrich II. - 
Binzugefommenen Provinzen (2 Ersbifchöfe und 22 Difchöfe); die Einf. diefer 
Geiftlich keit rourden von Necker zu 130 Mill., und das Verhaͤltniß ‚ihrer Guͤter zu 
denen der weltlichen Srundbefiger wie 1 zu 5%, der Antheil der Pfarrer, des eigent- 
lich thätigen und geachtetſten Theils der Geiſtlichkeit, an diefen Einf. wird auf 
40 — 45 Mill. angegeben. Die Abteien wurden, mit Ausnahme derjenigen, 
welche Hauptfiße eines ganzen Ordens waren (tie Die große Carthauſe zu Grenoble, 
der Siß des Ciftercienferordens zu Citeaux bei Dijon, das Hauptkloſter der Präs 
monftratenfer zu Premontre ‚bei Soiffons ıc.), von dem Könige pergeben,. theils 
als Sommenden, -theils an wirklisye Kirchenvorfieher. Der erften gab es 225 zum. 
Theil mit reichen Eink. da der Commendator ein Dritttheil fümmtlicher Kloſter⸗ 
einfünfte bezog, ohne zur Refidenz verbunden zu fein oder an der Klofterdisciplin, 
welche dem Prior oblag, einigen Theil zu nehmen, Diefe Commenden waren eine 
Penſionsanſtalt für die jüngern Söhne des Adels; nur die geringern kamen an Bes 
fehrte bürgerlichen Standes, Ihre Eink. (d. h. der Abte, alfo } der Kloſtereink.) 
gibt der Almanac royal” von 1789 nach der alten Taxe des römifchen Hofe 
auf beinahe 8 Mill, an. Der regulirten Abteien' zählte man 868: 115 Mönche. 
und 258-Monnenklöfter. Von diefen reichen Einkünften trug die Geiſtlichkeit 
allerdings jr den Staatslaſten etwas ;Unfehnliches bei. Außer einem - unter 





Frantruich wor ger Renplutinn. N Wolkagerfaflung >; 267 


Sranz I. ‚angelegten Zehnten (nan.kem uuften Schaͤtzungscommiſſair Paſchal Da 
cime paschaline genannt), welcher aber mit den roirflichen Eink. in keinem Ders 
bältniffe fland, verwilligte die Seiftlchteie regelmäßig. alle 5 jahre fogenannte 
dons gratuits ordinaires von 15 — 18 Dill, und zuweilen dons gratuitg ex- . 
traordinaires, weiche als unverginsliche Darlehen von der Regierung” in langen 
Terminen. zurüdigezahlt wurden, ‚Ste pflegte .diefe Derwilligungsfummen ſeibſt 
durch Anlehen aufzubringen, und hatte 1789 eine Schuldenlaft von 136 DEU, 
für deren Zinſen und ſtuͤckweiſe Abtragung durch efne anf alle Inhaber von Kits 
henpfründen vertheilte Auflage geforgt war. Die fegen. ausländifche Geiſtlichkeit 
war in einigen Provinzen den gewöhnlichen Staatsabgaben-untermörfen, und den 
Geſammtbetrag der Abgaben, welchen die ganze Seiftlichkeit jährlich aufzubringen 
hatte, gibt Necker (in der „Administration. des finances“,. I, 127) auf-A1-Mil, 
an, welche aber dach nicht jährlich in den Staatsſchatz floffen, ſandern nur von der 
Seiftlichfeit unter fich erhoben wurden, um ihre Schulden zu verzinfen und allma⸗ 
lich abzutragen. Außer ‘Dem, was von der ausländifchen Seifilichkeit an wirklichen 
Öteuern gezahlt wurde, trug die Seiftlichkeit an jährlichen Beiſteuern ungefähr 
34 Mill. zur ——— bei, Schon vor der Revolution, hatte, in den untern- 
Claſſen des Volks die Neigung zum geiftl. Stande fehr abgenonmmen; die Zahl 
der Monche, welche 50 J. früher 80,000 geweſen war, hatte fich-bie unter 20,000 
vermindert; bie höhere Geiſtlichkeit war durch Verſchwendung und Sittenlofigfeit. 
dem größten Theile nach in allgemeine Verachtung verfallen. — Der Adelftand 
batte eine fehr verfchiedene Bedeutung, je nachdem darunter Diejenigen begriffen. 
werden, welche nach den Geſetzen auf die Vorrechte deſſelben Anfprüche mächen 
fonnten, oder dabei von wirklichem alten Seburtsadel die Rede war. “Denn da es 
ungefähr 4000 Stellen im Reiche gab, welche ihrem Inhaber bald durch die bloge. 
Ermerbung, bald nach einer 2Ojührigen Amtsführung die Rechte des Adels von: 
Rechtswegen gaben (auch germöhnlich den auf die Kinder forterbenden Adel), und 
konigl. Adelsbriefe haufig waren: ſo nahm die Zahl der Adeligen außerordentlich 
zu. Nicht nur die Stellen der Minifter, -Stagtsräthe, der Rathe des parifer und. 
einiger andern ‘Parlamente, des Rechnungshufes, des. Steuergerichts, der Ober: 
amtleute, fondern auch die Rathsherrnſtellen einiger Städte, der Titel eines 
fonigl. Secretairs, fogar das Amt eines .erften Thuͤrſtehers (oder Gerichtsboten) 
des parifer Parlaments waren mit dem Vorzuge verknüpft, den Adel zu verleihen. 
Man kaufte diefe Stellen und behielt fie fo lange, bis diefes Recht erworben war. 
Dann verkaufte man fie wieder. Allein der. alte Adel erkannte diefe Neulinge 
nicht für feines Sleichen; die Noblesse de robe wurde in der Geſellſchaft nicht 
anerfannt; ungeachtet der Geſetze ſagt Montloſier noch jeßt: „Tout cela resta 
dans la roture”. Wer einen 2: bis 8390jahrigen Adel ermeifen fonnte, galt eini⸗ 
ermaßen für Etwas; vollkommen gu waren nur Die, denen man gar feinen 
nfang ihres Adels, oder dach nur einen legendenhaften, sie den premiers barons 
de la chretients, den Montmorencp’s, nachmeifen fannte. Kur Diejenigen, 
welche alten Adel ermeifen fonnten, Hatten vermoͤge ihrer Herkunft das Recht, 
bei Hofe vorgeſtellt zu werden, und. noch unter Ludwig X VI. erfehien eine donigl. 
Verordnung, nach welcher Niemand: zum Unterlieutenant vorgefchlagen werden 
durfte, welcher nicht eine adelige Herkunft: von wenigſtens 4 Generationen bewie⸗ 
hatte. Fir den vornehmern Adel führte man bei jedem Regimente die Stelle 
eines Colonehien second ein, wodurch die militairifche Laufbahn eines folchen jun⸗ 
gen Menſchen da anfing, wohin ein Andrer nur durch eine lange Reihe von Dienſt⸗ 
jahren gelangte. Auch wurde noch wenige Jahre vor der Revolution der Sag 
aufgeſtellt, daß alle geiflliche Praͤbenden, die eigentlichen Pfarreien allein ausges: 
nommen, nır an die jüngern Söhne des Adels vergeben werden dürften. Die ver’ 
ſchiedenen Titel des Adels waren Herzoge, Grafen, Marquis, Vicomte, Barone, 
Ohne daß die 4 letztern, welche meift von Gutern geführt. wurden, einen Unterſchied 


168 Fronkreich vor der Kevpkutlön" IL Volksverfaſſung 


des Ranges begründer hätten. Nur Ber; Wr Ab: einige Vorrechte bei Hofe, 
beſonders für die Damen das Recht, 'bei der Kdnigin auf einem Tabouret zu ſttzen. 
Man hätte dreierlei Herzoge: Ducs gt Pairs, Ducs hereditaires ion Pairs 
(45 im %. 1789) und Dircs à breveis et’brev2ts ‘d’honneur, melchen zum Theif 
ohne den Titel die Rechte der Herzogsroürde bejgelegt waren. Wichtiger waren die 
Kechte, welche mit jeder Stufe des Adels, "auch dem neuen und bloßen Amtsadel, 
verknüpft waren. & befanden in der Befreiung von den vorzüglichſten Zeiftun: 
gen für den Staat, befonders von der allgemeinen Srundfteuer'(tailte), von der 
Miairpflichtigkeit, WBegebaufrohneit (correes); von Seldateneiriguartierung 
und einer: Menge andrer Abgaben. Der Cupitation, einer Claſſenſteuer nach dem 
Bermögen,: waren die Adeligen zwar untertärfen, Aber diefe Abgabe war im Ver: 
haͤltniß zur Grundſteuer unbedeutend, und ungleich vertbeift. Der Adel befaß, mit 
der Geiſtlichkeit uifbteifiigen Orden (dem Malteferorden , dein Orden des heil. La: 
zarus in. a.), Ben größten: Theil des Grundeigenthums in Frankreich md übte über 
f Sutsängehörigen die gewöhnlichen grimdherrlichen Rechte der Gerichtsbarkeit, 
Polizei, Lehnsherrlichkeit, Jagd ıc. aus, welche ſelbſt in geringfügigen Dingen, 
> D. in dem dudfchließfüchen Nechte des Taubenbaltens und der Kaninchengebege, 
durch Herkömiifliche Übertreibung derfelben, zur großen Bedruͤckung des Landmanns 
gereichten. In einiger Segenden beftand noch Leibeigenſchaft, welche 1779 auf 
allen Krondomainen aufgehoben wurde. Wie hoch fich die Eink. des Adels beliefen, 
iſt ſchwer anzugeben. edler nimmt das Geſammteinkommen der Grundeigenthü⸗ 
mer, mit Ausfchluß des Königs, des Malteferordens und der Geiſtlichkeit, auf un: 


. 


gefäbr 400 Mil. an, roozu der Zehnten der Geiſtlichkeit noch Hinzuzurechnen iſt. 


aß ein bedeutender Theil davon dem Adel angehörte, läßt fich daraus abnehmen, 
dag in der Revolution, nachdem alle Zehnten und Lehnsgefälle unentgeltlich abges 
fHafft worden waren, vom Mai 4790 — 1801 für 2609 Mill, Nationalgiter 
verkauft, in den altfranz. Landen noch Für 340 Mill. (in den eroberten Provinzen 
noch für 160, Dill) ımd an Waldungen für: 200 Drill, übrig waren, obgleich 
- Diefe Güter nur zu geringen Pretfen hatten verkauft roerden können. Die Zahl des 
Adels verhielt fich, wenn alten Angaben zu glauben iſt, gu der Zahl der übrigen Ein: 
wohner etiva wie 1 gu 250, jedoch mar dies Verhaͤltniß in den verfchiedenen Pros 
vinzen außerordentlich abweichend. -- Ungeachtet der Adel hiernach theils als unmit⸗ 
telbarer Eigenthuͤmer des Landes, fheils durch den Befiß der geiftlichen und Staats: 
aͤmter den größten Theil des Nationdleinkommens für fich 309 und dem Landvolke, 
ſowie den Handarbeitern der Städte, Eaum die nothwendigſten Bedärfniffe des Le: 
bens übrig ließ: fo vermeigerte er doch nicht nur alle verhältnigmäßige Beiträge zu 
den Staatsausgaben, und vereitelte dadurch die Bemühungen forol des verhaßten 
Necker als auch eines dem Hofe und der 'Mdelsariftofratie ganz ergebenen Calonne, 
fondern die Derlegenheiten des Staats wurden hauptfüchlich durch nie enderide Fo⸗ 
derungen des Adels ebenfo fehr als durch Verſchwendung des Hofes unter Ludwig XV. 
und durch die Unordnungen der Bermaltung, welche auch aus dem ariftofratifchen 
Seifte derfelben entfprangen, herbeigeführt. — “Der dritte Stand bildete fich 
aus Dem, was nach Abzug der Geiſtlichkeit und des Adels übrigblieb, alfo aus et⸗ 
was mehr als 32 des Volks, aus der eigentlichen Nation; daher Sieyes in f. 
Schrift 1789: „Qu’est co que le tiers-Etat ?”, welche von einer gar nicht zu bes 
rechnenten Wirkung geweſen if; wol mit Recht ſ. Fragen und Antworten fo ftellen 
Eonnte: 1) Qu’est ce que le tiers-etat? — Tout! 2) Qua-t-il ete jusqu’a 
present dans l’ordre politique? — Rien! 3) Que demande-t-il? — A.£tre 
quelque chose! und damit nicht nur das ganze Geheimniß der evolution ent: 
hüllte, fondern auch den wahren Segenftand der jegigen Parteikaͤmpfe in Frankreich 
bezeichnet hat. Denn jetzt wie damals gilt es nicht den Rechten des Konigs, nicht 
der Kraft der Staatsregierung, nicht der Krone, ſondern lediglich der neuen Befe⸗ 
ſtigung derjenigen ariſtokratiſchen Vorrechte und Vortheile, weiche 1189 den Staat 


Snankreich: vax der Reneimtinne.; Ill. Staatzderfafſung 260 


ins Berberhen Aahriten und · ihn jeht in. wyue Verirrungen verwicheln. Der Drjtte 
Stand umfo ſite vor der Repolution diec ver ſchiedenſten Claſſen der bürgerlichen, Ge⸗ 
ſellſchaft yom armſton Landbewohnen. und den niedrigſten Handarbeitern der Qtaͤdte 
bis zum Millionair des Handelsſtandes und zum ausgezeichnetſten Gelehrten. Dig 
ihm waren, was die Stellung. in, der Geſellſchaft betraf, auch alle Die vereinige, 
welche, ohwol an den Vorrechten das, Adels gefeplich theilnehmend, doch von, dem⸗ 
felben als eingebrungene Neulinge, veruͤchtlich zurückgewie ſen · wurden. Daraug 
mußte deun eine. Doppelte Beſcheparae aex Natiqu entſtehen. Auf dieuntern Stände 
fiel die ganje Loft. der: affentl, Abgabev Ppit giner-fp. unbeſchreiblichen Härte, ver 
wehrt durch ühermuth und turammifehe Bedickung der Grundherren und ihrer 
Beamten, durch alle erdenkliche Mißhraͤuche millkũurlicher Juſtizverwaltung, ſowie 
von Seiten.des Staats: durch ein ebenſo verkehrtes ale willkürliches Abgabe⸗ und 
1 waemgefofke Daß. algemeines Elend davon die 
nothwendige Folge war. Daraus erzeugte fich denn die Ditterfeit und Wuth, mit 
welcher ſowol das Landvolk als. der Pobel der Städte feine bisherigen Obern über- 
fiel, als das Signal zum Widerfande einmal gegeben war, Die höhern Claſſen des 
Bürgerftandes hingegen-waren durch Bildung und. Reichthum dem größten Theile 
des alten Adels überlegen, und dennoch fuchte dieſer fi) in einer Ariſtokratie zu bes 
daupten, deren Grundlage gänzlich verſchwunden war, ‚ Dermögen und Geiſtesbil⸗ 
dung find won jeher die einzigen reellen Bedingungen einer ausgezeichneten Stel: 
lung in der bürgerlichen Sefellfchaft geweſen, und von diefen beiden iſt die leßte 
noch dazu die entfcheidende. . Dem Gebildeten, dem Faͤhigen den Weg zu öffent: 
licher Wirkfomfeit und Ehre:perfchliegen, den Staat zw einem bloßen Pachtgute 
für einige bevorrechtete Familien marben, iſt ebenfo ungerecht als auf die "Dauer 
unmöglich. : Man bielt Meder, als man ihm die Finanzverwaltung übertrug, für 
den Eingigen, welcher den Staat retten konne, und dach. verfagte man ihm Jange 
den Rang (Minifiertitel, Sik und Stimme im Cabinetsrath), welcher ihm für das 
Anfehen feiner Stelle unentbehrlich war, nur — wegen feiner, bürgerlichen Her⸗ 
Bunft, Die. Regierung erfannte die Urfachen des übels nur- zum Theil; der Hof 
war befangen: in allen, Borurtheilen der Ariftofratie, und die Macht des Königs 
nicht groß genug, auch da, wo. man das Rechte gewaͤhlt ‚hatte, e8 gegen den verein: 
ten Widerftand der Parlamente und des Hofadels durchzuſetzen. 

II. Staatsverfaſſung, Sin den lebten Zeiten vor. .der Revolution wurs 
den ganze Wände über die Frage gefchrieben, ob Franfreich eine Berfaffung habe, 
oder ob Die Horrſcherrechte des Könige unbefchränft ſeien. Eins der pichtigften 
Werke über dag franz. Stanterecht: „Maximes du droit public francais” (Brüfs 
fl 1775, 2 Bde., 4.), von Aubry, Mey und Maultrot, ift im Grunde nur eine 
gelehrte Depustion.gegen die behauptete Linbefchränftheit der koͤnigl. Gewalt und 
für das Recht der Parlamente, die konigl. Verordnungen nicht eher zu publiciren, 
als big fie fich von der Nechtmäßigkeit Derfelben überzeugt haben, und wenigſtens 
bor der Publication Vorftellungen dagegen zu machen, - Die Verf. beweifen dies 
aus der Bibel, den Kirchenvaͤtern und den angefebenften Theologen der neuern Zeis 
ten; aber was mehr fagen will, quch aus den Staatsverhandlungen des Neichg, 
Grau v. Stacl widmete dieſer Frage ein eignes Capitel ihrer „Betrachtungen über. 
die franz. Revolution“, und wenn die Minifer (wie Salonne).die conftitytionnellen _ 

fhränfungen der konigl. Gewalt Jäugneten, fo waren gerade die bevorrechteten 
Stande mit den Parlamenten om eifrigften bemüht, ihr Dofein zu beweiſen. 
ontbion, Ranzler des Grafen von Artois, widerlegte Calonne's Behauptungen 
neh 1796 in einem zu Londen.gedrudten „Rapport a Sa Maj, Louis XVIũ.“ 
Allen, wenngleich fich nicht Iaugnen Läßt, das die Verfaſſung Frankreichs in. früz 
en Beiten.gerade auf denfelben Grundlagen eines freien Gemeindeweſens beruhte, 
Welche das Eigenthuͤmliche aller germaniſchen Volkseinrichtungen ausmachten; daß 
lpaͤterhin in. dem hehnſyftemn davon einige ſchwache Spuren, übriggeblieben waren, 


» 


u fe im IT des der all⸗ 
ercheilinte von rung anerfannt werten war, ſo war 

ter antern Seite fo wel gran, Da die erde 
kein ergunifchee Ganzes diſdeten, fordern nur weremgelte, fich witerfprechende 
Brechrtüäde tener Zeitalter un? für ie Gegenwurt vollig unbrauchbar waren. 
Tan alım der Macht, welche nach ter Tamaligen 

ün ter Ihren als ın werficcher bung fehtte ſchen das erſte Erfo⸗ 
derat aler Teuer unt Vukſonteit; fie wit im Jatereffe 


Sichen Leben Kraft une foun. Sie Ahenten Ne 
eher für nem Unrecht abʒuhalten; vartanche machten für, ıntem für der Argirrumg auch 
un ıbrem umüberswintäche ® ‚MER: 


Nururn eerüt eme Tyrütortenbeu ter Vioubeeerislienz um ten 

—— welche me sure tar Berare sr etefäne werwartete. äraere amp (and aut 

geröre Iahcheäre veriniot: wer. Du Furiertenbeure 2 ter Tmsmgtermeisung 
her Prrmorse muror 5 I. tu nerunbene leide weturch Tee surturti:cchee uezmern 
Sumanle  Ter:-s)> or? tür Trrumumg T-unftrube m Turin ge: 
Gere Simder "1, ur prewisces des rı0 gresses koures 7 reis denm- 
gramm? ır: Inner ae etrasgeres! rel gran 2le Pemsituner Selfberiig und 
C Nıderize eier Wemter Zulzürer rebeife. werde Ber muter reden) 
Ur Te zeugen Trevurgee burme ur few Hıtern eure Tine 
mehhe ser Aut außer ihm Tannen. Yaza sprufze nz jr rem Teridungien ter 
Ihurünmt bergerrapee hrten, Da Met V. (1513. a wier beige. Eirzte 3 Kine 
Sveurre w@hlee Se, ueber Ir Krpurcrme der Saure wel Ir 
Nur turuder nrirherter Sronnufrres etlan Fur ut sach wurden wur Dog 
Ben, Eins, we firmliche Saruercräegere vermenteß, weiche = wire 2 \Gerame er 
rıctert werten, um mach weher Traufreuh, fr met et var Trenusgiftümie uam, 
we Hi Efccmmer engerfuir mer. Daher burn aber tur ußiteeie Ver Unserer 
men zit anfizehort, zu dur Flnglüeter ter Fisccmmen, vom Deren Besfprchee 
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kınare rmunut.. Is Ümgen Ing Ye ers Trmerguiterwuihme ur ten Sieg 
Intendanten, deren Ir Yurdt Iocvien . 437° ee Velltintge Dramen en 
Saizsır Bars. Kath ser Ü XEIXRCX — — 
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CS Aaernfbe, zraer Teuizifien her Recdr za Tmiem, werfunden mat 


unter dem ent Due —inigen Tasbrei Aa Tinilien, auib 


Frunkreich vor der Revolution. Ib. Staatsverfaffung 274 


zu grofen Mißbraͤuchen, Willkuͤrlichkeiten und’ Bedruͤckimgen Gelegenheit; daher 
war die allgemeine Stimme gegen die Intendanten, und Necker's Plan, die Pro⸗ 
vinzialverwaltung ſtaͤndiſthen Eollegien wieder zu ubergeben, wurde von der Nation 
allgemein gebilligt. Er ſchlug nämlich 1778 vor, in jeder Provinz Landrüthe oder 
Landesdeputmtionen (Assembides provinciales) zu errichten, welche aus den drei 
Ständen des Volks genommen werden füllten, fodaß der König zuerft 16 Männer 
in jeder Provinz (8 Geiſtliche, 5 Adelige, 8 bürgerliche Sirundeigenthümer) ernannte, 
bon welchen dann die übrigen Mitglieder (3286) gewählt werden follten. (Schon 
der Herzog von Burgund, ala muthmaßlicher Thronfolger Ludwigs XIV, und’ der 
Daupbin, Bater Ludwigs XVi., hatten ähnliche Anfichten.) Allein Necker's Plan 


fpeiterte an dem Widerfpruche der Parlamente und der Vornehmen. Nur in Ober: 


yuienne und in Berry famen jene Assemblees zu Stande und Jeifteten vortreffliche 
Dienfte, wie Necker („De Fadıninistration des finances”, 11. ch. 5) nachweiſt. 
Die weitere Ausführung diefer Einrichtung, roelche der Provinzialverwaltung eine 


collegiale Verfaffung und eine ähnliche Seftalt, als fie in England durch die D war: 


talfeffionen der Friedensrichten und-die Grand Jury- der Aſſiſen hat, gegeben haben 
würde, wurde durch Neckers Entlaſſung (4784) unterbrochen. Bei Necker's zwei⸗ 
tem Eintritt in das Miniſterium (1788) wurde fie roieder vorgenommen, und in der 
Revolution durch die Departementscollegien (Conseils’ Eeneraux) zu Stande ge 
bracht, deren Wirkſamkeit aber Durch die Bonaparte'ſche IBiederherftellung der In⸗ 
tendanten unt. d. N. der Praͤfecten ſehr goſchmaͤlert worden iſt. Indeſſen beftehen 
noch jetzt in jedem Departement die 8 Landrathscollegien (Conseils généraux) und 


in jeder Linterpräfeetur die Kreisräthe (Conseils d’arrondissement) zum Behuf der 


Repartition der Girundfteuer, der Regulirung der gemeinfchaftlichen Ausgaben der 
Departements und Kreife. Ihre Mitglieder werden aber fimmtlich von der Regie: - 
rung ernannt, und es fehlt ihnen daher fehr Bieles von dem Weſen einer wahren 
Gemeindeverfaſſung. — Die allgemeinen Reichsflände (Etats généraux) 
werden zuerft von Dhilipp IV., dent Schönen (1285 — 1814), nach den 3 Ständen 
Kfammenberufen, und mar kann feine Regierung As den Wendepunkt annehmen, 
in welchem fich die alte Lehnsverfaſſung zur Staatsverfaſſung unigeflaltete. Denn 
von diefer Zeit an war die Pairfthaft nichts als eine leere Hürde, und es blieb ihe 
von ihren alten Rechten nichts übrig Als ein Sitz in dem oberften Serichtehofe, wel: 
chem Philipp einen bleibenden Siß in Paris anwies, und welchen er mit rechtsver: 
Kandigen: Richtern befegte, Aber in den neu gebildeten Reichsftänden erhielten die 
Pairs, weiche Philipp an die Stelle der alten ausgeftorbenen Reichsfürſten er: 
Aannte, keinen eignen und — Platz. Uberhiupt gab es unter dieſen 
Standen ueber erbliche noch Amtsſtimmen, ſondern Alles beruhte auf Wahlen. 
Die Geiſtlichkeit, der Adel und die Gemeinen verſammelten fich, wenn eine Staͤnde⸗ 
verſammlung ausgeſchrieben wor, nach den Oberaͤmtern, und waͤhlten dort, jeder 
Stand fürfich allein, eine beliebige oder vorgefchriebene Zahl von Deputirten, welche 
daher nie gleich geweſen iſt. Solcher Staͤndeverſammlungen find überhaupt vom 
1802 — 16134, 83 gehalten worden; die letzte beſtand aus 140 Geiſtlichen, 182 
vom Adel und 192. von den Gemeinen. Sie ging ohne Erfolg aus einander, weil die 
Kammern unter ſich nicht einig werden Eonnten , und erft unter Ludwig XVI. 
füchten die Parlamente ihrem Widerfpruche gegen reformirende Minifter dadurch 
mehr. Gewicht zu geben, daß fie die Zuſtimmung der Keichsftände zu Binanzgefeßen 
für nothrbendig erklärten. rüber hatten fie immer fich felbft für eine Fortfegung 
des alten Reichsraths der Pairs, für Neicheflinde in verjuͤngtem Maßſtabe 5 — 
geben, waren auch einmal (1528) als eigner Stand zu einer Verſammlung der No⸗ 
tabein berufen werden, und verlangten, vermdge diefer Anfichten, ſogar, daf auch 
ein von dem König mit den Ständen gegebenes Geſetz feine volle Gultigkeit erſt als⸗ 
dann erhalte, denn es durch die Eintragung in ihre Sißungsprotocolle publieitt wor⸗ 
den ſei. Allein am diefe Behauptung durchzuſetzen, hätten fie felbft mehr im Geiſte 





272 FSrankreich vor. der Revolution. II.-Sitaatsverfaffung, 


der Nation handeln, und’ nicht‘ fo oft ein höchſt einfeitiges Standesintereſſe ver: 
rathen müffen. Daher hatte auch ihr Widerfpruch gegen.die Handlungen der. Re: 
gierungen feine Haltung. - Ludwig XI\.. unterdrückte denfelben in der. Entflebung, 
‚als er, 17.5. alt, im Reitkleide felbft im Parlamente erfchten und feinen Befehlen 
Sehorfam verfchaffte. Zwar hatte die Negierung nicht die Macht, die Parlamente 
ganz aufzuheben, wie 2 Dia! unter Ludmig X V. durch den Kanzler Meaupou (1774) 
und unter Ludwig XVI. durch den Dtinifter Brienne 17188 verfucht wurde. Aber die 
Kraft des Widerftandes lag nicht fowol:in.dem allgemeinen Seifte der Verfaſſung 
als vielmehr in der feften ariftofratifchen Verbindung der Parlemente mit dem Adel . 
‚auf der einen und: mit dem Advocatenfiande auf der andern Seite. Beide Male 
£onnte e8 die Regierung nicht dahin bringen, daß die Advocaten in: den üffentlichen 
Sitzungen des Megupou'ſchen Parkımentsund der von, Brienne eingerichteten Cour 
pleuiere erfchienen wären, und fah fich genäthigt, die gethanen Schritte zurückzu⸗ 
nehmen. Indem fich alfo das Parlament endlich, gegen ſ. frühern Behauptungen, 
für incompetent erklärte, neue Abgaben zu publiciren, und fich auf die Reichsſtaͤnde 
berief, hoffte e8 in den beiden gbern Ständen eine folche Unterftüßung gegen die Me 
nifter zu erhalten, daß alle Bemühungen derfelben gegen die Mißbräuche der Arifto- 
Eratie, gegen die Steuerfreiheit des. Adels, gegen die Erblichkeit der Staatsämter ıc, 
nothwendig feheitern mußten, Allein ebhendeßwegen mußte die Negierung die Zuſam⸗ 
menberufung der Reichsflände ſelbſt ale das. einzige Mittel ergreifen, fich durch Die 
Gemeinen gegen die Ariftefratie zu verflärken, wie ſchon Philipp KV. fich derfelben 
gegen die großen Vaſallen ‚bedient hatte; fie mußte aber ebendeßwegen auch dem 
dritten Stande durch die doppelte Zahl der Abgeordneten und die Vereinigung aller 
3 Stände in Einer Kammer (was auch nur eine Wiederherftellung der ältern Ein⸗ 
richtung war ; Paillet’s „Droit public francais”‘, p:98) dasjenige. Übergemwicht vers 
ſchaffen, welches ihm als der eigentlichen Nation gebührte und, wenn er der Negier 
rung zu Hülfe Eommen follte, nothwendig war, Freilich wurde der ganze Zweck wie⸗ 
der dadurch vereitelt, Daß der König nicht wagte, ein Konig des Bolkes, fondern fich 
durch den Einfluß des Hofes verleiten ließ, felbft der .erfte Gegner feiner Minifter zu 
fein. — B. Aus dem Bisherigen ergibt fich ſchon der große Fehler der Serichtss 
verfaffung, daf fie nicht rein ihrem eigentlichen Zwecke diente, ſondern in Res 
gierung und Sefeßgebung auf eine fehr nachtheiliga Weife eingriff, Es tamen aber 
noch andre Dinge hinzu, welche das Verhaͤltniß zwifchen den Berichten und der Res 
gierung zu einem fehr verworrenen machten, Gerade in den Punkten; morin. die 
Serichte unter Aufficht und Leitung der. Regierung ftehen müflen,; woren ſie von 
berfelben beinahe ganz unabhängig; dagegen gefchaben von den Miniftern und dena 
Hofe in die Rechtspflege ſelbſt die unerträglichften Eingriffe. Es war dies.eine Folge 
der ganzen Drganifation des Juſtizweſens, welche noch.in den wichtigften Punkten 
- unter den Trümmern des Lehnsweſens gleichſam verſchüttet war. Wir mollen nicht 
davon reden, daß die Gerichtsbarfeit auch in Frankreich noch ein bloßer Ausfluß det 
Grundherrlichkeit war, und die Justices seignenriales alfo überall die unterſte 
Stufe bildeten. Strenge Aufſicht über die Gerichtsbeamten und eine richtige Stel⸗ 
lung derfelben hätten die Nachtheile dieſer Einrichtung verbeffern Eünnen ; aber eben 
an diefer Aufficht fehlte es ganz, und die Beamten waren ineiner unbedingten Abs 
Bängigfeit von ihren Serichtsherren. Die Einsheilung der gutsherrlichen Berichts: 
barfeit in hohe, mittlere und niedere, wovon die erfte eine unbefchränkte Criminal⸗ 
jurisdietion in fich ſchloß, wollen wir bier nicht weiter auseinanderfeßen, obgleich 
diefe in Frankreich abgefpaffte Finzichtung noch nachher unfern deutfchen Publici⸗ 
ſten durch die Rheinbundsacte zu ſchaffen gemacht hat. Don dem Seigneur bas 
jasticier gingen zumeilen Appellationen an den Suigneur. haut justicier, ſonſt 
in der Regel an die Eönigl, Oberänter (Bailliages et Senechaussees). Diefes 
waren nicht bloße Domainenämter, fondern durch: die Ausnahme gewiſſer Berbre: 
den als gas. royaux von ben gutsherrlichen Gerichten mar ihr Sprengel auch über 


’ n- 


Frankreich vor ber Regolntion. M. Staatsverfaffung 273 


die Dafallengüter ausgedehnt worden. Die Untergerichte ‘der Ehnigl,, Domainen 
biegen meiſtens Vogteien, Prevptes, Die Oberämter waren mit einem .Baillj 
beſetzt, welcher der Rechte nicht kundig zu fein brauchte, Dig Juſtiz aber. wurde alg- 
dan in f. Namen durch einenrechtsgelehrten Verweſer, Lieutenant derahbe, ver: 
walter, Den Oberämtern der größern, Städte hatte Heinrich 41, 1551 eine colles 
giale Einrichtung unter dem Dramen Presidial gegeben, beftehend aus einem Pr 
fidenten mit menigftens 6 Rüthen, um aus dem Verkaufe diefer Stellen. eine be 
deutende Seltfumme zu gerinnen. Die oberfte Stufe der Gerichtsbarkeit nah⸗ 
men die Parlamente ein, welche nach und nach von 1302 an in den verfchiedenen, 
mit der Krone vereinigten Lehnsfuͤrſtenthümern errichtet worden waren. Das erfle, 
ſowol der Zeit feiner Errichtung (1302) als der Größe feines Bezirkes und feines 
Anfehens nach, war das Parlament von Paris (ſ. d.). Sein Sprengel um⸗ 
foßte mehr als die Hälfte von Frankreich, die Provinzen Isle de France, Picardie, 
Champagne, yon, Berry, Bar, Perche, Poitou, Anjou, Touraine x. ſ. w. 
zur großen Befchiverde der Serichtseingefeffenen, welche weite Reifen unternehmen 
mußten, um zu ihrem echte zu gelangen. Es hatte einen erſten Präfidenten, 9 
Präfidenten der Grand’ Chambre, 8 Pröfidenten der übrigen Senate oder Kams 
mern und 146 wirkliche Rathe, welche in T Senaten arbeiteten. Außerdem war 
dabei eine Legion von Subalternen, Procuratoren und Advocaten angeftellt, Die 
9 Prüfidenten des großen Senats trugen befondere runde Muͤtzen, wovon fie Pre- 
sident à mortier hießen. Im parifer Parlament hatten die Prinzen des konigl. 
Hauſes und alle Pairs nach zurücgelegtem 25, J. Siß und Stimme. Das. pari: 
fer Parlament behauptete, mit den fümmtlichen übrigen Parlamenten. (zu Toulonfe 
1444, Grenoble 1458, Bordeaur 1462, Dijon 1476, Rouen 1499, Ajs 1504, 
Rennes 15653, Pau 1620, Mes 1632, Befancon 1674, Douay 1686. und 
Nancy 1775) ein Ganzes auszumachen, welches nur in mehre Claſſen getheilt fei, 
allein die Regierung erkannte dies nicht an. Es iſt leicht einzuſehen, daß, eine fo 
große Menge von Sefchäften und Rüthen (denn auch die übrigen Parlamente wa: 
‚ren verhältnigmäßig gleich ſtark befeßt) der Nechtspflege nicht vortheilhaft fein 
konnte, und obgleich geroöhnlich ausgezeichnete und mwürdige Maͤnner unter den 
‚Mitgliedern twaren, fo fehlte es doch auch weder an unwiſſenden, noch an beftechli- 
hen, Der Hof hatte immer einige in f. Solde und ließ unter diefe jährlich eine be- 
deutende Summe vertbeilen, Sämmtliche Parlamente nannten fich, weil fie in 
letzter Inſtanz fprachen, Cours souveraines, welchen Namen auch einige andre 
oberfte Serichtshöfe der Provinzen mit ihnen theilten. Sie behaupteten vermöge 
diefer Souverainetät einige gar befondere Rechte. Das Miniſterium hatte auf 
ihre Amtsführung ebenfo wenig Einfluß als auf die Ernennung der Mitglieder, fon: 
‚dern fie waren bierin bloß ihrer eigenen Collegialaufficht unterworfen, nur dag die 
Kronanmälte, der Avocat und der Procureur general, verpflichtet waren, ab- 
wechfelnd mit dem erften Praͤſidenten halbjährlich ein Mal einen Bortrag über die be- 
merkten Mängel zu halten und Befchlüffe zu deren Abftelung in Antrag zu brin- 
gen. Dies gefchah zu Paris am Mittwoch nach den Ferien, davon der Name 
Mercuriale für eine Srrafpredigt. Die Parlamente eigneten fich auch die Macht 
. 3 von dem Buchftaben der Geſetze abzumweichen und nach Billigkeit zu entfcheiden , 
wogegen die Provinzen oft Vorftellungen machten, und das Sprüchwort entftanden 
var: „Dieu nous garde de l’equite du parlement”. Sie ſuchten ferner ein 
Vorrecht darin, in ihren Stihferkenntniffen nicht wie die untern Gerichte wenig: 
ſtens den Gegenſtand der Anfchuldigung genau angeben zu müffen, fondern im All- 

meinen eine Strafe pour les cas resultans du proces ausfprechen zu dürfen. 

ie Unabhängigkeit der Parlamente und des Richterfiandes überhaupt wurde noch 
vermehrt durch das vollkommene Eigenthumerecht an ihren Stellen. Diefe Kauf⸗ 
lichkeit und. Erblich£eit der meiften Stantsimter, wovon nur 7 Miniſterſtellen, 

1 . 


Converſations⸗Lexicon. Bd. IV, 


—8 


274 Branfreich vor ed Revohntion. IIL Staatswerfaffung 


Sintentanturen und ſolche, bei welchen fie durchaus ——— war, ausgenemen 
waren, ſchrieb ſich aus den aͤlteſten Zeiten her, wo man Amter in Lehn und Pacht 
gab, war aber ſchon von — All. und vornehmlich von Franzi. recht —288 
riſch als ein Mittel, ſich Gild zu verſchaffen, gebraucht werden. 

drangen bei jeder Gelegenheit auf —— eines fo ſchreienden Mißbrauchs, ers 
fangten es auch wol, wie unter Heinrich N; aber theils die Schwierigfeit, Die er- 
legten Rauffummen zurückpzahlen, theils die Bequemlichkeit, bedeutente Sum⸗ 
men auf eine fo leichte Berfe ju erlangen, daß man neue Stellen creirte umd ver- 
kaufte, erhielt die Sache bis zur Revolution. Bloß für die ‚mit 
Einſchluß der Secretairs, Notare, ‘Procuratoren, hatte der Staat 450 Mill = 
rüdpızpahlen, wobei natürlich nur in Betracht fam, mas an bie Staatscaſſen, nicht 
aber, was an den Dorgünger im Amte als Berfäufer bezahle worten war. Hein⸗ 
rich IV. machte die Einrichtung gefeglich und dehnte fie, auf den Vorſchlag eines 
gewiſſen Paulet, noch weiter aus, indem gegen eine jührliche Abgabe (von „/; der 
Amtseinfünfte, Aunuel oder Paulette genannt) fogar ten Erben des Beamten 
das Recht gegeben wurde, das Amt zu verkaufen. Da auch Diejenigen, welche 
Verbrechens wegen ihrer Ämter entfegt wurden, Boch das Recht behielten, ſolche zu 
verfaufen, fe laͤßt fich Feicht denken, wie fehr die Unabhängigkeit des Beamtenſtan⸗ 
des hierdurch bis zur Untergrabung auch Des verfaffungsmäßigen Gehorſams ge: 
fleigert werten mußte, Denn da alle Stellen erfauft werden mußten, ſo Eonnte 
auch die Rüdfihe auf DBeforberung Keinen bewegen. ſich nachgiebiger zu be: 
werfen. Eine der nüchfien Folgen diefer verkehrten Einrichtung war die große 
Vermehrung aller Amter. Für die meiflen waren zwei, rei und vier Beamte 
angeſtellt, welche —— * ‚ halbjährlich oder Fia abwechſelten. (So 
hatten auch Die meiſten Staatscaſſen zwei oder drei Einnehmer, von welchen 
ein jeder immer nur «in jahr vie Caſſe vermaltete und dann em Andern 
übertrug, wodurch in Das ganze Finanzmefen eine ımgemeine Berwidelung ge: 
bracht wurde) Sodam wurde der Zunftzund Kaftengeift, welcher durch das 
E:treben der Dbergerichte nach politifhem Einfluß fo viel Nahrung erhielt, 
hierdurch außerordentlich begünjtigt und keineswegs zum Vortheil des Bolfs gelei: 
tet. Der ganze Richterſtand betrachtete ſich, bei allen innern Zwiſtigkeiten zwi⸗ 
ſchen den Parlamenten unter fich und mit den Pröfitialgerichten, mit dem Advo⸗ 
catenflante u, ſ. w., als ein aefchloffenes Ganzes, weiches alle feine Mitglieder ge: 
gen Regierung und Voit auch bei auffallenden Ungerechtigkeiten vertrat. Daher 
war es ſo ſchwer, gegen die Mißgriffe und die ———— — Richter bei *. 
ren Obern Huͤlfe zu erlangen, und mancher Unſchuldige wurde dem Sigenfinng, dem 
Stolze, der Herrſchſucht der hohen und nietern Serichte geopfert. (S. 2a: 
barre.) Voltaire und Linguet fümpften raſtlos gegen dieſen richterlichen Despo: 
tismus, welcher durch eine unter Ludwig XIV. berfaßte Eriminalortnung (die 
Ordonnance criminelle von 1670) mit doppelter Tortur ımd großer Ausdeh⸗ 
nung der richterlihen Macht fehr begünfligt wurde. Ein Totesurtheil konnte 
ohne Geſtaͤndniß des Angeklagten auf die geringfügigflen Anzeigen, nach einer 
vorgefaßten Meinung des Referenten, gefüllt werden, und einige traurige Fälle 
ungerechter Hinrichtungen (Lebrun, Banglade, Calas, "Mombailli, barre, Des: . 
rues, Lalli u. X.) hatten die Eriminafrechtepflege Frankreichs Gegenſtande 
emes allgemeinen Mißtrauens und Abſcheus gemacht. In — 
war der Gang langſam, mit Formlichkeiten überkaden und übermäßig foffber. Die 
Befoldungen der Richter waren gering, allein fie bezogen Sportefn, weiche aus klei⸗ 
nen freiwilligen Geſchenken an Früchten, Tonfituren, Spejereien (davon der Name 
Epices) nach und nach in gie —— und in bedeutende Geldſummen ver⸗ 
wandelt worden waren. Die Rechmung wurde nach Arbeitstagen ( Vacations) ge: 
macht, deren jeder einem Parlamentsrath mit 192 Livr. bezahlt wurde, und es war 


4 


Frankreich vor ber Revolution. II. Staatsverfaſſung. 275 


nichts Ungervößnliches, ſich 2 — 300 und mehr Bacationen auszufeßen. Der erfie 
Prafident ward durch eine rechtliche. Fiction bei allen Arbeiten des Parlaments für 
gegenwärtig gehalten und bezog feine Vacationen. “Dem vorleßten Parlaments 
präfidenten D’Aligre, welcher überhaupt als habfüchtig verfchrteen war, rechnete man 
nach, Daß von 1768-83 f. Bacationen 400 Jahre ausgemacht hatten. Natür: 
lich kam dies nur den Arbeitfamen zu Sute, allein die Parlamentsftellen waren 
noch mit folchen Borzügen, dem Adel, der Freiheit von vielen Abgaben und einem 
folchen Anſehen verfnüpft, daß fie fehr gefucht und gersöhnlich mit 60,000 Livr. bes 
zahlt wurden. Eine Präfidentenftelle in Paris koſtete 500,000 Livr. Außer den 
Porlamenten beftanden für die Abbörung und Juſtification der Rechnungen von 
allen Staatscaffen, als gleichfalls fehr zahlreich befeßte oberfte Berichte, Chambres 
des comptes zu Paris, Dijon , Srenoble, Aix, Nantes, Montpellier, Blois, 
Rouen, Pau, Dole und Meg, und für die Jurisdiction in Steuerfachen 13 Cours 
des aides, wovon aber nur die zu Paris, Montpellier, Bordeaux, Clermont und 
Montauban befondere Collegien ausmachten, die 8 übrigen aber mit den Parla: 
menten oder Nechnungshöfen vereinigt waren. Alle dieſe Eollen'en erkannten gleich 
falls in letter Inſtanz und ftanden auf einer Linie mit den Marlamenten. Ihre 
Stellen Hatten auch diefelben Borrechte, und tie Cours des aides zu Paris flanden 
in großer Achtung, weil fie fich jederzeit des Volkes gegen die Bedruͤckungen der 
Sinanzbeamten und Pächter annahmen. Don der Chambre des eomptes hin: 
gegen fonnte man diesmicht fagen. Die Stellen wurden gerodbnlich von reich ge: 
wordenen Bürgern für ihre Söhne gefauft, um ihnen ein bequemes Einfommen 
und Rang zu verfchaffen, übrigens fanden die Nechnungsräthe eben nicht im Ders 
dachte der Selehrfamkeit und des Geiſtes. „Eh! Messieurs. si j’avais eu de 
Yesprit, m’aurait-on mis parmi vous ?“ foll einer der leßten Sandidaten geant: _ 
wortet haben, als ihm feine Unwiſſenheit zum Borwurf gemacht wurde Wie 
aber bei diefen Einrichtungen die Gerichte im Ganzen viel zu unabhängig von der 
Regierung waren, und fie durch ihre Einrichtungen Sefeßgebung und Politik felbft 
im Guten hemmten, obne das Unrecht hindern zu konnen, fo war auf der andern 
Seite auch wieder Die Macht der Regierung in Juſtizſachen viel zu groß. Beſchwer⸗ 
den über die Lintergerichte Eonnten bei den Intendanten angebracht werden, und es 
war eine allgemeine Klage, daß die Gerechtigkeit fich fehr oft nach perfänlichen Ruͤck⸗ 
fichten bequemen müffe. Durch einzelne Befehle griff die Regierung in den ang 
der Juſtiz ein, indem fie durch die Leitres de cachet fich eine unbeſchraͤnkte Se 
walt über die Freiheit der Bürger anmaßte, aber auch ebenfo oft die Schuldigen 
durch dergleichen willkuͤrliche Verhaftungen dem Richterarm entriß. Sollte ein 
Nechtshandel, befonders eine wichtige Criminalſache, nach befondern Anfichten ge: 
leitet werden, fo wurde eine fpecielle Commiſſion ernannt; wiewol dies in den letz⸗ 
ten Zeiten feltener geworden war. Nichtigkeitsgefuche gegen die Entfcheidungen 
der Parlamente konnten bei dem Staatsrathe, dem Conseil du Roi, angebracht 
werden und fanden meiftens eine rillige Aufnahme. Das Conseil (die Abtheilung, 
welche das Conseil prive genannt wurde, und unter Borfiß bes Kanzlers oder Sie: 
gelbewahrers aus 21 Staatsräthen, den Maitres des requetes und den Finanz 
intendanten befland)- caffirte Die Ausfprüche der obern Gerichte fehr Häufig, "fland 
aber, was die Gründlichkeit und feine eignen Entfeheidungen (Arrets) betraf, in 
fo fehlechtem Anfehen, taß man zu fügen pflegte: „Il raisonne comme un arret 
du eonseil”, Den Bortrag im Conseil prive hatten die Matires des requätes , 
deren 17189 18 waren, welche par quaftier dienten. Aus diefem unaufhörfichen 
Conflict der obern Berichte und der Regierung entftanden die nachtbeiligfien Folgen 
für Beide, und eine ebenfo ge Lahmung der öffentlichen Gewalt als eine Ver: 
nichtung des Anfehens der Sefeße. Die Stimme des Volkes befchuldigte die Par: 
Tamente in allen Berhältniffen, wo ein Standesintereffe im Spiele war, der ‘Par: 
, 18 | 


216 Frankreich v. d. Rev. IV. Regierungeverfaff. u; Staatsverw. 


teilichkeit. Einer der gründlichfien Kenner der franz. Stantsverwaltung, Pfeffel 
(defien Auffüge unter dem Namen des Auflrafiers eine Zierde der Schlöger’fchen 
„&taatsanzeigen waren), fchrieb ihnen die Berbinderung aller Finanzreformen 
und befonders des Katafters zu, weil fie die reichiten Srundeigenthümer in ihrer 
Mitte hatten, aber durch das allgemeine Syſtem von perfönlichen Rüdfichten fich 
und ihre Angehörigen auch von den Steuern, welche fie gefeglich zu entrichten hat: 
ten, frei zu machen wußten. Die Härte der franz. Lehnsverfaſſung war eine Folge 
davon, daß alle höhere Berichte nur mit Mannern befegt waren, welche felbft zu 
dem Stande der Sutsbefißer gehörten, und dag vermöge der Kaͤuflichkeit der Amter, 
und noch mehr vermöge der Mittel, welche die Parlamente anıwandten, neuen Fa⸗ 
milien den Eintritt in ihre Sorporationen zu erfehtveren, twenigftens immer die über: 
wiegende Mehrheit & jenem Stande gehörte. Außerdem mifchten fich die Par: 
Iamente in Alles. Es nahm z. B. die Partei der Janſeniſten gegen den Erzbifchaf 
son Paris, Chriſtoph von Beoumont (gef. 1784). Der Erzbifchof verbot den 
—— Prieſtern, die Sacramente zu ertheilen; das Parlament verhängte 
riminalbefehle genen die Pfarrer, welche dem Erzbiſchof gehorchten; der Staats⸗ 
rath caſſirte die Geſchlüſſe des Parlaments, welches am nächften Tage dieſelben 
wiederholte. „Dieſe Anarchie”, ſchrieb Voltaire 1775 („Histoiredu Parlement 
de Paris‘), „kennte nicht dauern. Entweder mußte die Regierung die vöthige 
Macht wieder an ſich nehmen, oder die Herrſchaft an die Parlamente übergeben”. 
Das Erfie-gelang nicht, und das Zweite führte zur Revolution, die in ihrem Ent: 
fichen alfo ganz ein Werk der höhern Stände war. . 
IV. Regierungsverfaffung und Staatsverwaltung. Bo ſehr 
auh die Macht der Regierung durch das ariftofratifche, d. h. auf Mitherr- 
fchaft oder vielmehr alleinige Herrfehaft gerichtete Streben der Parlamente und 
des Adels überhaupt gelaͤhmt war, fo fehlte es doch gänzlich an einem gefeßmäßigen 
Organ der Volksftimme (der Bolksvernunft), welches die öffentliche Wacht in 
einem gefeßlichen Sange zu erhalten faͤhig geweſen wäre. ‘Daher war die Regie: 
.rungeverfaffung allerdings gewiſſermaßen despotifch, fe fehr auch der Sinn bes Re⸗ 
genten, von einem despotifchen Gebrauche derfelben entfernt fein mochte. Dieſes 
zeigte ſich A) in der Vernichtung aller felbfländigen Municipalverfaffung, 
welche in jeder Staatsverfaſſung, auch der monarchifchen, die erſte Stufe 
der öffentlichen Sewalt bilden muß. Nachdem die Könige Frankreichs der dritten 
Diynaftie in der aufblühenden flädtifchen Freiheit den erften Stüßpunft gegen die 
Dafallenariftokratie gefunden Hatten, entwickelte fich die Semeindeverfaffung der 
. Städte eine geraume Zeit in ungeflörter Freiheit und Kraft. Cie wählten. ihre 
Morfteher-felbft, meiftens foger ohne der königl. Beſtaͤtigung zu bedürfen; fie ent: 
“warfen ihre Statuten; fie übten das Recht der Selbftvertheiligung und nahmen in 
der Reihe der Grundherren eine bedeutende Stelleein; fie waren den Königen durch 
ihre Seldbeiträge und bewaffnete Mannfchaft wichtiger als Adel und Geiſtlichkeit; 
fie waren von dem 14. Jahrh. an, als der dritte Stand, zn den allgemeinen 
Reichsverfammlungen gezogen worden. Unter Franz. und Heinrich IL, wurden 
die erften Eingriffe in diefe flädtifche Freiheit gemaspt, wie fish aus den gefeßlichen 
Verordnungen zum Schutze derfelben ergibt. Ludwigs XIV. Regierung war auch 
ürdiefe Berbältniffe,zerftörend. Man errichtete Fäufliche underbliche Stellen inden 
tädten(königl. Procuratoren, Stadtfchreiber, Maires, Aſſeſſoren und Stadtrüthe), 
modurch dag Wahlrecht hinwegfiel; doch erhielten fih Diehre dadurch bei ihrer-alten 
Verfaſſung, daß fie felbft die Kaufgelder von diefen Amtern an den König erlegten 
und ihre Beamten narh wie vor erwaͤhlten. Dahin gehörte Paris, wo zwar der König 
die erften Beumten (den Vorſteher der Raufmannfchaft, Prövol des marchands) be: 
liebig ernannte, die 4 Schöffen aber von den Notabeln der Stadt gewählt wurden, 
und die 26 Magiftratsräthe und 16 Diertelsmeifter ihre Stellen erblich hatten, Im 


Stanfreich v. d: Rev, IV. Brsierwigsorrfaff. u. Staateverw. 277 


Ganzen mar aber die Diunicipalverfaffung ohne Serbicht und Kraft. 2) Die Pro⸗ 
vincialvermaltung mar, wie bereits erwähnt wurde, in den Händen der In⸗ 
temdanten, welche ziemlich mit der Gewalt eines Paſchas in ihrem Sprengel regier: 
ten. Die Finanzverwaltung war theils in den Händen konigl. Beamten, mit erbli- 
chen und Fäuflichen Stellen, theils verpachtet, welches letztere auch zu den ſchreiend⸗ 
ſien ÜÜbeln der alten Derfaffung gehörte. Die bereits erwähnte Einrichtung, daß die 
Eönigl. Eaffen in der Regel 2 oder auch mol 3 verfchiebene Einnehiner, hatten, 
welche jährlich wechfelten, machte auch dem geübtefien Finanzminiſter die Lkberficht 
unmöglich, weil immer erft in 4 Jahren das Ganze beurtäeilt werden Fonnte; ab: 
en daven, daß das Heer von Beamten die Berwaltung Außerft koſtbar machte. 
chtet waren die Confumtionsfteuern, nämlich der Salzhandel, das Tabade: 
monopol der Regierung, die Binnenzölle, die Accife der Stade Paris und die 
Trankſtener des platten Landes. Mehr die Einrichtumg -diefer Steuern felbft als 
die Schuld der 44 Seneralpächter machte diefe mit ihren Unterbeamten dem ganzen 
Volke verhaßt. Den Seneralpächtern felbft hatte man ihren Gewinn fo fparfam - 
als möglich zuzumeſſen gefucht, ‚aber dennoch er gab.ber Augenfchein, dag ihnen ein 
großes und leicht erworbenes Einkommen blieb; und wenn unter ihnen einige 
Männer von Derdienft, wie Helvetius, Lavoifier, de la Borde, waren, wenn an:. 
dre von ihren Reichthuͤmern einen edein Gebrauch machten, fo waren es gerade, 
diefe Finanzmaͤnner, welche durch die unfinnige Verſchwendung ihrer auf Koften . 
des Volks erworbenen Reichthuͤmer der Achtung der Regierung außerordentlich 
nachtheilig waren: Man nännte fie die Blutegel des Staats; fie waren mit ib: 
rer Üppigkeit, ihrer Unwiſſenheit, ihrem rohen Geldhochmuth, ihrer Hartherzigkeit 
ein ftehender Charakter auf dem Theater. Diefe Sinanzpachtungen hatten aber 
auch) das Urtheil der Berflindigen um fo mehr gegen fich, als gerade bei den durch 
fie verwalteten Staatseinnahmen die Erhebungsfoften am beträchtlichften roaren ; 
fie betrugen nach Meder 164 Procent, während bei ben directen Auflagen der Staat 
nur 63 Procent verlor. Ailein fie flanden mit der eigentlichen regierendin Macht 
Sranfreichs, dem Adel und den Eoterien des Hofes, in fo ungertrennlicher Ber: 
bindung, indem für Alle, die einigen Einfluß hatten, bei ihnen offene Eaffe war, 
daß fein Minifter es wagen durfte, ſich an diefen Säulen des Staats, wie man 
fie im Spott nannte, zu vergreifen. „Sie werben fich wundern”, fügte einfl ein 
Herr vom Hofe zum Hofbanquier de la Borde, „Daß ich, da ich nicht die Ehre habe, 
Sie zu. tennen, Sie um ein Anlehen von 400 Louisd’or erfüche”. „Und Sie”, 
antroortete jener , „werden fich noch mehr wundern, daß ich, da ich die Ehre habe, 
Sie zu kennen, es Ihnen gebe”. Meder berechnete die Maſſe der fämmtlichen 
Beamten bloß bei der Grund: und Bermögensfleuer und bei den Zöllen auf ein 
Heer, von 250,000 M., obwol die meiften davon andre Befchäftigungen damit 
verbanden. 3) Die Trntralregierung ruhte in den Händen des Königs, 
oder vielmehr der Diinifter und des Hofes. Obgleich der Wille des Monarchen: 
in den letzten Zeiten die einzige Quelle der Geſetze dar (si veut le roi, si veut la 
Jo:), fo gehörte Boch eine außerordentliche Charakterftärfe dazu, dem vereinten 
Einfluffe der Samilienverhältniffe des konigl. Haufes und der übrigen Umgebun⸗ 
gen des Monarchen zu widerftehen. Daher durfte auch fein Miniſter fich ſchmei⸗ 
cheln, in dem Monarchen felbft die Unterflüßung zu finden, welche ihm noth⸗ 
wendig war, um den Kampf gegen Mißbraͤuche und Unordnungen fiegreich zu en: 
den. Gute und fehlechte Minifter „Turgot und Meder, wie Salonne und 
DBrienne, fonnten ohne Reformen fich nicht behaupten, fcheiterten aber einer wie 
der andre an diefer Klippe. An der Spige der Geſchaͤfte ſtanden eigentlich der 
Kanzler von Frankreich, die 4 Staatsfecretaire der auswärtigen Angelegenheiten, 
des fonigl, Haufes, der Marine und des Kriegs, und der Seneralcontroleur oder 
Generaldirector der Finanzen. jeder diefer 6, Deportementschefs (welche aber 





278 Frankreich v. d. Rev. IV. Regierungsverfaff.u. Staatsverw. 


- sicht immer den Rang eigentlicher Miniſter und Zutritt im Conseil d’etat hatten). 
var mit inumfchrämkter Gewalt befleidet: Seine Verfügungen ergingen im Na⸗ 
men des Königs und mit deffen Uinterfchrift, der König unterzeichnete jedoch nicht ” 
felbft, fondern der Miniſter hatte einen Stempel mit dem konigl. Namen, welchen 
er mit feiner eignen Tontrafignatur beglaubigte. Die Verhaftsbefehle indeffen ge⸗ 
hörten ausfchlieglich dem Staatsfecretair des königl. Hauſes. Der Minifterrang 
wurde ohne fehriftliche Beſtallung bloß dadurch ertheilt, daß der König Jemanden 
zu den Sitzungen bes Conseil d’etat einfaden ließ, und einmal gegeben, fonnte er _ 
aur durch formliche Berurtheilung wieder entzogen werten. Daher war es auch 
gewiſſermaßen nothiwendig, entlaffene Minifter an irgend einen Ort zu eriliren oder 
ihnen wenigftens den Aufenthalt in einer gewiffen Naͤhe von Paris zu verbieten. 
Im Conseil d’etat ließ ſich der König felbft Borträge von den Miniſtern erſtatten; 
die übrigen Abtheilungen waren das Conseil des depeches, für die auswärtigen 
Angelegenheiten; das Conseil des finances, und der geheime Kriegsrath, in wel⸗ 
chen fimmtlihe Minifter und Stantsfecretaire Sig und Stimme hatten. “Den 
Namen Conseil d’etat führte aber auch noch ein andres Collegium, beftehend uns 
ter dem. Vorſitz des Kanzlers oder Siegelbewahrers, aus Staatsrüthen und Meitres_ 
des requ£tes, und war eine gerichtliche Behörde, wohin die Nichtigfeitsbefchwers 
den, Hecufationsgefuche gegen Öbergerichte, Neffortftreitigkeiten zwifchen ihnen 
und dergleichen gehörten. Es wurde zum Unterfchied von dem vorermähnten das 
Conseil d’etat prive oder Conseil des parties genannt. (Ein andres Obertris 
bunal war das Grand conseil, beftehend aus 5 Praͤſidenten, 54 Rüthen u. ſ. w., 
deifen Gerichtsbarkeit fi in den ihm zugewiefenen Sachen, als Streitigkeiten über- 
geiftliche Beneficien, Banfrutte, Wucher, einige Zebnsgefälle u. f. w. über das: 
ganze Reich erftredite.) Endlich in der Reichskanzlei (grande Chaucellerie), be 
ftehend aus dem Kanzler Siegelberwahrer, 2 Grands rapportenrs, 4 Grends au 
dienciers u. f. w., wurden alle Beftallungsbriefe, Abelsbriefe, Legitimationen,. 
Naturalifationen u. f. w. ausgefertigt, oder nach Befinden verworfen. Ber: 
gleicht man diefe Maffe von Staatsbehörden und bie Zahl ihrer Mitglieder mit 
der Einfachheit der englifchen Einrichtungen, fo wird fich auch von dieſer Seite 
die Wberzeugung aufdringen, daB in der franz. Staatsverwaltung mehr dahin 
getrachtet wurde, daß es den höhern Ständen nicht an einer binreichenden Zahl 
von Amtern fehle, als daß die Angelegenheiten des Staats gut verwaltet wuͤr⸗ 
den, Diefes Princip, Frankreich als ein großes Lehngut des Adels zu betrach⸗ 
ten, und bie Nation als deffen leibeigenes Sefinde, wurde denn auch fowol in 
der Art, wie die öffentlichen Abgaben herbeigefchafft wurden, als in der Verwen⸗ 
dung der öffentlichen Gelder treulich beobachtet: — 4) das Abgabefyftem 
laftete ganz und gar auf dem Stande der Landbauern und Bürger; die 
Seiftlichkeit und der Adel trugen zu den üffentfichen Laſten fo gut wie nichts 
bei. Denn was die Seiftlichkeit bezahlte, fiel wieder Hauptfächlich Auf die große 
Maffe der geringern Beneficien, die Pfarreien, und ſchmaͤlerte den Überfluß der 
höhern Seiftlichkeit fo gut wie gar nicht. Übrigens fland die Art, wie die Ein: 
Fünfte. aus den unermeglichen Gütern der Kirche verwendet wurden, mit den Zwes 
den der Kirche im grellften Widerfpruche. Sie waren, wie fehon bemerkt, nur 
noch eine Penfionsanftalt für die jüngern Söhne des alter Adels, welche, auf diefe 
Weiſe ausgeftattet, an üppigkeit und Sittenlofigkeit fich von feinemandern Stande 
übertreffen ließen. Zuerft waren affe bürgerliche Befigungen ſehr ausgedehnten und 
mannigfaltigen Lehnsgefüllen, Frohnen und andern gutsherrlichen Rechten unter: 
morfen und der Kegel nach zehentpflichtig. Aus diefen lehnsherrlichen Sefüllen 
und Rechten zogen die Seiftfichfeit und der Adel den größten Theil ihrer Einkünfte; , 
fie wurden in der Revolution, anfangs gegen eine fehr niedrige, dann ohne alle Ent: 
ſchaͤdigung aufgehoben, deffenungenchtet aber blieb nach Aufhebung diefer Rechte 


P2 


’ 


Frankreich v. d. Rev. IV. Regierungswerfoff. u. Staatsverw. 279 
noch eine Maſſe von unmittelbar geifllichens und adeligem Eigenthum an Werth 
vor mehr als 3000 Mill, Fr. übrig, wozu noch die gragen Beſitzungen des nicht 
ausgemanderten Adels hinzugerechnet werden müflen. Denn 28 wurden vom 
41. Mai 1790 bis 1801 für 2609 Mil, Nationalgüter (geiftliche und Emigran⸗ 
tengüter) verfauft, und übrig waren noch zu jener Zeit für 2340 Mill. in den alten - 
Departements, soelche nach der Reſtauration ihren alten Befißern zurüdgegeben » 
wurden. Bringt man diefe Sütermaffe von em gefammten Srundeigenthum 
Frankreichs in Abzug, fo wird böchftens ein Deissheil für biuerliche und bür: 
gerliche Grundſtücke übrig bleiben. Diefe nun waren allein ber Taille unter: 
soorfen, welche als eine Sombination von Grund- und Bermögensfteuer anzufehen 
wear umd jährlich 95 Mill. einbrachte. Eine andre Art. von Einkommenſteuer, 
die Capitation (Kopffleuer), traf zwar Adelige und Nichtadflige ohne Unterfchied, 
war aber verhaͤltnißmaͤßig viel geringer als die vorige; denn ihr ganzer Betrag be: 
lief fich nur auf 41 Mill. Eine dritte Dermögensfteuer war nach dem reinen Ein: 
Eommen, vornehmlich aus Grundſtücken angelegt, und beftand urfprünglich aus -; 
‚des reinen Ertrags, davon fie Vingtieme hieß. Sie war aber zuerft verdoppelt 

sworden (les deux vingticmes), dann noch um „erhöht (4 sous pour livieen 
sus du primier vinglieme) und 1782 eine dritte Vinzticıne angelegt worden, 
: welche nur bis zum Frieden bezahlt werden folkte. Bei dieer Bermögengfteuer 
fand Feine gefegliche Befreiung des Adels flatt, allein durch f. Connerionen machte 
er fich dennoch beinahe ganz frei. Die deux vingliemes mit der Zulage von 
4 Sous trugen 56 Mill. ein, welches alfo das ganze reine Einfonmen tes Volks 
aur auf 500 Mill., viel zu niedrig berechnet haben würde. Pfeffel führt an, dag 
eine Anzahl vornehmer Srundbefißer ein reineg Einkommen von 4 — 5 Mill, 
nug mit 44,000 Livr. verfleuert, alfo den Staat um „5 ihrer Schuldigkeit ver: 
- tür hätten (Schlozers „Staatsanz.“, XII, 136); daher fiel auch diefe Abgabe 
wieder beinahe ausfchließlich auf die bürgerlichen und bäuerlichen Befißungen, und 
ſchon diefes würde Binreichen, den elenden Zufland dig Volfs zu erflüren. Die 
Ammtlichen Srundfteuern vor der Revolution betrugen 210 Mitt, Livr., und davon 
mußten Bürger und Bauern, ungeachtet fie vielleicht. kaum 3 oder gar nur 4 des 
Bodens eigenthümlich befaßen, zuverlißig mehr als 4 allein entrichten. Allein 
Hierzu kamen noch: 1) die Wegebaufrohnen (corvees), welche ausfchlieglich von 
den Bauern geleiftet werden mußten, und deren Werth Necker zu 20 Mill. jährlich 
anfchlägt. Mit dem Schweiße der Unterthanen wurden jene prächtigen Landſtraßen 
gebauet, welche Frankreich in allen Richtungen durchfchnitten, aber dennoch haupt: 
fächlih den Bornehmen zu Gute kamen, weil die Vicinalwege, die der gemeine‘ 
Mann am meiften braucht, dabei vernachläffigt wurden. 2) Eine andre drüdente 
Laſt war die Einguartirung der Truppen, welche allein auf die arbeitenden Llaf: 
. fern fiel, da der Adel ganzlich davon befreit war. “Den. Soldaten mußte außer der 
Wohnung Feuer, Licht, Salz und Waͤſche geliefert werden, auf dem Lande auch, 
100 die Savalerie lag, die Fourage. Ebenfo waren 3) die Gemeinden ausfchließ: 
lich zum Kriegsdienft verbunden. Jährlich wurden 60,000 M. für die Miliz 
ausgeboben, umd zwar nach dem Loofe. Der Dienft dauerte 6 Jahre. Man kann 
leicht denken, zu wie yielen Bedrüdtungen diefe Aushebumgen Belegenheit gegeben 
haben mögen. Was aber durch Größe der Abgaben und noch mehr durch ihre ver: 
kehrte Einrichtung das Volk in der That zur Verzweiflung treiben mußte, waren. 
die indirecten Auflagen. Der Binnenzolle zwifchen den verfchiedenen Provin: 
jen (traites) ift fehon gedacht worden, fie waren mit unter den Segenfländen des 
Seneralpachts. Die Trankfteuern, verbunden mit einigen andern Auflagen, 
wurden vom Staat adminiftrirt und trugen gegen 52 Mill. ein. Hingegen das Ta⸗ 
backsmonopol der Regierung, die Zolle ſowol im Innern als an den Örenzen, und 
son den Solonialmaaren, vornehmlich aber die Salzſteuer wurden durch eine Eom: 


280 Frankreich v. d. Rev. IV! Regierungsverfaff nu. Staatoverw. 


pagnie von 44 Generalpaͤchtern erhoben, welche dafuͤr zuletzt jährlich 186 Mill. an 
den Staat zahlten. Davon kam ein volles Dritttheil auf die Salzſteuer, a6 auf 
einen Srgenftage telchen auch der, Armfte ungeführ in gleichem Verhaͤltniſſe als 
der Neichfte verbrauchte. Die 60 Mill. Livr., welche vom Salzhandel in die 
Staatscaffen floffen, waren aber bei weitem nicht Alles, was das Bolt dafür ent: 
richtete. Denn es mußte außerdem noch den Gewinn der Seneralpächter, die Bes 
foldungen ihrer Unterbeamten, Aufpaffer und der bewaffneten Macht, welche zur 
Verhinderung des Schleichhandels unterhalten werben mußte, entrichten, weiches 
zufammen auf 20 Mill, berechnet wurde, Der Eentner Salz, welcher im freien. 
Handel für 14 Livr. zu haben war, und in einigen Gegenden noch geringer hätte 
fein tönnen, wenn die Salzfabrication nicht beſchraͤnkt geweſen waͤre, wurde Durch 
die Saljfteuer (gabelle) in einigen Provinzen bis auf 62 Livr. gefteigert. Es 
bedarf Faum der Bemerkung, mie fehr durch diefe künſtliche Vertheuerung eines ſo 
unentbehrlichen Bedürfniffes der Landwirthſchaft geſchadet werden mußte, aber das 
Schädlichfte war doch die Wirkung, welche fie auf die Moralität des Volkes und 
auf das Verhaͤltniß deffelben zur Regierung nothwendigerweiſe hatte. Denn ge 
rade bei diefer Abgabe hatten die alten Provinzialuerfaffungen Frankreichs ein bis 
hr Ungereimtheit verfehrtes Syſtem hervorgebracht. Frankreich theifte fich in 
nfehung des Salzhandels in 6 Claſſen, welche einander auf'das mannigfaltigfte 
durchkreuzten: 1) Provinces franches, diejenigen Diftricte, in welchen der Salz⸗ 
handel frei, und das Salz alfo tn f natürlichen Preis geblieben war. Dies waren 
meift diejenigen Provinzen, in welchen Seeſalz gewonnen wurde, die Bretagne, 
ein Theil von Poitou, Navarra, in welchen der Eentner 1E— 2 Liv, Eoftete; fer: 
ner die franz. Niederlande, wo es T— 8 Liv, galt, .2) Die Provinces redimees 
hatten fich unter Heinrich IF. durch ein Capital von 1,700,000 Liv. von dem Salz: 
pacht Iosgefauft; fie bezogen ihr Salz mit Entrichtung eines Zolles aus den See⸗ 
ſalzwerken von Saintonge und Poitou, wodurch es auf 6 —10 Lin. der Centner zu 
ftehen fam. Zu ihnen gehörten Guienne, Poiteu, Auvergne und überhaupt das 
ſuͤdliche Frankreich. 3) Die Unter-Normandie gewann Seefalz, movon fie früher 
den vierten Theil an den Staat abgab, daher der Name pays de quart hbouillonz 
nachher war dies in eine Seldabgabe verwandelt worden, wodurch der Preis des 
Salzes auf 18 — 15 Liv. fam. 4) Die Pays de salinee, welche aus inländifchen 
Salzwerken verfehen wurden, Elſaß, Franche-Comté, Lothringen und die 3 Bis: 
tbümer (Mes, Toul und Berdun), hatten das Salz zu 12, 15, 27 und 86 Fin, 
6) Die Pays de petites gabelles (einige kleinere Nuancen übergehen wir), die 
Provence, Languedoc, Dauphind, Lyonnais, kurz das füdliche Frankreich, bekam 
fein Salz aus den Salinen am Meere zu 22 bis 40 Liv, 6) Die Pays de gran- 
des gabelles oder die mittlern Provinzen des nördlichen Frankreichs, Isle de 
France, Normandie, Picardie, Champagne, Orleannais, Tourraine u. ſ. w., 
etwa & bes Landes, entrichteten die färkften Abgaben vom Salze, daher auch 
+ des Sahpachtes (gegen 40 Mil.) aus ihnen gezogen wurden. “Der reis 
ftand, nach Verſchiedenheit der Diftricte, zu 51 — 62 Liv. Die wichtigfte 
Folge diefer Einrichtung war, daß ſich das Volk in einem befländigen Kriege 
gegen die Regierung befand, und der Schleichhandel mit Salz (faux saunage) 
die allgemeine Zuflucht aller Verarmten, aller Iandflüchtigen Verbrecher oder 
Müpiggänger war. Durch den Transport eines Centners Salz über die Grenze 
von Bretagne nah Maine oder Anjou waren in einer Stunde 17 Thlr. zu 
verdienen. Selbſt ein Paar Pfund in der Taſche gaben ſchon ein reichliches 
Tagelohn. Die Aufficht erfoderte ein Heer von Beamten und, da der Schleich: 
handel bewaffnet betrieben wurde, von Soldaten. Die Regierung erzog fich 
alfo felbft einen Stamm vwerziveifelter und verwegener Menfchen, und die Se: 
richte waren flets mit Unterfichungen gegen dieſe Schleichhandler befchäftige, 


Frankreich v. d. Rev. IV. Regierungsverfaff. u. Staatsverw. 394 


Gewdhnlich Hatte man gegen 1800 Verbrecher. diefer Art in den Sefingniffen; und 
man bielt es für ein glüdliches. jahr, wenn nicht mehr als 300 zu den Galeeren 
Verurfheilt wurden. “Die Strafen konnten, fo hart fie waren, nicht abſchrecken, 
denn die Verfuchung zu dem Verbrechen, morin man an fich noch dazu nur! DIE 
Gegenwehr gegen eine ungerechte Bedrüdung des Staats erkannte, war zu’groß, 
und da die Seneralpächter jährlich vielen Hunderten ausdem Volke wegen rüdftäns 
biger Gefaͤlle ihre ganze geringe Habe verkaufen ließen, fo wurden ſie durch Noth 
und Verzweiflung zu einem Erwerbsmittel getrieben, welches die Gefahr mit reiches 
chem Ertrage aufwog. — Noch iſt eine der druͤckendſten Befchwerden, die allgemeine 
Setreidefperre, felbft zwiſchen den verfchiedenen ‘Provinzen Frankreichs, zu erwah⸗ 
nen. Colbert, der Urheber derfeiben, glaubte dureh das Verbot der Ausfuhr wohl 
feile Preife zu Gunſten der Fabriken zn bewirken. Was unter feiner Verwaltung 
ein Irrthum im Syſteme war, wurde unter f. Nachfolgern und befonders unter 
Ludwig XV, eine Duelle neuer Bedrückungen. Die Intendanten, ohne dern Ers 
laubniß Eein Getreide aus der Seneralität verkauft werden durfte, ertheilten dieſelbe 
‚nur gegen Beftechungen; Capitaliften trieben durch Ankaͤufe das Getreide in bie 
Höhe, um bei der daraus entftehenden Theurung der Regierung, welthe auf Ko⸗ 
flen der Stantscaffen das Brot in einem gleichen Preife zu erhalten fuchte, ſolches 
mit ungeheurem Gewinn zu verkaufen. Es ift befannt, daß Ludwig AV, ſelbſi 
aus feiner Privatcaffe an diefen abfcheulichen Speculationen- einen großen Antheil 
nahm. Der Aderbau gerieth in den tiefften Berfoll, und in manchen Gegenden; 
befontders in den- großen Städten, entfland großer Mangel, daher auch, ale Turgot 
unter Ludwig AV, diefe Setreidefperre aufhob, es f. Gegnern fogar gelang, das 
Volk gegen feinen wahren Vortheil zu Empörungen zu bewegen. Zar erhielt fich 
son 1774 an der freie Getreidehandel, wenigftens im Innern des Reiches, aber die 
Ausfähr blieb der Regel nach verboten, und die einmal zu Boden 'gedrücte Lande 
wirthſchaft konnte fich, eingeengt durch fo mannigfaltige andre Fefleln, fo ſchnell 
nicht reicher erheben. Die Verforgung der Hauptftadt mit Brot biieb immer ein 
Gegenſtand großer Sorgen, und es war leicht, die Einwohner derſelben mit Fünfts 
lich erregtem Mangel zu erfehredten, wie dies denn auch voirkfich das Mittel geweſen 
iſt, die erfien Gräuelfcenen zu erregen und die Wuth des Yöbels gegen die koͤnigl. 
Familie zu Ienfen. Aus diefer kurzen Darftellung der Abgabeverfaffung wird fich 
leicht erklaren, bis zu roelchem Grade die Armuth und Noth der niedern Stände 
Sranfreichs vor der Revolution gefteigert war. Man pflegte den Sklavenhandel 
in den Colonien damit zu entfehuldigen, daß ja der Sklave fich in der Regel noch 
weit beffer befinde, als der franz. Bauer, „Aus dem Elende”, fagt Frau von 


Stacl („‚Considerations sur la revolution”, 1. ch. 6), „entfprang Unwiſſenheit, » 


und die Unwiſſenheit vermehrte wieder dis Elend; fragt man daher, warum das 
Volk fich in der Revolution fo graufam bewieſen hat, fo ift Erine andre Urfache ans 
zugeben ,. als daß Armuth und Noth auch ein moralifches Verderben herbeigeführt 
hatten, welches um fo unausbleiblicher gefchehen mußte, als feit Ludwig XIV., ja 
son Franz 3. an von oben her dag Beifpiel der Unfittlichkeit und Verachtung alles 
Ehrwürdigen bei Außerlicher Beobachtung religisfer Gebräuche gegeben worden 
car”, Man. hat zwar hierauf geantivortet, daß Frankreich jetzt Im Ganzen bei 


toeitem mehr Steuern zable als 1789. Allein diefer Einwand ift ungegründet. . 


Denn freilih famen 17189 in die Staatscaffe nur 585 Mill; allein wenn man 
dazu die aufgehobenen Zehnten ‚und LZehnsgefülle rechnet, twhenn man ermägt, 
daß die Steuerfreiheiten abgefchafft und die jeßigen Steuern auf alles Einkommen 
vertheilt ſind, fo Taßt fich richt abläugnen, daß die arbeitenden Claſſen jegt bei weis 
tem weniger abzugeben haben als vor der Revolution. — Zugleich aber ift auch 5) 
die Verſchleuderung der öffentlichen Gelder, welche die Regierung ebes 
dem entehrte, durch Die conftitutionnelle Verfaſſung Frankreichs gehemmt worden. 


{ 


2382 Frankreich. V. Die Revolution und ihre Folgen 


Denn dns mußte die Gemuͤther des Volkes noch mehr erbittern, wenn es ſah, zu 
welchen Zwecken die ſchwer errungenen Abgaben vergeudet wurden. Die Kriege 
Ludwigs AlV., f. Gebäude, f. Prachtliebe empörten das gefunde Gefühl des Vol⸗ 
tes noch lange nicht fo fehr als die übermüthige Verſchwendung einer Pompadour 
und Dubarry unter. Ludwig XV. Unter ihm kam in dem Rechnungswefen der 
Hauptſtaatscaſſe ein Gebrauch auf, welcher Auelle und Deckmantel der gröbften 
Unordnungen wer, die fogenannten Acquils à comptant, eigenhändige Quittun⸗ 
gen des Königs über baar erhaltene Gelder, welche aber keineswegs von ihm wirf: 
lich erhoben worden, fondern nur ein Mittel waren, den Segenfland der Verwen⸗ 
dung nicht in den Rechnungen erfcheinen zu laffen. Ludwig XV. war fein Ver⸗ 

wender und in Allem, wos ihn ſelbſt anging, ein forgfamer Hausvater für fein 

olf. Auch die unglüdliche Königin Marie Antoinette ift gegen den Borwurf der 
Vergeudung, womit fie von der öffentlichen Stimme ſchon lange vor dem Aus: 
bruche der Revolution verfolgt worden war, neuerlich von einer fehr achtbaren Zeu⸗ 
gin (Mad. Campan) mit Erfolg vertheidigt worden. Allein der Mißbrauch der 
Acquitsa comptant (oder, wie fie nachher auch hießen, der Ordonnances au por- 


tear) üft doch auch unter Yudwig X VI. fortgefeßt worden, und die auf folche Weiſe 


aus dem Otaatsſchatze gezogenen Summen, deren Berwendung fih nur zum Theil 
‚ mus dem geheimen Safienbuche des Königs (dem fogenannten Livre rauge) ergibt, 
beliefen fih von 1779 — 87 auf 860 Mill., und außer den geheimen Ausgaben 
der auswärtigen Angelegenheiten ift diefe Summe hauptfüchlich nur an Penfionen 
und Öratificationen für den Hofadel verwendet worden. Mit vollen Händen wur: 
den diefe Sinadenbezeigungen ertheilt, ſodaß man nicht fügen konnte, wer nicht be: 
rechtigt gewefen waͤre, fie in Anfpruch zu nehmen; und Neder („Administration 
des finauces“, I1l, 95. in einem eignen Capitel von den Foderungen der Vorneh⸗ 
men und von der Pflicht eines Sinanzminifters, gegen fie zu kämpfen, fpricht. Wer 
Beinen ſcheinbaren Grund zu Sefchenten und Sinadengehalten anzugeben vermochte, 
. bot dem Könige irgend eine Beftgung oder ein Recht zum Kauf an, und erhielt un: 
ter biefem Titel, was er wünfchte. Für einen Prinzen des Eünigl. Haufes wurden 
in 2 Jahren 16 Mill. Schulden bezahlt, aber auch andern, z. B. dem unbrauch: 
baren Marineminifter Sartine, wurden bedeutende Summen zu gleichen Zwecken 
bewilligt. Der berühmte und berüchtigte Beaumarchais erhielt für geheime Dienfte 
auf ein Mal über eine Million. Auch hier lag der Fehler nicht an dem ſchwachen 
Charakter des Königs allein, fondern hauptfichlich an der Macht der Ariftofratie, 
welche zu brechen vielleicht ein Richelieu oder Ludwig XIV. nicht mehr flark genug 
geivefen wäre. Die konigl. Familie fand aber auch in dem Wahne, daß der Thron 
nur das Volk, nicht die Ariftofratie der höhern Stände zu fürchten habe, obgleich 
. fon lange zuvor einer der Elügften Staatsmänner Frankreichs, der Staatsmini: 
ſter D’Argenfon („Considerations sur le gourernement de la France“, 1764), 
diefes Vorurtheil zu bekaͤmpfen ſuchte. Freilich als die Revolution, zu welcher es 
die Parlamente und die höhern Stände durch das Dringen auf die Reichsflände 
gebracht hatten, einmal entfeffelt war, da ftürzte fie mit den Bifchofsfigen und 
der Lehnsherrlichkeit des Adels auch den Thron um. 

v. Die Revolutionundihrefolgen. Beidiefen allgeme 
nen, tiefgefühlten Beſchwerden bedurfte Das Volt nur eines kleinen Anftoßes, um mit 
Gewalt Dasjenige wieder zu nehmen, was ihm von Seiten der Vornehmen durch 
eine viele Jahrhunderte lang fortgeſetzte Uſurpation entzogen worden war, das 
Recht der freien Gemeindeverfaſſung. Vorbereitet waren dazu alle Theile der bürs 
gerlichen Geſellſchaft, die Seringern durch die Noth, deren Lrfache ihnen in den 
hffentlichen epreffungen ver Augen lag, der höhere Bürgerfland durch den Uns 
willen, svelchen die Vornehmen durch übermüthigen Migbrauch ihrer Macht bei 
ihm erregten. Die verächtlichften Ausdrüde des Adels gegen den Bürgerflend 


Granfreich: V. Die: Revolation und ihre Folgen 283 


foliten einen Lnterſchied noch feſthalten, welcher durch ‚höhere Dildung bes Ichtern. 
Ungſt alle Realität verloren hatte. Wenn auch einem großen Theile des Volks 
fchutgerechte Kenntniffe fehlten (der gemeine Franzoſe gehorte vielleicht zu den Uns 
wiſſendſten in Europa), ſo hatte eine praktifche Ausbildung des Verſtandes alle 
Stände durchdrungen, und da man von oben herab fe laut davon ſprach, daß der 
Staat einer Regeneration bedürfe, fo mar auch ohne Kouffean und Doftaire ſehr 
nanürfich, daß der primitive oder ein nothwendiger Zuſtand der bürgerlichen Geſell⸗ 
ſchaft ein Segenftand des Nachdenkens für Alle wurde, Die Begründung tea 
Staats durch Vertrag, die Einfegung der öffentlichen Gewalt durch den Willen 
der Nation ift fein von neuern Philoſophen erfundener Gedanke; es iſt die natärs 
lichſte wie die ältefle Vorſtellungeweiſe, und war in Franfreich brfonters durch 
Schriften gangbar geworden, welche wol mehr in das Volk eingedrungen find ala 
Rouffeau's „Louträt social”, durch die Schriften eines Fenelon, eines Boſſuet, 
eines Maſſillon. Boſſuet's „Politique tiree de l’ecriture sainte” iſt voll fols 


her Stellen, Sın'lon in f. „Direetions pour la conscience d’un roi“ ſagt (Dis 


rect. 36, p. 65) mit dürren Worten: „C'est un conträt fait avec les peupiek 
poar les rendre vos snjets; cdınmencorez vous par violer votre litre ſonda- 
mental? lis ne vous doivent Pobeissance que suivanl ce onnträt, et si vous 
le violez, vous ne mcritez plus qu’ils Pohserrent“. Maſſillon in f. Faßena 
predigten („Petit car&me”), dieſem Handbuche des Volks, hält dem Könige war, 
daß er nur der Wahl des Volks f. Gewalt verdanke, und fchließt: „En. au mot 
comme la preimisre source de leur autorite vient de’ nous, les rois n’en doi- 
rent faire. usage que pour nous“. Kaum batten es daher die Parlamente zur 

ng der Reicheftände gebracht, als diefe Ideen fich überall wit praftifchen 
Folgen entwidelten. Es bedurfte nur eines Vortrags von Mirabeau (im Juli 
4789) über die Errichtung der Nationalgarden, und ganz Frankreich. land unter 
den Waffen. Diefe allgemeine Bewafinung aller Gemeinden an einem und dem⸗ 


felben Tage durch ein überall ausgefprengtes leeres Gerücht, daß die Arnte auf den 


Feldern in Brand geſteckt werden folle, und die unmittelbar darauf folgenden Em⸗ 
pörungen der Bauern gegen ihre Gutsherren gehören zu den geheimnißvollſten und 
folgereichften Ereigniffen der Revolution. Wie viele Schlöffer zerflört, wie viele 
Archive_ verbrannt worden, geben bie Sefchichtfehreiber der Revolution nicht an, 
aber es war ſchon damals fichtbar, daß die einden die Urkunden vernichten 
wollten, welche ihre Shutsherren uͤber ihre Ichnsherrlichen Nechte he ſaßen; es war 
eine factifche Anticipation der Decrete, welche die Nationalverſammlung in ber 
Nacht vom 4. Aug. 1789 und an den folgenden Tagen über die Abfchaffung der 
Feudalrechte faßte. Diefe Decrete find die eigentliche Grundlage, der Inhalt der 
ganzen Revolution; denn fie ftellten die Freiheit des Grundeigenthums wieder Ber, 


welche durch die Lehnsherrlichkeit unterdrüdt worden war, und fie bahnten den Weg . 


zu einer Gemeindeverfaſſung, auf welcher dag neuere Staatsrecht Frankreichs be: 
ruht. Zuerſt wurden alle Rechte der Leibeigenfchaft, und mas an deren Stelle ge 
treten war, ohne Entfchädigung aufgehoben, alle andre grundherrliche Gefälle, 
Binfen und Renten aber für ablöglich erklärt Die ausfchließliche Befugniß der 
Gutsherren, Tauben zu halten und fie auch zur Saatzeit auf die Felder der Unter⸗ 
tbanen und Dichter fliegen zu faffen, ein gering fcheinendes, aber zur großen Be: 
ſchwerde des Landbaues gereichendes Recht, wurde abgefchafft: Dann kam bie 
Reihe an die Jagdgerechtigkeit; einem Jeden wurde das Hecht eingeräumt, auf f. 
Grund u, Boden alles Wild u, Geflügel ju tödten, wenn er nur die Polizeigeſetze das 
bei beobachtete. Die Patrimonlalgerichtsbarkeit wurde —— und die Einfuͤh⸗ 
rung einer neuen Öerichtsverfaffung befchloffen. Die von ter Nationalverſamm⸗ 
kung eingeführte Gerichtsverfaſſung befleht im Wefentlichen nach und wird von Der 
Nation für eine der größten Wohlthaten der neuen Ordnung der Dinge gehalten. 


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® 


I | FTesaftiih. V. Die Revchitten und ihre Folgen 


Hierauf würden alle Zehnten ber Kirche und geiſtlichen Orden aufgehoben, wogegen 
Ber Staat die Unterhaltung alter Eirchlichen Beamten und Gebäuße, und überBaupt 
bie Koften des Cuktus Abernahm. Die Zehnten, welche von Laien befefien wur⸗ 
den, ſollten abloslich fen. Die Käuflichkeit und Erblichkeit aller richterlihen und 
fladtifchen Ämter, die Steuerfreiheit des Adels und der Seiſtlichkeit, die Ausfchlie: 
fung der Dürgerfigen von Officierftellen, Hofämtern und den hoͤhern geifllichen 
Wurden, die befontern fländifchen Verfaffungen und Berrechte mancher Provin⸗ 
gen, die Annaten des Papſtes und andre Migbräuche der Firchlichen Derfaffung 
wurden abgefthafft. Hierdirch war eine nene Ordnung der Dinge begründet, Die 
Resolution vollendet, Daß man in der Folge, als die Abloſung der lehnsherrlichen 
Gefälle allzu langſam von flatten ging, fie ſammtlich ohne Entfehadigung aufhob, 
wor nur ein Vorgreifen in die natürliche Entwickelung der Dinge, aber keine Ver⸗ 
Anderung des Syſtems der neuen Verfaſſung. Man bat gegen die Serechtigfeit 
dieſer Decrete große Bedenken erregt, über welche fich viel ftreiten ließe. Wenn die 
fräbere Unttrdrüdung der gemeinen Sreiheit, wovon die Geſchichte berichtet, gerecht 
war, fo tar es auch die Wiederberfiellung derfelben; denn Beide berubten auf 
einem und Demfelben Grundſatze, einer natürlichen Nothwentigfeit. Das Bedürf: 
niß des Schutzes in einem Zuſtande roher Gewalt ohne rechtliche Sicherheit trieb 
einft die Freien in die Unterwürfigkeit umd Leibeigenfchaft; jebt, wo die öffentliche 
Macht auf den Kräften und dem Sehorfam —— beruht, finden ſie jenen 
Schatz nicht mehr in der Abhängigkeit, und önnen nur in bürgerlicher Freiheit dem 
Staate vollkommen leiften, mas er von ihnen verlangt. . $ranfreich hat durch jene 
Decrete auf einmal ein Ziel erreicht, wonach alle Staaten fireben; wohin einige 
früher gelangt find, alle aber dereinft gelangen müffen. Gleichwol ift die, auf jenen 
Decreten berußende, Ordnung der Dinge der eigentliche Gegenſtand der Streitig⸗ 
keiten, won welchen das weſtliche Europa bewegt wird, obgleich fle jegt unter dem 

. Mamen des monardyifcgen Principe geführt werden. So gut die Faiferliche Regie⸗ 
sung in Frankreich mit jenen Wirkungen der Revolution beftand, fo feft würde auch 
Ludwigs XVI. Thron auf ihnen geflanden haben, wenn nicht eine unbegreifliche 
Verblendung ihn verhindert hätte, auch hierbei der Führer feines Volks zu fein. 

- Die Schranfen der koͤnigl. Gewalt, welche die Parlamente, Geiftlichkeit und Adel 
aufsuftellen firchten, waren nicht um ein Haar .geringer oder weiter als die, womit 

ſich die Mationglverſammlung begnügt haben wuͤrde, wenn fie nicht vor dem Hofe 
felbft genöthigtirorden wäre, Dem Könige fo wenig Macht als möglich übrig zu Taf 
fen, weıl auch dies Wenige gebraucht wurde, das öffentlich gut Geheißene im Ge⸗ 
heim wieder zu vernichten. Noch jeßt geht die vorgeblich royaliftifche Oppofition 
in den franz. Kammern von denfelben conftitutionnellen Punkten aus, welche ihre 
Gegner von ber linken Seite verlangen, und es iſt nicht die Frage, worin dieſelben 
beftehen, fondern nur, welchen Händen ſowol die Macht als die Gegenkraͤfte ans 
vertraut werden follen. Unabhängigkeit der Gerichte, Theilnahme an der Geſetz⸗ 
gebung, Steuerbewilligung, öffentliche Rechenfchaft und Derantwortlichkeit der 
Minifter, fogar die Preßfreiheit haben die vorgeblichen Anhänger der reinen Mon 
archie ebenfo laut und dringend von den Miniftern gefodert, als die entgegenge: 
feste Partei, nur daß fie noch hinzufügen: Ruͤckgabe oder Erfaß für die am 4. Aug. 
1789 verlorenen Vortheile nnd Borrechte; ausfchliegliches Stimmrecht in beiden 
Kammern, nur ebenfalls getheilt mit einigen flädtifchen Beainten; ausfchließlicher 
Beſitz aller Stellen, welche auch den kleinſten Antheil an der öffentlichen Macht 
gewähren. Denn an die wirkliche JRiederberftellung der lehnsherrlichen Rechte, 
der Frohnen, der Zehnten, der Parrimonialgerichtsbarkeit denken wol nur Wenige. 
So unmittelbar Das anzutaften, was nun fihon einen wenigſtens SOjährigen Be: 
fiß für fig bat, wuͤrde ohne heftige Erfchütterung nicht möglich fein, und in einem: 


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Srankreich. V. Die Revolution und ihre Feigen DES 
Ze n bie Intereſfen enes Wolns wird biefes zuldet inimer der.flaͤrkene 
Was nun dieſe allgemeinen Wirkungen der Revolution für die Grundverhaͤſt⸗ 
niſſe Des franz. Staats betrifft, fo laſſen ſich folgende als die hauptſachlichſten ans 
gebens 3) Eine allgemeinere Bertbeilung des Grundeigenthums. Es 
ſchon bemerkt worden, daß vom Mai 1790 bis zum Schluß 1800 für 2609 Mull. 
Nationalguͤter verfauft worden find. Dies waren. meiſtens Guͤter der Kirche un. 
der geiftlichen Orden, da gegen ben Kauf der Emigrantengüter ein ‚gerechtes 
Borurtheil ſtattfand. Alle diefe Güter wurden in der Regel zu niehrigen 
Dreifen verkauft, weil man theils diefen De nicht ‚fr ſicher hielt’... theiks 
auch Die zablungsfühigen Käufer fehlten. Zu Ente 1886. waren norh:für 700 
Mill. Nationalgüter übrig (für 340 Mill. in den alten Provinzen ‚: für 460 Mil. 
in ten eroberten, für 200 WMill. Staatswaldungen). Auch Darunter maren 
noch viele Kirchengüter, welche zum Theil zur Dotation der Ehrenlegion und der 
Senatorien verwendet worden ſind. Nach einem Altern Werfe („Le cabinet du 
‚0, amgeführt von ‚Linnäus, „Notitia reßni Franoiae‘, Strasburg 1654) 
‚befianden- die Befigungen der Kirche im alten. Frankreich (mit Ausſchluß der foges 
nannten ausländifchen Seiftlichfeit) in 180,000 Lehngütern, worunter 83,000 
‚mit Dbergerichten (Standesherrſchaften), in 249,000 Meiereten und Vormerken, 

1,7100,000 Morgen Weinberge (außer 400,089 “Morgen, wovon fie 4 oder ; des 
eins bekamen), 600,000 Morgen lediger Feldgüter, 435,000 Weiher, 0h000 
Morgen Wiefen, 245,000 gehende Wafferräder in Mahl-und Papiermühlen, 
Hammerwerken u. dal. 1,800,000 Morgen Waldungen, 4,400,000 Mongen 
Weiden; der größte Theil des Bodens war ihnen jehntbar, und kein Grundſtück 
zu finden, worauf fie nicht eine Hypothek, Rente oder Stiftung (eine jähel: Ab: 
gabe von 5, 10 — 50 Sous für eine Meſſe, brennende Lampe oder dol:) hatten. 
Selbſt die koͤnigl. Domainen waren davon nicht ausgenommen. Diefe ganze Guͤ⸗ 
termaſſe iſt nurunter eine Menge größerer und Eleineger Landeigenthümer vertheilt, 
und dadurch, verbunden 2) mit der Aufhebung der Beudalrechte und der gänglichen - 
Befreiung des Srundeigenthums, ein Stand freier Landwirthe gefchaffen 
worden, auf welchem die wahre Stärke einge Staats ganz allein beruht. ‚Wie 
groß die Vertheilung des Orunteigentbums fi ergibt fih daraus, daß unter der 
großen Zahl von Eigenthümern, welche Steuern zu entrichten haben, eine Zahl, 
die fich ungefähr auf 5 Mill, beläuft, Doch im J. 1820: nur 90,839 waren, welche 
eine jährl. Steuer von 300 Fr. und danüber bezahlten, und demnach an den Depu⸗ 
tirtenwahlen Theil nehmen durften. Seitdem ift durch Theilungen und eine Her: 
abfeßung der Grundſteuer diefe Zahl nach bedeutend vermindert worden. (In den 
Grundſieuerrollen von 1848 find überhaupt 10,444,421 Steuerpflichtige aufges 
Kühre, darımter find nur 40,773, welche über 500 Fr. jährlich zu entrichten haben, 
und dieſe zuſammen zahlen der Srundfleuer, waͤhrend die petite propriete $ 
derſelben träge.) Da nun von der- ganzen Maffe des Grundeigenthums jegt nur 
216 Mill, on Grundſteuern bezahle werden (Budjet von 1822), während nor der 
NRevolution fehon von dem Eleinern Theile-deffelben 130 Mill, entrichtet wurden, fo 
iſt ſchon hieraus klar, wie viel leichter. die Buͤrden find, welche jept auf dem Landbau 
liegen, als die worigen. Die Bergleichung wird aber erſt dan nallflindig, wenn 
man auch das Wegfallen des Zehnten, der Baufrohne, der Einguertierung und der 
lehnherriichen Rechte in Anſchlag bringe, Diefe Vertheilung des Srundeigen: 
thums in Fleine Zoofe, welche ihrer Natur nach mit einer beffern Bearbeitung des 
Bodens verbunden ift, muß denn auch als. die Haupturfache der feit 30 Jahren um 
$ vermehrten Bevölkerung Franfreichs betrachtet: werben. Man ſtritt 1789 fehr 
darüber, ob Frankreichs Volksmenge mehr als 20 Mill, Menfchen betrüge; die 
fie am hochſten ſchaͤtzten, nahmen doch, geftüßt auf die beften Quellen und Berech⸗ 


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88 Frankreich. V. Die Revolution und ihre Folgen7 


aungen, nur 25 Mil; an. Jetzt, nach allen Verheerungen der Revolution und 
jährigem Kriege, war fie nach wirklichen Zihlungen im Januar 1824 auf 
:80,465,291 Seelen angewachfen. Wir find weit entfernt, die größere Volks⸗ 
menge an fich als Das höchfte Ziel der Staaten zu betrachten; allein ein Beweis von 
Wohlſtand und Wohlbefinden ift diefe Zunahme Doch menigfiens in den meiſten 
Faͤllen. Gefichert iſt die Vertheilung des Grundeigenthums durch die franz. Ci⸗ 
pilgeſetzgebung, welche 8) eine allgemeine Theilbarkeit deſſelben zur Re⸗ 
gel macht. Die Befugniß. Güter mit Fidercommiſſen zu belegen, war ſchon vor 
der Revolution in Frankreich ſehr eingefchränft; durch die Geſetze vom 25. Aug. 
‚und 25. Oct. 1792 aber wurden alle dieſe Befchränfungen des Grundeigenthums 
(ganz aufgehoben. Zwar hatte Napoleon von 1807. an wieder Majorate herge⸗ 
‚Kellt, und die neuere Sefeßgebung bat nicht nur folche aufrecht erhalten, fone 
‚derni:für die Pairs durch die Verorduung vom 25. Aug. 1817 gewiffermaßen note 
„wendig gemacht. In Zukunft foll Niemand zum Pair erhoben werden, wenn er 
nicht vorher ein Majorat gerifier hat. Allein verhältnismäßig iſt die Zahl diefer 
«vom allgemeinen Berkehr und von den Theilungen bei Erbfepaftsfüllen ausgenom⸗ 
menen Güter doch fomol der Zahl als dem Betrage nach unbeträchtlich. Denn für 
das Majorat zu rinem Herjogstitel werden nur 30,000 Fr., zu einem Marquis⸗ 
‚oder Srafentitel 20,000 Fr., zu dem Titel eines Vicomte oder Barons 10,000 Sr. 
‚seiner jährl. Eink. erfodert. Die Stimmung der Nation ift nicht dafür, und ob⸗ 
(gleich die altadelige Partei Häufig davon fpricht, daß man die Ariftofratie in Frank: 
‚reich verftärfen müffe, wozu fie eine Nachahmung des englifchen Rechtsſyſtems 
empfiehlt, nach welchem alles Grundeigenthum (Elein oder groß) der Regel nach 
. nur dem üälteflen Sohne zufälle (dies iſt der Hauptgedanfe in Cottu’s Werk: „De 
Vadministration de la jnstice criminelle en Angleterre‘‘), fo würde eine folche 
‚woichtige Veränderung in den Grundverhältniffen des Volks doch außerordentliche 
Schwierigkeiten haben. Vielmehr bemüht man fich, die noch übrigen gefchloffenen 
gungen immer mehr zu zerflüdeln,. (&. Bande noire) Es wire auch 
die Ichlechtefte Politik von allen, gerade in dieſer Hinficht England zum Mufter zu 
nehmen, da alle innere Mißverhäftniffe und Gefahren in den bririfchen Inſeln ihren 
"Grund nur in der Anhaͤufung —I in zu wenigen Haͤnden haben. 
‚Die Pairstammer felbit genießt in frankreich bei weitem nicht Das Anſehen, welches 
fie Haben würde, wenn fie auf eine natürliche ariftofratifche Grundlage gebaut 
spüre, Sie ift weder eine Auswahl individueller Eminenz, obwol durch Bonaparte’s 
Senat und die Pairstitel feiner Waffengefäührten viel perfonlich ausgezeichnete 
Männer in diefelbe gekommen find, noch ift fie etn Corps großer Landherren, und 
wird dies in der Folge, wenn fie im Laufe der Zeit aufihre geringen Majorate redus 
cirt fein wird, ‚immer weniger fein. 4) Auch die Steichheit vor dem Ser 
-feg ift in Frankreich dur die Revolution fo befeftigt worden, daß fie ſchwerlich 
fobald wieder vernichtet werden kann. Es eriflirt weder irgend eine Art von Steuer⸗ 
freiheit, noch ein privilegirter ©erichtsfland; der Vornehmſte wie der Seringfte 
fiehen vor demfelben Richter, und die Serichte haben noch immer Etwas von der 
Natur der Semeindeverfaffung an fich, mit welcher fie in den erſten Zeiten der Re⸗ 
solution in Verbindung gebracht worden waren. Aber inder Charte constitution- ' 
nelle von 3814 iſt wieder ine ſehr große Ungleichheit eingeführt und durch das 
Wahlgeſetz von 1820 noch vermehrt worden, gegen welche die beſten Publiciſten 
Frankreichs fich fletsfehr eifrig erklärt haben, die Ausſchließung affer Derer von dem 
Antheil an den Deputirtenwahlen, welche nicht 360 Fr. führlich an Directen Steuern. 
bezahlen. Die Charto constitutionnelle Heß es unentſchieden, ob eine einfache 
oder einc doppelte Wahl ſtattfinden muͤſſe. und in dem letztern Falle würde ein Der: 
mögen von 300 5. directer Steuerfcehagung nur für die Fähigkeit , Mitglied der 
Wahlcollegiender Departements zu werden, haben gelten müſſen; an —*8 die⸗ 


- 


Frankreich. V. Die Revolution und ihre Bolgen 287 


fer Departementselectoren aber hätten auch die Fleinern Srundbefiker The neh⸗ 
men fönnen. Allein fpätere Verordnungen und Geſetze haben die Sache entſchie 
den und fogar noch das große Privilegium für die reichern Einwohner hinzugefügt, 
daß fie einmal mit allen übrigen Wahlberechtigten an dev Ernennung yon 258 Dies 
putirten Theil nehmen und fodann für fich allein noch 172 Departementsdeputirke 
erwaͤhlen türfen. Diefe von allen unbefangenen Publiciften höchlich gemigbifligte 
Einrichtung war freilich hauptfüchlich darauf berechnet, der Regierung, d. d. den 
Miniſtern, einen ſolchen Einfluß.auf die Wahlen zu verfchaffen, daß fie wenigſtens 
Die Mehrheit der neuen Deputirten nach ihrem Sinne ernennen Fönnten, und diefe 
Abficht ift bis jeßt, jedoch nur mit großen Eingriffen in: die Freiheit der Wahlen 
(eigenmächtige Herabfegung der Steuerſchatzung, Nöthi aller Beamten, für 
den minifteriellen Candidaten zu flunmen, Aufhebung des Geheimniſſes ber Ab⸗ 
flimmung und andre indiresse Mittel) erreicht worden. Allein man hat dadurch 
Ne Nation felbft von diefem wichtigen Rechte fo gut wie ansgefchloffen und einen 
Electoraladel gebildet, welcher kaum den 50. Theil des Volkes ausmacht.” Don | 
40 Mill. fieuerbaren Hausvätern sdaren 1820 nur 96,525 Wahlberren mit 300 
Srancs jührlicher directer Steuer und darüber; darunter 18,561 Wahlbare. Nach 
Andern bezahlten ımter 90,879 dieſe Steuer 714,900 bloß vom Grundeigen: 
thume; 3836 bloß von Sewerben; 12,140 vom Örundvermögen und Gewerbe. 
Es bedürfte alfo nur. noch der Einführung einer allgemeinen "Primogenitur bei 
dem Grundeigentum, um wieder eine neue erbliche Nitterfchaft, einen niedern 
Adel zu erfchaffen, von welchem dann der Schritt zu erblicher Mairie, viel: 
leicht fogar zu Erblichfeit des Friedensrichteramtes, * alfo einer neuen Patrimonial⸗ 
gerichtsbarfeit in einer neuen und erweiterten Form, nicht fo gar ſchwierig er: 
feheinen möchte. Fine zweite Stufe diefes neuen niedern Erbadels (etwa den 
englifchen Baronets zu vergleichen) würden dann Diejenigen bilden, telche ver: 
möge des Art. 40 der Charte constitutionnelle ausfchließlich als Deputirte wahl: 
- fühig find, weil fie jährlich 1000 Fr. an directen Steuern erlegen. Linterpräfee: 

turen, Serichtsimter, Obereinnehmerftellen brauchten dann tur ein ausfchließliches- 
Eigenthum diefes niedern Adels zu werden, um feinem Weſen nach dag gepriefene 
ancien regime mit wenig veränderter Form, aber erneuerter Stärke zurückkehren 
zu fehen. Iſt doch fchon die Verordnung vom 17. März 17188, daß Keiner als 
Iinterkeutenant in der Armee angenommen werden foll, wenn er richt wenigſtens 
4 adelige Ahnen beweift, wieder in flille, aber nicht weniger vollftändige Guͤltig⸗ 
keit getreten, und dadarch bewirkt worden, daß nicht leicht ein Andrer länger als 
die gefeßlihen Dienftjahre in der Armee bleibt. 

Der Raum geftattet nicht, die große und wahrhafte Degeneration Frank⸗ 
reichs, welche durch die Revolution, abgeſehen von den Abſcheulichkeiten einzelner 
Factionen. dewirkt worden iſt, durch die verſchiedenen Zweige der Staatsverwal⸗ 
tung zu verfolgen. Über Das, was in ber Civil: und Criminalgeſetzgebung geſche⸗ 
ben ift, f. Saffationsgericht und Codes, les cing. Gegen bie vorige 
Derfaffeng iſt durch Einheit der Sefeßgebung, durch Unabhängigkeit der Gerichte, 
‘in der Eriminalpflege wenigfiens vergleichungsweife gegen die alte Collegialtyran⸗ 
‚nei außererdentlich viel germonnen worden, wiewol auch in neuerer Zeit die Bei: 
fpiele unſchuldig Verurtheilter wieder häufiger zu werden fcheinen, und die Straf: 
rechtspflege bei politifchen Vergehungen einen fehr bedenklichen Sarg nimmt, 
hauptſachtich durch eine ebenfo unverantwortliche als ihres Zwecks verfehlende &: 
fchroerung der Vertheidigung. (S. Affifen, Geſchworene, Jury u. a. A.) 
Das Caſſen⸗ und Rechnungsweſen, welches in der Staatsverwaltung ſo wichtig 
iſt, hat vorzüglich dem Kaiſer Napoleon eine verbeſſerte Einrichtung zu danken. 
So verworren es fonft war (9 Jahre war der geringfte Zeitraum, um die Haupt: 
rechmung des Staats zu berichtigen), fo einfach und wohlgeordnet iſt es jetzt (Nei⸗ 


= 


280Frankreichs geographiſch⸗ ftatiflifcher Zuſtand 


— Fehr des Verfahrens im Caſffen⸗ und Recdmungswefen. bei der 
franz. Dermaltung“, Breslau 1820, gibt davon eine gute Überficht ; die Ver— 
wendung öffentlicher Gelder ift durch die Ciwillifte (®. d.\, durch die öffentliche 
Sirchenfchaft der Minifter bei der jührl Borlegung des Budgets geregelt, wenne 
‚glei die Berantwortlichfeit (f. d.) der Minifier zu den noch unausgefüllten 
‚Ziden der Berfaffung gehört. * Überhaupt ifl gerade das Verfaſſungsrecht Frank⸗ 
reiche noch in einem fo ſchwankenden Zufiande, daß erſt die Folge ein ficheres Urtheil 
‚barüber geflattet. In den öffentlichen Verhaltniſſen ift faft fein Punkt, welcher 
‚sicht entiveder noch ganz unbeflimmt, oder, wenn er geſetzlich beſtimmt iſt, nicht 
angefochten wäre. In diefer Hinficht ift es charafteriitifch, daß ſchon der Ruf: 
. lebe tie harte!” für rebellifch gilt. Es ift dies ein Beweis, daß die, deren 
Lofungswort er ift, fich durch das Befichende und den Worten nach Anerfannte 
‚zu vertheidigen fuchen, Die Andern aber wenigſtens für jegt der auf Beränderun- 
‚gen finnende, der angreifende Theil find. Zu den noch unbeflimmten Punkten 
‚gehört vorzüglich die Vcunicipalverfaſſung, welche jet faſt ganz auseinanderge- 
fallen if. Seit 1814 dat man die Gemeinderäthe nicht mehr ordnungsmäßig 
beſtellt. (&. „De l'organisation de la puissance civile dans l’iateret monar- 
‚chique”, Paris 1820.) Die alten Geſetze find ſtillſchweigend abgeſchafft, ein 
neues iſt nicht gegeben. Es gebört zu den Dingen, worüber die Miniſter nicht 
"einmal mit ihren Segnern, gefchweige denn mit ihren Freunden einig werden 
konnten. (&. Charte constitutionnelle, Semeindeordnungen.) 
Mit dem Semeindewefen hängt auch die Provinzialverfaffung und Berwaltung 
auf das genauefie zufammen (f. Präfecturen), und felbit die Staͤndeverſamm⸗ 
lungen wird man am richtigften beurtheilen, wenn fie als die große Staats 
emeinde betrachtet werden, von welcher alles Semeinfchaftliche und Nationale 
feine definitive Erledigung erwartet. 37. 
Frankreichs geographifch-ftatiftifcher Zuftand. Napoleons Reich 
erfiredte fich von 41° 14° bis 53° 43° N. Br. und von 13—26° der Lan⸗ 
‚ge. Auf 14,000 DOM. (13,824 DM. das eigentliche Reich und 149 IM. die 
ehnsfürftenehümer und Jonien) wohnten 424 Mill Menfchen, ohne die 
43 Mill. Einw. der illigrifchen Provinzen. Don denfelben fprachen 28 Mill. frans 
zoſiſch, 64 Mill italienifh, 43 Mill. Hollindifh und flamaͤndiſch, 4 Mill. 
deutſch. Mit allen Föderativfinaten zählte das franz. Reich an. 88 Mill. Es 
begriff 3 Ländermaffen: A. Sranfreich diesfeits der Alpen, oder das eigentliche 
Sranfreih, mit 104 Departements; B. Sranfreich jenfeits der Alpen, oder 
den transalpinifchen Theil: diefes wurde in 4 Seneralgounernements eingetbeilt, 
die aus den eroberten Provinzen Italiens zufammengefeßt waren und 14 De: 
partements ausmachten. C. Frankreich jenfeits des Rheins, oder der trans 
rhenanifche Theil, welcher aus den Dergrößerungen Frankreichs durch Holland 
und die deutfchen Mordfeefüften beftand, oder das bolländifche und das deutfche 
Seneralgouvernement mit 7 Departem. Seit dem 20. Nov. 1815 ift Frank 
reich wieder auf feine Grenzen von 1790 beſchraͤnkt (413--25° 2, 42—51° Br.); 
doch hat es Avignon und Venaiffin, Mömpelgard und ähnliche Einfchlußorte be: 
halten, auf feiner oftl. Grenze aber 4 Feſtungen, das Herzogthum Bouillon x. 
‚abtreten müffen. 1829 —8 es auf 10,087 OM. 324 Mil. Einw., die Co: 
Ionien 1566 DM. und 452,000 Einw. Unter diefen find die oflindifchen und 
“afrifanifchen nicht bedeutend. Zujenengehören: Pondichery, Karikal und Made, 
nebft einigen Handelslogen in Surate und a. Handelspligen; zu diefen die Inſel 
Bourbon, einige Factoreien auf Guinea und die Inſeln Senegal und Gorce in 
Senegambien. Wichtiger find die weftindifchen Colonien. 1) Die Eleinen Inſeln. 
t.⸗Pierre und Miquelon bei Neufundland, nebft den Sifchereipläßen, — eine 
vortreffliche Gelegenheit, Matrofen zu bilden —; 2) Cayenne, oder das franz. 


! 


Frankreichs geographifch- Ratiftifähe Zuſtand 289 


Guiana; 3) Martinique; 4) Shradeloupe; 5) Defiderade ; 6) les Saintes; 77) Marie 
galante. — Das Königreich Frankreich wird mit Corfica, aber ohne die Colonien, - 
m 86 Depart. und feitdem 4. Oct. 1829 in 20 Mititairdivifionen (jede unter einem 
Marfchall oder einem Generallieut.) eingeteilt. Am ſtaͤrkſten beuölfert iſt das Nord⸗ 
depart. mit 962,648 €, Das der Seine (Paris) hat 1,013,371 E.; Nieder⸗ 
Scine 688,295; Pas de Calais 642,969 Einw.; Corſica 185,079, und am 
wenigften das der Oberalpen: 125,329 Einw. - Nach Dupin ift die Menſchenrace 
in Sranfreich Eleiner und ſchwaͤcher geworden. — Die franz. Nation wird reprüfene 
tirt Durch die Pairskammer und durch die fiebenjühr. Wahlkammier der Deputirten, 
deren Zahl das Wahlgeſetz von 1820 auf430 erhöht hat, Inder Pairsfammer faßen 
1825: Der Kanzler von Sranfreich, 2 Fils de France, 8 Prinzen vom Geblüte 
und 299 Pairs, Erzbifchäfe, Bifchöfe, Herzoge, Prinzen, Marquis, Grafen, Vicom⸗ 
tes und Barone; 1828 zihlte fie 379 Pairs; es waren namlich 76 neue im J. 1827 
hinzugekommen. — Frankreichs durch Canaͤle erweitertes Flußſyſtem verknuͤpft den 
Binnen: mit dem Seehandel. Der languedocſche Canal (Canal du midi) ſollte das 
mittelländ. Meer Durch die Garonne bei Touloufe mit dem atlant. verbinden; allein 
das Bett der Saronne iſt nicht dazu geeignet, daher man den Canal du midi mit 
dem Biscapifchen Meere durch einen Canal des Pyrenees verbinden will, Der Canal 
von Charolais, oder ducentre, verbindet die Loire mitder Saone, welche bei Lyon 
in die Rhone fällt; und der Canal von Briare vereinigt die Loire mit der eine, 
welche fich in den Canal Ia Manche ergießt. Das Land ift größtentheile eine, mit 
Ausnahme der Haiden (Landes) an der Weflküfte (ſ Bor de aux und Bayonne) 
und einem Theile ber ehemaligen Champagne (Champagne pouilleus®, ſowie des 
KM, Frankreichs, fruchtbare Ebene ; nur im S. und D, ziehen fich die Bergrüden 
von Zozere, Auvergne (mit dem Montd’or, Santalund Puy de Dome), und die Se⸗ 
vennen (mit der Cote d'or) von den Pyrenäen bis zu den Alpen. Seitenäfte der leßs 
tern find der Jura und die Vogeſen. Im nordl. Frankreich zieht fich ein Theil der 
Artennen in das Land. Das Klima gehört zu den fchönften, der Boden zu den frucht: 
barfien der Erde; KHaupterzeugniffe find Obſt, Oliven (Provenceröh) und Wein. 
Fünf Mill. Arpens Weinberge geben einen jührl. Ertrag von 16 bis 18 Mil. Muids, 
wovon im Durchfchnitt jährl. für 120 Mil, Fr. ausgeführt werden. Doch hat der 
Weinbau in Folge der Zölle und Abgaben abgenommen. Setreidebau und Viehzucht 
werden immer mehr vesvolltommnet. &o bat man z. B. feit der Revolution über 


- 50,000 Morgen Moraftboden ausgetrodnet. 4822 wurde durch Actien eine Mu⸗ 


ſterwirthſchaft zu Roville im Meurthe depart., dann eine ähnliche zu Moncey im Mo: 
feldepart. geftiftet. Unter 10 Mill, Schafen gibt es 54 Mill, Merinos und 4000 
von ſachſ. Zucht. Zur Verbefferung der Landwirthſchaft wurde im Jan. 1849 bei 
em Minifterium des Innern ein Aderbaurath errichtet, der in jedem Depart. mit 
einem reichen Sutsbefißer in Verbindung trat. Auch gelang die Einführung der Kas 
fhemirziege in Frankreich, welche der reiche Fabricant Ternauz (f. d.) durch Sau: - 
bert beiverkftelligt hatte. Üüberhaupt blüht der Aderbau in den nördl. Provinzen, 
bach ſteht er dem in ber Lombardei und in Belgien weitnach. Die Viehzucht iſt vors 
Kali in der Normandie, wo auch gute Pferdegezogen werden. — Frankreichs Ges 
ge find arm an edeln Metallen. Die erlofihenen Vulcane der Auvergne haben 
eologifche Merkwuͤrdigkeit. Dan geroinnt yorzüglich Eifen, Arſenik, Steinkohlen, 
Solpeter, Marmor, Flintenfteine u. ſ. w, auch See: und Queilſalz. Den Werd 
aller in Frankreich jährlich fabricirten Waaren berechnet man zu 2000 Mill. Fr, 
und die Zahl der Dadurch befchäftigten Arbeiter auf 1,747,000. Der Arbeitsgersinn 
wird auf TOU Mill. geſchaͤtzt. Worzüglich find die Glas, Woll⸗ und Baummoll;, 
die Seiten:, Linnen⸗ Bijputeries und Quincailleriewaaren, Seit 1814 find eine 
—F Manufacturen entſtanden, und mehre Städte, wie St.:Etienne, Muͤhlhau⸗ 
fin, Tarave Haben fich zu reichen Induſtriemarkten erhoben. Dan verfertigt Spie⸗ 
Converſations Lexicon. Bd. IV. 19 


290 Bianfreiche geographiſch⸗ fiotiffifcher Zuſtand 


get von 143 Zofl Länge und 16 Zoll Breite. 1829 Iieferten 58 Fabriken von Run 
fetrübenzuder 13,800 Etnr. Zuder; ter wohlfeilere austäntifche iſt verboten! Die 
unter Napoleon eingeführte öffentl. Ausftellung der Erzeugniffe der franz. Induſtrie 
ward alle A Jahre gehalten, und den 25. Aug. 1819 erneuert. Auch wurden In⸗ 
duſtrie und Handel kurch tie Errichtung eines allgemeinen Handels: und Wanufac 
turraths (23. Aug. 1819) fehr beferdert, intem bei der Induſtrieausſtellung eine 
Eentraljury die Zuerfennung von Preifen und a. Ermunterungsmitteln beurtbeilt, 
Außertem ward noch im Nov. 1819 eine Freifchule für die techniſche Bildung mit 
dem Consersatoire des arts et metiers berbunten. Zugleich entifanden in Paris 
und in den Depart. mehre Verſicherungsanſtalten. Den innern Verkehr befördern 
18 große neue Heer: u. Landftraßen, 500 Stunden Begsantre Straßen für Fuhr⸗ 
leute, 80 Brüden und 30 Canale, von denen 7 beentigt find, mit 300 Echleufen. 
Franfreich har 24 Handelshifen. Indeſſen ift die Landichifffahrt zwiſchen ter Pro⸗ 
vence und Paris noch nicht hergeftellt. Dem Landhandel find verſchiedene Beſchraͤn⸗ 
kungen der Ein: und Ausfuhr, B. Verbote deutſcher Naturerzeugniſſe, nachtheilig; 
und das Geſetz vom 4. Juli 1821 machte die Aus: und Einfuhr des Getreides von 
dem Kornpreife abhängig, ungeachtet tie Anhänger der Gewerb: und Handelsfreiheit 
in den Kammern den einfachen Grundſatz: „Laissez entrer, laissez sortir. laissez 
passer”, mit allen Grünten der ſtaatswirthſchaftl. Theorie vertheidigten. Vor dies 
fen Berboten betrug 1820 die Einfuhr Franfreichs über 471, und die Ausfuhr 601 
Mill. Fr. Außerdem wurde as Monopol der Krone inAnfehung des Tabads, das 
dem Tabacksbau im Elſaß nachtbeilig war, 1819 bis zum 4. Jan. 1825, und 1829 
bis z. %.1837 verlingert, fodaß der Anbau des Tabads bis dahin nurin 8 Depart. 
erlaubt ift. ‘Der Colonialhandel wurde durch die feit 1819 vorbereitete Ermeiterung 
der Niederlaffungen u. Pflanzungen m Oniana und am Senegal mehr ausgedehnt, 
indem man jest u. A. am Senegal durch lauter freie Neger Baumwoller⸗, Syndige:, 
Zuder: u. Eaffeeplantagen anlegen und bearbeiten lift. Der Sklavenhandel it£ 
den Tractaten mit England gemäß, fireng unterfogt und wird beftraft. Nichts hatte 
aber auftas Steigen des Nationalwohlſiandes einen wichtigern Einfluß alsdie Ber: 
tbeilung des Grundeigenthums ), das Gewerbepatentſyſtem, die dadurch vermehrte 
Devölferung, der fchnelle Umlauf der Sapitalien, die erletchterte Binnenſchifffahrt 
un? die Zollfreiheitim Innern. Dadurch gefchahes, daß der Staatscredit, ungeach⸗ 
ter die Nation in Jahren, von 1815 — 18, an Taren die Summe von 3500 Mill, 
Sr. bezahle harte, immer mehr fich befeftigte, obgleich manchmal der Sturz eines 
Miniſters oder in- der letzten Zeit der fpan. Krieg und die Rentenreduction den 
Curs niederdrädten. So konnte Frankreich, indem feine großen Fapitalifterl 
felbfteinen Theil der Anleihen übernahmen, vie Laſt feiner Schulden ermaden. Zur 
Zeit der Reftauration warendie Finanzen, ungeachtet Berunläugbaren Verdienfte 
des Herzogs v. Sata (Gaudin) um Liefen Zweig der Staatspermaltung unter Na⸗ 
poleon, fehr zerrüttet. Die konigl. Regierung hat fie durch die einfichtsvofle Leitung 
derfelben, unter Zouis, Roy und unter Billcle, roiederbergefteflt, ſodaß den franz. 
Donatairen, welche ihre Dotationen im Austande verloren hatten, ſowie deren Wit: 
wen und Kindern als Entfchädigung, Penfionen von 250 bis 1000 Fr. aus dem 
öffentl. Schatze durch das Geſeß vom 26. Juli 1821 zuerkannt werten konnten. 
Das um Budget des %.1815 vorhandene Deficit von 130 Mill. wurde gedeckt, 
und die Staatsfhuld (1817 betrug fie 2340 Mill. Fr. Capital, mit 113 Mill 
jaͤhrl. Renten, d. i. Zinfen) confolidirt, oder auf beflimmte Einnahmen angewiefen, 
Sie iſt aber feitdem durch Anleihen, Durch den Krieg mit Spanien 1823 u. Durch die 
Entſchaͤdigung der Emigranten fo geftiegen, Daß die Zinfen für die fundirte Schuld 
1825 fih auf 241 Mil. Sr. beliefen; doch maren darunter 40 Mil. Fr. für den 

*) 1820 zaͤhlte man in Frankreich 30,465,291 Einw., die vom Grandbefip allein 
1,580,600,000 $r. Zintommen hatten; das Grundeigenthum felbii war unter 10,200,000 
Perſonen vertheilt. 





u 


Branfreiche geographiſch⸗ſtatiſtiſcher Zuiftnd - 294 | 


<lgungsfortds:beffinine! "Die Gefimmtausgabe von 1825 betrug 981,600,53$ . 


Er. Die Einnahmen waren '1824 bis auf 994,974,000 Fr. gefliegen; daher Fonık 
ten für 1826 19 Mill. Sr. ander" Grundſteuer erlaffen werden, nachdem diefelhe 
ſchon ſeit 18241 um SID, Fr. verm dert worden war. 1828 Betrug die Cinnahme 
über 1037, die Ausg.‘ 10354 Mil: Für 1836 ward die Ausg. auf 978 Mill. (dar- 
unter 205 Mill. für die Staatsfchutd’ihd 20,400,000 $. für den Tilgungsfonite) 
und die Einnahme auf 980 Mill. ange &t. Die auswärt. Politik aber machte 1829 
einen Supplementarcredit von 42 Mill. 

(noch vor feiner Auflsfung) die Herabfegung der Renten auf 4 Proc. und die Ver: 
minderung des Tilgungsfönde, — Nach dem Necrutirungsgefeb von 1818 und'der 
fonigl. Orbonnanz vom 28. Det. 1820 hat das Landheer eine neue * 

erhalten; 1829 wurde der Friedensfuß auf 286,000 M. beſtimmt; der Bet 5 


. war 281,006, davon 60-—80,000 auf Urlaub. Für Die Befeftigung der nordl. und 


nöthig; außerdem befchloß das Miniſterium 


Sl, Srenzen hat eine Commiffiön, unter bem Vorfige des Generals Marescot, einen 


Defeftigungsplan entworfen. Da naͤmlich die Vauban'ſche Linie durch Die Abtretung 
von Sandau, Marienburg und Philippeville eine Lüde erhalten, fo follen bier neue 
Feſtungen angelegt werden. Die dreifache Linie, welche franz. Flandern und Arteis 
det, und welche man für die undurchdringkichfte in Curopa hält, iff geblieben. 
Sranfreich Hat 159 Eitadellen und Feſtungen, darunter 5 vom erflen, 6 vom zwei⸗ 
ten, 23 vom dritten und 72 vom vierten Range, — Die See macht beftand 4826 
aus 42 Linienſchiffen, 34 Fregatten und 209 Eleinern Kriegsſchiffen. Die Be 


4 


Schiffsbaumaterialien mit en’aus dem Auslande bezogen werden. Nag en Hqupt⸗ 


hafen iſt Frankreich indie Seeprafeeturen Duͤnkirchen, Havre, Breft, lOrie t,, Abe 
Hefort u. Toulon geiheilt. — Die Verwaltung der Juſtiz und des * nach 
dem Staatsgeſttz vom 4. Juni 1814, in der Hauptſache bei der früͤhern Cinxichtung 
geblieben. Der Konig ernennt bie Richter und Friedensrichter, Hußerotdentjiche 
ommiffionen find dem Staatögefege entgegen. An der Spitze der Kechtäpflege 
fleht der Kanzler von Frankreich. Jedes Depart. hat an feiner Spige einen Präfet- 
fen, dein ein Dräfectur sund ein Departementsrarh an die Seite gefeßt find. Als 
Verweſer des Präfecten hat jeder Bezirk (Arondissement)) einen Unterprafecten mit 
einem Beztefsrathe. Jede Stabt, Mur und Dorf hat einen Moire als Vorge⸗ 
feßten, und tinch ober zwei Adjunete, nebft Poligeicommiffair, nach Maßgabe der 
Bevolkerung/ md einen Miinichafrath; in ben Städten von 100,000 €, iſt noch 
Kin Oberpollgeicommiffdir. °/ Ieder Canton bat ein Friedensgericht, einen 
Berk, einen —— jedes Depart. ; "gußerdem find 


ofje if, rimi Ppellös 
tionsgerichte‘ oder 27 Fat il; 
t 


er? Gexichtshdfe in oberſter gere bordanden, Das 
Coffari nsgericht (f®.) it Dart (richt Irgter Inſtanz. Die Entfcheidung 
—— wurde der 7— weil — lich oft nachſichtig gerichtet und 

gar den Herrn de Pradt wegen feiner Schrift 1 er ab gefeß losgeſprochen 
datte, entzogen. Überhaupt bren die Proceffe, tbegen Preßbergehen nicht auf, und 
die Urtheite Mb oft ſehr ftreng, trafen aber meiftens Die Liberalen, u. A. 1829 Ber 
Fanger (f. 8.) und’ Barthelemy, den Dichtet des „Fils de ’'homme”, Dies hielt 
jedoch dieferlicht aß, fich (ehr freimuchig Ih' Schriften zu Außern, und die Schriften 
von de Pradt, Keramy, Ben. Sonftant, Fievee, Guizot und Bignon find für die 
— dieſer Zeit nicht unwichtig, ‚Überhaupt hat die von Napoleon eingeführte 
Sentrafifirung aller Verwaltung in Parts den Fortſchritt in den Provinzen fehr ges 
hemmt und den Gemeinſinn gelühmt. Unter den ‚häufig gerügten Mißdräuchen in 

r Criminaljuſtiz wurde ber —38 det Gefangniſſe in Erwagung gezogen. Man 
beſchrankte die folterähnfiche Strenge det engen Haft (inise ausecrel), und der Kös 
Nig beſtͤtigte den Verein zur Berbefferung her Sefängniffe, belle Centralrathunter 
dem Herzoge u. Angouleme (nunmeßr. Dauppin) im Palafke 


es Erzbiſchofs zu Par - 


. 


NS feine Sigungen hielt, Die romiſch· katholiſch apoſtoliſche a iſt Staots · 


292 Sranfreiiche geographifh- ſatiſtiſcher Fuanh 


schien; icher andre Eulızs gewirft alriche Zerihee und tenfehen Eiieb Ya Ye 
KE=3 tes Berkiierntes der zisurh ten Kiche zum rim Stable zut das Toms 
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Lehrſyſtems. Die Politik mifchte fich in den Streit zwiſchen der alten und neuen 
Methode, fogar in den Primairſchulen, wo die ſreres des ecoles chretiennes fich 
toeigerten, Die Zehrart des mechfelfeitigen Unterrichts anzunehmen; doch unterwarfen 
fie FR endlich der Commiſſion des öffentlichen Unterrichts. Auch die ſogenannten 
peres de la foi, die „efniten und deren Freunde, gewannen immer mehr Einfluß 
auf den Seift der Schulen; daher nahr Royer-Coilard, welcher feit 1815 Praſi⸗ 
dent der Linterrichtscommiffion geweſen war, im Sept. 1815 den Abſchied. An 
feine Stelle trat zwar Cuvier, ein Neformirter; da aber die Regierung unmittelbar 
einwirken wollte, um dem Unterrichte einen religiöfen und monarchifchen Geiſt zu 
goen, und die Studirenden, welche befonders in den Rechtsfchulen zu ‘Paris und’ 

renoble, ſowie in den medicinifchen Schulen einige Unordnungen begangen hatten, 
auf ihre Studien zu befchränfen und einer firengern Aufficht zu unterwerfen: fo 
verwandelte fie den 4. Nov. 1820 die Sommiffion des öffentlichen Unterrichts in 
einen königl. Rath, der an die Stelle der Paiferl. Univerfität trat; Sorbicre wurde 
Praͤſident deffelben, und die Bifchöfe führten, jeder über alle Schulen in feinem 
©prengel, die nehere Aufficht. Endlich erhielt, nach Aufhebung jenes kön. Rathes, 
1824 der Almofenier Ludwigs XVIII., Abbe Frayffinous, Bifchofv. Hermopolis, 
Pair des Reichs, jenen Vorfig, und die Würde .eines Gtoßmeiſters der Univerfität 
wurde für ihn wiederhergeftellt. Nun foderte diefer Praͤlat durch ein Umlaufſchrei⸗ 


ben die Erzbifchöfe und Bifchöfe auf, dem öffentlichen Unterricht eine mehr religiöfe . 


Tendenz * geben, da es viel wichtiger ſei, die Jugend gegen den Mißbrauch der er⸗ 
langten Wiſſenſchaft zu waffnen, als ihren Geiſt zu entwickeln und ihnen die Bahn 
der menſchlichen Erkenntniſſe zu öffnen. Um aber den zu politiſchen Theorien ſich 
hinneigenden Geiſt der Studenten auf das Pofitive zurüdzuführen, wurden nicht 
aur eine Menge denkender Köpfe und geachteter Schriftfteller von den Lehrftühlen 


entfernt und. mehre Schulen ganz neu organifirt, fondern auch die 1819 mir den 


Rechtsfchulen verbundenen Lehrftühle des Iratur- und Völkerrechts und die große 


Rormalfchule zu Paris 1822 aufgehoben. Unter dem neun Minifterium von . 


1828 nge-den die Jeſuitenſchulen gefchloffen und 1829 jene Lehrftühfe in Paris und 
Straßburg hergeſiellt. Billemain, Guizot und Couſin wurden 1828 oͤffentliche 
orträge geftattet. Aflein im Anguff 1829 trat der aufgeflärte Vatismenil aus 
dem Miniflerium, und feine Stelle als Sroßmeifter der Univerfittt erhielt ein der 
Eongregation ergebener Mann. — Für Mathematik und Phyſik hat die Regierung 
viel gethan; u. a. veranftaltete fie die Reife des Copitains Freycinet !f. d.) um 
die Welt. — An der Spige der gelchrten Vereine fteht dag am 21. März 1816 
neu eingerichtete Fönigl. Inſtitut von Frankreich, das 4 Akademien bedreift: 
die der Miffenfchaften, die franzöfifche Akademie, die Akademie der Geſchichte und 
Literatur, und die Akademie der Maler-, Bildhauer : und Tonkunſt. ' 
Was die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten betrifft, fo fcheint 


t. 


Branfreiche geographifch „ ſtatiſtiſcher Zuſtand 293 


— 


es nicht, als ob, mit Ausnahme des vortheilhaften Handels: u. Schifffahrtstractäts 


mit den Verein. Staaten, vom 24, Juni 1822, der flillfehrweigend noch foridauert, 
und des Handelsvertrags mit Haiti vom Juli 1829, welcher die Zahlung von 120 
Mil, Fr. feftfegte, die ausmärt. Politik des franz. Cabinets den Beifall der beiden 


Parteien erhalten hätte. Die Liberalen wie die Rohaliſten verlangten, obwol im ent: 


gegengefeßten Sinne, daß Frankreich bei der Verhandlung der europ. Angelegendei- 
ten eine einflußreichere Stellung behaupten follte. Die Meitglieder der linken Seite. 


erklärten fich gegen das von Frankreich in Italien gebilligte und in Anfehung Zpa- 


niens ausgeübte Interventionsrecht. Statt fich dem Syſteme der 3 Continental: 


‚ "mächte anzufchließen, hätte Frankreich, reie General Foy in der Deputirtenfanımer 


am. 22. Marz 1824 bemerkte, von feiner Stellung und von feiner Macht den rechten 
Bebrauch machen follen, um mit den bourboniſchen Diächten einen auf die repräfens 
tative Regierung gegründeten Samilienbund zu errichten. Auch mit den fpanifch: 


‚omerifanifchen Sreiftaaten hätten Sandelsverträge laͤngſt abgefchloffen werden foflen, 


29 Zsanfreiche geogzaphifch-Ratiflifiher Zeſtand 
SDegegen tabelte tie rechte rise, daß Frankreich nicht die Rolle der bewaffneten Das 
Die pantiche Xevolutienspartei zu den Waffen gegrüfen habe. (S. Tro p⸗ 


den des heit. Ludwigs, von Ludwig XIV. 1693 als militair. Verdienſtorden für 
Land: und Seroffiziere kathol. Religien geftiftet. Der Orden, deifen Großmeiſter 
der König ift, beſteht ans 3 Elaffen: Großkreuzen, Commandeurs und Rittern. Er 
follte anfangs den Orden der Ehreulegion erfegen, wird aber jegt Häufig mit dem 
leßtern zugleich getragen ; unter den Slitgliedern find auch viele ausland. Militaire, 
Für franz. Offickere proteſtant. Religion fliftete Ludwig XV. 1159 den du 
merite militsire. Ludwig XVIII. erneuerte ihn den 25. Nov. 1814. 
Baben ihn nur ausländifche, größtentheils preuß. Dfficiere erhalten. 4) DasStifs 
Sungsjahr des fehr alten Ordens vom heil. Lazarus ift ungewiß. Heinrich IV. verei⸗ 
nigte 1608 mit demſelben den von ihm geflifteten Orden Unferer Lieben Frauen vom 
Derge Carmel. Er wurde an Geiſtliche und Weltliche vertheilt. Seit 1789 if 
er nicht mehr vertheilt worden. 5) Der konigl. Orden der Ehrenlegion [.d.). — 
Dal. A, Thierry’s „Lettres sur l’histoire de France“ (2. Aufl., Parıo 1829); 
des Abbe de Montgaillard „Hist. de Franze” (8. Aufl., 15 Bde. in 18., 4. Aufl, 
9 Bde. in 8.; eine Fortfeßung in 2:Bdn., Paris 1829, enthält die Sefch. von 1826 
— 28); Angertifs „Histoire de Frauce” mit d. Zortf bis auf Karl X. (3. Aufl, 
13Bde.) und die „Histoire de la France depuis la restauration“ von Ch. Lacre- 
telle (Paris 1829, der 2. Bd. geht bis 1820). Die „„Hist. financiere de la Fran- 
ce”, vom Anfang ber Monarchie bis 1828, won Jakob Breffon (Paris 1829, 2 
Bde.) ift mehr biographifch als ſtaatswirthſchaftlich. Liber die Revolution f. die 
einzelnen Art. und den Art. Napoleon, Schriften über ihn. Uber das öffent: 
liche Leben ift Cadiot's „Collection des princip. discours, rapports et opinion” 
in den Kammern feit 1815 ıc. das Hauptwerk (Paris 1828 fg., 25 Bde. in 18.). 
Das Villele'ſche Minifterium ift enthüllt in dem „Livre noir. ou Repert. de la 
lice politique sous MM. Delavau et Franchet” (Maris 1829, 4 Bde.) von 
nnee. Statiftifch: hiftorifch find außer Keratry’s und Fievée's Schriften das 
„Annuaire historique‘’ von Leſur; Guizot's „Du gouvernement de la France 
depnis la restauralion et da ministere actuel” (Maris 1821); Coſtazs „Me- 
moires sur les noyens qui ont amene le grand developpement que l’industrie 
francaise a pris depuis vingt ans; suivie de.la legislation relative aux fa- 
briques ete.“; de Marncy’s „Atlas constitutionnel” (Paris 1828); DBalbi, „La 
monarchie francaise ete.“, Ch. Dupin, „Forces productives et commerciales 
de la France” (Maris 1827, 2 Bde,, 4.); St.Fargeau, „Dictionn. geograph. 
de toutes les communes de la France” (jedes Depart. bildet einen Band; die 
erften Lieferungen, Paris 1828, ftellen Paris dar). Bon dem „Dict. des commu- 
nes de France” erfchien zu Paris 1829 die 3. Aufl. Liber die-polit. Hkonomie f. 





—— — —— —— — 


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dranquemom . „Branz von Affifi 295 


Dusten®’s „Hist. de la navigation inter. dela France“ (Paris 1829, 2 Bbs,, 4.); 
Bodin’s „Almanac du commerce de Paris“ und des Lyoners Rodet „Questions 
coınmerciales” (Paris 1829): eine fcharfe Kritik der ſtaatswirthſchaftl. Anfichten 
des Handelsminifterg St.-Crig. Auf den Mangel einer Garantie für die Befol⸗ 
gung der Geſetze hat Legraberend in feiner Schrift: „Des lacunes et des besoins 
de notre legislalion polilique et criminelle“ (Paris 1821, 2 Bde.) Bingewiefen, 
Die Mängel in der Rechtspflege zeigt v. Feuerbach in feiner Schrift: „Uber die Sex 
richtsverfaffung und dag gerichtliche Derfahren Sranfreichs” (Gießen 1825). Das 
politifch-Eirchliche Leben und Treiben in Frankreich, befonders in Paris, ftellt der 
rf. der „Nouvelles lettres provinciules, sur les affaires du teuıps, par Pau- 
teur de fa revue politigue de l’Europe” (d'Herbigny, Paris 1825) tar. Ein 
alpbabet. Repertorium der Geſetze und Verordnungen über die franz. ‘Departemen: 
talverwaltung ift Pechart’8 (Souschef im Deiniftertum des Innern) „Dictionnaire 
de ’administration departementale” (Paris 1823, 4.). — Die neueften Charten 
find: PDaulmier’s und Eugenes de Branville feit 1823 berausgegeb. „Nourel 
Atlas de France” (jedes Depart. ein Blatt); ferner Aupi und Perrors „Cartıs 
de 86 depart. et des colonies franc. précodées de cartes de la Gaule, do la 
France ancienne et de la France actuelle” (mit ftatifl.-hiftor. Tabellen, Paris 
1824 — 26); Mondorne’s „Carte topographique, physique et militaire, en 
60 Teuill, de la limite des royaumes de France et des Pays-Bas” (Brüffel‘ 
). \ 0 | K. 
Franquemont (Friedrich, Graf v.), würtemberg. General der Infante⸗ 
rie und Rriegsminifter, geb. zu Ludwigsburg 1770, erhielteſeine erſte Bildung in der 
herzo A. Karlsakademie zu Stuttgart, aus welcher er 4787 als Lieutenant zu dem 
nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung beſtimmten Infanterieregiment Wärtems 
berg verfeßt wurde. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in der Capſtadt führte ihn 
feine Beftimmung, nah Batavia, dann nach Trinfonomale auf Ceylon. 1795 
wurde er von den Eingländern gefangen nach Madras und nach England geführt, 
1800 aber nach Würtemberg entlaffen, wo er als Hauptmann zu einem Jnfanterie: 
regiment verfeßt wurde, In den folgenden Eriegerifchen Jahren hoben ihn Muth 
und Befonnenheit von Stufe zu Stufe 41843 commantirte er als General 
lieutenant das würtemb. Corps und gab in Rußland Beweiſe von Anführer: 
talent, Ausdauer und perfönlihem Muth. Nach diefem Feldzuge wurde er General 
der Sinfanterie und in den Grafenſtand erhoben. In den Feldzügen 1814 und 
1815, wo Graf. die rürtemb. Truppen abermals anführte, gaben die Schlach⸗ 
ten und Gefechte bei Epinal, Brienne, Sens, Vitry, Paris und Strasburg Gele: 
genbeit, feinen Feldderrnruhn zu vermehren ‚und Auszeichnungen einzuärnten, 
Seit 1816 Staatsminifter, Geh. Rath und Chef des Depart. des Kriegsweſens, 
ward er im Aug. 1829 in Ruheſtand verfegt. Die in mancher Hinficht ſehr ausge: 
geichnete Militairverfaffung Wuͤrtembergs ift fein Werk. 1819 ernannte ihn den _ 
König yım Tebenslänglichen Mitglied der Rammer der Standesherren, und die 
Kammer ermählte ihn zum Mitglied des fländifchen Ausfchuffes. 65... 
Sranzvon Affifr, geb. zu Affıfi in Umbrien 1182, empfing bei 
der Taufe den Irtamen Johann; Franz wurde er fpäter genannt, wegen feiner Fer: 
tigkeit im Sranzöfifchfprechen, deffen die Jtaliener zum Handel, wozu ihn fein Bater 
beſtimmt hatte, bedurften. Er Eam auf die Welt, fagt Baillet, die Schulter mit 
einem Kreuze bezeichnet, und in einem Stalle, durch welchen Umftand er dem Heiz 
land ähnlich ward. Ohne befonders laſterhafte Neigungen zu haben, unterließ 
Stanz, der von Matur fanft, gefällig, höflich und freigebig war, doch nicht, die 
Freuden der Welt zu Fofter; aber mitten unter diefen Senüffen hatte er einen 
raum, in welchem er. eine Menge Waffen zu fehen glaubte, die mit einem Kreuze 
ichnet vonren. Auf die frage, für wen fie beſtimmt wären, erhielt er jur Int: 
wort: „für ihn und feine Streiter”. Er diente hierauf in Apulien, aber ein an: 






296 Franz von Paula 


derer Tram beießrte ya, Daß feine Truppen Geiflliche fein follten. Er verfieß hier 
auf das väterliche Haus, verfaufte Das Wenige, was er hatte, Eleidete fih in eim 
Kloſtergewand und gürtete ſich mit einem Strick. Sein Deifpiel fand Nachahmer, 
und er hatte fchen eine große Anzahl von Echülern, als Papſt nnocenz II. 
41210, feine Regel beſtätigte. Das “Jahr darauf erhielt er von den Benedictinern 
eine Kirche unweit Affıfi; Diefe wurde die Miege us Franciseaner: (f. d.) oder 
Minoritenordens Darauf erhielt Franciscus von dem Papflc Honorius IT. 
eine Bulle zu Yunften feines Ordens. Mehre f. Schüler begehrten die Freiheit, 
allenthalben, auch ohne Erlaubniß der Bifchöfe, predigen zu dürfen; allein er ante 
wortete ihnen: „Laßt uns die Großen durch Demuth und Hochachtung und die 
©eringen durch · Worte und Beifpiel gewinnen; übrigens fei es unfer eigenthüm⸗ 
liches Borrecht, gar keins zu Haben“. Um diefe Zeit begab er fi nach Paläflina 
und erbot ſich, ym den Sultan Mehledin zu befehren, die Wahrheit tes chriſtl. 
Glaubens dadurch zu beweifen, daß er fich in einen Scheiterhaufen flürzte; aber der 
Sultan verbat fih dies Schaufpiel und entfieß ihn fehr ehrenvoll. Nach f. Rück 
kehr fügte er den beiden Elaffen f. Ordens, den Minsriten und Slariften, eine dritte 
Hinzu, welche die Büßenden beiderlei Geſchlechts enthalten follte. ‘Dann zog er fich 
auf einen Berg in den Apenninen gırüd. Dort hatte er (tie die Legende an 
ein Seficht, in welchem er einen gefreujigten Seraph erblidte, der f. Züfe, Hande 
und rechte Seite durchbohrte. Dies war Die Urfache, daß der Orden den Beinamen 
des feraphifchen erhielt. 5. flarb 2 Jahre nachher zu Affıfi den 4. Oct. 1226. 
rang von Paula, Etifter des Ordens ter Minimen, geb. in der 
Stadt Paula in Ealabrien 1416, foll aus einer edeln Familie entfproffen feia, wel⸗ 
che fpäter in Verfall geraten war; Andre ſchreiben ihm eine niedere Herkunft zu. Sein 
Vater beftimmte ihn für den geiftl. Stand, weil er ihm fpät, auf fein dringendes 
Gebet, geboren werden war. &o wurde er im 12. J. in das Kloſter der Francisca⸗ 
ner von St.⸗Marcus gebracht. Hier mit der Ordenstracht bekleidet, erbaute er Durch 
Leben und Lehre, Er entfagte dem Senuffe des Fleifches und dem Sebrauche der 
Leinwand und führte ein Leben voll Kaſteiungen. Seine Altern wollten ihn wieder 
” fi nehmen, allein er wünfchte einige fromme Reifen zu machen, beſonders nach 
ſſtſi, um den heil, Sranciscus anzurufen. Bon hier wanderte er nach Kom zum 
Grabe der Apoftel; von dauveiter. Als er nad Paula zrrüdtam (14 J. alt), ent: 
fagte er f. vaterl. Erbſchaft und begab ſich an einen einſamen Ort, darauf in eine 
Felſengrotte, wo er auf dem nad:en Boden ſchlief und ſich mit den groͤbſten Nah: 
rungsmitteln begnügte, Raum 20 J. alt, ward er, feiner Froͤmmigkeit wegen, von 
mebren Perſonen zum geiftl. Führer gewählt. Seine geiftl. Rinder bauten fich ne: 
ben der Grotte Zellen und einen Keinen Betſtuhl, 100 ein Prieſter aus der Nachbars 
ſchaft ihnen die Meffelas. Da fich die Anzahl derfelben vergrößerte, erhielt 3. von 
dem Erzbifchof zu Eofenza die Erlaubniß zum Bau eines Kiofters und einer Kirche. 
Don allen Seiten unterftügt, kam diefer Bau 1436 zu Stande, ſodaß nun cine 
jahfreiche Semeinheit darin aufgenommen werde? Eonnte. Don diefer Zeit an bes 
ginnt der neue Orden, juerft unter dem vom Papft Sirtus IV, 1473 beflüt. Nas 
men der „Eremiten des Beil. Frany“, welcher aber 1498, als Papſt Alexander VI. 
die Statuten des Ord. wiederholt beflätigte, von demfelben in den ter „Minimen“ 
(lat,; minimus. der Kleinfte) umgersandelt wurde, Demuth war die Grundlage des 
Ord., und der Wahlfpruch: Wohlchätigkeit. Den gereöhnlichen drei Belübden fügte 
Franz ein viertes hinzu, das des Auadragefimallebens das ganze Jahr durch, d. h. 
der Enthaltung von Fleifch nicht nur, fondern auch von Eiern und aller Milchſpeiſe, 
außer in Krankheitsfallen. felbft unterwarf fich einer noch weit ſtrengern Regel, 
Deffenungeachtet vermehrten fich die Anftalten des Ordens, Das Serücht von den 
Wundercuren, welche der heil, F. verrichtet haben follte, machte, daß ihn der kranke 
. König v. Sranfreich, Ludwig X1., zu fich berief, Allein erft auf Befehl des Papſtes 
Sixtus IV, begab er ſich nach Franfreich, wo er mit Fönial. Ehrenbezeigungen em⸗ 


Franz J. (König von Franfreih), _ 297 
pfangen wurde. "Der Monarch warf fich chm zu Fußen umd flehte ihn um Verkan⸗ 


| grum f. Zebens an. $. antwortete ihm mit Würde und fehlug alle Geſchenke aus. 
| 08 Le 


ben des Monarchen konnte er freilich nicht verlängern, half ihm jedoch ruhi 

fierben. Karl VIII, und Ludwig XII. hielten ihn und f. Seiftlichen in Frankrei 
zırüd. Karl bediente ſich ſ. Raths in den wichrigften Angelegenheiten $ er ließ ihm 
ein Klofter in dem Parke von Pleſſis les Tours bauen, ein andreg zu Amboiſe, und 
überhäufte ihn mit Chrenbezeigungen. Auch andre Fürften gaben den Minimen Be: 
weife der Verehrung. Der König von Spanien wuͤnſchte ebenfalls, den Orden inf. 
Staaten zu haben. Hier führten fie den Namen der „Brüder des Siegen“, zum 
Andenfen an die Eroberung Malagas von der Gewalt der Mauren, welche Franz v. 
Paula vorhergefagt hatte. In Paris nannte man fie’die Bons-hommes. $. wurde 
bei f. ftrengen Lebensordnung fehr alt; er ftarb un 92. J. zu Pleffis les Tours den 
2. April 1507. Zwölf J. nach f. Tode wurde er heilig gefprochen, und die Kirche 

feiert f. Seft den 2. Apri. (S. Minimen.) Ä 

Franz J. König von Franfreich, von f. Untertanen der Vater der Wiſſem 
fhaften genannt, war zu Cognac 1494 geb. Sein Vater war Karl von Orleans, 
Graf v. Angouleme, und f. Mutter Louife v. Savoyen, Er beftieg den Thron am 
1. Jan, 1515, 21 J. alt, nach dem Tode f. Schwiegervaters und entfernten Vers 
wandten, Ludwigs XII. Franz!. wollte die Anfprüche ſ. Vorfahren und f. eignen auf 
Mailand geltend machen und das Herzogthum in Beſitz nehmen. Die Schweizer, 
die den Herzog Marimilian Sforza in Mailand eingefegt hatten, hielten die Hatpts 
päffe befeßt. Aber Franz drang auf andern Wegen über die Alpen in Italien ein, 
In den Ebenen von Marignano den 19. Sept. 1515 von den Schweizern angegrifs 
fen, behielt er in diefer Ztägigen Schlacht, der erften, welche die Schweizer bis dahin 
verloren hatten, den Sieg. Die Schweiger Tießen 10,000 Todte auf dem Schlachts - 
felde. Franz 1. gab hier glänzende Proben ſ. Muthes und f. Geiftesgegenwart. Der 
alte Marſchall Trivulzio, der 18 Schlachten mitgefämpft hatte, erflärte, daß ffe alle 
mır ein Kinderfpiel geroefen waͤren gegen diefen Combat de gennts! Marlmilten 
ſchloß hierauf Friede mit Franz, überließ ihm Mailand und begab fich nach 
anfreich, wo er in der Stille lebte und ftarb, Die Genueſer erklärten ftch für 
Granz; Leo X., erſchreckt durch f. Waffenglüd, begab fich zu ihm nach Bofogna 
und ſchloͤß mit ihm Frieden und das befannte Concordat. Ein Jahr nach der Erobe⸗ 
tung von Mailand (1516) imterzeichneten Karl I. von Spanien, nachmaliger Kal: 
fr Karl V., und Franz den Vertrag von Noyon, in welchem eine Hauptbedingung 
die Rüctgabe von Navarra war. Aber diefer Friede dauerte wenige Jahre. Nach 
Marimilians Tode (1519) warb Franz um die Kaiferfrone; allein ungeachtet der 
bedeutenden Summen, die er aufroandte, fich die Stimmen der Deutfchen zu erfaus 
fen, fiel die Wahl auf Karl. Von diefer Zeit an war Franz I. Karls V. erbitterter 
Nebenbuhler und führte mit ihm faſt ununterbrochen Krieg; zuerft wegen Navarra, 
das Franz faſt zu gleicher Zeit eroberte und verlor. Glüclicher mar er in der Picar: 
Die; er vertrieb Karl, der daſelbſt eingedrungen mar; fiel in Flandern ein und er: 
oberte Landrech, Bouchain u..m. a. H. - Aber auf der andern Seite verlor er das 
ailindifche, und, was noch empfindlicher für ihn war, der Tonnetable von Bour- 
ben, den, die Ranke der Mutter des Königs aus Frankreich verdrängten, trat auf die 
Brite des Kaiſers. Diefer große Feldberr fchlug die Franzofen in Italien, trieb fie 
Über die Alpen zurüd, nahm Toulon und belagerte Marfeille, Franz eilte der Pro: 
vence zu Hulfe, drang, nachdem er fie befreit hatte, ins Mailandiſche vor und bela: 
gerte Pavia (1524). Aber während er dieſe Belagerung im Winter unternahm, be: 
ging er die Unvorſichtigkeit, 16,000 M. von f. Heere zur Eroberung Neapels abzu: 
chicken, und fo erlitt er, zu ſchwach, den Kaiferlichen zu widerftehen, am 24. Sebr. 
1525 bei Pavia eine völlige Niederlage, Er felbft gerierh, nachdem ˖2 Pferde unter 
ihm getödtet worden, mit f. vornehmften Dffteieren indie Hände f. Feinde. Als er 
ſich umringt und ohne Rettung ſah, weigerte er ſich, fe Degen einem franz. Officier, 


- 
* 


- 


‚988 »  BeapgL. (Rönig von Frankreich) 


bema. einzigen, der dem Connetable gefolgt war, zu übergeben. Dieſer Bourbon follte 
nicht das Bi en f. Demüthigung empfangen, Pan Tief daher den Bicefönig vor 
Neapel, Herrn v. Lannoy herbei. Damals ſchrieb er an ſ. Mutter: „Alles üt ver⸗ 
foren, nur die Ehrenicht”. Franz wurde nach Madrid geführt, und nur durch einen 
Ken Vertrag, der den 14. Zan. 1526 dafelbft unterzeichnet wurde, konnte er f. 
reiheit wieder erlangen, Er entfagte darin f. Anfprüchen auf Neapel, Mailand, 
Senua, Afti, der. Souverainetät über Flandern und Artois, auch verſprach er, Das 
Herzogthum Bourgogne abzutreten und 2 Mill. Thlr. zu zahlen. Für die Erfül 
Jung diefer Bedingungen mußte er feine beiden jüngften Söhne als Seifeln ftellen, 
gegen welche er an der Örenze ausgewechfelt wurde. Als aber Lannoy, der ale Karls 
bgeordneter dem Könige nach Paris gefolgt war, Buygund im Namen des Kaifers 
foderte, führte ihn Franz in die Berfammlung der Burgund. Depugirten, welche dem 
Könige erklärten, daß er nicht das Recht habe, eine Provinz von f Monarchie abzu: 
‚ reißen. Außerdem hatte Lannoy die Kränkung, der Bekanntmachung der heil. Ligue 
beiwohnen zu müffen, welche in einem Bündniffe zwiſchen dem Papfte, dem Könige 
von Frankreich, der Republik Venedig und allen Mächten Italiens beftand, um 
ben Fortfchritten des Kaifers Einhalt zu thun. Franz, der die Seele diefer Ligue 
war, ließ (1527) durch Lautrec einen Theil der Lombardei befeßen, und befreite das 
‚durch, den von den Eaiferl. Truppen eingefchloffenen Papfl. Er würde auch Neapel 
erobert haben, wenn nicht anftedende Krankheiten die franz. Armee fammt ihrem 
Seneral 1528 aufgerieben hätten. Diefer Berluft befchleunigte den Frieden zu 
Cambrai 1529. Der König v. Frankreich begab fich eines Theils f. Anfprüche und 
behielt das Herzogth. Bourgogne, mußte aber . 2 Söhne mit 2 Mill. Thlrn. löfen, 
und heirathete Eleonoren, die Witwe des Königs von Portugal und Schweſter des 
Kaifers. Auch diefer Friede mar von Eurzer Dauer. Mailand, der beftindige Segen: 
fland der Kriege und das Grab der Franzofen, reizte unaufhörlich Franzens Ehrgeiz 
4535 drang er nochmals in Italien ein und bemächtigte ſich Savohens. Allein der 
Kaiſer fiel in die Provence (1536) und belagerte Marſeille. Unterdeſſen harte ſich 
—J— mit Soliman 11. verbunden. Das kaiſerl. Heer konnte fich in der Provence 
nicht behaupten. So wurde endlich in einer Zufammenfumft mit Karl V., welche der 
Papft 1538 zu Nizza vermittelte, ein 10jahr. Waffenftillftand gefchloffen. Der Kai: 
fer, der einige Zeit nachher durch Frankreich reifte, um die aufrührerifchen enter zu 
züchtigen, verfprach dem Konige in einer Unterredung, einen f. Söhne mit Mailand 
belehnen; aber kaum hatte er Frankreich verlaffen, als er die Zufage widerrief. 
641 ließ der kaiſerl. Statthalter, del Guafto, die franz., nach Venedig und Kons 
fantinopel beftimmten Abgefandten auf dem Po ermorden, und der Krieg entzüns 
dete ſich aufs Neue. Franz ſchickte Heere nach Italien, Rouffillon und Luxemburg. 
Der Graf d'Enghien ſchlug die Kaiſerlichen bei Ceriſoles, 1544, und machte ſich 
im Meifter von Montferrat. on verfprach fich Frankreich, in Verbindung mit 
Igier und Schweden, gluͤckliche Erfolge, als Rarl V. und Heinrich VIII. von Eng 
land im Bunde gegen Sranz.l., alle £ Hoffnungen niederfehlugen. Sie drangen in 
die Picardie u. Champagne ein. Der Raifer ftand in Soiffons, und der König v. Eng: _ 
land nahm Boulogne. Zum Gluͤck für Franz hinderte das Buͤndniß der protefl. Fürs 
ften Deutfchlands den Raifer, feine Vortheile zu verfolgen, und machte ihn zum Fries 
den geneigt, der 1544 zu Trespi zu Stande fam. Karlentfagte den Anfprüchen auf 
Burgund.‘ Zwei Jahre fpäter machte auch England Frieden. Franz flarb an jener 
durch die Entdeckung Amerikas nach Europa verpflanzten, damals noch unheilba: 
ren Krankheit, den legten Mär, 1547. Bei f. Freigebigfeit und Kunftliebe würde 
diefer ritterliche und unternehmende Fürft, hätte er ſittlich und gerecht ‚regieren wol: 
len, Frankreich glüclich gemacht haben. Der Schutz und die Beförderung, die er 
den Künften angedeihen ließ, haben bei der Nachwelt den größten Theil f. Sehler 
ausgelöfcht. Er lebte in der Zeit, mo die Wiſſenſchaften wieder erachten, und ver: 
pflanzte die Trümmer, die den Verheerungen Sriechenlands entgangen waren, nach 


— — — — —— — — — — — 


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Franz U. (König v. gankreich Franz 1. Ceacher Kaiſer) 208 


Frankreich. Seine Regierung iſt Die Epoche wo Die Künfte und Wifſenſchuften 
einen heilſgmen Einfluß auf den Geiſt und die Sitten der Framoſen zu gewinnen an⸗ 
fingen.: Indeß verbot er 1535 das Bücherdrudten bei Strafe des Stranges! und 
als dieg unausführbar war, führte er die Cenſur ein und ließ Ketzer hinrichten. 
1534 fandte er Jacques Lartier von St.⸗Mald nach Amerika, um Entdedungen 
ju machen, und diefer entdeckte Canada. Auch hat Franz das konigl. Collegium ge: 


füftet und den Grund zu der Bibliothef von Paris gelegt. Ungeachtet der vielen. 


Kriege, die er führte, und des großen Aufivandes, den-er machte, hinterlieh er keine 
Schulden, fondern einen nicht unbedeutenden Schatz S. Hermann’s „Fran 1.” 
(Leip, 1824); Gaillard's „Hist. de Francois 1.” (5 Bde). Roderer in f. „Louis 
Xi, es Francois 1,” (Paris 1825, 2 Bde.) fchildert Franz I. als einen Geind der 
Bitten und ber Freiheit, ' 


.  $ranzii., König von Sranfreich, Sohn Heinrichs IT, und Katharina von 


Medici, geb. zu Fontaineblcau den 9. Jan. 1544, beflieg den Thron nach dem 


Tode fe Baters, den 18, Juli 1559. Er hatte fich das Jahr zuvor mit Marin 
: Smart, der einzigen Tochter Jakobs V. von Schottland, vermaͤhlt. Inf. Res 
gierung, die nur 47 Monate dauerte, flreute er den Samen zu vielen Übeln aus, 
: welche hernach Frankreich verwüfleten, Die Obeime ſ. Semahlin, Herzog. Franz 


von Yuife und der Cardinal von Lothringen, wurden an die Spiße der Verwaltung 
geſtellt. Dieſer ftand dem Klerus und den Finanzen, jener dem Kriegsweſen vor; 
aber Beide gebrachten ihre Macht nur, um ihrem Stolze und ihrer Herrfchfuche 
ju fröhnen. Anton von Bourbon, König von Navarra, und fein Bruder Ludivig, 
Prinz von Sonde, entrüftet, daß 2 Fremdlinge den König beherrfchten, während 
die Prinzen von Seblüt-entfernt wurden, verbanden fich mit deri Ealyiniften, um 
die Macht der Guiſen, der Befchüßer der Katbolifchen, zu vernichten... Herrſch⸗ 
fucht war die Urfache diefes Krieges, die Keligion der Vorwand, und die Verſchwoͤ⸗ 
kung von Amboiſe das erfte Zeichen zum Burgerkriege. Die Verſchwoͤrung brach 
im Mir; 1560 aus; der Prinz von Condé war die Seele, und. La Renaudie der 


Führer derfelben, Sonde, als das Haupt ‚der calviniflifchen Partei, rourde zum 


Tode verurtheilt und follte durch die Hand des Henkers fterben, als Franz 11., der 
immer fehroächlich und feit langer Zeit krank geweſen, den 5. Dec. 1560 in einefk 
Alter vom 18 J. flarb, umd das Reich, mit 43 Mill. Schulden beſchwert, den 
Graͤueln des Bürgerkriegs zur Beute ließ. | 


Franz!. (Stephan), ältefler Sohn des Herzogs Leopold von Lothringen, 
nachmal. deutfcher Raifer, geb. 1708, Fam 1723 nach Wien, wurde dafelbft mit 


dem fehlefifchen Herzogthum Tefchen belehnt und trat.nach ſ. Vaters Tode 1729 
die Regierung des Herzogthums Lothringen und Bar an, wurde aber bald darauf 


von Sranfreich auf immer daraus verdrängt. Denn ale 1733 der nach dem Tode, 


Sriedrich Augufts von Sachfen zum zweiten Mal zum König von Polen erwählte 
Stanislaus Lesczinsfi die ſes Reich verlaffen mußte, benußte deffen Schroiegerfohn, 
Ludwig KV., diefen Umfland, um von dem Kaifer, der ihm hauptfüchlich entge: 
gen geweſen war, eine Entfchädigung für ihn zu fodern. Weil nun Frankreich 
fon lange auf Lothringen Anfprüche gemacht, auch zu verfchiedenen Malen es in 

efiß genommen hatte, fo wurde in dem Präliminarfrieden zu Wien 17135 ausge: 
macht, dag der Herjog von Lothringen diefes Land fofort an den König Stanislaus, 
und nach deffen Tode auf immer an Franfreich abtreten, dagegen aber in den Beſitz 
des Großherzogthums Toscana einrücen follte, fobald daffelbe durch den Tod des 
damal, Großherzogs Johann Gaſto, des Letzten aus dem Meticeifchen Haufe, er: 
ledigt ſein wuͤrde, welches 1187 erfolgte. 1786 vermahlte ſich Franz mit Maria 
Thereſia, Tochter Kaiſer Karls VI. Er wurde zum Reichsgeneralfeldmarſchall und 


raliffinms der kaiſerl. Heere ernannt und befehligte 1738 mit ſ. Binder Karl 


das äfte, Speer in Ungarn gegen die Turken. Nach dem Tode Karls Vi. (1740) 


2— 


“0. .  PBranzl. (KRaife von Oſtreich) Be 


ande er von f. Gemahlin zum Ditregenten aller öflt. Erblande erklärt, doch durfte 
er Eeinen Antheil an der Staatsverwaltung nehmen. Nach Karls VH. Tode wurde 
er 17145 zum römifchen Kaiſer erwahlt und am 4. Det. zu Frankfurt gekrönt. Er 
Rarb zu Inſpruck ven 18. Aug. 1765. Über die merkwürdigen Begebenheiten 
fe 20ojahr. Regierung ‚als Kaifer f. Therefia (Maria), 

,. $rangl (Joſeph Karl, vorher alsrömifcher Kaifer Franz 11.), Kaifer von 
Öftreich, König zu Ungarn, Böhmen, Galizien, Lodomerien, von der Lombars 
dei und Venedig ıc., Erzherzog zu Hſtreich ıc., geb. den 12. Febr. 1768, Sohn 
tes römifchen Kaifers Leopold II. und deffen Gemahlin, Marie Louife (Tochter 
König Karls HI. von Spanien), folgte am 1. März 1792 feinem Bater in allen 
Hftr. Erblanden, ward zum Könige von Ungarn gekrönt am 6. Juni 1792, zum 
romifchen Raifer gefront am 14. Juli 1792, und zum Könige von Böhmen am 
5. Aug.d. J. Nachdem (18. Mai 1804) Frankreich zum Kaifertbume erhoben 
worden war, erklärte er fich (durch, Patent vom 11. Avg. und Proclamation vom 
1. Dec. 1804) zum Erbfaifer von Oflreich, und als ter Rheinbund im Juli 1806 
errichtet worden, legte er am 6. Aug. 1806 die römifche Kaiſer⸗ und deutfche Kös 
nigserone und die Regierung des deutfchen Reichs nieder. Seine erfte Erziehung 
erhielt er zu Florenz unter ‚den Augen feines Vaters. Sein Oheim, Kaifer “os 
ſeph II. übernahm die Vollendung feiner Bildung. In feinem 20. J. begleitete 
Franz femen Obeim gegen die Türken und übernahm im folg. J. felbft den Ober: 
befehl des SHeers, wo Laudon ihm zur Seite fland. Nach dem Tode Joſephs 
(1790) nahm er fich der Regierungsgefchäfte bis zur Ankunft feines Batersan, und 
als auch diefer, 1792, geftorben war, führte er, als Raifer, den gememfchaftlich mit 
Preußen begonnenen Krieg gegen Frankreich, welches ihm (20. Apr. 17792) als Ko⸗ 
nig von Ungarn und Böhmen den Krieg erklärt hatte (f. Deutfchland), felbft 
als Preußen einen Separatfrieden mit der Republik ſchloß, mit Nachdruck. 17194 
flellte er ſich an die Spiße feiner niederländifchen Armee. Befeuert durch Die Gegen⸗ 
wart des Monarchen, fchlug fie die Franzofen (26. Apr.) bei Sateau und Landrech, 
das fie eroberte, und gewann die blutige Schlacht bei Tournay (22, Juni). Doc) 
die brabanter Stände verfagten ihm den gefoderten Landſturm und Geld, und faft 
fm Borgefühle der nachherigen Unglücksfalle verließ er am 13. Juni d. J. Brüffel, 
um nach Wien zurüdzufehren. Der Friede von Campo-Formio (17. Det. 1794) 
verfchaffte feinen Waffen einige Zeit Ruhe; doch im neuen Bündniffe mit England 
und Rußland fuhr Sranz 1799 in der Bekämpfung der Republif fort, bis diefe 
Streich 1801 zum Frieden von Luneville nöthigte. 1805 brach ber Krieg zwiſchen 
Oſtreich und Frankreich von Neuem aus. Aber nach der Schlacht von Hufterlig 
(2. Dec. 1805) verahredeten Franz t. und der franz. Kuifer mündlich die Bedingun⸗ 
gen eines Waffenftillftandes und die Grundlagen zum künftigen Frieden, der am 
26. def. Monats g Presburg unterzeichnet wurde. 1806 und 1807 behauptete 
Franz 3. bei den Kriege Frankreichs gegen Preußen und Rußland die Neutralität; 
auch bot er fich, Doc vergebens (am 3. April 1807), zum Bermittler zuoifchen den 
fampfenden Parteien an, Aber Franzens Proclamation an die Völker Vſtreichs 
vom 8. April 1809, die in feinem Namen erfchienenen Aufrufe an die gefammte 
deutfche Nation, ſowie fchon früher feine Dedaration und Kriegserflärung gegen 
Frankreich vom 27. März 1809 und die Errichtung der Landwehr bewieſen, daß 
er nie mehr zum Kriege fich gerüftet hatte, als nach dem Frieden zu Tilfit, der 
Alerander mit Napoleon vereinigte. Das Jahr 1809 Eoftete ihm zwar fehr wiel, 
doch fchien dadurch der Grund zu einem dauerhaften Srieden mit Srencreichs mich 
tiger Nation gelegt zu fein. Der wiener Kriede gab Dftreichs Kaifer die Haupt 
ftadt feiner Monarchie zurück. Seine Einwilligung in die Vermählung feiner 
Slteften Tochter (der zweiten aus feier zweiten Ehe), Marie Louiſe, mit Napoleon 
Enüpfte zwiſchen beiden Häufern eiri feftes Band. "Seine 2. Gemahlin war die Toch⸗ 


\ 


bi 


er 3 eang(Beizog von Weffam).:- s01 


ter der K. Ferdinand IV. von Sicilien, Marie Therefie, welche ihm 13 Kindergeber, 
wovon noch‘T leben, unter ihnen der Kronprinz Serdinand Karl (geb. 1793). Aus 
f. erfien Che wit der wärtemb.. Prinzeffin Elifabeth, und aus f. dritten mit Marie 
Louiſe Beatrix, : jüngfien. T. ſ. Oheims, des verft. Erzherz. Ferdinand v. Öftreich, 
Herzog yı Modena: Breisgau, 4808 gefchloffenen Ehe hat er feine Kinder: Seine 4. 
Semaplin ift Charlotte, & Tochter. des K. Maximilian Yofepb dv. Baiern (gefchie: 
den von ihrem erften Gemahl, dem jekigen König v. Würtemberg,\ im Jan. 1816, 
und verm. mit dem Kaifer Franz v. Hſtreich im Nov. 4816). Das Familienband, 
welches Oflreich u. Frankreich umſthlingen fellte, konnte nicht Bes Schwiegerſohns 
Ehrgeiz befänftigen, Kaiſer Franz vereinigte fick zwar mic f Eidam bei der denkwür⸗ 
digen Unterredung zu. Dresden im. Dial 1812, aber der unbie gſame Stolz der Will⸗ 
für trennte die ſes Berhültniß. 1813. (ah fich Frangl. genoͤthigt, verbunden mit Ruß⸗ 
land u, Preußen, Napoleons libermacht zu demüthigen. Er wohnte diefem Rampfe 
bis zum Ende in Perfon- bei und ſah hierauf.8 Monate hindurch (Det. 1814 bis 
Mai 1815) den größten Theil der. europ. Regenten inf. Hauptſtadt zum Congreß 
verſammelt. Durch die parifer Friedensſchlüſſe und durch den Vertrag mit Baiern 
vom 14. Apr. 1816 iſt Franz I. Geberrfoher einer Monarchie geworden, wie fie Eeis 
ner f. Vorfahren befeffen batı : (S. Hſtre ich) * Be ; 

Fran z (Leopold Friedrich), Herzog v. Deſſtuu, geb. 1740, Sohn des Fürften 
Leopold Maximilian, Enkel des beruͤhmten Schoͤpfers des preuß. Fußvolks, Fuͤrſten 
Leopold v. Anhalt: Deſſau, und der Anne Louiſe, geb, Jungfer Foͤſin, welche den 29, 
Dec, 1701 in den Reichsfünſſenſtand erhoben wurde, Hatte ſich fruͤher dem preuß. 


Kriegsſtqude gewidmet. Er wohntet.i56 der Einſchließung der Sachfen am Lilien⸗ 


fleine, und 1751 der Schlachteu. Belaperung von Prag und der Schlacht von Kik 
in, unter dem Befehle ſ. —————— v. Deſſau, bei; nahm aber, 
bewogen durch Kraͤnklichkeit und Beſorgniß ſ. Oheims und Vormundes Dietrich, Der 
kit 17542098 Land regierte, ſ. Abſchied uUnd trat; aach vom-Kaifer erhaltener Volk 
jährigkeit, den 20. Det, 1768 Die Regierung ſelbſt an⸗ KDn das deſſauiſche Land mit 


Kriegslaſten fehr beſchwert wurde, fo verkaufte der Furſi f. Silbergeſchirr, gab ſ. gan: 


‚reiches Erbe her und bezahlte die aufgelegte Kregsſteurt aws eignemm Vermogen. 
Nach hergeſtelltem Frieden bereiſte er zu verſchiedenen Malen alten, die Schweiz, 
Frankreich, Holland, England, Schottland und Irlond, füchte übergl:die.gefchägte: 
ſten Gelehrten a. Rünftler auf und.errichtetespit Pielen ken Freund ſchaft. Er 

dirte mit dem großten Eifer Die.fchönen Kunſte, vernehwlich die Baukunſt, beſah 

abriken und ‚unterrichtete ſich von Allem genau. Trefflich gebildet, mit Exfohrung 
und Menſchenkenntniß bereichert, £ehrte eu zumist und vermählte ſich (1767) mit 
gu rar Wilh. v. Brandenbungstächwedt,- einer Durch Geiſtesbildemg wie durch 
hanheit Ausgezechneten Dame, Jetzzt wurde alleg Exlernte angewendet zum Wohle 
und zug Verſchonerung des. Landes. In jedem Zweige der Verwaltung wurden Bet: 
befferungen gemacht. Votguglich zeichnen fich die Bemühungen des Fürften für Bib 
dungsanftalten jeder: Aus aus: Am die dee der Menſchenerziehug zu verwitflicgen, . 
wurde unter f. Schuße und mit f. Theilnahnie das Philantbropin errichtet (4774). 
Es war nicht ſ. Schuld, daß manche Erwartungen Auyerfülft blieben; „Deck war der 
Anſtoß zur Umwaͤlzung der. Erziehungsweiſe gegeben, and die Namen eines. Salz 
‚mann, Sampe, Kolbe, Olivier, die aus dem Philanthropitr hervorgingen, ſind hoch⸗ 
geachtet in der Öefchichte des Erziehungsweſens. Die Stadtfchulen in Deffau (1185) 


und in Zerbft (1803) wurden mit großen Koften völlig neu eingerichtet. -Das fo.febr - 


bernachläffigte weibliche Geſchlecht erhielt ſchon 1786, früher vielleicht als irgendwo 
in Deutfhland, eine Bildungsanftolt in Deffau, und fpäter (1806) in Zerbſt. Für 
‚Auffisrung und Erziehung. des Landmanns wurde durch. ein Schufmeifterfeyinar 
Sorge getragen, eine Paftoralgefellfchaft zur Fortbildung der geſammten Geiſtlich⸗ 


keit, ſowie auch ·die Buchhandlung der Gelehrten (1181 — 8) errichtet. Klinſte u. 


— 





302 Sranzbranativeln Erz Fronʒ oͤſeſche Akademie 


Wiſſenſchaften wurden befördert, außwaͤrtige Kuͤnſtler berufen, iind vorzͤglſeh ſehone 
Werke u. Anlagen der Bau⸗u. Gartenkunſt hervorgebracht, die eine vollige Umwal: 
gung des Geſchmacks in: dieſer Hinſicht in Deutſchland durch vas Hinweiſen zur An⸗ 
tike und Natur bewirkten. Worlitz, das Louiſium, der Luſtgarten find bleibende 
Denkmäler: der Gartenanlagen des Fürſten. Die Gebaude find nit den Werfen der 
Malerei, Rupferfiecher: und Bilthauerfunft vorzüglicher Meifter gefehmüdt. Für 
die Muſik wurde die Capelle, für die Schauſpielkunſt das Theater errichten, “Die 
Kupferftechergefellfchaft des Barone. Brabeck wurde in die chalkographiſche Sefells 
febaft verwandelt. (17196 — 1806). Dabei wurde das Land durch Kunſtſtraßen mit 
Baumreihen, geſchmackvollen Bruͤcken u. a. näßlicyen Anlagen verfchönert, neue 
Entbeckungen oder fonflige Berbefferungen des Landbaues benußtimd befördert, der 
Berarmung gefleuert durch eine: Brandcaſſe und eine Witwencaſſe, dazu mebre Ars 
menbänfer für Dürftige angelegt, Die Polizeiverordnumyen find mufterbaft. Alles 
dieſes wurde 1798, "nach Ererbung des dritten Theile des Färftetich. Zerbſi, auch auf 
diefen übertragen. Dabei wurden alle Schulden bezahlt, die Abgaben verringert, und 
Das Fürftenthum gu einem Wohlſtande erhoben, den wenig andre Länder in Deutfche 
Sand wrreichten.. Ein glängender. Hofſtaat wurde nicht für. nothmwendig gehalten. In 
diefer Lage traf das deffauifche Land ber Krieg. Das mannliche und feſie Benehmen 
ded Fuͤrſten erzwang ihm Napoleons befondere Achtung und wendete viele Erprefi 
fungen vori dem Rande: ab.” Den Derhättniffen gemäß trat der Fuͤrſt (von 1807 
13) dem Rheinbunde bei, nahm den herzogl. Titel an und ſtellte den gefoderten 
Zruppenbeitrag; 350 M.;. uͤberhauptfur Frankreich gänzlich erneuert 1807,-1809, 
4841,41813: Sein 50jähr. Regierungsjnbelfoſt feierte er mit EN, erhaltenen 
Betweiſen der innigften Dankbarkeit Hnserrkinen. Aller vermehrten Ausgaben un: 
geachtet, wurde rft 1811 eine Adke Auflage gemacht. Der Krieg von 1813 verwü⸗ 
fiete das Laudchen fehr. Der-Herzog farb 8.9. Mug. 1817: ein trefflicher Fuͤrſt, zu⸗ 
Eeaulich wie ein Bürger , vinfach wie ein Privatmann und bieder wie ein Deutſcher. 
hei $ rensgbranntwein’ f Brannımeim - BB 
— . Branzensbrunn, ein Budedrt, sine Otunde von Eger m Bohmen, in 
einer kuhltn, mit Frauhefeldernüberfieten Ebene, in der Entfernung einiger Stunden 
son: Gebirgen bingeſchloſſeil. Der Sauerbrunnen, Tonft Schladaer Säuerling, fpäter 
Egerbrimnen,jeßt Srargensagell, enffpringt inmehren D.uellen ausenemTorfmoor, 
‚mit welchem die Gegend ⸗dededct iſt/ und foll ſchon · im 10. Jahrh. bekannt geroefen 
ſein. Man ſcheint ſich ſoit: 4584 dieſes Brunnens als Heilmittels bedient zu haben, 
worauf er fm 11. Jaͤhrh in Rũf Fam, dann aber Wieder ſank. Erſt 1798 ließ Kaiſer 
Franz, nachdem der Ort genonnt ift en Brunnenhaus, einen Trink: und Zanzſaol 
dmd andre Hauſer errichten. Die Anbauer wurden beguͤnſtigt, und ſetzt hat der Ort 
Außer der: Hauptſtraße noch: 8 Straßen; auch eite geſchmackvolle Kirche an dem 
Waldchen beim Orte. Die Frangens: und die Salzquelle werden zum Trinken, die 
Souiferguelle und ber kalte Sprudel zum Baden gebraucht. S. Dfarin: „Die Mint: 
sniquellen zu Raiferfrangensbab: bei Eger" GBeri. 1822). Es fehlt an Spaziergan⸗ 
gen in ber Nher BE EEE 
are A a demeke. Zu Parisentftand 1629 ein Verein von 
Selehrien und Dichtern.: Der 'Eard, Richelieu erklärte fich für ihren Beſchuͤtzer; ein 
kdnigl. Patent von 1635 erhob ſie zur Acadenie francäise und fegte die Kahl der 
Mitgl. auf 40. Richelieu haßte Sorneifle; daher war einer der erften Aete der litera⸗ 
riſchen Autorität, twelche diefe Akademie ausübte, die Erkkirung, daß der „Eid“ eine 
ſchlechte Tragodie fe. Nach Richelieu's Tode nahm der Kanzler Sequier die Geſell⸗ 
aft in ſ. Schutz. Inder Folge nahm Ludwig XIV, den Titel eines Befchügers 
der: Akademie an und verwilligte ihreinen Saal im Louvre, wo fie fortwaͤhrend ihre 
Sitzungen hielt. Über die Abtheilungen u. Leiftungen derfelbenf. Afademie, 1795 
ward ſie zu einem Inalitut de France umgebildet, das ;„‚beauftragffel, die Entdeckun⸗ 





' u ww | 
1 BE Zu Franzdſiſche Bank wi ni its‘, 508 


en zu fammeln und Kunſt und Wiſſenſchaften zi:derwölltömntlich?, 1804 theilt⸗ 
apoleon das Nationalinſtitut in 4 Claſſen: die erſte von o Mitgl fuͤr dee phyſit 
- tal. und mathemat. Wiſſenſch., die 2. von 40 für die franz. Sprache uLiteratrurz 
die 3: von 40 Mitgl., 8 fremden Hffocics und 60 Eörrefbondenten für alte ireratut 
u. Geſchichte. Die 4. Elaffe für die fehönen Künfte hatte 20’ Mitgl., 8 fremte Affe: 
cies und 36 Torrefpondenten, — 1818 behielt man den Namen Inſtitut bei; .. 
man gab aber den4 Claſſen ihre alter Benennungen: Acad. des sciences, A. frau- 
gaise, A. des Inscriptious et Belles-Leitres, A. de Peinture et Sculpture. (Die 
„Biographie des Quarante de l’Acadeınie francaise", Paris 1826, ift mehr bei 
bend als witzig gefchriebeny) .. -.... 343 
Granzöfifhe Bank, Pariſer Bank. Nach der Londoner Bank 
C d.) gebührt der franz. die vorzuͤglichſte Stelle unter den Zettel banken (ſ. d.) in 
Europa. 41803, als der Friede auf dem feſten Lande geſichert fehlen und die Ruhe 
im Innern berrfchte, erließ die franz. Regierung eine Verordnung, vermöge welcher 
ſaͤmmtl. Hrivatzettelbanken in Paris in eine große Nationalbank, unter der Benen⸗ 
nung: Bank von Frankreich, vereinigt wurden. Das Capital wurde auf 45 
Mill Tr. feftgefeßt und follte in 45,000 Xctien, jede von 1000 $r., abggtheiltwerr 
den. Die Anftalt erhieftauf 15 5. das ausfchliegfiche Privilegium, Noten, zahlbar 
auf Berfangen In Metallmuͤnze, auszugeben; daneBen machtfie der Regierung fonnof 
als Privaten Vorfchüffe auf —— Sicherheit; beiht auf Pfänber von Golduu. 
Silber, übernimmt die Einnahme von öffentlichen uilb Privatgefallen Hk An 
den Betrag der Einnahme Zahlungsanmweifungen auf fich auäftellen, verährt Depo: 
fitengelder und nimmt die Baarfthaften dffentl. Caſſen u Sften, ſowie auch * 
Privatperfonen in Verzinſung, discontirt Wechſel und alle Papiere, worauf 3 bE 
kannte und begüterte Perſonen Zahlung zu leiſten habef. Zuhleich war feſtgeſetzt, 
daß die Dividende für 1804 8 Proc, nicht, überſchreiten dürfe, der hiernach noch 
übrigbleibende reine Gewinnſt aber in den öffentl. Schuldenfonds angelegt u. als Re⸗ 
ſervefonds betrachtet werden ſolle. So begann die franz! 'Banf ihre Operationen, und . 
ſchon am Schluſſe des erſten Jahres betrug ihr reiner Öeroinn 4,185;997 Fr. alfo 
über 129 Proc, vom urfprünglichen Banfcapitäle: davon wurden 8 Proc, unter'die 
Kctieninhaber vertheilt, der Reſt aber als Reſervefonds alıfgefpart; im darauf folg. 
J. wär der reine Gewinn auf 4,652,398 Fr, geftiegen. Aber zu Ende 1805 gerie 
hie Bank plößlich in fo große Verlegenheit wegen Meetallmünze, daͤß fie 4806 Vie 
baaren Zahlungen einzufteller gendthigt war. Hauptſachlich waren daran Schul 
die bedeutenden Vorfchüffe, welche der Regiexung von der Ban geleiflet worden, 
Führung des Kriegs mit Hftreich bie Ausgebimg einer übermäßlg großen Anzahl 
von Roten, und des Publicumg Beforgniffe gegen Bahlungsunfähigkeit der Banf. 
Die Noten fielen im Turs und konnten nur gegen Berluft in Metallnitinze umge⸗ 
feßt werben; bedeutende ee brachen aus und vermehrten die allgemeine Un⸗ 
ruhe. Zum Städt mar diefe erlegenheit nicht vom Dauer; nach Abſchließung des 
für Frankreich ſo gunſtigen presburger Friedens wurden die der Regierung geleiſteten 
Vorfchüffe zur geht, und mit dem Anfang 1807nahm die Baarjahlung ber 
dank wieder ihrem Anfang: In deinf. J. erſthien ein kaiſ. Decret, wodurch 
waltung der Anſtalt eine Abiinderung erlitt. An die Stelle des —* Central⸗ 
ausfchuffes wurde von der Regierung ein Gouverneur, Inhaber von 800 Actien, mit 
0,000 Ir. Gehalt, mit2Untergouverneuren, Inhabern von 50 Aetien und mit Be: 
ſoldungen von 30,000 Fr., ernannt. Der Gouverneur ſollte die Agenten der Bank 
ernennen ind den Vorfik bei allen Banfgefchäften führen. Zugleich ward das Bank⸗ 
capital auf 90,000 Actien, alfo auf 90 Mil. Fr. erhöht, und das ‚Drivllegfum ber 
Anftalt von 45 Y.auf40 J. erſtreckt. Die Bank ward hierdurch in den Stand ge: 
feßt, ihrem Wirfungskreifeeine bedeutende Ausdehnung zu geben; ein Decret voh 
1808 ermächtigte diefelbe, in mehren Hauptſtaͤdten deg Reichs Comptoire anzulegen, - 


364 Ir te Beitgiung Bramphriihe Eiteratırr 


mt e5 warleı Sr: hen 35 Tran. Zara u. She erruheet. Als 1814 dir fremben 

Eraı a X med eu wat: wire mut Te Funk behrstrate Summen der Rex 

yrz:13 seriäeler: I Bois yon der me leid pevgere Iren amt fonfl übers 

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Fir.un., aut 22 Zeige ce vafc ste Frem. Ya Tuzfwerde ki torh fertgefeßte 

2.0) sa, une Krgerniiehe Dainese ik or 1814 eine Ber: 

Bm, witsch ie Tanne eur mie siert eins, aber auf die 

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wor, „2 zii aibren der Dulz ern 225 mihera} der fen!lihen Beſettunꝗ von 
ern rt bla; ebene nach uber der fo. 

3615 22 Eizıe Ichir zer. ter Donf keu. en Tag wrertrechen werten. Ä.M, 
Aranzsfıfae Defeggebang, f Codes (1 ang) 
AranzafifhdesTecimalfg ii ce m.Zur Zeit ter Revolution wure 

ben in, rast, Me Trage u. Sewichte auf mer ae Mat. das Linzenmaß, zurüds 

girzt:. Tier: Srunt- 25 beit metre und bilzten LOmuleniten Theil eines Diers 

weis 275 Irtmenitians, == 3 Zus 0 Zell 11,32, Irim pariier Mas oder3 5.23. 

2 Lrun bet. Dieſes DIsE ward jeteryit, nach der Decunalrechnung. entweder 

ver gisert cer vertleinert. unt tie Hinzufugung der arucdh. oder lat. Diecimalbenens 

nung 1:1 am Srartmaß gibt den Namen. Die lat. Namen verkleinern, die griech. 
yırırikem, Jenefind: Decem, 10; Centum, 100; Mille. 1000; tiefe: Deka, 

44, Nekston. 190; Chition, 1000; Myrias, 10.000. Demnach bat man gebil: 

det 1, jur Verkleinerung (man feße immer meire hinzu), Deci. „5; Centi. „Ag; 

Bi. 7,5: 2) zur Berorigerung Deka, zebn Mol; Hekto. hundert Mal; Kilo, 

kann: zul; Worin. zehntzufent Mat. (Alle Berfleinerungen endigen fi) auf i 

alle Ver gtẽ herun zen auf ⸗ und o. Wie beitem Grundmaß, fo bei allen übrigen, weh: 

halb man nur das jedesmalige Maß im Verhaͤltniß um Grundlangenmahß zu fen: 
nen braucht, um Alles reduciren zu kennen. Dieſe Maße find 1) das Flaͤchenmaß, 

Arez .ı Veties; das Körpermaß, Stere — 1 Kubikmetre; 3) Hohlmaß, Liue = 

4 Kubiftecimetre; 4) Schwermaß, Gewicht, Gramme — dem Gewichte von 1 Kur 

bifcentinietre deſſillirten Waſſers. Hiernach find auch die Münzen beftimnit. Für 

manche Dice dat man noch befondere Bencnnungen. Bei dem Orundlingenmaße 

Beißt ber Millimetre Trait, Strich, der Centimetre Doigt, Finger, der Decimetre 

slıne, der Dekametre Perche, Ruthe. Bei dem Flüchenmaße heißt der Heftare 

Arpent. Morgen, beitem Hohlmage der Hektolitre Setier, Scheffel; der Kilolitre 

Muid. Pinte, Tonne, a einer Berordnung Napoleons von 1812 waren für 

Map und Gewicht deutfche Namen eingeführt worden, Scheffel, Metze, Elle u. ſ. w. 

Bei dem Gelde iſt der Franc der Mapflab (an Gewicht 5 Sirammen, 44 an Silber, 

4 an Aupfer enthaltend), den man in Decimes und Sertimes, den zehnten und hun: 

dertflen Theil, eintheilt. Auch bei dem repubi. Calender hatte man die Zehn zum 

Maßſtab angenommen. Jeder der 12 Monate war in 30 Tage, und diefe in $ 

Wochen, jede von 10 Tagen, Decade, eingetheilt. Am Ende des Jahre folgten 5, 

oder im Schaltjahre 6 Erganzungstage. 

Ze Sranzsfifhe Bildhauerkunſt, f. Bildner der neuern 

est. 

Franzoöſiſche Literatur, imfranz. Sinne, nämlich die Facultäts: 
solffenfchaften: Theologie, Medicin und Jurisprudenz, ausfchließend. So bedeu: 
tend auch Karls des Großen Verdienſte uns Beiftesbildums und Literatur waren, 
fo war man doch um Die Zeit, als Dante in Italien den feiten Grund gueiner claffes 
ſchen Nationalliteratur legte, in Frankreich noch weiter als zu gleicher Zeit in Spa: 
nien und Portugal von einer ähnlichen Höhe der Seiftesbildung entfernt. Das 


u 


+ Mranzöfflge Siteratane Grammatit 308. 


nbedl und fühl. Frankreich waren dis in das 16. Jahrh. in literariſcher Hinſicht vbdl⸗ 
Kg geſondert. Die Normannen, welche bekanntlich nebſt den Kreuzzugen viel bei⸗ 
ragen haben, der Phantaſie der europäiſchen Nationen überhaupt einen neuen 
gzugeben, battenentfchiedenen Emflugmuf das nordl. Frankreich; fie brachs 
ten die Liebe zum Wunderbaren ſchon aus ihrem alten Baterlande mit, ihre Phan⸗ 
tafie war mehr kuͤhn und finnreich erfindend afs ianig und glühend. Ihr Sinn war 
mehr muthig als ſchwaͤrmeriſch. Sie tiebten zu ihrer Seiftesunterhaltung heroifche, 
wunderbare und muthmillige Erzühlungen, und fangen Lieder (Chansons) in gang 
andern Styl und Solbenmaße als die Subfeanzofen, Diefe, die Provencalen, blies 
ben Sinnesverwandte der Staliener, "Hier blühte die Kunſt der Troubadours viel 
fruͤher als die Poeſie im nordl. Gallien erwachte; doch. als die franz. Monarchie in 
der Hauptftabt Paris ihren Mittelpunft fand, da fiegte der Itorden, und die Porfie 
der Provenoälen gerieth in Bergeffenbeit. IhreLiteratur gehört zur Geſchichte des 
Mittelalters. - Derfelbe romantifche Geiſt, der damals alle Bölker Lefeelte, Enüpfte 
auch im nördlichen Frankreich das Sintereffe der Poeſie an alle Formen des gefelligen 
Lebens. Diefelbe ritterliche Galanterie ergoß fich in Verſen an der Seine wie am 
Armo und am Tajo.: Der König. Thibaut von Navarra, geb. Graf von Champagne, 
fang im Dienftder Dame f. Herzens wie ein Troubadour. Doch liebten und erfanns 
ten die Franzoſen in der Poeſie ftets mehrdie Kunſt der geiftreichen Unterhaltung als 
die Sprache der tiefften Gefühle. Nur in der rohen Poefie des eigentlichen Kite ' 
terromans gefiel fich Damals der Sinn der Sranzofen ganz; fobald aber das Ritter» _ 
weten in der Wirtlichkeit aufhoͤrte, verlor fich auch die Poefie deffelben. Durch die 
leithten, muntern Fabliaur ging fie in den unterhaltenden Anekdotenfiyl über, Die 
fhonim 12. Jahrh. gegrü:.dete Univerſitaͤt Paris wurde dor Sig der fcholaftifthen 
Philofophie und Theologie. Hier hildete fich die fcholaftifche Disputirfunft aus, und 
Sinn umd Sprache neigten fich, Mreh diefe.erzogen, nachher flets mehr zur Beredt⸗ 
ſamkeit als zur Dichtung. Net e, nicht pedantifche Proſa zu fehreiben, . bemüh⸗ 
ten fich die Franzoſen eher als irgend eine neuere Nation. Nach Klarheit, Beſtimmt⸗ 
beit, Woh llaut, gutem Periodenbau und gefälliger Leichtigkeit mußte hierbei befons 
ders geftrebt Werden; diefe Borgige find es, durch deren ‘Bereinigung fich die franz. 
Profa gar elaffifchen Vortrefflichkeie, befonders unter der Regierung Ludwigs XIV., 
als dem glücklichen Zeitalter der franz. Literatur, erhob, "Weder ſchwaͤrmeriſche noch 
teffinnige Phrafen konnten in einen ſolchen Styl Eingang finden, und Voltaire’ 
merkwaͤrdiger Ausfpruch: „Was nicht Elar- tft, iſt nicht franzoͤſiſch“, findet in der 
ganzen Geſchichte diefer Literatur, bisnufdie Revolution, feit welcher dieliterarifchen - 
und fünftlerifchen Talente der franz. Mation nicht. mehrfo fehr durch die Zucht der. 
Kritif befehränkt werden, f. Anwendung, Das Merkwuͤrdigſte, was in diefer reichen 
Literatur geleiftet wurde (doppelt merkwuͤrdig durch den Einfluß, denfie beider Ver⸗ 
beeitung der franz. Sprache, Sitten und Gefchmadisweife.auf das übrige Europa 
batte), wollen wir nach 14 befondern Fächern einzeln betrachten, Wir folgen hierbei 
Ehenier’s „Tableau historigue de la litterature francaise” und verweiſen auf die 
Materialienſammlung der von den Benebietinern der Congregation St.Maur ans 
Hefangenen und von den Mitgliedern des Inſtituts (Acad. des inscript. et belles- 
leitres) fortgef. „Hist. litteraire de la France”, wovon der 16. Bd, (Paris 
1824) das 18. Jahrh. enthält, ſowie auf St.Marc Girardin und Ph. Chasles, 
„Tableau de la Aitterature francaise au XIVme sjecle” (Paris 1829) (erhielt 
von der franz. Akademie den Preis in der Beredtfamfeit). 
4) Sroanzöfifhe Profa, Grammatik, Kunft des Denkens, 
fzig Fahre, nachdem Bacon den Unterfchied der wirklichen von der philoſophi⸗ 
ſchen Granmatik erklärt hatte, fchrieb Lancelot unter Armaud’s Leitung die 
»L’äme · de Port-royal”, eine allgemeine Grammatik, mit. roelcher bie wiſſen⸗ 
fihaftliche Literatut der Franzofen: anfüngt, .. Robert und Henri Etienne ſchrieben 
ConperjationssLericon. Bd. IV. 20 


[ 








306 Sranzöftfche Literatur : Sperulatior Shitofopbie 


unter 6 11, Regierun über Lie fang. Sprache. Seit Errichtung der 
—& ehesten Wangclas, Eee Patru, Menage, Bouhours, Beau⸗ 
ee, Desmarais ıc. über diefen Gegenſtand. Girard durd feine Synonymes, 
bOlivet durch ſ. Abhandl. über die Deofohie, und Dumarfais durch f. Demertun 
gen über die bildlichen Austrüde, bereicherten und ordneten die Sprachkunde. Con⸗ 
dillac verbreitete durch f. als Meiſterwerk geachtete „Grammaire generale” noch 
beileres Licht Darüber. Jetzt geichnet fich Domergue als Sprachforfcher ans. Er 
wagt viele, auf Bernunft gegrümdeteIteuerungen. Der treffliche Sicard, Lehrer der 
Taubſtummen, bat viel über Sprachkunde gefchrieben und nach Klarheit und Boll: 
flindigfeit gefirebt. Ein richtiges Werk ift Zenare’s „Cours theoriquo et prati- 
que de la langue frangaise”. Sinnig und gefpmadvell behandelte Marmontel 
in f. „Lecous d’an pere” auch diefes Zach. Wie wiel durch das große, am Ende 
* 11. Jahrh. zuerſt erfchienene „Dictionnaire de l’academie” dafür bewirkt 
wurde, ift befannt. Butet erklärt in f. Leritographie das —— —— 
zur latei iſchen Sprache. De Volney gibt in ſWerke über die orientaliſchen Sp 
hen die Idee an zu einem allgemeinen Alphabet für die Sprachen aller Belstheie 
2) SpeculativePbilofopbie N Bas dr Sranisfen fen Philo 
und Metaphpfif nennen, ift nicht Daffelbe, was wir tarunter verſtehen. Alles tief Ge⸗ 
dachte und tiefEmpfundene wurde bei ihnen von jeheralseinfiedlerifch und phantaflifch. 
auster Literatur wie aus der guten Gefellfchaft verwiefen. Segen die Mitte des 17. 
Jahrh. bilvere fich in dereleganten Welt zu Paris eine leichtfinnige Ecbensphilofopbie 
im Segenfaß zu der affectirten IRoralität, die noch mit dem Altromantifchen etwas 
zuſammenhing. Beide Syſteme marten durdh Geſellſchaftsvereine verbreitet, ande: 
ren Spitze Damen ftanden; Megeiftreiche Ninon de NEnclos, mit ihrem philofophiren: 
den Freunde Zt.-Epremond, war die glänzen de Unführerinder erfien, Di feinfühlende, 
liebenswürdige Marquiſe de Seuigne wurde die Stũtze der zweiten Partei. Beide 
Bereine gewannen literarifches Anſehen; ie Crane bie in if Erf 
zur hochſten Feinheit, aber die Literatur befam ten converfatiensnsißigen Charak⸗ 
ter, obne welche fie feine Literatur für Franzofen hätte werden fonnen. “Der wif 
ſenſchaftliche Begriff Der Philoſephie verlor fich in Frankreich ganzlich. Descar⸗ 
tes durch fein Syſtem, Arnand. dem die „Art de penser“ zugefihrieben wird, 
Nicole, de la Forge, und der tiefdenfende Malebrauche hatten wol einige Zeit 
lang Auffehen gemacht, doch fie wirften nicht anfhie perrfihende Borfirfungs ne 
ihre Anfichten blieben Yon "Dichtung und Leben getrennt. “Da die mehrften ſich 
fheuten, dunflere Tiefen zu ergründen, fo blieb Das, waste Philofepbie er . 


Pſocholoqie. Die höhere Menfcheufeuntnik, vie zur durch pbilofephifihe Rich⸗ 
tung des Geiftes auf das Ziel aller menfchlichen Betirebungen erwerben wird, war 
ihnen fremt. Aber in der Zoelifemneniß, bie man durch heilen und grübten Blick 


IN 


im gefelligen Leben übertrafen tie 5 aß alle andre MNationen. 
in der Mite des 18. Jahrh. gewann Dias, mas man in Franfreich ausfchließend 
due g allgemeinen Ruf. Dieſe Philoſephie ıft ein Kind 


fialt der franz. Phrlefaphie beflimast wurte, fiammt von tem englıflpen Ppdefo: . 

shen John Yale (geb. 1682, A. 1704). Dieher faßre (1690) in & ſ fharfinne 
gen „Ver ſuch über tun meenfchlichen Verſtand den großen Plan. ten lirfprung, 
Gebalt un? die üußerfien Grenzen der menfchlichen Srfegumiß anzngelun, de: 


\ 


N 


Granzöfifche Literatur: Speculative Philoſophie 307 


alte unfere Erkenntniffe und Begriffe zulebt aus der Erfahrung entfpringen. Die 
Seele des Kindes, lehrte er, iſt wie ein dunkles und leeres Cabinet. Anfangs laf 
fen die Sinne Adeen, d. i. Vorftellungen ein, wodurch fie Stoffe erhält, an denen 
fie ihre Kraft üben kann. Sie beobachtet nun,’ mas außer ihr und in ihr vorgeht, 
fängt an zu urtheilen und zu fehliegen, und nach und narh die Urtheile und Schlüffe 


immer weiter auszudehnen. “Darin befteht die Reflerion. So find alte, felbft die 


böchften Begriffe und die abftracteften (ganz allgemeinen) Wahrheiten entftanden. 
— Sin Frankreich nahm Etienne Bonnot de Condillac (geb. 1715, fl. 1780) den 
Lecke ſchen Empiristnus auf und bildete ihn zu f. Senfualiemus aus. Er lehrte: 
„Die Baſis, das Princip aller Entwidelungen in unferm Geiſte, ift das Empfin: 
dungsvermögen (1a faculte desentir). "Alle einzcine Ideen, Erfenntniffe, Ver: 
mögen, ſelbſt die Reflexion, Berrichtungen und Gewohnheiten find fucceffive Um⸗ 
wandlungen (transformations) diefes Principe” Die Empfindung ändert'nur die 
Form, wiedas Eis, wenn es in Waffer aufgelöft wird und dann als Dampf ent: 
weicht”. Die Einfachheit der Methode und die Klarheit der Darftellung erregten 
tie allgemeinfte Theilnahme. Er wurde das Haupt einer Schule, Dienoch jet in 
Frankreich die herrfchende if. Die Encyklopaͤdiſten, welche ganz im Geiſte deffels 
ben arbeiteten, trugen das Meifte zu ihrer Ausbreitung bei, vorzüglich Diderot, 
d Alembert und Helvetius. Der Effect war der glängendfle; die fehmerfte aller 
aeifen (haftyn, welche die anhaltendfte Anftrengung der Denkkraft erfodert, wurde 
der Faſſungskraft des großen Haufens nahe gebracht; Jeder konnte über Metaphy⸗ 


ſik mitfprechen. Man bemerkte aber nicht, daß man an die wichtigſten Probleme 


gar nicht gedacht, die höhern, einflußreichſten Unterſuchungen abgeſchnitten, und 


die Philo ſophie erniedrigt hatte. indem man nun das Empfindungsvermögen, ' 


die niedrigfte Stufe in der Entwickelung unfers Seiftes, in welcher er am meiſten 
von der Außenwelt abhängig iſt, als das bildende Prinzip betrachtete, und in dem 
Menfchen nichts Andres erblickte als ein etwas feiner organifirtes, von finnlichen 
Trieben bewegtes Thier (mie Helvetius’, fo mußte der Sedanfe, dag eigentlich die 
materielle WBelt das abfolute Wefen, der Seift nur eine Verbindung von Atomen, 
‚der Grund feiner Handlungen der Egoiemus, und das Ziel derfelben verfeinerter 
Einnengenuß, mithin der Slaube.an Freiheit; an Tugend und Seelengröße, an 
Gott, Vorſehung und Unfterblichkeit, nichts ale Wahn und Einbildung: fei, kaum 
gut genug für Bürger und Bauer, des ftärfern Geiſtes aber ganz unwürdigU — 
Biefer Materialismus mußte eine nothwendige Folge jenes Syſtems fein. Damit 
gerfläubte aber Alles, was dem menfchlichen Reben Reiz, Werth und Würde gibt. 
Ein fcharffinniges Auge hätte ſchon Damals prophezeien fünnen, daf in einem. 
Molke, in welchem diefe Überzeugungen herrſchend werden, über kurz oder lang Alle 
Bande der Gefellfchaft ſich auflöfen müffen. Nicht mit Unrecht hat man bierin 
eine worzügliche Urfache ‚der Revolution erblickt. Es war freilich fehr uͤbereilt, 


wenn Einige jene Philofophen für die alleinigen Urheber derfelben hielten, denn 


eine {6 ungeheure Umwaͤlzung konnte nur das Refultat einer Reihe vorangegange: 
ner Ereigniffe und mannigfaltig verfetteter Urfachen und Wirkungen fein, und jene 
Lehren wuͤrden niemals fo um fich gegriffen haben, wenn nicht das Sittenverderb: 
niß ſchon da gemefen wäre, und die höhern Stände nicht fehon nach dieſen Marimen 


gelandet hätten. ‚Aber durch die Schriften der fogenannten Philofophen, durch 


oltaire's helfen Verſtand, unfchöpflichen Witz, d'Alembert's geiftreiche Klarheit, 
der an der Spitze der Eneyklopadiften fand, erfchienen jene verderblichen Maximen 
zugleich als Lehren der Weifen des Volks, fie wurden dadurch gewiffermaßen 
fanttionirt, ſie verbreiteten ſich fehneller durch alle Claſſen, die noch Sehwanfenden 
wurden von dem allgemeinen Strome mit fortgeriffen." Dadurch und durch die aus 
ihnen entſpringende Steigerung des Egoismus und der Eittenverberbniß wirkten 


fie Wyerfieend. Nouffeaws ſchwaͤrmeriſther Ernſt ſteht einzig in der franz. Lite: 
J 20 





} 


308 Frandoͤſiſche Aiteratur: ESpeeulative Philoſophle 


ratur. Aber ſ. Beredtſamkeit brachte eine Menge von Ideen in Umlauf, die beim 
Ausbruche der Revolution tief in das Schickſal des erſchuͤtterten Staats eingriffen. 
Die empiriſche Anſicht blieb im Ganzen auch bis auf die neueſte Zeit die herrſchende. 
Das Eigenthümliche der deutfchen Forfchung, wie es fich feit langer: Zeit und fort: 
dauernd in den beften Autoren offenbart hat, und das man auch ohne Mühe in _ 
ihrer Kunſt erkennt, beſteht darin, daß fie Alles auf die Ideale der Vernunft, und 
durch fie auf das Unendliche, Ewige bezieht, als auf das alleinige Princkp aller Er⸗ 
ſcheinungen. Diefem ordnet fie alles Andre unter, unbefümmert um die Fol: 
gen, lediglich, wiees fcheint, um ein ihr von, der Natur eingeprägtes Verlangen zu 
befriedigen. So gewiß diefes Beftreben an fich das Höchfle und die Krone aller 
Forſchung ift, fo wenig laͤßt ſich Iäugnen, daß hierbei eine große Finfeitigkeit an den 
Tag fommt, welche andre Nationen oft mit Mißtrauen erfüllt und yon ung. abge: 
ftogen hat. ‘Der Deutfche vertieft fich in die Ideale, in die Bernunftfufteme, ohne 
danach zu fragen, ob der Andre ihn verfteht, ob der Lefer ihm folgen kann, ob fie 
im Leben und wie fie angewendet werder fonnen, ja er wird über dieſem Sefchäfte 
nicht felten gleichgültig gegen das Wirfliche, er vernachläffigt: feine irtifchen Ange: 
fegenbeiten, und fo fommt es denn, daß er, der die Ideale am beften Eennt, im * 
ben oft hinter den Andern zurückbleibt. Er vergißt, daß die Speculation, wenn 
fie mehr als die Traͤumerei eines müßigen Kopfes fein ſoll, doch zuletzt wieder in die 
Praxis ausfchlagen muß, und daß dem Menfchen die Richtung nach dem Idealen 
nur deßwegen verliehen ift, damit fich Durch fie fein Neben immer reiner, edler und 
würdiger geftalte, Das Entgegengeſetzte findet bei den Franzoſen ſtatt. Hier 
geht die Richtung von Innen unmittelbar auf das Außere, Daſeiende. Nach 
feiner Anficht find alle Zwecke des Menfchen nur im-Sinnlichen zu realifiren, 
der Menſch ift an das irdifche Leben gewiefen, alle. Erkenntniß der Außenwelt 
und Innenwelt darf zu nichts Anderm dienen, ale um den Genuß teffelben zu 
erhöhen, und Alles fo bequem, angenehm, heiter als möglich zu geftalten. Das 
ber müffen ficy alle Beftrebungen einander unterflüßen, und der Mittelpunge, 
worin alle zufammenlaufen, ift das Vaterland. Dei jeder Wiſſenſchaft iſt die 
erfte Frage: Welche Anmendung läßt ſich Davon machen in Beziehung auf Ges 
nuß, Kandel, Wohlſtand, Anfehen, Einfluß auf Andre? Daß biervon die 
Philofopdie nicht ausgenommen fein werde, iſt leicht zu vermuthen. Welche 
‚Veränderungen auch noch den Anfichten der Franzofen bevorftehen mögen, niemals 
werden fie fi, wenn nicht anders ihr Grundcharakter im Laufe der Zeit wefentlich 
verändert wird, fehr über den Empirismus erheben. , Erfahrung, Auffaffung der 
Tharfachen, Klare, gemeinfaßliche, angenehme Darftellung derfelben, und Schlüſſe 
daraus für die Anwendung: — diefes ift den Meiften unter ihnen dag (deal der 
Wiſſenſchaft. Damit verfallen fie in eine noch ‚größere Einfeitigkeit wie die Deut⸗ 
ſchen. Wer fich zur überfinnlichen Welt erhebt, Eann. vielleicht den Schlüffel zur 
finnlichen entdecken, er kommt den Mächten auf die Spur, welche das Irdiſche bes 
berrfchen; wer fich dagegen an das Sinnliche hält, flieht ziwar fcheinbar auf einem 
feften Boden, allein erift doch dem Unbefland und dem Wechſel der Erfcheinungen 
bingegeben, es fehlt der Wiffenfchaft und noch mehr dem Leben an leitenden Prin: 
cipten, und die Welt des Geiſtes tritt aus einander im Gedraͤnge entgegengefeßter 
Meinungen. — Zwar hat esauch in Frankreich nicht an einzelnen Seiftern gefehlt, 
“ welche eine tiefer eindringende Anficht in der Philoſophie zu begründen fuchten; fie 
fonnten aber nie eine bleibende Wirfung hervorbringen. Erſt feit der Revolution, 
welche die Franzofen mit fo vielen fremden Völkern und deren Ideen, namentlich 
den Deutfchen, vertrauter gemacht, und dadurch, fowie durch die große Reihe er> 
fehütternder Ereigniffe, ihren Grundcharakter gar ſehr modificirt hat, und noch 
mehr in den legten Sjahren, fpricht fih das Brdürfnißeiner höhern, würdigern Phi⸗ 
loſophie unzweidentigaus. Schon in den Schriften. 3. J. Rouſſeau's ift es zu er: 
l 


s 


>, Franzdfifche Literatur: SpeculatſoePhitoſophie . 809 | 


kennen; noch mehr tri- den Werken des Bernardin Henti de St. Pierre, Chateau: 

briand, Claude St: Martin und Marguis Benald; auch Prosper de Barente, in 
f. Preisfeprift: über Pie Literatur Frankreichs im 18, Jahrh., wurde von biefem Ge⸗ 
danken gelettek, und De Serando, Villers imd die Baronin de StackHolftein deu: 
teten dabei auf deutfche Philofophie Bin. Solche Aufregumgen Eonnten nicht ohne 


Erfolg bleiben. Man bemerkt feit einigen Jahren eine größere Regfamkeit in ihrer, . 


philoſophiſchen Literatur. Unter denen, welche beſonders bemüht ſind, derfelben 
eine beffere Geſtalt zu geben, zeichnen wir aus: 1)’ P. Laromiguière. eine 
„Lecons de philosophie, ou essai sur les facultcs de !’äme‘ (2. Ausg., Paris 
4820, 2 Bder) find ein fhäßbares Werk. Der Styl glänzt durch Leichtigkeit umd 
Klarheit; sorgfältig gersähte Beifpiele machen Altes anſchaulich; doch ift die Dar- 
fiellung von Weitfchroeifigkeit , ſowie von einer dem Deutſchen auffallenden über: . 
triebenen Popularität nicht freizufprechen. Er fucht ſich von den Thatfachen zur 
Einheit zu erheben, und wendet gegen die Lehre Sondillac!s befonders dies ein, daß 
ſich die — der Seele nicht von der Empfindung, ſondern nur von einem in⸗ 
nern Principe ableiten laffe. Die Seele ift nach feiner Anficht abwechfelnd activ - 
und poffiv. Es laßt fich im menſchlichen Seifte Alles: auf drei Punfte jurüdfüh- 
ren: die Empfindungen, die Einwirkung des Geiſtes auf die Empfindungen, und die 
Ideen oder Erkenniniſſe, als Refaltate diefer Operationen. Darin kommen zu die: 


. fin wieder neue Ideen, auf diefe wird wieder eingewirkt, und es werden roieder neue 
erzeugt. Und fo geht es fort ins Unendliche. Die Polemik gegen Condillac fcheint 


nicht ganz gelungen. Gewiß iſt es fehr lobenswerth, daß Laromiguiere die innere ' 
Kraft der le mehr bervorbebt'und diefe auf das Empfundene einwirken laßt; 
allein die Art, wie er die Seele zerlegt, möchte fich weniger durchführen laffen. Mus 
zu großem Beftreben nach Einfachheit ift er in denfelben Fehler verfallen wie Con⸗ 
dillac. Die Aufmerkſamkeit fpielt in f. Syſtem diefelbe Rolle, wie die Empfin: 
dung in dem des Condillac. Er will Alles aus derfelben ableiten. Die Aufmerf: 
ſamkeit Hat aber nicht die erfoderlichen Eigenfchaften eines folchen Principe, Die 
erften Ideen, lehrt er weiter, entfpringen aus den durch Einwirkung äußerer-Obfecte 
auf unfern Körper bervorgebrachten Gefühlen. Sie find unendlich, wie die Zahl 
der Eindrüde. Die Seele Hat eine Kraft, diefe Empfindungen zu beleben, heftig 
zu bewegen, zurfictzuhalten.: Die thätige Seele durchdringt die leidende, bringt Be⸗ 
wegung in ihre. Ruhe, Ordnung in ihre Berroirrung, Licht in die Finfternig. Eine 
gewiſſe von dieſen verfchledene Claſſe von Ideen, worauf fich Das Gute und Böfe 
beziehen, entfpringen aus dem Gefüht der Thätigkeit der Vermögen der Seele, de: 
ren Urfache die Aufmerkſamkeit if. Die moralifchen Ideen insbefündere entfprin: 
den -aus dem mieralifchen Gefühle, und ihre wahren Urfachen find die Vermögen 
des Verſtandes. Eine andre Claſſe bezieht fich auf die Berhaͤltniſſe und entfpringt 
aus dem Zugleichfein mehrer Ideen, wodurch die Seele ihre Ähnlichkeiten und Un: ' 
terfchiede entdeckt. Alle Ideen haben ihren Urfprung im Gefühl, und ihre Urfache in 
der Thätigfeit der Vermögen des Geiſtes. Das Vermögen zu handeln, zu empfin⸗ 
den und zu denken, ift angeboren. Die Ideen aber find alle erworben. So ſteht La⸗ 
romiguiere dem Locke näher als dem Condillac. Auch feheint er Leibnitz's Werke 
benußt zu haben, 2) Deftutt Graf de Tracy behauptet unter den jeßigen 
philoſoph. Schriftftellern einen vorzüglichen Rang. Inſonderheit tft ſ. „Ideologie” 
8. Ausg., Paris 1817) berühmt. Auch er erhebt Lode und Eondillac über alle 
Magen: der Erfte habe zuerſt den menfchlichen Berftand beobachtet und befchrieben 
fie ein Mineral oder eine Pflanze, der Letzte aber fei der eigentliche Schöpfer der 
Peologie, ımd feine Methode vortrefflich, Doch fucht er felbft Mehres in dem 
Syſtem deffelben zu verbeſſern. Die Senfibilicät, lehrt Deftutt de Tracy in f. 
„ldeologie”, ift das Bermögen, durch welches wir vielerlei Eindrüde erhalten, und- 
das Bewußtfein davon haben. Diefe Eindrücde find die Empfindungen, und be: 


© _Sranzbiiphe Literatur: Eperniotise Poltefopfie 


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i Auch das Dermögen, 
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gemeinen Intereſſes, das affentliche Wohl genannt. “Dadurch gelangt mann za 
der Einficht, daß es Regeln gibt, die man nicht verließen fan, obme die gefellige 
Ordnung zı vernichten. Diefe Regeln, einmal anerfannt, bilten dann den Loder 
firenger Pflichten. Ties iſt der Punkt, wo Gefũhl und Deraunft zufanumenfal: 
Im. Das Glũck entfpringt aus ten barmonifchen Berbältniffen zwiſchen tem Ge: 


. Bonfl 
iht ſich befonders, die Stefühle gegen Die Tinfeitigkeiten der Logifer zu werrbei: 
Ligen, tie alle Wirkungen tes Geiſtes aus den Ideen berleiten, Außerdem find 
noch zu nennen: Cabanis (f.2.); Degeranto’s „Hist. comp. des syst. de 
la philosophie” (arts 1804, 3 Bde.; 2. Ausg. 1822 in 4 Dia); Ajais m, 
Couſin. (S. d. felg. Art.) Bol. Damiren’s „Essai sur I'hist. de la philoso- 
pbie en France au 19ieme siccle” (2, Ausg, Poris 1828, 2 Be) 


Sanpfiſche ht.: Moral, Politkiund eſchachung 314 


HMorat, Politik und Gefepgebung Kies bemerken 
wir zuerfi die „Essais“ deu geiſtreichen Montaigne, der die Menſchen fügilderte, 
wir er fie.fand. Diefer feine und felbfländige Kopf lebte van 1533 — 92. Sein Feift 
und Styl find eigenthümlich, und durch die reizende Naivetaͤt ſ. Zeitalters ervei⸗ 
tert, Er bildete fich nach den Alten, ohne feine Kationalität zu verläugnen. Charr 
son in f£ „Traits de In aagesse‘‘ zeigte mehr Methode, aber weniger Eigen: 
thümlichfeit, Wie fehr fich unter Nichelieu die alte Naivetät auch aus der didak⸗ 
tifchen Proſa verlor, zeigte Das politiiche Teftament Diefes merkwürdigen Mannes. 
Er ſchrieb als echter Stans: und Weltmann. Mit Recht zihle man Pascal 
yı den vorzüglichfien Schriftſtellern des goldenen Zeitalters der franz. Literatur. 
Ein himmliſcher Wahrbeitsfinn fpricht fewol aus Pascal’s moralifchen und reli: 
5 Betrachtungen wie aus feinen wiſſenſchaftlichen Forſchungen. Die natürliche 

önheit feiner Profa ift bis auf. diefen Tag nicht veraltet. Durch f. „Pro- 
vinciales, on letires dcrites pas L. de Möntalte a un prorincial de ses aınis” 
wagte er es, die cafuiftifche Moral der. Jeſuiten entfchleiernd zu zerflören; fie wur: 
den fleißig gelefen; in wenig Werken wird fich der ſtrengſte Ernſt fo glücklich mit 


dem gefälligfien Scherz zur Erreichung eineg großen Zwecks vereinen. Große, ſee⸗ 


lerwolle Moral und Wahrfeitfpricht aus f. „Pensees sar Ja religion”, Zu glei- 
(ber Zeit,. wo diefer Fromme Gelehrte in ftilter Einſamkeit wirkte, reifte in der großen 
Belt der feine und kluge Beobachtungsgeiſt des Herzogs de la Nochefoucauld. 
Beine Maximen gehören gu den Muftern des claffifchen prafaifchen Styls. Sie 
find fchneidend und herzlos, aber leider bei Weltmenſchen meift treffend. Man 
kente durch ihn den fcharfen Ton liebgewinnen und durch Elrsanı die moraliſche 
Wärme erfeben, die fich,-nach f. Srundfigen, bei Betrachtungen nicht zeigen darf. 
La Bruyere’s Werk: „Les caracteres“, wurde durch ganz Erropa berühmt. 


Theophraſt's Iharafterfchilderungen find mit feſter Meeifterhand-gegeichnet, aber es _ 


find allgemeine Formen; La Bruyere wußte das Perfönliche zu treffen, ohne in 
Verzerrung ausparten. Duclos firebte ihm nach. Zwei Werke erwarben fich 
noch unfterblichen Ruhm: FBenelon’s „Telemach“ und J. J. Rouffeau’s 
Emil". Der erfte war beftimmt , fürftlichen SJünglingen als Negentenfpiegel zu 
rüßen; nie hat wol bie Belehrung ein anmutbigeres und edleres Gewand erhalten 
als in diefem mythologiſchen Roman. überdies eignen fich Fenelon’s Unterfuchun: 
gen über das Dafein Sottes:und f. Abhandl. über die Erziehung Ser Töchter durch 
ſanfte, fromme Würde aus. Marmontel’s „Belisaire” und ſ. „Legons d’un 
pere äses enfans” kommen zwar jenen Werfen nicht gleich, aber fie ſtreben Ihnen 
ehrenualf nach. Unter den didaktifchen Schriftfigllern muͤſſen wir den wigigen © t.: 
bremond, einen der geiftreichiten Epifuräer, als einen von Boltaire's Vorar⸗ 
beitern bemerken. Als Beifpiel der falfchen Beredtſamkeit, die eine Zeit lang Mode 
bar, ſteht Fontenelle; er kokettirt mit f. Kenntniffen und redet mit fadem Scherz 
über ernfte Dinge, um nur unterhaltend zu fein; feine aftronpmifchen Unterhaltun: 
gen gefielen einft deßhalb. Später verdankt man der geiftvollen Witwe Condorcet's 
eine treffliche Überfeßung der Theorie moralifcher Gefühle von Smith, der fie Briefe 
über die Sympathie binzufügte. Das Wert der Frau von Stael über den Einfluß‘ 
der Leidenfchaften auf das Gluͤck der Einzelnen und der bürgerlichen Geſellſchaft 
bietet, wie alle. Schriften diefer geiftvollen Frau, geniale Anlichten, Neuheit der 
dungen und feltene GSeiftesunabhängigkeit bar. De Volney's „Ratechismus 

des franzöf. Bürgers”, und Saint+Lambert's „Allgemeiner Katechismus”, oder 
„tfincipes des moears chez toutes les nations” verdienen Beachtung. Neuer: 
dings hat fih Droz (f. d.) durch fein Werk über. Moral ausgezeichnet. Die p os: 
litiſchen Schriftſteller fangen in Frankreich mit dem ehrwurdigen Kanzler de 
Hoſpital an. DO leich unter Karl 1X. die Geſetze am meiſten uͤbertreten wurden, 
fing doch die Verbeſſerung der Geſetzgebung damals an. Dumoulin, einer der 


- 


S12 Frangzdſiſche Lit.t Rhetorik, Rick, olffghaf inte 


größten Rechtsgelehrten, trug viel dazu bei.t: Hubert LEanguet ſchtieb u. d. N. Ju⸗ 
nius Brutus eine merkwurdige Schrift über die rechtmäßige Gewalt eines Furſten. 
"La Boetie, Bodin (Jo. Bodinus), Boisguilbert, Lamoignon, d'Agueſſean, St.⸗ 
Pierre und Melon zeichneten ſich in dieſem Facht auss die „Economiſs royales” 
von Sully dürfen bier nicht vergeffen werden: Bor Allem ragt aber Montesquien 
durch fein großes Werk „De l’esprit des lois“ hervor; er lebte 1689. 1755. 
J. J. Rouffeau entfchleierte in f.. „Gonträt .social” Wahrheiten, die. man zu⸗ 
vor faum ahnete. Mably wurde:durch viele Werke, und befonders durch f. „En- 
tretiens de Phocion“, befannit und geſchaͤtzt. Servan, Dupaty, Forbonmis, Tur⸗ 
got zeichneten fich in dieſem Fache aus; befonders verbreiteten Neder’s Schriften 
Klarheit über Kinanzivefen und Stdatsverwaltung. Muabeau's: fühne.und Fräf 


tige Schriften werden immer berühmt. bleiben. Kein: Schriftfteller: diefes Fachs 


. bat fich aber während der: Revolution durch Scharffing und ausgebraitete Kennt⸗ 
niffe mehr ausgegeichnet-als Sicyes; Lebrun, Barbı+Marbois,ı Roderer, Dupont 
de Nemours, Garnier, J. B. Say, Ganilh und Merlin, Berreau, Bourguignom 
Beron, Pafloret und Lacretelle find gefchägte Schriftſteller im Fache der Geſetz⸗ 
gebung. und ber Mecptegelaprtheit. EEE Per EEE EEE Fre: 

4) Rhetorik, Kritik, wiffenfhaftlide::Merfe .:Bon den 
blreichen Werfen in den erften’ beiden .Gächern verloren viele den. fruͤhern 

- Ruf, weil fie auf beſchraͤnkte und einfettige Anfichten gegründet find, Wer wird je 
"noch die Regeln der Epopde bei dem P. de Boſſu oder die bes Theaters bei Dem Abbo 

d' Aubignac fludiren rollen? Rollin’s. „Fraite des etudes” bleibt ein um feiner 

Klarheit willen gefchäßtes Elementarwerk; Batteur's „Cours des belles-letirns”, 

Dubos’g Werke über Poefie u, Malersi, Diderot's Betrachtungen über das Dramm, 

Marmontel’s Poetik und ſ. „El&mens de litterature”, Rapin's „Retlexions sur 

V’usage de l’eloquence‘; Buffier’s „Traits philos, de Peloquence‘, Fenclon’s 

„Dialogu:s sur l’dioqyence“ und „Reflexions sur la rhetorique”, Corneille's 

„Discours sur la tragedie‘, Poltaireg „Commentaires sur Corneille”, ſ. „Me- 


langes”, f. „Diclionnaire philosophique‘, ſ. Briefe, und der: „Essai sur, les’ 


ı eloges”, von Thomas, find Werke diefes Faches, welche Epoche machten. Fine der 
belehrendften Schriften iſt Card. Maury’s „Iraite sur les principes sle l’ctor 
quence de lachaire et du barreau““. In neuerer Zeit müffen wir Suard's „Me- 
langes de litterature” bemerfen, die fich durch finnige Beobachtungen,. eleganten 
Styl und Kunftgefühl hervorheben; in diefer Sammlung zeichnen fich auch die 
Auffüße des Abbe Arnaud aus. Die „Melanges tires de manuscrits de Ma- 
dame Necker“ find anziehend; die Urtheile darin find oft gewagt, der bisweilen 

geſuchte Styl ift jedoch immer: geiftvoll, Die „Etudes sur Moliere” von Lails 
bava; die „Memoires pour servir à l’histoire de la litteratüre francaise”, von 
Paliſſot. Chamfort's „Memoires” und Oinguen’s Auffise find verdienitliche 
Werke; Leßterer fchrieb ein großes Werk über die italienifcehe Literatur, das nach 
feinem Tode Salfi fortfeßte. Das große Werk von Laharpe: „Lycee de litte- 
rature”, verdient Auszeichnung, befonders die erfte Hälfte; die lebten Bünde find 

‚augenfcheinlich parteiifch gefchrieben. Durch ihr an feinen Bemerkungen reiches, 
wiewol auch viele Unrichtigfeiten enthaltendes Werk: „De l’Allemagne‘, hat 
Frau von Stael eine Verbindung der franz, Kritik mit der deutfchen Literatur eins 
geleitet, Seitdem bat die Franzofen der Streit der Claſſiker und dev Romantiker 

eſchaͤftigt. An wiſſenſchaftlichen Werken ift die franz. Literatur reich. Die Klars 
beit der Sprache und das Studium der alten Claſſiker macht fie dazu beſonders 
geeignet. Buffon ‚war einer der Erften, der mit feltener Senialitit und Grazie 
über die Naturmiffenfchaft fchrieb;. Lacépede und Cuvier folgten ſ. Vorbilde; La- 
voifier und Foureroy in der Chemie; Corvifart und Puyfegur in der Medicin; 
Milin, ”’Agincourt, Landon in Archäologie und Kunſtgeſchichte; J. J. Rouſſeau, 


— 


- 


Fratzoſiſche Bit.n,.Rüiyeihehetäfeinteit, Emehamdeſchr., Geſch. BE 


Oretry, Caſtil Plize; Julin und Nopolin iiber die Muſik; RPercier, Fontaine 
Miche über die Baufumſt; Langles, Sylveſter de Saey, Chercy uber die olienta: 
liſchen Sprachen: Malte⸗Brun über Grographie, gebörenigu den: ausgezeichneten 
frauz. Schriftſtellern -in- Biefen: Fachennz dach: tes ummöglich,..nlle wahrhaft ;ber 
deutende: Manuer bier aufmählen.: ve 70a. at 
5) Ranzetberedtfamleit, Ergiebimgsfthniften. . Burn Zeit 
Budwigs X. zeichnete ſich Lingendes zuerſt dunch'f "Predigten: und Leichen 
reden aus. Macaron näherte ſich ihm. Boßſſuet! riß Hindurch-f eblen. Eifer Für 
Wahrheit und Frmmigkeit Faronf:ole.bucch f. glänzende Beit,; die:uaver; 
kennbar den Charakter das Zeitalteitrkatiuigs KIN. tehgk- Deine betüchendes 
. „Oraisons:innebres trugen fehe viel · ar Ausbiburig ber: fndt;. Prafe bei. Bor 
dalous toetteiferte. mit ihm und wurde für den geößten aller frimß Kanzelrednee am 
erkannt; er lebte von. 1632 bis 1704.: Anſelme ind Flechier waren beluba 
Maſſillon lernte viel von dieſen großen Morgaͤngern: und toußte durch die tuͤhrenb⸗ 
He Sprache chriſtlicher Demuth: die Herzen zu bewehen Unter den puetöflauf® 
ſchen Kanzelvednern: zeichnete ſich Daurin aus. Aumrzechungsfchriften. AfF- die 
franz. Literatur reich. Ohne die betihmten Werke Gar: zu nennen, dexen wir 
ſchon früher 'debachten , ermähnen wir nur aus neuerer .Beit den Werke von Madi 
le Prince de Beaumont, von Mad. de Senlis, von. Bouilly, Berquin, Ducraps 
Dumenil ıc. als faßlich, Tieblich und: ganz für dos-gartere. Alter gefchrleben. - Die 
—* A:Emitie sur. Ja mytbologien, von: Demouſtier ſind feicht und um: 
zweckmaͤßg.. ⸗— 
6) Defhichte, Biographien. : m der hiſtoriſchen Literatur muͤſſen 
wir die ältefien Denkmale franz. Beredtſamkeit fuchen.: 1: ber Memoiren find es, 
die fich Hier ausgeichnen ; dert Franzoſen gefiel und gelang. .ftets die feine Beob⸗ 
achtung der Charakterr und Sitten, im oͤffentlichen wie im Privatleben, am bes 
fin, beſonders wo fle ſelbſt thaͤtigen Antheil nahmen. Sie find voll Talent, das 
Anziehende im Einzelnen gu entdecken, aber ſelten ergriffen von der Gewalt einer 
gem dee, ſelten hingeriffen vom Antheil an den Fortſchritten ganzer Völker, 
as Studium der Memoiren ift jegt fehr erleichtert. durch die „Collection uni» 
verselle de Memoires relatifs à I’histaire de France”, wo die erften 12 Bände 
. me die vom 18. bis zu Ende des 15. Jahrh. enthalten. Eine deutfche Liberfes 
bung Diefer Sammlung ven verſchiedenen Mitarbeitern gab Schiller heraus: 
An der Spitze aller zserfaffer oerfroürdiger.Memoires fleht der Ritter Sean de 
<joinville, der den König Ludwig den Heil, auf dem Kreuzzuge nach Palaͤſtina 
begleitete. Die treuberzige Maivetät diefes Schriftfiellers. hat eine romantifche 
Anmuth. Er wollte mit redlichem ‚Eifer feinem frommen Könige ein literarifches 
Denkmal fliften. . Chriſtine de Pifan, Tochter des Hofaftrotogen Karls V., folgt 
ihm; ihr Styl 'iſt zierlicher,. ohne Joinville's Eräftige, heitere Leichtigkeit zu Has 
ben.. Philippe de Comines- fehilderte treffend den finftern. und verſtellten Lud; 
wig XI.; er war der geiftreichfte, und in rhetorifcher und pragmatifcher Hinſicht 
der erfte aller Berfaffer franz. Memoiren vom 18. bie gegen das 17. Jahrh. 
Froiſſart ſchrieb ein größeres biftorifches Werk, das er durch den Reiz des Wun—⸗ 
derbaren in die Nachbanfehaft epifcher Dichtung zu bringen fuchte. In den 
Mempiven über das Leben des Ritters Bayard bemerft man zum lepten Male die 
Naivetät jener Altern Geſchichts? und. Chronikenſchreiber. Eine Miſchung diefer 
Naivetat mit einer eyniſchen Frechheit, die in der hiftorifchen Literatur nicht ihres 
deigen bat, zeichnet Brantöme’s verrufene Memoiren aus; fie ſchildern die Zei⸗ 
ten Karls IX. und Heinrichs IH.,. mo die empörendfte Sittenlofigkeit herrſchte. 
Sully fchrieb anziehend und wuͤrdig über fein Zeitalter. Es. ift Schade, daß ber 
Eenntnißreiche De Thou nur Igteinifh, und nicht franzoͤſiſch fehrieb, Mẽezerai 
fhrieb mie Freimuͤthigkeit die Geſchichte der franz. Monorchie. Piliffon war. - 
I 


— 


! eloges”, von Thomas, find: 


S12 Franzbfiſthe Lit.r Rhetorik, Kricck miffenfchaftk Wotke 


groͤßten Rechtsgelehrten, trug viel dazu bel. Hubert Languet ſcheieb u. d. 0. Ju⸗ 
nius Beufus eine —* Schiff über die ve tmäßige Gewalt eines Fürften, 


La Boetie, Bodin (Jo. Bodinus), Boisguilbert, Lamoignon, d’Agueffenn, St.s 


Pierre und Melon zeichneten fish in.diefem-Fache aus; die „Economies royales’ 
von Sully dürfen hier nicht vergeffen oerden: Bor. Allem ragt aber Montesquien 
durch fein großes Werk „De l’esprit des lois“ hervor; er lebte 1689 ı— 1758. 
J. 5%. Rouſſeau entfihleierte in f.. „Gonträt social” Wahrheiten, die mar zu= 
vor kaum ahnete. Mably wurde durch viele Werke, und befonders durch f. „En- 
tretiens de Phocion“, befannt und gefchägt, Servan, Dirpaty, Forbonmais, Tur⸗ 
got zeichneten fich in diefem Sache aus; befonders verbreiteten Necker's Schriften 
Klarheit über Kinanzwefen und Gtdatsvermwalting. . Mirabeau's fühme und fräf 
tige Schriften werden immer berächugt. bleiben. Kein: Schriftfieller- diefes Bachs 


. hat fich aber während der: Revolution durch Scharffinn und ausgebreitete Kennt⸗ 


niffe mehr ousgekeichnet-als Siehes. Lebrun,. Barb’«Marbois, Ködever, Dupont 
de Nemours, Garnier, J. B. Say, Ganilh und Merlin, Perreau, Boaurguignon, 
Bexon, Paſtoret und Lacretelle find geſchaͤtzte Schriftſteller im Fathe der Geſetz⸗ 
gebung und der Necptegelapreheit, a rege [Eu Be 
4) Rhetorik, Kritik, wiffenfhaftlide:: Werke. ..Bon: den 
blreichen Werfen in den erften’ beiden Büchern verloren viele den. frübern 
uf, weil fie auf befchränfte und einfeltige Anfichten gegründet find: Wer wird je 
noch die Regeln der Epopde bei dem P. B Boſſu oder die des Theaters bei dem Abbe 
d Aubignac fludiren wollen? Rollin’s. „Troite des etudes” bleibt ein um feiner 
Klarheit willen gefchäßtes Elementarwerk; Batteur's „Cours des belles-lettres”‘, 
Dubos's Werke über Poefie u. Malerei, Diderot’s Betrachtungen über das Drama, 
Marmontel’s Poetik und f. „El&mens de litterature”,. Rapin's „Reflexions sır 
V’usage de l’&loquence”; Buffier’s „Traits philos. de Peloquence‘, Fencdon’s 
„Dialogu:s sur l’dloqyence“ und „Reflexions sur la rhetorique”, Korneillee 
„Discours sur la tragedie”, Voltaire's „Commentaires sur Corneille‘, ſ. „Me- 
langes”, f. „Diclionnaire philosophique“, ſ. Briefe, und der: „Essai sur. les’ 
erfe diefes Faches, welche Epoche machten. Eine der 
belehrendften Schriften ift Card. Maury’s „Iraite sur les principes sle l’&hor 
quence de la chaire et du barreau”, In neuerer Zeit müffen wir Suard's „Me- 
langes de litterature‘ bemerken, die ſich durch finnige Beobachtungen, eleganten 
Styl und Kunftgefühl hervorheben; in diefer Sammlung zeichnen fich auch Die 
Auffüße des Abbe Arnaud aus. Die „Melnuges tirés de manuscrits de Ma- 
dame Neckei“ find anziehend; ‚die Urtheile darin find oft gewagt, der bisweilen 


‚ gefüchte Styl ift jedoch immer geiftvoll, Die „Etudes sur Molicre” von Lail- 


Dava; die „Memoires pour servir a l’histoire de la litterature francaise”, von 
Paliſſot. Chamfort's „Memoires” und Ginguen“s Auffiße find verdienflliche 
Werke; Leßterer fehrieb ein großes Werk über die italienifche Literatur, das nach 
feinem Tode Salfi fortfegte. Das große Werk von Labarpe: „Lycce de litte- 
rature”, verdient Auszeichnung, befonders die erfte Hälfte; die legten Bünde find 


augenſcheinlich parteiifch gefchrieben. Durch ihr an feinen Bemerkungen reiches, 


wiewol auch viele Unrichtigfeiten enthaltendes Werk: „De l’Allemagne”, bat 
Frau von Stael eine Verbindung der franz. Kritik mit der deutfchen Literatur ein⸗ 

eleitet. Seitdem hat die Franzofen der Streit der Elaffifer und der Romantiker 

eſchaͤftigt. An wiſſenſchaftlichen Werken ift die franz. Literatur reich. Die Klara 
beit der Sprache und das Studium der alten Claſſiker macht fie dazu beſonders 
geeignet. Buffon war einer der Erften, der mit feltener Senialitit und Grazie 
über die Naturroiffenfchaft fehrieb;. Lacep:de und Tuvier folgten ſ. Vorbilde; La- 
voifter und Fourcroy in der Chemie; Torvifart und Pupfegue in der Medicin; 
Milin, d'Agincourt, Landon in Archaͤologie und Kunſtgeſchichte; J. J. Rouſſeau, 


— 


Franzoſiſche Litn. Alinzelhetebaſa inkeitz Ecrihimigeſchr. Oeſch. 818 


Seetry, Caſtil Plaze Julien und Mopolin uber die: Muſik; Pereiet, Fontaine 
Miche über die Barkunſt; Langles, Sylveſſer de and, Chery uͤber die oläenta: 
Ifchen Sprachen Malte⸗Brun über Geographie .: gehoren zu den: ausgezeichneten 
franz. Schriftftellern · in Biefen: Fachennz dach: iſt es ammoͤglich, alle wahrhaft bei 
deutende: Mimner bier aufinzählen. "m + 70 ii ns. anirn" 

.. 5) Kanzetberedtfamteid, Ergiehimgsfthniften. . Bur Zeit 
Ludwigs AH. zeichnete füh Lingendes zuerſt dunchif Predigten und Leichen 
reden ans. Macaron näherte ſich ihm. Woſſuet riß hin burch . edlen, Eier Fir 
Wahrheit and rkmmigteit ſo wokals buch F glänzenbe feis,; dier uaver. 
kennbar den Charakter des -Zeitaltedaskatruigs: KiWi-.Ieigt; ÿeine“ betüchenten 
nOraixona funebrésꝰ rugon ·ſeht viel · ar Ausbidung der: anz. Profa bei. Boun 
dalous wetteiferte mit ihm und wurde für den.größten aller frung Kanzelredner aut 
erkannt; er lebte von 1682 bis 1704.:. Anſelme und · Flechier waren helitba 
Maſſillon lernte viel von dieſen großen-Morgimgern :umd wußte durch die tuͤhrend⸗ 
He Sprache chriſtlicher Demth die Herzen zu beisegen: · 1Unter den puotöflauf®: 
ſchen Kanzelrednern zeichnete ſich Daumn aus. :- Amrichungsfchriften die 
fram. Literatur reich. Ohne die beruhmten NBerke: hiar zu nenren, deren wir 
ſchon früher zedachten, erwaͤhnen wir nur. aus neuerer „Belt der Werke von Diem 

le Prince de Beaumont, von Mad. de Genlis, von. Bouilly, Berquin, Ductah⸗ 
Dumenil ıc. als faflich, lieblich und; ganz für das-gartere Alter geſchrieben. Die 
nbettres “:Emilie sur- ia mythologiett, von: Demonfkier, find fercht und un: 
ee 0 

6) Sefhichte, Biographien. In der hifterifchen Literatur müffen 

wir die älteften Denkmale franz. Beredtfamfeit ſuchen. Aber Mdmoires find es, 
die ſich hier auszeichnen; den Franzoſen gefiel und gelang. ‚ftets die feine Beob⸗ 
achtung der Chatakterr und Sitten, im oͤffentlichen wie im Privatleben, am bes 
ßen, befonders wo file felbft thätigen Antheil nahmen. Sie find voll Talent, das 
Anziehende im Einzelnen zu entdecken, ‘aber felten ergriffen von der Gewalt einer 
großen “dee, ſelten hingeriffen vom Antheil an den Fortſchritten ganzer Völker, 
Das Studium der Memoiren iſt jest fehr erleichtert. Durch die „Collection uni- 
verselle de Memioires relatifs à l'histoire de France”, wo die erften 12 Bände 
nur die vom 18. bis zu Ende des 16: Jahrh. enthalten, Eine deutfche Überſe⸗ 
haing die ſe Sammlung von verſchiedenen Mitarbeitern gab Schiller heraus; 
An der Spitze aller Berfaffer merfroürdiger.Menoires ſteht der Ritter Jean de 
Soinville, der den König Ludwig den Heil, auf dem Kreuzzuge nach Palaſtina 
begleitete. Die treuherzige Maivetät diefes Schriftftellers. bat. eine romantifchg 
Anmuth, Er wollte mit redlichem ‚Eifer feinem frommen Könige ein literarifches 
Denkmal ftiften. Chriftine de Piſan, Tochter des Hofaftrofngen Karls V., folgt 
ihm; ihr Styl iſt zierlicher,. ohne Joinville's Eräftige, beitere‘ Leichtigkeit zu. has 
ben. Philippe de Eomines: fchilderte treffend den finſtern und verflellten Lud;z 
wig XI.; er war der geiftreichfle, und in rhetorifcher und pragmatifcher Hinficht 
der erfte aller Berfaffer franz. Memoiren vom 18. bie gegen das 17. Jahrh. 
Froiſſart fehrieb ein größeres biftorifches Werk, das er durch den Reiz des Wun⸗ 
derbaren in die Nachbarfehaft epifcher Dichtung zu bringen fuchte. In den 

Mempiven über dan Leben des Ritters Bayard bemerft man zum lebten Male die - 
Naiverät jener Altern Geſchichts? und. Chronikenfehreiber. Eine Miſchung bisfer 
Naivetaͤt mit einer chnifchen Frechheit, die in der hiftorifchen Literatur nicht ihres 
deigen bat, zeichnet Brantoͤme's verrafene Memoiren aus; fie ſchildern die Zei⸗ 
ten Karle IX. und Heinrichs IH.,. wo die empörendfte Sittenlofigkeit berrfchte. 
Bully fehrieb anziehend und wuͤrdig über fein Zeitalter. Es. ift Schade, daß ber 
kenntnißreiche De Thou nur Igteinifch, ıumd nicht franzöfifch ſchrieb. Meczerat 
ſchrieb mie Freimuthigkeit die Geſchiehte der franz. Monarchie, Pliffon war. - 


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818 . FranghſeſcheLiacratur: Gefchichte, Biographien 
mehr Lobredner als Hiſtorker, indem er die-Eroberamg von Frunche: Coitẽ erzählt. 
Barilas füllte 15 Quartbande mit der Geſchichte des Zeitraums von Ludwig XL, 
bis auf den Tod Heinrichs Hi.; er erzählte gern etwas romanhaft. St.⸗Real 
bildete ſich nach ihm, aber feine Sprache war seiner. Daniel, Joſeph N Orleang, 
Rapin de Thoyras und Aubert de Vertot zeichneten fich Damals als Hiſtoriker ans. 
Boſſuetv Darfiellting. der Weltgeſchichte iſt eihzig in ihrer Art. Meder die alte 
mnochdie newere Literatir gibe eine fo koenwpolitifche Überficht aller großen Weltbe⸗ 
— im Bezlehung auf das Raͤthſel der Beſtimmung des Menſchen. “Der 
urinab de Reg. verſtand es, die unterhaltendſten Anekdoten auf eine geifl: und 
lbebeavoile Woiſe in Vin.-Befdyichtergunveriueben; Bougeant fehrieb-über den weſt 
. fülifögen Frieden. ollin!s Werke find zur Belehrung der jugend geſchrieben; 
Se: find. weder geniul nach-tief und befriedigend, aber gut für Anfünger-und Liebe 
haber. Ihnen fehliehen fich Creviers Geſchichte der Kaiſer und Lebeau’s „Hi- 
atwire.du Bas: Eriıpire‘f: (mu .bearbeitet.von Royou, Paris 1814, 4 Bde.) an. - 
Die. Rivchengefityichee des: Abbe Claude Fleury, der von 1640 1728 lebte, if 
trefftich. Henaut gab Eine. chronstogifche füberficht der franz. Geſchichte; Mom 
tesquien ſchrieb mit rö m Seift über die Römer; Boltsire nimmt als Berf. 
ber ðeſchichte Karis Xf., des Merfuchs über die Sitten der Völker, und der 
" Schilderung 'des Zeitalters Ludwigs XIV. einen glänyenden Rang unter den He 
ſtorikern ein, Condillac zeichnete ſich in dieſem Sache weniger aus nis Mably. 
Montesquieu's Sefchichte Ludwigs Al. ging verloren; dies bedauert man doppelt, 
wenn man die von Duclos lieft, deffen Geiſt mehr fein als reif war; ſ. „Mémoi- 
res söcrels” find vorsüglicher. - Millot iſt correct und vorurtbeilsfrei, aber Eraft: 
fos und fchüchtern. Galllard verdunkelt durch f. weitläufigen Styi andre Vorzäge, 
Raynals phitofophifche Geſchichte des Handels der Europäer in beiden SYndien ver 
diente und erwarb ihm Ruhm. Rulhiore's Sefchichte ber Revolution, durch wel⸗ 
che Katharina KH. auf den ruffifchen Thron kam, und f. Sefchichte der Polen, find 
mit Wahrheit, Eleganz und Feuer gefchrieben. Michaud's „Histoire des croi- 
sades’’ (4. A., 1825 fo., In 8 Bon.) erhielt bei dem franz. Nationalinftitut über 
Seeren’s Bearbeitung deffelben Gegenftandes den Preis, Mirabeau's Sefchichte 
ber preuß. Monarchie unter Friedrich dem Einzigen iſt überreich, aber ihr fehlt das 
Licht der Ordnung. Friedrich der Große felbft ift hier unter den erften franz. Ges 
ſchichtſchreibern, durch ſ. „„Memoires de Brandebourg” und „Histoire de mon ' 
tems”, zu nennen. Das Elementarwerk von Thouret; über die Revolution in der 
franz. Regierung, ift fehe belehrend und tief durchdacht, einfach, faft fireng, aber 
bundig, rein und treffend gefchrieben. Im Sefängniffe wurde dies große Werk 
eſchrieben, und man fehleppte diefen Mann zum Tode und nannte ihn einen 
eind des Volke, indem er fein Werk vollendet hatte, wo jede Zeile durchglüht if 
vom Sefühle des Volksrechts und von Freiheitsliebe. Anquétil und Defodoards 
ſchrieben die Geſchichte Frankreichs. Aus früherer Zeit müffen wir no Marmon⸗ 
tes „Histoire de Ja Regense” und der Memoiren von Saint:Simon, den Her: 
309 von Choiſeul, den Herzog von Aiguillon und den Grafen von Maurepas ers 
‘wähnen. Segur's politifches Gemälde von Europa, in f. „Histoire des princi- 
paux evenomens du regne de F. Guillaume II.. Roi de Prusse” ift ausge: 
zeichnet; Caillard's treffliches Memoire über die 1787 erfolgte Revolution in Hol: 
land füllt beinahe den ganzen erften Theil jenes Werkes aus. Rabaut St.:Etien: 
ne's „Precis historique de la revolution frangaise” , 2 Bde., fortgefeßt und 
vollendet von dem jüngern Lacretelle, 5 Bde., wird fehr geſchaͤtzt, desgleichen der 
„Precis des eveneınens militaires” von Matth. Dumas. Die „Considera- 
tions sur les principaux 6renemens de la revolution francaise”, ein von der 
Frau von Staẽl nachgelaffenes Werk, Mignet's „Hist. de la revol. franc.” 
und die Werke von Thies, Mentgaillard, Sismondi, Daru, Barante, Cape: 


I) 


deargbfiſche Licenæ: Mathemätttves 49. Jaheh. DIE 


Ian :u, A. verdienen Ausxichnung. Endlich befigt Ne franz Literatur trefiliche 
berfeg. alter und neuer Hiſtoriker aller Volker. u 
| „) Mathbemaritdes 19. Fahr h. Die reine ſowol als die ange 
wandte Mathem. haben Franzoſen in der neueſten Zeit mit fo glänzendem Erfolge des 
arbeitet, daß ihnen vielleicht die Palme vor alten brigen Itationewflustopas zuers ’ 
Bannt werdentarf. Wir nennen, mehr die Wichtigkeit der Leiſtungenals die Ordnung 
der Marerien beachtend, von den franz. Mathematikern diefer. Periode perl Lu _ 
place (f. d.), der in ſ. Macanique celeste” (Paris1828, 5 Bde., A.) ein für 
alle Zeiten gültiges Geſetzbuch der feinften und. verwideltften Himmetl 
ten gegeben, und ſolchergeſtalt, mit Huͤlfe einer hoͤchſt vervollkommneten Aumnly⸗ 
ſcs, das Gebande vollendet har, zu weichen der Grund dur Mewtors, Pli ilo- 
sophise naturalis principia mathematien“ gelegt worden waͤr. Glei 
und nur die Reſultate jener großen rechnenden Unterſuchungen entwichelid; verſchi 
deſſelben Verf. „Exprsition da systeme du monde” (4. A., Ders 1613, 2 
Bie.), zu welcher Haſſenfratz's „Gonrs de physique'rdieste” (Paris 1608) einen 
Commentar geliefert hat. Als Einleitung in dieſe Himmelsmechanik kann Sram 
coeurs „Uraite elementnire de mecaniqune” (4. A., Paris 1807) betrochtet, 
und für Die tiefere Forſchung konnen Lagrange's „Mecanique analytique‘, Pro⸗ 
np’s „Mecanique phyinsophique” und Carnot’s „Principes de l’aquilihreset du 
mouvemont” damit verbimden werden. In der Aftronomie ſelbſt, als ter nur in 
erweiteender Beziehung ur Himmelsmechanik ſtehenden naͤchſten Dischplin, hatte 
Ralande 17192 die 3. Aufl, f. „Astronomie“, 3 Bde., 4., erfcheinen laffen, als Des 
lambre, nachdem jenes Werk vergriffen war, f. „Astronomie theorique et pra« 
tiqne” (Paris 1814, 3 Bir, 4.) gab,.und Biot durch f. „Traitt diämeniaird 
Wastronomie physique” (2. A, Paris 1814,3 Bde. Anfoderungen eines atlron. 
Publicums von weiterem mfg: erfüllte. Die mathematiſche Phyſik verdankt 
demſelben Verf. ihr Hauptwerk diefes Zeitraums: „Traite de physique experi- 
mentale et mathcmatique”. (Paris 1816, 4 Bde), aus weichem ein, auf den 
+sperimentalen Theil befchränfter „‚Precis El&mentnire” (8.%. 1824) vorhanden 
fl. Für Geodaͤſie und mathemat. Topographie find claffifch: Pruriffant's ,‚Traite 
de geodesie” (2. A., Paris 1819, 2 Bde., 4), und f. „Traite de topographie, 
d’arpentage et. de nivellement” (2. %., Paris 1830, 4.). In der Hydraulik 
bat Prany’s „Architecture hydraulique” ebenfallsden Charakter hoher Vollen⸗ 
mg; und von den neueſten Friegswiffenfchaftlichemarhematifchen Werken verdient 
de Bernon’s „Traite d’art militnire et de fortißcation” (Paris 1805, 2 
Bde. 4.) eine ausgezeichnete Erwahnung. — Im Fache der reinen Mathematik 
Werden Fagrange'e „Tueorie des fonctions analytigues” (2. A., Paris 1813, 
4.), und die Gommentar dazu gehörenden „Lecons du calcul des fonctions” 
deſſelben Verf. mit Recht als ein unentbehrtiches Werk zur Erdffnung des Weges 
in das innerſte Geheimniß der hoͤhern Analyfis bewachtet, welche hiernaͤchſt in ih⸗ 
tem weiteſten Umfange Lacroix in ſ. „Traité du: ealoal differentiel et du calcal 
integral” (Paris, 8 Bde., 4.) abbandelt, weiches vielleicht die umfaffendfie und 
gründlichfte Arbeit über dieſen Segenftand iſt. Unter den Elementarwerken iſt von 
jeher mit .verdienter Achtung Bezout’s oft aufgelegter „Cours de mathemati- 
ques”, 6 Bde., genannt worden; die analytifche Gesinetrie bat Biot in f. „Es 
sei de göomöhie analytique” (6. A., Paris 1828); die Trigonometrie Lacreig 
fs „Iraild de trigonomeitrie recliligne et spherique” (7. A., Paris 1822), 
> und die entwerfende Geometrie Derfelbe in f. llmene de geometrie descrip- 
tive” (4. A., Paris 1812) bereichert. Die Algebra Hat unzählige neue Bears 
beitungen erfahren; u. a. durch Lacrsir’s „Complement d’algebre” (8. A, Pa: 
ns 1804, und deſſen „Elemens d’aigebre”, 14. U. 1825). Laplace’s analys 
tiſche und philofophifche Behandlung der Wahrſcheinlichkeitsrechnung: „Essei 














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Sranzbppahe -Ütetanit:-Rombntitinie . BIT 


ment Nrgerniß nahm. Früher ſchon, unter Karl Vn. kamen die 108 Noevellen 
des burgundiſchen Hofes heraus, und die lieblich naiven roimantifchen Dichtungen: 
„Gerard de Nevers“ und „Le petit Jehsn de Saintre”, welche Treffan neuerlich 
wieder bearbeitete. "Bei den Kreuzzaͤgen lernten die frang. Ritter arabiſche Dich: 
tungen kennen; diefe veranlaßten die nachher behiebten Feenmaͤrchen. In fle und in 
die Nittergefehlchten sog ſich Alles zurück, was noch von romantifher Schwaͤrmerei 
in Frankreich übrig war. Die Maͤrchen des Blaͤubart, der ſchoͤnen Meluſine, des 
Kaifers Detavian, und überhaupt faft alle die alten Volksromane flammen aus 
ih. Man nannte diefe Pleinen romant. Erzählungen: Fabliaux. ©. 
Misn’s „Nouveau recaeil de fabliaux et contes in&dits des podtes francais” 
des 18. u. 14. Jahrh. Paris 1825, 2Bde.). Bas Prachtwerf : „Les Contes da ' 
gay scaveir, Ballader, Fablinux et traditions du mayen äge’(a: d. Mitte des 
14. Jahrh.) nach den Originalhandſchrift. herausgeg. von Kerd, Zangles (von Didof 
mit gothifehen Lettern 1828 gedrudt), enthält bisher noch nicht gefannte Erahlun⸗ 
gen. Die Ritterromane: „Huon von Borbeauz”, ‚„Doier der Düne“, und andre 
Sagen von Karls des Großen Pafadinen, wurden zu Anfange des 15. Jahrh. ges 
ſchrieben. Hierhin gehört ein moralifcher Frauenfpirgel, -von einem Ritter de la 
Tour gefehrieben, der bald ins Densfche uͤberſetzt wurde, Der Chronikenſtyl liegt 
der Sprache aller diefer Romane zum Grunde. Zu Anfang des 16. Jahrh. erwarhte 
noch einmal der Gefchmack an diefer Gattung in Frankreich, und es gab damals 
eine Menge. Novelliſten, von denen wir nur Noel du Fail, dela Mothe Roulland, 
Deſperiers, Belleforeſt. Chapuis und Tabourot nennen; der echte Ritterroman 
ging durch fie in den unechten oder hiftorifchen über, und aus dieſem entflanden end: 
lich die gafanten Sintriguengefehichten und Hofanekboten. Eineneue Gattung: der 
ſatyriſche „wurde. in der erſten Haͤlfte des 16. Jahrh. durch Rabelais einge: 
führe. Er ſchrieb ſ. „Sargantua und Pantagruel“, ein geniales, aber durchaus 
robes Zerrgemũulde. Seine burleske Originalität und Unerfepöpflichfeit im Unge⸗ 
heuern reißt zur Bewunderung bin, aber Bein Spiel des Witzes war ihm zu niedrig 
und poffenbaft. Ein Schwarm von Nachahmern folgte ihm. Später, ale Anna 
von: Hſtreich nach Frankreich Fam, wurden die Schaͤferromane beliebt, nach bem 
Vorbilde der fpanifchen. Nach franz. Art durften die koiniſchen dabei nicht fehlen: 
Nicolas de Montreug hatte in f „Bergeries' de Juliette” einen "Anfang dazu ges 
macht. Der erſte Franzoſe, dem es gelang, im Geiſt und Siyl einer folchen Dichs 
tung mirdeis Spaniern zu wetteifern, wear Honore WUrfe in f. „Aftrde'‘, die imni 
Enthufinsmus aufgenommen wurde. Ein überreſt ver provencalifch:romantifcher 
Sinnesart ſcheint aus diefem- Werke zu ſprechen, deſſen geiftreicher und fchwaͤrmeri⸗ 
ſcher Verfozn Marſeille geboren war; er webte feine -eighe Lebensgeſchichte hinein 
GBde. der 1. 1610). Hier iſt keine arkadiſche Hirtentvelt, ſondern eine galant 
ritterliche: Die romantiſche Sentimentalitaͤt dieſes Werks ging in den Ton der bis 
ſteriſchen· Romane über, die im Zeitalter Ludwigs XIV. beliebt waren. Calprenede 
erlaubte es ſich, Begebenheiten aus der Geſchichte der Griechen und Römer fo zu 
bearbeiten, daß aur bie Namen griechiſch und römifch blieben. Er hatte viel poetis 
ſche Phantafie, aber er gehörte zu der überfpannten Partel, Die das Genie auf Ros 
fien des Geſchmacks wollen triumphiren laffen, und eben dadurch der Gegenpartei, 
diein die bloße Beobachtung der Geſchmacsregeln ihr Verdienſt fest, den tranrigert 
Sieg in die Hände fpielte. Calprenede fand eine —— in dem Fraͤulein 
laine de ery. Sie ſchrieb ſieben weitſchweifige ane, von denen der 
erſter Clelia⸗, allein 10 Baͤnde einnimmt. Außerdem hat man noch 19 Bünde 
nConversätions et entretiens“ von Ihr. Die Zartheit dei Empfindungen verliert 
fich bei ihr ia pedantiſche keit und in einen ſeichten Wortſirotm. Sie ſtarb 
1108, über. 90 J. alt. Die Damen ſchienen von einem befondern $ er⸗ 
griffen, dies Geld zu bearbeiten, und fie gegen den Roman immer tiefer im die 


» 


na. Beombfiihe Shteratur : Nouunliteratur 


Sphärerber wirklichen Welt: herab. Die hiſtoriſchen Romane-des Fräuleins Noſe 
de Caumont de la Force wurden, befonders gut aufgenommen; fie wußte kunſtvoll 
ihnen das Colorit wahrer Gefchichte zu geben. Mad. de Villedieu beſchaͤfligte füch 
befonders damit, Anekdoten aus der alten Sefchichte zu galanten Noveller. ums 
zuformen, Ihre „Galanteries Greundines” waren in fpanifcher Manier: Das 
mals nurden die Feenmärchen beliebt. Die arabifchen: „Tauſend ımd eine Nacht”, 
von Antoine Salland ins Franzöfifche überfegt, fauden zahlloſe Nachahmungen. 
Früher ſchon waren die „Contes de ma mere 1’Oy«“, von Perrault, und bie 
Märchen der Sräfin d'Aunoy beliebt; die Graͤfin d’Auneuil, die Gräfin Murat 
und viele Andre eiferten ihnen nach, Graf Antoine D’ Hamilton übertraf fie an 
Scherz und fühner Phantaſie; ſelbſt F. nelon fehrieb Feenmärchen zur Erziehung 
des Herzogs von Bourgogne. Die Romane der Gräfin de la Fapette gefielen 
fehr, ihre „Prsiuceme de Gleves” iſt immer einer der beften biftorifchen Romane; 
ihre „Zaide“ ift trefflich an. Eleganz des Styls und. zartem Ausdruck der Gefühle. 
- Hiche fo groß war die Anzahl der Eomifchen Romane; Paul Scarron, befannt 
durch feinen Witz und feine Verheiratfung mit der Diarquife de Maintenon, ließ 
in feinem Werke: „Le roman comique”, alle Talente glänzen, durch die er feis 
nen Zeitgenoffen intereffant wurde. Epverſtand fich auf das Komiſche ter Situa: 
tionen; feine Einfälle find Fe, aber fein Muthwille ift oft platt, feine Tändelel 
geſchwaͤtzig. Die Eomifchen Romane des Le Sage entflanden durch Nachahmung 
* fpanifcher Werke: fein „Gil Blas” wurde durch ganz Europa gelefen, ſogie fein 
„Diabie boiteux”; er hinterließ außerdem noch fechs Eomifche Romane. Der 
fogenannte bürgerliche Roman von Antoine Furetisre wurde eine Zeit Iang gelefen 
und dann vergeffen. Die Erfindung des Samilienromans gehört den Engländern; 
der Adbe Prevot überfeßte Kichardfon’s Werke; feine signen Romane: „Liebes 
land“, „Le doyen de Killerine“ und befonders „Manon Lescaut”, rührten und 
gefie len. Ebenſo Segrais's Novellen. In Montesquieu's „„Lettres persannes”“ 
dient die Romanform der philoſophiſchen Satyre nur zum Rahmen. Jr kome 
ſchen Romanen, dem. nSandide‘, dem „Zadig”, dem „Mikromegas”, der 
Prinzeſſin von Babylon“, glänzt Voltaire's Genie vorzüglich; Bier ift Origina⸗ 
lität, pitante Natürlichkeit, funfelnder ng intereffanter Styl. Die „Neue Des 
loife“, von 3. J. Rouffeau erregte durch hinreißende Beredtfamkeit und gluͤhende 
Gemalde der Leidenfchaften allgemeines Auffehen, obfchon die langen Abbandiuns 
gen darin oft flören. In zweiter Reihe finden wir hier Marivaux, Diderot (deffen 
„Jakob der ıtalift” und „Die Nonne” zu den frühefien moralifcyen Romanen 
gebören, fo unmoralifch auch das dritte Werk: „Les bijoux indiscrets” iſt, we 
mit er feinen Namen befledte), und die Damen de Tencin, de Graffigny, Ricco⸗ 
boni. Marmontel's „Belifar” und fein „ncae”, ſowie feine „„Lonles moraux” 
gefielen fehr. Florian zeigte mit feltener Zartheit des Gefühls in ſeinem „Sons 
falvo de Cordova“, wie der hiſtoriſche Roman in den ritterlichen übergeßen kann; 
die Erneuerung des Schäferromans, gelang ihm durch Die freie Bearbeitung. der 
„Galathee“ des Cervantes, und durch feine Liebliche „Eftelle”; fein „Numa Pom⸗ 
pilius“ würde ohne die mufterbafte Eleganz der Sprache unbebeutend fein. Aber 
bie beliebteften Romane blieben die frivolen, deren lange Reihe ınit den Werken 
des jüngern Crebillon beginnt;, kein Andrer hat die ausſchweifendſte Luͤſternheit 
der Situationen mit fo feiner Chorafterzeichnung zu verbinden geivußt. Romane, 
in denen. mit der Moralität ſelbſt ein fo frecher, abfcheulicher Spott getrieben waͤre, 
wie die f. Machahmer, die vlänisuns dengerenses“ von Ladda.und. die verwor⸗ 
fene: „Juſtine“, finden fi; in keiner andern Literatur. Meben diefen iſt der jovia⸗ 
liſche Faublas“, von Louvet de Enudrag,: noch unfchuldig. Einer der fleißigſten und’ 
beſſern Romanfchreiber war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhund. Rerif de la Bre⸗ 
tynne. Zwei neuere Schriftfleller diefes Fachs verdunkein alle Vorigen? Bernar: 


Stanjbfifche Lit.: WBeseffipt, DReptufgteibungen 819 


din de Gaint: Pierre und Ehateanbriand: (f. d). Mer Erſtere hatte: fi 
durch feine „Etudes de la nature” den Ruf eines tieffühlenden und fchasffinnigen 
Schriftſtellers erworben, alser durch: „Paulund Virginie und „La cbaumicre 
indienne‘ ſich alle Herzen gewann; reigende Naturgemälde, ein ebenfo einfacher 
als unverfünftelter Spa und feltene Innigkeit geichnen feine Schriften aus. „Cha; 
teaubriand’s religiöfe Richtung und feine glühende ſchwaͤrmeriſche Phastafie prägs 
ee in ſ. „Atala”, f. „Rene“, f „Martyra” jenen Styl aus, deffen rührende,:cber 
oft düflere Romantik und Myßik vorher ganz unbekannt in Frantreich waren... Er 
fon ebenfo eifrige Berehrer als bittere Tadler, da. er das Unerhoͤrte wagte, bier 
neue Bahn zu betreten. Linter deu neuern Schröftfiellerinnen glänzt Grau x 
Ä — ale Stern erfier Größe; auch fie wagte neue Ideen, neue Wendungen un 
einen kuͤhnen energifchen Styl. Oie iſt mehr großberzige —— aß Sram 
Hin. Ihre „Corinne, ou ’ktalie” ift ein Meiſterwerk und de allein: fie 
unflerblich machen; ihre „Delphine hat feltene. Schönheiten chen machen 
Mängeln, deren größter wol die Unrichtigkeit des Hauptgebankens iſt. Mad. de 
Genlis (£.d.) Hat Leichtigkeit und Talent, aber weder Genie noch Tiefe; ihre: 
frübern Schriften fanden großen Beifall, aber.fie ſchreibt zu viel und hat zu flache 
Anfi chten, um fi) den ber Kenner erhalten zu konnen, dies ſieht man noch ‚Deuts 
liher in: „Palmyre ou le secret“ und in den „Diners du baron de Holbach“, 
Sehr bl, zum Herzen fprechend, voll zarter Innigkeit find die Romane. ber 
Ihre „DRalvina”, „Amelie Mansfield“, „Elifaberh” und „Das - 
—* machen tiefen Eindrudl, und man bedauert den frühen Tod der edeln Der 
fafferin. Geſchmack, ein gebildeten. Gefühl, feiner Beobachtungsgeiftumd Kennt: 
af. der höheren Lebensverpältniffe jeichnen die Romane der Mad. de Flahaut (jet 
Mad. de Souza) aus, beſonders ihre „Adele de Senanges“, ———— de 
Tournon” und „Eugene,de Rothelin“, —,Primeroſe“ von Morel de. Binde, „La 
negre comme il y a peu de blancs“, von Lavallee, „Les quatre Espaniols* und 
„Le mahuserit trouvé au mont Pausilippe”, von Montjoye, forte „,Valtrio* 
ter Frau von Kruͤdener, gehören ” den vorzüglichften neuern Romanen.: Der viel⸗ 
fhreibende Pigault le Brun erlau in oft in jedem Sinne zu viel;. Fievees „Dot 
de Suzetie” gefällt. Salvandy Bat fich durch f. „Alonso“ berühent- gemacht, 
Mad. de Montolieu ift beliebt ſowol durch ihre „Caroline de Lirhtfield” als durch 
ihre Überfegtingen Lafontaine ſcher, Pichler ſcher u. A. Romane, Bekannt. fi | 
Ve Romane von Eh. Nodier, und Mad. Hader. ; 

9) DBrieffiyt, Neifebefgreibungen De fram Brick 
ſtyl, der in der Folge mit Recht von. ganz Europa als mufterhaft nachgeahmt wurde, 
war bis auf das Zeitalter Richelieu'e noch ziemlich roh. Die alte Naivetät hätte in 
demſelben etwas Steifes; Heinrich IV. ſelbſt fehrieb an die. ſhoͤnen Damen / denen 
er mit altritterlicher rtlichkeit huldigte, ohne ——— it, aber in ſeht 
Salanten und füpen Phrafen. Anziedend und Iefenswerth find die Ieitree de 
Henri IV. à Coriandre d’Andoise, Comtesse de Guiche, sa maitsesse” (An 
flerdam und Paris 1788). Die Sefchäftsbriefe aus jener Zeit find ganz im ges 
wohnlichen Curialſthi geſchrieben. Selbſt den Briefen des ——ù —* Malherbie 
fehle es an Leichtigkeit. Aber Richelieu ſchrieb auch feine Geſchaͤftsbriefe mitmänns 
licher theit und Leichtigkeit, nicht ohne Eleganz. Gedrungene Beredtſamteit, 
en belier, fefter Geiſtesblick zeichnen feine Briefe aus. Bald ſtrebte jrder griſtreiche 

Kopf danach, ein eleganter Briefſteller zu fein. Die Mationairichtung, ——— — 
aus zgeichnen, was ſich ohne ſeelenvolle Tiefe dur. — Witz umd-Leichtigkeit 
ht —— forgfältigften Ausbildung des Briefftyls führen. —F 

icum zu ſchreiben, wurde obich literariſche Mode in 
und fen darin als —5*— Weltmann zu zeigen, ſchmeichelte mehr als Dichterruhm 
Dos Wort Bei aspzit wurde ” erfi gewöhnlich, und zwei dieſer ſchanen Geiſter, 


392: Srampfifibe-3b.:. Zranz. Neeſte, Byrifihe Des 


son teren neuerlich. betanni gewordenen Werken einige gewiß echt find, Main Ehays 
tier wird gepriefen, doch f. Zebensanfuhten find ebenfo unpartifch als Tugendleh⸗ 
ren trivul. Bilen befang mis tecem With (eignen Gaunerſtreiche. Coquilart hat. 
an burlesfer Wortfülle und -unlauters Einfillen wenig f. Gleichen. Cretin oder 
Du Bois und Bordign⸗ mülfen als komiſche Dichter ber erwähnt werden; des 
Legtern Geſchichtchen vom Prerre Zaifen pflegt man dem deutſchen Exkufpirgel an 
die Seite zu jiellen. Michqult, -der ‚La danse aus nveugies‘ dichtete, und Wars 
nal dAuvergne, Olwier dela Marche, Chaſtellain, Michel d'Amboiſe md Mehre 
gehören zu den lyriſchen Dichtern im Anfange des 16. Jahrh. Mit ihren Liebes⸗ 
Flagrn war «s Allen niemals Ernſt, und nur ihre komiſchen Tinfizlle Haben einige 
ppetüiche Kraft. Mit dem muthigen, oft unbefpmuenen, aber immer-iebensreitdigen 
Franz 1. glanzte die ritterliche lichkeit zum lesen Male heil ins Leben; er war. 
felbit Dichter, mehr noch müßte aber fein glühender Eifer für Alles, was trefflich 
war. Er fuhrte das Studum der graecdh. und comiſchen Claſſiker ein, und wurde 
le pere des leltres genannt. Durch Katharina yon Metici verbreitete ſich eine 
Vorliebe für die Sonette. jean Marot und befenttersfein Sohn, Clement Warot, 
machen ls Dichter in dieſem Zeitolter ſolche Epoche, dab man alle ihre Rachahmer 
Marstijien zu nennen pflegt, Beide am Hofe lebend, waren wißzige Wuſtlinge, die 
um ihrec Talente willen von Vielen geliebt, aber gewiß von Miemend geachtet wur⸗ 
den. Dur finnische Annuuth beiebt Marot's Gedichte; er hatte kein Gefhl für 
Würde und Heiligkeit der Kunft. Dan has von ihm Allegerien, Eklogen. komiſche 
Gerichte, Elegien, Cpjſtein, Hereiden, Epigramme und Chaufons ingroper Menge; 
er yichnete.fich auch daich ſ. metrifchen läberfep, aus dem Lat. und Sin). aps. Er 
batte ebenfo warme Freunde als rüftige Gegners zu Jen erſten gebart Mellin-de: 
©t1.-Selais, der mit ihm nach claffifcher Correctheit · in ber eleganten Taͤudelei ſtrebte 
und Dolet, der als Ketzer 1546 verbrannt wurde, Margaretha v. Ravatro, ſowie 
Maria Htuart, dichteten franz. Lieder. Mit dena Dichter Jodelle fang die Schule 
der franz. Sonettiſten an; er und feine Freunde bildeten das ſogen. Ciebengeflirn 
(£ Ar. 13); fie legkten zuorſt die Richtung der Poeſie auf eiwas Trnileres und. 
Größeres. . Ronſard war. Derfieher diefer Verbrutenmg und mir de noch im fol 
genden Jahrh. der Fürft-der Franz. Dichter genannt, Er. rip fich les von. dem abges 
nußten Allegorienwefen und der waͤſſerigen Witzelei ſ. Vorgaͤnger, aber es fehlee ihm 
die Innigkeit des Gefühls, und.er verſank in endjafe Kuͤnſtelei unk:;leeren Phraſen⸗ 
prunf. Unter den.ührigm Bundesgliedern galten porzuglich Bellen und Ba. f. Doch 
es wurde bald mieder ein Reformater nathig, .uıt die latinifiresie: Poeſie aus der 
Mode zu bringen, Berchand un) Despertes. maren ſoiche Berbefferer des Ge⸗ 
ſchmacks, und Vorgänger des berühmten Mal har be. Dieſer Menn, ten. die 
Franzoſen als den erſten ihrep claſſ. Lyeiker werebren, entdecke zaerſt das Eigene 
thümliche der franz, Verſificatjon. - Er hatte gar keine dichteriſche Phomaſie und 
Eeine fühne Begeifterung, aber defto firenget war er als Kritäiet, als Wort und 
Sylbentyrann. In ſ. Hom und Stangen zeigt ſich am meifien die claſſ. Warde der 
Sprache, die man ihm zu erdanken hat: Er farb 406271. Regbier: war cieflifch als 
Satyrendichter und Sittenmaler. Theophile Vidud wetteiſerte mit Malherbe, und 
beſaß das ſeltene Talent des Improviſirens. Die Schafergedichte oder Bergerin 
wurden beliebt; Racan und Mairet zeichneten ſich darin aus. Als Erugrammati⸗ 
ſten waren Gombaud und Brebeuf beruhmt. Der Einfluß der Poetik Des Ariſtoteles 
auf die franz. Poeſie mar im 16. Jahrh. ſchon entſchieden. Die-Inrifchen Gedichte 
Kacine’s- haben. mehr Sprachelegamg als poetiſchen Werth, Allgemein beliebt war 
Sjean Lafontaine, geb. 1624, gefl; 1694. Unnachahmlich iftin f- Fabeln und in feis 
nen, großentheils dem Boccaccio nachgebildeten, mitanter etwas obſebnen Gontes 
die Naiveiat der ſcherzenden Darſtellung, die aus einem reinkindlicher Kerzen ent⸗ 


——— 
⸗1411144 a 


WZrangofiſche Literatur: Epifche' Pole 328 


ſprang. -Voilrau:Defpreaur hate mit redlichem Ernſt alle Ziereret und Schwaͤr⸗ 
merei, er hatte wenig Phantaſie, aber um fo Helfern Beobachtungsgeiſt. Seine 
fritifchen Regeln wirkten um fo mächtiger, da er fie. felbft pünktlich befolgte.. Seine 
Satyren, ſowie feine verfificırte Ppetik find berühmn Die Männer ats ſei⸗ 
ner Schule wurden ſtolz auf ihre feine Nuͤchternheit und Einfeitigteit. Ben: 
ferade gefiel durch ſ. galanten Lieder. Anter Spiße der jonialen Dichter ftanden 
Lullier, genannt Chapelle, Bachaument, Thaulieu und La Fare. J. B. Rouffeau, 
geb. 1669, wurde berühmt als Dendichter, der jeden Stoff mit Leichtigkeit behan⸗ 
deite. Durch bie beliebten poesies lupitives— elegante Kleinigf: iten — empfah⸗ 
len fich Pavillon, Des Joetaux, Sh⸗Pavin ıc. Gegraie’s Eklogen gefielen; noch 
anmuthiger find die der Dad. Deshoulieres, die von 1684 — 94 lebte und mit 
fanfter Weiblichkeit Hirtenfcenen dichtete: Die gierlichen Idyllen Fontenelle's find 
im falten Hoftone gefchrieben. Daß Voltnire auch ih diefem Sache glängte, ift be: 
fannt; ter Ausfpruch dieſes Mannes felbftt „daß umer allen cultivirten Natio⸗ 
nen bie franzöfifche am ivenigften poetifch fet“ , iſt mekkwürdig. Louis Racine, 
Sohn des Trauerfpieldichters, zeichnete fich durch den frommen Ernſt f. Gedichte 
aus. Die religiofen Oden des Marquis Le Franc de Pompignan, der von 1709 — 
84 lebte, find: edel und gefühlvoll. Berquin, Lednard alis Guadeloupe und MIle, 
Roſe Levesque zeichneten fich In lieblichen Idyllen aus und wurden Geßner's Mach: 
ahmer. Unter den nettern Dichtern bemerken wir hir: zuerfi Lebrun, deſſen Oden ei: 
nen höhern und poetifchern Flug haben als die meiften franz Gedichte. Die Epitrrs 
von Ducis und de Fontane find ausgezeichnet: Legouvé hat die Eleganj tes Styls 
und Melodie bes Versbaues meifterlich in f: Gewalt, Drei f. Dichtungen: „Les 
souvenits“, „La melancolie” Und „Le merite des femmes”, erhielten entfchie: 
denen Beifall. Florian’s, Arnault’s und Ginguene!s Fabeln ftreBen Kafontaine 
noch, ſowie Andrieux deffen reizende Erzihlungetveife in f. „Meunier Sans-Souci“ 
fehr gut zu treffen verſtand. Unter den zahlreichen franz. Dichtern, Welche mit be: 
fonderer Leichtigkeit Kleine komiſche oder ernfihafte Begebenheiten tn kin gefülliges 
Gewand zu Fleiden wiſſen, glänzen, außer dein bereits genannten Lafontaine, noch. 
f. nüchftee Nachfolger, Bergier, und fpäterhin beſonders Volinire und Florian. 
Raynouard's Gedicht; „Svorate an temple d’Aglaure”, erhielt und verdiente den 
erften Preis der Akademie. Mehre Male wurde biefer auch einem hoffnungsvollen 
jungen Dichter zu Theil, der leider fruh ſtarb: Millevoye, deffen „Amonr mater- 
nel” und „Belzunce” viel reines und zartes Gefühl betoeifen, Victdrin Sabre und 
Luce de. Bantipal wetteiferten mit ihm. De Bouffiers und de Parny beiveifen, daß 
keine ernfien Schickſale die Vorliede der Natisn für die leichtfertiae Satturig zu än- 
dern vermögen. Boisjelin, Ziffer und Mollevaut zeichrien fich Als Uberſetzer Pope's, 
Birgi’s und Tibulds aus; als liberf. einiger Drameh iind Bedichte von Killer, .: 
ſowie dusch Figne Gedichte, Emilie Dedchalips („Etudes franc, et_Etrangeres”, 
Bars 18291, Inter den Dichterihnen bemerken wir Mad: de Beauharnais, 
Belirdic, de Beaufert, Dufresnay; de Salm, Verdier und Babois; letztere 
ide haben vorzüglich iiefemofundene Flegien gerinten är den borzüglichftent 
Eleglendichter Bird Sertin (fh 179%) gehalten. Eins der beſten Tatente war Che: 
nier, beſonders für Idylie unter dei neueiten ihriſchen Vichtern ſteht Laͤmartine 
eimzig das Viennet („Kxilẽs de Parga”), Faurtel, Danger (f. d.), Bar: 
lem ur f. „Fils de !’honmme”, 1829) u. A, verbanken den Anfichten des 
lics viel a 
„ 44) Epiſche Pdefte. Dies Enpitel iſt in der franz, Literatur ſehr arm. 
Den erſten merftoßrdigeh Verſuch, durch ein romantiſches Nationalheldengebdicht 
das Gebiet franz: Pefie zu erweitern; wagte Jean Desmarets:-de⸗Ste⸗Sorlin, ein 
Riebting Mitheliew’s; er ftarb 4676: Boileau verfolgte ihn ſtreng, tınd Doch regte | 
dem verſporteien Desinafrts nur Das, was bie Andern zu viel 5 kritiſcht Be⸗ 


324 Sranzöfgehe Literatur: Didaktiſche Poeſie 


fonnenheit und nũchterner Berfiand! Beine ſchöpferiſche Phantafte verbunkelte alle 
übrige franz. Dichter. . Sein Heldengebicht „":Icvis“ hatte zwar Eeinen verſtaͤndi⸗ 
gen Man, aber es iſt reich an poetifcher Erfindung, und durchglüht von dem Reiz 


des Wunderbaren. Desmarets entlehnte die Mafchinerie f. Dichtung yım Theil 
Zauberwelt. Tief 


aus den chriſil. Himmel, und zum Theil aus der romantifchen 


unter ihm blieb jean Thapelain, der eine Epopsie über die Johanne von Arc m 


reimen unternahm, der an Länge und Langweiligkeit nur Zcudery’s Heldengedicht: 
„Alarich, oterdas befreit Rom“, gleichfam. Ein viertes franz. Heldengedicht aus 
derfelben Zeit iff „St.-Lowis, oa la sainte couronne reconquise‘, von em 
fiiten Pierre Le Moine, der von 1601 — 72 lebte. Seine Phantaſie war nicht fo 
reich und kühn wie die von Desmarets, aber auch nicht fo verwiltert, und Le Meine 
wäre gewiß einer der größten Dichter f. Nation geworden, wenn er ehenfo viel Se: 
ſchmack als Enthufiasmus gehabt. hätte. Der wefentliche Fehler ſ. Gedichts ifl eine 
tönige Seierlichkeit, LimgjonterSt.-Didier wagte einen fünften Verſuch in der epi⸗ 
ſchen Poeſie durch eine neue Bearbeitung der Geſchichte des Chlodwig; nur die 8 
erſten Sef. find gedrudt und zeichnen fih durch Feinheit und Eleganz aus, aber fie 
find unpoetifih. Ronſardis, Franciade“ darf bei diefen mißlungenen epifchen Ders 
fiichen nicht vergefien werden, In Frankreich nennt man den „Telemady“ von Fe: 
nelon als ein epifches Meiftermerf; aber fo febı in diefem Werke auch die edelſte 
und gefälligfte Sprache der Birnunft und.des moralifhen Gefühls Herrfiht, fo iſt 
e8 doch weit entfernt, eine wahre Epopöie zu fein. Boltaire’s „SHenriade” it uns 
fireitig das vorzüglichfte franz. Gedicht diefer Art; fie bat einen gut durchdachten 
an, anziehende Charaktere und gelungene Befchreibungen, die Sprache if rein 
und edel, aber die poetifche Magie vermißt man ganz. Beſonders flören die allego⸗ 
rifchen ’Derfonen. Als komiſche Epopöie dichtete Voltaire ſ. „Pucelle” und bes 
fle@te durch dies verrufene Werk, dem man fonft den ang des vorzüglichfien franz 
Heldengedichts fomifcher Gattung nicht abfprechen kann, ſ. Ruhm. Thomas harte 
eine Epopöie über ‘Peter den Großen angefangen, aber er flarb, ebe diefe Prtreide 
fertig war. Mad. Du Boccage wagte es, eine „Colombiade. ou.in loi portes au 
nouveau monde“ zu ſchreiben, in der wenigfiens einige hübfche "Befchreibungen 
vorfommen. Maſſon's Sedicht, „Les Helveliens“, ift mehr hifterifch als epifch. 
Ehateaubriand’s „Martyrs” werden von einigen Kritikern, und’ vielleicht mit grös 
berm Recht als der „ZIelemach”, ebenfalls den epifchen Gedichten beigezaͤhlt. u 
dem beroifch-fomifchen Fache glänzt, außer Voltaire, Boileau durch f. „Lutrin“, 
der ein claffifches Anfehen erhielt, das fich auf den vorzüglichen Werth der Erfin: 
dung, Ausführung und Einkleidung diefes Sedichtsgründet; und unter den Neuern 
Parny. Seine Werke: „La guerre des Dieux”, „Les Rosecrois” und „le 
puradis perdu“ zeugen von großem Talente, fo fehr fie auch das reine Gefühl bes 
leidigen. „Les amours epiques” find.nur Epifoden, welche Parceval de Grand⸗ 
maifon aus andern Dichtern nahm. „Achilie a Scytos“, von Luce de Lancival, 
bat fchöne Stellen, wenn auch der lan fehr mangelhaft if. Baour⸗Lormian 
ahmt in f. „Poëẽmes Galliques” den Offian’fchen Styl nach. Creuze de Leffer’s 
„Cheraliers de la Table Ronde“ fanden 4814 wohlverdienten Beifall. Minder 
glücklich, aber auch in der That minder anziehend, waren der „Amadis de Gaule“ 
und die „„Pairs de Charlemagne” deffelben Vfs., welche fpäter erſchienen, und, 
nach dem urfprünglichen Plane, mit Einſchluß der „Table Ronde“, gewiſſerma⸗ 
fen ein die Geſammtheit des romantifchen Ritterweſens umfeffentes G 
bilden, das in jeder Hinficht zu den vorgiglichen Erzeugniffen der franz. fchonen Li⸗ 
teratur gebört. FE 

12) Didaktiſche und befchreibende Poefie. Brebeuf, der von 
1618 - 61 tebte, zeichnete fich in dieſem Fache zuerſt Durch ſ. „Entielicns so- 
litanes” aus, Boileau's „Art poetique” it fihon erwähnt. In der didak⸗ 


⸗ 
! 


Franzoͤſiſche Lit. : Dram. Poefeänd.EXhenfpielfunt 328 


tiſchen Satyre wurde Gilbert bekannt, der 1780. Frtiher Jugend flarb. Zivet 
Lehrgedichte des jüngern Racine: „la'religion‘: md. „La 'gräce”, ſowie Vol⸗ 
taire’s „Discours sur I’homme”, „La religion naturelle und „Le desastre 
de Lisbonne“ und Dulard’s „La grandeur de Dieu dus des merveilies de la 
nature”, verdienen Erwähnung. Watelet fchrieb .ein Lehrgedicht über die Ma: 
kerei, ſowie Dorat verfuchte, eine Theorie der Schauſpielkunſt in Form eines Lehr⸗ 
gedichts.zu ſchreiben. Man ahmte die befcyreibenden Gedichte der Engkinder, bes 
fonders Thomſon's Jahreszeiten ,- viel na Dahin geböten? „Les snisous”, 
son St.-Lanidert, und „Les moin“, von. Raucher: Bernard’s: und Lemierre's 
Lehrgedichte: „L’art d’aimer” und :„Les Fasies“, .firid dem Ovid nachgebildet. 
Durch den trefflichen Delitfe wurde fie eine der, beliebteflen; ia ſ. Gedichten über 
die Sartenfunft:. „Les jardins” end „L’bomme des chanmps”,: wurde er Nach: 
folger BirgiPs; feine Gedichte: „Le !malhenr.et:Ia:pitie” und „La conve:sa- 
tion’, erbielten getheilten Beifall; allgemein bewundert wurde aber fein großes 
Gedicht „L’imagination“, welches: &xfonders reich art. fehhnen Einzelnheiten und 
Epifoden if. Ein treffliches großes, Gedicht von debrim iſt nur theilmeife be⸗ 
bannt geworden, es heißt „La nuture“ und ift im’4 Geſange abgetbeilt: „La 
vie champetre”, „La libert&”, „Le genie” und „L’amour”. Die Gedichte: 
„La navigation”, von Esmenard, „L’astrononie“, von Guidin, „Le.merite 
des fenımes”, von Legouve, „Le genie de l'homme“, von Thenedolle, „Les 
tzois ages”, von Nous, find ausgezeichnet: Das letzte große Werk Delille's: 
„Les trois regnes de la nature”, {ft reich an.mälerifchen Schönheiten, : finnigen 
Derbindungen und Übergängen und reisenden Schilderungen. Auch hier glänjt 
Lamartine. . gam,.. . o 
43) und 14) Dramatifche Poefie und Schauſpielkunſt. Frank⸗ 
reichs Schriftfteller über die — des frarigpfifchen Theaters nennt Sr. v. 
Blanfenburg in feinen literarifchen Zufügen zu &ulger’s. „Theorie der ſchoͤnen 
Kuͤnſte“. as Hauptwerk iſt noeh immer die „Histoire du theätre francais 
depuis sun origine jusqu’a present“ (Paris 1734 und 4756, in 15 DBtn.), 
von den Sebrüdern Fr. und SL. Parfait, welche auch ein „Dictionmaire des 
theätres de Paris, contenant toutes les pieces qui ont Eid representees 
jusqu’a present, des fails auecd. sur les auteurs, acteuss, actrices, danseurs, 
danseuses, compositeurs de hallets etc.’ (Paris: 1756 u. 1758, in "7 
Bdn.) herausgegeben haben. Inſofern der Gang der , Schaufpielfunft von 
dem der Schaufpieldichtung abhängig iſt, gehoͤren hierher auch die zahlreichen, 
auf die Sefchichte der franz. Dramatifchen Poefie bezüglichen Werke, vorzüglich die 
von Sontenelle, Suard (in ſ. „\Meliuges de litteratare‘), Laharpe, Lemercier, 
und A. W. Schlegel’s „Borlefungen über die dramatifche Literatur und Kunſt“. 
Die Franzofen felbft geſtehen indeß ein, Daß eine fortlaufende, vollftindige und 
zuſammenhoͤngende Geſchichte des ‚franz. Theatermefens fehr ſchwierig fei. Der 
ältefte Zeitpunft, mit dem mar den Urfprung des franz. Schaufpielwefens be: 
Kichnen Eann, iſt die Regierung Karls des Großen. Denn unter ihr werden zum 
erſten Male in Frankreich die ſogen. Hiftrionen erwähnt, unter welchen Namen 
man die Poffenreißer, Gaukler, Tänzer und Springer der Damaligen Zeit begreift. 
Karl d. Sr. verbannte fie wegen ihrer Zügellofigkeit, undı Diefe Verbannung war fo 
wirkſam, daß man felbit unter f. Machfolgern eine geraume Zeit Feine Spur von 
ihnen mehr antrifft. Das Volk gab aber deghalb f. damals ſchon begründeten Hang : 
zu öffentlichen Spielen nicht auf, und fo entftand z. B. das Narrenfeit, eine Art 
Carneval oder öffentliche Maskerade, bei welcher felbft die Kirchen von vermumm: 
fen Leuten angefüllt wurden, welche fich bald die frechiten und unzüchtigilen Sec 
änge und Gebärden erlaubten. Der Bifchof von Paris, Eudes de Bully, eiferte 
um 1197 auf das nachdrüdlichfte gegen diefen Unfug, allein ohne dauernden Er: 


326 Zrampfide Tit.: Dram. Por und Schuufpielfuußt 


felg; denn man findet däeſes Fef nach 2 oe. nad dar Fraufreich. Acch Die 
ehe, Die br ung Ted führen fit ıhre cigurn Tialsgie 
fiben Geſnge auf cut erbadsen desxbeſt Fert ten Fismen les (.oauıgurı aber 
Kemitianten. Unter den Zramatılumten Zrechabeuren wur Kontt gemonet. 


ganz fermiekr Art, Taf man Nr rigentine Frtung emer Tichee ın Frankreich, 
wir im übrigen Erropa. zuerfi mit dem zu Ende des 14. Ariaas es 15. Jahrh. 
erfelzten Unrfprunge ter ſegen. Mirtteren aracheeen fen. Wie im Alteribeme 


nimlich, fo emtwedche fich arıh umter den dhretlicheen Bollern tag E:’haufoiri aus 
der Aeugien. Gears te: Ente der Krasrung Karis V. gaben ter Ciefinge, weiche 
die von ıbren Walliahreen beumfchernten Tiger vfiegten, die 
erfie “tee gr einem teulsarfırsem geiilschen Giebichte, Das man Wniterie manmte, 
Die Darin fpielenben Perfouen erhielten durch öffentliche Brieſe ven Karl V. wegen 
eines folchen “Dramas, tas ven ber Tafksa uufers Serra “Yen Ebert handeite, 
— rn hun (onfrir« de iz rasimn), ud 
unter ben Regierungen ver Karl VI. (bei deifen Emapng in Paris 1838 fie ſich um 


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nen Diefe Ko hausfpuche Gaufpuke, urgradbıer ber büromkaten Kriege, dir Tranfreih yrrütte: 
einen glimnden Fertzung, Anfinzich werten dieſe Zrüde, term Stoff 
aewöhnkich aus ber Dibel und ten Beil. Legenden geaemmen mur, mehr als eine 
Handlung der Andacht dens ale eine Eracsiuhken betrachtet, und man beſchlen⸗ 
wigte foger Die Stunten des affentfichen ertestienitze, um tem Relte Zeıt für 
dieſe theatraliſchen Trbeuungen zı laffen. Sah aber arieten fie zu mabren MiE- 
geburten von Treveiiinmaen des He:liaſten aus, und in aufzeflirtern Zeiten ward 
es ein Rathfel, waæ mar. früher ſoiche Sraken (von denen gleschwel ich ned) bis zu 
unferer Zeit, in den fragen. Zrebelrichnamsfeften karbol. Kinter, Spuren erhalten 
haben) als Schaufpule der Fremmigkeit zu reliaufer Erhebung batte betrachten 
fonnen. Anfınglıch führse die Paſſionsbruͤderſchaft ihre Stũcke auf freier Straße 
auf, dann erhicht fe im Dreieinigkeitshefritale ihr erſies Theater, mo fie an Feſt 
sagen fpielte, und früserbin wurt ihr ein Theil des Hoetel de Donrgeane emzeriumt. 
In dein bier errichteten Theater befanden ſich Die Zuſchauer, wie jetzt, auf Reihen 
hinter einander erbößter Sitze (Eiabliev), deren hochſter fibon damals das Tares 
dies, die andern der Palaſt des Herodes ıc. aenannt wurden. Gott ter Vater 
ward in einem langen Talar, von Engeln umgeben, auf einem Okrüfte fitend, ' 
dargeficht. In der Mitte der Taßne befand fich Die Holle in Geſtalt eines Dra 
hen, deſſen Rachen fich aufıhat, um die Teufri, die im Stüde fpiehten, ein: und 
aus zulaſſen; der übrige Raum bedeutete die Melt. Auch war eine Ittkche mit Der: 
hängen angebracht, wo, wie man annahm, Alles das vorging, was nicht vor die 
um der Zufchauer gebracht werden tonne, als. D. die Niederkunft der beit, 
Auhgfrau, Defchneitungen u, dgl. m. Zu beiten Seiten der Bühne aber flanden 
Binte, auf die fih allemal diejenigen Schaufpieler niederfeßten, die ihre Scenen 
geentigs hatten, denn ein eigentlicher Abgang von der Bühne fand nur nach Enti: 
gung der ganyen Rolle flatt, und Die Zufchauer ſahen daher gleich im Anfang alle 
welche in dem Stücke zu thun hatten, auf eimmal. Übrigens waren diefe 
Myſterien nicht in Acte, fondern in Tage abgetheilt. Eine Barftellıng bauerze fa 
viele Tage, als fie dergleichen Abtheilungen hatte, umd eine ſolche Tagabtheilung 
(Journer) fpielte meiſtens fo lange, daß man das ufpiel auf einige Stunden 
unterbrecgen mußte, damit die Schaufpieler nur Zeit zum Eſſen erhielten. Es wa. 
ven im eigentlichfien Zınne des Wortes hiſtoriſche Schaufpiele, lange und 
dialogifirte Sefchichten, in Denen man ganze Lebenslaͤufe dargeſtellt ſah. Auf gründ 
liche biftorifche Kenntniffe 1 kam es hierbei keineswegs an; Herodes ward z. D. zum 
Heiden, und der romifche Statthalter in Judsa gu cine Dohamamcdanr gemacht: 


| 


—XR Drent. Doc u: Eihakfiatumf 827 


Auch ardus Teagiſcho hoͤchſt abentenentih neit Dei: Mömifihen. gemiſchtyr inderd 
ammittel K 


bar auf eine Kreujigung Chriſti, quf die Geißelung eines Maͤrtyrers, eine 
Enthauptung uf. re., die phumpen Spaßikiahsmriet des Narven ‚oder: Luſtigt⸗ 
machers der Truppe folgten.‘ Mehre Scenen warden geſungen, einige ſelbſt in 


Choren. ‚Die Verſe beſtanden meiſt in iambiſchen Zeiten, von verſchiedenet Laͤnge. 


So war die fruͤheſte Kindheit, der Kunſt. — Neben dieſen Schaufpielen.ter Paſ⸗ 
fionsbrũderfchaft emflanden:fpätzugin die der Bazoche, einer alten privilegirten Ven 
bindung ven Advrcaten und andetn Juſtizbea: uten, die ſchon lange im Beſtitz des 
Vorrechts geweſen war, alle dffentlichs Feſte md Feierlichkeiten zu ordnen. Untet 
Philipp dem Schonen hatten fie dir Erlaubniß erhakten, weil fie mit-Jroceffen über: 


hauft waren,‘ Zöglinge angmehunkn,. die‘ ihnen hr Ame erleichtern halfen, indem 


fie zugleich darin von then unterrichtes wurden, Die Advocaten ſchreiber oder 
Gieros "bildeten nachher eine Gilde, die auch iht eigneg Oberhaupt unter’ dem Titel 
eines Rönigs de la Bazoche hatte, : und veranlapt Durch das Gluͤck, welches die, Myr 
flerien der. Parfioriebrüber. geinncht hatten, erfanden- fie eine’ neue Sarrung von 
Schaufielen: Die Möralttärkn und Farcen, melde fie unter dem Namen 
der Gleros.de la ‚Bazoclıe,: Wettöifernd mit ihren Vorgängern, die im ausfchlieple 
hen Beſitze der Myſterien nsarew; aufführten. ’ Sie gaben. ihre Vorftellungen an: 
—2 Privathaͤuſern, bis ihnen ſpäterhin im Schloſſe ſelbſt die Errichtung 
einer ne geſtattet wurde. Die Moralititen unterſchieden fich von den Myſte⸗ 
rien vornehmlich dadurch, Daß ſie allegoriſch⸗ moraliſche Schaufpiele waren, in denen 


Die Lafter und Tugenden perfonificirt dargeftellt wurden, Ya-die Zuneigung für 


diefe allegorifchen Perfonenfptele ging fo weit, dag man ſogar perſonificirte Formen 
eines Zeitworts erfeheinen Heß, Die Handlungen felbft waren zum Theil mit vie: 
lem Wis und Humor erfuhden, wie man aus mehren noch übriggebliebehten Ent: 
würfen und Scenarien. folder Schaufpiele fieht. In einem derfelben z. ®., „Die 
Berurtheilung des Banfets“ brtitelt, Eommen Schmaroßerei, Le&trei, Gute Ge: 
fellfcyaft, Ihre Sefundheit, Deich zu bedanken u, |. w. bei Herrn Banker zu einem 
Schmaufe zuſammen. Schlaafluß, Sicht, Kolit und andre Krankheiten er: 
fheinen an einem Fenſter des Speifefaals, die Schmaufenden zu belanfchen. 
Banker ruft fie herein, und nun entfteht zwifchen den neuen und alten Gaſten ein 
Heftiger Kampf, wobei Lederei,. Schmaroßerei, Ihre Sefundheit und Mich zu be: 
danfen todt auf dem Platze bleiben. Banker wird von den Übrigen hierauf bei ih: 
rem Richter, der Erfahrung, verklagt, und von diefer wegen der 4 verübten Morde 
verurtheilt, gehangen zu werden, welcher Spruch durch die Diät, als Echarfrichter, 
vollzogen wird. Die Farcen oder Poffen, welche Die Nachſpiele zu den Mora: 
litäten machten, waren in verfchiedere Gattungen, als hiftorifche, fabelbafte, 
luſtige u. ſ, w., eingetheilt, und beflanden in kleinen verfificirten — in 
denen Charaktere aus dem wirklichen Leben voll ſatyriſchen Übermuths und komi⸗ 
ſcher Kraft dargeſtellt wurden. Die berühmteſte darunter iſt die Farce vom Advocat 
Patelin (mahrfcheinlich um 1480 zum erſten Mal aufgeführt), eine witzig erfundene 
Compoſition, die mit vollen Rechte in der fpätern Bearbeitung von Brueys und 
Palaprat ſich bis jetzt auf der franz. Bühne erhalten, ja auf die nachmalige Rich: 
tung der komiſchen dramatifchen Poeſie der Franzofen entfihiedenen Einfluß ges 


Habe Hat. Man nennt Pierre Blanchet als ihren Verfaſſer. Der Dialog bat ' 


bei allet Rohheit des Ganzen doch fehon tie kecke Keichtigkeit, die das franz. 

Luftfpiel feitdem immer auszeichrfete. Diefe Bazochifhen Schaufpiele erhielten 

ſich zu Paris 2 ganze Jahrh. hindurch. Aber auch ihrer bemächtigten fich bald 
Unanftändigkeit und perfünliche Satyre, die zu öffentlichen Argerniffen Anlaß gaben, 

weßhalb das Parlament die Bühne mehrmals fehliegen, ja am 14. Aug. 1542 fo: 

de ihre fimmtlichen Mitglieder bei Waffer und Brot ing Sefängnig fegen ließ, 

8 fie 1545 gänzlich aufgehoben wurde. — Fafl gleichzeitig mit der Spielgefell: 


— 


328 Fratzoiſche Eit.: Dram. Podfie u. Sehauſpielkunſt 


ſchaft entfland ein. dritter Verein, :der fiir den: Ramen der Kinder ohne Sotgen, 
. Eorfans sans 20uci, gab. Stine Mitglieder waren junge. Leute von guten Fam 
lien, die ſich einen Vorſteher u. d. T. des Narrenfürſten, Prinee. dea:sots, möhle 
ten, forgie fie ihre Schaufniele Sottiſen (coties oder Narretheien nannten. Es waren 
eigentliche Dummbartsſpiele ſatyriſche Stücke, die lediglich den Zweck hatten, 
Narren und Thoren zu züchtigen, und nebenher einzelne Perſonen wie ganze Par⸗ 
teien aus der großen Welt ohne Schonung öffentlich "zu verſpotten. Man waͤhlte 
hierzu gleichfalls die Form der perſonificirenden Allegorie, und Die Kinder der Thore 
beit und ihre Großmama Dummheit, welche fle,bei der Welt in: Dienſte bringt u. 
ſ. 10, :traten als handelnde Perſonen auf. Auch. Diefe:Soties, welche auf beſondern, 
an oͤffenelichen Plaͤtzen, vornehmlich in der Halla;: enrichteten Geruͤſten dargeſtellt 
wurden, erhielten einen außerordentlichen Beifall, .foda& die Bazocher gegen: Mite 
theilung ihrer Moralitäten und Poſſen, von den Sorgenfreien die: Erlaubnig 
taufchte, ‚auch ihre Sortifen aufführen gu dürfen. Schon unter: Karl VL erbielt 
diefe mutbreillige Sefellfchaft ein formliches Privilegium. Aber- auch fie artete 
bald zu einer fo ausgelaffenen Freiheit aus, daß ihre Stüde unter Franz 1. der Cen⸗ 
fur des Parlaments vor..der Aufführung untermorfen wurden, und, als fie ſelbſt 
diefen Schranken durch Masken und Auffchriften, wadurch fie Perfonen, die das _ 
Biel ihres Spottes waren, nunmehr fenntlich machten, auszuweichen wußten, neue 
Parlamentsſchluſſe auch diefen neuen Migbräuchen feuern mußten. Ihre gläns 
zendſte Zeit war unter Ludwig XII.; kurz nachher wurde der berühmte Dichter, 
Clement Marot, der Liebhaber der großen Königin Margarethe von Balois, felbft 
ein Mitglied ihrer Gefellfchaft, melche 1612 aufgehoben wurde. “Diefe beiden 
letztern Öefellfchaften fpielten unentgeltlich. Es waren eigentlich Liebhaberthea⸗ 
ter; nicht fo aber die Paflionsbrüderfchaft, deren Foderungen Das Parlament 
fogaw befchränfen mußte, Dagegen wurde ihnen für eine jährliche Abgabe von 
4000 Livres an die Armen ein Deivifegium für alle bezahlte Schaufpiele ertheilt, 
weßhalb fie alle Schaufpieler, Die fich von Zeit zu Zeit aus den Provinzen in Paris 
einfanden, verdrängten. Don folchen Privatunternehmungen iſt Die merfwürdigfie 
die des Jean Pontalais, der zugleich Dichter und Schaufpieler und als einer der 
wißigften Köpfe feiner Zeit berühmt war. Er lebte unter Ludwig XII. u. Franz l., 
" und führte feine Schaufpiele auf einer Eleinen Brücke unweit der Kirche des heiligen 
Euftachius zu Paris auf. Don feinen Stüden bat fich keins bis auf unfere Zeit 
erhalten. — Inzwiſchen war durch die Buchdruderkunft die Bekanntfchaft mit 
der griechifchen und römifchen Literatur auch in Frankreich bedeutend befordert 
worden. Mehre Tragödien des Sophofles und Euripides, forie die Komödien 
bes Terenz, waren bereits in die franz. Sprache überfeßt erfchienen, ‚und fo bereiz 
tete fich unter der Regierung Franz I. für die franz. Gühne Das im Stillen vor, 
was fich unter feinem Nachfolger Heinrich I. offenbarte. “Denn jegt trat Er. 
Jodelle (geft. 1557,, in der Schule der alten Claſſiker gebildet, mit Schaufpies 
len auf, von denen man bis dahin Feine Ahnung gehabt hatte, welche die franz. Buͤh⸗ 
ne aus ihrem bisherigen Chaos riffen und der dramatifchen Poefie der Franzoſen ihre 
nachmalige Richtung gaben, Jodelle faßte den kühnen Gedanken, das griechifche. 
Theater zum Vorbilde des franz, zu wählen und ſowol das Trauer: als dag Luft 
fpiel nach den Negeln der Alten darzuftellen, wodurch er eine völlige Reform der . 
dramatifchen Poeſie in Frankreich bewirkte Die erften Driginalftücde diefer 
Art in der franz. dramatifchen Literatur waren fein in achtſylbigen Verſen gedichte: 
tes Luſtſpiel, „Eugene ou le rencontre”, und feine Tragödie (in der er felbft den 
antiten Chor noch beibehielt) : „Die gefangene Kleopatra“, die Jodelle mit alfem 
Seuer der Jugend fihrieb, und darin zugleich felbft, 1552, mit einigen feiner 
Freunde, als Nemi Belleau und jean de la Beruce, als Schaufpieler auftrat. 
Diefe Darftellung, die den Fall der alten Theater in Paris entfchied, ward mit dem 


Franzoͤſtſche Lit.: Dram. Poeſie u. Schauſpielkunſt 629 


che Mi, ſelbſt gegeben, ber dafür den Verfaſſer mit 500 Thalern aus feiner 

caffe belohnte. Jodelle's leßtes und beftes Werk war das Trauerfpiel: „Dido“, 
weiches große poetifche Schönheiten enthält. Ein ‘Paar Decennien nach Jodelle 
Hatte Spanien feinen Zope de Vega, und England feinen Shakſpeare. Jodelle führte- 
die ſtrenge Beobachtung der Ariftotelifchen 3 Einheiten ein, waͤhlte den reinhiſtori⸗ 
fen. Styl, ſchloß alles Wunderbare aus und fehöpfte aus der griechifchen und 
römifchen Gefchichte, ließ aber die antiken Perſonen wie moderne Franzofen und in 
grellſter \lbertreibung des rhetoriſchen Charakters der alten Tragödie. reden. Die 
neue Bahn, welche Jodelle gebrochen hatte, verfolgten. feine Freunde, das foge: 
sonnte franz. Siebengeftirn (la Pleinde frangaise) , als deren glänzendfler Stern 
Ronſard noch im folg. Jahrh. gepriefen wurde. . Außer ihm und Jodelle gehörten 
dazu du Bellay, Antoine de Baif, Pontus de Thyard, Remi Belleau und Jean 
Daurat. Auch 2a Peyrouſe, Verf. der Medea (1666), des erften frang. Trauers 
fpiels in den noch jeßt üblichen gereimten Alerandrinern; Grevin als Luftfpiel: 
dichter; Maſſin⸗de: St.⸗Gelais, Verf. des in Profa gefchriebenen Trauerfpiels 
„Sophonisbe“; Jean de la Zailfe, Dichter der rührenden Tragödie „La ſamine“; 

ier, der durch fein tragifches Meifterwerf, „Hippolyte“, 1573 alle ſ. Bor: 
Yanger an Eleganz des metrifchen Ausdrude verdunkelte, auch zuerft es wagte, 
andre Nationen, als Griechen, Römer und Türfen, darzuftellen, wie feine „ui- 


farasıı Beifall vor einer Sehr zahlreichen Varſammlung und in Gegenwart 
i 


res“ und „Bradamante‘‘ zeigen; und Pierre de la Rivey, der fich ein ebenfo gro⸗ 


bes Derdienft um das Lufifpiel erwarb, fehloffen fih mit dem gluͤcklichſten Erfolge 
Jodelle an. So ward die zweite Hälfte des 16. Jahrh. der Zeitpunkt, in wel: 
chem fich der Styl der franz. dramatiſchen Poefie mit eigentbümlichen Grundſaͤtzen 
den alten claffifchen Meiftern nachzubilden ſuchte. Das DBergangene gerieth in 


: Vergeffenheit, und man ftrebte einem neuen Zicle zu. Die nachfolgenden Dich⸗ 
‚ ter bis auf die Zeit Ludwigs XIII., der dramatifche Vielfchreiber Alex. Hardy, 
von deſſen 800 Schaufpielen fich 40 erhalten haben, Nepee, Theophile u. f. w. vers 


‚mochten bei der. Kraftlofigkeit ihrer Werke freilich nicht, dieſe Fortfchritte zu befchleus 


n. Maoiret, der Derf. einer noch jegt geſchaͤtzten Sophonisbe, Rotrou, deffere 
„Venceslas“ noch zumeilen auf dem Theätre francais erfeheint, Duryer, Baro u. 
A. die mit gefundem Verſtande einen edlern Geſchmack und gebildetern Ausdruck 
verbanden, kamen dem Ziele ſchon näher, Endlich erfchien der gewaltige Pierre 
Corneille, der alle feine Vorgänger verdunfelte. Er hatte ein feltenes Ta: 
lent, räftige Charaktere die Eühne Sprache der Leidenfchaften mit Würde reden zu 
laſſen. Er zeigte feiner Nation zuerſt, was tragifche Kraft und Größe des Styls 
iſt; doch fchmiegte er fich felbft ängftlich unter das Joch fteifer Geſetze und Borur- 
theile. Er iſt der einzige unter den Dichtern, den die Franzoſen den Großen nennen, 
„Medea“ war fein erſtes Trauerfpiel; den „Lid“, „Cinna“, „Polyeucte” und 
„Kodogune” hält man für f. fehönften Werke. Jean Racine wurde in der Tras 

die der Liebling f. Nation. Sein erftes Trauerfpiel waren „Die feindlichen 

üder“; als feine „Andromacdhe” 1667 erfchien, wurde fie mit ebenfo großem 
Enthufissmus aufgenommen wie der „Cid“ 30 %. früher. Racine wurde der 
Mann f. Zeit und f. Nation. Er ift der elegantefte und feinfte aller franz. Tragi: 
ker; jede poetifche Kuͤhnheit erfchien ihm gefehmadlos; der Ton f. Hofes blieb ihm 
ſtetes Vorbild. „Athalie“ ift fein höchfies Meiſterwerk. Voltaire, der fich auch 
in ſ. Briefe an Bolingbrode über die Natur der franz. Tragödie erflärte, ift der 
dritte große Tragiker der Franzofen; mit entflammtem Ehrgeize ftrebte er ſ. Vor: 
Augen nach, und f. „Zaire”, ſ. „Mabomer”, wurden bewunderte Meiſterſtücke. 

Oltaive drang auf die Erweiterung der Bühne und auf einen majeflütifchen 
Schmuck derſelben; doch die Coſtums blieben höchſt geſchmacklos; römifche und 
griechifche Tragädien wurden in Reifroͤcken und Alongeperüden geſpielt! Erſt in 








530 Zuanzöfife Ei. Dram. Poeſte u. Schaufpieiiunit 

Demz Yie Clairon, wie rn u Marınentel’s Dicmoıen fehr auzächenb erzihle fundet, 
Bam den eriien Anites gegeben. Der ilıere Erchicn jtiuge dem Kress ber franz 
Trogiter vom erfien Aaux. Ber zweiten Ortaunı acberen serzuyiih: Themas 
Egrurdie, E:jsite, Guiment-deisTeuche, Beframc, Ssbarpe, Srmurıre, te Belloi x. 
Titeret führte turdh f. „Pere de amiile” int £ „Fiss nataret” jan Bas bür- 
Dueis, der mehre Trauerfpwie Ehaffgeare’s für die franz, Truhe ercrichtere uud 
felbit zı dem Abufarꝰ Yard Oria:ualiuat und Rarme yizı; Arnsuit, deiien Trauer: 
Werke: „Mars“, „Eincinnatus“, „Oster“, „Les Yeniliens“ un? „Sermanius“ 
Dusch Setantenfülle, Kraft und rührente Ecenen ſich susyruherm; Se yeuee, teffen 
„Mort d’Abel” und „Epicharis et Neron“ fehe wirt Drijall erhuten, umd der 
übertiss nach „Eicocle ct Polvnice” uud „La mort «d’Hearı IV“ feieb, Früher 
As deeſe hatte ſich Lemercier in feiner erſten Jugend als Trauerfpieltichter verſucht; 
fein „Lörite d’Ephraimn” und fein „Ngamemngn” vur den bewundert; feine frsern 
Werke gefielen weniger. Grotzes Auffichen machten „Les Templiers“, non Raps 


Berges”, von Delrien geiielen , dech machten fie weniger Aufichen als das Trauers 
fpiel Manlins⸗, deffen Held Talma's Lieblınasrelle wurde. Zchrun's Dearber 
| on Schillers „Marıı Eruart” wurde in "Paris mit raufchentem Peiſfall auf: 
genommen. Sie gilt mit Joım’s „Zrlla”, den „Vepres Sicilieunas“ und dem 
nParıa” von Delavızne, tem „Elosis“ von Biennet, für tie webtigite Ermerbung 
des trogifchen franz Theaters. Mit ihnen firebt die franz. Tragedie über die engen 
Echranken, welche ihr die Nachahmung der Claſſiker gefekt, und über bie declama⸗ 
torifche Beredtſamken, welche bisher ihr Weſen ausmachte, hinaus. — Was nım Ins 
franz. Luſtſpiel betrifft, fe iſt bereits erwahnt werden, mie daifefbe mit den Far⸗ 
cen der Bazoche, namentlich der vom Adoocat Patelin, und den Sottifen der Enfans 
sans souci feinen Anfang genommen. Jodelle bewirfte auch die Reform des frauz 
Luſtſpiels. Erin erfies: „Der Abt Eugen“, in der Manier ?es Teren;, wurde vom 
Hofe und von der Stadt bewundert; es war das erſte res-Fmabige Mationalluſtſpiel 
nit jeitgemähen Eharafteren ohne allegorifche Perſonen; ter Witz darın iſt roh und 
ungeggen. Den 1562 an ſchrieben die Brüder de la Taille Luſtſpiele in Proſa. 
Man fuchte audy Lie beliebte Schaͤferpoeſie mit Mer dramatifchen zu vereinen. Aus 
den Moralititen wurden Schiferfpiele, worin Ehriftus der Bräutigam, und die. Kir: 
he die Braut war. Die Eultur wahrer Lurtfpiele wurde won ‘Pierre de la Rivey 
fortgefeßt; fie beruhten meift auf Intriguen und tomifchen Üuberrafehungen. 1552 _ 
verpachteten die Pafliensbrüter ihr Privilegium an eine Schauſpielergeſellſchaft, die 
unter dem Hamen Troape de la comeiie rancaise bis jet beflebt. Sie fpielte 
im Hoͤtel de Bourgogne. Kurz darauf erfüllte Heinrich IN. Frankreich mit Poſſen⸗ 
fpielern, die er aus Venedig fommen lief. Sie nannten ſich i gelosi (Xeute, die 
zu gefallen ftreben). Als fie im Hoͤtel de Bourgogne zu ſpielen anfingen, firömte 
ihnen Alles za. Farcen aller Art waren ungemein beliebt, felbii Richelieu ver: 
ſchmaͤhte nicht die Scherze des fogenannten Gros Suillaume, des Kasper! der Pa: 
rifer. Den italienifhen Harlekin erfeßten auf dem Farcentheater zu ‘Paris der 
Tabarin und Turlupin, tie burfeste Bedientenrollen fpielten ımd im Zeitalter 
Ludwigs XIV, fehr beliebt waren. Corneille fühlte zuerſt das Bedürfnitz eines 
wahren Sharafterfiüds; weniger Berurtheile befchrinften ihn bei dem Luſtſpiele als 
bei dem Trauerfpiche. Seine jugendlichen Berfuche im Eomifihen Fache find feiner, 
correster und anflindiger als Alles, was man zuvor ven Lutifpielen in Frankreich 
kannte. Er war erft 18 J. alt, als er fein Luſtſpiel „Melite“ ſchrieb. Sein 
fpäteres Werk: „Der Lugner“, iſt das erfte franz. -fomifche Charafrerflüud von " 


- Brongbflfche &t.: Dram, Poefie u. Schauſpielkumte 881 
deffifchen Werthe. Auch als Operndichter machte er Epoche dunch feine „Androe 


meda”, '. Raeine’s Luflfpielt „Les plaidenrs‘‘, iſt nur eine Kleinigkeit, doch voll 


echt komiſcher Kraft. Einzig berühmt ale Luftfpieldichter bleibe Jean Bapt. Poc⸗ 
gaelin, genannt Molicre, 1620 geboren,  „L’etsurdi” mau: das erſte Stüd, 
wodurch er befannt wurde, Bald mar fen Theasex das beliebtefte in Paris; feine 
Geſellſchaft erhielt den Ehrentitels Gnmediens ördihnires du Roi, Mit voller 
Kraft und von allen äußern Umftänden begünftigt, entfaltete nun Moliere das’ in: 
nere feines reichen Geifles, Man bat 85 Lufkfpiele von ihm.“ Er fpielte- ſelbſt 
immer mit Beifall, und fein Geiſt theilte ſich dadurch um fo meht f, Schauſpieler⸗ 
gefellfchaft mit. : Er verband dieſes Studium der Marur nrit vollkommener Kunde 
der Schaufpielfimft. S, Meifterwerfe: der „Tartuffe“ und der „Miſanthrope“, 
wurden Mufter des Hochkomifchen. In die zweite Claſſe f. Luftfpiele gehören die 
nicht verfificirten großen Charakterſtuͤcke, wo „L’nvare!, „George Bandiu‘ und 
„Le. burgeois gentilhomme” am berühmteften find, Die ganze Manier der 
felben iſt volkemaßiger, freier und poffenhafter. ‘Den teeiteften Spielraum -gönnte 
Moliere f£ teten Laune in den luſtigen Unterhaltungsftüden, in die er oft Muſik 
und mimifchen Tanz verwebte. Hierhin gehören: „Les fourberies de Scapin”, 
„Wonsiewr. de Pourceaugnso” und „Le malade imaginaire”; der komiſche 
Effect war bier zu einer Höhe gefleigert, die man feit dem Untergange der altgries 
chiſchen Komödie nicht kannte. olicre’s Feſtivitaͤtsſtuͤcke zeigen nur die unges 
meine Gewandtheit feines Talents. Die franz. Luftfpieldichter erhielten fich am freies 


fien von aller Einfeitigfett. Sintriguenftüdte waren weniger beliebt als Charakter⸗ 


ſtuͤcke; diefe gab es ſowol edels als niedrig:fomifche. Man fah gern Piccrs à sce- 
nes deinchees, nämlich eine Reihe komiſcher Seenen ohne Einheit der Handlung, 
ſowie Spruͤchworter, Parodien und Zwiſchenſpiele. Das italienifche Theater wirfte 
mit, um den Nationalgefchmad hierin frei von Einfeitigkeit zu erhalten. Keiner 
der ſpaͤtern Lufifpieldichter traf Moliere's Ton mit folcher Feinheit und fomk 
fhen Kraft, als der 'geiftreiche Abenteurer Rrgnard (fi d), 1647 bis 1709, 
Unerfchöpflich in der Erfindung Fomifcher Situationen war Dancourt, Nachlüf 
figer im Styl, aber höchſt jovial und burlesf mar Le Grand; fein „Ami de tout 
le ısonde” wird noch gern gefehen. Diverriffements und Ballets machten feine 
Lufifpiele noch unterhaltender. Baron, ein berühmter Schaufpieler feiner Zeit, 
firebte, fi im Styl der edlen Charakterſtücke Meolivre zu nähern. Dufresny 
ſchrieb artige Converſationsſtucke. Montfleury war der Erfte, welcher, nach dem 
Beifpiel der Spanier, Trauerfpiele fehrieb, die bei jedem Act durch komiſche Zwi⸗ 
fehenfpiele unterbrochen wurden, Der feine und gemandte Le Sage ahmte gleich: 
alle, wenn auch nicht auf gleiche Weiſe, die fpanifchen Dichter gern nach. Er 
—* auch viele beliebte komiſche Opern für das Jahrmarktstheater. Destouches 
war einer der Erften, die durch Grübeln über den Zweck der dramatifchen Kunſt ans 
fingen, die wahre Idee des Luftfpiels zu verfennen, und den fomifchen Effect dem 
moraliſchen unterguordnen. Er führte gern rührende Scenen herbei. Einen fei⸗ 
nern Charakterzeichner als Destouches aber hat es unter den Luftfpieldichtern aller 
Mationen nicht gegeben. Zu den beliebten Farcendichtern gehörten Bergeräc, Bour⸗ 
fault, Brueys, Pa Font, Palaprat und der jüngere Corneille, — Seit Sorneille’s 

Andromebda” war auch viel für die Dper gefchrieben worden. (S. Franzo ſi⸗ 
5. Muſik.) Der Marquis de Sourdene gründete 1669 die Acadeniie 
royale de musique, Quinqult's reiche Phantafie und melodifche Poeſie eigneten 
Pr ganz dazu, ihn um größten Operndichter zu machen. Er ift der muſikaliſchſte 
Dichter feinen Mation. Duch*, Campiſtron und Kontenelle Serben ihm nach, 
' Die Gchäferfiele des Legtern konnten nur in jener affectirten Zeit gefallen. Hou⸗— 
dart de fa Viotte arbeitete in allen dramatiſchen Fächern, jedoch ohne befondere 
Auszeichnung, Dig komiſche Oper war dadurch entfianden, daß man 1707 den 





—— : ĩ 
„Le syaper d’Astenil“, amsgejrichner gefallen, ſchreibt fehr geſchedcue; feine 
ie Duke M pcs Sram. „außerk frudpeher ui tes = ent ’Tixart's, 
weicher ver ſ. 10. J. ſchen über 35 bri i 


„Lasembt-e ie 'a:ııile”, Unter den nette 

müjen wir „ Melanie”, ven Saharpe, „Liabic «ie [rpec”, von Beullo, und 
„la mort de Sucrate”, ven Bernardin de St.Prerre als ausgrjruhert 
Jeca, ter Verranſer der „dersiaie“, Etienne, Tsm-nart uns Deffmunn fint de 
Verzuslschiien neuern Dichter der ermfien Oper, fewer Meued, Mırteller, Duval, 
Tucafe, Pus, Scride unt Yorr der feenfden Mer uns ns Bande — 
Blidt mon noch einmal auf Ten Gunꝗ der trumatrichee Surroser ın Srunfrech 
send, fe ar: fi umwertensbur, meer es buıpiichich Sermalle. Ascıme, Meleere 
sat Votatte gemein, melde ter Gepalt dur franz; Bübne erzensisch, amt mer es 
ſchemt, unmevrrufich feägeier aben; Ivan unter tee Anresumg ter Aufmertfaue: 
ber auf Soatipeare, nech dee Uhrkscegen ven Schlers Ircuerfpeien, nedh 
tee von cır Ratienalarcht mehr eier munter ubsruhrr.ten Artichem emet Dede⸗ 
ret, Dessmurteis, Nexrcier u. X baten Weſentheben Eraro= ya andern ver⸗ 
Ir m Ssöisulc fin? dee Srunzehen, ſer ter Iemelartee. ter more 
Dichter. we Andticer. Ibn VNıorierüie, Tural, Fat ulm von der Tıeiı- res 
ſchen Ixrafırfemiie ma arehrm Frielr zum Ynirizeritehe eereRTER 
Ja Auto: der Ira ar wurd nach amıner man NT dafiechen Vortcı daS 
darch nme Dichter catirecf. ne Sri der dramatrichen Root abe das emyrSuitge 
beraiz. zn? nie Arcwitinz der Asmeamtıfır Turen als cme Zumie wer den 
gun Srtamat birzZtet. 

De Sazee kin, eder Yes, was de theatraliſche Darfellangs- 


AN 


Franzoͤfiſche ir. : Dram. Poefle u. Schauſpielkunſt 333 


Funft betrifft; hielt, wie überall, fo auch in Frankreich, mit dem Fortgange der 
dramatifchen Dichtkunſt gleichen Schritt. Die Sefellfchaft, die ſich mit Jodelle 

g Aufführung f. Stüde verband, nahm juerff den Namen der Comediens an, 
Dipen.der. Meiz der Meuheit 309. die Menge zu ihnen. Die eiferfüchtigen Paſſions⸗ 
brader aber bewahrten ihre — und den Comediens ward in Paris zu ſpie⸗ 
ten verboten. Dagegen erhielten jene 1643 einen Hofbefehl, der ihnen die Myſte⸗ 
rien unterfägte, und nur anfländige weltliche Stuͤcke aufzuführen gebot. Jetzt 


war die glüdliche Zeit der Paffionsbrüderfchaft vorüber. Der öfferitliche Geſchmack 


hatte durch Jodelle's Schauſpiele eine völlig andre Richtung genommen, Das 
konnten die Paſſionsbruͤder fich ſelbſt aufdie Länge nicht verbergen, und da fie eben: 
fowol.einfahen, daß fie den Kampf nicht fiegreich beftehen würden, fo traten fie end: 
lich freiwillig zurüd, Hug genug, jenen Hofbefehl zum Vorwande zu bemußen, 
Indem fie vorgaben, daß für Seiftliche die Aufführung weltlicher Stücke fich nicht 
gelieme, berpachteten fie ihr Theater, mit dem Vorbehalt zroeier Logenfür fich, an 
die neue Sefellfchaft der Consedieus. Dieſe fpielten nun im Hötel de Bourgogne, 
und fo entfland bier das -Thedtre Francais. Bald darauf aber eröffneten die Ge: 
lofi im Hötel de Bourbon ihre Borftellungen, und da fieihrem Namen entfprachen; 


firomte ihnen Alles zu. Andre Schaufpielgefellfchaften, welche auch jeßt noch zu: 


Zeiten aus den Provinzen nach Paris famen, wurden flets von den Comediens im 
Hörel de Bourgogne verdrängt, ausgenommen diejenigen, welche zu Jahrmarks⸗ 
zeiten, wo alle Privilegien aufgehoben waren, in den Vorflädten fpielten. Eben 
diefe aber follten bald "eine nicht gemeine Wichtigkeit erhalten, Denn aus einem 
ſolchen jahrmerftstheater (Iheätre de Ia foire) entſtand nicht nur ein zweites 
fiehendes Theater, du.Marais genannt (durch Übereinkunft mit den Paffionsbrüs 
dern, welche noch immer im Befiße ihres Privilegiums und der Buͤhne im Hötel de 
Bourgogne waren), ſondern es entwickelte fich auch aus diefen Jahrmarktsſtücken 


eine ganz neue Gattung von dramatiſchen Darſtellungen. Nachdem dieſes Théatro 


du Vtartnas geraume Beit mit dem ter Comédiens gewetteifert, trat Moliere, der 
mit f. Sefellfchaft bisher in der Provinz gefpiele hatte, anfünglith zur Jahrmarkts⸗ 
zeit, auch in Paris auf, und fand bald fo viel Unterflüßung bei Hofe, daß ihm ein 
Theil des Palais royal zu f. Bprftellungen eingeriumt ward. Nach Molicre’s 
Tode (1673) wurden fie eine Zeitlang unterbrochen; dann aber vereinigte fich diefe 
Sefellfchaft mit Sem Theätre da Marais, Unter Ludwig XIII. machten fich end: 
lich alle Echaufpieler in Paris von der Paffionsbrüderfchaft frei, und die Geſell⸗ 
ſchaft des Lheätre francais im Hötel de Bourgegne erhielt den Titel der koͤnigl. 
Echaufpieler (Traupe 1oyale), Inzwiſchen harten die italienifchen Schaufpieler 
abwechſelndes Glück. Die Selofi hielten ſich auf die Dauer ebenfo wenig als 
eine zweite italienifche Gefellfehaft, die feit 1662, jedoch ohne feſten Platz, Bor: 
fiellungen in Paris gab. Einer dritten endlich glüdte es beſſer. Sie fpielte ab 


wechfelnd:mit der franz. Truppe, und erhielt, als fih "7 Jahre nach Moliere's Tode. 


beide franz. Sefellfchaften im Palais-royal zu dem Theätre francais vereinigten, 
das Theater im Hötel de Bourgogne eingeräumt. Diefe Bühne ift das befannte 
Theätre italien, welches unter Ludwig XIV. wegen der Frau von Maintenon ge: 
fchloffen werden mußte. Der Prinz Regent eröffnete es wieder, und die Mitglies 
der nannten fich feitdem Troupe itatienne de S. A. le duc-d’Orleans, Regent de 
Frunce. So hatten fich alfo nunmehr 2 Haupttheater in Paris gebildet: dag eigent⸗ 
lich franzdfifche und das italienifche. Außer diefen beftand feit 1678 noch ein drittes: 
das Thenter der fomifchen Oper, dieausdem Fahrmarftstheater, 10 fie fih aus den 
Baubevillesentwidelte, entfprang. Mehre der feinften und vorzüglichften. Köpfe unter 
denfomifchen Dichtern Frankreichs nahmen fich dieſes Schaufpiels an, und fo erhob 
fih das Theätre de ’Opera comique, das jedoch erft 1715 diefen Namen erhielt, 
bafd zu gleichem Range mit den vorigen, Gleichzeitig mit ihm entfland endlich auch die 
\ - ‘ 


334 Franzoͤſiſche Literatur in der neueflen Zeit | 


ernfle , indem ber Cart, Mazarin 1646, bir wehin diefefbe blog im Italien 
bejtanken hatte, zuerft eine Geſell ſchaft italien. Operiiten nach ‘Paris kommen lief, 
weiche dort bie italien. Oper „Orpheus und Eurpdice” aufführren. Hierdurdgveran: 
lagt, mächte Perren den erfien Verſuch mit der franz großen Oper, wozu er 1669 
ein kenigi. Priyilegium, und diefes Operntheater den Namen einer fonigl. Akademie 
der Muſik erhielt, welche bald mit glänzenten Pantomimen und Ballets aus yes 
fymüdt ward und an Quinault u. A. auch fehr verzüglicdhe Dichter gewann. (DS. 
Ballet, Franzöfifhe Mufif, Noverre, Dper, Pantomime ıc.) Alle 
diefe Theater ziblen bis auf den heutigen Tag eine Reihe berühmter Schaufpieler 
unter ihren Mirgliedern. Wer kennt nicht vom Theätre fraumis einen Baren, 
Lekain, Fleury, Talma, eine Sauffin, Dumenil, Elairon, Raus 
court, Duchesnoy und Veorges, eder vom Thcätre italıra einem Cars 
lin, 2elio, Kiccebini w A.m.? (S. d.) Über den gegemwirtigen Zufland 
berfelb. n ſ. Parifer Theater. Wim. Ss: 
Sranzöofifhe Literatur in der neueiten Zeit. Auch die Literatur, 
in ber engern Begrenzung des franzcfifchen Zprachgelraudhs, konnte der Rich⸗ 
tung aller Semürher auf Die hochſten Staatsintereſſen und dem lebhafte 
Parteik ampfe nicht entnommen bleiben, der zwiſchen die gefelligen Verhaltniſſe in 
Franfreich fich trennen? gedrängt hat. Im Arlgemeineh darf man von ben literu⸗ 
rifchen Erſcheinungen ber legten Jahre behaupten, daß fie um fo größeres Intereſſe 
erressen, je mehr fie die Politik der Zeit berührten, daß fie aber ficher waren jur ge: 
fallen, wenn fie der Leidenſchaftlichkeit der Anſicht gewandt das Wort redeten, die 
bei dem iminer fortgefeßten Kampfe der Herrföhfucht, der Unbefangenheit ter Aufs 
faffung und des Urtheils fich überall entgegehjiellte. Selbſt die Überzahl der .in 
den lebten Jahren erfchienenen Werke aus ter Claſſe der economie politique 
beweift für die vorherrſchende Iheilnchme an den Aufregungen des Augenblids, 
die von den Wortführern der polıtifchen ‘Parteien, zum Theil mit großem Talente, 
als tie Angelpunfte aller fittlichen und gefelligen Beziehungen werben. 
Die Journale, Deren Anzahl nicht im Abnehmen ıft, würden ſich nicht erhalten 
können ohne Berüdfichtigung diefer vorberrfchenten Tendenzen: doch auch mora⸗ 
lifche und religiofe Schriften, Biographien und Trauerfpiele, Geſange und Mio: 
mane predigen Meinungen, deren politifche Unterlage man deutlich Durchfieht: 
Danur glänzende Rhetorik fich in ſolchem Streite Gehoͤr verfchäffen fann, fo wird 
man fich nicht wundern, daß die großen Muſter franz. Wohlredenheit durch neu 
Ausgaben, die der ‘Parteigeift mit Aufopferungen vervielfültigte (3. B. die Tou⸗ 
quet’fchen Ausgaben von Beltaire's und Rouffeau’s Werken), fortwährend Abs 
nehmer fanden. Die Ausgaben von Beaumarchais, Ducios, &. Andrieux, 
Gilbert (avrc notes et variantes par Amar, 2 Bite:), Fechelon (18 Bde.) (früs 
ber von Maſſillon, die „Oraisons fuuebres de Bossuet, Ficchier etc. par Dus- 
sauli”, 1890) von Necker (par M. le Baron de Siuel). von der Barenin Srecl 
(17 Bbe.) v. Rollin (In doppelter Ausg., v. Guizot und Letronne), von J. Jı 
Rouſſeau (av. des notes de Musset Pathay), v. Gr. Segur Werken, v. Themas, 
v. Treſſian (publ. per Campenon), vi Vauvenargues (jivei Mal; erft „Veusres 
compietes“, dann „Otuvres choisis”) ſowitè die Saniml. franp Gerichtsreben 
(„Le barreau francais ou collection des cheſs d’oeuvre de éloquence judi- 
ciaire en France”, pat Clairet Clapier, die „Anunales du barteau francais”, art 
diefich der „Choix de plaidoyers et memoircs de M. Dupin aine”. und die „Diss 
cours plaidoyers et mıcmoires de Mr. Bonnet” würdig anfthließen), ſuchte man 
abfichtlich iveit ju verbreiten, weil manchen Anflchteh, an welche die Strengglaubi⸗ 
sie an Palladien der Nationalität fich feftpalten, durch den Geſchmack an Lord 
n's düftern Gedichten („Oeuvres completes de Lord Byron“, 18 Bde. in 
12., 5. Aufl. 1824), burch den Beifall, den Walter Scatt’s Remane finden, 


Eu 


| Franzoſiſche Literatur in der neueſten Jet 3235 


den man ſelbſt deutfchen Werken zugeſteht (außer Sthiller und Goͤthe iſt auch 
Tiecks „Zteenbald” durch Frau von Montolieu fiberfest) und durch das liberhahd- 
nehmen der fogenannten Romantif bedenkliche Erfchütterungen droben, Man 
findet dieſe Beforgniffe in Besmarais’s (Cyhpri) „Fousiderationsrar la Jitterstore . 
et.sur la societeen France au Aßme sieche” Parig 1834). Selbſt in dem Ge: 
brauche der franzoͤſiſchen Sprache hatten ſich feit pe v. Otatl erfolgreichen 
Vorgange Neuerer gegen dag Läntgfihergebrachte erhoben, die dureh die alten Aus 
toritäten nicht immer in den alten. Schranken erhalten werden Eönnten.. So 
griff Lavaur („Nouveausdietionn. de la Iaugne franc.”) durch den Sprachſchatz 
der Schriftſteller des 17. und 48; Jahrh. den weit beſchraͤnkteren des Wörterbuche 
‚der frangöfifchen Akademie an, und wies einen Reichthum an Sormenund Bilduns 
gen nach, der den Begründern jenes Werks durchaus fremd geblieben ioar. Un⸗ 
aysführbar. haben fich die Plane des Gr. Volney erwiefen, Sie würden Sprach⸗ 
veriirrungen herbeigeführt haben, ſtatt Erweiterungen. Im engern Raume der 
frnnzöfifchen Sprache war dafür ein Gewinn des alterthuͤmlich gelehrten Chari. 
Pougens: „Tresor des oripines de dictionnaire grammuatical raisonne fran- 
gais“, 4., der zwar feinen fo ‚großen Kreis fand nie Mefangere's „Dictionn: 
des peoverbes francais” (8: Aufl, 1823), aber immer. in der Anerkennumg flieg 
Don. Sprachlehreh erhielten ſich Lhomond's „Gramm. franc.“, Blondin’s 
„Grammaire Sranc. demosstretive’ (8, Aufl.,, 4829) fortwährend in der 
Gunſt. — Was die Philofophie bei den Franzoſen leiftete, befpricht der vorige 
‚ Itifel. Aufſehen mußten die metapbufifchen Forſchungen Viet; Coufin’gerregen, 
der dunch Verbreitung ber Werke des Plato, des Proclus, ded Descartes. („Oeu- 
; wres de Descartes publices par V. Cousin” (B Bde., 1824) auf eine ernfiere 
Bedeutung. ber. Worte vorbereitet hatte, Die größere Regſamkeit, die in dieſem 
‚ Suche durch. De Serando ; Laremiguiere, Deftutt be Tracy, Azais („Systönso 
universel-ce -plrllosophie”, 8 Bde, 1824), Touffaint („Essai sur la maniere 
dont les sensatinns se transforment en idees”, $824)-bervorgebracht ift, trägt 
‚über dech noch.die. Spuren der ſranz. Eigenthumlichkteit. Nach Außen hin gebt 
ie Miehrung / imd die Anwentung auf Rechtsverhaͤltniſſe oder auf Religion war in 
der letztern Zeit ſehr hervortretend. Sowol das allgemeine Recht (wo Lanjuinais's 
„Sur irn hasiounade et la flagellation penales“, 41826, lebhafte Unterfuchun: 
gen auf die. Bahn brachte) als das franzoͤſiſche wurde gefchichtlich und ſyſtematiſch 
tiefer ergriindets Während das Entſchaͤdigungsgeſetz, der Gefeßvorfchlag zu einer 
Beguünſtigung der Erfigeborenen, der Proceß des „Constitutionnel”, das „Me- 
moire &-comsultes”‘ des Gr. Montloſier die vielfältigfte Auffaſſung intereffanter 
Nechtsftagesshetibeiführten, wieſen Werke wie Legrand de Lalen's „Becherches 
str. P’adıninistraiion de Ja justice criminelle chez les francais avant l’institu- 
tion des parlamens”, 1823, un? der ;Recueil general dosanciennes lois franc, 
depuis l’an 420 jusqu’a Ja revolution de 17189 etc..par Decrusy: Isambert et 
Inurdeu“ (bis 1825, 10 Be.) auf die gefchichtliche Begründung des jetzigen 
Rechtszuſtandes und der. jepigen Anſichten bin.“ Durch die Machinationen der 
Geiſtlichkeit wondte fich die philoſophiſche Forſchung auch auf das Gebiet der Res 
ligioh, und waͤhrend Benj. Eonflaue in ſ. Werke: „De la religion, consideree 
ns sa source, ses förmes et ses developpemens“ (2 Bde; 1825) mit ge: 
wehntem Scharffinn. feine Aufgabe. angriff, bewies der Abbe Mennais in feinem 
biel befprachanen,‚Esmi sur l’indiflerenceen matiere Jereligion”,: 8: Bde., die 
 & Auflagen erlebten. (4825) und in ſ. Schriftchen: „De la religion eunsiderce 
dans ses rapporis avec l’ordre politique et civil”, wie fern mah nach hier war, 
‚mbefaugene Unterſuchung am die Stelle des Autoritütsglaubens treden zu laffen, 
ſowie denn auch die „Oeuvxes de Swedenborg traduiis du latin par Moei”, na 
mentlich die „Liclices de la sagesse-sur l’amoar conjugal etc, par J. Sweden- 





836 Franzbſiſche Literaten in der neueſten Zeit 


borg,; traduit du latin par J. P. Mo&t”, 1824, ju den Beichen.der Zeit im Wellen 
Frankreich gehören. Die große Menge der Erziehungsſchriften bietetzuenige Aus: 
ſichten, daß ein künftiges Gefchlecht vor dem doppelten Irrwege beroahrt fei, der; 
dort droht: die Societe de la morale chretienne wirft zunaͤchſt akf den Zweck 
bin, die, Jugend fromm zu bilden‘, aber bei den Befchränkungen, die fie findet, 
iſt ihr Einfluß noch unbemerkbar, und die Koft, die fonft geboten wird, von Bouilly, 
den Damen Renneville, d'Hautpoult u. f. w., ift zu leicht, als daß fie widerhaltig 
fein follte. Doch durch das dffentliche Leben. wird das. franz. Volk mit erzogen; 
denn bei der Öffentlichkeit, womit vor feinen Gerichten die Fragen über Geſetzlich⸗ 
feit und Ungefeglichkeit, auf der Tribune über Necht und Unrecht von Maͤnnern 
soie Fon, Benj. Conftant, Dumat, Dupin, Clauzel de Coufergues, und von den 
beredten Mitgliedern der Pairsfammer Chateaubriand, Decazes, Talleyrand, 
Raine ıc., auseinandergefeßt werden, gewinnt Jeder, der nicht theilnahmloſer Be⸗ 
obachter.bleibt, Das, was Drozinf. „Application de la morals & la politique” 
(1825) als legten Gewinn des gefelligen Vereins und einer freien Derfaffung pries, 
Häufig wurde die Sache der Menfchlichfeit indem Kreife der Pairs und der Depu⸗ 
tirten verhandelt, und durch die glüdliche Beredtfamkeit, welche der Sache der. Ne⸗ 
ger und der. Sache der Griechen als einer weltbürgerlichen Das Wort redete, wurde 
die Öefchichte vor Allem gefücdert, die zu diefen Angaben die Belege ſchafft. — 
Die Geſchichte des fich verjüngenden Griechenlands fand in Frankreich durch Raffe⸗ 
nePs: „His. des evinemens de la Grece” (Paris 1828 fg., 3 Bde.), durch Du⸗ 
fey’s, durch Pouquenille’s „Hist. de la regenerat. de la Grece” (neue ‚Ausg. 
1826) u. A. Bearbeitungen, wie fein andres Volk gleichzeitig fie gegeben bat; und 
das in einem Augenblide, wo Michaud's „Histoire des croisades“ (4. Aufl., in 
8 Bdn., 1826 , wo Lebeau's „Hist. du Bas-Empire”, edit. nouv. revuo et 
corrigee par Saint Martin (20 Bde., noch nicht vollendet), wo Billemain’s „La- 
scaris‘‘ die Ereigniffe einer nicht zu fernen Bergangenheit den Leſenden gegenwaͤr⸗ 
tig zu erhalten verfianden. In gleicher Art wie Pouqueville's Werk ift Deollien’s- 
„Voyage Jans la republ. de Colombie” ausgezeichnet. Bei folchen Arbeiten vers- 
flieht man nicht, wie man Werke, die Achtung gegen einen geehrten Mamen 
. hätte zurüdhalten follen (Lacepede’s „Hist. generale physique et civile de l’Eu- 
rope‘‘. 1826), dem Publicun übergeben konnte. Sn Sründfichkeit der Forfchung 
fehliegen ſich an die Meiſterwerke der frübern Periode, welchedie neuere Zeit forgfam 
wiederholte („Art de verifier les-dates, par S. Allais”, die „Art de verifier 
les dates depuis l’annee 1770 jusqu’ä nos jours, par Courcelles”, 1821), die 
Werke von Freret, Clavier, Petit-Radel, der „Precis de l'hist. romaine“ von 
Poirfon und Cayr (Paris 1828) und die Bearbeitungen der franz, Sefchichte an. 
Heben den Sammlungen („Collection des chroniques nalionafes par Buchon” 
„Collection des memoires relatifs a Phiſt. de France par Guisot“; „Colleot, 
comp], des memoires relatifs a P’hist. de France, par Petitot”; „Depöt des 
chartes et des lois, tout nationales qu’etrangeres, dirige par Constantin”) 
für die frühern Zeiten fohritten die Sammlungen-für die neuere Sefchichte fort 
(„Cullection des memoires relatifs ä la rörelution”; „Mem. particuliers 
pour semir ä l'hist. de la revolution“), und. geiftvelle Männer zeigtenFficg 
durch allbefannte Bearbeitungen Dkeifter :diefes übermültigenden- Stoffes. “Die 
Werke von Dufau und Delbare, von Lacretelle und Simonde Siemondi, über’ 
die Sefchichte Frankreichs und der Franzoſen: die Gefchichten der franzöfifchen 
Revolution von. Dlignet (1825, 3. Aufl.:, Thiers, Rabaut und Lacretelle has 
ben eın eutopäifches Publicum gefunden. Neben diefen umfarfendern Darftels 
lungen fchlaffen ‚fih an die früher beachteten: Unterfuchungen.: über einzelne 
Theile (die „kastes civils de la France depuis l’ouverture des notables jus- 
qu’eu 4821” an Jouffroi's „Fastes de l’anarchie”', Barginer’s „Histoire du 


Frak zöfſche Biere Th -der'neneften Zeit ser 


vernement' i60441%Y imnter nee ar, Die’ ze den Bereicherungen ber Literatur. 
—— gehören. Bir die ältere Geſchichte Frankreichs werten Barante's „Hist. 
des -⸗ncs de Runrgngrle‘de la nıaispıb@& Valois‘’; Daru's, Hist. de Bretagne“ 
(1826), de Ronjouf's ‚jltist; des vor St des ducs-de Bretagne (1829); Beugs 
nhotꝰs „Les Juris d' Ootident ou.recherches- sur l’etat civil, le’cowmeree et'ha- 
Kuter. des Juilsen Frunce, en Itulie ut en Espagne pendant femoyen age‘ 
Depping’s „Hist, des expeditions marttinses des Norinands et de leur diablis- 
dbrhent en France au’ Xme siecte”, die „Histoire de ia $:4Barthelemy d’apres 
les chroniques”“ (1826)5- die „Mem. et correspondence de'Bnplessis-Mornay 
pour servir ä-l’hist..de la rdfoım.” eic, ebenſo wenig vergeſſen werden eh 
als die zahfreichen Actenſtücke u. Darftellungen der Thaten Napoleons, die feit Se 
gar mit Las Cafes ans Licht Fanien. (&.-d. Art. Napoleon, Schriften.) 
unaͤchſt veränfaßedarch.die Erinunterung des Miniſt. des Innern, wurde die rt⸗ 
lichkeit vieler dunch Denkmäler oder Ereigniffe wichtigen Platze genauer erforfcht , 
und wenn auch nicht alle Einzelfchriften gleiches Intereſſe boten wie Dulaure's 
‚Mist. physique de Paris” (3.'%;,-1824) u. deſſ. „Hist. des environs de Paris”, 
wie die „\ionumens de la France par Al. de Laborde”, die „Antiquites de FAl- 
sace par Golberry et Schweighäuser”- und Eu. Dubarle’s „Hist. de 'nniver- 
site de Paris‘ (1829): fo fand man doch überall dafjelbe Streben nach Verbin: 
dung des Gegebenen mir dem Reize der Darſtellung, das namentlich für die Denf: 
fepriften in freich fo allgemeine Theihnahme rege hält. Diefe unerfehöpfliche 
Elaffe, die man mit Recht als Wahrheit und Dichtung bezeichnen fann, weil die 
„Collection des mémoires histor. des dames franc.”, die „Collect. des m&- 
moires sur l’art dramatique”, bie gleichzeitig mit den „Memoires ou souve- 
nirs et anecdotes de M. de Segur“‘, mit den „Memoires inedits de Mme. de 
Genlis”,. dem „Journa! anecdotique de Mme, Canıpan“ und den,,Mem. de Mme. 
du Hausset”, erfehienen, nicht allgu fern von Picard’ ‚‚Gil-Blas de la revolution“ 
fliehen, oder von deſſelben Berf. „Exalte”, würde einen eignen Art, reichlich ausfül- 
len. — Mußte dach der Roman, wenn erzufagen wollte, das Kleid der Geſchichte an: 
Siehen, das Walter Scott's wetteifernd ũberſetzte Werke tragen, wenn er auf ein gro⸗ 
ßes Publicum rechnen wollte (wie „Tristan le voyageur, ou la France au XIVmo 
sieole, par Mr. de Marchangy‘), vorausgefeßt, Daß er nicht wie Mortonval’s 
„Tartuffe moderne” die Anficht der Zeit, 'oder wie die „Ourika” und der Edon- 
ard“ der Fürftinvon Salm, wie Arlincourt's verdüfterte Scenerien und der Gräfin 
von Souza „Conitesse de Fangy” eine englifche Krankheit des Gefühle anfprach, 
on der die Leſewelt fo müßiger Schriftfteller leidet. Vielleicht gleiche Zahl von Er: 
ſcheinungen bei gleichen Mangel bietet die dramatifche Literatur dar, wo die Namen 
Soumet und Biennet fih zum Ruhm der alten Tragöden emporzuarbeiten fuchen, 
während die muthwilligen Scribe, Delavigne, Sabriel u. Edmond (die Anordnnervon 
„Jocko, drame à grand spectaole“) durch Aufgreifen der fonderbarften Anläffe 
ans allen Theilen der Erde einer lautern Anerkennung geroiß find. Ob durch Geoff: 
roys „Cours de litiersture dramatique‘ den Mängeln, die man fühlt, abgebol- 
fen werdentönne, oberdurch Lemerdier’s „„Remargnes sur les bonnes et les mau- 
vaises Innovations dramatiques“, muß die Zeit lehren. Der allbetrauerte Talma 
fuchte in f. „Reflexions sar —* sur l’art théatral“ wenigftens die Trabi: 
tionen f. Kunſt zu erhalten. Nicht zu verkennen ift, daß durch die vielfältigen Be: 
eihrungen, in welche Frankreich mit dem Auslande gekommen ift, manche dort bei: 
miſche Anficht fremden und entgegengefeßten Bat weichen müffen, die man jegt mit 
dem Bannworte des Momantifchen gefemt bat. Die Claſſiſchen (fe zu ſagen die 
Royaliſten, oder wie fieglauben, die Zegitimen in der Literatur) ſtehen den Romanti⸗ 
fchen gegemüber; einer Art Liberalen, die mehr durch Ankaͤmpfen gegen alte Irrthü⸗ 
mer eine ArtBerband unter fich Haben als durch ußere-und ir ausgefproihene " 
. 22 


Converſations⸗Lexikon. Bd. IV, 


\ 


J 


1: Bransdfiche:AMehlchn.unb Ethrine 


Zeichen („Lo elassiqua et lo romantigue pas Bacur-Lormian“ und „Essai sur 
]a. Jitferature romaniique”, 1825), 6 Haupt.der einen; gilt. jetzt Lamartine 
(4. d.), der Verf, der „Meditations po£güques”, der durch ſ. „Chant du sacre” Die 
Weihe der. Hoffühigfeit-erhalten bat; ‚an der Kpiße der andern ſleht Delavigne 
(£.d.), der Verf. der „Messöniennes”,, Heitexer als Beide u. franzoͤſiſcher in Form 
u. Gedanken iſt Beranger (ſ. d.), der Verf, der „Chansons“, u.der „Chansong 
upuyelles’, die in.größerer. Gunft bei dem Publicum als bei den fünigl. Anwälten 
Gehen, Wie ernft jedoch ‚die franz, Muſen auch zu fprechen vermögen, grrvies fich 
bei dem Tode des Ben. Foyh u. bei Girodet's Tode; Die dorz erfhollenen Klagen bes 
fieben die Bergleichung mit den.beflen. Werken, der fogen, claſſiſchen Zeit, Die in uns 
endlichen Wiederholungen dem jeßigen Sefchlechte wieder vorgelegt. mpräen. oft. mil 
Dermehrungen durch bisher umbeachtete, Reliquien, die eing redlichere Gewiſſenhaf. 
tigkeit der Öffentlichkeitentziehen müßte, Die Reihe der Oeuvaas,. welche die „Bi- 
liographie de la France’ unter des Auffchtift Polygraphea aufführt, zählte im 
J. 4825 nicht weniger als 63 Ilummern. .. Auch die Denkmäler. einer noch fernern 
Dergangenheit bringt der gelehrte Fleiß franz. Literatoren jetzt an das Licht, wie 
Megn’s (des Herausg. des „Roman de’la Rose‘) „Roman du rengrd„publie d'at 
pres les manusgrits de la bibl. du roi” u. Quillaums’s „Becherches sur les au- 
tenrs dans lesquels Lafontaigea pu trouyer. Ins sujets. de ses ſables“ beweiſen. 
Als eine Bereicherung der eigentlichen Literairgrfchichte kann Salfi's Fortfegung von 
Singuene’s „Hist. litteraire de l’ltalie” gelten, die, wie: die: wiederaufgelegte 
„Hist,.de la litteraiarg grecque par Schoell”, wie Oaultiergn,Kssni sur la lit» 
ter, persanne‘ und dig reichhaltigen Beiträge in dem ‚„Journalasiatique” und ing 
den Schriften ‚der gelehrten Vereine und den-Zeitfchriften („Beyue, eucyclop.”; 
„Bulletin universel, ‚par Eerussac”) vom europäifchen Publicum kingft gefaunt 
find. Barbier’s „Dictionn, des ouvrages anonymeset pseudanymes”, 2. Ausg, 5 
Renouard’s „Annal, da l’imprimerie des Aldes“ (2. Ausg), forie der „Cata, 
Jogue des livreg imprimes sur vélin“ bemwähren, daß Bibliogrophie noch ſtets in 
Frankreich mit gewohnter Liebe von geiftvollen Männern betrieben ipird. Beieinem 
Buchhandel, ‚der alle Welttheile umfaßt, und vor den Foftbarften, wie vor den ing 
Einzelne gehenden. Unternehmungen nicht zurückſchreckt, iſt diefe Liebhaberei dem 
Einzelnen ein unerlaßliches Studium, Doch hat in den legten Jahren ſich der franz, 
Unternehmungsgeift mehr in malerifchen Anfichten, topographifcgen Kupferwerken 
(‚Un mois a Venise,. par Forbin et Dejuinne‘‘; „Album du Loiret”; „Album 
‚ Bordelais” ;.,,Vues pittoresques de la France”; „Vues-inedites de France”; 
„Excursion sur les cötes et dans les ports de Normandie”; „Vues dos cöles 
de France‘; „Ports et cötes de France‘; „Sopveniss pittoresques de-la 
Touraine”; „Collection des vues et, monumens de Naney“ u, f. w. alle von 
1825) als in Prachtwerken gezeigt, die auch. dem Auslande als Schäße für immer 
erfchienen wären. Prachtwerfe, wie die Napoleon’fche Zeit fo viele berbeiführte, 
weiß ein Berichterflatter über die jeßige nicht zu nennen, Selbſt die Literatur der Reiz 
ſewerke bietet feine Erfcheinungen, denen dasminderbegünftigte Ausland nicht gleich: 
wichtige entgegenzuftellen hätte. Doch fieht mon in dem „Museedesculpture, par le 
Comte Clarac”, inden Befanntmachungen der Kunſtwerke der öffentlichen Samm⸗ 
lungen u. der Ausftellungsfäle den Segen eier fehr verbreiteten Technik und eineg 
durch Gefeße gegen Beraubungen geficherten Buchhandels, Vol. Boucharlat's 
„Cours de litteyature, faisant suite au Lycce deLa Harpe”’ (1826, 2 Bde); 19 - 
Franzäfifhe Medicin und Chirurgie. Wie D. Casper inf. 
gründlichen und erfchopfenden Sharafteriftit der franzöfifchen Arzneiwiſſenſchaft 
(Leipz. 1822) bemerkt, findet man jebt auf diefem Felde einen Ruhepunkt/ von 
dem aus man einmal bequem prüfend hinter fich fchauen kann. "Die erfien Des 
cennien des 419. Jahrh. find verfloffen. ‚Das Rieſenunternehmen der großem 


Sranzöfifche Mehlche- und Chirurgie 339 _ 


‘franz: medieiniſchen. Encyflopäbie.ift beendet, und gewaͤhrt mit allen feinen Feh⸗ 
lern, ‚wie überhaupt doch einen Schatz medicinifchen Wiſſens, fo ganz befons 
ders einen,bezgichnenden Überbli in die Eulturgefchichte der franz, Medicin. Die 
Fortſchritie per bisherigen pharmaceutifchen Chemie beweiſt die -neuefte franz. Lan: 
despharmafopoe. Line neue Reform aller franz, Univerfititen ift 1820 bewirkt 
worden, zugleich mit ihr erftand.die alte franz. Académie de medecine et de chi- 
Kargie wieder. Und was unter diefen Verbältniffen das Wichtigfle fein möchte, 
eine Fi neue medicinifche Lehre, iſt gleichfalls in der legten Zeit in Frankreich 
mif.allem Geyraͤnge, das neue mebicinifche Syſteme — wenn anders man Brouf 
faißs Doctrin ein Syſtem nennen fann — zu begleiten pflege, bervorgetreten,, 
und fo finden wir Qauptpunfte genug, um eine Charakteriſtik der mediciniſchen 
et und. Kunſt bei unfern Nachbarn daran zu knüpfen. — Was die Hoffmann, 
Stahl, Boerhagve zu Ende des 17. Jahrh. für die Arzneimiffenfchaft thaten, 
das drang in f. Wirfungen auch nach, Frankreich, befonders in die Schule von 
Montpellier, welche damals auf jenes Höhe ftand, die fie faſt zur erſten medicini⸗ 
ſchen Farultät Europas erhob. Bordeu und Barthez, die berühmteften ihrer Leh⸗ 
rer, befannten fich zu dem Stahlianismus. In Paris aber gervann fehon damals 
mit „er Berbreitung der Haller’fchen Lehren und. mit den Phyſikern und Chemikern, 
" wie Supton, Lavorfier, Fourcroy u, A., die Mediein ein mehr empirifches, auf 
Verſuch und Beobachtung reiner gegründetes - Anfehen, und ber ‚Contillac’fche 
Senfualismus, der bis auf den heutigen Tag herrfchendes. philofophifches Syſtem 
in Stanfreich ift, drang mit Eräftiger Herrſchaft indas Reich der Arzneiwiſſenſchaft. 
Diefe Philofophie, die fo innig mit dem Nätionalcharakter verwebt ift, mußte die 
Franzoſen allen höhern metapbufifchen Forfchungen abgeneigt machen, und auf 
welche fpeciellere Wiffenfchaft konnte ein folches Denkſyſtem, das alle Hypotheſe, 
alle Speculation, wenn nicht geradezu verwirft, doch wenigftens ungemein be: 
ſchraͤnkt und feine Reſultate fehr in Zweifel zieht, auf welche Wiſſenſchaft kannte 
ein folches philoſophiſches Syſtem mehr. Einfluß haben als gerade auf die Arznei: 
wmiſſenſchaft? Deßhalb fehen Wir bei den Franzofen diejenigen Fächer vorzugsweiſe 
bearbeitet, die die finnlich:wahrnehmbare Erfcheinung begreifen. Die Anatomie 
hat neuerlichft durch Bichat's Dleiiterarbeiten einen neuen Zuwachs, die allgemeine 
Anatomie oder Lehre von den Geweben, gewonnen, jadie Cultur diefer Wiffenfchaft 
und ihrer Ziveige, ‚der vergleichenden und pathologifcehen Anatomie, ift ein charakte⸗ 
 giftifcher Zug in der franz. Medicin. Mit Anerfennung haben andre Nationen die 
Arbeiten der Portal, Senac, Corviſart, Recamier, Bayle, Laennec, Dupuy: 
ren, Lallemand, Rochoux, Serres, Moulin, Sloquet, Chauffier, Brechet und 
vieler A. aufgenommen, ja das Studium und die Eultur der pathologifchen Anato⸗ 
wie jſt fo vorberrfchend im Charakter der jegigen franz. Medicin, daß viele Ärzte 
ſchon offenbar zu weit darin gehen, wenn fie, wie Casper bemeifl, „überall das 
Product der Krankheit in ‚die Krankheit zu verwandeln fireben, und wenn fie überall, 
120 ein bisher nicht fo genau bekanntes Kranfheitsproduct ihnen aufftößt, gleich eine 
neue Krankheit, sui generis, in das Fach der Noſologie einzudrängen fich bemuͤ⸗ 
gen‘, wodurch, möchten wir binzufeßen, ganz vorzüglich die Diagnoftif geſchmaͤlert 
wird, die auch in der That, einige große Ausnahmen abgerechnet, bei den Franzo⸗ 
fen guf-Eeiner befondern Höhe ſteht. Das, mas wir Deutfchen die Disciplin der 
allgemeinen Pathologie nennen, findet fich bei unfern Nachbarn als Syſtem ausge: 
bildet faft gar nicht, wie vortreffliche Bruchftüde dazu auch ihre Literatur liefern 
mag. Endlich ift geroiß jene Vorliebe der franz. Arzte für das Materielle der 
Grund, warum fie ſchon früh die Chirurgie fo cuktivirten. Schon feit dem 16. 
Jahrh. zählte Frankreich tuͤchtige, ja Epoche machende Wundaͤrzte (A. Parc), und 
song, Anfange des 18. Jahrh. an, aus der Zeit, wo die Le Clere, Louis Petit, 
Briſſot, Anel, Sarengest, St. Yves u. A. lebten, ringt a mit England 


> i 


sa Franzoͤſiſche: Medien und Chirurgie 


am den Preisin der Wendargneitimff: ein Kampf; zu welchem auch: Deiitfchlahd 
in den legten SJahrzebenden fo ehrenvoll feine Streitkräfte aufgeboten bat.‘ (Wal. 
Deutfhe Mebdicin und Chirurgie) Gegen das Ende dei’ 18. Jahrh. 
bereicherten die franz: Chirurgen Ledtän, Louis, Davtel; Anton Petit, Pouteau . 
ihr Fach mit wichtigen Erfindungen, Entdeckungen und Erfahrungen, und befon: 
ders mit dem großen Default (ſ. d.), den Stolz der Franzoſen, beginnt ' 
eine neue Xra für die franz. Wundargneifunft. Seit jener Zeit hat die Chirurgie ein 
offenbares übergewicht über die eigentliche Medicin in Frankreich 'befommern, und 
wir erfehen aus den von Casper mitgeteilten Stubienplanen für die ärztliche? Juz 
gend, daß für die — ſich dies übergewicht dauernd erhalten dürfte.: Wirklich zäßte 
auch Paris — denn Montpellier bat, troß einem neuern, eingebörenen Gerhiht: | 

ſchreiber diefer Schule (Delpech’s „Chirurgie chin. de Montpellier”, Paris 1828, 
2Bde., 4.), dermit emphatiſchen Phraſen fiein die Wolfen erhebt," in derrneueften, 
Zeiten feinen frübern Glanz verloren, fodaß auch für die Medicin, wie ja für alles 
franz. Treiben, Paris jeßt wieder Frankreich ift — jeßt einen Reichthum von bee 
rühmten und ihren Ruhm verdienenden Wundärzten, wie vielleicht feine andre 
Stadt, felbft London 'nicht ausgenommen. Wir erinnern nur an Beauchesne, 
Boyer, Breſchet, Thauffier, Cullerier, Demours, Desgenettes, Dubois, Dupuy⸗ 
tren, Itard, Lagneau, Larrey, Percy, Richerand, Roux it. A. S. Ammon’s 
„Parallele Ver deutschen und franz. Chirurgie” (Leipı. 1823). Auffallend iſt das 
Mißverhaͤltniß zwiſchen diefer Ausbildung der Wundarzneikunſt' im Allgemeinen 
und der eines ihrer Zweige, der Augenheilkunde, die ſich neuerlichft in Deutfch: 
fand und in England fo felbflänktg entwickelt hat. Es tft unbegreiflich, wie bei 
den großen Fortfchritten, deren fich die neuefte Chirurgie der Franzoſen zu erfreuen 
hatte, die Ophthalmologie -fo weit gurüdbleiben konnte, ſodaß Sranfreich in diefer 
Hinficht fich jetzt durchaus nicht mit Deutfchland, oder Auch nur mit England meR 
fen fann. Die Arzte diefer beiden Länder haben die Diognoſtik im Gebiete der Aui 
genheilfunde zu einer faft fubtilen Genauigkeit. vervollfommnet, zu ber ‚die Framjöt 
fen in ihren Beobachtungen am Kranfenbette nun einmal nicht geneigt find. Ferhet 
ift hier fein Einzelner in Frankreich mit einem anregenden Beifpiele-vorangegangen, 
denn Demdurs's großes Bilderwerk wird uns der Sachverflindige doch nicht ale 
Segengrund Hinftellen wollen? Dagegen glänzt die franz. Chirurgie auf einem ver⸗ 
wandten Felde, auf dem der Schörfrankheiten, und die Nachbarn haben den vor⸗ 
ziglichften Abhandlungen von Monfalcon, Saiffy und Itard, befondere dem Ort 
ginalwerke des Legtern Nichtsentgegenquftellen. Verfolgen wir bie franz. Heilwiſſen⸗ 
fchaft noch ferner ins Einzelne, fo glauben wir, daß in der Culturgeſchichte der 
franz. Medicin der neuern Zeit-die Lehre von den Geiſteszerrüttungen den erften und 
ebrenvollften Pag behauptet... Kein Volk hat fo viel für die Verbeſſerung diefer 
Lehre gethan, Keine feit 30 Jahren foiche Sorgfalt auf die Irrenhüufer verwandt, 
als die Franzofen. Man denke nur daran, daß es Frankreich (Pinel, f.d.) war, 
von dem aus rin menfchlicheres und wirklich heilbringenderes Syſtem der Behand: 
lung der unglüdlichen Irren auegegangen ift! In der That haben aber auch wenige 
Länder fo reiche Gelegenheit gehabt, Erfahrungen auf diefem Gebiete zu machem 
als das feit 30 Inhren durch die mächtigften moralifchen und politifchen Stürme 
'erfchüitterte Frankreich, deren Einfluß fo wichtig in Bezug auf dies Thema iff, 
dag Sasper verfichert, wie man „noch heute in den parifer Irrenanſtalten an traue 
rigen, lebenden Beweiſen faft die ganze Gefchichte jener Stürme: wenigſtens ih 
den legten Decennien, ftudiren fönne”. Wirklich zählt Paris nurallein in den'Shf 
fentlichen SYrrenanftalten (Bic-tre, Salpetri're, Tharenton: Jahr aus Fahr ein 
2000 Irren, und außerdem gibt es dort noch etwa 4 Privatverpflegungsanftalten 
für fie, und mie viele Einzelne werden nicht im Schoße ihrer Familien verborgen ges 
- Halten? Hier ift alfo ein befonders hervorſtechender Zug in der: EharakteriftiE der 


Frambſiſche Muſit 341 


franz. Medicin, und ein Zug, der den Franzoſen gewiß Ehre macht und ihnen Rechte 
auf die lebhafteſte Anerkennung der ganzen gefitteten Menſchheit zufichert. Auch 
. im Gebiet der Lehre von den Hautkrankheiten haben fich die Franzoſen ausgezeich- 
net, und Alibert’s Erfahrungen, gehürig ent£lgidet von anhängendem Pußund Char: 
latanerie, bleiben werthvoll und brauchbar, ſowie neuerdings Biett in diefein Sache 
viel verfpricht. - Staatsarzneikunde und mebdicinifche Polizei liegen dagegen, befon- 
ders die letztere, noch ſehr danieder. Hinfichtlich auf die erflere wäre freilich der vor: 
treffliche —* in welchem ſich alle offentliche Kranken: und Armenanſtalten in 
Paris, vom fariftifch : Hfonomifchen Standpunfte aug gefehen, befinden, auszuneh⸗ 
men. Dor der Reyolution und noch 1789 gab es in "Paris 48 Hofpitien (Anftalten 

ir invalide reife und Krüppel) und Hofpitäler, in denen täglich 20,000 Hülfs⸗ 

dürftige lebten; .beitte aber, wo die Kranken beffer und reinlicher gehalten werden, 
kann Paris nur 16,000 Kranke und Arme zu gleicher Zeit und nur in 24 Hofpitä- 


lern und Hofpitien uerpflegen. Wie wichtig aber diefe Anftalten für die feftfiehende 


Devölkerung ſeien, lehrt ein Hinblit auf ihren Wirkungskreis. Dom 1. jan. 1804 
bis i. an. 1814, alfo- in einem Zeitraume von 10 “Jahren, haben fie nicht weniger 
denn 352,915 Individuen, d. 5. jährlich 35,000 Kranke, aufgenommen! Und 
wenn wir die. Bevölkerung von Paris auf 714,000 Seelen anfchlagen, fo würde 
jährd. mehr als der 20. Theil aller Einroohner (1: 203) in die Hofpitäler gefchafft, 
soo wir.noch mehr als 5000 Individuen nicht rechnen, die jührl. in den Hofpitien 
aufgenommen werden! Welchen intereffanten Einblick in das parifer eben und 
Weben geben. diefe Kefultate!- Man begreift, daß der Behörde eine anfehnliche 
Geldſumme zu Sebote fiehen muß, um fo weit ausgebreiteten Bedürfniffen entge⸗ 
genzufommen, Nach Tasper’s Berechnungen belaufen fich die Einnahmen der pari: 
fer Spitalverwaltung jährl. atıf 8 — IMil. Franken! Aber nıan hat diefe Sum: 
me auf eine Art aufzubringen gewußt, die zugleich die Eluge wie die humane Regie: 
rung bezeichnet: denn jeder Einzelne gibt in Paris wol täglich fein Scherflein für 
die armen Kranfen, und er fühlt es nicht, da er es meift nicht einmal voeiß, Alle 
öffentliche Vergnügungsörter: Theater, Marlonettenfpiele, öffentliche Gärten ıc, 
muͤſſen einen Zoll an die Hofpitäler entrichten, Diefe Einnahme allein bat den Ho: 
fpitälern oft jährl. eine halbe Million eingetragen. Außer diefer Summe fliegt eine 
fehr bedeutende. in. den Hofpitalfchaß, welche die Dctroivon den Hallen und Märk: 
ten, und dag große Leihhaus liefern; überdies befigen die Anftalten noch liegende 
Sründe, und die Berwaltung ihrer Sapitalien iftmufterbaft. Weniger mufterhaft 
aber ift die medicinifehe Polizei organifirt, denn Paris iſt noch heutzutage immer. 
die große Marktfchreierbude von ganz Europa, und nad, den neueften Berichten 
drängen fich noch heute wandernde Zahnärzte, Dlitätenfrümer, Hühneraugen⸗ 
operateurs, Fosmetifche Aundfalber und — etwas vornehmere Charlatans in Pa⸗ 


ris eifrig um. den Beutel des leichtgläubigen Publicums, das die Regierung jenen. 
66 


Künftlern nach Belieben zu brandfchagen erlaubt. . 
Eranzöfifdge Mu —* Nach Dem, was Strabo, Diodor u. A. er: 
zählen, iſt nicht zu bezweifeln, daß ſchon die Gallier Kenntniß und Liebe der Tonkunſt 
beſaßen. Auch gehörten die Barden den Celten oder Galen an. Als die Römer-fie 
unterjochten, vertiefen Barden und Druiden ihr Vaterland, und die erflen Spuren 
der Muſik finden wir hier erſt nieder unter den Franken, wo erzählt wird, daß man 
Pharamond an der Spitze des Heeres, unter dem Klange Eriegerifcher Mufik, zum 
König ausgerufen habe, Die Taufe Könige Elovis in der Kirche von St.⸗Remy 
zu Rheins wurde auch durch eine‘ Mufif verberrlicht, die den König fo fehr ergriff, 
dag er nachher die Tonkunſt befonderg befchüßte. In einem Friedensfchluffe verlangte 
er von Theodorich, König der Oſtgothen, ihm einen guten Mufiklehrer und Sänger 
um Unterrichte feiner Prieſter und Sänger aus Italien zu fenden, Der Sänger 
corcdes kain da, nach Frankreich und führte, dort. einen fanftern und lieblichern 


— 


— 


342 0 Zrampbftfche Muffe 


Sthl der Muſtk ein, als man zuwor kannte; die Tonkunſt wurde die Begleiterin aller 
gottesdienſtlichen Gebraͤuche. Unter Pipin's Regierung wurde die Orgel in Frank⸗ 
reich eingeführt. Der morgenlandiſche Kaiſer Konſtantin ſchickte 251 die erſte ati 
Pipin, der fie der Kirche St.:Corneille in Compiegne ſchenkte. Als Karl d. Gr. 
das Oſterfeſt in Rom frierte, entſtanden Streitigkeiten zwiſchen den franz. und ital. 
Sängern über den wahren Geſang. Der Kaiſer entſchied fie dadurch, daß er ſagte, 
das beſte Waſſer werde an der Quelle gefchöpft. Er wandte ſich Daher auch an den 
Papft Adrian und ließ von ihm 2 fehr unterrichtete romifche Sänger, Theodorus 
und Benedict, dazu errwählen, den echt Sregorianifchen Kirherigefäng in Sranf: 
reich wiederherzuſtellen; der eine wurde in Metz, der andre in Soiſſons an die Spitze 
einer Mufikfchule geftell. Die Bermählung des Königs Robert mit Eonftance; 
der Tochter Wilhelms,. Grafen von Provence, wird als Epoche ‚eines neuen Ser 
ſchmacks in der Muſik für Frankreich angeſehen. Kurz darauf’bildete ſich in der 
Provence eine Sefellfchaft Sänger und Mufiker, die man Troubadours, Chantiers 
nannte; fie dichteten Sefünge und fangen fie. Andre nannten —— 
Mendtriers; dieſe begleiteten ihren Geſang mit Inſtrumentalmuſik. Mobert, Sohn 
des Hugo Sapet, war felbft Dichter und Tonfünftler. Ebenſo Thibaufd, König von 
Navarra. Unter Philipp dem Schönen baute man (1313) Theater ’auf, wo man 
Feereien mit Muſik aufführte. Karl V. Tiebte die Muſik fehr und p F feine Tafel 
mit Flötenconcerten zu befchließen. Zur Zeit des heil. Ludwig befchrünfte man hie 
Kunft faſt nur auf Kirchenmufif, Später wurde der Kirchengefang verziert, und 
‚voeltliche Lieder, befonders verliebten Inhalts (Tais), verbreiteten fich im Volke, 
deren Melodien fich erft allmälig vom geiftlichen Gefange entfernten. Die Harfe, 
oder die unferer Violine ähnliche Viole, begleitete fie. Franz I., ein Freund aller 
Künfte, errichtete eine .eigne Tapelle, deren Anführer Mouton hieß; man nennt 
Fevim, Arcadet, Verdelot, Soudimel als geſchickte Tonfünftler jener Zeit: der erfte 
berühmte Componift war Ant. Bromel, Zeitgenoffe des Niederlaͤnders Josquin de 
Prez, des größten Tonfünftlers feiner Zeit, der um 1450 geb. mar und Gapell: 
meifter Ludwigs X11. wurde. Franz J. nahm feine Kammermuſik mit nach Italien, 
und fie vereinigt« ſich in Bologna mit der Capelle Leos X., fo lange beide Herrſcher 
fich da aufhielten. Diefem Umftande, und den Mufifern, welche der Katharina von 
Medici aus Stalien folgten, verdanfte Frankreich aufs neue einen beffern Ge: 
fhmad in der Muſik. Karl IX, liebte und übte Muſik und Poeſie; damals errich- 
tete Sean Antoine Baif in feinem Haufe, in der Borftadt St.⸗Marceau, eine Muſik⸗ 
afademie, bei welcher der König felbft woͤchentlich einmal mitfpielte. Euſtache dir 
Lauroy, aus Beauvais, Sapellmeifter Karls IX. und Heinrich III., war ein treff- 
Ticher Tonfünftler; die alten Noẽls, welche man ım Theil noch kennt, follen meift 
ans den Savotten und Arien entlehnt fein, welche Lauroy für KarltX. feßte. Ballet 
muſik wurde durch den Hof begünftigt. Bei der Bermählung Karfs von Zothringen 
mit der Stiefſchweſter Heinrichs IN. wurde das erfte glänzende Ballet aufgeführt, 
wozu die Mufifmeifter Beaulieu und Salmon die Mufif ſchrieben. Baif war 
Dichter und Componiſt und ging damit um, die Oper nach Paris zu verpflanzen. 
Heinrich IV. achtete die Muſik wenig, eine defto größere Freundin davon tar 
Maria von Medici, Ludwig XI, begünftigte Schaufpiele und Mufit und com: 
ponirte felbft mehre Bieder. Der Geſchmack und die Prachtliebe Ludwigs XIV, 
brachten auch die Muſik fehr in Aufnahme. Mazarin ließ ital. Birtuofen fommen 
und Opern aufführen, z. B. den Orpheus von Zerlino. Sambert, der felbft ein 
. trefflicher Lauten = und Theorbenfpieler war, wurde Dberintendant der Mufif und 
componirte die beiden erflen Opern Perrin’s, welche 1659 und 1671 aufgeführt 
twurden, und für welche Berfuche fich der Nationalgeiſt der Franzoſen fehr inter: 
effirte. 1699 erbielt Perrin das Nrivilegium zur öffentlichen Aufführung der Sing: 
fpiele, wozu er fich mit Sambert verband. Die erfte Oper’war „Pomone“ und 


s 1) 
Stangdſtſche DEE Ds 
erde mit großem Beifall geſehen. Doch Tone: bis auf. Lully die Druffüder Frachzoſen 
noch. im ihrer Kindheit. Er war des Schöpfer des Nationaälgeſchmacks; denn obs - 
ſchon 1633 in Florenz geb., kam er. doch im 44. J. nach- Frankreich’ und brachte fein 
ganzes Leben dafelbft zu. Fr führte zuerfl;fähnere:Diffenanzen: in der Mufit.ein 
und componirte 19 Opern, die meiften von Quinault / und außerdem nach. 20 Bab⸗ 
lets, verſchiedene Moterten und viele Sonaten und Conettte. Seine Chöre find feſt⸗ 
lich groß. Im Recitativſtyl war er ein fo großer Meiſter, daß fich-Die:meiften eurs⸗ 
päifchen Tonfeker danach bildeten, Lully verſtand den Sefang, er fühlte und weckte 9 
Sefühle; ferne Muſik war büchft einfach, aber voll Wahrbeit;: Natur und Af- 
drud. Er grändete Yo den rhythmiſchedeclamatoriſchen, Mufitfiyl; wei 
cher ſtets und-bis’auf unfere ZDit bei den Franzoſen geherrſcht hat. Er: iſt auch Ex 
finder des Menuets; das erſte wurde 1668 von Ludwig XIV. und: einer feiner. Ge 
liebten zu Verſailles getanzt. In das Orcheſter führte er die Blasinſtrumente xin. 
Nach Lullys Tode gab es zwar viele geſchickte Tonkuͤnſcker in Frankreich, fie hatten 
aber nicht Genie genug, um die Kunſt weiterzuführen. Rameau, 4688 in Dijon 
geb., machte ſich zuerſt als gruͤndlicher Orgelſpieler in Paris bekannt, erwarb ſich 
als Theoretiker großes Verdienſt, da er zuerſt ein Syftem des Generalbaſſes au 
ſtellte, und verdunkelte als Componiſt alle ſeine Zeitgenoſſen. Er war 50 Ir alt, 
ale er 1733 feine erſte Oper: „Hippolyte et’Aricie”, aufführte, 22 andre Com 
pofitionen diefer Art folgten ihr und verbreiteten . Ruhm. Er durchbrach den ongen 
Kreis, den fich die vorherigen Tonfeger vorgefchrieben hatten; er hatte viel Feuer, 
viel Kenntniß der Harmonie und der Mittel, große Wirkungen hervorzubringen; er 
iſt der Erfte, der reichere Begleitungen ſchrieb; doch Farin man ihm vorwerfen, . 
er den gefühlvollern Geſang nicht kannte, daß feine Muſik oft überfaden; gefucht, 
geſchmacklos und barod if. J. J. Rouſſeau, der alle Vorzüge der echt itälieniſchen 
Muſik fühlte und kannte, wurde fein entfchiedener Gegner, indem er durch ſein mue 
fifalifches Wörterbuch.und mehre Schriften einen Damm gegen den Modegeſchmack 
1. Landsleute zu bilden fuchte. Ercomponirte felbft [. Oper s „Le devin un village‘; 
die großes Auffehen machte, und inf, „Pygmalion“. erfihufrer das Melodrama; 
außerdem fchrieb er eine Menge einfacher und tiefgefühlsee Nomanzen und Arien, 
Sein Anfeinden der franz. Mufifund f. Vorliebe für die italieniſche war ein Haupt; 
. grund, warum man ihn verfolgte. So hatte ſchon damals die franz. Muſik mit ten 
Italienern zu Eimpfen, welche Pergotefl’s, Jomelli's und Leo's Werke aufführte 
Die Opera comique fonderte fich damals ab; Philidor und Dionfigny arbeiteten 
für diefelbe. Sie nahmen die Italiener zum Müſter. Aber mehr. als irgend Etwas 
- hatte der Riefengeift des Ritters Gluck Einfluß auf die franz. Muſik. Er fam in 
feinem 60. Jahre 17774 nach ‘Paris, wo zuerſt ſ. „Iphigenie in Aulis‘’ aufgeführt 
soufde. Sein eigenthimlicher Sinn, die Alles mit fich fortpeigende Beredtſamkeit 
f. Tonfprache,, die Hoheit f. Styls, die ergreifende Wahrheit f. Ausdruds, gaben 
der dramatifchen Muſik einen neuen Schwung, Meder Melodie noch Harmonie 
herrſcht bei ihm vor; das Ganze wird aber zu einer neuen Dichtung, Ar einer über: 
irdifchen Sprache. Sein Gegner war Piccini, deffen Genie fich. in;den reizendften 
undlieblichften Melödien zeigte, Die Streitigkeiten der’ Gluckiſten und Picciniſten 
machten allgemeines Auffehen. Unterdeffen wirkten die beiden großen. Fremdlinge 
nicht bleibend auf den Nationalgeſchmack der Franzöfen, der immer die eigenthünt: 
liche Achtung behielt, Die ganz einfache gefühlvolle Romanze, dns Eleine muntere 
Volkslied (Vauderiite), die elegante reigende Tanzmelodie find ihnen. eigen; der 
größere Geſangſtyl, die wahre Kirchenmuſik bleibt ihnen freind. Sie fprechen zu 
gern und zu wißig, um Freude an dem wahren Öefange zu haben, Ihr Vortrag ift 
mehr Declamation als Sefang, dem auch ihre Sprache entgegenwirft, und ihre 
Oper ift daher auch vorberrfchend declamatoriſch⸗charakteriſtiſch. Wahrheit: des Aus: 
drucks fuchten ſeit Gluck die größten Opernfeger in Frankreich; nur dag die Charak; 


m 


7 


Sas - . Zeangäfifche Muſik 


teriſtik im Singfpiel.meift auf zufällige-Zuflände geht und aus Mangel an: Fimige 
feit ing Steife oder Übertriebene fällt. Sie lieben überraſchungen und auffallende 
Wirkungen, daher ihre oft unterbrochenen Dieledien, ihre gewaltfamen Ubergänge 
und flarfen Gegenfüge von Forte und Piano. In der Inſtrumentalmuſik find fie 
Ausgezeichnete Deifter und haben große Birtuofen. — Unter den neuern echt frang. 
Tonſetzern müffen wir Gretry (f; d.) nennen, der zuerfi 1768 auftrat. - Sein 
Styl iſt ungemein einfach und echt naiv: er.opfert.Alles der Wahrbeit des Aus 


- druds auf. Seine rührenden Melodien tönen im Herzen wieder. Seine komifchen 


Opern erhielten ungetheilten Beifall. Im Tragifchen erreichte er feinen Zweck nicht, 
in „Richard Lömwenherz” dagegen feinen Sipfel. Ihm vertvandt an Geiſt und Se 
füht it Dalayraz (f.d.); er befißt vielleicht weniger komiſche Kraft, aber ebenfo 
viel fanfte Grazie und Wahrhtit des Sefühls; auch er bereicherte die komiſche Oper 
ſehr. Monſigny, älter als Beide, wird befonders um der Wärme feines Ausdrucks 
willen geſchaͤtzt. Delld Maria fludirte in Italien; der frühe Tod-diefes überaus 
lieblichen Componiften wurde allgemein beklagt. : Außerdem find Gaveaux, Solie 
u. A. in der kleinen Oper beliebt. Mebul (f. d.) gebört zu den größten franz. Tons 
ſetzern; Gluck ſelbſt weihte ihn in den philof. Theil der Kunft em. Kraft, Eigens 
thuͤmlichkeit der ideen, Üteuheit der Wendungen ‚ Kraft und Schonheit des Aus: 
drucks charakterifiren ihn; oft wirft man ihn einen Hang zum Sonderbaren wor 
und einen Mangel an Melodie; doch werden feine zahlreichen Werke in: und außer: 
halb Frankreich flets gern gehört. Er componirte viele ernfle und Eomifche Opern, 
und die berühmteften neuen Nationalgefänge find von ihm. Boyeldieu (f. d.) 
wurde zuerft durch. feine fieblichen Romanzen berühmt; Leichtigkeit und Grazie find 
ihm eigen. Im „Sean de Paris” erreichte er feinen Gipfel. Nicolo Iſouard aus 
Malta Bildete fich in Italien, wo viele ſ. Opern Beifall fanden; in neuerer Zeit‘ 
ſchrieb er viel für Die parifer Eomifche Oper, und f. Werke erregten und verdienten 
großen Beifall, 3.8, „Foconde‘, „Cendrillon“. Berton ift ein fleißiger Tonſetzer; 
feine zahlreichen Werke zeichnen fich Durch fibönen Siefang aus. Catel iſt befonders 
durch f. „HHandb. der Harmonie’ bekannt, worin er eine neue Anficht aufftellt, inz 
dem er alle Accorde in 2 Hauptclaffen, die natürlichen und die fünftlichen, eintheilt. 
Das Tonfervatorium hat feine Theorie angenommen. Er hat einige beliebte Opern 
und viel Ynftrumentalmufif gefchrieben. Unter den KRirchencomponiften Eonnen wir 
außer Soffec, deffen dreiftimmiger Sefang: „O salutaris hostin”, mit Necht bes 
rühmt ift, nur Le Sueur (f. d.) auszeichnen, der unftreitig noch zu den vorzüg: 
lichften franz. Tonfeßern für das Theater und die Kirche gehört. Er fehrieb nur 
ernſte große Opern; fein Styl ift einfach, rein und oft groß, bisweilen aber auch aus 
dem Streben danach etwas kalt und leer. Die Franzofen find mit Recht flolz auf 
ihre, er hatte viele voiffenfchaftl. Kenntniffe und fchrieb mehre Werfe über Theaters 
mufif. Hoch müffen wir einen berühmten Staliener, Cherubini (f. d.), erwah⸗ 
nen, der in ‘Paris fich gebildet hat, und deffen Meiſterwerke unſtreitig jeßt den bes 
deutendften Einfluß auf den dortigen Zuftand der Mufit haben; in f. Werken iſt 
eine Glut der Phantaſie, deren Fein Franzofe ſich rühmen kann. - Auf ihn wirkte 
lud, dann Mozart und Haydn ein, wie denn überhaupt der Einfluß diefer und der 
ihnen folgenden Meifter auf die franz. Muſik unverkennbar if, Dies ift an den 
Anftrumentalcomponiften Onslow und Bochfa ebenfalls wahrzumehmen. In dem 
Singſpiel hat jeßt der etwas roffinirende Auber vielen Beifall. Zu den Haupt 
anflalten für Beförderung der Tonfunft in Frankreich gehört das treffl. eingerichtete 
Conservatoire; e8 verdankt feine Stiftung der Revolution, die alle frühere Concert⸗ 
anflalten zerftört hatte. 1798 fing. es am fich zu bilden; die trefflichften Künftler 
wurden Profefforen in diefer Anftalt, und die ausgezeichnetften Virtuoſen gingen aug 
ihr hervor. Nirgends in Europa fonnte man Mozart!s und Haydn’s Symphonien 
fhöner aufführen Hören als in den öffentlichen Concerten diefer Zöglinge, Keins der 


! 


Sranzöfifches Recht - Frag oͤſiſche Säule 345 


itak Sonfernatorien war nach einem fo großen Plane eingerichtet. Es leiftete auch 
Durch die vortrefflichen Elementarwerke, die Dafür gefchrieben wurden, der Tonkunff 
die wefentlichften Dienfte und hat gute Schüler gebildet, Die berühmteiten franz, 
Virtuoſen neuerer Zeit find: Für den Ssefang: Sarat, Lays, Lainez, Elleviou, Mar: 
tin, die Damen: Branch, Armand, Maillard, Duret, Himm. Für das Pianos 
forte: Adam, Jadin, Kalkbrenner. Für die Pedalbarfe, die in Sranfreich mehr als 
irgendwo einheimifch ift: Mara, Naderman, Bochfa, Dalvimare, Vernier; für die 
Bioline: Rode, Kreuzer, Baillot, Lafont; für das Violoncell: Duport; für die 
löte: Drouet; für dir Clarinette: Lefebure und Ch. Duvernoy; für das Hautbois: 
alentin und Garnier; für das Waldhorn: Frederic Duvernoy und Domnich; für 
Das Fagott: Ozi und Delcambre. Don den Snftrumenten, die in Paris gebaut wer⸗ 
den, find befonders die Erard’fchen Pianofortes und Pedalharfen berühmt. WI, 
Sranzöfifhes Recht, ſ. T:odes, les cinq. 
Franzgsfifge Schule oder Malerkunſt. In den älteften Zeiten 
erbielt Gallien zuerft Durch die Römer Begriffe von Kunſt. Unter der frinkifchen 
Monarchie ftanden die Künfte auf einer fehr niedrigen Stufe, doch wurden die vielen 
Kirchen und Abteien, die man damals baute, ſchon mit Gemälden auf Soldgrund 
geſchmuͤckt. Mufivifche Malereien waren indem Zeitalter der Fredegunde gebräuchs 
lich, ſowie auch damals ſchon die Glasmalerei eifrig getrieben wurde. Aus den Zei⸗ 
ten der Karolinger haben fich-faft gar Feine Kunſtwerke ethalten, da nur einige wenige 
Bildniffe von Karl Martel, Pipin und Karl dem Großen damals verfertigt wurden, 
Ludwig der Fromme liebte die Rünfte; er berief wegen der Verehrung der Heiligen: 
bilder 824 ein Concilium in Paris zufammen. Die bald darauf folgenden Zerftö- 
rungen der Normänner verfcheuchten die Künfte rwieder ganz. Die erften Spuren 
berfelben zeigen fich .in mehren fehr fgubern Mliniaturmalereien, die man noch jegt 
unter den Sägen der koönigl. Bibliothek finder, Wir bemerken hiervon eine Hands 
ſchrift der vier Evangeliften mit dem Bilde des Kaifers Lothar, und die Bibel Karls 
des Kablen. Diefer Fürft liebte die Künfte und berief Rünftler aus Griechenland 
nach Sranfreich, Unter Wühelm dem Eroberer wurden viele Frescomalereien aus: 
geführt. Unter Ludwigs VII. Regierung fingen, befonders durch die Bemühungen 
des Abts Suger, die Künfte an zu: blühen, vorzüglich die Eoftbare Glasmalerei. 
Er ließ die Fenfter der Kirche St. Denis malen. Jetzt gewannen auch die Emaille: 
malereien höhere Bolltommenheit und wurden unter dem Damen Emaux de 
Limoges befannt. Unter Ludwig 1X. füngt eine glũcklichere Periode für die Kuͤnſte 
an; feine Schicffale und Züge in das heilige Land boten den Künftlern reichen 
Stoff. Alle Darftellungen gewannen in diefem Zeitraume mehr Leben und Aus: 
druck. Religion nnd Phantafie müffen in das Leben übergehen, wenn die Kunſt 
erwachen foll. Karl V. that alles Mögliche, um die Künfte zu befördern. Wir 
finden noch viele Denfmale aus diefer Zeit in Frescogemälden, gemwirften Tapeten, 
mie Miniaturen verzierten Handfchriften. Die Sefchichte der Johanna von Arc 
sourde der Segenflar.. verfchiedener Malereien,.und das Denkmal, welches ihr 
Karl VII. 1358 auf der Brüde zu Orleans feßen ließ, war das zweite bronzene 
Monument in Franfreich. ent der Gute, der Dichterfürft, gehörte felbfl/zu den 
berühmten Malern des 15. Jahrh. Man bewahrte zu Air in der Provence fein 
von ihm felbft gemaltes Portrait. Es foll denen der alten niederländifchen Schule 
ähnlich fein. Doch erft unter Franz I. wurde der. Kunſtgeſchmack gehen, und 
bier fängt die eigentliche Geſchichte der Malerei.in Frankreich an. Sie beginnt un: 
ter Einfluß der Italiener. Leonardo da Vinci fam 1515 nach Franfreich und farb 
in des Königs Armen. Andrea del Sarto kam auf einige Jahre in feine Dienfte, 
Roſſo de? Roffi, unter dem Namen Maitre Roux befannt, wurde 1530 erfter Hof: 
maler und Oberauffeher aller Verfchönerungen zu Sontainebleau. Da man die 
Malereien gern mit Ötudaturarbeiten vereinigte, fo berief Franzi. zu diefem Be- 


Ba Franzodſiſche Schule Ei 


Hufe den Primaticcio, welchen er zu feinem Kammerherrn machte. Diefem ſvlgten 
mehre italieniſche Kuͤnſtler, welche eine Künftlercolonie bildeten, wie einſt die Brie⸗ 
chen in Rom. (Man lefe darüber das Leben Bewwenuto Cellini 8.) Kupferftecher 
vervielfültigten die Werke in Fontainebleau. Alle franz. Maler wurden nur durch 
fie gebildet und erzogen. Francois Clouet, genannt Janet, und Corneille von Lyon 
waren die erften beffern einheimifchen Portraitmaler, In der Ölas:, Emaille: und 
iniaturmalerei, forie in der Tapetenmweberei, zeichneten fich die Franzoſen befon- 
ders aus. Ihr Streben richtete fich immer dahin, die Kunft mehr zum Schmud 
zu benußen, ale in ihr das Hohe und‘ Heilige zu fühlen; ihr Talent zeigte fich mehr 
im Technifchen und Afadernifchen als im Poetifchen. Bramante, der vom Papſt 
Julius 1. den Auftrag erhielt, die Fenſter des Vaticans durch Glasmalereien zu 
zieren, berief die franz. Künftler Claude und Guillaume de Marfeille dazu nach Rom. 
Mit Jean Coufin, zu Soucy bei Sens geb., der noch 1589 lebte, füngt die 
Reihe ber berühmtern franz. Maler an. Er befag gründliche Kenntniffe von der 
Derfpective und Architektur, Seine SHasmalereien, befonders die Kirche von St. 
Gervais in Paris, find’ berühmt. &ein Dfgemälde:- das jüngſte Gericht, in der 
Sacriſtei der Minimen bei Bincennes ‚. war das erſte größere Hiftoriengemälde, 
Franz I. füderte ihn und feine Beitgenoffen auf, wetteifernd edle Kunſtwerke hervors 
zubringen; er ſammelte fie und vereinte viele herrliche Werke Leonardo’s, Rafael's 
und Mich. Angelo’s damit; dies war der Grund des parifer Muſeums. Damals 
wurde auch die Manufactur der Gobelinstapeten eingerichtet. Mart. Freminet, 
geb. zu Paris 1567, bildete fich befonders nach’ Mich. Angelo und wurde erſter 
Hofmaler unter Heinrih IV. Boch kaum hatte die Kunft in Franfreich die erften 
Stufen des Wachsthums erreicht, fo Eränfelte fie roie eine Treibhauspflarze. Am 
meiften trugen die ausfchmweifenden Sitten an den Höfen Franzs Il. und Karls IX. 
dazu bei. Die Kunft wurde entreürdigt zu üppigen Darftellungen nach den Ideen 
des Aretino, und verlor Dadurch Adel und Reinheit; die Zeichnung war unrein, die 
Farbengebung fraftlos und ohne Harmonie, An Simon Vouet (geb. zu Paris 1582, 
geft. 1641). erhielt Frankreich einen ausgezeichneten Nationalkünftler, der eine’ 
Schule fliftete und den Geſchmack wieder reinigte. Er hatte den Drient gefehen 
und bildete fich in Venedig und Rom. Sein Styl mar etel und wirkungsvoll, Er 
war überhäuft mit Arbeiten, und erhielt auch befonders bie von Philipp von Cham— 
pagne angefangene Galerie berühmter Perfonen zu malen. Zuleßt verfiel er in das 
Manierirte. Aus feiner Schule gingen Lebrun, Zefueur, J. B. Mola, Mignarbd, 
du Fresnoy, Chaperon, Dorigny, und feine eignen Brüder Aubin und Claude V. 
bervor. Seine berühmteften Zeitgenoffen waren: Noël Jouvenet, Allemand, 
Perrier, Quintin Varin u. A. m. Der Letztere war der Lehrer des großen Nic. 
Douffin (f d.), den man den frang. Rafael nennt, Diefer war zu Andely 1594 
geb. und ſtammte aus einer armen adeligen Familie; er-bifdete fich ganz in Rom. 
Sein ideales Streben, fein tiefer Sinn und feine edle Einfachheit wurden an dem 
nur Glanz und Sepränge lieberiden Hofe Ludwigs XIV, nicht verſtanden. Pouſſin 
war ein philoſophiſcher Maler; er wollte mehr für den Seift als für die Sinne ma: 
len, und oft wollen feine Werke num unter der Hülle des dichterifchen Bildes ernfteg 
Rachdenken wecken. Er war der erſte Landſchaftsmaler im heroifchen Styl. Sein 
Schüler Dughet, der nach ihm auch Safpard Pouſſin genannt wird, zeichnete fich 
befonders als Landfchaftemaler aus. Die übrigen berühmten franz. Maler diefer Zeit 
waren: Le Valentin, geb. zu Eolomiers 1600, geft. 1632; er bildete fich nach Ca⸗ 
ravagglo und hatte mehr fühne Kraft als feine franz. Vorgänger; Jacq. Blanchard, 
geb. 1600, geft. 1638, erwarb. 'fich den Beinamen.tes franz. Titian und war der 
vollfommenfte Eolorift unter feinen Zeitgenoffen; Claude Gelee (f. d.), genannt 
Claude Lorrain, geb. 1600, geft. 1682, der treffe Randfchaftsmaler aller Zei: 
ten, welcher ſich aber ganz in Italien bildete, Ehauveau würde wegen des Feuers 


— 


Btanzöfifche-Schute 337 


_Piner Esimpefiiönen gerint. SBie Mignarde, aus Trohes in Chanıpagne, eiche 


neten fich ſehr aus; der altere Bruder, Nicolas, den man Mignard von Avignon 
nennt, war beforiders Portraitmater; der jüngere, Pierre, wurde Mignairo le 
Romain (f. d.) genannt; er ftarb 1695, berühmt durch meifterhafte Portraits 
und große Srescomalereien ; eine der auggezeichnetfien unter leßtern iff die Kuppel 
der Kirche des Val de Grace in Paris, wo über 200 Figuren dargeftellt find. Auch 
in dem taͤuſchenden Copiren akter Meiſterſtücke hatte er. ein feltenes Talent. “ Die 

razie feiner Manier und die Lieblichkeit feines Colorits find befannt und erheben 
ihn zu einem der erſten Künftler Frankreichs. Auch Seb. Bourdon verdient genannt 
ju werden. Doch der größte aller damaligen Künftler war Euffache .Tefueur 
(f.d.), geft. 1655. Er biſdete fich, ohne jemafs ‘Paris zu verlaffen. Er ftudirte eifrig 
Rafael's Werke, mit deren Geiſt er fich durch Kupferftiche vertraut machte. Sein 
Styl Hat etwas ungemein Einfaches, Edles, Stilles; feine Zeichnung iffrein, fein 
Eolorit fanft harmoniſch, obſchon etwas matt. Berühmt iff die Folge von 22 Se 


mälden, worin er den Lebenslauf des heil. Bruno darftellte. Tr war zu ausgezeich ⸗ 


. 


net, als daß ihn nicht der Neid feiner Mitbürger hätte verfolgen follen. .Selbft nach 
ſ. Tode mußten f. Gemälde in dem Earthaͤuſerkloſter mit Sittern umgeben werden, . 


um fie gegen verftümmelnde Bosheit zu fchüken. &. Werke find außer Frankreich 


. wenig befannt. Berühmt iſt Charles Lebrun (f. d.), geft. 1690. Allediefe Kuͤnſt⸗ 
fr waren ſchon gebildet, als Ludwig XIV. den Thron beftieg, deffen mehr auf 


äußern Prunk gerichteter Sinn der wahren Kunſt nicht fehr günflig war, Nur 
Lebrun feierte unter ihm fi glänzendfte Zeit und gewann eine Alleinherrfchaft über 
Alles, was Kunſt betraf. Sein berühmtes Meiſterwerk: Alezander, der die gefangene 


game des Darius befucht, malte er unter den Mugen des Königs, der ihm ein’ 


immer in f. übe in Fohtainebfeau dazu einräumte. Seine Arbeiten find ungemein 
iahlreich , überall fieht man Genie, Feuer und Seichtigkeit, aber auch echt franz. 
Manier und ein Hinneigen zum Theätralifchen. Da er auf den Minifter'Cotbert 


- großen Einfluß harte, errichtete er durrch ihn die franz. Akademien der Kunft in Rom 


—— 


und in Paris, wovon die letztere ſich befonders dem Zunftzwange der alten Akademie 
des heil. Lucas in Paris entgegenſtellte. Nach Lebrun's Zeit verliehen die Franzo⸗ 
fen die gute Bahn und das Studium der großen ital. Meifter. Lebrun date viele 
ausgezeichnete junge Künftler beredet, Kupferftecher zu werden, um feine Werke das 
durch vervielfacht zu fehen. Unter diefen zeichnen ſich Gerard Xudran, J. Mariette 
und Gabriel Lebrun befonders’aus. Die genannteften Künftler der fölgenden Zeit 
find : Mola; die Brüder Courfois, genannt Botrguignon, große Schlachtenmaler ; 
Noẽl Coypel und deffen Sohn Antoine, dereri reiche Phäntafie und Farbenzauber 
allgemeinen Beifgll erwarb, die aber auch den wahren Ausdrud in theatrafifche 

bertreibung verwantelten. Die Familie der Boulogne war rei an ausgezeichnes 
ten Malern. Vivien, Jouvenet, Cheron, Parrocef, Sylveſtre, de Largilliere, 
Rigaud, Andre, La Fage, maren fleißige und geſchickte Künftler diefer Zeit, doch 
alle nicht frei von Manier. Ganz diefer allein Huldigend wurde Watteau der Lieb: 


- Img feiner Zeit, indem er lauter ſcherzhafte Eleine Segenflände mit der affectirteften 


Grazie darftellte. Unter Ludwig XV. wurde der Spiegellusus, die Paftellmalerei 
und der Geſchmack an Tameengemätden fo herrfchend, daß er die wahre Kunft völlig 


verdrangte. Loriot entdeckte damals die Kunſt, Paftellfarben zu firiren. Die Fa: 


mifie Banloo (f. d.) fing zuerft an, dem finfenden Geſchmack entgegen zu arbei⸗ 
ten, fo auch Ant. Pesne, der wackere Pierre Süubleyras und Lemoine; es würde 
diefen beffern Künftlern gelungen fein, went nicht zwei Maͤnner, Chriſtophe Huet 
und Fran: ois Boucher, den völligen Verfall der Kunft herbeigeführt hätten. Letz⸗ 
terer, der 1704 geb. war und 1N0 ftarb, fröhnte mit feiner Kunft nur der ge: 
meinften Sinnlichkeit ımb Unfittlichfeit. Kein Maler irgend einer Zeit hat die Kunfl 
ſo entweiht; wie er, Attiret, 1102 zu Dole geb,, wurde don den Miffionarien 


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47137 nach Being berufen, :ron feine Arbeiten: dem .chinefifchen Kailer und .allen 
Großen des Reichs ungemein gefielen, fodaß er dert eine Beichnenfchule errichtere 
umd flets für den Kaiſer befhäftigt war, der ihn zum Mandarin erheben wollte. 
Er ftarb dafelbft 1763. In Frankreich ift die erfte freundliche Erfcheinung wieder 
fer Landſchaftsmaler Hof. Vernet (f d.), geb. 1114, gefl. 1789. Die Natur 
mußte den Sinn für Kunft wieder zurüdführen. Seine Darftellungen der See, in 
allen Bewegungen derfelben, und feine Hafengemälde find einzig und unübertreff: 
lich. Tiefes Gefühl, reiche Phantafie und raftlofes Studium der Natur bildeten 
ibn. Der Graf Caplus (f d.), geft. 1765, that. als eifriger Alterthumsforfcher 
biel für die franz. Kunft und fliftete SPreife zur Aufmunterung der Künftler, 
Greuze, den man oft den Grazienmaler nennt, trat jeßt auf; er war 1726 zu 
Touren geb. und flarb 1806. Man kann in den wahren Volfsmaler der Fran: 
jofen nennen, denn feine ganz aus dem häuslichen Leben. genommenen Bilder jeiche 
nen die.eigentbümlichften — der Denk- und Empfindungsweiſe ſeiner Mitbürger. 
Seine Gemaͤlde find einfach und lieblich, an das Empfindfame grenzend, natürlich 
aber pariſer Natur Barftellend, die nie frei von Monier iſt. Er ſtiftete die beliebte 
Sattung, die man tableaux de geure nennt. Dien (f. d.), geb. 1716 zu Mont» 
pellier und geſt. 1809, wurde der erfte Berbefferer des Kunftgefehmads und der Bas 
ter und Neftor der neuen Schule. Eine edle Einfalt, richtige Zeichnung und treue 
‚, Nachahmung der Natur zeichnen feine Gemälde aus. Aus feiner Schule ging. der 
berühmte David}. d.) hervor, der Stifter der jegigen Schule. Dieſer führte zu: 
erft wieder dag firenge Studium der Antife und der Patur.ein und bewirfte fo mit 
£röftigem Einfluß einen reinern Styl und richtigere Zeichnung, ale fie noch je in 
Sranfreich geberrfcht hatten, Seine Verdienſte um den geläuterten Kunſtgeſchmack 
T. Nation, f. Feuereifer und raftlofer Fleiß, ſ. Liebe für alle f. Schüler und f. väter 
liche Sorge, jeden für das ihm eigenthümliche Fach zu bilden, find einzig in ihrer 
Art. Er iſt ein zu ausgezeichneter Künftler, als dag f. Werke nicht hätten ebenfo 
barten Tadel als begeiftertes Lob erfahren follen. Vincent, Kegnault und Decnageot 
find gleichzeitige brave Künftler. Die Revolution brach aus, und 1791 bob die 
Nationalverfammlung jede Kunftanftalt auf. Die berrlichften Kunſtwerke gingen 
Durch die rohen Ausbrüche der zerflörenden Freiheitswuth verloren; doch ein neuer 
Geiſt entflammte zugleich die Semüther und die Phantafie der Künftler. Die Pa: 
frioten traten unter dem Damen einer Volks: und republifan. Kuͤnſtlergeſellſchaft 
zuſammen, zu roelcher jeder Bürger freien Zutrist erhalten und ihren Verſamm⸗ 
lungen im Rouvre beimohnen konnte. Die Hauptereigniffe der Revolution befchäftige 
ten die Künfller ; wurde der Ausdrud dadurch auch an grelle Übertreibung eewöhnt, 
fo war doch die fade frühere Manier ſolcherweiſe plöglich vertilgt. Zuvee, ein fehr 
gefsidter Künftler, wurde Direetor der franz. Akademie in Ren. Unter Napoleons 

egierung wurde Alles aufgeboten, um die Kuͤnſte Fräftig zu unterflüßen, und eine 
außerordentliche Anzahl bedeutender Künftler entfaltete ihre Talente ſchnell und 
glanzend. Die 3 berühmteften Malerſchulen waren die von David, Regnault und 
Vincent. Aus David’s Schule bemerken wir den vortrefflichen Drouaig, der, ſowie 
Harriet, in früher Jugend, 1788, in Kom fiarb; bei feinem Eifer für Alles, mas 
erhaben, gut und edel war, f. zarten Echönbeitsfinn und f. nie mit fich zufriedes 
nen Befcheidenheit, wäre er wahrfcheinlich Frankreichs größter Künitler geworden. 
Gorard (f. d.), der fih durch f. großes biftorifihes, vom Kunig gefauftes Gemälde 
des Einzugs Heinrichs IV. in Paris berühmt gemasht bat, ſteht an der Spitze der 
lebenden Schüler David's; Gros, Ingres, Peptavin, Hennequin, Bertbon, Se: 
vangeli, Mad. Laville-Leroulx, Mad. Angeligque Monges, Mad. Barbier ⸗Val⸗ 
bonne, van. Br -tund Richard (aus Lyon) gehören zu den ausgezeichnetiten ſ. Schü— 
ler; Legterer führt romantifche Scenen aus dem Mittelalter, in ganz Eleinen Bil 
dern, mit überaus zartem Pinfel und allem Zauber der: gewählteften Beleuchtung 


’ 


« 
⁊ 


Franzbſtſche Sprache 349 

, u . . . - -, x vorne. on 
md ber Luft⸗und Linienperfpective aus. Regnault iſt das KHaupt.einer beiten 
chule; feine eignen Werke find correct und Iteblich , wenn ſchon nad, etwas an 
die alte Weanier erinnernd. Sen berühmtefter Schüler ift Guerin (ſ. d.), Künft 
ler vom erften Range. Unter feinen zabfreichen Schülern find Landon (der die 
„Annales du Müsee” herausgab', Menjaud, Blondel, Moreau und’ befonders 
der vortreffliche Portraitmaler, Robert te Fevre, bemerfensperth, Regnaule bat 
ein eignes Attelier für Kuͤnſtlerinnen und bildete viele ausgezeichnete, wie Mad. 
Auzon, Lenoir, Ramany, De. Lorimier, Benoit, Davin-Mirvaug ıc. Bin: 
cent, La Grence, Tailloſſon, Peyron, Monfiau, Le Thiers und Prudhon (der 
fi :befonders nach Correggio zu bilden firebte) gehören zu den vorzüglichen Altern 
Künftlern in, Paris. Girodet (ſ. 8), geft. 1824, ale Hiſtorienmaler, Iſabey 
ud Auguſtin ale Miniaturmaler, Trolling als Maler von Converſationsſtücken, 
Retour: ale trefflicher Blumenmaler, Walericiennes als Landſchaftsmaler, Mad, 
Tlaudri; Gattin eines geſchickten Bildhauers, ale Nachfolgerin von Sreiize, Mad, 
Kugler, als Emaillemalerin, und Desnoyer&nebft Bervte (f. Beide) als- aus⸗ 

nereichnet treffliche Kupferftecher, find wahre Zierden ter neuern Schule. Die Per: 
linigung der —* Kunſtwerke aller Nationen, die mehre Jahre lang im Mus 
ſeum in Paris aufgehäuft waren, und der rege Kunſteifer des damal. Directorg, 
Bivant Denon, der felbft trefflicher Skizgenzeichner war, medten jenes fehlums 
mernde Kunſttalent und brachten alle glänzende Wirkungen rafcher Thätiäfeit her⸗ 
dor. Doch von dem 'eigentlichen ftillen heiligen Geiſte der Kunft find wenige Liefer 
sohllgfen neueren franz, Kiümftler durchdrungen; ihre Darftellungen find.oft mehr 
theatralifiy als mahr, mehr empfindfam als gemuͤthlich. Daher rührt auch der ents 
ſchiedene Mangel an Empfanglichkeit der Franzofen für das Studium und die Er⸗ 
kenntniß der altdeutfchen Malerei. Nur der Sinn für Die echte Antike ift endlich un⸗ 
ter ihren, durch "David geweckt worden. Das Praktifche ihrer Kunft beherrfchen fie 
aber meifterbaft, mit Leichtigkeit und Sicerkei . Vorzüglich find fie gute Zeich⸗ 
ner. Seit der König zurückkehrte, ift Graf Forb in (f. d.), felbft ein geſchickter 

Künſtler, Director der Mufen: und Kunftanftalten. . WR 
Fraänzdſiſche Sprache. In Gallien war inden früheften Zeiten die 
ceftfche Sprache üblich. Anklänge davon erhielten ſich am langſten in Bretagne, 
und man’bdr in Paris eine Academie celtique errichtet, um über Sptache und 
Aiterthuͤnmer der Urbemohner Nachforſchungen anzuftellen. Mit dein Eindringen 
der Römer unter Julius Cäfar wurde die römifche Sprache berrfchend; mitden . 
Berfall des roeftrömifchen Reichs artete auch fie aus. Ein’ verdorbenes Latein ents 
fand durch die Anefprathe der germanifchen Organe und durch eingemifchte früns 
Mfche und Burgundifche , oſt⸗ und tweftgorhifche "Wörter und Nedensarten. Man 
nannte diefe neue Bolksfprache das Romano, und fie theilte fich, von ihrer Ent: 
fiehung an, in’ 2 Haupimundarten. Die Art, eine Bejahung auszudrücken, 
bezeichnete ihren Lnterfchted. Die ſuͤdliche Sprache nannte man längue d’Oc, 
Spyprache von De, oecitanifche Sprache; die Sprache aber, die man noröwaͤrts von 
der Loire an redeter langue d’Oni oder d'Oit; aus dieſer ift das Neufranzäfifche 
entffanden, Im Anfange des 42. Jahrh. vereinigte Raimond von St.Gilles, 
v. Provence, Südfrankreich unter eine Herrichaft, der er den gemeinfamen 
Amen Provence gab, und feitdem nannte man die beiden Sprachen: ‚die proben: 
califche umd die franzöftfche. Noch iftjene, wiewol fehr verändert, die Landesſprache 
m der Provence, in Languedoc, Satalonien, Valencia, Majorca, Minorca und 
Sardinien. Im 13. Yahrh. gewann die weit profaifchere nordfranz. Sprache das 
Übergeroicht. Die franz. Conteurs durchzogen nicht allein das Land,“ fondern Pa⸗ 
ris wurde auch der Sitz der fcholaftifchen Philofophie, wohin man ſich draͤngte und 
wo man Pflanzſchulen fürdte Jugend antegte. Bon dem urfprünglichen Charakter 
Ver. Oi Sprache hing ein Theil der Bildung ab, dendie franz. Literatur erhalten 


350 Stanzdfifche Sprache, 


follte, Esfehlte ihr, von ihrer Entſtehung an, der vollſtaͤndige Sylbenfall ber ita⸗ 
lieniſchen und ſpaniſchen Sprache. Sie war mehr durch Abkürzung als durch ſo⸗ 
nore Umbildung der lat, Worte entſtanden. Die Franken und Normannen entrif: 


fen den fgt. Worten die charafteriftifchen Endſylben und verwandelten fie in,den _ 


dumpfen germanifchen Halbvocal, der in der Folge.felbft aus der gewöhnlichen Aus: 
fprache weichen mußte und nur für den Geſang und die Orthographie erhalten 
wurde. Abgerechnet diefe Verſchiedenheiten, hatte fich, das franz. Nomanzo nach 
demfelben granimatifchen Typus, wie das italienifche, fpanifche und portugiefifcher 

ebildet.. Damals beobachtete man noch in den vielſylhigen Wörtern eine.beflimmte 

ccentuation der Sylben nach einer profodifchen. Auantität. Wahrſcheinlich ſtarb 
der lat. Rhythmus in der franz. Sprache nicht eher völlig.ab, als bis man anfing 
eine Eleganz im Berfchluden des dumpfen Halbvocals zu fuchen. Es iſt unbekannt, 
wann diefer Gebrauch anfing beliebt zu werden; wahrfcheinlich ging er. von Paris 
- aus, -da in dem Patoig der parifer Volksfprache alle düumpfen € verfehwinden.. Die 
Gewohnheit zerflörte den metrifchen Gehalt der Sprache. An die Stelle des wah⸗ 
ren Rhythmus trat unvermerft eine willfürliche Schattirung der Höhe und Tiefe, 
Stärfe und Schwäche der Tone... Dadurch gemöhnten fich Die Franzofen mehr arı 
einen rhetorifchen Numerus als an’eine poetifche Anficht der grammatifchen Fors 
men, Die Natur der Sprache felbfl leitete mehr zur Beredtſamkeit als zur Poeſie 
bin; ſchon ihre eigenthuͤmliche Kafchheit Fam der feinen Dialektik fehr zu Hälfe, 
Franz J. errichtete 1539 eine Profeſſur für die franz. Sprache in ‘Paris und ver- 
bannte die Tateinifche ausden Serichtshöfen, wo fie bis dahin geberrfcht hatte, und 
aus den Urkunden, Der Cardinal Richelieu brachte durch ‚Stiftung deu. Akademie 
der Vierziger (Académie francaise oder Acad. de quarunte) 1635 die Sprache 
auf den Sipfel ihrer Vollendung. Die franz. Akademie wurde der Obergerichtshof 
der Sprache,umd Literatur. Ihre Verdienfte um erffere find befannt. Aber in; 
dem, fie die rohe Freiheit des Sprachgebrauchsaufhob und die Norm, nach der von 
nun an reines Franzoſiſch gefhrieben und gefprochen werden follie, im Wefentlichen 
unveränderlich beftimmte, entjog fie auch dem Genie alle Mittel, durch vernünftige 
Freiheit, nach mehr ale conventionnelfen Bedürfniffen, die Herrfchaft des Geiſtes 
über die Sprache zu erweitern. Nur mas bei Hofe galt, wurde von der Afademie 
gebilligt ; ‚nur Das, was dief ‚erlaubte, wurde von dem Publicum angenommen, 
Elegant wurde nun die Sprache. Sie erhielt diegefülligfte Correctheit und ‚eine 
bewundernswuͤrdige Beſtimmtheit, durch welche fie fich ſowol zur Sprache der Wiſ⸗ 
fenfchaften empfahl, als fie fich dem Staatsmanne zur genaueften Bezeichnung po: 
litiſcher Verhältniffe und dem Weltmanne zum beftimmteflen Ausdrude feiner Des 
obachtuingen undleichter Artigkeiten, welche zu Nichts verbinden follen, darbot,. Jeder 
Gedanke fam fo nett, fo £lar, in fo fcharfen Umriffen zum Vorfchein, daß der Wig 

und der falte Berftand fich in jeder Phrafe fpiegeln konnten, Die rein.franzöfifch war, 
Aber wo Phantafie und inniges Gefühl einen Ausdruck verlangen, der den freien 
Seift über, alle hergebrachte Formen erhebt, da mußte dag Genie den Geſetzen einer 


[6 


- 


Sprache erliegen, die ſchon an fich weder reich noch malerifch, nun noch jedes Wort 


und jede. Wendungausftieß, Die bei Hofe und in der hofmaͤßigen Akademie nicht. ges 
‘hört werden durften. Die Armuth der Sprache erfcheint unverkennbar auch in 
ihren vielen Calembourgs und Zweideutigkeiten. Doch bleibt. feine Sprache paſ⸗ 
fender für. den feinen Weltton und für die Kunft, mit vielen fehönen Redensarten 
. Michts zu fagen, ſowie feine an ähnlichem Reichthum von eigenthünmlichen bezeich⸗ 
nenden und pifanten Ausdrücken für alle und die feinflen Beziehungen des gefell; 
en Lebens mit ihr ſich meffen Fann, woraus fich auch ihre Annahme aly 
Hoffprache für.fo viele europäifche Länder erklärt. Aber jeder poetifche Sevanfe 
wird. durch fie erſchwert, obſchon die beiten Rouſſeau, Grau von Stacl ı ‚X 
einen glänzenden Sieg über fie errungen. Unter Ludwig, XIV, trugen die Vorzuͤge 


Franzbſiſche Scmatsfunſt 354. 


der. frangs. Gchriftfieller, die. häufigen Reifen nach Frankreich, Die. Refugks,.:die 
Menge franz, Erzieher in -gndern Ländern, ungemein viel dazu bei, diefe Sprache 

zur.allgemeinen. zu machen. ‚Seit 1735 wurde fie auch ‚Die allgemeine. Stanfgr 
fprache ; beiden vorhergehenden Friedensfchläffen.bebiente.anan ſich noch Häufig der 
Ipteinifghen. Die Revolution führte manghenewe Worte und Wendungen ein, wozu 

man. ein eigneg Worterbuch von Snetlage hat; .allein.die meiften derfelben wurden 
ſchnell wieder yerbannt und gingen nieht. in die.edfere ‚Schriftfprache-über. Unter 
den NBörterpüghern fleht das der Anademie francaise oben an (guerft1694,2 Bde., 

Fol. feitdem die 5. Aufl, 2 Bde, 4, mit e. Supplem.,-1825). Außerdem vers 

dienen Erwähnung die Wörterbücher or Dichetet (neue Yusg, von Soujet),. Fure⸗ 

tiere (neue: Ausg. yon- Basnage Beauval und Riviere),Trevoux, Boifte (4 
1829, 4.) und das nach Rivarol in 6 Liefer.,. 4829,. Für ung Deutfche verdienen 
bemerkt zu voerden die yon Schwan, des deyx. nations und yom Abbe. Mozin. 
Fur die. oltfranz. Sprache: „„Recherches .des antiqnitss de lalangue franguise, 
0» Digt.-gaulois par P. R.“ (Pierre Borelle, Paris 1667, 4.). Gute Sprache 
kehren hat man von Wailly, Reſtaut, dela Veaux, Levizac („Gramm, phälgs„ et 
littẽr.“. Baris.1801, 2Bde) und Girault Duvinier („Gramm. des grammasres’, 
6, Aufl., Paris 1827,. 2 Bde). Girard's Synonymenmworterbuch (neu von dOli⸗ 
yet, dann von Banzee und, zuleßt,. bedeutend ‚ermeitgzt, von Roubaud) iff vorzüg⸗ 
lich. Als Sprachkritifer nennen wir: Daugslas, Beuhgups, Boisregard,, Deges 
rando und Abbe de Bellegarde. Hoc. find zum Orudium, brauchbar. Mawillen, 
„Sur. bes. germanismes et, ;gallicismes”; Laveaux, „Diet. raisonne des diffir 
aulies.grammatic,. et litter. de Ja’langue.-franc,”, und Planche, „Dict. Sranc, _ 
de Ja.langue oratoire et,poctique”, Auch vgl. man das treffliche Werk von Kolbe; 
„Uber dep Wortreichthum der deut ſchen u. franz, Sprache”, Den außerordentkchen 
Reichthum der Jeßtern aber an Wortfornien für. alle Beziehungen des gefelligen Bers 
kehrs lernt man am beften aus dem fchäßbaren und intereffanten „Dicliony.eomi- 
que, sabyfique, crilique, burlesque, libre et proverbigl, par Philibert Joseph 
le Roux‘' (yon 1735) kennen. Diefer Reichthum, der,es.uns Deutfchen noch ime 
mer ummöglish macht, in dengefellfchaftlichen Verhaͤltniſſen franz, Ausdrüde gang 
zu entbehren, ift felbft die Deranlaffung zu der feltfamen. Erfcheinung gemefen, daß 
die Deutſchen franz. Elingende Worte gebildet haben, die Eein Franzoſe Eennt, wie 
3. ®..:Cbstoulle, Tabelje, Friseur etc, (Bol. d. A. Eranzöfifche Lite 
rotur der neueſten Zeit), ... ... wid S.. 

Frauzöſiſche Staatskunſt. Manverſteht unter dieſein Ausdruck 

im engern Sinne, mit Ausſchluß des auf die innere Verwaltung ſich beziehenden 
Regierungsſyſteins, das von dem franz. Cabinet in Anſehung feines innern und 
außwaͤrtigen· Machtver haͤltniſſes beobachtete Verfahren. Im Innern firebte de 
Politik der Könige anfangs nach Unabhängigkeit, dann. nach Unumfchränftbeit, 
endlich, ſeit der Wieder herſtellung des Haufes Bourbon, nach Selbftündigfeit der 
Gewalt des legitimen Throns. Die Unabhängigfeit von den Feffeln der Feudal: 
eriftsfratie,.errangen ſchon die erften Capetinger, durch die Feſtſtellung einer erbli⸗ 
hen Thronfolge. 200- J. Tang, feit 997, von-Hugo Capet's Tode an, folgte flete 
dem Vater der Sohn. Dies brachte Einheit in die unter..40 großen Rronvafallen . 
fehlecht zufammenbaltenden Theile des Reichs, Hierauf trug die Einführung der 
Sorporationen,. in den Städten, feit 1103 unter Ludwig Vi. dazu bei, das Eönigl. 
Anfehen gegen die Feudalariſtokratie zu unterflüßen, Noch mehr wuchs die Macht 
des Throns durch den Anfall von Wigroßen Lehnggraffchaften an die Krone unter 
Philipp Auguſt und deffen Nachfolgern -(14180-—1310). Zugleich erhielt der Kö: 
nig die pbervichterliche Gewalt über die Barone; und die Eintheilung des Reichs in 
koͤnigl. Gerichtsprovinzen gab feiner Macht Zufommenbang und Einheit. Dach 
demfelben Dominat⸗ und Vergroͤßerungsplane erwarb.die Krone unter. den Valois 


N 


- \ 


35% Fröänzoͤſiſche Staatskunſt 


mehre Regalienz. B. das Munz⸗ und Beffenerurigsrecht. Mit gleichem Erfölg 
gründete fchon Philipp der Schöne (ſt. 1314) die Unabhängigkeit der koönigl. Ge⸗ 
twalt von der Hierarchie, - Seildern gelang es der franz. Staatskunſt, in verſchie⸗ 
denen Concordaten mit den Päpften Die Freiheiten der galkicanifchen Kirche zu Bes 
baupten; doch wurde fie erft unter Ludwig XIV. 1682 durch die befannten 4 Süße 
Seftgeftellt und bei allen fpätern Berbandlungen aufrecht erhalten. Endlich‘ firebte 
die Politik der Könige auch im Innern nach unumſchränkter Macht. Die Nation 
verfammelte fich feit 1302 im 8 Neichsfländen.i Gegen fie kampfte die Staatss 
fünft der Valois mit abroechfelndem Erfolge, bis Ludwig Xi. (1461 — 83) den 
Grund zur unumfchränfter Gewalt feiner Nachfolder legte; dabei hatte die Ber- 
größerung der fönigl. Domainen ihren Fortgarig, und die Ausbildung eines flehen: 
den Heeres (feit 1444) gab dem Throne das Werkzeug der Unterdruckung. Allmas 
dig erlangten auch, zum Nachtheil der fländifchen Macht, die Parlamente, bes 
ſonders das parifer, die Rechte politifcher Körper. Als nun jene vernichtet war, 
warfen Die Könige aus dem Haufe, Bourbon auch die legtern durh Machtfprüche 
(in den lits de justice) zu Boden. Doc erhob fich das Parlament unmer von 
neuem, bisdie Revolution zum Theil ausdicfem Kampfe mit hervorging. — Seit 
Ludwig X1. ward die franz. Staatskunſt offenbar argliftig und gervaltfam; daher 
zugleich, um die Aufmerffamfeit der Nation von der königl. Machteftoriterung im 
Innern durch Ausſichten auf Beute und Ruhm abzujiehen, eroberungsfüchtig nach 
Außen. Die Richtung entfchied ten Verfall der Bolfsrechte. Dagegen entwickelte 
fih aus Karls VIN. und feiher Tiachfolger-Eroberungszügen nach Italien, fett 
4494, der Eriegerifchsehrgeizige Sinn der Nation, „Der damit zuſammenhaͤn⸗ 
gende Kampf politifcher Eiferfucht mit Spanien und Oflreich ftellte das franz: Tas 

inet in den Mittelpunft des neuern politifehen Syſtems von Europa. Die Milk 
taircapitulationen mit: den Schweizern (Ludwig X1. ſchloß die erfte 1476) zeigten 
der franz. Staatskunſt den feſten Punkt, von welchem aus fie Drutfchland und 
Italien erfchüttern fonnte. Hierauf fand fie in Franzs 1. 'fl. 1547) Verbindung 
mit der Pforte und mit den Proteftanten des Austandes das Geheimniß, ‚ganz 
Europa mit ihren Megen zu.umfpinnen. Ihr Hauptaugenmerk war die Schwaͤ⸗ 
xchung Hſtreichs und des deutfchen Reichs durch innere Theilung und die Leitung 
Des Nordens dur Einmiſchung in das Getriebe der ungarifehen, polniſchen und 
ſchwediſchen Reichsfactionen. Doch fstgte fie bisher-mehr dem kriegeriſchen Ehr⸗ 
Sie einzelner Könige und den Lockungen der Umſtaͤnde, als daß fie zu:der klaren 
‚Anficht eines planmäßigen Strebens gelangt wire. Zugleich gaben die Bürger: 
und-Religionskriege, welche Das Haus Bourbon auf den Thron feßten, der Politik 
des Hofes, wie dem Volke überhaupt, einen höchft Teidenfchaftlichen und flürmis 
ſchen Charakter, der erft-dann, als ihn Richelieu-den Berechnungen eines ebenfo 
alten als überlegenen Berftandes unterworfen hatte, der franz. Staatsfunft jene 
Spann : und Schwungkraft Tieh, welche endlich das Steichgewicht von Europa aus 
‚feinen Angeln bob. Richelieu (ft. 1642) vollendete mittelft Entwaffnung der Re 
formirten, Befämpfung der Großen und Unterjochung der Parlamente und der 
Geiſtlichkeit Die Unumfchränftheit der koönigl. Gewalt im Innern, um darauf das 
Übergewicht Frankreichs in Europa, mittelft der ſchon von Heinrich IV. bezweckten 
Demüthigung des Haufes Habsburg, zu gründen, Seitdem erbielt der Geſchaͤfts⸗ 
.gang der franz. Staatsfunft jene fefte diplomatifche Form, durch welche fehon da= 
"mals die Verhandlungen über ausländifche Arigelegenheiten, deren Kunft zur höche 
ſten Feinheit ausgebildet, und mit einem woͤhlgerũſteten, ſtets fchlaäfertigen Heere 
:bewaffnet war, an die Spiße alter Staatsgefchäfte traten, fodaß fich der auswär: 
tigen Politik auch die übrigen Verwaltungszweige unterordnneten und ihr dienten. 
Aber derfelbe Richelieu, welcher mit aller Energie eines durch Bürgerfrieg aufge 
regten Kraftgefühle die Grundſatze des Defpotisnus verband, hatte in das franz 


f Feanzöfifche Staatsfunft 555 


Cabinet einen über Europa Furcht und Zwiſt verbreitenden Macchiavelfismus ein- 
geführt, roelcher ganz das Gegentheil war von der geraden Politif Heinrichs IV. 
und feiner talentuollen Minifter Sully, Billeroi, Jeannin und d'Oſſat, die mehr 
Sicherſtellung als Eroberung benbfichtigten. Denn Richelieu hielt, die Ruhe des 
Friedens fürchtend; fich nur für ficher mitten unter dem blutigen Hader der Völker, 
die er mit ihren Fürften durch geheime Rundfchafter entzweite, und durch Gewalt: 
ſchlaͤge, die jeden Widerftand zu Boden warfen. Daber blieb feit dem wefifälifchen 
Frieden das Streben der franz. Politik ftets auf Vergrößerung an Macht und Ans - 
fehen nach Außen gerichtet, und die eigenniltzige Herrfchfucht der Miniſter verwickelte 
den Staat abfichtfich in unaufhörkiche Händel, um defto länger dem König unente 
behrlich gu fein. Franzöfifche Unterhandler, geheime und öffentliche, durchfpähten 
Yang Europa; fie drangen felbft in Siebenbürgen, Polen und Rußland ein; fie 
hetzten in Schweden die Parteien zufammen, und über Perfien dehnte die franz. 
Diplomatik ihr Geſpinnſt bis nach Indien und China aus. Richelieu hatte der 
franz. Staatsfunft den Charakter kuͤhner Entfchlogfenheit und Hinterlift gegeben; 
nach ihm wußte Mazarin durch feine Perfönlichfeit die gefülligeri Kormen eier fal- 
den Höflichkeit mit ihr zu vereinigen. &eine furchtfame Treulofigfeit verbarg fich 
hinter dem zweidentigen Sinne der Verträge, oder ſuchte nur Zeit jur geiwinrien, um 
dutch fein berechnete Umwege das Ziel zu erreichen. “Diefen doppelten Charakter 
der Gewalt und der Lift jeigte Die franz. Staatskunſt bie zur Reftauration 1814, 
mur daß nach Zeit und Gelegenheit bald-die eine, bald die ändre Seite fichrbarer 
- wurde. Unter Ludwig XIV. wirkte fie, bei dem Glanze des Hofes, bei der Allge⸗ 
meinheit der franz. Sprache und Sitte und bei dem Waffenruhme der Ration, um 
fo rafcher und entfcheidender, da fie fich mit dem Schimmer der Größe umgab, ja 
iu Zeiten felbft die Miene des Edelmurhs annahm. Mach dem Frieden von Nim⸗ 
Wegen warb fie entfchloffen despotifch. Ludwigs Minifter Deuteten die Verträge 
willfürlich. Gewalt, Rundfehaft, Beftechung, geheime Aufriegelung und Betrug 
galten ihnen gleich viel, wenn fie nur zum Ziele gelangten. Zwar beitrafte die thö⸗ 
rige Politik —** XIV. am Ende ſich ſelbſt; aber ihr glaͤnzendes Beiſpiel 
ward verführerifch für die übrigen Staaten, Denn in allen Cabinetten fing jeßt an 
zu gähren der Durft nad) Vergrößerung und die Leidenfchaft, fich gegenfeitig zu bes 
rauben und zu demüthigen: daher das Spiel flets wechfelnder Buͤndniſſe, welches 
nur ein fcheinbares Gleichgewicht der fich widerfirebenden Kräfte hervorbrachte, wähs 
rend Deutfchland in 4 Jaͤhrh. vor der Revolution an Frankreich 7840 Quadrat⸗ 
flunden Land mit 8,270,000 Einw. verlor, Was insbefondere die franz. Staats 
Funft in dem Zeitalter Ludwigs XIV, auszeichnet, ift die Einführung des biplomas 
tifchen Kunftmittels, den öffentlichen Verträgen befondere und, bald nach diefen, 
auch. geheime Artikel beizufügen. Früher hatte Richelieu fogar Scheinverträge ge: 
fehloffen, um darunter den wahren zu verbergen! Übrigens umfaßte jeßt die franz. 
Eroberungspoliti zugleich den Handelsvortheil und die See: und Colonialmacht; 
glei nicht nach einem umfichtigen und feftftehenden Plane, denn Vergrößerung an 
and und das Sontinentalintereffe blieben flets ihr Hauptzweck. 

Unter den Staatsmännern in der franz. diplomatiſchen Schule feit Richelieu 
müffen Die Baffempierre, die beiden D’Ayauız, Servien, Inonne, d'Eſtrade, Courtin, 
Pomponne, Ersiffi, Torci, und die Cardinäle Janſon und Polignac genannt ers 
den. Unter diefen pflegte der geiſtvolle, edle und-fefte Torci (Ludwigs XIV, Minis 
ſter) zu fageri: „Que le meilleur moyen de tromper les cours,‘ c’dtait d'y par- 
ker toujours vrai!“ Dagegen ward nach Ludwigs XIV. Tode das franz. Cabinet _ 
durch den Cardinal Dubois im eigentlichen Sinne entehrt. Betrug und grobe Lüge, 
Verfaͤlſchung der Stantsbriefe, Anftellung verworfener Menfchen und ein nad) 
allen Seiten hin verbreitetes Beftechungs: und Rundfehafterfuften bezeichnen die 
Verwaltung diefes kaͤuflichen Minifters, deſſen Lieblingsfpruch, den er dem Re⸗ 

Couverſations⸗Lexicon. Bd. IV. 23 


354 Franzdſiſche Staaiskunſt u 


genten ſchon bei der Erziehung eingeprägt hatte, fo I :: „Que pour derenir 
un grand homane. il lallail dtre un grand scelerat!” Dubois hat feinen Na⸗ 
men in der Sefchichte gebrandmarkt, ob ihm gleich diplomatifche Gewandtheit und 
Thätigkeit beim Abfchluß der Tripel: und Quadrupelallianz, welcher Frankreich 
einen 30jährigen Srieden mit England verdankte, nicht abgefprochen werden mag. 
Doch arbeitete it und unter ihm der.uneigennüßige Pecquet, Syn der Folge ges 
wann der friedliche und rechtliche Charakter des Tardinals Fleury dem franz. Caͤbi⸗ 
net wieder die Achtung von Europa, Diefer bedächtige, nur zu wenig entfchloffene 
Minifter war der. Bermittler des Friedens bis 1740, wo die beiden ehrgeizigen 
Belle: Ysle den gutmüthigen Greis in den öftr. Erbfolgefrieg bineinzogen. Außer 
ihm zeichneten fich durch Diplomatifche Talente aus: Morville, Chavigny, Ville⸗ 
neuve, der Marquis d’Argenfon und der Marfchall Adrien de Noailles. Aber bald 
darauf, unter Bernis und andern Miniftern, verrieth das frany, Cabinet eine ges 
wiſſe Schwäche und Mangel an Takt, ‚der freilich zum Theil auch ays dem Miß⸗ 
geſchick im Kriege entftand. Ludwig XV, ein König, der in der Regel anders ſprach 
und. handelte als er dachte, faßte daher den fonderbaren Entfchluß, ein geheimes 
diplomatifches Cabinet zu errichten, deffen Wirkſamkeit nicht nur feinem Miniſter 
der auswaͤrt. Angeleg., dem Derrog von Choifeul, unbekannt war, fondern dag dies 
fem oft fogar entgegenarbeitete. Der Prinz von Conti leitete 12 Jahre lang, feit 
1743, die auswärt. Unterhandlungen deffelben nicht ohne Erfolg gegen Hſfreich; 
er bildete in Polen aus, was man in Frankreich das nordiſche Syſtem nannte, 
Endlich gab der Vertrag des Hofes von Verfailles mit dem wiener Sabinet, vom 
1. Mai 1756, diefer geheimen Diplomatif, welcher niın der Graf von Broglig 
vorftand, eine dem wohlverflandenen Sntereffe Frankreichs ganz entgegengefeßte 
Richtung, auf welche befonders die Marquife von Pompadour einwirkte. Dabei 
geſchah es nicht felten, 3. B. in dem über die Aufbebung der Jeſuiten geführten, 
böchit merfiwürdigen Staatsbriefiwechfel, dag der Minifter die Schreiben auswaͤrt. 
Geſchaͤftsführer, wenn ſie nicht im Sinne des Staatsraths und der Pompadour 
abgefaßt waren, umarbeiten ließ und nach feiner Abſicht beantwortete, ſodaß jene 
glaubten, fich undeutlich ausgedrüdt zu Haben oder nicht verfianden zu fein. FAN 
lich mifchten fich auch noch die Raͤnke der Höflinge und der Buhlweiber des Königs 
in die Diplomatit; eine Folge derfelben war 17770 die Verbannung eines durch 
Geiſt, Charakter und Sefchäftsführung ausgezeichneten und perfonlich uneigens 
nüßigen, obgleich verfchivenderifchen Staatsminifters, des Herzogs von Choifeul, 
Diefer allein wußte den Derlegenheiten auszumeichen, in welche das Unglüd der 
franz. Waffen den Staat verwidelte. Sein Syftem war, im Bunde mit Oftreich 
und Spanien, Englands Übermacht berabzuziehen, in Polen aber und bei der Pforte 
Rußlands Fortfchritte aufzuhalten. Unter günftigern Berhältniffen würde er der 
größte Staatsmann feiner Zeit gewefen fein. Nach f. Abgange wurde die Schwäche 
“und Unficherbeit, ſowie der Leichtfinn des franz. Sabinets immer fichtbarer. Daber 
£onnte Polens Theilung erfolgen. Der Graf Maurepas gab lieber den Ereigniffen 
nach, als daß er fie zu lenken verfucht hätte. - Der ernftere, Würde und Zeinheit 
überall in der Form Berüdfichtigende Graf Bergennes aber fegte bei aller Arbeit: 
famteit, die er befaß, feine Politik vorzüglich in das Hinhalten, und verfchanzte fich 
hinter diplomatifchen Formen. Dazu nöthigte ihn Frankreichs innere und Aufere 
Lage. Sein größter Fehler war der Befchluß, die Freimerdung der Nordamerifaner 
gegen England zu unterftüßen. . Dies führte unmittelbar die Revolution berbei.. 
Unter den durch mufterbafte Staatsfhriften ausgezeichneten franz. Diplomatifern 
aus der legten Zeit muͤſſen vorzüglich Praslin, Nivernois, Chavigny, Havrincourt, 
Vauguyon, Breteuil, Choifeul-SGouffier und Rayneval genannt werden, 
Durch die Revolution, welche die alte Hofpolitik in Nichts auflöfte, erlitt auch 

die franz. Staatskunſt eine gänzliche Umfchaffung. Alle bisher erſchlaffte Spring: 


Franzoͤſiſche Siaatskunſt 355 


federn derſelben, Genie und Kraft, Kuͤhnheit und Argliſt, wurden aufs Neue auf: 
gefpannt. In ihrem leidenfchaftlich heftigen Zufammenwirfen erhielten fie, vom 
Drange der wildeften. Limftinde getrieben, von dem fcharfen Blicke kalter Berech⸗ 
nung gelenkt und von dem gewaltigſten Waffenfturme beflügelt, eine diplomatifche 
Surchtbarkeit, die oftdie Kraft des Schwertes FJ überbot. Doch änderte die re⸗ 
volutionnaire Staatskunſt ihre Formen nach dem Charakter der verſchiedenen Epo⸗ 
chen der Revolution. Die Mehrheit der erſten, oder der conſtituirenden National⸗ 
verſammlung, wollte das Beſte mit reiner Abſicht; allein ohne Erfahrung und un: 
geſtuͤm unternahm fie ein Werk, dem fie nicht gervachfen war. Durch die Errich⸗ 
tung eines diplomatifchen Ausfchuffes drängte fie ſich in die Geheimniſſe des Cabi⸗ 
nets eines ımentfchloffenen Konigs ein, deffen in den Augen der Nation verächtliche 
Schwäche ſchon die Unruhen in Holland 1788 verrathen hatten. Zwei Miniſter 
der ausmärt. Angeleg., Montmorin und Deleffart,, rourden die Opfer des Volks⸗ 
bafies. Hierauf erhielt Dumouriez die Leitung der Staatshändel 17192, und mit 
ihm beginnt die neue, fchwertumgürtete Form der revolutionnairen Diplomatik. Er 
führte in den Verhandlungen eine der NBürde der Regierungen und der bis dahin 
beobachteten Schicklichkeit entgegengefeßte Sprache ein, wodurch zuerft mit Sardi⸗ 
rien ein Bruch erfolgte. Als man hierauf die für die geheimen Ausgaben feiner 
Berwaltung beftimmte Summe von 14 Mill. bis auf 44 Mill. Livres erhöht hatte, 
fuchte er durch befondere Verträge mit deutfchen Fürften die Neutralität des Reichs 
R gewinnen, das von der Nationalverfammlung durch Verlegung der beſtehenden 
erträge beleidigt worden war. Darauf foderte er Oftreich zum Kriege heraus, 
Die Leitung der auswart. Angelegenheiten wurde den Händen des Königs entwun⸗ 
den und fland ganz unter dem Einfluffe des Nationalſtolzes, welchen die Erklärung 
des preuß. Heerführers, des Hetzogs von Braunfchweig, vom 25. Juli 1792, zur 
wildeſten Erbitterumg aufgereizt harte, Endlich riß der Sturz der franz. Monarchie 
das ganze Staafsgebäude von Europa aus feinen Fugen, und der Friede zu Bafel 
17195 war der erfte Triumph der revolutionnairen Politik der Volfsherrfchaft über 
die Sabinetspolitif der Coalition. Als aber jene, durch Englands Handels: und 
Colonialſtaatskunſt überwältigt, zu neuen Eroberungen auf dem feften Lande hin⸗ 
ieben wurde, entwidelte fich auch ans ihr das franz. Continentalſyſtem. “Das 
irectorium fuchte daffelbe durch Republicanifiren, mit größerm Erfolge fuchte es 
Napoleon durch Einverleibungen und Bundesfeffeln zu gründen und zu erweitern, 
Beite entfagten ohne Scheu jeder Nüdficht auf Völkerrecht und Treue. Durch 
Lockungen von Sebietsvermehrung und mit liberalen Ideen täufchend, oder mit 
Bernichtung drobend, zogen fie bald die Fürften von den Völkern ab, bald diefe von 
jenen. Endlich unterlagen die Fürften und die. Volker. Zu befannt find die Ergeb: 
niſſe diefer ‘Politik der Argliſt auf der einen und des Irrthums auf der andern Seite 
So herrfchte einft Rom über die Städte Griechenlands und die Könige in Afien! 
Aber Napoleons ungezügelter Wille zerflörte felbft mit eiferner Fauſt das Werk der 
Revolution, den erblichen Kaiferthron. Vergebens roarnte der kluge Talleyrand, 
vergebens der umſichtige Fouche! Pier Hatte die Hoffnung der Cabinette, Spanien 
die Hoffnung der Volker aufrecht erhalten. Als nun der Brand von Moskau über 
ıropa aufflammte,, und der Muth der Völker des nördlichen Deutſchlands fich 
mit Begeifterung erhob: da brachen zufammen alle Federn der militairifthen Dis 
plomatıt, Aber nach dem Siege der Bölker kehrten die Hhfe zu der gewohnten 
Staatskunſt zurüd. Talleyrand’s Grundſatz der Legitimität richtete den Thron 
der Bourbons, und mit ihm die altfranzfifche Diplomatif wieder auf. Dieſe ents 
wand den Nationen das Recht, die Conflitution fich und dem Könige zu geben; 
feitdem arbeitete eine geheime Partei ebenfo erbittert als flantsElug auf die Wieder⸗ 
herſtellung des vorigen Zuflandes bin. Dennoch vernafm man bis vor Kurzem 
noch in beiden Kammern die fühne Sprache liberaler Ideen. g more xViu, 
0. 2 


356 Franzweine Frauen. 
. heller Verſtand ergriff, Auf den Rath von Decazes, eine Zeit lang mit fefter Hand 


den Anker der Verfaffungsurfunde, um ſich auf dem wanfenden Throne im Se: . 


dränge der Parteien zu erhalten. Jetzt Eonnte man die franz. Staatsfunfl in Hin: 
ficht auf das “innere die conftitutionnelle, in Hinftcht auf die Augern Verhältniſſe 
aber die durch den Vertrag von Chaument gebundene nennen, Als aber der Eon: 
aß zu Aachen 1818 das franz. Cabinet mit den übrigen vier Hauptmächten zu 

inem Syſtem, dem chriftlich:wölferrechtlichen, wenigftens dem Buchflaben nach, 
vereinigt hatte, und die Ruhe im Innern befeftigt fehien, da ſtrebte die Regierung 
nach größerer Unabhängigkeit von den Kammern und errang 1820.den Sieg durch 
die Vernichtung der bisherigen Wahlform. Seitdem fchlog fie fich auch in der 
auswaͤrtigen Politik, zu Yaibach und Verona, mehr an das Syſtem der drei großen 
Mächte des Feſtlandes an als an die Grundſaͤtze, welche das englifche Miniſterium 
unter Sanning befolgte. Als jedoch die Unabhängigkeit "des fpanifchen Amerika 
von Großbritannien anerkannt wurde, näherte fich auch das franz. Miniſterium der 
großartigen Politik Canning's, um nicht ganz das eigne wahre Staatsintereffe aus 


dem Auge zu verlieren. In diefem Sinne fchloß es mit England und Rußland den 


Pacificationsvertrag zu London (6. Juli 1827) für die Befreiung der Griechen, 
Nach Sanning’s Tode ſchien das franz. Cabinet in feiner auswärtigen Politik felbs 
fländig zu werden; als. aber der Fürft Polignac am 8. Auguft 1829 an die Spi 
- des Minifteriums trat, handelte es in ÜÜbereinftimmung mit Wellington für die 
haltung der Pforte und gegen Rußland. Den Einfluk auf Italien bat Frankreich 
an Öftreich, den auf die pyrenäifche Halbinfel und Amerika an England überlaffen. 
Dal. Flaffan’s „Hist, de la diplomatie francaise” (bis 1772, 2. Ausg, 
Paris 1811, 1 Bde.) und die Art. über Frankreich, ' K. 
Franzmweine, im Allgememen alle aus Frankreich zugeführte Weine, 
als: Burgunder, Champagner, Languedoc und DVienneweine, Guyenne⸗ oder 


Bordeaur: Weine, Cahors und Deontanbanifches Gewaͤchs, Charentegemäche, 


die Weine von Orleans und Anjeu, die Provencer und endlich die Bayonner⸗ 
Weine. Gewöhnlich nennt man Franzwein denjenigen ordinairen, duntelgelben 
ein, welcher bauptfüchlich im füdweltlichen Sranfreich, und felbft noch im nord⸗ 


oftlichen Spanien wächfl, und im Norden von Europa als täglicher Tiſchwein yes - 


trunfen wird. 
Frauen. Die rauen (der edlere Sprachgebrauch bezeichnet jeßt damit 

das ganze Sefchlecht) find die Repräfentanten der Liebe, wie die Maͤnner des Rechts 

im allgememften Sinne. Liebe fpiegelt fich in Form und Wefen der Frauen, und 


Entweihung der Liebe ift ihre, wie Verlegung des Nechts der Deänner Schande, 


Wie Frauen lieben und fich den Manne hingeben, das beflimmt den Werth und 
das Wohl der Einzelnen wie des ganzen Standes, in der Familie und im Volke, 
und hat dies beflimmt vom Anbeginn des Menfchengefchlechts. Das öffentliche und 
häusliche Verhaͤltniß des Frauenſtandes gab von je, und gibt noch den richtigſten 
Mapftab echter Bildung im Staate, in der Familie, in einzelnen Menfchen. Den: 
noch hat das fchöne Sefchlecht das Loos erfahren, bald übermäßig gepriefen, bald 
mit dem größten Unverftande berabgemürdigt zu werden. Man bat weitläufig die 
Frage unterfucht, ob fie wirklich zum DMenfchengefchlechte gehören; man bat fie 
bald Engel, bald Teufel genannt. Die legte Benennung haben fich fogar Diejeni- 
gen erlaubt, welche fie fonft wol vergöttert haben, z. B. Boccaccio in f. „Triumph 
der Frauen”. Diefe Widerfprüche laffen fich vielleicht erklären, wenn man betenft- 
daß die Schönften unter ihnen mol manche Leiden über ihre Verehrer verhängen. 
Zuvörderft müffen wir geftehen, dag im Weſen der Frauen eine Haupttugend ger 
gründet ift, namlich daß Alles ſchicklich, Alles anfländig und ſchoͤn ſei. Nicht ohne 
Urfache fprechen wir von einem ſchoͤnen Sefchlechte; denn die Kraft des Mannes 
soird Durch die weibliche Anımuth gemildert, und alle Schönheit gebt erſt aus der 


\ 


Frauen | 357 


ruhigen Berbindung diefer entgegengefeßten Naturen hervor. (S. Liebe.) Es iſt 
allerdings ehrwürdig, wenn die Frauen ihrer erften Beſtimmung eingedenk find, 
wenn fie fich zu Sattinnen, Müttern und Hausfrauen bilden; doch macht man. 
auch mit Recht die. Foderung, daß fie, frei von bloßen öfonomifchen Zwecken, fich 
zu einer freiern Anfchauung des Lebens, zum innern Leben felbft erheben follen. 
Man findet aber freilich oft VBerbildung und Üiberbildung, befonders im Gebiete der 
Kunft und Wiffenfchaft, wo die Frauen, ihrer Natur gemäß, mehr die nahen als 
die fernen Güter ergreifen ſollen. Es iſt zwar wahr, dag wir talentvolle, gebildete 
Schriftſtellerinnen unter den Frauen beflßen allein es ift ebenfo wahr, daß fie 
nicht gerade in firengriffenfchaftlichen Sattungen zu Schriftftellerinnen beru: 
fen find. Es fei ihre Pflicht, den Schatz der Gefühle, diefes heilige Feuer, 
welches ihnen die Natur gefchenft hat, nur in Farben, Tönen, in der Poeſie 
und Mufit, oder im limgange zu erhalten und zu vermehren. So werden 
- fie gewiß auch vortheilhaft auf die männliche Welt wirken. 
Man bat diefer fchönen und verfihönernden Natur der Frauen nicht immer 
Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Sie flanden in der alten Welt auf einer meit 
niedrigern Stufe der Achtung ale in der neuern, und es wird nicht unintereffant fein, - 
den Urfachen davon ein wenig nachguforfchen. Die weibliche Natur ift fich geroiß 
‚immer gleich geblieben; aber in der Erziehung ſowol alsin der Staatsverfaffung der 
alten Weltlagen die Beranlaffungen, welche den Reiz und die Macht jener weiblis 
chen Natur weniger bervortreten liefen. Wir finden zwar bei den Griechen 
ſchone Beifpiele der Bruder: und Schwefterliebe, auch der Sattenliebe; aber nichts 
ift bei ihnen von jener geiftigen und romantifchen Anficht des Weibes zu finden, wie 
fie im Mittelalter herrſchte, auch nicht einmal Etwas von dem Geiſte der Galanterie, 
welcher Die neuern Zeiten begeichnet. Als freundliche Berfchönerin und Bildnerin des 
Lebens, ala anmuthige Sefellfchafterin des Mannes, galt die Frau wenig oder nichts, 
Dies wußten die Männer an den Frauen nicht zu fehäßen, oder fie wollten es nicht 
bei ihnen; es war vielmehr Das Gefchäft junger Sklavinnen oder öffentlicher Bub: 
Ierinnen. Homer ftellt feine Frauen einfältig, edel und würdig dar, Sophofles hat 
einige beroifche Beſtalten aufgeführt, und im Euripides finden wir einige Mufter 
weiblicher Unschuld und edelmütbhiger Ergebung, aber nirgends jene Anbetung weib⸗ 
Eicher Schönheit, hoͤchſtens Verehrung der Seflalt, und-die Liebe wird vielmehr bei 
ihnen als die verderblichfte Leidenfchaft dargeſtellt. (S. Fr. Schlegel „Uber die 
-  Darftellung der roeiblichen Charaktere in den griech. Dichtern”, in feinen Werten, 
“4, Th.) an darf deßwegen nicht behaupten, daß die Weiber bei den älteften 
Griechen roh behandelt worden wären; fie wurden vielmehr bloß als Hausfrauen 
im eigentlichen Sinne geehrt. Sie lebten im Kreife ihrer Sklavinnen und arbei: 
teten felbft mit ihnen im obern Sefchoffe des Haufes, welches fie nur felten verlie: 
Ben, um fich unter die Maͤnner zu mifchen, Auch waren fie von allen öffentlichen 
Geſchaͤften ausgefchloffen, und fie hatten nur diefes Verhaͤltniß zum Staate, dag 
fie ihm Kinder gebaren und dieThchter für den engern Kreis ihrer Pflichten erzogen. 
Dabei war es dem Manne erlaubt, auch außer dem Umgange mit der Sattin die ' 
rohen Foderungen der Sinnlichkeit mit Sklavinnen zu befriedigen. Auch in den ſpaͤ⸗ 
tern Zeiten Griechenlands war e8 nicht anders, ymd nur die Spartanerinnen wur: 
den ehrenvoll ausgezeichnet, wiewol auch da fpäterhin große Bügellofigkeit einriß. 
Unter den Dorerinnen tourden die Siegonerinnen wegen ihrer-Bildung ausgezeiche 
net. Die Lage der atbenifchen Frauen war fehr befchränft; im entlegenften Theile 
des Haufes (Gynaikeion, Gynaikonitis) brachten fie mit weiblichen Arbeiten unter 
Sklavinnen ihre Zeit zu, im Theater durften ſie gar nicht oder nur bei tragifchen 
Vorſtellungen erfeheinen, Proceffionen der Frauen und Jungfrauen findet man 
allerdings; auch nahmen fie an religibfen Feſten Antheil; aber ihre Augen mußten 
fich Manches dabei gefallen laffen. Den Mangel gebildeter Frauen erfegten bie 





356 Franzweine Frauen 
Seller Berfiand ergriff, auf ten Kath von Deayes, ei eine Zeit lang mit fefler Hanb 
den Anfer der nei sera Behand fih auf tem ® — in Sie 
Beänge ter Parteien zu erhalten, fonnte mon die franz. Etantsfunft in 
(br uf Dos June ie confinninnehe, in inf auf ie tie aufern Berbältniffe 
aber die durch den Bertraj von Chaument gebundene nennen. Als aber ter Eon: 
— 7 Auen 1018 er tan, Sale we ——— 
Syflem, dem cheifilıdh- volferrechtlichen, wezigfiens dem Buchfiahen nach, 
vereinigt hatte, und Die Ruhe ım Innern befefligt ſchien, da firebie die Regierung 
nach, jraßerer Unabbängigfeit von ben Kammern und errunn 1020 ben Dies tur 








igen Politi 
33 zu werden; als aber der Fürft Se Delignnc um '8. Musufi 1620 an di 
des Minfleriums trat, Sandeite cs iı mit SBellingten für die 
haltung der Pforte und gegen Rußland. “Den Einfin$ auf Italien bat Franfreich 
an Öfireich, den auf die pprenäifche Halbinfel und Amerifa an England 
Bol. Zlaffan’s „Hist. de la diplomatie francaise” (bis 1772, 2 Ausg, 
Per ill 1 Doc) und Die Kr. über Grantreid, — 
ranzweine, im Allgemeinen a ans Sranfrei ——— ie 
als: Burgunder, Champagner, Languedoc un Guvenne⸗ 
Bordeaux⸗Weine, Cahors und — 7. en — * 
die Berne von Drieans und Anjon, die Provencer und endlich tie Bayonnere 
Meine. Gewohnlich nennt man Franwein denjenigen ortinairen, dunkelgelben 
Fein, welcher bauptfichlich um ſudweſtlichen Frankreich, und ſelbſt noch im nord: 
afilichen Span iem wicht, und im Norden von Europa als täglicher Tifchwein ge: - 
trunfen wir 
rauen. Die Frauen (der edlere Sprachgebrauch bezeichnet jetzt damit 
das ganze Geſchlecht) find die —— der Liebe, wie die Maͤnner des Rechts 
im allgememflen Sinne. Liche fpiegelt fich in Ferm umd Mefen ter Frauen, und 
Entweihung ter Liebe iſt ihre, wie Verlegung des Rechts der Männer Schande, 
Wie Frauen lieben und fi) dem Manne hingeben, das befiimmt den Werth und 
das Wohl der Einzelnen wie des ganyen Etantes, in der Familie und im Volke, 
und hat dies beflimmt vom Anbeginn des Menfchengefchlechte. Das öffentliche und 
hausliche Berhältni des Frauenſtandes gab von je, und gibt nach den — 
Maßſtab echter Bildung im Stoate, in der Familie, in einjelnen Menſchen. Den: 
ech bat bat das ſchone Gefihlecht das 2008 erfahren, bald übermäßig gepriefen, bald 
größten berabgemürdigt zu werten. Man bat weitläufig die 
—** unterfucht, ob fie wirflich zum Dienfehengefchlechte gem; man bat fie 
bald Engel, bald Teufel genannt. Die legte Denenneng haben fi fih fogar Diejeni⸗ 
gen erlaubt, welche fie fonft wol vergöttert haben, 3. B. Boccaccio in f. „Triumph - 
der Frauen”. Diefe Widerfprüche laſſen fich vielleicht erklären, wenn man betenft- 
daß die Schonſten unter ihnen wol manche Leiden über ihre Berehrer verhängen. 
Zusörberft müffen wir geſtehen, daß im Weſen der Frauen eine Haupttugend ge⸗ 
gründet ifi, nämlich daß Alles ſchicklich, Alles anflindig und fihon fei. Richt ohne 
Urfache fprechen wir von einem fchönen Geſchlechte; denn die Kroft des Mannes 
wird durch die weibliche Anımuh gemildert, und ale Cehiaheit geht erſt aus der 


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rubigen Verbindung diefer entgegengefeßten Naturen hervor. (S. Liebe.) Esift 
allerdings ehrwürdig, wenn die Frauen ihrer erften Beftimmung eingedenk find, 
wenn fie fich zu Sattinnen, Müttern und Hausfrauen bilden; Doch macht man. 
auch mit Recht die. Foderung, daß fie, frei von bloßen öfonomifchen Zwecken, fich 
zu einer freiern Anſchauung des Lebens, zum inmern Leben felbft erheben follen. 
Man findet aber freilich oft Verbildung und Überbildung, befonders im Gebiete der 
Kunft und Wiffenfchaft, wo die Frauen, ihrer Natur gemäß, mehr die nahen als 
die fernen Güter ergreifen follen. - Es iſt zwar wahr, daß wir talentvolle, gebildete 
Schriftſtellerinnen unter den Frauen befißen; allein es ift ebenfo wahr, daß fie 
nicht gerade in firengwiffenfchaftlichen Gattungen zu Schriftftellerinnen beru⸗ 
fen find. Es fei ihre Pflicht, den Schatz der Gefühle, dieſes heilige Feuer, 
welches ihnen die Natur geſchenkt hat, nur in Karben, Tönen, in der Poefie 
und Mufit, oder im Umgange zu erhalten und zu vermehren. So werden 
fie gewiß auch vortheilhaft auf die männliche Welt wirken. 
Man bat diefer fchönen und verfchönernden Natur der Frauen nicht immer 
Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Sie flanden in der alten Welt auf einer weit 
niedrigern Stufe der Achtung als in der neuern, und es wird nicht unintereffant fein, - 
den Urfachen davon ein wenig nachzuforfchen, Die weibliche Natur ift fich gewiß - 
‚immer gleich geblieben; aber in der Erziehung ſowol als in der Staatsverfaffung der 
alten Weltlagen die Beranlaffungen, welche den Reiz und die Macht jener weiblis 
chen Natur weniger bervortreten liefen. Wir finden zwar bei den Griechen 
ſchoͤne Beifpiele der Bruder: und Schwefterliebe, auch der Sattenliebe; aber nichts 
ift bei ihnen von jener geiftigen und romantifchen Anficht des Weibeg zu finden, wie 
fie im Mittelalter berrfchte, auch nicht einmal Etwas von dem Geiſte der Galanterie, 
speicher die neuern Zeiten bezeichnet. Als freundliche Berfchönerin und Bildnerin des 
Lebens, als anmuthige Sefellfchafterin des Mannes, galt die Fran wenig oder nichts. 
Dies wußten die Männer an den Frauen nicht zu fehäßen, oder fie wollten es nicht 
bei ihnen; es war vielmehr das Geſchaͤft junger Sklavinnen oder öffentlicher Bub: 
lerinnen.. Homer flellt feine Frauen einfältig, edel und würdig dar, Sophokles hat 
einige beroifche Beſtalten aufgeführt, und im Euripides finden wir einige Muſter 
weiblicher Unschuld und edelmüthiger Ergebung, aber nirgends jene Anbetung weib⸗ 
licher Schönheit, hoͤchſtens Verehrung der Geſtalt, und-die Liebe wird vielmehr bei 
ihnen alg die verderblichfte Leidenfchaft dargeftell. (S. Fr. Schlegel „Uber die 
Drarſtellung der weiblichen Tharaftere in den griech. Dichtern“, in feinen Werken, 
4. Th.) Man darf deßwegen nicht behaupten, daß die Weiber bei den älteften _ 
Griechen roh behandelt worden wären; fie wurden vielmehr bloß als Hausfrauen 
im eigentlichen Sinne geehrt. Sie lebten im Kreife ihrer Sflavinnen und arbei: 
teten feibft mit ihnen im obern Sefchoffe des Haufes, welches fie nur felten verlie- 
fen, um fich unter die Maͤnner zu mifchen, Auch waren fie von allen öffentlichen 
Geſchaͤften ausgefchloffen, und fie hatten nur diefes Verhältniß zum Staate, daß 
fie ihm Kinder gebaren und die Thchter für den engern Kreis ihrer Pflichten erzogen. 
Dabei war es dem Manne erlaubt, auch außer dem Umgange mit der Gattin die ' 
rohen Foderungen der Sinnlichkeit mit Sflavinnen zu befriedigen. Auch in den ſpaͤ⸗ 
tern Zeiten Griechenlands war e8 nieht anders, md nur die Spartanerinnen wur: 
. den ehrenvoll ausgezeichnet, wiewol auch da fpäterhin große Zügellofigkeit einriß. 
Unter den Dorerinnen wurden die Sichonerinnen wegen ihrer-Bildung qusgezeich⸗ 
net. Die Lage der athenifchen Frauen war fehr befchränft; im entlegenften Theile 
des Haufes (Gynaikeion, Gynaikonitis) brachten fie mit weiblichen Arbeiten unter 
Sklavinnen ihre Zeit zu, im Theater durften fi? gar nicht oder nur bei tragifchen 
Borftellungen erfcheinen, Proceffionen der Frauen und Jungfrauen findet man 
allerdings; auch: nahmen fie an religibfen Feſten Antheil; aber ihre Augen mußten 
ſich Manches dabei gefallen laſſen. Den Mangel gebilbeter rauen erfegten Die 


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858 Frauen 


Hetairen, d. h. dffentliche Buhlerinnen, welche beſonders die anmuthigen Talente in 
ſich ausgebildet hatten. So ging der Ruhm der Aſpaſia, welche durch den Perikles 
nz Athen beherrſchte, und zu deren Schüler ſich ſelbſt Sokrates bekannte, von 
er fruͤhern Bildung aus, und Lais, Phryne und andre Hetairen erhielten durch 
ihre Reize manchen Sieg übegausgezeichnete Manner, wenn auch nicht über die 
dffentliche Meinung. (5. Bhtiger’s „Gef. d. roeiblühen Sefchlechts, vorzüglich 
der Hetairen zu Athen”, im „Attifchen Muſeum“, 2. und 3.Bd.) DieRömerin: 
nen fpielten eine bedeutendere Rolle. Sie waren bei den Schaufpielen und Saft: 
mahlen gegenwärtig, und überhaupt weit mehr in der Sefellfehaft. Dennoch leb⸗ 
ten fie ſehr eingezogen, bisfich mit den Eroberungen Noms auch der Luxus der roͤ⸗ 
mifchen $rauen vergrößerte. Indeſſen finden wir bei feinem Volke fo viele Muſter 
echter weiblicher Groͤße. Wem find nicht die Jungfraukn der Bella bekannt? Auch 
die römifchen Matronen flanden unter der oft firengen Gewalt des Mannes; fie 
tten fein Eigenthum, und bei den Heirathen wurden die Däter allein befragt. 
berdies waren ihnen manche erlaubte Senüffe, 3. B. der des Weins, günzlich 
verfagt. — Nach der Sittengefchichte der Völker ging mit dem Lichte des Chri⸗ 
ſtian ismus auch den Frauen, die bis dahin nur Sklavinnen und “Dienerinnen 
der Männer, Hetairen ober verfchleierte Matronen geweſen waren, ein ſchoͤner Mor⸗ 
gen auf. Das Chriſtenthum war es, welches der neuern Welt eine andre Geſtalt 
gab. Bon GHeichheit ter Rechte zroifchen beiden Sefchlechtern, von freier Auße- 
rung weiblicder Reize und Kräfte war bei den Alten keine Idee, und wie felbft bei 
den veredelten Nationen, ten Griechen und Römern, das Baterland der Mittel: 
punft ver Tugend war, fo in der Familie der Hausvater. Mit dem Chriſtianismus 
begann die Religion der Liebe und zugleich Des über den Patriotismus 
renden Rechts. Wan erkannte Menfchenrechte an, man fühlte Weitbürgerfinn., 
Auch Vie Frauen erhielten ihre Rechte wieder, und es ging mit dem Geiſte diefer Re: 
ligion, welche die Sinnlichkeit im Menfchen ertödtet und ſich flets auf das Unend⸗ 
liche beziebt. eine höhere geiftige Würdigung auf diefelben über. Ja man darf bes 
Baupten, irdiſche Srligfert finden die Frauen nur in chriſtlichen Staaten, in ehrba⸗ 
ren Familien, an dem Herzen des fittlichen Mannes. Es wirften’aber noch andre 
Umitinte, um den im Chriſtenthume fhlummernten Keim geifliger Liebe und vers 
edelter Anſchauung der Frauen zur Reife zu bringen. Zuerſt waren es die Germ a⸗ 
nen, welche ten Ton zur Anerkennung ter weiblichen Würde angaben; denn 
Keufchheit, Enthaltſamkeit und eheliche Treue, verbunten mit einer gerechten Fürs 


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Fraͤuen - 359 


fand, und durch die Normannen in England verbreitete, trug das Ihrige dazu bei, 
diefe Leligiofe Verehrung der Frauen anzupreifen. Faſt zugleich mit der Erlöfchung 
diefes ritterlichen Seiftes im 14. Jahrh. war das Licht der Wiffenfchaften erfchies 
nen. Beſonders machte die Platon’fche Philoſophie ein ausgejeichnetes Glück; fie 
gab, wiewol nicht fo phantaftifch als das Ritterthum, der Liebe und Schönheit 
eine tiefere Bedeutung. Befonders Dante und Petrarca müffen hier genannt wer⸗ 
den. atrice und Laura wurden von ihren unvergänglichen Sefingen zum Him⸗ 
mel getragen. Auch Abälard und Heloife fühlten gleiche Liebe. Indeſſen verflog 
der Raufch ; Die Völker wurden Alter und Eälter, und die Nationen fchieden fich merk: 
lich im Sange ihres gefelligen Fortſchreitens. An die Stelle jenes ritterlichen Gei⸗ 
fles war in Frankreich die Salanterie getreten. Man wollte gern den Schein der 
Ehevaterie behaupten; aber der Sittlichkeit u. Wahrheit war er gewiß nicht fo vor: 
theilhaft als der äußern Erſcheinung. Es bildeten fich beftunmte Regeln für das 
Schickliche; man lernte. fogar nach dem Anftande Tieben, geiftreiche Grauen hatten 
den Vorſitz in literarifchen Tirkeln, und das ganze Leben wurde auf die Spiße der 
Verfeinerung getrieben, Diefer Geiſt der Salanterie, welche fehr bald in Coquetterie 
ausartete, ging auch in andre Länder über, und felbft in Deutfchland unter den bö: 
bern Ständen fpufte hier u. da diefer frivole Geiſt, welcher das Heiligſte entweiht 
und mit den fihönften Gefühlen ein gemüthlofes Spiel treibt. “Die Dramen einer 
Ninon de PEnclos, einer Sevigne, Maintenon, und fpäterhin einer du Deffand, 
einer Seoffrin, P&spinaffe find Allen bekannt, die in der Geſchichte der eleganten 
Literatur Frankreichs nur ein menig bewandert find. Won ihren Cirfeln ging ein 
befferer und zugleich freierer Ton nicht allein auf die fehönen Geiſter, fondern auch 
auf andre Claſſen aus, wenn man auch zugeben muß, dag man mit dem Geiſte oft 
mehr coquettirte, und dag mehr eine gebildete Oberfläche vormaltete, ‚So vieliftge: 
wiß, daß die Herrfchaft des fehönen Öefchlechts fogar auf die Literatur der Franzo: 
fen keinen unbedeutenden Einfluß hatte. Endlich vourdees aber in Frankreich fo hell, 
daß felbft die Feigenblätter durchfichtig wurden, und die Hpperillumination ver: 
pflanzte fich Hier und da in die Nefidenzen und Haͤndelsſtaͤdte Deutfchlands, bis die 
Revolution und die ihr anhängenden Kriege alle Baurhalls der Höfe und der Hanfe 
in®erwirrung brachte. (M. leſe der Graͤfin Remufat geiftvollen Verf. über die Er- 
jiehung des Weibes.) — Die franz. Galanterie ift zum Gluͤck nicht bis zum Mit: 
telpunfte andrer Völker durchgedrungen. Wir wollen auch Bier, wie bei den Alten, 
nur die vorzüglichften Nationen berühren. Denn fo wenig anziehend es ifl, vonder 
despotifchen Behandlung orientafifcher Frauen, von ihrer geiftigen und phufifchen 
Befchränkung, von dem Sklavendienſte der Liebe zu fprechen, ebenfo unerfreulich 
würde es fein, bei allen mindergebildeten Nationen des neuern Europas zu verwei⸗ 
len. Bekanntlich verbinden die Engländerinnen mit den übrigen Reizen der 
teiblichen, wiewol etwas firengen Liebenswürdigfeit, die Tugend der Haͤuslichkeit; 
fie find vollkommen gute Mütter und Sattinnen, und fie kommen in der Wirflich: 
keit den Ideale edler Hausfrauen wol am naͤchſten. Daher fommt es auch, daß 
uns ihre Dichter u.Romanfthreiber herrliche Mufter weiblicher Strengeamd Ditt⸗ 
lichkeit aufgeſtellt haben. In England gedeiht der, doch bisweilen etwas langweilige, 
Himmel der Weiber. Die deutſchen Frauen haben mit ihnen viele Familienaͤhn⸗ 
lichkeit, nur daß fie auch mehr in das Außere Leben eingeben, und fo in einem wohl: 
tbätigen TBechfelverhiättniffe auf die männliche Welt wirken Eonnen. In Deurfch- 
land begann mit dem Morgen der fehönen Literatur ein heiterer Tag der Frauen; 
denn nur Dichter vollenden die Bildung der Frauen, weil fie durch das Gefühl auf 
den Verſtand wirken, und weil die Frauen der claffifchen Studien entbehren. Die 
italien. Frauen glänzen durch Reiz und bewegliche Anmuth; aber da die Bildung 
der Italiener überhaupt mehr von der Phantafie ausgeht, und auch das Klima ver: 
. führerifcher auf die Sinnlichkeit wirkt, ſo werden wir hier wol nicht den Triumph 





— 


* 360 FraueneisFrauenvereine 


der Sittlichkeit zu ſuchen haben. Die gebildeten Polinnen des Adels und des dort 
nicht fehr zahlreichen Mittelſtandes fcheinen fich in der Form mehr den Franzoͤſinnen 
zu nähern; doch findet man in ihrem Innern mehr Treue u. Wahrheit, dabei eine 

„ tiefere Leidenfchaftlichkeit, eine ſchönere Glut der Empfindung. bb.A. 

Fraueneis, ſ. Gyps. 

Frauenlob (Heinrich), der Ehrenname eines Meiſterſangers aus dem 
Ende des 13, Jahr., geſt. zu Mainz 1317, wo er ſ. Kunſt geuͤbt hat. Nach Eini⸗ 
gen ſoll er D. der Theol. und Domherr zu Mainz geweſen fein. Er kommt ſonſt 
u. d. N. Heinrich v. Mißen (Meißen) vor. In ſ. Geſaͤngen pries er vornehm⸗ 
lich die Tugenden des ſchoͤnen Geſchlechts. Daher wurde er von den Weibern ſo 
hoch geſchaͤtzt, daß, wie man ſagt, Weiber ihn mit eignen. Händen zu Grabe tru⸗ 
gen, fein Grab mit Thränen benetzten, und fo viel Wein über daſſelbe goſſen, daß 
die Kirche überfloß. Gedichte von ihm finden fich in der Maneffe’fchen Samm⸗ 
lung und einigen andern Handfcriften. ’ ” 

- Srauenfommer, oder fliegenden Sommer, nennen wir die Faͤ⸗ 
den, welche im Herbfte die Luft durchziehen. Sie rühren von der fliegenden Sons 
merfpinne her, welche die Größe ei..28 Nadelkopfs, auf dem laͤnglichen Vorderkopfe 
8 graue, ineinem Kreife liegende Augen, ein eirundes SHintertheil und einen gläns 
zenden, ſchwarzbraunen, mit einzelnen Haaren befeßten Körper hat. Zu Anfange 
des. Aug. erfcheint fie zuerft in Wäldern, Gärten und Wieſen, wo die Eier unge⸗ 
fort ausgebrütet werden können, und dann aufden Feldern, die fie mit ihrem Ge⸗ 
fpinnft überzieht, um Synfekten zu fangen. Der Wind zwirnt die feinen Fäs 
den zufammen und führt fie durch die Luft, 

Frauenvereine Die Gefchichte des fittlichen Lebens der Menſchheit 
füllt wenig Blätter; aber diefe gebühren vor allen den Frauen, Der Herd des häugs, 
lichen Gluͤcks ift der Hort des Vaterlandes. Sein heiliges Feuer bewahren die Hers 
zen der Jungfrauen und Frauen, In jeder Zeit, die dag Volkerleben erfchütterte, 
trat der Heldenkraft der Männer voran die Begeiflerung der Liebe und der Muth 
der Grauen. &o unter den alten Völkern, in den Zeiten der Erniedrigung des weibs 
lichen Sefehlechts, als man die Frauen gleich Leibeigenen fchäßte. - as Griechin⸗ 
nen und Roͤmerinnen thaten, was die hiſpaniſchen, was die carthagiſchen Frauen, 
was unter den rohen Völkern die Heldinnen der Scythen, der Teutonen, der Briten, 
der Normannen leifteten: das hat offenbart die Allgerwalt jener aufopfernden Liebe, 
die von jeher das weibliche Gemuͤth zu ihrem Heiligthum erfor. Als hierauf dag 

Chriſtenthum die Feffeln des Weibes zerbrochen hatte, da erhob fich dieſes Sefchlecht 
mit eigenthümlicher Kraft auf die Höhen des fittlichen Lebens. Das fromme Werk 
chriftlicher Kiebe ward ihr Beruf. Es quoll aus ihrem reinen, Gott geweihten Here 
zen, undreifte Durch den Heldenmuth der Geduld zur unfterblichen That. So flans 
den hoch im Mittelalter die Frauen. Ihnen huldigte das Ritterthum. Und wo fie 
nur ihren heiligen Beruf, die Wiederberftellung der Nationalfitte Durch häusliche 
Tugend, erfannten und übten, da lebte auch die Nationalehre wieder auf. Auch in 
unferer Zeit bei den Völkern, zu denen das Fremde am wenigſten eindrang, und von 
denen es am mutbigften ausgefloßen wurde, wirkte das Meifte im DBerborgenen der 
vaterländifche Sinn der Frauen. Dies gefchah in Spanien, in Rußland und in 
Deutfchland. Und damit er fchneller u, zweckmaͤßiger wirkte, fchloffen fie unter ſich 
Vereine. Der wiener Frauenverein war einer der erfien. An f. Spige fland die 

1816 verſt. Caroline, Fürftin Lobkowitz, geb. Fürftin v. Schwarzenberg. Er blieb 
viele Jahre ununterbrochen thätig. Als hierauf das preuß. Volk in dem heiligen 
Kampfe gegen Unterdrüdtung feinen Nationalſinn fund that, gingen auch die preuß. 
Jungfrauen, Sattinnen und Mütter, alle. Eines Sinnes, den übrigen deütfchen 
Frauen voran in Heldenmuth, Edelfinn, Treue u. Aufopferung. Eine Eonigl. Prin⸗ 
zeſſin Tieferte zuerſt zur Beftveitung der Kriegslaften ihren.gafgen Schmuck an die 


Frauenverelne | 361 


Schatzkammer ab, und. alle Franen brachten dar, was ihnen lieb war. Sie leg: 
ten ihre Trauringe nieder auf den Altar des Daterlandes und erhielten dafür von 
der Regierung eiferne Ringe, mit der Auffchrift: „Ich vertaufche Gold gegen Ei: 
fen. Jungfrauen, die fein erfpartes Geld ‚opfern fonnten, verkauften ihr fchö: 
nes Haar als Steuer für das allgemeine Wohl. Erlaubte eine Frau fich einen 
Schmud, fo war er aus Eifen. Die Männer fochten, die Frauen pflegten die 
Verwundeten; die SJungfrauen boten den Erlös ihres Fleißes zur Beihülfe dar, 
Um Ordnung in das Werk der Barmberzigkeit zu bringen, bildete man Dereine, 
Die, auf verfchiedene wohlthätige Zwecke ausgedehnt, noch fortdauern, und in ganz 
Deutfchland mit edlem Eifer nachgeahmt wurden, Zuerft entfland der Mädchen: 
verein, feit dem 20. April 1813, unter der Leitung der edeln Prinzeſſin Wilhelm 
von Preußen (geb, Prinzeſſin von Neffen-:Homburg); bierauf der weibliche Wohl: 
-shätigkeitsvesein, den. 13. Juli 1814, und 1815 der patriotifche Frauenverein, 
unter dein Vorſitze der Prinzeffin Marianne v. Preußen, vorzüglich beflimmt zur 
dauernden Berpflegung Hilflofer, die feit 1813 mitgefämpft hatten. Ahnliche 
bildeten fich in allen größern Städten der Monarchie. Daſſelbe gefchah in andern 
Ländern „Schon. im Nov. 1813 erließen 5 wadere Jungfrauen in Zeipzig,ginen 
Aufruf an deutfche Maͤdchen zu einem Verein zur Unterflüßung der für die chte 
Sache Kaͤmpfenden und Leidenden. Für die durch die Kriegsnoth verwaiſten Kin⸗ 
der im. Königreiche Sachfen forgte der Mutterfinn und die Großmuth der Frauen: 
fo thätig, daß nad) der erften Bekanntmachung des Hülfsausfchuffes in Dresden, 
1814, an taufend Waiſen dadurch gerettet wurden. Zugleich vereinigten ſich für 
jeden Winter, zur Errichtung und Sortfeßung einer Rumford’fchen Suppenanftalt 
durch milde Beiträge, unter dem Vorſtande zroeier edler Frauen, der Frau von 
Schoͤnberg, geb. Gräfin v. Stalberg-QBernigerode, und der Frau v.Serber, mehre 
gebildete Frauen in Dresden, welche jene Beiträge fammelten und die Anflalt pers 
ſonlich beforgten.. Ahnliche Vereine entflanden 1814 in Hamburg, um für die 
dringendften Bedürfniffe der zurückkehrenden arbeitenden Claſſe zu forgen. In 
Dürfeldorf bildete fih im Sept. 1814 eine Sefellfchaft deutfcher Männer und 
Frauen, um den aus dem DBaterlandsfriege zurüdfehrenden Verftünmelten oder 
dienftunfühigen Kriegern heitere Zufluchtsörter zu bereiten. Mit gleichem Gemein⸗ 
geifte waren, von der erften Zeit des Kampfes an, für die verwundeten Krieger 
mildghätig wirffam die Einw. der Stadt Altenburg. Sehmell verbreiteten fich ſeit⸗ 
dem über alle Ränder deutfcher Zunge wöhlthätige, von edeln Frauen geftiftete, 
Frauenverbindungen, die noch jeßt planmäßig fortwirfen, : So gab «8 in Baiern 
8 Hauptvereine der Frauen, zu Augsburg, Kempten, Speyer und a. a. O., Die 
zum Theil arme Mädchen:erziehen. In Würtemberg blühte der kanſtadter Verein 
unter f. Vorfteherin, ‚der Herjogin Wilhelm. Die Frauenvereine in Weimar, Eis 
ſenach, Jena, Ilmenau, Schwerſtadt, Magdala und Stadt Sulza, deren Wirfs 
ſamkeit insbefondere noch auf die Ausbildung der verlaffenen weiblichen Jugend ge: 
richtet ift, hatten bereits 1817 436 Kinder in Unterrichtsanftalten zu nüßlicher 
Thaͤtigkeit erzogen. Abnliche Vereine gibt es in Heffen, zu. Bremen, zu Braun: 
ſchweig, Hanover, Lüneburg, Telle, und faft in allen handv. Städten. “Den 28, 
Det. 1815 bildete fich ein folcher Verein in Kopenhagen. Die Sefellfchaft, deren 
Schußfrau die Königin von Dänemark ift, hat eine Schule zur Bildung tauglicher 
Dienfiboten eingerichtet. Zu Dfen und Pefth hatte im April 1817 die verſt. Fürs 
fin Hermine, Gemahlin des Erzherzogs Palatin, einen Wohlthätigkeitsfrauen: 
verein geftiftet und mar als Schußfrau an die Spiße deffelben getreten. So ers 
Eennt man überall auch-in dem meiblichen Sinne die Spur des edlern Zeitgeiftes, 
Das Sefchlecht, welches einft das Mittelakter in ſtillen Kloflermauern, auf ein 
fomen Ritterburgen und im engen Kaufe des fleißigen Bürgers durch Zucht und 
Frommigkeit zu milder Sefinnung erzog, das. fühlt fich in unſerm Zeitalter von 


f 
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362 Sraunhofer 
denfelben Chriftusfinne zu der edelſten Mächftenliebe berufen. Aus dem Rreife des 
häuslichen Friedens tritt, erleuchtet und aufgeklärt, die himmlifche Caritas an der 
Hand der Frauen in das hartbedrängte öffentliche Leben ein, um den fich verwirren: 
den, unfläten Geiſt des Mannes dahin zurüdzulenten, wo allein das Herz Freude 
und Beruhigung findet, zu dem ftillen Berufe frommer DMenfchlichkeit. K. 
Fraunhofer (Joſeph von), D., £. bairifher Akademiker und Profeffor, 
Ritter des Civilverdienftordens der bairifchen Krone und des k. dänifchen Danebrog- 
ordens, geb. zu Straubing in Baiern den 6. März 1787, mußte früh das Ge⸗ 
ſchaͤft f. Vaters, eines Glaſers, treiben, wodurch der Schulbeſuch vernachläffige 
wurde. Als. im 14. J. f. Altern verloren hatte, beflimmte ihn ein Vormund 
zu dem Gewerbe eines Drechslers; allein er war für diefe Arbeit nicht Eräftig genug. 
Man brachte ihn daher 1799 als Lehrling nach München zu einem Spiegelmadher 
und Glasſchleifer. ‘Da er fein Lebrgeld bezahlen Eonnte, fo mußte er 6 J. ohne 
Lohn arbeiten. Während diefer Zeit erlaubte ihm f. Lehrmeiſter niemals, die 
Beiertagsfchule zu-befuchen, ſodaß F. des Schreibens und Rechnens faft ganz uns 
kundig blieb. A ſ. Stüd ſtuͤrzte am 21. Juli 1801 das Wohnhaus f. Cehrberen 
ein, yad er felbft ward im Schutte begraben. Nach mehr als vierflündiger Arbeit 
. Bra man ihn ohne eine gefährliche Befchädigung ans Tageslicht. Der Polizei: 
director (jeßige Baurath) Baumakrtner machte fich vorzüglich um f. Rettung ver- 
dient. Der Konig Marimilian Joſeph befahl für die Heilung des Knaben Sorge 
zu tragen, fragte ihn nach f. Wiederberftellung über f. Empfindungen waͤhrend des 
Verſchüttens, entlieh ihn mit einem Sefchenke von 18 Dukaten und verfprach dem 
verwaiften Knaben Vater fein zu wollen, im Falle ihm Etwas mangele. — Diefed 
Geld verwandte $. während der 3 J. die er noch bei feinem Lehrmeiſter zubringen 
mußte, zum Theil darauf, um an Feiertagen optifche Glaſer Ai, föleifen, und er: 
bielt von einem Optiker die Erlaubniß, an diefen Tagen feine Maſchine benußen zu 
dürfen. Dann ließ er fich eine Glasſchnei demaſchine machen, die er auch zum 
Steinſchneiden benußte, ohne je vorher diefe Arbeit gefehen zu haben. Dies erfuhr 
Ußfehneider, der fich ebenfalls für deri Knaben intereffirte, und da der junge F. aus 
Unkunde der Theorie der Optik und Mathematik anf viele Hinderniffe ftieß, fo 
verfchaffte ihm Lßfehneider die zum Selbftunterrichte nöthigen Bücher, und 5. 
drang, ohne mündlichen Unterricht; in den Geiſt eines Käftner, Kiügel, Prieſtley 
u. A. ein. Sein 2ehrnieifter unterfagte ihm zwar das Studium derfelben aufs 
firengfte, allein mit defto großerm Eifer fludirte er an Feiertagen einige Stunden 
insgeheim außer dem Haufe. So ward er bald mit der mathematifchen Optik be: 
kannt und wendete f. Verdienſt nebft dem Reſte f. Geldes dazu an, f. Lehrmeifter 
das legte halbe “Jahr der Xehrzeit abzufaufen und fich eine optifche Schteifimafchine 
anzufchaffen. Ohne jemals graviren gefehen zu haben, fing er damals an, in 
“ freien Stunden Metall zu graviren, um Modelle zum Preffen erhabener Bifitens 
harten zu verfertigen und fich dadurch etwas Geld ir f. Berfuchen zu verdienen. 
Der eben ausgebrochene Krieg verhinderte jedoch den Abfaß der Bifitencharten faft 
gänzlich, und F. kam wieder in eine fehr dürftige Lage. Deffenungeachtet hatte 
er nicht den Muth, fich dem Könige zu nähern, fondern roidmete fich wieder 
ganz dem Metier eines Spiegelmachers und Stasfchleifers, verwendete jedoch die 
Feiertage auf das Studium der Mathematif. Da erbielt im Anfange des Jahres 
1806 Profeffor Schiegg Kenntnig von F. und prüfte f. theoretifchen Kenntniffe. 
Einige Zeit vorher hatte Georg v. Reichenbach f. Theilmaſchine und andre Werk: 
zeuge zur Verfertigung der aftrenomifchen und geodetifchen Winkelinſtrumente voll 
endet, und fich für fein Etabliffement mit v. Ußfchneider und Liebherr verbunden. 
Weil in den Kriegsjahren die zu den aflronomifchen Inſtrumenten nöthigen Pers 
fpectiugläfer nicht aus England erhalten werden Eonnten, fo fing Reichenbach eben 
an, eine optifche Schleifmaſchine von neuer Art zu bauen, und Schiegg, welcher 


Sraunbofer | | 863 


an ber Entſtehung der v. Reichenbach’fehen Anflalt den thätigſten Antbeil nahm, 
empfahl als Optiker Fraunhofer. Nun berechnete und fchliff E die SHäfer zu:den 
erften größern für die ofener Sternwarte beftimmten Inſtrumenten. Es follten 
aber nicht bloß die Glaſer für.die Winkelinftrumente, fondern auch alle andre op: 
tifche SInftrumente verfertigt werden. Der Geheimerath von Utzſchneider, dem das 
ehemalige Kleſter Benedictbeurn feit einigen “Jahren gehörte, woſelbſt er bereite 
eine Glasfabrik Hatte errichten laffen, beftimmte daher ein Capital zur: Anlegung 
einer optifchen Werffiätte, welche gegen Ende 1807 unter $’6 Direction nach 
Benedictbeurn kam. %. unterrichtete nun mehre Arbeiter und lieferte bloß die 
Glaſer für das u. Reichenbach’fche Inſtitut in München, welches fich unterdeffen 
fehr erweitert hatte. Allein am 7. Febr. 1809 traten v. Utzſchneider, v. Meichens 
bach und Fraunhofer in eine Gefellfchaft zufammen und gründeten das für alle 
dioptriſche Inſtrumente beſtimmte Inſtitut in Benedietheurn. F. hatte fich in f. 
theoretiſchen Arbeiten auch mit der Katoptrik befchäftigt, wie ſ. noch ungedruckte 
Abhandlung (180): „Uber die Abweichung außer der Are bei Teleffopfpiegrin“, 
berveift. Indeſſen ward von der Sefellfchaft feftgefeßt, da& von dem neugegrün: 
deten opfifchen Inſtitute die Katoptrik ausgefchloffen bleiben follte. — Eine der 
ſchwierigſten Aufgaben in der praßtifchen Optik ift befanntlich das der Theorie ges 
nau entfprechende Poliren der fphärifchen Flaͤchen großer Objective, weil durch 
das Poliren diefe Flächen die Geſtalt zum Theil verlieren, welche fie im Schleifen 
erhalt:n. F. erfand nun eine Polirmafchine, mit welcher nicht nur die Form der 
Dbjectivflächen nicht verdorben wird, fondern auch noch die unvermeidlichen Fehler 
des Schleifens in jeder Beziehung verbeffert werden können, und bei welcher die Ge⸗ 
nauigkeit weniger von der Geſthicklichkeit des Arbeiters abhängt. “Derfelbe Fall iſt 
es mit den von ihm für andere optifche Zwecke erfundenen Schleif- und Polirmas 
fehinen. Zugleich unterfuchte F. auf eine neue Art das Glas, deffen er fih de 
diente, in Bezug auf die Wellen und Streifen, die es enthält, durch welche das 
Licht unregelmäßig gebrochen und zerflreut wird. Erfand, daß oft in mehren Cent⸗ 
nern des S'intglafes, welches yon Lißfchneider in Benedictbeurn bereiten ließ, nicht 
ein von Wellen und Streifen völlig freies Stück anzutreffen iſt; ebenfo fand er, 
daß die verfchiedenen Stüde von einer und derfelben Schmelze im Brechungever: 
mögen fehr von einander verfchieden find, welches Beides bei dem engl. und be: 
ſonders bei dem franz. Flintglaſe in einem noch höhern Grade der Fall if, Da 
unter biefen Umſtanden die Abficht, vollkommnere und größere Objective zu erhalten, 
ale die waren, deren man fich bis dahin bediente, nicht hätte erreicht werden Fön: 
nen, fo fing er 1811 felbftan, Flintglas zu ſchmelzen, und lieg, mit Einwilligung 
f. Geſellſchaftsgenoſſen, nach f. Angabe einen Schmeljofen bauen und andre hierzu 
gehörige Werkzeuge und Mafchinen anfertigen. Die zweite Schmelze, welche er’ 
im Großen machte, zeigte ihm, dag man Slintglas erbalten fönne, wo felbft ein 
Städ vom Boden des 2 Tentner enthaltenden Schmelztopfes genau daſſelbe Bre- 
chungsvermoͤgen hat, als eines in der Öberfläche deffelben. Allein die folgenden 
Schmelzen waren, obfchon genau auf diefelbe Weiſe gemacht, ſowol in Hinficht des 
gleichen Brehungsverhögens als auch in Hinficht der Wellen und Streifen, um: 
auchbar. Htach längerer Zeit erhielt er wieder einige völlig gelungene Schmel⸗ 
zen; aber auch jeßt war es noch zufällig, und erft nach vielen im Großen (jedes 
Mal mit 4 Sentnern) von ihm angeftellten Berfuchen wurde er mit den vielerlei 
Urfachen bekannt, welche das Mißlingen veranlagten, und nur dann erft war er 
feiner Sache gewiß. Haͤtte er nicht früher gelungene Schmelzen gemacht und feine 
Derfuche nicht im Großen angeftellt, fo würde er beiden Schwierigkeiten, die ihm 
aufſtießen, es für unmöglich gehalten Haben, eine große, völlig homogene Maffe 
‚ Slintglafes zu erhalten. Huch das engl. Cromnglas, ſowie dag deutfche Spiegel: 
umd (glas enthält; wie F. fand,. Streifen oder Wellen, welche das Licht un: 


L 


364 Staunhofer 


regelmäßig Brechen. - Da num in einem groͤßetn und dickern Glaſe mehr ſolche 
Streifen enthalten fein müffen, gleichwol aber das Gegentheil erfoderlich ift, wenn 
bei größern Sernröhren die Wirkung zunehmen foll, fo würde diefes Glas für große 
Objective nicht brauchbar gewefen fein. Deßwegen fing F. an, fich dag Crown⸗ 
glas ſelbſt zu ſchmelzen. Allein auch bei diefen im Großen angeftellten Verſuchen 
flieg er auf Schwierigkeiten andrer Art, welche er erft nach einigen “jahren völlig 
befiegte. — Die Unfache, weßwegen das Brechungs: und Farbenzerftreuungsver:. 
mögen der Materien bisher nicht mit Genauigkeit beftimmt werden Eonnte, liegt 
größtentheils darin, daß das Farbenfpectrum feine fharfen Grenzen hat, und dag 
auch der Übergang von einer Farbe in die andre nur allmälig gefchieht, daher bei 
größern Spectren die Winkel der Brechung nur auf 10 oder 15 Minuten genau ge= 
meſſen werden Eonnten. Dieſem Hindernig zu entgehen, machte 5. eine Reihe 
von Derfuchen, um homogenes Licht Fünftlich Heruorzubringen, und da ihm diefes 
direct nicht gelang, fo erfand er einen Apparat, durch welchen es mit Lampenlicht 
und Prismen hervorgebracht wurde. Im Verlaufe diefer Verfuche entdeckte er die 
fire Helle Linie, roelche im Drange des Spectrums fich findet, wenn es durch das 
Licht des Feuers hervorgebracht wird. Dieſe Linie hat ihm nachher zur Beſtim⸗ 
mung des abfoluten Brechungsvermögens der Materien gedient. — Die Verfuche, 
welche 5. machte, um zu erfahren, ob das Farbenfpectrum vom Sonnenlicht die 
felbe Helle Linie im Drange enthält, roie das vom Fichte des Feuers, führte ihn auf 
die Entdeckung der unzähligen dunfeln firen Linien in dem aus vollfonmen homo⸗ 
genen Farben beftebenden Spectrum vom Sonnenlicht. Diefe Entdedung hatte 
wichtige Folgen; durch fie allein wurde es möglich, den Weg des Lichts für alle 
Farbennuancen mit Winkelinftrumenten genau und direct zu verfolgen. — F. bat 
diefe und andre hierauf Bezug habende Verſuche in einer Abhandlung befchrieben, 
welche ins Franz., ins Engl. und auszugsmweife auch ins Ital. überf. worden ift (im 
5. B. der „Denkfchriften der k. bairifchen Akademie” und im 55. B. von Bilbert’s 
„Annalen der Phyfit‘). Die Akademie der Miffenfch. zu München erwaͤhlte ihn 
hierauf 1817 zu ihrem Mitgliede. — Die genannten Refultate gaben F. die Ber: 
anlaffung, außer der Refraction und Reflexion, auch noch über andre Geſetze, vor 
züglich über die der Beugung des Lichts, eine Reihe von Verfuchen anzuftellen, 
deren glüdlicher Erfolg ihn auf die Entdeckung der außerordentlich mannigfaltigen 
Phänomene führte, welche durch gegenfeitige Einwirkung gebeugter Strahlen ent: 
fliehen, und durch welche er 3. B. volllommen homogene Farbenfpectra ganz ohne 
Prismen hervorzubringen im Stande war. Da diefe Spectra, welche bIoß durch 
Bitter aus fehr feinen, völlig gleichen und parallelen Fäden hervorgebracht werden, 
die Dunkeln firen Linien enthalten, welche er früher in dem durch ein Prisma ent: 
flandenen Spectrum entdedt hatte, und folglich bei Verfolgung des Weges des 
Lichts die Winkel mit auferordentlicher Präcifion zu beftimmen waren, fo fonnten 
die fonderbaren Geſetze diefer Modification des Lichts mit ungeroößnlicher Genauig⸗ 
feit aus den Verſuchen abgeleitet werden. Val. 5.8 Befchreib. diefer Verſ. im 
8. B. der „Denkſchr. der €. bairifchen Akad.” (franz. im 2. H. von Schumacher’s 
„Aftronom. Abhandlungen“), — Die bisher befannten Geſetze des Lichts waren 
von der Art, dag man ihnen viele Hypotheſen über die Natur des Lichts anpaffen 
Eonnte, F. fuchte nun die Theorie für die Darftellung der neuen, feheinbar fehr 
.complicirten Sefeße, und fand, daß fie aus den von Th. Young früher aufgeftellten 
Principien der Interferenz, d. i. nach der Hypotheſe der Undulation, mit gewiſſen 
Modificationen, vollig genügend erklärt werden können. Er entwidelte alsdann 
für die neuen Geſetze deg Lichts, nach den genannten Prineipien, einen allgemeinen 
analytifchen Ausdrud, aus welchem hervorging, daß, wenn er im Stande waͤre, 
völlig vollkommene, aus parallelen Linien beftehende Gitter zu machen; die fo fein. 
wären, daß ungefähr 8000 Linien aufeinen parifer Zoll gingen, alsdann Die durch 


Srapffinous 565 


fie hervorgebrachten Phänomene auf eine fcheinbar außerdrdentlich complitirte Art 
modificiet würden. Er ſtellte deßwegen neue Verfuche an und erfand eine Theilma⸗ 
ſchine, durch welche er die genannten Bitter mit der vor der Theorie vorgefchriebenen 
Senauigfeit verfertigen konnte. DieXefultate diefer Forſchungen, welche die Theorie 
vollkommen beftätigen, hat: im 74. Bde. von Silberr’s „Annalen der Phyſik“ be: 
kanntgemacht. Die weitere Verfolgung diefes Gegenſtandes befchäftigte ihn bis an 
ſ. Tod. — Aus den früher befannten-Sefeßen des Lichts konnten mehre atmoſphaͤ⸗ 
riſche Lichtphaͤnomene, z. B. die Entſtehung der Hofe und Nebenſonnen u. ſ. w. 
entweder gar nicht oder nicht genügend erklärt werden, F.gelang es, dieſe fo man; 
nigfoltigen Phänomene auf.die gegenwärtig befannten Gefeße des Lichte zuruͤckzu⸗ 
führen. Ein Auffag von ihm darüber ift in Schumacher’s ‚‚Aftronom. Abhandluͤn⸗ 
gen” erfchienen. Wir bemerken nurnoch, daß er die zu fi phnfifchsoptifchen Berfuchen 
von ihm erfundenen Inſtrumente und Mafchinen, ſowie auch’ die wichtigern Kupfer⸗ 
platten zu f. Abhandlungen felbft ausgeführt hat. — Zu den wichtigften durch ihn 
erfundenen oder verbefferten optiſchen Inſtrumenten, welche gesenwircs in ganj 
Quropa verbreitet find, gehören folgende: das Heliometer (f die Notiz dariiber in des 
Dar. v. Lindenay „Beitfchrift für Aſtronomie“, Bd. l, ©. 97); das repetirende- Lam⸗ 
- penfilarmißrometer (f. Struve's Anzeige in Nr. 4 der „Aftronomifchen Nachrichten” 
des Ritters Schumacher); das zum Meſſen in abfolutem Maße beftimmte achroma⸗ 
tifche Meifroflop; das Ringmifrometer; das Lampenfreis: und Netzmikrometer (be: 
(hr. von F. in Nr. 43 der „Aftron. Nachrichten“, überf, um „Philosophical’maga- 
zige‘‘; Maͤrz 1824); der große für die Dorpater Sternwarte verfert. parallaftifche . 
Refractor (ſ. Struve’s „Befchreib. des auf der Sternwarte zu Dorpat befindk großen 
Refractors von F.“, Dorpat 1825, Fol., m. Kpf.) wi ar. — F. verfertigte zuleßt, 
auf Beftellung des Königs von Baiern, einen größern parallafsifchen Nefractor, von 
12 pariſer Zoll ffnung des. Objectivs und 18 Fuß Brennweite, deffen Mechaniss 
mus er noch mehr vervollfommnete. Das unter ſ. Zeitung fo berühmt gewordene op 
tifche Inſtitut wurde 1819 von Benebictbeurn nach Dlünchen verlegt, 100 es gegen: 
yore an 50 Perfonen befchäftigt. Bis 1814 hieß die Firma deffelben: „Utzzſchnei⸗ 
, Keithenbach und $raunbofer”, feit dieſem J. aber. „Ußfchneider u. Fraunhofer”, 
Auch werden noch gegenroärtig in diefem Inſtitute Die optifchen Theile für die aſtro⸗ 
nomifchen und geodetifchen Winkelinftrumente verfertigt, welche aus dem Neichen; 
bach’fchen Atelier hervorgehen, defien Eigenthümer gegelgpärtig der Mechanifus Er⸗ 
tel if. — 1823 wurde F. zum Conſervator des phufifalifchen Cabinets der k. bai- 
rifchen Akad. ernannt, und 1824 erhob ihn der König zum Ritter des Civilverdienſt⸗ 
ordens. Mehre auswärt. gelehrte Geſellſchaften ernannten ihn zu ihrem Mitgliede. 
Körperliche Schwaͤche, vielleicht eine Folge des Einſturzes des Haufes, unter deffen 
Schutte er herausgegraben werden mußte, vermehrt durch die geifligen Anflrenguns 
gen, wobei der Körper faft immer vernachläffige ward, und durch den Dunft des Glas; 
ofens, führten den frühen Tod diefes berühmten Optikers berbei, der am’. Juni 
1826 erfolgte, Seine Srabflätte ift unmittelbar an der Seite des wenige Tage vor 
ihm verſtorb. ©. v. Reichenbach (ſ. d.). Man weihte ihm die AInfchrift: „Ap- 
proximarit sidera” (er bat die Geſtirne ungnäher gebracht). In Sttaubingen wurde 
dem Haufe, 100 er geboren, gegenüber ſ. Düfte aufgeftellt, und die Strafe führe f. 
Damen. (&. den Umriß |. Xebens, von Joſ. v. Usfehneider.) (Vgl. Refrar⸗ 
tor ımd Ußfchneider.) . — — 
Brayffinous(Denisde),Bifchof von Hermopolis Hofprediger des Ko⸗ 

nigs von Frankreich und bis 1828 Großmeiſter der Univerſitaͤt zu Paris. Alg nach 
‚der Einführung des Concordats (1802), das den Prieftern der römifchen. Kirche die 
Erlaubniß zurädgab, ihr Amt Hffentlich zu verwalten, viele von ihnen aus der 
Dunßelheit traten und fich mit großem Eifer, wenn auch nicht mit viel Geiſt, gegen 
die fogenannte Philoſophie erklärten, soorin fie den Urforung alles Unheils in Frank⸗ 


.— 


366 Frebegonde Frederiksoord 
reich ſuchten, zeichnete ſich F. vor Allen aus. Seine Reden, welchen er den be⸗ 


ſcheidenen Namen Unterredungen gab, machten viel Aufſehen, und die Kirche von 


©t.:Sulpice, mo er auftrat, hatte den größten Zulauf. Indem er Andern den 
Weg des Heils zu öffnen ſuchte, öffnete er fich felbfi den Weg des Fortkommens. 
Dei der neuen Einrichtung der Univerfität (1807) ward er Mitgl. der theolog. Fa⸗ 
eultät; eine glinzendere Laufbahn aber öffnete fich ihm nach Herftellung des bour- 
bonifchen Haufes, und er ward.nach und nach Hoßprediger, Titwlarbifchof, Große 
meiſter der Univerfttät, endlich 1822 auch Mitglied Ver franz. Akgdemie, was Dies 
jenigen, welche diefer Ehre nur ausgezeichnete Öelehrte würdig halten, nicht wenig 
überrafchte, da F. in der Literatur noch gar nicht genannt worden ifl. Er ift nicht 
Mitglied ver. Congregation noch: gehört er den Jefuiten an, deren Dafein in Frank⸗ 
reich er in der Deputirtenfammer felbft un juni 1826 eingeflanden bat. 1828 
trat er nebſt Billcle aus dem Miniſterium. on 

Fredegonde, Gemahlin des fraͤnkiſchen Königs Coitperig) zu Soiſſons, 
hatte, wie ihre Schwägerin Brunehild, großen Antheil an den Streitigkeiten, 
welche die Söhne Chlotars, die von 561 an das fränfifche Reich getheilt beſaßen, 
mit einander führten. Geb. 543 (der Stand ihrer Altern ift unbekannt), war fie 
Hoffräulein bei den beiden erften Gemahlinnen Chilperichs, den ihre Schönheit be: 
jauberte: Um fich auf den Thron zu erheben, entfernte F. die erſte ihrer Gebiete: 
rinnen: ducch Lift, die zwweite Durch Meuchelmord. Dieſes veranlagte einen Krieg 
zwifchen den beiden Brüdern Ehilperich und Siegbert; denn Brunehild, Gemahlin 
Siegberts und Schweſter der Ermordeten, reizte ihren Gatten zur Rache. Chüpe⸗ 
rich wurde von feinem Bruder gefchlagen, in Tournai belagert, und fehien verkoren 
zu fein, als F., die nun feine Gemahlin geworden war, Mittel fand, durch Dieu: 
helmörder Siegberten aus dem Wege zu räumen, &ie benußte hierauf die Ver: 
wirrung, die Siegbert's plöglicher Tod unter feinen Truppen verurfacht hatte, griff 
diefe unvermutbet an, ſchlug fie, drang felbft bis Parts und nahm hier Brunehild 
mit ihren Töchtern gefangen; Chilperich fandte jedoch fpäter die Brimehild nach 
Metz zurüd, wo ihr Sohn Childebert 5715 zum König ausgerufen wurde. Hier⸗ 
auf fielen Chilperich's Söhne erfler Ehe, deren jüngfter, Meroven, die fchönften 
Hoffnungen verbieß,. nach und. nach als Opfer der Eiferfucht und Mordluſt 5.6, 
die endlich, um eine andre Leidenfchaft zu befriedigen, felbft ihren Satten nicht 
ſchonte; er fiel auf der Jagg durch die Hand eines Moͤrders. Durch den Beiftand 
ihres Schwagers, Guntram, Königs von Orleans, gelang es der F. ſich als 
Regentin des Reichs und Vormünderin ihres Sohnes, Thlotar II., zu behaup⸗ 
ten. Sie befeftigte ihr Anfehen immer mehr, war in den Kriegen, welche fie mit 
den wider fie verbündeten fränfifchen Königen führen mußte, glüdlich, und hin- 
terließ, als fie 597, 55 J. alt, im vollen Genuffe aller Borzüge der Hoheit und: 
Macht ftarb, ihrem Sohne das Reich in einem blühenden Zuftande Wenn $. 
alle die Miffethaten wirklich begangen bat, - welche die Sefchichte von ihr erzähle, 
und wenn nicht vielleicht Parteifucht der Sefchichtfchreiber ihr mehr aufgebürder, 
als fie verſchuldet hat, fo iſt fie ein merkwürdiges Beifpiel, daß die rächende Ne= 
mefis nicht immer den Laflerbaften trifft. Brunehild, 5.6 Todfeindin, wollte 
Chlotar 11. des Reichs berauben, ward aber von ihren Vaſallen verlaffen und von 
Chlotar gefangen, der fie an ein wildes Pferd binden und todt fchleifen, hierauf 
den Körper verbrennen ließ, 613, 

Frederitsoord, Armencolonie in der holland, Provinz Drenthe, un: 
weit Zwoll und Steenwyck, an der Grenze von Overyſſel und Groͤningen. Ein 
Berein von Baterlandsfreunden, darunter General Ban dem Bofch, verband fich 
1818 in der Abficht, durch Anlegung von Aderbaucolonien in wüften Gegenden 
zur bürgerlichen und fittlichen Berbefferung der Armen beizutragen; Präfident die: ' 
fer „wohlthätigen Sefellfchaft‘ wurde der zweite Sohn des Königs, Prinz Friedrich. 


Srebiani . 367 


Sie ließ in der moraftigen Provinz Drenthe binnen 2 5.600 Holland, Morgen un: 
fruchtbaren Landes anbauen und 200 Häufer errichten, wo gegen 1500 der tief: 
ſten Noth entriſſene Arme Zuflucht.und Befchäftigung fanden, Die Zahl der Mit: 
glieder. des Dereins war 1821 auf 24,000 gefliegen, wovon “Jeder, außer einer 
Eleinen Summe beim Eintritt, roöchentli 1 Stüber (8 Pfenn.) beiträgt. Eine 
Verſammlung von Stellvertretern ordnet die Sefege und die jahrl. Ausgaben; ein 
Direstorium (jegt-Hr. Viffer) mit verantwortlichen Beamten und einem Senate, 
der über die Beobachtung der eingeführten Ordnung wacht, bat die ausübende Se: 
walt.. S. des Baron v. Keverberg Schrift: „De la colonie de Frederiks Oord 
et des moyens de subvenir aux besoins de l’indigence, par le defrichement 
des terres incultes (Gent 182%). Nach diefem Berichte erhält jeder.der 16500 An- 
fiedler eine Wohnung mit 2100 Ruthen Landes und Aderbaumwerkjeuge. Wer die 
‚Arbeiten des Aderbaues nicht verfieht, wird darin unterrichtet. eiber und Kin⸗ 
der erhalten in anfehnlichen Spinnereien Unterricht. Die Borfteher führen Auf: 
ficht über das Betragen der Anfedler, felbft im Innern ihrer Wohnungen, um fie 
an-Orduung, Reinlichkeit, und Sparfamfeit zu gewohnen. Nach der Bürgfchaft, 
Welche ihr Betragen darbietet,, wird ihnen deu freie Genuß ihres Vermögens bewils 
ligt oder verweigert. - Die Anfiedler, deren Fähigkeit oder Betragen Zweifel zulißt, 
werden bei der Bearbeitung ihrer Gelder befonders geleitet, da von dem guten An: 
bau der. Landereien das Wohl der ganzen Anfiedelung abhängt, und nach diefem 
Srundfage follen künftig die Landereien der noch nicht zum unabhängigen Genuffe 
ihres Eigenthumes zugelaffenen Anfiedler gemieinfchaftlich angebaztt werden. Die 


Kinder, die in einem Alter. von I bis 8 Jahren nicht felten wöchentlich 10 — 15 


Stuͤberd auch wol 1Gldn. gewinnen können, behalten von dem zum Vortheile des 
Haushaltes beftimmten Ertzage einen Eleinen Antbeil zu ihrer Aufmunterung. Faſt 
in.jedem Haufe findet man eine außerordentliche Befchäftigung, welche die Anſied⸗ 
ker freiwillig gewählt haben. Vom 1. Dec, 1818 bis zum 1. April 1819 Hatten 
52 Anfiedlerhausbaltungen ſowol durch Seldarbeiten für Andre als durch Flachs⸗ 


und Wollenfpinnerei über 5090 Gldon. gewonnen. Vie Sefammteinkünfte einer . 


Anfiedierbausbaltung wurden auf 725 Gldn. angefchlagen, und die Koften deg 
Anbaues für Saat, Dünger und Handarbeit dayon abgezogen, blieb ein Rein— 
ertrag von ungefähr 550 Sldn. Der Anfiedler ift jedoch der Sefellfehaft für den 
zu feiner erften Einrichtung erhaltenen Vorſchuß für Kleidung, Pebensmittel und 
robe-Arbeitsftoffe eine Summe fehuldig, die nicht weniger als 100 Gldn. beträgt, 


und deren Erſtattung den, Anfieblern fo leicht als möglich gemacht voird. Im Juli 
41820 war bereits 4 ihrer Schuld abgetragen. In außerordentlichen Fällen werden , 


Summen erborgt, wenn nämlich Ortsobrigfeiten oder milde Stiftungen Arme in 
der Colonie zu verforgen wünfchen, wo denn für jeden eine jaͤhrl. Rente von 25 
Gldn. bezahlt werden muß, die nicht nur die Zinſen des aufzunehmenden Capitals 
deckt, fondern auch noch einen Überſchuß gewährt, der in die zur Abtragung der 
Sefammtfchuld beſtimmte Tilgungscaffe fließt und 1824 über 80,000 Stdn. be: 
trug. Die Sefellfehaft läßt, zum Vortheil einer befondern, für Nothfaͤlle be: 
flimmten Hülfscaffe, für eigne Rechnung einen Theil der an die Anfiedelungen 
grenzenden Ländereien bauen. 1825 waren in Holland 10 ſolche Solonien errich: 
tet. Die jüdifchen Armencoloniſten find fleißige Ackerbauer geworden. Sie haben 
ihre Synagoge und Schule. Man hat auch 50 arme deutfche Familien durch alle 
Niederlaffungen vertbeilt, damit fie den übrigen durch den beharrlichen Fleiß und 
die Senügfamfeit, die ihnen eigen find, ald Mufter dienen möchten. 1825 waren 
bereits 12,000 Ältere und Jüngere bier verforgt und zu beffern Menſchen erzogen 
worden. ©, „Memoire sur les colonies de bienfaisance de Frederiksoord et 
de Wortel”, vom Ritter J. R. 2. v. Kireckhoff (Brüjfel 1827), 26. 
Gredian.i(Enegildo), bekannt unter dem Namen Anciro, ein Schüler des 


% 


x 








368 Fregatte Freiberg —— 


Chemikers Prof. Bianchi in Piſa, durchreiſte 1817. Agypten. Dann unternahm 

er mit Lord Belmore eine Reiſe nach Nubien und unterſuchte mit Belzoni die 
zweite Pyramide von Chephrem. Hierauf bereifte er Paläflina,; den Libanon, Sy 
rien, die Segenden am Euphrat und Palmyra. Anfangs 1819 kehrte er an den 
Nil zurück, durchzog auf dem Wege der Israeliten Arabien, hierauf nochmals 
Agypten mit Ruckficht auf deffen alte Geographie und Alterthümer, mo er matur: 
biftorifche und archäologifche Seltenheiten fammelte, : Zulegt unternahm er eine 
Reife nach Abyſſinien und Sennaar in das innere von Afrika. Seine Befthreibung 
des Tempels des Jupiter Ammon, deffen Ruinen er auf feiner erften Reiſe unters 
fuchte, iſi in itafien, Zeitfehriften, u. a. tm „Giornale eneiclopedico di Napoli”, 
41821, mitgẽtheilt worden. Cailliaud erzähle in feinen Briefen an Jomard, aus 
Sennaar im Nov. 1821, daß 5; in Nubien von einem epidemiſchen Fieber be: 
fallen worden fei und im Paroxismus alle feine Papiere, die Krucht I8monatl. 
Fleißes, verbrannt habe. Er-fei darauf wahnſinnig geworden und geſtorben. 
Fregatte, ein Kriegsſchiff, welches im Range nach dem Linlenſchiffe 
folgt, bat ein oder zwei Verdecke und führt 20 — 40 Kanonen. — Fregatom, 
ein fpanifches ‚mittleres Fahrzeug, mit vieredigem Hintertheil, kann 4'500 
Tonnen laden und wird meiftentheils zum Überfegen der Kriegstruppen oder Abla⸗ 
dung der Saleeren gebraucht. — In der Naturgeſchichte heiße die Fregasee' ein 
Seevogel, von der Groͤße eines Huhns und mit fo großen Flügeln, daß fie ausgebreis 
tet von der-einen Spiße zur andern 14 Füßbetragen (Pelecanus aquinus Li + ' 
Freiberg, Kreis:undBergfladt im erzgebirgiſchen Kreiſe des Rönigreiche " 
Sachen, am Münzbach, unmeit der öftl. Mulde, verdankt ihren Urſprung · der 
Entdeckung der Sitberbergwerke im 12. Jahrh., wo Betgteute vom Hasz ſich hier 
14195, unter Otto dem Reichen, anbauten, Der reüche Beräfegen lockte mmer 
mebr Anſiedler herbei; Freiberg erhob fich fthnelk und Hatte in der erften. Hälfte 
des 16. Jahrh. gegen 30,000 Einw. - Der dreißigjähr Krieg zerſtorte den Wohl⸗ 
fland der Stadt. Sie hat jeßt 1300 H. mit mehr als 9000 E. In der Domtirche, 
deren „goldene Pforte‘ (von Blasmann gezeichnet und in Stein gedrudt) ein ſcho⸗ 
nes Denfmal buzantinifcher Kunft ift, befindet fich die fürflliche Begräbnägcapelle, 
100 deren Erbauer, Herzog Heinrich der Fromme, der m Freiberg 1541 farb, mit f 
Nachkommen, bis auf den Kurfürften Johann Georg IV., ter 1694 die Reihe der 
proteftant. Fürften f. Haufes ſchloß, begraben liegen. Sehenswerth ift bier des 
Kurfürften Moriß (f. d.) Denkmal mit feinem Iebensgroßen Bilde von Alabafter, 
in deffen Naͤhe man die Nüftung ſieht, die er in der Schlacht bei Sieverahaufen 
(1553) trug. In dem Thor der Kirche ruht auch der Diineralog Werner:(f. d.). 
Die Stadt bat ein gutes Gymnaſtum mit einer anfehnlichen Bücherfommlung; 
die withtigfte Lehranftalt aber ift die 1165 gefiftete Bergakademie, die vorzüglichfte 
Bergwerksſchule in Europa, von welcher die wiffenfchaftliche Begründung oder Aus⸗ 
bildung mehrer Zweige der Naturwiſſenſchaften ausgegangen iſt. Seit Werner 
(17175) ihren Ruhm verbreitete, wurde fie die Lehrerin von mehren hundert Fremden 
aus allen ’europäifchen Ländern, fetbft aus andern Welttbeilen, und die Namen 
ber berübmteften Naturforſcher unferer Tage glänzen unter thren Zoͤglingen. Ste 
befigt feit 17791 ein eignes Gebäude, das außer den Lehrfälen und dem chemifchen 
Laboratorium, die Bibliothet, die Miineralienverfaufsanftalt und dag reiche Wer⸗ 
‚ ner’fche Muſeum enthält oder die auf Oryktognoſie und Bergbau fich begiehenven 
wiſſenſchaftlichen und technifchen Sammlungen, die Berner theils bei ſ. Xebzeiten, 
theils in f. legten Willen der Akademie überlieg. Die Lehranftalt hat gegen 10 eh: 
rer für Bergbau: und Hüttenkunde und deren Huͤlfswiſſenſchaften. Mehre m: 
länder erhalten freien Unterricht, genießen ein Jahrgeld, und jedem diefer Zdglinge 
ift ein fogenanntes Freigedinge, d. 1. eine Arbeit in irgend einer Grube, angewiefen, 
welche er in Sreiftunden, wie ein gemeiner Bergmann, jedoch gegen etwas hoͤhern 


N 
\ 


— 


Freiberg, ſaͤchſ. Bergbau 7.869 


Lohn, befongt. Eine Vorſchule für die Akademie ift die Hauptbergſchule. — Die 
Stadt dat Spinnereien, Spißenflöppeln, Tuchmanufecturen, eine Fabrik leoni⸗ 
ſcher Treffen, eine Schrotgießerei (beide die einzigen in Sachſen), Bleiweiß: und 
Dleiglättefabrifen, Die wichtigften Ermerbsquellen find der Bergbau und die 
darauf gegründete Fabricatig. 
Sreiberg, binfichtlich der obern Verwaltung der Mittelpunft des füchfifchen 
" Bergbaus und der Sig der wichtigften Anftalten, war auch die Wiege deſſelben, 
wiewol einige. Spuren anzudeuten ſcheinen, daß fehon die Sorben vor dem 12. 
Jahrh. Bergwerke im Meißnerlande bearbeiteten. Der Bergbau verbreitete fich 
bald von Freiberg.über andre Theile des Erzgebirge, Die blühendfte Zeit deffelben 
fällt ins 15. Jahrh., we die Silbergruben bei Schneeberg und Annaberg, und die. 
Binnbergroerfe bei Altenberg entdeckt wurden. Der Ertrag des Silbers war fehr 
reich, obgleich die gewöhnlichen Angaben von unermeglichem Gewinn Übertreibun- 
en find; fchon im 16, und noch mehr im 17. Jahrh. aber nahm derfelbe auffal: 
end ab, wogegen Eifen, Kobalt, Schwefel und andre Mineralien defto reichern 
Erſatz gaben; fpäter flieg jedoch der Silbergewinn wieder, befonters feit der Mitte 
des 18. Jahrh., und fiel wieder in deffen leßtem Jahrzehend. Seit 17188 war der 
jährl. Silberertrag flets über 50,000 Mark und betrug in dem Zeitraume von 
4793 — 1815 über 30 Mill. Thaler. An dem in den neueften Zeiten gefallenen 
Ertrage des Bergbaus find theils die verminderte Ausbeute vieler Gruben, theils 
die vermehrten Koflen der Bearbeitung, zumal bei dem Bau in großer Tiefe, und 
endlich die der Gewerbſamkeit überhaupt nachtheiligen Zeitumflände Schuld gewe⸗ 
fen. In den älteften Zeiten war der Bergbau meift Raubbau, d. h. man bearbei: 
tete die Erzgruben, fo lange fie ohne viele Mühe und Koften Ausbeute gaben, und 
ließ fie dann liegen. Schon früh aber, wie es fcheint, erhielt das Bergmefen eine 
geordnete Derfaffung, die jedoch erfi im 16. Jahrh. beffer eingerichtet wurde, 
eitdem ift durch die Einführung der General-:Zchmelzadminiftration, durch die 
Stiftung der Bergakademie, befonders hinfichtlich der miffenfchaftlichen Bearbei⸗ 
tung, durch verbefferten Mafchinenbau , durch Ynlegung von Sanälen und durch 
Einführung der Amalgamation, für die Berbefferung des "Berg: und Hüttenwefens 
fehr viel he worden. Der Bergbau, obgleich Staatseigenthum, wurde fchon 
in frühern Zeiten Privatperfonen freigegeben, jedoch mit Vorbehalt des Dbereigen: 
thums, das durch Belehnung ausgeübt wird, der oberfien Leitung des Erzbaus und 
des Derkaufsrechts des Silbers und gerwiffer Abgaben. Wer einen Erzgang auf: 
gefunden zu haben glaubt, erhält die Erlaubnif zu fchürfen oder aufzufuchen, felbft 
auf fremdem Grund und Boden, nur nicht auf befüeten Äckern und auf Feuerftätten. 
Iſt der Verſuch fruchtios, fo muß Alles in den vorigen Stand gefeßt werden, im ent: 
egengefeßten Falle aber wird der Unternehmer mit dem Eragange beliehen. Die 
ruben find (mit Ausnahme der einzigen Iandesherrlichen bei Freiberg) entweder 
Eigenlühnerzechen, die der Befiger allein oder-mit einigen Gehülfen bearbeitet, oder 
Gewerkzechen, die aus 128 Antheilen oder Kuren befteben, deren Inhaber die Ko: 
ften des Baues gemeinfchaftlich beftreiten. Die Sefeltfchaft der Kuxenbeſitzer hat 
einen Bevollmächtigten, Schichtmeifter genannt, der die Zeche unter der Oberauf⸗ 
ficht des Bergamts vermaltet, und jener jährlich Nechenfchaft ablegt. Hat eine 
Sefellfchaft eine über ein Jahr unbearbeitet liegen laſſen, fo verliert fie das. Beſitz⸗ 
recht, oder die Zeche füllt ing Freie, wieman esnennt, Der Ertrag der Silberarus 
ben, welche Ausbeute'geben, wird den Rurbefigern vierteljährlich in gemüngtem Sil⸗ 
ber bezahlt. . Der gefammte Bergſtaat ſteht unter dem geheimen Sinanzcollegium, 
als ter höchften Behörde, und theilt fich, binfichtlich der Aufficht und Serichtsbars 
keit über die Oruben, in 6 koͤnigl. und 5 herrſchaftl. Bergämter, in Anfehung der 
Aufficht über die Zehnten, oder der Abgabe für die Überlaffung des Bergbaus an 
Privatperfonen, in 2 Oberzehntenämter zu Freiberg und Annaberg, Die unmittels 
Converfations« Tericon, Bd. IV. > 24 


TER 


on 


370 Sreibenfer Freiburg 


baren Oberbehörben find das Oberbergamt und das Oberhüttenamt, die ihren Sig 
zu Freiberg haben. Jenes leitet den eigentlichen Erzbau, diefes führt die Aufficht 
über die Schmelzhütten und das Amalgamirmerk. In früäbhern Zeiten wurden die 
gervonnenen Erze überall, auch in den Hütten der Privatbefiger, geſchmolzen, feit 
dem Anfange des 18. Jahrh. aber müffen alle Si. ver⸗, Blei: und Kupfererze an 
die Seneral-Schmelzatminiftration zu Freiberg abgeliefert werden. Rechtsfachen 
minder wichtiger Art werden von den Dergämtern, wichtigere von dem Dergfchop: 
penſtuhl entfchieden, den der Stadtrath zu Freiberg bildet. Die Vorzüge der ſachſi⸗ 
ſchen Bergwerksverwaltung find felbft von Ausländern anerfannt. : „hr Zweck“, 
fagt d'Aubuiſſon (‚Des mines de Freiberg en Saxe et de leur exploitation”, 
Leipzig 1802, 3 Bte.), „iſt vornehmlich, den gebauten Gruben lange Dauer zu 
fichern, fie zu verbeffern, und die Mittel herbeisufchaffen, die Unglücksfallen abhel⸗ 
fen und die Eröffnung neuer Erzgänge möglich machen fünnen. Bei wenigen ähn: 


lichen Verwaltungen bersfcht fo viel Ordnung und Sparfamfeit. Die eingeführte 


Verwaltung der Zechen ift den Gewerkſchaften unftreitig vortheilhaft, doch iſt der 
Nutzen diefer Geſellſchaften nur ein untergeordnneter Zweck der'vermaltenden Be: 
börde, der Hauptziwed aber die Erhaltung und Berbefferung des Bergbaus, wo⸗ 
durch dem Staate die Dauer und Stetigfeit der ihm aus den Bergwerken zufließen: 
den Einkünfte, und 10,000 Bergleuten ihr Lebensunterhalt gefichert wird“. (Dal. 
Sachfen.) Unter den Revieren, in welche der füchfifche Bergſtaat getheilt wird, 
ift Sretberg das bedeutendfte. Alle Arten von Erzgängen in demfelben befchreibt 
dAubuiſſon a. a. D.; ferner: Werner’s „Neue Theorie von der Entſtehung der 
Gänge” (Freiberg 1791), und der verftorb. Bergbauptmann v. Trebra in feinen 
„Merkroürdigkeiten der tiefen Hauptflölle des Bergamtsreviers Freiberg‘ (Freiberg 
4804).- Hier find die teichften Silberbergwerke Sachfens; unter diefen war die 
Srube Himmelsfürft ſowol hinfichtlich ihrer Ergiebigkeit als der Kegelmäßigfeit 
ihres Baus und der Bollfommenheit ihrer Mafchinen eine der erften in Europa. Sie 
ift feit mehr als 4 Jahrh. geöffnet, wird ſeit 200 J. ununterbrochen gebaut, lie 
ferte jährlich für 95,000 Thlr. Silber und gab 1760 — 1818 überhaupt 2176 
Etnr., wie die Inſchrift einer Silberftufe fagte, die dem Könige am Tage feiner 


. — überreicht wurde. In der Nähe von Freiberg befinden ſich unter mehren 


nftalten zur Sörderung Des Bergbaus die großen Silberſchmelzhuͤtten mit 8 Hoh⸗ 
fen und 14 Reverberiröfen, und vorzüglich das 1787 gegründete und nach Tem 
gerftörenden Brande 1795 vollfommen bergeftellte Amalgamirmwert (f. Amalga- 
ma), mo man jährf. gegen 60,000 Ctnr. Erze amalgamirt und dadurch eine jährt. 
Erfparnig von 10,000 Kiften. Holz bewirkt. Der 1788 angelegte ſehenswerthe 
Kurprinzencanal führt bald auf, hald neben der Mulde die Erze entfernter Gruben 
zum Amalgamirmerf, in deffen Nahe Kähne mit 60— 90 Ctrn. Erz durch eine 
finnreiche Mafihine 20 Ellen Hoch aus der Mulde in ten Canal gehoben werden. 
Nach Breithaupt's Schrift: „Die alte und freie Bergftadt Freiberg in Hinficht 
ihrer Geſch. Statift., Eult. u. Gewerbe” (Freiberg 1825), hat der freiberg. Berg: 


. bau in d. 640 J. ſ. Dauer 240 Mill. Thlr. od. 82,000 Ctnr. feines Silber geliefert. 


Freibeuter, ein Seeräuber, der, überall auf Beute ausgehend, feine 
Flagge nach den Umfländen ändert, Er ift von dem Kaper dadurch unter: 
fchieden, daß diefer, durch eine Autorifation feiner Regierung, den Kaperbrief, 
bevollmaͤchtigt, Yeindfeligkeiten nur gegen die Nationen ausübt, mit welchen 
die feinige im Kriege befangen iſt. Er wird daher militairiſch behandelt, der 
Freibeuter hingegen als ein Räuber, 

Freibriefe, f. Licenzen. . 

j Freiburg, 4) Hauptft. des ehemal. Breisgaus, jeßt des Treifamfreifes 
im Großherzogthum Baden, welchem fie im presburger Frieden (1805), nebſt dem 
Breisgau, von Öftreich abgetreten murde, liegt in einer romantifchen Gegend des 
’ b & 


Freicorps in. . 571 


Schrarzwäldes, am Fluſſe Treiſam, hat 13,000 Einw., eine Oberrechnenkammer, 
: Bergmerfscommifften, einige -Fabrifen, und iſt der Sitz eines Landesbistkums, 
Den ſchoͤn gebauten Münfter mit einem kunſtreichen, 418 F. heben Thurme hat 
Heinr. Schreiber befchrieben (Freiburg 1820) und nach Bater’s Zeichnung litho⸗ 
graph. (Freib. 1826), Die Stadt war ehemals eine treffliche Feſtung, allein die 
Sranzofen, welche fie 17744 eroberten, fchleiften die Werke. Seit 1827 iſt hier ein 
Erzbischum errichtet, welchem die Bisth. Mainz, Fulda, Rothenburg u. Limburg 
untergeben find, Der 1456 geflift.: Albert:Ludwigs:Univerfintt- haben 
Me Landſtande eine jährliche. bedeutende Rente Bewöillige. Der Kreisbitectorio, 
Türdheim nimint fich thätig und mie Eifer derſelben an. An Welder.d.» Ale, ver 
aus Bonn dahin fam , hat die Hochſchule einen Mann gewonnen, der nicht bloß im 
Gebiete der Rechtswiſſenſthaften, ſondern auch in der alten claffifchen Literatur voll⸗ 
kommen beimifch ift, Zell, ein Schüler Ereuzer'sund eintüchtiger Philolog, wurde 
von Naftadt dahin verpflangt; Seeber, ausgezeichnet als Mathematiker und Aftro: 
nom, von Karlsrube. Der Unterricht im Zeichnen ertheilt Prof. Boll, der ſich m 
Italien zum Künftler bildete. In deu theol. Facultat Iehren Hug,: Schreiber, 
Buchegger, Stengel u. %., in der Juriſten⸗Facultuͤt v. Rotteck, Weider, Duttlin⸗ 
‚ Amann u, A, in der medicin, Facultat Schmiederer, Eder, Beck, Sihultze, 
umgaͤrtner u. A. in ber philof. Deuber, Scheller, Schreiber, Perlob u. A. 
Die miffenfchäftlichen Anftalten u, Einrichtungen errveitern fich von Jahr zu Jahr. 
Die Bibliothek iſt reich an Altern Werken aus den Sammlungen der aufge hobenen 
Stifter und Kloͤſter. Freiburgs Lage, in einem Winkel von Deutfchland, und die 
Nachbarſchaft von Heidelberg und Tübingen wirken nachtheilig auf die Frequenz 
ein, indeg betrug doch die Zahl der Studirenden im Winter 1825 über 600; ' Die 
Gegend gehört zu den fchönften in Deutfchland: auf der einen Seite die fruchtbare 
Ebene, welche alle Erzeugniffe eines milden Himmels in reicher Fülle hervorbringt; 
auf der andern ein herrliches Berg: u. Thalland, die ergiebigfte Fundgrube für den 
Naturſorſcher. Man lebt ziemlich wohtfeil, umd manche Gefahr, der die Yugens 
onderwärtsausgefegt fein mag, kann hier gluͤcklicherweiſe nievorhanden fein. Noch 
bat %. eine Geſellſch. fiir Beförderung der Gefchichtstunde, ein Gymnaſium, ein 
FHorft- und ein polytechnifches Inſtitut, und wohlthaͤtige Stiftungen, — 2) Haupt⸗ 
ort des Santons gl. N. in der Schweiz, mit 6000 Einw. und einem Seftitencolles 
gium. — 3) Freiburg an der Unftrut, Städtchen im preuß. Herzogth. Sachs 
fen unmeit Naumburg, 1700 E., hat Weinbau. | 
Freicorps, fonft Heeresabtheilungen, die für-die Dauer eines Kriegs er⸗ 
richtet, zum Dienfte der leichten Truppen gebraucht und als ein leicht zu verſchmer⸗ 
gender Berluft dem Feinde aufden geführlichften Punkten entgegengeworfen wurden. 
So hatte Friedrich. IL. im fiebenjähr; Kriege mehre aus Ifberläufern sc; gebildete 
Freibataillons, welche oft nuͤtzliche Dienfte leifteten, aber auch, wie es bei ihrer Zu: 
fammenfeßung nicht anders möglich war, felten bei den Einwohnern ein rühmliches 
Andenken hinterließen; ſowie denn die Truppen des fiehenden Heeres immer mit ei: 
ner geriffen Berachtung auf diefe Abtheilungen niederfähen, die fich u. d. N. der Freis 
parteien in der Erinnerung des Volks erhalten haben. In neuern Zeiten hat man die 
Freicorps zu Berfammlungspunften freiwilliger Baterlantsvertheidiger gemacht 
und zum leichten Dienfte u. kleinen Kriege-gebraucht. Die Franzoſen unter Napo⸗ 
leon bielten nichts von Sreicorps. . Sie find auch unzweckmaͤßig, denn fie bilden 
gleichfam eine Art Staat im Staate, mögen gern den Krieg auf ihre eigne Hand 
führen, find gewohnlich nicht da, wenn und wo man fle braucht, oder im Wege, und 
flören ſonach in den mehrften Fällen die übereinfſtimmung der Wirffamteit, Übers 
dies drängen fich eine Menge tüchtiger Menſchen unter fie, die man beim Heere ſelbſt 
er verwenden kann. Endlich gibt es feinen Ball, wo in einem wohl eingerichteten 
Heere nicht durch "Denafpemense pautihcher a, zuvesläfigeranegefüßr werdenmthante, 
| | 2 


— 


—4 


472 — Freidank:. . i Sreibenfer 


was man ehedem durch Freicorys bewirken wollte. Man gibt folchen Deta⸗ 
chements tuͤchtige Anführer und die nothigen leichten Truppen und zieht fie, 
wenn fie ihren Auftrag vollendet haben, wieder an fich. (Vgl. Lüzow.) 5. 
Freidank (Freygedank, Frydank), ein moralifches Gedicht in kurzen ger. 
reimten Derfen, welches in das 13. Jahrh., und wahrfcheinlich noch in die erſte 
Haͤlfte deſſelben gehört. Wahrſcheinlich ift Freydank bloß ein angenommener Name 
des. Berf., der auf die Freimuͤthigkeit der Gedanken in dieſem Gedichte Beziehung 
Bat. Don den Lebensumfländen: des Verf. iſt nichts befannt. Das Gedicht ges 
bört zu den fchsgbatften Denkmaͤlern der altdeutfchen Lehrpoefie und hatte ehedem 
eine große Verbreitung. Es führt auch den Titel: „Beſcheidenheit“, und handelt 
in. 4138 Derfen vorzüglich von der Tugend, im moralifchen Thun und Laſſen das 
gehörige Maß zu halten. Die Lehren ſelbſt Hängen nicht zufammen, fondern- be: 
ſtehen meiftens in kurzen Sprüchen, 2ebensregeln und Betrachtungen, die zwar 
öfters lange von einem Hauptſtũcke handeln, aber unter fich nicht verknüpft find. 


Wir befigen mehre Handfchriften und Drude des Freidants, z. B. in Müllers - 


Sammlung. Sebaſt. Brandt u. A. haben es umgearbeitet, erweitert und erklaͤrt. 
Freie Kuͤnſte, f. Kunſt. 
Freidenker. Mit dieſem Namen hat man nicht einen Denker bezeichnet, 
der feine Überzeugungen von den Anſichten der Kirche unabhängig macht, fondern 
theils einen. folchen, der den Öffenbarungsglauben oder allen Glauben überhaupt 
yerwirft; im.erften Fall ift die Sreidenketei Deismus, im leßtern überhaupt 
Unglaube, Der Name bot in diefer Bedeutung f. Urfprung von den Engländern, und 
yoar im 18. Jahrh., wo mehre Feinde des Chriſtenthums auftraten, Wan tabelte 
mit diefem Namen mittelbar Bie Gläubigen als ſchwache Köpfe und erhob fich mit 
Stolz über diefelben als Denker; daher auch die franz. Freidenker fich gern ſtarke 
Geiſter oder gar Philofophen nannten. So artete das freie Denken in Befeh⸗ 
dung des Glaubens, und da diefer ſich vertheidigte, in Spott und Zeindfeligfeiten 
gegen das Pofitive aus. Diejenigen, voelche fich diefer Richtung bingaben, hat⸗ 
ten felbft die Grenzen des Denkens nicht erkannt; fie foderten Berweife, mp der . 
Menſch nicht mehr beweifen fann, oder überliegen fich einem ungebundenen, durch 
fein Princip gezügelten Denken, wodurch ihnen alles höhere Intereſſe an den Ge⸗ 
genfländen der Religion verſchwand. Zuerſt ging diefes Beftreben nur von der 
erfpottung einzelner Religionsmeinungen und Eirchlicher Verbältniffe aus, dann 
verbreitete es fich allmälig weiter, gereizt durch den Beifall, welchen der Wiß bers 
vorbrachte. In England fehen wir die Freidenkerei zuerft als Andeutung des freien 
Denkens auftreten; fie war dafelbft durch einen fchlechten Zuftand der Religion und 
Kirche bedingt, gegen welchen die Schriftfteller unter Jakob 1. und Wilhelm III. 
zu Felde zogen. Dodwel, Steele, Ant. Collins, der durch f. „Discourse of frec- 
thinking“ (2ond. 1718) dies Wort zuerft zu einem Parteinamen machte; ferner 
fein Sreund John Tolland. 17148 erfchien fogar eine Wochenſchrift „The free- 
thinker, or essays of wit and humour etc.” Matth. Tindal (ft. 1733), Mor⸗ 
an, Bernard Mandeville trugen ihr zügellofes Denken auch auf die Moral über, 
m weiteſten trieben diefe Freidenkerei in England Lord Bolingbrofe (f. d.) 
und der Sfeptifer Hume (ſ. d.). Doch fanden diefe Männer in England immer 
bedeutende Gegner und Verfechter des. Chriftenthums und. des Glaubens. Syn 
Frankreich wurde die Freidenkerei befonders durch den Geiſtesdruck, welchen die 
Kirche ausübte, hervorgelockt; fie trieb anfangs nur verfiohlen ihr Weſen, bemäch- 
tigte fich aber bald um fo tiefer der Geſellſchaft. Dan griff die Religion ale ein 
Dorurtheil.an, und Biele verloren fich im offenbaren Arheismus. Voltaire und die 
Encyklopaͤdiſten d' Alembert, Diderot, Helvetius, der Verf. des „Systeme do la 
natpre”, flreuten das Unkraut aus, das in der Revolution wucherte und unter 


Friedrich IL, auch kurze Zeit in Deutſchland Wurzel faßte. 


Sreienwalder Befundbrunnen .. Zreie Staͤdte 878 


Greienwalder Sefundbrunnen, cine halbe Stunde von 
der Stadt Freienwalde in der Mittelmarf Brandenburg, in einem von Bergen eins 
gefiloffehen Thale. Der Brunnen ward 4683 entdedt, aber erfi 1786 zum Ge⸗ 

rauch eingerichtet und mit Anlagen verfeben. Limter vielen hier emporquelienden 
Brunnen find die Kächenquelle und der Königsbrunnen die Hauptbrunnen, und 
überbaut, Das Waffer gehört zu den alkalifchsertigen Stahlmaffern, iſt kat, 
hell, perlt ſtark und bat einen dintenihnlichen Geſchmack. S. Johns „Unterfus 
chung der Mineralquellen zu. $reienwalde” Berlin 1820, 12.). 

Freie Städte Die Städte Deutſchlands, groͤßtentheils unker den 
Karolingern und den Raifern aus dem ſachſiſchen Haufe entflanden, blieben lange 
in einer oft fehr druͤckenden Abhangigkeit von den geiftlichen und weltlichen Großen. 
Die unruhigen Zeiten unter Heinrich IV. gaben zuerfl den Bürgern von Worms 
‚und Koln den Muth, ſich zu bewaffnen; fie boten dem bedrängten Kaifer ihre 
Dienfte an, der dies Anerbieten gern annahm. “Durch Handel: und Gewerbfleiß 
wuchs allmälig die Macht der Städte; fie unterſuchten nicht felten die Raifer ger 
gen bie übermüthigen Großen, und erhielten dafür, oder für ihr Geld, Freibeitew 
und Auszeichnungen mancher Art, So entflanden in der Mitte des't2. Jahrh. die 
Reichsſtadte. Doch gab es, wie Gemeiner in feinem Werte: „liber den Urs 
fprung der Stadt Regensburg und aller alten Freiſtaͤdte, namentlich der Städte 
Dafel, Strasburg, Speier, Worms, Mainz und Köln“ (München 1817), urs 
kumdlich dargethan Bat, ſchon von den Alteften Zeiten her freie Städte in Deutfchs 
Iand, Die, aus den Romerzeiten berrühtend, mit den fpätern freien Neichsflädten 
wenig gemein hatten und erft:im Anfange des 16. Jahrh. das Weſentliche ihrer 
fruͤhern Borrechte, und, durch Unkunde ihrer Beamten, felbft den Nanıen der 
Freiftädte verloren. Die vorziintichften jener verlorenen Rechte beflanden darin, 
daß fie, wie befonders von Regensburg gezeigt wird, in vollkommener Unabhaͤn⸗ 
gigfeit fich felbft regierten, nie einem Kaifer oder Könige Pflicht und Treue ſchwu⸗ 
ren, nie einen Römerzug mitmachten noch fich mit Gelde abfauften, nicht zum 
Reich fleuerten oder des Reichs Buͤrden trugen, nicht. dem Reiche angehörten, fich 
auch keineswegs den Neichsftädten zuzäblten, und mit Einem Worte; bis zu den 
obigen Epochen, im rechtlichen Sinne des Worts, unabhängige Freiftanten bilde 
ten. Die lombardifchen Städte, durch Handel reich und mächtig, und durch den 
Beiftand der Paͤpſte kuͤhn gemacht, wagten es öfters, fich ihren Oberberren, den 
Kaifern, zu widerfegen, welche die Widerfpänftigen nur mit Muͤhe zum Sehorfam 
brachten. Das Beifpiet der lombardiſchen hob auch den Muth der raten Städte, 
In der Mitte des 13. Jahrh. entftanden 2 richtige Derbindungen derſelben zu ge: 
meinfchaftlichen Zwecken, die Hanfa (1244) und der Bund ber rheinifchen Städte 
(1246). Faft 4 Jahrh. Hindurch dauerte die mächtige Hanfa (f. d. und Reichs⸗ 
ſtadt), bis mehre zugleich wirkende Urfachen ihre Auflöfung (1630) veranlaßten. | 
Der Reft der Hanfa und des ehemaligen ftädtifchen Collegiums auf dem deutfchen 
Reichstage, die freien Städte Hamburg, Bremen und Luͤbeck, wurden 1810 dem 
franz. Kaiferreiche einverleibt. Da indeß diefe Städte fpäterhin zur Wiedererlan⸗ 
gung der deutfchen Freiheit thätig mitgewirkt hatten, fo erfannte der wiener Con⸗ 
greß fie, nebft Frankfurt, als freie Städte an. Sie traten, als folche, am 8. 
Juni 1815 dem deutfchen Bunde bei und erhielten das Stimmrecht bei dem Bun⸗ 
destage. In Folge des in dem 12. Art. der Bundesacte ihnen zugeflandenen 
Rechts, haben fie 1820 ein gemeinfames oberftes Gericht als Appellationsinftang 
‚errichtet. Die Stade Frankfurt (f. d.) ward durch die Seneralacte des wiener 
Eongreffes mit ihrem Gebiete, ſowie es 1803 war, für frei und für ein Mitglied des 
deutſchen Bundes erlärt. Ihre Verfaſſung fol vollkommene Steichheit aller bürs 

erlichen und polit. Rechte zwiſchen den verfhiedenen chriſtl. Religiousparteien be: 
—** Die Eroͤrterungen über die Wahl der Verfaſſung und ihre Aufrechthal⸗ 


374 .. Breigeding Hreigut :- _ 


tang wurden an die Entfcheivung des Bundestags 'verwitfen. Diefe Angelegen: 
heit verurfachte eine: große Spaltung der Meinungen in der Stadt. Lübed, 
Bremen und Hamburg haben ihre Derfaffungen, wie fie bis 1810 waren, - 
wiederhergeſtellt. Außer dieſen A freien Städten in Deutfihland wurde, durch die 
Oeneralacte des wiener Congreffes, auch Krafau'(f. d.), unter dem Schutze von 
Rußland, Hſtreich und Preußen, als freie Stadt erklaͤrt, ihr von. diefen 8. Mach⸗ 
sen eine voſſige Neutralitaͤt zugefichert, und die Grenze ihres Gebiets beſtimmt. 
Freigeding, Freigericht, Freigraf, ſ. Femgericht.. 
Freiigeift, "auch Naturaliſt, wird gewöhnlich Derjenige genannt, der 
die Lehren’ ber geoffenbarten Religion verwirft und bloß die’ der natürlichen an: 
nimmt. Auch braucht man das Wort Deift dafür, weil ein folder zwar an 
Spott glaubt, aber nicht an Dasjenige, was bie Offenbarung von Gott lehrt, 
wenn nicht auch die Vernunft daffetbe zeigt. Es ift jedoch jener Redegebrauch 
Hit zu: verwechſeln mit dem. Begriff eines freier Geiftes. “Denn einen freien 
Geiſt zu Haben oder zu: behauptenz : ft: Pflicht jedes Menſchen, als eines ver 
nünftigen Weſens. Iſt doch Gott felbit der freiefte Geiſt, und Sort ähnlich 
zu werden, ift ja, felbft nach .der Lehre der Offenbarung, das böchfte Ziel bes 
menfchlichen Strebens. Ein freier Geiſt ift, der fich von den Banden des Irr⸗ 
thums und des Lafters, von soelchen die meiften Menſchen umftridt-find, mög: 
lichſt loszumachen fucht. — 
Freigelaſſene (liberti, libertini), beiden Romern die von ihren Her: 
ren in Freiheit gefegten Sklaven. Ein ſolcher Freigelaffener trug zum Zeichen der 
Freiheit eine Muͤtze oder einen Hut, nahm den Namen feines Herrn an und wurde 
von dieſem mit einem weißen Kleide und einem Ringe befchenkt. Auch befam er 
‚mit der Freiheit das Bürgerrecht, gehärte aber zu den Plebejern und konnte nie 
zu einem Ehrenamte gelangen. Zu feinem ehemal. Herrn blieb er ſtets in einem 
gewiffen 7 alenigfe \der Pierät? Sie waren fich gegenfeitige Hülfe und Unter: 
- ffügung ſchuldig. Als in der fpätrn Zeit die Zahl der Freigelaffenen übermäßig 
junahm, und ſie fich durch angemaßte Gewalt und Reichthümer ſchwachen Kaiſern 
furchtbar machten, erfchlenen allerlei Verordnungen, fie zu befchränten; fo durf⸗ 
ten von 20,000 Sklaven im Teſtament nicht über 160 in Freiheit gefegt werden. 
Außer diefer zeflamentarifchen Freilaffung gab es noch 2 Arten. Die eine befland 
darin, daß der Herr feinen Sklaven in die Bürgerlifte des Cenſors eintragen lieh. 
Die andre war. die feiertichfle. Der Herr führte den Sklaven bei der Hand zum 
. Prätor oder zum Conſul und fagte: „Ich will, daß diefer Mann frei-fei, nad. 
Recht und’ Gewohnheit der Römer“. Gab Jener feine Einwilligung, fo fehlug er 
mit einem Stabe auf den Kopf des Sflaven und fagte: „Ich erkläre diefen 
Mann für frei, nach der Gewohnheit der Römer“. Darauf drehte der Lictor 
oder der Herr den Freizulaffenden in einem Kreiſe herum, gab ihm einen Backen⸗ 
ſtreich und entließ ihn mit dem Bedeuten, daf er hingehen könne, wohin er wolle. 
Die ganze Verhandlung ward in das Protokoll des Prätors eingetragen, und der 
Sklave holte ſich den Hut, als das Zeichen der erlangten Freiheit, im Tempel der 
Gottin Feronia. 5 . 
Fretgut, Güter und Waaren, die von gewiffen Abgaben frei find; dann 
ein freies Landgut, auf welchem keine Lehnspflichten haften, Allodium, ein freies, 
eignes Gut; dann auch ein Bauergut, welches nicht zu Frohnen und andern Dienft: 
barfeiten verpflichtet ift, fondern nur die gewöhnlichen Landfleuern oder einen Frei⸗ 
ing bezahlt. In gewiffen Gegenden nennt man fie Freimannshufen. In manchen 
ändern verfteht man unter Sreigut ein folches, welches von Kriegs, und andern 
Laften frei iſt und nur auf männliche Erben fallt; im Hitdesheimifcheh und Weſt⸗ 
fülifchen aber. das But eines Freimannes, das, gegen Bejahlung eines gewiffen 


J 


Sreibafen Freiheit 376 
Zinſes, der Freibede oder Leibbede, von einigen Laſten der Leibeigenſchaft frei k 
aber doch nicht willkürlich verfauft werden darf. 
Freihafen, ein mit verfehiedenen Freiheiten begabter Hafen, wo Schiffe 
aller Volker frei oder mit fehr mäßigem Zoll einlaufen und handeln können, 
—Freihheitt ift, poſitiv ausgedrüdt, Daffelbe, was man mit einem, nega⸗ 
tiven Ausdrud Unabhängigkeit nennt. So viel Arten der Abhaͤngigkeit es alfe gibt, 
fo viel Arten der Freiheit gibt es auch. Der. Baum if abhängig von dem Boden, 
in welchen er gerourzelt if. Unabhängig if der Vogel von ‚dem Baume, auf dem 
er fißt, und dem Boden, in dem.der Daum wurzelt; frei ſchwingt er fich auf in 
die Lüfte, wenn Baum und Boden unter ihm verfinfen. Hier ift Freiheit nichts 
Anderes als das Vermogen der millfürlichen Bewegung, wodurch fich die Thierwelt 
son der Pflanzenwelt im Ganzen unterſcheidet. Diefe Freiheit hat der vernünftige 
Menfch mit dem vernunftlofen Thiere gemein. Sie wird alfo thierifche (ants 
‚ malifche) Freiheit genannt, Sie ift jedoch offenbar ſehr befehränft; denn wie ſehr 
fich auch das Thier willkürlich bewege, es iſt doch. an die Erde überhaupt gefeffelt, 
Auch kann diefe Freiheit durch zufaklige Umſtande heſchraͤnkt oder gar aufgehoben 
werden. Der Eranfe, eingekerferte, gefeffelte Menſch befindet fich Hier wieder in 
gleichem Falle mit. jedem vernunftlofen Thiere, das erfranft, eingefperrt oder ange⸗ 
ſchloſſen iſt. Es gibt aber auch eine Sreiheit,, die fich der vernünftige Dienfch vor: 
zugsweiſe vor dem bloßen Thiere beilegt. Dieſe Heißt alfo die menfchliche (hy 
mane). Sie ift eine innere, voelche dem Menfchen an und für ſich ſelbſt betrachtet, 
und eine äußere, welche ihm, im Verhaͤltniſſe zu andern Menfchen betrachtet, zus 
kommt. In Beziehung auf das Handeln heißt jene die ſittliche (moralifche), 
dieſe Die rechtliche (juridifche) Freiheit, von welcher die bürgerliche (politifche) nur 
eine befondere Art ift. Die fittiiche Freiheit (Zreipeit des Willens) ift namlich, das 
Vermögen, ſich fetbft unabhängig von. den Foderungen des finnlichen Triebes, nach 
den hahern Foderungen der Bernunft (den fitslichen oder Willensgeſetzen) zu beftim: 
‚men. Ob dem Menfchen ein folches Vermögen abſoluter Selbftbeftimmung zus 
komme oder nicht, iſt von jeher cin ſchwieriger Streitpunkt geweſen. Wenn nian 
aber bedenkt, daß alle fittliche Beurtheilung menfchlid.er Handlungen, mithin auch 
alle Zurechnung und Bergeltung derfelben megfallen würde, wenn der Menſch nicht 
frei wäre; daß ferner jedem unbefangenen Menſchen fein innerfteg Gefühl fagt, er 
Eönne allen Reizungen zum Böfen widerfiehen und feine Pflicht erfüllen, wenn er 
nur ernftlich wolle; daß endlich auch den Argften Böferwicht fein Gewiſſen von Zeit 
zu Zeit mit unerbittlicher Strenge wegen feiner bofen Handlungen, als folcher, die 
er hätte unterlaſſen follen und koͤnnen, zur Nechenfchaft zieht: fo dürften wol Dies 
jenigen Recht haben, welche behaupten, es fei ptaftifch nothivendig für den Men: 
fehen, an feine Freiheit zu glauben, wenn er auch die Möglichkeit eines fo erhabenen 
dgens in einem Wefen, das zugleich der Naturnothwendigkeit unterworfen 
ift, nicht einfeben und begreifen koͤnne. Die rechtliche Freiheit ift die Befugnif, 
son feinen Kräften einen von der Willkur Andrer unabhängigen, Sebrauch im Ver⸗ 
kehr mit ihnen zu machen. Da der Menſch immerfort nach Erweiterung feines 
Wirkungskreiſes firebt,.fo wird er, fich ſelbſt überlaffen, zwar für fich dieſe Freiheit 
fodern, aber fie Andern gewöhnlich nur fo fern geflatten, als es ſeinen Bedürfniffen 
angemeffen if. Damit alfo die rechtliche Freiheit Allen im möglichflen Umfange 
zufomme, und uͤberhaupt die Idee des Rechts in der Sinnenwelt realifirt werde, 
födert die Vernunft einen Verein der Menſchen, in welchem der Geſammtwille in 
der Geſtalt eines Sefeßes, und die Geſammtkraft in der Seflalt eines Herrfchers an 
‚ die Stelle des Willens und der. Kraft des Einzelnen trete. Ein ſolcher Verein heißt 
eine bürgerliche Sefeltfchaft oder. ein Staat (griech, Polis), und daher die rechts 
liche Freiheit eine bürgerliche oder politifche, wiefern fie im Staate gefeglich aner⸗ 
Eannt und gehandhabt wird. Manche unterſcheiden indeffen die politifche Freiheit ' 





deifung, Hut oder Mi zu tragen, ein Zeichen ber Freiheit, die Sklaven gingen 
flets mıt entblößtem Haupte, und der Feierlichkeiten bei ihrer Zreilaffung war, 
daß ihr bisheriger Herr ihnen eine Müge auffepte. Auf diefe Weiſe ward die Mäte 


* 


(sder der Hut) das Sinnbild der Freiheit, und bat faft in allen Revolutionen 
Holle gefpielt. Dem Hute, weichen Geßler als Zeichen der Herrſchaft 
befahl, verdanken die Schweizer gewiſſermaßen ihre Freiheit. “Daher wir 
einigte Wappen ſammtlicher Schweizer Cantone, flatt des Helme oder 
(weiche ja auch Kopfbederfungen find), unter dem Schirm des runden 
geſtellt. Huch in England dient die Müge (blau mit weißen Kante und 
denen Umſchrift: Liberty) als Einnbild der verfaffungsmäßigen Bolfsfreihei 
Britannia trägt fie zumeilen hoch auf der Epige ihres Speers (gewöhnlicher jedoch 
den neptunifchen Dreizad, ohne Müse) in der Einfen, während fie mit der Rech⸗ 
ten der Welt den Hikranz des Friedens best. So erklärt fig, warum auch im 
Branfreich, beim Ausbruche der Revolution, die Müße, als eins der finnbildlichen 
Beichen der Freiheit figurirte, und nicht ſowol diefes Zeichen felbft als vielmehr nur 
feine rothe Farbe ward der Kopfbedeckung der befreiten und in gangen 

nach Paris gezogenen marfeilter Galeerenſtlaven nachgeahmt. “Da die Mitglieder 
des Jakobinerclubbs zu Paris die rothe Drüse zu einem ihrer Erfennungszeichen 
Machten, fo erhielt diefe fpäterhin den Spottnamen Jakobinermuütze. 

Greiberr, f. Baron. 

Kreimaurer, Freimaurerbrüderfchaft (Freimaurer 
orden, oft auh Maurer und Maurerei genannt), eine über alle Erdtheile, fo 
weit nur europätfche Bildung reicht, ausgebreitete Sefellfchaft von Diännern aus 
verfchiedenen Ständen und Religionen, welche in abgefonderten en 
oder Zogen unter dem Namen von Brüdern verbimden, eine gewiſſe Kunft, bildlich 
Maurerei oder Sreimaurerei, im Stillen ausüben. Die wefentlichen Beziehungen, 
worin die Freimaurerbrũderſchaft auf die höhere Ausbildung der Menfchheit ſteht, 


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® Frelmaurer 3177 


— 


und die Umgeſtaltung, der fie im eignen Innern jetzt entgegenreift, veranlaſſen den 

d. A., einen Freimaurer, Dasjenige, was ſowol dem Freimaurer als dem den⸗ 
kenden Nichtmaurer uͤber diefen Gegenſtand das Wichtigſte iſt, zuſammenzuſtellen. 
Nicht das Zufallige, die geheimen Erkennzeichen und Gebraͤuche des Bundes, ſon⸗ 
dern das Weſen und die Beſtimmung deſſelben aus den Grundzügen ſeiner Ge⸗ 
ſchichte, Verfaſſung und Geſetze ſollen bier erkenntlich gemacht, und die Hoffnungen 
angedeutet werden, welche der Menfchenfreund über ihn nahrt. — Ununterrichtete: 
haben die Meinung verbreitet, es flamme die Freimhurerbrüderfchaft aus: den grie⸗ 
chiſchen, wol gar aus den aͤgyptiſchen Myſterien, oder von den Dionpfifehen Baus 
fünftlern, aus dem Pythagoraͤiſchen Verein, oder von den Effenern ber. So wer 
nig die genannten Stiftungen unter fich felbft ein fletiges gefchichtliches Ganzes aus: 
machen, fo ungegründet ift auch die Anficht, die Freimaurerbrüderfchaft als zufams 
menhängende Fortfegung irgend eines dieſer Bereine zu betrachten. In Lawrie's 
„Sefchichte der Sreimaurerei aus autbentifchen Auglien” (Edinburg 1804, überf. 
von Burkhard, Freiberg 1810) kann der Sefchichtsforfcher hierüber das Nähere 
finden. Ebenſo ungegründet ermeifen ſich die Hypotheſen, dag die Freimaurerbruͤ⸗ 
derfchaft im Mittelalter aus dem Orden der Tempelberren, oder aus mas immer 
für einem andern Drden, oder fpäter aus dem SYefuitenorden, oder, nach Nicolai, 
mittelbar aus den Rofenkreuzern, oder, nach Leſſing, aus einer bis ins 17. Jahrh. 
zu London im Stillen beftandenen, von dem Baumeifter Chriſtoph Wren bei dem 
Baue der Paulskirche dafelbft an die Baulogen und an die bei ihnen zu Mitgliedern 
angenommenen Nichtbauleute, zum Theil eroterifch gemachten Tempelherrenma⸗ 
fonei entftanden fein fol. Ein großer Theil diefer Annahmen iſt durch die abſicht⸗ 
lich zu einem rituellen Gebrauch erfonnenen Befchichten des Ordens (hisloriae 
ordiuis), — hinter welche jeboch zum Theil, vermittelft einer Namen⸗ und Jahre 
zahlchiffre, wahre Sefchichte der ſogen. höhern Grade und innern Driente verſteckt 
worden iſt, — bei unfundigen Sreimaurern veranlaßt worden. Auch die Anficht, 
als fei die Freimaurerbrüderfchaft aus der Zunft: oder Handwerfsmaurerei entſtan⸗ 


den, ift ungegründet: denn die Freimaurerbrüderfehaft entfprang nicht aus Geſell⸗ 


ſchaften blofer eigentlicher Maurer und Steinmegen, noch aus zünftigen, in Städten 


anfiffigen Maurergewerken insbefondere, fondern längfi zuvor, ehe es in irgend ei: 
nem Theile von Europa Bünfte überhaupt, und auſaſſige Zünfte von Maurern und 
andern zum Baueh’erfoderlichen Gewerken gab, beftanden viele und überaus zahl: 
reiche Baucorporatisnen, welche alle jene Gewerke in Deännern aus den gebildeten 
Volkern Europas, unter der Anführung und Regierung eines oder-mehrer Baumeis 
fter (Architekten), in ein Ganzes vereinigten. Durch Freiheitsbriefe der geiftlichen 
und weltlichen Macht geſchuͤtzt und in eine.eigne Berfaffung zu jedem großen Baue 
vereinigt, errichteten diefe Sefellfchaften in allen Landern des chriftlichen Europas 
jene zahlreichen, zum Theil riefenhaften Werke des in feinen edelften Meifterftüden 
ureigentbümlichen, erhaben fchönen Kunſtſtyles, welcher gewoͤhnlich der gothifche, 


“richtiger der altdeutfche genannt wird. Dieſe Baucorporationen finden wir im We⸗ 


fentlichen völlig ahnlich und auf gleiche Weiſe aus Architekten und Bauleuten ta . 
liens, Deutfchlands, der Niederlande, Frankreichs, Englands, Schottlands u. a. 
Zander, nicht felten auch aus griech. Kuͤnſtlern gemifcht, z. B. bei dem Baue des 


Kloſters Batalha in Portugal (um 1400), des Münfters und Thurmes zu Stras: 


burg (1615 — 1439) und des zu Köln (950 und 4241 — 1365), des Doms zu 
Meigen (im 10. Jahrh.), des Doms zu Mailand, des Klofters auf dem Berge 
Caſino, und bei allen merfwürdigen Bauten in den britifchen Inſeln. Daß nun aus 
diefen großen Vereinen von Rünftlern und Werkleuten die Sreimaurerbrüderfchaft 
hervorgegangen, und durch welche Vermittelungen und Übergänge fie endlich ein 

d geworden fei, der fich nicht mehr mit der eigentlichen Baukunft befchäftigt, 
bies ift das Ergebniß der neueften Eritifchen Forſchungen in der Sefchichte der Freis 








378 Freimaurer ® 
Freimaurerbrüderfchaft in fletigem gefchichelichen Bufammenhange ſteht, fin? Die 
Daucorporationen, welche bei den Römern unter der Benennung ber Colle⸗ 
gia und Eorpora befanden. “Die erfien Zünfte von Bauleuten (collegia fabrorum) 
führte Numa, nebft andern Zunfiverbintungen (osllegıis arliticam), nach dem 
Muſter der griech. Zunft: und “Prieftergefelifchaften, in Rem ein, und verordnete 
ihren angemefiene eigne Zunftverfammlungen und gottesdienſtliche Handlungen, 
Nach dem der 12 Tafeln durften die Eollegia, ub reinſtimmend mit der Ge: 
ſetzgebung des Solon, ſich felbft ihre gefellige Berfajfung geben und unter ſich Ber: 
träge fchließen, werm nur nichts Davon den öffentlichen Geſetzen zuwider war. Sehr 
früh verbreiteten fich die Zünfte aller Art, befonders aber alle zum Stadt:, Waffer: 
und Schiffbau erfoderlichen Gewerke, durch die Landflädte und Provinzen des fich 
unaufhaltfam erweiternden Romerſtaats und wirkten mächtig zur Verbreitung römi: 
ſcher Sitten, Wiſſenſchaften und Künfte. In jenen Urzeiten geftiftet, wo Staat und 
gefellige Religionsübung als ein ungetrenntes Sanzes nad) dem Berbilde der Familie 
gebildet wurden, waren die romifihen Eollegia, außer ihrer Kunſtgemeinſchaft, zu: 
gleich bürgerliche Anftalt und ein religiofer Berein. Diefe für die Entfaltung der 
Dienfchheit fruchtbare Eigenthümlichkeit erhielten die Collegia, befonders die der 
bauenden Künfiler und Gewerke, bis-an das Ende des römifchen Reichs, und pflanz- 
ten fie dann auch in die Baucsrporationen des im Mittelalter wiedergeborenen Eu⸗ 
ropas fort. Da die romifchen Collegia ihre Verſammlungen bei verfchloffenen Thu: 
ren hielten, fo wurden fie ebenfo eine Zuflucht politifcher Parteien als fremdvolkli⸗ 
cher Myſterien, geheimer Weihen und Lehren aller Art. Die römifchen Kaifer der 
erften Jahrh. beſchrankten zwar die Collegia möglichft; aber die fpätern Regierun⸗ 
gen mußten fie dafür defto ungemeffener begünftigen. Im Corpus juris finden ſich 
mehre Berzeichniffe der tm 3. und 4. Jahrh. gefeßmäßigen, fleuerfreien Künfte und 
Gewerke, worunter auch Architeften, Schiffsbauleute, Mafchinenverfländige, Bal⸗ 
Iflenmacher, Maler, Bilvhauer, Marmorarbeiter, Maurer, Steinmeßen, Zim: 
merleite u. A.m. vorfommen. Es war feine nur irgend bedeutende Stadt, feine 
noch fo entlegene Provinz, wo nicht bis zum Untergange des weftlichen und öftlichen 
Reichs mehre der jet genannten Collegia mit eignen Verfaſſungen und Zunftge: 
feßen, und im feftbeftunmten Berhältniffen zum Staat und zur Priefterfchaft, 
+ befanden Hätten. Die Baucorporationen mußten auf Befehl der Kaifer zum Aufs 
bau großer Städte, Kirchen und "Paläfte aus allen Theilen des Reichs zufammen- 
kommen; auch waren die nöthigen Baugewerke bei jeter römifchen Yegion. Sol: 
cher römifchen Baucorporationen gab es nun auch viele in dem, während der Rps 
mer Herrfchaft fehr civilifirten, ja prachtvoll angebauten Britannien, ſowol bei dem 
Heere als ın den Etädten vertheilt. Ebenfo in Epanien, Sranfreih, am Rhein 
und an der Donau. Zwar gingen diefe Sollegia in Britannien, während die Pic: 
ten, Scoten und Sachfen das Land verwüffeten, nebft den meiften ihrer Kunft: 
werfe unter, ollein in’ $ranfreich, Spanien und Sjtalien, und in dem griechifchen 
Meiche erhielten fie fihd blühend; und aus Diefen Ländern liefen Dann die chrift- 
lihen füchfifchen Könige, befonders Alfred und Athelftan, eine Menge Künftler 
und Baulente zum Aufbau ihrer Burgen, Kirchen und Klöfter nach England kom⸗ 
men. Waren nun gleich diefe einwandernden Künftler, ſowie die wenigen dafelbft 
noch aus der frühern Zeit übrigen, jeßt fimmtlich Chriften, und Batten fie auch zum 
großen Theile Seiftliche als Architekten zu Borftebern, fo konnten doch die aus ih: 
nen beſtehenden Corporationen keine andre Berfaffung haben als die ihnen fletig 
überlieferte, durch das ganze gebildete Europa verbreitete, noch heute aus dem 
Corpus juris Romani erfennbare Verfaffung der Coflegien überhaupt, und ber 
Baucollegien im weſtlichen und öftlichen Nomerreiche insbefondere. Diefe Ders 
foffung war mithin ebendiefelbe, weiche auch die römifchen Baucorporatisnen in 


Freimanrer 379 


- Britannien gehabt hatten, und welche. die von denfelben noch -Ahriggehliebentn 
Künftler unter Alfred .und Athelſtan ebenfalls anerfannten. ‚Da; die Mitglieder 


diefer Baucorporationen des 10. Jahrh. zu den verfchiedenften Nationen, und das 


bei zu ſehr von einander abweichenden, zum Theil als feßerifch verdammten firch: - 


fichen ‘Parteien, öffentlich oder im Stillen gehörten, folglich im Glauben, Sitte 
and Lebensart febr verfchieden waren, fo Eonnte man fie nur unter der Bedingung 
bervegen, nach England zu Fommen und dafelbft zu bleiben, daß ihnen der Papſt 
und der König genügente Freiheiten und Schutzbriefe, vorzüglich aber eigne Se 
richtsbarkeit und eigne Beſtimmung des Arbeitslohns geftatteten. Dann vereinigs 
ten fie fich unter fchriftlichen Eonftitutionen, bei denen die alte Verfaſſung der gries 
chiſchen und römifchen Zünfte und die Beſtimmungen des romifchen Rechts zum 
Grunde Lagen. Die verfchiedenen Staubensmeimmgen dieſer Bauleute, zum 
Theil die wirßlich reinern Einfichten der ihnen vorfiehenden Architekten und Geiſt⸗ 
lichen, ‚veranlaßten und begründeten die reine Sittenlehre, die religiüfe Duldung 
und den muſterhaft fittlichen Wandel, wodurch fich diefe Torporationen ner dem 


größten. Theil ihrer Zeitgenoſſen auszeichneten,. und wurden zugleich der Antrieb zu 


jenem Runßfleige, der fich in feinen bewiundernswürbigen Baumerfen durch. reis 
ſymboliſche Kunftvarftellungen in Europa verkündet. Aus den Zeiten der Römer 
Batte fich bei ihnen die Lehre über die Bildung und Würde des Baukunſtlers erhal: 
ten, wie fie. Vitruvius in.f, Werke über die Baukunſt (dem Handbuche der Kuͤnſt⸗ 
ler des Mittelalters) befchreibt; ein Syſtem religisfer und fittlicher, in Symbole 
gefleideter Lehren: und heiliger Handlungen, aus den Syſtemen der griechifchen, 
" vorzüglich der fteifchen Philoſophen, und aus einigen Bruchſtuͤcken des äguptifchen 
umd griechifchen Myſterienweſens, ſowie aus der Lehre und den Gebräuchen des er; 
ſten ——— beſonders der gnoſtiſchen Parteien, gemiſcht, bildete ihr inne⸗ 
res Geheimniß (eſoteriſches Myſterion). Die Tyrannei der paͤpſtlichen Kirche nö: 
thigte ſie, dieſes Geheimniß, nebſt den eigentlichen Geheimniſſen der Baukunſt und 
den ihr helfenden Kunſten, beſonders der Scheidekunſt, Metallbearbeitung und Na⸗ 
turlehre, ſorgfaͤltig zu verhehlen, und nur mit Umſicht, nur theilweiſe, auf Limmegen 
und in fremdartiger Einkleidung, nach Außen zu verbreiten, wenn fie ats Baukünſt⸗ 
les Duldung und Arbeit finden, und als Menfchen dem ſchrecklichſten Looſe ent: 
geben wolſten. | | 

Der bisher angebeutete gefchichtliche Zufammenbang der heutigen Freiman⸗ 
rerbrüderfchaft mit den Baucorporationen des Mittelalters, und diefer mit den 
Collegien der Romer, erhellt unwiderleglich ſchon aus der Kenntniß des Alterthums, 


aus der Geſchichte von England und aus der Übereinſtimmung der Verfaſſung, 


Symbole und Gebräuche der heutigen Freismaurerbrüderfchaft. Es haben fich aber 
noch überdies in der von den Baucorporationen des Mittelalters abſtammenden 
"Sreimaurerbrüterfehaft drei fchriftlihe Denkmale als die aͤlteſten Kunft: 
urkunden derfelben erhalten, welche jenen gefchichtlichen Zufammenbang, fomwie 
die Lehre und die Gebräuche jener Baucorporationen des Mittelalters, in großer 
Bollftändigkeit darlegen, und dadurch für die Geſchichte des Auffeimens des höhern 
rein⸗ menſchlichen Lebens im Mittelalter von unfchägbarem Werthe find. In der 
Schrift: „Die drei älteften Kunfturfunden der Freimaurerbrüderfchaft" (2 Bde., 
Dresden 1810 fg,, 2. verm, Ausg., daſ. 1819), find die Beweiſe dieſer gefchichts 
lichen Behauptung ‚größtenteils aus den Quellen dargelegt, Noch muß in Bes 


⸗ 


ziehung auf die Baucorporationen des 10. Jahrh. in England angeführt werden, 


daß dert. ein eigner Umſtand der Denkart, Berfaffung und Befchäftigung derfeben 
eine beſtimmte Nichtung und ein eigenthümliches Leben gab. Schon feit einigen 
Yadrh. vor dem Einfalle der Sachfen (im J. 449) blühte in Britannien eine chrifl: 
liche Kirche, welche zu den Alteften allgemeinen Kirchenverfammlungen ehrwürdige 
Bifchöfe ſandte. Sie warb zugleich mit der romiſchen Bildung von den Picten 


880 Ferimaurer 


wird Sachſen unterbrädt und vertrieben, und mar in dei Einöben von Wales und 
Spottland, in den Fafein zwifihen Ensland, Scemiand und Frlınd, vorziglich 
in Anglefey und Mena, und in tem bamals felbfiändigen Irland fanden tie Chri⸗ 
flien und ihre Lehrer Zuflucht, und feßten dafelbft ihre reinapeftelifife, der erien- 
talifchen Kirche verwandte Lehre, Gebrümche und :Berfaffung fort. “Die fromumen 
und gelehrten Seifllichen dieſer altbritifchen Kirche heißen Ruldeer, Ktteer, Ceilide, 
Eslidei. Als Biſchofe und Kirchenfehrer, als €i ‚ oder in große Klöfler zu 
Leben und ernfiem Studium der Wifſſenſchaften und der alten Sprachen vereinigt, 
waren fie tem Volke Beifpiel zugleich und Lehrer in Religion und in den Künften 
und Fertigkeiten des gefelligen Lebens. Zwar firebten fie, die Sachfen ımd ihre 
rohen Konige dem Epriftenthum und der Menfchlichkeit zu gewinnen; allein nicht 
fühig, mit ähnlihen Minen und Waffen, als der vom Papfle 597 nebft 40 
Mönchen nad, Britannien gefandte Auguſtin und die ihm nachfolgenden Bi. 
ſchofe, das Neich Gottes ausgubreiten und zu vertheidigen, waren fie genöthigt, 
fh mit dem flillen Einfluß auf einige beffere Konige und Große des füchfifchen 
Reiches zu begnügen, und mußten die püpfiliche Kirche aberhand nehmen, fich fefbft 
blutig verfolgt, und ihre großen Kloſtet umt Riofierfchulen in Wales, Augleſey und 
Mona rt oder von püpfllichen Mönchen bezogen fehen. “Dem milden und 
weifen Seifle Jeſu getreu, verſchmahten fie dann in ihrem fonfligen Eigenthum 
auch Die Amter der Ehorfinger, Meßdiener und Thürſteher nicht. Sie unterlagen 


endlich in England fapt gänzlich, obgleich fie, befonders in Iriand vor der Erober 


rung durch die Engländer, und in Schottland fogar bis zu der Reformation, nie 
ganz vernichtet worden find; es Täßt fich fogar beweifen, daß die erfien Reforma: 
toren in England ihr Licht an dem Lichte derfelben entzündet haben. “Die Ges 
fhichte diefes ehrrwürdigen Teiles der chriftlichen Seiftlichkeit, aus welchem unter 
Karl dem Großen und Alfred die größten Lehrer von ganz Europa hervorgegangen 
find, iſt von den päpfllich gefinnten Geſchichtſchreibern abfichtticg unterdrüdt und 
verfalſcht worden; nur erft wenige Schriftfteller Haben angefangen, die Wichtig: 
keit derfelben zu erfennen und die noch übrigen Nachrichten befanntzumnachen, vor: 
züglich Ufher, Ledwich und Groſe. jenen Kuldeern gelang es num, fich auch bei 
Alfred und Athelſtan Eingang zu verfchaffen. Athelſtan flellte bei den Aufbaue 
verwüfleter Städte und neuer Klöfter und Kirchen viele Bauleute an, ſodaß er. es 
für nothiwendig hielt, die durch fein ganzes Reich zerfireuten, aus Bauleuten der 
verfchiedenfien Nationen gemifchten Corporationen in ein gefelliges, vom Staate ges 
fihüßtes und dem Stmate verantiwortliches Ganzes, unter zwar fefbft gewählter, aber 
vom Staate beflätigter Berfaffung zu vereinigen. Die Kufdeer benußten taber 
die ihnen Hierdurch dargebotene Gelegenheit, in diefen Sefellfchaften, worin fie viele 
Glaubensgenoſſen Hatten, und befonders in der unter Athelftan vollendeten neuen 
allgemeinen Einrichtumg der ganzen Brüderfchaft, ihre alten, chriſtlichen und mo⸗ 
ralifchen Lehren und Gebräuche lebendig aufzubewahren und fie mit den noch von 
den römifchen und griechifehen Collegien überlieferten Kunſtlehren, Sebräuchen 
und Zunftgefeken, welche zum Theil umgebildet und anders gedeutet wurden, in 
ein liturgifches Ganzes ga vermeben. Die angeführte Schrift enthält davon die Be: 
weiſe aus den Quellen. Die ältefte jener Urkunden ift die 926 allen Baucorpora: 
tionen in England vom Konig Athelftan durch feinen Bruder Edwin zu Dorf beftt: 
tigte Eonflitution oder Verfaſſung, deren Urſchrift in angelfächfifeher Sprache noch 
jeßt in Dort aufbewahrt wird, und wovon eine aerichtlich —æ Überſetzung 
in obiger Schrift das erſte Mal gedruckt ſteht. Schon der religiäfe Eingang dieſer 
Urkunde kehrt, daß hier altgläubige, mit der Alteften morgenlaͤndiſchen Kirche über: 
einftimmende Chriſten reden. Darauf folgt eine Geſchichte der Baukunſt, welche 
von der bibliſch⸗ mythiſchen Sefchichte Adam’s und der Familie deffelben anbebt, 
und die Kunfl, mit Anführung einiger rabbinifchen Sagen, über den Babelthurm⸗ 


— 


Freimaurer sn 


bau, zum Solomonifchen Tempel, mit ruhmvoller, jedoch auf die Nachrichten ber 
Bibel befchräntter Erwähnung Hiram’g, von da aber zu den Griechen und Römern 
fortführt, wobei vorzüglich Pythagoras, Euflides und Vitruvius gefeiert werden. 
Sodann wird die Sefchichte der Baukpuſt in Britannien, und der Altefien Baucors 
poration daſelbſt, fehr richtig und mit den bewährteften Geſchichtſchreibern einſtim⸗ 
mig dargefellt, und u. A. erwaͤhnt, daß St.⸗Albanus, ein würdiger römifcher Ritter, 
um 300 fich der Kunſt angenommen, Einrichtungen und Grundgefege (Chargen) 
bei den Maurern feftgefegt, fie Gebräuche gelehrt, ihnen Arbeit, einen guten Cohn 
und einen Freibrief vom Kaiſer Saraufius ausgewirft habe, dem gemäß fie als eine 
Sefellfehaft in Britannien unter Baumeiftern fliehen follten. Hierauf wird die 
Bermüftung des Landes und feiner Bauwerke durch die nördlichen Völker und durch 
die Angeln und Sachen erzählt, und endlich, wie und auf welche Weiſe der fromme 
König Arhelften, nach zurüdgekehrtem Frieden und Belehrung der Heiden, be 
fchloffen habe, die alte Lobliche Berfaffimg der Baucorporasionen wiederherzuftellen, 
Neun folgen die 16 älteften Geſetze felbft, weiche mit Allem, was mübfame For: 
ſchungen in den Quellen der Römer, und das Corpus juris über die romifchen Bau⸗ 
corporationen lehren, genau übereinflimmen umd durch die reine chriftliche Lehre 
veredelt erfcheinen. Diefe Sonftitution num behielten die Baucorporationen in 
England und Schottland dem Weſentlichen nach bis dahin bei, wo fie vom 14. 
Jahrh. an nach und nad) in anſaßige flädtifche Zünfte übergingen. Es ift aus 
einer Reihe urfundlicher Nachrichten erwiefen, daß in England und Schottland 
nach diefen Sonftitutionen arbeitende Bauhuͤtten, oder Logen, in ununterbrochener 
Folge vorhanden waren, welche, außer den eigentlichen Kunftgenoffen, auch ge: 
lehrte und einflußreiche Nichtbaufünftler, als fogenannte angenommene Maurer 
(aceepted masons) in ihre Öefellfhaft aufnahmen, unter denen ſich oft mächtige 
Neichsflände, ja ſelbſt mehre Könige von England befanden. Zu Zeiten bürgerli- 
&er Unruhen und politifcher Parteiung waren die Zogen freier und angenammener 
Meurer gröptentheils‘Patrioten, welche der gefeßmäßigen Regierung ergeben waren 
umd deßhalb von der Gegenpartei mehrmals verfolgt wurden. In London felbft 
finden fich noch nach, dem großen Brende von 1666 viele Baulogen, welcheals ge: 
fonderte, aber unter dem allgemeinen. Schuße des Königs nach den alten gemein 
famen Sonftitutionen vereinte Sefellfehaften, die alte überlieferte Kunſtlehre, nebſt 
den Symbolen und Sebräuchen, mehr oder weniger rein fortpflanzten. Don die 
fen Baulogen waren 1317 noch 4 übrig. Die meiften, Mitglieder derfeiben 
waren bloß angenonmene Maurer, welche alfo, außer der Gleichheit politifcher 
Sefinnungen und Wünfche, nur der reinmenfchliche und moralifche Gehalt der 
überlieferten Sefeße, Lehren und Gebräuche „der alten und ehrwuͤrdigen Brüder: 
ſchaft der freien und angenommenen Maurer“ veranlaffen Eonnte, diefe gefellige 
Merbindung auch als Hichtbaufiinftler fortzufeßen und fie dem damaligen Zeit: 
geifte, fowie der Lage gemäß, worin fich die Brüderfchaft durch ihre bisherige -- 
Wirkſamkeit in Antebung des Staats. und der Kirche befand, zweckmaͤßig ums 

zugeflalten. Bis hierher reicht die erfte Periode der Sreimaurerbrüderfchaft, 
wo fie als eine Gefellfchaft freier Baukünftler befland, welche durch die Bau⸗ 
kunſt zu Außerer Wirkſamkeit vereinigt, der reinmenſchlichen Vollendung in. 
Religion, Tugend und Gefelligkeit nachflrebten und Einſicht in diefelbe, ſowie 
Liebe zu ihr, mit kunſtſinniger Weisheit verbreiteten. Schon durch die Einwir⸗ 
kung der berühmten Baumeifter Inigo Jones und Chriſtopher Wren, welche fich 
der Logen zunächft darum angenommen hatten, weil fie gefchidter und wohl⸗ 
gefitteter Bauleute bei ihren fo zahlreichen Bauwerken bedurften, ſowie durch 
einige andere vorzügliche Mitglieder, war die Brüderfchaft: zu einer Wieder: 
-geburt im Geiſte der neuern Bei vorbereitet. . | 

7 Diefe Um geſtaltung wurde vorzüglich feit 1717 durch 8 Mitglieder der 


382 Freimaurer 


erwaͤhnten 4 Logen durch den berühmten Phyſiker Deſaguliers, den gelehrten und 
gemüthvollen Theologen James Anderfon und den hochverſtaͤndigen George Payne 
zur Reife gebracht. Denn von diefen Männern geleitet, faßten die ring ieder jener 
4 2ogen den Beſchluß, die Freimanrerbrüderfchaft in ihrer alten Derfaffung, 
Lehre und Liturgie, als eine nicht mehr baufkünftlerifche, yon allen Bauzünften un: 
abhängige Geſellſchaft, ſowie fie ſchon zubor ald angenommene Maurer zu thun 
gewohnt waren, jedoch mit den zeitgemäßen weitern Beflimmungen, fortzufeßen. 
Dem Geiſte der Überlieferungen gemäß erflärten fie brüderliche Liebe, Hülfe und 
Treue (brotherly love, relief and truth) für das Wefentliche diefer Sefellfchaft 
und forgten auf alle Weife dafür, dag fie dem Volke und der Regierung als eine 
Berbrüderung für Menfchenliebe, Duldung und Sefelligkeit erfcheine, roelche fich 
zugleich unbedingten Gehorfam gegen die gefeßmäßige Regierung zur sefelligen 
Pflicht mache. Durch Beibehaltung des Namens, der Verfaffung und der 
bräuche „der uralten und ehrwuͤrdigen Brüderfchaft der freien und angenommenen 
Maurer erhielten ſich jene Logen die hergebrachte Duldung und. die Rechte einer 
verjährten Corporation von Seiten derRegierung, die fernere Theilnahme der ſchon 
vereinten Mitglieder und die Ruͤckkehr mehrer alten angenommenen Maurer, wel⸗ 
che größtentheils die unthärigen Logen verlaffen hatten. Berner hielten fie es (dies 
find ihre eignen Worte) 17117 für gut, „den Mittelpumft der Bereinigung und der 
Harmonie unter. einem Großmeiſter feft zu begründen, den älteften Maurer, der 
zugleich Meiſter einer Loge war, auf den Stuhl(der Logenregierung) zu feßen, fich 
zu einer großen Loge pro tempore gu conflituiren, die vierteljährigen Berathſchla⸗ 
gungen der Pogenbeamten zu erneuen, die jährliche Verſammlung nebft dem Fefte 
zu halten, und einen Öroßmeifler aus ihrer Mitte zu waͤhlen, bis fie die Ehre er: 
langen würden, einen hochadetigen Bruder zu ihrem Oberbaupte zu haben‘; und 
fo gründeten fie durch alle diefe Mafregeln und Einrichtungen die zweite Periode 
der Freimaurerbrüderfchaft, während deren diefelbe ein reineres und freieres Dafein 
gewann, mo und inwiefern fie, ihrer urfprünglichen Beflimmung getreu, eine den 
reinfittlichen Zwecken der Menfchenliebe, Duldung und Sefelligkeit, in Liebe, Hulfe 
und Treue gewwitmete, von den Baucorporationen und überhaupt von allen andern 
Verbindungen und Inſtituten völlig getrennte Gefellfchaft war und iſt, welche je 
doch den Namen, die Girundgefeße, die überlieferten Lehren und Gebräuche der al⸗ 
ten Sreimaurerbrüderfchaft beibehält, ihre Kunft als ein Geheimniß übt und fich 
auf freie Maͤnner befchränft. jene Einrichtungen wurden zugleich das Mittel, 
die umgeflaltere Brüderfchaft, oder die überlieferten äußern Formen der Freimau⸗ 
rerei felbft, über ganz Europa und alle europtifche Colonien zu verbreiten. 1721 
erbielt ihr Mitbruder James Anderfon von diefer neuen Großloge den Auftrag, „die 
fehlervollen Copien der alten gothifchen Tonftitutionen nach einer neuen und beffern 
, Methode zu bearbeiten”, und daraus ein für die Zufunft bei allen von diefer Groß: 
loge geflifteten beſondern Logen allgemein und ausfchliegend gültiges Conftitutio: 
nenbuch zu bilden. Er brachte viele Handſchriften der alten Sonflitutionen, welche 
fammtlich mit neuen Berordnungen und Nachrichten vermehrte Abfchriften der ers 
waͤhnten yorker Sonftitution waren, zufammen, benußte fie bei Ausarbeitung des 
neuen Conftitutionenbuchs, legte aber dabei die norfer Conftitution von Wort zu 
Wert zum Grunde; nur daß er fich erlaubte, den damaligen Begriffen, befonders 
aber den neuen Plane der Großloge gemäß, Auslaffungen, Zufike und Veraͤnde⸗ 
rungen zu machen. Seine Handfchrift wurde noch 1721 von 14 dazu ernanns 
ten geledrten Brüdern, nach einigen Berbefferungen, gebilligt, und zufolge eines 
Beſchluſſes der Großloge 1722 (nady dem Titel 1723) gedrudt, als ihr alleins 
gültiges Eonftitutionenbuch anerkannt und dem großen Publicum über 
Bei der zweiten, erweiterten Ausgabe dieſes Sonftiturionenbuchs, von 1738, 

nußte Anderfon nochmals die yorker Eonflitution. Noch in der 17166 von Entid 


2 


Freimaure 383 


beſorgten Ausgabe deſſelben zeigen. ſich ahnliche Spurbn einer fortwäͤhrenden Bes 
nutzung jener Urkunde. Jede neue Ausgabe iſt in der Geſchichtserzaͤhlung erwei⸗ 
tert, auch bin und wieder abgefürzt, beſonders durch die Cczaͤhlung wichtiger Vor: 
fälle, und durch die. Verordnungen der Großlege felbft vermehrt. Doch felbit in 
der durch Noorthhouk 1784. beforgten Ausgabe blickt der ‘lan, der Bang der Ere 
zahlung und das Colorit der yorfer Conſtitution nuch hervor. Ebenfo in.dem neue: 
ften Sonftitutionenbuche der feit 1843 vereinten Sroßfoge aller alten Maurer zu 
London, wovon der zweite: Theil zu London 4815 erfchien. Das Wichtigfte in 
diefem Conſtitutionenbuche der. neuenglifchen Großloge zu London find die 6 alten 
Pflichten (old charges) oder Srundgefeße, welche Anderfon aus den ermähnten 
16 Grundgeſetzen der yorfer Conſtitution ausgezogen, mit Benußung jüngerer 
Bunftverordnungen, und dem Plane des neuen Öroßmeifterthums angepaßt, in.die 
Form gebracht hat, in welcher fie von dens neuenglifchen Großmeiſterthume, und 
auch von allen großen und einzelnen Logen der Erde, alg das Grundgeß 3 der gan: 
zen Brüderfchaft aufgeftellt werden. In diefen alten Pflichten, welche das innerfte 
Wefentliche der $reimaurerei felbft in feinen vornehmften Außerungen bezeichnen, 
Baben fich jene heiligen Vorfchriften reiner Sittlichkeit und. brüderlicher Gleichheit 
in dem Gebiete des Reinmenfchlichen, bei aufrichtigem Gehorſam gegen jede recht: 
mäßige Obrigkeit, vereint mit religiöfer:Duldung und mit Achtung jedes andern 
menfchlichen, gefelligen Verhaͤltniſſes, aus der yorfer Eonfliturion, gereinigt und er: 
weitert, in die Conſtitution der bis 1813 am meiften blühenden neuenglifchen Groß⸗ 
loge, und feit 1813 in die Conflitution.der vereinten Großloge zu London fortge: 
pflanzt. Folgendes find die meichtigften.jener alten Pflichten, fowie fie bei Anderfon, 
in der Ausgabe von 17134, und mit wenigen. Abänderungen auch in dem Conſtitu⸗ 
tionenbuche von 1815 und, dem Worsfinne getreu, in allen engl., fchortländ,, 
irland., fram., bolländ,, dan., ſchwed. und beutfehen Eonftitutionenbüchern Taue 
ten: „Der Maurer ift als Maurer verbunden, dem Sittengefeße zu gehorchen; 
und wenn er die Kunfl recht verfteht, wird er weder ein ftumpffinniger Gottes: 
laͤugner noch irreliginfer Wüſtling ſein. Obwol nun die Maurer in alten Zriten 
in jedem Lande verpflichtet wurden, von der Religion diefes Landes oder diefer Na: 
tion zu fein, welche es immer fein mochte: fo wird es doch jeßt für Dienlicher erach⸗ 
tet, fie allein zu der Religion zu verpflichten, worin alle Menſchen übereinftimnien; 
ihre beſondern Meinungen ihnen felbft zu überlaffen, das ift (zu der Religion), gute 
und treue Männer zu fein, Oder Männer von Ehre und Wechtſchaffenheit, Durch was 
immer für Benennungen und lübergeugungen fie verfchieden fein mögen. Hierdurch 
wird die Maurerei der Mittelpunkt der Vereinigung (der Einigung, der Einheit), 
und das Mittel, treue Freundfchaft unter Perfonen zu fliften, welche außerdem in 
Befländiger Entfernung von einander hätten bleiben müffen. Der Maurer ift ein 
friedfertiger Unterthan der bürgerlichen Gewalten, mo er auch wohnt und arbeitet, 

und foll Ach nie in Zufammenrottungen und Verſchwoͤrungen gegen den Frieden und 
die Wohlfahrt der Nation verwideln laffen, noch fich pflichtwidrig gegen die Unter: 
odrigfeiten begeigen. Es follen fein Priväthag, Feine Privarftreitigfeiten zur Thür 
der do e bereingebracht werden, vielweniger irgend eine Streitiafeit über Religion, 
oder. Nationen, oder Staatswerfaffung, da wir, als Maurer, bloß von der oben: 
erwähnten fatholifchen (allgemeinen) Religion find; auch find wir von allen 
Nationen, Dundarten oder Sprachen, und find entfchieden gegen afle Staats⸗ 
handel, als welch⸗ nimmer noch der Wohlfahrt der Loge beförderlich gemefen 
find, auch jemals fein werden”. 

Dig zweite der vorerwähnten Kunfturfunden iſt ein unter dem Koͤ⸗ 
nige Heinrich VI. von England nicdergefchriebenes Fraaftücd, welches über das 
Wefen des Bundes, einſtimmig mit obigen Geſetzen, einen unbildlichen Aufſchluß 
gibt. Es findet fich zuerft abgedrüdt im „Gentleman’s magazine” (1753, &. 


I 
x 


384 Freimaurer 


417 fg.), dann u. a. in allen feit 17156 erfchienenen Ausg. bes neuengl. Eoafli 
tutionenbuchs, in Prefion’s „Erläuterungen“, im Hutchinfon’s „Seifle der Mau- 
rerei” und in Ciebas s „Magazine ter Freimaurer“ (1. Et. 1805). — Die 
legte jener Urfunden iſt die alte Acte der Aufnahme zum Maurer, ſowie fie 
noch heute als das ls das ältefe Kitnal von allen Mauren alteuglifchen Spfiems in allen 
dert ausgeübt wird. Sie iſt in ihren Anfangen ſo alt als 

die norfer —— enthaͤlt noch Gebrauche der römifchen ationen 
und der älteften chräfilihen Afceten und Mendye, und fpricht Die Grundiehren und 
die Berfaffung ber Broͤderſchaft übereimflimmig mit ten alten Pflichten aus. Ze 
Teich iſt Die darın enthaltene L Liturgie das Borbild, wonach das Ritual einer jeden 
Eoge oder het in Hinficht ferner gefchichtlichen Echtheit und des reinen Sei: 
fles der überlieferten $reimaurerei, beurtheilt werden fann. dieſem älteflen 
Rituale jſt jedoch das des neuengl. Großmeiſterthums (weiches in wne$s „Ma- 
sterkey“, Zond. 1802, und in Krauſe's „Drei älteflen Kunſturkunden“ vellftin- 
dig enthalten iff) in zeichtigen Stüden verfchieden, obgleich es dem Geiſte nach da⸗ 
mit einflimmt. — Nach dem Sefagten erfcheint der Freimaurerbund als eine, 
nach ihrem Urfprung und nach ihrer weitern Entisidelung, in die höhere Ausbik 
dung der Menfchheit wefentlich verwebte Gefellfchaft, als der bis jeßt einzige 
Dund, welcher fih tem Reinmenfchlihen ausfchliegend widmet, 
und, infofern er dem Weſen ver Zreimaurerei felbft treu ifl, den Weg künfti— 
ger —A geſelliger Beſirebungen thaͤtig bezeichnet. Ob nun auch insbe⸗ 
fondere die Brüder Freimaurer dieſen in ihrem Bunde fchlummernden Keim eines 
en, lautern, und feinem Geiſte nach in Wahrheit allgemeinen Bundes für 
fhlichfeit und Dienfchheit, in Harmonie mit den fich flufenweife veredeinden 
Etoaten und Religionsgefellfeyaften, mit befennener, ner, teifer Kunft entfalten wers 


. den? Dies iſt eine von jenen wichtigen ragen, deren bejabende Beantwortung 


in Seift und Wahrheit Das Tagewerk diefes mb der folgenden Geſchlechter, wol 
werth ift, daß gute Dienfchen aus allen Volkern urfräftig danach ringen. — Wei: 
tere Belehrung über Freimaurerei (naͤchſt Kraufe) enthalten: Leffing’s „Ernft und 
Sur (2effing leitet die Entfiehung der Freimaurer in der neuern Zeit von den 

Maſſoneyen, d. i. Sefellfchaften der Tempelberren, her); Nicolai's „Derfucpe üb. üb, 
den Tempelberrnorden” (Bert. 1782); „Die Eleufinien des 19. Jahrh.“; 
Eonftitutionenbuch, und das ältere und neue "Journal der Loge Archimedes zu * 
tenburg; Feßler’s „Saͤmmtliche Schriften über Freimaurerei” (3 Bde.); Kraufes 
„Zwoͤlf Logenvortraͤge“; Moßdorfs „Deittheilungen an dentende Freimaurer”, 
1818, und Eilber’s „Bertraute Briefe‘, 1818; Heldmann's „Drei ältefte 
Denkmale der deutfchen Sreimaurerbrüderfchaft“" (Aarau 1819); Wedekind’s 
„Pythagoräiſcher Orten”, 1820; Lindner’s „Machenac“ (3. 3. 1819); Sede 
fe „Freimaurerlexikon“, 1818; „Sarfena, oder der vollfommene Baumeiſter“ 
(4. A.); „Sreimaurerencpklopädie” von 2enning (Lpz. 1822 fo., 3 Bde.); 
Preſton's „Ilustrations of masonry” (8. A., Lond. 1812); atprie’s „Ni- 
stary of freemasonry” (Fdinburg 1804, überf. von —— — 1810); 
Thory’s „Histoire da Grand-Orient de France” (Paris 18 12) und dyſſen 
„Acta latlomorum“ (2 Ihle., Paris 1815). ”) ; 


2) Nach Schudersff („Über den dermaligen Zuſtand ber deutſchen Zreimmaurerei”, 
—— 1824) fodert die Maurerei Hingebung ohne klare Eintcht, mitunter blin⸗ 
Gehoriam gegen unbefannte Obere. Schuderoff ik der Meinung, daß die Maus 

ei ſich überlebt habe, durch innere Mißbraͤuche binwelfe, dem Zeitgeifte widerfpres 
daß fie daher einer neuen Geſtaltung bevürfe und nur befiimmre Zwecke der Hu⸗ 
—* erg bei a der Kirche) ** vornehmen muͤſſe. In Bremen 
1829 ein „Verzeichni arbeitenden und eingegangenen Freimaurerlogen, 

nach dem J. ih ver Sciſtuns von 1737 bis 1827”. , \ 


Sreinsheim Fremde 33 


Freinshe ſim (Johann), geb, 1608 zu Ulm, entwickelte fruh glänzende 
Fahigkeiten und bezog ſchon im 16. Jahre die Akademie. Er ſtudirte die Rechte 
in Marburg, dann in Gießen, wo er ſich zugleich mit der Philoſophie und den ſchoͤ⸗ 
nen Wiſſenſchaften befchäftigte. In der Folge wendete er ſich nach Strasburg, 
wo der berühmte Matth. Bernegger, beralte Literatur und Gefchichte vortrug, ihn 
fo lieb gewann, daß er ihn auf alle Weiſe unterftüßte. Hierauf benußte er die Bi⸗ 
bliothefen Sranfreichs und lernte die Gelehrten dieſes Landes kennen. Der Minifter 
Michel Marefcot ward fein Befchüßer, und auf die Empfehlung deffelben arbeitete 
5. eine Zeit lang als königl. Secretair in den Archiven zu Meg. Don bier kehrte er 
in das Haus f. Freundes Bernegger zurüd, der ihm die Hand f. Tochter gab. Eine 
latein. Zobrede auf Guſtav Adolf machte ihn wegen ihrer eindringenden Beredtfam: 
Eeit und fchönen Schreibart rühmlich befannt, fodaß ihn der ſchwediſche Hof 1642 
als Profeffor der Staatswirthſchaft und Beredtfamfeit nach Lipfala berief, Der 
Ruhm, den erfich hier als Schriftfteiler erwarb, bewog die Königin Chriſtine, ihn 
1647 zum Bibliothekar und Hifforiographen in Stockholm zu ernennen. Allein 
fo gemächlich feine age war, und. fo großer Gunſt er fich bei der Königin erfreute, 

‚fo fand er doch das Land feiner Geſundheit fo wenig zuträglich, daß er ſich nach 
Deutfchland zurückſehnte und einen Ruf des Kurfürften v. d. Pfalz zum Prof. ho⸗ 
norarius auf der Univerfität zu Heidelberg, mit dem Titel eines furfürftt. Rathes, 

> annahm. Er flarb daſelbſt den 30. Aug. 1660. Als einen großen Gelehrten, bes - 
fonders in der alten Literatur und Sefchichte, hat er fich, außer durch verfchiedene 
Ausg. von Claſſikern, in f. glücklichen Ergänzungen der verlorenen Bücher und 
Stellen des Curtius und vornehmlich des Livius bewiefen. Spin deutfches epifches 
Gericht auf den Herzog Bernhard von Weimar, genannt:; „Sefang von dem 
Stamm und Thaten des neuen Hercules”, ruht in verdiente Vergeſſenheit. 

Freifaffe, der Befiger eines Freigutes (ſ. d.). - 
Freitag, beiden Angelfachfen Frigedag, bat feine Benennung von Odins 
Frau Frea oder Friga. Fa | — 

-  Eremde, Die Gefeßgebung eines Volks gegen Fremde ift ein Maßſtab 
feiner Eyltur. Alle robe Völker behandeln den Ausländer als einen Feind, algrecht: 
Ios. Indeß ergeben fich Unterfchiede zrwifchen Fremden und Einheimifchen aus all: 

. gemeinen .Rechtsgrundfüßen, 3. B. daß der Fremde gewiſſe Bürgfehaften leiſten 
muß, wenn er gegen einen ©taatsbürger als Anfläger auftritt; daß er wegen 
Schulden, welche er im Lande gemacht. hat, perfünlich angehalten werden fann; 
dag er flantsbürgerliche Rechte nicht ausüben darf; daß er nach den Geſetzen man: 
her Staaten nicht Dormund, nicht Teflamentszeuge fein kann; daß man ihm 
den Landesſchutz auffündigen und ihn aus dem Lande meifen kann, welches gegen 
den Staatsbürger nicht erlaubt if. Auf befondere Vortheile, welche ein Staat 
feinen Bürgern außer der allgemeinen rechtlichen Sicherheit gewährt, 3. B. Erzie⸗ 
bungsanftalten, Armenhäufer, hat der Fremde ebenfalls keinen rechtlichen Anfpruch, 
Allein ein unbjfliger Haß oder eine Lingerechtigfeit gegen Fremde iſt vornehmlich in 
drei Beziehungen fichtbar: in den Schwwierigfeiten, welche man macht, auc) dem 
unverdächtigen $remden den Eintritt in das Sand zu geſtatten; in derübertriebenen 
Erfchiverung ihrer Naturalifation, und in der Entziehung priyatrechtlicher Sicher: 
heit. Wenn auch 1) die Befugniß eines Staats, jedem Fremden den Eintritt zu 
vermehren, und wie China und Japan fogar bei Todesftrafe zu unterfagen,, fich 
nach firengem Recht vertheidigen ließe, wiewol auch Dagegen noch zu bedenken ift, 
daß der Staat nicht eine zufällige Verbindung, fondern eine die ganze Menfchheit 
umfaffende Anftalt für fietlicherechtliche Ordnung fein fol, fo Tüßtfich doch Die Aus- 
übung einer folchen Befugniß aus dem Gefichtspunfte der Politik nur in fehr be: 
fchränftem Maße rech’fertigen. Dielfeitigfeit der echten Cultur kann nur durch 
möglichfte Freiheit und Lebendigkeit des geiftigen Verkehrs unter 05 Völkern, fie 


Sonverfationg ı Lericon. Bd. IV, 


% 
= 


— 


3868 Fremde 


wahrer Wohlſtand durch Freiheit und Ausdehnung des Waarenaustauſches befdr⸗ 


x 


dert werden. Ein jeder Vortheil/ welchen ein Volk erreicht, fei es in Serminnumg 
natürlicher Stoffe, oder in der Kunft ihrer Verarbeitung, oder in wiffenfchaftlicher 
Aufklärung, fommt von felbft allen andern Staaten zu gute, fobald fie nur pen 
freien Umtaufch nicht hemmen. Obwol cultivirte Staaten den perfönlichen Ein- 
fritt der Fremden heutzutage nicht leicht erfchtderen, fo ift doch der zweite Punkt, die 
Sreiheit des commertiellen Verkehrs, noch eine ſehr ſchwache Seite. 2) In An: 
fehung der Naturalifation haben verfehiedene Staaten befondere Veranlaſſungen 
zu Vorfichtsmaßregeln gehabt, wenn etwa überhaupt der Einfluß einer fremden 
Macht uberwiegend wurde, oder eine ausländifche. Dynaſtie den Thron beftieg. 
Dies ift in England der Grund der firengen Sefege über die Naturalifirung, welche 
unter Wilhelm 111. (1700) gemacht wurden. Nach denfelben kann nur der König, 
den Auslandern die Befugniß ertheilen , liegende Güter zu erwerben, welches fie 
nach den Grundſaͤtzen des englifchen Lehnrechts nicht dürfen. Dadurch treten fie 
in einen Mittelftand zwifchen Ausländern und englifchen Staatsbürgern (als ſoge⸗ 
nannte denizens) ; die volle Naturalifation kann nur das’ Parlament ertheilen. 
Selbſt bei diefer ift aber noch die Fähigkeit ausgenommen, Mitglied des Parla- 
ments, des konigl. Stheimenrathes zu werden, Amter und Lehngüter von ber 
Krone zu erhalten und dergl. Soll das Parlament davon dispenfiren, voelches bei 
auswärtigen Prinzen und Prinzeffinen, die in die königl. Familie tur Vermaͤh⸗ 
fung eintreten, zu gefchehen pflegt, fo muß ein doppelter Act der Sefeßgebung vor: 
genommen werden, (&. Aubaine, Droit d’.) Dagegen Eann jedes, auch 
von auslindifchen Altern in England geborene Kind die Rechte eines Eingeborenen 
in Anfpruch nehmen, wenn es feine wefentliche Wohnung in England nimmt und 
den Unterthaneneid leiftet. In andern Staaten ift die Naturalifirlıng Sache der 
Regierung, und fein Act der Geſetzgebung erfoderlih. So ifles in Frankreich, 
in Baiern (Ediet über dag Indigenat vom 26. Mai 1818) und in allen deutfchen 
Etaaten. In Frankreich gibt ein 1Ojähriger Wohnfiß dem Fremden einen Anfpruch 


auf alle flantsbürgerliche Rechte, felbft die Fähigfelt, Mitglied der Deputirten: 


Eammer zu werden (mie 3. B. Sonftant). In den Etaaten des deutfehen Bun: 
des folkte vielleicht Bein Deutfcher als Fremder behantelt merden, mie venn auch die 
preuß. Sefege “jedem, toelcher ſeinen weſentlichen Wohnſitz im Staate nimmt, die 
vollen flaatsbürgerlichen Rechte beilegen. 3) In Anfehung der privatrechtlichen 
Verhältniffe wird die ungleiche Behandlung der Fremden mehr und mehr aufgeho⸗ 
ben. Es mar .in der Thar böchf unrecht, einen fremten Glaͤubiger einem inlaͤn⸗ 
difchen im Concurs nachzufeßen, oder das Kecht eines Fremden für weniger unver: 
leglich zu erklaͤren. "Doch ift davon immer etwas noch in der Eröffnung der Partie 
eularconcurfe übrig, wenn dabei über das im Lande befindliche Bermögen nur in: 
ländifche Gläubiger zugelaffen werden. Sehr ungleich find die Sefeßgebungen 
über die Srage, ob ein Fremder unbewegliches Eigenthum befißen fonne. Frank: . 
reich geftattet dies, tie die meifteri deutfchen Staaten, unbedingt; zrorfchen den 
legten unter einander ifl dies fogar eine grundgefeßliche Beſtimmung des deutfehen 
Bundes. Durch das Geſetz vom 4. Juli 1819 (welches eine gänzliche Abfchaffung 
des droit d’Aubaine enthält) iſt allen Fremden in Anfehung aller in Sranfreich be 
findlichen Guͤter, bewegliche und unberegliche, ein gleiches Erbrecht wie den Frans 
zofen eingeräumt, Nur wenn Franzofen mit ansländifchen Erben eine —— 
zu theilen haben, und bei den ausländifchen Gütern die Franzoſen aus irgend ei 
Grunde nach den Sefeßen des Orts einen geringern Theil bekommen, follen fie von 
dem in Sranfreich befindlichen Vermögen fo viel, als zur Miederberftellung der 
Steichheit erfoderlich ift, zum voraus befommen. ine andre Ungleichheit gegen 
Fremde liegt in der Verfagung des rechtlichen Schußes für auslindifches Verlags: 
eigentbum, (Bol. Indigenat, Naturalifation.) 7. 


— 


+, 


Fremdenbill | Sreron (Elie Catherine) 387 


Fremdenbil l (Alienbill), eine von dem Staatsſecretair Lord Grenville 
1793 in Vorſchlag gebrachte und von dem Parlament genehmigte Bill, nach wel: 
cher jeder Ausländer, fogleich bei feiner Ankunft in England, der genaueften Unter: 
ſuchung unterworfen und mit einer Sicherheitskarte von dem Staatsfecretair vers 
ſehen wurde, welcher den Fremden aufjeden Argwohn fortzuweiſen das Recht hatte. 
Obgleich die Dppofitisn, befonders feit dem Srieden von 1814, bet den jedesmaligen 
Anträgen der Minifter auf Berlingerung der Dauer diefer Bill, für die gänzliche 
Aufhebung derfelben ſtimmte, fo konnte fie doch nichts weiter erlangen, als daß die 
‚Verhaftung und Fortſchickung verdächtiger Fremden gegenwärtig nur auf einen von 
dem gefammten Geheimenrath unterzeichneten Befehl ſtattfindet. Die Bill iſt 
erft untere Sanning’s Minifterium durch ein neues Geſetz aufgehoben worden, mel: 
ches zwar die Fremden weit weniger der Willfür preisgibt, fie aber doch einigen 
DBerlegenheiten audzufeßen feheint. - | 
8 reret (Nicolas), geb. zu Paris 1688, Sohn eines Procurators beim 
Parlamente, gab das Gefchäft als Advocat auf, um ſich dem Studium der Ger 
fehichte und Chronologie zu widmen. Schon in ſ. 16. J. hatte er die vorzüglichften 
Werke von Scaliger, Uſher, Petau und antern großen Ehronologen gelefen und er . 
cerpirt. Er bildete .fih nach Rollin.. Die Akademie der Inſchriften nahm ihn 
in einem Alter von 25 J. als Mitglied auf, Für feine Eintrittsrede: „Surl’ori- 
gine des Francais“, die ebenfo gelehrt als fe war und unzienaliche Außerungen 
über die Angelegenheiten der Prinzen mit dem Regenten enthielt, mußte er Do: 
nate in der Baſtille büßen. Hier war Bahyle faft der einzige Schriftfleller, den 
moh ihm geflattete, und er las ihn fo fleißig, daß er ihn faſt auswendig wußte, 
Wir fehe er fich.die Grundſaͤtze deffelben :zugeeignet, beweifen f. „Lettres de Tra- 
sybule & Leucippe” und f. nachgelaffenes: „Examen -des apologistes du Chris- 
tranisme”. In beiden gleich irreligiofen Werken erfcheint der Atheismus in ein 
formliches Syftem gebracht. Nachdem er ſ. Freiheit wiebererlangt hatte, über- 
irug ihm der Marfchall von Noailles die Erziehung feiner Kinder; aber er feßte da: 
bei ununterbrochen ſ. Iiterarifchen Arbeiten fort. 4723 kehrte er.in das väterliche 
Haus zumid und ſtudirte nun die Chronologie der alten Völker, Er fand, daß 
bie aͤghptiſche Sefchichte, die älteſte unter allen, erft 2900 vor Chr. anfängt, und 
daß dieschinefifche nicht über 2575 über Diefe Epoche hinausgeht. Seine Abhand: 
lungen: und Streitfchriften hierüber, u. a. gegen Newton, machen einen großen 
Theil der Denkſchriften der Akademie jener Beir aus. Ebenfo eifrig befchäftigte er 
fich mit der Geographie; man fand unter f. Papieren 1857 geograph, Tharten von 
feiner Hand. Überdies war er in Feiner Wiſſenſchaft fremd und wußte die Feder 
wohl zu führen. 174% wurde er beftäind. Secret. Wer Acad. des inscript.“ Er 
farb 1749, ‚Eine Ausgabe f. Werke erfchien zu Paris 1792 in 4 Bdn.; eine 2, 
Samml. 1795 in 20 Bodom; eine vermehrte und geordnete Samml. („Oeuvres 
complètes de Freret‘‘) mit Anmerk. u. Erliut: von Champollion⸗Figeac erfchien 
zu Paris feit 1825. in. 20. Bon, nn 
- Sreron (Sie Carherind), geb. zu Quimper 17719, genoß den Unterricht 
ber SYefniten und befuchte einige Zeit das Collegium Ludwigs XIV., wo Brumbi 
und Bougeant feinen Geſchmack für-die Literatur weckten. 1746 gab er ein Idur⸗ 
mal: „Leitres de Madaure la Comtosse”, heraus, Die Gräfin follte die Re⸗ 
pröfentantin der Vernunft und des guten Geſchmacks fein, und zeigte allerdings in 
‘ihrer: Correfpondenz viel Geift and Wis. Einige Schriftfieller, die er in feinem 
latte mit wenig Schonung behandelt hatte, bewirkten die Unterdrückung deffeb 
‚ben; aber 1749 erfchien es unter dem veränderten Titel: „Lettres sur quelques 
&crits de co tenips”, deren fcharfe Krititen Unterbrechungen zur Folge hatten, 
aber immer zum Berdruß des Publicums, Der König Stanislaus, der den Ders 
faffer liebte, war bemuͤht, ein! Werk nicht untergehen zu Ile ‚Das er mit Ver . 


390 GFreya Freycinet 

es viele Schweine, Hunde, Popageien, Tauben, Hühner, wilde Enten, Tropikvogel, 
Reiher, Fiſche, Schildkröten, Auſtern u. ſ. w. Die 200,000 Einw. find von mitt 
ler Groͤße und wohl proportionirt, kupferbraun, und zeichnen ſich durch freundlichen 
Sinn, Freigebigkeit, Großmuth, Ehrlichkeit und Kunſtfleiß vor den andern Suͤdſee⸗ 
bewohnern aus. Doch herrfchte auch bei ihnen die Sitte der Menfchenopfer: Ihre 
Kleidung befteht in Matten, vom Papiermaulberrbaume verfertigt. Reinlichkeit 
des Körpers lieben. fie ganz befonders und baden fich daher oft. ie Wohnungm 


x Find kunſtlos. Starte Matten oder geflochtene Kokoszweige vertreten tie Stelle 


- der Winde Das mit Blättern bededte Dach ruht auf verbuntenen Pfoften und 
Querbalken. Ihre Schlafftelle ift eine Matte, ihre Decke die Kleidung, welche fie 
den Tag über tragen, ein hölgernes Baͤnkchen ihr Kopfkiffen. Außer diefen Dingen 
befteht ihr Hauerath nur in Schalen zum Kawatrank, $lafchenfürbijfen und Ko: 
Eosfchalen. Die Weiber befchäftigen fich mit Verfertigung der Matten, worin fie 
ſehr gefchickt find und die Tabiter übertreffen. Die Männer treiden mit vielem Ge: 
ſchick Aderbau und Fiſchfang und verfertigen die Häufer und Canots. Die fchön 
angebauten Ebenen, die Wäldchen, von Grasplaͤtzen durchfchnitten, und die Morais 
oder Begräbnißpläße, die in angenehmen umzäunten Ebenen mir Hütten oder Daͤ⸗ 
chern beftehen, welche die Stelle der Gräber bezeichnen, geben diefen Landfchäften 
ein gefälliges Anfehen. Ihre bürgerliche Verfaffung ift eine Art von Lehnſyſtem. 
Die meiften Inſeln find dem Könige von der Inſel Tongatabu unterworfen, 
dern die Gutsbeſitzer ober Fürften und Herren Abgaben entrichten und Gehorſam 
leiften, Die Einwohner hatten ein ordentliches Religionsfüftem und. Priefter. Seit 
1820 lehren englifche Miffionnaire das Chriſtenthum. Wwaua oder Hamoa heißt 
die größte Inſel; die fruchtbarfte Lifuga. \ . 
Freya, f. Nordifhe Mythologie, - 
Freycinet (Louis de), Naturforfiher und Weltumfegler, franz, Schiffe: 
eapitain ıc., geb, 1775, widmete fein Leben der Wiſſenſchaften und nahm Theil 
1800 an der Expedition des Sapitains Paudin. Ihm verdankt die von Peron und 
Leſueur herausgeg. VBefchreib, Diefer Reiſe den fchönen Atlag, der als ein Meifters 
werk betraghtet wird, Auch fügte er einen Band nautifcher Bemerfungen hinzu, 
(©. „Voy. de decousertes aux terres nuslrales, 1800, 4., redige par. Peron 
et continue par J. de Freyeinet”, 2, Aufl., mit Atl., 2 Bde., Paris 1824.) In 
Verbindung mit H. Clement entdedte er ein neues Verfahren, um tag Seewaſſer 


trinkbar zu machen, das fich fpäterhin vollfommen bewährt hat. Auf Befeht Lud: 


wigs XVII. unternahm er ols SFregattencapitain 4817 mit der Corvette Urania, 
die den 17. Sept. von Toulon abfegelte, eine Entdedungsreife im Südmeere, von 
welcher er am 13. Nov. 1820 in Havre wieder anfam, Er blieb auf Teneriffa 6 
Tage, in Rio: Janeiro 2 Monate, auf Jsle:de: France 10 Wochen, in der von 
ihm fchon früher mit Baudin befuchten Seehundbai 14 Tage; in Toupang, dem 
Hauptorte dev holland, Niederlaffungen auf Timor, 3 Wochen; in Diely, dern 
Hauptorte des portug. Antheils von Timor, 4 Wochen; bei der Inſel Rawack in 
Hreuguinea, unter dem Äquator, 3 Wochen; bei den Marianen faft 3 Monate; 
beiden Sandwichinfeln 3 Wochen und in Port Jackſon (Neuſuͤdwales) 3 Monnte, 
Die Urania fegelte von bier den 25. Dec. 1819 big 59° S. B. und nach dem Feuer- 
lande, wo fie den 7. Febr. 1820 in der Bat du bon succes landete, von einem 
Sturm aber in die hohe See geworfen wurde und bei ten Malvinen in der Buie 
francaise den 13. Febr. Schiffbruch litt; doch war man fo glüdlich, Alles, wos 
man am Bord hatte, zu retten. Die Erpedition verließ diefe Einöde den 27. April 
1820 auf einem amerifanifchen Schiffe, welches der Zufall dahin geführt hatte, 
Eap. F. kaufte nämlich diefes Schiff, dag er La Physicienne nannte, um f. Ent: 
deckungsreiſe — Er verweilte hierauf im La⸗Plata⸗Strome einen, und zu 
Rio⸗Janeiro 3° 


w 


s 


onate, Bach feiner Rückkehr wurde er, wie es der Sebrauch if, 


SFSreygang Freyre 284 
wegen erlittenen Schiffbruchs vor ein Seekriegsgericht geſtellt, allein auf das ehren⸗ 
vollſte losgeſprochen. Den Hauptzweck ſeiner Reife, Beobachtungen anzuſtellen, die 
geeignet wären, die Geſtalt der Erde und die Sintenfität der magnetiſchen Kraft in 
der füdlichen Hemifphäre zu beftimmen, womit er hudrograpbifche Aufnahmen, 
. meteorologifche Beobachtungen, Drtsbeftimmungen-und naturbiftorifche Somm: 
lungen verband, hat er auf eine Art erreicht, dis ihm eine ehrenvolle Stelle in der 
Geſchichte der Naturrwiffenfchaft zufichert. Der franz. Minifter des Innern fagt 
in der amtlichen Bekanntmachung, F. habe, während feines viermöchentlichen Auf- 
enthalts am Cap, die Behauptung La Caille's nicht beftätigt gefunden, dag nämlich 
die füdliche Halbkugel einen größern Bogen bilde alg die nördliche. Allein La Caille, 
einer der größten und denfendften Köpfe feiner Zeit, bielt ſich am Cap beinahe ein 
Balbes Jahr auf. Dagegen find die Beobachtungen des Cap. F. über den Magne⸗ 
tismus von größerm Werthe. Sie beweifen, daß in der füdlichen Hemifpdäre eine 
der nördlichen Halbkugel diametral entgegenlaufende Bewegung flattfindet. Die 
täglichen Schwanfungen der Diagnetnadel waren innerhalb der Wendekreiſe fehr 
Elein, und die Inclinationen der Nadel, welche 5. gemeffen hat, beflätigen vollfom: 
men Die eigenthümliche Krümmung: des magnetifchen Aquators im Südmeere, 
welche fchon aus Coof?s Beobachtungen hervorzugehen fehien, Auch wurden mit 
65 Flaſchen Meerwaffer, die $. mitgebracht hatte, Verſuche angeftellt, um zu be 
flimmen, ob das Seewaffer der füdlichen Halbfugel an Salz fpecififch ſchwerer fei 
als das der nördlichen, Die bandfehriftl. Nachrichten von der Reife des Cap. F., 
31 Quartbde., find im Secretariat der franz. Afat, niedergelegt. Daraus entfland 
das Prachtwerf: „Voy. autoyr du monde, fait p. o. du Roi sur les Corvettes 
de S. M. l’Uranie etc. Dendanties années 1817-20, par M. L. de Freycinet” 
(Paris 1825 fg., 8 Bde., 4., mit 4 Atl, von 348 Kpf.), 1829 wurde F. zum 
Gouverneur von Martinique ernannt. . 
Freygang (Wilhelm von), k.ruſſiſch. Senerafconful zu Leipzig, Sohn des 
um Rußlands Anftalten für medicinifche Polizei hochverdienten verft, Faifer!. Leib: 
arztes v. Freygang, geb, 1783 zu Petersburg, fludirte in Göttingen 2 J. fang die 
Staatswiffenfchaften :und Diplomatie unter Martens, Während diefes Aufent: 
halts fuchte er in feinen Ideen über den Steinregen eine von ihm aufgeftellte Drei: 
aung.über diefe Naturerfcheinung zu. begründen, und ſchrieb außer einer Nachricht 
über die Univerfitit Göttingen und einigen andern, faft fimmtlich franzöfifch abge 
‚ faßten Schriften, auch 2 Eleine Luftfpiele: „Doctor Gall auf der Reife” und „Be: 
nieftreiche” (1805 u. 18061. Schon früher im diplomatifchen Fache in Rußland 
Aangeftellt, trat er 1804 ins thätige Dienftleben, begleitete den Oberbefehlshaber 
des ruffifchen Heeres im Feldzuge gegen Perfien und wurde 1805 nach der Mol: 
dau und Walachei geſchickt. Nach dem Frieden von Tilfit ward er Sefandtfchafte- 
ferretair in Bien, und fand in gleicher Eigenfchaft auf kurze Zeit in Paris, Er 
ward 4811 nach Georgien gefchidt, und 1812 nach Perfien, wo er zu Tauris die 
Unterbandlungen, die Grundlage zu dem bald nachher erfolgten Friedensſchluſſe, 
abſchloß. Beine Gemahlin, geb. Friederike v. Koudriaffsky, die während feines 
Aahrigen Aufenthalts im Orient an feiner Seite war, gab 1816 in franz Sprache 
Briefe über den Kaukaſus und Georgien heraus, welchen er felbft kinen Bericht 
über feinen Aufenthalt in Perfien anhaͤngte. (Deurfch zu ogmburg 1816.) Nach 
„feiner Ruͤckkehr aus Verfien wurde Hr. v. F. bei der Sefandtfchaft am niederlän: 
difchen Hofe angeftellt, wo er 6 Jahre blieb, bis er in feine gegenwärtigen Dienft: 
perhältniffe kam. Ä _ | 
Freyre (D. Dianuel), geb, um 1765 zu Dfuna in Andalufien, erprobte 
im Porenäenkrieg als junger Öfficier feinen Muth. 1798 war er Major im Reg. 
fpan. Huſaren, und der Unabhängigkeitskrieg fand ihn 1803 als Obriftlieutenant. 
Im folg. J. befehligte er fein Regiment als Obriſt unter Abadia. Er wurde Bri⸗ 


x 


390 Freya Freycinet 


es viele Schweine, Hunde, Popageien, Tauben, Hühner, wilde Enten, Tropikobgel, 
Reiher, Fifche, Schildkröten, Auſtern u. ſ. w. Die 200,000 Eaiw. find von mitt⸗ 
ler Groͤße und wohl proportionirt, fupferbraun, und zeichnen fich durch freundlichen 
Sinn, Freigebigfeit, Großmuth, Ehrlichkeit und Kunftfleiß vor den andern Südfee- 
bemohnern aus, Doch herrfchte auch bei ihnen die Sitte der Menſchenopfer. Ihre 
Kleidung befteht in Matten, vom Papiermaulberrbaume verfertigt. Reinlichkeit 
des Körpers lieben. ſie ganz beſonders und baden fich daher oft. Die Wohnumgin 


x find Eunftlos, Starke Matten oder geflochtene Kokoszweige vertreten tie Stelle 


- der Winde, Das mit Blättern bedeckte Dach ruht auf verbundenen Pfoften und 
Querbalken. Ihre Schlafftelle ift eine Matte, ihre Dede die Kleidung, welche fie 
den Tag über tragen, ein hölgernes Baͤnkchen ihr Kopfkiffen. Außer diefen ‘Dingen 
befteht ihr Hausrath nur in Schalen zum Kawatrank, Flafchenfürbiffen und Ko: 
Eosfchalen. Die Weiber befchäftigen fich mit Verfertigung der Matten, worin fit 
fehr geſchickt find und die Tahiter übertreffen. Die Männer treten mit vielem Se: 
ſchick Aderbau und Fifchfang und verfertigen die Haufer und Canots. Die ſchoͤn 
angebauten Ebenen, die Wäldchen, von Grasplaͤtzen durchfehnitten, und die Morals 
oder Begräbnißpläße, die in angenehmen umzaͤunten Ebenen mir Hütten oder Daͤ⸗ 
‚chern beftehen, welche die Stelle der Gräber bezeichnen, geben diefen Landfchäften 
ein gefültiges Anfehen. Ihre bürgerliche Berfaffung ift eine Art von Lehnſyſtem. 
Die meiften Inſeln find dem Könige von der Inſel Tongatabu unterworfen, 
dem die Outsbefißer ober Fürſten und Herren Abgaben entrichten und Gehorſam 
leiften, Die Einwohner hatten ein ordentliches Religionsſyſtem und Priefter, Seit 
1820 lehren englifche Miffionnaire das Chriſtenthum. Wwaua oder Hamoa heißt 
die größte Inſel; die fruchtbarfte Lifuga. \ - 
Freya, f. Nordifhe Mythologie, - 

Freycinet (Louis de), Naturforfiher und Weltumfegler, franz, Schiffe: 
capitain ıc., geb. 1775, roidmete fein eben der Miffenfchaften und nahm Theil 
1800 an der Expedition des Capitains Baudin. Ihm verdankt die von Peron und 
Lefueur herausgeg. Beſchreib. diefer Reiſe den ſchönen Atlas, der als ein Meifters 
werk betraghtet wird. Auch fügte er einen Band nautifcher Bemerfungen hinzu, 
(S. „Voy. de decouverles aux terres austenles, 1800, 4., redige jr Poron 
et cnntinue par I. de Freycinet”, 2, Aufl., mit Atl., 2 Bde., Paris 1824.) In 
Verbindung mit H. Clement entdedte er ein neues Verfahren, um dag Seewaſſer 

trintbar zu machen, das fich fpäterhin vollfommen bewährt hat. Auf Befehl Lud- 
mwigs XVII. unternahm er ols Fregattencapitain 1817 mit der Corvette Urania, 
die den 17. Sept. von Toulon abfegelte, eine Entdectungsreife im Sudmeere, von 
welcher er am 13. Nov. 1820 in Havre mieder ankam. Er blieb auf Teneriffa 6 
Tage, in Rio: Jansiro 2 Monate, auf Ysle:de: France 10 Wochen, in der von 
ihm fchon früher mit Baudin befuchten Seehundbai 14 Tage; in Touyang, dem 
Hauptorte der bolländ. NMiederlaffungen auf Timor, 3 Wochen; in Diely, dem 
Hauptorte des portug. Antheils von Timor, 4 Wochen; bei der Inſel Ramad in 
Heuguinea, unter dem Aquator, 3 Wochen; bei den Marianen faft 3 Monate; 
bei den Sandwichinſeln 3 Wochen und in Port Jackſon (Neuſudwales) 3 Monnte, 
Die Urania fegelte von hier den 25. Dec. 1819 big 59° S. B. und nach dem Feuer: 
lande, wo fie den 7. Febr. 1820 in der Bat du bon succes landete, von einem | 

Sturm aber in die hohe See geworfen wurde und bei den Malvinen in der Bnie 
fraucaise_den 13. Febr, Sciffbrud lite; doch war man fo glüdlich, Alles, wos 
man am Bord hatte, zu retten, Die Erpedition verließ diefe Einöde den 27. April 
1820 auf einem amerifanifchen Schiffe, welches der Zufall dahin geführt hatte. 
Ep. F. Faufte nämlich diefes Schiff, dag er La Physicienne nannte, um f. Ent 
deckungsreiſe fortzufegen, Er verweilte hierauf im La⸗Plata⸗Etrome einen, und zu 

Rio⸗Janeiro 3 Monate. Nach feiner Küdfehr wurde er, wie es der Gebrauch if, 
\ 4 


— 


Freygang Freyre 39 
wegen erlittenen Schiffbruchs vor ein —— geſtellt, allein auf das ehren⸗ 
vollſte losgeſprochen. Den Hauptzwegt feiner Reife, Beobachtungen anzuſtellen, die 
geeignet waͤren, die Geſtalt der Erde und die Sintenfität der magnetifchen Kraft in 
der füdlichen Hemifphäre zu beftimmen, womit er hydrograpbifche Aufnahmen, 
meteorologifche Beobachtungen, Drtsbeftimmungen-und naturhiftorifche Samm⸗ 
lungen verband, hat er auf eine Art erreicht,. dis ihm eine ehrenvolle Stelle in der 
Sefchichte der Natursoiffenfchaft zufichert. Der franz. Miniſter des Innern fagt 
in der amtlichen Bekanntmachung, F. habe, während feines viermöchentlichen Auf 
enthalts am Sap, die Behauptung La Caille's nicht beftätigt gefunden, dag naͤmlich 
die füdliche Halbfugel einen größern Bogen bilde als die nördliche, Allein La Caille, 
einer der größten und denfendften Köpfe feiner Zeit, hielt ſich am Cap beinahe ein 
Halbes Fahr auf. Dagegen find die Beobachtungen des Tap. 5, über den Magne⸗ 
tismus von größerm Werthe. Sie beweifen, daß in der füdlichen Hemifpbäre eine 
. der nördlichen Halbkugel diametral entgegenlaufende Bewegung flattfindet. Die 
täglichen Schwanfungen der Magnetnadel waren innerhalb der IBendefreife fehr 
Elein, und die Inclinationen der Nadel, welche F. gemeffen hat, beflätigen vollkom⸗ 
men Die eigenthümliche Krümmung: des magnetifcehen Aquators im Südmeere, 
welche fchon aus Cook's Beobachtungen hervorzugeben ſchien. Auch wurden mit 
55 Slafchen Meerwaffer, die F. mitgebracht hatte, Derfuche angeftellt, um zu be: 
fümmen, ob das Seewaffer der füdlichen Halbkugel an Salz fpecififch ſchwerer fei 
als dag der nördlichen, Die handfehriftl. Nachrichten von der Reife des Cap. F., 
31 Quartbde., find im Secretariat der franz. Akad. niedergelegt, Daraus entſtand 
das Prachtwerf: „Voy. autoyr du monde, fait p. o. du Koi sur les Corveltes 
de S. M. l’Uranie etc. pendan les anndes 1817— 20, par M. L. de Freycinet” 
(Paris 1825 fg., 8 Bde., 4., mit 4 Atl. von 348 Kpf.), 1829 wurde 5. zum 
Souverneur von Martinique ernannt. . | 

Freygang (Wilhelm von), k.ruſſiſch. Seneralconful zu Leipzig, Sohn des 
um Rußlands Anftalten für medicinifche Polizei hochverdienten verft, Faifer!. Leib: 
arztes v. Freygang, geb, 1783 zu Petersburg, fludirte in Oöttingen 2%. Fang die 
Staatswiffenfchaften und Diplomatie unter Martens, Während diefes Aufent- 
halts fuchte er in feinen Sdeen über den Steinregen eine von ihm aufgeftellte Met: 
aung.über diefe Naturerfcheinung zu begründen, und fehrieb außer einer Nachricht 
über die Univerfität Göttingen und einigen andern, faft fimmtlich franzöfifch abge: 
‚ faßten Schriften, auch 2 kleine Luftfpiele: „Doctor Gall auf.der Reife” und „Ge: _ 

nieftreiche” (1805 u. 18061. Schon früher im diplomatifchen Sache in Rußland 
Angeftellt, trat er 1804 ins thätige Dienftleben, begleitete den Oberbefehlshaber 
des ruffifchen Heeres im Feldzuge gegen Perfien und wurde 1805 nach der Mol: 
dau und Walachei geſchickt. Nach dem Frieden von Tilfit ward er Geſandtſchafts 
ferretair in Wien, und. fand in gleicher Eigenfchaft auf kurze Zeit in Paris, Er 
ward 1811 nach Georgien gefchidt, und 1812 nach Perfien, wo er zu Tauris die 
Unterbandlungen, die Grundlage zu dem bald nachher erfolgten Friedenefchluffe, 
abſchloß. Seine Gemahlin, geb, Friederike v. Koudriaffsky, die während feines 
2jährigen Aufenthalts im Drient an feiner Seite war, gab 1816 in franz Sprache 
Briefe über den Raufafus und Georgien heraus, welchen er felbft tinen Bericht 
über feinen Aufenthalt in Perfien anhaͤngte. (Deutfch zu Hamburg 1816.) Nach 
„feiner Ruckkehr aus Perfien wurde Hr. v. F. bei der Sefandtfchaft am niederlin: 
difchen Hofe angeftellt, wo er 6 Jahre blieb, bis er in feine gegenwärtigen Dienft: 
perhaͤltniſſe kam. | . 
GFrieyre (D. Manuel), geb, um 1765 zu Oſuña in Andaluſien, erprobte 
im Porenäenkrieg als junger Dfficier feinen Myth. 1798 war er Major im Reg. 
fvan. Hufaren, und der Unabhängigkeitskrieg fand ihn 1808 als Obriftlieutenant. 
Im folg. J. befehligte er fein Regiment als Obriſt unter Abudin. Er wurde Bri- 


x 


» 


3,2 Fricdenegerichte 


gabier und comsmanbirte die Reiterei der Armee des Generals Blake. Die Fran⸗ 
iofen auf allen Panften umabläffig urdiend, verfolgte er die Divfinn Sstinean vom 
Gibraltar bis an Die There von ia und fügte ihr fo vielfaltiaen Schalen pa, 
daß ber ‚ um Denaparte'’s Zorne zu entzehen, ſich erſchoß. F. wurde 
Marſchall de Sampo, übernahm 1811 tas TSommante über das trirte Armeecorps 
und vertringte die Franzoſen as tem Kenigreiche Granada. Murth ımd Klug 
heit zeigte er insbefondere in ter Schlacht von Dcanma. Den 30. und 31. Aug. 
1813 trug er durch feine Manseusres viel zur Begnahme von San-Sebaſtian bei. 
©r wurde Senerallieutenant und erhielt 1818 des Siroffreg des Militeirorteng 
vom beil. Ferdinand. Nach der Entlaffung tes Generals Ballefieres wurte ihm 
das Rriresninifterimm an . 


. Empörungen 

fel Leon von der Landfeite eingefchloffen und ten Gieneraf Riege in die Gebirge von 
Ronda hatte verfolgen laffen, erfchienen am 1. Dir; Abgeortnete bei ibm in Puer⸗ 
10-Zanta-Maria, die auf Andringen vieler See⸗ und Artillerieofiijiere in Cadix 
die Berfüntigung der Eonftitution begehrten. Am 9. kam 5. ſelbſt nach Satiz, 
und durch den dortigen Stand der Dinge, wie durch den Anzug des Gienerals Gra⸗ 
fen von Abisbal getringt, verfprach er, daß des andern Tages die Sonilitution pro⸗ 
damirt werden follte, Er halte, fo fchrieb er an den König, dieſe Neuerung für 
nöthig, um einem Bürgerfriege vorzubeugen, um fo mehr, als Graf Abisbal um 
Anzıze fei, der auf die gven Cadix großen Emfluß habe. Als er aber am 
andern Tage nad) Cadix fam, um der Feierlichkeit beizuwohnen. hatte jene« Blus 
bad statt, über deffen Beranlaffung noch ein Schleier liegt. Raum war die Ord⸗ 
mung bergejtellt, fe kamen bie Officiere der Befakung zu ihm und verlangten die 
ftung der Artillerieofficiere, deren politifche Geſinnungen verdachtia wun, 
5. erfüllte ihr Geſuch, weil er dies für das einzige Mittel hielt, Die Perferen der 
Letztern in Sich:rheit zu bringen. Auch ließ er tie Bataillons, welche jenes Blut⸗ 
bat angerichtet, aus Cadix abziehen. Am 14. erhielt er endlich die fonigl. Derrete 
vom 71. März worauf die Conſtitution in Tadirx verfündigt und befehmeren wurde. 
Einige Tage fpäter ward ihm der Oberbefehl aerommen, und er felbft verhaftet, 
mil man ihn für den Urheber des catirer Blutbades erflürte. (Vgl. „Deſeusio 

del Geueral D, Manuel Freyre”, Madrid 1820.) 
Friedensgeriähte. I. Wie tief das Inſtitut der Friedentrichter in 
das ganze öffentliche Leben der Engländer eingreift und wie wodlthatig Laffelbe eben⸗ 
ſowol für die öffentliche Ordnung als für die gefegliche Freiheit des Bolfs wirft, fagt 
der Art. England. Sen Hauptcharafter befteht darin, daß eine große Zahl von 
Beamten durch das ganze Land vertheilt iſt, welche zwar von dem Könige, aber 
vermöge ter befondern Berbältniffe auf eine foldye Weife angeftellt werden, daß kei⸗ 
ner von ihnen in Berfuchung ift, die offentliche Gewalt zu migbrauchen oder über 
die verfaffungsmäßigen Schranfen auszıtehnen. Ss iſt ein durchaus freiwilliger 
Dienft, weil esein Ehrenpunkt ift, fich in die allgemeine Sriedenscommiffion, das 
iedensrichterliche Patent, der Grafſchaft aufnehmen zu laffen, zur wirflühen 
bernahme des Amtes aber Niemand verpflichtet ıft, und daher nur Diejenigen, 
weiche einen Beruf dazu mit der nöthigen Sußern Unabhängigkeit (denn es iſt zu: 
gleich ohne Befoldung) verbinten. Iſt man in einem Bezirke mit den Friedensridy: 
tern unzufrieden, fo wird leicht ein andrer dazu vermocht, diefen Dienſt gleichfalls 


Sriedensgerichte | | 303 


zu hbernehmen, und die Buͤrger ſind alſo immer gegen die Launen, die Nachläffigs 
‚Leit, die Herrfchfucht und andre Schwaächen der untern Beamten gefchüßt, welche 
Bei einer andern Einrichtung, mo für einen beftimmten Bezirk nur ein Beamter vom 
Staate beftellt wird, ebenfo ſchwer zu vermeiden find, als den Unterthanen drüdend 


werden fonnen, Syn vierteljährlichen Verſammlungen bilden die Friedensrichter ei⸗ 


ner Grafſchaft zu gleicher Zeit dag Eriminalgericht der Grafſchaft für. die geringern 
Etraffülle, die obere Polizeibehörde und Appellationsinftanz bei Beſchwerden über 
einzelne Friedensrichter (mobei die Muͤndlichkeit und Dffentlichfeit der. Verhandlun⸗ 

en die Entfcheidung nicht nur befchleunigt, fondern auch jede Beugung der Wahr: 
Beie und des Rechts verhütet, kurz auch bier allen Beamten: und Collegiafteapntig: 
mus verhindert), dag Gericht für Befchwerben in Steuerfachen, und die Admini⸗ 
firatiobehörde der Sraffchaftsgemeinde. So tragen die Friedensrichter unendlich 
Biel bei, in die Juſtiz⸗ und Polizeiverwaltung Einfachheit, Kraft und Geſetzlichkeit 
‘zu bringen, und bas Band zwifchen Regierung und Unterthanen, indem die Ber: 
anlaffungen des gegenfeitigen Mißtraueng entfernt werden, ungefchrwächt zu erhal 
ten. Unter allen Anflituten Englands verdient keins ſowie diefes zur Nachahmung 
empfohlen zu werden: ein Urtheil, welches Lingft von bewährten Staatsmännern 
(die meifterhafte Darftellung des königl. preuß. Oberpräfidenten v. Vinke) ausge 
forochen morden if. 11.'Die franzöfifchen Friedensgerichte haben mit dem 
engl. Inſtitut kaum mehr als den Namen gemein, obwol die Nationalverſammlung 
bei ihrem berühmten Gefeß über die neue Serichtsverfaffung Frankreichs vom 24. 
Aug. 1790, roelches im Weſentlichen noch heute befteht, offenbar ein genaugres 
Anfchliegen an die engl. Berfaffung beabfichtigte. Damals ward Frankreich bekannt⸗ 
Lich in Departements, diefe wurden in Diftricte (nachher Arrondiffements), und diefe 
in Santong getheilt, um die ehemalige Sonderung der Provinzen, Amter und 
Herrſchaften zu verwifchen. In jedem Canton follte, flat der aufgehobenen Patri⸗ 
monialgerichte, von den fimmtlichen activen Bürgern ein riedengrichter, mit ei: 
nigen Affefforen (als Taratoren, prud’homnics) immer auf zwei Jahre gewaͤhlt wer⸗ 
den. Sein Sefchäft follte in richterlicherEntfcheidung perfonlicher‘ Sachen bis zu 
A00 Livres (bis auf 50 Livres ohne Appellation) der Befißflreitigkeiten, Verbalin⸗ 
furien, in Vergleichsverhandlungen und Leitung der Bormundfchaft beftehen. Die 
Sompetenz der Friedengrichter wurde nachher auch auf geringe Polizeivergehen aus⸗ 
gedehnt. Die Wahl derfelben blieb bis zur Reſtauration; aber in der Confularcon- 
flitution vom 3. VII. (Dec. 1799) ward die Amtsführung der Friedensrichter auf 


+ 


3 Sabre, und 1802 auf 10 Fahre ausgedehnt. Nach der Charte constitnlion- 


nelle von 1814 werden auch die Friedengrichter vom Könige auf Lebenszeit beftellt. 
Da die Mittelzahl der Volksmenge eines Cantons 10,000 Seelen ift, fo ftehen die 
Friedensrichter ziemlich den Amtleuten in denjenigen deutfchen Ländern gleich; in 
soelchen fie nieder große Amtsbezirke noch allzu reichlighe Befoldungen haben. Alle 
einigermaßen verwickelte Proceffe (mas über 100 Sr. beträgt, ferner alle Streitig⸗ 
£eiten über die Echtheit der Urkunden, inscriptions en faux) find an die Kreisge⸗ 
richte (tribunaux de premiere instance) gewieſen, von welchen die Appellationen an 
die Hofgerichte (cours d'appel) gehen, Diele Sefchäfte, welche unfere Amtleute 
zu beforgen haben, 3. B. das Hypothekenweſen, Steuerfachen, Gemeindeverwal⸗ 


"tung u. ſ. w., gehen den franz. Friedensrichter-nichts an. So mird es möglich, daß . 


er mit einer unbedeutenden Beſoldung fee Sefchäfte ohne übermäßige Anftrengung 
verficht, und ohne tiefe juridifche Kenntniffe feinem Amte wohl vorfteht. Durch die 
Aufhebung aller Eremtionen von der Gerichtsbarkeit wird fein Amtsanſehen dennoch 
‚ Binreichend aufrecht gehalten, und fo ift der franz, Friedengrichter zwar lange nicht 
Das, was ber englifche it, aber dennoch hat auch diefer gerichtliche Organismus 
feine fehr vorcheilhafte Seite. S. Biret's „Recueil gencrab et raisonnd de la 
jurisprudence et dos attributions des justices de paix de France” (2 Thle, 


— 


3 Friedeneiſchiuß 
Paris 1819) uub Earei: „Le droit francais expliqgue dans ses rapports avec la 
jeridiction des jages de pass” (Paris 1829, 4 ). 
Friedensſchlunß. Zurckhen zwea kriegführenden Machten thut autwe: 
Der eine der ſtreitenden Parteien eter eine neutrale Macht den erſten Antrag zur Her⸗ 
Richhung des Friedens So werden denn auch die Arıetensunterbantlungen 
cutweder unmittelbar zuifchen den Eriegführenten Möchten oder mu:cibar durch 
einen dritten Otaat eröffnet, der wieder entweter mar feine geten T’urnfür verwen⸗ 


ie Fu ſelbũ & Friedens⸗ 

* ꝓſanmmen, fo entſteht ein Friedenccongreß. (S. Congreſſe.) 
Die befehäftigen ſich entwweder erfi mit einem ‘Prälunmarfrietensver: 
frage oder arbeiten fogleich am Defmitivfrie densſchluß. jenen darf man nicht 
verwechfeln mit ben Zriedenspräliminarien, in welchen über ten Ort ter Friedens: 
unterbantlung, über die Art, wie der Friede gefchloffen, wer dabei zugelaifen oder 
ausgefchloffen, wer die Vermittlung oder Bürgfchaft übernehmen, welchen Charak⸗ 
ser die Bevollmächtigten haben, welches Eeremoniel befolgt werten fol, verhantelt 
wird, Ebenſo wenig darf man die Präliminarconvention (vorläufige Übereinkunft) 
Bamit vermechſeln, in welcher über einen Puntt verhandelt wirt, ohne deſſen Zuge: 
ſtehung fi ein Theil in gar feine Unterhandlungen einlaffen will. Der Prälimi: 
narfriedensvertrag bat es dagegen mit ten Hauptpunften zu thun und Lift vor der 
Hand minder wichtige Nebenpuntte, über die man fich nachher noıy zu vergleichen 
—* unerörtert. Solche Friedensinſtrumente haben bisweilen nur die Form einer 
etation, bisweilen aber Die eines wirklichen Definitivvertrags, werten aber übri- 
gens in beiden Fällen wie der Friede unterzeichnet und ratificirt, worauf fie, wenn 
nicht nachher ein Andres ausdrüdlich ausgemacht wird, vollig verbindende Kraft 
ben, Der Definitivfriedensfchluß,_ d. i. der Alles zur Entfcheitung bringende, 
ttigt nachher alle ftreitigen Punkte. Die allgemeine Form eines folchen iſt dieſe: 
Nah Anrufung des göttlichen Namens fommt die Beranlaffung zu dem Verträge, 
Erwähnung der Geſandten und ihrer Bollmachten, dann die allgemeinen Artikel, 
als Wiederherſtellung des Friedens und der Freundſchaft, Einftellung der Feindfelig- 
feiten, Berülfichtigung der Eontributionen, Gefangenen, Amneftie u. ſ. w. Nun 
erſt folgen die befondern und eigentlichen Hauptartifel des Friedens , -bei denen ge 
meiniglich der Punkt des Beſitzſtandes der fchroierigfte war, wenn nicht ein fiegens 
der Feind in feiner Gewalt hatte, den Frieden vorzufchreiben. Zeit: und Ortsbe: 
flimmungsn der Auswechſelung der Ratificationen und Unterzeichnungen machen 
den Beſchluß. Liber diefe Linterzeichnung gab es ehedem viele Schwierigkeiten, in⸗ 
dem Bein Theil der hintenangefeßte feheinen mochte. Jetzt hat man verfihiedene 
w dieſen Schwierigkeiten auszweichen: 4) die Alternation, mo jede unterzeich⸗ 
nende Macht die andre, an welche das Inſtrument ausgeſtellt wird, obenan ſtellt, 
oder 2) Proteſtationen von der einen, Reverſe von der andern Seite, welche beide 
beabfichtigen. zu verhindern, daß in künftigen Fällen der jegige nicht als Kegel 
gelten ſolle. Unterzeichnung, Befiegelung und Auswechſelung der Ratificationen 
aefachen übrigens bald in der Stille, bald mit Feierlichfeit. Angehängt find dem 
riedensfchluffe bigweilen noch befondere Artikel, entroeder öffentliche oder geheime. 
Manche enthalten Hauptpunfte, die aufden Frieden und deſſen Vollziehung felbft 
Begug haben; andre find ein bloßer Worbebalt, wegen gebrauchter Titel, Sprache 
u. ſ. w. So bat man fonft z. B., feitdem die frangöfifche Sprache (feit 1614) zu 
Briedensfchlüffen gebraucht wurde, in den Verträgen, an welchen Frankreich An⸗ 
theil nahm, fich verwahrt, daß hieraus für die Zukunft keine Schuldigkeit gefolgert 
werden folle. Iſt nun der Sriedengfchluß unterzeichnet, von den Souverainen in 
eigenhändig unterzeichneten Urkunden ratificirt, d. i. genehmigt, und find die Rati⸗ 


e 
s 


D X 


— 


guacaſcuiſſegeiedlande ciacht he) 208 


ficationen ausgewichgeleiroorden, fü bleibt nur noch der leichte Punkt der Bekannt 
machung und deh ſchwere der Vollziehung aͤbrig. Sin dem lehtern hat ſchon oft der 
Keim zu neuen Kriegen gelegen. Sammlungen von Friedensſchluͤſſen (di. Frier 
densvertraͤgen) fmd eine Hauptquelle für-die petitifche Geſchichte der Staaten. S. 
die kritiſche liberſitht dieſer Sammlungen in v. Dlurtens’s „Discatirs sur les re- 
oueils de traĩtes vor Wit „Suppläment au redweil de traltés“, Vol. I 
‚$riedensfchLlüffe dernenerm:eit, ſ. die einzelnen Art. 
Friedland, Kreisſt. mit 2100 Einw. im sflpreufl. Regierungsbezirk K6- 
aigsberg. Hier gewann Mapoleon am 14. Juni 480% eine entſcheidende Schlacht 
egen die Ruſſen uͤnter Benningſen. Obgleich die ruſſiſche Armee die feindlichen 
Frontatangriffe in der befoftigten Stellung bei Heilsberg‘ (10. Jumi) mit Verluſt 
abgemiefen hatte ‚. mußterfe-fich doch in den folg. Tagen, da der Feind ein ſtarkes 
Cotos inihre rechte Flasbeiund gegen Königsberg ſchickte, in die Gegend von Frieds 
land. zuräcdzieben. » Dchon am 14. fruh um 2 Uhr begann ein Gefecht der Bor: 
‚uuppen mit einem Theile deu Corps von Lannes, welches, ztoifihen Heinrichsdorf, 
Mefthenen und dem fortladler Walde aufgeflefle, Die Straße nach Königsberg deckte. 
Daffeibe: wührte ziemlich unentfchieden bis früh B Uhr, we die erften Abtheilungen 
des rüffifchen Hauptheers anlangter und über die fleinerne Brüde in der Stadt, for 
wie über zwei ober : und.unterhalb derfekben gifchlagene Pontonsbrüden "auf. das 
Inte Ufer der Aller uͤbergingen. Das ruffifche Heer, nach Sbgug aller Detafchi- 
rungen ungefähr 87000 M. ftarf (7 Divifionen), ftellte fich in 2 Treffen, voelche, 
:in einen umgebenden Bogen:geftellt, die Aller im Rucken hatzen; der rechte Fluͤ⸗ 
gel lehnte fich beim demerauer Holze an diefen Fluß; er befland aus 4 Divifionen 
und dem größten Dheile der Savalerie; der von ? Divifionen gebifdere linke, Durch 
das Mühlenfließ von jenem getrennt, hatte den fortladter Wald links vor fich u 
ftieß ebenfalls an die Aller; er hatte alle Jaͤgerregimenter gegen diefen Wald abge: 
ſchickt; eine Divifion endlich ftand in Bataillonsabtheilungen als Ruͤckhalt auf dem 
rechtenidltlerufer. Die Schlachtordnung des erſten Treffens war fü, daß 2 Ba⸗ 
taillone jeder Kegimansssin Linie, mit dem dritten dahinter in Colonne flanden, da 
Hanze zweite Tr wur in Bataillonscolonnen formirt. Don dem «franz. Heere 
‚trhf, wahrend der Girteiturig Des Gefechts, das Yarines’fche Corps vollends, dann 
um‘ Leber fruh das von Mortier, um 9 Uhr Napoleon mit dem Ney’fchen und der 
Gardecasalerie, Has erfie Corps, unter Victor, nebft der Sardeinfanterie Nach⸗ 
‚mittags 3 Uhr auf dem Wahlplatze ein; es erreichte dadurch zuleßt eine Stärke von 
ungefaͤhr AWB,000. M. Bon-5 Uhr des Morgens an ward ohne entfeheidenden Ers 
fclg auf dem linken Fluͤgel in dem fortladler Walde gekämpft, in dem fich beide 
Theile hielten Lannes bildete den linken, Mey den rechter Flügel der franz. Armee), 
auch machte die Cavalerie diefes, ſowie die des rechten Flügels (bei Heinrichsborf) 
nrebre glüdliche Angriffe, und die ganze Linie rüdte in die Richtung von Poſthenen 
‚angefähr 3 Stunden weit vor, Es wäre jegt Leicht geweſen, das Lannes'ſche Corps, 
welches nur durch die allmälig antommenden Truppen unterflüßt.marb, zurückzuwer⸗ 
fen, fich des Waldes bei Pofthenen und der Dadurch laufenden Straße zu bemächti: 
gen und fo das Entwideln bes feindlichen Heers zu verhindern, es vielleicht einzeln 
zu fchlagen. Aber unbegreiflicherweife Fegnügte fich Benningſen mit den errungenen 
unbeträchtlichen Vortheilen, ließ fich durch eine Ranonade und Tirailleurgefechte hin: 
halten und fah zu, wie fih das feindliche Heer immer mehr verſtaͤrkte. Diefes _ 
ging nach der Ankunft des legten Corps bald zum vollkommenſten Angriff über, 
rädte in der Fronte vor, während Rey (Abends 6 Uhr) den fortlader Wald durch 
leichte Truppen reinigen lieg und am Rande deffelben in flarfen Maſſen in die 
linke Flanke der Ruffen og. Obgleich non diefen mehre Angriffe gemacht rourden, 
drang er doch immer meiter„und fie maren bereits in ihre frühere Stellung zurüd: 
gewiefen, als en auf der Hohe links von Friedland eine Batterie von 40 Kanonen 


| 
| 


imdlichen; es hat:e außerdem 16 Kanonen erobert. Am 21. word der Ballen: 
ſtillſtand gefchloffen,, dem der Friede von Tilfit folgte. 
Zriedland, Fabrikſtadt mit 2300 Timm. und Herrfchaft in Böhmen, im 
er reife, an der Grenze der Dberlaufiß und Schleſiens, mit emen Schloſſe 
N. Wallenſtein kaufte 1622 tiefe Herrfchaft und wurde noch in demf. J. vom 
ifer zum Herzog von Friedland erhoben. Nah £ Tote tel Die Herrfchaft tem 
Koifer gi, der einen Grafen Sallas damit brichnte, deſfen Machkommen, die Gra⸗ 


Ef 


= 


Kriege ſich lange Zeit in deimfelben, Unter den Dentmälern, die 18% 
zeichnete fich ein treues Driginalgemäfte Maflenflein’s in Lebeusgrofe aus. Nach⸗ 
richten über diefes Schloß und Fine berühmten Beſitzer findet man in der Schrift 
von Memetſy: „Das Schloß Friedland :c., nebſt Urkunden und eigenhindigen 
Drieren tes Herzogs Wallenſtein“ Prag 1818, mit Kpim.). 
Friedlander (David), Stadtrath in Berlm, cin mit tem lebendigſt 

Sinne für das Gute, Wahre und Schöne begabter Iſraelit, Mendelsſohn's Schu: 
ler und Freund, der noch am Abend feines patriarchalıfchen Lebens aus tem uralten 
Duell ter Gottesfurcht und Wersheit, aus den heiligen Urfunten des Morgenlan: 
des, Kraft-und Liebe ju edler Wurkſankeit ſchopft, würde fchon als Menſch in der 
Achtung feines Volks und in’ dem Andenken fewer Freunde fortieben, auch menn er 
nicht Durch belehrende Schriften auf die Bildung feiner Glaubensbrüder wohlthaͤtig 
eingewirkt haͤtte. Sein Vater gründete 1739 zu Königsberg in Oſtpreußen einen 
Manufacturhandel, den er mit Fleiß, Kenntnis und Glück betrieb. Seine Red: 
lichkeit in Sefchäften war fo anerkannt, daß er bis zu feinem Tode das volle Ver⸗ 
trauen feiner Dlitbürger genoß. In Freiſtimden befchiftigte er ſich mit dem Tal: 
mud, las aber auch deutfche Bücher, vorzüglich Leſſing's und Herder’s Schriften. 
Seinen Kindern, ſechs Söhnen und einer Tochter, gab er.eine fehr gute Erziehung. 
David, der vierte Sohn, geb. 6. Dec. 1750, lernte früh jene Schriften fennen, aus 
welchen er f. Pater vorlas, und fühlte (ch, wie vielef. Slaubensgenofien, von den ge⸗ 
‚äuterten Grundfatzen, Dem Scharffinne der Gedanken und der Kraft des Ausdrucks 


— er 482 


ninwiderſtehtich angezogen. Auf feine weitere BAbung hatte ſein Freund, der har 
finnige und gelehrte Mareus Herz, nachmals Prof. und Hofrath in Berlin, großen 
Einfluß. Ohne regelmaßiges Studium erwarb ſich F. nur Durch-aufmerkfames Les 


fen die Kenntniß der Hebgüifihen, franzoſ. und deutſchen Spracho und Literatur. 


Beine ganze Zeit nahm das Gewerbe eines Kaufmanns und fpäterj!'alser Den Han- 
Bel’aufgab,' die Sorgen und Pflichten des Hausvarers und Bürgers in Anſpruch. 
Dagegen ward er Durch‘ lange ununterbrochene, innige Sreundfchaft mit Mendels⸗ 
fh und mit den Beflentifiner Zeit-fo vertrane, daß man noch jeßt in dem Sefprüiche 
mit ihm die Stimmen’ aus jener fhönen Zeit Ju vernehmen glaubt, Die ausges 
ichnerfien Manner Berlins wurdigten ihn ihren Freundſchaft, darunter Spalding, 
eller, Meitrottound Engel. Der Leptere widmete ihm die Ausgabe feiner ſamm⸗ 
lichen Schriften. In ftinem Hufe lebte D. Friedlaͤnder in glücklithen Verhalt⸗ 
niſſen. Seine 98141vorſt. Gattin, geb. Itzig, gab ihm 2 Söhne: F. Behr⸗ 
wũrdige⸗s Alter ſchmuckt: aber auch Das Merdtenft der rhätigften Liebe fürfeine Mitt: 
brader. Sowie er ſelbſt Ber Religion feiner Väter treu geblieben ift, fo glaubte er 
auch, daß die: Atvsrerfichen Tugenden in feinem Volke nicht ausflerben fünnen, 
fd lange der vernünftige Iſraelit feine Pflichterkenntniß hauptſachlich aus den Quel⸗ 
lern ıder heiligen. Urkunden und nicht allein aus Menſchenſatzungen ſchoͤpft. 3. hat 
daher mehrmals ſowol zur Vertheidigung ls zur. Belehrung feiner Miitbrüder die 
Geber ergriffen und. Altes‘, was zu ihrer religioſen und⸗ ſitelichen Bildung beitragen 
kann, mit ebenfo Viel Einſicht als Wärme befordert. Die Oefchichte feiner eignen 
geiftigen Erwedung bat er in feinem „Sendfcpreiben an Teller‘ (Berlin 1799) er: 
zähle: eine Schrift, die Damals eine Menge Segenfchriften veranlaßte. Auch als 
Aſſeſſor des: Eonigl. Manufactur und Commerjcollegiums hat D. Friedländer durch 
einige Schriften.mdnches Gute gewirkt. Durch die Wahl feiner Mitbürger wurde 
& Studtrath in Berlm, rüber war er Seneraldeputirter ſaͤmmtlicher Judenſchaf⸗ 
tenran den preuß. Staaten, und die „Actenftüde, die Reform der jüdifchen Solo: 
nien in den preuß. Staaten betreffend“ (Berlin 17198) find ganz aus feiner' Feder 
geflöffen. Als ltefter der Judenſchaft zu Berlin, 180612, winkte er für fie 
das. Bürgerrecht aud.  - Damals machte er feine Gedanken über die bürch die neue 
Drganifarion der Judenſchaften in den preuß. Stäaten nothwendig gewordene Um⸗ 
bildung ihres Gottesdienſtes in den Synagogen, ihrer Unterrichtsanftalten und des 
ren Rebrgegenflände und ihres Erziehungswefens überhaupt (Berlin 1812) durch 
ben Druck befarınt, Huch gab er „Reden, der Erbauung gebildeter Iſraeliten 
gewidmet“ 1815 und 1817 heraus. Seine Schrift: „Uber die Derbefferung der 
Iſraeliten im Königreich Polen“ (Berlin 1819) enthält fehr — or⸗ 
ſchlaͤge, Unter feinen frühern Schriften iſt feine überſetzung des Predigers Sal 
zu bemerken, die er, nebſt einer Abhandlung über den beſten Gebrauch der heil. 
Schrift in püdagog. Hinſicht, zu Berlin 1788 herausgab. Mehre Aufſatze won ihm 
flehen in der Zeitfchrift „Jedidja”; man fchägt feine „Proben einer Überfeßung ein: 
zelner Abfchnitte aus dem Jeſaias und Hiob‘ (Berlin 1821). Zur Vertheidigung 
feiner Stammgenoffen gegen leichtſinnig hingeworfene Behauptungen erfchien fein 
„Beitrag zur Sefchichte der Berfolgung der Anden im 19. Jahrh. durch Schrift: - 
fleller’’ in dee Form eines Sendfchreibens an Frau Elifa von der Nede, geb. Grä⸗ 
‚fin von Medem (Berlin. 1820). Seine neuefie, vom Prof. Krug (Leipzig 1823) 
Gerausgeg. Schrift: „An dieMerehrer, Freunde und Schüler Jerufalem’s, Spal- 
ding’s, Zeller’s, Herder’s und Löffler’s” , wurde durch die in Berlin entflandene 
„Befellfchafe zur Beförderung des Chriftenthums unter den Juden“ veranlaft. Sie 
enthaht helle Blicke in das Weſen. der religiofen Überzeugung und treffliche Bemer⸗ 
ungen über die mahre Ausbildung feiner Slaubensgenoffen. C. Bardua bat fein 
Bildniß auf Stein gezeichnet (Berlin 1822). DE 20. 
—Friedlaändaer (Michel), Arzt, geb. zu Khnigsberg 1769, gab in feiner 


n 2 \ 


0m - 


Friechrich L, der Rothbart 


ss 

gen) Verauloſſung zu dem erfien hebraiſchen Journale: „Der Cismutier”. Er 
Audirte in feiner Baterfladt ınıter Kant, Krauſe, Echulj, Sagen ıc., —— 
in Berlin, Gottingen und Halle, wo er 1791 die Decterwürde bekam. Er machte 
dann 3 “Jahre lang eine Reife durch Holland, England, “Drutfchland, — 
die Schweiz, um die Hoſpitoͤler zu ſehen. Ja Ber ı Berliner Menatsfhrift” und 
andern Journalen theilte er wiffenfchaftliche Nachrichten mit. 1799 mar ereiner 
en ber hetode meint —— Seit 1800 lebee er 


— —— —— — 
Manches ſchopfen konnten. Die parifer medicin. Zeitſchriſten bekamen durch ihn 
Anszüge und Nachrichten von den vorzüglichfien Männern und Werken Deutſch⸗ 
lands, fowie er für Hufeland’s und a. medciniſche Joerunale das Wichtigſte aus 
Tranfreich fammelte. Er lieferte auch Beiträge im dem. „Journal de enucation 
par Guizot“ ınd gab 1815 fein Werk „De l’cducation pbysigae de i’borame“ 
heraus (überfeßt, Leipzig 1819), Das „Dictionnsire.des sciences mödicales“ 
enthält mehre Artikel von Im, u.a. Mortalite, kwrese. Sestiquemedicale, 
die er mit befonderer Sor —— — ar farb m — 

48% und binserließ eine der Armenanflalten und ber Gefängniffe im 


land. 

Friedrich I, der Rothbart, Sohn Herzog Friedrichs vn Schwa⸗ 
ben, und feit 1147 Herzog von Schwaben, geb. 1121, erhielt nach dem Tode 
Kaifer Konrads Ill, feines Dheims, 1152 diekaiferliche Krone. Er war der zweite 
deutfche Kaifer aus dem Haufe der Hobenflaufen und emer der maͤchtigſten und 
einfichtsuoßften Herrſcher Deutfchlants. Er befriegte mit Gluck den polnifchen 
König Boleslav 1151, und erhob Böhmen zu einem. Konigreiche. Sein Hau: 
—— war auf Italien gerichtet, um feine Macht daſelbſt zu erweitern und zu 

befefligen. Er mußte dahin 6 Züge unternehmen, um die aufrũhreriſchen Citapte 
. ter Lombardei, die durch Handel und Kunftfleiß reich und mächtig, aber andy frei: 
beitsfiolz geworden waren, zu gichtigen. Die Statt Malland befonders batte 
feinen Befehlen fich reiderfeßt und fich verſchiedene Städte unterworfen. Der Rai: 
fer zwang fie nach einer harmädigen Öegenmwehr (1158) zur Übergabe. Als fie zum 
zweiten Male fich gegen ihn empörte, wurte fie (1162) wieder erobert, und, mit 
eder Kirchen und Klöfter, auch einiger Vorfisdte und eines dem Seifer 
Otto zu Ehren erbauten Throns, zerflort. Brescia und Piaeenza mußtenibre fer 
- fin Mauern niederreißen, die übrigen Städte, die an den Unruhen Theil genom 
men hatten , verloren ihre Rechte und Freiheiten. Aber Alexander * der 
ſich nach Frantreic hatte flüchten muſſen, ſprach 1168 den Bann wider den Kat 
fer aus. Die Städte der Lombardei fchloffen einen republifanifchen Bund; tie 
Mailänder bauten ihre Stadt wieder auf und erfochten 1176 dei@remona(2egmane) 


einen Sieg über das faiferl. Heer, ber den Maffenfiillftend jr Denedig 


dem Kaiſer, dem Papſt Alexander 111. und den lombardiſchen Staͤdten (1177) und 
ben fonflanzer Frieden 1183 zur Solge hatte. Die Städte behielten ihre felbflän: 

ige Bermaltung und erfannten die Eaiferlihe Hoheit an. In Deutſchland hatte 
—* Lübeck und Regensburg zu Reichsflädten (vgl. d.) erflärt und dadurch 
den Grund zu einem Mittelſtande zwifchen dem Kaifer und den ‚deutfchen Fürſten 
gelegt, wodurch die kaiferl. Macht vergrößert und der Bürgerfiand gehöben werden 
Eonnte. Durch die Trennung der Herzogthuͤmer Baiern und Socken (it 180), weiche 
Heinrich der Lowe zufammen befeffen, wurde Friedrich zwar ebenfalls mächtiger; 


allein die beiden ſchon unter ſ. Vorgänger entſtandenen Partcien der Welfen und . 


- 


Ä . Friebrich IL, der Hohenflaufe 399 


der Sibellinen (f. d.) wurden dadurch nur mehr gegen einander erbittert. Auf 
die Nachricht, daß Saladin den Chriften Jeruſalem (1187) wieder entriffen abe, und 
auf die Ermahnungen des Papſtes, unternahm Friedrich 1189 mit 150,000 M. 
ohne viele taufend Sreimwillige zu rechnen, den 4. Kreuzzug, vor deffen Antritt ein 
Landfriede in Deutfhland zu Stande kam. Der griechifche Kaifer zu Konftanti- 
nopel hatte fich mit Saladin und dem Sultan von Iconium insgeheim verbunden 
und fuchte den Marſch der Deutfchen zu hindern. Aber Friedrich bahnte fi glück⸗ 
lich einen Weg nach Afien, erhielt 2 Siege über die Türken bei Iconium, drang 
in Syrien ein und flarb mitten unter glüdlichen Erfolgen am 10. uni 1190 bei 
Seleucia in Syrien, nachdem er durch den Kalykadnus mit dem Pferde Hatte 
ſchwimmen wollen. Friedrich war ein tapferer, freigebiger, in Gluͤck und Unglück 
gleich ſtandhafter Fürft, und diefe großen Eigenſchaften bededten den Stolz und 
die Herrfchfucht , Die allerdings die Haupttriebfedern feiner Handlungen waren, Er 
batte ein bewunderungsmürdiges Sedichtniß und befaß für fein Zeitalter unge: 
wohnliche Kenntniffe. Er ſchaͤtzte die Gelehrten, befonders die Geſchichtſchreiber, 
aus deren Werken er die Hohe Idee von einem Kaifer fchöpfte, die er durch feine 
Regierung zu verwirklichen ſtrebte. einen Vetter, den Bifchof Otto zu Freifine 
gen, ernannte er zu feinem Geſchichtſchreiber, und feine Liebezur Baukunſt bezeus, 
en noch jegt die merfwürdigen Ruinen des von ihm erbauten Reichspalaſtes in 
Inhaufen in der Wetteran. („Kaifer Friedrichs 1. Barbaroffa Palaft in der 
Burg zu Selnhaufen“, von Bernh. Huntshagen, Mainz 1819, Fol.) Er war 
von edelm und majeflitifchem Anfehen, und, troß feiner Streitigkeiten mit den ' 
Papſten, ein aufrichtigerer Anhänger der Religion als Diejenigen, die ſich ihrermur' 
zur Erreichung andrer Abfichten zu bedienen fuchten. Nach des Kaifers Tode konnte 
die Abficht tes Kreuzzugs nicht mehr erreicht werden; fein heidenmüthiger Sohn, 
Herzog Friedrich von Schwaben, der den Dberbefehl übernommen hatte und den 


deutſchen Orden fliftete, ward von einer peflartigen Krankheit bingerafft, 1191, 


und von dem mächtigen Heere, das Friedrich aus Deutſchland geführt hatte, ka⸗ 
men nur wenige Trümmer urüd | 
—Friedrich H. der Hobenftaufe, Enkel des Vorigen, geb. zu Jeſi 
in der Mark Ancona den 26. Dec. 1194, Sohn des Kaifers Heinrich VI. und der 
normännifchen Conftantia (Erbtochter von Eicilien dieffeits und jenfeits des Faro). 
Rein Fürft im Mittelalter, etwa Karl ben Sr. ausgenommen, hat diefe univerfal- 
biftorifche Wichtigkeit , als Friedrich II., Wenigen wurde eine fo ausgezeichnete 
Yndividualität, eine folche Kette der merfmürdigften Schickſale und eine fo eigen- 
thümliche Stellung nach Ort und Zeit zu Theil. Die merkwürdigſte Zeit des Mit⸗ 
telalters knũpft fih an feinen Namen und an feine lange Regierung, von 1209 — 
Es wer die Zeit, mo durch Innocenz III., Gregor IX. und Innocenz IV., 
Oregor’s VII, Syſtem der Hierarchie auf einen faft für unmöglich gehaltenen Grad 
gefteldert wurde : wo in deim Entſtehen der Ritterorden (um Kampf gegen die Un⸗ 
gläubigen und zur Territorialerweiterung des päpftl, Machtgebietes) fo gut wie in 
der Stiftung der Bettelorden und der Inquiſition furchtbare Saͤulen und Süßen 
jenes geiſtl. —* aufgerichfet wurden; 100 die europ. Menfchheit durch die Kreug 
jüge zum erften Male von einer allgemeinen, im Kreuzeszeichen verfinnlichten Idee 
ergriffen und emander näher gebracht war; wo in Waldenfern und Albigenfern bes . 
veits, nachdem ſchon mancher Einzelne ohnmächtig, doch unvergeffen laut geworden 
War, ein Proteflantismus des Mittelalters laut wurde; wo dag Nitterthum eine 
Höhere, durch Religion geadelte Stellung und planmäßige Drganifation erhielt; wo 
der freie Bürgerftand fich immer glüdlicher ausbildete und in Deutfchland von 
Friedrich gegen die Ariftofratie begunfligt, in Oberitalien von ihm als paͤpſtl. Werk⸗ 
zeug befümpft wurde, bier und dort aber in großen Sonföderationen nach Außen 
und Eorporationen nach Innen Kraft und Stüßpunft fand; wo gegen das Fauſt⸗ 


⸗ — 


"ten, mb in feinen frühefien, kaum merflichen Anfınyem as acheimme 


400 ° Friedrich IL, ver Hohenflaufe 
techt, ober das Kedit der Etirfe, zuerficin Sandfriebe in dertſcher 


H 


Feme za arbeiten ; we ie erfien Uniserlizäten den Gem̃ der Prũ 
Berfhung anregten; me der Proven- alen G’elura Kben eine Hei ir. Deutſch⸗ 
kant und Italien, und bei Kaifern un? Kenigen Edre und ÜÜbeng geimten hatte: 
im dieſer Zeit erwuchs und bantelte der arede Friedrich von Seheniiaufen! Ohne 
förperiuch groß gi fein, war Ärietrich wohlgebaut, blend, mit ſchener Stun und 
faſt antik gebildeter Naſe, Auge und Mund wild und frenndlich, em £räftiger, 
ſchnell für fi, einnchmender Mann. Der Erbe ter bejien Eigen ſchaften von Allen 
feines arofen Geſchlechts. Fähn, tapfer, freigcſinnt, mit den trefflichſten Malagen, 
voller Kenntniſſe, verfiand er ſinm. tliche Epracden feuer Unterthenen: Grie⸗ 
chiſch. Lateiniſch, Italieniſch, Dertich, Franzeſiſch und Arabiſch; dabei mar er 
fireng, felbit leidenſchaftlich raſch, wild und freigebra, mie Die Zeit es mit ſich 
brachte, vergnũgt, üppig und letenefreudig, wie die Simmimgꝗ es vergonnte. 
Und wie fein Kerper durch Fertigkeit in aller ritterlichen Kunñ vollendete Se: 
wanttheit fich zugeeignet, fo war feınem in Ir Erreheng vernachlifligten, nur 
durch fich ſelbſt gebilteten Geiſte Durch eine frühe Zchule ter Leiten eme Bieg⸗ 
famfeit des Charafrers geworden, welche tie un Purpur Geborenen fo feltın ken⸗ 
nen, und eine Cchwimsfraft, die ihn eben dann wieder erfräftigte und aufrich- 
tete, wo ein Antrer, von Schmerz und Noth erdrückt, fich ſelber verleren haben 
würde. So mu£te aber auch ter Körper wie ter Geiſt eines Mannes beſchaffen 
fein, derin dem fchen Damals gerfrittterten Deutftland eine ubvrmächtige Ariſto⸗ 
fratie, im obern Italien eine übermichtige Demofrane, im mittlern Italien eine 
abermichtige Hierarchie befimpfen un? in ſeinem fuͤdlichſten Erbitaate Die feind⸗ 
Jüchen Elemente von ſechs Velkern zu Einem Ganzen unter ſich verſobnen und durch 
innere Bande vereinigen follte, der von meltlıhen wie geiftlichen Waffen, von 
Gegenkonigen wie von Bann und Sntertict befümpft, firgreich und befiegt, 40 
jahre austauern, die Empörung reines Sobnes, die Berrütherei und Giftmi⸗ 
ſcherei des wertheften Sreuntes, ten Berluit feines Yıeblingstmtes ũberſtehen, und 
nur im leßten Augenblide feines Lebens, nicht ohne die bittere Überzeugung, einen 
ſchweren Kampf umfonfi gefimpft zu haben, die fharfgefaßten Zügel und das 
fefie Ecepter niederlegen follte. — Friedrich fiand bis 1209, mo er die Regie: 
rung des untern Italiens und Siciliens felbft übernahm, unter ter Vormund⸗ 
ſchaft des Popſtes Innocenz III. Aber ſchon die Belehnung mit Neapel und Si⸗ 
cilien, und die Krönung dee jahrigen Knaben hatte die Kaiſerin Conſtantia mit 
Aufopferung der michtigfien Kirchenrechte dem Porſte abkaufen muͤſſen. 
natenparteien, dem Kirchenoberhaupte willkommen, theilten das Land, und theil⸗ 
ten es noch, als Friedrich 1209, 15jaͤhrig, ohne Rath und Leitung, ein Scepter 
nahm, dem er weder durch Geld noch durch ein Kriegcheer oder einen Staatsrath 
Anfehen verfchaffen konnte. Die von deutfchen Fürften dem dreijährigen Kinde zu: 
gefagte deutfche Konigstrone hatte nach Heinrichs VI. Tode deifen Bruder, Her⸗ 
309 Philipp v. Schwaben, feinem Neffen nicht retten Eonnen oder wollen, aber fie 
auch im Kampfe mit Otto IV., einem welfifchen Segenfonige , zwecklos getragen, 
bis er 1208 auf der Altenburg, ter Fönigl. Pfalz von Bamberg, einer Dlörders 
Band erlag. Als aber der nun allein anerkannte Otto Dem Papfte migfällig wurde, 
der, wie in weltlichen Dingen überhaupt, fo auch im (feit 1137 dauernden) Wel⸗ 
fen- und Sibellinenfireite das Schiedsrichteramt für fich begehrte, und fich, feit 
der Hobenflaufen Herrfchaft in Neapel, in der Lombardei ein Bollwerk gegen 
De utſchland gefcharfen hatte, rief Innocenz felbft den jungen Hohenflaufen aufden 
deutfchen Thron. Nicht an tem Namen, fondern an der Sache hing feine Politik. 
Wie durch ein Wunder kam 1212 Friedrich, troß allen Nachftellungen der welft: 
fhen Partei, in Deutſchland an und wurde von der bobenflaufifchen mit offenen 


% 


Friedrich I., der Hohenflaufe 461 


Armen empfangen. Schwaben erkannte ihn als feinen gebsrenen Herjogan. Der 
tapfere, aber flolze Otto hatte Manchen fich verfeindet; ein unglüdlicher und unflus 
ger Feldzug gegen Frankreich brach feine Macht; Friedrich wurde, nachtem er firh 
zu einem Kreuzzuge verpflichtet hatte, 4215 zu Aachen gefrönt, und der bei Bouvines 
4214 befiegte Otto ftarb 1218 Halb vergeſſen in feinen’ alt-fichfifchen Erblanden. 
Der Befiß der deutfchen und fieilianifchen Kronen gab Friedrich Il. die Hoffnung, 
fich des ganzen Italiens mit der Zeit bemächtigen, die Lombardei bezwingen und 
den geiftlichen liniverfalmenarchen zur Würde des erften Bifchofs der Chriftenpeit 
berabtrüden zu können. Aber er verrechnete fich in feiner Zeit, die-feiner Anficht und 
Aufklärung noch lange nicht gewachſen war, und Borurtheile, die er beflegt, noch 
nödrte, Wenn er auch feiner Unternehmung nicht unterlag, fo Hütte er Doch 2 
Menfchenalter leben müffen, um fie zum Siele zuführen. Groß, wie der Plan 
ſelbſt, war auch feine Befonnenbeit, ihn nur langſam vorzubereiten. . Er ließ dem: 
nach 1220 feinen aͤlteſten Sohn Heinrich zum römifchen König wählen, und beguͤ⸗ 
tigte den tarüber-aufgebrachten neuen Papft Honor Ill. (feir 1216) mit der Ent - 
fhuldigung, daß dieſe Maßregel zum bevorfiehenden Kreuzzug unerläglich geweſen 
ſei, auch wolle er Sicilien nie mit dem Reiche vereinigen. Hierauf ging er, unbe⸗ 
fümmert um die von den Mailaͤndern verweigerte eiſerne Krone, nach Rom, erhielt 
(4220) die Kaiferfrönung und eilte feinen Erblanden als glorreich gefrönter Kaifer 
zu, die er faft als Flüchtling verlaffen hatte. Dort galt es, den Kreuzzug zujurüften, 
vorher aber die innern Verwirrungen des Landes auszugleichen. Allein Ras libel lag 
zu tief in der ganzen Verfaffung, bing felbft zu fehr mit den päpftlichen Norrechten 
im Lande zufammen, als daß nicht Honorius gleich fehr darüber wie über den verjö: 
gerten Kreuzzug hätte murren ſollen. Doch ging Friedrich auch gern in des edeln ' 
Deutfehordensmeifters Hermannv. Salza Vorfchlag ein, fich mit Jolanta, Tochter 
des Titularfonigs von Serufalem, Johann v. Brienne, zu vermählen und feines 
Schwiegervaters Titel anzunehmen. Selbſt der Papſt geftand nun Auffchub zu, 
der Friedrichs Erbianden herrliche Fruͤchte brachte, So unduldſam diefer aegen Ketzer 
im Reiche fein mußte, fo ſchwere Edicte er gegen fie verhängte, deren Kinder, wenn 
fie nicht etwa ihre Altern anzeigten, er fogar bie ing zweite Geſchlecht aller Ämter 
und Ehren für unfähig erklärte, fo ſchonend verfeßte er, mit freier Glaubensubung, 
feine Araber von Sicilien nad) Unteritalien und fehuf fie zu feinen nüglichften und 
treueften Unterthanen um, Sein neues Gefeßbuch, beſtimmt, nicht bloß Kirche 
und Staat auszugleichen, nicht bloß Adel, Seiftlichkeit, Bürger und Bauer zu ver: 
ſohnen, follte für fo verfchiedene Völkerftimme, wie Römer, Griechen, Deutfihe 
Araber, Normamen, Juden und Frangofen, 'paffen, und doch das Beſtehende fo 
biel als möglich Ichonen. In diefem Sinne arbeitete fein Kanzler Petrus de Vineis, 
der noch als Student zu Bologna gebettelt hatte, bis1231 den neuen Codex aus, ein 
Meiſterſtũck, menn mar die Schwierigkeit der Aufgabe erwägt, Doch was vermag 
die befte Geſetzgebung, wenn nicht der Unterthan zu ihr beraufgebildet wird 2 
Darum gründete Friedrich im Paradies der alten Welt, in feinem Neapel, außer 
der gran corte, 1224 auch eine Landeeüniverfität mit einer Sorgfalt, die viele 
fpätere Inſtitutionen gleicher Art weit hinter fich zuruͤcklͤßt. Für Arzneitunde 
dbluhte die hochberuͤhmte Schule zu Salerno fort. Nicht minder glaͤnzten die ſchö⸗ 
nen Redekuͤnſte an Friedrichs Hofe wie in Deutfchland, und Friedrich felbft kann 
mit zu den Erfindern der verfeinerten togcanifchen Dichtkunſt gerechnet werden; die 
bildende Kunſt fand unter Friedrichs Macenat einen Nicola, Maſuccio und To⸗ 
mafo da Stepbani, ſowie die Kunſtſammlungen zu Capua und Neapel, felbftdurch 
Nachgrabungen bei Augufta in Sicilſen vermehrt, entftanden. Bor dem für 1227 
anderaumten Kreuzzuge wollte Friedrich auf einem allgemeinen Reichstage zu Cre⸗ 
mona die Sefinnungen der Lombarten Eennen lernen und ſich zu deren König kroͤ⸗ 
nen laſſen. Doch dies verweigerten bie Mailänder, erneuerten ſchnell ihren alten 
26 


Converfationd »Lesiton. BB, IV. 


492 u Friedrich R, ber Hohenftaufe 


Bund mit 15 Staͤdten umd ließen weder Konig Heinrich noch feine Deutfchen zum 
Keichstage durch. Dafür traf fie.die Reichsacht; allein Honorius entfchied zu ih⸗ 
ren Sunften. Doch hatte er noch immer den Schein des Friedens gerettet, Ganz 
anders dachte fein Nachfolger Ugolino, Graf von Segna, als Gregor IX. Alle 
Reidenfchaften des neuen Hierarchen kannten nur Ein Ziel: vollendeten päpfllichen 
Despotismus, Er drang fogleich auf den verfprochenen Kreuzzug. Ein großer 
Haufe Wallbrüder hatte fich in Italien eingefunten; aber ſchon wütheten anftee 
ende Seuchen. Selbſt erkrankt, beftieg der Kaiſer ein Schiff, mit ihm der heil. 
Ludwig, Landgraf von Thüringen. Aber nach 3 Tagen mußte man zu Otranto 
wieder landen, weil Friedrich Eränker wurde, und Ludwig fogar farb. Die Flotte 
£ehrte vor Morea um, und der Kreuzzug war vereitelt. Nun fehleuderte Gregor 
den Barm gegen den unfchuldigen, umonſt fich rechtfertigenden Kaifer, und belegte 
defien Länder mit dem Interdict. Friedrich trat 1228 einen neuen Kreuzzug an. 
Daftır gebot Gregor dem Patriarchen von Jeruſalem und den 3 Ritterorden, fich 
dem Kaiſer in Allem zu roiderfegen, und ließ Friedrichs Erblande durch feine Schlüf: 
—5 — und Joh. von Brienne erobern und verwüſten. Trotz dem gelang es 
riedrih, mas Keinem wieder nach dem edeln Herzog Gottfried (1099) gelungen 
war, durch einen Vergleich mit Sultan Kamel von Ägypten, einen 10jährigen , 
Waffenſtillſtand und Jeruſalem, die heiligen Orte, das ganze Land zwiſchen Joppe, 
Bethlehem, Nazareth und Acre, und die wichtigen Seeftädte Tyrus und Sidon 
für fich zu erhalten. Das Volk jauchzte; aber der Neid des Patriarchen und der 
Kitter Enirfchte. Jeruſalem, wo Friedrich ſich am 18. März felbft die Krone auf: 
feßte, da kein Priefter audy nur Meffe Iefen wollte, wurde mit dem Interdict be: 
legt, und Friedrich felbft an den Sultan verrathen, wovon der biedere Öaracen dem 
Kaifer felbft die erfte Kunde gab, Schnell ging nun der Kaifer und König nach Un: 
teritalien zurüd, eroberte, nach fruchtlofen Verhandlungen mit Gregor, fein Erb- 
land wieder und vereitelte alle Ranke des Papftes, der ihn 1230 endlich vom 
Banne löfen mußte. Nur die Rombarden wollten nichts vom Frieden a vers 
legten feinem Sohne den Weg zum Reichstage nach Ravenna und ließen fich durch 
Gregors Ermahnungen zum Frieden wenig täufchen, ja während Friedrich endlich 
den Papft mit feinen Romern aueföhnte, fuchte diefer den König Heinrich insge⸗ 
beim gegen feinen Vater zur Rebellion zu bewegen, toobei er ihm offenen Empfang 
bei den Zombarden verhieß. Schon war Heinrichs Anhang auch in Deutfchland 
großgenug, aber plößlich fand Friedrich da, und der betäubte Heinrich bat fußfüllig 
um Gnade. Als aber der verbiendete Juͤngling (man fagt durch Gift) ein neues 
Attentat auf feinen Vater machte, wurde er mit Weib und Kind nach San: Felice 
in Apulien zu ewiger Haft geſchickt. Im grellen Lichte fteht es freilich da, Daß 
Sriedrich faft um diefelbe Zeit, mit Prunk und Geräufch, bie dritte Hochzeit mit 
Iſabelle von England feiert, wo er den Sohn der erfien Gemahlin in den Kerfer 
ſchickt und auf dem großen Reichstage ju Mainz 4235 förmlich abfegen laßt. Dort 
vourde auch für Landfrieden und Gerechtigfeitspflege, für Handel (deffen Wichtigkeit 
wenige Fürften, ſowie Friedrich, damals einfahen) und Aderbau heilfam geforgt, 
Nun endlich glaubte fich Friedrich den Lombarden gewachſen und rüftete fich zu 
Augsburg 1236. Ezzelinos da Romano (des Gewaltherrn von Verona) Freund: 
(haft, nebft den gibellinifch gefinnten Städten Oberitafiens, follten fein kleines 
Heer. verdoppeln. Doch’unterbrach ein fehnell beendeter Kampf gegen ben in bie 
Reichsacht erklärten legten Babenberger Friedrich, Herzog von Dftreich, den ſchon 
begonnenen Krieg und Konrads, feines zweiten Sohnes, Wahl zumrömifchen Kö: 
nig (1237). Ein herrlicher Sieg bei Torte:Nuova am Dglio (26. und 27. Nov. 
4237) brach, nach Wiederaufnahme des Kriegs gegen die roelfifch-gefinnten Städte 
Oberitaliens, die Machtder Lombarden, felbft der Caroccio von Mailand ging ver: , 
loren; außer diefer Stadt, Bologna, Placenz und Brescia, unterronrfen fich alle 


CZ 


genkonig/ ſah feinen Sohn Enzis in die Hände det erbitterten 


8% 


Ä Sriebrich IL, der Hohenſtaufe | 403 


\ Staͤdte; aber Gregors Grimm wuchs, gm da noch der Ralfer feinen natürlichen 


Sohn Enzio (Entio) ziru König von Sardinien ernannte und fich zur Unterwer⸗ 
fung des Neftes der Lombardei rüftete. Am Walmfonntage 1239 fprach er den 
Bann von Neuem gegen Friedrich aus. Doch führte diefer feinen Krieg fort, litt 
aber durch geheime Berrätherei Eyzelino’s, die er, argwohnfrei, nicht.ahnete, man⸗ 
hen Nachtheil. Um den Krieg von Grund aus zu beenden, wendete er fich nun 
plöglich gegen den Papft felbft (1240), drang durch Spoleto in den Kirchenſtaat, 
eroberte Ravenna und ließ den Papft in feiner Hauptſtadt zittern; Rom würde feine 
leichte Beute geworden fein, hätte er den letzten Reſt von Aberglauben in feiner 
Bruſt befiegen können. Hier undin den Edicten gegen die Keßer fah man die 
Bande, die den großen Friedrich noch an feine Zeit gefeffelt hielten. Auch kannte 
er Gregor nicht, wenn er ihn zum Frieden zwingen zu fünnen meinte, Er wollte feine 
Sache ohne den legten Schwertftreich lleber auf einer Verſammlung von Kirchen: 
vätern vermittelt fehen, fand aber bald, dag nır feine entfchiedenften Feinde dazu 
eingeladen wurden, und mahnte nun alle Prälaten vonder Reife nach Rom ab, ja 
er ließ endlich, da alle Warnung nichts fruchtete, feinen Sohn Enzio die genuefifche 
Flotte angreifen und vernichten, und über 100 auf derfelben nach Rom eingefehiffe 
Prälaten nach Neapel als Gefangene bringen, Diefer Schlag ftredte endlich den 
unbezioinglichen Gregor (21. Aug. 1241) aufs Todtenbett; aber er entriß noch durch 
f. Tod dem Kaifer den faft gewiſſen Sieg: Liber diefen Unternehmungen hatte freilich 
Friedrich die nach Deutfchland vordringenden Mongolen nicht felbft befümpfen-Fön: 
nen, doch kehrten fie nach ihrem Siege auf der Wahlſatt (1241), und bei Olmutz 
gefchlagen,, wieder um. Mach der ephemeren Erfcheinung Coleſtins IV. und Ian: 
gem Interregnum erzwang Friedrich endlich eine Wahl; aber Sigibald Fiesco, 
als Cardinal fein Freund, wurde als Innocenz IV. der furchtbarfte fefner Geg⸗ 
ner. Die Kirche war fein eignes Selbft geworden, und die Fältefte Entfchlof 
fenheit leitete ifin. Er beftätigte Gregors Bahn und entflob plöglich aus Ita⸗ 
lien, roo ihm des Kaiſers Nähe zu geführlich fchien, nach Lyon (1244), Fried: ' 


rich hatte jet nur die Mahl, entweder als Verbrecher vor dem Nichterftuhl eines 


Prieſters zu erfcheinen oder ben ungebeuern Kampf it dem Aberglauben des 
Jahrhunderts zu beginnen. Der Papft erneiierte den Bann und berief ein allge: 
meines Concilium nach Lyon. Vor diefem führte Thaddaͤus v. Sueffa, des Kate 
fers Kanzler; deffen Sache mit fchlagender Beredtſamkeit und ABopebeit, und ok 
deriegte die boshafteften söie die abgeſchmackteſten Befchuldigumgen. Umſonſt lieg 
fich Friedrich, der Ketzerei beſchuldigt, von einigen Geiſtlichen im Glauben prüfen; 
fg religiös und rein ihn auch dieſe fanden! er war ſchuldig, weil er es fein follte, 
Der heilige Vater fprach den fchredlichften Fluch, die Priefter fehtbiegen, Tofchten 
ihre Kerzen und warfen fie zu Boden, Döch nicht bloß durch die aufgeſetzte Krone 
zeigte Friedrich, daß er nach Kaifer ſei; fürftlich vechtfertigte er Tich bor Europas 
Fürften, und während Innocenz an des Landgrafen Heinrich von Thüringen Wahl 
zum deutſchen König arbeitete, focht er fiegreich gegen die Lombarden, vbereitelte 
eine Verſchwoͤrung an feinem Hofe, und verlor felbft den Muth nicht, als fein 
Sohn Konrad von jenem Gegenkönig Heinrich gefchlagen wurde: Bald fiegte 
Konrad wieder, und Heinrich ftarb 1247. Die tieffte Wunde fchlug Petrus de Vi⸗ 
neis denn Menſchen Friedrich. Petrus hatte längft in feiner Treue gewankt, jebt 
wahnte er fich entdeckt und fuchte Friedrich zu vergiften. Sriedrich, tiefgebeugt; 


lieg ihn Blenden und ins Gefängniß iverfen, “Dort töbtete fich der Unglückliche 


ſelbſt. Friedrich wurde fortan mißtrauifch gegen feine Freunde, verlor Parma 

durch Empörung, und in einer davor angelegteh Lagerfindt, Vittoria, eine ent⸗ 

ſcheidende Schlacht; mitihr En Heer, feinen Schab und feinen Freund Thaddaus . 

von Sueſſa, bekam in Deutfehland an dein elteln Wilhelm von gelatib einen De 

* Pogneſer fallen/ 
6 *, 


‚404 Friedrich II, der Schöne 


und Ezzelino ſich zu feinen Feinden ſchlagen. Seine eigne Geſundheit wanfte; er 
wollte im Frieden fterben. Aber Innocenz verwarf die ar: e Ymlichiten Bedingungen 
der Verſohnung. Noch ein Mal ermannte fich Friedrich, fiegte in der Lombardei, 
und würde vielleicht über den in der allgemeinen Achtung immer mehr finfenten, ſo⸗ 
wie in feiner politifchen Stellung immer unficherern Innocenz bald gefiegt haben, 
wenn ihn nicht felbft, am 13. Dec. 12350, zu Fiorentino der Tod in den Armen ſei⸗ 
nes natürlichen Sohnes Manfred überrafcht hätte. Er follte Europa den hellen Tag 
der Mernunft noch nicht heraufführen, welchen es fchwerlich ſchon ertragen hätte; 
aber fein Kampf für dag Licht bleibt immer welthiftorifch, und wenn auch noch ein 
Jahrhundert politifcher und geiftiger Barbarei folgte, in welchem das edle Ge⸗ 
fehlecht der Hobenftaufen blutig unterging, fo zeigte fich doch fehon an dem ihm 
ähnlichen Ludwig dem Baier, daß Friedrichs Beifpiel Erin verlorenes war, und daß 
eine große dee, wenn fie einmal ins Leben getreten ift, fo leicht dem Leben nicht 
wieder entzogen werden fan. S. des Sen. von Funk „Sefchichte Raifer Fried⸗ 
richs FH.” (züllıcyau 1791), Fr. v. Raumer’s „Gefch. der Hohenſtaufen“, Bd, 8 
u.4, un! „König Enzius‘ von E. Münch (Ludwigsburg 1828). 

Friedrich til, der Schöne, Erzherzog von ÜUſtreich und Oegenfönig 
Ludwigs des Baiern, geb. 1286, Sohn der Elifaberb, Erbtochter Meinhards 111. 
von Ki nthen und des Herzogs (feit 1298 deutſcher König) Albrecht. Nachdem 
fein älterer Bruder, Rudolf der Sanftmüthige, 1307 geftorben, und fein Vater 
am 1. Mai 1308 von Johann von Schwaben ermordet tworden war, übernahm 
er, als der ältefte noch lebeade Sohn, .die Regierung des Herzogthums für fich und 
feine füngern Brüder. Wie er dort die Räuber auegerottet, wie er mit feinem 
Vetter, Zerzog Ludwig von Baiern, gleichfalls einem Enkel des großen Rudolf von 
— nur mütterlicher Seits, wegen der vom Landesadel ihm übertragenen 
Vormundſchaft über die niederbairifchen Herzoge gerechtet, aber 1313 bei Gamels⸗ 
dorf gefchlagen worden, tritt in den Hintergrund der Sefchichte, als er nach feines 
Vaters und Großvaters Kaiferfrone zu fireben begann. Die fchon bei feines Ba: 
ters Tote, 1308, auf die Krone gemachte Rechnung zerriß ie Wahl Heinrichs \ IE, 
von Luxemburg. Als diefer aber plößlich gu Buonconvento in Italien verftorben, 
machte er ernfllichere Anftalten. Schnell föhnte er fich zu Ranshoven und Salzburg 
mit Ludwig aus, entfagte der Bormundfchaft über Niederbaiern und gewann das 
Herz des wertben AJugendfreundes zurüd, Wie einft in den Tagen barmlofer 
Kindheit zu Wien, wachten und fchliefen fie zufammen. Hier verfprach in traulis 
cher Stunde Ludwig, die deutſche Krone auf feinen Fall anzunehmen, ja feinem 
Freunde allen Borfchub dabei zu Teiften. &o wies er wirklich eine Votfchaft.der zu 
Frankfurt verfammelten Fürften, die ihm die Krone boten, anfeinen Friedrich, und 
erft nach langer Unterhandlung erklärte er fich zur Annahme bereit. Sonterbarer: 
weife waren damals, außer den 3 geifilichen, alle weltlichen Kurſtimmen getheilt, 
indem Ludwigs eigner Bruder, Rudolf, für Friedrich flimmte, von den 2 füchfis 
ſchen Linien die.voittenberger für Friebrih, und die fauenburger für Ludwig 
ſprach. So maßte fihauch, dem, Böhmenfinige Johann gegenüber, der für fein 
Böhmen zitterte und darum auf Hſtreichs Koften Ludwig erhoben wünfchte, Hein: 
rich von Kärnthen die behmifche Krone und Stimme an, und fprach für Friedrich. 
Nur die brandenburger Stimme, zwifchen den Brüdern Waldemar und Heinrich 
getheilt, war für Ludwig einig, der auch Mainz und Trier zu feinen Waͤhlern 
zählte, währ.nd Friedrich nur von Köln begünftigt war. Am 19. Dct. 1314 tra: 
fen beite ‘Parteien zahlreich bei Franffurt, die öftreichifche in Sachſenhauſen, die 
bairifihe oder Iugeniburgifche auf dem alten Wahlfelde jenfeits des Mains ein, 
Keine ſchloßk fich an die andre an, jede wählte ihren Candidaten. Aber nur Ludwig 
den Baier ließ Frankfurt ein. und auf dem hoben Altar der Kirche St.⸗-Bartholo⸗ 
maus wurde der Neugewählte feinem Anhange und dem Volke gegeigt. Umſonſt 


Friedrich UN, der Schöne 406 


belagerte Friedrich die Stadt. Auch mit der Krönung zu Aachen kam Ludwig ihm 
zuvor, während Friedrich zu Bonn auf einer Tonne im freien Felde die Koͤnigskrone 
Deutfchlands aufgefeßt befam. Deutfchland war von Neuem zerriffen, wie in den 
Tagen bes vierten Heinrichs, Philipps und des Schmaben Friedrich. Nur dus 
Schwert konnte jebt entfcheiten. Da ſchien Friedrich, durch feinen Ertecerifchen 
Bruder , Leopold den Slorreichen, die Blume der Nitterfchaft genanrit, Das grös 
Gere Gewicht zu haben, waͤhrend Ludwig feinen eignen Bruder Rudolf erfi bezwin⸗ 
en mußte. Beide Gegner machten den Papſt (der fich in der Folge zu dem oberften 
Bermwefer des erledigten Reichs erklärte) mit ihrer Wahl befannt, Beide fuchten 
ihre Partei zu.verftärfen; allein wenn auch Herzog Leopold bei Speier und Auges 
burg mit feines Bruders Gegner hart genug zufammentraf, wenn bei Efilingen 
fat in den. Fluten des Nedars hartnädig gekämpft wurde, ſo führte es keinq Ent: 
fiheidung herbei. Friedrichs Krirgsmacht, durch druͤckende Kriegsfiener in Oſtreich 
unterhalten, durch den Zug gegen den Srafen v. Trentfchin geteilt, durch feines 
Bruders unglüdliche Schlacht gegen die Schweiger bei Morgarten (15. Nov, 
1315) gefchwächt, konnte fich faft nur, ſowie die Ludwioz, auf den fleinen Krieg 
einlaffen. Friedrichs glängendes Beilager zu Baſel mir Elifabeth von Aragonien, 
die alle Reize der Schönbeit, Dichtung und Liebe verberrlichten, gab ihm nur eine 
Gefaͤhrtin für feine Leiden, die ihr zahlloſe Thränen, und.dadurch dag Licht der Aus 
gen Fofleten, und fie wenige Monate fpüter dem Gemahl in die Gruft nachfolgen 
ließen. Auch ein in diefe Seit fallender Bund der bahmifchen Herren, die Lipa an 
der Spiße, 1317, mit Friedrich, um einen feiner Brüder. an König Johanns Stelle 
zu feßen, und feine Berbindungen, in Italien angefnüpft, vermochten ihm ein 
dauerndes Übergemicht noch keineswegs zu fichern, fo lange nicht eine Hauptfchlächt 
zwiſchen beiden Gegnern günflig für ihn ausfiel. Zwar wurde Baiern 1320 von 
Friedrich und Leopold- ſchrecklich verwüſtet, und Ludwig, auf feine feſten Orte be: 
fehränft, Durch diefe Noth und durch den fonderbaren Unfall bei Mühftorf auf den 
Höhen, 1319, mit dem Gedanken felbft nach und nach vertraut, dem Reiche gang 
lich zu entfagen, Allein fein Anhang richtete feinen alten Muth durch neue zahlrei⸗ 
here Unterflüßung wieder auf, und mit diefer ging er feinem von Salzburg heran: 
jiehenden Gegner entgegen. So kam es, faft in derfelben Segend, wo 478 4, fpäter 
die Schlacht bei Hohenlinden vorftel, zroifchen Mühldorf und Ampfing zur Schlacht. 
Ludwigs Heer mar dag geringere, und $riedrich erwartete noch feinen mit Truppen 
aus Schwaben herbeieilenden Bruder Xeopold, und fandte Eilboten ihm entgegen, 
die aber von den fürftenfelder Mönchen aufgehalten wurden. Ludwig jögerte, gleich: 
falls noch auf Verſtaͤrkung hoffend. Friedrich, ohne Rund: von Leopold, befchloß, 
gegen den Rath der Sterndeuter und der Kriegsfundigen, den Angriff (28. Sept. 
1322). In vergoldeter Küftung, föniol. geſchmückt, ſtand er in des Heeres Mitte, 
wo Dietrich v. VPilichdorf das Banner Hftreiche hielt. Ihm rechts fand fein Bruder 
Heinrich, Ludwig hatte dem unanfehnlichen, aber Eriegerfahrenften Ritter feiner. 
Zeit, Seifried Schweppermann, aus der Oberpfalz, den Oberbefehl anvertraut, und - 
mit ihm fochten oh. v. Böhmen und Heinrich v. Miederbaiern. Burggraf Fried: 
rich v. Mürnberg blieb jenfeits des SYfen, den Ludwig überfchritt, niit feinen Reitern 
im Hinterhalt. Zehn Stunden wurde mit Heldenfraft geftritten, fchon lag König 
Johann unter Pilichdörfer’s Roſſe, und feine Böhmen waren von den Ungarn hart 
bedrängt, ſchon ſchwankte Ludwigs Heer, ale Schweppermann den Burggrafen mit 
feinen Scharen vorbrechen ließ. Seine öftreichifchen Farben täufchten Friedrich, der 
ihn für Leopold hielt; fein ungeflümer Ayggriff enttäufchte fie fehredlich und entfchied 
für Ludwig. Schon war die Flucht det Oftreicher allgemein«, fchon ihr Banner 
mit Herzog Heinrich felbft in der Feinde Hinden, als immer noch-Friedrich tapfer 
kämpfte. Albrecht Rindsmaul, Schwager Schweppermann's, Pfleger von Neu: . 
- finde, feßte ihm hart zu; des Könige Roß ſtuͤrzte: da ergab fi Friedrich dem Burg 
\ , . 


4 _. \ 


406 Friedrich N. (rdmifcher Kaifer) 


grafen v. Muͤrnberg; die Schlacht war verloren. Den hohen Gefangenen nahm for 
pri das fefte Schloß Trausnig auf, bei Nabburg, im Thale an der Pfreimt. Herz 
opold, fehon auf dem Wege zu feinem Bruder, war ſchnell nach Schwaben zurüd: 
egangen, doch muthig auf feines Bruders Rettung bedacht. Faſt 3 Jahre brachte 
Friedrich auf der Trausnig in enger, aber anftändiger Haft zu, und folche Lage 
drückte ſchwer feinen fonft fo kebensfreudigen Seift danieder. Er ließ Bart und 
Haupthaar wachfen, ſchnitzte Pfeile, die er. nicht gegen feine Feinde brauchen konnte, 
deren einige noch heute übrig find. Die edle Königin that umfonft Walkfahrten, fa⸗ 
ſtete und Eafteiete fich und meinte ſich um ihre Augen. Leopold aber, dem ein Ber: 
fu ‚ die Trausniß zu erfleigen und Friedrich zu entführen, mißlungen war, fuchte 
udwig in Johann XXII. und im Haufe Luremburg und Böhmen mächtige Gegner 
zu erregen, und wirklich fuchte der Papft dem Könige Karl von Frankreich Deutſch⸗ 
lands Krone zuzuwenden. Da gedachte, ſelbſt geängftigt, Ludwig feines Sefange: _ 
nen, und hörte yoilkiger, wenn ihm der fromme Abt der Sarthaufe Maurbdad, Fried: 
richs Beichtvater, von Berfühnung mit feinem Herrn fprach. Ludwig eilte endlich 
(März 1325) nach Trausnitz und kündigte dem Segenfönige Freiheit an, nachdem 
diefer allem Anfpruch auf das Reich entfagt, die Wahlurfunten und die befeßten 
Lander herauszugeben und mit feinem Bruder ihm gegen den Papft beizuftehen fich 
verpflichtet Hatte. Doch gelobte Friedrich mit einem Eide, fich wieder einzuftellen, 
n bie Bedingungen nicht zu erfüllen wären. Aber weder Leopold noch Papft 
obann erfannten diefe Bedingungen an, Friedrich wurde fogar von feinem Eide 
entbunden, und — zu groß zum angeratbenen Bortbruch —fiellte er fich zu Muͤn⸗ 
gen wieder bei Ludwig als Gefangenen ein. Solche deutfche Treue rührte tiefden 
aifer Ludwig; er nahm ihn nur als Freund bei fich auf, aß und fchlief mit ihm, und 
vertraute ihm, da er zu feinem Sohne nach Brandenburg eilen mußte, gegen Leopold 
die Vertbeidigung der bairifchen Erblande an. Das konnte freilich der erflaunte 
Papft mit feiner Politik nicht reimen. Endlich foll (die Baiern laͤugnen es) Ludwig 
feinem Freunde felbft die Miitregierung des Reiches angeboten haben (Sept. 1325), 
womit auch Leopold zufrieden war; aber die Kurfürften und der Papft verwarfen 
diefe Auskunft. Überdies flarb auch Herzoͤg Leopold, den Ludwig am meiften fürch⸗ 
tete, und mit ihm Friedrichs Stüße; daher fam ein zweiter Bertrag (wenn die Ur- 
Eunde wirflich echt ift), daß Ludwig Italien und die römifche Krone nehmen, Fried⸗ 
rich als römifcher König in Deutfchland berrfchen follte, nicht in Erfüllung. Noch 
ein Dial fah (1327) Ludwig feinen Freund zu Inſpruck, mo diefer Hof hielt, aber 
man merfte bald, daß die alte Sreundfchaft lau geroorden war; darum griff auch 
Friedrich nicht, nach Ludwigs Willen, zu dem Schwert, ats fein eigner Bruder, Otto 
ber Fröhliche von Dftreich, gegen ihn fich rüftete; er wog es vor, fich mit ihm ſchnell 
auszuföhnen. Es drängte ihn, der Welt zu entfagen. Auf den einfamen Gutten⸗ 
fein an der Piefting lebte er frommen Betrachtungen und farb am 13. Jan. 1330, 
In der Sarthaufe zu Maurbach, feiner Stiftung, wurde er begraben, nad) deren 
Aufhebung, 1788, feine Sebeine in dem Münfter von St.:&tephan beigefeßt wur⸗ 
den. Er hatte von feiner einnehmenden Seftalt den Beinamen des Schönen erhal: 
ten. In feinen Sitten, feiner Sefinnung, feiner Art war Nichts, was mit diefer 
Benennung im Widerfpruch geftanden hätte. Er mar ein liebensmwürdiger und rits 
terlicher Mann, aber keineswegs ausgezeichnet durch große Eigenfchaften im Felde 
oder im Rathe. Aber der reichere Geiſt und die ungerflörbarere Kraft war bei feinen 
glädklichern und doch fa wenig glücflichen Gegner. Br, 


Sriedrich, alsrömifcher Kaiſer III., als deutfcher König IV., als Erzher⸗ 

309 von öſtreich V., Sohn Herzog Ernfis des Eifernen und ber mafovifchen Cym⸗ 
burgis, mit der forterbenden großen Lippe, geb. zu Inſpruck (21. Sept. 1415), 

. sourde das Haupt der über Steiermark, Kärnthen und Krain herrfchenden Linie, 
wahrend in Tirol und Nieberöftreich zwei andre, endlich auch an ihn (1458, 1468 


S& L 





- $riebeich II, (römifiher Kaiſer) 407 


&. 1496) und feinen Sohn mit ihren Landern fallende Linien (die albertiniſche und 
leopoldinifche) regierten. Raum mündig geworden, holte er, nach Fürftenfitte jener 
eit, im gelobten Xande den heil. Grabes⸗ und den Enperorden. Er übernahm 1485 
mit feinem unrubigen Bruder Albrecht, dem Verſchwender, die Regierung feiner 
Lande, die freilich wenig mehr als 16,000 Mark eintrugen, und wurde Bormund 
für feine Bettern Siegmund von Tyrol und Ladislav Pofthumus von Niederäftreich, 
Ungarn und Böhmen. Friedfertig und Ruhe liebend, feufch und mäßig, der Aftro- 
logie, Alchemie und Botanik befonders hold, nicht ohne Berftand und guten Willen, 
aber ohne Kraft, Bebarrlichkeit und Strenge, völlig ohne fichern politifchen Blick, 
batte eben ihn das Schickſal auserfehen, in einer Zeit aufzutreten, welche an poli: 
tifchen und religiöfen Gaͤhrungen, an den folgereichften Neibungen und Entiwide: 
lungen fo fruchtbar.svar ; wo fich in einer Menge Anzeigen unverkennbar eine neue 
Ordnung der Dinge'anfündigte, welche zu begreifen und lebendig in fich aufzuneh⸗ 
men, bei welcher Eräftig mitzuwirken, Ehre und Pflicht geweſen wäre. Fiel doch in 
die Zeit feiner 5Bjährigen Regierung über Oftreich und feiner 53 Herrfcherjahre als 
deutfcher König die. Eroberung Konftantinopels durch die Türken; das durch griechi: 
ſche Flüchtlinge und vermehrte Univerfitäten im Deutfchland und Italien höher an- 
eregte Wiederaufleben der Wiffenfchaften; die Erfindung der Buchtruderei; das 
34 Ausbilden der woefteut apäfepen Staaten zu einem Staatenſyſtem, das fich 
im Kampfe über Italien praftifch beurfundete; das verhängnißvolle Ende des Her: 
zogthums Burgund, der Anlaß 200jähr. Kriege; die durch die fonftanzer und bafe- 
ler Kirchenfchlüffe erfchütterte päpftliche Macht; die großen Seeentdeckungen von der 
pyrendifchen Halbinfel aus; in Deutfchland, das unter 1500 Herren fich theilte, 
felbft der Ießte Kampf des Fauftrechts mit dem tiefgefühlten Bedürfnig einer geſetz⸗ 
mäßig innern Seftaltung! — Als er 1440 von den deutſchen Fürften einſtimmig 
auf den deutfchen Thron berufen wurde und nach dreimonatlichem Bedenken ihrem 
MWunfche nachgab, und fich dann 1442 Erönen ließ (womit bis 17740 die ununterbro: 
chene Reihe deutſcher Kaifer aus Habsburgifchem Mannsflamme beginnt), lag darin 
mehr als Eine Auffoderung, in die großen Intereſſen feiner Zeit Eräftig einzugreifen; 
aber die Sefchichte hat faft mehr zu erzählen, was unter ihm, als was durch ihn ge⸗ 
ſchah. Unheimlich war ihm Alles, was ihn aus feiner engen Sphäre riß, und es 
fehlte ihm vor Allem an einer tüchtigen Sefinnung für Deutſchland. Freilich ift in 
Deutfchlands und feiner eignen Lage manche Entfcehuldigung für ihn bereit, An: 
fange bei Eleiner und noch getheilter Hausmacht, mit feinem eignen Bruder und 
übermächtigen Nachbaren, wie Böhmen und Ungarn, in offenem Ötreite, gab die 
Kaiferroürde allein wenig Stärfe, wo faft 1500 Reichsflände die Kaifersmacht, von 
faft gar feinen Krongütern mehr unterfhigt, zum Schattenbilde herabgewürdigt, 
durch Zwietracht und Geſetzloſigkeit allen Reichsbeſchlüſſen getrogt, und alle Reichs: 
tage durch Zaudern u. Verfchieben unnüß oder nur darin fruchtbar gemacht hatten, 
daß immer einer den andern näthig machte. „Wiewol“, fagte damals Aneas Syl⸗ 
vius (Pius II., Piccolomini), „Ahr den Kaiſer für Euern Herrn und König aner: 
Eennt, fo ift fein Anfehen nur ein bildhaftes; Ihr gehorcht ihm nur, wenn es Euch 
gefüllt, und es gefüllt Euch felten. Ihr wollt unabhängig fein, und weder Fürften 
noch Stände geben dem Kaifer, was des Raifersift. Er hat feinen Schag, Fein Ein- 
kommen. Daraus entfpringt denn, dag hr immer in endlofe Kriege verwidelt und _ 
alten Übeln einer getheilten Macht ausgefegt ſeid“. Gleich im Anfange feiner Re: 
gierung fam Friedrich in einen Krieg mit feinem Bruder Albrecht, der in Vorder: 
oͤſtreich regierte, und in Gefahr, fein ganzes Erbland zu verlieren. Für 70,000 Kro⸗ 
nen erfaufte er die Räumung feiner ander. Als fein Mündel Ladislav, zu deffen 
 Zurüdigabe an feine Unterthanen in Niederöftreich, Böhmen und Ungarn er von 
Ufrich Eyzinger (1452) mit 16,000 Mann durch die Belagerung von Wiene: 
rifch »Neufladt gezwungen wurde, nachdem eine frühere Belagerung (1446) durch 


- ‘ 


408 Sririd) (Maiſcher Kaifer) 


(1137), faıı Ruberitreih au Arten, Dberräreuh su Aberdbt, un? cn Ihe vom 
Kımııken an Zorn?» Tel, Bin an: Kath Are yet Aıbae 
fen Tsre# 1 erlebte Ari te Der 3a. 16 ırek L Iron te auf Tee 
men un: layıı. m een Sonde ben Feacı Fruit. en Ye Micha der= 
yinzs eryruren werte. Kam wur ters uetämers. 2: 6 Fra yet i1462) 
Br Hııprizz: Zum araen Jewtra ice, um? derfer, ber belaaert. nur ven fl 
Ss aner Per 5rat gerettet werten fenntr. VRei tufer Rech heærte er ſich erdlich em 
Mi entſchleſen zryız: md fin, eher fee ter Darı fein Ölertesader werden, 
ehe er mie:zeriiben Untr-thanen fuh eraeiv. Erũ mat At redhre Tede 1463) befamm 
er von Tiefer Seite Ache. Was auf (Aeichstagen arfbab. rfbrinfir fach auf et 
nige werng beachtete Geſche über den Santirieden (ja das Iauũrecht worte gieuchfam 
ſanctionirt, weıl Die Achte, 3 Tage zwer ngefüntigt. un? r.cht ver Deamerstag 
bis Eeamtaz gefahet, erlanbı wurte : asfrın unmah:iaee Eter ar 

der Mũnzen im Reiche "wihren? er felki mit (. Bruder Schintvrimze ſciua); auf 
eine Deldy- intung des Femgerichts auf retber Erde, das ibn ſelbſt ein Mal verrala⸗ 
den fi ertzeiitet; anf einen "Man zur Auchebung der Aeichchülẽe. dee in die arebe 
und dıe fleime oder eilende getheilt wurde. aber bei ter Keitensertbeilang auf die cm 
ylnen Stande fall ubergrehe Schwierisfeiten fand: auf einen Plan zur Errichtug 
eines Reigefarımergerichts, welches erit unter f Scbne a Stande kam (1495). 
Auch war ter ſchwabiſche Bund (148%), fo heilſam er fich zeaen die ungeſtũme 
Ariſtekratie erwirs, mehr ein Werk der allgemeinen Noth als f. Pelnik. Was man 
endlich u. d. M. der Reformation diefes Kaiſers 1441) rũhmt. war mel menig mehr 
als eın entweder son den Stadten, oder ven enem Wann aus Friedrichs Umgebun- 
gen ausgrgangener Entwurf zu einer M»gna Charta Deutfchlands, für die weltli⸗ 
hen wie für Lie geiftlichen Ztänte; und wenn auch treffliche Ideen, 4 DB. zu einem 
allgemeinen Natienalgefeßbuche Deutfchlants, zur Entfernung des römifhen Rech: 
tes und des geiſtlichen Standes von Berathung weltlicher Sachen, zu Gleichfoermig⸗ 
Seit der Munsen, Mage und Gewichte, zur Geſtaltung tes Handels unt Gewerbes, 
fowie der Streitkräfte der Nation x., darin niedergelegt waren, fe war das ine 
wahrfcheinlich blo& ‘Privatarbeit, und gewiß nie zur, öffentlichen Sanction asfım: 
men. Ja feine Echlaffheit gab fogar dem fchlauen Aneas Solvius, der des Papſtes 
nicht weniger als Ariedrichs geheimer Zecretair war, den leichten Sieg, in den trau⸗ 
rigen wiener Eoncortaten (Zebr. 1448) an Nicolaus V. Alles wieder aufj.ıspfern 
und alle Rechte hinzugeben , die das Concilium zu Bafel, den Papſten gegenüber, 
erftritten hatte. Auch die Kaiferfrone, die er mit der lombardiſchen zualeich 145? zu 
Mom fih holte, gab ihm weder höhere moralifche Kraft noch vermehrte politifcye 
Selbſtandigkeit. Selbſt die erfie Berührung feiner portug. Gemahlin, Eleonore, 
ließ er von aftrologifchen Beftimmungen abhaͤngen. Nur im Aufftande zu Biterbo 
zeigte er den perf:nlichen Muth, in die Rebellen mit dem Stod einzubauen. Dafür 
kaufte er allenfalls den Riubern Frieden ab, erneuerte f. Hauſe 1453-den erzher⸗ 
joglihen Titel, und pflegte f. Pflanzen, wahrend die Türfennoth immer größer 
wurde. Ebenfo wenig wagte er Etwas gegen Mailand, als dort, nach Erlöfchen des 
Mannsftammes der Bisconti, der Ufurpator Sforza fich behauptete. Wie unglück⸗ 
ih und ſchwankend er in f. Politik nach Außen war, bezeugen f. Berbiltniffe mit 
Ungarn und mit Böhmen, 1.1d die Art, wie er fich, um die dem Haufe ſtreich ent: 
riffenen Rrongüter wiederzuerlangen, in die Angelegenheiten der uneinigen Schwei⸗ 
jercantone mifchte, und wie er, felbft zu ſchwach, vom Neich verlaffen, ein fremdes 
Kriegsvolk aus Frankreich unter deffen Danphin herbeirief, das 1444 bei St.-Jakob 
an der Birs, von der Schweizer Tapferkeit eines Andern belehrt, feine Waffen zum 
Theil gegen Deutfegland und Oftreich felbft wendete. Noch größere Gefahr drohte 
ihm in Deutſchland felbfl. In der pfülzifchen Erbfolgefache (1449) verfeindete er 


En Se rn 


Sriedrich der Gebiſſene u 409 


fih mit Sriebrich dem Siegreichen (Bruder des verft. Ludwig), der flatt f. Neffen 
Philipp die Kur für fich verlangte, und als Friedrich miderfprach, Mainz, Trier und 
eine Anzahl deutfcher Fürften auf f. Seite brachte, und felbit dem Böhmen Georg 
Podiebrad Ausficht zur Kaiferfrone machte. Mehrmals verfammelten fich die miß: 
vergnügten Prinzen und erließen ch den Kaifer (1461) Briefe voll der bitterften 
Vorwürfe, und mit f. Abſetzung drohend, fehrieben fie f. Schwäche und Regierungs⸗ 
- amfäbigkeit alles Elend Deurfchlande zu. Wenig würden Friedrichs Unterhandlun⸗ 
gen, bei der.allgemeinen Ungufriedenheit mit ihm, gefruchtet haben, wenn nicht dem 
fehlauen Pius I1,, der Frieden fliftete, mit einem folchen Kaifer mehr als mit einem‘ 
geheimen Salirtiner und einem Podiebrad dazu, gedient gewefen wäre. Faft ohne 
„ Widerſtand ließ Friedrich die Osmanen 1469 bis Krain und 1475 faft bis Salz: 
burxg vordringen; ruhig ſah er die Fürften Sachſens im Bruderkriege fich befehden. 
iner ſchwankenden Politik, der zufolge er die Könige von Bohnen und Ungarn 
unter fich verfeindete, hatte er e8 zugufchreiben, daß endlich Beide gegen ihn die 
Waffen Eehrten, und befonders Matthias ihn. fo in die Enge trieb, daß Friedrich 
auch nicht Einer Stadt in f. Erblanden mehr mächtig war. Auch Karl den Kühnen, 
defjen.reiche Erbtochter er für ſ. Sohn verlangte, täufchte er bei den Unterhandluns 
gen zu Trier 1473) über die Erhöhung Burgumds zu einem Königreiche, die er 
Durch fehleuniges Wegeilen abbrach, und gerierh dafür mit Herzog Kart felbft in eis 
nen Krieg, dem er perfönlich beimohnte, ohne Etwas auszurichten, da er einen Bund 
mit Franfreich, der Schweiz und Lorbringen durch 200,000 Kronen fich von Karin 
abfaufen ließ. Als endlich fein 1486 zum römifchen König ermählter Sohn, Maxi⸗ 
milian, nach Karls Tode (1477, die Hand der Maria und mit ihr die reichen Nie: 
derlande davon getragen hatte, wurde diefer mit Frankreich, und über die Vormund⸗ 
ſchaft für f. Kinder mit den eignen Pliederländern in Krieg verwidelt, und 1488 
felbft gefangen genommen. Dies rüttelte den alten Friedrich aus ſ. UnthätigEeit, 
und er 309 dies Mal in Perfon dem Sohne zu Hülfe. Maximilian verfchaffte dann 
fe Bater ſtreich wieder; nur die durch Matthias's Tod, 1490, erledigte ungari⸗ 
fehe Krone mußte er Ladislav von Böhmen laffen. Endlich, nach fo vielen vereitel- 
ten Planen, die ihn indeß weniger beunruhigten als der Gedanke, wegen eines ihm 
abgenonimenen Beines nach feinen Tode der einbeinige Kaifer genannt zu werden, 
farb Friedrich IV. an zu reichlichem Genuſſe von Melonen den 19. Aug. 1493, 
und überließ es feinem größerm&ohne, das von Friedrich auf f. Bücher und Palaͤſte 


gefeßte Anagramm: „A. L. 1.0. U.” (Austriue Est Iuıperare Orbi Univero?) - 


zu vermirflichen, Br, 
Friedrich der Gebiſſene, oder mit der gebiffenen Wange, 
auch der Freudige genannt, Markgraf zu Meißen und Landgraf in Thürins 
gen. Sein Vater, Albert, Landgraf in Thüringen, mit dem Beinamen der Unartige, 
hatte Kaiſer Friedrichs I. Tochter, Margarethe, jur Gemahlin, mit welcher er Fried: 
rich und Diezmann zeugte. Allein. ſ. Liebe zu einem Hoffräulein, Kunigunde v. Eis 
fenberg, verleitete ihn zu dem Plane, f. Gemahlin heimlich ermorden zu laffen, der 
nur, durch Margarethens fchleunige Flucht vereitelt wurde. Die troftlofe Mutter 
überhäufte bei ihrem Abfchiede vorzüalich Friedrich mit Küffen, und big ihn, im hef: 
tigften Ausbruch ihres mütterlichen Schmerzes, in den Baden, ſodaß Friedrich für 
immer eine Fleine Narbe behielt. Albert, erbittert über das Mißlingen f. ſchaͤndli⸗ 
- hen Vorhabens, trug den Haß gegen fie auf f. beiden Söhne über, wollte fie von der 
Thronfolge in Thüringen ausfchliegen, und folge auf Apiß, den mıt Kunigunden 
erzeugten Baftard, bringen. Mehre f. Ritter und Vafallen aber traten auf die Seite 
f. beiden rechtmäßig erzeugten Söhne, und es brach zwiſchen diefen und dem Vater 
1281 ein Krieg aus. In diefen ward Friedrich von f. Vater gefangen genommen 
und mußte ein ganzes Jahr aufder Wartburg zubringen, bis ihn einige f. treuen 
Unterthanen mit Gewalt befreiten. Als er und f. Bruder, nach dem Abfterben des 


# 


40 Friedrich VI. (König von Dänemark) 


Batersbruders (der beide Brüder nah Margarethens Flucht erzogen hatte), Dierf- 
sich des Weifen, Markgrafen gu Meißen und Laufig (1282), und f. Sohnes (gef. 
4291), deſſen Länder erhielten, und ihr Vater dies nicht zufrieden war, Fam es von 
Neuem zum Kriege, in welchem Albert gefangen und nur auf Kaifer Rudolfs Ber- 
mittelung Igggelaffen wurde, Aus Rache ſuchte nun Albert verfchiedene Fürften ge- 
gen f. Söhne zum Kriege zu reizen, und verkaufte, da dies nicht gelang, viele Suter, 
ja endlich, f. Söhne und der Landftände Widerfpruch ungeachtet, ganz Thüringen 
an Kaifer Rudolfs Nachfolger, Adolf v. Naffau, für 12,000 Mark Silber. Diefer 
rücte 1294 in Thüringen ein. und bemächtigte fich einiger Städte und Schläffer; 
allein da ihm Friedrich und Diezmann entgegenrüdtten, zog er ſich, nachdem er Thü⸗ 
ringen verwüftet hatte, aus Diangel an Lebensmitteln nach Muͤhlhauſen, feßte aber 
nachher f. Bermüflungen in Meißen fort, bis er endlich 1298 von dem an f. oe 
zum Kaifer gewählten Albrecht am 2. Juli in einer Schlacht in der Gegend Yon 
Worms getödtet wurde, Kaifer Albrecht, nicht gefonnen, f. Vorgängers Anfpruch 
auf Thüringen aufjugeben, nahm Eifenach und einige andre Städte in Befiß; allein 
ſ. Heer wurde am 31, Mai 130’ bei Lucka im Fürftenthum Altenburg von Sriedrich 
und Diezmann völlig gefehlagen. Da Albrecht, als Bormund feines Neffen, oh, 
v. Schwaben, diefes Herzogehum verwaltet hatte, in der Folge aber ganz an fich zu 
bringen ſuchte, fo beftanden f. Truppen größtentheils aus Schroaben. “Daher das 
Spruchwort, durch welches man jemandem den unglüdlichen Ausgang f. Bor: 
habens anzudeuten pflegte: „Es wird dir glücdten (gehen) wie den Schwaben bei 
Lüden” (Lucka). Albrecht (f. d.) machte ‚neue Zurüflungen zu einem Feldzuge 
nach Thüringen, als ihn der Aufftand der Schweizer an den bein rief, wo er von 
ſ. Neffen 1308 ermordet wurde, Nun untermarf fich die bisher dem Kaifer Albrecht 
‚ anhänglich gebliebene Stadt Eifenach Friedrich von Neuem, und da ihn durch fei: 
nes Bruders Diezmann Ermordung, in der Thomasfirche zu Leipzig, quch deſſen 
Landesantheil zugefallen war, fo wurde er nicht nur alleiniger Markgraf von Mei: 
Ben, der Laufig, und Landgraf in Thüringen, fondern er vereinigte auch die Reiche: 
flädte Altenburg, Chemnig und Zwickau mit f, Lande und ließ im folg. J. in dem: 
felben einen allgemeinen Frieden anbefehlen, zu deffen Haltung Adel und Bürger 
fich eidlich verbindlich machten, 1912 hatte er das Unglüd, von Kurf. Waldemar 
v. Brandenburg, mit demer in Krieg gerieth, gefangen genommen zu werden, und 
erhielt f. Freiheit nur gegen Bezahlung von 32,000 Mark Silber und Abtretung 
der Niederlauſitz. Nach fo vielen Kämpfen ftellte Friedrich in ſ. Erblanden die Orb: 
nung ber, zerftörte 1321 einige Raubfchlöffer, fiel aber 1322 in eine Gemuͤths⸗ 
Eranfheit, die ein geiftliches Drama (Die fünf Elugen und die fünf thörichten 
Sungfrauen‘) auf ihn gemacht hatte, und farb zu Eifenach den 17. Nov. 1324. 
Ihm folgte fein Sohn, Friedrich der Ernſthafte. | 

Sriedrich VI, König von Dünemarf, Sohn Ehriftians VI, (f. d.) 
und der Königin Karoline Mathilde, geb. Prinzeffin von England, den 28. an. 
1768 geb., vermählt den 31, Yuli 1790 mit Sophie (Friederike), Tochter des 
Zandgrafen Karl von Heffen:Kaffel (geb. den 28. Det. 1767), die ihm 2 Töchter 
geboren bat. Er wurde am 14. April 1784 fir majorenn und zum Mitregenten fei- 
nes gemüthsfranfen Vaters erklärt, und fuccedirte demfelben am 13. März 1808. 
Als Minifter fanden ihm die hochverdienten Grafen v. Bernftorff zur Seite, erft 
der Vater, und nach deffen Tode der Sohn, Der Charakter der daniſchen Regie: 
rung zeichnete fich durch eine mweife Verwaltung und gegen andre Staaten durch eine 
Geradheit und Offenheit aus, welche Achtung einflößte und bis zur legten Kata 
firophe die äußere Ruhe erhielt. Insbeſondere wird Friedrichs VI. Negentfchaft 
und Regierung mit hoher Achtung in der Geſchichte genannt, weil durch ihn die 
Oreiloffung der leibeigenen Bauern erfolgte, weil er früher als andre Nationen 
(16. März 1792) den Sklavenhandel, vom J. 1803 an gänzlich, abſchaffte und jede 


% 


Friedrich. Auguſt J. (Rbrig von Sachſen 44 


Theilnahme an demfelben verbot, weil er Friedens: oder Vernleichsbehärden zur . 


Vermeidung von Proceffen errichtete, weil er endlich Schulen des segenfeitigen Uns 
terrichts und ähnliche Mittel der Volksbildung beförderte. Als die franz. Revolu⸗ 
tion Europa erfchütterte, verband fih Dänemark mit Schweden, zur Behaup⸗ 
tung der Weutralität, 17794 — 90 durkh eine gemeinfchaftlich ausgerüftete Kriegs: 
flotte. Dies bewog England zur Nachgiebigkeit, und die Bedrückungen deg dün, 
Handels minderten fich, indem ein im mittelländifchen Meere durch die dan. Tapfers 
keit erfämpfter Vortheil 1797 einen für die Schifffahrt in jenen Gewaͤſſern güns 
fligen Vergleich bewirkte. So gelang es dem Prinzen, bis 1800 den Frieden zu 
erhalten. Allein feit dem Beitritt zu Pauls 1. nordifcher Neutralität ward Düs 
nemark (f. d.) in die europäifchen Händel verwidelt. Es verlor feinen Hans 
def, feine Marine und Norwegen. (&. Kieler Friede, Hamburg; Schill) 
Bei dem Congreffe zu Wien war Friedrich VI, perfünlich zugegen. Er ließ fein Con; 
tingent von 5000 M. 1815 zur Deceupationsarmee in Sranfreich flogen und be- 
309 feinen Antheil an den franz, Tontributionsgeldern. Nach feiner Zurückkunft 
von Wien ließ er fih und feine Gemahlin den 31. Juli 1815 zu Friedrichsbörg 
kroͤnen. In der Folge trat er dem beiligen Bunde bei. Seitdem iſt er bemüht, 
den Eredit des Papiergeldes wiederherzuftellen und dem gefunfenen Handel des 


Landes emporzubelfen. Seine Tochter, die Kronprinzeffin Karoline (geb. 28, 


Dct. 1798), wurde am 1. Aug. 1829 mit ihrem Vetter, dem Prinzen Serdinand, 
Bruder des Thronfolgers, Chriftian Friedrich, vermaͤhlt. K. 
Sriedrih Auguſt J. König yon Sachfen, ber ältefte Sohn des. Kurf. 
Sriedrich Chriſtian, geb, zu Dresden am 23. Dec. 1750, folgte f. Vater d. 17. 
Dec, 17163, Sein Altefter Oheim, Prinz Eaver, führte als Adminiſtrator die Vor⸗ 
mundfchaft, bis. A. am 15, Sept. 1768 felbft die Regierung antrat. Er verm. fich 
den 17. Jan. 17169 mit der Prinzeffin Maria Amalig yon Zweibrüden, dieihm (21, 
San. 1782) die Prinzeffin Maria Augufte gebar. Der nachmal. Dinifter, Frei. 
v. Sutfhmid, war fein Lehrer in den Staatswiſſenſchaften, die vielleicht nie in ei⸗ 
nem edlern Beifte angewendet worden find, als von Friedrich Augufl. “Dem feften 
Entfchluffe, fein Volk nach Möglichkeit zu beglücken, blieb er in allen Berhältniffen 
und zu allen Zeiten fo treu, daß man mit Wahrheit fagen kann, diefer Fürft hat 
nur feiner Pflicht gelebt. In feiner ganzen Regierung iſt fein Machtfpruch, Fein 
Eingriff in fremde Rechte gefcheben. Abhold jeder übereilten Neuerung, unternahm 
er nichts für den Glanz oder aus Nachahmungsſucht, fondern nur dann entfland 
das Neue, wenn er aus Überzeugung es als das Gute erfannt hatte, das Lieber 
langſam, aber defto ficherer gedeihen follte. Der Wohlſtand, die Bluͤthe feines 


_ Staates unter feiner Regierung zeugen , wie ficher eg in der That gedieh. Er tilgte 


nach und nach die Steuerfchulden deg Landes, und die ſtrenge Rechtlichfeit der Der: 
waltung bewirfte, daß ungeachtet der geringen Zinfen, die fächfifchen Staatspa⸗ 
piere, was bis Daher ohne Beifpiel war, um einige Procente den Nennwerth über: 


‚fliegen, Ofter wendete Friedrich Auguſt durch eigne Aufopferungen Schulden vom 


Lande ab, fuchte Auflagen kieber zu vermindern als zu erhöhen, und erflärte: man 
folle fein und feiner Kammer SYntereffe nie dem Intereſſe de Unterthanen entgegen: 
ftellen, Don feiner tandesväterlichen Fürforge zeugen die, fchredtichen Jahre der 
Theuerung 17272, 1804, 1805, und der furchtbaren üÜberſchwemmungen von 
1784, 1799, 1804, wobei er nicht nur durch unmittelbare Wohlthaten, fondern 
auch durch die Arbeit, die er nabrungslofen Unterthanen verfchaffte, fich E"""reich 
erwies. Die Magazine wurden fo eingerichtet, daß ähnlicher Gefahr Fünftig vor= 
gebaut war. Der Anbau des Landes, Die Verbefferung der Viehzucht (befonders die 


Veredlung der Schäfereien) machten bedeutende Fortfihritte und wurden durch Be⸗ 


lohnungen unterflüßt; der Bergbau, die Salzwerke, das Forſtweſen wurden durch 
forgfülkige Aufſicht; weiſe Geſetze und nachdrücliche Unterftügung gehoben, Ma⸗ 


\ 





48. Friedrich AugufiL (König von Sachſen) 


eufacturiflen md Gabrifanten (verzäglih Spinnmafdyinen x.) aller rt durch Ge: 
Geſchenke unt Vorſchüſſe unterflüßt; der Handel, der durch den fiebenjähr. 
Krieg und durch die wühren? der Vormundſchaft auf die auslandiſchen Haaren ge 
legten Abgaben einen nidyt geringen Stoß erlitten hatte, hob ſich zu einer vorher nie 
erreichten Blũthe. Wer gedenkt nicht hierbei der Verbeiferung alter und Anlegung 
neuer Kunſtſtraßen, ſowie der Schiffbarmachung der Unfirut un? Saale, weiche 
Slüffe durch Canãle über Leipzia. Eilenburg un? Torgan mit der Elbe in Berbintang 
gebracht werden follten? Das Speer warb auf einen beſſern Fuß gefeßt, die Bildung 
Eünftiger Officiere mufterhaft begründet, un? ein Milttair- Ztrafgefeßbuch gegeben. 
Bedeutente Unterflüßgungen erhielten die Univerfititen Wittenberg und Leipzig; bie 
Sürfienfhulen Porta, Meißen und Grimma wurden neu eingerichiet, erhielten 
neue Gebaͤude und mehre Echrer; die Seminarien zu Dresden unt Reißenfels, das 
Soldatenknabeninſtitut zu Annaberg, die niedern Bergfchulen im Erzgebirge, die ver: 
befierte Einrichtung der Bergatademie zu Freiberg, die Gehaltserhoͤhung der Land⸗ 
ſchullehrer u. a. m. yeugen von dem Eifer diefes wiffenfchaftl. gebildeten Regenten 
für die geiflige Eultur feines Bolfes. In der Sefeßaebung zeigt fich Friedr. Auguſis 
Regierung von der achtungswürdigſten Seite. 4170 ward die Tortur abgefchafft, 
Die Reinigungseide wurden vermindert, die Todesftrafen befchränft und menſchlicher. 
1794 ward eine beflintige Sefekcommiffion errichtet, welche mit dem Entwurfe zu 
einer neuen Gerichtsordnung beauftragt, 1820 aber aufgehoben ward; 1810 ers 
Bielten 3 Kechtsfuntige den Auftrag zur Ausarbeitung eines neuen peinlichen Ge⸗ 
ſetzbuchs. Wichtige Veränderungen wurden in Anfehung emzelner Landesbehörten 
vorgenommen, der Suftizpacht in den Amtern aufgehoben und die Rechtspflege von 
dem Rentweſen getrennt, heilſame Volizeigefege und eine allgem. Vormundſchafts⸗ 
ordnung gegeben; es wurden Waiſenhaͤuſer, Arbeits-, Heil- und Strafanſtalten ge 
gründet. Tiberhaupt waltere der Geifider Rechtlichkeit, Ordnung, Mäßigfeit und 
Treue fo allgemein, daß Sachfen auch von Seiten feiner Sittlichkeit fich auszeichnete. 
Wenn Friedr. Auguft nicht ein immer erhohetes Süd feinen Unterthanen verfchaffte, 
fo war dies der Zeitumftände Echuld; denn wie fehr erauch den Frieden liebte, fo 
ward er doch niehr als ein Mal genöthigt, an dem Kriege andrer Mächte Theil zu 
nehmen. 1778 führte er, wegen der Anfprüche feiner Mutter auf die Verlaſſen⸗ 
(haft ihres Bruders, des Kurfürsten von Baiern, gemeinſchaftlich mit Friedrich 
dem Großen, den hairifhen Erbfolgefrieg gegen Öſtreich. (5. Tefchener 
Friede.) Das Wohl feines Landes und deffen geograpb. Lage erfoterten, fich an 
Preußen anzufchließen; daher trat er auch dem deutſchen Fürſtenbunde bei. Sehr 
richtig urtheilte Johannes Muller hierüber, „daß dieſe Maßregel der wüterlichen 
Eorgfalt gemäß war, mit welcher Friedrich Auguft die Wunden des Vaterlandes 
immer gfüdlicher beilte, und gleich gemäß dem Intereſſe des Haufes, deſſen 
Schild wider grundlofe Anſprüche in Tractaten Kl, und feines Volks, deſſen vıel- 
bermögende Stände in ihren zum gemeinen Beſten geübten Vorrechten ein Kleinod 
befißen, deſſen Verluſt beim Untergange ter Geſetze gewiß und unerfeglich more”, 
Diefelbe Weisheit bewog ihn auch, eine Königefrone auszufchlggen. “Die Polen 
fandten 1791 den Fürſten Adam Czartoryski nach Dresden, um Ser Auguft 
zur Thronfolge Polens für ſich und feine erblichen Nachkommen zu berufen. War 
es ebrenvoll fur ihn, um feiner Tugenden willen von einem fremden Volke als Kö⸗ 
nig berufen zu fein, fo war es groß und edel, dem Rufe nicht zu folgen, und lieber 
dem Glücke des Fleinern Vaterlandes zu leben. Leiter ftand es bald nicht mehr in 
feiner Macht, die Ruhe diefes Baterlandes zu ſichern. In Pillnig fand im Aug. 
1791 die Zufammenfunft zwifchen dem. Kaifer Leopold und Friedrih Wilhelm 11. 
von Preußen flatt, worin Maßregeln gegen die franz. Revolution ergriffen wurden, 
welche das berliner Bündnig vom 7. Gebr. 1792 zur Folge hatten. Allein die 
Weisheit des Kurfürften lehnte feinen Beitritt zu dieſem Bündniffe, als Macht, 


| Friedrich. Auguft L (König von Sachſen) u 43 


‘ 
ab; erft nach erflärtem Reichskriege, 17793, fieflte er fein Contingent zu demſelben 
als Reichsſtand. Vier Fahre lang nahm er auffolche Weiſe an einem Kriege Theil, 
zu welchem die Pflicht ihn nöthigte, bis er Dem WWaffenftillftande: u. Neutralitäts⸗ 
vertrage des oberfächf. Kreifes mit den Franzofen (13. Aug. 1796) beitrat und die 
Demarcationslinie an den füdl. Grenzen feine Randes beſetzen ließ. Bei dem ras 
ſtaͤdter Songreffe fuchte er die Selbftäntigfeit des deutfchen Reiches zu behaupten, 
und bei den: Entfchädigungsgefchäft zu Regensburg 1802 u. 1803), wozu er nebſt 
7 andern Reicheflänten erwaͤhlt war, hatte er fein andres Augenmerk als firenge 
Gerechtigkeit bei Vertheiſung der Entſchaͤdigungsmaſſe. An einem neuen Rriege 
zwiſchen Sranfreich und ſtreich 1805 nahm er feinen Theil; Doch verfltattete er, 
bei feiner Berbindung mit Preufen, den Heerestheilen die ſer Macht den Durchzug 
Durch fein Land. Als aber am 6. Aug. 1806 die Auflöfung des deurfchen Reichs er: 
folgt war, ſah er fich genöthigt, 22,000 DM. zuden Preußen gegen Franfreich-ftoßen 
zu laffen. Nach der Schlacht bei Jena u. Auerftädt (14. Det.) war Sachfen zuerft 
dem eindringenden Feinde preisgegeben, und das Loos des Landes wäre gewiß auf 
andre Weife entfchieden worden, hätten nicht Friedrich Augufts perfonliche und Re: 
gententugendean dem Feinde Achtung eingeflößt. Der Sieger legte, außer mehren 
Keqyifitionen, dem Lande eine Kriegefleuer von 25 Mill. Fr. auf und richtete eine 
provifor. Bermwaltung der in Befchlag genommenen landesherrl. Einfünfte ein, ges 
ftand aber übrigens dem Lande Neutralität zu. Sriedr. Auquft unterflüßte feine be 
drängten Unterthanen durch Seldvorfchäffe und durch die Lieferungen feiner Kam⸗ 
mergüter; am wirffamften jeboch durch den Abfchluß des Friedens mit Napoleon 
zu Dofen. (11. Dec. 1806), Der Kurfürft von Sachfen wurde zum König erho⸗ 
ben, trat als folcher dem: Rheinbunde bei und flellte ein Contingent von 20,000 
Mann. Inder Niederlaufig wurde ihm der Eottbuffer Kreis zugefichert; dagegen 
trat er an den Koͤnig des neu errichteten Reiche Wefffalen das Amt Gommern, die 
Grafſchaft Barby, Treffurt und einen Theil der Sraffchaft Mansfeld ab. Auch 
beftimmte der 5. Art. d. Fr. die Gleichſtellung Der Katholiken mit den Lutheranern 
- in allen kirchlichen, bürgerlichen und politifchen Rechten. Durch den Frieden von 
Tilſit 1807 erhielt Friedr. Auge in Polen das Herzogthum Warfchau. Als König 
von Sachfen und Herzog von Warſchau hatte er aber doppelte Verbindlichkeit, Theil 
an Frankreichs Kriegen zu nehmen,, Indeß fandte er Feine Truppen nach) Spanien, 
In tem Kriege, der 1809 gegen Oflreich geführt ward, ftellte er bloß fein Contin— 
gent; doch mußte er felbft, als Streifcorpe Sachſen durchzogen, über. Naumburg 
nach Franffurt a. M. fich begeben. (Bol. Wiener Friede.) in 'dem fran⸗ 
göfifch:ruffifchen Kriege von 1812 wurden feine Sraaten der. unmittelbare Schau⸗ 
platz des Krieges, Friedr. Auguft hatte ſich, als die Verbündeten in Sachſen ein: 
rückten, nach Plauen, dann nach Regensburg, endlich nach Prag begeben. Mach 
der füßener Echlacht kehrte er auf Napoleons drohendes Begehren nach Dresden zu: 
ri. (Bol. Sachfen.) Er befand fich in Dresden, alsdie Verbündeten diefe Stadt 
nach Ablauf des Waffenſtillſtandes angriffen. Später folgte er Napoleon nach 
Leipzig. Als diefe Stadt am 19, Det. erſtürmt morden war, ließ ihm der Kaiſer 
Alerander erklären, daßer ihn als feinen Gefangenen’ betrachte. Erfolglos blieb des 
Königs Erklaͤrung an die Raifer von Rußland und Öftreich, der gemeinfchaftlichen 
Sage beizutreten. Er mußte fein Land 123. Oct.) verlaffen und lebte anfangs 
zu Berlin, dann auf dem Luftfchloffe Friedrichsfelde, wo er genen die Vereinigung 
Sachſens mit Preußen eine Bermwahrung feiner Dechge auf Sachfen erlief. Hier 
auf ward ihm geftattet, ſich nach Preshurg zu begeben. Daſelbſt nahm er an den 
Verhandlungen des wiener Congreſſes Theil. Endlich kehrte er am 7. Auni 1815 " 
in Folge des am 18. Mai unterzeichneten Vertrags mit Preußen (vgl. Sachfen) 
in feine Hauptſtadt zurũck; zur Erinnerung fliftete er den Civilorten für Verdienft 
und Treue. In kurzer Zeit ftellteerden zerrütteten Staatscredit wieder. her, ordnete 


44 Friedrich Wilhelm (Kurfürft von Brandehburg) 


mehre Zweige der Staatsverwaltumg nach den neuen Verhaltniſſen des Landes und 
befolgte in jeder Hinficht gemäßigte und weife Grundſatze. — Im Sept. 1818 feierte 
er fein Regierungs und im Jan.1819 fein Ehejubilium. Über feine letzten Geſetze 
. Sad fen. flarb zu Dresden den 5. Mai 1827. Ihm folgte fein Bruder 
Anton, Die verwitw. Königin Amalia fl. zu Dresden den 15. Nov. 1828 ın ihrem 
77.3. ©. Herrmann’s „Leben Friedrich Auguſts, eine Skizze (Dresden 1827); 
„Mittheilungen a. d. Leben des Könige v. Sachfen, Friedr. Auguft des Gerechten‘“ 
(Epz. 1829); Weiße, „Geſch. Friedr. Auguſts“ (2pz 1811; und Polie, „Kegie- 
rungsgefch. Friedr. Augufis”, ausamıl. Quellen (Ip; 1880). Man f. die biftor. 
Schriften über Sachfen, von Weiße und von Politz. 

Friedrich Wilhelm (der große Kurfürft von Brandenburg), geb. 
41620, war 20 5. alt, alsernach den Tore f. Baters, Seorg Wilb. (1. Dec. 1640), die 
Regierung antrat. Er änderte fogleich das bisherige Syſtem und benahm fich in 
dem noch fortdauernden Dreißigjährigen Kriege, da er von beiden Parteien gleich viel 

u fürdpten hatte, mit ſolcher Kiugheit, daß er fich Achtung und feinen Landern Er: 
eichterung verfchaffte, obgleich ein Theil derfelben nech lange von fremden Truppen 
befegt blieb. 4641 ſchloß er, der oſtr. Gegenvorftellung ungeachtet, wit Schweden 
einen Meutralitätsvertrag, überlieb aber feine Savalerie dem Kaifer, dem fie den 
Eid der Treue geleiftet hatte. Durch den Waffenflillitand mit Heffen-Kaffel (1644) 
erhielt erdie von Heſſen befegten Orter in Kleve umd in der Grafſchaft Mark zurück. 
1647 vermäbhlte er fich mit der oranifchen Pringeffin Louife Henriette (geb. den 
17. Nov. 1627, geft. den 8. Juni 1667, Derfafferin des Liedes: Jeſus, meine Zu: 
verſicht). Obgleich nach Abfierben der Herzoge von ‘Pommern (1637) diefes Land 
an Brandenburg bitte fallen follen, ſo war es doch von den Schweden befeßt wors 
den, und Friedrich Wilhelm war genötbigt, im weſifäl. Frieden (1648) Vorpom⸗ 
mern, die Inſel Rügen und einen Theil von Hinterpommern an Schweden zu übers 
laffen, mogegen er, nebft dem Nefte von Pommern und der Grafſchaft Hohenflein, 
die Bisthũmer Halberfiadt, Minden und Kamin als weltliche Fürftenthümer befam, 
und das Erzftift Magdeburg ihm, nach dem Tode des damal. Adminiftrators, des 
Prinzen Auguft von Sachfen, als Herzogthum verfprochen wärd. Fried Wilß. 
fing nun an, feine Kriegsmacht auf einen beffern Fuß zu feßen. In den Krieg, wel: 
chen 1655 Schweten mit Polen führte, ward auch er, wegen des Herzogthums 
Preußen, verwidelt. Anfangs war er auf der Seite des Königs von Schweden, 
Karl Guſtav, half dieſem die dreitägige Schlacht bei Warfchau (18. — 20. Juli 
1656) gewinnen und erhielt von ihm verfchiedene Vortheile; als aber Rußland und 
Dfireich fich für Polen erklärten, änderte auch er fin Syſtem und ſchloß (19. 
Spt. 1657), unter Hſtreichs Bermittelung, zu Welau einen Vertrag mit ‘Polen; 
Bas ihm die völlige Souverainetaͤt einräumte, auch ihm die, nach dem Abfterben der 
SHerzoge von Ponmern, als poln. Zehen eingezegenen Herrſchaften Lauenburg und 
Bütom, jedoch als Lehen, überließ, wogegen er das ihm von Schweden eingeräumte 
Ermeland abtreten mußte, Die preuß. Stände waren mit diefer, ohne fländifche 
Senehmigung getroffenen Deranderung unzufrieden und verweigerten dem Kurfür: 
fien ven Huldigungseid, weßhalb er zu Königsberg die Feſtung Friedrichsburg an: 
Jegen lieb. Karl Guſtavs plößlicher Tod befreite ihn von einem Gegner, der wahr: 
feheinlich die Bedingungen des welauer Bertrags nicht ungeahndet gelaffen aber 
würde; fo aber wurde im Frieden zu Dliva (1660) jener Vertrag beflätigt, und fefl: 
gefebt daß die gemachten Eroberungen gegenfeitig herausgegeben werten ſolltem 

r Kurfürft wandte nun feine ganze Sorgfalt auf die Begräntumg des Wohlſtan 
des und des Handels in feinem Staate; dabei ſandte er tem Kaifer 2000 DR. gegen 
die Türken zu Hülfe. 1672 trat er mit der Republik der Niederlande in ein Buͤnd⸗ 
niß, als diefe von Ludwig XIV. bedroht wurde; auch trug er dazu bei, daß ſich 
zu Braunfchweig der Raifer, Dünemark, Heffen-Kaffel unk andre deutſche Furſten 


Sriedrih Wilhelm (Kurfürft von Brandenburg) 418 


mi ihm zur Vertheidigung der Niederlande gegen Frankreich verbanden. Obgleich 
nun die Aranzofen größtentheils, nach dem Bordringen des Kurfürften in Weſtfa⸗ 
len, Die Republik verließen, fo ward doch der Feldzug der Deutfchen durch die Langs 
ſamkeit der öftr. Feldherren und durch ihre Fiferfucht auf den Rurfürften vereitelt. 
Der Kurfürft mußte aus Mangel an Lebensmitteln fich zurüdziehen und feine weſt⸗ 
fälifchen Länder den Berheerungen der Feinde überlaffen. Als nun auch die Hft- 


reicher von ihm fich trennten, und die bolländifehen Hülfsgelder ausblieberi, fah er | 


fich zu dem Bertruge von Voſſem (Dorf bei Löwen, 6. Juni 1673) genöthigt, nach 
welchem Srantreich Weſtfalen zu rtumen und dem Kurfürften. 800,000 Livres zu 
zahlen verfprach, der Kurfürft Dagegen dem Bündniſſe mit Holland entfagte und 
Sranfreichs Feinden weder mittelbar noch unmittelbar beizuftehen verfprach , ſich 
aber vorbebielt, im Falle eines Angriffes, dem deutfihen Reiche Huͤlfe zu Teiften, 
Diefer Fall trat ſchon 1674 ein, wo der Reichskrieg gegen Frankreich befchloffen 
ward. Bereits vorher hatte fich der Kurfürft mit Dftreich, Holland und Spanien 
näber verbunden. Die beiden leßtern verfprachen ihm für ein Corps von 16,000 
Mann Hülfsgelder. Mit diefem Torps ging er im Aug. 1674 in den Elſaß und 
verband fich mit der Reichsarmee. Der Faiferl. Feldherr Bournonville vermied aber 
eine Schlacht, fo fehr fie der Kurfürft wünfchte, worauf der verftärfte Turenne das 
deutfche Heer bei Mühlhaufen im Sundgan beftegte und es nüthigte, den Elſaß 
zuräumen, Während ntın der Kurfürft in Sranfen in Winterquartieren ſtand, 
vermüftete (Dec. 1674), von Frankreich angeregt, ein fehwedifches Heer von 
16,000 M., unter IBrangel, Pommern und die Mark, Der Kurfürft ging ihm 
mit 5600 Mann entgegen, fchlug (18. Juni 1675) bei Fehrbellin (f. d) 
41,000 Schweden, und befreite dadurch den Kurftaat, Obgleich nun der Kaifer, 
roegen diefes Einbruchs, gegen Schweden die Acht und einen Neichsfrieg erPlärte, 
fo war er doch eiferfüchtig über des Kurfürften Bordringen in Pommern. Der 
Rurfürft mar deßhalb geneigt, forwie Spanien und Holland, zu Nimwegen (1678) 
einen Separatfrieden mit Frankreich zu fchließen. Da aber Frankreich von ihm 
verlangte, Schweden alle Eroberungen zuruͤckzugeben und baffelbe für die Kriegs⸗ 
koſten zu entfchädigen, fo trat er mit Dänemark und Münfter zu einem neuen 
Bündniffe zufammen und vollendete durch die Einnahme von Greifswald und 
Stralfund (1678) die Eroberung von ganz Pommern, Ebenfo warf er (Yan, 
1679) die unter Horn in Preußen eingefallenen Schweden zurüd. Noch fand er 
mit Diünemarf allein im Felde gegen Schweden. Da verlangte Ludwig XIV,, 
dag er mit Schweden Frieden fchliegen und alle Eroberungen herqusgeben folles als 
der Kurfürft dies verweigerte, ward er durch 30,000 Franzofen, welche in Kleve 
einfielen, zum Frieden von St.-Germain (2% uni 1679) genöthigt, in welchem 
er alle Eroberungen von Schweden herausgab, dagegen aber die wenigen Orter und 
Zolle erhielt, welche Schweden feit dem teflfülifchen Frieden m Hinterpommern 
befaß, und von Franfreich 800,000 Kronenthlr. als Entfchädigung. Als in der 
Folge Ludwig XIV. (f. d.) durch f. Reunionskammern mehre Bezirke im Elſaß 
. und fothringen an fich riß, bewirkte der Kurfürft (1684) den Waffenftillftand auf 

20 Jahre, welcher zwifchen Deutfchland und Frankreich abgefchloffen tward. Doch 
traten zwifchen ihm und Frankreich neue Mißhelligkeiten ein, als er fein Bündnig 
(1685) mit Holland erneuerte und die reformirten Flüchtlinge aus Frankreich (etwa 
44,000) in feine Staaten aufnahm, welche zu dem Wohlftande derfelben bedeutend 
beigetragen haben. Jene Migverftändniffe veranlaften ihn, ſich Oftreich, obgleich 
er von demfelben bisher wenig unterflügt tverden war, wieder zu nähern; noch 
mehr aber beftimmte ihn dazu die Hoffnung, für die 3 fchlefifchen Fürftenthümer , 
Liegnitz, Brieg und Wolau, deren Fürft 1675 ohne Erben geftorben war, und 
Toekche, in Folge einer alten Erbverbrüderung, an Brandenburg hätten fallenfollen, 
aber von ſtreich eingezogen worden waren, entfchädigt, undinden Beſitz des Für: 


416 Friedrich I. (König von Preußen) 


fienthums Jaͤgerndorſ gefeßt zu werden, das der Kaifer, nachdem er den Für ſten 
Johann Skeorg, aus tem Haufe Brandenburg, 1623 in die Acht erflärt, ebenfalls 
an ſich gezogen hatte. Für alle diefe Anfprüche erhielt F. W. (1686) den ſchwie⸗ 
bufer Kreis, machte fich jedoch fihriftlich zur künftigen Rückgabe deffelben verbind⸗ 
lich, tie auch unter f. Nachfolger (f. Friedrich III.) eintrat. Zur Unterfkißung 
des Kaifers im Türfenfriege fandte darauf (1686) der Kurfürft 8000 M. unter 
tem General von Schoning, welche fich bei der Belagerung und Stürmung der 
Stadt Ofen auszeichneten. Im Innern des Landes hatte der Kurfürft befonders 
„Iderbau, Viehzucht und Gartenbau befördert ; er verpachtete die Domsinengüter, 
welche bis dahin gewöhnlich durch Amtsfchreiber bewirthfchaftet worden waren; 
die franz. Flüchtlinge unterftüßte er kraͤftig und gewann in ihnen 20,000 arbeits 
fome Staatsbürger, welche Fabrifen und Danufacturen anlegten unt wüfle Flede 
urbar machten. Wenn auch der Erfolg des (1683) auf der afrifanifchen Küfte von 
Bem Major von der Gröben angelegten Forts Friedrichsburg den Erwartungen der 
von den Kurfürften geftifteten afrikaniſchen Handelsgefellfchaft nicht entfprach, fo 
war doch die Thütigfeit des Kurfürften, den Handel des Staats weiter zu verbrek 
ten, tabei unverkennbar. Berlin wurde durch mehre Anlagen un? Gebäude unter 
ihm verfchönert, er gründete die Bibliothek dafelbft, und (1655) die Univerfität 
zu Duisburg. F. W. flarb am 29. April 1688 zu Potsdam im 69. Lebensjahre 
und hinterließ feinem Sohne ein bedeutend vergrößertes und gut angebautes Land, 
einen Schag von 650,000 Thirn. und ein geübtes Heer von 28,000 M. Nach dem 
Tode feiner erften Gemahlin vermählte er ſich (1668) mit der Prinzeſſin Dorothea 
von Holftein-Stüdeburg, Wine des Herzogs Ihriftian Ludwig von Braunſchweig⸗ 
Selle, tie ihnı mehre Söhne gebar, aber mit ihrem Stieffohne, dem Kurprinzen 
Friedrich, in fchlechtem Vernehmen ftand. Die fhöne Statue des großen Kurfürs 
ſten in Berlin hat Joh. Jacobi 1700 geaoffen. Q. 
Friedric til. (Kurfürft von Brandenhurg und fouverainer Herzog vom 
Preußen feit 1688; erfter Köniz in Preußen feit 1701), geb. 1657 zu Königes 
berg, erhielt nach feines ältern Bruders Tode die Ausficht zur Erbfolge. Nach dem 
Tode feiner erften Gemahlin, Eliſabeth Henriette von Heffen-Kaffel, vermaͤhlte er 
fi (1684) mit Sophie Tharlotte von Hanover, Schweſter des nachherigen Kös 
nigs von England, Georg i., einer Fürftin, hoch ausgezeichnet durch geiflige und 
korperliche Bildung. Ihr verdankte der Hof Friedrichs I. den Glanz der Wiſſen⸗ 
fhaften und Künfte und die Grazien des gefelligen Lebens. ie gebar (1688) 
Friedrich Wilhelm I., und veranlaßte, nebft Leiknig, ihrem Lehrer und Freunde, 
die Stiftung der Akademie der Wiffenfchaften zu Berlin. Sie ftarb 1705. Fried 
richs dritte Gemahlin, eine Prinzeffin von Mecklenburg, verfiel in Wahnfinn, for 
daß er genöthigt war, fich von ihr zu trennen. Bei den Mißverſtaͤndniſſen mit fets 
ner Ötiefmutter wurde er auch von feinem Bater verfannt, der ihn enterben wollte, 
fich aber doch durch feine Minifter bervegen ließ, das Teftament dahin abzuäntern, 
daß der Kurprinz in der Kurwürde und den Kurläindern, und feine übrigen Söhne 
in den andern Befigungen folaen follten. Dieſes Teftament erflärte Sriedrich III, 
der fchon als Kurprinz mit Hſtreich in gutem Vernehmen geſtanden und von dies 
fem die Zufage der Unterſtützung dabei erhalten harte, für unadltig; nahm von 
den aefammten Ländern feines Vaters Befiß und gab feinen Stiefbrüdern Amter 
und Apanagen. Den Prinzen Wilhehn von Dranien unterſtützte er bei deſſen Zuge 
nad England (1688) mit 6000 M. Zur Reichgarmee gegen Sranfreich, welches 
die Rheinpfalz vermüftere (1689), fandte er 20,000 M. 1691 ſchloß er fich dem 
großen Bunde des Kaiſers, Spaniens, Englands und Hollands gegen Frank: 
reich an und fandte 15.000 M. in die Niederlande, über welche der König 
Wilhelm von England den Oberbefehl führte. Ebenfo unterflügte er den Kaifer 
gegen die Türken, für ein Hülfegeld von 160,000 Tpir, mit 6000 M., welche 


8 
% 


Friedrich 1. (König von Preußen) 447 


fih (1691 — 97) in den Schlachten bei Salankemen, bei Belgrad und Zentha 
auszeichneten. Im ryßwicker Frieden (1697) wurden für Brandenburg die Be: 
dingungen des weilfülifchen und des Friedens von St.Germain beftätigt. “Den 
fehwiebufer Kreisgaber (1695) an Öftreich zuruͤck; doch bebielt er fich die Anfprüche 
feines Haufes auf die A ſchleſiſchen Fürftenthümer vor. Hftreich gab ihm für die 
auf Schwiebus verwandten Summen 250,000 Thlr., und zur Schadloshaltung 
die Anwartſchaft auf Ofifriesland und auf die Sraffchaft Limburg in Franken; 
beide Anwortfchaften gingen fpäter in Erfüllung. Bon dem Kurf. von Sachfen, 
Friedrich Auguft 1., der den pofnifchen Thron (1697) beftieg, erfaufte er die Erb: 
fehirmvoigtei über das Stift Duedlinburg, die Reichsvoigtei zu Nordhauſen und 
das Amt Petersberg bei Halle. Mit den Häufern Hohenzollern-Hechingen und 
Sigmaringen fihloß er einen Erbverbrüderungs:Bertrag (f. d.). Die 
Stadt Elbing, welche bereits dem großen Kurfürften für 400,000 Thir. verpfän: 
det, demfelben aber fo menig tie jene Summe übergeben worden war, ließ er 
(1703) in Befiß nehmen. Nach der Erhebung des Kurfürften von Sachfen auf 
den pofnifchen, und des Draniers Wilhelm 111. aufden englifchen Thron, wünfchte 
er auch für fich die Fonigl. Würde von Preußen, als dem einzigen, ihm damals ges 
Börenden unabhängigen Staate. Die Einwilligung des Kaifers (16. Nov. 1700) 
erhielt er nur auf die Bedingungen, dep rüdfländigen oflr. Hülfsgeldern zu entfa- 
gen, im bevorfiehenden fpanifchen Erb,r igefriege 10,000 M. auf feine Koften zu 
unterhalten, in allen Reichsangelegenheiten der Eaiferl, Stimme beizutreten, bei 
jeder fünftigen Kaiferwahl feine Stimme einem öftr, Prinzen zu geben, ımd feine 
deutſchen Reichslande den Berbindlichkeiten gegen das Reich nicht zu entziehen. Am 
18. San. 1701 fegte er fich und f. Gemahlin zu Königsberg die Krone auf, nach: 
dem er . vorher den ſchwarzen Adlerorden geftiftet hatte. Mit Ausnahme des 
Papſtes, Frankreichs, Polens und des deutfeben Ordens ward der Kurfürft als 
König Friedrich I. von den europüifchen Miüchten anerfannt. An dem nordi⸗ 
ſchen Kriege nahm er feinen Antheil; als Oftreichs Bundesgenoffe fandte er aber 
in dem fpanifchen Erbfolgefriege 20,000 DR. an den Rhein, und 6000 M. nach 
Italien. Sie fochten unter dem Fürften Leopold von Deffau am Dber sund Wie: 
derrheine, bei Höchftädt, bei Turin und in Belgien. Friedrich 1. erlebte das Ende 
diefes Kampfes und den Frieden von Utrecht nicht. Nah Wilhelms Il. Tode 
. brachte er, als Enkel des oranifchen Prinzen Friedrich Heinrich, die Sraffchaften 
Meurs und Lingen an fein Haus. Als Herzog von Kleve nahm er Geldern, nach 
dem Erlöfchen des habsburgiſchen Mannsflammes in Spanien, in Befiß, weil 
Karl V. im 16. Jahrh. den Herzog Wilhelm von Kleve, der von den Ständen 
Gelderns zum Regenten gewählt worden war, genöthigt hatte, diefes ihm zu über: 
laſſen. Bon den Ständen der Fuͤrſtenthümer Neufchatel und Balengin ward er, 
nach tem Erlöfchen des Haufes Longueville, zum Negenten (1707) erwählt. Don 
dem Grafen v. Solms:Braunfels erfaufteer (1707) die Graffchaft Tecklenburg in 
Weſtfalen für 300,000 Thlr., und verband fie mit der Grafſchaft Lingen. Fried: 
rich fliftete 1694 die Univerfität Halle, 1699 die Bildhauer:und Maleraka⸗ 
demie zu Berlin. Er ließ Berlin durch die unter ihm angelegte Friedrichsſtadt er: 
weitern, baute zu Ehren f. zweiten Gemahlin Charlortenburg, und gründete (1705) 
das Dberappellationsgericht. Er farb am 25. Febr. 1713, im 56. Lebensjahre, 
Friedrich der Gr. tadelt feine übertriebene Prachtliebe, die verfchwenterifche Frei⸗ 
gebigfeit, mit melcher er feine Günſtlinge überhäufte, und daß er die Koͤnigswuͤrde 
unter fo unwürdigen Bedingungen erfauft habe; jedoch fügt er hinzu: „Die Ki 
nigswürde befreite das Haus Brandenburg von dem Joche, in welchem Hſtreich da: 
mals die deutfchen Furſten hielt; überdies hinterließ er Damit feinen Nachfelgern 
einen Steel zum Ruhm; ; er hatte ihnen einen Namen gewonnen, deſſen fie fih . 
würdig erzeigen mußten; er legte den Grund zu einem Gebäude, deſſen Größe zu 
Converſatious⸗Lexicon. Bd. IV. 27 | 


418 Friedrich Wilhelmi (König von Preußen) 


wartſchaft 
ri 1. durchaus keinen Antheil nahm, wollten die Ruſſen und Sachſen, nach ber 
Eapitulation des ſchwediſchen Generals Steenbod in Tönningen, Schwediſch⸗ 
Pommern befegen. Dies zu verhindern, fehloifen der Adminiſtrator von Holſtein⸗ 
Gottorp und der ſchwediſche Seneralgouverneur in Pommern, Graf Welling ( Yımi 
41713), mit 5. W. 1. einen Sequeflrationsvertrag über Stettin und Wismar. * 
Der König hatte die Abficht, den Norden durch feine Bermittelung zu berubigen; 
allein der aus der Türfei nach Stralfund zurüdgefehrte Karl All. verwarf Diefen, 
Bertrag und verlangte Stettin von ‘Preußen zurüd‘, wobei er die Wiederbezah⸗ 
kung ber 400,000 Thlr. verweigerte, welche der König an die Kuffen und Sachſen 
zur Bergütung der Kriegskoften bezahlt hatte. Dadurch ward F. W. I. zum Kricge 
gegen Schweden ımd sum Bündniffe mit Rußland, Sachfen und Daͤnemark (1715) 
immt. Verbindung mit denſelben eroberte Leopold v. Deſſou, an der Spitze 
- der Preußen, Rügen und Stralſund. Nah Karls XII. Tode behielt Preußen im 
Frieden von Stockholm (21. Jan. 17720) Borpommern bis an die Peene, Stettin 
und die Inſeln Ufedom und IRollin, indem es an Schroeden 2 Mill. Thlr. bezahlte. 
Don dem Diindniffe, welches zwifchen England, Holland und Preußen zu Hano⸗ 
ver abgefchloffen worden war, wußte, nach George 11. Thronbefteigung in Eng: 
fand, der öflr. Siefandte, Graf von Seckendorf, den König abzuziehen, woraͤuf 
diefer, in dem Vertrage zu Wufterhaufen (12. Det. 4726), tem Kaifer verſprach, 
die pragmatifche Sanction anzuerfennen und ihn auf den Fall eines Angriffe mit 
19,000 M. zu unterflägen. Obgleich nun bei dem Ausbruche des polniſchen Erb: 
folgefrieges (1133) der König den aus Polen geflüchteten König Stanislaus Les: 
czinski, den Gegner Auguſts N., in Königsberg ehrenvoll aufnehmen ließ, und da⸗ 
durch die Unzufriedenheit der wit Sachfen verbundenen Hofe von Wien und Peters⸗ 
burg erregte, fo ftellte er doch, als Frankreich Dftreich den Krieg erflärte, 10,000 
M. Hülfstruppen für Oftreich, welche ſich mit dem Heere Diefer Macht am Rheine 
vereinigten, Der König und der Kronprinz befanden fich felbft einige Zeit bei die: 
fem Eorps. Das Alter und die Vorſicht des öftr. Feldherrn, des Prinzen Eugen, be: 
wirkten aber, daß es am Rheine zu keinen bedeutenden Eriegerifchen Borfällen kam, 


Friedrich 1. (König von Preußen) 419 


bis der Friede zu Wien (1735) diefen Krieg beendigte. F. IR. mar ein großer 
Staatswirth; er begründete eine neue Einrichtung des Finanz: und. Juſtizweſens; 
das Heer brachte er auf 70,000 M.; Magdeburg, Stettin, Weſel und Memel 
wurden unter ibm befeftigt; er baute viel und mit Aufwand für Land und Leute, 
weniger und mit größter Sparſamkeit fuͤr fich und f. Hof; er fliftete Das Collegium 
medico-chirurgicum, die Charite und das Findelhaug zu Berlin, das berliner- 
Cadetten⸗ und das potsdamer Waifenhaus; die faljburger Ausgewanderten und die 
aus Polen geflüchteten Diffidenten fanden in f. Staate gute Aufnahme; dagegen 
entgingen die berliner Akademie und die Lniverfitäten nur mit Mühe ibrer Aufhe⸗ 
bung. Seine Semahlin und f. Kinder waren nicht felten den heftigen Ausbrüchen 
feines Zorns und feines Despotiemus ausgefegt, befonders der Kronprinz Friedrich, 
deſſen Seift und Richtung dem Vater gänzlich zuwider war. Auch dffentlich’ fuchte 
jedermann fich dem Anblicke des jaͤhzornigen Königs zu entziehen. Seine Borliebe 
für das Mititair, befonders für fehr. große Leute, wurde oft gu meit getrieben, 
Seine Umgebungen, die nicht immer die beften Sefinnungen hatten, und mit denen 
er ſich gewöhnlich in feinen abendlichen Tabagien vergnügte, an welchen auch der 
befannte Sundling Theil nahm, vermochten fehr viel über ihn. Nach einer 28jühr., 
Regierung ftarb er, 52 %. alt, den 31. Mai 1740. Er hinterließ ſ. Nachfolger, - 
Friedrich II., gegen I Mill. Thaler in der Schaßfammer und ein gut abgerichteteg, 
fchlagfertiges Heer. Fr. W.'s übrige Söhne waren: Auguſt Wilh., der Bater des K. 
Friedr. Wild. 11. (geb. 1722, geft. 1758); Heinrich (geb. 1728, geft. 1802), und 
Ferdinand (geb. 1730, geft. 1813). Friedrih Wilhelm I. begriff den tiefen Sinn 
des alten Sprüchworts: „Ordnung hilft Haushalten”. Könia zu fein, Mehrer des 
Reichs im wahren Sinne des Worts, durch Förderung und Veredlung aller geiſti⸗ 
gen Anlagen und Kräfte feines Volks, entfprach feinen Fähigkeiten nicht. König zu 
feinen, wie fein Vater, durch eitle Pracht, unter der Leitung allmächtiger Minifter, 
widerſprach feinem Charakter. Er fühlte den Beruf in fich, Landesvater zu fein, 
wie Hausvater, Der große Kurfürft hatte die Unabhängigkeit ſ. Haufig, Friedrich I, 
den äußern Glanz deffelben begründet, F. W. flellte die innere Macht und Stärfe 
deffelben feit. Don ihm ging der Geiſt des Fleißes, des nüchternen Haushalte, des 
firengen Hausregiments auf fein Volk über, Seine Politik war feine Liebe zur Ge: 
rechtigfeit. Diplomatifiren war ihm ein Bräuel. In Religionsſaächen war er ſtreng⸗ 
ortbodos, ohne Meinung und Urtheil, gläubig ohne Widerrede; in Necktefachen 
unbeugfam, überall von gefunter Vernunft und Einfalt, dem Fünftlichen Procef 
firen durchaus abhold. Wiffenfchaften und Künften war er ungeneigt, wenn fie fich 
nicht augenfcheinlich und auf der Stelle nußend erwiefen. Dem Riter- und Lebens 
soefen, infofern es dem Adel nicht mehr Verpflichtungen und Dienfte auferlegte, 
fondern nur VBorrechte und Genuß gewährte, machte er ein Ende, Freiheit und Ge⸗ 
rechtigkeit war ihm der höchfte Grundſatz, welchem er aber unbedingten Gehorſam 
aufimpfte. Im Innerſten feines Herzens war er echter Republikaner, und er hat 
mehr als Einmal die Abficht gehabt, fein Leben als freier Privarmıann in der Re: 
publik Holland zu befchliegen. „Wenn es wahr iſt“, fagt Friedrich d. Gr. von ihm, 
„daß man den E hatten der Eiche der Kraft der Eichel verdankt, aus welcher fie ers 
wuchs, fo wird alle Welt eingeftehen, daß man in dem arbeitfamen Leben diefes 
Fürften und in feinen weifen Anofdnungen die Quelle des Gluͤcks fuchen muß, defe 
fen das Königshaus fich noch jeßt erfreut”. . 
Friedrichll., König von Preußen, der ‚größte Regent des 18. Jahrh., 
geb. 24. Yan. 1712, Sohn des Vorigen; ſ. Mutter war Die handverſche Prinzeffin 
Sophia Dorothea. Unter dem Drude einer harten, bloß auf militairifche übun⸗ 
gen berechneten Erziehung verfleß feine erfte jugend. Der General Braf v. Fin- 
kenſtein war fein Gouverneur; der Major v. Kalkftein fein Unterhofmeifter. Nach 
des Vaters Willen zunächft zum Ererciren und Eleinen Mund eenſe angeführt, 


420 Friedrich IL (König von Preußen) 


entroidelte fich doch frühzeitig in ihm der Sinn für Dichtkunft und Muſik, beſon⸗ 
ders durch den Einfluß, welchen feine erſte Pflegerin, die geiftreiche Frau von Ro⸗ 
coufle, und fein frühefter Lehrer Duhan auf ihn gewannen, indem fie mit der Kö⸗ 
nigin insgeheim eine Oppofition bildeten wider die väterlichen Erziehungsgrundfüge. 
Der Prinz gab fich aus Neigung ganz der fönigl, Mutter hin, und fo entfland eine 
immer mehr fleigende Spannımg zwifchen Bater und Sohn, welche den Wenfch 
des Erfiern rege machte, die Thronfolge dereinft auf den jüngern Prinzen, Auguft 
Wilhelm, übergeben zu laffen. Der Miniſter v. Srumbfom und der Fürft Leopold 
von Anhalt: Deffau nährten diefe Spannung, um gewiſſe Plane zu fördern, fpä= 
terbin auch der dftr. Geſandte v. Seckendorf, diefer jedoch aus andrer Abfiht. Lin 
willig über den väterlichen Drud und Haß, befchloß Friedrich, zu f. mütterlichen 
Dbeime, Georg Il., nad) England zu flüchten. Nur Friedrichs ihm gleichgefinnte 
Schweſter, Friederike, und feine Freunde, die Lieutenants Katt und Keith, wußten 
unm das Seheimniß feiner Flucht, welche von Wefel aus gefchehen follte, wohin er 
. f.Bater, den König, begleitet hatte. Doch Katt's unvorfichtige Außerungen bat: 
ten die Abficht des Prinzen verratben. Der ring ward eingeholt, zu Kuͤſtrin ges 
richtlich behandelt, und mußte feinem Freunde Katt den Kopf abfchlagen fehen. 
Keith entfloh aus Weſel und lebte in Holland, England und Portugal, bis er nach 
Friedrichs Thronbefleigung nach Berlin zurückkehrte (1741) und zum Obriftlieutes 
nant, Stallmeifter und Curator der Akademie der Wipfenfchaften ernannt wurde. 
Während der Prinz in Küftrin, in engſter Haft, die Verhöre gegen fich befand, 
fieß ihm der König den Antrag machen, der Thronfolge zu entfagen, wofür ihm 
Freiheit der Studien, Reifen u. f. 10. geroähr? werden folle. „ch nehme”, fagte der 
Prinz, „den Vorſchlag an, wenn mein Bater erklärt, daß ich nicht fein leiblicher 
Sohn ſei!“ Auf diefe Antwort entfagte der König, welchen eheliche Treue Res 
ligionspflicht war, dergleichen Anfinnen auf immer. Daß der König geneigt war, 
feinem Sohne dag Leben abfprechen zu laffen, ft gereiß. Nur der Propft Reinbeck 
und Sedendorf, welcher früher wider den Prinzen diplomatifirt hatte, retteten ihn, 
indem befonders Letzterer die Eaiferl. Berwendung geltend zu machen wußte. Der 
Prinz, der, nach feiner Entlaffung aus dem engern Verhafte in Küftrin, auf des 
Vaters Befehl bei der Domainenfanmer als jüngfter Kriegsrath gearbeitet hatte, 
ward erft bei der Vermaͤhlung der Prinzeffin Friederike mit dem Erbprinzen Fried⸗ 
rich von Baireuth an den koͤnigl. Hof zurüdgeführt, und mußte ſich (1733)," nach 
des Baters Willen, mit der Prinzeffin Elifaberh Chriſtine (ſ. d.), Tochter des 
Herzogs Ferdinand Albrecht von Braunfchweig:Bevern, vermählen. Friedrich Wil: 
heim gab ihr das Schlog Schönhaufen, dem Prinzen die Sraffchaft Ruppin und 
(17134) die Stadt Rheinsberg, mo diefer bis zu f. Thronbefteigung den Wiffenfchaf: 
ten lebte. In feiner nächften Umgebung befanden ſich Gelehrte (Bielefeld, Chazot, 
Suhm, Fouquet, Knobelsdorf, Kaiferling, Jordan), Tonkünfller (Graun, Benda) 
und Dealer (Desne). Mit auswärtigen Gelehrten, befonders mit dem von ihm be: 
mwunderten Voltaire, fand er in Briefwechſel. Mehre Schriften, namentlich fein 
„Antimacchiavell”, erhielten in der ländlichen Ruhe Rheinsbergs ihr Dafein. Der 
Tod feines Vaters führte ihn am 31. Mai 1740 auf den Thron. Friedrich fand 
beim Antritt feiner Regierung nur eine Volksmenge von 2,240,000 Menfchen auf 
2190 OM.; bei f. Abfterben hinterließ er 6,000,000. Zu diefer Größe bob er, 
während f. 46jaͤhr. Negierung, den preuß. Staat durch feine großen Regenten: und 
SeldHerrntalente, im Selde und im Tabinet durch viele ausgezeichnete Männer un: 
terſtützt. Ein Heer von 70,000 Mann hatte fein Water, in der Erwartung eines 
Kriegs wegen der jülichfchen Erbfolge, immer fchlagfertig gehalten. Friedrich IH., 
der fhon große Ermartungen von fich erregt hatte, behielt größtentheils die Einrich⸗ 
tungen und Staatsgrundfüße feines Waters bei, gab aber den letztern mehr Aus- 
dehnung und Leben, Der Tod Raifer Karls VI. war ein günfliger Augenblick, den 


Friedrich U. (König von Preußen) 44 


Friedrich II. benugte, um bie Rechte des Haufes Brandenburg auf die fchlefifchen 
Fürftenthüimer Jaͤgerndorf, Liegnig, Brieg und Wolau, deren Belehnung feine Bor: 
fahren nicht hatten erlangen Eönnen, nur infoweit geltend zumachen, daß er von der 
Königin Maria Therefia bloß die Herzogthüimer Glogau und Sagan verlangte, wo: 
gegen er ihr Unterflüßung gegen alle ihre Feinde, ihrem Gemahl feine Stimme zur 
Kaiferroürde und 2 Mill, Thaler verſprach. Alser aber, f. Anträge verworfen fa, 
fo befegte er (Dec. 1740) Hiederfchlefien und fehlug die Oftreicher unter Meipperg 
(10. April 1744) bei Mollwig. Diefer Sieg, der Schlefiens Schickſal faft gänzlich 
entfchied, erweckte Oftreich mehre Feinde; Frankreich und Baiern verbanden fich mit 
Preußen, und der öflr. Erbfolgefrieg begann. Der einzige Bundesgenoffe der Kö: 
nigin von Ungarn und Böhmen, Georg 11. von England, rieth ihr zum Frieden 
mit Preußen, weil $riedrich I. ihr thätigfter und furchtbarfter Gegner war, Nach 
Friedrichs II. Siege bei Chotuſitz (Szaslau) (17. Mai 1742), endigten den erſten 
Hhlefifchen Krieg die Präliminarien, welche unter engl. Bermittelung (11. Juni) zu 
reslau, und der Friede, roelcher (28. Juli 1742) zu Berlin unterzeichnet wurde. 
Sriedrich erhielt mit voller Souverainetät Nieder: und Oberfchlefien nebft der 
Grafſchaft Glatz, mit Ausnahme von Troppau, Fägerndorfund Teſchen. Dage⸗ 
gen entfagte Friedrich allen Anfprüchen auf die übrigen öftr. Zander, übernahm eine 
auf Schlefien haftende Schuld von 1,700,000 Thlen. und verfprach, die Rechte 
der Katholiken in Schlefien ungefränft zu erhalten. Sachſen trat diefem Frieden 
bei, und England und Rußland verbürgten denfelben. Friedrich II, benußte ihn 
fogleih, um fein erobertes Land gut.einzurichten und fein Heer furchtbarer zu ma: 
chen. 17143 nahm er, nach dem Tode des legten Grafen von Oſtfriesland, Beſitz 
von diefem Lande, auf welches fein Haus 1644 eine kaiſerl. Anwartſchaft erhalten 
batte. Als bei der Fortfegung des äftr. Erbfolgefrieges der Kaifer Karl VAL, aus ſ. 
bairifchen Erblanden hatte flüchten müffen, und die öftr. Waffen überall fiegreich 
waren, befürchtete Friedrich, dag auch ihm Schlefien wieder entriffen werden möchte, 
‚ Er verband fich daher insgeheim mit Frankreich (April 1744) und mit dem Kaifer, 
mit Pfalz und Heffen: Raffel (22. Mai 1744) zu Frankfurt, wobel er der Sache 
des Kaifers durch einen Einfall in Böhmen aufzuhelfen verfprach, fich aber den koͤ⸗ 
niggehier Kreis von Böhmen ausbedang. Unerwartet rüdte er (10. Aug. 1744) 
in Böhmen ein und eroberte Prag, mußte aber, von den Oftreichern, unter dem 
Beinen Karl von Lothringen, und den mit ihnen verbundenen Sachfen gedrängt, 
öhmen noch vor den Ende des Jahres verlaſſen. Der Tod des Raifers (18. Yan, 
4745) und die Niederlage der Baiern bei Pfaffenhofen bewirften, daß der junge 
Kurfürft Maximilian Joſeph von Baiern im Frieden zu Füßen mit Marie The: 
refla ſich ausſohnte, und dag die franffurter Union fich, auflöfte, nachdem fich Hef- 
fen-Raffel für neutral erflärt hatte, Dagegen waren Offreich, England, die Nie⸗ 
derlande und Sachfen zu Warfchau (8. Jan. 1745) zu einem genauen Bündniffe 
zufammengetreten, und &achfen hatte noch einen befondern Vertrag (18. Mai 
17145) mit Oftreich gegen Preußen abgefchloffen. Allein Friedrich befiegte die Oft: 
reicher und Sachfen (4. Juni 17145) bei Hohenfriedberg (Striegau) in Schlefien, 
ging darauf nach Böhmen und fiegte noch einmalin einem fehr Hartnädigen Kampfe 
et Sorr (30. Sept, 1745). Der Sieg der Preußen unter dem Fürften Leopold 
von Deffau über die Sachfen bei Reffelsporf (15, Dec. 171456) führte den Frieden von 
Dresden (25. Dec.) herbei, welcher auf die Srundlage des berliner Friedens abge: 
(Hloffen ward, fodag Friedrich Schleflen behielt, den Gemahl der Maria Therefia, 
Franz l., als Kaiſer anerfannte, und Sachfen eine Mill. Thlr. an Preußen zu zah⸗ 
len verſprach. Durch diefen $rieden wurde der zweite fchlefifche Krieg geendigt. 
Während der folgenden 11 friedlichen Jahre widmete Friedrich U. fich ganz der thaͤ⸗ 
tigften Regierung des Innern und des Heers, dabei aber den Muſen (er fchrieb in 
diefer Zeit die „Memoires de Brandenbourg“, das Gedicht: „Die Kriegskunſt“, 


422 Sriedrih U. (König von Preußen) 


und andre poetifche und profaifche Aufſaͤtze), beftrebte fich, Aderbau, Künfte, Fa⸗ 
brifen und Manufacturen blühend zu machen, den Handel zu beleben, die Geſetz⸗ 
gebung zu verbeffern, die Staatseinfünfte zu vermehren, fein Heer, das bis auf 
160,000 M. angewwachfen war, immer mehr auszubilden, und fo den Staat auf 
eine höhere Stufe der Vollkommenheit zu bringen. Geheime Nachrichten über 
eine Verbindung zwiſchen Öftreich, Rußland und Sachfen, die er befonders durch 
den Verrath des füchfifchen Kanzliften Menzel erhielt, erregten in ihm die Beforg: _ 
niß eines Angriffs, und des Verluftes von Schlefien. Durch einen Einbruch in 
Sachfen (24. Auguſt 1756), mit welchem der Siebenjährige (f. d.) oder dritte 
fhlefifhe Krieg begann, eilte er, feinen Feinden zuvorzufommen. Der Friede zu 
Hubertsburg (15, Febr. 1763), bei melchem der breslauer (17142) und der dresd⸗ 
ner (1345) $riede zum Grunde gelegt wurden, endigte diefen Krieg ohne fremde 
Bermittelung, nach dem Grundſatze, daß Alles auf dem alten Fuße blieb. Fried: 
rich trat mit einem Glanze aus dieſem fiebenjährigen Kampfe heraus, der ihm für 
die Zukunft einen entfcheidenden Einfluß auf die deutfchen und europäifchen Ange: 
legenheiten zuſicherte. Seine nächite Sorge galt der Unterftüßung feiner durch den 
Krieg ausgefogenen und erfchöpften Linder. Er öffnete feine Magazine, um feinen 
Untertbanen Getreide zur Nahrung und Samen zur Beftellung der Felder zu ver: 
fhaffen. Den Landleuten ließ er Aderpferde austheilen; die eingeäfcherten Hau⸗ 
fer erbaute er von feinem Gelde, errichtete Colonien, Fabriken und Manufacturen, 
und legte verfehiedene Canaͤle an. Schleſien erhielt auf 6 Monate, die Neumarkt 
und Pommern auf 2 Jahre Befreiung von allen Abgaben. Für den Adelin Schle⸗ 
fien, Pommern und den Marken wurde ein Creditſyſtem errichtet, durch welches 
der Preis der Güter erhöht und der Zinsfuß erniedrigt wurde. 1764 begründete 
Friedrich die berliner Bank und gab ihr 8 Mill. zum erften Sonde. Die Maßregel, 
daß er (1766) die Accife ganz auf franz. Fuß organifirte, fand vielen Tadel,, Mehre 
gute Anftalten erhielten in diefer Zeit des Friedens von ihm ihr Dafein; das neue 
Geſetzbuch ward aber erft unter f. Nachfolger beendigt und eingeführt, Mit Rup- 
land ward (31. Mir} 1764) ein Bündnif gefchloffen, in deffen Folge Friedrich die 
Wahl des neuen Könige von Polen, Stanislaus Poniatowski, und die Sache der 
gedrüdten Diffidenten in Polen unterftüßte. Um Preußen mit Pommern und der 
Mark zu verbinden und überhaupt feinen Staat zu runden, genehmigte Friedrich 
die erfte Theilung Polens, die zu Petersburg verabredet und am 5. Aug. 1772 be: 
fehloffen wurde. Friedrich erhielt in demfelben ganz Polnifch: Preußen (das 1466 
vom deutfchen Orden an Polen überlajfen worden war), nebft dem Theile von Groß: 
polen bis an den Netzfluß, doh mit Ausnahme von Danzig und Thorn. Seit 
diefer Zeit ward das Königreich Preußen in Oft: und Weftpreußen eingetheilt. “Der 
König lie zu Graudenz eine Feflung anlegen und errichtete zu Marienwerder eine 
Kriegs: und Domainenfammer. Bei feinem wachfamen Blicke auf die Abfichten 
und Plane des thätigen Raifers Jofeph I1., der ihn 1269 in Schlefien befucht, und 
dem er 1770 in Mahren f. Gegenbeſuch gemacht hatte, erflärte er fich 1778 gegen 
die Befegung eines großen Theils von Baiern durch die Hſtreicher, nachdem der 
Kurfürft von Baiern, Mar. Joſeph, Finderlos geftorben, und diafes Land an den 
Kurfürften Karl Theodor von der Pfalz, als nächften Erben, gefallenmwar. “Denn 
obgleich der Letztere in eine Abtretung geroilligt hatte, fo widerfprach doch, im Der: 
trauen aufFriedrichs Schuß, der muthmaßliche Erbe von Pfalzbaiern, der Herzog 
von Zweibrüden, dieſer Abtretung, ſowie der Kurfürft von Sachfen, der gerechte 
Anfprüche auf die bairifche Allodialerbfchaft hatte. Da Oftreich Durch Feine Unter: 
handlungen von feinem Plane zurüdtgebracht werden Eonnte, fo verband ſich Sach 
fen mit Preußen, und Friedrich rüd:e (Yuli 1778) mit 2 Heeren in Böhmen 
ein. Kaifer Joſeph fland in einem feft verfcehanzten Lager hinter der Elbe bei Ja⸗ 
romirs, und rear zu feiner Schlacht zu bringen. Die bejahrte Maria Therefia 


Friedrich N. (König von Preußen) 423 


rofinfchfe den Frieden; doch zerfchlugen fich die im Kofler Braunau (im Aug.) deß⸗ 
halb angefnüpften Unterhandlungen. Die Heere machten hierauf gegenfeitig ver 
fehiedene Bervegungen, jedoch ohne Entſcheidung. Als aber Katharina Il. erklärte, 
fie werde Preußen mit 60,000 M. unterftügen, fo ward diefer bairifche Erbfolges 
krieg ohne Schlacht durch den Frieden zu Tefchen (13. Mai 1779, f.d.) beendigt. 
Friedrich hatte yleich anfangs bei den Unterhandlungen großmüthig, erklärt, daß er 
für fich, wegen der aufgewendeten Kriegskoſten, nichts begehre. Oſtreich willigte 
blog in die Bereinigung der fränfifchen Fürftenthümer mit Preußen und bob Die 
Lehnshoheit Böhmens über diefe Känder auf. 1780 fiel dem Könige, nach dem 
Erlöfchen des Haufes Mansfeld, derjenige Theil der Grafſchaft Mansfeld anheim, 
der unter magdeburgifcher Hoheit fand und bereits feit 200 J. adminiftrirt wor: 
den war, Noch am Abend feines thatenreichen Lebens ſchloß Friedrich (23. Juli. 
1785 , in Verbindung mit Sachfen und Hannover, den deutfchen Fürftenbund 
(f. d.). Eine unheilbare Wafferfucht beförderte den Tod des großen Könige. Er 
ftarb zu Sans⸗Souci am 17. Aug. 1786 im 76. Lebens: und im 47T. Regierungs⸗ 
jahre, und hinterließ feinem Neffen, Friedrih Wilhelm J1., ein um 1325 DM. 
vermebrtes Reich, einen Schag von mehr als 70 Mill., ein Heer von 200,000 M,, 
einen hoben Credit bei allen europäifchen Deächten, und einen durch Bevälferung, 
Gewerbfleiß, Wohlftand und wiſſenſchaftliche Bildung Eräftig emporgebobenen 
Staat. Friedrichs thatenvolles Leben hatte feine Zeitgenoffen mit fo hoher Ach: 
tung erfüllt, daß fie den Beinamen des Großen zu gering für ihn hielten; fie nann⸗ 
ten ihn den Einzigen. eläutert durch manche bittere Erfahrung, noch ehe er den 
Thron beftieg, gefräftigt durch das Vorbild des Vaters, unterfhißt von einem fel: 
tenen Derftande, der fich in der einfamen Periode feines Lebens zu Rheinsberg ent: 
wickelt hatte, ergriff Friedrich das Steuerruder feines Reichs, und erfchütterte zu⸗ 
gleich das ganze Staatenſyſtem Europas, als er das Schwert zog, um feine reiche 
flindifchen Rechte und die Anfprüche feines Haufes zu retten vor den Anmaßungen 
und dem Drude des Faiferl, Scepters, als er den Fürftenbund, dies Meifterroerf 
feiner ‘Politik nach den Bedürfniffen jener Zeit, ausdachte und errichtete. Eines 
feiner großen Berdienfte um fein Land ift, daß er auch in den bedenklichften Umſtaͤn⸗ 
den feine Staatsſchulden machte, mol aber, obfchon er einen bedeutenden Theil 
der Einkünfte in verfchiedenen Wegen wieder unter feine Untertbanen zurückfließen 
ließ, einen Schag fammelte, größer, als je ein Regent in Europa dergleichen befeffen 
. bat. Zu feinen Fehlern rechnet man die Geringſchaͤtzung der priefterlichen Inſtitu⸗ 
tionen, welche von feinen Zeitgenoffen als Geringſchaͤtzung der Religion felbft be: 
trachtet wurde, Daß aber Friedrichs Herz und Geiſt dem höchften Gedanken in 
‚wahrer Krömmigfeit immer offen war, das beweifen fein Leben und feine Schrif⸗ 
ten. Daß unter feiner Regierung der Priefter-Nimbus faft gang erlofch, und Viele 
fich als Freigeiſter gefielen, war ein geringeres Leiden der Zeit, als die verfuchte Ketzer⸗ 
lehre unter feinem Nachfolger. Wasman Friedrichs Freigeiftereinennt, war mei: 
ter nichts als ein Vorausſchreiten im Seift über die Spanne feiner Zeit. Bei ſeiner 
gänzlichen Unbekanntſchaft mit der deutfchen geiftigen Bildung achtete er diefe ge: 
ring und trug felbft nichts zu ihrer Vervolllommnung bei. Indeß muß bemerkt 
werden, daß die deutfchen Mufen, als Friedrich die franz. Bildung annahm, eine 
kuͤmmerliche Seftalt Hatten; Friedrichs Geift konnte fich in diefer Armuth, in den 
abſchreckenden Formen der deutſchen Wiffenfchaft nicht gefallen, und als ein höherer 
Geiſt über diefe kam, war dervielbefchäftigte König in feinem Kreife fchon zu einhei⸗ 
mifch, als daß er für jenen noch hätte empfänglich werden fünnen. Friedrichs ſammtl. 
Werke, welche vorzüglich die Geſchichte, Staatswiſſenſchaft, Kriegswiſſenſchaft, Phi⸗ 
loſophie und Literatur überhaupt betreffen, ferner feine poetiſchen und vermifchten 
Schriften findet man in den drei Sammlungen: „Deuvres posthumes de Fre- 
deric IL eic.”_(Berl. 1788, 15 Bde); „Suppläment aux Oeuvres posthu- 


/ 


7 


424 Friedrich Wilhelm II. (König von Preußen) 


mes de Frederic le grand” (Berl., 5 Bde.) und „Oeuvres de Frederic 11. 
ubliees du vivant de l’autenr‘ (Berl. 1789, 4 Bde.); Eritifcher ift die Ausg. : 
mfterdam 1789 u.1790. Sein „Autimacchiavel” (zuerft Haag 1740) zeigt, 

wie er fich zum Regenten vorbereitet habe. Ein Eäftlicher Fürftenfpiegel ift fein Ber: 

fuch über Regierungsformen und über die Pflichten der Regenten, welchen er nach 
einer 40jaͤhr. Regierung fehrieb. Dippold entwirft inf. „Skizzen der allgem. Geſch.“ 
ein treffendes Bild von Friedrich. Aber Friedrichs Regierung war eine Selbſtregie⸗ 
rung, und die Folgen derfelben zeigten fich am nachtheiligften in der Civiladminiſtra⸗ 
tion, die immer mehr zur Mafchine ward. Sich felbft genug, Eannte Friedrich einen 

Staatsrath, was in einer erbliden Selbftherrfchaft unvermeidlich dahin führen 

kann, daß der Geiſt eines Herrfchers fich felbft überlebt. Die Stärfe des Staats, 

die in der Nation und in der Verwaltung liegt, fah Friedrich bloß in feiner Armee, 

in feinem Schaße. Nirgends fonnte daher die Scheidewand zwiſchen dem Civil⸗ u. 

Mititairftande fo ſtark werden als in der preuß. Monarchie, was nicht zur Stärfe 

des Staatsgebäudes beitragen Eonnte, Indeß mag wol gefragt werden: ob es nicht 

eher ein Gluͤck für deutfche Kunft und Gelehrfamkeit war, dag Friedrich fich ihrer 
nicht befonders annahm, fondern fie vielmehr ihr felbft und dem Volke überließ! Ein 

Selbſtherrſcher wird einer Sprache immer fehlechten Dienft erweiſen, wenn er fich 

mehr gegen fie erlaubt, als nur den freien Gang ihrer Ausbildung zu fehügen. Fried: 

rich Fannte den Geiſt der Sprache feines Volks nicht, und fo mag es ihm zu großem 

Lobe gereichen, daß erfich weder für befugt noch für berufen bielt, fich ihr als Herr⸗ 

fcher aufzudringen, um in diefer großen Angelegenheit Partei und Richter zugleich 

zu fein. Um fo mehr aber ift anzuerfennen, daß Friedrich im edelften Sinne popu⸗ 
lair, daß er der Mann des Volkes war. Er lebte ganz eigentlich in Mitten feines 

Volks; Jeder feines Volks rühmte fi) Seiner und trat ihn an, denn er fand nir⸗ 

gends Schranken zwiſchen dem Vater und den Söhnen des Vaterlandes. Und was 

allen Tadel, allen Fehl und Mangel des großen Mannes überfirahlt: er betrachtete 
fich, den König, nur als den erften Diener des Staats, und der große Gedanke feines 

Lebens war: „Als König denken, leben, ſterben“. DM. vgl. W.v. Dohm's, Denk⸗ 

mwürdigfeiten ꝛc.“ (Zemgo 1814 fg., 5 Bde). Reich an charakterift, Zügen 


find. Thiebault's „Souvenirs“ (1. A. 1804; 4. 3. 1824 in 5 B.; deutſch 


u. d. T.: „Friedrich. d. Gr., f. Familie, f. Freunde u. f. Hof, Leipz. 1828, 
2 Th). Eine gute Zufammenftellung ift: „Das Leben Friedr. d. Einz.“ von 
©. Fr. Kolb (Speyer u. Leipz. 1828, 4. Bdch.) 


Friedrich Wilhelm Ii., König v. Preußen, geb. 1744, Brudersfohn u. . 


Nachfolger Friedrichs I1. Sein Vater, Auguft Wilhelm, 2. Sohn Friedrich Wil: 
beims I., befehligte 1757 ein preuß. Armeecorps in Böhmen und der Laufiß, aber 
nicht mit Glück, und flarb 1758. Nach f. Tode wurde Friedrich Wilhelm von f. 


Oheim, $riedrich I., zum Kronprinzen von Preußen erklärt. Der junge Prinz über: 


ließ fich bald einer Lebensweiſe, welche der Oheim mißbilligte, und welche Beide eine 
lange Reihe von Jahren hindurch von einander entfernte. Doch äußerte Friedrich II, 
f. Zufriedenheit mit dem Kronprinzen, als er im bairifchen Erbfolgefriege (17178) 
bei Neaftädtel in Schlefien einen Beweis perfönlicher Tapferkeit gegeben hatte. 
grietrig Wilhelms erfie Gemahlin war Elifabetb Thriftine Ulrike, Prinzeffin von 

rıunfchtveig, die noch in Stettin lebt. Nach der Trennung diefer Ehe (17169) ver: 
maͤhlte er fich mit der Prinzeffin Louiſe von Heffen:Darmfladt, Mutter des jegt re 
gier. Königs. Sein Regierungsantritt begann unter günftigen Umſtaͤnden (17. Aug. 
17186). Preußen war in feinen Kampf mit äußern Feinden verwickelt, und Fried- 
richs 11. Politik hatte ihm in der legten Zeit f. Lebens eine Art von ſchiedsrichterli⸗ 
chem Einfluffe auf die Angelegenheiten Europas verfchafft. Doch bald ging durch 
politifche Mißgriffe der Credit in den auswärtigen Cabinetten verloren; durch uns 
nüße Kriege und durch den Aufwand der Lieblinge wurde der geerbte Schag verſchleu⸗ 


J 


Briedrih Wilhelm I. EKonig von Preußen) 425 


Dert, ſodaß beides Königs Tode 48 Mill. Schulden vorhanden waren. F. Bst, 
erfte Theilnahme an auswärt. Angelegenh. beftand darin, dag er (1787) eine Armee 
unter dem Herzöge v. Braunſchweig nach Holland fehickte, wo die Patrioten (die 
antioranifche Partei) die Rechte des Erbflatthalters nicht mehr anerkennen wollten, 
zınd deffen Gemahlin, Schwerter des Königs, bei ihrer Reife nach dem Haag beleis 
Digt, dafür aber feine Senugthuung gegeben hatten. Die Preußen drangen ohne 
MWiderftand bis Amfterdam, und die alte Ordnung der Dinge myırde bald hergeftellt, 
auch (15. Apr. 17188) eine Schußverbindung im Haag zwiſchen Preußen, England 
. und Holland gefchloffen. In dem Kriege zwifchen Schweden und Rußland (1788) 
binderte F. W., in Verbindung wit England, den fernern Angriff Daͤnemarks 
auf Schweden. Eiferfüchtig auf die Fortſchritte Rußlands und Öftreichs im Tür: 
. Eenfriege, verbürgte,er der Pforte in einem Bündniffe, 1790, alle ihre Befigungen, 
und reizte dadurch Oſtreich, ſodaß bereits ein preuß. Heer in Schlefien an der bob: 
mifchen Grenze, und ein öftr, in Böhmen fich zufammenzog. Doch Leopold 11. 
soünfchte feinen Krieg mit Preußen und verfprach (27. Juli 17190) in der reichene 
bacher Sonvention, welche, unter Bermittelung Englands und Hollands, zwifchen 
Hſtreich und Preußen abgefchloffen wurde, den Türfen alle Eroberungen, bis auf 
den Bezirk von Aluta, zurückzugeben, auf welche Bedingungen auch der Friede von 
Sziſtowe zwifchen Öftreich und der Pforte abgefchloffen wurde. Die Mißverfländ: 
niffe über diefe Convention glichen Leopold II. und Friedrich Wilhelm II. bei ihrer 
Zufammenfunft in Pillnig (Aug. 1791) aus, wo fie zueiner nähern Verbindung in 
25508 der franz. Angelegenheiten zuſammentraten. Ein Theil der Polen, an ihrer 
pitze der König Stanislaus Auguſt, beabſichtigte eine neue Verfaſſung des Reiche 
. und eineerbliche Thronfolge, welche dem fächfifchen Haufe beflimmt var. Um einer 
auswärtigen Bürgfchaft fich zu verfichern, ward das Buͤndniß zwifchen Polen und 
Preußen gefchloffen, in welchem Preußen die Untheilbarfeit des polnifchen Staats 
anerkannte und demfelben einen Beiftand von 40,000 M. und 4000 M. Tavalerie 
zuficherte, fobald fich eine fremde Macht in deffen innere Angelegenheiten mifchen 
würde. Bald aber wußte Katbarinali,, nachdem fie mit der Pforte Frieden gefchlof: 
fen und, ohne felbft Antheil an dem Kampfe gegen Frankreich zunehmen, Preußens 
und Oftreichs Anftrengungen in diefem Rriege berechnet hatte, Friedrich Wilhelm da⸗ 
Bin zu bringen, entweder, als Folge des Bündniffes mit Polen, diefen Staat gegen 
Rußland zu vertheidigen, oder ihn in Verbindung mit Rußland zum zweiten Mal 
zu tbeilen. Preußen ließ (Yan. 1793) Truppen unter Möllendorf’s Anführung 
in Öroßpolen einrüden und einen Landfirich befegen, der 14100 OM. groß, und 
mit Einfchlug von Danzig und Thorn, 1,200,000 Einw. faffend, u. d. N. Süd: 
preußen mit Weftpreugen verbunden und nach preuß. Derfaffung eingerichtet 
wurde. Dbgleich nun der Reichstag von Grodno diefe Abtretung und den gleiche - 
zeitigen Zänderverluft an Rufland genehmigen mußte, fo brach doch (Apr. 1794) 
unter Kosciuszko und Madalinski ein Aufftand der Polen zur Wiederherſtellung 
ihrer Selbfländigfeit aus, in welchem anfangs die Ruſſen und auch die Preußen 
‚ mehrmals befiegt wurden, bis endlich Rosciuszfo von dem ruffifchen General Fer: 
fen (10. Det.) gefangen, und Praga (4. Nov.) von Suwaroff erftürmt ‚wurde. 
Darauf ward in der dritten Theilung Polens (17195), zwiſchen Rußland, HOftreich 
und Preußen, der Reſt des polnifhen Staats aufgelöft. Preußen erhielt dabei 
noch einen bedeutenden Laͤnderzuwachs. Den Antheil’Preußensan dem Rampfe gegen 
Frankreich begründete, als Folge der pillnißer Convention, das Buͤndniß mit Dftreich 
(Berlin, 1. Febr. 1792), in welchem fich beide zur Erhaltung der deutfchen Reiche: 
verfaffung, zur Bekämpfung der franz. Revolution und zur Errichtung einer freien 
Eonftitution in Polen vereinigt hatten. Obgleich man nun in Frankreich nicht 
erwartete, daß Preußen wirklich am Kampfe Theil nehmen wuͤrde, fo ließ doch 
Friedrich Wilhelm (Juni 17192) ein Heer von 50,000 M. nach dem Rheine auf: 


! 


420 Friedrich Wilhelm IN. (Kbnig von Preußen) 


brechen und folgte demſelben mit den Prinzen. (&. Braunfhweig, K. W. F. 
Herzog von, und Möllendorf) Am 5. Apr. 1795 fühnte fih Preußen im 
Frieden zu Baſel (ſ. d.) mit der Republik aus und lieg feine jenfeits des Rheins 
gelegenen Länder in den Händen der Franzofen. Für die Meutralirät des noͤrdl. 
Deutfchlands ward eine Demarcationslinie (f. d.) verabredet. Noch waren 
wihrend F. W811. Regierung von dem legten Fürften des brandenburgifch-frän: 
kiſchen Mannsflammes, dem Markgrafen Chriftian Friedrich Karl Alerander, die 
beiden fränt. Fürftenthümer Anfpach u. Baireuth (2. Dec. 1791) gegen eine jaͤhrl. 
Leibrente von 500,000 Stdn. der Rurlinie völlig überlaffen, und von dem Könige 
bei diefer Gelegenheit derrothe Adlerorden erneuert worden. In Hinficht der innern 
Per waltung war zwar die von Friedrich Il, eingeführte franz. Regie abgefchafft, und 
manche zweckmaͤßige Einrichtung begründet, ſowie ein neues allgemeines Geſetzbuch 
eingeführt worden; allein die von Friedrich 11. geförderte Aufklärung und Toleranz 
ward durch Wöllner und andre Maͤnner in des. Königs Umgebung vermittelft des 
Religiongediets (1188) und andre Maßregeln fehr befchränft.e Friedrich 
Wilh. 11. flarb am 16. Nov. 1797, im 54. Lebens: und 12. Regierungs⸗ 
jahre. (Bol. Preußen, Haugmwig, Herzberg.) 
Friedrich Wilhelmlil, jetzt regierender König von Preußen, Altefter 
Sohn’ Friedrih Wilhelms LI. und der 1805 zu Berlin als Witwe verft. Königin 
Louiſe, Prinzeffin von SHeffen:Darmftadt, geb. am 3. Aug. 1770. Unter der 
obern 8eitung f. Großoheims, Friedrichs I1., ftand vorzüglich f. Mutter f. Erziehung 
vor. Sein nachmaliger Erzieher war der Graf Karl Adolf v. Brühl ,? ale er: 
ſter Gouverneur. “Der junge Prinz zeigte viele geiftige, Anlagen, ein treffliches 
Gemuͤth, und befonders jene Kraft des Charakters, die er in der Folge, befonders 
im Unglüd, behauptet hat, Man kennt noch jene Prophezeihung Friedrichs über 
ihn, zu welcher ein jugendliches Spiel die Beranlaffung gab. Die Erziehung des 
fungen Prinzen und feiner Brüder war nicht bloß militairifch, fondern zugleich po- 
pulair ; fie lernten fruͤhzeitig fich andern Ständen nähern. Im Aug. 1791 begleic 
tete F. W. III. als Kronprinz, feinen Vater nach Dresden, und legte bier den 
Grund zu der Befanntfchaft mit dem jeßigen Kaifer von Oftreih. Als nicht lange 
nachher Preußen, in Berbindung mit Oftreich, den Krieg gegen Sranfreich erflärte, 
und Friedrich Mildelm 1. im Juni 1792 fich zu f. unter dem Befehle des Herzogs 
von Braunſchweig ftehenden Heere an den Rhein begab, begleitete ihn der Kron⸗ 
prinz, nebft den übrigen Prinzen des konigl. Haufes, und zeigte bei verfihiedenen 
Selegenbeiten tie Unerfchrodeenheit, die den preuß. Prinzen eigenthumlich zu fein 
fheint. Diefer Feldzug wurde die Veranlaſſung, daß der Prinz feine nachherige 
Gemahlin, die Königin Louiſe, kennen lernte, Diefe Prinzeffin, T. des Herzogs 
Karl von Mecklenburg⸗Strelitz, der ficd in Darmftadt aufhielt, hatte, beim Aus- 
bruche des Kriege, mit ihrer jüngern Schweſter Darmftadt verlaffen und ſich 
einige Zeit in Hildburgbhaufen bei einer Altern Schweſter, der regierenden Herzogin, 
aufgehalten. Nachdem Frankfurt a. M. (Dec. 1792) den Franzofen entriffen 
"worden war, nahm König Kriedr. Wilh. IT. den Winter bindurch fein Hauptquar: 
tier in diefer Stadt. Die beiden Prinzeffinnen nahmen (Maͤrz 1793) ihren Rüd: 
weg nach Darmftadt über Franffurt und wurden von dem Könige zur Tafel gela- 
den. Die Prinzeffin Louiſe erregte gleich beim erften Anblid die Aufmerkſamkeit 
des Kronprinzen. Nicht Staatsgründe oder Familienverhältniffe, fondern die 
Harmonie der Sefinnungen und der Einklang der Herzen fchloffen den gluͤcklichſten 
Dund; der Kronprinz verlobte ſich mit der Prinzeffin Louife in Darmfladt, am 
24. April 1793, und am 24. Dec. fand zu Berlin die Vermählung flatt. 
F. W. Il. folgte ſ. Vater, den 16. Nov. 1797, in der Regierung, und befuchte 
im Frübjahr 17198, in Begleitung feiner Gemahlin, die vornehmften Städte feines 
Reiche, um die Huldigung ju empfangen. Syn denleßten Jahren F. W.'s Il. hat: 


. 


Friedrich Wilhelm II. (König von Preußen) 427 


ten Sünftlinge beiderfei Geſchlechts fich der oberften Gewalt bemächtigt und miß- 
brauchten fie zu niedrigen Zwecken. Berfchiedene Heilfame Einrichtungen Fried: 
‚ ride II. waren vernichtet worden. Die Beſſern im Bolke richteten ihre Augen 
fehnsfuchtsvoll auf den Kronpringen, der im Seifte feines Großoheims zu handeln 
Hoffen lieg. Er erfüllte gleich nach dem Antritte feiner Regierung die von ihm gefaßte 
Hoffnung, fo vieler Eonnte. Das verhaßte Religionsedict, eötfner’s Ausgeburt, 
und das Genfurreglement rourden, ſowie der läftige Kabadepadht, aufgehoben, Druck⸗ 
und Preßfreiheit wiederh rgeftelle; eine vernünftige Senfur wurde angeordnet; der 
Lauf der Juſtiz durfte nicht mehr durch willkürliche Cabinetsbefehle unterbrochen 
werden. Der junge König entfernte mehre Perfonen, die unter der vorigen Regie: 
rung den gerechten Unwillen der Nation gegen fich erreat hatten, und ftellte an die 
Spitze der Hefchäfte Männer von anerkannter Einficht und Redlichkeit. Die Recht: 
lichkeit des Königs zeigte fich auch in feinen Cabinetsbefehlen; fie lieferten ein bis 
dahin ungewöhnliches Beifpiel, daß der Regent den Regierten die Gründe feines 
Verfahrens einzeln darlegte. Eine weiſe Sparſamkeit, welche die zerrütteten Finan⸗ 
zen und eine Staatsfchuldenfafl von 22 Mill. Thlrn. nothwendig machten, wurde 
eingeführt. Der König felbft gab das Beifpiel an feinem Hofe, mo edle Einfach: 
beit, verbunden mit Ordnung und Pünktlichkeit, herrfchte. Das koͤnigl. Paar mar 
das ſchoͤnſte Deufter eines glücllichen, häuslichen Lebens und der auf Thronen fo fel- 
tenen Sattenliebe. (Bol. Louife.) — Bei dem erneuerten Kampfe der europät: 
fhen Mächte gegen Frankreich behauptete Preußen die feit dem bafeler Bertrage 
vom 17. Mai 1795 angenommene Neutralität, und F. W. 1IJ. benußte diefe Zeit des 
Friedens, um die alten und neuen Provinzen feines Reichs zu einer immer höhern 
Stufe der Bildung zu erheben, und befonders in leßtern den innern Wohlſtand 
dauerhaft zu gründen. Durch den bafeler Frieden war feftgefeßt worden, daß. die 
franz. Truppen die auf dem linken Rheinufer liegenden preuß. ‚Provinzen, Geldern, 
Meure und einen Theil von Kleve, fortwährend in Befig behalten follten; die defi⸗ 
nitive Entfcheidung wegen diefer ‘Provinzen war bis zum allgemeinen Frieden zwi: 
fehen Franfreih und dem deutfchen Reiche ausgefeßt geblieben. Nachdem diefer 
Friede am 9. Febr. 1801 zu Luneville zu Stande gefommen, und das ganze linke 
Rheinufer an Frankreich überlaffen worden war, erhielt Preußen 2 jahre nachher 
durch den Reichsdeputationgfchlug den öftlichen Theil des Stifte Münfter, die Für: 
ftentbümer Hildesheim, Paderborn, Eichsfeld, Erfurt mit feinem Gebiet, Unterglei: 
chen, Treffurt, Dorla, die freien Städte Soslar, Mühlhaufen und Nordhaufen, die 
Stifter Duedlinburg, Effen, Werden, Eliten, die Abtei Herford und die Propftei 
Karppenberg. Preußen gewann durch diefe Entfchädigung gegen 180 DIM., mit 
mebr denn 400,000 Einw., größtentheils treffliche, dem Staate wohlgelegene Laͤn⸗ 
der, mit einem Überſchuſſe an Einkünften von mehr als 2 Mil. Gldn. Durch einen 
aufch mit Baiern wurden die frünfifchen Fürftenthümer zweckmaͤßig und mit einem 
Gewinn von ungefähr SOM. gerundet. F. W. war jegt Beherrfcher einer Nation, 
deren Volksmenge gegen 10 Mill. betrug. Bei dem durch die dritte Coalition zwi⸗ 
hen England, Rußland und Oftreich gegen Frankreich 1805 auggebrochenen Rriege 
lieb F. W. feinem Neutralitatsſyſtem getreu. Bewegungen, welche von Rußland 
gegen Preußen gemacht wurden, veranlaften den Rönig, auch feige Truppen in Schle: 
fien und an der Weichfel zufammenzuziehen. Aber der unerwartete Durchmarfch 
eines franzöfifch:bairifchen Heeres durch das neutrale,anfpachifche Gebiet und die 
perfönliche Gegenwart des Raifers Alexander in Berliffänderten die Lage der Dinge, 
Der König trat insgeheim (3. Nov. 1805) der Coalition gegen Frankreich unter ge: 
t0-ffen Bedingungen bei, fuchte noch den Frieden zwiſchen den Eriegführenden Mäch: 
ten zu vermitteln, und ſchickte ein, Heer nach Franken. Mach der Schlacht von Au: 
ſterlitz kam der Friede zwiſchen Dftreich und Frankreich zu Stande. Wenige Tagg 
vorher (15. Dec.) war zu Wien, durch den Grafen Haugwitz, eine vorläufige Übers 


428 Sriebrih Wilhelm II. (Rönig von Preußen) u 


einfunft zwiſchen Preußen und Frankreich abgefchloffen worden. Durch diefe wurde 
die Berbindung der beiden Mächte erneuert, und die gegenfeitige Garantie der alten 
und neuerworbenen Länder fefigefegt; Preußen trat Anfpach. zu Sunften Baierns, 
Kleve und Neufchatel zur freien Verfügung. an Sranfreich, und diefes dagegen den 
ganzen Eurhanöverfchen Stäat an Preußen ab. Diefe unglüdliche Erwerbung von 
Hanover, wovon Preußen aın 1. April 1806 wirklich Befiß nahm, veranlaßte zuerſt 
ein Manifeſt (20. April), und dann eine förmliche Kriegserklärung Englands gegen 
Preugen (11. Juni), Auch mit Schweden, deffen König in Folge eines mit Eng⸗ 
land gefchloffenen Subfidienvertrags das Herzogtbum Lauenburg decken wollte, 
brachen Feindfeligkeiten aus; die Preußen vertrieben die fehwedifchen Truppen aus - 
dem Lauenburgifhen, Doch erfolgte bald (Aug. 1806) eine Art von Ausfohnung 
zroifchen beiden Mächten. Neue Sriedensunterhandlungen Frankreichs mit Eng⸗ 
land und Rußland, durch welche Preußen fich gefährdet glaubte, und die Errich- 
tung des Rheinbundes, veranlaßten auch zwifchen Preußen und Frankreich neue 
Unterhandlungen. Preußen hatte die “Ydee, im Norden von Deutfchland, forvie 
Napoleon in Süden und Welten es gethan hatte, einen nordiſch-deutſchen Bund zu 
fliften, welcher alle. im Srundvertrage des rheinifchen Bundes nicht genannte 
Staaten enthalten follte. Um den Foderungen, dag Franfreich diefer beabfichtig- 
ten Berbindung fein Hinderniß entgegenftellen, feine Truppen aus Deutfchland zu⸗ 
rückziehen, und verfchiedene widerrechtlich befeßte Orte räumen follte, mehr Nach- 
drud zu geben, rüftete Preußen ſich, bloß in Verbindung mit Sachfen, zum Kriege 
gegen Frankreich, deffen Fin fich ebenfalls nach Deutfchland in Bewegung feßten. 
m 9. Det. begannen die Feindfeligkeiten an der Saale; am folgenden Tage wurde 
der Vortrab des preuß. Heeres bei Saalfeld zuruͤckgedraͤngt, wo der tapfere Prinz 
Louis von Preußen den Tod fand, und am 14. Det. entfchied die Doppelfchlacht 
bei Jena und Auerftsde über das Schickſal des preuß. Heeres und aller zwiſchen der 
Weſer und Elbe gelegenen preuß. Länder. Lnbegreiflich ſchnell ergaben fich die 
wichtigften Feflungen den Feinden, und ſchon am 2°. Oct. hielt der Sieger feinen 
Einzug in die wehrlofe Hauptftadt der preuß. Monarchie. 9,28. wählte Memel 
zu feinem einftweiligen Aufenthalte, fammelte fein Heer aufs Neue und ahndete mit 
gerechter Strenge die Pflichtvergeffenheit, die Viele fich hatten zu Schulden kom⸗ 
men laffen (Publicandum v. 1. Dec. 1806). In Gemeinfchaft mit ſ. treuen Ver 
bündeten, dem Raifer von Rußland, ftellte er fich den in Offpreußen eindringenden 
Feinden entgegen. Die Schlachten bei Eilau und Friedland führten endlich den 
Srieden zu Tilfie (ſ. d.) am 9. Juli 1807 herbei. In dieſem Frieden mußte F. W. 
Provinzen abtreten, die feit Jahrhunderten feinem Haufe treu ergeben gewefen wa⸗ 
ren, Die Hälfte feines Reichs ging verloren, und darunter Provinzen, die in Ruͤck⸗ 
ficht des Ackerbaues, Gewerbfleißes und Handels die vorzüglichften waren. Was 
den Schmerz des Verluftes noch vermehren mußte, war, daß auch die ihm verblei- 
benden Linder von den franz. Truppen befeßt gehalten wurden. Selbſt die Haupt: 
ſtadt Berlin wurde erft im Dec. 1808 von ihnen geräumt, und der von feinen Un: 
terthanen zurückgeſehnte König konnte erft Ende 1809 in feine Refidenz einziehen. 
Mit unabläffigem Eifer und feftem Willen arbeitete nun F. W., die Wunden, tvel: . 
cheder Krieg feinen Staaten verurfacht hatte, zu heilen, und eine völlig neue Ein: 
richtung der innern Staatsform zu geben, Die Armee rourde auf 42,000 M. gefeßt 
und neu gebildet. Eine neue Tivilverfaffung wurde hergeftellt, und der Gang der 
öffentlichen Sefchäfte genau beftimmt. Fruͤher ſchon (9. Det. 1807) war das wohl: 
thätige Edict erfchienen, welches die Erbuntertbänigkeit aufhob, und fpäter (28. Juli 
1808 abgeändert wurde, Unter dem Namen der Städteordnung wurde am 19. 
Nov. 1808 eine gefeßliche Vorſchrift über die Vertretung der Stadtgemeinden in 
"Rüdficht des flädtifchen Gemeinweſens durch Stadtverordnete ertheilt. Ebenſo 
wichtig und für den Staat heilfam war die am 6. Nov. 1809 befchloffene Veraͤuße⸗ 





Friedrich Wilhelm IL. (König von Preußen) | 429 


rung der koͤnigl. Domainen, die Verwandlung der Klöfter und der übrigen geiftlichen 
Güter in Güter des Staats (30. Det. 1810), und die felbft unter fehr druͤckenden 
Zeitverhältniffen höchft freigebige Pflege und Austattung des Erziehungsiwefeng, 
wozu befonderg die Stiftung der neuen Univerfität zu Berlin (1809) gehört, forvie 
die Verpflanzung der Univerfität zu Frankfurt a. d. O. nach Breslau, wo fie eine 
neue, zweckmaͤßigere Form erhielt. Im Dec. 1808 reifte F. W. in Begleitung feiner 
Gemahlin nach ‘Petersburg, um das Freundfchaftsbündnig mit dem Kaifer Aferan- 
der noch fefter zu knuͤpfen. Nach einem Aufenthalte von einigen Wochen fehrte das 
koͤnigl. Paar nach Königsberg zurüd und hielt am 23. Dec. 1809 feinen feierlichen 
Einzug in Berlin. Die Freude des Königs und des Landes wurde bald aufs em- 
pfindfichfte geflört Durch den unerwarteten Tod der allverehrten Königin Louife am 
49. Juli 1810. Aus diefer wahrhaft glüdlichen Ehe find noch 4 Prinzen und 3 
Prinzeffinnen am Leben. — 5.8. I. fuhr unermüdet fort, den innern Zuſtand fei: 
nes Zandes zu vervolltommnen; dahin gehören verfchiedegg Derbefferungen in der 
Civil⸗ und “Yuftizuerwaltung, im Dränzmefen und im Anbau des Landes. An die 
Stelle der durch das Edict vom 30. Det. 1810 und durch die Urkunde vom 23, 
San. 18411 aufgelöften Ballei Brandenburg, des Sjohanniterordeng, des Heer: 
meifterthums und der Commenden derfelben,, deren fimmtliche Güter als Staats: 
güter eingezogen tworden waren, errichtete der König (23. Mai 1812) einen neuen 
Orden, unter der Benennung: fönigl, preußifcher St.= Jobanniterorden, und er: 
klaͤrte fich felbft als Protector deffelben. Mit Frankreich fchloß er (24. Febr. 1812) 
zu Paris ein Schugbündniß gegen alle europäifche Mächte, mit welchen der eine 
oder der andre Theil in Krieg verwidelt waͤre oder verwickelt werden könnte. Als im 
uni 1812 der Krieg zwifchen Rußland und Frankreich ausbrach, ließ der König 
zu dem Heere des leßtern ein Hülfscorps von 30,000 M. flogen, melches mit dem 
‚ 10. franz. Armeecorps unter dem Marfchall Macdonald den Iinfen Flügel bildete 
und zu der Belagerung von Riga beftimmt wurde. Bei dem fchnellen und verderb: 
lichen Ruͤckzuge der Franzoſen aus Rußland mußte auch das preuß. Hülfscorpe fich 
zurüdziehen. Aber der commandirende General. (Morf) rettete es durch eine am 
30. Dec. 1812 mit dem ruffifchen General Diebitſch abgefchloffene libereinfunft, 
vermöge welcher das preuß. Corps für neutralerklärt wurde und fich von dem franz, 
Heere abfonderte. Diefe Handlung des Generals Dorf mußte anfangs gemißbil: 
ligt werden. Als aber der König am 22. Yan. 1813 feine Refidenz nach Breslau 
verlegt hatte, ließ er von da aus in einem Parolebefehl vom 11. März dem Sen. 
Dort volle Gerechtigkeit widerfahren und übergab feinem Oberbefehle noch ein an= 
dres Truppencorps. Schon fühlten fich die Herzen aller Preußen durch die Hoffnung 
erhoben, das von dem fremden Drucke fo tief gebeugte Vaterland wiederberftellen zu 
konnen, als der König fein Volk (3., 9. Febr. u. 17. März) zu den Waffen rief, 
Jetzt zeigte fich die Begeifterung einer heldenmüthigen Nation in der lebendigften 
Voilkskraft. Nicht bloß junge Leute aus allen Ständen ergriffen die Waffen, auch 
Männer, auf deren Beitritt man nicht rechnen konnte, flellten fich unter das Panier 
des Baterlandes, Alle Claſſen metteiferten, mittelbar oder unmittelbar zur Rettung 
. des Staats durch die „größten Aufopferungen beizutragen. Durch diefen Volkseifer 

und durch die von der Regierung bisher mit weifer Vorficht im Stillen geleiteten Bor: 
bereitungen war eg möglich, daß Preußen 1813 fo beroundernsmwürdig fchnell ein ge: 
übtes und zahlreiches Heer ing Feld ftellen konnte, — Die Frangofen hatten Berlin 
erfl in der Nacht vom 3. zum 4. März geräumt, worauf die Ruſſen dafelbft einzo- 
gen. Am 15. März Fam Kaifer Alerander nach Breslau, mo der König ſich noch 
aufhielt. Ein zu Kaliſch am 28. Febr. gefchloffenes Truß: und Schußbündnig, 
deffen Unterzeichnung, jedoch ohne nähere Kenntniß des Inhalts, am 20. März 
zur öffentlichen Kunde gebracht wurde, vereinigte beide Monarchen aufs innigfte 
mit einander, Am 27. Maͤrz übergab General Krufemark in Paris bie preu⸗ 


x 


430 Friedrich Wilhelm IN. (König von Preußen) 


Sifhe Kriegserfiirung. Zwei preuß, Armeen, dir eine in & chleften gebüßdet unter 
Müdyr, die andre unter Dorf, welche m Berlin zu dem ruflifchen Deere unter Wit⸗ 
gentlein flieg, rüdten nun zugleich mit ten Auffen nah Sachſen. 3.3. fam am 
24, wieder nach Berlin, we er für die Berwoltung des Staats Müitar: nd Erd 
gouverneure ernannte, das Eontinentalfofiem aufhob und eine nur für dieſen Krieg 
befichente Auszichnung des Bertienfies um tas Vaterland füftete: das eıferne 
Kreuz; von 2 Claſſen und einem Grokreuʒ. Außer den regelmäfigen Heeren ward 
cuf Das ſchleunigſie eine ollgem:eıne Landwehr u. ein Landſturm errichtet, deren treff- 
liche Einrichtung fick fpäterhin, als der Feind ſchon in Zchlefien und gegen Branden⸗ 
burg vorbrang, entwidelte. Die perfonl. Gegenwart des Königs, der alle Gefahren 
und Beſchwerden mit feinen Truppen tbeüte, befeuerte diefe aufs höchſte; ihrem 
Heldenmuthe mußte felbit der Feind Gerechtigkeit widerfahren laffen. Hier fonnen 
aus tem Feltzuge 1813 und 1814 nur die Thaten bei Lüben, Baußen, Hannau, 
Kulm, Großbeeren, —— an der Katzbach, bei Wartenburg und, nach der 
ẽ chlacht bei Modern (48, Dat. 1813), die Erjlürmung Leip;igs, der Übergang über 
den Rhein (1. San. 1814), die Siege bei Laon (9. März) und Montmartre (30. 
März) flüchtig erwähnt werten. „Die feblefifche Armee”, fagt Blücdyer am Schluſſe 
feines Berichts aus Paris vom 4. Apr. 1814, „bat nad) einer Tampagne ven 714 
Monat, in welcher fie 6 große Schlachten lieferte, 8 Actionen unt unzählige Gefechte 
batte, über 48,000 Gefangene gemacht und 432 Kanonen erobert”. F. W. III. gab 
nicht nur öfters Beiſpiele perfönl. Tapferkeit (bei Kulm, FereChampenoiſe, den 25. 
Märp), fontern trug auch durch feine Einficht und Fefligkeit in den Tagen ter Ge: 
fahr, nach ten unglüdlıchen Gefechten bei Dontmirail (14. Febr.) und bei Monte: 
reau (18. Febr.), viel zur Enitfcheitung der guten Sache bei. Schon war nach jenen 
Gefechten eine rüdgängige Bewegung nad Ihaument, die bis über den Rhein zu: 
rüdgeführt und Nopoleons Herrſchaft aufs Neue befeftigt Haben würte, befchloffen. 
Aber F. W. bewirkte durch feine Fefligkeit und fein Bertrauen in die gute Sache, 
daß der Rũckzug nicht weiter fortgefeßt wurde, und daß die Heere gegen Paris vor: 
rüdten, welches ſich auch bald nachher (am 30. Märı) den Berbündeten ergab. Kö 
niglich belohnte jekt 5. W. die Männer, die feine Abfichten ausgeführt tınd feine 
Rechte verfochten hatten. Den einfichtsvollen, ſtandhaften Hardenberg, der in ver: 
bingnifvollen Jehren als Staatskanzler mit geübter, feiter Sand das Ruder des 
preuf. Staats füyrte, und den tapfern, unermüdlichen Blücher erbob er in den 
Füritenflant. Die Schreiben, worin er Beiden (cm 3. juni 1814) ihre Erhebung 
onfündigte, find fprechende Biweiſe von den Gefühlen des Königs und von feiner 
richtigen Wuͤrdigung des Berdienftes. Durch Ehrenzeichen und Beförderungen wur: 
den die bewiefene Tapferkeit im Kriege und die erprobte Anbänglichfeit an König 
und Vaterland in allen Ständen belohnt. Epäterhin wurde aud) das Antenfen der 
im Kampfe für Freiheit und DBaterland gefallenen Tapfern durch öffentliche Denk: 
mäler und auf a. Art geehrt. Nachtem der König bis zum Abfchluffe des Friedens 
(30. Mai 1814) in Paris verweilt hatte, reifle er (im Juni) mit tem Kaifer Alesanı 
der noch Zonton, hielt bei feiner Ruͤckkunft (T. Aug.) einen feierlichen Einzug in feine 
Hauptſtadt, und begab fich dann nach Wien, wo er bis zur Beendigung des Son: 
greffes blieb. Durch die allgemeinen Congreßverhandlungen und durch einige befon- 
dere Berträge erfeßte er feiner Monarchie greßtentheils ten Verluſt, den fie im Fries 
den zu Tilfie erlitten hatte. (. Preußen.) Als im März 1815 Napoleon von 
Elba her Frankreich nieder in Beſitz nahm, verband fih F. W. am 25. Dlärz zu 
Wien mit Oftreich, Rußland und England geaen ihn und deffen Anhänger. Schon 
am 18. Juni erfochten die preuß. Heere mit ihren Berbüntdeten den Alles entfchei: 
denden Sieg über Napoleon bei Belle:-Alliance. (E.Waterloo.) F. W. kam aus 
tiefem Feldzuge erſt am 19. Det. wieder in feine Reſidenz zurück; bier feierte er am 
22. Oct. das 400jährige Regierungsjubiläum feines Stammhauſes Hohenzollern. 


, 


Friedrich I. (König. von Würtemberg) 451 


1818 beſuchte er den Kaifer Alexander, ?effen Bruder Nicolaus ſich am 8. Juli 
1817 mit feiner Tochter Louife Charlotte, jegt Alerandrine, vermäblt hatte. 4823 


machte er eine Reife nach Stalien. Bet feinem Aufenthalte in Paris hatte F. W. 


die Gemaͤldeſammlung des Prinzen Siuftiniani für 500,000 St. erfauft und damıt 
" feine Hauptſtadt bereichert, für deren Berfchönerung er fortwaͤhrend forget. Leber: 
haupt iſt durch ihn und unter ihm Vieles für beffere Aufnahme des Gewerbfleißes 
und des inländifchen Handels gefchehen. Die Univerfität zu Berlin Bat Statuten, 
und ihre wiffenfchaftlichen Sammlungen haben Bermehrungen erhalten. Dei der 
Univerfität Königsbers find neue Anftalten errichtet, einige ältere erweitert und reich 
begabt worben. Mehre Schulen und Erziehungsanftalter zu Berlin und in den Pro- 
. vingialftädten erhielten Beweiſe der Freigebigkeit und Sorgfalt des Königs, Die 
wohlthaͤtigen Folgen der weifen Staatswirtbfchaft zeigen fich dadurch, daß Preußen 
im Stande war, auf zwei in vorigen Jahren gemachte Anleihen feit 1817 mehre 
Mill. Thaler zurückzahlen, und dag die Staatspapiere fliegen. 5. W. hatte fei- 
nem Voſlke eine Conftitution zugefichert, die dem Geiſte des Zeitalters angemeffen 
fei, und deßhalb am 30. Mai 1817 einen Staatsrath errichtet, .zu welchem, außer 
den majorennen Prinzen des konigl. Haufes, die vornehmften Staatsbeamten ing 
Civil und Militair, und andre Staatsdiener, die der König feines Vertraueng wur⸗ 
digt, gezogen worden find. Der verfammelte Staatsrath ift in 7 Abtheilungen bie 
böchfte berathente Behörde, die jedoch an der Bermwaltung feinen Antheilbet. Aus 
der Mitte deffelben bat der König die Glieder der Commiſſion ernannt, die fi, in 
Folo- der Berordnung vom 22. Mai 1815 wegen der zu bildenden Repräfentätion 
des Rolks, in Berlin unter dem Vorſitze des Staatskanzlers mit der Organifation 
der Provinzialflände und der Ausarbeitung einer Verfaſſungsurkunde befchäftigt, 
Seitdem bat der König in allen Provinzen die Provinzialftände theils hergeſtellt, 
theils neu ing Leben gerufen, und ihnen eine berathende Stimme, auch die Mit⸗ 
wirfung bei der Vertheilung der Steuern zugellanden, Bei der Einführung der 
neuen berliner Hoftirchenagende, die fein Werk ift, fehonte er Die anders “Denfenden 
mit weifer Milde. Auf dem Congreſſe zu Aachen fliftete der König den 18. Dct, 
41818 die Univerfität Bonn, und in Berlin 1820 ein Mufeum der Alterthümer; 
überhaupt iſt die Befürderung des Schulweſens und wiflenfchaftlicher Anftalten, fo⸗ 
wie die öffentliche Erklärung feiner Überzeugung von der Wahrheit des evangelifchen 
Glaubens (f. Köthen) ein unverwelflicher Kranz in der Regierung diefes Monar: 


chen. Am 14. Nov. 1824 ſchloß F. W. 111. eine morganatifche Che mit der Bräfin “ 


Augufte von Harrach (geb. 30. Aug. 1800), die den’ Titel führe: Gräfin von Ho: 


benzollern, Fuͤrſtin von Liegnig, und fich feit 1826 zur evangelifchen Kirche befennt. . 


Im Sommer 1829 befuchten ihn der Kaifer und die KRaiferin von Rußland; darauf 
fandte der König den General Müffling nach Konflantinopel, um den Frieden zwi⸗ 
ſchen Rußland und der Pforte zu vermitteln. (&. Preußen.) 

. Friedricht. (Miühelm Kart), der 15. regier. Herzog von WWürtemberg, 
feit dem 23. Dec. 1797, bierauf 1803 Rurfürft, endlich feit dem 1. Jan. 1806 der 
erfie König von Würtemberg, gef. den 30,.Dct. 1816, geb. zu Treptow in Hin⸗ 
terpommern, 17154, verm. 1780 mit Augufte Karoline Sriderife Louife, Prinzefs 
fin von Draunfehweig: Wolfenbüttel, die ihm 2 Söhne (f. Nachfolger, Wilhelm J., 
deffen Bruder, Herzog Paul) uhd die Prinzeffin Katharina, verm. Prinzeffin von 
. Montfort, gebar, Sie farb 1787. Hierauf vermäßlte er fich 1797 in London mit 
der Kronprinzeffin von England, Charl. Aug. Math. (geft. als Witwe 1828). Da 
fein Bater, Herzog Friedr. Eugen von Würtembera, im fiebenjühr. Kriege unter den 
Helden Friedrichs des Großen mitfocht, leitete die Erziehung des Prinzen mit unend⸗ 
licher Sorofalt und Treue feine Mutter, Sophia Dorothea, Tochter des Marfgr. 
von Brandenburg : Schwedt," eine am Hofe ihres großen Oheims zu Berlin durch 
Kunſtfinn und wifienfehaftlichen Geiſt ausgebildete Fuͤrſtin. Erſt nach dem Srieden, 


432 Friedrich I. (König von Würtemberg) 


4763, tonnte ter Bater tür Erziehung feines Sohnes regelmäßiger ertuen, wobei er 
——— Sheberfam anhalten lb. ‚Der Pring befoß aufererhertinße GE 


uch dürfen Berbälmiß Ef er 1 87 auf wnt lebte zu Üsnreres umment Yaufsune, 
konn zı Bedenhern bei Mainz. —— —2— 
In Perfsılles wor er Zunge der erfürn Berbanttumngen der 
Im Febr. 1190 neben cr feinen — —— 
tem Atleben zreier gelangte ſein 1735 von 

Als Ertyprin; irlte er ſich 1196 tem Emirınara der Frans: 
fen entaeaen, mußte aber ter Gewolt werchen, umb lebte euer Deirismg im Ainfpach, 
fanın m Wern un? m Sentem, von se er mit feiner pci m Sami 
119% much Erentzarr erudfebrte. — — fen Base. Er war at 
der Keguror.3 des ſchen tamals im frurz; Sirwge hart mmitarneunenen Feryeg- 
theme an. des crr 153 DM. erwas uber 600,000 Einm. bir. Im tem füriege 
4799 — 1501 Iırr das Ymb nach mehr. Herzeg Arutr-$, der femme Fische 
als Kuhn? retiuh erfüll:e, amt für bruiikbe Scliseeiter mech marhr hm 











write, rezwrre fie von sus. In terfer verbiccrrfselen Dow ent: 
wedel:e er zre Rezntenziben. mufte er durch ſrrre Perbeptungen 
für ben ‚em 


Bins:um Kerurcchs ven 368 DIR. mm 1.100.000 Emm. 8 nüchegte 
ie. Sue zue frait anf ter amteniemaen Perbakroi fewnre Eitasts zu menien, 
ur? wir er herr tur zaytunivme Th reiteemmernben ver erreucker, “use 
Kylr Srreben sch tee mern Duerkikr Te uber. ueckhe er m Are: 

wi: euehhir::y each cinema Ormeriien ri. 1:2, doam ber sch 1 1S06) u Ale: 
Kıomehr: td Actdrtena er Seite zei ber ven den Ivan Krserunge- 
autrer briherereum Jurisierı femme Die vaserertene. m Serihoe fremer 
ehem eigescheinr chen Kroit weite er üch wur ten Menirden E-repae mehr uud 
meh: arme Sm le Doram Befictete er men Ihren u im ee Truoafe 
der Tiwir: term het er fee Der zu wur ter fr: Nee Sees cr 
tva Eixiefe; Saruza sursukklee er fh, briestere fr Zum Tede ieuurs ebeim uud 


- 


Friedrich I. (König von Wärtemberg) 483 


geiftubllen Freundes, des Grafen v. Zeppelin, in Bühne Entwaͤrfe, die er leiden⸗ 
baftlich.und gewalt ſam verfolgte, und durch die er Alles neu geftaltete, Einfeigen 
and Aufbauen mechfelten unter feiner Regierung ohne auf Schlag, Sein 
Scharfblick, mit dem er die Folgender franz. Revolution überfah, beftimmte feine 
Handlungeweife. Denn wo nicht alle Male an Geiſt und Kraft, doch immer an 
rafcher Willensthürigkeit und ftolger Haltung feiner Umgebungen, die oft nur in. 
Ausländern beftanden, überlegen, wollte er, wie der große Friedrich, ſpaͤterhin wol 
auch wie Napoleon, Selbftregent fein ‚und Bolt und Staat burchgreifend mafchi= 
nenartig handhaben, wie der Feldherr fein Heer. Die fittliche Ilatur des Staats 
war ihm, bei femer franz. Weltbildung and bei der Art feiner Menfchenfunde und 
Bebensfreubden, nie Elar geworden Es kam ihm auch nicht ein leifer Zweifel ein, 
das Recht möchte vielleicht nicht auf feiner Seite Reben. Vielmehr ging erüberall 
von der unfeligen Idee Friedrichs aus, Daß keinem Menſchen zu trauen fei. Daher 
demüthigte:er ohne Schonung den einſt reichsfreien Adel; daher verfeßte er nach 
Willfür die Beamten von einer Stelle in die andre; daher ſtrafte er hart oft kleine 


Verſehen; ; daher belaftete er fein entrwaffnetes, von Abgaben erfchöpftes Volk mit 


der Conſeription; daher erlangten Sünfllinge, wie Dillen, ſolchen Einfluß-auf 
ihn, Daß. Niemand ihm die Augen zur öffnen wagte. In feine Glanzſucht verlor ' 
fich ſelbſt fein Geſchmack fuͤr die Kunſt, welchen man in den Anlagen von Stutt⸗ 
gar, Ludwigsburg und Freudenthal nicht verkennt. Fuͤr Wiffenfchaften that er 
ingelnes, ohne das Edle der wiſſenſchaftlichen Bildung ganz zu würdigen. Da: 
bei übereilte er Mirch Leidenfchaftlichkeit und Ungeflüm oft fekbft das Nutzliche, was 
er thun wollte. Mit dem Willen, gerecht zu fein, entfchied er bisweilenim Zorn, 
firenger als das Geſetz, oder ganz nad) Dem, mas er gerade als recht und billig ers 
kannte. “Doch enfparte er feinem Volke manches Übel durch die Entfchloffenbeit, 
mit der er Eingriffe-der franz. Regierung in die innere Bermaltung feines Staates 
abrvies, wis die angefbnnene Einführung des franz. Geſetzbuches. Auch das Nellı 
gionsedict vom 18. Oct. 1806, weiches allen 3 chriftlichen Kirchen gleiche Kechte 
zuficherte ; war: fein eignes Werk. Dem Rheinbunde mußte er fich anfchliegen; 
doch bewirkte er in Erfurt, daß kein Würternberger Spaniens Boden als Krieger 
Betrat, Nach den Sefegen des. Continentalſyſtems ließ er die enalifchen Waaren 
verbrennen , erflattete aber. den Eigenthämern den vollen Werth unter der Bedins 
gung, den Empfang zu verfehweigen, Übrigens hielt er fo feft an.dem Syſteme 
tapoleons, daß er alle Krüfte feines Landes aufbot, um ihm in größerer Zahl, als 
erfoderlich, tapfere Scharen , gegen Preußen 1808, som Hſtreich 1809 und ge 
gen Rußland 4812 (15,000 Mann), zuzuführen. Erſt nach der. Schlacht bei 
eipzig näherte er, fich den Verbundeten. Der Minifter, den er an fie abordnete, 
fellte ihm ſogurinoch ein Stüd Land als Belohnung für feinen Übertritt ausmie: 
teln, und fiel: in Ungnade, daß er ihm durch den Bertrag von Fulda (6. No, 
1813) bloß die Gewähr feiner ſammtlichen Staaten und die Anerkennung feiner 
Unabhängigkeit verfchafft Hatte. Der neue Umſchwung der Dinge, den im Herzen 
von Europa die begeifterte Kraft des Volks hervorgebracht hatte, wirkte auch auf 
Würtemberg zuruͤck. König Friedrich, der in Wien vergeblich fich mehren Be: 
ſtimmungen, inwwiereit fie feine fürftliche Unabhängigkeit gefährdeten, widerſetzt 
hätte, begriff endlich, daß auch er den Foderungen des wiedergeborenen Volkerrechts 
nachgeben müſſe. Doch gagerte er mit feinem Beitritt zur deutſchen Bundesacte 
bis zum 4. Sept. 1815. &einem Volke kam er mit einem von ihm ausgefloffenen 
Berfüffangsgefeße, Tas er ihm: als Ordonnanz aufbringen wollte, entgegen; allein 
zur größten überraſchung des in andrer Zeit an blinden Gehorſam gewöhnt gewor⸗ 
denen Fürſten wurde daſſelbe. einſtimmig verworfen. Die verfammelten Abgeord⸗ 
neten verlangtent.die.nlte Berfaffung für Alt⸗ und fuͤr Neuwürtemberg, zugleich 
fehleunige Huͤlfe bei.dem unglüdlichen Zuſtande des Volks. Der König ſtellte nım 
Converfations + Lexicon. Sp. IM, | 28 


434 .. Friedrich (L. 9) 


wirflich manches Druͤckende ab, Töfte aber die Verſammlung der Stände den 8, 
Aug. 1816 auf. Im Oct. berief er fie ein zweiten Mal. Jetzt legte er ihnen mit 
unerwarteter Nachgiebigfeit; als. Srundlage einer neuen Derfaffung für altes und 
neues Land, 14 Gäße vor, die in Würtemberg einen günftigen Eindrud machten. 
Ein neuer Entwurf kam zu Stande, Aber noch ebe er ihn ganz geprüft hatte, ftarb 
König Friedrich. — Die. Nachwelt wird feinem Seifte und feiner Charakterftärke 
durch die er feinen Staat rettete und vergrößerte, Gierechtigfeit widerfahren laffen ; 
allein fie wird es auch bemerfen, daß er fein Volk nicht glüdlich zu machen verfiand, 
weil er fich felbft nicht zu beberrfchen wußte. Ihm fehlte auf dem Throne nichts 
als der rechte Begriff vonder fittlichen Natur des Menſchen und von ber Heiligkeit 
des Völkerrechts, Stand daher Friedrich I hoch als Regent, wenn er, frei von 
autokratiſchen VBorurtheilen, mit Gedankenblitzen das Nothwendige und Nuͤtzliche 
traf, fo ſank er dagegen faſt immer ducch Nie. Sucht, überall, auch im Kleinen und 
Alnwefentlichen, groß, fönigli und felbflartig zu fein, bis zur Seltſamkeit herab, 
Nach feinen fönigl. Handlungen darf manaber nicht den Dienfchen ın ihm beurthei⸗ 
Nlen. Als Menfch war.er, wie Männer bezeugen, die ihn lange in der Nahe beobachs 
tet haben, nicht böfe. Er wollte das Gute und Rechte, und dennoch riffen ihn faft 
in der Regel Leideufchaft und Verwoͤhnung zum Schlechten hin. Indeß verlorer 
nie dag fittliche Dermögen, wieder zu fich zu fommen und das erkannte Linrecht gut 
zu machen. Durch diefes Gemiſch von Größe und Niedrigkeit, van Hoheit und Ders 
irrung, erhält fein Lehen ein räthfelbaftes pfochologifches Intereſſe. Unftreitig hats 
ten der Sang feinen unſteten Bildung und äußere Berhälmiffe mehr den Berfland 
in ihm entwickelt und gefchärft als das Semüch erhoben. m’ Kampfe mit ter Aur 
Benwelt vergaß er den Kampf mit fich felbft. Das deal der Dienfchheit, die reine 
Form des Wahren, Guten und Schönen, war ihm nie lar geworden, um fein Stre⸗ 
ben auf das Höchfte zu lenken. Daher verlor er mit dem Schwerpunfte der Sites“ 
lichkeit auch den Zügel des Maßes, und feine Größe verfanfin Schwaͤche. "Doch 
ging fie nicht ganz unter, . Vergl. „Zeitgenoffen“‘, VII. u. IX. . . 
Friedrih(R.D.) Landſchaftsmaler in Dresden, geb. 11716 in Greifs⸗ 
wald, begann feine Studien auf der Akademie in Kopenhagen und ging 1795 
nach Dresden, mo er fich ohne Zeitung eines aͤltern Künfflers ‚lediglich. aus fich 
felbft und unter Leitung der Nätur'gebildet hat. Um Studien nach der Natur zu 
fertigen, unternahm er von Zeit zu Zeit Reiſen. Sytalien hat er nie beſucht; «es 
tragen vielmehr alle feine Arbeiten einen nerbifchen Charakter anfich. Fruͤher be: 
ſchraͤnkte er ſich ſaſt gänzlich auf Zeichnungen in Sepia, die er trefflich zu behan⸗ 
dein verſteht, ſodaß er darin non wenigen der neuern- Künftler übertroffen wird, 
In der Folge trat er mit Digemälden hervor, welche bei dem ungemeinen Fleiß und 
der innigen Liebe‘, womit er fein Talent auszubilden firebt, immermehr an Bollens 
dung geroonnen haben. Eine groge Winterlandfchaft, einen Kirchhof mit den Rui— 
nen einer gotbifchen Sapelle, die zwifchen Fichen ſteht, vorftellend, bewirkte 1809 
f. Aufnahme zum Mitgliede der berliner Akademie. Bekannt ift f. Altargemälde 
für die Kirche in Tetſchen: ein auf der Spige des Felfens fichendes Kreuz, binter 
dem die Sonne aufgeht. Mannigfaltigkeit der Erfindung, Tiefe des Gefühls, Stu: 
dium der Natur, Einfachheit und Einheit der Darftellung, ein meift Düfterer, oft 
melancholifcher Charakter, ‚entfernt von aller Nachahmung, fprechen fich in F.'s 
Landfchaften mehr oder weniger aus. Außerdem aber, daß fie fchon beim Flüchtes 
gen Anblich als Gemälde den Befchauer angiehen, wohnt in. ihnen noch.ein poetiſch⸗ 
religiofer Geiſt, wodurch fich diefer Kuͤnſtler faft zum Schöpfer einer neuen Gat⸗ 
tung der Landſchaftsmalerei erhob. Denn wenn man auch bei frühern, in Hinficht 
des Technifchen von 5. noch nicht erreichten KRünftlen, einem Claude Lerrain, Saks 
vator Mofa, Ruysdael u, A. eine leife Ahnung folcher teen bemerkt, fo hat doch 
Keiner fie. fo Ear und beſtimmt ausgedrüdt, als er. Oft aber verlieren ſich auch 


® 


Fries Fries (Jakob riedrich) 435 


f. Darſtellungen in das Gebiet des Myſtiſchen. 4817 wurde F. bei der koͤnigl. 
Akademie der Künfte zu Dresden als Mitglied mit Gehalt aufgenommen. ' 
Fries, fe Säule Bisweilen wird auch ein langer ſchmaler Streif fo 
enannt, der in borigontaler Richtung oben an einer Wand berumläuft, oder an 
hleufenthüren, um die Fugen deffelben gegen Waſſereindrang fu ſchuͤtzen. 

Fries (Jakob Friedrich), Hofr, und Prof. zu Jena, geb. den 23. Aug. 
4773 zu Barby. Sein Vater, aus einem heffifchen Geſchlechte flammend, Iebte 
jur Zeit f. Seburt in Barby als Mitglied der Direction der evangel. Brüderge: 
meinde. Da ihn weite Siefchäftsreifen oft vom Haufe entfernt bielten, mußte er 
den Sohn fchon 177718 in die Schule der Brüdergemeinde abgeben. Dort erhielt 
diefer feine Jugendbildung, und vollendete auf dem Seminarium der Brüderges 


meinde die Studien der Theologie. Um fich aber den philefophifchen Wirfenfchaf: - 
ten zuwidmen, befuchte er 4795 die Univerfität Leipzig, 1796 Jena, und verband 


damit in Lerpzig eine allgemeine Überſicht der Rechtswiflenfchaften, in Jena aber 
der Naturwiſſenſchaften. In der Philofopbie folgte er den Kehren Kant's, befon- 
ders darin, daß er für die wiffenfchaftliche Ausbildung der Philofophie dag zerglie⸗ 
dernde Verfahren als das geeignete erfannte. . Indeſſen glauhtecer, daß zur Ranr’- 
ſchen Lehre noch ein Princip der concentrirten foftematifchen Darftellung derfelben, 
als eigentliche Princip der Bernunftfritit, binzugefunden werden müffe. Diefes 
fand er in der Naturlehre vom menfchlichen Geiſte, welche er die philofophifche An: 
tbropologie nannte. Er verlangte, daß, nachdem durch Zergliederung die Oruntfor: 
men der pbilofophifchen Urtbeile aufgefunden feien, aus den Geſetzen der pfochifchen 
Anthropologie noch nachgeroiefen ıwerde, wie und warum wir gerade diefe Formen 
der philofophifchen Erfenntniffe in den menfchlichen Beurtheilungen vorfünden. 
So mußte er feine Lehre von der Deduction aller Principien der rein vernünftigen 
Urtheile an die Stelle der Kant'ſchen Detuction der Kategorien fepen. Diefem ge: 
möß fand er feit 1795 und 17796 feinen Beruf theils in der neuen Bearbeitung der 
„Kritit der Vernunft“, theils in Vertheidigung der Kant’fchen Lehre gegen ncuere 
abweichende Verſuche, befonders gegen die Fichte'ſche Schule. Zugleich führten 
ihn die naturmiffenfchaftlichen Studien zu einigen chemifchen Abhandl. 1797 fg. 
. war 5. Hauslehrer in Zofingen. Als er dort die- erfte Bearbeitung f. „Kritik der 

Vernunft“ beendigt hatte, kehrte er 1800 nach Jena zurüd, fuchte fich eine allge: 
meine Kenntniß der medicin. Wiffenfchaften zu verfehaffen, wurde 1801 D. der 
Philoſophie und erhielt die Erlaubniß zulefen. Unter den um diefe Zeit herausg. 
Schriften find die „Philofophifche Nechtslehre” (1804) und das „Syſtem der Phi⸗ 
loſophie als evidente Wiffenfchaft (1804) zu nennen. Den größten Theil von 


4803 und 1804 brachte er in Sefellfchaft f. Freundes, Freih. v. Hainiz, auf einer \ 


Reife durch Teutfchland, die Schweiz, Frankreich und Italien zu; lehrte dann in 
Jena 1805 Pbilofophie und gab f. Schrift: „Wiſſen, Glauben und Ahnen“, ale 
eine vorläufige Darftellung der metapbufifchen Ergebniffe f. Bernunfteritif, heraus, 
1805 folgteer einem Rufe zu einer ordentl. Profeffur der Philoſophie und Elemen- 
tarmathematik nach Heidelberg, mo er bis zum Serbfte 1816 blieb, und feit 1813 
die Profeffur der Experimentalphyſik mit der vorigen vereinigte. Bon den in diefer 
Beit herausg. Werken führen wir an: „Neue Kritik der Bernunft”, 3Bde. (1807); 
„Syſtem der Logik” (1811, 2. Aufl. 1819); „Populaire Borlefungen über die 
Sternkunde“ (1813); „Entwurf des Syſtems der theoretifchen Phyſik“ (1813); 
„Fichte's und Schelling's neuefte Lehren von Gott und der Welt” (1807); „Don 
deutfcher Philoſophie Artu. Kunſt, ein Votum für F. H. Jacobi” (1812); „Bon 
beutfchem Bund und deutfcher Staatsverfaffung; allgemeine flaatsrechtliche An: 


ſichten“ (1846); „Über die Gefährdung des Wohlftandes und Charakters der - 


Deutſchen durd die Sjuden‘ (1816). Außerdem gab er in die von Daub und 
Ereuzer herausg. Studien 2 Abbandl.: „Liber Atomiftik ind Dyramit- 1807; 
8 


2 


of 


436 Frieſel 


„Treadition, Myfficiemus und gefunde Logik, ober über bie Geſchichte der Philofe: 
phie”, 1810. Auch redigirte er einige “Jahre den philoſoph, mathemat. und na 
turwiffenfchaftl. Theil der „Heidelberger Jahrb. der Literatur”, in welchen fich viele 
Anzeigen von feiner Hand finden. 1816 ging er als großherzogl. ſachſ. Hofrath 
und ordentl. ‘Prof. der theoret. Dbhilofophie wieder nach Jena und befchränfte dort 
f. Borlefungen auf Philoſophie, die er in einem jährigen Curſus vollfiändig abhan⸗ 
delte. Don mehren bier feit 1816 herausg. Schriften nennen wir: „Handb. der 
praft. Pbitofephie”, 1. Bo.; „Allgemeine Ethik und philoſophiſche Tugendlehre” 
(1818); Rechtfertigung gegen die Anlagen, welche wegen f. Theilnahme am 
Wartburgfeſte wider ihn erhoben worden find (1818); „Handbuch der pfuchifchen 
Anthropologie”, 2 Bde. (1820— 21), und „Julius und Evagoras, oder die 
Schoͤnheit der Seele“, ein pbilofoph. Roman (2 Bde., 2. Aufl, Heidelb.). 5.6 
eigenthümlichfte metaphufifche Lehren find die von der unmittelbaren Gültigkeit 
des Glaubens und der Ahnung ewiger Wahrheit durch das Gefühl, welche noch 
über die wiſſen ſchaftliche Geweßheit erhaben ift. Daher ergibr ſich die ihm eiäne 
Bereinigung von Ethik, Religionepbilofophie und Äſthetik in der philofophifchen 
Zwedlehre, ſowie die Begründung der fittlichen Ideen und der äftbetifchen “Ideen 
durch Die Ideen von der Schönheit der Seele. Seine Glaubenslehre ift der Jaco⸗ 
böfchen verwandt; dies befreundete ihn mit F. H. Jacobi ımd veranlaßte, daß Ja⸗ 
cobi fich in feinen fpätern Schriften feinen Anfichten wefentlicy näherte. Eine engere 
und Burchgreifendere Bereinigung ſowol mit dem Lehrer als mit deffen Schülern 
wurde dadurch verhinbert, daß 3. einen hohen Werth auf die foftematifche Durch: 
bildung der Wıffenfchaft legt, den Jacobi und deffen Schule nicht anzuerfennen 
fheint. 3.6 Glaubenslehre konnte vorzüglich die Theologen anfprechen, daber 
auch einige, befonters de Wette, fie ihren theologı ‘.-begmatifchen Werken zu 
Grunde legten. Am meiften haben feit dem Feſte auf ıer Wartburg feine angebs 
lichen politifchen Meinungen die öffentliche Aufmerffamfeit erregt. Wenn es fich, 
feinen Berficherungen nach , dabei auch nur um wohlgemeinte Bemühunden bon: 
delte, fich der gefellfchaftlichen Verhaͤltniſſe der Studirenden unter ſich anzunehmen, 
den unter einer großen Zahl derfelben eriwachten Geiſt der Geſetzlichkeit, Einigkeit 
und Baterlandsliebe zu begünftigen, Küdfchritten zu gefeßwitrigen geheimen Ders 
bindungen zu wehren und die Rohheit früherer Zeit durch beffere und edlere Sitte 
zu verdrängen: fo fcheint er doch in feinem Eifer für feine guten Zwede nicht diejes 
nigen Mittel aewählt zu haben, welche in unferer ebenfo beroegten als mißtrauifchen 
Zeit zu diefem Ziele würden geführt haben. Er wurde von der großherzegl. wei: 
marifchen Regierung von feinem Lehramte fuspendirt, jeboch im Genuſſe feines.vols 
len Gehalts gelaffen. 1824 wurde er des Amtes eines Prof. der Logik und Meta: 
phyſik ganzlich entbunden; dagegen erhielt er die Profeffur der Phyſik und Mathe: 
matik, jedoch vor der Hand nur widerruflich und ohne Theilnahme an ven Geſchaͤf⸗ 


. ten des Senats und des Conciliums. Er benußte die ihm dadurch gewordene Muße 


zu wichtigen wiffenfchaftlichen Forſchungen. 

Zriefel, eine Hautkrankheit, welche in Fleinen, auf der Haut hervorbre⸗ 
chenden, meiftens fpißigen Bläschen von der Größe der Hirfenförner bis zu dem 
Umfange der Hanftorner, und zumeilen noch darüber, beſtehen. Diefe Blaschen 
find meiftens mit einer dünnen Feuchtigfeit angefüllt. Man unterfcheidet vorzüg: 
lich rothes und weißes Friefel. Bei dem rothen ſtehen die Bläschen auf einem ro: 
then Boden, find ganz flein, felbft röchlich, oder die Röthe der Haut ſchimmert 
durch; bei dem weißen ift die Haut entroeder gar nicht roth, oder die Bläschen find 
größer und mit eiterähnlicher Flüffigkeit angefülle. Eine Unterart beſteht aus grö: 


fern, geronnenen, Schweißtropfen ähnlichen Bläschen, die mit kryſtallheller Flüf 


ſigkeit arrgefülle find, und wird auch Perlfriefel und Stlasfriefel genannt. Das 
Sriefel zeigt fich zuweilen nur an einigen Stellen des Körpers, befonders auf der 


s 


Seifen. 487 


Bruſt, dem Rüden, an dem Halfe, in der Herzgrube, ober es iſt über den ganzen 
Körper verbreitet. Bei Kindern kommt es dfter vor, befonders geben Störungen 
in ihrer Verdauung, Erzeugung von Säure im Magen Beranlaffung dazu. An 
fich ift es eine leichte Krankheit; :ift es jedoch Folge eines heftigen Fiebers oder innes 
rer Entzündung, fo deutet es auf Gefahr. (Dal. Scharladhfieber) MH. 
Srtefen, ein altes deutfches, zum Stamme ber Sfftäuonen und Ingävo— 
nen geberiges Volk, das feinen Wohnfiß zwifchen dem Mittelrheinarme, der Nord: 
fee und Ems und auf den Inſeln hatte, welche die Mündungen des Rheins und die 
noch nicht in Eins zufammengefloffene Zunderfee bildeten. Der eigentliche Rhein 
trennte fie von den Batavern, die Ems aber von den Chaucern. Südlich grenzten 
fie an die Bructerer und Märfer; ‘nach der Vertreibung der Letztern aber an die An: 
grivarier und Chamayer, Wahrſcheinlich wohnten fie früher auf der Bataverinfel, 
aus der fie aber, ſchon vor. Säfar’s Zeiten von dem mächtigen Volke der Bataver vers 
trieben wurden, Drufus und Germanicus, welche Roms Waffen nach Deutfch- 
fand trugen, wurden vom ihnen unterflüßt gegen die Cherusfer, deren Feinde fie 
. waren; fie retteten die römifche Flotte vom Untergange, der ihr an der Mündung 
der Ems drohte. Aber diefe Freundfchaft hörte in dem Augenbli auf, als die 
Römer fich es einfallen ließen, fie,als Unterthanen zu behandeln, ‚Sie wurden, bef 
ihrer Sreiheitsliebe, Roms erklärte Feinde, und zerftörten die angelegten Feſtungen; 
‚nur eine derfelben belagerten fie vergebens. Unter Nero bemächtigten fie fich eini- 
ger herrenlofer Länder Diesfeits der Junderfee, doch mußten fie diefelben wieder räu- 
men. Bon der Zeit an ſchweigt die Geſchichte von ihnen, und fie erfcheinen erft 
wieder im 4. und 5. Jahrh. in dem großen Bunde der Sachferi. Damals wohnten . 
fie von der Schelde bis an die Elbe und Eider lings der Seefüfte, und es iſt wahr- 
ſcheinlich, daß ihr Name einen Bund von mehren Völkern umfaßte. Man finder 
fie auch in Britannien unter den füchfifchen Völkern. Unter dem Raifer Julian er: 
oberten fie die Bataverinfel und behaupteten fie ſeitdem; der fränfifche Majordomus 
Yipin bemätbigte fie Hier zuerft, indem er ihren König Radbod fihlug und ihm das 
weſtliche Land bis an die Rheinmuͤndungen entriß. Radbod's Nachfolger, Poppo, 
ſuchte das Verlorene wiederzugewinnen, wurde .aber von Karl Martell zurüdge: 
ſchlagen. Karl der Br. eroberte hierauf das öflliche Neich der Frieſen und ließ es 
durch eigne Herzoge regieren, an deren &telle in der Folge Hauptlinge'entſtanden. 
Rach langer Fehde diefer Häuptlimge vereinigte Graf Edzard Oſtfriesland, und era 
hielt das Land als deutfches Reichsichn. Später wurden die Grafen Fürften; aber 
ihre Stände blieben immer mächtig, bis der legte Fürft 1744 ausftarb, und Preus, 
Ben, fraft der Eaif. Erbbelehnung ven 1690, den Staat in Befiß nahm, jedoch der‘ 
Stände Rechte ehrte. Der tilfiter Friede raubte das Land dem Haufe Preußen, 
und 1814 trat dieſes folches an Hanover ab. - Einen ehemaligen Theil des Landes, 
welches die Weftfriefen bewohnten, macht die jeßt zum Königreiche der Itiederlande 
gehörende Provinz Weſtfriesland aus. In Anfehung der Lebensart, in der die alz 
ten Sriefen den übrigen Deutfchen glichen, ſchildert Tacitus fie als ein Außerft aͤrm⸗ 
liches Volk, dag den Römern feinen Tribut nur mit Ihierfellen abzahlen Eonnte. 
Sie ftanden unter ? Färften, die eine Eönigl. Gewalt mit den bei den Römern ge: 
wöhnlichen Einſchraͤnkungen ansübten. ' Trotz aller Armuth aber wußten fie, wie 
angefuͤhrt wird, bei ihrer Geſandtſchaft nach Rom ihre und der ganzen deutſchen 
Mation Ehre mit vieler Würde zu behaupten. Noch jetzt wohnen Abkömmlinge der 
alten Sriefen, die fich audy ſo nennen und Tracht und alte Sitten beibehalten, auf. 
den Fleinen Inſeln an der Weftfüfte des Herzogthums Schleswig. Durch Hügel 
gegen die Meerflut mühſam gefchüßt, ſuchen fie als Seefahrer ihr Brot in Holland 
und anderwärts, Eehren aber flets mit dem Erwerb in die Heimath zurüd. S. 
Wiarda’s „Oſtfrieſ. Geſch.“ (10 TH. bis 1816, Aurich 1792 — 1816). Die alt: 
= frisfifche, dem Sfandinavifchen ähnliche, Sprache, deren aͤlteſte Denkmale aus 


438 .  Frigga Frimont 


der Mitte bes 18. Jahrh. find, wird noch jetzt in der niederlaͤnd. Provinz Fries⸗ 
land, auf einigen daͤniſchen Inſeln und im oldenburgiſchen Saterlande geſprochen. 
S. „Nordfriesland im Mittelalter, von Michelſen (Schleswig 1829). Heim⸗ 
reich’s „Nordfrieſiſche Chronik“ bar Prof. Falck neu herausgegeben. 

Frigga, f. Nordifhe Mythologie, 

Frim ſont (Johann, Baron von), Fürft von Antrodoeco, k. k. General der 
Savalerie, aus einer adeligen Familie Lothringens, wanderte 1791 aus und diente 
in dem Heere des Prinzen Sonde, nach deffen Auflöfung er als Oberfter der Bußy’: 
ſchen Jäger mit diefer Truppe in Hſireichs Dienfle trat. Hier flieg er bie zum 
Feldmarfchalllieutenant. Als Fürft Schwarzenberg, in dem Kriege Napoleons. 
gegen Rußland 1812, von dem öftr. Hülfsheere in Polen hinter der Pilica Abſchied 
nahm, übertrug er dem Baron F. die Führung bdeffelben. In den Feldzügen 1813 
und 1814, gegen Napoleon, commanbdirte General F. einen Theil der Cavalerie 
mit großer Auszeichnung. 1815 erhielt er den Oberbefehliüber die öftr. Truppen 
in Oberitalien. Hier leitete er den Feldzug gegen Murat, damaligen König von 
Neapel, im März und Aprit 1815 fo zweckmaͤßig ein, daß der F.⸗ M.⸗L. Bianchi, 
welcher Ende Aprils das Commando der Armee von Neapel erhielt, den Krieg in 
6 Wochen beendigte. General F. felbft blieb am Po feben, wo er ein Heer von 
‚60,000 M. (die Eorps der Generale Radevojewicz, Bubna und Meerville und 
12,000 Piemontefer unter dem General Dfäsca) bei Caſal Maggiore vereinigte, 
Diefe Macht theilte er in 2 Heermaffen. Die flärfere, unter Radevojewicz, zog 
über den Simplon ins wallifer. Land, die andre, unter Bubna, über den Cenis durch 
Savoyen nach der Rhone. So bemächtigte fich F. der Päffe von St.⸗Moritz, ehe 
noch Suchet, wie ihm Napoleon befohlen: Montmelian beſetzen konnte. Die 
Franzofen mußten Savoyen verlaffen; die Oftreicher erftürmten das Fore PEclufe 
und gingen aber die Rhone, da, wo fich diefer Fluß in der Erde verliert. Am 
9. Juli ergab fich Sirenoble, am 10. wurde der Brüdenfopf von Macon genom: 
men, und 5. befeßte am 11. yon, welches Sucher, ımgeachtet ein verfchanztes 
Lager bei der Stadt errichtet war, nicht zu vertheidigen tagte, da ihm die Ereigniffe 
von Paris befannt waren. Hierauf entfandte F. einen Theil feines Heeres über 
Chalons und Salins nach Befancon, zu der Armee des. Oberrheing, während der 
piemontef, General Dfasca am 9. Yult mit dem Marſchall Brime einen Waffen⸗ 
ftillftand zu Nizza abſchloß. Nach dem Bertrage von Paris machte das öflr. Heer 
unter F., deffen Hauptquartier Dijon war, einen Theil des Befagungsheeres von 
Frankreich aus. 4821 erhielt F. den Dberbefehl über das öftr. Heer, welches mit 
deuj Befchlüffen des laibacher Songreifes; 52,000 M. flark, gegen Neapel mars 
fchirte Zum die dafelbft errichtete neue Verfaſſung und den Carbonarismus zu ver 
nichten. F. führte das Heer am 6. und 7. Febr. über den Po und. jog am 24. in 
Neapel ein; General Walmoden befeßte Sicitien. Hierauf ließ er das Land durch 
bewegliche Solonnen in Ordnung halten. Weil aber der Poligeiminifter, Fürft von 
Canoſa, feine Gewalt migbrauchte, ſo machte General F. deßhalb dem Könige Vor: 
ftellungen,, und das wiener Sabinet rieth demfelben, Maͤnner von gemüßigtern 
Srundfigen in ſ. Diinifterium zu berufen. Überhaupt thaten F. und die öfter. Ges 
nerale Alles, was fie Eonnten, um das Drüdende einer militair. Defaßung des Ks 
nigreichs zu erleichtern. “Das äftr. Militair beobachtete die befte Mannszucht, und 
viele von dem Haffe einer leidenfchaftlichen Partei verfolgte Einm, wurden von ihm 
in Schuß genommen. So gelang es dein commandirenden General, in beiden Kös 
nigreichen die Ordnung wiederherzuſtellen. König Ferdinand belohnte ihn daher 
(30. Nov. 1821) mit dem Titel eines Fürfen von Antrodocco, mit einer Summe 
von 220,000 Ducati (oder 939,000 Fr.) und mit dem Drden des heil, Januarius. 
Sein Monarch ernannte ihn zum Großkreuz des Ordens ber eifernen Krone, 1825 
erhielt er, nach Bubna’s Tode, das Seneralcommando der Lombardei in Mailand. 


⸗ 





Friſchlin iGriſt 489 


Friſchlin Mikedemus), Gelehrter untl lat. Dichter dee 16. Jahrh. merk: 
twürdig wegen f. Schriften und f; unglüdlichen Schickſais, geb. 1647 zu Balingen 
im Wurtembergifchen. Griechiſche und romifche Literatur waren fein Hauptſtu⸗ 
dium. Im Stifte zu Tübingen zeichnete er fich fo aus, dag er un 21. J. ein offentli⸗ 
ches Lehramt an diefem Inſtuut erhielt, Seine geſchwackvollere Erflürungsart der 

ifchen Schriftfieller, beſonders der Dichter, fein lehhafter Vortrag und ‚feine 
hinreißende Beredtfamkeit verfchafften ihm eine große Anzahl Zubörer, felbft aus 
den vornehmſten Ständen; dies erregte die Eiferſucht feiner Collegen, befenders ſ. 
ehemaligen Lehrers im Stifte, Cruſius. F. vertheidigte ſich mit den Waffen ‚des 
Witzes, aber nicht mit der gehörigen Klugheit. Dadurch erbitterte en feine Gegner 


ash mehr ımd vergrößerte ihre Menge. Indeß erhielt er von.mehren Orten bey - 


einen Ruf zu Lehrfiellen. Als er 15776. auf dem Reichstage zu Regensburg :feine 
Komödie: „Rebekka dem Kaiſet Maximilian IE. vorlag, ertbeilte ihm diefer. den 


poetiſchen Loeberkranz nebft einem ne Kor) und ernannte ihn fpäter zum 


Dfalzgrafen, zur Belohnung für ein Lobgedicht auf die Kaifer aus dem vᷣſir. Haufe. 
Bu Kusgeicgnungenuurhöbten noch den Neid feiner. Collegen. Dan befchuldigte 
ihn der Neuerungsfucht, des übermuths und der Völlerei. Der Streit erhitzte fich 
immer mehr. “Eine Dede, das Lob des Landlchens, die er drucken ließ, und In wel: 
cher er die Ditten Des damaligen Adela. fehr: ungänftig geſchildert hatte, erregte auch 
den — Kaſte gegen ihn. Don allen Se 
nen Ruf als Rector der ule zu Laibach in Krain an. Nach 2 Jahren aber gab 
er dieſe Otelle, in ber er fich neuen Ruhm erworben hatte, auf und kehrte nach Tür 
Bingen aid. Hier brachten es feine Seguer endlich bei dem Fürften; fo weit, daß 
ihm auferlegt wurde, entweder fich zu einem ewigen Stillſchweigen zu verbinden 
oder für immer das Vaterland zu verlaffen.: Er. mühlterda® Leßtere, varließ (1586) 
Tübingen und ürrte einige Jahre in den Rheingegenden und in Sachſen umber, 
ohne Anftelung, immer befchäftigt mit literarifchen Arbeiten und mit Beantwor⸗ 
sung der Schriften feines Hauptgegners Cruſius in Tuͤbingen. Er wurde zwar 
(1588) als Rector zu Braunfchiweig angeftellt, verließ aber auch diefe Stelle nach 
49 Monaten und ging in die Rheingegenden. Die Weigerung, ihm das rechtimißige 
Erbtheil feiner Frau verabfolgen zu laſſen, erbittente ihn gegen die wurtemb. Re⸗ 
gierung, bie ihn als einen Pasquillanten Durch einen Beamten in einem Safthaufe 


zu Mainz aufheben und, weil er fich wegen feiner. Befreiung an den Kaifer und 


andre deumhe Große wandte, nuf die Feſtung Hohenurach in engen Gewahrſam 
bringen ließ. Hier verfertigte'er aus feiner Waſche ein Seil,. um fich an demfelben 
in der Nacht vom 29. zum 80. Ion. 1590 berabzulaffen. Setäufcht durch den 
Schimmer des Mondes, Hatte er die: geführlichfie Stelle gewaͤhlt, das Seil riß, 
und er fiel zerſchmettert zwiſchen den Felfenrwänden hinab. &. Conz’s: „Kleine pro: 
ſaiſche Schriften:(4.D., 1821).— 5. war ein vielumfaffender Geiſt. Seine Eile: 
gien und f. „Hebraide“ (die Geſchichte der jüdifchen Könige) in 42 Büch., die er um 
Kerker zu Hohenurach dichtete, geben ihm einen Platz unter den beffern neuern lat: 
Dichtern. Tragbdien find ihm nicht gelungen. Seine 7 Komödien enthalten eins 
zeine Hervorftechende Züge des Witzes. Seine meiften Schriften tragen freilich 


das Gepraͤge der Eile; andre Fehler derfelben find auf Rechnung des Zeitalters zu _ 


ſchreiben. Das Meifte bat er für die Grammatik geleiſtet; ſ. Anmerkungen. über 
die Satyren des Perfius und die Bucolica und Georgica Dirgil’s, ſowie feine lat, 
liberf. des Kallimachus und Ariftophanes. find nicht ohne Werth. - 

Friſſt (terminus), eine entweder durch das Geſetz oder eine richterliche Be: 
ftimmung geſetzte Zeit, binnen welcher eine Handlung vorgenommen werden ſoll 
oder darf; Friftverlängerung, Srifterfiredung (dilatio), eine vom Rich⸗ 
ter ertheilte Erweiterung diefes Zeitraums. Die Friften find praͤcluſiv, wenn 


durch imbenutzten Ablauf derfelben:dos Recht zu ‚der Handlung felbft verloren 


v 


iten gedrängt, nabın er (4582) ei: - 


—r⸗ 


480 Stroben :Brbbifher 

geht, welches bei denen durch das Geſetz beſtimmten Brifkeri: (Fatalien, Ordnungs 
—* Nothfriſten) durch den bloßen Ablauf: derſelben geſchieht;: bei den vom 
ichter beſtimmten aber nach gemeinem deutſchen Proceßrecht einen Antrag der 
Gegenpartei (Ungehotſamsbeſchuidigung, accussrio. onntumaeise). und richterli⸗ 
ches Decret vorausſetzt. ie bekannteſie geſetzliche Friſt iſt die von 10 Tagen (fa- 
tulo decendii), binnen welchen ein richterliches Urtheil durch Rechtemittel (Appel 
Iation,: Lauterung, Reviſion u. ſ. w.) von der Nechtskraft abgehalten werden kann 
und welche von der Stunde der Publication zu: aufen aarfaͤngt, ſodaßiſie mit der⸗ 
felben Stande am 14. Tage zu Ende geht. Auf diefer Kraft der Friſten, deren 
Verſtreichen einem Berzichte gleich ift, beruht nicht allein der Betrieb der. Droceffe, 
ſondern auch die Sicherheit der Rechte und Ruhe der Buͤrgercgogen verultete und 
auf! irgend eine Weiſe getilgte oder aufgegebene Anfprüche.: (SG; Verjährung.) 
Eine füchfifche Frift beſteht in 6 Wochen und 3 Tagen; ſie hat ihren Urfprumgoik 
der alten deutfchen Serichtsverfaffung ‚-:nadh ‚weicher. jede Ladung vor Dericht-44 
Nachte in fich faſſen mußte (alſo immes auf. den’ 15. Tag: gerichket man)ı, und 'ritie 
2er rtheilung erft- nach ‚dreimaliger Vorladung (alfo'mn 4b. Tage) erfolgen 
ennte.- u ' tar ta IB 
sro ben (Johann), ein gelehrter Buchdrucker, gab. zu Hammelburg. in 
Sranten 1460, ‚ging nach Bollendung feiner Studien nach Baſel, wo ver Corrertor 
in Amerbach's Officin war, bis er 1481 eine eigne Officin.entichtete ‚deren. eufler 
Drud eine lat. Bibel war. - Seine Drucke, welthe fich durch große Coprectheit ame 
pfehlen, waren meift theolsgiſchen, vorzüglich patriſtiſchen ———— 
min ihm Auch mehre vorzagllche Ausgaben ulter romiſcher Tioffiker. Seine griet 
chiſthe Type iſt nicht ſchon, ſeins lateiniſche rund und deutlich, ohme gefaͤllig zu fein, 
und er iſt einer der Erſten, welche latriniſche Lettern in ihren Druden.gebrauchte. 
Seine Titelblaͤtter find. gewohnlich etwas uͤberladen / doch find die Runibeinfagfungen 
bei vielen derſelben nach Zeichnungen von Holbein und nicht ohne Vendienſt. Auch 
kennt man von ihm einen Pergamentdruck (die 2. Yusy.;des Erasmifchen M. Teſt. 
von't519), Er war ein vertrauter Freund des Erasmus von Rotterdam, der ſein 
Hausgenoſſe war und alle feine Schriſten von ihm draden ließ. Er ſtatb ari den 
Folgen eines unglücklichen Falles 1527. Seine Officin wurde von ſrinen Sohnen 
Hieronymus und Johann, und fpäter von ſeinen Enkehr Ambroſins und Kurrting 
mit geringerm Gluͤcke fortgefeßt. - . 1 ... u Ba BEE CE PER 
Frobiſher (Sir Martin, Frobifer, auch Forbifher), Seefahrer, geb: zu 
Doncafter inDortfhire; füßte den Plan, sine nordweftliche Dunchfahrt nach China 
aufzufuchen. Nach 16jahr. Bemühungen. gelang es ihm, auf Verwenden. Duds 
ley's, Srafen v. Warwick; eine Geſellſchaft zufammenzubringati, welche fo viel 
Geld berfchoß, daß er zwei kleine Schiffe und eine Pinaſſe ausmüften: und damit 
am 8. uni 1575 von Deptfore abfegeln konnte. Am 11. Zulüerbfichte er unter 

HN. B. ein Land, das er für das Frieslarid Zeno's hielt. Das Eis“hinterte 
ihn zu landen. Er fuhr ſuͤdweſtlich, dann nördlich, und glaubte am 28. die Küſte 
von Rabrador zu fehen; am 31. ſah er ein drittes Yand, und am 11. Aug. befand 
er fich in einer Meerenge, die er 50 Stunden binauffuhr und nach fich benannte. _ 
Die Bewohner glichen den Tataren. Er bemtächtigte fich eines Berfelben und nahm 
ihn mit fih. Am 2. Det. Bam er nach: Harwich zurüd, nachdem er Yon.dem ent⸗ 
deften Lande Befiß genommen. Einer feiner Matrofen hatte einen ſchwarzen 
Stein von dort mitgebracht, welcher der Steinkohle glich -und von Gewicht fehr 
ſchwer war. Man hielt ihn für goldhaltig. Die Geſellſchaft unternahm daher 
eine zweite Ausrüftung, mit‘ welcher F. am 26. Mai 1577 abging.: Er. fam 
wieder in die Meerenge, die er: mit Eis bedeckt fand, befuchte:das Land, und 
nahm auf einer Inſel eine Ladung von jenem ſchwarzen Stein ein, . Die Königin 
Eliſäbeth war mit dem Erfolge fehr zufrieden. Man beſchloß, in dem neuentdeck⸗ 


Srohnen .- "  Stohnleichnam 81 


ten Lande rin ort zu erbauen and eine Beſatzung nebſt Arbeitern dort zurlickzu— 
Iaffen. Zu dem Ende ging F. den. 81. Mai1578 mit 3 Schiffen von Harwich ab, 
denen 12 andre folgten. “Den 20. juni entdedite er Weſtfriesland, dag er Weſteng⸗ 
land benannse und für ſ. Königin in Befts nahm. In die. Meerenge konnte ex 
wegen des Eifes nicht einlaufen; einige Schiffe. feheiterten, andre ‚wurden; befeffi: 
digt, Die Jahreszeit war zu Gruͤndung einer Colonie zu weit vorgerüdt,. Man 
begnägte fich daher, 500 Tonnen des vermeintlichen Soldfleins einzunehiwen ,. und 
kehrte zurück. Da fich indeß zeigte, daß jener Stein denserwarteten Werth nicht 
Habe, ſtand man von weitern Unternehmungen ab. 4583 befebligte F. ein Schiff 
der Flotte, toelche unter Drake nach Weſtindien ging, und 4688 ein großes Kriens: 
fehiff gegen die fpanifche Armada, gegen welche er mit großem Ruhme focht. 1694 
Heinrich IV. mit 40 Schiffen zu Hülfe geſchickt, ward er bei einem Angriff auf die 
Kuſte von Bretagne d. 7. Ron. verwundet und farb bald darauf.ju Plymouth. 
Mar ift nicht einig, welche Länder eigentlich F. entdeckt habe. FR un u 
Frohnen (carvees), Dienfte, welche die Einmohnerzines Bezirks, ſomol 
des gutsherrlichen als des Stantegebietes, dem Herrn (ober dem Ganzen) entweder 
unentgeltlich oder gegen Vergütung zu leiften fchuldig find, Daß dieſe latzae 


meift geringer ift als der Lohn für freie gedungene Arbeit, ift nur zufällig, und.66 


komint auch vor, daß die Froͤhner die Leiflung jener Dienfte und den Bezug der Ber 
gütung (zumal bei dem Schneiden und Drefihen um die zehnte Garbe oder das 
zehnte Korn) als ein Recht betrachten, welches ihnen nicht entzogen werden: darfı 
Die Frohnen haben ihren Urfprung theils in der ſtaatsrechtlichen Merpflichtung-der 
Bürger, für allgemeine Nothwendigkeiten Dienfte zu leiſſen, wohin die Unterhah 
ng :der Wege und Bruͤcken, der Landesbefefliigung, Unterhaltung der. landeahrrrr 
lichen Schläffer, Kriegsfuhren, Jagdfrohnen u. f. w. gehören (Landegfiahnrm 
flnatsrechtliche Frohnen), theils in der Semeindeverfaflung (Gemeindefrohnen 
Bau und Unterhaltung der Gemeindewege und Gebäude, aus meichem Vefickim 
punfte auch die Dienfte für die Kirchengemeinde, Unterhaltung der Kirchen, und 
Schulen, bier und da Bearbeitung der Pfarräder u. a. zu betrachten find}.-theils 
in verfchiedenen privatrechtlichen Berträgen eines Grundharrn mitfeinen Zinsleusen 
oder auch denen, welche ſich ohae Verleihung von Grund: und, Boden Aur unter 
feinem Schuge in feinem Gerichtibezirke aufhalten, theils endlich aus Der Mit.Dies 
fen vertragsmaͤßigen Berbältniffen uahe verwandten Leibeigenſchaft. Dieſe Frohf 
nen find theils in Dualitkt und Quentitaͤt beſtimmt (gemaffen), ıtheils voin Beduͤr⸗ 
fen und der Willkür des Frohnberechtaten abhängig (ungemeifen). Landesfrohnen 
find das legte ihrer Natur nach, allein dabei wohl zu beachten, dab Frohnqu, weiche 
dem Landesherrn wegen feiner Kammergüter geleiftet werden, nur gufeherrkiche 
und keine Landesfrghnen find, und daß in dem landflündifshen Steuerbewillign 
echte auch die Befugniß liegt, Zweck und Größe der auszuſchreibenden Landesfroht 
nen feftzufegen. Sutsherrliche Frohnen ſollten flets gemeffene fein, und die. Scant 
regierung ift berechtigt, darauf zu dringen, daß alle ungemeſſene Frohnen in gem 
fene verwandelt werten. ie find Redfrobnen, wenn fie. wegen eins rohm⸗ 
pflichtigen Grundſtuücks geleitet werden Perfonalfrohnen, wenn ihr. rund 
blog in dem Aufenthalte im Gerichtsbezrke liegt. Zu den lebten find daher auch 
die bloßen Einmiethlinge. verbunden. Spannfrohnen erden mit Zugvich, 
Handfrohnen bloß durch perfünliche Irbeit, Botengehen, Spinnen, Striden, 
befonders der Nagdneße, und andre Hmdarbeit geleiftet, ‚37. 
Frohnleichnam, von demaltdeutfihen Frohn, (Herr) und Leichnam 
(Leib), der Leib des Herrn, in ber Kirchnſprache corpus Domini Jesu Chricti, 
bezeichnet die zum heil. Abendmahl gemeihe Hoſtie (Dblate), die nach dem Lehrbee 
griffe der Farbolifchen Kirche durch die Eitfegnung in den Leib Jeſu verwandelt iſt. 
Diefer im 12, Jahrh. Herrfchend gewopene Lehrbegriff hatte die Anbetung der 


— 


/ 


4423 Zu Froiſſart 


geweihten Hoſtie zur Folge, welche man als den wirklichen Leib ef verehren 
zu müffen glaubte. Daher füllt das Volk in katholiſchen Kirchen auf die Knie, 
wenn der Prieſter das Hochwuͤrdigſte (Die geweihte Hoftie) emporhebt, und in durch: 
aus Patholifchen Ländern, tie Öpanien, Portugal, Italien u, f. w., wird das 
Diaticum (fo heißt die Hoftie, wenn fie einem Kranken oder Sterbenden zur Privat: 
communion ins Haus gebracht wird) von Jedem, der einen Priefler damit g 


ſieht, oder das Gloͤckchen des vorangehenden Ehorfnaben hört, mit demſelben Sei: 


chen der Anbetung begrüßt. Reitende und Fabrende feigen ab, um ihm diefe Ehrs 
furcht zu beweifen; jedes Geſchaͤft, Sefpräch, Spiel und Vergnuͤgen wird fo lange 
unterbrochen, bis das Biaticum vorübergetragen ift. Die katholische Kirche bat der 
geweihten Hoftie das Frobnleichnamsfeft gewidmet, deffen Urſprung fich. von 
den Erſcheinungen berfchreibt, deren fich zwei Nonnen zu Lüttich, Juliane und 
Sfabelle, 1280 rahmten. Die erfte wollte dabei den Mond in vollem Glanze, 
jedoch mit einer Lade an feiner Rundung gefehen, und durch göttliche Belehrung 
erfahren haben, diefer Mond bedeute die chrifffiche Kirche, und die Luͤcke den Mangel 
eines einzigen Feftes, nämlich die Anbetung des Leibes Chriſti in der Hoſtie, welches fie 
zu feiern anfangen und der Welt ankündigen follte, Hierdurch tam der Archidiatonus 
Pi zu Lüttich, der fpäter u.d. N. Urban IV. Papft wurde, auf die Idee der Ein: 
rung des Froßnleichnamsfeftes, und ein Wunder beflärfte ihn darin. In feiner 
Gegenwart fielen 1264 einem Mefpriefter zu Bolfena, der noch nicht an die Ver 
Wandlung des Brotes in den Leib Chrifti glaubte, während der Einfegnung Bluts 
tropfen auf fein Chorhemde, und bildeten, da er fie in den Halten deffelben ver: 
Bergen wollte, blutige Seflalten einer Hoftie. Das blutige Gewand wird noch 
jetzt zu Eivita-Decchia als Reliquie vorgezeigt. Urban IV. erließ in demfelben J. 
eine Bulle, worin er das Frohnleichnamsfeft für die ganze Chriſtenheit auf den 
Donnerstag in der vollen Woche nach Pfingſten angrönete und den ihm beimoh: 
sienden Bußfertigen 40 bis 100 Tage Ablaß verſprach. Seitdem wird diefes Feft 
als eins der größten in der Fatholifchen Kirche gefeiert. Wefentlich gehören dazu 
glänzende Umgänge, die jede Nation nach ihrem Charakter mit befonderm Gepraͤnge 
fhmüdt. Chorknaben mit Fahnen und Geiſtliche mit brennenden Kerzen gehen 
über die Straßen dem vornehmften Prieſter voras, der unter einem von vier weltlis 
chen Standesperfonen getragenen Baltachin in der Eofibarften Monftranz die Ho⸗ 
flie trägt; ein zablreiches Gefolge aus der Gemeinde befchließt den Zug. In Spar 
nien gehört es zum guten Tone, feine Kinde , als Engel gekleidet, mitziehen zu 
laſſen; die Brüderfchaften tragen ihre aus Holz gefchnigten, Eoftlich gepußten 
Schutz heiligen vor dem Hochwürdigften her; Alles wird von der Pracht und Herr: 
Fichfeif der Anzüge, vom bunten Schimmer der Farben, von Weihrauchwolken ımd 
raufehender Muſik wie von der Andacht begeiftert; es iſt ein allgemeines Volksfeſt, 
wobei e8 auch nicht an Stierhegen, Spiekn, Tanzen und Luftbarkeiten jeder Art 
fehlen darf. In Sieilten erfaubt man fih dabei alle Maskenfreiheiten; Scenen 
aus der biblifehen Sefchichte werten im Zuge dargeftellt. Alles überläßt fich der 
ausfchreifendften Freude, Einfacher um twürdiger wird das Frohnleichnamsfeſt 
von den deutfehen Katholiken begangen ; in den proteftantifchen Ländern begnügen 
fie fich, in den Gangen ihrer Kirche umlerzuziehen und den Gottesdienſt durch be: 
fondere Feierlichkeiten auszugeichnen, E. 
Froiſſart (Jean), Dichter ind Hiſtoriker, geb, 1837 zu Valenciennes, 
wo fein Vater wahrſcheinlich Wappen: ind Schildermaler war, erhielt, dem geiſt⸗ 
lichen Stande beſtimmt, eine gelehrte Stziehung; bald entwickelte ſich aber bei ihm 
feine Neigung zur Poeſie, die zugleich mit einer großen Vorliebe für die Schönen, 
für Feſte und Salanterie verbunden war, ſodaß er, ſowol in f. Leben und Aben: 
teuern als in f. Schriften, ein treues Bild des beitern und fröhlichen Charakters 
f. Landsleute in jenen Zeiten darſtellt. 20 3. alt, begann er, auf die Ermunte: 


En 


Ftonde | 243 


rung Yeines tieben Meifters und Herrn, des. Meſſtre Robert.de Namur, eine Ge 
ſchichte der Kriuge feiner Zeit zu ſchreiben, welche Befchäftigung, da er zugleich mebre 
Deifen unternahm, um den Schauplag der zu befchreibenden Begebenheiten zu uns 
terfuchen, auch mit dazu 'diente, ihn in etwas von einer Neigung zu heilen, die er 
zu einer jungen und’reisenden, aber weit über feinen Stand erhabenen Dante ge: 
faßt hatte, mit welcher er durch gemeinſchaftl. Lefen von Dichtungen und Nomanen 
vertraut werden war. “Die fpäter erfolgte Vermaͤhlung diefer Dame machte ihn ſo 
unglüdflich, daß er nach England ping wo man ihn günftig aufnahm, und Phi⸗ 
lippe de Hainaut, K. Epduhrds IN: Gemahlin, ſich zu feiner Beſchützerin erflärte, 
Diefe verfchaffte ihm atıdy. die Mittel, einige Zeit wieder in Brankreich in der Nähe 
feiner vornehmen Angebedeten leben zu können. Bald aber Eehrte er an den Hof von 
England zurũck, wo man den froͤhlichen Dichter und Sänger edler Ritterthaten fo 
gern batte.. Von Bier aus Schottland bereifend, folgte er dem fchwarzen Prinzen 
nad) Aquitanien und Bordeaug, und wollte ihn fogar auf ſ. Zuge nach Spanien ye 
gen Heinrich Traftamare begheiten. Spater ging er mit dem —* von Clarence 
nach Italien, als dieſer die Tochter Galeazzo Disconti’s heirathete, und ordnete die 
Feſtlichkeiten an, welche der fogen. grüne Graf, Amadeus VI. von Savoyen, feinem 
Herrn zu Ehren gab. Nach dem Tode feiner Goennerin Philippe gab F. alle 
Derbindang mit England auf und trat, nach manchen Abentheuern als Diplomat 
und Krieger, wozu er fich übrigens, wie er felbft erzählt, gar nicht ſchickte, als Haus⸗ 
Baplan in die Dienfle des Herzogs Wenzel v. Brabant, der ſelbſt Dichter war, und 
won deffen Poefien, die er mit den feinigen vermifchte, er eine Ausgabe veranflal- 
tete; die eine Art von Roman : „Meliader, bildet. Mach Wenzels Tode ging er 
in die Dienfte des Grafen But de Blois, der ihn ermunterte, f. Chronik fortqufeben, 
-  weßbalb er. eine Reife zu dem Grafen Gaſton Phöbus de Foy unternahm, tm aus 
dem Munde der an deffen Höfe lebenden bearnifchen und gasconifchen Ritter die 
Thaten 'zu hören, welche fie verrichtet hatten. Auf diefem Wege ward er mit dem 
Ritter Meſſire Espaing du Lion bekannt, der alle Kriegezüge mitgemacht hatte 
und ihm die Data dayon fo offen und naiv ertheilte, daß der aus diefen Berichten 
entſtandene Theil der Froiſſart'ſchen Chronik, in Betreff des Tons und Style, zu 
dem Beſten gehört, was der Dichter lieferte. Nachdem er viele Abenteuer beflan: 
den, ging er noch ein Mal nach England, wo Richard II., ein Sohn des ſchwarzen 
Prinzen, herrſchte. As diefer Fuͤrſt den Thron verlor, ging er nach Flandern, wo 
er 1401 flarb. Seine Sefchichtserzählungen, die bis 1400 reichen, tragen in Co: 
lorit und Styl ganz das Geptage feines bewegten Lebens. Sie find Eöflliche Docu⸗ 
mente des Charakters und der Sitten feiner det. Don den Sopien f. Geſchichts⸗ 
werke, die man in verſchiedenen Bibliotheken findet, ift die auf der bresfauer Biblio⸗ 
thek die befte und vollftändigfie, die deßhalb auch fo hoch gehalten wird, daß man, 
als 1806 die Frangofen diefe Stade durch Kapitulation einnabmen,-in einem Artikel 
Diefes Vertrags ausbetung, daß dies Manufeript der Stadt verbliebe, : Froiffart’s 
fies aber werdeh tim Manufeript in der konigl. Bibliothek in Paris aufbewahrt. 

on f; Chronik von Frankreich, England, Schottland, Spanien und Bretagne von 
41326 — 1400 (durch einen Unbefannten bie 1498 fortgef.) erfchien fraß in Paris 
eine Ausg. in 4., in A Bdn., die 1508, 1514, 15148 und 1530 neu gedrudft wor: 
den ift. Andre Ausgaben find fpäter au Paris und London, eine Überſetzung von 
TH. Jones it in England 1808, mit einem Suppl. 1810 erfchienen. Auch hatman 
eine Überfeßung ine Flamfmbdifche von G. P. van der Loo. Die von Dacier beson: 
nene neue Ausg, der Froiſſart'ſchen Schriften blieb durch die Revolution unvollendet. 
Fronde, eine Partei, welche fich während der Dlinderjährigfeit Lud⸗ 
wigs XIV. dem Hofe und dem Sardinal Mazarin widerfeßte, den nach Ludwigs XIII. 
Tode (1643 die Regentin Mutter zum erſten Minifter erklärt hatte. Richelieu's 
Despotismus ſchien unter der Verwaltung diefes Auslaͤnders unter andern Formen 


444 Sratshaberg 
fortzutnuern. Die Schatzungen, ‚die man dem Volke auflegte, waren ungähewer, 
und da fich das Parlament weigerte, fi fie einzuzeichnen, ſo wurden mehre Malerin 
zelne Glieder deffelben verhaftet. Dies reiste nicht nur das Bolt,:fombern auch bie 
Prinzen vom Geblüte uud viele Große wider Mazarin atıf, der fich ummäßig bereis 
cherte. An der Spiße der Fronde fland der Esalitor von Reß (f.d.). Die Leiden 
haft und Lie Selbfifucht der übrigen Hauptlinge, weiche fogar fpan. Truppen in 
das Land zogen, verhinderten, daß die Fronde Etwas zur Wohlfahrt des Ganzen aus: 
Bene. Zwar verfprac 1649 der Hof der Fronde geſehliche Freiheit der ‘Perfen, 
des Eigenthums, der Yufliz Steuer: und Gefegbewilligisigsrecht ; allein er hielt 
fein Wort nicht, und Ber g diefer Händel diente bloßPapt, die fünigl. Macht 
noch mehr zu befefligen. Die Zeit der Fronde dauerte von BUB— bi. ©. bie „Me- 
moires de Mae de Motierilie und &%.-Aulaires „List. te la Fronde“ (Paris 
4827, 8 Bde). Roch jeher wird ein Tadler der Regierung Brondeur genannt. 
De. Behaument.) ı 
äroudsberg Geoeg v., Fewurberg Getundsberg; Fronsper 9) Her 
zu Mindelheim, Eaiferl. Gelthauptmann, geb. 1435; —** Mindelheim 1528, 
Sein Vater, Ulrich , war; wo nicht ˖ Utheber, Doch erſter Hauptmann des ſchwabe⸗ 
ſchen Bundes; ſein Bruder Kaspar zeichnete ſich durch tapfere Thaten als Führet 
tm Bundeskriege aus. Georg nahm an dem Zuge des ſchwaͤbiſchen Bundes wider 
den Herzog Albert von Baiern Theil, bildete aber fein großes Talent für die Krieges 
Eunft in den Kriegen des Kaifers Dierimilian I. gegen die Schteeiger aus. Eichen 
1504 golt:@ für einen der tapferfien Ritter im kaiſerl. Heere. Seit 1512 ſtand er 
on der Spihe der kaiſerl. Truppen in Italien. Er diente mit gleichem Ruhme als 
Feldherr Mazimilians I, und Karls V.; dieſem half er (16525) die Schlacht von 
—* gewinnen. Mehr als ein Mal führte er ihm Kriegsvolker aus Deutſchland 
1526 hatte sr 12,000 Deutſche auf eigne Koſten mistelft Verpfaͤndung ſeinet 
Öiier ‚angeworben , durch ˖ welche er Karls von Bors bon Meer. fo verſtaͤrkte, aß 
Beide vor Kom ziehen und es mis Sturm nehmen konnten. In der Folge führte 
er gegen. Ulrich von Würteniherg dns Fußvolf den ſchwabiſches Buntes an, und 
im Kriege wider Frankreich diente er in den Niederlanden ufter Philibent von Oras 
nien, F. hat das Rriegsinefen.verbeffert. Eine Truppengattung zu Fuß, welche 
von ihrem Lanzen Lanzknechte ‚genannt amd in | Regimenter getheilt wurde, gab 
den Schweizern an friegeriſcher Haltung und Topferkeit nidts nach. „Fronds 
berg war“ wie eine afte Handſchrift fagt, „ein großer fehmwerer Diann, und an 
Gliedern alfo ftark, wenn ee den Wittelfinger der-rechten Hand ausfiredte, daß ei 
damit den flärffien Mann, fo ſich fteif ftellte, vom ‘Plage Hosen fonnte. Wenn ein 
ferd daher gelaufen kam, konnte er es beim Zaum ergreifen und eilend ſtellen. 
Die großen Büchfen und Mauerbrecher konnte er allein mit ſeinen ſtarken Lenden 
pon einem · Orte.an den andern führen, und wenn es ‚nom Koffe flieg und ging, 
fonnte man ihm nicht wohl folgen”. Als er bei Ferrara die wegen rüdflintiger 
Lohnung tobenden Truppen nicht in Ruhe bringen konnte, wand er, wie er. glauhte, 
nem Schlage geriihrt und von dort auf cin Schloß gebracht. „Da Ferbft du nrich 
wie ich. bin“, fagte er zu feinem Freunde Schmalinger, „das find die Früchte des 
Kriege Drei Dinge follten emen: Jeden vom Kriege abſchrecken: die Verderbung 
und Unterdrüdung der armen ijnſchuldigen Leute; das: unerdentliche und firäfische 
Leben der Kriegsleute und die Undanfbarfeit der Fürften, "bei denen Die Ungetkeuen 
hoch kommen und reich werden, und die Wohlverdienten unbelohnt bleiben“. Auf 
den Reichstage zu Worms (1521), wo Luther vor Karl Y. Sich verantworten: foltte, 
machte der ruhige Blick des augefeindeten Mamnes einen folchen Eindrud auf ven 
alten F., daß er Luthern freundlich auf die Schultern klopfte: „Munchlein/, 
Mundclen“, ſagte er zu ihm, „Du gehſt jegt einen ang, dergleichen ich und mat: 
cher Oberfieg-guch ‚in der allerernſilichſten Schlachtordnung nicht gethan haben. 


‚ eine Eritifche Ausg. von 


KFronte Fronton 446 


Biſt du aber auf rechter Meinung und deiner Sache gewiß, ſo fahre In’ Gottes Nas 
men fort und fei nur getroft: Gott wird dich nicht verlaſſen“. Als F. flarb, fand 
ſichs, daßer feine Süter an Kaufleute verpfändet hatte, Schulden halber, und daß 
ähn die Fürsten, Die dos von ihm angeworbene Militair brauchten, fchlecht belohnt 
tten. . 
” Fronte, Bordersoder Sefichtsfeite, 3 DB. eines Gebaͤudes. In der 
Kriegsfprache : die dem Feinde, oder der Stelle, wo man fich den Feind denkt, ent: 
gegengekehrte Zeite der Stellung, Fronte auf Etwas machen, heißt, gegen Etwas 
gerichtet ſein. — Frontifpice, Vorderſeite eines Gebaͤudes; imsbefondere ber 
wittfere Vorſprung derfelben,, oder die Giebelſeite. üUberhaupt dievordere, in die 
Augen fpringende Seite eines Gegenſtandes; auch dag Titelblatt. oder Titelkupfer. 
Frontignac, einfüßer Diuscatellerwein, der bei Frontignan in Wieder: 
Banguedoc wächt und über Cette und Monspellier ausgeführt wird. Es gibt rothe 
und weiße Sorten. Feinſchmecker geniegert ihn zu einigen Fiſcharten. 
Srontinus (Sextus Julius), em Römer von patricifchem Geſchlechte 
aus der 2. Hälfte dest. Jahrh. n. Chr. war 3 Mal Conſul und unter Bespaflan 
mit Ruhm Feldherr in Britannien. Don Nerva erhielt er die Aufficht über Die 
MWafferleitungen, über welche er auch fchrieb. F. ftarb um 106 n. Chr. Auch 
als Rechtsgelehrter fand er bei f. Zeitgenoffen tm Höchften Anfehen. Bekannt find 
feine 4 Bücher „De strategematibus” (Leyden 1131, Leipzig 1773, und zuießt 
von Wiegemann, Shrtingen 1798) und fein Werk „De aqiaedactibus urbis Ro- 
mae‘‘ (Padua 1722-32 mt: Altona 1793); . me 
Fronto (Marcus Cornelius), Redner und Lehrer der Boeredtſamkeit zu 
Nom, aus Kreta gebürtig und in Eirtha, einer toͤmiſchen Colonie in Numidien, ges 


bildet, Tebte unter den Kaifern Marcus Aurelius und Lucius Verus, die er beide in 


der Kedefunft, Erftern auch ‚in der philofophifehen Moral, unterrichtete. Aus 
Donkbarfoit.lieg ihm Marc Aurel eine Ehrenfüule errichten; auch rühmt diefeg 
Raifer in feinen Selbfiberrachtungen mit ehrenvoller Anerkennung den. von F. em 
pfungenen Unterricht. Don den Schriften diefes Redners, den man mit Cicero 
verglich und deffen Schüler und Nachahmer mit dem Namen Frontonianer aus: 
zeichnete, befaßen wir bisher nur Sragmente aus grammatifchen Schriften, die fich 
in Putſch Sammlung befinden. Alles Übrige En verloren, 'bis 3815 Angelo 
Majo, Bibliothekar der Ambrofianifhen Bibliothek zu Mailand, mehre Merke 
von ihm auffend und zuerſt befanntmachte, nämlich ein Buch lateinifcher Briefe 
an den Kaifer Antoninus Pius, 2 Bücher Briefe an den Kaiſer 2, Verus, Briefe 
an $reunde, 2 Bücher Aniweifung zur Beredtfamfeit, gerichtet an Marcus An: 
tenınus, einige Bruchflüde von Reden, :ein langes Trofifchreiben an Marc Aurel 
über die Niederlage deffelben im parthifchen Kriege, ein Paar ſcherzhafte Schrik 
ten. ıc. Der erften 1815 zu Mailand .erfchienenen Ausgabe diefer Schriften, die 
allerdings menig befriedigt ift, außer emem Nachdruck (Frankf. 1816), 1816 

iebußr;, nit Anmerk. von Buttinann und Heindorf,; ge 
folgt. Wir lernen bier F. als Vrieffteller, weniger als Redner kennen, aber den 
gebegten Erwartungen entfpricht er nicht. Zwifchen ihm und Cicero ift ein zu mäche 
tiger Abfland, um ihn romanaeeloquentiad non secandum, sed alterum decus 
zu nennen, wie Majo thut. Ebenſo wenig aber dürfte er die Herabſetzung verdies 
nen, welche ihm Niebuhr widerfahren läßt. . Die richtigfte Anficht ift wol, daß 
5. und Symmachus fo gut als Cicero und Plinius die größter Redner ihrer Zeit 
wareg; natürlich aber fleht jeder Spütere dem Frühern fo weit nach, als der Ge⸗ 
fhmad und die Bildung des Zeitalters, im welchem er lebt, S. Friedr. Roth's 
„Bemerkungen über die Schriften des Fronto und über das Zeitalter der Antonine 
(Nürnberg 1817). 

Sronton, f. Giebel. 


446 Froſchmaͤusler Fruchtbarkeit 


Froſchmausber, ſ. Rollenhagen. 

Fro ſt nennen wir den Zuſtand unferer Atmofphäre, in welchem das Waſſer 
in Eis verwandelt wird. (Vol. Gefrieren.) Der Grad der Temperatur, bei 
welchem dies gefchieht, beige Eis:, Froſt- und Befrierpunft. (S. Eispunkt.) 
Die erfältete Luft entzieht dabei dem Waſſer denjenigen Antheil Wärmeftoff, von 
welchem fein flüffiger Zuftand abhängig if, Die Gewalt des Froftes iſt unermeß⸗ 
lich; eine gefrierende Slüffigkeit zerfprengt die fefteften Gefäße, in welchen fie ein: 

efchloffen ift. Die organifchen Körper leiden durch ihn jedoch nicht in gleichem 
ab, und viele fünnen auch die flärfften Grade deffelben aushalten. Den Ge: 
wächfen find heftige Sröfte bei gehöriger Trodenheit nicht fo nachtheilig, als wenn 
fie furz auf Regen und Thauwetter folgen. Die Urfache davon ift wahrfcheinlich, 
dak bei naffer Witterung felbft im Winter die zarten Gefüge und Tanile der Ge⸗ 
wüchfe mit Feuchtigkeiten angefüllt, und dann, beiheftigem Frofte, durch die Aus⸗ 
dehnung des Eifes geſprengt werden, wodurch der ganze innere Bau derfelben eine 
völlige gerrüttung leitet. Das Krachen felbft der fefteften Eichen bei hefriger Kälte 
bat gemiß feinen andern Grund, Auch Menſchen und Thieren önnen ſtarke Fröfte 
gefährlich und tödtlich werten. Sie fcheinen alle Reizbarfeit des thieriſchen Koͤr⸗ 
pers zu zerflören und rauben demfelben die innere Warme. Der Menfch fühlt fich 
von einer fo unmiderfteblichen Neigung zum Schlafen befallen, daß er felbft wider 
feinen Willen einfcpläft und in Bersußtlofigkeit erftarrt, Bringt man einen auf 
diefe. Art entfchlafenen Menfihen in ein warmes Zimmer, fo tödtet der plögliche 
Übergang aus der Kälte in die Wärme ihn. gänzlich; fcharrt man ihn hingegen in 
Schnee ein, fo erholt er fich oft wieder. Gleiche Bewandtniß bat es mit erfrorenen 
Gliedmaßen der Menſchen und Thiere, welche nur durch ein langfames Aufthauen, - 
befonders im Schnee, gerettet werden fünnen. Der Froſt wirkt auf gewiffe Nah⸗ 
rungsmittel febr nachtheilig. Alle waͤſſerige Früchte verlieren durch .ihn ihren ans 
genedmen Geſchmad und ihre Nahrbaftigkeit, und gehen nach dem Aufthauen bald 
in Faͤulniß über. Selbft Fleifch, welches durch den Froſt vor der Faͤulniß ziemlich 
bewahrt wird, loſt fich nach dem Aufthauen bald auf. Flüffige Sachen, . B. 
Biere, verlieren Durch den Froſt den Wohlgeſchmack. Starfe Winde vermindern 
allezeit die Kälte der Luft einigermaßen. \ 

Frucht, in der Botanik, der Theil eines Gewächſes, welcher fich aus dem 
ſchon in der Blüthe fichtbaren Fruchtkeime bildet, oder ber vergrößerte und ausges 
sonchfene Fruchtkeim. Den wefentlichen Theil jeder Frucht macht der Same aus, 
modurch das Gewaͤchs fich fortpflanzt. Diefer Tiegt entweder bloß, d. h. ohne Be⸗ 
deckung, oder, was bei den mehrften Sewächfen der Fall if, er ift in einem Be⸗ 
bältniffe, welches das Samenbebälmiß heißt. Verſchiedene dieſer Samenbehältniffe 
liefern bekanntlich eine fehr mohlfchmedende und gefunte Nahrung. 

Fruchtbarkeit iſt die Eigenfchaft organifcher Weſen, neue Indivi⸗ 
duen derfelben Art zuerzeugen. Diefe Kraftiftbei einigen in unglaublich hohem Gras 
de vorhanden; in einem Mohnkopfe hat man 32,000 Samenkörner gezählt; die 
Mime erzeugt jührl, an 100,000 Körner, ja unfere Obſtbaͤume: Kirfchen, Pflaus 
men u. f. w., wie zahlreich iſt der Same, den fie jährlich hervorbringen! Da nun 
in jedem Samenkorn die Fähigkeit ift, ein Individuum derfelben Art zu werden, 
fo müßte bald, wenn jedes einzelne dazu emporwüchſe, die ganfe Erdoberflaͤche 
von einer folchen Pflanzenart bedeckt werden. In den niedern Thierclaſſen ift die 
Bruchtbarfeit nicht minder groß ; N Königin der Bienen legt jührl. über 56000 
Eier; die großen Schwärme von Müucken, Heuſchrecken, welche bisweilen in den 
Feldern der Tatarei erfcheinen und ganze Streden Landes veröden; die Naupen, 
welche auch in unfern Segenden in manchen jahren fo zahlreich find, laſſen auf 
eine fehr große Fruchtbarkeit fchliegen. Der kleinſte Hering bat 40,000 Eier, 
ein Karpfen, der nur 4 Mund ſchwer ift, 100,000, ein größerer 262,280; ein 


Sruchtbringenbe‘ Geſellſchaft Frugoni 447 


Barſch 324,640; der Rogen des Störs wog 119 Pfund, da num 7 Eier einen 
Gran fchwer find, fo folgt, daß bier 71,653,200 Eier vereinigt waren. In dem 
Stockfiſche bat man die Zahl der Eier auf 9,344,000 berechnet. In den höbern 
Thierclaffen vermindert ſich die Fruchtbarkeit, Doch ift fie auch im Menfchen noch 
größer als die Sterblichkeit, Bei diefem aber ift fie nach Maßgabe des Klimas, der 
Jahreszeiten, der Nahrungsmittel, Gewohnheiten, Sitten , des Temperaments 
Pr ber individuellen Befchaffenheit der Eheleute in fehr verfchiedenem Grade vors 
nden. 

Sruhtbringende Geſellſchaft oder Palmenorden, 
ward 1617 auf dem Schloſſe zu Weimar von Kaspar v. Teutleben, Hofmeifter des 
Prinzen Johann Ernftdes ungern, zur Erhaltung und Miederherftellung der Rein: 
beit unferer Mutterfprachegeftiftet, welche damals durch Einmifchung fremder Wör- 
ter und Redensarten alles Eigenthümliche zu verlieren in Gefahr fland. Fünf 
deutfche Fürften nahmen an der Stiftung derfelben Theil, 3 Herzoge von Weis 
mar und 2 Fürften von Anhalt. Die Befellfchaft zählte fogar Karl Guſtav, 
König von Schweden, unter ihren Mitgliedern. Die Einrichtung derfelben war 
größtentheils nach den italienifchen Akademien geformt; man hatte 3.8. um 
allen Rangſtreit zu vermeiden und bürgerliche Mitglieder den böbern gleich zu 
machen, Jedem einen Namen beigelegt, deffen er ſich in der Sefellfchaft bedie: 
nen mußte. jedoch verfiel man durch dieſe nachgeäffte Form in viele Lächerlichs 
feiten; noch fonderbarer find die Gemälde, Wahlfprüche und Namen von Ges 
mwächfen gewählt, die neue Mitglieder zum Symbol und Unterfcheidungszeichen 
erhielten. &o hieß 3. B. der zweite Director, Wilhelm, Herzog von Weimar, 
der Schmackhafte; fein Sinnbild war eine Birne mit einem Weſpenſtich, und 
der fogen. Wahlſpruch: erfannte Güte. Andre hießen: der Saftige, der Nähs 
rende, der Bitterfüße, der Steife, ja fogar der Gemaͤſtete, her Wohlriechende, 
der Abtreibende ıc. Bei Verbefferung der deutfchen Sprache verbannte fie dieauss 
lönbifchen Wörter zu fehr und erfand ftatt derfelben deutſche; auch nahm fie in 
der Orthographie auffallende Änderungen vor. &o bleibt denn ihr Zweck das 
Rühmlichſte an ihr. Sie dauerte bis 1680 und hatte jedes Mal einen regierenden 
Herrn zum Oberhaupte. 

Sruchtftüd, ein Gemälde, auf welchem Garten soder Baumfrüchte dar⸗ 

ftelle ſind. &ie erhalten durch Anordnung, Zufammenftellung der verfchiedenen 
Eruchtarten, täufchende Wahrheit der Farbengebung und Beleuchtung ihren vors 
züglichften Reiz, und find wegen der Einfachheit ihrer Form und der größern Dichs 
tigkeit ihrer Farben weniger ſchwierig als die Blumenftüde. Die vorziglichfien 
Fruchtmaler waren de Heem, Mignon, Sillemans, Derbruggen, van Royen, 
von Huyſum, Rachel Nuyfch | 

Fruchtwein, ſ. Cider. 

Fructidor, deriß.: der 4. Sept. 1797. An dieſem Tage ſtürzte die Mas 
joritaͤt des franz. Directoriums (ſ. Barras) die Gegenpartei: Carnot und 
Barthelemy (fd). 65 Deputirte (Pichegru u. A.) wurden, als einer royaks 
flifchen Verſchwoͤrung fehuldig, nebft Barthelemy deportirt. Tarnot entkam. Dars 
auf erneuerten die Käthe den Eid des Haffes der Monarchie. 

Frugon i (Carlo Innocnzo), ein berühmter und fruchibarer Dichter, geb. 
gu Senun 1692, mußte zu Smflen feiner beiden ältern Brüder der väterlichen 
Erbfchaft entfagen und den giifllichen Stand ergreifen. Er trat daher 1707 in die 
Congregation der fomostifgen Brüder. Bei ungemeiner Lebhaftigkeit des Geiſtes 
und der Einbildungsfraft machte er ſchnelle Foriſchritte in den Wiffenfchaften,- be 
fonders den ſchönen. A er 17116 in Brescia Rhetorik zu lehren anfing, hatte er 
fich den Ruhm eines eleganten. Schriftflellere in Profa und Verfen, in Iateinifcher 
ſowol als italienäfcher Sprache erworben, Er ftiftete dafelbft eine fogen. arcadifche 


Eofonir „ in der er den Namen Esmante Eginetico erhielt; allein erſt in Ko er: 
weicht Lin Genis, angefeuert durch Die Größe der ihn umgebenten Gegenfähnde 
un? tarıh dos Deifpiel guter Dichter, Die er bier verfammmelt fand, feine volle Eat: 
widetung. Er ſchloß fich beſonders an Reli und Metoflafis en. Seit 1719 amter: 
richtete er yı Genua, dann zu Bologna tie jungen Geifilichen feines Ortens. Syn 
Metena bekam er tie Dlattern, und beenbigte wohrend f. Sienefung die tal. Uberſ 
es Abatomıfi von Ercbilien. ‘An tem Syofe zu Parma fand er Durch des Cart. 
Buentmezlie Bermendung eine ehrenvelle Zuflucht; alleın feine Diufe mußte fich zu 
Gelegen heits gedichten für Feſte u. dal. Vorfall⸗ bequemen. Zu der Vermaͤhlung des 
Herroge Antonio Farneſe verfertigte J. eine ganze Sammlung von Gedichten. Zu 
gleicher Zeit ſchrieb er tie Denkwürdigkeiten tes Haufes Farneſe. Sie erſchienen 
47293, und der Titel eines Fonigl. Geſchichtſchreibers war ſ. Belohnung. Der Her: 
zog Antonio fisrb. Dan hielt f Gemahlin 8 Monate lang für ſchwanger. 5. feierte 
fen die Erfüllung aller Wünfche durch eine Kette von 25 ſehr ſchönen Eenetten, 
allein feıne Berherfagung traf nicht ein. Amreuen Hefe fennte er feine Gunſt ges 
winnen, earum kehrte ırncch Genua präd. Jetzt fing feın Klofierartübte an, ihm 
laitig zu werden, und nach vielen Bemũhungen wurde er deſſen durch Benedict XIV. 
entbunten. Eeine grefe Canzone auf ie Eroberung von Oran durch Me fpanifchen 
Truppen, untertem Befehle tes Srafen Montemar, und andre Sedichte, welche er 
zu derfelben Zeü tem Konige Philipp V. un? der Kanigin ven Spanien überrei 
ließ, machten Süd. Er wurte wieder anten Sofvon Parma gerufen. Der Krieg, 
welcher in Italien zwifchen Spanien und Ofireich ausbrach, begeifterte ihn zwar zu 
manchen: trefflichen Gedichte, verfeßte ihn aber auch oft in druͤckende äußere Ders 
Bilmiffe. Er nahm nun zu dem Talente feine Zuflucht, daser für die burlesfe und 
ſatyriſche Peeſie befaß. Er verfertigte eine Menge Gedichte diefer Art, unter andern 
den originellen Geſang des 10. Sedichts: „Bertoldo Bertdldino e la casenno”, 
woran 20 Dichter arbeiteten. Mach dem aachner Frieden kam F. von Neuem an 
den Hof zu Parma. Nun überließ er fich freier f Neigung zur Dichtkunſt; er be 
geicherte das ital. Theater mit ſiberſ. mebrer franz. Opern, hatt» aber auch mit her⸗ 
ben Auefillen der Kritik zu fampfen. So lebte er ımter moncherlei Glũckswechlel 
bis 1768. Wenig ital. Dichter haben wihrend ihres Lebens fo viel Aufſehen ges 
macht und find nach ihrem Tode fo gefeiert worden, als 5. Seine Werke find 
4779 ju Parma in 9, und vollſtandig zu Lucca in 15 Bon. erfehienen; eine Aus: 
wahl in 6 Bdon. zu Brescia 1782. Findet man auch ın F.'s Gedichten zuweilen 
Schwulſt un? Bombaſt, fo find Doch die meiften reich an trefflichen Gedanken und 
wahrhaft fhönen Bildern. 
Frühling. Diefe Jahreszen fängt von dem Tage an, an welchem bie 
Eonne beim Aufiteigen in den Ayuator tritt, und endigt mit dem Tage, an weis 
chem fie zu Mittag ihren hochſter Stand im Jahre erlangt. Bei uns beflinnnt 
der Eintritt der Eonne in den Widder ihren Anfang, und ihr Eintritt in den Krebs 
das Ende tes aſtronomiſchen Frühlinge. Jener gefchieht um ten 22. März, diefer 
um den 21. uni. Auf der füdlichen Halbfugel fängt der aftronomifche Frühling 
um den 23. Eept. an und endet um ben 21. Dec., füllt alfo in die Zeit, wo wir 
Herbft Haben. Unter dem Aquator und überbarpt in der heißen Zone laffen fich die 
Jahreszeiten nicht fo abtheilen, roie inden gemäßigten. Man unterfcheidet dafelbft 
Bie trockene und naffe Zeit. Auch bei uns bezieht (ich um gemeinen Leben die Bes’ 
nennung der 4 Jahreszeiten mehr auf Temperatur und Witterung als auf den 
Stand der Sonne, und wir haben faft alle Mal Urſathe, den Anfang des aſtrono⸗ 
mifchen Frühlings von dem Anfang unfers Frühlings, d. i der angenehmen und 
milden Witterung, zu unterfcheiden, da letztere in der Regel fpäter eintritt. 
Grüblingsnadtglei he (Aequinoctinm vernum) beißt jene 
Zeit, zu welcher die Sonne in ihrem Auffleigen den Ayuater erreicht, ana 


. 


Gy - - Guss 449 


Orten der Erde Tag und Nacht völlig gleich macht und bei uns ben. Anfang des 
aftronomifchen Frühlings befiimmt. Die Spnne fleht um diefe Zeit ın einem 
Dunfte des Hyuators ſelbſt, befchreibt ihn als ihren Tagkreis, und ift daher, weil 
ihn jeder Horizont zu gleichen Theilen fchneidet, überall auf der Erde 12 Stunden. 
fichtbar und 42 Stunden, unfichtbar. - jener Punkt, roelcher zugleich einen der 
Durchfchnittspunfte des Hquators mit der Ekliptik abgibt, beißt aus dem ange 
führten Grunde Früblingspunkt Ehemals fländ an diefer Stelle tas 
Sternbild des Widders; daher man den nächften 30 Sraden der Ekliptik von die: 
fem Punkt an gegen Morgen hin den Namen des Widders beilegte. Hieraus 
- erklärt fich die Benennung Widderpunft, erfter Punkt des Widders, für den Früh: 
lingspunft, welcher beibehalten worden, obgleich der Punkt ſelbſt ſchon laͤngſt die 
Sterne des Widders verlaffen bat und jeßs unter den Sternen der Fifche fteht. 
(DBol. Borrüden der Nachtgleichen.) " 

Fry, Madame, Stifterin der Newgate's-Committee für Frauen, eine durch 
ihren Zinn ‚für Wohlthätigfeit ausgezeichnete Britin, von der Sefellfchaft der 
Freunde (Quaͤker), iffnormänrifcher Herkunft. Noch nicht verheirathet, fliftete 
fie, mit Erlaubniß ihres Vaters, in deffen Haufe eine Schule für 80 arme Rinder. 
1800 beirathete fir Hrn. Try, der ihren Eifer, wohlzuthun, in Allem großmüthig 
unterflüßte. Der elende Zuftand des Sefängniffes für Frauen zu Newgate bewog 
fie, daſſelbe zu befuchen. Unerfchroden trat fie in den Saal, wo 160 Weiber und 
Kinder in der wildeften Unordnung fie umringten. Aber ihreedle Haltung und ihr 
frommer Blick nöthigten diefen Unholden unwillfürlih Ehrfurcht ab. Sie bot 
ihnen Beiftand an, fprach Worte des Triedens, der Hoffnung, des Troftes; Fein 
Wort von Schuld und Verbrechen. Alle hörten mit Erfiaunen; ſolche Theilnahme 
batten fie nie gefunden. Mad, Sry wiederholte ihren Befuch und brachte unter den 
Unglüdlichen einen ganzen Tag zu. „ch komme nicht ohne Auftrag; diefes Buch 
— fie zeigte ihnen die Bibel — führt mich zu Euch. Ich will Alles thun für Euch, 
wasich kann; aber Ihr müßt mir beifiehen”‘. Darauf las fie ihnen das 20. Cap. 
aus dem Evang. Matth. vor. Diele der Unglüdlichen hörten jeßt zum erften 
Male von Chriſtus fprechen. Nun errichtete Mad. Sry im Sefängniffe felbft 
eine Schule für die eingefperrten Rinder; fchon dadurch gelang es ihr, das Gefühl 
der mütterlichen Liebe bei den roheften Frauen wiederzuerweden. Zugleich bildete 
fie einen Berein von 24 Frauen aus der Sefellfehaft der Freunde, unter deren Huf: 
fichr eine von den Sefangenen, die man Matrone nannte, die Leitung der Gefan⸗ 
genen beforgte. Dann las fie, in Gegenwart des Lord Mayor und eines Alder⸗ 
man, eine von ihr entworfene Lebensordnung vor, und fragte bei jedem Artikel, ob 
fie denfelben als Vorfchrift annehmen wollten. Dies gefchah einmuͤthig. So ge: 
lang es Mad. Fry durch Jahre lang fortgefeßte Bemühung , das Gefaͤngniß zu 
Newgate aus einer Jammerhoͤhle des Lafters in eine Freiftätte der Neue und in eine . 
Schule des Fleißes umzuwandeln. Seitdem find Ketten, Kerfergitter ıc. ver: 
ſchwunden; alle Thüren im Innern öffnen fich, und dag Ganze gleicht mehr einer 
Manufacturanftalt als einem Gefaͤngniſſe. S. Mad. Adele Duthon’s „Hist. de 
la secte des amis”. 

Fualdes (der Mord des), Diefer im Anfange 1817 zu Rhodez (einer 
Beinen Sabriffladt im Depart. Aveyron im fidl. Frankreich) verübte Mord gehört 
zu den verwiceltften Sriminalfällen neuerer Zeit und erweckte dieferhalb ſowol 
in Frankreich als im Auslande ein ungemeines Intereſſe, melches noch gefteigert 
wurde, als das erfte Berfahren (der Affifen zu Rhodez) wegen Fehler gegen die 
Form caffirt und ein zweites vor den Affıfen zu Alby angeordnet, dann aber, nach: 
dem die vornehmften Mitfehuldigen bier verurtheilt und hingerichtet worden waren, 
noch ein drittes Verfahren gegen andre Mitfchuldige in Touloufe eingeleitet wurde, 
deffen Refultate mit den Urtheilen der Affifen zu Alby nicht ganz übereinzuſtimmen 

29 


Converſations⸗Lexikon. Bd. IV. 


450 Fualdes 


ſchienen. Das Detail der Unterfuchung (die höchſt merkwürdig und nicht immer frei 
von allen Einwirfungen fremdartiger Dinge war) erzählten zu jener Zeit mehre 
Pamphlets, und öffentl. Blätter („Journal des debats”, „Constitationnel‘ x.) 
enthielten die dur Stenographer nachgefchriebenen gerichtlichen Verhandkun: 
gen, Zeugenverhöre u. f. fe. — Fualtes, em Mann von mittlern Jahren, Protes 
ffant, zu der Partei der Liberalen oder auch Bonapartiften gehörig, bekleidete 
unter der Faiferl. Regierung den Poften eines Procuraters beim Criminalhofe zu 
Rhodez, und fland ſowol hierdurch als durch fein Vermögen mit den angefehenften 
Männern des Drtes in Verbindung. Seit der Reftauration hatte er ſich zurück⸗ 
gezogen und lebte als Privatmann, unter der Hand Seldgefchüfte treibent. Dies 
und Verwandtſchaft in einem ziemlich weitläufigen Grade brachte ihn fehon feit 
Jahren befonders mit ein Paar Henoratioren des Ortes, dem Maͤller Jauſion und 
dem Kaufmann Baſtide-Grammont (die Beide Schmäger waren), auf einen ſo 
vertrauten Fuß, Daß diefe als feine Hauefreunde angefeben wurden. Plöglich ent: 
fpann ſich ımter diefen 3 Menfchen ein Zwiefpelt, deſſen erfte Beranlaffung der 
von 3. aefaßte EntfHläh war, Rhodez mit einem andern Wohnorte zu vertau⸗ 
fhen. Wie ihn Hierzu eigentlich bewog, ift dunkel, doch follen die feit der Reſtau⸗ 
ration im füdlichen Sranfreich begonnenen Proteftantenverfolgungen, fowie manche 
andre, damit in jenen Gegenden zugleich auftauchende Parteiumtriebe, Vie nicht 
unmwahrftgeinlichen Urſachen geweſen fein. Genug, er verkaufte feine liegenden 
Gründe und begann, Allen, am mehrften aber Jauſion und Baflide unerwartet, 
die ausgeliehenen Capitalien einzuziehen. Jauſion hatte durch die von F. erhalte: 
nen Vorſchuͤſſe fein Sefchäft in einen bedeutenden Schwung gebracht, war aber 
dem Darlehner noch fehr verpflichtet; derfelbe Fall fand mit Baſtide ftatt, der an 
3. 10,000 Fr. fehuldete. Beide. Eonnten für den Augenblick diefe Fonds ohne den 
größten Nachtheil nicht entbehren,. und da deffenungeachtet ihr Gläubiger auf Ab: 
machung drang, fo geriethen fie, und namentlich Baſtide, der einen heftigen und 
finftern Charakter hatte, mit ihm deßwegen am Morgen des 19. März 1817 in 
einen lebhaften Wortmechfel, deſſen Ente darauf Hinauslief, Daß man eine neue 
Zufammenfunft auf den Abend deffelben Tages verabredete. Am andern Morgen 
um 6 Uhr fand man den Leichnam des mit Mefferftichen ermordeten F. einge: 
padt, wie einen Ballen Kaufmannswaaren, außerhalb des Drtes in dem Aveyron. 
Waͤhrend die Behörden die zur Entdedung der Thäter nöthigen Schritte thaten, 
erfchienen ſchon um 7 Uhr (eine Stunde nach Auffindung des Leichnams) Faufion 
mit f. Frau und Schwaͤgerin, der Sattin des Baſtide, in der Wohnung des Ge 
mordeten, und begannen, unter lauten Beileidsbegeigungen, die Papiere des Un⸗ 
glüdfichen zu durchfuchen, wobei fie nicht allein fein Pult erbrachen und mehre 
Papiere, Kechnungsbücher u. dgl., ſondern auch einen Beutel mit Geld und andern 
Effecten fortfchleppten. Der Sohn des Ermordeten war auf einer Reiſe begriffen, 
und fonft Niemand im Haufe, der fich ihnen, den Verwandten, füglich hätte hierin 
widerſetzen fonnen. Um 10 Uhr fand fich auch Baſtide ein, noch ein Mal die Pa⸗ 
piere durchwühlend. Mehre Tage, während welcher der junge 3. zurückgekehrt 
war, verginger, ohne daß man eine Spur der Mörder zu entdeden vermochte; 
endlich gab ein Kind die Veranlaffung dazu. In der Straße Hebdomadiers, einer 
der lebhafteften der Stadt, befand fich ein Haus, deffen Befiger, Bancal, Schenk: 
wirthfchaft trieb, und dag, theils der Säfte aus den geringern Ständen megen, 
theilg aber, teil es ein Gelegenheitsort zu verliebten Rendezvous war, nicht indem 
beften Rufe ſtand. Diefer Wirth hatte eine 10jührige Tochter, Madelarine, welche 
fich im Sefpräche die Andentung entfchläpfen ließ, fie wiſſe mo und von wem F. 
ermordet worden fit. Auf weiteres Befragen enthüllte ſich nun, daß der Mord 
im DBancaPfchen Haufe felbftbegangen, und daß tabei nicht allein eine Dienge Per: 
fonen gegenwärtig, fondern auch das Kind felbfl, welches man fehlafend geglaubt 


— 


Fualdes ‚ 451 


hatte, in einer Nebenfammer Zeuge davon geweſen mar. Sogleich wurden Banı 
cal und feine Frau (ein ziemlich bejahrtes Weib), ferner ein ehemaliger Trainfoldat, 
Namens Sollard, deffen Geliebte, Anne Benoit, forvie nach) 3 Andre, mit Namen 
Dar, Miffonier und Bousyuier, und 25 Tage nach-dem Morde, auf Anfuchen 
des jungen F., Baftide und Jauſion feflgenommen, und das Verfahren unter eis . 
nem ungeheuern Antrange von Zuhörern von nah und fern begonnen. Kaum hatte 
man damit, wiewol nicht ohne Schivierigkeiten, den Anfang gemacht, indem die 
damals in voller Gahrung des Meinımgsfampfes einander auch in Rhodez und dem - 
umgebenden Departement gegenüberftehenten Parteien der Katholiken und Prote⸗ 
flanten, und wieder der fogenannten Royaliften und Bonapartiften, Die Sache aus 
ihren individuellen Sefichtspunften anzufehen begannen, und befonders die zahl: 
und einflußreiche Familie der beiden Hauptbefchuldigten, Jauſion und Baſtide (die 
fich laͤngſt fehon als eifrige Anhänger der Reftauration und des alten Glaubens bei 
alfen feit 1814 im fühl, Frankreich vorfallenden, oft mit großen, Teider aber unber 
ſtraft gebliebenen, Verbrechen begleiteten Neactionen gegen die Vroteftanten und 
Freunde der kaiſerl. Regierung, geieigt hatten) Alles anwendete, um durch diefe 
Pärteimittel ihre Angehörigen zu retten: als neue Entdedungen zu neuen Berbaf: 
tungen führten. Es lebte nimlich in Rhodez, getrennt von ihrem Gatten, einem 
ehemaligen Dfficier, Marie Trancoife Elariffe Manfon, Tochter des daficen Pre: 
votalgerichtspräfidenten Enjalran, die allgemein, troß ihrer ſchwaͤrmeriſchen Reiz⸗ 
barkeit und mancher, durch fehlechtgemählte Romanenlecture genährten Überſpan⸗ 
nung, alseine liebensmürdige Frau anerfannt wurde. Don diefer erfuhr man nım 
durch einen Dfficier, Namens Clemandot, derden Verehrer der Dame machte, von 
ihr indeß nicht begünftigt wurde, daß fie im Eifer des Gefprächs fo genaue Um: 
fände von der That erwähnt habe, alg fei fie dabei geweſen; und da mın Mat. 
Manfon deßhalb zur Rede geftellt wurde: fo erklärte fie endlich, fordol vor dem 
Praͤfecten als ihrem Vater: daß fie fich (marum? wollte fienicht enthüllen, da ihr 
sveibliches Zartgefühl dadurch compromittirt werde) am Abend des 19. Marz in 
männlicher Kleidung in der Straße Hebdomadiers befunden, und, erfchredt durch 
den Laͤrm, welchen der Uberfall eines Menfchen auf der Straße verurfacht, in das 
erfte offene Haus geflüchtet habe, welches dag BancaPfche geweſen fei. Hier babe 
man fie fogleich beim Eintritt im Dunfeln ergriffen und in ein Cabinet gefchoben, 
200 fie vor Entfeßen ob der verübten That in Ohnmacht gefallen, dadurch aber den 
Mördern verrathen worden fei, von denen nun einer auf fie zugeftürgt märe, um 
auch fie zu erwürgen. Durch die Dazwifchenfunft eines Andern fei diefer aber in 
feinem Vorhaben geflört worden, und fie Habe nun auf den Körper des ermordeten 
3. einen furchtbaren Eid ablegen müffen, Nichts zu verrathen, und fei darauf von 
einer dritten, gleichfallsbeim Mord implicirten, Perfon in Sicherheit gehracht wer: 
den. Mehr war nicht aus ihr herauszubringen, indem fie fich bei allen Fragen auf 
den Eid, den fie hatte leiften müffen, und auf die von mehren Seiten her ihr gewor⸗ 
dene Drohung berief, Daß man fie und ihr einziges Kind durch Gift oder ‘Dolch bin: 
opfern werde, falls fie einen der Mörder nenne. Aus der vorläufig von dem Ger 
“ richtshof in Rhodez eingeleiteten Unterſuchung, die indeß gleich im Anfinge dadurch 
noch fehtwieriger gemacht rourde, daß fich der bei der That mit impficirte Bancal im 
Sefängniffe vergiftete, ) ergab fich folgende Darftellung des ganzen Hergangr. 
Als &., der mit Faufion und Baftide:Srammont getroffenen Verabredung gemüf, 
in den Abendftunden am 19. März feine Wohnung verließ, um fich zu der befpro: 
chenen Zufammenfunft zu begeben, ward er in der Straße Hebdomadiers, unfern 


- 9) Baneal trug ſtark mit Nägeln befegte Holzſchuhe (sabots\. Aus dem einen 
zog er die Nägel, urinirte in_den andern umd marf die Nägel bahinein, Died dann 
ſo lange fichen laſſend, bis ſich der Roſt des Eiiens in dem Urin auflöfle, worauf 

er die Jauche verſchluckte, und fo, nach heftigen Stampfen, BT 
. [4 9 


i 





ter 

fee Ermertunz ın eınem Syaufe umb zu cmer Zeit verzug, we Dirnfihen fas 
abtiF:; nech Sen-an2 heraszen, as ferner tee Etabe. in weicher ters Berbredgen 
begaugea werde, what er echiein: tue nur untehern Salem fer 
ke aa leriteruienter. ar aledı tur — — 
rich, eren Blict ia das Zeuccer werfen feoote; dat; ubertirs nicht allem Dir 
Kurzer 203 Bercetkäen Ehepaare im einem hukt achen Bam 
Ishen E.merze Kkluien, ım einem antern Srisencabawtte aber, wir fch faiter er: 
gr. wrar te Dt. Minten, noch cin verfchlewrtrs fi ſũch 

ſe mu£ man in ter That uber tie Kuhnhen dieſer Merebande erfümnen, 
Dee nur Bach le fe Binde 
Ede ın ter turh Turn furchtbar verunemigtru Zeit zu jinten, zu feldher 
Draiisfeit im Frivein gelangt fein fonmte. Das Verjahren wer zı Rhedez ver 
Dem Ai rzeridte ten 1%. Aug. (1817) ereffnet worden. Am 22 te Monats 
kenern Zeit menge ale" Zeugin verbört. Urafangen, Bir ie früher allen 

eltsmenge als ‚te über von 
Erisen gefommen waren, un? teren für fie leicht zu err ee ur 


ehe auch, nach Auefage bes Elemantet, —— im Geſellſchaften, über einzelne 
Thatſachen bei dem ganzen Hergange erzaͤhlt hatte, da rief fie in ıhrer ingflans: fie 
Fonne die Wahrheit ige fügen, und und fie abejene Umfiinde nur einem andern Frauen: 
zimmer nacherzaͤhlt, das gegenwärtig geivefen fei. Auf die weitere Frage, wer Diefe 
Mderfon ki, fuchte fie aber neuerdings Ansflüche und gab nur Ba efichen. es möge 
mol Dem. Rofe Pierret (ein junges und ſchones, aus guter Fam Ite flammendes Mad ö 
den; geweſen fein, Als man jedoch mit dieſen ſchwankenden Angaben fih nicht begn⸗ 
gen wollte und immer weiter mit Zragenin fie drang, darieffie endlich, in der legten 
ig der Affife am 5. &ept., ſchmerzlich aus: Ach, noch fin? nicht alle Schul⸗ 
Dige ine n, aber über meine Lippen darf die Wahrheit nicht!“ Am 12. Sept. ſpra⸗ 
hen bie —— ihr faſt einſtimmiges Urtheil aus. Nach demſelben ward der 
Witwe Bancal, dem Baſtide, Jaufion, Bax und Collard der Tod; dem Miſſo⸗ 
nier und der un ® Benoit zeitlebens die Saleere, dem Bousquier ein , Yahr Zucht: 
Haus zuerfannt, Mad. Manfon aber, auf Antrag des Gheneralprocuratere, wegen 
falſchen Zeugniffes in Verhaft genommen. Die Samilien des Baſtide und Jaufion 
ſetzten Alles in Bewegung, um, wo möglich, die Senannten zu retten; und da zu 
gleicher Zeit die Berirtbeilten bei dem Cafſationshofe mir Appellation einfamen, 
wirklich auch ım Verfahren nicht immer nach allen vorgefepriebenen Regen gehan- 
delt worden war, fo entfchird diefer am 10. Oct.: Daß das Urtbeil der Affıfe in 


— 





Fualdes 4533 


Khodez, wege dnicht beachteter Foͤrmlichkeiten des Geſetzes, nichtig, und die ganze 
he von einem andern Gerichtshofe neuerdings zu unterfuchen fei. Dies gefchab 
vor der Aſſiſe zu Alby. Ehe hier noch das Verfahren eröffnet werden Fonnte, 
ſchrieb Mad. Manfon im Sefingniffe zu Rhodez, getrieben von Angft vor den 
Drohungen jener Menſchen, die an dem Sefchi der Mörder fo vielen Antheil 
nahmen, und gemartert zugleich durch Das Gefühl, ihre weibliche. Ehre turch die 
. ganze Sache fo compromittirt zu fehen, ihre Memoiren, deren erfte, 3000 Er. 
ſtarke Auflage am 12. Jan. 1818 in Paris erfchien und noch denfelben Tag vergrif: 
fen ward. Sechs andre Auflagen folgterl im Kaufe des Jahrs. Nicht allein wider: 
rief fie in diefem Buche ihre frühere mehrmalige Ausfage, daß fie am 19. Maͤrz 
in der Straße Hebdomadiers verkleidet gemwefen, fondern laͤugnete auch, daß ihr 
jemals von irgend einer Seite Drohungen getommen feien, um ihre Ausfage zu 
beftimmen, und fagte endlich: wie Dagegen ihre frühern Seftindniffe vor dem 
Präfecten ihr abgedrungen soorden wären. Daß das Ganze indeß weiter nichts 
als ein ungemein liftiges und fcharffinniges Servebe von Unmahrbeiten mar , die 
diefe Frau in der Angſt ihres Herzens, auf jedem Wege von ber Baftidefchen Fa: 
milie und deren Anhange bearbeitet, aufftellte, ergab fich fpäter zur Sienüge, forvie 
ebenfalls, dag nicht allein Familienintereffe, fondern auch das Intereſſe politifcher 
und religiofer Meinungen bei diefer ganzen Sache, und namentlich beiden Beſtre⸗ 
bungen, die Mörder ihrer Strafe zu entziehen, im Spiele war. Defto mehr Ehre 
machte es aber der Regierung, daß fie Hierbei eine Unparteilichfeit und einen Rechte: 
willen zeigte, der alle die geheimen Machinationen der Feinde der Proteſtanten und 
Liberalen in jenen Gegenden fcheitern lief, Den 25. März 1818 begann die Aſ- 
fife zu Alby ihre Sigungen. An 300 Zeugen wurden nach und nach verhoͤrt; un- 
ser Andern auch Roſe Pierret, von der die Manſon geäußert hatte, fie fei das ver: 
fehleierte Frauenzimmer im Bancal’fchen Haufe geweſen. Dies beftätigte fich je: 
doch nicht, ſondern es ergab fich, Daß es eine Andre, Namens Charl. Artaboffe, 
war. Durch das Zeugniß eines Fifchers aus der Gegend von Rhodes kam num 
auch beraus, daß unter den mehren Perfonen, die am 19. Maͤrz Nachts 11 Uhr 
den Ballen, in welchem der Leichnam des 5. lag, nach dem Aveyron gefchlenpt hat: 
ten, fich Jauſion, ide, Bancal und Bar befanden, und obfehon Baſtide am 
Beftigften widerſprach, fo vermochte er doch Fein genügendes Alibi zu ftellen. End: 
ih fing auch Mad. Manfon in ihren neuerdings gegebenen Ausfagen an, zu 
ſchwanken, und dies um fo mehr, je mehr die Witwe Bancal fich nach und nach 
zum Seftändniß entfchloß, und zuleßt feierlich zugefland (mas fie bisher gebrugnet 
hatte), dag der Mord in ihrem Haufe und in ihrer Gegenwart gefchehen fri. Mad. 
Manfon gab nun zu, daf fie doch wahrend der That in Münnertracht verborgen 
im BancaPfchen Haufe gervefen fei; wer fie aber von da wieder aus den Händen 
der fie bedrohenden Mörder fortgefcharft, dies wollte fie noch immer nicht gefiehen 
and beric fich auf Unwiſſenheit. So flanden die Sachen, als plöglich cine uner: 
wartete Erflärung von Seiten der Meat. Manſon den Schleier, welcher noch über 
mehren Punften der Angelegenheit hing, jerriß, und das Intereſſe des ganzen 
Hergangs auf den höchften Brad fleigerte. Bei einer Confrontation derfelben mit 
den Angeklagten, während der Gerichtsſaal mit Menſchen überfüllt war, md 
Stenographen bereit ftanden, jedes Wort der Ausfage ſchnell zu Papier zu brin: 
n, erhob ſich auf einmal Baftide, welcher bisher allen gegen ihn gerichteten 
ragen und Inzichten einen Falten, böhnifchen Spott entgegengefeßt hatte, mit 
ühner Feftigkeit und foderte, fußend auf feine Kentunig des Charakters der 
Manfon und der Angſt, welche fie vor den Drohungen feiner Anhänger hatte, fie 
auf, die Wahrheit zu fagen. Der fede Böfewicht hatte fich indeß dies Mal in fei: 
ner Rechnung geirrt. Mad. Manfon, zermürbt gleichfam durch Die Lünge des 
Derfahrens und gebeugt in ihrem Sinnern durch den Verluſt ihres einzigen gelieb⸗ 


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(143%, 6:4 8 ter Ternktenst ſeine zun gen. Zus einſummige Urtheil ver Ge⸗ 
fHmeresen war: Samde-rammont und Jaufen find Beide tes verbstächten 
Diertes, zuzleich aber auch des Trebftahis n Ant Einbruch fehultig (wegen der Er- 





J* Fualdes 465 


brechung von F. s Pult am Morgen nach der That und Wegnehmung der Pa⸗ 
piere und des Geldes); die Bancal ift mitfchuldig am Morde aus Vorbedacht; 
Eoflard und Bar ſchuldig der Theilnahme am Morde; Anna Benoit ſchuldig ohne 
Vorbedacht; Miffonier, Bousquier u. d. A. fchuldig als Theilnehmer an dem 
Sortfehaffen der Leiche, Diefemnach wurden die Bancal, Baſtide-Grammont, 
Jauſion, Collard und Bar zum Tode, Anne Benoit zum Brandmal und Iebeng: 
langer Karrenarbeit, die Andern aber, nach Maßgabe ihrer größern oder geringern 
Strafbarfeit, zu ein und zweijaͤhriger Sefüngnißftrafe, Geldbußen ıc. verurtbeilt; 
Bax jedoch, mehrer bei ihm eintretenden mildernden Rüdfichten wegen, der Gnade 
des Königs empfohlen. Die Manfon ward, als unfchultig bei der That, fogleich 
in Sreiheit gefeßt, indem das bereits erduldete Gefangniß ihr als Strafe für ihr fruͤ⸗ 
heres Verſchweigen angerechnet wurde. Die Sentenz ward, da der Caffationg- 
af in Paris fie beftätigte, in ihrer ganzen Ausdehnung vollzogen, und nur das über 
ar gefprochene Todesurtheil vom Monarchen in 20jährige Swangsarbeit verwan: 
delt. Am 3. Juni 4818 wurden Baſtide Grammont, Jauſion und Collard zu 
Alby hingerichtet; die Hinrichtung der Bancal aber noch durch. einen eingegan: 
genen Befehl des Königs erft aufgeſchoben, und. dann deren Strafe, in Betracht 
ihres Alters, in lebenslange Sefangenfchaft verändert. Don den Delinquenten 
farb nur Collard reumüthig und feines Verbrechens. eingeftindig, Baftide und 
Zauſion verharsten bis auf den letzten Athemzug ihres, Lebens. beim Liugnen. 
Das größte Mitleid erregte und verdiente gewiffermaßen durch ihre treue Liebe Die 
Arme Benoit. Ihre eigne empfindliche Strafe war ihr nichts. Sie fühlte nur 
den Schmerz um den Tod ihres, durch Bancal’s Einflüfterungen verführten Ge— 
liebten (Collard) und flebte in den ruͤhrendſten Ausdrüden die Richter an, ihr Blut 
für das des Geliebten zu nehmen, und, ihn zu ſchonen. An 100,000 Fr. hatte 
diefer merkwürdige Proceß gefoftetz 60,000 Fr. maren dem jungen Fualdes aus 
«der Dermögenscaffe der Verurtheilten als Schadenerfaß sugefprochen worden ; doch 
reichte diefe Maffe kaum zur Deckang der genannten Koften hin, und fo ward auch 
fein bürgerlicher Wohlftand durch ein Ereigniß ruinirt, das an ſchauderhafter Ver: 
wideluug kaum feines Steigen in der neuern ———— hat. Um Dad. 
Manfen & fehen, ſtromten Neugierige weit ijnd Breit herbei,. und da fie durch die 
erlebten Ereigniffe ſowol als durch die Traugf um ihr Kind erfehüittert, auf einmal 
begann, füch vom Irdiſchen weg und dem gimel zuumenden: fo gefchah es, Daß 
dag durch Diiffionnaire bearbeitete Lands und Stadtvolf jener Gegenden anfing, in 
ihr eine Art von Märtyrerin zu fehen, und nicht genug Rühmens von der „heiligen 
Huberta von Avepron” (wie man fie bereitd,zu nennen begann) machen fannte. 
Der ganze Proceß, die Art, wie fie in denfelben verflochten war. ihre Dienioiren 
u. ſ. f. hatten in der Hauptftadt Frankreichs die Neugier in .“ streff ihrer" aufs 
Höchfte gefpannt, Alles sunafchte fie zu fehen, und Einer aus der Menge jener 
Speculanten, deren es in ‘Paris fo. viele gibt, faßte den Eutfchluß, ihr 420,000 
Fr. zu bieten, wenn fie zu ihm in die Hauptſtadt kommen und ſich in Tivoli für Geld 
feben laffen wolle, Mad, Manfon fchlug dies feltfame Anerbieten jedoch ab, mußte 
fih aber bald darauf von Neuem nach Alby begeben, teil, in Folge einer neuen An⸗ 
Elaggacte vom 27. Oct. 1818, eingereicht bei dem oberften Serichtshofe zu Toulouſe 
durch den Eönigl, Seneralprocurator Gary, der faum beendete Proceß noch einmal 
aufgenommen, und dadurch ſowol einige bis dahin völlig unbezüchtigt gebliebene Per: 
fonen (als der ehemalige Polizeicommiffair Conſtans) und Andre, die bei der vorigen 
Entkheitung theils freigefprochen, theils als nur wenig gravirt verurtheilt worden 
waren (wie die-Notare Dence:d’ Iſtournet, Beſſiere-Veynaeund noch einige Andre), 
der bedeutendften Theilnahme am Morde, ja felbit einer größern als Baſtide-Gram⸗ 
mont, Jauſion und Collard, bezüchtigt wurden, was denn namentlich in Hinficht auf 
Jauſion die Bermuthung erregte, es fei durch das erſte Verfahren ein Juſtizmord 





456 Zühfe  Fuentes 


begangen worden. Ein gewiffes Refultat Hat jedoch biefe erneute Unterfuchung 
bierüber nicht gegeben; auch gelang es nicht, die aufs Neue Angeſchuldigten zu über: 
führen, und die Meinung, daß bei diefer zweiten Unterfuchung es wol eıner gewiſſen 
Partei beffer, wie bei der erften, möge gelungen fein, ihre in diefe Sache verwidel: 
ten Anbänger zu fehüßen, ift, wenn auch nicht berviefen, doch in Frankreich, und na= 
mentlich bei Denen ſehr allgemein, die durch die feit 1814 verinderten Zeitumflände 
ſchon manchen Drud‘, befonders in den füdlichen Provinzen des Reiches, erfahren 
mußten. Bemerken roollen wir bier nur noch, dag den Bruder des bingerichteten 
Baſtide-Grammont, Louis Baſtide, bald nach der Erecution ber Werurtheilten ein 
unbeilbarer Wahnfinn befiel. Mad. Manfon ftarb 1825 zu Verfailles. 

Fücd fe, in der Studentenfprache, die neuen Anfommlinge auf Univerfi⸗ 
täten. Im 16. Jahrh. unterfchieden fich fireng alte und neue Burſche. Die 
neuen mußten den alten in jeder Rüdficht dienen, befonders fich dazu bergeben, 
durch polizeitwidrige Streiche die fogenannten Philiſter (Heichtftudenten) in ihren 
Rechten zu kranken. Weil fie nun den armen Bürgern und Bauern ebenfo 
großen Schaden zufügten, als die Füchfe, die im Buche der Richter ermühnt werden, 
auf den Feldern der Philiſter anrichteten: fo foll man fie, die man wegen ihrer Ians 
gen Federn (pennae), womit fie die Sollegien: befuchten, Pennäle hieß, auch Füchfe 
(vulpes) genannt haben. (Bgl. Pennalismus.) . 

Fuch sin ſeln, auch Kawalang⸗Inſeln, der öftliche Theil des aleutiſchen 
Inſelſtrichs, 16 an der Zahl, zwiſchen Kamtſchatka und dem feſten Lande von Ame⸗ 
rika, fo genannt von den vielen hier befindlichen grauen, rothen und braunen Füchſen. 
Sie find größer als die fibirifcheh, aber ihr Haar iftgröber. Die größte diefer Inſeln, 
Unalaſchka, 18 — 20 Meilen lang, bar 2 Vulkane. Aus dem einen quillt ein 
ftarfer heißer Sprudel; der andre heißt der brüllende Berg, fpeit fein Feuer, raucht 
aber beftändig. Der Boden der Jnſel iſt Felfengrund, mit Lehm und Thon in den 
Thaͤlern. Der Graswuchs Bat nur gröbe Gräfer, und die Inſel faft fein Holy. An 
Vögeln gibt es Adler, Schneehühner; "Enten, Seeraben und-Serpapageien. Die 
Einwohner find maͤßiget Statur, von brininer Haut, und haben ſchwarze Hände. 
Sie tragen Pelzhemden mit langen Kenieln von —— bei ſchlechter Wit⸗ 
terung huͤllen fie ſich in Streifen von Gedaͤrmen der Seethiere. Auf dem Kopfe ha⸗ 
ben ſie einen —— Boden, mit Entenfedernund Glaskorallen geſchmuͤckt. 
Dur den mittleren Naſenknorpel feisfm fie etf'och,rodrin ein vierzolliges knoͤcher⸗ 
nes Stäbchen getragen wird ; auch in der Unterlefje machen fie auf jeder Seite eine 
Dffnung, in welche ein Stift’ oder Zahn eingefegt werden kann. In den Ohren tras 
gen fie Glaskorallen oder Bernftein. Das Haupthaar fehneiden fie ſich über den 
Augen rein ab, verzehren das Ungeziefer an ihrem Körper undverfchluden den Na⸗ 
fenfchleim. Ihre Kantarnefigen fie erfi mit Urin, dann mit Waffer, und lecken le. 
teres ab. Ihre meiſte Nahtung find Fifche und Walffiſchfett; fie lieben, aber ge⸗ 
nießen felten Zwiebeln und Wurzeln. Sie wohnen wie die Kamtſchadalen, und 
die meiften haben 3 bis 4 Weiber. Die ruffifch:amerifan. Handelsgefellfehaft hat 
bier Niederlaffungen.. Der Druck ihrer Beamten, Branntwein und Blattern has 
ben die Zahl der Inſulaner fehr vermindert. W 

Fuentes GDon Pedro Henriquez d'Azevedo, Graf v.) General u. Staats⸗ 
mann, geb. zu Valladolid 1660, machte f. erſten Feldzug 1580 in Portugal, als 
der Herzog von Alba diefes Reich für Philipp II. eroberte. Der Muth und die 
Klugheit, welche F. bewies, erroarben ihm die Gunſt des Feldberrn, der ihm cine 
Compagnie Lanzenknechte anvertraute. Ebenſo zeichnete er fich in den niederländis 
ſchen Feldzügen unter dem großen Alerander Farneſe, und fpäter unter den Mars 
Hefe Spinola, befonders in der Eroberung von Oſtende (1604) aus. Er wurde 
nachher zur wichtigen Sendungen an verfchiedene Höfe gebraucht. Als ein unvers 
föhnlicher Feind der Franzoſen, ‘gegen die er im Kriege (1598) mit Gluͤck comman⸗ 





Buge £51 
Dirte, ſuchte er ihnen auf jede Art Abbruch zu thun, und es Hi nicht un 107 
Bag er an der Verſchwoͤrung des Marſch. Biron gegen Heinrich W il genoms 
men. Unter Philipp 111. war er Statthalter von Mailand und machte ſich dent 
italienifchen Fürften und Republiken, die er die ſpaniſche Übermacht ‚fühlen ließ, 
furchtbar. legte (1608) auf einem Felfen beim Einfluffe der Adda in den Eos 
merfee, an den Grenzen des Veltlins, eine Feftung an,’ die nach. feinem Namen 
Fort de Fuentes genannt und von den Sraubündnern fehr ungern gefehen wurde. 


. Syn dem für Spanien unglüdlidyen Kriege, der 1635 mit Frankreich ausbrach, trat 


3. wieder auf den Schauplatz. Gpanien wollte den Tod Ludwigs XIII. und die 
Minderjührigkeit feines Nachfolgers b:inusen, und ſchickte (1648) den 82jahr. F. 
mit einem Heere In die Champagne. , Er belagerte Roeroy, aber der junge muthige 
Herzog v. Enghien (nachmals der große Conde) griff (19. Mai 1648) mit einem 
weit ſchwaͤchern Heere die Belagerer an, drang mit feiner Reiterei in die feit Karls V. 
Beiten fo berühmte und bis dahin für unuͤberwindlich gehaltene ſpaniſche Infanteris 
ein, und richtete fie faſt gänzlich zu Sirunde.: Fuentes, von Gechtſchmerzen geplagt, 
Dat ns in einem Seſſel in das Schlachtgetünnmel tragen laſſen, und fand hier 
nen 00, “ 1 . 77 pr 
Fuge, ein mebrflimmiges Tonftüd, in welchem ein melodifcher Satz herr⸗ 
Ka ift, welcher abwechfelnd von einer Stimme uch der andern auf manchestei 
re (3.3. durch Umfchrung) und in verfchiedenen Jaternallen wiederhölt wird, 
und in welchem die melodiſchen Säge fo ineinander harmoniſch werflechten ſind 
daß ein eigentlichen Ruhepunkt erſt mit dem Schluffe: eintritt. Die Anzahl dev 
ſelbſtindigen Stimmen 1die: aber nicht nach verboppelter Beſetzung oder nach 
den begleitenden Inſtrumenten beurtheilt werden darf) iſt willkürlich, und biers 
nach heißt eine Fuge zwei⸗, drei⸗, vier⸗ oder mehrſtimmig. Bei der Fuge konnnen 


hauprßachlich in Betracht: 1) der Hauptfab oder das Thema, Subjeci, auch der 


Anführer, düx, genannt; 2) der Geführte, comes. auch die Antwort, d. hedie 
ähnliche Wiederholung des Themas in einer andern Stimme umd auf einer andern 
Stufe der Tonleiter; 3) die Gegenharmonie, das Sontrafühject; eine Melodie, die 
fich jederzeit, wenn diefe oder jene Stimme den Halıptfag vorträgt, in einer. andern 
Stimme hören laßt; 4) der Wiederfchläg, reperbussio.. die Ordnung, in welcher 
Führer und Geführte fich in den verfibiedenen Stimmen abwechfelnd hören 
laffen. (Die Regel der Fuge erfodert, Daß: fie beide in verſchiedenen X eriazten rötes 
derbolt werden.) 5) Die Zwiſchenharmonie, d. i. karje Satze, welche vorfonunen, 
wahrend der Hauptſatz ſchweigt. Kommt in einer Fuge nur ein einziger Hauptſatz 


vor, ſo heißt fie einfache Fuge; gibt es aber in ihr mohm, ſo heißt ſte Do ppel⸗ 


fuge, drei⸗, vierfache Fuge. Streng ft die Futze / oder obliget Guga: riceren la), 
in welcher nur ein Hauptſatz nebſt einer Gegenharmonie inallen möglichen Geſtal⸗ 
ten vorkommt. Eine Fuge aber, in weiche Zioifehenfüße verwebt find , deren No: 
tenfolge nicht aus dem Thema entlehnt ift, Heißt eime freie Fuge: (fuga Jibern), 
3 D. die Ouverture aus Mozarts „Zauberflöte. . Der. Fuge legen die Regeln 
des Kanons und doppelten Contrapunkts zum Grunde. in anziehender muſikali⸗ 
ſcher Gedanke, der eine ganze Menge ergreifen fann, als Thema, Anordnung der 
Harmonie · zu demfelben aufeine Art, daß es bei allen möglihen Nachahmungen; 
Veränderungen, Umkehrungen und kanoniſchen Behandlungen immer fangbae 
bleibe, Wahl des entſprechenden Gegenſatzes, ſodaß die ſer auf der einen Seite nicht 
ganz trodene Behandlung'fei, auf der andern aber auch dem Thema nicht vorgreife; 
gehöriger Eintritt der Stimmen, gehöriges Verhaͤltniß derfelhen bei iheen Verwech⸗ 
felungen gegen das Thema, eine Begleitung, bei der immer bie Hauptſtimme ges 
gr bervorfleche: diefe und andre nur durdy Geſchmack und Übung zu erlangende 

igenfchaften müffen, außer den nllgeıneinen Erfodernigfen der Harmonie, eine 


Fuge beieben, wenn fie nicht ein Sünftliches. muſikaliſches Vechene xempel, fondern 


⸗ 





Riog ihn aufs N Iane getreu ja bleiben. Ser 
mach feßte er feine Zeichnenfiuuden zu Dresten fort, begab ſich 1774 nach Wien 
und ward, anf die Empfehlung des Hofraths von Birfenjiek, von der Kaiferm 
Marin Thereſia als Denfisunaır nach Rom geſchickt. Nach einem jühe. nnab: 
Uffigen Sn dafefbi (1715 — 81) gänger 1182 nach Nianpel, we der faiferl. 
Geſandte/ Graf v. Lamberg, ihn 2 Jahre lang in fein Hans nehm, wihrend wel⸗ 
er Zeit er Anlaß hatte, durch 8 große Frescogemalde im dem deutſchen Biblio: 
ihetſaale ber Königin zu Eofertn (ohne vorher in dieſem Ruufteige einige Übung 
erlangt zu Haben), und durch ein ſchr gelungenes Bildniß dieſer Monarchin. feine 

ger sfiemlich an den Tag zulegen. 1783 erhieit er eine 
Einlstımg, in ruffifche Dienfte zu treten, zog aber eine endre, 


. , der 
wiener Akademie zeugen. Uster den Kunſtwerken, die er geliefert hat, zeichnen 
ſich aus: die Portraits Joſephs 1., der Eriherʒogin Eliſabeth, Larden’s und der 

den- bifiorifchen Semälten: Prometheus, der das bimmli: 
ſche Feuer entwendet, für den Grafen vom Zinzendorf, im Schleife zu Erufibrunn; 
Orpheus, ber von Pinto die Rüdgabe der Eurpdice erbittet; Tito auf dem Schei⸗ 
kerhaufen, leßteres für das fürfllich Kaunig’fhe Eabinet; die erflen Altern Sei 
Abel’6 Leiche, für feinen Freund, den Herrn von Naith; das Urtheil des Funius 
Drutus über feine Söhne, und. als Seitenflüd der Tod ter Romerin Birgieia, 
beide in der Kunffammkıng, des Grafen v. Fries; Semiramis, welche an ihrem 
Putztiſche die Einporung ber Babylonier wider fie erführt; und endlich Se 
vor feinen Richtern. Bon feinen WRiniaturbätniffen, welche ſich durch ihre 
geriftifche Ahnlichkeit, durch das Graziöfe ihrer Wendungen und durch wahre und 
Sräftige Färbung fehr auszeichnen, erwaͤhnen wir bier aur das vom Kaifer Jo : 
ſeph 1. (des einzigen wahrhaft ähnlichen. dieſes Monarchen, von John geſtochen), 
11. ein andres der Oräfin Reewuska, in ihrem Cabinet yon ihren Kindern umgeben. 
Nicht minder merkwurdig find 20 Handzeichn. welche Diefer Kunſtler waͤhrend einer 
Iaııg angehaltenen Unpäglichkeit, nach. Ktopfiod’s Meſſias, auf blaues Papier, mit 
Krside und Tu, weiß aufgehöht, verfertigt hat. Einige derfelben find zu der 
neuen kipz Prarktausgabe diefes Gedichts, ebenfalls von John, in punftirter Ma⸗ 


Fugger Gefrhleht) 460 


nier geſtochen worden. Orbßer hat fie Leybold ausgeführt In Frauenholys Verlagen 
Neben dieſem haben folgende wiener Kuͤnſtler nach ihm gearbeitet: Barcſch Becken⸗ 
kam, Griger, Jacobe, Kininger, Pfeifer, Rhein und Wrenk. Ben Füger ſelbſt 
geibt find feine erwähnte Semiramis, eine Bergätterung des Hercules und.-ein® 
legorie auf die Malerei... Eine feiner legten .und ſchoͤnſten Arbeiten ift dee 1804 
für die Faiferl. Hofcapelle gemalte Johannes in der Wüfte, weiches Stüd mie 1900 
Dukaten bezahle wurde, Füger flarb zu Wien den, Nov. 1818. nd 
Su 38 er (das Sefchlecht der). Der Ahnherr diefer Familie war Jo ham 

nes F., Webermeifter im Dorfe Graben oder Söggingen unweit Augsburg, ‚im 
ehemaligen bifchöflichen Gebiete, werheirathet mit Anna Meisner aus Kirchheink 
Sein ältefter Sohn, Johannes, ebenfalls Webermeiſter, erheirathete (320) 
mit Klara Widolph dag Bürgerrecht ju Augsburg und trieb neben der. Weberei 
einen Leinwandhandel in diefer damals fo berühmten Handelsſtadt. Nach feiner 
erften Gattin Tode ehelichte er Elifaberh Gfattermann, eines Rathsherrn Tochsen 
(1382). Zwei Söhne und pier Töchter entfproffen diefer Ehe. Johann F. ward 
in der Weberzunft einer der Zwölfer, die mit im;Rarhefagen, und Freifchöffe ben 
soeffälifchen Sem, Er harte ſich 3000 Gulden, ein großes Capital für jene. Zeit 
erworben, als er 1409 -flarb. Sein ültefler Sohn, Andreas, wucherte mit 
feinem Antheile fo, daß er bald.vorzugsmweife der, reiche Fugger hieß. Mit feinen 
Gemahlin, Barbara, aus dem alten Geſchlechte der Sammler vom -Afte , ſtif⸗ 
tete er die adelige Linie der Fugger vom Reh, fa genannt von dem Wappen, das 
Kaifer Friedrich III. den Söhnen gab, die aber 1588 ausftarb. Johannes's zwei⸗ 
ter Sohn, Jakob, beſaß zuerft unter den Fuggern in Augsburg ein Haus, war 
ebenfalls ein Weber , trieb aber fchon eine ausgebreitete Handlung, Drei Söhne 
Jakobs unter elf Kindern, Ulrich, Georg und . Jakob, ermeiterten: durch 
Fleiß, Geſchicklichkeit und Redlichkeit ihre Handlungsgefchäfte außerordentlich 
und legten den Grund zu dem großen Flor der Familie; fie verheiratheten ſich mit 
Frauen aus den edelfien Geſchlechtern und wurden vom Kaifer Maxiwilian in 
den Adelftand erhoben. Die Fugger dienten mit Nath und That und durch die 
Mittel, die ihr großer Reichthum ihnen gab, dem Haufe-Oftreich mehr als viele 
andre Sefchlechter, und Marünilian, der oft Geld. bedurfte, fand immer Hülfe 


bei ihnen. Für 70900 Soldgulden verpfändete er ihnen die. Sraffchaft Kies 


berg und die Herrfchaft Weißenborn auf 10 Jahre, und nur 8 Wochrn ware 

ihnen nötbig, um die 170,000 Dukaten Hülfsgelder zu zahlen, wowdit Pap 

Julius II., imDereine-mit den Königen von Spanien und Frankreich, den Haiſer 
Mar zum Kriege mit Venedig (1509) unterftüßte. - Jakobs., Sohne begründeten 
des Geſchlechtes Ruhm, jeder nach feiner Weiſe; doch handelten fie gemeirtz 
fam in Füllen, wie, wir eben gedachten. Ulrich allein widmete: ſich dem Hans 
del, den er mit Hſtreich eröffnete. Bei der Zuſammenkunft Kaifer Fried 
richs II. mit Karl dem Kühnen, Herzog von Burgund, zu Trier (1473), übers 
nahm Ulrich die Lieferungen für den Eaiferlichen Hof; ſeine Schraibftube :hieß die 
goldene und war weit und. ‚breit ‚berühmt. &s:gab feinen Handalsgegenſtand, 
den Ulrich nicht beruͤckſichtigt :Hätte; felbft Albrecht Dürer’s Kunſtwerke gingen 
durch feine Sand nash Italien. Jakob Hatte fich dem Bergweſen gewidmet; er 
pachtete die Bergwerke zu Schwaz in.Zirol und gewann dadurch außerordent⸗ 
lichen Reichthum, von dem die Erzherzoge von ſtreich 450,000 Gulden als 
Darlehn. erhielten, und das prächtige Schloß —— in Tirol entſtand. 
Jakob farb: zu Hal in Tirol (1503); Kaiſer Max begleitete in Perſon feine 
Leiche, Unter dem Schwibbogen vor der Pfarrkirche zu Hall war diefes fonft 
in einer Grabſchrift zu lefen; doch der Sturm, der 1809 Hall und Schwaz vem 
wüſtete, hat auch dies Denkmal zerſtört. Die Fugger feßten diefen Bergbau: und 
die Gruben in Ungarn, Krain und Kaͤrnthen fort, und gewannen dadurch unmer 


/ 


460 Fugger (Geſchlechi) 

—— — —— nm Os Di * 
waren 

- Erben (1536) —— Batte frine Rinder binterlaffen, und fo berußte ber 


und z des Geſchlechts auf Georg, der mit der edein Regina Imhof 

2 Sohne, Raimund und a . ae tan den denkwuͤr⸗ 
digen Aeichstag zu ielt, er Jahr und in Anton 8 
——— —— Anton hatte freien Zutritt zn dem ——— 
aier, denn die Fugger kamen dem kaiſerl. 1 oft zu Syülfe, und auf ihre Unters 
rechnete der Kaiſer viel, wie in ber Folge zu feinem Seezuge nad) Tunis 
(4636). Der Kalfer erhob ſeinen Hauswirth und Raimund, deffen Bruder, in 
den Grafen⸗ und Pannerſtand (14. Mev. 1530) und gab das noch verpfündete 
Kirchberg und Weißenhorn ihnen erbe and eigenthämlich, nahm fie auf der 
ſchwabiſchen Grafenbank unter die Reicheflände auf und begabte fie mit einem 
Ibriefe, der ihnen fürffliche Serechtfame verlieh. , niemalen babe 

«bh dergleichen verliehen und bin auch nicht gefonnen, jemalen dergleichen wie⸗ 
der zu thun!” ſprach Karl; — aber noch waren feit jenen Werten nicht 5 
Jahre verfloffen, als er ihnen das Borrecht gab, goldene und filberne Münzen zu 
fplagen, das von ihnen 5 Mal ausgeübt worden (1621, 22, 23, 24 und 1694). 
Auch faßen Anton umd 12 feiner Nachkommen in dein geheimen Rathe, der an die 
Stelle des zünftigen Regiments der Neichsftadt trat. Diefer Anton hinterließ 6 
Mi. Goldkronen baar, Koffbarkeiten, Juwelen und Güter in allen Theiten Eu: 
ropa’s und beider Indien, und von ihm foll Kaifer Karl, als er den königl. Schag zu 
Paris befeben, gefagt haben: „Zu Augsburg ift ein Leinweber, der fann das Alles 
mit eigenem Sofde begahlen”. — Kaifer Ferdinand II. erhöhte noch der Fugger haben 
Glanz, indem er bei der Beflätigung des von Karl erteilten Sinadenbriefes den 
Stuſen Hans ımd Hieronymus $. die große Comitiv mit allen Rechten für 
die beiden Ältefien der Familie ertheilte, wodurch fie berechtigt reurden, Bergwerke 
in ihren Herrfchaften anzulegen, Freiungen, Fahr: und Wochenmaͤrkte aufjurihe 
ten, Zehen und Afterichen zu reichen, Unterthanen zu beerben eter deren eingezo⸗ 
gene Guͤter zu nehmen, zu jagen, zu fiſchen, Mühlen und Schenkſtätte anzule: 
gen, und Umgeld, Aufgeld, Ein: und Abzug zu fobern. So nahmen die Fugger 
an Geld und Ehre; doch auch des Himmels Segen ruhte auf ihnen fichtbarlich 
ihrer Nachkommenſchaft. „In 5 Hauptäften (fagt der „Spiegel der Ehren‘) 
zweigte der edle Stamm fo um fi, daß er 1619 bei 47 Grafen und Sräfinnen, 
und an jungen ımd alten Nachkommen beiderlei Stefehlechts fo viel, ale das Jahr 
Tage zählte”. Auch als Grafen ſetzten fie die Handläng fort und erwarben fo 
viel, daß fie binnen 94 J. an liegenden Gütern 941,000 Gldn. zufammengefauft, 
uhd 1762 noch 2 ganze Sraffchaften, 6 Herrfchaften und 57 andre Ortfchaften 
beſaßen, ohne die Häufes und Grundſtücke in und um Augsburg. Die erften und 
vornehmften Stellen im Reiche waren mit Fuggern befeßt, und mehre reichsfürftl, 
Hauſer rühmten fich der Verwandtſchaft mir Fugger' ſchen Sefchlechte. Bel 
ihren fanden ſich Sammlungen aller damaligen Kunftfchäße und feltener Schrife 
ten; Maler und Muſiker wurden von ihnen unterhalten, Kanſte und Wiffenfchaf: 
ten mit Freigebigkeit unterftüßt. SYhre Wohnungen und Garten waren Meiſter⸗ 
fläde der Baukunſt und des damaligen Geſchmacks, und fo Eonnten fie wol mit 
Anftand des Kaiſers Majeſtat bei fich beherbergen; auch verliert, unter diefen Um: 
fländen, die —— das Unglaubliche, daß, als Karl V. nach ſeinem Zuge 
gegen Tunis bei Graf Anton eingekehrt, dieſer im Kamine ein Feuer von Zimmt⸗ 
Bl mit der Schuldverfchreibung des Kaifers angezundet, und fo zu Ehren feines 
GSaſtes Die große Schuld deffelben getilgt. — Doch wenn wirder Fugger Gewerb⸗ 
fleiß, Klugheit, Ehre und Einfluß rüͤhmen, fo dürfen wir.nicht der Milde vergeffen, 


, 


Fuͤhlhdrner Fühlpflanz, 464 


der Fürforge für Bedürftige, des Lifers, der fie befeelte, mit Werten und Thaten 
Gutes zu ftiften und Jeglichem beizufpringen in Prunden der Noth und Verlegen⸗ 
beit. „An den edeln Fuggern“, fagt der „Spiegel der Ehren“, „ward erfüllet. des 
Heilandes Zufage: Gebet, fo wird Euch gegeben”. Ulrich, Georg und Jakob, 
des wohlthätigen Jakobs Söhne, Eauften in der Jakober Vorſtadt zu Augsburg 
Haͤuſer, ließen fie niederreißen und bauten 106 fleinere, bie fie armen Dürgem 
gegen geringen Zins überliegen; fo entfland die Fuggere i, die unter diefem Mas 
men, mit eignen Mauern und Thoren verfehen,- jeßt noch befteht. Jakob fliftete 
auch das fogenannte Holzhaus für 32 an den damals fehr mwüthenden Blattern lei⸗ 
dende Fremde; Hieronymus F. verinachte den Arnıen 2000 Gldn. und ein Legat 
zu einem Hofpital für 500 Fugger'ſche Unterthanen zu Waltenhauſen; Anton flif: 
tete eine Schule, ein Stipendium für Stubirende, ein Legat zur jührl. Ausſteuer 
dreier junger Mädchen, das Schneidhaus auf dem Roßmarkte; feine Söhne errich- 
teten das Holzhaus am Sänfebühel für venerifche Kranke. Hs treue Söhne der 
Kirche legten fie auf dem Altar des Herrn große Opfer nieder, und als die Refor⸗ 
mation die Srundfeften ihrer Kirche erfchütterte, da wirkten die Gugger mit allen 
Kräften für die Sache ihres Glaubens. Sie waren es, die zuerſt die Kefiiten nach 
Augeburg riefen und mit Gebäuden für Collegium, Kirche und Schule, und mit 
reichlichem Golde befchenkten;- auch viele andre geiflliche Orden und Brüderſchaf⸗ 
ten murden von ihnen mit Gut und Geld unterftüßt. — Nach den beiden Brüdern, 
Haimund und Anton, hat fi) das Sefchlecht in die Naimundifche und Antos 
niuslinie, jede hat nachmals fich wieder in mehre Afte getbeilt, aber alle ſchrei⸗ 
ben fih: Grafen Fugger von Kirchberg und Weißenhorn. Die Raimundiſche 
‚ Spaurtlinie verbreitete fich mit Raimunds 2 Söhnen wieber in 2 Afte: ob. Jakob 
‚der Ältere fliftete den pfirtifchen, und Georg den kirchberg⸗ weißenhomifchen Aft. 
Dom erſtern tft nur noch der Franz Bennoiſche Zweig zu Söttersdorf vorhanden; 
2 andre find erlofchen. Der kirchberg⸗weißenhorniſche Aft blüht ebenfalls‘ noch; 
ihm gehören die Sraffchaft Kirchberg und noch 4 Herrfchaften, mit überhaupt 
44,000 Seelen und 80,000 Glon. Einfünften. Die Antoniuslinie hatte 3 Mes 
Benlinien, die Mars, Hans:und Jakob'ſche. Die erſtere ift feit 1676 im Manns: 
ftamme erloſchen; von der Hans: Fugger'ſchen Linie gibt es noch 3 AÄfte, nämlich 
Glott, F.⸗Kirchheim und $..Nordendorf. Die legte jener 8 Linien, die Jakob: 
ugger’fche, blüht jeßt nur noch in dem babenhbaufifchen Zweige, nachdem der 
wöllenburgifche erlofchen iſt, und nach dem Abfterben der boofifchen Mebenlinie 
fämmtliche Befigungen an jenen Zweig gekommen find. — Graf Anfelm Ma⸗ 
ria F. v. Babenhaufen wurde vom römifch-deutfchen Kaifer Franz I. am 1. 
Aug. 1803, nebft feiner männlichen Nachkommenſchaft, nach dem Rechte der 
Erfigeburt, in den Neichsfürftenfiand erhoben, und die Reichsherrſchaften Baben: 
haufen, Boos und Rettershaufen, unter der Hauptbenennung Babenbaufen, zu 
einem Reichsfürftenthum erhoben. (Er ftarb den 22. Nov, 18241.) Das Für: 
ſtenthum Babenhauſen, deffen Hauptort der Marktflecken Babenhaufen an der 
Sünz ifl, enthält 7 OM., 11,000 Einw., und trägt 80,000 Gldn. Einkünfte. 
Durch die Errichtung des Rheinbundes (1806) kam ſowol diefes Fürftenthum als 
die andern Fugger'ſchen Befigungen unter die Souberainetät des Königs von 
Baiern; doch find ihren Befigern viele Borrechte von! Seiten der Krone, durch bes 
fondere Verhandlungen, zugeflanden worden. Den Flächeninhalt der gefimmten 
fürſtlich⸗ und gräflih Fugger'ſchen Beſitzungen, die zum Theil zerfireut liegen, 
ſchaͤtzt man auf 24 DD,, mit 40,000 Seelen. | 
Fuühlhörner oder Fühlfpigen, die andem Kopfeder Inſekten, z. B. 
der Schmetterlinge, ‚befindlichen gelenkigen Werkzeuge, welche bald faden:, bald 
federartig find und von Manchen für Werkzeuge des Gefühls gehalten werden. 
Fühl-oder Sinnpflange(Mimosa pudica), faltet ihre Blaͤtter zu⸗ 


. 








t 


- 


462 Fuhrhandel Fulda (Sroßherzogthum) 


ſammen, wenn fie berührt wird, allein ohne Berührung faltet fie diefelben den Tag 
über nicht. Hierher gehört auch die Fliegenklappe (f. Dionäa), bei welcher fich 
eine ähnliche Erfcheinung zeigt. 
—Fuhrhandel, Frachthandel, beſteht darin, daß die Kaufleute 
eines Landes fremde Waaren aus fremden Landern holen und ſie andern Nationen zu⸗ 
führen und verkaufen. Dergleichen Waaren berühren ſelten das Land jener Kaufleute, 
und dieſer Handel nutzt daher auch nur den Kaufleuten, welche ihn betreiben, und 
beſchaͤftigt die Rhedereien, welche die Schiffer zu dieſem Handel verfertigen. Er un⸗ 
terhaͤlt aber Das Gewerbe der Länder, deren Waaren er verführt, und verſchafft De: 
nen Senüffe, welchen er fie zuführt, und Deren Producte er wieder als Gegenwerth 
abnimmt. Er paßt vorzüglich für Nationen, die fü viel überflüffige Capitale ha= 
ben, daß fie im Inlande nicht genug gewinnvolle Befchäftigung mehr finden Fönnen. 
Er macht es andern ärmern Landern möglich, daß fie alle ihre Sapitale im Lande 
behalten und damit innere Gewerbe unterhalten fönnen, die fonft offenbar vermin⸗ 


dert werden müßten, wenn fie den Handel, wel:hen fremde Nationen für fie betrei⸗ 


‚ben, mit eignem Capital führen müßten. Es ift daher ein Irrthum, wenn die 
Regierungen diefe Art Handel ihrem eignen Bolfe dadurch zuverfehaffen ſuchen, deß 
fie ihn den übrigen Nationen erſchweren oder ihnen denfelben ganz unterfagen, denn 


fie ſchwaͤchen dadurch die inländifchen Gewerbe, weil fie die Capitale von ihnen 


wegleiten, indem fie folche in den ausländifchen Handel oder gar in den bloßen 


Fuhrhandel treiben. | 


Fulda, Eurheffifche Provinz und Großherzogthum, macht etwa 2 des ehe⸗ 
mal. Bisthums Fulda aus, dad nach der Secularifation des Keichsdeputationg- 
ſchluſſes an Dranien:Naffau, Dann an den Großherzog von Frankfurt gelangte: “Der 
Einheit. Theil(das Großherzogthum, welches nıın Hariau mit Niederheſſen verbin: 
det) begreift jeßt in 4 Kreifen (darunter Schmalkalden) und 11 Ämtern 42 OM,, 
125,100 Einw. Das eigentlihe Großherzogthum Fulda, ohne das Fürftenthum 
Hersfeld (7 OM., 28,000 €,) und ohne Die Herrfchaft Schmalkalden (7 


OM., 23,000 E.), hat nur 28 IM, mit 74,000 E. Diefes Larid hat eine hohe 


Lage und wird ander Oflfeite von dem Rhoͤngebirge und an der Weſtſeite vom Bo- 
gelsberge begrenzt, von welchem auch ein Theil hierher gehört. Überhaupt iftdas 


:ganze Land eine Mifchung von vielen einzelnen, Eegelfsrmigen Bergen, welche vule 


fanifchen Urfprungs find, und dazwiſchen liegenden Wiefengründen und Thälern. 
Einige von diefen Bergen, als der Dammersfeld, die Milzeburg (ihrer grotesfen 
Form wegen dag Heufuder genannt), der Bibraftein, erheben fich bie zueiner Höhe 


‚vo 2—3000 Fuß. Viele Gewaͤſſer, darunter die Fulda, gewähren dem Lande eine 


reichliche Bewaͤſſerung. Der Boden ift bergig, fleinig und mager in vielen Se: 
genden, aber durch den Fleiß der Einwohner wohl angebaut, daher man Getreide, 
Obſt, felbft guten Wein (in dem füdfichen,, zu Baiern gehörigen Theile), Gar: 
tengewüchfe und befonders vielen Slachs baut, Die Berge find mit Waldungen, 
vorzüglich von Buchen, bededt; auch hat man Nadelholz angepflant, Die 
Waldungen nehmen einen großen Theil der Oberfläche des Landesein. Die treff: 
lichen Wiefengründe geben reichliche Fütterung, daher die beträchtliche Rindvieh⸗ 
und Schafzucht. An Mineralien find die Berge nicht reich, Metalle gibt es gar 
nicht. Zu Salzſchlirf ift ein Salzwerk. Die Einwohner, größtentheils Katholiken, 
beſchaͤftigen fich fehr mit der Spinnereides Flachfesund der Wolle, und der Weberei. 
Eine Menge- Leinwand, feine Damafte, Tifchzeuge aller Art, Handtücher, Bett: 
zwillich werden von den Einwohnern verfertigt und theils nach Bremen und Frank: 
furt a. M. verfendet, theils durch Hauſirer in einem großen Theile von Deutfch: 
land herumgetragen. Auch gehen jährlich viele Landleute in die füdlichen Main: 
gegenden, 100 die Arnte früber beginnt, und fuchen mit Arntearbeiten etwas zu 
verdienen. — Die Haupiſtadt Fulda, der Sig der für diefes Großherzogthum 


‘ Fulda (Friedrih Karl) Fulton | 163 


418417 errichteten Regierung und’ des Oberlandesgerichts, ſowie bes. katholiſchen 
Bifchofs für Kurheffen, Tiegt in einem weiten Thale ander Fulda, ber welche eine 
fleinerne Brüde führt. Sie hat mit den Dorftädten 996 H. und 9100 Einw. 
Die Hauptſtraßen find breit und mit anfehnlichen Haͤuſern befeßt; die übrigen win⸗ 
eeiig. Der fchönfte Pag, der Domplag, ift Mit 2 Obeligfen geziert. Unter den 
Gebäuden zeichnen fich aus: die herrliche von Quaderſteinen erbaute Domtirche, 
mit einer fehönen Kuppel und dem Srabe des heil. Bonifacius (f. d.), und das 
vormalige bifchöfl. Schloß mit einem Luſtgarten; Lyceum, Forſtlehranſtalt. Der 
Stadt gegen Süden fteigt eine nigdrige, aber weit ausgedehnte Anhöhe fanft an, 
auf welcher die Safanerie, ein vormaliges bifchöfl. Zuftfchloß, liegt, 

Fulda (Friedrih Karl), deutfher Eprach:und Geſchichtforſcher, geb. 
47124 in der ehemal. Reichsſtadt Wimpfen in Schwaben, ftudirte zu Stuttgart, 
- Tübingen und. Göttingen, und farb als Pfarrer zu Enzingen im Würtembergi: 
ſchen 1788. Seine Eprachforfchungen fing er um 1160 an und gab den erften 
öffentlichen Beweis derfelben durch die Abhandlung: „Über die zween Hauptdia⸗ 
lekte der deutfchen Sprache”, melche 1771 von der koͤnigl. Societät der Wiſſenſch. 
zu Gottingen den Preis erhielt (Leipzig 1773); dann durch fein ardßeres Werk: 
„Sammlung und Abftammung germanifcher Wurzelwoͤrter nach der Reihe menfchlis 
cher Begriffe” (Halle 1776, 4.), auf welches er die „Grundregeln der Deutfchen 
Eprache (Stuttgart 1778) folgen ließ. Später erfchien fein „Berfuch einer allge 
meinen deutſchen Spiotifenfammlung” (Berlin 1788). Einzelne Abhandlungen 
von ihm über die deutfche Sprache find in dem „Deutfchen Sprachforfcher” enthafe 
ten, den er gemeinfchaftlich mit Naft in Stuttgart herausgab. Sn allen diefen 
Schriften zeigte 5. philofophifchen Scharffinn, ausgebreitete Kenntniß der Spra⸗ 
hen und der Gefchichte, und den mühfamften Fleiß im Forfchen. Seine Schreib: 
art iſt außerſt gedrungen und kurz, und grenzt. oft felbft an das Raͤthſelhafte. “Die 
häufigen Rüden, die fich in der Reihe feiner Gedanken finden, erſchweren das Lefen 
feiner Schriften und haben felbft verurfacht, daß man verfhiedene feiner Süße als 
willfürlich und unertiefen anfah. Auch befchäftigte‘ fih F. mit Unterfurchuns 
gen Biftorifcher und antiquarifcher Segenflände; einzelne Abhandlungen darüber, 
3. B. von der Gothen Herkunft, von den Gottheiten der Germanen u. f. w., find 
von ihm in verfchiedene Sammlungen eingefendet worden. Seine biftorifchen 
Kenntniffe und feinen überblick der Geſchichte bewährte er durch ein Werk, das die 
Srucht eines 20jahr. Fleißes war: „Gefchichtscharte, in 12 großen illum. Blättern“ 
(Bafel 1782), und „Überblid der Weltgefchichte, zur Erläuterung der Gefchichte: 
“harte” (Augsburg 1783). Seinen Commentar über den Ulphilas, nebſt der lat. 
Synterlinearverfion, einem daraus gezogenen Gloſſar und einer möfogotbifchen 
Srammatif, hat Zahn in feiner Ausg. des Ulphilas 1805 befanntgemacht und 
zugfeich Nachrichten über F. und feine hinterlaffenen Handfchriften mitgetheilt. 5. 
mar übrigens ein äußerft thätiger und in feinem ganzen Wefen eigenthümlicher 
Mann. Die Lehrbücher, deren erfich beim Unterrichte feiner Kinder bediente, ſchrieb 
er ſelbſt. Dabei befchäftigte er fich viel mit mechanifchen Arbeiten. 

ulgurit, ſ. Ölißröhren. j 
üllhorn(Cornucopiae), das Horn des Überfluffes, (S. Ache lous 
und Amalthea.) 

Fulton (Robert), Mechaniker in Nordamerika, Erfinder der Dampfböte, 
geb. in der Grafſchaft Kancafter in Pennſylvanien 1767, geft. im Febr. 1815, wurde, 
va fein Vater unbemittelt war, nach Philadelphia zu einem Solbfehmnied in die Lehre 
gesehen und zeigte bier Talent und Geſchmack im Zeichnen. rch einen feiner 

andeleute wurden ihm die Mittel, fich nach London zu begeben, um dafelbft unter 
dem berühmten Wert, einem geborenen Amerikaner, die Dialerei zu fludiren. Nach: 
dem. bier einige Jahre fleißig ſtudirt hatte, -war er ſelbſt mit feinen Sortfchritten 


8 


‘ 


484 : Fulvia :. Sunbirungsmethode 


in der Kunſt wenig zufrieden, gab alle Hoffnung auf, je ein berühmter Maler 
zu werden, und befchl“6, feine Talente auf andre Segenflände zu wenden. Er kam 
in Verbindung mit feinen Landsmann Ramſey, einem gefchidten Mechaniker, 
der nach London gefommen war, um die Dampfmafchinen und andre nüßliche Er: 
findungen fennen zu lernen und fie in fein Vaterland, Birginien, zu verpflanzen. 
F. warf jeßt den Pinfel weg und widmete fich ganz dem Studium der Mecha⸗ 
nif. Waͤhrend er ſich damit beſchaͤftigte, bewog ihn fein Landsmann Barlow, 
narhınal. Siefandter der nordamerif. Staaten in Tranfreich, nach Poris zu kom⸗ 
‚men nd da an einem Panorama zu arbeiten. Diefe Arbeit verfchaffte ihm An⸗ 
fehen und Derdienft; er Eonnte fich nun länger in Paris den mechanifihen Stu⸗ 
‚dien widmen. Barlow, der ihm fein Gedicht, die „Colombiade“, zueignete, brachte 
ihn in Verbindung mit einigen Dlitgliedern tes Nationalinftituts und mit franz. 
Jngenieurs; der Umgang mit diefen Männern und ihre Schriften erweiterten den 
reis feiner Ideen, und aus diefer Zeit rühren die Erfindungen ber, die er in der 
Folge befanntimachte. Es find folgende: 1) Eine Mühle, um Marmor zu figen 
und zu poliren. 2) Ein Syſtem, die Candle fchiffbar zu machen: „Uber die Ver: 
befferung der Eanalfchifffahre” (London 1796, 4., mit 17 Kupf.). 3) Eine Dias 
feine, un Seile und Taue zu machen; der einfache Mechanismus diefer Maſchine 
kann durch Waſſer in Bewegung gefeßt werden, erfodert wenig Raum und nur 
einen Arbeiter. : 4) Ein Kahn, um unter dem Waſſer zu ſchwimmen. 5) Der 
Torpedo, eine Mafchine, um feindliche Schiffe im Waſſer in die Luft zu fprengen. 
6) Das Dampfboot (f.d.), eine Erfindung, die feinen Nomen unfterblich ma=_- 
chen wird. Zu Paris machte er auf der Seine den erfien Derfuch damit; aber 
vielleicht lag es in der Defchaffenheit des Fluffes, daß ſelbſt ausgezeichnete franzöf. 
Mechaniker feinen großen Erfolg von diefer Erfindung erwarteten. Ebenſo wenig 
fand er in England Eingang. Er wendete fich nun mit feinen Erfindungen in fein 
Vaterland. Das erfte Dampfboor wurde unter feiner Leitung zu. Neuyork von 
Brown 1807 erbaut. Seitdem find die Dampfböte auf allen großen Flüjfen in 
Nordamerika eingeführt worden. F. hatte das Schickfal vieler andern Erfinder, 
Zwolf Jahre hindurch hatte er fich in Europa und Amerifa bemüht, den Gebrauch 
der Dünpfe bei der Schifffahrt einzuführen; aber er fand faft überall Schwie⸗ 
rigkeiten. Endlich ertheilte ihm der Congreß ein ‘Patent, auf ven größern Fluͤſſen 
Amerifas die Dampffchifffahrt allein während der für die ‘Dauer der Patente ge: 
ſetzlich beſtimmten Zeit betreiben zu dürfen. Aber F., arm wie Colombo, war 
durch Gbeldverlegenbeit gezwungen, fein Privilegium für die mebrften amerifant 
chen Flüffe um geringe Preife zu verfaufen. Nur für 2 Fluͤſſe hatte er es noch, 
als er unter Nahrungsforgen und in dem Unmuthe flarb, feiner Familie eine 
Schuldenlaſt von mehr als 100,000 Dollars hinterlaffen zu müffen. F. hatte 
1810 von dem Congreß eine Summe von 5000 Dollars erhalten, um feine Der: 
fuche, die Zerſtörungsmaſchine, Torpedo, zu vervolllommnen, fortfeßen zu kön⸗ 
nen. In den Jegten Jadren feines Lebens befchäftigte ihn der Gedanke, ein Kriege: 
fehiff mit einer Dampfmafchine zu erbauen. Die Ausführung entfprach feiner 
Idee volllommen ; der Congreß unterflüßte ihn und befahl, daß nach feiner An: - 
‘gabe zu Neuyork ein ſolches Kriegsfchiff (Dampffregatte, steam-fregate), 145 
—*— lang und 55 Fuß breit, erbaut werden ſollte. F. ſtarb wenige Tage vor der 
gaͤnzlichen Vollendung dieſes ſeines legten Werks. S. v. Montgery's „Notice sur 
la vie et les travaux de Robert Fulton” (Paris 1825). Im J. 1829 bewilligte 
der Congreß F.'s Rindern Die Summe von 5000 Dollars mit den Zinfen feit 1815, 
$ulvia, die berrfihfüchtige Gattin des Marcus Antonius (f. d.). 
Fundamentalbaß,f. Grundbaß. 
Fundirte Schuld, ſ. Staatspapiere (englifche). 
Fundirungsmetho de, die Art, wiedieXegierungen in den neuern 


% 


Funtk 166 
Zeiten ihren offentlichen Anleihen Sicherheit verſchaffen und dadurch ihren Credit 
befeftigt Haben. Sie iſt zuerſt in England gegründet und in der Folge von allen 
Staaten befolgt worden, welche auf Confolidirung ihres Credits Bedacht genoinmen 
haben. Sie befteht darin, daß man bei Aufnahme einer jeden öffentlichen Anleihe. 
zugleich einen Fonds ausfindig machte und durch ein Gefeß ficherte, aus welchem erſt⸗ 
lic) die Zinfen oder Renten des aufgenommenen Capitals, fo fange daffelbe vom 
Staate nicht zurückgezahlt wird, prompt bezahlt, und zweitens auch das Capital 
allmälig abgelöft oder zurüdgezahlt werden konnte. Die allmälige Ablöfung des 
Eapitals nennt man amortifiren und den dazu beflimmten Fonds den Amor: 
tifations- oder Tilgungsfondse (S. d., forwie auch Anleihen und‘ 
Staatsſchulden.) | . . . 
Funk Gottfried Benedict), geb. zu Hartenftein in der Grafſch. Schönburg 


. 4734. Dis zum 13. J. erzogen und unterrichtet im Haufe f. Vaters, der Diaco: 


nus dafelbft war, verdanfte er f. moralifche Bildung vorzüglich f. Mutter. Mach: 
ber fam er auf die Schule zu Freiberg, um fich für das theologifche Studium vor: 

ubereiten; aber mancherlei Bedenklichkeiten wegen der einft bei libernahme eines 
Dreigramte einzugebenden Berpflichtungen machten ihn unfchlüffig. J. 4. 
Sramer, damals Hofprediger In Quedlinburg, dem er feine Gemüthsunruhe ſchrift⸗ 
lich eröffnete, rieth ihm zum Studium der Rechte, und F. begann diefeg zu Leipzig 
4755. Aber fhon im folg. J. berief ihn Cramer, nunmehriger Hpfprediger in 
Kopenhagen, zu fih, als Lehrer und Erzieher in.feiner Familie, mobei er ihm zus 
Hfeich eigne Anleitung zum Studiren der Theologie zu geben verfprach. Syn diefer 
glücklichen Lage blieb $. über 13 Jahre, im Umgange mit Klopftod‘, der ihn zur 
geiftlichen Liederdichtung anfeuerte und fich feine eignen Lieder, ſowie er.fie vollen: 
det hatte, von $. zum Slaviere fingen ließ, Münter, Baſedow, Nefewig u. A. 
Er verließ endlich 1769 das ihm zum zweiten Vaterlande gewordene Dänemark und 
trat die ihm angetragene Lehrerftelle an der Domſchule in Magdeburg an, unter dem 
Rectorate des verdienftvollen Goldhagen, deffen Nachfolger er 1772 ward. Uber 
40 5%. verwaltete er dies Amt, Seine tiefen und vielfeitigen Kenntniffe und ge: 
reiften Erfahrungen, verbunden mit einer mufterbaften Berufstreue und echter 
Humanität, mit einem frommen Sinne, mohlrvollendem Herzen und reinem Le: 
ben, ftellten ihn aufeine Höhe, die nicht Leicht ein Schulmann erreicht hat, und ers 
warben ihm eine ebenfo feltene alg fruchtBare Einwirkung ‚auf die Geiſtes⸗ und Her: 
jensbildung feiner zahlreichen Echüler. Diefe hoben Berdienfte um die Schulen und 
um das Erziehungs: und Unterrichtsiwefen überhaupt, anfangs durch Eleine Schrif:. 
ten, nachher mehr noch durch Lehre und Beifpiel, wurden auch von der preuß. Regie⸗ 
rung 1785 durch die Ernennung zum Conſiſtorialrath anerfannt. Doch Eonnte F. - 
fich zur Annahme diefer Würde erft nicht entfchliefen. Er fürchtete am meiften, daß 
dies neue Amt ihn hindern möchte, f. Schule und f. Zöglingen fünftig ganz Das zu 


„fein, was er bisher geweſen war. Endlich erhielt er ohne Weiteres die von Friedrich 


unterzeichnete Ernennung, worauf dann fein Weigern mehr galt. Auch gingen ſ. Bes 
fürchtungen theils nur in geringem Grade, theils gar nicht in Erfüllung, und feine- 
hohen intelfectuellemund moralifchen Vorzüge zeigten fich auf diefer Stelle m einem 
defto wohlthätigern Lichte. “Daher auch die fo allgemeine Achtung gegen feine Ver: 
dienfte, die fich überall noch bei feinem Leben ausfprach und nach — 128*— (18. Juni 


181 ſich an den Tag legte. Ein Verein ſ. Schüler ſtiftete ihm mittelſt bloßer 


Privatbeitraͤge von Schuͤlern und Freunden ein Denkmal, welches, wie die beſſaͤti⸗ 
gende konigl. Cabinetsordre treffend fagt, „ihm und Denen, welche das Anerfennt: 
niß feines Verdienftes mit der ih feinem Sinne fortwirfenden Stiftung ju vereint: . 
gen gewußt haben, zu gleicher Ehre gereicht”, Bei der Schulenämlich, deren Bor: - 
gefeßter 5. über 46 3.indur Eroefen, ward zur Unterflüßung beduͤrftiger Jung⸗ 
linge, ſowol in der Schulzele"Wibft als auch beim Abgange zur Univerfitit, eine 
Converſations⸗Lexikon. Bd. IV. 30 


466 Zurca - Fürſt 

Sti gründet, die feinen Nomen führt, und teren Dermögen ge rtig 

—— 2900 &8Ir. beträgt. In der Domtirche ward außerdem’ auf Koſten tes 

uämlichen Bereins 5.5 Büfte, von Rauch aus cararifchem Marmor verfertigt, auf: 

geſtellt, mit der Inſchrift: „Scholae, rcclesiae, patriae decus”, 5.8 gefammelte 

Schriften find in 2 Thin. im Werlage des Vereins erfchienen, welche zugleich feine 
ie und Auszüge aus feiner Correſpondenz enthalten. 

Furca oder Sabelbirg, ein 13,171 Fuß hoher Berg im Walliſerlande, 
deßhalb fo genannt, weil das Land, von ihm herab gefehen, einer Babel gleicht, da die 
Berge fich auf beiten Zeiten binziehen wie die Zinfen einer Gabel. Nach Andern 
Bat er diefen Namen von feinen 2 höchften Spitzen. Er liegt auf der nordẽſtlichen 
Seite des Walliſerlandes und macht den Hauptmittelpunft der hohen Alpen. 

Furſcht, lebhafte Beforgniß der Gefahr, oder jedes, oft nur einaebilteten 

beis, dem wir unfere Kraft zum Widerſtande nicht gervachfen fühlen. Was diefe 
Zurcht erregt oder leicht erregen ann, ift furchtbar, im hoͤhern Grade fürchz 
terlih. Die Grade ter Furcht find Bangigfeit, Angft, Erfchreden, Grauſen 
und Entfegen. Wer fich leicht fürchtet, der ift furchtfam; wer fich leicht faßt, die 
Gefahr mit fÜberlegung zu beftehen, mutbig; wer nicht leicht in Furcht gefegt wer: 
den kann, imerfchroden. Wem der Muth mangelt, der ift feig; wen Unerfchroden: 
beit mangelt, fehüchtern, d. h. er fann durch Furcht erregende Vorftellungen oder 
fremde Begegnungen leicht verfcheucht werden. Diefe Schüchternheit ift ein blei⸗ 
bender Zufland, das Erfchreden hingegen iſt vorübergehend; auch der Muthigſte 
kann erfchreden. Es tft Daher ein Unterfchied zroifchen Furcht und Furchtſamkeit. 
Jene gehört ‘zu den Affecten, wo fie der Hoffnung entgegenfteht, und wirft oft un⸗ 
willfürlid, aber auch nur vorübergehend; diefe ift Geneigtheit zur Furcht. Mer 
fih fürchtet, thut es beim Anblick der Gefahr; der Furchtſame ift in weiter Entfer 
nung von ihr, denn fie fonnte ja näher fommen, Furchtfamfeit ift eine Folge phy⸗ 
fifcher Eindrüde auf unfer Empfindungsvermögen, durch Eörperliche Befchaffenbeit 
und Erziehung verflärft und befeflige. Eine ängftliche Behutfamfeit charakterifirt 
das game Betragen des Furchtfamen, berrfcht in feinen Reden, feinem Gange, ſei⸗ 
nen Bewegungen und feinem Geſichte. Seine Stimme ift verzagt, leiſe, aͤngſt⸗ 
ih, ebenfo fem Gang. m Umgange ift er mehr Eriechend als höflich, denn er 
glaubt, fich nicht genug vorfehen zu fonnen, damit er Andre nicht reize. Die Grie⸗ 
chen nennen Phobos (die Furcht) den Sohn des Ares, dd. 

Surien, f. Eumeniden. 

Fur io ſo bezeichnet in der Muſik nicht ſowol eine Art von Bewegung als 
vielmehr eine Art des ⸗ usdrucks, und wird daher auch als Beiwort gebraucht, z. B. 
Allegro furioso. Das Wilde und Raſende, worauf diefer Ausdruck bindeutet,. 
wird nicht durch übermäßige Geſchwindigkeit, wie Manche glauben, befördert; ein 
wilder und rauder Accent im Vortrag entfcheidet bier mehr als Bewegung, und die 
fer wird von Seiten des Tonfeßers, in Abficht auf Ausführung, befonders begün⸗ 
fligt durch fremde harte Ausmweichungen, aushaltende Diffonanzen, Sforzatos, un: 
erwartete und plöglich eintretende Fortes, chromatifche Fortfchreitungen um Ein⸗ 
Elang und ähnliche Hülfsmittel mehr. 

Surf Das Wort ift abgeleitet von der Partifel Für, infofern dadurch 
etwas Morderes, Früheres, in einer Reihe Woranftehendes bezeichnet wird. In: 
der Steigerung (dem Comparativ) hatte die altdeutfche Sprache Furica, d. i. früher: 
ber, eher. In der höchſten Steigerung (Zuperlativ) Furift, und zufammengezos 
gen: Fürft, das Allerfrübefte, Erſte in der Reihe, Höchfte.e (Bei den Englän- 
dern noch First, das Erfte; beiden Holläntern de Vonrst.). So fommt ein gefir: 
ftetes Dach vor, ein fehr hohes Dach, das bacafte Bach; die Firfte, der Giebel 
des Haufes. Firſt felbft, als Subſtantivum, bat die Bedentung des Giebeis, 

ein einer perfonliz 


Gipfels. In der Sprache det Sranfen kommt £8. 
£ j NEE ol. 


Fuürſt | 467 
chen Wuͤrde vor und bedeutet Den, der im Kriegsheer voranfteht, den Seerführer, 
KHerrog (Heertog); wodurch er zugleich ein fo hohes Anfehen gewann, daß er auch 
im Frieden als der Erfte galt. a8 er im Kriege geweſen, blieb er im Srieden, 
Befehlshaber, Regent. Als die Sranfen unter den germanifchen Stämmen ber 
vorherrſchende rourden, erhielt Diefes Wort eine allgemeine Gültigkeit, und man be⸗ 


zeichnete Damit jedes Staatsoberhaupt. Wer fieht nicht, dag in der richtig verſtan⸗ 


denen Abflammung diefes Wortes die Geſchichte der Entftehung der Fürftenmwärde 
liegt, wenigſtens bei uns Germanen! Mit nur geringen Anderungen aber auch bei 
andern Völkern, Zufall und Umflände ftellten in jedem größern und Fleinern Den: 
fehenverein Einen an die Spige, der fich durch Körper: und Geiſteskraft auszeich⸗ 
nete oder durch Neichthum ein Übergewicht erhielt. Die Würde des Fürften ver: 
anlaft nicht blog eine flantsrechtliche, fondern auch eine hiſtoriſche Unterfuchung, 
und auf diefe befchränfen wir ung hier. Wir ſehen, dag, Fürft ein Allgemeinbegriff 
ift, denn es gibt Fürften von verfchiedenem Grad und Nange: Katfer, König, Au 
fürft, Erzherzog, Großherzog, Herzog, fouveraine und nicht ſouveraine Füuͤrſten. 
Woher fommt diefer Unterfchied? In der alten Geſchichte Fennt man bloß eine Art 
von Monarchen, die Könige, und bei den Römern, als auf den Trümmern der: 
Republik ein Fürftenegum errichtet wurde, die Caͤſaren, nach dem erfien, der die 
ganze’ Folge veranlaßt hatte (Zul. Säfar), benannt: nur ein andrer Titel ſtatt des 
Eöniglichen, den die Römer haßten. Der Unterfchied ift alfo bloß in der neuern Se: 
fehichte begründet, und bier zwar durch die mächtige Nation der Germanen, deren 
Stämme in Stalien, Frankreich, Spanien und Britannien herrſchten. Wenn wir 
die Römer von Königen und Fürften der Germanen reden hören, fo muͤſſen wir ung 
büten, folche Begriffe damit zu verbinden, als jetzt gewohnlich find. in folcher 
König ift nur den Kazifen der Amerikaner zu vergleichen. In Kriegszeiten, wo 
mebre Stämme gemeine Sache machten, folgten fie einem gemeinfchaftlichen Heer: 
führer, dem Herzog, der auch Fürft hieß, als der Vorderfie. Mit dem Kriege 
hörte fein Befehl auf; im Frieden war jeder Stamm wieder für fih. Hier wählte 
die Volksgemeinde in voller Verſammlung fich einen Häuptling (Horetling noch 
in Urkunden des 15. Jahrh.), rex.und princeps genannt. Die Erbfläfte des Se; 
wählten hieß der Hof (Richthof, Haupthof), an welchem die dffentlichen Verſamm⸗ 
Iungen gehalten wurden. Man follte meinen, daß man zu Hauptlingen vornehm⸗ 
lich Männer von Jahren und Erfahrung gewählt haben werde; auch hat eg nicht‘ 
an folchen gefehlt, die behaupteten, Männer, in Gefchäften grau geworden, habe 
man dazu erwählt, und fie deghalb Grau, Grave genannt (graviones), woraus 
dag heutige Wort Graf erwachſen. Doch ſcheint es, Ponne man das nur mir eini⸗ 
ger Einfehränfung annehmen. Ausdrüdlich fagt Tacitus („Germ.’, D: „Die 
Könige (Häuptlinge) nehmen fie ihres Adels, die Herzöge ihrer Tapferkeit wegen“. 
Weiß man nun, was Taeitus unter dem Adel meint (c. 25), fü fieht man leicht 
ihren Urfprung aus Reichthum und Landeigenthum hervorgehen. Wahrſcheinlich 
aber erroeiterte fich das Anſehen da, wo Künig und Herzog, der Adelige Reiche und 
der tapfere Heerführer, fich in einer Perfon vereinigten. Andem nun Ein Stamm, 
Eine Gemeinde, die mit andern in Fehde waren, diefe übermältigte, verſchmolzen 
‚ beide in Eins, und es entflanden grüßere Gebiete. Daraus erklaͤrt ſich, was Ta⸗ 
citus anderwärts fagt (c. 12): auf den Volksverfommlungen Habe mari auch die 
Fürften gewaͤhlt, die in Sauen und Flecken Recht geſprochen. Dieſe ſcheinen dem: 
nach unter den Fürften geflanden zu haben, und werigſtens die Foltgeheit ſpricht da⸗ 
für, daß diefe Unterrichter- Grafen geweſen. (S. Brafıy. ‚Allmälig fießt man 
die meiften kleinen Nationen, die Tacitus anführt, verſchwinden, und wenige grd: 
Gere treten auf, welchen mahrfeheinlich die uͤberwaͤltigten, obet was Tehr häufig der 
Fall war, mit ganzen Gemeinden Hinzutretenden einverleibt find. Am meiften 
tagen die fchon unter Sordian (287-— 244) in Sallien frafenn Sranfen ervor, 


— 


468 | Fuͤrſt 


deren Ruhm bie aͤbrigen deutſchen Volker verdunkelte. Immer mehr vergrößerten 
die Fürſten ihr Gefolge und bildeten dadurch gleichſam ein ſtehendes Heer gegen 
Feinde in oder außer der Nation. Wir finden in den Formeln des Markulph und 
mehren Stellen bei Gregorius von Tours, daß bei den Franken der Eid der Treue 
eingeführt wurde, welchen nicht bloß das Gefolge, ſondern auch das Volk ſelbſt, das 


jedoch immer noch die gefeßgebende Gewalt hatte, dem Fürften ablegte. Hierdurch” 


änderte fich bald Manches in der Verfaſſung, und als eine Hauptveränderung muß 
man es anfehen, daß die Herzoge und Grafen nicht mehr von dem Volke gewählt, 
fondern von den Fürften, die jetzt ſchon mit grögerm Rechte Könige hiefen, einge 
ſetzt wurden. Die fränfifchen Könige fegten ergoge in die aus mehren Gauen 

flehenden Provinzen, das Kriegswefen darin zu beforgen und die Einwohner zur 
Kriegszeit in das Feld zu führen. . Grafen wurden über die Gauen als Richter gez 
feßt und fprachen das Recht, nicht in eignem, fondern in des Könige Namen. 
486 vernichtete der fraͤnkiſche König Chlodwig den Reſt der römifchen Herrfchaft in 
Sallien und wurde Stifter der fränfifhen Monarchie. Unter f. Nachkommen 
bemächtigte fich der Major Domes der Staatsgewalt, und einer derfelben, Pipin 
der Kleine, 152 des Throns der Franken. - Unter Pipin’s Sohne, Karl dem Gr., 


flieg das Reich der Franken zu dem Gipfel feiner Hoheit und Macht. Karl ber - 


berrfchte als römifcher Kaifer das Reich der Franken, Stalien, einen Theil von 
Spanien, Deutfchland, Böhmen und einen Theil von Ungarn. Da er einfah, 
daß die Macht der Herzoge ihm, dem Alleinherrfcher, gefährlich werben fonne, ließ 
“er diefe nach und nach eingeben und ficherte dadurch den Thron. ‚Allein was er 


bereinigt hatte, vermochten feine Nachfolger nicht zufammenzubalten. Nach Karls - 


des Dicken Abfeßung, 887, ging die fränkifche Kaiſerwurde auf Deutfchland über, 


Waͤhrend der Zeit hatten die Einbrüche fremder Völker in diefes Land die Einfuͤh⸗ 


rung der ‚Herzöge, wenigfiens in den Grenzprovinzen, wieder noͤthig gemacht. 
Schon 847 war von Ludwig dem Deutfchen ein Herzog in Thüringen, zur Be⸗ 
fehüßung dieſer Grenze gegen die Sorben⸗Wenden, und ein eigner Herzog in Sachs 
fen eingefeßt; um 907 erhielten Baiern und das rheinifche Franken Herzoge. Da 
dieſe Herzoge und Grafen an Macht jegt immer wuchſen, fo fingen beide an, ihre 

mter erblich zu machen, fich der Gewalt der Kaifer zu entziehen, und die ihnen 
verliehene Macht nicht als Eaiferliche Beamte, fondern als ein eigehthiimliches Recht 
auszuüben. Bald maften fich die ehemaligen Bafallen und unabhängigen Beam: 
ten des Kaiſers auch an, die Nation vorzuſtellen. Es mußte ihnen von den Kaifern 
zugeſtanden werden, fie.in ihren Rechten und Wuͤrden zu fehüßen, ihren gemeins 
ſchaftlichen Rath in Staatsangelegenheiten zu gebrauchen und fie als wahre Mit: 
gebülfen in Reichsgefchäften anzufehen. “Der foblenzer Vertrag von 860 wurde 
deßhalb als eins der erften Reichsgrundgefeße zu Begründung der, durch Reichs: 
flände eingefchränften, deutſchen Reichsverfaffung angefehen. Ein Übergewicht 
mehr erbielt diefer Herrenfland noch, als nach dem Tode Ludwigs des Kindes, zu 
- Anfang des 10. Jahrh., Deutfehland aufhönte, ein Erbreich zu fein, und feit Kon: 
rads I. Regierung (912) ein Wahlreich wurde. Schon unter den füchfifehen Kaiſern 
(919 — 1024) zeigten fich die Folgen davon; denn wir finden, daß die Fürften 
ihre Lande zwar noch als des Kaifers Bafallen, aber doch erblich befigen, und daß 
ihre Stimmen auf den Reichsverſammlungen, bisher bloß berathend, fortan ent- 
fcheidend werden. Unter den fränkifchen Kaifern (1024 — 1125) verfammeln fie 


fich zwar noch am Hpflager, um als Bafallen dem Reichsoberbaupt ihre Dienfte zu‘ 


ermweifen, entziehen fich benfelben aber immer mehr, bis fie unter Heinrich IV, 
(1056 —1106) faR,die ſchuldige Achtung verlegen, Unter dieſem Kaifer fingen 
die Herzoge und Grafen an,. Zandeshoheit auszuuben, momit es bald fü weit ge: 
dieh, daß fie unter Lothar II, von Sachſen (1125 — ST) als wirkliche Landesher- 


‚ ren ihrer Provinzen erfihienen, Die Morrechte nun, welche die Fürſten unter. den . 


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fraͤnkiſchen Kaifern ertroßt und erſtritten hatten, ‚fanden fie Gelegenheit, untyr des 
nachfolgenden ſchwaͤbiſchen Kaifern beſtaͤtigt und für rechtmäßig erfannt zu erhalten. 
Die geiftlichen Reichsflände gingen voran, die weltlichen folgten, und 1232 ließ 


ihnen Friedrich 11. eine Urkunde ausfertigen,. nach welcher jeder Fürſt alle og 


ten und Sterichtsbarfeiten nach der Gewohnheit feines Landes rubig haben follte, 
möge damit belehnt fein, oder es als Eigenthum befigen. Jeder Fürft, Graf un 


Herr war in feinem Lehn⸗ pder Allodiallande, jeder Abt und Biſchof in tem zu fei- - 


nen Stifte gehörigen Sebiete wahrer Regent: Auf diefe Weiſe wurde Deutfch- 
kand ein Inbegriff einiger Hundert befonderer Staaten, an Groͤße, Namen und 
Derfaffung verfchieden. Diefe Menge von Staaten mit unvolltommenen Son: 
yeraimetätsrechten, : durch ein gemeinfchaftliches Oberhaupt unter einander verbuns 
den, machfen einen Staatskorper aus, das deutſche Meich genannt, “Da es ein 
Wahlreich war, fo erhielten die Stände diefes Reichs natürlich das Wahlrecht, das 


‚ebedem dem ganzen Wolfe zugeftanden ‚hatte. Bald kam aber diefes Geichäft 


unter der Geſtalt einer: Borberachfchlagung in: die Hände einiger wenigen 


. Bürften, die bernach nur: die. Zuſtimmung der — erwarteten. Dies wa⸗ 


ren die Fürſten und Biſchofe, weiche Erzämter (ſ. Erz) bekleideten, die ſich ſeit 
Otto I. (946) im ftillen Gange ter Zeit gebildet hatten, ſodaß die geiftlichen Fuͤr⸗ 


ſten als Kanzler Staatsbedienungen, die weltlichen: hingegen Hofbedienungmn 


als Erzimter hatten. Hierdurch. traten die 3 Erzbiſchafe von. Mainz; Trier und 


X 


Köln, und mehre weltliche Fürſten in eine groͤßere politigche Wichtigkeit. Bei der 


Wahl Friedrichs 1. (1152) wird ausdruͤcklich erwaͤhnt, daß ſie von 6.bis 8 Reichs⸗ 
erzbeamten geſchehen ſei. Bei jeder Kaiſerwahl wurde der Autheil der uͤbrigen Fürs 


ſten geringer; in der Mitte des 18. Jahrh. wurden ſle ſelbfſt von der Vorwahl aus⸗ 


geſchloſſen, und die 7 Stimmführer verfammelten ſich allein zur Wahl oder Kur, 
soovon fie Kurfürften hießen. Durch den Kurverein 1838 und die goldene Bulle 
Karls 1V. von 1356 wurde das Rurcollegium vollends ausgehilbet Der erfte, wel: 
her den Stanz feiner Fürftemoärde durch Annahme des Titels Erzherzog zu er⸗ 

dhen fuchte, war (im J. 959) ein Erabifchofvon Koln, Bruno, Kaifer Friedrich III. 
egte 1453 diefen Titel dem Haufe Öftreich ausfehließlich bei. Den Titel Groß: 
herzog führten ehemals die Könige von Polen, swegen Litthauen, und die Fürſten 
von Toscana ausfchließlich, welchen Letztern er von Maximilian 11; beſtaͤtigt war, 
In neuern Zeiten iſt diefer Titelguerft von Napoleon und nachher auch vom tem wie⸗ 
ner-Songreffe verfchietenen deutſchen Fürften beigelegt warden. Großfuͤrſten hie: 
Ben, bis auf Peter den Großen, der den. Raifertitel annahm, ' die Beberrfcher Ruß⸗ 
lander: und jener erfle Titel wird nur noch den Kindern und Geſchroiſtern der Kaiſer 
beigelegt. - Außerdem ward von.der Kaiferin Maria Therefin das Fürſtenthum Sie⸗ 
benbürgen, 1765 zu einem Sroßfürftenthum erhoben, ohne daß jedoch dadurch eine 

nderung in den übrigen Berhältniffen des Landes, welches nad) wie vor dem Haufe 
Dfreih unmittelbar unterworfen blieb, hervorgegangen waͤre. Auf folche Weife 
entflanden die verfehiedenen Kürftentitel, Mur die Kurfürften waren Deutfchland 
aus ſchließlich eigen; die übrigen Titel findet man auch in andern Lündern, weil alle 
große Staaten erſt in der Folge der, Zeit aus kleinern zuſammenfloſſen, 


Fürftenberg, ein deutfihes mebdiatifirtes Fürſtenthum (38 LIM. mit 


87,000 katholiſchen Einm.,: in 18 Städten; 4 Mfl. 195 D, und Höfen), Tiegt 
unzuſammenhaͤngend in dem füdlichen Theile Schwabens. Seit der Aufhebung 
unferer Reichsverfaffung ftehen die fürftenbergifchen Lande unter der Landeshoheit 
von 3 Souverainen, nämlich die Herrfchaften Trochtelfingen und Jungnau und 


der am linken Donauufer gelegene Theil der Herrfchaft Moßkirch (5600 Seelen) ' 


unter Hohengollern- Sigmaringen; die Grafſchaft Sundelfingen ader Neufra (2200 
Seelen) unter Würtemberg, und alles Übrige unter Baden. Der Dame Eonımt 
von dem Schloſſe und Stadtchen Fürſtenberg, das ein Nachkomme der alten Gra⸗ 


470 Färftenberg Friedrich Wilhelm Sranz, Frhr. v.) 


fen von Freiburg und Urach daute, Graf Heinrich J. der Stammvater des Haufes 
Fürftenberg,. der davon in der Mitte des 13. Jahrh. feinen Sefchlechtsnamen an: 
nahm. Das Haus theilt fich in verfchiedene Linien, wovon jeßt nur noch 2 vors 
handen find, nämlich die Fürftenberg:Pürgliger, welche blog in Böhmen 
Beſitzungen hatte, aber 1804 durch Erloſchung der Reichslinie zum Beſitze des ganzen 
Fuͤrſtenthums Fürftenberg: gelangt iſt, dabei noch in Böhmen die Fideicommiß 
Herrfchaften Puͤrglitz, Krafhomwig, Niſchburg, Dobramis, Lautfchin, Lahna und 
Neuwaldſtein beſitzt; und die. Fürftenberg: Weitraifche Iandagräfliche Sub⸗ 
fidiallinie, deren Befigungen (1 &t., 1 Mifl. 8Schl., 50D,) Weitra, Keinpolg, 
Waſen ıc. in Meihren umd Niederöftreich liegen. In der-Stadt Donaukfchin- 
gen (am Zufammenfluffe der Brege und Brigach, welche nun Donau heißen, 

2800 Ein.) befindet fich das fürftenbergifche. Refidenzfchlog nebft den Juſtiz⸗ 
und Domadinenkanzleien. : 

Fürftenberg (Friedrich Wilhelm Franz, Freih. v.), Domherr zu Müns 
fter, aus einem der aͤlteſten Geſchlechter⸗des weſtfaͤliſchen Adels, geb. 1728, ein 
verdienftuollee Staatsmann, deffen für das Hochftift Muͤnſter überaus wohlchätige 
Wirkfamkeit Dohm inf. „Denkwuͤrdigkeiten“ (1. VII.) geſchildert hat. Er befaß 
vortreffliche, durch Studien und Reifen, befonders in SYtalien, ausgebildete Anla⸗ 
gen, die er als Mitglied der. Ritterſchaft und des Domcapitels zu Manſter in den 
- wichtigften Geſchaͤften, vorzüglich während des fiebenjährigen Krieges, wo das Land 
von den Preußen. feindlich behandelt ‚ward; auf eine rühmliche Art entwidelte, 
Mach dem Frieden übertvug der nach Clemens Augufts von Baiern Tode in Köln 
und Münfter gewählte Kırfürft und Fürft:sifchof, Max. Friedrich, geborener 
Graf v. Konigseck⸗Rothenfels, dem zu feinem Minifter ernannten Freih. v. 5. 
die Negierung des gänzlich erfchöpften und mit Schulden belafteten münfterfchen 
Landes, Sn: kurzer Beit ftellte 5. den Credit wieder her; zugleich ermunterte er 
Aderbau und Gewerbe, befonders den Leinwandhandel; er ließ die Feſtungs⸗ 
werke von Dlänfter abfragen und beforderte die Verfchönerung diefer Stadt; 
Moräfte wurden entiwäffert und urbar gemacht, Die Juſtiz wurde unparteiifch 
und ſchnell verwaltet; eine gute Polizei ficherte und verfchönerte die gefellfchafte 
liche Ordnung, ohne die Ruhe durch entehrendes Mißtrauen zu flören. “Die von 
Hofmann gu’ Münfter unter F.'s Leitung entworfene Medicinalordnung war 
die erſte und vorzuͤglichſte ihrer Art in Deutſchland. Dabei ehrte F. die alte Ver⸗ 
faffung. Während feiner 1Tjährigen Thätigkeit als Minifter, wobei er ebenſo 
folgerecht als bebarrlich derfuhr, roandte er fein gewaltſames Mittel an. Wohl 
aber wußte er alle Stände zu edlem Wetteifer für die Sache des gemeinen 
Wohles zu beleben; insbefondere munterte er die Geiftlichkeit zu hoherer Beis 
ftesbifdung auf. Unter allen katholiſchen Staaten Deutfehlands gab er im 
Hochſtifte Muͤnſter das erſte Beifpiel verbefferter Schulen. Der Volksunterricht 
wurde vom Aberglauben gereinigt und für dag Leben nüßlich erweitert. Den do: 
bern Schulen wınden die alte Literatim und mathematifche Studien, welche F. 
vorzüglich liebte, anempfohlen. Talentvolle Jünglinge wurden imterftüßt, um 
fich zu Lehrern Auszubilden; ja F. felbft ward Lehrer der Lehrer feiner Lands⸗ 
leute und: Einftiger Gefchäftsmänner., So blühte in Kurzem das Land wie 
der auf; Wohlftand und gegenfeltiges Zutrauen nahmen fo zu, daß in keinem bes 
nachbarten Lande ein fo niedriger Zinsfug mar als in diefem. Um den Volksſinn 
zu fräftigen, ließ er das junge Landvolk in den Waffen üben. Mit ausgezeichneten 
Kriegern, voie mit dem Seneral Lloyd und dem Grafen Wilhelm v. Schaumburg: 
Lippe, ftand er in vertrauter Merbindung und bildete durch Ideentauſch feine 
böhere Anficht von Kriegsweſen und Politik. - Überhaupt war ihm Befchäftigung 
mit den Wi enfhafen Erholung, und die Freundſchaft mit geiſtvollen Män: 
nern feinem Kerzen Bedürfniß. Allgemein verehrt, wie F. war, wünfchten viele 


fe (ee Kia 


Aus dem Volke, der Ritterfchaft und dem Domkapitel, alsirieo dem Kür ei 
in der Perfon eines Erzherzogs, ein Coadjutor gegeben merden foltte,. daß nicht ern 
dſtr. Prinz, ſondern zum künftigen Regenten yon Muüſter erwäͤhlt würde. 
Aber ſtreichs Einfluß ſiegte. Der Erzherzog Mapintilion ward gewaͤhlt, ichbein 
&., der durch Preußens Unterſtützumg, die er nachgeſucht, eine gelegntäkigrre 
Wahl ‚nicht hatte bewirken fünnen, nebft feinen Freunden der von Itrejch 
wonnenen Mehrheit des Domcapitelg beigetreten war, Er Tegte hierauf ing 
nijterftelle nieder, doch behielt er die Aufficht über Die Schiilen bei.” Alg Mitglieh 
des Domcapitels und der Ritterſchaft mar fein Ein uß fortwährend groß, allem er 
brauchte ihn nur, um die Regierung bei jedem guten Unternehinen zu unferflüßep, 
Darum bewies ihm der Erzherzog und Kurfürft Marximilian ſtets hohe Achtung 
und Vertrauen. F. überlebte die Auflöfung des. Hochſtifts Muͤnſter h: 
farb 4814, 82 Jahre alt, der Nachwelt‘ ein unvergehlicher Mann. gg K 
. Sürftenbund (deutſcher). Die erfte Beranlaffung des deutſchen 
bundes gab das Erloſchen des furbairiſchen Mannsſtammeß init dem Kurfurſten 
Maximilian Joſeph (30. Der. 1777). Nach dem Tode deffelbes fielen, ind 
Linder an den nächften Seitenvermandten, ben Kurfürften Karl Theodor yon,der 
Pfatz. Diefer Einderlofe Fürft hatte aber den Anträgen des Haufeg Oftzelch'nach; 
gegehen, welches ihn zur Verzichtleiftung auf die Erbſchaft durch die Wiener Ton 
ention (3. Yan. 1778) vermocht hätte, Diefer Sonventiön wider ſprach Der muth, 
maßliche Erbe der Pfalz, Herzog v. Zweibrüden, und der Erbe der bairiſchen 
dialherrſchaft, Schwefterfohn des verſtorb. Kurfürſten ‚von, Baiern, der Kurfür 
von Sachſen. „Beide fuchten die Verwendung Friedrichg 11, von Preußen, der, 
tachdem.alle Unterhandlungen uber diefe Angelegenheit mir Hſtreich fruchtlos blie: 
ben, die Waffen ergriff. Im teſchner Frieden (13. Mai 1779), „der diefen Eurzen 
baitifchen Erbfolgekrieg beendigte, wide die wiener Convention aufgeboßin, 
reich erhielt von Baiern bloß das Innviertel mit Braunau, und Karl Theodor, ges 
langte zum Befiße der übrigen Länder. Frankreich und Rußland, die. Bundes; 
genoffen von Preußen, übernahmen: die Garantie diefes Friedens. Einige Sabre 
nachher faßte Kaifer Joſeph II. den Gedanken von Neuem auf, durch den bawifchen 
Staat die dftr. Monarchie zu runden und zu verftärfen,: und von der ruffifchen Rai: 
ferin wurde der Borfchlag einer Austaufchung der öftr. Niederlande gegen Baiern 
gemacht. Der Kurfürft Karl Theodor follte die äftr. Niederlande, mit Ausnahme 
von Luxemburg und Namur, unter dem Titel.eines Königreichs von Burgund, 
erhalten, Der Kurfürft ward von dem oͤſtr. Sefandten, Freih. v. Lehrbach, der 






geriss v. Zmweibrüden, als muthmaßlicher Erbe, von dem ruffifchen Sefandten, . 


rafen v. Romanzoff, für diefen Zweck bearbeitet, und Beiden, außer jener Abtre: 
tung, noch die Summe von 3 Mill. Gulden von Hftreich verfprochen. Zugleich 


erklärte man dem. Herjoge, daß man der Einwilligung des Kurfürften verfichert 


waͤre, und daß die Sache auch ohne ihn zu Stande fommen würde. "Der Herzog 
‚aber erwiberte, er werde nie .in die Vertauſchung der Länder feiner Vorfahren ein: 
poiligen, und wandte fich von Neuem an Friedrich IT. Diefer unterflügte fogleich 

8 von dem Herzoge an die Kalferin Katharina von Rußland erlajfene Schreiben 
mit allem Nachdrucke, und erhielt die Erklärung, dag die Kaiferin diefen Taufch 
als nüglich für beide Theile betrachtet babe, dag aber derſelbe von dem freien Willen 
deider Theite abhängen müffe. Obgleich nun auch Ludwig X VI, der als Mitga- 
rant des tefehner Friedens den vorgefchlagenen Taufch nicht bifligte, dem König von 
Preußen perfichern ließ, dab Joſeph II. fein Verbündeter, diefen ‘Plan, wegen des 
MWiderfpruchs-des Herzogs von Zweibruͤcken, aufgegeben habe, fo meigerte fich doch 
der wiener Hof, darüber eine befriedigende Erklärung zu geben. Friedrich II. Iud 
deshalb im März 1785 die beiden Kurfürften von Sachfen und Hanover zu einem 
Bunde ein, und aller Segenbemühungen Hſtreichs und Rußlands ungeachtet wurde 


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a 












om 23. st 1785 Viefer Fürfirnbund 
wer, gar Aufrechthaltang und Berrhri 


Königs (KRatfers) gerich Herxo Thaſſilo 
Karl d. Or, Graf Adelbert von Bamberg (906), Erchanger und Berthold von 
Schwahen (917, u. A. durch ein Fürſtenrecht zum Tode verurtheilt. Herjog 
Heintich d. Lowe von Sachſen verlor 1180 durch einen Spruch eines Fürſtenrechtẽ 
—— — Kaiſer Friedrich 11, nahm das Gericht über einen Für: 
en von dem Geſchãftskreiſe feines 1235 eingefegten Kammerrichters aus. KarlV. 
Web Fürften, vor allen den gefangenen Kurfürften Johann Friedrich von Sachſen, 
ohne Furſtengericht von feinen italieniſchen Rüthen zum Tote verurtheilen, was 
einen ſeht nachtheiligen Eindrud im ganzen Reiche machte. Bon da an forgte man 
durch die Grundgefege, vornehmlich die Eaiferlihe Wahlcapitufation, Art. XX, 
6. 1—11, dafür, dag Fein Fürfl oder andrer Stand des Reichs anbers als durch 
ein Urtheil des Reichstages feiner Regierung entſetzt oder perfonlich verurtheilt wer⸗ 
den folle.. "Die Reichsgerichte follten —— einem ſolchen Falle inſtruiren; 
bie Acten dann an den Reichstag geſchickt, Hier von einer unparteiifchen und beeidig⸗ 
ten Commiſſion gepräft, und auf ihr Gutachten endlich vom ganzen Reichstage Das 
Urtheil gefprochen werden. Dies war das noch zuleßt geltende Recht. — 11. Der 
Inbegriff derjenigen Rechtsnormen, nach welchen die perfonlichen Reshtsverbält: 
niffe eines regierenden Fürften zu betırtbeilen find. Es macht, indem auch die 
Thronfolge und andre öffentliche DVerhäftniffe davon abhängen, einen Theil des 
Staatsrechts aus. Seine Quellen find das allgemeine Staatsrecht, Sandesgrund: 
gefege, Familienverträge, auch noch einige in das Landesflaatsrecht übergegan: 
gene Beflimmangen der deutfchen Meichsgefege.. ” 9. 
 Fürften: oder Landes ($ ulen. Diefe wichtigen Lehr: und Erzie: 
bungsanftalten Sachſens wurden 1543 von dem Kurfürften Moritz geftiftet, wel: 
ther die Gebäude aufgehobener Kiöfter zu Pforte, Meißen und anfınglich zu Merſe⸗ 
burg, nachher zu Grimma, für Schulen beftimmte, die er mit den Kloftergütern fü 
freigebig ausftattete, dag mehre hundert Knaben, größtentheils ganz unentgeltlich, 
zum Theil für ein fehr mäßiges Koflgeld, darin unterhalten und unterrichtet wer⸗ 
den konnten. Die Fürftenfchulen zeichneten fich ftets durch ihr feſtes Streben nach 
gründliher und gelehrter Bildung aus; diefer Charakter ift ihnen anch jetzt geblie: 
en, wiewol die Fortfchritte der Zeit bedeutende Veränderungen in ihren arfprüng: 
lichen Einrichtungen nöthig gemacht haben, Dabei gewähren fie die wichtigen 
Vortheile, daß die Zöglinge, die mit den Lehrern gleichfam eine große Fumilie bil: 
den, unter einer forgfältigen Aufficht gehalten und den ganzen Tag über nüglich 
befchiftigt werden konnen, ohne darum viele Stunden hinter einander im Hoͤrſaale 


N 


Fürften « ober Landesfchuien 493 
unbetweglich dubeingen zu:müffen. “Die größte ımd beruͤhmteſte der drei Fürftens 
ſchulen ft Schul 


pforte, ehemals ein Liftercienferflofter, eine Stunde von 

Naumburg an der Saale, im jeßigen preuß. Herzogthum Sachfen, ganz abgefon: 
dert in einer anmuthigen Gegend gelegen. Der Einweihungstag war der 1 ‚Sn 
1543. Anfänglicy war die Zahl der Zöglinge auf 100 beftimmt; aber fehon Kurs 
Pet Auguft, Morig’s Nachfelger, fügte noch 50 Hinzu und ließ das Schulges 
ude vergrößern, Dabei war die Einrichtung getroffen, daf jede der Eurfächfifchen 
Städte eine beſtimmte Anzahl Freiftellen zu befegen hatte, die fieauch, in Ermans 
gelung Einheimifcher, an Fremde vergeben konnte. Daffelbe Borrecht erhielten eis 
nige adelige Familien. Eine Art von Uniform (der fogenannte Spanier, eine runde 
‚ Müße von ſchwarzem Zeuch mit bunten Bändern, und der Schulrod, ein furzer 


fhwarzer Mantel, der kaum den Rüden bededite) machte die Zöglinge als Fürfteg 


ſchüler Eenntlich und wurde erft in den neueften Zeiten abgefchafft. Die alte Schule 
ordnung liefert Bertuch’s „Chronicon Portense”. Erft 1780 nahmen unter 
dem Nectorate des yerdienftuollen Geisler wichtige Verbefferungen ihren Anfang. 
Sämtliche Zöglinge wohnen jetzt in 12 geräumigen Stuben, welche an die 
- Stelle der frühern engen Klofterzellen getreten find ; zwiſchen zweien derfelben bez 
wohnt jedes Mal ein Sollaborator ein eignes Eleines Zimmer und führt die Aufficht 
über diefelben, Die Bewohner zweier Stuben fehlafen in, einem eignen Saal, 
und ber Sollaborator bei ihnen, in einem abgefonderten Cabinet. Kine faft ebenfo 
beränderte. Geſtalt erhielt der öffentliche Unterricht; aber erfi 1808 wurde die neue 
Schulordnung und zugleich der neue Lehrplan befanntgemacht und in Wirkfams 
feit gefeßt. Die aus ungeführ 4500 Bdn. befiehende Bibliothek ik den Schülern 
2 Mal’wöchentlich geöffket ; auch konnen fie aus derfelben Bücher auf längere Zeit 
zum Gebrauch erhalten. Die Schulzeit ift auf 6 Jahre beftimmt; um. früher ab⸗ 
eben ‚zu konnen, bedarf es der Eönigl. Eriaubniß. Außer dem Rector find noch 7 
Brofeitären, ein Lehrer der Tanzkunft, ein Muſiklehrer und ein Lehrer der Schrei 
und Zeichnenkunft angeftellt. Die Einkünfte verroaltet der Rentmeiſter, der zugleich 
den Haushalt führe. Don 1543 — 1814 haben in Pforte mehr als 8500 Zög⸗ 
linge Auͤfnahme und Unterricht erhalten; unter diefen Männer wie Graͤvius, Erz 
nefti, Klopſtock, Fichte, Schneider, Spohn, und unter den noch Lebenden Mit: 
ſcherlich, Sartorius, Schulze in Göttingen, Eichflädt, Böttiger, Krug, Heubner, 
Döoring u. A. Die Fürftenfchule zu Weißen, ein ehemals der heil, Afra geweih⸗ 
tes Klofter (daher Afranum genannt), wurde den 3. Juli 1543 eröffnet und hat 
118 Stellen. Die. Schüler wohnten in 2 fogenannte Schlafhäufer vertheilt, je 
4 und 4 beifammen in Zellen, und fchliefen in befondern, gegenüber fiegenden Kam⸗ 
mern. Dei den geringern Einfünften wurde es erft 1812 möglich, die Zellen ih 
Stuben uhjufoandeln und einige Collaboratoren anzuftellen. , Auch Fier’ift eine 
aus mehreri Tauſend Bänden beftehende Bibliothek vorhartden,. Den Unterricht 
beforgen 1 Profeffören und ein Schreib:, ein Sprach: und ein Tanzmeifter, Von 
den Zöglingen diefer Schule nennen wir Leffing, Gellert, Rabener, Klotz, und un: 
ter den jeßt Lebenden Nitzſch, Zacharl& in Heidelberg u, A. Die dritte Fürſten⸗ 
ule endlich, die vor Kurzem ihre altklöfterliche Form umgewandelt hat, ift iM 
Grimma, in einer angenehmen Gegend An der Mulde; daher heißt. fie auch 
Moldanum. Hierher, in ein ehemaliges Augufliner:Eremitenklofter, wurde von 
Merfeburg, 100 fie nicht gedeihen wollte, die dritte, auch 1548 errichtete Fürftene 
ſchule 1550 verlegt und den 14. Sept. eingeweiht. Die Schule befteht aus 85 
theils Frei:, tHeils Koftftellen. Sämmtliche Schüler find, in 4 Claſſen getheilt 
und werden von 5 Pröfefforen und einigen andern Lehrern untetrichtet, Am 15, 
Sept: 1828 wurde das neue Gebaude dieſer gelehrten Bildungẽanſtalt einge⸗ 
weiht. Außerdem wurden wichtige Verbeſſerungen vorgenommen, obgleich dieſe 
Schule keine anſehnlichen Fonds dat, ſodaß fie vor 1815, wie Das Afranım, von 


Ara FSuͤrth  Fuß: 
Pforte einen Zuſchuß erhalten mußte. Die Bibliothek iſt 4000 Bde. ſtark. Hier 
ſtudirten Samuel und Eſaias v. Pufendorf, v. Cramer (Kanzler in Kiel), Hederich 
Titemdrnt (in Dresden) und andre berühmte und verdiente Manner. Bloch iſt zu 
be:nerfen, daß die Zahl der Schüler auf den Fürftenfchulen fich nicht auf Die Zahl 
der Stellen befchränft, fondern daß mit koͤnigi. Erlaubnig auch Eptraneer an dein 
Unterrichte Theil nehmen fonnen, Die Klofterfchule zu Roßleben, 7 Stunden 
von forte, bat eine den Fuͤrſtenſchulen ähnliche Einrichtung und enthält 30 Frei⸗ 
und 30 Koſtſtellen. Diefe, forie die von Ernft Georg 1517 gefliftete hennebergi⸗ 
che Sand: und Fürftenfchufe zu Schleufingen haben ebenfalls ausgezeichnete 
Schuͤler gezogen. | Bu 
Faurth, ein gewerbfleigiger Marftfleden im Rezatkreife des Königreichs 
aiern, an dem Zufannmenfluffe der Pegnig mit der Redniß, auf einer fandigen, 
der durch Anbau fruchtbar gemachten Ebene, in der Nähe von Hrürnberg,, hat 
122% 9., 16,100 Einw., darunter 7000 Juden, die gie eine hohe Schule mit 
RI Studenten, 2.Buchdruderein, 4 Synagogen, 3 Schulen, Hofpial, ‚ein 
eiſtliches und weltliches Gericht ac. haben. Fürth iſt nicht regelmägig gebaut,. ent: 
he aber’ — Hauſer und iſt in neuern Zeiten ungemein verſchoͤnert worden, 
an zahle hier 1000 Gewerkmeiſter, als: 130 Drechsler, 200 Gold: und Sıl- 
berarbeiter und’ tihrgehäufemacher, 40 Groß: und Kleinubrmacher, 50 Gürtler, - 
40 Blei: und Rothſtiftmacher, 150 Tiſchler und Edeniften, 120 Schuhmacher, 
80 Strumpf- und Mügenmwirker, 50 Baumwollenweber, eine Menge Bildhauer, 
Goldſchlaͤget (jährlich 19,000 Buch Goldpapier,, Vergolder, Spiegelfchleifer, 
—— — Doſenmacher, Siegellackbereiter, —— "Maler ıc. 
aan findet ferner bier bedeutende Spiegelfabriten, Schleif: und Polirwerke, 
ranntiveinbrennereien and Rofogliofabriten. Dieſe Waaren werden theils durch 
die Fabricanten, theils durch nürnberger Kaufleute nach allen Gegenden verſandt. 
uch treibt Fuͤrth einen beträchtlichen Speditiong:, Wechfel: und Juwelenhandel. 
Bedeutend ift der Bau und die Berarbeitung des Tabacks, fowie der Handel damit. 
Zahrlich Hält Fürth einen grofen Markt, die Kirchweih genannt, auf dem 
anſehnliche Sefchäfte gemacht werden. u 
up, in der Verskunft, ein Versglied, welches auf der Zufammenftellung 
tiehter nach Kürze und Lange abgemeſſener Sylben beruht. (S. Rhythmus.) 
Fuß (auch Fußton), bei den Orgeln ein Langenmaß der Orgelpfeifen, wel⸗ 
chas Ihrer Höhe oder Tiefe entſpricht. ine Orgel, deren Stimmung nach 
. der Höhe und. Tiefe der menfchlihen Stimme eingerichtet ft, oder der ge: 
wohnlihen Stimmung der Snftrumente gleich kommt, heißt‘ Achtfüßig, weil 
dann die Wfeife des großen GC 8 Fuß lang iſt. Verdoppelt man diefes “Drag 
und gibt mithin den Octaven die Hälfte‘ diefes Maßes, dann heißt fie fech: 
ehnfüßig. Beim gegenwärtigen Orgelbau bindet man ſich nicht mehr an 
dies Längenmag, fondern kürzt zu bequemerer Einrichtung. die Länge der Pfei— 
fen ab und erſetzt diefen Abgang durch die Weite. en 
J. Sup oder Schuh Werkſchuh, iſt ein Langenmaß (f. Maß), welches 
fiinen Namen wahrfcheinlich von dem Fuße eines erwachſenen Menſchen erhalten 
Bat, deffen Länge es ungefähr ausmacht, Das Zeichen des Fußes ift in Schriften 
(), 3 D. die Scheuer ift 44° breit. Man unterfcheidet überhaupt den geometri- 
fhen oder mathematifchen Fuß und den gemeinen Werkſchuh. Erſtern theilt 
. Man gewöhnlich in 0 Zoll u. f. w. oder auch in 12 Zoll (Decimal: und Duodeci; 
malmaß) ; Iebtern gemvöhnlich in 12 Zoll; aber auch in einigen Ländern, und Orten 
enthält derfelbe bald mehr, bald weniger ats 12 Zoll. Diegroße Berfchiedenheit der 
Maße in allen Ländern muß bei vorfommenden Fußmaßen fehr berüdfichtigt wer: 
dert, Die drei vorzüglichften Sußmaße find. der englifche, franzöfifche und rheinläns 
bifche Fuß. Der engl. Fuß, tvelcher in Sroßbritannien und den dazu gehörigen Ne⸗ 


| Fuß 33üßli ans 
Denlanden und Inſeln geſetzlich ift, Haben die Mitglieder der koͤnigl. Geſellſchaft der 
Wiffenfchaften gegen.ten parifer oder franz. Fuß verglichen, und ihn zu 135,16 
franz. Zinien Länge beſtimmt. Er wird in + Span, 3 Hand, 4 Palm; 12 Jr 
ches oder Zell, 96 Parts, 120 Linien, 4200 Theile getheilt. Feder Zoll:bar 10 
Linien, und:fede Linie 40 Theile. Es vergleichen fich hiernach 35 engl. ?: mit. 34 
rhein. Fuß; und 49 engl. mit 46 franz. Fuß. Legt man jedoch dasjenige engl. 
Fußmaß zum Grunde, welches die engl. Sommiffionnatre ſonſt beim Holzhandel iA 
Deutſchland anwendeten, ſo zeigt fich jederzeit, daß daſſelbe hur 14 Zoll 3 Linien, 
öder 135 franz. Linien lang ift. Mach dieſem Verhältniffe vergleichen ſich 844 
engl. Fuß mit 845 gemeinen, 34 gemeine ug mit 33 rhein., und 16 gemeine mit 
15 franz. Fuß. Noch genauer beftimmt ift der alte franz. oder pariſer Fuß, ſonſt 
auch pied dur roi genannt; dieſer hat 12 Zoll, 144 Linien und, zu 10 gerechnet, 
41440, zu 12aber, 1728 Theile der Linien, ſodaß fich 37 franz. mit 39 rhein. Fuß 
vergleichen laſſen, und von 1440 Linientheilen gehen 1355 auf-den engl., und 
13914 auf den rheinl.; oder 45 franz, geben 16 engl., und 27 franz; geben 28 
rhein. Der in Deutfchland endlich allgemeinfte und befanntefte Fuß iſt der rhein⸗ 
Tändifche, welcher 42 Zoll, 144 Linien, 1440 Linientheile enthät: Von dieſem 
Fuß gehen‘ 12 auf eine rheinl. Ruthe. Der Flachen fuß ift zweierlei naͤmlich 
der Quadratfuß, 1 Fuß lang und 1 breit, und der Riemenfuß, Yon 1 Fuß Laͤnge 
und 1 Zou Breite. Der koͤrperliche Fug endlich iſt dreierlei: der Kubikfuß, 
d. i. 1 Fuß lang, breit und Hoch; der Schachtfuß, d. i. 1 Fuß lang und 
Bweit, aber nur 1 Zoll hoch, und der Balkenfuß: 1 Fuß fang, aber nur 1 Zoll 
breit und hoch. Kirie' allgemeine Vergleichung der meiſten Fußmaße befindet 
fih im 1. Thl. des „Hausvaters” von Münchhaufen. — u 
Fukß, inder Baukunſt, der unterfte Theil jedes architeftonifchen Werkes 

außer dem Grunde; vorzüglich der unterfte Theil der Säulen und Pilafter, der 
auch dag Schaftgefims oder die Bafe, und wenn er ganz einfach und platt If, eine 
Plinthe genannt wird. Im Münzmefen, die Einrichtung des innern Gehalts 
der Mänzen, Münzfuß. Bei der Färberei, die erfte Farbe, die man einem 
Zeuche gibt, ehe er-mit einem andern gefärbt wird, z. B. blau, ehe die ſchwarze 
Farbe darauf gefekt wird. Die Farber find daher verbunden, am Rinde eines 
Beuches fo viel Sarben: oder Fußroſen zu laffen, als er Füße hat, damit 
man beurtheifen kann, ob fie ihm die gehörigen Karben gegeben haben. - 

Fupkug; eine demürhige Verehrung, welche dem Papſte von den ri: 
mifch-katholifchen Chriften erroiefen wird: Schon Gregor VII. verlangte den 
Fußkuß von allen Fürſten. Der Kuß trifft, nach dem Ceremonialgebrauch, 
das Kreuz auf den Pantoffeln des Papſtes. Die Pantoffeln der Leiche des 
Papſtes auf dem Paradebette empfangen ebenfalls den Fußkuß. 

Fußwaſchen mar im Morgenlande eine Pflicht der Saftfreundfchaft, 
toelche der Wirth den bei ihm anfommenden Reiſenden entweder perfünlich oder 
durch feine Diener leiſtete. So wuſch Jeſus Ehriftus feinen SJüngern, am Abende 
vor feinem Todestage, die Füße, um ihnen durch diefe ſymboliſche Handlung De 
muth zulehren. “Daher rührt noch die in der Fatholifchen Kirche herrfchende Zitte, 
dag Monarchen, 3. DB. der Kaifer von Hftreich, der König von Frankreich 
&. A., am -Sründonnerstage 12 Armen die Füße zu waſchen pflegen. Auch 
bei den Mennoniten wird diefer Gebräuch gefunden. " — 
Füuͤs bi, ein Name, den verſchiedene ſchweizeriſche Kunſtler geführt haben, 
Die vorzuglichſten find: Johann Kaspar F., geb. zu Zürich 1706, geſt. 
4782, lernte die Malereichbei feinem Vater, Per ein mittelmäßiger Känitler war, 
bitöete ſich aßer nachher auf feinen Reifen, befonders in Wien. Seine Portraits 
fanden vielen Beifall und fmd von Haid, Preißler u. A. radirt worden. Er fländ 
mit den erſten deutfchen Rünftlern und Kunſtkennern im freundfchaftlichen Verbin: 








ꝓweite feiner 

Sonn Heinrich, ein Derüßenter Maler, f., zuleßt “Director der —— 
demie zu Lendon (wo man ihn Fuſeli —* gen du ———— ſtudirte im 
Berlin ı unter Zuljer. Klopftock, Kteifl und fein Gefühl, 
1761 machte er ui Ravamı eine Seite uud oma na, € wo 

feinen Kunſtſinn für die Malerei ermunterte. Hierauf ſtudirte er in Rom von 
41772 — 718, wo vorziglich Michel ei Angelo kin großes Vorbild wer. Seit 1778 
lebte er in England, woer, nach dem berühmten Weſt, für den verzäglichfien Das 
ber galt. Er ſtarb den 16. April 1825 in Eonden, bs 9. alt, und wurde in der 


4801 erfihienenen „Borlefungen über die Malerei” (deutfch men Eſchenburg, 
Braunſchw. 1803) wurden in Hinficht des Sthls und wegen der abfprechenden 
Mrtheile, die fich der Verf. über anerkannte Kunſtwerke erlaubt hat, fehr getadelt. 
Seine Einbildungskraft ſchweifte oft über Die Grenze des Kunſtſchoönen hinaus uud 
gefiel fich in abenteuerlichen Geſtaltungen. Unter feinen Gemälden werden gefchüßt: 
das Sefpenft des Dion, nach Plutarch; Lady Macbeth; der Kampf des Hercules 
mit den Pferden des Diomedes, und feine MiltonssSolerie, 60 Gemaͤlde zu Mil: 
ton's Gedicht, die er 1799 in London ausflellte. An feinem Perfeus mit dem Kopf 
ber. ;Redufe (1817) tadelte man die  geimungene, u fühne Stellung des Perfeus. 
’s ſamm:l. Werke, nebft einem Verſuche feiner Bisgr. erfchienen 1808 fg. zu 
irich (2 Thle., Fol.). Außerdem fchrieb er „Bemerfungen.über Malerei und 
&fulptur bei den Griechen” und gab das „Maolerleriton’ von Pilkington, 1805, 
&., verb.und verm. heraus. Seine Gemälde nah Shakſpeare, Milton und Dan 
haben engl. Künftler in Kupfer geftochen. — Johann Rudolf, geb. iu Zürich 
4709, Geh 1793, ſtudirte zuerſt Die Kunft bei Melchior 5., und dann bei Louther⸗ 
bourg dem ältern in Paris die Deiniatur, in der er ſehr vollkommen war; auch Hat 
65 gute Zeichnungen in ſchwarzer Kreide nach Rafael und andern großen Meiftern 
geliefert n der Folge befchäftigte er fich mehr mit der Literatur der Kunit, und 
das „Allgemeine Künftierlesifon” 1763 zuerft in 4. heraus, wozu er 30 Jahre 
—* —— hatte. Die dritte Ausg. in Fol. erſchien 1779, und iſt von 
feinem Sohne, dem Altrathsherrn, Hans Heinrich, der fi felbpt einen blo⸗ 
Ben Runjidilettanten nennt, von 1806 an bis 1821, in 12 Abſchn. (mehr als 6004 
S. 501.) fortgef. worden. Derfelbe begann, 80 23 alt, Neue Zufüße zu dem 
allgem. Künfiferlerif. und „den lem, defielben” Berauszugeben, wovon das 
1. Heft (Zürich 102 Fol.) das A enthält. 
uftage, die Einfaffung von Waaren, oder das Gefaͤß, -Merin — 
thalten find oder. verſandt werden. — Zufti Sr in der Kaufmannsſprache der 
Abgang der Waare, der für Beſchmutzung oder Befähigung gerechnet wird. — 
Fuſtirechnung, die Abgangsrechnung -oder die Rechnung über das Zerbro: - 
Chene, Berdorbene oder Mangelhafte der eingehandelten Wasren, wofür auch 
bie Kauflerte die Wörter Refacti und Serbelur brauchen. 
5 us (Johann ae, € ein er Contrapunftifl, Kirchen- und Theater: 
componift unter ben Leopold I., Joſeph 1. und Karl Vi. geb. in Steiers 
marf gegen 1660, wurde ji Obercapellmeifter in Wien umd bekleidete diefen Poſten 


GH Gabalis 41r7 


gegen 40 Jahre. Karl VI. ehrte ihn fo, daß er ben alten podagriſchen Nann 
1723 in einer Sänfte von Wien nach) Prag zur Aufführung einer beim Kroö⸗ 
‚ nungsfefte tragen und den berühmten „Gradus ad Parnassum s. manuductie 
ad compositionem musicae regülurem etc.“. ein Lehrbuch der Compoſition in lat, 
Sprache, das F. auch außer Deutfchkand beruͤhmt gemacht Hat, auf feine Koften 
(Wien 17125, Fol) fehr ſchoͤn truden ließ. Auch hatte F. auf den mufifalifchen 


Geſchmack feiner Zeit durch feine Compofitionen viel Einfluß, Seine Kirchencoms _ 


pofitionen haben noch jegt Werth, befonders eine missa canonica, welche in Leip⸗ 
zig geflochen erfchienen iſt. vn ' 
598 (Johann), hollandiſcher Dialer, geboren zu Antwerpen um 1625; 
Sein Sterbejahr ift unbekannt; man findet noch Semälde von 1652 von ſeiner 
Hand. Seine Gegenflände waren meift: Jagden, wilde und zahme vierfüßtge 
Thiere, Vögel, Früchte, Blumen, Basrelieft. Er malte Vieles. mit Rubens, mit 
Jak. Jordaens und Th. Willebort gemeinfchaftlich, und fein Pinfel war fo fruches 
bar, daß faſt jede bedeutende Semäldefammlung Etwas von ihm aufpımeifen hat: 
Seine Zeichnung ift höchft naturgetreu und doch gemäßlt; fein Colorit glühend 
und kräftig; die Farben befonders im Lichte ſtark umpaftirt. In allem diefen Ch 
genfchäften metteiferfe er mit de Voes und Snpders.. Auch ia der Atzkunſt war 
er ausgezeichnet. Er gab 1642 zwei Suiten Thierſtuͤcke heraus. Dav. Koning 
war fein Schüler, “ - u 24 nz 

I 


©, 


©, der 7. Buchfinbe des Abe, ein Saumenbuchflabe,, welther etwas Härten als f 
und etwas gelinder als k ausgefprochen wird, bezeichnet in dem modernen Ton: 
ſyſteme die 5. diatoniſche Klangſtufe. Dom diefem Tone hat. der Ge oder Bios 
linſchluͤſſel (2) feinen Namen, weil durch Auffegung deffelben Auf die zweite 
Linie unſers Notenfuftems beflimmt wird, daß auf diefer Stelle die Note, welche 
das eingeſtrichene g bezeichnet, ihren Platz hat. (S. Ton und Tonart) 
Gana, die Erde, als kosmologiſche Gottheit der Alten. „Nach dem Chaos”, 
„Ward bie gebreitete Erb’ ein danernder Sitz der gefammten .: 
Emigen, weldhe bewohnen die Höh'n des beffineiten Olpnıpos”. 
Was aus ihr, nach ihr und auf ihr fich bildet, voard von ihr erzeugt. Ohne bes 


un | 
⸗ 


fruchtende Liebe gebar fie den flernichten Himmel (Uranos), die hohen Gebirge und‘ 


den Pontos (das Meer); Uranos erzeugte mit ihr die Titanen (ſ. d.), die Theia; 
Rhein, Mnemoſyne, Themis, Phobe, Tethys, die Cyklopen und Hekatoncheiren 
(Centimanen). Da Uranos jedes diefer Kinder gleich nach der Geburt einkerkerte, 


fann Sa auf Rache, erfand die demantene Hippe, unb beredete die Söhne, damit 


den Vater zu entmannen. Kronos verübte die That. Gaͤa empfing die der Wunde 
entriefelnden Blutstropfen und gebar, dadurch befruchtet, die Erinnyen, Giganten: 
und melifchen Nymphen. Mit ihrem Sohne Pontog zeugte fie nachher Nereus, 
Thaumas, Phorkys, Keto und Eurybia. Unzufrieden auch. mit Kronos verhieß 
fie ihrer: Tochter Aheia, den nengeborenen Zeus aufjuziehen, und trug ihn nach- 
Rreta. Als er erwachfen war, half fie ihm auf den Ihren; Inden ſie ihm 027 
die eingeßerkerten Hefatoncheiren und Cyklopen zu befreien. „7 ioniı. ° 5"%. “. 

Gabalis, „Comte de Gabatis, or gentfetionstemr ben ybontes seores: 
tes”, ein Roman aus dem legten Miertelides "Ic Dahrhe, brifen inf, de ibba 


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de Bilars, em 1540 geb, 1675 von 
emem f. Berwantten Krife wart. Bei ellen 

Talents gelang es ihm Tech nicht, als Ge:ſlicher ſe Glick zu manchen. Er hatte 
nimlich in jenem Romane ter Kabbolo gemischt; die Freunde berfeiben be: 
ſchuſtigten zu haben, mb ſo wurde ihm die 


ihn, beige Kabrheiten angegriifen i 

Zange verboten. Dem Keswene legt der Coiave dei Gabinetio von Dorry zum 
Em berũhmter Atept, ter Graf». Osbelis, memt, mn em Derf. na⸗ 
——— —— und ent 
widelr am Yüber — ın 5 Unsrbolmumgen. Wahrſchein⸗ 
lich würten die ſe sur Denen nach befanzt fr, wochdpe fach mit der Sefehichte der 


Element tes Jeuere edler als tue drei andern, if nicht gemacht, zum una 
un? leer zu Eirıben”. ach deeſe Emgange wirt Das E’piicm son ten vier Eile: 
Beratorneriiern fint: dee Erirhen (Puirgeifler), tie Oubinem 
(Eufergilr), te Enewen (Trtgeifier) un? tee Eulamanier (Ärurreeifer). 
Fu wtenmen rm der S'eifieriebee ten Dichtern fein mufte, die 
durch ter arii.I:che Aeligten eine fehr wirtime Refchmerie verleren, um? in ten 

um? > nech binlingishen Erf arfı hatten, und wie viel 


fedr für Tofellirus, ſich terklben pr betumen, en. Taf munde Klcrlerertuungen den 
fen ten Gebreuch ter Sichel 
Gabler (Jeham Phalr). erier Pref. der Tfenlegie zu Jens, Geb. 
= wa? Kırddenrarb. Äuter des grefherz füchi. weißen Falkenordens 
geb. ten 4. Juni 1153 zu ärenffurt  M we ſem Bater Actuarins wor, bejeg, 
nachdem er fich den alten Sprachen, ter claffifichen Sırereser, un? feibfi zeit der 
ums 


deetacsast eugeraft 
insie and; Jena berufen, werziäs., auıh Girirshach’s Tote. im ber erfüz thenies 


Gabriel Gaẽsta 479 


ifche Lehrſtelle aufrüdte und den 17. Febr. 1826 ſtarb. — In ſ.Schriften, die 
th hauptfüchlich mit der Kritik und Exegeſe des N. T. befchäftigen, zeigt. er ſich als 
fbarffinnigen Denker und gründlichen Gelehrten, frei von vorgefaßter Meinung, 
überall feiner Liberzeugung folgend. So fchon in f. „Entrwurf einer Hermeneutik des 
N. T.“ (Altdorf 1788) und einer „Hiſt. Erit. Einleitung” in daffelbe (ebend. 1789), 
Eeine Hrraueg. von Eichhorn’ „Urgefchichte” hat, wenn ihr auch mehr Gedraͤngt⸗ 
beit des Styls zu wünfchen wäre, doch durch die Einleitung und die hinzugekommie⸗ 
nen Anmerk. bleibenden Werth. Fin Nachtrag dazu iſt ſ. „Neuer Verſuch über die 
Mofaifche Schöpfungsgefchichte” (Altdorf 1795). Auch das „Theologifche Your: 
hal”, das er anfinglich mit Hänlein, Ammon und Paulus, fpäter allein herausgab, 
enthält von 1796 — 1811 eine Reihe ſchätzbarer Auffüße der geachterfien Schriſt⸗ 


ſteller im. theolog. Sache. Seine Programme und Differtationen fallen meifier.s 


in frühere Zeit. 1824 fg. gab er „J. J. Griesbachii opuscula academ.” heraus, 
S. Gos Leben in den „Zeitgenoffen‘,; 1829, Bd. 11, 2. | 

Gabriel {Held Gottes), nach der jüdifchen Mythologie einer der 7 Erz⸗ 
engel, der dem Propheten Daniel feinen Traum auslegte. Er fommt auch in ber. 
Erzählung von Tobias vor. Mach der biblifchen Erzählung verfündigte er dem 
Zacharias die Geburt des Johannes und der Maria die Geburt des Heilandes, 
Mach den Rabbinen iſt er der Todesengel für die Iſraeliten, und alle ifraelitifcye 
Seelen werden von den Unterfeeleneinnehmern (dies find Engel, melche bloß zu.in 
Abbolen einer beftimmten Seele gefchaffen worden und nach deren Ablieferung von 
der Welt vergehen) an ihn abgeliefert. Nach dem Talmud ift Gabriel ein Kürft 
des Feuers, und über den Donner und.dag Reifen der Früchte gefeßt. Er brannte 
auf Jehova's Geheiß den Tempel mit an, ehe Nebukadnezar's Krieger ihn anzün⸗ 
deten, und der Tempel ſtimmte über fich felbft ein Klagelied an. Einft wird er Jagd 
auf den Fifch Leviathan machen und ihn mit Gottes Hülfe überwältigen. Nach 


> der mobammetonifchen Mythologie ift er einer der vier von Gott befonderg begnaz 


digten Engel, mit Aufzeichnung der göttlichen Rathſchluͤſſe befchäftigt, und Engel 
der Dffenbarung, als welcher er dem Mohammed den ganzen Koran eingab. Einft 
verzüdte er den Mohammed in Den Ather und führte —* ſo ſchnell durch alle ſieben 
Himmel, daß der Prophet den bei der Hinfahrt umgeſtoßenen Nachttopf bei der 
Wiederkehr noch vom völligen Umſſturz abhalten konnte. A. 

. Sabrielli (Katharina), eine der berühmteften Sängerinnen des 18, 
Jahrh., geb. zu Rom 1730, die Tochter eines Kochs, genoß den Unterricht Gars 
cia8’8 (la Spagnoletto) und Porpora’s. 1747 fang fie auf dem Theater von 
Lucca mit allgemeiner Bewunderung. Kaifer $ranzl. berief fie nach Wien, Der 
Unterricht, den fie von Metaſtaſio empfing, vollendete ihre Bildung. Ihr Talent: 
war mit vielem Eigenfinn gepaart, woorüber viele Anefdoten in Umlauf find. 1765 


berief die Kaiferin Katharina fie nach Petersburg. 1775 ging fie nach London, 
. und 1777 nach Italien zurück. Gegen 17180 begab fie fich nach Mailand, wo fie 


mit Marchefi wetteiferte. Die Sänger überhaupt ſcheuten fich, mit ihr aufzutres 
ten. Pacchierotti hielt fich für verloren, als er das erfle Mal mit ihr auf der Bühne 
erfchien. &ie fang eine ihrer Stimme vollkommen angemeffene Bravourarie und 


- entroidelte dabei ihr ganzes Talent in folchem Umfange, daß der arme Pacchierotti 


mit lauten Seufjern hinter die Couliffen floh und nur mit Mühe bewogen werden 
fonnte, wieder hervorzufommen. Noch im 50. Jahre feßte ihr Geſang Alles in 
en Sie ftarb 1796, nachdem fie fich feit 1780 vom Theater srüdge 
zogen hatte, u r«M. ,; 
* Saeta, neapolitanifche Feftung am Golf gl. N. in Terra di Lavors, hat. 
14,090 Einw., einen Bifchof, liegt 25 Stunden von Rom und 15 von Neapel, 
of einer fehgarfen Landzunge, welche nach Birgil („Aen.”, 7, 10 Namen von ' 
ajeta, Den Anyan nwe, hat. Sie wurde vor Rom gegründet, habe; nach dem Hin... 


⸗ 


480 Gets (Herzog ven) Göhrung 

fergamge bes vie. Kris nepallüifnnifdge Brrfsffeng uk murbe 

— most, har — — Eu dem 
—— Eurepas, mb ihre Kae = zur yon ter füymalen Samt zunge 


Fon und antern Berren, defsleichen Dbi:f-fie u. ſ. we., einer Temperatur yon un: 
gefahr 10° Fahrenheit ausgchgt werten, fo num man hol eine Beristerung der 
Muſchung ihrer  Seflanttbeile wor. Der Moſt lerdet eine — en the 


—— — Die Flüfſſigkeit, die verher Mer hieß und Zuckerſteff enthielt, 
Kehlenſtoff, aufgeleſt hat, und beide ganz andre Verbindungen eingegangen find. 


Gagern | 481 


eine fadenartige Maffe ab. Der geiftige Geruch unt Geſchmack, fowie die berau- 
fihende Kraft, welche beim Weine vom Alkohol herrührten, find nicht mehr vor: 
handen; das Alkohol ift zerſetzt, und die Slüffigkeit fchmedt nun fauer. Um indeg 
den Wein in Gaͤhrung zu bringen, iſt erfoderlich, daß er noch nicht ganz von feinen 
ſchleimigen Beftandtbeilen befreit, der freien Luft und einer JRärme von 75 — 85° 
Sabrenheit ausgefeßt fei. Die dritte Art der Sährung, die Faulniß (ſ. d.), er: 
folgt, wenn man den Effig ferner der Luft und Warme ausfeßt. Es geht dabei der 
Waſſerſtoff in Sasgeftalt und der Sauerftoff, in Verbindung mit dem Kohlen: 
ftoffe und Waͤrmeſtoffe, als Eohlenfaures Sas fort. Der Geruch iſt nunmehr fade, 
ekelhaft und faulig; der Sefchmad nicht mehr fauer, fondern faul, Die faule 
Gahrung bietet nach Befchaffenheit der Umftände fehr verfchiedene Erfcheinungen 
dar. Ihr find alle Körper der beiden organifirten Naturreiche unterworfen, Doch 
ift zu merken, daß feinesmwegs alle Körper nach und nach die WWeingährung, die Ef 
figgährung und die Fäulniß in einer nothiwendigen Stufenfolge durchlaufen. Thie⸗ 
rifche Korper gehen ohne diefe unmittelbar in Faulniß über, weilfie feinen Zucker⸗ 
ftoff enthalten. Andre Körper gerathen in die Effiggährung und aus diefer in Faͤul⸗ 
niß, ohne daß die Weingährung vorausgegangen. Fourcroy nimmt noch eine Bu: 
der = und eine Teiggährung an, und begreift unter der erften die Bildung des Zu: 
derftoffs in verfchiedenen Pflangenförpern, befonders in Früchten, die grün abge: 
nommen, nachher erſt reifen und zuderfüß werden; unter der Tegtern aber die Gaͤh⸗ 
rung des Meblteiges, Die nach ihm der Anfang einer von felbft erfolgenden Zerfe: 
ng ift, die mit Faͤulniß endigen würde, wenn man fie nicht durch das Baden vers 
— Die Gahrung iſt überhaupt als diejenige Wirkung der Natur zu betrach⸗ 
fen, Durch welche fie die organifchen Körper wieder in ihre — auf⸗ 
föft, um dieſe alsdann zur bung neuer organifchen Weſen anwenden zu können, | 
Sagern (Hans Chriſtoph Ernſt, Freih. v.), geb. 1766, politifcher Schrift: 
feller, Redner und Staatsmann, k. niederl. Staatsrath, geroef. außerordentl. 
Sefandter und bevollmächt, Miniſter des Königg der Niederlande, als Großher⸗ 
gs von Luremburg, bei dem deutfchen Bundestage und bei ber freien Stadt 
ranffurt. Sn fehr jungen Jahren wurde ihm die Leitung der naſſau⸗weilburgi⸗ 
ſchen Sefchäfte als Präfident aller Tribunale anvertraut. Das Gericht’ diefer Li⸗ 
nie. im fürftl. Haufe Tegte die Leitung der politifchen Angelegenbeiten, fo weit es 
Deutfehland betraf, in feine Hände; daher ging er nach dem Frieden zu Luneville 
nach ‘Paris, wo er unter die von Tglleyranıd am meiften ausgezeichnegen Unterhaͤndler 
gehörte und nicht nur. eine reiche Entſchaͤdigung in’den J. 1802 u, 1803 bewirkte, 
fondern auch den ältern. Namen des fürfll. Haufes in der Krifis 1806 rettete und 
demfelben Bei der. Mediatifirung den bedeutendften Zuwachs erwarb. Veranlaßt 
durch diefen Erfolg, wendeten fich hernach ſo manche deurfche Fürften des Nordens 
an ihn, nm den Zweck der Erhaltung und des Veitritts vermöge des naffauifchen 
Pröfidialanses' der Fürftenbanf zu erreichen, und viele ſolchet Beitrittsurfunden 
befinden fich in den Staatsacten’von ihm unterzeichnet. Er ſcheint nachher in Na⸗ 
polen Mißtrauen gefeßt zu haben, verließ den Dienft und ging deßwegen, oder 
aus andern Gruͤnden, nach Wien. Um diefe Zeit fchrieb er das durch hiſtoriſche 
Kenntniffe, Geiſt und Darftellung gleich ausgezeichnete Werk, welches ohne f. Nas 
men erſchien: „Die Refultate der Sittengefchichte. (1. Die Zürften. 11. Die 
Vornehmen. Ill. Demofratie. IV. Der Staaten Berfaffungen. V. und VI, 
Freundſchaft und Liebe. - VII. Der Einfiedler.) Zu Wien erſchien 1812 in 4. der 
1. Bd. der „Nationglgefchichte der Deutfhen = ein Werk, das Auffehen machte; 
bie 2. verb. Aufl, in Sranff. a. M. 1823; der 2. Bd. bis zum Sranfenreich) 1826, 
Er ftand damals mit Hormayr und dem Erjherzoge Johann in genauer Verbin: 
dung, hatte Theil an einem Entwurfe zu einem neuen Aufftande in Tirol 1812 — 
13, der an der Aufhebung eines engl, Eouriers in Brünn feheiterte, wurde nun 
| 3 


Sonverfariond Lexicon. Bil. 





482 Bahr Sail 


aus Zſtreich entfernt ımd ging in bas ruffiſch⸗ preuß Hauptquartier, dann nach 
Englant. Allenthalben wirfte er für die Befreiung Europas und die Ehre Deutſch⸗ 
lants. 1814 verwaltete er als dirigirender Staatsminiſter Die eranifchen Fürſten⸗ 
thümer. 1815 nahm er als Geſandter Des Königs der Niederlande Theil an den 
Sefchäften des Congreſſes zu Wien und unterzeichnete den 23. Arril die Zutritte- 
octe des Königs der Tliederlante zum wiener Bunde der europiifchen Hauptmichte 
gegen Napoleon; auch flimmte er in tem Ausfchuffe für die Erloffung einer neuen 
Erklaͤrung des Congreſſes gegen den Ufurpator, weile en 12. Mai d. 5. von ihm 
mit unterzeichnet wurde. Den 31. Mai unterzeichnete er den Vertrag Ins Königs 
der Riederlante mit Preußen, England, Hſtreich und Rußland, durch welchen die 
Verein. Niederlande und Lie belg. Provinzen als ein Königreich anerfannt, Luxem⸗ 
burg als Großherzogthum und Leutfcher Bundesſtaat, nebft ber g 
Luzemburg, dem Könige der Niederlande flatt feiner Fürftenthümer Neu: Dillen: 
Burg, Siegen u. Hadamar, erb: und eigenthümlich überlaffen, und die Grenzen des 
Konigreichs und Großherzogthums beflimmt, Dillenburg, Dieß, Siegen und Ha: 
damar aber an "Preußen abgetreten wurden. Den 8. “Juni unterzeichnete er, als 
Bevollmächtigter des Konigsder Niederlande, für feine deutſchen Staaten die deut: 
ſche Bundesacte. Don da ging er nach "Paris zum Tongref, bemwirfte die Erweite⸗ 
rung des neuen nieberlind. Königreichs, befland vergeblich auf der Rückgabe des 
Eifaffes an Deutfchland, trug aber dazu bei, Daß die Kunftwerfe an ihre rechten Ei: 
genthümer zurüdtamen, wie aus Martens s „Recneil” hervorgeht. Dann er: 
fhien er bis 1818 am Bundestage, wo feine Bota viel Echarffinn und Genidlität, 
Einfiht, Freimuth und Patriotismus zeigten. In ſ. Staatsſchriften und Reden 
am Bundestage bat Deutfchland den hellen Blick und bie kraͤftige Sprache diefes 
für die politifche Würde, die Nationalehre und den innern Rechtszuſtand des deut: 
ſchen Bundes eifrig bemühten Staatsmanns mit Achtung anerfannt. In f. Brief: 
wechſel mit dem Fuͤrſten v. Metternich, vor Eröffnung des Buntestages, drang er 
flets auf die Ausführung folder Dlagregeln, welche die politifche Einheit der deut: 
chen Nation feftftellen fönnten. Er zeigte u. A. die Wichtigfeit, den Namen Reich 
und das Symbol der Einheit des deutſchen Bundes in der Kaiferfrone beizubehal⸗ 
ten, Auch war er es, der ein nachdrudsvolles Wort fprach für die Erörterung der 
landſtaͤndiſchen Derfaffung in den deutfchen Bundesftaaten, und darauf antrug, 
daß der Bundestag dem Großherzoge von Sachfen: Weimar feinen Dank bezeigte 
fir das am 2. Dec. 1816 dem Bundestage zur Semwibrleiftung vorgelegte fachfen: 
mweimarifche Verfaffungsgefeb. 1818 arbeitete er mit dem Ausfchuffe, der Maß: 
vegeln wegen der Seeräubereien der Barbaresken in Hinficht auf Deutſchland vor: 
fchlagen follte. Noch gab er die „Pieces relatives au dernier traite des puissan- 
ces alliees avec la France” (Sranffurt 1816) u. a. El. Schriften heraus. fiber 
ſ. dem Bundestage mitgetheilte Denkſchrift, die Auswanderung betreffend (Frankf. 
a. M. 1817, 4), ſ. Auswanderung. 1820 wurde er zum Mitgliede der hef⸗ 
ſen⸗darmſtaͤdtiſchen Landſtande erwaͤhlt und privatifirt jetzt auf einem ſ. Landgüter, 
nachdem er 1821 vom niederlaͤndiſchen Hofe penſionnirt worden. K. 

Gahr nennt man alle Körper, die durch Zubereitung vermittelſt des Feuers, 
des Waſſers, der Salze, Laugen ıc. in den Zuftand gefommen find, worein fie vers 
ſetzt werden follen. 3. B. lohgahres Leder, Gahrkupfer ıc. 

Gail (Jean Baptiſte), Helleniſt, geb. zu Paris d. 30. Juni 1756, erhielt 
479% die Profeſſur der griech. Sprache am College royal. Damals erſchien die 
erfie Ausg. f. Idyllen des Theokrit (griech, franz. u. lat., Paris 1792). 1809 
ward er in die dritte Claſſe des Nätionalinftituts aufgenommen. Ludwig XVIII. 
ertheilte ihm 1814 das Kreuz der Ehrenlegion und ernannte ihn im Nov. d. J. 
zum Auffeher über die griech, u. lat. Handfchriften der k. Bibliothek. Mehre Jahre 
hindurch las er öffentlich über griech. Sprache u. Literatur. Wegen fühner und un: 


Gaillarde Galba 488 


baltbarer Behauptungen (vorzüglich in f. „Recherches historiques et militaires 
sur fa geographie comparee par epoques”, worin er 2 Städte des Alterthums, 
Delphi u. Olympia, aus den Charten ausftreichen und ganz neue Anfichten von den 
Schlachten bei Diantinea, Plata u. Marathon aufftellen wollte erfuhr er von ſei⸗ 
nen Collegen kauten Widerfpruch. Es find 3 Sanimlungen von G.'s Ausg. griech. 
Schriftfteller erfchienen, mit lat. u. franz. Überf.; darunter Thuchdides, Renophon, 
die 3 Idyllendichter, mehre Werke der attifchen Redner, des Lucian, einige Gefprä: 
che des’ Plato, Anafreonıc. Von feiner 3. Th. polemifchen Zeitfehrift: „Le philo- 
logue, ou recherches hist., geograph., milit. ete.“, erfchien (Paris 1828) der 
20.80. ©, ftarb 73 J. alt zu Paris den 5. Febr. 1829. Seine Profeffur erhielt 
Boiffonade, K. 

Saillarde, ital. Gagliarda, ein veralteter ital. Tanz von frößlichem 
Charakter und lebhafter Bewegung, deffen Melodie in $ Takt gefebt wird, Man 
nannte ihn auch Romaneske, weil er wefprünglich aus Rom ftammen follte, 

- Balakrit, Milchftein, ein grauer Stein: von ſchoͤnem Anfehen, der 
gepüulvert im Waſſer einen Milchſaft gibt. 

Galaktometer, Milchmeffer, erfunden von Sadet de Baur, Grad 
eins zeigt die ganz reine Milh; Grad 2, Milch mit einem Viertel Warfer, Grad 
3, Milch mit einem Drittel Waffer; Grad 4, Mitch mit der Hälfte Waſſer. 
indes ift bekanntlich jede letzte Milch fetter als die erfte bei der Melkung, ferner die 
Mitch .einer fchrwerträchtigen Kuh fetter als diejenige einer frifchmilchenden; auch 
übt die Nahrung und die Jahreszeit, ja die Regenzeit, einen Einfluß auf den Bur: 
terreichthum der Mitch. Der Gebrauch fcheine daher unficher zu fein. 

Galanterie, ein artiges und feines Betragen gegen das weibliche Se: 
ſchlecht, jedoch mit dem Mebenbegriffe des leeren Scheins oder hervorſtechender 
Sinnlichkeit und loderer Sitten. So beftimmt Montesquieu die Galanterie ala 
„die delicate, Teichte, ewige Züge der Liebe‘. Die in Frankreich urfprünglich ein: 
| eimifihe Galanterie war der Schein der ehemaligen Chevalerie und zugleich "die 

usartung derfelben, 

SGalaten, T. des Mereus und der Doris. Der Cyklope Polyphem ver: 
folgte die reizende Nymphe mit feiner Liebe, ohne für feine Seufjer mehr als Spott 
zu gewinnen. Glüdlicher war der ſchoͤne Schäfer Acis in Sicilien, welcher fich 
ihrer Gegenliebe erfreute und den Tod für fie litt. Denn als beide einft von Po: 
lyphem in zärtlicher Umarmung überrafcht wurden, fihleuderte derfelbe in eiferfüch: 
tiger Wuth ein Felsftüd auf fie, weldyes den Acis zerfchmetterte, während Ga⸗ 
latea ins Meer flüchtete. Acis in einen Bach verroandelt, eilte nun dem fichern 
Aufenthalte feiner Geliebten zu. | M. 

Salatien, ein Theil Großphrygiens, bewohnt von den Salatern, einem: 
Gemiſche von Griechen und Galliern (Selten); daher auch der Name Sallogräci, 
voraus fpäter Galataͤ wurde, . 

Galba Gergius, oder Servius Sulpicius), Nachfolger des Nero, geb. 4 
v.Chr. aus dem alten, berühmten Sulpiciſchen Sefchlechte, wurde vor dem gefeß- 
fichen Alter Prätor, dann Statthalter von Aquitanien, und ein Jahr darauf Conſul. 
Caligula ernannte ihn zum Feldherrn in Deutfchland. Bald trieb er die Deutfchen, 
welche in Sallien eingefallen waren, zurüd und ftellte die alte Kriegszucht wieder 
ber. Nach Caligulas Tode ließ er f. Völker dem Claudius ſchworen, der ihn das 
für in die Zahl f. vertrauteften Freunde aufnahm und ihn als Proconfil nach 
Afrika ſchickte, wo Unruhen ausgebrochen waren. G. führte in 2 Jahren die Ord⸗ 
nung zurüd, empfing die Triumphirr: aien und-murde unter die Priefter des Au: 
guſtus aufgenommen. Seitdem lebte er bis in die Mitte der Regierung des Nero 
fehr eingezogen, um feinen Verdacht zu erregen. Nero ernannte ihn aus eigner 
Bewegung zum Statthalter von Hifpania Tarraconenfis, vn jedoch bald ſo ge⸗ 


% 


und Italien. „[Liv., I, 33, 


- . j 


484 Galeere Galen 


gen ihn erbittert, daß er Befehl gab, ihn heimlich hinzurichten. Da empörte ſich 
G., fand aber große Schwierigkeiten, als die Nachricht von Nero's Tode (68 n. 
Ehr.) kam, und daß er felbft von den prätorianifcehen Toborten in Rom zum Kaiſer 


‚ausgerufen worden fel. Geſandte vom Senate machten ihm feine Erhebung befannt. 


Er begab fi nach Rom und ließ verſchiedene Aufrührer hinrichten. Hierdurch 
aber, ſowie durch die Nachficht ſ. Freunde, die er unumfchränft walten ließ, und 
durch übertriebenen Geiz erregte er bald allgemeine Unzufriedenheit. Kaum hatte 
er fein zweites Conſulat angetreten, als fich die Legionen in Oberdeutfchland gegen 
ihn empörten. Dies bervog ihn, fich unter dem Namen eines adoptirten Sohnes 
einen Dlitregenten zu wählen. Statt des Otho, den die Soldaten liebten, ers 
nannte er dazu den Piſo Licinianus, der wegen f. firengen Tugend verbaßt war, 
Otho, durch dieſe Zurückfeßung beleidigt, faßte den Entſchluß, fich der Herrfchaft 
mit Gewalt zu bemächtigen. Die prätorianifchen Cohorten erklärten fich zuerft für 
ihn, und G., umfenft bemüht, die Ordnung berzuftellen, wurde, als er fich ge: 
barnifcht nach dem Prätorium tragen ließ, überfallen und niedergehauen (69 h. 
Chr.). Er mar 72%. alt und hatte 3 Monate regiert. M. 
Galeere, ein langes, ſchmales Schiff mit niedrigem Bord, auf welchem 
man ſowol Segel als Ruder braucht. Die gewöhnliche Länge iſt 22 Klaftern. 
Mebft 2 Kanonen von mittelmäßiger Größe und 2 Eleinern führt fie auf dem Vor⸗ 
dertheile noch einen Bierundzmanzigpfünder, welcher Sorfiero, Sourfier, beißt. Auf 
jeder Seite find 25 — 30 Ruderbänte, und an jeder Bank 5 — 6 Nuderfnechte, 
Außer dem mittelländ. Meere, wo die Saleeren am meiften gebraucht werden, ha⸗ 
ben dergl. Sranfreich auf dem Ocean, und Rußland und Schweden auf der Oſtſee. 
Die Türken und Barbaresten brauchen zur Arbeit auf den Galeeren, welche bes 
fonders im Rudern beftebt, bauptfüchlich Chriftenfflaven; in den europäifchen 
Staaten mifen dazu verurtheilte Berbrecher diefe ſchwere Arbeit verrichten. 
Galen, berühmter u. d. N. Selten, ein in der alten Welt weitverbreitetes 
DIE von ungeriffer Abkunft. Ihren Namen leitet man ab von Wallen, wie 
Wallia, Wandalen, Balloner, wegen der alten Wanderungen derfelben in Aſien 
8, 16; Flor., 2, 11.) Don Gallien aus drangen 
Schmärme vbn ſjhnen nach Britannien und den dazu gehörigen Inſeln. Die alten 
Ealetonier, Picten u. Scoten find mit ihnen einerlei Stammes, auch die Wallifer, 
wie fchon der Name Wales zeigt. Außerdem war Oberitalien, der untere Theil von 
Deutfchland längs der Donau bis Pannonien u. Fllyricum, ſowie Helvetien, mit 
Eolonien von ihnen befeßt. Zu der Zeit, wo die Sefchichte zuerft ausführlicher von 
ihnen fpricht, erfcheinen fie nicht gang ohne Bildung. Wir finden bei ihnen die merfs 
würdige Druidenreligion, Geſange der Borden und eine Art Staats: und Kriege: 
einrichtung, die zuleßt, bei der Uneinigkeit ihrer Fürften, den Römern unterlag. Ein 
Zug von ihnen drang bis Griechenland, Thrazien, Kleinofien vor, und wurde u. d. 
N. der Salater (Paus. Att., 3) mehr als ein Mal furchtbar, In Frankreich dürfte 
von den alten Galen wenig mehr übrig fein. Früher auf der einen Seite von den 
Belgen und Kymren, auf der andern von den Römern verdrängt, wurden fie am 


- Ende von teutonifchen Nationen überwunden, fodag Salen u. galifche Sprache 
. nur noch an den äußerfien Enden ihrer Befigthümer, in Irland, den Hebriden 


und dem fehottifchen Hochlande gefunden werden. Die britifchen Celten, welche 
noch jeßt von ihrer Sprache Gebrauch machen, find: 350,000 fchott. Hochländer 
und 2 Mill. Jrländer, die das irifche Erfe fprechen, 500,000 in Wales, die 
Bas wälifche Kymrik fprechen, und 15,000 auf der J. Man. Eıfifch und 
Kymriſch find jegt weſentlich verſchieden, obgleich beide Sprachen urfprünglich dies 
felbe waren, Die fhottifche Highland-sociely hat ein galifches Wörterbuch (Edin: 
burg 1828) herausgegeben u. d. Tit. „Dictionar, Scoto celticum” („Dict. of ihe 
gaelie language”, 2 Bde, 4.). 0 dd. 


— — 


— 4— 


Galen (Chriftoph Bernhard v.) Galeone 485 


Salen(Chriftoph Bernhard v.), der kriegeriſche Biſthof von Muͤnſter, aus 
einem alten Sefchlechte Weſtfalens, trug anfangs die Waffen, legte fie aber nieder, 
um ein Kanonicat von Münfter anzutreten. Zum Bifchof von Münfter 1660 er: 
wählt, mußte er Münfter, Was fich ihm widerſetzte, belagern. Er eroberte eb 1664 
und ließ eine Citadelle erbauen. 1664 wurde er zu einem der Führer des Reichs: 
beeres gegen die Türken inlingarn ernannt. Im folg. J. legte er den Harnifch für 
England gegen die Holländer an und trug mehre Vortheile über fie daven, Der 
Friede wurde 1666 auf Ludwigs XIV. Dermittelung gefchloffen, 1672 brach der 
Krieg um eine Herrfchaft, welche Holland ihm vorenthielt, von Neuem aus, Im 
Dunde mit Frankreich entriß er den Verein. Staaten mehre Städte und fefte Platze. 
Machdem der. Kaifer ihn genüthigt hatte, Frieden I fließen, verband er fich mit 
Dänemark gegen Schweden und machte neue Eroberungen, 1674 verband er fich 
mit Spanien und lieferte den Holländern Truppen. Er war ein Mam von 
feltenem Unternebmungsgeift, einer_der größten Heerführer f. Zeit, ein ge: 
wandter Diplomat in der Schule Ferdinands von Baiern, und würde, wenn 
er fo viel Macht als Muth befeffen hätte, ein zweiter Alesander geworden 
fein. Er ftarb den 19, Sept. 1678 in feinem 74. %, 0 | 

Galenus (Claudius), ein griech, Arzt, geb. 131 n. Chr. zu Pergamus 
in Kleinafien. Sein Bater, Nikon, ein geſchickter Baumelfter und Mathematiker, 
ließ ihm eine forgfältige Erziehung geben und widmete ihn der Arzneikunſt. Na): 
dem ©. den Unterricht mehrer berühmten Ärzte genoffen, befuchte er yeien, Pals- 
ftina und Alerandria, welches Damals noch der Mittelpunkt der gelehrten Welt war. 
Er befleißigte fich befonders der Anatomie und fehrte, 24 %, alt, in fein Vaterland 
Pergamus zurüd‘, wo er eine öffentliche Anftellung erhielt. Ein Aufruhr bewog ihn 
In feinem 30. J. nah Rom zu gehen, wo er durch gluͤckliche Curen, befonders durch 
ſ. Geſchicklichkeit in der Prognoftit, großen Rühm erwarb und den Neid der an- 


dern Ärjte in folchem Grade auf fich 309, daß er f. öffentlichen anatomifchen Bor: · 


lefungen, ihrer Anfeindungen wegen, aufgeben und endlich nach Griechenland geben 
“mußte, gerade als in Rom eine anftedende Krankheit ausgebrochen war, Er durch: 
reifte verfchiedene Länder, um merkwuͤrdige Naturerzeugniſſe und Arzneimittel an 
Ort und Stelle zu unterfirchen, und wurde nach einem Jahre von den Kaifern Mare 
Aurel und Lucius Verus nach Aquileja berufen, - Hier bereitete er den Theriak. ©, 
bat als Arzt und Philoſoph große Verdienſte, befondersdadurch, dag er die empiri- 
ſche Pathologie vervollkommnete und zu einer richtigen Theorie ber Empfindungen 
und der eigentlich thierifchen Verrichtungen des Körpers den Grund legte. eine 
Schriften zeugen von einer gründlichen, durchdachten, nicht blos h’yForifchen Kennt: 
niß der ältern griech. Syſteme der Philofophie, und verbreiten fig ber alle Theile 
der Mebicin. Wir befigen nur einen Teil derfelben, denn viele verbrannten, als fein 
Haus in Rom von den Flammen verzehrt wurde. . Mach Fabricius Haben mir von G. 
82 echte Schriften, 18, welche offenbar untergefchoben find, Bruchſtücke aus 19 
serloren gegangenen, und Commentare üher 18 Schriften des Hippofrates. Don 
f, verlören gegungenen Schriften werden in Fabricius’s „Bibligthek‘‘ 50 medicini: 
fche und 118 meift philoſophiſche angeführt. Die Altefte, vollſtaͤnd. aber bloß griech. 
Ausg., iſt die Aldine, 1625, Fol., worauf die bafeler, ebenfalls bloß griech, 1588, 
Fol, und die griech.sTateinifche von Ren. Thartier in 13 Fol.:Bdn., mit dem 
Hippokrates zugleih (Paris 16719) folgte. Seit 1819 bat Prof. D. Kühn 
in Leipzig eine neue griech.-Iatein. Ausgabe unternommen, Deutfche Überſ. 
einzelner Schriften haben wir von Eprengel und Mötdede, 
Galeniften, ſ. Taufgefinnte. 
Galeone oder Gallione biegen fonft bei den Spaniern und Pertugie: 
fen Kriegsfchiffe von eigner Bauart, die s—4 Derdede über einander hatten, jeßt 
aber nicht mehr gebräuchlich find. Gegenwaͤrtig verficht man unter den Oaleonen 


J 


486 Galeote Galiani 


Schiffe, auf welchen die Spanier die Schaͤtze aus Peru und Terra⸗Firma abholten. 
Die dabei intereſſirten Kaufleute bekamen davon den Namen Salioniften, 

Galeote (Galiot ey), eine Art Eleiner Saleeren, die zum geſchwinden Laufe 
geſchickt find und auf der Seite 16 — 20 Ruderbänfe haben, ‚deren jede nur mit 
einem Nuderfnecht verfehen iſt. Die Ruderknechte find zugleich Soldaten, welche 
Die Muskete führen, — Bombardiergaliote, ein folches Fahrzeug, das 
zum Bombardement von Seeplaͤtzen gebraucht wird, 

Galerie (Gallerie), in der Baukunſt ein langes, fchmales Zimmer, deffen 
Breite wenigftens 3 Mal in der Länge enthalten if, durch welches Verbältnig fie 
fi vom Saal unterfcheidet, Bisweilen nennt man in großen Gebäuden auch die 
langen, fehmalen Gänge, die zur Berbindung,der Zimmer dienen und fonft Corri⸗ 
dors heißen, Galerien. Der eigentlichen Galerien bedient man fich zu Spiel, Tanz, 
Muſik, und fie find deßhalb gemeiniglich mit Gemälden, Bildhauerarbeit u. a. 
Kunſtwerken verziert. Daber nennt man auch Sammlungen von Gemälden u. a. 
Werken der bildenden Künfte Salerien, wenn fie auch nicht in einem, fondern 
in mehren aneinanderffoßenden Zimmern fich befinden. Das erfte Beifpiel der An: 
legung einer alerie aus dem Alterthum ift das yon Verres, dem bekannten Plün: 
derer Sieiliens, In dem neuern Europa hat. die florentiniſche (f. Florenz), von 
Cosmus Il, angelegt, lange Zeit als die berühmtefte gegolten. Jetzt macht die Ga- 
lerie du Louvre zu Parig jeder andern den Rang flreitig und ſteht, ungeachtet der 
"Sichtung vom J. 1845, felbft vor der florentinifchen und der des Palaftes Pitti zu 
Rom, In Deutſchland find die beruhmteften zu Dresden, Wien, München, Ber: 
In, (VBgl. Mufeen und Kunfffammlungen.). Enthalten diefe Galerien 
Werke großer Meifter aus alfen Schulen und Perioden, fo geben fie dem Künftler 
Selegenheit gu Vergleichungen, um das Gute jeder Schule, jedes Meifters kennen 
zu lernen, und über Werden, Blühen und Sinken der Kunfl, über Styl, Manier 
und Behandlung der verfchiedenen Künftter Betrachtungen anzuftellen, — In un: 
fern Theatern nenne man Galerie die oberften, der Dede nächften, Plaͤtze, 
welche für die Bufchauer die wohlfeilften find. _ dd. 

Galiani (Fernando), Staatsmann, Denker, geiftreiher Schriftfteller und 
wißiger Giefellfchafter, der Sohn eines £, neapol. Auditeurs, kam, 8 J. alt, nach 
Neapel, mo ihn fein Oheim, Celeſtino Saliani, Erzbifchof von Tarent und Groß⸗ 
kaplan des Königs, der 1740 nach Rom ging,’ von den Coleſtinern in der Mathe- 
matik und Philoſophie unterrichten ließ. Als der Erzbifchof zurüdgefehrt war, 
nahm er ihn wieder zu fich, um ihn die Rechte fludiren zulaffen, In einem Alter 
von 20 fahren las ©, in einer alademifchen Sefellfehaft eine Abhandl. über den 


Zuſtand des Geldes zur Zeit des trojanifchen Krieges, Der ihm gewordene Beifall 


feierte ihn an, diefen Gegenſtand in einem Werke über das Geld abzubandeln; wel: 
ches er, ohne ſich zu nennen, in dem folg. J. herausgab. Er hatte das Vergnügen, 
fe Srundfüge von der Regierung angenommen zu fehen, Um diefe Zeit widmete er 
fich dem geiftlichen Stande und ging, wohl ausgeflattet mit Pfründen, nach Rom, 
wo er vom Papfte (Lambertini) Benediet XIV. freundlich aufgenommen wurde. Er 
befuchte Padua, Turin und die übrigen Hauptſtaͤdte Italiens. In der Folge ward 
. er als Sefandtfihaftsfecretair nach Paris zudem Grafen Satillana, neapol. Ge⸗ 
ſandten dafelbft, geſchickt, und verwaltete die Geſchaͤfte allein, als der Sefandte 
Urlaub erbielt. 17686 hatte er mit vorgängiger Erlaubniß Paris verfaffen und 
wollte eben dahin zuruͤckkehren, als ihm fein Hof eine wichtige Sendung übertrug, 
durch welche er Mitglied des Commerxollegiums ward. Er zog jedach die Stelle 
eines Legationsfecretairs vor. Von Paris ging er nach England und in der Folge 
nah Holland, um die fo verfchiedenen Eonftitutionen Beider Länder zu fludiren. 
17168 Lehrte er nach Neapel zurüd, um f. Platz im Commerzcollegium einzuneh⸗ 
‚men, Er fland fortwährend im Briefwechſel mit Diderot, DAL ‚ Boltaire, 


Balilda Galilei | 487 


Batteug, Arnaufd, Barthoͤlemy, Mad, d'Epinay u, A. deren Briefe an ihn mehr 
als 20 Bde. ausmachen. Mit f. feltenen. Einſichten diente er dem Staat in den 
soichtigften Angelegenheiten bis an f. Tod, den 30. Dct. 1786, während er in meh: 
ren Fächern der Wiffenfchaften unermüdet fortarbeitete. Die ungemeine Schnell: 
Eraft ſ. Seiftes machte ihm leicht, was Andern ſchwer füllt. Dieles, was er nie ſtu⸗ 
dirt hatte, ergründete er fo fehnell, dag er vortrefflich darüber fprechen und fehreiben 
fonnte; er ſchrieb aber am liebften über neue, wenig bearbeitete Segenjtände und 
folche, die den Nußen und Ruhm f. Vaterlandes zum Zwecke batten, In einem 
Briefe vom 13. Dec, 1770 an Frau v. Epinay fagte er über fich und f. Schriften: 
„Wenn jemand über mein literarifches Leben Etwas fagen will, fo wiſſe er, daß 
ih 17128 den 2. Dec. (zu Chieti in Abruzzo) geboren bin, daß ich 1748 durch einen 
poetifchen Scherz und eine Leichenrede auf unfern ehemaligen Henkersknecht Domi⸗ 
nico SJannoccone, rubmmürdigen Andenfens, bekannt wurde, daß ich 1749 mein 
Buch über das Geld und 1754 meine Sefpräche über das Getreide herausgegeben, 
417155 aber meine Abhandlung über die Naturgeſchichte des Veſuvs gefchrieben babe, 
Sie ift nebft einer Sammlung vefuvifcher Steine dem Papſte Benedict XIV, über: 
ſchickt und nie gedrudt worden. Ferner foll man wiffen, daß ich 1756 zum Mit: 
liede der Akademie von Herculanum ernannt wurde, und daf ich viel an dem erften 
ande der Kupfer gearbeitet habe; daß ich fogar eine große Abhandlung über Die 
Malerei der Alten geſchrieben; daß ich 1758 die Leichenrede auf Papft Bene: 
dict XIV, (voelche mir von meinen Werken am beften gefälle) herausgegeben habe; 
daß ich in der Folge Bode geworden und in Frankreich nur Bücher gemacht habe, 
welche das Tageslicht nicht geſehen“ e. Die Schreibart der „Dialogues sur le 
commerce des bleds“ bewundert felbft Voltaire; fie befämpfen mit treffendem 
Witze die damals herrfchende Partei der Öfonomiften und find, obgleich nur Bruch: 
fü, das ausgezeichnetfte der bis jeßt befanntgewordenen Werke ihres Dfs., aus 
deffen anfehnlichem literarifchen Nachlaſſe 1818 zu Paris eine „Gorresponda.ice 
inedile avec M. d’Epinay, le B. de Holbach, le B. de Grimm et autres per- 
sonnages celcbres du 48ıne siecle etc.” in 2 Bdn. erfchienen ifl, - M. 
Galiläa, zu den Zeiten Jeſu, die nördlichfte Provinz von Palaͤſtina, 
welche gegen Morgen von dem “Jordan, gegen Mittag von Samaria, gegen Abend 
von dem mittelländ. Meere und Phönizien und gegen Mitternacht von Syrien und 
dem Sebirge Libanon begrenzt, meifl von armen Fifchern bewohnt war, Als die 
Wiege des Chriftenthums bat dies kleine Land allgemeines Intereſſe. Hier lag Na: 
jareth, in dem Jeſus aufwuchs; bier flog der Jordan, an deffen Ufern er fein Lehr⸗ 
amt begann und feine Jünger ſammelte; Kana, wo er fein erfles Wunder verrich⸗ 
tete, Kapernaum, am See Tiberias, das ihn oft in feinen Mauern fah, Nain, 
wo er den Juͤngling vom Tode erweckte, waren galiläifche Städte; bier lag der 
Hügel, auf dem er feine Bergpredigt hielt (jeßt der Berg Chriſti genannt), hier der 
Berg Tabor, wo ihn die Jünger in feiner Verklärung fahen. Die Bewohner diefes 
Landes wurden wegen ihrer geringen Bildung und einfachen Sitte von den Judaͤern 
verachtet, und daher auch die Chriften anfangs, meil ihre Religion vorzüglich in Ga⸗ 
lilad entflanden war, ſpottweiſe Salilier genannt. Jetzt ſchmachtet Galuͤaa mit den 


übrigen Provinzen Palsftinas als ein Theil der Statthafterfchaft Damasf in Sy: | 


rien oder Soriflan unter dem Drude der türfifchen Oberberrfchaft, Beduinen, und 
Rauberhorden ſchwaͤrmen in verödeten Thaͤlern umber, und nur jene heiligen Orter 
“werden noch von wenigen, hart bedrängten Thriften bewohnt. E. 
Salilei (Galileo), um die Naturlehre durch Entdeckungen unfterblich ver- 
‚dient, wurde 1564 zu Pifa geboren. Sein Vater, Vicenzo ©., ein florentinifcher 
Edelmann, ließ ihn in den alten Sprachen, im Zeichnen und in der Muſtk unter: 
richten, wobei er ſchon früh eine lebhafte Neigung zu mechanifchen Arbeiten zeigte. 
1581 befuchte ©. die Univerfität Pifa, um die Arzneiwiſſenſchaft und die Ariſtote⸗ 








488 — Galilei 


liſche Philoſophie zu hören, Letztere, durch den Wuſt der Scholaſtik entſtellt, er⸗ 
regte ſchon damals in ihm den Widerwillen, der ihn ſpäter zu ihren erklaͤrteſten Wi⸗ 
derſacher machte. Fruͤh entwickelte er jenen ſeltenen Beobachtungsgeiſt, der ihn 
auszeichnete; kaum 19 J. alt, leiteten ihn die Schwingungen einer im Dom zu 
Piſa vom Gewoͤlbe herabhaͤngenden Lampe auf die Geſetze des Pendels, die er zuerſt 
beſtimmte und zur Abmeſſung der Zeit benutzte, wiewol die Idee von der Anwen⸗ 
dung des Pendels von ihm nur unvollkommen gefaßt und erſt ſpaͤter von ſ. Sohne 
Vicenzo und beſonders vyn Huygens vervollkommnet wurde, welchen Letztern man 
als den wahren Erfinder der Pendeluhren anzuſehen hat. Hierauf ſtudirte er unter 
Oſtilio Ricci die Mathematik, erſchoͤpfte bald den Euklides und Archimedes, und 
wurde durch Letztern 1586 auf die Erfindung der hydroſtatiſchen Wage gefuͤhrt. 
Mathematik und Naturwiffenfchaft befchäftigten ihn jegt ansſchließlich, und fchon 
1589 ward er Prof. der Mathematik zu Pifa. Unablaffig war er bemüht, die Rechte 
der Natur gegen eine verkehrte Philoſophie geltend zu machen, wofür er jeßt als 
Dater der neuern Phyſik gepriefen wird, damals aber die härteften Berfolgungen er: 
dulden mußte. Vor vielen Zufchauern zeigte er durch Verfuche, die er auf dem 
Thurme der Domtirche anftellte, daB das Gericht auf die Gefchwindigfeit fallen: 
ber Körper feinen Einfluß habe.” Dadurch reizte er die Ariftotelifer gegen fich ders 
geftalt, daß er f. Lehramt nach 2 Jahren niederlegen mußte, Er begab fich zu Fi⸗ 
lippo Salviati, wo ihn Francefco Sagredo, ein würdiger Denetianer, Eennen lernte, 
auf derfen Empfehlung ihn der Senat von Venedig 1592 als Xehrer der Mathe⸗ 
matik nach ‘Padua berief, Hier lager mit außerordentlichem Beifall; aus den ent- 
fernteften Gegenden Europas flrömten ihm Schüler zu. Er bielt feine Vorträge im 
ital. Sprache, die er zuerft für die Philoſophie bildete. 4597 erfand er den Pro: 
portisnalcirfel. Wichtiger find die marhematifchen Wahrheiten, die er feit 1602 
entdecte, z. B. daß die Raume, durch welche fich ein fallender Körper in gleichen 
Zeittheilen bervegt, tie die ungeraden Zahlen 1, 3,5, T..wachfen, d. 5. daß der 
fallende Körper, nachdem er in der erften Secunde 15 parifer Fuß durchlaufen bar, 
in der ziveiten 45, in der dritten 75 u. ſ. w. zurücdlegt: Ob ihm die Erfindung 
des Thermometers gehöre, iſt ſchwer zu beftimmen; vielleicht hat er denfelben nur 
zweckmaͤßiger eingerichtet. Auch über den Magneten machte er interejfante Beob: 
achtungen. Das Fernrohr (f. d.), das in Holland nicht bloß unvolltommen, 
fondern auch unfruchtbar blieb, wandte ©, gen Himmel und machte damit in Eurzer 
Zeit eine Reihe der wichtigſten Entdeckungen. Erfand, dag der Mond, wie die Erde, 
eine unebene Fläche habe, und lehrte die Höhen feiner Berge aus ihrem Schatten 
meſſen. Den nebeligen Fleck, welcher die Krippe heißt, Töfte er in feine einzelnen’ 
Sterne auf und ahnete, daß fich die ganze Milchftrage mit fehärfern Sernröfren 
ebenfo werde auflöfen layfen. Am merfwürdigften war die Entdedtung der Jupi⸗ 
terstrabanten, am 7. jan. 1610, Huch das Dafein des Saturnrings bemerfte 
er, ohne jedoch von demfelben eine richtige Vorftellung zu faffen. Die Sonnens 
fleden ſah er etwas fpäter, und ſchloß aus ihrer gemeinfchaftlichen Fortrüdun 
von D. gegen ZB. auf eine Rotation des Sonnenfärpers und auf die Neigung * 
ner Axe gegen die Ebene der Erdbahn. Doch haben Scheiner zu Ingolſtadt und 
Joh. Fabricius, Prediger zu Oſtell in Oſtfriesland, allerdings den Ruhm, diefe 
Enideckung zuerſt durch den Druck bekanntgemacht zu haben.) G.s Name war 


*) Um den Deutſchen die Ehre dieſer Entdeckung vor dem Itallener zu ſichern, 
bedarf es nur einer Dergleichung des Jahres ihrer diesfallſigen Schriften. Zabris 
cius's „Narratio de maoulis in sole observatis”’ erſchien ſchon 1611 zu Wittenberg ; 
Scheiner’3 „Tres epistolae de maculis solaribus” 1812 zu Augsburg; Galilens 
„Istoria e dimonstratieni intorno alle machie solari” erfi 1613 zu Rom. Die 
Geſchichte des wegen dieſer Priorität geführten Streites erzählt Lalande in f. „Astro- 
nomie”, ill, &, 388 fg., 2. Aufl. " N, 


Galilei | | ‘489 


indeffen fo beruͤhmt geworden, daß ihn ber Öbroßergog Fed 11.1610 als großher⸗ 
zogl. Mathematiker und Philefophen und erfien Lehrer der Mathematik zu Piſa (wo er 
jedoch zu wohnen nicht verpflichtet war) zu fich berief, Er hielt fich theils zu Flo: 
renz, theils auf dem Luftfchloffe Alle selve feines Freundes Salviati auf. Hier 
verfchaffte er 1610 durch die Entdeckung der abwechſelnden Lichtgeftalten (Phaſen) 
"des Diercur, der Benus und des Mars dem Kopernicantfchen Syſteme den vollftändi: . 
gen Sieg, da durch diefelbe Die Bersegung diefer Planeten um die Sonne und ihre Erz, 
leuchtung durch diefelbe außer Zweifel gefegt rourde, Darauf fchrieb er über das 
Schwimmen und Unterfinten der feften Körper im Waffer ein Werk, in welchem 
er, wie inallen feinen übrigen Schriften, den Samen vieler neuen Lehren ausflreute, 
Während er fich fo bemühte, die Grenzen der Naturlehre zu erweitern, zog fich ein 
Ungemitter über ihm zufammen, ©. hatte fich in f. Werke über die Sonnenflecken 
für die Kopernicanifche Weltordnung erklärt und wurde deghalb von f. Feinden, die 
Das Anſehen der Bibel dadurch für geführdet anſahen, verketzert. Die Mönche 
predigten wider ihn, und er ging nach Rom, 100 es ihm gelang, durch die Erklaͤ⸗ 
rung, daß er fein Syſtem weder mündlich noch fhriftlich weiter behaupten wolle, , 
feine Feinde zu befchtwichtigen ; er fuchte bei Diefer Gelegenheit eine größere Freiheit 
im Denken und Schreiben zu bewirken, wäre aber den Mißhandlungen des Inqui⸗ 
fitionsgerichts fehroerlich entgangen, wenn nicht der Großherzog, Die Gefahr ahnend, 
ihn zurückberufen hätte. 1618 gab ihm die Erfcheinung dreier Kometen Beranlaf 
fung, feinen $reunden allgemeine Betrachtungen über diefe Körper mitzutheilen. 
Sein Schüler, Mario Guiducci, bildete Daraus eine — worin er den Jeſuiten 
Sraffi fcharfbeurtheilte. Diefer, welcher Salilei für den Verfaſſer hielt, griffden- 
felben an. ©. antwortete in ſ. „Saggiatore‘; einem Meifterftücde von Deredt: 
famfeit, welches nach Algarorti die fehönfte Streitfchrift iſt, die Italien aufzu⸗ 
meifen bat, und ungeachtet der darin enthaltenen Irrthümer noch immer. gelefen zu 
werden verdient, Er zog dadurch die Feindfchaft der Jeſuiten auf fich. Um diefe Zeit 
arbeitete er fein berübmtes Werk aus, worin er, ohne eine Entfcheidung auszu⸗ 
fprechen, 3 Perſonen redend einführt, davon eine das Koperntcanifche, die zweite 
das Ptolemaiſche Syſtem vertheidigt, die dritte aber Beider Gründe dergeftalt ab: 
wägt, daß die Sache dem Anfcheine nach probfematifch bleibt, fo wenig auch das 
bergewicht der für Ropernicus aufgeftellten Beweiſe zu verfennen if. Mit dies 
fein unfterblichen Werke, in welchem die größte Eleganz und Schärfe des Styls 
mit dem frengften und zugleich faglichften Vortrage gepaart find, begab fih ©, 
4630 nach Rom, und e8 gelang ihm, das Imprimatur zu erlangen, Nachdem 
er eine gleiche Erlaubniß in Florenz ausgewirft hatte, gab er es dafelbit 1632 
(„Dialogo di Galileo Galilei, dove ne’ congressi di quattro giornate si dis- 
corre de’ due massimi sistemi, Tolemaico et Copernicano‘') heraus, Kaum 
war daffelbe.erfthienen, als es von den Ariftotelitern, am heftigften aber von Sci⸗ 
‚pione Chiaramonti, Lehrer der Philofophie zu Pifa, angegriffen wurde, Ur: 
bon VIII, der als Privatmann des ©, Freund und Verehrer gervefen, wurde fein 
graufamfter Verfolger, da ihn die Mönche zu überreden mußten, G. habe in der 
Perfon des Simplicio feiner Einfalt fpotten wollen, weil er den Drud eines fo 
anftößigen Buchs erlaubt Habe. So Eonnte es feinen Widerfachern nicht ſchwer 
sverden, ibn den fehimpflichften Mißhandlungen preiszugeben, zumal da fein 
Gönner, Cosmo II. geftorben, und die Regierung zu Florenz in den ſchwachen 
Haͤnden des jungen Ferdnando II. war. ine Congregation von Tardindlen, Möns ’ 
hen und Mathematikern, alle geſchworene Feinde —*— unterſuchten ſein Werk, 
verdammten es als hoͤchſt gefaͤhrlich und foderten ihn vor dag Inquiſitionsgericht. 
Der Greis mußte ſich im Winter 1638 nach Rom begeben, ſchmachtete einige Mo⸗ 
nate in den Gefaͤngniſſen der Inquiſition und wurde verdammt, die großen Wahr⸗ 
heiten, die er behauptet hatte, dem Urſprunge aller Wahrheit, auf den Knieen lie⸗ 





490 Galicien 
gend, die Hand aufs Evangelium geflüßt, vor unwiſſenden Mönchen abzubitten. 


„Gordesincero et tide nur ficta abjuro,. maledico et detestor supradictos erro- 
res et haereses”, war die Formel, die er ausfprechen mußte. In dem Augenblide, 
da er wieder aufftand, foller, befchämt, feiner Überzeugung zum Trog gefchworen zu 
baben, mit dem Fuße geſtampft und mit verbiffener Wuth gefagt haben: „E pur 
si muove!” (Und doch bewegt fie.fih!) Dies gefchah den 23. Juni 1633. Hier: 
auf ward er auf unbeſtimmte Zeit zum Kerfer der nquifition und 3 Jahre bin: 
durch wöchentlich ein Mal die T Bußpſalmen David’s zu beten verurtheilt, fein 
„Dialogo‘ aber verboten, und fein Syſtem, als der Bibel zuwider, verdammt. 
Dean war fo gnädig, die Kerkerfirafe in eine Verweiſung in den bifchofl. Palaft zu 
Siena, und bald nachher in das Kirchfpiel Arceti unweit Florenz zu verwandeln. 
Hier verlebte er feine leßten Jahre hauptfächlich mit dem Studium der Mechanit 
und Balliftif. Früchte davon waren 2 wichtige Werke über die Sefeße der Bewe⸗ 
gung, welche der Grund der jeßigen Phyſik und Aftronomie find. Zugleich bemühte 
er ſich, die Jupiterstrabanten zu Längenbeftimmungen zu benußen; und wiewol er 
damit nicht zu Stande Sam, fo war er doch der Erfte, der foftematifch über ein fol: 
ches Mittel zur Beflimmung der geograph. Länge nachdachte. Seine Augen wur: 
‚den vom Staar befallen, Schon war das eine yöllig blind und das andre fafl un: 
‚brauchbar, als er noch 1637 die Libration (das Wanken, f. d.) des Mondes ent: 
deckte. Blindheit, Taubheit, Schlaflofigkeit und Gliederſchmerzen vereinigten ſich, 
dem großen Manne feine legten Lebensjahre zu verbittern. Er brachte fie jedoch 
nicht müßig zu, „In meiner Finfterniß‘‘, ſchreibt er 1638, „grüble ich bald die 
fem, bald jenem Gegenſtande der Natur nach, und kann meinen raftlofen Kopf 
nicht zur Ruhe bringen, fo fehr ich es auch wünfche. Diefe immermwährende Be: 
ſchaͤftigung meines Geiſtes benimmt mir faft gänzlich den Schlaf, Er ftarb 1642 
(dem Geburtsjahre Newton's, d. 8. Yan. im 18. J. feines Alters, an einem langfam 
zehrenden Fieber in den Armen f. jüngften und danfbarften Schülers, Winzenzo Bi: . 
viani. Sein Körper wurde in der Kirche St,.Troce zu Florenz beigeſetzt, wo ihm 
SI3N neben Michel Angelo ein prächtiges Denkmal errichtet wurde. G. war Elein 
von Geſtalt, fein Körper aber gefund und feft; f. Geſichtsbildung fand man ein: 
nehmend,. f. Umgang munter. Gr liebte Muſik, Zeichnenfunft und Poefie. “Den 
Arigfto konnte er auswendig und aeigte in einer erft 1793 gedrudten Schrift („Con- 
siderazioni al Tasso“), die er in Mußeflunden hinwarf, feine Vorzüge vor Taffo, 
den er oft mit Bitterfeit tadelt. Er befag wenig Bücher. Das befte Buch, fagte 
er, fei die Natur. Sein Styl ift bündig, natürlich und fließend. Die vollftänd. 
Ausg, f. ſammtl. Werke erfchien in 13 Bdn,, Mailand 1803. S. Jagemann's 
„Geſch. Galilei's“ (Meimor-17188), Genauer fernt man ihn Eennen aus Nel⸗ 
li's „Vita e commercio litterario di Galilei” (2 Bde, Florenz 1821). 
Salicien, Provinz im nordweſtl. Spanien mit dem Titel eines König: 
reich (148 ODM., 1,142,630 €.), bat meiftens ein raubeg, feuchtes Klima, tft 
bergig und in der Mitte unfruchtbar; gegen die See zu gibt es fchöne Weiden und 
guten Weinbau. Bedeutend find die Häfen Coruna und Ferrol. Der Oberft Ca: 
dalhaſo fehildert in ſ. „Maroccaniſchen Briefen‘! die Einw. alfo: „Sie -find flarf- 
und arbeitfam, ziehen in ganz Spanien herum und flchen durch die befchwerlich- 
fen Arbeiten etroag Geld zu verdienen, das fie alsdann mit nach Haufe nehmen. 
Alg Soldaten Halten fie vortreffliche Mannszucht und find durch Strapatzen abge: 
. härtet. Geduldig ertragen fie Hunger und Durſt und paffen ganz vorzüglich zum 
Dienfte der Qufanterie Mehre Spanier und Franzofen nennen die Einw. diefer 
Provinz die oogner Spaniens, und wirklich iſt die Ähnlichkeit, ſowol in Hin⸗ 
ſicht auf Laͤcherlichkeiten als Talent und Geiſt, zwiſchen beiden Volkern auffallend”, 
‚Sie treiben hauptſaächlich Fiſcherei und Schifffahrt; in neuern Zeiten entſtanden 
Leinwandfabriken. In dem Dome der Hauptſt. San⸗Jago de Compoſtella (25,000 


Galizien und Lodomerien 49 


Einw.) wird, der Sage nach, der Körper des Apoflels Jakob (des Juͤngern), 
des Schußparrons von Spanien‘, der hier zuerit den chriftl. Glauben gepre 
digt haben fell, aufbewahrt, daher ift es ein berühmter Wallfahrtsort. Noch 
find die Städte Vigo, Drenfe, Lugo zu nennen, 
Galizien und Lodomerien, ein Königreich der öftreich, Monarchie, 
grenze gegen WB. an dag oͤſtr. Schlefien, gegen N. und D. an Polen und gegen 
.an Ungarn, Beide Laͤnder waren Herzogthümer, die anfangs in einer gewiffen 
Abhängigkeit von Ungarn (landen, dann an Polen fanıen, bis fie bei der Theilung 
von Polen 1772 an Dflreich fielen und mit Einfchlug andrer Stüde, die fonft zu 
Kleinpolen gehörten, zueinem Kinigreiche erhoben wurden. 17186 fam die Buko⸗ 
wina, welche fchon feit 4777 oftreichifceh war, und bei der legten Theilung Po: 
lens, 1795, Weſt⸗ oder Neugalizien mit Krakau hinzu. Diefes Neugalizien 
nebft Krakau mit einem Bezirk un die Stadt auf dem rechten NBeichfelufer, 
fowie den zamosker Kreis in Oftgaligien (95 (I1M., 1,470,024 Einw.) überlteß 
ſtreich im wiener Frieden 1809 an Napoleon, um mit dem Herzogtb. Warſchau 
vereinigt zu werden; an Rußland trat es von Altgalizien 164 IM. mit 400,000 
Einw. ab, Der parifer Griede führte den Zuftand vor 1795 größtentheils wieder 
zurück, Die Gräfe des Landes beträgt jeßt 1548 IM, mit 4,300,000 E. Die 
Hauptſtadt ift Lemberg. Das Land hat einen größtentheils fehr fruchtbaren Bo⸗ 
den und liefert zur Ausfuhr Wintergetreide, ungeachtet der Feldbau noch nicht 
zweckmaͤßig genug betrieben wird, Der Obftbau fangt erſt an, ſich zu heben. Wilde 
und gepflegte Bienen genen Honig und Wachs als Gegenflände des Handels, Rind: 
vieh wird in Menge gezogen und in andre Gegenden verhandelt, und die zahlreichen 
Pferde zeichnen ſich durch ihre Leichtigkeit und Abhärtung aus; vorzüglich ſchoͤne 
Pferde gibt die Bufowina. Bon wilden Thieren findet mar Wölfe, Bären und 
Wildpret aller Art, vorzüglich viele Hafen; der Biber lebt hier in geringer An: 
zahl nomadifch in Höhlen, deren Ausgänge fh in einem Waſſer endigen, im der 
Gegend von Grudeck und am rauf Eine re Schildläufe liefert Die polnifche, 
jum Sgarlahfärben benuste Cochenille. Unter den Mineralien ift das Sal; von 
großer Wichtigkeit ; es verbreitet fich durch alle bergige Theile des Landes und wird 
als Steinfalz gegraben, oder auch aus Quellen ohne Gradirhaͤuſer verfotten, Eis - 
fen findet fi in den meiften Sebirgen, das Erz ift aber nicht fehr ergiebig, 
Gold wäfcht man aus der Biſtriza; Flintenfteine brechen vorzüglich im bochnianer 
und ſtanislawower Kreife häufig und von vorzüglicher Güte. Die vielen Alaun⸗ 
fehiefer werden wenig benußt, Einige mineralifche und Sauerquellen werden zu 
Badeanſtalten benugt, Das Königreich voird in 19 Kreife getbeilt; die Regie⸗ 
rung wird von der galizifcyen Hofkanzlei geleitet; zu Lemberg aber iſt der Sig des . 
Landesguberniums, welches alfe Yandesangelegenheiten beforgt, Die Juſtiz ver 
spaltet das ebenfalls zu Lemberg errichtete Appellationsgericht, Seit 4775 hat 
Galizien Landftinde, aus dem Herren: und Ritterftand und den wichtigften Staͤd⸗ 
ten; ‚die Seiftlichfeit mache feinen eignen Stand, Biſchoͤfe und Nöte find unter 
dem Herrenftande begriffen, Sie haben das Recht, über die Herbeifchaffung, Ber: 
theilung u, ſ. w. der vom Hofe gemachten.Foderungen zu verordnen, auch, wenn 
es nöthig iſt, Vorſtellungen an das Landesgubernium zu machen. Für den böhern 
Adel Hat man 17 Erzämter errichtet, fie find aber nichterblih, Die Kunfterzeug- 
niffe des Landes find micht erheblich, doch gibt es Tabad:, Leinwand und Har: 
rastuchmanufacturen, auch viele Slashütten, zur Beförderung des Handels, 
welcher größtentheils in den Händen der Juden iſt, find gute Straßen angelegt. 
Die berrfchende Religion des Landes iſt die katholiſche; ein Erzbifchof hat zu Lem⸗ 
berg feinen Sig. Es gibt aber viele unirte und nicht unirte Griechen und Arme: 
nier, voelche unter eigenen Bifchöfen ftehen, ſowie zahlreiche Juden, die ihre Syn: 
agogen und einen Oberrabbi haben, Die Angelegenheiten der Lutheraner beforgt 


492 Gall Salapfe 


der Superintendent yon Semberg, Zur gelerten Bildung wirken die Univer« 
fitäg zu Lemberg und 6 Gymnaſien m den pichtigften Städten des Landes. 
Gall (Johann Joſeph), geb, 2.9. März 1758 in Tiefenbrunn im Königs 
reih Würtemberg, wo fein Bater ein Krämer war. Er fludirte die Arzneitiffen: 
ſchaft und lebte zu Wien als Arzt, wo er ſich durch f. „Philofophifch-medicinifchen 
Unterfuchungen über Natur und Kunft im franfen und gefunden Zuftande des Men: 
ſchen“ (2 Thle, Wien 1791) vortheithaft befanntmachte. Dann erregte er durch f. 
„Anatomiſch⸗phyſiologiſchen Unterſuchungen über, das Gehirn und die Nerven“, 
wegen mehrer neuen Entdedungen und pfphotsgifen Pemerfungen auch unter 
den Nichtärzten Aufmerkfamfeit, Dieſe Entdedungen wurden bald u. d. N. der 
Organen: oder Gehirnſchaͤdellehre allgemeiner verbreitet. ©. hatte namlich fchon 
auf der Schule bemerkt, daß einige Knaben, die ihn troß f. Aufmerkſamkeit tm 
Ausmendigiernen übertrafen, fich durch große Augen auszeichneten. Diefelbe 
Eigenfchaft wurde er inder Folge auch bei großen Schaufpielern segabr. Hieraus 
folgerte er, daß die Anlage (das Organ) des Sedächtniffes fich mol an diefer Stelle 
des Kopfs befinden müffe. Zwar ging er nachher von diefer “dee ab, kam aber 
\ doch wieder darauf zurück: daß es bei einzelnen Anlagen wirklich auf den Bau ein: 
zelner Stellen des Kopfes ankomme. Seitdem fing er an, Schädel zu fammeln, 
verglich forgfältig, welche Erbabenheiten fie mit einander gemein und nicht gemein 
atten, verglich auch die Schädel der Thiere, fludirte das Leben der Thiere und 
enfchen, den Bau ihres Körpers und Gehirns, und entdedite fo nach und nach 
die Anlage für einige 20 Organe, oder ebenfo viel verſchiedene Sie der hervorra⸗ 


‚gendften Serflesverrichtungen, (S. Schädellehre,) ©. ſetzte bisher feine Lehre 


nicht in Schriften aus einander, fondern in mündlichen Borträgen, auf Reifen in 
den größern Städten und Univerfitäten Deutfchlands, arbeitete fodann einige Jahre 
in Gefellfehaft feines Freundes, des D.Spurzheim, zu Paris, wo er mit abwechs 
felndem Beifall feine Vorleſungen wiederholte und als praftifcher Arzt fich aufbielt, 
an einem, großen Werfe in franz. Sprache, mit Kupf., Fol, das den Gall'ſchen 
Entdeckungen ihren beftimmten Werth ſichert, der vorzüglich in anatomifchen Ent: 
deckungen, die Bildung des Gehirns betreffend, befteht. Unter Andern hat er bes 
wieſen, 1098 man vorher nur vermuthete, daß das Gehirn in der markigen Maſſe 
des Ruckgrats anfange, fich von hier aus neßartig entfalte und in das große und 
das kleine Gehirn fich teile: Mit Spurzheim gab G. zu Paris 1810 in 4., mit 
Kupf. in Fol. heraus; „Anatomie et physiologie du systeme nerreux en 
general, et sur celui du cerveau en particulier”, Gegen mehre ihm ge 
machte Borpürfe, vorzüglich von parifer Sefehrten, vertheidigte er fich in feiner 
Schrift; „Des dispositions innees de l’ame et de l’esprit, ou du matéria- 
lisme etc.” Paris 1812). Spurzheim hat fich fpäterhin von G. getrennt und in 
England und Schottland Vorträge über des Letztern Syſtem gehalten. Auch gab . 
Spurzheim in London ein Werf über feine und G's Entdeckungen heraus, das 
ober ftrenge Kritifen erfahren hat, Auch erfchien hier 1817 ein Spottgedicht in 2 
Sef,, die „Craniade, oder Spurzheim, bei Licht”. Seitdem beforgte G., wel⸗ 
eher 1823 in London über feine Phrenologie Vorleſungen gehalten hatte, von f. 
„Organologie, ou exposition des instincts, des penchans etc. et du siege de 
leurs organes” eine neue Ausg. in 6. Bon. (Paris 1823—25). Er flarb d. 22. 
Aug. 1828 auf feinem Landhaufe zu Montrouge bei Paris. 
Galkapfel, ein Auswuchs auf den Blättern mehrer Fichengattungen,  - 
welche von dem Stiche der Eichenblattiwefpe herruͤhrt. Diefe iſt etwas Kleiner als 
die gemeine Stubenfliege und auf der Bruft ſchwarz und orangengelb geftreift, der 
kugliche Hinterleib hat eine Laftanienbraune Farbe, Die Gallweſpen umſchwaͤr⸗ 
men im $rübjahre die Gipfel der Eichen und begatten fh, worauf das Weibchen 
mit ihrem hinten befindlichen Stachel ein Loch in die untere Fläche eines Eichen: 


De} 


. \ 


Galke Galletit 493 


blatts bohrt und ihr kleines Ei hineinlegt. Die Säfte ziehen ſich nach der verwun⸗ 
deten Stelle, haͤufen ſich daſelbſt an, treten hervor und erharten an der Luft, wo ſie 
nach und nach um das Ei herum einen runden Auswuchs bilden, der grün oder röth⸗ 
lich gefärbt iſt. Das darin befindliche Ei wächft mit dem Sallapfel. Hat es feine 
Reife erlangt, fo fchlüpft eine Made aus, welche fich von dem waͤſſerig⸗ ſchwammi⸗ 
gen Gewebe des Gallauswuchſes nährt, bald in den Nymphenſtand übergeht und 
aus diefem als ein volltommenes Inſekt erfcheint, welches die Salle durchfrißt. — 
Die levantifchen Salläpfel find viel vorzüglicher als die europäifchen, Sie find klei⸗ 
ner, aber fefter und ſchwerer. Ihre äußere Fläche ift nicht glatt, fondern höckerig; 
die meiften haben eine ſchwarze, bald ins Grüne, bald ins Blaue fpielende Farbe. 
Die über Eypern zu uns fomnıen, fehen erbfengrau und weißgrau aus. Die levan: 
tifchen Sallipfel find ein bedeutender Handelsziveig und werden von Smyrna, Tri: 
poli, Saida, und infonderheit von Aleppo nach Europa gebracht. Sie befigen den al⸗ 
Ien Theilen der Eiche eignen zufammenziehenden Gewäaͤchsſtoff in einem weit höhern 
Grade als unfere einheimifchen Sallapfel und find deghalb in der Färberei von äußer: 
ſter Wichtigkeit, wie fie denn auch bekanntlich einen der Hauptbeftandtheile unferer ges 
wöhnlichen ſchwarzen Dinte ausmachen. In der Medicin werden fie häufig gebraucht. 

Salle,, eine zäbe gelblichgrüne Flüffigfeit von bitterm Geſchmack. Der 
Menſch und viele Thiere haben an einer eignen Ausſchweifung der untern Leberflaͤche 
eine befondere Blafe, roorin die durch die Leber aus dem Blute abgefonderte Sale 

ahrt wird (Sallenblak). Die Flüffigkeit ift theils ein Auswurfſtoff aus 
dem Blute, theils ift feine Beſtimmung die Beförderung,der Verdauung (f. d.). 
Die Beſtandtheile der Galle find 1) Warfer, welches den anfehnlichften Theil bil: 
det und die übrigen Beftandtbeile aufgelöft enthält; 2) ein —5 ſehr bitte⸗ 
res, ſchmelzbares Harz, welches groͤßtentheils die Urſache des Geſchmacks der Galle 
iſt; 2 ein geringer Antheil Natrum; 4) etwas mineral⸗alkaliſche Salze; 5) et⸗ 
was Eiſenoxyd; 6) eine geringe Menge einer gelben Subſtanz welche nur zum 
Theil in dem Natrum aufgelöft ift; 7) eine nicht unbedeutende Menge Eiweiß: 
ſtoff. — Die Sallenfleine, gewiffe Berhärtungen, welche fich nicht felten in 
der Sallenblafe des Menſchen und mehrer Thiere finden, find von bräunlicher, 
ſchwaͤrzlicher Sarbe und beftehen aus einer dem Wallrathe oder Wachfe ähnlichen 
Maſſe, welcher geronnener Eiweißſtoff beigemifcht ift. 

Gallert (franzoſ gelde), eine weißgelbe, durchfichtige, etwas elaftifche 
Maffe, welche durch ſtarkes Kochen Mit Waſſer, befondets in verfchloffenen Ge⸗ 
. füßen, aus verfchiedenen thierifchen Theilen, z. B. aus den Muskeln, Sehnen, der 
Haut und befonders aus den Hirfchgeweihen erhalten wird, Sie ifl ein wahrer 
Leim, und von dem Tifchlerleim nur durch größere Reinlichkeis bei der Bereitung und 
einen größern Antheil von Waffer verfehieben, Dean braucht fie mit Wein und 
Waſſer vermifcht als.ein nährendes Mittel für Benefende, Sonſt nennt man auch, 
wegen der ähnlichen Durchfichtigkeit und des zitternden Beſtandes, mit Zuder 
eingedickte Früchte Sallerte. ‚Die thierifche Sallerte kommt mit dem Pflanzen: 
ſchleime, einem Hauptbeſtandtheile der Gewaͤchſe, im Außern überein. Sie loſt 
fih im Waſſer gänzlich und klar auf und bat wenig Geruch und Geſchmack. Bon 
dem Pflanzenfchleime unterfcheider fie ſich roefentlich dadurch, daß fie bei der Ber: 
dünnung mit Waſſer zwar zuerft in die faure, bald darauf aber ſchnell in die faule ° 
Gahrung übergeht. | 

Gallett i (Johann Georg Augufl), geb. zu Altenburg d. 19. Aug. 17150, 
fludirte von 1765 — 12 in Söttingen Rechtswiffenfchaft und Geſchichte; vorzügs 
lich benußte er Pütter’s und Schlöger’s Unterricht. Dann wurde er Hofmeifter 
des nachmal. herz. gothaifchen Geh.⸗Raths und Kammierpräfidenten v. Schlotheim, 
für den er Eleine Lehrbücher fchrieb, welche unter die Preſſe einer Handdruderei 
famen, was Zeitvertreib und.lehrreiche Befchäftigung gewährte. 17712 erhielt G. 


494 Gallicanifche Kirche 


eine Collaboratorftelle am Gymnaſium zu Gotha und 1783 eine Profeffur. Waͤh⸗ 
rend der Verwaltung derfelben verfaßte er mebre hıftorifche und geograpbifche Lehr: 
bücher, die zum Theil viele Auflagen erlebten. Zu den Zöglingen des gothaifchın 
Gymnaſiums aus diefer Zeit gehören verfchiedene um Gefchichte und Erdfunte 
verdiente Lehrer und Schriftfteller, 5 B. Wachler, Gerd. Schulze, v. Hef, Böt: 
tiger der jüngere u. A. Außerdem machte fich der fleißige G. befannt durch feine 
:„Sefchichte des Herzogthums Gotha”, durch die „Sefchichte Thüringens”, die 
„Befchichte Deutſchlands“ und durch feine „Weltgeſchichte“. 1806 ward er vom 
Herzog von Gotha zum Hofrath, Hiftoriographen und Geographen ernannt, und 
4819 verftattete man ihm, f. Profefforftelle, mit Beibehaltung ſ. Gehalts, nieder: 
zulegen. Er ftarb d. 26. März 1828 im 19. Jahre feines Alters. 
Gallicaniſche Kirche ift der lat. Name, mit welchem die Fatholi- 
ſche Kirche des franz. Reichs bezeichnet wird. Das Unterfcheidentde diefer Kirche be 
ftand von jeher darin, daß fie eine größere Unabhängigkeit von dem päpftl. Stuhle 
behauptete. Der erſte Grund ihrer mehren Freiheit mard durch die 1438 gefchloffene 
pragmatifche Sanction gelegt. Die in diefem zmifchen den Papft und dem Ki 
nige gefchloffenen Vergleiche feftgefeßten Beftimmungen wurden durch die quatuor 
proppsitiones Cleri Gallicani von 682 beffätigt und erweitert, Es entſtand nam: 
lich zwifchen Ludwig XIV. und Innocenz XI. ein Streit über dag bisher von den 
Konigen ausgeübte Recht, während der Erledigung eines Bisthums die niedern 
geiftlichen Stelien in demfelben zu befegen, la Regale genannt. Diefer Streit 
batte die Folge, daß der König 1681 die franz. Beiftlichkeit zu Paris verfammelte, 
welche die erwähnten vier Sruntfüße abfaßte, in denen gefagt wird, daß zivar dem 
Statthalter Chriſti in geiftlichen, nicht aber in reeltlichen Dingen, Macht und Se: 
malt von Gott verliehen fei, daß aber auch diefe Gewalt Durch die Kirchengefege und 
durch allgemeine Kirchenverfammlungen befchränft und gemäßigt werde, und daß 
das Urtheil des Papfteg nicht für unverbefferlich (irreformabile) erklärt werden 
könne, wenn nicht die ÜÜbereinftimmung der Kirche hinzukomme. Mehr als ein 
Mal hat fich Napoleon in feinen Streitigkeiten mit dem päpftlichen Stuhle auf diefe 
Brundfäße berufen. In der Lehre und in den Gebräuchen unterfcheidet fich übri- 
gens die gallicanifche Kirche nicht von denen, welche im ganzen Umfange der katho⸗ 
liſchen Kirche eingeführt find. Bis auf die Zeiten der Revolution war fie durch große 
Gelehrte, auch berühmte Kanzelredner, als Boſſuet, Bourdaloue, Maffillon, Fe⸗ 
nelon und Flechier, ausgezeichnet. Die Revolution flürste die Firchliche Verfaſſung 
ranfreihg um, raubte den Beiftlichen ihre Güter und Einfünfte und zerflörte ihre 
chulen und Seminarien. Bonaparte ſtellte, als erfter Conſul der franz. Repu⸗ 
blik, durch das mit dem Papfte Pius VII. gefchloffene Concordat ſ. d.) 1801 
die eirchliche Verfaſſung wieder ber. Auch find ſeitdem Bildungsanſtalten für die 
Geiſtlichkeit errichtet worden. Den alten Ruhm ber Gelehrſamkeit und Beredtfams: 
keit aber hat diefelbe noch nicht wieder erlangen können, obgleich Manner, wie Groͤ⸗ 
goire und der Sarvinal Maury, welcher für einen der vorzäglichften Ranzelredner 
galt und 1810 eine leſenswerthe Schrift über die Kanzelberedtfamfeit herausgab, 
die theologiſche Literatur bereichert haben. _ Seit der Ruͤckkehr der Bourbonen find 
1821 in Gemäßheit der päpftl. Bulle vom 10. Oct. d. J. die Zahl der Diöcefen 
und die Befoldung der niedern Pfarrftellen vermehrt worden. Indeß hat die Ne 
Hierung big jegt mit den Umtrieben einer mächtigen Partei, welche durch Jeſuiten 
und Miffiönnairs die Freiheit der gallic. Kirche vernichten will, zu Eimpfen gehabt. 
Es mufiten daher feit 1824 die Obern und Profefforen der bifchöfl. Seminarien 
der Erflürung des gallic. Klerus von 168% formlich beitreten; ein dagegen vom. 
Erzbifchof v. Touloufe, Grafen Elermont:Tonnere, im ultramontanen Geifte ver- 
‚ faßtes Sendfehreiben ward von ber Regierung gemifbillige. Hierauf erklärt 7 
mehre Bifchöfe 1826 feierlich, daß fie an den Befchlüffen von 1682 fefthielten. 


—— — — — — 


Gallicismus Gallien 495 


Gallicismus, eine Eigenheit der franz. Sprache in dem Ausdruck 

oder der Wortſtellung, in einer andern Sprache angewandt. 

Gallien. Das Land der Gallier erſtreckte fich zu der Römer Zeiten 
von den Pyrenden bis an den Rhein, gegen Italien aber über die Alpen bis ang 
adriaotifche Meer. Man theilte es ein in Sallien diesfeits der Alpen (nämlich von 
Itallen her, Gallia cisalpina) und ©, jenfeits der Alpen (G. transalpina). 1. Gal⸗ 
lien diesfeits der Alpen erſtreckte ſich von den Alpen bis ans adriatifche 
Meer, umfaßte alfo alle Länder Oberitaliens bis an den Rubicon und die Macra. 
Mit Italien am meiften m Berührung, nahm es rümifche Sitten und Gebräuche 
an, erbielt von Caſar das'römifche Bürgerrecht, und heißt von Annahme der roͤmi⸗ 
ſchen Toga auch G. togata. Es wurde eingetheilt 1) in Ligurien, das Gebiet von 
Senua und Lucca und ein Theil von Piemont, 2) Sallia transpadana und 3) Sal: 
lia cispadana, d. h. Gallien jenfeits und diesfeits des Po (Padus). Ligurien war 
von den Liguriern, G. transpadana vorzüglich von den Taurinern, Inſubrern und 
Eenomanen, ©. cispadana von den Bojern, Senonen und Lingonen, Völkern gal: 
liſcher Abkunft, bewohnt. Die Städte, größtentheils römifche Colonien, haben 

. ihre alten Namen meift behalten; in ©. transpadana: Tergefta (Triefl), Aqui⸗ 
leja, Patavium (Padua), Dincentia (Bincenza), Verona, Mantua, Sremona, 
Brixia (Brefcia), Mediolanum (Mailand), Tieinum (Pavia), Auguſta Taurino: 
rum (Turin); in ©, cispadana: Ravenna, Bononia (Bologna), Mutina (Mos 
dena), Parma, Placentia (Piacenza). 11. Sallien jenfeits der Alpen, mr 
Gegenſatz der G. togata auch conhala genannt, weil die dortigen Völker ihr Haar 
(coma) wächfen ließen,‘ auch G. braccata, teil die Einro., befonders des füßlichen 
Theils, Beinfleider (braccae) trugen, die den Römern fremd waren, war im W. 
von den Pyrenaͤen, im O. von dem Rheine, und durch eine Linie von deffen Quel⸗ 
Ien bis zum Ffeinen Fluß Barus (Dar), nebft dieſem Fluß, im N. vom atlantifchen 
und im ©. vom mittelländifchen Meere begrenzt, umfaßte alfo das eigentliche Frank⸗ 
reich, die Niederlande, Helvetien, das linke Rheinufer und Holland. Fabius hatte 
den Theil Galliens kn der Alpen erobert, welcher zunächft an Oberitalien, ſüd⸗ 
lich am mittelländifcheh Meere nach den Pyrenaen hin liegt. Da er zuerftrömifche _ 
Provinz wurde, fü erhielt er vorzugsteife den Namen Provincia (moraus fpäter 
Provence geworden ift). Die Landgrenzen machten die Alpen, Cevennen und der 
Fuß Rhone. Als hierauf Caͤſar das transalpinifche ©. einnahm, fand er es, mit 
Ausnahme der Provinz, in 3 Theile eingerheilt: 1) Aquitanien, von den Pyrenien 
bis an die Saronrie, meift von iberifchen Völkern befegt, 2) Vallia celtica, von da . 
bis an die Seine und Marne, 3) ©, belgica, im Norden des Landes bis an den 
Rhein. Auguftus ließ durch Agrippa die Verhältniffe des Bandes neu ordnen. Nun 
ward das fand folgendermaßen eingetheilt: 1) Aquitanien ward bis zu der Loire ver: 
größert, um diefem Theile ein befferes Verhaͤltniß zu den übrigen zu geben; gaup: 
ort Burdegafe 'Bordeaur). 2) Belgica, zwifchen den Flüffen Seine, Saone, 
Rhone, dem Rhein und dem nördlichen Ocean, Hauptoͤrter: Defontio (Befan: 
con), Treveri (Trier) u. a. Es begriff diefer Strich alfo auch die Rheinländer und 
elvetien mit, roelche man aber nachber u. d. M. Germania prima oder fuperior, 
und Germania fecunda oder inferior, davon trennte; hier fagen längs des Rheins 
Eolonia Agrippina (Köln), Moguntiscum (Mainz), Argentomtum (Stras: 
burg). 3) ©. Lugdunenfig oder Teltica, umfaßte den noch übrigen Theil des Cel⸗ 
tenlandes, Alles, was zwiſchen der Seine, Saone und der Loire liegt, bis füdlich an 
die Cevennen. und die Rhone. Hauptörter: Lugdunum (yon), Aleffa (Aliſe), 
Bibraete, fpiter Auguflodunum (Autun), Lutetia Parifiorum (Paris) auf die 
Seineinfel zu Caſars Zeiten noch befchränfe und unbedetitend, wurde bald durch 
fe Lage wichtig, -4) G. Narbonenfis, die vormalige Provincia Romana: bier 
die Städte Narbo Martins (Narbonne), eine alte Cokonie der Römer, Tolofa 


— Aa) Weaffna (Besrfeile);, legtere 





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im die Geſctidte er. Bir finden es m wie Betferſcheften grtheii tech fe. daf eine 
der Iben/ derale dr Sirer zer), ton Veerera. ter an Oberhertſchaft zrenẽte, ans 
übte. ebescch dieic⸗ Verrenas erregte Spoleen. vor fish ſich einem 
entera Zrzat an: fe werbfelten ti verberritenten Steaten, das Zirfiem blicb. 
Tirfe Clxntel: txexfea gez derch tes ganze Veit᷑. re were eigentlich ner 
ber Adel (serien ik te Krizser gzencunt, un? die Prater, Tromen; ter Gemei⸗ 
men lebten ın drm: higer Akbirzigfent. und Kkükten fi gegen Wıifhontlungen 
nicht du: & tie Geſehe, ſendern indem fe fi Machtigern urktiefke. Unter dein 
Adel wernm witer tee zahlreichen fürrii. G’rfchlechter tor erfien ; bei green greßen Düyen 
ſcheint man einen Oberbefehlshaber gewiß‘: zı baben. (Es "Drenaus) 
Drriden un? Troıtamen befagen eigeathümiche Rruatrigie, die fie um Donkel dich⸗ 
ser Hame un? werbergemer Gretten zefewurscl fortpflanzten, Ajereuemie, Na⸗ 


AH 


Ich von ten ——— — ibrer Piel Fine Arı Ser un? Merb waren an 

inf, Beinban ihner frame. Ser außen ten Vernehmern ter Sand der Flüiſe 

— —— Der angefebere Siollier erſch ten un der Schlacht zeit einem 
bunten gespürfelten un? ſchumernden Mantel (mer nech jeht de Bergſchetten) 


A — ——— — 


Sallier | 497 


‘übrigens nadt, aber mit dicken goldenen Ketten um Hals und Arm. Ihre fange 
Seftalt, ihr wildes Antlig und firuppiges gelbes Haar machten ihren Anblick furcht⸗ 
bar; ihr wilder, blinder Muth, ihre unermeßliche Zahl, der bettubende Lärm einer 
ungeheuern Menge Hörner und Trompeten, die gräßlichen Verwuͤſtungen, welche 
ren Zügen folgten (die Gefangenen wurden oft geopfert, die Schädel der Erfchla: 

enen dienten als Triumpbzeichen , oft auch als Becher), machten fie zu dem furcht⸗ 

arften Volke der alten Weſtwelt. Aber es fehlte ihnen an Einheit, an Ausdauer 
und an guten Waffen; denn ihre Schilder waren leicht und fchlecht, und ihre unges 
heuern Pupfernen Schlachtfchwerter bogen fish nach jedem Hiebe auf Eifen zuſam⸗ 
men und mußten nach jedem Streiche erft wieder gerade gezogen werden. Daber 
wal eigentlich nur ihr erfter Anprall fürchterlich. Diefes Bote — fei es, daß der Ge: 
nuß des Weins, oder ein Etrusfer, den die Verführung feines Weibes von einem 
Fuͤrſten des Landes zum Zorn gereizt hatte, fie nach dem fruchtbaren Italien lockte — 
überfiel die gegen fie roeichlichen Etrugker, welche auf der andern Seite mit den Roͤ⸗ 
mern gu kaͤmpfen hatten, Denn an demfelben Tage def. %. (396), als Camiſſus 
Veji einnahm, follen die Sallier Melpum, eine anfehnliche etruskiſche Stadt Ober⸗ 
italiens, flürmend genommen haben. Aber der Sturm diefer Völkerwanderung 
wandte fich bald gegen Rom felbft, das für Cluſium, eine etrusfifche Stadt, vermit⸗ 
relnd eintrat und durch Verhandlungen die Waffen der Sallier aufzuhalten verfuchte, 
Dei diefen Unterhantlungen beleidigten die römifchen Sefandten das Völkerrecht; 
die erbitterten Sallier, denen man Genugthuung verfagt, zogen gegen Rom und 
vertilgten am Fluͤßchen Allia, 389 v. Ch., den Kern der römifchen Jugend, plün⸗ 
derten und verbrannten die Stadt und belagerten das Capitol, das im Begriff war, 
ſich mit Gold zu Iöfen, als Camillus (f. d.) retten& erfchien. Von dem Zuge der 
bſtlichen Sallier an der Oberdonau haben wir nur fpärfiche Nachrichten, doch auch 
ans diefen erfehen wir, daß er Ausmwanderungen ganzer Völker verurfachte; ſchon 
damals, fcheint es, vermiſchte fich zum Theil ein germanifcher Stamm, die Cimrer 
«oder Cimbern, mit den Selten. 109 J. nach der Verbrennung Roms brachen diefe 
. bfllichen Gullier in 3 Mal voiederholten Zügen, 280-278 v. Chr., in das durch 

viele Kriege an Männern arıne Mäcedonten und Griechenland verwüftendein. Der 
macedoniſche König Ptolemaus Ceraunus und der Feldherr Softhenes blieben, und 
GSriechenland zitterte, Als fie aber hier den reichen und heiligen Tempel Apollo’ zu 
‚Delphi (durch feine natürliche Lage feft) plündern wollien, famen die Schredniffe 
‘der Religion und der Natur (Stürme und Hagelmetter) über fie; gefehlagen , volle 
:endeten Mangel, Kälte und das Schwert der Griechen ihre Niederlage. Einige 
Stämme von ihnen gingen nach Rleinafien, wo fie u. d. N. der Salater noch 
(fange ihre Eigenthümlichkeiten und bis in die fpäteften Raiferzeiten thre Sprache beis 


* 


behielten. Die Ruͤckwirkungct dieſer Wanderungen auf dag eigentliche Gallien ſchei⸗ 


nen bedeutend geweſen zu fein. Die Gallier langs der Donau und im Süden von 
Deutſchland verſchwinden feitdem; germanifche Stämme befeßen das ganze Land 
bis an den Rhein und zum Theil auch die jenfeitigen Ufer diefes Fluſſes; jener von 
Galliern und Deutfchen gemifchte Stamm der Cimbern, oder wie die Gallier ihn 


‚nannten, derBelgen, Befeßte den ganzen nördlichen Theil Galliens von der Seine 


und Marne bis zum Canal und Rheine, ging auch von da nach England über, wo 
er die früher eingemanderten Sallier nach Nordbritannien (Schottland) hindrängte, 
und wo fie feitdem als Taledonier (Berggalen), fpäter als Picten und Scoten in ber 
Geſchichte erfeheinen. Diefe Belgen in Gallien ; oder Cimbern, find die eigentlichen 
alten Briten. Die Selten in Gallien ſchritten indeffen, obwol in ihren Hauptzügen 
. ihre oben angedeuteten Eigenthümtichkeiten in Verfaſſung und Sitten beibehalten, 
ju größerer Bildung fort; der Umgang mit den Örtechen in Maffilia (Marſeille), 
‚mit deren Buchſtaben fie ihre Sprache fehrieben, forie mit den Tarthagern, in deren 
Meeren fie häufig als Mierhuälfer vorfommen, mochte dazu viel mitwirken. Doch 
Converſations⸗ Lexicon. Bd, IV, 32 


x 


498 Gallier 


vermochten fie auch jetzt kaum mehr den Germanen benfeits den Dibeins zn wiben: 
fichen; wilder und tapferer als fie waren ihre Halbbrüder, die Belgen und Cimbern, 
fowie die Briten, welche fich zu bemalen pflegten, von Streitwagen berabfiritten, 
und bei denen Bielmännerei und Bielmeiberei eingeführt war. Völlia roh und bars 
barifch waren die Hochgalen (Taledenier) in Echottland, und die Bewohner Ir⸗ 
Ionds, die fich nicht nur bemalten, fondern auch Fünftlich tattowirten, und denen 
Menfchenfleifch, felbft in fpätern Zeiten, ein köſtlicher Biffen war, die aber auch 
ihre Freiheit Fräftig zu vertheidigen mußten. Ihre überalpifchen Brütder indeſſen 
(die diesfeitigen Ballier, wie die Kömer fie nannten) hatten fich, nad;dem fie die 
Etrusfer zum Theil füdlich in das heutige Toscana, zum Theil nörbfich in die rhaͤ⸗ 
tifchen Alpen zurüdgedrängt, in den fruchtbaren Ebenen Oberitaliene niedergelaffen. 
Don hier machten fie ſich den Römern, oft in eignen Kriegen, oft als Soldtruppen 
andrer Völker, nach lange Zeit furchtbar, aber nachtem dieſe den erſten punifchen 
Krieg glücklich durchgefämpft hatten, ſchlug 172 Jahre nach der Einäfcherung 
Roms für fie die Stunde ber Rache. Bergebens riefen fie Eriegerifche Völker von 
ihren Brüdern tiber die Alpen: nach einem 6jährigen Vernichtungskriege mußten 
fich die Reſte diefes Volks den Römern unterwerfen (220 v. Chr.). Zwar verfuch- 
ten fie, als Hannibal das Schreden feiner Waffen bis vor die Thore Roms trug, 
das “Joch wieder abzufchütteln, aber die Römer, endlich auch in diefem Kampfe 
Sieger, nöthigten fie, fih von Neuem zu unterwerfen. 31 %. fpäter (189 v. Chr.) 
traf daſſelbe Schickſal ihre Halbbrüder in Afıen, die Salater, auch diefe wurden be- 
fiegt, und ihre Fuͤrſten (Tetrarchen) zinsbar ; Dejotarus, für weichen Cicero die 
treffliche Bertheidigungsrede hielt, die roir noch befißen, war einer diefer Fürften in 
fpätern Zeiten. Bald überflieg der Ehrgeiz der Römer auch die Alpen; fie hatten 
fi) Spanien unterworfen , und es mußte ihnen viel daran liegen, einen Weg zu 
Lande zu haben, um ihre Truppen bequem Lorthin fchaffen zu fünnen. Durch bie 
Befiegung der Allobrogen und Arverner, welche Letztere damals das berrfchende 
Volk in Sallien waren, untermarfen ſich die Remer in den J. 128—122 den 


füdlichen Theil Safliens von den Alpen bis zu den Pyrenäen längs der ee. Bon | 


der Pracht der Könige der Arverner wird ung feine geringe Befchreibung gemacht; 


fie hielten Dichter an ihrem Hofe, und ein großes Hoflager. Auch wird erzählt, - 


daß fie Hunde fowol zur Jagd als zum Kriege (tie die Spanier in Weftindien) ge: 
Balten hätten. Bald darauf bewegte der Zug der Teutonen und Cimbern, germas 
nifcher Völker, Europa vom fehmarzen Dieere bis Spanien. Diele, befonders 
allifche Völker, von Alters ber mit den Cimbern verwandt und gemifcht, fchlojfen 
han; 4 confulariiche Heere wurden von ihnen nach einander vertilgt. Rom zit: 
terte vor einem Einbruche der Barbaren in Stalien, da rettete Cajus Marius (f. 8.) 
die römifche Republik; in 2 mörderifhen Schlachten, bei Air 102 und Dercelli 
101 v. Chr., vernichtete er dieſe Nationen; ihre Weiber, nachdem fie vergebens ges 
beten hatten, fie den veftalifchen Jungfrauen und ewiger Keufchheit zu weihen, gas 
ben fih und ihren Kindern den Tod. Nur diejenigen Liefer Völker, die, den Aus⸗ 
gang eriwartend, in Öallien zurüd'geblieben waren, entraunen dem allgemeinen Dep: 
derben. 43 J. nach diefer Begebenheit erhielt Cajus Julius Caſar die Statthalters 
: würde (das Proconſulat) über die Sallien benachbarten Landfchaften. Er befchloß, 


fih ganz Sallien zu unterwerfen, und führte dies innerhalb 9 Jahren, 58—50%. - 


Chr. durch 8 fehr blutige Feldzüge aus. Caſar fand Gallien in viele Parteien 
riffen; durch die Anfälle der Germanen, von denen fich ein Haufen unter ihrem Kö: 
nig Arioviſt (Ehrfeft) jenfeits des Rheins niedergelaffen hatte, gefchwächt; viele 
Voͤlker, befonders die Aduer, alte Bundesgenoffen Noms, ihn geneigt. Anfangs 
trat er als Retter und Befreier der Gallier auf, indem er die auswandernden Hels 
vetier in ihr Land zurückzukehren nöthigte, auch den Ariovift nach Deutfchland zu⸗ 
rüdwarf, Später bezwang er die wilden Belgen und trieb einige einwandernde 


“u; 


Gallimathias GBallisin 299 
deutſche Bhlker zur. ‚Hoch aber war der alte Stobeasfinn der Gallier keineslwe⸗ 
Eloſchen, und hatten fie auch nicht mehr den wilden PEN ihrer Vorfahren, fo * 

ren fie deſto geſchickter, in Kriegsfachen Vieles nachzuahmen. hr Freiheitiinn 
wurde empört, als fie fortdauernd römifche "Liunnen in ‚ihrem Rande fahen,. Mey 
‚als ein Dial erlitten die Römer empfindliche Berlufte, Aber Der zer hunyroitvete 
Kriegskunſt und Eifar's Genie und Glüd trugen endlich (nach Aufopferung einer 
Mill. Sallier) den Sieg davon. Der legte allgemeine Anführer der Sutlier, ber 
tapfere Bercingetoriz, mußte ſich 52 v. Chr., nachdem er in der Stadt Alefin 
(ſ. d., jegt Alife, FL. unweit Dijon) eine der merfwürdigften Belagerungen des Als 
terthums ausgehalten hatte, an die Römer ergeben, Einige’ fpätere Aufſtaͤnde wa⸗ 
ren fruchtlos. Caſar vollendete die Unterjochung Galltens, mit deffen Geld und 
Truppen er. fich nachher das ganze römifche Reich untertwarf. Durch Colonien, und 
indem nach und nach mehre gallifche Staaten das römifche Bürgerrecht erhielten, 
wurde die Kerrfchaft der Romer in Gallien befeftigt, und dadurch die früßere Zers 
ſtuckelung des Landes aufgehoben. Tiberius und Claudius unterdrüdten die Nele 
.gion der Druiden, die fich nach Britannien zog, wo diefe-Priefter befonders auf den - 
Eleinen Inſeln an der englifchen Küfte ihr geheimnigvolles Weſen trieben, von wel⸗ 
chem fich wunderbare und ſchreckende Sagen im Alterthum verbreiteten. Doch traf 
auch bald die Britannier das Schickſal, von den Romern befiegt zu werden. Nach 
dem Ausfterben der Familie der Caſaren verfuchten die Gallier noch ein Mal, mit 
Syülfe der Deutfchen, ihre Freiheit wieder zu erlangen, aber vergebens. Sie wurs 
Den bierauf nach und nach alle somifche Bürger und vdllig romanifirt, ſodaß ſelbſt 
ihre alte Sprache, die celtifche, Durch. eine verdorbene Iateinifche Mundart verdraͤngt 
sourde, doch fo, daß viele celtifche Wörter, befonders als Wurzeln, übrig blieben, 
woraus nachher, vermifcht mit fraͤnkiſch⸗ deutfchen Wörtern, die. jeBige franzäfifche 
Sprache entilanden if. Denn im 5, Jahrh. verfiel der buͤrgerliche Bufand gaͤnz⸗ 
lich. Durch die Unterdruͤckung des Mittelſtandes aber in dem römifchen Reiche über: 
Baupt wurde, wie der Untergang des Sanzen, fo auch die Eroberung Salliens durch 
die Franken feit 486 herbeigeführt. Die alte celtifche Sprache lebt noch am reins 
fien, wiewol mannigfach geändert, in dem Salic ber Bergſchotten, oder der erfic 
ſchen Sprache in Irland, die celtifch: germanifche Sprache (der Belger oder Cims 
‚bern) im heutigen Wales, in Cornwallis und in Niederbretagne, ©, „Histoire 
des Gaulnis” .von Amedee Thierry (Paris 1828, 3 Bde.)⸗ oe. 
Gallimathias, Wortgewirr, Unſinn, Kauderwelſch. Der Ausdruck 
ſoll von einem franz. Bauer, Namens Mathias, herkommen, der über einen Hahn, 
lat. Gallun, einen Rechtshandel hatte. Sein Advocat, der vor Gericht nach Das 
maliger Sitte lateiniſch forach, ließ dabei oft die Werte: Gallus Mathiae, der 
Hahn des Mathias, hören, verfprach fich aber einige Mal und fagte Galli Mathias, 
.der Mathias des Hahns. Weil.dies nun keinen vernünftigen Sinn gab, fo nannte 
man nachher jeden finnlofen Vortrag einen Sallimatbias, 
. Sallizin (Galyczin, Amalie, Fürſtin). Diefe durch ihre Seiftesbildung, 
ihre Berbindungen mit Gelehrten und. Dichtern ihrer Zeit, vor Allem aber durch-i 
ven Hang zum Pietismus befannte Frau, T. des ehemal. preuß. Generals, Gra 
v. Schmettau, verlebte einen Theil ihrer Jugend an dem Hofe der Prinzeſſin Fer: 
Dinand,. Gemahlin des Prinzen Serdinand v. Preußen, Bruders Friedrichs LI, Auf 
einer Reife nach Aachen, wohin die Graͤfin Schmettau ihrer Sebieterin folgte, lernte 
fie den ruffifchen Sefandten im Haag, den Fürſten Sallyin, fennen, der, anges 
zogen von den körperlichen und geiftigen Reizen der jungen ‘Dame, ihr bald darauf 
- feine aa reichte. Da ihr Gemahl haufig auf Reifen war, fo wählte die Fur⸗ 
ſtin Münfter zu ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsorte, wo fich derin bald ein Kreis 
ausgezeichneter Menſchen um fie ſammelte, zugleich aber neben dem geiftigen 
Verkehre in wechſelſeitiger Austaufchung von Ideen über Bi und Kunſt, 


bei der reizbarru Frau ſich auch jene fronmmelnden Teridengen ımd jene zuleßt auf 


jagd binauslaufend tigiofe Gefühlsempfindelei einfand, de Voß in 
—— — Srmlberg ein Unfreier?” ſcharf, wiewol nicht urver⸗ 


acoh - * 
ebenſo, daß iht Beiſpiel, als das einer durch Geiſt, Rang und Anmuth gleich ausge: 


zeichneten Perfon, in diefer Hinſicht noch vielfach ſchadlich wirkte und jene Echwels 
‚gerri in religisfen Öefühlen mit hervorrufen half, die feitdem Hier und ta uͤberhand⸗ 
‚genommen bat. “Dies abgerechnet, gehörte die Fuͤrſtin G. zu den verehrumgswerthe⸗ 
fien Perfonen ihres Standes und Sefchlechtes. Für den echten Gehalt ihres Geiſtes 
pr Ber fenfigen Bildung zeugt allein ſchon, daß Männer wie Hamann, Hemiſter⸗ 
is, Jacobi, 
auf kürzere Zeit, ihre Geſellſchafter waren. Beſonders gehörten Hamenn und Hem⸗ 
ſierhuis zu ihren treuefien Sreunden. Der Erfiere flarb in ihrem Hauſe und fand ſ 
letzte Rubeflätte in ihrem Sarten zu Münfter. Wietief übrigens in der letzten Pe⸗ 
riode ihres Lebens der Hang bei ihr wurzelte, ihre Bekannten auf dem Wege zum 
Heil zu führen, den fie ging, bemweift die Außerung Göthe's in der 2. Abth. dus 5. 
Bds. ſ. Biographie („Aus meinem Leben“), nach welcher zu urtheilen, fie es nicht un⸗ 
- gern geſehen haben würde, werner ein gweiter&tolbergim Religtonsabfallgeworden 
‚wäre, Neben diefer Schwärmerei in Neligionsfachen hing die Fürftin G. im Punkte 
‚der: Erzichung fehr dem Rouſſeau'ſchen Natürlichfeitsfpftem an und erzog zufelge 
deſſelben ihre beiden Kinder auf eine ebenfo einfü-“e als forperlidy abhärtende Art. 
(Dan f; Niemeyer, im 3. Bde. ſ. Beobacht. auf Reifen”, S. 271 fg) Die Für: 
‚fin iſt die Diotima, an welche Hemfterhuis u. d. N.: Dioklas, f. in Briefen ver: 
faßte Schrift: „Uber den Atheismus‘, richtete. Sie ftarb 1806 zu Angelmote bei 
Münfter, wo fie in ber legten Zeit ihres Lebens die Sommermonate zuzubringen 
. pflegte. hr einziger Sohn lebt als Diiffionnair in Amerika. Ihre mit dem Fürften 
$ranz v. Salm vermählte Tochter farb den 16. Dec. 1823. S. D. Katerfamp's 
„Dentwürdigfeiten aus dem Leben der Fürftin X. v. Salligin” (Munſter 1828). 
Gallo (Diarzio Maſtrizzi, Marquis v.), ehemals Borfchafter des K. Fer⸗ 
Binand IV. von beiden Eicilien in Wien u. a. a. D., dann Staatsminifter in 
Neapel unter Joſ. Bonaparte und Murat. Ferdinand IV. brauchte ihn bei den 
fehwierigften Unterhandlungen während des Revolutionskrieges. 47195 wurde-er 
zım Premierminifter an Acton’s Stelle ernannt, lehnte aber dirfen Antrag ab, Als 
‚der König von Neapel 1797 feine Bermittelung .zwifchen Dftreich und Frankreich 
‚anbot, wohnte &. den Conferenzen zu Udine bei umd unterzeichnete den 171. Od. 
zu Sampo Formio den zwifchen Ungarn und Böhmen und ter franyı Republik abs 
gefchloffegen Srieden., Sein Monarch benußte abermals f Dienfte 1798, 1799 
und 1800 in wichtigen Berbandlungen mit Frankreich In der Zwiſchenzeit hatte 
er einen Kampf mit Acton zu beftehen, deſſen Syſtem der Strenge er fich widerſetzte. 
As Dicefonig von Sicilien erhielt er den Befehl, daſelbſt nur in Übereinſtimmung 
mit Acton zu handeln. Gegen Ende-1802 ging er als Borfchafter des X. beider 
Sicilien zur'italienifchen Republif, und von da nad Frankreich. Wei der Krömang 
Mapoleons zum König von Italien war er im Mai 1805 in Mailand g i 
und d. 2. Sept. d. J. unterzeichnete er einen Vertrag mit Frankreich wegen Raͤu⸗ 
‚mung des Menpolitanifchen von den franz. Truppen, welcher aber in dem Algens 
blicke der Unterzeichnung ſchon gebrochen wurde. Nach der Landung ber KRuffen 
und Engländer m Neapel nahm er ſ. Abfchied, mußte aber im jan. 1806,- gleich 
nach der Ruͤckkehr des Kaifers, Paris verlaffen: Als Joſ. Bonaparte den Ihren 
‚son Neapel beftieg, ward er von demfelben zum Minifter der auswärtigen: Angeleg. 
‚ernannt.. Er begleitete ihr nach Bayonne, im Diai 1408, und warb. Großdigni⸗ 
sar bes Ordens beider Sicilien, Auch unter Murat blieb er Miniſter der auswoͤrt. 


öthe, Fürftenberg u. A. ihre Freunde und, bald auf längere, bad 


Galmei Galuppr 54 


Angeleg. Als folcher untergichnete er den 11. Yan. 1814 das Bündnis mit Öff: 
reich, worauf die Beindfeligkeiten zwiſchen England und Murat aufhörten. Hier: 
Auf unterzeichnete er d. 3. Febr. zu Neapel einen Vertrag mit Lord Bentink. Auch 
in der vermidelten Lage, in welche Murat durch f. doppelten Abfall, erft von Na⸗ 
poleon, dann von Oſtreich, fich gebracht hatte, blieb er dem Könige treu und diente‘ 
ihm mit Eifer. Den 18. April 1815 begab er fich nach Ancona, wohin bald nach⸗ 
ber Murat  Rüdzug nahm, dem er auf der Flucht nie. Nach der Revolution 
1820 in Neapel beftimmte ihn die nenpolitanifche Regierung zum Miniſter der 
auswärt. Angeleg. und foäter nach Wien, um dem dortigen Hofe über die Revolu⸗ 
tion Neapels und deren Folgen Aufflärung zu geben. Allein in Kingenfurt fand er 
eine Einladung des Fürften Metternich vom 2. Sept. 1820, nicht weiter zu reifen, 
da der Kaiſer ihm keine Audienz ertheilen koönne, weil die neapolitanifehe Revolution 
den focialen Zuftand der jeßigen Tivilifation umgeftürzt habe, weil folche alle Thros 
nen, die alten Drganifationen der Berfaffungen und die Ruhe der übrigen Völker 
bedrode. “Der Maryuis mußte deßhalb nach Bologna zuruckkehren. Mit Schwie: 
rigfeit erhielt er ſpaͤter Erlaubnig, dem Könige nach Laibach zu folgen, Aonnte aber 
feine Abänderung der über Neapel gefagten Befchtüffe des Congreſſes bewirken. 
Der Umfturz der Revolution in Neapel führte den Marquis ins Privatleben zuruͤck. 

Salmei, zwei verfihiedene Mineralfpecies, beides Zinkerze; der Zinffpath 
oder Eohlenfaure Zink, und der eigentliche Galmei oder kieſelhaltige Zink. Erſtee 
rer kryſtalliſirt in Rhomboedern, erfcheint auch rühren: und nierenfürmig, tropfftein: 
artig und derb. Er iſt weiß, gelb, grau, braun, grün von Farbe; glas: und 
perimutterglängend; burchfcheinend bis undurdhfichtig; auseinanderlaufend faferig 
im Gefüge, uneben grobförnig im Bruch. Wird durch Reibung negativ eleftrifch; 
befteht aus Zinkoxyd, Kohlenſaure umd Warfer. ft in Altern und neueru Gebir⸗ 
gen auf Erzlagerflätten zu Haufe, befonders in der Gegend von Aachen, in Schle⸗ 
fien, England und Sibirien. — Die 2. Species, der eigentliche Galmei, erfcheint ' 
in rhombifchen Prismen und hat übrigens gleiche äußere Kennzeichen mit dem vori: 
gen. Er ift meift immer im elektrifchen Zuftande ımd beſteht aus Zinforyd, Kie⸗ 
fe und Waffer. Er wird in der Nähe von Heidelberg, zu Brilon und Iſerlohn in 
Weſtfalen, in Tirol, Karnthen, Polen, Sibirien u. f. w. auf Gängen im Thon: 
ſchiefer gefunden. — Beide Species dienen nicht allein zur Darftellung des meiften 
metallifchen Zinks, welcher in den Handel fommt, ſondern auch unmittelbar nebſt 
dem Kupfer zur Fabrication des Meſſings (ſ. d.). 

Galuppi Galdeſſaro), Tonkünſtler, auch Buranello genannt, von 
Burana, einer Inſel bei Venedig, wo er 1703 geb. wurde. Er lernte die Elemente 
f. Kunft bei f. Bater, nachher in dem Confervatorio begli Incurabili. Der bes 
rühmte Lotti war fein erfter Lehrer im Tontrapunft. Sehr jung war er ein ferti- 
ger Elavierfpieler und gab Proben ſ. Genies für die Compofition. . Noch nicht 20 
3. alt, lieg er zu Denedig f. erfle Oper: „Gli amiei rivali”, aufführen. Die 
ungunſtige Aufnahme bewog ihn, die ihm vorgemorfenen Fehler für die Folge zu 
Vermeiden. Er machte fo reißende Fortfchritte, dag er fih in. Kurzem faſt aller 
Theater Italiens bemächtigte. Er wurde Capellmeiſter von St.Marcus, Orga⸗ 
nift mehrer Kirchen und Lehrer am Eonfervatorio degli Incurabili. In einem Als 
ter von 63 J. ward er als erſter Sapellmeifter mit einem Jahrgehalte yon 4000 Ru: 
bein, wozu noch freie Wohnung und Equipage kam, nach Petersburg berufen. Die 
erfte Oper, die er dort von f. Compoſition gab, war „Widone abbandonata“; 
die legte „pbigenia in Tauris”. 17768 Eehrte er nach Venedig in den Schaf f. Fa: 
milie zuruͤck ‚zugleich um f. dortigen Amter wieder zu verwalten. Mit ungeſchwaͤch⸗ 
ter Phantafie feßte er f. Arbeiten bis an f. Tod fort, im Jan. 17185. Man be: 
hauptet, daß der Geiſt, Geſchmack und Ideenſchwung, welche er in f, legtern Opern: 
ud Ki entfaltet, Alles, was er früher herausgegeben, übertreffe 


\ \ 


502 Ä Galvani Galbvanismus 


Einyfne Minigel is Anfehung der Reinheit der Compofition werden durch NE 
Eigenthfimlichkeit der Ideen und die Schönheit f. Melodien aufgewogen. Seine 
Opern, deren Zahl fich beinahe auf 50 beläuft, gehören faft alle zur komiſchen Gat⸗ 
sung, bie er befonders liebte, und in ber er unerfchöpflich an Werdungen und Eins 
füllen war. Aber auch f. heroifchen Opern und f. Kirchencompofitionen en 
Arien und Chore voll Feuer und Ausdruck. . 
Galvani (Aloifie), geb. zu Bologna d. 9. Sept. 17137, fludirte die Me⸗ 
dicin, und trat mit Auszeichnung in diefe Laufbahn, indem er 17162 eine Theft 
über die Natur und Bildung der Knochen vertheidigte. Mit Vorliebe witmete er 
fich ber Anatomie und Phyſiologie. Bald befam er den Auftrag, die Anatomie is 
dem berühmten Inſtitut f. Baterlands zu lehren, und gab eine anziehende Abhand⸗ 
fung über die Uringefäße der Vögel heraus. Der Beifall, den diefe Schrift erhielt, 
führte ihn zu dem Entfchluß. die vollfiändige Phyſiologie der Vögel zu bearbeiten; 
allein er befchränfte fich auf eine Unterfuchung der Gehoͤrwerkzeuge. Der Zufall 
führte ihn Hierauf zu der Entdedung mehrer Erfcheinungen, die einen neuen Zweig 
der medicinifchen Phyſik bilden und nach ihrem Erfinder Salvanismus (f. d.) 
Benannt worden find. Auf einer Reife, die er nach Sinigaglia und Rimini machte, 
war er auch fo glüdlich, der Urfache der bei dem Krampffiſche fich zeigenden elektri⸗ 
ſchen Erfcheimungen auf die Spur zu fommen, und ſchrieb eine Abhandlung darüber. 
Einfach inf. Sitten und Wunſchen und mit einem natürlichen Hange zur Melancho⸗ 
Sie, mied er zahlreiche Sefellfchaften. Der Berluft f. geliebten Sattin 1790 machte 
ihn troſtlos. Die Revolution nahm ihm, weil er aus Gewiſſenszweifel den Beam⸗ 
teneid nicht leiften wollte, f. Amt. Er zog fich aufs Land zurüd und flarb d. 4. Dee. 
41798. In Rom wurde eine Medaille mit j. Bildniffe gefchlagen. 

— Salvanismus In dem Hörfaale Galvan?s zu Bologna fland eine 
Elektrifirmafchine, aus welcher einer f. Zuhörer zufälligermeife Funken lodte, wäh: 
rend ein andrer einen Froſch präparirte und die Schenkelnerven deffelben entbloßt 
batte. Bei jedem Funken gerieth der Frofchfibenfel in Zudungen. Galvani 
glaube in diefer Damals garız neuen Erfcheinung einen Fingerzeig zu fehen, daß die 


eftricität das Mittel fei, welches die Muskelbewegung hervorbringe. Er vers . 


Igte Diefe Berfuche mit präparirten Fröfchen eifrig, verfuchte auch, atmofphärifche 
ektricität auf fie einwirken zu Iaffen, wiederholte die Verfuche, welche glüdten, 
mit präparirten Muskeln andrer, zum Theil lebender Thiere, und 309 aus diefem 
Allen den Schluß: jeder Muskel des thierifchen Körpers fei eine eleftrifche Batterie 
im Kleinen, und jede Muskelfaſer ftelle eine Kleiſt'ſche Flafche vor, deren Snnerem 


Die Nervenfaͤden Eleftricität zuführen. Diefe Eleftricität werde während des lebens 


den Zuftandes ununterbrochen in dem Gehirne erzeugt, firöme von dort durch die 
Merven dem Innern der Muskeln zu, und lade fie, welche Ladung fie auch nach 
Thdtung des Thieres eine Zeit lang behalten follen. Werden die äufern Theile des 
Anuetels und der Nerv durch einen oder mehre die Eleftricität leitende Körper in 

bindung gefeßt, fo entlade fich diefe thierifche Eleftricität; und ſowie eine gloͤ⸗ 


[eene Derflärfungsflafche beim Entladen erfchüttert werde und tone, fo Eomme auch - 


Muskel durkh das Entladen zum Zucken. Galvani nannte daher das Wirkungs⸗ 
mittel in diefen ſ. Berfuchen thierifche Elektricität und machte fie 1791 in ſ. Werke 
über die Muskelbewegung bekannt. Der berühmte Phyſiker Volta aus Como, 
Dro . der Phyſik zu Pavia im Mailändifchen, zeigte indeß bald Durch entfcheidende 

erſu 


che, daß Galvani, durch unvollſtaͤndige Verſuche verführt, eine unhaltbare 


Lehre aufgeſtellt habe, und daß es keine thierifche Elektricitaͤt gebe, wie er fie ſich ges 
dacht babe. Sind Stern und Muskel des präparirten Srofches ganz rein und blut⸗ 
leer, und feßt man fie durch einen Dietallbogen, der durchgingig gleichartig ift, mit 
einander in Berüßyrung, fo erfolgt Feine Zudung, obgleich auch in diefem Falle bie 
thieriſche Elektricitäg des Muskels entladen werden müßte, Wenn man dagegen 


pr u — — — — 


Galvanlsmus 608 


nwei Stellen des entblögten Nerven mit verfchiedenartigen Metallen berührt, 4. B. 
mit Süber und mit Eifen, fo erfolgt im Augenblide, in welchem man dieſe in Bes 
rübrung feßt, heftige Diusfelbemegung, indeß fie nach Salvan?s Theorie in dieſem 
Falle nicht erfolgen follte, da man bloß 2 Stellen des Leiters, der zum innern 
Belege der Muskeln führt, in feltende Verbindung gefebt hat. Ebenfo erfolgen 
Zudungen, wenn der entblößte Muskel mit dem einen, und eine Stelle des Ner⸗ 
ven mit dem andern der beiden verfchiedenartigen, einander berührenden Metalle bes 
rüßrt werden. Dem zufolge fchien dieſe Wirkung aus den verfchiedenartigen Me⸗ 
tallen zu entfpringen, und Einige nannten fie deßhalb Metallreiz. Es gelang indeß 
Hrn. Volta darzuthun: 1) daß, wenn man durch, den Nerven eines frifch prüpa= 
rirten Froſchſchenkels eine fo geringe Maſſe von Elektricitaͤt durchſtroͤmen läßt, welche 
das empfindlichſte Eleftrometer noch nicht in Bewegung zu feßen vermag, doch der 
Schenkel durch fie in heftige Zuckungen verfeßt wird; und 2) dag, fo oft zwei vers 
fehiedenartige Metalle mit einander in Berührung gebracht werden, durch diefe Bes 
rübrung ihr eleftrifches Gleichgewicht aufgehoben, und das eine pofitiv, das andre 
negativ elektrifch wird. Daraus fehloß er mit Recht, die Durch zwei verfchiedenars 
tige fich berührende Metalle erregte Eleftricität fei es, welche bei ihrem Durchſtroͤ⸗ 
men durch den entblößten Schenkelnerven des Srofches (welcher abet als bloßet In⸗ 
Bicator jener Materie erfcheine) diefen in Zuckungen bringe, fo lange die Reizbarkeit 
des Froſchpraͤparats nach dem Tode noch nicht ganz erlofchen iſt. Galvani's vors 
gebliche thierifche Efektricität, oder wong Andre Galvanismus genannt hatten, fet 
alfo nichts Andres als Eleftricttät auf eine neue, bis dahin ganz unbekannte Art, 
nämlich in der Berührung Aneier verfchledenartiger Metalle oder überhaupt zweier 
Leiter erregt. Salvanifche Elektricitaͤt fcheint daher, wenn man nicht der am Schluß 
d. A. gewählten Benennung den Vorzug geben will, auch der ſchicklichſte Name für 
fie. Berhältnigmäßig die fiärkfte Eleftricität erregen in ihrer Berührung Zinf und 
Silber, daher man diefe Metalle, oder in Ermangelung des Silbers Zinf und Ku⸗ 
pfer, zu Erregern bei den galvanifchen Berfuchen zu nehmen pflegt. Die Wirkun⸗ 
gen, twelche zroei folche Erreger hervorbringen , machen den einfachen Galvanismus 
aus. Der Entdecker des verftärften Galvanismus ift Volta, Nimmt man mehre 
Paare folcher Erreger, z. B. Zinf: und Kupferplatten von gleicher Größe, wo in 
jedem der Zinf nach einerlei Seite, z. B. unten, das Kupfer oben liegt, und baut 
aus ihnen eine Säule auf, indem man jedes Plattenpaar mit den nächflfolgenden 
durch einen poröfen, in Salzwaſſer oder in fehr verdünnter Säure getränkten Kür: 
per (u B. Platten von Pappe oder Tuch) verbindet, fo zeigt eine folhe Säule an 
ihren Enden in dem Grade, in welchem der Plattenpanre mehre find, flärfere elek⸗ 
trifche Spannungen, als ein einzelnes Plattenpaar; 3. B. eine Säule von 100 
Piaitenpaaren an dem Zinkende eine 100 Mat ſtaͤrkere pofitive, und an der dem Sils 
berende eine 100 Mal flürfere negative Elektricität, als ein einziges Plattenpaar. 
Man nennt eine folche Säule die eleftrifche, oder zur Ehre ihres Erfinderg die Vol⸗ 
ta’fche Säule. Dem Apparate laffen fich noch andre Seftalten geben; dahin gehd- 
ren der Becherapparat, der.galvanifche Trogapparat, der Zellenapparat u. dgl. m. 
Man hat fie in außerordentlichen Größen ausgeführt, Ei von 2008 Plattenpaa⸗ 
ren Zink und Kupfer, auch von fehr großen Flächen. Volta nennt afle diefe Appas 
rate Fleftromotore; Andre haben fie galvanifche Batterien genannt. Sie geben 
eine Menge überrafchender Erfcheinungen eleftrifcher, chemifcher und phyſiologiſchey 
Natur, durch welche unfere Kenntniffe außerordentlich ervocitert worden find. (5, 
Gilbert's „Grundriß der Naturlehre”, Leipzig 1813.) Hier Eönnen nur einige der 
vorzüglichften diefer Erfcheinungen angedeutet werden. Berührt Jemand die bei: 
den Enden der Säule mit ganz trodenen Händen, fo empfindet er nichts, indem 
das nicht leitende Oberhäutchen der Haut, wenn es troden If, die Einmirfung ver: 
hindert. Hat er die Reigefinger der beiden Hände genägt und berührt mit dein einen 


\ 


506. | Gama (Vasco be) 


das Zinkende, mit dem andern das Kupferende der Säule, fo erhält er einen Schlag, 
der ‘bis über die Handmwurzel hinausgeht. Hat er beide Hände mit Salzwaſſer ge: 
örig genäßt, faßt mit ihnen große Deetallftübe und berührt mit diefen die beiden 
nden der Säule, fo gehen die Schläge bis in die Schultern, und er ift unvermögend, 
die Arme ftill zu halten. Bringt man das eine Ende der Säule mit einem Theile 
des Kopfes in Berührung, während man mit naffer Hand das andre Ende der 
Säule berührt, fo fieht gan Blitze vor den Augen und fühlt auf der Zunge einen 
Geſchmack. Führt man von den beiden Enden der Säule Gold: oder Platindraͤhte 
in ein Sefüg mit Waſſer, fo wird das Waſſer fogleich in die beiden gasförmigen 
Körper zerſetzt, aus denen es befteht. Haben die Platten große Oberflächen, und. 
iſt ihre Anzahl nicht unbedeutend, fo entfteht in dem Augenblide, in welchem man 
die beiden Enddrähte mit einander in Berührung bringt, eine fo große Hiße, daß 
Eleine Metaltmaffen, 3. B. Gold: und Silberplättchen, Eifen: oder Platindraht, 
dadurch nicht bloß geſchmolzen, fondern felbft mit dem hellſten, zum Theil farbigen 
Richte verbrannt werden. Koblenftreifen laffen fich auf diefe Art unter Waſſer weiß: 
* glühend machen. Durch die Kraft mächtiger galvanifcher Apparate find von Davy 
in London zuerft die Alfalien und Erden zerfeßt, und die Metalle, aus denen dieſe 
Körper befteben, dargeftellt worden u. dgl.m. Es verdient noch bemerft zu wer⸗ 
den, daß die neuern franz. Maturforfcher dem Salvanismus den Namen „Flectri- 
eite daveloppe par le contact‘ (Berührungselefrricität) beilegen, welche Benens 
ung, dafie zugleich den erften Grund der Erfcheinung (die durch nichts ale die bloße 
erübrung beterogener Körper bedingt wird) angibt, wol unter allen den Vorzug 
verdienen möchte. (Bol. Hrſted und Magnetismus.) ©. Ampere's und Ba: _ 
biner’s „Darftellung d. neueften Entdeck. über d, Elektricitaͤt“, a. d. Franz. (Lpzʒ. 
1822). Das Allgemeinfte der galvanifchen Theorie erläutert vortrefflich Biot in 
f Lehrb. d. Experim.⸗Phyſik“, 3. Aufl., deutſch durch. Fechner (2pz. 1814), im, 
15. Cap. 4. Buches: „Won der Elektricitätserregung durch Berührung”; auch 
KRösling’s Werk: „Der Salvanismus“ (Ulm 1824, 2 Thle.). U. 
SamalDBasco de), geb. zu Sines, einer Eleinen Seeftadt in Portugal, 
aus einem edeln Sefchlechte, machte die für den Gang des Hantels und felbft für 
die Bildung und die Staatenverhältniffe Europas hochmwichtige Entdeckung des Sees 
weges nach Oftindien, wodurch er den Grund zu ‚Portugals Hantelsmacht in dem 
indifchen Meere legte. Als der Zögling Heinrichs des Seefahrers, Emanuel der 
Gluͤckliche, den Thron beftiegen hatte, übernahm er die von feinem Vorfahren, Jo⸗ 
Bann 11., eifrig vorbereitete Ausführung des Entwurfs, um das Vorgebirge der 
gie Hoffnung, das Barth, Diaz 1486 entdedt hatte, nach Indien zu fegeln. 
r rüftete 4 mit 160 Soldaten und Seeleuten bemannte Schiffe aus, zu deren Ber 
fehlshaber er den &, ernannte. Emanuel übergab ihm feierlich Die Fahne, die er 
mitnehmen follte; es war das Kreuß des Chriſtordens, deffen Sroßmeifter Hein: 
rich der Seefahrer gewefen, darauf geftidt, Am 9. Juli 1497 beftieg ©. das Ads 
miralſchiff, das den Namen des heil. Gabriel führte. Sein Bruder Paul hatte den 
Oberbefehl iiber dag zweite, und Nicolaus Coelho über dag dritte Kriegsfchiff. Das 
vierte, eine Barke mit Rebenemitteln, führte Sonzalo Nuñetz. Am 20. Nov. ums 
ſchiffte ©. dag Vorgebirge der guten Hoffnung, Anfang 1498 fam er an die Oft: - 
Eufte von Afrika, und am 1. März lief er in den Hafen von Mozambique ein, wo 
feine Mannſchaft in große Gefahr gerieth, als verlautete, daß die angefommenen 
Fremdlinge Chriften waͤren. Sein Gefchüß rettete ihn. In Mombaza ward er 
ebenſo feindlich behandelt; defto freundlicher nahm ihn der König von Dielinde auf. 
Er gab dem Admiral einen der Schifffahrt Eunigen Mohammedaner aus Guzerat 
und einen erfahrenen Piloten. Gerade auf die Kuͤſte von Malabar fleuernd, kam 
G. im Dei, zu Anfang des Winters in diefer Weltgegend, in Calcutta, einer, 
von Dindus bewohnten Stadt, an; wo der Beherrfcher des Landes, den man Bas: 


N 


Sana (Bat de) | 203 


morin/d. i. Oberfbuig uber Raifer, nannte, feinen Sig hatte. "8. wurde vom 
Demfelben anfangs fehr freundlich aufgenommen. Allein die mohammedaniſchen 
Kaufleute, welche Calcutta häufig beſuchten, mußten aus kaufmaͤnniſcher Scheel⸗ 
ſucht das gute Vernehmen zu foren. ©. flellte «8 jedoch durch fein entſchloſſenes 
und Fluges Benehmen wieder ber. Der Zamorin fandte hierauf dem Admiral eis. 
nen Brief an den K. Emanuel, ©. nahm einige Indianer mit, um diefen Fremd: 
lingen feine Heimarh zu zeigen. Auf der Ruckkehr befuchte er wieder den König- 
von Melinde. Nicolaus Coelho fegelte den übrigen Cchiffen voran und erfchien. 
zuerft im Hafen von Liffabon, wo bald nachher auch ©. einlief, als er feinen Bru— 


der Paul, der an einer Krankheit geftorben war, auf der Inſel Tercera begraben. 


hatte, Zwei Fahre und zwei Monate hatte er auf feiner Reife zugebracht; von 160: 
Gefährten Eehrten nur 55 mit ihm zurüd. Mach feiner Ankunft in der Hauptſtadt 
brachte er eine Woche mit Andachtsübungen in dem Klofter zu, welches der Infant 
Heinrich erbaut hatte, Der König lieg ihn durch einige der erften Maͤnner von ſei⸗ 
nem Hofe begrüßen, und als Masco darauf feinen feftlichen Einzug in die Stadt- 
hielt, wurden ihm zu Ehren öffentl. Luſtbarkeiten angeftellt. Emanuel ertheilte allen 
Seführten des fühnen Seefahrers Belohnungen; Vasco felbft erhielt für fich und 
feine Nachfomsıen den Ehrentitel Dom, die Würde eines Admirals der öftlichen 
Meere und 3000 Dukaten Einf.; ein Theil des Reichsmappens ward in fein Ges. 
ſchlechtswappen gefeßt und ihm erlaubt, bei jeded Reife nach Indien 200,000 Erw: 
ſados auf eignen Gewinn einzulegen. Einige Zeit nachher verlieh er ihm noch die: 
Würde eines Strafen von Vidigueira. Der Eıfolg diefes Unternehmens verfprach 
fo glänzende Vortheile, daß alle Gegner der Entdeckungsreiſen umgeflimmt wurden. 
Bald nah G.'s Rückkehr fandte der König Emanuel ein Sefchroader von 13 Se. 
geln unter Pedro Alvarez Cabral nach “Indien, Es murden Bündniffe und Handels: 
verträge mit indianifchen Fürften abgefchloffen, und Cabral's Geſchwader kam, fo- 
wie ein Eleineres unter Juan Coelho, mit reichen Waarenladungen nach Portugal: 
zurüd. Nun erwachte unter allen Ständen der regfte Eifer, bei dem Handel nach 
Indien zu gewinnen, und der Hafen von Liffabon füllte fid mit fremden Schiffen, 
welche ie Waaren des Morgenlandes ahholten. 1502 ging auch ©, als Befehls⸗ 
haber eines neuen, von dem König ausgerüfteten Geſchwaders von 20 größen Schifs 
fen zum zweiten Male nach Indien. Als er auf diefer Fahrt den feindlich gefinnten 
König von Quiloa zinsbar gemacht hatte, fleuerte er gegen die indifche Küfle, wo: 
er die durch Cabral gefchloffene Verbindung mit den Rinigen ven Kananor und Kos 
him, welche gegen den Zamorin aufgebracht waren, rioch mehr befeftigte. Letzterer. 
Batte feit G.'s erfter Reife die Europäer feindfelig behandelt, und es waren während: 
Cabral's Anweſenheit in Indien 40 Portugiefen in Calcutta getödtet worden, indem 
Das Volk, durch die Ranke der Mohammedaner aufgereizt, das Factoreihaus der 
Fremdlinge flürmte. ©. befchloß nun, den Zamorin zu züchtigen, Er erfchien an 


der Kuͤſte von Calcutta, und, die friedlichen Vorſchlaͤge des beftürzten Königs nicht. 


achtend, griff er die Schiffe an, welche im Hafen lagen, und ließ die Stadt befchies 
Gen. Die Kugeln feines Sefchißes verbreiteten Schredten und Verwuͤſtung in der 
Stadt. Zugleich ließ er 30 gefangene Araber an die Segelftangen aufhängen und 


ſchickte darauf die abgefchnittenen Köpfe, Hände und Füße derfelben dem Könige. 


Darauf befuchte er mit f. Geſchwader den verbündeten König von Kochim, wo er 
Abgeordnete von den in der Nachbarſchaft wohnenden Anhängern des chriftk Glau⸗ 
"ben, den fogen. Thomaschriften, erhielt, noelche ihn um Schuß gegen’ die Heiden 
Daten. Auch erfchien hier vor ihm ein angefehener Bramine, von 2 Verwandten 


begleitet, und verrietb den Wunſch, mit ibm nach Portugal zu reifen, um fih im - 


chriſtl. Glauben mterrichten zu Taffen. Einige Tage nachher wußte derfelbe ihn zu, 
überreden, daß durch ſ. Vermittelung die Streitigfeiten der Pprtugiefen mrit Dem, 
Bamorin ausgeglichen werden Eönnten. G. ließ ſich deſto Jeichter Kulm, da der 


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506 Gambe Gang 


Bramine ſ. Sohn und f. Neffen ihm als Unterpfänder ſ. Aufrichtigkeit übergab. 
Er übertrug den Oberbefehl des Geſchwaders einem erproßten Anführer und fegelte 
mit dem größten f. Schiffe und einer Karavelle nach Calcutta, in der Hoffnung, fich 
unterwegs mir Vincent Sodre, der die Abgeordneten der indifchen Chriften in ihre 
Heimath zurüdgebracht hatte, zu vereinigen. Es zeigte fich aber bald, daß ihn der 
Bramine bintergangen hatte. Doch auch dies Mal rettete ihn feine Entfchloffenheit 
vom Untergange. Er rächte die Bosheit, Lehrte nach Kochim zurück, richtete bier _ |; 
eine Factorei ein und fegelte mit 40 Schiffen nach Kananor. Da griff ihn das 
Geſchwader des Königs von Salcutta, aus 29 Schiffen beftehend, an. ©, trieb 
aber bald die feindlichen Schiffe in die Flucht. Unter der reichen Beute, welche die 
Portugieſen auf den eroberten Fahrzeugen machten, war auch ein Eoftbares Soßen: 
bild von Gold, mehr als 30 Pfund ſchwer, von abenteuerlicher Seftalt. G. trat 
- darauf die Ruͤckreiſe nach Liffabon an; wo er mit reichbeladenen Schiffen anfam, 
Bei ſ. feierlichen Einzuge ward in einem filbernen Beden der Tribut des Beberr: 
fgers von Quiloa vor ihm bergetragen, vooraus K. Emanuel eine Foftbare Mon⸗ 
ſtranz machen ließ, welche er dem Klofter zu Belem (Bethlehem) ſchenkte, das er, 
In der von Heinrich dem Seefahrer errichteten Eleinen Sapelle, erbaute, um das 
ndenfen des großen Urhebers der neuen Laͤnderentdeckungen zu verewigen. rang 
de Almeida und der große Albuquerque hatten Portugals Macht in Indien glorreich 
befeſtigt, als G. von Emanuels Nachfolger, Johann IN., noch en Mal auf den - 
Schauplatz feiner ruhmvollen Thaten gefantt ward. Er follte als Vicefönig die 
Dermaltung der Anfiedelungen übernehmen, welche ſchon vom perfifchen Meerbu: 
fen bis zu den moludifchen Inſeln reichten. Mit 14 Fahrzeugen fegelte er 1524 
ab, Gleich nach f. Ankunft befuchte er einige Eleine Anfiedelumgen und traf kraͤf⸗ 
tige Vorkehrungen zum Schuße derfelben und zur Erhaltung des Anſehens der por: 
_tugiefifchen Waffen unter den Eingeborenen; aber mitten unter den Siegen, welche 
f. Geſchwader erfochten, als er kaum 3 Monate fein Amt verwaltet hatte, erlag er 
den Schwächen des Alters und flarb am 24. Dec. 1524 zu Son. 
Gambe (ital, Viola di Gamba, franz. Basse de Viole), Kniegeige, Bein: 
eige, ein veraltetes Saiteninftrument, deffen Bauart, Ton und Behandlung viel 
Fönlichkeit mit, dem Violoncell hat, nur dag es 5-6, wol auch 7 Saiten hat; 
Die Stimmung von der- Höhe nach der Tiefe zu iſt D, G, c, e, a, d. Es iſt zuerft 
in England aufgefommen, nachher aber in SYtalien, Frankreich und Deutfchland 
. eingeführt worden, und bat befonders bei den Sranzofen viel Liebhaber und Virtuo: 
fen gefunden. Bei Soncerten diente biefes Inſtruinent ehedem fehr zur Verſtaͤr⸗ 
kung des Baffes; allein feitdem man dem Violoncell mehr Vollkommenheiten ges 
geben bat, ift jenes ziemlich außer Gebrauch gefeßt worden. Einer der berühmte: 
ſten deutfchen Gambiſten war Ernft Chriftian Helle. Dean hat übrigens auch ein 
Drogelregifter, welches diefen Namen führt, auch gibt es eine befondere Art von 
Elavier u. d. N. Gambenwerk oder Geigenclavichmbel, gegen 1600 von Hans 
Hayden, einem Tonkuͤnſtler zu Nürnberg (geft. 1613), erfunden. 

Sanerben (von dem alten. Worte San, gemein, und Erben, Herren) 
Bießen in dem mittlern Zeitalter, befonders in den Seiten des Fauſtrechts, diejeni⸗ 
gen Familien, roelche fich zur gemeinfchaftlichen Vertheidigung ihrer Güter in einem 
gemeinfchaftlichen Schloffe (Sanerbenfchloß oder Haus) vereinigten, wobei fie zu: 

gleich unter einander über den Mitbeſitz jener Güter übereinfamen und ihre Gren⸗ 
zen beftimmten, roelche Verträge der Burgfriede genannt wurden. Syn der Folge, 
als nach und nach das Fauftrecht aufhörte, erloſchen auch allmälig die Ganerbſchaf⸗ 
‘ten, und nur in einigen Gegenden bezeichnet der Name Ganerbe einen Mite 
oder Mitbefiger, der mit Andern an einem Gute Antheil hat, Die anfehnlichfte 
.Gaanerbſchaft war noch in der legten Zeit die Burg Friedberg, ° 
Sarg; 'f Geognoſie. Dee | IS Bene | SEE Zu ' 





' Ganganelii Sint 50% 
"Ganganellt,f Elemens XIV. 0 
Ganges, der heil. Fluß der Hindus, ſ. Afien und Hindoflan, An 
verſchiedenen Tagen ift es firenge Pflicht, fi im Ganges oder wenigſtens in feinem 
Waſſer zu reinigen, und Almofen auszutheilen. Die Indier glauben, er entfpringe‘ 
unmittelbar aus den Füßen des Brama und habe vermäge feines heiligen Urfprungs 
große Wunderkraͤfte. Wer an feinem Seftade ſtirbt und vor dem Tode noch von 
feinem heiligen Waſſer trinkt, braucht nicht roieder in die Welt zurüdzufonmen, 
um ein neues Leben anzufangen. Sobald daher ein Kranker von den Arzten aufs 
gegeben ift, eilen die Verwandten, ihn an das Ufer des Ganges zu bringen, um ihm 
son feinem Beil. Waſſer einzuflögen oder ihn im daffelbe zu tauchen. Die, welche 
m meit von ihm entfernt wohnen, bewahren befländig etwas von diefem koſtbaren 
Waſſer, welches daher in Indien einen bedeutenden Handelsartifel abgibt, als ein 
großes Heiligthum, in Eupfernen Flaſchen, damit es ihnen in der Todesſtunde ges 
reicht werden künne., Auch hebt man von den Todten, wenn fie verbrannt find, 
bie übriggebliebenen Knochen und Die Afche forgfältig auf, bis fich eine Gelegenheit 
findet, de in den Ganges werfen zu Taffen. M. 
Ganglienfy ſtem begreift ſammtliche Nerven im thieriſchen Körper, 
welche ihre Vereinigungspunkte in den Nervengeflechten und Nervenknoten (Gang⸗ 
lien) des Unterleibes haben und von da ſich mit den Blutgefaͤßen in alle Organe 
der Verdauung, der Abſonderung und Ernährung begehen, fich folglich durch den 
ganzen Körper in die Regionen verbreiten, welche der Erhaltung (der Reproduction) 
zugewandt find. Dan kann es deßhalb auch das reproductive Nervenſyſtem nen⸗ 
nen. Die phyſiſche bildende Kraft des Organismus hat ihren Sig im Sanglien: 
fofteme; die Nervenkraft deffelben iſt daher zur Beberrfcherin aller zur Bildung und 
Erbaltung des lebenden Körpers gehörigen Sunctionen anzunehmen. “Die vorzuͤg⸗ 
tichften Organe diefer Fumctionen haben deßhalb auch ein zu ihnen gehüriges eignes 
Netz von Nervenknoten, die durch divergirende Nervenfaͤden mit einander zuſam⸗ 
menhängen. Das bedeutendfle, gleichfam alle übrige beberrfchende darunter iſt 
das in der Gegend der, Herzgrube zunächft unter dem Zwerchmuskel hinter dem. 
Magen befindliche, welches man deßhalb auch das Sehirh des Unterleibes, das 
balbmendförmige Knotennetz oder das Sonnengeflecht nennt. Außer diefem haben 
noch die Leber, der Magen, die Milz, die Nieren, die Sedärme, die Eingeweide 
des Beckens, bie Lungen umd das Herz befondere Nervengeflechte, die jedoch mit 
einander in Berbindung ſtehen. Diefe Verbindung unter einander ſowol als mit 
dem Rückenmark und dem Gehirn (dem Bertebraf: und Cerebralſyſtem) wird durch 
den großen fompatbifchen Nerven vermittelt, welcher auf beiden Seiten der Wirbel: 
fäule von dem obern Theile des Halfes durch die Bruft und den Unterleib bis in das 
Becken herab und mit Mervenfüden aus dem Gehirn und aus dem Ruͤcken⸗ 
marfe, und mit den genannten Geflechten zuſammenhaͤngt. Die Nerven des. 
Sanglienfoftems weichen von denen des Terebral: und Vertebralſyſtems in Anſe⸗ 
bung der organifchen Maſſe und Bildung bedeutend ab, fie find weich, gallertartig, 
grangelb und röthlich, nicht in regelmäßiger Symmetrie verbreitet, fondern regellos 
und jerfireut, die Sortfegung deffelben bilden Netze und Seflechte um die Arterien, 
vervielfültigen fich mit deren Vertheilung und begleiten fie bis in ihre feinften Der: 
zweigungen in die Haargefaßbildung. Durch die Nerven des Ganglienſyſtems ers 
halt die Seele eine dunkle JBahrnebmung von ihrem Körper, (©. Gemeinge⸗ 
fühl, Nerven und Senfibilität,) H. 
Oangräna, der heiße Brand, mo In den abfterbenden Stiedern noch Em: 
pfindung, Bewegung und Wärme iſt. (S. Brand.) 
Gant oder Bergantung (vom lat. quanti, wie theuer), im füblichen 
Deutfchland, der Mffentliche Verkauf, welchen die Obrigkeit mit den Gütern eines 
verfehuldeten Unserthanen vornimmt; auch der Concurs des Schuldners ſelbſt. — 


\ 


808 Ganymedes Gaarcilaſo dein Vega 
Santhaus, ein Nerſteigerunachaus. — Santmann, der Eoncursfihufb: 
nee. — Santmeifter, der Verſteigerer, Auctionator, — Gantproceß, der 
Eoncursproceß, — Gantrecht, das Recht, nach welchem der Concurs eröffnet 
wird. — Santregifter, das Verzeichniß derjenigen Sachen, die dffentlich vers 
fleigert werden foflen; der Auctionskatalog. " 
Ganymedes, ein Bohn des Tros und Urenkel des Dardanus, des erften 
Stifters von Troja, und der Kallirrhoe, der Tochter des Skamandros. Er wer 
— ber Schönfte der fterblichen Erdbewohner; 

n auch rafften die Goͤtter empor, Zeud Becher zu füllen, 

gen der fhönen Geſtalt ben Unfterblichen zugefellet. 
Jupiter entführte ihn unter der Geſtalt eines Adlers vom Berge Ida und trug ihn 
zum Wohnfiße der Sötter empor. Hier lebte er in der Geſellſchaft der nfterblichen, 
und fein Geſchaͤft war, an ber Tafel der Götter den Nektar einzufchenken, da Hebe 
fich diefes Amtes verluſtig gemacht hatte, Dichtern und Bildnern bat dieſer Mythus 
reichen Stoff zur Behandlung gegeben. Wir haben in Gemälden, Statuen, Cameen 
und Intaglios noch Meiſterſtuͤcke übrig, welche diefen fehönen, eben aus dem Knaben⸗ 
alter getretenen Juͤngling in reigender Anmuth darftellen, Man erkennt die Abbilduns 


gen des Ganymedes an der phrugifchen Muͤtze und an dem bei ihm befindlichen Adler, 


der entweder neben ihm fieht oder ihn ergriffen hat, um ihn zum Olymp zu führen. 
Garat. I. Dominique Joſeph, Graf, geb. 1760 zu Uftariz bei Days 
onne, hatte fich als privatifirender Gelehrter durch eine Eloge von P’ Hospital vors 
theilhaft befanntgemacht, alser Mitglied der conftituirenden Verſammlung wurde, 
nach deren Auflöfung der Strudel der Revolution auch ihm mit fich fortzog. Er trat 
in den mannigfachiten Verhältniffen in derfelben auf. 17192 erhielt er als Juftizs 
minifter den Auftrag. Ludwig X VI. feine Verurtheilung anzufündigen, Unter Na⸗ 
poleon wurde er Senator, Ludwig XVII, hat ihn nicht angeſtellt und ihn aus dem 
Nationalinſtitut, deffen Mitglied er war, bei der neuen Einrichtung deffelben ent: 
fernt. Bon ihm erfchienen 1820 „Wem. sar la vie de M. Suard at sur le XVIII 
sieche,— 1. Pierre Jean, des Vorigen Neffe, geb. zu Uftariz um 1760, Fam 
nach Paris 1782, wo er feit 1795 einer der berübmteften Sänger und ausgezeich⸗ 
netften Zebrer beim muſikaliſchen Conſervatorium war. Die Stimme G.'s wer an 
Klang und Unifang die beroundernswürdigfte, welche je die Natur gebildet bat, und 
f. Fertigkeit außerordentlih. In den Bravourarien entwidelte er alle Hülfsmittel 
fe Talents und Organs, alle Wunbergaben der Natur und Kunſt, aber auch für das 
Cantabile, für die Romanze, für die gefühlvolle Arie wußte er die Reinheit und die 
Einfachheit des Ausdrucks anzuwenden, welche diefe verlangen. Vorzüglich wurde 
er im Bortrage Gluck's geſchaͤtzt. Er machte Runftreifen durch Spanien, Italien 
und Deutfchland: 1802 trat er in ruſſ. Dienfte, kehrte aber nach Paris zurüd, we 
er d. 2. März 1828 ftarb, S. Bruder Joſ. Domin. Fabry:Garat, geb. zu Bor⸗ 
deaur 1775, iſt als Dünger und Compoſiteur auch dem Auslande befannt. 
Sarcilafo de la Vega (eigentlich Sarcias Laſo de la — genannt 
der Fuͤrſt der ſpan. Dichter. war 1503 zu Toledo geb. S. Vater mar Commanda⸗ 
Bor Mayor von Leon des Ordens von Santiago, Staatsrath des Königs Ferdinand 


des Katholiſchen und Geſandter deffelben hei Leo X., f. Mutter war Donna Sanche 
Guzman. Beide Familien find fehr alt; nach einer Nachricht in der „Historia do 


. Ias guerras civiles” erhielten die Sarcilafo ihre Zunamen ven den Kämpfen, welche 
fie in dem großen Thal von Granada, Vega genannt, mit maurifchen Helden beflan- 
den. Mit allen Eigenfchaften ausgeftattet, welche zu einem Dichter gehören, fand 
©. bald feine Beftimmung. Das Lefen der Alten, vorzüglich der Römer, entwidelte 
f, Seift. Boxcan hatte angefangen, die Bersarten und Sylbenmaße der Italiener 
tn die ſpan. Poeſie zu —*—* G. war fein Nachfolger, vernichtete feine feuͤhern 
Verſuche und fing an, aur die Italiener zu copiren. Dies gelang ihm fa gut; daßz er 


. Kopf verwundet zu Boden ſank. Man brachte ihn nach Nizza, und 


\ 
> 


Garnerin Garofalo ‘509 


mach jeht.zu den befien ham. Dichtern gezählt wird. Soetne Sgridfa ion Tin 
zum Theil aus feinen eignen Werken kennen lernen. Er hielt fing Tängere Zeit 
Italien auf und durchreifte dann in den Dienften Karls V. einen Theil von —— 
land. 3529 wohnte er dem Feldzuge gegen Soliman und 1635 dem gegen Ti 
bei. In dem letztern wurde er am Arme verwundet und lebte hierauf eine Zeit lang 
in Neapel. 1536 befehligte er 30 Compagnien Fußvolk und zog mit dem Kalfer ges 
gen Drarfeille. Auf dem Ruͤckzuge hielt ein mit Mauren b ea Spurm Has Heer 
auf, man fagt, es fei der Thurm Muy bei Frejus geweſen. “Der Kätfer gab den 
Befehl, ihn zu nehmen. ©., unter einem Hagel von Steinen, drang mit der Pike dn 
der Hand vor; kaum aber hatte er den Fuß auf die Leiter gefeßr, ale ar f 4 ein 
dier er 
33. Jahre ſ. Alters. Sein Leichnam wurde 1538 nach Toledo gebracht und in dem 
Grabmal f. Fasmilie beigefegt. Bedenkt man G.'s unfkites und mühevolles Leben, 
fo muß man doppelt über die Volllommenheit feiner Gedichte erſtaunen. Diefpan, 
Poeſie hat ihm unendlich viel zu Banken, denn ohne ihn würde Boscan, als Auslän: 


‚der, mit ſ. Neuerungen um fo weniger Durchgedrungen fein, da er an Chriſtodal 


&aftillejo einen furchtbaren Gegner fand. Boscan war dafür fo dankbar, die Werke 
feines Freundes mit der größten Sorgfalt zu fammeln. Sie befteben aus @Plogen, 


Epiſteln, Oden, Liedern, Sonetten (in welchen er Petrarca nachahmte) und einigen 
kleinern Öedichten. Eine Audg. ſ. Werke ift zu Madrid 1765 mir Anmerk. erſchie⸗ 


wen, ſowie Herrera's Commentar (&evilla 1680) mit Anmerk. von Azara Mabrid 


41365, 4.) — Man darf mit ihm nicht vermechfen den Inca Sarcitaffo-de 
la Vega aus Eusco in Amerika (geb. 1640, geft. 1620), Verf. der „Hist. de las 


‚antiguedades y conquista del Peru” (Liffabon 1809, Fol., und Maͤdrid 47122, 


2Bde., Fol.) und „La Florida“ (Liffabon 1605, 4, und Madrid 1728, De; 


deutſch im Auszuge von Bottger, Nordh. 1785, 2 Bde. " . 
Sornerin (die Brüder); Der ältere, Jean Baptiſte Olivier, wat vor der 


‚Revotution im Pachtbureau angeftellt, dann in den Bureau des Nationalcowwents, 


und trat als Zeuge im Proceſſe der Königin gegen diefelbe auf. Spaterhin ward er 
„Iuminateur” im Haufe der Erkönigin Hortenfta und Joſ. Bonaparte's. Im 


Sept. 1815 leitete er nebft dem Phyſiker Robertfon die Derfuche mit dem Falls 


ſchirme. Seine Tochter Elifa, damals 24 5. alt, ließ ſich den 21. Sept., in OR: 
genwart des Königs von Preußen, aus einer Höhe von 1800 Kiftrn. mit dem Ball: 


"fthirme herab; ein ziweites Dial den 24, März 1816, ſeitdem öfter, 1829 in Sams 
"burg. Bie-Luftfchifferin nenne ſich Adıoniste. Sein jüngerer Bruder, Andre 
" Yacanes, iſt naͤchſt Blanchard der geſchickteſte Luftſchiffer. Er erfand das Herab⸗ 


Reigen tm Fallſchirm und machte damit zu Parts im Jurti-1799 Sen erſten Vers 


fach, dann 1800 vor dem Hofe zu Petersburg. Er nannte fich jeßt de premier 
"Aöronaute du Nord, Auch Senormand u. a. Phyſiker baben mir dem Fallſchirme 


Werſuche gemacht: “Den Anfpruch feines Bruders auf den Ruhm diefer Erfindung 
: beſtritt aim Nes. 1815 in einer eignen Druckſchrift. . a 
-. Garofalo (Benvenuts; eigentlich Benvenuto Tifl da Barsfalo), Hiftorien⸗ 


‚aber, geb: zu Serrara 1481. Hier ımd in Cremona erbielt er feine erſte Maler⸗ 


bilbung. Am meiften wirkten Rome Meiſterwerke auf ihn ein. 2505 foll er nach 
1Rom zuruckgekehrt fein und ſich ganz an Rafael angefchleffen haben, der ihn oft bei 
feinen "binterneßimungen brauchte. Darauf befchäftigte ihn Alfons I. in f. Was 
berſtade; bier ſtarb * 456%, nachdem er einige Juͤhre blind gerwefen, eine 
MWoerke verrathen die Einwirkung aller Schulen‘, befonders der lombardiſchen umd 
nech der Schule des Rafael, den er im Colorit überttaf, Bon dieſem nahm 
ser, wie Fr. Schlegel bemerkt, eine gewiſſe Liebliche Klarheit an, ein Gefühl von 
Anmuth und zinen Typus von Schoͤnhen, die ihn nebft Dem, was Ihm ſelbſt eigen 
ver tibenswiedig machten. Einige ſ. Madonnen ımd Engelsgeflalten find 


840 | Gatrick 


ayvoll Seele, Die meiſten feiner Werke beſitzt Nom. Aush die wiener und -drestuer 
—— Mehres von ihm. 

Garrick (David), vielleicht der größte Mime, deſſen ſich je die Buͤhne en 
freut Bat, geb, den 20. Febr. 1716 in einer Schenke zu Heresford in England, we 
f. Vater, apitain, auf Werbung lag. Seine urfprünglich normannifche Familx, 
“welche In Garrique hieß, hatte fih nach dem Widerrufe des Ediete von Nantes na 
„England geflüchtet, G.'s Talente für die Schaufpielkunft entwidelten fich früß. 
AIn den Schulwiffenfchaften machte er feine großen Fortſchritte. Am liebiten harte 
er ſchon als Knabe Geſchichten erzählen, um das Vergnügen zu haben, fie wieder 
nein. Sein wenig begüterter Bater ſchickte ihn 1730 nach Liffabon, wo er 
‚ginige Zeit auf dem Somptoir ſ. Oheims, eines reichen Weinhändlers, arbeitete, 
Ei dıefes Sefchäfts überdrüffig, kehrte er nach einem Jahre indie Schule zu Licht: 

eld zurüd, wo er im Umgange mit Sam. Johnſon das Meifte für ſ. Bildung ges 
wann. Mit diefem begab er fich nach einem Jahre in die Hauptfladt, um fich der 
Rechtsgelehrtheit zu widmen. Bald daranf verließ er diefes Studium, widmete 
ſich der. Logik und Mathematik, unternahm dann mit f. Bruder einen Weinhandel, 
‚gab aber auch diefen auf und trat 1741 in die Laufbahn, für welche die Natur ihn 
beſtimmt hatte, Als Mitglied einer wandernden Schaufpielergefellfchaft debutirte 
.er zu Ipswich in der Rolle des Abran, im Trauerfpiel Dronofo. “Der Beifall, den 
‚fein Spiel erwarb, verbreitete fich nach London, wohin man ihn berief. Er fpielte 
nunmehr wechfelsmweife in London und Dublin, bis er 1747, in Verbindung mit 
Lach, das Drurplanerheater mit erneuertem Privilegium kaufte und die Direction 
deſſelben uͤbernahm. Hier fpielte er bie 1776, von welcher Zeit er jedoch 2 J. 
(1763-65) zu Reiſen anmwendete, Den 10. Aug. 17176 betrat er zum legten 
‚Dale in der Rolle des Bon Felix in dem „Wunder, einem Luftfpiele der Madame 
Sentlivre, das Theater. Hierauf begab er fich auf fein reigendes Landhaus bei 
London, wo er, von heftigen Steinſchmerzen befallen, den 20, an. 1779 ftarb, 
30 J. alt, hatte er fich mit der berühmten und fchönen Tänzerin Bioletri verheiras 
thet. G. war Elein von Perfon, aber wohlgebaut und gut gebildet, hatte ſchwarze, 
lebhafte Augen und eine reine melodifche Stimme. Seine Seftalt, ſ. Mienen hatte 
er auf das Bewundernswuͤrdigſte in f. Gewalt; jede Leidenfchaft fland ihm zu Ges 
bote, Alles war an ihm voller, treffender Ausdruck derſelben. Daher war er gleich 
groß im Tragifchen wie im Romifchen, wiewol das Letztere fein höchfter Triumph 
war. Lichtenberg, der ibn felbft ſah, hat uns Außerft fhägbare Bemerkungen über 
einige ſ. Rollen mitgetheilt. Wie genau ©. den Ausdrud der Leidenfchaften bis In 
die Eleinften Abftufungen kannte, beweift Folgendes: „Sie haben‘, fagte.er einfl 


j einem franz. Schaufpieler, „die Rolle des Trunkenen mit viel Wahrheit und das | 


bei mit Anftand gefpielt, nur — wenn Sie mir diefen Eleinen Tadel verzeihen wol⸗ 
en — ihr linfer Fuß. war zu nüchtern”. Bon der Gewalt, die ©. über ſ. Korper 
‚batte, zeugt folgende Anekdote, die er felbft erzählt bat; Der Verf. des „Toms 
ones” war geftorben, als man den Drud f. Werke vollendete; man wünſchte dapı 
‚£ Portrait, und ©. verfprach, es zu fehaffen. Er ging hierauf zu ſ. Freunde Ho⸗ 
garth, begab fich bei demfelben in ein Nebenzimmer, widelte fich in einen Mantel, 
‚den er zu dieſem Zwecke mitgebracht hatte, und nahm ganz die Phyſiognomie Fiels 
ding's an. Ebenfo veränderte er f. Stimme, rief dann Hogarth und bat, ihn zu 
‚malen, Hogarth erfchridt, er glaubt Fielding felbft zı fehen. „Eile, mich ge mas 


len!” fagt ibm ©. Hogarth thut es; und dieſes ift Das Portrait, das in der. engl. 


Ausg. vor Fielding’s Werken fteht. — Auch als Schaufpieldirector trug. G. unge: 
mein viel zur Verbeſſerung der engl, Bühne bei. Selbft als Schriftfteller bewies er 


‚fich thätig, ſowol in Berfertigung eigner Stücke, die nicht opne !Borzüge find (ges . 
1) 


fammelt in 3 Bdn., Lond. 1798, 12.), als auch in Umar y Abänderung 


und Überfegung fremder, Arbeiten, Die Anzahl f. zum. Theil treff lichen Prologe, 


t 


Gartenkunſt 541 


In.a. a. Gedichte iſt gleichfalls fehr beträchtlich. (Unvollſtendig geſawmelt fr 
, n.,.Zond. 1785.) Nach einer Nachricht im „Deutfchen Mefaım“ (1479 
ſoll er auch ein Werk über den mündlichen ortrag binterloffen haben. Sein Leich⸗ 
nam wurde von A der vornehmfien Engländer getragen imd in der Weſtminſter⸗ 
abtei an dem Fuß. eines Denkmals, das dem Andenken Shaffpeare's.emrichtet iſt, 
: beigefebt. Er binterfieh.ein großes Vermoͤgen, das er teile ſ. Gluͤcke, theils feiner 
Sparfamfeit, die oft an Geiz gegrenzt haben foll, zu danken hatte, Seine Biogra⸗ 
phie von Murphy und von Dapies iſt ins Deutſche überfeßt. 

- Bartentunft Herder (in ſ. „Kalligone“) nennt die Gartenkunſt die 
zweite freie Kunft der Menſchen, Baukunſt die erſte. „Ein Bezirk”, fagt er, „wo 
jedes Land und Beet das Seine, in feiner Art- das Belle trägt, und feine table 
Hohe, fein Sumpfund Moor, Peine verfallme Histe, keine unweg ſame Wuſtenei 

“ von der Trügbeit ihrer Einwohner zeugt; wo diefe ſchoͤne Kunſt ein Land verfchönt, 
bedarf feiner Bildfüulen am Wege: Iebend kommen uns mit alfen:ihren Gaben 
Pomona, Teres, Pales, Vertumnus, Sylvan und Flora entgegen. Die Kunſt 
iſt zur Natur, die Natut zur Kunſt geworden, nicht ohne Muͤhe, licht ohne Nußen 
und Dedürfniß. In der Natur Harmonie und. Disharmonie zu unterfcheiden, 
den Charakter jeder Gegend kennen und brauchen lernen, ‚mit dein regen Triebe, 
das Schöne der Natur allenthalben zu erhöhen und zu verfammeln; waͤre bied 
keine ſchoͤne Kunft, fo gäbe es feine”, Es wird darauf ankommen, was man uns 
ter fchöner Kunft verfieht. Ein mwohlbepflangter Semüfegorten, ein gutbeſielltes 
Saatfeld find unflreitig fehr nüßliche Segenflände, konnen auch fehr angenehm fein 
durch den Eindrud, den ihr bloßer Anblid macht; wir werden ung babei der nühz⸗ 
lichen Thatigkeit freuen, durch den Gedanken an das Gedeihen Deſſen, woran unfere 
phnfifche Erbaltıng einmal geknüpft ift, wol gar gerübrt werden: allein das Alles 
macht diefen Garten und diefes Feld noch nicht gu ſchoͤnen Gegenſtuͤnden. Selbft 
ein Blumengarten, worin fich des eigentlichen Nüglichen Nichts, fondern bloß eine 
Menge der lteblichfien Blumen fünde, worin wir zwar gern verweilen, weil bie Ge⸗ 
flat, die Farben, die Düfte der Blumen uns-ergößen, erwedt an ſich allein noch 
nicht das Gefühl des Schönen. Dies iſt fo wahr, daß Herder feibft: nie umhin 
konnte, über das Angenehme, Mügliche und Bequeme binauszugeben. Wenn er 
fodert, daß die Sartenfunft den Charakter der Gegend kenne und brauchen lerne, 
das Schöne der Natur erhöhe und verfammile, Harmonie und Disbarmonie unter: 
fheide, fo fodert er lauter Dinge, die von dem bloß Angenehmen, Nüßlichen und 
Bequemen fehr verfchieden find , die mit dem Bedürfniffe der Sinne und der Sinn: 
lichkeit, worauf.er doch zuerit hauptſachlich ſah, Nichts gemein haben. Haͤtte er 
daruͤber nur etwas ſchaͤrfer nachdenken wollen, fo würde er fich leicht überzeugt ha⸗ 
ben, daß die Sartenfunft, als fchöne Kunft, der Entflehung nach ſchwerlich die 
zweite geweſen ſei. Zwar bat man früh ſchon geftrebt, Die Gärten auch zu verſchoͤ⸗ 
nern; ‚allein von da bis zur Entftehung der wirklich ſchönen Gartenfunft verftcich 
doch in der That ein ungebeurer Zeitraum. — Die ſchwebenden Gärten der. Semi: 
samis.mochte man immerhin zu den Wundern der Welt zaͤhlen; Das, worüber 
man fich wundert, braucht eben nicht fchön zu fein: Künftliche Enhöhungen, unten 
auf Pfeilern rubend, oben in dem aufgetragenen Erdreich mit Bauwen bepflangt, 
in verfchiedene Abfüge vertheilt, und Durch eine gewiſſe Waſſerkunſt befeuchtet, find 
zwar etwas Seltfames, was Erflaunen erregen kann, ſchwerlich aber ein fchöner 
Darten, Die Gärten der Perfer (Baradiefe) nennt Kenopbon luſtige Pläße , fruchts 

r und ſchoͤn; es fcheint aber, daß fie mehr natürlich angenehme Plaͤtze, voll frei 
willig sonchfender Fruchtbaͤume, Pflanzen und Blumen, als mit Abficht und nach 
einer Regel angelegte Gärten waren. Ob die Griechen, Meifter in allen übrigen 
bildenden, architeftonifchen und Verzierungsluͤnſten, nur allein in der Gartenkunſt 
zurüdgeblieben feien, if eine noch unentfchiedene Frage, an bie nus wenige Alter: 


! 


\ 


32 Bartenkunſt 
humeferſther gedacht haben, weßhald man um fd meht Kdauern muß; daß Pätkk 


jer ſ. Racemationen zur Gartenkunſt der Alten nichtfortgeſetzt hat. (5. „N. dee 
Her .“, 1800, St. 2, 3.) Die gepriefenen Gaͤrten des Alkinoos (.Odyffee“, Vi, 
:442— 182) waren Doch nichts Andres als gut angelegte, angenehme Obſt- ımd 
Weiapflanzungen, nicht ohne Blumen. Romantifcher ift allerdings die Grotte 
ver Kalypſo (Odyſſee“, V, 63-713), dach aber wol nır Natur, nicht Kunſt⸗ 
anlage. Die gewöhnlichen Gärten, welche die Griechen an ihren Meiereien und 
Landgütern hatten, glichen mehr oder weniger denen des Alkinoos; für das Nütz⸗ 
«liche. und Angenehme, Küchen: und Gartengewaächſe, Obft, Biumen, ſchattige 
Bäume und Bersäfferungen wur vor Allen und Mein geſorgt. Hohe ſchattige 
Plantagen, fühlendes Quellwaſſer, einige Statuen waren die einzigen Schönbeiten 
in den Garten der Philofophen zu Athen, Selbſt die Befchreibungen der Garten 
‚en den ſpaͤtern griechiſchen Romanfchreibern verraten noch Nichts von ſchoͤner Gar⸗ 
tenfunft, und es wäre da wol noch’ zu unterfuchen, ob nicht eben die Urfachen, melde 
‚bei den Alten-die Landſchaftsmalerei verhinderten, - auch auf: Entfiehung einer ſcho⸗ 
nen Bartenkunft hindernd eingersirft haben. Sie flanden zur Matur in einein an⸗ 
‚dern Verhaltniß als wir. Selbſt die Grotten (Nymphaͤen) verdanken ihren Ur⸗ 
‚fprung nur dem Bedürfniffe der Kühlung. - Natargrotten gaben die Veranlaſſung 
"zu Eünfllichen Örettenzinmern, dergleichen man in Rom auch in den Stadtpalaͤſten 
:anlegte, und worte man die Natur, roie Plinius ſaͤgt, nachkünſtelte. Eine ange: 
‚legte Grotte iſt aber noch Fein fehöner Garten, und daß ˖es den Nörhern daran mars 
sgelte, beweiſen mehre Stellen ihrer Schriftfteller, und die Machrichten, die uns 
:von ihren Gärten felbft übrig find. Wahr ift es, man finder in des Pfinius Be⸗ 
ſchreibung von f. tusciſchen Billa alle Bequemlichkeit, Sicherheit, Schirm gegen 
‚:jede.üble Witterung, angenehme Mifchung von Kühle und Wärme; alles Lobens⸗ 
werthe bezieht fich aber lediglich auf die Gebäude, nicht auf'den Garten, der une 
feinen Legionen von Buchsfiguren und in der ganzen Behandlung möglichit:ge- 
ſchmackslos war. Den dem Garten Lucull's fagt Varro: daß er nicht Durch Blu⸗ 
amen und Srüchte, fondern durch Gemalde der Billa fich ausgezeichnet habe. Nicht 
ungegründet duͤrfte Hirfchfeld’s Vermuthung fein: man habe geglaubt, fich mit 
‘der. Sruchtbarkeit des Bodens und dem Meize der Ausiläjten, den befonders: die 
Billen auf den Anhöhen und an den Meeresufern hatten, begnügen zu können, und 
der Verſchoönerung der Garten weniger Sorge ſchuldig zu fein. Me nachher Pie 
Menge.der Villen den Boden zu verengen anfing, mußte es roenigftens in vielen 
Gegenden an Raum zu ausgedehnten Gärten mangeln. Nachdem aber das weft: 
römifche Reich durch Barbarenfchtoirme umgeſtürzt war, und ganz Eurepa eine 
neue Geſtalt erhielt, wobei Künfte und Wiſſenſchaften in Verfall geriethen, war 
Seine Beit, :der Gartenkunſt einen Plaß in der Reihe der fehönen Künfte zu ders 
. fyaffen. Erft Karl der Große richtete feine Aufmerkſamkeit wieder auf dert Gartem 
bau, feine: Anordnungen erſtreckten ſich aber nicht über einen: Nußgarten hinaus. 
¶ S. Amon’s „Geſch. der deutſch. Landwirthfchaft”.) Die Troubadours im Drittes 
alter fprechen von ſymmetriſchen Garten. In Italien fing man zur Zeit der Wie⸗ 
derherſtellung der Künfte und Wiffenfchaften auch wieder an, Luftgärten anzule⸗ 
‚gen, deren einige fo berähmt wurden, dag man fie in Abbildungen dargeftellt Hat, 
'&. mögen angenehm genug geweſen fein, doch fehlt viel, daß fie fehöne Saͤtten 
gemefen waͤren. Später bildete fich in Frankreich ein neuer Geſchmack in Gartens 
anlagen. Die Symmetrie aufs außerſte getrieben, wurde mebft den geraden bes 
ſchnittenen Hedengängen und Baumpflanzungen nach der Schnur Diode, felbft in 
der Anlegung: der Blumenbeete herrfchte das DBeftreben, der Matur Gewalt anzu⸗ 
tbun. Lenotre wurde der Schöpfer der franz. Gartenkunſt, welche freilich feine 
Drachfolger noch mehr verunzierten. Grandios iſt in dieſer Gartenkunſt jedoch 
ihre Anlage m Springbrunnen, die aus kunſtlichen · Felſen etc. entſiehen. Die 


Garzenkunß 442 


Hollander ahmten bie Frameoſan nach Au biefer-Ausartung nahmen zuerſt die Eng: 
länder ein Ärgerniß. Addiſſon fchrigb in dem. wBufchauer” f. berühmten Verſuch 
über die Sartenfunfll, Pope machte in f. vierten kritiſchen Brief die Schnörfelwerke 
und Puppenſpiele diefer ſchnurgerechten Gartenkunſt lächerlich und Iegte den Sara 
ten in f. Eleinen Billa zu Twikenham in befferm Geiſte an; eine Menge folgte nach, 


und die Praxis eilte der Theorie voraus (ſ. „Geſchichte der neuen Gartenkunſt“, v. 


Hor. Walpole, in deffen Werken, überf, von-A, W. Schlegel, ©. 384), Diefe 
neue Art von Sartenfunft vermarf ‚allen Anfchein von Regelmaͤßigkeit; überalf 
follte nur die Natur zu fehen fein, und man entwarf ein Syſtem der verfchönerten 
Natur dur Nachahmung natürlicher Landfchaften, welches aber freilich ebenfalls, 
wiewol von der entgegengefeßten Seite, in Fehler verfiel; beſonders feitdem man 
mit der orientalifchen, eigentlich chinefifchen,, Gartenkugiſt bekannt worden war 
Chambers „über die orientqliſche Martenkunſi Aberſ. von CEwald, Gotha 1775), 
lieb Übertreibung nicht aus, und eine wilde Unnatur trat ag-.die Stelle der allzu 
geregelten franzoͤſiſchen. Wer kennt. nicht den Wuſt von Gebaͤuden, die man in 
fogenannte englifhe Anlagen. fiapfen. zu müffen glaubt! Nicht bloß Hrnen und, 
Grabmaͤler, auch chineſiſche, türfifche und neufeeländifche Tempel, Häufer und. 
Hütten, Burgen, Kloͤſter, Einfjedefeien,. Ryinen mußten da fein, und um bie , 
Natur recht getreu zu haben, abgefischene Diumemmd Steinbaufen; eine Hundes. 
hütte wurde jum Pallafte, ein Scalj zum Tempel, Hongebruͤcken, auf denen man 
den Hals zu brechen fürchtet, dumpfe Grau. Fenhte Bänge, ſtinkende Mioräfte, 
welche Seen vorftellen follten, ‚alles Das und weit mehr.noch wurde öfters in einen en⸗ 
gen Raum fo zufammengepreßt, daß es ſchien, als habe man eine Muſterkarte des 
Sonderbaren aller Nationen zur Schau ftellen, wollen. Und ein folches Machwerk 
ſchaͤmte man fich nicht, einen Naturgarten zu nennen. Man wuͤrde freilich‘ Un⸗ 
recht thun, wenn man alle englifche Anlagen für fr gefhmadios halten wollte; 
allein wir haben doch gefehen, wozu fie, führen konnten, .. Und an Biefem, Munfe 
fiehen wir jest. Dürfen wir nun. mol fügen , fchöne Barten£unft fei der. Entſte⸗ 
bung nach die zweite ſchöne Kunft? Scheint es doch fort, als waͤre fle jest noch 
nicht vorhanden. Wenigſtens darf man, es manchen Aftbetifern fo gar übel nicht 
nehmen, wenn fie die Gartenkunſt lieber in die Reihe. der angenehmen alg.der 
ſchonen Künfte fegen, find doch ſelbſt mehre folcher Afthetifer, melde die Garten: 
£unft in der Reihe der ſchönen Künfte aufführen, in Derlegenheit, zu entfcheiden, 
welche Art von Sartenfunft denn nun eigentlich die fehnne genannt zu werden vers 


diene. Gewöhnlich entfcheiden fie fich für die, welche tm Großen barftellt, welche 


Randfchaften ſchaffi. So konnte denn ein kleinerer Garten nicht auch ein fchöner 
Sorten werden? Iſt denn nur das Heldengedicht ein fchönes Gedicht, „nicht auch 
das Eleine Jdyll, das kurze Lied? Hier herrfehen, auf welche Seite wir uns auch 


hinwenden mögen, Dorurtheile der verfchiedenften Art. Hätte man nicht biswei⸗ 


fen gedacht, man müßte eben eine Landfchaft anlegen, fo würde man nicht darauf 
verfallen fein, fie in den Raum von einigen Morgen Land einfließen, wodurch 
die Kunft, flatt der beabfichtigten Natur, nur um fo greller in die Augen fprang. 
Michts“, fagt Aikin, „entferut ſich mehr von der Natur, als wenn. man ihre gro⸗ 
hen Werke im Kleinen nachbildet. Alle Täuſchung hört im erften Augenblide auf, 
und der prächtige Garten erfcheint als ein Kinderfpiel‘‘., Laſſen wir aber vor der 
Hand dies dahingeftelt und fragen: Was ift es, ‘das der Iandfchaftlichen Natur 
Anfprüche auf Schönheit gibt? Auf.keinen, Fall etwas Andres als ein gewiffer 
äftherifcher Charakter derfelben, des Erhahenen, Großen, Schauerlichen, Furcht: 
basen, oder:des Lieblichen, Anmuthigen, Niedlichen, des Romantifchen, Idylli⸗ 
Shen, Schwärmerifchen,u. f. mi. wäadurgh wir bei der Betrachtung ineine entfprgs 
de Semücheffimmung verſetzt merdenyer- Sragen wir nad) den Lirfachen davon, 
Ruben wir dieſe in der Berpindung, einzelner Nerungegenflände, zu einer, harmo⸗ 
Eonverfationdı Legicon, Sb. IV. 33 


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au. mn u 


51% | Ä Gaͤrtner 


nifehen Einheit; welche Mr Einbildungskraft leicht auffaßt... Dieſt Einheit iſt ent: 
weder Einheit der Anficht des auf einmal Anfchaulichen für den auffaffen: 
den Sinn felbfl, ‘aus einem beffimniten Sefichtspuntte, oder Einheit der Liberficht 


des nach und nach Aufgefaßten für die Einbildungskraft des mwandelnden 


Beirachters. Wenn nun die Natur in ihren Landfehaften dem Sartenfünftier das 
Urbild darftellt, folgt dann hieraus nicht nothwendig, daß er auf zweifache Weiſe 
feinen Zweck erreichen koͤnne, entweder indem: er eine auf einmal anfchauliche Ein: 
Beit für den auffaffenten Sinn, oder eine allmaͤlig wahrnehmbare für die Einbil- 
dungskraft darſtellt? Demmach brauchte es eben nicht eine Landſchaft ſelbſt zu fein, 
in welcher die Gartenkunſt fich als fehöne Kunſt bewaͤhrt, fondern ſchon in einer 
landfchaftlichen Partie fann fie es, womit denn auch Fleinere Gärten von den ſchoͤ⸗ 
nen Särten nicht ausgefchloffen bleiben. Wir Erklären mithin die Sartenkunft als 
diejenige ſchoͤne Kunft, weiche mehre Naturerzeugniffe im Raume zufammenftellt, 
damit der Beobachter fie entweder auf einmal, oder durdh feine Bewegung nach 
und nach, in der Zeit, als ein Ganzes van einen beftimmten äfthetifchen Charakter 
in der Einbildungsfraft auffaffe. Die von der Natur entiehnten Materialien mäf 
fen alfo dem Betrachter ebenforwol, wenn er in Ruhe einen beftimmten Geſichts⸗ 
punkt wählt, ale wenn er im Umherwandeln den Geſichtspunkt fortwaͤhrend ver: 
ändert, als ſchoöͤnes Ganzes geftillen, und er muß dadurch entweder in ein beſtimmtes 
äfthetifches Gefühl verfegt werben, oder wenn mehre folche in ihm abmwechfeln, mrüfs 
fen fich diefe doch am Ende in eine Harmonie auflöfen. Mag nun aber der Betrachs 
ter einen Sefichtspunft währen, ober fhandelnd biefen verändern, fo muß der Gar⸗ 
tenkuͤnſtler für ihn ftets Landſchaftsmaler fein, und wie diefer nur folche Segen: 
flinde vereinigen, deren Dafein neben einander, durch Form, Gruppirung, Harmonie 
der Karben, Perfpektive u. ſ. w. ein beſtimmtes äftbetifches Gefühl zu erregen fähig 
ift, Erhälten dann unfere Ideen auch feine fo beftimmte Richtung als in ter Poefie 
und der Plaſtik, To erhalten fie hoch eine Afthetifche Stimmung, ühnlich der, welche 
die Muſik erregt. (Bgl. Malerei.) Hirfchfeld's „Theorie der Gartenkunſt“ (Lpz. 
1779, 5Bbe., 4., m. Kopf.) ME im Ganzen ein immer noch unübertroffenes Werk. 
Delehrendes findet ntan auch in Eh. Semmler's „Gartenlogik“ und Digtrich’e 
„Handbuch der fchönen Gartenkunſt“ (Gießen 1815). Das reichhaltigfte Merk 
iſt La Borde's „Descript. des nouveaux jardins de la France etc.” (Paris 
1808—14). Wer über die Gaͤrten unterhalten fein will, der mird in den didaktis 
ſchen Sedichten über diefen Gegenſtand von WBatelet, Mafon, Marnezia und De: 
lille mannigfaltigen Genuß finden. Über das Mügliche in der Gartenkunſt, z. B. 
über die Erziehung der Gewaͤchſe in Küchen:, Obft: und Blumengärten in Berbin: 
dung mit dem Zimmer: und $enftergärten, f. m. Wredow's „Lebrreichen Garten: 
freund‘, 2%. Aufl, Berlin 1825. (Bol. Zierpflangen.) Die Gartenbaugeſell⸗ 
ſchaft zu Frauendorf in Baiern gibt feit 1823 in Paffau eine „Allgemeine Garten: 
zeitung‘ heraus. Das. Beftreben, den Sartenbau und die Blumencultur zu vervoll« 
kommnen, wird immer allgemeiner. ° In Berlin befteht feit 1822 ein Berein zur 
Beförderung des Gartenbaues in den preub. Staaten, mit Yocalgefellfehaften in 
Schlefien und in andern Prov. Dieſer Verein zählt 1050 Mitgl. und gibt Denk: 
fhriften heraus (1829 die 12, Liefer). Unter ihm fleht eine Gärtner: 2ehranftalt 
und eine Landesbaumfchule zu Schöneberg u. Potsdam. Auch gibt fie Preisaufga: 
ben. Ähnliche Sartenbaitgefellfehaften entffanden 1828 in Paris, Dresten, Wei⸗ 
mar, Dietendorf (in Thüringen) u. ſ. w! S. ũberh. Loudon's „Encyclop. der Gar⸗ 
tenfunft” (London 1322; überf, Weimar 1824, mit Abbild). 
BGartner (Karl Enriftich), braunſchwei iſcher Hofrath/ geb. 1712 zu Frei⸗ 
berg im Erzgebirge, wo ſein Vater Poftrfleifter u. Kaufmann war. Auf der meißnet 
Fürſtenſchule und in Leipzig waren er, Geffert u. Kabener von einer geiheinfchaftkt: 
chen Liebe: zu ben ———— net 
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haften bekett. Gottſched ſtand damals an der 





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Garve 5% 


Epige der Reformatoren des deutſchen Geſchmacks, und fein Freund Schwabe gab 
die „“Belufligemgen des Berftandes und Witzes heraus, die, ungeachtet ihrer Mittel: 
mäßigkeit, Doch bei dem damaligen. Zuſtande der deutſchen Literatur manches Gute 
wirkten. Hier legte auch G. die Exrftlinge feiner Muſe nieder, und f. Gedichte ges 
pie gu den beften diefer Sammlung. Unter Gottſched's Aufficht arbeitete er an der 
berfeb. des Bayle’fchen Wörterbuchs und verdeutſchte einige Bände von Rollin's 
——8 Aber in der Folge ſammelte er einen Kreis junger ſelbſtaͤndig aufſtreben⸗ 
der Geiſter um ſich her, denen die Armſeligkeit der Gottſched'ſchen Schule in ihrem 
rechten Lichte erſchien. Das Gefühl, etwas Beſſeres leiſten zu können, vereinigte 
Gartner mit Sramer, Schlegel u. Rabener zur Herausg. der „Neuen Beiträge zum 
Dergmügen bes Berftandes u. Witzes“, welche allgemeines Auffehen erregten. - Zu 
ihnen gefellten fich nach und nach Ebert, Giſeke, Zacharis, Sellert, K. A. Schmid, 
Klopftock u. A. Wenn G. von den meiften in der. Folge an fchriftftellerifchem RUhm 
- übertroffen ward, fo hatte er in jener Bildungsperiode das Verdienfl, ‚durch Urtbeif 
‚und Rath fie geleitet und ermuntert zu haben. 17345 ging ©. als Führer zweier 
jungen Grafen nach Braunſchweig. Ein günfliges Schickſal führte mehre f. gelehr- 
ten Freunde an die. Lehranſtalt des Collegıl Carolini mit G. zufammen, der bier . 
Prof. der Beredtſamkeit u. Sittenlehre wurde und auch Vorlefungen über Virgif 
und Horaz hielt. In diefem Amte ermarb:er ſich bleibende Verdienſte; doch konnte 
er, unablaͤſſig mit f. Amtsarbeiten beſchuͤftigt, zumal bei feiner Strenge gegen fich 
felbſt, Leinfruchtbaver Schrififteller werden... Zufrieden mit · ſ. Schickſal, esreichte er 
ein Hohes Alter und ſtarb den 14. Febr. 1394, Er hinterließ „Reden“ (Braun⸗ 
ſchweig 1761) und einige unbedentenne- Theaterſtucke. oo: | 
arve (Chriſtian), einer der. wuͤrdigſten Denker und Schriftfteller des vers 

fioffenen Jahrh., An zu Breslau 1742, verlor ſ. Dater, einen Sürber, frühzeitig; 
aber f. treffliche Mutter erfüllte ihre. Pflicht als Erzieherin gewiffenhaft. G. war 
zum Theslogen beftimmt; allein f. Eorgerlichen Umſtande noͤthigten ihn, diefen Plan 
aufzugeben. Im 21.9. ging er nach Sranffurt a. d. O, um Baumgarten's Phi⸗ 
loſophie zu ſtudiren; da dieſer aber bald ſtarb, ging er nach einem Jahre nach Halle, 
ißigte fich Hier der Mathematik, und fludirte dann noch eine geraume Zeit in 

jig, wo Gellert, Beige u. A. feine Freunde wurden. 4.164 Eehrte er geiflig und 
firttich gebildet gu ſ. Mutter zurüd, wo er fo.anhaltend. fleißig arbeitete, daß er fich 
hypochondriſche Zufülle zuzag. Nach Sellert’s Tode (4769) ward ©. augerordentl, 
Hrof. der Philofophie zu Leipzig und. Ins einige Jahre Collegia über reine Mas 
shemarst, Logik u. f. w.; allein f. ſchwaͤchliche Geſundheit bewog ihn, nach einigen 
Jahren · dieſes Amt niederzulegen. So begab er ſich 1772 wieder in ſ. Baterfigdt 
Breslau. Bon 1770 — 80 ward er theils durch. ſ. mit Anmerk. bereicherten überſ. 
des Burke „Uber das Erhabene u, Schöne‘, der „Moralphilofophie‘,von Ferguſon 
u. ſ. w., theils durch ſ. eignen, 17779 gefammelten „Abhandlungen, in des philo⸗ 
ſophiſchen Welt immer bekangper, his er durch Friedrich II. (der ihn zu ſich kommen 
ließ und ſich mit ihm unterhielt) zu einer überſ. des Cicero „Bon den, Pflichten” 
aufgefodert wurde, die er 1779 in Charlottenburg begann, aber durch Kraͤnklichkeit 
abgehalten, erſt 1188 erfcheinen laffen Eonnte (4: Mol aufgelegt:40n,1798 — 92). 
In den legten Jahren f. Lebens drüngten fich Die alten-Ubel, Hypochondrie, Itervens 
ſchwaͤche u. f. w,,. um: fo ſtaͤrker herzu, da er nun auch ſ. würdige Mutter (1792) 
und mehre f, geliebteſten Kreunde darrch den Tod verloren hatte, Sein Tod, 1. Dec, 
47198, ward durch eine ebenfo ſchmerzhafte als widrige Krankheit (den Geſichts⸗ 
Erebs) befchleunigt. ©. war ein Wan von fehr liebensmürdigem Charakter, ges 
ſimmt für den. Genuß der Freundfshaft und Geſelligkeit. An ſg. Bildung hatte K 
achtungsuverthe Dientter vielen Autheil , welches er auch mit dankbarer Lighe aus 
erkannte. Als Philoſonh hat er fich nicht Durch wieffinnige Untexfuchuagegi und 
neue Entdeckungen oder Umgeſtaltungen, wohl aber buch re yub wohl: 


616 Gas - Oasarten 


gefäflige Darflelling ansgezeichnet. Seine Philoſophie war mehr Lebens⸗ oder 
Mopularphilofophie, aber im edlern Sinne dis Worts, indem zer nicht bloß bei der 
Oberfläche ſtehen blieb, fondern nach einer gründlichen und zufammenhängenden 
Erkenntniß der Dinge flrebte. Unter feinen Schriften find f. Abhandlungen über den 
Charakter der Bauern, fiber die Verbindung ˖ der Moral mit der Politik, über ver: 
ſchiedene Gegenſtaͤnde aus der Moral, der Literatur und dem gefellfchaftlichen Leben, 
tiber die allgemeinften Sirundfäße der Sirtenlehre, defgleichen über Gellert's and 
über Zollikofer’s Charakter, die merkwürdigſten; verdienfivoll find f. Überf. a. d. 
Griech.: Ariftoreles’s Ethik u. Politik; a. d. Lat: Eicero’s Bücher von den Pflich⸗ 
ten, mit treffl. Anmerk. u. Abhandl., und befonders a. d. Engl: außer den obengen,, 
Serard’s „Derfuch über das Genie”, Payley’s „Srundfäße der Moral und Politik“ 
u. ſ. w. Seine Schreibart iſt richtig, Elar, einfach und edel, fodag er mit Recht zu 


den claffifchen Schriftftellern unfere Volks gezahlt wird. Seinen fchriftftellerifchen 


Charakter Hat Manſo in einem, auch in den „Schleſ. Previnziatbt.” won 1799 ab: 
gedr. Programm, das G.'s Namen an Ber Stirn trägt, gut gewürdigt. 

& as nennt man alle bleibend-elaftifche Ftüffigkeiten, d. h. jede Flüffigkeit, 
welche, unter einen größern Drud verfeßt, fich in-einen Fleinern Raum zuſammen 
zieht, ohne dadurch tropfbar Hüffig zu werden, ‚und beim Bermindern diefes Drucks 
ſich wieder in einen größfern Raum attedehnt, und welche durch feinen bekannten 
Grad von Kälte in tropfbare Geſtalt gebracht werden kann: alſo Inftfärmige Korr 
per, roelche unter jedem Druck und in jeder Kälte luftformig bleiben, wodurch fie 


fi von den gleichfalls elaftifch-flüffigen Dampfen (vgl Dampf und Dünfle) 
unterfeheiden. Alle Zuft, glaubte man ehemals, ſei von einerlei Art und Natım 


Erft feit der Mitte des vorigen Jahrh. fing man an, ſich zu überzeugen, daß es un⸗ 
ter den Iuftformigen Flüffigkeiten ebenfo weſentlich verfchiedene gibt als unter den 
tropfbaren Flüffigkeiten, von. denen 3. B. Niemand Waſſer, Ole, Queckſilber 
u. dgl. m. für diefelbe Flüffigkeit nehmen wird. Geroöhnt, unter Luft das Weſen 
zu verfiehen, welches das Luftmeer ausinacht, auf deffen Boden wir beben, wie 
viele Seethiere auf dem Boden deu Meeres, wollte man die neuen künftlichen Luft⸗ 
arten anfangs nicht für eigentliche Luft erkennen, und nannte fie Gas, rin Name, 
der von dem deutfchen Worte Giefch herſtammt (Gieſch des Biers u. f.f.), und den 
fhon Joh. Bapt. v. Helmont gebraucht hatte, um feinen fogen. spiritus sylvestris 
zu bezeichnen. Jedes Gas befteht aus einem waͤgbaren Körper, welcher durch Waͤrme 
ausgedehnt iſt und die elaffifche Fiüffigkeit erhalten hat. Die eigenthämlichen Eis 
genfchaften deffelben hängen von dem erftern Körper, die jedem Gas gemeinſchaft:; 
lichen Eigenſchaften von dem Wärnieftoffe ab. Jedes Gas hat ein ihm eignes Ge⸗ 
wicht, und fie find darin bedeutend verſchieden, wenngleich fie alle mehre, hundert 
Mal leichter find ale Waffer. Alle Arten von Gas find durchfichtig, die inehrſten 
auch farblos, und daher nicht anders fichtbar, als wenn fie in Blafengeftalt durch 
kropfbare Flüffigkeiten entweichen.: Die Dichtigkeit jedes Gaſes ift dem Drucke, uns 


ter welchem es ſieht, bei übrigens gleichen Umfländen, angemeffen, und jedes Gas . 


wird bei eiherlei Erwärmung, unter übrigensgleichen Umifländen, um gleiche Theile 
f. anfingfichen Raums ausgedehnt, und zwar bei Erwärmung von dem Froſtpunkte 
bis zum Siedpunkte des Waſſers um 0,3735 ‚desjenigen Raums, den es bei der 
Temperatur des Froſtpunktes einnahm. Jedem Bias. kann fein wagbarer Beſtand⸗ 
theil Durch chemifche Verwandtſchaft arfdrer Körper zu demfelben entzogen, und es 
dadurch firirt werden, indem es mit einiger dieſer Körper Berbindungen von fefler 
Seftalt, fo gut als mit andern von fläfliger Geſtalt, zu bilden vermag. Dabei 
wird der Waͤrmeſtoff des Gaſes mehr oder rorniger; und fchneller oder langſamer im 
ieiheit gefeht. Sehb viele Arten von Gas werden endlich vom Waſſer verſchluckt 
und durch Waſſer in Die tropfbar flüffige Geſtalt gebrache. . DU 
| Gasart en, Von den luftförmigen Körper: keichiten ſich mohre durch 


Gasarten = n 


wundervolle chemiſche Eigenſthaften aus; und es geben ſich imo in der Gasgeſtalt 
am reinſten einige der merkwuͤrdigſten chemiſch⸗ einfachen Körper; die verſchiedenen 
Gavxarten fpielen daher in dem chemiſchen Theile der Phyſik eine Hauptrolle. Am 
mehreſten verdienen folgende gekannt zu werden. 1) Die atmoſphariſche Luft 
WE ein Gemenge aus mehren Gasarten und aus Waſſerdampf, und nicht, wie man 
ehemals glaubte,. ein einfaches Element. Wird. in ıhr Phospher in einer Glocke 
verbrannt, welche in einer Schale mit Queckſilber fiebt, fo kann man es felbft durch. 
wiederholtes Anftedlen des Phesphors doch nur. höchfiens fo weit bringen, daß von 
100 Mag Luft 21: Maß verfchwinden, 19 bleihen zurüd, und in diefem Ruͤck⸗ 
ſtande vermag weder irgend ein brenuertden Körper fortzubrennen, noch ein Thier zu: 
Geben. . jene 24 Map. beftehen als einer Gatzart, die man erft 4774 und 1714. 
kennen gelernt hat, und die man anfangs, weil fie eine unerlißliche Bedingung zur, 
Unterhaltung den: Feuers und des thierifchen Lebens ift, Seuerluft oder Lebensluft 
nannte, jetzt abe allgemein mit dem Namen Sauerſtoffgas (gas oxygäne) 
bezeichnet... Der Rüditand befteht größtentheils aus einer. weſentlich verfchiedenen 
Gasart, dem Sauidgee (ganazäte). Verbrennliche Körper fünnen pur, wenn fie mit. 
Sanerftoffgas in. Berübrung find, verbrennen, und altes Berbreunen beruht auf 
chemiſcher Berwandtfchaft- des verbrennlichen Körpers gm wigbaren Theile des 
erſtoffgaſes; indem diefer fich mit dem brermenden Korper vereinigt, wird der 
in dem Sad gebunden enthaltene Waͤrmeſtoff frei und erfcheint als. Licht und freie 
Woareme. Inder atmofphär. Luft find die brennbaren Körper mit mehr Stickgas als 
Sauerſtoffgas in Brrührung; im reinen Sauerftoffgas-perbrennen fie daher mit eis 
ner weit graßern Lebhaftigkeit und fcheiden in gleicher Beit weit mehr Licht und Waͤrme 
ab, als in der atmo ſphaͤriſchen Luft. Ein glimmender Holzfpan oder ein glimmendes 
che in Scuerſtoffgas getaucht, entflanımen fich fogleich; eine an der unsern 
Spitze glürhende Stahlfeder verhrennt darin mit Funkenwerfen und hellem Lichte,. 
und brennender Phosphor verbreitet darin ein Licht, welches ineinem dunkeln Zimmer 
gleich dem Sonnenlichte bfendet, Thiere konnen nicht leben, we esan Sauerſtoff-⸗ 
gas fehle, befinden fich aber keineswegs im reinen Sauerftoffgas beffer als in der 
atmofphär. Luft, ſondern erfranfen endlich darin, weil der Lebensproceß übermäßig 
befchleunigt wird. Die verbrennlichen Körper vermandeln fish beim Verbrennen haus 
fig in Säuren, fo der Schwefel, der Phosphor, die Kohle u, a.. Deßhalb hat man 
den brennbaren Grundtheil diefes Gaſes Sauerſtoff (o xygoͤne) genannt, und daher 
rührt. der Name dieſer Gasart, welche in der Natur eine fo große Rolle fpielt, daß 
man die ganze Chemie für eine Gefchichte der Eigenfchaft des Sauerſtoffes und des 
Bauerftoffgafes ausgeben fännte, Um diefe Sasart rein gu erhalten, erhißt man in 
einer Weißgluhhitze ertragenden Retorte gepülverten ſchwarzen Braunftein (Dan: 
ganeryd), oder rothes Auedfilberpräcipitat (rothes Queckſilberoxyd), oder Salpe⸗ 
ter, oder Alaun, oder Rnallfalz (oxygenirt⸗ſalzſaures Kali), Das Ende des Halfes 
der Retorte oder einer darũber paffenden Röhre muß unter dem Trichter der mit Waſ⸗ 
fer gefülften, gu Entbindungen von Sasarten beftimmten IBanne, der foaeh, pneu⸗ 
matifchen Wanne, liegen, und über dem runden Loche des Dretes, an welchem ber 
Trichter mit feiner engen, aufwärts gerichteten Roͤhre befeftigt ift, muß ein umge: 
fehrtes Gefäß voll Waſſer ſtehen, worin die fich entbindenden Gasblaſen auffteigen 
und zurückgehalten werden, Aus einem Pfunde Braunftein tagen fich viele berliner 
Duart Sauerſtoffgas erhalten. 2) Dasreine Stickgas hat feine 
auf eine fo ausgegeichnete Aıt in die Augen fallen. Es kann fich mit dem Sauerftoffe 
verbinden, und je nachdem diefes in verfchiedenen Verhaͤltniſſen gefchieht, entſtehen 
dadurch Salpeterfiure, Salpetergas oder fogen. Wonneluft (orgdirtes Stickgas). 
Das Salpetergas hat die auffallenden Eigenfchaften, Sauerfloffgas, mit welchem 
es inBerübrung kommt, augenblidlich zu verfehlingen und fich damit in ſalpetrig⸗ 
fauren Dampf zu verwandeln. Beim fortgefegten Achımen der Wonneluft fol eine 


7 


igenſchaften, welche 


818 Gasarten 


wurnderdare, nie ampfundene Wonne entftehen, eine Wonne, welche man indeß nicht 
mit Unrecht mit der zuſammengeſtellt hat, welche bei den Erhängten dem Erſticken 
vorbergehen ſoll. 8y Lie man NBafferdimpfe über Eifendraht oder Eiſendraht⸗ 
ſpaͤne in einer weißgluͤhenden Röhre fortfleigen, und fingt die aus der Röhre hervor⸗ 
kommende Luft auf, fe erhält man ein breanbares Gas, das die Erfcheinungen des 
Verbrennens auf eine ausgezeichnete Art zeigt und im gemeinen Leben brennbare Lufs 
heißt. Esverbrehntnur, wenn es in Berührung mit Sauerfloffgas angeſteckt oder 
erhißt wird, und zwar nur in der —— — mit dem Sauerſtoffgas oder 
der atmoſpaͤriſchen Luft, mit einer weißen Flamme. Im Innern deſſelben ver⸗ 
mag kein brennender Koͤrper fortzubrennen, ſondern erliſcht ſogleich. Das Produet 
DE Berbrennens iſt Waſſer, weßhalb⸗man dieſes brennbare Gas Wafſerſtoffgas 
(gas hydrogene) genannt bat. Es verzehren beim Verbrennen 2 Maß Waſſer⸗ 

flöffgas ein Mag Sauerfloffgas, und bilden damit Waffer. Sind beide Sasarten 
nach diefem Verhltniſſe gemifcht, und man entzündet fie, fo entffeht ein furchtbarer 
Knall, roobei felbft fehr fefte Gefüge zerfprengt werden können, daher man dieſes 
Gas chemiſch Knallgas genannt bat. In den fogenannten eleftrifchen Feuer 
jeugen (ſ. 8.) wird ein Strahl Wafferftoffgas in dem Augenblide, in welchem 
man ihn ans einem Gefaße in die atmosphärifige Luft‘ durch Drehen eines Hahns 
entweichen läßt, von einem elektrifchen Funken oder einem Stahlfunken entzänbet, 
und brennt fo lange fort, bis man den Hahn wieder zudreht. Ganz rein iſt es 16 
Mal leichter ale die artmofphär. Luft. Mean fülle daher damit bie Lufthalle, welche, 
wenn ſie groß genug find, mehre Menfchen zu bedeutender Höhe mi’ binaufheben 
konnen. Der Warferftoff nimmt die Sasgeitalt an, nicht bloß wann er rein und 
für: fich vorhanden, fondern auch wenn er mit Kohlenſtoff, mir Schwefel, mit 
Phosphor oder mit einigen Metallen verbinden iſt. In diefem Fal entſtehen ſchwere 
brennbare Sasarten, die ebenfo ſchwer, oder etwa nur halb fo ſhwer als die atmo⸗ 
ſphaͤriſche Luft find; Kohlenwaſſerſtoffgas, reines oder Sauerfigf Haltendes, Schwe⸗ 
felmafferftoffgas, Phosphorwaſſerſtoffgas u. dgl. m. Mehre diefer letzten Gas: 
arten haben fehr merkwürdige Eigenfihaften. 4) Wenn Kohle im reinen Sauer: 
ftoffgas verbrannt wird, fo Andert diefes zwar feinen Raun nit, zeigt aber nach 
dem Verbrennen ganzandre Eigenfihaften als zuvor. Brernende Körper verlöfchen; 
Thiere erſticken darin fogleich (daher die Gefahr, drennende Kohlenbecken in verſchloſ⸗ 
fenen Kammern zu haben), Warfer fhlürft das Gas einund erhält dadurch einen 
fauern pifanten Geſchmack, und remes; völlig durchfichriges ‚Kaftwafier truͤbt ſich 
ſogleich und wird milchig, wenn es mit dieſem Gas, welches alle Eigenſchaften 
einer Säure hat, in Berührung kommt. Es eutſteht picht bdloß beim Verbrennen 
von Körpern, die Köhlenftoff in ihrer Mifchung haber, fondernauch beim Athmen, 
und ift in fehr geringer Menge (von einem oder einigen Tanfendtheilen) in der At⸗ 
mofphäre vorhanden, Daher mm es ehemals Luftſaure, fpäter aber Eohlenftofffaue 
res Gas oder kohlenſaures Gas nannte. Kreide, Marmor, Kalkſpath, gemei- 
ner Kalkſtein, Aufterfchalen u. dgl. m. find allefammı Eohlenfaurer Kalt, Durch 
Erhttzen in einer Retorte, oder durch Daraufgiegen einer machtigern Säure, kann 
man die Rohlenfiure vom Kalk austreiben, und dann entweicht fie gasförmig, im 
teßtern Falle unter beftigem Aufbraufen. Diefes ift die gewöhnliche Art, wie man 
fie fich verfchafft. Sie iſt die erſte Gasart, welche manfennen gelernt hat, und da⸗ 
‚ mals (17755) narmte man fie fire Luft. Sie iſt um die Hälfte ſchwerer als die at- 
mofphärifche Luft, verbreitet fich daher in diefer nur langſam, und fann in.tiefen, 
eingefihloffenen Stellen (in Kellern, Brunnen, Höhlen, Glaſern) geraume Zeit 
bleiben, ehe fie fi in der Atmofphäre verbreitet. Auch Täßt fie fich aus einem bo: 
ben Gefäß in ein andres, fafl wie tropfbare Flüffigkeiter, ausgießen. Sie ift das 
tödtliche Weſen in den Huntshöhlen bei Neapel, zu Pyrmont und in den Mofetten 
am Veſuv. Sie findet ſich in allen Sauerlingen oder finerlich und pifant ſchme⸗ 


t 


Basrkuchtung urn. 519 


‚Senden Mineralwaſſern, 3. D. dem felterfer, fachinger, Alinsberger. u. 6, ‚weiche 


nichts Andres als kohlenſaure Waſſer find und, fich kuͤnſtlich ohne Schwierigkeit 
nachmachen laffen. Diefe Waſſer konnen Metalle auflöfen, und die Eifen- oder 
Stahlwaſſer find eifenhaltige Eohlenfgure Waſſer, 3. B. die pormonten u.a: 5) 
Hoch mehre andre Säuren haben für fi die Gasgeſtalt. Die Salsfüume tn | 
ihnen die merkwardigſte beſonders Die Abänderung berfelben, welche entficht, wene , 
man das Kochſalz, aus dem man dag ſalzſaure Gag Durch Daraufgießen von Schwe⸗ 
felſaure austreibt, mit gepfilvertem Braunßein zufammengetrieben. hat. VDieſes 
oxygenirt⸗ſalzſaure Gas har koſtliche Eigenſchaften, twormuf die chemiſchen Blaichen 
und. Raͤucherungen in den anſteckenden Fiebern u. dgl. m. berirhen.n &, Ber 


thollet, Guy ton und Gilbert's „Annalen der Phyſik, Jahrg48143, Ot.3. — 


Das flußſaure Gas kann zum Ähtzen in Glas gehnaucht werden. Rofhigiht.es. rine 


große Menge andrer Gasarten, ihre Zahl Heigt auf wenigſtens 24 weſentlich ver: 


\ 


ſchiedene. Die Kenntniß derſelben ift aber für, Den, der fich niche mit chemifcher 
Phyſik beſchaͤftigt, ohne Nutzen. ©; Rhenem’s Lehrb. den Chemie‘, deutſch 
durch Fechner (Leipz. 1826), Bd 1.u:.2. we Klaprethts. und. Wolffe 
„Shem. Wörterb,”, Berlin bis 4846, d1.. Suppi. 8.1.  ° — | 
Gasbeleuhtung nennt man die Art, Straßen und Gebäude mittelft 
des Waſſerſtoffgaſes zu beleuchten, Schon ſeit einigen Jahrzehnden machten die 
Chemiker darauf aufmenffam, daß es vortheilhaft fein muͤſſe, das bei ber Verkoh⸗ 
lung der Brennmaterialien verloren gehende. gekohlie Wufſerſtoffgas noch weiter zu 
benugen. Lampadius entwickelte hierüber die erften Ideen in dem 4, Bde, f. „Hüb 
tenkunde (Göttingen 18014). Ihm folgte Lebon in Frankreich, der Erfinder der Ther: 
molanıpe. S. Binger’s „Befchreib. der Therinslompe” (Dresden 1806), Lebon 
entwickelte das Bas für die Thermolanıpe ans Holz. Da aber, um eine gewiffe Zeit 
Licht zu haben, eine große Maffe Holz nöthig ift, fo kam dag Lehan’fcheBerfahren zu 
Feiner Anwendung. 4810 und 1811 fingen bie Englänter an, fich der Steinkohlen 
zu diefer Gasentwickelung za bedienen, ‚und brachten die Dianufacturen: und. Stra: 
Benbeleuchtung mittelft deffelban ſchon zu, Stande, während Lampedius 48411.4.IBe: 
chen lang einen Theil der Fiſchergaſſe in Freiberg verfiichsmweife erleuchtrac. Der große 
Fortſchritt der Engländer in Dergleichung mit der Berfahrungsart des Leenpadius 
und Lebon beftand darin, ‚daß fie das entwicelte Sag, ehe es verbrannt wurde, zuerft 


- in eignen großen Behältern, Safometer genannt, ſammelten und es won hiefen nus 


allmätig ableiteten, flatt daß die Legtern diefes Gas, ſowie es allmaͤlig entwickelt 
wurde, fogleich zu verbrauchen empfahlen. Nun erfi wurde diefes Verfahren allge: 
mein da anwendbar, wo man gute Steinkohlen zu Teidlichen Preifen Haben Eanıt. 
Schon 4815 war ein großer Theil der Ztragen und verzüglichfien Gebaͤude Londons, 
ſowie andrer engl. Städte mit dem Steinfohlengafe erleuchtet. 4846 führte. Lampa⸗ 
dius diefe neue Beleuchtungsart in dem konigl. Amalgamirmerfe bei Freiberg ein, 
ebenſo folgte 1817 das polytechn. Inſtitut in Wien, und 1818 hat man unter der ı 
Leitung bes Directors diefer Anftatt, J. J. Prechtl, um die Anwendbarkeit der Stra⸗ 
genbeleuchtung mit Gas für Wien näber zu beurtheilen, einen Verſuch, derfich fürerft 
nur quf 2 Straßen erſtreckt, ausgeführt. Diefe neue Beleuchtungsmethode beſteht 
nun in Folgendem: Dan legt gußeiferne, eplindrifche, mit einem aufzuſchraubenden 
Deckel verfehene Retorten in einem zweckmaͤßig vorgerichteten Ofen horizontal ein, 
und füllt fie 3 Viertheil voll mit Steinfohlen. Durch ein um Mefelben mit jedem be⸗ 
liebigen Brennmaterial zu unterhaltendes Feuer werden die Retorten mit ihrem In⸗ 
halt allmälig zum fchroachen Stühen gebracht. Dadurch entroicelt fich eine Menge 
des gefohlten Warferftoffgafes nebft Steinkohlentheer, Waſſer und Ammoniak aus 


‚ihnen. Diefe flüchtigen Subftanzen werden durch ein gleich an die Netorten ge: 


goſſenes eiferned Abzugsrobr in einen Kuͤhlapparat geleitet. In diefem verdichten 


fih das Theer⸗ und das ammoniakaliſche Waſſer. fig durch die Kälte nicht 


| 
| 


press Bus rt, um 5 sul ae erimzen. Ts e Van @eke- 
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Eier: zur, Guss #5 Sc user ben Safsumnztertediel aut hebt Kir: 






Aeg⸗Aach m ſ. „Handb. Gasbelrucgtungstunft‘ (Sraucf. a. IR. 
1922, 2 Bde, m. Steindr.:Taf.) mi it. S—s 
Gafomerer, Luftmeffer, nennt man das von Laveifier u. A. erfundene In⸗ 
‚ um durd Verbrennen aus den Elementen des Waſſers Waſſer zu bilden, 
theils die verhaltnißmaßigen Maſſen derfelben genau zı meſſen, theils das folcherges 
flatt gebildete Waſſer genau zu fanımeln und zu wagen. Dan Marum in Harlem, 
v. Haug, v. Seguin, Vogt und Pearfon haben diefe Maſchine fehr vereinfacht. 
Safopyrien, eektrifhes Feuerzeug (f. d.). 
Saffenerleudtung kannten im Alterthume ſchon Rom, Antiochia sc., 
wenigſtens in den Syauptfiragen und auf den Hauptplägen, durch Laternen. In 
wurde 1624, 1526 und 1553 den Einwohnern bereits befohlen, von 9 Uhr 
bends an wegen Raub und Morbbrand auf den Saffen Lichter vor den Fenſtern 
brennen zulaffen. Im Nov. 1658 erhielt die Stadt Laternen. 1667 erhielt Paris 
die jetzige Erleuchtung, weiche London 1668 nachabmte und 17136 die jegige eins 
führte. Ihre Straßenerleuchtung erhielten Amſierdam 1669, Berlin 1679, 
Wien 1687, Leipzig 1702, Dresden 1705, Frankfurt a. M. 1707, Bafel 1721. 
Art der Gaffenerleuchtung ift fehr verfchieden. In nenerer Zeit braucht man 
dazu in der Mitte der Straßen hangende Reverberen (Lichtiverfer). 


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2 


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Gaſſentsz Gaßner 521 


Gaffend't Wierre); Präpefitus der Domkirche zu Digne und Prof. der 
thematik zu Paris, geb. 1592 zu Chanterfier bei Digne in der Provence. Em 
lebhafter und Durchdringender Geiſt, ein giüdliches Gedaͤchtniß und eine glühende 
Wißbegierde erregten fruͤh die Hoffnung, daß er einmal etwas Ausgezeichnetes. 
werde leiften fonnien. &. Altern wandten daher, wiewol fie arm waren, Alles auf 
fine Erziehung. Man erzaͤhlt, daß er fehon in f. 4. J. kleine Predigten hielt. Seine 
tebe für die Aftronomie zeigte ſich faft ebenfo früh. Er entzog fich den Schlaf, um 
den geflirnten Himmel zu fehen, Kaum hatte er in Digne feine Studien vollendet, 
als er ſchon Rhetorik lehrte. Er fand Beifall, obwol er erſt 16 J. altıwar. 1614 
‚ wurde er zum theolog. Lehrer in Digne ernannt, und 2 Jahre nachher erhielt er den 
Lehrſtuhl der Theologie u. Philofophie auf der Univerfität zu Air. Mach 8 Jahren 
führte ihn die Kiebe zur Einfamkeit nach Digne zuräd, wo er ein Merk gegen die 
Ariſtoteliſche Philoſophie fchrieb, aber nicht vollendete. Darauf fludirte er eifriger 
Naturwiſſenſchaften und ſelbſt Die Anatomie, und verfaßte eine Schrift, um zu be: 
weiſen, daß ver Menſch nur zu vegetabilifchen Speifen beftimmt, und daß der Ges 
nuß des Fleifches ein geführlicher Mißbrauch ſei. Der Pränfliche Mann feibft lebte 
— Srunbfaben. Auch als Aftronom war G. ausgezeichnet, wiewol er diefe 
Wifſenſch. nur in Ruͤckſicht der Aſtrologie erlernt und die — der letztern erſt 
fpät aufgegeben hatte. Wir beſitzen von ihm u. a.: Beobachtungen eines Merkur⸗ 
durchganges durch. die Sonne („Epist. ad Schickardem de Mercurio in Sole 

viso”, in f. Werfen), und gefehißte Biographien mehrer ter berähmteften derzeit. 

Afteon., des Ropernicus, Tycho⸗Brahe, Peurbach u. Regiomontanus (Joh. Mul⸗ 
ler), welcher der Ausg. ſ. Werke einverleibt find. Ein Proceß zog ihn nach Paris, 100 
er mächtige Freunde befam, deren einer ihm den Lehrſtuhl der Mathematik an dem 
College royat verſchafffe. Descartes brach Damals eine neue Bahn in der Philo⸗ 
fophie. ©, griffihn mie ſolchem Erfolg an, daß fich die Pbilofophen der damaligen 
Zeit in Sartefianer und Gaſſendiſten theilten. Schon auf der Schule hatte ihm die 
fegolaftifche Philoſophie widerſtanden. Das Studium der Natur hatte ihn zu Des 
mokrit und Epikur geführt, deren roichtige Lehrfüße er als ein mit den Alten innig 
. vertsauter Gelehrter zur Grundlage feiner Phyſik machte, Er erneuerte die Lehre 
von den Atomen und dem leeren Raum in mehren f. Schriften; aber eben dadurch 
309 er fich gefährliche Feinde zu. Ungeachtet der Reinheit feiner Sitten griff man 
ihn von Seiten der Religion an, wogegen er fich aber zu vertheidigen wußte. Er 
- flarb den 25. Det. 1655:  ©8 Werfe wurden 1668 zu Lyon, nebft f. Leben, von 
Sorbiere, und 1728 zu Florenz von Averrani, jedes Mal in 6 Bdon., Fol, heraus⸗ 
gegeben. Alle verrathen einen Dann von tiefer Gelehrſamkeit, aber eben diefe Ge⸗ 
lehrſamkeit ſchadet zumeilen feinen Folgerungen und dem Zufammenhange. Ob⸗ 
gleich ihn Gibbon den größten Philofopken unter den damaligen Gelehrten und den 
rößten Gelehrten unter den Philofophen nennt, fü ſteht doch Descartes in Anſe⸗ 
Puma des felbfidenfenden Geiftes und Styls über ihm. — Zu f. Familie gehörte 
Sean Jacques, Graf Saffendi, franz. Senerallieut. u. Pair, geb. 1748, 
unter Napoleon Senator, Berf. eines gefchäßten Werks über die Artillerie, Er befeh⸗ 
ligte 1789 die Artillerie-Tomp., bei welcher Bonaparte als Lieutenant fland 

umd flarb den 14. Dec. 1828 zu Muits in Frankreich. M. 

Gaßner (Johann Joſeph), geb. am 20. Aug. 1727 zu Drag bei Pludenz in 
waben, befannt als Teufelsbanner, war kath. Pfarrer zu Klöfterle im Bisthum 
Chur, Die Erzählungen von den Befeffenen in der Bibel und fein ununterbrochenes 
Forſchen in den geheimnißvollen Schriften berühmter Magiker hatten ihm den Glau⸗ 
ben in den Kopf gefeßt, daß die meiften Krankheiten von böfen Geiſtern herrühren, 
deren Macht bloß durch Segenfprechungen u. Gebete vertilgt werden koͤnne. Er fing 
an, einige feiner Pfarrkinder zu heilen, und erreichte wenigſtens fo viel, daß er Auf⸗ 
feben machte. Der Biſchof von Konſtanz berief ihn inf. Reſidenz, wurde aber bald 


522 Gaſtein Gaſtfreiheit 
von der Marktſchreierei des Wunderthaters überzeugt und gab ihm ˖ den Rath, zu 
der geiftlichen Seelenforge feiner Pfarrkinder zurüctzufehren. Allein ©. begab fich 
zu andern Reichsprälaten von ſtaͤrkerem Glauben und bannte die Teufel in ihrem 
Gebiete. 171714 erhielt er einen Ruf von dem Bifchof zu Regensburg nach Eik 
wangen, wo eine zahllofe Menge Hülfsbedürftiger u. Neugieriger feiner warteten. 
Hier heilte ©, Lahme und Blinde, vorzüglich aber mit Krämpfen und Epilepfie bes 
Baftete Perfonen. : Wenige ragen maren hinreichend, um Fr erfahren, ob die Krank⸗ 
beit vonnatürlichen Urfachen oder vom Teufel herrühre. Nur im legtern Falle über: 
nahm G. die Sur, Wenn er feinen Diachtfpruch cesset! (fahr aus!) ausfprach, fe 
waren die Teufel gehorfam genug, den Kranken augenblicklich zu verlaffen. Ein öfs 
fentlicher Beamter führte über Die gemachten Euren ein fortlaufendes Protokoll, in 
welchem allerdings die augerordentlichften Dinge in beglaubigter Form begeugt wer⸗ 
den. Man bat aber alle Urſache, zu glauben, daß ©. geſunde Perfonen fehr oft die 
Rolle von Kranken fpielen lieg, und dag feine Sur bei wirklich Leidenden nur fo lange 
anſchlug, als ihre Einbildungsfraft von den Liberredungen des Beſchworers erhißt 
blieb. Aufgeflärte Männer erhoben ihre Stimme gegen ihn, und fein Anfehen fiel 
nach einiger Zeit um ein Merfliches. Er flarb im Diary 1779, nachdem ihn der Bis 
ſchof zu Regensburg, fein befländiger Gönner, in. den Beſitz einer einträglichen 
Pfarre gefebt hatte. ., u 
-  Baftein, Mf. im Salzachkreife (Salzburg) von Oberöftreish, 2785 par. 
5. über der Meeresflüche, mit Gold⸗, Silber- und Dleibergwerfen und einem 
berühmten warnen. Bade. &. Koch von Sternfeld „Liber das Gaſteinthal und f. 
Heilquellen‘ (Mrünchen, 2. Aufl. 1820) und Emifs „Reifehandb, für Kranke und 
- Naturfreunde, melche das Thal und Wildbad Saftein beſuchen“ (Wien 1826). 
Gaſtfreiheit. Die ſchoͤne Sitte der Gaſtfreundſchaft verliert fich in 
das hoͤchſte Alterthum, denn wir finden fie bei dem kaum aus dem Stande der Wild» 
beit getretenen Deenfchengefchlechte am aufrichtigfien geübt. Den Sremdling, wel⸗ 
cher, ein fernes Land durchwandernd, hülfsbedürftig unter ein fremdes Obdach ein: 
kehrt, freundlich aufzunehmen, zu bewirthen und zu fehüßen, gebot die Stimme des 
Herzens, um fo mehr, da in.jenen Zeiten, wo noch Fein Verkehr die Dienfchen & eim 
ander führte, nur eine harte Bedraͤngniß die Auffoderung fein konnte, daß ein Einzel: 
ner die geliebte Heimath verließ und fich in die Fremde hinauswagte, mo er ohne 
gaftfreundliche Aufnahme verderben mußte. So lehrte die Natur die Tugend der 
Gaſtlichkeit. Wir finden fie in den Moſaiſchen Urfunden, in den Sefängen Hs: 
mer’s, nicht minder beiden Arabern, den Germanen und faſt allen Völkern des Al: 
tertbums. Wenn im Allgemeinen die Gaſtfreiheit überall in der Aufnahme, Bewir⸗ 
thung und Schüßung der Fremden beiland, fo waren doch die Begriffe von dem 
Mage der Dienfte, zu welchen man fich gegen den Wanderer verpflichtet glaubte, 
verfchieden. Wol keine Nation übertraf. darin die Araber. Hier nimmt der Haus: 
wirth — denn noch jeßt lebt diefe Sitte unverändert in Arabiens Wüflen fort — den 
bei ihm eintehrenden Fremdling brüderlich auf und hewirthet ihn mit dem Bellen, 
was fein Haus vermag. Er findet fich geehrt Durch ben Zufpruch des Gaſtes und 
freut fich feiner Gegenwart. Iſt aber der Vorrath in f. Haufe aufgezebrt, und bei 
gehrt der Fremde noch länger zu verweilen, fo führt er ihn zu ſ. Nachbar, der nun 
Beide mit gleicher Freigebigkeit bewirthet. Diefe einfache Sitte wurdebeiden Griechen 
durch die Religion geheiligt. Zeus, der deßhalb den Beinamen des Gaſtlichen (Zenios) 
hatte, war der Schüßer der Fremden, er wachte über fie und rächte jede ihnen zugefügte 
Kränfung. Wie wir aus Homerfehen, hatte auch der Fromme Glaube, daß die lin: 
ferblichen felbft zuweilen in menfchlicher Geſtalt auf Erden erfchienen, Antheil an der 
guten Aufnahme der Freindlinge. Im griech. Alterthume entfland aus der Gaſtfrei⸗ 
beit der Bertragder Gaſtfreundſchaft. Einzelne, die bei dem zunchmenden Bert 
zu häufigen Reifen genötbigt waren, gelobten einander gegenfeitige Aufnahme und 


Gaſtmaͤhler der Alten 623 


Bewirthung, fo oft ein Geſchaͤft fie zu einander führen wuͤrde, und Diefe ſagten fie 
einander zu, nicht nur. für fich,. fondern auch für ihre Kinder und Abkommlinge. 
Schon bei Homer finden wir neben der allgemeinen Gaſtfreiheit auch die Gaſt⸗ 
freundfchaft, —* Einkehrenden tönte die freundliche Begrüßung entgegen: 
„Freude dir, Gaſt, fei herzlich willkommen ung! “ 
er wird gebadet, umgekleidet, bewirthet, man erfreut fich feiner Erzählung, Erft nach 9 
u, 10 Tagen, wenn fich der Fremde nicht früher und gegeben, ergeht an ihn die Frage: 
ner, uud woher der Maͤnner? wo baufefi du? wo die Erzeuger? 
Kündigt er ſich als einen Gaſtfreund von Alters ber an, fo ift man doppelt erfreut, 
durch die. Erfütkung der gafllichen Pflichten ein altes heiliges Band erneuert zu haben. 
Zroiefach willtommen war der Gaſtfreund, der fich durch die Haͤlfte des von den 
Vatern zum ewigen Wiedererfennungszeichen gebrochenen Ringes bewaͤhrte; und 
zum Beweiſe, daß feine Gegenwart erfreulich gewefen, entließ man ihm nicht uur 
wohl verpflegt, fondern auch mit Gaſtgeſchenken geehrt, welche in der Familie des 
Empfängers ale Segenftände von befonderm Werthe vererbt wurden, . M. 
Saftsrähier der Atten. Schon Homer („Oxdyss.”, 1,.225 fg.) 
unterfcheidet Gaſtmahl und Gelag. Das Saftmapl. (Eilapine) gab eine Perſon 
auf eigne Koſten, das Gelag (Eränos) ward auf gemeinfchaftliche. Koften der 
Theunehmenden veranflaltet. Beim Baftmahle fanden fish ein 1)wirkliche Säfte, 
welche durch Sklaven dazu eingeladen, 2) Schatten (Skiai, Umbra), weiche von 
eingeladenen Gaͤſten mitgebracht wurden, und 3) Parafiten, eine Art von ſchmaro⸗ 
tzenden Luſtigmachern, die fich auch wol einftellten, ohne gebeten der mitgebracht 
zu fein. Dei den Griechen erfchienen bloß Dlänner, bei den Römern auch Frauen. 
Die Anzahl der Säfte war unbeftimmt. Ehe fie zu Tifche gingen, wurden ihnen 
die Füge gewaſchen und gefalbt. Bei Tifche fag man in der älteflen Zeit, ſpaͤter 
bin lag man, auf folgende Weiſe: Im einen.Tifch waren, oft von Cedernhotz 
verfertigte oder mit Eifenbein ausgelegte, mit Silber und Gold verzierte und 
‚mit koſtlichen Decken belegte Rubebetten (Ottomanen) geftellt. Der Kiegende hatte 
den Obertheil des Körpers auf den linken Ellbogen geſtuͤtzt, den Unterleib gerade 
ausgeſtreckt oder etwas gebogen, im Rücken lagen zu größerer Bequemlichkeit bie 
weilen-Eleine Polſter. Der Erſte am obern Theile des Ruhebetts ſtreckte feine Füge 
Hinter dem Ruͤcken des neben ihm Liegenden aus, der Zweite lag mit dem Kopfe nahe 
an dem; Schoß des Erfien und ſtreckte feine Füße hinter dem Rüden des Dritten 
aus ıc. Daß unter den Plägen ein geroiffer. Rang ftattfand, leidet feinen Zwei⸗ 
gel, allein mar if über die beobachtete Rangordnung nicht gewiß. Da die Tifche 
nicht, wie bei ums, mit Tüchern überdecft, und die Speifen fkie, weil man Mef 
fer und Gabel nicht fannıte, von den Borfchneidern in Eleine Stüde zerlegt waren) 
auf den bloßen Tifch gelegt wurden, fü wurde dieſer nach jedem Gange mit Schminke 
men abgemwifcht, ſowie auch für die Gifte Waſſer zum. Waſchen der Hinde umher: 
gereicht wurde. Seine Serviette brachte jeder Saft mit.” Der Gänge bei. der 
Mahlzeit waren 3: das Vormahl, wobei man lauter die Eßluſt reizende Speifen 
auftrug, das Hauptmahl, welches aus mehren und beffer zubereiteten Speifen bes 
fland, und der Nachtifch mit Naſchereien. Während des Mahles trugen die Säfte 
weiße Kleider, ſchmückten fich mit Kränzen ung falbten fich .ofe Haupt, Bart und 
Bruſt mit duftenden Ölen. Das Sem ſelbſt wurde mit Krängen ge: 
fhmüdt, und die Rofen, die als Sinnbild des Schweigens über dem Tifche aufges 
hängt waren, haben das noch jet übliche Sprüchwort: Einem etwas sub rosa (un: 
tee der Rofe) mittheilen, veranlagt. Der Sympoſiarch (Tafelfürft), entroeder der 
Wirth felbft, oder eine von ihm ernannte Perfon, forgte für Alles zum Gaſtmahle 
Nöothige; der Schmauskdnig oder das Auge führte die Aufficht über das Trinken; 
der Austbeiler theilte Jedem feine Portion zu, und Weinſchenken, meift fchöne Kna⸗ 
ben, reichten die gefüllten Becher dar, an denen gewoͤhnlich Kunſt und Pracht wett 


528. Gaflon de goix Goſtriſch 


eiferten, und die auch. der: Kränge nicht ermangelten. Den Wein tranf man mir 
Maffer gemifcht. Das eigens hierzu befinnbute Miſchgefaß hieß Krater (Miſch⸗ 
fkrug), aus welcheni mit einem Schoͤpfkrüglein (eyathus) in die Becher (pocula) 
eingeſchenkt wurde. Der üppige Romer trank aus Kryſtall, Bernftein und koſtli— 
her Murrba, einer Art Porzellan, die Pompejuseinführte, aus Onng, Hund 
kuͤnſtlich getriebenem Goide, mit Edelſteinen beſetzt. Gewöhnlich brachte maneinen 
Becher dem’ guten Gott, einen dem errettenden Zeus, einen Ber zugea, und einen 
dem Mercur, 'oder wie Andre wollen, den erfien dem olympifchen Zeus, den zweiten 
den Hersen, den dritten dem errettenden Zeus. Mur die Maßigen aber begnigten 
fich mit dieſer Zahl der Grazien, Andre gingen über die Zahl der Muſen hinaus, 
denn man tranf nicht bloß in die Hunde (Encnelopofke) fondern auch auf das Wohl 
abwefender Freunde und Geliebten, und dann fo viele Becher, als der Name Buchs 


. . flüben enthielt, ja man ftellte förmliche Trinkkaͤmpfe mit ausgefeßten Preiſen an. 


Marärfich machte es einen Linterfchied, voer.fich bei dem Gaſtmahle befand, denn 
ein Sympoſion von jungen Leuten und eins von Philoſophen oder Staatsmaͤnnern 
‚ hatte Freilich verfchiedene Unterhaltung. Außer der Iinterhaltung durch Sefpräche, 
die oft, wie wir aus Plato's und Plutarch's Sympoſien fehen, fehr ernft und.phie 
loſophiſch war, öfters aber im Scherz und Wig fich umbertrieb, wobei die Raͤthſel 
und Gryphen (f. Oryphi) eine große Rolle fpietten, hatte man noch die durch Ger 
fang, und das Skolion (f. Sfolien) ſtimmte bald zu heiterer Freude, bald zu er⸗ 
habenem Ernit, . Nach beendigtem Mahl erfchienen zur Beluſtigung der Säfte Flo⸗ 
tenfpieler,. Sangerinnen, Tinyerinnen und Poffenreißer aller Art; oder die Gaſte 
trieben felbft allerhand Spiele, unter denen der Rottabos berühmt ift. Bei feiers 
lichen und prächtigen Gaſtmahlen theifte der Wirth zulegt noch Geſchenke an feine 
Säfte aus, welche Apophoreta hießen. fters wurden diefe zu größerer Bes 
Luſtigung durch eine Lotterie verlooft, " de 
 Safton de Fgig, Herzog von Nemours, Sohn Jeans de Foix, Gra⸗ 
fen D’Eftampes, geb. 1488 von Marie v. Orleans, der Schivefter Ludwigs Xit., 
war ber Liebling ſ. konigl. Oheims, der mit Wohlgefallen zu fügen pflegte: „Ga⸗ 
flon ift mein Berk, tch habe ihn auferzogen und ihn zu den Tugenden gebildet, die 
man fchon in ihm bewundert“. In einem Alter von 23 J. machte er f. Namen 
unfterblich in dem Kriege, den Ludwig in Italien führte, Er fchlug ein Schwere 
zerheer zurück, ging in reißender Schnelle über 4 Flüffe, verjagte den Papſt 


aus Bologna, gewann am 11. April, am DOflertage 1512, die. berühmte. 


Schlacht von Raverma,.und endigte hier fein kurzes, aber glorreiches Leben, 

als er einen Haufen Spanier, der fi) zuruͤckzog, einfchließen wollte. M. 
Gaſtriſch (a. d. Sriech.), das auf die Verdauung Bezughabende. Gas 

ſtri ſches Syſtem begreift alle Theile des Körpers, bie die Verdauung möglich 


machen, gaftrifhe Krankheiten find ſolche, in denen vorzüglich die Ver: 


dauung geflört iſt. Di die. Vorſchriften der Gefundheitslehre in Rüdficht des Ef: 
fens u. Trinkens fo häufig übertreten werben, die Befchaffenheit der Nahrungsmit: 


tel ſelbſt oft fehlerhaft, das gaftrifche Syſtem ans vielen Theilen zufammengefeßt, . 


und der Einfluß der Außern Temperatur auf baffelbe fehr bedeutend ift, ſo mäffen 


gaſtriſche Krankheiten nothwendig4rweiſe haufig vorfommen. Ihre Zeichen finde 


Mangel an Eßluſt, ditterer, widriger Geſchmack, dick belegte oder fehleimige Zunge, 
häufiges uad unangenehmes Aufftogen, Ekel und Erbrechen, Drud und Schwere 


im Unterleibe, Durchfall oder Berftopfung u.f. w. Wegen der genauen Verbin⸗ 


Bung, in der die übrigen Theile des menfchlichen Körpers mit den Berbauungs- 
werkzeugen fteben, verbinden fich die gaftrifchen Krankheiten Häufig mit andern, 


5 B. mit Sieber, daher gaftrifches Fieber. Gaftrifches Heilverfak-. 


zen ift £unftmäßige Anwendung der die erwähnten Krankheiten bebenden Mittel; 


Gaftromanie . Gau J 625 


wir begreifen darunter die Anwendung Erbrechen oder Durchfall erregender Arz⸗ 
neien und eine ſtrenge Diät. Ä 0, IE. 
— Baftromanie, Schwelgerei im Effen und Trinken, und Gaſtrond⸗ 
mie, die Kenntniß von Allem, was darauf Bezug bat. Die Romer hatten diefo 
Schwelgerei auf die gröbfle und üppigfte, die Franzoſen haben fie auf die feinfte, 
mit Geſundheit und gefelligem Frohſinn Abereinftimmendfte Weife ausgebilden - 
. &, en parifer „Almanac des gourmands“ (der neue, feit 1825, enthält frohe 
Geſange von Beranger u. A.). una . 
 Saftromantie (von yasrye, Bauch), eine befondere Art der Wahr: 
fagerei bei den Griechen. Man ftellte gewiſſe weitbauchige Glaͤſer, mit Elarem 
Warffer gefüllt, auf einen Platz, und brennende Badeln rings umber. "Dann betete 
man mit leifer Stimme zu einem Dämon und legte ihm bie Frage vor, deren Auflö: 
fung man begehrte. Nun mußte ein Eeufcher‘ und unbefleckter Knabe oder eine 
fehwangere rau mit Sorgfalt alle in den Släfern fich ereignenden Veränderungen 
bemerken und zugleich von dem Daͤmon eine Antwort wünfchen, erbitten und auch 
fodern. Diefer gab: fie endlich durch gewiſſe in den Släfern fich zeigende Bilder, 
soelche die Zukunft verfündigen follten. . 
Battener (Johann Shriftepb), Hofrath, geb. zu Lichtenau im Nuͤrnbergi⸗ 
{chen d. 18. Juli 1727, fludirte zu Nürnberg und Altdorf hauptſaͤchlich Biftorifche 
Wiſſenſchaften, erhielt eine Stelle an dem Gymnaſium in Nürnberg, kam 17168 als 
ordentl. Prof. der Sefchichte nach Göttingen, und ftarb daſelbſt den 5. Apr. 1799. 
Er beherrſchte das. ganze Gebiet der Geſchichte und ihrer Hülfswiffenfchaften, der 
Geographie, Senealogie, Heraldik, Diplomatik, Numismatik und Chronologie, 
hellte theils das Ganze, theils einzelne Theile derfelben durch richtige Werke und Abs 
Bandlungen auf, und führte in das Studium der allgemeinen Weltgefchichte. und in 
die akademiſchen Vorträge derfelben die beffere Dietbode ein, welche die Erzͤhlung 
nach ber Zeitfolge mit Synchronismus verbindet. Bor allem haste fich die alte Ge⸗ 
ſchichte der. wichtigften Aufklärungen durch f. Fleiß, f. gründliche Gelehrſamkeit und 
F hiſtoriſchen Forfchungsgeift zu erfreuen. Zu beflagen ift es, daß viele f. Werke 
unvollendet geblieben find.. Über Diplomatit, Chronologie, Genealogie, Erdbefchreis 
bung und Heraldik bat er hoͤchſt ſchatzbare Handbücher herausgegeben. Die k. 
Societat. der Wiffenfthaften in Göttingen hatte an ihm eins ihrer ihſwigſten Mit⸗ 
glieder, vr feibft ſtiftete 1764 das biftorifche Inſtitut, deſſen Director er 17167 - 
. wurde... Batterer’s Tochter, Magdal. Philipp., verwitw. Engelhard, geb. 1756, 
Bat: fich ala Iprifche Dichterin befannt gemacht. Heyne hat in einem Elogium auf 
Gatterer die Verdienſte deffelben gebüßrend gewuͤrdigt; in den „Zeitgenoffen”, . 
Nr. H., befindet fich ebenfalls eine gut gefchriebene Biographie und Charakteriſtik 
Satterer’s. von Malchus. ee | Kurse ’ 
Ga (pagus). In den aͤlteſten Zeiten war Deutſchland in Gaue, d. h. in 
Bezgirke von etlichen Quadratmeilen, nach gewiſſen Grenzen von Gebirgen, Ge: 
waͤſſern u. ſ. w. eingetheilt. Mehre Gemeinden lebten darin in einer:gewiſſen Ver⸗ 
bindung. über ‚die Gaue waren Grafen oder Richter geſetzt; daher Gaugrafſchaf⸗ 
ten. (&, Sraf;) Mit der Beränderung der Grafen veränderte ſich auch diefes, 
Segen das 12. Jahrh. kamen die Gaue als politifche Eintheilung in Deutſchland 
ganz ah, und nur in den. Damen mehrer Gegenden (Breisgau, Sundgau u. f. m.) 
ift eine Srinnerung. an fie geblieben; doch gibt es noch hier und. da, wenigſtens in 
Miederfachfen, kleine Berwaltungsbeiirke, welche Sohgraffchaften genannt 
werdan, und deren Vorſteher eine den Amtern.untergeordnete Behörde bilden, wie 
dena. felbft auf den größern Pachtämtern jener Gegend den Aufſchern der Ackerknech⸗ 
te ıc. zuweilen der Titel Gohgrafen beigelegt wird. &.,A.0. Werfebe, „Beſchr. 
der Gaue zwiſchen Elbe, Bagle, Unſtrot⸗Weſer und Werra im 10. u. 11..Yahrb. 
(HanwerA928, 4, m. Ei); u. v. Leutfch, „Markgraf Gero‘ (Leipz. 1828). 


* 





verdankt ſ. Bildung der Kunflafademie zu Paris. Wa 


5. Gau (Karl Franz) 


& au (Karl Franz), aus Koͤln, Architekt der franzbf. Regierung (feit 1816), 
Veen feines Aufenthalts in 

Mom (1817 und 1818) faßte er den kuͤhnen Entſchluß, durch eine Reife nach Nu⸗ 
bien, die ihm feinen geflörten Srieden wiedergeben follte, eine Fortſetzung des gro: 
fen Prachtwerks über Agypten zu liefern und die Arbeiten des ägnptifchen Inſtituts 
alfein zu vervollftändigen. Als er, von Niebuhr berathen, und vorbereitet durch 
ein genaues Studium der Hülfsmittel, feinen Plan auszuführen im Begriff war, 
ſchien das Zufammentreffen mit einem reichen Reifenden, der ©. fich zu verbin: 
den wünfchte, fein Wagniß zu begünftigen. Aber ſchon bei der: Ankunft in Agyp⸗ 


ten mußte er fich von dieſem Heifegefährten, auf den fein Unternehmen zum Theil ber | 


rechnet war, trennen. Dbgleich auf feine wenigen eignen Mittel von nun an be 
fchränft, blieb &. doch unerfchütterlich in feinem Vorhaben. Allein, ohne Dies 
ner und Führer, felbft ohne Gepaͤck, folgte er von Aleyandria aus zu Fuße einer 
kleinen Saravane mitten durch die Wüfte. Ohne die Landesfprache zu Eennen unb 
mit Mundvorrath verforgt zu fein, würde ihm die Fortfegung der Reife Doch ums 


. möglich gewefen fein, hätten nicht die gaftfreien Araber ihn jeden Abend eingeladen, 


das Nachteſſen im Lager mit ihnen zu theilen. Nach den fchredlichften Entbehruns 
gen und Anftrengungen erblickte G. die Pyramiden. Kleinliche Eiferfucht wider: 
feste fich in Kairo der Fortfegung feiner Reife. Der englifche Conſul Salt furhte 
die Ausfertigung des Firmans zu bintertreiben, der ihm weiter zu gehen erlaubte; 
durch den Zeitverluft ging des Reiſenden kleine Baatfchaft aus; auch fein Muth 
wich dem Andrange fo vieler Widerwärtigfeiten. Da nahm fich Drovetti, der eher 
malide franz. Generalconſul, des Reifenden wohlwollend'an, forgte für den Firmen 
und eilte ihm nach Theben voraus, wo ©. nach einer Nilſchifffahrt von 32 Tagen 
eintraf. Dort wählte Drovetti Araber, denen\er durch Berfprechung. das. Leben 
und die Sicherheit des jungen Reifenden empfahl, forgte-für die Barke, die, mit 
Zwieback, Reis und trodenem Gemüſe beladen und von einer Matte bedeckt, die 
Earavane aufnahm, zu der 4 Matrofen, ein Lootſe und ein franz. Mamelud, der 


als Dolmetfcher dienen follte, Hinzufamen. Nach 14 Tagen kam G. nach Effunn, 


zu den Trümmern des alten Syene, an Ermenti,.Edfu, Com Ombos abfichtlich 
vorbeieilend. Man hatte ihm geftattet, Die Nilfalle zu überfehreiten und ſelbſt gegen 
fonftige Sitte, die von Theben mitgebrachten Matrofen zu behalten; nur: einer nu⸗ 
bifchen Zootfen nahm er in Eſſuan mit fich und einen Dolmerfcher für die in Nubien 
einheimifche Barabara- Sprache. Auf diefelbe Weiſe, wie zu Herodot's Zeiten ver: 
fahren wurte, kam ©, über die erften Nilfälle hinweg. Den Wind benutzend, 
der feiner Stromauffahrt bis zu den zweiten Nilfällen günftig war, bejeichnete er 
ſich nur flüchtig die Stellen, die er bei der Rückkehr. genauer unterfuchen wollte, und 
erreichte glücklich den Zielpunft feines Strebens. Herr feiner Fahrt, hing es ganz 
von ihm ab, anzuhalten, wo er-wollte, /und in Muße zu zeichnen ımd zu meſſen. 
Er fand 24 Denkmäler, zwiſchen der zweiten Katarakte und Philaͤ, die bisher völlig 
ungefannt oder noch nicht in Zeichnungen gefehen waren; und fowol feine Wahl als 
feine Darftellung hat überall die gerechtefte Anerkennung erhalten, : Die Treue und 
Wahrheit feiner Zeichnungen, die auch im Stiche nicht verloren gegangen iſt, und 
die auigkeit feiner Maße und andern Angaben bat Gs „Nexrentdeckten 


Denkmaͤlern Nubiens” (Stuttg., Cotta, gedrudt in Paris, 12:Hefte; jebes zu 


4— 6 Kyfen.,. gr. Fol. geendigt 1828) das einſtimmige Zeugniß der franz, Bes 
urtheiler werfchafft, daß es fich durchaus als nothwendige Fortfegung an „Das 
Merk des Siege und des Genies“, an die prächtige Befthveibung von Agypten ame 
fchließe, die das Nilland nur bis Phil umfaßt. Ten Tert bat größtentheils 

iebuhr beforgt, in desfen Händen E&u.die jahlreichen Infchriften zuruͤckließ, 
die er in-Nubien gefammelt hatte... Niebuhr gab. Proban davon in feinen. „In- 


scriptiones nubienses* (Nom 1820, &.). - Mach ab Rückkehr von Jeiner Reife 





Gaudin Gauß 327 


hielt ſich ©. einige Zeit in Nom auf. Dann wurde er in Frankreich naturalifirt 
und erhielt: 1825 das Kreuz der Ehrenlegion. 

Gaud in (Martin Michel Charles), Herzog v. Baeta, geb. 1756 zu S.De⸗ 
nie, Sohn eines Advocaten, war felbft Advocat und wurde, 22%. alt, Bureauchef 
des Generaldirectors des Depart. des impositions. Alg die Finanzverwaltung - 
17189 in eine Nationalfchagfammer umgewandelt wurde, ernannte man ©. zum 
Mitgliede der mit ihrer Leitumg beauftragten Commiſſion. In der Schredins: 
zeit gelang es ihm, durch Cambons Vermittelung die 48 alten Finanzeinnehmer zu 
retten, welche der Convent aus Unwiſſenheit in das Decret mit inbegriffen hatte, 
dem zufolge die 60 Generalpächter als Dpfer desRevolutionsgerichts fielen. Dann 
rettete er dem berühmten D’Espremesnil, ehemal. Parlamentsrath, das Leben. 
Spaͤter zog er fich von allen Sefchäften zuruck; der Director Sieyes trug ihm wieder 

eine Stelle an, und nad) dem 18. Brumaire ernannte ihn Bonaparte zum Finanz: 
minifter, in der Folge zum Herz. von Gaëta. Er behielt dası Finanzminifterium 
bis zur Reflauration, faß dann 1815—18 in der. Deputirtenfammer, wurde 1820 . 
Sosmerneur der franz. Bank, verlor dieſe Stelle wieder, blieb indeffen fortwährend 
und noch im J. 1828 bei derfelben thaͤtig. G. hielt fich flets von allen Parteien 
entfernt, und ward von allen gefucht. & zuerft hat Ordnung und Feftigfeit in das 
franz. Finanzwefen gebracht. Die „Mernoires, souvenirs, opinions et ecrits de 
M. Gaudin, Duc de Gaete” (Paris 1826, 2 Bde.) find für die Gefchichte des 
franz. Finanzwefens von 1800 — 20 ſehr wichtig. \ . 
auf (KarlFriedrich), Hofrath und Ritter, Mitgl. der k. franz. Akad. der 
Wiſſenſch., einer der größten Mathen:atiker, geb. d. 23. Apr. 1777 in Braunſchweig, 
feit 1807 Prof. der Mathem. u. Aftronom. in Göttingen, gab ſchon auf der Schule 
ſo deutliche Berveife großer Talente, daß er die Aufmerkfamfeit des Herzogs Karl 
Wild. Ferdinand auf fich 309, der f. fernere wiffenfchaftl. Ausbildung auf alle Weiſe 
unterfbigte. Bereits in f. Doctordifputation (1799) legte G. Proben f. Scharffinne 
ab, dadurch, daß er die frühern Bemühungen, den Hauptfaß der Algebra zu beiveifen, 
fritifirte und felbft einen neuen, firengen Beweis lieferte. Aber ſchon 1804 ent- 
wickelte er f. Kräfte glängender, indem erf. „Disquisitiones arithmeticae‘‘ (Leipz, 
4801) befanntmachte, ein Werk voll der feinften mathemar. Zpeculatiön, durch . 
welches die höhere Arithmetik mit den fchönften Entdeckungen bereichert worden ift. 
Als &., von dem ganz eigenthümlichen Reize, welchen diefe Speculationen gewähren, 
getrieben, f. ganze Kraft darauf zu verwenden anfing, war Das, was Andre bereits 
geleiftet hatten, ihm größtentbeils unbekannt; diefem Umſtande verdanken wir die 
neuen Beweife der meiften Süße, deren Strenge und Eleganz an die alten Geometer 
„erinnert. Als am Anfange diefes Jahrh. die neuen Planeten entdesft wurden, ſuch⸗ 
te und fand ©. neue Methoden zur Berechnung ihrer Bahnen; er wandte diefe 
Methoden felbft an, verfchaffte ung dadurch eine fehnelle und genaue Kenntniß jener 
neuen Planeten und theifte endlich die Diethoden felbft in der „Theoria motus cor- 
orum coel.” (Hamb. 1809, 4.) mit, einem Werke, welches viel beigetragen hat, 
em um diefe Zeit ermachenden Sinne für genauere und folgerichtigere Benußung 
der aftronom. Beobachtungen die rechte Richtung zu geben. Später bat G. dem 
Probleme von den Störungen der Himmelskörper eine neue Anficht abgewonnen, 
deren Ausführung und Anwendung auf die Pallas wir noch erwarten. Auch f, 
„Fheoria combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae’” (Gott. 
1823, 4.) bat die Wiffenfchaft bereichert. Seit der Vollenduug der neuen göttinger 
Sternwarte bat er auch den aſtronom. Beobachtungen feine Zeit gewidmet; jeßt iſt 
er mit der Fortfegung der daͤniſchen Gradmeſſung im Königreiche Hanover befchäfs 
tigt, bei welcher Gelegenheit er die fchöne Erfindung gemacht hat, die entfernteften 
Stationen durch reflectirtes Sonnenlicht ſichtbar zu machen. Des göttinger So: 
tietät hat er von Zeit zu Zeit Abhandlungen yargelefen, welche eine Zierde der Som: 


⸗ 


628 Gavotte Gay (John) 


mentarien find. Alle wiſſenſchaftliche Leiſtungen dieſes griginalen Geiſtes aufzu⸗ 
Rhlen, würde bier am unrechten Orte fein; aber erwaͤhnen müffen. wir, daß 
alle Arbeiten von G. eine Vollendung befigen, welche nichts zu wuͤnſchen übrig 
fügt; er iſt nie zufrieden mit der Entdeckung einer neuen. Wahrheit oder Methode: 
vollendet erfcheint fie vor dem Publicum, und felbft in der Sprache zeigt fich die . 
‚ forgfältigfte Feile. Über das von G. erfandene Inſtrument, Heliotrop, ſ. m Bo⸗ 
des „Aftronom. Jahrb.“ für 1825. . 80. 
Savotte, ein vorzüglich zum Tanz angewandtes Tonftüd von munterm 
Charakter. Es befteht aus zwei Repriſen, fängt im Auftakt an und ſteht im Alla: 
brevetaft. Jede Reprife beſteht aus Takten, Der Grundrhythmus diefes Tonftücks 


iſt alſo· EEFIFLLL ILL. Da die Bewegung wegen diefes legten Falles an 
und für fich etwas lebhaft ausfällt, und der Charafter der Savotte zwar munter, aber 
dabei auch zärtlich iſt, fo find Achtel die gefchwindeften toten, die darin vorfommen, 
Die Savotten waren ehemals auch in Sonaten, Suiten u. f. w. eingeführt, da 
man fich nicht genan an diejenige äußere Form band, die fie als Tanzſtuͤcke hatten. 
Neuerdings ift diefer Tanz wieder hervorgefucht und Beliebt geworden, 
Say (Hohn), englifcher Lieder: und Fabeldichter, geb. 1688 zu Barnſtaple 
m Devonfbire, erpielt von Luck, Schullehrer an diefem Orte und Dichter, eine Er- 
ziehung, die zur Entwickelung feines Talents für Poeſie nicht wenig beitrug, Er 
‚ ging in die Plane feines unbegüterten Vaters, der ihn zu einem Krämer beftimmt 
batte, nicht ein, fondern verließ die Lehre und trat 1712 als Secretair in die Dienfte 
der Her 25. 9. Monmouth. Hier blieb ihm Muße genug, die Dichtkunſt zu üben, 
Er machte f. „Rural sports”, ein ländliches Gedicht in 2 Gef, bekannt, und wib: 
mete fie dem berühmten Pope, welches die erfie Veranlaſſung zu der vertrauten 
Freundſchaft zwiſchen beiden Dichtern gab. 1713 Tieg er ſ. Komödie: „The wife 
of Bath‘, druden, die auf der Bühne kein Gluͤck gemacht hat, und gab um diefelbe 
Zeit „The shepherd’s week“ heraus, eine aus 6 Eklogen beftehende, aus der ge: 
meinen Wirklichkeit gefchöpfte Schilderung des engl. Landmann, welche dem Ge⸗ 
ſchmacke f. Landsleute fehr zufügte, Da er aber diefes Werk dem Lord Bolingbrofe 
angeeignet hatte, fo mußten ihm die darauf gegründeten Hoffnungen zur Beförde: 
rung bei der neuen Regierung fehlfchlagen, obgleich er, als Secretair des Grafen 
Elarendon, engl. Sefandten am hanöv. Hofe, im legten Negierungsjahre der Kö- 
nigin Anna, zu glänzenden Erwartungen berechtigt war. "Nach ſ. Ruͤckkehr trat er 
mit der Tragifomddie „What-d’yecall-it”, und 1717 mit der unter Pope’s und 
Arbuthnot's Beihülfe gefehriebenen Komötie „Three hours after mariage” auf, 
£onnte aber nur für die erftere einigen Beifall gewinnen, Er begab fich hierauf nach 
Aachen und lebte einige Zeit auf dem Landfiße Des Lord Harcourt. Hier veranftals 
tete er die Herausgabe f. Gedichte auf Subfeription, die ihm 1000 Pfund ein: 
brachte. 1724 erfchienen „The captives”, ein gut aufgenommenes Trauerfpiel, 
und 1726 der 1. Bd. ſ. zum Unterrishte des Herzogs v. Cumberland gefchriebenen 
Sabeln, durch.welche er fich bei den Engländern den Namen eines claffifchen Dich: 
ters erwarb. Einen beifpiellofen Beifall erhielt feit 1727 f. „Beggars opera” ' 
Gettleroper), welche ein Nationalftüc der Engländer geworben iſt. Diefer Dper 
liegt eine voahre Anekdote aus dem Leben des berüchtigten Jonathan Wild zum 
runde. Ein zweiter Theil, unter dem Titel „Polly, wurde nicht auf die Bühhe 
gebracht, Die „Beggars opera” gewann ihm das Wohlmwollen vieler Großen, 
efonders des Herzogs und der-Herzogin v. Queensberry, in deren GSefellfchaft er 
den legten Theil f. Lebens zubrachte, nachdem er vergebtich auf eine Anftellung von 
Seorg I, undf. Gemahlin gehofft, die ihn vor ihrer Thronbefteigung perfönlich ge 
fhägt hatten. Er flarb am Ende 1732 und wurde in der Weſtminſterabtei begra- 
ben. Der zweite Theil f. Fabeln, meift politifchen Inhalts, erfthien, dursh den 
Herzog v. Queensberry beforgt, erſt nach f. Tode. Say war, nach Pope’s Ur: 


— — 


‘ 


Gay⸗Luſſae Gebaͤrde 529 


xheil, ein gerader anfpruchslofer Mann, der fo redete, wie er dachte, ımd immer zu 
mißfallen fürchtete, Johnſon fpricht ihm mit Recht jene mens divinior a), die 
das Eigenthum großer Dichter ift, läßt ihm aber als einem Sänger einer n.edern 
Sphäre, befonders in der Darftellung des wirklichen Lebens, volles Recht wider⸗ 
bren. Er preiftihn als den Erfinder der Liederoper, welche die italienifche lange 
it verdrängte und über ein halbes Jahrh. fich mit Beifall auf der Bühne erhielt. 
 Gay:Luffac, Mitglied der Akad. der Wiffenf. und feit 1816 Prof. an 
der polptechnifchen Schuk zu Paris, Chemiker und Phyſiker, machte fich zuerft 


durch eine Lufifahrt in ‘Paris befannt, indem er fich, vereint mit Biot, in f. Bal⸗ 


Ion zu der bis dahin noch unerreichten Höhe von 3609 Toifen erhob, Diefe Lufts 
“reife gab ihm Gelegenheit zu einer Menge merkroürdiger Entdeckungen im Reiche der 

Phyſik, die fich, wie DB. f. Wahrnehmungen über das Steigen und Sinken des 
Qyedfilbers und mehrer andern fläffigen und elaftifchen Körper in den hoͤhern Lufts 
fehichten, ſowie unter den verfchiedenen Wärmegraden; durch wiederholte Verſuche 
flets als richtig bewaͤhrt haben, und unter Anderm die erfte Beranlaffung zu des 
Engländers Dalton fcharffinnigen Unterfuchungen und Beweiſen über die unges 
meine, bis zur Berdoppelung fleigende Ausdehnung des Bolumens der Fläffigkeiten 
(namentlich des Waſſers) bei dem Durcgange durch alle Grade der Temperatur vom 
2 zum Siedepunkte gaben. Später verband ſich Gay⸗Luſſac mit Alex. 
v. Humboldt zu einem DBerfuch der genauen Beftimmung der Abweichung des mags 
netifchen Aquators von dem Frdäquator, wobei beide Gelehrte ſich auf die von Las 
peyrouſe in diefer Beziehung gemachten Wahrnehmungen flügten. Man bat von 
Gay⸗Luſſac intereffante Auffüge in den „Aunales de chimie” und dem „Bulletin 
de la Societ& philonathique”; mitf. jeßigen Collegen Thenard gab er „Recher- 
ches physico-chimiques, faites sur la pile.galvanique, et les pr&parations du 
potiassium” (Paris 1811, 2 Bde.) heraus. ‘ 

BGaza (Theodorus), ein Nachfolger des Emanuel Chryſoloras als Lehrer der 
griech, Sprache und Literatur im Abendlande. Er kam als Flüchtling nach der Er⸗ 
oberung von Konftantinopel dureh die Türken nach SYtalien und erwarb fich dort eine 
genaue.und fertige Kenntniß der Landesfprache, 1440 wurde er öffentlicher Lehrer 
‚ zu Serrara, und 1451 zog ihn Papft Nicolaus V. mit a. Gelehrten nach Rom, wo 
der Cardinal Beffarion ihn in f. Gefolge aufnahm. Nach Nicolaus's Tode berief ihn 
König Alfons nach Neapel, und als der Tod ihm auch diefen Gönner geraubt hatte, 


kehrte er nach Rom zurüd, wo er aber durch eine geringe Belohnung des Papſtes 


Eirtus IV. für eine Dedication fo gefränkt wurde, daß er fich nach Ferrara und von 
danach Calabrien zurüdzog, mo er 14718 flarb, ©. hat nicht bloß als Lehrer durch 


das Wort, fondern auch durch f. Schriften, und namentlich durch lat. liberf. griech, 
A 


Claſſiker zur Berbreitung des Studiums der griech. Literatur gewirkt. Seine 

arbeit ift eine Liberfegung der naturgefehichtlichen Schriften des Ariftoteles. 
Gebaͤlk werden batd die fammtlichen Balken eines Gebäudes, bald bioß der 

oberfte Theil oder das Hauptgefims einer Säulenftellimg genannt, welches auf den 

Säulen ruht und aus 3 Theilen befteht, dem Unterbalten oder Architrab, dem 

Fries und dem Kranze. (3. Säule) Die fchidlichfte Höhe des Gebaͤlkes bei jeder 


Art von Säulen iſt der vierte Theil der Säulenböhe ſelbſt; iftes höher, fo fcheint es - 
Das Gebaude zu erdrücken, und niedriger gibt es dem Ganzen ein ärmliches Anſehen. 


Bei jeder Säulenordnung findet man hierin übrigens Verſchiedenheit. (S. Sau⸗ 
lenordnung.) | 

Gebarde, von dem veralteten Gebahrn, gebahren, als Haupt: und Zeit: 
wort, auch: fich. gebahren, fich betragen. Unter Gebarde in der beſtimmten Bes 
deutung verfteht man eine Art des ehnfiegmomifehen Ausdrucks des Innern im Kor⸗ 
per; es iſt aber nicht leicht, dieſe Art genau zu beſtimmen. Von der Miene ſcheint 


ſie ſich in folgenden Punkten zu unterſcheiden: 1) die Miene ea Bors 


| Eonveriationd: Lexicon. Bd. IV. 


530. on Gebärbe ' 
übergebendes, die Sebärde, obfchon fie fich auch in Bewegungen Aufert, etwas 
Beharrliches; 2) die Diiene erſtreckt fich bloß auf die Bewegungen des Geſichts, die 
Sebärde auch auf den übrigen Körper; 3) die Miene ift blog Seelenausdrud im 
Sefichte vernünftig finnlicher NRefen, Gebärden zeigen fich auch bei bloß finnlichbes 
gehrenden Wefen ; 4) die Miene ift daher Ausdrud der Geſinnung, des freien Cha: 
rafters, Gebaͤrde drüdt die eben jeßt berrfchende Leidenfchaft, den vorübergehenden 
Affect aus. So bemerkbar diefe Unterf eidungen Hin und wieder find, fo ſchwankt 
doch im Ganzen der Sprachgebrauch. Übrigens ift auch bei dieſen Unterſcheidun⸗ 
en nicht zu verfennen, daß Sebärde bald in einem mweitern, bald in einen engern 
inne genommen ift. Im weitern Zinne befaßt man darunter jeden phyſiognomi⸗ 
ſchen Ausdruck des Innern im Körper, und dann find die Mienen mit Darunter bes 
riffen. Jene flumme Sprache mit ihren malenden, ausdrückenden und deutenden 
ichen, twelche man die Sebärdenfprache nennt, würde deßhalb auch die Mie⸗ 
nenfprache unter fich befafien, fodaß die Sebärbenfprache ebenfomol das Geſicht ale 
die übrigen Glieder des Körpers zu Darftellungemitteln hat. Die Sebürde wäre 
demnach das Allgemeine, die Diiene das Befondere. Beim Entwurf einer Theorie 
der fürperlichen Beredtſamkeit wird es dienlich fein, dieſen alfo fefigefegten Unter⸗ 
fehied anzunehmen, und zur Miienenfprache auch Das mitzurechnen, was das Ge⸗ 
fiht nach der obigen Beftimmung von Gebärden in veränderter Bewegung aus: 
druͤckt. Körperliche Beredtfamteit ift aber die Kunſt, einem Antern feine Gedanken 
mittelft des Körpers und gemiffer Modificationen deffelben fo mitzutheilen, daß fie. 
den verlangten Eindrud auf ihn machen. Diefe Modificationen des Körpers find 
entweder Bewegungen und Stellungen deffelben, oder Tone. Man fieht, daß die 
ganze Schaufpiellunft fi darauf gründet, indem von den Bewegungen und Stel- 
lungen des Körpers die Action, und von den Tönen die Declamation abhängt. Die 
Action ift nun eigentlich nichts Andres als die Gebaͤrdenkunſt feibft in jenem allges 
meinen Sinne. jene Bewegungen und Stellungen des Körpers find nämlich Ver⸗ 
änderungen deffelbenoder feiner Theile, in Anfehung ihrer Lage und Figur, mit ges 
wiſſen Veränderungen der Seele übereinftimmend. Die Summe der Bewegungen 
it Sefticulation; aus der Stellung geben die Attituden (f. d.) hervor, Tra⸗ 
gen und Haltung des ganzen Körpers im Steben, Sißen und Liegen während 
einer gewiſſen Situation. Hier ift immer etwas Unbemwegliches, Feſtes. Attituden 
macht der ganze Körper; Geſticulation können nur die beweglichen Theile deffelben 
machen, Kopf, Arme, Hände, Füße, entweder alle zufammen oder jedes für fich, 
weßhalb es auch eine Kopf-, Arm⸗, Hände: und Fuͤßeſprache gibt, wovon freilich die 
meiften Schaufpieler nichts verftehen. Bon allen diefen ſtummen Sprachen unter: 
feheidet man nun noch befonders die Sefichtsfprache, und zwar nicht ohne 
Grund. Das Seficht ift fein fo beweglicher Theil als Kopf, Arın, Hand und Fuß; - 
theile aber durch die eigenthümliche Bildung und tie bleibende Form feiner feften,. 
thells durch das veränderliche Spiel feiner beweglichen Theile, theils durch Züge, 
welche durch Gewohnheit in den beweglichen Theilen feft und bleibend geworden find,: 
tritt bier das Innere in dem Außern in den bedeutendſten, unzweideutigften und uns 
verkennbarften Kennzkichen hervor. Hier ift alfo eine Beweglichkeit ganz eigner Art, 
und von einer fo großen Wichtigkeit, dag man wol Urfache hätte, ihr eine vorzügliche. 
Aufmerkſamkeit zu widmen, zumal da es auch bier wieder faſt fo viele eigne Spra⸗ 
chen gibt, als Theile deg Geſichts. Wer eine Stirn:, Augen:, Naſen⸗, Lippens und 
Wangenfprache lächerlich finden wollte, berviefe damit nur, daß er.die Natur bier 
niemals genugfam beobachtet hat. Dieſe Gefichtsfprache nennt man auch Mimik 
(£.d.), ein Begriff, der freilich an fich mehr umfaßt. Wenn Engel die Mimik in die 
ethiſche oder phyfiognomifche eineheilt, welche die Eigenthuͤmlichkeit eines 
Charakters, und indie pathbognomifche, welche die vorübergehenden Verwand⸗ 
fungen durch. Affecten u. Zeidenfchaften in beftimmten Situationen darftellt, folgt 


— 


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\ 


— 52 — — —— 


Gebern Gebet 534 


Diefer Eintheilung der Unterfchieb zröifchen Miene u. Gebaͤrde im engern Sinne zum 
Grunde. Es iſt auch ‚hier rathſam, Das Mienenfpiel auf die Sefichtsfprache einzu: 
ſchraͤnken, das Bebärdenfpiel aber auf die ganze körperliche Beredtſamkeit auszudeh⸗ 
nen. Sebärbdenfpiel würde demnach fein die vorübergehende Modification des 
ganzen Körpers, feiner unbeweglichen Theile, in Stellung und Bewegung, zum Aus 
druck des Innern und Außern während einer gewiſſen Situation. Die Bezeichnung 
durch Spiel fcheint uns bloß von dem Voruͤbergehenden in diefer Thaͤtigkeit herzu⸗ 


Fommen, und nicht etwa von der Leichtiofeit, womit-fie ausgeibt wird. Weit chen - 


konnte man noch an. Unwillkuͤrlichkeit denken (tie bei dem Spiel der Muskeln), wo⸗ 
mit die Außern Werkzeuge der Thätigfeit der Seele in einer naturgemäßen Äußerung 
folgen. Wer durch Kunft die Eorperliche Beredtfamfeit üben will und die naturges 
mößen Außerungen nicht trifft, der verfällt in Srimaffe. Die Natur, wie fie für 
jeden Ausdrud der Lerdenfchaft, für jede Stimmung der Seele ıhren eignen Ton und 
eigne Bewegung in der Stimme bat, hat auch ihre eignen Bewegungen und Stels 
lungen in dem Körper dafür. Wehe dem Schaufpieler und bildenden Künftler, dem 
dafür der feine Sinn mangelt, (Bol. Mimi nnd Pantomime.) dd, 
Gebern, in Indien Parfis, .in Perfien aber Gebern, Suebern, 
Gauern, d. i. Ungläubige oder Feueranbeter, genannt. Sie felbft nennen fich 
Behendie oder Anhänger des wahren Glaubens, und haben ihre vorzüglichften 
NBohnfige in den Wüflen von Karamanien gegen ben perfifchen Meerbuſen, vorzüg⸗ 
Lich aber in.den Provinzen Yerd Keram. Dies wenig befannte, in der Linmwiffen- 
heit gluͤckliche Volk ift arbeitfam, mäßig und treibt fleißig Ackerbau. Die Sitten 
der Sebern find fanft; fie trinken Wein, effen alles Fleiſch, heiraten nir eine 
Frau, und leben fireng und mäßig. Ehefcheidung und Dielmeiberei find ihnen 
Durch die Religion verboten; bleibt aber die Frau in den erften 9 Jahren unfrucht: 
bar ; fo darf ter Mann neben derfelben noch eine zroeite nehmen. : Sie verehren ein 
einiges hoͤchſtes Weſen, das fie den ewigen Geiſt oder Derd nennen. Sonne, Mond 


und Planeten glauben fie durch verflindige Weſen belebt, erkennen das Licht als 


Grundurſache des Guten; die Binfternig als die des Böfen, und beten endlich, wie 
man fagt, das Feuer an, wovon fie auch den Namen erhalten haben. &ie felbft 
aber fagen, daß fie es nicht anberen, fondern darin nur ein Gegenbild des unbegreif: 
lichen Gottes begen, weßwegen fie auch allemal ihre Gebete beim Feuer verrichten 
und an heiligen Orten ein inimer brennendes euer unterhalten, welches ihr Prophet 
Borsafter (f. d.) fchon vor 4000 J. entzündet haben foll, Ihr beiliges Buch 
heißt Zend: Avefta (ſ. d.). Eine eigenhümliche Gewohnheit der Gebern ift es, 
Die Todten, ftatt fie zu begraben, auf den Thürmen ihrer Kirchhöfe den Vögeln 
preiszugeben, wobei fie genau achtgeben, ‚weichen Theil diefe Thiere zuerft verzeh⸗ 
ren, und daraus auf das Schickſal des Verftorbenen fchließen. 

Gebet, im weiten Sinne, jede mit frommen Gefühlen verbundene Rich⸗ 
tung des Gemuͤths auf Bott, imengern Sinne der mündliche Ausdruck frommer 
Gefühle und Sefinnungen gegen Bott: Das Gebet kann Bitte fein, Fürbitte, 
Dank und Lob Gottes. In den abergläubifchen Religionen des Alterthums wur: 
den die Gebete als Formeln von magifcher Kraft betrachtet, deren Wirkſamkeit das 
von abhänge, dag fie mit der größten Genauigkeit hergefagt und durch keinen Un- 
glüd bedeutenden Umftand unterbrochen würden. Würdigere Begriffe über das 
Weſen und den Zweck des Gebets hat das Chriſtenthum verbreitet. Mach den . 
Grundſatzen der Fatholifchen Kirche fann der Mensch nicht bloß am Gott, fondern 
auch on die Heiligen und an die Engel Gebete richten; bie proteftantifche Kirche das 
gegen erklärt Sort für den einzig würdigen Gegenſtand der Anbetung. Die religib: 
fen Menfchen aller Zeiten haben in dem Gebete ein wirkfames Mittel der Geiftes: 
erhebung, des Troftes.und ber Befeftigung in guten Sefinnungen gefunden. Je 
Leichter der. Dienfch unter den Serſtreuungen und Sorgen des y feine böhere.. 


+ 


5 


532 . Gebirge | Gebirgskrieg 


Beſtimmung vergißt, deſto mehr, ihm die Geiſtesſammlung, welche das Gebet 
gewährt, Beduͤrfniß, und es iſt eine heilſame Gewohnheit, mit dem frommen Ans 
denken an Gott den Tag zu beginnen und zu beſchließen. Um das Gemuth in die 
Stimmung zu verfegen, in melcher es geneigt und fühig wird, fich zu Gott zuers - 
heben, muß man fich der heil, Schrift, beiliger Sefinge (unter den neuern Liedern 
diefer Art find befonders die von Witſchel: „Morgen: und Abendopfer“, Sulzbach, 
zuerſt 1804; die Geſange von Juliane Veillodter und die Schrift von Ziegenbein: 
„Die Religion in Liedern, gefammelt aus den beſten Dichtern”, zu empfehlen), gu⸗ 
ter Predigten und dgl, Erbauungsbücher bedienen. Da die Richtungen, welche das 
jugendliche Gemuͤth nimmt, die bleibendften. zu fein pflegen, fo iſt esnöthig, daß 
man auch das Kind beten lehre, und die Erzieher, welche meinten, daß die Bildung 
zur Religiofität einem reifern Alter vorzubebalten fei, verriethen Mangel an Kennts- 
niß des menfchlichen Herzens. Auch das Kind kann den Gedanken an ein Wefen, 
von welchem alles Gute komme, faffen, und ift frommer Gefühle fahig. N. 
Gebirge, f. Berge u 
Sebirgsarten, ſ. Geognoſie. 
Gebirgshodhe. Um eine allgemeine Baſis bei der Beſtimmung der Höhe 
eines Gebirges zu haben, bezieht man dieſelben jederzeit auf Die Meeresfliche, ſodaß 
die mehr oder minder hohe oder flache Umgebung eines Berges keinen Einfluß auf 
feine eigentliche Höhe. haben kann. Daher kommt es, daß mancher Berg, . B. 
der Broden, der rings ineiner bergigen Umgebung liegt, viel böherift, als er feheint, 
da feine ganze Höhe, d. helſo Erhebung über der Meeresfliche, dem Auge nicht 
ſichtbar iſt. (S. Höhenmeffung.) Folgende Formel zeigt die verfchiedenen 
Stufen der Sebirgshöhe: Ä j 
u Pyrenäen. Alpen, Anden, Himalih. 
Gipfel — 1,° . 4, 4 \ 1,8 N 2, 4 8P 
Mittel — 1 14 2 21 
Gebirgskrieg heißt der Krieg in Ländern, in welchen Hochgebirge nebſt 
tief eingefchnitterien engen Thälern die Hauptphyſioznomie bilden, als z. B. die 
Schweiz, Tirol, Salzburg, . ein großer Theil der pprenäifchen Halbinfel u. f. w. 
weil er nur in diefen einen eigenthämlichen Charakter hat. Solche Länder werden, 
wenn der Krieg nicht ausfchließlich gegen fie gerichtet ift, weniger der Schauplaß ents 
ſcheidender Operationen fein, weil fie ihrer Natur nach die Eriegerifche Wirkſamkeit 
bemmen und die Verpflegung, fchwierig machen. Sie dienen daher in den jeßigen _ 
Kriegen mehr als Stüßpunfte größerer Operationen. Ihre Wichtigkeit iſt deſſen⸗ 
ungeachtet fehr.groß, wenn auch nur untergeordnet. Sie eignen fich befonders um 
Vertheidigungskriege, da fie viele Stellungen bieten, in welchen Eleine Haufen ganze 
Heere aufhalten fonnen; umgekehrt wird der Angreifende gehindert, feine Kräfte 
grins zu entröideln, und muß jeden Augenblid, roenn er in ſchmalen, gedrängten 
olonnen in einem Thale vorrüdt, befürchten, daß der Feind neben ihm in den 
Thälern in feine Flanken operirt, ihn überrafcht, feine Zufuhren und Unterſtützun⸗ 
gen abfchneidetu. dgl, Indeß bat der Gebirgskrieg jeßt beider größern Beweglich⸗ 
Eeit der Truppen, und weil man einfehen lernte, daß es wol kaum noch eine Stel⸗ 
lung gibe, die nicht bei geböriger Ortskenntniß und Entfchloffenheit umgangen wer: 
den £önnte, endlich bei der größern Eultur in ehemals unwegfamen und unwirthba⸗ 
: zen Gegenden nicht mehr die Schroierigkeifen wie font. “Der Bebirgsfrieg erfodert 
eine genaue Localkenntniß, iſt weniger regelmäßig als der Krieg in einem ebenen 
Lande; er fodert von den Anführern mehr Kuͤhnheit, eine größere Bereitfchaft auf 
unerwartete Ereign:ffe, ımd von den Truppen einen höhern Grad von Muth u. Auss 
Bauer. Der General Matthieu Dumas nennt ihn bie poetifche Seite der Krieges 
kunſt. Als ein Meifter im Gebirgskriege verdient u. X. der franz. General Lecourbe 
genannt .zu werden; in Dumas’s „Procis des ev@nemeus militairos” findet man 


\ . 

Sehläfe Gebrochen 633 
die Operationen Becourbe's in Graubändten ımd in der Schweiz (1199 u. 1800) 

und mehre von ihm verfaßte Memoiren über diefen Gegenſtand. 28. 
Gebläfe, diejenigen Borrichtungen, in denen atmofphärtfche Luft aufges 
fongen, gefammelt, zufammengedrädt und durch längere oder kürzere Rohren⸗ 
leitungen in die Form der Schmelzdfen, Herde ıc. geführt wird. Die Röhre, in 
soelcher fich die Windleitung endigt, und durch welche ter Wind in die Form und 
durch diefe in den Schmelzraum geleitet wird, heißt die Dille. Häufig werden 
mehre Sebläfe mit einander verbunden, indem der Wind zuvorderſt in einen Windi 
often und aus dieſem erſt in den Schmelzraum geführt wird, Bei allen Sebläfen 
liegt der Mechanismus zum runde, die in einem Behältniß aufgefangene Luft 
auszupreffen und es_gleich wieder mit atmofphärifcher Luft zu füllen. Jedes Se: 
bläfe muß daher 2 Öffnungen (Dentile) haben: eine, um die atmofphärifche Luft 
einzulaffen, umd eine zweite, um die zufammengepreßte Luft abzuleiten; beide Ben: 
tile muͤſſen fich daher wechfelsmeife dffnen und ſchließen. Man unterſcheidet: 1) Ge⸗ 
bläfe mit biegfamen Wänden: die überall befannten ledernen Balgen oder Bälge. 
2) Die hölzernen Balgen oder Bälge, bei denen fich der poramidale Oberfaften um 
den unbeweglichen Unterkaften auf: und niederbeiwegt und dadurch einen Raum von 


veränderlicher Größe abgrenzt, welcher bei der hoͤchſten Erhebung des Oberfaftens u 


mit atmofphärifcher Luft angefüllt wird, Die beim Niederdruͤcken deſſelben ausgepreßt 
wird. Als eine Abänderung der Bälge kann das, nach ſ. Erfinder, einem Schweden, 
benannte Wilhelmsgebläfe angefeben werden; bei demfelben liegt der keilformige 
Kaſten feft, und ein Boden ift in demfelben beweglich. 8) Die Koften: und Cylin⸗ 
dergebläfe befteben, erftere in parallelepipedifchen, Ießtere in cylinderformigen‘, ents 
weder an einer oder an beiten Seiten verfchloffenen Räumen ; in welchen fich ein 
Kolben auf⸗ und niederbewegt. Die Kaftengebläfe find entweder von Holz, felten 
von Eifen oder Stein, die Eylindergebläfe gewöhnlich von Gußeiſen, felten von Holz 
(Zannengebläfe), Dienur an einer Seite verfchloffenen oder einfachblafenden Kaftens 
und E jlindergebläfe haben nur 1 Einlaß⸗ und 1 Auslaßventil, die auf beiden Sek: 
ten verfehloffenen oder doppeltblafenden dagegen jedes 2 Einlaß⸗ und 2 Auslaß⸗ 
ventile; die Tylindergebläfe find die wirkſamſten Blafemafchinen. 4) Die Baader’: 
chen (von Baader in München erfundenen) oder mit Waſſer geliederten Sebläfe 
eben in zum Theil mit Waſſer angefüllten Gefaͤßen, in welchen fich ein zroeiteg 
dergeftalt aufzund niederbewegt, daß zrifchen dem Boden dieſer leßtern und der 
Oberfläche des Waffers ein begrenzter Raum bleibt, welcher mit Luft angefükt iſt, 
die beim Niedergehen des Sefüßes entweicht. 5) Dieerft neueklich von dem kurheſſ. 
Oberberginfpector Henſchel erfundenen Rettengebläfe beftehen in gußeifernen, unten 
nad) der Kettenlinie gebogenen Röhren, die unten in einem Waſſerkaſten hängen 
und oben offert find. Durch dieſe Röhren bewegen fich, oben über Mäder Hängend, 
mittelft des Drucks des darauf fallenden Waſſers, Scheiben, welche die atmoſphaͤ⸗ 
riſche Luft mit fort: und in den unten befindlichen Sammelkaſten führen. &s find 
diefe Geblaͤſe von fehr guter Wirkung. 6) Die Waffertrommelgebläfe beftehen in 
verfihloffenen, über eine Waſſerflaͤche geftellten, unten offenen Kaften oder Tonnen, 
welche mit längern oder fürzern Möhren in Berbindung ſtehen, durch weiche Waſſer 
berabfällt, welches die in den Röhren befindliche Luft in die Kaflen treibt, aug denen 
fie in die Öfen oder Herde geführt wird. F 
Sebrocden. 4) In der Muſik heißt ein gebrochener Accord ein ſolcher, 
deffen Töne man nicht, wie gewöhnlich, auf ein Mal, fondern in einer geriffen 
Ordnung aufeinanderfolgend, anfchlägt. Man nennt folche Accorde infofern auch 
rpeggiaturen. (S. Harpeggio.) Gebrochener Baß ift der, der, flatt bie 
| ndnote auszuhalten, fie entweder öfter wiederholt oder mit andern fchidlichen 
Tinen abiwechfelt. 8) In der Declamation und im Gefang. tft die gebrochene 
Stimme das Zeichen derstieffien Rührung! 3) In der Malerei find gebrochene 
" % 


fi . 
fi.) verengernden Raume des Fruchthälters gegen die Difnung deſſelben herab; 
die in den Hüllen der Frucht eingefchloffene Flüffigkeit, als der am meiften Wider⸗ 
fland leiſtende Theil, wird yorausgetrieben und bildet eine Blaſe, welche zur all 
mälıgen Erweiterung des Muttermmundes viel beiträgt. Es ift Daher na G 
wenn soreilige und unwiſſende Aebamıınen durch Kneipen an der Blafe das zu frühe 
Zerplaßen derfelben befördern. Bei wiederholten und Eräftigen Wehen jerreißt end» 
lich dieſe Blaſe, ergießt ſich, und fogleich tritt der Kon ne des S Kindes felbfi ein. De 
die Schadelknochen antdernfelben noch nicht ganz vollendet, fondern auf dem Wirbel - 
nur durch eine fefte Diembrane verbunten find, und, einander genäbert, fogar ein 
wenig übereinandergefchoben werden Eonnen, fo kann ber Kopf Durch den Oruck 
welchen er erleidet, an feinem Umfung etwas vermindert und in eine mehr Iingliche 
Form gebrüdt werden, daß er Durch die die Dffnung bes Gruchehälters und und des Beckens, 
in welchem diefer eingefchloffen ift, ſowie auch durch die suchern Geburtstheile hin⸗ 
bungaleiten kann, worauf alsdann bald der übrige Körper nachfolgt, Der Act der 
burt iſt demnach in der Regel kein widernatürlicher, geführlicher und Eranfhafter 
— wie ihn wol manche zaghafte Frauen ſich vorfiellen. Es iſt ein der Natur 
gemaͤßes Entwidelungsgefchäft, welches ebenfo wenig Krankheit ift als das Zehnen 
und die Entwickelung der Mannbarfeit, obgleich alle eine nicht unbedeutende Ande: 
sung im Körper verurfachen und zu Krankheiten Anlaß geben künnen. Zwar erfe: 
bert das Geburtsgeſchaͤft eine heftige Anftrengung der Natur, aber diefe hat auch 
viele und hochſt zimedmäßige Ber: und Zubereitungen getroffen, sum es zu erleich- 


h 


Geburt Ä 6585 


tern. Geht die Beburt auf die beſchriebene Weiſe regelmäßig von flatten, fo heißt 
fie eine natürliche. Dazu wird erfodert, daß das Beden der Mutter gehörig gebaut 
- fei, und feine Hffnung der reifen Srucht einen freien Durchgang geftattet; daß die 
‚Ausbildung und Größe der Frucht dem Becken gemäß fei, vorzüglich der Kopf ders 
felben den von der Natur beftimmten, dem Durchmefler des Beckens angemeffenen 
Umfang babe, ferner ein richtiger Stand des Fruchthülters in der Achfe des Beckens, 
richtige Lage der Frucht, nämlich der Kopf nach unten, der Hinterkopf nach der vor⸗ 
dern Seite der Mutter und nach der Offnung des Fruchthälters, fodag der Hinter: 
kopf zuerſt zur Seburt eintrete, endlich daß die Außern Geburtsglieder Feine wider: 
natürliche Beſchaffenheit haben, Leichte Geburt heißt diejenige, welche ohne übers 
mäßige Anftrengungen und Schmerzen und in gehöriger Zeit erfolgt. Schwer iſt 
die Geburt, wenn fle zwar natürlich, Boch mit-übermäßigen Anfirengungen und 
Schmerzen verbunden ift und viel Zeit, tiber 6—8 Stunden, erfodert, DigAlrs 
fache davon ift zuweilen Straffheit der Fafern der Mutter, vorgeruͤckte Jahre der 
felben, verhältnifmäßig zu großer Kopf des Kindes u. A; mr. Auch Diefe Geburten 
sollendet die Natur, und Kreifende follten daher nicht fo bald muthlos und ungedul: 
dig werden. Eine widernatürliche (eigentlich nur unregelmäßige) Geburt iſt die, 
wobei eine oder mehre von ben obenerwaͤhnten Bedingungen zur natürfichen Geburt 
fehlen, Eine fünftliche Geburt ift diejenige, rwelche durch die Huülfe der Kunft mit 
Inſtrumenten oder Handgriffen der Geburtshülfe beiwerfftelligt worden iſt. Früh⸗ 

eburt beißt eine ſolche, welche einige Wochen eher erfolgt, als die gewoͤhnliche 
Zeit verlaufen ift, nämlich nach dem 7. und vor dem Ente des 9. Monats. Ob: 
gleich der Frucht von der Natur die Zeit von 40 Wochen zu ihrer Reife beftimmt 
iſt, fo iſt fie doch auch zumeilen einige Wochen vorher zu dem Grade von Aus: 
bildung yelongt, daß fie, von der Mutter getrennt, in eintgen Fällen beim Leben 
erhalten werden kann. Daß fle jedoch nicht völlig reif ift, bemerft man aus ver⸗ 
ſchiedenen Zeichen. in folches Kind nimlich ſchreit nicht wie andre reife Kinder, 
fondern es gibt bloß einen dumpfen Laut von fich, fehläft beftändig,, muß beftändig 
gewaͤrmt werden, wenn nicht fogleich Hinde und Füße erkalten follen. Außerdem 
aber ift auch bei einem unreifen Rinde — mehr oder weniger, je nachdem mehr 
dder weniger an der gehörigen Reife fehlt — die Haut am ganzen Körper roth, 
oft fogar blau, mit einem weichen, fangen, wolligen Haar, befonders an den Geis 
tentheilen des Geſichts und auf dem Rüden, bedeckt; die Fontanelle der Hirnſchale 
ift groß, die Schaͤdelknochen find leicht beweglich; das Seficht ift alt, runzlich; 
die Augen find meiftens verſchloſſen; die Nägel-an den Fingern und Zeben kurz, 
zart und weich, kaum 1 Linie lang; das Gewicht eines folchen Kindes ift unter 
6, oft fogar unter 5 Pfund. Unzeitig beißt die Geburt, wenn fich die Frucht 
vor dem J. Monate trennt, Dies ift alsdann ein in den Grade unreifes Kind, 
Daß es nicht fortleben kann: doch wird nach den bürgerlichen Geſetzen geflattet, 
felbft ein Kind von 26 Wochen nech für lebensfühig, und 3. B. bei Neuverehe⸗ 


2 


lichten für ein in der Ehe erzeugtes zu halten. Spätgeburt ift dDieüber die ge- ' 


wohnliche Zeit von 46 Wochen erfolgte Geburt. Da diefe Rechnung von dem Ans 
fange der Schwangerſchaft an bis zur Geburt größtentheils und allein auf die Anz 
gabe der Mutter fich gründet, fo findet hier oft Selbſttaͤuſchung oder Betrug ftatt, 
und in der gerichtlichen Medicin iſt e8 von der größten Wichtigkeit, indem oft viel 
darauf anfommt, ob ein nach dem Tode des Vaters und nach der 40. Woche gebos 
renes Kind für ein rechtmäßig noch in der Ehe ergeugteg gehalten werden foll oder 
nicht. Die Wichtigkeit diefer Unterfuchung und die Unbeftimmtheit in den Be; 
weiſen hat eine große Berfchledenheit der Meinungen der medieiniſchen Schriftfteller 
herbeigeführt. » “Die meiften bezweifeln die Wahrheit des Dorgebens der Mütter 
uber eine. folche verzögerte Geburt und geben als Sründe an: die Natur binde fich 
an den beſtimmten Zeitraum bee Schwangerſchaft; Sram, Krankheit u. A. nı, 


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Geburtshuͤlfe 537 


des weiblichen Gefchlechts, Derjenige aber, welcher. es unternahm, als ein Abens 
teurer und Zauberer angefeben wurde. Ja in Hamburg verurtbeilte man 1521 
einen gewiſſen D, Veites deswegen zum Feuertode, “Doch wurde hier und da für 
einen beffern Unterricht der Hebammen durch mehre Hebammenbücher geforgt; das 
erfte war von Eucharius Roßlin (Roglein) zu Worms: „Der —— Frauen 
and Hebammen Kofengarten” (1518). Auch die nım wieder erlaubte und mehr be: 
ünfligte Bearbeitung der Anatomie trug zur Berbeflerung der Entbindungskunft 
ehr viel bet, in.der vorzüglich Defalius in Padua (1543) fich auszeichnete. Die 
Arte und Wundaͤrzte befchäftigten fich nach immer bloß mit dem Iheoretifchen der 
Entbindungskunſt; doch gingen die Leßtern allmälig dadurch zur Ausubung derfelben 
felbft über, daß ſie das nicht nur erlaubte, fondern fehon früher gefeßfich befohlene 
Ausſchneiden der Frucht aus verftorbenen Schwangern, ſowie auch allmälich andre 
Bei Schwangern und Gebaͤrenden vorfallende chirurgifche Operationen verrichteten, 
Sranz Rouſſet, ein Wundarzt in ‘Paris, flellte in einer Schrift (1581) zuerft mehre· 
Beweiſe von der Möglichkeit eines glüdlichen Erfalgs.des Sebirmutterfchnitte an 
Lebenden auf, dem er den Namen Enfantement Cösstrien, cifarifche Rindergeburt, 
gab, rworaus:in der Folge der Name Kaiferfchnitt entſtand. Mach Berbreitung 
diefer Schrift wurde dieſe Operation auch an Lebenden in und außer Frankreich oft, 
felbft zuweilen ohne daß fie unumgänglich nöthig wer, gemacht. Pineau, Wunde 
arzt in ‘Paris, gab (1589) zuerft nähere Veranlaſſung zum Schoßknorpelſchnitt, 
indem er auf das Ausdehnen der Schoßbeine zur Erleichterung der, wegen zu engen 
Bedens, ſchweren Geburten aufmerkfam machte. In Deutfchland blieb Die’ Ge⸗ 
burtshälfe noch lange in unvollfommenem Zuſtande, die Hebammen waren groͤßten⸗ 
theils unvoiffend, und die Männer kamen Außerft felten zur Geburtshülfe, wuͤhrend 
es in Jtalien und Frankreich ſchon gebräuchlich war, Ärzte und Wundarzte zu Hate 
zu rufen. in in der Seburtshülfe zu feiner Zeit berühmter Chirurgus in Parts, 
Element, welcher der la Ballicre, der Geliebten Ludwigs XIV. bei ihrer Entbine 
dung beiftand, erhielt zuerft als Ehrentitel den Itamen eines Accoucheurs, der den 
Wundaͤrzten fo wohl gefiel, daß fie nach und nach fich alle fo nennen ließen. Hein: 
rich v. Deventer war der Erfte, welcher (1701 die Entbindungskunſt wiffenfchaftlich 
zu begründen verfuchte. In Frankreich, wo überhaupt die Entbindungstunft höher. 
gefliegen war als in andern Ländern, ward in dem Hötel-Dieu auch eine Unter 
richtsanftalt für Hebammen eingerichtet 1745). Die Sefchichte des Urfprungs: 
und. der Erfindung der Zange, diefes fü Außerft wichtigen Inftruments für die Ge 
burtsbütfe, ift in einiges Dunkel gehülle. Zwiſchen 1660-16 wollte Chamber: 
laine, Wundarzt in London, ein Inſtrument erfunden haben, mit, dem er im 
Stande fei, die ſchwerſte Geburt mit dem Kopfe voran für. Mutter und Kind glück 
lich zu beenden, aber er behielt diefe Entdeckung als Geheimniß für ſich und ging 
4688 nah Amflerdam, wo er..dvaffelbe an einige Geburtshelfer verkaufte; welche 


wieder in der Folge einen. Handel damit trieben, der-fich-unter den Befigerm dieſes 


Geheumniſſes lange erhielt. Palfyn, ein beruͤhmter Anatomiker und Chirurgus zu 
Gent in Flandern, kam endlich demſelben Inſtrumente auf Die Spur und ließ ein 
Inſtrument fertigen, das aus 2 ſäͤhlernen Löffeln beftand, welche einander gegen: 
über an den im Becken fiehenden Kopf: gelegt, und womit diefer. gleichfam mittelſt 

ier eifernen Himde bervorgezogen werden follte, Er kann alfo als der rechtmaͤßige 

nder der erften Zange (1723) angefehen merden. Die Zange wurde num immer 
mehr, befonders von Levret in Parts (174% Plevier in. Amfterdam (17150) und 
Smellie in Lonton (1152) verbeffert. Die Geburtshülfe ſelbſt rourde durch biefer 
Männer Schriften und Unterricht vervollfommnet. Auch in Deutfchland bildeten 
ſich Geburtshelfer, welche nicht nur durch Geſchicklichkeit einen ausgebreititen Ruf 
erhielten, fondern auch zur Vervollkommnung der Entbindungsfunft durch ihre 
Beobachtungen, und jur Verbreitung derfelben Durch Unterricht viel beitrugen, Un⸗ 


538 Basktaig —— — 


ser burfen ans: Schmitt in “na (1750); uuße a Seipes; 
—— 8; Burdd ia Torten, Darecter ber fen Debem: 
macrihule Drusitieute (1351); Böberer. Erhrer zu ter zarsen Znfiakt terfer Het 

m Oruingen — gefizt): Tran; un Zirs (1757), verzuiuh Dur 
der Irsrer’ichen Zange: Erin in Kal nt Marbera (1763; ; Ir 

berg in rungen (1761) uU De Errihtans meer Euscbentunas: mat Seh 
and Bi Kom un bradar ic anf Des 
©rar va Nmstcitung, auf weichen Üür 4 pet beimmier. Spaerge ug um ber 
mearın Zeu befonders dar beten Sitarf in rna. Ofssuter a Siretmare, 
Barburs, Bıganı, Tagelr. Beer, Sarg a. Uber Ram ui jrir and den afüdfinchen 
Du-Eweg eismmen, tur Auskituny aller yı tufer Kumü aehicteen 


I 





as Babe befanmnen p: Eranen. we tz Sxwfi fich Iriten? verbalen zab Bas Sieburzs- 

geſch t der Tlatur überlafien famm ec? ui, mt we terfe es wicht. aber undht allein, 

aber zut ohne Rache für Mutter ober Kat beeadigen tom, aut daher dur Saul 
unb ber’'ızuıne handeln muß. 





oder Maxi om Übung (f.?. 

6. Art). a —— l MRaemenif. dd. 
Gedähtnigübung beyichurt Die abſicheſiche Thitigfeit ber Seele, 
eine Kerhe von Zipen sufjafaflen une zu fünfruyem Stebramche zı behaken. Dan 
neun ers and Remeriren, un? der Eprache tus täglichen Sehens braucht tafürden 
R dorımm, wel bei dem Sıerfagen des auf 
Studs ber Herſagende nıcht das Buch, werin das Bemerin 
geẽifnet vor ech Haben umd hineinſehen darf, featern es fe bilt eder ges 
begt hat, daher nur has , des drireiben vor fich firbt.. Datır 
eines guten ‚ weiches darch Übung geflirft umd alfo ja euer 


) — i eim betrocheencwerther 
fienb der Erziehung v beim Linterriche en? mu Küngern “jahren Purchans mit ja 
sernadhliffigen, da Die Get ächtnißfraft zum Theil von Eorperfichen Organen mit ob: 
zuhingen ſcheint. €: m bei er Bruns — 
gang vom Beichtern zum Schıuerern, vom Slüryrn zum Sıngern, vous 
————— te —— 


mi. 


.ESGedackt Gebpdlke 539 
tigten Siebe erleichtert werden Toll. Man bat einfache und Pünftliche Haͤlfemittel 


zur Erleichterung der Gedächtnigübungen. Die erfien beruhen auf folgenden Örunds. 


fügen, a) Weil das Verſtandene leichter gefaßt reird ale das Unverſtandene, fo 
füche man Das, was meinorirt werden foll, zuerſt zu verſtehen, oder es Dem, ber 
es merken foll, verfländlich zu machen. b) Weil Das, was langfam und öfter durch 
die Seele gebt, leichter als das fehnell Borübergehende gefaßt wird, fo leſe man das 
zu memorirende Stück oft mit Bedacht Durch. c) Was durch zwei Sinne (Gehör 


und Seficht) der. Seele zugeführt wird, prägt fich beffer ein, als was nur duch einen ' 


Sinn zugeführt wird; daher ift das Auf: und Abfchreiben des zu memorirenden 
Stucks und das laute Durchlefen Anfängern zu empfehlen, d) Da die Erfahrung 
felbſt bei Singvogeln geichrt Hat, daß fie am leichteften die Stuͤckchen nachpfeifen 
lernten, die man ihnen Abends und früh vorpfiff oder vorſpielte; da fich auch bei 
Menſchen die Erfahrung beflätigt, daß kurz vor Schlafengeben, weil hier kein neues 
Bild das vorgebabte fo leicht verdrängt, und bald nach dem Aufflehen, wo auch bie 
Seelenkraͤfte fi) neu geflärkt fühlen und noch nicht durch die Eindrüde des Tages 
ermuͤdet find, das Memoriren leichter wird ale zu einer andern Tageszeit, fo benuße 
. man die Morgen: und Abentzeit zum Memoriren, oder wenigftens zum Durchs 


lefen des zu memorirenden Ötüds. e) Auch das Mitmerfen des Dlages im Buche, 


auf welchen das zu Erlernende nach feinen Theilen ſteht, ift ein Erleichterungsmit: 
tel des Meworirens. Wer den Plag mit merft, von dem fagt man, er hat Loeal⸗ 
memorie. Von den Fünftlichften Hülfsmitteln f. Mnemonik. 


Gedackt nennt man eine Drgelftimme, bei welcher die Pfeife oben durch 


einen Dedel verftopft ifl. Der Ton wird dadurch um eine Oxctane tiefer, fanfs 


ter, aber auch ſchwocher. : 


Bedanfe ift ein Erzeugniß des Verſtandes, wiefern unter dieſem das Pers 


mögen zu denfen verflanden wird. “Durch das Denken werden Anfchauungen und - 
Empfindungen zu Begriffen als allgemeinen Vorſtellungen erhoben, und diefe Be⸗ 


griffe wieder zu Urtbeilen und Schlüffen verfnüpft. Daber iſt jeder Begriff, jedes 
Urtheil, jeder Schluß ein Gedanke. Im roeitern Sinne werden aber auch die ren, 
soelche die Vernunft bildet, und in det weiteflen Bedeutung fogar alle Borftelluns 
gen überhaupt Gedanken genannt. Der Gedanke ift.das innerfte Eigenthum eines 


Menfchen; worüber man nur Gott und feinem Gewiſſen Rechenſchaft fhuldig ifl, 


Daher das Sprüchwort: Gedanken find zollfrei. Durch den Gedanken kann fich 
der Merifch un Augenblick in eine andre Lage und felbft auf den entfernteften Belt: 
korper verfeßen. Daher fagt man, Gedanken find fehneller als der Blitz oder als das 
Licht. In diefem Falle aber verfieht man. unter Gedanken die Borftellungen.des 
* ‚innen Sinnes oder der Einbildungskraft. Denn die Einbildungstroft iſt es eigein⸗ 
lich, welche ung auf ihren Fluͤgeln an jeden beliebigen-Ort trägt und in jeden beliebige 
Berhälmiß fegr. .. ’ BD, 
Sedärm, f. Darm / 
Gedicht, f. Poefie 


Sediegen flatt gediehen, d. h. gewachſen, rein hervorgebracht, ohne 


Deifap oder Bermifchung mit fremdartigen Theilen. Befonders wird das Wort ins 
Bergbaue gebraucht. Gekiegenes Gold, Silber, Binn, meiches von der Natur in 
reiner Geſtalt erzeugt wird, zum Unterfchiede vom Erze, in welchem es noch mit 
‚fremdartigen Theilen vermifcht iſt. Ferner fagt man auch gediegen von “Dingen, 
„die durch und durch aus denfelben Theilen beſtehen und dabei rein, feſt, gedrungen, 
Eräftig find, z. B. eine gediegene Rede u. ſ. w. 

Sedike (Friedrich), geb. den 15. Jan. 1764 zu Boberom, einem Dorfe bei 
Lenzen, in der Mark Brandenburg, war, als f. Bater, Prediger dafelbft, ſtarb, 
.9 I. alt, und befand ſich in der hülfsbebärftigften Lage. Man brachte ihn nach 
GSeehauſen, wo er die Schule befchte, und von da in das Waiſenhaus nach Zul 


⸗ 


v⸗ 


540 | Gedritter Schein Gefaͤngniſſe 


chau. Hier wurde er durch Steinbart!s Sorgfalt 1J. frei verpflegt und erzogen, 
ohne daß er ſich weder äußerlich noch durch befondere Fähigkeiten und Fortſchritte 
empfohlen hätte. 4766 errichtete Steinbart ein eignes Pädagegium, deſſen Zog⸗ 
ling auch ©, wurde, und bier begann, befonders durch. Stein bart's trefflichen 


Unterricht geweckt, fein Geiſi zuerſt ſich zu regen. Ihn befeelte plöglich eine has 


tigfeit, die. fchnell feine Anlagen entwidelte und ihn rrißente Sortfchritte machen 
lieg. 1774 begog er die Univerfität Frankfurt, um Theologie zu fiudiren. Niere 
trat er mit Zöllner unb andern Studirenden in eine Literarifche Verbindung. Beſen⸗ 
ders fand er an Toͤllner einen würdigen Lehrer und wohlwollenden Beförderer ſei⸗ 
nes Fortkommens. Thliner flarb, und Eteinbart, der deffen Selle befam, wurde 
aufs Neue G.'s Lehrer und Wohlthäter. 17775 berief ihn Spalding yım Haus⸗ 
lehrer f. beiden Söhne, und 17776 wurde er ald Subrector des Friedrichwerder’fchen 
Gymnaſiums in Berlin angeftellt. 17778 wurde er Prorector und 1779 Director 
deffelben. Hier fing er an, 'fich als einen der größten Schulmänner Deutfchlands 
gu zeigen. Linerfchöpflich an neuer Lehrmethoden, und raftlos thätig in Einfüh⸗ 
rung zweckmaͤßiger Verbefferungen, hob er die geſunkene Anftalt zu einer vorher nie 
erreichten Hohe empor; belebte die Gemuͤther der Lehrer und Lernenden und hauchte 
Allen eine ungewöhnliche Thütigkeit ein. 17798 ward er Mitdirector, 1795, nach 
Bäfching’s Tode, Director des berlinifchen Gymnaſiums umd der beiden davon 
abhängenden Schulen, 1790 Mitglied der berliner Akademie der Wiſſenſchaften 
und bald darauf auch dir Akademie der Künfte, und 1791 ertheilte ihm die Univer⸗ 
fität Halle die theologiſche Doctorwuͤrde. 17797 machte er eine Reife nach Italien. 
So lebte &, glücklich im Kreife einer. zahlreichen Familie, geliebt und hochgeachtet 


von f. Freunden und allen Redlichen, raftlos thätig in f. vielfachen Wirfungskreifen, 


und durfte bri einem feften und räftigen Körper ein hohes Alter pr erreichen bofs 
fen, als eine ſchmerzhafte Krankheit f. nüglichen Leben den 2, Mat 1803 ein Ende 
machte. Seine nicht gemeine Kenntniß der griech. Sprache hat er durch f. Ausg. 
des Philoktet von Sopbofles, einiger Sefpräche des Plato und f. überſ. der Pin⸗ 
dar ſchen Siegeshymnen beurkundet. Mit f. Freunde Biefter gab er die ältere bers 
liniſche Monatsſchrift von 1783 bis zum 47. Bde, heraus. Seine pädagogifchen 
Schriften enthalten eine Menge nüglicher Ideen und Borfchläge, und feine Leſe⸗ 
‚bücher und Chreſtomathien find die erften von befferer Art. 
BGedritter Schein, f Afpecte, . Ze 

Befall. 4) Die Höhe, um wie viel ein fläffiger Körper bei f. Abfluffe 
fallt, d. h. um wie viel er der Mieeresfläche an einem Orte näher ift als am andern, 
von dem er Gerfließt, Man fagt, der Fluß bat auf 100 Ruthen 1 Fuß Gefäaͤll, 
die Waſſerflaͤche deſſelben ift unterhalb dieſer Strelle 1. Fuß weniger_über der 
:Meeresfläche erhaben, als oberhalb derfeiben. Das Gefall finden und gehörig bes 
flimmen, ift bei Wafferbauen, als Schleufen, Canaͤlen ıc., von hochſter Wichtig: 
feit. Bei den Mühlen verfteht man darunter die Hübe des Waſſerfalls vor dem 
Mahlgerinne. Bei niedrigem Gefälle werden unterfchlächtige, bei hinreichend ho⸗ 
hem oberfihlächtige’ Räder angewendet. Im Hättenbaue bedeutet Gefaͤll den 
obern Theil des Planherdes. In weiterer Bedeutung wird in der Geometrie der 
Unterſchied, um wie viel ein gegebener Ort tiefer liegt als ein andrer, und welcher 
mit der Waſſerwage gefucht wird, dasMefall genannt. — 2) Die Gefälle, Das: 
jenige, was bon einem Grundſtuͤcke füllt, was daffelbe einträgt, und in engerer Bes 
deutung Dasjenige, was dem Grundherrn vder der Obrigkeit Davon entrichtet wird. 

Gefängniffe, Zwangswohnungen, theils zur Strafe, theils zur ſtrengern 


Aufſicht. (Bol Zucht hauſer.) Allgemein iſt ſeit Howard's Beftrebungen die 


Mothwendigkeit, dieſe Anſtalten weckmaͤßiger, z. B. nach dem Vorgange der Poͤmi⸗ 
tentiarien —— in den Verein, Staaten, einzurichten, anerkannt. 
Bol. des Arztes Buzton „Inquicy, whether crime and misery are produced or 


De 7" ee 7 *Y 
preyented by onr present system of prison-disciplinef' (6. 4. 1818), und den 
. Sjabresbericht der Society for Ihe —— of prison-discipline etc,, 
4827. In Amſterdam has fich ein ſolcher Verein für die Niederlande gebildet, 
Daffelbe bezwect feit 1820. im Seinedepart. eine Geſellſch. unter dem Schuße des 
Dauphins. S. Appert’s „Journal des prisons” (frei bearb. v. D. Hartleben in 
deſſen „Allg. Erit. Annalen der Berbaft:, Straf: und Bepferungsanftalten”, Bafel 
4826). Die franz. Regierung rien ein Muſtergefuͤngniß für 400 Weiber nach 
der gekr. Preisfehrift von Hippolyt Lebas. M. f. Vaſſelot „Des maisons centrales 
de detention 1823” etc.; Sinsuvier’s „Tableau. de l’interieur des prisons” 
(Paris 1824) und Danjow’s Preisfchrift: „Des prisonis, de leur regime et des 
moxyens de les ameliorer” (Paris 1824), „Über Gefangene und deren Aufbes 
ng“ Hat G. B. Klappenbach (Hildburgh. 4825): eine für Beamte und Aufs 
feber lehrreiche Schrift Herausgegeben. DIN. H. Juliuss Vorleſungen über 
die Gefaͤngnißkunde, gehalten zu Berlin” x. (Berlin 1828), 
. »&efäße, röhrenformige Bildungen in belebten Körpern, um die zur Ernaͤh⸗ 
rung derfelben dienenden Stnffigkeiten den einzelnen Theilen zuzuführen oder von 
ihnen abztlleiten; im gemeinen’ Leben beißt der größte Theil derfelben Adern. In 
dem Körper Des Menſchen und der meiften Thiere kennen wir viererlei Arten diefer 
Gefüge: Arterien, Haargefäße, Denen und Lymphgefäße (f d.), 
wozu in den Pflanzen Spiralgefüße kommen. 0 
Befecht, f. Schladt. | 
Sefiedert, 1) wasmit Federn verfeben tft; 2) in der Botanik Moosſtaͤngel, 
die an zwei gegen einander überftehenden Seiten einfache, in einer Fläche liegende 
Afte haben (inder botan. Kunſtſprache pinnatus); doppelt gefiedert (bi-pinnatus), 
wenn die Afte derfelben ebenfo regelmäßig als her Hauptſtaͤngel getheilt find; dreis 
fach gefiedert(triplicato pinnatus), wenn die Aftchen der Afte wieder gefiedert find. 
Es gibt der Beftimmungen über das Sefiedertfein der Blätter und Afle in der 
Pflangeniehre noch viele, worüber die Lehrbücher nachzufeben find. ' 
| efolg, eine merkwürdige Anftalt, die Caͤſar bei den Galliern („De - 
bello gall.“, 111, 22, Vi, 15.), Tacitus bei den Deutfchen fand („Germ.”, 13). 
Sie ping bervor aus dem Thaͤtigkeitstriebe eines durch Jagd abgehärteten, durch 
Aderbau nicht befcehäftigten, mit Eriegerifchem Ehrgeiz esfüllten Volkes. Zu Eries 
gerülchen Unternehmungen fchloffen fich an den erprobten und angefehenen Krieger 
charen von friegsluftigen Jünglingen und Männern an und traten mit ihm in 
eine durch Sitte und Bolksglauben geheiligte Verbindung, Mit ihm fuchten fie 
Kampf und Beute; ohne den Führer zurückzukommen, war unauslöfcpliche 
Schande. Dafür mußte der Führer aber auch für den Unterhalt des Sefolges for: 
gen, und was ihm hierzu fein Landbeſitz und fein Vorrath edler Metalle nicht gab, 
durch Kriegsbeute und Bewilligungen der eignen oder fremden Gemeinden fich vers, 
ſchaffen. Der Reiche hatte davon, wie Tacitus ſagt, im Kriege Schuß, im Fries 
den Glanz. Ahnliches Gefolg gehörte. nun bald zum Lupus: „das ift Anfehen, das 
ft Macht, von einem großen Kreife erwählter SJünglinge umgeben zu fein; das ift 
Adel, das Ruhm, wenn fie Wırch Anzahl und Tapferkeit des Gefolgs hervorſtrah⸗ 
len“. So bildete fich im alten Deusfchland neben dem Heerbannsdienfte noch ein . 
zweiter, der Sefolgsdienft. Sjener gehörte für den National⸗, diefer für den - 
Privatkrieg. Im Heerbann diente man aus Bürgerprlicht, im Gefolg aus Der: 
tragspflicht. Aus diefem Gefolgsweſen bildete ſich eine Berfaffung, die über ein 
Jahrtauſend von wirkfamen Folgen gervefen und zum Theil noch iſt. Mit den 
Gefolgsherren nämlıch, die fammt ihrem Gefolg wieder Das Gefolg des Königs aus: 
machten, theilte fich der König in die Eroberung; Jedem fiel ein erbliches Grund⸗ 
eigenthum als Loos (Allodium) zu, und er vertheilte davon wieder Theile unter feine 
Treuen, wie man von da an das Gefolg nannte, Die Größe des Loofes richtete 


R 


* 


542 Gefrieren Gefühl . 

fich nach der Zahl freier rmänner in Jedes Sefolne; der König ſelbſt erhielt, 
um des grüßern Sefolgs willen, ein größeres Zoos, Mir dem Girundeigenthume 
fielen aber, nach Damaligem Kriegsrecht, den Eroberern auch die Eingeborenen ale 
Eigenthum zu und wurden meift Leibeigene. Jedes Altodium war dann eine ab- 
gefonderte Herrſchaft für fich und ihre Beſitzer, nur im Kriegsfalle von dem König 
abhängig, denn jeder Edle mußte, nach erfolgtem Aufgebot, mit dem Sefolge feiner 
Greien dem König folgen, und fich beim Heereszug ihm unterwerfen. Somit 
wurden Allodialfuftem und Gefolgsweſen der Grund der neuen europäifchen Staa⸗ 
fen, in denen allen man, fo weit germanifche Stämme zogen, König und Edle, 
Kriegsanführer und Gefolg, freie Qutsbefißer und Leibeigene unterfchied. Spaͤ⸗ 
terbin machten die unausbleiblichen Reibungen zwiſchen den Königen und den Be⸗ 
fißern von Allodialgütern eine Änderung nothig. Denn da den Königen faft nur 
der Titel als Vorzug blieb, fo. mußten fie, ihr Anfehen zu behaupten, auf Mittel 
bedacht fein, die. imabhängigen Güterbefißer in abhängige Vaſallen zu verwan⸗ 
ja Dis wurde Deranlaffung zur eigentlichen Lehnsverfaffung. (S. Lehne: 
we en. 


per in fefle Maffen durch den Berluft ihres Wärmeftoffs. Don Körpern, welche in 
der mittlern Temperatur'feft find, und durch Eünftliche Wärme in den flüffigen 
Buftand verfeßt werden, fagt man, daß fie gefiehen oder erftarren, wenn fie 
durch Entweichung des Wärmeftoffs ihren urfprünglichen Zufland wieder erhalten. 
Der Gefrierpunft eines Körpers ift derjenige Wärmegrad, bei welchem er in 
den feften, und der Schmelzpunkt, bei welchem er in den flüffigen Zuftand 


überzugeben anfängt. Das Wort gerinnen endlich wird nur in Beziehung auf 


die Bildung breiartiger Maſſen gebraucht. (Mol, Eis.) n 

Gefühl ift, Eorperlich betrachtet, entweder das über den ganzen Körper 
verbreitete Empfindungsvermögen (dag Semeingefühl) oder das inſonderheit den 
Finger: und Jehenfpigen eigenthümliche Sinnesvermögen (das Getaſt oder der Bes 
taftungsfinn), deffen Sitz die durch den ganzen Körper bis an f. äußerften Begren⸗ 
zungen verbreiteten Nerven find. ‚Die körperliche Empfindung feßt aber auch ein 
inneres oder geifliges Empfindungsvermögen voraus, durch welches wir uns der 


"auf die Merven gefchehenen Eindrüde und der Dadurch in ihnen erregten Veränte: 


rungen bewußt werden. Gefühl wird Bäufig mit Empfindung vermwechfelt; beide 
find aber keineswegs einerlei, Empfindung iſt Bemwußtfein eincs empfangenen Ein: 


drude. (Einfindung, es findet fich ein Hußeres in unfer Bewußtſein ein), und bes: 


ziehe ſich eigentlich jederzeit auf einen Gegenſtand außerhalb unfers eigentlichen 
Ichs. Beziehen wir nun aber die Empfindung auf uns felbft, fo werden wir ung 
des Zuflandes bemußt, in den wir durch die gehabte Empfindung verfegt worden 
find: wir fühlen. Man kann daher ſagen: Ich empfinde einen Gegenſtand außer 
mir; man muß aber fagen : Sich fühle mich. Gefühl ift demriach Bewußtſein des 
Zuftandes, in weichen ich durch eine Empfindung verfegt morden bın. Aber dies 
Gefühl erfiredtt ſich weiter als jehes. Denn es umfaßt alle Empfindungen, 1) es 
äußern Oinnes, fie mögen berfommen, von welchem Organe fie wollen, alfo auch 
die. des Sefichts, des Gehors u. f. w.; 2) dee innern Sinnes, d. h. diejenigen, 
welche durch ſolche Veraͤnderungen des Seelenzuſtandes entfliehen, die nur inners 
ih wahrgenommen swerden fünnen, 3. B. durch Gebilde der- Einbildungstroft, 
durch Begriffe und Ideen, welche von Verſtand und Vernunft erzeugt merden 


u. ſ. wm. Die Zuflände, worein das Gemuͤth verfeßt werden kann, laffen fich auf . 


drei Hauptarten zurüdführen, zwei einfache und eine armifchte. Iſt nämlich der 
Zuftond unfers Gemüths von der Art, daß in uns ein Verlangen entflcht, in ihm 
zu verharren, fo ift der Zufland uns angenehm, geroährt uns Vergnügen... Iſt 
bingegen unfer Öemüthszuftgnd von der Art, daß in uns das Verlangen entficht, 


.,»+ 


Gefrieren, die ea ie der in mittlerer Temperatur flüffigen Kör 


| 


Gefuͤhlsmenſchen | Gefuͤhlsvermoͤgen 648 


In zu entfernen, zu fitehen, ſo ift der Bufland uns unangenehm, gemährt uns 
Migvergnügen, Unluft, Schmerz, Es trifft fich aber auch, dag das Gemuͤth 
zroifchen Diefen beiden entgegengefeßteri Zuftänden bin und her ſchwankt, weil bie 
 Empfindungseindrüde in eıner Beziehung zwar angenehm, in einer andern aber un⸗ 
angenehm find. Daher jenes Schwanken, ob wir in dem Zuflande verharren 
möchten oder nicht. Das Semüth, nach entgegengefeßten Richtungen gezogen, 
gebt wechſelsweiſe bald in diefen, bald in jenen Zuftand über. Man nennt Ges 
fühle diefer Art rübrende, und die Bervegungen des Gemuͤths bei diefen wechſeln⸗ 
den LÜbergängen von Luft zu Schmerz und von Schmerz zu Luft Rührungen. Alle 
Gefühle find nun Diefem zufolge Gefühle der Luft, oder der Unluſt, oder aus bei’ 
den gemifchte, rührende Gefühle, Die böhern menfchlichen Gefühle find a) das 
fittliche oder moralifche Gefühl, welches nichts Andres ift als das elgenthümliche 
Wohigefallen oder Mißfallen, voelches wir bei der Vorftellung des Guten oder Boͤ⸗ 
fen empfinden, und dies Gefühl beißt ſittlich, weil es fih auf das durch das Sit⸗ 
tengefeg beftimmte (gebotene) Gute oder (verbotene) Böfe bezieht. Won andrer Art .. 
iſt b) das äfthetifche Gefühl, welches in dem eigenthümlichen Wohlgefallen am _ 
Schönen und Erhabenen, oder Mipfallen am Häplichen und Niedrigen beftebt, 
Ebenfo empfinden wir ein eigenthüümliches TWohlgefallen am Wahren, und Mißs . 
fallen am Falſchen, worqus c) das ahrheirene fühl entfpringt, das man auch ein 
Iogifches Gefühl nennen kannte. Alle diefe Gefühle find in dem Menfchen von 
Natur vorhanden, konnen aber durch Entwidelung und Ausbildung der natürlichen 
Anlagen ſehr verflärkt und verfeinert werden, ſowie Im ©egentheil fie auch durch 
Rohheit, Lafterhaftigkeit u. dgl, dergeſtalt gefehreächt und unterdrückt werden, daß . 
fie in manchen Menfchen ganz erftorben zu fein fcheinen. D. 
Befauhlsmenfchen, diejenigen, welche in Ihren Überzeugungen und 
Handlungen mehr durch Gefühle als durch Begriffe beftimmt werden, wogegen dies 
jenigen, bei welchen das Legte der Fall ift, Berfiandesmenfchen genannt werden, weil 
das Denken der Begriffe und Srundfüge eine Thätigkeit des Verſtandes iſt. Es 
iſt indeffen diefer Segenfag ſehr unbeflimmt, Denn unter den Gefühlen, welche den 
Menſchen in feinen Übereugungen und Handlungen beftimmen, verbergen fich oft 
die Grundſaͤtze, wenn fie nicht mit Deutlichkeit und Beſtimmtheit gedacht werden, 
. Eben darum ift es gefährlich, fich bloß nach Gefühlen zu richten, weil fi) danız 
Teiche falfche (theoretifche oder praftifche) Srundfüße einfchleichen und die Maske 
fehöner oder edler Gefühle annehmen konnen. Da es aber ſehr ſchwer ft, Grund: 
‚ füße deutlich und beftimmt zu denfen, und noch-fhwerer, nach fo gedachten rund: 
" füßen zu urtheilen und zu handeln, fo überlaffen fi) die meiften — lieber 
ihren Gefühlen und ſchwelgen in denſelben mit ſchwaͤrmender Einbildungskraft, 
wobei fie wol gar mit einer gewiſſen Verachtung auf Diejenigen herabſehen, welche 
den Gefühlen nur infofern buldigen wollen, ‘als diefelben auch vor dem Richter: . 
ſtuhle des Berflandes und der Vernunft fich rechtfertigen laſſen. D. 
Sefüblsvermögen. Seit die kritiſche Philoſophie eine tiefere Erf 
ſchung der geiſtigen Natur des Menſchen und eine ſchaͤrfere Zergliederung der That⸗ 
ſachen des Bewußtſeins vermittelte, wurden auch in Hinſicht der verſchiedenen 
Außerungen des geiſtigen Subjects drei Vermoͤgen nach ihrer urſpruͤnglichen Be⸗ 
gründung und Geſetzmaͤßigkeit von einander unterſchieden: das Vorſtellungsver⸗ 
möogen, das Gefühlsvermoͤgen und das Begehrungsvermoͤgen. Dieſe drei Vermoͤgen 
find, nach ihrer Anfündigung im Bewußtſein, einander gleich geordnet, nicht aber 
untergeordnet, weil fie toeder Durch einander beftehen, noch von und aus einanter ab: 
geleinı werden können; fisfteben aber auch gegen einander in Wechſelwirkung, roeil 
orftellungen ebenfo in efühle, wie Gefühle in Vorſtellungen, md Vorſtellungen u. 
Gefühle in Beftrebungen, ſowie Beftrebungen in Gefühle und Borflellungen über 
‚gehen können; es findet ſich endlich zwifchen diefen drei Vermögen ein harmoniſcher 



















Et 


derch 

ui mit eier 

it dei Seſchl di Das 

bat tie gan ar: 

geuurte und berichte Welt, nach unzähligen Berfipirtenhrten und Srebru, mit 
finden nämiıch in unferm grifiigen Weſen bie unmittelbare Aufüntigung unfers 
Dofeins überhaupt, unfers jebesmeligen intisiburlien Zaflandes msbrfenterr, umd 


ſchon als Individuen, noch der immigfien Bereinigeng ron finnlıchen und 

digen Anlogen zu Lem Ganzen einer Perfon. Devor wir noch zwiſchen Freiheit 
und eit, zwifchen Tugend und Lafer im Begriffe unterfcheiten konnen, 
fühlen wir uns als freie IBefen, und die Stimme des Gewifſens entf -det im Ge: 
fühle über den Werth oder Lnwert$ unfrrer Sandlungen, Dos Gefuhl iſt atſo, 
nach feiner urfprunglichen gefebmäßigen Ankündigung im Bewußtſein, weter Bor: 
fe noch Defirebung, ımd an fich betrachtet, weder die Lrfache noch die Folge 
einer lung, fondern ein ebenfo unabhängiger Actus des geiftigen Subjects 


in einem gewiſſen Sinne unermeßlich; nie wird es in feinem ganzen Limfange be: 
frieigt, nie kann ber legte ‘Punkt defielben erreicht werten. Nur dadurch feheint es 
fich erklären gu laffen, wie der Menſch vermittelfi dee Sefühls gleich ſtark, theils von 
der Realität alles Deffen, was das Sefühl urfprünglich und unmittelbar verbürgt 
(vom Daſein, Individualitat und Perfonlichkeit), theils ven den Grenzen und 
Schranken der Endlichkeit überzeugt werden kann, unter weichen ſich das menfchliche 


Ä das 

lsvermogen ein vermittelndes Bermögen zwiſchen dem Borftellunge: und Bes 
gehrungsvermoͤgen zu fein, weil die Stärke des Willens und die Kraft des Handelns 
zunaͤchſt von der Belebung abhängt, welche das Sefühlsvermögen dem vorgeftellten 
und zu renlifirenden Gegenſtande ertheilt. Da nun unter allen DObjecten , welche 
der Wille zu realiſiren beftrebt if, die ideale des Wahren, des Schönen und des 
Guten die reinften und böchften find: fo muß auch die Thätigkeit des Gefuͤhlsver 
mögens in Hinſicht diefer Ideale die hochſte und vollenderfte fein. Selbſt die Glück⸗ 
feligkeit des Dienfchen kann, wegen des Zufammenhanges der Empfindung mit dem 
Sefühle, zu einer idealiſchen Beziehung erhoben, und dadurch als die Totalität der 


Gegenbewegung Gegenwirkung 545 


ſinnlich angenehmen Gefuͤhle, mit den Gefuͤhlen des Wahren, Schönen und 
Guten in Harmonie gebracht werden. 
Gegenbewegung nennt man in ber Muſik einen ſolchen Gang mehrer 
Stimmen, bei welchem die eine fleigt, indeſſen die andre fällt, oder deren Takt: _ 
folgen in einer nach der Höhe, in der andern nach der Tiefe, oder ſo auch umgefehrt, 
von der Höhe und Tiefe gegen die Mitte zu gerichtet find. Durch fie ann man 
manchen fehlerhaften Sortfchreitungen und unharmonifchen Gängen entgehen, 
(S. Bewegung.) oo | ) 

Segenbemweis, die Handlung einer Proceßpartei, wodurch biefelbe den 
Beweis, welchen der Segentheil geführt Hat, zuentkräftigen fucht. Die Friſt des 
Gegenbeweiſes gebt von der Inſinuation des Bemweifesan, und in gleicher Form wie 
die Berweisfrift. Hat der Beklagte den Gegenbeweis zu führen, fo ift, nächft der 
Entfräftung des über die Klagen geführten Beweifes, die Bewahrheitung der Eins 
reden fein Zweck. Sat der Kläger den Gegenbeweis zu führen, fo tft nächfl der 
Entfräftung des Beweifes die Bewahrheitung der Meplifen fein Zweck. “Der Ge: 
genbeweis wird nie vom Richter auferlegt, fondern vorbehalten. In den Asten 
nimmt der Segenbeweisführer den Namen Reproducent, die andre Proceß⸗ 
partei die Benennung Reproduct an. Die Segenbeweisführung gewährt den 
Bortheil, daß man erft die Kraft und Richtung der Bemweisfübrung abfehen 
und danach den Gegenbeweis einrichten Bann. (Bel. Droceg.) A. 

Gegenfüßler (Antipoden) nennen wir in Beziehung auf einander 
diejenigen Bewohner der Erde, weiche einander dem Durchmeffer nach entgegen: 
fiehen, weil fie die Füße einander entgegenkehren. Der Scheitelpunft der einen ift 
der Fußpunft der andern, Die Segenfüpler wohnen in gleichen, aber entgegenge: 
fißten geogr. Breiten der Erde, und die geogr. Lingen ihrer Standpuntte find um 
180 Gr. verfehieden; ihre Tageszeit weicht daher nur um 12 Stunden von einans 
der ab, und ihre Jahreszeiten find einander entgegengefeßt. Die Rugelgeftalt der _ 
Erde führt von felbft auf die Worftellung der Antipoden, deren man ſchon vor Cicero 
gedachte. Allein die Kirchenväter fanden darin einen Widerfpruch mit der Bibel, 
und im 8. Jahrh. wurde der Erzbifchof zu Salzburg, Virgilius, ihretivegen in den 
Bann getban, Erft als Erdumfegler die Sache außer Zweifel feßten, hörte der’ 
NRiderfpruch gegen die Lehre von der Rugelgeftalt der Erde und von den Antipoden 
auf. Nicht zu vermechfeln find mit den Gegenfüßlern die Gegenwohner, 
Weiche mit uns einerlei Mittagekreis und gleiche, aber entgegengefegte, Breite 
haben. Die Segenwohner haben mit uns, ihren, Segenwohnern, einerlei 
Mittagszeit, alfo einerlei Tagesftunden, aber entgegengefeßte Jahreszeiten, 

- Begenfas, f. Antithefe und Contraſi. 

» Segenfdein, f. Aſpeete. 

Gegenwirkung (Reaction) entfieht, wenn. ein in Bewegung bes 
griffener Korper auf einen andern, beivegten oder nicht beroegten, Körper wirft, 
und dadurch eine Veränderung in feiner Pewegung erleidet. Ein in Bewegung 
begriffener Körper A kann einen andern B, der fich ihm entgegenflellt, voieder bes 
wegen, oder deffen Bewegung abändern, d. h. er fann ihm eine Bewegung mit: 
tbeilen A erleidet dadurch, daß ihm ein Theil feiner Kraft entzogen wird, felbft 
eine Beränderung. Die Urfache davon liegt in der Segenwirfung von B;, A wird 
gerade fo viel Kraft verlieren, als ibm B Widerſtand entgegenfeßt. Die Atomi⸗ 
fien ftellten fich vor, daß die Traͤgheit desjenigen Körpers, auf welchen die Einwir⸗ 
kung gefchieht, dem einwirfenden Körper einen Theil feiner Bewegung oder feine | 
ganze Bewegung gleichfam entziehe, bis beide eine gleiche Geſchwindigkeit nach eis 
nerlei Richtung erhalten hätten; allein da Traͤgheit — iſt als bloßes Uns 

vermogen, ſich von ſelbſt zu bewegen, ſo kann fie eineni bewegten Körper nichts von 
Convetſations⸗Lexicon. Bd. IV, oo 35 


. 


/ 


4 


546 Geheime Geſellſchaften 


feiner Bewegung entziehen, kann nicht Urſache des Widerſtandes fein. Nach 
der Lehre der Dynamiſten gibt es feine Materie ohne zurückſtoßende und an: 
jiehente Kräfte; ja ohne diefelben ift gar keine Materie möglich. Da nur urs 
fprüngliche Kräfte das Weſen der Materie ausmachen, fo wird daraus Dasje⸗ 
nige erflärbar, was wir Gegenwirkung nennen, 

Scheime Gefellfchaften. Bon jeher bat fich unter den “Dienfchen 
Das, was üffentlich geächtet wurde, im Innern ber Gemuͤther aber unvertilgbar 
blieb, in das Dunfel geheimer Verbindungen geflüchtet, und fa weit die Geſchichte 
reicht, treffen wir auf Spuren verbergener Sefellfchaften. Lehren, für welche das 
Volk noch nicht reif ift, weil fie dem berrfchenden Aberglauben zumider find, huͤllen 
fih in Myſterien und Symbole, welche nur dem Eingeweihten verfländlich find ; 
Künfte und Kenntniffe, womit die Menge beberrfiht wird, find das Eigenthum 
eines geheimen Priefterorbens ; felbft die politifchen Einrichtungen der Staaten 
werden ſchon im grauen Alterthume Segenftand für das Wirken weit verbreiteter 
geheimer Verbrüderungen. Wir brauchen wol kaum an die geheime Schrift und 
Wiſſenſchaft der indifchen und ägyptifchen Priefter, an die Myſterien der Griechen, 
an den großen Bund der Pyrhagorser zu erinnern, welcher, wahrfcheinlich Alter als 
Pythagoras, ebenſowol der willfürlichen Alleinherrfchaft als der Herrſchaft des 
Volkes eine Ariftofratie.der Unterrichteten und fittlich Gebildeten in feinen Schi: 
lern entgegenzufeßen fuchte, und mirklich lange Zeit feinen großen Zweck zu errei⸗ 
hen ſchien. Es liegt aber in der Natur der ‘Dinge einestheils, dag ſolche Unter: 
nehmungen auf die Dauer nicht gelingen Eonnen , weil die rohe Gewalt der An: 
dern ihnen zu flarf ift, und fie felbft ſich in ihrer Reinheit nicht behaupten Eönmen, 
anderntheils aber, daß fie dennoch von Zeit zu Zeit fich in wenig veränderter Ge⸗ 
ftaft erneuern. “Denn die Aufgabe liegt dem menfchlichen Gemuͤthe zu nahe, daß 
dem Geiſtigen und der fittlichen Kraft die ihnen gebührende Herrfchaft wirflich zu 
Theil werde, als daß nicht gerade in dem Verhaͤltniſſe, wie die Menſchheit von dies 
fem Ziel entfernt wird, die Nothwendigkeit deffelben allgemeiner arfühlt, und in 
Denen, welche fie erkennen, auch der Drang geweckt werden füllte, Das, mas dem 
vereinzelten Streben nicht gelingen Bann, durch vereintes und planmräßiges Wirken: . 
zu fördern, Was die Jeſuiten (f. d.) vom Anfange des 17. bis zur Mitte des 
18. Jahrh. wirklich erreicht hatten, was die SJlluminaten (f. d.) zu erreichen 
ziemlich nahe waren, ift, fo.verfchieden auch der Geiſt beider Inſtitute war, doch 
‚ immer Daffelbe gervefen: Serrfchaft eines Ordens durch höhere Einficht und gei⸗ 
flige Kräfte. Aber gerade je näher der Orben, twelcher, wenn auch fein Dafein 
öffentlich anerkannt, feine Statuten nicht verborgen find, dennoch in diefer Bes 
jiehung immer ein geheimer fein muß, jenem Ziele fommt, deſto näher und unvers 
meidlicher ift auch feine Ausartung. Das individuelle Intereſſe des Ordens fiegt 
über feine allgemeinen Zwecke; der Orden, welcher nur Mittel füy etwas Hoheres 
fein follte, ftelle fich felbft, feinen Glanz, feine Macht, über Alles; die Mitglieder 
feben in ihm nur ein Mittel, ihre eignen Leidentchaften aller Art zu befriedigen. 
Don jeher ift Daher der Zeitpunkt, in welchem eine folche Werbrüderung zu fiegen 
fehien, auch der Wendepunkt ihres Glückes geweſen. Wenn man alle Spielarten 
der geheimen Sefellfchaften aufzählen wollte, welche fich in der Gefchichte derfelben 
bemerkbar gemacht haben, fo müßte man eine Mufterkarte aller menfchlichen Ge⸗ 
mütbsfräfte und ihrer Berirrungen entroerfen. Alles menfchliche Wiffen iſt irgend 
einmal geheimes in Formeln und Symbole geüllter Eigenthum eines Drdeng ge⸗ 
weſen; beidnifche und chriftfiche Priefter Haben die Völker durch geheime Ordene:. 
Fünfte in den Banden des Aberglaubene zu halten gefucht, Das Geheime hat 
ſchon an fich einen faſt unwiderfiehlichen Reiz; je imwiſſender aber die Dienfchen 
im Ganzen find, deſts leichter iſt noch die Verführung durch die Borfpiegehmg vers 





Seheime Geſellſchaften | 647 


borgener Renntniffe, Seifterfehen, Soldmachen und ardrer wunderbarer Kraͤfte. 
Das 17. Jahrh. iſt reich an dergleichen Thorheiten (f. Roſenkreuzer und An: 
dreä), aber dennoch fehienen fie erft im 18. eine faft allgemeine-Herrfchaft zu ers 
reichen. . Unglaube und der finfterfte Aberglaube haben in jener Zeit ihre nabe 
Verwandtſchaft recht augenfcheinlich bewieſen; denn während es unerläßliche Be⸗ 
Dingung vornehmer Bildung fehien, über Alles, was dem Menfchen heilig fein 
muß, über Tugend und Religion zu fpotten, ließen fich von einem fo gemeinen 
Eharlatan, wie Caglioſtro, auch die Nufgeklärteften betrügen, Nachdem von Eng: 
Iand aus feit dem Anfange des vorigen Jahrh. die Sreimaurerei fich nach dem übris 
gen Europa verbreitet hatte, diente fie jener Seheimnißfrämerei, dem Hange nach 
verborgenen Künften, der Eitelkeit, welche mit Rang und Ordenszeichen fpielte, 
und dem Betruge, welcher jene Schwächen -benußte, theils zum Werkzeuge, theils 
zum Vorbilde. Unläugbar Eleideten ſich Adepten auch in diefes Gewand und führs 
ten ihre Teichtgläubigen Anhaͤnger durch eine Menge von Graden und Vorbereitun: 
gen, welche nicht ohne Bezahlung ertheilt wurden, und den Vortheil gemährten, 
daß das vorgefpiegelte eigentliche Geheimniß immer im Hintergrunde gehalten wers 
den konnte, Es braucht ebenfo wenig geläugnet zu werden, daß auch eine nicht ge⸗ 
ringe Zahl andrer Beftrebungen von der entgegengefeßteflen Art, Profelytenmache: 
rei und Illuminatismus, ſich der maurerifchen Verbindungen und Formen bedien: 
ten, um fie zu ganz fremdartigen Zwecken zu benußgen, Aber der echten Freimau⸗ 


rerei wird man. nie den Vorwurf machen koͤnnen, daß fie auf Stoͤrung der beſtehen⸗ 


den bürgerlichen Ordnung finne, oder etwas Andres fein wolle alsein Bund, wel: 
her mit brüderlicher Liebe die ganze Menſchheit umfaßt, in deffen Innerm der 
Menſch nur gelten will, was er als Menſch werth ift, und alle Spaltungen der 
Meinung, alle äußere zufällige Unterfchiede, ohne fie je als politifche Einrichtungen 
anzutaften, verfchwinden. Statt alfo Die Freimaurerei anzuflagen und zu verfol- 
gen, follte man frob fein, in ihr einen Tempel der Verſoͤhnung und des rein fitt: 
lichen Strebens zu befißen, deſſen wohlthätiges Wirken nie nothwendiger ift als: 
nach den großen politifchen Entzweiungen unferer Tage, und man follte nur die 
Derunftaltungen von ihr trennen, welche fich ihrer zu fremden Zwecken bemächtigt 
baben.. Dies wäre aber um fo leichter, ale die echte Diaurerei ihre Pforten nur gegen 
den großen Haufen fehließt, gegen die Regierungen aber nirgends geheim fein will. 
Nicht nur in, fondern auch neben der Freimaurerei bildeten fich im vorigen Jahrh. 
faſt in allen Ländern Europas eine Menge ähnlicher geheimer Gefellfchaften und 
Drden, zum Theil von fehr unceiner, auf dierohefte Sinnlichkeit abzweckender Art. 
Es wäre zu wünfchen, daß die vorhandenen Materialien einer Gefchichte diefer 
Verbindungen, von welchen ‘die Orden unter den Studirenden einen befondern 
Zweig ausmachen, gefammelt und üffentlich befanntgeimacht würden, um manche 
irrige Anficht über Geift und Zweck derfelben zu widerlegen. In der neuern Zeit ift 
allerdings die politifche Michtung vorherrfchend geivorden, obwol an die Märchen 
eines, Robifon , .Barruel, Fabricius u. A. fein befonnener Menſch mehr glaubt, 
und felbft die Erzählungen von einer revolutionnairen Propaganda in Frankreich, 
welche von da aus allenthalben das Beftehende umzuflürzen fuchte, und von welcher 
alle Unruhen in andern Rändern angefliftet würden; ‚nach und nach ihr Anfeben 
verlieren: Denn überall, wo dergleichen Unruhen ausgebrochen find, laſſen fich 


eigenthümliche locale Beranlaffungen derfelben nachweifen; wo diefe (wie in Enge 
land die Noth der Fabrikarbeiter, tvelche die Bermegungen der Radicalen hervor: - 


brachte) gehoben werden konnten, ift auch. fofort die Ruhe von felb zurückgekehrt, 


ſowie biefelbe, wo dergleichen Iocale Urfachen der Unruhen nicht vorhanden waren, : 
gar nicht geſtort worden iſt. Bei einer Sefchichte diefer neuern geheimen Verbin . . 


dungen zu politifchen Zwecken wuͤrde man übrigens auch bie Mberzeugumg gewin⸗ 


_ 


548 Geheime Geſellſchaften 


nen, daß die meiften nicht von den untern Claſſen der bärgerlichen Sefellfchaft, 
fondern gerade von den hähern Ständen in dem Syntereffe der Regierungen geflif: 
tet worden find, obgleich fie nachher oft einen Charakter angenommen haben, wel⸗ 
cher nicht in der AÄbficht ihrer Stifter lag. So die Carbonari und der Tus 
endverein, fo die Hetairia (ſ. d) und manche andre ähnliche Verbindung. 
uch Diejenigen, welche gegenwärtig vielleicht von obenher begünftigt werden, 
weil man fie für Anhänger der abfoluten Staatsherrfchaft und eines blinden Ge⸗ 
borfams in Slaubensfachen hält, die Societa del annello, della santa fedeo, dei 
consistoriali werden fich bald genug, wenn fie ihres Sieges gewiß zu fein glauben, 
als ein fpröber und ſchwer zu bebandelnder Stoff bemeifen. _ Denn einer reinen 
Aufopferung für das Allgemeine der Dienfchheit find nıır Wenige fübig, und alle 
diefe Derbrüderungen roollen die Früchte ihrer Arbeit felbft genießen. Ein allges 
meines politifches oder rechtliches Urtheil über geheime Sefellfehaft laͤßt fich daher 
gar nicht füllen. Syn Zeiten allgemeinen Elends — denn welches Elend kann für _ 
ein Volk größer fein, als wenn Wahrheit und Gerechtigkeit von der Erde verbannt 
zu werden ſcheinen — find fie allein oft flille Bewahrer des heiligen Feuers, die Er: 
balterinnen einer reinen Religion und der ewigen Wahrheiten des Nechts geweſen. 
Selbſt die Hriftliche Religion hat fich geraume Zeit nur in der Hülle einer geheimen 
Brüderfchaft den Verfolgungen eines Nero und andrer Ungeheuer einigermaßen 
entziehen Ebnnen. Allein ebenfo oft iſt auch das Geheimniß nur für wahre Werke 
der Finfterniß in Anfpruch genommen worden, und fehr unheilige Abfichten, Vers 
feßerungsfucht, Fanatismus, Rache, Herrfchbegierde, haben noch überdies, wie 
die heilige Feme in Deutfchland und die faft gleichzeitige Sanın Hermandad (heis 
lige Brüderfchaft) in Spanien den Namen des Heiligen dabei gemißbraucht. 
walt ift felten gegen diefe Berbrüderungen fehr wirkſam geweſen; je firenger die 
Berfolgung ift, deſto mehr Künfte erfindet man, um ihr auszumeichen. “Das eins 
zige, aber auch entfcheidende Mittel gegen fie ift, fie unnöthig zu machen. Je grbs 
fer der Spielraum ift, welcher dem Menſchen zu einem felbftgewählten Wirken 
öffentlich yerflattet wird, defto weniger Anlaß bleibt ihm zum geheimen. Es ift, 
als ob die Menfchen im Sanzen ein gewiffes Maß von Kräften verbrauchen müßs 
ten, welches fich am meiften nach Flimatifchen Berhältniffen zu richten fiheint. Die 
gemäßigten Zonen bedürfen davon das Meeifte; laßt man fie dies nicht im freien 
Öffentlichen Wirken, in Semeindewefen, und in öffentlicher Verbindung zu jedem 
erlaubten Zweck ungeftört verbrauchen, fo wendet fich diefer Trieb der Thärigkeit 
fogleich dem Geheimen zu. Der Staat verliert aber dabei nicht nur den großen 
Vortheil, weichen er von dem Semeinfinne der Bürger ziehen kann, wenn er ihnen 
das Wirfen für das Allgemeine möglichft frei gibt; fondern er flort auch ſelbſt das 
Vertrauen und gewöhnt die Bürger zum Ungeborfam. Auch der Forfchungstrieb 
der Menfchen läßt fih Wahrheiten, melche er einmal gefunden bat, nicht wieder 
nehmen, und zieht fich, wenn die Lehrfreiheit öffentlich genommen wird, nur in die 
Verborgenheit.damit zurüdt, wo fie ebenfo gewaltig fortwirken, und fich vielleicht 
nur noch weiter verbreiten, noch tiefer mit dem Shemäthe der Menſchen zufammens. 
wachſen. Denn dann verftirken ſich gegenfeitig die beiden Reize des Derbotenen 
und des Geheimen, umd Mancher halt nur darum an ihnen fefl, weil er durch 
fie fich und feinem Thun eine Wichtigkeit zu geben glaubt, nach welcher er 
obne fie vergebens firebte. Wie nur Licht und Luft der Pflanzenwelt ein ge 
fundes, Eräftiges Leben verleihen, Giftpflanzen aber im Schatten aufınachfen, 
fo ift auch Öffentlichkeit und Freiheit dem Volksleben am heilfanften, und es 
ift ſchon ein fehlimmes Zeichen, wenn ein aeheimes Treiben überhand nimmt. 
Aber auch dagegen find Gerechtigkeit und Wahrheit und eine für Alle gleiche 
Gerechtigkeit die beſten, ja die einzigen Gegenmittel. 87, 


* 


Geheimeratheverordnungen Seheimſchrift 549 


Seheimerathsverordnungenm oder Ordres of Council, 
Verfügungen, die über Staatsverwaltungsgegenflände aus dem Geheimenrathe des 
(unverantwortlichen) Königs von Srogbritannien und im Namen deffelben, nach 
vorgaͤngiger Berathfchlagung und Abſtimmung der (verantwortlichen) Geheimen: 
räthe, und zwar der- Stimmenmehrheit gemäß, erlaffen werden. Die lberfegung 
Cabinetsordre ift nicht paffend, weil wır unter leßterer gewohnlich einen von der 
reinen Willkür eines unumfchränft regierenden Sürften ausgehenden Befehl verfte: 
ben. (Bol. Continentalfyftem.) _ ö 

In den meiflen deutfchen Staaten (und ehemals auch in Sachfen) wird Ge⸗ 
Beimerath oder Geheimerathseollegium dasjenige Minifterium genannt, 
deſſen Sißungen der Fürft ſelbſt beiwohnt, und welches über alle Gegenſtaͤnde in 
letzter Inſtanz entfcheitet. Im Königr, Sachfen iſt gegenwärtig der Gehe ime⸗ 

rath ein hohes Landescollegium, welchem die Oberaufſicht und Berathung über 
alle, das Wohl, die Wuͤrde und die Rechte des Landes betreffende Angelegenheiten 
obliegt. Über die von ibm deßhalb beim Könige eingereichten Gutachten macht 
diefer feine Entfcheidungen durch das geheime Cabinet befannt, an roelches auch 
die übrigen höchften Landesbehörden Vorträge zu erflatten haben, 

Geheimſchrift (Kryptographie). Die Kunfl, Briefe und Schriften 
mit geheimen Nachrichten fo einzurichten, daß fie nur von ‘Denen gelefen werden 
Tonnen, für welche fie beftimmt find, Fannte ſchon das Alterthum. Man ſchor z. B. 
einem Sclaven das Haupthaar, fihrieb auf die Haut mit unverlöfchlichen Zeichen. 
und fandte ihn, nachdem das Haar wieder gewachſen war, an feine Beflimmung. 
Diefes ift jedoch Feine eigentliche Seheimfchrift, fondern nur ein Verbergen der 
Schrift. Die Geheimfchrift befteht in dem Schreiben mit Zeichen, melche nur 
Demjenigen lesbar find, für welchen die Schrift beſtimmt ift, oder welchem die 
Erflärung der Zeichen, der — mitgetheilt iſt. Die einfachſte Art derſelben iſt, 
fuͤr einen jeden Buchſtaben des Alphabets irgend ein andres Zeichen oder nur einen 
andern Buchſtaben a wählen. Allein diefe Art von Geheimſchrift (Chiffre) ift auch, 
ohne dag man den Schlüffel befißt, Leicht zu entziffern, Daher wendet man manche 
Täufchungen an; man fcheidet die Worte nicht von einander, man fehiebt nichts: 
bedeutende-Zeichen zwiſchen die geltenden ein; man wechfelt nach gewiſſen verab- 
redeten Regeln mit verfchiedenen Schlüffeln. Hierdurch wird zwar die Entzifferung 
der Schrift für den uneingeweihten Dritten fehr ſchwierig, aber auch für die Corre⸗ 
ſpondirenden felbft außerordentlich mübfem, umd ein Eleines Verſehen macht auch 
ihnen zumeilen die Entzifferung unmöglich. Andre Arten, 3.8. fi über ein ge: 
drucktes Buch’ zu vereinigen und die Worte aus, demfelben zu bezeichnen, bat auch 

‚das Muͤhſame des Ehiffrirens und Dechiffrirens gegen ſich. Die Art, die eigentlich 
eheimen Worte in einem größern Briefe oder Auffaße ganz andern Inhalts zu ver: 
ergen, ſodaß folche hervortreten, wenn ein Blatt mit ausgefchnittenen Stellen dar⸗ 
über gelegt wird, bat zwar den Vorcheil, dab das Dafein der geheimen Schrift 
feihft verborgen wird, ift aber nicht zu größern Mittheilungen geeignet, und der 
Schluͤſſel (das durchbrochene Blatt) leicht zu entwenden. Das Schreiben mit füge: 
nannter fompathetifcher Dinte ift gar zu leicht zu entdedien, weil die Reagentien, 
soodurch Die verborgene Schrift hervortritt, befannt find. Daher iſt die fogenannte 
Chiffre quarre oder Chiffre indechi?Trable’fehr beliebt geworden, welche wenig: 
ſtens die Leichtigkeit des Gebrauchs, Die Schwierigkeit, den Schküffel zu finden, 
und die Möglichkeit, denfelben. im bloßen Gedaͤchtniſſe zu bewahren, auch ſchnell 
zu wechfeln, mit einander verbindet. Sie befteht in einem Täfelchen, worin die 25 
Buchfinben des Alphabets unter einander gefegt find: 


[4 


550 | Gehien 























































































































































































































































































































a ejd fig ı|killainjloijipig!r ulviwix|/y]|z 
albieldielfigihfälkltim|Inlo|p/g|r|s/tiuivjwix/|viz|a 
bleldie|figihlilkj iim|nlolpigir|sjr wix/ylz/jal» 
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djejflginjijkliiminiolpig|risitjujvriwix|y!sjaibiela 
elfigiplilklilimlaloip|g/r|sit/ulviwixiyIsialbleldie 
flglhlilk|timInjolpigIr|s|tia|rjwixtyizjalbleldie|r 
glhlilkli|m|nlo|p|g|jr|s|tla|viwix|y|zjalbjc|dle|rijig 
hlilkliimijnlo|pigir|sjtjujvjwijx|y|ajaibic/die|fjg|h 
ilalılm|Injojpig|r|s/tlu|viwixiyizjabiejdjejfig|hl: 
£Timlafelelalrieltlaiviwiziylsialdlelaleleiglhliin 
ImInlo/plgir|/s/tjulviwix|yizlalbleidielfligihli|k|n 
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njojpigejsjtjuviwixyizjalbleidje/figihliik) IimIn 
o|pig{rjajtjajv/wjxiv|zjalbjc[die| f ilkiı im o 
plgiris/tjulviwix|yizlalbloldjelfigihlilkliiminlolp 
gir|s|tjajviw|jx/yizialbjeldjejfjgihl:ılkjılminlo|plg 
eleitjujvjwis/jyiajalblejdjejfjgihli|k|iim|Injolplg|r 
s ylzjalbjoidje|f|g|hlijkliim|njo|pig|r|s 
tluivjwixiylz/albleldjejfig|blilk|iim|njo|pjgir|s|e 
alviwix/yizjalblejdje|flginli|kliiminlolpiqir|s|.tiu 
v slalblejdje/ifjgihblilk|iim|njo|pig|r|sitla|r 
wIx|ytz!alb'eldjesfigthtilkitiminlo|pigir|sitiulv|w 
xIyrlzla dlelflalhliikliimInlolplair|Is|tjulviw!|x 
flglnli|kl tim Inlo|lplg|risitlulviwix 
z zIhlilklılmInloiplalr|slılalviwix|y 


Dean nimmt hierauf ein beliebiges Wort zum Schlüffel, 3. B. Paris, und ſetzt die 
Schrift aus den Zeichen zufammen, welche fich ergeben, twenn man die Buchftaben 
der zu fchreibenden Worte nach den Buchftaben des Schlüffels aufſucht, d. h. das: 
jenige Zeichen nimmt, voelches fich für den zu bezeichnenden Buchftaben in der mit 
dem Buchftaben des Schlüffels anfangenden Reihe findet. Die Worte: „Der 
König iſt todt”, werden nach dem Schlüffel ‘Paris bezeitinet werden müffen: 
tfitguoagbhulzwi. Wenn die Ubung hierin die erfoderliche Accurateffe herbeige⸗ 
führt Hat, fo iſt diefe Chiffrefchrift ebenfo bequem als ficher, und daher auch die jeßt 
am meiften Gblihe. Man kann mit einem jeden Torrefpontenten einen eignen 
Schlüſſel verabreden, und diefen, fo oft esnöthig ift, abmwechfeln. Das gemwöhnli: 
he Dechiffriren ift unmöglich. \ 31. 
Sebirn ifteine weiche, theils röthlich graue, theils weißliche, im der 
Hirnſchale befindliche Subſtanz, mit vielen Adern durchiwebt und von verfchiede 
nen Hiuten umgeben. Schon Demofrit und Anaragoras zergliederten biefes 
Drgan vor faſt 3000 %. Haller, Vicq D’Azir u. a. Anatomen haben es in der 
neuern Zeit zergliedert, und “Jeder ließ feinen Nachfolgern Entdeckungen zu ma: 
chen übrig! Es befteht aus zwei, durch feine Adern und Fafern verbundenen, 
Haupttheilen. Das große Gehirn (cerebram) nimmt bei dem Menfchen den 
obern Theil des Kopfes ein und ift T—8 Mal größer als das darımter und dahin; 















Gehler Gehoͤr - 551 


zer liegende kleine Gehirn (eerebeilam), Es ruht auf den Augenböhlen, dem 
Srunde des Schädels und dem Zelte, und rage nach hinten zu Aber das Eleine 


Gehirn hervor. Auf der ganzen Außenfeite des großen Gehirns befinden fich Fur⸗ 


“chen, und jedes Mal zroifchen zweien derfelben rundliche, darmaͤhnliche Windungen. 


Sie entſtehen, indem fich die Gefaͤßhaut ins Gehirn einfenkt, um daffelbe tiefer 
mit Blut zu verforgen. Die äußere rörhliche Subflanz des Gehirns ift weicher 
und gefüßreicher als die innere weiße, welche das Mark des Sebirns heißt. Das 
Mark befteht aus Safern, die nach den einzelnen Gegenden fehr verfchieden find. 
Das Eleine Gehirn liegt unter'dem großen in einer eignen Kammer der Hirnſchale. 
Auf der Grundfläche fieht man es in eine rechte und linfe Hälfte durch Das dazwi⸗ 
ſchenliegende Ruͤckenmark getheilt, nach oben und Binten aber zufammenhängen. 
Es ift ebenfo wie das große Gehirn mit einer Gefaͤhhaut umzogen, von Außen rorh: 
lichgrau, inwendig aber größtentheils markig. Nach Berbältniß wird es viel tiefer 
und dichter von den Fortfeßungen der Gefaßhaut durchzogen, als das große Gehirn. 
Schneidet man e8 in horisontaler Richtung ein, fo fieht man graue Ringe mit 
marfigen einigermaßen concentrifch abwechſeln. Zwifchen der rötblichgrauen 
und marfigen Subftanz findet fich allenehalben im kleinen Gehirn eine dritte gelb? 
liche Meittelfubftang. Alles Mark des Fleinen Gehirns Fommt in der Mitte gleich 
fam in einen furzen Stamm zufammen. Die Erfahrung lehrt, daß in. dem Bau 
des Sehirns viel feltener Abweichungen gefunden werden als bei den andern Theilen 
des menfchlihen Körpers. Auch verdient die Symmetrie des Gehirns wohl bes 
merkt zu werden, vermöge melcher Alles darin doppelt iſt. Selbſt die Theile, 
welche in der. Mitte liegen und darınm einfach fcheinen, wie 3.8. das Ruͤckenmark, 
beftehen eigentlich aus 2 fommerrifchen Hälften. Das Gewicht des gefammten 
Gehirns heran! beim Menfchen 2—3 Pfund; es tft um fo größer und ſchwerer, 
je jünger der Menſch if, mit dem Alter wird es fpecififch leichter. In Krankhei⸗ 
ten, die mit Seifleszerrüttung perbunden find, wird es zuweilen fefter, zumeilen 
auch lockerer und weicher, Das Gehirn ift das eiaentliche Werkzeug der Empfin- 
dung und hierdurch das materielle Subftract der Seele, forwie das böchfle Organ 
des Körpers. S. Serres’s „Anatomie comparee du cerveau dans les 4 cinsves 
des animanx vertebres ote.“, Paris 1824, mit Kpfen, (erhielt von dem k. franz. 
SYnflitut den Preis). ' Ä 

Gehler (Johann Samuel Traugott), geb. zu Börlig den 1. Nov. 1751, 
wo fein Vater Bürgermeifter war, bildete fich auf dem daflgen Gymnaſium und" 


ſtudirte in Leipzig anfangs Naturwiſſenſchaften und Mathematik, fpäter die Rechte. 


47113 war er Führer dreier in Leipzig fludirender Ruffen, 1774 bielt er mathema⸗ 
tifche Privatvorlefungen, 1777 erhielt er die juriflifche Doctormürde, von 1783 


an war er Rathsherr zu Leipzig und 1786 Beifitzer des Oberhofgerichts, Er ftarb 


den 16. Dct. 1795, Unter mehren gelehrten Abhandfungen von ihm nennt man 


"vorzüglich feine „Dissert. historiae logarithm, naturalium primordin” (Leipzig 


41776) ©G’8 Namen erhält‘das in feiner Art mufterhafte „Phyſikaliſche Wor⸗ 
terblch”' in alphabet. Ordnung (118795, 5 Be); Auferdem bat G. engl. 
und franz. Werke über Phyſik, insbefondere über Eleftriemus überfegt, von Deluc, 
Faujas⸗ Ot. Fond, Gregory, Adams, Foureroy sc. Bon G.s „Phyſik. Wör- 
terbuch” geben jeßt Brandes, Gmelin, Pfaff, Horner und Muncke (unter des Letz⸗ 
tern Leitung) eirte dem gegenwärtigen Standpunkte ber Wiffenfchaft gemäß neu be: 
arbeitete Ansq. heraus, von welcher der 1., die Buchftaben A und DB enthaltende 
Dr. in 2 Abth. (Leipzig 1825, mit Kpfen.) erfchienen iſt. .. 
Gehor iſt der Sinn, durch welchen die lebendigen Weſen Wahrnehmung 
von denjenigen Schwingungen und Bewegungen der Luft befommen, welche wir 
‚Schall oder Klang nennen, und daher zugleich der Sinn, welcher der unmittelbaren 
geiftigeni Meittheitung dient und beim Dienfchen zum Ton und Sprachfinn erhoben 


- 


652 Gehorſam | Gehoͤrwerkzeuge 


wird. Das Werkzeug des Gehoͤrs iſt das Ohr, ein in feinem Baue fehr zuſammen⸗ 
geſetzter, kuͤnſtlicher Theil des thieriſchen Körpers. Man theilt es in das äußere, 


mittlere und innere Ohr. Die beiden erſtern Theile find vornehmlich dazu beſtimmt, 


den Schall gufjufaffen und fortzufeiten, indeß die eigentliche Anklingung der Töne 
und ihre weitere Fortpflanzung indem innern bewerfftelligt zu werden fcheint. Zum 
äußern Gehoͤr gehört die Muſchel und der fnorpelige Gehoͤrgang. Dieſer ſchließt fich 
der Gehörgangsröhre an, welche durch das Trommelfell begrenzt wird. Das Trom: 
melfelEift ein nach Innen convexes, ſehr elaftifches Haͤutchen und bedeckt die Trommel: 
höhle od. fogen. Pauke. In diefer find die Sebörkfnöchelchen, ihrer Geſtalt wegen 
Hammer, Amboß und Steigbügelgenannt, befindlich. Das äußere Ohr iſt durchaus 
zweckmaͤßig gebildet, um die wellenformigen Erfehütterungen der Luft aufjufangen 
und fie indie Muſchel und ven da in den Sehörgang zu leiten. Dadie Fläche diefes 


legtern, z. B. beim menfchlichen Ohr, 50 Mal Eleiner ift als die Fläche des Außern 
Ohrs, fo muß hier der Schall um 50 Mal flärfer fein, ale wenn er ohne das äußere 


Ohr in den Gehoͤrgang gekommen wire, In der Trommelböhle bilden ſich die Tone 


N 


und pflanzen fich weiter fort Durch Die überfpannte Haut des Teommelfells und mit: 
telft der Schörfnöchelchen. Die innerfte Höhle deg Öhrs nennt man das Labyrinth. 
Sie liegt über der Trommelhoͤhle etwas nach hinten in der fefteften ul deg Schlä: 
fetnochens, und bifteht aus dem Vorhof, 3 halbkreisformigen Rohren und der 
Schnede, einem fpiralförmigen Sanal, der ſich um eine Spindel windet. In diefen 
£ünftlichen Theilen, die man das innerfte Heiligthum des Sehörorgans nennen 
fönnte, werden die durch das Trommelfell und die Gehoͤrknoͤchelchen ferner fortge: 
pflanzten Töne zur Aufnahme noch befonders ausgebildet, und erreichen endlich die 
eigentlichen Gehörnerven, denen fie igre Eindruͤcke mittheilen, um fie zu dem Gehirn 
felbft zu leiten, wo fie zur Empfindung -erböht werden, Die Ensfiehung biefer Em: 
pfindung hat man auf mancherlei W:ife zu erklären verfucht, allein die Natur wirft 
bier hinter einem Schleier, den der Seift des Menfchen zu durchdringen vergeblich 
bemühtift. Eine Reihe der anziehendften phufiologifchen Beobachtungen über das Ser 
bör und deffen Werkzeuge beiden verfihiedenen Claſſen der Thiere findet man in Chlad⸗ 
ng „Akuſtik“. Uber die Ausbildung und Veredlung des muſik. Gehoͤrs ſiehe Weber’s 
Abbandl. in der „Leipziger muſik. Zeit.”, 1801.98. Will. Wright: „Un tue varie- 
ties of deafuess and discases of the ear ete.“ (Kond. 1829; deutfch zu Weimar). 

Gehorſam, ſ. Kloftergelübde. 

Gehörwerkzeuge (kuͤnſtliche), Hörmaſchinen, Hörroͤhren, nennt man 


gewiſſe Inſtrumente, welche angewendet werden, um bei Schwerhoͤrigkeit die Em: 


pfindung-des Schalls zu verflärfen. Die Formen derfelben- find fehr verfihieden,, 
doch geben alle Larauf aus, entiweder, wo das äußere Ohr ganz fehlt, diefen Man: 
gel zu erfeßen, oder wo das äußere Ohr zwar vorhanden ift, die innern Gehoͤrwerk⸗ 
zeuge aber erfchlafft find, oder auf irgendeine andre Weife leiden, die Wirkung des 
äußern Ohrs zu verflärfen. Es bat aber das äußere Ohr der Menfchen und der 
Thiere hauptfüchlich den Nutzen, dag durch feine trichterförmige Geſtalt die Schalle 
firablen gleichfam vereinigt, zufammengedrängt und zu den innern Gehoͤrwerkzeu⸗ 
gen, dem Sitze der eigentlichen Empfindung des Sehörs, geleitet roerden. Alle 
Hörmafchinen nun, welche, wie gefagt, die Wirkung des Außern Ohrs erfeßen oder 
verftärfen ſollen, ahmen mehr oder weniger deffen Form nach, Die Altern Werks 
zeuge diefer Art gleichen einem Nachtwächterhorn oder einer Trompete, fie find mei: 


ſtens ziemlich groß und gewöhnlich mit Handgriffen verfehen, um fie, wenn man 


etwas deutlicher zu hören twünfcht, an das Ohr zu halten, und zwar fo, daß die 


engere Windung in den Gehoͤrgang geſteckt, die äußere weitere aber gegen den Ort. 


gerichtet rourde, von wo man den Schall erwartete. Dieſe Inſtrumente wurden 
aber, durch ihre Größe, ſowie dadurch, daß fie beſtaͤndig an das Ohr gehalten wer: 
den mußten, bald unbequem; auch verftedten fie den Sehler, gegen welchen fie hel⸗ 


. 
⸗ J 


2 


Gchrung | Stißelungen 563 


fen fellten, nicht genugfom, vertrugen ſich alſo nicht mit der Eitelkeit der Menſchen, 
und wurden. bald verworfen. " Einige neuere Hormaſchinen leiden nicht an diefen 
Mängeln. Die eine flellt einen Eleinen filbernen Trichter dar, auf deffeninnerer Fläche 
fich eine ſchnekenfermig wielfach gewundene Leifte befindet, wodurch ein eben folcher 
Gang gebildet wird, deffen mneres Ente auf den Anfang des Gehoͤrgangs trifft. An 
dem breiten umgebogenen Rande befinden fich einige Locher, wodurch der ge30: 
gen werden; um die Mafchine an das Außere Ohr zu befefligen. Eine zweite befteht 
Aus einer vielfach gewuntenen Nöhre von lackirtem Blech, deren inneres enges 
Ende ‚in den Sehörgang gebracht, das Außere meitere aber am äußern Ohre befes 
fligt wird. Auch Eonnen 2 ſolche Inſtrumente durch einen elaftifchen Bügel ver: 
einigt und auf diefe Weiſe in jedem Obre einsangebracht werden. Ein drittes In⸗ 
firument beftcht aus einem hohlen blechernen Bügel, an welchem in der Mitte auf 
der vordern Fläche eine weite Öffnung befindlich ifl,, und deifen Schenkel in 2 fich 
einroirts biegende Röhren auslaufen. Diefer Bügel wird fo auf dem Kopfe unter 
den Syaaren befeftigt, daß die Muͤndung in feiner Mitte gleich Aber den obern Rand 
"der Stirn zu liegen kommt; die Röhren an den Seiten werden in den-rechten und 
linfen Sehörgang geſteckt. Diefes leßtere Inſtrument hat den Bortbeil, daß es ſehr 
get Die geraden, von vorn kommenden Schallfirahlen auffüngt. 

Gehrunng, beiden Holzarbeitern die fchräge, nach der Winfellinie eines 
zechtwinfligen Dieredis gehende Richtung ımd eine in ſolcher Richtung laufende 
Flaͤche. Daher Gehrhobel, ein Hobel, mit dem eine Gehrung gemacht wird; 
Gehrmaß, ein Richtfcheit mit einem Anfchlage oder Auerbretchen am Ende, das 
nach einem Winkel von 45 Graden abgefchrägt if. Dean bedient fich deffelben, die 
Gehrung vorzuzeichnen. j 

Geiler (Johann, von Kaifersberg), ein berühmter Prediger, geboren zu 
Schaffhauſen 1446 und von f. Großvater zu Kaifereberg im Elfaß erzogen, fludirte 
zu Sreiburg Philofophieund Theelogie und lehrte dafelbft eine Zeit lang, worauf er 
in Baſel 1472 die theologifche Doctormwürde empfing. Dann wurdeer in Freiburg 
Profeffor der Theologie und folgte 1478 (86) einem Rufe nach Strasburg. Hier 
predigte er im Münfter auf einer prächtigen, ihm zu Ehren erbauten Kanzel mit gro: 
Gem Beifall, und ftarb, nachdem er auf eine kurze Zeit nach Augsburg gegangen mar, 
geehrt und geliebt von feinen Witbürgern in Strasburg 1610. ©..gehört zu den . 
gelehrteften und origineliften Köpfen feiner Zeit, Seine Predigten, gewöhnlich las 
teinifch niedergefchrieben (daher die Drucke derfelben lÜüberfegungen aus dem Latein. 
find), aber deutſch gehalten, zeigen ein eifrigesund redliches Streben nach Eindring: 
lichkeit, und verfcehmähen Wis, Spott und Schimpf nicht, um ihre Wirkung zu ers 
reichen. Lebendige Bilder aus dem Leben, warme Faͤrbung, kecke Umriffe charaftes 
rifiren feine Darftelung; und fein Eifer treibt ihn oft au einer Derbbeit der Satyre, 
welche unfern Anfichten von der Würde der Kanzel widerfpricht. Seine Sprache 
ift dem Geiſte diefer Beredtfamkeit angemeffen, kruͤftig bis zum, Siroben, frei und 
lebendig, keck und bunt. In mancher Hinficht Lann er für einen Vorläufer des Abras 
ham a Sancta Clara gelten. Wir nennen von feinen feltenen Schriften: „442 
Predigten über Sebaft. Brandt's Narrenfchiff“‘ (Grrachurg 1520, Fol.); „Schiff 
des Heils, der Reue und der Poͤnitenz (Strasburg 1512, Fol.); „Predigten über 
die Evangelien” (Strasburg 1515, EL, u. öfter). S. 1). F. W. Ph. v. Ammon: 
„Seiler v. Kaiſersberg's Leben, Lehren und Predigten‘ (Erlangen 1826); D. Wil⸗ 
der. Weil: „oh. Seiler v. KRaifersberg. Sein Leben und f. Schriften in einer 
Auswahl”. Mit Einleit. und Anmerk. (Frankf. a. M. 1829, 3 Bde.). 

Beige, f. Bioline 

Geißelung en haben zur Züchtigung von Verbrechern zu allen Zeiten 

. Rattgefunden. Der Umfland aber, daß auch Ehriftus und die Apoftel gegeißelt 
worden, gab der Andächtelei finfterer Zeiten Anlaß zu willkuͤrlichen Selbfipeiniguns 





- 554 Geißelungen 


‚gen. Schon feit den erflen Jahrh. n. Ehe. hatten einzefne Schwwärmer durch frei: 
veilige Martern des Leibes die für die begangenen Sünden verwirkte göttliche Srrafe 
abzubüßen und den gerechten Bergelter gleichfam zum Mitgleid und zur Verzeihung 
zu reizen gefucht. Um an den Leiden Chriſti Theil zu nehmen und fich der Emfüns 
digung durch ihn defto gewiſſer zu machen, erwählten Diele, wie der Abt Regino zu 
Prum im 10. Jahrh., Dazu die Seißelung; dach wurde diefe Art von Büßung erfl 
vom 11. Jahrh. an allgemeiner, da Petrus Damiani von Ravenna, Abt des Be⸗ 
nedictinerflofters Santa-Eroce d’Avellano bei Subbie in Italien, fpäter Cardinal⸗ 
bifhof von Oſtia, der Chriſtenheit und insbefondere den Mönchen die Geißelung zur 
Buße für ihre Ständen auf das dringendfle empfahl, Sein Beifpiel und der Ruf 
feiner Heiligkeit verfchaffte feiner Ermahnung Eingang; Geiſtliche und Laien, Man⸗ 
ner und Weiber fingen an mit Ruthen, Riemen und Ketten gegen ihren Körper zu 
wäthen; man feßte Zeiten fefl, um diefe Schlaͤgezucht (discipline) an ſich zu vers 
richten. Fürflen ließen ſich entkleidet von ihren Beichtuätern geißeln. Ludwig IX. 
von Frankreich trug zu diefem Behufe eine eifenbeinerne Buͤchſe mit 5 kleinen eifers 
nen Ketten befländig bei fich und ermunterte feinen Beichtuater, derb zuzufchlagen, 
auch theilte er dergl. Ketienbüchfen an die Prinzen und Prinzeflinnen feines Hauſes 
und andre gute Freunde als befondere Gnadengeſchenke zu gleichem Gebrauche aus, 
Der Bahn, fich durch diefe Seißelungen von Sünden zu reinigen, wurde in der 
legten Halfte des 13. Jahrh. zu einer Raferei, die ganze Länder ergriff. „Um diefe 
Beit”, fchreibt der paduanifche Mind in feiner Chronik beim J. 1260, „da gar 
Italien von Laftern befledt war, gaben fich plöglich einem unerhoͤrten interne: 
men erft die Perugianer, dann die Römer und endlich alle Völker Italiens bin. 
Die Furcht Chriſti kam fo flarf über fie, daß Edelleute und Unadelige, Alte und 

Junge nadend ohne Scham durch die Straßen der Städte umberjogen; jeder trug 

eine Seigel von Riemen, momit er fich unter Seufzen und Weinen, unter Abfın: 
gung von Bußpfalmen und Anrıfung der Barmherzigkeit Gottes bis aufs Blut 
peitfchte. Nicht nur bei Tage, auch des Nachts liefen fie fo im bärteften Winter 
zu Hunderten und Taufenden mit brennenden Wachslichtern durch Städte und 

Kirchen, durch Dörfer und Fleden. Da ſchwiegen alle muſikaliſche Inſtrumente, 
und fein Lied der Liebe ertänte mehr; man hörte nur den Flüglichen Sefang der Bü⸗ 
Benden.. Die Augen der Hirteften fonnten fich der Thränen nicht enthalten, Uneinis 
ge ſohnten fich mit einander aus, Wucherer und Räuber eilten, Das ungerechte Shut 
wiederzugeben, noch unentdedte Miiffethäter bekannten ihre Verbrechen u. f. 10.” 
Aber diefe Buße artete bald in ein tumultuarifches Schwärmen, ja in ein Gewerbe 
aus, Die Büßenden vereinigten fich zu Brüderfchaften, Flagellatori in Italien, 
Flagellanten (f. d.) in Frankreich, Geißler, Geißelbruͤder, Flegler und Bengler 
in Deutfchland genannt. Nach der konſtanzer Rirchenverfammlung (1414-18) 
wurden Geiftliche und Laien des Geißelns nach und nach überbrüffig; die Francis⸗ 
canermönche in Frankreich (Cordeliers) haben es noch am längften getrieben. Daß 
ein fo widerfinniger Gebrauch fich fo Tange erhalten Eonnte, wird bei den außeror: - 

dentlichen Wirkungen, die man fich davon verfprach, richt befremden, Das Geis 
ein vertrat nach den Begriffen’ des Mittelalters jede Art der Buße, welche die 

eichtuäter wegen begangener Sünden auflegten. 8000 Hiebe unter Abfinaung von 

.80 Palmen galten ein Jahr, 30,000 Hiebe 10 Yahr Buße u. f. w. Eine ital, 
Witwe im 11. Jahrh. rühmte fich, durch Selbflgeißelung für 100 J. Buße ges 
than zu haben, wozu nicht weniger als 300,000 Streiche gehörten. Überdies gab 
die Meinung, dag man durch die Selbftpeinigung auch bei der größten Sünden: 
ſchuld ˖ der Hölle entfliehen umd fich den Ruf befonderer Helligkeit erwerben könne, 
dem Seißeln in den Augen der Schuldbewußten und Ehrgeizigen einen Reiz, der die 
Eörperlichen Schmerzen fo lange überwog, bis die Einbildungen der Andächtelei vor 
dem Lichte einer beffern Erkenntniß verfhwanden. » E. 


- 





Si .. 555 


BGleiſt. Im Segenfag des Körpers wird der Geiſt als ein Weſen gedacht, 
das mit Bewußtſein thätig ift, deffen Thärigfeit daher im Vorftellen und Streben, 
‚oder; auf einer hoͤhern Stufe gedacht, im Denken und Wollen befteht. Wird ein 
ſolches Wefen in Berbindung mit einem Körper, durch welchen es mit einer äußern ' 
Welt in Wechfelwirkunn fleht, gedacht, fo heißt es Seele, und jener Körper fein 
Leib. Ob es reine, d. b. Förperlofe Geiſter gebe, ifl nie ausgemacht worden. In 
:deffen harte man auf diefe Vorausfeßung die Seifterlehre.oder Pneumatologie er- 
:baut. Diefe angebliche Wiffenfchaft Hat von jeher viele Berehrer gefunden, befon: 
ders unter den Schwärmern, die bei ihrer überfpannten Einbildungsfraft die Gei⸗ 
fier wol gar in körperlicher Geſtalt zu ſchauen und mit ihnen in übernatürlicher Ver 
bindung zu ſtehen wähnten. Solche Seifterfeher unterfchieden dann auch, vermöge 
ihrer Befanntfchaft mit dem Geifterreiche, verfchiedene Ordnungen von Geiſtern, 
als gute und böfe Seifter, nach ihrem Charakter and Einfluß auf den Dienfchen; 
Zuftgeifter, Erdgeifter u. f. w., nach ihren Wohnungen. (S. Damonologie, 
Engel, Teufel, Sabalis) Auch. gaben dergleichen Perfonen oft vor, daß 
fie die geheime Kunſt beſahen, die Beifter ſich unterwuͤrfig zu machen, fie erfcheinen 
8 laſſen u. f. w., wozu man ſich gewiſſer Formeln oder Zauberwoͤrter bediente, 
aber entſtanden Geiſterbeſchworer oder Geiſtercitirer, die oft nur verſchmitzte Bes 
trüger waren, welche die Leichtgläubigseit der Menſchen durch angebliche Entdeckung 
verborgener Schäge u; dgl, zu ihren Bortheile benußten. Obgleich nun das Grund⸗ 
loſe der Beifterlehre umd Das Trügliche der Geiſterkunſt (Magie) theils durch Schrife 
ten (vgl. Kant's Traume eines Beifterfehers, erlaͤut. durch Träume der Metaphy⸗ 
fif), theils durch Nachahmung der fogen. Seiftererfipeimungen mittelft der optifchen 
Tauſchungen, welche die natürliche Magie lehrt, oft genug dargethan worden ifl, 
fe Hat doch der Aberglaube ſich noch immer nicht davon losreißen konnen, wie der 
Beifall beweift, den Jung's Schriften über die Geiſterwelt in unſern Zeiten, felbft 
unter den höhern Ständen gefunden haben. — Man nimmt aber das Wort Geiſt 
oft auch im andern Bedeutungen, fodaß man darunter nicht ein befonderes, mit 
Bewußtſein thätiges Weſen verfleht, fondern die innern, durch Sinne nicht wahr⸗ 
nebmbaren Beflimmungen geriffer Dinge, Ferner bezeichnet Seift eine höhere 
Regſamkeit der Seiftesthätigkeit, befonders aber der Erkenntnißthätigkeiten, und im 
Gegenſatz des Gemüͤths oder des Herzens. So fagt man von einem Menfehen, er 
babe Seift, wenn fine Denkkraft in einem vorzüglich Hohen Grade wirkſam tft; und 
wiefern fich dies auch äußerlich im Antlitz oder Auge des Menfchen abfpiegelt, legt 
man auch wol diefen Theifen des Menfchen Geift bei. Daher fagt man: ein geiſt⸗ 
reicher oder geiftvoller Menſch, Schriftfteller, Kunſtler, desgl. eine geiftreiche Phyſio⸗ 
gnomie, ein geiftvolles Auge u. ſ.w. Ja man trägt die letztern Ausdrücke auch auf 
menfchliche Erzeugniffe über, wiefernfich in ihnen die innere Kraft des Menfchen, der 
« fie hervorbrachte, ankündigt, und fagt daber: ein geiftreiches Buch, ein geiftuolles 
Kunſtwerk, Gedicht, Gemaͤlde u. ſ. w. Bei geiftreichen Kunſtwerken fommt es aber 
weniger auf die Stärke der Denkkraft ale vielmehr der Einbildungskraft an, wie 
wel diefe allein noch Fein wahres Kunſtwerk zu fchaffen im Stande ift, fondern in 
Verbindung mit dem Berftande bei ihren Hervorbringungen wirffam fein muß. End: 
‚ ich trägt man das Wort Geiſt felbft auf Getränke über, wiefern ſie die Kraft haben, 
zu beraufchen und dadurch die Einbildungsfraft zu erregen. Deßhalb nennt man fie 
peifige Getraͤnke. Dasjenige Element derfelben, tweiches man als den Grund jener 
lebenden Kraft betrachtet, nennt man ihren Seift, 3. B. Weingeift (f. Alkooholſ), 
und bezeichnet die übrigen Beftandthetle mit dem Worte Phlegmo. In einer andern 
Bedeutung feßt man in Beziehung auf die menfchliche Rede dem Seifte, d. 5. dem 
innern oder böhern Sinne derfelben, den Bushftaben, d. h. den bloßen Wortſinn der 
Rede, entgegen. Im $ranz. heißt Geiſt (esprit) oft nichts Anderes als Witz oder 
Laune, deßgleichen die Gabe, ein unterbaltendes Sefpräch zu führen. D. 

L) ! 2 


558 Geiſt (der Heilige) . . 


Ge iſt (der — iſt nach dem Sinne des N. Teſt. die Gottheit ſelbfi An: 
ſofern fie als die hochſte Vernunft auf geiftige und moralifche Zwecke überhaupt und 
insbefondere auf die Erhaltung und Ausbreitung des Chriſtenthums hinwirkt. 
Wenn Jeſus feinen SJüngern den Geiſt der Wahrheit, den Paraklet oder Tröfter, 
verbeißt und von ihm fagt, er folle auf Alle ausgegoffen werden, die das Chriftens 
thum annehmen soürden, fo verfteht. er darumter diefe göttliche Einwirkung, vers 
möge deren die Kraft der Wahrheit feiner Religion das menfchliche Semäth erleudy; 
tet, überjeugt, zu großen Thaten begeiftert und durch ihre himmliſchen Tröftungen 
über jedes Leid der Erde erhebt. Sie rüftete die Apoftel Jeſu zu ihrem Berufe aus: 
sie ihr Blick nach Dem Umgange mit dem Auferftandenen und beim Antritte ihres 
weltumfafienden Unternehmens freier, ihre eigne Erfahrung von der Gewißheit und 
allfeitigen Anwendbarkeit der Religion Jeſu reifer und lebendiger wird, klaͤrt dieſe 
göttliche Kraft des Seiftes fie über alle die Winke und Lehren ihres Meifters auf, 
die ihnen in ihrer fonftigen Befangenheit dunkel geblieben waren, und leiftet ihnen 
" und den Esangeliften beim Niederfchreiben der Bücher des N. Teft. den wunderba: 
ren Beiſtand, der fchon die Verf. des A. Teft. geleitet hatte und allen Büchern der 
eil. Schrift die Untruͤglichkeit einer göttlichen Offenbarung gibt; fie theile ihren 
eden die lichtvolle Klarheit, das eindringliche Feuer, die hinreißende Zuverſichtlich⸗ 
Eeit mit, durch die fie nun fahig find, zu Menfchen von allen Nationen in der all⸗ 
gemein verfländlichen und überzeugenden Sprache des —5 zu ſprechen, und 
ihre Hörer mit dem Glauben zu erfüllen, deſſen fie ſelbſt le ; fie macht fie fi 
reich gegen ihre Widerfacher und ſtandhaft unter den Streichen ihrer Berfolger; 
‘ flärkt und erquickt ihr Herz unter den ſchrecklichſten Qualen und zeigt ihnen in der 
Stunde des Todes ein Reich ewiger Seligkeit, in dem ihr Herr fie erwartet. Dies 
‚find die Gaben des heiligen Geiſtes, durch welche die Apoflel, ſowie die Überzeugten, 
Frommen u. Kräftigen unter den Chriften aller Zeiten Werke ausrichteten u. Siege 
erfämpften, die für Menſchen, denen es felbft an Aufſchwung des Gemuths, an 
Stärke und Innigkeit der Überzeugung, an Muth und Thatkraft fehle, ebenfo un: 
begreiflich als unmöglich find. Daß aber diefer einfache, dem wahren Verhaͤltniſſe 
Sortes zu den Menfchen und der Entwickelungsweiſe des menfchlichen Semüths 
ganz angenfeffene Begriff von dem Weſen und Wirken Deffen, was in der Bibel hei: 
liger Geiſt genannt wird, in der Folgezeit mannigfaltig verfünftelt und unkenntlich 
gemacht rourde, kann Den nicht befremden, der es weiß, wie die Dienfchen mit relis 
giöfen Wahrheiten überhaupt umzugehen pflegen. Tertullian und Drigenes, zwei 
vielgeltende Kirchenlehrer des 3. Jahrh., nannten den beit. Geiſt ein von Sort durch 
Chriſtum Hervorgebrachtes, obwol das allervortrefflichfte Sefchöpf; Macedonius, in 
der Mitte des 4. Jahrh. Bifchof von Konftantinopel, fprach ihm die Gleichheit 
des Wefens und der Würde mit Gott dem Vater ab, Die Synode zu Aleran- 
drien, 362, erklärte ihn und feine Anhänger — Pneumatomachi oder Seiftese 


feinde — für Irrlehrer, und die allgemeine Kirchenverfammlung zu Konſtantinopel, 
881, feßte für die ganze chriftliche Kirche ausdrücklich feft, der heil. Geiſt müffe als 


die vom Vater ausgehende dritte Perfon in der Gottheit mit dem Vater und dem 
Sohne zugleich angebetet und göttlich verehrt werden. Auguftinus behauptete, der 
heil. Seift gehe vom Bater und vom Sohne aus, und die Synode von Toledo wer: 
bammte 589 alle Andersgläubige. Diefe Eleine Abweichung von dem Altern Lehr: 
begriffe veranlaßte einen vom 8. bis ins 14. Jahrh. mährenden Streit zwiſchen ber 
abendländifchen oder lateinifchen und der morgenländifchen oder griech, Kirche, mel: 
her endlich eine gänzliche Trennung zur Folge hatte, Die dem Papfte anhängigen 
Abendländer und mit ihnen die Proteflanten behaupten, daß der heil. Geiſt vom 
Vater und vom Sohnenusgehe; die Morgenlaͤnder nehmen nur das Ausgehen vom 
Dater an. Die Berehrung des heil. Geiſtes, als der dritten Perfon in der Gottheit, 
iſt übrigens beiden Kirchen und auch den Proteflanten als ein weſentliches Stück des 


— 


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L; f | 


Geiſt der Zeit Geiſſererſcheinung 557 


> Glaubens am die göttliche Dreieinigkeit gemein.” Bon der Wirkſamkeit des heit. 
Geiſtes in der chriftlichen Kirche hat auf der einen Seite die Politik des Prieſterregi⸗ 
maents, auf der andern der Dipfticismus einiger Sekten ſchwaͤrmeriſche Vorſtellun⸗ 
gen in Umlauf gebracht (f. Snabe, Hierarchie, Ynfpiration), und um 
feine Öegenwart zu verfinnlichen, bat man ihn, zufolge eines mißverfiandenen Se 
fiches des Taufers Johannes bei der Taufe Jeſu, fogar in Geſtait einer Taube ab> 
zubilden gewagt. Übrigens kehrt gegenwärtig die Theologie zu den urfprünglichen 
bibliſchen Beſtimmungen von dem Begriffe, den Gaben and dem Beiftunde des beit. 
Seiftes zurüd, und unfere Vorfiellung von diefer göttlichen Kraft kommt der Idee 
‘einer gefunten Neligionsphilofephie von dem Zufammenhange des Seiftigen im 
Menfchen mit Sott immer näher. - Denn daß Gottes Geiſt aus der von ihm einge⸗ 
gegebenen heiligen Schrift, in den Reden und Thaten frommer, für das Gute begei: 
fterter Denfchen, wie in unferm Gewiſſen fpreche, und.eine gefliffentliche Wider: 
-feßlichkeit gegen die anerfannte Wahrheit und innere Übergeugung — die Suͤnde ge: 
gen den heil, Geiſt — unverzeihlich fei; daß man die durch 
Innern Gewiſſensdrang erweckten Dort und geleiteten Fortſchritte unferer fittlichen 
Beſſerung alsein Werk dieſes Geiſtes, Weisheit, Scharfblid in die Zukunft, Begei⸗ 
ſterung für das Gute und religiüfe Beredtfamfeit als Gaben von ihm, das prieſteri. 
Amt aber als einen Auftrag Gottes betrachten müffe, der nicht ohne Mitwirkung, nicht 
ohne Empfänglichkeit fir die Zufprache feines Geiſtes würdig erfüllt und nußbar wer: 
den Eönne: alles Diefes fteht mit der menfchlichen Bernunft keineswegs im Wider: 
fpruche. Vielmehr unterfcheidet diefe genau von Dem, was bei den Menſchen Seift 
genannt wird, den Geiſt Gottes, und die Erfahrung zeigt, daß ein geiflvoller Menſch 
ſehr unbeilig. denken und handeln, der heilige Geiſt aber mit feinen Gaben 
und Kräften nur in reinen, unfehuldigen Seelen wohnen fann. E. 
Geiſteder Zeit ift die in einem Zeitalter berrfchende Denkart und Hand: 
lungsweiſe. Es ift alfo nicht Die Zeit, der man einen Seift beilegt, fondern die in’ 
der Zeit (d. i. in einem Zeitalter) lebenden Menſchen. Wenn man alfo fagt: der 
Geiſt der Zeit ift egoiftifch oder revolutionsfüchtig, fo heißt. dies nichts Andres, als 
die geiftige Stimmung der in einer gewiſſen Zeit lebenden Menſchen ift fo befchaffen, 
dag die Meiften unter ihnen nur für ihr perfonliches Wohlbefinden forgen, oder einen 
großen Hang zu politifchen Umwaͤlzungen haben. Da nun die Natur in den Men⸗ 
ſchen einen gewiſſen Nachahmungstrieb gelegt bat, vermöge deffen das Veifpiel 
Andrer ein äußerer Reiz für ihn wird, Daſſelbe zu thun, fo ifl Hieraus begreiflich, daß 
jeder Einzelne, je nachdem fein Machabmungstrieb flärker oder ſchwächer iſt, und er 
weniger oder mehr Selbftändigkeit bat, auch dem Einfluffe des Zeitgeiftes auf fei- 
nen Charakter und fein Verhalten mehr oder weniger unterworfen ift. Daber wird 
dem Zeitgeifte eine gewiſſe Herrſchaft beigelegt, die aber doch nicht fo allinächtig iſt, 
dag man fich nicht Durch eigne Geiſteskraft darüber erheben fünnte. Die Urfachen, 
weiche in einem gewiffen Zeitalter einen eigenthümlichen Geiſt hervorbringen, koͤn⸗ 
nen fehr verfchieden fein, werden aber doch faftinımer entweder aus fo Fräftigen Geis 
flern, welche in religisfen, politifchen, pbilofopbifchen und aͤſthetiſchen Anfichten 
eine bedeutende Änderung bewirkten, oder aus fo ausgezeichneten Negenten, deren 
Einfluß fich weit erſtreckt, vereint mit der friedlichen oder kriegeriſchen, glüdlichen 
oder unglücklichen Lage der Nationen hervorgehen, 
Beiftererfheinung. Man verfiebt darunter in den meiften Füllen 
das Sichtbarwerden eines abgefehtebenen Geiſtes in der Geſtalt feines vorigen Körs 
pers, eines Schemen; die Nachahmung. diefes Phänomens durch die nafürliche 
Magie wird in diefer Beziehung Phantasmagorie (f. d.) genannt. Wie 


ehren, DBeifpiele und - 


entfchieden auch die Philoſophie wider die Möglichkeit derfeibenfich erffärt undalle 


Berufung auf Erfahrungen mit der Mahnung an die Möglichkeit eines (wielleicht . 
optifchen) Betrugs und einer Selbftsäufchung überreigter —— abgewie⸗ 


[4 
’ 


558 Geiſteckrankheiten Suftif 
fen bat: immer bleibt im Giemärhe des Volks eine geheime Neigung zu tem Glan: 
ben an diefe Möglichkeit, und darum iſt auf ter Bühne tie Erfcheinung eines Gei⸗ 
fles oder Schemen einer der flärffien tragiſchen Hebel. cins ter wirtfomfien Mu⸗ 
sel zu kunſtzweckmaßiger Bewegung des Die griechiſchen Tragiker da 
ben ſich deſſen ſowol bedient als Shakſpeare, Calderon u. a. neuere Dichter; den⸗ 
noch iſt der Geſchmack ter Franzofen im Ganzen dagegen, wegen feines Anfprıchs 
auf Naturgemaßheit aller theatralifchen Ereigniffe; und fie haben feibft „Hamlet“ 
ohne Geiſt auf ihre Bühne gebracht. Das ift eine von den Folgen des Irrthums, 
daß Alles, was auf der trogifchen Bühne als ein Wahres auf die Handelnden zu 
wirkten ſcheint, auch die Zuſchauer täufchen und ihnen als Wahrheit vorkommen 
mäffe. Geſchahe das bei der Erfcheinung des erfchlagenen Banque in „Macbeth“ 
4 B., fo würde eben dadurch die K i vernichtet werden, und an ihre 
Stelle eine rein peinliche natürliche treten: der Zuſchauer würde nicht Theilnahme 
an einem fremten Schrecken, fondern ein eignes Entfeßen empfinden. jene Theil: 
nahme, auf welche hier Alles anfommt, hängt keineswegs vom wirklichen Glauben 
des Zufchauers, fondern von dem fcheinbaren des Epielers ab, und wir müffen Ban⸗ 
quoꝰs Geiſt nur darum auf dem Theater feben, weil wir fonft über die Lrfoche von 
des Königs Schrecken zweifelhaft bleiben würden. Inzwiſchen beruht der richtige 
Gebrauch diefes tragifchen Erregungsmittels auf mancherlei Betingungen, weldhe 
häufig verlegt werden, und der neuefle Berfuch, der in dem Trauerfpiele: „Die Ahn⸗ 
frau”, gemacht worden ift, die Erfcheinung und Mithandlung einer V 
als Hauptfache zu behandeln und das ganze Stüdl hindurch die Zufchauer mit einer 
Art von künftlerifchem Geſpenſterſchauder zuhumterhalten, fcheint aus einer Ber: 
wechfelung der Begriffe von Mittel und Zweck hervorgegangen zu fein. A. Mur. 
Geiſteskrankheiten find diejenigen Arten von Störungen des freien 
Dewußtfeins, in welchen der Menfch fortdauernd entweder einer lebhaften und bes 
flinmten Borftellungen fähig if, oder verkehrte, d.h. dem gefunden Berflande wis 
derfprechende Borftellungen bei fich unterhält, ohne fich von ihrer Verkehrtheit über» 
zeugen zu Fonnen. Im 1. Falle ft Blodſinn vorhanden, welcher, wenn er fich 
als allgemeine Abftumpfung der geiftigen Empfänglichkeit und Selbfichätigkeit zeigt, 
Dummbeit, wenn er aber als Eindifches Unvermögen, Borftellungen zu feften 
Begriffen zu verbinden, erfcheint, Albernheit genannt wird. Im 2. Falle 
führen die mancherlei franfhaften Erfcheinungen der geiftigen Thätigfeit den allge⸗ 
meinen Namen der Berrüdtheit, weil bier gleichfam der Geiſt aus feinen Fu: - 
gen gerückt il. Sehr häufig find dieſe verfchiedenen Krankheiten des Berſtandes 
und der Phantaſie, oder mit einem Worte, des Beifles, mit einander verbimden, 
oder haben wenigftene, auch wo fie einzeln erfiheinen, Das Gemeinſame, daß fie 
fünmtlich den Krankheiten des Gemuͤths (f. d.) und Willens enttgegenfiehen, un: 
ter denen fich befonders die Melancholie und die Tollheit auszeichnen. Der 
befte allgemeine Name für fie alle ift: Seelenkrankheiten, von denen die Geiſtes⸗ 
Sranfheiten dann nur einen befontern Zweig ausmachen, indem fie die Erſcheinun⸗ 
aen des krankhaften Vorftellungsvermögens ausdrüden, aus deffen Mipbrauche, 
3. B. durch tiberfpanntes Nachdenken, ‚fie zum Theil entfpringen. &o werden me: 
chaniſche Künftler über die Bemühungen, das Perpetuum mobile, Mathematiker, 
die Quadratur des Cirkels zu finden, Theologen über die Erklärung der Apokalypſe 
verrüdt: Der Melancholie, dem Wahnfinn, der Toliheit gehen heftige Leiden: 
fhaften: und überhaupt Störungen in den Gefühlen und Trieben voraus, ale 
deren Erzeugniffe jene Krankheiten zu betrachten find, zu welchen fich die Vers 
ruͤckungen u, ſ. w. nur nebenbei.'gefellen. fi. 
&eiftit (griech. von Sea, die Erde), derjenige Theil der phyſ. Sengraphie, 
welcher die Kunde von den feften Landmaſſen vorträge: Man unterfcheibet folgende 
Abthl. derſelben: 1) nefologifche oder Inſelgeograͤphie, von den Inſeln u. Halb⸗ 








Geiſtlich Geiſtlichkeit 559 


dafeln, deren Ausdehnung, Lage u. Entflehng durch Feuer: oder Waſſerwirkungen, 
Trennungen vom feiten Lande, Korallenklippen; 2) orofogifche oder Berggeographie, 
von den Bebirgen auf dem feften Lande und dem Seegrund, DBerfchiedenheit derfelben 
(Eis: u. Schneeberge, Sletfcher, Ferner, Vulkane, Alpen, Höhlengebirge), Ausdeh⸗ 
nung, Zuſammenhang derfelben; 3) oryktologiſche, welche die Sebirgsarten nach 
Bildung, Aller u. Beftandtheilen betrachtet; 4) planologiſche, von den Ebenen u. 
Flächen, Thälern, Abdachungen; 5) thetifche Geographie, von dem Innern der Erd- 
"rinde, Spalten, Klüften, Bänten, Sängen, Lagerungen u. ſ. w. So Bat Joach. 
Friedr. Schouw inf. „Specimen Geographiae physicne comparativae” (Kopenb. 
1828, 4.) die pyrenäifchen Alpen und die ſtandinas. Gebirge beſchrieben. «ld. 
. Geiſt lich wurde oft mit geiflig verwechſelt und zur Bezeichnung vieler, 
die eroige Wohlfahrt des menfchlichen Geiſtes betreffenden Dinge gebraucht , die der 
Sprachgebrauch unferer Zeit geiftig nennt. Mit dem fpäter aufgefommenen Worte 
religids wird geiftlich zum Unterfchiede von weltlich, um eine befondere Beziehung 
auf und die Religion anzuzeigen, noch jetzt oft gleichbedeutend gebraucht, z.B. 
geiftliches Buch, Sefpräch, Lied, Der gebildete Sprachgebrauch nennt aber nur 
folche Perfonen und Sachen geifllieh, die mit der öffentlichen Religionsübung und 
der Eirchlichen Berfaffung in einer beftimmten, bffentlic, anerfannten Beziehung 
fließen, und deßhalb durch einen eigenthümlichen Eirchlichen Charakter von allen an: 
dern ausgezeichnet find. Dies tft jedoch bloß eine äußere, Sefchäft, Beſtimmung 
und Berbältniß andeutende Beziehung, bei der, was geiftliche Perfonen betrifft, eine 
innere, nähere Gemeinſchaft mit Dem, deffen Verehrung bei ber Religionsübung 
und kirchlichen Berfaffung bezweckt wird, zwar zu fodern, aber keineswegs nothwen⸗ 
dig vorauszuſetzen iſt. “Der geifllichen Tracht, d. I. der Amtskleidung der Priefter 
und Prediger, den geiftlichen Gütern, d. i. Befigungen der Kirchen, kann dies Bei⸗ 
wort ſchon an und für fich nur ihres Gebrauchs roegen zufommen. Geiſtliche 
Beamte aber, wie die den geiftlichen Stand bildenden Wriefter und Prediger felbft, 
eiffliche Räthe, Beiſitzer der — Gerichte oder Conſiſtorien, welche dieſem 
tande allemal angehören und fein Intereſſe vertreten; geiſtliche Stifter, welche, 
wie die Klöfter, auseiner Köcperfchaft von Perſonen diefes Standes beftehen, foll: 
ten allerdings durchgehende auch die innere Weihe der Religiofität und geifligen 
Gemeinfchaft mit Sort haben, die überhaupt das Merkmal wahrer Ehriften ift; 
und das geiftliche Hecht (f. Kanonifches Mecht) Härte fich viele genauere 
Beſtimmungen und Borfchriften erfparen konnen, wenn Alles, was geiftlich heißt, 
auch mit diefer Weihe geheiligt waͤre. Denn alle Ehriften find im Grunde geiftliche 
Brüder und Schweflern, fie nermen ihre Lehrer und Seelforger mit Recht geiftliche 
Vater und werden von diefen geiftliche- Söhne und Töchter genannt, Die kathol. 
Kirche wendet diefe Beziehung auch zur Befchränkung der Heirathsluſtigen auf den 
befondern Fall an, wo fie von einer geiſtlichen Verwandtſchaft fpricht, die zwiſchen 
Taufzeugen, ihren Pathen und Gevattern angetnüpft fei. E. 
. Beiflider Borbepalt, fe Borbepalt. ' 
Geiſthiches Bericht, eine entweder bloß aus Geiſtlichen, oder aus 
Geiſtlichen und Rechtsgelehrten befiehende Behörde, welche über die Geiſtlichen 
(in mehren Ländern auch Hber die Schuldiener) und über geiftliche Sachen 
(causae ecclesiasticae), Kirchenämter, Ehefachen, in England auch über Te: 
flamente u. dgl., die Gerichtsbarkeit ausübt. In proteſtantiſchen Ländern 
werden die geifllichen Gerichte meift Tonfiftorien (f. d.) genannt, 
„ Geifllihes Lied, f. KRirdenmufit, Lied und Hymne. 
Geiſtlich Leit ift derjenige Stand, welchem das Sefchäft, den öffentli: - 
chen Sottesdienft zu verwälten, die Heiligen Gebräuche auszuiben und die Gentein: 
den im Chriſtenthum zu Unterrichten, übertragen iſt, wozu die Mitglieder deffelben 
durch einefeierliche Handlung (Ordination) eingeweiht werben. Einige ſchwaͤrme⸗ 


⸗ 


560 Geiftlichkeit 
riftge Sekten, .. B. die inäler, behaupten, daß die drrifliche Rirche eines belen 
a 


tie Entbebrlichteit eines befondern Lehrfiandes behaupteten, gefche: 
ben ifl. Je vielfeitiger der Kanzelredner gebildet fein muß, und je mehr Fleiß die 
Austbung fotert, je mehr gelehrte Kenntniſſe die wi iche Kenntniß des 
Chriſtenthums, welche den offentlichen Religionsunterricht leiten muß, vorausſetzt, 
und je nüplicher ſich der Prediger als Lehrer und als tröflenter und rathender Freund 
der Semeinde machen kann, defte weniger laͤßt fich die Linentbehrlichfeit eines beſon⸗ 
dern Standes begweifeln, welcher dem Vebroekhäfte umd der zu demſelben nöthigen 
Vorbereitung feine ganze Zeit und Kraft widme. Zwar hatten die von den Apoſteln 
beflellten Alteften und Biſchofe nicht das ausfchließende Recht, zu Ichren und die 
beiligen Gebraͤuche zu verwalten, vielmehr fland es damals auch andern Chriſten 
frei, in den Berfammlungen zu fprechen x. Als aber die Gemeinden zahlreicher 
wurden, und Männer von Bildung und Kenntniß zu ihnen übertroten, mußte fich 
bald ein befonderer Etand zu dieſen Sefchäften bilden. Seit dem 2. Jahrh. wer: . 
den die Ideen des jübifchen Pri ums auf die chriftliche Lehre übergetragen, der 
geifllihe Stand ward ſcharf von den übrigen Gemeindegliedern getrennt, und es 
entftand der Unterſchied zwifchen dem Klerus (ein griech. Wort, welches Erbtheil, 
Eigenthum, Erbtheil und Eigenthum Gottes im befondern Sinne bedeutet) und den 
Laien. Als das Ehriſtenthum feit Konſtantin die herrſchende Religion im römifchen 
Reiche ward, erlangte die Seifllichkeit wichtige Borrechte und große Reichehümer. 
Im Mittelaiter wuchs ihr Anfehen und ihr Reichthum noch mehr, der Umfang 
ihrer Rechte erweiterte fich, und unter dem Schuße des Papſtthums ward fie immer 
unabhängiger von der Staatsgewalt. Bei allen abendläntifchen Völkern ward die 
Geiſtlichkeit Landesfland, und viele Bifchöfe und Erzbifchöfe, befonders in Deutſch⸗ 
land, wurden weltliche Herren. Es war Mies die Folge theils des bierarchifchen 
Syſtems, theils der Überlegenheit, welche der geiflliche Stand, der im ausfchließen: 
den Befiße der wiffenfchaftlichen Kenntniffe wor, über andre Stände behauptese, 
theils der Politik der Fürften, welche die Seifttichkeit. hoben, um den Adel zu be⸗ 
ſchraͤnken. So gewiß es ifl, daß die Nachtheile, welche hieraus entfprangen, von 
den Feinden des geifllichen Standes inübertreibenden Schilderungen dargeftellt wor⸗ 
den find, fo kann doch nicht geläugnet werden, daß die weltliche Herrfchaft und die 
Theilnahme an den politifchen Angelegenheiten viele Geiſtliche von ihrer eigentlichen 
Beſtimmung entfernte, jnd daß der Reichthum kin großes Bittenverderbniß unter 
dem Klerus verurfachte. Daher war es wohlthätig, daß die Neformation den 
geiftlichen Stand zu feiner wahren Beftimmung zurudfährte. Verſchieden von der 
Anficht des Katholicismus (f.d.) von dem geifllichen Stande iſt die des Pros 
teftantismus. Mach ihm ift der Seiftliche nicht Prieſter, nicht Vermittler zwifchen 
Gott und den Menfchen, fondern nur Lehrer und Freund der einde; nicht durch 
Höhere, auf übernatürliche Weiſe mitgetheilte Gaben, nur durch eine tiefere Kenne; 
niß des Chriſtenthums und der Wiffenfchaften, und durch die Faͤhigkeit, durch die 
Kraft der Rede die Menfchen zu belehren und zu erbauen, unterfcheidet er ſich von 
‚andern Semeindegliedern, und wenn von ihm ſtreagere Sitten gefobert werben, fo 
liegt der Grund davon nicht in einer befondern Heiligkeit feiner Perſon und feines. 
AItniſſes, fondern lediglich darin, dag er, mie durch die Lehren, ſo auch darch 


Geiz Gelbſucht | 561 


den Wandel die Gemeinde erbauen foll, und daß manche Befchäftigungen und Der: _ 
gnügungen mit der Wuͤrde eines öffentlichen Lehrers zu flreiten. ſcheinen. Im vork 

gen Jahrh. traten erft in Frankreich, dann auch in Deutfchland viele Feinde des 

geiftlichen Standes auf, welche die großen Verdienfte, die er fich durch Beförderung 

der Bolksbildung erworben hat, verfannten, ihn mit dem ungerechteften Tadel über: 

haͤuften und ihm alle feine Rechte entzogen roiffen wollten. Auch iſt der geiftliche 

Stand in den neuern Zeiten von mehren Regierungen fehr ungerecht behandelt wor⸗ 

den. Indeß hat fich die öffentliche Meinung ſchon twieder zu feinem Vortheile ges. 
ändert, man erkennt feine Nutzbarkeit an, läßt ausgezeichneten Geiſtlichen Gerech⸗ 

tigfeit voiderfahren, und darf. aber erwarten, daß die Negierungen die Rechte der 
Seiftlichen nicht noch mehr, als bereits gefchehen ift, befchränken werden, damit . 
das Berdienft auch in diefem Stande Anerfennung finde, und.der Seiftliche den Aus 
Bern Anſtand behaupten könne, den fein Verhaͤltniß fobert: = - N, 

& ei; berubt auf einer Ausartung bes:Selbfterhaltungstriebes, vermöge des 

ren man das TRittel zur Befriedigung diefes Triebes mit dem Zwecke verwechſelt und 
daher am bloßen Befiße äußerer Mittel ein fo großes Bergnügen findet, daß man 
‚nicht nur Andern, fondern auch fich felbft den davon zu machenden Sebrauch oder 
Genuß verfügt. Geiz in weiterer Bedeutung umfaßt auch die Habſucht. Im engern 
‚Sinne geht er aber auf die Erhaltung des Defeffenen, dagegen Habfucht auf den, 
‚wenn auch: nur augenblidlichen Befiß, oder Das fich Anelgnen felbft gerichtet iſt. 
Der Seizige firebt vorzüglich nach Geld, da es das vornehmfte Mittel zur Befriedi⸗ 
gung unferer Bedürfniffe ift. Doch wird das Wort Geiz auch auf andre Arten des 
übermäßigen Strebens bezogen, befonders auf. das nach Ehre; daher Ehrgeiz. 
Wird aber das Wort Geiz ſchlechtweg gebraucht, fo verfteht man darunter gewöhne 
lich die übermäßige-Begierde nach. üugern Mitteln ober Bermögen. In diefer Be 
deutung wird auch der Geiz eine Wurzel alles Ubels genannt; denn er macht den 
Menfchen ungerecht und Tieblos, ſowol gegen Andre als gegen fich ſelbſt. Wegen 
der theils niedrigen, theils ungereimmten Mittel, die der Geizige zur Befriedigung  . 
Leidenſchaft braucht, wird er in'den Augen Andrer verächtlich und laͤcherlich. Die 
trefflichfte Schilderung Diefer haßl. Leidenfchaft hat Moliere in f. Luftfp. „L’avare” 
gegeben. — Geſiz ift auch eine Benennung verfchted. JMlanzenausmwüchfe, fproffens 
der Keime und ©eitenfproffen, z. B. an den Tabadspflangen. Geizen, ben Geiz 
an den Pflanzen und Gewaͤchſen 3. B. am Weine oder Taback, abbrechen. D. 

Bekuppelte Säulen nennt man diejenigen‘, deren Capitäle und 
Schaftgefimfe fich berühren, . Bei ben Griechen kommen fie nieht vor. Erft unter 
dem Antoninus ‘Pius wurde die gefuppelte Säulenftellung eingeführt, um dadurch 
dem Gebäude das Anfehen eines grüßern Reichthums zu geben. Es fann Fälle 
geben, 100 diefe nahe Saͤulenſtellung durch die Nothwendigkeit gerechtfertigt wird: 
wenn nämlich die Laft für eine Säule zu groß fein würde, und die Verhaͤltniſſe es 
nicht erlauben, ihr eine dazu hinreichende Dice zu geben, Ein gefchickter 
meifter weiß indeß diefe Falle zu. vermeiden. j oo | 

—Gelbes Fieber, f. Fieber (gelbes). . 

Selbfucht, eine Krankheit, deren bervorftechendes Beichen ift, daß die Haut 
des damit Befallenen am ganzen Körper gelb wird. Der Sig der Krankheit iſt in 
den Verdauungswerkzeugen, und zwar in der Leber ſelbſt, oder der Sallenbiafe, dem 

 Ausfihrungscanal der Salle ıc. Die erſten Außerungen der Krankheit find em ums - 
bebagliches Gefühl in der Herzgrube ımd nach der rechten Seite zu; dann Mangel 
an Eßluſt, Drücken nach dem Effen u. A. m. Allmaͤlig farbt fih die Haut gelb, 
und zwar zuerft an ihrem "burchfichtigften Theile, im Auge, daher das Weiße in 
demfelben gelb erfcheint. Won da pflanzt fich diefe Färbung über den ganzen Körper 
fort, fodag diefer, wenn die Krankheit in hohem Grade flartfindet, ſchmutzig⸗gelb er: 
ſcheint. Zugleich ſtellt fich gewöhnlich ein heftiges Zucken in der Haut über den ganzen 
Genverfationd = Lexicon. Bd. IV. 36 


. 562 ‚ Set 


Körper ein. Dauert die Krankheit lange, fo füllt die Farbe der Haut immer mehr 
ins Dunkle, und die Kraıkheit wird alsdann die Schwarzgelbſucht genanht. Die 
nächte Urfache der Selbfucht iſt eine gehinderte Thaͤtigkeit des Leberfoftems, indem 
die abgefonderte Sale, .anflatt aus der Leber und Saltenblafe Durch den gemeinfchaftl. 
Gallengang in den Zwölffingerdarm fich zu ergießen, um ihrer Beftimmung gemäß 
ʒir Berdauurtg zu dienen, durch die einfaugenden Gefäße in die Epeifefaftröhre und 
von da ins Blur übergeht. Hieraus laſſen fi) die Zufülle von Mangel an Valle 
und den davon abhängenden Befchwerden der Verdauung, ſowie das Dafein dee 
frembartigen Sallftoffes im Blute, und die davon entfiehnden Erſch inungen in der 
Haut leicht erklären. Die entfernten Lirfachen diefer Krankheit find fehr mannigfal⸗ 
tig, z. B. franfhafte Erhöhung der einfaugenten Gefäße der Xeber un? Gallenblaſe, 
zu häufige Abfonderung der Galle, Verſtopfung der Xebergänge oder des gemein: 
ſchaftl. Gallenganges durch Gallenſteine u.f.w. "Unter die vorzüglichfien Gelegen⸗ 
Seitsurfachen gehört heftiger Arger und Zorn, welche befonders auf Die Leber wirfen. 
Bet neugebor. Kindern ift die Selbfucht eine ziemlich gewöhnl. Krankheit, welche 
jedoch metftens bald verfchwindet, ohne befonderer Arzneimittel zu betürfen. H. 
Seid Ein Taufehmittel, was allgemein gilt, weil es Behürfniß und 
Uberfluß beflimmt ausgleicht. &ein Werth iſt nämlich bekannt, indem es am haͤu⸗ 
figften mit dem Werthe andrer Dinge verglichen wird. Das Geld muß daher aus 
einer Maſſe beftehen, welche 1) felbft einen Werth bat; 2) welche Jedermann gern 
für feinen Uberfluß annimmt; 3) deren Werthbeſtimmung bequem und Allen befannt 
iſt, welche regelmäßig Taufchgefchäfte treiben. Gibt man diefer Maffe eine folche 
Sorm und ein ſolches NBerthzeichen, dag fie bloß nur allein zum Austaufch der ver- 
fihiedenen Bedürfnigmittel gebraucht wird, fo erhält fie den Namen Geld, und die 
fer Begriff wird fodann dem Begriffe der Raaren oder folcher Dinge entgegenge: 
feßt, welche eingetaufcht werden. Der Stoff, aus welchem das Geld gemacht ift, 
gebört felbft zu den Waaren, fowie auch die verfchiedenen Seldarten zu Paaren 
werden, wenn man fie für Geld kauft. Verſchiedene Völker haben in den frühern 
Derioden ihrer Eultur verfchiedene Dinge, melche mehr oder weniger die eben er: 
mähnten Eigenfchaften bauten, zum Gelde ermüble; alle gebildete Nationen aber 
haben den Metallen, insbefondere den edeln, den Vorzug zuerfannt. ‘Denn 1) ha⸗ 
ben fie einen Bedürfnigwerth,, da die Begierde nach Schmud und andrer Bedarf 
Gold und Silber allenıhalben verlangen; 2) iſt nicht zu fürchten, daß fie je con⸗ 
fumirt werden und Daher ihren Werth plöglich ändern möchten, wie diefer Fall bei 
nothwendigen Rebensbetürfniffen leicht eintreten kann. Sie dienen nur zum Wohl⸗ 
leben, und diefes kann bei eintretender Verminderung der Mittel dazu leicht einge: 
fehränft werden; 3) find fie theilbar faft ins Unendliche; 4) dem Berterben meniger 
ausgefeßt; 5) leicht transportabel, da ihr Werth durch die Koſten des Transports 
fidy wenig verändert; 6) laͤßt fich ihre Quantität durch Arbeit regelmäßıg vermehren. 
Der Bortheil, die edeln Metalle als allgemeines Zaufchmittel anzuwenden, wurde 
noch größer, als es nicht mehr jedem Privatmanne überlaffen blieb, die Metall⸗ 
ftücfe zu theilen, zu wägen und deren Seine zu beftimmen, fontern als man dies 
gefeglih und mit üffentlicher Autorität und Treue vornabm, den ein: 
zelnen Stücken, bie ale Geld circuliren follten, Stempel auftrüdte,: wodurch Ge⸗ 
richt und Feine jedes Stückes ehrlich angedeutet, und diefes endlich mit Bild und 
UÜlberſchrift der Autorität verfehen wurde, welche diefes Geld ausgab. Dergleichen 
arftüdeltes Geld nennt man Münzen (f.d.). Statt des Gelder nimmt der Ber: 
kaͤufer oft auch eine fichere Anwetfung auf Geld. Dergleichen Stellvertreter des 
Geldes nennt man zum Theil, jedoch uneigentlich, auch Geld. Es ıfl Elar, Daß 
dergleichen Anweiſungen nur fo lange mit dem eigentlichen Gelde gleiche Kräfte ha⸗ 
ben konnen, als die Gewißhei vorhanden if, das wahre Geld, auf melches fie lau- 
ten, fobald man will, u erlangen, und daß fie ihren Werth in demfellzn Grade 


a. 


Geldern Geldmangel 563 


vertieren müffen, als die überzeugung von jener Gewißheit abnimmt. Von ſolcher 
Art ift alles Papiergeld (f. d.), fowie alles Metallgeld, das zu einem höhern 
Werthe umlaufen foll, als es wirklich in Metall enthält, alle Biechfelbriefe oder 
Schuldpapiere, die man als Stellvertreter des wirklichen Geldes gebrauchen will, 
Es ift eine fehlerhafte Vorftellung, wenn man das Geld als ein Zeichen des 
Werths vorftellt; denn Geld ift wahrer Werth, der aber bloß zum .Uimtaufch der 
Waaren beftimmt ift. Ebenfo gibt es einen fehiefen Gedanken, wenn man das Geld 
als ein Pfand vorftell. Das Wefen eines Pfandes beftebt darin, dag mit ihm 
eine Verbindlichkeit verbumden iſt, daffelbe aufzubewahren. und felbiges Dem, der 
es eingefeßt Hat, wieder auszuliefern, fobald er Das, mas er dafür empfangen bat, 
erfeßt. Das Geld aber legt, mittelft feines Begriffes, Niemanden eine Verbind⸗ 
lichkeit auf, es aufzubewahren, der Befißer iſt freier Eigenthümer deffelben und 
kann damit machen was er will. — Soll eine Seldart gelten, d. h. fr den innern - 
Werth, den fie hat, oder den fie vorftellt, angenommen, und der Taufch regelmäßig 
damit betrieben werden fonnen: fo muß deren Werth da, wo fie gelten foll, allges 
mein anerfannt werden. Inſofern unterfcheidet man 1) Orteg eld, welches nur 
an einem beftimmten Orte, Harldelsplaße oder in einem Eleinen Kreife angenommen 
wird, wie das Geld, welches etwa ein Fabrikort oder eine Ortsobrigfeit in Zeiten der 
Neth ausgibt, die Notbmünzen, die Nothzeichen okens) u. ſ. w.; 
2) Landesgeld, welches die Regierung eines Reichs in Münzen oder in Anwei⸗ 
fungen auf dergleichen Münzen ausgibt, 3) Weltgeld, deſſen innern Werth 
die ganze Welt anerfennt, und das daher allenthalben angenoimmen wird, 3.8. bie 
Gold: und Sitberbarren, von beſtimmtem Gericht und beftimmter Seine, die hol⸗ 
ländifchen Dufaten und die fpanifchen Piaſter. Vol. Idealgeld, Realgeld;) 
Geldern, Herzogihum, die dritte €. niederland. Provinz (98 OM,, 
290,000 Einw.) mit + Diftrieten: Aarnhem (10,000 Einw. Hprfidt.), Nim⸗ 
wegen (eine wichtige Seftung), Zütphen und Thiel. Die Provinz fendet 6 Depne 
arte zu den Generalſtaaten. Sie hat einen ebenen Sand⸗ und Torfmoorboden, der 
gut angebaut iſt; auf der Inſel zroifchen Led und Waal (der Betume) ift fruchts 
bare Marſch. Sie erzeugt Rübfaamen, Hopfen, Tabad und Obſt. Außer Lei: 
nenweberei find wenig Fabriken. Sie hat Tranfitehandel, Syn diefer Provinz liegt 
das fchöne konigl. Luſtſchloß Loo. — Die jeßt unbefeftigte Kreisſtabdt Seldern 
liegt im preuß. Regierungebegirfe Kleve, an det Fossa Eugeniana, hat 3250 Einw., 
ein bedeutendes Fabrikgewerbe und Kornhandel. 
| Geldmangel kann nur entfiehen, I) wenn es an Stoffen fehlt, aus wel⸗ 
chen bad Geld gemacht wird, oder Yiwenn Diejenigen, die Mangel an Gelde lei⸗ 
den, feine Waaren haben, welche bie Geldbeſitzer begehren. Im leßtern Falle fin: 
det kein wahrer Geldmangel flutt, denn es gibt ja, nach der Boranofeßung, Diele, 
welche Seld befißen; es fehle nur an begehrter Waare, und nur Diejenigen, welche 
dadurch fein Geld in ihre Hand bringen Eonnen, leiden Geldmangel. Der Geld: 
mangel ift daber nicht abfolut, fondern faft immer nur relativ, d. 5. es haben 
ewiffe Länder, Orte oder Perſonen nicht Hinlängliches Geld, um diejenige Waare 
ich zu verfchaffen, welche fie bedürfen. Jeder Handwerker, Künftler und Fabri⸗ 
.cant bedarf des Geldes, um ſich die rohen Stoffe, die er verarbeiten will, anzu> 
ſchaffen und die Arbeiter, welche er befchäftigt, zu bezahlen. Die Kaufleute beduͤr⸗ 
fen des Geldes, um den Producenten und Yabricanteh ihre Waaren abzunehmen 
und fle dahin zu transportiren, wo fie gefucht werden; die Sonfumenten bedürfen 
des Seldes, um den Detaillifien Das abzufaufen, was fie verzehren wollen. Fehlt 
es nun der einen oder der andern diefer Claffen an dem ihnen zu diefen Zwecken 
nötbigen Selbe, fo ift für diefe Claſſen Geldmangel vorhanden. Hingegen kann 
Geldmangel niemals daher rüdren, daß es an Gold und Silber oder an dem Aus- 
prägen dieſer Materien zu Gelde fehlte. Denn es gibt in der ur Vorraͤthe genug 
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Gelbpreis Gelée 565 


Denn dergleichen Seldzeichen find nur fo viel werth, als man wahres Geld dafür bes 
liebig haben kann. Feblt es nun an Metall im Lande, um die, welche ihre Seldzei- 
chen dagegen auswechfeln wollen, zu befriedigen, fo finkt der Werth diefer Geldzei⸗ 
chen herab, und eine Million foicher Zeichentbaler ift oft nicht mehr werth als der 
zehnte Theil wirklicher Silberthaler. Es hilft auch nichts, wenn man dergleichen 
Geld auf eine andre Waare ſtützen wollte als auf Gold und Silber, Denn wenn 
diefeg eine Maffe ift, die man nicht fo leicht abfeßen kann als Gold und Silber, mie 
3. B. Getreide, fo find dergleichen Anmeifungen auf ®etreide nicht mehr werth, als 
dag Getreide, morauf fie lauten. Wenn daher der Werth des Getreides ſchwankt und - 
finft, fo nehmen die Setreidezettelnothroendig alle Schwankungen d. Setreidewerthes - 
felbft an; iſt nun das Setreidenicht als Zahlmittel anzubringen, fo find es auch Die 
Anneeifungen darauf nicht; diefe Fünnen ſchon um ihres unfichern Werthes willen 
nie die Stelle des wahren Geldes allgemein vertreten. Sie müffen vielmehr noch 
viel tiefer. finfen als das Getreide felbft, da, wenn man fie ale Mittel braucht, um 
das Getreide noch ferner zu vermehren, dieſes noch mehr im Tauſchwerthe fallen, 
folglich Anweifung darauf immer weniger werth werden muß. 

Geldpreis: I) derjenige Preis, für welchen das Geld als Waare betrach⸗ 

"tet, fiir Arbeit oder Waaren zu kaufen iſt; 2) derjenige Preis, für roelchen Die 
verfchiehenen Seldforten gegen Landesgeld zu kaufen find; 3) der Preis von Zinfen, 
wofür die Benußung von Seldeapitalien zu haben tft; 4) der ‘Preis, den man, 
nach Gelde gerechnet, fir Arbeit oder Waaren bezahlen muß, um fie beliebig zuers 
langen. Was der Seldpreis im erfien Derftande fei, wird durch eine genaue Ana=. 
Infe der Urfachen erforfcht, wodurch das Geld erzeugt wird, ſowie bes Werths bie 
fer Urfachen felbft, Der Seldpreis im zweiten Sinne wird durch die Maſſe der ver: 
fihiedenen Geldſorten in Bergleichung mit der Landesmünze und die Concurrenz bes 

immt. “Der Seldpreis im dritten Sinne hängt ganz von dem Grade des Nutzens, 

en die Sapitalien gewähren, und von der Concurrenz Derer, die fie anbieten und 
fachen, ab, Der Seldpreis im vierten und gewoͤhnlichſten Sinne wird durch die 
Zahl der Seldftücke und ihres Innern Sehaltes, welche für eine Waare oder für eine 
Arbeit gezahlt werden muß, beflimmt, OB derfelbe hoch oder niedrig ſei, kann 
aber nur durch eine genaue Unterfuchung des Seldpreifes im erflern Sinne erforfcht 
werden. Wenn daber der Seldpreis des gemeinen Arbeitsiohnes in ber einen Stadt 
8 Groſchen, in der andern 1 Thaler wäre; der Taglöhner aber fünnte dag, wo er 
8 Gr. ift, mit dieſem Gelde diefelben Nothiwendigkeiten und Bequemlichkeiten des 
Zebens fich verfihaffen, als der andre für einen Thaler an dem Drte, wo der Tag: 
Iohn 4 Thaler ift; fo würde der. Lohn an beiden Orten der Sache nach für Beide 
vollkommen gleich fein, wahrend der Seldpreis im erſten Sinne verfchieden wire, 
Denn bier befäine der Taglöhner für dieſelbe Auantität und Qualität in Lebens: 
mitteln 1: Thlr., wofir er dort nur 8 Gr. erhielt. 

Geldumlauf, ſ. Circulation, Vgl. Büfh’s „Abhandl. Aber den 
Seldumlauf”, 2. Aufl. 1800. 

Gelect, in der Malerei, ein Fehler, der durch übertriebenen Fleiß in der 
Ausarbeitung entfpringt, und durch den die dargeftellten Gegenftände aller Friſch⸗ 
heit und alles freien Lebens, mithin ihrer ganzen Wirkung beraubt werden. 

Selce,f. Gallert, 

Gelse (Claude), bekannter u. d. Namen Claude Lorrain (der Lothrins 
ger), Landfchaftsmaler, geb. 1600 in dem lorhringifchen Schlog Shanıpagne, von 
niedriger Herkunft, verlor früh f, Altern und wurde in Y. Erziehung vernachläffigt. 
Sm 12. J, kam er nach Freiburg zu f. Bruder, einem Heljfchneider, von welchem 

- er die Anfangsgründe der Zeichnenkunft lerate. Darauf nahm ihn ein Berwandter 

mit nach Rom, wo er, ohne Geld und Schutz, ſ. Schidfal überlaffen, von dem 

Landſchaftsmaler Agoſtins Toffi als Farbenreiber und Küchenjunge gugenommen 


366 Gelehrſamkeit 


wurde. Nebenher erhielt er einigen Unterricht in ber Malerei. Einige Bilder von 

Gottfried Vals entzüdten ihn fo, daß er, troßf. Armuth, zu diefem Künſtler nad 

Neapel reifte, um von ihm zu lernen. Nun entwidelte er ein ſo vorzügliches Genie, 

daß er bald felbft im der Reihe der erften Landfchaftsmaler ftand, befonders nachdem 

er in der Lombardei und in Venedig die Landfchaften von.Siorgione und Titian ſtu⸗ 

Dirt und fich die Art der Beleuchtung und des Colorits diefer Meifter eigen gemacht 

hatte. Mach einer Meife in fein Vaterland ließ er fich 1627 in Rom nieder, wo er, 

da f. Werke fehr gefucht wurden, in Wohlftand lebte, bis er 1682 am Podagra 

farb, Die großen Salerien in SYtalien, Frankreich, England, Spanien und 

Deutfchland befißen von ihm fchäßbare Werke. Vier feiner beften befinden ſich in 

der Galerie zu Kaffel, und zwei in der zu Dresden. Das vorzüglichfte, und worauf 

ertfetbft den tmeiften Werth legte, tft f. Abbildung eines Wäldchens der Billa Ma⸗ 

dama. Klemens XI. machte fich anheifchig, es ganz mit Goldſtücken zu bedecken; 

der Künftler aber wollte es durchaus nicht geben, da er es, nach der Natur copirt, 

als Studium brauchte. Bei einem ungemeinen Reichthum der Erfindung, kraft 

deffen er in den Ber enfländen einen beftändigen Wechſel anzubringen wußte, Hatte 

er ein ernftes, tiefes Studium, In der Wahrheit, womit er die Wirfung der Sonne 

zu den verfchiedenen Stunden des Tages, und die fanften Fühlenden Lüfte, die durch 

die Wipfel binfpielen und in das Gemurmel cines unter dem Schatten ſich hiaſchlan⸗ 

genden Baches flüfternd einftimmen, täufchend auszudrüden wußte, fleht ihm nur 

Kaspar Dughet zur Seite, Alle feine Nebenbuhler aber übertraf er darin, daß er 

einigen dunfel befchatteten Stellen eine thauige Feuchtigkeit zu leihen wußte, die 

ganz unnachahmlich iſt. Unvolllommen waren dagegen f. Figuren, und er wußte 

Dies felbft fo gut, daß er zu fagen pflegte, er verkaufe die Landfchaften und gebe die 

Figuren zu. Bet einem großen Theil f. Bilder find fie aber von Lauri und Srane 

cesco Allegrint. Am öfteften wählte er angenehme, grenzenlofe Ausfichten, in des 

ren täufchende Ferne das Auge fich verliert. Er ftattete fie gern mit großartiger Are 
chitektur aus und machte f. Landfchaften zur Scene eines mothiſchen oder biftorifchen 

Segehftandes. Die Sammlımgen der von ihm zu ſ. Gemälden verfertigten Zeichs | 

nungen nannte er Libri di verita. ine folhe Sammlung von 200 Zeichnumgen | 

befigt der Herz. v. Devonfhire; eine andre von 130 Zeichn. Lord Holland. dd. 

Gelehrſamkeit oder Gelahrtheit, wie man fonft fagte, bezieht 

ſich urfprünglich auf Alles, was gelehrt, und folglich auch gelernt werden kann. 

Man nennt aber eigentlich nur Denjenigen gelehrt, der einen bedeutenden Theil der 

menfchlichen Erfenntniß oder irgent ein Hauptfach des menfchlichen Wiſſens fich | 

durch ein merhodifches Studium zu eigen gemacht hat. Oründlichkeit, Deutlichz | 

keit, Ordnung u. Zufammenhang find daher die charakteriftifchen Merkmale, weiche | 

die gelehrte Erkenntniß von der gemeinen unterfcheiden. Die Selehrfamfeit aber 

wird entweder fubjectiv, als die Eigenfchaft eines Gelehrten, oder objectiv, als der 
Inbegriff aller der Kenntniffe gedacht, die man von Demjenigen fodert, der in einem 

KHauptfache des menfihlichen Wiſſens als Lehrer auftreten will. Hierzu gehört in= 

fonderheit die Kenntniß der griechifchen und der Iateinifchen Sprache; denn da die 

neuern Gelehrten einen großen Theil ihrer Kenntniffe den Griechen und Römern 

verdanken, fo wird von einem heutigen Gelehrten mit Recht gefodert, daß er aus 

den Quellen felbft zu fehöpfen im Stande fei und alfo die Schriften der alten Ge⸗ 

lehrten in den Originalen felbft benußen fünne. Es haben übrigens die Gelehrten 

unter allen gebildeten Volkern flets einen bedeutenden Einfluß auf die Sefellfchaft 

behauptet, welcher Einfluß um fo flärfer war, wenn, wie bei den Agyptern und ans 

dern orientalifchen Völkern, die Prieſter zugleich den Stand der Gelehrten bildeten, 

Diefe Verbindung des Prieftertbums mit dem Selehrienftande war aber den Wi: \ 

fenfchaften nicht förderlich, da bie Priefter bald ihre gelehrten Kenntniſſe verheimlich: 

ten und den Laien (d. i. dem Volke, Laici) nur fo viel davon mittheilten, als fie für 


Ey 


Geleit Gellert 567 


girt fanden. Daher nennt man die Ungelebrten. auch jegt noch zuweilen Laien. 
Seitdem aber durch die Griechen, bei denen fich der Selehrtenftand gänzlich vom 
Prieſterthume trennte, die Selehrfamkeit ein Semeingut der-Menfchheit- geworden, 
Hat auch das Studium der Wiffenfehaften einen bumanern und liberalern Charakter 
angenonmen. Durch die Buchdruderkunft find die Quellen der Gelehrſamkeit der- 
geftalt vervielfältigt und verbreitet worden, daß es möglich ift, auch ohne mündlichen 
Unterricht durch bloße Lecture gelehrte Kenntniſſe zu erwerben, obgleich fein Menfch 
alles mündlichen Unterrichts ermangelt. Zuletzt unterfcheidet man auch Selehr: 
ſamkeit im engern Sinne von eigentlicher Wiffenfchaft, indem man erftere auf 
eigentliche Kenntniffe oder das hiftorifch Segebene bezieht. was fich mehr gedächte 
ni6mäßig auffaffen laͤßt, leßtere aber in das Denken und Erkennen der Gruͤnde feßt, 
worin die philofophifche Einficht befteht. (5. Autodidakten.) D. 
Geleit. In den Zeiten der innern Befehdungen Deutſchlands Tief fich der 
Reiſende, befonders der Kaufmann, um nicht von den Raubrittern niedergemorfen 
und geplündert zu werden, von Bewaffneten begleiten, welche dafür, daß er ihrem 
Herrn ein Öeleitsgeld entrichtete, ihn big zu dem beſtimmten Orte gegen jeden Ans 
griff vertheidigen mußten, Ein folches Seleit ift zwar in unfern Tagen nicht mehr 
nötbig, dennoch laffen ſich manche Landesherren das Seleitsgeld oder Geleite forte. 
bezahlen, weil fie auf andre Weife für die Sicherheit der Straßen forgen. In eini⸗ 
gen Theilen des Orients, namentlich in Arabien, iſt dieſe Borficht der dort ſtreifen⸗ 
den Räuber wegen noch gebräuchlich. Zumeilen (3. B. in Sicilien) übernehmen 
die Räuber felbft das Geleit oder den Schuß gegen ihre eignen Raubgenoffen oder 
andre Banden. Ein Seleitsbrief it die fehriftliche Vergünſtigung, an ‚feiner 
Perſon ungefränft durch ein Gebiet zu reifen, an einem Orte zu erfcheinen, oder auf 
der See unter dem Schuße der Escorte zu ſtehen. — Sicheres Seleit, f 
Salvus Conductns - Ä | 
Sellert (Chriſtian Fürchtegott), geb. 1715 zu Haynichen, einem Städts ' 
hen beireiberg im Erzgebirge, wo fein Vater Prediger war, mußte, bei den unzus 
reichenden Einfünften f. Baters, der 13 Kinder zu ernähren hatte, ſchon in f. 11. 
Jahre durch Abfchreiben ſich einigen Erwerb verfchaffen. Sein erfter Verſuch in 
der Dichtkumft, den er in f. 13. 3. machte, war ein Seburtstagsgedicht für f. Bas 
ter. Da es gelobt wurde, folgten bald mehre. 1729 fam ©. auf die Fürftens 
ſchule zu Meißen, wo er zwar mit dem Buchftaben der griech. und rom. Schrifts 
ftelfee, aber nicht mit ihrem Geiſte befanntgemacht wurde. Glücklicherweiſe ſchloß 
er mit Gärtner und Rabener eine Freundfchaft, die fie zum Wetteifer in den Wiſ⸗· 
fenfchaften und der Ausbildung ihres Geſchmacks ermunterte. Seit 1734 flus . 
dirte. G. zu Leipzig Theologie. Mach 4 Jahren wagte er fich zu Haynichen auf die 
Kanzel. Gewiß würde er unter den geiftlichen Rednern Deutfchlands fich durch 
Leichtigkeit und Popularität ausgezeichnet haben, hätte er weniger Angſtlichkeit, eine 
beffere Geſundheit, eine flärfere Bruſt und ein getreueres Sedächtniß gehabt. 1739 
übernahm er die Erziehung zweier jungen Edelleute nicht weit von Dresden. Nach: 
her bereitete er den Sohn f. Schweſter auf die Univerfität vor und begleitete ihn 
4741 nach Leipzig. Auch bier befchäftigte er fich mit dem Unterricht junger Leute 
und mit der Ermeiterung f. eignen Renntniffe. Gottſched, deffen Vorleſungen er 
gehört, und an deffen liberfeßung des Bayle'ſchen Wörterbuch er mitgearbeitet 
hatte, fan? bald in feiner Meinung. Als J. J. Schwabe 1742 die „Beluſtigun⸗ 
gen des Berftandes und Wißes” herauszugeben anfing, lieferte er Fabeln, Erzaͤhlun⸗ 
gen, Lehrgedichte und ein Schäferfpiel, wie auch verfchirdene profaifthe Abhandlun⸗ 
gen dazu. Nachher zog er fich davon zurüd und 'gab mit f. Freunden die „Bremi⸗ 
fhen Beiträge” heraus. Der leichte, natürliche Ton des jungen Dichters gefiel, 
und f. Fabeln und Erzählungen wurden immer begieriger gelefen. ©. widmete fich 
daher diefer Dichtungsart vor allen andern, und weil er zu anhaltenden Berufsar⸗ 





568 | Geoellert 


beiten keine zuverlaͤßige Geſundheit zu haben glaubte, faßte er den Entſchluß, ſich 
dem Unterrichte der akademiſchen Jugend zu widmen, ward 1744 Magiſter und 
vertheidigte 1745 feine Abhandlung „De poesi apologorum eeruinque scriptori- 
bus’, Die Faglichfeit und Anwendbarkeit f. Unterrichts erwarben ihm ausgebref: 
teten Beifall. Batteux's „Einleitung in die fehönen Wiffenfchaften”, Erneſti's 
„Rhetorik“, Stockhauſen's „Bibliothek für Liebhaber der Philoſophie und fchönen 
Wiffenfchaften”, in der Folge f. eigne „Abhandlung über den. guten Geſchmack in 
Briefen’ waren die Grundlagen ſ. Borlefungen, in denen er auch oft Ausarbeitun: . 
gen f. Zuhörer beurtheilte. Außerdem dichtete er Fabeln u. Erzählungen und vers 
fügte zur Berbejferung des Theaters f. Luft: und Schäferfpiele. Um dem Roman 
mehr Ernft, Würde und Nüßlichkeit zu geben, fhrieb er f. „Schwedifche Gräfin”. 
Als Beifpiele einer ungezwungenen Schreibart in Briefen gab er eine Sammlung 
Briefe nebft der fchon erwähnten Abhandlung vom guten Geſchmack in Briefen 
beraus, Darauf ließ er f. Lehrgedichte, geiflliche Oden und Lieder, und eine Samıms 
Iung verm. Schriften ın Verſen u, Profa folgen. Er litt inzwiſchen fehr an der Hp: 
pochondrie. Zwolf Jahre hatte er mit Beifall in Leipzig gelehrt, ohne fich um ein 
Öffentliches Amt beworben zu haben. Der Hof aber, aufmerkfam auf f. Berdienfte, 
verlangte, daß er um eine außerordentliche Profeffur der Pbilofophie anhalten 
möchte, G. folgte darin dem Rathe f. Freunde und erbielt diefes Amt 1751. Er 
Ias nun Öffentlich über Dichtfunft und Beredtſamkeit. Seine Vorträge wurden fo 
zahlreich befucht, Daß er fie in den öffentlichen Hörfälen der Univerfität halten mußte, 
. Unbegrenzt war die Achtung, in der er fand, und der Wunſch, feine Zuneigung nicht 
zu verlieren, hielt manchen Studirenden von Ausfchweifungen zurüd. Angefe: 
bene Perfonen beeiferten fich, durch ihre Freigebigkeit fein Leben forgenfrei zu ma: 
eben. Aber während er die Augen der ganzen deutfchen Leſewelt auf fich 309, flieg 
feine Hypochondrie immer höher. Er entfagte der Dichtkunft und entfchloß fich 
"dagegen, befondere Borlefungen über die Moral augzuarbeiten. Der oglüdliche 
Mittelweg, den er zwifchen Syſtem und Declamation zu treffen wußte, und fein 
rührender Vortrag erwarben diefen Borlefungen den ungetheilteften Beifall. Waͤh⸗ 
rend des fiebenjahr. Kriegs ward ©, von unzähligen Fremder befucht, welche fich be= 
eiferten, dem Manne ihre Hochachtung zu beweifen, der der Liebling ſ. Nation war. 
Die preuß. Prinzen Karl u. Heinrich unterredeten fich öfters mit ihm, und Leßterer 
machte ihm durch den General Kaldreuth das Pferd zum Geſchenk, das er in der 
Schlacht bei Freiberg geritten hatte, und worauf ®. feit der Zeit alle Tage auszu⸗ 
reiten pflegte. 1760 ließ ihn Friedrich 11. zu fich rufen und war mit der Unterre: 
dung G.'s fo wohl zufrieden, daß er ihn le plus raisonnable de tous les sa vaus 
allemands nannte, Eine ordentliche Profeffur, die ihm mehre Male angeboten 
sourde, ſchlug der befcheidene und genügfame ©. jedes Mal aus, Er bedurfte we: 
nig und vertraute der göttlichen Vorſehung, bie fein Vertrauen auch belohnte. Eis 
ner f. geliebteften Schüler, der treffliche Graf Morig v, Brühl, gab ihm feit 1762 
eine jährliche Penfion von 150 Thalern, ohne dag ©. feinen Wohlthärer entdecken 
konnte. Häufige Geſchenke wurden ihm von Schülern und Fremden zugefchict 
als Beweife der Liebe und Dankbarkeit. Nach des Gefchichtfchreibers Mafcop 
Tode erhielt &. “ein Snadengehalt von 450 Thlrn. Der Kurfürft Friedrich Chris 
flian ehrte ihn nicht allein durch die höchfte Achtung, fondern auch durch anfehnliche 
Geſchenke. Sein Sohn und Nachfolger äußerte gegen ihn ebenfo wohlmollende 
Sefinnungen, So hätte G. bei einem weniger leidenden Körper fehr glücklich fein 
Eonnen; allein das geheime Übel, das ihn täglich verfolgte, wich feinen Bädern und 
Eeinen Xrzneien. Seine Geſundheit wurde immer fehwächer, und er war auf die 
Bitte f. Freunde befchäftigt, ſ. Moral durch eine forgfältige Durchficht zum Drud 
vorzubereiten, als ihn, im Dec. 1769 eine hartnädige Verſtopfung überfiel, die 
auch die geſchickteſten Arzte nicht zu befiegen vermochten. Er farb, mit freudigem 


⸗ 


Gellius Gelnhauſen 669 


Vertrauen, den 13. Dec, 17169, in ſ. 55. Lebensjahre. ©. war (wie Goͤthe ihn 
im 2. Bde. ſ. Lebens befchreibt) nicht groß von Geſtalt, zierlich, aber nicht hager. 
Sanfte, eher traurige Augen, eine fehr ſchöne Stirn, eine nicht übertriebene Ha⸗ 
bichtsnafe, ein feiner Mund, ein gefülliges Oval des Geſichtes: Alles machte feine 
Seaenwart angenehm. Sein moralifcher Tharafter war. durchaus ohne Flecken. 
Sefinnungen wahrer Sottfeligkeit befeelten ihn; er hatte ein liebreiches, menfchen- 
freundliches, dienfibegieriges Herz gegen alle Menſchen. Die größte irdiſche Glück⸗ 
feligfeit f. Lebens war die Freundfchaft. Er liebte das Lob des Kennerg und des 
Rechtſchaffenen, aber mit jener jungfräulichen Schambaftigkeit, die vor einem jeden, 
auch wahren Lobe der. Schönheit erröthet; dabei war Niemand williger, die Gaben 
und Berdienjte Andrer zu erfennen, Niemand geneigter, Andern den Vorzug vor 
fich ſelbſt zugugeftehen. Als Schriftfteller zog &. die Neigung f. Nation in einem 
Grade auf fich, den nur fehr Wenige erreicht haben. Seine Fabeln, welche in der 
dürreften aller literarifchen Zeiten Deutfchlands erfchienen, gercannen durch freunds 


liche Gutmuͤthigkeit, leicht verftindliche Moral, treuberzige Schalthaftigfeit und „ 


populairen Wiß die Liebe des Volks, und während es diefelben liebte, ward es auch 
Durch fie gebildet: eine gewiſſe Breite, Schwatzhaftigkeit und Verwaͤſſerung derfel- 
ben mag daher um fo eher entfchuldigt werden. Seine geiftlichen Gedichte bemäch- 
tigsen fich des Herzens der Nation, und es gelang ihm, einige Ahnungen von Reli⸗ 
giofität felbft bei dem großen Haufen zu retten, Er erreichte zwar nicht die Tiefe 
eines Flemming und Serbard, aber Innigkeit und Hingebung zeichnen f. geiftlichen 
Gedichte aus. Dennoch feheint es, als habe er das meifte Talent für die Gattung 
der Eleinen fröhlichen Erzählungen gehabt, wobei «8 ihm zu flatten fommt, daß 
bierbei eine qewiſſe Schwatzhaftigkeit eben nicht zu den Fehlern gehört, und daß die 
Kraͤnklichkeit felbft oft, ihrer Natur nach, witzig ifl. Sein ſpaßhafter Weiberhaß 
und f. komiſche Scheu vor der Ehe nahmen fich ftets fo zierlich und gutmäthig aug, 
daß er wol nie eine Frau im Ernfterzirnt bat. Kür den Roman hatte G. kein Tas 
Ient, davon bat er in f. „Schrocdifchen Gräfin” den Elarften Beweis gegeben, Er: 
freulicher,, wiewol auch mißlungen, find f. Schaufpiele. Sie mögen in ihrer zier⸗ 
lichen Weitfchweifigfeit und ehrbaren Langweiligkeit ale ein merkwuͤrdiger Beitrag 
zur Qulturgefchichte der Deutfchen beftehen. Auch feine Briefe find für die Zeit, in 
der fie. gefchrieben wurden, alles Lobes und Beifalle würdig, wenn fie auch von den 
Fehlern jener Zeit nicht ganz frei find. — Die neuefte Ausg. fümmtjicher Werke ers’ 
ſchien Leipzig 1784 in 10 Bdn. „Gellert's Briefwechſel mit Demoiſ. Lucius in 
Dresden”, von 1760 — 69, nebft andern noch ungedrudten Auffüßen von ©, 
gab Hofr. Ebert (Leipzig 1823) heraus, | MM 
Gellius (Aulus), einrömifcher Schriftfteller, welcher unter Hadrlan und 
den Anteninen lebte, die Redefunft zu Rom, und dann zu Athen Philofophie ftue 
dirte, und in der Folge die Würde eines Centumvir erhielt. Er binterlieg „At⸗ 
tifche Mächte” („Noctes Atticne‘‘), welche fehr anziehbende, .befonders für den 
Sprachforſcher und Kritiker wichtige, zerftreute Benterfungen, die er während ſ. 
Aufenthalts zu Athen aus den beften griech. imd lat. Schriftftellern in' den Win⸗ 
ternächten gefammelt, enthalten. Don den Ausg. nennen wir folgendes Paris, 
4585, von Henricus Stepbanus; Paris 1681, 4. in usum Delplini; Amſtere 
dam 1651, 12., bei Elzevir; Lenden 1666, cum notis var.; Leyden 1706, 4,, 
von Sronov; Leipzig 1762, 2 Bde, von Conradi ıc, 
Selnbaufen (zur Sraffchaft Hanau des Kurfürftenthums Heffen gebd: 
rig, 2870 E.), auf der Straße von Fulda nach Frankfurt, einft eine ‚nicht unbe: 
deutende Reichsſtadt, wie die große wohl erhaltene Dreifaltigkeitskirche, ein Werk 
des Baumeiſters Heinr, Singerbut, im 13. Jahrh., und die fchönen Überbleibſel 
von St. Peters Münfter noch jeßt beweifen, verbanfte N ebemalige Wichtigkeit ſ. 
günftigen Lage am Fuße der Sebirgekette, welche das Rhongebirge in Franken mit 


‘ 


570 Gelon 


dem Vogelsgebirge in der Wetterau verbindet, an der einſt ſchiffbaren Kinzig, mitz 
ten im ehemaligen deutſchen Reiche. Dieſe beguͤnſtigte Lage, die Wildpret, Fiſche 
und Seflügel darbot, überfluß für Jagd und Genuß, beſtimmte Friedrich I. Bars 
baroffa (1152—90), am Fuße der Stadt fich eine Burg auf einer Inſel der Kinzig 
zu erbauen, deren Trümmer noch jetzo ein Zeugniß für die Pracht jener Zeit geben. 
Einen ganzen Felfen des nichften Sandfleingebirges muß man zu dieſem Gebqude 
verarbeitet Haben, fo groß find noch feine Überbleibfel. Doch reichen diefe Mauern, 
aus großen behauenen Werkſtuͤcken nach Außen aufgeführt, nach innen mit Bruch⸗ 
ſteinen gefüllt, keineswegs bin, ſich ganz zuverlaͤſſig in dem nachgebliebenen Raume 
zu orientiren. In welchen Jahren die Burg erbaut wurde, iſt ebenſo wenig auf 
uns gekommen, als durch wen. Jetzt iſt von dem Lieblingsſitze Friedrichs 1. die 
geräumige Halle noch übrig, zu der ein Thor (das Meßthor) führt, nur von 
einem der beiden Thürme, die früher hier ftanden, begleitet; dann das Reichsſaal⸗ 
gebäude, das fich in den großen Thronfaal, des Kaiſers Zimmer_und den Raum 
theilte, wo die Treppen nach dem Erdgefchoffe niedergingen, fowie empor nach dem 
obern Stockwerk und ber Sapelle, die bis 1811 in Ehren gehalten ward. “Der Ums 
fang der Ringmauer, die ein unregelmäßiges Siebeneck umfchloffen bat, betrug 710 
Fuß rheinl. Auf der Ringmauer ruhte die nördliche Seitenwand des Reichsfaals 
gebäudes, und noch ſtehen auf ihr die Thronverzierungen dea Verſammlungsſaals 
und die Senfter des Eaiferl. Gemaches. Noch kurz vor f. Kreuzguge vermeilte Friede 
rich I. in dem geliebten Gelnhauſen, und nach ihm hielten länger oder fürzer die 
meiften Kaifer, bis auf Karl IV., in diefer Burg ihren Hof, durch Urkunden die 
Bürger der benachbarten Stadt begnadigend. Burg und Güter verpfündete 
Karl ıV. 1349; von da an gerieth Selnhaufen in Verfall, den wiederholte kaiſerl. 
Befehle (namentlich Sigismunds von 1497) nicht aufhielten. Ein Einfall der 
Huſſiten 1430 bewirkte wahrfcheinlich die legten Veränderungen. Big in die neues 
ften Tage dauerte feitdem die Zerftörung diefer ehriwürdigen Trümmer, deren 
Steine als Baumaterial angefehen wurden, das “jeder fich zueignen könne, — 
Stiegliß, „Don altdeutfcher kunſt“, behauptet, der neugriech. Styl fei in der 
Anlage des Sanzen nicht zu verfennen, doch fei das Arabifche in den Verzierungen 
fihtbar. Bäfching („Wiener Jahrb.“, Nr. X.) glaubt diefe Bauart die altfüchfi- 
fhe nennen zu müffen. &. Bernhard Hundeshagen: „Kaifer Friedrichs 1. Bar: 
baroffa Palaſt In der Burg zu Selnhaufen”: eine Urkunde vom Adel der von 
Hohenſtaufen und der Kunftbildung ihrer Zeit, hiſtor. und artift. dargeſtellt“ 
(2. Aufl. mit 13 Kyf., 1819, Fol.), womit die Beurtheilung von Büfching im 
ongef. Bde. der „Wiener Jahrb.“ zu vergleichen ift. 19. 
Gelon, Sohn des Dinomenes, Tyrann (Selbftherrfcher) von Syrakus, 
bemächtigte ſich der Oberberrfchaft um 491 oder 500 v. Ch. Fr vergrößerte die 
Stadt und vermehrte die Zahl ihrer Einwohner. Als Griechenland von Zerres mit 
Krieg bedroht wurde, ſchickten Arhen und Lacedimon Geſandte an ihn, um ein 
Bündnig mit ihm gegen den Perferkönig zu fehliegen. G. erbot fih, 206 Ga⸗ 
leeren, 20,000 Schwerbemaffnete, 4000 Reiter, 2000 Schuͤtzen und ebenfo viel 
Schleuderer zu flellen und mit Mundvorrath während des Krieges zu verfehen, menn 
man ihm den Oberbefehl zu Waffer und zit Lande überlaffen wolle. Diefe Bedin⸗ 
gungen verwarfen die fpartanifchen Sefandten, und felbft die Hälfte des Oberbefehle 
mollten ihm die Athener nicht zugeftehen. ©. verfagte daher die gebetene Hülfe und 
chickte Dagegen einen gewiſſen Kadmus nach Delphi, mit dem Befehle, bier den 
usgang abzumarten, und wenn die riechen überwunden würden, dem Xerxes in 
f. Namen zu huldigen und foftbare Geſchenke zu überreichen. Damals wußte er 
noch nicht, daß Xerxes die Sarthager veranlagt hatte, während er die Griechen in 
ihrem Baterlande angriffe, diefelben auch in Sicilien und Italien anzugreifen, 
Hamilkar landete zu dem Ende mit einer Flotte von 2000 Kriegs: und 3000 Lafl: . 


Geltung Geluͤbde 571 


” 
- 


fehiffen, worauf ng 800,000 M. Bandtruppen befanden, bei Panormus und bee 


lagerte Himera. Diefer Macht zog Selon mit 50,000 Mann su Fuß ımd 5000 
Reitern entgegen. Ein aufgefangener Brief belebrteihn, daß am folgenden Tage 
- Hamilfar ein feierliches Opfer bringen und zugleich Hülfsvölker ing Lager einlaffen 
wolle. Es gelang G., ftatt derfelben einen Theil f. Keiterei ins feindliche Lager 
ruͤcken zu laffen, welche den Hamilkar während des Opfers überfiel, ihn felbft tödtete 
und die Schiffe in Brand ſteckte. Zu gleicher Zeit griff G. Die Carthager an, welche, 
Durch den Tod ihres Feldherrn und den Verluſt ihrer Schiffe mithlos gemacht, eine 
Anzliche Niederlage erlitten. Dieſe mertwürdige Schlacht gefchah an demſelben 
age, 100 die Sriechen bei Marathon fiegten, umd ift von Pindar verberrlicht wor: 
den. ©, machte unermeßliche Beute und geftand den Carthagern nur unter der 
Bedingung den Frieden zu, daß fie 2000 Talente Silber zahlen, 2 Tempel zur 
Aufbewahrung der Friedensbedingungen erbauen und die Dienfchenopfer abfchaffen 
follten. Nun würfchte G. den fonigl. Titel zu erhalten. Er berief zu dem Ende 
eine Volksverſammlung, der er unbemwaffnet beimohnte und erklärte, daß er Die Obers 
berrfchaft niederfegen wolle. Alles gerieth in Erftaumen und Bewunderung; ein 
allgemeiner Zuruf nannte ihn den Erretter von Syrakus. Einftimmig trug man 
ihm den Königstitel an und ließ nicht eher ab, bis er ihn annahm. Eine Statue, 
die ihn in Bürgerfleidung darftellte, verewigte diefes Ereigniß. ©. vermaltete die 
Regierung mit Sanftmuth und Güte, Stets bemüht, fein Volk zu beglücken, 
ſtarb er im 7. Jahre feiner Regierung. Ihm folgte fein Bruder Hiero, M. 

Geltung heißt in der Muſik die Dauer der durch Moten bezeichneten Töne 
- nach dem Verhäftniffe der für die Tonftüde angenommenen Bewegung. Jede 
Note bat außer ihrem Plaße in dem Notenſyſtem, welcher den Ton felbft bezeichnet, 
auch eine gerbiffe beflimmte Figur nöthig, wodurch ihre Geltung oder Dauer ange: 
zeigt wird. Statt der ehemaligen Geltung der Noten imd ihrer Eintheilung in 
maxime. longa. brevis u. ſ. w. find für das heutige Syſtem eingeführt: ganze, 
Halbe Schläge (oder Taktnoten), Viertel, Achtelu.f.w. Die Paufen haben mit 
den Noten in Beziehung auf Dauer der Zeit einerlei Geltung, _ 

Gelübde, eine Zufage, durch weiche man fich zu einem willfürfichen, von 
Gott nicht geföderten Verhalten in der Ermartung verbindlich macht, daß daffelbe 
Sort angenehm fei. Manche Selübde beziehen fich auf einen einzelnen Fall, wie, 
wenn z. 2 ein Fürft im Mittelalter einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen zu un: 
ternehmen gelobte, andre auf eine Bas ganze Leben hindurch zu wiederholende Hand: 
lung, wie wenn Manche z. B. fich Herbindlich machten, an einem beftimniten Tage 
der Woche zu faften, oder an einem beflimmten Tage im Jahre Geld unter die Ars 
men auszutheilen. Die meiften Gelübde find unter der Bedingung, daß man aus 
einer Gefahr gereftet werde oder eine Wohlthat von Gott empfange, geleiftet wor: 
den; zumeilen aber waren fie auch die Wirkung frommer Dankbarkeit und Liebe. 
Mur wer auf der einen Seite unvolltommene Religionsbegriffe hegt, indem er Sort 
als ein menfchenähnlishes Wefen fich vorfteflt, welches er durch angenehme Dienfte 
erfreuen und zu der Erfüllung feiner-Wünfche bervegen könne, auf der andern Seite 
aber von frommer Sefinnung und lebendigem Glauben an Gottes Regierung durch: 
drungen ft, wird Gelübde leiften. Dem aufgeklärten Sottesverehrer-aber wird 
es nicht in den Sinn fommen, ein Gelübde zu thun, weiler weiß, daß er zu Allem, 
was wirklich gut ift, auch ohne ein befonderes Selübde verbunden fei, und dag Gott 
nicht durch willfürliche Dienfte, fondern Durch einen tugendhaften Lebenswandel vers 
ehrt werde, und weil er einfieht, daß es thöricht fei, bei der Wichtigkeit und Menge 
ber gewöhnlichen Obliegenheiten - ſich neue und unendliche Laften aufzubürden, 
Jeſus Chriſtus und die Apoftel Haben die Gelübde weder durch Lehre noch durch ihr 
Beifpiel empfohlen. Bei den unmürdigen Borftellungen, welche die heidnifchen 
Völker von den Söttern hegten, kann es nicht befremden, daß man den Göttern fe: 

| \ 


N 


572 Selũboe ‘fathel.) 


ger Menfipenepfer verbr. wen: für ten Eırz verleihen ster tür jrabente Sefehe 
abwenden würten. a ter Geulluhen Ber imb tee Klefiergelübte ER 
tee 


Gelübre (faıhel), cm Ur ber 


— 2* ehe and Gen — weierfpräche es den 
Orzmtbertern zur wer Echext: tem dus Prhcat es Guten 





überturs die der angelobten Handiung als eıne “Deriärliung der 
fürmligen Hochedgtung gegen Gott gebraudhe. ——— heilige Pike, Ge 


\ | } | . ' .. 
BGematdeGemein 673 


lũbde zu halten. Schon im alten Teflamente iſt dies ausgefprochen, Die Se: 
tübde werden in feierliche... die öffentlich vor der Kirche abgelegt werben, und ein- 
fache abgetheilt. — Es gibt indeffen auch Fälle ‚mo die Verbindlichkeit der Gelübde 
nicht eintritt oder erlifcht: 4) durch irritatio, „kraft welcher Der, welcher das Recht 
bat, die Handlungen des Selobenden zu beſtimmen — wie der geiftliche Obere, der 
Hausvater; ber Ehemann — das auf Segenflände feines Serrfchaftsrecht einwir- 
kende Seltibde des Untergebenen vernichtetz- 2) wegen Mangels der Materie, wenn 
wegen veränderter Umſtaͤnde die gelobte Hundlung phufifch oder moralifch unmöglich 
wird; 3) wenn die Endurfache des Selübdes aufhört, wenn der. Gelobende ſich 
überzeugt, dag das Gegentheil der angelobteh Handkıng ꝓflichtmaͤßig werde, folg⸗ 
Lich das Gelubde mit gutem Gewiſſen nicht mehr gehalten werden fünne. Damit 
aber der Menſch, der fich einmal durch ein Gelũbde eine befondere Verbindlichkeit 
aufgelegt hat, ſich in f. Überzeugung von dem Aufbören der Endurfache des Gelüb⸗ 
Des nicht täufche ; iſt die firchliehe Beſtaͤtigung einer folchen Übergeugung erfoderlich, 
welches man Dispenfaron nennt, Es bedarf derfelben nicht, wo der Gelobende 
das angelobte Werk in ein offenbar befferesverwandelt, wohl aber, wenner'es in ein 
gleich gut feheinendes oder geringeres ummandeln will, Die Dispenfation gefchieht 
von den Kirchenobern; 5 Gelübde find aber dem Pabfie zur Dispenfation vorbe: 
halten: 1) das Gelübde der ewigen Keufchheit,; 2) das Selübde, in einen geiftli- 
chen Orden zu treten; 3) der Wallfahrt nach Rom; 4) der Wallfahrt nach Som: 
poftell; 5) des Kreuzzuges (Mas ınan votum ultramarinam nennt). — Es find ge: 
wiſſe Jahre des Alters zur Guͤltigkeit der Kloftergelübde von der Kirche ſowol als 
fpäterbin vom Staate feftgeftellt worden. Auch hat in mehren Ländern der Staat 
die Ablegung der Kloftergelübde gänzlich verboten. V. e. Kath. 
Gemälde, ein Ober der Malerei, d.h. der Kımft, welche fichtbare Segen: 
flände mit ihren eigertthämlichen Formen ‚und Farben auf einer Fläche darſtellt. 
Form, Rundung, Beleuchtung, Schatten und Richt, Haltung, Helldunfel müffen 
zu ihren Darftellungen angewendet werden, find aber der Malerei nicht ausfchließ- 
lich eigen, weil auch die bloße Zeichnenkunſt fich derfelben bedient. Die. Zeichnung 
ift daher die Orundlage der Malerei; werden aber alle jene Oegenflände durch Far: ' 
ben ausgebrüdt, fo wird die Zeichnung zum. Gemälde, Die Yarbengebung (das 
Colorit) iſt demnach ganz eigentlich Das, was ein Gemälde zum Gemälde macht, 
obgleich dafſelbe durch fie allein nicht zum Werke fehöner Kunft wird. Die Malerei 
erfodert als fchöne bildende Kunft Ausdruck Afthetifcher Ideen durch Bilder, und 
darum bat man bei der Sichtung eines Gemaͤldes auf Compoſition, Seichnung und 
Ausdruck nicht weniger als auf Die Farbengebung zu achten. Mur dur Beobach⸗ 
tung aller Diefer Punfte wird das Gemaͤlde zum Bilde, welches firtsigroeierleı Eigen⸗ 
fchaften haben muß, arriftifche und aͤſthetiſche. Durch die artiflifhen werden die 
Mirklichkeitsfoderungen für den außern Einn, durch die.äfthetifchen wird der £ chön: 
heitsfirin befriedigt. Jene find erfüllt, wenn die Darftellung anfchaulich, rein ob⸗ 
sjectiv, alſo wahr, in ihrem Weſentlichen treu und in ihren Berbültniffen richtig ifl: 
der aͤſthetiſche Kunſtler fol aber über diefes Alles ung eine Gefammtanfchauung ver: 
ſchaffen und ung daher durch feine Darftı Hung ein gefchloffenes Ganzes liefern, wel: 
ches dem Sinne faßlich und angenehm ift und dag Gemüch durch Bedeutſamkeit 
anfpricht. Zu den Bedingungen der Wehrheit gehört Nichtigkeit der Perfpective, 
zu.den Bedingungen der Schönheit das Gruppiren und der Contraſt in Figuren, 
Sruppen und Eolorit, aber freilich nur ein fold,er Contraſt, der Einformigkeit und 
- Einerleiheit verbütet, ohne ter Harmonie des Ganzen Eintrag zu thun. Über das 
Weitere f. Malerei und Farbengebung. dd, 
Gemarke ſ. Darmen. , 
Gemein, wird im Leben, Wiſſenſchaft und Kunſt dem Ausgezeichneten und 
Sntereffanten, dem Edeln, oder Dem, was feinere Sitten zeigt, entgegengefeßt. 


- 


574 Gemeinbeorbruligen * 


Das Gemeine hat kein andres Intereſſe als Befriedigung der Sinnlichkeit, der 
Maturbetürfniffe, in dem Edeln find diefe dem Gittlichen aufgeopfert, und zwar 
auf eine Weiſe, Die dem Siemüthe des Beobachters wohl thut, weil Diefe Aufopferun⸗ 
aen anfpruchlod und befcheiden geſchehen, ohne auf Wiedervergeltung, Danf und 
Ruhm zu rechnen. In der fchönen Kunft fann man das Edle und das Geneine 
auf zroeierlei Weife zeigen, entweder fchon durch den Stoff oder durch die Behand⸗ 
lung, Künftler, die gemeine Dinge zu Segenfländen ihrer Darftellung wählen, 
kann man ben Malern vergleichen, die ſchon non den Alten Rhyparographen, Roth: 
maler, genannt rourden, weil fie Gegenſtände darftellten, die einer äftbetifchen 
Würde unfähig find. Wem fälkt nicht hierbei alt das Frefien; Saufen, Balgen, 
Dirnenfchänden, Fluchen und Schimpfen der pormaligen Ritterromane ein, das 
man für Ausbrüche Eräftiger Natur hielt! Eben diefe Erzeugniffe des äſthetiſchen 
Troffes keigen aber auch, daß mancher edle Stoff nur durch die Behandlung gemein 
ward, „Ein gemeiner Kopf”, fagt Schiller mit Recht, „wird den edeliten Stoff 
durch eine gemeine Behandlung entehren, ein großer Kopf und ein edler Geiſt hin⸗ 
egen roird felbft das Gemeine zu adeln wiffen“. Ein großer Kopf und ein edler 
ift! Nicht ohne Grund bat Sgiller Beides mit einander verbunden, denn ein 
großer Kopf, wenn er nicht zugleich auch ein edler Geiſt ift, kann ebenfalls dar Edle 
zum Gemeinen herabziehen. Wir dürfen ja nur an bie „Pucelle“ von Voltaire er: 
innern. Durch fie roird ein Unterfchled, den man unter dem Gemeinen machen 
muß, befonders auffallend. Dan pflegt nämlich bisweilen in einer portifchen, red: 
neriſchen, biftorifchen, philoſophiſchen Darftellung Das gemein zu nennen, was 
. nicht zu dem Geiſte fpricht, weil es geiftleer ift, und nichts Andres fagt, ale was 
auch der Ungebildetfte fagen fonnte, und dies fo, wie es diefer auch fagen würde, 
kurz das Alltägliche, das Flache, das Platte. Diefes Gemeine kann ſich über die 
edelften und erhabenſten Segenftände verbreiten, und es entehrt weder den Gegen⸗ 
ftand noch den Darfteller. Dagegen kann der Darfieller feinen Gegenſtand ents 
ebren, wenn er felbft fich von Seiten des Geiftes auch noch fo fehr auszeichnet, wo⸗ 
fern wir dabei einen Mangel des feinern fittlichen Gefühle wahrnehmen, und eins 
fiben, daß aller Aufwand des Geiſtes nur gemacht fei, um die Sinnlichkeit zu reis 
jen. Diefes ift dag wahre Gemeine, In Hinficht auf.den Geiſt ſteht dieſes allers 
dings höher als jenes; auch laffen fich Fälle denken, wo es nicht als verächtlich ers 
fiheint,, 3. B. in geroiffen Arten des Romifchen. Wahrbaft verächtlich aber ift das 
Hiedrige, das immer etwas Örobes und Pobelhaftes bezeichnet, Rohheit des Ges 
fühls, fchlechte Sitten, verschtliche Sefinnung. Das Gemeine ift bloß dem Edeln, 
das Nicdpige dem Edeln und Anflündigen zugleich entgegengefeßt. Jeden finnlichen 
Trieb befriedigen, ift gemein, ihn ohne Wohlftand, Sitilichkeit und Scham bes 
friedigen, niedrig, - dd. » 
Semeindeordnungen. Sin keinem Punfte treffen die beiden Haupt⸗ 
Parteien, in welche fich die politifchen Theoretiker der neuern Zeit trennen, näher zus 
fanımen als in dem Urtheil über die Srmeindeverfaffung. Denn ſowol diejenis 
gen, welche dem Staate zur Ffiicht machen, allen Angehörigen eine gleiche Freiheit 
zu gewähren, als auch die, welche die Zwecke des Ganzen in einer ungleichen Bers 
theilung bürgerlicher Rechte beffer zu erreichen glauben, kommen darin überein, daß 
die Gemeinde nächft der Familie den zweiten King der großen Kette bildet, welche 
. Staat und Kirche um die Menfchen ſchlingen. Freilich weichen fie in ihren Anſich⸗ 
ten über die Einrichtung der Gemeinde ſelbſt und über ihr Vei hältniß, ſowol zum 
Ganzen, als zu ihren einzelnen Mitgliedern, wieder ebenfo fehr von einander ab, als 
‚überhaupt in ihren Grundſaͤtzen vom Staat und den Anfprüchen der Büraer an ibn. 
Hiftorifch ifi die Entwickelung der Semeindeverfaffung einer der größten Fortfchritte 
‚ des menfd lichen Geſchlechts geweſen und bat fich in verfchiedenen Zeitaltern ale 
Kein und Wiege echter Freiheit bewieſen. Durch fie ift in den aͤlteſten Zeiten bie 


” 


\ 


Gemeindeorbnungen 75% 


Stammwerfaſſung gefprengt worden, toelche fich aus der natärlichen Derbindung 
der Familie entwidelt, aber zuunnatürlicher Befchränftheit und Einſeitigkeit geführt 
hatte. Inder Familie bleibt das individuelle Intereſſe vorherrſchend; felkft wenn fie 


ſich zum Stamm ermeitert bat, wird immer noch Alles auf ihre befondern Zwecke 


und Bortheile bezogen. Das Haupt des Stammes, der Patriarch, erhebt fich zu einer 


undbeſchraͤnkten Herrfchaft; im fernern Berlaufe werden alle Befchäftigungen erbe 


lich unter bie Zweige des Stammes vertheilt; es entfiehen ftarre Rafteneinrichtungen, 
jenes Grab aller echten menfchlichen Ausbildung, weil Dadurch jedes individuelle Auf: . 
fireben vernichtet, und Jeder mit allen feinen Reigungen und Anlagen in einen en⸗ 

gen feftgefchloffenen Kreis gebannt wird. Daß der urfprünglich äitefle und regie⸗ 
rende Zweig des Stammes, die Prieſterkaſte, von diefem Platze meiftentheils durch 
die zweite Ordnung, die Kaſte der Krieger, verdrängt wird, ift eine fo natürliche 
Folge, dag fie faft ohne Ausnahme überall eingetreten ift, mo die Etemmesverfaf 


‚fung die Grundlage des Volkslebens geblieben tft, und fie läßt ſich Daher nicht nur 


im alten Ägypten und unter den Hindus, fondern auch auf allen Inſeln des indi⸗ 
fchen Meeres, in Japan, und felbft in Griechenland und den älteften Zeiten Noms, 
wieunter den Volkern gälifcher Abkunft mit großer Deutlichkeit wahrnehmen. Auch 
in der Stellung der germanifchen Priefler zu den Kriegern und Häuptlingen glauben 
Einige, z. B. Eichhorn, eine Spur jenes erblichen, urfprünglich Mit dem erften 
Kange und der Herrfchaft beflrideten Priefterfiandeg zu entdecken, und. wahrſchein⸗ 
lich mit vollem echte. Diefe Stammesverfaffung mit der damit vertvandten pa= 
triarchalifchen Regierung und erblichen Priefierhersfchaft, und fefter Kafteneinrichs 


- tung, ift das Erbtheil der älteften Bölfer, gleichfam des erften Sefchiebes von Stan: 


ten, welches fich über die Erde ergoffen bat. Mit ihr ift gewöhnlich ein gemein: 
fehaftliches Eigenchum des Etammes an Grund und Boden verknüpft, welches 
dann meiflens auf das Haupt des Stammes, urfprünglich als. Nepräfentanten des 
Ganzen und zur billigen Bertheilung unter die Angehörigen, fpäter aber als alleini: 
gen wahren Öruntergenthümer übertragen worden if. &o auf den indifchen In⸗ 
feln und unter den Bewohnern der ſchottiſchen Hcchlande, unter welchen fich über: 
haupt inEuropa bie alte gaͤliſche Stammverfaffung (in ihren Clans) bis auf die neue: 
fien Zeiten erhalten bat. Es iſt leicht zu erklären, daß eine folhe Etammiverfaf: 
ſung für unternebmende Geiſter etwas fehr Drüdendes haben mußte, und daher 
haufig Auswan derungen veranlaffen konnte. Indem fich ein Haufen fühner Aben: 
teurer aus allen Kaſten an den Führer anfchloß, konnte hier die alte Abfonderung 
derfelben ebenfo wenig beibehalten werden, als fie bei denjenigen Völkern firner bes 
ſtehen konnte, über welche die einwandernten Fremdlinge durch Waffengewalt oter 
höhere Eultur einen beteutenden Einfluß gewannen. Die innere Geſchichte der grie: 
chiſchen Staaten und Roms zeigt einen lange fortgefeßten Kampf zwifchen der alten 
Samilienverfaffüng umd dem Herrfchaftsanfpruche derfelben auf der einen, und der 
Semeindeverfaffung mit gleichem Rechte aller ſelbſiandigen Hnusväter auf der an: 
dern Seite, roelcher fich erft nach manckem fehmererrungenen Siege (zuerft dem faft 
gleichzeitigen in Athen und Rom, welcher die Eintheilung der Bürger nad Staͤm⸗ 
men durch eine Eintheilung nach Bermögensclaffen erfeßte) mit einer gänzlichen Der: 
nichtung der erfien endigte. Voͤllige Sreiheit des Grundeigenthums von aller Be: 
ſchrankung zu Gunſten der Familien und gleiches Erbrecht der Frauen war in Rom 
eine der wichtigern Folgen diefer Veränderung; allein der E&ieg der Gemeinde über 
die Stämme führte auch beinahe unmittelbar den eignen Untergang der erften in Ans 
ſehung des öffentlichen Rechts herbei. Sie entriß jenen nur die Herrfchaft, um fol- 


che an Dictaroren, Zriumvirn und endlich an bie Imperatoren für immer zu verlie: 


ren. Dagegen bat fich unter den germanifchen Volkern die Gemeindeverfaſſung, wie 
fie von Anfang an die Girundlage ihrer neuen Staatenbildung geweſen ift, auch 
dem Weſen nach bis in die neueſten Zeisen ahalen. Das Gefolge, welches ſich 


*X 
[4 


676 Gemeindeordnungen 


freiwillig an bie Führer anſchloß, erkannte in ihnen nur den Befehlshaber im Kriege, 
nicht den Regenten in den Angelegenheiten des Friedens, nur den Beſchützer (Ord⸗ 
nungshalter) des Berichts, nicht den Richter. Alle gemeinfchaftliche Dinge, ſelbſt 
den Beſchluß uͤber eine neue Kriegsfahrt, ordnetẽ und faßte die Kriegergemeinde felbft, 
“und behielt auch in den neuen von ihr gegründeten Reichen diefen Gebrauch bei, nach 
" welchem alle freie Mitglieder gleiches Recht in der Gemeinde hatten. Ein erblicher 
Unterſchied der Stände iſt in den erften Perioden diefer neuen Gemeindeverfaffung 
weder hiſtoriſch erweislich noch fonft wahrſcheinlich; höchftens mögen einige Völker: 
ſchaften, welche früher einen folchen Unterfchied anerkannt hatten, denfelben in ihre 
 »nenen MWohnfiße, wohn nicht ‚bloß Kriegsgenoffenfihaften fondern der Stamm 
vorrückte, mit hinübergenommen haben. Die Kriegsgenoffenfchaften theilten ſich 
wieder in Eleinere Abtheilungen, welche vielleicht zuerft bloß Die gewöhnlichen Ein⸗ 
-theilungen eines Kriegerhaufene vorftellten, da nur bier die Zahlen von zehn und 
hundert fireng gehalten. werden konnten, aber auch nachher, als neuer Yandtefiß 
erworben worden war, die Grundlage der geographifch:politifchen Eintheilung im 
Zehntſchaften, Hundertfchaften und Grafſchaften wurden oder blieben. Die freien 
Männer diefer Landgemeinden flanden unter einander in einer fo engen Berbimdung, 
daß Einer füy den Andern haften mußte; fie hielten unter einander Gericht ımd 
wählten ihre Vorſteher felbft, Nirgends hat ſich diefe Gemeindeverfaſſung fo erhal: 
ten wie in England, obgleich fie auch in den andern germanifchen Staaten nirgends 
ganz untergegangen iſt. Diefreiern Manner der Sraffchaft bildeten dort die Graf⸗ 
fehaftsgemeinde, deren Vorfteher, der Altefle (Caldorman. Comes), vom König er: 
nannt, der zweite Beamte aber, der Cinnehmer der Eönigl. Gefälle und Richter (Shi- 
re-gerela, Graͤve, Graf, jetzt Sheriff, buchfläblich der oberdeutfche Schultheis, ex- 
actor), früber von der Wenieinde erwählt wurde. Die in den Graffchaften zerſtreu⸗ 
ten fönigl. Burgen waren mit einer Burgmannſchaft beſetzt, welche eine von den 
Zehntfchaften verfchiedene Burggemeinde ausmachte, die ebenfalls aus freien Maͤnm 
nern (Adeligen) beftand und, ſowie die raffchaftsgemeinde, die fönigl. Hoftage bes 
ſchickte. Anfänglich fcheint auch hier dasjenige Srundeigenthum, welches nicht dem 
Könige zufiel oder den Angefehenen feines Sefolges zugetheilt wurde, Gemeinde: 
eigenthum geweſen zu fein, deffen Looſe nur den waffenfühigen Mitgliedern zu Theil 
werden fonnten: das Gemeingut, Allode, Folkland, Reeveland der Angelfachfen, 
Salland der Franken; wogegen das Herrengut, Thaneland, Boofland der Angel: 
fachfen, nur an die Leute des Königs oder der Landesherren gegen die Verbindlich 
feit befondern perfönlichen Gehorfams verliehen wurde. Diefe legte Verbindung 
des Königs und der Großen mit ıhren Vaſallen drohte allerdings die ganze freie 
Gemeindeverfaffung wieder zu jerflören, da fich bald außer ihr Feine Sicherheit ge: 
gen Gewalt und Unterdrüdtung mehr fand; allein dennoch find vom 10. Jahrh. an 
die Gemeinden auf mehr als einen Wege wieder emporgefommen, zum Theil durch 
den aufblühenden Wohlftand des Handels und der ftädtifchen Gewerbe, zum Theil 
aber durch die ritterlichen Burggemeinden, welche ihre Freiheit behauptet hatten, und 
um welche fich fehr oft gewerbeireibende Bürger fammelten, die dann ſpaterhin ihre 
frühern Befchiiger häufig verdrängt haben, hier und da aber auch mit ihnen ver- 
ſchmolzen worden ſind. Befonders in England find noch häufige Spuren die ſer 
frübern Verhaltniſſe anzutreffen, indem auf ihnen bie verfchiedene Verfaſſung der 
Staͤdte und Fleden und die Neprüfentation der Burggemeinden in der großen 
Reichsgemeinde des Parlaments beruht. Nur die Städte, welche ſchon bei dem 
Entfiehen diefer germanifchen Einrichtungen vorhanden oder von der romiſch: briti⸗ 
ſchen Zeit übriggeblieben waren, und welche ebendeßhalb auch bifchöfliche Kirchen 
erhielten (Cities), haben ihr parlamentarifches Nepräfentationsrecht ihrer bürger⸗ 
lich: flädtifchen Wichtigkeit zu danken. Die übrigen Orte haben folcdes in der Regel 
nicht als Bürgergemeinden, fondern als Eünigl. Burgmannfchaften (royal bo- 


u 


Gemeindeordnungen 617 


roughe) erworben, welche die urfprünglichen alleinigen Beſther der ſtadtiſchen Ever 
Porationsrechte waren. Das Stimmrecht haftet daher In dan Cities meiſtens an den 
alten Sreibäufern und Bürgerlehen, und im ihnen ift eine beträchtliche Zahl von ums 
abhängigen Stimmberechtigten vorhanden; in den Boroughs hingegen ift es bald 
ein allgemeines Recht aller Einw. der alten Burgfreiheit geworden, bald an gewiſſen 


Burglehen haften geblieben. Da diefe Burgen kur Vertheidigung bes Landes und 


des koͤnigl. Anſehens angelegt wurden, fo erklärt fich auch daraus, warum in den 
Grenzprovinzen, befonders in Cornwall, ungleich mehr derſelben vorhanden find als 
in andern Theilen des Landes. Huch in andern eurdpäifchen Lindern hat die ſtaats⸗ 
rechtliche Ausbildung der flädtifchen Gemeinden im Ganzen einen ahnlichen Gang 
enommen, wenn auch die von Eichhorn gegebene.gefchichtläche Darſtellung Diefes 
nges nicht von Allgemeiner Shiltigkeit if. Die Burgwardeien, welche man im 
10. Sabrb. in Meißen und Brandenburg anteifft, find den englifchen Boroughs pu 
verlaͤßig nahe verwandt, ſowie die von der Römerzeit nach Übrigen großen Seädte 
den neuentfiehenden in Abſicht auf Verfaffung und ſtadtiſche Freiheiten Clibertas 
romana) ein großes Borbild waren. überall haben diefe ftädtifchen Gemeinden eis 


"nen bedeutenden Antheil an der landflindifchen Repräfentation genommen, —— 
an 


gewiß die von alter Zeit her nach übrigen Begriffe von dem Weſen und den Beſt 
sheilen einer Landgemeinde ebenfo großen oder größern Antheil gehabt haben als bie 
erft neuerlich erfundene, fo gänzlich imrichtige Anficht von einer Mepräfentation des 
Grundeigenthums. Nur in England aber find die Bur nfepaften mit den 
freien Sutsbefigern des Landes (der Ritterſchaft) in einer r vereinigt geblies 
„weil fie von Anfang an zu ihr gehörten, während ſich in undern Ländern die 
Ritter ſchaft mit den gräßern Mafallen verſchmolzen und won den Städten getrennt 
hat. Aber faft überall hat die flädtifche NRepräfentation des. Landes ihre urfp 
liche Bedeutung verloren, wozu fehr verfehietenartige Urſachen zuſammengewirkt 
haben. Die wife darunter iſt der eigne innere Verfall der ftädtifchen Gemein⸗ 
deverfaffung. 
werbe, die Zünfte und Innungen nach und nach über die .ritterlichen Geſchlechter 
faſt überall erfochten haben; denn in ibm hat fich erſt denavahre bürgerlichfiädtifche 
Charakter ausgebildet und ber auf. Krbeitfamfeit und firenge Ordnung gegründete 
Wohlſtand der Städte befeftigt. Wohl aber hat die Berfaffung meiftentbeils eine 
fehr verfehrte Richtung darin genommen, daß ein Magiſtrat eingeſetzt wurde, wel⸗ 
cher feine Stellen auf Lebenszeit behielt und feine abgehenden Mitglieder durch eigne 


ierzu rechnen wir nicht den Sieg, welchen dus bürgerliche Ges 


. Wahlen erfegte, Die denn natürlich geroöhnlich auf Berwandte und Befreundete 


fielen. Wenn in großen Städten der großartige Charakter des bürgerlichen Ver⸗ 
kehrs und das Republikaniſche, welches fich dabei haufig erhielt (wie in den beutfchen 
Meicheftgdten und den größern Stadten der übrigen Linden) jenen Mißbrauch Bine 


derte oder feine Folgen minderte, fo arteten fie nt den kleinern Orten in 


eine Beſchraͤnktheit und Engherzigkeit aus, welche 
ſchen erworben hat. Darunter ging aller wahre | 
griffe und die Unreblichkeit der flüdtifchen Wermwaltung:vernichteten den Wod 


ih den Namen des. Rleinflädtis 


und echten — und man wird nur fehr wenige Oitadte in Deutſchland fin⸗ 


den, wo nicht über Verſchleuderungen eines ehemaligen bedeutenden ee 
gens geklagt werden könnte. Diefe Gebrechen der Verwaltung und die Kai 

zwifchen ber Burgergemeinde und ihrem Magiftrat entſtehenden Streitigkeiten zogen 
Die Aufmerkfamfeit der Regierungen um fü mehr auf fich ‚als auch ein andrer Zweig 
des Bemeinberbefens, bie — *8 ſich von ſeinem fruͤhern Charakter gänzlich 
entfernt hatte. Die war den Händen der Bürger durch Die Pmehmende Kuͤnſtlich⸗ 


fonnten der Regel nach fihon nicht mehr als echte Vorſteher einer Gemeinde hetrach⸗ 
Converſations· Lericon. Vd. IV" · | 37 


‘ 


verloren; bie Miße- 
fand 


“ keit des Rechts enmommen worden uhd an Beamte übergegangen, welche ihr fe j 
ten Achtungſund Vertrauen zu gewinnen verflanden. Die flüdtifchen Beomten 


. 


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® 
. 


578" Gemeindeordnung (preaifc;e) 


tet werden, ehe man in verfihiedenen Staaten anfıny, fie wirflich und ber Form 
noch zu Regierungsbeamten, Pelizitirecteren u. dgl. zu machen. Zuerſt geſchah 
dies in Frankreich, wo nach ber befontere Zweck hinzufam, aus tem Berfaufe die: 
fer Stellen tem Eonigl Schatze bedeutende Zuſchuſſe zu verſchaffen. Andre Staa: 
sen folgten nach, im Deutfeland befonders feit Friedrich Mi. von ‘Prenßen, wo man 
aber auch zuerft wieder einfah, dag man bei jenen Reformen des ſtadtiſchen Weſens 
doch auch etwas Wefentliches und Gates weggeworfen babe. - 

Die mue preuß Städteordnung vom 19. Nov. 1808 („Ergänzungen 
zum allgem. Sandr.”) ifteine der wichtigften und erfreulichſten Erfeheinungen in ter 
neuern Geſetzgebung. Sie geht von dem Geſichtspunkte aus, tem nach Claſſen 
und Zünften ſich theilenden Antereffe der Brürger In Ber Burgergemeinde einenfeften 
Bereinigungspunft zu geben, ihnen eine thitige Einwirkung auf die Berwaltumg 
des Gemeinweſens beizulegen und durch dieſe Theilnahme Öemeinfinn gi erregen 
_ and-zu erhalten. Auf tiefen Zweck ifl fie in aflen ihren Theilen auf das richtiafle 
berechnet. Wie überhaupt der Etaat, ohne fich einer immer verterblichen Volks: 
herrſchaft zu überlaffen, doch auch dem Geringſten das Gefühl gehin muß, daß er 
als Menſch und Bürger geachtet, und fein Recht ebenfo heilig und unverleglich ſei 
als das Recht des Vornehmſten:? fo ifl Las Girundgefeb ter neuen Stadtesrdnung, 
daß ein “Jeder, melcher einen bleibenden Weohnſitz in einer Gemeinde bat, ihr auch 
entweder als Schutzverwandter ober als wirflicher wefentlich angehören 
müffe. Grundeigenthum in dem Stabtbezirfe und ber Betrieb ſtadeiſcher Gewerbe 
innen ohne Erwerbing des Bürgerrechts nicht erlangt werden, und unter den Bürs 
gern wird in ihrem Verbäftniffe zur Gemeinde weder durch Stand noch durch Ders 
moͤgen irgend ein rechtlicher. Unterſchied begründet. Auch die Vornehmſten müſſen 
den Bürgereid leiften , ınüffen in den Bezirksver ſammlungen der Bürger erfcheinen, 
muſſen flädtifche Amter ımd Aufträge übernehmen, zu den ſtaͤdtiſchen Ausgaben 
beitragen und bie perfönlichen Dienſte ſelbſt oter durch Stellvertreter leiften. In 
dem Stimmrecht bei den Wahlen, in der Fähigkeit zu findtifchen Amtern macht das 
Vermögen gar feinen Unterfchied; nur die unangefeffenen Bürger müffen, um zu 
dem Amte eınes Stadtverordneten fübig & fein, eine gewiffe reine Einnahme, fein 
Capitalvermogen beſiben. So find un Bürgerthum alle Elaffen und Etänte 
Staats mit einamder vereint und einander gleich, der Geringe fühlt fich geehrt und 
erhoben, ohne daß der Höhere berabgefegt wurde. Sin ter Verwaltung find Ges 
f’xgebung und Vollziehung auf eine hechſt zweckmaäßige Weiſe geordnet. Die erfie 
ſteht dem Collegium der Stadtverordneten zu, welches von und aus ter gefammten 
Bargerſchaft erwaͤhlt wird, ind deffen Perfonalzahl nach Verhaͤltniß der Einwoh⸗ 
nerzahl von 9 bis zu 100 verfchieben ift. Die Stadtverordneten bleiben 3 jahre 
im Anıte, ſodaß Jährlich der dritte Theil erneuert wird. Sie beftellen den Magi⸗ 
ſtrat und fiellen überhaupt in jeder Beziehung die Gemeinde vor, welche daher durch 
ihre Handlungen (Befihlüffe, Anleihen u. f. 10.) verpflichtet wird. .Der Magiſtrat, 
welcher immer einen befoßdeten Bürgermeifter an der Spiße bat, und neben ihm 
wenigſtens aus einem befoldeten. Kämmerer (m größern Ztidten auch noch rechts 
verſtaͤndigen befoldeten Stadtraͤthen und 4-—15. unbefoldeten Mitgliedern) beſteht, 
hat die ganze Vollziehung der fläbtifchen Angelegenheiten zu beforgen. Auch fie 
werden nur auf beſtimmte Jahre (die rechtsverfiindigen Stadträther Spndich, Baus 
meifter auf 12, die andern. auf 6 Jahre) gewählt, die Beſoldeten tünnen aber auch 
auf Lebenszeit gewaͤhlt werden. ı Die Rechtspflege ift ganz von der Gemeindever⸗ 
waltung ausgefhloffen.) Die einzelnen Gefchäfte beforgt der Magiſtrat, nach des 
ren verfchlebenen Natur theils durch Unterbediente, deren Anftellung ihm obliegt 
(ſobald die Stelle felbft von den Stadtverordneten creirt und die Befoldung beſtimmt 
iſty fheild durch CTommiſſionen, womit ſowol feine Mitglieder als auch Stahtver: 
nd andre Burger beauftragt werden; Syn den Eirchlichen Angelegenheiten 


19 


x 


⁊ I, 
Gemeindeordnung in Baiten u. a. Staaten 579 
muß die Seiftlichkeit gugezogen werden. Unter dem Magiſtrate fliehen die Bezirks: 


vorfteber: unbefoldete — welche von den Stadtverordneten auf 6 Jahre er⸗ 
waͤhlt werden, um in den Stadtbezirken die kleinern Angelegenheiten und die Con⸗ 


trole der Polizelanordnungen zu beforgen. Die Staatsregierung hat fich nur Be⸗ 
flätigung der angefehenen Beamten und die oberfte Aufficht über die ftädtifche Ver: - 


waltung, befonders die Prüfung und Abftellung der Beſchwerden über das Gemein: 
deweſen vorbehalten, und auf diefe Weiſe allerdings das größte Hinderniß eines 
werkthaͤtigen Semeinfinns entfernt. Denn diefer kann fich nur da erheben, wo ihm 


ein freies Wirfen für gemeinnübige Zwede geftatter ifl. Die Menſchen können zu 


einem Werke wahre Liebe faffen, was fie nicht als ihr eignes betrachten fonnen; 
und durch freiwillige Leiftungen für das Allgemeine muß fehon darum mehr ausge: 
‚richtet werden, weil fie nicht nach einem Mapftabe ausgefchrieben werden, welcher 
auf das Minimum des Bedürfens, ſowie der Beitragsfähigkeit berechnet werden mag. 


Was von den flädtifchen Gemeinden gilt, ift auch auf Dörfer und Landge⸗ 


meinden anwendbar. Hier ift es fehr wünfchenswerth, daß fie ein Bereinigungs: 
punft für alle Claſſen der Staatsunterthanen werden mögen, in welchem fich die 
ſonſt unvermeidlichen Spaltungen auflöfen. Die Verhäftniffe des Landmanns 
find einer Veredlung ebenfo fähig als bedürftig, fie fann aber wie alles wahre und 
dauerhafte Gute nur aus dem Innern der Menſchen durch Anregung eines freien 
Strebens entwidelt, nicht von Außen durch Gebot und Zwang bineingetragen 
werden, Hier nun wird eine wohlgeordnnete Semeindeverfaffung, welcher Die Staats: 
regierung manchen Segenftand ihres bisherigen Waltens, wie in der preuf. Städte: 
ordnung gefchehen, zurüdgibt, das rechte Mittel werden, jenen Semeinfinn zu 
wecken und zu erhalten. Aber gleichzeitig gehört dazu nis innere Bedingung eines 
gefunden kraͤftigen Volkslebens die Sorge fir die. Erziehung und den Unterricht deg 

olfes durch verbefferte Dorffchulen, und ale äußere Bedingung eine firenge, durch 


£ein Anfehen der Perfon gehemmte Rechtspflege. Für die Berfaffung der Land: . 


gemeinden, vornehmlich aber für die Verbindung derfelben in größere Kreisgemein⸗ 
den, den englifchen Sraffchaftsgemeintden in gewiſſer Art ähnlich, iſt durch das k. 
preuß. Edict vom 30. Juli 1814 der erſte Schritt gefchehen. Die innere Einrichs 
tung der Dorfgenwinden, forwie der. Städte, ift darin zwar die bisherige geblieben, 
aber eine.neue, bis jetzt noch nicht erfchienene Communalordnung verheißen worden, 
Die Kreife find bei weitem kleiner als die englifchen Sraffchaften, die ganze Mon⸗ 
archie zihle deren 338, im Durchfchnitt Fommen alfo auf einen jeden ungeführ 


80,000 Einw. Die größern Städte bilden Kreife, wie in England Grafſchaften 


für ſich. An der Spige der Kreisverwaltung fteht der von der Staatsregierung ers 


nannte Kreisdirecter oder Landrath. und an deffen Seite, oder unter ihm, & Depu: . 


tirte des Kreifes. welche durch Wahlherren ernannt werden, die von den Städten, 
Gutsherrſchaften und Dorfgemeinden in.gleicher Anzahl. erwählt find. Jeder Diefer 
Stände bat 2 Deputirte. Die Sefehäfte und Befugniffe der Kreisdeputationen 
ſcheinen noch nicht definitiv geordnet zu fein. - Fuͤr die Gemeindeverfaſſung der 


Provinzen iſt ein Anfang mdem k. preuß. Edict über dielandfländifche ang | 


der Monarchie vom 5. Juni 1823 gemacht worden, da den Provinzialfländen a 
die Communalangelegenheiten ber Provinz überlaffen werden follen. Wenn dies 
zur. voller Ausführung kommt, fo wird, das gange Verwaltungsſyſtem bedeutend 
verändert werden, ba die Regierungen einen Erin Tbei threr bisherigen Geſchaͤfte 
an diefe Provinzialftände werden abzugeben haben, 

Die preuß. Staͤdteordnung ift in mehren deutfchen Staaten Muſter ges 
nommen worden; vorzüglich in dem bairifchen Edict über Die Berfaffims und 
Dermaltung der Gemeinden vom 17. Wai 1818 (Böllinger’s „Repertoriumt der 
Staatsverwaltung des Königreichs Baiern“, 2. Suppl., 1819), welches fich auf 
alle Landgemeinden erſtreckt. Auch. in dieſem Edicte. ift: die mie Verwaitung 


580 Gemeingefühl 


unter jene drei Organe, einen Semeindenusfchuß, welcher wie bie preuß. Stabtvers 
ordnneten der eigentliche Repräfentant der Gemeinde ift, einen Magiftrat, beſte hend 
aus einem Bürgermeifter oder Semeindevorficher, und Diſtrictsvorſteher getheilt, 
ohne jedoch die Grenze zwifchen der eigentlich.befchließenden (apfeßgebenten) und der 


. ausführenden Behörde fo rein und genau durchzuführen, als in der preuß. Städte 


ordnung geſchehen iſt. Ahnliche Semeindeordnungen haben auch Würtemberg, das 
Großherzogthum Heffen und andre deutfche Staaten erhalten. Haͤufig bat dabei, 
wie in Baiern (Oemeindeordnung, Art. 76) jenes große Borurtbeil unſerer Tage 
eingeroirft, daß Grundbeſitz oder überhaupt Reichthum das ficherfie Linterpfand recht: 
Jicher Geſinnungen und alfo die nothwendigſte Bedingung der Faͤhigkeit zu landſtaͤn⸗ 
difchen und flädtifchen Wahlen fe. Daß einiges Bermögen zu dem Amte eines 
Zandesteputirten erfodert werde, mag in der Ordnung fein, aber taf nun gerade 
Niemand fähig fei, ein flädtifches Amt zu beleiden, wenn er nicht zu dem am meis 
ften begüterten Theile (dem höchſt befteuerten }, 4 oder 3 der ſammtlichen Semeins 
deglieder) gebört, iſt eine Beftimmung, toelche, fo häufig fie auch in den neuern 
Zeiten gefunden wird, doch weder aus allgemeinen Örundfüßen noch durch die Er⸗ 
fahrung gerechtfertigt werden kann. . Was Cicero fügte: „Es gibt Feine abfcheulis 
here Staatsverfaffung als die, in welcher die Keichften für die Beſten gelten”, ift 
noch heute ebenfo wahr als vor 2000 Jahren, und ein Erfahrungefaß, welcher bie 
böchfte Autorität, den Ausfpruch Chriſti felbft, für fich hat. Mit treffender Wahr⸗ 
beit hat Peftalogzi in feinem „Lienhard und Gertrud“ eine Dorfgemeinde gefchiltert, 
weiche von den Reichen beherrfcht und gemißbraucht wurde, bis ein edler und cifriger 
Gutsherr auch die Armen umd Nedlichen in ihe-natürliches Recht einfeßte. Seine 
Schilderung gilt nur mit veränderten Formen auch von einer jeden größern und 
höhern Befellfchaft, in welcher Verftand und Rechtfchaffenheit geringere Verdienfte 
find als gut oder fchlecht erroorbenes Bermögen. Es ift auch nicht einmal wahr, daß 
Reichthum eine Bürgfchaft für wahre Anhänglichkeit an die beſtehende Staatsver⸗ 
faffung. fei, Allerdings finden eingewurzelte Migbräuche meiftens die. waͤrmſten 
Bertheidiger bei Denen, welche die meiften Vortheile von ihnen ziehen, und ebenfo - 
drängen fich die Reichen gern um die Inhaber der dffentlichen Macht, ganz Arme 
hingegen find leicht zu irgend einer Störung der öffentlichen Ordnung zu verloden. 
Aber die wahre Bildung, Kraft und Blüthe eines Volks liegt in der Mitte. Hier, 
im Mittelfiande eines Volkes, bat von jeber alles Edlere, alle echte Aufklärung, 
MWiffenfchaft, Kunſt, Maͤßigkeit und Gerechtigkeit, kurz Alles, was dem Leben der 
Menfchen einen höhern Werth und Reiz gibt, feinen Sig gehabt. Wenn man aber 
für dieſe Wahrheit auch den Sinn verfchliegt, und nur fragt, wer am meiften für 
den Staat thut, fo find.es abermals nicht dig Reichen und nicht Die ganz Armen; 
fondern der Stand der Eleinen Srundbefiger und die gewerbtreibenden Bürger. 
Denn fidflellen die Heere, fie geben die Steuern fo qut wie allein, und auf ihrer 
Treue, ihrer Tapferkeit allein ſiehen die Staaten fefl. .87. 
Semeingefüht iſt die Empfindung des innern Zuſtandes unfers Körs 
pers, der innere Sinn, der, was im Körper ſelbſt vorgeht, der Seele vorhaͤlt. 
Was das Gemeingefühl auffaßt, iſt das Gefühl von Sefundheit und: Krankheit, 
von Ermattung und Kraft, von Leichtigkeit umb Schwere, von Waͤrme und von 
Kaͤlte, das Gefühl von Bekleumamg, Drud, Spannen, Kigel, Beiben, von Schaͤrfe, 
Trockenheit u. ſ. w, alle die verfchiedenen Arten wm Schmerzen; Hunger und Durfl, 


die Sefühle der phufifchen Liebe u. f.w.; und erſtreckt fi) alfo bald auf dan Zuſtand 


des ganzen innern Körpers oder bald nur auf einzelne. Theile, Hieraus fieht man, 
daß das Semeingefühl ebenſowol die Quelle angenehmer: Empfindungen als auch 
großen Förperlichen Ungemachs fein kann. Es hat nicht, wie die übrigen Sinne, 
sinen eignen beſtimmten Sitz, ein befonderes Werkzeug (mie z. B. der Sinn des 


Sehens das Auge), fondern es iſt einer befondern Art von Nerven eigen, weiche im 


\ . 


‘ Gemeingeiſt Gemeinheit 581 


—5 Korper ausgebreitet ſind, ihren Urſprung aber nicht, wie bie Sinnesnerven, 
e 


birn, fondern in den Mervengeflechten des Unterleibes oder dem fogenannten 
Ganglienfoftem Haben. Die Befchaffenheit diefer Nerven bringt es mit fich, daß 
die Eindrüde des Semeingefühls nur dunkel, unbeftimmt find. Eben von diefer 
Dunfelbeit des Eindrudis rührt auch der Name des Serheingefühls her, um es fo 
von dem eigentlichen Sinne des Gefühle zu unterſcheiden. (Vgl. Gefühl und 
Ganglienfyflem.) Ä Ä 
Semeingeift, Die thätige Theilnahme der Bürger an den Ganzen der 
Staatsgefellfchaft Heißt der Gemeingeiſt. Er iſt aur da volltommen vorhanden, wo 


die Gemeinde felbft ihre Angelecenheiten beforgt und praktiſch Hand ans Negieren 


und Bermalten legt, Nur dadurch, daß der Bürger an der Bermaltung Theil bat, 
lernt er fie kennen, und indem er das Gemeinweſen Eennen lernt, lernt er es lieben. 
In einer Monarchie, in der die Geſetzgebung öffentlich und das Miniſterium gende 
thigt ift, ſtets nach Geſetzen zu regieren, iſt der Gemeingeiſt die belebende und er» 
“ Baltende Kraft des Staats. (©. Staatsverfaffung.) 

Semeinheit, Semeinde (Commun), bezeichnet bald eine geſellſchaft⸗ 
liche Vereinigung mehrer Perfonen zu einem gemeinfhaftlichen, fortdauernden und 
vom Staate gebilligten Endzwecke, bald das einer ſolchen Semeinheit eigenthuͤm« 
lich zuſtehende Vermögen und die Semeinheitegüter. Es gibt verfchiedene Arten 
Yon Semeinheiten, 3 B. Geiſtliche, Innungen u. f. w., und alfo auch verfihie: 
dene Arten ihres Vermbgens. Hier ift nur yon Land⸗ und Dorfgemeinden und 
deren Bermögen die Rede. Als Sefellfchaft Haben fie alle Rechte und Befugniffe, 
die aus der Natur ımd dem Zwecke ihrer Verbindung herfliegen. Der Grund ihrer 
Rechte find theilg Die Sefege und Verleihungen des Landesherrn, theils die befons 
dern Erwerbungstitel. Als moraliſche Perfon Hart die Gemeinde dieſelben actiuen 
und paffiven Nechte,. welche einzelnen Bürgern und Menfchen im Staate zufoms 
men, infofern fie nur möglicher Weiſe von ihr ausgeübt werden fünnen, und die 
Geſetze keinen Linterfchied zwifchen einer moralifchen Perfon und einzelnen Mens 
fon gemacht haben. Die Semeindeglieder ale moralifche Perfon genieken die 


nn) 


echte der Minderjährigen oder Unmändigen (Pupillen), fie.Eünnen zu Erben eins _ 


geſetzt werden, Verträge fchließen, daraus Flagen und verflagt werden; ferner has 
ben fie das Recht, ein gemeinfchaftliches Vermögen zu befigen, zu erwerben, und. 
zur Beffreitung ihrer Erhaltungsfoften eine Semeindecaffe zu führen, Dorfftatus 
ten und Semeindeordnungen (Bouernfprachen, Bauernköhren) zu machen und Die 
Übertreter zu beftrafen u. ſ. w. Allein der Begriff eines wirklichen Gemeindeglie⸗ 
des, mit Ruͤckſicht auf den Genuß und die Befchroerden, die Semeinheitsvortheile 
und Laften, iſt nicht an allen Orten gleich. In der Regel find in den Dörfern nur 
Diejenigen wahre Shemeindeglieder, welche zum Betriebe des Ackerbaues und der 
Viehzucht einen Bauernhof, er fey groß oder klein, beſizen und bearbeiten. “Die 
Theilnahme an den Gemeindevortbeilen und Beſchwerden richtet fich alsdann ent: 


weder nach der Größe und dem Umfange des Guts, oder nach dem Herkommen. 


Dan kann daher die adelig freien Gutsbeſitzer, die Prediger, Schullehrer, Forft: 
bedienten, die bloßen Brinkbefiger, Anbauer, Haͤusler, Hiuslinge und Mieth⸗ 
beroohner nicht als wirkliche Mitglieder der Gemeinde in obiger Rüdficht anfehen, 
wenn ihnen der Mitgenuß an den Gemeindegütern und Vertheilen, vermöge ein 

andern Nechtstitels, 3. B. Vertrag, Geſetz, vechtliches Herfommen, Verjaͤhrung 
u. f. w., nicht.befonders eingeräumt, gder van’ ihnen erworben worden iſt. Aus 
dem befondern Berbande mit der Gemeinde pflegen indeß die adeligen Gutsbeſitzer, 
befonders wenn ihre Güter urfprünglich aus pflichtigen Höfen zufammengefegt find; 
ſowie die Prediger u. Schullebrer, an den Semeinheitsvortheilen mit den wahren Ge⸗ 
meindegliedern einen verhaͤltnißmaͤßigen Antheil zu genießen, die übrigen genannten 
Einnsohner aber nur meiftens an der Gemeindeweide einen eingeſchraͤnkten Mitgenuß 

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5 Ä 4 
582 :  -&emeinheitsthäilung 


zu haben. Hierbei aber beruht ſaſt Alles auf der Berfaffung einer jeden einzelnen 
Gemeinde, Das Bermögen oder Gemeinheitsgut einer Gemeinde ift fehr verfchies 
den, und das Eigenthum daran gehört der ganzen Gemeinde als einer moralifchen 
Perſon oder juriftifchen Einheit. Die Güter derfelben find in Rüdficht ihrer Bes 
flimmung oder ihres Bebrauchs und des von den Semeindegliedern daraus zu ziehen⸗ 


den Nußens zweifacher Artı a) Grundſtücke, Holjtheile, Softpflaniungen Capi⸗ 


talien, Pachtgelder, Zinſen und a. dgl. Einkuͤnfte, welche das Beſitzthum der Ge⸗ 
meinde derſelben ausmachen, woraus alle Bedürfniffe der Gemeinde, als einer mo⸗ 
ralifchen Perfon, N werden, k B. Kriegsfteuern u, ſ. w. b) Gemeine Huts 
und Weideplaͤtze, oder Anger und Lehden, Zehnten, Haiden, Moore, Brüche, 
gemeine Holzungen, Maftungen, Wege, Stege, Brüden, Brunnen, Seen, 

eiche, Baͤche, Fifcherei, Jagd, Mühlen, Schmieden, Bad: und Braubäufer, 
Bier: und Branntweinſchank, Gottesaͤcker oder Kirchhofe, Kirchen, Schulen 
u. ſ. w., welche insgefammt gemeines Gut oder öffentliche Sachen einer Gemein⸗ 
beit im engern Sinne genannt werden, Die Bermwaltung der Gemeinheitsgüter 
geſchieht nach den darüber vorhandenen gefeglichen Vorſchriften oder dem Herkom: 
men jeder einzelnen Gemeinde, und es muß darüber jührlich-eine Gemeinderech⸗ 
nımg abgelegt werden. Da fünmtliche Semeinheitsgüter die Rechte der Güter 
von Unmündigen genießen, ſo iſt auch die Staatsregierung Obervormund über dies 


ſelben, und es muß daher dem Staate daran liegen, daß diefe Güter zum Beſten 


der Gemeinheit auf die vollkommenſte Weife benußt und erhalten werden, Die 
Semeinheit kann deßwegen ohne obrigfeitliche Beitimmung ihre Güter. weder ver- 


pfanden noch veräußern, und felbft die Mehrheit der Stimmen der Semeindeglier 


der ift bier nicht rechtsgültig, 
Gemeinheitstheilung oder Aufhebungder®emeinheit. Da 
der gemeinfchaftliche Gebrauch von Semeirndegütern immer nur eine im Exrtrage 
mäßige Benußung erlaubt, fo ft man in mehren Stanten zu ihrer Aufhebung oder 
Theilung gefchritten. Die Aufhebung und Theilung der Gemeinheiten felbft iſt 
aber von zweifacher Art, Die eine befchäftigt fich allein mit der Theilung und 
Auseinanderfeßung der von mehren Semeinden bisher gemeinfchaftlich befeffenen 
und benußten Räume oder Bezirke unter die dabei betheiligten Ortfchaften, und 
man nennt fie daber die allgemeine Semeinheitsaufhebung oder die Generalthei⸗ 
lung. Bei der andern hingegen wird der einer jeden Gemeinde bei der Seneralthei: 
lung zugefallene Antheil, und die ihr ſchon ausfchließlich bisher zugehörte Gemein⸗ 


beit unter die eingefeffenen Semeindeglieder nach fhren verfchiedenen Theilungsbe: ' 


fugniffen einzeln vertheilt. Diefe heißt die Specialtheilung oder befondere Gemein⸗ 
beitsaufbebung; und infofern mit derfelben die Theilung der Feld: und Wieſenge⸗ 
meinheit verbunden, ımd der Äcker in Schläge oder Roppeln, wie in Medienburg, 
Holttein u, f. ro. gelegt wird, fo entfleht daraus diejenige Wirtbfchaftseinrichtung, 


.. welche man die Verkoppelung nennt, Die Seneraltheilung muß der Specialthei⸗ 


lung allemal vorangeben, und man kann beide nicht zugleich mit einander vr 
men, weil die Örundfüße, nach welchen jede gefchehen müß,. verfehieden find. 


iſt zwar dabei ein unabänderlicher Rechtsfag, daß ein Jeder in quali et quanto 
(Güte und Dienge) Dasjenige, was er bis zur Theilung gehabt hat, wieder erhal- - 


ten muß; aber felten iſt es möglich, daß ein Jeder gerade diejenigen Grundſtücke, 
welche er bisher eigenthuͤmlich oder nach Solpnatrechte befeffen hat, wieder em⸗ 
pfüngt. Im legtern Kalle kann der Landesherr, vermöge feines Tandesherrlichen 
Dberauffichtsrechts und des allgemeinen Wohls, die bisherigen Beſitzer zroingen, 
andre Grundſtuͤcke anzunehmen, wenn fie dadurch vollig entfchädigt werden und 
mithin weder in qualı noch quanto in Ninficht ihres vorigen Befißes zu kurz kom⸗ 
men. Entſtehen daher vor, während und nach der Aufhebung und Theilung ter 
Senieinheiten Fragen und Gtreitigfeiten unter den Theilnehmern über ſtreitiges 


. Gemenge Sue 883 


oder verleftes Recht, fo gehört die Beurthellung und Entfcheidung nach der Regel. 
nicht der Hkonomie. oder Theilungsbehorde, fondern es muß jede ſolche Angelegen⸗ 
beit im ordentlichen Rechtsgange verhandelt und vom befugten Richter als wahre 
Juſtizſache entfchieden werden. Iſt hierüber Alles berichtigt, dann erſt fehraitet die 
Dfonomie: und Theilungabehörde zur Theilung felbft, zu der diefelbe dag zu thei⸗ 
lende Grundſtuck geometrifch vermeſſen, eine Charte machen, .die Vermeſſungs⸗ 
und Bonitirungsregifter ausarbeiten, den Theilungsplan vorlegen und ein Their 


lungsprotokoll oder einen formlichen Thellungsreceß entwerfen laͤßt. Mach voll 


endeter Theilung wird deren Beſtaͤtigung vom Landsherrn nachgefucht. Wie ein 
Theilungsgefehäft ausgeführt werden foll, erfieht man aus Jacobis, Beſchaͤftigun⸗ 

en mit Semeinbeitstbeilungsmaterien” (Danover 18089; f. auch „Die Gemein⸗ 
Beitstheilungsverordnung für das Fürſtenthum Lüneburg, mit einer Vorrede von. 
Hofr. Jacobi” (Hanover 1803); „Uber die Semeinbeitstheilung, und zwar von den 


- Srundfüßen, wonach zu teilen” u. £ 1, von dem —— Joh. Fr. Meyer 


(Selle 1801, 2 Thle., 4.), und Klebe's „Grundſatze der Gemeinheitstheilung“ 
(Berlin 1824). X. 

Gemenge nennt man auf Blaufarbenwerken die Beſchickung pr Darftels 
Iung der blauen Farbe; auch nennt man wol auf den Hüttenwerfen die Beſchickung 
im Allgemeinen fo. 0 | . 

emmen, überbaupt Eoftbare Edelfteine, dann insbefondere folche Steine, 

in / welche fünftliche Figuren eingefchnitten find. Die Griechen und Romer waren 
in diefer Kunſt Dieifter, und ihre Semmen werden am meiften gefchäßt. Die Steine, 
welche fie am haͤufigſten dazu wählten, waren Bergkryſtall, Faspis, Chalcedon, Car⸗ 
neol, Onyx, Blutftein; dagegen verftanden fie noch nicht, den Diamant, Smaragd 
und Topas zu bearbriten.. Man f. das Sefchichtlühe im Art. Steinſchneide⸗ 
£unft; die vorzüglichften Semmenfammlungen f. m. unter Daktyliot hek. 

Semmingen (Dtto Heinrich, Freiherr v.), geb. 1738 zu Heilbronn, kur⸗ 
pfalz. Kämmerer, Hoffammerrath u. Mitgl. der deutfchen Sefellfch. zu Manheim, 
privatifirte feit 1784 zu Wien, feit 1797 zu Würzburg, und als bad. Geh.:Rath zu 
Seidelberg, ftarb 1800 zu Wien. Er bat fih durch f. Diderot's „Pere de famille” 
nachgebild. „Deutſchen Hausvater” (1. Ausg. München 1780) eine Stelle unter 
den deutfchen dramatifchen Dichtern erworben, Großmann und Gemmingen mach: 
ten zu Anfang der achtziger Jahre die erften bedeutenden Verſuche fcenifcher Darſtel⸗ 
lungen aus dem Kreife des häuslichen Lebens, und Beide fanden eine um fo dankba⸗ 
rere Aufnahme, je mehr ſchon damals der Geſchmack an dem Wilden und Ausſchwei⸗ 
fenden fich verloren hatte, und die Gattung, was eigentlich ihr Gluͤck entfchied, um 
Die nämliche Zeit in Iffland einen Dichter erhielt, der für fie geboren zu fein fchiem 
Wenig. bedeutend find G.'s übrige Schriften. R 
emfe, die einzige In Deutſchland einheimifche Antilepengattung. Sie be: 
wohnt die hoben Alpen und befchneiten Felfenklippen in Tirol, Steiermarf, Kaͤrn⸗ 
then, in der Schweiz, im ehemaligen Dauphine, die Apenninen in Stalien, die 
Pyrenqaͤen u. ſ. w. Sie liebt die dünne, reine Bergluft, "und gewoͤhnlich halten fich 
jablreiche Sefelffchaften zufammen. Die Alpenfräuter find ihre Weide. Don den 
harten Faſern mancher derfelben bilden fich in dem Magen der Gemſe ſchwarzbraune, 
wohlriechende Kugeln von bitterm Geſchmack, die man Gemskugeln oder europaͤiſchen 
Bezoar (ſ. d.) nennt. Die Jagd der Gemſe iſt äußerft beſchwerlich, indem fie Fels 
auf und ab und über Felſenſpalten hinweg mit unglaublicher Behendigkeit ſetzt und 
die drohende Gefahr mit ihren großen hellen Augen gewöhnlich frühzeitig entdeckt. 
Demerft eine der gefellfchaftlich roeidenden Gemſen etwas Seführliches, ſo gibt fie 
durch einen Durchdringend pfeifenden Ton ein Warnungszeichen, flampft mit dem 
Fuße, und im Nu ift die ganze Geſellſchaft auf der Flucht. Die Semfenjüger treten 
mit einer Slinte und einem Waidſack auf dem Rüden, einen eifenbefhlagenen Stock 


N 


— 


s00. Gemuͤth 


in der Hand, nit Fußelſen und einem Fernglas verſehen, ihre Reiſe aufs Gebir ge 
an. Um auch da übernachten zu koͤnnen, tragen fie eine Pelziacke und führen Die 
nöthigftien Lebensmittel bei ſich. Gorgfältig bemerfen fie, ob ihnen der Wind in 
das Geſicht oder in den Rüden geht, denn im legtern Falle wittern die Gemſen des 
Jägers Ankunft. Mit dem Fußeiſen betvaffnet, feßt er den fliehenden Gemſen 


über alle Felfen und Eisfelder nach. Jeder Schritt vor: oder ruͤckwaͤrts ift oft mie . 


Lebensgefahr verbunden. Gelingt es ihm endlich, Die Ihiere in einen engen Berg⸗ 
ſtrich bineinzutreiben, 100 ihnen nur auf feine Perfon zu der Ausweg noch offen 
flieht, fo ſchießt er unter fie, Wiederholt er dies öfter, fo feßt das geängffete Thier 
Aber das Haupt des “Jägers weg oder ſtuͤrzt ihn durch einen gewwagten Sprung im 
den Abgrund; nicht felten findet der Jäger bloß über dem Nachklettern zwiſchen 
ſchroffen Selfenklippen fein GGrab. In Sraubündten und Wallie findet man viele 
foiche Waghaͤlſe, die mit den tirolifchen und ſavoyiſchen Semfenjägern immer im 
Kriege leben, Ein Semfenfell wird um 6 — 9 Son. verfauftz außerdem erhält 
man noch etwa 10 — 12 Pfund Talg von einem ftarfen Thiere. “Dies und der bo⸗ 
fiebte Braten ift der ganze Gewinn für eine fo große Gefahr. 

Gemärd iſt die Stimmung und Richtung des Willens der Seele durch ihr 
Gefühl, oder die Seele als Prineip der Gefühle und Neigungen. Oft wird jedoch 
Gemuͤth auch für Seele überhaupt genommen; tie wenn man von Vermögen deu 
Gemuͤths oder Semüthsfräften redet. — Wie das Fürperliche Gefühl (Gemeinge⸗ 
fühl und Sinnesanfchauung) dem Menſchen die Wahrnehmung von feinem Körpev 
als feinem elgnen gibt, fo bekommt die Seele durch das innere Gefühl die überzen⸗ 
gung ihrer SYndinidualität, Die Selbflanfchauung ihres innerften Seins und Lebens, 
Diefes Sein und Leben ber Seele iſt aber höchſt individuell und bei jedem Menſchen 
ganz eigenthfimlich, iſt durch Außere Einroirkungen ſowol als durch innere Thaͤtigkeit 
des Seiftes felbft beftimmbar, und wird Durch beide fortwährend beftimmt, “Dabei 
find aber im Allgemeinen zwei Verfchiedenheiten in dem Zuftande der Seele bemerfs 
bar, indem er entsedeb angenehm ader unangenehm iſt; das Erfle, wenn er in Eins 
Hang mit ihren Zwecken, das Andre, wenn er in Zwieſpalt mit denſelben ſteht. 
Die Zwecke der Seele find aber entweder die hoͤhern, d. 5. die ihrem Wefen nach ihr 


tigenthämlichen, oder die niedern, d. h. die Zwecke des phyſiſchen Organismus, oder 
der Sinnlichkeit, die ihr von demfelben aufgedrungen, oder von ihr freiwillig anges 
nommen werden. Der böchfle Zweck der Seele ift Vereinigung mit dem höchften 


But, oder ewiges Bein in Gott, d. h. Seligkeit. Alles, was zu deren Erlangung 
Binführt, find die böhern Zwecke der Seele, das mahre Gute, defien Bereinigung 
das pſychiſche Wohlſein gründet, Die phufifchen Zwecke, die der Sinnlichkeit, find 
Erhaltung des Organismus, Befriedigung der Foderungen deffelben, Beförderung 
der finnlichen Functionen, zeitliches Sein und Vereinigung mit dem irdifchen But, 
Alles, was zur Erlangımg deffelben hinführt, bildet die niedern Zwecke und gründet 
das vhyſiſche oder finnliche Wohlſein. Die Seele kann die höhern und bie niedern 
Zwecke verfülgen, Die nigdern gibt ihr die Sinnlichkeit, die böhern die Bernunft, 
welche Die ideen (die hoͤhern und reinften Begriffe), alfo auch die vom wahren Sute, 
aus ihrem Weſen ſelbſt entwidelt. Je mehr demnach die Vernunft in der Seele 
thaͤtig ift, deſto mehr ordnet fie Die niedern Zwecke den hoͤhern unter, defto herrſchen⸗ 
ber wird das Verlangen nach dem Zuſtande jenes hühern Wohlfeins, Jedes Mal 
aber verlangt die Beete ihren angenehmen Zufland zu erhalten, den unangenehmen 
Zuſtand zu verändern, Hieraus eniſteht eine Stunmung des Willens überhaupt 
(des Begehrungswermögens), eine Richtung deffelben nach der dauernden Bereints 
gung mit einem Segenflande, oder zur Trennung von ibm, Neigung oder Abnei⸗ 
gung, Liebe oder Haß, je nachdem der Corgenfland fie in angenehmen oder unanges 
nehmen Zuſtand verfegt. — Die Stärke (Lebbaftigkeit) des Gemuͤths hängt von dem 
Grade der Klarheit des Gefahls der pſychiſchen Indiyidualitat ob, Das Gemüth 


Gemuͤthsbewegungen Gemaͤthotkrankheiten 585 - 


iſt ſchwach, wenn das Gefühl des innern Seins und Lebens der Seele nur dunfel 
und vermorren ift, ſtark, wenn diefes Gefühl zu einem hoͤhern Lichte emporſteigt. 
Unmittelbar mit der Stärke des Gemuͤths hängt deffen Kraft zufammen, welche fich 
in der Beſtimmung des Willens zur That äußert. Ein Prüftiges Gemuͤth beftimmt 
feinen Zuftand ſelbſt und fpricht fich in beftimmten Handlungen aus; ein unfräft 
tiges Gemuͤth läßt fich durch äußere Einwirfungen beſtimmen, vermag feine Zwecke 
Durch fortdauernde Richtung des Willens zum Handeln nicht zu verfolgen. Die 
Art des Gemuͤthes wird durch die Entwickelungsſtufen der Vernunft, alfo daturch 
beſtimmt, ob die Seele die Erlangung des pfuchifchen oder des phufifchen Wohlſeins 
zum Grund ihrer Handlungen macht. Ein reines Gemüth erwählt und erhält ſich 
bloß die höbern Zwecke zum Ziele feines Strebens; ein unreines bat die Zwecke der 
rohen Sinnlichfeit zu den feinigen gemacht. Ein unſchuldiges Gemuͤth kennt nur 
das Wohlfein von der Erlangung des wahren Guten; ein fehufdvolles wird von dem 
Bewußtſein beunrubigt, die hoͤhern Zwecke den niedern aufgeopfert zu haben, Ein 
gutes Semüth findet Befriedigung feines Verlangens nah Wohlſein fchon in der 
Wahrnehmung und Beförderung des pfochifchen Wohlſeins andrer Menfchen; ein 
bofes verfolgt die niedern Zwecke, auch wenn das Wohlfein andrer Menfchen das 
durch geflört wird. — Gemüthlich nennt mar einen Dienfchen, der, obne die 
Abficht dazu zu haben oder zu verrathen, bloß durch feine eigne Gemuͤthsaͤußerung 
das Gemuͤth eines andern Menſchen in einen angenehmen und behaglichen Zuſtand 
verfegt. Aber auch Gegenſtande, befonders Kunſiwerke, welche das Gemuͤth in eine 
behagliche Stimmung verfeßen, werden gemütblich genannt. 
Gemüthsbewegungen, fe Affecten. Die Foderung der Moral, 
daß man feine Gemuͤthsbewegungen beberrfchen foll, infofern die Bernunft dadurch 
ihrer Herrfchaft beraubt wird, gilt Bauptfüchlich von denen, die leicht ins Unmoralts 
ſche ausarten, 3. B. Zorn, Rache u.a. In aͤſthetiſcher Hinficht führen die, welche 
von Kraft und Stärfe zeugen, wenigſtens einen Schein von Erhabenheit bei fich, 
und es kann dann wol auch einen edeln Zorn, eine edle Rache geben; die vom 
Schwäche zeugenden hingegen gehören mehr in die Sphäre des Anmutbigen, z. B. 
alfe fogenannte ſchmelzende Affecten, wie Wehmuth, Mitleid, Echmerz ber fich 
felbft den Troft verfagt u. a. m. dd. 
Gemüthskrankheiten find Seelenfrankheiten ſolcher Art, bei wel⸗ 
chen das Gemuͤth (f.d.) urfprünglich leidet und Urfache von beftimmten Krank: 
beitserfcheinungen iſt. Es fragt fich, ob nicht ſchon Heftige Leidenfchaften aller Art, 
welche die Ruhe und den Frieden des Herzens flören und Badurch.dDie Seele in Ver⸗ 
toirrung bringen, wahre Gemuͤthskrankheiten feien, 3.8. heftige Liebe, Eiferfucht, . 
u. a. m. Gewiß aber ift es, daß aus den Leidenfchaften nicht felten Zuftände ents 
fpringen, denen man den Mamen der Gemuͤthskrankheiten nid,t abfprechen darf, 
Wir nennen bier nur die zwei vorzüglichften, die, wierool in ein Gebiet gehoͤrig, dens 
noch von ganz entgegeugefeßter Art find: Wahnſinn und Melancholie (Trübfinn). 
Die Liebe macht wahnfinnig und melanchofifch, nach dem Charakter und der fonflis 
gen Befchaffenheit der Perfon und der Umflände. Auch Stolz und Ehrgeiz fünnen- 
MWahnfinn; anhaltender Kummer, Sram über ſchweren Verluſt und gefßeiterte 
Hoffnungen können Melancholie erzeugen, Der Wahnfinn, als Gemüthskrankheit 
von Üiberfpannung, rüdt dag Gemuͤth gleich fam aus fich felbft Heraus, in eine fremde, 
in eine Traummelt, wo nur die Gegenſtande feines Begebrens dem mwahnfinnigen 
Gemuͤthe vorſchweben, und Sinn, Verſtand und Pbantafie, In den Dienſten des 
kranken Semüths, aus ihrer Bahn weichen. Die Wahnfinnige aus Liebe fieht fich 
überall in Stefellfchaft ihres Geliebten, alte ihre Umgebungen fiehen in Bezug auf 
iin. Ganz anders die Melancholie. Der Melancholiſche ift wie abgefchnitten von: 
der Welt und lebt nur in feinem hohlen, leeren ch, das, durch Drud und Kummer 
eingemgt, nichts mehr wunſcht und fucht ale den Tod, Tiefe Nacht umfchatter 


588 * Gendarmen Genealogie 


feinen Seift, er fühle fich unglücklich, und feine Willenskraft ift erſtorben. Und 
diefer ganzen innern Zerrättung Duelle ift dag Eranfe Senrüth. Melancholie und 
Wahnſinn find alfo in der gefchilderten Beziehung Gemuͤthskrankheiten, bei Denen 
der Seift oder das Vorftellungsvermögen nur mittelbarer Weife angegriffen ifl. 
(Del. Geiſteskrankheiten.) | ff. 
Gendarmen (gens d’armes). &o nannte man anfünglich in Sranfreich 
die Maſſe des bewaffneten] Volks (gens armata), hernach aber, nach Einführung 
der ſtehenden Soldtruppen, ein Corps ſchwerer Reiterei, das die Hauptſtaͤrke des 
Heeres ausmachte und mit Helmen, Küraffen, Piſtolen, gepanzerten Pferden ıc, 
verfehen war. Seit Ludwigs XIV. Beit behielten fie bloß Piftolen, Helm und De: 
n bei, Theils verfahen fie den Dienft beim Könige, theils machten fie das erfte 
orps der franz. Meiterei aus, Dieſes beftand aus lauter Edelleuten und- gehörte 
zu den fönigf. Haustruppen. Die Revolution bob dieſes Torpg auf. Seitdem 
nannte man Sendarmerie ein Corps, dag an die Stelle der vormaligen Mardchans- 
see. zur Sicherheit der Straßen dienend, eintreten follte. Sie dient zu Fuße und 
zu Pferde, gehört zwar zum Militair, ſteht aber in Dienfigefchäften zur Berfügung 
der Bermwaltungsbehörd:n. — In Preußen a vor der neuen Drganifation des 
Heers ein Sarderegiment Gendarmes. Jetzt werden auch in vielen deutfcherd 
Stoaten befonders die-berittenen Poligeidiener Gendarmen genannt, 
Genealogie, die wiffenfchaftliche Darftellung von dem Urfprunge, der 
Sortpflanzung und der Berwandtfchaft der Geſchlechter, it eine hiftorifche Huͤlfswiſ⸗ 
ſenſchaft. Die genealogifchen Kenneniffe find in perfönlicher oder rechtlicher Bezie⸗ 
bung wichtig, fobald gemiffe aus der Verwandtſchaft abzuleitende Anfprüche geltend 
gemacht merden follen; fie erhalten aber auch zugleich hiſtoriſches Sintereffe, wenn 
nach den Verwandtſchaftsverhaͤltniſſen hiſtoriſch merfmürdiger Perfonen gefrags 
wird, obgleich der Begriff merkwürdig in diefer Hinficht immer besiehungsweife zu 
nebmen iſt, theils weil manche an fich unbedeutende Familie nur bisweileh_wegen 
. einer einzigen Perfon aus ihrer Dunkelheit gezogen werden muß, theils weil felbft 
merfivürdige Perfonen oft nur für einzelne Bezirke, Provinzen und Länder ein hiſto⸗ 


rifches Intereſſe haben. Die wiffenfchaftliche Darftellung der Genealogie zerfällt _ 


in den theoretifchen Theil, welcher. die Lehre von den gencalog. Grundſaͤtzen übers 
baupt enthält, und in den praßtifchen, twelcher die hiftorifch merkwürdigen Geſchlech⸗ 
ter darfiellt. Gewoöhnlich wird der leßtere nur auf die fürſtl. Familien eingefchränft. 
Der theoretifche Theilder Genealogie gebt von dem Begriffe eines Geſchlechts, einer 
Familie aus. Perfonen, die von einem gemeinfchaftlichen Bater abflammen, bilten 
ein Sefehtecht. Durch den Begriff des Grades bezeichnet man die Naͤhe oder Ent⸗ 
fernung der Verwandtſchaft, worin eine Perſon zu einer andern fteht, Eine Reihe 
mehrer von einem gemeinfchaftl, Ahnherrn abftammenter Perfonen heißt eine Linie. 
Die Linie iſt entweder die gerade (linea recta), oder Seitenlinie (linca obliqua oder 
collateralis), Die gerade Linie wird eingetheift in die auffteigende und abfleigende, 
Dis zum fiebenten Sliede werden die Vorfahren (pater, avus, proavus, abavus,, 
atayus, irilavus, protrilavus) und die Nachkommen (filins, Nepos, pronepos, 
abnepos. atnepos,, trinepos,. protrinepos) mit befondern Namen belegt; die 
übrigen Afcendenten beißen im Allgemeinen majores (Vorfahren, Ahnen), und die 
fpätern Defcendenten im Allgemeinen poateri (Nachkommen). Die Seitenlinie 
umfchließt die Seitenverwandten (Collateralen), welche nicht von einander, fondern 
nur von einem gemeinfchoftlichen Stammvater abflammen, Sie ift entweder gleich” 
(aequalis), oder ungleich (inaequalis), fobald auf der einen Seite mehr Slieder als 
auf der andern gezählt werden, Don väterlicher Seite heißen die Seitenverwandten 
agnali, von mütterlicher Seite oognali. Die Geſchwiſter find entweder Feibliche, 
oder Stiefgeſchwiſter, je nachdem fle entweder theils von beiden AÄltern, theils von 
einem Individuum der Altern abſtammen, oder nur darch neugeſtiftete Chen mit 


‚Genealogie 5937 


einander verwandt worden find, Zur Verſinnlichung der Abflummung und Ver: 
wandtfchaft werden genenlogifche Tafeln entworfen, deren Einrichtung von tem 
vorgefegten Zwecke abhaͤngt. In den eigentl, Sefchlechts: oder Stammtafeln hebt 
man gewöhnlich vom Alteften Stammvater an, und fellt alle bekannte Perſonen 
männlichen und weiblichen Geſchlechts aus einer Familie in abfteigender Linie und 
nach desen Beitenlinien dar, Bei den Ahnentafeln beabfichtigt man die Verfinnit: 
hung der Abflammung einer einzelnen Perfon in auffteigender Linie, fowol von 
väterlicher als mrütterlicher Seite. Auf diefe Weiſe werden 4,8, 162c. Ahnen (ſ. d.) 
nachgemwiefen, Die Regierungsfuccrflionstafeln enthalten bloß die Abftammung der 


Perſonen, welche nach einander zur Regierung gelangt find oder. Anſpruͤche auf dies 


felbe Haben. Mit ıhnen ſtehen die Erbfolgeftreitstafeln in Verbindung, welche mehre 
Linien einer Samilie oder mehre Familien neben einander ftelfen, um aus den Gras 
den der Verwandtſchaft das Erbfolgerecht abzuleiten. Die fonchroniftifchen Tafeln 
werden aus nebeneinandergeftellten Stammtafeln ‚mehrer Samilien gebildet, um 
Verwandtſchaften, Heirathen, Erbverbrüderungen ıc. Deutlich zu vergegenwaͤrtigen. 
Die hiftorifchen Stammtafeln unterfcheiden fich von den eigentlichen Stammtafeln 


dadurch, daß fie nebft der Abftammung auch noch Biographien der Stammglieder . 


beifügen, fowie bei den Landernereinigungs⸗ oder Trennungstafeln neben der Fort 
pflanzung der Stämme auch die Ab: und Zunahme des Linderbeflandes oder des 
Samilienvermögens verzeichnet wird, Die gewöhnliche Form der genealog. Tabellen 
if, daß der Stammvater obenangefeßt und bei jedem der Nachkommen die Abflams 
mung durch Striche angegeben wird; doch hat man auch folche Tabellen in der Ge⸗ 
ſtalt eines Baumes, nach dem Vorbilde des Eanonifchen Rechts (arbor consangui- 
nitatis), wo der Stammvater, gleichfam als Wurzel, unten gefeßt wird: eine Form, 
in welcher ſich befonders die Altern Genealogen gefirlen. Die Kenntniß der Genea⸗ 
logie ward im ausgehenden Mittelalter wichtiger, als der Adel fich von den übrigen 
Ständen abfonderte, fich gewiſſe Amter, Stellen in Stiftern u, ſ. w. ausfchließend 
vorbehielt, und jeder, der dazu gelangen wollte, eine feftgefeßte Anzahl von Ahnen 
nachweiſen mußte. Damals entftand auch die Sucht, die Stifter der europnifchen 
Regentenhäufer im fernften Alterthune ader doch menigftens in den romiſchen 50: 
milten nachzumweifen, In der deutfihen Sefchichte fommen vor der Mitte des 11. 
Jahrh. keine Familiennamen vor. Die ältefte Spur-derfelben, nach Satterer, 
ift von 1062, wo in &channar’e „Buchonia veleri” ein Henricus de Siuna vor⸗ 
kommt. Exft im 12. und 13. Jahrh. wurden die Familiennamen nach und nach 


gerähnlicher, — Die wiffenfchaftl. Behandlung der Genealogie gewann, nach der 


zweckmaͤßigern Behandlung der Geſchichte überhaupt, vorzüglich durch Deutſche. 
Im 171. Jahrh. war Andreas Duchesne(ſt. 1640) ein Hauptverbefferer der genea⸗ 
logifchen Methode, und Rittershufius (Prof. der Rechte zu Altdorf, fl, 1620) be 
\ muübte fi, Unſinn in der Gienpalogie zu vermeiden; ihn ergänzte Synıbof 1682. 
Mehr geſchah im 18. Jahrh. Gebhardi gab die ültern Lohmeier’fchen Stammtafeln 
(1730) verbeffert heraus. Durch Hübner’s mühevolle „Senealogifche Tabellen“ 
4 Bde, Soh, 172338, neue Aufl, 1737-66; vortrefflich find die „Supple⸗ 
menttafeln zu Hübner’s genealog. Tab.”, Kopenhagen 1822—24, 6 Liefer, ver 
fagt von der regierenden Königin von Dänemark, Sophia) und Sam, Lenz's Er⸗ 
läuterungen dazu (1756, 4.) machte die Wiſſenſchaft bedeutende Sortfchritte; doch 
führten fie erft Satterer —— der Senealogie”, Sörtingen 1788), Pütter 
(„Tabb, geneal.”, Gott, 1768, 4.), Koch in Strasburg, und Boigtel (1810) 
zu einer höhern Vollkommenheit. Über den deutſchen Adel insbeſ. ift dag „Adels 
lexikon“, von Joh. Chriſtian v. Hellbach, in hiſtor, genealog,, diplomat. und herals 
difcher Hinficht (Jlmenau 1825, 2 Bde.) zu empfehlen. Bon dem „Genealog. und 
Stantehandbuche" erfchien b. Wenner, Frankf. a. M., der 65. Jahrg, 1827. Huch des 
„Dmeal, Taſchenb. j. 18290y. Fr. Boufchald (Otuttg) verdient Empfehlung. Q, 


+ 


* 


[4 


588 | . General — Generalbaß 


General bezeichnet im Allgemeinen die hoͤchſte militairiſche Würde, es 
möge nun Biefer Titel für fich ‚allein beftehen oder noch mit andern verbunden fein; 
daher Seneralfeldmarfchall, Senerdifeldzeugmeifter, Senerallic 
eutenant, Generalmajor u. ſ. w. Bisweilen bezeichnet der Titel auch den 
Wirkungskreis, wie Seneraliffimus, General en chef. Divifions: und 
Brigadegeneral, Seneralquartiermeifter, Seneraladjutant u. ſ. m. 
In allen Heeren beſtehen bierüber verfchiedene Beftimmungen. Jetzt flieht der 
.Marechal de camp in Frankreich den Brigadegeneralen oder Seneralmajors in 
andern Dienflen, der Feldmarfchafllieutenant in Öftreich den Generullieutenants 
oder Divifionggeneralen a. a. D. gleich, und der Feldzeugmeifter (f. d.) in 
. Dflreich ift General der Artillerie (Bol. auch Feldmarfhall) — Gene 
ralftab, Statinajor, im weitern Sinne, befteht aus den verfihiedenen bei eis 
nem Heere befindlichen Generalen jeden Ranges und ihren Adjutanten, aus dem 
Seneralquartiermeifter, dem Seneralauditeur (Dberkriegsrichter), dem Generals 
jeugmeifter, dem Oberwagenmeiſter, dem Generalgewaltigen und dem Obercoms 
miffair mit ihren Unterbedienten; überhaupt verftebt man unter Seneralftab 
fammtliche zum Hauptquartiere gehörige. Dfficiere. Im engern Sinne verfteht 
man unter Seneralftab das Perfonal, melches dem Feldherrn zur Seite die Hee⸗ 
resführung insbefondere wiſſenſchaftlich oder nach den Regeln der Kunft leitet, Das 
ber auch in verfihiedene Abtbeilungen zerfäll. Die gemöhnlichfte Organifation 
Diefes Generalſtabs, ebedem bei den deutſchen Heeren Beneralquartiermeis 
ſterſtab genannt, iſt folgendes An der Spige ſteht ein Chef, ein Poften von 
der Höchften Wichtigkeit und vielumfaffender Wirkſamkeit. Er arbeitet die 
Kriegspläne aus, und fein Blick muß fich bei deren Ausführung bis auf die Finzels 
beiten erſtrecken, er muß Alles erfahren, Alles wiſſen. Unter ihm arbeiten die 
Dfficiere des Seneralftabs, die Marſch⸗ und Bemwegungsentwürfe, die Anordnuns 
x der eigentlichen Hecrführung aus und leiten fie; ferner die geographifchen und 

eflungsingenieurs; die Dfficiere, roelche die große Sorrefpondenz beforgen, wels 
hen das Bernehmen der Gefangenen, die Leitung des Spionenwefens u. dgl. übers 
tragen iſt. Das Recognosciren ift ebenfalls ein Hauptgefchäft der Seneralflabss 
officiere. Es Liegt auch in der Natur ihrer Beftimmung, daß einige befondern Nee: 
resabtheilungen beigegeben werden, um die großen Sefchäfte ftets im Zufammens 
Bange und im Sinne des Hauptplans leiten zu pelfen. Allerdings koͤnnen aber die 
Srenzlinien für die Wirkſamkeit des Generalſtabs nicht jederzeit fcharf gezogen blei⸗ 
ben, und fie verſchmilzt Häufig mit dem Geſchaͤftskreiſe der Adjutantur, ſowie diefer 
. mit jenem. — Beneralat, das Amt und die Würde eines Generals; auch die 
Abtheilung einer Armee; deßgleichen ein Landesbezirk, deffen Derfaffung militairifch 
ft. — General heißt auch der Oberfte eines religiöäfen Ordens, Dominicaners, 
Jeſuiten⸗ ıc. General Ferner kommt das Wort General in vielen Zuſammen⸗ 
feßungen vor, um einen ofen Rang oder Allgemeinheit auszudrüden, DB. 
Generalbevollmächtigter, Generalaceiſe. | 


Generalbaß, der Vortrag der Grundſtimme eines Tonftüdie, verbunden 


mit der Intonation aller einzelnen Accorde, deren Grundlage fie bildet, Gemöhr 
ih fpielt man ihn auf einem Clavierinſtrumente, theils zur Verſtaͤrkung der Har⸗ 
monie, theils zur Erfeßung der Intervallen manches Accords, die In den wenigſtim⸗ 
migen Sägen noch fehlen, und zur Ausfüllung der harmonifchen Lucken, die äfters 
groifchen den Stimmen vorfommen. Ber demnach den Generalbaß fpielen will, 
muß die Fertigkeit befigen, mit der Grundſtimme eines Tonſtuͤcks zugleich die Fols 

en aller Accorde, woraus die Harmonie deffelben befledt, vorzutragen. “Da diefe 

ecorde und die in ihnen enthaltenen Hauptintervallen über den Toten durch Zah⸗ 
len und Zeichen, die Signaturen genannt, angedeutet find, ſo muß er mit der Kennt: 
niß der Harmonie auch eine genaue Kenntniß diefer Bezifferung verbinden, Die man 


Generalpachter in Frankreich | 589 


bei Marburg, Albrechtsberger, Bach, Türk und Muller findet. Diefe Beztfferung 
erfand Viadana, zu Anfang des 17. Jahrh. Eapellmeifter an der Domkirche zur 
Mantua. Deßhalb nennt man fie öfters auch die italienifche Tabulatur. dd. 
Generalpachter in Frankreich, eine Geſellſchaft von Unterneh: 
mern, welche gemiffe Gefälle, befonders das Salz: und Tabadsmonopol, die Bins 
nenzoͤlle (Traites), die Eingangszölle von Paris, den Gold: und Silberftempel u. 
a.m. für eigne Rechnung erhoben und dem Staate ein jührliches Quantum zahl⸗ 
ten. Unter Franz I. wurde zuerſt 1546 die Salzſteuer mittelft Derpachtung des 
ausfchlieglichen Salzhandels in jeder Stadt erhoben. In der Folge nörhigte Sully 
1599 die Seneralpachter, ihre Contracte mit den Unterpachtern vorzulegen, wodurch 
man zuerft erfuhr, welchen Gewinn fie bisher, eigentlich gehabt hatten. Er vers 
pachtete fodann das Salzmonopol an die Meiftdietenden, wodurch der Ertrag bei: 
nahe auf das Doppelte flieg, und zog nun alle Gefaͤlle wieder dazu, welche die Gros 
hen des Reichs und die Sünftlinge der vorigen Regenten theils pacht⸗ oder pfand⸗ 
weife, theils durch Kauf oder Schenkung an fich gebracht hatten, wodurch er bie 
konigl. Einfünfte um 600,000 Thlr. jährlich erhöhte. 1728 vereinigte die Regie⸗ 
rung mehre einzelne Pachtungen in die ferme generale, welche alle 6 Jahre durch 
öffentliche Berfleigerung mit einer Sefellfchaft von 60 Mitgliedern. erneuert: wurde, 
4180 waren 44 Öeneralpachter, deren Pacht 186 Mil. betrug. Sie bildeten eine 
Art von Finanzcollegium, welches die verfchiedenen Segenftände ihres Pachts, die 
Anftellung der Beamten, das Kechnungswefen, die Herbeifchaffung des Salzes und 
Tabads, die Beitreibung der Gefälle, die gerichtl, Angelegenheiten, in 14 ver 
ſchiedenen Depntationen verwaltete und ein Heer von Unterbeamten hatte. Diefe 
Art der Verwaltung war nicht die vorehepafteft und £oflete dem Unterthan weit 
mehr, als fie dem Könige einbrachte. Man hatte daher den Gewinn der Senerak 
pachter ſchon von Heinrich IV, an zu befchränfen gefucht, ımd Meder gibt folchen, 
doch augenfcheinlich zu niedrig, auf 2 Mill, jährl, an. Dies wäre fehr mäßig ge: 
gen die Mißbräuche der ältern Verwaltung geroefen, von welcher Sully fagt, daß, 
als er die Finanzen übernommen, das Volk 150 Mill. bezahlt babe, wenn der 
‚ Staat 30 Mill, habe erhalten follen. Es wäre auch, indem auf jeden einzelmen 
Generalpachter jährlich nur ein überſchuß von 45,000 Livr. gekommen wäre, nicht 
Binreichend geweſen, den Haß zu erklären, mit welchem die Oeneralpachter beladen 
waren. Doch muß ein fehr großer Theil diefes Mationalgefühls, weiches zu den 
Ausbrüchen der Revolution fo Vieles beitrug, der Befchaffenheit der Abgaben zuge 
fihrieben werden, welche auf diefe Weiſe erhoben wurden, ‚wie fehon im Art. Frank: 
reich auseinandergefeßt worden iſt. Wenn alles Zollweſen roegen der damit ver: 
fnüpften Unbequemlichkeiten für den. Berfebr, wegen der Strafen und der den Zoll: 
beamten einzuraumenden Gewalt den Völkern verhaßt ift, fo war es in Frankreich 
die Salzſteuer und das Tabacksmonopol doppelt, wegen ihrer Ungleichheit und ihrer 
Höhe. Echon Neder bemerkte, in dem Eapitel über das Keichwerten der Finanz 
minner (‚De administration des tinances“, Hl, ch. 12), daß hier ein richtiges 
moralifches Grfühl zum Grunde Hege, obgleich er ſich mit großer Schonung und 
Vorſicht darüber ausſpricht. Das Volk ſah nämlich fehr wohl, daß die Reichthu⸗ 
mer der Binanciers (wozu außer den Generaleinnehmern, die Directoren der von der 
Regierung ſelbſt verwalteten Einfünfte, die Treforiers und Hofbanquiers, vornehm⸗ 
lich die Generalpachter gehörten) ohne alles Verdienft, ja ohne befondere Thärigkeit 
erworben wurden, fodap die meiften nicht einmal verftanden, diefelben mit ergrägkts 
cher Würde zu genießen, fondern fie in geſchmackloſer und beleidigender lippigfeit 
verſchwendeten. Menſchen ohne alles Talent, unwiſſend und dumm, erlangten 
nur durch die Gunſt irgend eines Großen oder einer einflugreichen Grau einen Platz 
im Finanzweſen, um in einen Überfluß verſetzt zu werden, weichen man nur dann 
ohne Meid gewahr wird, wenn er fich'anf Verdienſt aber alten Familienbeſitz grün 


7 


590 Öeneralfiaaten‘ Geneſung 


det. Dem bloßen Selbreichthume, welcher ohne vorzüglichen Verſtand, durch bie 
unbedeutende Kunft des Geldmaͤklers im Großen und dadurch erworben wird, daß 
die Staaten es bequem finden, ihre Geldangelegenheiten gewißermaſſen zu verpach: 
ten, fann die Welt nie wahre Achtung sollen, ſowie der Einfluß, welchen er auf die 
Politik geroinnt, immer böchft einfritig, engherzig und fehädfich bfeiben wird. 
Hierzu kam dann bei den franz. Sheneralpachtern noch die Härte und Rohheit, mit 
welcher fie die Gefälle von den untern Elaffen des Volks ohne die geringfte Scho⸗ 
nung und gewöhnlich zur unbequemften Zeit für-den Landmann durch Auspfüntuns . 
gen und Subhaſtationen beitreiben ließen. Es war dies nichts Zufülliges, fontern 
Shftem. Denn durch die Furcht nor den unausbleiblichen Swangsmitteln und 
durch das Schrecken, welches die Natur derfelben erregte, wollte man das fihnellere 
Entrichten der Gefalle bewirken. Diefe fehonungslofen Auspfändungen, diefe zahl⸗ 
reichen milwsirifchen Befeßungen, dieſe widerwärtigen Erecutionen zeigten dem 
Volke täglich das Bild eines von feindlichen Kriegern geplünderten Landes, “Dies 
waren mol reellere Urfachen ber allgemeinen Unzufriedenheit und der Revolution als 
die vorgeblichen Yufwiegelungen der philofophifchen Schriftfteller. 87. 
— - Beneralftaaten, ſ. Niederlande. 

‚ Beneration, Sefchlechtsalter, Drenfchenalter. In der alten Chrono: 
logie beffimmt man nach dem. Alter der Menfchen im Durchfchnitt die Zeiten. He⸗ 
rodot rechnet auf drei Dienfchengefehlechter 100 J., andre Schriftfteller "rechnen 
auf ein Mienfchengefchlecht 30, 28, 22, Dienys von Halitarnag 27%. Gewoͤhn⸗ 
lich rechnet man 30 Jahre. von | dd. 

Geneſis (griech.: Zeugung, Geburt, Entftehung) ward von den aleran: 
drinifhen Dolmetfchern darum das erfle Buch Mofis genannt, weil in demfelben 
von der Entſtehung der Dinge die Rede iſt. N. 

Genefung, ber lübergang von Krankheit zur Geſundheit. Die krankhafte 
Thaͤtigkeit eines einzelnen Organs oder Syſteins im Körper hat ihr Ziel gefunden, 
. bie unterdrückt gemefenen heben fich nieder. Die Tisharmonie der verfchiedenen 
Verrichtungen des Körpers löft fich allmälig wieder in die vorige Harmonie cuf, die 
überfpannten Thärigkeiten laffen,. durch Erfchöpfung ihrer Kraft oder durch Arzneis 
mittel beſchraͤnkt, allmaͤlig nach, die fchadhaften, dem organifchen Körper fremd: 
artig gewordenen Stoffe werden ausgefchieden und fortgeſchafft; Ruhe und Har⸗ 
monie der Verrichtungen des Drganismus mit dem Zwecke deffelben Eehren wieder 
zurüd, Diefer Zuftand fünge folglich fogleih nach der. heilfamen Krifis (f. d.) 
der Krankheit an, und endigt da, wo völlige Geſundheit wieder eingetreten iſt. “Die 
Krankheit verſchwindet nur allmälig aus dem Körper. Sowie im Innern des Dr: 

anismus gersiffe Veränderungen vorgingen, mittelft welcher die Krankheit von 
tufe zu Stufe bis zu ihrer Höhe flieg, ebenfo ift ihr Gang auch ſtufenweiſe wie⸗ 
"der rückwärts oft durch die nämlichen innern Vorgänge, Daher die Kranfheitszeichen 
“nur eins nach dem andern abnehmen, und zwar in unıgeßehrter Ordnung ihres Eins 
tretens, fodaß die zuleßt erfchlenenen zuerſt verſchwinden. Diefer Ruͤckgang von 
dem kranken Zuftande zum gefunden geſchieht bald in langſamern, bald in fihnellern 
"Schritten, je nachdem die Krankheit ſchwer oder nur leicht, ihr Verlauf langſam 
oder ſchnell, die Lebenskraft des Kranken ſtark oder ſchwach war, die Hülfe der 
Kunſt meniger oder mehr unpaffend oder zweckmaͤßig angervendet wurde u. f. w. 
"Der Senefungszuftand felbft ift auch verfchieden nach dem Charakter und der Form 
der Krankheit. So ift er z. B. anders nach einem: Entziindungs:, anders nach 
: einem Faul: oder Nervenfieber, anders nach einem Katarrh, anders nach einer Lun⸗ 
genentzändung u. f. w. Es erhellt aus allem Diefen, daß Geneſung noch nicht 
:Sefundheit felbft if; es iſt ein etgner zur Sefimdheit hinführender Zuſtand, der 
. jedoch ebenfo Leicht theils zur vorigen, theils zu einer andern Krankheit wieder übers 
- gehen kann, In die vorige Krankheit Farin: er zurückfallen (Recidiv), wenn tie 


— 


Genethliacon Genf 594 


Mittel zu bald ausgeſetzt werden, welche die Krankheit beſchraͤnkten, oder wenn 
Diatfehler begangen werden, welche den vorigen Krankheitszuſtand beguͤnſtigen. 
Sr eine andre Krankheit kann er übergehen, wenn die Mittel, welche den ber Kranfs 
beit entgegengefeßten Zuftand hervorrufen follen, zu lange fortgefeßt werden. Hier⸗ 
dutch kann der Kranke gerade in Die entgegengefegte Krankheit verfallen, der yon 
einem entzündlichen Fieber Geneſene kann 3. B. durch übermaß von Blutentziehung, 
oder fchroichenden Arzneimitteln In ein fogenanntes Faulfieber oder in ein heftifches 
Sieber verfallen u. f. w. Ferner kann durch Mangel an gehörigen diätetifchen Ders: 
halten, Übermaß in Speiſen und Setränfen, Erfältung, Störung der kritiſchen Aus⸗ 
leerungen u. dgl. der Ubergang in eine andre Krankheit befördert. werden. -H. 
Senerhliacon, ein Geburtstagsgedicht. — Genethliacus, Einer, 
der. fich damit befchäftigt, ‚bet der Geburt eines Kindes das Fünftige Schidfaf 
en aus yon Stände der Geſtirne vorberzufagen, ein Nativitaͤtſteller. (&. 
rologie. u 
j Senerifch heißt die Erzeugung betreffend, 5. B. genetifche Kraft, die Zeus 
ungestraft. Genetiſche Erklärung ift eine ſolche, die nicht bloß die Merkmale einer 
ache angibt, fondern zugleich ihre Entftehung barthuts genetifche Methode, welche 
einen Segenftand entftehen läßt oder in die Entftehung deffelben Einficht. gewährt, - 
- Genf (Genere), reforminter Canton der Eidgenoffenfhaft (dd DM, 
44,000 E.). Die Stade Genf; amı See gl. N. das helvetiſthe Athen, ift gut ges 
baut, wohlhabend durch Fabriken und Handel, befefligt, und bat 28,000 Einm. in 
1330 H. Die Rhone welche den Dee durchſtromt, tritt bei Genf aus demfelben 
und fordert die Stadt in 3 ungleiche, durch Brücken zufammenbängende Theile, 
In der blähenditen Periode zählte Senf 100 Uhrmachermeifter und gegen 8000: 
Arbeiter. Sept verfertigen nur noch 2800 Arbeiter fährt. 70,000 Ubren, und dar: 
unter 'die Hälfte goldene für 2,160,000 ſchweizer Franken. Die übrigen. Metall⸗ 
arbeiter liefern die zur Uhrmacherkunſt vrfoderlichen und andre mathematifche und: 
chirurg. Inſtrumente. Bedeutend find die Kunſtiverke der Sold:, Silber: und Bis 
jouteriearbeiter. Außerdem werben Biße, Wollenrücher, Muffeline, Goldbotten, ſei⸗ 
dene Zeuche, auch Porzellan verfertigt. Die Loge am Genferfee begünftigt den 
Zranfito:, die Nähe der franz. Grenze aber den Schleichhandel Genf erwarb auf 
diefe Weiſe fo anfchnliche Reichihümer, daß es 120 Mill, Livres meift inden franz. 
Sonde ftehen hatte, die bei der franz. Revolution zum Theil verloren gingen. Im 
Mittelalter war Senf einem Bifchofund einem Strafen unterworfen, welchefich ge: 
genfeitig ihre Rechte ftreitig machten. Das Necht der Grafen kam endlich an die 
Herzoge von Savoyen, melche bald die Bifchöfe auf ihre Seite zu: ziehen wußten. 
‚ Aber-auch die Bürger hatten von den Kaifern viele Freiheiten. Dadurch entftanden 
Streitigkeiten, weliche die von den Franzoſen gedrängten Herzoge nicht mit Nach: 
druck gegen die auch von den Schweizern begünfligten Genfer führen konnten. 1524 
entledigte fich die Stadt des herzogl. Vicedoms, und 9 J. darauf auch des Bifchofs, 
indem fieöffentlich zur reformierten Lehre übertrat. Mehre herzogl. gefinnte Fami⸗ 
lien sourden verbannt. Dafaͤr hatte fie lange gegen die Anfprüche dee Herzoge zu 
fümpfen , welche 1602 den leßten Verfuch machten, die Stadt durch eine überrum⸗ 
pelung in ihre Gewalt zurädlzubeingen, Das Unternehmen mißlang, und jährlich 
wurde ſeitdem zum Andenken daran am 12. Dec, das Escaladefeft gefeiert. 16083. 
endlich kam unter Vermittelung von Bern, Zürich und Heinrich-LV. son Frantreich 
ein Bergleich zu. Stande, kraft deffen Savoyen alten -Anfprüchen entſagte, und jene - 
drei Vermittler Genfs freie Berfaffung verbürgten. Diefe Berfaffung war ein Ge⸗ 
mifch von: Demokratie zınd Ariſtokratie. Die Bürger bildeten das Conseil général 
oder sonystaiu, welches die. ey agebende Macht haben und über die wichtigſten 
Staatsangelegen heiten entſcheiden follte. Ausbiefen Bürgern war ein Großer Kath 
von: 280, fnäter von 250 Perfonen, und aus Biefan: wieder tin Kleiner Roth von 





\ 


592 Genf 


95 Derfonen ımter dem Dorfiße des Syndidus geiegen. Diefe hatten die vollzies 
hende Macht, die Bermwaltung der dffenslichen Safe und die Beforgung der tüglis 
hen Geſchaͤfte. Schon 1536 war feftgefeßt worden, dag eine Sache, um an den 
Großen Rath zu fomınen, erft im Kleinen Rathe genehmigt, und um an die Bürs 

erfchaft zu kommen, zuvor im Kleinen und Großen Rathe gebilligt fein müffe. 
5 beftand die Kegierung lange zur Zufriedenheit der Bürger, bis fie allmaͤlig in 
Dligarchie ausartete; einzelne Familien bemächtigten fich der wichtigſten Amter 
ausfchliehlich und behandelten die Bürger als Gebieter. Die dadurch erzeugte Uns 
zufriedenheit äußerte fich im Laufe des 18. Jahrh. häufig in thätlichen Ausbrüchen 
und in,dem Wunſche nach einer gerechten Verfaſſung. Man nannte die Klagenden 
Representans, die Anhänger der Rathsfamilien aber Negatiſs. Das Übel mehrte 
fih noch durch die alte Verfaſſung Genfs, vermöge melcher die Einwohner in 8 
Claſſen getheilt waren, namlich in Citoyens, oder ſolche Bürger, die von ihren Vor⸗ 
Altern her Bürger waren und zu allen Amtern gelangen Eonnten, in Bourgeois. die 
von neuen, aus der Fremde gekommenen Bürgern, deren Nachkommen man erff die 
vollen Bürgerrechte ertheilte, abſtammten, und zwar in der allgemeinen Verſamm⸗ 
lung erfcheinen, aber weder in den Rath kommen noch Würden befleiden konnten, 
endlich in-Habitans oder ſchutzverwandte Einwohner, die. kein Bürgerrecht hatten; 
die Nachkommen der Legtern hießen Natits, Eingeborene. Alle diefe Tiaffen hatten 
Urfache zur Unzufriedenheit, und ebendadurch gelang e8 dem Kleinen Rath, fich Tange 
in feinen DBorrechten zu erhalten. Endlich kam es 1789 zu einem heftigen Auss 
bruche. Zwar wurde der Streit von den vermittelnden Mächten, vera von 
dem franz. Minifter Bergenneg, mit gewaffneter Hand zum Vortheil der Oligarchie 
entfchieden, aber die Folge davon war, daß viele Familien nach Konftanz, Neufſchatel, 
England.und Amerika auswanderten und ihren Kunftfleig dahin brachten, Eine. 


fpütere Revolution, 1789, ftellte zwar Die Bürgerrechte mit mehr Beſtimmtheit, 


als bisher es der Fall gewefen, roieder ber, und mehre Ausgeroanberte und Berwiefene 
kehrten zurüd, aber ſchon zeigten fich die nachtheiligen NBirfungen der franz. Revo⸗ 
Iution, und waͤhrend der Schredengzeit (1792) wußte der Nefident Soulavie, von 
ſ. Regierung unterflügt, die abfcheulichen Ssenen, welche damals in Frankreich 
wuͤtheten, auch bier hervorgubringen. Viele Bürger verloren ohne Proceß Heimath, 
Dermögen und Leben. Nachdem auf diefen Sturm eine Ruhe von enigen Jahren 
gefolgt war, befeßten 1798 franz. Truppen die Stade, welche am 47. Mai der Res 
publif Frankreich einverleibt und die Hauptftadt des Depart. Leman wurd. Am 
30. Dec. 1813 ging Senf mit Tapitulation an die Verbündeten über, Seitdem 
bildet es in der helvet. edgenoffenfchaft den 22. Canton; f. Berfaffung ift ariftos 
kratiſch⸗demokratiſch; ein 

. 21 Staatsräthen (nobles seigneurs) hat die vollziehende, der Repräfentationgrath 
von 276 Mitgl. die gefeßgebende Gewalt. Die Bermaltung ift fo mufterhaft, daß 
41829 alle Schulden des Sant. und der Stadt abgezahlt waren. Die Einm. zeichnen 
fich ebenfo ſehr durch wiffenfchaftlichen als durch Gemeingeiſt aus, und es erregt Ben. 
mwunderung, zu feden wie viel fie, bei befchränften öffentl. Mitteln, für Wiffenfchaft. 
und gefellfchaftl. Bildung thun. Unter den Privarvereinen nennen wir die Societe 
de lecture, den Verein für die deutfche Sprache, die Borlefungen über Literatır u. 
Sefchichte, den Kunft: und Muſikverein. Diefer vaterländifche Sinn erſtrect fich 
felbft auf die gemeinere Sloffe der Arbeiter, die ſich . DB. 1845, mo. ein- botanifcher 
arten. yon Decandolle angelegt: ward, ein Vergnügen daraus machten, die Treibe 
hauſer ıc. umſonſt zu erbauen, das erfoderliche Glas ohne Bezahlung zu diefern ıc, 
Die 1368 geftiftete Univerſitaͤt wurde 1538 durch Calvin und Beza erneuert Zu 
ihr gehören die öffentliche Bibliothek, eine auf der Baftion Ot.⸗Ant. 1829 errich⸗ 
tete Sternwarte, ein akadem. Muſeum der Naturgefchichte feit 1818, welches 
Sauffure’s Diineralienfammlıng, v. Haller's Herbarium, Picter’s phyſikaliſches 


taatsrath von 4 diesjührigen und 4 alten Syndicis und 


Genie | 593 
Eabinet sc. enthält. Die Kanſtlerin Rath trug 80,000 Fr. zuf Errichtung eines 
Prachtgebaͤudes bei, worin die Kunft: und Naturalienfammlungen aufgeftelle wer⸗ 
den follen. Auch wurde 1825 ein neues Strafarbeits: und Befferungshaus nach 
dem WMufter des zu Neuyork gebaut. Seit 1820 befteht im Canton Genf eine 
der Hofwyler ähnliche Landbauarmenfchule zu Tarra. Unter den Sehenswürdigs 
Eeiten in und um Senf zeichnen wir aus: das Haus, in welchem Rouſſeau gebos ” 
ren worden; Calvin’s Grabmal, ohne Inſchrift und Monument; Eyhard’e Pas 
laft; 2 Eifendratbbrüden; das bei Frankreich gebliebene Ferney, anderthalb 
Stunden von Genf, deffen untere Zimmer noch unverändert fo find, wie fie Vol⸗ 
taire bewohnte; die Öferfcher von Chamouny, eine Tagereife von Senf ıc Der 
soegen feiner maleriſchen Umgebungen berühmte See, von mehren Dichtern, wie 
von Matthiſſon und Lord Byron (im „Childe Harold“), befungen, deffen Lunge 
9 Dieilen und deffen größte Breite 7500 Klafter, der Spiegel aber 154 Meile bes 
trägt, bieß bei den Römern Lacus Lemanns; Er ift ſehr tief und fiſchreich, und 
friert nie zu, obgleich er 1126 F. über dem Meere liegt. ©. „Manuel topograph. 
et slalist, de la ville et du canton de Geneve” von Manget (Genf 1823); 

& e nie ift etwas fo Geheimnißvolles in der menfhlichen Natur, daß fich nur 
mit Schwierigkeit eine beftimmte Erklärung davon geben laͤßt. Seinen Namen 
hat es vom lat. Worte Genius, indem man glaubte, daß gewiffen mit vorzuͤglicher 
Geifteseraft wirkenden Menſchen ein höheres Wefen oder ein Genius beindohne wer 
fie begeiftere. Das Genie verbindet die efitgegengefeßten geiftigen Eigerifchaften, 
den eindringendften Tieffinn mit der Tebhäfteften unbilbungekraft, die größte Leb⸗ 
Baftigkeit mit dem raftlofeften Fleiß und der ausdauerndften Bebarrlichkeit, die hoͤch⸗ 
fie Kühnbeit mit der klarſten Befonnenheit, und äußert fich dadurch, daß es in irs 
gend einer Art menfchlicher Thaͤtigkeit etwas Ungemeines leiſtet, das Alte neu geftals 
tet oder Neues erfindet, und überhaupt in feinen Hervorbringungen Driginaf ift.. 
Daber ift Originalität eine nothwendige Folge der Senialität. (Der Ausdruck Orks 
gar enie ift ein Pleonasmus.) Buffon erflärte Genie durch aptilude nu travail; 

ie Genialität ſetzt voraus, daß der Miſch, in welchem fie angetroffen wird, mit 
einer höhern Seiflesfraft als andre Weſen feiner Gattung ausgeflattet worden tft; 
kraft welcher er neue Bahnen betritt, Sie gehört demnach nicht zu den allgemeinen 
Deftimmungen der menfchlichen Natur, fendern zu den befonderin Modificationen der 
Kräfte, wodurch einzelne Menfchen in ihrer Wirkſamkeit andre übertreffen, Mit Eis 
nem Worte, die Senialitir gehört als etwas Angeberenes zu der Individualitat, und 
da diefe unbegreiflich ift, fo ift auch die Senialität etwas Uinbegreifliches, Man ſtellt 
fie über das Kalent (f. d) im der gewoͤhnlichen Bedeutung: eine Anlage, Die in 
Hinſicht der Fähigkeit ju originellen Hervorbringungen wie in Dinficht des Lim: 
fangs und der Energie unter dem Genie ſteht. Ein Genie zeigt ſich aber nicht in als 
fen Arten menfehlicher Wirkſamkeit ale Genie, Der geniale Dichter z. B. iſt dar⸗ 
um nicht auch ein genialer Philoſoph, und der geniale Staatsmann darum nicht 
auch ein genialer Kriegsmarin. Dan unterfcheidet Daher verſchiedene Arten, als: 
Künftlergenie, roiffenfchaftliches, politifches, militatrifches Genie ıc.z und feibft die ſe 
Arten laffen fich wieder in Unterarten gerfällen, ſodaß z. B. Mozart ein muſikali⸗ 
fihes, Goͤthe ein Dichterifches, Rafael ein maleriſches, Newton ein mathematiſches, 
Kant ein philofophifches Genie sc. beißt: Ein Univerfalgenie im ſtreugſten Shine 
Bat es hie gegeben, und wird es auch nie geben, wenn man darunter ein folches vers 
ſteht, Las fish in allen Zeigen menfchlicher Wiſſenſchaft und Kunft bervorthur, 
denn das ift bei den Bedingungen, denen die Außerung jeder Thätigkeit des Men⸗ 
ſchen untertiegt, unmöglich. Beſchraͤnkt man hingegen die Bedeutung diefes Aus⸗ 
drucks auf die Faͤhigkeit, in allen Känften und Wiffenkhaften mit Erfolg zu wir⸗ 
ken, fo mürfen wir diefe jedem Genie, vermöge der harmoniſchen Ausbildung afler 
feiner Kräfte, zufprechet, und anneßmen, daß es in jedem Felde mit gleichem Erfolg 
Eonverfariends Eericon. BB, IV. j 88 





x 


594 | Genie 


fich gezeigt Haben wäre, wenn es feine Thatigkeit dahin hatte richten mellen. Zwar 
Haben große Künftler felten etwas Husgepichnetes auf dem Gebiete ter Wiſſen 
ſchaften geleiftet, Doch Bat es auch Dlärmer gegeben, welche in mehren Zweigen der 
Kunſt oder der Wiſſenſchaft zugleich wir Genialitat arbeiteten. Ze wor Michel 
Angelo ein ebenfe genialer Bildhauer als Maler, und Leibnig ein ebenfe greier 
Mathematiker als Philoſoph. Am gewohnlichſten wird ts ort Giente von 
Künfttern gebrawdt, und mit Recht, denn die Künfle find der eigentliche Wir⸗ 
fungstreis tes Senws, deffen von einer regen Einbiltungsfraft bewegte Kräfte 
gleichfam das Bedürfniß haben, fig in neuen Schepfungen zu äußern. — 
Genial nennt man, was dem Genie angehört, wis das Genie ankündigt; 
oft aber nennt man einen genialen Menſchen und Künſtler den, der fich dem 
NA annähert, aber deſſen Energie und Ausbildung nech nicht befißt, 
in epochemachenden Werfen äußert. 

Genien. Was bei den Griechen die Dimonen (f. d.), waren bei den 
Remern die Genien. Noch einem Glauben der Remer, fagt Wieland, der ihnen 
foſt mit allen Völkern des Erbbodens gemein mar, hatte jeder Dienfch feinen eignen 
Senius, d. i. einen Naturgeiſt, der ihn ins Leben einführte, ihm im Laufe deſſel⸗ 
ben immer zur Seite war und ihn wieder aus demfelben binausgeleitete. Die 
Genien der Weiber heißen Junonen; die Knechte ſchwuren bei dem Genius ihrer 

‚ die Maͤgde bei der “Juno ihrer Frauen, und das ganze romifche Rech beim 

Auguftus und feiner Nachfolger. Wie die Religion der Griechen und Ra: 
mer Gübirhaupt an keinen feften Schrbegriff gebunden, fentern in ihrem Glauben 
Alles unteftimmt, ſchwankend und willfürlich war, fo war auch über diefen Artikel 
nichts fefigefeßt; und wer Luft hatte, glaubte entweter 2 Senien, einen weißen 
und guten, dem er alles Glückliche, und einen böfen, ſchwarzen, dem er alles Wi⸗ 
dermärtige, was Ihn begegnete, zufchrieb; oder nur Einen, der, wie Horaz (Briefe, 
31, 2) fagt, weiß und ſchwarz zugleich, und, je nachdem fich der Menfch aufführte, 
ihm hold und unhold fei. Daher die Nedensarten: einen erzürnten Genius haben, 
feinen Genius befänftigen, feinem Genius gütlich hun u. dgl. Je nachdem der 
Senins eines Dienfchen flärfer, mächtiger, verfländiger, wachfamer, Eurz, je voll: 
kommener er f. eignen Natur nach, und je geivogener er dem Üienfchen war, der 
unter feinem Schutze und Einfluffe lebte, je beffer fland es ıun Diefen Dienfchen, 
und je größer waren f. Borzäge vor Andern. &o warnte z. B. ein ägpptifcher Geis 
fierfeher den Antonius vor ſ. Eollegen und Schwager Octavianus. Dein Genius, 
fügte er, fürchtet den feinigen. Zwar ifl er von Natur groß und hohen Muthes, 
aber ſowie er fich dem Genius die ſes jungen Dienfchen nähert, ſchrumpft er zuſam⸗ 
men, wird Flein und feig, “Der Haube der Alten an die Senien (denn nicht nur 
jeder Menſch, fondern jedes andre natürliche Weſen hatte den feinigen) war ohne 
Zweifel eine Folge ihrer Borflellungsart von dem allgemeinen, fich Durch die ganze 
Körperroelt ergießenden göttlichen Seifte. Das, was jedem Dinge Beflandfraft, 
innere Regung, Begetation, Leben, Gefuͤhl und Seele gab, war ein Theil diefes ges 
sueinfchaftlichen Naturgeiftes; daher nennt Horaz den Genius den Gott der menfche 
lichen Natur. Er iſt nicht der Menſch ſelbſt, aber er ft Das, mas Jeden. zum ind ivi⸗ 
duellen Menſchen macht. Seine Perfönlichfeit ift an das Leben dieſes Menfchen ges 
heftet; und foreie dieſer ftirbt, verliert fich fein Genius wieder in dem allgemeinen 
Deean der Geiſter, aus welchem er, bei deffen Seburt, ausgefloffen war, um der 
Portion von Materie, woraus diefer Menſch werden follte, feine individuelle Form 
zu geben, um diefes neue Gebilde zu beleben und zu befeelen, Daher nennt ihn Ho⸗ 
80} mortalem in unumguodque caput. Da die Griechen alle unfichtbare Dinge 
und alle abgezogene Begriffe mit fchönen menfchenähnlichen Seftalten zu befleiden 
gewohnt waren, fo erhielt auch der Genius der menfchlichen Natur Me feinige, Er 
wurde als ein Knabe, oder in dem Alter zwiſchen Knaben und Zuͤngling, miteinem , 


nr 


Genlis 695 


geftirnten Gewande leicht befleidet, umd mit Blumen oder einem Zweige von Mas⸗ 
holder umfrängt, oder auch nackt und geflügelt abgebildet, wie der Genius in der 
Dilla Borgheſe, von beffen Schönheit Winckelmann fo entzüdt war. 

SG enlis (Stephanie Fekicit- Ducreft de St: Aubin, Marguife von Sillery, 
Gräfin v.). Diefe beliebte und fruchtbare Echriftftellerin, geb. in ber Gegend von 
Autun 1746, war ale Madem. de St.⸗Aubin, ihrer Schönheit und ihres mufifa: 
Kifchen Talents toegen, in großen Käufern gern gefehen, wo fich ihr Beobachtung: 
geift und ihre Weltkenntniß ausbildete. Graf Genlis, der fie nie gefehen, aber von 
ungefähr einen Brief von ihr las, ward durch den Styl deffelben fo entzückt, daß er 


. dem armen Fräulein f. Hand anbot. Die nunmehrige Gräfin erhielt als Nichte 


der Frau v. Monteffon Zutritt m dem Haufe Orleans und wurde 4782 Gouver⸗ 
nante der Kinder des Herzogs. Als folche fehrieb fie das „Theätre d’education“ 


(4739), „Adele ei Theodore” (1782), die „Veilldes du chäteau” (4784) und. 


die „Annales de la vertu” (17183): Erziehungsfhriften, für die fihon der Ruf 
und die Stelle der Verf. die allgemeine Kufmerkfamteit gewannen, Sie leitete 
das ganze Erziehungsgefchäft und nahm auch an andern Berdältniffen des Haufes 
Orleans Theil. Man fiebt aus ihren Schriften, daß fie die Revolution Tiebte, 
dag fie Petion und Barrere bei fich gefehen und den SJakobinerfigungen beigemohnt 
babe. Doch verließ fie Frankreich ſchon 1791. In ihrem „Precis de ma con- 
Auite” erzählt fie, daß Petion fie nach London geführt habe, damit fie auf der 
Reiſe kein Hinderniß fande. Um die Zeit der Septem orde (1792) rief fie der 
Herzog v. Orleans nach Paris zurüd, Allein als Führerin der Jungen Herzogin v. 
Orleans und als angebliche Vertraute des Vaters war fie verdächtig. Sie ging 
daher mit der Prinzeffin nach Tournay, wo fie bie fehöne Pamela, ihre Adoptivs 
sochter, mit Lord Fißgerald vermählte. Hier fah fie [ven General Dumourieg, 
auch peigte fie ihm nach St.:Amand. Da fte den Plan diefes Generals, bei dem 
fich die Söhne des Herzogs von Orleans befanden, gegen Paris zu marfehiren, um 
die Republik zu ftürzen, nicht billigte, begab fie fich im April 1793 mit der Prin⸗ 
effin in die Schweiz und lebte in einem Klofter zu Bremgarten, einige Meilen von 
Barich, Als ſich aber nachher die Tochter des Herzogs v. Orlearis zu ihrer Tante, _ 
der Prinzeffin v. Sonde, nach Freiburg begab, ging fie mit ihrer noch einzig übri: 
en Pflegetochter, Hentiette Sercey, 17194 nach Altona, wo fie in Elöfterlicher 
Eimfampeit der Literatur lebte. Auf einem Landgute im Holfteinifchen fchrieb fie 
bie „Chevaliers du Cygne” (Hamb. 1796), einen Roman, der viel republifani« 


ſche Äußerungen und freie Schilderungen enthält, Er erfehien 1805 zu Paris in 


ſehr veränderter Geſtalt. 1795 gab fie den „Précis de la conduite de Mad; de 
Genlis” heraus, Am Schluffe befindet fich ein Brief an ihren Alteflen Zögling, 
worin fie ihn ermahnt, die Kröne, wenn fie ihm angetragen würde, nicht: anzuneh: 
men, meil die franz, Republik auf moralifchen und gerechten Grundlagen zu ruhen 
feine, Als Bonaparte an die Spiße der Regierung trat, kehrte fie nach Franfs 
reich zurüd, und erhielt von ihm eine Wohnung und 1805 eine Penfion von 6000 
Fr. Er felbft befümmerte ſich nicht um fie, und als fie für ihre Penfion doch Etwas 
thun wollte, fagte er: „Nun gut, fie mag alle Donate an mich fehreiben”, Hier: 
auf ſchrieb fie ihm über Titerarifche Segenftände, Ihre Werke (an 90 Bde), unter: 
welchen das „Théatro d’education”, „Mlie, de Clermont‘ und „Mad, dela 
Valliere” die vorzüglichften fein moͤchten, jeichnen fich durch gefüllige Schreibart 
tmd edle Orundfüge aus; Die meiften find auch ing Deutfche überfegt, Paliſſot hat 
inf; „Memoires litteraires” die Frau. G. mit andern berühmten Schriftfteller 
rinnen verglichen. Unftreitig kommt fie der Frau v. Stael nicht gleich, was Kraft, 


Erhabenheit und wirkliches Wiſſen anlangt. In der Erfindung, in der Zeichnung 


der Charaktere und in dem Darftellen ber Leidenfcheften wird fie von Mad. Cottin _ 
übertroffen, Auch der Grau v. Flahault⸗Soina flieht fie nach, Fi die. natürlich 


z 


‘596 Ä Genoveva 


lebendige Darſtellung im Einzelnen betrifft. Insbeſondere hat Frau v. G. die 
Gattung des hiſtoriſchen Romans bearbeitet. Eine vortheilhafte Charakteriſtik von 
ihr gab Lady Morgan in ihrem Buche über Frankreich. Sie ſelbſt Hat ſich aber 
Dieles und fehr breit ausgefprochen in den „Mcmoires inedits.de M. la comıt, de 
Gendis, sur le Ä8me siecle et Ja sevolntion, francaise depuis 1756 jusqu’a 
nos jours” (Maris 1825, 8 Bde., auch ins Deutfche uͤberſ.). Seitdem fchrieb 
die 83jährige Frau „Les soupers de la maréchale de Luxembourg” 1828, - 
worin fie die Philoſophen mißhandelt, und die, „Voyages de Nelgis“ (Oenlie). 
- Genoveva I, (Ste.-Geneviere), geb. zu Manterre, 2 Stunden von 
Maris, 423, um die Zeit Pharamund’s, des erſten Königs von Frankreich. St.⸗ 
Germain, der Bifchof von Augerre, bemerfte an ihr einen befondern Beruf zur’ 
Heiligkeit, und rieth ihr, das Gelübde ewiger Jungfräulichfeit zu thun, wel⸗ 
ches fie auch dem Bifchof von Paris ablegte. Mach ihrer Altern Tode begab fie 
fich nach Paris, Sjedermann wollte bier flüchten, als Attila mit feinen Hunnen 
in Frankreich einbrach; ©. trat auf mit der Verfündigung völliger Sicherheit, 
mofern man fie Durch eifrigeg Gebet erflehe. Attila 309 aus der Champagne nach 
Orleans, ging von da nach Thampagne zurüd, ohne Paris zu beräbren, und 
sourde Abi gefchlagen, Dies gründete den Huf der heiligen Genoveva. Bei eis 
ner Hungersnoth fuhr fie auf der Seine von Stadt zu Stadt, und brachte 12 
große Schiffe voll Korn zuruͤck, das fie unentgeltlich unter die Nothleidenten ver: 
theilte; dies befeftigte ihr Anfehen, und fie wurde von Meroväus und Chilperich 
ſehr hoch gehalten. ‘Zum Rufe ihrer Heiligkeit trug übrigens nicht wenig bei, 
dag fie von ihrem 15. bis zum 60. J. nichts als Serftenbrot, und nur alle 2 — 
3. Mochen en Mal Bohnen, nach ihrem 50. J. aber erft etiwas Fifch und Deich 
genoß, 460 erbaute fie über den Gräbern des heiligen Dionyſius Ruſticus und 
Eleutherius bei dem Dorfe Chaſtevil eine Kirche, und Dagobert fliftete nachher 
bier die Abtei St.» Denys. 499 oder 501 farb fie und wurde in der unters 
irdifchen Capelle beigefeßt, welche St.⸗Denys den Apofteln Paulus und Pe⸗ 
trug geweiht hatte. Clodwig hatte auf ihre Bitte eine Kirche dartiber erbaut, 
welche nachher, ſowie die dabei gefliftete Abtei, nach ihr benannt wurde. Zine 
andre Kirche diefer Heiligen wurde an die Kirche Notre:Dame angebaut. Ihre 
Reliquien werden in der erften verwahrt. Die Kirche feiert ihr zu Ehren den 8, 
Ian, als ihren Soterbetag, 11. Die Heilige Pfalzgrafin Genoves 
va, geb. Herzogin von Brabant, wurde von- ihrem Semahle Siegfried, der 
r Zeit Karl Martells um 730 lebte, angefchuldigten Ehebruchs halber zum 
ode verurtheilt, aber durch den Schuß des Himmels gerettet, worauf fie 6 %. 
in einer Höhle der Ardennen von Kräutern lebte und ihren Sohn von einer Reh⸗ 
kuh nühren ließ, bis ihr Gemahl fie roieder fand und heimführte. Bon ihr erzähle 
unfer Volksbuch: Eine fehöne anmuthige und leſenswürdige Hiftorie von der uns 
ſchuldig betrengten beit. Pfalggräfin Genoveva, wie es ihr in Abweſenheit ihres 
berzlieben Ehegemahls ergangen” (Köln und Mürnkerg), „Unter allen Büchern 
—* Gattung”, ſagt Gorres, „iſt die Genoveva durchaus das geſchloſſenſte und 
am meiſten ausgerundete, ſtellenweiſe ganz vollendet und in ſ. anfpruchslofen Natuͤr⸗ 
lich£eit unübertrefflich ausgeführt, int Ganzen in einem rührend unfehuldigen Tone 
gehalten, kindlich, ungeſchmuͤckt und in fich felbfl.befchattet und erdunkelnd in heis 
ligem Gefühl. Und fo war es denn werth, 2 Dichter zu begeifternt Tieck, der 
uns in f. Gedichte die remantifche Liebe in einem zarten Luft⸗ und Sluth:Farbens 
gemebe aus einer lichtklaren Dorgenröthe Eunftreich zur Geflalt gebildet zeigt, und . 
den Maler Müller, in f. Fragmente, der die Heilige als eine Hünenjungfrau vom 
Kigfengebirge malt". Das Volksbuch ift gearbeitet nach der Schrift des Pater Ceri⸗ 
ziers: „Winnocence reconnue!” das in einem gefehraubten Tone die Begebenhei⸗ 
zen erzählt und fich dabei auf des Puteanus „S. Genoverae kconisınus”, Roder's 


Genſerich - Gens 597 


„Bavaria pia“ md Nubert le Mire's „Ohronicon beigicum a Jul. Caesare ad 
aunnm 1636”, als ſ. Gewaͤhrsmaͤnner beruft. Der deutfche Bearbeiter bat, indem 
er das Buch zum Grunde legte, eine verfländige Auswahl und zugleich den Ton ges 
troffen, ber. einer Schrift dieſer Art zukommt. Ä dd, 
Senferich, König der Vandalen (f. d.), 
- Bent (Gaud), Hauptft der niederländifchen Grafſch. Oftflandern, vormals 
der ganzen Grafſchaft Flandern, ſowie nachher des oͤſtr. Antheils an diefer Graf: 
ſchaft, eine wohlgebaute Stade am Einfluß der Lys, Lievre u. More in die Schelde, 
iſt durch Sanäle in 26 Inſeln mit 85 Brüden getheilt, und hat 10,000 H. und 
66,000 E. und viele Manufacturen in roollenen und baummollenen Zeuchen, Lein⸗ 
wand, Tuch, Hüten, Leder u. a. Gent konnte zu den Zeiten Philipps von Valois 
und Karls VI. 50,000 M. ins Feld ftellen. Sie verlor ihren Glanz unter Kaiſer 
Karl V., deſſen Geburtsort fie war. libermäßige Abgaben brachten 1539 die Einw. 
* den Entſchluſſe, ſich König Franz I, von Frankreich zu unterwerfen. Allein 
ranz gab Karl hiervon Nachricht, worauf diefer 30 der vornebmften Bürger bin: 
richten ließ, viele in bie Acht erklärte, die öffentlichen Gebaͤude einzog, alle Privile⸗ 
gien zurücknahm, eine Strafe von 1,200,000 Thlr. ausfchrieb und eine Citadelle 
anlegte. Merkwuͤrdig ſind die Domfirche, 55 andre Kirchen, das Stadthaus, die 
Eitadelle, das Srafencaftell,. der Prinzenhof, die Börfe u.a.m. England ſchloß 
bier mit den Verein. Staaten den Frieden vom 21. Dec, 1814. Gent bat eine 
.1816 gefliftete Univerfität, wichtige Lehr⸗ und Bildungsanftalten, wiſſenſchaftl. 
Kunft-u. a. Vereine, auch eine jährliche Kunſtausſtellung. 
Gentlem an heißt in England jeder Mann von guter Erziehung, anftin: 
digen Sitten und einem Betragen, das achtbare Sefinnungen ankündigt, ohne 
daß gerade die glängenden Eigenfchoften des anziehenden Sefellfchafters nothwen⸗ 
dig darin eingefchloffen mären; es bezeichnet Daher nicht fomwol einen auf Herkunft 
oder ang gegründeten Borzug, als vielmehr die auf Würbigkeit beruhende Gel⸗ 
sung des Menfchen in der Sefellfchaft, und ſteht der in Sitte und Betragen fich 
äußernden Semeinheit und Rohheit des Gemüths entgegen. Nach den Begriffen 
des Engländers erfcheint der Gentleman überall würdig, und feine Bildung ftellt 
den Mann von dunkler Herkunft dem Ahnenreichften gleich, da auch die Anficht, 
daß das gelungene Bemühen, fich die Außern Vorzuge des gebildeten Mannes ei: 
en zu machen, alle bürgerliche Ungleichheiten aufhebe, durchaus Volksdenkart iſt. 
weilen wird, das Wort andern Beneniflingen vorgefeßt, um Anfpruch auf Aus: 
zeichnung anzudeuten, mit z. B. Gontleman-Gommoner auf den engl. Univerfitä- 
ten. ein Student heißt, der von eignem Vermögen fich. erhält. In der Mehrzahl 
Oentlemen (meine Derren) gebraucht man das ort in der Anrede an Mebre, als 
Erfag für die dem Worte Sir (Hert) mangelnde Mehrzahl. j 
entry bezeichnet den niedern Mdelin England(fd). - 

& en 8 (Friedrich v.) Publicift und politifcher Schriftfteller, geb. zu Breslau 
3764, it k. k. Hofrath (beider Hofzund Staatskanzlei) zu Wien und Ritter vieler, 
Orden, Sein Batemmwar zulegt Seneraldirector der Münze in Berlin; f. Mutter 
eine geb. Ancillon. In Breslau und Berlin erzogen, fludirte ©, in Königsberg, 
1786 wurde er in Berlin bei dem Seneraldirectorium als Secretair angeftellt, er⸗ 
hielt dann den Titel Kriegsrath und heirathete die T. des Oberbauraths Gilly. 
Seit 17186 machte er ſich bu pbitofoph. und hiftorifche Auffüge in Journalen bes 
kannt; f. überſ. von Burke's „Betracht. üb, die franz, Kevolutton” (2 Thle., 1793, 
m. Bemerk. und Abhand., 3, Aufl,) gründete f. Ruf. Noch überf, er Shriften 
von Molket du Pan 1794, von Ivernois 1796 fg, und von Mounier („Entwickel. 
der Lirfachen, welche Frankreich gehindert haben, zur Freiheit zu gelangen”, A Thle., 
17198). Uber die erfchlichenen Shterfihentungen in dem neuerworbenen Südpreus \ 
ben ud über andre Mißbraͤuche in der dortigen Verwaltung erklärte er fich freiz 


59 Genua 
muthig in einigen Denkſchriften. In gleichem Sinne verfaßte er das nach jeht nicht 
vergeſſene „Schreiben an den König Friedr. Wilh. III., bei deſſen ehren ieune 
46, Nov. 1797”. 17199 und 1800 gab er das „Hiſtoriſche Fournal!‘ heraus, das 
fort ganz von ihm verfaßt ift, Die wichtigften Auffige deffelben wurden ins Franz. 
Aberf. u. d. T, „Essai actuel de l’administration des tinances de I» Gr,-Bre- 
tagne” (Hamb. 1804, und erhielten den Beifall von Pitt:u.a. brit. Staatsmaͤn⸗ 
nern, Auch f. Schrift von dem polit. Zuftande Europas vor und nach der franz. 
Revol. (1801) ward ins Engl. überf. In ſ. „Betrachtungen über d. Urfprung 
und Charakter des Kriegs gegen die franz. Mevolut. (1801) erklärte er fich gegen 
den Frieden mit Frankreich, Das Entfchtdigungsgefchäft in Deutfehland ſtimmte 
ebenfo wenig niit ſ. pofitifchen Anfichten überein. Er ging daber 1802 nach Wien, 
100 der Minifter der auswart. Angel, Graf v. Stadion, f. Brauchbarkeit fehäßte, 
Vorher begleitete er den brit. Diinifter am dresdner Hofe, Ellior, nach England, 
Als die Sranzofen 1805 von Ulm gegen Wien vordrangen, ging ©. nach Dresden, 
wo er im Mai 1806. „Sragm. a. d. Geſch. des polit. Sleichgewichts von Europa“ 
(©t.:Petersb, 1806) herausgab. Auch erfehien 1806 f. „Authent. Darftell. des 
Berhältniffes zroifchen Spanien u, England.” Jene Fragm. waren f. legtes Buch, 
Seitdem verfaßte er Stanatsfchriften (Preußens Manifeit gegen Frankreich 1806 
und Oſtreichs Manifeſte gegen Frankreich 1809 u, 1813) und andre Auffige für 
das k.k. Sabinet, gegen Sranfreich und fpäter gegen die Meinung f. Zeitgenoffen. In 
dem „Oftreich. Beobachter” find viele Auffüge von ibm, an def ihmeigenthümlichen 
politifchen Dialektik und Darftellungsgabe erkennbar. Bei dem Wiener Congreß und 
bei den Miniſterconferenzen zu Paris 1415 führte er als erfter Secretair das Proto⸗ 
koll, ſo auch beiallenfpätern Congreffen, zulegt in Verona. Im 1. St. der nach ſ. 
Rathe begründeten „Wiener Jahrb. der Literatur”, 1818, trat Hr. v. G. mit einer 
(feitdem % fortgefüßrten) Kritik über die Preßfreiheit in England und über den 
erf. von Yunius's Briefen auf. In einigen Beurcheihmgen der Schriften von 
de Pradt, Guizot u. A, glaubt man ebenfalls die Feder diefes Schriftftellers zu ers 
Bennen, deffen Talent für die politifche Rhetorik H. v. Woltmann ge 77— 
Di De wird über den Charakter ſ. Einfluffes auf die Politik f. Seit ihr 
urtheil füllen. 
®enua ital. Genova, franz, Genes), fardinifches Herzogthum und Stadt 
am mittellind. Dieere, das hier den Meerbufen von Genua bildet; die Stadt bat 
15,000 H., 80,000 €, und eine Stunde im Durchmeffer. Auf der Landfeite ift fie 
mit doppelten Befefligungen umgeben, von welchen die äußern über die Anhöhen, 
welche der Stadt fehaden koͤnnten, geführt worden find. Der geräumige, befeftigte 
und durch 2 Dümme eingefchloffene Hafen, den die Stadt im Halbkreis umgibt, iſt 
feit 1751 ein Sreihafen. in dem innern Eleinen (Darfeng genannt) fins 
den die Galeeren Sicherheit bei jedem Winde. G. führt den Beinamen die Praͤch⸗ 
tige, Stolze (là Superba), teils wegen ihrer amphitbeatralifchen Lage am Meere 
und dem Abhange des Sebirges, theils wegen der prächtigen Gebäude, weiche der 
reiche Adel aufführte. Bon ter Seefeite bietet die Stadt eine herrliche Anficht, aber 
troß ihrer vielen Palaͤſte kann man fie doch nicht fehon nennen, Wegen des engen 
Raums, den fie einnimmt, und regen der abhängigen Lage find die meiften Stra⸗ 
enge, ſchmutzig und fo fleil, daß man in wenigen fahren oder reiten ann. Das 
macht man die Befuche in Sanften, welche man bei gutem Wetter fich nach: 
tragen läßt. “Doch gibt es auch breite gerade Straßen, befonders die Straße Balbi 
und die prüchtige Nova und Novissima mit vielen, von Außen mit Marmor beflei: 
deten Palüften. Unter ten Gebauden zeichnen fich aus: die Domfirche, der Palaſt 
des ehemaligen Doge, die Palifte Doria, Burago, Briqnole und Balbi, das 1817 
wiederhergeſtellte Jeſuitencollegium und der für 3000 eingerichtete Al- 
bergo de poveri, Die Stadt hat eine Waſſerleitung, welche derch Spri 


| Genua | 599 
fie mit Waſſer verforgt; und fehöne Spaziergänge. Betrachtlich iſt der Handel mit qu⸗ 
tem Olivenöl .ınd edlen Baumfruͤchten; auch gibt es anfehnliche Fabriken von Sei⸗ 
denwaaren, befonders in ſchwarzen Zeuchen, Sammet, Damaſt und Strümpfen, die 
etwa 1500 Stühle unterhalten, in Tuch, in baumwollenen Strümpfen, Hüten, 
Nudeln (Macaroni), candirten Früchten, Chocolade, Bleiweiß u. 4. Die Seide 
wird theils im Lande gewonnen, theils aus dem übrigen Italien, befonders aus Ca⸗ 
labrien und Sicilien, fowie ans Syrien und der Inſel Cypern gezogen. G. iſt der 
Sitz eines Erzbifchofs, eines Senats, Ober: und Handelsgerichts, einer Univerſitaͤt 
. (geftiftet 1812),. dreier gelehrten Bereine, einer 1816 beflätigten Handelsgefelk 
fihaft, der St.⸗Georgendank und einer Mafinefehule, Hier gründete der Pater 
Affarotti (farb 1829) die erfte Taubftummenanftalt in Italien. Der ehemalige 
Sreiftaat, jeßt Herzogthum Senua (110 M., 600,000 Ein.) grenzt ges 
gen Abend und Ditternacht an Savoden, Piemont und die Lombardei, gegen Mor⸗ 


gen an Lucca und Toscana, gegen Mittag ans Meer. Das Land ward in den öfls. 


lichen und weſtlichen Theil (Kiviera di Levante und Riviera di Pouente) abges 
theilt. In jenem liegen Genua, Seſtri di Levante; in diefem Vintimiglia, San 
Remo, Savona, Finale. Kings der Nordſeite ziehen fich die Apenninen (f. Boc⸗ 
chetta) und erfireden fich in einzelnen Nebenaſten bis zus Küfte. Diefer Lands 
ſtrich iſt ungeachtet feines gebirgigen Bodens fehr fruchtbar. Der. Adel zeichnet fich 
durch Kenntniffe und feine Sitten, das Volk durch Arbeitfamkeit und Muth aus, 
Die älteften Bewohner des Landes waren die Ligurier, welche zroifchen dem erften 
und zweiten punifchen Kriege von den Römern befiegt wurden. Nach dem Unter: 
Gange des weitrömifchen Reiches gehörten fie d dem Longobardenreiche, und. far 
nen mit dieſem unter fränkifche Herrfchaft. Nach dem Verfalle des Reichs Karls 
d. Br. frere Senua fih in Freibeit und tbeilte bis ine 11. Jahrh. das Schidfal 
der lombardifchen Stadte. Die Lage der Stadt begünftigte den Handel, und früher‘ 
noch ala Venedig trieb fie Levantehandel. Ermerbungen auf dem feften Lande gas 
ben im Anfange des 12. Jahth. Anlaß zu blutigen Kriegen mit.den gewerbfleigigen 
und handelsluͤſtigen Bewohnern van Pia, welche ihre Grenznachbaren wurden, 
nachdem G. des Golfo de Ta Spezzia fich bemächtigt hatte, 1174 befaß Die mächs 
tige Stadt ſchon Montferrat, Monaca, Nitza, Marfeille, faft die ganze Küfte der 
- Provence und die Anfel Corſica. Der Kampf mit den Plfanern dauerte über 200 
jahre, und nicht ehe wurde Friede gefchloffen, als bis.die Genueſer die Synfel Elba 
erobert und den Hafen von Piſa zertlört harten. Nicht minder heftig waren die Feh⸗ 
den gegen Benetig, die erft 128% durch den Friedew zu Turin geendigt wurden, 
Sowie die Herrfchaft über den weſtl. Theil. des mittelländifchen Meeres der Gegen⸗ 
fland des Kampfes mit Pifa war, fo ward in dem Kriege gegen Venedig um den 
Beſitz des äftt. Theils, nach welchem beide Freiſtaaten ftrebten, gefämpft. Die Ges 


nuefer fchloffen Daher Handelebündniffe mit den Miorgenländern. Am böchften flieg 


ihre Handelsmacht zur Zeit der Erneuerung des griechiſch⸗byzantiniſchen Reichs, 
gi 4261. Bei der Hnshätigkeit derreichen Bewohner yon Konftantinopel hatten die 

enuefer ſchon längft großen Antheil an dern Handel der griech. Staaten gehabt, 
Dadur aber, daß fich die Genueſer der Stadt Kaffa (ſ. d., jeßt Feodofia) auf 
der Erimifchen Halbinſel bemächtigten, erhielten fie auch die Herrſchaft über 
das ſchwarze Meer, und bezogen über das kaspiſche Meer die koͤſtlichen Waaren 
Indiens. Hätte Genua ein weis Colonialſyſtem eingeführt und feine Niederlaf 
fungen zu einem Sanzen zu verbindeh und feit an den Mutterſtaat zu Enüpfen ges 


x 


mußt, fo würde esam Ende des Mittelalters die erſte Rolle als Handelsmacht ges . 


g 
foielt Haben. Nach dem Falle Konſtantinopels durch Mohammed IT,, 1453, büß- 
ten die Genueſer bald für den unklugen Beiftand, welchen fie den Türken geleiftet 


* Batten. Mo d i 4415) ihre Niederla ‚om Meere. 
Batten hammed nahm ihnen (1475) ihre Nieder fung on —e ——ã—e— 


Sie trieben zwar, quch nach dem Verluſte des Herrſchaft 


r 


600 : Genua 


. 4 « | 
geraume Zeitteinen gewinnreichen Handel mit den Anwohnern deffelben, aber end⸗ 
lich wurde ihnen von den Türfen der Zugang zu dieſem Handelsroegeyanz verfchlof 
fen. Selbft die Handeleverbindung, welche die Erunifchen Tataren noch eine Zeit 


lang durch ihre eignen Schiffe mit Genua unterhielten, ward bald von der eifers 
- füchtigen Beforgniß der Türken für immer aufgehoben. Während Senuas Macht 


‘ 


und Handelsrang durch Ländererwerbungen und Gewerbfleiß fich fo boch erhoben, 
ward das Innere des Staats von Unruhen und Parteiwuth geftore. Demokraten 
und Ariftofraten, und unter den Ariftofraten felbft verfchiedene Parteien, unterbiels 
ten fortdauernd unrubige Bewegungen. 1339 warkgein lebenslänglicher böchfter 
Staatsbeamter, der Doge, von dem Wolfe erwaählt. Aber er hatte nicht Macht 
genug, die Parteien zu verfühnen. Endlich wurden ihm Käthe zur Seite gefeßt; 
allein bei allen Verſuchen, eine fefle Staatsordnung einzuführen, war fein Friebe 
im Innern, ja man unterwarf fich fogar, um aus der Anarchie bes fleten Partei⸗ 
tampfes ſich zu retten, einige Dale fremder Herrfchaft. Mitten unter diefen Uns 
ruben ward (1407) die Georgsbank (Gompera di 8. Georgio) geftiftet, welche 
aus den Anleihen, die der Staat zu f. Bedürfniffen von reichen Bürgern machte, 
entffand, und von den abwechfelnd' berrfchenden Parteien gewiffenhaft aufrecht 
erhalten wurde. 1528 erhielt endlich der gaͤhrende Staat Ruhe und eine bleibende 
Ordnung, welche bis zu Ende des 18. Jahrh. fortdauerte. Die Kegierungsform, 
war fireng ariftofratifceh. Das Oberhaupt des Staats war der gewählte Doge, 
Er mußte 50 Jahr alt fein und wohnte im Palaſte der Nepublif (Palazzo della 
Signorin), wo auch der Senat fich verfammelte, Der Doge hatte den Vortrag 
tm Senate, der fich in demfelben Palafte verfammelte. Ohne f. Einwilligung 
konnte fein Rathsſchluß gefaßt werden, und die Stantsverordnungen wurden in fi 
Damen gegeben. Er blieb nicht länger als 2 Jahre im Amte, dann ward er wieder 
Senator und Procurator; nach 5 Jahren konnte er wieder zum Doge erwaͤhlt wer⸗ 
den. Ihm zur Seite flanden 12 Sovernatori und 8 Procuratori, nicht gerechnet 
Diejenigen, welche Dogen geweſen waren, . Jede diefer Würden hatte eine Dauer 
von 2 Jahren, Sie bildeten den geheimen Kath, der mit dem Doge alle Staates 


“ fachen beforgte. Die Procuratori waren die Auffeher des öffentlichen Schaßes und 


der Staatseinfünfte. Die fouveraine Gewalt befaß 1) der aus 300 Sliedern 
beftehende große Kath, zu welchem alle genuefifche Edelleute, die 22 Jahre alt was 
ren, gehörten;. 2) der Eleine Kath von 100 Gliedern. Beſ'de hatten das Recht, 


mit den Sovernatori und Procuratori über Gefege, Zölle, Auflagen und Steuern 


u berarhfälagen, und in diefen Fällen ward durch Stimmenmehrheit entfchies 
en. liber Krieg, Frieden und Bündniffe ward nur im Eleinen Rathe verhandelt, 
und wenigftens 4 Fünftheile der Glieder mußten einftimmig fein, wenn ein Schluß 
abgefaßt werden follte. Der Adel ward in den alten und neuen abgetheilt. Zu 
dem alten gehörten außer den Sefchlechtern Srimaldi, Fieschi (vgl. Fiesco), 
Doria, Spinola, noch 24 andre, die an Alter, Reichthum ımd Anſehen jenen am 
nächften fanden; zu dem neuen Adel aber 43T Geſchlechter. Der Doge Eonnte 
aus dem alten wie aus dem neuen Adel genommen werden. Mach und nach hatte 
Senua feine auswärtigen Befißungen verloren; Corfica (f. d.), bie leßte, empürte 
fi 1730, und ward. endlich, 1768, an Frankreich abgetreten, Als die Franzoſen 
1797 die benachbarten Länder fich unterroorfen hatten, konnte die Partetlofigkeit, - 
welche die Republik firenge beobachtet hatte, das ſchwankende Staatsgebäude nicht 
fehüßen.. Bonaparte gab ihr eine neue an, welche auf die Grundfüge: 
des franz, Repräfentativfpftems gebaut war. _ ag: Jahre fpäter fiel ein ThHeif 
des genuefifcehen Gebiets wieder in die Gewalt der Oftreicher, aber der Sieg von 
Marengo entfchied auch Genuas Schickſal. Es erhielt eine proviforifche Megie: 
rung und 1802 eine neue Berfaffung als Figurifche Republik, Dem Dogs 


fanden zur Seite 29 Sengtgren und als Bolksrepräfentasign eine Conſulta von 73 


\ 


Seocentrifh Geoffrin IJ 601 


Mitaql. welche ſich jahrl. verfammelte, Staatsrech ungen unterſuchte und die Geſetze 
genehmigte, welche ihr von dem Senate vorgelegt wurden, Die Mitgl. der Conſulta 
sourden von 3 Tollegien, nämlich von 300 Ghutsbefißern, 200 Kaufleuten und 100 


Gelehrten gewählt. Die Nepublik erhielt zugleich einigen Landerzuwachs und hatte- 


(1804) eine Bolfsmenge von mehr als 600,000 Bew. Ihre im Mittelalter fo furchts 
bare Seemacht beftand nur noch aus 4—6 Saleeren und einigen bewaffneten Bars 
fen; ihre Landmacht aus 2 deutfchen Garderegimentern für das Oberhaupt der Re⸗ 
gierung, 3000 M. Nationaltruppen und 2000 M. Landmiliz. Die Handelsfchiffs 
fahrt war im Juni 1805, 100 die Republik dem franz. Reiche einverleibt wurde, nur 
ein Schatten von Dem, was fig einjt geweſen, indem die Senuefer mit ihren 40 grbs 
gern und vielen Eleinern Fahrzeugen nicht weiter gingen, als nach Italien, nach 
Frankreichs füdl. Küften, nach Spanien und Portugal. Sie verfahen vor dem letzten 
Kriege einen großen Theil Italiens mit oftind. Gewuͤrzen, welche ihnen non den Sol: 
Ländern gebracht wurden, ſowie mitZuder und Eoffee, die theils von Liffabon, theils 
von Marfeille kamen, und mit Fiſchwaaren und Salzen. Schiffe aus Hamburg 


. brachten ſachſ. Leinwand und Tücher. Der Speditionshandel mar bedeutend, am 


wichtigften aber der Handel mit baarem Gelde und das MWechfelgefchäft. Mehre 
Staaten Europas, beſonders Spanien,. waren Schuldner der Bank zu Genua und 
einzelner Staatsbürger. Die Bank war zum Theil eine Leihhank, zum Theil eine 
Depofitens und Staatsbank. Sie beſaß anfehnliche liegende Gründe und über 10 
Mill. franz Livr. Eink. DR Verwaltung derfelben murde von 8 Protectoren beforgt, 


und die Bank hatte eigne Richtergewalt über. die zu ihr gehörigen Beamten. MJjehäus 


cfiger aberder Staat bei dringenden Bedürfniffen feine Zuflucht zu der Bank nahm, 
defto mehr verlor fie an Vertrauen. Die Republik hatte, um die Zinfen für-die 
aus der Bank genommenen Sapitalien zu bezahlen, verfchtedene Auflagen angewie⸗ 
fen, die. immer erhöht vourden, wenn fie zur Bezahlung der Zinfen nieht hinreichend 
waren. Bei der Bereinigung der Nepublif mit dem franz. Neiche ward die Bank 


ganz aufgehoben, und die Renten von 3,400,000 genuef. Lire, welche fie ihren 


Glaͤubigern zu zahlen hatte, wurden auf dag Schuldbuch von Frankreich übertragen. 
Bei dem Umfkurze der franz. Weltherrſchaft befeßten Briten die Stadt, und die Ges 


nueſer bofften nun um fo mehr die Wiederherftellung ihres alten Freiftaats, als der 


britifche Befehlshaber, Bentink, ihnen diefe Berficherung bei der Beſitznahme der 
Stadt gegeben hatte. Allein der wiener Congreß theilte 1815 Genua mit feinen 
Gebiete dem Haufe Sardinien zu, doch unter der Bedingung, daß daffelbe eine 
Art von repräfentativer Verfaſſung behalten follte, &o bat denn Genua feinen Se⸗ 


nat und feine Provinzialräthe, die bei der Beſteuerung gefragt werden müffen; das 


Obergericht zu Senua bat mit denen zu Turn, Nizga ıc. gleiche Befugniß; die 


Univerfitit ward beibehalten, die St..&eorgenbant bergeftelle ıc. Die Regierung 


| wird durch eine eigne Sommiffion verwaltet, die in 3 Abtbeilungen abgeiheilt 


ift: für das innere, die Finanzen, das Militair und die Märine .. 
“  Gevsentrifch, mas fih duf-den Mittelpunkt der Erde bezieht oder von 
dem Mittelpunft der Erde aus betrachtet wird. (S. Heliocentrifch.) 
—Geocykliſche Mafhine, eine Mafchine, um finnlich anfchaulich 
zu machen, role die Abmechfelung der Jahreszeiten, Zu = und Abnahme der Tage 
u. fe mm, auf der Erde in Folge davon flatefinde, daß die Erdaxe unter einem Winkel 
von 664 Grad gegen die Ebene der Ekliptik geneigt ift und waͤhrend ihres Umlaufs 
um die Sonne, fich felbft in allen Punkten ihrer Bahn parallel bleibend, diefe Stel⸗ 
[ung unverändert behauptet, — 

Geodaßfie, Me praktiſche Geometrie, ſ. Feldmeſſen. 

Geoffrin (Marie Thereſe Rodet, Madame), geb. 1699, eine mit allen ges 


felligen Tugenden begabte, durch Geiſt und Herz gleich ausgezeichnete Frau, welche 


6P 3: hindurch die feinften und gebilderfien Grfellfchaftstreife von Parts zierte, war 


— 





602 Geoffroy 


ſchon in der Wiege verwaiſt. Ihre Großmutter erzog fie und gewoͤhnte fruͤh ihren 
Geiſt, richtig zu denken und zu urtheilen. Darauf ward fie die Gattin eines Man⸗ 
nes, von dem nichts zu fagen iſt, als dag fein Tod fie in den Befiß eines bedeutenten 
Vermogens feßte, weiches fie theils dazu benußte, Hülfsbedürftige zu unterftüßen, 
theils einen auserlefinm Kreis ausgezeichneter Perfonen um fich zu verfammeln, 
Die Wohlthaͤtigkeit, Die ihrem Herzen Beduͤrfniß war, ift nie aufeine fchönere und 
jartere Weife geübt worden. Ein befonnenes, durch Bernunft und Gerechtigkeit 
erleuchtetes Studium der Menfchen hatte Mad. G. gelehrt, daß diefelben mehr 
— und eitel als böfe find, dag man ihre Schrosche nachſehen und ihre Eitel⸗ 

eit ertragen müffe, damit fie wieder die unfern ertragen, Ihr Wahlfpruch war 
daher: Geben und Vergeben. Das Bedurfniß zu geben war mit ihr geboren. 
Schon als Kind, wenn fie einen Bettler aus ihrem Kener ſah, warf fie hinab, was 
fie eben zur Hand batte, ihr Brot, ihre Mäfche, felbft ihre Kleider, und roeder 
Scheltworte noch Strafen änderten fie Sie wünfchte ihre Wohlthaͤtigkeit Durch 
die Hände ihrer Sreunde fortzufegen, Man wird fie fegnen, fügte fie, imd fie wer: 
den mein Andenfen ſegnen. So feßte fie einem Freunde, der unbegütert war, eine 
lebenslängliche Rente von 1200 Livres aus, „Nenn Sie reicher werden”, fügte 
fie, „ſo fpenden Sie dag Geld mir zur Liebe, wenn ich es nicht mehr kann“. Dem 
Dante wich diefe feltene Frau auf das forgfültigfte aus, ja fie — den Undankba⸗ 
ren wol eine ſcherzhare Lobrede zu halten. Fhr. Haus war der Sitz der beſten pas 
rifer Geſellſchaft; alle Künfte, alle Talente, alle Stände, gebildere Seifter aller 
Arten’ fanden bei ihr Zutritt. Niemand konnte hier vorherrfchen; felbft die Dame 
vom Haufe ftrebte nach feiner Art von Übergewicht, fie war nur liebenswürdig umd 
deri Eirfel befebend, Der Abbe de St.Pierre fagte ihr, als fie ihn eines Abends 
nach einem langen Sefpräche mit ten Worten entließs „Vous avez élé charınant 
aujourd’hui“, die befannte Salanterie: „Je ne suis qu’un insirument, Ma- 
danıc, dont vous avez bien jouc“, „Man fragt oft, fährt Laharpe fort, „ob 


diefe Frau, die mit fo geiftreichen Perfonen umgeht, felbft fo.außerordentlich geiſt⸗ 


reich iſt; Das eben nicht, aber fie hat einen gefunden Verftand, und eine weife Mä⸗ 
ßigung liegt in ihrem Charakter. Sie hat jene gefällige Artigkeit, die man nur 
im Umgange erwirbt, und Niemand hat einen richtigern Takt für das Schickliche“. 
Unter den vielen Sremden, die fich in Paris an fie anfchlojfen, mar der ausgezeich⸗ 
netfte Graf Poniatowski, nachmaliger König von Polen. Er machte ihr feine 
.Thronbeſteigung mit den Worten befannts „Uaman. votre fils est roi“. und [ud 

fie zu fih nah Warfchau ein. Als fie 1168 auf ihrer Reife dahin nach Wien kam, 
fand fie bei dem Kaifer und der Kaiferin den feymeichelhafteften Empfang. Die 
Kaiferin, die ihr einft zu Wagen shit ihren Kindern begegnete, ließ ſogleich halten 
und ftellte ihr diefelben vor. i ihrer Ankunft in Warſchau fand fie daſelbſt ein 
Zimmer, dem volltommen aͤhnlich, welches fie in Paris zu bewohnen pflegte, 
Mit den ausgezeichnetften Ehren überhäuft, kam fie nach Paris zurüd und ftarb 
daſelbſt 1777. Drei ihrer Freunde, Thomas, Moreltet und D’Alembert, haben 
ihrem Andenfen Schriften gewidmet, die vor Kurzem, nebft der Eleinen Abhand⸗ 
lung der Dad. Seoffrinz „Sur la conversatian”, wieder gedrudt worden find. 
(Bol, Ludwigs XV. Zeitalter.) 

Geoffroy (Julien Louis), einer der berühmteften Eritifchen Schriftfiefler 
Sranfreichs, geb. 1743 zu Rennes. Er machte in den Schulen der “Yefuiten feine 
Studien und befand fich, als dieſer Orden aufgehoben ward, in einer befchränften 
Lage. Er wurde darauf Erzieher in dem Haufe eines reichen Privanmannes, und 
Da er Bier oft Selegenheit fand, das Schaufpiel zu befuchen, fo entwickelte fich 
feine Neigung für daffelbe. Diefe veranlaßte ihn, die Schaufpieltunft, ihre Re: 
geln, den Mberth der Schaufpiele, den Geiſt der Dichter und Die Talente der Schaus 
fpieler zu erforfchen und zu ſtudiren. Um zu einer tlefern Einſicht des Weſens der 


% 


Seofftöp 640 


dramatiſchen Kunſt zu Anden, fehrieb er ſelbſt eine Tragodie: „Cato's Tod”, im 
runde aber nur zur Übung. Er überreichte das Stuͤck der Theaterdirection, es 
sourde angenommen, und G. erhielt freien Eintritt; dies mar es, was er wunſchte; 
die- Aufführung des Stückes felbft hat er nie betrieben, vielmehr es ganzlich aus 
dem Gedächtnig verloren. Um ihn zu nedden, ließ man in der fpätern Zrit fogar ein 
MBrüd, „Lato’s Tod“ unter feinem Namen druden, als deffen Verf. Lubirres PL: 
mezeaux genannt wird. Bisher hatte ©. vom Unterrichte gefebt, jeßt ſuchte er bei der 
Univerfität angeftellt zu werden. Er bewarb fich, von 1778, drei Jahre hinter eins 
ander um den alljährlich ausgefegten Preis der lat. Beredtſamkeit, und erhielt ihn 
3 Mal, ſodaß man ſich genöthigt fand, das Geſetz zu machen, daß ein und ders 
felbe nur 8Mal diefen Preis gerwinnen könne. Ber der Bewerbung unten ‘Preis, 
den die franz, Akademie für die befte Kobrede auf Karl V, ausgeſetzt, und den La⸗ 
rpe gewonnen hatte, rourde feiner Arbeit ehrenvoll gedacht. Jetzt betrat G. bie 
ahn, auf der er großen Ruhm fich erwarb. Die Erben der „Anne Jitteraire‘‘ 
fuchten einen Dann, der Freron’s Stelfe teürdig auszufüllen und den Credit diefes 
berühmten £ritifchen Blattes aufrecht zu erhalten im &tande wire, und wählten 
dazu G. der feit Kurzem Profeffor der Beredtſamkeit an dem Collegium Mazadin 
geworden war und für den gefchicteften Profeffor der Rheiorik galt. Er übernahm 
dieſe Zeisfchrift 1776, und erhielt fich bis 2 Jahre nach dem Ausbruche der. Revolu⸗ 
tion. In diefen 15 Jahren bereicherte er fie mit geiftreichen, gehaltvollen und uns 
ziebenden Artikeln über Phitofopgie, Moral und Literatur. Sein Stiyl iſt rein, 
klar und gedrungen, und maser fehrieb, zeugt von Geſchmack, Kenntniß der claſſi⸗ 
ſchen Literatur und dem Beftreben, die Lefer mehr zu belehren als zu zerilreuen, 
Di‘ Revolution, deren anarchifche Srundfige ©. befimpfte, machte diefen frieds 
lichen Befchäftigungen ein Ende; er unternahm mit dem Abbe Royou eine andre 
Zeitfehrift, „L’ami da Roi’, allen bald wurden das Journal und die Herausges 
ber geächtet. G. flüchtete fich aufs Land und Eebte da als Lehrer der Bauern: 
finder verborgen bis 1799, wo er mieder nach ‘Paris zurückkehrte. 1800 übernahm 
ev die Beurtheilung der Schauſpiele im „Journal de PEupire”, welches nad;her 
„Jonsmal des debats” hieß, und betrat fo unter den günftigften Verhaͤltniſſen 
eine neue Laufbahn, die ihn wahrhaft berühmt machte, Er bezog dafür einen 
jährlichen Gehalt von 24,000 Fr. Seit mehr als 10 “Jahren Hatten falfche Anfich- 
ten in der Philoſophie wie in der Moral, in der Politik wie inder Literatur eine un: 
felige Verwirrung hervorgebracht; alle Grundſatze waren vergeffen, fie erfchienen 
als neue Entdeckung da, wo fie wieder qufgeftellt wurden. &s war ein großer Bor: 
theil für die Kritik, wieder unterfuchen zu dürfen, was fehon 100 Mal unterfucht 
soorden, von alter und neuer Literatur zu fprechen, als wenn fie noch nicht da ge: 
wefen märe. ©. unterfuchte mit &Scharffinn und fchonte die Srundfige der 
Neuern nicht; diefe beleidigten , verfeßerten ihn; aber jeden Morgen erfihien er mit _ 
neuen Ausftellungen und neuem Spott, Nicht immer blieb er in den Schranfen 
der Maͤßigung; fein Witz ward oft zu bitter, fein Scherz zu ungart. Ein Mat 
tadelte er eine Schaufpielerin , welche nicht aufgetreten war, wegen ihres Spiels 
in einem angefündigten Thenterfkiide, Aber im Allgemeinen kann man fagen, daß 
G. gerecht zu fein wußte, wenn er es wollte, und.er wollte es fat immer. Er 
batte der Feinde viele, denn er hatte es mit der Eitelkeit der dramatifchen Dichter 
und der Schaufpieler zu thun; aber er hatte auch Freunde, die feinem Scharflinne, 
feinen Renntniffen und Talenten Gerechtigkeit widerfahren liegen und feine Frucht⸗ 
barkeit berounderten, die in einer fo befchränften Sattunglimmer neue Hülfsquellen 
zu finden wußte. Wenn man auch’ zumeilen nicht mit ſ. Srundfügen einverſtanden 
war, fü langweilte man fich doch nie, und das „Journal de !’Empire‘ war, ſo lange 
©. den Feuilleton deffelben fchrieb, das gelefenfte aller franz, Tageblätter. Ungeach⸗ 
tet dieſer Befchättigung fand er doch noch Zeit, 4808 einen Eommentar zu Kacine 


u rue Sinn. (eG. BE u 
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604 Beogenie Geognoſie und Geologie 


in 7 Bhn. Befanntzumachen.— Wenn darin die Poeſie des großen Dichters auch nicht 
tief genug ergründet ift, fo hat das Werk Doch Verdienfte, insbefondere durch die treffl, 
Überfegungen vonmehren Bruchftüden, ja von 2 vollftändigen Tragddien der Alten, 
G. befaß ein ausgezeichnetes Talent zum liberfegen, und es ift zu bedauern, daß er 
nicht mehr als den 1801 erfchienenen Theofrit überfegt hat. Er ſtarb zu Paris, T1 
J. alt, d. 26. Febr, 1814. ©. „Cours de litteralure dramatique, ou secueil, 
par ordre des ımatieres, des feuilletons de Geoflroy, precede d’une nolice 
istoriquo sur sn vie etses onvrages”, sec. ed. T. VI. (Paris 1825), 
Geogenie, die Lehre von der Entſtehung unferer Erdhe. 
Geognoſie und Geologie Die Geogno ſie belehrt uns über die 
verfchiedenartigen Mineralmaſſen, $elsarten oder Gebirgsfleine, aus welchen 
die Erdrinde zufammengefeßt ift, über den Bau der Erde, und gibt uns Auffchlüffe 
über die Verhaͤltniſſe, die Lagerjlätten und das Alter der Diineralien. Die Geo: 
logie darf mit der Geognoſie nicht vermwechfelt swerden, wiewol fie mit derfelben 
enau verbunden ift; fie gilt als die verfuchte wiffenfchaftliche Darlegung von der 
Entflehung unfers Erdförpers ımd von den Umwandlungen, welche er in früberer 
Zeit erfahren hat, oder denen er noch gegenwärtig ausgefeßt iſt. Die Geologie ent: 
lehnt ihre Lehren aus den vereinigten Forſchungen der Geognoſten, Phufifer und 
Chemiker. Dan kann Deutfchland als ihr Vaterland anfehen, und als Begrün: 
‚der der Seognofie gilt mit Recht Werner (ſ. d.), wiewol es auch in andern Laͤn⸗ 
dern Maͤnner gab und gibt, die fich weſentliche Verdienſte um diefe Wiſſenſchaften 
‚ erwarben; die Namen Sauffure, Pallas, Dolomieu, A. v. Humboldt, 2. v. 


Buch, Cuvier, Al. Brongniart, Beudant, Boud, Buckland, v. Hoff u. A. find 
bekannt. — Über die allgemeinen Berbältniffe des Erdförpers und über feine Au: 


henflaͤche verweiſen wir auf die A. Erde, Berge, Meer, Luft, Flüſſe, 
Seen, Gletſcher, Atmofphäre, Vulkane, Erdbeben ı. Hier bes 
“trachten wir zuvorderſt die Beſtandtheile der Erdrinde Diefe befteht 
aus Sebirgs:oder Felsarten, welche mehr oder weniger anfehnliche Räume erfül: 
len. Man theiltdie Felsarten in gleichartige, feheinban gleichartige und in uns 
leichartige, in Trümmergefteine, lofe Sebirgsarten und Koblen. Die gleichartigen 
efteine 4 B. Quarzfels, Kalk, Gyps) gehören oryktognoſtiſch einfachen Minera⸗ 
lien oder eigentlichen Mineralſpecies an; in den ſcheinbar gleichartigen Geſteinen 
find mehre Species in fo kleinen Theilen und fo iunig mit einander verbunden, daß 
man fie mittelft des Auges nicht mehr unterfcheiden kann (4. B.Bafalt). In den 
ungleichartigen Geſteinen hingegen laſſen ſich die Cemengebeit nach ihrem Gefüge, 
ihrer Geſtalt ıc. mehr oder weniger deutlich erkennen (z. B. Felsſpath, Quarz und 
Glimmer in Granit). Die Trümmergefteine, Conglomerate, Breccien, beftehen 
aus weniger oder mehr flumpfartigen Bruchſtuͤcken und aus Sefchieben verfchiedes 
ner Sebirgsarten, aus Körnern und Blättchen, welche durch einen einfachen oder 
gemengten Kitt zufammengehalten werden, Die Bruchſtuͤcke und der Kitt find ge: 
roshnlich verfchieden. Aus der mechanifchen Zertrümmerung der bis jeßt angefuͤhr⸗ 
ten Geſteine, theils auch durch ihre mehr mechanifche Zerfeßung vermittelft des Ein: 
wirkens der Atmofphäre, durch dauerndes Abnugen und Fortſchwemmen ven Sup: 
regen und Strömen, entfiehen die Iofen Sefteine (Gerolle, Gruß, Sand, Lehm ıc.). 
Eine befondere Stelle in der Reihe der Selsarten gebührt den aus dem Pflanzen; 
reiche abflammenden Koblen. — Der Structur oder dem Gefüge nach, gibt es 
Ergftallinifcp-förnige, fchieferige und dichte Geſteine, Porphyre und Diandelfteine, 
Die kryſt.Ekornigen Sefleine beſtehen aus Eriftallinifchen Theilen, oder aus fchasf: 
Eantigen Kornern, durch bloße kryſtalliniſche Zuſammenhaͤufung in und mit einan: 
der verwachſen. Bei Geſteinen von fchieferiger Structur erfcheint die Waffe aus 
dünnen Lagen oder Schichten, aus übereinandergefügten Blittchen zuſammenge⸗ 
ſetzt. Dicht find die Felsarten, wenn den Theilen der Waffe keine deſondere Geſtalt 


Geegnofie und Geosegie 605 


jufleßt, und wenn alle genau zu einem Ganzen verbunden find. Porphyrſtructur 
iſt da, wo die, ein nicht Unterbrochenes bildende dichte, oder eine dem Kornigen mehr 
oder weniger fish nahernde. Hauptmaffe Kryſtalle, Eleine Erpftallinifche Theile, Kors 
ner und Blaͤttchen umſchließt. Gewiſſe Sefteine Haben eine Hauptmaffe, welche 
rundliche Räume umſchließt, plattgedrüdte Höhlungen, bie leer, auch theilweiſe 
oder ganz erfüllt find mit von der Hauptmaſſe verfchiedenen Mineralien; dies ift 
die Mandelfteinftructur. Viele Belsarteir nehmen außer ihren Haupt s auch noch 
aufüdlige Gemengtheile und Berfleinerungen aufs; es geben verfchiedene in einander 
über; eg findet ein Wechſel in der Natur ihrer bildenden Theite flatt; endlich 
den auch die Felsarten durch Einwirkung von Luft, Wafler, durch Temperaturs 
wechſel sc, verwittert und zerſetzt. — Schichtung und Abfonderung der 
Felsarten. Im Gegenſahze des nicht Unterbrochenen der Felsmaſſen iſt Das Se: 
thriltfein derſelben zu beachten, ihre Trennung durch Spalten, welche Erſcheinung 
mit Schichtung, Abfonderung oder Zerklüftung bezeichnet wird. Bei der Schich⸗ 
tung erfcheinen. Sebirgsmaflen auf große Weiten durch parallele Spaltungen _ 
(Scichtungskküfte), gerheilt in Lagen (Schichten). Die Schichten find mehr oder. 
weniger deutlich ertennbar, gerade odergebogen, gewunden oder wellenförmig. Ihre 
Stellung ift felten wagerecht, meift mehr oder weniger geneigt. Manche Fele⸗ 
arten ſind ſehr, manche weniger deutlich, und manche gar nicht geſchichtet. Eine 
Schicht B ruht auf einer andern a und wird von einer Schicht Y uͤberdeckt; a heiße 
dann, in Beziehung zu P, das kiegende, und y das Hangende. Die Machtigkeit der 
Schichten, d. h. die fenfrechte Entfernung zwifchen Hangendem und Liegendem, ift 
fehr ungleich. Die Ausdehnung der Schichten in die Länge nach einer beftimmten 
Weltgegend heißt ihr Streichen, welches durch den Compaß ermittelt wird. Die 
Neigung einer Schicht gegen eirie wonffergleiche Ebene nennt man Fallen, und bes 
ſtimmt folches durch den Sradbogen und nach den Weltgegenden. Ausgebentes 
der Schichten iſt das fichtbare Ende derfelben. Zu den fehr beachtungswertben Er⸗ 
ſcheinungen der Schichten gehören, zumal im Altern Steinkohlen⸗ und im Kupfers 
fhiefergebirge, die fogenannten Ruͤcken oder Wechfel, das find Sprünge, Derwers 
_ fungen oder Verrüdungen, wodurch die Schichten auf mehr oder weniger bedeus 
tente Streden, oft um viele Fuß, nie dergedruͤckt oder enmporgehoben werden. Die 
Abfonderung ifi Trennung der Gebirgsgefteine. und der aus ihnen gebildeten 
Felsmaffen in mehr und weniger regelrecht geflaltere Stücke, die auf mannigfache 
Weiſe geordnet find. Man unterfcheidet faulen: und plattenförmige, Eugelige und 
maſſige Abfonderung Die Zerflüftung trennt die Felsmaffen durch Riſſe und 
Spalten, weiche den vielartigflen Richtungen folgen. — Unter Lagerung einer 
Selsart verſteht man die Stelle, welche fie im der Reihe der Gebirgsgeſteine beim 
Bufammengeordnetfein derſelben in der Erdrinde einnimmt, Man unterfegeidet 
gleichformige, ungleichformige und’ übergreifende Lagerung. Gleichformige Lager 
rung bat flatt, wein die Schichten. eines über einer andern Felsart gelagerten Ges 
fleins, nach Streichen und Fallen, die naͤmlichen Verhaͤltniſſe zeigen, wie jene der 
Unterlage, Bei der ungleichförmigen oder abweichenden Lagerung find die Echich: 
: ten des obern, des jüngern Geſieins, denen des Altern, tiefer liegenden, nicht parak 
lel, d. h. fie zeigen fich verfehieden nach Fallen und Streichen. Die Lagerung ift über: 
reifend, wenn die aufgelagerse Felsart die Ausgehenden der Schichten des Altern 
eins bedeckt, Wechſellagerung ift die Erſcheinung, wenn Selsarten zu mebren 
Malen, eine auf der andern rubend, folglich eine gleichzeitige Entſtehung andeutend, 
eine und diefelbe Formation ausmachen. Parallelformarionen find Felsarten, vie 
einander wechſelsweiſe vertreten; es find gesgnoftifche Aquivalente, — Die be: 
fondern Lagerflätten der Mineralien, die Gange und Lager, find ber 
* Gegenstand bergmännifchet Serwinmang, und daher von großer Wichtigkeit, Gaͤn⸗ 
ge nennt man bie tafelartig oder plattenformig geflalteten Raͤume, ganz oder theil⸗ 
| R , 


R - 3 
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608 - Geognofte und Geoiegie 


weiſe mit Mineralſubſtanzen erfüllt; von denen die Geſteinmaſſen und Lager, oder 
die Gebirgsſchichten, meift unter größeren oder Eleinern Winkeln durchfchnitten wers 
den. ‚Die Gänge folgen bald geraden Linien, bald mannigfach gebogenen oter ge: 
frümmten Richtungen: Bas den Raum erfüllende, bie Sangart, iſt, feiner Natur 
nach, mehr oder weniger abweichend von jener des Gebirgsſteins, Bder Doch ſtets 
davon unterſcheidbar durch andre Eigenthuͤmlichkeiten. Durch den Winfel, web 
chen ein Gang mit der Mittagslinie macht, wird das &treichen derfelben be: 
flimmt: feine Neigung gegen eine wagerechte Ebene bezeichnet man mit dem Aus 
drude Fallen. Geringe Gaͤnge, die fein beſtimmtes Streichen und Fallen haben, 
ſondern fich foft nach allen Richtungen menden, nennt man Schwaͤrmer. 
Liegendes beißt das Gebirgsgeſtein, worauf der Sang ruht, Hangendes 
iſt die über ihm befindliche Felsart. : Mit dem, A usgeh enden endigt ein Gang 
geach die Gebirgeoberflüche, mit dem Tiefften nach dem Erdinnern zu. Di 
Michtigkeit oder Breitenausdehnung der Gänge wird nach der ſenkrechten Ents 
fernung jmifchen Liegendem und Hangendem betimmt, Ein Gang wird verträdt, 
wern die Mächtigkeit abnimmt, er Eeilt ſich aus, wenn er in der Längen⸗ 
erſtreckung aufhört, er zertrümmert fich, wenn er fich in viele ſehr ſchmale 
Gänge zertheilt. Die Sangart oder Gangmaſfſe befteht entiweder aus einer oder 
aus mehren Mineralſubſtanzen; fie enthält Hoblungen von verfähiedener Form und 
Groͤße, ganz oder theilweife mit Mineralien angefüllt, oder die Wände überzogen 
mit Kryſtallen (Drufenböhlen). Entweder ift fie mit dem Mebengeftein ver: 
wachſen, oder durch meift thonige Ablofungen (Beftege) davan getrennt; “Das 
gegehfeitige Verhalten mehrer in einem Gebirge auffeßenden Gänge gehört zu den, 
vorzüglich auth in bergmännifcher Hinficht wichtigen Beriebungen derſelben. Nur 
ſelten herrſcht zwiſthen den Gangen einer Gegenb Parallelismus, öfter weichen fie 
ab in Ihrem Streichen und treffen ſodann auf vielartige Weiſe zuſammen, ſodaß 
fie einander durchſetzen, verſchieben (verwerfen) u ſ. w. Sehr mächtige Gange 
von gefinger Langenerſtreckung nennt man ſtehende Stöder Gebirgsmaſſen, 
bie von ſehr vielen kleinen Singen in allen Richtungen durehſetzt ſind, Stod: 
werke. — Lager und Flötze find eigenthümliche Deineralmaffen von ꝓlatten⸗ 
fermiger Geſtalt, die eine mit den Schichten gleichlaufende Lage haben, abet nach 
Beſtand⸗ und Structurverhaͤltniſſen mehr oder weniger verſchieden find von den 
Maſſen des fie einfchliegenden Gebirges, oder doch in andrer Beziehung davon 
abweichen. Untergeordnete L. find jene, die als mehr ausfchliegliches Eigen: 
thum geiviffer Selsgebilde gelten, deren Erfcheinen.gleichfam bedingt wird durch 
bas Vorkommen größerer mächtigerer Maffet. Fremdartige 2, treten zufällig 
auf und ſtehen verfchicdenen Gebitgsmaſſen zu. Streichen und Fallen. find bei 
Lagern mit den gleichnamigen VBerbältniffen ber Schichten des einfchliegenten Ge: 
birges übereinftimmend, Mit det Sohle ruht ein Lager oder Flotz auf tem tie: 
fern Gebirge; fein Dach begrenzt die Ausdehnung nach oben. Sehr mächtige La- 
get von geringer Längenerfitefung nennt man liegende Stöde und Stuck 
gebirge. gIn Abficht der Begrenzuitg der Lager nach den Seiten tritt ein Aus: 
®eilen,: Husfpißen derſelben ein, wenn fie bei allınälig abnehmender Mach⸗ 
tigkeit juleßt gang aufhören; oder fie erden abgejchnitten durch Bünge: Die 
Lagermaffen beſtehen theils aus einfachen, d. h. aus Schtlich nicht gemiehgten 
Metalien verſchiedener Art, theils aus Gebirgsgefteinen. Lager, die nur aus’ 
Etcinarten beftehen, netint man Geſtein lager im Segenfaße von den Erz: 
ragernz viele find Mittelglieder und führen zugleich Erze und Steinarten. — Über 
die Derfieinertingen oder Petrefacten f.. Drganifche Überrefte — 
Die Stoffe, welche die Matur zu jenen denkwuͤrdigen etamerphofen verwendete, 
die Verfleinerungsinittel, find Steinarten, meift Kalt, ſeltener Kieſel, odet 
brennbate Subflangen, auch Erje (Schwefelkies, Brauneiſenſtein xc.). Das 

" \. 


Geognoſie und. Geologie | 607 


Fein der Verſteinerungen in den verfchiedenartigen Felsmaſſen hat, zumal in neuerer 
Zeit, die größte Wichtigfeit erlangt, nachdem forgfame Unterfuchungen zur Überzeu⸗ 
- gung geführt, daß die in der Erdrinde begrabenen, organifchen Überbleibfel gleichfam - 
in einander folgenden Senerationen fich finden, ſodaß die in einer Sebirgsart einges 
Schloffenen Petrefücten in den häufigften Fällen unter fich eine gewiſſe befondere Ahn⸗ 
lichkeit zeigen, während fie.von den in hoͤher oder tiefer liegenden Sefteinfchichten ent: 
baltenen eine mehr allgemeine Verſchiedenheit wahrnehmen laffen. Auf folche Weiſe 
iſt durch die DVerfteinerungen ein fehr mefentliches Merkmal zum richtigen Erkenn en 
vieler Felsartenformationen dargeboten. — Beitabfchnitte in der Ge— 
birgsbildung und Staffification der Felsarten. Die Bedinguns 
gen der Lagerung führen, ohne dag eine wahrhafte Gefchichte des Werdens nenn: 
mitteln vergönnt gewefen, zum Erkennen gewiſſer Altersunterfchiede bei den Fels: 
arten, zur Annahme von Beitabfchnitten bei der Sebirgsbildung: Urgebirge, Übers 
Hangsgebirge, Flotzgebirge, aufheſchwemmtes Land, vulkaniſches Gebirge, deren 
Kriterien, je nach dem Perfchiedenortigen bräüchficher geognoftifcher Lehrweiſen, 
bald mehr übereinftimmend, bald mehr abweichend angegeben werden. Urg ebir: 
ge: Vorherrfchendes individueller Bildungen; Kryſtalliniſches mit feltenen über⸗ 
gängen ins Dichtes hohe Reinheit und feftes Berbumdenfein ungleichartiger Theile; 
Kiefel: und Thonerbde die Hauptbeitandtheile; Abroefenheit äller Verſteinerungen, 
der Zeugen einer frühern Lebenwelt. Übergangsgebirge: manche Merkmale 
der Gebilde der Urzeit tragenb, aber im Ganzen weniger Eigenthümliches bei vielen 
Gliedern, dabei das erfte Auftteten von Verſteinerungen. F töppt birge, großer 
Reichthum an Überbleibfeln organifcher Weſen; Miechanifches beim Werden der 
meiften diefer Zeit zugehörigen Felsarten; Trümmergefteine als Dentmale vorher: 
gegangener Zerftörungen älterer Gebirge; Unkryſtalliniſches (Dichtes und Erdiges), 
jedoch nicht ehne Ausnähmen; vorherrfchender Kalkgehalt. Aufgeſchwemm⸗ 
tes Land: — Beſchraͤnktheit, oft aufs Oriliche; Rollſteine, Gruß, 
Sand, Erden, Reſte ſehr verſchiedener Felgarten ıcı — Die Claſſification der 
Gebirgsgefteine iſt entweder eine mineralogifche, oder eine geosnoftifche, “Die mil: 
neralogifche muß bei Zufammenftellung der einzelnen Glieder der Reihen ganz an⸗ 
dern Küdfichten folgen als der Syſtematiker, der ein Ordnen Diefer Gebilde nach 
ihren Altersbeziehungen im Auge bat. Bei jener Methode (es mögen Befland urid 
Structur die Norm vorfchreiben, oder andre Abtheilimgsgrundfaͤtze verfaßt werden) 
nehmen fehr natürlich gar oft Sefteine eine nachbarliche Stelle ein, deren Lage: 
rund höchſt verfchiedenartig ift, die als ih weit von einander entfernteh Zeiträumen 
der Bildung der Erdrinde entflanden geltenz denn ältere und jüngere Geſteine thet⸗ 
Ien nicht ſelten, was Befland und andre Figenthümlichkeiten betrifft, gewifie 
Merkmale, fie tragen keineswegs in jener Hinficht inimer den Charakter dei’ Alters⸗ 
verfchiedenheit, auf welchen andre Verhältniſſe derfeiben hinweiſen. Als der mine⸗ 
rälogifchen Slaffificationsweife der Selsarten entgegenftehend, kann die geogno⸗ 
flifche betrachtet werden, di h. ihre Aufftellung In der Reihenfolge, in welcher 
man fie gebildet glaubt. | | j 
liberficht der allgemeinften geölogifchen Srundfüge. Man ift allge: 
mein darin übereingefommen, daß der Erbball, bevor feine Oberfüie ihre jetzige 
Geſtalt annahm, wenigſtens drei, über die ganze Erde verbreitete Revolutionen er⸗ 
litten babe, welche die Ordnung der Dinge veräriderteh und die lebenden Sefchöpfe 
zerflörten, ' womit er vor jeder Revolution bededt war, und dag nachher nach jedem 
Umſturz eine neue Örganifätion entftand, ähnlich, aber nicht vollkommen gleich der 
untergegangenen, Die Umftände fiheinen für jeßt dafür zu fprechen, daß der 
Menſch von Feiner dieſer Umwaͤlzungen der Erdoberfläche Zeuge war, fondern daß 
er erſt nach der lebten unter die Bewohner der Erde gezählt werden fann. Jede 
organifche Welt, welche Bon einer Revolution zerſtort und in die Erdhaufen begras 


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008 Geognofie und Geologie 


ben wurde, die nachher die weue che des Planeten bildeten, ließ unzäßtioe 
UÜberreſte zurũck, die als Zeugen der Sröße und Form der organifihen Körper das 
fieden, und in denen wir, wenn man fie mit denjenigen vergleicht, welche fich jetze auf 
der Erde finden, mit wenigen Ausnadmen entfprechente und gleiche Bildungen vers 
miffen. Dieſe Überrefte erzäblen uns von einer vergangenen Zeit, da fie wie wir 
lebten und die Oberfläche der Erde bewohnten; fie fagen uns aber nichts von dem 
Ereigniffe, welches fie ſo tief unter diefefbe begrub. Sie gleichen in diefer Hinficht 
den großen liberreften der Baukunſt aus dem Alterthume, welche man in Afien und 
Amerika gefunden bat, und die von einem Zeitalter herſtammen, deffen Andenken 
verſchwunden war, ehe unfere Gefchichte begann, und mo gerade die Unmöglichkeit, 
Etwas von ihrer Entftehung za erfahren, die Forſchungsbegierde bei "Jedem, der ſich 
mit ihrer Unterfuchung befchäftigt, erboht. Daſſelbe ift bei der Geologie der Fall. 
Die zuletzt zerflörten Drganifationen liegen in der oberften Schicht der Erde begra: 
Ben, die Altern im Verhaͤltniß ihres Alters unter einander, umd jede in ihrer Erd« 
ſchicht hat eigenthümliche Charaktere. Die erften und älteften, d. 5. die niederfien, 
waren gang verfchieden von denen, welche jet leben, und zeigen, dag die Verhälts 
niffe, welche damals ftattfanden, ganz von den jeßigen verfchieden find. Man ifl 
auch ferner Darüber einig, daß vor dem erflen, in Vergleich mit dem jeßigen unvolls 
kommenen und unausgebildeten Organifationstypus unfer Planet ste und leer 


‚ war, und daß die jeßigen Urberge eine flüffige Maſſe conflituirten, welche allmälig 


erflarrte. Die fphäroidifche, gegen die Pole abgeplättete Seftalt der Erde iſt ein 
entfcheidender Beweis dafür, und wir Dürfen nur das bloßgelegte innere vicler 
Berge mit einiger Aufmerkfamfeit betrachten, um zu feben, daß die Waffe, aus 
welcher fie befteben, in Bewegung war, waͤhrend fie anfing zu erflarren, und daß fie 
erhaͤrtete, bevor ihre Theile fich wieder in ein® neue Ordnung legen Eonnten. 
der Frage über den flüffigen Zuſtand der Erde theilen fich die Meinungen. Einige 
Geologen glauben, dag die Urberge vom Waſſer durchdrungen und in demfelben 
aufgelöft gesoefen feien; an der Spitze diefer fland Werner (f. d.), welcher diefe 
Meinung zuerft auffiellte. Andre glaubten, dag die Erde durch eine höhere Tem⸗ 
peratur geſchmolzen, d. h. in einem glähenden Fluß gewefen ſei. Man pflegt diefe 
beiten Hypotheſen die neptuniflifche und die vulkanifche zu nennen. ‘Die leßtere 
yalte zu allen Zeiten die meiften Anhänger. Buffen’s Bebnuptung, daß die 
durch einen Kometen aus der glühenden Maſſe der Sonne ausgeftogen wor⸗ 
den fei, weiches eine mathematiſche Unmöglichfeit in fich ſchließe, befam auch Feine 
Andänger. De la Place äußerte die Idee, To5 die Sonne ehemals eine weit 
höhere Temperatur als jet hatte, daß die gasförınigen Beſtandtheile derfelben fich 
über die Bahn aller Planeten des Sonnenſyſtems binaus erfirediten, und baf dann, 
als diefe fich bei abnehmender Temperatur verdichteten, die feſtgewordenen Theile 
dieſer Atmoſphaͤre in Eugelfürmige Körper auf verfchiedenen Entfernungen von dem 
Mittelpunfte der Sonne ſich ſammelten, und die Planeten fich bildeten, welche 
nachher erftarrten umd fich abfühlten, Nach diefer Hypotheſe waren die Beſtand⸗ 
teile der Erde einmal fo fehr erhißt, dag fie Sasform hatten. Hutton, weicher 
befonters es verfuchte, Die vulkaniſche Hypotheſe auszuarbeiten, fellte ſich vor, da 
das Innere der Erde durch Feuer flüffig fei, und dag diefes unterirdifche Feuer in 
Berbindung mit dem Waſſer der Atmofphäre an den vorgegangenen Revolutionen 
Theil genommen habe, und unaufborlich neue vorbereite, welche mithin in langen 
Zwiſchenraͤumen immer auf einander folgen müſſen, ſodaß Das, mas jebt Land ifl; 
einft Meeresgrund werden muß, wo dann der Meereßgrund aufgehoben toerden und 
Berge und Erhöhungen bilden mäßte. Aber in allen den Theilen der Wiſſenſchaft, 
wo die Einbiltungsfraft einen freien Lauf Bat, ohne von ter Erfahrung geprüft 
werden zu formen, wird jedes Individuum ein eignes Syſtem fich bilten. Wer⸗ 
ner fährte gegen die vulkaniſche Hypotheſe an, daß unfere Urberge oft Verbindun⸗ 


‚ Ä 
Geognoſte 609 


en enthalten, welche beim Gluͤhen veraͤndert werden, und welche mithin bei dieſer 
mperatur nicht Beſtand haben können, ohne zerflört zu werden, und von welchen 
das Waffer einen wefentlichen Beftandtheil ausmacht. Diefe Verbindungen füns 
nen nicht aus einer gefehmolzenen Maffe gebildet werden, welche allmälig erftarrte. ' 
Hutton hat von feiner Seite tiefen Einwurf Durch Verſuche zu widerlegen gefucht, 
welche zeigen, daß flüchtige Körper, welche bei dem gewößnlichen Drud durch Std: 
hen aus ibrer Derbindung aus etrieben werden, fich bei einem flärfern Drud und 
im verfchloffenen Raume beim Schmelzen in derfelben erhalten fünnen, welches bes 
fonders bei der Koblenfäure in dem kohlenſauren Kalke flatıfinder. Es ift Hier nicht 
der Ort, die Schwierigkeiten darzulegen, welche jede diefer beiden Hypotheſen im Ge⸗ 
fölge bat; beide führen Umflände an, die wir weder erklären noch mit unfern aes 
sohhnlichen wiffenfchaftlichen Begriffen vereinigen fönnen. Die Anhänger Werner’s 
laͤcheln oft über die von Hutton; denn diefe Überreſte von organifchen Weſen, mit 
soelchen die jüngern Schichten der Erde überfüllt find, fprechen fo deutlich für eine 
Mevolution ohne Feuer und beroeifen, daß ein Theil der füngern Berge unter Einfluß 
des Waffers gebildet wurde; aber die Wernerianer laſſen dabei außer Acht, daß die: 
fee nichts für den urfprünglich flüffigen Zuftand der Maſſe des Erdballs beweiſt, 
evor lebende Sefchöpfe fich auf demſelben befanden, und bevor diefe Umflürzun: 
en der Erdoberfläche fich ereigneten. Es iſt ums ganz und gar unbefannt, mie die 
ftandtheile des Sranits in dem Waffer hätten aufgelöft fein können, es ſteht ſo⸗ 
gar mit aller Erfahrung im Wiberfpruch, die wir bisher von dem Löfungsvermögen 
des Waffers hatten, Dem Waffer dabei ein andres Bermögen vor Jahrtaufenden, 
als es jeßt bat, zufchreiben wollen, ift eine Ungereimtheit, denn das Weſen der Koͤr⸗ 
per beftebt in ihren Eigenfchaften ;„diefes wäre fo viel, als wenn man fügte, das 
Maffer. fei damalg nicht Waſſer gewefen, oder die Beflandtheile der Berge feien nicht 
Das gewefen, was fie jeßt find; mit eineın orte, eg hieße eine Erklärung erdichten, 
ſtatt fie zu fuchen. Auf der andern Seite, wenn wir ung die Elemente des Erdballs 
als gegeben und zufammengeführt, aber noch nicht als verbunden denken, fo follte 
ihre Berbintung flattfinden, und der gewöhnliche Begleiter derfelben, das Feuer, 
follte in feiner intenfeften Form fich zeigen. Das Refultat der Berbindung follte eine 
ſphaͤriſche, flüffige Maſſe werden, ein Tropfen von ungeheuerm Durchmeffer und 
von einer unendlich hohen Temperatur, welcher fich nachher durch Radiation, aber 
äußerft langſam, abfühlt und den gefcehmolzenen Verbindungen Gelegenheit gibt, ſich 
- Ju trennen und mehr oder weniger vollfommen ihrer Sci pftaflifationstendenz zu ge⸗ 
borchen. Wer darf Meinungen über den Uranfang der Materie aufftellen? Der 
menſchliche Verſtand muß feine Grenzen kennen und nur innerhalb diefer fein Ber: 
mögen üben; wir können aber, ohne diefe Grenzen zu überfchreiten, ung die Elemente 
auf unferm ‘Planeten als einft in andern Berbältniffen verbunden denken. Die Ber: 
änderung diefer und der Übergang zu andern hatteunvermeiblich eine außerordenrlich 
erhöhte Temperatur im Gefolge. Die Bulkane find hiervon ein fprechender Beweis 
im Kleinen; und wenn wir mithin annehmen dürfen, daß die Grundmaſſe der Erde 
nicht in einem Augenblick Das toar, was fie jet iſt, fondern daß ihre Elemente erſt 
nachher von Zeit zu Zeit fich zu Dem verbanden, mas fie jegt find, fo folgt daraus 
unmiderfprechlich. daß der Erdball dann aufeinen unendlich hohen Grad erhitzt wer: 
den mußte, in glühenden Fluß gerieth, roobei feine jeßigen Seen und Deere feine At: 
moſphaͤre bildeten, Dergleicht man darın auf der einen Seite die wiffenfchaftliche 
Mothwendigkeit, welche in diefer Anficht zu liegen fheint, mit dem ben Lehren der 
Wiffenfehaft geradezu Widerſprechenden, mas in ber WWerner’fchen liegt, fo erhält die 
vulkaniſche Hypotheſe eine größere Wahrfcheinlichkeit als die neptuniftifche, ohne daß 
‚man fie jedech fehon als bewieſen anfehen und deßwegen manche der Raͤthſel loͤſen 
Fönnte, welche fich zeigen, wenn wir das Detail der älteften Grundmaſſe der Erde 
ſtudiren. (Bol, Breistiaf’fches Syſtem.) — Eins der wichtigften Werke über. 
Eonverfationd>Lericon. Bb. IV. 39 | 


+ 


640 Geographie 


Geognoſie iſt A. v. Humboldt’s „Essai géognostique sur le gisement des 
roehes dans les deux Hemispheres” (deutfch v. C. v. Leonhard, Strasburg 1823), 
Auch gehören hierher die „Transactions” Ler geologifchen Geſellſchaft, die in Lon⸗ 
don 1807 errichtet wurde und 1821 den 5. Bd. ihrer Abbandl. in A. mit Kpf. ber: 
ausgab; v. Leonbard’s „Charakteriſtik der Felsarten“ (Heidelberg 1823), 8.5. A. 
Hartmann’s „Handwörterbuch der Mineralogie und Geognofie”, mit 10 lithogr. 
Taf. (Leipz. 1828) u. D. Ure's „New System of Geology” (Xond, 1829), H. 
Geographie (griech), Erdkunde, Erdbefchreibung, die Darftellung des 
Zuſtandes und der Befchaffenheit unfers Weltförpers, im engern Sinne auch die 
Darftellung von dem Zuftande und der Beſchaffenheit eines Theile unferer Erde, 
z. B. Geographie von Europa, Rußland, Preußen, Sachfenu.f.w. Da nun die 
Erde betrachtet werden fann: entweder als ein Weltkoͤrper im Verhaͤltniß zu andern 
MWeltkörpern, oder als ein Körper von eigenthümlichen Beftandtheilen, Beſchaffen⸗ 
beiten und Erfcheinungen, der zugleich ein Wohnplatz von Wefen verfchiedener Art 
ift, oder als ein Wohnplag freier Bernunftwefen, bie fich in feine Oberfläche getheilt 
haben, iind durch deren Kraftwirkung er mannigfaltige Veränderungen erleidet: 
fo gebt daraus eine dreifache Eintheilung der Seograpbie hervor: Die matbemas 
tifche, phyſikaliſche und politifche, Die beiden erften zufammen nennt“ 
man auch die allgemeine Geographie. Die mathematiſche Seogra: 
phie (f. d.) ift ein Theil der angewandten Mathematif. Die pbofifalifehe 0: 
oraphie befaßt unter fich 1) die Geiſtik (f. d.); 2) die hydroiſtiſche Geogra⸗ 
phie, welche handelt a) von den Meeren (Tiefe, Farbe, Temperatur, Bersegungen, 
Boden, Dünen, Klippen, Untiefen, Sandbinfe, Barren), und b) von dem Land: 
‚geroäffer, den Quellen (Ausflug, Gehalt, Temperatur), Strömen, Fluͤſſen (Urs 
prung, Richtung, Wafferfälle, Dründungen u. ſ. w.), Landfeen; 3) meteoro- 
Iogifche Geographie, a) vom Luft: und Athermeere, b) von den Regionen der 
Atmofphäre, c) von der Lufttemperatur (Abweichungen von der Schneegrenzlinie in 
verfehiedenen Klimaten), d) von den Luftbetwegungen, Winden, Paffat:, Strich: 
winden, e) von den Qufterfcheinungen, 4) Producten⸗-⸗Geographie, a) 300: 
logiſche, b) botanifche, c) mineralogifche; 5) anthropologifche Geographie. 
In der politifchen Geographie betrachtet man die Erde als einen Inbegriff von 
MWohnplägen vernünftiger Wefen, nach den verfehiedenen Verbältniffen und Bes 
dingungen ihrer Ausbreitung über den Erdboden und ihres Nebeneinanderſeins 
auf demfelben, in einzelnen größern oder Eleinern gefellfehaftlichen Verbindungen, 
So gründlich nun auch befonders feit Büfching diefe politifche Geographie bean 
delt worden war, fo hatte fie Doch zu Vieles in ihre Mitte gezogen, was ausfchlies 
ßend der Statiftif angehört, die freilich erft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. in 
einer felbftändigen wiffenfchaftlichen Form ausgearbeitet wurde. Da nun die 
Statiſtik ale Wiffenfchaft, welche Me gegenwärtige innere und äußere Form der 
Stanten nach ihrem notbiwendigen Zuſammenhange darftellt, genau von der Geo: 
graphie, welche ihr vorantritt, unterfehieden werden muß, fo war es allerdings wich: 
tig, die Grenzlinie gwifchen der politifcehen Geographie und der Statiftif genau zu 


ziehen, und aus der Geographie Alles ‚zu entfernen, was bloß der Statiftif ange: 


bört. Denn wenn die Statiſtik den einzelnen Staat als ein in fich zufammen: 
büngendes Ganzes mit fteter Hinficht auf Staatsrecht, Staatswiſſenſchaft und Po⸗ 
litik ſchildert, weil nur nach dem Mosftebe diefer Wiſſenſchaften die Berfaffung, 
die Verwaltung und das politifche 

Staaten mit Sicherheit entwickelt werden kann, fo hängt die Geographie ausfchlies 
gend am Ortlichen. Sie ftellt das Einzelne dar, wo fie es findet; fie durchgeht 
die einzelnen Departemente, Kreife und Provinzen der Staaten und Meiche, und 
charakteriſirt die natürlichen Verbältniffe des Bodens, die Berge, die Flüffe, die 


Städte, die wichtigften (oder ſammtliche) Dorfſchaften, die verfchiedenen Nah⸗ 


erhältnig des einen Staats zu den übrigen . 


I 4 


⸗ 
f 


Ä Geographie | 4 


sungssuhb Erwerbszweige, und bie einzelnen Merkwuͤrdigkeiten, durchgehende 
nach der Drtlichkeit. Bisher entlehnte man aus den eigentlichen ftatiftifchen No⸗ 
tigen für bie Geographie wahrfcheinlich nur deßhalb fo viel, um dieſe für den Yun 
endunterricht anziehender, oder die Handbücher derfelben für die Bedürfniffe der 
efer aus verfchiedenen Ständen und Volksclaſſen reichhaltiger zu machen. Dies. - 
fes Mißverhaͤltniß in den geograpbifchen Hand : und Lehrbüchern, und die forts 
dauernden Beränderungen in dem politifchen Zuftande der europäifchen Staaten 
und Reiche, roelchen felbft die in Eurzer Zeit einander verdrangenden Lehrbücher der 
Geographie und die wiederholten Auflagen berfelben nicht immer ſchnell genug fols 
gen und den jedesmaligen neueften Zuftand der politifchen Geographie beftimmt 
darftellen konnten, veranlaßte mehre denkende Männer, nach Gattere's früherer. 
Andeutung , eine fogengnnte reine Geographie vorzufchlagen und ausjuführen, in 
welcher man die natürliche DBefchaffenheit des Erdbodens, nach feinen Meeren, 
Bergketten und Flüffen, ale Srundlage der Geographie behandelte, fie als Behuf 
der Eintheilüng der Oberfläche fefthielt, und die Wiffenfchäft felbft nach dieſem 
Mapftabe vollffändig durchführte. Obgleich num diefe Behandlung ber Geogra⸗ 
phie durch die Einfachheit ihres Srundfages und durch ihre genaue Sonderung 
»von der Statiftik fich empfiehlt, fo dürfte fie doch, befonders wenn fie beim Jugend⸗ 
umterrichte die einzig gültige werden follte, die Luͤcken nicht erfegen, welche nothwen⸗ 
dig aus der gänzlichen Verdrängung der wohlverſtandenen politifchen Geographie 
entfliehen ‚müßten. Auch find die in diefer Hinficht gemachten Verfuche im Sans 
gen zwar nicht mißlungen, aber noch nicht hinreichend begründet und erfchöpfend 
durchgeführt. Die politifche Geographie kann fich natürlicherweife nicht in 
allen Zeitaltern gleich fein; man: theilt fie daher hiſtoriſch in die alte, mittlere, 
neue und neuefte ein. Im weitern Sinne umfchließt die alte Geographie nicht als 
lein die Darftellung des Zuftandes der biftorifch bekannten Erde und ihrer Bewoh⸗ 
ner feit der erften beglaubigten hiſtoriſchen Kunde bis zum Umfturze des römifchen 
Weſtreichs, fondern auch die einzelnen Spuren der dahin gehörenden Nachrichten 
in den mythiſchen Beitaltern, In ihren Umfang gehören alle Völker des Alters 
thums. Ein Theil derfelben, die biblifche Geographie, eine Huͤlfswiſſenſchaft 
der gelehrten Bibelauslegung, iſt vorzüglich von Bochart, Michaelis, Rofenmüller 
(ſ. deſſen „Handb. der bibl. Alterthumskunde“, Leipz. 8. Bde.), 3. Schultheg u. A. 
angebaut werden, Rich. Palmer’s „Bible Atlas, or sacred geography delincated“, 
in 26 Kärtchen (Lond. 1823),verdient eine Pritifche Bearbeitung. : Die mittlere 
Geographie, welche mit dem Umfturge des rhmifchen Weftreiche anhebt, reicht her⸗ 
ab bis zur Entdedung bes vierten Erdtheils, Amerika (von 476—1492). Die 
neuere Geographie umfaßt die Periode von der Entdeckung Amerikas bis auf d. J. 
1789, und die neuefle die Zeit von 1789 bis jeßt, | | 
Sn der Geſchichte der Geographie, als Wiſſenſchaft, kann man 
. folgende Perioden annehmen: 1) Myrdifche von der ältefien Zeit der Sage bis 
auf Herodot. Quellen find bier Moſes, Homer und Heſiod. Das Meifte. ift duns 
kel und unficher, der Nachrichten nur wenige, und mehr chorographifch als geogra⸗ 
phifch. 2) Periode des einzelnen Sammelns von Herodot bis Erato⸗ 
fihenes, 270%. v.Chr, Hanno, Skylax, Pytheas, Ariftoteles, Dikaͤarchus liefern 
von einzelnen Ländern anziehende Beſchreibungen. 8) Spfiematifche Pe 
r io de von Eratoſthenes bis Claudius Ptolemäus, 161 J. nach Chr, Polybius, 
Hipparchus, Artemiderus, Poſidonius, Strabo, Dionyſius Periegeta, Pompo⸗ 
nius Mela, Plinius gehören hierher. 4) Geometriſche Periode van Pto⸗ 
lemäus bis Nic. Kopernicus,-1520 J. nach Chr. Lange und Breite der Hrter 
werden beſtimmt. Man kann hier unterfcheiden a) die Zeit vor der Arabern (Baus 
fenis, Marcianus, Aaathemerus, Peutingerifcde Tafel, Kosmas); by Seit feit den 
rabern, von 800 n. Ihr, (Al⸗Marun, Abu Iſchak, Scherif Erin, aſſir⸗Eddin 
9 


\ 


612 Geographie i 


Abulfeda, Ulugh⸗Begh; der einzige chrifiliche Geograph ift Guido von Ravenna). 
56) Echt wiffenfhaftliche Periode, von Kopernicus bis auf uis. Man 
fintet Bier genauere aſtronomiſche Beftimmungen, zweckmaͤßige Berichte von Rei: 
fen zu Waſſer und zu Lande, genauere und zweckmaͤßigere Topographien, beftinm: 
tere Lündermeffungen und Angabe des Flächeninhafts nach Quatratmeilen, und 
zweckmaͤßigere geographifche Syſteme und Lehrbücher. Auch iſt erft in diefen Zei: 
ten der Derfuch einer foftematifchen Geographie Des Alterthums mit einigem Erfolg 
unternommen worden, doch im Ganzen mehr für die Bearbeitung der alten als der 
mittlern Geographie geſchehen. Chriſtoph Eellarius brach hier eigentlich Die Bahn. 
Seine Schrift erſchien zuerft zu Leipzig 1686, 12.: „Geugraphia antiqua ad ve- 
terum historicorum faciliarem explicalionem apparnta“, Umgearbeitet: No- 
titia orbis autiqui” (2 Thle., 4., Leipzig 1701, neuefte Ausg. 1773). Darauf 
fhrieb oh. Dav. Köhler eine „Anleitung zu der alten und mittlern Seographie”, 
mit 37 harten in 3 Bdn., Müurnb. 1730). Das „Handbuch der alten Geogra⸗ 
phie”, von d Amville, in 5 Th. erhielt feine höhere Brauchbarfeit in der neuen 
Ausg., welche von mehren deutſchen Gelehrten trefflich beorbeitet und reichlich 
ausgeflattet wurde (Nürnb. 1800 fg.). Der 1. und 2. Th. cı Wılt Europa von 
Heeren, der 3. Th. Afien von Bruns; der4. Afrifa von Bruns und Paulus, und der 
5. die mittlere Geographie. Zu diefem ſchaͤtzbaren Werke gehört ein ſehr brauchkarer 
Atlas von 12 Charten, Fol. — Mit ſorgfaltigem Fleiß und Quellenſtudium bat 
Konrad Mannert die „Geographie der Griechen und Römer aus ihren Schriften 
dargeſtellt“ (40 Th., Leipz. 1788— 1820; von 5 Th. die 2. umgearbeitete Ausg. 
171991828). Brauchbare Unterfuchungen über Gegenſtaͤnde der alten Seo: 
grapbie enthalten Heeren’s „Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel 
der vornehmſten Volker der alten Welt” (4. zu in deffen fünmıtl, Werfen 10. 
—15, Th., Sött. 1826). Anmwendbar beim Jugendunterricht ift Funke's At 
las der alten Welt” 42 Eharten mit erflirenden Tabellen (Weimar 1800, 4.), 
ſowie der Schulatlas für die alte Erdbefchreibung, 15 Bl., von Heufinger und Du⸗ 
four , (Braunfebweig, Querfol.); vorzüglicher ift Reichard’s „Orbis terrarum anli- 
quus“ (Nuͤrnb. 1819 fg.), und für Schulen: Kärcher’s „Orbisterrarum antignus 
et Europa medii aeri” 23 Bl., Querfol. (Karlsruhe 1824, im Aus. u. d. T. 
„Aslas minor”, in Bl.) Die Gefchichte der Geographie; bis herab zum J. 
1800, umfaßt in einer faßlichen überſicht Maltebrun’8 „Sefchichte der Erdkunde”, 
ausd. Franz, berausg. mit Zufüßen von E. A. W. v. Zimmermann, 2 Abtheil. 
(Leipzig 1812). Doch ift Durch diefes Wert Sprengel's ‚‚Sefchichte der wichtig: 
ften —— Entdeckungen bis zur Ankunft der Portugieſen in Japan“ 
(2. Aufl., Halle 1792) nicht entbehrlich gemacht worden. Noch fehlt es an einem 
mit Kritit und umfchließender Selehrfankeit gefehriebenen Werke über die mittlere 
Geographie; denn Ehriftoph Junker's „Anleitung zur Geographie der mittlern 
Zeiten“ (Jena 17142, 4.) macht jenes Bedürfniß erfi recht fühlbar. Für die ver: 
gleichende Geographie haben die Schriften von Soffelin und Mentelle Werth. Die 
neue Geographie, fo unvolltommen auch ihre Bearbeitimg und fo unficher ihre das 





malige Srundlage war, gewann doch bereits in der erften SHälfte des 18. Jahrh. | 


durch Hübner's vollftändige Geographie, die viele Aufl. erfebte; durch des Rectors 
Hager geographiſche Schriften und durch die In 16 Th. fleißig zufammengeffellte 
„Meue europäifche Staats : und Reifegeographie” (Leipzig 1750 fg.). Der Be 
gründer der wiffenfchaftlichen Bearbeitung der Geographie ward aber Ant. Friedr. 

fehing, deſſen „Neue Erdbefchreibung“ zum erſten Mal 1754 zu Hamburg ers 
ſchien. Die neuefle, 8. Aufl. diefes claffifchen Werks ift von 1787 und enthält 
im Sanzen 11 Bde. Freilich ift daffelbe, nach den großen Veränderungen der 
neueften Zeit, nicht ganz mehr in feiner Tamaligen Seftalt brauchbar, auch hat es 
für ein geogeaphifches Syſtem zu viele Beimiſchungen aus der Statiftit und iſt in 


on Geographie "643 


Hinſicht def’ Plans und der Folge nicht geordnet genug, Don der angekündigten 
neuen Bearbeitung. dieſes Werks iſt nur Die Geographie von Portugal von Ebeling, 
und die von Schweden von Ruͤhs, forwie Amerika (aber noch unvollendet) in 1ITh. 
von Ebeling, Afrifa von Hartmann, und die Fortfeg. von Aften von Sprengg und 
Wahl erfchienen. In Verbindung mit der Gefchichte der dargeftelltn Länder 
und Provinzen behandelte die Geographie, doch auch mit zu viel flatiftifchen Ein⸗ 
mifchungen, Normann in f. „Seographifchen und hiſtoriſchen Handbuche der Lan⸗ 
der:, Völker: und Staatenfunde”, von welchem aber feit 1.185 bloß Deutfehland 
in 5 Abtheil, und die Schmeiz in 4 Abtheil. erfehienen fint, Ein vollftindiges 
„Handb. der neueften Erdbeſchreib.“ begann Safpari 1797, welches in der 1. Ab: 
theil. des 1. Bos. die mathemat., phyſ. und polit. Geographie überhaupt, in der 
2. Abtheil. den oͤſtreich, bair., fchwäb, und fraͤnk. Kreis, in den beiden Abtheil. des 
2. Bos. größtentheils das übrige Deutfchland, und in der 4. Abtheil. des 4. Bde, 
Portugal, Spanien und Franfreich (von Ehrmann bearbeiten) enthält, aber unvells 
endet geblieben ift. Bon dem „DBerfuch einer fuftemat. Erdbefehreibung der entfern« 
teften Welttbeile”, von Bruns, find nur die 6 erſten Th. rnb. 179199) 
erfchienen, welche Afrifa enthalten. Nach einem nicht ſo ausführlichen Plane, 
aber zweckmaͤßig angelegt, und mur nicht beendigt, war Friedr. Gottlieb Sanzler's 
„Abriß der Erdfunde nach ihrem gangen Umfange zum Gebrauche bei Vorleſungen“, 
in 3 Th. (Göttingen 1791 fg.). In compenbdiarifcher Form lieferte Satterer. die 
erften geograph. Werke mit Fritifhem Seifte in f.„Abriffe der Geographie (Gottin⸗ 

en 1772) und in einem „Rurzen Begriffe der Seograpbie (Göttingen 1789, neue 

ufl. 1793). Für Akademien und Gymnaſien beftimmte Sabri f. „ Handb. der 
neueſten Seograpbie”, in 2 Th., und für niedere Schulen ſ. „Abriß der Geo⸗ 
graphie”. Seine große, mit vielem Fleiß eröffnete „Geographie für alle Stände” 
bat bloß die allgemeine Erdfunde und den größten Theil Deutſchlands, nach der 
ehemaligen Kreiseintheilung, in 5 fiarfen Bon. (Leipzig 1786 — 1808) dargeſtellt. 
In der Folge forgte Gaſpari durch zwei Lehrb. der Sengraphie, für den 1. u. 2. 
Cur ſus diefer Wiſſenſchaft beim Jugendunterricht (Weimar fett 1792), für die beſ⸗ 
fere Methode in der Behandlung derfelben, befonders da mit jedem Curſus ein 
befonderer, auf die Faͤhigkeiten der Zöglinge berechneter , Schulatlas ausgegeben 
ward. (1. Curſus, 16.%. 1829; 2. Eurfus, 11. X. 1826.) Mir Rüdficht aber 
auf die neueften Neränderungen und Umbildungen bearbeitete Prof. ©tein in Berlin 
f. „Handbuch der Geographie nach den neueften Anfichten”, welches für Vorträge 
auf Schulen und Akademien in 2 Th. 1808 (Leipzig), und in einer 5. Aufl. Zeipz. 
4825, 3 Th. (doch mit dem feit der 2. Aufl. veränderten Titelr „Handbuch der 
Geographie und Stariftif”, erfchien. Bon dem Auszuge aus diefem Werke für den 
Jugendunterricht ift 1829 die 17. Aufl, erfehienen. Ein fchägbares Lehrbuch lies 
‚ferte Cannabich (41. Aufl. 1827 zu Ilmenau); ein treffliches Handbuch Volger 
(Hanover 1828); ein auf Naturgrenzen bafırtes Lehrgebäude von Schlieben (Lpz. 
1828 fg., 3 TH.) mit einem Atlas; derfelbe gab auch (Lpz. 182530, Querfol., 
44. Liefr.) einen Atlas von Europa und den Colonien mit topograpb.:ffatift. Blat⸗ 
tern heraus. Malte Brun's „Precis de la gengraphie universelle”, mit Chart. 
und Tab., ward nach den Tode des Perf. (1826) mit dem 7. Bde, ("Paris 1828) 
von Andern fortgefeßt. Bas durch Safpari, Haffel, Cannabich, Guts Wuchs und 
Uckert bearbeitete „Bolfftäntige Handbuch der neueften Erdbeſchreibung (Weimar 
1819 fg., 23 Bde.) vereinigt Geographie und Statiſtik, ift forgfültig bearbeitet 
und hat die Beftimmung, an Büfching’s Stelle zu treten. Kein andres Volk befigt 
bis jetzt ein ähnliches Werk von folcher Vollſtaͤndigkeit. In den meiften Hand: 
büchern und Compendien der Geographie ward in der Einleitung die mathematifche 
md phyſikaliſche Erdbeſchreibung in einer überſicht vorauegefhic, (Die befondern 
Schriften über mat hemat. Geogr. ſ. ind. Art, auch J. T. Mayer's, Lehrb. über 


u 


64 Geograph. Kupferftecherfunft Geomantie 


phyſiſche Aftronomie, Theorie der Erde und Meteorologie”, Bötting. 1808, und 
vorzüglich Hochftetter’s „Allgem. math. und phyſik. Erdbefchreib.”, Stuttgart 1820, 
L The.) Die phnfikalifche Erdbefchreibung haben einzeln behandelt F. W. 
‚ Dito in dem „Syſtem einer phyſ. Erdbefchreib. nach den neueſten Entdeckungen“ 

(Berl, 1800), J. E. Fabri in f. „Abriffe der natürl, Erdkunde‘ (Nürnb, 1800), 

Kant inf, „Phnfifcyen Geographie“, herausg. von Rink, 2 Th. (Königsberg 1802) 
und Lin®s „Phyſik. Erdbefchreib, (1826), Zu der reinen Geographie hatte Sat: 
terer in dem „Kurzen Begriffe der Geographie” die erften Grundlinien gezogen. 
Dann verfolgten diefe Anficht: Zeune, in der „Bea“ (Berl. 1808; 2. A. 1811 
mit der veränderten Schreibart: „Sa, Verſuch einer reiffenfchaftl, Erdbefchreib.”); 


Kaiſer, in dem „Lehrbuche der Länder: u. Staatenkunde, auf eine einfachere Dez - 


thode gebaut“ (Mänchen 1810); Stein in ſ. „Geographie für Real: u. Bürger: 
ſchulen nach Naturgrenzen“ (2, Aufl, Lpz. 1808); Hommeyer, in der „Meinen 
Geographie von Europa” (Königsberg 1812) und Kunz, in dem „Lehrb. der reinen 
Geographie” (Tübingen 1812). Eine neue wiffenfaftl Bearbeitung der Geo: 
' grapbie begann 8. Ritter in f. treffl. Werke: „Die Erdkunde tim Verbältniffe zur 
atur und zur Geſchichte des Menſchen, oder allgem, vergleichende Geographie” 
(Berlin 1817 fg., 2 Th.; die 2, Aufl. des 1. Th.: Africa, 1822). Samm⸗ 
‚Tungen für das Studium der Erdkunde find: die „Neuen Allg. geogr. Ephemeriden“, 
bis 1829 28 Bde.; die „Ränder: u. Völkerkunde” (Weimar, in 24 Bon. gefchlofs 
fen); die „Bibliothek der neueften Reifebefchreibumgen”, bis 1829 49 Bde; die 
„Annales des vor. et des sciences geogr.” von Cyriés u. A. (11. Jahrg, Paris 
'1829); das von Verneur in Paris herausg. „„Tournal des voyages, decouvertes 
et navigations modernes” (1824 das 66. Heft); der „Stobus‘ von Streit und 
Cannabich, 7 Hefte; insbefondere die „Hertha“ (von Berghaus und Hoffmann) 
‚bei Cotta, feit 1825. — Bon den geograpb.: ſtatiſt. Wörterbüchern find die ſchaͤtz⸗ 
. baren Werke von Winfopp und Ehrmann (fortgef. von Schorch) nicht beendigt more 
den. Der alte Hübner erfchien 1804 in einer neuen Aufl.: „Neues Staats:, Zeis 
tungs: und Converfationslerifon”, und umgearb, von Nüdner, 1824 fg. 3 Bde, 
- Dagreichhaltige Jägerfche „Beograpk.-hiftor.-ftatift. Beitungslerifon”, von Mans 
nert (3 Th. und Nachträge zum 1. u. 2. Bde.) neu bearbeitet, betrifft nur die Zeit 
bis 1818. Für die gegenmwärt. Verhaͤltniſſe reichen aus: Haſſel's „Allgemeines 
geograph.⸗ſtatiſt. Lerikon”, in 2 CH. (Weimar 1817), und Stein's „Zeitungs:, 
Poſt⸗ und Comptoirlexikon“, in 4 Bon., und Nachträge dazu (Leipzig 1818 fg.). 
Unter den ausländ, lexikograph. Werken ift ausgezeichnet: „The edinburgh Gaze- 
teer. or geographical dictionary” (1817 fg., 6 Bde. nebft Atlas von Arrow⸗ 
fmith); das Dictionn. eograpb, universel”, von Beudant, Billard, Douaig, 
Dubrena, Epries, A. v. Gambolht x. (Paris 1824 fg.), und das „Dictionn. clas- 
siquc et aniverseldegeographie moderne“, mit einem Atlas der alten und einem 
der neuen Linderfunde, von Hpaz. Langlois (Paris feit 1825). Dan der Maelen's 
„Allas univers, de geogr, physiq., polit., statistig, et mineralog*“ mit 400 
Charten, wurde Paris 1829 vollende 
Werk von Keichard („Guide des voyageurs en Europe‘ und der „Paſſagier auf 
der Reife in Deutfchland, In der Schweiz, zu Paris und Petersburg‘), welche viele 


Ausg. erlebt haben, die vorzüglichften; . für Deutfehland insbefondere und die ans 


grenzenden Länder ift Engelmann’s „Taſchenbuch“ Frankf. 1821) brauchbar; für 
zralien Meigebaur’s „Handb, f. Neifende in Italien“ (Leipz. 1826); für England, 
chottland und Irland Meidinger’s „Handb.“ (2 Bde., Frankf. a. M. 1828). 
Geographiſche Kupferſtecherkunſt, ſ. Kupferſtecher. 
Geologie, ſ. Geognoſie. 
Geomantie, die vorgebliche Kunſt, aus gewiſſen, in Sand gemachten 
Punkten zu wahrfagenz eine Art der fogenannten Punktirkunſt. 


t. Für Meifende find das franz. und deutfche - 


! 


Ä Geometrie Georg. 615 


Meomerrie, Erd: oder Feldmeßkunſt, der zweite Haupttheil der reinen 
Mathematik (f.v.), befchäftigt fich mit der Ausdehnung der Größen im Raume, 
mit der Lage und den Verhaͤltniſſen ihrer Theile, alfo mit ihrer Form, während 
der erfle Haupttheil der Mathematik, die Arithmetif, es ausfchlieglich mit der 
Menge der Dinge zu thun hat, Wo die Arithmetik (ſ. d.) nur ab: oder zur 
zahle, d. 5. rechnet, und fich dabei roillfärlich angenommener Zeichen bedient (Zif: 
fern. oder Buchftaben), conftruirt die Geometrie Bilder, Figuren der Größen 
felbft und mißt die Größen nach ihren Verhältniffen zu einander. Die Form 
einer Größe der Koͤrperwelt erfcheint in ihrer Ausdehnung dreifach: nach Länge, 
Breite, umd Hohe oder Tiefe, Diefe. Körperform wird ung erkennbar, wo fie aufs 
bört, d. h. an ihrer Außenfläche (Oberfläche), Diefe ift aber felbft nichts Körperli- 
ches mehr, fondern eine Größe oder Figur von zweifacher Ausdehnung: ‚nach Länge 
- und Breite, oder nach Lange und Höhe, oder nach Lünge und Tiefe. Was nun 
die Flächenform bildet oder beftimmt oder begrenzt, ift an fich felbft nur eine Zinge, 
die Linienform. Nach diefer dreifachen Form der Ausdehnung pflegt man die 
Geometrie geroöhnl. abzubandeln; daher die 3 Hauptabfchnitte derfelben, Rängen:, 
- Flächen:, Korpermeßkunſt, oder Longimetrie, Plartimetrie und Stereometrie. Zwei 
"Linien können durch ihre Lage gegen einander einen Winkel bilden. Hieraus haben 

Geometer eine Reihe von Sägen entwidelt, welche das Verhältnig und die Ver: 
gleichung folcher Linien zu einander und ihre Beziehung zu den von ihnen gebildeten . 
Winkeln enthalten. Dies ift die-befondere Lehre der Soniometrie (Wür cl: 
meffung). Ebenfo umfaßt die Cyklometrie oder Bogenmeffung Alles, was zu 
den Beziehungen der zwifchen den Linien der Winkel befchriebenen Rreisbogenftüden, 
zu diefen Linien und Winkeln felbft gehört. Auch die Dreieckmeſſung (ſ. Trig o⸗ 
.nometrie) und die Vielecksmeſſung (Polhgonometrie) machen befondere Zeige 
. der Geometrie aus. Man unterfcheidet einentedere und eine höhere Geometrie, 
un) obwol die Grenzen beider fich nicht mit Schärfe ziehen laffen, rechnet man doch 
pn legtern die Lehre von den Erummen Linien, Flächen und Körpern,. nämlich die 
ebre von Kegelſchnitten (f.d.) und den hieraus abzuleitenden Curven, wie fers 
ner die Lehre von der Rad⸗(Cykloide), Muſchel⸗ (Tonchoide), Schnecken⸗ (Spirale), 
-Kettenlinle, Iſochrone oder Tautochrone, EpicyEloide und Hypocykloide, lorodros 
mifchen Linie u. dgl., wo dann insbefondere die Analyſis endlicher Größen und die 
Snfinitefimalrechnung in Anwendung kommen. — Unter analytifcyer Seo: 
metrie verfteht man überhaupt die Anwendung der Analpfis auf Die Seometrie, wo 
alsdann die Raumgrößen auch wie Zahlen behandelt und durch Rechnung entwickelt 
twerden. Über die Sefchichte und Literatur der Geometrie ſ Mathematik. — 
Praktiſche Geometrie, f. Feldmeſſen. b. 

Geometriſche Reihe, f. Drogreffion, 

Georg (der Ritter St.:), der chriftfiche Perſeus, nach der Legende ein 
Fappadocifcher Prinz, Seine berühmtefle Heldenthat war die Befiegung eines 

Lindiwurms umd die dadurch beroirfte Befretung einer Königstochter. ‘Das Herz 
ſchild des kaiſerl. ruffifchen Wappens ftellt den 6. Deorg bar, wie er den Lindwurm 
erſticht. Diefer Ritter wird gewöhnlich zu Pferde in Rüftung abgebildet, Unter 
ihm ift ein Lindwurm oder Drache (Krokodil), dener erftiht. Diefe Darftellung 
gründet fich auf folgende Sage: Ein Drache begegnete einft einer Könfgstochter, Aa 
enannt, und wollte fie verfehlingen. In diefer Noth rraf fie der Ritter, Wahr: 
cheinlich ſtammt die Legende aus dem Orient und gefangtein der Periode der Kreuz 
zügezuuns. Die alten chriftf. Kaifer führten diefen Ritter bereits in ihren Stans 
darten, und man legte dieſem Panier eine Wundermacht bet, ſodaß der Kreuzfahrer 
unter diefern Panier gewiß zu fiegen glaubte. Der Drache war auf ſolchem das 
Bild des Heiden oder Mufelmanns, der. befämpft werden follte. | 
Seorg I, (Ludwig), König von Sropbritannien, geb. zu Hanover 1660, 








616 Georg U. Georg HU. 


erbte von feinem Vater, Ernft Augufl, dem erften Kurfürften von Braunfchroeig: 
Züneburg, 1698 diefes Land, und von feiner Gemahlin, Sophie Dorothea, Toch⸗ 
ter des letzten Herzogs von Telle (Wilhelm), die Iüneburg. und cellefchen Lande. 
(Diefe Fürſtin, Mutter George Il., flarb gefchieden, als Gefangene zu Ahlen, 
1726. ©. „Fredegunde, oder Denkwuͤrdigkeiten zur geb. Sefchichte des banöv. 
Hofes“ (Berlin 1825). Wenige Sabre nach dem Tode feines Vaters (1701) 
empfing f. Mutter, die foft T3jähr. Kurfürftin Sophia (eine Enfelin König Jakobs 
von England) die Acte, welche ihr und ihrem Haufe die Nachfolge auf dem engl. 
Throne verlieh, Doch erlebte fie ihre Thronbefteigung nicht, denn fie flarb 9 Wo⸗ 
chen früher als Anna, bie legte Königin aus dem Haufe Stuart. &o ward nım 
Kurfürft Georg Ludwig (8. Juni 1714) u. d. N Georg I. König von Sroßbritan- 
nien und Irland. Kraftvoll wußte er fein neuerworbenes Recht gegen- die Angriffe 
des Praͤtendenten (Jakob LI1.) und deffen Anhänger zu behaupten, wie denn über: 
haupt Kraft, weiſe Politik und hohes Intereſſe für die Nation, die fich ihm anver⸗ 
traut hatte, jeden feiner Schritte bezeichnen, wiewol die Engländer ihn nie liebten, 
weil fein Weſen nicht volfsthürhlich war. Seine Verbindung gegen Karl XII. von 
Schweden erwarb ihm zu feinen hanöv. Landen die Herzogthümer Bremen und Ber: 
den. In dem Frieden, der den, im Verein mit Sranfreich gegen Spanien von 
Georg 3. geführten, Krieg beendigte (1720), ward hauptfüchlich von ihm die Ent: 
laffung des fpanifchen Winifters Alberoni zur Bedingung gemacht, nachdem er das 
ſe auverſtrickte Gewebe diefes berrfchfüchtigen Mannes zerriffen hatte, Durch ſ. 
Marine, befonders feit der Bernichtung der fpanifchen Flotte im mittellindifchen 
Meere, bob er zuerft den Einfluß des engl, Cabinets auf die Eutfchließungen des 
übrigen Europa. 1727 unternahm er eine Reife in feine Erbländer ; da ereilte ihn 
am 22. Juni der Tod in Dsnabrüd. Sein Nachfolger . 

Georg Il. (Auguft), geb. als Kurprinz von Hanover 1683, begleitete f. 
Mater 1714 nach England, mo er zum Prinzen von Wales und Grafen von Che⸗ 
fler ernannt wurde, Er erwarb fich in den Herzen der Engländer ein Vertrauen 
und eine Achtung, die noch jeßt von ihm rühmt, daß er der edelfte Mann im ganzen 
Königreiche gervefen fei, Seine Gemahlin, Saroline, des Markgrafen Joh. Frieds 
rich zu Anfpach Tochter, flarb 1737. Georg entwidelte früh einen Eriegerifchen 
Geiſt, von den, fowie von feiner Tapferkeit, er zueuft in dem Kriege gegen die Nie⸗ 
derlande (1708) glänzende Proben ablegte, Die erften ruhigen Jahre ſ. Regierung 
soidmete er den Befchäftigungen des Friedens; die Univerfität Gottingen, nach ihm 
Georgia Augufla genannt, ward in jener Zeit von ihm gefliftet. Aber feine Liebe 
zu den Waffen rief ihn im ausgebrochenen äftreich. Erbfolgefriege zu Thaten auf 
dem Schlachtfelde. Der Sieg bei Dettingen, am 27. Juni 1743, ſchmückte ſein 
Haupt mit einem 2orberfrange, und ohne feinen Beiftand Hätte vielleicht Maria 
CThereſia ihren zahlreichen Feinden ımterliegen müffen. Der gachner Friede gab ihm 
wieder Muße zu der Yürforge für die innere Wohlfahrt feineg Reiches, Der über 

die amerifanifchen Angelegenheiten entzündete Krieg zwiſchen Großbritannien und 
Frankreich entrig ihm zwar auf eine Zeit lang Minorca, alfein die Kraft, welche 

"England im Laufe jener großen Begebenheiten, unter denen der ſiebenjahrige Krieg 
und Seorgs Antheil an demfelben im Bunde mit Friedrich 11, am michtigften find, 
immer fichtbarer entwidelte, führte dies Reich zu deſto größerm Glanze. Da ent: 
riß der Tod Georg I. f. Unterthanen am 25. Dct.1760. 

Georg in. (Wilhelm Friedrich), König von Großbritannien und Irland, 
und bis 1815 Kurfürft, fritdem König von Hanover, geb. 1138, Sohn von dem 
9 Jahre vor Georg Il. verftorb, Friedrich Ludwig, Prinzen von Wales, und Auguſte, 
T. Herzogs Friedrich IL. von Sachſen: Gotha, folgte f. Großvater, Georg IL., den 
25. Oct. 1760, und vermählte fich, d. 8. Sept. 1761, mit Sophie Charlotte, T Ara 
Herzogs Karl zn Medtenburg:Qrvelig, geb, 1744. Er fegte den fiebenjähr. Krieg 


“ | Georg IH. 647 


mit Nachdruck fort, und der Friede von 17763 ſicherte England den Beſitz von Ca⸗ 
nada u. ſ.w. In feine lange Negierung fallen der Berluft der nordamerikaniſchen 
Eolonien, die Eroberung vom größten Theile Oſtindiens und mehrer Inſeln, die 
engere Bereinigung Irlands mit Großbritannien und der franz. Revolutionskrieg. 
inter ihm erhob fich der Ruhm der britifchen Seemacht höher ale je, durch Howe, 
Jervis, Nelſon u. A.; auch das Landheer erlangte wieder den alten Ruf der Tapfer: 
keit und Kriegszucht, in Indien und unter Wellington in Spanien und den Nieder⸗ 
landen, Zahlreiche Erwerbungen haben das Seereich der Briten ebenfo fehr erwei⸗ 
tert als ihren Handel. Schon 1788 hatte der König den erften Anfall von Geiſtes⸗ 
jerrüttung, ward aber von dem Doctor Willis bald hergeftellt. Allein 1792 war 
eine fo fehnelle Heilung nicht möglich, und es wurde bie Frage wegen einer Regent: 
ſchaft in denn Parlamente zur Sprache gebracht. Die Oppofitionspartei wollte den 
Prinzen. von Woles zum Regenten erklärt wiffen, allein die Miniflerialen unter 
Pitt's Anführung, welche Durch den Prinzen geftürzt zu werden fürchteten, behaups 
teten, daß die Regentſchaft kein mit der Perſon verbundenes Necht fei,. fondern 
soillEurlic) von dem ‘Parlament ertbeilt werden könne. Die Bill, welde Pitt in 
dieſem Sinne vorfchlug und das Unterhaus annahm, blieb indeß ohne Wirkung, da 
der König genas. Man behauptet, daß die rwefentlichen Dienfte, welche Pitt bei 
diefer Gelegenheit dem Könige erwieſen, bauptfächlich ihm die unwandelbare Gunſt 
deffelben gefichert Hätten. Der König ward von f. Molke fehr geliebt; gleichwol 
barte man mehr als ein Dal Angriffe auf fein Leben gewagt; namentlich bei dem von 
Gordan angeftifteten Aufruhr 1780, dann 1794, wo auf einer Spazierfahrt eine 
Zlinte auf ihn abgedrückt ward, und 1800 im Theater, wo ein gewiſſer Hatfield, 
der nachher für wahnfinnig erklärt wurde, ein Piftole gegen die konigl. Loge abfchoß, 
ohne jedoch Jemand zu verwunden. Die konigl. Gewalt bat fich unter der Regie⸗ 
rung Georgs 111, befonders durch die Fremdenbill und die Suspenfion der Ha: 
beas:Lorpusgete (ſ. d.) anfehnlich ermeitert. . Ihr Einfluß im Parlamente 
war größer als je, theils Durch die Spaltungen der Oppofitionspartei, theils Durch 
Die Vermehrung der Mitglieder im Oberhaufe, deren Anzahl 1760 nur 181, im J. 
4800 aber gegen 500 betrug. Als Seorg inf. 22. %. den Thran beſtieg, befaß 
Lord Bute, fein ehemaliger Erzieher, fein unumfchränktes Vertraum, das nachher 
gewiſſermaßen auf den von dieſem empfohlenen Lord Liverpool überging. Der Kö: 
nig genehmigte leicht die Diane, die ſ. Srundfügen entfprachen, und verfolgte fie 
mit größter Bebarrlichkeit; aber ebenfo unbeugfam war er auch in f. Abneigung; 
fein Souverain verabfeheute fo fehr als er die Grundſatze der franz. Revolution, felbft 
als die herrfchende Partei der conftituirenden Berfammlung die britifche Berfaffung 
laut erhob, Ebenfo bebarrlich hat er fich gerveigert, den irländifchen Katholiken die 
Aufhebung der Teft zuzugeftehen, welche ihnen Pitt werfprochen hatte. Künfte 
und Wiffenfhaften hat er mehr befchüßt als f. Borginger aus dem Haufe Braun: 
ſchweig; doch nicht in dem Grade, wie von einem fo großen Monarchen hätte erwar⸗ 
tet werden fönnen. Faſt alle f. Schenkungen und Denfionen hatten mehr einen po⸗ 
litiſchen Zweck. Übrigens war f. Charakter flets fanft und leutfelig; fein Seficht 
batte das Seprüge der Gutmuthigkeit und des Wohlwollens. Als Gatte und Va⸗ 
ter mufterhaft, lebte er ftets wie ein einfacher Privatmann in dem Schoß f. zahl: 
reichen Familie, vornehmlich zu Windſor. Als er 1804 einen abermaligen Anfall 
f. Krankheit hatte, befchäftigte man fich aufs Neue mit den Maßregeln zu Einfegung 
einer Negentfchaft; auch dies Mal genas er wieder. Seitdem litt er befonders an 
der Abnahme des Sefichts, wodurch er verhindert ward, das Parlament perfünlich 
zu eröffnen. 1810 kehrte feine Seiftesfrankheit heftiger als je zuruck, und es vers 
ſchwand alle Hoffnung zur Wiederherftellung. Die Regentſchaft wurde daber in 
die Sande des 'Prifffen v. Wales, Georg Friedrich Auguſt, gelegt. In dieſem Zu: 
ftande flarb der blinde König den 39. Yan, 1820, in einem Alter 81 J. Mon. 


618. Georg IV. 


Seine Enkelin (£ Charlotte im Art, Caroline Amal Elif.), war den 5. 
Nov. 1817, f. Semahlin den 17. Nov. 1818, und f. vierter Sohn, der Herpag 
von Kent, den 23. Yan, 1820 geſtorben. S. Aikin's „Annals of the reign of 
King George the third, from 1760, to Ihe general peace in the year 1815, 
2Dde. (Bol. Großbritannien.) 
Georg IV. (Friedrich Auguſt), König von England und Hanover, geb. 
ben 12. Auguft 1762, ward den 8. Febr. 1811 mit eingefchränfter Gewalt zum Res 
genten von Großbritannien und Irland, auch zum Regenten des 1815 zum Königs 
reich erhobenen Kurfürftenthums Hanover erflürt. (S. Georg ill.) In feiner 
“Jugend fehr Rreng durch D. Markham, jegt Erzbifchof von York, und D. Jackſon, 
bierauf feit 1776 durch D. Hurd, Bifchof von Worcefter, und Mr, Arno, Cura⸗ 
tor des St.⸗Johncollegiums zu Cambridge, erzogen, aber trefflich unterrichtet, ver⸗ 
einigte der Prinz von Wales mit glänzenden Seiftesgaben Das vortheilhafteſte Au⸗ 
ßere. Groß und wohlgewachfen, in f. Haltung leicht und gewandt, für den Lim= 
gang bachgebildet mit gewinnender Huld, einfach bei dem feinften Geſchmack und 
freigebig bis zur Verſchwendung, war er einer der-fchönften Maͤnner des Konigreichs, 
der rauen Abgott, die Hoffnumg und die Liebe des Volks. Auch fortgeriffen vom 
wilden Jugendfeuer zu freier , regellofer Luft, der er mit ſ. Bertrauten, dem Oberften 
St.⸗Leger, dem Oberften (jegt General) Tarleton u, A. ſich hingab, blieb er treu 
der britifchen Sitte und ftand deßh alb hoch in der bffentlichen Gunſt. Ermartungs- 
voll ſah die große Zahl der Unzufriedenen auf ihn, alser, verfaffungsmidrige Maß⸗ 
regeln der Miniſter laut migbilligend, an Lord Moira, For, Burke, Sheridan und 
Andre ausgezeichnete Mitglieder der Oppofition fich anſchloß. Aber f. Verbindung 
mit der fchönen Witwe Fiß-Herbert, die zu einer angefehenen katholiſchen irlindis 
ſchen Familie gehörte, mißfiel der koönigl. Familie wie dem Volke. Dazu kam noch 
eine Schuldenlaft von mehr als 200,000 Pf. St., die er bei nur 50,000 Pf. jährl. 
Einnahme, twährend fonft dem Prinzen von Wales wol das Doppelte bewilligt wor- 
den war, und für den Bau von Earltonhoufe, feinem Refidenzfehloffe, hatte machen 
müffen. Die Härte des Vaters nörbigte ihn 9 Monate lang, fich auf das Noth⸗ 
wendigfte zu befchränken. Er verkaufte feine Wettrenner, entließ viele Perfonen 
f. Hofftaats, ftellte das Bauen ein u, ſ. w. Endlich brachte der Alderman Neu⸗ 
ham f. Angelegenheit vor das Parlament (4787), worauf Pitt als Bermittler. ein: 
‚trat. Später, als er fich mit der Prinzeffin von Braunſchweig vermählte, flieg f. 
jaͤhrl. Einnahme bis auf 125,000 Pf. St. Bald nachher, als bei der Krankheit 
des Königs 17188 die Frage von einer Regentfchaft war, ſchlug Pitt die Einfchrän: 
kung der damit verbundenen Gewalt vor; For widerfetzte fich vergeblich zu Sunften 
des Prinzen, (S. Pittund For) Doc flimmte das irländifche Parlament in 
dem Sinne von For für die volle Gewalt des Regenten. Bis jet hatte der Prinz 
jede Bermählung abgelehnt. Endlich entſchloß er ſich dazu und vermiählte fich wider 
f. Neigung, aus Staatsgränden, weil fein Bater es wünfchte und f. Schulden zu 
bezahlen verfprach, den 8. April 1795 mit der Prinzeffin Carolina (f.d.) von 
Braunſchweig. In der Folge, als Bonaparte 1805 England mit einer Landung 
bedrohte, verlangte der Prinz, welcher nur Oberſter eines ‘Dragonerregimentsiwar, 
wahrend f. Brüder Generale waren, und der Herzog von York fogar Oberbefehls⸗ 
haber, einen höhern Grad in der Armee,. allein die Miniſter und ber König, an den 
er fich deßhalb mit fehr dringenden Vorſtellungen unmittelbar wandte, fehlugen ihm 
fein Geſuch ab. Als Regent leiftete er den Eid den 6. Febr. 1811 und war nur 
im erften J. durch eine Parlamentsbill in der Ausübung der koͤnigl. Vorrechte etwas 
beſchraͤnkt. Er Eonnte z. B. keine Pairs, außer für geleiſtete wichtige Dienfte, ernen: 
nen, keine Stelle auf Lebenszeit ertheilen u. ſ. w. Da er das Miniſterium nicht 
im Sinne ſ. bisherigen Freunde beſehzte, fo kam es zu Erklärungen, welche Die öffent: 
lichen Blätter mittbeilten, Noch unangenehmer mußten ihm viele Außerungen ber 


Georg IV. 619 


/ 


Belksmelnung fein, als die Unterfuchung des Betragens feiner Gemahlin im Parla⸗ 


mente zur Sprache kam. Gegen die Erwartung feiner bisherigen Freunde, be 
folgte er, durch die Lords Liverpool und Caſtlereagh über die Vortheile des Krons 
rechts belehrt, das Regierungsfuftem Pitt's mit dem glorreichften Erfolge, und Lud⸗ 
wig XVIII. erklärte nach f. Wiederherftellung, daß er, nächft Gott, dem Prinzen 
Kegenten f. Krone verdanke. Darauf empfing der Regent den Kaifer Alerander 
und König von Preußen, nebft ihren ruhmgefrönten Feldherren, und mehre fremde 
Fürſten als f. Säfte in London, mit einer bisher noch nicht gefehenen Pracht. In 
einem Schreiben vom 14. Juli 1815 bat Napoleon den Regenten um eine Freiflatt: 
„wie Themiſtokles vertraue er fich dem ſtandhafteſten und großmüthigften feiner 
Beinde,” allein die britifche Staatskunft mußte andre Rüdfichten nehmen als die 
auf Plutarch’s Erzählung. Als Regent fliftete er den 42, Aug. 1815 den hanoͤver⸗ 


ſchen Civil⸗ und Militair⸗, den Guelphen⸗, und 1818 den engl, St. Patrik: Orden. . 


Zur beiligen Allianz gab er den 6. Det. 1815 f. Zuftimmuna nur perfönlich, da die 
britifche Staatsverfaffung den förnlichen Beitritt nicht gefinttete. In derfelben 
Zeit übernahin der Prinz.Regent die Bormundfchaft über die braunfchweigifchen 
Prinzen und das Herzogthum, wo er 1819 die alte feudalftäntifche Berfaffung wies 
derberftellte. Daffelbe hatte er, jedoch mit mehren Abänderungen, auch in Hanover 
getban. Zulegt hatte er für Hanover und Bräunfchweig die Befchlüffe des Bundes: 
tages vom 20. Sept. 1819 nis gefeglich erklärt und die ftrengen Formen der Cen⸗ 
far vom J. 1705 wiederhergeſtellt. Im März 1816 machte er das Parlament mit 
der am folgenden 2. Mai vollgogenen Bermählung feiner Tochter Charlotte mit dem 
Prinzen Leopold von Sachfen :Koburg befannt. Da der Wohlftand der Na⸗ 
tion nach dem Frieden durch die plotzliche Unterbrechung einerungeheuern Conſum⸗ 
tion auf der einen und einer großen Fabrifthätigkeit auf der andern Seite fehr er: 
fchüttert wurde, und die Laften fortdauernd das Volk drüdten, welches fich im Par: 
lamente ungleich und zum Theil gar nicht repräfentirt, fondern von der Ariftofratie 
des Reichthums und wenigen herrſchenden Familien untertrüdt glaubte, fo entſtand 
viel Mißvergnügen, Ein meuterifcher Anfall auf das Leben des Regenten, als er 
"den 28. Jan. 1817, um das Parlament zu erdffnen, nach Weftminfter fuhr, hatte 
jedoch-Eeine Folgen ; auch wurde der Aufftand in Spafield durch die Eräftigen Maß: 
regeln der Minifter unter drüdt. Im Det, 1818 unterzeichnete fein Sefandter auf 
dem Eongreffe zu Aachen die Declaration vom 19. Nov. Hierauf war er, nebft 
Frankreich, den vom Songre erhaltenen Auftrag, die Barbaresfen (welche er durch 
Lord Exmouth 1816 bereits zum Nachgeben gezwungen hatte) zu einem völferrecht= 
lichen Sriedensverhältniffe mit Europa aufjufodern, zu vollziehen bemüht. Mit 
Spanien in freundfchaftlichen Verhältniffen, verbot er f. Unterthanen, in dieDienfte 
der amerifanifehen Inſurgenten zu treten. Übrigens wurde die von f. Minifterium 
durchgefeßte allgemeine Aufhebung des Sflavenhandels immer mehr in Vollziehung 
gebracht. Allein im Innern nahmen bei der Stodurig des Handels die Gaͤhrungen 
zu; vorzüglich feit der Magiftrat zu Manchefter den 16. Auguft 1819 gegen eine 
“an ſich erlaubte Berfammlung des Volks, das über die Parlamentereform berath⸗ 
fehlagen wollte, unzeitig Gewalt gebraucht hatte, modurch viele Menſchen ums 
Leben gefommen waren. Der Prinz Regent ließ das Betragen des Magiſtrats gut: 
beißen, obgleich ein großer Theil der Nation aus allen Ständen eine aerichrliche 
Unterfuchung verlangte. Die Regierung befehloß daher, die bewaffnete Macht mit 
11,600 Mann zu verflärfen, was noch mehr zum Unmillen reizte; hierzu Fam, daß 
der Zordlieutenant der Sraffchaft York, Fitzwilliam, abaefeßt wurde, weil er Bes 
-rathfehlagungen des Volks in Anfehung der Vorfälle zu Mancheſter geflattet hatte. 
" Alles dies und das Elend der arbeitlofen Elaffe machte die Radicalreformers immer 
fühner: allein die reichern Bürger und Corporationen traten faft überall auf 
die Seite der Regierung und vereinigten fich, um jenen unrubigen Verſammlungen 


/ 


— 


620 Georg IV. | 
entgegen zu wirken. Gleichwol wurde von Weſtminſter eine ſtarke Adreffe dem 


Prinz⸗Regenten übergeben, worin die Petitionaire wünfchten, daß ihr Monarch lieber 


durch das Vertrauen f. Volks als durch Soldaten regiere. Indeß konnte nad 


‚einem 23 jährigen Kriege, welcher der Nation (ohne die geroöhnlichen jährt. Ausg. 
von 464 Mill. Pf.) an augerordentlichen Ausgaben über 1000 Mill. Pf. &t. ge: 


fortet hatte, das Elend der Armen nur nach und nach Erleichterung finden, und bie 


- Dartei der Unzufriedenen mußte, zumal in Irland, wo der blutigfte Aufruhr mehr: 


mals ausbrach , durch Strenge in Ordnung gehalten werden, . Doc) legte das 


- Parlament 1819 zum Beſten armer Auswanderen und Unternehmer neuer Nie: 


derlaffungen in den Colonien eine bewaffnete Militaircolonie an den Grenzen der 
Kaffern auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung an. librigens wuchs das Reich 


. nach Außen (vergl. Großbritannien und Engl, Reich in Oftindien) 
‚an Umfang und Handelsgröße. Der Macht des Reichs entfprach der Glanz 


des Hofes des Regenten, vorzüglich in f. Lieblingsaufenthalte, dem herrlich ausge: 
fhmüdten Brighto.% und die Pracht ſ. Krönung. GeorgV., der feinem Vater als 


Köonig den 29, an. 1820 gefolgt war, ließ ſich in der Weſtminſter-Abtei am 19. 


Juli 1821 mit genauer Beobachtung der altı:thümlichen Gebräuche kroͤnen, zu 
foelcher Feierlichkeit die europsifchen Meächte außerordentliche Botfchafter nach Lon⸗ 
don geſchickt hatten’), Allein der Ruhe f. Regierung drohte der Proceß geführlich 
zu werden, den Georg IV. gegen f. Gemahlin, die Königin Caroline, vor dem Ober: 
baufe durch f. Deinifter führen ließ, um ihr den Titel und die Rechte einer Königin 
von England ihres Betragens wegen zu entziehen (Degradationsbill), &. Care 


‚line, Königin v. England.) Bald nachher, als der Rönig ſ. laͤngſt beabfichtigte 


Reife nach Irland wirklich angetreten batte, farb die Königin am 7. Aug. 1821. 


Georg V. erhielt außerhalb England viele Beweiſe von der Liebe feiner Untertharen. 


Dei f. Ankunft in Dublin am 42. Aug, trank er auf die Geſundheit der Dubliner 
ein Glas irländifchen Whisky, Dies und feine die Herzen gewinnende Erfcheinung, 
als er beidem feiertchen Einzuge am 18. auf dem ganzen Wege von der Stadt bis 
ins Schloß unbededt im Wagen ſtand, entzüdte das Voll, Aber die Drangiften 
mit den Katholiken auszuſohnen, gelang dem leutfeligen Könige nicht. Nach einer 
Reihe von Feften verlieg Georg Dublin ten 3, Sept. und kehrte in das beruhigte 
London zurüd, wo ihm das Volk feine alte Liebe nach ꝛud nach wieder zuwandte. 
Denn Handel und Wohlftand waren im Zunehmen; Napoleons Tod erfparte der 
britifchen Regierung einen jührl. Aufwand von veinahe 2 Mill. Thlr., und die 
Minifter fuchten durch verfchiedene Einfchränkungen die äffentlichen Laſten zu ver: 
mindern. In deinf. jahre (am 24. Sept.) unternahm der König eine Reife in feine 
deutfchen Staaten, nachdem er für die Zeit f. Abwefenheit eine Regierungscom: 
miffion unter dem Vorſitze f. Bruders, des Herzogs v. York, ernennt haue. In 
Hanover, wo er am 10. Det. f. Einzug bielt, empfingen den Monarchen feine Bruͤ⸗ 
der, der Seneralgouverneur des Königreichs, Herzog v. Cambridge, und der Herzog 
von Sumberland , ſowie die Liebe u. die Huldigung von Seiten f. Deutfchen Untertha: 
nen. Am 8, Nov. traf er in.Sarlton-Houfe wieder ein. Dieſelbe Staatskunſt der 
Minifter, weiche dem Könige die Reifen nach Irland und Hanover angerathen hatte, 
veranlaßte ihn 1822 au, Schottland zu befuchen. Nachdem er den Unterflaats: 
fecretair Sir Rob, Peel an Lord Sidmouth's (Addington's) Stelle zum Minifter 
des Innern ernannt und den zum Congreſſe nach Verona beflimmten Minifter, 
Marguis yon Londonderry, noch gefprochen hatte, fchiffte er fich. zu Greenwich ein 
und flieg am 15. Aug. zu Leith ans Land. Der am 12. Auguft erfolgte Tod des 
Marquis v. Londonderry (ſ. d) rief ihn nach London zurüd, wo er am 1. Sept. 
*) Der Wappenfönig G. Naplor gab die Geſch. dieſer Krönung (100 S., m. 70 Kupf., 


&ol.) heraus (Preis 25 Guin.): die erſte amtliche Beſchreibung ſeit Dem Berichte, welchen 
Eanbford 1687 von Jakobs II, Krönung hatte drucken laſſen. 


Georges Cadoudal | 02 


eintraf. Er fandte jeßt den Herzog von Wellington zum Tongreß nach Verona und’ 
übertrug auf Lord LiverpooPs dringende Empfehlung dem fchon von der öffentlichen‘ 
Stimme als Londonderry’s Nachfolger begeichneten ©. Sanning, obgleich ihm der: 
felbe, voegen ſ. Migbitligung des Proceffes gegen die Königin, pet ſonlich unangenehm 
soar, die Zeitung der ausmärt. Angelegenheiten. Dies hatte eine Anderung des bieber 
befofgten polit. Syſtems und die aeurralinh Englands im franz.:fpan. Kriege 1823 
zur Folge. Bald darauf trat auch Robinfon ale Kanzler der Schagfammer an Van⸗ 
ſittart's Stelle, und im Nov. 1823 Husfiffon ins Miniſterium. Allein nach Can⸗ 
ning’s Tode und ſ. Nachfolger’s Austritt fam Wellington d. 24. Yan. 1828 an die 
Spitze des Minifteriums, der des Königs Einwilligung zur Smancipat. der Kathol. 
41829 erhielt, und mit $ranfreich für die Pforte gegen Rußland fich vereinigte, in 
Portugal aber den D. Miguel gegen die von Georg IV. anerkannte Königin Maria 
begänftigte. — In Seorgs Regierung als König von Hanover iſt zu bemers 
fen, daß er, außer der 1820 neu beftimmten Iandfländifcehen Berfaffung mit zwei 
Kammern, diefem Staate am 15. Mai 1823 eine neue Berwaltungsform gab, 
nach welcher eine Domainenfammer für das ganze in 6 Landdroſteien getheilte und 
von 6 Landdroften regierte Königreich befteht. Die von ihm im Herzogth. Braune 
fhrweig: Wolfenbüttel geführte vormundfchaftliche Negierung legte er am 30. Der; 
4823 nieder, Der ſeitdem regier, Herzog Karl v. Braunſchweig erhob aber 1827 
egen f. Bormund fo laute und beleidigende Befchwerden, dag die Sache vor den 
undestag fam, wo der Commiſſionsantrag (26. Juli 1829) dem Könige vollfoms 
mene Genugthuung zuerfannte, — Noch iſt zu erwähnen, dag Georg IV. 1820 
die Royal society of literature geftiftet und die Bibliothek f. Vaters der Nation 
geſchenkt hat. Biefe enthält, ohne die Eleinen Schriften, Charten und Plane, 
65,250 Bde, und wird im Nationalmuſeum aufgeftellt. Das Bildniß Seorgs IV, 
gemalt von TH. Larorence, Praͤſident der önigl. Malerakademie, wird für das befte 
Weerk diefes Künfziers gehalten. Da des Königs Bruder, der Herzog v. York (ſ. d.), 
ohne Kinder zu binterlaffen, 1827 geftorben ift, und der zweite Bruder des Königs, 
der Herzog von Slarence, ebenfalls keine Kinder bat, fo ift des 1820 verft, Herzogs 
v. Kent, dritten Bruders bes Königs, einziges Kind, Alerandrine, geb. 1819, die 
muthmaßliche Thronerbin Englands, Diefe Prinzeffin wird jet, nach dem Willen 
des Baters, unter den Augen ihrer Mutter Vierorie, des Herzogs Franz von Sachfen- 
Koburg Tochter und des Fürften Emich von Leiningen Witwe, erzogen. 

Georges Cadoudal, Chef der Chouans, der Sohn eines Dorfmüͤllers un: 
weit Auray in Morbihan, nahm bei dem Aufſtande in Bretagne als Reiter Dienſte, 
vereinigte ſich nebſt einigen Bretagnern mit den Bendeern, als fie über die Loire ges 
gangen waren, und wurde bei der Belagerung von Örenville zum Dfficier ernannt. 
Er zeichnete fich Durch Körperkraft und Muth aus. Nach den Berluften bei Mans 
und Öavany flüchtete er fich in f. Seburtsland, 10 er Bauern und müßige Matro⸗ 
fen warb, an deren Spiße er fich ſtellte. Eine republifanifche Colonne überrafchte 
ihn und brachte ihn nebft ſ. Vater in Verhaft nach Breſt. Mach einer langen Ges 
fangenfthaft entfam er in Matrofenkleidung und übernahm wieder den Oberbefehl 
f.Santons. Die Adeligen fuchte er fortwährend vom Commando gu entfernen und 
sourde feit 17195 felbft als Haupt einer Piebejerpartei betrachtet. 17796 befehfigte er 
die Divifion von Morbihan. Als er 1799 die Waffen aufs Neue ergriff, war er 
einer der Chefs, welche die größte Macht um fich verfammelten, und es war die 
Rede davon, ihn,"den einzigen nichtabeligen Obergeneral, zum Generaliffimus zu 
ernennkn. Um diefe Zeit befeßte er wieder Nieder: Bretagne. Seine Divifion war 
diejenige, welche den Republifanern die meiften Treffen lieferte und an den Ufern der 

- Bilaine einen Transport von Flinten und Kanonen in Empfang nahm, welchen die 
Engländer dafelbft ausfchifften. Lange rg er den Frieden aus, welchen die Son: 
fuln damals anbosen; doch in Folge der Treffen bei Grandchamp und Elven 


Aa 








023 Georgien 


(25. und 26. San. 1800), und nachdem alle Chefs, Frotte ausgenommen, fich dem 
Geſetzen der Republik unterworfen hatten, dachte auch er daran, den Frieden aba 
ſchließfen. Am 9. Febr. ging er dem General Brune, als diefer recognoscirte, bei 
dem Dorfe Their entgegen und hielt unter freiem Himmel eine Unterredung mit 
fhm. In einer Stunde waren fie einig. G. machte fich anheifchig, f. Truppen zet 
entlaffen und f. Artilferie und Gewehre auszuliefern. Nachdem der Friede von den 
Eonfuln genehmigt worden, fam er nach Paris, wo ihm Dienfte in der republifas 
nifchen Armee angeboten wurden; allein plöglich reifte er nach London ab und fand 
bei den Prinzen und engl. Miniftern eine günftige Aufnahme. Die dee der Höls 
Ienmafchine foll er angegeben haben. Im Aug. 1803 Iandete er mit Pichegru u. A. 
auf der franz. Küfte, um den Anfchlag auf das Leben des erften Confuls, den er im 
Einne hatte, auszuführen. Bis zum März 1804 hielt er fich in der Hauptſtadt 
verborgen. Um diefe Zeit Hatte bie Polizei von diefer Verſchwoͤrung Winke erhal⸗ 
ten und ließ ihm nachfpüren. Bei f. Sefangennehmung in der Nähe-des Palaſtes 
Luxembourg firedte er mit zwei Piftolenfchüffen zwei Diener der Polizei zu Boden, 
fprang aus f. Cabriolet und fuchte zu entfommen; allein das Volk umringte ihn 
und hielt ihn feſt; man führte ihn auf die Prafectur und von da in den Temple. 
Das Eriminalgericht machte ihm und ſ. Mitverfchroorenen den Proceß und verurs 
tbeilte ihn, als eines Mordanfchlags gegen das Leben des erften Confuls überwiefen, 
den 11. Mai 1804 zum Tode. Er wurde am 25. Juni guillotinirt. G. war 
85 Jahre alt, zeigte während feines Proceffes die Außerfte Kaltbluͤtigkeit, büs 
tete fich ſtandhaft, feine Parteigänger in feinen Antworten zu belaften, und bes 
kannte laut feine Anhänglichkeit an die Sache der Bourbons, 

"Georgien, perfifh Surgiftan, ruffifch Srufien, bei den Eingeborenen 
Iberien, eine Landſchaft in Afien, welche von Circaſſien, Dagheſtan, Spirman, 
Armenien und den ſchwarzen Meere eingefchloffen und durch Gebirge in den weſtl. 
und öftl, Theil getrennt voird. Ruſſiſch⸗Georgien oder die Provinz Tiflis hat 
882 HOM., 390,000 E. Türkifch:Seorgien, oder Semo Karthli, gehört zum 
Paſchalik Tfehaldir (238 OM., 200,000 &,), mit der Hauptſt. —8 1828 

eroberte General Paskewitſch dieſe Provinz. Getrennt von Ruſſiſch⸗Georgien iſt 
die ruſſ. Provinz Imirete (645 DM., 270,000 E.), welche die Abtheilungen: 
Imirete, das Vaterland der Faſanen, mit der Hauptſt. Kotatis; Mingrelies, Guriel 
mit Poti an der Mündung des Faſch (Phaſis), und die Awchaſa, den ſuͤdweſtl. Abe 
Dane des Kaukaſus, begreift. Mingrelien und Guriel fiehen noch jetzt unter griech. 

rb:Baaren, die Rußland zinsbar find. Der ehemalige Zaar von Georgien (Kachetien 
und Kartalinien), Heraklius Teimurafowitfch, erfannte 1183 für ſich und f. Nochs 
£ommen die Oberberrfchaft Rußlands an. 1784 folgte der Zaar von Imirete diefem 
Beiſpiel. 1801 erklärte Kaifer Paul ſich, auf Bitte des Zaars Georgius JIraklie⸗ 
wirfch, für den unmittelbaren Befiger von Georgien, und Kaifer Alerander verband 
durch ein Marffeft vom 4% Sept, 1804 Georgien förmlich mit feinem Reiche, 
Die noch vorhandenen Prinzen find penfionirt, und Tiflis (ſ. d.) wurde der Sig 
der Regierung. In der Arochafa halten die Ruffen mehre Feſtungen (3. B. Anapa) 
am ferwarzen Deere befebt, Die Arochafen felbit (Mohammedaner) find unabhäns 
gig urt zahlen Beinen Tribut. Das Ehriftenthum kam um 370 aus Armenien in 
die georgifchen Ränder, die einzigen auf dem Kaukaſus, wo es fich vollfländig erhal: 
ten bat, Die georgifche Zaarin Tamar ſuchte die chriftliche Religion unter die Ges 
birgsvdlker zu verbreiten, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. Die Herrfchende Res 
ligion, die griechifche, wird ſtreng, neben einer Menge altnationaler abergläubiger 
Gebräuche beobachtet. Gegen fremde Religionen find die Georgier ſeht duldfam, 
Unter dem Exarchen von Gruſien ſtehen 12 Erzbifchäfe und Bifchöfe und 13 Archis 
mantriten. AlsZankapfel der Perfer und Türken ward dasLand Jahrhunderte lang 
von Beiden ausgeplündert, und feine Bewohner wurden als Sklaven fortgeführt. 


Georgien Gerando 628 


Man hält die Georgier nach den Circaſſiern für den ſchoͤnſten Menſchenſtamm, unb 
Die georgifchen Weiber find eine Hauptzierde ber türfifchen und perfifchen Harems. 
Dbgleich der Tharakter des Volks durch den anhaltenden Druck gelitten dat, fo has 
Ben fich doch Tapferkeit und Edelmuth bei ihm erhalten. Das Land iſt 1 gebirgig, da 
es im N. vom Kaufafus begrenzt wird, aber reich an Holz, Setreide, Vieh, Seide, 
Obſt und Sartenfrüchten; der Wein tft fchlecht unter dem rauben Himmel mans 
cher Thaͤler und bei ungefchidfter Behandlung der Landleute. S. Guldenſtaͤdt's 
‚Reife nach Georgien und Imirethi“, mit Anmerf, von. Klaproth (Berlin 1815), 
und Sen. Mai. Chatomw’s Seneralcharte von Seorgien und den angrenz. Theilen 
Derfiens (10 DI. $ol., im petersburg. topogr. Bureau des Eaiferl. Generalſtabes). 
Gamba's Heife (Paris 1826) und des Dberften Mottier „Itineraire de Tiflis & 
Constantinople” (Brüffel1829) verbreiten viel Licht über diefe Länder. 
Seorgien, fe Vereinigte Staaten von Nordamerika, 
Gerade, in den deutfchen Rechten, der Inbegriff gewiſſer durch Geſetz 
und Herfommen beftimmter beweglicher Sachen, welche in dem Eigenthum und 
dem Gewahrſam eines Srauenzimmers fich befinden und nach ihrem Tode nur auf 
Srauenzimmer vererbt werden Eonnen; dahin gehören die Kleider, der Schmuck, 
gevoiffer Hausraih u. f. w., jedoch pflegt man fich meiftentheils in Beſtimmung 
alles Deſſen, was zur Gerade gehört, nach jedes Orts Gebrauch zu richten. Sie 
wird in Witwen: und Nliftelgerade eingetheilt: jene, wenn nach des Mannes Tode 
die Witwe die zur Gerade gehörigen Stuͤcke von der übrigen Berlaffenfchaft abfon: 
dert und als ihr Eigenthumm hinwegnimmt; dieſe, wenn nach dem Tode einer Weibs⸗ 
perfon deren nächfie roribliche Berwandte Rifieh die Gerade erbt. (Eine andre Eins 
theilung in adelige und bürgerliche Gerade beruht auf einem Irrthum und fommt 
bier nicht in Betracht.) Obgleich nun nur Frauenzimmer die Gerade erben können, - 
fo gibt es doch Ausnahmen, mo theils nach befondern Statuten auch der Ehemann, 
entweder ganz oder zum Theil, geradeerbfähig ift, theils auch nach gemeinen füch: 
fifchen Rechten gewiſſe Perfonen, z. B. die Seiftlichen, die Gerade erben konnen, 
Da nämlich Söhne, welche ſich Lem geiftlichen Stande widmeten, feine Waffen 
führen durften, folglich auch feine Erbfchaft im Heergeräthe bei ihnen ſtattfinden 
konnte, fo gab man ihnen das Mecht, mit den Weibern die Gerade zu erben, 
Serando (Joſeph Marie de, Baron v. Ramzhaufer), Staatsrath, Mitgl, 
der Akad. d. Sinfchriften und philofophifcher Schrififteller, geb, zu Lyon um 1770, 
Sohn eines eifters, Jugendfreund des Camille Sordan, mit dem er 1797 - 
nach Paris ging. Als fein Freund, der im Rathe der 500 faß, nach dem 18, 
Fruetidor geächtet wurde, folgte er ihm nach Deuiſchland, wo er fich mit der deut: 
ſchen Literatur vertraut machte. Hier fehrieb er ein „Memeire sur l’art de pen- 
ser”, das vom Inſtitut den Preis erhiel. Bonaparte lernte ihn kennen, und de 
Gerando wurde Seneralfecretair unter den Minifter des Innern, hierauf Mitglied 
der Regierungscomniffion in Rom, Staatsrath im Febr. 1811; 1812 war er 
Intendant zu Barcelona. Im April 1814 erklärte er fich für die Bourbons und 
ward im Juli auch von dem König in den Stantsrarh berufen. Bonaparte ließ 
ihn 1815 in diefer Stelle und fandte ıhn als außerordentl, Generalcommiſſair in 
die öftlichen Departements. Hier betrug er fich mit Klugheit und Maͤßigung. Nah 
der zweiten Ruͤckkehr des Königs trat er in die Section des Innern im Staates 
rathe wieder ein. Er bemühte fich, mit Laborde und Laftehrie die Lancaſter'ſche 
Lehrmethode in Frankreich einzuführen. Das Syſtem diefes Philofopben iſt 
bie Erfahrungsphiloſophie. Er fehrieb: „Des signes et de lart de penser 
consideres dans leurs rapports ınutuels” (1800, 4 Bde); „Vie du general 
Caflarelli- Dufalga“; „Eloge de Dumarsais” u, 4, m. Bein Hauptwerk: 
„Hist, comparde des systemes de philosophie relativement aux principes des 
eonnaissances humaines” (1808, 8 Bde. 2, verb. Aufl, Paris 1828, i Bde.; 


624 Gerard Serberei 


der 4. Bd. endigt Die Geſchichte der Scholaſtiky, iſt das beſte Werk ter Sranzefen 
in der Geſchichte der Philoſophie, und von Tennemann überfegt. Sein Auffog über 
Die Kanffche Phitsfophie ift von dem Nationafinftitute gefrbnt worden. “De G. 
Bat nächft Villers viel beigetragen, feine Landsleute mit der wiffenfchaftlichen 
Forſchung in Deutfihland bekanntzumachen, da er befonders auch in feiner verglei⸗ 
chenden Geſchichte der philsfophifchen Lehrgebäude eine überſicht der Ehren Kants, 
Fichte's, Echelling’s u. a. Deutfchen Denker gibt. Sein von der Akademie 1820 
gefröntes Werk: „Le visiteur da pauvre” wurde 3 Mal aufgelegt. Seinem 
neueften Werfe: „Du perfectionnement moral ou de P’education de soi-mene”“ 
(Taris 1826, 2Bde.) Ilegt die Selbſterkenntniß zum Grunde, die er mit pfochofog. 
Feinheit bis in die Tiefen des Bewußtſeins verfolgt, und Daraus die Gelbfibeherr: 
ſchung (Tempire de soi) entwidelt, . 

Gerard ifrancesco, Baron), Maler der neuern franz Schule, geb. 1770 
in Rom (fein Vater war Franzofe, feine Mutter SJtalienerin), würde der trefflichfte 
Schüler David's heißen, wenn er nicht felbft als Meifler neben diefem fände. 
Seine Semälde zeichnen fich durch reine Anmuth und wahre Grazie aus, So rich 
tig f. Zeichnung iſt, fo überang lieblich, bfühend und dennoch wahr ift fein Colorit. 
Sein erfter Lehrer, der Bildhauer Pajou, wollte ihn bloß zum Zeichnen anhalten, 
G. aber verfchaffte fich verftohlener. Weiſe Farben, und malte im 14. jahre ein 
"Bild, welches eine Peft vorſtellt. Diefes Gemälde athmet einen edeln, feurigen 
Seift, und Sinn für antike Schönheit, es befindet ſich in der Eleinen Sammlung 
des Hrn. Ehenard, Sängers der fomifchen Oper. Unter David’s Leitung machte 
G. raſche Fortſchritte. Auch er mar anfangs eifriger Revölutionnair und Richter - 
bei dem Tribunal, das über Leben und Tod entfchied; Doch ftellte er fich Frank, um 
nicht Antheil an dem Proceß gegen die Königin zu nehmen. _ Bei den Portraits ifl 
G. fehr ungleich; manche behandelt er mit Begeifterung und flattet fie mit dem 
feelenvollften Meiz aus, während er andre nur als Selegenheitsftüde betrachtet. 
Sein Wunfch reich zu werden, auch oft und lange müßig zu fein, ift Urfache, daß 
mar von ihm wenig hiſtoriſche Gemaälde bat, und daß er ſich fat ausfchließend 
der Portraitmalerei wwitmet. In diefem Fach äber ift er unübertrefflich, und nur 
Rob. Lefebre wetteifert mit ihm. Yür das Brufibild einer Privatperfon nimmt 
er gewöhnlich 1500 — 2400 Fr., für jedes lebensgroße Portrait eines Gliedes 
der Familie Bonaparte erhielt er 30,000 Fr. Don G.s hiftorifchen Gemälden 
macht der Belifar (1195) Epoche in der neuern Kunfl. Die Sompofition ift hoͤchſt 
einfach. Nicht minder trefflich find fein Offian, fein Amor und Pfyche, die vier 
Lebensalter, und: Dapbnis und Chloe (1825). Die Schlacht ven Aufterlig malte 
er mit Widerwillen und nur auf Napoleons Geheiß. In neuerer Zeit hat ©. den 
König Ludwig XVIII., den Kaifer Alerander, den König von Preußen, den König 
von Sachfen, ten Herzog von Orleans und viele der in Paris verfammelten frem⸗ 
den Fürften gemalt. ine neuern biftorifchen Gemälde find: ein Homer und der 
Einzug Heinrichs IV. in Paris. Dies Bild vom Jahre 1817 ift 30 Fuß breit 
imd 19 Fuß hoch, und das erfte Kunſtwerk, welches Ludwig XVII. beftellte; es 
ift im großen Saale des Rathhauſes aufgeftellt und von Toschi 1826 geftschen 
worden. Man bewundert die Anordnung und das Colorit deffelben ebenfo fehr als 
die Ähnlichkeit und den Ausdrud der Geſtalten. Dies Werk erwarb ©, den Titel 
des erften Malers des Königs; auch iſt er Ritter des S. Michaelordens und der 
Ehrenlegion, und Mitglied der parifer, wiener und florentiner Akademien. 1829 
malte ©. die Krönung Karls X., wie der Dauphin dem Könige die erfie Huldigung 
darbringt. Er erhielt dafür 80,000 Fr. \ Wu 

SGerberei ift das Gewerbe, die thierifchen Häute, Felle und Bälge zum 
Gebrauche dergeftalt zuzurichten, daß fie nicht in Faͤulniß übergehen. Buvörderfl 
wird das Fell, die Haut ıc. von Blut, Fleiſchtheilen und Schmutz gereinigt, und 


[4 
« 


Gerbert Gerichte, Gerichtsbarkeit, Öerichtsverfaffung x. €25 


deßwegen in fliegendes Waſſer gehangen, nachher aber auf der Waſch⸗ und Schabe⸗ 
banf bearbeitet. Hierauf fucht man die Haare oder die Wolle wegzufchaffen, wobei 
die Behandlung nach den verfchiedenen Zwecken verfepieden ifl, Drittens wird das 
Sell ıc. aufgerieben, wodurch deffen Zwifchenräume erweitert werden, damit das 
Fett und der Schleim, welche die Fäulniß unterhalten, berausdringen. Viertens 
fücht man dem Leder durch zufammenziehende Mittel Dichtigkeit und Dauer zu ver⸗ 
ſchaffen. Endlich ertheilt der Serber dem Leder noch eine gewiffe Zurichtung, die 
abermals von der Beftimmung des Leders abhängt. Werben FKıfammenziehende 
Pflanzenfüfte zur Xedergerberei angewendet, fo heißt fie Roth: oder Lohgerberei; 
wird Alaun ohne Pflanzenfäfte gebraucht, Weißgerberei; nimmt man weder Lobe 
noch Alaun, fondern bloß Fett und walkt die Felle, Saͤmiſchgerberei; bearbeitet 
man endlich die Felle mit Kalk, Pergamentgerberei. Gerberei’ bezeichnet ins: 
befondere noch die Gebäude, worin die Leder gegerbt werden, Die Lohgerberei er: 
fodert wegen der Lob: und Treibegruben, des Trodnens ıc. den meiften Raum; 
weniger die Weißgerberei ıc., meil das Meifte in hölzernen Gefäßen verrichtet wird, 
die im Nothfall auch in einer Stube, Kammer oder Keller fichen fonnen. Allein 
immer muß die Gierberei nicht weit von einem Fluffe liegen, damit die Felle ıc. erfo⸗ 
derlich ausgemäffert werden konnen. 
Serbert,f. Syivefteril. 
Gerechtigkeit, diejenige Tugend, welche bas Recht eines “Jeden achtet, 
oder, mie man auch zu fagen pflegt, Jedem das Seine gibt. ie iſt die rund: 
lage der öffentlichen Wohlfahrt, und daber die erfte Pflicht des Staats gegen feine 
Unterthanen und des Staatsbeamten gegen feine Mitbürger. Vorzugsweiſe wird fie 
vom Richter gefodert, weil diefer über Das Recht nach den Geſetzen bes Staats fpres 
chen fol. Doch muß ihr die Willigkeit zur Seite ftehen, welche vom Recht in folchen 
Fallen nachläßt, wo die firenge Handhabung deffelben das Gefühl der Menfchlich: 
keit gegen fich aufregen würde. Daher pflegt man zu fagen: das höchite Recht ift 
oft das höchfte Unrecht. Die fogenannte poetifche Gerechtigkeit, melche in 
Erzählungen und Dramen vorkommt, ift meift eine unpoetifche, Infofern fie nicht aus 
der Natur der Sache hervorgeht, und dem gemeinen Lefer nur eine außere Beruhi⸗ 
gung verfchafft durch Die Belohnung des Tugendhaften und Beftrafung des Lafters, 
erechtigfeitsritter, ſ. Ahnen. 
SerdardelPauf). Dieſer geiſtliche Liederdichter, geb. zu Graͤfenhainichen 
in Sachſen 1606 oder 1607, wurde 1651 Propſt zu Mittenwalde in der Mark, und 


. 


4657 als Diaconus an die Nicolaikirche in Berlin berufen. Bei den unter dem - 


großen Kurfürften zwiſchen den Zutheranern und Reformirten im Brandenburgis 
Ken ausgebrochenen Streitigfeiten zeigte er fich fo unmandelbar in Sefinnung und 
einung, daß er deßhalb 1666 jene Stelle verlor. Boll Sottvertrauens manderte 
er aus, und dichtete in diefer bedenklichen Rage das Lied voll Troſtes: „Befiehl dus 
' Deine Wege ic”. Sein Vertrauen täufchte ihn nicht. Der Herzog Thriflian von 
Merfeburg gab ihm eine Zeit ang Penſion und berief ihn, als Befiker der Nieder⸗ 
Yaufiß, 1669 nach Lübben, wo er Archidiaconus wurde und den 7, Juni 1676 
ftarb. Don f. 1420 geiſtl. Liedern gibt es viele Abdrüde von 1666—1821, mo 
in Wittenberg die neuefte Aufl. veranftaltet worden ift, und faſt in allen proteftun: 
tifchen Geſangbũchern find die meiften, leider oft in fehr entitellter Überarbeitung, 
aufgenommen. ie gehören ju den bortrefflichften geiftlichen Liedern der Deutfchen 
und find von wunderbar erbauender Kraft und Wärme. S. „Paul Gerhardt”, zum 
Theil aus ungedrudten Nachrichten von E. G. Roth (Leipz 1829), . dd: 
—Gerichte, Gerichtsbarkeit, Gerichtsverfaſſung, Ge: 
rihtsgemalt I. Die Stellung der Berichte in einem Staate, ihre Unabhäns 
gigfeit, ihre Einrichtung find eins der weſentlichſten Stücke einer guten Derfaf: 
fung und ein untrüglicher Maßſtab der polltifchen Tultur. Denn die bloße Rechts: 
Eonverfatiend: Lerison. Bd, IV. " 40 


nu. mn ‘ 


626 Gerichte, Gerichtsbarkeit, Gerichteverfa 
ficherheit ift zwar nicht das Hochſte im Staate, Diet weniger beffen Sn einziger Zweck. 
aber fie ift Dasjenige, was allem Andern vorangehen muß. Ohne Rechisſicherheit 
gibt es feine Möglichkeit jener allfeitigen Entwidelung ter muenfchlichen Anlagen, 
jener Erziehung zur Sittlichkeit, in weicher Die wahre Freiheit beftcht, jener Be⸗ 
ung der Natur, melcdhe, wie ſchon Baco von Berulam richtig bemerfte, Das 
höchfte Ziel umd der -£sön aller wffenfcaflichen Bemühungen if, und meiche zu: 
ſammen den Zweck tes Staats ausmachen. Aber zur Kechreficherheit gehört nicht 
bloß der Schuß a —* Beeintraͤchtigungen der Rechte Fe Eimelner durch Andre, nicht 
bloß die Handhabung der firafenten Gerechtigkeit; fondern fie begreift arch tie Tre: 
fihüßuma der Ztaarsbürger in dem ungefterten Genuſſe derjenigen Rillfür, welche 
ihnen auch im Staate als dem Kreis ihres beliebigen Wirkens verbleiben kann und 
fol. Nur durch das Gefühl, dag einem Jeden ein ſolcher Kreis freier Bewegirng 
gefiattet fei, wird tas Bewußtſein perfonlicher Würde in einem Jeden, auch tem 
Seringfien ermeit, welches die Duelle aller bürgerlichen Tugenten und eins ber 
wirffamften Mittel für die Blüthe und Stirfe der Staaten iſt. Dirfer Kreis freier 
Bewegung in Allem, was den Etaat nicht berührt, muß aber nicht nur gegen Ein⸗ 
griffe Finzelner gefichert fein, ſondern ans gegen den Hang der Regierungen, oder 
ielmehr ihrer Beamten, mit ihrem unmitttibaren Wirken fo weit als möglıc, in das 
Beben tes Volkes einzugreifen, gefchüßt werden, und diefes iſt allerdings nicht chne 
Schwierickeit. Es muß zwiſchen der öffentlichen Macht und der indinttuellen Frei: 
beit eine Bermittelung aeftiftet werden, welche jene in ihrem pfihtmißigen Wirken 
nicht hemmt, — m Säle Lone, Eine foldye Bermittelung iſt nir⸗ 
genbs anters zu finden als in ter Rich It, welche ſchon aus dieſem Grunde 
von der Regierung unabbingig fein muß; e aber nach mefentliher durch tie Ra⸗ 
tur ihrer Thaͤtigkeit von den beiten andern Functionen der Staatsgewalt, von ber 
Geſetzgedung (ſ. d.) und Regierung unterfchieten. Denn indem die Sefekgebung 
darin beiteht, aus dem Innern des menſchlichen Geiſtes und den im Volke lebenden 
Begriffen die Geſetze des Rechts, fewel die unbetingt und unwerinterlich gültigen 
als die für das Velf in einem gegebenen Zuflande brauchkaren, zum allgemeinen 
Bemwußtfein, zur äußern Anerfennung zu bringen; währen? die Regierung den Wil⸗ 
len des Belle ı nicht wie er in irger.d einem Augenblide durch Vorurtbeil und Lei⸗ 
denſchaften verblendet, gerade iſt, ſondern wie er nach Einficht der Beſſern fein fell, 
—— ſo beſteht das Weſen der Gerichtsgewalt in dem Unterordnen der einzelnen 
rfemmentden Falle unter das bereits vorhandene Geſet. Dieſes find die drei be⸗ 
rühmten — iten, in deren Trennung von einander ültere und neuere Staats: 
Gelehrte Das Heil der Velker, das Palladium der Gefetzesherrſchaft erfannt haben. 
Aber wie Die Trenmung zu bewirken fei, Damit fie einander gehörig ergänzen und ge: 
genfeitiz befehr@infen, ohne die Harmonie des Ganzen zu zerreigen und feme Thaͤtig⸗ 
Feit zu hemmen, das iſt die große Aufgabe, deren Lofung man fo oft vergeblich ber: 
fact hat. Sie wert auch nur geleft werden, menn man immer ten Grundgedan⸗ 
Een feithält, daß nicht verſchiedene ven einander völlig mabhangige Organe der Ge: 
wolt aufgeftellt werden türfen, welche fich in * Wirken feintf.l:g beaegnen; 
daß man auch nicht für jede einen beftimmten Kreis von Gegenſianden abſcheiden 
ann, in welchen Eeine der beiten übrigen eingreifen türfte; fendern daß man darin 
nur verfchiedene Functionen einer und berfelben Stootegemalt ſehen muß, melde 
ihrer Natur und rechtlichen Wirkſamkeit nach nicht mit einander vermiſcht werden 
türfen, teren jede ſich bei allen im © Staoate vorkommenden —— thatig er⸗ 
weiſen kann. Denn es gi en Gegenſtand, fein Verhaltniß in der buͤrgerl 
Geſellſchaft; worauf nicht die Gerichtsgewalt ebenſo gut als die —e— — 
Regierung einwirfen müßte, je nachdem bie Bedingungen tiefes Sirkens eintreten. 
Dre Regierung, welche man fehr einfeitig und un-ichtig als bloß r ollziehende Gewalt 
(gouroir exccatıf) beʒeichnet, iſt Das allge weine Drincip allesiffentirchen Handelns, 


“ 


j Gerichte, Gerichtsbarkeit, Serichtsverfaffung ı«. 627. 


und von ihr müffen auch Sefeßgebung ımd Gerichte in Thätigkeit gefeht werden. 
Daraus folgt für jene nicht nur die Initiative der Oefeße, fondern auch ein unbe 
ſchraͤnktes Veto, für die Gerichte aber das Recht der Anordnung und Beftellung der 
Serichte, und das Mecht der Aufficht über fie. Allein die richtige Trennung ter 
Gewalten befteht darin, daß die Regierung für fich allein feine Gefeße geben,‘ font. 
dern fie nur theils in Borfchlag bringen, theils bemilligen fann, in bie Handlangen 
der richterlichen Gewalt aber, wenn. fölche einmal geordnet ift, nicht eingreife. Dar 
ber müffen für beide Zweige der Staatsgewalt Organe beftellt werden, welche zwar 
nicht ohne den Willen der Regierung in Thätigkeit treten fönnen, aber doch alsdannı 
eines felbfländigen Handelns fühig find. So richtig undallgemein daher für mons 
archifche Staaten der Satz ift: „Toute justice emane du Roi“, d. h. es kann Nies 
mand eine Serichtsgewalt ausüben als vermöge eines Auftrags der Negierung : To 
soird Dadurch doch nichts weniger als ein eignes Tinnifchen ber Regierung oder des 
Regenten in die Juſtizverwaltung für zuläffig erklärt. (&. Cabinetsjuftiz.) 
Vielmehr ift alle Befugniß der Regierung den Gerichten gegenüber eine bloß for: 
male, welche nur dafür forgen foll, daß jedes ftreitige Kechtsverbältniß durch rich⸗ 
terliche Entfcheidung geloft werde, nicht aber fich über das Nechtfprechen felbft eines 
Einfluffes anmaßen darf. MWergeblich beruft man fich gegen dieſe Säße jumeilen 
auf das Beifpiel älterer Zeiten, wo die Könige und Fürfien felbft zu Gericht faßen, 
Erftlich wuͤrden folche Beifpiele nichts erroeifen, als was ohnehin Flar genug ift, daß 
den Völkern ebenfo tvenig als einzelnen Menſchen die Weisheit angeboren roerde, 
fondern fie erft durch Erziehung zu richtigen Einfichten gelangen, zweitens aber ift 
die Sache nicht gegrinder, Das Recht ſprechen war eine Sathe der Volksgemeinde, 
und der Fürft oder fein Beamter hatte dabei nichts zu thun, als was wirflich in den 
Kreis des Regierens gehört, weil es in einem Befehlen befteht; nämlich das Gericht 
zu Gebieten, den Serichtsfrieden zu handhaben und die Urtbeile zu vollſtrecken. 
Das Rechtfprechen felbft, das Finden oder Schäpfen der. Urtheile, das Weiſen des 
Rechts ſtand den Mitgliedern der Gemeinde zu, und von diefer Derfaffung haben 
fich bis auf die neueften Zeiten einige fehrönche Spuren erhalten, obgleich inDeutfchs 
land und Frankreich die Annahme des römifchen Nechts die unfundigen Schöffen 
" verdrängt und die Ordnungsbalter des Gerichts, die fürftlichen und gutsherrlichen 

Beamten, zu wirklichen Richtern gemacht bat. Nur in England ift die Gemeinde 
bis heute im Beſitz des Urtheilfindens geblieben. (&. Jury.) Wo aber feine 
folchen Volksgerichte mehr vorhanden find, Tolgt aus diefem Grundverhältniſſe 
der richterlichen zur regierenden Gewalt, daß flatt jener ein Richterſtand angeordnet 
werben inuß, welcher auch in feiner Angern Lage von der Regierung nichts zu fuͤrch⸗ 
ten habe. Es ergibt fich daraus die Nothwendigkeit, daß fein Richter willkürlich 
entlaffen werden könne, ober die inamovibilität des Richterſtandes. (Dbunan die 
Richter, wie nach der franz. Conſtitutidn von 1794, vom Volke wählen faffen folle, 
ift eine andre Frage, auf melche fich rool eine allgemeine Antwort nicht geben läßt.) 
Denn ein Richter, welcher eine Entlaffung zu fürchten hat, wenn feine Urtheile dem 
Intereſſe der Miniſter oder der Gutsherrn entgegen find, muß zu den feltenfien 
Menfchen gehören, wenn diefer Gedanke auf die Bermaltung feines Amtes ohne 
allen Einfluß bleiben foll. In den meiften Staaten ift auch diefe fefte Stellung der ' 
Hichter anerkannt, in England doch erft feit 1701, im Frankreich ſchon unter ber 
alten Verfaſſung vermöge der feit Franz i. eingerithteten Käuflichkeit und Erblichkeit 
der Stellen, welche aber doch gegen Seiwaltftreiche, Aufhebung der ganzen Stelle, 
Berbannungen und letircs de cachet nicht ſchutzte; dann mieder unter Napoleon, 
und jeßt durch die „Charte constitutionnelle” von 1814, Art. 58. jr Deutfchs 
land hielten die Neichsgerichte darüber, daß kein Beamter ohne Urtheil und Recht 
feiner Stelle entfeßt totrden durfte: in mehren einzelnen Staaten, z. B. Preußen 
(‚Allgemeines Landr.“, 1; XVII, $: 99), war es gefeglich gen über: 


628 Berichte, Gericdyisharfett, Gerichteverfaſſung ı. 

hanyt hat wol Erin Ztoot auf dem feflen Lande von Europa fo früh für eine weh 
großen Kurfürfiea an. In den neuern deutſchen Eonflitutionen iſt Die Inamevibe 

——— anerfonat Allen Dies iſ erſt die eine Seite der 

nothwendigen richterlichen Unabhingigfeit. Die andre umd ſchwierigere beſteht 

Bart, Laß der Eamyeine gegen Emgrıfie m —— 

gierung und ihren Beamten ae ee Ehuß finden Eonne. Dabei 


Beamten fein. Im erfien Holle fana mon unmöglich den Gerichten 

Die Befeanik einräumen, daräber zu urteilen, ob die Regierungefantlumg zu 
Recht befiintig fei, wohl aber muß Temjenigen, weichem Dadurch etwas von feinem 
Kechte entzogen fein fonnte, eine Kluge gegen deu Stoateſchatz auf volle Entſchaͤdi⸗ 
9 unketingt frei fiehen, und die Serichte müſſen befugt fein, in einem ſolchen 
Fall. ebenfo ſchleunige und wirffame erechtigkeit zu handhaben, als gegen ten Ge⸗ 
rinafien im Velke. Nur wenn ber in Frage fichente —— ſelbſt in die 
gerichtlichen Functionen hinübergriffe, wirde auch das Urtheil über deſſen nothieen: 
tige Befolgung den Gerichten zufieben mufien. Sowie aber bierin die Staats⸗ 
pranıs ſich von der richtigen Theorie nicht felten entfernt, indem fie Die Klagen gegen 

Staatsſchat hier und da manchen Einſchraͤnkungen unterwirft, fo iſt ſie noch 

weniger bei —— ihrer Am den Klagen gegen gen dir — Pr Degen über: 
—— oder Amtsgewalt, tadellos. Dies haͤngt, wie man 
fieht, genau mit tem ganzen Syſtem ter Verantwortlichleit der Staatsdiener zu⸗ 
fammen, welches nur in England zur Reife gediehen iſt, in den meiften andern 
Staaten aber feine vollfündigere Ausbildung erſt noch erwartet. In Frankreich iſt 
ein Geſetz barüber in der Charte feibfl (Art. 56) verfprochen, aber noch nicht zu 
Etande gebracht worden, und man iſt von den richtigen Anfichten der Engländer 
ſchon tarin bedeuten? abgewichen, Daß man nur die Mmiſter verantwortlich machen 
mill, alle untergeordnete Regierungsbeamten aber davon entbindet, ſobald fie fich 
auf höhere Befehle berufen können. Eine an ſich geſetzwidrige Handlung des un⸗ 
tern Beamten kann durch feinen Befehl eines Borgefeßten gedeckt werden, und man 
erfchiwert nur Die Derfolgung des Rechts, wenn man ſolche gegen den Minifler allein 
zulaſſen will. Diefe gane Materie von der Serichtsbarfeit in Regierungsfachen 
ſteht in genauer Bertnüpfung mit der ſchon im Altern Staatsrechte fo fehr befiritte: 
nen Lehre von ber Scheitungslinie zwiſchen Rechts = und Kegierungsfachen, und ifl 
auf einem hehern Standpunkte wie der mit der ebenfo zweifelhaften Materie von den 
juribus singnlorum und dem Rechte des Staats in Anfehung ihrer verwandt. 

1. Das Weſen der gerichtlichen Gewalt befleht, wie oben bereits angegeben 
wurde, ſchlechterdings nur in dem Finden eines Rechtsurtheils nach dem bereits vor: 
bandenen Geſetze und nach den im Gerichte erwiefenen thatichlidien Merkmalen 
des zu entfcheidenden Falles. Es ift Danach Flar, daß der Richter ſchlechterdings 
fi) an die im Staate beſtehenden Geſehe halten muß, fie mögen mit feinen eignen 
Überzeugungen übereinflimmen oder nicht. Jede Abweichung von tenfelben iſt eine 
Überfchreitung feiner eignen und ein Eingriff in die gefeßgebente Gewalt. Daher 
kann auch eine jede ſolche Abweichung von dem beitehenden Sefeg als eine ungültige 
Handlung betrachtet werden, worauf ſich in Frankreich das Rechtsmittel der Ca 
tion, in England die bei dem Oberhauſe des Parlaments anzubringende Richtigfeites 
Elage (writ oferror) gründet. Indeſſen iſt unläugbar, daß die Fortbildung eines 
jeten Rechtsfuftems mit bei weitem befferm Srfolg durch die hehern Serichte als 
Beerch ausdrückliche Sefepgebumg zu bewirken fei, und das vollenderfte aller Rechts; 


Gerichte, Gerichtsbarkeit, n Gerichtsverfaſſung x. 629 
\ 


fyſteme, das rbmifche, verbanft gerade dem Umſtande feine Bertrefflichkeit, daß 
feine weitere Ausbildung, mit Ausnahme feltenen Eingreifeng der gefeßgebenden 
Gewalt, den Prätoren als Dberrichtern faſt ganz überlaffen blieb. So hat fich auch 
das engl. gemeine Recht (Common law) nur durch die Gerichte entrwidelt, weil 
diefe ſogar gefeßlich angewieſen find, ein Mal wie das andre zu fprechen und ihre eig: 
nen Erfenntniffe als wahre Sefege zu befolgen, Nur dann dürfen fie Davon abge: 
ben, wenn fie gewahr werden, daß fie einem noch frühern Erfenntniffe entgegens 
flanden. Die ehemal. franz. Obergerichte (Parlamente und andre Cours sou ve- 
raines) übten eine ähnliche Gewalt aus, indem fie flreitige Rechtspunfte durch ge: 
meine Befcheide (arrets reglementaires) auch für kuͤnftige Falle entfchieden. Bet 
der neuen Drganifation der Gerichte 1790 aber wurde ihnen nicht nur diefes unters 
fagt („Code Napol.“, a. 5.), fondern man wollte ihnen nicht einmal erlauben, eins 
zelne Fälle, worüber kein beſtimmtes Sefeß vorhanden zu fein fehiene, nach allges 
meinen Rechtsgrundfüßen zu entfcheiden. Sie follten vielmehr alsdann bei der Na⸗ 
tionalverfimmlung anfragen, “Der Anfragen famen aber bald fo viele, daß man 
den Serichten jene Entfcheidung nach allgemeinen Gruͤnden und Analogien zurück⸗ 
gab, und fie fogar mit Strafen bedrohte, wenn fie fich unter dem Vorwande der 
Dunkelheit der Gefeße Recht zu fprechen weigerten („Lode Napol,”, 2.4). In 
Preußen ift es ungefaͤhr ebenfo gegangen. Und allerdings kann den Gerichten nie 
die Pflicht abgenommen werden, bei der Anwendung und Auslegung der Sefeße 
die höhern Wahrheiten des Rechts, welche für alle Zeiten und Völker diefelben find, 
al leitende Grundſaͤtze gu brauchen, nicht als conflitutive, wohl aber als regulative 
Principien. (Bol. Geſetzgebung.) — Daraus, daß aller eigentliche Befehl 
(imperium) an fich vonder richterlichen Gewalt (jurisdictjo) getrennt if, erklären 
fih manche Eigenthümlichkeiten älterer und neuerer Verfaffungen. Wir find in 
Deutfchland daran gewöhnt, unfere Gerichte jeßt mit befehlender Gewalt bekleidet 
zu ſehen; allein dies war auch bei ung nicht immer fo, noch iſt es in andern Lündern 
der Fall, In England wird die erfte Verfügung auch in Civilproceſſen der Reqel 
nach aus der Reichskanzlei erlaffen (Ihe original writ), und nur in geringen 
chen unter 40 Schilling konnen die gerichtlichen Verhandlungen durch eine fchrifts 
liche Vorftellung des Klägers an den Richter eingeleitet roerden. Jene Kanzleibe: 
fehle gehen an den Sheriff und enthalten entweder den Auftrag, den Bfffägten zu 
Dem, was der Kläger verlangt, anzubalten, wenn der Beklagte nicht feine Einwen⸗ 
dungen gerichtlich ausführen will ein Praecipe, nachunferer Art zu veden, ein Man- 
datum cum clausula), oder fie laffen dem Beklagten eine ſolche Wahl nicht, fons 
dern befehlen, ihn fehlechterdings vor Gericht zu flellen, fobald nur der Kläger tors, 
en Fortſetzung der Klage Seroähr leiſtet (ein Pone, ader Si te fecerit secarum), 
Die verfchiedenen Befehle werden nach den Iateinifchen Anfangsmworten benannt, 
da bis 1730 alle gerichtl. Verhandlungen noch lateiniſch gepflogen wurden. Etwas 
Abnliches tritt in Frankreich ein, mo die Serichtsboten (Ihuissiers) gleichfalls als 
Regierungsbeamte die erften Borladungen vornehmen, ohne daf die Serichte ihnen 
dazu Auftrag ertheilen. Die Eriminalerfenntniffe werden in Frankreich Teoiglih 
durch den Kronanmalt, nicht durch die Richter zur Vollziehung gebracht, in Eng⸗ 
land durch die Sheriffs der Sraffchaften. Man kann daher die gerichtliche Sewalt 
nicht einer unvollftändigen Drganifation befchuldigen, wenn auch die Gerichte nicht 
die Macht haben, ihre Erfenntniffe zu vollſtrecken. Freilich muß die Verfaffung 
allerdings dafür forgen, daß die Urtheile nicht ohne Wirkung bleiben; allein ſtreng 
genommen hat die richterliche Gewalt ihr Sefchäft vollendet, wenn fie ausgefpros 
hen bat, was Recht ift. Segen regierende ſouveraine Fürjten kann überbaupt eine 
gerfonliche Erecution gar nicht flattfinden, und felbft in Anfehung unbemeglicher 
Süter hat die Sache ihre Schwierigfeiten. Wie fich die Engländer helfen, ift im 
d. Art. Englandiangegeben. In Deutſchland maren ehedem auch. gegen. Reichs— 


630 Gerichte, Gerichtsbarkeit, Gerichtsverſaffung x. 


furſten bei den Reichsgerichten Executioreverfgrngen zu erlangen, welche Durdh 
die Kreife ausgeführt werben ſollten; mit Auflofung ter Reicheverfaifing hat aber 
Dies aufgebert. Auch der teutfche Bund bat nur in Betreff der Bunteebefhluffe 
und der Austrägalentfcheitungen zwiſchen ten verſchiedenen Staaten das Recht der 
Erecution gegen diefelben, nicht aber weocn Privaranfpfüche an ten Regenten. 
"U, Diele eben angegebene Unterſcheidung zwiſchen eigentlichen Rechtfipres 
chen, als dem Wefen ter gerichtlichen Gewalt, und den Befugmfien der Regierungss 
gemalt in Bezichung auf die Kechtepflege, tritt audy in t-r Organıfatien der Ge⸗ 
Fichte und der Regierungsjuflisbehörten mehrfach herver. Erftlich wird diefelbe bez 
merfbar, wenn es nicht ſowol auf Entfcheitung rechtlicher Streitigkeiten, als vie 
mehr auf die Realfirung unftreitiger Anfprüce der Einzelnen gegen einanter, oder 
auf die vorläufige Ordnung gewiſſer Verhaͤlmiſſe (4. B. des Brfikitantes) mitBor: 
behalt fünftiger eigentlich richterlicher Entfcheidung anfommt. Für diefe Angele: 
genheiten haben Englant und Fraafreich ihre Friedensrichter, weldye, obgleich ſonſt 
von einander fehr verfchieden (f. Frankreich und Englant), tech darin mit 
einander übereinfommen, daß fie nur wenig eigentlich richterliche Geſchafte haben. 
Außer Kleinen Schultfachen haben fie vornehmlich pöffeflerifche itigfeiten zu 
enticteiden, Arreile anzulegen u. tgl. Man rechnet fie daher auch ın beiden Sans 
dern nicht zur gerichtlichen Beamtenortnung. Echuftenbefenntniffe mit öffentlicher 
Beglaubigung und einem Vollziehungsbefehl im Namen der Regierung verfehen 
(mas guaranda oder gnarentigia genannt wurde, wie franz Viotariatsurfunden), 
und überbanpt alle unſtreitige Anfpräcdhe zu vollfireden, wurde auch in Deutſch⸗ 
land früher nicht zu den richterlichen Handlungen im eigentlichen Berflande gerech: 
net, daher auch zu ihnen der Regierungsbeamte feine Urtheilsfinder aus der Se- 
meinde (Schiffen) zuzuzie hen brauchte. Dies iſt die eine Quelle unfers Epecus 
tivproceſſes, wovon eine andre in den Statuten’ der italienifchen Stätte fließt. 
Zweitens find auch die Verhältniffe der höhern Regierungsbehörden der Yufligmini: 
ſterien auf diefe Unterfcheitung gegründet. Nichts, was zum eigentlichen Rechte 
fprechen gehört, Tann einem Yuftizminifter zugefchrieben werden, ſondern fein Bir: 
Fungstreis ıfl darauf befchränft, dafür zu forgen, daß die Gerichte gehörig befegt 
find und daß fie ihr Amt verwalten. Daber fann er-wohl befehlen, daß die Ge: 
richte Das Recht handhaben (mandata de promovenda juslilia), an ihn, an die 
Regierung gehören Beſchwerden über Derjögerungen oder gänzfiche Untbätigfeit der 
Gerichte, aber er kann keinen von den Gerichten im Entſcheiden felbft begangenen 
Fehler verbefiern (k. preuß. Cabinetsordre v. 6. Sept. 1815); Dazu find wiederholte 
Prüfungen der richterlichen Entfcheidtungen nothwendig, durch das Berufen auf 
bohere Inſtanzen, deren Einrichtung ein großer Fortſchritt der Verfaſſungen war, 
Das germanifche Mittelalter kannte fie nicht; jetes Gericht fprach eigentlich immer 
in letzter Inſtanz, ner dag wichtigere Sachen zuweilen an ein grüßeresoder erfahre: 
renes Bericht (Dberhöfe, Schöppenftühle) gewieſen werden Fonnten, daß, als fich 
die grundberrliche Serichtsbarfeit mehr ausgebildet harte, eine Berfagung der Yu: 
fliz zur Folge hatte, die Sache an das Gericht des Lehngherrn zu ziehen, endlich, 
dag man die vorigen Richter, wenn fie Unrecht gefprochen hatten, felbft zur Verant 
wortung bei dem höhern Serichtsheren ziehen Eonnte (fausser le jugement), wo 
Recht oder Unrecht oft durch das Gottesurtheil des Kampfes zu entfcheiden war. 
Aber auch nachdem regelmäßige Appellationen in mehren Abftufungen bis an die 
Iandesherri. (königl., kaiſerl.) Gerichte in Gang gebracht worden waren, und die früs 
bern dem konigl. Hofe folgenden höchften Gerichte unwandelbare eie und bleibende 
Beiſitzer erhalten hatten (in England fchon in der Magna charta 1215, in Frank 
reich 1305, in Deutfchland erft 1495), blieben dennoch Falke übrig, in welchen auch 
Die legte Inſtanz einer offenbar unrichtigen Entfeidung beſchuldigt werden Eonnte, 
und es kamen wieder Geſuche um Aufhebung derfelben bei der oberften Regierungs. 


⸗ 


Gerichte, Gerichtsbarfeit, Gerichtsverfaffung x. 631 


behorde in Sand, welche nur'zu bereitwillig ergriffen wurden. Über die Gefchichte 
Diefes —— zwiſchen der Regierung (dem Staatsrath, Conseil prive) und 
der richterlichen Gewalt in Frankreich ift ein vortreffliches Merk: Henrion de Pan 
fey, „De!’antorit& judiciaire eu France” (Paris 1818, 4.). In Frankreich ifl 
dieſe Bermifthung der regierenden und richterlichen Gewalt, welche fich Durch grobe 
Mißbraͤuche (Eingriffe in die Serichtsbarfeit durch Commiffionen, durch Caffatio⸗ 
nen rechtöfräftiger Urtheile, darch leltres da cachet) fehr verhaßt gemacht hatte, 
Durch die Errichtung des Caffationsgerichts (f.d.) gehoben, wodurch es auch 
möglich geworden ift, die gerichtlichen Inſtanzen auf zwei, die Zahl der Kreisge: 
richte (Tribunaux de premicıe in tauce) und Hofgerichte (Cours d’appel) zu vers 
mindern, während man in Deutfchland, und wie wir glauben mit größerm Bors 
- sheil, die alt hergebrachten drei Sinftanzen (hervorgegangen aus der grundberrlichen 
oder flähtifchen, füftlichen und konigl. Gerichtsbarkeit) beibehalten hat. (©. A ps 
pellationsgerichte.) -Eine allgemeine Sefchichte der Serichtsuerfaffung haben 
mir einem berühmten niederlindifchen Nechtsgelehrten mofaifcher Religion zu dan⸗ 
fen: J. D. Meyer: „Esprit, origine et progres des institutions judiciaires 
des principaux pays d'Europe“ (1819—22, 6 Bde.), welche aber dennoch bei 
weiten die Sache nicht erfchöpft. In Deuſſchland ſtehen als eine in ihrer Art ein⸗ 
zige Erfcheinung die heimlichen Gerichte Weitfaleng da, melche, fo viel fich auch 
gründliche Selehrte, wie Kopp, Eichhorn, Wigand, damit befchäftigt Haben, noch 
nicht völlig aufgehellt find. Es wäre leicht möglich, dag ihre befündere Einrichtung, 
welche erft im 13. Jahrh, recht hervortritt, mit der auch um jene Zeit geftifteten 
nquifition im Zufammenhange fände. | 
IV. So wichtig die richtige Beftimmung der Grenzen der richterlichen Se: 
walt gegen Regierung und Sefeßgebung if, ebenfo wichtig find die völferrechtlichen 
Grenzen der Gerichtsbarkeit; aber auch bier herrfcht ſowol in der Theorie als in der - 
Praxis noch eine große Verwirrung, welche durch Staatsverträge zu hoſen fehr north: 
wendig wäre, da fie nicht nur den Verkehr zwifchen den. benachbarten Staaten 
erſchwert, fondern auch durch auffallende Inconſequenzen das Vertrauen der Unter: 
tbanen auf die Serechtigfeit des Staats untergräbt. Einige der wichtigften hierher 
gehörigen Punkte find folgende: 1) Frankreich ift, fo viel wir roiffen, der einzige 
Staat, welcher feine Gerichtsbarkeit fogar über alle andre Linder ausdehnt und 
* feinen Bürgern das Recht gibt, Ausländer, wenn fie ſich auch nicht in Frankreich 
aufhalten und. nichts daſelbſt befißen, vor franzöfifche Gerichte zu laden. Dage: 
gen fcehüßt den Fremden nicht einmal die Litispendenz,, wenn ihn auch der Franzofe 
ſchon in feiner Heimath verklagt haben follte („Code civil”, a. 14). Diefe Berord: 
nung kann Ausländern um fo geführlicher werden, je leichter es geſchehen kann, daß, 
er vorgeladen und verurtheilt wird, ohne etwas davon zuerfahren, weil die Vorla⸗ 
dung nur dem Staatsprocurator zugeſtellt wird, um fie an den Miniſter der aus: 
wartigen Angelegenheiten einzufenden, welcher fie auf diplomatifchem Wege an den. 
Beklagten gelangen läßt. Wenn fie auf diefem Wege liegen bleibt, oder, wie ung 
Beifpiele befannt find, einen falfchen Weg nimmt, fo foll dies den Verhandlungen 
und dem Urtheil dennoch an ihrer Gültigkeit nichts entziehen. Kommt ein folcher: 
Fremder felbft nach Frankreich, ader werden ihm zugehörige Effecten, dafelbft ange: 
troffen: fo bat eine folche frühere Verurtheilung ihre volle Wirkung; der Fremde iſt 
ſoſort der Verhaftung unterworfen, was der Sranzofe nicht ift (Gef. v. 10. Sept. 
1807). Diefes Syſiem ift auch darum doppelt unbillig, weil es gegen Franzofen 
im umgekehrten Falle Eeine Gerichtsbarkeit deg Auslandes anerkennt, wenn auch. 
folche bei auswärtigen. Gerichten nach allgemeinen Rechtsregeln begründet ware. 
‚ Eswäre daher. höchft wuͤnſchenswerth, daß alle andre Regierungen ihre Untertha= 
nen durch ſtrenge Aufrechthaltung der Regel, dag ein Jeder nur bei feinem ordentli- 
hen Richter belangt werden kann, zu fehügen fuchten. Nur mit ber Schweiz hak 


A 





632 Beide, Gerichtsbarkeit, Gerichtswerfaffung ıc. 
Frauke Dich 7 zemeine Bey try ültere wer uraere Biertrige, alt un einem 
Berrray vom 21. Zept. 1803 anerfanzt. Ferm ürht 2) ae Fe feng Em Safım 
muenbır.22 , weiche mean bra om Nz<i-n2e arferechenen Trfenstnijien 
Zerfkisr? war man yerzige der Vertüitemg, un weicher ae teutkche — 
kur Nechesertsiens mn einander cl Oiieter eines Samen fanden. gesnehut, 
dem —52*3 alle recbeefr tie Erfenniniite ——— — — um Ant 
lente für chenie vr als m Inlan reichen, und man bil: es für dee 
E4.:2:3tet aller Seruher, auch austintikhe Frfkıntniite cut Requiſi ien Der Se 
richte gesehen. Alleın Eau! thut Ders nur im Anfebung brmwealicher Shüter, 
——— Anfchruna ber Oirmeäche erfennt es feine axsl inteſche Gerichtesbarteit 
an. "u Arantrech i aber ken 1629 us Eritzm aufgeftellt werten, Duß fein 
use tties Erfenntnik inär ch einia Wirkung haben fell SI es gegen einen 
fr: Untertben erzanıen, f6 der Preus ven dem fran; Gerichte wentgfiens 
in ter Sache Gib revidut werden, menn tie franı Partei ihn nicht gan; ven vorn 
anfan en weil -«nıne entieı), und wenn es zundden Auclar:deen ergangen tft, fo 
ser? nicht einmel ein Arreftgefuch auf Bermigen, welches der Schuſtner in Franf: 
geih briist. anyensemmen. Zıram’s „Jonrual de la coar de asııticn“, VIEL, 
453, und XVIII. 58. m Königreich Weftfsien fellte man ähnliche Grand fühe 
auf, und nun fingen auch dentſche Staaten an, . B. Baiern, ausmwirtigen Er: 
kenmniſſen alle Wirkung im Lande zu verfügen. Men ſah freilich bald, daß bei 
dm lebhaften Verkehr zwiſchen den deutſchen Staaten ein ſolches Srſtem die größte 
Verwirrung ren mäffe, und ging wieder davon ab. Doch iſt die neuere 
bait iſche Verordnung vom 2. Yumi 1811, welche auswärtige Erfenntniffe in Civil⸗ 
fadhen nur für vollſtreckbar erklärt, wenn in tem Staate, wo folche ergangen find, 
Fein Object der Execution zu finden ift. und auf ie im Lande befintlichen Segen: 
flän®e nicht etwa ein vorzügliches oder gleiches Recht hat, großen Betenflichkeiten 
ausgeſetzt.) Da die ältern Berhältnifje der deutſchen Staaten als Glieder des 
Hacks aufgehört haben, und in der That eine unbedingte Wirkſamkeit und Boll: 
firefbarfeit auswärtiger Erfenntnifte große Nachtheile haben mürte, fo waͤre es ſehr 
zu wünfchen, daß diefer Punkt durch Zantergefeße und Berträ —— den deut⸗ 
ſchen Bundesſtaaten freilich am zweckmaͤßigſten durch einen g, auf 
gleichformige Weiſe neu beſtimmt würde. 8) Noch bedenklicher iſt die fung 
der ausmärtigen Eriminalurtheile, womit die Frage, in wie weit Staaten einander 
flüchtige Verbrecher und Angefchuldigte ausliefern follten, in naher Berbindung 
flieht. Darüber ift das Völkerrecht ziemlich einig, Daß man eigentlich auswaͤrtigen 
Eriminalerfenntniffen im Lande gar feine Wirfung beilegt, weder losfprechenden 
noch verurtheilenden. Befonters werden Sonfiscationen von andern Staaten gar 
nicht beachtet, und Feine Darauf bezügliche Requifition wird befolgt. Allein weit be 
flrittener ift 4) die Beftrafung der außer Landes begangenen Verbrechen. Hier ha⸗ 
ben die verfchiebenen Theorien des Etrafrechts einen fo großen Einfluß, da nad) 
einer jeden die Sache ein andres Anfehen gewinnt. Aber der einfache gefunde Der 
Rand wird fich immer daran haften müffen, daß die Handhabung der firafenden Se 
rechtigfeit eine höhere Bedeutung bat als Die Erlangung oder Sicherung eines Bor: 
fheils für den Etaat, und einen hehern Grund als die Laune, von melcher die oder 
jene Handlung mit Strafen bedroht wird, und nach welcher das-abfcheulichite Bers 
— ſtraffrei ausgehen müßte, wenn es im Verzeichniſſe verpönter Handlungen, 
Straftarif, vulgo Strafgeſetzbuch, zufällig vergeſſen worden wire. Mehr als 
irgend ein andrer Zweig der Sefeßgebung muß die ſtrafende fich eines Rechts, wel⸗ 
ches älter iſt als alle Geſetze, bewußt fein und ihm zu folgen ſuchen. Sie muß die 
. fittlich:rechtliche Ordnung, welche Ziel, Würde und Lebensbedingung der Staaten 
ausmacht, auf die ganze Menfchbeit beziehen, und die Staaten müffen einan- 
ber zu tiefem Zwecke jeten Beiſtand leiſten, welcher ſich mit ihren eignen 
Übergeugumgen von Hecht vereinbaren I. Ein Staat, welcher in feiner Mitte 


Gerichtliche Arzneiwiſſenſchaft Gerichtshoͤfe der Liebe 658 


einen unbeſtraften Verbrecher duldet, er habe das Verbrechen begangen wo er mdlle, 
macht fich felbit einer Theilnahme an demfelben fehuldig. Er muß ihn alfo frafen, 
und zwar nach dem im Lande geltenden Rechte, weil dies das einzige ift, welches er 
für geretht erkennen kann. Er kann aber doch nur diejenigen auswärts beganacnen 
Handlungen beftrafen, welche an fich und allenthalben Verbrechen find, tie Mord, 
Diebftapl,. Betrug, Gewaltthätigfeiten, welche die Engländer Verbrechen gegen 
Das Naturrecht, delicta juris gentium. nennen. Alles Andre, was von einzelnen 
Staaten befonderer Zwecke wegen mit Strafen verpönt ift, was daher nicht als eine 
Verlegung der fittlich rechtlichen Drdnung unter den Menſchen überhaupt, fondern 
nur als Störung der zufälligen eigenthümlichen Ordnung eines beftimmten Staats 
Betrachtet werden muß, hat ein andrer Staat zu ftrafen einen hinreichenden Grund. 
Denn er würde erft unterfuchen müffen, ob auch die durch Strafen fanctionirten 
Einrichtungen des fremden Staats mit den höhern Foderungen des Rechts über: 
einftimmen, und dazu hat er weder das Recht noch die Mittel, Daher iftes auch . 
faft allgemeine völferrechtliche Praxis, dag man dergleichen Verbrechen gegen die bes 
fondere Ordnung andrer Staaten (delicta juris positivi), ale Contraventionen ges 
gen Finanzgefeße, Tontrebande, Polizeiordnungen, politifche Vergehungen, Firchs 
liche u. dgl., fofern nicht Damit auch ein gemeines Verbrechen verknüpft ift, gar 
nicht beftraft. Die Staaten fünnen dies auch fihon darum nicht, weil fie öfters 
dergleichen Vergehungen als Mittel politifcher Zwecke fogar begünftigen. Allein 
wenn von ihren Untertbanen außerhalb des Staats ein heimifches Strafgefeß vers 
legt wird, fo haben fie hinreichenden Grund, folches bei der Rückkehr des Thäters 
zu ahnden. Die Bürger eines Staats bleiben auch‘ in der Fremde den Sefeßen 
ihrer Heimath unterworfen. Dies ift das Syſtem, welches England, Sranfreich 
(„Code dinstraet, erim.”, a. 5), Preußen (,‚Allgem. Landr.”, Ir, 20, 6. 12 — 
15), Hſtreich („Strafgeſetzb.“, S. I, 9. 30) beobachten. Allein Frankreich dehnt 
auch bier feine Gerichtsbarkeit weiter aus als billig ift, indem es auch Fremde, welche 
ausmürts ein Derbrechen gegen den Staat begeben, der franz. Strafgewalt unter 
wirft (Code d’instr. crim.”, a. 6), und aufder andern Seite verfagt es Fremden. den 
allgemeinen rechtlichen Schuß, indem eg die Beftrafung der Verbrechen, welche im 
Auslande von einem Franzoſen gegen Ausländer begangen worden find, ganz vers 
weigert („Code d’inst. crim.” a. 7, 24). Inſofern bei einem außer Landes be- 
gangenen Verbrechen nicht das einheimifche Strafgefeß als unmittelbar übertreten 
= betrachten ift, wird man es für billig erfennen müffen, zumal an Fremden die 
hat nicht härter zu beftrafen, als die Geſetze des Orts, wo fie begangen wurde, 
mit fih bringen, und da man auch nicht härter flrafen kann, als dag eigne Geſetz 
erlaubt, fo wird in einem folchen Falle immer das mildere anzuwenden fein, wie es 
in Preußen verordnet ift („Allg Landr.“, 11, 20, $. 15). Die Strafe unbedingt 
nach den Geſetzen des Orts der That abmeffen zu wollen, ift aller richtigen Theorie 
zuwider und fiihrt zu großen SYnconfequenzen. Denn man muß entweder auch Die 
ungereimteften Strafgefeße anwenden , welche fich in fo vielen Staaten erhalten has 
ben, wie 3. B. in England die Todesftrafe aufdas Abhauen eines Baumes, auf das 
Tragen einer Maske im Walde, in Spanien der religioſen Ztrafgefeße, oder man muß 
fich eine Auswahl vorbehalten, welche bei einem Syſtem, worin es ohne pofitives Ge— 
feß kein Strafrecht gibt, immer nur eine bloß willkuͤrliche und alfo gefeßlofe fein kann. 
— V.über die Formen des gerichtlichen Verfahrens, f. Procekordnung. 37. 

Gerihtlihe Arzneimwiffenfchaft, ſ. Medicin (gerichtliche) und. 
Polizei (medicinifche), 

Serihtshöfe der Liebe, Cours d’amour, Corli d’ramore. In 
der Ritterzeit des Mittelalters, wo die Liebe fich nicht begnügte, ein heiliges Ge: 
heimniß des Herzens zu bleiben und in der Stille zu beolüden, fondern öffentlich 

- auftrat; wo Die Liebenden Ritter durch ihre Treue und durch auffallende Proben 


634 Germain (Saint) 


ee Ergebenbeit allgemeine Aufmerffamfeit auf fich ziehen, und die Damen mit 
ihren Anbetern prunfen wollten; wo man durch fpißfindige Unterfuchungen über 
&egenftände der Salanterie fich in Sefellfchaften unterhielt, — wurden oft Streits 
fragen aus diefem Gebiete aufgerworfen und von den Trowbadours oder Dichtern in 
ihren Tenfons wetteifernd behandelt, z. B.: Was fann ung erträglicher fein: ob 
unfere Geliebte ftirbt, oder fich einem Andern anfchließt? Wäre es dir lieber, mich 
von deinem Mädchen geben zu fehen, wenn du kommſt, oder mich kommen zu fehen, 
wenn du gehit? Wer leider mehr, ein Ehemann, deffen Frau, oder ein Liebhaber, 
deffen Seliebte untreu wird? Da man nun die Entfcheidung eines Tribunals über 
diefe Fragen oder andre wirkliche Fälle wünfchte, fo ward (mie Schiller fingt) 
N Ein Fiebeshof gegründet, | 
Wo zarte Winne berrfchte, mo bie Liebe 
. Der Ritter große Heldenberzen bob, 
Und edle Frauen zu Gerichte ußen, 
Mit zartem Sinne alles Feine ſchlichtend. 
Man errichtete gleichfam Spruchcolleoien der Xiebe, wahrfcheinlich zuerft inder Pros 
vence im 12. Jahrh. (nicht etwa in Deutfchland, wo die £iebe von jeher inniger, und 
mehr Sache des Herzens als pedantifcher Grübeleien auf der einen und der Sinns 
lichfeit auf der andern Seite gewefen if). Sie beftanden aus Rittern, Dichtern 
und Damen, die ihre Ausfprüche als Arrete d'amour gaben, nach Art der Be⸗ 
ſchlüſſe des Parlaments, Chriſtoph v. Aretin hat 1803 ſolche Ausſprüche aus als 
ten Handſchriften herausgegeben. Eine ältere Sanmmlung iſt von Martial d'Au⸗ 
vergne. Dieſe Unterhaltung ward fo beliebt, dag nicht leicht ein fürftlicher Galla⸗ 
tag ohne Wettftreit in einer Cour d’aınour verging; die Übungen des Wißes wurs 
den fo beliebt als die Waffenkämpfe. hr größtes Anfeben erlangten diefe Cours 
d’amour in Franfreich unter Karl VI. durch f. Gemahlin Iſabelle von Baiern, da 
Männer des erften Ranges ihre Titel bei den 1380 von ihr errichteten Cours 
d’amour befamen. ©, „Die Minnehöfe des Mittelalters und ihre Entfcheidungen 
oder Ausſprüche“ u. ſ. w. (Leipzig 1821), womit die Beurtheilung im Hermes" 
(St, XII.) verbunden werden muß: Moch unter Ludwig XLV. errichtete der Car⸗ 
dinal Richelieu eine Akademie der Liebe— Asseınblee galante zu Ruel — die wol 
eine Nachahmung jener Serichtshöfe fein follte, bei welcher die Prinzeffin Maria 
von Sonzaga dag Amt einer Präftdentin bekleidete, Mademoifelle de Scudery aber 
die Seppäfte eines Generaladvocaten führte. v. 
ermain Gaint-), Graf, iſt feinem Herkommen nach unbekannt, aber 
als Abenteurer und Alchymiſt berüchtigi. Er nannte ſich zuweilen Aymar oder 
auch Marquit de Betmar, und war wahrſcheinlich ein geb. Portugieſe. Caglioſtro 
machte auf f. erften Reife nach Deutfchland in Holftein Bekanntfchaft mit ihm, und 
benußte f. Unterricht zu neuen Betrügereien. Saint:Sermain befaß chemifche und 
andre Kenntniſſe; aber f. unwiderftehliche Neigung, als Schwarzkünftler zu glänzen, 
erlaubte ihm nicht, die gewöhnlichen Wege zum Ruhme zu fuchen, Er mar beflin: 
dig auf Reifen und verfchaffte fich durch dreifte Sroßfpreckerei und durch die Gabe, 
Jedem bie fchroache Seite abzugewinnen, fogar Zutritt an Höfen, Seinem Vor⸗ 
geben nach war er 350 J. alt und hatte noch einen Denkſpruch des berühmten Mon: 
taigne inf. Stammbuche aufzuweiſen; ein £öftliches Lebenswaſſer erhielt ihn immer 
bei guten Kräften und war fo ftark in f. Wirkungen, daß er eine alte Srau damit 
verjüngen konnte, Der Hauptzwed aller Adepten, die Verfertigung von Edelfteinen, 
wor ihm auf f. zweiten Reife nach Indien, dieer 1755 gemacht haben wollte, geglüdt, 
und er zerſchlug 1773, bei dem franz. Sefandten im Haag, einen foftbaren Diamant 
yon f. Arbeit, nachdem er vorher einen ähnlichen für 5500 Louigd’or verfauft hatte, 
Auch die Seheimniffe der Zußunft enthuͤllten fich vor f. Augen, und er verfündigte 
ken Tod Ludwigs XV, den Sranzofen voraus. Er war fo mächtig, dag er aufdas 


N 


Germanicus | 635 


Thierreich wirkte ımd den Schlangen Gefühl für Muſik beibrachte. Er befaß die 
- feltene Babe, daß er mit beiden Händen zugleich auf zwei verfchiedenen Bogen Ft: 
was, das man ihm dictirte, auffchreiben konnte, ohne daß es möglich geweſen reäre, 
Die Handſchriften zu unterfcheiden. Die Violine fpielte er fo meifterhaft, dag man 
mehre Sinftrumente zu hören glaubte. iiberhaupt fehlte es ihm weder an Talenten 
noch an Öelehrfamkeit, und er würde berühmt geworden feyn, wenn es ihn nicht 
Kieber geweſen wäre, berüchtigt zu werden. Neue Aufklärungen über ihn geben die 
“ „Memoires de Mad, Dubanssei” (Paris 1825). 
Sermanicus (Caͤſar), Feldherr der Römer, berühmt durch feine Siege 
über die Sermanen, Sohn des Claudius Drufus Nero und der jüngern, für ihre 
Tugenden gepriefenen Antonia, einer Nichte Augufts, Deren große Eigenfchaften 
ihm’ zum Erbtheil geworden waren. Tiberius, fein Oheim von väterlicher Seite, 
adoptirte ihn. Er verwaltete in der Folge die Quaͤſtur und noch vor dem gefeßlichen 
Alter das Sonfulat. Als er mit Tiberius an der Spiße zahlreicher Heere in Deutfch: 
Iand ftand, ftarb Auguftus. Tiberius folgte demfelben in der Regierung. Ber: 
gebens wurde ©. von einigen aufrührerifchen Regionen aufgefodert, die höchfte Ges 
walt fich zuzueignen. Er ging hierauf über den Rhein, überfiel die Marfen, welche 
ſich bet einem Fee beraufcht batten, richtete ein fehredliches Blutbad unter ihnen 
an und zerflörte den Tempel der Tanfana. Auf gleiche Weife fehlug er im folg. 
jahre die Katten, verbrannte ihre Stade Mattium (nach Mannert — und 
kehrte ſiegreich nach dem Rheine zurück. Hier erſchienen Abgeordnete des Segeſtes 
bei ihm, durch welche derſelbe ihn um Huͤlfe gegen Hermann, ſ. Schwiegerſohn, bat, 
der ihn belagert hielt. G. eilte herbei, entſetzte den Segeſtes und nahm dabei Her⸗ 
manns Gemahlin, Thusnelda, gefangen. Hermann rüftete ſich hierauf zum Krieg, 
und G. ſammelte ſ. Macht an der Ems. Es kam zur Schlacht. Schon wichen 
die römifchen Legionen, als G. mit neuen Truppen den Kampf erneuerte und gluͤck⸗ 
Lich die ihm drohende Niederlage abwandte. Hermann zog fich zurüd, und ©. war 
zufrieden, die Ems wiederzugewinnen und ehrenvoll aus einem Kampfe zu gehen, 
dem fein Heer nicht mehr gemachfen mar. Nachdem er. noch einen Theil f. Krieger 
auf dem Rückzuge, durch die Flut des Meeres, verloren hatte, erreichte er mit 
fehroachen Uberreften f. Heeres die Mündungen des Rheins und wandte den Win: 
ter zu neuen Nüflungen gegen die Germanen an. Er ließ eine Flotte von 1000 
- Fahrzeugen erbauen, um die befchwerlichen Märfche zu Lande durch Wälder und 
Moräfte zu vermeiden, und landete an der Mündung der Ems. Bon hier rüdte 
er gegen die Wefer, binter welcher er-die Cherusker verfammelt fand, um ihm den 
Ubergang zu wehren. Er bewirkte ihn dennoch und lieferte ihnen eine Schlacht, 
Die mit dem Tage begann und fich fiegreich für die Römer endete. Auch am folgen: 
den Tage, als die Deutfchen den Kampf mit Wuth erneuerten und Unordnung in 
die römifchen Reihen brachten, behauptete G. doch das Schlachtfeld. Die Deut 
fchen £ehrten in ihre Wälder zuruͤck, ©. aber fchiffte fich wieder ein, beftand einen 
furchtbaren Sturm, der f. Flotte zum Theil zerftreute,, und bezog die Winterquar⸗ 
tiere, nachdem er noch einen Einfall in das Land der Marſen gemacht hatte. Dies 
fer Feldzug war fein leßter in Deutfchland. Tiberius, eiferfüchtig quf den Ruhm 
des jungen Helden, rief ihn zurück, und bewilligte ihm mit erheucheltem Wohlwol⸗ 
Ien einen Triumph. Um fich aber von.einem Manne zu befreien, der ihm furcht:- 
bar fihien durch die Liebe des Volks, fandte er ihn, mit faft unbefchränfter Gewalt 
bekleidet, in die Morgenländer, wo er die dort ausgebrochenen Unruhen beilegen 
follte; zugleich ernannte er den Pifo zum Statthalter von Syrien, ven ſtolzer, 
herriſcher und unbeugſamer Charakter dem ©, überall entgegenwirkte. Beide muß⸗ 
ten bald zerfallen, und Piſo faßte einen ſo wüthenden Haß wider G. daß er ihn, 
wabrfcheinlich vergiften ließ. ©. ftarb im J. Rome 772, in einem Alter von 34 J. 
Rom verlor in ihn einen feiner-tapferften und edelften Männer, . M 


v 


636 Germanien 


Sermanien. Nicht allein das unmirthliche, mit Wäldern, Suͤmpfen 
und Deoräften bedeckte Land, begrenzt von der Donau, dem Rhein, dem nördlichen 
Ocean und der Weichfel, nannten die Römer Sermanien, fondern fie fehloffen auch 
Dänemarf, Norwegen, Schweden, Finnland, Lieflond und Preußen in diefe Be: 
nennung ein, da alle diefe Rinder, welche ein Dritttbeil von Furopa ausmachen, 
son Volksſtammen bemohnt wurden, deren Seftalt, Sitten und Sprache einen ge 
meinfamen Urfprung anfündigten. Die Bewohner des fyönen Staliens, die fein 
rauberes Land je kennen gelernt hatten, Eonnten nicht glauben, daß irgend ein Volk 
feine Wohnplatze babe verlaffen konnen, um in Sermaniens Wüften zu haufen, we 
ein ſtrenger Winter den größten Theil des Jahres berrfchte, und mo undurchdrings 
liche Waldungen auch im Sommer dem erwärmenden Strahle der Sonne Hohn 
fprachen. Die Germanen (Heer, d. i. Kriegsmannen, f. über diefen Namen der 
Deutfchen Hammer in den „Wiener Jahrbüchern”, Nr. 1X. und Tige in feiner 
„Vorgeſchichte Deutfchlands‘),- oder wie fie fih nach ihrem Nationalgotte Teut 
(auch Thuiskon) nannten, die Teutonen, mußten nach ihrer Meinung von Anbe: 
ginn dort gelebt haben, Sie nannten fie daher Indigenae, dort Entfproffene, und 
neben uns von ihrer Lebensweife Nachrichten, aus denen wir Solgendes hervorheben, 
Rein von fremder Bermifchung, wie die eigenthümliche Nationalbildung bemeift, 
Iebt in den Landern jenfeits des Rheins ein Volk mit trogigen blauen Augen, Hoch: 
gelbem Haar, von flarfem Körperbau und riefenhaftem Wuchs, abgehaͤrtet gegen 
Kalte und Hunger, nicht gegen Durft und Hige, von Eriegerifchem Geiſte, bieder, 
treu, freundlich und arglos gegen den Freund, gegen den Feind liſtig und verftellt, 
Das, jedem Zwange troßend,, die Unabhängigkeit als fein edelftes Gut betrachtet 
und eher das Leben als feine Freiheit aufzugeben bereit if. Unbekannt mit allen das 
Leben verfcehönernden Künften, unbekannt mit:dem Aderbau, dem Gebrauch der 
Metalle und der Buchftabenfchrift, nährt fich der Sermane in feinem Lande vol 
Waͤlder und Weiden armfelig von Jagd und Viehzucht und theilt fein Leben zwi⸗ 
ſchen träger Ruhe, finnlichen Senüffen und harten Befchwerden. Zur Zeit des 
Friedens find Schlaf und Unthätigkeit Tag und Nacht”das einzige Labfal des traͤg 
verdroffenen Kriegers, indeß fein Semüth nur des Augenblicks harrt, wo Krieg und 
Gefahr ihn zu männlichen Werken aufrufen, Bis dahin gibt er mit der ganzen 
Leidenfchaftlichkeit f. ungezähmten Herzens fich dem Becher und dem Spiele bin. 
Ein mit geringer Kunſt aus Weizen und Gerſte bereitetes Getränk erfegt ihm den 
von der Natur verfagten Traubenfaft und beraufcht ihn bei feinen lärmenden Fe: 
ften. Weit entfernt, die Trunfendeit fich zum Vorwurf zu machen, fühlt er vielmehr 
durch den Raufch f. Sinne gefchärftund erleuchtet; er rathſchlagt alsdann am liebften, 
und der im Rauſche gefaßte Befchluß wird als eine höhere Eingebung unabinderlich 


ausgeführt. Seine Perfon und Freiheit find ihm nicht zu koſtbar, um fie nicht - 


auf’s Spiel zu fegen, und, treu feinem Worte, laßt er fih ohne Weigerung von dem 
luͤcklichen Gewinner feffeln und in entfernte Sklaverei verkaufen. Die Kegierungs: 
—*— iſt in dem größten Theile Germaniens demokratiſch. Man gehorcht weniger all⸗ 
gemeinen und pofitiven Sefeßen als dem zufälligen Übergewichte der Geburt oder 
apferfeit, der Beredtfamfeit oder des Aberglaubens. Nur an den Ufern des bal: 
tifchen Meeres erkennen einige Stämme das Anfehen von Konigen, ohne jedoch die 
dem Manne gebührenden Rechte aufjugeben. Da gegenfeitige Vertheidigung das 
Band ift, welches die Germanen zufammenhilt, fo hat man früh die Nothwendig⸗ 
keit gefühlt, daß der Einzelne f. Meinung von der Mehrzahl ſ. Verbundenen abhaͤn⸗ 
gig machen müffe, und diefe wenigen roben Grundzüge einer politifchen Geſellſchaft 
genügen einem Volke, dem jeder höhere Ehrgeiz fremd iſt. Der von freien Altern 
eborene und zur Mannbarkeit gereifte Juͤngling wird eingeführt in die allgemeine 
erfammfung f. Landsleute, mit Schild und Lanze ausgeftattet und zu einem glei 
Gen und würdigen Mitgliede ihres Eriegerifchen Sreiflaats angenommen, | Diefe 





Germanien | 637 


Berfammlungen der wehrbaren Diänner eines Stammes werden theils zu beſtimm⸗ 
ten Zeiten, theils bei plöglichen Ereigniffen zufammenberufen. Liber äffentliche Be⸗ 
leidigungen, die Wahl der Obrigkeiten, über Krieg und Frieden entfcheidet in den⸗ 
felben die freie Stimme, Denn wenn auch den Vorftehern eine vorläufige Erro&s 
ung der Sache verftattet ift, fo kann Doch nur das Volk befchließen und ausführen, 
er Zögerung feind und, ohne Rüdficht auf Gerechtigkeit und Politik, der augens 
blicklichen Leidenfchaft aehorchend, faffen die Germanen rafche Befchlüffe, und das 
Zufammenfchlagen der ofen oder dumpfes Gemurmel fündigen ihren Betfall oder 
ihre Abneigung an. Zur Zeit der Gefahr wird ein Anführer —8 — dem ſich in 
dringenden Faͤllen, wo vereinte Kraft vonnothen iſt, wol mehre Stämme unterwer⸗ 
fen. Der Tapferſte wird erkoren, daß er mehr durch Beiſpiel als Befehl feine Lands⸗ 
leute führe. ft die Gefahr vorüber, fo endigt. feine dem freigefinnten Germanen 
verhaßte Gewalt; denn zur Zeit des Friedens kennt man fein andres Oberhaupt 
als die in den Berfammlungen ermählten Fürften, die in ihren Bezirken Recht fpres 
chen und Streitigkeiten fchlichten. Zugeordnet find dem Fürften eine Wache und 
ein Rath von 100 Perfünen. — Obwol die Römer einigen germanifchen Fürften 
den Königstitel beilegten, fo hatten dieſe nicht einmal das Necht, mit dem Tode, 
mit Gefangniß oder Schlägen einen freien Dann zu beftrafen, (Bol. Fürfi.) 
Ein Bolt, das allem Zwange fo abgeneigt war und feine Oberberrfchaft anerkannte, 
achtete nur die Berpflichtungen, die es fich felbft auferlegt harte, Freiwillig weih⸗ 
ten die edelften Jünglinge einem bewährten Anführer ihre Waffen und Dienfte, und 
wie Diefe unter einander wetteiferten, die tapferfien Genoſſen um fich zu verfams 
“ mein, fo wetteiferten jene um die Gunſt ihres Anführers. Ihm war es Pflicht, in 
der Stunde der Gefahr der Erfte zu fein an Muth und Kuͤhnheit, aber feinen Ger 
fährten war es Pflicht, nicht Hinter ihm zurückzubleiben. Seinen Fall überleben, 
war unauslöfchlicher Schimpf, denn die beiligfie Pflicht gebot, feine Perfon zu 
- fehüßen imd feinen Ruhm durch die Trophäen eigner Thaten zu verberrlichen. Der 
Führer kaͤmpfte für den Sieg, die Gefährten für den Führer. Tapferkeit war die 
Bierde des Mannes, Keufchheit die Tugend des Weibes. Die germanifchen Ur: 
völfer verehrten etwas Söttliches in dem weiblichen Sefchlechte. Vielweiberei war 
nur den Sürften verftatter, um dadurch ihre Berwandtfchaften zu vervielfachen; 
Scheidungen verbot mehr die Sitte als das Geſetz. Ehebruch war ein durch Nichts 
abzubüßendes, aber auch höchft feltenes Verbrechen, und Verführung durch Nichts 
zu rechtfertigen, Die religiofen Begriffe diefer Nation Eonnten nur roh und unvoll⸗ 
tommen fein. Dte Sonne und der Mond, das Feuer und die Erde waren ihnen 
Gottheiten, die fie zugleich mit gewiſſen eingebildeten Weſen verehrten, denen fie 
die Leitung der wichtigften Sefchäfte des Lebens zufchrieben, und deren Willen die 
Priefter durch geheime Künfte erforfehen zu fünnen vorgaben. Ihre Tempel waren 
Selfengroiten, gebeiligt durch Die Verehrung vieler Sefchlechter. Die Gottes. 
urtheile, fo berüchtigt un Mittelalter, galten ſchon ihnen als untrügliche Entſchei⸗ 
dungen in allen zroeifelhaften Fallen. Ihren Muth zu enıflanımen, lieh die Reli⸗ 
gion die wirffamften Mittel. Die heiligen, im Dunfel gottgeweibter Höhlen aufs. 
ewahrten Fahnen wurden auf dem Schlachtfeld aufgepflanzt, und das feindliche 
Heer mit fchredlichen Berwünfchungen den Göttern des Kriegs und des Donners 
zum Opfer geweiht. Nur dem Tapfern ward die Gunſt der Gotter; ein kriegeri⸗ 
ſches Leben und der Tod in der Schlacht waren die ficherften Mittel, um gu den 
Freuden der andern Welt zu gelangen, wo die Erzählung ihrer Thaten beim froben 
Schmauſe fie ergögte, waͤhrend fie Eöftliches Bier aus mächtigen Hörnern oder 
den Schädeln ihrer Feinde fehlärften. (Bol. Nordifhe Mythologie) Aber 
7098 die Priefter nach dem Tode verfprachen, fröhliche, ehrenvolle Fortdauer, des 
verliehen die Barden fehon auf Erden. In der Schlächt und an Eiegesfeften pries 
fen fie den Ruhm der Helden vergangener Tage, die Borfahren der Tapfern, die 


cæ Germuniee 


— — Her Gera ut Geh pr Tedetseracgtenn 
sul = mw Beer Sesehlrer ibiteen, 
Is zur mas Tuff. mr Tee um ubefirge amık Derniliienber Veben Irmsbunz. 
Barürr zer such 'umem Icprmer. % merden mar zu? Shen. Nur ismmene Fe 
—— — 





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uud Mint sr der Some Ss Bin, Bach uhr giecheng: Dee Tukzummer, bes 


Ir Karen. som Liroeunge der Firfer Enge bes Thiruigermalter bus an tem Rode 
nt ve frinf:ihe Saale, und tee sur nen verkuntenee Tıermreumes, Zamburt, 
Im, Harsunzı zut Wamsacı, Iisese um Feestadee wet Plarterr, ale n 


bauten. Z ulauma. Inkberwr u. 1, —— — ter She 
zus zumuten. Die sense uiinemfiben Tülker eric-ıemen u $ rufen Pak 
Serhünter wrrzungs. deu Derabe der Ergambrer. Sheruefer ıud Kram, wersre in 


ber sex der Echeſde See zur Fiber wehnenden mudcti.zen T-efer mut den Armfıhenen, 
Enmewrn mt Narſacern: te Thancen m Cırir-esiger, Dürnburg uni Fremen; 
Iee Hngemerer ur Tierten. Simeburg mut zut Kalendern: fermer t.e Sozen um frutuyn 


Srilesuurs, 
Ger, ur fr Isceus atart: Dr Eusmuen ut Summe (tie beusigen 


Sermanin 639 


die Fenni (Finnen), die Afthi (Eſthen), die Venedi (Wenden), Nach Ptolemaͤus 
be wohnten die Weftfeite Skandinaviens die Chadeni, die Oftfeite die Phavones und 
Phirãſi, die Südfeite die Gota und Dauciones, das Mittelland die Levoni. Die 
Staͤmme der Hermionen, dierin berumfchroeifenden Parteien auch Sueven hießen, 
waren Nie Barini zwifchen den Mündungen der —* und Warne, die Sidoni, 
von ter Warne bis zur Oder, die Teutandardi und Viruni im Lauenburgiſchen und 
Mecklenburgiſchen, die Nugier, Turcilingier und Scirri in Pommern, und an der 
Oſtſee die Heruler, Nachbarn der Sothonen , und diefe felbft mit ihren Nebenzwei⸗ 
- gen in Polen; ferner die Bandalen mit den Silingi im Riefengebirge und der Lau⸗ 
fig, Die Burgundiones und die Üygier, die nebft den Buriern u. A. hinter den Van⸗ 
dalen in Schleſien und Polen ihre Mohnfige hatten. Als einzelne Stämme 'der 
KHermionen, voelche ſich unter den Syngävonen und Iſtaͤvonen niederließen, werden 
die Zongobarden und Angeln genannt. . Jene wohnten an der Elbe und nachher in 
dem Lande der Cherusfer, diefe vereinigten fich von der Oftfeite der Elbe her mit den 
Saxen. Im Süden von Deutfchland finden wir nur Auswanderer, bie erſt ſpaͤ⸗ 
ter, aus mehren Muttervölfern zufammengefchmolgen, zum Theil große Reiche 
flifteten. Dergleichen füdliche Coloniften waren die Quaden, die Darfomannen, die 
von denfelben abftammenden Bojarier, die Hermunduren und die aus ihnen ent⸗ 
fproffenen Sueven. | 
Die Kömer lernten zuerft im J. der Stadt 640 die Germanen Eennen, als ein 
wilder Volkerſchwarm, der ſich Cimbern nannte, neue Wohnplaͤtze fuchend an den 
Alpen erfchien, den Sonful Papirius Carbo fchlug und fich von da, im Verein mit 
den Tigurinern, gegen die Allobrogen wandte. Nachdem fie auch bier die Romer 
in 2 großen Echlachten gefchlagen , fielen fie vereint mit den Teutonen und Am⸗ 
Bronen in das transalpinifche Öallien, fchlugen die Römer nochmals am Rhodanus, 
verbreiteten fich Dann nach Weſten, Fehrten ſich aber, durch die Tapferkeit der Ibe⸗ 
rer und Belgier in ihren Fortfchritten gehemmt, nach Italien, in welches die Teus 
tonen und Ambronen über die wefllichen, die Cimbrer und Tiguriner über die nörds 
lichen Alpen einzutvingen fuchten. Marius ward Roms Retter; er befiegte die 
Erſtern bei Air im 3. Roms 654, und 104 v. Chr. auch die Cimbern. Die Über: 
reſte zerftreuten fich theils in Gallien, theils kehrten fie an die Donau zurüd. Nach: 
dem Säfar Gallien unterworfen und feine fiegreichen Waffen bis an den Rhein ges 
tragen hatte, lernte er hier zuerft ein Volk kennen, das man ihm Germanen nannte, 
— der daſſelbe fuͤhrte und früher auf der Südſeite der Donau gewohnt 
atte, wollte ſich in Gallien niederlaſſen, mußte aber, von Caͤſar geſchlagen, wieder 
über den Rhein flüchten. Nur die Bricocci und Nemetes, die zu jenen Heerhaufen 
gehört hatten, blieben auf der Weſtſeite des Rheins; aus den über den Rhein zu: 
rüdgefommtenen Üiberreften fcheint fich der Schwarm der Matkomannen gebildet - 
haben. Caſar ging 2 Wal über den Rhein, doch nicht um in dem twüften Lande 
roberungen zu machen, fondern nur um Sallien vor den verheerenden Eihfällen 
der Barbaren zu fehirinen. Er nahm fogar Deutfche in Sold, juerft gegen bie 
Sallier, dann gegen Pompejus. Kennen lernte er nur die zunaͤchſt wohnenden 
Ubier, Sygambter, Ufipeter und Teucterer. Das übrige Deutfchland werde, fagte 
man ihm, von den Sueven in 100 Gauen bewohnt, deren jeder 1000 Mann auf 
Sreibeuterei ausfchicke, welche jährlich abgelöft würden, Sie lebten mehr von Jagd 
und Viehzucht als vom Aderbau, befagen die Felder gemeinfehaftlich und hielten 
alle fremde Völker durch Verwüſtung der Grenzen von fich ab. Diefe Nachrichten 
find wahr, wenn wir gie auf die Deutfchen überhaupt ausdehnen und unter ten 100 
aueh die einzelnen Volksſtaͤmme derfelben verftehen, Roms Bürgerfriege zogett 
fest die Aufmerkſamkeit von den Deutſchen ab, Der Bund der Sygambrer fiel uns 
geftraft in Gallien ein, und die von ihnen hart bedrängten Übier verfeßte Agrippa an 
die Weftfelte des Rheins. Als aber die Sygambrer Augufts Legaten, Lollius, im 


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640 ®ermanien . 


$ der Stadt 139 geſchlagen hatten, eilte er felbft herbei, erbaute, um ihnen beffer 
widerftehen zu koönnen, Feſtungen am Rhein, und gab’f. Stieffohne Drufus (ſ. d.) 
den Oberbefehl gegen fie. “Diefer tapfere Feldherr war in mehren Feldzügen fi>g= 
reich und drang bis an die Eibe vor. Er farb im J. Roms 745. Nach ihm 
führte 2 Jahre lang Tiberius den Oberbefehl am Rhein und übte mehr Lift als 
Servalt gegen die Germanen. Er bewog fie zu Rriegsdienften im römifchen Heere. 
Auguftus’s Leibwache ward aus Deutfchen gebildet, und der Cherusfer Hermann 
(f. d.) ſchwang fich bis zur Wuͤrde eines Ritters empor. Bon den J. 148— 755 
befehligten verfchiedene romiſche Feldherren in diefen Segenten. Als im J. 756 
Tiberius aufs Neue den Oberbefehl befommen hatte, drang er bis an die Elbe vor, 
und damals wäre es vielleicht gelungen, Deutfchland gar römifchen Provinz zu ma= 
chen, wenn nicht die Unbefonnenheit ſ. Machfolgers, des Quinctilius Varus, alle 
errungene Vortheile vernichtet hatte. Seine gemaltfamen Maßregeln, die Sitten 
und Verfaffungen der Deutfchen umzuindern, bewirkten eine allgemeine Verſchwö⸗ 
rung, an deren Spiße der in Rom erzogene Cherusfer Hermann ſtand. Mit feinem 
aus 3 Legionen beftehenden Heere in den teutoburger Wald gelockt, ward Varus 
von den erbitterten Deutfchen angefallen und aufgerieben. Wenige Flüchtlinge ret⸗ 
tete der bei Köln mit 3 LXegionen ftehende Legat Afprenas. Diefer 9 J. n. Chr. 
von den Deutfchen erfochtene Sieg führte den Verluſt aller römifchen Befißungen 
jenfeits des Rheins herbei; die von Druſus erbaute Fefte Alifo wurde zerftört. Jetzt 
traten die Cherusker als das Hauptvolk in Deutfchland auf, Erft 4 Jahre nach: 
er zogen die Römer unter Germanicus (ſ. d.) wieder gegen.die Deutfchen ins 
eld, und wie tapfer und Eriegserfahren diefer jugendliche Held auch f. Unterneh: 
mungen leitete, fo gelang es ihm doch nicht, die Herrfchaft der Römer zu befeftigen. 
Vielmehr gaben nach ihm die Römer die Unterjochung der Deutfchen auf, deren 
Streifzüge'auf ihr Gebiet fie leicht verhinderten, und vor deren ernftlichen Angriffen 
fie fich durch die innern Streitigkeiten derfelben gefichert fahen. Eine wichtige Be⸗ 
gebenbeit in Deutfchland hatte dazu Anlaß gegeben. Maroboduus, ein am Hofe 
Augufis erzogener Markomanne, vereinigte durch Guͤte und Gewalt mehre fuevifche 
Stämme in einen Bund, welcher u. d. N. des Bundes der Markomannen befannt 
ift. An der Spiße diefes mächtigen Volkervereins überfiel er das im füdt. Böhmen 
und heutigen Srankenlande gegründete große Reich der Bojer, eroberte daffelbe und - 
ftiftete hier einen furchtbaren Staat, welcher fich über Lie Markomannen, Hermun⸗ 
duren, Quaden, Zongobarden und Semnonen ausdehnte und ein Heer von 70,000- 
Streitern aufbieten konnte. Auguft hatte dem Tiberius befohlen, mit 12 Legionen 
den Maroboduug anjugreifen und feine Macht zu brechen, aber ein allgemeiner 
Aufftand der dalmatifchen Völkerfchaften nöthigte ihn, einen Frieden zu fehließen, 
der ihm feine Vortheile gewährte. Die darauf folgenden Unfälle der Römer in 
Weſtdeutſchland binderten jeden Verſuch gegen die Markomannen, welche häufige 
©treifereien in Südteutfchland wagten.. Co gab es jeßt 2 mächtige Völkerfchafs 
ten in Deutfchland, die Markomannen und die Cherusfer, welche fich aber bald 
unter einander entzweiten, als einerfeits die Longobarden und Semnonen, der 
VBedrüdungen des Maroboduus müde, den Bund beffelben verließen und zu ben 
Cherusfern übertraten, und andrerfeits Hermanns Oheim, Inguiomerus, aus 
Eiferfucht gegen ſ. Neffen zum Maroboduus überging, Nachdem der Krieg zwi: 
ſchen beiden Nebenbuhlern nach allen Kegeln der Rriegskunft, welche Hermann und 
Maroboduus in Roms Schule erlernt hatten, geführt worden mar, blieb der Sieg - 
endlich den Cheruskern. Tiberiug, flatt dem ihn um Beiftand bittenden Marobos 
duus zu helfen, lieg ihn vielmehr 2 Jahre darauf von dem Gothen Catualda 
fiberfallen, der ihn zwang, fein Land zu verlaffen und bei den Römern Zuflucht zu 
fuchen. Bald aber erfuhr Catualda das gleiche Schidfal Durch die Hermunduren, 
welche jet als Hauptvolk unter ben Diarkomannen auftraten, Die Eheruster ver: 


— 


‚&ermanien . ne 7 | 55 
foren 31 na Chr. mit threm großen Feldherrn Hermann (f. d) ebenfalls ihr 
Arnſehen; durch. Zroiefpalt unter fi) geſchwaͤcht, nahmen fie endlich von Rom einen 
König, Ftalicus mit Namen, an, den legten Sprößling Hermanns. Unter die: - 
ſem zerftelen fie mit ihren Bundesgenoſſen, den Longobarden, und fanfen zu einen 
unbedeutenden Volke, die Südfeite des Harzes bemohnend, herab. Dagegen erho⸗ 
ben fih im Weſten Deutfchlands die Ratten. Während einerfeits die Friefen fich 
wegen des ihnen auferlegten Tributs gegen die Römer emphrten und nur mit An- 
firengung zurüd'gefchlagen wurden, griffen am Oberrhein die Katten die ihnen ge: 
genüber gelegenen römifchen Seftungen an. Galba aber demüthigte fie und bewog 
fie, das Land zwifchen der Lahn, dem Main und Rhein zu verlaffen, welches darauf 
die Römer verdienten Kriegern zutbeilten. 18 Jahre darauf (58 n. Chr.) geriethen 
die Hermunduren und Katten in Streit über die Salzquellen der fränkifchen Saale. 
Des Maroboduns und Satualda zahlreiche Begleiter hatten fich indeß jenfeits der 
Donau zroifchen den Flüffen Gran und Morava angefiedelt und dort unter Ban: 
hius, den ihnen die Römer zum Könige gegeben, ein neues Reich begründet, das den 
benachbarten Völkern durch Bedrüdtungen läftig zu werden anfing. Obgleich Ban: 
niug fich mit den farmatifchen Jazygen verbunden hatte, erlag er doch der vereinten 
Macht der Hermunduren, Lygier und wefilichen Auaden (60 n. Chr.), und müßte 
fich zuden Nömern flüchten. An der Spiße des Meicks aber fland fein Schweſter⸗ 

‚fohn Sido, der, ein Freund der. Nömer, dem Befpaflan wichtige Dienfte leiſtete. 

Im Weſten erfchütterten die Bataver durch einen hartnaͤckigen Krieg die Macht der. 
Römer, welche nur mit aͤußerſter Anftrengung fich behaupteten. Jetzt aber entzüns 
dete fich em Krieg, der erſt mitdem Untergange Roms endigte, Die Sueven, von 
den Lygiern angefallen, baten den Domitian um Beiſtand, welcher. ihnen 100.Rei: 
ter ſchickte. Eine fo armfelige Macht beleidigte die Sueven. Sie verbanden fi) 
mit den Jazygen in Dacien und betrohten Pannonien. Domitian-mard gefchlagen, 
Nerva zügelte fie, und Trajan ſchlug fie aufs Haupt; allein feit Antoninus Philoſo⸗ 
phus loderte der Krieg in Diefen Gegenden auf. Auf zwei Seiten beunrubigten die 
Barbaren unaufbörlich das römifehe Reich; von der einen Seite die durch die Go: 
then verdrüngten Fleinen Stämme, welche gezroungen in Dacien einfielen, neue 
Wohnſitze fuchend. Man befriedigte fie, ale man ihnen die füdlichen Gegenden 
anwies. Aber wichtiger war der fügen. marfemannifche Krieg, welchen von der an: 
dern Seite die Marfomannen, Hermunduren und Quaden vereint mit aller Kraft 
gegen Rom führten.. Marc Aurel kämpfte fein ganzes Reben gegen fie, und Com⸗ 
modus erfaufte (180 n. Chr.) den Frieden. Indeß verwüftetendie Ratten Gallien 

. and Rhätien, die Cherusker drängten die Longobarden on die Elbe zurüd und tra- 
‚ten jeßt u. d. N. Franken auf. Neue Barbaren erſchienen 220 n. Chr. in Dacien, 

bie Bifigotben, Gepiden und Herufer, und befämpften die Römer. Zu eben det 

eit, unter Caracalla, trat einneues Volk in Suͤddeut ſchland hervor, die Alemannen,. 
ein Gemiſch iftävönifcher Staͤmme. Gegen fie erbaute Rom das berühmte Yallum 
Romanorum (römifche Landwehr), deften Liberrefte von Jaxthauſen bis Hhringen 
ſichtbar find. Aber Me Macht der Römer fanf immer mehr, theils durch unaufhoͤr⸗ 
lichen Kampf mit den Barbaren, theils durch innere Unruhen verzehrt. Als die Ro: 

- mer durch bürgerliche Kriege unter den häufigen Militairı evolutionen während Ber 
Regierung der Kaifer geſchwaͤcht worden waren, drangen bie Franken bis Spanien 
vor, und unter Kaifer Probus eroberten fie auch die Bataverinfel. So waren jetzt 
Franken und Alemannen die mächtigften deutfchen Völker: Erftere verloren unter 
Yulları die Bataverinfel an die Saxen, und Leßtere wurden von Roms Heeren ges 
demüithigt. Aber das war Roms legter Sieg, Mit dem Anfange des 5. Jahrh. 
flürmten Barbaren von’ allen Seiten auf das römifche Kaiferthum at. Die Ban- 
dalen, Sueven und Alanen bemächtigten fich Galliens und Spaniens; ihnen folge 
ten die Burgundier nach Gallien, die Weſtgothen nach Italien und Spanien; den 

Converſations⸗ Lexicon. Bd. IV, 41 


’ 


4 — -- —* 


642 Germanismus Oerning (Joh. Chriſt. — Joh. Iſaat, Frhr.v.) 


Burgundiern folgten die Franken, den Weſtgothen die Oſtgothen, und dieſen bie 
Longobarden. So begannen jene Züge zahlloſer Völkerhorden, welche fid; aus tem 
Norden uud Often erobernd über Europa ergoſſen. Die Geſchichte bezeichnet fie 
mit dein Namen der großen Volker wanderung (f. d.). S. Barth, „Deutfih: 
lande Urgefchichte” (2 Thle. Hof 1818 — 20) und Mannert’s „GSefchichte der 
alten Deurſchen, befonters der Franken“ (Stuttgart 1829). 
Sermanismus nennt man jede Eigenthumlichkeit der deutſchen Sprache 
in Ausdrüden, Worten und Wendungen, wodurch fie von einr andern Sprache 
abweicht. Die Germanismen find daher in Beziehung auf jede fremie Sprache 
andre, wiewol es gewiſſe Siermaniemen gibt, die es für alle oder doch für die meiften 
Sprarden find, wenn fie auf Eigenthümlichkeiten beruhen, welche die deutfche Spra⸗ 
che ansſchließlich dat. Germaniemen find fehlerhaft bei dem Gebrauch (d. i. beim 
Sprechen, oder Schreiben) fremder Sprachen, welche denfelken widerſtreben. 
Gerning (IJohann Chriſtian). Entomolog, geb. zu Sranffurt am M. 17746, 
ſtudirte am dortigen Sipmmnafium und erlernte die Handlung; aber fein Trieb zur 
Liſſenſchafe fuhrte ihn ins Privatleben zurüd, und er witmete feine Zeit der Natur⸗ 
geſebdichte, deſonders der Entomolagie. Bon feinen Kenntniffen in diefem Sache jeugt 
fein Antheil an mehren naturbifierifißen Werken, u. e. lieferte er zu den „Papillons 
de Europe“ (Warte 1780-92) den Theil des Tertes, fogie eine Menge 
ee — 
t mg von Ss ’ eine 
der vollſtandigſten und woblerbaftenfien, tie je en Privarmaun 
dat, Ziblt über 50,000 Seile, gegen 5.500 Arten und 500 Epirlarten, und befindet 
ſich nonh ꝓi Frankfurt. — Gierning (Johau Iſaak. Freih v.). Sohn des “Berigen, 
ad den 14. ton 1769 in Frantf. a. M., ſtadirte am Opmmafum daſelbſt, biers 
auf za Jena und witmete fich befünters ter Geſchichte und der Sitaatswiffenfchaft. 
4 —A—— Bildung und feines Sehens wurde das Jahe 1790. 


1 LI). Nut Dumm Tode fees Wars meine er mut m Soamfher am 
Srd aut ın Semäurg wml zur Tem, 2 armamue Wer Der Sul: 
uf un kn. Lemdurgz: ka Ich. Kusde, ut LAN arten dien dar Clrafe 





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Gerona | Gersdorff I 643 


herzog von Heſſen diefelbe Würde, worauf er ihn auch 1818 in den Freiherrnſtand 
erbob. Schon früher hatte er von Kaifer das Neichsadelsdipfom erhalten. 1816 
ernannte ihn der Landgraf v. Heffen:Homburg zu feinem Bundestagsgefandten in 
Frankfurt, und 1818 ging er als homburgifcher Sefandter nach London. — Seine 
politifchen Befchäftigungen haben ıhn niemals der Kunft und der Wiffenfchaft ent: 
fremdet. Außer einzelnen Gedichten in Zeitblättern erfchienen von ihm: 1) „Die 
Heilquellen am Taunus” (Leipz'g 1813 u. 1814 in 4., mit Kpf.), cin Gedicht, 
das in der didaktiſch⸗lyriſch⸗ maleriſchen Sattung eine der erften Stellen behauptet 
und fich ebenfomwol durch die Sülle der Gedanken und den Reiz der Darftellung als 
Durch technifche Vollendung auszeichnet; 2) „Ovid's erotifche Gedichte” Gränff. 
a. M. 1815); 3) „Die Rheingegenden“ (ein Prachtwerk, London 1821, mit 
color. Kupf. nach Zeichnungen von Schuͤtz, von John Blake ins Engl. überf.); 
4) „Die Lahn: und Maingegenden” (Wiesbaden 1821), Beide Werke enthalten. 
nicht nur eine getreue Schilderung der berrlichften Gegenden unfers Vaterlandes, 
fondern auch einen reichen Schag biftorifcher Forfefungen. | 
Gerona, Girona, fefte Stadt mit-14,000 Einw. an der Küfte von Cata⸗ 
Ionien, beim Einfluffe des Onhar in den Ter, welcher wenige Meilen von der Stadt 
ins mittelländifche Meer ausftrömt, ift durch eine faft beifpiellofe Dertheidigung ges 
gen die Franzofen unter Gouvion⸗St.⸗Cyr, und nachher unter Augereau 1809 
‚merfwürdig geworden. Nachdem die Sranzofen die Berennung im Mai begon- 
nen hatten, eröffneten fie in der Nacht auf den 9. Juni die Laufgräben. Angriff 
und Vertheidigung waren gleich tapfer und erbittert, Schon fing die Beſatzung 
an, Mangel zu leiden, als es Blake am 30. Aug. gelang, ihr neue Vorräthe zu: 
zuführen. Dies feßte fie in den Stand, fich bie zum 10. Dec. zu behaupten. An 
diefem Tage endlich capitulirte der Sommandant, Mariano Alvarez, da der Ver⸗ 
Iuft aller Forts (des Montjouy) und zweier Vorftädte, ſowie die immer zunehmende 
Berminderung der Befaßung lingern Widerftand unmöglich machte. ©, „Kriege: . 
gefchichtliche Monographien‘, I, 137. | 
Seronten (die Alten), obrigfeitliche Perfonen in Sparta, welche nebft den 
Ephoren und Königen die höchfte Gewalt im Staate hatten, Sie fonnten vor dem 
60. jahre nicht zu dieſer Wuͤrde gelangen und ohne die wichtigfien Urfachen nicht 
abgefeet werden. Ihre Zahl betrug 28, nach Andern 32. \ 
. erfau, im Canton Schroyy am Fuße des Kigiberges und am noͤrdl. Ufer 
des Diermaldftüdterfees, Flecken von 1400 Einw,, war vor der durch die Franzo-⸗ 
fen berbeigeführten Umwaͤlzung ber helvetiſchen Eidgenoffenfchaft Europas Klein: ' 
fter Freiſtaat, und hatte 5 Jahrh. lang, unter dem Schutze der ſchweizeriſchen 
Verfaffung, feine Unabhängigkeit behauptet. Durch Napoleons Vermittelungsacte 
1803 ward 9. mit dem Sant. Schwyz vereinigt; es erneuerte zwar, nach Yufbe: 
bung jener Acte, f. alte Berfaffung und genoß derfelben 2 Fahre lang, mußte 
aber. auf den Antrag der Landesgemeinde von Schroyz, die ſich in dieſer Hinficht 
auf die wiener Congreßacte berief, einer Entfcheidung der Schweizer Tagfagung 
zufolge, fich der Bereinigung mit gedachtem Canton von Neuem unterwerfen. 
Gersdorff Garl Friedrich Wilhelm v.), k. fächf. Senerallieut. der Cava⸗ 
lerie, k. Generaladjut, Commandant des adel. Cadettencorps, Großofficier der Eh⸗ 
renlegion und Commandeur des St.: Heinrichs: und des Falkenordens, feit 1827 
Mitgl. der Akad, der Kriegswiffenfch. zu Stockholm, geb. den 16. Febr. 1765 auf 
dem väterl. Gute zu Gloßen bei Löbau in der Oberlaufiß, ward, da fein Vater früh 
ftarb, von f. väterl, Obeim, dem Kreishauptmann v. Gersdorff auf Zangenberg bei - 


. Zeiß, erzogen und erhielt durch Hofmeifter f. erfie Bildung, Dann waren auf der . 


Fürftenfchule zu Grimma die Philologen Krebs und Müde f. Lehrer. Schon da: 

mals wurde Tacitus fein Lieblingsfchriftfteller. Hierauf fludirte er 1782 in Leipzig - 

und 1785 in Wittenberg. Berhältniffe u. Neigung bewogen Ian die militairifche 
| | 4* 


nd 


814 Gerſtenberg 


Larfbahn zu wählen, und er wurde 1786 Lieutenant beim Reg. Albrecht Thevaux⸗ 
legers. Schon 1791 als Adjutant angeftellt, wohnte er in dem Feldzuge von 17% 
— 96 ter jweiten Schlacht bei Raiferslautern und als Brigadeadjutant tem für Lie 
Fichf. Truppen fo rühmlichen als fruchtlofen Tage bei Wetzlar bei. 1805 fland er 
als Brigademajor bei dem Cerps, welches 1805 u. 1806 preuß. Armee flich, 
vertaufchte aber diefe Stelle 1807 mit der eines zweiten Adjutanten des Generals 
v. Volenz, beitem 6000 M. flarfen Eorps, weiches zu den Srangofen ſtieß. An der - 
Belagerung von Danzig, an den blutigen Tagen von Heilsberg u, Friedland nahm 
er als neirflicher Major Theil ımd erhielt ten &tr.:Seinridyeorden. Als 1808 tie 
Generalſtaͤbe der Dwiſionen eingrricktet wurden, beſtimmte ihn der König zum Chef 
des Sieneralftabs der Tivifion, die in Warſchau flant, ſowie bald darauf, mit Bei⸗ 
Erhaltung jener Functien, zu f. Slügelatjutanten. 1809 ward ihm der Auftrag, in 
Sachſen bie Bildung des Corps zu befchleunigen, das zur franz. Armee flogen fellte. 
Kurʒ darauf zum Oberften und Fonigl. Seneralatjutanten ernannt, begleitete er als 
Chef tes Generalſtabs Das füchf. Corps und erhielt vom Kaifer ſelbſt das ihm vom 
Prinzen v. Pontecorvo, General des Armeecorps, zu welchem die füchf Armee ge 
Börte, auf dem Schlachtfelde von Linz zugeficherte Kreuz der Ehrenlegion. Der 
äweitägigen Schlacht bei Wagram tbitig beumehnent, Eonnte er 1823 in zmei 
an bie Generale Gerard und Seurgauz gerichteten und in Dresden franz. und 
deutſch Berausgeg. Briefen ein leidenfchaftliches Urtheil berichtigen, welches ter 
Kaifer, laut der von Mientholen un? Gourgaud in den „Notes et melanges” geges 
benen Nachrichten über das Benehmen der fichf. Truppen an jenem Schlachttage, 
gefprochen hatte. Tem Scharfblicke des Kaifers war die feltene Gabe eines Man: 
nes nicht entgangen, der alle Eigenfchaften des Geiſtes und der austanernten Kör: 
perkraft in fich vereinte, um die ihm vom Könige v. Sachſen übertragene zeitgemäfe 
Drganifatien der ſachſ. Armee auszwarbeiten und als Chef des konigl. Generalſta⸗ 
bes vom 1. März 1810 an in Ausführung zu bringen. Sn den J. 1812 u. 1813 
war der unterdeffen zum Senerallieutenant ernannte Sen.:Atjut. G. einer ter auf: 
merffamften Beobachter in ten moften Umgebungen tes Kaifers, als tiefer in 
Dresden refidirte, und flets um die Perfon des Konigs, Dem er nach Leipzig folgte, 
mo der 19. Oct. über das Schickſal des Könige, ſowie über das feinige entſchied. 
Mehrer Stürme u. fremder Adminiftrationen wegen, die nım Sachſen erfußr, lebte 
er über 3 “jahre zurüdgezogen auf f. Gute und hatte tie ihm früher verweigerte 
Muße, alle f. Rechnungen abzufchliegen. Der König, der in ihm fiets einen feiner 
treuften und einfichtsvollften Dienet erfannt hatte, berief ihn zu neuer Thaͤtigkeit, 
indem er ihn 1817 zum Öeneralinfpecteur der Damals befchloftenen Armeereſerve 
ernannte; doch als diefe 1820 fich auflötie, beſchraͤnkte fich f. Thaͤtigkeit auf feine 
Seneraladjutantur und auf mehre Erecialaufträge. Wührend tiefer Zeit ward er 
1819 Großofficier der Ehrenlegion. Ein neuer, f. vielumfofjenten Kenntniffen und 
Erfaßrungen, ſowie f. Eifer für die Biltung des jungen Geſchlechts entfprechender 
Wirkungskreis ward ihm im Sept. 1822 durch die Ernennung zum Commandan⸗ 
sen des Cadettencorps. In diefer Stelle haͤlt er felbft über Encyklopadie der Kriegs: 
wiffenfchaften und Kriegsgefchichte Vorlefungen; gedrudt u. d. T.: „Vorleſungen 
über militair.Gegenft. als erfte Anleit. zum Stutüm des Kriegswefens überh. und 
der Kriegsgefchichte insb.” (Dresden 1826). Es ıfl zu wünfehen, daß ſ Tagebüs 
her über Denkwürdigkeiten f. Zeit einft ans Licht treten möchten! 
Gerſtenberg Geinrich Wilhelm v.), bat einft nicht bloß als Lieblings: 
hichter der Nation, fondern auch als Kritifer auf den Literaturzuſtand f. Zeitalters 
Erüftig eingewirft. Er war 1737 zu Tondern in Schleswig geb., mo fein Bater 
als Rittmeiſter in danifchen Dienften flant. Nachdem er in Altona bis ins 20, 
I. auf Schulen geweſen und in Jena fudirt hatte, fand er fich veranlaßt, in va⸗ 
terländifche Kriegsdienfte zu treten, flieg in dem unblutigen Feldzuge gegen die Ruſ⸗ 


Geruch Germn ı 645 


"fen bis zum Rittmeiſter, trat aber, alser nach Friedrichs V. Tode, 17166, die Aus: 
ſich ten auf diefer Laufbahn verlor, in den Civilftand zuräd, Der Staatsminifter, 
Graf Hartwig v. Bernftorff, nahm ihn 1768 als Mitglied der wöchentlichen Kanz⸗ 
leifeffionen in die deutfche Kanzlei. G. durchmanderte verfehiedene Eivildepartes 
ments, wurde 1775 als Refitent bei der freien Reichsſtadt Lubeck angeftellt, begab 
fi) 1783 nach Futin zu f. Freunde Voß, und lebte feit 1785 als Mitdirector des 
Lottojuſtizweſens in Altona. Diefe Stelle legte er 1812 Alters balber nieder und 
widmete ſich nun ganz den Wiffenfchaften. Er farb den 1. Nov. 1823, 87% 
alt, zu Altona. Seine erfte Arbeit war „Zurnus” ein Trauerfpiel, welchem er 
die Freundfchaft mit Weiße verdankte. ©. befchäftigte fich inzwifchen ſchon mit 
den „Tundeleien” und legte den „Zurnus” bei Seite, ohne ihn jemals druden zu 
laſſen; die „Tändeleien“ hingegen beforderte Weiße zum Drud, Diefe Tieblichen 
Scherze fanden allgemeign Beifall und gewannen felbft Leffing eine günftige Kris 
tit ab. Hierauf erfchienen f. fchon früher verfertigten profaifchen Gedichte, woraus 
ſpaterhin ſ. Dithyramben entftanden. Als Milttair fehrieb er die Kriegslieder eincs 
daͤniſchen Grenadiers. Als er nach dem Kriege nach Kopenhagen Fam, lernte er das 
felbft J. A. Sramer, Reſewitz, H. Schlegel, Klopftod, Sturz, Baſedow u. A. fen- 
nen. Im vertrauten Umgange mit folchen Männern, reich an Jugend umd Liebe, 
fang G. f. „Ariadne auf Naxos“, f. „Gedicht eines Sfalden” und mehre Eleine Lies 
ber. Zugleich aab er den „Hypochondriſt“, ein beliebtes holfteinifches Wochenblatt, 
und in d. %.1766 u. 1767 „Briefe über Merkwürdigkeiten der Literatur“ heraus, 
In diefelbe Zeit fallt auch f. Trauerfpiel: „Die Braut“, nach Beaument u. Flet⸗ 
cher, und f. berühmter „Ugolino”, der felbft auf der Bühne Gluͤck machte. Seiner 
Mufe in Ertin verdanken wir ſ. Melodram „Minona“, f. jüngfte dramat. Arbeit, 
ımd 1795 erfchien noch f. „Theorie der Kategorien”. 1816 find feine vermifchten 
Schriften von ihm felbft gefammelt und verbeffert zu Altona erfchienen (3 Bde.). 
Geruch (olfactns) nennen wir denjenigen Sinn , mittelft deffen wir die fei: 
nen Husflüffe der Körper (Düfte) empfinden. Die zarte fchleimabfondernde Haut, 
‘(die Schneider’fche H. genannt), welche das “innere der Naſe bekleidet, und in welche 
fich der ausdem Gehirne herabfteigende Geruchsnerve verbreitet, iſt Das eigentliche 
Werkzeug diefes Sinnes. Mit der Zuft, die durch die Naſe eingezogen wird, ſtrö⸗ 
then zugleich die Husflüffe oder riechbaren Theile Der Körper herbei, berühren im.. 
Innern der Naſe die Nerven, und diefe pflanzen die empfangenen Eindrüde zu 
dem Gehirne fort, wodurch fie von der Seele empfunden werden. Bedingung des 
Geruchs ift die Feuchtigfeit der genannten Haut, welche unter gemiffen Verhaͤlt⸗ 
niffen ſich verringert oder aufhört. Mit dem Athem und dem ganzen antmalifchen 
Leben ſteht diefer Sinn in der innigften Verbindung und ift unter den übrigen Sin: 
nen mit dem Geſchmacksſinn am meilten verwandt, mit dem er auch die meiften Ge⸗ 
genflinde gemein hat. Das Wort Geruch bezeichnet aber ouch jene riechbaren fei⸗ 
nen Ausfluͤſſe der Körper felbft (odores), welche von unglaublicher Feinheit find, 
Parfumirte man z. B. — mas uns die tägliche Erfahrung als möglich zeigt — 
mit den Ausflüffen einer Kubiklinie Lavendelol ein Zimmer von 18 5. Lange, eben: 
fo viel Breite u. 10 F. Höhe, alfo von 3240 Kubikfuß, d. l von 466,560 Kubif- 
Knien Anhalt, und naͤhme dabei an, daß in einer Kubiklinie Raum nur 4 riechbare 
Theilchen ſchwebten, fo würde fich eine Kubiklinie des ls in 1,866,240 riechbare 
‚Xheilchen trennen. Laͤßt man ein Stuͤck Ambra, welches 100 Gran wiegt, auf 
einer Wage, die der Bleinfte Theil eines Grans merklich bewegt, in einem Zimmer. 
frei liegen, fo wird daſſelbe, ungeachtet beſtaͤndig frifche Luft von Außen zuftrömt, 
mit den riechbaren Ausflüffen angefülle, und dennoch bemerkt man nach 54 Tagen 
noch nicht den mindeften Verluſt an dem Ambra, woraus man auf die Feinheit feis 
ner Ausflüffe fchließen fann. _ 

Gernon oder Geryones, Chryſaor's und der Kallirrhoe Sohn, ein 


\ 


646 Geſammte Hand Geſandte 


dreikkbpfiger Rieſe, der nach Einigen in Spanien, nach A. auf den baleariſchen u: 
fein, nach noch X. aber auf der fernen Inſel Erythia Herrfchte, wo er zahlreiche und 
fchöne Heerden befaß, die er von dem zweiföpfigen Hunde Drthrus und dem Riefen 
Eurption hüten ließ. Diefe entführte auf Eurpiiheus’s Befehl Hercules und er: . 
flug den Giernon. (5. Hercules) 

Geſammte Hand, tie Mirbelebnfchaft, da Mebre zugleich mit einerlei 
Sruntftüd belehnt werden, Einer aber nur im Beſitze deffeiben ift, und die Übrigen 
bloß zur Erbfolge berechtigt find. — Sefammtflimme, auf Reichstagen, eine 
aan, an weicher Mehre gemeinſchaftlich Antheil Haben, im Gegenfage der 

SGefandte, Befandtfhaftsredt Ein Sefandter iſt eine öffent: 
liche Derfon, von einem State mit Bollmacht und Borfchrift verfehen, um des 
Staats Angelegenheiten bei einer auswärtigen Macht zı betreiben. Solche, die 
bloß wegen Privatangelegenheiten eines Fürſten oder f. Mterthanen abgefandt find, 
heißen gewöhnlich Agenten und führen bisweilen den Titel der Kefidenten, Lega⸗ 
tionsräthe u. a., haben aber mit den Sefandten nicht Alles gemein. Unter diefen 
ſelbſt iſt jedoch ein nicht geringer Unterfchied; «8 gıbt Sefandte der erſten, zweiten 
und dritten Claſſe. Die Geſandten der erſten Claſſe repräfentiren ihren Souverain 
nicht nur in den ihnen aufgetragenen Geſchaͤften, fondern auch in feiner Perſon fo, 
: daß fie auf einige der Borzige Anfpruch machen konnen, die er bei eigner Anweſen⸗ 
beit genießen würde. In diefe Claſſe gehören die Großbotſchafter oder Ambaffadeurs, 
und ehedem die Cardinaͤle, wenn fie als legali a latere abgefendet wurden, fowie 
die papſtlichen Nuntien. Die Geſandten des zweiten Ranges repräfentiren ihr 
Staatsoberhaupt nur in den Sefchäften. Sie gewöhnlich den doppelten Ti: 
tel: Außerordentlicher Sefandter und bevollmächtigter “Drinifter Envoye extraor- 
dinaire el ministre plenipotentiaire), indem die bloße Benennung: Sefandter 
' (Euvort), als wirflicher Titel, oder die eineg Euvoye ordinaire, nicht gebräuchlich 
ift. In diefe zweite Claſſe gehörten ehemals auch die faiferlichen und päpftlchen 
Synternuntien. Zu den Geſandten des dritten Ranges, welche nurvon dem Miniſter 
des abzufendenden Staates, bei dem Dlinifter des empfangenden, beglaubigt find, 
gehören die Minifter, Yinistres resicieus, Refidenten u, Ministres charges .d’af- 
latıes. Die blogen Geſchaftsträger, ehavgés W’afl.ires, haben nicht den Charakter 
als Minifter. Nach dem Range des Siefandten iſt auch f. Gefolge verfchieden ; bei 
einem Sefandten dis erften Ranges gehören zum Gefolge: mehr? Geſandtſchafts⸗ 
cavaliere u. Edelfnaben, mehre Sefandrfchaftefecretaire (Secretaire d’amıbassade), 
Kanzelliiten, Schreiber, Dolmetſcher (Secretaire interprete, bei der Pforte Tru- 
cheman, Dragoman), Giefandtfchaftsprediger (Aunönier), Hausofficianten, Li⸗ 
vreebediente ıc. Bei Geſandten des zweiten Ranges find felten Geſandtſchaftscava⸗ 
liere, oder mehr als ein Legationefecretair (Scerelsire de legalinn), und noch weni⸗ 
ger zohlreich iſt Das Gefolge bei einem Sefandten des dritten Ranges. Seit dem 
weſifaliſchen Frieden erhalten alle Sefandte des erften, und meiftentheils auch die 
des zweiten Ranges, den Titel Excellenz; den übrigen wird er nur bisweilen aus 
— Höflichfeit gegeben. Jeder Gefandte mug, um als foicher anerfannt zu werden, dem 
Hofe, an den er gefandt ift, ein Beglaubigungsfchreiben, Creditiv (letire de crean- 
ce) überreichen, wovon er eine offene beglaubigte Abfchrift zum Vorzeigen beim 
Staatsſecretair erhält. Für fich erhält er eine Inſtruction, worin ihm fein Verhalten 
gegen den Hof und die da anweſenden Sefandten, foreie der Wille f. Hofe in Anſe⸗ 
ſehung feines Geſchafts angedeutet ill; das Weitere wird ihm durch jedesmalige 
Schreiben (Depefchen) f. Hofes bekanntgemacht. Iſt er am Orte f. Beftimmung 
angelangt, fo überreicht er dem Miniſter der auswirtigen Angelegenheiten fein Be: 
glaubigungsfchreiben und bittet um Audienz. Diefe ift bei Sefantten des erfien 
Kun,es eine öffentliche, bei den andern eine Privataudienz, nach welcher er beiten 


mm m „u pr 


— — — — * 


Faͤlle, wo ein Geſandter gezwungen wird, einen 


777 Öefandte | 647 


übrigen Sefandten formfiche Befuche abſtattet, um von ihnen als Geſandter aners 
kannt zu werden. Bon dem Augenblick un, wo ein Geſandter das Landesgebiet des 
Sowerains, an den cr ge”ndet ift, betritt, wird ſ. Perfon für heilig und unverfeß: 
Lich gehalten, und er genießt in dem Staate, worin er fich aufhält, bedeutende Vor: 

rechte. Zu diefen gehört vor allen andern die Erterritoriglität, d. h. er wird nicht 
als ein Inlander betrachtet, fondern f. Perfon, ſ. Gefolge, f. Hotel, f. Wagen 
werden fo beurtheilt, als ob er den Staat, ber ihn gefendet, nicht verläffen habe, 


m außerhalb t::8 Gebiets lebe, worin er refidirt. Daraus folgt denn eine perſon⸗ 


Liche Befreiung des Sefandten von der Tivil: und Triminalgerichtsbarfeit, eine gleis 
che für fein Gefolge, und Befreiung der Güter, die ihm als Sefandten zuſtehen, 
von allen Bollabgaben. In fein Hotel dürfen demnach gemeine Polget:, Bell: 
und andre Staatsbedienten nicht eindringen und bier Durchfuchungen anftellen, 
wie im Haufe eines Privatmanns. Ob er aber fein. Hotel zum Zufluchtsorte für 
Merbrecher machen und der Obrigkeit des Staats die Auslieferung derfelben vers 
weigern dürfe, ift ein, ebenfo bedenklicher als zweifelhafter Fall. Die fogenannte 
Dvartierfreiheit der Geſandten, kraft deren fie an einigen Orten das ganze SA uartier 
der Stadt, worin fich ihr Hotel befand, durch Aufhängung der Wappen ihres Som - 
veraing von ber Gerichtsbarkeit des Landes ausnehmen wollten, ift als Mißbrauch 
abgefchafft. Zu den Vefreiungen eines Sefandten und feines Gefolgs gehören Zoll⸗ 
und Accisfreiheit für alle gefandsfchaftliche Güter, roobei jedoch wegen erfolgten Miß⸗ 
brauche manche Befchränfungen flattgefunden haben. Bon Wegegeldern, Brücken⸗ 


. geldern, DBriefporto find fie nicht frei. Als ein befonderes Vorrecht der Geſandten 


muß man noch ihren Hausgottesdienft betrachten, in Ländern, wo ihre Religion 
nicht. geübt. wird. In Verhandlungen tret£ fie bisweilen unmittelbar mit dem 
Souverain felbft und machen ihm mündlich in Privatandiengen oder fchriftlich 
durch Überreichung von Denkſchriften Vortrag, gewöhnlich aber unterhandeln fie 
mit dem Minifter der auswärtigen Angelegenheiten. Alles dieg dauert bis zur Been⸗ 
digung der Sefandtfchaft, welche auf verfehiedene Weiſe berbeigeführt werden kann, 
durch Erlöfchung der Creditive, durch Zurüdberufung (rappel), durch freimillige 
oder geziwungene Abreife, und durch den Tod des Sefandten, Die Zurüdberufung 
erfolgt, wenn entroeder der Zweck der Sendung erreicht oder vereitelt ift, oder wegen 
entſtandener Mißverſtandniſſe, bisweilen auch aus Privaturfachen. Freiwillig ver- 
Laßt öfters ein Geſandter einen Hof ohne Zuruͤckberufung, wenn er Beſchwerde über 
völferrechtswitrige Verlegung f. Perfon führen äuFönnen glaubt; es gibt aber auch 
| taat zu verlaffen, was man Aus⸗ 
fchaffung deffelben nennt, Sonſt wird die Geſandtſchaft von dem Augenblicke an. 
für beendigt angefehen, mo der Sefandte entweder fein Zurückberufungsſchreiben 
übergeben oder Paſſe zu f. Abreife erhalten hat. Sind ihm diefe ausgefertigt, fo 
muß er den Staat verlaſſen, ſ. Perſon aber bleibt, felbft im Falle des Kriegs, un: 
verleglich, und er kann ungehindert bis über die Brenze reifen. Nur die ottomani: 
fche Pforte erlaubte fich Hierin Ausnahmen, indem fie Sefandte von Staaten, mit 
denen fie in Mißhelligkeiten gerathen ift, in das Gefangniß der fieben Thürme warf; 
fie hat aber im legten Frieden mit Rußland vom J. 1813 verfprochen, dies fich Fünf: 
tig gegen ruffifche Sefandte nicht mehr zu erlauben. Gleicher Unverleglichkeit er: 
freuen fich in den übrigen eurspäffchen Staaten, jedoch nur in Friedenszeiten, die 
Eouriere oder Eilboten, wie auch folche Perfonen, die, ohne einen eigentlichen ges 
fandefchafttichen Charakter, bisweilen als Bertraute zu Betreibung geheimer; wichtis 


ger u, eiliger Sefchäfteabgefendet werden, Nur fällt bei folchen das gefanttfchaftliche 


Ceremoniel weg, und in Beziehung auf andre Staatsbürger werden fie als bloße 
Privatperfonen betrachtet. Alle diefe Verhaͤltniſſe unter den europäifchen Mächten 
baben fich natürlich erft ausgebildet, feitdem es ftehende Geſandtſchaften gibt, d. h. 
feit der Zeit des weftfälifchen Friedens. Für Politik, Völkerrecht und Bildungsge: 


1 


| + 
"648 \ Geſang vo Geſangbuͤcher 


ſchichte wurde eine Geſchichte des Geſandtſchaftwefens ſeit ef ein ſehr wich⸗ 
tiges Werk ſein, an dem es bis jetzt noch mangelt. Flaſſan liefert dazu treffliche 
Beitraͤge. Ein nüßlichee Werk, das über alle geſandtſchaftliche Verhaͤltniſſe und 
Geſchaͤfte Belehrung gibt und Muſter aufftellt, ift das „Manuel diplomatique, ou 
prccis des droits et des fanetions des agens diplomatiques, suivi d’un re- 
cueil d’actes et d’ofhces, pour servir de guide aux personnes. qui se desti- 
nent ä la carriere politique“, von Karl von Martens (Leipzig 1822). Das eu: 
rophifche Geſandtſchaftsrecht hat insbefondere Franz v. Mosjamm behandelt 
Eandaput 1806), ° . dd. 
efang ift Vortrag poetifcher Worte in ahgemeffenen und ihrer Höhe 

nach beftimmten Tönen unfrer Stimme, oder Anwendung der Stimme zu mufitas 
lifchem Zweck. Warum jene Töne abgemeffen und ihrer Höhe nach beftimmt feien, 
wird der Artifel Muſik geigen, Fragen wir bier bloß: Wie fam der Menfch 
darauf, fich feiner Stimme auf diefe befondere Weiſe zu bedienen? Da er es im ges 
- wöhnlichen Leben, im althglichen Verkehr nicht thut, fo laͤßt ſich daraus auf eine bee 
- fondere Stimmung fchließen, die fo etwas veranlagt, Und fo ift es. Wenn der 
Menſch fingt, fo will er mufifalifch den Ausdrud eines innern Gefühle darſtellen. 
Geſang ift alfo muſikaliſche Sprache des Gefühle, Bei diefer Bat man zwei Punkte 
wohl zu unterfcheiden, den Inhalt und den Vortrag. jener bezieht fich auf die un: 
mittelbare Darftellung_ innerer Zuflände, diefer auf die Stimme. Der Gefang 
- vereinigt demnach in f. Vollkommenheit aufs innigfte die Igrifche Poefie und die Miu: 
fit. Diefelbe Urfache alfo, welche zur Igrifchen Poefie und zur mufifalifchen Darſtel⸗ 
lung begeiftert, wird auch veranlaffen, daß fich die Stimme des Deenfchen in Geſang 
ergießt und nach Melodie und Harmonie flrebt. Man unterfcheidet aber den na= 
tärlichen und Fünftlichen Geſang. Jener bezeichnet einen mufikalifchen Stinmmens 
vortrag ohne Kunftübung; diefer iſt ausgebildet Durch die Kunft, der Sänger übt 
‚ihn nach Anleitung der Tonfchrift (Noten), Zum Fünftlichen Gefange wird erfo: 
‚dert: 1) eine ſchoͤne und biegfame Stimme von anfehnlichem Umfange; 2) Fertig: 
keit, die Tonſchrift richtig zu leſen und die Töne nach derfelben rein zu treffen oder 
anzugeben (intoniren); 3) deutliche Ausfprache der Sylben und Wörter; und 
4) Angemeffenheit des Vortrags zum Inhalt, der Punkt, wobei der Sänger Ge 
ſchmack und fein Gefühl allein bervähren kann. Rur 100 diefe Angemeffenpeit fich 
findet, fagt der Deutfche, der Sänger habe mit Gefühl, mit Ausdrud gefungen, 
Uber den Sefang find zu empfehlen: „Nataliens Briefe über den Sefang” (2. 
Aufl., Leipzig 1825); und „Die Kunft des Geſanges theoretifch und praftifeh”, von 
A. B. Marr (Berlin 1826, 4.), ein wiffenfchaftlicher Grundriß der Sefanglehre, 
Sefangbücer, feit drei Jahrh. eines der wichtigften Mittel zur Beför: 

. derung der fittlich:religiöfen Bildung des Volks. Bekanntlich heißen Sammluns 
gen von religiöfen Liedern oder von Rirchengefüngen, öffentliche Sefangbücher, wenn 
son denfelben in einer oder mehren Kirchen Gebrauch gemacht wird; im entgegen: 
geſetzten Falle Privatgefangbücher oder zur häuslichen Andacht beſtimmte. Der 
deutſche Kirchengefang (fe Kirchenge ſang) ward’vorzüglich durch bie Reformas 
tion zu einen der wirffamften Mittel der Wolkserziehung erhoben. Schon Huf 
hatte unter den Böhmifchen Brüdern (ſ. d.) den ;Kirchengefang in böhmi⸗ 
feher Sprache eingeführt. Es entftand daher eine Sammlung böhmifcher geiftlis 
cher Lieder, welche Mich. Weiß, Pfarrer zu Landsfrone in Böhmen, 1635 ins 
Deurfche überf. herausgab. Zwei von diefen 400 Sefüngen nahm man in fpätere 
Sefangbücher auf, und von dem 'einen iſt noch der erfte Vers unter den Nachtwaͤch⸗ 
tern beim Abgehen von der Nachtwache hier und da in Sebrauch geblieben: „Der 
Tag vertreibt die finftre Nacht ꝛc.“ Außer diefer Sammlung fell es (nich Schells 
bern’s „Ergößlichkeiten”, B. 1, $.55) fehon vor der Reformation ein deutfches Ges " 
fangbuch gegeben Haben. Peter von Dresden (Petrus Presdensis) dichtete einige 


—8 


Ocfangähr ° 649 


bafb deutſche und Halb Tateinifche Lieder, rotes „In dulei jubilo” ıc, Luther gab 
fein erftes deutſches Sefangbuch 1824 heraus, welches aus 8, vorher auf einzelne 
Blätter gedruckten Liedern beſtand; die 2. Ausg. (1525) war mit 8 Liedern vers 
mehrt; die 3. enthielt 40, und eine fpätere 63 Sefänge, welche theils von Luther 
ſelbſt neu gedichtet, oder verbeffert, oder überfeßt, theils von Luthers Freunden vers 
fertigt waren. Dieſes Luther'fchen Sefangbuchs bediente man fich Tange Zeit in 


. ben evangelifchslutherifchen Kirchen. S. Rambach's „Anthologie chriftl. Geſange 
- aus der älteflen und mittl. Zeit" (Altona 1816). Luther’s Beifpiel, religife Lie 


der in deutfcher Sprache zu dichten, fand Nachahmer nech im 16. Jahrh., u. A, 
an Poliander ( Stammmelodien); Nicol. Decius, Pred, in Stettin (dem 
Perf. von: „Allein ort in der Hoh' fei Chr" :c.); Albert IV., Markgr. zu Bran⸗ 
denburg (fl. 1557), Vf. von: „Was mem Gott will” ıc.; Mic. Selneccer, Sup. 
zu Leiptig (fl. 1592), Vf. von: „Laß mich dein fein und bleiben” ꝛc.; Dart. Schal: 
king, Pred. m Nürnberg (fl. 1608), Df. des von Sellert fo gefchäßten: „Herzlich 
lieb hab’ ich dich, o Herr“ ꝛc.; Phil. Nicolat, Pred. in Hamburg (fl. 1608), Df. 


- der Terte und Melodien von: „Wachet auf, ruft uns die Stimme ıc.” und: „Wie 


fehön leuchtet ung der Morgenſtern“; im 17. Jahrh. an Martin Rinckart, Bf. der 


. beiden erſten Strophen des gefeierten: „Nun danket alle Sort” (die 3. Strophe tft 


- meinen Thaten“ꝛc.; 
- „Meinen Jefum laß ich nicht re.“ zu welchem Liede der Kurfürft von Sachfen, Joh. 


von fpäterer Hand hinzugefügt); Paul Flemming (f. d), Df. von: „In allen 
hriſtian Katmann, Rector zu Zittau (ff. 1662), Vf. von: 


J 


Georg I., welcher dieſe Worte vor ſ. Tode oft fprach, Veranlaſſung gab; Louiſe 


"Henriette, Kurf. von Brandenburg 'und Gemahlin Friedrich Wilhelms des Gr, 


(ft. 1867), Bf. von: „Jeſus, meine Zuverficht” ıc.; Joh, Herrmann, Pred. zu 
Liffa (ft. 1647); Joh. Ri, Paul Gerhardt (ſ. d), Df. von 120 Liedern; 
Simon Dach und Heinr. Albert, Letzter auch als Somponift; Mart. Geyer, Ober: 


hofprediger zu Dresden (ſt. 1630), Bf, von: „Herr, auf dich will ich feft hoffen“ ꝛc.; 


Georg Neumark (f.d.), Bf. von: „Wer nur den lieben Sott läßt walten“ ꝛc.; 
Sam. Rodigaft, Rect. zu Berlin (ft. 1708), Bf. von: „Was Gott thut, das Kt 
mohlgetban” ıc.; im 18. Jahrh. Benj, Schmolke, Paft. prim. zu Schweidnig (fl. 
4737); Erdm. Meumeifter, Part, zu Hamb, (fl. 1756); Dal. Ernft Löfcher, 
Sup. in Dresden (fi. 1749). Die Lieder Liefer und vieler andern Dichter erſchie⸗ 
nen größtenthells unter eignen Titeln gedrudt. In den meiften luther. Kirchen 


hielt man ſich fange Zeit bloß an die Luther'ſchen Lieder, welche der größere Theil 


auswendig konnte ind fie daher in den Kirchen ohne Buch fang. Cantoren und 
Mufltdirectoren größerer Städte, wie Joh. Hermann Schein in Leipzig und ſpaͤ⸗ 
ter Vopelius, Organiſt an der Mieslaitirche daſelbſt, nahmen in ihre Choralbücher 
auch Lieder von a. Pf. als von Lutheriduf. Man erlaubte ſich, nach Luther's Bor: 
gange, der auch in den von ihm aufgenommenen Liedern, wie in dem Ambrofiank 
fehen Lobgefange, dem Glauben und andern, bedeutende Beränderungen vorgenom⸗ 


- men hatte, Abanderungen und Weglaffungen anflögiger Strophen oder veralteter 


Ausdrucke. Von Seiten der geiftlichen Behörden einzelner Provinzen und Ger 
meinden fing man gegen Ende des 17. und zu Anfange des 18, Jahrh. an, neue Ges 


ſangbucher zu veranftalten. &o gab 1696 Trogilius Arnkiel ein holfteinifches Se: 


fangburh herqus; 17103 erfhien ein halleſches; 1707 ein boheriftaufifches; 1711 
ein berliner, an deffen Stelle aber fehon 1713 der Propft und Inſpect. Porſt ein 
andres herausgab, weil in jenem zu viele ſchwaͤrmeriſche Lieder vorfamen. Indeſ⸗ 
fen fehlte es auch in dem Porften’fchen Sefangbuche'nicht an folchen. Denn die 


.beffere Bahn, welche Dpiß (f. d.) in der Dichtkunſt gebrochen hatte, verließ man 


leider bald wieder. Durch Philipp von Zefen und Harsdörfer (f. Pegnikorden) 
ward ein fpielender Geſchmack Mode. Lohenftein (fl. 1683) und Heffmannsmwal: 


dau(ſt. 1679), beide Schleſter, gaben den ſchwuͤlſtigen Ton an, welcher vielen Bei⸗ 


650 Gefangfchulen Gccchaͤftsſtyl 


. fall fand; daher in ihrem Geſchmacke auch mehre der vorhin erwaͤhnten fruchtbaren 
Liederdichter Dichteten, deren müftifche Lieder in das hallefche, nerdhaufifche (1735), 
magdeburger und andre Sefangbücher aufgenommen wurden. Neumeiſter und 
Kluge in Wittenberg ſchrieben nachdrüdlich Dagegen und verwarfen insbefondere Pie 
unverfländigen und fpielenden Redensarten: in: Gott einfebren, fich in Chriftum 
verfenfen, in Jeſu Wunden verbergen, in Gott einfließen und andre als anftöftg. 
Ein Freund der Hymnologie, der dänifche Etatsrath Mofer, befaß im J. 1751 
ſchon eine Sammlung von 250 Sefangbüchern und ein Xegifter über 50,000 Lie: 
der, Die Neränterun n, welche Herausgeber der Sefanghücher mit ältern Lie: 
dern vornahmen, haben Serpilius, Dlearius und Schamelius -gefanmelt.— Auch 
der durch Gottſched berbeigeführte Geſchmack war der geiſtlichen Dichtkunſt nicht 
ganz erfprieglich. Erſt feit der Mitte d. 18. Jahrh. mit Sellert, welcher 1757 f. 
„Briftlichen Oden und Lieder‘ herausgab, begann eine günftigere Periode, Estraten 
neue Dichter auf, deren Lieder die ihrer Vorgänger in mehr als einer Rüdficht über: 
trafen, als; Klopſtock (1758), %. A. Schleget (1766), Joh. Andr, Cramer (1762 
— 654), Chſtp. Chſti. Sturm (1767), Chrifioph Friedr. Neander (1712), Balth. 
Münter (4773), Kasp. Lavater (1774 — 80), Heinr. Chr. Heeren (1179) u. A. 
(Vgl. über die meiften die bef. Art.) 1765 vereinigte fich daher der Prediger der 
reformirten Gemeinde zu Leipz., Zollitk ofer (ſ d.), mit dem Kreisfteuereinnehs 
mer Weiße (f. d.) zur Herausgabe eines neuen Geſangbuchs für die Gemeinde, 
(in der reformirten Kirche bediente man fich noch der durch den preuß. Rath, D. 
Ambroſius Lobwaſſer (fl, 1585), nach Marot's und Beza’s franz, Überſetz. in 
deutfche Reime gebrachten Üiberfeg. des Pſalters Darids.) Das Zollikofer’fche 
Sefangbuch, welches 1768 unter manchen Hinderniffen und Anfechtungen erfchien, 
brach gewiſſermaßen die Bahn zur Verfertigung und Einführung neuer Geſang⸗ 
bücher, Indeß folgten diefem Beifziele die reformirten Gemeinden in Bremen 
und Züneburg 1787; im 9,1773 auch die evangelifch-lutherifche Gemeinde in der 
Kurpfalz; 1778 die bremer Domgemeinde; 17786 Braunfchweig, 1780 Schles: 
mwig-Holftein; Berlin; 1782 Kopenhagen, Anſpach u, a., fodaß jeßt, feit Erſchei⸗ 
nung des Zollifofer’fchen Gefangbuchs, über 400 öffentliche proteftantifche neue 
Sefangbücher. vorhanden find, 1819 fam auch eins für die deusfche lutheriſche 
und reformirte Gemeinde inNordamerika, zu Baltimore heraus. Manche Gemein⸗ 
den haben in dieſem Zeitraume fchon ein zweites neues Sefangbuch eingeführt, als 
die proteftantifchen Gemeinden in Wien, Riga, Bremen u.a.; andre bedürfen es 
noch, denn man war in bem Beſtreben der-.aufflärenden Reinigung haufig fo weit 
gegangen, dag man das Kräftigfte mit dem Matten, das Poetifche ind Ehriftliche mit 
der nüchternen Profa einer populairen Moral vertaufcht hatte. Don Evers's „Se: 
fangbuch zum Schuls und häuslichen Gebrauche für die Jugend“ erſchien (Hamburg 
1823) eine 2. Aufl. Die Namen der Dichter, deren Lieder man in diefen neuern 
Sefangbüchern mit und ohne Veränderung aufgenommen findet, konnen hier nicht 
alle angegeben werden. Außer den Ananneen mögen bier noch fliehen: “Demme, 
Diterich, Efchenburg, Funk, Funke, Steim, Graß, Srot, J. A. Hermes, 3. Ch. 
Loffius, Mahlmann, Meifter, Mehn, Niemeyer, Dfranger, Reche, Elife v. ber Res 
Fe, Spalding, Starke, Sonntag, Sucro, W. Albr. Teller, Uz, Juliane Beiflodter, 
Wagner. Auch in vielen römifch:kathol. Kirchen bedient man fich. neuer deutfcher 
Sefinge — Selbft für den veredelten jüdifchen Cultus find deutfche Geſangbü⸗ 
bücher erfchienen, als von Johlſon (1819) und von Kley (1821). Das erfle enthält 
nur hier und da abgeänderte Lieder chrifklicher Xiederdichter nach den in chriftlichen 
Kirchen gewöhnlichen Melodien; das andre aber größtentheitg neugedichtete Hym⸗ 
nen und Lieder, ' bs 
Sefangfhulen, f. Singfchulen. n 
Geſchaftsſtyl. Unser Sefchäften verftehen wir diejenigen Außeruns 


‚beißt 


Geſchaͤftstrager Geſchichte 654 


ger unferer Thatigkeit, die aus unfern Derhältniffen hervorgehen, inwiefern wir 
ürger des Staates und Mitglieder eines gewiſſen Standes: in demfelben find. 
Diefe Gefchäfte find aber fo werfchiedenartig als die Verhältniffe des bürgerlichen . 
Lebens. Der Sefchäfteftpl umſchließt daher diejenigen ftyliftifchen Formen, voelche 
den gegenfeitigen Berbältniffen und Beziehungen deg bürgerlichen 2-bens angemef: 
fenfind, und feine Untergattungen müffen den ganzen Kreis diefer Verhaltniſſe und 
Beziehungen erfchöpfen, Im Allgemeinen zerfällt der Geſchaͤftsſtyl in den Styl 
für die öffentlichen Sefchäfte (der höhere Geſchaͤftsſtyſ) und in den Styl für die 
Privatgefchäfte (der niedere Geſchaͤftsſtyl). Den hoͤhern Geſchaͤftsſtyl nennt man 
auch den Eurialzober Kanzleiftyl. (S. Kanzlei) Der niedere Geſchaͤftsſtyl oder 
der Styl für die Privatgeſchaͤfte enthält den Ausdrud aller derjenigen rechtlichen 
Verhaͤltniſſe des bürgerlichen Lebens, welche, ohne Mitwirkung und Dazwifchens 
kunft der Obrigkeit, zwifchen den Staatshürgern, als folchen, ſelbſt verhandelt wer⸗ 
den fönnen, Dabin gehören AYusftellungen von Schuldverfchreibungen (Obligatio⸗ 
nen), Quittungen, Zeugniffen, Vollmachten, Abfchieden, Miethverträgen, Anfüns 
digungen u. f. w., fo wie der Sefchäftsbrief, Unbefchader des Eigenthümlichen im 
Geſchaͤftsſtyle ann dach die veraltete Form deffelben größtenteils verjüngt, und 
die Dunkelheit und Schwerfälfigkeit in demfelben vermicden werden. M. f. die An: 
leitung über den Geſchaͤftsſtyl yon A, Schreiber, und A. Nitſch's „Prakt. Anweiſ. 
zum deutſchen Geſchaͤfts⸗ oder Curialſtyle überhaupt und in Anıyendung auf das 
Sorftgefchäftsteben insbefondere (Dresden 1827), | 
Gefhäftsträger, ſ Sefandte, | | 
Geſchenkte Handwerke findfolche, deren Geſellen aufder Wanders 
ſchaft von ihren Zunftgenoffen, den Herkommen gemäß, ein Geſchenk erhalten. 
Sefhichte (Hifteria), Die Sefchichte enthält die voiffenfchaftliche Dar: 
ftellung des ganzen Kreifes der äußern Erfahrung, welcher die Gegenwart und Ders 
gangenbeit, d. i. alle Erfcheinungen neben einander im Raume und alle Veraͤn⸗ 
erungen nach einander in der Zeit umfehließt. Die Darftellung der Gegenwart 
efchreibung , die Darftellung der Vergangenheit Erzählung. Die Befchreis 
bung flellt die Erſcheinungen und Veränderungen im Raume, die Ergihlung die Bes 
gebenhriten der Vergangenheit nach der Zeitfolge dar. Mach diefer allgerneinen Bes 
zeichnung enthält der befchreibende biftorifche Sit in fich die Maturbefehreibung 
(nicht Naturgefchichte) und die Geographie; der erzählende hiſtoriſche Styl aber 
die Naturgeſchichte und die Menfchengefihichte, Zur Naturgefchichte gehören: 
die Geſchichte des Fefllandes, des Meeres, der Thier: und der Mienfchenarten, nach 
den DBerfchiedenheiten und DVerinderungen des phyſiſchen Baues; die Menfchens 
geſchichte Hingegen begreift alle Veranderungen und Thatfachen in fich, welche eine 
unmittelbare Wirkung der Freiheit find, Sie ift in diefer Hinficht entweder Se: 
fhichte einzelner Menfchen , oder Speeialgefchichte (einzelner Sefchlechter, Sefell: 
ſchaften, Völker, Reiche und Staaten), oder Univerfatgefchichte (Geſchichte der Ge⸗ 
fanımtheit des menfchlichen Sefchlechts). Verfucht man die Geſchichte nach Zeit: 
abſchnitten einzutheilen,, fo ergeben fih 4 Hauptabfchnitte derfelben: die alte, die 
mittlere, die neue und die neuefte Geſchichte. Die alte beginnt mit der Entſtehung 
des menfchlichen Sefchlechts auf dem Erdboden, oder, wenn von der durch Kritik 
und Urkunden beglaubigten Gefchichte ausgegangen werden foll, mit der Bildung 
der erften Reiche und Staaten, und reicht bis zum Untergange des römifchen Weſi⸗ 
reichs (476 nach Chr.). Die mittlere gebt von da an bis zur Entdedung von 
Amerika (476—1492 nad) Chr.). Die neuere Sefchichte umfchliegt die 3 Teg: 
tern Jahrh. bis zur franz. Revolution (1492 — 1789), und die neuefte den Zeits 
raum der Umbildung Europas feit der franz. Revolution bis auf unfere Tage. Will 
man aber die eizelnen hiſtoriſchen Wiffenfchaften fuftematifch ordnen und ihrge: 
genfeitiges Verhaͤltniß beftimmen, fo muß man diefelben in hiſtoriſche Grundwiſ⸗ 


[1 


Geiste 


6323 

en, es verberrürte, iz ebgrlrure ut in Sülksrteeühefern cnuiheilen. 
teten Emchelemgssr ——— 

BE sis Wirte tr=w turı$ ri been werten Dur baten 


Olkade und — —— — 5* d) Historia spe- 
ealissima, zu weicher die Biographien, Charakteriſtiken, überhaupt die biftorifchen 
en bes Lebens der Einyinen nach allen ſeinen Abſtufungen gehören. 
Die ** Hilfswiſſenſchaften endlich find diejenigen, durch welche überhaupt 
und zunaͤchſt das Studium der beiden hiſtoriſchen Hauprreiffenfchaften, und dann 
insbeſondere eh be das Studium der übrigen Hiftorifchen nı Biffenfchaften erleichtert 
und unterflügt wird. Sie find für die Univerſal: und Specialgeſchichte: 1) My⸗ 
ogie (die ältefle Retioionsgefhichte im myrbifchen Zeitafter der Volker und 
aaten des Erdbedens); 2) Genealogie (die Wiſſenſchaft von tem Urfprunge, der 
Fortpflanzung umd der Verwandtſchaft merkwürd iger Defchlechter und Familien); 
8) Heraldik Wappenkunde); 4) Mumismatik (Muünzentunte); 5) Denkmäler: 
Sunte, ce faßt in ſich 2)Epigraphif (die Kenntniß der Auffbriften auf‘ Denfmälern, 
mit Einſchluß der Hieroglyphit); b) Diplomatik (Urkundenlehre, mit Angabe der Re: 
— nach welchen bie Echtheit der Urkunden beurtheilt werden muß); c) Sphragi⸗ 
fit (Siegelkunde, als Unterſtũtzung der Diplemarit); d) Archivreiffenfchaft (ent: 
halt die Degen, wie Urkunden in den Archiven zu ordnen und zu erhalten ſind). Die 
hiftorifchen Hulfswiſſenſchaften für. die Statiftik find: 4) Die Cameralwiſſenſchaß 
ten (Ökonomie, Technologie, Forſt. und Vergwiſſenſchaft, Handelskunde); 2) Die 


Geſchichte 668 


politiſchen Wifſenſchaften (das Staatsrecht, wegen der Staatsverfaffungen, die 
Nationalskonomie, die Polizei: und Finanzwiſſenſchaft wegen der Staatsverwal⸗ 
tungen; die Politik überhaupt für die Entwickelung der Bedingung des innern und 
äußern Lebens der Staaten); 3) tag pofitive oder praftifche europäifche Wölkerrecht 
(für das unter den einzelnen Staaten befiehende Herfommen, für die Verträge, auf 
welchen ihre gegenfeitigen Verhältniffe beruhen u, f. w.); und 4) die Diplomatie, 
alg wiſſenſchaftliche Vorbereitung zu dem höhern Staatsdienfte in den innern und 
äußern Angelegenheiten, wefentlich verfchieden von der Diplomatif, und gegrüridet 
auf die-zu einem organifchen Ganzen geftalteten Ergebniffe der Politik, der Geſchichte, 
der Statiftif und des pofitiven europ. Völkerrechts, wodurch der höhere Staatedies 
ner dag gegenwärtige. innere und äußere Leben der europäifghen Reiche und Staaten 
in einem vollftändigen Bilde und nach feinen notbwendigen Bedingungen Fennen 
und umfchliegen lernt. Da allen einzelnen biftorifchen Wiſſenſchaften in diefem 
Werke bef, Art. beftimmt find, fo kann bier nur noch der Begriff und die verfchiedene - 
artige Darftellung der Weltgefchichte näher. beftimmt werden. Dieſe iſt die 
Darftellung der beglaubigten und merkwürdigen Begebenheiten, welche den äußern 
gefellfe aftlichen Zuftand des menfchlichen Sefchlechts nach ihrem nothwendigen Zu: 
fonımenhange gebildet und verändert haben. In der Weltgefchichte ift daher nur der 
Menſch der einzig würdige Segenfland der Darftellung, inwiefern er Freiheit befigt 
und durch diefe Freiheit feinen äußern gefellfehafilicpen Zufland bildet und verändert, 
Aus der unermeßlichen Reihe der Begebenheiten aber, welche die gefammten Einzel: 
wefen und Völker des Erdbodens verlebt haben, hebt die Univerfalgefchichte nur 
diejenigen aug; welche in Hinficht des äußern gefellfchaftlichen Zuftandes des menſch⸗ 
lichen Öefchlechte beglaubigt und merfwürbig find. Beglaubigt find diejenigen Bes 
gebenheiten, welche in reinen und fihern Quellın aufbewahrt werden; merkwürdig, 
aber ift jede Begebenheit, welche einen roefentlichen Einfluß auf die Bildung und 
Meränderung des äußern gefellfchaftlichen Zuftandes des menfchlichen Gefchlechts. 
bewirft hat. Soll nun die —— dieſe beglaubigten und merkwürdigen Be⸗ 
gebenheiten nach ihrem nothwendigen Zuſammenhange darſtellen, ſo muß die Dar⸗ 
ſtellung die innere nothwendige Folge der Begebenheiten, wie eine aus der andern 
Bervorging und die Orundlage neuerer Ereigniffe wurde, lebhaft verfinnlichen, und. 
zugleich muß, vermittelft dex Darftellung,, fowol von den einzelnen zufammen: 
ängenden Theilen der Seffpichte als von dem ange derfelben ein vollftändiges, 
ild für die Anfehauung bewirkt werden. Der Hiftorifer erfcheint Daher als Öe:. 
fhichtforfcher und als Geſchichtſchreiber (ſ. d.). Obgleich nun die That: 
facgen der Sefchichte bei jeder Behandlung derfelben immer diefelben bleiben, fo ift 
es doch nicht gleichgültig, wie fie dargeftellt werden. Die hiftorifche Methode ent: 
ſcheidet Daher über die Art und Weiſe der Anordnung, Stellung, Vergleichung ırd 
Derbindung der dargeftellten Begebenheiten. Sie ift: a) Seographifch, wenn man . 
entroeder von der vormaligen alten oder von der gegenwaͤrtigen politifchen Einthei⸗ 
lung der Erde in Reiche und Staaten ausgeht, und daran die Darftelung der Thats 
ſachen anfnüpft, durch welche der Zuftand derfelben in frühern Zeitabſchnitten ge⸗ 
bildet wurde. Diefer Unterricht muß für die ältere und mittlere Geſchichte durch 
zweckmaͤßige Charten verfinnlicht werden (d'Anville, Funke, Krufe, Reichard). 
b) Chronologifch oder annaliflifch, wenn die unmittelbare Folge der Jahre und Jahr» 
hunderte, nach einer mittelft der hiſtoriſchen Kritik feftgefegten Zeitrechnung, als’ 
leitender Grundſatz für die Darftellung der Begebenheiten der einzelnen Bölker und, 
Reiche angenommen wird (Büfch, Bredom, Hegewiſch). «) Ethnographiſch, wenn 
man, nach eftfegung ter allgemeinen Perioden für die Behandlung der Univerfals 
gefchichte, in den einzelnen Perioden jedes Volk felbfländig und nach dem Gange 
feiner befondern Sefchichte während diefer Periode darftellt, fodag nach diefer Mies 
thode in der Darftellung ein Volk auf das andre folgt (Gatterer, Beck, Schloſſer, 


% 


654 Gistt:rse EcEitdscibe 


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wei — den euer Fenstern u te Seiser sie acc ihrer = er negen 
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Eenrrunge tue esrge Aral, 1-i De Pocfn I Angaben mach her 
fr te hörte Ar, . i. te Ti ter Angaben nach 
heir zur Beſchoferheu, verbindet. Der 
Selhihtfhreiber (Huferisgraph) Dagegen hat zum Sekhifte tar ei: 
genttiche Dorſielueng ber Sekte, D. 5. Anertuenz tes Einyinen m Defirbung 
auf ten Haupt⸗ eter Mittelpunkt tes Derpufirlienten (merauf serjü:!xh tee beige 
riſche Kor bercht‘. Oft findet mat, verzäglich in neuerer Zen, ten Sammler 
un» Krırıker von bueten nechwentigen Eigenfchaften bes Sef;ichtturfelere entlässt; 
Denn aflertir gs gehoert die Berbinteng der verfchietenarticten Seelenf::ite Er⸗ 
reuhung einer Orese nt Bellfonmmenheit in der Geſchichtferſchung und 
Gech chtſch Beſonders ſchemen bie alte Geſchichte (bis 476 n. The.) und 
Die neuere und neuefle felten von emem und temfelben Marne vellig glexhmißig 
umſchloſſen zı werten, weil die erſtere Die tiefften philologiſchen und archielsgifchen 
Etubien, bie letztere die erſchepfend ſten und weiteſten pofitifchen ımd ſtatiſtiſch⸗ na- 
tionci:fonemifhen Kenntniffe verlangt, weiche nur bei Wenigen in gleichen Maße 
angetroffen werben. Immer wird fich der Eine mehr aus innerm “Drange gır Töelt 
des Alterchums, der Andere mehr zur neuern Geſchichte hinneigen. Soll die Ge⸗ 
hihte als Wiſſenſchaft und Kunſt ;: einer hohern Vollendung gelangen, fe mäüf 
fen Geſchichtforſchung and Geſchichtſchreibung in Einem Yntivituum sufammen- 
treffen. Das aber die Geſchichte fo fpät zu einer freiem Form der Darſtellung, 
und Die Forſchung in derſelben fo langſam zu einem felbfläindigen Charakter ſich er- 
bob, davon lag Lie Urfache in den verfchiedenen Schulen, welche die Geſchichte feit 
den Zeiten der Kirchenverbefferung bei ten Deutfchen anbaueten. Denn in ten 
Handen der Theologen und der Philo!ogen, welche fie bis ungefähr vor AO Jahren 
faſt ausfchließend auf deutſchem Boden bearbeiteten, blieb fie abhängig von frem: 
‚dem Schulintereffe. Während die Erften Die Sefchichte des Volkes Gottes und die 
Kirchengefchichte des Neuen Teflaments als die wichtigflen Segenftände der allge: 
meinen Gefsichte behandelten, und mit wohlgefälliger Breite alle ezegetifche Unter: 
füchungen über Schöpfung, Sündenfall, Paradies, Sündflut, babylonifchen 
Thurmbau, Land Sofen, arabifhe Wüſte, Feuer: und Wolkenfiule, Philifter, 
©tiftshätte, Leviten u. f. w. Vierteljahre Hindurch im mündlichen Bortrage vom 
Katheder, und Atphabete ſtark in fehriftlicher Darftellung der Geſchichte mittheil: 
ten, — befehränften die Zweiten die allgemeine Sefchichte zunächft auf eine Huͤlfs⸗ 
solffenfchaft der claffifchen Philo!ogie, betrachteten die Griechen und Römer als die 
einzigen Belfer des Alterthuums, welche eine ausführliche Schilderung verdienten, 
erwähnten die unermießliche Welt des indifchen, chinefifchen, ägnptifchen und phoͤni⸗ 
eifchen Alterthums nur beifäufig in Eurgen Andeutungen und glaubten die allge: 
meine Gefchichte nicht herrlicher ausfehmüden zu konnen, als wenn fie in derfelben 
alle Ausgaben alter Scpriftfteller ausführlich erklärten und bie Geſchichte zunächft 


4 


Geſchichtſchreibe . 655 


in eine Überficht über die claffifche Literatur der Griechen und Roͤmer verwandelten. 
Das Sammeln und Aufbewahren einer Maffe von Thatfachen und Angaben, wel⸗ 
che ohne Prüfung und lebendige Anordnung todt und werthlos tft, welches man 
übrigens auch oft, befonders unter den Deutſchen, zur Hauptfache machte, hat dem 
Ehrentitel des Hiftorikers die üble Mebenbedeutung eines Gedächtnißgelehrten zus 
gezogen, weil allerdings ohne den politiſchen Blid auf die Bedingungen des innern 
und äußern Lebens der Völker und Staaten die Gefchichte unfruchtbar bleibt und 
nie die Höhe der praamatifchen Darftellung De Die Altefte Sefchichte aller 
Volker liegt in.dem Dunkel von Sagen und Mythen. Früher als die beglaubigte 
Gefchichte beginnt bei den Völkern die Dichtkunſt; felbit die Alteflen Religions 
begriffe find in poetifchen Schilderungen auf ung gefommen. Mag über das Alter 
der indifchen, chinefifchen, perfifchen und hebräifchen heiligen Bücher, der Geſange 
Homer's und Orpheus's und über die Art und Weiſe der Erhaltung und Zuſam⸗ 
menftellung derfelben der Streit der Krititer noch lange nicht beendigt werden: fo 
viel ift entfchieden, die earamblage derfelben reicht hinaus über die erfte DMorgenröthe 
der beglaubigten Geſchichte. Diefe beginnt für die hebräifche Nation und für Bor: 
deraflen. mit Mofes; für die Griechen mit Herodot aus Halifarnag. Die neuere 
Sephichtforfhung hat diefen Vater der Geſchichte nach feinem hohen Werthe ge: 
würdigt, und die Gelehrten, welche Bonaparte nach Agypten begleiteten, haben He⸗ 
rodot's Angaben fiber diefes Wunderland des Alterthums genauer und zuverläffiger 
gefunden ats die des ungleich jüngern Strabo,  Ernftvoll, mit Tiefe des Gemüths 
und mit dem vollen Colorit der pragmatifch = aͤſthetiſchen Schilderung befchrieb nach 
ihm Thuchdides aus Athen die erften 21 J. des peloponnefifchen Krieges. Diefem 
folgte der vielfeitige, geiftuolle und gemwandte Kenophon, ein Mann, deffen hiftorifche 
Schilderungen das Sepräge Sofratifcher Weisheit und eines ju endlichen beredten 
Styls tragen. So ſchaͤtzbar diefe Begründer der hiſtoriſchen Darftellung find, fo 
enthalten fie doch nur, sole auch die rdmiſchen Hiftoriter Eifar, Livius, Salluft, Ta: 
eitus u. A., Special: und Particulargefehichte. Univerfeller war fchon. der vielfei: 
tig gebildete Polybius, der in f. Darftellung des Zeitraumes vom zweiten punifchen 
Kriege bis zur Auflöfung des macedonifchen Reiches zuerft den Pragmatismus und 
eine rhetorifch-kraftvolle Sprache auf die Behandlung Hiftorifcher Stoffe übertrug. 
Im Zeitalter Auguſts folgte Diodor feiner Bahn. Er begann f. Erzählung einige 
Jahrh. nach der großen Überſchwemmumg und führte fle fort bis auf f. Zeit: doch . 
haben fich von f. 40 Büchern nur 15 ganz und 5 in Bruchfhicdten erhalten, , Spa— 
ter (um 228 n.Chr.) gab der Bifchof Eufebius zu Caſarea, in f. Umarbeitung des 

on dem Syrier Julius Afritanus hinterlaffenen Chronikon, der Sefchichte eine fe⸗ 
dere chronologiſche Grundlage. Es haben fich aber von der griech. Urfchrift deffelben 


nur Bruchftüde erhalten, die Hieronymus in einer freien und bis 378 fortgeführten -- 


lat, Überfeg: verarbeitete. Während des Mittelalters fehlte vollig die hiftorifche 
Kunſt; doch find: die Chroniken diefes Zeitraums wichtig für die gleichzeitige Ge⸗ 
ſchichte, fo gering auch ihr ſtyliſtiſcher Werth angefchlagen werden muß. Im Zeit: 
alter der Reformatoren ward endlich das Stadium der Univerfalgefihichte auf Uni: 
verfititen belebt. Wie fehr aber der Charakter in der Behandlung derfelben noch 
in der KRindbeit zurüc®blieb, .beftätigt Carion’s „Chronifon‘, welches nach den fo: . 
genannten 4 Monarchien bearbeitet war, und welches Melanchthon ale Compen⸗ 
dium der Gefchichte neu herausgab. Länger als ein Jahrhundert bfieb die Mies 
thode, die Sefchichte, nach einer migverftandenen Stelle im Propheten Daniel, nach 
den A Monarchien des affprifchen, perfifchen, griechifchen und römifch = deuffchen 
Reiches vorzutragen und zu bearbeiten, die herrfchende, und verhinderte jeden freien 
Aufflug des hiſtoriſchen Geiſtes. Zwar war es Männern aus Ernefti’s gründs 
licher philologifcher Schufe gelungen, ihre Vorgänger mit dem feit Carion’s und. 
Sieidan's Zeiten vielbelichten Deonarchienfoftem allmälig um die Herrſchaſt zu 


656. Gefhichtfehreiber: 
Bringen; aflein die Sefbfländigfeit der Geſchichte ale Wiſſenſchoft ward ebenifo we· 


nig von den Philologen wie früher von den Theologen begräindet; nur die Kritik der 
Quellen der griechifchen und römifchen Sefchichte, nicht aber der gefammten Quel⸗ 
Ien ber alten Sefchichte, batte dadurch gersonnen; befonders ward die neuere und 
neuefte Sefchichte blog in wenigen Stunden als überflüffiger Anhang zur römifchen 
und byzantinifchen Geſchichte beigebracht, weil ja die Schriftfteller des Mittelalters 
nicht im Erneftifchen Latein gefchrieben hätten, und die neueſte Geſchichte aus Zei: 
tungen und Poſſelt'ſchen Zafchenbüchern erlernt werden Fonnte. Man darf nur 
die Sompendien und Syſteme der allgemeinen Sefchichte von Sarion an, nach Mes 
lanchthon's Ausgabe, bis herab auf den (zuerſt von Schrödh verbefferten) Hilmar 
Curas mit untergefeßten Fragen, wie in Hübner's „Biblifchen Hiſtorien“, zuſam⸗ 
menhalten, und damit die Lehrbücher aus den Zeiten der Philologen vergleichen, um 
fich zu überzeugen, wie wenig in vollen zwei Jahrh. in Deutfchland für die allges 
meine Sefchichte, nach Stoff und Form, ‚gefchehen war. Erſt mit dem freien Ans 


bau der Specialgefchichte, nah Möfer’s Borgange mit der osnabrüdifchen und | 


Muüller’s Darftellung der fehweizerifchen Sefchichte, mit der Verpflanzung, Ber: 
befferung und felbfländigen Sortfeßung der beiden großen britifchen Werfe über die 
Univerfalgefehichte, hauptſaͤchlich aber mit dem ernften Studium der drei britifchen 
Sefchichtfehreiber, Robertfon, Hume und Gibbon, deren politifche Bildung die 
reife Srucht der freien Verfaffung Großbritanniens war, begann auch in Deutſch⸗ 


land der Sinn für die politifche und pragmatifche Behandlung der Geſchichte. Doch 


war es nicht Satterer, der diefer Debandtung Dorfgub that. Zwar laffen fich 
ihm Sründlichkeit der kritiſchen Forſchung, Sichtung und geordnete Aufftellung 
der geprüften Maſſen, umfchließende Verbreitung feines Fleißes über die meiften 
einzelnen Zeige der gefchichtlichen Wiffenfchaften, und Trennung der Geſchichte 
von den herkömmlichen theologiſchen Anfichten nicht abfprechen; allein der Geiſt, 
der die Maffen beleben und durchdringen follte, ging bei ihm unter in einem Linnciss 
mus, welcher die Volkerſtaͤmme und Begebenheiten rubrifenartig claffificirte und 
gleichfam mit dem anatomifchen Meffex behandelte, weil ihm die philofophifche Bil: 


dung und der —5 Blick abging, die nicht durch philologiſche Kenntniſſe und 


durch bienenartiges Zuſammentragen einzelner Notizen erſetzt werden konnen. Ver⸗ 


geben fragt man bei ihm nach der Darftellung der größten Angelegenheiten der 
' 3 


oͤlker und der geſammten Menſchheit, nach Religion, Verfaſſung, Regierung, 
Cultur und Volksthũmlichkeit, aus welchen zunaͤchſt die Urſachen des Steigens und 
des Sinkens der Völker und der Staaten befriedigend erklaͤrt werden formen! — 
Diefer höhere Geiſt waltete und wirkte aber in Schlöger’s Schriften, der bei einer. 
ſehr ausgebreiteten Gelehrſamkeit, die felbft fein auf ihn eiferfüchtiger College Gat⸗ 
terer nicht verfennen Eonnte, zugleich die vielfeitigften politifchen, ſtaatswirthſchaft⸗ 
lichen und ftatiftifchen Kenntniffe befaß, und mit einer Freimuthigkeit, die jedem 
großen und Eleinen Sultanismus ein Schreden war , die Vorgänge der alten und 
neuen Geſchichte prüfte, fichtete, und einem geiftvollen — bisweilen etwas ſchar⸗ 
fen — Urtheile unterwarf. Seit feiner Zeit legte fich allmalig die bis dahin blinde. 
Bewunderung des Alterthums, die man fortan den Mectoren und Tonrectoren der 
Lyceen zu beliebigem Sebrauche überließ; man fühlte,. daß die jüngere europaͤiſche 
Menfchheit mit ürem Colombo, Luther, Albuquerque, Morig v, Sachfen, Guſtav 
Adorf, Friedrich II, Joſeph II. und A. ebenfo wichtig und für uns noch bedeus 
tungsvoller fei als die Tage des Tyrus, der Caziken von Sichon, der T römifchen 
Könige und der äguptifchen Pharaonen; man fing allmälig an, einige fragmentas 
rifche Nachrichten über Religion, Verfaffung, Verwaltung, Eultur, Volksgeiſt und. 
Sitten in den Lehrbüchern der allgemeinen Geſchichte am Echluffe der einzelnen 
Beitriuine, gleihfam als Nußanmwendungen, einzuſchwaͤrzen, bis endlich, unter den 

inflüffen der politifchen Borgänge im.innern und äußern Staatsleben des jüngern 





— 


Geſchichtſchreiber 67 


Europa, die geſammte Behandlung der Geſchichte durch ausgegeichnete Männır 
umgebildet ward. Nun galt es nicht mehr bloß einer trodenen Nomenclatur von 
Kegenten und Jahrszahlen; man fragte nach Dem Charakter der Geſetzgebungen, 
der Religionen, der Derfoffungen, der Deglerungsfarmen und nach der Ankuͤndi⸗ 
ung des Volksgeiſtes in den einzelnen Zeiträumen und bei den verfchiedenften 
Staaten; man forfchte nach der Urfache des Blühens, Steigens, Culminirens, 
. Veraltens und Sinkens der Völker und Reiche, und vergegenmärtigte fich deßhalb 
Die Ankündigung des innern und Außern Lebens der Volker und Staaten, ſowie 
den Zufammenhang und die Wechſelwirkung beider auf einander. In diefem 
Geiſte dachten und fchrieben Schlöger, Spittler, Heeren, Schiller, Woltmann, Jo— 
Hannes Müller, Wachler, Polis, Luden, Rotted, Dreſch, Saalfeld, Buchhorz, 
Schneller u, A. Entfehied gleich die individualität diefer Männer zunächft über 
das politifche Gepräge ihrergefchichtlichen Werke, fo ward Doch durch fie Die politifche 
Darflellung der Gefchichte, ſowol der allgemeinen als der fpeciellen, begründet, und 
die Aufnahme ihrer Werke in den gebildeten Kreifen des Publicums hat es bewiefen, 
daß diefe politifche Darftellung der Sefchichte den Bedürfniffen des Zeitalters ent: 
fprach, und man nicht mehr bloß Namen und Zahlen, fondern Beift und Urtheilin - 
der he verlangte. — Gedenken wir num des Anbaus der Geſch. insbefondere, 
fo ift die „Wllgemeine Welthiſtorie“, zu melcher fi) zu Anfang des 18. Jahrh. in 
England Swinton, Sale, Bower u. A, vereinigten, und welche feit 1744 anfangs 
unter Baumgarten’s, dann unter Semler's Leitung ins Deutfche überfeßt wurde, 
ſchon alseine beffere Behandlung der Univerfalgefchichte ie betrachten. Doch bald 
fühlte man in Deutfchland die Unvollkommenheiten des britifchen Werts. Schon 
in den früber erfchienenen Theilen hatte man daſſelbe, wegen des Mangels an hiſto⸗ 
riſcher Kritik, befländig verbeffern müffen, vom 31. Th. an banden fich die Deut: 
ſchen gar nicht mehr an daffelbe. Schlöger, der eine allgemeine Lberficht des Nor⸗ 
dens gab, Meufel, der Frankreich, le Bret, der Italien, Sprengel, der England, Gal⸗ 
Ietti, der Deutfchland, Ruͤhs, der Schweden bearbeitete, folgten ihrem eignen Plane. 
Greilich ift das bereits auf 78 Quartbande angewachfene Werk noch nicht beendigt; 
auch ift es zunächft in den neuen Theilen Specialgefch. der europ. Reiche und Stan: 
ten; es enthält aber eine große Materialienfamml. für die Geſch. undeingelne Theile 
find mit tiefem biftorifchem Geiſte bearbeitet und eine mahre Bereicherung dee gro: 
Sen biftorifchen Gebiets. (m Auszuge von Boyfen, Käberlin u.%., 37 Th., Halle 
4767— 90.) Zweckmaͤßiger ward gleich vom Anfange an die Überſetz. der von Su: 
thrie und Gray eröffneten „Allgem. Wertgeſch.“, von der Schöpfung an bis auf ge: 
genwaͤrtige Zeit, geleitet; feit 1765— 1808 in 17 Th. zu Leipzig; die Herausgabe 
der erften Th. geſchah durch Heyne. Die Fehler der engl. Urfehrift wurden forgfältig 
berbeffert. In der Folge verliegen, auch bei der Bearbeitung diefes Werks, die deut: 
ſchen Hiftoriker die Grundlage ihrer britifchen Vorgänger. Heyne fchrieb in diefem 
Werke die alte afiatifche, griechifche und roͤmiſche Geſchichte, und die Befchichte der 
Araber, der Mongolen und Türken; Ritter bearbeitete Die Zeit der römifchen und 
byzantinifchen Imperatoren und der erſten durch Germanen geftifteten Reiche; 
Schrockh gab Italien, Frankreich, England und die Niederlande, Heinrich die Ge: 
fehichte der Deutfchen und des deutfchen Reichs; Dieze ſchrieb die Geſchichte von 
Spanien und Portugal; Wagner fchilderte Polen und überhaupt den Norden Eu- 
ropas, Sebhardi Ungarn und ie damit verbundenen und angrenzenden Reiche und 
Staaten, und Joh. v. Müller begann die Geſchichte der ſchweijeriſchen Eidgenof: 
fenfchaft fuͤr dieſes Werk, welche von —A— bis 1516 fortgeſetzt ward. 
Ein mannigfaltiger Ertrag hiftorifcher Forfchung aſt in diefer Weltgefchichte nieder: 
gelegt; doch auch von ihr gilt, was bei dem vorhergehenden Werk erinnert wurde, 
daß fie zunächft Specialgefchichte in den einzelnen Theilen, und feine zu einem ge- 
meinfamen Überblif verbundene Univerfalgefchichte enthält. Mit gemäßigterm 
Sonverfationd: Lericon. Bd. IV. | " 4 


858 EScſchichtſchreiber 


Geiſte als Schlozer, ımd zwar mit Vorliebe für die Altern, beſonders theologiſchen 
Anfichten, aber nicht ohne Ruͤckſicht aufdie Verbefferungen des hiſtoriſchen Studiums 
zu feiner Seit, ging Schrödh den Weg feiner Vorgänger in ſ. Bearbeitung des Nils 
mar Curas, in f. (ethnograpbifchen) „Weltgeſch. für Kinder‘ und in ſ. neuen Be: 
arbeitung und Ergänzung des am Faden der Jahrhunderte Hinlaufenden (Tat. ges 
fehriebenen) „Compendiums der Weltgefch.” von Offerhaus. jener Hilmar Curas 
erfchien 1816 in der 6. Aufl, verb. und ergänzt von Pölig, ſowie derfelbe auch 
Schrockh's „Meltgefch. für Kinder“ in der neuen Ausg. bearbeitete und von 1789 
— 1816 in 2 Bdn. ergänzte, welche zugleich u. d. bef. Titelerfchienen: „Die europ, 
Völker u. Staaten am Ende d. 18. u. am Anfange d. 19. Jahrh.“ (Leipz, 1813 y. 
1816). Faft ganz in, demfelben Seifte wie Schröckh, doch Heller in den Anfichten 
der Altern Zeiträume und durchgehende mit vieler Einmifchung von literar., archaͤo⸗ 
log. und geograph. —— ſchrieb Remer in Helmftädt ſ. univerſalhiſtor. 
Handbücher und Compendien. Sie ſind treu, ſorgfaͤltig und fleißig zuſammenge⸗ 
ſtellt; es fehlt ihnen aber der Geiſt des höhern Lebens. (Remer's „Handb. der aͤl⸗ 
tern Geſch. von der Schöpfung der Welt bis auf die große Volkerwanderung“, 4. 
Aufl., Braunfchw. 1802; „Handb. der mittlern Geſch.“; „Darftellung der Geſſalt 
der hiſtor. Welt in jedem Zeitraume“, Berlin 1794; „Lehrbuch der allgem. Geſch.“, 
Halle 1860.) Nach einem eigenthümlichen Plane behandelte Bed die Geſch. in f. 
„Anl. zur Kenntniß der allgem. Welt: und Völkergefch. für Studirende“, welche 
aber in den feit 1787 herausgefommenen 4 Th. (von welchen die erfte Abth. tes 1. 
Th. 1813 in einer neuen, mit Literatur reich ausgeftatteten Ausg. erſchien), noch 
nicht beendigt if. Nach der annaliftifchen Methode, mit Wahrbeitslicbe und Gruͤnd⸗ 
lichkeit, Doch nicht ohne eine gewiffe Trodenheit und mit zu weniger Berüdfichtigung 
der Foderungen an einen guten Styliften, ſchrieb Bürch f. „Srundriß einer Gefch. 
der merfwürdigften Welthändel neuerer Zeit, feit 1440”. Die 4. "Aufl. ergänzte 
(1810) von 1796 an, nach Büfch’s Tode, der geiftbolle Bredow, und Hegewiſch 
ſchrieb, um Büfch’s Werk vollftändig zu machen, auch die Geſch. des Alterıhun:g 
und des Mittelalters, inf. „Srundzügen der Ibeltgefch. in der Manier des fel. Prof. 
Büfch“ (1804). Als treffliche überſicht über die große Maffe von Perfonen und 
Thatfachen, die zu dem Umkreiſe der Univerfalgefch. gehören, mit weiſer Auswohl 
des Wichtigern, mit ſicherm polit. Takte und in einer lebensvollen, Früftigen & prache, 
fehrieb Eichhorn eine „Weltgefchichte” in 2 Bdn., die er feit der 2. Aufl., 1804 
(3. Aufl. 1818—20, 4 Th. in 5 Bdn.), auch in literarifcher Hinficht reichlich aus: 
flattete. Ausführlicher und beredter gab er in 6 Th. die „Sefchichte der 3 letzten 
Jahrh.“, von welcher die 3. verb. Aufl. 1818 erfchienen iff, Doch näher fam em 
Ideale einer polit. Behandlung der Sefchichte, das Schlozer aufgeftellt harte, Keis 
ner als Heeren in ſ. „Handbuche der Geſchichte der Staaten des Alterrhums” (4. 
Aufl. 1821) und in f. „Handb. der Geſch. des europ. Staatenſyſtems und ſ. Colo⸗ 
nien von der Entdeckung beider Indien bis zur Errichtung des franz. Kaiſerthums“ 
(4. Aufl. 1822). Bon f. „Hiſtor. IBerken” waren (1821— 26) 15 Th. erfehienen. 
Sefeiert wegen f. „Befch. der Schroeiz” wird Joh. v. Müller nicht blog im Munde 
der Gegenwart leben; die Nachwelt wird ihn hoch unter Denen ftellen, welche Die 
Specialgefchichte bei den Deutfchen mit ficherm Takte behandelten; ein unparteii- 
ſches Urtheil wird aber f. „Bier und zwanzig Bücher allgemeiner Gefch., befonders 
dereurop. Menſchheit“, Hinter jene Sefchichte der Schweiz ftellen, obgleich auch in 
diefer Behandlung der Univerfalgefchichte (bis 1783) f. geiſtvolle Eigenthumlichkeit, 
-befonders in vielen gelungenen einzelnen Partien, hervorleuchtet. Könnte eine ans 
genehme Form der Darftellung das nur zu oft vermißte Quellenſtudium und die 
häufigen Lucken in der Erzahlung erfegen, und das Urtheil der Nachwelt mit den a 
fichtlich eingewebten Rüdfichten auf eine augenblidfiche Modephiloſophie und auf 
die Weltgeſchichte nur gewaltſam übertragenen Lehre eines blinden Schidſals vers 


— 


Shihtfhrche, 658 


Hhnen: fo wärden Dippald!s, „Biklzgen. der. allgemeinen Sefchichte! (Berlin 1812, 
2 Thle.) in diefer Heihe einen Plat verdienen. DVorzüglicher find, in Hinſicht auf . 
politiſchen Blick und Lebendigkeit der Darfeling, und wegen de gleichmäfigen 
Durchführung ſammtl. Weltbegebenheiten bis aufunfere Tage: Dreſch's „Über: 
ficht der allgemeinen politifchen Sefch.” (3 Thle, Weimar 1814, n. Aufl. 1822 
f.), Poͤlitz'sWeltgeſch. für gebildete Lefer und Studirende”, in 4 Thln. (welche 
1830 in der 6. vielfach verb. und bis 1829 fortgef. Aufl. erfchien), und Schneller’s 
nBeltgefch.” (4 Thle., Graͤtz 1808 — 13). Bon Rotteck s, Allgemeine Weitgeſch.“ 
ift mit Geiſt, nur etwas zu ausführlich gefchrieben, und mit d. 9. Bd. big 1816 (in 
d. 6. Ausg. 1826) vollendet. Sehr ungleichartig iſt Beder’s „Beltgefch.” in 10 
Thin. behandelt, durch F. G. Woltinann in den neuen Aufl. der einzelnen Thle. 
verb. und bericheigt, Die 6, A. (Berl. 1828 fg] beforgte Lobell. An.diefes Wert 
fehließt fich die „Neueſte Gefch.” von K. A Menge, in 2 Thin. als 11. und 12, 
Thl. an. Gallettis bändereiches Werk ift nicht dazu geeignet, das Studium der 
Geſch. nach den Bedürfniffen unferer Zeit zu befördern. Ungleich tiefer dringt 
Schloffer inf. „Weltgeſch. Frankf. 1815 fg) in-das Wefen der Geſch. ein (der 
1. Bd. ift 1826 in einer Umarbeit. v. 2 Abtheil,, vom 3.82. ift die erſte Hilfte Les 
2. Thls. 1824, und von f. „Univerſalhiſtor. Überficht der Geſch. der alten Welt und 
ibrer Cultur“ ift die 2. Abth. des 2. Thlis. 1829 erfchienen). Zunächft für die Bes 
lehrung der mittlern Stände und mit.echter Popufarität fehrieb Dolz ſ. Abriß der 
‚allgem. Welt : und Völfergefch.” (8 Thle., Leipz. 1813, und 1821 folgte ein Nach⸗ 
trag). Die beften akadem. Sompendien der Univerfaldefch, find, nach der gedraͤng⸗ 
‚ten Darftellung, nach der weifen Auswahl des Wichtigften, und nach der ebernmäßi: 

en Behandlung.der alten, mittlern und neuern Geſch.: Wachler’s „Lehrbuch der 

Beſch.“ GBresl., 5. Aufl. 1828), und nach der einfichtsvollen Gliederung einer kern⸗ 
haften Maſſe bei größter Wortfürge, Wachsmuth's „Srundr. d. allgem, Geſch. d. 
Voͤlker und Staaten” (Lpz. 1826), fowie für Symnafien und yceen fih Breper’s 
„Lehrb. der allgem; Sefch.” (München 1817) und Pölig’s „Kleine Weltgeſch.“ 
(6. Aufl. Leipz. 1829) befonders eignen. — Für den Schul: und Hausbedarf ers 
(dien zu Weimar (1820 in Fol.) ein „Hiſtor. Schulatlas” in 14 vom Hauptm, 
Benicken entworf. Charten und Tafeln, welchem ein „Hiſtor. Handatlas” von 
demf. Heransgeber in 4 Lief. (1824 — 23) folgte. — Von Krufe’s brauchbarem 
Atlas und den dazu gehörenden Tabellen erfhien 1828 die 4. Aufl, fo auch von 
Leſage's (Las Tafes) „Atlas historique” im J. 1826. 

Fragt man nach den Männern, welche in neuerer Zeit die fpecielle Stac- 
tengefchichte im Geiſte echt hiſtor. Forſchung und nach dem Tharakter und den 
Goderungen einer reinen, blühend Fräftigen Schreibart dargeftellt haben, fo treten 
uns Italiener zuerft entgegen. Mufter der hiſtor. Darftellungskunft gaben der 
neuern Zeit Macchiavelli in f. 8 Büch, der „Istorie Fiorentine”, Quicciardini in 

‚f Istoria d’Htalin“, welchen die Spätern Paolo, Sarpi („Istoria del concilio Tri- 
dentino‘), Davila („Storia delle guerre civili di Francia”) und Bentivoglio 
(„Dellu guerra di Fiandra‘) zwar nicht gleich, doch mehr oder minder nahe kom⸗ 

men. Nächft den Stalienern zeichneten fich die Briten aus; Robertſon mit ſ. Sefch. 
des Zeitalters Karls V. und mit f. Gefch. yon Amerika und Schottland, Hume mit 

Geſch. Sroßbritemniens, Gibbon mit f Meifterwerke über-den Umſturz des röm.- 

Weltreichs. Don deutfchen Männern begann bereits Pufendorf in ſ. „Sefch. der 
Thaten der Schroeden”, inf. Schilderung des großen Kurfuͤrſten von Brandenkurg 
und inf. „Einleit. in die Hiftorie der vornehmften Keiche und Staaten” eine bef: 
fere Methode und einen frifchern Geiſt auf die Specialgeſch. uberzutragen. Unter 

‚ Achenwall’s Händen fing die europ, Staatengefch, an, ein in fich zufammenhängens 
des Ganzes zu werden, und mas Meufel’s Fleiß in dieſem Sache („Anleitung zur 

‚ Kenntniß der eurgp. Stantenhiftorie‘‘) noch vernachläffigt barte, Das Hervorheben 


fortſetzte; ar 4 

des in ſ. Handbuche über diefelben (Zeip; 1817, 3 Thir.) zu leiſten. Sn einem 
trefflichen Seifie begasın Luden (ma 1814) f allgemeine „Sich. der Völker und 
Etioaten”; bis 1822 erſchienen 3 Tre., weiche Die Geſch. ber Belfer un? Staaten 
bes Alterthums und des Mittelakters ſchiſdern. Reich an Hopotheſen wie an neuen 
Anfichten find: Hũ s „Zisatsrech des Alterihums” (Köln 1820), und 
Kitter’s „Borhalle eurep, Velkergeſchichten“ (Berlin 1820). Beide übertrifft aber 
on Reichtum der Ideen, forwie an Lebendigkeit ter Darſtellung v. Roumer inf. 
„Beorlefungen über die alte Geſch (2 Thle., Leipz 1821), in weichen jedech Die 
fpätere Geſch. der Griechen und Lie Geſch. Roms ungern vermißt wirt. — Reich 
an wichtigen Ergebniffen ifl Tittmanın's Darſtellung der griech. Staatsverfoffun- 
gen” (Leip 1822); doch Fann damit Korrim „Zur Geſch. hellmifcher Etaateser- 
faffungen, hauptſachlich während tes peloponnef. Krieges” (1821) verglichen wer⸗ 
den. Degen die Hypotheſen in Niebuhr s unvollenveter „Römifcher Sefchichte” 
(umgearb. 1. Th. 3.3. 1828) war Wachsmuth's Altere Sefch. des rom. Staa⸗ 
tes" (Halle 1819) gerichtet. Mit eigenthumlichen und geiftvoflen, doch im Ein 
zelnen nur mit Borficht anzuwendenden Anfichten flattete Buchholz f. „Dhüofe- 
phifchen Unterfuchungen über die Römer“ (3 Thle. Berl. 1819) aus. Für das 
innere politifche Leben Athens tft von Wichtigkeit: Bodh’s „ ter 
Athener” (2 Thle, Berl. 1817) und Wachsmuth's „Hellenifche Alterthumstunde” 
2. Bd., 1829). Das wichtige Zeitalter Konflantins, in welchem der Sieg des 
Thriſtenthums über das Heidenthum entfchieden ward, / wardigte ber gründliche und 
innige Manfo, in f. „Leben Konftantins bes Großen“ (Brest. 1817). Die 
Zeit der Wiedergeburt Europens zeichnete Haffe in f. „Seflaltung Europas feit 
dem Ende des Mittelalters” (Leipz. 1818) mit ficherm politifchen Takte, mit Frei: 
mürhigfeit und in einem edeln, Erüftigen Style. Politzz fteflte Die „Sefehichte des 
europ. Stantenfüftems ans dem Standpunfte der Politik dar” (2. A., Zeipz. 1827), 
und die neueſte Zeit feit 1183 in f. Werke: „Die Staatenfofteme Europas und 
Amerikas (3 Thle. Leipz. 1826). Auch für die Darſtellung der einzelnen Staa⸗ 
ten begann allmälig eine beffere Zeit. Treu, ruhig und nüchtern ſchrieb Heinrich 
eine Geſchichte von Frankreich (3 Thle., Leipz. 1802), der ſ. „Sefchichte von Eng- 

land” (3 Bde., Leipz, 1806-8) bei mangelhafter Quellenforſchung nachfteht. 
einer noch immer fehlenden Sefchichte der franz, Revolution und des franz. Revo: 
lutionskrieges trugen Sirtanner jn f. berüßmten Werfe, und Poffelt in f. „Euro: 
paͤiſchen Annalen” und in f. Tafhenbägern für die neuefte Geſch. (9. Jahrg.) 
anziehenden Stoff zufammen. in ungenannter talentvoller Mann feßte feßtere 
u. d. T.: „Staatsgefchichte Europas”, in 7 Thin. (bis 1811) fort, und Buchholz 
begann, mit dem wiener Frieden (1809), eine Sefchichte der europäifchen Staaten, 
welche in lebhaften Darftellungen richtige und einfeitige polit. Urtheile in feltener 
Mifhung enthalten (bis 1826 od, b. zum 15. Bde. —— Für eine allgem. 
Darftellung der Weltbegebenheiten fett 1789 berechnete Fr. Saalfeld f. „Allgem. 
Geſch. der neueften Zeit”, 4Bde., (1815— 23). Mit Seift und Fleiß fehrieb Bredow 
d. „Chronik des 19. Jahrh.“ bis zum J. 1805. Seinem Nachfolger Benturini (die 
‚180725, 22 Bde., und Neue Folge d. 3.1826 u.27, 2 Bde.) fehlt Bredom’s 
ündlichkeit, Sedrängtheit und Unparteilichkeit. Die Epifode des Rheinbumdes 
bat mit Diplomat. Blide und mit Sachkenntniß, im Einzelnen aber nicht mit der 
firengen Unparteilichkeit des Hiſtorikers, der Marcheſe v. Luccheſini in ſ. Hiſtor. Ent: 


| ‚Gefchichtfghreiber | u 661 


wickelung der Urfachen ux Wirkungen dee Bheinbunteg” (a, d. Ral., 3 Thle,, Lpj. 
4821 fg.) dargeftellt. — Den langen — der Niederlander um 
ihre Freiheit fehilderte in einem feelenvollen Gemaͤlbe Schilſer in f. „Geſchichte des 
Abfalls der verein. Niederlande von der fpan. Regierung” (von Eurche in der Fortf. 
nicht erreicht), während ſ. Deutfihgefinnter Geiſt den dreißigjähr. Krieg mit Vorliebe 
für das Vaterland bis zum weſtfal. Frieden. durchführte, welchen, nah Schiller’s 
de, Woltmann in ſ. „Geſchichte des weſtfal. Sriedens” mit Geiſt und Haltung 
darſtellte. Woltmann’s „Geſch. Frankreichs u. Großbritanniens” ftreben beide nach 
dem Kranze hifter. Kunft. Noch fehlt es der deutſchen Nation an einer Darftellung 
ihrer Sefchichte, in welcher die Nation felbft den Mittelpunkt des Ganzen bildete, 
und die in flyliftifcher Hinficht den Forderungen des gereiften Geſchmacks entfpräche. 
Denn in beiden Beziehungen laſſen Schreidt’s Geſch. d. Deutfchen” und Pütter’s 
„Hiſtor. Entwickel. der heutigen Staatsverf. bes deutſthen Reichs” noch manchen 
Wunſch unbefriedigt, Galletti tödtet das Leben der Sefchichte durch die Breite f. 
Darſtellung, und Heinrich konnte in f. „Deutfchen Reichsgeſch.“ (Kpz., 9 Thle.) nur 
‚redlich u. geordnet wiedergeben, was er durch Fleiß u. Sründlichkeit fich angeeignet 
‚hatte, Ein höherer Geiſt waltet in Poſſelt s, von Politz (Lpz. 1819) mit dem 4. Bde. 
. vollend. „Sefch. der Deutfchen für alle Stände”. Früher ftellte bereits Pölig in f. 
Handbuche: „Das deutfche Volk u. Reich” (Leipz. 1816), beide, Volk und Reich, 
‚ale zwei gleiche. Größen auf, welche in der gefchichtl. Darftelung gleiämißig behans 
delt merden müßten. Arndt gab tief begründete „Anfichten u. Ausfichten der deut: 
fehen Geſch.“ (Xeipz. 1814); Steffens fhilderte (2 Thle., 1817) die gegenroärt. Zeit 
in Beziehung auf Deutfchland mit glühenden Farben. Menzel's „Geſch. der Deuts 
fehen” (1815— 122, 8 Bde., A., m. K.) iſt etwas ausfuͤhrlich, aber mit SachEenntniß, 
lebendiger Darftellung und Sreimüthigkeit des Urtheils gefchrieben. An fie ſchließt 
ſich deff. Verf. „Neuere Geſch. der Deutfchen von der Reformation bis jur Buntes 
acte“ (Bresl., der2. Th. 1828, bis 1546) an. Luden's „Geſch. des deutfch. Volks‘ 
(Gotha 1826 fg., der 4. Bd. 1828, bis 800) iſt aus Quellenftudium bervorgegans 
gen, mit Geiſt und Kroft gefchrieben; gründlich und einfach Pfifter’s „Geſch. der 
Deutfchen” (1. Bd. bis 911, Hamb, 1829), Reichhaltig und gedrängt iſt P. v. 
Kobbe’s „Handb. der deutfchen Geſch.“ (Lpz. 1823). Troden, aber gründlich, bes 
handelte Barth „Deutfchlande Urgefihichte” (Baireuth 1818, 2 Bde.), u. Mannert 
f. „Sefch. der alten Deutfchen” (Stuttg. 1829). Die popufaire Schrift von Kohl: 
raufch über die Geſch. Der Deutfchen ift über ihren Werth gefehägt worden. €, W. 
Böttiger’s „Deutfche Geſch.“ (Erlang. 1823) ift ein brauchbares Schulbuch. Don 
Heinrichs „Handb. der Reichsgeſch.“ erfchien 1819 eine 2. Auft., v. Pöliß bericht., 
verm. und bis 1819 fortgefeßt. Des jüngern Eichhorn aus der Quelle gefchöpfte 


„Deutſche Staats: u. Nechtsgefch.” erfchien (1821) in der 3. Aufl. und ward mit J 


dem 4. Th, beendigt. Ein ähnliches gründliches Merk: Savigny's „Geſch. des 
römifch. Rechts im Mittelalter” (1826, 5. Th. 1829). Die wichtige Periode der 
„Geſch. der Hohenſtaufen“ hat Fr. v. Raumer in 6 Bdn. dargeftellt (Rpz. 1823 — 
25, m. Kupf.) — Daß auch deutfche Specialgefehichte mit Geiſt aufgefaßt und ges 
fchildert werden Eonnte, beftätigten Buchner, Feßmaier, Mannert und Ifchofte in 
ihrer „Geſch. v. Baiern“ (Aarau 1813, 2. Aufl. 1823), Spittler In ſ. „„Sefrh. 
Mürtembergs unter der Regierung der Grafen und Herzoge” (Goͤtting. 1183), in 
f. „Geſch. des Fürftenth. Hangver feit der Reformation” (? Thle., n. X, Hanover 
4789), und Politz in ſ. Geſch. des Königr. Sachfen” (,„Hiftor! Tafchenb. auf das 
J. 1817°% und in der „Hiftor, Taſchenbiblioth.“ (Dresd. 1826 fg.), ſowie inf, 
„Handb. der Sefchichte der fonverainen Staaten des deutfchen Bundes‘ und deffen 
„Umriß der Geſch. des preuß. Staats für Lehrvortr.“ (Halle 1821); (Manfb's) 
„Geſchichte des preuß. Staats vom Frieden zu Hubertsburg b. z. 2. parifer Abe.” 
(8 Thle, Frkf. a. M. 1819 und 1820); F. Forſter s „Handb. der Geſch. Geogr. 


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682 | Geſchichiſchreiber 


und Statiſtik des preuß. Reiche⸗gEhle. Berlin 1820 — 22, 4.) und Voigt’s 
„Geſch. Preußens” (I... 1 828), Dh öftreich. Kaiferftaat hat Core (a. d. Engl. 
v. Dipvold, La, 4 Tür.) mil reiten und frifchen Farben gefchildert. Auch iſt des 
‚Ritter Schel® 8 Geſch. diefer Monarchie (9 Bde., Wien 1827) zu bemerken. Einen 
Eurzen Abriß der badiſchen Glefchichte gab (Karterude 1817) Aloys Schreiber, und 
J. Ernſt Chriſt. Echmide begann. m’? Thin. die efchichte des Großherzogthums 
Heffen (Siegen 1818), forvie Rommel die Gefchichte yon Heffen überhaupt (Marb. 
1820 fg.), Nur Sründlichkeit, Fleiß und Gelehrſamkeit, nicht aber die lebensvolle 
Form der Darftellung, berüdfichtigten Schöpflin, Wend und Weiße inihren Wer⸗ 
Een über die Oefchichte von Baden,’ Heffen und Sachfen. Während Sismonde de 
Sismondi eine Geſchichte der Franzoſen ziemlich ausführlich fchrieb (1321 —28, 
12 TH, bis 1422), wovon Luden den 1:Th: mit Anmerk. auf deutfchen Boden ver: 
pflanzte (Jena 1822), und Guizot ſ neue Ausg. von Mably's „Ubserv. sur l’hist. 
de France” mit von ihm verfaßten trefflichen „Essais 'sur l’hist. de France” 
(beide zufamnien 4 Bde, Paris 1823) begleitete, erfehien Llorente's „Geſch. der 
Anquifition" (4 Thle.), wodurch diefes kirchlich⸗ politiſche Ungeheuer nach f. ganzen 
E Hauderhaftigfeit ermeffen werden konnte. Bigland’s „Sefch. Spaniens” übers 
fegte a.d.. Engl. Math, Dumas ins Franz. und feßte fie bis 1814 fort; eine „Hist. 
d’Espagne” bat jeßt Raoul⸗Rochette begonnen. Allein die neueften polit. Vor⸗ 
gänge dieſes Landes erwarten noch, felbft nach Torreno, v. Hügel, Benturini, Sches 
peler, eine unbefangene und pragmat. Darftellung. Für die ital. Staaten erſchien: 
Gregor Orloff's „Königreich Neapel in hiſtor., pofit. und literar. Hinficht” (aus 
d. Franz, Lpz. 1824), Percevals „Hist. of lialy“ (2 Bde, London 1825), 9. 
Leo's aus den Quellen gefchöpfte „Geſch. der ital, Staaten” (Hamb. 1829,2 Th., 
bis 1268) und die „Sefch. der Lombardei’ von Haffe (Dresd. 1826, 8., 4 Bde). 
Die Geſch. Großbritanniens erbielt einen fehigbaren Zumachs in Moore's „Geſch. 
der brit. Revolution vom J. 1688‘ (deutfch Lpz. 1822). Des kathol. Geiſtlichen 
Lingard’s einfeit. gefchrieb, „Geſch. Großbrit.“ überfeßte H.4.Salis. Schottlands 
Geſch. von Lindau (Dresd. 1827, A Bdchn.) und Tytler’s „Hist. of Scotland“ 
(Edinb. 1829, 6 Bde). Don Geyer's Geſch. Schwedens erfchien 1826 der 1. Th. 
(ins Deutfche überf. 4827) und der 2. Th. von Ekendahl's „Sefch. des ſchwed. 
gelte und Reichs” (Weimar 1828), Mailath's „Geſch. der Magyaren‘‘ (83. Bd., 

Wien 1829), und v. Hammer’s „Geſch. der Osmanen” (d. 4. Th., Peſth 1829). 
Die Gefchichte des Riefenreiches Rußland gewann durch Ewer's „Kritifche Vor⸗ 
* arbeiten zur Geſch. der Ruſſen“ (2 Thle., Dorpat 1814) und durch deffen „Geſch. 
er Ruſſen“ (Dorpat 1816); durch Karamſin's „Geſch. des ruffifchen Reiches“; 
Blutow gibt den von Karamſin nicht beendigten 12. Bd. d. Werks, bis 1613 heraus 
(nach der 2, Driginalaugg. überf. von v. Hauenſchild und von Ortel, franz. von St.⸗ 
Thomas), ſowie durch Nougaret's Werk: „Das Merfwürdigfte aus der ruffifchen 
Sefchichte” (a. d. Frans. von Sienbagı, 2 Thle., Tab. 1820). Für Kaſan und die 
Uingegend dürfen Erdmann's „Beiträge zur Kenntniß des Innern von Rußland“ 
(1822 fg.) nicht überfehen werben, Die Sluofehriften über die polit. Bewegungen in 
Portugal, Griechenland (ſ. d.) u,a. haben keinen bleibenden Werth. Zweck⸗ 
mäßig, wenngleich nicht pragmatifch erfchöpfent, iſt die Uberficht einer der ſchreck⸗ 
lichſten Erfeheinungen der IrBten 3 Jahrh. in Huͤne's „Darftellung aller Derindes 
rungen des Negerſtlavenhandels“ (2 Thle., Gotting. 1820). 

Die Menfchheit felbft, nach ihrer Entwidelung und Ausbildung im bürger: 
fichen Leben und nach ihren Fortſchritten und Verirrungen in der Cultur, in Wif 
ſenſchaft und Kunſt zu fehildern : dies Eonnte erft dann gefcheben, als dag Licht der 
Philoſophie feine Strahlen aud) über die einzelnen Theile des unermeßlichen Ges 
bieteg der Geſchichte ausgrgoffen hatte, Schon Goguet, Fergufon, Hume, ſelbſt 
der unfritifche Voltaire, faßten einzelne Seiten aus dieſem lebengvollen Gemälde 


r 


Dr 


— — 


SGecchichtſchreibe 663 


unſers Geſchlechts auf, und Iſelin (Uhber die Geſchichte der Menſchheit) kam 
bereits dem Ziele naher. Da, gab Adelung einen geiſtvollen und ſachkundigen, 
wenngleich nicht erfchöpfenden Überhlid über das unermeßliche Gebiet der Culiur⸗ 
gefchichte in f. „Verſuch einer Geſchichte der Cultur des menſchlichen Geſchlechts 
(Leipz. 1782). Mit mehr Philofophie als Adelung, und mir fcharfer Auffaffung 
der Charaktere der einzelnen Völker, ‘doch nicht ohne Lieblingshypotheſen ir Hin⸗ 
ſicht des phyſiſchen Menfchen, feiner Anlagen. feiner Berhältniffe zur ganzen ihn 
umgebenden Natur, begann Herder f. „Ideen zur Philofopbie der Sefchichte der 
Menſchheit“, entfchieden das Hauptbuch feines Lebens, das er aber mit dem 4, 
Thle. unbeendigt ließ (ins Franz. überf. 4827). Faſt gleichzeitig mit ihm hatte 
Kant in einer Abhandlung, welche die Idee zu einer. allgemeinen Sefchichte in welt⸗ 
bürgerlicher Abficht enthielt, den Gedanken hingeroorfen;.gb es möglich fei, Die Ber 
fehichte im Großen aus dem Geſichtspunkt eings grenzenloſen Kortfchrittes des 
menfchlichen Geſchlechts aufzuftellen? Verſchie denartig dieſe Idee von Do⸗ 
minicus („Uber Weltgeſchichte und ihr Princip“),: von.Woſtmann („Plan für 
biftorifche Vorleſungen“) und von Stapfer („Die fruchtbarſte Entwidelunge- 
methode der Anlagen des Menfchen, zufolge eines Eritifch:philofephifchen Entwurfs 
der Eulturgefchichte unfers Gefchlechte‘) geformt und geftaltet, von Woltmann in . 
ſ. „Grundriß der Altern und neuern Menſchengeſchichte“, und von Politz Cin den 
„Srundlinien zur pragmatifchen Weltgefchichte", fowie In der „Sefchichte der Cul⸗ 
tur der Menfchheit”) durch die einzelnen Zeiträume der NBeltgefchichte hindurchge⸗ 
führt.. Doch nahm der Leßtere fpäterhin das won, ihm-aufgeftellte Yrincip, als un: 
baltbar in Hinficht des Ganzen der Uniuerfalgefchighte, zpruͤck, und feßte an deffen 
Stelle die dee der individuellen und politifchen Freiheit, deren Wirkungen im Fort: 
fehreiten der Individuen und, der ganzen Gattung ebenfe mie die Verirrungen und 
Ruͤckſchritte der Individuen und der Gattung unfers Geſchlechts, in. der Sefchichte 
unverkennbar. vorliegen, Mit roeniger philofophifchem-Seifte, aber befannt mit 
den wirklichen Begebenheiten und in einer lebensvollen Form, gab von Eggers f. 
„Okizzen und Fragmente einer Öefchichte der Dienfchheit (n. A., Kopenh. 1803; 
8 Thle.); Poſſelt verpflanzte in einer Eräftigen üherfetzung Condorcet's „Entwurf 
eines hiſtor. Gemaͤldes der Fortfchritte des menfchlichen Geiſtes“ ‚Tübingen 17196) 
auf deutſchen Boden; ‚Beachtung verdient ker im Einzelnen zu einfeitige umd ges 
zierte „Univerfalbiftorifche überblick der Entwickelung des Menſchengeſchlechts als 


eines ſich fortbildenden Ganzen‘, v. Jeniſch (Berl. 1801, 3 Bde.); unvollendet 
ließ Eichhorn ſ. geiſtvoll begonnene „Allgem. Geſchichte der Cultur und Literatur 


des neuern. Europa”, und als Skizze iſt Schneller’s. Geſchichte der Menſchheit“ 
(Dresden 1828) gehingen. Fuͤr das beſchraͤnktere Gebiet der einzelnen Zweige 
menfchlicher Bildung erhielten die Deutfchen brauchbare Werke in Meiners's (un: 


‚vollendeter) „Sefchichte des Urſprungs, Fortgangs und Verfalls der Wiffenfchaften 


in Griechenland und Rom“ (Lemgo 1782), Heeren’s (noch unvollendeter) „Sefch, 
des Studiums der cloffifchen Literatur feit dem MWiederaufleben der Wiffenfchaf: 
ten” (2 Thle., Göttingen 1797), in Bouterwek's, mit dem 12. Thle. (1819) ge: 
fchloffener „„Sefch. der Poefie und Beredtfamkeit“, in Fiorillo's „Geſch. der zeich⸗ 
nenden Kuͤnſte“, umd in Eichhorn's, Wachler’s-und Meuſel's Schriften über Lite: 
rargeſchichte. Die Sefchichte der Sefchichte felbft begann Wachler in f. gründlichen 


‚and geiftvollen „Sefchichte der hiſtoriſchen Forſchung und Kunſt“ (Görtingen 1812 


fg.). Der Kirchengefchichte widmete Schroͤckh faſt ein ganzes Menfchenfeben; doch 
gewann fie durch ihn mehr an Gruͤndlichkeit als an wiffenfchaftlicher Form und ins 


‚nerm Leben (45 Thle). Dies letztere fuchten Henke und Schmidt über fie zu ver- 
‚breiten. Des Erftern durch feinen früßgeitigen Tod unterbrochene „Allgemeine Se: 


ſchichte der chriſtl. Kirche‘ hat Vater 1820 mit der 2. Abth. des 8. Bds. treff- 
kich vollendet. Bon Auguft Neander’s „Allg. Geſch. der chriftl. Relig. und Kirche, 


BB: Gefhiebe :  Wefchlecht 


(Hamb. 1825) erſchien 1827 d. 3. Thl. — Für die alten Religionen des Orients 
enthält Rhode: „Die heilige Sage und das gefammte Religionsfoftem der Bac⸗ 
trer, Meder und Perſer“ (Frkf. a. M. 1820), neben vielen Hypotbefen, manche 
eigenthümliche Winke. Über die Religion der Tarthager gab Fr. Münter (Kopen- 
bagen 1816) eine gründliche Monographie. Die Sefchichte der Philoſophie erhielt 
durch Eberhard’s, Gurlitt's, Socher’s, Tennemann's und Krug’s Lehrbücher 
mehr Eingang in den afademifchen Hörfälen, und durch die größgern Werke von 
Tiedemann, Buhle und Tennemann eine reiche und gründliche Ausflattung. “Die 
Sefchichte der Phyſik fegrieb Fiſcher, der Chentie Smelin, der Kriegskunſt Hoyer, 
der theologifchen Willenfchaften Stäudlin; fie brachen zum Theil dadurch neue 
Bahnen auf einem noch nicht geebneten Boden, wenngleich die höhere Vollendung 
diefen Sthriften fehlen ſollte, zu welcher Sprengel ſ. „Geſchichte der Medicin“ ers 
bob, Zwar iſt durch deutſchen Fleiß ımd durch ausgezeichnetes Talent feit 30 Jah⸗ 
ren viel gethan im Felde der Geſchichte, kaum daß diefe ſtigirte überſicht nur die 
wichrigften Erfcheinungen in diefem großen Gebiete bezeichnen und fie mit kurzen 
Zügen charafterifiren konnte; noch immer aber iftdie Arnte groß, welche bier heran⸗ 
reift, und noch immer iſt das Studium der Sefchichte bei der Nation felbft nicht bis 
in Mark und Blut gedrungen., S. „Uber die Aufgabe des Geſchichtſchreibers“, 
Vorleß des Hrn. W. von Humboldt (Berlin 1822). 0.Q. 
efhiebe, Sefhüäbe gbau), 1) Winde oder Stüden von den 
zu Tage ausftreichenden Singen, Erjen oder Sellin, die durch das Waſſer oder 
andre Urſachen fortgeführt worden find und ihre Eden durch vieles Reiben. abges 
Den haben. 2) Die fich in die Linge und Breite ausſtreckenden Flotze ‚oder 
i ten. DE " . 
efchlecht, in weiterm Sinne jede größere Abtbeilung gewiſſer "Dinge, 
welche irgend ein Merkmal mit- einander gemein haben. Es wird oft ftatt Claſſe, 
Gattung, Drönung, gebraucht; ferner bedient man fich deffen von einer Reihe von 
Menfchen, roelche zu Einer Familie oder zu Einem Stamme gehören, H5 . das 
Geſchlecht derer von Dalberg; ebenfo auch von einer großen Anzahl Menſchen, 
sorlche zu einer und derfelben Zeit lebten oder leben, oder von folchen, welchen ges 
meinfchaftlich eine gewiffe Eigenfchaft beigelegt wird. Im engern und eigentlichen 
inne braucht man es, ‚um die beiden Abtheilungen aller organifchen Körper, in 
männliche und weibliche, zu bezeichnen, Da es nämlich allgemeines Naturgeſetz iſt, 
da alle organifche Körper von ihres Gleichen hervorgebracht werden und wiederum 
ihres Gleichen hervorbringen ſollen, alfo jede Sattung der organifchen Geſchoͤpfe 
fich durch fich felbft erhalten und fortpflangen foll, fo find zu dem Sefchäfte der Ers 
haltung der Sattung auch beſondere Organe beſtimmt, welche abgefondert und vers 
ſchieden von denjenigen Drganeri oder %, heilen des organifchen Körpers find, die zur 
Erhaltung der Individuen beftimmt find, und welche den Sefchlechtsunterfchied bes 
gründen, Es gehört nämlich zur Hervorbringung eines neuen organifchen Weſens 
derfelben Gattung erfteng die Idee der Möglichkeit, dag ein folches hervorgebracht 
und beftimmit zu ebendemfelben auggebilder werden könne, als ein Keim, der die 
einfachſte Anlage zur fünftigen Frucht in fich enthalte; zweitens die Idee der Der: 
wirflichung jener Möglichkeit, der erfle Anftoß, welcher das ſchlummernde Leben 
im Keime weckt, worauf erft derfelbe in der Bildung zum organifchen Weſen derfels 
. ben Sattung fortfchreitet. Hieraus entſteht die Entzweiung der Gattung in die 
beiden Sefchlechter, in das geugende, fehäffende, und das empfangende, bildende, 
oder das männliche und meibliche. Eigentlich gebraucht man diefe Benennungen 
‚ blos von der Thiermelt; man hat fie aber auch auf das Pflanzenreich übergetragen, 
‚weil man bier einen ähnlichen Borgang der Fortpflanzung gefunden hat. Dan 
kann die Theilung in Sefchlechter durch die ganze Natur beinerfen, ein Sefchlecht 
überall annehmen, wo ein Sefchlechtscharakter herrſchend if, Das Weſentliche 


Geſchlecht | 665 


diefes Charaͤkters iſt aber: Eintgegenfegung zuſammengehdriger und zu gemeinſchaft⸗ 
lichen: Zeugungszweck wirkender Kräfte. Tiberatt demnach, mo wir -Zegung aus 
entgegengefeßten Kraͤften wahrnehmen, Eonnen wir auch den Geſchlechtscharakter 
anerfennen, gleichviel, ob diefe Kräfte in der Seftalt der ung befannten Organis⸗ 
men erfcheinen oder nicht, wenn fich nur der eine Theil als beflimmendes, gebendes 
Princip, der andre als beftimmtes, empfangendes verhält. Lim es mit einem . 
Worte auszufprechen, fo ift überall Sefchlecht, 10 Zeugung iſt. Zeugung aber ift 
in der ganzen Natur: oder vielmehr diefe felbft iſt nichts als ein unendlich mannigs 
faltiger Zeugungsact, der ſogar unter dem Scheine von Zerflä.ung vor. fich gebt. 
So find alfo Sonnen und Planeten, der Waffertropfen und das Staubkorn ebenfo 
ut Geſchlechtsweſen als die Thiere und die Pflanzen, weil fie ebenfowwol als diefe 
igungsweſen find. Denn wird nicht 3.3. der Schoß unferer Erde durch den 
befruchtenden Strahl der Sonne, und allein durch ihn, aufgefchloffen und zu den 
manniofaltigften &rgeugniffen geweckt? Entfteht nicht aus dem verwitterten Steine, 
der uns todter Staub fiheint, und aus den Waſſertropfen, die er in fich aufnimmt, 
eine junge, neue Geſtaltung, ki der Pflanzenwelt? Ja, geben nicht in dem 





Innern der Erde felbft unaufhrlich neue Zeugungen vor, indem entgegengefeßte 
Kräfte ſich mit einander vermählen? Woher die Berkaltungen, die Kruftalle, die 
ewachsartigen Seftaftungen der Wineralien? Überall finden wir ein Einwirken, ein 
ichanfchließen fremder Stoffe (Kräfte) an etwas Heimifches, Muͤtterliches, und 
überall Verwandlungen diefes Drütterlichen zu neuen Seflalten; überall, wo nicht 
entroideltes, doch Feimendes Sefchlecht. Das männliche Sefchlecht nun iſt dem⸗ 
nach überall das Zeugende, den Keim zum fünftigen Individnum Befruchtende, 
von welchem der erfte Antrieb zu derfen Fortbildung ausgeht, das weibliche Ge⸗ 
ſchlecht ift das den Keim des künftigen Individuums in ſich Tragende und Aufbe: 
wahrende, den geugenden und belebenden Stoff Aufnehmende, Basjenige, welches 
den Reim ernährt, bis zu der Periode, wo feine Individualität zu dem Punkte ause 
gebildet ift, daß es fich losreißen kann, fein eignes felbfländiges Leben beginnend, 
Geſchlechtslos werden Thiere oder Menfihen genannt, bei denen durch eine 
Störung des Bildungstriebes Eein Sefchlechtsorgan fich beſtimmt ausgebildet hat, 
die man folglich weder zu dem männlichen noch zu dem weiblichen Geſchlechte rech⸗ 
nen kann. Gefchlechtsverhältniffe find die Verhaͤltniſſe, im welchen ein Sefchlecht 
zu dem andern und gegen das andre fich verhält, In der Pflanzenwelt find beide 
Sefchlechter in den meiften Claſſen in einer Bluͤthe vereinigt, in manchen Claſſen 
jedoch auch getrennt, fodaß beiderfei Sefchlechtscheile entweder auf einer "Pflanze, 
jede in befondern Blüthen, oder fogar auf verfchiedenen Pflanzen vertheilt find. Det 
den Thieren, wenigſtens den vollfommener ausgebildeten, d. h. auf einer hoͤhern 
Stufe des Thierfebens fiehenden, iſt die Trennung der Sefchlechter herrfchend. Hier 
treten demnach die Sefchlechtsverhältniffe am beſtimmteſten hervor und offenbaren 
fich nach der Stufenreibe der Thierclaffen in mannigfaltigen Anderungen gegen eins 
ander, bis zu dem die hoͤchſte Stufe in der fichtbaren Schöpfung einnehmenden 
Menfchen. So ift im Allgemeinen das männliche im Verhältniffe zu dem weib⸗ 
fichen das flärfere, jenes fich unterwerfende, das aus fich hinaus auf das weibliche 
überroirkende, das belebende, begeiftigende. Das weibliche, im Verhaͤltniß zu dem 
männlichen, ift das gartere, jenem fich unterwerfende, das aufnehmende, fortbil: 
dende, ernährende und endlich gebärende. Diefe Grundcharaktere beider Geſchlech⸗ 
ter, die aus ihrem Begriff und ihrer Beftimmung nothwendig hervorgehen, ſchim⸗ 
mern mehr oder weniger deutlich bei allen Gattungen Iebender Weſen durch, bis fle 
im Menſchen auf eine der menfchlichen Würde angemeffene Weiſe am höchſten ges 
fleigert und in den feinften Schattirungen, ſowol im Körperlichen als auch bis zum 
Seiftigen uͤberſchreitend, ſich am Elarften offenbaren. Daher erfcheint der Mann 
ſchon im Phnfifchen als der Starkere, fein Knochenbau ift anfehnilicher und Hat 


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| 866 0 Befehmad 


mehr Maſſe, fein Muskelſyſtem iſt feſter und Eräftiger, die Bruſt weiter, die Lum 
n find ‚größer und robuſter, die Umriſſe feines Körpers find ſchaͤrfer, eckiger, das 
nze deffelben ift größer und flirfer. Dagegen ift as Weib das Zartere, die Kno⸗ 
chen find dünn, zur Weichheit geneigter, die Muskeln weicher und ſchwaͤcher, die Bruft: 
hoͤhle enger, die Lungen Eleiner, das Herz und das Arterienfoftem fchwächer, das 
gegen das Venen; und Ipmphatifche Syſtem vorherrſchend, die Zwifchenriume uns 
ter der Hauf und zwiſchen den einzelnen Theilen find fettreicher, daher alle Umriffe 
mehr abgerundet, der Wellenlinie näher, das Map des Körpers im Ganzen Eleiner 
‚und zarter. Dahe. offenbart fich in der Form des Nannes mehr die Idee der Kraft, 
in der Sorın des Weibes mehr die dee der Anmuth, und ſchon in diefer Beziehung 
gebührt dem weiblichen Sefchlechte der Irame des fchönen oder reizenden mir Recht. 
Der Geiſt des Mannes .ift mehr ſchaffend, aus ſich heraus in das Weite hinwirkend, 
zu Anſtrengungen, zur Verarbeitung: abſtracter Gegenſtande, zu weitausſehenden 
Planen geneigter. Unter den Lejdenſchaften gehören die raſchen, ausbrechenden dem 
Manne, die langſamen, heimlich in ſich felbft gefehrten dem Weibe an. Aus dem 
Manne flürme die laute Begierde; in- dem Weibe fiedelt fich die ftille Sehnfucht an, 
Das Weib iftaufeinen Fleinen Kreis befchränft, den es aber Elarerüberfchaut; es hat 
mehr Geduld und Ausdauer in Eleinen Arbeiten. (S. Frauen.) Der Mann muß er: 
werben, das Weib facht zu. erhalten; der Mann mit Gewalt, dus Weib mit Güte oder 
Lift. Jener gehört dem geräufchvollen, öffentlichen Leben, diefes dem flillen haͤusli⸗ 
chen Kreiſe. Der Mann arbeitet im Scheiße feines Angefichts und bedarf erfchöpft 
der tiefen Ruhe; das Weib iſt gefchäftig immerdar, in nimmer rubender Betriebſam⸗ 
feit. Der Dann ſtemmt fich dem Schickſal felbftentgegen und troßt, ſchon zu Boden 
liegend, noch der Gewalt; willig beugt das Weib fein Haupt und findet Troft und 
Huͤlfe noch in feinen Thränen. ber die Steichheit beider Sefchlechter im Menſchen⸗ 
gefchlechte hat Hufeland (Berlin 1820) eine Abhandlung gefchrieben. i. 
Geſchmack in phyſiologiſcher Bedeutung iſt der Sinn, durch den 
wir gewiſſe von den in der Feuchtigkeit der Zunge aufgelöften Körperiheilen herrüh⸗ 
renve Eindrüde wahrnehmen; auch nennen wir fo die —— ſelbſt. 
Die an dem obern Theil und auf dem Seitenrande der Zunge befindlichen Nerven⸗ 
waͤrzchen find es, weiche Die Empfindung des Geſchmacks hervorbringen. Die Druͤe⸗ 
chen der Zunge fhmelzen die Salze, welche dann aufgelöft.in die Mervenmürgchen 
eindringen und jene Empfindung verurfacyen. Durch 3 Nerven, die an jeder Seite 
in die Sunge laufen und mit dem Gehirn und Rückenmark in Verbindung ſtehen, 
wird der erregte Eindruck weiter geleitet. Und diefem Eindrucke gemäß ſchreiben 
wir den Segenfländen gewiſſe Eigenfchaften und Befchaffenheiten (Schärfe, Saͤure, 
Sakigfeit, Suͤßigkeit) zu, Der Geſchmacksſinn (gusius) hängt mit der Ernährung 
und dadurch mit dem ganzen animal, Zeben zufammen, (3. Geruch und Sinn.) 
— in äfthetifcher Bedeutung verfteht man unter Geſchmack das Bermögen, 
das Schöne und Zweckmaͤßige an den Gegenſtaͤnden zu beurtheilen und von dem 
Haͤßlichen, Zweckwidrigen zu unterfcheiden. Die Ähnlichkeit zwifchen jenem phy⸗ 
ſiologiſchen und diefem äfthetifchen Geſchmack ergibt fich leicht. Es ift bier. und 
dort etwas für uns Angenehmes oder Unangenehmes, was wir unterfiheiden, und 
dort wie hier unterfcheiden wir Beides nur fehr unbeftimmt, indem fich die Unter: 
ı feheidung mehr auf unfer Gefühl als auf den Gegenftand ſelbſt gründet. Daher 
fagt man auch, daß fich über den Geſchmack nicht ſtreiten laffe. In der That 
läßt fih nur über Das flreiten, wofür man Gründe vorbringen Eann, die den Geg⸗ 
ner zur Annahme einer Meinung beflimmen fonnen; welche Gründe aber könnte 
man wol für die Behauptung anführen, dag Zucker ein angenehmes Gefühl errege, 
außer dem, daß es der eignen Einpfindimg fo vorfommt? Dies wird ung der Oleg: 
ner nicht abläugnen; er fagt ung aber, daf es bei ihm der entgegengefeßte Fall fei, 


und feine Behauptung bat für ihn denfelben Werth, wie bie unfrige für und. Die: 


Geſchnittene Steine‘ 667 
fer Umftand Hat nicht wenig Verwirrung in’der Affherifchen Geſchmacslehrr verur⸗ 


‚fat. Weil das Schöne uns auch angenehm ift, Bielf man das Schöne und Ahyk 
‚nedine für einerlei, und der ſchwankende Ausdruck aͤſthetiſch (urfprünglich : was durch 


pfindung wahrgenommen werden fann) wirkte tabeimit. Eine Erfahrurig aber, 


"Ne man häufig zu machen Gelegenheit findet, hätte allein ſchon bingereicht, beten: 


lich zu machen, Es ift doch wol eine auffallende Erfeheining, daß die Menſchen in. 
ihren Urtheileif Aber das Schoöne zwar vielleicht weniger einig find als in ihren Urthei⸗ 
Ien über das Artienehme , dag fie aber dennoch bei jenen weit mehr Anfprisch auf Ands 


“ rer Beiftimmung machen als bei dieſen. In Anfehung des Schönen macht füft Je⸗ 


dermann Anfprüche auf Allgemeinguͤltigkeit ſeiner Urtheife; in Anfehung des Ange⸗ 
nehmen Niemand. Es muß alfo Etwas in’ uns fein, 4 verfindert, beide Flle 
für gleich zunehmen. Die Urtheile über das Angenehme haben bloß individuelle Sul: 
tigfeit, die über das Schöne find zwar auch nur individuelle Urtheile, machen aber 
Anſpruͤche auf allgemeine Sältigkeit. Beide Urtheile kann man nım zivar infofern 


Afthetifche nennen, ala beide fich auf Empfindung beziehen, und der Beſtimmungs⸗ 


. grund derfelben nicht in dem Segenftande, fondern In uns liegt, wodurch fie fich von 


Benlogifchen oder objectiven Urtheilen unterfcheiden; heiße aber unterfcherden fich da⸗ 
durch, daß in demeinen die Beſtimmung des Urtheilsvon dem bloßen Sinneneintrud 
abhängt, beidem andern hingegen die — 2 des Geiſtes eintritt, und daher eben 
dort bloße individuelle, hier allgemeine Guͤltigkeit, und eben deßhalb auch Mittheil⸗ 
barkeit. Sind nun aber diefe Urtheile mittheilbar, Haben fie Allgemeine Guͤltigkeit, 
fo wird fich auch über den äftherifchen Geſchmack ftreiten ımd Etwas Aber ihn aus⸗ 
machen laffen. Wie könnte es auch fonft eine Sefchmaddlehre geben, d. h. Aufſtel⸗ 
Iung eines Orundfaßes zur Beurtheilung des Schönen und Erhabenen? Nur erwarte 
manvon dem Geſchmacke nicht, daß er leifle, was er feiner Natur nach nicht leiſten 
kann. Der Geſchmack ift die Urtheilskraft, wiefern fie fich in einer befondern Sphaͤre, 
nämlich in der des Schönen, auf eine eigenthümliche Weiſe Außert. Der Geſchmack 
üfft feine Urtheile in der unmittelkaren Betrachtung des fehönen oder nicht fhönen 
Begenſtandes, durch Reftexion über das Verhältniß deffelben zum Semürhe des Be⸗ 
trachtenden (alfo zum Subjecte) und durch Vergleichung ähnlicher Siegenflände mit 


. dem gegenwärtigen. Sein Grundfaß ift Daher nicht eine objective, fondern eine 


fubjective dee; er kann nicht gefeBgebend, fondern bloß kritiſch oder unterfuchend 
verfadren; feine Regeln find Leine Begriffe, fondern Anfchauungen in den beften 
Muftern des Geſchmacks, an denen der Kunflfinn fich praktiſch bilden muß. (Die 
Erklärung ſ. unter Urteil.) Durch diefe Bildung unterſcheidet fich der Geſchmack 
weſentlich von dem Schönheitsgefühl.. Diefes gebt bloß auf eine Naturanlage, der 
Geſchmack beruht auf Ausbildung; bei jenem bleibt oft der bloße Kunſtfreund fies 
ben, diefer kommt dem Kenner zu; der Künftler muß beide vereinigen. Wer ein 
zartes Schinheitsgefühl von Natur hat, der ift ein äfthetifcher Menſch; wer dieſe 
Anlage durch prüfende Betrachtung fo ausgebildet bat, daß ihm flets nur das echte 
Schöne genügt, iſt ein Mann von Geſchmack. Man, fann aber ein Mann von 
Geſchmack, und darum doch noch kein Kunſtkenner fein. Wir haben nämlich in 
der fchönen Kunft zwei Elemente‘ zu unterfcheiden, das äfthetifche und dag technifche. 
Das erfte wird beurtheilt im Gefühl, das andre durch den Verſtand nach Begriffen. 


- Dort ift alfo ein afthetifches, hier ein logifches Urtheil. Es ergibt fich daraus, daß 


ein Kunſturtheil weder ein bloß Afthetifches, noch ein bloß logifches, fondern ein aus 
beiten gemifchtes ift, da es ſowol das Technifche als das Schöne eines Kunſtwerks 
angeht. Die Geſchmackskritik hart es daher lediglich mit den Verhältniſſen 
des Werkes zu den Bedingungen im Gemuͤthe zu thin, unter denen wir einen Ge⸗ 
genftand als fehön beurtheilen; die Kunſtkritik fchließt auch Das mit ein, was an 
ter Darſtellung bloß technifch und praktiſch ifl. | dd. 
Geſchnittene Steine, fe Gemmen. 


668 Geſchuͤß - Gefelifchaft 


.. Befhüg, die allgemeine Benennung für Kanonen, Mörfer, Hau: 
digen u, dgl, (©. d. und Artillerie). Sobald man die Befeftigungskunft aus 
qubilden anfing, reichten die gewöhnlichen Streitkräfte und die Handwaffen nicht 
mehr zu, einen vertheidigten Maß zu übermwältigen; man mußte gewaltigere Zerfiü: 
zungsiwerkzeuge erfinnen, mit denen auch ſchon aus beträchtlicher Entfernung ge: 
soirkt werden Eonnte. Es kamen Mofchinen in Gebrauch, mit denen man große 
Steine, gefpigte Balken, Feuerballen, Pfeilbündel und ahnlich⸗ Korper ſowol in 
‚horizontaler Richtung als guch in Bogen fortfchleuderte. Sie rotikhen Balliften, 
Katapulten, Sforpione, Polybolen, Onager oder Marga ge 
nannt, Degez (VI. Bd, 22, Cap.) und Flavius Joſephus liefern u. X. ziemlich 
‚anfchauliche Beſchreibungen davon. Diefe Maſchinen waren auf die Schnellkraft 
des Bogens und dev. Sehne gegründet, wurden anfangs nur bei Belagerungen an: 
gewendet und erfi an Drt und Stelle zufammengefeßt, fpäter jedoch auch beweglis 
cher. gebaut und von den Heeren mit ins Geld genommen, vertraten alfo ungefähr 
‚die Stelle unfers heutigen Geſchützes, nur reichten fie 300 bis höchftens 1000 Ellen 
weit, — Mit der Erfindung des Schießpulvers ward eine weit flärfere Kraft und 
ein wirkſameres Zerfiörungsmittel gegeben, deflen Natur und Form die Einfüh- 
‚rung der jeßigen Schiegröbre zur Folge hatte. Es läßt fich erweiſen (ſ. v. Hoher's 
„Geſch. der Kriegskunft.‘), daß die ven den erften Gebrauch des Feuergefihüßes 
bei der Vertheidigung von Alicante 1331 und von Algeziras 1342 gegen die Spa⸗ 

‚nier machten; feitdem kamen die Kriegsmafchinen der Alten durch die Donnerbüch 
fen, Bombarden, Bäller, durch die Familien der Karthaunen und Feldfehlangen 
u. dgl. in Verfall, und gegen Ende bes 15. Jahrh. führte man faft überall Feuers 
gefbiß bei den Truppen, und brachte dieſe Waffe zu dem moͤglichſten Grade der 

ollfommenheit, — Dielleicht, daß durch Anwendung einer noch größern Kraft * 
der Dämpfe auch unferm Geſchütz eine Deränderung bevorfteht, wenigſtens iſt durch 
Perkins (f. d.) bereits die Andeutung geſchehen. — Was man unter leichtem und 
ſchwerem Belagerunges, Feld:, Wurfgeſchutz ıc. zu verftehen habe, geht aus der Be: 
nennung hervor; wir führen nur noch an, daß der Artillerift unter Rammerge: 
ſchütz insbefondere folche Röhre meint, an deren hinterm Theile oder Bodenſtücke 
fi ein koniſch, fphärifch, cylindrifch, oder birnenförmig gehöhltes Behaͤltniß zur 
Aufnahme der Pulverladung befindet. — Drgelgefchüß nannte man in Altern 
Beiten eine Partie kleinere Schießröhre, die auf einem Serüffe vereinigt, neben und 
übereinander lagen und gemeinfchaftlich losgebrannt, eine den Kartäcfigen ähnliche 
Wirfung hervorbringen follten, wegen ihres langſamen Ladens aber unzweckmaͤßig, 

gleichwol, fo lange man nichts Andres Eannte, fehr gebräuchlich waren. 5. 
| Sefhmwindfhreibekfunft, ff Stenographie, 

Sefhwornengericht, ſ. Jury. 
Sefehster Schein, fe Afpecte. . 
Sefelifhaft (Societät), eine Bereinigung von Menſchen zu irgend eis 
nem gemeinfamen Zwecke. Es gibt daher fo viele Arten von Sefellfihaften, als es 
Zwecke gibt, zu welchen ſich Menſchen vereinigen Fonnen. Die gewöhnlichen, fos 
genannten Sefellfchaften Haben bloß den unbeſtimmten Zweck einer gegenfeitigen 
perfönlichen Unterhaltung durch. Beifammenfein, Geſpraͤch, Spiel, Tanz, Effen, 
Trinken u. dgl. DBeftimmtere und höhere Zwecke haben die eheliche und die mit ihr 
verknuͤpfte haͤusliche, Die bürgerfiche und die religiofe Geſellſchaft. Die erfte, welche 
auch Familie heißt, bezieht fich auf Erhaltung der Menfchengattuiig durch Vereini⸗ 
gung der Individuen verfchiedenen Sefchlechts; die zweite (Staat) auf Schuß und 
icherheit der Rechte; die dritte (Kirche) auf Beförderung der fittlich -religiöfen 
Bildung. Außer diefen Hauptarten der Sefellfihaft, welche von der Vernunft felbft 
geboten find und daher überall angetroffen werden, 100 Dienfchen von einiger Ver: 
nunftbildung beifammen lebın, gibt es noch eine Menge von gefelligen Berbindüns 


4 J 


Geſellſchaftsrechnuung ' Geſell ſchaftsvertrag | 866 


gen, die fich auf allerlei Zwecke beziehen, als Kunſt⸗, Hiterarifche, Handels: ımd andre 
efellfehaften. Wiefern bie Menfehengattung überfaupt ein auf der Oberfläche der 
Erde zufammenrohnendes und wirkendes Ganzes vernünftiger Weſen ausmacht, 
nennt man jene Sattımg auch die menfchliche Geſellſchaft. Bon den vernunftlofen _ 
Thieren braucht man das Wort Gefellfchaft eigentlich nicht, obgleich fie durch den 
Naturtrieb auch in gewiſſe Haufen ober Heerden zufammengeführt werden. Denn 
fie haben fein Bewußtſein von beſtimmten Zwecken, um fih zur Erreichimg berfel- 
ben durch gemeinfehaftliche Thaͤtigkeit nach einer beftimmten Regel zu vereinigen. 
fiber die Geſellſchaft, Geſelligkeit und Umgang haben wir ein Werk von K. J. Podels 
(Hanover 1813 — 21). itofophifthehftorife bat diefen Segenftand behandelt 
"Sam. Douglas: „Über die Fortfchritte der Geſellſch.“ (a. d. Engl., Stuttg. 1825). 
Sefellfhaftsrehnung iftein Rechnungsverfahren, mo eine Zahl 
nach einem gegebenen Verhaͤltniſſe eingeteilt wird. 3.2. es follen 500 Thlr. un: 
‘ter 3 Perfonen vertheilt werden, dergeftalt, daß fich die Theile von A und B wie 
AyuB, und von B zu C wie 5 zu 6 verhalten... Wenn mehre Perfünen Capitale 
von verfchiedener Höhe zu einem Sefchäft zufammengefchoffen haben, und nun der 
Gewinn oder Berluft nach Maßgabe der Einlagen getheilt, wenn Abgaben oder La: 
fien nach Derhältnig des Vermögens oder nach Groͤße und Werth der Güter aufge: 
"bracht oder vertheilt werden follen, und in ähnlichen Fällen findet dies Rechnunge: 
verfahren ſtatt, welches der Verhaͤltnißrechnung überhaupt angehört. | 
Geſellſchaftsvertrag, auch Societät oder Geſellſchaft, iſt ein Ver⸗ 
trag, durch welchen 2 oder mehre Perfonen Geld, Sachen oder Dienftleiftungen 
des gemeinen Vortheils wegen zu einem erlaubten Zwecke beitragen. Unguͤltig iſt 
der Leoniſche Vertrag (f.d.); auch muͤſſen alle Theilnehmer nothwendig Er⸗ 
was beitragen, weil ſonſt in Hinſicht auf Den, der Nichts beiträgt, eine Schen⸗ 
kung, feine Societät, vorhanden fein würde. Alle Compagniehandlungen, gemein: 
ſchaftliche Fabriken ıc. beruhen auf folchen Sefellfchaftsverträgen, welche übrigens, 
wie alle Bütergemeinfchaft, ftets auflöglich find, fobag die gemeinen Rechte jeden 
Compagnon erlauben, aus der Societät zu treten, werm er auch die Societät 
mit der ausdrüdlichen Bedingung, nie herauszutreten, gefchloffen hätte; doch muß 
der Heraustritt ohne Gefaͤhrde und nicht zur Unzeit gefchehen. Die allgemeine Ge⸗ 
ſellſchaft begreift alles gegenwaͤrtige Bermögen der Theilnehmer, von dem fünftiger 
aber in der Regel bloß den Genug, nicht den ausfchließenden Beſitz. Es kann eine 
ſolche Geſellſchaft, die entweder allgemeine Güter oder allgemeine Erwerbsgeſell⸗ 
ſchaft iſt, nur zwiſchen ſolchen Perſonen ſtattfinden, welche gegenſeitig die Fähigkeit 
haben, ſich Etwas zu ſchenken oder geſchenkt zu erhalten, und welchen es nicht verbo⸗ 
ten iſt, ſich zum Nachtheil einer dritten Perſon Vortheil zu verſchaffen, weil ſonſt dag 
geſebliche Verbot unter dem Schein einer Socierit würde umgangen werden. Bes 
fondere Geſellſchaft ift diejenige, welche fich nur aufeinzeine beſtimmte Gegenſtande 
oder auf deren Gebrauch und davon zu hoffende Nutzungen bezieht. Auch der Vertrag 
gehört hierher, wodurch ſich mehre Perfonen entweder zu einer beftinmten Unter⸗ 
nehmung oder zur Betreibung eines Gewerbes vereinigen. Ein jeder Theilneh: 
mer der Sefeflfchaft ift vom Augenblicke des gefchloffenen Vertrages an verbimten: 
4) alles Dasjenige, was er in diefelbe einzulegen‘ verfprochen hat, zu entrichten: 
2) das der Geſellſchaft zufommente Bermögen auf feine Weiſe in Anfpruch zu neh: 
men oder zu beeinträchtigen, fondern das Wohl der Sefellfchaft jederzeit vorzuziehen; 
3) allen ihr durch feine Schuld zugejogenen Schaden zu erſetzen, ohne dagegen die 
eiwa verfchafften Vortheile in Anrechnung zu bringen; 4) den Berluft der Geſell⸗ 
ſchaft nach Verhaltniß des Beitrages zum Geſellſchaftsſonds und dadurch zu be: 
ſtimmenden Setoinnes tragen zu helfen. ine Geſellſchaftsſchuld kann in der Res 
gel, d.h. wenn die Socierät keine Kante nur aus einer Hand: 
lung aller einzelnen Mitglieder entſtehen. Ein ei glied kann die Socie⸗ 


} 
870 B — Geſenius mr 


tät nicht. anders verbindfich machen, als wenn es entweder dazu bevollmaͤchtigt 
ift, oder die eingegangene Verbindlichkeit zum Bortheil der ganzen Sefellfchaft ges 
reicht hat. Die einze'nen Mitglieder übernehmen die Sefellfchaftsfchuld in der Des 
gel zu gleichen Theilen, es müßte denn ausdrüdlich verabredet fein, daß fie bloß 
nach dem Verhältnig ihres Antheils verbindlich fein follen. Was auf der antern 
Seite die Rechte der Sefellfchaften betrifft, fo hat ein jedes Mitglied 1) das Recht, 
den auf ihn fallenden Antheil am Gewinne zu fodern. Iſt darüber nichts ausdrüds - 
lich beftimmt, fo richtet ſich der Gewinn nach dem zur Geſellſchaft hergegebenen 
Beitrag, und Derjenige, welcher bloß feine Dienftleiflungen beitrug, bekommt fo 
viel als Derjenige, welcher am wenigſten Sachen oder Geld hergab; 2) das Necht, 
fih wegen der zum Beften der Gefellfchaft gemachten Auslagen, ebenfo wegen. der 
im Namen der Gefellfchaft geführten Sefchäfte und wegen des unmittelbor für ihn 
entftehenden Berluftes, an die Sefellfehaft zu halten. Die Societät wird aufgehos 
„ben: 4) durch den Ablauf der Zeit, auf welche fie gefthloffen worden iſt; 2) durch 
den Untergang des Gegenſtandes derfelben , oder die Ballbringung des Geſchaͤfts; 
3) durch den natürlishen Tod eines der Sefellfchafter; 4) durch den bürgerlichen Top, 
die Interdiction, oder den gänzlichen Verfall des Vermögens eines derfelben; 5) 
durch den von einem oder von allen Mitgliedern erklärten Willen, nicht mehr in der 
Geſellſchaft zu bleiben. Die Theilung des Vermögens der getrennten Societät ges 
ſchieht nach denfelben Grundſatzen, die von der Erbfchaftstheilung gelten. 
Sefenius (Wilhelm), D. der Theol., Prof. an der Univ, zu Halle, feit 
1827 Mitgl, der Roy. asiat. society in London, bibl. Interpret, Kritiker und Driens 
talifi, der Begründer einer wahrhaft Finguiftifch-Eritifchen Auslegung des A. Teſt., 
ft am 3. Febr. 1786 zu Nordhaufen geb., wo fein Vater, ein nicht unbedeutenter 
medicin. Schriftfteller, praft. Arzt war. Er bildete -fich auf dem Gymnaſium feiner 
Vaterſtadt und auf den Univerfitäten Helmftäde und Göttingen, auf welcher erftern 
beſonders Henke und Bredow auf ihn Einfluß hatten. Faſt ausſchließlich wandte er 
aber feinen Privarfleiß auf das Studium der oriental. Sprachen, und das bald ge: 
fühlte Bedürfniß einer beffern grammatifchen und lexikal. Behandlung der hebr. 
Sprache veranlaßte ihn, fich diefer und dem X. Teft. ganz zu widmen. Dieſes ges 
ſchah während eines Sjühr. Aufenthalts in Göttingen als Mag. legens und theolog. 
Repetent von 1806 — 9, wo er ſchon Vorbereitungen zu feinem bebr. IBörterbuche 
traf. 1809 ernannte ihn die weftfäl. Regierung auf den Vorſchlag des berühmten 
- oh. v. Müller zum Prof. der alten Literatur an dem £athol.:proteftant. Symnaftum 
in Heiligenfladt, hierauf 1810 zum außerordentl., 1811 zum ordentl. Prof. der 
Theologie in Halle, Hier ift es ihm gelungen, das Studium des A. Teſt. zu einem 
bedeutenden Flor zuerheben, und Schüler zu zie hen, welche die alttefiamentl. Sprache 
und Literatur auf andern Univerfitäten und Schulen mit Sfüd vortragen. Schon 
‚war er zu einer Profeffur in Gottingen beflimmt, als die Auflofung des weſtfal. 
Staats erfolgte. ©. blieb in Halle, bei der Wiederherftellung der Univerfitäe 1814 
D. der Theologie, und ſchrieb £ „Commentatio de Pentaleuchi Saınarilani ori- 
gine, indole et auctorıtate”, welche für Unterfuchungen diefer Art immer ein Mu⸗ 
 fter bleiben wird. Den Sommer 1820 brachte er auf einer wiffenfchaftlichen Reife 
‚in Paris und Orford zu, wo er befonders für Terikalifche Zivede in den femitifchen 
Sprachen fammelte, u. A. auch eine Abfchrift des Athiopifchen Buches Henoch zu 
‚künftiger Herausgabe nahm. Beine literarıfche Thätigfeit erſtreckte fich bisher, 
‚wenn auch nicht ausfchließlich, doch hanptfächlich auf das Lerifalifche und Gram⸗ 
matifche der hebr. Sprache. Zuerſt erſchien 1810 und 1812 fin „Hebräifch:deut: 
ſches Handwörterbuch” (Leipzig, 2 Bde.), und 1815 ein Auszug deffelben (8. A. 
Leipz. 1828). Die hauprfüchlichften Eigenfchaften, welche diefe beiden, für die For⸗ 
derung, des hebr. Sprachftudiums außerordentlich erfprieglichen Werke charafterifis 
ren, findeinerichtige Gehagung u. prüfende Sichtung aller Quellen der Lexikographie, 


f ' ' a 
| \ 


Ge ' Pr 


eine richtige Auffaffung des Verbäftniffes zwiſchen dem Sebrälfchen\und den ver: 
wandten Dialekten, eine vollfländige Angabe und Erkiuterung der Conftructionen 
und Phrafen, welche von einem Worte gebildet werden, firenge Scheidung Deffen, 
was in das Gebiet des Worterbuchs, oder in die Grammatik, oder in exegetiſche Soms 
mentarien debört, und Aufmerkfamkeit auf die verfchisdene Art der Diction, Treff: 
liche Bemerkungen, welche zur Verbreitung richtiger Anfichten über diefen Gegen⸗ 
ſtand nicht wenig beigetragen haben, find in den Vorreden zu den Wörterbüchern nie: 
dergelegt; eine befondere Auszeichnung verdient aber die der 2. Ausg. des Aussuges 
(1823) beigegebene Abhandlung, über die Quellen der hebr. Wortforſchung nebſt 
Regeln und Beobachtungen über ihren Gebrauch. Sein „Thesaurus lingune He- 
bene” (1. 1, fasc. II, edit. 11. Leipz. 1829) wird ein bleibendes Denkmal deut: 
feher Selehrfamteit fein. Diefen lexikaliſchen Arbeiten geben die grammatifchen zur 
Seite; ihre Hauptvorzüge beftehen ih einer vollftändigen und Eritifchen Beobachtung 
und Aufftellung der grammatifchen Erfcheinungen und in einer richtigen und analo: 
‚gen Erklärung derfelben. Die Refultate wurden zuerft in einer Eleinern Grammatik 
(Kalle 1813; 9. A. 1828) vorgetrageh, dann aber in dem „Grammatiſch⸗kriti⸗ 


ſchen Lehrgebäude der hebr. Sprache” (Leipz. 1847) vollftändig ausgeführt. Als 


Einleitung dazu ift die Geſchichte der Bebr. Sprache und Schrift” (Leip. 1815) zu 
betrachten, welche auch für altteftamentliche Kritif viele, böchft wichtige Forſchun⸗ 
gen enthält. Außerdem wirkte Geſenius fehr vortheilhaft auf den hebr. Sprachun⸗ 
terricht in Schulen durch eine zweckmaͤßig eingerichtete, mit Anmerf. und einem gu⸗ 
ten GEloſſar verfehene „„Hebr. Shreftomarbie” (Halle 1822, 3. Aufl.). Die vielfas 
chen Vorzüge f. grammarifchen und lerikalifchen Lehrbücher wurden auch im Aus: 
lande anerkannt, und ihr Verf. Hat die Freude, fie felbft in Amerifa benutzt und übers 
feßt zu fehen. Mit der Uberfeß. des Jeſaias und dem philslogifch: Eritifchen und Bis 
florifchen Sommentar über denfelben (Leipz. 1820, 3 Thle.; 2. %. 1829 fg.) bat 
er f. Berdienften um Verbreitung eines echten Bibelſtudiums die Krone aufgefeßt; 
denn man darf hreift behaupten, Daß wir über feitt biblifches Buch etwas Ahnliches 
aufzumeifen haben. Das Original hat er in Rüdficht auf Form und Materie in der 

„ Überfeß. möglichfi treu wiedergegeben, und im Commentar befriedigt er alle An- 
fprüche, welche man an den Erklärer eines Buches irgend machen Eann ; mit befons _ 
derer Borliebe hat er fich außer dem pbilologifchen des Hiflorifchen und antiquarifchen 
Theiles der Erläuterung befliffen, um das Studium der Bibel mit dem der Elaffi- 
Eer und 'morgenländifchen Profanfchriftfteller immer mehr in Einklang zu bringen. | 
Mehre wichtige Segenftände des hebraͤiſchen und übrigen morgenlaͤnd. Alterthums 
hat er in der „Allgem. Encyklop.” von Erfch und Öruber gründlic; erläutert, und 
die biblifche Geographie insbefondere in den Noten zu der deutfchen Überſetz. von 
Burkhard's „Reifen nach Syrien und Palsftina” (Weimar 1823, 2 de.) vıelfarh 
bereichert. Seine Borlefungen, welche durch einen böchft belebten —— eben⸗ 
ſowol als durch Gründlichkeit die Zuhörer feſſeln und anregen, betreffen Exegeſe 

des A. Teſt., Einleitung in daſſelbe, bibliſche Antiquitäten und Kirchengeſchichte; 
außerdem leitet er in ſ. scholis über die ſemitiſchen Dialekte und ſemitiſche Palaͤs⸗ 
grapbie zu einem tiefern und vergleichenden Studium der ——— efepen Spra⸗ 
chen hin, und bildet in feiner exegetiſchen Geſellſchaft talentvolle Juͤnglinge zu ge: 
wandten und tüchtigen Exegeten. | 

Geſetz, überhaupt eine allgemeine Regel, wodurch die Wirkſamkeit ge: 

wiffer Kräfte beſtimmt if. Sind dies bloße Naturkräfte, fü heißt das Geſetz ein 


NMarurgeſetz; find es aber die Kräfte vernünftiger und freier Weſen, fo heißt das Se: 


ſetz ein Freiheitsgeſetz. Die Freiheitsgefeße werden aber felbft wieder in natürliche \ 
und pofitive (oder in willkuͤrliche) eingerheilt, je nachdem fie aus der bloßen Vernunft 
(der innern Natur eines vernünftigen Weſens), oder aus der Willkür (der Macht 
eines äußern Sefeßgebere) hervorgehen, Es gibt daher in Beziehung auf freie We: 


\ 


Geſetzgebung, Öefepbücher, Geſetzgebende Gewalt 


wie der Menſch, eine doppelte Siefeggebung, eine innere und eine äußere. In 
Růũcſicht auf die erſie ift der Menfch fein eigner Sefeßgeber, in Rüdficht auf die 
zweite ift der Menſch der Macht eines fremden Sefeßgebers unterworfen. Das Letz⸗ 
tere findet nur ih beflimmten gefelligen Berbältniffen, befonders den bürgcrlichen 
(im Staate) flatt. Hier ift das Gefeg nichts Andres als der Austrud des allge: 
meinen Willens, wiefern diefer für jeden einzelnen Willen der hoͤchſte ift und als 
ſolcher verbindliche Kraft bat; der Sefeßgeber aber ift nichts Andres als der Stell: 
Vertreter des allgemeinen Willens, oder das Organ, durch welches fich dieſer verlaut: 
bart. Da aber ein unvernänftiger Wille nie als ein allgemeiner und höchiter Rille 
von vernünftigen Weſen betrachtet werden fünnte, fo verfieht es fich von felbft, daß 
Die aufere (oder pofitive) Sefeßgebung die innere (oder natürliche) zu ihrer Richt: 
ſchnur nehmen und diefe bloß den befondern Verhältniffen des Staats und feiner 
Bürger anpaffen muß. Die Theorie der Sefeßgebung haben Plato, Cicero, Mon⸗ 
tesquieu, Filangieri, Zachariü u, A, bearbeitet. D. 
Sefeßgebung, Geſetzbücher, gefeggebende Gewalt. 1. Die 
Seele eines Volkes find feine Geſetze, aber nicht bloß diejenigen, welche «8 in den 
Buchftaben feiner Verordnungen und Geſetzbũcher befißt, fondern noch vielmehr 
Diejenigen, welche es im Leben wirklich für folche.anerfennt, weil es fie aus feinen 
Sitten, feiner Religion, feiner efchichte mit unabmeislicher Sültigfeit empfängt. 
Es ift ein großes und unbeftreitimres Verdienſt einiger neuern Rechtsgelehrten, zu: 
erft Joh. G. Schloffer’s-(in feinen „Briefen über die preuß. Sefeßgebung‘‘) und fo 
dann Hugo’s, darauf aufmerkfam gemacht zu haben, wie wenig die menfchliche 
Willkür in der Geſetzgebung über jene ftill, aber unvoiderftehlich wirkenden Kräfte des 
Dolkslebens vermag, und felbft die Verf. des „Code Napoleon‘ haben es ebenfo 
fehön als wahr ausgefprochen, daß Fein Geſetzgeber jener unfichtbaren Kraft, jenem 
ftillen Einverftändniffe der Volker entgehen Eonne, wodurch Mißgriffe der willkuͤr⸗ 
lichen Geſetzgebung berichtigt, die Menfchheit gegen das Geſetz, der Sefeßgeber gegen 
fich felbft vertheidigt werden fann. Die Erfahrung ift fehr oft gemacht worden, daß 
Geſetze, wenn auch ihre Abficht noch fo wohlgemeint war, und wenn fie für andre 
Volker fich noch fo nüglich bewährt hatten, doch denen nicht aufgedrungen werden 
konnten, deren Sitten und religiäfe Anfichten fie verlegen, und daß ein Geſetzgeber 
fein Bott ebenfo wenig durch Geſetze auf eine höhere Stufe der Bildung mit Üebers 
fpringung der Mittelftufen verfegen, als Pole wieder auf einen Bufland zurädk: 
werfen kann, welchen es im naturgemäßen Fortſchreiten einmal mit einem andern 
vertauſcht bat. Daher war Friedrich 11. von Preußen in feinen Reformen glüdis 
cher als Joſeph Il., und Schloffer bat in feinen „Bemerkungen über Geſetzmachen 
und Sefeßgeben“ im Allgemeinen ebenfo Recht als in der Anwendung auf das preuß. 
Landrecht vollfonmen Unrecht: denn auch in Preußen ging man damals im Sans 
zen keineswegs darauf aus, dem Wolfe ein neues Recht zu geben, als vielmehr dar⸗ 
auf, das bereits vorhandene zu fanctioniren, den Buchflaben veralteter Geſetze mit 
dem Rechte, welches in dem Geiſte des Volkes berrfchend geworden war, auszuglei: 
chen und vor Allem die Ungewißheiten zu lofen, welche der Sebrauch einer auslaͤndi⸗ 
ſchen Sefeßgebung und der Mangel einer confequenten Fortbildung in einer conflans 
ten Praris nothivendig herbeigeführt hatte, Denn allerdings befteht das Geſchaͤft 
dee wahren Geſetzgebers nicht im Schaffen des Rechts, fondern nur im Finden def 
felben, im Auffuchen Deffen, mas ſchon vor der ausdrüdlichen Anerfennung Recht 
iſt, und dann hauptfächlich im verftändigen Hinzufügen derjenigen quantitativen, 
rein pofitiven Beflimmungen, welche aus allgemeinen Shrundfägen nicht gefchöpft 
“ werden konnen, wie die Zeitbeflimmungen der Diinderjährigkeit, der Verjaͤhrungs⸗ 
friften, das Maß der Strafen u, f. vo., durch welche aber das Recht erft anwendbar 
wird. Auch gehören in diefen Kreis des pofitiven Geſetzgebers alle jene Formen, 
an welche die Außere Erweislichkeit rechtlicher Verhaͤltniſſe geknüpft werden muß 


Geſetzgebung, Gefeßbücher, Sefeßgebende Gewalt 673 


Goͤrmlichkeiten der Verträge, des gerichtiichen Verfahrens, die Bedingungen des 
richterlichen Fürwahrbalteng), bei welchen allen man fich aber immer daran zu erin: 
nern Urfache hat, daß diefe pofitiven Beſtimmungen nicht das wahre Recht ſelbſt, 
fondern ein sußerlicher Mechanismus zum Gebrauch deffelben find, und daß fie im: 
mer nur als Mittel betrachtet werden müffen, welche einem höhern Zwecke unterges 
. srdnet find. Diefes, die Anficht über die Entftehungsgründe der Geſetze, ift der 
Punkt, in welchem fich nicht nur die Schulen unferer Rechtsgelebrten von einander 
fcheiden, fondern in welchem auch Die wichtigften Sirundfüße des allgemeinen Staates 
rechts zufammentreffen. 11. Die Schulen der neuern Rechtsgelehrten laffen fich 
ihren Hauptcharafteren nach auf 4 zurüdführen, wiewol fie unter ſich auf man⸗ 
cherlei Weife modificirt find, auch vielfültig in einander übergeben. In dem ver: 
gangenen Jahrh. war, mit feltenen Ausnahmen, die Schule der Praktiker vor 
chend, welche auf der einen Seite die Autorität der Serichtshöfe und einzelner 
echtsichrer höher achtete als das Geſetz, auf der andern Seite nicht ohne bedeuten 
den Einfluß der Philofophie, zumal der Leibnitz-Wolf'ſchen, geblieben war. Mar 
argumentirte meiftens mit großer logifcher Präcifion aus einer (aber oft etwas will: 
£ürlich vorausgeftellten) Natur der Sache, und hielt fich für berechtigt, vom Buch: 
fiaben des Geſetzes abzuweichen, fobald derfelbe entroeder für die gegenwärtige Zeit 
nichtmehr paffend erfchien, oder man fich dabei auf Ansfprüche der Gerichte und der 
Schöppenftüble berufen fonnte. Durch diefe Schule wurden eine Dienge neuer 
Meinungeh, vermeintlicher Billigkeiten, milderer Strafen in dag Leben eingeführt, 
und man fieht wohl, daß in ihren Grundanſichten nicht Alles irrig iſt. Auch fie 
ging von dem richtigen Gedanken aus, daß dag Recht eines Volkes ein Ergebniß ſei⸗ 
nes innerften Lebens fein und fich mit demfelben umbilden müffe, fie fuchte alfo dem 
Buchftaben der ältern Geſetze durch das Hinmeifen auf die Natur der Sachen fortzu: 
helfen und durch das Befolgen früberer gerichtlicher Entfcheidungen diejenige Über: 
einftimmung in der Rechtspflege zu erreichen, welche ihr allein dag Vertrauen der 
Völker ſichern kann. Diefe Schule hat befonders durch Nettelbladt und Daries 
großen Einfluß auf Die Geſetzgebung des 18. Jahrh. gehabt, und namentlich das 
preuß. allgemeine Landrecht kann als ihr Werk betrachtet werben. Es fehlte ihr nur : 
an den äußern Einrichtungen der Serichtsverfaffung, welche nothwendig gemwefen 
wären, um das unbeflimmte Hin - und Herſchwanken der Praris zu verhüten, tn 
welchem alle Gewißheit des Rechts fo ganz verloren ging, daß man kaum in der ein: 
fachften Sache die endliche Entfcheidung vorher mwiffen konnte, Neben ihr beftand 
ein Eleines Haͤufchen fogenannter eleganter Suriften, welche, ohne in der Anwen: 
dung fich von jenen zu trennen, ſich in hiſtoriſch⸗ antiquariſch. philologiſchen Forſchun⸗⸗ 
gen gefielen, deren Refultaten fie jedoch felbft felten eine praktiſche Gültigkeit zuſchrie⸗ 
n, fie vielmehr nur als ergößliche Seltenheiten (amoenitates juris) betrachtend, 
Freilich trennte fich auch die praftifche Schule wieder In 2 Parteien, welche Aur 
darin einig waren, daß- die Mechtsgelehrten oder Rechtsübenden fich mol über das 
Sefeg erheben dürften, übrigens aber darin einander gegenüberftanden, daß die einen 
Michts anerkennen wollten als die Autorität einiger beliebten Cafuiften und den Ge⸗ 
„brauch (den Schlendrian) der Gerichte, bie andern aber das natürliche Hecht und 
was fie Billigkeit nannten, als Auelle ihrer Entfeheidungen betrachteten. Jene be: 
Bielten in dem Leben ſelbſt faft immer dert Sieg, denn die Letten mwiderfeßten ficy 
haͤufig nur fo lange, ‘bis auch fie mit den singen des Schlendriang durch die 
Übung befannt, routinirt, oder, nach Lichtenberg's ÜÜberfegung, eingefahren waren, 
und fich nun darin Bequem zu Haufe fanden. Aber mit dem legten Jahrzehend des 
vorigen Jahrh. eröffnete fich den phil oſop hiſchen Juriſten eine neue Ausſicht, 
‚ba nicht nur eine reichere und lebendigere Philoſophie die Grundlagen aller menſch⸗ 
„lichen Wiſſenſchaften von Neuem unterſuchte und manches Gebaͤude erſchuͤtterte, wel: 
ches bis dahin nur noch durch die Kraft der Traͤgheit den Schein des Beſtehens be⸗ 
Eonverfationd: Zericon. Bd. IV. 43 


. 


4 


Geſetzgebung, Geſetzbuͤcher, Geſetzgebende Gewalt 675 


wohnheitsrechts, welches ſich durch das Volksleben und in den Gerichten von ſelbſt 
erzeugen und fortbilden ſoll. br deal iſt das römifche Recht, wie eg ſich m den 
Schriften der Rechtsgelehrten vor Juſtinian darftellt; alles Eingreifen und Nefor- 
miren von Regierungswegen hält fie für gewagt, und befonders neue Sefegbücher, 
"welche jene ftille Entwickelung des Rechts unterbrechen, find ihr gänzlich zuwider. 
Inſofern ſtimmt diefe Schule mit der Anficht der Praktiker zuſammen, aus welcher 
fie in der That hervorgegangen ift, jedoch mit vorherrſchender Richtung auf Das, 
was man früßer elegante Aurteprubenz nannte; fle weicht aber darin twerentlich von 
ihr ab, daß fie nicht nur alle von einer vermeintlichen Natur der Sache (oder gar aus 
philofophifchen Rechtsbegriffen) hergenommene Sründe ganz verwirft, und das ges 
genwaͤrtig geltende Hecht nicht aus den Urtheilsfprüchen der Berichte ind Spruch 
collegien, in welchen fi gar viele grobe Irrthümer entdeckt, fondern. aus den origi⸗ 
nalen Quellen der alten Sefege und Rechtsbücher fchöpfen will; Nicht was die 
neuere Zeit als Recht erkannt und befolgt hat, fordern was fie dafür hätte halten 
follen, wenn fie die ältern Rechtsquellen recht verftanden hätte, ift ihr das wahrhafte 
echt, und daher hält fie eine Verbefferung des jegigen Zuftandes nur für möglich 
durch ein möglichft vollftändiges Erforfchen des Biftorifchen Ganges. Obgleich hierin 
faum eine febf große Inconſequenz verbehlt werden kann, daß, wenn einmal das 
Recht eines Volkes fich in fich felbft foribildet, ja die neuefte Geſtaltung immer die 
allein richtige und gültige fein muß, folglich die Gegenwart niemals aus einer fern 
liegenden Vergangenheit zurechtgewieſen werden kann, fo hat fich doch dieſe Anficht 
auch dadurch große Gunſt erworben, daß fie alles Beftehende durch die bloße That⸗ 
fache des Dafeing für rechtlich begründet erflärt und im der Geſchichte, worin ohne: 
Bin faft Alles behaupter oder nach Belieben beftritten werden kann, ein Mittel fin: 
det, jedes Verlangen einer Reform zur Ruhe zu weifen, befonders aber, daß fie 
alles Streben nach einem höhern Ziele als Thorheit und Frevel verdammt: Indeſ⸗ 
fen hat auch diefe Anficht wahrſcheinlich ſchon ihren Sulminationepunft erreicht, 
Sie bat fich dag große Verdienſt erworben, den einzig richtigen Weg zum Veiftehen . 
dei Geſetze an der Hand der Gefchichte gezeigt und gebahnt zu haben, der Irrthum 
aber, aus Dem was ift, und der Darftellung wie es wurde, auch Das was fein foll, fins 
den zu wollen, kann fich nicht lange erhalten. Denn wenn wir uns aiıf unferin Wege 
hut durch die Gefchichte zurechtfinden, fo kann nur die Philoſophie uns über das 
Biel deffelben belehren. Beide ergänzen fich wechſelſeitig, jede führt für ſich allein 
ur Einfeitigfeit; nur vereint lehren fie die wahre Rechtswiſſenſchaft und gefeßge: 
ende Weisheit. Neben ihnen hat fich in der neuern Zeit noch eine vierte Anfiche 
erhoben, welche wir die leg iſtiſche nennen möchten: Mit Recht unzufrieden über 
die Gewalt, weiche fich die Schule der Praktiker üßer die Geſetze amäßte, und mit 
der durch diefe ſchwankende Prafis herbeigeführteri Ungeivißheit bes Rechts, unge: 
duldig über das weite Ausholen der hiſtoriſchen Yurisprudenz und einfehend, dag 
die philofophifche nur dein Gefeßgeber, nicht aber dem Richter Materialien liefern 
könne, verließ ein anſehnlicher Theil der Rechtsgelehrten die bisherigen Autoritäten 
der Praxis und kehrte zu den Geſetzen zurüdt, aber weniget jum Beifte als ju dens 
Buchftaben derſelhen. Anftäte nut den Mißbrauch für die Jükunft zu unterlaffen, 
Deränderuiigen aber, welche bereitd eine gewiſſe Cönfiftenz büteh Jänge Anertehnung 
erlangt hatten ind vollendet waren, wieder ultjumerfen; und Üechtefige, nach der 
nen die Berichte eines Landes feit Menfchenältern gefprochen hatten, wieder ſtreitig 
zu machen, ging man häufig zu buchſtablicher Ahtberdumg folcher Geſetze zurüd, der 
ren Dafeiri kaum fit Volke tidch geahnt wurde. Man hat fo oft Hort dein Scha⸗ 
den gefprochert, welchen eihe plögliche Veränderung ber Rechte dur ch neue Geſetzhu⸗ 
cher den Völkern brachte; aber wenn ein neues Geſetzbüch von dem Ztvecke ausge hen 
muß, die im Volke bereits herrſchend gewordenen echtsbegriffe il ſanctioniren, fo 
kann · es lange keine f6 große und nachtheilige Beränderung nrit ns briigeh, als die 


\ 


676 Geſctzgebung. Gefegbücer, Geſetgebende Gewalt 


war, welche das Serworrufen veralteter Geſehe aus der Bergeffenheit, 
Formen und Subtilitaten, biutiger Strafgeſetze des 16. Johrh., nie ins Leben ges 
—— Dochivent.g mus fi führte. Dazu fommt, daß man bei tem 
buchſtaͤblichen A der Geſetze weder Zeit noch cigentlichen Charakter des 
Ein —— —— ‚ fondern, ma, puma Set be meinten und dem 


Mangel tck (her V enbung der aͤltern Öefeßgebung, t iſt, Reichsgefebe, 
alte und neue image —— Vererdnungen, ap — 


L 


SEchriftſtellerft ber bunteſten Berwirrung zufommenzufügen, um em 


Meofaıf beransiubringen, weiches war ten äußern C: chein eines organifchen Son: 
zen bat, dem aber Loch tie innere Lebenskraft gä — cin 
— 
werden nur in 
richtig begriffen werden kann, den Fehler aber a er ikhen Aufıhe 
daß beide bie Lüden, weiche in einer jeden pofitiven Inſtitution immer angerroffen 
swerden, nicht aus dem Urguell ee mwellen, fondern fich entweder 
durch bifterifche Hypotheſen Helfen, welche die früheſten Zeiten der Voller mit den 
Eimflichften Eoflemen befchenft Haben, oder Daß fie jene Lücken mit heterogenen 
Stũcken aus emer ganz andern 2egislation befegen. Beſonders die hiſtoriſche 
Schule vergißt hiePbei — dab ibre nen Heiligen, Die jurütifchen Elaffifer Koıms, 
ihre Größe einen fleten geben auf die Wahrheiten bes matürlichen Rechts 
«ihre aequitas) umd der Eiherben verbanfen, mit welcher fie auch pofitive Begriffe 
unter jene höhern Grundſatze zu ordnen wıffen. Auch die romiichen Juriſten 
nen ein allgemeines Recht an, welches vor aller pefitiven Öefeßgebung und ohne 
fie, aber auch in und neben ihr beſteht, und überall zur Anwendung fommt, 
Die Sültigfeit der pofitiven Geſetze nicht reicht. —* iſt ein großer Unterſchied, ob 
irgend eine Mazime des Rechts durch das poſitive Geſetz geſchaffen oder von ihm 
nur anerkannt worten ift, denn in dem erften Falle kann fie über ihren pofitiven 
Zweck nicht hinausgehen, im zweiten aber ift fie von Feiner allgemeinen Brauchber: 
keit. Dorziglid, aber ift jener Unterſchied für die Fälle von Wirhtigleit, wenn Bers 
Bäteniff und —— außerhalb des Staatsgebietes, z. B. auswärts begangene 
Ber beuriheilen find, auf welche Das pofitive Recht nur mit großen 
fhränfungeno anzuivenden ifl. So befipränkt aber auch die zuleßt beſchriebene legi⸗ 
ſtiſche Anficht des Rechts ift, fo hat fie Loch wiederum darin ein großes Berdienfl, 
daß fie die Unvolllommenheit, ja in vielen Hinſichten die gänzliche > Unbrauchberfeit 
des vorhandenen pofitiven Stoffes recht ins Licht flellt und dadurch die Reformen 
befördern Hilft, welche in vielen Deutfchen Ländern fo dringend find. Wenn aber num 
U, die Frage entſteht, von welchem Organe des öffentlichen Lebens die Fortbildung 
des Rechts ausgehen müffe, fo zeigt fich nbermals ein fehr wichtiger praftifcher Un⸗ 
serfchied der verfchiedenen juriflifhen Theorien. Doch find wenigfiens die beiden 
Sauptparteien, die hiſtoriſche umd philofophifche, darin vollkommen einverfianden, 
daß die bloße menfepliche Willtür, welche in den Geſetzen nur Mittel zu beliebig ges 
wählten zufülligen Zwecken erblit, möglichft ausgefcploffen werden muffe, und von 
einer andern Seite her wird man leicht Darüber einig, daß das Sefeßgeben ein Ge: 
fbäft ift, welches weder mit dem Nechtfprechen noch mit dem Kegieren verbunden 
fein kann, ‚wenn nit eins unter dem andern leiden fol, Gegen den willkürlichen 
Gebrauch der Macht kann die Menfchheit nur durch jene berühmte Sonderung 
der Gewalten, der regierenden, gefeßgebenden und rechtſprechenden, geſichert 
werden, als durch welche allein jede der drei Gewalten in ihren naturgemaͤßen 
ðrengen erhalten werden kann. Hauptſachlich aber iſt es die große Verſchiedenheit 
ſowol in dem innerften Weſen der gefeßgebenden, vollziehenden und richterlichen 
Thaͤtigkeit, als auch in der rechtlichen Natur ihrer Refultate, welche eine Aufſtel⸗ 
Jung getrennter Organe für jede von ihnen nothwendig macht. ‘Das Negieren 


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J 


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Gefetzgebung, Gefegbücher, Gefetzgebende Gewalt - 677 


iſt das eigentliche Handeln des Staats, Die Regierung ift der Wille des Volkes⸗ 
. von welchem Alles, was für die Geſammtheit gefchieht, ausgeben, alle Thätigfeit 
für das Ganze ihren erften Antrieb empfangenmuß. Der Charafter der Regierungs- 
handlung befteht demnach im Befehl, und Alles, was ein Befehlen (imperium) ent:' 
hält, muß ats Regierungsact betrachtet werden. Diefer muß, wenn er in verfaf: 
fimgsmäßiger Form gegeben ift, fo lange er befteht, unwiderſtehlich fein, weilfonft die 
Regierung nicht mehr das Organ des oberften Willens im Volke wäre. Er ift aber 
nicht unwiderruflich, fondern er kann in jedem Augenblicke zurückgenommen werden; 
er wird nicht formelles unabänderliches Recht (rechtskräftig), es können Vorftellun: 
gen Dagegen gemacht, es kann, wenn er in erworbene Rechte eingreift, felbft bei den 
ichten Hülfe gefucht werden. Das Geſetz hingegen befteht, und in: diefem 
Punkte find Hiftorifche und pbilofophifche Jurisprudenz vollkommen einig, nicht in 
einem Acte des Willens, fondern in dem Auffinden eines ſchon vorhandenen, eines 
entweder aus der innern Sefeßaebung der menfchlichen Vernunft oder aus der ge: 
ſchichtlichen Entwidelung des Volkes zu fchöpfenden Rechts. Das Geſetz ift zwar 
auch nicht unwiderruflich, und kann felbft durch Feine Sanction dazu gemacht wer⸗ 
den, aber es ift, fo lange es befteht, unmiderfprechlich und von allgemeiner Gültig⸗ 
Bett. Endlich, der Rechtsfpruch ift nur für Diejenigen verbindlich, welche den⸗ 
felben durch gerichtliche Verhandlungen herbeigeführt Haben, für diefe wird er aber 
auch zum unabänderlichen (formellen) Rechte, ſodaß feine Gewalt ihn wieder umzu⸗ 
floßen vermag. Diefe verfchiedene Natur der dffentlichen Acte muß nicht nur in 
ihren äußern Formen erkennbar fein, damit “Jeder wiffen Eonne, was er dabei zu 
thun bat, fondern fie fodert auch eine fo ganz verfchiedene Vorbereitung, daß fihon 
aus diefem Grunde Regierung, Sefeßgebung und Gerichte eine von einander ges 
‚trennte Reihe von Staatebehörden und Beamten nothwendig machen. Darin aber 
lag ein großer Fehler der neuern (conftitutionnellen) ‘Politik, daß fie die Sonderung 
der 8 Gewalten fo verftand, als müffe fie alle Verbindung, alles Sneinandergreifen 
derfelben aufheben. Daher die Wahl der Richter durch das Volk und eing Gefr: 
gebimg, welche von der Regierung weder angeregt noch aufgeha:zen werden Fonnte. 
(Sar fein oder nur ein beſchraͤnktes Beto.) Hieraus entfland nothwendigerweiſe 
ein Zwieſpalt im Staatsleben, voelcher nur mit dem Untergange endigen konnte, 
Wenn aber die Regierung iſt, was fie fein muß, fo fann ohne ihren Befehl nichts 
im Staate gefcheben, und ſowol Geſetzgebung als Serichte müffen den Antrieb ihrer 
Thaͤtigkeit von ihr empfangen. Zufammenberufung der gefeßgebenden Stelten, 
Dorföleg der he gebühren nur ihr, umd ohne ihre Zuflimmung fann fein Ge⸗ 
feg das Volk zum Handeln verpflichten. Der Vollziehungsbefehl, die Promulga⸗ 
tion (verfchieden von der Sanction, als dem bloßen Anerkennen eines Rechtsſatzes 
für ein Geſetz), kann nur von der Regierung ausgeben und ift nothwendig mit einem 
unbeſchraͤnkten Deto verbunden. Dagegen foll der Einfluß der Regierung auf die 
Geſetzgebung nur ein negativer, und auf die Rechtspflege nur ein formeller fin, d. 
h. ohne ſie kann fein Geſetz zu Stande kommen, und die Richter müffen ihre Amts⸗ 
gewalt von der Regierung empfangen, und von ihr angehalten werden, ihr Amt 
wirklich zu verrichten, aber wie ſie ſprechen ſollen, kann ihnen daraus nicht vorge⸗ 
ſchrieben werden. (Bgl. Gerichte.) Nur fo Farin die unentbehrliche Einheit und 
Harmonie im öffentlichen Leben aufrecht gehalten, und doch auch jeder. Zweig der 
einen öffentlichen Gewalt durch Die andre ergänzt und in der gefeßlichen Bahn erhal: 
fen werden, Das gänzliche Auseinanderreißen jener 3 Sewalten ift eine Thorheit, 
welche jedes Mal, fo oft fie in altern und neuern Zeiten begangen wurde, ebenſo 
ſchwere Leiden über die Völker gebracht bat, als wenn fie fich einer willkürlichen und. 
unbefchränften Herrfchaft hingegeben haben, Es führt ung aber IV. die hiſtoriſch⸗ 
philofophifche Anficht von den Quellen der Geſetze nuch zu Nefultaren über die Or⸗ 
ganiſation gefeßgebender Behörden, welche keider auch in den neuern Zeiten häufig 





Geſicht Geſims | 6719 


gen find, Schaden haben. Daher müre allerdings zu wuͤnſchen, daß unter Staaten, 
melche nur Unterabtheilungen eines Volkes mit gemeinfchaftlichen Sitten, Religion 


and Cultur find, die Berwaltimgsangelegenheiten von der Sefeßgebung im engern . 
„ Sinne getrennt, und über bie legte in fo großer Ausdehnung, als eben zu erreichen, 


waͤre, nur e,rmeinfchaftliche Einrichtungen getroffen würden. Alsdann würden fie 
fich auch den Bortheil großer Staaten verfchaffen fonnen, dergleichen Geſetze durch 
die Gutachten ſachkundiger Sollegien (mie der franz. Staatsrath) oder Geſetzcom⸗ 
miffionen im Zufammenhange mit allen antern Einrichtungen yorbereiten zu laſſen. 
Den Ständeverfammlungen aber würde die Berlegenheit erfpart werden, über Dinge 
beraihen und befchließen zu follen, von welchen vielleicht nur Wenige, vielleicht Nies 


mand in Ihrer Mitte einige Kenntniffe befigt. Indeſſen tft dies nicht in den kleinen 


Staaten allein zu bemerken. Sehr große leiden zumeilen noch mehr an Diefem Übel, 


. weil, wenn auf der einen Seite die Maffe der Kenntniffe, soelche fie in ihrer Mitte - 


vereinen, größer ift, dafür auch auf der andern Seite wieder mehr unfundige Stim: 


men die Sache verderben, und indem gar zu Viele an dem Sefeßmachen Theil neh⸗ 


men, das Intereſſe daran für die Einzelnen verſchwindet. Mit welchem Leichtfinne 
3. DB. dies wichtige Geſchaͤft bis jeßt in England betrieben wurde, hat Miller („Au 
ingniry into the present stale of the statute and eriminal law of England”, 
Lond. 1822) auseinandergefeßt; man fingt daher in Ergland, dieſem Paradiefe 
des Gewohnheitsrechts, endlich az die dringende Nothwendigkeit zu fühlen, daß das 
Chaos eingelner Verordnungen in allgemeine Geſetzbücher redigirt werde. Man 
nennt dies die Confolidation der Sefeße ; einzelne Gelehrte Haben Berfuche gemacht, 
foiche Conſolidationsentwuͤrfe einftweilen als Privatarbeit zu geben, z. B. Ant. 
Stammond über die Criminalgeſetze. &, des Marquis v. ‘Paftoret „Histoire de 
la lögistatinn” (Paris 181828, 9 Bde.). u 

Geſſicht heißt formol das menfchliche Antliß als auch der Sefichtsfinn, durch 
den wir die Gegenſtaͤnde mittelft Des Lichts wahrnehmen: “Durch ihn erfält uns 
fere Seele die mehrften Borftellungen, durch ihn ftellen mir die michtigften Erfah⸗ 
rungen über phnfifalifche Gegenſtaͤnde an, durch ihn genießen wir die fchänften Freu⸗ 
den der Natur. Das Werkzeug diefes edeln Sinnes ift das Auge (f. d.). 


Geſicht s punkt nennt man den Pant, von welchem.aus ein Gegenftand 


gefehen wird. Daß, je nachdem diefer Punkt verändert wird, der Segenftand fich 
verfchieden darftellt, lehrt die Erfahrung. Jede Kunft, welche Gegenſtuͤnde im Raus 
me neben einander oder hinter einander darftellt, Hat daher den Seftchtspunft wohl 
zu beobachten, weil fonft die Wahrheit, und unter mehren möglichen den fehönften 
zu wählen, weil fonft die Schönheit leiden würde, In den meiften Gemälden liegt 
—* der er weil bier die Hauptfiguren am meiften hervorragen. (Bol. Fer 
pective. | , 
Se fims, die aus verſchiedenen Gliedern beftehende Bekrönung einer Wand 
oder Einfaffung einer Dffnung, eines Fenflers, einer Thür. Es iſt eine wefent: 
liche Verzierung und dient zur Begrenzung der Theile, damit fie vollendet erfchels 
nen und ein Ganzes werden. Jedes Geſims muß ununterbrochen fortläufen, ohne 
von einem Fenfter oder fonftigen Berzierungen durchfihnitten zu fein. Die einzelnen 
Glieder deffelben müjfen ſich ungezwungen zu einem fehönen Ganzen vereinigen, 
Man unterfcheibet nach den Orten, wo fie angebracht find, mehre Arten von Ge⸗ 
fimfen. Das Haupt: oder Dachgefims Erönt das Gebäude zu oberft, und iſt nicht 
mit dem Sebälfe zu verwechfeln, deſſen oberften Theil oder Kranz es ausmacht. 
Seine Höhe muß mitder Höhe des ganzen Gebäudes in einem richtigen Berhältniffe 
ſtehen und nach Befehaffenheit den 8. bis 20. Theik der Iegtern betragen. Zu der 
Auslaufung der Glieder oder dem Vorſprunge des Simfes nimmt man die ganze 
Höhe des Geſimſes, wenn diefer. nur aus einem Kranze beſteht; denn wenn es auch 
verſtattet iſt, etwas weniger zunehmen, fo muß man fich doch ja vor dem zu wenig 


+ 





— 


% 


.: 
680 Gefinde. .  Gesner (Johann Matthias) 


hüten, wodurch der Sims ein mageres, dürftiges Anfehen befommt. Iſt er aber ein 
Gebaͤlk (bei Säulen und Pilaftern), oder hat er die Eintheilung eines Gebaͤlks, fo 
bekommt er, was die Ausladung betrifft, die ihm als Gebaͤlk gehörigen Verhältniſſe. 
Die Zufammenfegung tes Hauptgeſimſes richtet fich,-in Anfehung feines Keich: 
thums, nach den Charakter des Gebäudes, Das Gurt- oder Balfenacfims iſt das 
zwiſchen 2 Stockwerken befindliche. Es befteht ans wenigen Öliedern und kann 12 


—18 Zoll Höhe haben. Seine Auslaufung muß menigfiens den 8. Theil f. Höhe 


betragen. Die Geſimſe an den Wänden der Zimmer werben, wenn die Wände mit 
Säulen oder Pilaftern geziert find, nach den Gebaͤlken der Säulen gebildet. Iſt die: 
fes nicht, fo befommen fie nur einige Glieder oder werden bei großen und hoben Zim⸗ 
mern oder Saͤlen dem Kranze eines Saͤulengebaͤlks ähnlich gemacht und konnen den 
16.— 18. Theil der Höhe der Wand zu ihrer Höhe haben. Die Auslaufung kann 
4 —2 Drittel ihrer Höhe betragen. Diefer Sims muß noch eine Hohlkehle über 
fich Haben. Fußgefimfe faffen eine Wand über dem Fußboden ein und beftehen ges 
meiniglich aus einem &odel, worauf einige Glieder folgen, Überhaupt führt diefen 
Namen jede mit Gliedern verzierte Unterlage eines Fußoeftelles oder Gebäudes. 
Ein Bruſtgeſimg ift die obere, aus einigen Gliedern beftehende Bedeckung eines Ge: 
laͤnders. Alle Offinungen, als Fenfter, Thüren, Kamine, bedürfen eines Geſimſes, 
um als vollendet zu erſcheinen. An dem obern Theil diefer Gegenftände wirt oft, noch 
über der Einfaffung, ein befonderer Sim. oder Kranz angebracht. Die Kamine er: 
halten dann allezeit nur einen nach einer geraden Linie gemachten Kranz, Die Sen: 
fter, Thüren und Niſchen können zu ihrer obern Bedeckung entiveder einen geraden 
Kranz oder einen Eleinen Giebel erhalten. Diefe Bederfung heißt die Verdachung. 
Geſinde, Dienftboten, ſolche Perfonen, welche fich vermöge des 
Dienftvertrags auf eine beftimmte oder unbeftimnite Zeit anbeifchtg gemacht ha⸗ 
ben, gegen Koft und Lohn oder andre Vergütungen häusliche Dienfte und Ser 
ſchaͤfte zu verrichten. Die wechfelfeitigen Rechte und Verbindlichfeiten, roelche, 
wenn fie bloß das Sefinde angehen, dag Sefinderecht heißen, werden zwifchen 
der Herrfchaft und dem Geſinde durch den Dienftvertrag begründet, welcher durch 
Die gegenfeitige Einwilligung feine verbindliche Kraft erhält, wenn nicht etwa durch 
befondere Sefege oder Gewohnheitsrechte die Vollkommenheit tes Dienflvertrags 
von der Sebung und Annahme des Miethgeldes abhängig gemacht ift. Allein bei 
der Beflimmung der rechtlichen Berbältniffe zwiſchen Herrſchaft und Sefinde kommt 
es zunächft Darauf an, was unter ihnen befonders verabredet worden ift; dann aber 
bat man auf die Sefindeordnungen und örtlichen Gewohnheiten Küdficht zu neh: 
men. In mehren deutfchen Städten find befondere Behörden, welche ſowol die 
zwoifchen der Dienftherrfchaft und dem Geſinde entflandenen Streitigkeiten fchlichten. 
als auch über das Betragen der Dienftboten Aufficht führen, und bei jeder Vermie⸗ 


thung vorkiufige Meldung verlangen, In einigen Städten beforgt ein folches 


Dienftbotenamt ausfchliegend das Vermiethen des Sefindes; andermwärts gibt es 
verpflichtete Sefindemäfler. 

Gesner (Jopann Matthias), Diefer Humanift, welcher ſ. Sefchlecht von 
dem großen Konrad Gesner herleitete, jedoch ohne gehirigen Beweis, geb. zu Roth 
im Anfpachifchen 1691, ftarb 1761 zu Gattingen. achdem er f. Studien in Jena 
vollendet hatte, wurde er 1715 Conrector und Bibliothekar zu Weimar, 1728 Rector 
des Gymnaſiums zu Anfpach, 4730 Rector der Thomasfchule zu Leipzig, und 1734 
Prof. der Beredtfamkeit und in der Folge auch Bibliothefar an der neuerrichteten 
Untyerfität zu Söttingen. Die Derbefferung bes gelebrten Unterrichts und das Stu⸗ 
dium der alten Sprachen betrieb er mit ebenfo viel Einficht als Eifer, und wies die 
SJünglinge fchriftlich und mündlich an, die Alten nicht bloß um der Sprache, fondern 
auch um des Inhalte und der —— willen zu leſen. Durch ſ. Ausgabe der 
„Seriplorum de re rustica“ (2. A. von Erneſti, Lpz 1713 fg., 2 Bde., 4), des 


Gem (Romad) : - Geſpenſter 684 


Quintilian, Elaudian, Plinius d. J. Homyamd Orphensveranläßte er eine fruchtbare 
Erklarungsmethode der- alten Claſſiker, und durch f. „Primae linen« Isarages in 
eruditionem universam” (N. A., Lpz. 1786) bereitete er ein enchkl. Studium der - 
Wiſſenſchaften vor. Seine Eiceronianifche und Plinianiſche Chreſtomathie find nuß: 
liche Schulbücher. Ein Verdienft um das Studium der rom. Sprache und Literatur 
erwarb er fich durch ſ. Ausg. des Faber’fchen Theſaurus, noch mehr aber durch f. 
„Novus tingaae et eruditionis romanae (hesaurus” (Lpʒ. 1749, 4 Bde., Fol.), 
soorin er den gangen Sprachfchaß der Römer zufammendrängte., Die „Opuscula 
variı argum.'' Gresl. 1743, 8 Thle.), ſowie der „Ther. epistol, Gesner.“, von 
Klotz (Halle 1768), beweifen ebenfallsden Seiftund die Kenntniſſe diefes Gelehrten. 
Gesn er (Konrad), ein Polyhiſtor, Deutfchlands Plinius genannt, geb. zu 
Zürich 1516 von armen Ältern, ſtudirte hier, zu Strasburg, Bourges und Paris, 
und erhielt in ſ. Baterftadt ein Schulamt. Um fich aus f. dürftigen Lage zu ziehen, 
ging er nach Bafel und fludirte vorzüglich Medicin. Er murde hierauf Prof. der 
riech. Sprache zu Lauſanne, und nach einem-Furzen Aufenthalte zu Montpellier 
Dre der Philofophie und aueübender Arzt zu Zürich, wo er 1565 an der Peſt flarb. 
rzneifunde, Philologie, Literargefchichte waren f. Sächer; in dem lebten brach er 
durch f. „Bibliotheca universalis, s. catalogus onınium scriptorum loruple- 
tissimus in tribus linguis, graeca, latina et hebraica exstantium etc.” (Zürich 
154555, 4 Bde., Fol.) die Bahn. Ein Wunderwerf menfchlicher Gelehrfam⸗ 
keit und Thätigkeit! Die Naturgefchichte erweckte er gleichfam wieder, nachdem fie 
feit Jahrh. gefchlummert harte. Übrrall fchöpfte er entweder aus eignen Beobach⸗ 
tungen oder aus den Schriften der Alten. Seine Geſchichte der Thiere („Hist. 
animalium”, zuerft Zürich 1560—87, Fol, 4 Bde.) muß als die Grundlage der 
neuern Zoologie angefehen werden. Auch machte er fich um fie durch eine vollſt. 
Überf. des Klian verdient. Als Betaniker übertraf er alle Bor :. und Mitlebende, 
durchflrich faſt alle Gegenden Europas, um zu fehen und zu fammeln, richtete, un: 
eachtet ſ. befchränften Gluͤcksumſtaͤnde, einen botanifhen Garten voll feltener 
Sflanzen ein, unterbielt-einen Zeichner und Maler und legte das erfte Naturalien- 
eabinet an. Er ift der Erfinder der botanifchen Methode, indem er das Pflanzens 
reich, nach dem Charakter des Samens und der Blume, in Öefchlechter, Arten und 
Elaffen ordnete, Die Arzneikräfte der Pflanzen vernadyläffigte er nicht, fontern 
machte Derfuche an fich, und dann an Andern. Außerdem fchrieb er über die Heil: 
quellen, über die Arzneimittel, über die Natur und Verwandtſchaft der Sprachen 
(Mithridates), und edirte und commentirte mehre alte Schrififteller. Bei f. gros 
Gen Berdienften, megen deren er ein Jahr vor f. Tode in den Adelſtand erhoben wurde, 
war er ein befcheidener Dann, und ebenfo dienfifertig als lernbegierig. S. Hans 
hart's „Biogr. Konr. Sesner’s” (Winterth. 1824). 
Sefpanfchaften heißen bie Provingenlingarns. Eine Geſpanſchaft theilt 
fich in 2 oder mehre Diftricte, Jede hat ihren Dbergefpan (oberften Grafen), einen 
Untergefpan (Steuereinnebmer, Rentmeiſter oder Perceptor genannt), Notar, 
4 obere und 4 untere Stuhlrichter. Alle diefe Beamten müffen von Adel und in der 
Grafſchaft angefeffen fein. In 12 Sefpanfchaften iſt die Würde eines Obergefpans 
| erklich, in den übrigen entiveder mit einem der hohen Reichsämt:r oder mit der 
biſchöfl. Würde verbunden, oder der Hof ernennt wen er will aus dem Adel zum 
| Öbergefpan. Die andern Beamten der Sefpanfchaft ernennt der Adel aus Dreien, 
welche der Obergefpan in Borfchlag bringt. Das Land der Ungarn in Siebenbür: 
gen, Slawonien und Kroatien hat, mit Ausnahme der Militairgrenze, ebenfalle 
die Eintheitung in Sefpanfchaften. ‘ ü 
| Sefpenfter find, nach dem Bolfsglauben, Seelen der Verftorbenen, die 
—— wie ſchattenreiche Luftgebilde in der Geſtalt ihrer ehemaligen Leiber, oder 
jeder andern Form, den Lebenden erſcheinen. Doch follen auch boͤſe Geiſter zus 


x 


682 Gefpiivercht Gene 


weilen die Seftalt Verftorbener annehmen, um die Syinterlaffenen als Sefpenfl zu 
quälen. Der Sefpenfterglaube bat zu allen Zeiten Anhinger gefunden und hängt 
- mit dem Glauben an Uinfterblichkeit in Etwas zuſammen. Man dachte ſich den 
Verſtorbenen als ein fchattenartiges Gebilde und nannte daher das Todtenreich ein 
Schattenreich. Man meinte ferner, daß die Seele nicht cher Ruhe habe oder ins 
Schattenreich übergehe, als bis der Leichnam des Verſt. zur Erde beftattet fei; ge: 
ſchehe diefes nicht, ſo ſchwaͤrme dieje Seele umflät in der Oberwelt berum und ers 
feine in der Geſtalt des Berft., um die Lebenden an ihre Pflicht zur erinmern, Der 
Aberglaube ſuchte diefe Meinung durch allerhand Erzählungen zu beflätigen, bei 
welchen bald unmwillfärliche Täufchung der Einbildungskraft, bald abfichtliche Taͤu⸗ 

ſchungen liſtiger Betrüger zum Grunde lagen. Die neuere Kunfl hat daraus Se: 
fpenftermärchen gebildet. 

Geſpilderecht, f Retractrecht. 

Geßner (Salomon), geb. 1730 zu Zürich, wo fein Vater Buchhändler und 
Mitgl.des großen Raths war, wurde, nachdem ber frühere Unterricht f. Geiſt nicht ge: 
weckt hatte, einem Landprediger übergeben. Hier erholtefich f. durch beſchaͤmenden Tas 
del bisher erſtickter Geiſt; er machte inderlat. Sprache Fortfchritte, und der Umgang 
mitdem Sohne f. Lehrers, der die beften deutfchen Schriftfteller Ias, forte die ſchoͤne 
Gegend, entfaltete ſ. natürliche Anlage zur Poeſie. Nach 2 J. kehrte er zu den Seini⸗ 
genzurüd. Der Umgang mit Zürichs vorzüglichften Gelehrten berichtigte und erweiz 
terte ſ. Kenntniffe, und erhob ſ. dunkeln Sefühle zu deutlichen Begriffen. Seine Se: 
Dichte, meift erotifchen “Inhalts, gewannen mehr Kraft und einen feften Ton. G.s 
Vater wuͤnſchte, daß ſ. Sohn die Buchhandlung, die ihm zugehörte, fortfeßen möchte, 
und ſchickte ihn 1749 nach Berlin, um fich dafelbft zu dieſem Zwecke zu bilden. Er 
- faßte aber einen fo entfchiedenen Widerwillen gegen dies Sefchäft, daß er ſ. Lehrherrn 
‘verließ. Da f. Bater ihn durch Vorenthaltung des nöthigen Geldes zur Rückkehr zu 
zwingen fuchte, verfertigte er, um fich f. Unterhalt felbft zu verſchaffen, eine Dienge 
Landſchaften, die Beifall fanden. Dagegen fehlug Ramler’s ftrenges Urtheil feinen 
Muth, in Verſen zu fehreiben,. auf lange Zeit nieder, und er wählte Dagegen eine 
Barmonifche Proſa. Bei einer Reife nach Hamburg ſchloß er mit Hagedorn. eine ins 
nige Freundfchaftl. Das „Lied eines Schweizers an fein bemaffnetes Maͤdchen“, 
welches 1751, und f. Gemälde, „Die Nacht“, welches 17753 erſchien, kuͤndigten 
ihn wieder als Dichter an, Sein größeres Gedicht, „Dapbnis”, wozu Amiot's 
Überfeg. des Longus die oe in ibm geweckt hatte, erfchien 1754, mie die vorigen, 
ohne ſ. Namen. 17166 aber gab er „Inkle und Yarico“, eine Fortf. der Bodmer'⸗ 
ſchen Erzählung, und im naͤml. J. ein Bändchen Idyllen heraus. In der Folge er: 
fchien der „od Abels“, die ſchwaͤchſte von allen f. Dichtungen, 17162 gab er f. Ges 
dichte in Bdn. heraus, welche, aufer den genannten, ben „Erften Schiffer”, einige 
neue Idyllen und Liedes, und die beiden Schaufpiele „Evander“ und „Eraft‘ ent: 
hielten. Hierauf ſchwieg G. mehre Jahre; f. Liebhaberei für die zeichnenden Künfte 
ſchien ihn ausſchließlich zu befchäftigen. Erſt 1772 gab er ein 2. Bdchn. Idyllen, 
nebft den „Briefen über die Landichaftsmalerel” Heraus. Seine angenehmen Na: 
turdichtungen wurden zwar in Deutſchland mit Beifall, in Sranfreich aber, wo fie 
durch Huber's Üüberfeß, befannt wurden, mit Enthufiasmus aufgenommen. Hier 
galt er für einen claſſ. Dichter vom erſten Range, und er iſt der einzige Deutfche 
Schriftfteller, welchen die franz. Dichter mehrmals überfeßten, nachbildeten und 
benugten. Ban Frankreich aus verbreitete fich fein Ruhm über ganz Europa, Er 
batte fich indoß verheirathet. Um f. Altern nicht Fiftig zu werden, beſchloß er, bie 
Kunft, die er bisher als Liebhaberei getrieben hatte, zum ernften Sefchäfte zu machen, 
Seine Fortfipritte darin waren ſchnell und glänzend, eine Stüde wurden theuer 
bezahlt, denn fie bezauberten, wie f, Gedichte, durch die anmutbigfte Nachahmung 

ber HNatur Sn f. Vaterlande wurde ©., ala er faum das gefeßmäßig beftinsnte 


Geſtalt der Erde 2 Gefundheit 638 


A⸗er erreicht Hatte, in den täglichen Natb aufgenommen, &tiu und fanft floß 
feitdem fein Leben dahin, bis ein apopleftifcher Zufall am 2, März 17871 demfelben 
ein Ende machte. Man bewundert in G.'s Schriften eine unnachahmliche Zarıs 
beit und eine melodifche Sprache; Tiefe und Kraft gehen ihnen ab, In der Lands 
fehaftsmalerei hat er fich Verdienfte erworben, die feine Zeit ſchmaͤlern wird. Seine 
Madirnadel ift leicht und Fräftig, f. Profpecte find ausgefucht, wild und romanktifch, 
efonders fchön aber f. Bäume, Unter f. befien Werke rechnet man zwölf radirte 
andfchaften, die er 1770 herausgab. Alle, die G. gekannt haben, befchreiben ihn - 
- als einen fanften und befcheidenen, edeldenfenden und patristifchen Mann, der in 
f Sitten ebenfo einfach, natürlich und wahr gewefen fei, als er in f. Werten ers 
ſcheint. Bon f. Schriften fehäßt man. die Ausg. Zürih 4777 — 78, 2 Bde., 4.5 
auch die Eleine faubere Ausg. Züri 1765 — 14, 5 Bde; ebend. 1800, 3 Bde. 
Seine Mitbärger errichteten ibm auf einer Promenade an der Limmat ein Denk: 
mal. ©. älterer Sohn Konrad Geßner, geb. zu Zurich 17164, der fich früher 
in dem Fache der Pferde: und Schlachtenmalerei, fpäter durch f. Landſchaften auss 
zeichnete, hatte in Dresden und Nom (1784 — 88, vgl. d. Briefwechſ. der Altern 
mit ihm) fludirt. Don 1796 bis 1804 lebte er in England, dann in f. Vaterſtadt 
Zürih, wo er, 62 %. alt, d. 8. Mai 1826 farb. | 
j Geſtalt der Erde, f Erde, Abplattung und Sradmeh 
u 


ngen. 

Seftändnig, im Fivilproceffe Erklärung einer Proceßpartei, wodurch fie 
Die Wahrheit einer eignen Thathandlung,, die ihre Rechte und Verbindlichkeiten bes 
trifft, einräumt; im Sriminalproceffe Einräumung gewiſſer Umflände des anges 
ſchuldigten Verbrechens. Gerichtliches Seftändnig im Civilproceß bemeift voll, 
ein außergerichtliches nur halb, und laßt den Shegenbeweis zu. Im Eriminalproceß 
muß das Seflindniß, wenn es entfcheiden foll, gerichtlich, umd daneben der Thatbes 
ſtand des Verbrechens bewieſen fein; auf bloßes Geſtaͤndniß kann kein Verbrecher 
mit der gefeglichen Strafe belegt werden. 

Geſticulation, f. Sebärde, 

Geſtirn, f. Sternbilder, ' 

Sefundhbrunnen, diejenigen Quellen, deren Waffer manniofaltige 
mineralifche Beftandtheile, gewöhnlich auch Iuftförmige Stoffe in fich enthalten, 
daher einen von dem Sefchmade des reinen Waffers abweichenden Geſchmack und 
Geruch haben und als Arzneimittel angeroendet erden. Die Berfchiedenbeit ihrer 
Wirkſamkeit wird bedingt: 1) durch die Verfchiedenbeit ihrer Miſchung, denn es 
gibt Bitterwaſſer, eifenhaltiges, kohlenſaures, Taugenfalziges, muriatifches, ſchwefel⸗ 
baltiges, feifenartiges; 2) durch die Nerfehiehendeit der Temperatur der Waſſer; 
es gibt marme und kalte; 3) durch die Verfehiedenheit der Anwendung, indern fie 
äußerlich als Binder oder innerlich als Setränfe angewendet werden. (S. Baͤder 
und Brunnensund Badereifen) Bol. des Medicinalraths Wepler in 
Augeb, Werk „Ub. Geſundbr. und Heilbäder” (Mainz 1825, 3 Thle), 

Sefundheit, der ungeflörte und richtige Bang aller. zum Leben eines 
organifchen Wefens gehörigen Verrichtungen. Jedes Geſchoͤpf ift beftimmt, Tehıten 
eigenthümlichen Kreis des Lebens zu durchlaufen, während deſſelben fich felbft zu xr⸗ 
balten und f. Gattung fortzupflanzen. Zu biefen Zwecken maren verfchiedene 
Theilorganismen nothivendig, welche zwar für fich ein gefchloffenes Sanzes ausma⸗ 
chen, aber auch wieder in der gengueften Verbindung mit dem übrigen Organismus 
ſtehen und Syſteme, Organe oder Theilgange genannt werden. An diefe einzelnen 
Droane und Spfteme find beftimmte Verrichtungen gebunden, dig jenen Zwecken 
entfprechen. Je höher die Stufe des Lebens ift, auf welcher. ein organifches Weſen 
ſteht, defto volllommener muß auch f. Organifation fein. Die Pflanze flieht auf 
einer niedrigen Stufe, ihre Organifation if} daher einfacher. Auf einer höhere 


— 


FT ⸗ꝝ et Gefundheit - | 


ſteht das. Thier; hat Bewegung and Gefühl, und da bie Idee des Lebens frry 


bier inimmer höherer Steigerung offenbart, fogar einen Schimmer des Pſychiſchen; 
folglich bedarf e8 einer zufammengefeßteren Organifation. Auf der höchften Stufe 
des. Lebens fteht der Menſch, er befißt nicht bloß das Leben der Pflanze und des 
Thies, ſondern ift auch ein finnliches Vernunftwefen. Sein Seift bedarf eines 
Körpers; einer zweckmaͤßigen Organifätion, um auf der Erde die ihm zukommende 
dee des Lebens in ihrer. herrlichften Offenbarung durchzuführen. Die Organi⸗ 
fation des Menſchen iſt demnach die zufammengefeßtefte; die Verrichtungen des 
menfchlichen Organismus find die mannigfaltigften, die Beziehungen und Wechſel⸗ 
soirfungen , in denen er mit der gefammten Natur und mit ſ. Gleichen fteht, find 


vielfältig. (OS. Phyſiologie.) Gehen alle diefe Verrichtungen, jede nach der 


ihr zufommenden Zeit und Regel, leicht und ungehindert von flatten, find alle dazu 
dienende Organe in ihrer Form und Kraft unverleßt, fo-heißt der Menſch gefund. 
Man fann die Geſandheit in abfolute und relative eintheilen. Abfolute Geſund⸗ 
beit muß dem gegebenen Begriffe durchaus. in allen Stücken entfprechen. Mit die: 
fer Geſundheit könnte die Verfchiedenheit der geiftigen und Eörperlichen Anlagen 
nicht beflehen; die dem Dienfchen zukommende Gefundheit ift daher nur die rela⸗ 
tive, die ftatt der Schärfe der abfoluten, eine gewiffe Breite bat, innerhalb welcher 
ſich die verfchiedenften Anlagen entwideln können. Da bei der Unverlegtheit der 
Drganifation und der Ungeflörtheitder Berrichtungen das Semeingefühl des Men: 
fihen gleich einem ungetrübten Spiegel erfcheint , fo Bann die Abmefenheit aller un: 
angenehmen Gefühle bei vollem Gebrauche f. Kräfte und f. Beroußtfeins für das 
innere Zeichen der Geſundheit des Menſchen gelten. Das äußere Zeichen derſel⸗ 
ben ift die Form der Organe und der ungeftörte Gang aller bemerkbaren Verrich⸗ 
tungen des Körpers. Ein gefunder Menſch befißt die f. Alter und Geſchlecht ange⸗ 
meſſene regelmäßige Form, der Körper ift ohne auffallende Fehler gebaut, fein Theil 
deffelben ift gruen das Geſetz der Organifation des Lebensalters überwiegend an 
Maffe oder Kraft, fodag er die Verrichtung eines andern flörte, feinem aber fehlt es 
auch an der ihm zukommenden Maffe und Kroftäußerung; der Körper ift weder zu 
fett noch zu hager, die Farbe des Sefichts weder zu roth noch blaß oder geiblich, 
fondern ein zart gemifchtes fleifchfarbenes Roth, mit etwas höhern, doch nicht zu 
boch gefärbten Wangen und Lippen. (In Rüdficht der Hautfarbe kommt jedoch 
befanntlich viel auf Klima und Erdftrich an, wo der Menfch wohnt. Hier ift nur 
von dem Europäer, und zwar mehr vom nördlichen als füblichen die Rede.) “Die 


Augen find Hell und lebhaft. Der gefunde Wenfch hat gute Eßluſt und in der Ne 


gel nur mäßigen Dueft, fühlt nach den Effen fein Drüden in der Begend des Ma: 
gens, keine Verdroſſenheit, Feine Hiße, verdaut gut, bat eine leichte und in der Res 
gel unmerfliche, nur bei hinlänglichen Beranlaffungen als Schweiß bemerfbare 
Hautausdünftung, einen gleichmäßigen, nicht zu fehnellen Pulsfchlag, einen leichten, 
gehörig tiefen und ruhigen Athem, der bei Eörperlicher Bewegung zwar etwas be: 
fhleunigter ift, aber doch immer tief genug, Bis zu dem erquidenden Gefühl einer 
völlig genügenden Einathmung gezogen werden kann; auch kann er die Bruſt hin- 
langlich ausdehnen und den Athem ohne Beſchwerde eine geraume Zeit anhalten, 


Er beivegt fich Jeicht nnd wird nicht zu ſchnell müde von förperlicher Anftrengung; 


er ſchlaͤft ruhig und fühlt nach dem Erwachen fich erquickt und neu geflärft. Er 
put den völligen und ungeflorten Gebrauch fe Sinne, denkt leicht und richtig, und 
befißt ein Beiteres und ruhiges Gemuͤth. Die Sefundheit des Menfchen fcheint 
yon den meiften Gefahren bedroht zu fein, da f. Organifation wegen ihrer zarten 
Bufammenfeßung vielen Berlegungen und Störungen ausgefeßt ift; da er vermöge 
f vieten Berührungspuntte mit der Außenwelt auch den nachtheiligen Einwirkungen 
derfelben bloßgeftellt ift; da felbft Durch das geiftige Leben vielfaltige Berührungen 


” mit ( Gleichen entſtehen, und er mit ber nachtheiligen,, ja oft zerflürenden Einwir. 


Geſundheit | 685 


kung der Leidenfehaften und Begierden bedroht wird, da ferner |: Thätigfeit nicht 
bloß £örperlich, fondern auch geiftig iſt, und endlich f. Conſumtion um Vieles ſchnel⸗ 
ler vor ſich gebt als bei den Thieren. Allein in der Natur des Menfchen felbft 
liegen auch mehre Schuß: und Hülfsmittel, welche f. Geſundheit zu flatten Eom- 
men. Seine Eörperliche Drganifation und Structur iſt zugleich zart, weich und 
nachgiebig; die Mannigfaltigkeit derfelben und der. Beräbrumgspunfte mit deriffu: 
ßenwelt bietet auch den heilfamen Einwirkungen mehr Seiten dar, welche den nach⸗ 
theiligen das Sleichgewicht halten. Der Organiemus kann niemals von allen 
Seiten snglei angegriffen werden, fondern da f. Theilgangen oder Organe mid ein: 
ander im Segenfaße und Dadurch im Sleichgewicht ſtehen, fo il Dagjenige, was die 
eine Function berabfeßt, für die andre ein Erregungsmittel, wodurch fogleich. beide 
‚eine Zeit lang im Gleichgewicht gegen einander bleiben, bis, nach dem .im Organis⸗ 
mus berrfchenden Sefeße der Gewoͤhnung, der nachtbeilige Eindruck durch Gewohn⸗ 
heit gefchwächt wird, oder die Einwirfung von Außen nachläßt, und demnach bie 
. Sunctionen beiderfeits auf ihren Normalgrad zurückkehren. So fehen wir z. B. 
bei der fchlimmften und fchnell veränderten Witterung dennoch viele Dienfchen ihre 
GSefundheit behaipten, denn die Einwirkung der Atmofphäre, welche vielleicht die 
Ausdünftung der Haut vermindert, vermehrt die Abfonterung des Urins u. f. w. 
Entlich mache ihn das Geiſtige felbft vieler angenehm erregenden Einwirkungen 
fähig; Vernunft und Verftand lehren ihn feine Xeidenfchaften und Begierden maͤ⸗ 
ßigen, Äußere widrige Eindrüde abwenden oder unfchädlich mashen, und überhaupt 
ſ. Sefundheit fhügen. Wenn deffenungeachtet die Erfahrung lehrt, daß die Ge: 
fundheit der meiften, wenigftens der im Eulturzuftande lebenden Menſchen fo oft 
geftört wird, und fo wenige derfelben das ihnen von der Natur beſtimmte Lebengziel 
erreichen, fo ift dies eine natürliche Folge der Vernachlaͤſſigung oder Vereitelung der 
ermähnten Schußmittel ihrer Sefundheit, oft fogar der noch erhöhten Einwirkung 
jener Beranlaffungen zu Störungen derfelben. Beide Fälle werden durch fulfche 
Eultur, durch Luxus, Sucht nach Vergnägungen, Mangel an Herrfchaft der Der: 
nunft, oft auch durch unvermeidliche Schidfale u, ſ. w. herbeigeführt. Je mehr 
die Menſchen die ihrer Geſundheit drohenden Gefahren einfahen, defto mehr fuchten 
fie neue Schußmittel ausfindig zu machen. Hieraus entfland die Geſund⸗ 
heitsfunde, welche fich jedesmial nach der. herrfchenden Diode in der Medichn 
ggoier bat. Manche glaubten, die Kunft, die Gefundheit zu erhalten, beftehe im 
ebrauch von Lebenseliziren oder von gewiſſen Borfehrungsmitteln, z. B. Aderlaf 
fen, Brechen, Laxiren u. dgl.; Andre wollten Durch Abhärtungen des Körpers, An- 
dre durch Wein und a. Reizmittel, Andre voieder durch a. Mittel diefen Endzweck 
erreichen. Während deffen verfäumte man die in der menfchlichen Natur :felbft 
liegenden Hülfsmittel, die Sefundbeit zu erhalten. Erft in der neuern Zeit find 
mebre gelungene Verſuche, diefe Kunft auf naturgemäßge Grundfüge zurädzufüh- 
ren, gemase worden, unter denen Das Hufeland’fche Werk („Die Kunft, das menfchs 
liche Zeben zu verlängern”) fich vorzüglich durch Nichtigkeit f. Srundfäge, leicht faß- 
lichen anziehenden Vortrag und durch zweckmaͤßiges Hervorheben des wohlthaͤtig⸗ 
fien Einfluffes der Moralität auf die Erhaltung der Sefundheit auszeichnet, Die 
" einzig wahre Art, Die Sefundheit unverfehrt zu erhalten, beſteht in einer vernuͤnf⸗ 
tigen, jenen Eigenthümtlichfeiten der menfchlichen. Natur gemüßen Lebensweiſe, 
und kann auf folgende Punkte zurüdgebracht werden: die Lebensthätigfeit auf dem 
Grade zu erhalten, daß die Birzehrung der organifchen Maffe und der Kräfte nicht 
äbermüßig befördert werde; den Wiedererſatz des Verlorenen zu befördern; die Or⸗ 
‚ganifation in gehörigem Stand zu erhalten, die zum NBiedererfaß gehörigen Stoffe 
von Außen aufzunehmen, zu verarbeiten, fich anzueignen, alle Functionen gehörig 
und zur gehorigen Zeit zu verrichten, den äußern fchüdlichen Einwirkungen zu wider: 
ſtehen. was hierzu forderlich it, gehört zu den Freunden der Geſundheit, 


686 Getreide Geuſen 


ar Ordnung in der Arbeit, Mifigfeit in allen finnfitgen Gendffen, hirtinglicher, 
eine dor Beben und NDac In gefunde Nahrung 
*22* Bebertfchung der Leidenſchaften und eine ruhig heitere Semüths 
fitimung, Übung — gen Kräfte und Abhartung bes Karpers gegen widrige 
Eindrüde der Witterung u. ſ. w. Alles, mas das Gegentheil hiervon bervorbrin: 
gen kann, ſtrebt dahin, in fürgecer ober längerer Zeit, peimlich oder offenbar, fie 
gi fioeen. (©. Distetif.) 

Getreide, diejenigen halmtragenden Grasarten, welche man gen übte 
mchtreichen un® nabrhaften Samentorner anbaut. —— Korn 5 
oder das gleichbedentende in andern Sprachen wird oft derjenigen Getreideart, 
welche die allgemeine Nahrung dafelbft ausmacht, —— * +2. 
in einem großen Theile Deutfchlands dem Roggen, in Frankreich dem Weizen, in 
Zranten dem Spelz oder Dinkel, in Nordamerika dem Mais. * —— 
nen Getreidearten irgendwo auf dem Erdboden wild wachſen, ft gar — B. 
der Hafer und die Gerſte in Deutſchland x., aber ſie haben in ihrem wilden Zu⸗ 
ſtande nicht die Bollfommenheit unſerer angebauten. Sie ſcheinen alle urſprüng⸗ 
lich und in den waͤrmen Klimaten in Aſien, Afrika und Amerika einjährig zu zu 
fein, und es find nur einige durch den Anbau an Durchminterung gewöhnt, weil 
die Sommerzeit bei uns zur Reifung nicht zureichte. Mit den meiften Grüfern 
haben fie die Beſtaudung ımd Beflodung aus ihren untern Wurzelfnoten gemein, 
indem fie daraus neue offen und Halme treiben. Ihre faferigen Wurzeln ver: 
breiten fie größtentheils in der Oberflüche des Bodens und verfchliegen Diefen 
gleich ſam durch das dichte Gewebe derfelben, nbeffen der wenigere Theil auch be: _ 
trächtlich in die Tiefe geht, wenn er Loderheit und Nahrungsſtoff daſelbſt finder, 
Alle Setreidearten haben gleichartige nährinde Beſtandtheile, die aber in ihrer 
‚Menge und gewiffermaßen auch in ihrer Berbindung bei den verſchiedenen Arten 
verſchieden find. Diefe Beſtandtheile beftehen in a) Kleber oder Stuten, welcher 
das Fräftigfte —— für den thieriſchen Körper ausmacht; b) Starke⸗ 
mehl, das zwar: dem Kleber nachfleht, aber doch noch ſehr nührend iſt und die Ber: 
daulichkeit des Klebers zu befördern fcheint; c) eine füße ſchleimige Materie, in ge: 
ringer Menge, aber fie Eommt dem Staͤrkemehl an Nahrungskraft bei und macht 
das Getreide zur wein: und effigartigen Gahrung fähiger; a) die Hülfen, toelche 
aus Waſſerſtoff befichen und etwas verdauliche aromarifche Materie enthalten; e) die 
Beuchtigkeit, weiche auch in dem trodenfien Getreide vorhanden ift, vermehrt zwar 
Das Gewicht der Maſſe, vermindert aber das fpecififche Gewicht, gibt feine ab 
rung, befördert bei Dem aufbewahrten Getreide das Berterben, wenn es nicht moög⸗ 
lichſt troden gehalten wird, und dient bloß nach der Einfaat, die erfte Entwickelung 
des Keime zu reizen. Altes, gut aufbewahrt geroefenes Getreide ift für den Käufer 
und zur Saat beffer als das nette oder frifche, Ob Setreide ats allgemeiner Maß: 
lab des Werthes der Dinge gebraucht werden, ob es dem Gelde zur Baſis dienen 
Eonne, f. Werthmeffer und Papiergeld. x. 

etreidebandel, f Kornhandel. 

Getreidemagazine, Kornmagazine. 

Getreidemangel, ſ. Kornmangel. 

Geuſen. Dieſer Name ee, Philipps 18. Zeiten, unter der Statthal⸗ 
terfchaft des —EE Herzogs v den verbuͤndeten Edelleuten und andern 
Mißvergnũgten in den Niederlanden beigelegt; 1664 nimlich fendete Philipp 9 
Inquiſitoren zur Vollſtreckung der tridentinifchen Decrete in die Niederlande und 
brachte dadurch Katholiken und ‚Droteflanten in die furchtbärfte Beivegiing. Der 
Adel erflärte in dem fogen. Compromiſſe, —— ſich vor die 9 Ansuktsen nicht 
jieben laffen. In einem fertigen Du ufzuge überreichte er 1665 diefe Acte der Ge⸗ 

Nevalſtatihalterin Margareta; Statt auf dieſen kraftvollen Schritt zu achten, 


Geviertſcheln u Gewand 687 


begegnete man den Bittenden mit Berachtung; ımd als die Prinzeffin während der 
Audieng einige Verlegenheit zeigte, flüflerte ihr der Graf von Barlaimont, Präfl: 
dent des Finanzraths, zu: fie dürfe fich vor diefem Haufen Bettler (Ias de gnenx) 
nicht fürchten. Diefes hatten einige der Verbündeten gehört; bei einem am Abend 
deffelben Tages gehaltenen Bundesmahle ward daruͤber gefprochen, man tranf 
auf die Geſundheit der Geuſen und befchloß, tiefen Namen als Bundeszeichen 
‚ anzunehmen. Ebenfo nannte die Verachtung der Spanier jene Ausgeranderten, 
die fich auf das Meer geflüchtet und Kaperfchiffe gegen die Spanier ansgerüftet 
Batten, Waffergeufen. | 
Geviertfchein, ſ. Afpecte | 
Srwährleiftung iſt die den Verkäufer einer Sacheitreffende Verbind⸗ 
lichkeit, den Käufer gegen alte rechtliche Anfprüche zu fchügen und ſchadlos zu hal⸗ 
ten, Gewahradminiſtration ift ein befonderer Bermaltungsvertrag, ver: - 
‚ möge deſſen der Derwalter einegg Amtes oder Kammergutes bie vorher in Anfchlag 
gebrachten jährlichen Einkünfte deſſelben gewiß liefern und das etwa Fehlende aus 
feinen Mitteln ergangen muß, bei höherer Nuhung aber einen geroiffen Antheil das 
von für fich erhält. BE na 
Gew and nennt man in der bildenden Kunſt alle Bekleibung, Draperie, an 
menſchlichen Figuren. Es gehoͤrt zu den ſchwerſten Aufgaben der Kunſt, ein kunſt⸗ 
mäßig ſchoͤnes Gewand anzuordnen. Plaſtik und Malerei haben indeß jede ein ans 
dres Bedurfniß, und fo muß auch die Behandlung der Gewaͤnder in beiden verfchies 
den fein, Inder Plaſtik find die ſogenannten naffen Gewaͤnder, welche fich fo an 
die Formen des Körpers anfchließen, daß fie diefes und die Bewegung des Nackenden 
durckfcheinen laffen, von großem Nutzen. Diefen-find die weiten, faltigen und flies 
genden Gewander entgegengefeßt. Zu den Beiten, da Nie griechiſchen und römifchen 
Künftler von der urfpränglichen Einfalt abgewichen waren, wurden dünne und fal- 
tennreiche Gewaͤnder die beliebseften. Welche Art nun aber eitı Rünftler auch wähle, 
fo muß Alles fo angeordnet werden, wie Natur, Bedeutung und Geſchmack es ers 
fodern. Die Falten türfeh keine ſpitzigen Licht: und Schattenwinkel machen, weit 
:die fcharfen Durchſchnitte das Auge befeidigeni, den fleifehigen Formen das Sanfle 
benebmen und übel zufammenftimmende Theile bilden. Sind ſich die Falten 
alle gleich, fo entſteht Steifheit. An den edelften Statuen und Basreliefs aus 
der fhönen Zeit der Öriechen fieht man beide Arten von Gewand auf mannigfal: 
tige Weife zur höchften Schönheit ausgebildet. Wie die Maler verfuhren, wiſſen 
wir nicht genau. Bei den ältern Malern der neuern Zeit findet man ſchon fit 
Giotto eine gute und richtige Grundlage dazu; aber erft Michel Angelo und Rafael 
‚haben die Gewander zu der Sröße und Schönheit ausgebildet, die der Idealſtyl der 
Malerei erfodert. Befonders haben Biefelben durch Rafael die Grazie erhalten, 
durch welche fie gleithfam an dem Leben der Geſtalt, an der Anmuth ihrer Bewe⸗ 
gungen Antheil nehmen und wodurch fie fähig werden, die verhüllten Schonheiten 
zu erſetzen und durch eigenthümliche Dieige die Luft der Betrachtung zu erhoben: 
Der Wurf des Gewandes muß in der Anlage ſchon durch die Idee des Künſtlers 
beftimmt fein; aber die Wahrheit der Brüche und Faltefi laͤßt fich nur ber Natur 
abfeben, weßhalb der Künftler bei der Ausführing feiner Gewaͤnder haufig fich des 
Gliedermanns bedient, An flürmififen Tagen konn er das Flicgen, Flattern und 
Bauſchen der Servänder beobachtet. Hat der Kühftler den Wurf des Gewandes 
der Wahrheit und Schönheit gemäß angeorbhet, ſo bleibt ihm noch eine beſondere 
Rückſicht auf das Tolorit übrig: Miele Falten bringen ſicher eine üble Wirkung 
bervor; wenn der Kunſtler nicht, die Regel son den Maſſen beobachtend, Inden 
beleuchteten Partien ter Gewaͤnder alle kleinere Falten, init wenig merklichet Ab: 
weichung von dem Mittelton der Localfürbe, heller und dunkler gleichfam hur an: 
deutet, ſodaß die Rihe dadurch hicht unterbrochen werden ann, Durch Mannigs 


688 Gewehr Gewerbſtener, Induſtrieſtener, Arbeitsftener 


faltigßeit der Bertiefungen ‚ Brüche und WWiderfcheine werden die dunfeln Moffen 
belebt, und in folcher Hinſicht gewaͤhren dergleichen bünne, faltenreiche Siewinder 
unläugbore Bortbeile. Manche der verzüglichfien neuern Meifter trapirten, um 
ungeflörte Lichtmaſſen zu erhalten, mit flarten Zeuchen, weil fie fih in Nachahmung 
derfelben mehr an die Wirklichkeit halten konnten, ohne Sefahe, jene Regel zu ver 
legen, allein in den Sxchattenpartien mar «8 dann nicht zu vermeiten, daß Diefelben 
wenig unterbrochene, todte, unerfreuliche Maſſen bildeten, - dd. 

Gewehr, f. Degen, Flinte mb Waffen. 

Gewehrfabrik, eine Anftalt, worin Gewehre aus Eifen auf die Weiſe 
verfertigt werden, daß immer eine Claſſe der Arbeiter der andern in die Haͤnde arbei⸗ 
tet, das Eifen aber durch Hammer, weldye vom Waſſer getrieben werden, geſchmie⸗ 
det wird. In einigen werden nur fehneidende und flopende, in andern nur Feuer: 

ewehre, in wenigen beide Arten zugleich verfertigt. Die befannteften find Dre zu 
uhi in der Graffchaft Henneberg, zu Sohlingenin der Graffchaft Mark, zu Ma⸗ 
flricht, zu Luͤttich u. ſ. f. Außerdem bat faft jeder Kanbeshern der ein beträchtliches 
Heer unterhält, feine eigne Sewehrfabrif, 3.5. der König von Preußen bei Span: 
dau, wo nicht allein Klingen, Bajonnette und Ladeſtocke, fondern auch Küraffe und 
Feuergewehre verfertigt werden. Bei Berfertigung der Klingen und Bajonnette ar: 
beiten die Klingenfchmiede den Härtern, welche die gefchmiedeten Klingen bärten, 
‚und diefe den Schleifern in die Hände, welche fie auf der großen, vom Waſſer ge: 
‚triebenen Schleifmuͤhle fehleifen und poliren. Zu den Feuergewehren und Küraf: 
fen wird dag Eifen auf einem eignen Hammerwerk unter dem Prellfammer zu Plot 
ten. gefchlagen, die Platten verwandelt der Rohrſchmied in Röhre, wilde fodann 
auf der Bohrmühle ausgebohrt und auf der Schleifmühle polirt werden. Die Rohre 
zu Sommisgewehren erhält nun der Rohrfeiler, der fie mit der Schlichtfeile poliet, 
die Schwanzſchraube verfertigt, Haften und Richtkorn auffegt. “Der Schloßmacher 
bearbeitet Die Theile des Schloffes bis zum Härten und Poliren, der Meffing: und 
Beugfeiler verfertigt den Befchlag, der Schäfter den Schaft, der Stecher gravirt 
den Namen des Landesherrn auf den Lauf, und der Equipeur fegt alle diefe Theile 
-zufammen, Die Kürafje werden unter dem Prellhammer fchon aus dem | 
‚gearbeitet, hierauf dem Küragfchmied übergeben, der fie weiter ausbildet, worauf 
Schleifer und Polirer die legte Hand daran legen, 
Semwerbefreibeit, f Zunftwefen " 
Gewerbfteuer, Induſtrieſteuer, Arbeitsfteuer, ift de 
Abgabe, welche vom Arbeitslohne. entrichtet wird; unter Arbeitslohn aber ift nicht 
‚blog das Einkommen zu verftehen, was die Betreibung der eigentlichen Gewerbe ver: 
ſchafft, fondern auch Dasjenige, was auf irgend eine andre —* durch Anwendung 
geiſtiger oder körperlicher Kraft erworben wird, alſo auch die Beſoldung der Staats⸗ 
beamten, der Verdienſt der Arzte, Sachwalter ıc. Nur derjenige Theil des Arbeits⸗ 
lohns, welcher den zum nothwendigen Bedarf des Arbeiters erfoderlichen Betrag 
überfteigt, follte einer Beſtenerung unterworfen werden; dieſer Bedarf aber iſt bei 
den einzelnen Arbeiternnach ihrem Stand und Berbältniffen höchft verfchieden, denn 
was für den einen Arbeiter Luxus fein würde, ift für den andern nothwendiges Bes 
dürfnig. Auch rührt das größere Einfommen, das mit manchen Gewerben ver: 
bunden ift, nicht fo fehr von dem höhern Arbeitsiohne, als vielmehr von dem Ges 
winnfte ber, roelchen die im Gewerbe angelegten Capitale verfchaffen. Die Gewerb⸗ 
fleuer muß daher, foll fie nicht dem Gewerbfleiße nachtheilig werden, fo angelegt 
fein, daß fie 1) das nothdürftigfte Ausfommen gar nicht antaftet; 2) von Denen, 
Die nicht viel über dies norhiwendige Ausfummen verdienen, nur einen fehr Eldinen 
Antheil nimmt; 3) in kleinen Theilen und gerade zu der Zeit, soafn der Arbeitereinen 
Überſchuß über f. Bedarf bat, erhoben wırd; 4) nach dem Maßſtabe der Gleichheit 
und zwar fo vertheilt ift, daß fie eher nach einem zu niedrigen als nach einem zu 


Gewicht Gewiſſen 689 


hohen Fuß des wahrſcheinlichen Verdienſtes berechnet wird; 5) nicht die beſondern 
Anſtrengungen des Fleißes, ſondern nur den ganz gewöhnlichen Verdienſt beſteuert. 
Syn den wenigſten Laͤndern finden wir Beifpiele von reinen Gewerbſteuern; gewoͤhm 
lich treffen die unter dieſer Benennung vorfommenden Abgaben neben dem Arbeitse 
lohne zugleid die Sapitalrente, Hin und wieder auch die Örundrente; eine folche ges 
miſchte Steuer ift die Patentfteuer. KM, 

Gewicht, ſ. Maß und Gewicht. 

Gewiß und Gewi 6 eit find von Wiffen benannt, indem damit der 
dem Wiffen eigenthümliche Grad der überzeugung angedeutet werben foll. Wer 
nämlich Etwas zu miffen behauptet, legt fich Dadurch eine Erfenntniß bei, an deren 
Wahrheit weder er felbft zweifelt, noch Andre zweifeln follen. Daher werden auch 
die Ausdrüce wahr und gewiß, Wahrheit und Gewißheit, oft mit einander verbune 
den. Im Fall man aber einer Erkenntniß diefen Anfpruch auf allgemeine Gültige 
keit nicht zutraut, ohne fie doch fehlechthin als falſch und ungültig zu verwerfen, eve 
Elärt man fie bloß für wahrfcheinlich, mithin auch für ungewiß. Denn da die bloße 
Wahrfcheinlichkeit das Bewußtſein der Möglichkeit des Segentheils nicht ausfchließt, 
fo iff für Den, der Etwas nur für wahrfcheinlich Hält, immer ungemiß, ob die Sache 
ſich fo verhalte, wie er fich diefelbe vorftelle. Daher behaupten Diejenigen, welche 

die Gewißheit der menfchlichen Erfenntnig überhaupt bezweifeln (die Skeptiker), daß 
iman feinen Beifall zurüdhalten müffe, mithin entweder gar nicht urtheilen, oder 
hoͤchſtens feine Urtbeile nur für mwahrfcheinliche Meinungen ausgeben dürfe. Denn 
das Meinen unterfcheidet fich eben Dadurch vom Wiſſen, daß jenes fich iur für wahr⸗ 
feheinlich, „mithin auch für ungewiß, diefes hingegen für wahr, mithin auch für ges 
wiß ausgibt. Was nun die Frage anlangt, ob die menfchliche Erfenntnig übers 
haupt der Gewißheit fähig fei oder nicht, fo ift fo viel einleuchtend, daß der gefunde 
Menſchenverſtand und das unverdorbene fittliche Gefühl gewiſſe Erfenntniffe als uns 
bezweifelbare, mithin völlig geroiffe Wahrheit anerfermt, So wird fein Vernuͤnf⸗ 
tiger daran zweifeln, daß zwei Mal zivet vier ift, daß die Sonne die Erde erleuchtet, 
dag Morden, Rauben, Lügen u. f. vo. unerlaubte Handlungen find, und da der 
Menfch eine höhere Beftimmung hat, als bloß hier auf der Erde gleich Pflanzen und 
Thieren fich zu ernähren und fortzupflangen. Wir bemerken noch den Unterfchled 
zwifchen der unmittelbaren und mittelbaren Gewißheit. Diefe entfteht Durch Ber 
toeife, in welchen ein Sag die Gültigkeit des andern vermittelt. Jene hingegen ruht 
auf und in fich felbft, und ift daher auch die Srundlage der mittelbaren Gewißheit. 
enn wenn es garnichts unmittelbar Gewiſſes gäbe, fo würden alle Beweiſe ins 
Unendliche förtlaufen oder keinen Anfangspunft haben, mithin gleichfam haltungs⸗ 
los in der Luft fehweben. (S. Erkenntnif.) | D. 

. Bemwiffen iſt das Vermögen des Menſchen, über das Berbältnig f. Hands 
lungen und f. fittlichen Zuftandes zu dem Sittengefege (welches der religiöfe Menfch 
als Gottes Geſetz betrachtet) zu urtbeilen. Vor dem Handeln Aubert es fich durch. 
Warnung und Ermunterung, nach dem Handeln durch Beifall und Tadel, und: 
hierauf gründet fich die Unterfheidung zreifchen dem vorhergeheriden und demnach 
folgenden Gewiſſen. Auch unterfeheidet man ein fihlafendes, ertwachendes und er: 
wecktes Seroiffen, je nachdem die Beurtheilung der’ Handlungen. nach ihrem Der: 
bältniffe zu dem Geſetz, entweder ganz unterlaffen wird, oder anfüngt, oder ſtets 
und ununterbrochen fortdauert. Dem,.der feine Handlungen mit möglichfter Sorg⸗ 
falt nach ihrem Verhältniffe zu dem Defe beurtheilt und daher flreng gegen fich 
felbft ift, wird ein enges Gewiſſen oder Sewiffenhaftigkeit, Dem bingegen, der eg 
mit diefer Beurtbeilung nicht genau nimmt, und Manches, was das Geſetz verbies 
tet, ſich Teichtfinnig erlaubt, wird ein weites Gewiſſen zugefthrieben. Oft braucht 
man das Wort Sewiffen auch von dem den Menfchen begleitenden Bewußtſein er: 
füllter over verletzter Pflicht; in diefem Sinne redet man von a. guten und einem 


. 
[8 


Sonverfatidird: Leyicon. Bd. IV. | 


69 Gewiſſensfall Gewohnheitsrecht 


böfen Gewiſſen. Das gute Gewiſſen wirft Seelenwehl, Frendigkeit des Hergens, 
end im Uinglüd —— — das bẽſe wirft Unruhe und Bormärfe (welche 
Oewiffensbiffe genannt werten, wenn fie mit peinlichen Schmerzen verfnupft 
find), und wird zu der Zeit tes Unglücks oft der Grund der Berzagthrit und ter 
i Dos Gemwiffen und tie Bi deſſeiben find ber ficherfie De 
weis von der fittlichen Beflimmung tes Vgl. D. Staudlins ——— 
te der Lehre von dem Sewiffen” (Halle 1824). 
Gewmiffensfa1tı ein older Ba, übe weten has Ornifen nihe mi 


Pi . 
all Eollifiensfall genannt. (Bel. Eafuiftif.) 

Ge miffenefrei hei beflet ie han ung ren Ziefühe des Rrchtg, fe 

nem Gewiſſen 6 zureten un? zı handeln. Da das Gewiſſen fetert, daß man 
feine religwfen berzeugungen nicht verläugne, und doch ten Minfchen oft angeſon⸗ 
nen werden iſt. einen Glauben, ten fie nicht zu dem ihrigen machen fonnten, yı be: 
Ernnen, und Religiensgebräuche, welche fie mißbilligten, aeszüben, fo mirb 

das Wort namentlich von dem ungefiorten Beſite des Rechts, 
kinen Glauben sı Befrunen unb auszuüben, gebrangt. Gewiſſensfreiheit in 
dieſem engern Sinne heißt auch Glaubensfreiheit. Des Gegeniheil der Gemmif 
fensfreibeit iſt der A weldyer denmach, im weitern Sinne, 
in der Beſchraͤnkun dee Hohes, feinem Gemiffen gemäß pı reden und zu han- 
Yanibung d im a in ber Defpränfung bes Befennmnifie mu ber 


werden die Dünſte in den Wolken in blafenformiger Geftalt erhalten; indem fich 
nun durch den Blitz die Wolke ihrer Eleftricität entladet, zerplatzen die Dunſtblaͤs⸗ 
chen und fallen in Regen berab. cher es aber fomme, daß überall im Norden die 
Gewitter gemübnlich nur im Sommer flattfinden und mühren? des Winters eine 
Seltenheit find, da es Loch in diefer "Jahreszeit ebenfo flarfe eleftrifche Wolfen gibt, 
Davon iſt die wahrſcheinliche Urfache, dag Kälte beffer ifolirt als Wirme, und daß 
alſo in £alter Luft nicht leicht ein Blitz aachen kann. Aus gleichem Grunde ereig- 
nenfich vielleicht Die —— haufiger Nachmittags, Abends und Nachts als Mer: 
—5 da um letztere Tageszeit die Luft am wenigſten erwaͤrmt zu fein pflegt. Auch 
Imend fellen fich nie Gewitter ereiguen. (Bol. Blis und Donner.) ©. 
driß der Xrmofphärsisgie” (Sreiberg 1806); Maner’s „Lehr: 
buch —— pöof. Aſtron, Theorie der Erde und Meteorologie” (Göttingen 1806); 
Sorfter’s „Unterfuchungen über die Wolfen”, a. d. Engl. (Leipzig 1819). 
Gewohnheitsrecht. Das bei einem Dolfe geltende Recht kann 
überhaupt entweder gefihriebenes oter Gewohn deiterecht fein. Das erfice be: 
rubt, feiner Form und kinem Inhalte nach, auf einer ausdrüdlichen Erkla⸗ 
rung des Geſetzgebers. “Das letztere gehört zu dem jus non scriptum umd 
gründet ih) Darauf, bafı bisher gemäfe Regeln nach Citte und Gewohnheit in 
a find, und ter ——— 
gemeinen oder in Dejiehung einen gewiffen Gegen erfüürt bat, 
Me bier beobachteten Grundſahe als Geſehe gelten ſollen. O. 


Gewürze Gewuͤrzinſeln 894 


Gewürze, Erzeugniſſe bes Pflanzenreichs, die in Ihrer Miſchung vorjzuͤg⸗ 
Lich Atherifches DI enthalten, wodurch fie fähig werben, die Verdauung zu unter: 
ffüßen. Noch mannigfaltiger ift ihr Nußen als Heilmittel. Die Blüthen und 
Samen mehrer Pflanzen, vorzüglich in den heißen Ländern, find am gewürz 
reichſten, daher wir Zimmtblüthen und Zimmtrinden, Gewuͤrznelken, Mutter: 
nelken, Cardamomen und Pfeffer aus Oſtindien erhalten; doch find auch unfere 
Länder an gemürzreichen Pflanzen nicht gang arm: Coriander, Anis, Fenchel, 
Kümmel u, f. w. gewähren angenehme, den Magen fanft reizende Zufüße zu man 
niofaltigen Speifen. Das Salz, ein mineralifches Erzeugniß, ift wohl eine Würze, 
aber nicht Gewuͤrz zu nennen, da es weder dem Charakter noch dem Zwecke der 
Gemürze entfpricht. Ä 
Gewürzinſeln oder Molucken beißen, im meitern Sinne, alle In⸗ 
feln tn dem großen Archipelagus, der fich vom Morgen nach Abend zreifchen Mens 
guinea und Seleber, von Mitternacht nach Mittag zwifchen Silolo und Timor ause 
dehnt. Sie find, wie es feheint, durch Erdbeben und Feuerausbrüche von Neu: 
uinea getrennt worden; man findet Bulfane auf 8 derfelben, z. B. einen fehr ver: 
Beerenden auf Ternate. Verborgene Klippen, Sandbänfe und Untiefen machen 
die Schifffahrt in diefem Inſelmeere geführlih. Die Hige ift im Sommer fehr 
groß, in den Negenmonaten die Luft fehr ungefund. Ureinsoohner find die Adler: 
an treibenden Haraforas oder Alforen. Die malayifche Sprache ift die herrſchende 
auf den moludifchen Inſeln; es gibt aber auch viele Bewohner von chinefifcher, ja: 
vpaniſcher und arabifcher Abkumft. Als die Portugiefen 1511 unter Antonio de 
Abreu und Franz Serrao die Molucken entdedten, waren die Araber hier ſchon an: 
gefiedelt, und durch fie war die mohammebanifche Neligion, die aber fehr mit Hei⸗ 
denthum vermifcht blieb, Herrfchend geworden. Die Einw. wurden von den Por: 
tugiefen, die auf diefen, von dem Sitze der obern Verwaltungsbehörde (Goa) ent: ' 
fernten, Inſeln die empörendften Grauel verübten, hart bedrüdt, und ebenfo hart‘ 
behandelt von den Holländern, die den Ertrag des Bodens für ſich benugten und feit 
mehr als 150 J. darauf bedacht waren, den freien Anbau deffelben zu hindern, je: 
dem Derfuche, Manufacturen anzulegen, ſowie jeder Art von Verbefferung, bie 
dem Volke die Gegenſtaͤnde, woran es Mangel litt, hätte verſchaffen Eonnen, fich 
zu vwiderfeßen. Den Portugiefen blieb faft ganz der Alleinbandel mit Gewſirzen bis 
zu Anfang des 17. Jahrh., mo die Holländer diefe Befigungen ihnen entriffen. Die 
neuen Herren befaßen fie bi81796, und feitdem wurden fie 2 Mal eine Eroberung 
der Briten. Im parifer Frieden find fie abermals zurüdgefollen. Die größ- 
ten Inſeln diefes Archipelagus find: Ceram (190 IM.), Gilolo (22 M.), Am: 
boina, Timor und Banta. Sm engern Sinne führen den Namen Molucken nur 
die 5 Inſeln Ternate, Tidor, Motir, Maſchian und Bafchian, die eigentliche 
Heimath der Serwürzbäume. Die beiden erfien find die größten; auf denfelben 
wauͤchſt die befte Art von Muskatnußbaͤumen und Gewuͤrznelken. Als die Hollans 
der ungefähr 26 J. im Befiße der Molucken und des ausfchliegenden Handels mit 
Gewürzen geweſen waren, fanden fie es vortheilhafter, die Semürzbäume auf die 
füdlichen Inſelgruppen Amboina und Banda zu verpflangen. 1638 wart mit bem 
Könige von Ternate, der Ihnen unterroorfen war, und den übrigen Fleinen Inſelbe⸗ 
berrfchern ein Bertrag gefchloffen, worin beftimmt wurde, daß alle Gewuͤrzbaͤume aufg 
den ihnen jugehörigen Inſeln ausgerottet und nie wieder gepflanzt werden follten. 
Dem Könige und dem Adel zu Ternate und den übrigen Sürften ward ein Jahrgeld 
bezahlt, welches gegen 18,000 Thir. betrug. Um die Befolgung diefes Vertrags 
u fichern, Iegten die Holländer 8 ftarfe Feſtungen: Oranien, Holland und Wil: 
—RBR auf Ternate, und etwa 9 andre auf den übrigen Eilanden an. Jaͤhrlich 
wurden auf diefen Inſeln, fo weit die Wälder und wilden Thiere Durchzudringen er⸗ 
faubten, die wieder aufgefchoffenen Gewuͤrzbaͤume vertilgt, und um darüber zu wa⸗ 
\ 44% 


⸗ 


a 


Sewirinfet 


Ga mat den Schleichhecdel mit Ocmüryn ya verbäten, bereilie jihrl Der Gere 
vernet von Amıbems mut einem Seichwater von 9 — 50 Ech j un Seusen 
nement. Aber ungeadytet terfer Berikhtssuchrterin mwechten ter Ormerfumme, 

eigeuthimliche Erzeusmiß terfer Eiante, übersll, meh te Semelt ver Seins 
ber nıcht trıngen Fonute, umb tu En ziinter trieben cmara beiräikeiuchen E-chleuhe 


J 
* 
— 


5 Forts; auf der füllichen fleinen, Leitimer genannt, liegt das Fert Bxterm, wei 
Zasıbenge , weiche tie Dalbinfel verbindet, Liegt dee Fefluny Müdelturg Te In⸗ 
— wit fruchtbaren Thälern, bat aber unzefunte Luft. Ter Gewärz 

wird Heer und auf einigen benachbarten “jufein im 400 Gorten ge: 
zogen, von welchen jeder 125 Dixıme enthält. Die ofimtife Frumtelegefeil: 
ſchaft Hatte umflintliche Vorſchriften über ten Anton unt die Zartıny der Se 
würzelfenbiume gegeben, sosen bei harter Strafe nicht abgemuhen werden 
Purfte. In neuern Seiten bat man auch den Muscatennugbaum bir angepflangt, 
er gut gedeiht. Noch liefern Amboina und tie Nachbarinfeln Eaffee, Zuder, 
Reis, Kot , Manteln, Taback und ſchöne Holzarten. Unter ten übrigen 
zu Liefer Gruppe gehörigen Inſeln find Hanimoa, mit dem Fort, und Laut 
fehr nelfenreih; Ceram liefert ſchenes Ebenholz. Bon ben Bantainfeln, 
den füblichfien en (mehr als 40 Eilande), find nur 6 bewohnt. Sie ba: 
ben einen fandigen, zum Theil felfigen und unfruchtbaren Boden. Ihr 


iß if der Muskatbaum. Auch liefern fie Sandelholz, Mandeln und Kokos⸗ 
nüffe; aber fie haben weter Setreidebau noch Viehzucht. Unter ten 5760 Einw. 
find 1700 Sklaven in 67 Pflanzungen. Ter bollintifche Befeblehaber wohnte 
auf der Inſel Banda oder Poula- (nfel) Neira, die eine gute Rhede hat und Durch 
die beiten Forts Naffau und Belgica getedit wird. Die nur durch eine ſchmale 
Straße von jener getrennte Infel Landoir:Banda iſt die größte der ganjen Gruppe 
und t die meiften Dusfarnüffe, in 34 Gärten. Die übrigen Inſeln find klei 
ner. Huf Doula-Xi, wo gar fein Trinkwaſſer iſt, machfen die befien Muskat⸗ 
näffe. Soenong:Api (im Malayiſchen Feuerberg, 1940 Zuß über ter Meeres: 
fürn bat einen furchtbaren Vulkan, deffen biufige Ausbrũche die benachbarten In⸗ 


:: 


In mit Afche bedecken. Die unfruchtbare Infel Rofingin oder Rofagain ift der 
ufenthaltsort von Deiffethätern, welche Holz hauen und Kalk und Ziegel brennen 
müffen. Die Eaftelle auf den Bandainfeln waren gut befeftigt, und um die An⸗ 
näberung feindlicher Schiffe zu verhüten, lag rings um die Küfte ein Geſchwader 
Bleiner Schiffe, das jedes fremde Fahrzeug unterfuchte. Das Loos der Befakung 
war bei dem Mangel an Lebensmitteln fehr elend. Die Eingeberenen waren, nad) 
der Schilderung der Holländer, fo graufame, treulofe Menfchen, daß die oftindifche 
Geſellſchaft um ihrer Sicherheit willen fich genöthigt fah, fie auszurotten und eine 
Eolonie nach Banda zu fenden. Die Eoloniften aber beftanden aus den fchändlich 
fien Menſchen, die fonft nirgends fortfomimen Eonnten und froh waren, hier zu 
leben, Die Holländer in Batavia nannten daher Landoir⸗Banda gewöhnlich die 
Zuchthausinſel. Die Gärten, worin die Muskatnußbaͤume gezogen werden, beis 
Ben Perken, und die Eigentümer derfelben Perkeniers. De mußten dag geärntete 
gegen einen geringen Preis an die bollindifch-oftindifche Geſellſchaft abge⸗ 


v 


2 


N Gewuͤrznelken Geyerr 693 
ben, welche tönen dafür ihr Sebeneberrfniß. den Reis, theuer verkaufte Die 
befte Sorte von Musfatnüffen wird nach Europa.gefandt, eine fchlechtere, oder die 
Mittelforte, in Indien verkauft, und aus der geringften das koͤſtliche Muskatdl ge⸗ 
preßt. Man rechnet, dag von 500.000 Nelkenbaͤumen auf den Molucken jährlich 
im Durchfchnitt 600,000 Pf. Nelken gewonnen wurden; davon famen 350,000 
Pf. nach Europa, 150,000 Pf. wurden in Indien verkauft, und der ÜÜberreft ward 
für Mißjahre aufbewahrt. An Muskatnüffen werden jährlich an 700,000 Pf. 
‚und 200,000 Pf. Blüthe geärntet, voovon nach Europa 230,000 Pf. Nüffe und 

100,000 Pf. Blüthe kamen. Das Ubrige ward für den Nothfall aufbewahrt, 
oder auch; wenn reichliche Arnten die Vorräte zu fehr häuften, vernichtet. "Seit 
mehren Jahren aber wurde, ſowol wegen der Nachläffigkeit, womit man das Eins 
fammeln betrieb, als wegen der Berwüflungen, die ein heftiger Orkan 1778 ans 
richtete, weniger gewonnen, und 1796 wurden auf den Bandainfeln nur 163,236 
- DPF. Nüffe und 47,770 Pf. Muskatbluͤthe geärntet. | R. 

ewürznelken, oder Semürznäglein, find die noch ungedffneten Bluͤ⸗ 
then oder Blüthenfnospen eines Baums, der aufeinem 4—6 Fuß hohen Stamm 
eine fehöne pyramidalifche Krone treibt. Die Blätter fliehen einander gegenüber, 
find langgeftielt, eiformig und den Zorberblättern ähnlich, Im Maimonat fproffen 
Die röthlichen Blüthen büfcheltweife an den Enden der Zweige hervor, Ihre Blumen: 
£rone hat 4 Blätter, der Kelch ift 4 Mal getheilt und offen; die vielen Staubgefüße 
find in 4 Haufen gefondert; bie Frucht ift eine Beere, unten zweifächerig und eins 
bie zweiſamig. Zur Zeit der Reife hat fie die Geſtalt und Größe der Olive, nach 
Thüunberg aber wird fie fo groß wie ein Hühnerei, von Farbe ſchwarzroth, und bes 
ſteht aus einer dünnen Bedeckung, welche einen der Länge nach zweitheiligen Kern 
einſchließt. Die Früchte dienen zur Fortpflanzung des Baums, haben einen ſchwa⸗ 
chen, den Gewuͤrzneiken ähnlichen Geruch und einen gleichen, aber lieblichern Ges. 
ſchmack, der etwas zuſammenziehend ift, Man nennt fie Deutternelfen. Die uns 
‚aufgebrochenen werden darum in diefem Zuftande abgenommen, weil fie, wie dies 
auch mit andern Blüchen der Fall ift, dann die meifte Kraft haben, Wenn fie ges 
pflücdt find, trocknet man fie im Rauche, wodurch fie braunroth werden, und bringt 
fie dann an die Sonne, Friſch ift ihr Geſchmack unleidlich, brennend. Sie enthals 
ten } bis } ihres Gewichts waſſerhelles ätherifches DI, welches im Waſſer groͤßten⸗ 
eheife Anterfinft und einen heftigen Geruch und brennenden Geſchmack bat. Der 
emürjnelfenbaum wird in feuchtem Boden auf Amboina, Oma, Honimoa und 
Nuſſalauta gezogen, wo er urfprängfich einheimifch ift. Er foll aber auch auf Ters 
nate, Marigeron, Tidor und Neuguinea wild zu finden fein. Die Holländer rots 
teten die wildwachfenden Gewuͤrznelkenbaͤume aus und pflanjten fie nur aufden 
oben genannten Inſeln an. (S. Gewürzinſeln) Sie wollten ſich dadurch den 
Ateinhanbel diefes Gewuͤrzes verfchaffen; allein die Frarizofen wußten einige Bau⸗ 
me oder. Samen zu erlangen und legten davon Pflanzungen.auf Isle⸗de:France, 
Bourbon und Cayenne an. ' | “ 
Geyer (Erit Guſtav), D., Prof. der Gefchichte zu Upfala und k. ſchwede 
Ordens:Hiſtoriograph, feit 1824 Mifglied der fchroedifchen Akademie zu Stodholm, 
Diefer als Dichter, Redner, Geſchichtſchreiber, philofophifcher Denker und Lehrer, 
ſelbſt als Tonfeger ausgezeichnete Mann ift 1783 in der Provinz Wärmeland geb, 
umd der Sohn eines Eiſenwerkbeſitzers, Er erhielt f. erfte Bildung duf dem Gym⸗ 
naftum zu Karlſtadt und ſtudirte feit 1799 auf der Univerfität zu Upfala, roo ihm. 
Die ſchwediſche Akademie den dappelt großen Preis für f. Lobrede auf den Reichsver⸗ 
weſer Sten Sture zuerfannte, 1806 machte er eine Zjührige Reife nach England, 
Nach f. Rüdkehr zum Lehrer der allgem. Weltgeſchichte in Upfalg ernannt, ſah er 
in Folge der Ereigniffe von 1809, und der dadurch vermehrten Drudfreiheit, ein, 
größeres Feld für die wiffenfchaftliche Bildung der Nation geöffnet, welches et für. 


694 Gherardesca Familie) 


fort mit Kraft und Erfolg als Lehrer und Schriftſteller betrat. Zugleich gruͤndete 
er ſ. Ruhm als Dichter durch ſ. „Iduna“, eine den Verehrern nordiſcher Vorzeit 
gewidmete Zeitfehrift. Sein Talent als Sefchichtfchreiber beweifen mehre hiſtori⸗ 
ſche Auffüße von ihm, ſowol in jener Zeitfehrift als in der vielgelefenen „Sroea”. 
Seine Borlefungen als Prof, der Sefchichte in Upfala (feit 1815) finden, ihrer Les 
bendigfeit, Klarheit und geifligen Erweckung wegen, den größten Beifall; daher 
auch im Herbfte 1819 der Kronprinz G.'s Borlefungen über die fchroedifche Ge⸗ 
ſchichte mit anhaltender Theilnahme befuchte, — Als tiefer und heller Denker, dem 
die Wahrheit über Alles gebt, hat ſich ©. in mehren Abhandl. philoſoph. und relis 
iöfen Inhalts bewährt, u. A, in f. Schrift über falfche und wahre Aufklärung in 
eziehung auf Religion; in fe Abhandl. über die Phantafie und ihren Einfluß auf 
Erziehung; in ſ. am Reformationgfefte 1817 der Univerfität zu Upfala gehaltenen 
Rede, und inf, Charakteriftit Thorild's. Diefe Schrift 309 ihm, angefchuldigter 
Ketzerei wegen, eine fiskalifche Behandlung zu, an welcher alle Sebildete den leb⸗ 
bafteften Antheil nahmen, und bei welcher Gelegenheit fich die Liebe und Verehrung 
ber Studirenden für den Verf. laut äußerte; indem ihn aber die ernannten Geſchwor⸗ 
nen einftimmig fir ſchuldlos erklärten, felerte die Sache der Denffreiheit in Schwe⸗ 
den einen wichtigen Sieg. 1825 erfchlen der 4. Bd, f. ſchwed. Neichsgefchichte 
(‚Svea Rikes Häfder‘),.der in claff. Schreibart eine gründliche Wuͤrdigung aller 
Duellen zur Renntniß der alten Bewohner Schwedens enthält (ins Deutfche überſ. 
41827). Der König hat dem Verf. eine jährliche Zulage yon 600 Thlrn. zur Forts 
ſebung dieſes Werks ertheilt. | 
hberardesca, die Familie, fpielte bedeutende Rollen in der Geſchichte 
der itaftenifchen Freiſtaaten des Mittelalters, Sie ftammte aus dem Toscanifchen, 
wo ihr die Sraffchaften Sherardesca, Donavatico und Montescudaio (in den Diaz 
remmen zwifchen Piſa und Piombino) gehörten. Gegen Anfang des 13. Jahrh. 
ſchloſſen fich die Grafen Gherardesca an die mächtige und reiche Republik Piſa an, 
wo fie auf Seiten des Volkes ſtanden, welches gegen die um fich greifende Ari: 
flofratie Fämpfte, Bet demigroßen Streitg zwiſchen den Gibellinen und Guel⸗ 
‚ fen hielten fie es mit der Partei der fchwäbifchen Kaifer und flritten ebenſo 
tapfer als treu. unter dem — freilich in Italien nichts weniger als volksthüm: 
chen — Paniere der Gibellinen. Zwei aus diefer Familie, die Grafen Gerard 
und Salvano Donavatica, begleiteten Konradin von Hohenſtaufen auf f Zuge 
“nach Neapel und farben mit ihm auf dem: Blutgerüfte. Wegen diefer Anbängs 
lichkeit voaren die Gherardesca fhon um 1237 mit den Viscontis, welche der 
Partei der Guelfen angehörten, in Seindfeligfeiten gerathen. Ganz Piſa theilte 
fich dieferhalb in 2 Parteien, Endlich beſchloß das Haupt diefer herrſchſuͤchti⸗ 
gen Familie, Ugolino Gherardesca, der Unterdrüder ſ. Vaterſtadt (Pifa) zu 
werden. Als erfte Magiftratsperfon in der Republik und als Haupt der Gi⸗ 
bellinen in der Stadt glaubte er nur wenig Schwierigkeiten überwinden zu dürfen, 
Ganz der Politik f. Haufes und f. Zeit entgegen, beging er jedoch den Fehler, die 
Dartet der Sibellinen gerwiffermaffen zu verlaffen und ſich den Guelfen fo weit 
zu naͤhern, daß er ſ. Schwerter an Joh. Visconti, — Gallura und 
Haupt der Guelfen in Piſa, zur Gattin gab. Dies machte ihn Allen verdächtig, 
und in der That hatten die Piſaner aller Farben nicht Unrecht, ein Bundniß mit 
Derdruß zu betrachten, roelches die geheime Ubereinfunft zwiſchen Bisconti und 
Ugolino zum Grunde batte, die Freiheit der Stadt zu flürgen, Nach Ugolino’s 
Plan follte Visconti ihm nicht allein die Hülfe der Guelfen in Toscana fichern, 


- * föndern auch unbemerkt die Soldtruppen zuführen, die er in Sarbinien zu f. herrſch⸗ 


füchtigen Zwecken gefammelt hatte. Der ‘Plan fiheiterte jedoch an der Wachſamkeit 
der Pifäner. Visconti ward am 24. Juni 1274 verbannt, und Uaolino verhaftet, 
Wuthend beste nun der Erftere die Guelfen gegen Pifa auf, fein früher Tod zu 


/ 


* 


Gherardesca (Ugolino) | 695 


San⸗Miniato befreite indeß die Republik von diefein gefährlichen Gegner, roogegen 
aber Ugolino, der bald darauf gleichfalls verbannt ward, fich mit den Florentinern 
und Lucchefern verband und durch Hülfe diefer beiden, an deren Spige er mehre Siege 
ber die Piſaner erfocht, f. Landsleute 1276 nötbigte, ihn zuruͤckzurufen. &o wieder 
f. erften Plane ſich naͤhernd, trachtete er dahin, fich fowol die Sreundfchaft der Gi: 
bellinen in der Stadt als der Guelfen auswärts zu ſichern, und f. Klugheit wie feinem 
Reichthume gelang dies nur zu gut. Die fonft fo.wachfamen Republikaner ließen 
fich einſchlafern, und als 1282 der für Pifa fo unglüdliche Krieg mit Genua aus: 
brach, glaubte Ugolino, es ſei nun an der Zeit, Die Kraft des Volkes zu brechen. Am 
Tage von Maloria (d. 6. Aug. 1284), denkwuͤrdig durch die Niederlage der pifanis 
ſchen Flotte, die ſeitdem fich nie wieder hob, und wo 11,000 Pifaner in die Gefan⸗ 
genfchaft der Senuefer fielen, verrieth Ugolino zuerft fein Vaterland und gab durch 
abfichtliche Flucht das Zeichen zum Verluſt der Schlacht; denn ſowie er mit ſ. Schiffe 
fich wendete, hielten die Andern Alles für verloren und ftürzten in wilder Berroirrung 
ibm nach. Die alten Feinde Pifag, die Florentiner, Luecheſer, Sienefer, die Städte 
Piſtoja, Prato, Volterra, San⸗Geminiano und Colla — alle Anhänger der Guelfen 
— ftanden auf die Nachricht von diefem Unfalle auf, um mit einem entfcheidenden 
Schlage das alte Pifa, Die Hauptftüge der Gibellinen in Italien, für immer zuvers . 
nichten. Der Staat, am Rande des Abgrunds, fah ſich nun gendthigt, fich Dem in 

die Arme zu werfen, deffen Treufofigkeit ihn in diefe Lage verfeßt hatte. Ugolino, laͤngſt 

im Geheim verbunden. mit den Haͤuptern der Suelfen, übernahm die Unterhandluns . 
gen mit den Feinden der Stadt, und diefe waren fo erfolgreich für ihn, daß er fich 


‚ endlich faft ganz am Ziele feiner Wünfche fah. Die Häupter der Gibellinen wurden 


verbannt, die Florentiner befeßten mehre Schlöffer, und Ugolino herrfchte, unter dem 
Schuß der alten Feinde Pifas, über das entmürdigte Daterland, das er dadurch noch 
mehr fchrächte, daß er den Lucchefern den IBeg bis vor die Thore der Stadt durch 
libergabe mehrer Eaſtelle bahnte, und mit Genua nicht Frieden ſchloß, um die dort 
gefangen gehaltenen Streiter nicht zurüdehren zu laffen, Während, er anf diefe Art 
das Vaterland unterdrüdte und feinem Haffe gegen f. Feinde durch Achtungen freien 
Lauf lieg, entfpann fich in f eignen Familie ein Aufftand gegen ihn. Nino de Gal⸗ 
lura, ſ. Neffe, empört über diefe Tyrannei, vereinigte die anfehnlichften Familien 
fowol von der Sibellinifchen als Suelfifchen Dartei, die Gualandi, Sismondi, Lan: 
frandi u. A., um Pifa aus der Schmach, In welche es gefunfen war, zu retten. 
Mach einem Kampfe von faft 3 Jahren gelang es Ugolino's Lift, durch Huͤlfe des 
Erzbifhofs von Pifa, Roger Ubaldini, das Buͤndniß jener Gegner zu frennen und 
die Gibellinen fich wieder zu Freunden zu machen. Die Lanfrancht u. A. verliehen 
den Nino de Sallura; diefer ward nebft vielen f, Freunde verbannt; Roger Ubal- 
dini aber, zum Danf für ſ. Diühe, von Ugolino, der ihm verfprochen hatte, die Herr: 
ſchaft über Pifa mit ihm zu theilen, aus dem Volkspalaſte gewaltfam vertrieben,“ 
est kannte des Ufurpators Herrfchfucht Feine Grenzen mehr; auf jede Art ward 
das Volk von ihm gemißhandelt, f. eignen Anverwandten am Leben bedroht und ein 
Neffe des Erzbifchofs von ihm ermordet, So viele Frevelthaten empoͤrten endlich 
Alles gegen ihn, und Roger Ubaldini, ehrgeizig, hinterliftig und graufam wie Ugo⸗ 
Iino, trat an die Spige der Verſchworenen. Schlau wußte er den Plan bis zu fei- 
ner Reife den Augen des Tyrannen zu verdeden, und erft als diefer fortwährend, 
zum Schaden des Ganzen, auf Krieg mit Genua beftand, kam die Sache zum Aus: 
bruch. Den 4. Juli 1288 ward auf Ubaldinis Deranftalten plöglich die Sturm: 
glocke gezogen, Ugolino von allen Seiten angegriffen und nach einer bis auf den 
Abend dauernden, hartmädigen Gegenwehr, mit zweien f. Söhne, Gaddo und.. 
Uguccione, und zweien f. Enkel, Nino, genennt le Brigata, und Aurel, Nuncio, 
gefangen genommen, “Dies find die 5 Perfonen, deren entfeßlichen Tod Dante in 
ſ. unſterbl. Gedichte „La divina commedia”, in der Abtheilung „L’inferno”, er: 


696 Ghiberti 


wähnt. Roger oder Rugieri Ubaldint ließ nämlich Die Ungluͤcklichen in den Thurm 
von Gualandi, ſeitdem torre di fame genannt, bringen, und f. Rache fein Ziel fee 
Bend, warf er nach einigen Monaten die Schlüffel zu demfelben in den Arno und 
weihte die Eingefperrten dem Hungertode. Dichter id darftellende Künftler haben 
feitdem das fehredliche Ende Ugolino’s und der Seinen oft zum Gegenſtande ges 
waͤhlt, und die Nachwelt hat über der entfeglichen Strafe die Berbrechen vergeffen, 
deren Ugolino im Leben fich fehuldig machte, Da mehre von Ugolino’s Söhnen, 
Enkeln und übrigen Bermandten fich während diefer ſchrecklichen Entwidelung 'theile 
nicht in Pifa befanden, theils durch die Flucht entfamen, fo gelang es der Familie G. 
. be o wieder in Glanz und Anfehen ſowol in ihrer Vaterfladt als andermärts zu kom⸗ 
men, und wir finden ſchon 1320’ einen Rieri Donavatico 9, an der Spiße der 
Verwaltung in Pifa wieder. Ein natürlicher Sohn diefes Nieri war Manfred 
G., der als Feldberr der Pifaner Cagliari mit ſchwacher Macht gegen Alfons IV. 
von Aragonien vertheidigte, und am 28. Febr. 1324 bei Luco:Cifterna durch f. Ta⸗ 
pferfeit ihm den Sieg ftreitig machte. Auch gelang es den Aragoniern nicht cher, 
Cagliari einzunehmen, als bis Manfred, ſchwer verwundet bei einem Ausfalle, einen 
rühmlichen Tod fand. — Ein andrer ©, mit Namen Bonifazio, ward 
"4329 zum Sapitain von Pifa ernannt, als diefe Stadt das Joch des berühmten 
Caſtruccio Caſtracani und Kaifer Ludwigs des Baiern abwarf. Seine Rechifchaf: 
fenheit und Einficht erwarben ihm die Liebe der Mitbürger, und die Stadt verdanfte 
ihm den vortheilhaften Frieden, den fie bald nach diefer Zeit mit ihren alten Feins 
den, den Guelfen, ſchloß. Ebenfo unterdrüdte er fiegreich eine Verſchwoͤrung der 
Adeligen gegen die Freiheit der Bürger (1335) und zwang die Ehrfüchtigen, die 
Stadt zu verlaffen. 1340 flarb diefer wackere Mann an der Peſt, und tie dankba⸗ 
ren Difaner ernannten feinen I1jührigen Sohn, Reiner, zu ſ. Nachfolger in dem 
Amte eines Sapitains. 1348 ftarb Keiner gleichfalls an der Peſt, und da die Fa⸗ 
milie G. dadurch viele ihrer Glieder verlor, fo zogen fich die Übrigen auf ihre 
Stammbefigungen in den Maremmen zurüd und nahmen nur noch felten Antheit 
an den politifchen Begebenheiten von Pifa. — In neuerer Zeit zeichnete fich ein 
Philipp G., aus Piftoja geb. (1730), in der Muſik als Compoftteur und Piano: 
fortefpieler aus. jung fam er zu dem berühmten P. Martini aus Bologna, defs 
fen befter Schüler er binnen Kurzem wurde. &ein berühmteftes, bis jeßt aber noch 
nicht durch den Drud allgemein befannt gewordenes Werk iſt das Requiem, welches 
er 1803 auf den Tod des Königs von Etrurien fehrieb, Er flarb 1808 zu Pifa, 
beinahe 80 3. alt. - 

Ghiberti (Lorenzo), Bildhauer, geb. 1378 zu Florenz. Seine Vorfah⸗ 
ren hatten fich befonders mit der Goldſchmiedekunſt, in welcher die Florentiner bes 
rühmt waren, befhäftigt. Er lernte früh von f. Stiefoater Bartoluccio, einem 
gefchickten Goldſchmied, das Zeichnen, Modelliren, und die Kunſt, in Metall 

ießen. Nachher genoß er mahrfcheinlich Zeichnenunterricht von Starnina. Er 
hatte zu Ende des 14. Jahrh. der Peft wegen Florenz verlaffen und malte 1404 
ein Srescogemäßde zu Rimini in dem Palafte des Fürften Pandolfo Malateſta, als 
die Prioren der Handelfchaft zu Florenz alle Künftfer auffoderten, in der Ausfüh: 
rung eines der bronzenen Thore, Die noch heute Die Taufcapelle des h. Johannes 
ſchmuͤcken, zu wetteifern. Es Fam nicht nur darauf an, Andreas von Pifa, der die 
vorhandenen 3 Pforten 1339 und 1340 vollendet batte, fondern auch alle lebende 
Künftler, unter denen fehr geſchickte Meifter waren, zu übertreffen. Die Opferung 
Iſaaks in vergoldeter Bronze war ale Probearbeit aufgegeben worden. Unter den 
Pewerbern erklärten die Richter für die vorzüglichften Brunellefcht, Donatello und 
G., aber die beiden erften traten freirillig zurüd, indem fie G. den Vorzug ein: 
röumten. Nach 2ijühr. Arbeit brashte hierauf ©. das eine, und auf den Wunſch 
der Prioren, nach faft ebenfo langer Arbeit, noch ein zweites’Thor zu Stande, von 


Ghirlandajo Gianni 697 


denen Michel Angelo fagte, daß fie den Eingang des Paradiefes zu ſchmuͤcken werth 
feien. Während diefer 40 Jahre vollendete &. noch einen Johannes den Täufer 
für die Kirche Dr San:Michele, 2 Basreliefs für die Taufcapelle des Doms von 
Siena, eine Statue des Matthäus und des heiligen Stephanus, ebenfalls für die 
Kirche Or San: Michele, und für die Kirche Santa:Maria del Fiore den brongenen 
Reliquienkaften des heil, Zenobius, Bifchofs von Florenz, von deffen trefflichen 
Basreliefs fich 3 Nachbildungen im Antitencabinet zu Dresden befinden. Alle diefe 
Werke find noch vorhanden und laffen ©.’8 Fortfchritte wahrnehmen. Klebt feinen 
erften Arbeiten noch eine geroiffe Trockenheit aus Giotto's Schule an, fo erfcheinen 
Die fpätern nach dem Borbilde der Sriechen,. von immer marfigerm und feflerm 
Styl, und der Neliquienfaften des Zenobius ſowie die zweite Pforte gehören noch 
heute zu den fchönften Kunflerjeugniffen des neuern Italiens. Auch in der Glas⸗ 
malerei bat G. treffliche Arbeiten geliefert, namentlich für die oben angeführten Kir: 
chen Dr San: Michele und Santa-Maria del Fiore. Überdies ift von ihın ein Werf 
über die Bildhauerkunſt vorhanden, von dem ung Cicognara ein Bruchftüd mitges 
theilt hat. Er ftarb um 1455. Der Kalmuk Feodor Iwanowitſch hat G.'s Thuͤ⸗ 
- ren, in 12 fehonen Umriffen geäßt, 1798 herausgegeben. 
birlandajo (Domenico), einer der Altern florentinifchen Maler von 
‚großer Erfindung, und daher auch von Spätern fehr benußt. Er war geb. zu Flo: 
ren; 1449 und zeichnete fich auch durch genauere Verfpective vor feinen Vorgängern 
aus, wiewol er fich in dem Sebrauche des Goldes befonders bei der Verzierung der 
Gewaͤnder von feiner Gewohnheit noch nicht losmachen Eonnte. Mehre feiner grö- 
Bern Werke, befonders Sefchichten aus dem Reben des heilrFranciscug, findet man 
in der Sapslle Saffetti und in der Dreieinigfeitsfirche zu Florenz. Hier bat er felbft 
Wunder der Kraft, Wahrheit und Unfchuld geliefert. Inder Siuftiniani’fchen 
Sammlung (f.d.) befindet fich das allegorifche Bild der Wahrheit. Sehr wich: 
tig ward ©. auch als Lehrer des Michel Angelo. &eine Brüder David und Bes 
nedict kamen ihm als Maler nicht gleich. Ein fpäterer Ridolfo di Ghirlan⸗ 
dajo mar ein Freund des Rafael und Fra Bartolomeo's Schüler, 
tanni (Francesco), Dichter und Sjmprovifatore, geb, im Kirchenſtaate 
17760, lernte das Schneiderhandwerk, wo er auf feiner Arbeitsbant Taffo, Ariofte 
und andre Dichter las. Bei einem vortrefflichen Gedaͤchtniß und einer Iebhaften 
Einbildungsfraft bildete ihn die Itatur zum Improviſatore. Als folcher verfuchte 
er fich zuerft in Genua. Hierauf begab er fich voll Begeifterung für die Freiheit, 
welche —8 von Bonaparte, dem Gruͤnder der cisalpiniſchen Republik, erwar⸗ 
tete, 1796 nach Mailand, und wurde Mitglied des gefeßgebenden Raths. In 
diefer Lage erwarb er, der fehon als Dichter bezauberte, fich folchen Beifall, daß 
man fein Bild in Kupfer flechen ließ. Das Spartanifche in feiner Geſichtsbildung 
entfprach ganz feinem glübenden Republifanismus, Die Ruffen fperrten ihn in 
Cattaro ein, Mach feiner Befreiung (1800) ging er nach Paris, wo ihn Bonas 
parte mit‘ einer Penfion von 6000 Sr. zum Eaiferl. Jmprovifatore ernannte. Syn 
den Sefellfchaften, die der Staatsrath Torvetto jedes Mal bei der Nachricht von 
einem Siege des Helden Frankreichs bei fich verfammelte, improvifirte ©. mit dem 
plängenüfien Beifall über das erfte befte Bulletin, das man ihm vorlegte. Mehre 
iefer Sefinge wurden mit der franz. Überfeß. gebrudt, 1811 begleitete er Ma: 
dame Brignole nach Senua. Die Hultigungen, durch die er feine Befchüßerin feierte, 
find ebenfomol Beweiſe feiner Danfbarfeit als feines Talents, Man findet fie, 
nebjt einigen improvifirten Liebesgefängen, in G.'s „Saluti del mattino e della 
sera” (ins Franz, überf., Paris 1813). Nach Bonaparte’s Fall behielt ©, feine 
Penſion. Seit dem Tode der Frau v. Brignole, die bei der Erzberzogin Marie 
Louife im San. 1815 ftarb, hat er nur Sonette frommen Inhalts gedichtet. Der 
auf jeden Dichterifchen Ruf fo eiferfüchtige Monti fagt von ihm: die Natur that ” 


63 . ©iannone 


Alles, um aus ihm einen großen Dichter zu bilden; doch feßt er boshaft Hinzu, ©. 
Habe ihre Abficht nicht erfüllt. Außer vielen Semeinplägen und Erinnerungen fin: 
det man in den Sammlungen der zarten, erotifchen, beroifchen, und republifant- 
ſchen Sefänge dies Dichters (Mailand 1807, 5 Böchn.) Einzelheiten, die der 
berühmteften Dichter Italiens würdig find. 

Siannone (Pietro), ein durch feine Schickſale wie durch feine Werke gleich 
berühmt gewordener Schriftfteller, geb. den 1. Mai 1676 zu Syfchitella, in der Pro⸗ 
vinz Capitanata (Königreich Neapel), verdankte feine Bildung größtentheils dem 
Rechtsgelehrten Saetano AÄrgento in Neapel, in deffen Haufe ſich damals regel: 
mäßig faft Alles verfammelte, was jene Hauptftadt an ausgezeichneten Seiftern 
hatte. Hier faßte &. den Plan zu feinem berühmteften und das Geſchick feines 
ganzen Lebens beflimmenden Werke, feiner „Storia civile del regno di Napoli“ 
(4 Bde. 4., Neapel 1723; 1770 in 12 Bdn, und Mailand 1823 fg. in 18Bdn. 
mit G.'s Leben von Leonardo Panzini), zu deren Ausarbeitung er 30 J. brauchte, 
und bei welcher ihm befonders Angelo di Coftango’s Werk über Neapel zum Füh⸗ 
rer diente. Die Schärfe, mit welcher ©, in feinem Buche das Streben des römi- 
fehen Hofes beleuchtete und überhaupt das Treiben der Beiftlichkeit in den verfchie: 
?denen Zeiten und Verhältniffen würdigte, 309 ihm die Merfolgungen des römi: 
ſchen Hofes, ſowie faft des ganzen Klerus zu, und weder das Anfehen des Vice: 
fonigs von Meapel, noch die Seroogenheit des vernünftiger denkenden Cardinals 
Althano, noch der Beiftand der Stadtgemeinde von Neapel, die ©, zu ihrem An: 
walt in Nechtsfachen ernannt hatte, vermochten den Sturm zu befchwören, der von 
Rom aus über ihn kam. Pfaffen hegten den Pöbel der Hauptfl. gegen ihn auf, dag 
er den Diann befchimpfte, roelcher das geiftige Unterdruͤckungsſyſtem des römifchen 
Hofes aufdeckte, und die Rache der Geiſtlichkeit ging fo weit, daß bie anftößige 
. Schrift verbrannt, ihr Verf, aber in ten Bann gethan wurde. ©. verließ daher 
(1723) Neapel und fuchte in Wien einen Zufluchtsort, Hier verfchaffte ihm der 
Schuß des Prinzen Eugen und die Verwendung ſowol des Kanzlers Bingendorft als 
des nachher fo berühmt gemordenen Grafen Bonneval und des Ritters G 
maligen Zeibarztes des Kaiferg, eine jührliche Unterftüßung aus der Secretariats⸗ 
caffe der ſiciliſchen Geſandtſchaft; indeß betrachtete ihn Kaifer Karl VI. doch mit 
böchft mißtrauifihen Augen, und ale 1734 Don Carlos den Thron von Neapel be: 
flieg, ward ihm nicht allein fein Yahrgeld entzogen, fondern auch der längere Auf: 
enthalt in Wien verweigert. ©. begab fich nun nach Benedig, um dafelbft feine ſchon 
in Bien begonnene Schrift: „U triregno. ossia del regno del cielo, della terra, 
e de papa”, an welche er 12 J. Arbeit wandte, fortzufeßen. Leider machten feine 
fernern Schidfale es ihm unmöglich, das Ganze nach dem angelegten Plane zu 
vollenden, und er fam in feiner Darftellung nur bis zu dem 9, Jahrh. Bittere Sa⸗ 
toren gegen den rämifchen Hof, die er noch in Wien, wo der Cardinal Pignatelli ihn 
des Kirchenbanneg entband, gefchrieben hatte, wurden auf den Rath feiner Sreunde 
von ihm garnicht dem Drud übergeben. So zuvorfonmend G. anfangs in Be: 
nedig aufgenommen wurde, 109 befonders der Senator Angiolg Pifani fich feiner 
annahm, fo Änderte fich doch auch hier fein Verhaͤltniß, befonderg dadurch, daß 
er den ihm gemachten Antrag, in die Dienfte der Republik als Anmalt zu treten, 
ablehnte, und da man den Argmohn zu hegen begann, als ftimme feine politifche 
Meinung keineswegs mit den Anfichten des Damals noch fehr berrfchfüchtigen Vene: 
digs in Betreff des Seerechtes überein, welches diefe Republik über das adriatifche 

eer übte, und er auch die Lnvorfichtigfeit beging, mit den Sefandten von Frank⸗ 
reich und Spanien häufig umzugehen, fo war dies hinreichend, den Argwohn der 
argmwöhnifchften aller Regierungen zu weden, Eines Nachts (im Sept. 1735 
überfielen ihn die Shirren der Republik, und der arme Schriftfteller ward, gleich 
einem ftantsgefährlichen Feinde, über die Grenze nach dem Serrarefifchen gebracht. 


arelli, da⸗ 


| ‚Bibbon 699 
Die von ihm zu Sunften der Seeherrſchaft Venedigs über das adriatiſche Meer Eurg 
vorher berausgeg. „Lettera intorno al dominio del mare adriatico ed ai trat- 
tati segnifiin Venezia tra papa Allessandro III.. el’imperador Federico Bar- 
baro-sa“ fonnte den Verdacht des Senats nicht zerſtreuen. DBerlaffen wie er war, 
da er einen früher erhaltenen Ruf als Prof. des römifchen Rechts an die Univerfität 
zu Padua unter dem Vorwanda, er verfiehe nicht genug Latein, abgelehnt hatte, 
und beforgt vor neuen DBerfolgungen, nahm er den Namen Antonio Rinaldo an 
und begab fich, nach kurzem Aufenthalte in Modena, Mailand und Turin, nebft 
feinem Sohne, nach Genf, wo er nicht allein von den ausgezeichnetften Maͤnnern 
mir Achtung aufgenommen wurde, fondern auch die liberalfte Unterftüßung fand. 
Eben wollte er die Nachtraͤge zu feiner Sefchichte yon Neapel drucken laffen, als er, 
durch einen Nichtswuͤrdigen verlockt, die Unvorfichtigkeit beging, fich zur. Feier des 
Hfterfeftes (1736) in ein zu Savoyen gehöriges Dorf zu begeben, wo er alsbald 
arretirt und auf dag Schloß Miolan, dann in das Fort von Ceva, und endlich in die 
Eitadelle von Turin gebracht wurde, Hier flarb er, ein Opfer priefterlichen Haſſes, 
nach 12jühr. Sefangenfchaft, die zum Theil fo hart war, dag man ihm felbft den 
Anblid feines Sohnes verweigerte, in einem Alter von 72 J., den T, Maͤrz 1748. 
Seine Manuferipte wurden fogleich nach feiner Verhaftung, auf Trfuchen des paͤpſtl. 
Hofes, nach Rom gebracht, und fein Bemühen, bei den fpäter entftandenen Concor⸗ 
batsftreitigfeiten zwifchen den Höfen von Turin und Nom, durch eine Schrift zu 
Gunſten des Königs von Sardinien, fich feine Freiheit zu verſchaffen, blieb ebenfo 
fruchtlos, als fein auf die falfchen Finflüfterungen eines Seiftlichen, des Pater Pre⸗ 
ver, den 4. April 1738 herausgeg. Widerruf der in feiner „storia civile’ ausges . 
fprochenen Brundfüge. Nach feinem Tode erfchienen noch von ihm „Opere postu- 
me in difesa della sua storia civile etc.” (Lauſtinne 1760), aus denen bie ſchaͤrf⸗ 
ften Stellen gegen bie römifche Geiſtlichkeit fchon 1738 im Haag, unter dem Sepa⸗ 
rattitel} „Anecdotes ecclesiastiques”, herausgefoinmen waren. 

Sibbon (Edward), der dritte große Gefchichtfchreiber der Engländer, 1737 
zu Putney in Surrey geb., war in ſ. Kindheit ſchwach und kraͤnklich. Nachdem 
er von einem Hauslehrer unterrichtet worden, beſuchte er 1749 die Weſtminſter⸗ 
ſchule, und fludirte 1752 zu Oxford. Hier zogen ihn die Schriften des Jeſuiten 
Parſon fo an, baßer ein ganzes Jahr auf theologifche Unterfuchungen wandte und 
1753 zur kath. Religion übertrat, Tief gekränft durch diefes Ereigniß, ſchickte 
ihn fe Bater, ein angefehener Sutsbefiger, nach Lauſanne zu einem aufgeklärten 
reformirten Seiftlichen, Namens Pevillard, der ihn bemog, 17154 zur proteflans 
tifchen Kirche zurückzukehren. Sein Aufenthalt an diefem Orte bis 3758 war für 
ihn von dem entfchiedenften Nutzen. Seine Sefundheit befeftigte fich, und er machte 
große Fortfchritte in den Wiffenfchaften. Beſonders befchäftigte ihn das Studium 
der franz. und lat, Claſſiker und der Geſchichte. Auch feffelte ihn die Tuchter des 
Pfarrers Curchod durch Schönheit und Geiftesbildung, und er würde fie geheirathet 
haben, wenn er die Einwilligung f. Vaters Hätte erlangen kunnen. Seine Seliebte , 
wurde fpäter die Sattin des berühmten Meder, Derjunge ©. fand in dem väter: 
lichen Haufe den Tiebevollften Empfang. Sein Vater wünfchte, daß er ſich der 
Landwirthfchaft oder der Rechtsgelehrfamkeit widmen, oder eine Stelle als Lega⸗ 
tıonsfecretair bei dem bevorftehenden Friedenscongreß annehmen möchte; allein ſ. 
Lieblingsneigung blieb das Studiren, 1759 erfchien in franz, und fpäter auch in 
engl. Sprache f. „Essni sur l'étnde de In litterature”. Als bald darauf die 
Furcht vor einem feindlichen Einfall die Aug: bung einer Nationalarmee veranlaßte, 
übernahm ©, eine Hauptmannsſtelle bei derfelben. Nach Auflöfung des Heers 
legte er fich mit neuen Erfahrungen mancherlei Art und mit verftärkter Geſundheit 
wieder auf die Wiffenfchaften. Er machte eine Reife nach Frankreich, und ging 
Über Lauſanne nach italien, Hier war eg, von ihn 1764, als er in Nachdenken 


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\ Gibellinen Gibraltaee 70% 


- LJige Sefchichte zu erziblen, nicht ein einzioes Mal zum Lächeln. In ſ. Haufe 
hkerrſcht die ftrengfte Pünktlichkeit und Ordnung“. ZZ 
Sibellinen, f. Welfen. | 
Gibraltar, ein felfiges, 1400 Fuß über ber Meeresfläche erhabenes Dors 
gebirge an der füdlichften Spitze des fpanifchen Königr. Andalufien (36° ’N.B.), 
ift von Mitternacht nach Mittag T—8 engl. Meilen lang, an der breiteften Stelle 
nicht 3 engl. Meile breit, überall fteil, Bin und wieder fentrecht fteil, Durch Natur und 
Kunſt eine unfberwindliche Feſtung der Engländer. “Der Name entfland aus den 
arab. Wörtern Sibel al Tarif (Tarifs Gipfel oder Helfen), da Tarif Abenzaca, Feld: 
herr des Kbalifen Walid, zur Zeit des Einbruchs der Araber in Spanien 711 fg. bei ' 
dieſem den Völkern des Alterthums u. d. N. Calpe bekannten Felfen zuerft landete und 
die anf. Fuße gelegene Stadt Heraklea eroberte, welche ihren Namen unftreitig der 
Sage von den Saäulen des Hercules verdankt, die dieſer Heros der alten Welt auf die 
ſem und dem gegenüberliegenden afrifanifchen Vorgebirge Teuta als Denkmal ſ. an 
jener Meerenge beendigten Abenteuer aufgefiellt Haben foll. Von dem Berge und der 
Feftung Gibraltar ift die soeftlich neben jenem gelegene Stadt und Bai, ſowie die 
Afrika von Europa fcheidende Meerenge oder Straße (14 Meile lang, 14 M. breis) 
benannt worden. Die Stadt mit 12,000 Einw., denen der Hafen wichtige Handels: 
vortheile gewährt, bat, als Cadiz 1829 ein Freihafen wurde, viel von ihrem Wohl⸗ 
flande verloren. Die Unterhaltung der Feftung koſtet jährl. 40,000 Pf. St. Die Fe 
fung bat eine zahlreiche Befaßung. Ferdinand 11., König von Saflilien, entriß 1302 
Gibraltar den Arabern. 1333 eroberten diefe es wieder und verloren es rvieder 1462 
an Heinrich IV. ‚Don dem Saftell an der Mordfeite des Berges, Las nach maurifcher 
Bauart mit dreifacher Mauer umgeben mar, ift noch die oberfie Mauer ftehen geblies 
ben, zum Schuß der Stadt gegen Das Belagerungsgefehüß von der Landfeite her. Die 
Stelle der unterften Dauer erfüllt die große Batterie, zum Schutze des nach Norden 
gerichteten Landthores. Den Pla der zeiten Mauer haben Privatwaarenhaͤuſer 
eingenommen. ‚Der deutfche ingenieur Speckel aus Ötrasburg änterte unter dem 
Könige Karl die altmaurifchen Feſtungswerke der europäifchen Befeftigungsart ge 
mäß ab. Im fpanifchen Erbfolgekriege mußten die Spanier diefe Feſtung, 4. Aug. 
1704, dem britifchen Admiral Rook und dem Prinzen Georg von Darmfladt, kaiſerl. 
Feldmarſchakieut. und Bicekünig von Catalonien, übergeben, welche unerwartet im 
Mai dert. J. vor Gibraltar erfehienen. König Philipp von Anjou lieg vom 12. Det. 
47104 an G. mit 10,000 M. von der Zandfeite angreifen, soo die Feflung durch einen . 
ſchmalen fandigen Erdftrich mit dem Feftllande zufammenbängt, der aber von den 
Engländern fo mit Batterien befeßt worden war, daß die Spanier diefen Theil derfek 
ben porta de fuego (Feuerthor) benannten. Während deffen ſchloß der‘ Admiral 
Poyetz G. mit 24 Schiffen von der Seefeite ein. Schon auf das Auberſte gebracht, 
erbielt es noch zeitige Hülfe durch die engliſch⸗hollaͤndiſche Flotte unter Admiral Leake. 
Die Einſchließung von der Landfeite dauerte ohne Erfolg bis zur Defiätigung des ut: 
rechter Sriedens 1716 fort. Seitdem unterließ Ergland Nichts, um Sibraltar, das 
Bollwerk f. mittellind. Handels, unüberwindlich zu machen. Da aber mit der 
Surchtbarfeit des Platzes das Sintereffe Spaniens, denfelben wiederzubefomnen, 
fich vergrößerte, fo wurde den 7. Marz 1727 eine Belagerung begonnen, welche die 
Ankunft des Admirals Trager mit 11 Kriegefchiffen vereitelte. Spanien bot nun 
2 Mil. Pf. St. für die Wiedereinräumung des Plages, allein umfonf, es mußte 
fich im Bertrage von Sevilla 1729 aller Anfprüche begeben... Doc unterließ 8 
nicht, alle Einfuhr in die Feſtung fireng zu verbieten, auch diefelbe durch die immer 
mehr verftärften Linien von St: Noch und. Algeziras ganzlich von dem feften Lande 
abzufchneiden. Um fo leichter war es aber, Einw. ımd Sarnifon von der Seefeite 
her zuverforgen, als in dem Felſen felbft ein füger Brunnen quillt, und in den fel- 
figen Grotten der Regen fich zu' dem reinſten Trinkwaſſer laͤutert und fammelt, 


02: Sicht Gichtel 


Kühe, Schafe und Ziegen finden ımter dem füdlichen Himmel an den Felfenrigen 
immer grünende Nahrung, und überdies ift jedes Fleckchen fruchtbares Land mit 
den mannigfaltigften, theils roild wachſenden, theils gepflanzten Fruchtbaͤumen jenes 
ergiebigen Klimas befeßt. Beitem 1779 amifchen England und Spanien ausgebre: 
gem Kriege erneuerte diefes zum Ichten Male feine Angriffe gegen Gibraltar. (S. 
Miot.) Der Friede von 1783 verficherte England abermals diefe Feſtung, teren 
Belagerung von 1779—82 den friegführenden Deichten über 74 Mill. Thlr. geko⸗ 
ſtet Haben ſoll. Seitdem ift ©. in allen englifch-fpanifchen, zum Theil auch franz. 
Kriegen höchfteng nur von der Landfeite eingefchloffen worden. - 
Gicht, f Arthritifc. ' u 
Sthtel (Johann Georg), Myſtiker und Schtwärmer, geb. 1638 zu Re 
gensburg, unterhielt fich fchon in f. 12. %., flundenlang auf dem Felde herumfchroei: 
fend, f. Borgeben nach, mit Bott; und im 19. J. hatte er häufige Viſionen. So 
erfchien ihm einmal der Weltgeift in Geſtalt eines großen, vielfarbigen Rades, und 
nur f. natürliche Zaghaftigfeit hielt ihn, wie er felbft berichtet, davon ab, fich in 
diefen feinen Stern bineinzuflürgen. Da er fich fpäter dem Studium der echte 
soidmete und durch Fleiß und Pünftlichfeit Zutrauen und Wohlftand erwarb, fo 
ſchienen fich f. myſtiſchen Träumereien etwas zu verlieren; aber leider kehrten fie 
bald verftärft zurdd® und riffen ihn aus einer ebenfo ebrenvollen als einträglichen 
Bahn. Eine unpaffende Ehe und daraus bervorgehendes Familienzerwürfniß 
brachten ihn zu dem Entfchluffe, den weltlichen Sütern, mit denen er reichlich geſeg⸗ 
net war, zur Ehre Gottes und zum Heile f. Seele zu entfagen, und, da dies feinem 
ängfllichen Semüthe noch nicht genug fchien, endlich auf den Sedanfen, nach Ame: 
rifa u gehen, um dort in Türftigfeit und Demuth den Heiden das Chriſtenthum zu 
Jehren, Er begab fich nach Zwoll in Holland, 100 damals der ihm ähnliche Schwaͤr⸗ 
mer Brefling fein Weſen trieb, um unter diefem fich zu f. Berufe als Miſſionnair 
"auszubilden; doch kehrte er bald nach Regensburg zurüd, um fich mit dem Baron 
Weiß zu vereinigen, der gleichfalls vom Schwindel einer eraltirten Froͤmmelei be: 
fallen war. Ta aber &, anfing, mit ungeſtümem Eifer das ganze Kirchenweſen 
teformiren zu wollen, und dadurch viele Argerliche Auftritte veranlaßte, wurde et 
verhaftet, fein Bermögen eingezogen, und er felbft durch die Büttel über die Grenze 
gebracht. Er aing nun nad) Wien, wo er noch auf die Träumereien der Alchymie 
verfiel, und als es auch bier nicht mit ihm fortwollte, wieder nach Zwoll, zu f. 
Freunde Brefling. Das gute Einverflindnig mit diefem dauerte inde auch nicht 
lange; eingebildet tie fg eide waren, veruneinigten fie fich, und da G. auch Hier 
anfıng, Bas Volk mit f. Nbeleien zu verwirren, fo ward er einige Dal feftgefeßt, und 
enblich ganz aus Zwoll und Obernffel verbannt (1668). Er begab fich nun nach 
Amfterdam, damals dem Sufammenfluffe ſchwaͤrmeriſcher Thoren, und lebte meift 
in großer Dürftigfeit, einzig von den Wohlthaten f. anfinglich ſehr zahlreichen An: 
bänger, die er durch Predigten wider die Sündlichkeit des Eheſtandes, fchauderhafte 
Prophezeihungen von göttlichen Strafgerichten u. ſ. w. erbaute. Auch hatte er 
hier abermals Viſionen. Bald entfiand jedoch Zwieſpalt unter dem frommen Haus 
fen, und viele f. enthufiaftifchen Verehrer wurden ſ. erbitterten Feinde. Sie beſchul⸗ 
Digten iin, richt mit Unrecht, er verbreite Arbeitsfcheu und Feindſchaft in den Fa⸗ 
milien, da Arbeiten und Sorgen für die Bedürfniffe des Lebens nach f. Lehre fünd- 
Lich tonr, weil der Menſch fih allein der Gnade Gottes überlaffen und fich um nichts 
"weiter fimmern follte, Der Abfall des größten Theils ſ. Gemeinde verfegte ©. in 
ſolche North, daß er, wie er felbft befennt, fünf Mal auf dem Punkte fland, fein 
Elend durch Selbſtmord zu enden; allein er hatte weder den Muth dazu, noch die 
Kraft, von f. Berirrungen zu laffen, in die er vielmehr immer tiefer ſank. Er ftarb 
zu Amfterdam 1710, arm und verachtet. Zwej J. vor ſ. Tode verlor er zwei Naͤ⸗ 
-gel am rechten Fuße, an deren Stelle ihm eine Art Krallen herauswuchſen. Er 


4 


Giebel Giebichenſtein 108 


? 

hielt dies für Adlerklauen und glaubte fefl, es fei ein Zeichen, daß der Geiſt nım 
bald bei ihm zum Durchbruch kommen werde. ©. hat Mehres gefchrieben, was 
theils von ihm, theils von f. Freunden und Schülern herausgegeben wurde, und. 
was in neuefter Zeit, wo myſtiſche Schwaͤrmerei wieder viele Anhänger fand, aus 
dem Staube der Vergeffenheit tbeilmeife Berborgeaogen ward. Neinbe (Berlin 
1732), fein Schüler Kautenberg u. A. haben ©.’8 Leben befchrieben. Einer 
f. eifrioften Anbänger, ter Kaufmann Joh. With. Überfeld aus Franffurt a. M., 
ſtellte fich nach G.'s Tode an die Spiße des ſchwaͤrmenden Häufchens, deffen Glie⸗ 
der ſich unter einander Engelsbrüder nennen, noch bier umd da erifliren und in der 
Enthaltımg vom zweiten Sefchlecht und in Müßigang das Heil der Seele feßen. 

. Giebel oder Fronton ift einer derjenigen Theile des Gebäudes, welche dem⸗ 
felben zur Berzierung gegeben werden, und eine über die Vorlagen eines Gebaͤudes 
in ſchraͤger Richtung Yinaus ehende Mauer, die an allen 3 Seiten Einfoffungen von 
Sefimfen befommt. Das Hauptgefims {ft die Grundlinie defjelben; die Seiten bes 
kommen die lieder des Kranzes zur Verzierung. Giebel über Senftern und Thüren 
find ein Auswuchs des fehon gefunfenen Geſchmacks in der Baufunft. Sie geben, zu: 
mal dicht neben einander, dem Sebände ein krauſes, eckiges, überladenesund unange: 
nehmes Anfehen. Die natürlichfte Form des Giebels ift die dreieckige; runde Dächer 
laffen auch eine runde Form zu, aber ausgeſchweifte und in ihrer Form unterbrochene 
Giebel find durchaus zu vermerfen. Die Giebel der Alten find fehr niedrig, Vitruv 
gibt zur Höhe des Giebelfeldes den neunten Theil der Breite deffelben an. Die Höhe 
des Kreuzes dazu gerechnet, beträgt die Höhe des ganzen Giebels etwa den fünften 
Theil feiner Breite. Es finden fich aber Beifpiele, Daß fie beträchtlich niedriger wa⸗ 
ren. Die Griechen und Römer verzierten nur Tempel mit Giebeln. Das erfte Wohn⸗ 
gebäude mit einem Giebel erbaute Julius Caſar. War das Giebelfeld groß, füfüllten 
es bie Alten mit einem Basrelief aus; Inſchriften oder wol gar Fenſter, wie die 
Neuern in den Sieben anbringen, finden fich bei den Alten nit. 

Giebichenſtein, Dorfan der Saale, eine halbe Stunde nördl: v. Halle, 

von 92 Seuerftätten und 550 Einw. im Negierungsbezirfe Merfeburg. Hier ift 
ein Domainenamt, das 4 Städte und 58 Dörfer unter ſ. Gerichtsbarkeit hat, und 
38,000 Thlr. jährl. Pacht entrichtet. Die Lage des Orts ift fchön, und die Ruinen 
der alten Burg erinnern an die Zeiten des Mittelalters. Nach einer alten Sa⸗ 
ge follen romıfche Münzen aus den erften Jahrh. unferer Zeitrechnung in der 
dab des alten Schloſſes ausgegraben worden ſein, weßhalb einige Schriftſteller 
die Anlegung der alten Feſte dem Druſus Germanieus zuſchreiben! Die Thuͤringer 
mußten im 6. Jahrh. den Franken ihr Land weſtlich von der Saale abtreten, worauf 
die Franken die öftlichen Laͤnder gegen Zins den Sorben, als neuen Ankommlingen 
aus Dften, uͤberließen. Bon diefen rühren dig meiften Alterthuͤmer ber, die in der Ge⸗ 
gend von ©. gefunden werden, und von kenen der Amtsrath Bartels eine ſehens⸗ 
werthe Sammlung befißt. Karl d. Gr. eroberte das Land und ließ es, ſowie Die 
folgenden Raifer f. Stammes, durch Saugrafen regieren. Unter diefen verwalteten 
die Grafen v. Wettin die Gegend um Halle, Eimer derfelben mag die Burg ©, an: 
gelegt Haben; genannt wird der Ort zuerft unter Heinrich dem Vogler, der, nach⸗ 
dem er den Staat der Sorben zerflört, eine Dienge Burgen gegen die öfllichen 
Voͤlker anlegen ließ und auf denfelben Saftellane und Thurmmächter beftellte. Sein 
Sohn Dtto 1. fchenfte der Kirche zu Magdeburg 964 den Zehnten zu ©. und 965 
den ganzen Bezirk (Neglitzer Gau), mit ausdrüdlicher Benennung von Siebichen: 
ftein. Die Burg diente im Mittelalter, wegen ihrer feften Lage, als Staatsge: 
fängniß, in welchem u. A. Kaifer Heinrich IV. zu Ende d. 14. Jahrh. den Land: 
grafen Ludwig von Thüringen zwei Jahre lang verroahren ließ. Da diefer entfom: 
men war, fo breitete man aus, er habe durch einen Sprung in die Saale fich ge: 
rettet, Das Fenfter wird in den Ruinen noch gezeigt, Zwar fließt die Sanle nicht 


Gec E 


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⸗ 


Gift 105 


R 

ifetifch:phifelog. Seminar vertheilt jährlich Prämien unfer die Seminariften. 
—— Studenten gibt es 60 Tiſch⸗- und beträchtliche Geldſtipendien. — 
Die 4 Facultiten zählten 1823 22 ordentl, 5 außerordentl. Prof. und 11 Privats 
docenten, Schmidt und Kühnöl in der theologifchen, v. Zöhr in der juribifchen, 
Wilbrand, Ritgen und Vogt in der medicin. Crome, Walther, Snell, Schmidt 
und Hillebrand in der philof. Facultaͤt find rühmlıch befannt. Vorzüglich bat ſich 
der jegige Senior der Univerſitaͤt, Geh.-Rath Crome, durch eine 86jaͤhrige literari⸗ 
ſche Thatigkeit, beſonders im Fache der Statiſtik, ausgezeichnet. Die Annalen der 
juridifchen Facultät zählen feit 50 Jahren berühmte Namen, wie Koch, Gatzert, 
v. Groiman ıc, Der jegt regier. Großherzog von Heſſen bat, nach feiner wohls 
begründeten liberjeugung, daß Minifter nicht aus der Claſſe des Hofadels oder aus. 
dem Milttair, fondern vielmehr aus dem gelebrten Stande hervorgehen müſſen, 
feine zwei verdienteften Staatsminifter, v. Sagert und v. Grolman (f. d.), aus der 
juridifchen Facultät mit dem beften Erfolge gewählt: eine Ehre, deren fich noch 
wenige deutfche Univerfitäten zu erfreuen batten. &. Sefchichte der Univerfität G. 
von Nebel, in Juſti's „Vorzeit, 1828. — Durch ein mohleingerichtetes Discis 
plinargericht, unter dem Vorſitze des Rectors der Univerfität, ift auch in der jüng: 
flen bewegten Zeit der Geiſt der Ordnung und Sittlichkeit unter den Studenten ers 
halten worden. Derfchiedene von Außen veranlaßte Unterfuchungen haben nicht die 
mindeften Refultate in politifcher Beziehung geliefert, und die Entfernung der Gar: 
nifon von G. war var einigen jahren die glücliche Folge blutiger Handel, Die 
Stadt ©, ift durch die Abtragung der Wälle und des Stadtgrabens größer und 
fihöner geworden, hat freundliche Umgebungen, und die Hauptbeduͤrfniſſe find 
wohlfeiler als auf den meiften deutfchen Hochſchulen. _ 

Gift, jeder Stoff, der in geringer Menge Zufälle in dem Körper der Thiere 

fowol als der Menfchen bernorbringen kann, welche der Sefuntheit und dem Leben 
derfelben Sefahr bringen. Überhaupt nennt man Alles, was fehr fehädlich auf ors 
ganifche Körper wirkt, ein Gift für dieſelben. Die Einwirfung der Gifte auf den: 
Körper gefchieht theils Durch Aufnahme in dag innere deffelben durch den Mund in 
die Berdauungsmwege, in den Magen und Darmcanal, oder mittelft das Athem⸗ 
bolens in die Zungen, wohin z. B. die giftigen Luftarten und Dämpfe gelangen, 
theits durch die Einfaugung der Haut. Manche Sifte wirken mehr hemifch, die 
organifche Safer kerfiörend, äßend, die Form und den Zufammenbang der Theile 
verleßend, heftig reigend, fehnell Entzündung und den Brand erregend. Hierher 
gdaren die meiften Gifte aus dem Mineralreiche: 1) mehre Metallfalke und deren 

bindungen mit Säuren, 3. B. der Arfenif, eins der zerflörendften Gifte, mo: 
von ſchon wenige Gran tödtliche Zufülle hervorbringen. Auch von dem Kupfer find 
mebre Zubereitungen giftig, z. B. der Grünſpan, mehre Farben davon, -auch die 
ig fupfernen Sefüßen gefochten fauern oder fehr gefalzenen Stüffigkeiten, Speiſen 
oder Getraͤnke. Mehre Präparate von Queckſilber, als der gende Sublimat, der 
weiße und rorhe Praͤcipitat u. a. m., auch einige vom Spießglanz gebräuchliche Zus 
bereitungen find hierher zu rechnen. 23) Starke Mineral: und Pflanzenfäuren, 
wenn. fie unverdünnt in den Körper kommen. z. B. die concentrirte Schwefelſaure 
oder das fogen. Vitrioldl, die Salpeterfäure oder das fogen. Scheidewaffer, bie 
Salzfiure, die Sauerfleefäure ıc. 3) Einige Pflanzen, welche einen fehr fchar: 
fen und aͤtzenden Stoff bei ſich haben, z. B. von den bei uns einheimifchen die 
Wolfsmilch (Euphorbium Esula), der Kellerhals (Daphne Mezereum) u. a. m, 
4) Aus dem Thierreishe die Kantbariden oder fügen. fpanifchen Fliegen. (S. 
Fliege) Die Wirkung aller diefer Gifte Außert fich fehnell; wenn fie in den Ma: 
gen. gekommen find, entfteht heftige Übelkeit, unaufhörliches Wurgen und Brechen 
mit den quälendfien Schmerzen im Magen und in den Gedärmen, als wenn viele 
Meſſer darin herumſchnitten; bald kommt Entzündung, und, werm nicht ſchnelle 

Converſations⸗Lexicon. Bd. IV. 45 


106 Sift 


Syülfe geleiftet wird, der Brand Binz. Andre Gifte wirken mehr durch ſchnell vor⸗ 
übergebende Reizung der Empfindungs: und Bewegungskraft des Organismus, 
und bald darauf folgende gänzliche Bernichtung deffelben. Dies find die fügen, 
betäubenden Gifte, worunter die meiften aus dem Pflanzenreiche find. Sie äußern 
ihre Wirkung durch Übelkeit, heftige Kopfſchmerzen, Schwindel, Dimtelbeit oder 

limmern vor den Augen, gewaltfame und unmillfürliche Bewegungen der Glie⸗ 
der und des ganzen Körpers, Berzerren der Geſichtsmuskeln, Angſt, Verluſt des 
Bewußt ſeins ıc., endlich komme Schlagfluß noch dazu. Hierher gehört Das Opium, 
der Schierling (Conium maculatum), das Bilſenkraut (Hyoscyamus), die Bella: 
donna (Atropa Belladonna), Auch in den bittern Mandelkernen ftedt ein aͤhnli⸗ 
ches, fehnell das Leben vernichtendes Sift (Blaufaure), das feine Wirkung äußert, 
wenn fie in Menge gensffen werden, oder wenn das concentrirte deſtillirte SI in den 
Magen kommt; daffelse Sift ſteckt auch in den Blättern des Kirfchlorbers, und 
unter den Erzeugniſſen des Thierreichs wird es in dem Berlinerblau gefunden. Un⸗ 


ter den Pflanzen gibt es mebre, welche beide Wirkungen vereinigen, und mittelfl 


eines eigneh fcharfen Stoffes reizend und, vermöge des ihnen zukommenden narko⸗ 
tiſchen Stoffes, betäubend wirken, Hierher gehören z. B. der rothe Fingerhut 
(Vigitalis parpuren), das Eifenhütchen (Aconitum Napellus) u. a, m. Andre 
Gifte wirken dadurch, daß fie die zum Leben nöthigen Verrichtungen mancher Or 
gane plöglich oder allmälig unterdrücken. Hierher gehören alle die fchädlichen Lufts 
und Sasarten, welche nicht zum Athemholen taugen, erftidende Dämpfe, 3. B. 
Kohlenſtoffgas (die fire Luft) in Kellern, worin gährendes Bier liegt, Schwefel⸗ 
Dämpfe, Koblehtämpfe, durch das Athmen und die Ausdünftung vieler Menfchen 


in einem verfchloffenen Raume verdorbene Luft, große Dienge ſtarker Blumens 


. 


gerüche in verfchloffenen Zimmern u, a. m. Verſchiedene Präparate von Blei, 
als Bleguder, Bleiweiß, Mennig, Wein mit Bleiglätte oder Bleizucker verfüßt 
u, dgl. m., find in diefe Claſſe zu rechnen, indem fie allmätig die, Lebensthätigkeit der 
einfaugenden Sefüße in dem ‘Darmcanal unterdrüden, fie zuſammenziehen, Kolik⸗ 
ſchmerzen erregen, und endlich die Einfaugung des Nahrungsſtoffes verhindern, 
wodurch Auszehrung entſteht. — Mit dem: furchtbarften Gifte, l’acquetia ges 
nannt, foll, nach einer in Italien verbreiteten Meinung, Papft Clemens XIV. 
vergiftet worden fein. — Die fogen, Kranfheitegifte oder Anftedungsftoffe, Con: 
tagien, gehören nicht hierher und werden fehr uneigentlich Gifte genannt, DB. 
Wuthgift. (S. Anftelung) — Segengift beißt jede auf den organifchen 
Körper angebrachte Wirfung oder Eubftanz, welche die fehädliche Wirkung eines 
Giftes vernichten foll, insbefontere aber jedes einem beftimmten Gift entgegenwir⸗ 
gende Hellmittel. Die Segengifte fint ebenfo verfthieden, als es im Allgemeinen die 
Gifte find. Sie follen theils den Körper gegen die Einwirkung des Giftes fchüßen, 


theile das letztere fo umaͤndern, daß es feine fehädliche Wirkung verliert, theils die 


chon geäußerten nachtheiligen Wirkungen wieder aufheben, So wendet man übers 

aupt gegen die Abenden und fcharfen Gifte fchleimige und fette Mittel an, z. B. 
Dt, fette Milch u, dgl, um die Wände des Magens und der Sedärme gegen bie 
zerflörende Wirkung des Giftes zu ſchuͤtzen. Gegen die metallifchen Sifte dienen 
noch außerdem Seifens und Schwefelleberauflöfung, um durch die Verbindung 
mit dem Laugenfalz und dem Schwefel die Aßende Schärfe jener Metallgifte zu vers 
bindern. Segen die concentrirten Mineralſauren dienen befonders auch Ol, Laugens 
falze und Seife, Segen Kanthariden dienen fchleimige, ölige Mittel mit Campher. 
Segen die betäubenden Gifte wirken — die ſchwaͤchern vegetabiliſchen Saͤu⸗ 
ren, Eſſig, ſaure Weine, Caffee. Die Wirkung des Gifts der Blauſaure vernichtet 
das Laugenſalz, auch eine Eiſenaufloͤſung. Gegen Opium wirkt beſonders der 
Eaffee, auch der Wein und der Campher ıc. Ehemals glaubte man durch Schwitzen 
alle fchädliche Stoffe aus dem Körper beraustreiben zu konnen, Daher man fich eine 


= VE 


Giganten Sigli 107 


Zufammenfegung von vielerlei Schwitzmitteln als das allgemeinfle Gegengift 
dachte. Hiervon rühren die Alexipharmaca der Alten, der fonft fo berühmte 
Mithridat, Theriak u, a. ber, welche aber nichts weiter bewirkten, als was fie vers 
möge ihrer fonderbaren Miſchung Eonnten, nämlich erhöhte Thaͤtigkeit der Syſteme 
der Nerven und Adern, und daher erfolgenden Schweiß, wodurch fie oft miehr 
Schaden als Nutzen ftifteten. Liber die metallifchen Gifte belehren Smelin’g „‚DBerf. 
üb. die Wirkung des Baryts, Strontians ıc, auf den thierifchen Organismug’” 


Cub. 1824), (Dal. Torikologie) 


Giganten, dracherffüßige Riefen, welche Gaͤa, im Zorn über die Einker⸗ 
ferung der Titanen in den Tartarus, aus dem Blute des entmannten Uranus gebar 
und zum Kampfe gegen den Jupiter aufregte. _ Auf den phlegräifchen Feldern flürys 
ten fie aus der Erde hervor und begannen der Kampf gegen die himmliſchen Got⸗ 
ter. Sie thürmten die Sebirge Oſſa, Pelion, Dta, Rhodope und hndre auf ein: 
ander, und beftürmten von diefer Höhe mit Felſenſtuͤcken und Feuerbranden den 
Olymp. Wen erftere ins Meer fielen, bildeten fie Inſeln; fielen fie aufs Land; 
Berge. Aber die Götter errangen den Sieg. Hercules — denn ohne den Belftand 


. eines Sterblichen konnten die Götter nicht fiegen — tödtete und verwundete mehre, 


unter diefen den Alkyoneus. Mercur erlegte den Hippolytus, Vulcan und Hekate 
den Klitias, Minerva den Pallas, Yupiter felbft erfchfug mehre mit feinen Bligen, 
Neptun flürjte einen Theil der Inſel Ros auf den Polybatus, Minerva Die Inſel 
Sicilien auf den Enceladus. Nach Einigen wurden auf alle Giganten Inſeln oder 
Berge geflürst, aus denen fie Feuer fpieen, nach A. wurden fie in den Tartarus 
verfchloffen und dafelbft mit dem Uranus bewacht, Nach fpätern Erzählungen foll 
Das Sefchrei des Eſels Silens, nach A. das Blaſen des Tritori auf feier See⸗ 


- müfchel fie in die Flucht gejagt Haben, 


Gigantiſch, ſ. Koloß. a 

BGigli (Hieronymus), Literator, geb. zu Siena den 14. Oct. 1660, hieß 
eigentlich Nenci. Ein reicher Verwandter, Hieron. Siglt, nahm ihn an Kindes: 
ftatt an, und der junge Nenci führte den Namen ſ. Wohlthäters, dem er auch eine 
reiche Gattin und ein anfehnliches Vermögen verdanfte. G.'s Iyrifche und dramas 
tiſche Dichtungen fanden überall den größten Beifall. Allein fein unbezähmbarer 
Hang zur Satyre und fein beißender Wiß, befonders gegen Alles, was Heuchelei 
hieß, erregten ihm gefährliche Feinde, Eine von ihm u. d. T. „Don Pilone” verans 
ftaltete Ülberf, von Moliere's „Zartuffe” 309 ihm den Haß der Geiſtlichkeit zu, die 
et dadurch noch mehr aufbrachte, daß er dies Stüd mit einigen Freunden auf dem 
Theater in Siena aufführte, wobei mehre dort befanhte Perſonen in Kleidung und ' 
Denebinen aufs treuefte dargeftelle wurden. Aber auch gegen fich felbft und ſ. Anges 
hoͤrigen richtete ſich G.'s Witz, und in einem andern Drama, „La sorella di Don 
Pilone”, perfiflirte er nicht nur fich mit allen ſ. Schwächen und Eigenheiten, fon: 
dern auch f. Gattin, wegen ihrer oft in Geiz ausartenden Sparſamkeit, ſ. Der 
"andten und Hausgenoffen. Als er endlich, bei der Herausg. der Werke der heil, 
Katharina, in einem angehängten „Vocabolario delle opere di Sta: Calharina 
e della lingua sanese”, die Ausfprüche der Accadernia della Crusca, deren Mit: 
glied er war, angegriffen hatte, brach der Sturm gegen ihn log, und G., verleumdet 
und angeklagt von allen Seiten; unterlag der Überzahl f. Gegner, unter denen ſich 
Die Jeſuiten auszeichieten, Sein Name rourde aus der Lifte der Profefforen von 
Siena, der Deitglieder der Akadı der Crusca u. a. gel; Geſellſch. ausgeftrichen, und 
er felbft aus f. Vaterftadt geröiefen. Da nun überdies noch f. Bermögensumftinde 
durch Verſchwendung und Unachtſamkeit fehr zerrüttet waren, fo ſah er ſich gezwun⸗ 
gen, in Rom alles Das zu widerrufen, was er Verwundendes für Die Crusca und 
die überhaupt durch f. Schriften Setroffenen gefchrieben hatte. Dadurch erlangte 
er nun zwar die Erläubnig; nach Siena zurückkehren zu ‚dürfen, fe ward indeß 


\ 





700 Gibbon 


verſunken auf den Traͤmmern des Capitols ſaß, waͤhrend die Mönche im ehemaligen 
Tempel des Jupiter die Veſyer fangen, die vorige Herrlichkeit dieſer weltbeherrſchen 
den Stadt und ihre jetzige Verfunkenheit erſchutterte, und zu dem Entſchiuß begei⸗ 
flerte, die Geſchichte des Untergangs des römifihen Reichs zu befchreiben. Nach: 
dem er noch Neapel gefehen, kam er 1765 nach England zurüd, Er gab f. Stelle 


" als Obriftlieutenant in der Nationalmiliz auf und fehrieb die Befchichte der Schweiz, 


vernichtete fie aber, ungeachtet Hume's Beifall, da fie ihm felbft nicht genügte, 
Seit 1768 begann er f. römifche Geſchichte vorzubereiten. Schon durch f. jugend: 
lichen Studien mit vielen dahin einfchlagenden Kemitniſſen ausgerüftet, vermehrte 
er fie noch durch unermübdetes Lefen. Nach dem Tode f. Vaters (1770) wählte er 
London zum Wohnort und begann nun fein trefflichen Werk, welches nach f. an 
= 77 "Tanne mit dem 8. Üde., der bis zum Untergange des weſtlichen romifchen 
endigen follte, nachher aber bis zum Untergange des morgenlandifchen 

von ihm fortgefegt wurde. Da ihm der Aufenthalt in der Hauptftadt 

wurde, — er dieſelbe und begab fich zu f. Freunde Deyperdun 

18: Hier vollendete er im Juni 1787 den 6. und letzten Bd. diefer Ges 

in ‚eifte darauf nach England, um die legten Bde. felbft dem Drude zu 
übergeben. &ie führt den Titel: „History of the decline and fall oftheroman 
empire” (6 Bde. 4, überf. von Wenk, 2. Aufl., Leipz. 1820). Tiefe und vielſei⸗ 
tige Gelehrſamkeit, eine ebenfo genaue als geiftreiche Kritik, ein hinreißender Bors 
trag, nicht felten tiefe, oft see und faft immer richtige Anfichten, anziehende Bes 
trachtungen / die Kunſt, an die Thatfachen große Feen zu Enüpfen, welche den Lefer 
dumm Nachdenken reizen: diefe Eigenfehaften ſichern Ges Werke einen dauernden 
Werth. Dagegen iſt es nicht tadellos, ©. war von lebhafter Phantafie, aber kal- 
tem Charakter; er bewunderte Teicht die materielle Grüße, hatte aber weniger Sinn 
für die moralifche. Daher bewundert er die Gräuelthaten Tamerlan's und der Tas 
taren, während er die heldenmüthige Selbftaufopferung der chriftlichen Märtyrer 
herabwürdigt. Seine Örundfige in der Moral, Politik Staatswirthſchaft u.f. w. 
waren nicht feft genug, um bei ſ. Werk ein einziges Ziel ftets unverwandt im Auge 
zu behalten; daher fehlen ihm jene Eingebungen und Wahrheiten höherer Art, die 
eine allgemeine und unwandelbare Gültigkeit haben. Nach beendigtem Drucke kehrte 
G. nach f. geliebten Aufenthalte bei Laufanne zuruͤck, wo er in ungeflörter philoſo⸗ 
gilse Ruhe lebte, Als aber die franz. Revolution ihren Einflug auch auf.die 
chweiz erftredtte, machte er 1798 eine Reife nach England und ftarb den 16. 
San. 1794 zu London. Außer einigen Eleinen Schriften. befigen wir von G. noch 
f. Selbftbiographie in 2Bdn. Matthiffen gibt inf. Briefen folgende Schilderung 
von ©. : „Er iſt groß und von ſtarkem Gliederbau, dabei etwas unbehülflich in f. 
Bewegungen. Sein Seficht ift eine der fogenannten phyſiognomiſchen Erfeheinuns 
en, wegen des unrichtigen Verhältniſſes der einzelnen Theile zum Ganzen. Die 
ugen find fo klein, daß fie mit der hohen und prächtig gewölbten Stirn den härte: 
ſten Eontraft machen. Die etwas ſtumpfe Nafe verſchwindet faft zwiſchen den ſtark 
Bervorfpringenden Baden, und die weit herabhängende Unterfehle macht das an ſich 
fon fehr Iingliche Oval des Gefichts noch frappanter. Ungeachtet diefer Unregel: 
mößigfeit hat Gos Phyfiognomie einen außerordentlichen Ausdruck von Würdeund 
Tündigt beim erften Blicke den tiefen und feharffinnigen Denker an. Nichts gebt 
über das geiftvolle Feuer f. Augen. ©. hat ganz den Ton und die Manieren eines 
abgefchliffenen Weltmanns, iſt kalthoͤflich, fpricht Das Franzoͤſiſche mit Eleganz und 
Bat (ein Phänomen bei einem Engländer) faft die Ausfprache eines parifer Gelehr: 
ten. Erredetlangfam, weil er jede Phrafe forgfältig zu prüfen ſcheint, ehe er fie 
aus ſpricht. Mit immer gleicher Miene unterhielt er ſich von angenehmen und unans 
genehmen Dingen, von frohen und tragiſchen Begebenheiten, und ſein Geficht vers 


\ 309 ſich, fo lange wir beifammen waren, ungeachtet er veranlagt wurde, eime drol⸗ 


N Sibeflinen Gibraltar 701 


lige Geſchichte zu erzaͤhlen, nicht em einziges Mal zum Lächeln. Inf. Hauſe 
herrſcht die ftrengfte Pünktlichkeit und Ordnung“. 

&ibellinen, f. Welfen. 

Gibraltar, ein felfiges, 1400 Fuß über ber Meeresfläche erbabenes Vor⸗ 
gebirge ander füdlichften Spitze des fpanifchen Königr. Andalufien (86° ’N.B.), 
iſt von Mitternacht nah Mittag T—8 engl. Meilen lang, an der breitefter Stelle 
nicht » engl. Meile breit, überall fteil, Bin und wieder fentrecht fteil, durch Natur und 
Kunft eine unfiberwindliche Feſtung der Engländer. . Der Mame entftand aus den 
arab. Wörtern Gibel al Tarif (Tarifs Gipfel oder Selfen), da Tarif Abenzaca, Feld: 
berr des Kbalifen Walid, zur Zeit des Einbruchs der Araber in Spanien 711 fg. bei ' 
diefem den Bölkern des Alterthums u. d. N. Calpe bekannten Felfen zuerſt landete und 
die anf. Buße gelegene Stadt Heraklea eroberte, welche ihren Namen unſtreitig der 
Sage von den Saͤulen des Hercules verdankt, die diefer Heros der alten Welt auf dies 
fem und dem gegenüberliegenden afrifanifchen Vorgebirge Ceuta als Denkmal f. an 
jener Meerenge beendigten Abenteuer aufgeftellt haben foll. Von dem Berge und der 
Feftung Gibraltar ift die weftlich neben jenem gelegene Stadt und Bai, fowie die 
Afrika von Europa fcheidende Meerenge oder Straße (714 Meile lang, 14 M. breit) 
benannt worden. Die Stadt mit 12,000 Einw., denen der Hafen roichtige Handels: 
vortbeile gewährt, bat, als Cadiz 1829 ein Freihafen wurde, viel von ihrem Wohl: 
ftande verloren, Die Unterhaltung der Feftung Foftet jährl. 40,000 Pf. St. Die Fe: 
ftung bat eine zahlreiche Befaßung. Ferdinand 11., König von Saftilien, entrig1302 
Gibraltar den Arabern. 1333 eroberten diefe es wieder und verloren es foieder 1462 
an Heinrich IV. ‚Don dem Caftell an der Nordfeite des Berges, Tas nach maurifcher 
Bauart mit dreifacher Mauer umgeben war, ift noch die oberfle Mauer ftehen geblie- 
ben, zum Schuß der Stadt gegen Das Belagerungsgefchüg von der Landfeite her. Die 
Stelle der unterfien Dauer erfüllt die große Batterie, zum Echuße des nach Norden 
gerichteten Landthores. Den Platz der zweiten Mauer haben Privatwaarenhaͤuſer 
eingenommen. Der deutfche Ingenieur Speckel aus Strasburg änterte unter. dem 
Könige Karl die altmaurifchen Feſtungswerke ber europäifchen Befeftigungsart ges 
maͤß ab. Im fpanifchen Erbfolgefriege mußten die Spanier diefe Sefiung, 4. Aug. . 
17104, dem britifchen Admiral Rook und dem Prinzen Georg von Darmfladt, Faiferl, 
Seltmarfehakiet. und Vicefönig von Satalonien, übergeben, welche unerwartet im 
Mai def. J. vor Gibraltar erfchienen. König Philipp von Anjou ließ vom 12, Oct. 
1704 an ®. mit 10,000 M. von der Zandfeite angreifen, soo Die Feſtung durch einen . 
ſchmalen fandigen Erdftrich mit dem Feftlande zufammenbängt, der aber von den 
Engländern fo mit Batterien befeßt worden war, daß die Spanier diefen Theil derfel- 
ben porta de fuego ($euerthor) benannten, Während deffen ſchloß der‘ Admiral 
Poyetz G. mit 24 Schiffen von der Seefeite ein. Schon auf dag Auserfte gebracht, 
erhielt eg noch zeitige Hülfe durch die englifch:holländifche Flotte unter Admiral Leake. 
Die Einſchließung von der Landfeite dauerte ohne Erfolg big zur Beflätigung des ut: 
rechter Friedens 1716 fort. Seitdem unterließ Ergland Nichts, um Gibraltar, das 
Bollwerk f. mittellind. Handels, unüberwindlich zu machen. Da aber mit der 
Surchtbarkeit des Plaßes das Intereſſe Spaniens, denfelben wiederzubefommen, 
fich vergrößerte, fo wurde den 7. Maͤrz 1727 eine Belagerung begonnen, welche die 
Ankunft des Admirals Trager mit 11 Kriegefchifien vereitelte. Spanien bot nun 
MU Pf. St. für die Wiedereinräumung des Platzes, allein umfonf, es mußte 
fich im Bertrage von Sevilla 1729 aller Anfprüche begeben... Doch unterlieg «6 
nicht, alle Einfuhr in vie Feflung ſtreng zu verbieten, auch diefelbe durch die immer 
mehr verftärkten Linien von St. Koch und. Algeziras gänzlich don dem feften Lande 
abzufchneiden. Um fo leichter war es aber, Einw. ımd Garniſon von der Seefeite 
ber zu verforgen, als in dem Selfen felbft ein füger Brunnen quiflt, und in den fel- 
ſigen Grotten der Regen ſich zu’ dem veinken Trinkwaſſer laͤutert und ſammelt, 


J 


102 Sicht Gichtel 


Kühe, Schafe und Ziegen finden unter dem füdlichen Himmel an den Selfenrigen 
immer grünende Nahrung, und überdies ift jedes Fleckchen fruchtbares Land mit 
den mannigfaltigften, teils wild wachſenden, theils gepflanzten Fruchtbüumen jenes 
ergiebigen Klimas beſetzt. Bei dem 1779 amifchen England und Spanien ausgebre: 
genen Kriege erneuerte diefes zum Ichten Male feine Angriffe gegen Gibraltar. (S. 
lliot.) Der Friede von 1783 verficherte England abermals diefe Feflung, teren 
Belagerung von 1779—82 den Friegführenden Miüchten über 74 Mill. Thlr. geko⸗ 
ſtet Haben foll. Seitdem iſt ©. in allen englifchfpanifchen, zum Theil auch franz. 
Kriegen böchfteng nur von der Landfeite eingefchloffen worden. - 
Sicht, ſ. Arthritifch.. ' 
Stchtel (Johann Georg), Myſtiker und Schwärmer, geb, 1638 zu Re 
. gensburg, unterhielt fich fchon in f. 12, %., flundenlang auf dem Felde herumſchwei⸗ 
fend, f. Borgeben nach, mit Sott; und im 19. J. batte er häufige Vifionen. So 
erfehien ihm einmal der Weltgeift in Geſtalt eines großen, nielfarbigen Rades, und 
nur f. natürliche Zaghaftigfeit hielt ihn, wie er felbft berichtet, Davon ab, fich in 
diefen feinen Stern bineinzuflürzen. Da er fich fpäter dem Studium der echte 
soidmete und durch Fleiß und Pünftlichkeit Zutrauen und Wohlftand erwarb, fo 
förenen fich ſ. myſtiſchen Träumereien etwas zu verlieren; aber leider kehrten fie 
bald verftärft zurüd und riffen ihn aus einer ebenfo ehrenvollen als einträglichen 
Bahn. Eine unpaffende Ehe und daraus bervorgehendes Familienzerwuͤrfniß 
brachten ihn zu dem Entfchluffe, den weltlichen Gütern, mit denen er reichlich geſeg⸗ 
net war, zur Ehre Gottes und zum Heile ſ. Seele zu entfagen, und, da dies feinem 
angſtlichen Semüthe noch nicht genug fehien, endlich auf den Gedanken, nach Ame: 
rifa ju geben, um dort in Dürftigfeit und Demuth den Heiden das Chriſtenthum zu 
JLehren. Er begab fich nad) Zwoll in Holland, wo damals der ihm ähnliche Schwär: 
mer Brekling fein Weſen trieb, um unter diefem fich zu f. Berufe als Miſſionnair 
"auszubilden; doch kehrte er bald nach Regensburg zurüd, um fich mit dem Baron 
Weiß zu vereinigen, der gleichfalls vom Schwindel einer eraltirten Srommelei be: 
fallen war. Sa aber G. anfing, mit ungeftümem Eifer das ganze Kirchenroefen 
teformiren zu mollen, und dadurch viele Argerliche Auftritte veranlaßte, wurde et 
verhaftet, fein Vermögen eingezogen, under felbft durch die Büttel über die Grenze 
gebracht, Er ging nun nad) Wien, wo er noch auf die Träumereien der Alchymie 
verfiel, und als es auch hier nicht mit ihm fortwollte, wieder nach Zwoll, zu f. 
Freunde Brefling. Das gute Einverflindnig mit diefem dauerte indeg auch nicht 
lange; eingebildet tie fg eide waren, veruneinigten fie fih, und da G. auch hier 
anfing, das Volk mit f. Nbeleien zu verroirren, fo ward er einige Mal feſtgeſetzt, und 
endlich ganz aus Zwoll und Obernffel verbannt (1668). Er begab ſich nun nach 
Amfterdam, damals dem Sufammenflufe ſchwaͤrmeriſcher Thoren, und lebte meift 
in großer Dürftigkeit, einzig von den Wohlthaten f. anfang febr zahlreichen An: 
Bänger, die er durch Predigten wider die Sündlichkeit des Eheftandes, ſchauderhafte 
Propbezeihungen von göttlichen Strafgerichten u. ſ. w. erbaute. Auch hatte er 
Hier abermals Vifionen. Bald entfland jedoch Zroiefpalt unter dem frommen Hau: 
fen, und viele f. entbufiaftifchen Verehrer wurden f. erbitterten Feinde. Sie befchul: 
Digten ihn, richt mit Unrecht, er verbreite Arbeitsfcheu und Seindfchaft in den Gas 
milien, da Arbeiten und Sorgen für die Bedürfniffe des Lebens nach f. Lehre fünd- 
Lich war, weil der Menfch fich allein der Gnade Gottes überlaffen und fich um nichts 
weiter kümmern ſollte. Der Abfall des größten Theils f. Gemeinde verfegte ©. in 
ſolche Noth, daß er, wie er felbft bekennt, fünf Mal auf dem Punkte ftand, fein 
Elend durch Selbſtmord zu enden; allein er hatte weder den Muth dazu, noch die 
Kraft, von f. Berirrangen zu laffen, in die er vielmehr immer tiefer ſank. Cr ftarb 
zu Amfterdam 1710, arm und verachtet. Zwej J. vor f. Tode verlor er zwei Ni: 
gel am rechten Fuße, an deren Ötelle ihm eine Art Krallen herauswuchſen. Er 


⸗ 


Sichel Giebichenſtein 7103 


! 

hielt dies für Adlerklauen ımd glaubte feft, es fei ein Zeichen, dag der Seift nım 
bafd bei ihm zum Durchbruch kommen werde. G. hat Mehres gefchrieben, mas 
theils von ihm, theils von f. Freunden und Schülern herausgegeben wurde, und. 
was in neuefter Zeit, no myſtiſche Schroarmerei wieder viele Anhänger fand, aus 
den Staube der Vergeffenheit theilweiſe hervorgezogen ward. Reinbeck (Berlin 
47132), fein Schüler Kautenberg u. X. haben Gys Leben befchrieben. Einer 
f. eifriaften Anbänger, der Kaufmann Joh. Wilh. Uberfeld aus Frankfurt a. M., 
ftellte fich nach G.'s Tode an die Spiße des ſchwaͤrmenden Häufchens, deffen Glie⸗ 
der fich unter einander Engelsbrüder nennen. noch hier und da eriftiren und in der 
Entbaltımg vom zweiten Sefchlecht und in Muͤßigang das Heil der Seele feßen. 

. Gie bel oder Fronton ift einer derjenigen Theile des Gebaͤudes, welche dem: 
felben zur Berzierung gegeben werden, und eine über bie Vorlagen eines Gebaͤudes 
in ſchraͤger Richtung —* ehende Mauer, die an allen 3 Seiten Einfaſſungen von 
Sefimfen befommt. Das Hauptgefims ift die Grundlinie deffelben; die Seiten be: 
kommen die Slieder des Kranzes zur Verzierung. Giebel über Fenftern und Thüren 
find ein Auswuchs des ſchon geſunkenen Geſchmacks in der Baukunſt. Sie geben, zu: 
mal dicht neben einander, dem Gebaͤude ein Eraufes, eckiges, überladenesund unange: 
nehmes Anfehen. Die natürlichfte Form des Giebels iſt die dreieckige; runde Dächer 
laſſen auch eine runde Form zu, aber ausgeſchweifte und in ihrer Form unterbrochene 
Giebel find durchaus zu verwerfen. Die Stiebel der Alten find fehr niedrig, Vitruv 
gibt zur Höhe des Giebelfeldes den neunten Theil der Breite deffelben an. Die Höhe 
des Kreuzes dazu gerechnet, beträgt die Höhe des ganzen Giebels etwa den fünften 
Theil feiner Breite. Es finden fich aber Beifpiele, Daß fie beträchtlich niedriger wa⸗ 
ren. Die Öriechen und Römer verzierten nur Tempel mit Giebeln. Das erfte Wohn: 
gebiude mit einem Giebel erbaute Julius Caſar. War das Siebelfeld groß, fo füllten 
es die Alten mit einem Basrelief aus; Inſchriften oder wol gar Fenſter, wie die 
Neuern in den Giebeln anbringen, finden fich bei den Alten nir. 

Giebichenſtein, Dorfan der Saale, eine halbe Stunde nördl: v. Halle, 
von 92 Feuerftätten und 550 Einw. im Regierungsbezirte Merfeburg. Hier ift 
ein Domainenamt, das 4 Städte und 58, Dörfer unter f. Gerichtsbarkeit bat, und 
38,000 Thlr. jührl. Pacht entrichtet. Die Lage des Orts ift fchön, und die Ruinen 
der alten Burg erinnern an die Zeiten des Mittelalters. Nach einer alten Sa⸗ 
8 ſollen roͤmiſche Münzen aus den erſten Jahrh. unferer Zeitrechnung in der 

übe des alten Schloffes ausgegraben worden feirl, weßhalb einige Schriftfteller 
die Anlegung der alten Sefte dem Druſus Germanieus zufchreiben! Die Thüringer 
mußten im 6. Jahrh. den Franken ihr Land weſtlich von der Saale abtreten, worauf 
die Franken die öftlichen Länder gegen Zins den Sorben, als neuen Ankommlingen 
aus Often, fiberliegen. Bon diefen rühren dig meiften Alterthümer her, die in der Ge⸗ 
gend von G. gefunden werden, und von kenen der Amtsrath Bartels eine fehenss 
werthe Sammlung befißt. Karl d. Sr, eroberte das Land und ließ es, ſowie die 
folgenden Raifer ſ. Stammes, durch Saugrafen regieren. Unter diefen verwalteten 
die Grafen v. Wettin die Gegend um Halle, Einer derfelben mag die Burg ©, an: 
gelegt Haben; genannt toird der Ort zuerft unter Heinrich dem Bogler, der, nach: 
dem er den Staat der Sorben zerflört, eine Menge Burgen gegen .die öfflichen 
Völker anlegen ließ und auf denfelben Saftellane und Thurmmächter beftellte, Sein 
Sohn Dtto 1. ſchenkte der Kirche zu Miagdeburg 964 den Zehnten zu G. und 965 
den ganzen Bezirf (Negliger Sau), mit ausdrüdlicher Benennung von Siebichen: 
ftein. Die Burg diente im Mittelalter, wegen ihrer feften Lage, als Staatsge: 
fingniß, in welchem u, A. Kaifer Heinrich IV. zu Ende d. 11. Jahrh. den Land: 
grafen Ludwig von Thüringen zwei Jahre lang vermahren ließ. Da diefer entkom⸗ 
men mar, fo breitete man aus, er babe durch einen Sprung in die Saale fich ge: 
rettet. Das Senfter wird in den Ruinen noch gezeigt. Zwar fließt die Saale nicht 


104 Gieſeke Gießen 


mehr unmittelbar an dem Schloſſe, wohl aber nahe an einem Gemaͤuer, N gewiß 
einft ein Theil der Burg war, und es kann fich leicht vor und nach der Zerflorung 
der Burg das Bett der Saale mehr nordwarts gedrängt haben. Indeſſen iſt die 
She des angeblichen Fenfters über dem Spiegel der Saale 120 Fuß. Die er 
bifchöfe v. Magdeburg hatten dort Burggrafen, unter denen ein Befchlecht von G. 
vorfommt. Im 15. Jahrh. verlegten die Erzbifchöfe ihren Hof von Siebichenflein 
uf die neu erbaute Morigbüurg bei Halle. Ihre Burggrafen nannten fich nun 
Burgbauptleute, As Raifer Karl V. 1547 auf der Kefidenz in Halle fich aufbielt, 
efiel ihm die Gegend um ©. fo fehr, daß er auf dem der Burg gegenüber liegenden 
& nnenberge große Mittagstafel gab, Die alte Burg ward yon den Schweden uns 
ter Banner im dreißigjähr. Kriege 1636 zerflört. ut 
Geieſeke (Nicolaus Dietrich), geb. 1724 zu Guͤnz in Niederungarn, verlor 
ſ. Bater, Paul ©, (eigentlich Köszeghi), bald nach f. Seburt und ward in Ham: 
burg erzogen, wo er fih die Gunſt von Brodes und Hagedorn erwarb, 1745 ging 
er nach Leipzig, wo er fich den theologifchen Wiffenfchaften, f. Nebenftunden aber 
der Dichtfunft widmete. Die Verf. der „Bremifchen Beiträge” wurden f. Freunde. 
Nachdem er, von 1748 an, in Hanover und Braunfchweig die Erziehung einiger 
Juͤnglinge beforgt hatte, ward er Prediger zu Trautenftein im Fuͤrſtenthum Blan⸗ 
£enburg, erhielt nach J. A. Cramer's Tode die Oberpofprebigerflele in Quedlin⸗ 
burg, und ward 1760 von dem Fürften v. Schwarzburg zum Superintendenten in 
Sondershauſen ernannt. Hier flarb er 1765. Bedenkt man, daß G.s Bildung in 
Die Zeit des erft aufblühenden deutfchen Geſchmacks fiel, fo muß man jene poetifchen 
Arbeiten (f. „Poetiſche Werke, nebft des Dichters Leben”, berausgeg. v. Gärtner, 
47167), deren reine und fließende Verfification fich befonders empfiehlt, alles Lobes 
werth finden. Dieſer anmuthige Dichter bat in der erzäblenden und didaktifchen 
Sattung am glüdlichften gearbeitet. Ein fanfter Fluß der Gedanken und Worte; 
gefüllige Moral, edle Einfalt und Eunftlofe Leichtigkeit im Ausdrud find das eigens 
thümliche Sepräge f. Lehrgedichte, in denen ein frommes Herz redet und fich in Ges 
fühle der Religion, der Freundfchaft und reinften Liebe ergeht, Bon Begeifterung 
ift.felten, von Witz und Laune nie eine Spur zu finden Kiopftod hat ihn im zwei⸗ 
ten Liede ſ. Wingolf ein Denkmal gefegt, auch eine Ode an ihn gerichtet, 
Biegen, Hauptfl des großberz. heſſ. Sürftentb. Oberheffen, an der Zahn, 
mit 7000 E., Siß der Reg. u. des Hofgerichte, bat ein Paͤdagogium, ein Landfehuls 
Iehrerfeminar und eine Forftlehranftalt. ‘Die evang.⸗luth. Univerfität hat Landgraf 
Ludwig in Folge der Trennung zwifchen dem evang.-luther. und dem evang.:reforan. 
Glauben, zu welchem letztern Marburg fich bekannte, d. 7. Det. 1607 'geftiftet. 
Mangel an Zufammenbang der Theile des heſſen⸗darmſtaͤdtiſchen Landes, die Nähe 
der Univerfität Marburg und vorzüglich die früber beſchraͤnkten Einkünfte der Unis 
perfität, welche die Berufung berühmter Gelehrten felten geftatteten, mögen 
die Urfachen fein, warum fich die Zahl der Studirenden nie über 500 ausdehnte, 
Gießens hohe Schule hat gegenwärtig mit Einfchluß der ihr auf dem erflen Lands 
tage des Großberingrhume Heffen 1821 bewilligten 10,000 Stdn, eine jührl. Eins 
nahme v; 60,000 Gldn. theils aus eigentbümlichen Gütern (von welchen lie indeffen 
einen großen Theil an den Staat abgetreten nat) teile aus Staatscaffen und zum 
Theil auch aus dem vormals bedeutenden Fonds der ehemal, Univerfität Daing 
Die Univerfität G. befigt eine Bibliothek von mehr als 20,000 Bdn., nebft det 
ihr vermachten 7000 Bde. ftarfen von Senkenberg' ſchen Bibliothek; ein kliniſches, 
gegenwärtig fehr vergrößertes Inſtitut mit einem ſchoͤn gebauten und trefflich ein- 
erichteten Gebaͤrhaus in Verbindung mit e. Hebammenfchule; ein anatomifches 
&henter ein ſchoͤn eingerichtetes Gewaͤchshaus nebft einem mebdicinifch : botas 
nifchen Garten, einen forftboranifcehen Garten; ein chemiſches Laboratorium, mis 
neralogifche, chemiſche und phyfitalifche Cabinette, fowie eine Sternwarte: Das 


— 


Giſt | 705 


a 

homiletiſch⸗ philolog. Seminar bertheit Pibrikh Mrämten unfer die Seminariſten. 
Fur unbemittelte Studenten gibt es 60 Tiſch⸗ und beträchtliche Geldſtipendien. — 
Die 4 Facultaͤten zählten 1823 22 ordentl, 5 außerordentl. Prof. und 11 Privars 
bocenten. Schmidt und Kühnöl in der theologifchen, v. Löhr in der juridifchen, 
Wilbrand, Ritgen und Vogt in der medicin., Irome, Walther, Snell, Schmidt 
und Hillebrand in der philof. Facultät find ruͤhmlich befannt, Vorzüglich hat ſich 
der jeßige Senior der Univerficät, Geh.⸗Rath Crome, durch eine 36jaͤhrige literari⸗ 
ſche Thaͤtigkeit, beſonders im Fache der Statiſtik, ausgezeichnet. Die Annalen der 
juridifchen Facultät zählen feit 50 Jahren berühmte Namen, wie Koch, Gaßert, 
v. Grolman ıc. Der jegt regier. Großherzog von Heffen bat, nach feiner wohl⸗ 
begründeten Überzeugung, daß Minifter nicht aus der Claſſe des Hofadels oder aus. 
dem Militair, fontern vielmehr aus dem gelehrten Stande hervorgehen müffen,: 
feine zwei verdienteften Staatsminifter, v. Gatzert und v. Grolman (f.d.), aus der 
juridifchen Faeultät mit dem beften Erfolge gewählt: eine Ehre, deren fich noch 
wenige deutfche Univerfitäten-zu erfreuen batten. S. Sefchichte der Univerfität ©. 
von Nebel, in Juſti's „Vorzeit“, 1828. — Durch ein mohleingerichtetes Discis 
plinargericht, unter dem Borfiße des Rectors der Univerfität, iſt auch in der juͤng⸗ 
flen bewegten Zeit der Geiſt der Ordnung und Sittlichkeit unter den Studenten ers 
halten worden. Derfchiedene von Außen veranlaßte Unterfuchungen haben nicht die 
mindeſten Refultate in politifcher Beziehung geliefert, und die Entfernung der Gar: 
nifon von ©. war vor einigen Jahren die glücliche Folge blufiger Handel, Die 
Stadt ©, ift durch die Abtragung der Wälle und des Stadtgrabens größer und 
fihöner geworden, hat freundliche Umgebungen, und die Hauptbedürfiiffe find 
soohlfeiler als auf den meiften deutfchen Hochſchulen. _ 

Gift, jeder Stoff, der in geringer Menge Zufälle in dem Körper der Thiere 
fowol als der Dienfchen hervorbringen kann, welche der Geſundheit und dem Leben 
‚derfelben Gefahr bringen. Überhaupt nennt man Alles, was fehr fehädlich auf ors 
ganifche Körper wirft, ein Gift für dieſelben. Die Einwirkung der Gifte auf den: 
Körper gefchieht theils durch Aufnahme in das Innere defjelben durch den Mund in 
die Derdauungsmege, in den Magen und Darmcanal, oder mittelft das Athems 
bolens in die Lungen, mohin z. B. die giftigen Luftarten und Dämpfe gelangen, 
theils durch die Einfaugung der Haut. Manche Gifte wirken mehr chemifch, die. 
organifche Safer herftörend, ägend, die Form und den Zufammenbang der Theile 
verleßend, heftig reigend, ſchnell Entzündung und den Brand erregend, Hierher 
gedören die meiften Gifte aus dem Mineralreiche: 4) mehre Metallkalke und deren 

erbindungen mit Säuren, 3. B. der Arfenif, eins der zerſtörendſten Gifte, mo: 
von ſchon wenige Gran tödtliche Zufülle berverbringen. Auch von dem Kupfer find 
mehre Zubereitungen giftig, 3.9. der Orünfpen, mehre Farben davon, -nuch die 
in fupfernen Gefäßen gefochten fauern oder fehr gefalgenen Stüffigkeiten, Speifen 
oder Getraͤnke. Mebre Präparate von Queckſilber, als der ABende Sublimat, der 
weiße und rothe Präcipitat u. a. m., auch einige vom Spießglanz gebräuchliche Zus 
bereitungen find hierher zu rechnen. 2) Starke Mineral: und Pflanzenfäuren, 
wenn fie unverdünnt in den Körper fommen. z. B. die concentrirte Schwefelfäure 
oder das ſogen. Ditriolöl, die Salpeterſaure oder das fogen. Scheidemaffer, die 
Salzſaure, die-Sauerfleefüure ıc. 3) Einige Pflanzen, welche einen fehr fchar: 
fen und: genden Stoff bei fich haben, z. B. von den bei uns einheimifchen die 
Wolfsmilh (Euphorbium Esula), der Kellerhals (Daphne Mezereum) u. a. m, 
4) Aus dem Thierreishe die Kanthariden oder fogen. fpanifchen Fliegen, (S. 
. Fliege.) Die Wirkung aller diefer Gifte Außert fich fehnell; wenn fie in den Ma: 
gen. gefommen find, entfteht heftige Übelkeit, unaufbhörliches Wuͤrgen und Brechen 
mit den quälendfien Schmerzen im Magen und in den Gedaͤrmen, als wenn viele 
Meffer darin herumſchnitten; bald kommt Entzündung, und, wenn nicht fehnelle 

45 


Gonverfationg: Lericon. Bo. IV. — 


7106 Sift 


Huͤlfe geleiftet wird, der Brand hinzu. Andre Gifte wirken mehr durch ſchnell vor 
übergebende Reizung der Empfindungs: und Bewegungskraft des Organismus, 
und bald darauf folgende gänzliche Vernichtung deffelben. Dies find die ſogen. 
betäubenden Gifte, worunter die meiften aus dem Pflanzenreiche find. Sie Außern 

re Wirkung durch Übelkeit, heftige Kopffeymerzen, Schwindel, Dunkelheit oder 

lIimmern vor den Augen, gewaltfame und unwillfürliche Bewegungen der Glie⸗ 
der und des ganzen Körpers, Berzerren der Geſichtsmuskeln, Angft, Verluſt des 
Bewußtſeins ıc., endlich kommt Schlagflug noch dazu. Hierher gehört Das Opium, 
der Schierling (Conium maculatum), das Bilfenfraut (Hyoscyamus), die Bella⸗ 
donna (Atropa Belladonns), Auch in den bittern Mandelkernen ftedt ein ahnli⸗ 
ches, fehnell das Leben vernichtendes Gift (Blaufüure), das feine Wirkung Außert, 
wenn fie in Dienge gensffen werden, oder wenn das concentrirte deffillirte DI inden 
Magen fommt; daſſelbe Gift ſteckt auch in den Blättern des Kirfchlorbers, und 
unter den Erzeuigniffen des Thierreichs wird es in dem Berlinerblau gefunden. Uns 


ter den Pflanzen gibt es mehre, welche beide Wirkungen vereinigen, und mittelfl 


eines eigneh fcharfen Stoffes reigend und, vermöge des ihnen zufommenden narfos 
tifchen Stoffes, betäubend wirfen, Hierher gehören 3. B. der rothe Bingeräuf 
(Digitalis purpurer), das Eifenhütchen (Aconitum Napellus) u. a. m. Andre 
Gifte wirken dadurch, daß fie die zum Leben nöthigen Verrichtungen mancher Ors 
gane plöglich oder allmälig unterdrüden. Hierher gehören alle die fchädlichen Luft⸗ 
und Sasarten, welche nicht zum Athemholen taugen, erftidende Daͤmpfe, 3. B. 
Kohlenſtoffgas (die fire Luft) in Kellern, worin gährendes Bier liegt, Schwefel⸗ 
dampfe, Kohlendaͤmpfe, durch das Athınen und die Ausdünftung vieler Dienfchen 


“in einem verfchloffenen Raume verdorbene Luft, große Menge flarfer Blumen⸗ 


. 


gerüche in verfchloffenen Zimmern u, a. m. DBerfchiedene Präparate von Blei, 
als Bletzucker, Bleiweiß, Mennig, Wein mit Bleiglätte oder Bleizuder verfüßt 
u. dgl. ni., find in diefe Claſſe zu rechnen, indem fie allmälig die, Lebensthätigkeit der 
einfaugenden Gefüge in dem Darmcanal unterdrüden, fie zufammenziehen, Kolik⸗ 
fihmerzen erregen, und endlich die Einfaugung des Mahrungsftoffes verhindern, 
wodurch Auszehrung entſteht. — Mit dem furchtbarften Gifte, l’acquetta ges 
nannt, foll, nach einer in Italien verbreiteten Meinung, Papft Clemens XIV. 
vergiftet worden fein. — Die ſogen. Krankheitsgifte oder Anftedungsftoffe, Sons 
tagien, gehören nicht hierher und werden fehr uneigentlich Gifte genannt, z. B. 
Wuthgift. (©. Anfteldung) — Segengift beißt jede auf den organifchen 
Körper angebrachte Wirfung oder Subftanz, welche die fchädliche Wirkung eines 
Giftes vernichten foll, insbeſondere aber jedes einem beftimmten Gift entgegenrolrs 
Eende Hellmittel, Die Segengifte fint ebenfo verfthieden, als es im Allgemeinen die 
Gifte find. Sie follen theils den Körper gegen die Einwirkung des Giftes fchäßen, 
theils das letztere fo umindern, daß es feine fchädliche Wirkung verliert, theils die 
ſchon geäußerten nachtheiligen Wirkungen wieder aufheben, So wendet man übers 
haupt gegen die äßenden und ſcharfen Gifte fhleimige und fette Mittel an, z. B. 
Dl, fette Milch u, dgl., um die Wände des Magens und der Sedärme gegen die 
zerflörende Wirkung des Giftes zu ſchuͤtzen. Gegen die metallifchen Gifte dienen 
noch außerdem Seifen: und Schwefelleberauflöfung, um durch die Verbindung 
mit dem Laugenfalz und dem Schwefel die ägende Schärfe jener Metallgifte zu vers 
bindern. Segen die concentrirten Mineralfäuren dienen befonders auch DI, Laugens 
falze und Seife, Gegen Kanthariden dienen fchleimige, dlige Mittel mit Campher. 
Segen die betäubenden Gifte wirken — bie ſchwaͤchern vegetabiliſchen Saͤu⸗ 
ren, Eſſig, faure Weine, Caffee. Die Wirkung des Gifts der Blaufiure vernichtet 
das Laugenfalz, auch eine Eifenauflöfung. Gegen Opium wirft befonders der 
Eaffee, auch der Wein und der Campher ꝛc. Ehemals glaubte man durch Schwitzen 
ofle manche Stoffe aus dem Körper heraustreiben zu Tonnen, Daher man fich eine 


Giganten Gigli 107 


Bufammenfegung von vielerlei Schwigmitteln als das allgemeinfte- Gegengift 
dachte. Hiervon rühren die Alexipharmaca der Alten, der fonft fo berühmte 
Mithridat, Theriak u, a. ber, welche aber nichts welter bewirften, ala mas fie vers 
möge ihrer fonderbaren Miſchung Eonnten, namlich erhöhte Thäsigfeit der Syſteme 
ber Merven und Adern, und daher erfolgenden Schweiß, modurch fie oft mehr 
Schaden als Nutzen ftifteten, Über die metallifchen Gifte belehren Gmelin's Verſ. 
üb. die Wirkung des Baryıs, Strontiang ıc. auf den thierifchen Organismus” 
(üb, 1824), (Dal. Toxikologie.) 1 
Biganten, dracherffüßige Niefen, welche Gaͤa, im Zorn über die Einker⸗ 
Eerung der Titanen in den Tartarus, aus dem Blute des entmannten Uranus gebar 
und zum Kampfe gegen den Jupiter aufreäte, Auf den phlegräifchen Feldern ſtuͤrz 
ten fie aus der Erde hervor und begannen den Kampf gegen die himmliſchen Söt: 
ter. Sie thürmten die Gebirge Offa, Pelion, Dta, odope und hndre auf eins 
ander, und beflürmten von diefer Höhe mit Felſenſtuͤcken und Feuerbränden dei 
Dlymp. Wenn erftere ins Meer fielen, bildeten fie Inſeln; fielen fie aufs Land; 
Berge. Aber die Öötter errangen den Sieg. Hercules — denn ohne den Beiftand 
eines Sterblichen Eonnten die Sötter nicht fiegen — tötete und verwundete mehre; 
unter diefen den Alfyoneus. Mercur etlegte den Hippolytus, Vulcan und Hekate 
den Rlitins, Minerva den Pallds, Jupiter felbft erſchlug mehre mit feinen Bligen, 
Neptun ftürjte einen Theil der Inſel Ros auf den Polybatus, Minerva die Inſel 
Sicilien auf den Enceladus. Nach Einigen wurden auf alle Giganten Inſeln oder 
Berge geflürzt, aus denen fie Feuer fpieen, nach A. wurden fie in den Tartarus 
verfchloffen und dafelbft mit dem Uranus bewacht. Nach fpätern Erzählungen foll 
das Sefchrei des Efels Silens, nach A. das Blaſen des Tritori auf feier Sees 
- muüfchel fie in die Flucht gejagt haben, . | oo 
Gigantiſch, ſ. Koloß. 
BGligli (Hieronymus), Literator, geb. zu Siena den 14. Oct. 1660, hieß 
eigentlich Nenci. Ein reicher Verwandter, Hieron. Gigli, nahm ihn an Kindes - 
flatt an, und der junge Nenci führte den Namen ſ. Wohlthäters, dem er auch eine 
reiche Gattin und ein anfehnliches Vermögen verdankte. G.'s Iyrifche und Dramas 
tiſche Dichtungen fanden überall den größten Beifall. Allein fein unbezaͤhmbarer 
Hang zur Satyre und fein beißender Witz, befonders gegen Alles, was Heuchelei 
hieß, erregten ihm geführliche Feinde. Eine von ihm u.d.T. „Don Pilone” veran⸗ 
ſtaltete UÜberſ. von Moliere's „Tartuffe“ 309 ihm den Haß der Geiſtlichkeit zu, die 
er Dadurch noch mehr aufbrachte, daß er dies Stück mit einigen Freunden auf dem 
Theater in Siena aufführte, wobei mehre dort befanhte Perſonen in Kleidung und 
Benehmen aufs treuefte dargeftellt rourden. Aber auch gegen fich felbft und fi Anges 
börigen richtete ſich G.'s Wis, und in einem andern Drama, „La sorella di Don 
Pilone”‘, perfiflirte er nicht nur fich mit allen ſ. Schwächen und Eigenheiten, fon 
dern auch f. Sattin, wegen ihrer oft in Geiz ausartenden Sparfamlkeit, f. Ver 
wandten und Hausgenoffen. Als er endlich, bei der Herausg. der Werke der Heil, 
Katharina, in einem angehängten „Vocabolario delle opere di Sta; Catharina 
o della lingua sanese”, die Ausfprüche der Accademia della Crusca, deren Mit: 
glied dr war, angegriffen hatte brach der Sturm gegen ihn los, und G., verleumdet 
und angeklagt von allen Seiten; unterlag der überzahl ſ. Gegner, unter denen fi 
Die Jeſuiten auszeichneten. Sein Name wurde aus der Lifte der Profefforen von 
Siena, der Mitglieder der Akad; der Crusca u. a. gel, Geſellſch. ausgeftrichen, und 
er felbft aus f. Daterfladt gerviefen. Da nun überdies noch f. Bermögensumflände 
durch Verfchwendung und Unachtſamkeit fehr zerrüttet waren, fo ſah er fich gezwun⸗ 
gen, in Rom alles Das zu widerrufen, was er Bermundendes für die Crusca und 
die überhaupt durch f. Sthriften Setroffenen gefchrieben hatte. Dadurch erlangte 
er num ziwar die Eriaubniß, nach Siena zurüdfehren zu dürfen, Mer ward indeß 


% 


108 Gilbert Gilde 


nicht beffer. Rränflicgkeit und hauslicher Verdruß bewogen ie, wieder nach Rom 
zu gehen, um in Ruhe f. Tage zu beſchließen. Hier ſah er faft Niemand mehr als 
£ Beichtvater, und flarb d. 4. jan. 1722, 61 %. alt, fo arm, daß die Koſten f. De: 
gräbniffes von einigen frommen Brüderfchaften bririten werden muften. Sun 
vor ſ. Ente verbrannte ©. mehre f. Eleinen Schriften, Ergüffe f. bittern Spottſucht 
Die von ihm nachgelaffenen Werke find zahlreich und zum Theil hochſt geiftreich 
und migig. Befonders iſt dies mit einigen erdichteten gefchichtlichen und biograph. 
Auffigen der Fall, durch weiche er ſelbſt einen Apofto!o Zeno myſtificirte, ſedeß die: 
fer fie lange Zeit für echt hielt und im „Gioruule de’ Jetterate d’itslia“ ganz 
ernfihaft davon fprach. Don Charakter war ©. offen und brav, voll wahrer Sram: 
migfeit und ein Feind aller Berfiellung und Heuchelei, Als Mitglied der Artadier 
in Rom trug er den Namen Amanuio scialidico, 
-  Bilbert, zwei franz Dichter: 1. Gabriel ©. lebte im 17. Jahrh, war 
ein Zeitgenoffe Racine’s und Torneille's, Denen er mit f. dramatiſchen Arbeiten vor: 
ausging, welche aber durch die ihrigen Die feinigen verdunkelten, obgleich man will 
nachmweifen Eonnen, daß beide große Dichter es nicht verfehmäht haben, ihn zu be: 
nußen; er war Secretair der Herpogin v. Rohan, dann bei ter Königin Ehrifiine 
v. Schweden, die voll Bewunderung über ©. (den fie „ınon besu génie“ zu nen: 
nen pflegte), ihn zum fchroed. Refidenten beim franz. Hofe ernannte und mit Ge⸗ 
ſchenken überhäufte. Nach dem Tode Ehriftinens, und da auch f. Stüde das Pu⸗ 
blicum nicht mehr anzogen, verfiel er in Armuth und Dergeffenbeit. Außer einer 
oßen Anzahl poetifcher Arbeiten bat man von ihm 15 Theaterflüde. In f. 
rauerfpiele „Zelepbont” Tieß der Cardinal Richelieu einige von f. eignen Berfen 
einrüden: eine Öefälligfeit, die dem Dichter von dem großen Staatsmanne, der 
aber nur ein fchlechter Reimer war, hoch angerechnet wurde. Auch bat er eine Kunſt 
zu lieben” dem Ovid nachgebildet. N. Nicolas Joſeph ©., geb. 1751, ward 
durch Schicfal, Gemuͤthsſtimmung und Talent zur Satyre bingeführt, und es gibt 
franz. Kunftrichter, die ihn ihren “Juvenal nennen. Er warf fich unter die Partei, 
welche der der fogenannten Philoſophen entgegenfiand, mit einer folchen Heftigkeit, 
daß man von ihm fagte, er babe die Sturmglode gegen fie gezogen. Seine Saty⸗ 
ren: „Das 18. Jahrhundert“, die er 1775 an Freron adreffirte, und „Meine Apo⸗ 
logie”, 1778, haben folche Eraftuolle und treffende Stellen, dag man dadurch an den 
romifchen Dichter erinnert wird. Es gibt eine Sammlung f. Poeſien in 2 Bdn, 
Er ftarb faſt wahnſinnig 1780.. 

Gil de, gleichbedeutend mit Guͤlde, Silte, Zunft, Einung, In⸗ 
nung, Baffelamt, Gaffel, Amt, Zeche, Bruderfchaft, Amts: 
gilde, bedeutet öffentlich beſtaͤtigte Sefellfchaften von Handwerksgenoſſen, welche 
mit einer Ordnung und Lade verfehen und, mit Ausfchließung Andrer, ein gewi 
Handwerk zu treiben berechtigt find. Auch Handwerker von ganz verfchiedener Art 
können Iufammen eine Gilde ausmachen, wie dies z. B. mit den Seuerarbeitern, 
Lederarbeitern ıc. der Fall if. Aus dem Begriffe Gilde oder Zunft folgt fchon von 
ſelbſt, daß terfelben überhaupt alle diejenigen Rechte zuftehen müffen, weiche eine 
jede erlaubte Sefellfchaft im Staate genieft. Auf dieſem Srundfaße beruht das 

echt der Zünfte: 1) gewiſſe Gilde⸗ oder Zunftartikel, oder Handiwerfsordnungen 
zum Beften dev. Gilde verabreden zu dürfen und darüber Sildebriefe zu befigen, d. i. 
eine fchriftliche Beflitigung ober ein Privilegtum der Landesobrigkeit, worin zugleich 
die Rechte des Handiverks, deffen Freiheit und Schranken enthalten find, nebft 
Dem, was deffen Meifter eigentlich verfertigen und treiben Eonnen. 2) Einzelnen 
Mitgliedern zur Erhaltung einer guten Ordnung die Aufficht über beflimmte Gil⸗ 
den = oder Innungsgeſchaͤfte zu übertragen und bei Proceffen, welche bie Gilde bes 
treffen, einen Syndicus zu beftellen. 3) Zufammenfünfte (oder Diorgenfprachen, 
weil fie ebedem des Morgens mit Aufaang der Sonne ftattfanden) zu halten, 


Gilray Ginguens 700 


menn es das Beſte der Gilde erfodert. Endlich 4) ein gemeinſchaftliches Vermoͤ⸗ 
gen zu beſitzen und zur Beſtreitung der Koſten, welche die Erhaltung und das Beſte 
der Innung erfodern, Abgaben zu beſtimmen, welche die Gilde⸗ oder Zunftgenoſſen 
entrichten muͤſſen, und die nebſt andern Gildeſachen in einer gemeinſchaftlichen Lade, 
Gildelade, aufbewahrt zu werden pflegen. An einigen Orten macht man einen Un⸗ 
terſchied zwiſchen Gilde und Zunft, z. B. in der Mark Brandenburg ſcheint der 
Ausdruck Gilde anſtandiger zu fein ale Zunft, Innung, Gewerk, und eine geehrtere 
Innung oder Geſellſchaft zu bedeuten. An andern Orten hält man die Benennung 
Bilde für gering, eriheilt fie den gemeinen Handwerkern, und belegt die übrigen mit 
dem Namen Amt oder Amter, Liber den Vortheil oder Nachtheil, den die Bilden 
‘der gemeinen Wohlfahrt bringen follen, ſ. Zunftwefen. 
ilray, f Saricatur. 
Simle, [Mordifhe Mythologie, 
Singuene (Pierre Louis), Literator, geb, zu Rennes in der Bretagne 
47148, flammte aus einer alten verarmten Familie. Fruͤh eignete er fich ältere 
und lebende Sprachen mit Leichtigkeit an und zeigte lebhaften Sinn für Malerei, 
befonders für Dichtkunft und Muͤſik. Zu Paris mußte er feine Zeit zroifchen Arber - 
ten in einem Bureau des Contröle gencral und feine Studien theilen, Puͤnktlich⸗ 
keit und Gewandtheit in der Gefchäftsführung und eine ebenfo geläufige als ziers 
liche Handfchrift empfahlen ihn feinen Vorgefeßten ebenfo fehr, als ein von ihm im 
„Almanac des \lnses“ anonym eingerüdtes Gedicht: „Confession de Zulme”, 
Auffeben erregte. Deffenungeachtet warf er fich gegen alle Erwartung in ganz 
-fremdartige Studien. Er ergründete die Tiefen der franz. Sprache in ihren Gram⸗ 
matifern und Altern Dichtern, vorzüglich im Nabelais und Malherbe. Beide 
Schriftſteller — vorzüglich der letztere, den er in metrifcher Hinficht und als Sans 
ger großer Männer und Thaten noch über Jean Baptiſte Rouffeau erhob — wur: 
den feine Lieblinge, und es war ihm ein vorzüglich angenehmes Gefchäft, die vers 
blichenen oder doch vergeffenen Schönheiten beider Dichter in allem Reiz ihrer Ju⸗ 
end wieder vorzuführen. Bald darauf begannen die Kämpfe zwifchen Gluck's und 
—** Anhaͤngern. G. entſchied ſich bald fir Piccini und die ital, Muſik, und 
trat mit deſto größerer Feſtigkeit in den Kampf, da er Piccin?’s perſonlicher Freund 
geworden war, Auf ihm allein beruhten die ganzen Hoffnungen feiner Partei, 
twührend an der Spiße der andern zwei nicht nur durch mufifalifche Bildung, fon- 
dern auch als Denker und Schriftfteller ausgezeichnete Deänner, Arnaud und Suard, 
. fanden. In einer Heinen Schrift („Melophile & I’hoınmo de leltres, charge 
de la redaction des articles de l'Opéra dans le Mercure de France”, Paris 
‘ 1782) begegnete er dem Angriffe der Gegner, und noch lange nachher fchricb er eine 
nicht unbedeutende „Notice sur la vie et les ouyrages de Nic, Piccini” (Paris 
1800), in welcher er, bei aller Vorliebe für diefen Componiften, doch auch Gluck 
als ein Mann von Geſchmack und Einficht beurtheilte, wenn er ihm auch nicht im: 
mer volle Serechtigfeit widerfahren lieg. Sin Gedicht auf den Tod des Prinzen 
Leopold von Braunſchweig und eine Denkfchrift auf Ludwig XII, beide durdy 
Preisaufgaben der franz. Akademie veranlaßt, fanden bloß ehrenvolle Erwähnung. 
Größere Aufmerkfamkeit erregten f. „Leitres sur les confessions de J. J. Rous- 
‚scan‘ (Paris 1794, engl. überf. Lonton 1792, 12). Durch die firenge Unpar- 
teilichkeit,, mit welcher er Rouſſeau's Leben durchmufterte, trug er mehr zu feiner 
Dertbeidigung bei, als es der entfchiebenfte Lobredner würde gethan haben. Die 
Revolution, an welcher er als Freund der Freiheit thätigen Antheil nahm, führte 
ihn Mr größere Kreiſe des literarifchen und amtlichen Wirkens. Ohne feinen Stu: 
dien untreu zu werden, deren ununterbrochene Pflege feine literarifchen Beiträge zum 
„Möniteur” und „Mercnre de France” (4790-92), die Bearbeitung des zur 
„Encyclopedie methodique” gehörigen „Dielionnaire de musique” (in Geſell⸗ 


7110 Gioja 


ſchaft mit Framery, Paris 1791 und 1816, 4.) und fein Antheil an der „Nou- 
velie grammaire raisonnde” (Paris 1795) beurfundeten, gefellte er ſich durch 
feine Theilnahme an der „Fenille villageoise” (1791 und 1792 in Sefellfchaft 
mit Srouvelle, 119395 allein), und durch die Herausgabe der von ihm geftifte: 
ten „Decade philosophique, litteraire et polilique” (1794—1807, 54 Bde., 
feit 1805 u. d. T. „Revue‘) zu den verfländigern und ruhigern Sprechern über die 
Ereigniffe des Tags. Die „Decade”, welche früher ebenfo wenig für Robespierre 
als fpäter für Bonaparte in die Poſaune fließ, war die einzige Zeitfchrift, welche 
fich durch die ganze Revolution hindurch erhielt, ohne je ihren Charakter und Werth 
zu verläugnen. Nicht minder thätig zeigte er fich in feinen amtlichen Verhaͤltn iſſen 
als Directeur general d’ l’instruction publique, und (nach Niederlegung dieſer 
Stelle im Febr. 1798) als Sefandter der Republik am Hofe zu Turin, Bei feiner 
Rückkehr wurde er Mitglied des Tribunats. Da er es aber für feine Pflicht hielt, 
fih einigen Mafregeln der Regierung zu widerfeßen,, fo war er einer von den Tris 
bunen, die der Senat 180? ausfchloß. Jetzt unternahm er das verdienſtvolle Werk, 
welchem er den größten Theil Fines Ruhms verdanft: „Histoire litteraire d'lia lie 
(Th. 1 — 6, Paris 1811 — 13, Th. T— 9 nach feinem Tode 1819; vol. Salfı). 
Wenn Tirabofchi bei feinen Forſchungen mehr das Einzelne als das Yılgemeine im 
Auge hatte, fo fuchte ©. im Segentheil darzuſtellen, welchen Gang die Literatur 
überhaupt von dem Zeitalter Konſtantin's an bis auf das 18. Jahrh. herab in Ita⸗ 
lien genommen babe. Er erzaͤhlt aus Quellen und urtheilt meift mit Unbefangen: 
beit. Weder die Sedanfen noch der Styl haben etwas Blendendes; aber man 
wird angezogen durch den anfpruchlofen, gefunden Verſtand, der in dem ganzen 
Werke herrſcht, durch die treffende Chqrakteriſtik des Einzelnen und durch eine edle 
Sprache, welche, ungeachtet einer gewiffen Eintönigkeit der Wendungen, ſich den 
Segenftänden gehörig anpaßt. Außer feinen Arbeiten als Mitglied des Inſtituts, 
deſſen Sigungen er unausgefeßt befuchte, ſchrieb G. noch feine meift ital. Vorbil⸗ 
dern nachgebildeten Fabeln (Paris 1810 u. 1814), überfegte Catull's Hochzeit 
der Thetis und des Peleus” in franz. Verſe (Paris 1812) und nahm an der „Bio- 
graphie universelle“ und am 13. und 14. Theil der „Histoire litteraire de la 
"rance” thätigen Antheil. Eine glückliche Unabhängigkeit, angenehme häusliche 
Derhältniffe und die volle Achtung der Beſten feiner Nation erheiterten den Abend 
feines Lebens. Er ftarb zu Paris am 16. Nov. 1816. Außer den erwähnten Schrifs 
ten und einigen Eleinern Brochüren bat er Chamfort's (Paris 1795, 4 Bde.) und 
Lebrun’s (Paris 1811, 4 Bde.) Werke herausgeg., und den Tert zur 14. — 25. 
Lief. der Tableaux de la revolution franc. verfertigt. Der Katalog feiner hinter: 
laſſenen Bibliothek hat wegen der überreihen Sammlungen für die ital. Literatur 
einen bleibenden Werth. Diefe Bibliothek ift an das britiſche Muſeum in London 
im Ganzen verfauft worden, | As. 
Sioja (Flavio), von Einigen auch Gira und Giri genannt, ein Seefah⸗ 
rer aus Pafitano, einem Dorfe in der Naͤhe von Amalfi, lebte zu Ende des 13. 
und Anfange des 14. Jahrh. Er ward lange für denjenigen gehalten, welcher zuerſt 
die Eigenfchaft des Magnets zur Beſtimmung des Weges auf dem Meere anwandte, 
und fomit Erfinder des Sompaffes wäre. Naͤhere Unterfuchungen über diefen Ge⸗ 
genftand ergaben jedoch, daß fehon die europ. Seefahrer des 12. Jahrh. ſich der 
Magnetnadel bedient hatten. Daher kann das Verdienſt des amalfitanifchen Schif: 
fers nur darin beftehen, die bereits vorhandene Erfindung vervollkommnet zu has 
ben, was ihm jedoch immer den Dank der Nachwelt fichert. Bis auf ihn hatte 
man nur eine höchft unvollfommene Emrichtung, zufolge welcher die wegweiſende 
Tadel, auf ein paar Strohhaͤlmchen oder dünne Holzfplitter gelegt, in einem Se 
faß mit Waſſer ſchwamm, und ˖ſo durch ihre Richtung die Himmelsgegenden ans 
jeigte, natürlich dies aber nur dann vermochte, wenn die See ruhig und das Schiff 





u 5——— —— — — 


MDradel dermaßen zu befeſtigen, daß fie in jeder Lane unverruͤckt nach 


Giordano ©iorgione | 714 


@Hne große Schwankungen war. Er war ber Erfie, der die Derrichtumg erfand, die 
| orden zeigt, 

und wie einflußreich dieſe Entdeckung war, gebt fhas daraus hervor, daß gleich dar- 

auf die ganze Nautik einen andern Charakter ar.” dmen, und der bis dahin fich nur - 
felten aus dem Sefichtsfreis der Rüften entfernende Schiffer nun dreift und kuͤhn fich 
auf die weiteften Meere wagen konnte. Daß G. daher im eigentlichen Sinne der Ba: 
ger der neuern Schifffahrt ift, und die Nachwelt ihm den Gewinn zu danken hat, 
welchen fie feitdem aus der Deruollfommnung derfelben 309, ift klar. Später iſt 

©&.’s Erfindung vielfach verbeffert worden. ( aal. Compaß u. Magnetnadel.) 

Giordano (Luca), Maler, geb. zu Neapel 1632, ein Schüler Efpagno« 
Let's, ging, um die größten Meifter Italiens kennen zu lernen, nah Nom und ver- 
einigte fich mit ‘Peter von Tortona, dem er als Schüler bei feinen großen Arbeiten 


- Half. Später hatte Paolo Veroneſe großen Einfluß auf ihn. Deffenungeachtet 


abmte er die berühmteften Maler mit einer folchen Vollkommenheit nach, daß felbft 
Kenner dadurch getäufcht wurden. Man hatte ihm ben Namen Luca fa presto ges 
. geben, wegen der unglaublichen Schnelligkeit, mit welcher er malte, oder eigentlich, 
weil fein Bater, der ihn aus Eigennuß zur Eile antrieb, ihm dieſe Worte oft zugeru: 
fen haben foll. Sein Seift war an Erfindung reich, fein Colorit fanft und harmo⸗ 
niſch und fein Pinfel frei und KR mit der Derfpertive war er gründlich vertraut. 
In Neapel war er nach ſ. Ruͤckkehr viel befchäftigt. 1679 berief ihn Karl IT. von 
Spanien zu fich, um das Escurial zu zieren. G. war von heiterm Temperament 
und belufligte den Hof mit feinen Einfüllen. Die Königin äußerte einmal grgen 
ihn den Wunfch, feine Frau zu fennen. Der Maler verfertigte auf der Stelle ein 
Bild von ihr und zeigte es der Fürftin, welche darüber fo entzuckt war,’ daß fie ihr > 
Derinbalsband abnahm ımd es ibm zum Geſchenk für feine Frau übergab, “Der 
König zeigte ihm ein Gemälde von Baffano und äußerte fein Mißvergnügen, das 
Begenftück nicht auch zu befigen, Wenige Tage darauf zeigte ©. dem Könige ein 
Gemälde, das diefer für ein Wert Baflano’s anfah und fo lange dafür bielt, bie 
Jener darthat, daß er es felbft verfertige Habe. Außer diefem Gemälde malte er, um 
die Weiſe diefes Malers nachzuahmen, noch 2 andre, die man in der Karthauſe 
St.⸗Martin zu Neapel findet; auch fieht man in derfelben Kirche ein Gemälde, 


‚worin er demChevalier Maſſimo Stanzioni nachgeahmt hat. Nach dem Tode 


Karls.Il, ging er in fein Vaterland zurüc und ſtarb dafelbft 1704, Seine vorzüg- 
lichſten Stücke find die Freschgemaͤlde im Escurial, in Madrid, Florenz und Rom. 
Auch befinden fich in der dresdner Galerie einige feiner fchönften Bilder. Die Zahl 
feiner Werke iſt zu groß, als dag ihm zu einem forgfültigen Studium Zeit geblieben 
wäre; nur wenige find daher tadellos. 0 

Siorgione di Caſtelfranco, eigentlih Giorgio Barbarelli, geb. 
1477 zu Caſtelfranco im Venetianiſchen, einer der berühmteften Maler. der vene- 
tianiſchen Schule. Sein Lehrer war Giovanni Belkin, der ihn aus Neid von fich 
entfernte, In Bencdig ſchmuͤckte er mehre große Gebäude, wie es Gebrauch war, 
mit ausgezeichneten Wandgemälden, 3. B. die Facade des Waarenlagers der Deut: 
ſchen, wovon die meiften leider zu Srunde gegangen find, und fand darin an Titian 
einen bedeutenden Nebenbuhler. Seine Portraits gehören zu den fchönften der ital. 
Schule, Auch fol er, um den Streit über den Vorzug der: einzeinen bildenden 
Kunſte von einander praftifch zu entfcheiden, nach Vaſari's Bericht einen Nac⸗ 
ten gemals haben, der von der Ruͤckſeite gefehen ward und ſich mit der Borderfeite 
in einer. klaren Wafferquelle abfpiegelte, Auf dem abgelegten, belt polirten Kuͤraß 
bifdete fich fein linkes Profil ab, während am Spiegel auf der andern Seite das 
‚rechte zurüdfpiegelte, womit er eigen roolite, daß die Materei darum den Barzug 


verdiene, weil fie in einer einzigen Anficht mehr von einem Körper ols die Skulptut 


‚zeigen koͤnne. Seine Werke find felten, In Mailand, in den Galerien von Wien, 


® , 


13 SGiotto Gi 


und Dresden bewundert man einige feiner Bilder, auch iſt in dem herzogl. Palaſt in 
Braunfchweig und in der Galerie in Pommersfelden ein Gemälde von ihn vorhan⸗ 
den, Er flarb fehon 1511 an den Folgen einer zu großen Neigung für das fehone 
Geſchlecht. Seine Schule zeichnet fi in der Wahrheit des Colorits aus, 
Gliotto. Diefer berühmte Maler und Petrarca's Freund hieß eigentlich 
Ambrogiotto Burdone. ‚Als der Sohn eines Bauern in dem florentiifchen 
Dorfe Vefpignano (geb. 1276 nah Bafari, 1265 nach Baldinucci) war er be: 
ſtimmt, das Died zu hüten, Da Cimabue ihn einft beobachtet hatte, wie er eine 
von feinen Schafen mit einem fpißen Stein auf ein Stüd Schiefer zeichnete, bat er 
feinen Vater, ihm den Sohn zu überlaffen, und nahm ihn mit nach Florenz, wo er 
ihn in der Malerei unterrichtete, Seine glüdlichen Anlagen, befonders die ihm ei⸗ 
genthümliche Grazie, entwickelten fich To fehnell, daß er in Kurzem feinen Meifter 
und alle mitlebende Maler übertraf. Er faßte in feinen Bildern die menſchl. Dinge 
wahrhaft und gemüthlich auf, zeichnete fich vor feinen Zeitgenoffen durch edlere For: 
men, gefällige Vertheilung der Figuren, Beobachtung der Proportionen und natürs 
liche Behandlung der Gewaͤnder aus. Seine Figuren haben mehr Leben und freie 
Bewegung als die feines Vorgängers Cimabue, fowie er überhaupt den fleifen Styl 
verließ, aut. vorzüglichften Werken gehört die beruͤhmte Nas icelta (Öchifflein) im 
Rom (die Darftellung des Apoftels Petrus, der auf dem Waffer geht, in mufivifcher 
Arbeit), in Florenz einige Srescogemälde (die Krönung der heil. Marla in der Kirche 
Santa Eroce und die von Michel Angelo und Mengs fo bemunderte Srablegung der 
Jungfrau); ferner die Sefchichte des heil. Franciscus in Sacro convento zu Aſſiſi 
und mehre Miniaturen. Diefer außerordentliche Mann trieb mit gleichem Stud 
die Bildhauer: und Baukunſt. Er ftarb 1336 und Hinterlieg eine Menge Schüler. 
Sirardon (Franzois), Bildhauer und Aeeitekt, geb, 1628 zu Troyes in 
Champagne, hatte Laurent Mazicre zum Lehrer. Nachdem er fich unter Francois 
Anguier vervollfommnet hatte, erlangte er einen folchen Ruf, daßLudwig ALV, ihn 
mit einer jährl. Unterſtützung nach Nom ſchickte, um die Meiſterwerke alter und 
neuer Zeit zu fludiren. Nach feiner Rüdkehr ſchmückte er die fonigl, Schlöffer mit 
feinen Arbeiten in Marmor und Bronze, Nach Lebrun's Tode erhielt er das Amt eis 
nes Oberauffebers aller Bildhauerwerke. Nur der berühmte Pujet war mit diefer 
Wahl unzufrieden, und ging, um nicht von ihm abhängig zu fein, nach Marfeille, 
Beide Nebenbuhler waren einander würdig. Pujet gab feinen Figuren mehr Aus⸗ 
drug, G. mehr Anmuth. Auch zeichnen fich feine Werke durch Reinheit der Zeich- 
nung und Schönheit in der Anordnung aus. Die vorzüglichften find: das prächtige 
Grabmal des Cardinals Richelieu, fonft in der Kirche der Sorbonne, nachher in dem 
jegt wieder aufgehobenen Vduſeum des Petits- Augustins; die Reiterftatue Lud⸗ 
wigs XIV., welche fein Meifterflül war, und am 12. Aug. 1792 umgeworfen 
wurde; endlich. in den Gärten von Berfailles die Entführung der Proferpina von 
Pluto und die herrlichen Gruppen, welche die Boskette der Apollobäder ꝛtc. zieren. 
Da G. zu fehr befehiftige war, um feinen Marmor felbft bearbeiten zu koͤnnen, über⸗ 
ließ er dieſen weſentlichen Theil der Bildhauerei Künftlern, die zwar geſchickt, aber 
doch nicht von den Talenten ihres Meitters waren, Er ſtarb zu Paris 1715. Seine 
Gattin, Katharina du Chemin, war Ölumenmalerin. 
/, Biro (Rreis, Kreislauf), die mehrmals gefchehene Indoſſirung 
(Übertragung) eines Wechfelbriefs; Daher ein von einem Inhaber auf einen andern 
indoffirter Wechſel ein girirter Wechfelbrief, die Handlung der Übertras 
gung aber giriren heißt. Der, welcher einen girirten Wechfelbrief an einen Andern 
indoffire bat, wird der Girant, Derjenige aber, an welchen ein folches Indoſſe⸗ 
ment gerichtet ift, der Sirat genannt, Ein ausgefülltes Giro wird dadurch bes 
wirkt, Daß der Girat in dem Giro mit Beifügung des Datums benannt ift, und der 
Traſſat (dev Bezogene) wir der Bezahlung an ihn ader deffen Ordre angewiefen wird. 


Girobank Glrondiſten 1713 


Ein Giro in blanes oder ein unausgefuͤlltes Giro iſt ein ſolches, wo fiber dem 


Namen des Giranten ein leerer Raum gelaſſen iſt, damit der Girat das Giro ſelbſt 


ausfüllen kann. Der Girat bat dabei den Vortheil, daß er nicht mit in die Reihe 


der Siranten tritt, und mithin von’der den Giranten Fillfchweigend obliegenden Ders 
bfirgung des Wechſels befreit bleibt. Da indeß auch mancher Unterfchleif durch Sirt 
der Art möglich gemacht wird, fo find fie in vielen Wechfelordnungen verboten. 
Girobank, diejenige Sattung von Depofitobanfen (f. d.), bei wel⸗ 
cher edles Metall in Stangen oder gemuͤnzt hinterlegt, und über die dargebrachte 
Summe dem Hinterleger ein Tredit auf Die Bücher der Bank eröffnet wird. Diefe 
Bankanſtalten feßen feine Ioten in Umlauf, wie die Zettelbanfen thum, fondern es 
wird einem Jeden, der darin edles Metall niedergelegt hat, im Hauptbuche der 
Bank 'die eingelegte Summe nach Bankgeld berechnet, auf ein eignes Blatt (Fos 
lium) angezeichnet; hat er dann an einen Dritten Zahlungen zu leiten, fo braucht 
er nar eine Anmweifung zu geben, die zu zahlende Summe von f. Blatt,ab-, und auf 
dem Blatte des Empfängers zuzuſchreiben. Es verfteht fich von felbft, dag die 
Bank für die empfangenen Summen £eine Zinfen zahlen kann, denn der Eigenthüs 
mer kann ja darkber zu jeder Zeit ebenfo verfügen, als ob er die Summen felbft vers 
wahrte; die Bant leiſtet Bemfelben dadurch einen wichtigen Dienft, das fie ſ. Munz⸗ 
metall ficher verwahrt und ihn der Muͤhe überbebt, f. Zahlungen felbft zu machen, 
Eine Bank diefer Art ann aber nur den Handelsleuten ihres Orts dienen, da nur 
auf mündliche Anmeifungen Summen überfchrieben werden Eönnen, indem bie 
fehriftliche zu große Gefahr des Betrugs veranlaffen würde, Die bedeutendften 
Anſtalten diefer Art befinden fich in Hamburg und Amfterdam. KM. 
Sirodets Triofon (nach f. Adoptiv: Dater, dem Arzte Triofon), geb. 
41767 zu Montargis, der eigenthümlichfte, vielfeitigfte und wiffenfchaftlichfte der 
neuern franz. Mater, war Negnault's Schüler. Sein Bater (Domainendirector 
des Herz. von Orleans) beftimmte ihn für das Militair, gab aber endlich deffen 
Neigung für die Malerei nach. In früherer Jugend fludirte G. in Rom. In Das 


vid's Schule gemann er, 22 J. alt, den großen Preis, Man erkennt in G.s Wer: - 
‚£en eine entfchiedene Neigung zu plaftifcher Vollendung und antifem Styf, doch 


waltet Dabei Yeben und Natur mit ſchoner Eigenthumlichkeit in allen ſ. Gemaͤlden. 
eine Zeichnung ift.richtig und von ſtrenger Beftimmtbeit, fein Colorit reich und 
durchfcheinend, doch harmoniſch, fern von Buntheit. G. arbeitete mit ebenfo ſtren⸗ 


ger Sorgſamkeit als Senialitätz er liebt die Tichteffecte, aber fie gehen bei ihm aus 


bem Geifte des Bildes hervor, Eines von f. fehönften Gemälden ift f. Endymion, 
den er in Italien malte. Sein Hippokrates (geftochen von Waffard) hat eine wun⸗ 


derfam fchöne Beleuchtung; f. Joſeph, der fich feinen Brüdern zu erfennen gibt, iſt 


ein idylliſches, Liebliches Werk; f. Dffian bat Schönheiten der Zeichnung, ift aber 
in der Erfindung verfehle. Berühmt iſt die große Sündflutsfcene diefes Meifters; 
ein Hauch von Buonarott’g Riefengeift weht darin. Ein rührendes Bild ift G.'s 
Atala nach der berühmten Erzählung. Chateaubriand’s, Er malte Napoleon, wie 
ex die Schlüffel der Stade Wien empfaͤngt. "Mit Feuer und Geiſt erfunden und 


. durchgeführt war die Empörung zu Kairo, Seine Portraits find voll Kraft und 


Wahrheit. So malte er 1824 in ganzer Figur die Heerführer der Dendee, Bons 
Kamp und Cathelineau; jenen nach einen Miniaturbilde, diefen aus den Zügen 
feines ihm ähnlichen Sohnes, Sein leBtes, fehr großes Gemälde ftellt den beit, 
Ludwig in Agypten dar. 1847 wurde ©. Ritter des St.Michaelordens. Er farb 
zu Paris den 9. Dec. 18524, Rechtlichkeit, Befcheidenheit, Strenge gegen firh und 
Mitte gegen Andre, tiefer Kunftfinn und warmes Gefühl waren die Hauptzüge 
feines Charakters. Wi: 

Sirondiften (les Girondins), die Partei der Republikaner edlerer Ge⸗ 


finnung in der zweiten franz. (gefeßgebeuden) Nationalverſammlung (1791—83), 


1}: 


Ser berfelben, Guadet, - und iaud, denen 20 Andre (unter 


thums auszuretten und eine Nepublik zu 
und f. Freunde in Paris nicht an den Clubb der Feuillants an, weicher das canftitus 
tionnelle Konigthum vertheibigte, fondern an die Jacobiner, unter welchen bereits 
die wildeften Demagogen (die Eorbeliers), Danton, Robespierre, Briſſot, Petion, 
Sieyes u. A., theils aus Schwaͤrmerei, theils von verwegenem Üibermuth, getrie: 
ben, den Haß des Volks gegen den König zum gänzlichen Umflurze der Monarchie 
aufzuregen begonnen hatten. Guadet machte durch f. ftürmifche Rebnerfraft den 
größten Eindrud, Er wandte fich vorzüglich gegen die Ausgewanderten, die Prieſter, 
Hof und die Miniſter. So feßten er und Senfonne d. 2. jan. 1792 das Anflage- 
Decret gegen die Brüder des Königs durch. Indeß gab es auch gemäßigte Girondi⸗ 
fien, die wenigſtens nicht offen zu den Königsfeinden gehörten. Aus biefen wählte 
Ludwig f. Minifter, Roland, Servan, Claviere und Dumouriez; allein die übrigen 
förttten mie um fo größerer Heftigkeit auf der Bahn ber Revolution fort, und der 
ngriff auf die Tuilerien, 20. Juni 1792, wurde als ihr Werf-angefehen. “Durch 
die ochkofratifchen Plane der Faction Danton befonnener gemacht, fingen fie zwar, 
Ente Juli 17192, an, ſich den Tonftitutionnellen mehr zu nähern, und felbft mit dem 
Hofe zu unterhandeln; da fie aber ihre Foderungen verworfen fahen, nahmen fie 
ihr altes Syſtem wieder an, hatten jedoch an dem 10. Aug., der ganz das Werk der 
Baction Danton war, keinen Antheil. Sie glaubten, der Augenblid, eine Republik 
errichten, fei noch nicht gefommen, und fchlugen fogar vor, dem Dauphin einen 
ouverneur zu geben. Nach dem 10. Auguft wurden Guadet und andre Si: 
rondiſten die wirkſamſten Mitglieder der Regierungscommiflion, too. fie nicht nur 
Beine Gewaltthat begingen, fondern feibft Seichtete in Schuß nahmen. Allein 
bald mußten fie der übermächtigen Partei Danton’s weichen, welcher die parifer 
Stadtgemeinde auf f. Seite hatte, und unter ihren Augen das Morden der Sefans 
genen am 2, Sept. geſchehen laſſen. Als die Heere der Verbündeten in Frankreich 
eindrangen, erhob fich ihre republifanifche Begeifterung aufs Neue. Damals ver 
langte Guadet, die Eleine Stadt Longwi folfe der Erde gleich gemacht werden, weil 
8 ſich vom Feinde Hatte nehmen laſſen. Mit großem Muthe widerſetzte er ſich der 
action Orleans und drang auf die Beſtrafung der Verbrechen im Sept. Aber 
die G., welche jetzt durch dan berühmten Sondorcet eine neue Conſtitution entwer⸗ 
fen 5 — konnten bei ihren Grundſatzen weder auf den Beiſtand der Conſtitution⸗ 
nellen rloch der. Royaliſten rechnen, und die Ochlokraten warfen ihnen ihre frühern 
Werbindungen mit dem Hofe vor; am beftigften griffen die frechern Jakobiner (die 
Anarchiften) und die Sordefters (die Diaratiften), vor allen andern &. Guadet an, 
weit fie ihn am meiften fürchteten. Dies that vorzüglich Nobespierte. Allein der 
Nebner von der Saronne fehlug mit der Kraft f. Talents den Guͤnſtling des Pöbels 
keicht zu Boden; ſodaß felbft ſ. Feinde den Sieger bewundern mußten. Am kühns 


Giulio Romano Giunti 115 


ſten erhob ſich Guadet, als er Danton und Robespierre anklagte, daß fie tie Stügen 
einer weit gefaͤhrlichern Partei wären. Zugleich ließen die G., um ihre Feinde zu 
soiderlegen, die Todesftrafe gegen Jeden ausfprechen, der die Bourbons wieder auf 
den Thron riefe; hierauf ſchlugen fie die Todesftrafe gegen Die Ausgemandırten 

und den Haftbefehl gegen ‘den Herzog von Orleans vor. In dem Procef den Kös 
nigs ſtimmten Suadet, Senfonn: und Vergniaud für den Tod, nachdem ihr Vor: 
ſchlag, daß man wegen der Berurtheilung das Volk befragen folle, verworfen worden 
War. (Bergniaud’s improvifirter Appel au peuple ift eine der ſchoͤaſten Reden in 
der franz. Sprache.) Nach dem Ausfpruche des Todesurtheils verlangte Guadet 
mit großem Nachdrud den Auffchub der Vollziehung und bewirkte den viergn Na⸗ 
Menaufruf in jenem unglädlichen Proceffe. Indeß Eonnten fie ihre Feinde nicht 


entwaffnen. Vielmehr beging die Thalpartei, wie man die ©. nannte, weil fje auf 


den Banken des Erdplaßes faßen, Die Unvorfichtigkeit, gegen Marat (20. Aprif) eine 
Anklage zu decretiren. Er ward vom Revolutionstribunale Tosgefprochen, und der 
Berg bielt fih durch diefes Beifpiel für berechtigt, auch feinerfeits die Girondiſten⸗ 

aupter vor das Mevolutionstribunal zu ziehen, Da aber die Ochlofraten und 


Anarchiſten (Marat, Pache, Hebert, Chaumette, Chabot u. A.) fahen, daß fie den 


G. nicht die Stimmenmehrheit in der Berfammlung entreißen würden, fo bedienten 
fie fich der parifer Sectionen , welche mit aufrührerifchem Geſchrei vor dem Convent 
erſchienen und die Verurtheilung der G. foderten; auch dies Mal, und felbft als die 
ganze parifer Stadtgemeinde die Foderung wiederholte, triumphirte der unerſchro⸗ 
ckene Republikaner Guadet, Nun bemwaffneten jene den Pobel der Vorſtaͤdte St. 
Antoine u.a, Am 31. Mai 1793 ertönte die Sturmglode. Ein bemwaffneter 
Haufe umgab den Convent, während Haffenfraß, von einer Schar ſogenannter Bit⸗ 
tenden begleitet und von ihrem Mordgeſchrei unterflügt, die Achtserflärung der 22 
G. verlangte. In diefem entfcheidenden Augenblidte erhob fich Guadet abermals 


‚auf der Rednerbuͤhne, und f. Partei fchien auch dies Mal noch zu fiegen; allein der 


Aufftand dauerte fort am 1. und 2. Juni, die Anarchiften, von einem unfinnigen 
Möbel unterflüßt, gemmannen die Oberhand, und 34 von der Sirondepartei wurden 


-geächtet und zur Erfcheinung rar dem Nevolutionstribunal verurtheilt. “Die Mei: 


ften der Angeklagten fuchten fich durch die Flucht in die weftlichen Departements zu 
retten, welche fe zum Aufftande gegen den Convent zu bringen hofften. “Diefer, 
unterdem Schuße des Schreckens, der an der agesordnung war, fehritt aber unauf⸗ 
Baltfam in f. Maßregeln fort. Die Zahl der Seächteten ward auf 53 ermeitert; 
66 Andre, die gegen die Befchlüffe vom 1. und 2. Juni proteftirt hatten, wurden 
aus dem Convent geflogen und auch in Verhaft gebracht. Es folgten num fehnell 
KHinrichtungen auf Hinrichtungen. In Paris fiel zuerft Gorſas unter dem Beil 
der Suillotine (7. Det. 1793); dann am 31. Briffot, Senfonne, Dergniaud, Sils 
lery und 17 Andre. Wenige retteten fich (unter diefen Louvet, der f. Begebenhei⸗ 
sen während f. Achtung auf eine höchft anziehende Weife unter dem einfachen Titel: 
„Quelques'notices pour }’histoire” [deutfch von Archenholz und von C. F. Cra⸗ 
mei ‚ dem Publicum mitteilte). Roland, Claviere, Petion, Buzot, Condorcet 
u. A. gaben fich felbft den Tod. Guadet wurde in Bordeaus den 17. Juli 1794 
(35 J. alt) guilfotinirt, undbald nachher f. Vater, f. Tante und fein Bruder, weil fie 
die Verwandten des Seächteten waren. X 
Siulio Romano, f. Julius Romanus. | i 
Siuntt. Diefe berühmte alte Buchdruderfamilte (Yunts, Junta, Juncta 
md Siunta, auch Zonta genannt) flammte nicht aus yon, wie man behauptet hat, 


% 


-fondern aus Florenz wo fie fehon 1354 vorkommt. Der dort noch blühende Zweig 


wurde durch ein Decret von 1789 zum Range einer Patriziesfamilie erhoben. Seit 
dem Ende des 15. Jahrh. erfeheinen die G. als Buchhändler und Buchdruder ; zu 
Denedig, zu Florenz, fpäter zu Lyon, endlich zu Burgos, Salamanca und Madrid 


1 


716 Giunti 


vermehren re Dfficinen durch fehr beachtenswerthe Drude die Hülfsmittel der 
europsifchen Bildung. Die ältefte diefer Druckereien feheint die venetianifche zu fein, 
geſtiftet durch Tucas Anton G., der aus Florenz ſich nach Venedig um 1480 ges 
wandt hatte. Anfangs, von 1482—98, betrieb er nur Buchhaͤndlergeſchaͤfte, indem 
er andermwärts druden ließ („Catharina da Siena dialogo de la divina provi- 
dentia”, Ven. Mihi, da Codeca, 1482, 4.). Seit 1499 aber befaß er eine eigne 
Dfficin, deren erftes Product „I. Mar. Politiani constilut, ord. Garınelitarum“ 
(4.) find. Seine legten Drucke find vom J. 1537, dem Sabre ſ. Todes. Unter 
der Firma lizeredes L. A. de Giunta ging die Druderei nach f. Tode fort; zu: 
nächft unter der Leitung f. Sohnes, Thomas G., deffen Druderei 1557 abbrannte, 
bergeftellt, dauerte fie unter wwechfelnder Oberaufficht noch bis ins folg. Jahrh. fort. 
1644 fommen die Heredi di Tommaso Giunta als Compagnong des Handlungs⸗ 
baufes Fr. Baba vor; diefe Merbindung laͤßt fich noch 1648 nachweifen. “Der 
legte ung befanntgewordene Drud der venetianifchen Officin ift von 1657 („Hi. 
Oclvi Jibri III. de febribus“, Ven. ap, Juntas, 1657, 4.). Ihre Drude unters 
fiheiden fich Durch nichts von den Damaligen Officinen Denedigs, wie fie gewoͤhnlich 
waren, und fliehen tief unter den beffern der Manucci, des Siolito u. A. Bloß auf 
den Erwerb Bere ohne daß fie höhere wiffenfchaftliche Zwecke verfolgt hätten, 
zeichnen fich die Siuntinen aus Venedig weder durch Typen noch durch Papier 
aus, PDergamentdrude feheinen die venetianifchen Giunti gar nicht gegeben zu has 
ben; griechifche Drude wenig. Die Jusg. des Cicero von 1534 durch Victorius 
ift faft der einzige bedeutende Drud, Nicht ohne Werth find die Miſſaldrucke. In 
fe Vaterftadt Florenz begründete das nachmals fo blühende Gewerbe, Philipp ©. 
der Sohn eines gleichnamigen Vaters, Lucas, Antons Bruder. Wahrfcheinlich 
genoß Philipp den Unterricht des Chriftoph Landinus. In Florenz hatte er eine 
Druderei, aus der als erfier Verfuch ter Zenobius yon 1497 hervorging. Nach 
dem Tode Philipps (am 16. Sept. 1517) erhielten f. Erben die Officin unter ab: 
wechſelnder Leitung fort. Der legte Druck der florenzer Officin ſcheint Buouarotti - 
rime (1623, 4.) zu fein. Die Typen.diefer Officin an fich dürfen übrigens die Ver⸗ 
gleichung mit denen der Mianucci nicht fcheuen;.nyr an Mannigfaltigkeit möchten 
fie dieſen etwa nachftehen. Die Eurfiv möchte fogar den Vorzug verdienen. Aber 
beffer ift bei den Aldus das Papier, beffer die Schwärze und das Enſemble des, 
Druds. Außerdem hat die florenzer Officin Großpapiere und mehre gut gerathene 
Pergamentdrucke geliefert, Wahrfcheinlich ift, daß fie felbft eine Schriftgießerei be: 
ſaßen, aus der fich gleichzeitige florenzer Druder verforgten. Zur Ehre einer befon: 
dern Sammlung find die Giuntinen noch nicht gelangt, obgleich fie diefelbg ebenfo 
ſehr zu verdienen fcheinen als die Aldinen; denn viel zu voretlig behauptete man, die 
Giunti hätten nur Wiederholungen Aldiniſcher Texte geliefert, Gewiß iſt der ins 
nere Werth ihrer Drude bedeutender, als man gewöhnlich glaubt. Durch ein ſon⸗ 
derbares Geſchick find diefe weniger befannt; doch haben die genauer umterfuchten 
ital. Schriftftefler ihrer Dfficin erwieſen, welche wefentliche Ausftattungen fie durch 
die Gelehrten gewannen, mit denen fich die Siunti ebenfo wie die Manucei zu ums 
geben verftanden. Weniger gilt diefes Lob den Leiftungen der lyoner Dfficin, ges 
fiftet durch Jakob de Giunta, aus Florenz, Francesco G.'s Sohn, der noch 1519 
zu Venedig vor£gmmt, feit 1520 aber zu Lyon erfcheint, anfänglich bloß als Verle⸗ 
ger, feit 1527 Aber auch ale Druder. Nach f. Tote 1548 fegten f. Erben thätig 
das Gewerbe fort, von demnoch 1592 ſich Spuren finden. Nicht fo leicht zu ent- 
wirren ift das Verhaͤltniß, welches zwifchen den ıtal. und den fpanifchen Dfficinen, 
und unter diefen letztern felbft flattfand, Zu Burgos drudte Juan Junta 1626, 
1528 und 1551. Philipp J. vielleicht Eine Perfon mit dem florenzer Philipp dem 
Süngern, von 158793; zu Salamanca drudte 1534—52 ein Juan de X}, der 
allem Anfcheine nach eine, und diefilbe Perfon mit dem Juan J. vom Burgos if, 


4 


Biuftinlanifche Gemaͤldeſammlung 717 


und 4582 Lucas J. Zu Madrid Siulio Giunta 1505, der am 27. Jan. 1618 
ftarb, dann Thomas Aunta’oder Junti 1594 — 1624, der feit 1624 als Eonigl. 
Buchdrucker auftritt. Ein Verzeichniß der Giuntiniſchen Drude bis 1550 gibt 
Ebert's „Bibl. Lexikon“. 


Giuſtinianiſche Gemaldeſammlung. Dieſe Sammlung kaufte 


ber König von Preußen 1815 in Paris. Sie wird, mit einer Auswahl der vor: 
züglichften Kunſtſchaͤtze, Die fich in den königl. Schloͤſſern befinden, vereinigt, in 
einem befonders dazu eingerichteten Gebäude, den Muſeum in Berlin, aufgeftellt. 
Das fürftl. Haus Giuftiniani in Rom flammt von einem alten und berühmten 
Haufe in Genua ad, Der Sanımler diefer Kunftmerke führte den Titel eines 
Dearchefe und lebte am Ende des 16. und im Anfange des 171. Jahrh. Zwei Jahrh. 
lang war die Galerie die Zierde eines der größten Pakifte Roms, den derfelbe 
Sammler auf Anem Theil der Ruinen von den Thermen des Nero erbaute. Der 
größte Theil der Bemälde ift von Meiftern, die zur Zeit des Sammlerg lebten, und 
von denen viele, die fich dieſem Haufe verpflichtet fühlten, ihre beften Werke gleich 
für dee Familie Siuftiniani befimmten, wodurch die Salerie auch befonders merk: 
würdig für die Gefchichte der Kunſt wird, denn in jener Zeit flanımte der alte Kunſt⸗ 
fleiß zum legten Male Eräftig auf, obgleich auf andre Weiſe wie früher, und leuch⸗ 


tetenoch in ein ganzes Jahrh. hinein, aus deffen Lauf wir auch bedeutende Kunfte - 


werke bier finden. Man zähle an 170 Gemälde; 1807, mo die Sammlung nach 
Paris kam, war fie noch vollfiändiger, aber manches herrliche Gemälde derfelben 
wurde einzeln verfauft, ehe fie der Prinz, mehre Jahre fpäter, an’ Bonnemaifon 
im Sanzen verkaufte. Aus der frübeften ‘Beriode bemerken wir ein Gemälde des 
Domenico Torradi Shirlandajo, die Wahrheit vorftellend, als eine nur mit zartem 
Flor bekleidete Seftalt, mit einem fpiegelblanten Schild und einem Palmzweig in 
den Händen. Den Hintergrund bildet eine Landfehaft, worin mit kleinen Figuren 
Paradies und Hölle angedeutet ift, und die Hauptfigur aufeinem Wagen, von & 
weißen Eurhornern gezogen wird, Das Ganze hat das phantaflifch Bedeutunge 
volle, das mehren Werken jener frübern Zeit eigen ifl. Der Pinfel tft etwas trocken, 
aber die Behandlung des Nadten fchön, der Blick Mar und rührend. Ferner find 
aus diefer Endlich frommen Kunftepoche bemerfenswerth: drei Madonnen von 
Francesco Francia, eine Judith von Diantegna, ter berveinte Chriftus von Luca 


Signorelli, ein jugendlicher Chriſtuskopf, der fülfchlich für einen Leonardo da Vinck . 


angegeben wird, da er wol aus Perugino’s Schule iſt, und 2 Madonnen des In⸗ 
nocentius von Imola, in denen noch die Anfpruchslofigkeit und füße Finfalt der alten 
Zeit berrfcht, obgleich der Meiſter fchon einer fpätern angehört. Von den 4 Haupts 
ſchulen find bemerfenswerth: aus der florentinifchen, der Raub des Ganymed von 
Michel Angelo Bugnarotti, groß gedacht und erfunden, obfehon im verjüngten 
Mapftabe; der Ganymed bat alle die fühnen Berfürzungen und die Fraftvolle Be⸗ 
wegung, die diefen Meeifter bezeichnen, welcher allem Großen verwandt war; der 
Grazie aber fremd blieb, Das Gemãlde iſt fo zart und forgfältig ausgeführt, daß 
Viele behaupten, es fei nur nach der Zeichnung des Meifters von Marcellio Benufti 
gemalt. Eine Beil. Familie von Fra Bartolomeo della Porta, ein tiefgedachtes, 
feurig vollendetes Bild. Mebre koͤſtliche Bemälde von Andrea del Sarto. Venus 
und Amor von Daniel di Volterra. Aus der römifch:rafaelfchen Schule iſt ein 
herrliches Semälde von Rafael's fpäterer Beir bier; Manche behaupten, eu fet 
nach Rafael’ Zeichnung von Francesco Penni gemalt, doch die hohe Schönheit in 
Form und Ausdruck verräth den Meifter ſelbſt. Es ift Johannes der Evangeliſt, 
= auf einem Throne von Wolken fißend; in hoher Begeifterung will er eben die gottli⸗ 

che Offenkarunı auf eine Tafel fchreiben, die er mit der Linken hält, der Adler ruht 
zu feinen Süßen. eine blaue Tunica und fein weitflatterndes violertes Gewand 


find fo-mit weißen Lichtern erhöht, daß fie ın den Farben ber Morgenrdthe zu ſchil⸗ | 


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118 Gluſtinianiſche Gemaͤldeſammlung 


lern ſcheinen. Es liegt etwas namenlos Großes In dieſer feſten freien Stirn, es 
ſem ernſten dunkeln Auge, dieſem ſanft wohlwollenden Munde. Ferner iſt aus die⸗ 
fer Schule eine Vermaͤhlung ber heil. Katharina von Giulio Romano, ein ausge⸗ 
zeichnet fehönes Bild, worin die ſchwarzen Töne nicht: fo vorherrfchen, wie oft bei 
diefem Meifter; das Colorit ift heiter und harmoniſch, die Köpfe find von der fihöne 
ſten Vollendung. So ift auch von diefem Meiſter die herrliche Copie des Portraits 
Julius IN. nach Rafael, auf voelcher bekanntlich Siulio Romano die Kinge anders 
malen mußte als auf dem Original, um fie unterfcheiden zu können. Aus ber lom⸗ 
bardiſchen Schule bemerken wir einen Chriftusfopf von Correggio, 2 Eleine Ser 
mälde |. Schülers Rondani, eine Magdalena und eine Ruhe der heil. Familie, beide 
find flüchtig, aber fehr lieblich gemalt; das zweite iſt eine freie Nachahmung von 
Eorreggio’s Bingarella. Die Arbeiten diefes Meiſters, der Correggio’s Grazie und 
Helldunfel mit Parmegianino’s Eleganz vereint, find Außerft felten,. Ein Studiums 
von Engelsfüpfen von Parmegianins, 2 heil. Familien von Camillo Procaccini, 
ein Beſuch der beil. Eltfaberh bei der Jungfrau, von Pellegrini Tibaldi, und ein 
Hieronymus von Doffo Doffi, verdienen befondere Aufmerkſamkeit. Aus der ve⸗ 
netianifchen Schule nennen wir. vorzüglich die Herodias von Giorgione, ein gut ers 
haltenes Bild, welches fich durch Ausdruck, Harmonie und ein herrliches Spiel von 
‚ Richt und Schatten auszeichnet. und eine Sibylle. Die Ehebrecherin vor Chrifte, 
von Sebaftiano del Piombo, oder wie Einige behaupten, von Pordenone: ein Bild 
voll Anmuth, Wahrheit und Leben, von der höchften Schönheit des Colorits und der 
Ausführung, eine der größten Zierden der Sammlung. Der Kopf des Erlöfers iſt 
rein menfchlich fehön, voll Sanftmurh und Milde, der Segenfaß derfelben zu der 
Heuchelei und Verſtocktheit der Pharifier und der Zerknirfchung der fehhnen reuigen 
Derbrecherin ift mit feltener Kraft dargeftellt. Zugleich findet man in diefem 
mälde die Portraits der vorzuͤglichſten venetianifchen Kuͤnſtler; der ifraelitifche Rich⸗ 
ter ift Sebaftiano del Piombo, der Kopf mit dem ſchwarzen Barte Palmavecchio, 
und der Krieger über dem Kopf der Frau iſt Giorgione. Eine Venus und eine Bas 
dende von Titian, eine heil. Agnes von Paul Veronefe (für Albano ausgegeben), 
mehre fchöne Bildniffe von Tintoretto, eine Carita von Turchi und eine Kreuzesab⸗ 
nahme von Palo Beronefe, beweiſen nebft andern fchägbaren Gemaͤlden, wie reich 
dieſe Sammlung an venetianifchen Meiſtern iſt. Die feltenften Schäge diefer Ga⸗ 
lerie treffen voir nun unter den Werken der Eklektiker und der Naturaliften. Zuerſt 
bemerfen wir von Lod. Sarracci die Speifung der 6000 Dann mit 5 Broten und 
2 Zifchen. Der Künftler. waͤhlte den Augenblid, wo das Volk freudig das Wun⸗ 
der erwartet; Jeſus, fiehend unter der Menge, wendet fi) zu feinen Jungern, 
wovon einer die Brote hält, und fegner die Fifche, welche ihm ein Knabe reicht, Es 
find 10 Hauptfiguren, ihr Charakter ift groß, das Ganze hat Hoheit und Wirde; 
durch die finnige Vertheilung und Verbindung der Hauptfiguren bewirken fie eine 
Abftufung der Flächen der weiten Zandfchaft, die mit einer zahlloſen Dienge Volkes 
bededt iſt. Der Meifter, deffen Hauptvorzug Klar heit und Würde ift, malte diefes 
Bild, als er aus Zintoretto’s Schule fam, und vereinte darin vehetianifche Farden⸗ 
glut mit den großen und richtigen Formen der Florentiner. Zwei Eleinere Gemälde 
deffelben Meifters, eine Madonna und eine Benus mit dem Ather, beweiſen, wie 
feht ev auch Correggio's Styl fludirte. Don dem kühnen, Eräftigen Agoftino Cars 
racci ift ein Chriſtus mit dem Zinsgrofchen hier, und ein ‚todter Chriſtus zwiſchen 
zwei Engeln; die Verkürzung diefer Geſtalt, der Ausbrud und die Farbengebung - 
find tm größten Styl. Don Annibal Sarracci eine Skizge, Jeſus am Kreuz, die 
an Charakterkraft, Wiffenfchaftlichfeit und Anmuth zu den feltenften Meiſterwer⸗ 
terigebört. Unter a; Werfen diefes Meifters bemerken wir eine große Landfchaft 
aus der Gegend von Neapel bei Sonnenuntergang; die Friſche der Farben, die 
Großheit der Tompoſition und die geiftvelle Behandlung machen fie zu einem claſ⸗ 


Glacis Gladiatoren 19 


ſiſchen Werke. Sie gehörte aber nicht zu diefer Sammlung. So auch von Domes 
nichino-eine fehöne woaldige Sebirgsgegend; diefe Landfchaften großer ital. Geſchicht⸗ 
maler find um fo merfwürdiger, da viele Galerien fie ganz entbebren, und da ihr 
Styl ſo groß, ihre Behandlung fo fräftig und leicht, ihr Ton in feiner Dunkeln Blaue 
fo ernft, romantifch und eigmthümtlich ift, daß fie wahre Vorbilder für alle Zeiten 
bleiben. Beſonders merfroürdig ift noch aus diefer Schule ein Gemälde des Guido 
Reni, eins f. größten Meiſterwerke. Es fiellt die Zufammenkunft der beiden Eres 
miten, des heil. Paulus und des heil, Antonius, in der thebaifchen Wuͤſte vor. Die 
beiden Sreife tragen das Öepräge ihrer firengen Lebensart. Ein kahler Felſen bils 
det den Hintergrund, aber von oben fällt der Glanz einer bimmlifchen Glorie herein, 
in deren Mitte man die Madonna mit dem Jeſuskinde, von Engeln begleitet, ſieht. 
Das Ganze ift im größten Style gedacht und ausgeführt; einfach und edel, -wahr 
und kräftig find Die beiden Anachoreten, hoͤchſt Tieblich ift die obere Glorie, Alles leicht 
amd genial behandelt. Don Atbani finden wir mertwürdige Gemälde aus der 
, Beit, wo er eben die Schule der Carracci verließ, und daher noch deren größern Styl 
mit f. natürlichen Zartgefühl und lieblichen Pinfel verband, auch noch in Lebens _ 
größe malte. So ift hier ein Abendmahl nach einer Zeichnung von Garracci, und 
eine Folgereihe trefflicher Gemälde, alles halbe Figuren, Chriftus, Maria, Johan: 
nes der Täufer, und die Apoftel Petrus, Andreas, Bartholomäus, Simon und Yus 
das Thaddeus. In derfelben Größe und Are malte Domenichino, gleichfalls nach 
Beignungen des Anıı.. I Earracei, den Johannes, Thomas und Jacobus. Don 
Annibal Carracci felbft find die Apoftel Philippus, Matthäus, Jacobus der Kleinere 
und Paulus. Doch Feine Galerie beſitzt fehönere Werke von dem erften Meifter 
unter den Naturaliften, von Michel Angelo Amerigi da Caravaggio. Suerft be: 
wundert man ſ. Altarblatt, die. Ungläubigfeit des heil. Thomas; die Eühne Kraft, 
berrliche Sarbengebung und tief durchdachte Segeneinanderftellung von Licht und. 
Schatten, die dem Caravaggio eigen find, bemerken wir hier ſowol als in f. bier bes 
findlichen heil. Matthäus und f. Chriftus am Hlberge. In ihrer vollften Eigen: 
thuͤmlichkeit zeigt fich f. Flammenkraft in zwei ühn und groß gedachten allegorifchen 
Gemälden, Auf dem einen ift die finnliche Liebe unter dem Bilde eines Ihjährigen 
Juͤnglings dargeftellt; er ift ganz unbekleider, beshafte Schadenfreute blıgt aus ſ. 
Augen, treulos ift fein Lächeln, er hat Geierfluͤgel und halt Bogen und Pfeile; nes 
ben einem ubebett hat er Panzer, Bücher, Lorberzweige, mufitalifche und mathes 
matifche Inſtrumente unter die Füße geworfen, ſowie einen ©ternenglobus, Krone 
und ©xepter, Der wilden Leidenfchaft ift nichts: heilig. Das Seitenflüd ſiellt 
den Sieg der himmliſchen Liebe über die irdifehe vor. Ein gefundheitblühender 
Jungling, mit einem Panzer bedeckt, mit großen Slügeln und flammentem Schwert, 
at die finnliche Liebe zu Boten geworfen und ihre vergifteren Pfeile zerbrochen, 
del und Schoͤnheit find hier auf das Herrlichfte mit kräftiger Behandlung vereint, 
Außerdein gehört noch ein weibliches Bruftbild von diefem Meiſter hierher, fowie 
einige Gemaͤlde des Guereino und Lanfranco, und ein treffliches Stüd des Gherar⸗ 
do della Notte, die Befreiung des Petrus aus dem Gefaͤngniß. An Meiftern andtet 
Schulen ift die Sammlung nicht reich wir bemerken nur 5 recht fehone Gemaͤlde 
von Pouffin, eine große Kandfihaft von Claude Lorrain, zine Fußwaſchung von 
Karl v. Mander, eine Sarita von Lambiaſi (einem genuefer Künfller, der in 
Spanien flatb) und eine treffliche Landfchaft von Swanevelt. ' 
- . Slacis, bei Zeitungen, die flache Abdachung der Außerflen Bruftische 
an dent bedeckten Wege, welche fich in das. Feld verliert und den Graben von 
Außen’ der bedeckt. Die Kugeln aus der Feflang müffen jeden Punks auf dem 
Glacis rafiren Eönften. W 
Gladiatoren, Fechter, welche zu Rom in den Kampfſpielen mit einan⸗ 
der, zum Vergnügen des Volke, anf Leben und Tod kampfen mußten. Anfaͤnglich 


220 | las 


waren e8 Sefangene, Sklaven oder verurtheilte Berbrecher; in der Folge aber foch⸗ 
ten auch freigebörene Männer auf dem Kampfplaß, entweder um Lohn oder aus 
Neigung. Die Sladiatoren wurden in eignen Schulen unterrichtet. Die Vorſteher 
diefer Schulen Fauften die Gladiatoren und unterhielten fi. Bon ihnen miethete 
fie Derjenige, der dem Volke ein Gladiatorſpiel geben wollte. Ein Vorfpiel, in 
welchem fie mit hölgernen Waffen fochten, eröffnete daffelbe, bis fie auf ein gegebe: 
nes Zeichen ihre ordentlichen Waffen nahmen und paarweife den eigentlichen Kampf 
begannen. Blieb der Befiegte nicht auf der Stelle todt, fo entfchied das Volk über 
fin Schidfal. Wollte es feinen Tod, fü hob es den Daumen in die Höhe, Die ents 
gegengefeßte Bewegung zeigte an, Daß er gerettet werden follte. Gewöhnlich Titten 
fie den Tod mit beivundernswürdiger Standhaftigfeit; oft bot fich der Uberwun 
dene freiwillig dem legten Stoße dar. Wollte er aber an das Volk appelliren, fo bob 
‚er zum Zeichen die Hand in die Höhe, Wenn ein Sladiator todt war, fo fehleppten 
ihn dazu beftellte Knechte mit eifecnen Hafen aus dem Theater durch Die Todtem: 
pforte in die Todtenfammer. Der Sieger befam eine Palme, auch wohl eine Pal⸗ 
mentrone. Mehrmalige Sieger wurden vom Fechten freigefprochen und befamen 
‚um Zeichen diefer Freiheit einen Stab oder ein hoͤlzernes Schwert. 


Gelas, ein Kunfterzeugniß, welches durch das Schmelzen In der Stübhiße - 


von Kiefelerde, Laugenfalz und Metallogyden erhalten wird. Der Name ift alt 
deutfch und hängt mit gleißen, dem engl. glisten, glesum, dem Beenſtein ber 
Aftier, und felbft mit glacies und Glanz zufammen, Nach Plnius follen phönizifche 
Kaufleute, die mit Salpeter handelten, da fie nach einer Landung nichts hatten, 
morauf fie ihre Keffel ftellten, dazu fich großer Städten Salpeter bedient haben, 
Durch die Gewalt des Feuers ſchmolz diefer mit dem Sonde des, Bodens zuſammen, 
und fo entftand das erfie Glas. Gefürbtes Glas müffen die Agypter geſchickt zu 
bereiten gewußt haben, wie wir noch an den Mumien fehen, deren Zierrathen von 
diefer Diaffe find. Über die Fabrication farbiger Giaſe ift die Hauptſielle bei 
Strabo, XVI. Schillernde Farbe in Sewändern und Metalifcehmelz wurde bei den 
Alten fehr geſchaͤtzt. Da die Alten die Mineralſaͤuren nicht fannten, welche wir jeßt 
zur Bearbeitung metallifcher Oxyde anwenden, fo ifl es ſchwer, fich ſowol von die: 
fem agpptifchen Glaſe als auch von dem, welches zu der mufivifchen Arbeit ver: 
mandt wurde, eine deutliche Vorftellung zu machen, Klaproth Hat etwas von dem 
grünen Safe in der alten Moſaik unterfucht, und außer Kiefel vorzüglich Kupfers 
und Bleioxyde nebft Alaun und Kalk, auch oxydirtes Eifen darin gefunden, ie. 
Mömer hatten eigne Glashuͤtten; fie machten Sefchirre und mancherlei Beräthe aus 
Glas, und in Herculanum findet man felbft Tafeln von Glas, von denen man, je: 
doch irrig, geglaubt bat, daß fie zu Fenfterfcheiben gedient hätten. (Über die Glas⸗ 
fabrication der Alten bat der preuß. Siineralconf. Bartholdy in Rom eine Sand: 
fehrift Hinterlaffen.) — Gegenwärtig hi in England die Glasmacherkunſt auf 
einen hoben Grad der Vollendung gekommen. Die engl. Slaehütten find gemei⸗ 
 niglich große Kegel von 60 — 100 Fuß Höhe und 50 — 80 5. im Durchmeffer. 
Der Ofen ift in der Mitte über einem großen Gewolbe aufgeführt, swelches durch eine 
‘ Dffnung mit ihm in Verbindung ſteht. Die Offnung ifl mit einem eifernen Rofte 
bedect, auf welchem das Feuer angemacht und durch den Luftzug aus dem Ges 
wölbe unterhalten wird. Die Hauptſache kommt in einer Glashütte auf die Schmelp 
tiegelan. Man nimmt dazu eine eigne Art von Thon. aus. Staurbridge, den man 
fein mahlen, durchfieben, dann anfeuchten und zu einem bieten Teige verarbeiten 
laͤßt. Auch nimmt man bisweilen alte Schmelztiegel, die man zu einem Pulver 
zermalmen und mit rohem Thon wieder vermifchen lüßt. Auch eigne Töpfe zu 
Flaſchen und zum Flintglafe macht man von 40 Zoll Durchmeffer und Tiefe. Sie 
haben eine Die von 2—4 Zoll, und werden zum Slintglafe bedeckt. Ehe fie in 
den Ofen’gebracht werden, müffen fie mehre Tage lang in der Weißglühpige fiehen, 


— 


x 


Olasfenſter | Slsgom 721 


Zu $lafchen nimmt man die gröbften Stoffe; Klußfand, unreines Natrum und- 
Kali, als Abgang der Seife und Aſche. Das berühmte engl. Kronglas fodert zu 
T. Bereitung einen Reverberirofen, worin die Stoffe verkalkt werden, einen andern, 
worin fie verglaft werden, und einen dritten, worin das Glas fo erhißt wird, daß es 
Diegfam und fühig wird, verfchiedene Seftalten anzunehmen, Zum Kronglas 
- fd.) nimmt man 2 Theile Kelp: oder Tangafche und einen Theil feinen weißen 
Sand. Das Flintglas machte man ſonſt aus verkalkten, Eleingemahlenen $lintens 
feinen, denen man noch Perlafche oder ein befonderes Alkali mit etwas Arfenif beis 
mifchte. Segenmärtig nimmt man ganz feinen weißen Sand, deffen einzelne Körner 
moͤglichſt durchfihtig fein müffen. ichtig find die phyſiſchen Eigenfchaften des 
Stafes, Eine derfelben ift, daß es auch im bedeutender Hitze f. Durchfichtigfeit bes 
Hält und fehr wenig ausgedehnt wird; daher paßt es befonders zu Uhrpendeln. Auch 
f. große Biegſamkeit in bedeutender Hitze iſt merkwürdig. Es läßt fich dann leicht in’ 
alle Formen bringen und zu feinen-Fäden fpinnen. Gefchnitten wird esmit Dias 
manten, auch mit einem heißen Eifen, doch ift die leßtere Manier etwas unficher, 
Glasfenſter. Man verftand lange die Bereitung des Glaſes, ohne darum 
Stlasfenfter zu haben. Die Häufer der Morgenlinder hatten gewöhnlich auf der 
Vorderſeite keine Fenfter, aufder Seite des Hofes waren diefelhen entweder mit Vore 
Hängen oder mit einem beweglichen Sittermerfe verfehen; im Winter ülgrzog man 
fie mit.geöltem Papier. Die Chinefen bedienten fich zu ihren Fenftern fehr feiner, 
mit einem glänzenden Lad überzogener Stoffe, in der Folge aber. der gefchliffenen 
Auſterſchalen. Auch verfichen fie die Hörner der Thiere zu großen u. dünnen Plat⸗ 
ten zu verarbeiten, womit fie ihre Fenſter verfeben. Bei den Romern vertrat der la- 
pis specularis die Stelle des Glaſes, welcher nach der Befchreibung nichts Andres 
- als das blätterige Marien: oder Frauenglas war. Indeß liegen vornehme Perfonen 
in Nom die ne ihrer Badfluben auch mit dünn gefchliffenen Agaten oder 
armor verfehen. Daraus, daß ınan in der. Billa von Pompeji, welcher Ort zu 
Titus's Zeiten verſank, Bruchſtuͤcke von Glastafeln gefunden, hat man auf den 
fon damals eingeführten Gebrauch des Glaſes zu Fenfterfcheiben fehließen wollten, 
fichere Nachrichten aber finden wir erft bei Sregor von Tours, moraus erhellt, daß 
im 4. Jahrh. n. hr. die Kirchen Fenfter von gefürbtem Glas erhielten, namentlich zu 
Konftantin des Großen Zeit In der Kirche S.-Paolo fuori le mura, In Franfreich 
bediente man fich anfangs flatt des Glaſes des Marienglafes, des weißgeſottenen 
Horns, in DI getränfter Papiere und dünn gefchabter Leder. Die Alteften noch vor: 
bandenen Slagfenfter dafelbft find aus dem 12, Jahrh. und befinden fich in der 
Kirche zu St.:Denis; fie ſcheinen noch von dem vorigen Gebäude des Tempels auf: 
bewahrt zu fein, welches der Abt Suger, ein Sänftting Ludwigs des Dicken, vor 1140 
aufführen ließ. Suger ließ fogar viele Sapphire zu Pulver flogen und unter dag: 
Glas mifchen, um ihnen die Raflırfarbe zu geben. Um 1458 rechnete es Aneas Syl⸗ 
vius zur größten Pracht, die er in Wien fand, daß die meiften Hiufer Glasfenſter 
batten. Felibien fagt, Daß man zu ſ. Zeit, d. i. feit 1600, in SFtalien runde Glas⸗ 
fheiben in die Fenfter einzufeßen gerwohnt gervefen fei. Dagegen hatten in Frank: 
reich im 16. Jahrh. zwar alle Kirchen, aber noch wenig Wohnhäufer Glasfenſter. 
Glasgalle, eine auf der flüffigen Glagmaſſe wie ein Fett oder Schaum 
ſchwimmende Materie, Axungin Oder sal vitri. von den Franzofen siel oder suil’de 
verre genannt, if meiftens alkalifch, daher fie auch an der Luft feucht wird oder 
wol gar fließt. Sie wird befonders zum Silberlöthen gebraucht, denn fie nimmt 
einen ſtarken Brad von Feuer an, bringt fhwerflüffige Stoffe leicht in Fluß und er: 
haͤlt fie lange in dieſem Zuftande. Die Töpfer bedienen fich ihrer auch zur Glaſur. 
Glasgow, Haupiſt. in Ouͤdſchottland, am Tfydeflüß (55° 5’ N. Bii. 
4° 15° 28.8), 13,000 H. u. 150,900 €. (i. %. 1801 nur 83.000.) Schon 560 - 
foll Bier ein Bisthum errichtet worden fen. Jetzt bat G. zum Theil fehr breite, re: 
Eonverſations⸗Lericon. Bd. IV, 46 


‘ 


122 | Glasmalri | Ä 

gelmäßige Straßen und iſt eine‘ der fchönften Städte von ganz Snglanı. Die 
prächtige Hauptkirche, vielleicht der einzige noch unverfehrte ÜÜberreft oöthifcher Baur . 
kunſt in Schottland, ift 1123 gebaut. Die Univerfität, Deren Kanzler gegenwärtig 
Brougham iſt Fwurde 1450 vom König Jakob II. u. dem Biſchof Turnbull geftif: 
tet und ift mit Edinburg die einzige Hochfchule in Grogbritannien,. teren Einrich⸗ 
tung den deutfchen Univerfitäten ähnlich ift. In neuern Zeiten ift fie durch die Ber: 
mächtniffe von John Anderfon u. Will. Hunter fehr erweitert morden. Anderfon’s 
Dermächtnig bezog fich auf die Unterftüßung von 81 betürftigen Jünglingen, die 
richt allein auf feine Koften zu Gelehrten, fondern auch zu Raufluten, Landwirten u. 
Künjtlern gebildet werden ſollten. W. Hunter, nicht weit von G. geb, und auf diefer 
Univerfität erzogen, vermachte derfelben fein Muſeum, das nicht allein alle Arten 
von Noturalien, andtomifche Präparate u. Drängen aller Art, fondern auch ſ. ganze 
Bücher und Handfepriftenfammlung und eine Menge Driginalgemälde der erften 
Meifter enthält. Das Ganze wird auf 150,000 Pf. St. gefchäst und iſt in einem 
prächtigen u, gefehmadvollen Gebäude, welches zu dem Ende errichtet worden; auf: 
geftelle. Merkwürdig ift die 1796 von Anderfon, Prof. der Naturwiſſ., gegründete 
akadem. Anftalt, welcher der Stifter ſ. Bücherfammlung, ſ. Mufeum und f. ganzes 
Bermögen vermachte. Hier werden für Diejenigen, die fich nicht zu Gelehrten bil: 
den wollen, ſowie für Frauen, Vorlefungen über Naturreiffenfchaften gehalten, und 
in einer befhndern Slaffe auch Handwerker in jenen Wiſſenſchaften unterrichtet. 
Kenntniffe der Chemie u. Mechanik find vielleicht in Feiner Dranufacturftadt Euro: 
Das fo allgemein verbreitet als hier. Noch befigt ©. ein Seminar, worin 520 junge 
Zeute unterwieſen werden, eine Runftafademie u, eine große Bibeldruderei. ‘Das 
Eonigl, Krankenhaus für 12 — 1500 Kranfe £oftet jahrl. über 3000 Pf. St. Ein 
treffliches Sirrenhaus ward 1810 von einem gewiffen Starf erbaut. Auch die Bor: 
fenhalle, das Theater, die Sternwarte, die Neitfchule, das Magdalenenfpital u, dag 
afentliche Gefaͤngniß find prachtvolle Gebäude, alle von Stark nach großen 
uftern der Antike aufgeführt. U. a. ift das Gefaͤngniß mit einer Saͤulenhalle 
verziert, die wie das Parthenon in Atben gebaut ifl. Man findet in G. eine mar: 
- morne Bildſaule von Pitt; eine bronzene des John Moore, der bei Coruna in Spas 
nien fiel und ein Glasgower von Sebi: t war. Auch Nelfon’s Andenken ebrten die 
Einw. von G. durch Errichtung eines Obelisk von 142 Fuß Höhe... Die Stadt hat 
eine dem Handel außerft günftige Lage. In der Nähe der reichen Steinkohlengru⸗ 
ben fleht es Durch den Clyde mit dem atlant. Deeere, und mit der Mordfee durch den 
Clydecanal und den Fluß Forth in Verbindung. In der Mitte d. 18. Jahrh. war 
G. der vorzüglichfte Stapelplag für den amerifan. Taback, der von hier durch ganz 
Europa verfahren wurde. Gegenwaͤrtig befinden fich inder Stadt und in ihren Um: 
gebungen allein 52 Baummollenmüblen, die zufammen ein Sapital von einer Mill. 
Pf. St. gekofter haben. Hierzu £ommen große Spinnereien und 18 Manufacturen 
für Baummollengervebe mit 2800 Weberftühlen, 18 Calicodruckereien u. 39 Glaͤtt⸗ 
mafchinen, die durch Diimpfe in Bewegung gefibt werden und an 130,000 Men⸗ 
ſchen befchäftigen. Noch hat 9. 9 Eifengiegereien, eine Menge andrer Manufactu: 
ren und einen bedeutenden Zwifchenhandel. S. Jam. Cleland's „Statiſtik von 
CE chotiland, insbef. von Glasgow“ (Slasgew 1823); „Annals of Glasgow”, 

(2.%.1829) und „Rise aud progress of Gla.gow” (2. X. 1829). 

Slasmalerel. Diefe, wie Morifoli aus einer Stelle des Seneca u. Bo: 
piscus Firmus zu erweifen fucht, und wie ein aufgefundenes Bruchftüd der Art, 
welches in Buonarott?’s „Ossersazioni sopra alcuni .frammenti di vasi anlichi 
di vetro etc,” beurteilt wird, vielleicht wirklich beweift, fehon den Alten befanntges 
weſene Kunft wurde im Mittelalter angerrandt, um die Glasſcheiben an Kirchen u, 
a. öffentlichen Gebäuden mit Malereien zu verzi.ren, welches in Vereinigung mit 
dem ganzen Style der gothifchen Kirchen ein beiliges Halbdunfel über fie verbreitete. 


| Glasſchleifen Glastroplfen 723 


Speth unterſcheidet die eigentliche Olasmalerei oder Glasſchmelzmalerei von 2 an: 
dern geringern Arten, der einen aufoder beffer hinter Glas, welche mehr oder weniger 
durchfichtig iſt, und der andern, die zwar Durchfichtig iſt, aber nur colorirter Firniffe, 
3 D. des Lacks, Gruͤnſpans ıc., fich bedient, welche gegen Feuchtigkeit u. Hige nicht 
aushalten. Die eigentliche Slasmalerei verdankt ihren Urfprung zunächft den Bor- 
bildern der Dufivarbeit im 3. Jahrh. Die weitere Berbreitung der Kenntniß fowol 
als des Gebrauchs von gefürbtem Glaſe ift von Frankreich nach England, von da im 
8. Jahrh. durch die Miffionnaire nach Deutfchland u. Flandern, und im 9. Jahrh. 
suach dem Norden gebracht worden. Obgleich die Italiener ſich des gefärbten Glaſes 
zur Moſaik bedienten, fo fcheinen fie es doch nicht vor d. 8. Jahrh. zu Kirchenfen« 
fern verwendet zu haben. In Baiern finden fich davon gegen Ende d. 10. Jahrh. 
"unbezweifelte Spuren. In Tegernfee bei München gab es eine Slashütte. Die Se: 
wohnheit, Kirchenfenfter aus gefürbtem Glaſe zu berfertigen, ‚dauerte nur bis zum 
41. Jahrh., wo man anfing nach beffern Vorbildern der Muſivgemaͤlde Die Malerei 
auf Glas zu treiben. Diefe Kunft erhielt große Vortheile zu Ende d. 14. Jahrh. 
durch die wichtige Erfindung der Schmelzmalerei, oder der zu Glas werdenden Me⸗ 
tollfarben, Die Blüthe der Slasmalerei war das 15, u. 16. Jahrh. Frankreich, 
England und die Niederlande hatfen große Künftler in diefem Felde aufzumeifen, 
2 D. die Henriet, Monier v. Blois, Abrah. v. Diepenbede. In Deutfchland erwarb 
fich Dürer Berdienfte um diefelbe, Diefe Kunſt verfiel im 17, Jahrb,, und im 18, 
Jahrh. hörte fie, verdrängt von der Mode, faſt auf. Nur in England wurde fig, 
wenn auch größtentheils von ausland. Künftlern, fortgetrieben. Unter Jakob I, ftif- 
tete ein Niederländer, Namens Bernd. v. Linge, den man als den Bater der neu: 
ern Ölasmalerei anfehen kann, eine Schule, die fich bis auf. den heutigen Tag erhal: 
ten bat. Unter mebren zeichneten fih im 17. u, 18. Jahr). als Glasmaler aus: 
Eginton zu Birmingham, Wolfgang. Baumgärtner aus Kuffkein in Tirol (geft. 
4761), und der gleichzeitige SJouffrog, der in einer Sapelle in London eine Auferfte: 
bung Chriſti malte. Auch find mehre Anleitungen aus diefer Zeit bekannt, z. 2. 
Viel's „Kunſt in Glas zu malen”. In Deutſchland ift die Slasmalerei erft im 
49. Jahrh. wieder erftanden, namentlih durch Mohn (ſ. d.) in Dresden, 
E:cheinert in Meißen, Wilh. Viertel in Dresden, deffen Slasgemälde in Zaren: 
burg Beifall fanden. Mich. Siegm. Frank aus Nürnberg fing zuerft an, die 
Glasſchmelzmaleret twieder emporzubringen, Er iſt gegenmärtig in München. 
bei der Eönigl. Porgellanmanufactur als Glasmaler angeftelt. Das konigl. 
Müngabinet befigt von ihm eine Geburt Chriſti, und die reiche Capelle dafelbft. 
ein Abendmahl, das die Eleine Paffionsgefhichte von Dürer zur Einfaffung hat. 
S. Speth's Auffaß im „Kunftblatt”, 4820, Nr. 27.) König Ludwig ließ 2 
Genfer des alten Doms in Regensburg mit folchen Slasmalereien verfehen. 
In Berlin und Wien gibt es ebenfalls Glasmaler. Auch in der Schweiz find 
glüctiche Verfuche in der Glasmalerei gemacht worden. In dem wiederberge: 
ſtellten Marienburg in Preußen find gelungene Ölasmalereien der neueflen Zeit, 
den alten vergleichbar, vorzüglich von Gottlob Mohn und: von Höder in Dre 
lau. ©, Schmithals: „Die Slasmalerei der Alten” (Xemgo 1826). 
Glasſchleifen, das, gefchieht durch Hülfe geroiffer, nach verfchiebe: 
nen Modellen wohl gerunbeten, meffingenen oder kupfernen Schüffeln und mit: 
telft des Sandes, Tripels und fein geriebenen Schmirgels, den man auf die 
Schaͤrfe eines an einer Spille befeftigten kupfernen Raͤdchens ſtreicht, indem 
man allerdand Figuren, Wappen, Schriften u.-dgl. ing Glas fchneidet, und 
was burchfcheinen oder glänzen foll, mit einem bleiernen Rade polirt.- Man ver: 
muthet, daß das Glasſchleifen im 41. oder 43. Jahrh. aufgefommen ſei, als 
man anfing, Brillen zu machen, zu denen gefchliffene Glaͤſer nöthig waren. 
Glastropfen, die in Ealtes Waffer fallen, nehmen 6. Seftalt eines 
* 


N 
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724 Glaſur Glaube 


öbalrunden Körpers an, der. fich in einem langen dünnen Schwanz. enbigt. 
In feinem feften Zuflande beißt diefer Glasthraͤne. Der owalrunde Theil 
lat fich mit dem Hammer fihlagen und abfchleifen, ohne zu zerbrechen, wo⸗ 
gegen beim Abbrechen des dünnen Echweifs der ganze Tropfen augenblicklich 
in feinen Staub zerfpringt. , 

SIafur ift jeder glasartige Überzug irdener Gefäße, um ihnen dadurch einen 
Glanz zu geben, und zu verhindern, daß fie von den hineingegoffenen $lüffigkeiten 
durchorungen werden. Man kann dazu alle leichtflüffige Mineralien nehmen, wel⸗ 
che im Zeuer veralafen, als Thon, Bolus, Schladen, Glas, Ölätte, Saflor, Nea⸗ 
politanifchgelb, Zinnaſche, Spießglas, Bleiglas, Dehererde, Kupferocher, Eifen- 
fafran; mit Rupferafche wird fie grün, mit Diennige 'gelb, mit Echmalte und 
Braunftein viotenblau gefärbt. Alles Diefes wird fein untereinandergerieben, 
zu Glas geſchmolzen, in Kuchen gegoffen und dann zum Ölafuren verbraucht. 
Auch aus einer Miſchung von feinem Sande, Bleiaſche, Holzafche und Küchen: 
‚falz, welches man Alles in einem Keffel ergehen läßt, kann man eine guie 
Slafur bereiten. Die Glaſur aus Bleiglätte kann unter gemwiffen Umfländen 
fehr fhrdlich werden, und iſt um fo mehr zu vermeiden, da man in neuern 
Zeiten Zufammenfeßungen völlig bleifreier Slafuren erfunden hat. Ungebrannte 
Waaren werden mit Thonmwaffer befeuchtet und dann nur mit dem Ölafurpul- 
ver beftreut, welches man die trodene Glaſur nennt; gebrannte Waaren aber 
werden. mit naffer Glaſur überzogen, indem’ man das Gefäß entiveder in Die 
Slafurmaffe eintaucht oder die Slafur mit einem Pinfel anfprißt. - 

StätteoderBleiglätte iftdas Bleiorydul, welches fich bei der Treib⸗ 
arbeit, d. h. bei der Scheidung des Silbers von dem Werkbleie, erzeugt. Die 
reine enthält 92 Proc, Blei, man nennt fie Probirglätte. Diejenige, welche Bei 
derrZreibarbeit zuerft erfolgt, ift die Srifchalätte, welche durch ein Schmeljen mit 
Kohlen in Schachtöfen, oder durch das Frifchen, wieter zu Bkei reducirt wird. 
Die nun folgende ift die Kaufglätte, welche zur Töpferglafur, in der Medicin 
äußerlich zum Abbeilen und Kühlen und leider auch zum Verfälfchen der Wei⸗ 
ne angerendet wird. Gegen das Ende der Treibarbeit wird die Stätte filber- 
haltiger, und diefe wird dann als Zuſchlag beim Blei: und Silberfymelzpro: 
ceß angewendet; man nennt fie Scheideglätte. Der Unterfehied zwifchen Gold: 
und Sitberglätte liegt in der dunfelern und hellern Farbe. 

Glakteis enıfleht, wenn nach beftigem Froſte Thauwetter mit emem 
gelinden Regen eintritt. Die atmofphärifche Luft nimmt, wenn das Thaumwer: 
ter eintritt, die durch Winde berbeigeführte Wärme zuerft an, das Steinpfla- 
fier und der bartgefrorene Erdboden dagegen fpäter. Während alfo die Luft 
fibon über den Sefrierpunft erwärmt ift und den Regen in Tropfen herabfal« 
len laͤßt, ift der Erdboden noch fü Falt, daß das Waffer, melches mit ihn in 
Berührung kommt, feinen Wärmefloff an ihm verliert und zu Eis wirt. 

Glaube ift nach Kant ein folches Fürmahrhalten, welches auf fubjectiv zu⸗ 
reichenden, d. h. auf fülchen Gründen beruht, die nieht unmittelbar in der Kenntnig 
des Objects gegeben find. Liegen diefe in einem Bedürfniffe der menſchlichen Ber: 
nunft, das den Menfchen nöthigt, auch Das Überfinnliche, auch Das, was nicht in 
der Erfahrung erfcheint, für wahr zu halten, fo ift diefes Vernunftglaube. Liber: 
haupt nennt man die lebendige fÜbergeugung von einem entweder unerwieſenen oder 
unbeweisbaren Segenftande Glaube; dahin gehört auch der Glaube des Höchften, 
meil diefes eben über alle Beweiſe erbaben ift. Wefentlich ift der Glaube von dem 
Meinen wievon dem Wiffen verfchieden; denn das Meinen ift ein Fürwahr⸗ 
Halten ohne zureichende Gründe, das Wiſſen aber ift ein Sürwahrhalten aus objectiv 
zureichenden Sründen. Ich meine, daß der Komet der Berfüntdiger des Unglüds 
oder des Krieges fei, ich weiß, daß es eine Stade Namens Paris gibt, und ich 


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Glaubenseid Glaubenseid (Fathol.) - "7125 


glaube, daß Bott die Welt regiert, und daß die menſchliche Seele unſterblich iſt. Die 
dürfniffe der Vernunft aber, das Beduͤrfniß, einen Erflärungsgrund von dem 
Dafein und der weifen Einrichtung der Welt zu finden, und das Bedürfniß der zus 
verfichtlihen Erwartung des Sieges des Guten und eines vollkommenern Zuflans 
des der Dinge, nöthigenden Denfchen „den religibſen Ideen Wirklichkeit zuzufihreis 
ben, nöthigen ihn , Gott, Vorſehung und Unfterblichkeit im Glauben zu umfaſſen. 
Darum wird die religiöfe liberzeuaung vorzugsweife Glaube genannt, und ihm der 
Unglaube, d. h. die Denf:und Sinnesart Deffen entgegengefeßt, der nur Das, 
was fich aufdas Zeugniß der Sinne gründet, für wahr hält und die überfinnlichen 
Ideen der Gottheit, der Vorſehung und der Unfterblichkeit als Wahn und Selbſt⸗ 
täufchung betrachtet, Zameilen wird das Wort Glaube objectiv von Dem, was 
geglaubt wird, gebraucht; in diefem Sinne redet man von dem chriftlichen Glau⸗ 
en oder von dem Glauben diefer oder jener Eirchlichen Sefellfchaft. N, 
Slaubenseid, das Bekenntniß, welches alle Geiftliche in ber kathol. 
Kirche beider Übernahme ihrer Amter, und auch weltliche Perfonen, welche von ans 
dern Religionsparteien zu diefer Kirche übergehen, feierlich ablegen und eidlich be: 
kraͤftigen muͤſſen. Die Formel diefes Eides ift in den Rändern, welche die Lehrfüge 
ber tridentinifchen Kirchenverfammlung ohne Einfchränkung angenommen haben, 
ganz diefelbe, wie fie Papft Pius IV. nach den Befchlüffen diefes Tonciliums abge: 
faßt und vorgefchrieben hat, und weil fie befonders zur Anerkennung der Hoheit: 
rechte des Pabſtes und zur Untermürfigkeit gegen ihn verpflichtet, feitdem ein vor- 
zügliches Mittel geweſen, das in der Folge der Reformation durch eine fretere Poli⸗ 
tif der Fürften gefuntene Anfehen des Papſtes aufrecht zu erhalten. Die befondern 
Sreibeiten der gallicanifchen Kirche verhinderten in Frankreich gleich anfang die An: 
nahme diefer Grundſatze des tridentinifchen Conciliums, daher auch der Glaubens: 
eib für die franz, Priefter eigenthämliche Änderungen erhielt. Mit dem bei der Re: 
volution von DM franz. Geiſtlichkeit gefoderten Conſtitutions⸗ oder Bürgereide ver⸗ 
trug er ſich aber durchaus nicht, und während die conftitutionnellen Priefter ihm uns 
etreu wurden, entzogen fich andre firenger denkende diefem Gewiſſensſtreite Durch 
uswanderung oder Niederlegung ihrer geiftlichen Amter, Die belgiſchen und luͤt⸗ 
ticher Seiftlichen halfen fich auf Befcheid des Papftes Pius VII. dadurch, daß fieden 
Bürgereid zwar zurũcknahmen, aber ſchwuren, Nichts zu thun, was gegen Die franz. 
Eonftitution voäre, und das Concordat vom 15. Juli 4801 traf auch in diefem 
Pan einen Mittelweg, bei dem die neufranz. Priefter mit ihrem Gewiſſen beſte⸗ 
en zu können glaubten, Mit diefem Slaubenseide ift der Feudalttätserd, 
den die Bifchöfe beim Antritte ihres Amtes dem Papfte zu leiften haben, nicht zu 
verwechſeln. Er flieht im Pontificale romanum (Benedicts XIV.) und iſt abge: 
druckt „Allg. Zeit”, 1827. Beil. 116. Er enthält u, a. die Worte: „Haereti- 
cos el schismalicos pıo posse persequar““, . 
| Slaubenseid (kathol.). „Man muß diefen von PiusIV. in Folge der 
Befchlüffe, des Conciliums zu Trient feftgefegten Eid felbft Iefen, um die Märchen 
über das von Convertiten zu Befchteörende zu würdigen, Märchen, die noch in der 
neueften Zeit Glaubende gefunden haben, die über den Fid urtheilten, ohne ihn in 
den Ausgaben des Conc. I'rid. zulefen. Auch in der proteftantifchen Kirche müſ⸗ 
fen die Kirchendiener den Religionseid leiſten. Der Widerfpruch, der zwiſchen die 
fem Eide auf die fombolifchen Bücher und der Forfchungsfreiheit der Evangelifchen 
efteht, hat ſchon manchen evangel. KRirchendiener im Verlegenheit gebracht, beſon- 
ders zur Zeit des preuß. Religionsebicts. — Faſt das Umgefehrte des Glaubens: 
eides find die in neuern Zeiten aufgefommenen Sonftitutiongelde ber Geiſtlichkeit. 
Als nämlich die franz. Nationalverſammlung bei der Ausführung der von Rouſſeau 
im „Contrat social‘ aufgeftelkten Ideen an das 8. Cap. des 3. Buchs (De la re- 
ligion civile) fam, verfaßte fie die fo berächtigt gewordene Constitution civile du 


nd | . 
126 Glauber Glaz 


cierge, wodurch die franz. Geiſtlichkeit in der Wirklichkeit vom centrum unitatis 
der Kirche abgezogen ward, und kegte diefe am 12. Juni 17190 dem Könige ur Ber 
flätigung vor. Der König weigerte fich anfangs, diefe fogenannte bürgerliche Ver⸗ 
faffung der Seiftlichfeit zu beflätigen, weil er dadurch fein Gewiſſen verlege Tab. 
Denn die Rationalverfammlung erklärte jeden Seiftlichen , der fich weigern würde, 
. „ Treue der Nation, dem Geſetze und dem Könige und Anhinglichkeit der neuen Ver⸗ 
faſſung zu geloben, f. Amtes verluftig. Nur durch die Vorftefung, daß eine lan⸗ 
gere Weigerung von fe Seite aufrübrerifche Bewegungen des Volks gegen die Prie- 
fter und Adeligen zur Folge haben würde, ward endlich der König bervogen, Dem 
Befchluffe über die bürgerliche Verfaffung der Seiftlichfeit am 26. Dec, 1190. 
Zuftimmung zu geben. Die Spaltung wuchs, als im Anfange des folg. J. die Ma⸗ 
tionalverfammlung ihre geiftlihen Mitglieder zwingen wollte, öffentlich auf Dens 
Rednerſtuhle den gefoderteri Eid zu Teiften oder zu verroeigern. Beinahe alle vers 
meigerten ihn, und fo entflanden 2 Parteien, die der beeidigten und unbeeidigten 
Prieſter. Was immer Reines und Edles unter der franz. Seiftlichfeit war, gebörte 
zu den unbeeidigten. Pius VI. erklärte in einer Bulle vom 13. April 1791 alle 
neue Prieſterwahlen fuͤr ungültig und alle Seiftliche, toelche den Bürgereid geſchwo⸗ 
ren, ihrer Amter für verluftig, Dagegen erhoben fich ſchreckliche Berfolgungen ge: 
gen’ die unbeeidigten Priefter, Allerdings iſt der Priefter als Bürger dem Staat 
und f. conftituirten Behörden Sehorfam ſchuldig, aber als Seiftlicher fieht er kei? 
neswegs unter.den Staatsgeſetzen und kann nimmer angehalten werden, gegenwär= 
tige oder zufänftige Verfaffungen und Geſetze zu beſchwören, Die den Grundſatzen 
der Religion und Kirche zu nahe treten. Ein folcher unbedingter Eid auf zukünftige 
Etaatsgefeße gleicht ja einer Ergebung auf Discretion und vernichtet das Weſen 
der Kirche als abgefonderter Geſellſchaft. Wenn die Staatsregierungen ihr wahres 
Intereſſe bebächten, wuͤrden fie nicht auf einem folchen unbedingteg Eide beftehen, 
der nur das Werkzeug — wozu man den Geiſtlichen dadurch machefl will — ſchlecht 
und verächtlich macht, die Edeln aber von folchen Stellen entfernt. V.e. Kath. 
Glauber (Joham Rudolf), ein deutfcher at in Amfterdam, wo er 
4668 in hohem Alter ftarb, hat fich, f. Srillen von Metallverwandlung ungeachtet, 
un die Chemie fehr verdient gemacht. Ihm verdankt man die beffere Einrichtung 
der Dfen, die Abkürzung mehrer chemifcheri Arbeiten, dieBereitung des rauchenden 
Salpetergeiftes durch Vitrioldl, und das nach f. Namen genannt: Slauberfalz 
(eigentlich Sodavitriolſalz), das er zufällig fand, als er Kochfalg mittelft der Dis 
triolfüure zerfeßgte, um die rauchende Salzſaure zu deftilliren. Verwundert, aus 
bem Rückbleibſel diefer Deftillation ein Eryitallifirtes Salz mit arzneilichen Wirkun⸗ 
gen zuerhalten, nannte er es zul mirabile, Wunderſalz. Es wird als Abführunge: 
mittel gebraucht, hier und da in der Natur gefunden, größtentheils aber Durch die 
Kunit verfertigt, und ift ein Mittelſalz, Das aus 58 Theilen Waſſer, 19 Th, 
Schwefelfiure und 25 Th. Natron befteht, in großen plattgedrückten,, fechsfeitigen 
Säulen anfchießt und einen bittern kaltenden Geſchmack bat. An trodener Luft 
zerfällt es zu einem mehlweißen Pulver mit 56 von 100 Verluſt am Gewicht, doch 
“ mit Beibehaltung ſ. Kraft, die vielmehr um die Hälfte verftärke iſt. n 
. ®Taucus, ein Fiſcher aus Anthedon inBöotien, der nicht lange vor Afchy: 
lus unter die Volksgotter aufgenommen, und dem als Meergott auch die abe der 
Prophezeihung beigelegt wurde; daher Apollonius ihn fchon den Argonauten am | 
mufifchen Geſtade weiffagen laͤßt. Ovid befchreibt ihn folgendermaßen: . , 
Jetzo erfhien mir zuerit fein Bart von dunfeler Grüne, 
Und dies hangende Haar, das fang die Melle durchfeget, 
Ach die bläulichen Arme, zugleich die gemaltigen Schultern, 
Und die Schentel, gekruͤmmt zum floffigen Schweife des. Fiſches. 
Stay, Grafſchaft und Kreis (11 OM., 61,400 €.) im preuß, Regie 


\ 


Se 723 


rungsbezirk Breslau, von hohen Gebirgen eingefchloffen, 8 Deeilen lang und 5 . 
M. breit, fehr fruchtbar mit reiner Luft umd mehren Heilguellen zu Cudowa, 
Neurode und Reinerz. 2000 Fuß hoch liegen die fogen. Seefelder, die befländig 
unter Waſſer fteben, Das niemals friert und niemals zu: oder abnimmt. Im TRolfe: 
grunde ift ber Waſſerfall, im Gebirge find die Höhlen. merkwuͤrdig. Die Hauprfl. 
GEN. (mir 8200 E.) iſt eine wichtige Feftung und erlitt Belagerungen in d. J. 
1742, 1759 und 1807. Zu der ehemal. Grafſch. Glaz gehörte auch der jekk 
ge Sabelfhwerdter Kreis (1413M., 39,000.€.), mit Lande, das warme 
Bäder, und Miederlangenau, das einen Sauerbrunnen hat. 

Gleditſch (Johann Theophilus), Prof, der Naturwiſſ. und Botanik, 
—— der Akad. der Wiſſenſch. in Berlin, geb. zu Leipzig d. 5. Febr. 1714, hatte 
daſelbſt ſtudirt und erbhielt nach des Prof. Hebenftreit's Abgange, der eine wiffen: 
fchaftliche Reife nach Afrifa unternahm, die Aufficht ſowol über den botanifchen als . 
über den damals durch ſ. Anlagen und feltenen Gewaͤchſe berühmten Sroß:Bofe’: ' 
fchen Sarten. Botanifche Excurſionen durch Sachfen, nach dem Harz und dem 
Thüringerwalde, welche G. machte, ſowie f. Aufenthalt zu Annaberg, wo I. Näs 
. nel (ein befannter Iraturforfcher) f. ehrer wurde, dann zu Berlin, wo er der Schü⸗ 
ler von Buddaͤus, Schaarſchmidt, Senff und Neumann ward, erweiterten, Kennt⸗ 
niffe und fekten ihn in den Stand, ſowol die Flora Berolinensis als die von Leip⸗ 
zig zu bereichern. In Berlin ward G. durch den König Friedrich Wilhelm I. dem 
Hrn. v. Ziethen, einem Freunde der Pflanzenkunde, empfohlen, was zur Folge 
hatte, daß der junge Naturforfcher 1736 eine foftemat. Befchreib, der feltenen Ge⸗ 
wächfe in Drud gab, die in Ziethen’s Garten zu Trebnig gezogen wurden. ©. 
ließ fih hierauf als Arzt zu Lobus nieder; dann zu Sranff. a. d. O, mo er D. ward 
und als Lehrer der Phnfiologie, der Botanik und Materia medica auftrat, Zum 
ordentl. Mitgl. der eben errichteten Akad. der Wiſſenſch. in Berlin und zum Direcs 
tor des botaniſchen Gartens ernannt, erhielt er auch die Stelle eines zweiten Prof. 
der Anatomie. Auf Verlangen Friedrichs 11. hielt er öffentliche Borlefungen über 
die Forſtwiſſenſchaft und mar der Erfte, welcher ein geordneres Syſtem über diefen 
Zweig aufficlite. Seine zahlreichen Schriften und die tüchtigen Schüler, welche 
er 309, beweifen die Kenntniffe und die verdienſtvolle Thätigkeit dDiefes Gelehrten, der 
im Det. 1786 ſtarb. Zu beflagen ift, daß mehre treffliche Lehren und Erfahrungen . 
von G. in den verſchiedenſten IJweigen der adminiftrativen Ofonomie nicht Immer 
und tiberall fo beherzigt worden find, wie fie es verdienten, tibrigens war ©, ein 
Diann von ebenfo großer Beſcheidenheit als Gelehrſamkeit. Mehre f. noch jeßt in 
Ehren gehaltenen Werke wurden erft nach f. Tode von f. Schmwiegerfohne, dem Geh. 
Sinanzraıh Gerhard in Berlin, herausgegeben. Zu den vorzüglichften gehören f. 
„Gatalogus plautarum“ (überden Zieihen’fchen Garten zu Trebniß), f. „Consi- 
deratio epieriseos Siegesbeki»nae in Linnei Systema plantarum etc.”, ſ. „Lu- 
ceubratiuncula de fuco subglobaso sessili et molli in Marchia reperiundo”. 1005 
von eine deutfche Überf: im 8. Bde. f. Tiffertationen über Botanik fich findet); fi 
„Syſtemat. Einleit. zum Studium der Forſtwiſſenſchaft“; ſ. „Tyeoretiſche prakti: 
ſche Sefchichte der Medicinalpflanzen“; f. „Naturgefchichte der nüglichften einhei- 
miſchen Sewächfe”; f. „Bolanica medica” (von F. W. A. Luͤders, einem ter aus: . 
geieichneiften Schüler von G., herausgegeben); und f. „Bemerkungen in Bezug auf 

otanık und Medicin”. Seine Differtationen find zum Theil in den Memoiren der 

Sreunde der Naturwiſſenſchaft in Berlin, zum Theil in den Annalen der berliner 
Akademie, zum Theil auch in den Mannigfaltigfeiten von Ir. Martini, abgedruckt, 
ſowie mehre die Pflanzenkunde betreffende fuftematifche Kataloge; auch beforgte er 
die 2. Ausg. der Linne’fchen „Philosophia botanien“, © ine Lebensbrfihreibung 
von v. Willdenow und Ufteri fam 1790 in Zürich heraus. Der Naturforfcher 
Catesby hat ein erotifches bohnenartiges Gewachs Gleditsia benannt. . ' | 


128 Gleichen Gleichgewicht der Staaten 


N 
Steigen (Ernft, nach A. Ludwig, Graf v.), aus einem berühmten, feßt 
erlofcehenen deutfchen Sefchlechte, folgte dem heil. Kreuze nach Palaͤſtina, fochr wi⸗ 
der die Türfen und fiel in Gefangenſchaft. Eines Tages, fo erzählt die Sage, ers 
blick ihn, als der Unglüdliche am Wege arbeitete, die Tochter des Sultans, und 
von Mitleid und Liebe gerührt, verfprach fie, ihn zu befreien, wenn er fie zum 
Weibe nehmen und-mit ihr entfliehen wolle. DBergebens wendet er ihr ein, Daß er 
daheim Weib und Kinder babe. Die an die Eitte ihres Volks gemöhnte Fürſtin 
findet darin Fein Hinderniß. &ie entfliehen und erreichen ‚zu Schiffe Venedig. 
Hier vernimmt der Graf, daß f. Gemahlin und f. Kinder leben und mit Sehnſuche 
piner harren; er eilt nach Rom und erhält vom Papfte, nachdem die Türfin Die 
Taufe empfangen, die Erlaubnig, beide Gemahlinnen behalten zu dürfen, mit des 
nen er fortan in glüclicher Eintracht lebte; denn auch ſ. frühere Gattin willigte 
. ein, das Herz ihres Gemahls mit Derjenigen zu theilen, ohne deren Hülfe er für fie 
verloren geweſen wire. S. Sallett?s „Ichüringifche Sefchichte” und eine Eleine 
Schrift des gelehrten Praͤlaten Placidus Muth, Das Grabmal des Grafen, auf 
welchem er mit beiden Gemahlinnen abgebildet ift, befand fich in der ehemaligen 
Benedictinerkirche auf dem Petersberge zu Erfurt und üftjeßt in Gotha. - 
Gleicher, f. Ayuator, 


SGleichger icht, der Ruheſtand, welcher erfolgt, wenn -2 oder mehre 


Kräfte fi dergeftalt entgegenwirken, daß jede Bewegung dadurch aufgehoben 
wird. (S. Mechanif und Statif.) 

Gleichgewicht der Staaten, politifches Gleichgewicht, iſt die Ydee 
der hoͤhern Staatskunft, daß die nach Außen firebende Macht eines jeden Staa⸗ 
tes von den übrigen fo gemäßigt werde, daß Feine Betrüdung ober Befchrän: 
fung irgend eines Andern daraus erfolge. Es befteht alfo in Verbindung rieh⸗ 
rer Mächte zur Abwendung folcher Sefahren, die ihnen von der Vergroͤßerungsſucht 
einzelner Nachbaren bereitet werden konnten. &ie widerfegen fich daher jedem Um⸗ 
fichareifen eines andern Staats, das die Unahhingigkeit und Sicherheit Nes einen 
Volks bedroht, dadurch aber die der übrigen gefährdet. Die Staaten haben ein 
natürliches Recht, die Idee eines ſolchen Gleichgewichts unaufhörlich geltend zu 
machen; denn nichts kann unbeftrittener fein als die Verbindlichkeit der Regierung, 
fi von Außen Sicherheit zu verfihaffen , weil ohne diefe fein politifches Dafein, 
kein Stantenleben überhaupt denkbar if, Man fieht leicht ein, daß die dee eines 
politifchen Gleichgewichts," ohne einen wirflichen Staatenverein, der die Gewähr 
des rechtmäßigen Befißftandes Aller nach völferrechtlichen Srundfügen übernimmt, 
nicht ausgeführt werden Bann. Die Despoten, welche in Afien und Afrika berrs 
fen, Eönnen durch einen ſolchen Verein weder geſchuͤtzt noch in denfelben aufge: 
nommen werden, meil fie überhaupt fein Gefeß anerkennen, fondern Gewalt und 
Willen über alles Recht erheben. Sie regieren nicht über Völker, fie find Sklaven⸗ 
treiber, Räuberhäuptlinge und Kriegsbefehlshaber. Sie gehorchen feinem Geſetze, 
feinem Vertrage, fondern allein der phyſiſchen Nothwendigkeit. Es waͤre aber eine 
wirfliche Verlegung der Gleichgewichts, wenn man es fo weit austehnen wollte, 
daß keinem Staate von dem andern geftattet würde, ſich aufrechtmäßige Weiſe, in: 
nerhalb f. natürlichen Kraftgebiets, zu verftärken, durch Handel und Gewerbe die 
Volker glücklicher und’reicher zu machen, und fo auf alle Weiſe ſ. geiſtigen und phy⸗ 
ſiſchen Kräfte durch feinen innern Haushalt zu entwideln, Das Gleichgewicht der 
Staaten ift vielmehr eine fittliche Idee. Es fol Jeder fo ſtark und Fräftig, fo reich 
und glücklich fein, als er es In f. Lage werden kann; aber daffelbe Recht haben auch 
f. Nachbarn, und die fichtbaren Grenzen aller unter fich beftimmt allein der durch 
Merträge geordnete Befikftand eines jeden. Der diplomatifche Verkehr der Stan: 
ten ımter einander darf alfo nur innerhalb diefer Rechtsfphäre die Machtfphäre eines 
Seven beobachten umd bewachen. Die dee des politifchen Sleichgewichts mußte 


Gleichgewicht der. Stanten 129 


entfliehen, fobald mehre Staaten fich felbft als moralifche Perfonen erfannten, und 
mit einander in rechtliche Derhältniffe traten. Beides feßt aber voraus, daß die 
Civiliſation bedeutende Fortfehritte gemacht babe. Es ift Daher falfch, mern man 
geſagt hat, daß das politifche Gleichgewicht eine Entdeckung fi, die die italicnifchen 
Sreiftaaten erft im 15. Jahrh. gemacht hätten. um fich den Eroberungsangriffen 
Karls YUll, von Frankreich zu entziehen. Woher anders entfland der peloponne: 
fifche Krieg, als weil die übrigen Staaten Griechenlands die drüdtende Obergemwalt 
Athens nicht länger dulden wollten? Ebenfo mußte Athen es felbft fehr wohl, dag 
. Sparta und Theben nie zu mächtig werden dürften, wenn feine eigne Sicherheit 
nicht gefährdet werden follte. Demoſthenes entwidelte in f. Reden, befonders für 
Megalopolis, fo feine Gedanken über diefen Segenftand, wie fie nur der größte Po⸗ 
Jitifer neuerer Zeiten vortragen Eünnte; und Polybius, der im Sache der Staats; 
voiffenfchaft ebenfo groß ift als in der Sefchichtfehreibung, lobt ausdrüdlich das Be: 
nehmen des Königs Hiero von Syrakus, da er den Carthagern in dem Kriege der 
Hülfsvolker Beiftand leiftete. „Man muß”, fegt er hinzu, „nie die geringen Anfänge 
der Bergrößerung der Nachbaren gering achten, und nimmer zugeben, daß die Dracht 
eines Staates fo fehr wachſe, dag man einſt einen gerechten Krieg nicht mit gleichen 
Kräften führen konnte”. Unter den Nachfolgern Aleranders war es jedoch mehr 
der Kampf gegenfeitiger Eiferfucht, welcher ein gleiches Machtverhaͤltniß ordnete, 
als die Idee eines politifchen Gleichgewichts. Als fpäter die Herrfchaft ber Römer 
Alles unterjochte, als im Anfange des Mittelalters die nordifchen Völker mit dem rd: 
mifchen Reiche auch den gefellfehaftlichen Verein zerflörten, da ging diefe Idee völlig 
. unter. Auch Karls d. Or, Froberungsplane und die Abfonderung der Staaten un⸗ 
ter fich, ſowie die Kreuzzuͤge, ließen diefelbe im fpätern Mittelalter nicht roieder aufs 
kommen. Nur im Kleinen findet man diefe Idee in den Kriegen befolgt, die die 
chriſtlichen Könige der pyrenäifchen Halbinfel theils unter ſich, teils mit dem mau⸗ 
rifchen Hofe zu Sordova führten. Aber Iebhafter, obgleich nicht mit angemeffener 
fittlicher Größe, erwachte der Gedanke an das politifche Gleichgewicht in den Frei: 
fraaten Italiens. Die Kämpfe zroifchen Genua und Venedig, von denen jenes fich 
mit den-byzanginifchen Kaifern verband, dieſes fich fogar den erobernden Osmanen 
anſchloß, hatten urfprünglich feinen andern Zweck, als dem übergewichte ber einen 
oder der andern Macht entgegenzuarbeiten; ‘aber weil fie größtentheils nur dieſe 
beiden Staaten befchäftigten, und bloß ausigegenfeitiger Eiferfucht wegen Macht: 
und Handelsvortheil hervorgingen, fo endigten fie mit der Schwächung der Republik 
von Genua. Als hierauf Karl VIN, von Srankreich Italien angriff, um feine Ans 
ſpruͤche auf Neapel geltend zu machen, da regte fich in allen Staaten das lebhafte 
Gefühl der Nothwendigkeit, diefer Übermacht entgegenzuarbeiten. Robertfon rech> 
net von diefer Zeit an die Ausbildung der Idee des politifchen Sleichgewichts, und in - 
der That kann man fo viel zugeben, daß, da damals erft die Staaten in engere Bes 
ruͤhrung mit einander Eamen, die Mächte von Deutfchland und Spanien gegen die 
wachfende Macht Frankreichs auf ihrer Hut zu fein anfingen. Noch mehr war dies 
der Fall, als die Reformation mit der Staatskunft zugleich auch die Anfichten vom 
Nölferrechte aufflärte; in den Kriegen Franz I. und Karls V. bemerkt man bloß die 
Abficht eines Jeden, auf Koften des Andern felbft mächtiger zu werden. Es mar 
die Idee des politifchen Gleichgewichts, welche im 17T. Jahrh. die Kürften Europas 
zu einem allgemeinen Kampfe gegen die Anmaßungen des Hauſes Oftreich bemaffnete, 
die den unfterblichen Guſtav Adolf für die Rechte der reinern Religion ſowol als zum 
Schutze der bedrängten deutfchen Fürften auf den Boden Deutfchlands rief. Weil 
aber die deutfchen Fürften felbft unter fich weder einig waren noch einen großen 
Mann aus ihrer Mitte an ihre Spiße ftellen konnten, fo übernahmen fremde 
Mächte die Muͤhe, den politifchen Zuftand von Deutfchland nach ihrem Bedürfniffe 
zu ordnen. Dadurch wurde für Deutfchland felbft Fein Gleichgewicht, fondern eine 


730 Gleichgewicht. der Staaten 


Vielherrſchaft, wohl aber in Deutfchland der Angelpunft des europäifchen Steige 
gewichts gegründet. Seitdem blieb der weftfülifche Friede der Polarftern des Dipke 
miatifcehen Staatsfchiffes von Eurepa bie in die neueſte Zeit. Übrigens mar die Po 
tik. die ihn vorfchrieb, nicht umſichtig; fie vermied bloß die Scylla von Oſtreich um 
gerieth in Me Charybdis von Franfreich. Der treffliche große Kurfürft, Friedriq 
Wilhelm von Brandenburg, der treue Bundesgenoſſe Hollante geg n Frankreiqh 
und der Sieger bei Kehrbellin, mar allein viel zu ſchwach, um Ludwigs AIV. Ber 
größerungeplane befchränfen zu fonnen. Die Schwäche Leopolds 1., Ver Kathole 
cismus Karls 11. und Jakobs 11. in England, und die erbärmliche fpenifche Near: 
rung unter Karl 13.: dies Alles begünftigte den Untergang der “Idee des politiſchen 
Gleichgewichts zum größten Nachtheil aller, befonders der öfltlichen Machbara 
Frankreichs. Nur Milheim 111. von England faßte fie wieder auf; toch im utred;: 
ter Frieden fehrte Alles zu einer Zweiherrfchaft in Europa zurüd, deren England 
mit Frankreich ſich anmaßte. Daraufentmwidelte fıch feit 1740 durch Friedrich N. 
eine ähnliche in Deutfchland, als Preußen Dftreich gegenübertrat. Indeß ging ans 
der gegenfeitigen Berührung diefer deutfchen und jener europäifchen Zweiherrſchaft, 
in welche nach Schwedens Sinfen Rußland mit eintrat, zuleßt eine Fünfberrfchaft 
für Europa hervor, in welcher Preußen zuerſt für die Erhaltung des Befißflantes, 
als Grundſatzes des europaͤiſchen Sleichgewichts, Eimpfte, und dadurch eine euros 
päifche Macht wurde. Der firbenjährige Krieg, der alle kommende Sefchlechter 
überzeugen wird, daß has Vorhaben, einen einzelnen Staat ju unterdrüden, wenn 
diefer nur moralifche Kraft genug, und einen folchen Helden als der große König an 
der Spiße bat, an den Urbebern eines fo välferre htetnibrigen Beginnens ſich felbſt 
raͤcht, hat Preußens Stellung unter den erſten Maͤchten Europas ſo ſicher gegrün⸗ 
det, daß auch die größten Unfalle der neuern Zeit nur dazu dienen konnten, dieſen 
Staat herrlicher als je zu erheben. Durch Polens dreimalige Theilung wurde das 
politiſche Gleichgewicht von Europa aufs Neue ungeftürzt, und felbft die Idee def: 
ſelben, das Recht, vernichtet. In unferm Jahrh. fehien es eine Zeit lang, als 
wenn dag fogenannte große Reich alle übrigen verfchlingen würde; und ohne Die 
Standhaftigkeit Großbritanniens, obne die heftenmüthige Ausrauer ter Spanier 
und die in der Öefchichte einzige Begebenheiten in Rußland, endlich ohne Preußens 
riefenmäßige Anftrengungen waͤre das Sleichgewicht der europäifchen Staaten nur 
noch ein fehiner Traum befferer Zeiten. Natürlich entfteht die Frage, ob denn 
jest, feit dem allgemeinen Frieden, das politifche Sleichgeroicht wieder vollfommen 
bergeftellt, und ob wirklich der heilige Bund nur ein religiöfer Auedrud für jenen 
Grundſatz fei? Eine unparteiifche Überlegung des Verhiltniffes der Staaten gegen 
einander hindert uns, die Frage bejahend zu beantworten. Was den Urheber der heil. 
Bundes betrifft, fo ließ fich von f. perfonlichen Tugenten anı wenigſten Beeintraͤchti⸗ 
gung der Nachbarflaaten fürchten. Aber ift es in der Politik mot räthlich, der Per: 
fünlichfeit eines Regenten allein zu vertrauen? Iſt nicht das öftliche, an ſich riefen: 
mäßige, Neich durch die neuern Friedensfchlüffe zu einer folchen Groͤße angewach⸗ 
fen, daß kaum das ganze verbündete Europa gleiche Streitfräfte ihm entgegenfeßen 
Tann? Preußen, fein naͤchſter Nachbar, fo hoch verdient um Europas Befreiung 
und Ruhe, dürfte kaum die nörhigen phrfifchen Kräfte wiedererlangt haben, um 
in der politifchen Wagſchale den Ausſchlag geben zu fünnen. Gleichſam um der 
preußifchen Regierung, deren moralifche Kraft fo oft erprobt ift, die ſchwerſte Auf: 
gabe vorzulegen, hat man ihr die freindartigfien Nationen und die entlegenften üns 
der, beide noch durch fein gemeinfchaftliches Band gehalten, zugerheilt. Um von 
den andern Staaten zu reden, fo find freilich Sardinien und die Niederlande, als 
angenommene Vormauern oder Bollwerfe gegen Sranfreich, mit reichlichem Lin: 
derzumachs ausgeftattet; aber Dünemarf und Sachſen trauern, daß in Ruͤckſicht 
ihrer allein das Eroberungerecht geltend gemacht worden if, waͤhrend andre Staa⸗ 








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Gleichheit Gleichniß 131 


jagen ‚ unter Napoleon ver rößert, Nichts einbuͤßten. Hſtreichs Macht beſetzte 1821 


militairiſch Neapel und Sardinien zur Sicherheit des Beſtandes jetziger Ordnung 
in diefen Landen und in den öſtreich⸗ital. Staaten. Daſſelbe that Frankreich 1828 
irr Sponien; Wellington dagegen überließ Portugal einer tyranniſchen Ufurpation ' 
und begünftigte die Pforte, um Griechenlands Aufſchwung zu begrenzen. Tie Zus 


7 kunft muß entſcheiden, ob das ſittliche Grundweſen des politiſchen Gleichgewichts 


Deutlicher als bisher anerkannt und ausgeſprochen, und daſſelbe auch durch Die That 
dıber die Convenienzpolitik der Mächtigen unter ſich erhoben werten wird. . 
| Gleich heit ift das Verhältniß der Einerleiheit zweier Dinge in Anſehung 
der Größe. Da nun die Größe theils einefinnliche (anfchauliche und enıpfindbare), 
teils eine bloß denkbare (intelligible) ift, fo ift auch Die Gleichheit von diefer dop⸗ 
pelten Art. Die Gleichheit vernünftiger und freier Weſen, als folcher, ift Daher 
Bloß denkbar, indem die Größe falcher Wefen nicht in die Sinne fill. Wenn aber 
vernünftige und freie XBefen, als folche, gleich genannt werden, fo ift dies vornehm⸗ 
Lich von ihrem urfprünglichen Rechte, d. i. dem Rechte auf Leben und freiheit, zu 
verſtehen. Man nennt daher diefe Gleichheit die urfprünglichsrechtliche, oder auch 
wol die natürliche, wiefern fie in der Natur vernünftiger und freier Weſen, als ur: 
fprünglich berechtigter Subjecte, gegründet iſt. Dan koͤnnte fie auch die Gleichheit 
des urfprünglichen Rechts nennen, mit roelcher Die Ungleichheitderermworbenen Rechte 
fehr mohl zufammen beftehen kann. Denn wenn jedes vernünftige und freie Weſen, 
dergleichen der Menfch ift, urfprünglich das Recht hat, von feinen Kräften jeden Ges 
brauch zu machen, der fein andres vernünftiges und freies Weſen verlegt; fo kann 
es nicht fehlen, dag Derjenige, welcher feine Kräfte mehr anftrengt oder vom Glücke 
“mehr begünftigt wird ale ein Andrer, auch mehr Eigenthum erwerbe als diefer. Im 
Staate foll nun die Gleichheit des urfprünglichen Rechts keineswegs aufgehoben, 
fondern vielmehr durch dag Geſetz geheiligt werden. Das Geſetz foll an nach 
der Foderung der Bernunft 4) jeden im Staate geborenen Menfchen als einen Freien 
anerkennen; 2) jedem freigeborenen Menfchen gleichen Anfpruch auf die Erwerbung 
aller der Rechte ertheilen,, die nur vernünftigerreife in einem Staat erworben wer: 
den fönnen, undjeden auf gleiche Weiſe bei feinen rohlerworbenen Rechten fhüßen. 
Daher verbindet fich die dee der Gleichheit norhivend‘g mit der Idee der Freiheit, 
fobald jene Idee recht verftanden wird. Die Menfchen find gleich in ihrer urfprüngs 
lichen Freiheit. Die SHeichheitsmänner in der franz. Revolutiongzeit mißdeuteren 
jene dee ganz und gar, indem fie diefelbe auch auf die bürgerlichen Rechtsverhaͤlt⸗ 
niffe ausdehnten, und felbft die Ungleichheit des Cigenthums aufheben wollten, wel⸗ 
ches unmöglich if, (Vgl. Freiheit) D. 
Gleſichniß gehört zu jener Art der Gedankenbezeichnung, vermöge deren 
eine Borftellung durch eine andere veranfchatlicht, mithin ein Bild in einem Gegen: 
bilde vorgeftellt wird, (S. Tropen.) Jede folche Übertragung feßt eine Verglei⸗ 
Kung voraus, deren Weſen darin befteht, daß fie ein Bild und’ rin Gegenbild, beide 
als verfchieden, aber ähnlich‘ aufftellt. Der Unterfchied zwifchen Metapher und 
Vergleichung im engern Sinne ift’diefer, daß in der —*8 das Hauptbild in dem 
Gegenbilde untergeht, ſich darin verliert, in der Vergleichung aber beide neben eins 
ander beftehen, und das Gegenbild nur dazu dient, das Hauptbild mehr hervorzu⸗ 
heben oder zu verfinnlichen. Ein Beifpiel wird Dies deutlich machen. Wenn das 
fehöne Incarnat jumgfräulicher Wangen unter dem Gegenbilde der Kofen vorgeftellt 
‚wird, fo re die Metapher das Segenbild ohne Weiteres an die Stelle des Haupt: 
bildes, die Rofe an die Stelle des Ancatnats; damit aber doch Das Gegenbild als 
folches charakterifirt werde, fo behält fie von dem Hauptbilde noch Etwas zurüd‘, die 
Wangen nämlich: die Roſen ihrer Wangen blühen. Nicht gleich kurz und raſch 
verführt die Vergleichung, welche fich fo ausdrüden würde: ein I Incarnat 
überzieht die Wangen der Jungfrau, wie ein ſanftes Roth die blühende Roſe, oder: 


Pd 


132 Gleichung Gleim 


ähnlich dem ſanften Roth der blähenden Rofe. Man erkennt ſchon aus dieſem 
Beiſpiele, daß die Vergleichung einen viel ruhigern Zuſtand erfordert als die Meta⸗ 
pher, weiche alle Wie, Gleichſam als, Alſo u. f. w. raſch überfpringt, und mer 
fehnell andeutet, was fie meint, als ausführlich fagt. Der Metapher und Ber- 
gleichung bedient fich die Poeſie häufig als Mittel des Ausdruds, je nachdem fir 
viel auf einmal in die Seele bringen, oder diefe bei Einem Gegenfiande linger will 
verweilen laffen. Aus der Metapher entfieht die Allegerie, aus ber leschung 
das Gteichniß. Wie die Allegorie eine fortgefeßte Metapher, fo ift das Gleichnij 
eine fortgefeßte Vergleichung oder Vorſtellung durch Ausführung ihres Gegenbildes, 
fo —e— das Heranziehen eines Heeres mit einem ſummenden Bienenſchwarme 
vergli 


Gleichung, Inder Algebra, der Ausdrud derfefben Groͤße unter verfchte: 


denen: Benennungen , oder ein Gleichheitsverhaltniß zweier verfchieden benannten 
Größen. lieder der Gleichung heißen die beiden verfchieden benannten Größen, 
Die durch das Zeichen — (d. h. iſt gleich) getrennt werden; .B.9 4 620 — 
6, oder 3 — 1—5— 3. Die durdy die Zeichen + oder — verbundenen Srö: 
Ben, woraus jedes Glied befteht, heißen Säge der Gleichung. Es fonnen in einer 
Gleichung neben befannten Srößen auch unbefannte oder unbeſtimmte enthalten fein, 
+2. in der Gleichung mx -- ny=a — b find mnab befannte oder beftimmte, 
x und y aber unbefannte Groͤßen. Die Wurzel der Gleichung heißt der Werth der 
ımbefannten Größe. Hinfichtlich der Böhern oder niedern Potenz (f. d.), worauf 
die unbefannte Groͤße in einer Sleichung ſteigt, theilt man die Gleichungen in ein: 
« fache (auch vom 1. Grade), quadratifche (vom 2. Gr.), Eubifche und biquadratifche 
(vom 3. oder 4. G.). Man betrachtet ie Gleichungen entweder als das legte Ers 
gebniß, worauf man bei der Löfung einer Aufgabe kommt, oder als ein Mittel zu 
einer endlichen Zöfung. Gleichungen der erſten Art haben nur eine unbefannte, mit 
mebren gegebenen oder befannten vermiſchte Größe, die zweite Art enthält verſchie⸗ 

. dene unbefannte Groͤßen, die mit einander verglichen und verbunden werden müſſen, 
bis man zu einer neuen Gleichung gelangt, die nur eine unbefannte Größe unter be: 
fannten enthält. Um den Werth diefer unbefannten Größe zu finden, wird die 
Gleichung auf verfchiedene Art umgewandelt, wodurch fie endlich auf den einfgchfien 
"Austrud gebracht wird. Über Gleichung in der Aftronomie vgl. Zeitgleihung 
ur m Wilhelm Lu d. zu Ermsleben Sta chen 

eim (Johann dwig), ged. 6 ‚einem Städt 

im Fürftentfume Halberftadt, am 2. er 119, Bf. zu Halberftadt am 18. Feb. 
1803 als Secretair des Domftifts dafelbft und Kanonicus des Stifte zu Walbed. 
Seinen Vater, den Oberfteuereinnehmer des ermslebenſchen Kreifes, verlor er 
1735, da er auf der Schule zu Wernigerode war. Ein gedrudtes Trauergedicht 
auf deſſen Tod beurfundet fein früh geübtes Talent. Wohlthaͤtige Familien er: 
hielten den armen verwaiften Knaben auf der Schule bis 1738, da er die : 
ſchule zu Halle bezog und in den bürftigften Umſtanden heiter den Studien oblag. 
ine Lehrer waren der Kanzler Ludwig, Heineccius der Yurift, Böhmer, und 
befonders Ales. arten; zuletzt auch der Freih. Chriftiaon v. Wolf. Seine 
Sreunde wurden Uz, Kudnid und Nic. Gotz, welche gleichzeitig mit ihm fludirten, 
und zu denen ihn gleiche Liebe zur Poeſie hinzog. Die Mufter der Griechen ımd 
Romer waren auchdie ihrigen. 1740 verließ ©. die Univerfitit, um nach Kopens 
Bagen zu geben; fein Schickſal aber führte ihn als Hauslehrer in das Haus eines 
Oberſten u. Schulz nach Potsdam, wo ihn der Prinz Wilhelm, Sohn des Mark: 
grafen zu Brandenburg: Schwedt, Eennen lernte und als Secretair in feine Dienſte 
nahm. In diefer Zeit machte er die Bekanntſchaft von Ewald Chriſtian v. Kleiſt; 
diefer ward fein wertrautefter Freund, und feitdem nennt man in der beutfchen Lite: 
ratur die Nomen Gleim und Kleift als poetifch verbrüdert. Zu ihnen gefellten fich 


. 


Lk. 


Gieim | 733 


Sulzer, Spalding, Ramler, Graun u. a. Steichgefinnte, welche der Sache der 
Bodmer'ſchen gegen die damals auf dem deutfchen Parnaß gleichzeitig herrſchende 
Gottſched'ſche —* allen möglichen Vorſchub leiſteten. Die freiere und geiſt⸗ 
reichere Ausbildung der deutſchen Sprache, Art und Kunſt ward hierdurch nicht we⸗ 
nig befördert. Der zweite ſchleſiſche Krieg trennte 1744 die vereinten Freunde und 
raubte ©, feinen wohlrollenden Prinzen, roelcher vor Prag ftel. 1745 ward ©, 
Secretair des „alten Deffauers”, von welchem ihn jedoch deffen rauber Charakter 
bald entfernte, G. lebte nun einige Jahre zu Berlin unter mancherlei gefcheiterten 
Planen zu anderweitiger Berforgung, bis er 1747 als Domfecretair nach Halber⸗ 
ftadt berufen wurde, wo er fehr angenehm lebte. Schon 17744 war von ihm ber mit 
großem Enthufiasmus in Deutfchland aufgenommene Verſuch in feherzhaften Lie: 
dern erfchienen. Nicht minderes Aufſehen erregten feine gleichzeitigen dDramatifchen 
und fatprifchen Verſuche. Don fi frühern Freunden getrennt, lebte er die erfte Zeit 
in befländigem Briefivechfel mit ihnen; Lange, Leffing, Gegner, Zacharis, Ebert, 
Lichtwer, Wieland u. X. vergrößerten zunächft den Kreis ſ. poetifchen und wiſſen⸗ 
fchaftlichen Umgangs, der die Freude feines Lebens war. 1749 erfchienen die beiden 
Kiederfammlungen, welche er zu Halberftadt drucken ließ, mit den angeblichen Druck⸗ 
orten Amfterdam und Zürich. 1750 lernte er Kiopfiod, Schmidt, Sellert, Rabener, 
die Cramer und Schlegel kennen, roelche er von Zeit zu Zeit nach Halberftadt zu ver- 
feßen soußte, des Lebens und Dichtens mit ihnen froh zu fein. Mit alten jenen Män: 
“ nern verband er ſich auf das innigfte, denn Freundfchaft war f. Lebenselement. Er 
hatte das feltene und beglüdtende Talent, in jedem das Treffliche aufzufinden, an⸗ 
zuerfennen, und fich deffen wie des eigrien Cuts zu erfreuen, Die verfchiedenften 
Charaktere fanden fich durch f lebendige, ſtarke Freundſchaft vereint und beglüdt; 
jeder wandte fich in allen Lagen des Lebens, guten und böfen, an ihn, der thätigften 
ülfe und lebhafteften Theilnaßme gewiß. In der Liebe war ©. weniger glüdlich. 
r bar fich nie verheirathet; fein Hausweſen beforgte f. geiftreiche Nichte, Sophie 
Dorothea &., welche u, d. N. Sleminde häufig befungen wart. 4756 gab ©. das 
erfte Buch f. Fabeln und ſ. Romanzen in Druck, welche ſ. Ruhm nicht wenig vers 
mehrten, der indeß erft in den 7 Kriegsjahren des großen Friedrichs 11. feine höchfte 
Höhe erreichte durch die Rriegslieder, welche er u.d. N. und im Charakter eines 
preugifchen Grenadiers fang. &. wußte fich fo fehr unter dieſem Namen zu verber: 
gen, felbft vor feinen vertrauteften Freunden, daß man fpäterhin öfter behauptet hat, 
er habe diefe Lieder wirklich nicht gefungen, fondern nur befanntgemacht. Sie find 
in Ton, Schwung, Kraft und lebendiger Anordnung bis jetzt unerreichte Mufier 
eblieben und haben ihrem Verfaſſer einen hohen Hang unter den vaterländifchen 
ichtern gegeben. Nach den Kriegsliedern verfuchte ſich G. bald mehr, bald min: 
der glüclich in Oden nach dem Horaz, in Petrarchifchen Bedichten, Gedichten nach 
den Minnefingern und Sinngedichten. ©, lebte mehr im Genießen als im Stre⸗ 
ben, und in beiden arglos und unbefangen; ob ein poetifcher Wurf gelang, ob nicht, 
er hatte ihn angenehm befchäftigt. jüngere Freunde reihten 19 in diefer Zeit den 
ältern an: die Karſchin, Georg Jacobi, Benj. Michaelis, Wilh. Heinſe, Joh. 
Müller, Göckingk, Klamer Schmidt, etwas fpäter Tiedge u. A. Die Meiften 
von ihren wußte ©. in Halberfladt anzufiedeln; fein Eifer für ihr kürgerliches 
Wohl wie für ihren Literarifchen Ruhm Eannte feine Grenzen. Der Berein fo vie: 
ler geiftreichen jungen Männer gab ihm den Plan ein, in Halberftadt eine vorberei⸗ 
tende Akademie zu fliften, welche er fpäter in f. lezten Willen als eine Schule der 
Humanitat bezeichnete: ein Yan, der aber ohne zureichende Örundlage twenig aus: 
führbar ſchien. &. hatte ein feltenes Talent, mit den Menfchen aller Stände auf 
das erfreulichfte umzugehen; feine Lieder fürs Volks zeugen davon, Er war ein 
Menfcbenfreund im edeljten Sinne des Warts; als ſolcher fang er „Halladat oder 
das rothe Buch”, in Sinne eines weifen Dersoifches aus dem Morgenlande. Dem 


% 


N 


134 . Gletſcher 


Halladat folgte eine kleine Sammlung Epiſteln, welche in ihrer Art gleich originell 
und trefflich find. Nach Friedrichs Il, Tode ward G.'s Enthuſiasmus für den gro⸗ 
Ken König zu glühender Vaterlandsliebe. Die franz. Revolution erfüllte ihn mit 
Grauſen. Erfah im Geiſte die Stürme derfelben auch über das theure deutfche 

‚ Waterland bereinbrechen. Unaufberlich predigte er den Deutfchen Einigkeit, 
Kampf aufeben und Tod für Unabhängigkeit des Daterlandes; er gab Soldaten⸗, 
Marfch: und neue Kriegslieder heraus, Zeitgedichte, politifche Fabein u. ſ. w., um 
richtige Begriffe von Freibeit und Gleichheit, Fürft und Bolt und echter Vaterlands⸗ 
liebe zu verbreiten. Als fein politifcher Eifer nirgends Eingang fand, fuchte er Rue 
vor der aräuelreichen Gegenwart. Die leidenfchwere Zeit fcheuchte ihn aber nicht 
in eine Timonshöhle, fondern er baute fich ein Hüttchen, mitten unter das jüngere, 
f. Überzeugung nach in ungluͤcklichem Wahne verirrte Geſchlecht. Außer den jährL 
Befuchen der ältern Freunde Herder, Stolberg, Eſchenburg, J. H. Voß mit ihren 
Familien, erheiterten die-Ießtern Jahre des Greiſes auch noch die öftern Befuche der 
jüngern Sreunde: Baggefen, Sean Paul, Seume, Falk und vieler Antrer, denen 
er hülfreich und väterlich zugerhan war, Zwei J. vor f. Ende erblindete ©. auf 
beiden Augen; eine Operation blieb ohne Erfolg. In der Dunkelheit. Tage blieb 
fein Geiſt noch mebr wie zuvor auf die großen Begebenheiten hingerichtet. 84. 
Jahre ſ. Lebens nahm ©. Abfchied von f. Freunden, flarb gottergeben und ward 
begraben in f. Garten vor Halberftadt; f. Anordnung gemäß Reden einfache Urs 
nen, mit den Namen f. ihm vorangegangenen aͤlteſten Freunde, um die Stätte € 
Ruhe her. Klopſtock's Ode, die ſ. Namen trägt, bat ihn, feiner Perfönlichkeit 
nach, treu und unvergeßlich gezeichnet; ſ. Beiftes Bild, ſ. Herzens Sprache Iebt 
in f, Eleinften Sprüchen und Gedichten. Hagedorn und er gaben ung das leichte, 
fröhliche, naive Lied; er früher als Hagedorn und Andre die wahre Kindesfabel, 
die fpielende Romanze, das tyrtüifche Kriegslied. Als eines Vaters der Jünglinge, 
als eines Freundes der Mentihen lebt fein Andenken in den Herzen aller Guten und 

Edlen, welche ihm den fehöuften aller Ehrennamen gegeben haben: Vater Gleim. 
©. ‚Sleim’s Leben, aus f. Briefen und Schriften“, von Wild. Korte (Halberftadt 
4811); „Gleim's fimmel. Werke, erfte Driginalausgabe aus des Dichters Hand- 
fhriften durch W. Körte” (7 Bbchen., Halberſtadt 1811— 13). 

. Gletſcher. Wo fich die Gebirge über die Schneelinie (f.d.) erbeben, 
find ihre Sipfel u. Seitenflächen mit ewigem Schnee bedeckt. Hier bildet der Schnee 
einen Überzug, der fefter als der geröhnliche Schnee iſt, ohne eigentliches Eis zu fein. 

An den Seiten der Berge ift mehr Eis als auf den Sipfeln; doch nennt man dies noch 
nicht Gletſcher, fondern dieſe dehnen fich von den Abbängen der Berge bis in die 
Thäler und weit über die Schneelinie hinunter, Sie find alfo große Eisfelder zwi⸗ 
fhen den Bergen felbft, oft von ganz horizontaler Ausdehnung, gewöhnlich aber et: 
was fehräge. Das Gletſchereis ıft gänzlich von dem Meer: und Flußeis unterfchies 
den. Es legt fich nicht fehichtenmeife an, fordern befteht aus lauter Fleinen zuſam⸗ 
mengefrorenen Schneekörnern, und ift daher bei aller ſ. Klarheit und bei feiner oft 
fpiegelglatten Oberfläche, dennoch völlig undurchfichtig, zerfpringt auch nicht ſtrah⸗ 
lenformig, wie das Meereis, fondern hat einen förnigen Bruch. “Dabei fin? die 
Gletſcher voll Spalten und Schrunden, und in diefen Kiffen ſieht das ©letfchereis 
oben grünlich und in der Tiefe bläufich aus. Weſentlich gehören zu der Natur der 
Gletſcher ihre Ränder, die man in Savoyen Moraines deglaciers, in Island Id⸗ 
kelsgiärde nennt. Diefe Rinder beftehen aus fehlammiger Erde, welche oft ſchich⸗ 
tenweife mehre Klafter über einander liegt, im Sommer einem unergründlichen 
Sumpfe aleicht, und durchaus Feine Vegetation zeigt. Es ift höchft —— 
daß dieſe ſcheußlichen Moranen durch das Schmelzen des niedern Gletſchereiſes ent⸗ 
ſtehen. Offenbar erfolgt dies im Sommer, und wenn eg nicht geſchaͤhe, fo müßten 
die jährlichen Anhäufungen des im Winter frierenden Schnees diefem endlich eine 


Gliedermann Glimmer 735 


renzenloſe Dicke geben. Aber es ſchieben ſich auch die großen Eiefelder, wenn im 
Beißen Sommer ihre Rinder ſchmeizen, weiter in die Thäler hinunter, und erkaͤlten 
auf eine Zeit lang die Luft in den leßtern außerordentlich, bis fie endlich, zum Theil 


woenigftens durch Die größere Wärme gefehmolgen werden In Lappland, mo die _ 


Sonne meitiger Krafthat. bemerkt man jedoch in der Gegend des Sulitelma herab: 
geglittene Slerfcher, welche die Luft fortdauernd fo fehr erfälten, daß die Schnee: 
renze fehon bis auf 3100 Fuß über der Meeresfläche ſteht. Dies Herabgleiten der 
Österfer, weiches Durch die Schneelawinen im Sommer befördert wird, muf na⸗ 
„ türlich flärfer oder fehroächer fein, nachdern die Ebene des Eiofeldes einen ſtumpfern 
oder fpißern Winkel mit den Horizonte macht. Man fann fich davon überjeugen, 
wenn man die veränderte Rage großer berveglicher Felsbloͤcke um die Gletſcher ber be⸗ 
merft, denn diefe werden von dem Eife fichtbar.fortgefchoben, und man hat am 
Grrindelberg in der Schweiz gefeben, daß ſolche Steine in einem Jahr 25 Fuß weit 
fortgefcehoben wurden. So ſieht man auch in den Moräinen oft Rollfteine von be: 
Deutendem Umfange, die von einer ganz andern Sebirgsart find, als die in den Thx: 
lern. Die mußten daher in den höhern Regionen der Gebirge abgelöft und herab: 
edrängt fein. Man fiebt alfo, daß, wie in manchen Gegenden und bei heißen 
| E ommern fich die Gletſcher vermindern Eonnen, fie fich doch auch Jahre lang oft fo 
vermehren, daß fie die Thäler unmwirthbar machen, Zu ihrer Vermehrung trägt 
haufiger Wechfel von Thaumetter und Froft bei; zu ihrer Verminderung die Be: 
birgsſtrome, welche oft unter ihnen fortgeben, fodaß der Gletſcher Eisgemölbe über 
den Strömen bildet, Diefe Ströme findet man auch in der Tiefe der großen Spal⸗ 
ten, welche in den belvetifchen Alpen größtentheils Staub: oder Pulverlamwinen ge 
nannt. werben, weil fie aus frifch gefallenem Schnee beftehen, den der Wind mit fich 
fortreißt, und fläubend in die Tiefe ſtürzt. Es fommen aber auch, befonders in den 
norwegifchen Alpenthäfern, Grund: und Schladenlamwinen vor, welche Steine und 
Erde mit ſich führen und die Moränen der Ölerfcher vermehren. In Tirol, in 
der Schweiz, In Piemont und Savoyen find fo viele Öletfcher, daß man berechnet 
hat, wenn fie alle verbunden würden, fo würden fie ein Eisfeld von 70 geograph. 
Meilen ausmachen. Es gibt einzelne Gletſcher, vorzüglich in Savoyen, mehr 
als 3 deutfche Meilen lang, eine halbe Meile breit und 20— 100 Klaftern did, 
Einer der berühmteften ift das Meer de Glace im’ Chamounythal, etwa 5700 Fuß 
über der Meeresfläche. In Sranfreich, bei Beaunte, und in den Karpatben bei 
Dfeliß gibt es unterirdifche Gletſcher, die in großen Höhlen gebildet find und nies 
mals auftbauen, weil die Sonne nicht auf fie wirken kann. Aus diefer Darftellung 
ergibt fich, dag in der großen Andegfette keine Ölerfcher vorkommen Eonnen, weil 
zroifchen den Wendefreifen die Temperatur das ganze Jahr fich nicht verändert, — 
Gletſcherſalz ift ein füuerlich auflöfendes Salz, das nit einen Theile alfalis 
ſchen Salzes verbunden iſt. Es findet fich in fchwarzfandiger Erde an Stellen im 
berner Gebiete, wo vormals Eiegletfcher ftanden. Es wird aus jener Erde ausge: 
laugt und findet fich in der Nähe von Schiefer, wo es fich im weißen Staube an: 
legt und nach erlangter Maſſe abfällt. Auch findet man dies Sal; in Klumpen am. 
Schiefer, theils auf den Schichten derfelben. Solches Klumpenfalz bemerft man 
auch im WBalliferlande und benußt es als Sedlißer Salz. “ 
Bliedermann, Öliederpuppe (manequin), die mit berveglichen 
Gliedmaßen verfeherre Puppe, deren fich die Künftler als eines Modells bedienen, 
um das Gewand richtig anordnen und legen zu fünnen. (S. Gewand.) Da: 
© fari nennt als Erfinder berfeben den Baccio della Porta, einen Maler, der im Or: 
den der Dominicaner den Yiamen Bartoloıneo di San Marco erhielt. dd. 
Glim mer, ein Utineral, welches felten In fechsfeitigen Tafeln kryſtalliſirt, 
gewöhnlich derb und ſehr leicht in zum Theil großen Blättern oder TafıIn teilbar, 
auch in Schuppen und Blaͤtichen, — filberweiß, braun, ſchwarz, goldgelb, grün 


- 


— 


” 


136 Globus | Glocken 


roth, metalliſch glaͤnzend, in dünnen Blaͤttchen durchſichtig, weich, ſehr allgemein 
verbreitet, als Gemengtheil vieler Felsarten, ſeltener auf Lagern, Neſtern und 
Gaͤngen vorkommt. — Der durchſichtige und in großen Tafeln vorfommende Slim⸗ 
mer dient in Peru und Sibirien zu Fenſterſcheiben, auch braucht man ihn zur Een 
ſtruction der Compaßhaͤuschen, zu Laternen, zu Objectivſcheiben in Bergrößerungs 
gläfern u. fe wm. — Der Slimmerfchiefer ift eine aus Quarz und Glimmer, 
bie im fehiefrigen Gefüge verbunden find, beftehende Felsart der älteilen Fornzatio- 
nen, Das Gefüge ift bald dick- bald dünnfchiefrig, theils gerade, theils wellerrfor 
mig gebogen. Slimmer und Quarz erfcheinen in voechfelnden Lagen. Er ent haͤlt 
eine Menge von Mineralien zufütlie beigemengt, geht in Sranit, Gneis, Then 
ſchiefer, Kornblendfchiefer u. f. w. uber und ift dem Sedeiben der Pflanzenmelt ſehr 
günftig. Er if ausgegeicpnet deutlich gefchichtet, bildet meift große Bergebenen mit 
fanften wellenformigen Erhöhungen, denen das Steile und Prallige fehlt, ſpielt in 
den Hauptgebirgsfetten Europas eine bedeutende Rolle und ift (ehr reih an 
verfchiedener Art, Die ihm theils beigemengt find, theils auf Gängen und Lagern in 
ihn vorfommen, Der dünnfchiefrige roird zum Dachdeden, der diefchiefrige als 
Bauſtein, als Seftellftein in Hohöfen u. ſ. w. angewendet. | 
Glo bus, jeder dichte runde Körper; in der Geographie und Aftronomie, 
eine Fünftliche Kugel, welche an 2 Polen innerhalb eines Cirkels (der den Meri⸗ 
dian oder Mittagskreis vorftelle) fich bewegt, und auf deren Fläche die vornehmſten 
Irter der Erde (Erdglobus) oder die Sterne (Himmelsglobus) verzeichner 
find. Außerdem find auf beiden die vornehmften Kreife, welche man fich auf der 
Erde und am Himmel gezogen denkt, angedeutet. Anarimander von Milet, ein 
Schüler von Thales, der um die 50. Olympiade (580 vor Chr.) blühte, foll den 
Erpglobus erfunden haben. Daß Ptolemäus ſchon eine Fünftliche Erdfugel mit 
dem univerfalen Meridian hatte, fehen wir aus feinem Almageft. Auch verfertigten 
die Alten Himmelstugeln. Unter den Neuern baben fich Mehre durch die Verfers 
tigung Fünftlicher Globen ausgezeichnet, Der Denetianer Toronelli (fi. 1718) 
brachte mit Hülfe des Claudius Molinet und andrer yarifer Künftler für Luds 
wig XIV. 1683 eine Erdfugel zu Stande, welche 12 parifer Schub im “Durch: 
meffer hat. “Derfelbe Künfller verfertigte auch eine Himmelskugel von derfelben 
Groͤße. Funk in keipzig gab 1780 Modelle der Himmelsfugel in Kegelform (Co- 
niglobia) heraus, die bei einem gehörigen Bebrauch mit den toben ziemlich einerlei 
Dienfte thun und ungleich wohlfeiler find. In Deurfchland eröffnete Ludwig An⸗ 
dreä zu Nürnberg die erfte Officin von- Himmels: und Erdfugeln zu mäßigen ‘Preis 
fen, weichem Enderfch zu Elbingen und die Homann'fche Dfficin nachfolgten. Uns 
ter den Neuern machen die von Bode beforgten Himmelsfugeln, welche zu Nürnberg 
feit 1790 verfertigt werden und beim Kunfthändler Franz dafelbft zu beftellen find, 
an Senauigfeit, Bollftändigkeit und Schönheit des Stiche allen übrigen den Bor: 
zug flreitig. Die vom Kriegsrach Soßmann gezeichneten Erd£ugeln zeigen die neues 
ften Entdeckungen. Jet werden auch brauchbare Globen von verfihiedener Größe 
in Leipzig und Weimar gefertigt. Vortreffliche ein: und zweifüßige Globen liefern 
ferner Adam und Cary in London. Es ift aber zu bemerken, daß der Preis bei ber 
Größe von 2 Fuß und darüber fehr hoch fleigt, ohne dag darum für die Sache ſelbſt 
wefentlih gewonnen würde. Für 20 Thlr. muß man jeßt eine fauber gearbeitete, 
genaue Erd: oder Himmeskugel haben fönnen. Anmeifung zum Gebrauch ders 
felben gibt Bode in feinen „Erläuterungen der Sternkunde“, 1 Bd. ©. 155 fg. 
Glocken entftanden in Italien nach und nach aus den Cymbeln, Schellen 
und HandElingeln des Drients, mo fie zu religiöfen Sir nuu.chen dienten, indem man 
die Götter Dadurch zu ehren oder auch fie herbeizurufen meinte. Namentlich weiß 
man, daß das Lfirisfeft Durch Glockenſpiel verfündigt ward, und daß in Athen fich 
die Priefier der Enbele bei ihren Opfern der Glocken bedienten. Plinius fagt, 


— 


va mr u BE TE TE TE 3 TU. ge 


—.-.—.m. m vw- — oerv 


- -- — — — — — — — 


Stodenfpiel Elogau | . 13T 


Daß es lange vor feiner Zeit Glocken gegeben. Man nannte fie tintinnahula. und. 
Sueton berichtet uns, daß Auguft eine folche vor dem Tempel des Jupiter aufhaͤn⸗ 
gen ließ. In der chrift, Kirche Hingegen:bediente man ſich der Glocken, die Gemein: 
den zu verfammeln, welche man früher durch Laufer hatte zufammenrufen laffen, 
Machher ſchlug man Breter zufammen, um das Volk zum Gottest ienfte einzulas 
ben, haher man diefe Breter die heiligen Breter nannte. Paulinus, Biſchof zu 
Nola in Sampanien, foll im 4. Jahrh. zuerft den Gebrauch der Kirchengloden ein« 
geführt Haben, und daher follen fich auch die Tat. Namen der Glocke, campana und 
nola, fehreiben. Im 6. Jahrh. bediente man fich der Glocken fehon in den Klöftern; 
fie hingen auf dem Kirchtach in einem Geftelle. Gegen das Ende diefes Jahrh. 
batten mehre Stadtgemeinden Sloden auf ihren Kirchen. Um 550 wurde ihr Ge⸗ 
brauch in Frankreich eingeführt. Papſt Sabinian (fl. 605) verordnete zuerft, daß 
alle Stunden durch Glockenſchlaͤge angezeigt wiirden, um die horas canonicas, d. i. 
die Sing- und Beiſtunden, beffer abwarten zu Eonnen. 610 belagerte Clotars Heer 
Gens, als Lupus, Bifchof v. Örleans, die Glocken von St.:Stephan zu läuten be: _ 
fahl, worüber Clotar fo erfchrad‘, Daß er die Belagerung aufbob, Im Anfange des 
8. Jahrh. fing man an, die Kirchengloden zu taufen und ihnen einen Namen zu 
geben. In England gab man das Zeichen zum Gottesdienfte mit Sloden. Im 
Deorgenlande wurde ihr Gebrauch im 9. Jahr. eingeführt, in der Schweiz 1020; 
warn in Deutfchland, iſt ungewiß. Im 11. Jahrh. bekam der Dom zu Augsburg 
2 Glockenthürme. Es fcheint, man habe eine Ehre darein gefeßt, große Glocken zu 
haben. In Moskau ſah und mag W. Core 1787 eine Glocke, die er auf 4320 
Eentner fchäßte. Eine andre Ölode in Moskau wiegt 356 Etnr., und die 1819 neu 
egoffene Glocke wiegt 1600 Ctnr., die Zunge allein 18 Ctnr. Auf den parlfer 
om kam 1680 eine Glocke, die 25 Schub ins Umfange hatte und 340 Ctnr. mog; 
Wien wurde 1711 eine Glocke gegoffen, die 354 Ctnr., und deren zehnthalb Fuß 
langer Klöppel 8 Stnr. wog. Aber die größte Glocke in den äftr. Staaten iſt zu 


. Dlimüß in Mähren in dem mittlern Domthurme; fie wiegt 358 Ctnr. Die. 


Erfurter große Slode, die Sy. v. Sampen goß und D. J. v. Lasphe mit dem Namen 
Suſanne taufte, wiegt 275 Stnr., hat über 24 franz Fuß im Umfang und einen 
4 Fuß langen Klöppel, der 11 Ctur. wiegt. 
: Stodenfpiel, eine Erfindung des Mittelalters. Mar findet fie häufig 
auf Thürmen mit der Schlaguhr in Verbindung. Das erfte.foll 1487 zu Aloft in 
den Riederlanden verfertigt worden fein, Einige Stodenfpiele haben Walzen, die 
von Zeit zu Zeit gewechſelt werden, und laffen fich nicht nur Tag und Macht mit 
demfelben Stüde hören, fondern bejeichnen auch die halben und Biertelftunden - 
durch kürzere Strophen, ja felbft die halben Viertelftunden durch einen einzelnen 
Echlag. Andre haben eine Art Tangenten, welche die Glocken berührenundnad 
Art eines Claviers gefpielt werden konnen, jedoch nicht mit den Fingern, fondern 
mit der Fauft, welche um den Schlag auf die Tafte mit der gehörigen Kraft thun 
zu konnen, mit einem ledernen überzuge verfehen wird. So —* auch die Be⸗ 
Danbiung ift, fo gibt es doch Glockenſpieler, welche dreiftimmige Säge ausführen, 
ja felbft. Zaufer, Triller und Arpeggios herausbringen. Burney erzählt, der Glo⸗ 
enfpieler Scheppen zu Lömen babe mit einem fertigen Violinſpieler gewettet, daß 
er ein ſchweres DViolonfolo auf den Glocken ausführen werde, und die Wette ge: 
toonnen. Pottheff, Drganift und Glockenſpieler auf dem Rathhausthurm in Am: 
flerdam, erblindete inf. 7. Xebensjahre, erhielt un 31. die erwähnte Stelle und 
fpielte, obgleich jede Tafte ein Gewicht von 2 Pfund erfoderte, fein Slodenfpiel 
fo — wie einen Flügel. Er ließ ſich 1772 vor Burney mit einigen Fugen 
darauf hören, \ 
Glog au, preuß. Hauptfeftung in Schlefien, im Regierungsbezirk von Lieg: 
nitz, ohnweit der Oder, bat 11,200 Einwoh., darımter 1230 Juden, ift der Sig bes 
GonverfationdsLesicon. Bd. IV. ; 1 


138 Stoffe Sud 


Oberlandesgerichts und hat ein Iutherifches und ein kathol. Gymnaſium und eine 
Hebammenſchule. Auf dem Schloſſe reſidirten die Herzoge von Glogau aus dem 
—— te der Piaſten; fie ſtarben 1476 aus, worauf das 
an die Krone Böhmen fiel. Der öflreichifche Commandant in Glogau führte zu 
gleich den milinirifchen Oberbefehl in Schleſien. Friedrich U. eroberte &. 17141 
und ließ es noch ſtaͤrker befeftigen. Nach der Schlacht von Jena wurde G. von 
den würtembergifchen Truppen unter Bandamme und Sedendorf berennt, und 
von dem preufifchen Commandanten von Reinhard nach geringem Widerſtande 
übergeben. Erft in Folge des mit dem Grafen Artois nach der Reflnuration der 
Bourbons am 14. April 1814 abgefchloffenen Waffenftillftandes kam es an 
Preußen zurüd. Die Stade bar Weberei, Tabads: und Siegelladfabrifen 
und lebhaften Verkehr. Der Dichter Gryphius (f. d.) iſt bier geboren. 

Stoffe, die Erklärung eines unbefannten oder dunfeln, befonders eines 
veralteten Worts, daher Sloffator, der Erflürer folder Wörter, und SIlof 
farium, eine Sammlung folder Erklärungen. Über dieſen wichtigen Theil der 
älteften Denkmäler unferer Zeit ſ. A. H. Hoffnann’s „Althochdeutfche Gloſſen“ 
4. Sammti., Breslau 1826, 4.) und C. G. Graff's „Diutiska“ (Stuttgart, B. 1, 
9.1). Inder Dichtkunſt nennt man eineeigne Gattung von Gedichten Sloffen, 
die aus der fpanifchen und portugiefifchen Poeſie auch in die unfrige übergegangen 
if. Das Gedicht fingt mit einem Thema in zwei, drei, vier oder mehr Verſen an, 
welche in ebenfo viel Strophen weiter ausgeführt werden, und vondenen am Schluß 
jeder folgenden Strophe der Reihe nach einer immer wieder erfcheint. A. W. und 
Sr. Schlegel, welche diefe zierliche und Eunftreiche Gattung bei uns zuerſt verfucht 
haben, nennen fie auch DBariationen. 

Glover (Richard), Dichter, geb. 1'712 zu London und in Surrey erzogen, 
widmete fich dem Handel, Deffenungeachtet verließ ihn feine frühe Neigung zur 
Dichtkunſt nicht. 17371 gab er das Heldengedicht „Leonidas” heraus, welches 
Ebert überſetzt und beurtheilt bat, dem wir aber nur einen fehr mittelmäßigen 
poetifchen Werth beilegen können. In England fand es einen außerortentlichen 
Beifall , wozu die Umflände viel beitrugen. Bwei Sabre darauf erfchien fein 
Gedicht: „Londun or Ihe progress of conımerce”, das, nebft feiner Ballade: 
„Admiral Hosier’s ghost“, Einfluß auf die Handelsbegebenheiten der damaligen 
Beit hätte, indem darin der Nation das Unrecht fühlber gemacht wurde, welches 
Spanien dem englifchen Handel zufügte. 1753 erfchien f. Trauerſpiel, Boadicea“, 
welches einige Mal mit Beifall aufgeführt rourde, ‚und 1761 gab er ſ. „Medea“ 
heraus, ein nach Art der griechifchen Dramen mit Choͤren verfebenes Trauerfpiel, 
auf das er fpäter noch eine Fortfeßung folgen lieg. Nach dem Regierungsantritt 
Georgs II. wurde er zum Parlamentsgliede für die Stadt Weymouth gewählt; 
in diefer Eigenfchaft zeichnet? er fich bei mehr als einer Selegenheit durch feine 
kraftvolle und. überzeugende Beredtfamteit aus. 17710 vollendete er feine Umarbeis 
tung des „Leonidas. Er wurde jegt häufig in Geſchaͤften der Iontoner Kaufmanns 
ſchaft gebraucht, die ein ımbedingtes Zutrauen zu feiner Redlichkeit hegte. In den 
letzten Jahren ſ. Lebens arbeitete er an einem neuen epifchen Gedicht : „Atheniad“, 
. bass auch als Fortfeßung des „Leonidas“ angefehen werden Eanrı, aber nicht die legte 

Vollendung erhalten bat, und 1788 von feiner Tochter, Mrs. Halſat, herausge⸗ 
geben worden ift. Er ftarb 1185. Noch erfchienen nach feinem Tode , als Auszug 
aus f. Tageduche: „Memoirs of a celebrated literary and political character” 
(Zondon 1814,) worin er mit großer Wahrheitsliebe, aber nicht. ohne Strenge und 
Ditterfeit, von den Ereigniffen und manchen Perfonen feiner Zeit fpricht, und aus 
welchen man hat beweifen vollen, daß er der Verfaffer der Juniusbriefe 


G.d.) ſei. J 
1 uk (Chriſtonh, Ritter v.). Dieſer Tondichter, dem die lyriſche Scene 





3 Sud | 139 


ähren Slanz und thre dramatiſche Vervollkommnung verdankt, ſtammte von einer 


angefehenen Familie in der Oberpfalz, wo er auf dem Dorfe Weißenwangen an der 
Böhmifchen Grenze 1714 geb. wurde, Sein Vater war Jagermeiſter behn Zürften 
Bobkowitz. Er roidmete ſich von Jugend an der Muſik und zeigte bedeutende Ans 
Iagen; allein erft feit f. 20. J. ließ er feine unfterblichen Meiſterwerke ans Licht tres 
ten. Sn Prag fludirte G. die Anfangsgründe der Muſik und fang im Chore mit, 
bald fpielte er trefflich mehre Inſtrumente. 17738 bereifte er Italien und ſtudirte 
unter San: Martini dieCompofition, Seine in Matland gefipriebene erfte Oper: 
„Artaxerxes“, wurde dafelbft, ſowie eine andre: „Demetrius”, in Venedig ges 
geben (17142). Eine dritte: „Der Sturz der Giganten“ 
Oper in London, wohin er ſich 1745 begeben hatte, Hier batte der Umgang des 
D, Arne und deffen Srau, einer trefflichen Opernfingerin, großen Einfluß auf die 
Einfachheit feiner Productionen, Die bisher berührte Periode war in Hinficht der 


enge f. Productionen die fruchtbarfte. An 45 Opern wurden von ihm in dem’ 


Zeitraume von 18 J. gefchrieben, in allen aber zeigte ſich noch nicht die Größe und 
Tiefe, die der Dichter der Töne in ſ. fpätern Werken entwideln follte. ©. war bis⸗ 


ber dem damals herrſchenden Styl und Geſchmack der italienifchen Oper gefolgt 


und fühlte wohl, was eigentlich fehlte, und wie wenig bas Ganze feiner Muſik auf 


eigentl. dramat. Werth Anfpruch machen konnte. Ein Haupthinderniß zur Erreis - 


chung eines wahrhaft dDramatifchen Ganzen für den Componiften war aber immer 


. die hergebrachte Seichtigkeit und innere Zuſammenhangsloſigkeit der Igrifchen Dichs 


tungen, welche er zur Unterlage ſ. Tongemaͤlde erhielt. Erft als ihn das Geſchick 
mit einem Manne betanntmachte, der den Muth und die Kraft hatte, troß der 
Mode einen andern Weg hierin einzufchlagen, verniochte er auch feinerfeits, dafs 
felbe zu tun. Diefer Diann war der Florentiner Ranieri di Calzabigi, den &. in’ 
Wien Eennen lernte, und der dem Tomponiften eine Reihe Texte lieferte, die durch 
ihren engverbundenen Inhalt und durch die richtige Motivirung der einzelnen Si⸗ 
tuationen unter einander gar fehr gegen jene leicht zufämmengemürfelten Arien, 
Duette, Dialoge u, f. w. abftachen, bei denen an einen dramatifchen Zufammens 


Bang nicht gedacht, fondern im Segentheil Alles dem momentanen Effect oder der 


Eitelkeit eines Sängers oder einer Sängerin geopfert wird, die nur, mit Hintans 


fegung des Ganzen, in einer einzelnen Situation oder Arie gern glänzen wollen. 


Die Opern „Alcefte”, „Orpheus“ und „Helena und Paris“, welche Stud von 
1762 — 69 in Wien fchrieb, und die auch dafelbft gedruckt wurden, machten in 
ihrer großartigen Neuheit ungebeures Auffehen und gründeten mit den fpüter fol⸗ 
genden (der „Armida” und den beiden Sphigenien) den unfterblichen Ruhm ihres 
Componiſten. Selbſt in dem, durch lofe Drei, verwöhnten Italien fand die 
ernfte, erhabene Deufe des deutfchen Künftlers Anerkennung, und die Theater 
von Rom, Parma, Neapel, Mailand und Venedig beeilten fih, Ss „Helena“ 
und „Orpheus” aufzuführen, An „Alcefte” roagte man fich jedoch, wie G. ſelbſt 
fagt, wegen Schwierigkeit der Aufführung damals in Italien noch nicht. Der 
Beifall, den diefe Opern fanden, war fo groß, daß die Bühne in Bologna allein in 
einem Winter mit feinem „Orpheus“ an 900,000 Lire einnahm. Noch höher flieg 
der Triumph des Componiften durch feine bereits erwähnten fpätern NBerfe. Der 
Bailli von Kollet, welcher in Wien mit G. befannt geworden. war, unternahm es, 
Racine’s „Fpbigenia” in eine Oper umzuwandeln, und bot feinem Freunde den Tert 
zur Compofition an, worauf ©. um fo lieber einging, da ihn die Idee ergriffen hatte, 


die franz. Sprache eigng fich beffer zum Austrud tiefer, Fräftiger und männlicher 


Sefühle ſelbſt in der Muſik als die italienifche: eine Anficht, weicher Rouſſeau in 
Betreff des Sefanges geradezu widerfprach, und die auch durch die Zeit, trotz der 


Erfolge, welche Gs Deufe auf den franz. Bühnen machte, nicht beflätigt worden 
iſt. Mit einer bisher noch nie gufgermendeten Sorgfalt macht I G. nun’ung 


componirte er für die itaal. 


4 


N 


140 | Gluck 


Merk und brachte, ſtatt 2 bie 3 Wochen, die er ſonſt zur Niederſchreibung einer 
Dper brauchte, ein ganzes Jahr zu, ede er mit dei Muſik eines Meifterwerts zu 
Stande kam, das eigens für Paris von ihm verfertigt ward. Aber bier fand der 
deutfche Sompo.ift faft unüberfteigliche Hinderniffe, welche ihm Nationaleitelfeit 
und eingerourzeltes Vorurtheil in den Weg ıhürmten. Auf die bloͤſe Anzeige von 
den Unterfangen, der großen parifer Oper ein Werk feiner Feder anzubieten, erhoben 
ſich ganze Scharen der Muſiker von Profeſſion und alle fogenannte Kunſtkenner, 
und nimmermehr würde ©. fein Ziel erreicht haben, hätte fich die Köniain Maria 
Antoinette, feine Schülerin und Gonnerin von Wien aus, der Sache nicht ange: 
nonnnen und durch einen Befehl die Aufführung bewirft. Zu Anfang 1774 fam 
der 60jahrige ©. felbft nach Paris, und den 19. April wurde die vielbefprochene 
Oper zum erften Mal gegeben. Das Theater war überfüllt von Zufchauern, und 
der Eindrud, den das Ganze bervorbrachte, ungeheuer. Gleich die Duverture mußte 
— was unerbört in den Annalen der Mufik in Frankreich war — wiederholt werden, 
und mit jedem einzelnen Muſikſtücke flieg ter Enntbufiasinus des Publicuns. Sie 
murde in den erfien zwei Jahren 170 Mal gegeben. Bild darauf ward auch die 
Oper „Drpheus”, deren Text ins Sranzöfifche überfeßt worden, in die Scene ges 
. fest and mit gleichem! Entzücten aufgenommen. Ein Paar antre Opern: „I’arbre 
euchantc” und „La Cythere assiegee”, welche im folgenden Fahre zur Auffühs 
rung famen, machten weniger Slüd, defto mehr aber wieder f. berühmte „Alceſte“, 
An welcher, wie in den Surienchören im „Orpheus“, die Schredten des Tartarus 
den Hörer zu umfchreben fcheinen. Noch mehr fprach „Armida” 1777 an, die 
man früher mit Lully's meichlicher Mufit ungern gehört hatte. 30 Mal nach 
einander wurde diefe große Oper gegeben, und der Ruhm, welchen fie ihrem Com: 
poniften brachte, nur noch von dem übertroffen, der feinem- legten Meiſterwerke, der 
„Iphigenia in Tauris“ 1779 und „Echo und Narciffus’ folgte. Ein Paar andre 
Opern: „Roland“ und „Die Danaiden”, wurden nicht vollendet, das Brouillon 
der erfiern warf ©. ins Feuer, al: er vernahm, daß fein mufifalifcher Gegner 
Piccini (f d.) daffelbe Sujet zu componiren vorbatte, und an der Vollendung 
der andern hinderte ihn ber Tod. (Sie wurde feitdem nicht ohne Gluͤck von Salieri 
vollendet.) 1787 kehrte der Ritter G. mit einem anfehnlicken Dermögen nach 
Deutfchland zuruck, woſelbſt er zu Wien noch in demf. J., den 15. Nov., farb. 
Merkrourdig ift der Streit, der aufBeranlaffung der Reform, melche ©. Durch feine 
im größten Styl gefchriebenen Compofitionen in der Muſik in Frankreich bewirkte, 
dafelbft smwifchen feinen Berchrern und den Anhängern der alten italienifchen und 
franz. Schule, an deren Epiße gemigfermaßen der allerdings auch geniale Piccini 
ſtand, ausbrach. Ganz Paris nahm Partei, man ſtritt mit Wort und Feder, und 
lange Zeit hindurch feindeten fich die Gluckiſten und Picciniften mit derfelben 
Bitterfeit an, mit welcher fich früher Janſeniſten und Syefuiten, fpäter Ropaliften 
und Jakobiner anfeindeten. ©. und Piccini felbft, zu ihrer Ehre fei es gefagt, theil⸗ 
ten das Gefühl nur kurze Zeit und hatten fich, da Einer den Andern, troß abiweichen: 
der Meinungen und Anfichten, fehäßen mußte, laͤngſt ausgeföhnt, ale ihre blinden 
Bewunderer noch immer gegen einander zufelde zogen. Erwähnung verdient hier- 
bei der Umitand, daß in diefem mufifalifchen Meinungsſtreite J. J. Rouffeau, 
Arnaud und Suard fih für lud, Marmontel und Laharpe für Piccinierflärten. 
Natürlich, daß der Sieg auf Seiten Derer war, welche dem Reformator der großen 
Oper anhingen. Die Auffiße der genannten Schriftfteller find gefammelt in den 
„Memoires pour servir al’histoire de la revolution operce dans la nıusique 
ar Mr. le Cher. Gluck” (Paris 1781). Ein Jahr nach G.s Tode ward auf 
Befeht Ludwigs XVI. die auf Subfeription von Houdon in Marmor verfertigte 
Büfte des großen Tonfeßers im Foyer des Operntheaters aufgeftellt. In Betreff 
einer echtdramatifchen Durchführung der Muſik fieht ©, unerreicht in ſ. Kunſt da, 


„ 


Dluͤhen Gluͤhwurm | 1741 


und die Tiefe und Wahrheit des Ausdrucks, welchen er ſowol in die erſchütterndſten 
als in die ſanfteſten Scenen, Be alle vulgaire Verzierungen von Cadenzen, Zril: 
lern, Züufern u. dgl. zu legen wußte, laͤßt fich nicht mit Worten darlegen. ©. Band 
fich ganz gegen die Sitte der mehrften andern Tondichter fireng an den Genius der 
Sprache, und nie fieht man ihn zu Gunſten irgendeiner Paffage die Worte unge 
bũhrlich dehnen oder kürzen. Das Dedicationsfehrtiben, mit welchem er f. „Alceſte“ 
dein Großherz. Yeopold von Toscana übergab, fpricht feine trefflichen Anfichten über 
Die dramat. Muſik einfach aue. Die Trompete ward durch ihn zuerft in die franz. 


Orcheſter eingeführt, und ihr fparfamer und zweckmaßiger Gebrauch erhöhte damals 


ebenfo die Wirfung finer großen Muſiken, wie jegt ihr Tächerlicher Mikbrauch bei 
manchen Sompofitionen den beabfichtigten Effect imponirender Größe zerflört. 
Glühen bezeichnet An Zuftand gemiffer Körper, in welchem fie mittelſt 


einer ſtarken Erhitzung leuchten. Es laſſen fich zwei Arten glühender Körper unter: 


feheiden, namlich ſolche, die durch das Gluͤhen formlich zerfeßt werden, mie Holz: 
Fohlen, Schwamm u. f. w., tınd folche, die ihre vorige Befchaffenheit beibehalten, 
rote z. B. das Eifen. Die erſte Art ift ein formliches Verbrennen, wobei jedoch fein 
Gas in Flanmengeflalt aus. dem Körper aufiteigt, die zroeite hingegen iſt eine bloße 
Erhitzung. Bon den Metallen gelangen viele eher zum Schmelzen als zum Glühen, 
3.9. Blei, Zinn; bingegen das Eifen glüht lange, bevor es ſchmilzt. Es laſſen fich 
feht deutlich 3 ‘Perioden des Gluͤhens unterfcheiden. Eifen wird ungefähr beim 
770. Grade der Hiße nach Fahrenheit braunroth, twelches der Anfang des Glühens 
iſt, bei verflärktem Feuer wird es rothglühend oder feuerfarbig, und bei ungefühe 
4000 Sr. Fahrenheit meißglühend, wobei es ein helles, faft weißes Licht verbreitet, 
Deim allmäligen Erkalten geht das Stühen in derfelben Stufenfolge rückwärts. 
Man nimmt bei diefen ftufenweifen Übergingen alle Lichtfarben wahr. Die‘ 
Dynamiſten fließen hieraus, dag die Wärmematerie beim Glühen die Kör⸗ 
per wirklich angreife, und nicht bloß ihre Poren durchdringe, wie. die Atomi⸗ 
fien lehren. — Glühe heißt der Herd in einer Schmelzhütte. 
Glühwurm. Sn Deutfchland iſt nur ein Inſekt, das Johanniswuͤrm⸗ 
hen, Lanıpyris nretiluen. wegen des phsephorifchen Lichtes befannt, Tas es im 
Dunkeln verbreitet; im Ganzen aber fennt men 8 Arten Inſekten, welche diefe 
Eigenfhaft haten. Von den Johannisgwürmchen fehen die Weibchen den Maͤnn⸗ 
chen fo wenig gleich, daß man. nur durch die Begaftung erfannt hat, wie fie zu einer 
Art gehören. Iſt der Gluͤhwurm vollkommen ausgewachfen, fo hat er eine Lange 


von ungefähr ! Zoll; oben iſt er dunkelbraun, und unten gelblich weiß. Ruht das 


J 


Thier, ſo iſt der kleine ſchwarze Kopf unter dem Bruſtkaſten verborgen. Die Glie⸗ 
der find fadenförmig und beſtehen aus 11 Gliedern. Das Männchen ſieht man fels 
ten, das Weibchen oft genug, vornehmlich an fehattigen, feuchten und grasrcichen 
Orten. Das fchöne, blänliche Licht kommt aug den 3 legten Ringen des Bauchs, 
Hier firömt es aus einer gelblichen Subftanz hervor, welche in zwei Eleinen Biden 
unter den Ringen eingefchloffen if. Man will auch bemerft haben, daß eine merk: 
liche Bermehrung der Wärme mit dem Leuchten verbunden iſt, denn das Thermo: 
meter, an diefe leuchtenden Punkte gehalten, flieg uni 6—8 Grad Fahr. Bringt 
man jene Sädchen unter Waſſer, fo leuchten fie rool 48 Stunden lang ununterbro: 
hen fort. Nur zur Zeit der Begattung findet man diefe Erfcheinung, die ſowol 
nach diefer Zeit als.auch mit dem Tode fügleih aufhört. In Südamerika gibt es 
einen Käfer, Elater noctilncus, der fü ſtark im Finftern leuchtet, daß die Karaiben 
ſich deffelben ftatt der Katernen bedienen. Das Licht kommt auch bier aus einer 
teigartigen Maſſe, die in zwei Sackchen unter dem Bruftfehilde enthalten if. Noch 
berühmter haben fich die Yaternenträger gemacht, von denen die furinamfche Art, 
Fulgosa laternaria, eine große hornige Blafe nor der Stirn trägt, die einen flarfen 
Schein im Finftern verbreitet, Au) die Feueraffel, Seolopendra electrica; gehört 


\ 4 


142 Sipptif Glyptothek 


hieher, die war vorzaglich in feuchtem Erdreich lebt, aber auch haufig auf 
Blumen kriecht, und vielleicht die Urſache des blauen Lichtes iſt, weiches man 
im Fenſtern bei manchen Blumen bemerft. 
— Stypert, die Kunft, in Metall oder Stein zu graben, zu flechen. 
| ei lyp 1 gra fi die Befchreibung der gefchnittenen Steine. (S. Stein 
neidekunſt. nr 
Glyptot hek Heißt das in München zur Aufnahme der alten plaftifchen 
Denfmäler keffimmte Gebäude. Der jetzige König von Baiern hatte in Italien 
eine Auswahl der trefflichften Diarmorarbeiten erworben, und eriheilte hierauf dem 
Hofbauintendanten und Dberbaurathe Leo Klenze den Auftrag, ein Gebäude für ihre 
Fünftige Aufftellung aufzuführen, das durch feine bedeutfame Einrichtung felbft von 
Außen fon anfündige, daß esein Tempel fei, in den —* einziehen werden. Bei 
der großen Begünſtigung, die dadurch dem Baukuͤnſtler zugeſtanden war, konnte 
eine Vermaͤhlung der Architektur und Plaſtik ſtattfinden, wie fie in den meiſten 
Kunſtſpeichern, die wir Mufeen nennen, nur zu fehr vermißt wird. Hier war es 
möglich, das Außere mit dem Innern zu einem Ganzen zu machen und felbft in den 
einzelnen Sälen, dem Bauſtyle der Zeit, melcher die darin aufgeftellten IBerfe ans 
gehören, in fo weit zu folgen, als es das architeftonifche Ganze zuließ. “Diefes 
prächtige Ganze bildet ein Quadrat, welches einen Hof einfchließt. Die Reihe der 
aufzumehmenden Kunftiverfe bedingte die Eintheilung in 10 Säle, die dem Auge 
faktiſch darftellen, wie Die griech. Kunſt aus aͤgyptiſcher Wurzel aufwuchs, wie he 
fich erhob, veredelte, in Kom erhielt, verfanf und fpäter wieder aufrichtete; außer⸗ 
dem wurden drei andre Säle zur Unterhaltung an Eunftfeftlichen Tagen beſtimmt. 
Durch diefe gefchichtliche Anordnung der Kunſtwerke wiſſen Kunftfreunde im vors 
aus, daß fie durch den Saal der ägyptifchen Denkmäler in den des alten heiligen 
Styls, dann in den der Ägineten und fo ferner eintreten. Unter mebren Hunders 
ten, zum Theil wenig gefannten Kunftwerfen ſieht man hier die Agineten (f. d.), 
den ſchlafenden Faun, die Eoloffale Mufe, Nero und die Gruppe der Iſis aus dem 
Haufe Barbariniz; de Dallas, die Leufothen, den fauno colla machia und den Eos . 
Ioffalen Antinous aus dem. Haufe Albani, die Mufe Rondanini, die gabinifche 
Diana von Brafihi, die Pallas und Koma von Fefch u. ſ. w. Die nah Süd— 
weſt gerichtete Seite des Quadrats bildet die Hauptfronte des Gebäudes, Die 
ioniſche Ordnung bedingte ihre Verhaͤltniſſe. In der Mitte ein hoher Porticus von 
wolf Säulen getragen, an den zwei niedrigere Fluͤgel fich anlehnen, ruht die ganze 
Gran auf drei Hohen Sodeln. Eine reiche plaftifche Darftellung, den Cyhklus der 
ifdnerei verfinnlichend, erfüllt das Giebelfeld. Die Figuren diefer Gruppe find 
rund aus falzburger Marmor gearbeitet, -aus dem die ganze Fronte erbaut iſt. Alle 
Verzierungen und Ornamente fehr reich, wie fie diefes Diaterial möglich macht. 
Sechs Nifchen unterbrechen die beiden Seitentheile der Fronte, neben dein Porticus, 
in welchen die Eoloffalen Statuen von Hephäftus und Prometheus, Dadalus und 
Phidias, Perikles und Hadrian ihren Pla finden ſollen. Ahnliche Niſchen find 
an den beiden ruͤckwaͤrts laufenden Seitenflügeln des Quadrats angebracht und hel- 
fen dem Bedürfniffe des Auges ab, das die nach dem Hofe zu angebrachten Fenfter 
vermiffen möchte. An der Fronte nach Nordoſt befindet fich die Auffahrt, durch 
einen auf 4 Säulen rubenden Vorſprung gebildet, und dort liegen die Geſellſchafts⸗ 
füle, die durch Cornelius's Frescogemälde ein neues Intereſſe darbieten. Die 
Beleuchtung der Aufftellungsfäle gefchieht durch hochliegende, halbrunde Fenſter, 
wie fie bei den römifchen Thermen zu gleichem Zwecke gebräuchlich waren. Aufs 
Neue bat fich hier Diefe Form in den hohen gewölbten Salen, deren Decken diereichfte 
Stufatur ziert, bewährt erwiefen. Im März 1827 wurde die Decoration und 
Aufftellung des. bacchifchen Saales vollendet. — Den vieredigen Plag follen ein 
Stadtthor in dorifchem Baufiyle, eine Kirche in korinthiſchem, nebft palaftartigen 


[4 


Gmelin (Familie) | I 743 


Wohngebäuden, die in Harmonie mir dem bisher vollendeitn ſtchen, einfaffen, zu 
deften Schmucke 4 Brunnen beſtimmt find.I 19. 
.  Bmelin, 4) Johann Georg, Prof. der Botanik und Chemie in Tuͤ⸗ 
Bingen, mo er 17109 geb. war und bis 1727 ftudirte, reifte hierauf mit feinen Leh⸗ 
rern Bilfinger und Duvernoi nach Petersburg. Machdem er der dortigen Akademie. 
der Wiffenfchaften eine geraume Zeit Dienfte geleiftet hatte, wurde er 1731 ordents 
licher Prof. der Chemie und Naturgefchichte, Auf kaiſerl. Befehl und Koften reifte 
er 17133 nach Sibirien, um das Land zu unterfuchen, und kam erft 1743 von die: 
fer beſchwerlichen, aber den Wiffenfrhaften höchft nügfichen Reife zuruͤck. Auf er: 
baltene Erlaubniß reifte er 1747 in fein Vaterland zurüd, verlangte dann f. Ent: 
laſſung, trat 1749 in Tübingen die obengenannte Profeffur an und ftarb dafelbft 
4755. Mit der Chemie, wozu er bei feinem Vater, einem geſchickten Apotheker, die 
befte Selegenheit hatte, und der Naturgeſchichte war er früh befannt, und dur 
fortgefeßtes Studium erwarb er fich den Ruhm eines der größten Kräuterfenner 
f. Zeit. Seine „Flora Sibirien” und f. Reifebefchreibung find f. Hauptwerke. — 
2) Philipp Friedrich, Bruder des Vorigen, geb. zu Tübingen 1721, fludirte 
dafelbft die Medicin, befuchte mehre deutfche, Holland. und engl. Akademien, hielt 
feit 17144 in Tübingen Privatvorlefungen und ward zugleich Stadtphyſikus. Seit 
47150 war er außerordentl. Profeffor der Medicin, nach feines Bruders Tode 1755 
erdentl. Prof, der Botanik und Chemie, und ſtatb 1768. In der Chemie und 
Botanik befaß er ausgezeichnete Kenntniffe, wie in der Naturgefehichte überhaupt. 
- Er hat mehre botan. und medicin. Werke gefchrieben. — 8) Samuel Sottlieb, 
ein Neffe der Vorigen, war 17144 zu Tübingen geb., wo er Medicin fludirte und 
4763 B. wurde. Er reifte darauf nach Holland und Frankreich, und befam 1761 
einen Ruf als Prof. an die Akademie zu Petersburg. Das folgende Jahr trat er, 
auf faiferl. Befehl, mit Pallas, Güldenftedt und Lepechin eine naturbiftor. Reife 
durch Rußland an. Worzüglich bereifte er 1769 die weſtl. Seite des Don und 
brachte ten Winter in Aftrachan gu, unterfuchte 4770 und 1771 die perfifchen 
Provinzen an der füdl. und ſuͤdweſtl. Seite des kaspiſchen Meeres, Eam 17772 wies 
der in Aftrachan an, bereifte hierauf die Gegenden an der Wolga und 17773 die ges 
brliche Oſtſeite des Faspiichen Meeres, wurde aber auf der Rüdreife 1774 von 
em Chan der Chaitaken in Verhaft genommen, wo er am 27. Juli an der Ruhe 
flarb. Seine Witwe erhielt von der ruff. Raiferin 2000 Rubel. Seine wichtige 
ften Schriften find ſ. „Historia facorum“, und f. „Reifen durch Rußland zu Un: 
terfuchung der drei Maturreiche”. — 4) Wilhelm Friedrich, ausgezeichne: 
ter Rupferftecher, geb. zu Badenweiler im Breisgau 1745, geft. in Rom 1821. 
Seine Altern ſchickten ihn nach Bafel, wo Chriſtian von Mechel damals eine fo- 
genannte Kuͤnſtlerſchule hielt. Allein Mechel war nicht nur felbft ein mittelmaͤßi⸗ 
ger Zeichner und Stecher, er betrachtete auch außerdeim die Kunft einzig aus dem 
ĩchtspunkte des Erwerbs, umd fein Snflitut war im Grunde eine Fabrif von 
gangbaren Artikeln, Doch fahen die jungen Kuͤnſtler in Mechel's Handlung manche 
gute Gemälde und treffliche Kupferfliche, und Bauptfächlich dem — vor dem ſtren⸗ 
gen Meifter verheimlichten — Studium derfelben verdankten es Strütt, Gmelin, 
Haldenwang, Dunker u. A., daß fie fich aus der Schranke des unfreien Handwerks 
in das freie Gebiet der Kunft hinüber zu retten vermiochten. ©. mußte wihrend ſei⸗ 
ner Lehrjahre in Bafel Alles durch einander ftechen, Portraits, Architektur, Land: 
ſchaften ıc., indeffen finvet man in einigen feiner Blätter aus diefer ‘Periode, z. B. 
in den Rheinanfichten nach Schalch und Comte, bereits den reinen und feften Grab⸗ 
ftichel, der feine fpätern Werke auszeichnet. 1788 ging G. nach Rom. Bon hier 
rief ihn Philipp Hackert nach Neapel. ©. hatte für ihn bereits 2 Blätter geflochen, 
als Seorg Hadert an feine Stelle trat. G. kehrte daher, zu Ende 1790, nach 
Rom zuruͤck, 100 er num fleißig nach der. Natur, meift in.Sepia, zeichnete, Er 


144 Gnade 


verlor ſich dabei nicht in ein kleinliches Detail, fondern wußte das Bedeutſame und 
Eigenthümliche jeder Anficht aufjufaffen, und fein Styl zeigte tiefes Studium der 
Natur. In den legten jahren machte er auch Berfuche im Eoloriren; allein er be 
faß mehr Sinn für Formen als für Farben, was auch in f. Landfchaften nach Claude 
Lorrain bemerklich ıft. Außer f. fhonen Sepiageichnungen , befchenkte der fleißige 
Künftter das Publicum noch mit vielen großen und forgfültigen Kupferftichen. Se 
gehören zu dem Gediegenſten, was der Örabflichel hervorgebracht hat, und man be 
nierft bloß in einigen fpätern Productionen harte und zu flarfe Betonung einzelner 
Stellen. ©. ſchnitt feine Platten fehr tief, wahr peinlich um viele Abdrücke zu ges 
twinnen, und legte zu wenig Werth auf den malerifchen Keiz der Nadel. Sie wur: 
den, wie feine Zeichnungen, von Kunfifreunden gefucht, und der arbeitfame Künfls 
ler fah fich durch ein bedeutendes Vermögen belohnt. ©, beſaß auch wiffenfchaftt. 
Bildung und ein großes Talent für Mechanik. Er hat einige Mafchinen erfunten, 
u. a. eine für Kupferftecher, die feiner Combinationsgabe Ehre machen. Zugleich war 
er ein gefchichter Drechsler, Sein Sohn, weicher die Laufbahn feines Baters betres 
ten will, befindet Jich in Karlsruhe bei feinem Oheim, dem Naturforſcher. 
Gnade, nad dem allgemein gültigen Begriffe, das unverdiente Wohlmel: 
Ien des Hohern gegen den Itiedern, ift im theolog. Syſtem die Sefinnung, mit der 
Gott uns feine Wohlthaten zufommen Lit, und zwar im engern Sinne, feine Ge⸗ 
neigtheit und Wirkſamkeit zur Beſſerung und Befeligung der Menfchen. Bor dem 
5. Jahrh. Hatte man fich wenig mit der chriftl. Lehre von der Sinade und ihren Wir⸗ 
ungen befchäftigt, ſie war von den griech. Kirchenvätern nur gelegentlich angedeu: 
tet worden. Auf Beranlaffung einer freien Außerung des Briten Delagius, welche 
dam Beiſtande der göttlichen Gnade bei der Befferung des menfchlichen Herzens zu 
wenig, den eignen Kräften des Menſchen zum Guten zu viel Antheil einzuräumen 
fehien, übernahm Auguftinus die genauere Erörterung diefer Lehre mit einem Eifer, 
der in Zeidenfchaftlichkeit ausartere und ihn zu harten Behauptungen verleitete. Er 
fagt, der Menſch, von Natur verderbt und zu allem Guten untüchtig, fönne durch 
aus nichts für feine Bejferung thun, er fei für fich nicht fühig, Das Gute zu wollen, 
Alles muͤſſe durch eine ınnerliche Einwirkung der Gnade auf fein Gemüth gefchehen. 
Dabei kam er, um fo'gerecht zu fein, auf den empörenden Gedanken, Gott babe 
nach feiner Willkür einige Menfchen zur Beſſerung und Seligfeit, andre ebenfo un: 
switerruflich zum ewigen Berderben vorber beitimmt, und zufolge diefes Rathſchluſ⸗ 
ſes waͤren die ungetauft geftorbenen Kinder überhaupt und auch die einmal nicht zur 
Seligkeit erwählten unter den vor ihrem Tode getauften, wenngleich fie noch Feine 
wirkliche Dünde begangen hätten, ohne Rettung verdammt; aber auf Erden wiffe 
man meder, roelche unter den Chriften die Erwaͤhlten, noch welche die Verwoͤrſe⸗ 
nen wären, und ſolle fich dem unerforfchlichen Gerichte Gottes ganzüberlaffen. Aus 
diefer Behauptung Auguflin’s und dem Mißverftande einiger bibl. Stellen entftand 
der Eirchliche Lehrfaß von der Gnadenwahl oder Praͤdeſtination, der feit dem b. 
Jahrh. bis über die Zeiten der Reformation hinaus ein Gegenſtand angeftrengter 
Unterfuchungen und hißiger Streitigkeiten der chriſtl. Rirchentehrer war. Die Mehr: 
zahl Derer, die fich Rechtgläubige oder Katholifche nannten, traten dem Auguſti⸗ 
nus bei und verfeßerten mit ihm die Pelagianer, ohne genauer zu prüfen, inwie: 
fern feine Dieinung Grund in der Bibel hatte, die er ſelbſt nicht einmal in der Urs 
forache zu leſen verftand. Aber auch Selehrre fpüterer Zeiten, die ihn hierin über: 
fahen, wurden durch feinen philoſoph. Scharffinn, durch feine Gewandtheit, Als 
les zum Vortheil feiner Meinung auszulegen, durch feine hinreißende Beredtſam⸗ 
keit und ftrenge Conſequenz geblendet, fodag man. ihn mit Recht den Anführer der 
langen Reihe abendländifcher Theologen nennen kann, die als ftrenge Praͤdeſtina⸗ 
tianer durch hartnackiges Beharren bei der Auguſtiniſchen Lehre von einer unbedings 
ven Gnadenwahl, ebenfe viel Verwirrung in die Moral als Unfrieden in die Kirche 


Gnade 745 


gebracht haben. Manche, beſonders galliſche Theologen, fanden indeß, dag Augu=\ * 
ſtin in Abſicht diefer Lehre zu weit. gegangen fei, und fchlugen nach dem Borgange 
Des Abts Saffianus zu Marſeille, der ſchon in emem um 420 gefihriebenen Buche 
Die Wirkungen der Gnade und des freien Willens zur Befferung des Menfchen auf 
eine mildere und fohriftmäßigere Weife zu vereinigen gefucht hatte, einen Mittelmeg 
ein, indem fie die Borberbeftimmung Öottes über die Bejferung und Seligkeit der 
Menſchen eine durch die Empfaͤnglichkeit und daseigne Verhalten der Menſchen felbft 
bedingte nannten. Sie zogen fich Hierdurch den Namen Semipelagianer — halbe 
- Delngianer — zu, ohne jedoch von der £athol. Kirche geradezu für Keßer erklärt zu 
werden, da dieſe den Streit über die Prädeftination der Hauptfache nach fo gut wie 
unausgemacht ließ. Daher kam es auch, daß fich in der Folgezeit dag fonderbare 
Schaufpiel einer allmäligen Verwandlung der Rollen darbot. Wegen der immer 
mehr zunehmenden Unreiffenheit der Geiſilichen gerieth der Auguftinifcher Lehrbe⸗ 
riff ‚von der unbedingten und particulairen Gnadenwahl, ungeachtet der großen 
hyfurcht vor Diefem Heiligen, in Vergeffenheit, und dabei war es der ſcholaſtiſchen 
Theologie des Mittelalters leicht, ihn fo zu verkehren, daß er mit den Pelagiant: 
ſchen verträglich erfchien. Schon 848 wurde Sottfhalf, ein aus Fulda flüchtig ger 
wordener Moͤnch, wegen feiner Anhänglichfeit an den Auguftinifchen Lehrſatz, von 
der Synode zu Mainz verfeßert und zum lebenslänglichen Gefingnig verdamnit, 
Noch auffallender aber war diefe Veraͤnderung bei der Disputation, die der ſtreng⸗ 
kathol. D, Ed mit Luther's Freund, Karlftadt, 1519 zu Leipzig hielt. Letzterer ver 
theidigte Die Auguftinifche Meinung von der göttlichen Sinade, wahrend Ed ihm die 
Anfichten des heil. Thomas von Aquinum entgegenftellte, die aufs mildefte ſemipe⸗ 
Iagianifch zu nennen waren. Indeß blieben die Lutheraner den Katholiken in diefer 
Lehre immer noch näher ale die Reformirten, unter denen befonders Calvin und 
Beza ganz zu jenen harten Grundſatzen Auguſtin's zurüdtehrten und eine unbes 
Dingte göttliche Vorherbeſtimmung über die Seligkeit gewiſſer Menſchen und über 
bie Verdammniß andrer zur Glaubenslehre der reformirten Kirche machten. Die 
Svangelifih:£urherifägen hingegen nahmen in ihrer Eintrachtsformel an, daß Gott 
alle Menſchen zur Seligkeit beftimmt habe, aber vorher wiſſe, melche unter ihnen’ 
fich derſelben unmürdig machen würden, daß daher die Gnadenwahl nur die wirklich 
guten Menfchen angehe und die Urfache ihrer Seligkeit fei. In der kathol. Kirche 
war inzwifchen immer noch nichts Feftes über diefen Lebhrfag ausgemacht. Dies 
zeigte fich bei den Händeln der Dominikaner und Sefuiten, von denen — — wegen 
ihrer mildern Begriffe von der Gnadenwahl und der Kraft des freien Willens, von 
den erſtern des Pelagianismus befchuldigt wurden. Diefes Schickſal traf vorzüglich 
1588 den Jeſuiten —* Molina, von dem daher die Moliniſtiſchen Streitig⸗ 
keiten in den Niederlanden ihren Namen haben. Im 17. Jahrh. entſtanden eben⸗ 
falls in den Niederlanden, wegen Uneinigkeit über die Lehre von der Praͤdeſtination, 
zwei neue Parteien, nämlich unter den Proteftanten-die Arminianer oder Remon⸗ 
firanten, die eine allgemeine und bedingte göttliche Vorherbeſtimmung der Mienfchen 
zur Öeligfeit gegen die ſtreng⸗ calviniſtiſchen Reformirten behaupteten, und fich 1610 
förmlich von ihnen trennten; unter den Katholiken hingegen die SYanfeniften, die 
zufolge des vom Bifchof Janſen (ft. 1638) erneuerten Auguftinifchen Lebrbegriffs, 
im Widerſpruche mit der Damals unter dem Einfluffe der gemäßigter denfenden Je⸗ 
fuiten ſtehenden kathol. Kirche, eine ziwiefache und abſolute Vorberbeitimmung Sets 
tes über die Seligfeit und Verdammniß der Menſchen annahmen. Seit diefer Zeit 
bat man über diefen Gegenſtand zwar immer verfchieden in der chriftl. Kirche ge: 
dadır, jedoch ift feit der Mitte des vorigen Jahrh. bemerkbar geweſen, daß eine 
rihtigere Bibelauslegung und dag jeden Fatalismus verabfeheuende menſchl. Se: 
fühl endlich alle‘ abweichende Meinungen über die Gnadenwahl zu der echtchriftl. 
Uberzeugung vereinigt, Gott ſchließe Keinen, der fich ernftlich beffert, abfolut von dew 


& 


748 ‚Onabenritter Öneifenau 


durch Chriftum erworbenen Seligkeit ann, und es komme daher nur auf den Slam 
ben und fittlichen Werth der Dienfchen an, ob fie unter Die Erwaäͤhlten oder unter Die 
Verworfenen gehören follten. Syn der neueflen Zeit hat Schleiermacher's Abhaud⸗ 
lung über die Erwaͤhlung (in f. Theol. Zeitfchnift”, 1.Bd., 1. Hft.) großes In⸗ 
tereſſe und mannigfaltige Unterſuchungen über diefen Gegenſtand erregt. E 

Önadenritter, fe Ahnen. 

Gneis, eine aus Feldfpath, Quarz und Glimmer, die im fchieferigen Ge 
füge verbunden find, beftehende Felsart der Altefien Gebirgsformationen. Das 
Gefüge wechfelt vom Sein: bis zum Srobfihieferigen, und die Gemengtheile finden 
ſich meift fo geordnet, dag Slimmerlagen wechſelnd erfcheinen mit Lagen, die aus 
Seldfpath und Quarz beftehen. Er führt viel beigemengte Mineralien, gebt in 
Sranit, Glimmer⸗ und Thonfchiefer, Weipftein, Syenit ıc, über, iſt deutlich ges 
ſchichtet, fehr erzführend (Erzgebirge Sachfens:, fehr weit verbreitet, und bildet 
fanft erhebende Gebirge ohne Steilheit und ohne groteste Felspartien. Der Gneis 
wird als ein trefflicher Bauftein haufig benußt. | 

Gneifenau(Meidhard, Graf v.), feitd.18. Juni 1825 k. preuß. General: 
feldmarfchall und Seneraldirector der Milttairftudien, geb. 1160 in Schilda (das 
Städtchen Schildau zwiſchen Torgau und Leipzig, oder das Dorf Schilde im luckauer 
Kreife der Niederlauſitz ?) bei der Durchreife ſ. Mutter, einer Dfficiersfrau, ward nach 
dem frühen Tode f. Altern bei f. Großmutter in Würzburg erzogen. Wißbegierig 
erlernte ©. das für ſ. Beftimmung Noͤthige, vernachläffigte aber die andern Wiſſen⸗ 
fehaften, befonders Phyſik und Ofonomie, keineswegs. 1782 ging er als Lieutenant 
mit 400 M. Ergänzungstruppen von Anfpach nach Amerifa. Kaum in Halifar an: 
- gelangt, wurden fie, nach gefchloffenem Frieden, wieder eingefchifft und kamen 1783 
nach) Anfpach zuruͤck. Einige Jahre darauf nahm ©. feinen Abfchied und trat, als 
Lieutenant bei der fchlef. Füfelierbrigade, in preuß. Dienfte. Die Muße des Garni: 
endienftee wandte er zum Studiren der Militairwiſſenſchaften an, wobei ihm die 

ibliothef und die Kenntniſſe eines fchlef. Edelmannes trefflich zu flatten kamen. 
Er galt bald für den gelehrteſten Officier beim Regiment, ein Ruhm, den er jedoch 
felbft durch die ſcherzhafte Äußerung einigermaßen geſchmaͤlert bat, daß er der 
Einzige gervefen waͤre, der den Pythagoraiſchen Lehrfag habe beweifen können. Im 
Feldzug 1806 wurden f. Talente bemerkt; ſ. Monarch fandte ihn als Oberfilieutes 
nant im April 1807, von Königsberg aus, dem bedrängten Kolberg zu Huͤlfe. Er 
übernahm dort an der Stelle des alten, unfähigen Generals Loucadou den Poften als 
Commandant, beugte den Folgen der fehlerhaften Magregeln f. Vorgängers durch 
ein Eräftiges und Fluges Benehmen vor, fchlug durch zweckmaͤßige Anftalten alle An: 
griffe des Feindes zurüch, und hielt, trog eines fürchterlichen Bombardements, bie 
Bleine Feftung, welche viele ſchwache Punkte hat, bis zum tilfiter Frieden, Er war 
während der Belagerung Oberft geroorden, nach derfeiben erhielt er fcheinbar f. Ab: 
fehied und fchien mißvergnügt nach England zu gehen, waͤhrend er in der That als 
geheimer Sefandter ſ. Hofes dort war. 1810 kam er zurüd und arbeitete eine Zeit 
lang im DMinifterium. 1813 ward er Generalmajor und Seneralquartiermeifter und 
leitete in dieſer Eigenfchaft den Ruͤckzug von Luͤtzen bis Breslau fo meifterhaft, daß 
der verfolgende Feind in verfehiedenen Sefechten 40 Kanonen verlor, ohne den Ber: 
Bündeten eine einzige abgenommen zu haben. Wahrend des Warffenftillftandes be: 
äftigte ihn die Ausbildung der Landwehr, und er wurde an der Stelle des verftorb. 
charnhorſt Chef des Generalſtabes. Nach dem Waffenftillftande war er befländig 
bei dem Feldmarfchall Bluͤcher; die Bernichtung des Macdonald'ſchen Corps an der 
Katzbach, der Üibergang bei Wartenburg über die Elbe und der glückliche Erfolg der 
Schlacht bei Mockern (Leipzig) am 16. Det. waren größteniheils Werke f. Rath: 
ſchlage. Er ward Generallieutenant. 1814 nahm er an den Biegen bei‘Brienne und 
Paris, fowie an der Schlacht bei Montmirail beträchtlichen Antheil; ſ. Meinung gab 


Gnidus Gnom 747 


in dem Kriegsrathe, wo man über das Vordringen nach der Hauptſt. — 
den Ausſchlag. Nach dem parifer Frieden ernannte ihn ſ. dankbarer König zum Ge⸗ 


neral der Infanterie, erhob ihn in den Grafenſtand und geſtattete ihm, ſich eine Dos 


maine von 10,000 Thir. jührl. Eink. auszuwählen (Sommerfeburg im Neuhal⸗ 
denslebenſchen Kreife). 1845 war er es, der das bei Ligny uͤberwundene preuß. 
Heer nach wenigen Stunden wieder in den Stand feßte, eine Schlacht liefern zu koͤn⸗ 
nen, und der durch die rafch angeordnete Verfolgung des bei Belle⸗Alliance (Water: 


100) gefchlägenen franz. Heers diefen Sieg zu einem der glänzendften in der neuern 


Geſchichte machte; er folgte dem Feinde auf dem Fuße bis Paris und nahm als Mi» 
nifter an dem dortigen Sriedensfehluffe Theil. Auch begleitete er Blücher nach Eng: 
land. Hierauf ward er commandirender Gen. des rhein. Armeecorps. Im Srühjahr 
1816 fühlte er fich theils wegen f. Geſundheit, theils wegen polit. Grunde bewogen, 
f. Abfchied zu fodern. Sein Monarch gemührte ihm die Erfaubnig, waͤhrend des 
Friedens mit ganzem Sehalt nach f. Willen leben zu fonnen, behielt fi aber vor, 
ihn im Falle eines Kriegs wieder anzuftellen. G. begab fich hierauf in die bohm. Ba⸗ 
der, und fodann auf ſ. Süter (Großerdmannsdorf, zwifchen Hirfchberg und Schmie⸗ 
beberg) in Schleſien. Nach Kaldreuth’s Tode (1818) ernannte ihn der König zum 
Gouverneur von Berlin. Auf diefe Stelle that G. fpäter Verzicht und lebte auf feinen 
Gütern. Mit genauer Kenntnig Deffen, was dem Heerführer nöthig ift, verbindet 
©. einen bervundernswürdigen militair. Blick, eine rafche überſicht und einen durch: 
dringenden Scharffinn. Schnell weiß er fich, auch in der bedrängteften Lage, zu faſ⸗ 
fen, und felbftf£ rafcheften Entfchlüffe tragen das Gepraͤge der Beſtimmtheit, Zweck⸗ 
maͤßigkeit und Ruhe, Nie bat man ihn aufdem Schlachtfelde verlegen gefeben. Mit 
Diefen Eigenfchaften, die den großen Feldherrn beurfunden, vereinigt er die liebens⸗ 
würdigſte Befcheidenbeit, und f. Tugenden als Hausvater, f. Talente eines guten 
Ssefellfchafters zwingen Denen, die iin als Feldherrn verehren, Achtung für ihn als 
Menſchen ab. S. ſ Biogr. in dem 10. Heft der „Zeitgenoſſen“ und in Behrend's 
„nteuhalbenslebenfiher Kreischronik“ (1826). Pr. 
nidus(Knidoe), Stadt in der Eleinaflatifchen Landfchaft Karien, ein 
Lieblingsort der Venus, welche Davon den Beinamen der Enidifchen Goöttin erhalten 
Bat. Sie hatte dafelbft drei Tempel, Der eine, den ihr wahrſcheinlich die lacedaͤ⸗ 
monifchen Dorier erbaut hatten, hieß der Tempel der Denus Doris; ein zweiter 
war ihr unter dem Namen der Benus Akraͤa geheiligt; der dritte, der Tempel der 
Enidifchen Venus, oder wie die Einw. ihn nannten, der Venus Euplda (der fchiffens 
den), verwahrte eins der größten Meifterftücte der Kunft, die marmorne Bildfäule 


. der Söttin von Praxiteles. Sie ward fpäterhin nach Konſtantinopel gefchafft, 


wo fie in einer Feuersbrunft, 1461, mit unterging. 

Gnom. Diefen Namen hat die neuere Mothologie ben Seiftern beigelegt, 
welche im Schoße der Erde bei den Schägen ber Tiefe wohnen und fie beroachen, 
Erdgeifter, Berggeifter, Bergmänncdhen. Sie können die nanmigfaltigfien Geſtal⸗ 
ten annehmen, und bald fchön, bald haͤßlich fein. Doch iſt die letzte Geſtalt die ih⸗ 
nen eigenthümliche; nur ihre Weiber, die Snomiden, find urfprünglich ſchön. 
Rübezahl hat unter ihnen allen durch Mufius’s Bolksmärchen die größte Berühmt: 
beit erlangt, Die gemeine Sprache begreift die Erde, Luft:, Wald: und Waſſer⸗ 
geifter unter dem alten gemeinen Namen Kobolde (vgl. d.). Das Vaterland 
biefer dichterifchen Wefen ift der Orient und das geheime Reich der kabbaliſtiſchen 


. Phantafien. Nach den-Erzählungen des Talmud war ein folcher Erdgeift, in der 


Geſtalt eines Wurms von der Größe eines Serfienforns, dem Salomo bei Er 
bauung f. prächtigen Tempels vorzüglich dadurch behüfflich, dag er ihm die großen 
Selfenplatten fpaltete und in Tafeln verwandelte, ohne Jemandes Beihülfe. Frei: 
lich hatte es dem Salomo viele Lift und Muͤhe gefoftet, fich feiner zu bemächtigen. 
In unfere europäifchen Gegenden und Köpfe find diefe Spufgeflalten mit der &uk 


— 


7148 BGnome | Gnoſis 


tur der Pythagoraͤiſch⸗kabbaliſtiſchen Philoſophie, feit Raymumdus Lullus. von ber 
Mitte des 15, bis Anfang d. 16. Jahrh. durch Picus von Mirandola, Marfilius 
Ficinus, Paracelfus, Cardanus und Reuchlin eingeführt und empfohlen worden. 
‚©. v. Dobened: „Des deutfchen Mittelalters Bolfeglaube” (2 Be., Berl. 1815) 

Gnome (griech.), eine zuerft bei den älteften Volkern des Drients gebraͤuch⸗ 
liche Art Eurzer, finnreich, oft bildlich ausgedrückter Sprüche, welche irgend eine Be— 
merfung, eine Erfahrung, eine Regel, einen Srundfaß enthalten. Die ſogen. 

prüche Salomon's find nichts ale eine Gnomologie; mehr als die Hälfte vom 
Sir ach gehört auch dahin. Diele von Jeſu ansgefprochene Sinomen enthaiten die 
Evangelien, befonders die Bergpredigt bei Matthäus. jedes Volk legt die Er: 
gebniffe f. erften Erfahrungen, Beobachtungen und Entdeckungen in der morali: 
ſchen Welt in folche finnvolle, ahgerunete Sprüche nieder. Auch von Ddin bat 
die Samundiſche Edda treffliche Sprüche diefer Art aufbewahrt. Die Griechen 
haben Theognis und Phocylides u. A. m. als Gnomiker (Onomendichter) auf: 
zumeifen. S. Brunk's „Gnomici poeltac graeci”, auch von andern gef: mmelt. 
Die Römer hatten von dem ältern Cato viele Gnomen. Die arabiſchen Gnomen 
Waren, wie viele unferer vaterländifchen, in Reime gefaßt; die bebrütfchen machten 
fih durch ihren Paralleliemus angenehm. Die deutfchen Spruchgedichte und 
Priameln gehören hicher und zeichnen fih durch Kraft und Anfchaulichkeit aus, 
In allen Sprachen ift Eräftige oder räthfelhafte Kürze ihr Erfoderniß. 

Gnomon, inder Arithmetik, eine folche Zahl, welche zu Quadratzahlen 
Dinzugefeßt wieder eine Quadratzahl gibt; von diefer Art find alle angeraden Zah⸗ 
len, weil fie, addirt zu den D.uadratzahlen, immer wieder Quadrate erzeugen, z. B. 
14-3 2°; 4-+-5— 8%; 94-7 4° uf w. Man bat den Gnomonen 
auch den Namen Winkelmaße gegeben, weil jede ungerade Zahl das zu ihr gehörige 
Quadrat, mit welchem fie zufammen das naͤchſte Quadrat gibt, gleich einem darauf 
angelegten Winkelmaß umfchließt. Ferner bezeichnet man mit diefem Namen auch 
einen Sonnenzeiger (f. Sonnenuhr), und ein aftronomifches Inſtrument, 

mit welchem man die Höhe der Geſtirne mißt. 
" Gno ſis (griech.), Kenntniß, höhere Einficht, vorzugsmeife der Name einer 
Religionsphiloſophie, roelche die Phantafien und Abentewerlichkeiten der ortentali: 
hen Religionsfofteme mit den Ideen griechifcher Philofophen vereinigte und fich 
einen Einfluß auf das Chriftenthum anmaßte, der die praftifche Richtung ihrer 
Theorien beftimmte. Unſtreitig gab es ſchon zu den Zeiten der Apoftel eingebildete 
Weiſe, die fich einer hohern Einficht von dem Urfprunge der Welt und dem Übel in 
der Welt ruhmten, als der menfchliche Verftand, fo lange er im Sleichgerichte 
bleibt, ſtatthaft oder überhaupt nur möglich finden kann. Simon, der Magier, 
deffen Lucas in der Apoftelgefihichte erwähnt, war der Erfte unter ihnen. Schon 
in f. Zehrfigen entdeckt man Spuren der ideen, welche allen Lehrern und Freunden 
dew Gnoſis gemein waren, und das unverfennbare Gepraͤge ihres orientalifchen. ins 
fonderbeit perfifchen und chaldäifchen Urſprungs an 19 tragen. Sie laſſen ſich 
auf folgende Srundzüge zurüdführen. Gott, die höchſte Intelligenz, wohnt in der 
Fülle des Lichts, und iſt der Urquell alles Guten; die Materie, die rohe chastifche 
Maſſe des Stoffes aller Dinge, ift ewig wie Gott, und der Urquell alles Böfen. 
Aus beiden Principien find vor aller Zeit Weſen hervorgegangen, die Aonen genannt 
und als gottähnliche Geiſter bezeichnet werden. Die Welt und das Mienfchenges 
fihfecht wurden von einem Aon, dem Demiurg, oder wie fpätere_gnoftifche Syſteme 
fügen, von mehren Honen und Engeln aus der Materie gefchaifen. Den Körper 
und die finnliche Seele des Menſchen (sensorium, Pſyche) machten die Aonen aus 
diefem Stoffe; daher das Böfe im Menfchen. Gott gab dem Menſchen Die vers 
nünftige Seele, daher der befländige Kampf der Vernunft mit der Sinnlichkeit. 
Die fogen. Götter der Menſchen, wie z. B. Jehova, der Juden Bott, find nır 


Gnofis _ ‚149 


folche Konen od. Weltfihbpfer, umter deren Herrfehaft die Menſchen immer ſchlech⸗ 
ter und ungfücklicher wurden. Um das Reich der Weltfchöpfer zu zerflören und die 
Menfchen von der Macht der Materie zu befreien, fandte Gott den erhabenften aller 
Honen, für ven erft Simon, und nach ihm der berühmtefte unter f. Schülern, Mies 
nander, cin Samariter, welcher gegen das Ende d. erften Jahrh. zu Antiochien in 
Syrien eine eigne Sekte ftiftete, fich felbft ausgab. Simon und Menander waren 
Feinde des Chriſtenthums; der Jude Cerinthus, den der Evangeliſt Johannes noch ° 
gefannt zu haben fcheint, vermengte dieſe Phantaſien mit den Xehren des Chriſten⸗ 
thums, und behauptete, jeuer erhabenfte Kon, den Sott zur Rettung der Menſchen 
gefandt babe, ſei Chriſtus, der fich in Seftalt einer Taube auf den Juden Jeſus her: 
abgelaffen, durch ihn die chriflliche Lehre verfündigt, jedoch noch vor der Kreuzigung 
Jeſu wieder von ihm getrennt habe, und erft vor-der Auferftehung der Todten zur 
Gründung eines taufendjährigen Reichs der vollfommeniten irdifchen Glückſeligkeit 
aufs Neue mit Jeſu vereinigen werde. Diefe Grundideen des Gnoſticismus wur: 
den im 2. Jahrh. unter der Regierung Hadrians und der beiden Antonine von den 
chriſtlichen Religionsphilofophen, die vorzugsweife u. d. N. Snoftifer befannt 
find, noch mehr geläutert, erweitert und ausgeführt. Saturninus, ein Syrer, 
redet von einem unbefannten böchften Sott, der viele Engel und Kräfte erjeugt 
Babe; firben diefer Aonen wären die Weltfchöpfer gervefen, und bald von Gott 
Abgefallen; einer derfelben, der Judengott, habe die Menfchen zum Bofen ner: 
Yühre, daher der Unterfchied zroifchen guten und böfen Dienfchen entflanden fei, 
Auch Saturninus nennt Chriſtum den von Gott gefandten Retter und den Sohn 
Gottes, eigenthümlich ift ihm aber Die Behauptung, dag Chriſtus nicht wirklich ge⸗ 
boren worden fei, auch feinen wahrhaften, menfchlichen, fondern nur einen Schein: 
förper an fich gehabt Habe, weßhalb ſ. Anhänger und andre fpätere gnoftifche Par: 
teien, die-hierin mit ihm übereinftimmten, Doketen und Phantafiatten genannt wur: 
den. Übrigens laugnete Saturninus ganz folgerichtig die Auferftehung der Leiber 
und nahm nur eine Ruͤckkehr der Seelen guter Menfchen in das Weſen der Gott: 
heit an, Seine Sekte zeichnete fi) durch Strenge der Sitten aus, verwarf das 
Fleifcheffen und den Eheſtand. Sein Zeitgenofe Baſilides, ein Alerandri: 
ner, unterfcheidet fich von ihm durch eine den Agyptifchen Prieftern nachgebildete, noch 
geheimnißvollere Sprache. Nach ihm find die Zeugungen der verfehiedenen (Him⸗ 
mel:) Stufen von je T Aonen, aus denen ſ. Lichtreich befteht, Emanationen, zufolge 
deren jede niedere Familie oder Ordnung dieſes Reichs ein Nachbild der höhern wird, 
Die innere Harmonie der unterften Ordnung des Lichtreichs wurde dadurch geftört, 
daß das Reich der Finſterniß Lichtftrahlen aus derfelben wahrnahm und nun nach 
Vermiſchung mit ihr ſtrebte. So wurden reine Naturen aus jenem Reiche in die 
todte Maſſe hinabgezogen, und im Iäuternden Kampfe wie derfelben felbfländig. 
Dadurch entftand die fichtbare Welt, deren Zweck die endliche Sonderung des Gu⸗ 
ten und dem Lichtreich Verwandten von den materiellen Schladen ifl, Die Ser 
len oder gefallenen Lichtnaturen wandern zu ihrer Läuterung in diefer Welt durch 
verfchiedene Körper und Zuftinde, was B. aus den verfihiedenen Stufen des Glüds 
und der Bildung der Menſchen beweifen will. Das höchfte Ziel diefer Lauterung 
der Seelen war aber dem oberften Kon der unterften Ordnung, den B. als Welt: 
fchöpfer betrathtet, unbefannt. “Darum verband fich der Erftgeborene des höchften 
Urwefens bei der Taufe im Jordan mit dem Menfchen Jeſus, um die Seelen zu er: 
lofen, d. h. über jenen Weltlauf zu erheben und zur böchften Ordnung des Licht: 
reiche zu führen. Seine Leiden waren nur die eines unfchuldigen Kirides, das das 
Loos der Menſchlichkeit theilt, aber ohne Bedeutung für fein Werk. Diefes wird 
vollbracht durch den Slauben der Seelen an das Chriſtenthum, den B. eine Erbe: 
bung des zum Bewußtſein feiner Beftimmung gebrachten Menfchengeiftes in das ' 
Lichtreich nennt. So fehr diefe poetifche Anficht von der einfachen Chriſtusreligion 


6 


N) 


“und fie von ihren 


150 Gnoſis 


abwich, und die Willkür einer philoſophirenden Phantaſie verraͤth, war doch Baſi⸗ 
lides mit der chriftlichen Moral einverftanden, und migbilligte nur das Auffuchen des 
Miürtyrertodes. Der geheinmißvolle Anſtrich und das Spielende der Theorie des 
B. verfchafften ihm viele Anhänger, die ihn aber oft mißverftanden und fich aber: 
gläubigen Spielen mit Abragasgemmen und Amuleten ergaben, Sein Sohn fs 
dor pflanzte f. Sekte fort, die fich im 4, Jahrh. gänzlich verlor, Das Syſtem des 
Alexandriners Karpokrates, der gleichfalls unter Hadrians Regierung blühte, untere 
ſcheidet fich von dem eben dargeftellten nur. darin, daß er Chriftum für einen bloßen 
Menſchen hielt, deffen reinere und flärfere Seele fich nur Deffen, was fie vor ihrer 
Vereinigung mit dem Körper bei Gott gefehen hatte, richtig zu erinnern gewußt 
habe. Die Kirchenlehrer Clemens von Alerandrien, Irenaͤus, Eufebius und 
Epiphanius, aus denen überhaupt alle Nachrichten über die Gnoſtiker gefchöpft 
find, fagen den moralifchen Grundſatzen des Karpofrates nach, daß er allen Unter: 
ſchied guter und böfer Handlungen aufgehoben und eine uneingefchränfte Freiheit in 
der Befriedigung finnlicher Triebe gelehrt habe. Und allerdings übten f. Anhänger 


die abfehrulichften Lafter aus und waren an den-empörenden Berleumdungen 


"Schuld, welche den Chriſten diefes Jahrh. von den heidniſchen Schriftitellern im 
Allgemeinen aufgebürdet wurden, Des Karpofrates berühmtefter Schüler war 
Prodikus, der jedoch fäljchlich als Urheber der Adamitifchen Sekte angegeben wird. 
(DBgl. Adamianer.) Die&ekte der Karpofsitianer fand in Agypten und Italien, 
befonters aber auf den Inſeln, viel Beifall, verlor fich indeß ſchon im Anfange d. 3, 
Jahrh. Das vollftändigfte und finnreichfte aller gnoftifchen Syfteme hat Balene 
tinus, ein gelehrter und beredter Alerandriner, ebenfalls im 2. Jahrh. gebaut. In 
dag Licht, oder die Fülle, welche alle Snoftifer zur Wohnung des höchften Gottes 
machen, feßt er 45 männliche und ebenfo viel weibliche Konen, die er durch Vermaͤh⸗ 
lungen mit einander nach und nach erzeugen läßt. Der höchfte Sort, der Ungebo⸗ 
renc, der Urvater, den er auch die Tiefe nennt, iſt der erfte Diefer Aonen, das denkende 
Stillſchweigen fein Weib, der Verſtand und die Wahrheit find ihre Kinder, dieſe 
erzeugten mit einander das Wort ı:nd das Leben (im Griechifchen reeiblich), und 
diefe den Menſchen und die Gemeinde. Diefe 8 machen die erſte Claſſe jener 30 
Honen aus. Die zweite Claſſe von 5 Paaren, an deren Ende der Eingeborene, 
und die dritte von 6 Paaren, an deren Spige der Tröjter fleht, flammen auf 
gleiche Weife von Menſchen und der Gemeinde ab, und beftehen wie die erfte aus 
perfonificirten Begriffen, Die Beamten diefes himmlifchen Staats find 4 an⸗ 
dre männliche Aonen. Horus, der die Srenzen des Lichtraums bewacht; Chriſtus 
und der heilige Beift, welche die übrigen Aonen in ihren Pflichten unterweifen, und 
Jeſus, den alle Aonen des Lichtraums gemeinfchaftlich erzeugt, und wie der ganze 
Dlymp die Pandora mit ihren Saben herrlich ausgeftattet haben, “Der legte weib⸗ 
liche Xon dritter Claffe, die Weisheit, beneidete den Verſtand um feine Wiffenfchafs 
ten, und gebar in der Hitze ihrer ungebändigten Leidenſchaft einen weiblichen, unge: 
ftalteten Yon, Achamoth oder Enthymeſis Cöederzigung, berlegung), welche in die 
Finfterniß der Materie fiel und von Chriſto aus Mitleid geſtaltet wurde. Acha⸗ 
moth fehnte fich nach dem verlorenen himmliſchen Lichte; Furcht, Angſt, Traurig: 
feit und Lachen mechfelten bei ihr ab; ihre unbefriedigte Sehnfucht brachte die 
Seele der Welt und andre Seelen hervor, aus ihren Thränen entſtand das Waffer, 
aus ihrem Lachen die belle Materie, die dichtere aus ihrer Traurigkeit, Chriftus ers 
barmte fich der Abgefallenen und fandte ihr Jeſum, der ihr Wiſſenſchaft mitrheilte 
Schmerzen befreite. Nach diefer glüdlichen Veränderung gebär 

fie drei Subſtanzen, eine materielle, eine geiflige und eine feclenartige (tie oben die 
finnliche Seele), Aus der leßtern geftaltete fich der Demiurg oder NBeltfchöpfer, 
welcher, wie beim Bafilides, die Himmel mit ihren Engeln aus der feelenartigen 
Subſtanz baute und den oberfien diefer Himmel gu feinem Sitze wählte, Aus der 


. 


Onofis Ä 151 


materiellen Subſtanz wurden anter Einfluß von Achamoth’s Furcht die Thiere, un⸗ 
ter Einfluß ihrer Traurigkeit die boſen Geiſter, deren Fürſt der Weltbeherrſcher iſt, 
und unter Einfluß ihrer Angft die mit Feuer vermifchten Elemente der Welt. Der 
Menſch ift aus allen drei Subſtanzen gebaut, Der Netter der. Menfchen, Chris 
flus hatte, als er auf Erden erfchien, einen fichtbaren Körper aus feinerm Stoffe 
und war mur aus der geiftigen und feelenartigen Subſtanz zufammengefeßt. ‘Bei 
f. Taufe vereinigte fich der Aon Jeſus mit ihm und beiehrte Die Menfchen. Seine 
Schickſale und Wohlthaten befchreibt Walentinus ebenfo wie Saturninus, das 
Eigne aber hater, daß, wenn zuleßt alles Seiftige von der Materie befreit fein würs 
de, Achamoth fich im göttlichen Lichtraum mit Jeſu vereinigen und die guten Sees 
Ien zu fich ziehen, der Himmel des Demiurgs die fittlichern aufnehmen, und die 
Melt im Feuer untergehen werde. Die Partei des Valentinus, welche fich gegen 
die Mitte d. 2. Jahrh. zu Rom, und befonders auf Cypern erhob, zeichnete fich 
durch ſtrenge Sitten aus, wurde die zablreichfte unter allen gnoftifchen Sekten und. 
dauerte bis in d. 4. Jahrh. fort. Marcion von Sinope und Cerdo, ein Syrer, bils 
deten mit Hinweglaſſung vieles Abenteuerlichen der frühern gnoftifchen Syſteme 
ein wohlgeordnetes Lehrgebaͤude, deſſen Hauptmerkmal die Verwerfung des Alten 
Teſt. und die Einmiſchung jüdifcher Ideen in das Chriſtenthum if. Marcion uns 
terfcheidet zwei hoͤchſte Grundweſen, den wahren Gott und den Teufel: der wahre 
Sort hat auch nach ihm viele Geifter erzeugt, unter ihnen den Weltſchoͤpfer, den ges 
rechten Gott und Gefeßgeber der Juden. Diefer hat Thriftum durch die —8 
ten verheißen laſſen; der Jeſus aber, der wirklich erſchienen und der wahre Erlöfer 
ift, war der Sohn des wahren guten Gottes, und nicht jener jüdifche Meffias. Die: 
fer eigenthumliche Lehrſatz Marcion's veranlaßte feine Trennung von ber altsfathos. 
lifchen Kirche, in der Tertullian befonders die Würde des Alten Teſt. glüdlich gegen 
ihn verfocht, -Die Partei der Marcioniten wurde indeß fehr anfehnlich, fie hatte 
bis zum Anfange d. 5. Jahrh. in italien, Syrien, Arabien und Agypten zahlreiche 
Semeinden und eigne Bifchofe, auch behauptete fie den Ruhm unfträflicher Sitten, 
indem fie nach der Vorſchrift ihres Stifters das Fleiſcheſſen, das. Weintrinken und 
den Eheſtand vermied, um mit der Materie fo wenig als möglich gemein zu haben. 
Zmeifelbaft ift es aber, daß Marcion und Eerdo auch die Stifter der Sekte gewefen 
fein fotlen, die gegen dag Ende d. 2. Jahrh. u. 9.9. Opbiten (f. d.) oder Schlan⸗ 
genbrübder entfland, und wegen der Ahnlichkeit ihrer Theogonie mit der Balentinis 
ſchen unter die Gnoſtiker gerechnet wurde. In derfelben Perioͤde trat auch der 
durch f. Harmonie der vier. Evangelien und f. Rede gegen die Griechen oder Heiden 
ſchon vorher berühmte Tatianus aus Affyrien zum Gnoſticismus über und ftiftete 
eine Sekte, deren Anhänger nach einemf. Schüler, Severianer, wegen ihrer harten 
Diat Enfratiten (Entbaltfame), Hydroparaftaten (Waffertrinker,) und weil fie dem 
Befige ihrer Güter entfagten, Apotaktiten genannt wurden. Auch Bardefanes, 
ein Sprer, und der Afrifaner Hermogenes, welche unter der Regierung des Kaiferg 
Eommodus vom Lchrbegriffe des Chriſtenthums abwichen und &.Eten flifteten, 
flreifen wegen ihrer Hppothefen über die Urfachen des Böfen in der Welt an den 
Snofticismus an, Überhaupt war es bei dem philofophifchen Streben jenes Zeit: 
alters, bei der Sucht nach dem Wunderbaren, welche die damals in hohem Grade 
vermweichlichten Völker des römifchen Reichs ergriffen hatte, und bei der Mode, fich 
‚tieferer Finfichten in Die Sebeimniffe der Natur und Sottheit zu rühmen, nicht zu 
verwundern, daß eine Religionephilofophie, welche fich die glänzendften Partien der 
Platoniſchen aneignete, und der Einbiltungsfraft ebehfo fehr als dem Duͤnkel ge: 
beimer Weisheit Nahrung gab, einen fo auzgebreiteten Beifall fand. Auch Gut⸗ 
gefinnte nahm fie durch die Strenge ihrer Sttienlehre und ihrer Seelenheilkunde für 
fich ein; die Gnoſtiker waren die Pietiften d. 3. und 4. Jahrh. Die kathol. Kir: 
che, die ihre Lehren verketzerte, Tieß doch dem Wandel der Marcionitifchen und Tas 


4 


v 


152 Bon - . 


tianiſchen Guoſtiker Gerechtigkeit widerfahren und nahm felbft von Ihren Irrlehren 
Beranlaffung, die Kegel des rechten Glaubens fefter zu befiimmen. Seit dem 5. 
Jabrh. gab es keinegnoftifhen Sekten mehr, aber von den Srundzügen ihrer Eme 
nationslebre erfcheint Manches in fpitern Pbhilofophien wieder, die mit ihnen as 
leihen Quellen ſchoͤpften. Platon’s lebendige Darftellung hatte ten Ideen der 
Sortheit etwas Zubftantielles gegeben, das die Gnoſtiker auf ihre Aonen überme 
gen, und Leibnig's Effulgurationen (Ausftrahlungen) Gottes, Ploucquet’s reale 
Reprüfentationen (Borftellungen) Sottes, St.:Martin’s Bilder und Spiegel u. 
Dol. find, wie jene Aonen, ein Beweis, dab die Verſuche des menfchlichen Berftane 
des, die Schöpfung und das Entſtehen unvolllommener Weſen aus den vollfom: 
menften zu erklären, immer auf ähnliche Ergebniffe binausliefen. Man vergl. die 
Schriften von Lewald und Neander, befonders des Letztern „Senetifche Entwicke⸗ 
lung der vornehmften gnoftifchen Syſteme“ (Berl. 1818); D. Iſ. J. Schmidt 
„Uber die Berwandefchaft der gnoftifch :thedfophifchen Lehren mit den Religions: 
fuftemen des Drients, vorzüglich dem Butdhaismug” (Lpz. 1828, 4.), und M. J. 
Matter’s von der Akad. d. Inſchr. gekrönte „Hist. criique da Gnosticisme etc,” 
(Paris 1828, 2 Bre.und 1B. lirhogr. BL.) F. , 
0.0, portugiefifches Souvernement, Inſel und Stadt, an der Weſtküſte 
von Dekan in Borderindien, da, wo die weſtl. Befißungen der Maratten und der 
Briten am nörbl. Ende von Kanara aneinandergrenzen. Die Inſel, ehedem Tif 
fuari, war von einem arabifchen Volksſtamme bewohnt, als Albuquerque 1510 die 
Stadt mir den Halbinfeln Bardes und Salfette unterwarf. - Der Fluß Mandona, 
unter den Indiern faft fo hoch geehrt als der Ganges, feheidet die Inſel vom feſten 
Lande, und zwei Meerarme umfaffen fie auf den andern Seiten, Sie hat einen 
der geräumigften Häfen Indiens und ift feit 1559 der Sitz des Oberbefehlshabers 
der portug. Befikungen in dem indifchen Deere und des Erzbifchofs und Primas 
von Indien, Während der Regenzeit vom uni bis gegen den Oct. verſchlammen 
die Landfluten den Hafen, ſodaß die Schifffahrt gehndert wird. Der Hafen, mel: 
her nur den Portugiefen offen ſteht, ift durch Thuͤrme und Caſtelle beſchützt. An 
denfelben grenzt der Hafen Murmugon, ‚welcher durch einen andern Canal gebildet 
toird, der Goa und die Halbinfel Calfette fcheidet; er nimmt die aus Europa kom: 
menden Schiffe auf, wenn der erftere verfchlämmt iſt. Die Stadt hat Mangel an 
ſüßem Waffer, das vom feften Lande bingebracht wird, Die Luft iſt ungeſund. 
Zu der Zeit, als die Portugiefen in Indien berrfchten, Eonnte Feine Stadt in diefen 
Gegenden mit Goa verglichen werden, und wenige in Europa waren fehöner ges 
baut. Die noch vorhqpdenen öffentlichen Gebäude find ſtumme Zeugen ihrer vers 
ſchwundenen Herrlichkeit. Außer dem DVicekönig, unter deffen -Befchlen Alles 
fland, was die Portugiefen vom Norgebirge der guten Hoffnung bis Macao in 
China befaßen, hatten bier die Berwultungsbehörden ihren Sitz. Die Macht des 
Glaubensgerichts in Goa erſtreckte fich ehedem über alle Portugiefen in Indien 
und die eingebornen Ehriften, ausgenonmen den Dicefönig, den Erzbifchof und 
deffen Vicar. In neuern Zeiten ward die Gewalt der Inquiſition fehr befchränft; 
4815 erfolgte ihre gänzliche Aufhebung und die öffentliche Verbrennung ihrer Pa: 
piere. Als der größte Theil der portugief. Defigungen in die Gewalt der Hollinder 
und Engländer fiel, da gerieth auch Goa in Verfall, Jetzt enthält diefes Gouver⸗ 
nement, nebft den Bezirken von Diu und Daman in der Provinz Guzurate, 223 
EM. mit 417,000 Einw. Die Verddung der Stadt Altgoa nahm zu, als im 
Anfange des vorigen Jahrh. eine Seuche ausbrach, weßhalb die meiften Portugiefen 
fich auf dem Lande niederliegen und Neugoa anlegten. Die geborenen Portugiefen 
machen jest die geringfte Zahl der Einw. aus, die Meftizen die größte. Aldoa hat 
4000, Neugoa 20,000 E. Der große Handel ift in den Sünden der Chriften, der 
Eleine voird von Juden und Banianen getrieben. Huch der Swifchenhandelan ten. 
de! . N ‘ 


. — 


Soeblin Sog 7153 


Käften von Indien und nach China iſt bedeutend. Seit 1812 bringen 24 große 
Schiffe jährlich die Waaren, welche die Portugiefen aus ihrenübrigen Nieterfarfun 
gen und durch die nach Canton fahrenden Schiffe erhalten, nach Europa. Die 
Krone hat den ausſchließenden Handel mit Zuder, Schnupftabad‘, Pfeffer, Salpe⸗ 
ter, Perlen und Sandelholz, ‘Der Gewinn aber,’ den die Niederlaffung brachte, 
übetftieg nicht die Koften der Verwaltung, Unterhaltung ber Feftungsmwerfe und der’ 
Beſatzung. Goa fiel 1807 in die Gewalt der Engländer, ward aber nach dem all⸗ 
gemeinen Brieden den Portugiefen zurüdgegeben, Im %.. 1828 erklärte ſich die 
olonie für die Königin Maria. | R. 
Gobelin (Gilles), ein Färber zu Paris unter der Regierung Franz I. Er 
wohnte in ber Vorſtadt St.⸗Marceau, wo |. Haus und der kleine Fluß, welcher vor: 
beifließt, ge . Namen führen, und erfand, wie man fügt, das Geheimniß, 
das fhöne Stharlach zu färben, welches nach ihm Gobelinſcharlach heißt. 
Don ihm haben auch die Gobelinta I ten’ihrert Namen. Diefe Manufactur, 
weiche Colbert 166" anlegte und bern Maler Lebrun zur Leitung übertrug, iſt noch 
immer eine der merkwürdigſten iM Paris; fle übertrifft in ihren Reiftungen Alles, 
was in gleicher Art in Europa verfertigf wird. Es werden vorzüglich Gemälde aus 
der alten italtenifehen, franz. und ſpaniſchen Schule auf die Eunftreichfte Art in die 
Teppicherübertragen; der Glanz der Farben und die Zartheit der Ausführung find 


- bensundernsmwfirdig, und man begreift kaum, wie es möglich ift, mit den, der Haute: 


Tiffearbeit eigenthämfichen Mitteln den Wirkungen der Hlmalerei fo nahe zu fom: 
imen. Die Anftalt wird auf Rechnung der Regierung betrieben, und die gefertig: 
ten Tapeten werden meift zu Sefchenken verwendet. 
GodsavetheKing! (Gott erhalte den König?) der Refrain und die 
Benennung eines berühmten englifchen Volksliedes. Wahrſcheinlich ift Heinrich 
Clarey, der um die Mitte des 18; Jahrh. lebte, Verf. des Gedichts und der Melo: 
die; er foll jedoch, bei aller Anlage zur Muſik, der Regeln des Setzens fo unfundig 
geweſen fein, Daß er, nach Einigen, fich an D. Harrington in Bath, nach X. an Shri. 
ſtoph Smith, Handels Schreiber, wandte, um feinen rohen Entwurf verbeffern und 
den Baß hinzufügen u Iaffen. Vermuthlich ift aus diefer legten Angabe die Sage 
entftanden, daß die Weife des Volksliedes von Händel berühre. Es ward, wie 

- fiheint, zum erfien Mal in „Gentlemah's magazine” (17145), als bei der Lan⸗ 


dung des jungen Stuart die Anhänglichfett am den Herrfchenden KRönigsftamm zeit⸗ 


gemäß war, mit der Melodie bekanntgemacht, und wurde, als es D. Arne (ber Com⸗ 
per des andern Volksliedes: „Aule Britannia“) auf die Bühne brachte, ein bes 
iebtes Volkslied, Die Weife bildeten ſeitdem verfchiedene Künftler aus; aber ob> 
leich die Harmonie des Geſangs feit Bach und Kotzwara unftreitig verbeffert wurde, 
0 ift doch Ver Rhythmus noch der urfprängliche. Nach 'eiher Nachricht im „New 
inonthiy magazine” (Bd. IV; S. 389) gibt es einen, "ohne Zeitangabe von Riley 
‚und Williams herausgeg. Abdruck des Liedes, worin Anton Young, Organiſt zu 
London, als Verf. der Melodie genannt wird. Noch werde die Angabe erwähnt, 
bag diefes Volkslied, note auch Bourney, der Verf. der „Geſchichte der Muſik“, eins 
mal behauptet haben foll, urfprünglich nicht auf einen König Georg gemacht wor: 
den fei, fondern tn der Alteften Lesart gelautet habe: „God save great James onr 


King‘* (Gott fegne umſern großen König Jafob), und Burney feßte hinzu, es ſei 


Urfprünglich für Jakobs II. kathol. Capelle gedichtet und gefegt worden. | 

—— (Joſeph Franz, Freiherr v.). Diefer ausgezeichnete Maler, aus einer 
urfprünglich Tüneburgifchen gräfl. Samilie, geb. den 28. Febr. 1754 zu Hermanns 
ftadt in Siebenbürgen, wo f. Vater als Obriftlieutenant in Garniſon ſtand, ward 
beim Hofkriegsrath in Wien und fpäter beim Juſtizdepart. angeftellt; doch ſ. Muße 
gehörte der Knnft, die'er unter Brand's, Füger's und Schmuzer's Anleitung ftus 


dirte. Huch Befuchte er das anatomifche Theater, Balo war er ande, Beruf 
0 i 


Converſations⸗ Lexicon. BU, IV, 


\ 


... 


! 


— — — 
—*8 


164 | Goͤckingk 


als Maler durch gelungene Arbeiten, wie z. B. die nach dem Leben entworfene Ab: 
bildungen des Feldmarfchalls Haddick und deffen Familie, u.%. darzulegen. Durch 
den Tod f. Vaters in den Beſitz eines Fleinen Vermögens gefeßt, verließ er den 
Staatsdienft, um ganz ſ. Kunſt zu leben. Syn diefer Abficht begab er fih nah Mus 
chen, wohin ihn die Salerie 109. Hier gab er 1784 £. mimifchen Cyklus von Abbik 
dungen der Leidenfchaften, FR Kunft: und Schaufpielfreunde, nach der von ihm zu 
einem Melodrama umgewandelten Bürger’fchen Ballade: „Renardo und Blantine“, 
in 160 radirten Blaͤttern heraus. Auch inalte er das Bildniß des Kurfürften von 
Baiern, Kari Theodor, woͤfur Ihm die münchner Akademie eine goldene Preisme- 
daille zuerfannte, und den berühmten Schaufpieler Schröder ale Hamlet. Zu glei⸗ 
cher Zeit erfchlenen f. „Exercices d’imaginntion de differens caracleres et for- 
mes humaines”, welche meift ländliche und charakteriſtiſche Scenen darſtellen, die 
G. ſo meiſterhaft aufzufaſſen verſtand, dag Nicolai in Berlin in ihm einen deutſchen 
Hogarth prophezeite. Auch malte er Pius VI., als dieſer kurze Zeit in Augsburg 
verweilte; das mit Beifall aufgenommene Bildniß aͤtzte er nachher in Kupfer. 1787 
erbielt ©. von der Kaiferin Katharina IL. die Kufperung Sorfter als Zeichner auf 
einer Reife um die Welt ju begleiten. Da jedoch dies Unternehmen wegen des Krie⸗ 
ges mit den Türken nicht ju Stande kam, fb blieb er in München, mußte aber ins 
San. 1791, auf den Verdacht, als ſtehe er mit dem Illuminatenorden im Verbande, 
die Hauptfladt verlaſſen, G. war Freimaurer, und hatte bloß mit einigen Gliedern 
des Illuminatenordens Bekanntſchaft. Er begak fich nach Kegenshurg, wo erf Un: 
ſchuid in einer Eleinen Schrift darthat. Bald nachher erhielt er.von Dlünchen, we 
man den Ungrund jener Befchuldigung, die aufeiner Nameneberivechfelung eruhte, 
eingefebhen hatte, eine Einladung zur Ruͤckkehr, die er jetoch ablehnte. Er blieb ſeit⸗ 
dem in Regensburg, wo, er am 16. Sept. 1815 geftorben iſt. Die Arbeiten dieſes 
Künftlers, ſowol die in DI als die in Gouache (in welcher Manier er das Meifte lei⸗ 
ftete) haben einen allgemein anerfannten Werth. Seine reiche Hinterlaffenfchaft 
von Zeichnungen und Skizzen ift Zum Theil ins Ausland gefommen. 
BGöcingk Eeopold Friedrich Guͤnther v.), geb. den 13. Juli 17148 zu Sri: 
ningen im Halberftädtifchen, befuchte unı 17160 das königl. Paͤdagogium zu Halle, 
100 er fich mit f. Freunde und Landsmann, G. A. Bürger, gemeinfchaftlich in der 
Dichtkunſt verfuchte, und fludirte auf der dortigen Univerfität die Rechte. Dann 
wurde er Referendar bei der Kriegs: und Domainenkammer in Halberftadt, Kanzlei: 
director zu Ellrih im Hobenfteinifchen, 1786 Kriegs: und Domainenrath bei der 
Kammer zu Magdeburg, 1788 konigl. Comtniffair und Land: und Steuerrath zu 
Wernigerode, 1793 Geh. Finanzrath im fübpreuß. Depart. bes Seneraldirectortums 
zu Berlin, darauf Seheimerrath des Fürften von Oranien:Fulda zu Fulda. Fried: 
rich Wilhelm 11. hatte ihn 17789 in den Adelſtand erhoben, und feit der Beit (hreibt 
er ſich von Göckingk auf Daldorfund Süntbersderf. ‚Auch war er herzogl. Eurläns 
diſcher Legationsrath, In den lebten Jahren entfagte er dem Sefchäftsteben und 
Bielt fich bis T826 in Berlin aufs Er ftarb im Kreife f. Familie, zu’ Wartenberg in 
Schleſien den 18. Febr. 1828, Wir haben von ihm vorzügliche Arbeiterinden mel 
ſten Sattungen der Poefie, 5. B. in Liedern, Sinngedichten und der Epiftel, welche 
legtern beſonders der allgemeine Beifall gefrönt bat. Man bemerkt faft überall 
einen vielfeitig reflectirenden Geiſt, der indefien bei aller Welterfahrenbeit der/Ems 
pfindung, Naivetät und Zartheit keineswegs abhold geworden. Außer. manchen 
andern tiefempfundenen und in gewandter Sprache abgefaßten Gedichten erwarben 
ihm doch wolf. „Lieder zroeier Liebenden“ (zuerſt 1777, dann 1779) den meißen 
Ruhm, fodaß felbft der fIrengrichtende Wieland die poetiſche Briefftellerin, die hier 
u. d. N. Nantchen erjcheint, die Deutfche Sappho nannte. Seine Gedichte find ju 
Frankfurt von 1780— 82 in 3 Bd, (neue verm. Ausg. in 4 Bdn. [faryr. Pers 
füche], 1818), und ebendaf. 1784 der J. Bd. f. profaifchen Schriften erfihimen. 
S. 98 Leben, von Tiedge, im 4. H. der „Zeitgen.” (1823). “ 


x 


, 


Gs, indem es durch Schlagen u. | 
Härte des veinen Goldes ift nicht viel ao als die des Bleies, weßhalb es der Abs 


Gold | "155 

Gold. Dies ebelſte unter den Metallen hat eine eigenthämliche hellgelbe 
Farbe und einen ſtarken Slanz, Auf dem Bruche zeigt es kein beſtimmt jadige, 
ſondern ein dichtes fadiges Sei e. ſpecifiſche Gewicht iſt von 19, 3 — 16, 
gegg eine etwas groͤßere Dichtigkeit erhaͤlt. Die 


nutzung ſehr unterworfen iſt und zur Verhinderung derſelben mit andern Metallen 


verſetzt oder ort wird. An Biegſamkeit ſteht es dem Silber nach, dagegen über; 
. trifft es alle 


efannte Metalle an Debhnbarkeit und Sefchmeidigkeit. (S. Gold⸗ 


ſchlaͤger.) An der Luft erleidet das Gold gar Feine Veränderung und behält auch 


— 


reinen, night zu ſehr verdunnten Salyeterjäure, indem d 


an der feuchten Luft feinen Stanz. Reines Gold kommt etwas früher als Kupfer in 


ändert ſich dabei nicht und kryſtalliſirt beim Erkalten zu kurzen vierfeitigen Pyramis 
den. Nächft dem Platin gehört es zu den feuerbeftändigften und unzerflörbarften 
Metallen, auch wird es durch flüchtige Körper kaum verflüchtigt, roodurch es einen 
großen Vorzug vor dem Silber befigt. Syn der beftigften, durch Brenngläfer und 

rennfpiegel hervorgebrachten Hige, vor der Flamme des mit Sauerſtoffgas genähr: 
ten Lothrohrs und in dem beftigfien Feuer einer Bolta’fchen Batterie — ſich 
das Gold wirklich und verbrennt zum Theil zu einem purpurrothen Kalk. Die Golb⸗ 
kalke find noch wenig befannt; es foll 2 Arten derfelben geben, Inden Alkalienund _ 


Fluß; auf der Oberfläche zeigt das geſchmolzene Gold eine Lichtgrüne nr vers - 


im. Ammoniak ift das reine Gold unauflöslich, der Goldkalk loſt ſich aber in dem 


legtern fehr bald auf. Obgleich das Gold. von der Schwefelleber beim Schmelzen 
fo vollkommen aufgelöft wird, daß es mit dem Waſſer eine ganz klare 2Auflöfen il⸗ 
det, ſo laͤßt es ſich mit dem — im Fluſſe — RR Selbſt bie Dies 
Derfchläge des in Säuren aufgeläften Goldes durch Schwefelwaſſerſtoffgas find nur 
Semenge von fegulinifchem Gold und von Schwefel. Unter allen Säuren ift dag 
Gold nur im Königsmwaffer auflösbar, und das Ammoniak gibt durch Niederfchlag 
Bas Rnallgold, (S. Knall) Eine Auflöfung des Binnes in dem Königemaf 
fer gibt, zu der Öotbauflöfung gegoffen, ginen fehonen dunkel purpurfarbenen Nie⸗ 
derfchlag, den fogenannten.mingralifchen Durpar oder den Goldpurpur des Cafliud, 
Mit andern Metallen verbindet fich das Gold fehr Leicht, alle vermindern aber feige 
Debnbarkeit, fodag nur zivei Metalle, das Silber und das Kupfer, zur Legirung ans 
gervendet werden, um % h 
ber Kupfer zu, zu manchen.andern Arbeiten lieber Silber, zuweilen auch beibes zu 
leicher Zeit; daraus entfpringen die rothe, Die weiße und bie gemifchte Raratirung, 
an muß daher beim Probiren des Goldes auf einem Probirfleine eigentlich Pros 
birnadeln von dreierlei verfchiedengr Zufammenfeßung, aus Gold und Silber, aus 
Sold und Kupfer, und aus Vofp, Silber und Kupfer haben. Um bas Gold von 
dem Silber, mit dem es in allen Deren yerbunden vorkommt, zu feheiden, 
gibt es mehre, [ehr verfchtedene Nerfahrungsarten;; — bedient man ſich der 
dünn efe das Bold unauflöstich 
zurũcklaßt. Es muß jedoch die. Miſchung aus wenigſtens drei Theilen Süber und 
einem puat. eftehen, wenn.olles Silber aufgelöft werben foll, weßhalb auch 
N eidunggmethobe Quartation —— oder die Scheidung durch die 
üart) genannt wird. Das. zuruͤckbleihende Gold wird abgewaſchen und mit Sal⸗ 
peter zuſanimengeſchmolzen, dag. — gewöhnlich durch Kupfer 
niedergefchlagen und nach, dem Husfi en jpfammengefhmten, — Das Gold ifl 
bis jeßt nur gebiegen, entweder im reinen Zuſtande oder in Verbindung mit andern 
Metallen und in Bereinigung mit gekhiefelten Metallen gefunden worden. — Die 
Seiwinnung des Goldes kommt mit der des Silbers faft ging überein, indem 
beide Metalle faft immer gleichzeitig. ausgebracht werden. Der faft 13 Mal größere 
Werth des Goldes macht es indeffen möglich, noch weit ärmere Golderze als Silber⸗ 
erze in die Arbeit zu nehmen, Verbes Sol, Wafchgold u. f. h ſomelzt man un⸗ 


5 


m mehr Härte,zu geben. Bel den Muͤntzen ſeht man lie⸗ 


„156 Goldmacherfunft . Golboni 


mittelbar in Tiegeln, mit oder ohne —5 von Borax, und ſetzt alsdaun Salpeter 
oder auch Sublimat zu, wenn das Gold nur eine Spur von unedlen Metallen em⸗ 
Halten ſollte. Sonſt wird der Negulus auf dem Treibherde oder auf dem Teſt mit 
Blei abgetrieben. Goldſchlieche werden entweder verquidt oder mit Fief.gen Eryn 
in die Nobarbeit (f, Silber) gegeben. Güldiſche Kupferfiefe werden oft fo entgol: 
:det, daß der erhaltene Rohſtein mit Bleiglanzen auf einem Flammenofenherd auf 
igefebt, eingefehmolgen und durch einen Zufaß von regulinifchem Eifen niedergefchla 
gen wird, Die goldbaltigen Arfenikerze werden tie die goldhaltigen Schwefelkiefe 
behandelt. — Der Werth des jührl. germonnenen Goldes beträgt ungeführ 20 ML 
Thaler; davon liefern: Europa ungefähr 1,300,000 Thlr., Nordaſien (vgl. Ural) 
14 Mill. Thlr. und Amerika 17,200,000 Thlr. — 
WBold macherkunſt, ſ. Alchymie. .- 
" SGopdenes Vließ, f. Jaſon und Argonauten. — Orben des 
‚goldenen Vließes und der drei gofdenen Dließe, ſ. Vließ (Das 
goldene). W 
„Goldene Baht, ſ. Calender. 
Goldgulden, fe Gulden. un 
Spfldoni (Carlo), der berühmtefte italien. Luſtſpieldichter des 18. Jahr, 
wurde 17107 in Venedig geb,, wo fein Großvater, ein Modenefer, eine Art von Ge⸗ 
neralpachter der fimmtlichen im venetianifchen Gebiete liegenden Guͤter des Herzogs 
von Maffa und Sarrara war. Der Tod diefes in feiner Art genialen Mannes, wel⸗ 
eher nur den Aufwand zu fehr liebte, verfeßte die Samilie in öfonomifche Verlegen: 
heit. Julius G., der Bater unfers Dichters, verließ daher Venedig und begab fich 
nach Kom. Seine Gattin, eine geb, Salvioni, eine geiftreiche, Tebhafte Frau, blirb 
mit ihren Kindern, ein pagr Knaben, zuruͤck, und widmete fich ausſchließend der Ers 
Yehüng ihres älteften Sohnes, deffen früh fich ausfprechender Geiſt ihn zu ihrem 
Piebling machte. Der Iebhafte Carlo zeigte fruͤh Geſchmack an theatraliſchen Vorſtel⸗ 
lungen. Er las Alles, was er in diefer Hinficht Habhaft werden konnte, befonbers die 
Werte bes beliebten Komödiendichters Citcögnini, und kaum 8 J. alt, finger an, 
eine Komödie zu ſchaffen, die. das Erſtaunen der Verwandten erregte. Man fenbere 
eime Abfchrift an den Bater, der unterdeffen ſich in einen Mediciner umgewandelt 
und in Perugia niedergelaffen hatte. Entzückt über den Geift feines Alteften Soh⸗ 
nes, verlangte er ihn bei fich zu Haben; die Muͤtter mußte einwilligen. Vater und 
Sohn errichteten nun ein Eleines gefelhaftliches Theater. Bekanntlich durfte aber 
zu jener Zeit in den päpftlichen Staaten kein rauenzimmer auf ber Bühne erfchei: 
nen; deßwegen übertrug man Dem jungen ©. meift die Mädchenrollen, die er auch 
bei feinem —**— Außern recht gut ausführte, und z. B. in Giglis berühmter 
„Sorellina di Don Pilone“ (f. Gigli) mit großem Beifall auftrat. Er genoß das 
bei den Unterricht der Jeſuiten; ſpaͤter machte er in Rimini bei den Dominicanern 
feinen bumaniftifchen Curfus. Die Steifheit feines eigenfinnigen Lehrers verleitete 
ihm hier den Aufenthalt; eine herumwandernde Schuuſpielertruppe zog ihn. defto 
mehr an. Er fah Frauenzimmer auf dem Theater und ward 'hingeriffen. Die Kos 
möbianten gervannen ihn gleichfälfs lieb; under entſchloß fich ihnen heimlich nad 
Chiozza zu Folgen, wo damals feine wieder zufanımenlebenden Altern wohnten. Sie 
verziehen dem Juͤnglinge den leichtfinnigen Strekh; der Bater beftimmte nun feinen 
Sohn zur Medicin und nahm Ihn fleißig bel ſeinen Krankenbeſuchen mit. Dies ges 
fiel aber G. noch weniger; er erhielt at die Einwilligung rer Ältern, fich im 
naben Venedig der Rechtsfunde widm u diirfen. Bald darauf verfchäffte ihm 
ein Verwandter eine Sreiftelle im paͤpſtl. Collegium auf der Univerfität zu Pavia, 
So ward G. abermals In eine neue Welt —5— Seine Commilitonen im Tolle 
gium waren meift junge und ziemlich lockere Abbes; ©. folgte ihrem Beiſpiel. “Die 
Jurisprudenz raurde als Nebenhſache betrieben, deſto eifriger das Tangen, Reiten, 


\ on 
| | Goldoni 157 
Fechten, die Muſik und das Spiel. Boch verfäumte der wißbegierige Juͤngling das 
bei.nicht, feinen Geiſt mit nüglichen Dingen zu bereichern; und feine fich immer 
mehr entwickelnden bichjerifchen und rednerifhen Anlagen erwarben ihm manche 
Freunde, aber auch Feiide, denn der Wiß, welcher. ihm zu Gebote ftand, traf oft 
ſehr ſcharf. Einft fehrieb er auf Antrieb einiger jungen Zeute, die ihn nachher ver: 
rietben, eine fatyrifche Attellane, -worin er mehre Individuen aus angefebenen Fa: 
milien in Pavia dem Sefpötte preisgab. Die Folge war, daß er aus dem Sollegiumi 
und felbft aus der Stadt verwiefen wurde. Er reifte nach Chiozza, um die Altern. ' 
um Verzeihung zu bitter, Sein Vater.nahm ihn nun mit nach Udine (im Friaul), 
wo ©. ernfter als in Pavia fich den Wiffenfchaften widmete, ‚jedoch nebenher noch’ 
manchen leichtfinnigen Streich trieb und deßwegen verfchiedentlich den Aufenthalt 
‚ändern mußte, bis er zu dem Vicekanzler des Criminalgerichts in Chiozza als Se⸗ 
cretair fam.: Er folgte diefem Beamten nach Feltre, wo er, 22 J. alt, eine An- 
ftellung erhielt und fich feinem Amte mit Eifer widmete, Die Bühne war in diefer 
Beit feine einzige Erholung; eine leidliche Truppe fpielte in Feltre; ein Liebhaber: 
theater im Palafte des Gouverneurs, bei welchem er mit auftrat, fefjelte ihn aber 
noch mehr. Bald ernannte man ihn zum Director deſſelben, und er richtetenun nicht 
allein ein Paar Opern von Metaſtaſio zum Behuf der Aufführung ohne Mufik ein, 
fondern ſchrieb auch 2 Luftfpiele („Der gute Bater” und „Die Sängerin“), die 
ebenfo vielen Beifall fanden wie fein Spiel. Sein Vater wurde indeß als Arzt zu 
Bagnacarollo in der Legation Ravenna angeftellt, und verlangte, fein Sohn folle 
kei ihm leben. G. gehorchte; aber kaum dafelbft angekommen, ftarb der Vater und, 
hinterließ die Familie in miglichen Umftänden, Jetzt befchloß der junge Mann, fich 
ernftlich der Jurisprudenz zu widmen. Er disputirte in Padua und ging darauf 
nach Denedig, um zu advociren. Die Clienten fanden fich.jedoch nur fparfam ein, 
und genöthigt, fich nach anderm Erwerb umzuthun, fchrieb ©. Eleine Almanache, 
von denen einige Beifall fanden, begann eine Oper („Amalaſunte“) u. dgl. Der 
gluͤckliche Ausgang eines Proceffes, in welchem der erfte Advocat Venedigs fein Geg⸗ 
ner war, erwarb ihm Ruf, und eg hätte vielleicht Alles gut gehenmögen, waren richt, 
durch einen unglüdlichen Liebeshandel neue Verwidelungen erfolgt. Ein übereilt 
ges: enes Eheverfprechen ſtuͤrzte ihn in endlofe öfonomifche Sorgen. Er verließ 
enedig und ging nach Mailand, f. Oper „Amalafunte” als einzige Habe mit fich 
nebmend. Seine Hoffnung, durch diefelbe hier fein Glück zu machen, feheiterte, 
Der berühmte Sänger Caffarelli empfing ihn mit jenem baueriſchen Stolge, der ges 
‘feierten Hiftrionen fo leicht eigen wird,. und einer der Directoren der Oper ließ ihm 
freundlich bemerken, daß das Stück nicht in Muſik gefegt werden Fünne. Traurig. 
verbrannte ©. das Manufeript, nicht swiffend, was er beginnen follte; der Kefident 
der Republif Denedig nahm fich indeffen feiner an, und der Dichter arbeitete nun 
fein mufißalifches Intermezzo: „Der venetianifche Gondoline“, aur, das Beifall 
fand und dag erfte Stüd war, welches G. befanntmachte. Die Krieggereigniffe 
in Stalien, 1733, wirkten auch flörend auf des Dichters Arbeiten, der bald in Tre: 
mona, bald in Pizzigbetone, bald in Parma lebte, von Marodeuren geplündert ward, 
in Berona zu einer Komödiantentruppe fließ, mit diefer. wieder nach Venedig kam, 
und bier durch Aufführung feines während diefer Zeit gefchriebenen Trauerfpiels 
„DBelifar”, Rufund Namen erwarb, Eine zweite Tragoͤdie, „Roſamunde“, miß: 
fiel dagegen, und der Derf., jest roieder in Teidlichen Verhältniffen, ging nun mit- 
einer andern Truppe, die faſt nichts als Stüde von ihm aufführte, nach Padua, 
So wanderte er bis.1736 unftät mit den Unftiten herum in einem ewigen Taumel 
von Intriguen und Zerſtreuungen lebend, bis er fich in Genua mit der Tochter eines ' 
Notare verehlichte und nach Venedig zog, wo er nun erft begann, das Fach drama: 
tiſcher Dichtungen zu cultiviren, in roelchem er fich auszeichnen follte, das der Cha 
rakter: und Sittenftüde namlich, worin Moliere, den er um diefe Zeit anfing zu 


158 _ Goldoni, 
ſtudiren, ihm Vorbild war. Der herrſchende Geſchmack in feinem Vaterlande am 
den Maskenſtücken und der ertemporirten Komddie legte aber feinem Vorhaben, 
das Theater in diefer Hinficht zu reformiren, große Hinderniffe in den IBeg, und er 
ſah fich deßwegen oft genöthigt, der alten Demehnpeit des Publicums und der Schau⸗ 
fieter — unter denen damals der berühmte Arlequin Sacchi mit f. Sefellfehaft in 
en:dig glänzte — nachzugeben. 1739 würde er zum genuefifchen Conſul in Bes 
nedig ernannt: ein Poften, dem er zwar mit Geſchick und Fleiß vorftant, der ihm 
aber wenig oder nichts einbrachte, fodaß der Dichter 1741 fich in die Nothwendig⸗ 
£eit verfeßt fah, Venedig abermals zu verläffen, um anderwärts ein Ausfommen zu 
füchen. Er begab ſich mit feiner Familie nach Bologna, Modena und Rimini, wo 
er für die dortigen Schaufpielergefellfchaften arbeitete, und fich leidlich befand, bis 
ihn öftr. Hufaren auf dem Wege nach Pefarg rein ausplünderten; ein fehurfifcher 
Moftillon lieg ihn und f. Gattin unterroegs auf freiem Felde figen, und fuhr davon. 
Auf feinem Rüden trug ©, ſ. Gattin durch einige ausgetretene Flüffe, und troß 
aller Hinderniffe Im Hauptquartier der Oftreicher anlangend, erhielt er fein ihm ge= 
raubtes Eigenthum zurüd. In Rimini übernahm nun ©, die Direction des Thea⸗ 
ters und lebte einige Zeit in Wohlhabenheit und Behaglichkeit. Dann ging er nach 
Florenz und Siena, mo er qute Aufnahme fand. In Pifa bewogen ihn die Arka⸗ 
dier, deren Sitzung er beiwohnte, zu den Rechten zurückzukehren. Zahlreiche Rund: 
ſchaft ward dem wiedergeborenen Advocaten, Da börte Sacchi diefe Veränderung 
und befchroor ihn um neue Stücke. ©, arbeitete nun des Nachts für die Bühne, 
während er am Tage Nechtshändel verfocht, und je mehr Stüde er dem Director 
nach Venedig fendete, defto mehr begehrte Sacchi, der meifteng auch die Segenftände 
dazu gab. In derfelben Zeit ernannten ihn die Arkadier u. d. M. Poliffeno Fegeio 
zu ihrem Mitgliede. Eine Zurücdfeßung, die ihm in Pifa widerfuhr, bewog ihn, 
die Nechtsgelehrfamkeit noch einmal zu verlaffen und einer Schaufpielergefellfchaft, 
die ihn als Thenterdichter annahm, nach Mantua zu folgen. Bon hier fam er nach 
- Sjähriger Abmwefenheit wieder nach Venedig. Nun begann er, für dag Theater San⸗ 
Angelo arbeitend, den Riefenfampf mit dem eingerwurzelten Geſchmack an Arlequis 
aaden und improvifirten Stüden. Seinem Genie und feiner ungemeinen fehrift: 
ftellerifchen Sruchtbarfett gelang es endlich, eine neue Ara in der Kunſt beraufzufüh: 
ren. Doch Sorgen und Arger warfen ihn aufs Krankenlager; der Directeur ward 
durch feinen Fleiß reich, er blieb arm, und alg er eine billige Vergütung feiner ans 
geftrengten Arbei:en foderte, erhielt er nichts als die mager: Erlaubnig, alle Jahre 
‚einen Band f. Werke herausgeben zu dürfen, Dennoch blieb er feinen Verbindlich: 
keiten treu, folgte der Sefellfehaft nach Turin und ging erſt nach Ablauf f. Contract: 
zeit zum Theater St.-Luca über, zugleich eine neue Ausg. f. Werke auf Subferips 
tion beſorgend, worurh fish. ſ. Umflände verbefferten, zugleich aber auch f. Gegner, 
die Derfechter der alten Commedia dell’ arte, neuen Stoff zu Berläfterungen fanden. 
1758 nach Parma an den Hof Don Philipps berufen, dichtete er einige Opern, die 
von Duni und Piccini in Muſik gefegt wurden. 17161 riefen ihn die ital, Schau: 
fpieler nach Paris, wo mehre f.Stüdte ungemeinen Beifall fanden, Durch die Daun: 
phine erhielt er die Stelle einesLectors und Lehrers der ital. Sprache bei den Toͤch⸗ 
tern Ludwigs XV.; allein durch den Tod. des Dauphins, der Dauphine und des 
Königs von Polen, wurde wegen der Hoftrauer f. Amt und f. Gehalt fuspentirt. 
Erft nach 3 Fahren gab man ihm einen REN von 3600 Ligres. Beim Auss 
biuche der Revolution aber verlor der 86jahrige Dichter feine, auf die Civilliſte des 
. Königs angeroiefene, Penfion, und dag Decret des Nationalconvents vom 7. Yan. 
47193, welches ihm auf Thenier’s Antrag für bie Be den entzogenen Gehalt 
ficherte und ihm den Ruͤckſtand auszuzahlen gebot, fand ihn ſchon im Sterben. Er 
verfchied den Tag darauf im beinahe vollendeten 86. Jahre, Seine Witwe erhielt 
den rüdftändigen Gehalt und eine Peuſion. G.'s Verdienfle um das ital. Theater 


J 


Goldſchlaͤge 959 


ſind nicht zu verfennen. Viele ſ. zahlreichen Städe erhalten ſich noch auf den Buͤh⸗ 
nen f. Baterlantes, und in Überfeßungen auch auf denen des Auslandes, wie z. B. 
„Der Diener zweier Herren”, „Der Schwätzer“, „Der Lügner” u,a. Unter den 
vielen Ausgaben feine Werke ift die zu Lucca 1809, in 26 Bdn, die vollftändigfte. 
Überſetzungen und Bearbeitungen einzelner Stuͤcke von ihm gibt es im Franzöfifchen, 
Deufchen und Englifchen., Neuere Luftfpieldichter fchöpfen noch oft ihre Stoffe 
aus der reichen Fundgrube f. Laune und f. Weltbeobachtung, welche leßtere ihn be: 
fonders in den Stand ſetzte, fich in den verfchiedenartigften Genres, und meift mit 
Glauck, zu verfuchen® Doch fagte feinem Talente das Charakter und Intriguenſtuͤck 
am mebrften zu, und man muß hier ſowol die Reichhaltigkeit f. Erfindungsgabe in 


- Betreff der Anlage, "die immer, troß f. vielen Schreibens, neu war, als die große 


Naturgemaßheit und Treue der Zeichnung ſ. Charaktere in jeder Situation bewun⸗ 
dern. Die von ihm verfaßten Memoiren zur Sefchichte f. Lebens und bes Theaters 
f. Zeit find ing Englifche und ins Deutſche überf,, auch in der zu Paris herausgef. 
„Colleetion des m&moires sar !’art dramatique”, etwas verkürzt, aufgenommen 
soorden. ©. fchrieb fie in franz. Sprache, in der er auch ein Paar Luſtſpiele Dichtete, 
roovon dag Eine („Le bourru bienfaisant”) 4771 in Sontainebleau und Paris mit 
großem Beifall gegeben ward und fich auf dem Repertoire erhalten bat. Zu G.'s 
beftigften Gegnern in SJtalien gebörte Gozzi (vgl. d.), der, reich mit Wißbegabt, _ 
nicht allein den Verdränger der Masken auf der Scene mit Epigrammen und Im⸗ 
promptus überfchüttete, fondern auch in ſ. Eifer für die Commedia dell’ arte bie 
ganze Afademie der Sranellefchi in Venedig gegen ihn auftwiegelte: ein Verfahren, 
welches,®. edelmüthig in ſ. Memoiren mit Stillfehweigen übergeht, S. L. Carrer: 
„Saggi su la vita esu le opere di C. Goldoni“ (Venedig 1824 fg., 3 Bde.); 
Dom. Calvi „Della vita di C.Goldoni e delle sue commedie” oil, 1826); 
und Ferd. Meneghezzi: ‚Della vita e dello opere di C. Goldoni, Memoire 
istoriche apologetiche e critiche” (Mail, 1827), Doch bleiben immer G.'s 
eigne Memoiren die anziehendite Schilderung feines Lebens, 
Soldfchläger, ein Künftler, der das Gold in mögfichft dünne Blättchen, 
gm Behuf des Vergoldens u. f. m., verwandelt, Das Gold muß rein fein; daher 
edient man fich gemeiniglich des Dufatengoldes, welches mit Borax in einem Tie: 
gel geſchmolzen und dann in den Zahneinguß oder ein flarfes vierediges Eifen ein: 
gegoffen wird. Die num entflandenen Goldzaͤhne oder vierfantigen Prismen wer: _ 
den auf die Ziehmafchine oder das Ziehwerk gebracht, durch flarfe eiferne Walzen 
durchgepreßt und dergeftalt in immer dünnere Blätter verwandelt, Es muß aber 
das Gold jedes Dial vorher geglüht werden, Die Blätter oder die Bänder, die auf 
folche Weiſe entftanden find, werden auf dem Amboß noch ebener gefchlagen und 
dann mit der Schere in Eleinere ‘Platten gefchnitten, die gewöhnlich einen Zoll ins / 
Gevierte Halten und 65 Gran wiegen. “Damit dieſe noch weiter ausgedehnt wer: 
den, fo .legt man fie in die Quetſchform, welche ein Buch ift von 3 Quadratzoll und 
150 Blättern alten Pergaments. In dieſes Buch eingelegt bringt man die Gold⸗ 
platten auf einen marmornen Amboß, worauf fie mit dem Werfhammer fo lange 
gefchlagen werden, bis fie 2 uadratzoll ausgedehnt worden. Dann find die Blaͤt⸗ 
ter ungefähr fü di wie Papier; fie werden nun in. einer eifernen Schachtel pide 
geglüht und in eine zweite größere Auetfhform gebracht, wo fie bis auf 44 Zoll 
ausgedehnt werden. Jetzt jerfchneidet man die Soldblätter in 2 gleiche Theile, fü, 
daß aus 150 Blättern 300 entſtehen. Sie müffen nun alle genau abgeivogen wer: 
den, ehe fie in die dritte oder Dünnquetfche fommen, wo fie von neuem auf 3 Zoll 
ausgedehnt werden. Dann theilt der Goldſchlaͤger jedes Blatt Ereuzmeife und erhält 
hierdurch von jedem 4 kleine Blätter, deren jedes Ak Quadratzoll groß iſt. Über: 
haupt bat er nun 1200 Goldblaͤttchen erhalten. Diefe bringt er in die Hautform. 
Dies find Bücher, die aus Rindsdaͤrmen beflehen. . Man zieht naͤmlich Die Außere 


\ 





160 | Goldſmith 
Hau der Gedaͤrme abend Ip ie, während fie noch feucht find, mit ihren weichen 


Seiten auf einander, die nun zufammıenfleben. Dann werden fie in einer Form 
geſtreckt, das Fett und die Unreinlichfeiten abgefchabt, zwifchen weichem ‘Papier ge: 
ſchlagen, tamit alles Fett fih in das Papier ziehe, mit Anfgüffen von flarfen Ge 
mürzen durchnäßt, ‚endlich getrocknet und gepreßt. Bor dem Gebrauche werden fie 
mit Öiepspulver abgerieben, Damit das Gold fich nicht an die Haute haͤnge. Zwiſchen 
diefen Haͤuten fhlägt mar dann die Solvblätter fo lange, bis fie die nöthige Dünne 
haben. Eie werden hierauf mit der Werkzange in 4 Theile zerriſſen und von Neuem 
fo lange gefchlagen, bis fie, gegen das Licht gehalten, grün durchſchimmern. End⸗ 
lich werden diefe Blättchen durch tie Spannzang? befefligt und mit der Werkzange 
ein Blatt nach dem andern abgezogen und auf ein Kiffen gelegt, worauf fie dann 
‚ mirdem Karren oder 2 fcharfen flühlernen Klingen, die durch Schrauben zu ſam⸗ 
mengehalten find, zerfchnitten und zum Verkauf zwifchen Blätter rothes Papier 
öelegt werden. Aus dem feinften Golde gemacht und etwas über 24 Zoll im Qua⸗ 
drat, beträgt die Dicke eines ſolchen Biättchens den 24,000. Theil einer Arie, und 
28 wiegt den 21,000. Theil eines Lothes. 
oldfmirh (Dliver), war 1728 zu Pallas in der irland. Grafſchaft Long⸗ 
ford geboren. Sein Vater, ein armer Landgeiftlicher von der bifchöfl. Kirche, be 
flimmte ihn für die Handlung; aber fchon in f. 7. Jahre zeigte fich f. vorberrfchende 
Neigung zur Poefie. Dadurch zog er Die Aufmerkſamkeit ſ. Oheims auf fich, der ihn 
dem Unterrichte des Schulbalters zu Elphim übergab. . Hier entfchied ein wißiger 
Einfall f. Gluͤck. Er tanzte einft, und ward von dem dazu auffpielenden jungen 
Menfchen wegen f. Haͤßlichkeit mit Afop verglichen; Alles lachte über den Einfall, 
als ploglich Dliver innehielt und mit 2 aus dem Stegreif gemachten Verſen: 
O hoͤret an, was dort mein Herold fingt! 
Der Affe fplelet, und Aeſopus fpringt!. 
den Spott auf den Urheber zurüdwarf. Einige anmefende Verwandte, angeſehene 
Geiftliche, befchloffen, ihn auf gemeinfchaftl. Koflen auf die Univerfttät zu ſchicken. 
Nachdem er die Schulen za Achlone und Edgeworthtown befucht hatte, ginger 1744 
nach Dublin, wo ihn die Strenge f. Lehrers bewog, in der Fremde f. Gluͤck zu ver⸗ 
fuchen. Er ging mit Einem Scilling in der Tafche zum Thore hinaus, allein der 
Hunger ließ ihn bald f. Vorſatz aufgeben ; f. Altefter Bruder ſohnte ihn mit dem Leh⸗ 
rer aus. 1749 ward er Bächelor. Seine Verwandten bemühten fich vergebens, 
ihm in der bifchöfl. Kirche eine Anſtellung zu verfchaffen; f. Jugendſtreiche hatten 
ihn in ein nachtheiliges Licht geftellt; auch hegte er felbft ganz entgegengefeßte Nei⸗ 
gungen. Nachdem er 1 Jahr lang Hofmeifter geweſen, wollte er nach Amerika 
geben, aber auch diefer Plan fcheiterte, und nach 6 Wochen kehrte er, von Allen ents 
blögt, zu ſ. Mutter zurüd, Nun ward er, fe Wunfche gemäß, 1752 nach Edin⸗ 
burg geſchickt, um Medicin zu fludiren. An regelmäßigen Fleiß fonnte er fich auch 
Hier nicht gewöhnen; er litt oft an Kränflichfeie, öfter an Seldmangel, Hierauf 
ging er nach Leyden und ſtudirte dafelbft 1 Joh lang, befonders Chemie. Allein 
er gerieth in Sefellfchaften, wo er fich dem Spiel ergab, Als er. einft eine große ges 
wonnene Summe verloren hatte, entichloß er fih, Holland zu verlaffen. Ein Freund 
ſchoß ihm das nöthige Geld vor, das ©. thörichtermeife anwandte, f. Onfel Bin 
menzwiebeln zu faufen. Nichtsdeſtoweniger machte er ſich auf, Europa zu Fuß zu 
durchwandern. Man fagt, daß er theils in den Klöftern Durch f. Fertigkeit im Dis: 
putiren, theils Durch f. Slötenfpiel in den Dörfern fich Unterhalt zu verfehaffen ges 
wußt habe, So durchpilgerte er Flandern, einen Theil von Frankreich und Deutſch⸗ 
kınd, und betrat die Schweiz, wo die Schönheiten der Natur die Blüthe f. dichteri⸗ 
ſchen Anlagen auffchloffen und ereinen Theil f. „Wanbderers‘ fchrieb, Zu Genf ınard 
‚er der Fuͤhrer eines jungen Engländers, der mit einem großen Bermögen flch auf Rei 
fen bilden wollte. Aber des ſchmutzigen Geizes f. Zoglings baldımüde, verließ er ihn 
1 


% * 


Golgatha Solfonda: 7 


und ging nach Padua, wuier 6 Monate blieb und D. der Arzneilunde ward. © 
Tod f Onkels rief ihn in f Vaterland zurüd, Er landete zu.Dover 1751, ı 
ſah fich bald in der drüdtendften Dürftigkeit. Unter erdichtetein Namen gelanc 
ibm, bei einer Eleinen Schule angeftellt zu werden. Dieſer elenden Lage bald uüͤ 
drüffig, werfuchte er als —— fortzufoinmen. Endlich nahm ihn 
Chemiker in fein Laboratorium auf und fand an ihm einen überaus nütklichen ' 
huͤlfen. Er ernährte fich jegt tbeils als Arzt, theils als Schrififteller, und lebte ki 
lich, aber unabhängig und fröhlich, als ihm ein Freund den Vorſchlag machte, 
Aufficht über eine Schule, der ſ. Bater vorstand, während deffen Krankheit zu ü 
nehmen, wogegen derfelbe-fich verbindlich machte, ihn einigen indifchen Direct 
8 empfehlen und ihm eine Stelle als Arzt bei der oſtind. Compagnie zu verſchaf 
‚nahm den Antrag ar: und erhielt 1758 eine Beftallung als Arzt bei einer oft 
Factorei. Aber diefes glänzende Glück hatte ſich ihm kaum dargeboten, alser es 
Abfcheu vor einem geregelten Amtsleben aufgab, Damals lernte er Griffith, 
rausg. des „Monthiy review”, kennen, und ward von demfelben eingela 
itarbeiter zu werden, wofür er Wohnung, Tifch und einen guten Gehalt ha 
ſollte. Syn diefer Verbindung lebte G. 8. Monate, worauf er ſich von Griffith tre 
und f. „Eaquiry of the present state of taste and Jiterature in Europe”, 3’ 
berauagab. Er beroohnte damals In der Außerfien Dürffigkeit ein armfeliges S 
chen im dritten Stockwerke, bezog aber bald eine anftändigere Wohnung und ſch 
f. Vicar of Waketield”, Während derfelben Zeit fehrieb er, um ſ. täglichen 
dürfniffe zu beftreiten, die „Letires.on english history” und den „Citizen ol 
world”, der anfangs in einer Reihe von Briefen.in dem Charakter eines chinefif 
Philoſophen in dem „Lodger“'erfiäten. Schon früher hatte er ein „Lady’sm: 
zine” und ein Wochenblatt „The bee’’ gefehrieben. - Die beften jener zerſtre 
Städe find 1765 u. d. T. „Essays* zufammen erfchienen. Der Beifall, w 
f.dichterifchen Werke aufgenommen wurden, reizteihn an, auch für das Theat 
arbeiten, er fchrieb ‚The good-natured man“, und machte mit diefem und 
dern Stücken bedeutendes Gluͤck. 1769 erfihien f. Gedicht „The deserted 
Jage‘‘, In diefelbe Zeit fälle f. „History of England“ und f. „Roman hist: 
(deusfh,2.%., Würzburg 1820), Auf Verwendung f. Freunde ward er zum‘) 
der alten: Sefchichte bei der engl. Malerakademie ernannt. 1770 machte er 
Heife nach Paris, ſchrieb darauf f. „History oftheearth and animated natı 
(471714), nachſtdem ſ. ſcherzhaften Gedichte .„. The haunch’ of venison“ und ..F 
Jiation“, und war mit dem Plane zu einem allgem. Wörterbuche der Kuͤnſte 
Wiffenfthaften befchäftigt, als er 1774 am Nervenfieber flarb. ©. befaß beivi 
Verſtand eine ebenfo lebhaft auffaſſende als fehöpferifche Phantafte; ein reger 
te8. Gefühl; daher bei roiffenfchaftlichen Segenftinden mebr eine belle Anfich 
eine tiefe Einficht, mehr ein Auffaffen der intereffanteften Seiten als aller zur € 
= gehörigen, aber ein helles, Teishtes, fehönes Darftellen des heil, leicht und fehon 
geſchauten und Aufgefaßten; — in der Dichtfunft Lebendigfeit, Wahrheit, Se: 
und Laune; — im Weltleben einen edeln, auf geiftige Vorzüge begründeten Eh 
nüchfidem die liebenswürdigften Züge eines thätigen Wohlwollens und einer herzl 
Sehnfucht nach Baterland und Freundfchaft, dabei war aber ein trauriger Mi 
an praftifchen Srundfägen fichtbar, daher kein fefles, beflimmtes Handeln, 
Meltflugheit, daher fo manche Berlggenheit, fo manche Vergebung, und e 
früher Tod. Seine Freunde errichtetfn ihm ein Denkmal in der Weftminfter: 
in dem fogen. Pocts Corner, mit einer von Johnſon verfaßten: Inſchrift. 
BGolgatha, ſ. Calvarienberg. 
Golkonda, auf der Halbinſel diesſeits des Ganges, zwiſfchen den FI 
Burda und Kiſtna, britiſcher Vafallenſtaat des Nizam (Könige) von Dekan( 
DM, 10 Mil, Einw.), in deſſen Provinz Hyder abad, mit der Haupiſt 


163 Golownin Gonfaloniere 
ecfibenz d. I. (200,000 €.), auch das Fort Gelkonba Legt. Es iſt berühmt derch 
ne Di 


Golownin (W. M.), kaiſerl ruff. Sommsdore, befannt dard) f Ger 
fangenfchaft in und durch 7. Nachrichten über “Japen, war als £. ruf. Seeap: 
tain, mit der Kriegefloop Diane 1811 aus dem Hafen von Kamtſchatka gefegelt, 
um die Lage der füplichen kuriliſchen Infeln, weiche die Japaner beherrfchen, zu 
beſtimmen. In der Mitte des Jımi kam er an die nordweſtl. Küfle von Ernterge, 
nahm hier einen ruffifhen Kurilen als Dolmetfcher mit, md landete den 5. Ju 
auf der Inſel Kunafchier, der 20. in der £urilifchen Kette. Hier wurde er fein dſelig 
‚ empfangen, dann aber, durch ein freundfchaftliches Betragen ſicher geftellt , 
ſ. 7 Begleitern (2 Officieren, 4 Matrofen und dem Dolmetfcher) verhaftet und 
nad) der t Matsınai geführt, jedoch gut behandeit. Dies geſchah, weil 
Hr. v. Reſanoff 2 ruff. Schiffscapitainen, die zur ruff.-amerifan, Compagnie ges 
börten, den Auftrag gegeben hatte, die japanifchen Küſten zu verheeren, zu plün= 

ern, die Tempel zu berauben und die Dörfer anzuzünden, um ſich für den einge: 

ildeten Schimpf zu rächen, den. er durch die Kälte, mit welcher ihn die japanifche 
Regierung als ruff. Siefandten abgemiefen hatte, erlitten zu haben glaubte. Deſſen⸗ 
ungeachtet erhielten &. und f. Mitgefangenen vom Bolfe Beweiſe der gutmütbig- 
fin Theilnahme; die Regierung aber hörte nicht auf, fie mit argwöhnifchen Ver⸗ 
bören zu quälen. Doch geflattete man ihnen zuletzt die Freiheit auspigehen. “Die 
Japaner waren höflich und wißbegierig ; ſelbſt ein Mitglied der dortigen Akademie 
der Wiffenfchaften ließ fich von den ruff. Officieren in der europ. Mathematik und 
Phyſik unterrichten. Ein geranifter Phiiolog bemühte ſich, ein japanifch=ruff. 
Wörterbuch ebyufaffen. ndlich bewirkten die von drei japanifchen Gouver⸗ 
neurs für ‚die Gefangenen erflatteten günftigen Berichte nach zwei Jahren deren 
Freilaſſung. Auch Cap. Rikord, der unterdeffen die Diane commandirt und ſich 
eines vornehmen Japaneſen bemächtigt hatte, den er zurückbrachte und in Freiheit 
feßte, trug dazu bei. Die Sefangenen erhielten jet alles SEigenthum wieder, und 
man entließ fie (Nov. 1813) beſchenkt an Bord der Diane, die im Hafen von Awat⸗ 
ſcha ankerte. Mehre Fapanefen erließen an fie Stüdswünfchungsfihreiben, und der 
Oberpriefter ordnete fünftägige öffentliche Gebete um eine glüdliche Reife an. “Die 
„„Narrative of my captivity in Japan, daring the years 1811 — 1813‘; und 
im Anbarige „An account of voyages 1» Japan to procure the release of the 
author and his companions““, von Cap. Rikord (London 1817, 2 Bde; aus d. 
Ruſſ. von Schulz, 2 Thle. Leipz. 1817) beweifen, dab ©. ein guter Beodachter 
if; indeffen Eonnten f. flatiftifchen Nachrichten über “japan weder fo vollfiändig 
noch fo genau fein, als des (1812 zu Paris verſt.) Titſingh Werf über Japan, 
durch welches Kämpfer und Thunberg ergänzt werden. (En erfchten franz. und ins 
Engl. überf..von Schobert m. Kpf. u. d. T: ,„‚Ilustrations of Japan“‘, London 
4822.) — Noch hat G. eine Geſchichte der Schiffbrüche in ruff. Sprache heraus: 
gegeben. Jetzt ift diefer Seefahrer Mitglied des Reichsadmiralitätscollegiums; 
auch arbeitet er mit an der neuen Deecharte, welche das Eismeer, die Beringsſtraße 
mit der Küfte von Nordoftafien und Nordweſtamerika darſtellt. Ihm zu Ehren 
haben ruffifche Seefahrer einen von ihm an der Nordweſtküſte von Amerifa ent: 
dedten Sund Golowninsſund genannt. \ 


—X 


Gomarus, Gomariſten, ſ. Reformirte Kirche. 

— an aloniere, das Oberhaupt Ver eheınaligen Republik Lucca; auf 
deutſch fo viel als Bannerherr. Er ward aus dem Adel gewählt und verwaltete 
fein Amt nicht länger als 2 Monate, ohne andere Vortheile Davon zu haben als 
die Ehre und freie Tafel, Erft nach & Jahren konnte diefelbe Perſon wieder ge: 
waͤhlt werden. — Sonfaloniere bes päpftliden Stuhls war ein Ti 
tel der Nerzoge yon Parma. . 


Gonfaloo: ., _ Gonzaga Samili) °  I6% 


Sonfaluo (KHernandezy Agnilgr) von Cordova, min dem. Beinamen der 
große. Feldherr Kel gran Capitan), geb. zu Montillg bei Cordova 4443, focht ale. 
45jähr. Juͤngling unter f. Vater Don Diego gegen die Mauren von Öranadaz; 
König Heinrich IV. von Eaflilien vertraute ihm yım.Lohne für f. Tapferkeit eine 
Sompagnie Bewaffneter, mit welcher er bis vor bie Thore Malagas Schredcen yers- 
breitete und 1460 den Sieg bei Las Yeguas entfchied, Auf dem Schlachtfelde 
ward er von dem Könige ſelbſt mit dem Ritterſchwert umgürtet. Bon 1458— 677: 
diente er mit Auszeichnung gegen die Mauren, bei der Einnahme von Gibraltar: 
und im Kriege von Catalonien. Als nad) Heinrichs, Tode Ferdinand und Iſabelle 
4474 den Thron befliegen hatten, der König von Portugal ihnen aber denfelben 
ftreitig machte, half ©. den Sieg bei Toro 44718 erkampfen. In dem blutigen: 
Kriege mit Sranada nahm er mit Sturm mehre Pläße, und befiegte die kühnſten 
Mauren, die fih ihm zum Zweikampfe darftellten, Als endfich Granade fich auf. 
Bedingungen, die er abgefchloffen hatte, ergab, trug er beim Einzuge der Sieger die. 
Sahne Caſtiliens. Darauf fandte ihn Ferdinand mit 5600 M. f. Better Friedrich, 
‚König von Neapel, gegen die Sranzofen zu Hülfe. Nachdem er jenen Thror gefichert 
hatte, kehrte er nach Spanien zurück, no er gegen die Mauren in den Apuxarras 
focht, als Ludwig XII. von Frankreich den Krieg um Neapel aufs Neue bezann. ©. 
ing 1600 abermals mit einem Corps von 4300 M. dahin ab, anfcheinend zum 
eiftand der Venetianer gegen die Türken. .Auch-befreite er Zante und Gefatonien 

von den Ungläubigen und gab fie den Benetianern zurück. Dann .aber ndete em: 
auf Sicilien und erklärte dem Könige von Neapel, daß er gefommen ſei, denjenigen 
Theil des Königreichs zu befeßen, der vermöge des mit Ludwig XII. geſhloſſenen 
Vertrags an Spanien Eommen fülle König Friedrich, der fich fo plößiich von 2. 
Feinden bedrängt ſah, fand endlihd Schutz in Fyankreih. Die Franzıfen unter 
dem Herzöge v. Nemours zogen in Neapel ein, während G. Calabrien bifeßte, und 
nach dem DBertrage auch Bafılicata m apitanate verlangte, “Die Sranzofen,. 
welche diefe Randfshaften zu ihrem Antheil (Abruzzo) rechneten, meigertes firb, und 
fo kam es zum Kriege zwiſchen den Srangefen u Spaniern, der mit abwichſelndem 
Gluͤck geführt wurde, bis G. durch den Sieg bei Semiana ‘1502 beide Salahrien 
gewann. Einen noch grögern:&ieg erfocht er 1603 bei Terignola, in diſſen Folge 
fich Abruzzo und Apulien unterwarfen, und ©. in die Hauptſtadt Necyel ˖ einzog. 
Hierauf rückte er vor Gaeta. Da diefe Belagerung langwierig/war, übergab: er 
den Befehl.an Don Piedro Naparro und ang ef dem Feinde entgegen, Erfchlug- 
den Marquis v. Mantua und erfocht am Sarigliano mit 8000 M. über 30,000: 
Sranzofen einen vollkommenen Sieg..der den Gall von Gaeta zur Folge hatte. Jetzt 
war der Beſitz Neapels gefichert. Ferdinand verlich dem Steger das Herzogrhum 
Seſa und ernannte ihn zum Bicefünige mit unbeſchraͤnkter Gewalt. Beine Leut⸗ 
feligfeit, Gerechtigkeit und ebelmüthige Sefinnung erwarben ihm bald die Liebe des 
Volks. Aber durch fein Glück hatte er fich auch mächtige Feinde zugezegen, die es 
bei Ferdinand dahin brachten, daß er anfangs in f. Macht befchränft, zuleßt aber. 
von ſ. Poften abgerufen wurde. Ferdinand fam felbft nach Dieapel ud. nahm Ihn 
mit fich nach Spanien zurüd!, 100 er ihn zum Großmeiſter des Ordens tes heil. Ja⸗ 
kob machte, G., mißvergnügt, f. Einfluß verloren zu haben, verband fig mit dem 
Connetable von Caſtilien gegen den König, der jedoch dem Ausbruch eines Aufftans- 
des durch kluge Maßregeln zuvorkam. G. begab fih auf f. Guͤter u Granada. 
Der Zwiſt mit dem Könige, der die grbte Schonung gegen deu altenHelden zeigte,. 
dauerte eine Zeit lang fort. Endlich verſohnten fich Beide, und G nme im Begriff, 
wieder an die Spiße des Heeres zu treten, als er 1515 zu Granada jtarb, 

Gonzag a. Bei dem Verfall der Eaiferl, Macht in Italien im 11. Jahrh. 

bemichtigten fih in Mantua die erften Samilien der Regierung, unter denen das 
Haus Bonacoſſi feit 40 Jahren das mächtigfte war, bis ſich das Haus G. erhob. 


1 BE Gorzaha Üamilke)‘ Br 


Den Schwanken f. Vaterlandes zwiſchen mehren mächtigen Familien machte (14. 
Aug.'1328) Lodovico G. ein Ende, nachdem fich f. Söhne, befonders ter kuͤhne 
pino, durch Privatrache gereizt, Mantuas mit 800 Fußgängern und 500 Rre 
tern beniächtigt, das Oberhaupt der Stadt, Pafferino ve Bonacaffl, im Kampf ge: 
tbdtet und deffen Anhänger vertrieben hatten. Kaiſer Ludwig der Baier ernannte 
den nunmehrigen Capitano von Mantua, Ludwig 1. von Gonzaga, zum Faiferl. 
Vicar. Er ftarb 1360 im 98. J. Unter beffen Nachkommen erhielt Joh. Frag 
G. 1482 die Stade mit ihrem Gebiete u. d. T. eines Marquiſats (Markgraffchaft) 
‚vom Kafer Sigismund gu Lehn. Darauf theilte fich das Haus Sonzaga dung 
die 3 Ebhne Kudioigd I: "Friedrich, Joh. Sranz,und Rudolf, in3 L 
nien. Don Friedrich ſtammten die Markgrafen von Mantua ab, die 1530 un- 
- ter Sriediich 11. und Karl V, zu Herzogen erhoben wurden, und 1726 ausftarben; 
von Joh. Franz und Rudolf ſtammten die Herzöge von Sabioneta und von Caflig: 
Ikone, deren Fürftenthitmer der Kaiſer 1692 einzog. Eine neue Linie Des Haufes 
Gonzaga bildete ſich, als Friedrich, Bruder Friedrichs I1.,. Guaſtalla zu feinem An: 
theil befan; dieſe Linie erlofch 1746. “Die merfmwürdigften Glieder diefer Familie, 
die Deutſhland 2’ Raiferinnen und Polen eine Königin gab, und von der noch 1820 
2 Abkomnlinge aus einer Seitenlinie (Vescovati) zu Mantua im Privarftande 
lebten, fird: nungen Sohn, Filippino, ein ausgezeichneter Held, der 1358 
ohne Erben ftarb. Sein 2, Bruter Guido oder Guy wurde 1860 der zweite Ca— 
pitans von Mantua, der jimgfle Bruder, Petrino oder$eldrino, war der Stamme 
water der Brafen von Novellara, welche Zinie mit Camillo G. 1728 erloſch. Gurte 
hatte 2 Bühne, Ugolino und Ludwig. Bon letzterm flammt Franz ©., ber 
dritte Capitano von Mantua, ein waderer Kriegsheld. Gleich berühmt durch 
Kriegsthaten wurde ſ. Sohn Joh. Franz, der f. Vater 1407 als Capitano Folge. 
Er machtefich um Kaifer Sigismund fehr verdient, weßhalb ihn diefer : 
grafen wor Mantua ernannte, in welcher Würde ihm f. ältefter Sohn Lud⸗ 
wierg IH., genannt der Türke (geb. 1414, ft. 1478), folgte, welcher den Vater 
noch an Kriegsruhm übertraf, fodann f. Enkel Friedrich I. (ft. 1484) ımd deſſen 
Sohn Frau 1. (fl. 1519). Friedrich H., Sohn von Franz li., wurde von 
Karl V. an 26. März 1530 um Herzog von Mantua erhoben und mit der Mark⸗ 
grafſchaft Montferrat belehnt. Die Würde erbte auf f. Nachkommen fort. ha 
digte 1549 ſ. Sohn Franz III.; diefem, der 1550 ohne Nachkommen flarb, f. 
ruder Wihelm (geb. 1536, fl. 1587), deffen Sohn und Nachfolger, Vincent I, 
in den ungerifchen Kriegen gegen die Türfen fich fehr auszeichnete. Er hinterließ 
4612 3. Schne, Franz IV, (ft. 1612), Ferdinand IV., den Sardinal (fl. 1626), 
und Vincem If. (ft. 1627), die einander fchnell in der Regierung folgten, und 
fammtlich oyne männliche Nachkommen farben. Mit Ihnen erlofch die regierende 
Linie, ‚Der nächfie Erbe wäre der Herzog v. Nevers; Karli., von ©. geweſen; 
aber im Hinterhalt fland auch der Herzog von Guaſtalla, Ferdinand I1., miein: 
rächen auf die ganze Erbfchaft, und der Herzog Kart Emanuel von Savoyen mit 
fprüchen uf Montferrat. Die Rechte des Hauſes von Nevers waren ziemlich 
Bar, denn der Herzog Ludwig v. Nevers, Vater von Karl I., war ein Großvaters 
Bruder von Herzog —* II, und hatte, als er nach Frankreich ging, auf die Erbs 
folge nicht Verzicht gethan. Frankreich, Denedig und der Papft unterflüßten ihn. 
denn alle drei wunſchten, endlich-ein Ende der fpanifch:öftr. ÜÜbermacht zu ſehen, und 
diefer Fall Fonnte entfcheiden. Spanien und öſtreich unterftüßten hingegen den 
loſen Anpruch des Herzogs von Savoyen, woraus fich der mantuanifche Erb: 
ofgefrieg entffann, der endlich nach Nichelieu’s Wunſche beendigt wurde, denn ber 
Kaiſer mußte den Herzog Karl v. Nevers mit Mantua und, Montferrat 
nen; 1631 gelangte er zum ruhigen Befige, und ihm folgte 1687 f. Enkel Karl iii, 
(Kart IL war 1634 bereits bei Lebzeiten ? Baters geftorben), während deffen Res 


w 


\ 


‚Sompi n aaa ans | 


Fuͤrſtenthum fi, välkige 4665), Allein . 
une und ee Peg Karl Va te J a eg ifon ein umd trot 
im fpanifchen Erhfolgekrieg auf’ F — cite Pr — Kaiſer Jo⸗ 
ſbye AHA in die Reichsacht, in welrher er 1 Mr ni Hſtreich blieb 
nl und Montferrat unbe an, * überlaffen. Viele aus 

—* n Dynaſtie haben, ſich ale Helden N ande durch Sie 


für Künfte, W iſſenſchaften und ltertbümer. aus ſchickte Pietrs Er 
mit Briefen und old Iberhäuft,a Detrarca nach Grant, un ihn zu — 
* ihm zu kommen. in andrer Lud &, der u farb, mag 

efare errichtete A585 die Mate d gi — und mehre legten Galerien 
von Gemälden und Antiken —F —— omano, erdffn et? unter ihnen eine au 
Ei ebreitete Malerfehule, und viele mc Künltler fanden Unterftügung und Ehre. 

uch Frauen gus diefer Familie —* qh in gleicher igſi cht ausgezeichnet. Bar ba 
G. beredete ihren Gemahl, Herzog Eberhard non Würtemberg, zur Stiftung der 
Uniderfität Tübingen. Iſabelle Vemahlin des Herzogs von Urbino, nan 


Sanſopino die Mutter i —* — enz von Lucre „der unglücklich 
Gemahlin von, P ol, He bat ‚man. m guten F K efe BO | die- R 
doch Haym dem Hortenfio Landi aulhreibt), Unter —— Se EA OH Ei 
anf die Staatsbegebenheiten einen ‚Amen gemarpt, ihm aus ouife 


vie, T. Herzogs Karl, vermählt an die Könige yon —* Wſadislaus und Sei 
mir, fü 1667. ve Schweſter Anna, Gemahlin; —E — 
Eduard, ſpielte eine Zeit lang am franz. Hofe eine bedeutende. Bear 
Paris 1684, 68 J. alt, und aus ihrem ‚Nachla efhienen, die anziebe en "Mk 
‚moires d’ Aune de Gonzuguea‘ (London und Waris.1786 
Sorani. (Yofepb, Graf v.), ein politiſcher Sichhi ſleller, geb. 1740 zu 
Mailand, aus einer alten ginilie, von ber die Straße „in welcher fie wohnte, den 
Namen führte, Diefer'y: enfche gahis gebildee Mann gehoͤrte zu einem literariſchen 
— das Taffechaus genanut. ber mit —8 — d Alembert und dep . 
Baron’ a in ich fand, Er gab u. d. %. „La, le“ , ein Dei 
ſchrift über Segenflände der bürgerlichen Verwoltung herans, Der Elubb vers 
ſammelte ſich gerwöhnlich bei dem Grafen Verri. dem Der ber "Römifchen Naͤchte 
Mitglieder deſſelben waren Lambertenghi der Adbe Paz Friſi und.der Graf Hee⸗ 
caria bare) „berübintes Werke, bat —8 Strafen” entwarf. If 
Barsttibe itt jene Zeitſchrift in einer. -Periödi rift: „Erusia. lelteray ins‘ 
(die Ge i6el). Der. Clupb veriheidigte fi — "ion che, der franz. Reyplution; 
G. am — In den Werken an sin Alterg ü br Dino — 
ſchaft und oͤffeniliche Erjiehung — ——ã Geiſt. Dieſer A ng 
au ſJ. geßeimen Memoiren über, an Emo teis et oritiques sur) 
tours N ftalie‘‘, 3 Bde., Paris 18) FL —— ‚ eine Xbhanp- 
lung über den Srspatiemms, und £ Unserfischung. über vi. fienfchaft der Regie: 
rung. Seine Srundfüge über Frei 4 und Gleichheit, über die; Seq des Vo 
und über die Aufhebung der Seburtsunterfsheidungen, veranlaßten, ab er. aus der 
Lifte des mailand. Adels geftrichen umd f.Dermögen.eingejogen swurte, Fi; 
m die Nätionalverfammilung den Titel eines franz, ürgers eriheitte, (9 ii 
s 42 nach Frankreich, ‚von bier 1794 nach Senf, yooer um 1822 2.geftorbe N 
Bordifcher Knoten, ſ. Alexander und Bordius . 
G'o d.{iu 8, ein Landmann, ‚wurde quf den Thron von Phrygien erhoben. 
- nämlich eine Emporung gusgebr oe en war, und Die Bewehner das Orakel we⸗ 
den. eines neuen Königs bef eng ftimmte daſſelbe Denjenigen, der, auf dem 
ũckweg ihnen auf einem Wagen Örgegnen würde, I ben Tempel bes "Jupiter 
zu befuchen. Dies war ©, welcher aus antbarkeit-f. IB en dem Jupiter weibte 
und an dei Deichfel deffelben sinen. fo Fünftlichen Knoien ren daß das Örafel 


R8 


764 . Gonzaha famille) c 


Dem Schwanken ſ. Vaterlandes zwiſchen mehren mächtigen Samiliert machte (14. 
Aug. 1328) Lodovico &. ein Ende, nachdem fich f. Söhne, befonders der Fühne 
—2* derch Privatrache gereizt, Mantuas mit 800 Fußgaͤngern und 500 Rei⸗ 
teten bemaͤchtigt, das Oberhaupt der Stadt, Paſſerino te Bonacoſſi, im Kampf ge: 
ehdtet und deſſen Anhänger vertrieben hatten. Kaiſer Ludwig der Baier ernannte 
Ben nunmehrigen Tapitano von Mantua, Ludwig I. von Gonzaga, zum Faiferl. 
Bicar. Er flarb 1360 im 983. %. Unter deſſen Nachfommen erhielt Joh. Franz 
G. 1482 die Stadt mit ihrem Gebiete u. d. T. einrs Marquifats (Markgrafſchaft) 
vom Kafer Sigismund gu Lehn. Darauf theilte fih das Haus Gonzaga Durch 
bie 3 Sohne Ludwigs MM: Ertedrich, Joh. Franz und Rudolf, in 3 Liz 
nien. Don Friedrich ſtammten die Marfgrafen von Mantua ab, die 1530 un- 
ter Friedrich 11. und Karl V. zu Herzogen erhoben wurden, und 1726 ausftarben; 
von "Joh. Franz und Rudolf ftammten die Herzoge von Sabioneta und von Caſtig 
Ikone, deren Fuͤrſtenthümer der Kaifer 1692 einzog. Eine neue Linie des Haufes 
Gonzaga bildete fich, als Friedrich, Bruder Friedrichs 11., Guaſtalla zu feinem An 
theil befan; dieſe Linie erlofch 1746. “Die merfmürbigften Glieder diefer Familie, 
die Deutſhland 2 Raiferinnen und Polen eine Königin gab, und von der noch 1820 
2 Abkommlinge aus einer Seitenlinie (Vescovati) zu Mantua im Privatſtande 
lebten, fird: Ludwigs J. Sohn, Filippino, ein ausgezeichneter Held, der 1358 
ohne Erben farb. in 2. Bruder Guido oder Guy wurde 1860 der zweite Ca⸗ 
pitano von Mantua, der jimgfte Bruder, Petrino oder Feldrino, war der Stamm: 
vater der Örafen von Novellara, welche Linie mit Camillo G. 1728 erlofh. Guido 
hatte 2 Söhne, Ugolino und Ludwig. Bon lebterm flammt Franz ©., der 
dritte Sapitano von Mantua, ein wackerer Kriegsbeld. Gleich berühmt durch 
Kriegsthaten wurde ſ. Sohn Joh. Franz, der f. Bater 1407 als Capitano folgte. 
Er machtefich um Kaiſer Sigismund fehr verdient, weßhalb ihn diefer zum Mar: 
grafen voi Mantua ernannte, in welcher Würde ihm f. ältefter Sohn Lu d⸗ 
wirg IN., genannt der Türke (geb. 1414, ft. 1478), folgte, welcher den Vater 
noch an Kriegsruhm übertraf, ſodann f. Enkel Friedrich I. (ft. 148%) umd deſſen 
Sohn Fray 11. (ft. 1519). Friedrich H., Sohn von Franz Il., wurde von 
Karl V. an 26. Marz 1530 zum Herzog von Mantua erhoben und mit der Marks 
geaffchaft Montferrat belehnt. Die Würde erbte auf f. Nachfommen fort. Ihm 
piore 154% f. Sohn Franz III.; diefem, der 1550 ohne Nachkommen ftarb, f. 
er Wihelm (geb. 1536, fl. 1587), deſſen Sohn und Nachfolger, Vincent J. 
in den ungeeifchen Kriegen gegen die Türfen fich fehr auszeichnete. Er hinterließ 
4612 3. She, Franz IV. (ft. 1612), Ferdinand 1V., den Sardinal (fl. 1826), 
und Vincent If. (ft. 1627), die einander fchnell in der Regierung folgten, und 
fammtlich oyne männliche Nachkommen farben. Mit Ihnen‘ erlofch die regierende 
Linie, ‚Der nächfie Erde waͤre der Herzog v. Mevers; Karli., von ©. geweſen; 
aber im Hinterhalt fland auch der Herzog von Guaſtalla, Ferdinand U., mirAn: 
rüchen auf die ganze Erbfchaft, und der Herzog Kart Emanuel von Savoyen mit 
fprüchen auf Monsferrat. Die Rechte des Hauſes von Nevers waren ziemlich 
Bar, denn der Herzog Ludwig v. Mevers, Vater von Karl I., war ein Großvaters⸗ 
Bruder von Herzog Franz Il., und hatte, als er nach Frankreich ging, auf die Erbs 
folge nicht Verzicht gethan. Frankreich, Venedig und der Papft unterflügten ihn, 
denn alle drei wänfehten, endlich-ein Ende der fpanifch:öftr. übermacht zu fehen, und 
diefer Fall Fonnte entfcheiden. Spanien und Hftreich unterftüßten hingegen den 
ndlofen Anfpruch des Herzogs von Savopen, woraus fich der mantuanifche Erb: 
olgefrieg entfrann, der endlich nach Richelieu’s Wunſche beendigt wurde, denn der 
Kaifer mußte den Herzog Karl v. Nevers mit Mantua und, Montferrat beleh⸗ 
nen; 1631 gelangte er zum ruhigen Befige, und ihm folgte 1637 f. Enkel Karl Ill, 
(Kart IL: war 1631 bereits bei Lebzeiten f. Baters geftorben), während deffen Re 


Homni Kae 


‚vällig nglphei 
- und —S— IV, Eu in Pine sung ADD u 


im ſpaniſchen Erbfolgekrie auf Frankreichs Seite, 5 er ar er 
. fep9 1. ihn in die Reichsacht, in welcher er. 1708 zu Padua ſtarb. ſtreich 
m Beſlhe (Landes, und Monsferrat fourbe.an. E Savenen überlaflen. Nie 
"Diefer berübinfen Vynaͤſtie haben fich, als Helden aus usgejeirhnet, andre durg 
‘ für Künfte, Wi nfhaften And Alterthumer. Ludwig v e Pietro 
mit * iefen und ot über —J— Peirarca nach Sranfre ihn zu 
* ihm’ zu kommen. Ein andrer Lud wig G, ker, — 543 flärb, war 
efare errichtete A585 die Akadenue degh inxaghiti, und —28* am 
von Semälden und. Antiken an, . iufie Romano. eröffnet? unter ihnen ein 
gebreieke Malerſchule und uiele-berügmte Künftler fanden Unterflügung unt 
ch Sranen gus diefer Familie haben 9 h; gleicher Sinfichtänegegeiehnst, B 
‚©. beredete ihren Gemahl, Herzo hard non Würtemberg, zur- Stift 
Univerſitaͤt Tübingen.  Ffabelle Ye GBemahlin des Herzogs von Urbino, ı 
Sanſopino die Mutter der ee en;, "von; yeretia.h), der unglüc 
Gemahlin von, Pool, t.man. eine, ynlumg Brief x Sure 
doch Haym dem Hortenſio —2* Ks: chreibt),. Unter nd, P ia 
auf die Staatsbegebenheiten einen Noͤmen gemacht, zeich F Fra 
rie, T. Herzogs Karl, vermählt an die Könige yon Wiadisiaus uni 
mir, fü 1667. Ihre Schwerter Anna, Gema Gin, bus aus) T 
- Eduard, ſpielte ein? Zeit lang am franz. Hofe eine bedentenpe. 
Paris 1684, 68 I. alt, und aus ihrem : achlaß erfshienen.die anzie 
moires d' Anne de Gonzagueg" (London und Paris 1786)% 
j Goranij. (Joſeph, Graf v.), ein J ei Sich ‚ffeller, neh f' 
Malland, ans elneralten Kamdie, von der die Strahe ...in weicher fie wohnt 
Namen führte. Diefer'wiflenfchg * gebildete gebörtgäu. einem lisera 
Clubb, das Tafjechaus genannt, . der mit gattäire, — d Alembert ür 
Baron Holbach in Briefwechſel, Ba d. Er z gab u. T. F Hg le , ein 
ſchrift über Segenftände der bürgerlichen Verswgltung, Der Club 
fammelte ſich geroöhnlich bei dem Grafen Verri. be bir * Kömifchen R 
Mitglieder dejfelben waren Lambertenghi der Adbe Paul Frifi und.der Gra 
caria er fberübmtes Werk le ‚Verbrechen und Strafen” entwarf 
Barstiibeffrilt j jene Eee ‚in einer periddifchen Schrift: „Erusia lette: 
die Geißel). Der. Clupb veriheidigte fi qter hin die Sache. der franz. Reypl 
G. — 538 In den Werken sen Alters über Philoſophie. Sup 
ſchaft und öffentliche Erziehung athmet,gi — Geiſt. Dieſer A 
auch ſ. geßeimen Memoiren über, halle £moif eis. et oritiques s 
dours d’ftalie‘‘, 3 Bde., Paris- Tas ) 35: —* eapel, eine A 
Tung über den Despotismus, und f Unserfuchung, über bi iſſenſchaft der. 
fung. Sein Srundfüge über reihe un) Gleichheit, über die Recht 
und über die Aufhebung der Seburtsunserfeheidungen, veranlaßten, oh. er a 
Lifte des mailand. Adels geſtrichen und. ſ. Dermögen.eingegogen wurde, : 
m die Naätionalverfammlung den Titel eines franz, Bürgers eribeitte, 
u an nach Sana von bier 1794 nach Senf, meer um 1822.geflor 
noten,f. Alesander un "Bording, 
8 — {u 8, ein Landmann, wurde quf den Thron von Phrygien er 
A nämlich eine, Empörung gusgeh: open war, varıb Bewohner das Ora 
den. eines neuen Königs bef ragten, ‚Beftimmite baffelbe Denjenigen, den, a 
üdrveg ihnen auf einen Wagen bagegnen würde, um den Tempel bes X 
zu befuchen. Dies war G., welcher aus Dankbarkeit, (. Wagen dem Jupiter 
und ander Deichfel deffelben aipen. fo künſtlichen Knsıen, Sri, daß das ; 


Ei: “ Görgonen Sbtres 


demſehigen die Herkfchäfe‘ Ber Welt werfprach; Ber’ ihn auflbſen würde. Er Bante 
die —5 — Gordium. Als Alexander nach Gordium kam und die Unmoͤglich⸗ 
keit ſah, den Knoten —A— zerhieb er ihm fnit Dem Schwerte. 
BGorgaon ern, drei Te erde Phono ober Gore (eines Sohne bes Ty⸗ 
don ımd der Echidna) und der Ceto,'wehhe SEüry ale, SthensundMedufa 
RN „ Dig: erften beiden wareh_unfterbfie "uhd init ewiger Tagend geſchmückt; 
ebuſa allein, vorzugsweiſe die Sorge vgone) Jenantt, ‚gehörte zu den Sterb 
. “Ticherl, Sie wohnten im Außerften Weſten am Deean,’ in der Nachbarſchaft der 
Macht und der Hesperiden, nach A. auch auf den gorgadiſthen Inſeln im Athiop. 
Meere. Sie werden geftägelt und um Haupt und Huͤften mit Schlangen gegürter ab⸗ 
gebildet. Jeder, den ihr Biick traf; wurde nk Stein verwandelt Fri eus erlegte die 
Jungſte von ihnen, bie Meduſa, deren ſchreckliches Hyupt aufbem ilde det Minerva 
ſich befindet. Nach Heyne moͤchte diefe Fabel ein p oniz chiffermärchen ſein. 
Gorlitz, Kreisſt. im preuß. — der Provinz Schle⸗ 


[4 


ler, in der Oberlqu ; ‚gebört zit 9. Militajrabtheilung; liegt am linken Ufer der 
"Melbe, hat 10,300, €; und 1086 H. eitle' größe Ychöne Spairskirche mit einer treffe 
chen Orgel, Wenige Ludger Gährlih werben an’ 10,000 Stud 
uch hefeetif, und die Ausfuhr uller Tücher inld Leinnlanbe: betrug 1796 gegen 
980,860 2hir.). nicht minder Leinwand⸗, Band:und Ledermanufacturen, auch flars 


ken Leinwandhandel. Vordem Nicolaithor iftaufeinem ‘Berge, Bei der kleinen Kirche 
um Beil Kreuz, das heil. Grab, welches Georg Emerich, Bütgermeifter.der Stadt, 
nach" dem Drodelte des heit. Grabes zu Jeruſalem, wo vr 1465 und 1476‘ getpefen 


war, 1489 erbauen fe. Einerich ftarb 1507. ©. iſt der Sitz der oberlauffger 
Geſellſchaft der fen 5— mit einer Bibliothek und wichtigen Sammlungen, 
Noch find die Rathsbibllothek, die des Spmnaflums, das Archid ‚die wilden Anz 
alten u. [ ro. zu bemerken. "In der Nähe biefer Städt liegt ſoͤnrt md kegelfor⸗ 
mig ein 1304 par, Buß hoher Granit⸗und Bpfäteberg, 'bie Landskrone, wel⸗ 
eine treffliche Ausſicht gewaͤhrt. S. Prof. Bäfeting’s Alterthumer der Stadt 
og (welche ſchon im 12. Jahrh. vorhaͤnben war) (Goͤrlitz 1825). 
GBGorres Dohnnn ftp) geb, gt Koblenz am 25. Januar 1716, Sohn 

eitles Kaufmanns, erhlelt Bildung in dem akadein. Gumnaftm: f. Vaterſtadt, 
j ii ftudirte — —— Dan Datuiereiffenfipaften; Auch ein 


.. 


dtyrifcher Geiſt entwickelte fich In’ihm, und Lehret wie Mitſchüler e ginhen demt 
felbe nit.” DerRrieg 1198 ‘% in ‘welchem Kblenz balb von dieſer / vald don 
jeuer Urmee beſetzt war, ſtorte SS Stubien, Mie olle in fe foendene 
guch et ſich Zur Politik und zu den Ideen, welche die franz. Kevöluslon berhäigeführt 
hatten ; und’ die man in "Koblenz dem Hattptvereinigungspunkie ber Einihrirten 
1189 92; richtiger Dei En fonfte "al \hndertoärte. „Noch tidhr 2. (7 
tige G. Rednertakenf in luhbs und Woltsyerfainmmäutgen. Auch fchhieb er ein 
** „das rothe? Blake”) das’ ganz den Stempel’. politiſchen Charakters 
trug; Beine fefte Unparteilichkeit gegen atte öffentliche Perſonen, fie mochten einz 
borene ober eingedrungene fein, ſ. vetftärdiges und zugleich Fraftdblles Auftreten, 
owie ſ. Uneigennügigkeit, heraimnen ihm alle Herzen. Indeß fand ſich der —— 
rfuͤrſt von Heſſen in einem Aufſatze beleidigt; und Gos Blutt iwurde ungerdrüd 

kebte aber u. d. T. „Näbezaht im blauen Gewande“ wieder auf, bis es G. ſelbſt 
aufgab. Das linke Rheinufer wurde damals durch oft wechfelnde | —— 
-Ahiffenre mit vieler Willkür adminiſtritt. So erlaubte fich 17799 Her conman dirende 
General Leval, die Mitglieder der Mimicipalitat ganz willkürlich Abzufeßen. F 
machte ihm an der Spihe der patriotiſchen Partei Gegenvorſtellungen. Als dieſe 
nicht fruchteten, wurde beſchloſſen, ihre Beſchwerden dem Volksrepraͤſentanten Las 
canal in Mainz vorzutragen. Allein Leval ließ G. und die ihn begleitenden Patrio⸗ 
ren auf der Landſtraße anhalten und zuruͤckdringen, ohne daß man für dieſe Gewalt⸗ 


⸗ 


li! ur. " J Goͤrres T6 


that Genugthuung ‚hätte halten konnen, Solchen: Anmaßungen und’ uͤberhaußt 


der Ungewißheit, welche über dem politifchen Schickſal der Reingegenden ſchwebte, 
ein Ende zu machen, wurde non det patriotiſchen Partei des linken Rheinufers bes 
ſchloſſen, in Paris die Bereinigung dieſer Lande mit Frankreich nachzufuchen. ©, 
ging an der Spitze einer Deputation im Mov. 1799 nath Paris. Sie konnte aber, 
da eben;die. Reyolution des 48. Brumaire eingetreten war. nicht einmal: zu einer 
Audienz beim erfien Conſul gelangen. ®.’veranlaßte daher ihre Zurüdberufung 
und gab in ‚einer-Eirinen Schrift: „Nefultate meiner Sendung nach Paris“, fi: 
men Mitbürgern einen getregen Bericht arüber, Das öffentfiche Beben mar ihm 
jegt völlig zuapider geworden, und er nahm die Stelle eines Lehrers der Notur⸗ 
gefchichte, und: Phyſik bei der Secondairſchule im. Koblenz an. Die Naturphils⸗ 
ſophie vonwde. fein Lieblingsſtudium, In dieſe Zeit. fallen f. „Aphorisinen . über 
Organologie“ (1802);. „Örgenslogie” (1805),. und „Glaube imd Wiſſen 
(41806). 1806 ging. ©. nach Heidelberg, wo er Durch feinen geiftreichen' Mortrag 

viele Zuhürer fand. Er lahte bier mit Brentano, Arnün u. A. umd’gab fi ganz 
dem tudium.des- Micielalters hin, Mit beiten gab. er die „Einfiedlerzeitimg 
and.die „Heutſchen Vollsbũcher“ heraus. 4808 Echrie er nach Roblenz zurüst, no 
man anf Lehr arſtelle offen: gehalten hatte: Mir Erfalg hatte er in Heidelberg die 
perfifche Sprache Ttubirs, wovon f. „Mythengeſchichte der aſiatiſchen Welt und 
das „Heldenbuc Des ran‘. den Beweis liefern... Die Wendung der Kriegabegeben- 
heiten in Rußland-facte-aurh bei G. den erlofepenen Muth wieder an. Er wurde 
Mitglied des Tugenbbundes, . und.alsam 1. Jan. 4814 die deutſchen Armeen über 
den Rhein gingen, lennte er die Männer zum Theil perſonlich Ferner, mit denen er in 
< jenem Bunde fich vereint hatte. Eine Zeitfchrift zur Erweckungdes beutfchen Din⸗ 
nes ſchien befgnders in den Mheingegenten, die durch viele Bande an Frankreich hin⸗ 
gen, ein großes Beduͤrfniß. So entſtand im Gebr. 1814 der. ‚Mheinifche Mercurn, 
ein Blatt, mie man es in Deutfehland noch nicht gefehen hatte. Daffelbe erhielt durch 
kraftvolle und eigenthumtiche Sprache, Durch deutfche patriotiſche Geſinnung, durch 
Conſequenz der Grundſaͤtze durch Aufklärung über die wichtigſten Fragen, die Po⸗ 
litik des Tages und die Zeitgefchichte betreffend: auf die affentlihe Dieinung einen 
fo entfihiedenen Einfluß, daß ſogar diegrangofen den Mercur” la cinquianie puis- 
s3n08 nannten, und die engl. Tageblätter denfelbenjeits Dial faft.vollftändig.über: 
feßt Lieferten... ©. verſtand es nicht ader er verfuibte es, einzulenfen, als ſich 
—— * jeigten, die mit dem. Geiſte ists, Rheiniſchen Merecurs im Gt 


ſtanden. Sp wurde das Blatt im Gebr; 1648 verboten. Jetzt ging. Sl. 


mit ſ. Familie nochmals nach Heidalberg, um dio Schaͤte der alten Zeit, weiche 
von Rom ——— — Aubetugen: Spaͤter hin Lehrte zu nach Koblenz 


Pr und mar bei der Hurigersmerh 181.7.0n. der Spike eines Buͤrgervereins fehr 
thaͤt! 


Der Aufenthalt des: Staatskanzlers in Engers 4818 gab: Weranloffung 
zu der Adreffe der Stadt. und Landſchaft Kohlenz vom 12: Jan. welche dir IE 
deg Landes dem Sürften vorstrug. Hierbei WM nachzuholen, da ©. von.dem, Se 
Reralgouverneur des. Mittelrheins, Juſtus Sramey, zum Director des äffentlicheh 
Unterrichts in f, Soupernement efnannt merden war. Hieruͤber traten fpäterhin 
—ãA Reibungen ein, und der Gehalt blieh unbezahlt, bis der Staatskanzler 
alle Ruͤckſtande auszahlen ließ. Jene Adreſſe varnG. aber mutde vom König nicht 
gnaͤpig aufgenommen, und &. dätte,, wenn Verechnungen der Klugheit in ſ. Cha⸗ 
wafter ‚gelegen haͤtten, als preuß. Unterthan einen gemaͤßigtern Ton; annchmen ſol⸗ 
len, als es von ihm geſchah. Die. Ermordung Kotzebue's durch Sand, ber Angriff 
auf Ihell durch Loning, die Beſobgniß demagogiſcher Umtriebe in Deatfchland:a 
dieſe Umſtande und die Gegenwirkungen, melche man von mehr: als einet Seite zu 
erblicken glaubte, hatten eine große Gahrung in den Gemüthern hervorgebracht. 
G. glaube dabei kein unthätiger Zuſchauer fein zuidicfen, ‚und fo entſtand 1819 








170° Goſſee Gotha 


elbſt, zu Gute gemacht werden. Außerdem geben die sroßen Schieferbrüche in der 
tähe der Stadt, welche fehon feit vielen Jahrh. ganz Norddeutſchland mit Dach⸗ 
fehiefer verforgt haben, Hagel: und Rollenbleigiegereien, der Stadt Nahrung. 
' Gofſec (Francois Joſeph), Somponift, geb. den 17. Jan. 1733 zu Berg: 
nieg, D, im Hennegau, war 8 J. lang Chorfnabe an der Domkirche zu Antwerpen. 
Er hat feinen andern Lehrer gehabt alg die Natur und die Partituren großer Mei 
fter. Gleich Haydn, beflagte er, daß er italien und die Schulen diefes Landes nicht 
babe befuchen fünnen, 1751 fam er nach Paris, wo er das Orcheſter des Herrn de 
da Popelinicre unter dem großen Rameau leitete. Nachher trat er in derfelben 
Eigenfihaft in das Orcheſter des Prinzen Sonde, für den er mehre Opern compo- 
nirte. 17770 fliftete er ein berühmt geroordenes Liebhaberconcert. 1773 übernahm 
er das Concert spirituel gemeinfchaftlich mit Gavinies und Le Duc, bis es ihm 
4777 durch eine Intrigue entzogen ward, 1784 wurde er Borfteher der Geſang⸗ 
fchule, welche der Baron v. Breteuil errichtet hatte, Zur Zeit der Revolution 
wurde er Mufifmeifter der Nationalgarde, und 1795 bei der Stiftung des Con: 
fervatoriums, nebft Mehul und Cherubini, Oberauffeher diefer Anftalt und Prof. 
der Compoſition. Catel, f. vorzüglichfter Schüler, ward zu gleicher Zeit als 
Prof. der Harmonie angeftell. ©. Hat unter mehren patriottfchen Gegenſtaͤnden 
die Hymne der Vernunft und die zum Fefte des höchſten Weſens, die Apotheofe 
Voltaire's und die Todtenfeier Mirabeau's, componirt. Bonaparte gab ihm das 
Kreuz der Ehrenlegion. Für die Dper hat ©, Vieles componirt, Sein beftes 
Werk tft „Sabinus”, 1773. Im Kirchenftiyl hat er vorzüglich viel geleiftet. Man 
fchäßr noch f. Todtenmeffe 1760, f. Oratorium da la nativite (f. Singſtũck: O sa- 
Intaris), Er fchrieb 1804 die „Methode de chant.du conservatoire”; und Bei⸗ 
träge mit D bezeichnet zu Catel's „Principes el&ementaires de musique, suiris de 
solfeges” (1800), ein Werk, an dem auch Cherubini, Mehul, Langle und Le: 
fueur Theil haben. , Noch im hohen Alter zeigte er eine jugendliche Liebe für die 
Kunft. Er ftarb 96 3. alt in Paſſy bei Paris den 47. Febr. 1829. . 
.Gott ha, ein füchfifches Herzogthum aufder Mordfeite des Thüringerwaldes, 
von der Sera, Neſſa, Werra, Unftrut und Ilm durchfirhmt. Der Sinfelberg und 
Schneekopf find f. bedeutendften Berge. Die Befigungen des Herzogs v. Sachſen⸗ 
Gotha beftanden in dem Herzogthum Gotha und dem größten Theile des Fürſtenth. 
Altenburg und betrugen 55 OM. mit 193,000 E., wovon auf Gotha 29 DOM, 
mit 84,000 E. famen. Die Einf, betiugen 1,500,000, die Staatsſchuld 3 Mill. 
Gldn. Die Einw. verdanften unter einer väterlichen Regierung ihren Wohlſtand 
befonders dem Aderbau, der Bigbzucht und den Holgnußungen im Thüringerwalde. 
Dia dem Kurfürft Joh. Friedrich aus der Erneftinifchen Linie in Folge, der Schlacht 
i Muͤhlberg die Kur und fein Rand verloren hatte, weiche Kaifer Karl V. der Al⸗ 
bertinifchen Linie gab, erhielt er, vermöge der wittenderger Capitulation von 15477 


 , und des Dertrags zu Naumburg von 1554, mehre Ämter, Schlöffer und Städte, 


größtentheils im füdlichen Thüringen, zum Erbtheil, Er hinterließ 3 Söhne, von 
denen der mittlere, ebenfalls ob, Friedrich. mit Namen, der erfle var, der f. Sitz 
in Gotha nahm. Hier auf dem Schloffe Orimmenftein entwarf er, verleitet durch 
Wild. v. Grumbach (vgl. d.) die zunächft auf die MWiedererlangung der Kurwuͤrde 
gerichteten Plane, welche die Bollziehung der Reichserecution gegen den Herzog 
und deſſen Iebenslängliche Sefangenfehaft in den oͤſtr. Staaten ge Sole hatten. 
Dieſes unglücklichen Fürſten Söhne, Jah. Kaſimir und oh, Ernſt, bekamen zu 

ihrem Laͤnderantheile Koburg, Hildburghauſen, Eifenach und Gotha, die übrigen 
Lande fielen an f. Bruder Joh. Wühelm, welcher ſ. Haufe in Semeinfchaft mit fi 
Drübern durch Erbverbrüterung die Erbfolge in die gräfl, bennebergifchen Lande 
eröffnet hatte, umd deſſen Söhne, Friedrich Wilhelm und Johann, die Linien Als 
tenburg und Weimar flifteten, oh. Kaſimir und Ernſt von Koburg flarben Eins 


| Gotha 7 
derlos, und ihre Länder fielen 1688 an Altenburg und Weimar. Shierauf tf 
ten 1640 die 3, von der zahlreichen Nachkommenfchaft des Herzogs Johann ' 
der weimarifchen Linie noch übrigen Prinzen, Wilhelm, Albert und Ernft, | 
fümmtlichen Zander, und Ernft erhielt denjenigen Theil, in welchem Gotha 
Hauptort war. Nach dem Ausfterben der altenburgifchen Linie in der Peı 
des jungen Herzogs Friedrich Wilhelm III., 1672, nahm er als nächfter Ac 
‚ fammtliche altenburgifche Lande in Anfpruch, und nöthigte . die weimari 
Linie, welche gleiche Rechte zu haben behauptete, gegen einige Abtretungen 
einem Vergleich. So ward Herzog Ernft J. (ſ. d.), mit dem Beinamen 
Fromme, Stifter des gothaiſchen Sefammthaufes. Zwar hatte er verord 
daß f. Lande nicht getbeilt, fondern gemeinfchaftlich von f. 7 Söhnen rec 
werden follten; allein nach f. 1675 erfolgten Tode theilten diefe dennoch 
Land, und fo entflanden 7 Zweige des Sothaifchen Geſammthauſes: Gotha, 
burg, Meiningen, Römbild, Eifenberg, Hildburghaufen und Saalfeld, von di 
aber Koburg, Eifenberg und Römhild in ihren Stiftern ausflarben. Bei dı 
Theilung erhielt Herzogs Ernft ältefter Sohn, Friedrich I., das Fürftenth. © 
und den größten Theil von Altenburg, Er war der Stifter des Haufes ©. 
führte das Recht der Erftgeburt unter f. Nachkommen ein. Nach f. Tode (16 
regierte f. Sohn Friedrich II., bis 1732, hierauf deffen Sohn Friedrich III. 
17172, der auch unter den Drangfalen des fiebenjährigen Krieges den Wohlſt 
f. Landes zu erhalten wußte. Ihm folgte der weiſe, gerechte und menfchenfrei 
liche Herzog Ernft ll. (ſ, d.), bis 1804 Dach diefem f. Sohn, Herzog (4 
Leopold) Auguſt (f. d.), geb. 1772, geft. 1822, Diefem folgte f. Bruder, He 
Sriedrich IV., geb. 1774, mit welchem am 11. Sebr. 1825 die Speciallinie © 
loſch. In Italien hatte er fich bei einem frühern Aufenthalte zur kathol. Reli 
gewandt, gab aber gleich nach dem Antritte f. Regierung feinen Unterthe 
eine Verficherungsacte. Das Herzogtbum ©. gehört zu den wenigen deuff 
Ländern, in welchen an der alten ftändifchen Verfaſſung nichts geändert wo 
if. Mach dem Theilungsvertrage vom 15. Nov. 1826 ift das Herzogthum 
(ohne das Amt Kranichfeld und ohne den bisher gothaiſchen Antheil an Roͤml 
an den Herzog Ernft von &.:Roburg, und das Fürftentbum Altenburg (1 
das Amt Kamburg und einige Parcellen) an den Herzog Friedrich von ©.:$ 
Burghaufen, nunmehr Herzog von &.: Altenburg, gefommen. Im % 
1829 erhielt das Fürftenthum ©. mit Kobur g (ſ. d) eine setneinfhaftliche s 
roaltung. "Es zählt gegenroärtig auf 28 OM, 86,814 E. — Die Hptfl. Go 
(1340 H., 12000 &) liegt an einer Anhöhe an der Leine, in einer fchönen 
gend. Das auf dem Bipfel des Berges gelegene Reſidenzſchloß Friedenftein 
ſchone Gartenanlagen. Das 1824 eröffnete Muſeum enthält: die 150,000 % 
ftarfe und an Manuferipten reiche Bibliothef, das Münzcabinet, eins der ı 
ftändigflen in Europa, nebft einer ſchoͤnen numismatifchen Bibliothef, das o 
talifche Mufeum (von Seezen und Anthing ‚ die Kunfl: und Naturalienk 
mer und eine Gemäldegalerie (reich an Kranach's u. a. Bildern der altt 
fhen Schule), Hr. v. Schlotheim ift Oberauffeher. G. bat ein Gymnaf 
ein Schulmeifterfeminarium (das ältefte In Deutfchland), eine Sonntagsfe 
für Sefellen und Lehrlinge; überdies viel Fabricatur und Handel, Bei 
liegt die von Deripe Ernft II. erbaute Sternwarte (der Seeberg), für w. 
diefer Fürft ein Capital von 40,000 Thlrn. ausſetzte. Dies Inſtitut gef 
unter des Oberſten v. Zach und unter des Hrn. v. Lindenau Aufficht zu 
vorzüglichften in Deutſchland. Der 1823 geftiftete Gewerbverein ˖ für das . 
zogth. ©. veranftaltete 1824 die erfte Austellung inländifcher Sewerbser; 
niffe. Bei Gotha entdedte Hofrath Senke durch Bohrverfuche ein Stein 
Inger 650 Fuß tief, und legte 1828 dis Saline Ernſthalle ron 


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sat rer ta.lm Ko Preshe;, Irazitem, 5: tere seter ca smdrer Gem mecht, 
une ern pie sen ter ar.!ern fe serkkizten ot, tag man fazım tenfelken Urheber 
vermuh⸗n fire: ‚Des von Derlıkiraem‘ vell treaberziser üliteerkcher Eintchk, 
aber ar:ch ale! ss ther Kraft unt Karrbaruzten, eine Ehutfzeurciche Tempetnen, 
etwas wı't, cbır met ehne Einheit, „Eynent”, bei aller Wahrhen unt Flatur: 
tree ſeibſt ns Phamoſiſche überfpielent; „Slavige“ in f. bürgerlichen Sphere 
ons fran,.fifche trasiihe Theater erinnernt;, „Apbigenia”, vell griedh. Idealuẽt 
„Taſſo“, well tal, Diilte und Wärme, beite voll Zarıheit und Anınurh, un? tech 
nicht ohne Kraft und arte; „Eugenie“ mit ihrer Poluur; „Der Großkophthar, 
Life x fycholog iſche Entfaltung, und „Kaufl”, gegen ten keine Nation etwas Glei⸗ 
6 flellen kann: — wie verriethen dieſe wol durch fich einen und denfelben Mei: 

7 Micht minder verfchieten find die Lufifpiele und Dramen: „Die Mitſchul⸗ 
Bigen”, „Die Laune des Verliebten“, der franz. Eomifchen Bühne getreu, „Stella“, 
mit ıhrer füblihen Dur, „Die Geſchwiſter“ mit ihrer deutfchen Innigkeit, „Er: 
win unt Eimire” mit ihrer romantifhen Schwarmerei, „Der Jahrmarkt von Plun⸗ 
dersweilern“, „Der Triumph der Empfindſamkeit“ mit ihrer baroden Laune und 
Boch wunderbaren Kraft der Wahrheit, im Komifchen, was im Tragifchen „Fauft“: 
mer fände auch hier moi eine Bamilienähnlichkeit aus? Vergeſſe man dabei nicht f. 
® ingfpil® und Dramolets: die phantaflifche „Lila, die feltfame „Slaudine von 
Villa Bella”, die jtylliſche, Jery und Bätely”, „Kuͤnſtlers Erdenwallen und Apo- 
theoſe“, fo auſpruchlos und Loch fo gehaltvoll und tief, „Paläophron und Neoterpe“, 
„Bas wir bringen’ u.a.m. Des Dramatifchen ift, wie man ſieht, am meiften 
egeben, und dennoch finder man G. ale Epiker nicht unbedeutender, mag man nun 
ſchon genannten 3 Romane, oder ſ. homerifch:tdyllifches Epos „Hermann und 
orothea“, oder das Bruchſtuͤck der „Achilleie‘, oder f. in homerifcher Form nache 
gebildeten „Reinecke Buchs“, oder f. Bruchflüd eines romantifchen Epos „Die 
Meeiffanungen‘‘, oder ſ. kleinern poetifchen Erzählungen und Schildereien, A 
„Hans Zachfens Sendung”, f6 ganz im Geiſt und in der Manier des wackern Meis 
erfingere, betrachten. Damit aber Eein Feld der Poefie von ihm unangebaut 
ſiebe, flellt er als didaktiſcher Dichter fich durch f. Epifteln dem Horaz an die Seite, 
& 0 viel und fo vielerlei gab ©, als Dichter; was hat er aber nicht auch als Kunſt 


Gothe 773 


freund und Kunſtkenner, früher in gerftreuten Auffiken (unter denen der über 
deutfche Baufunft in Herder's „Sliegenden Blättern über deutfche Art und Kunſt“ 
Auszeichnung verdient), fpäterbin im den „Propylaͤen“, in Programmen der, Je⸗ 
naifchen Siteraturzeitung”, in Recenfionen für diefelbe (3.8. der Gedichte von Voß, 
Grübel, Hebel, des Wunderhorns u. a.), in dem Andange zur Überſetz. der Bios 
graphie Benvenuto Cellinis, „Rameaws Neffen”, von Diderot, in „Windelmann 
und fein Jahrhundert“, in f „Briefen aus Italien“, und in Gemeinfchaft mit _ 
Meyer, u. d. N. der weimarifchen Kunftfreunde (W. K. 5.) geliefert! Aber auch 
in ganz heterogen feheinenden Sebieten treffen wir ihn. Er fchrieb ein treffliches 
Werk über die Metamorphofe der Pflanzen, und zwei über Optif und Farbenlehre. 
Daß er über einen juridifchen Segenftand fehrieb, wird von dem D. der Rechte nicht 
befremden, wol befremden aber konnten f. Briefe über die Offenbarung u. a. theo⸗ 
logiſche —— die man ungenannt laſſen Eönnte, wenn nicht in der letztern 
Zeit auch G.'s religiöfe Anſichten waͤren in Anfpruch genommen, und der San 
einer neuern äfthetifchen Schule zum Katholicismus als von ihm ausgehend wäre 
betrachtet worden. Es drängt fich Hier überhaupt die Betrachtung auf, dag G. faſt 
mit Allem, was er leiſtete, und nicht felten auch mit Dem, was er war, einen gro= . 
ßen Einfluß auf die Literatur und Cultur feines Zeitalters gewann, und fo gewiſſer⸗ 
maßen als der Mittelpunkt zu betrachten ift, von welchen aus feit A Jahrzehenden 
die verfchiedene Seftaltung Des äfthetifchen und fittlichen Weſens der Deutfchen ihre 
Richtung genommen hat. Seine früheften, die herfümmlichen Regeln Damals gel: 
sender Kunfftheorien umflürgenden Erzeugniffe führten eine. Senieperiode herbei, 
die man nach einem Schaufpiele des gleichzeitigen Klinger die Sturm: und Drang: 
periode genannt hat und wol mit Recht als einen Sturm auf den damaligen deuts - 
fehen Parnaß und feine franz, Verzaunung betrachten mag. „Werther“ führte die 
empfindfame ‘Periode, „Goͤtz den Tumult der Nitterfchaufpiele und Romane ber: 
bei, und ftellte Shakſpeare als Mufter für unfere dramatifchen Dichter hin. “Die 
Afthetik wurde in jener Zeit durchaus revolutionnair, und man frage nicht, ob es die 
Sitten nicht auch wurden, denn man denfe nur an Die, denen „Werther“ die Pi: 
ftofe in die Hand gab, woran freilich der Dichter fehr unfchuldig mar, an die Seuche 
- der Empfindelei, an die Derbheit des Tons und die Freiheit der Sitten, nachdem 
G. durch Laune, Satyre und komiſchen Wig f. frühern Einflüffe ſelbſt weggeſcherzt 
und gefpottet hatte, Wie durch einen Zauberfchlag verwandelt erfchien er auf ein: 
mal im 9. Jahrzehend, denn ſ. „Iphigenia“, ſ. „Taſſo“ treten einher in der höhern 
Storie griech. Idealitaͤt, die felbft in feinem, obfcehon dem Shakſpeare nähern, 
„Egmont“ nicht zu verfennen ift, . Im „Fauſt“, der Alles in fich vereinigt, was 
G.'s Genie Großes und Herrliches vermag, ‘hatte er den Bipfel feiner Vollendung 
erreicht. Es darf nicht verwundern, von diefen Werken Feine fehnelle Wirkung zu 
fehen; aber fie blieb nicht aus, und wurzelte tief, denn in Afthetik und &eten fing 
man nachher an, auf SFdealität zu dringen. Wie „Wilhelm Meifter” im letzten 
Jahrzehend des verfloffenen Jahrh. wirkte, ift uns Allen noch im Gedaͤchtniß. 
Nicht blog Künfklerromane folgten in großer Anzahl, fondern das Künfflerleben er: 
fhien nun aud) in höherer Bedeutung, und eine Aſthetik entſtand, wie fie die Vor⸗ 
zeit zwar geahnet, nie aber noch ausgebildet hatte. “Die Aithetif erfihien als Boll 
enderin des Lebens und der Philoſophie. Die Moral erhielt eine untergeordnete 
Rolle, die Religion: aber, eine Zeit lang der Moral nur dienftbar, erhob fich über 
fie, indem fie mit der Kunſt Ting ward. Mit der Aftheti ergriff man demnach auch 
die Religion, ja man fonnte nicht religiös fein, ohne äſthetiſth zu fein, und eine 
(eine Seele fich nur in diefer äfthetifch:religiöfen Innerlichkeit beroähren. So hat 
‚ unter ung gewirkt. Es ift feine Frage: ein Beift, der ſolche Wirkungen ber: 
vorzubringen fähig war, muß ein ungewöhnlich ausgezeichneter Geiſt fein. Bis: 
weilen wol mag es gelingen, daß durch Gunſt der Zeit ein nur mäßig begabter Mann 


174 Githe 


über tie Haupter der Andern emperrogt; ie Zeit aber änitert ſich, uud er erfihehut 
darın, mas er «it. Nicht alfe bri ©, der nicht bieg wen der Zeit empfing, fonterm 
ihr ach reichlich gab. Ze Hunderten liegen bie Nuchabemungen Gothe ſcher Werke 
un Nirabe der Vergeſfenheit berfimmen, die Maſter Ss aber kennt, lit, bewens 
tert man noch Beste; tee Perieden, m seien „So6”, Werther, „Reiter ‘ 
u. a. eigentlich Tiere waren, fin? verũber; allein „Se6“, „Werther“, „“ 
baten dadrech mit verleren. Beweiſes genzg, bag fie nicht allem durch den zwei: 
Ber:zen Ri der Nerben entzuden, fondern durch innern tiefen Gehalt, Turch 
eigne Derret.itter ter Tas, was allen gebifteten Zeiten und Velkern gilt. r 
Lieſt man Gis son ihm ſelbft befchriebenes Leben, fo imder man, daß des Ba 
tere Liebe für Kımft an Literatur, eine mwürdige hausliche Umgebung, fowie die Bas 
terſtadt mu ihren Tentmilern un? Schememwürtigfeiten, das rege Leben der jahrl. 
wiederkehrenden Meften, die Pracht von Jeſephs U. Krönung, anregen? und be: 
geiſternd ſchen auf Tas Remüth des Knaben wirfte, der durch fchaelles Ergreifen, 
Verarbeiten unt Fefihalten ſehr balt dem Unterricht, über deſſen Art, ſewee über 
die Maſſe ſ. Lectũre man ihn ſelbſt hören muß, entwuchs. Kınderfr ten ver⸗ 
mehrten ten Hang des Knaben zum Nachdenken. Dieſer brachte ihn auch anf den 
Gedanken, ſich dem Gott der Natur auf eine eigne Weiſe zu nahern, die zwar fon: 
derbar genug, aber nicht eben unpoetifch war. Unter ſolchen limilinten hatte er 
fein 8. J. angetreten, als der fiebenjäßr. Krieg ausbrach, der f. weitere Ausbildung 
muanniofaltig forderte, befenders als die Franzoſen Frankfurt befegten. Graf von 
Thorane, Lieutenant du Roi beim franz Heere in Deutſchland, nahm f. Woh⸗ 
nung im Haufe von G.s Altern und befchiftigte, als freund, die franffurter 
Maler und Seekaz von Darmſtadt für fi. Da ©. tiefe TRinner von f. Jugend 
an cft in ihren Werkititten befucht hatte, auch der Graf ihn gern um ſich leiden 
mochte, fo war er bei den Aufgaben, Berathſchlagungen. Beftellungen und Ablie⸗ 
ferungen gegenwärtig, und eröfinete auch wol, wenn Skizzen und Entwürfe einge: 
reicht wurden, feine Dieinung. Unter X. verfertigte er einen Auffag, worin er 12 
Bilter befcprieb, welche die Geſchichte Fofephs darfiellen follten, einige davon 
wurden ausgeführt. libte er auf tiefe Weiſe Kunſtſinn und Kunflurtheil, fo war 
es ferner fein geringer Vortheil für ihn, das Franzififche praftifch zu erlernen und 
mittelft deſſelben (da man ein franz, Theater in Frankfurt errichtet hatte) zu einer 
Dramaturgie auf einem Wege zu gelangen, der für ihn erfprießlicher war als jeter 
andre. Endlich kam der Frirde heran, und G., ber angehende Süngling, machte 
ünmer ſchnellere Fortfchritte in f. Bildung. Zeichnen, Muſik, Unterfuchung natur: 
licher Gegenſtaͤnde, tie Anfangsgründe der Rechtswiſſenſchaft und Sprahfunde 
befchiftigten ihn abwechfeln?. Sum Behuf der legtern erfand er einen Roman vdn 
ſechs bis fieben Geſchwiſtern, die fich in ebenfo vielen Sprachen Nachricht von ihren 
Zufiinten un? Empfindungen mittheilten. Das gebrauchte Fudendeutfch des Füngs 
fien führte ihn auf tie Erlernung des Hebriifchen, worm er es zwar nicht weit 
brachte, das aber den Bortheil hatte, daß, bei aller fonjtigen Zerfireuung, fein 
Geiſt undf. Gefühle ſich in den morgenländifchen Gegenden des erfien Buchs Mofis 
auf einem Punkte vereinigten. Er ging daher bald an ein Ausmalen biklifcher, nur 
im Umriß angegebener Charaktere und Begebenheiten, und die Geſchichte Joſephs 
mar fein erftes poetifches Werf. Erfahrung erwarb er fich theils im Umgange mit 
mehren beteutenten Männern, theils in Beforgung mancher Sefchifte für f. Vater. 
Konnte nun noch irgen? Etwas Porfie in das Leben des jungen Dichters bringen, 
fo war es Lie Liebe, die, wie bei jeder unverdorbenen jugend eine geiftige IBentung 
nahm. Leiter follte die Rofenzeit diefer unfchultigen Liebe durch Nebenumſtaͤnde 
auf eine höchft unangenehme Weiſe enden; allein der Eindruck derfelben hat nicht 
unbedeutend auf des Dichters Schilderungen der Weiblichfeit gewirkt. Beſonders 
ſcheint ihm die Geſtalt der Geliebten bei Egmont's Klärchen vorgefchwebt zu 


Gbthe 


haben, und im Fauſt“ hat er fie Bis auf den Namen verherrlicht — GOret 
Der Sturm ber erften Leidenfchaft raubte ihm Schlaf, Ruhe und Geſun 
Eins indeß hatte er nach f. Senefung doch gewonnen: höhere Selbflindigkeit. 
groͤßerm Eifer bereitete er fih nun auf die Akademie vor. Nach dem Plane | 
ters ging er nach Leipzig, wo Gottſched noch lebte, Ernefti aber und Sellert ſ.“ 
vorzüglich auf fich zogen. Bald war aber bier von einem Studienplan nid 
Rede. Mit der Philoſophie hatte er ſchon früher, da er fich mit der Gefchicht 
felben befchäftigte, nicht einig werden fonnen, jet Fam es ihm munderlich vor 
er die Seiftesoperationen, die er von Jugend auf mit der größten Bequemli 
verrichtet, fü vereinzeln und gleichfam zerftören follte, um den rechten Sebraud 
" felben einzufehen. Bor dem Dinge, von der Welt, von Gott glaubte er anc 
ebenfo viel zu wiſſen ale der Lehrer ſelbſt. Mit den juridifchen Collegien gi 
bald ebenfo, und er gewann ſchon damals die Anficht, die er.nachher in einer € 
des, Fauſt“ fo meifterhaft gefehildert hat. Selbſt die Poefie würde ihm, ı 
großer Widerfprüche in den Geſchmacksurtheilen, verleidet worden fein, me 
dieſer anders ale mit fich hätte entfagen fonnen. Die damalige literarifche € 
entwidelte fich aus den vorhergehenden durch Widerfpruch, Im Theoretifch: 
Poeſie tappte man noch gar fehr im Finftern und bielt fich meift an Nebeni 
im Praktifchen fah es fchon beffer aus, denn der deutfche Frei: und Frohſinn 
fih, und geniale Werke entfprangen. Um fich aus ihrer wäfferigen Epoche bi 
zureißen, fahen die Deutfchen fein andres Mittel als Beftimmtbeit, Präcifio 
Kürze (wozu die Deufter Englands, welche jet ftatt der franzöfifchen galten, 
wenig beitrugen). ©. lernte unter folchen Umfländen das Bedeutende deg € 
und das Sedrängte der Behandlung mehr und mehr fchäßen, ohne fich jedoc 
machen zu tönnen, 100 jenes zu fuchen und mie diefes zu erreichen fe. B 
großen Beſchraͤnktheit ſ. Zuftandes aber fah er fich gendthigt, wenn er zu ſ. E 
ten eine wahre Unterlage, Empfindung und Reflerion verlangte, inf, eigne: 
fen zu greifen. $oderte er zu poetifcher Darftellung eine unmittelbare Anfchı 
des Gegenſtandes, fo durfte er nicht aus dem Kreiſe heraustreten, der ihm ei 
gereffe einzuflößen geeignet war. Und fo begann diejenige Richtung, von der 
ganzes Leben hindurch nicht abweichen Eonnte, Dasjenige nimlich, was ihn et 
oder quälte, oder fonft befchäftigte, in ein Bild, ein Gedicht zu vermandelr 
fowol ſ. Begriffe von den äußern Dingen zu berichtigen als fich im Innern di 
zu beruhigen. Die Gabe hierzu war Niemandem nöthiger als ihm, den f.! 
immerfort aus einem Außerfien ins andre warf, Alles, was daher von ihm bi 
geworden, find gleichfam nur Bruchflüde einer großen Beichte, welche 1.3 
phie vollftändig macht, Syn jener Zeit entfland auf folche Weife „Die Lau 
Verliebten“, an deffen unfcehuldigem Weſen man zugleich den Drang einer fiel 
Leidenfchaft gewahr wird. Allein früher ſchon hatte ihn eine bedeutende, dran 
Melt angefprochen, Bei f. Sefchichte mit Sretchen, und an den Folgen der 
batte er zeitig in die Irrgaͤnge geblickt, mit welchen die bürgerliche Geſellſchaft 
böple.ift, Religion, Sitte, Geſetz, Stand, Verhältniße, Gewohnheit, AU 
berrfcht nur die Oberfläche des ſtaͤdtiſchen Dafeins: im Außern Alles reinfl 
anftändig genug, im Innern defto wuͤſter. Um fich hierüber Luft zu verſt 
entronrf er mehre Schaufpiele. „Die Mitſchuldigen“ find das einzig fertig | 
bene, Unter jenen ernften, für einen jungen Menfchen fürchterlichen Erfah 
entroidelte fich aber in ihm auch ein verwegener Humor, der fich dem Aug 
überlegen fühlt; nicht allein eine Sefahr ſcheut, fondern fie vielmehr mul 
berbeilodt. Stoffe, die einem ſolchen Humor angemeffen geweſen wären, 
und behandelte er jedoch erft fpäter. Immer erfchienen ihm die Angelegenhel 
Herzens als die roichtigften, und er ermüdete nicht, über Flüchtigkeit der 
gen, Wandelbarkeit des menfchlichen Weſens, fittliche Sinntichkeit, und 





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br an tr Öreng ven Arsrtuh re ra, Teens bar und ledıg 
gezen hatte an (dm fit langer Ze SC hakfpease zu hehern, freien 
gen ale bichternhen Weltanfichten und Öerriesgenüuffen verberritet, 
walttzer beherrſcht. Nach (Promotion, 1771, hielt er ſich fury 
und kam, nachtem er aus dem Antikenſaal zu Manheim noch E 
mun, bie in Der Folge ſehr wirkſam wurden, 8 und froh ıns — 
A ann ging er nach Wetzlar, wo ihm nichts von Bedeutung begegnete, wenn men 
Die Anl flo zu, Werthet⸗ abrechnet, den er hier in ſ. eignen Liebe zu einer Verlobten 
und dem —34 des jungen Jeruſalem fand. Nas [. f Rüdfunft gab ber mug 
nanınt einige Ilugſchriften heraus, und mehre Sedichte in Almanachen und 5 
nalen, Erſi f. „Din N und f, „Werther“ (1774) Ienften auf ihn die Aufs 
merffamteit von gang Deutfchland. Der Erbprinz v. Weimar machte auf einer 
Drife burch den Hrn. v. Knebel feine perfonf: iche Bekanntſchaft und lud ihn, als er 
Bir Megierung angetreten hatte, an feinen Hof ein. ©. zog den 7. Nov. 1775 m 
Mirimar ein, ward 1716 weımarifcher Geh.⸗Legationsrath mit Sig und Stimme 
In (dehrimerarhmcollegium, und 1779 wirt. Geh.⸗Rath. Im felb. J. machte er in 
Geſellſchaft ſ. Jurſten eine zweite Reife nach der Schweiz, 1782 wurde er Kam 


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werprafident und geadelt. 1786 machte er eine Reiſe nach Jtalien, wo er 23. 
blieb, auch Sicilien befuchte, am laͤngſten aber in Rom verweilte. Er ſtieg biß zum 
Minifter, erhielt 4807 von Alerander den Alexander:Rewsky⸗Orden, von Napoleon 
das Großkreuz der Ehrenlegion, und lebt jeßt, in einem heitern Alter von den Ges 
ſchaͤften zurückgezogen, den Studien der Natur und den literarifchen Arbeiten. 
Diefe Perioden f. äußern Lebens hängen mit den Perioden f. Dichterlebens' 
aufs Innigſte zufammen. In dem leßtern unterfeheidet man deren füglich 3, die 
man die fentimentale Kraftperidde, die ideale und die elegante nennen kann. „GB“: 
und „Werther” waren es, welche in der erften ‘Periode theils allgemeines Stau. 
nen, theils allgemeine Bewunderung erregten, In beiden hatte ©. feine Tiebften 
Neigungen befriedigen Eonnen, feine mit ihm aufgewachſene Neigung zur deutſchen 
Vorwelt und zu Darftellungen Deffen, was als allgemein Menfchliches feine Bruft 
in Schmerz und Freude bewegte. Unfäugbar hatte der Dichter bei „Werther und 
„Moͤtz“, wie fpäter bei vielen aridern Werken, Etwas vor fih, woran er fich hielt, 
dort das Schickſal des jungen’ Jeruſalem, hier die Selbftbiographie des männlichen 
äh, von welcher wir ganze Stellen in dem Drama wiederfinden. Dan bat deß⸗ 
Halb f. Erfindungsgabe verdächtig machen wollen. Als ob nicht auch der gefundene 
Stoff noch immer der poetiſchen Erfindung bedärfe! Diefe aber zeigt fich ſchon im 
‚Werther und „öB" auf eine merkwürdige Weiſe. Man kann ebenfo wenih eine, 
bis in die feinflen Nebenzüge treffende, aͤſthetiſche Charakteriſtik der Perſonen ver⸗ 
kennen, als eine feldft das Einzelne beachtende Entfaltung der Begebenheiten, und 
eine.folche Anordnung derſelben, daß es feheint, Alles fei aus unmittelbarer An: 
ſchauung oder Empfindung in Einem Guſſe Hingeftrömt, mehr ein Naturgewaͤchs 
als ein Berk der Kunſt. Das Eingehen in ein Fremdes bis zur höchſten Selbfiver: 
laͤugnung erfcheint bei G. begleitet von einer ungemeinen Leichtigfeit, auch fremde 
Darftellungsarten fich anzueignen. Wer traf den Ton des Volksliedes wie Er? 
Mer traf Hans Sachs's Manier fo gut? Und kann man im „Goͤtz“ und in etlichen 
Luftfpielen den Shaffpeare, in den „Vogeln“ den Kriftophanes, in der „Iphigenia“ 
die griech, Tragifer, in „Hermann und Dorothea” den Homer, in den „Römifchen 
Elegien‘' den Properz und in den „Epigrammen von Benedig” den Martial verfen: 
nen? Seine. Aneignung ift nicht die fElavifche des Nachahmers, fondern die ſelbſt⸗ 
thätige einer fehr erregbaren Phantaſie; und bei f. Nachbildung opfert er nie feine 
Selbfländigfeit auf. Solch einen poetifchen Proteus fündigten nun fehon „Gotz 
und „Werther“ an, und das Nächftfolgende beſtätigte ihn, wenn gleich er darin an 
die Vollkommenheit der frühern Werke nicht reichte. ©.8 Talent, fich Leicht in die 
Zuftände Andrer zu finden und ihr Dafein mitzufühlen, ließ ihn nämlich manchen 
Misgriff thun. So z.B. im „Clavigo“ und fpäterhin in dem „Großkophtha“, der 
übrigens, wenn nicht an Wahrbeit der Charaktere, doch an Kraft und Srifche, 
Leichtigkeit der Bewegung, wirkſamen Situationen, Intereſſe der Handlung, Tiefe 
des Defühls und Verwickelung, dem „Slavigo‘ weit nachfteht. Indeß das eigents 
lich Peinigende und manche cannibalifche Außerung des Beaumarchais abgerechnet, 
fteht er doch würbiger neben „Sog und „Werther als die empfindfamen Nachs 
Fänge des leßtern, „Stella” und „Erwin und Elmire“, nach der erften Mittheilung 
nämlich in der Iris. Daß G. bier in Gefahr fand, vielleicht vom Beifälle beraufeht, 
manierirt und nachläffig zu werden, iſt unverkennbar. Doch erhält fchon jene Mits 
theilung von „Erwin und-Elmire” etwas Köftliches, das Liedehen: „Ein Veilchen 
auf der Weiſe ſtand“, deffen man nicht gedenfen kann, ohne an G.'s Lieder übers 
haupt erinnert zu werden, diefe fo Elaren und doch fü tiefen, fo zartgefühlten und fo 
leicht hingehauchten ätherifchen Wefen, deren füße Zaubergemalt wol Jeder empfunz 
den hat. An G.'s Liedern und Nomanzen herrfihte zuerft wieder der verklungene 
Bolkston, welcher von der Zeit an der ganzen deutfchen Lyrik einen neuen, frifchen 
Lebensodem einhauchte, Betrachtet man aber Alles yon G. in biefer Periode Ges 


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leiftete genauer, fo fieht man, es iſt volksmaͤßiger, es tft vol Deutfchheit, für welche 
Leſſing bereits männlich gekämpft hatte, und welche. G. glücklicher erreichte als die 
um jene Zeiten auflebenden neuen Barden. Diefes Belfsmäßige konnte aber nur 
als Dppofition gegen das Herkommliche durchgeführt werden; und Niemand war 
geeigneter dazu, eine Öppofitiondpartei anzuführen, als eben G. Kein Wunder, 
wenn fich jener verwegene Humor, der ſich dem Augenblick überlegen fühlt, befondere 
fräftig meldete. Bekanntlich ging es nicht ohne rinigen Synismus ab, und das 
Natürlichkeitsprincip wurde ziemlich weit ausgedehnt. Fun: verfloffen 12 Fahre, 
ohne dag man von ©. viel Bedeufendes vernommen hätte. Deſto größer war bie 
Überrafegung, als er wieder erfchien, . Man muß indeß nicht glauben, als ob alle 
Werke, die um dieſe Zeit erfehienen, auch Werfe diefer Periode wären. Beobach⸗ 
tung der Chronologie ift hier fehr nörhig und wird zeigen, daß zwiſchen diefer und 
der erften Periode ein Meittelzuftand flattgefunden, in welchem der Dichter durch 
„Ironie fich ſelbſt reinigte und die flreitenden Kräfte f. entzweiter Weſens mildernd 
zu: Harmonie ftinnmte. In diefen Zwifchenzuftand gehören unftreitig mehre komi⸗ 
fche und fatprifche Erzeugniffe, z. B. der „Triumph der Empfindfamfeit” u.a. 
Mit ihnen trat er aus der Befangenbeit des vorigen Zeitalters und erhob ſich auf 
einen höhern Standpunft, Spielend ergößte ‘er fich da oft noch an dem Leben und 
"Treiben unteribm, z.B. im „Jahrmarkt zu Plundersweilern“, worin er dem eben 
die heitere Seite abgewann. “Immer näber trat er hiermit dem Gebiete der reinen 
Schönheit, bie ihm den duftigfien ihrer Krünge um die Schläfe fehlang, als er die 
„Iphigenia“ auf ihren Altar niederlegte. Mit Recht nennt A. W. Schlegel fie 
einen Nachgeſang der Griechen. Ohne Nachkünftelung veralteter, für uns immer 
fremder, Formen ift bier ein von griech. Geiſte durchdrungenes Werf, Erfreulich 
ſchließt ſich an, Iphigenia“ „Taſſo“ an, der jener vielleicht nur als Compofition nach: 
flieht, denn nachtheilig bleibt es immer, daß zur Beruhigung die Liberlegung aufge: 
fodert wird. Mag nun aber „Taſſo“ auch kein Drama im firengen Sinne der 
Theorie fein, fo bleibt er doch beroundernsmürdig als Charaftergemüälde, als ein Ge⸗ 
dicht über.den Dichter und ſ. Wert, das wir gern mit Müller das für Verſtaͤndniß 
‚ ber Poefie Iehrreichfle und tieffinnigfte nennen. Nur ©. konnte es wagen, diefen 
Taſſo darzuftellen, und ſelbſt ©. Eonnte es nur in diefer Periode ganz gelingen. Hier 
aber vereinigte fich auch Alles dazu. Am Hofe Amaliens fand er den Stoff zuf. 
Umgebungen des Taffo, und lernte eben den Ton treffen, der folchen Umgebungen 
eignete. Muß man demnach aber nicht fragen: ob nicht Gothe ver Hof: und 
Staatsmann einen wefentlichen Einfluß auf Goͤthe den Dichter hatte? Uns daͤucht, 
gar fehr, und zwar einen fehr günftigen, , Schon durch das Zufammengenommene, 
ebaltene, das f. Rage erfoderte (die übrigens nicht felten Veranlaffung gegeben bat, 
ihn auch ale Menſchen zu verfennen oder falfch zu beurtheilen), wurde er dem Ideale 
näher zugeführt; denn er konnte unmbglich, wie ein gemeiner Höfling, bloß zu der 
Leerbeit des äußern Anſtandes kommen. Nächft diefem ſ. Hofleben, und zwar in 
Weimar, hatte Nichts größern Einfluß auf f. Verwandlung ale f. Aufenthalt im 
Italien. Während f. erften Periode neigte er fich in der bildenden Kunft befonders 
auf die Seite der Niederländer, gegen die er auch nachher nie ungerecht geworden 
ift, ſowie er auch nie aufgehört hat, als Dichter von Zeit zu Zeit wenigfteng nieders 
laͤndiſche Scenen zu liefern: allein Italien öffnete ihm das Auge über das Höhere. 
der Kunft, und f. reiches Gemuͤth, welches zugleich das Hohe und Findlich Liebliche 
umfaßt, f. zarter und zugleich tiefer Sinn für Natur und Kunft, neigten fich jeßt 
mit Liebe zu dem Edlern und Höhern bin. An die Stelle f. fonftigen Natuͤrlichkeits⸗ 
princips trat jeßt die Idealitaͤt, aber jene echte, welche die Natur in das Reich der 
Ideen und der reinen Schönheit überträgt.‘ Bon 3 Hauptwerken, die noch in 
diefe Periode fallen, „Wilhelm Meifter”, „Zauft und „Hermann und Dorothea”, 
trägt dag Teßtere den Stempel diefer Idealitaͤt am reinſten ausgeprägt: A. W. 


- 


Gbthe | m. 


Schlegel und W. von Humboldt haben diefes Epos fo beleuchtet, daß jedes Wort: 
darüber überfläffig feheint; „Wilhelm Meifter‘‘ würde ihm ganz an die Seite gefegt 
werden können, wenn er nicht unbefriedigend als Ganzes waͤre. Was ©, damit 
geroolit, bleibt immer räthfelhaft, und nur dies Eine tritt mit Gewißheit hervor, 
daß Meifter noch kein Meifter geroorden iſt. Über die Einheit und Ganzheit der Lehr: 
jabre Eonnen wir alfo jeßt eigentlich Eein zureichendes Urtheil füllen, da auch die un⸗ 
vollendeten „Wanderjahre” keine genügende Aufklärung über die Tendenz des Gan⸗ 
zen geben. Deffenungeachtet bleibt „Meiſter“ eines der vorzüglichften Gothe'ſchen 
Werte, denn in ihm und im „Fauſt“ vereinigt fich die ganze Univerfalität des 
Goͤthe ſchen Seiftes. Und diefe Sprache, die wie ein ſchöner Strom in ruhiger Klar: 
beit und der fchönften Bewegung fich ergießt, dieſer Ausdruck, der fich wie ein fchö: 
ner Körper an die zarte Seele anfchmiegt, fo einfach oder nüchtern, fo zierlich ohne 
£oftbar, fo wahr ohne geſucht, fo beredt ohne rhetorifch zu fein, wo findet fie ihres 
Gleichen? Vergleicht man, in Beziehung auf den Dichter, den „Meifter‘‘ niit „Wer: 
ther“, fo fieht man, wie in diefem der Dichter noch mit Leben und Schiefal ringt, im 
Meifter aber fie befiegt hat, und alles Heil in einer harmonifchen Bildung fand, die 
man auch ale Tendenz des „Meiſter“ betrachten muß. Durch feine Teidenfchaftlofe, 
ruhige, objective Anficht der Welt und des Lebens hatte fich eine Weltanfchauung 
in ibm gebildet, die, gleich entfernt von einfeitiger Befchränktheit als vorgefaßter 
Meinung, ihn jedes als zweckmaͤßig an feine Stelle, das Einzelne im Zufammenwirs 
ken mit dem Ganzen, und im menfchlichen Leben das Streben und Thun als die 
Hauptſache betrachten lieg. Nothwendig warf dies auch ein milderes Licht auf jenen 
dunfeln Punkte im Dienfchenleben, wo die Faden deffelben an ein unergründliches 
Sehickſal geknüpft find, Das erhob ihn jetzt zur ‘dee einer Theodicee, und diefe 
ſehen wir im „$auft“, denn wir müßten ung fehr irren, wenn Fauſt micht gerettet 
merden, der Himmel über die Hölle nicht den Sieg daven tragen follte. „Fauſt“ 
ift demnach ein philofophifch:, oder will man lieber, religiög:didaftifches Drama, 
Das Höchfte und Tieffte, das Lieblichfle und Ruͤhrendſte, mas eine menfchliche 
Bruſt bewegen. fann, iſt darin riedergelegt, dDurchdrungen von der tiefften Poeſie. 
An die Compefition des Ganzen (leider ift es erft eine Hälfte!) haben ſich Manche 
geftoßen, befonders darum, meil fie dabei an das Thenter gedacht haben, für wel⸗ 
ches diefe riefenhafte Compofition nicht gefchaffen iſt. Und gleichwol ift eben diefe 
eine Bortrefflichkeit mehr, mag man fie nun aus dem Gefichtspunfte der Zeit, in 
welche das Stuͤck füllt, oder des Sujets betrachten, das ohne phantaftifche Behand⸗ 
lung nicht bleibt, was es if. Das Flache und Alltägliche mußte bier ebenſowol 
als das Wuͤrdige und Erhabene feine Stelle finden, und es ift für den „Fauſt“ ein 
Gluͤck, mas für den „Meifter‘ ein Unglüc hätte werden können, daß beide Perio⸗ 
den bes Dichters fich darin berühren. Auch gehört er beiden an. Nachdem fich zu 
Ende von G.s zweiter ‘Periode noch einmal jener dem Augenblick überlegene Humor 
in den „Xenien‘ gezeigt, und er damit eigentlich die Loſung zu einer neuen Kraftpe⸗ 
riode gegeben hatte, fchien die fchaffende Kraft G.'s allgemach zu verfiegen, Und 
wahr ift es, feitdem er Boltaires „Mohammed“ und „Tancred“ überfeßt hatte, - 
. bat er, menn man einige Lieder und Romanzen ausnimmt, Nichts geliefert, was 
an die vorige Kraft und Fülle reichte, Nichts, worin er nicht befangen in feiner Zeit 
erfchtene. Mit feiner „Eugenie“ war es auf eine Trilogie, wie bei Schiller's „Wal 
Ienftein“‘, abgefehen; allein es blieb beim erften Theile. Man darf ſie in geroiffer 
Hinficht das vollendetfte Werk des Dichters nennen; fein andres ift fo gefeilt, fo ges 
glättet. Huber fagte: „freilich marmorglatt, aber auch marmorkalt!“ Altes iſt 
aufgeboten für die Form, und der methaphyſiſche Idealismus verräth fich ſchon durch 

das Perfonale. Sind es nicht Ieuter Abftracta? Man fieht deghalb ©. mol bier 
-und da, aber er waltet nicht Durch das Ganze, und diefes Werk ift mehr elegant als 
fhon. Kaum läßt fich Ähnliches von den „Wahlverwandtfchaften” behaupten, 


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(alt zu berkärrı. haben In nrarın Essekmaen ur Tryebaue uf Gern user 
Befien mt Beriutus meh ber wear zuht velienter Ihewer, 


’ gewißmet, die fen a ed Rem ‚ folgte, * 
haupt, indbefondere yır Morpholegie‘, deren erfirr Band gefchleffen if. — Nach 


den vorlicarnden Refuliaten hat währen? der leßtern “jahre G.s wiſſenſchafiliche 
Thatigten über die ſchaffende und darſtellende Las Übergewicht gewonnen. Dee jeht 
hervorragenden wiſſenſchaftlichen Werke Ges find reich an Aufſchlſfen über Ge⸗ 
———— umb enthalsen zugleıc) ——— 

ihees Verfaſſers. Bemühungen für Optik und Farbenlehre, für die Erkle 
rung der Erſcheinungen des Lichts, für Drneralogie, Geognoſie unt Betanif, für 
Anatomie, Phyfiologie und Aſtronomie, für Wetterkunde und für mand;e den ge: 
nannten fih anfchließende Segenflinde küntigten allen dieſen Biffenfgaften eine 


mittelungsverfuch mit dem Leben in feiner Ganzheit, aber nicht als ein unbedingt 
ee Merfuch, Wie der Dichter noch zweifelt, um ſo mehr, je näher er tun Re⸗ 

ltaten der Bildung rüdt, fo zweifelt auch fein Werk, und das Schoͤnſte, was wir 
von den Situationen und Anfichten erwarten, wird oft von einer unbezwinglich her⸗ 
verbrechenden Ironie verſchuͤttet. Eine Bildung, die Nichts zu bifden findet, die 


Göthe | 781 


der Unterlage eines tuͤchtigen, bildungsfaͤhigen Stoffe entbloßt, geglaͤttete Allgemein⸗ 
FR wird, eine Entwidelung, die das zur Entwickelung zu bringende Wefen durch 
bermaß in der Richtung verflüchtigt und vernichtet; beiden gegenfiber aber ein ges 
heimnißvoll verſchloſſener, Doch in der Entwickelung gertretener Keim, Der zu höhern 
Abnungen berechtigte: diefe 2 Segenfüße bringen „Meiſter's Lebrjahre” in fortlan: 
‚fender Abwechfelung zur Erfeheinung. Der Schluß endlich gibt ein tragifches Aus⸗ 
Bauchen des durch übertriebene Bildung oder Berbildung unterdrüdten Lebens. Ein 
bloges Serüft, ein conventionelles Weſen, eine fehaubühnenartige Lebensverbindung. 
. und ein Zehrbrief verdrängen die Fülle der frühern Erwartungen. Sie find das Er: 
gebniß, welches die mannigfachen Bemühungen front. Mag auch vielleicht der 
Dichter, als er anfing zu fehreiben, gehofft haben, einen befriedigendern Erfolg 
darftellen zu dürfen als den, welcher fein Werk ſchließen mußte, dem Werke ſelbſt er: 
waͤchſt Daraus Fein Tadel. Romane werden wielleicht gerade dann erft recht bedeu⸗ 
tend, wenn der Dichter, flatt fie plangemäß zu fchreiben, in feinem Lebensgange einen 
Genius befigt, der ihm den Gang der Begebenheiten und die Hauptwendungen vor⸗ 
ſchreibt. ©. feheint an fich , feheint an außern Umgebungen, ja fehrint an geroiffen 
* allgemeinen Erfolgen der befannten lediglich auf Bildung und Kunftfinn gerichteten 
Bemühungen die Erfahrung gemacht zu haben, daß fie am Ende nicht leiften, was 
fie verfprachen. Diefe Betrachtung gibt einen erflärenden Leitfaden, welcher um 
fo weiter führt, wenn unvergeffen bleibt, daß Vieles für „Wilhelm Meifter’s Lehr: 
jahre” bereits vorgearbeitet fein mochte, bevor ©. den Feldzug in der Champagne 


mitmachte, welchen der 5. Bd. feiner Denfwürdigkeiten fo ungemein anmutbig be: - - 


ſchreibt. — Durch alle Lieder des „Divan“ weht das ungetrübte Gefühl einer uner- 
wartet eingetretenen Befriedigung mit dem Leben und einer heitern Zufriedenheit mit 
jedem Zuftande des Dafeins. Der Zeitraum, um welchen diefe Sammlung Iyrimer 
Gedichte entftanden tft, kuͤndigt fich deutlich durch dasjenige Lied an, welches fie ev⸗ 
. Öffnet, Es ift die Periode, mo Alles zerfplitterte, Throne einſtürzten und Reiche zit: 
terten. Jetzt, wo Alles trauern und verzweifeln mußte, hatte ©. den Kampf mit 
fih und der Außenwelt ausgefämpft, und er vermochte wohlgemuth in des Ur: 
fprungs Tiefe zu dringen, ‚wo die Menſchen „noch von Gott empfinden Himmels: 
lehr' in Erdenfprachen, und fich nicht den Kopf zerbrachen”. Der nut fich und der 
- . Außenwelt einig gewordene Menſch widerſteht den äußern Drangſalen und wird kei⸗ 
neswegs durch fie entmuthigt. Iſt es aber wol möglich, vollfommener und reiner 
guten Muthes zu fein, wie der Dichter des „Divan’2 Nur fcheint diefe Sammlung 
noch nicht das richtige Verftändniß gefunden zu haben, deffen fie. bedarf... Denn 
dem beitern Sinne, welcher fie vom Anfang bis zum Ende erfüllt, liegt doch etwas 
fehr Tieffinniges zum Grunde, und dies iſt ganz aus der Zeit gegriffen... Dan 
ſcheint nicht eingefehen zu haben, wie fich in jenem Oſten, den G. auffudht und 
durchwandelt, eigentlich das Schickſal des Weftens abgefpiegelt hat. Denn.abge: - 
fehen von der Perfonlichkeit des Dichters, und die objective Seite jener Liederſamm⸗ 
lung betrachtet, gibt fie ein Bild von Dem, mas der Menſch im abgefchloffenen 
Despotisinus aus f. Leben macht. Hier fleht er einzeln und ifolirt da mit allem 
f. Treiben, Denfen und Empfinden. Dies, was anfangs ©, ſo bitter gefchanerzt, 
. bat für ihn die Herbigfeit verloren. Er felbft ifl zum Nachbilde eines jener glüd: 
feligen Weiſen geworden, welche wir fo oft im Morgenlande antrerfen, deren unge: 
trübte Seelenklarheit nichts Zeitliches zu ſtören vermag , die überall ein Vaterland 
finden, weil im eignen Bufen Ruhe und Heiterkeit wohnt, — Die Schrift „Für 
Alterthum und Kunſt“ bemüht fich, den Standpunkt näher zu rüden, aus welchem 
jede Hervorbringung des Menfchengeiftes betrachtet werden muß, bevor deren rich: 
tige Würdigung gelingen fann. In diefem inne betrachtet fie frühere Werke der 
Kunft und Das, was die Zeit leifiet, indem bald das Verſtaͤndniß deffelben befor⸗ 
dert, bald dag Gelungene, und wenn es auch nur pım Außenwerk gehört, angezeigt 





182 Gothen 


wird. Doch erſcheint hier G. mehr belehrend als lernend. Denn auch Das hat er 
eigen, daß am herrlichſten und am tiefſten er da zu belehren pflegt, wo er ſelbſt mit⸗ 
lernt. Nie geſchieht dies vollkommener, als wenn er das Buch der Natur lieſt. 
Was er auf dieſem Wege erworben, das theilt er in ſeinen naturwiſſenſchaftl. und 
morphologiſchen Beiträgen mit, Es galt nichts Geringeres, als an die Stelle jenes 
vereinzelnden Zerflörens, welches die Wiffenfthaft, um mit Bequemlichkeit ihr Ziel 
zu erreichen, in den Seiftesoperationen ebenfowol wie im objectiven Inhalte der Er: 
feheinungen vornahm, wieder ein lebendiges, zur vollkommenen Ganjheit führen: 
des Band zu gewinnen. Der erfle Schritt. gefchah dazu, indem Beoba:htung, Zer: 
gliederung, Folgerung, Ahnung und gefchichtliche Erzählungen, als mannigfache 
Thätigkeiten, in welche ein und derfelbe Seift fich verwandelt, zufammengefaßt und 
benugt wurden, das Öeheunniß zu begreifen. Die wiffenfchaftliche Zerreißung hatte 


zur Folge gehabt, daß jedes Organ, gleichfam jeder Sinn, Alles nur auf feine 


Weiſe zu verſtehen, und feine Art des Verſtehens obenan zu feßen trachtete. So 
zerflörten fich die vereinzelten Seiftesoperationen, weil man mit jeder Disciplin 
das Ganze erobern wollte, und weil man vergaß, daß nur der ganze Menſch in 
der Zuſammenwirkung aller feiner Sinne und Kräfte des Ganzen inne zu werden 
vermag. Diefe neue Methode, diefe Erlöfung der Naturmiffenfchaften von der tüds _ 
tendften sr haben wir ©. in einer Zeit zu verdanken, wo die Noth dringend 
war, einen Hauch der DBefeelung, welcher das Ganze durchdrang, in fie aufzuneh: 
men. — Einer wenigftens gefchichtlichen Erwähnung verdient die Kritik, welche die 
berüchtigten falfchen Wanderjahre (Duedlinburg, feit 1821) über den großen Mei: 
ſter deutfcher Kunft und Wiffenfchaft mit großem Sefchrei des Marktes haben er: 
geben laffen, Diefe feltfame Erfcheinung haͤngt mit der frümmelnden Mode der 
Zeit zufammen, die auch das Schöne und Wahre fo gern vor das Zuchtgericht einer 
einfeitigen Moral und religidfen Dogmatik ziehen möchte. ©. hat dazu geſchwiegen, 
und dag Geſchrei ift verhallt. Das unverfchämte Geſchwaͤtz des Engländers Glover 
(wer er auch fein mag) gehört an den Schandpfahl der literariſchen Welt. Aber 
rühmlich für den Meifter wie für das Volk, das ihn den einigen nennt, iſt die 
Theilnahme, bie bei feiner legten Krankheit und bei den Gerüchten von feinem 
Tode durch ganz Deutfchland ging, zum fichern Zeugniffe, daß fein großes Vers 
dienft in einer vielbewegten Zeit und mitten unter den entgegengefeßteften Beſtrebun⸗ 
‚gen nicht unerkannt geblieben ift. Daſſelbe Zeugnig gab auch die befonders von 
Seiten des weimarfchen Hofes mit wuͤrdigem Glanze begangene Feier von G.s 
50jähr. Aufenthalte in Weimar (f. „Gothe's goldener Jubeltag, 71. Nov. 1825, 
Weimar 1826), die wieberhofte Feier feines Geburtstages, 3. B. 1829 durch die 
Darftellung des „Saufl“ in Dresden, Leipzig und Weimar, des „SB in Berlin, 
und die Bereitroilligkeit, mit welcher alle deutſche Fuͤrſten fein Geſuch, die vellftäns 
dige Ausg. feiner Werke vor dem Nachdruck zu ſchützen, erfüllt haben. Dieſe 
Ausg, leßter Hand befchüftigt den Greis jegt mit einigen tüchtigen Gehülfen. S. 
„über Goͤthe. Literar. und artift. Nachrichten“, herausgegeb. von X. Nicolovius 
(1, Leipg. 1828). Das Wichtigfte aber ift der „Briefwechſel von Schiller und Gothe 
in den J. 1794 bis 1805“ (bei Corta, 4 Th., 1829). dd. 
Gothen (Gothones bei Tacitus, Guttones bei Plinius; die Gothoni des 
Tacitus oder Kotini.des Dio find gallifcher Abfımft), ein german. Bölkerflamm, der 
feinen Sig an der baltifden Küfte, zwiſchen der Weichfel und Oder hatte. Ihre 
‚Sprache Eommt der alten fränkifchen fehr nahe. Wie alle Deutfche, liegen fie ihr 
gelbes Haar lang wachfen, hatten Bärte und trugen Pelze; gegen die Sitte andrer 
Deutſchen aber hatten fie erbliche Königswürde. Unter dem Namen Gothen erfehies 
nen fie zuerft 215; darauf erfüllten fie ein halbes Jahrtauſend hindurch Europa 
mit dem Ruf ihrer Thaten, ımd der Sothenflamm war e8 befonders, von dem die 
übrigen beutfchen Stämmeibre Sagen erhielten, Ihre Wohnfige an der Oſtſee ver: 


— — 


J 


Gothen 183 


laffend, zogen fie in die Gegenden des ſchwarzen Meeres; andre Staͤmme verſchmol⸗ 
zen in dem ihrigen, und ſo entſtand durch fortgeſetzte Züge und Eroberungen, unter 
Ermanarik, um 350 das große gothiſche Reich, das vom Don, der Europa von Aſien 
trennte, bis zur Theis, die ſich in die Donau ergießt, vom ſchwarzen Meer bis zur 
Weichſel und Oſtſee ſich erſtreckte, alſo Thrazien, Miöflen (Servien und Bulgarien), 
Dacien (einen Theil von Ungarn, den Banat, die Bukowina, Siebenbürgen, Wala⸗ 
chei, Moldau bis an den Pruth), große Strecken von Polen, Rußland, Preußen um⸗ 
faßte, und im N. ſlawiſche, finniſche und lettiſche Staͤmme in ſich aufgenommen hatte, 
Hierbei kamen die Gothen von W. her mit dem roͤm. Reiche, von D. her mit dem by: 
zantin. Kaiſerthume in vielfache Beruhrung, und die Geſchichte iſt voll von Kaͤmpfen, 
welche dies Volk nach der einen wie nach der andern Seite hin zu beſtehen hatte. 
Zwei Kaiſer fielen in den Schlachten mit ihnen, und Rom und Byzanz wurden gend: 
thigt, ihnen Tribut zu zahlen. Sie waren das erfte Volk, zu welchem über die Do⸗ 
nau das Chriftenehum drang; Ulfilas, der Biſchof der Moͤſo⸗Gothen (des in Moͤſien 
‚ twohnenden goth. Stammes), ward um 360 Erfinder einer deutfchen Schreibtunft 
und Überſetzer des N. T. indie goth. Sprache. Aber freilich glichen nicht alle Gothen 
ben moͤſiſchen, bei denen durch die Nähe und den Berfehr mit Griechenland die Bil⸗ 
dung einen großen Vorſprung gewonnen hatte. Durch innere Unruhen theilte fich 
egen 369 Das goth. Reich in das Reich der Oſtgothen (Auftrogochen) am ſchwarzen 
er, vom Don bis zum Dniper, und in das Reich der Weftgothen (Staat der The: 
ruinger) inDacien, vom Dniper bis zur Donau; den innern Srürmen folgte ein aͤu⸗ 
gerer, welcher die Macht der Gothen in diefen Gegenden ſtürzte. Um 3775 drangen 
Schmärme der Hunnen und der von ihnen bezwungenen Alanen aus Afien herüber, : 
und drängten die Oſtgothen nach den Weſtgothen bin, die von dem Kaiſer Baleng die 
Erlaubniß erhielten, fich in dem verddeten Thrazien niederzulaffen, fich aber durch 
den Drud der kaiſerl. Statthalter bald zur Empörung gendthige ſahen. Valens 
wurde 378 von ihnen bei Adrianopel gefchlagen und verbrannte auf der Flucht in ei: 
ner von ihnen angezindeten Bauerhütte. Bedeutende Rollen fpielten fie von da an. 
‚in Ronftantinopel, Nach mancherlei Schickſalen erlangten auch die Oſtgothen einen 
neuen Wohnfig in Pannonien und Slaroonien, jedoch erſt nach der Zerflörung des 
Bunnifchen Reichs (4658). Während der. Zeit harten die Weſtgothen ſich in Briechen: 
land ımd Stalien furchtbar gemacht. Alarich brach 306 in ®riechenland ein, verheerte 
den Peloponnes und ward Prafectus von Ilihrien und König. der Weftgochen. Als 
folcher 309 er zu Anfang des 5. Jahrh. nach Italien, wo er den Untergang des rom. 
Reichs mit herbeiführte, denn um den Sieg über Alarich bei Berona (403) zu erfech: 
ten, hatte Stilico, der röm. Feldherr, alle rom, Truppen vom Rheine wegziehen muͤſ⸗ 
fen. Alarich Eehrte bald nach Italien zurück, eroberte Rom 409 und zum zweiten 
Mal 410. Mach f. Tode (410) gelang es den Weſtgothen, in dem füdl. Sallien 
und Spanien ein neues weſtgoth. Reich zu gründen (Septimania, Gothia), wovon 
‚gegen das Ende des 5. Jahrh. die Provence, Languedoc und Eatalonien die Haupt: 
theile waren, Touloufe die Refidenz. Ihr letzter König, Noderich, blieb (711) in der 
Schlachtgegen die von Afrika heräbergefommenen Araber, die das Reich eroberten. — 
Nach dem Fall des weſtrom. Reichs (Durch Odoaker 476) bewog der oftröm. Kaifer 
Beno den König der Oſtgothen Theodorich, 489 nach Italien zu ziehen, 493 wurde 
dieſer Oſtgothe zu Ravenna König von Italien und legte den Grund zu einem neuen 
oſtgothiſchen Reiche, welches.nebft Italien auch Rhaͤtien (einen Theil der Schroeiz 

und Tirols), Bindellcien (einen Theil von Baiern und Schwaben), Noricum 
(Salzburg, Steiermark, Karnthen, Öftreich), Dalmatien, Pannonien (Borterun: 
garn, Sfamwonien), Dacien jenfeits der Donau (Siebenbürgen, Watachei) umfaßte, 
554 aber fein Ende erreichte, Dieſes welthiftorifche Volk war nicht ohne Kunſt und 
Kenntniffe, da fie mit dem oft: und weſtroͤmiſchen Reiche lange vor ihren Einbrüchen 
in Italien in Verbindung geflanden hatten, . Theodorich, am dem Hofe zn Konſtan⸗ 


- 


und heiliger W 


738 Getheuburg Ost 


sunepel ergpaen, war cin fa arefer Trruule ber fdıkarn Rinfie, Ya er tr re ei: 
es comes nıtentsum rerume (Kunlisset, Öberaufücher über ter Suudlusrrlie) er: 
rißptese, ber auf ve Biſt en adyten mufse, dal; für macht verießt ber gerambt unlr- 
ten, muB cınem öffentlichen "Dammeriker Dir Erhaltung der alıa chiube aufürug. 
Nicht mer lach er zu Kom verkchietene wffentiuche Gchiute eruruern, fenberm auch 
andre Zribie mit neuen verperen. (Bl. Bastunf) ©. enfes „Schibucheer 
Bes Agoche ſchen Reichs in alien” (Dresien 1824), und Akchbadh's Geſchechee 
der (Frankfurt a. PR. 182T,. 

Gothenburg (Berhaberg, 1100.5.. 25.000 E.), eine 1601 von ter ¶ . 
nach hellint. Art gebaute See⸗ umb m . on 
dem ter Sethelbe im die Noedſee, nach Sredheim die beirchtlichhir und 
wehlbabentfie Stadt ın gan Schweden. Hier haben ihren Ei ein Lanteshanpt- 
mann und eine Araurclisät un Fertiicationsbrigate, ein Ma 


⸗ 


di. . 
und viele engl. und deutfche SHandelshiufer haben fich von da hinweggezogen. ©. 
Hat mehrmals (uletzt 1802 und 1804) durch Feuersbrünſte ſehr gelitten. 

Gott und Gotter. inter Gott denkt fich die gereifte Vernunft das ein- 
zige, —— von der Welt verſchiedene Weſen, deſſen unendlicher 

ille der Grund von dem Daſein der Welt und ihrer Einrichtung, und 
von dem Wirklichwerden des hoͤchſten Gutes iſt, deſſen Erwartung die Vernunft nicht 
aufgeben kann, ohne mit ſich ſelbſt in Widerſtreit zu gerathen. So muß Gott ge⸗ 
dacht werden, wenn der Glaube an ihn Die Bedürfniſſe der Bernunft befriedigen fol. 
Als ein nothmendiges, d. b. als ein ſolches Weſen, welches den Grund feines Das 
feins in ſich ſelbſt trägt, muß er gedacht werden, weil nur ein folches Weſen das ‘Das 
fein der Welt erklaͤrbar macht; unendlichen Berfiand muß man ihm beilegen, weil 
nur durch Diefen die alle menſchliche Einficht und Faffungskraft überfteigende Welt⸗ 
einrichtung ri wird, und heiligen Willen mug man Gott ufchreiben, weil 
nur unter dieſer Vorausſetzung von ihm erwartet werden kann, daß er die vermünftis 
en Naturen zu höherer fittlicher Keife führen und Slüdfeligkeit und Leiden nach 
aßgabe der Schuld und des Verdienſtes austheilen werde. Die dee Gottes, Des 
Schopfers der Welt, des Sefeßgebers der vernünftigen Weſen und des Regierers der 
menſchl. Dinge, ift das Höchfte, was die Vernunft erreichen kann, der rund aller 
über das Irdiſche fich erhebenden Hoffnung und die wirkſamſte Triebfeder pur Pflicht: 
erfüllung. Das Syſtem, welches die Realität diefer Idee anerkennt, heißt T heiss 
mus oder Deismus, das entgegengefeßte Atheismus; bie Lehre Derer, welche, 
wie Spinoga und einige Philofophen aus der neueften Schule, Gott und Welt für - 
Daffelbe halten, damit aber im runde die das Beduͤrfniß der Vernunft befriedis 
gende dee Sottes aufheben, wird Pantheismus genannt. Descartes, Leibnig, 
zolf, Reimarus und Kant, obgleich Leterer die nor ihm gewöhnlichen metaphh⸗ 
fifchen Beweiſe für das Dafein Gottes in Ihrer Unzulänglichfeit darfiellte, haben ſich 
für den Theismus entfchieden, und da durch Schelling's dentitätsphilofophie hie 
Idee eines von der Welt verfchiedenen, bie. Welt mit. Weisheit und. Güte regie⸗ 
senden Gottes gefährdet zu fein fehlen, ſo hat zuletzt Jacobi in ſeinem Buche 4 


Gott | nn 785 


Gott und die göttlichen Dinge den Thelsmus, mit Rüdficht auf die abweichenden 
Vorſtellungsarten einiger neuen Philoſophen zu vertheidigen geſucht. Die wichtig⸗ 
ſten Beweiſe für das Daſein Gottes find der ontologiſche, der kosmologiſche, ber 
phyſikotheologiſche und der moraliſche. Der ontolo giſche ſchließt von der Noth⸗ 
wendigkeit, ein hochſtes und vollkommenes Weſen zu denken, auf deſſen wirkliches 
Sein. Er iſt von Anſelm von Canterbury, fpäter von Descartes ausgebildet wor. 
den. Der kos molog iſche Beweis beruht aufFolgendem: Alles in dem Gebiete 
der erfennbaren Wirklichkeit erfcheint ung als gegründet und bedingt, d. 5, Alles, 
was vorhanden ift, hat den Grund feines Dafeins nicht in fich felbft, fondern iſt von 
andern früher vorhandenen Urfachen abhängig. Die Vernunft kann ſich nichts Be: 
Dingtes ohne eine Bedingung, nichts Gegründetes ohne einen Grund denken, das 
Geſetz des zureichenden Grundes nöthigt fie, jede Wirkung auf eine Urfache zuruͤck⸗ 
‚führen. Indem nun die Vernunft von einer Erfcheinung zu der andern, von 
einem Örunde zu dem ändern zurückgeht, gelangt fie zu der dee eines Urgrundes, 
welcher gleichfam der Träger aller Dinge fei, zu der dee eines unbedingten und . 
nothwendigen Weſens, d. h. eines Weſens, welches in feiner Urſache bedingt und 
gegründet ift, den Grund feines Dafeins in fich felbft trägt, und als der legte Grund 
aller Erfepeinungen, als der Punkt, von welchem alle Reihefolgen der Erfcheinun: 
gen ausgehen, zu. betrachten iſt. Leibnig, Starke, Wolf fühhten diefen Beweis 
aus, Der phyſikotheolog iſche Beweis beruht auf der in der Natur wahr⸗ 
nehmbaren Ordnung und Zweckmaͤßigkeit. Da naͤmlich, wo Zweckmaͤßigkeit wahr: " 
genommen wird, muß man ein Handeln nach · Ideen vorausfegen und darum an: 
nehmen, daß der Grund der Welt, weil in ihren Einrichtungen ein weifer Plan und 
Abficht fich offenbaren, in einem nach Ideen, nach Vorftellung von Mitteln und 
Zweck handelnden Wefen enthalten fei. Dergleichen Einrichtungen der Natur, in 
denen Regelmäßigfeit und Zweckmaͤßigkeit auf die unperkennbarſte Weife fich ankun⸗ 
digen, find z. B. die Axebewegungen der Planeten und die dadurch bewirkte Entftes 
bung des Lichts und der Wärme, der Tageg: und der Jahreszeiten, die Kugelform 
der Erde, ohne welche alles Land um den Aquator überſchwemmt, und alles Land 
an den Polen dürre fein würde, das Gleichgewicht der Südfee mir der Mordfee, des 
ſtillen Meeres mit dem atlantifchen, des feften Landes der neuen Welt mit dem feften 
Lande der alten Welt, dir gleichmäßige Vertheilung der Erde und des Waffers und 
andre Einrichtungen des Erdplaneten, ferner die wechfelfeitige Beziehung der geifti: 
gen Bermögen des Menfchen zu einander, die Harmonle zroifchen dem Seifigen und 
Einnlichen ſ. Weſens und der Bau des menfihlichen Leibes, deffen Theile alle mit 
dem Zwede der Erhaltung zufammenhängen, die Mittel der naturgemäßen Erhal⸗ 
tung der Lebenden jeder Sattung, das ziemlich gleiche Verhaͤltniß der Gefck lechter 
und eine Menge andrer Erfcheinungen, mit deren Befehreibung fich viele phyfiko⸗ 
tbeologifche Schriften, unter denen befonders die von Derbam, Trembley, Bonnet, 
Reimarus und Sander gerühmt werden, fich befchäftigen. Diefe und andre Erfchels 
“nungen nun nöthigen den Menfchen, dafern er nicht die in der Natur wahrnehmbare 
Drdnung und Zweckmaͤßigkeit auf fich felbft beruhen laffen will, einen Welturheber 
von unendlicher Macht und Weisheit anzunehmen, ‚da fich, auch bei der Boraus: 
fegung einer ervigen Materie, doch die Entftehüng der Formen der Dinge ohne 
ein Handeln nach Ideen nicht erffären läßt. Die Natur iſt der Spiegel und der 
Abglanz Gottes, und darum führt die Naturbetrachtung den Mienfchen, der das . 
Verlangen nach dem Höhern und Ööttlichen im Herzen trägt, zu Gott, und wenn 
er auf Erfcheinungen trifft, an denen er feine Spuren pon Ieisbeit und Guͤte ent: 
dedt, fo erwägt er, daß er nur einen kleinen Theil des. großen Ganzen überfehe, dag; 
wenn das gegenmärtige Leben ein Zuftand der Tugentübung fein foll, die vernunftie 
gen Wefen in einem Syſteme von Kräften fich befinden miüffen, welche ihren Nei⸗ 
. gungen entgegenwirken und Reijungen zur Sünde enthalten, und dag es vernunf: 

Sonverfationd: Xesicon. Bd. IV. &0 


186 Gott 


tis fei, da, we man in einem befannten Theil Orbaung und Iwedimößigfeit ent: 
deckte, auch in tem Unbefannten weife Abfichren vorauspiſetzen. Soll aber ie Fe: 
turbetrachtung ten Menſchen zu Gott führen, fo muß in f. Oemäthe ſchon das “Ber: 
langen, ihn zu finden, ermacht fein, term eine apodiktifche Gewißheit, d. h. eine 
ſolche Geweßheit, bei weicher das Giegentheil ber angenommenen U um- 
denkbar wird, gemühren diefe Beweiſe nicht. Diefes Berlangen iſt in der fittlschen 
Matur des Menſchen gegrintet, un? darum ſetzt ein inniger und lebendiger Slaube 
an Gottes Daſein und Regierung voraus, daß bie firtlichen Anlagen des Menfchen 
fich emwickelt haben, und er f. hehern Bedürfniſſe fih bewußt geworden ſei. Die 
Darftellung des Zufammenhanges des Glaubens an Gott mit diefen Betürfniffen 
des menfchlichen Gemüths. wird der moralifche Beweis für das Dafein Gottes 
genannt, welchen befonter: Kant und deſſen Schüler hervorgehoben und näher ent- 
mwidelt haben. Es beruht cher Liefer Beweis auf Folgendem: Der Menſch iſt ein 
fittliches Weſen, und aus f. firrlichen Natur geht Die Idee des höchſten Gutes, d. 6. 
die Idee einer ins Unendliche fortfchreitenten fittlichen Bervollfonmnung und einer 
genauen libereinftimmung zwiſchen Tugend und GHüdfeligkeit hervor. Er fann 
diefe Idee nicht für Wahn und Taͤuſchung erflären, ohne ten Glauben an f. fiteliche 
Natur und Beſtimmung aufzugeben, und muß, um einig zu fein mit ſich felbft, das 
Birklichwerden des höchften Gutes erwarten. Alles um ihn ber erliegt der Zerfio- 
rung, und die Natur theilt Freude und Glückſeligkeit nicht nach Dem Maßſtabe der 
Wrdigkeit der Emyfänger aus. Um daher das Wirklichwerden bes bechflen Gutes 
erwarten zu konnen, iſt er genöthigt, das Daſein einer von der Natur unterfchie: 
. denen Urfache der gefammten Ratur anzımehmen, welche den Grund ter Erhaltung 
f Wefens und eine dereinftige ÜÜbereinftimmung zwiſchen Tugend und Glückſeligken 
enthalte. Diefe oberfte Urfache der Natur muß eine der moralifchen Geſetzgebung 
gemäße Saufalität (Urfichlichkeit) Haben, muß tas Sittengeſetz fich vorftellen (ns 
telligenz, vernünftiges Wefen fein) und der Börftellung diefes Geſetzes gemäß wirfen 
(mu Willen befißen). Es muß alfo die obeı fe Lirfache der Natur ein Weſen fein, 
welches durch Berftand und Willen die Urfache der Natur iſt, und ein ſolches We⸗ 
fen wird Sort genannt, Zu ber hier entwickelten Idee der Gottheit aber kann nur 
die gereifte Vernunft fich erheben, und ohne Lie Dazwifchenkunft der Offenbarung 
würde fie vielleicht nie allgemein Slaube geroorben fein. — Ehe der Dienfch zu der 
Idee Sottes ſich erhebt, glaubt er an Sötter, von deren Weſen und Wirkffamfeit 
die Bölker hoͤchſt verſchiedene Borftellungen gehegt haben. Die unvolltommen: _ 
ſten Götter find die Fetiſche, d. h. lebloſe Korper oder Thiere, denen der Menfch, 
weil er fie als Lrfache f. Wohles und Wehes betrachtet, ebrung erweiſt. Auf 
einer bähern Stufe der Bildung ftanden die Volker, welche der Sonne und den Ge: 
flirnen Einfluß auf die menfchlichen Schickſale zufchrieben und diefe Himmelskörper 
verehrten, welche Art des Gottesdienſtes Sabäismus (f. d.) genannt wird. 
loch weiter waren die Voͤlker vorgefchritten, welche ihre Helden und Könige, die 
Erfinder nüßlicher Künfte und merfwürdige Heroen als fortlebend nach dem Tode 
fi dachten und ihnen übermenfchliche Kraft und Einfluß auf ihre Schickſale zu⸗ 
figrieben,, oder fih Kräfte der Natur als roirkliche Wefen, als Perfonen, mit Ver: 
ſtand und Willen begabt, vorftellten, auf welche Weiſe die Religion der Griechen 
und Römer entitanden war. “Der Glaube an mehre, die Schickfale der Völker und 
einzelner Menfchen regierende Weſen, welche zwar eine übermenfchliche Macht bes 
fißen, doch aber menfchlich fühlen und begebren, und nicht frei find von menfchlicher 
Beſchraͤnkung, heißt Polytheismus. Diefer ift nichts Andres als Vergoͤtte⸗ 
rung der Natur, da hingegen der Theismus über die Natur fich erhebt und über 
ihr das Göttliche findet. Auch die gebildetſten Völker der alten Welt; die Griechen 
und die Römer, waren Polntheiften, und nur wenige Weife der vorchriftlichen Zeit, 
wie Anaxagoras, Sokrates, Plato, hatten fish zu würdigern Borftellungen von 


Gotter | 187 


Gott und f. Regierung erhoben. indem aber der Polytheismus in det ganzen als 
ten Welt berrfchte, ward bei einem für unbedeutend gehaltenen, von den gebildeten ' 
Nationen des Altertbums weng gekannten Volke die allgemeine Verbreitung des 
vernunftgemaͤßen Glaubens an Gott und ſeine Regierung vorbereitet. Zwar dachten 
ſich die Juden, ebenfo wie andre Völker der vorchriftlichen Zeit, Jehova nur als ein 
vernünftigfinnliches'Wefen von großer Macht und Hoheit, da fie aber nur einen 
Gott verehrten, fo Eonnten hier die religiofen Vorftellungen weit leichter veredelt 
und endlich bis zu der, den Bedürfniffen der gereiften Vernunft genügenden, “dee 
Gottes ausgebildet werden, und darum war der Monotheismus der Juden, ihr 
Glaube an Einen Gott, von fo großer Wichtigkeit, daß es höchft glaublich ift, dag 
Gott felbft für die Erhaltung diefes Glaubens geforgt Habe. Nach einer allmali- 
gen, durch mehre Jahrh. fortlaufenden Vorbereitung gelang «8 dem großen Stifter 
des Chriftentbums, auf den Monotheismus f. Volfes. den völlig vernunftgemäßen, 
alle Bedürfniffe des Verſtandes und des Herzens befriedigenden Glauben an Gott 
und feine Regierung zu gründen, welcher durch die Ausbreitung der Kirche aufeinen 
großen Theil des Dienfchengefchlechts überging. Aus dem Juden: und Chriſten⸗ 
thume fchöpfte Mohammed f., wenn auch nicht vollfominen reinen, doch weit über 
die Vorftellungen der polgtheiftifchen Völker erhabenen religibfen Begriffe, und fo 
»ward auch durch den Islamismus (ſ. Mobammed) der Glaube an Einen 
Gott unter einem großen Theile der Menfchheit verbreitet. N, 
Gotter (Friedrich Wilhelm), geb. 1746 zu Gotha, empfing die forgfültigs 
ſte Bildung durch Privatlehrer, Der fühige Knabe verfuchte fich zuerf in Fleinen 
dramatifchen Stüden in franzöfifcher Sprache, die einen befondern Reiz für ihn 
hatte. 1763 fg. fludirte er zu Söttingeh die Rechte. Hier machte er Bekannt: 
ſchaft mit dem Schaufpieler Eckhof, und errichtete nach dem Weggange der Ader: 
mann’fchen Sefellfchaft ein Sefehlfchaftstheater, 1766 trat er zu Gotha als ziveis 
ter Archivar in herzogl. Dienſte. 1767 ging er als Legationsfeeretair nach Weblarj 
folgte aber im nächften jahre der Einladung, zwei junge Edelleute auf die Univer⸗ 
first Göttingen zu führen. Damals unternahm er mit Boje die Herausgabe des 
„Gotting. Muſenalmanachs“ und empfahl fich durch verfchiedene Igrifche Stücke. 
4769 kehrte er nach Gotha und 1770 auf feinen Poften nach Weglar zuruͤck, wo er 
zwei J. blieb, nach welchen er in Gotha bei der geben Kanzlei angeftellt wurde, 
In Weplar fand er nicht nur die Ackermann'ſche Sefellfchaft wieder. fondern auch! 
einen Kreis junger Männer, die mit ihm an Bildung und Talent n .eiferten; um: 
ter diefen waren Gothe und der funge SYerufalem. 1774 machte ©. eine Sefund: 
heitsreiſe nach Lyon. Hier lernte er das franz. Theater, für das er von jeher eine 
große Vorliebe gehegt hatte, näher Eennen. In den nächften 12 J. nach f Rüd: 
kehr entftanden feine vorzüglichften dramatifchen Arbeiten, Leffings, Weiße's u. X. 
Vorgang, deren Bemühen die deutſche Schaubühne ummandelte, und die treffliche 
Schaufpielergefellfchaft, welche Gotha vor allen Städten Deutſchlands damals bes 
fa, befeuerten f. Liebe für die dramatifche Kunft. Schon vor Errichtung des Hofs 
theaters in Gotha hatte er auch bier auf einer Privarbühne ſ. treffliches Spiel ge: 
zeigt. Außerdem befaß er das Talent des Improviſirens in einem feltenen Grade 
. und ſprach Diswellen mit einer unbefchreiblichen Leichtigkeit in Verſen, die zum 
Theil vortrefflich und vollfommen gerundet aus f. Munde famen. 1780 verheira: 
thete ſich ©. und lebte ſeitdem, Fleine Reiſen abgerechnet, beftändig in ſ. Vaterſtadt, 
wo er 17971 im 53, %. f. Lebens farb. Obgleich ©. die fchöne Literatur der Fran: 
gofen, Engländer und Italiener kannte, fo fagten ſ. vielleicht etimas überverfeiner: 
ten Natur doch am meiſten die Werke der'erftern zu. Sie waren e8, deren geglät- 
tete Zierlichkeit er fich bis auf das Mechanifche der Poefie zu eigen machte. Die 
Stoffe ſ. Poeſien fammelte er auf fremden Boden, behandelte fie aber in der Mus: 
führung mit freier Willfür, Er verfuchte ſich in jeder Dasnmg der dramatifiben 
0* 


⸗ 


4 


788 Goͤtterlehre Gottesdienſt 


Kunſt, im Trauerſpiel, Luſtſpiel, Singſpiel und in der Poſſe. Seine übrigen 
Poeſien, im Sache der Epiſtel, des Liedes, der Erzaͤhlung und Elegie, zeichnen ſich 
durch den reinen gebildeten Ausdrud zarter und edler Sefühle, ſchalkhafte Zaune 
. und eine gefillige Lebensphiloſophie aus. In allen f. Werken zeigt ſich Gotter als 
einen Meiſter in der Berstunft. Er felbft bat herausgegeben: „Gedichte (2 Die, 
1787 und 1788), „Singſpiele“, 1. Bdchn. (1778), „Schauſpiele“ (1795), 
und einzelne theatralifche Arbeiten, meift Überfegimaen. ach feinem Tode 
erfhien 1802 ein 3. Bd. Gedichte, auch u, d. T.: „Literarifcher Nachlaß u. ſ. 
w.“, mit des Derf. Biographie von Schlichtegroll. + 

Sütterlehre, fe Mythen, Mythologie. 

Sötterfpeife, Ambrosia, in der Mythologie der Sriechen und Römer 
ein füßer und balfamifcyer Saft, der in der feligen Inſel des Dceanus quoll und 
den Söttern zur Erhaltung der Unfterblichkeit, gewohnlich als Speife, aber auch als 
Tran, Ber jeboch mit dem Nektar (f. d.) nicht zu verwechfein ift, und als Salbe 
diente. Menfchen, denen davon mitgetheilt wurde, erhielten dadurch Schinbeit, 
Stärke, Bebendigfeit, kurz etwas von Göttlichkeit. 

Gottesdienſt, richtiger Sottesverehrung genannt, umfaßt alle 
die Handlungen, welche unmittelbar entweder religiofe Gefühle ausdrüden oder 
Die Hervorbringung derfelben bezwecken. Solche Religionshandlungen aber, welche 
entweder durch die DMorfchrift eines Religiongftifters, oder durch die Bitte, oder 
durch die Übereinkunft einer Eirchlichen Sefellfchaft eingeführt worden find und regel: 
mißig wiederholt zu werden pflegen, werden gottesdienfklichk oder religiöfe 
Gebräuche genannt. Der Gottesdienft kann entiveder Privargottesdienft oder 
ein öffentlicher fein, und da die Menfchen nur zu leicht das Göttliche vergeffen, da 
Vereinigung Vieler zu Einem Zwecke das Gemuͤth flürfer ergreift, und viele Reli: 
gionshandlungen nur da flattfinden fönnen, mo Viele fich verfammeln, fo hat ein 

weckmaͤßig eingerichteter öffentlicher Stottesdienft, wo die Rede des Predigers und 
er Sefang der Gemeinde das religiöfe Gefühl auf eine würdige Weiſe ausfpricht 
und anregt, auch Mufif und bildende Künfte das Göttliche darftellen, einen hohen 
Werth, Die Verfchiedenheit der Sortesdienfte, mit denen ung die Neligionsges 
fchichte befannt macht, Bat ihren Grund in der Verſchiedenheit der religiöfen Vor: 
ftellungen, oßgleich auch die Verſchiedenheit in den Charakteren der Völker, in ihren 
Merfaffungen, in den Erzeugniffen ihrer Ränder und ihres Kunftfleißes, foroie 
manche andre Umſtaͤnde beigetragen haben, dem Cultus jedes Volks ein eigenthüm: 
liches Gepraͤge zu geben. Der unvollkommenſte, des Namens faum werthe Got: 
tesdienft ift der, welcher fih auf äußere Segenftände, die als Urfachen des Wohls 
und des Wehes betrachtet werden, bezieht, und es druͤckt diefer Fetiſchendienſt nur 
Begehren und Verabſcheuen, Furcht und Hoffnung aus, und fann auf die Site: 
lichkeit gar Feinen Einfluß äußern. Eine vollfominnere Art des Gottesdienſtes ift 
die, welche auf menfchenähnliche Weſen bezogen wird, und da diefen Göttern, fo 
- unvollfommen man fie fich auch vorftellenmag, doch moraliſche Eigenfchaften zuge: 
förieden werden, fo kann er nicht ohne allen Einfluß auf die Sitten der Völker blei⸗ 
en; Es befteht diefe Art des Gottesdienſtes hauptfächlich in Opfern, Reinigungen, 
Gelübten und Büßungen, und da man fich die Bötter meift als unfichtbar zu den: 
Een pflegt, fo wird er zunächft auf die Symbole der Sötter bezogen und ift daher 
mit Bilderdienft verbunden. Der würtdigfte Sottesdienft aber iſt der, welcher fich 
auf den Glauben an einen allmächtigen und heiligen, über. alle menfchliche Befchrän: 
Eung erhabenen Weltregierer gründet, auf den Glauben an Sott und f. Regierung, 
welchen das en in der Welt ausgebreitet hat. Unverfennbar war der 
Gottesdienſt der Chriſten im apoftolifchen Zeitalter eine firtlich:religiofe Anftalt, 
‘ganz darauf berechnet, durch Ermahnung, darch Gebet, den unmittelbaren Auss 
drud des zu Gott erhobenen Gefühle in Worten, durch das Vorleſen der heiligen 


> 


Gottesdienſt Gaottesfriede 189 
Bacher, durch gemeinfchaftfichen Geſang und durch das bei bärgerfichen Mablen . 


verordnete Andenken an Jeſum Chriſtum den Glauben zu flärfen und fromme Ges 


fühle zu nihren. Und ward auch der hriftliche Neligionscultus in der Folgezeit auf 
mannigfaltige Weiſe, und namentlich durch Die Einmifchung von Sebräuchen, weh 
che die zum Chriſtenthum bekehrten heidnifchen VBölfer in die Kirche hinüber brach« 
ten, entftellt, fo blieb er Loch immer unendlich edler und würdiger als der Cultus der 
vorchriſtlichen Welt, und hörte nie auf, wohlthätig auf die Sitten der Völker zu 
wirken. Durch die Reformation wurden die meiften diefer Mißbraͤuche verdrängt, 
die Predigt und der Sefang die Hauptfache bei dem Sottesdienfle der Proteflanten, 
und unläugbar ift ein folcher Cultus die trefflichfte Schule der Volksbildung. Daß, 
der proteftantifche Sottesdienft Durch manche Gebräuche bereichert, und mehr noch, 
als an den meiſten Orten der Fall iſt, durch die Kunſt verfehönert werden koͤnnte, 
laßt fich nicht bezweifeln. Doch darf man diefen Mangel an Seremonien und die 
Seltenheit von Kunftiverfen in den proteftantifchen Kirchen Feineswegs fo hoch ans. 
fchlagen, als von Denen zu gefchehen pflegt, welche in unfern Tagen den Katholis 
cismus auf Koften des Proteftantismus erheben; das Wort bleibt immer die Haupte 
fache, und wenn nur dafür geforgt wird, daß es der proteftantifchen Kirche nicht an 
ausgezeichneten Kanzelrednern fehle, und überall gute Geſaͤnge gebraucht werden, 
fo wird ihr Cultus ſ. —* erreichen. J. J. Blunt s „Urfprung religioſ. Ceremo⸗ 
nien und Gebr, der röm.-kath. Kirche, bef. in Italien und Sicilien“ (a.d. Engl., 
Leipzig 1826) zeigt den Zufanimenhang, in welchem die religiüfen Gebräuche des 
alten heidnifchen Roms und des neuen fatholifchen mit einander ſtehen. 
Gottesdienft, der Farholifche, flelle vorzüglich die allgemeine Myſtik 
der Kirche dar. Des Sottesdienftes Mittelpunkt ift dag Opfer des neuen Bundes, 
das Abendmahl. An diefes Opfer reihe fich. Gebet und Belehrung. Es iſt ein 


“ würdiges Ganges, das nie aufgehört hat, die Herzen des Volks zu. he fie 


dem Emigen und dem Sittlichen zuzuwenden. Wenn es wahr ifl, daß gerade die 
äftefte Art der Belehrung die durch Symbole ift, fo wird man den Formen des ka⸗ 
tholiſchen Gottesdienſtes dag Belehrende und Sittlichreirfende nicht abTprechen, fie 
führen nach oben und find infomweit, wie Schiller richtig bemerkt, nicht von diefer 
Welt. — Als die proteft. Kirche die Fathol. Abendmahlsanficht, mit ihr die Meffe 
verwarf, mußte e8 auch einen andern Sottesdienft für fie geben. Sie bat feine 
Prieſter, ihr blieb nur Predigt und Sefang. Es fiheint, daß diefes ein chriſtliches 
Semüth, was 'ganz erfüllt HE von der hoben Myſtik, die das Evangelium beut, 


. . nimmer ganz befriedigen farn. Darum hat fich in neuerer Bert ein gewiſſes Seh⸗ 


N 


nen nach des Ratholicismus erhabenen Formen fundgegeben. Man hat die Lichter, 


man bat Bilder, man hat eine Priefterkleidung u, f. ro. reclamirt. Indeſſen wird 


alles Dies das Bedürfnig ſchwerlich befriedigen. Solche einzeine Formen können 
nicht gedeihen, verpflanzt aus ihrem eigenthümlichen Boden. Erſt die Earholifche 
Abendmahlsanficht gibt den Formen Bedeutung und Leben, und da diefe Die pros 
teftantifche Kirche nur mit Aufgebung ihres Wefens annehmen Fönnte, fo ift die 
Frage leicht zu entfcheiden, ob Übertragung kathol. Formen dem Proteftantismug 
frommen koͤnne. 

Sottesfriede, Treuga dei (Treuge oder Trewa, von dem deutfchen 
Worte Treiv, Treu), hieß im Mittelalter eine Befchränfung der Fehden, welche 
von der Kirche ausging, um ein Übel, welches fie nicht ausrotten fonnte, zu mildern, 
Kraft deffelben follten wenigfteng an den heiligen Tagen, vom Donnerstag Abends 
bis Sonntag Abende in jeder Moche, in der Advents- und Faftenzeit, und in den 
Octaven der hoben Fefte die Waffen ruhen Diefer Sottesfriede wurde zuerfl 1033 
in Aquitanien (to ein Bifchofden Befehl dazu yom Himmel erhalten zu haben vors. 
geb „alsdann in Franfreich und Burgund eingeführt; 1038 fam er ſchon auf dem 

eichstage zu Solothurn für Deuiſchland im Anregung; unter Wilhelm dem Bas 


! 


778 J Goͤthe = 


leiſtete genauer, fo fieht man, es iſt volksmaͤßiger, es tft vol Deutfchheit, fir welche 
Leſſing bereits männlich gefämpft hatte, und welche G. gluͤcklicher erreichte als die 
um jene Zeiten auflebenden neuen Barden. Diefes Belfsmäßige tonnte aber nur 
als Dppofition gegen das Herfammliche durchgeführt werden; und Niemand war 
geeigneter dazu, eine Oppofitionspartei anzuführen, als eben. Kein Wunder, 
wenn fich jener verwegene Humer, der fich dem Augenblick überlegen fühlt, befonders 
£räftig meldete. Bekanntlich ging es nicht ohne rinigen Cynismus ab, und das 
Hratürlichfeitsprincip wurde ziemlich weit ausgedehnt. run: verfloffen 12 Fahre, 
ohne daß man von ©. viel Bedeugendes vernommen hätte, Deſto größer mar bie 
Überraſchung, als er wieder erſchien. Mon muß indeß nicht glauben, als ob alle 
Werke, die um diefe Zeit erfehienen, auch Werke diefer Periode roiren, Beobach⸗ 
tung der Chronologie ift hier fehr nörhig und wird zeigen, daß zwiſchen diefer und 
ber erſten Periode ein Mittelzuftand flattgefunden, in melchem der Dichter durch 
‚ Sjeonie fich felbf reinigte und die flreitenden Kräfte [. entzweiter Weſens mildernd 
zur Harmonie ſtimmte. Syn diefen Zroifchenzuftand gehören unftreitig mehre komi⸗ 
ſche und fatgrifche Erzeugniffe, z. B. der „Triumph der Empfindfamfeit” u. a. 
Mit ihnen trat er aus der Befangenheit des vorigen Zeitalters und erhob ſich auf 
einen höhern Standpunft. Spielend ergößte ‘er ſich da oft noch an dem Leben und 
Treiben unterihm, z.B. im „Jahrmarkt zu Plundersweilern“, worin er dem Leben 
die heitere Seite abgewann. Sjmmer näher trat er hiermit dem Gebiete der reinen 
Schönheit, die ihm den duftigften ihrer Kränge um die Schläfe fehlang, als er die 
„Iphigenia“ auf ihren Altar niederlegte. Mit Recht nennt A. W. Schlegel fie 
einen Nachgeſang der Griechen. Ohne Nachkunſtelung veralteter, für uns immer 
fremder, Formen ift Bier ein von griech. Seifte durchdrungenes Werk. Erfreulich 
ſchließt ſich an, Iphigenia“ „Taffo” an, der jener vielleicht nur als Compoſition nach- 
ſteht, denn nachtheilig bleibt es immer, daß zur Beruhigung die Überlegung aufge: 
fodert wird. Mag nun aber „Taſſo“ auch kein Drama im firengen Sinne‘ der 
Theorie fein, fo bleibt er Doch bermundernsmwürdig als Charaftergemälde, als ein Ge⸗ 
dicht über, den Dichter und ſ. Werk, das wir gern mit Müller das für Verſtaͤndniß 
‚ ber Poeſie lehrreichſte und tieffinnigfte nennen. Nur G. Eonnte es wagen, diefen 
Taſſo darzuftellen, und ſelbſt ©. Eonnte es nur in diefer ‘Periode ganz gelingen, Hier 
aber vereinigte fich auch Alles dazu. Am Hofe Amaliens fand er den Stoff uf. 
Umgebungen des Taffo, und lernte eben den Ton treffen, der folchen Umgebungen 
eignete. Muß man demnach aber nicht fragen: ob nicht Gothe der Hof: und 
Staatsmann einen wefentlichen Einfluß auf Gothe den Dichter hatte? Uns daucht, 
gar fehr, und zwar einen fehr günftigen. . Schon durch dag Zufammengenommene, 
Gehaltene, das f. Lage erfoderte (die übrigens nicht felten Veranlaffung gegeben bat, 
ihn auch als Menſchen zu verfennen oder falfch zu beurteilen), wurde er dem Ideale 
näher zugeführt; denn er Eonnte unmbglich, wie ein gemeiner Höfling, bloß zu der 
Leerheit des außern Anflandes kommen. Nächft diefem f. Hofleden, und zwar in 
Weimar, hatte Nichts größern Einfluß auf f. Verwandlung als f. Aufenthalt in 
Stalin; Während f. erften Periode neigte er fich in der bildenden Kunſt befonders 
auf die Seite der Niederlaͤnder, gegen die er auch nachher nie ungerecht geworden. 
ift, ſowie er auch nie aufgehört hat, als Dichter von Zeit zu Zeit wenigſtens nieder 
Tändifche Scenen zu liefern: allein Italien öffnete ihm das Auge über das Höhere. 
der Kunft, und f. reiches Gemuͤth, welches zugleich das Hohe und Findlich Liebliche 
umfaßt, f. zarter und zugleich tiefer Sinn für Natur und Kunft, neigten ſich jetzt 
mit Liebe zu dem Edlern und Höhern hin. An die Stelle f. fonftigen Natuͤrlichkeits⸗ 
princips trat jeßt die Idealitat, aber jene echte, welche die Natur in das Reich der 
Ideen und ber reinen Schönheit überträgt.‘ Bon 3 Hauptwerfen, die noch in 
diefe Periode fallen, „Wilhelm Meifter”, „Fauſt“ und „Hermann und Dorothea”, 
trägt dag leßtere den Stempel dieſer Sdealität am reinflen ausgeprägte A. W. 


- 


Godͤthe 718 


Schlegel und IB. von Humboldt haben dieſes Spos fo beleuchtet, duß jedes Wort 

- darüber überfläffig feheint; „Wilhelm Meifter‘ würde ihm ganz an die Seite gefegt 
werden Eönnen, wenn er nicht unbefriedigend als Ganzes waͤre. Was ©. damit 
gewollt, bleibt immer rätbfelhaft, und nur dies Eine tritt mit Gewißheit hervor, 
dag Meiſter noch fein Meifter gervorden ift. Über Die Einheit und Sanzheit der Lehre 
jahre konnen wir alfo jeßt eigentlich Eein zureichendes Urtheil füllen, da auch die un: 
vollenteten „Wanderjahre“ Beine genügende Aufklärung über die Tendenz des San: 
zen geben. Deffenungeachtet bleibt „Meiſter“ eines der vorziglichften Sörhe’fchen 
Werte, denn in ihm und im „Fauſt“ vereinigt fich die ganze Univerfalität des 
Goͤthe ſchen Seiftes. Und diefe Sprache, die wie ein fchöner Strom in ruhiger Klar: 
beit und der fchönften Bewegung fich ergießt, diefer Ausdruck, der fich roie ein ſchoͤ⸗ 
ner Körper an die jarte Seele anfchmiegt, fo einfach oder nüchtern, fo zierlich ohne 
Eoftbar, fo mahr ohne geſucht, fo beredt ohne rhetorifch zu fein, wo findet fie ihres 
Sleichen? Vergleicht man, in Beziebung auf den Dichter, den „Meifter‘ mit „Bere 
ther“, fo fieht man, wie in diefem der Dichter noch mit Leben und Schickſal ringt, im 
Meifter aber fie befiegt hat, und alles Heil in einer harmoniſchen Bildung fand, die 
man auch als Tendenz des „Meiſter“ betrachten mug. Durch feine leidenfchaftlofe, 
ruhige, objective Anficht der Welt und des Lebens hatte fich eine Weltanfchauung 
in ibm gebildet, die, gleich entfernt von einfeitiger Befchränftheit als vorgefaßter 
Meinung, ihn jedes als zweckmaͤßig an feine Stelle, das Einzelne im Zuſammenwir⸗ 
Sen mit dem Sanzen, und im menfchlichen Leben das Streben und Thun ala die‘ 
Hauptſache betrachten lieg. Nothwendig warf Dies auch ein milderes Licht auf jenen 
dunfeln Punkt im Dienfchenleben, wo die Fäden deffelben an ein unergründliches 
Schickſal geknüpft find. Das erhob ihn jet zur Idee einer Theodicee, und diefe 
feben wir im „Fauſt“, denn wir müßten ung fehr irren, wenn Fauft micht gerettet 
twerden, der Himmel über die Hölle nicht den Sieg daven tragen follte. „Fauſt“ 
ift demnach ein philoſophiſch⸗, oder will man lieber, religids-didaktiſches Drama, 
Das Höchfte und Tieffte, das Lieblichfte und Ruͤhrendſte, mas eine menfchliche 
Bruſt bewegen. ann, ift darin riedergelegt, Durchdrungen von der tiefften Poeſie. 
An die Compofition des Ganzen (leider ift es erft eine Hälfte!) haben ſich Manche 
geflogen, befonders darum, weil fie dabei an das Theater gedacht haben, für wel: 
ches diefe riefenhafte Sompofition nicht gefchaffen ift. Und gleichwol ift eben diefe 
eine Bortrefflichfeit mehr, mag man fie nun aus dem Sefichtspunfte der Zeit, in 
welche das Stüd füllt, oder des Sujets betrachten, das ohne phantaflifche Behand: 
Iung nicht bleibt, was es if. Das Flache und Alltigliche mußte bier ebenſowol 
als das Würdige und Erhabene feine Stelle finden, und es ift für den „Fauſt“ ein 
Glück, was für den „Meiſter“ ein Unglüd hätte werden konnen, daß beide Perio⸗ 
den bes Dichters fich darin berühren. Auch gehört er beiden an. Nachdem fich zu 
Ende von G.'s zweiter Periode noch einmal jener dem Augenblick überlegene Humor 
in den „XZenien‘ gezeigt, und er damit eigentlich die Lofung zu einer neuen Kraftpes 
riode gegeben hatte, fchien die fchaffende Kraft G.'s allgemach zu verfiegen. Und 
wahr ift es, feitdem er Voltaire's „Mohammed“ und „Tancred“ überfeßt hatte, 
. bat er, ya man einige Lieder und Romanzen ausnimmt, Nichts geliefert, was 
an die vorige Kraft und Fülle reichte, Nichts, worin er nicht befangen in feiner Zeit 
erfchiene. Mit feiner „Eugenie“ war es auf eine Trilogie, wie bei Schiller’s „Wal: 

lenſtein“, abgefehen; allein es blieb beim erftgn Theile. Man darf Ile in gewiſſer 
KHinficht das vollendetfte Werk des Dichters nennen; fein andres ift fo gefeilt, fo ge: 
glättet. Huber fagte: „freilich marmorglatt, aber auch marmorfalt!“ Alles iſt 
aufgeboten für die Form, und der methaphyſiſche Idealismus verrät fich ſchon durch 
das Perſonale. Sind es nicht lauter Abſtracta? Man fieht deßhalb &. wol hier 
und da, aber er waltet nicht durch das Ganze, und dieſes Werk ift mehr elegant als 
fhön. Kaum läßt fich Ähnliches von den „WBahlverwandtfchaften“ behaupten, 


380 Goch⸗ 


meſche ſich darch meiterhat Dae Seſec X 

et en 7* Gl ja chrufe wrnia Nacler für 
uns few, als cherem Üs eriher. Fa wider man ara. Tab ih m 6 Rerfen 
alle drei Etʒle ber æuch Mahl xiaev. in der erüns Periste ter areße, aber harte. 


Theater unser Gs Erıtumg; Tflansfchuien ber Kurt. wir fee mr bı's Marien 
— ⏑ grtcihen fonnten. Lin? follte nam micht auch Der mannig- 
faltigen ardyisettenifchen un? Öartenanlayen in un? um Beimer, uucht Tefien end: 
up Kbemkın tens burch ZEcimar von Jena ansaing? Bieltach hat G. durch dies 
Alles, baſt ſeibſt ausführend, bald anzegend, durch Irbre nt Berfgiel, auf fee Na⸗ 


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an auch Bilden — 
. mi Speransaabe vermehrt die 


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Der Dichtung und Darſtellung geberen unter 
armen Zrbeten an de EB ge and und der 1 Ba hen Momans Bil 
helm Meifters Wanderjahre⸗ Eden diefe 2 Yücher enthalten Bieles, masrein 
beichrend zu nennen if iſt. Noch mehr findet fich deffen in den beiten Theilen, welche tes 
Dichters demnichft auch in einzelnen Gebichten, 
un als heitere Unterbrechungen des ernfiern Vortrags die reinwiſſenſchaftlichen 
Werke jieren. Der Zweck dieſer letztern Werke ift Kunftfiutiuum und Naturſtudium. 
Jenem ift die in Fleinern Lieferungen erfcheinende Schrift für „Kunft und Alters 
thum“ gewidmet, die einer frübern, „Rhein und Main” a ne folgte, Mit 
der Naturbetrachtung befchäftigen fich die Beiträge „Zur Naturmwiffenfchaft über: 
Haupt, insbefondere zur Morphologie”, deren erfier Band geſchloſſen ifl. — Nach 
den vorliegenden Refultaten bat wihrend der leßtern Jahre ©.’s ftliche 
Thaͤtigkeit über die ſchaffende und darftellende Das Üibergewicht gewonnen. Die jeht 
hervorragenden wiffenfchaftlichen Werke Ges find reich an Auffchläffen über Se: 
des objectiven Wiſſens und enthalten zugleich Aufklärungen über bie tiefe 
ihres Verfaſſers. Bemühungen für Optik und Farbenlehre, für die Erkla⸗ 
g der Erfcheinungen des Lichts, für Mineralogie, Geognoſie und Botanif, für 
Anatomie, Phyfiologie und Aftronomie, für Wetterkunde und für manche den ge⸗ 
nannten fich anfchliegende Segenftinde Fündigten allen diefen’ Wiffenfchaften eine 
neue hoffnungsvolle Bahn an. In allen feinen leßtern Werfen, den künftlerifchen 
wie den wiſſenſchaftlichen, zeigt fich G. in wachſender Übereinftimmung mit dem Le⸗ 
ben und mit den Segenfländen des Wiſſens. Die Lehrjahre erfcheinen als ein Ver⸗ 
mittelungsverfuch mit dem Leben in feiner Ganzheit, aber nicht als ein unbedingt 
gelungener Verfuch, Wie der Dichter noch zweifelt, um fomehr, je näher er den Re⸗ 
fultaten der Bildung rüdt, fo zweifelt auch fein Werf, und das Schönffe, was mir 
von den Situationen und Anfichten erwarten, wird oft von einer unbezwinglich her⸗ 
worbrecgenden Ironie verſchüttet. Eine Bildung, die Nichts zu bilden findet, die 


H 
ruht 
4 


Goͤthe | 181 


der Unterlage eines tuͤchtigen, bildungsfähigen Stoffe entbloͤßt, geglaͤttete Algemein- 


jet wird, eine. Entwidelung, die Bas zur Intreidelungzu bringende Weſen Durch 
bermaß in der Richtung verflüchtigt und vernichtet; beiten gegenäber aber ein ges 
heimnißvoll verfchloffener, Doch in der Entwickelung zertretener Keim, der zu böhern 
Abnungen berechtigte: diefe 2 Segenfüße bringen „Meiſter's Lehrjahre” in fortlaus 
fender Abwechfelung zur Erfeheinung. Der Schluß endlich gibt ein tragifches Aus: 
hauchen des durch übertriebene Bildung oder Berbildung unterdrüdten Lebens. Ein 
bloßes Serüft, ein conventionelles Wefen, eine fehaubühnenartige Lebensverbindung 
. und ein Lehrbrief verdrängen die Fülle der frühern Erwartungen, Sie find das Er: 
gebniß, welches die mannigfachen Bemühungen front. Mag auch vielleicht der 
Dichter, als er anfing zu fehreiben, gehofft haben, einen befriedigendern Erfolg 
darftellen zu dürfen als den, welcher fein Werk fchliegen mußte, dem Werke felbft er: 
waͤchſt daraus Fein Tadel, Romane werben vielleicht gerade dann erft recht bedeu⸗ 
tend, wenn der Dichter, flatt fie plangemäß zu fchreiben, in feinem Lebensgange einen 
Genius befigt, der ihm den Gang der Begebenheiten und die Hauptiwendungen vor⸗ 
ſchreibt. ©. feheint an ſich, feheint an äußern Umgebungen, ja fcheint an gewiſſen 
“ allgemeinen Erfolgen der befannten lediglich auf Bildung und Kunſtſinn gerichteten 
Bemühungen die Erfahrung gemacht zu haben, daß fie am Ende nicht leiften, was 
fie verfprachen. Diefe Betrachtung gibt einen erflärenden Leitfaden, welcher um 
fo weiter führt, wenn unvergeffen bleibt, dag Vieles für „Wilhelm Meiſter's Lehre 
jahre” bereits vorgearbeitet fein mochte, bevor ©. den Feldzug in der Champagne 
mitmachte, welchen der 5. Bd. feiner Denfmwürdigkeiten fo ungemein anmuthig be: 
ſchreibt. — Durch alle Lieder des „Divan‘ weht das ungetrübte Gefühl einer uner⸗ 
wartet eingetretenen Befriedigung mit dem Leben und einer beitern Zufriedenheit mit 
jedem Zuftande des Dafeins. Der Zeitraum, um welchen diefe Sammlung Iyrienr 
Gedichte entflanden tft, kündigt fich deutlich durch dasjenige Lied an, welches fie eve 
öffnet, Es ift die Periodg, wo Altes gerfplitterte, Throne einſtürzten und Reiche zit: 
terten.. Jetzt, wo Alles trauern und verzweifeln mußte, hatte G. den Kampf mit 
fih und der Außenwelt ausgefämpft, und er vermochte wohlgemuth in des Ur- 
fprungs Tiefe zu dringen, ‚wo die Menſchen „noch von Gott empfingen Himmels: 
lehr' in Erdenfprachen, und fich nicht den Kopf zerbrachen”. “Der mut fich und der 
- . Außenwelt einig gewortene Menſch widerftebt den äußern Drangfalen und wird fei- 
neswegs durch fie entmuthigt. Iſt es aber wol möglich, vollfonmener und reiner 
guten Muthes zu fein, wie der Dichter des „Divan‘'? Mur fcheint dieſe Sammlung 
noch nicht das richtige Berftändniß gefunden zu haben, deffen fie bedarf... Denn 
dem beitern Sinne, welcher fie vom Anfang bis zum Ende erfüllt, ‚liegt doch etwas 
ſehr Tieffinniges zum Grunde, und dies iſt ganz aus der Zeit gegriffen. Man 
feheint nicht eingefehen zur haben, mie fich in jenem Often, den ©. auffudht und 
durchiwandelt, eigentlich das Schickſal des Weftens abgefpiegelt hat, Denn. abge: - 
fehen von der Perfonlichkeit des Dichters, und die objective Seite jener Liederſamm⸗ 
lung betrachtet, gibt fie ein Bild von Dem, was der Menfch im abgefchloffenen 
Despotismus aus f. Leben macht. Hier fleht er einzeln und ifolirt da mit allem 
f. Treiben, Denken und Empfinden. Dies, was anfangs ©. fo bitter gefchanerzt, 


haat für ihn die Herbigfeit verloren. Er feibft it zum Nachbilde eines jener glück⸗ 


feligen Weifen geroorden, welche wir fo oft Im Morgenlande antreffen, deren unge: 
trübte Seelenklarheit nichts Zeitliches zu flören vermag, die überall ein Vaterland 
finden, weil im eignen Bufen Ruhe und Heiterkeit wohnt. — Die Schrift „Für 
Alterthum und Kunſt“ bemüht fich, Den Standpunkt näher zu rüden, aus welchem 
jede Hervorbringung des Menfchengeiften betrachtet werden muß, bevor deren rich: 
tige Würdigung gelingen fann. In diefem inne betrachtet fie frühere Werke der 
Kunft und Das, was die Zeit leiftet, inden bald das Verſtaͤndniß deffelben befor⸗ 
dert, bald das Selungene, und wenn es auch nur yım Außenwerk gehört, angezeigt 


186 | Gott - 

tig fei, da, wo man in einem befannten Theil Ordnung und Zweckmaͤßigkeit ent: 
deckte, auch in dem Unbekannten weife Abfichten vorauszufeßen. Soll aber die Na: 
turbetrachtung den Menſchen zu Sott führen, fo muß in f. Gemuͤthe fehon das Ver: , 
langen, ihn zu finden, erwacht fein, denn eine apodiftifche Gewißheit, d. h. eine 
folche Gewißheit, bei welcher dag Segentheil der angenommenen Überzeugung un: 
denfbar wird, germähren diefe Beweife nicht. Diefes Berlangen ift in der fittlichen 
Matur des Menſchen gegründet, und darum feßt ein inniger und lebendiger Glaube 
an Sottes Dafein und Regierung voraus, daß die fittlichen Anlagen des Menfchen 
fich entroidelt haben, und er f. böhern Bedürfniffe fig bemupe geworden fei. ie 
Darftellung des Zufammenhanges des Glaubens an Bott mit diefen Bedürfniffen 
des mienfchlichen Gemuͤths wird der moralifche Beweis für das Dafein Gottes 
genannt, welchen befondere Kant und deffen Schüler hervorgehoben und näher ent: 
wickelt haben. Es beruht aber diefer Beweis auf Folgenden: Der Menſch ift ein 
fittliches Weſen, und aus ſ. fittliehen Natur geht die Idee des höchſten Gutes, d. 5. 
die Idee einer ins Unendliche fortfhreitenden ſittlichen Bervolllommnung und einer 
genauen übereinſtimmung zwiſchen Tugend und Glückſeligkeit hervor. Er kann 
dieſe Idee nicht für Wahn und Tauſchung erklaͤren, ohne den Glauben an f. fittliche 
Hatur und Beſtimmung aufjugeben, und muß, um einig zu fein mit fich ſelbſt, das 
Wirklichwerden des höchften Gutes erwarten. Alles um ihn ber erliegt der Zerffö: 
rung, und die Natur theilt Freude und Slücfeligkeit nicht nach dem Maßſtabe der 
Wuͤrdigkeit der Emyfünger aus, Um daher das Wirflichiverden des böchften Gutes 
erwarten zu können, ift er genöthigt, das Dafein einer von der Natur unterfchies 
. denen Urfache der gefammten Natur anzunehmen, welche den Grund der Erhaltung 
ſ. Wefens und eine dereinftige ÜÜbereinftimmung zwiſchen Tugend und Stüdfeligfeit 
enthalte. Diefe oberfte Urfache der Natur muß eine der moralifchen Sefeßgebung 
gemäße Saufalität (Urfüchlichkeit) haben, muß das Bittengefeß fich vorftellen (Sn: 
telligenz, vernünftiges Weſen fein) und der Vörftellung diefes Geſetzes gemäß wirken 
(muß Willen befigen). Es muß alfo die obeifte Urſache der Natur ein Weſen fein, 
welches durch Derftand und Willen die Urfache der Natur ift, und ein folches We⸗ 
fen wird Gott genannt. Zu ber hier entwidelten dee der Gottheit aber kann nur 
die gereifte Vernunft fich erheben, und ohne die Dazwiſchenkunft der Offenbarung 
würde fie vielleicht nie allgemein Glaube geworben fein. — Ehe der Menſch zu der 
Idee Sottes fich erhebt, glaubt er an Götter, von deren Wefen und Wirkſamkeit 
die Völker Höchft verſchiedene Vorftellungen gebegt haben. “Die unvolltonmen: _ 
ſten Götter find die Fetifche, d. h. Iehlofe Körper oder Thiere, denen der Menfch, 
weil er fie als Urfache ſ. Wohles und Wehes betrachtet, Verehrung erweiſt. Auf 
einer höhern Stufe der Bildung ftanden die Böker, welche der Sonne und den Se: 
flirnen Einfluß auf die menſchlichen Schidfale zufchrieben und diefe Himmelskörper 
verehrten, welche Art des Sottesdienfies Sabäismus (f. d.) genannt wird. 
Noch weiter waren die Volker vorgefchritten, welche ihre Helden und Könige, bie 
Erfinder nuͤtzlicher Künfle und mertwürdige Heroen als fortlebend nach dem Tode 
fich dachten und ihnen übermenfchliche Kraft und Einfluß auf ihre Schickſale gu: 
fegrieben , oder fich Kräfte der Natur als wirkliche Wefen, als Perfonen, mit Ber: 
fand und Willen begabt, vorftellten, auf welche Weiſe die Religion der Griechen 
und Nömer entitanden war. Der Glaube an mehre, die Schickſale der Völker und 
einzelner Menfchen regierende Weſen, welche zwar eine übermenfchliche Macht bes 
fißen, doch aber menfchlich fühlen und begedren, und nicht frei find von menfchlicher 
Beſchraͤnkung, heißt Polytheismus. Diefer ift nichts Andres als Dergötte: 
rung der Natur, da bingegen der Theismus über die Natur fich erhebt und über 
ihr das Göttliche findet. Auch die gebildetſten Völker der alten Welt; die Griechen 
und die Römer, waren Polytheiſten, und nur wenige Weiſe der vorchriftlichen Zeit, 
wie Anarageras, Sokrates, Plato, hatten fich zu würdigern Vorſtellungen von 


— 


Gotter 187 


Sort und f. Regierung erhoben, indem aber der Polytheismus In der ganzen als 
ten Welt herrfchte, ward bei einem für unbedeutend gehaltenen, von den gebildeten 
Nationen des Alterthums weng gekannten Volke die allgemeine Verbreitung des 
vernunftgemaͤßen Glaubens an Gott und ſeine Regierung vorbereitet. Zwar dachten 
ſich die Juden, ebenſo wie andre Völker der vorchriftlichen Zeit, Jehova nur als ein 
vernuͤnftigſinnliches Weſen von großer Macht und Hoheit, da fie aber nur einen 
Gott verehrten, fo konnten bier die religiofen Vorftellungen weit leichter veredelt 


und endlich bis zu der, den Bedürfniffen der gereiften Bernunft genügenden, “dee 


Gottes ausgebildet werden, und darum war der Monotheismus der Juden, ihr 
Glaube an Einen Gott, von fo großer Wichtigkeit, daß es böchft glaublich iſt, dag 
Gott felbft für die Erhaltung dieſes Glaubens geforgt habe. Nach einer allmäli: 
gen, durch mehre Jahrh. fortlaufenden Vorbereitung gelang «8 dern großen Stifter 
des Shriftentbums, auf den Monotheismus f. Volfes.den völlig vernunftgemäßen, 
alle Bebürfniffe des Verſtandes und des Herzens bifriedigenden Glauben an Sort 
und feine Regierung zu gründen, welcher durch die Ausbreitung der Kirche auf einen 
großen Theil des Dienfchengefchlechts überging. Aus dem Juden: und Chriften: _ 
tbume fhöpfte Mohammed f., wenn auch nicht vollkommen reinen, doch weit über 
die Vorftellungen der polgtheiftifchen Völker erhabenen religidfen Degriffe, und fo 


"ward auch durch den Islamismus (f. Mohammed) der Glaube an Einen 
Gott unter einem großen Theile der Menfchheit verbreitet. N, 


Gotter (Friedrich Wilhelm), geb. 1746 zu Gotha, empfing die forgfältigs 
fie Bildung durch Privatlehrer. Der fühige Knabe verfuchte fich zuerf in kleinen 
dramatifchen Stüden in franzöfifcher Sprache, die einen befondern Reiz für ihn 
hatte, 1763 fg. fludirte er zu Söttingen die Rechte. Hier machte er Bekannt: 
fehaft mit dem Schaufpieler Eckhof, und errichtete nach dem Weggange der Ader: 
mann’fchen Sefellfehaft ein Geſellſchaftstheater. 1766 trat er zu Gotha als zwei: 

ter Archivar in herzogl. Dienfte, 1767 ging er ale Legationsfeeretair nach Wetzlarj 
folgte aber im nächften jahre der Einladung, zwei junge Edelleute auf die Univer: 
fieät Söttingen zu führen. Damals unternahm er mit Boje die Herausgabe des 
„Sötting. Muſenalmanachs“ und empfahl fich durch verfchiedene Igrifche Stücke, 
1769 kehrte er nach Gotha und 1770 auf feinen Poften nach Wetzlar zuräd, wo er 
zwei J. blieb, nach welchen er in Gotha bei der geheimen Kanzlei angeftellt wurde, 
In Weglar fand er nicht nur die Ackermann'ſche Gefellfchaft wieder. fondern audf 
einen Kreis junger Männer, bie mit ihm an Bildung und Talent n .eiferten; un: 
ter diefen waren Gothe und der junge Jeruſalem. 11774 machte ©. eine Geſund⸗ 
heitsreiſe nach Lyon. Hier lernte er das franz. Theater, für das er von jeher eine 
roße Vorliebe gehegt hatte, näher fennen. In den nächften 12 J. nach ſRüuͤck⸗ 
ebr.entftanden feine vorzüglichften dramatifchen Arbeiten, Leffings, Weiße's u. A. 
Vorgang, deren Bemühen die deutfche Schaubühne ummandelte, und die treffliche 
Scaufpielergefellfchaft, welche Gotha vor allen Städten Deutfchlands damals be⸗ 
faß, befeuerten ſ. Liebe für die dramatifche Kunft. Schon vor Errichtung des Hofz 


theaters in Gotha batte er auch bir auf einer Privarbühne f. treffliches Spiel ge: 


zeigt. Außerdem befaß er das Talent bes Improviſirens in einem feltenen Grade 


. und fprach Biswellen mit einer unbefchreiblichen Leichtigkeit in Verfen, die zum 


Theil vortrefflich und volltommen gerundet aus ſ. Munde. kamen. 4780 verheira⸗ 
thete ſich ©. und lebte feitdem, kleine Reifen abgerechnet, beffändig in f. Vaterſtadt, 
wo er 1797 im 53. J. f. Lebens ſtarb. Obgleich ©. die fchöne Literatur der Fran: 
zofen, Engländer und Staliener kannte, fo fagten f. vielleicht etwas überverfeiner: 
ten Natur doch am meiſten die Werke der'erftern zu. Sie waren es, deren geglät: 
tete Zierlichfeit er fich bis auf dag Mechanifche der Poefie zu eigen machte, Die 
Stoffe ſ. Poeſien fammelte er auf fremdem Boden, behandelte fie aber in der Aus⸗ 
führung wit freier Willtür, Er verfuchte fich in jeder Oastung der dramatifihen 
0 * 


⸗ 


- 


7 


183 u Gdtterlehre Gottesdienſt 


Kunſt, im Trauerfpiel, Luſtſpiel, Singfptel und in der Poſſe. Seine übrigen 
Poeſien, im Sache der Epiftel, des Liedes, der Erzählung und Elegie, zeichnen fich 
durch den reinen gebildeten Ausdrud zarter und edler Sefühle, fchalfhafte Zaune 
und eine gefüllige Rebensphilofophie aus. In allen f. Werfen geigt ſich Gotter als 
einen Meifter in der Verskunſt. Er felbft hat herausgegeben: „Gedichte“ (2 Bde, 
17187 und 1788); „Singſpiele“, 1. Bdchn. (1778), „Schauſpiele“ (1795), 
und einzelne tbeatralifche Arbeiten, meift Überfeßungaen. ach feinem Tode 
erfhien 1802 ein 8,80. Gedichte, auch u. d. T.: „Liternrifcher Nachlaß u. f. 
w.“, mit des Verf. Biographie von Schlichtegroll. + 
.  Böätterledre, fe Mythen, Mythologie. 
Sötterfpeife, Ambrosia, in der Mythologie ber Sriechen und Römer 
ein. füger und balfamifcher Saft, der in der feligen Inſel des Dceanus quoll und 
den Söttern zur Erhaltung der Unfterblichkeit, geruchnlich als Speife, aber auch als 
Trank, der jedoch mit dem Nektar (f. d.) nicht zu vermechfein ift, und als Salbe 
diente, Menfchen, denen davon mitgetheift wurde, erhielten dadurch Schönheit, 
Stärke, Bebendigkeit, kurz etwas von Göttlichkeit. | 
Gottesdienſt, richtiger Gottesverehrung genannt, umfaßt alle 


die Handlungen, welche unmittelbar entweder religiöfe Gefühle ausdrüden oder 


Die Hervorbringung derfelben bezwecken. Solche Religionshandlungen aber, welche 
entweder durch die Vorfchrift eines Religiongftifters, oder durch die Sitte, oder 
durch die Übereinkunft einer Eirchlichen Sefellfchaft eingeführt worden find und regel: 
mißig wiederholt zu werden pflegen, werden gottesdienftlichk oder religiöfe 
Gebräuche genannt. Der Gottesdienft kann entiveder Privatgottesdienft oder 
ein öffentlicher fein, und da die Menſchen ner zu leicht das Söttliche vergeffen, da 
Mereinigung Bieler zu Einem Zwecke dag Semüth flürfer ergreift, und viele Reli: 


“ gionshandlungen mur da flattfinden önnen, wo Viele fich verfammeln, fo hat ein 


wedmäßig eingerichteter öffentlicher Sottesdienft, wo die Nede bes Predigers und 

er Sefang der Gemeinde das religiöfe Gefühl auf eine würdige Weife ausfpricht 
und anregt, auch Muſik und bildende Künfte das Göttliche darftellen, einen hohen 
Werth. Die Verfihiedenheit der Sortesdienfte, mit denen uns die Religionsge⸗ 
fchichte befannt macht, bat ihren Grund in der Berfchiedenheit der religiöſen Vor: 
ftellungen, oßgleich auch die Verfchiedenheit in den Charakteren der Völker, in ihren 
Verfaffungen, in den Erzeugnifien ihrer Länder und ihres Kunftjleißes, ſowie 
manche andre Umſtaͤnde beigetragen haben, dem Cultus jedes Volks ein eigenthbüm: 
liches Scpräge zu geben. Der unvolltommenfte, des Namens kaum werthe Bot; 
tesdienft ift der, welcher fich auf Außere Segenftände, die als Urfachen des Wohls 
und des Wehes betrachtet werden, bezicht, und es druͤckt dieſer Fetifchendienft nur 
Begehren und Berabfcheuen, Furcht und Hoffnung aus, und kann auf die Sitt⸗ 
lichkeit gar feinen Einfluß äußern. Fine vollkommnere Art des Gottesdienſtes ift 
die, welche auf menfchenähnliche Weſen bezogen wird, und da diefen Göttern, fo 
unvollfommen man fie ſich auch vorftellen mag, Doch maralifche Eigenfchaften zuge: 
föricben werden, fo kann er nicht ohne allen Einfluß auf die Sitten der Völker blei- 

en: Es befteht diefe Art des Sottesdienftes hauptfächlich in Opfern, Reinigungen, 
Selübden und Büßungen, und da man fich die Sötter meift als unfichtbar zu den: 
Een pflegt, fo wird er zunächft auf die Symbole der Sötter bezogen und ift daher 
mit Bilderdienft verbunden. Der würdigfte Sottesdienft aber ift der, weldyer fich 
auf den Glauben an einen allmächtigen und heiligen, über. alle menfchliche Befchrän: 
£ung erbabenen Weltregierer gründet, auf den Glauben an Gott und f. Regierung, 
welchen das Chriftenthum in der Welt ausgebreitet hat. Unverfennbar war der 
Sottesdienft der Thriften im apoftolifchen Zeitalter eine firtlich:refigiofe Anftalt, 


ganz darauf berechnet, durch Ermahnung, durch Gebet, den unmittelbaren Aus: 


druck des zu Gott erhobenen Gefühle in orten, durch das Dorlefen der heiligen 


» 
s 


Sottesdienft Gottesfriede | 189 


Buͤcher, durch gemeinfchaftlichen Sefang und durch das bei bärgerfihen Mablen . 
‚Verordnete Anbenfen an Jeſum Ihriflum den Glauben zu flärfen und fromme Ges 
fühle zu nihren. Und ward auch der chriftliche Religionscultus in der Folgezeit auf 
mannigfaltige Weiſe, und namentlich durch Sie Einmifchung von. Gebraͤuchen, wel⸗ 
che die zum Chriſtenthum befehrten heidnifchen Völker in die Kirche hinüber brach 
ten, entftellt, fo blieb er Loch immer unendlich edler und würdiger als der Cultus der 
vorchriftlichen Welt, und hörte nie auf, mwohlthätig auf die Sitten-der Völker zu 
wirken. Durch die Reformation wurden die meiften diefer Mißbraͤuche verdrüngt, 
die Predigt und der Geſang die Hauptfache bei dem Sottesdienfle der Proteftanten, 
und unläugbar ift ein folcher Cultus die trefflichfte Schule der Volfsbildung. Daß 
der proteftantifche Sottesdienft durch manche Gebräuche bereichert, und mehr noch, . 
als an den meiflen Drten der Fall ift, durch die Kunſt verſchönert werden Eönnte, 
laͤßt fich nicht begweifeln. Doch darf man diefen Mangel an Seremonien und die 
Seltenheit von Kunſtwerken in den proteflantifchen Kirchen keineswegs fo hoch ans. 
fehlagen, als von Denen zu gefchehen pflegt, welche in unfern Tagen den Katholis 
cismus auf Koften des Proteftantismus erheben; das Wort bleibt immer die Haupte 
fache, und wenn nur dafür geforgt wird, daß es der.proteftantifihen Kirche nicht an 
ausgezeichneten Ranzelrednern fehle, und überall gute Sefünge gebraucht werden, 
fo wird ihr Cultus f. —* erreichen, J. J. Blunt s „Urſprung religiöf. Ceremo⸗ 
nien und Gebr, der röm.-kath. Kirche, beſ in Italien und Sicilien“ (a.d. Engl, 
Leipzig 1826) zeigt den Zuſammenhang, in welchem die religiöfen Gebräuche des 
alten heidnifchen Roms und des neuen fatholifchen mit einander ſtehen. 
Gottesdienſt, der katholiſche, flellt vorzüglich die allgemeine Myſtik 
der Kirche dar. Des Gottesdienftes Mittelpunkt ift dag Opfer des neuen Bundes, 
das Abendmahl, An diefes Opfer reihe fich. Gebet und Belehrung. Es iſt ein 


- woürdiges Ganzes, das nie aufgehört hat, die Herzen des Volks zu ergreifen, fie 


x 


dem Ewigen und dem Sittlichen zuzumenden. Wenn es wahr ifl, daß gerade die 
ältefte Art der Belehrung die Durch Symbole ift, fo wird man den Formen des fas 
tholiſchen Gottesdienſtes dag Velehrende und Sittlichwirkende nicht abfprechen, fie 
führen nach oben und find infomweit, wie Schiller richtig bemerkt, nicht von diefer 
Welt. — Als die proteft. Kirche die kathol. Abendmahlsanſicht, mit ihr die Meffe 
verwarf, mußte e8 auch einen andern Gottesdienft für fie geben. Sie hat feine 
Prieſter, ihr blieb nur Predigt und Sefang. Es feheint, daß diefes ein chriſtliches 
Gemüth, wag'ganz erfüllte ft von der hohen Myſtik, die das Evangelium beut, 


. nimmer ganz befriedigen Earn. Darum bat fich in neuerer Zert ein gewiſſes Seh⸗ 


nen nach des Katholicismus erhabenen Formen fundgegeben. Dean hat die Lichter, 


man bag Bilder, man hat eine Prieflerkleitung u, ſ. w. reclamirt. Indeſſen wird 


Alles Dies das Bedürfnig ſchwerlich befriedigen, Solche einzelne Formen können 
nicht gedeihen, verpflanzt aus ihrem eigenthümlichen Boden, Erft die Fatholifche 
Abendmahlsanficht gibt den Formen Bedeutung und Leben, und da diefe die pros 
teftantifche Kirche nur mit Aufgebung ihres Weſens annehmen Fönnte, fo ift die 
Trage leicht zu entfcheiden,, ob Übertragung Eathol. Formen dem Proteftantismug 
frommen fönne, 

Sottesfriede, Treuga dei (Treuge oder Trewa, von dem deutfchen 
Worte Trew, Treu), hieß im Mittelalter eine Beſchraͤnkung der Fechten, welche 
von der Kirche ausging, um ein Übel, welches fie nicht ausrotten konnte, zu mildern, 
Kraft deffelben follten wenigftens an den heiligen Tagen, vom Donnerstag Abends 
bis Sonntag Abende in jeder Woche, in der Advents: und Faftenzeit, und in den 
Octaven der hohen Fefte die Waffen ruhen Diefer Sottesfriede wurde zuerſt 1033 
in Aquitanien (10 ein Bifchofden Befehl dazu yom Himmel erhalten zu haben vor; 

ab, alsdann in Franfreich und Burgund eingeführt; 1038 fam er fchon auf dem 
‚Reichstage zu Solothurn für Deuiſchland im Anregung; unter Wilhelm dem Bas 


798 Gozzi (Carlo, Graf) 


gegen (9., aber fie waren einem fo gewandten, erfindungsreichen, an Witz und Laune 
unerfhöpflihen Gegner nicht gewachſen. Einen gewaltigen Aufruhr erregte G⸗ 
„Tartana degliintlussi per l'anno bisestile” (1757), melche er in einer Sitzung 
der Granelleſchi(ſed. fg. A.), alsderen Wortführer gegen die Feinde der Sprach 





reinheit und des Geſchmacks er fich anſah, vorgelefen und f. Freunde Far ſetti ae 


eignet hatte. Tiefer ließ fie in Paris drucken und verbreitete fie unerwartet in Be 
nedig. Goldoni trat in einem großen Gedicht in Terzinen dagegen auf, 309 fich in: 
def Dadurch nur neuen Spott von ©. zu. Dieſe Streitigkeiten führten &. auf eine 
neue Sattung von Luflfpielen, die nad) Willkür rein phantaftifch fein oder fich mut 
den Pfeilen der Satyre waffnen fonnten. Sacchi, der treffliche Harlekin Italiens, 
und f. in der Commedia dell’ arte ausgezeichnete Sefellfchaft war durch Goldoni 
dem Untergange nahe gebracht. ©. machte ibre Sache zu der feinigen und faprieb 
unentgeltlich für fie. Sein erfles Stüd, das nur eine Art von Prolog war, hatte 


im Sarneval 1761 einen ausnehmenden Erfolg. Statt aus dem bürgerl. Leben 


fehöpfte ©. f. Stoff aus den Feenmärchen, womit Arımen und Würterinnen- die 
Kirder zu unterhalten pflegen, und fo benußte er das Märchen von den 3 Pomes 
ranzen zu einem Prolog bei Erdffnung des Theaters und zu einer unerfchopflichen 
Quelle von fatyrif;en Streichen gegen die Schaufpieler, die nur nachbeten Eonnen, 
was ihnen der Autor vorfehreibt, und gegen die Autoren, denen Erfindung, Bewer 
und Genie fehlt, die immer fihreiben wollen, aber immer fchlecht fchreiben u. f. w. 
Zu dem Ganzen, das durch 3 Acte durchgeführt wurde, machte er nur den Ent: 
wurf. Auf ähnliche Weife benugte er das Maͤrchen vom Raben zu einem Luſtſpiel 
in 5 Acten. Es ift größtentheils ausgeführt und mit ernfihaften, rührenten und 
‚ felbt pathetiſchen Scenen gemifcht. Turandot, Prinzeffin von China”, durch 
Schiller's Bearbeitung auch auf unſerer Bühne befannt, gefiel nicht minder, obgleich 
fie mehr phantaftifeh als wunderbar, und das Wunderbare weniger populair und bes 
luſtigend ift. Defto mehr erfüllte der „König Hirſch“, der im Jan. 1762 auf die 
Bühne kam, alle Bedingungen diefer neuen Sattung, die allerdings durch das 
Talent der Schaufpieler ungemein gehoben wurde. Noch 6 Feenmärchen (Fiabe) 
folgten: „die Frau Schlange”, „Zobeis“ (die er eine Fragedia fiabesca nannte, 
und deren Stoff und Styl fich zumeilen bis zum Tragifchen erhebt); „Das dunfels 
blaue Ungeheuer”; „Die glütklichen Bettler” (Fiaba tiapicomica), deren Scham 
plag Samarfand ifl. „Das fchön grüne Bögelchen” (von allen das fühnfte Aufl: 
fpiel), und Der König der Geiſter“. In allen diefen dramatifirten Feenmärchen 
brachte G. die fümmtlichen Masten an und ließ ihnen die freiejte Entwickelung. Es 
find, fügt A. W. Schlegel, Stücke auf den Effect, wenn es je dergleichen gegeben 
hat, von kecker Anlage, noch mehr phantaftifch als romantifch, wiewol ©. zuerfl 
unter den ital, Zufifpieldichtern Gefühl für Ehre und Liebe zeigt. Die Ausführung 
ift keineswegs Fünftlerifch ausgebildet, fondern nach Art einer Skizze hingeworfen. 
Er ift bei aller grillenhaften Kuhnheit fehr volfsmäßig und folgt dem Geſchmack ſ. 
Landeleute in robuften Situationen. Die fo ſtark aufgetragene Wundertichkeit der 
Mastenrollen diente dem abenteuerlichen Wunderbaren der Keenmärchen vortrefflich 
= zum Segenfag. Die Willkür der Darftellung ging in dem ernfihaften Theile wie 
im beigefellten Scherz gleich weit über die natürliche Wahrheit hinaus. ©, hatte 
hierin faft zufällig einen Fund gethan, deffen tiefere Bedeutung er vielleicht ſelbſt 
nicht einſah; die profaifchen aus dem Stegreife fpielenden Masken bilden einen treff⸗ 
lichen Gegenſatz des poetifchen Theils und find gleichfam ein in die Darftellung felbfl 
bineingelegtes, mehr oder weniger leife angedetitetes Eingeſtaͤndniß der übertreibens 
den Einfeitigfeit deffelben in dem Antheil der Phantafie und Empfindung, wodurch 
das Gleichgewicht wiederhergeſtellt wird. Aber aller diefer Borjüge ungeachtet 
haben ©, s Märchen doch nur einen vorübergehenten Eindrud® gemacht und keine 
bleibenden Spuren hinterlaffen. In der Serlifchaft Sacchi entfianden Uneinigfei 


⸗⸗ 


— — 


Sozst (Gasparo, Graf) | 189 


ten, die G. vergeblich beizulegen fuchte. Mehre Mitglieder verließen fie. Eine 
neue erfie Schaufpielerin, Signora Ricci, die mehr den Namen als das Talent 
Dazu hatte, trat 1771 in die Sefellfehaft und gewann ©. dergeftalt für fich, daß er 
fie unter f. befondern Schuß nahm. Um ihr tragifche Rollen, die ihr am meiften 


zufagten, zu verfchaffen, unternahm ©. neue Arbeiten. Er überfeßte den „Fayel⸗“ 


von Arnaud, den „Straf Effer” von Thomas Korneille, den „Guſtav Wafa” 
von Piron, und bearbeitete nach dem Spanifchen die „Philoſophiſche Prinzeſſin“, 
den „Triumph der Freundſchaft“ („II Cavaliere amico“), „Doris“, „Die ents 
waffnete Rache“, („La Donna vendicativa”), den „Sturz der Donna Elvira”, 
„Das öffentliche Geheimniß“, Zimeo Pardo” sc Auch bier bat er meift die 
ital. Masken eingemwebt, ihre Scenen aber unausgeführt gelaffen. Das letztge⸗ 


nannte Etüd kam 1786 auf die Bühne und wurde von ihm, mit einigen an⸗ 


dern zu verfchiedenen Zeiten gearbeiteten, 17191 herausgegeben, nachdem er ſchon 
1772 eine Ausg. f. Werke in 8 Bdn. beforgt hatte. Außer f. dramatifchen 
Arbeiten enthält diefe Ausg. eine Überfegung der Satyren des Boileau, ein mo⸗ 
ralifch:fatsrifches Gedicht, betitelt „Astrazione”, ein romantifches Epos in Okta⸗ 


+ 


® 


„ven, „La Martisa bizarra‘ betitelt und auch aus dem Sagenkreiſe Karls des Gr, . 


und f. Ritter gezogen, die „Tartana”, ein Gedicht in Oktaven u. d. &.: „Il ratto 
‚delle fanciulli castellane”, eine Einleitung zu den Schriften der Afademie ber 
Granelleſchi, verfchiedene fatprifche und feherzhafte Stüde gegen Chiari und Gol⸗ 
doni, und endlich Novellen. G. fehrieb über fich felbft „Memorie inutili della 
vita di Carlo Gozzi“, welche durch die Eigenthümlichkeit feines Charakters und 
f. Darftellung gleich anziehend find. Er ftarb in den erften J. des 19. Jahrh. 
Goſz z ĩ GGasparo, Graf), geb. zu Venedig 1713, der Altefte Bruder des Vo⸗ 
rigen, zeichnete fich ebenfalls in der Literatur aus. Petrarca's Dichtungen machten 
auf Sasporo, deſſen Charakfter fich zum Stillen und Schwärmerifchen neigte, einen 
. ungemeinen Eindrud. Er ftudirte fie immermährend, und dieBefanntfchaft mit der 
Dichterin Louife Bergalli gab ihm Stoff, fie nachzuahmen. Bald verband er fich 
für immer mit diefer poetifchen Freundin. Da diefe thätige und umfichtige Frau 
die finanzielle Zerrüttung der fonft reich gemwefenen Familie nicht aufhalten fonnte, 


übernahm Gasparo, von ihr dazu veranlagt, das Thenter St. : Angelo, wodurch - 


jedoch neue Verwickelungen hurbeigefirhrt wurden, die am Ende, obſchon Mad. ©, 
fich allein mit dem Sefchäfte der Direction befaßte, und ihr Satte ſich um nichte bes 
fünmerte, durch das ewige Rennen und Laufen im Haufe und Umherziehen in dem 


verfchiedenen Auartieren der Stadt, für ihren Gatten fo läftig wurden, daß er pl: . 


lich den Entſchluß faßte, fich um jeden Preis Ruhe zu verfchaffen. Er nahm feine 
Papiere, miethete fich in aller Stille eine Eleine abgelegene Wohnung und vergrub 
fich dafelbft zrotfchen f. Büchern, von nun an bloß f. Studien lebend. Einige dra⸗ 


matiſche Verfuche, ſowol in der Tragödie als Komödie, fanden nur getheilten Bei 


fall; defto mehr f. moralifchen und kritiſchen Abhandlungen. ©. galt für einen der 
ausgezeichnetften Kritifer und der reinften und eleganteften Styliften Italiens, vote 


Dies z. B. f. Würdigung und Abweifung der fogenannten „Briefe von Virgil“ über 
Dante, von dem Epjefuiten Bettinelli, beweiſt. Überhaupt kämpfte er befländig - 
gegen den zu fi Zeit in Italien bereinbrechenten Ungeſchmack, und wies immer auf 


die Schriftfteller aus der guten Zeit, einen Dante, Petrarca, Ariofto u. f. w. hin, 
weßwegen er auch in die Sefellfchaft der Sranellefchi aufgenommen wurde, die den: 
felben Zweck theils durch Ernſt, theils durch Spott und Satyre, öfters auch dur 


burlesfe Spielerejen und Lazzi zu erreichen fuchte, Daher gaben fich die geiftrer 


en Männer, welche diefen Verein in Venedig bildeten, obigen Namen, der (von 


ranelli, einem Provinzielismug) fo viel als Echaifsnarren oder dgl, bedeutet. Zu 
gleicher Zeit verfah ©. das Amt eineg Cenſors und Aufjehers über die Buchdrude- 
reien in Benedig, und die Fleinen Einkünfte, die dies abwarf, reichten eben bin, ihm 


800 Grab Gracchus 


fortzuhelfen. Später trug man ihm von Padua aus ein ehrenvolleres und eintraͤg⸗ 
licheres Geſchaͤft ef Die Univerfität diefer Stadt follte in allen ihren Theilen eine 
villige Reform erfahren, und ©. ward erfucht, einen Plan dazu zu entwerfen. Tin 
Gehalt von 600 Dufaten jährlich, fo lange die Sache bis zur völligen Ausführung 
dauerte, und außerdem mehre Öratificationen, waren der Lohn. ©. rettete fich 
Dadurch aus den Verwickelungen, in welche ihn die Theaterfpeculation f. Gattin 
geſtürzt hatte, und verlebte einige angenehme Jahre in Padua, während welcher Zeit 
er auch ſ. Frau verlor, die er, troß dem vielfältig gemachten Kummer, aufrichtig be⸗ 
trauerte. Zuruͤckgekehrt nach Venedig, 100 der Senat, in Betracht feiner Dienfte in 
Padua, ihm den greßten Theil feines dortigen Gehaltes ließ, ward er durch Kraͤnk⸗ 
lichfeit genöthigt, die feuichte Luft dieſes Ortes zu meiden; er ging deßhalb wieder 
nach Padua, wo er fich mit einer alten Freundin, einer Mad. Cenet, die ihm ſtets viel 
Sorgfalt ermiefen hatte, aus Dankbarfeit verband. Bald darauf farb er 73 J. alt, 
96. Dec. 1786. Als Kritiker zeichnete fi G. durch Tiefe und Schärfe des Urtheils 
ſowol roie durch Unparteilichfeit und Befcheidenheit aus, Sein „Giudizio deglian- 
tichi poeli sopra la moderna censura di Dante etc.” (Venedig 1758, 4.) fann 
ein Mufter in diefer Hirtficht genannt werden, Außer andern Schriften hat man 
auch noch „Opere in vewsi e in prosa” (Venedig 1759, 6 Bde.) von ihm, die meift 
aus Übertragungen franz. Trauer: und Lufffpiele beſtehen. FG. 
Gr 2b, Heiliges, f. Heiliges Grab und Goͤrlitz. 
Grabmal, f Denfmad. 

Gracchus (Tiberius Semprorius und Cajue), zwei Römer, bie, indem 
fie die Republik erneuen und das Wohl des Volks feft begründen wollten, Anlaß zu 
den bürgerlichen Unruhen in Kom gaben, deren Opfer fie felbft wurden. Tiberius 
Sempronius Örachus, etwa 9 J. älter als f. Bruder, war ein Dann von großen 
Talenten und fehägbaren Eigenfchäften. Er ſowol als f. Bruder erhielten von ihrer 
trefflichen Mutter — früh verloren fie ihren Vater — Cornelia, T. des großen äl: 

. tern Scipio, eine forgfältige Erziehung; in fpätern Jahren hatte griech. Philoſophie 
ihren Geiſt gebildet und veredelt. Ihre Familie gehörte zu den edelften und vor⸗ 
nehmſten Roms. Tiberius hatte: fich früher als Krieger ausgezeichnet; unter Ans 
führung ſ. Schwagers, des jüngern Ecipio, war er bei der Eroberung Karthagos 
der Erfte auf den Mauern der brennenten Stadt, Echon ale Jüngling wurde er 
in das Collegium der Augurn aufgenommen: eine Würde, die gewöhnlich nur vers 
diente Stagtsmänner belohnte, Er ward hierauf Quaͤſtor des Conſuls Mancinus, 
der damals das Eleine, aber tapfere und freiheitliebende Volk der Numantiner in 
Spanien befriegte. Hier rettete des jungen G. hohes Anfehen, in dem er felbft bei 
Diefen Feinden Roms fland, durch einen Vertrag, der, ohne fehimpflich zu fein, den. 
Numantinern ihre Unabhängigkeit zuficherte, viele Bürger; ja fie gaben dem Qua⸗ 
ftor feine nebft dem Bepädt verlorenen Rechnungen und Papiere mit rührenden Ach: 
tungsbezeigungen zurüd, Aber der romifche Senat vernichtete den Vertrag und 
befchloß, um diefe Verletzung des Völkerrechts einigermaßen zu rechtfertigen, alle 
Diejenigen, welche ihn gefchloffen hatten, den Numantinern auszuliefern; auch 
ward der jüngere Scipio mit einem neuen Heere gegen Numantia abgeſchickt. Das 
große Anfehen jedoch, deffen ©. ſchon damals genoß, rettete ihn von einer fo ſchmaͤh⸗ 
Jichen Behandlung, und am Ende ward nur Mancinus, den aber die Mumantiner 
ungefränft entliehen, ausgeliefert. Diefer Vorfall gab feinem politifchen Leben die 
beftimmte Richtung, als Gegner des Senats für das Volk zu handeln. Er bewarb 
ſich un die Wuͤrde eines Bolfstribunen, die feine Perfon, während er fie befleidete, 
unverletzlich machte, und ihn in den Stand feßte, feine großen Entroürfe zum Beſten 
des Volks auf gefeßlichem Wege auszuführen. Das tiefe Elend des größern Theils 
des fouverainen romifchen Volks, das er befonders bei f. Ießten Reife von der Pro⸗ 
vinz nach der Haupifiadt bemerkt hatte, führte ihn auf den Gedanken, die Anzahl 


> 


Gracchus 801 
der Ernndeigenthaͤmer in Italien zu vermehren, und dadurch der Armuth des gro⸗ 
Ben Haufens, ſowie den meiften Üben, an denen die Republik litt, abzubelfen, 
Da die Römer Neuerungen nicht Tiebten, fuchte er f. Zweck durch die Erneuerung 
eines alten, .fchon vor 232 J. gegebenen, aber: lange vergeffenen Sefeßes zu erreis _ 
chen. Damals war nämlich auf den Borfchlag des Bolkstribung Licinius Stolo 
nach beftigen Streitigfeiten das Gefeg burchgegangen, „daß Niemand über 500 
Ader (Jugera zu 28,000 Quadratfug) von dem Semeinlande (der Staatsdomaine, 
ager. publicus) befißen follte; das Übrige follte unter die Plebejer gleichmäßig vers 
bei werden”. . Diefes Sefeß, das num, nach G., das Sempronifche, oder vers 

zoweiſe das Adergefeß genannt wurde, erneuerte er, fügte aber mehre mildernde 
fimmungen hinzu. So follten für die aufgezührten Gebäude und andre Vers 
befferungeni die Befiger entfchädigt werden; jeder unmündige Sohn füllte Die Hälfte 
(250. Jugera) .befißen Dürfen, und. der mündige konnte als Bürger und Hausvater 
das Ganze befißen. Dennoch fand des Sempronius Vorfchlag den-heftigften Wir 
derſtand bei der herrfchenden Partei (der Adeligen). Auc wurden dadurch die ita⸗ 
bienifchen Volker verlegt, Sie hatten feit ihrer Unterwerfung unter dem Namen 
„Dundesgenoffen des römifchen Volkes‘ durch Seldbeifteuern ımd Truppencontins 
gente eigentlich die römifche Macht gehoben, und unter verfchiedenen Titeln manche 
treten des römischen ©erheinlandes an fich gebracht Es ift wahrſcheinlich, daß 
Tiberius mehren unter ihnen, befonders den Lateinern, zur Entfchädigung das roͤmi⸗ 
ſche Bürgerrecht, allen aber mehr Schuß gegen die Erpreffungen einzelner römifcher 
Magiſtratsperſonen verfprach. Ihm entgegenzumirden, gewann der Senat einen der 
Molkstribunen, den Marcus Octavius, einen jungen, reichen und fühnen Mann. 
Als nun Tiber, nachdem er, dem Herkommen gemäß, fein Geſetz 19 Tage hindurch 

. bffentlich ausgeftellt hatte, daffelbe den verfammelten Bürgern zum Abſtimmen 
vorlegen wollte, fprach diefer dagegen fein Veto aus, wodurch das ganze Unterneh: 
‚men auf einmal gefcheitert ſchien. Tiber machte zwar jeßt von feiner ganzen Macht: 
fülle Gebrauch, verfiegelte die Schatzkammer und unterfagte allen Vedorden die Aus⸗ 
Abung ihres Amtes, aber er ſah, daß er damit wenig ausrichtete. Er wagte Daher 
einen neuen und bishe? in der ramifchen Gefchichte unerhoͤrten Schritt, In der 
nächften Volksverſammlung trug er auf die Abfegung des Octavius als eines unge 
treuen Bolksvorfiehers an. Don den 35 Tribus hatten fehon 17 für die Abfegung 
geitimmt; jegt trat Tiber zu Octavius (er war f. Jugendfreund gewefen)' und bat 
und befchwor ihn, das Veto zurückzunehmen... Diefer hieß ihn die Abſtimmung forte 
feßen, und kaum war durch die nächfte Tribus die Mehrzahl für die Abfegung ent 
febieden, fo warf fich der wüthende Pobel auf ihn,. da er mit feiner Würde zugleich 
ſeine Unverleglichkeit verloren hatte; und nur durch die Bemühungen Tiber’s, der 
lles anwandte, das Volk zur Maßigung zurüdzuführen, durch die Treue eines 
‚Sklaven, der fich für ihn aufopferte, und die Anftrengungen der Ariftofratan rettete 
er fein Leben. Noch in derfelben Bolksverfammlung ward das Geſetz vom Walk 
angenommen, und 3 Sommiffarien die Vollziehung übertragen, dem Tiber felbft, 
‚feinem jüngern Bruder Cajus und feinem Schwiegervater Appius Claudius. Nun 
wrft zeigten fich alle Schwierigkeiten, die der. Ausführung im Wege flanten, in ihrem 
‚vollen Lichte; fehon die Vorarbeit, Nielinterfuchung, was Gemeinland und Private 
‚nder fet, hatte deren im vollen Maße; bie Klagen und Beſchwerden aus allen 
‚Gegenden Italiens haͤuften fich, und Tiber’s Popularität fing an zu finfen, wobei 
‚feine Gegner nicht unthaͤtig blieben. Indeſſen kam der Auguft des J. 620, wo die 
Tribunen fiir.das folgende jahr gewaͤhlt wurden, heran, und G., der indeffen durch 
x neue Vorſchlage ſich in der Gunſt Des Volks wieder zu heben verfucht hatte, bes. 
warb fich, von Neuem um diefe Würde, Da im Gegentheil die Ariftofraten Alles 
aufboten, dieg zu verhindern, flieg die Gährung in Rom auf das hoͤchſte. Ohne 

- zu einer Wahl zu kommen, ging ein Wahltag vorüber. Am folgenden befegten 

Converſations⸗Lexicon. Bd. IV. | 54 





802 - Gracchus 


zahlreiche Boleshaufen das Forum, der Senat verfammelte fich in dem nche gekes 
nen Tempel der Treue (Fides). Vergebens fuchte Tiber zu dem tobenden Volks⸗ 
baufen zu reden; um anzudeuten, ſein Leben fei in Gefahr, zeigte er auf f. Kopf. 
Sofort fehrieen f. Feinde, er habe das Diadem gefodert. Grundlos, faſt lächerlich 
war diefe Anfchuldigimg; aber was glaubt die Leidenfchaft.nicht, wenn von dem 
verbaßten Feinde die Rede ift? Scipio Nafica, aus einer der vornehmften Fa⸗ 
milien, geweſener Conſul, großer Grundbeſitzer und daher leidenfchaftlicher Arifto: 
£rat, erhob fich, von den Conſuln födernd: „daß fie Gewalt brauchen moͤchten“; 
und als diefe mit weiſer Maͤßigung es ablehnten, rief er, zur Wuth erhigt: „Wer 
die Republik Lieb bat, folge mir nach”, und verließ mit ſ. Anhängern in ftürmifeher 
Eile die Curie. Der ganze Haufe, mehrensheils Senatoren und gewefene Magi 
firate, bervaffnete fich mir Stöden, Keulen und dergl. und that einen Angriff auf 
das Volk, das mehr aus Achtung für die hohe Wuͤrde diefer Männer als aus 
Furcht ihnen Pag machte; menige fegten fich zur Wehr. So entfland ein Hand» 
gemenge, in welchem Tiber felbft mit 300 feiner Anhänger erfohlagen wurde. Aber 
mit diefem erften Bürgerblute Eonnte die einmal erregte Gahrung unmöglich geſtillt 
werden. Es bildete fich eine demokratiſche Partei, als Segnerin des Senats, die 
fich ebenfalls mir fchonungslofer Heftigkeit zu verfahren berechtigt hielt. Die tübn- 
ſten Wortführer brüngten ſich zum Tribunat, mit G.'s ehrmwürdigem Namen ihre 
ehrgeizigen Entwürfe bededend. So erfchütterte der Voltstribun Carbo 2 jahre 
nach Tider’s Tode durch neue Vorfchläge die Ruhe des Stants. Ein andrer Volks⸗ 
Häuptling, Fulvius Flaccus — Carbo trat fpäterhin wieder zu der ariftoßratifchen 
Partei über — ward felbft Conſul, und würde in diefem hohen Poften große Un: 
ruben erregt haben, ba er den Bundesgenoffen große Berfprechungen that, hätte 
ihm nicht der Senat einen Oberbefehl in Gallien gegeben. Auch gab die fort: 
dauernde, obwol wenig wirkſame Ausführung des Sempronifchen Sefepee, das durch 
Tiber's Tod keineswegs aufgehoben mar, den Unruhen immer neue Nahrung. An 
die Stelle. des ermordeten Tiber war LiciniusTraffus, Schwiegervater des Cajus 
G. erwählt; und als diefer farb, bildeten Carbo, Fulvius Flaccus und Cajus ©. 
die zur Ausführung des Sefeßes beſtimmte Commiſſion. So hatten fich die Par- 
teien mit abmechfelndem Erfolge befämpft, als ber jüngere G., 10 Jahre nach dem 
Tode f. Bruders (J. R. 630), das Tribunat erhielt. Mit vielfeltigern und glänzen: 
dern Talenten als fein Bruder, verband er eine flürmifche, den Zuhörer fortreißende 
Beredtfamkeit. Als Tribun erneuerte er zuvorderſt das Sefeg feines Bruders; er 
-  rächte fein Andenken, mdem er mehre der heftigften Gegner deffelben aus der Stadt 
vertrieb. Zugleich feßte er Das Gefeß durch: „daß den Türftigen in Rom ein Se: 
voiffes an Getreide monatlich vertheilt werden folle”, und durch ein andres Geſch 
erleichterte er den Kriegsdienft und ficherte den Soldaten außer dem Sold auch Kiel: 
düng. Zugleich ließ er mehre Heerfträgen durch Italien ziehen. Das Volk faßte 
einen grenzenlofen Enthuſtasmus für ſ. Liebling, f. Gegner waren gefchredit und be 
täubt, fo wurde es ihm Teicht, die Erneuerung f. Würde für das folgende Jahr zu 
erhalten. Sein Verſuch, 300 Ritter in den Senat zu bringen, feheiterte, Dagegen 
wurden auf ſ. Antrag den Senatoren die Gerichte genommen und dem Ritterſtand 
übertragen. So entfland ein neuer pofitifcher Stand im römifchen. Staate, der, 
zwifchen Senat und Volk in der Mitte ftehend, auf die folgende Sefchichte den 
wichtigſten Einfluß gehabt hat. Der Senat griff jeßt zu einem neuen, ſichern 
Mittel, G. zu ſtuͤrzen. Ein gewonnener Tribun, Livius Drufas, wußte durch noch 
groͤßere Berfprechungen das Volk von Cajus abimendig zu machen und fich und dem 
Senate noch größere Popularität zu verfchaffen. Daher geſchah es, daß G. das” 
dritte Tribunat nicht erhielt, wogegen einer feiner beftigften Beinde, Opimius, um 
Eonful ermwählt ward, Ein Tumult, in welchem ein Lictor des Confuls erfchlagen 
ward, gab dem Senate Selegenheit, die Tonfuln zu ermächtigen, mit getwaffneter 


J 


Gracloſo Grade 803 


Hand zu verfahren. Der Antrag, den Opimius an das Volk thun wollte, ein Geſetz 
des G. aufzuheben (es betraf nur eine von ihm decretirte Tolonie, aber man betrach« 
tete es als ein Beiſpiel der Aufhebung aller von den Gracchen gegebenen —3 

ab der Gaͤhrung neue Nahrung. ©, erſchien auf dem Forum, Flaccus hatte f. Ans 
Klinger bewaffnet. Da that Opimius mit einer wohlbewaffneten Schaar geübter 
Krieger einen Angriff auf das Doll. An 3000 wurden erfehlagen, und ©. felbft, 
von treuen Freunden tapfer vertheidigt, fiel als em Opfer der Wuth f. Feinde. Das 
Adergefe& ward fpäterhin aufgehoben, aber die Achtung für den Senat war dahin. 
S. H. K. Reiff's Geſchichte der römifchen — Anfange der Gracchi⸗ 
ſchen Unruhen bis zur Alleinherrſchaft des Auguſtus“ (Berlin 1826). 

-  Sraciofo, der theatraliſche Beiname des Poſſenreißers oder luſtigen Bes 
dienten, einer komiſchen Maske oder fiehenden Rolle, die in allen drei Arten des 
fpanifchen Zuftfpiels, befonders aber In den Intriguenſtuͤcken (Comedias de capa 
5 espada) unter derfchiedenen Namen vorkommt, dem Hanswurſt ähnlich. Dit 
dem Hariekin der Altern Bühne, wovon man ihn Bas ableiten wollen, hat er inſo⸗ 
fern Achnlichkeit, daß er zuweilen etwas plump und gefräßig ift, andre Züge aber, 
Geſchwaͤtzigkeit und Furchtſamkeit, bat er nicht mit jenem gemein. Man könnte 
eber im Sofias des Plautus, oder im Davus und andern Sflavenrollen des Tereng 
fein Mufter finden. Bei Lope de Vega iſt diefe allgemeine Charakterform zumeilen 
mit dem Tötpel derfelbe Charakter, wie ihm denn überhaupt bie fpanifchen Dichter 

‚auf die mannigfalrigfte Weiſe Nebenzuͤge beilegen, ihn bald fehr verfchlagen und flug, 
Bald poffirlich einfültig fchildern. In einigen Stüden kommt ein zr:eite® Graciofe 
(Gracioso secundo) vor, ja man findet auch wohl noch mehre. Selten wird diefe 
Charaktermaske als Werkzeug gebraucht, durch ihre Liften die Verwickelung zu 
Enüpfen, fondern der Tuflige Diener dient meift nur dazu, die Triebfedern, die 
feinen Herrn beftimmen, zu parodiren, was oft auf die agmuthlgfte und geiftreich> 
fie Weife geſchieht. In den Luftfpielen des Auguftin Moreto y Cabana zeich 
nen fich die Rollen des ©, durch glüdfichen Witz befonders aus, — Sin der 
Muſik ift Sraciofo die Notenſchrift eines fanften, anmuthigen Tonſtuͤcks. 
— Gradation, Steigerung (Klimaz, f d.), in der Redetunft das 
allmaͤlige Fortfchreiten von einem ſchwaͤchern zu einem flärfern Gedanken, wo⸗ 
durch die Aufmerkſamkeit tes Hörers in fleter Spannung erhalten wird. 
den bildenden Künfteh zeigt fich die Sradation in der Anordnung der Gegen: 
flände, in.den Formen, in den Charakteren, in den Ausdrüden, "Dervegungen, 
Falten der Bekleidung und in der Abflufung der Farbe, da eine demerkbare 
Züde in der Folge der Segenflinde in allen diefen Theilen der Kunft ein uns 
angenehmes Gefühl erweckt. Nur durch die richtige Sradation befommt ein 
Kunſtwerk Einheit, und jeder Theil deffelben feine volle Bedeutung. J 
Grade nennt man die gleichen Theile, in welche ein Ganzes abgetheilt wird. 
zu der Mathematik wird jeder Kreis in 360 gleiche Theile oder Grade eingetheilt. 
ie von neuern franz. Mathematikern verfuchte Decimoleintheilung des Kreiſes 
bat, ihrer Borzüge imgeachtet, die alte Eintheilung nicht verdrängt. “Die abfolute 
Größe eines Grades hängt demnach Yon der Größe des Halbmeffers ab, und kann 
alfo nur in Beziehung auf diefen beftimmt merden. Da man bie Winkelnach Kreis⸗ 
ps mißt, soelche aus der Spike von einem Schenkel zum andern beſchrieben wer⸗ 

n, fo gibt man die Größe der Winkel ebenfalls nach Graden an. So hat ein rech⸗ 
ter Winkel 90 Grabe, d. h. feine beiden Schenkel umfaffen den vierten Theil eines 
aus f. Spige als Mittelpunkt befchriebenen Kreifes, Feder Brad (?) wird weiter 
in 60 Minuten (), jede Minute in 60 Secunden () ımd jede Secunde in 60 Ter: 
tien () getbeilt, Alle-mathemotifche und aftronomifche Inſtrumente, mit welchen 
Winkel gemeffen roerden, mie das Aftrolabium, der Quadrant, Sertant, Trans 
porteur u. a. haben diefe Eintheilungen, Und ebenfo werden alle ur welche man 





804 Gradiren Gradmeſſungen 


in der Vorſtellung um die Himmelskugel und um die Erde zieht, z. B. ber Aqua⸗ 
tor, die Mittagskreiſe, die Ekliptik, die Parallelkreiſe, die Scheitelkreiſe, der 
Horizont ꝛc., in Grade, Minuten und Secunden getheilt. Etwas Andres iſt 
die Abtheilung in Grade bei phyſikaliſchen Inſtrumenten, z. B. bei Barometern, 
Thermometern x, wobei man allemal von einem feſten Punkte ausgeben muß, 
> B. beim Thermometer vom Eispunfte, indem man die Grabe über und un: 
ter demfelben zählt, je nachdem. die Kälte größer oder geringer ift, als diefer 
Punkt anzeigt. — In der Genealogie bedeutet Grad die Entfernung eines 
oder mehrer Nachkommen von den gemeinfchaftlichen Attern, In gleichem 
rade mit einander verwandt fein, heißt demnach, von den gemeinfchaftlichen 
Itern in Anfehung der Abflammung gleich weit entfernt fein, wie dies mit 
Geſchwiſtern, erften, zweiten und dritten Sefchwifterkindern u. f. w. der Fall if. 
Gradiren (Salzwerke), heißt, die unendlich Eleinen, in dem Salzwaſſer 
(der Soole) aufgelöften Salztheilchen von: einem Theil ihres üiberflüffigen Waſſers 
befreien, damit dadurch der Aufwand beim Sabfieden vermindert. werde, Diefes 
laßt fich auf eine dreifache Art bewirken: 1) daß man die Soole durch Beimifchung 
mehrer Salztheile verſtarkt, wie 3. B. auf dem bairifchen Salzwerke Armenballe, 
dem norwegifchen zu Walloe ıc.; 2) daß man die in der Soole befindlichen Salz⸗ 
theilchen vermiztelft der Kälte (Eisgradirung) nöthigt, näher zufammenzutreten; 
3) daß man die waͤſſerigen Theile der Soole verflüchtigt, die Salztheilchen aber zu: 
ruͤckhaͤlt. Dies ift die allgemeinfte und wichtigſte Sradirungsart, und fie gefchicht 
auf vierfüche Weiſe: a) dag man die Soole in großen Behältern ganz rubig, nur 
der Sonnenmwärme ausgefeßt, ſtehen läßt (Sonnengradirung). Gehört nur fürs 
füdliche Europa, b) Daß man die Soole über große fchiefliegende, der Luft und 
Sonnenwaͤrme ansgefeßte Flächen langſam Binfießen läßt (Pritfehen: oder Tafel: 
gradirung, Darhgradirung). Sie ift die unzwedimäßigfte unter allen. c) Daß 
man die Soole aus hochgeftellten Behältern durch gehörtg dazu eingerichtete und 
der freien, von Morgen nad Abend oder umgekehrt fireichenden Luft ausgefebte 
Wände herabtröpfeln läßt (Tröpfelgradirung. oder Die fogen. Leckwerke, die befle 
unter allen.) d) Daß man endlich die Soole in Pfannen’ der Hitze des Feuers aus: 
ſetzt. (Die Eofifpieligfte und unanmendbarfte unter allen, wenn die Soole nicht 
wenigſtens neungrädig, und das Feuermateriale noch obendrein wohlfeil if.) Die 
Tröpfelgradiriing, als die allgemeinfte, gefchiebt in den von Deutfchen erfundenen 
Gradirhäufi O, welches Tänglich viereckige bedachte und unbedachte, aus Holzerbaute 
Gebaͤude find, deren Giebel nach Mittag und Miisternacht fliehen müſſen, die m 
oberften Theile die Sooltropfkaſten und an den Seiten derfelben die hölzernen Haͤhne 
und Rinnen mit Einfchnitten verfeben haben, aus denen die Soole abtröpfelt, in 
dem mittlern Theile Die Wände, durch welche die Soole füllt, und im untern Theile 
einen großen Behälter. oder Becken enthalten, in welchem die Soole gefammelt wird. 
Die heutigen Sratirhäufer haben Wande aus Schwarzdorn oder Schlehendorn 
(Prunus spinosa) und im Mothfalle aus Weißdorn (Urutnegus Oxyacanıha), 
Joach. Friedr,, Freih. v. Beuſt, hat fie 1726 auf der Safine Wübelme Glücksbrunn 
bei Kreuzburg an der Werra zuerſt eingeführt. Die Beranftaltung, worin das Org: 
diren der Soole vom Anfange an bis zu ihrer Sabre oder Graͤdigkeit (Lothigkeit) zunf 
Verſieden gebracht wird, nennt man ein Gradirwerk. "x, 
Sradmeffungen. Als Newton gelehrt, dag (vgl. Abplattung der 
Erde) wegen des Umſchwungs der Erde um ihre Are diefe um den Aquator höher 
fein müffe, und ihr Aquatorialdurchmeffer um „45 größer fei als ihr Polardurchmefs 
fer, wollten die Franzoſen dies Durch eine Meffung in Frankreich unterfuchen. New⸗ 
ton machte zwar bemerklich, der Unterfchied zwifchen einem Grade bei Dünfirchen 
und zwifchen einem Grade bei Bayonne fei fo Mein, da fie mitihren unvollfomme: 


nen Inſtrumenten ſolches gar nicht finden kannten, ja fie fanden vielleicht das Ge⸗ 


Srabmeffngen 805 


gentheil, und dann waͤrde die Wiffenfchaft durch fehlerhafte Zahlen in Verwirrung 
gebracht. Allein man ließ fich nicht abhalten; die Meffung ward vorgenommen, 
und mas Newton vorbergefagt hatte, traf ein, denn das Reſultat derfelben war, 
daß die Polaraxe größer fel, und dag die Erde eher einer Eitrone gleiche als einer Pos 
meranze. Nachdem 40 Jahre lang hierüber leere Reden geführt worden, befchloß 
endlich die Akademie der Wiffenfchaften, einen Grad unterm Aquator und einen in 
Lappland meffen zu laffen. Jetzt fand fich, daß der nordiſche Grad größer fei als 
der unterm Äquator, und dag Neroton recht gehabt. Allein es fragte fih nun, wie 
viel die Abplattung betrage? Die Theorie gab «ta, wenn die Erde in einem völlig 
flüffigen Zuſtande war, als fie anfing, fich zu drehen. Die Berechnungen aber ga: 
ben immer andre Nefultate, je nachdem man diefe oder jene Meffung dabei zum 
Grunde legte. Denn nicht allein in Amerika und Lappland waren Sradmeffungen 
gemacht worden, fondern auch in Frankreich, England, Ungarn und Sftalien. Dan 
ſchloß hieraus, daß die Erde fein völlig regelmäßiger Körper fei, fondern daß fie große 
‚Örtliche Ungleichheiten habe. Obſchon diefes möglich tft, fo war der Schluß doch 
zu voreilig, weil die angeführten Ungleichheiten ebenfo gut von den Fehlern der Mef- 
fungen herrühren fonnten, da man br unvollfommene Inſtrumente gebraucht 
und fehr Eleine Bogen gemeffen hatte. Als die Franzofen ihr neues Maß: und Ge: 
wichtfoftem auf das Metre bauten, welches der 10millionfte Theil vom Aquator bis. 
an den Pol fein follte (ungefähr 3 Fuß 1 30), mußten fie die Größe der Erde und 
die Größe der Abplattung fehr genau kennen. Sie maßen deßwegen in Frankreich 
nicht einen Bogen von einem Grad, fondern einen Bogen von 10 Grad, von 
Düntirchen bis Formentera. (Bol, Delambre.) Zu gleicher Zeit wurde in 
Schweden 1802 der Grad aufs Treue und mit beffern Inſtrumenten gemeffen, als 
Maupertuisvor 80 J. gebraucht hatte, und fo war denn die Größe und die Abplat- 
tung’ der Erde ziemlich genau befannt. Seit dem Frieden hat man die Gradmef⸗ 
fung , welche in England. unter dem General Roy. durch Mudge gemacht worden, 
mit der franzöfifchen in Verbindung gefeßt, und fo ift denn ein Bogen por 20 Brad, 
der von den balearifchen Inſeln auf der Küfte von Spanien über Frankreich und 
England bis zu den orcadifchen Inſeln gebt, gemeffen, dadurch aber die Größe der 
Erde und ihre Abplattung fo genau beftimmt, als fie ſich in Europa beftimmen laͤßt. 
Die Abplattung iſt namlich zu za gefunden. Auch in Indien hat Zambton eine 
Gradmeffung begonnen. In Deutfchland kann man feinen Bogen meffen, der 
größer als etwa T Grad oder 105 Meilen ift, nämlich von Konſtanz bis Luͤbeck: es 
mürde mithin nur von einem geringen Mugen fein, in Deutfchland diefe Meſſung 
vorzunehmen, Auch Dann, wenn die Figur der Erde in Deutfchland anders als in 
England wäre, müßte man, um diefe örtlichen Ungleichheiten zu beflimmen, mit 
einer großen Sorgfalt verfahren, damit die Fehler der Meffung nicht größer wären 
als die Ungleichheiten der Erde, fonft Eonnte man leicht die Abweichungen der Aſtro⸗ 
nommen von der Wahrheit für Abroeichungen der Erde von ihrer regelmäßigen Geſtalt 
halten. Sradmeffung eines Längengrades, Die Langengrade find un: 
term Aquator am größten und nehmen nach den Polen immer mehr ab. Auf dem 
Ayuator hat ein Längengrad 15 deutſche Meilen, bei ung nur noch 8, und ſo 

kann man die Groͤße jedes Grades berechnen, fobakd Die Figur der Erde befannt iſt. 
Iſt die Figur der Erde aber nicht ganz regelmäßig, fo haben auch die üngengrade 
aufderfelben Breite nicht überall diefelbe Größe, ımd man hat davon gefprochen, 
diefes ebenfalls Durch eine Sradmeffung zu unterſuchen. Diefe Aufgabe iſt in den 
. Dreieden eben fa leicht wie die Meffung eines Breitengrates, aber in dem aftrono: 
mifchen Theile ift fie gerade 15 Mal fo ſchwierig. Der Yangenuhterfchied zweier 
Orte wird in Zeit beftimmt, da. der Ort, der 15 Grad nach Often liegt, eine Stunde 
fräher Mittag hat. Fine Stunde ift alfo 15 Grad, oder, den Grad zu 84 Meile 
gerechnet, 1234 Meile oder etwa 3 MU. Fuß. Eine Zeitminute ift 50,000 Fuß, 


‘ 


‚806 | Graf 


und eine Zeitſecunde 800 Fuß. Auf jede Zeitfecunde, um bie man ſich in der 
Übertragung der Länge irrt, irrt man fich alfo um 800 Fuß. Bet einer Entfer- 
nung von 127 Meilen die Zeit bis auf 2 oder 3 Secunden ficher mit Raketen oder 
Blickfeuern zu übertragen, ift eine in der Aftronomie faft unauflösliche Aufgabe, und 
"während man bei den Dreiecken auf einem folchen Bogen nur.etiva 200 Fuß Unges 
wißheit hat, Hat man im aftronomifchen Theile der Meſſung vielleicht eine Ungewiß⸗ 
beit von 2000 Fuß: — Die ältern franz. Gradmeſſungen leitete, im Norden, 
Maupertuis; im Süden aber Bouguer. Ausführlichere Notizen über die Grad: _ 
meſſungen gibt Delambre in f, „Astronomie“, Il, Cap. 35; eine gemeinfagliche 
Beſchreib. der Operation aber findet fich in Bode’s „Anleit. zur allgem. Kenntniß 
ber Erdkugel“, 2. A., Berl. 1803, 8.159 fg, Den neueften Beitrag gab der engl. 
Cap. Edw, Sabine. Er ftellte Beobachtungen der Pendellinge an vom 13° ©, bis 
zum 800 N. Br. Danach berechnete er bie Abplattung des Erbellipfoids zu sis, ur 
und wenn man die Deeffungen von Sabine, Kater, und die neuere franz. durch Biot 
zufammenftelle, fo findet man die Abplattung — sie, » S. Sabine’s „Account 
of experiments to determine the figure of the Eartb, by means of the pendu- 
ling vibrating seconds in difterent latitudes” (Lond. 1825, 4.). Bg. 
Graf mar im älteften Deutfchland eine Art von Unterrichter, wozu das 
Volt, denn diefes wählte ihn wenigſtens bei einigen Stämmen, einen Mann erfor, 
der in Sefchäften grau worden, und daher nach einer gewöhnlichen Meinung. Grau, 
‚ ®rave hieß, woraus unfer heutiges Siraf entfland. (S. Sau.) Andre leiten das 
Wort Graf von YgaPeın, indem das alte gallifch-lateinifche Wort graffare. von 
welchem Graffarius, Grefhier, abflammt, fo viel als fchreiben bedeutet. Es konnte 
alfo Graf (in einigen Handfchriften der fränfifchen Capitularien Graphio) aus der 
Sprache der griech. Soloniften in Gallien .entlehnt fein. (Es iſt aber unumflößlich 
ewig, daß das Wort Graf von dem füchfifchen gerefa, Einnehmer, und nachher 
ichter, Eommt.) Andre haben behauptet, die Franfen hätten Grafen als Nache 
ahmung der Römer eingefeßt, wahrſcheinlich weil Graf im Latein, comes (Begleis 
ter) heißt. Hadrian hatte flets einige Senatoren um fich, die mit ihm umberreis 
en; dies Sefolge hieß Comitatus Caesaris, die vornehmſten darunter Comites, 
us ihnen befeßte der Kaiſer verfchiedene Stellen an feinem Hofe und ſchickte fie als 
Statthalter in Provinzen und Städte. Allein die deutfchen Grafen find älter als 
die Comites. Ehe die Franken die herrfchende Nation wurden, batte Deutfchland 
ſchon feine Grafen, bei den Franken erhielten fie nur eine etwas veränderte Beſtim⸗ 
mung. Nicht mehr von dem Volke, fondern, wie die Herzoge, von den Königen 
eingeſetzt, wurden fie Richter über die Gaue und übten Regierungsrechte, nicht in 
eignem, fondern in des Königs Namen. Ste waren Eonigl. Beamte, und man 
fiebt aus der ihnen gegebenen Anweifung, die ung Markulf aufbewahrt hat, dag ihr 
Amt in Bermaltung der, Juſtiz, Polizei und koͤnigl. Gefälle beftand. Die Graf: 
karten waren demnach Amter und wurden deßhalb auch nicht nach einem Ort oder 
ezirk, fondern von dem Namen der Grafen felbft benannt, z. B. die Grafſchaft 
des Maracher u. ſ. w. Nach den Zeiten der Karolinger blieben Amt und Namen, 
man fing aber an, verfchiedene Elaffen derfelben zu unterfeheiden. Vorzüglich zeich⸗ 
nieten fich aus die Pfalzgrafen (von Pfalz, Hof), alfo Hofrichter, bei denen jeder 
Rechtshandel, ehe er vor den König kommen Eonnte, angebracht werden mußte, um 
zu fehen, ob es nothwendig fei, daß der König darüber entfcheide, Markgrafen, 
Grenzvorſteher (von Mark, Grenze); Landgrafen (fpäter als die norigen, kom⸗ 
men erft im 11. Jahrh. vor) im Gegenfaß der vorigen, Beamte des Innenlandes, 
wo fein Herzog war; Burggrafen, die nur'über eineBurg ımd das zugehörige 
Gebiet gefegt waren. Außerdem Eommen aber noch vor: Zentgrafen, wahr⸗ 
ſcheinlich von der Zahl 100 (centum), weil fie, die felbft unter den Grafen flanden, 
anfänglich (denn fpäterhin waren fie bedeutender) über fü viele Perfonen gefegt wa⸗ 


Gräfe 87 


sen; Dinggrafen, von Ding, Gericht, Gerichtshof, alfo Gerichtsbeamte; 
Holzgrafen, eine Art von Oberforftmeifter, wie die Stallgrafen Oberflall: 
‚meifter; 2ehn:, Salze, Deichgrafen erklären fich von ſelbſt; Wicgrafen 
hatten ihren Namen von Wic (vicns), Dorf.”) Um widerrechtlichen Anmaßun⸗ 
gen. oder Unterfchleifen diefer Reichsbeamten vorzubeugen, hielten die Könige und 
Kaifer oft ſlbſt Gericht in den Provinzen oder ſchickten Sendarafen dahin, 
Karls Sapitularien enthalten genaue Vorfchriften, wie diefe dabei zu Werke gehen 
follen. Allmälig aber wuchs die Macht der Stafen, ſowſe dieder Herzoge, immer 
mehr (fFürften, Sefolg), und fie fingen an, ihre Amter erblich zu machen, | 
ſich der Gewalt der Kaifer zu entziehen, und die ihnen verliefene Macht nicht als. 
£aiferl. Beamte, fondern als eigenthümliches Recht auszuüben. Da im 12. Jahrh. 
die Sauen als politifche Eintheilung abkamen, erſtreckte fich die Verwaltung der 
Gerichtsbarkeit der Grafen nur auf die eignen Guͤter, die fie in ihren Amtsfpren: 
geln hatten, und auf die Perfonen, die ihnen mit der Schußherrlichfeit und Erbge: 
richtsbarfeit angehörten. Hatten fie in ihren -Sprengeln viele folche Güter und 
Derfonen, fo entftanden daraus Herrfchaften, und mehre Grafen vermwechfelten den 
gräflichen Titel mit dem eines Herrn oder Dynaſten, oder nannten fich, wenn fie 
jenen beibehielten, nicht mehr nach ihrem Sprengel, fondern nach ihren Allodialguͤ⸗ 
tern, nicht mehr 3. B. Srafen im Riesgau, fondern Grafen von Dttingen. Dabei 
blieben aber viele im Befiß gewiſſer Rechte, Die fie ehemals als kaiſerl. Beamte in 
ihren Sprengeln auszuäben hatten, wohin vorziglich der Wildbann (“Jagd » und 
Sorftgerechtigkeit), der Blutbann oder Cent (Recht über Leben und Tod; diefe bei: 
den Bännenannte man die Srafenbänne oder Regalien, weil fie vordem im Namen 
„der Könige ausgeübt wurden), der Zoll und das Seleite gehören: Durch alles Die- 
wurde der Grund zur Landeshoheit der Grafen gelegt. Als die Bafallen und 
amten diefe endlich ganz von den Kaiſern erlangt hatten (f.Fürften), gab es 
daher regierende Grafen, Landgrafen, von denen.mehre fpäterbin zu 
herzogl., Eurfürftl. und Fönigl, Würde aufftiegen. Alle diefe mit Landeshoheit vers 
fehenen Srafen gehörten, nachdem die Einrichtung des deutfchen Reiche fich befe: 
fligt hatte, zum hohen Adel (von denen viele fpäterbin auch in den Fürftenftand er- 
hoben wurden), und als Reichsgrafen nahmen fie Theil am Neichstage, hatten 
aber im Fürftenrathe Curiat⸗, nicht Birilftimmen, d. 5. eine ganze Koͤrperſchaft 
zählte für eine Stimme, Bis zum weſtphaͤliſchen Frieden gab es 2 Srafenbänfe, 
die der wettermuifchen und fehwäbifchen Grafen, die alfo für 2 Stimmen zählten; 
nach jenem Srieden famen, wegen der Religionsverfchiedenheit, noch 2 Grafen: 
banke, die frankifche und weftphälifche, hinzu, fo daß von da an die Örafen 4 Cu: 
riatfiimmen im $ürftenrathe hatten. | dd. 
SräfelKarl Ferdinand), Dr. k. preuß. Geh.-Rath, Prof. der Chirurgie an 
der Univerfität zu Berlin, Ritter mehrer Orden, Mitglied mehrer Akademien und 
gel. Geſellſchaften ıc., geb’ zu Warfchau 1787, bezog im 14. J. das baugner Gym: 


naſium, fpäter die Kreuzfchule zu Dresden; legte dann unter Leitung der an ber - 


mediciniſch⸗chirurg. Lebranftalt zu Dresden angeftellten Lehrer Hedenug, Andre und 
Larenz den Grund f. medicinifchen Studien, die er 1805 in Halle unter Gilbert, 
Sprengel, oder, und vorzüglich bei Keil fortfeßte. 1807 promopirte er zu Leipzig. 
Seine Differtat. behandelte die Angieftafie der Lippen, einen bis dahin überfehenen 
Segenfland, mit Originalität. Als Leibarzt an den Hof des Herzogs v. Anhalt: 
Bernburg berufen , machte er fich um das dafige Krankenhaus, ſowie um das unter 
ſ. Mitwirkung entflandene Alexisbad verdient. Nur die Einladung Reis Eonnte 
* Spuren ber ne (peilnglichen Bedeutung des Wortes Graf finden wir noch jeßt 
k B. im Hanöverifhen, Dänifhen und Didenburgifchen , wo Die Aufſeher des Waſſer⸗ 
aues den Zitel Deich aret en, und im Heſſiſchen, wo'bie Aufſeher der landesherr⸗ 
lichen Schlöffer (Schloß-oder Hausverwalter) den Titel Buarggrafen führen. 


808. | Graff Oramme 


ihn vermögnen, diefen Poften aufzugeben umd 4810 das Lehramt ber Chirurgie an 
der Univerfität zu Berlin anzunehmen. Im Kriege 1813 — 14 führte er als Di: 
vifions: General: Arzt die oberfte Aufficht über das Haupt-Reſerve⸗Feldlazareth und 
das ganze Lazarethweſen zroifchen der WWeichfel und Wefer; 1815 die Leitung und 
Organifation aller Lazarethe ziwifchen der Wefer ind dem Rhein, im Großherzog: 
thume Niederrhein und Holland, aus welchen Anflalten er 85,630 Geneſene den 


Bahnen des Königs zurüdgab, Nach dem Frieden finden wir ihn wieder als thä⸗ 


tigen Lehrer zu Berlin. Er wurde Mitglied der wiffenfchaftl, Deputation im Mi⸗ 
nifterium ber Geiſtlichen⸗ Unterrichte:und Medicinalanftalten, Mitglied der Obers 
„ Eraminationscommiffion (nach D. Gbrke's Tod), dritter General⸗Stabsarzt der 
Armee mit dem Range eines Oberften, Mitdirector bes Friedrich: Wilhelms —5 — 
tuts und der mediciniſch⸗chirurgiſchen Akademie. Die deutſche Chirurgie verdankt 
ihm viel, u. A. die Einfuͤhrung und Verbeſſerung der faſt vergeſſenen Methode, ver⸗ 
lorene Naſen zu erſetzen (ſ. Rhinoplaſtik). Insbeſondere machte er ſich um 
die erweiterte und verbeſſerte Einrichtung des Klinikums verdient. Außer ſeinen 
jaͤhrl. Berichten von 1816 —1822, von dem kliniſchen Inſtitute fuͤr Chirurgie und 
Augenheilkunde, nennen wir folgende Schriften von ihm: Angiektaſie, ein Beitrag 
zur rationellen Cur und Erfenntniß der Gefaͤßausdehnungen“ (Leipz. 1808,4.); 
Normen für Ablöfingen großer Gliedmaßen” (Berlin 1812); „Rhinoplaftik” 
(Bert. 1818, ins Lat. überf. von D. Hecker und ins Ital. zu Neapelvon D. Schön: 
berg); „Journal für Chirurgie und Augenheilkunde“, zugleih mit Prof. von Wal⸗ 
iger inBonn, feit 1820; „Die epidem: contag. Augenbiennorrhoe Agyptens” (mit 
upfern, gr. Fol., Berlin 1823). 

‚Sraff(Anten), k. füchfifcher Hofmaler , einer der erften‘Portraitmaler feiner 
Beit,geb. zu Winterthur 17736, deffen Lehrer im Portraitmalen oh. Ulrich Schel⸗ 
lenberg geweſen war, hatte 8 J. in Augsburg verlebt, als er 1766 nach "Dresden bes 
rufen wıttde. Hier bildete er fein Talent volllommen aus. Zeichnung, Charakter 
und Colorit find an feinen Gemälden gleich lobenswerth und befriedigen den Kenner. 
Die Zahl feiner Portraits, unter welchen die männlichen den Vorzug verdienen, 
and Samiliengemäfde belief ſich ſchon 17196 auf mehr als 14100. Eine intereffante 
Sammlung derfelben aus des Buchhändlers Reich Nachlaß befißt jegt die Leipziger 
Univerfitätsbibliothet. ©. flarb zu Dresden 1818. 

Gral, Sraal, f. Tafelrunde. 
Grammatik (Sprachkunft), der Inbegriff der Regeln, nach welchen eine 
Sprache richtig geredet und gefchrieben wird. “Jede Sprache hat ihre eigne Gram⸗ 
matik, alle aber umfaßt die allgemeine oder philofophifche Grammatik, welche ohne 
Rückſicht auf eine vorhandene Sprache, nach den Geſetzen des Denkens und deu 
Bedürfniffen des menfchlichen Seiftes ein ideales Sprachgebäube aufführt ‚ das von 
jeder menfchlihen Sprache mehr oder weniger, von Feiner aber vollfländig erreicht 
wird, noch erreicht werden kann, (Bol, Sprachlehre,) Bei den Alten hatte 
das Wort Grammatik urfprünglich einen ganz andern, weit umfaffendern Sinn. 
og Rhetoren und Örammatifer.) | 
ramme, die Einheit des Gewichts in Franfreich, welches die ehemaligen 
Gros oder Auentchen erfeßt, Es werden daraus durch Deultiplicotion oder Divi⸗ 
fion alle größere oder Eleinere Gewichte gemacht. So ift z.B. das Decagramme 
ein Gewicht von 10 Grammen, fo viel als 23 Quentchen; das Hectogramme 
- ein Gewicht von 100 Srammen, macht 14 Unze; das Riliogramme en 
Gewicht von 1000 Srammen, 2 Pfund und faft 6 Auentchen; das Myrias 
gramme ift ein Gewicht von 10,000 Srammen, beinahe 204 Pfund. Das De: 
cigramme iſt ein Zebntheil des Sramms, beinahe 2 Graͤn ſchwer; Centi⸗ 
gramme ‚dades Gramms, beinahe 1 Sran; Milligramme, ein Taufend 
theil des Gramms, beinahe do Srän; «8 vertritt die Stelle des ehemaligen Karate, 


- 


Grainmont Stan 808 


Grammont Ehilibert, Graf v.), Sohn bes franz. Marſchalls d. N. ein 
Großvater war der Gemahl der fchönen Coriſandre d' Audouins, und er ſcheint auf 
ihr Verhaͤltniß mit Heinrich LV, in ſ. von Hamilton (ſ. d.) herausgeg. Memoi⸗ 
ren anzuſpielen, wo er behauptet, es habe nur von ſ. Vater abgehangen, Heinrichs 
IV. Sohn zu fein, da der Köntg ihn habe anerkennen wollen, was aber von Jenem 
abgelehnt morden ſei. Er diente in früher Jugend unter Sonde und Turenne; 
auch machte er den Krieg in Holland mit und zeichnete fich überall durch Tapferfeit 
aus, wiewol er nie weder Heere befehligte noch Unterhandlungen leitete. Er ſtieg 
nach und nach zu Ehren und Würden, fiel aber in Ungnade, alser es wagte, Lud⸗ 
wig XIV. Die Liebe der fehönen Lamotte Houdancour flreitig zu machen. Aus Pa: 
ris verwieſen, ging er, 2 Jahre nach Karls II, Ruͤckkehr, an deffen üppigen Hof, 
wo ſ. Munterfeit, ſ. lebhafter Hang zu Bergnügungen, f. Wis, f. Gluͤck und noch 
mehr ſ. vielleicht nicht allzu redliche Geſchicklichkeit im Spiele unter der herrſchenden 
Liederlichkeit großen Beifall finden mußten. Saint⸗Evremont, der geiffreiche Epis 
£uräer, deffen Held G. war, Buffy Rabutin und Hamilton, ©.s Schwager, ver⸗ 
fichern, ©. fei in ſ Liebeshändeln mehr unternehmend als glüctich geroefen, aber 
bei der Freigebigkeit, die er in f. Derfchwentungen zeigte, befaß er doch viele Mittel, 
Weiber zu feffeln, die es mit den Sergenseigenfihaften nicht fo aenau nahmen. 
Gys Semahlin war Hofdame der Königin von Franfreich, gefiel aber nicht allge= 
mein am Hofe. ©. ſetzte den Epikurstsmus, worin St.-Evremont f. Lehrer gewe⸗ 
fen war, fo lange als möglich fort, ohne auf den frommen Rath f. Grau viel zu ach⸗ 
ten, dis er in f. 15. 3. von ſchwerer Krankheit befallen ward, Nach f. Geneſung 
foll er den Bemühungen, ibn zu bekehren, williger entgegengefommen fein. Er 
flarb, 86 J. alt, 17107. Eine f. beiden Töchter heirathete den Grafen v. Strafford. 

ran, ein Goldgewicht, fo viel als ein halbes Loth; defgleichen ein Apo⸗ 
thekergewicht, der 60. Theil eines Quentchens. Graͤn oder Öreen, ein kleines 
Goldgewicht, der dritte Theil eines Grans oder das Zwölftel eines Karats; beim 
Silber der 18. Theil eines Lorhs oder der 24. Theil eines Pfenniggewichts; der 
288, Theil einer Mark. Ä on 

Granada, Könige in Spanien (Dberandalufien), 458 1)3M., 693,000 
E., das die Araber bie 1491 befaßen. Die Haupiſt. gl. N. am Fluffe Zenil, un: 
ter einem fehr angenehmen und gefunden Himmelsftriche, zählt in 12,000 H. Aber 
66,000 E. (edemals über 200,000). In der Nähe liegen WBerge, zwiſchen denen 
der reitzende Darrobach ſtroͤmt. Auf einem liegt der maurifche Konigspalaſt Alham 
Bra mit 30 Thürmen, der allein den Raum einer Stadt einnimmt, Der andre 
Berg, Alkanaza, iſt voll Häufer und Gaͤrten. Jedes Haus bat zur Kühle einen 
Springbrunnen, und wenn diefer fehlt, wenigſtens einen Limonienbaum,. Hoͤher 
wie die Stadt liegen ftets mit Schnee bedeckte Berge (die Alpujarres, welche noch 
jeßt fleißige Moriscos bewohnen): denrioch iſt der Winter in Granada milde.’ ©, 
bat e. Erzbifch., e. Univerfit., 414 Ktöft., 13 Hofpit., einige Fabriken, viele Denk: 
möäler mäurifcher Pracht, und den Bazar Alcanteria. Die umliegende aͤußerſt 
fruchtbare Gegend, eine fpanifche Domaine, tft fo reich an Mautbeerbäumen, daß 
bloß bie Blattpflüdung derfelben für die hieſigen Seidenwuͤrmer 3600 Dublonen ' 
Pacht gibt. Sie trägt Alles, was das füdlichfle Europa in Bollkommenheit erzeugt, 
In der prächtigen Domkirche find die Grabmaͤler Ferdinands des Katholiſchen und 
der Königin SYfabelle, ſowie das des Feldherrn Sonfalvo ff. d.). Inder Mühe 
die Trümmer der Stadt Ylliberis. — n57.5 i zu 
Granat, ein Mineral, welches in Rhombendodekaẽdern Eruflalfifirt, auch 
in Körnern und derb vorfommt. Die Farbe ift blut⸗, „Eofombin: und braͤumlich⸗ 
roth (edler Granat, Almandin, Pyrop), wein: und honiggelb, oliven⸗, Tauch- und 
berggruͤn, rothlich⸗ und leberbraun (gemeiner Granat), der Glanz iſt Glas⸗big 
Fetiglanz; durchfichtig bis undurchſichtig; der Bruch iſt muſchelig ins Uneben 








810 Granaten, Granaden, Orenaden Grandes 


Er iſt weicher als Topas, und f. ſpecifiſche Schwere iſt = 4,3 bis 3,3. Er er⸗ 
fHeint als mitunter weſentlicher oder doch mehr oder weniger bezeichnender Ge⸗ 
mengtheil vieler älterer Felsarten, ferneg auf Singen u, Zagern, und fehr allgemein 
verbreitet. — Der Granat, welcher in. den römifchen Ruinen häufig getroffen 
ward, auch in früherer Zeit als Heilmittel Anwendung fand, dient, in f. reinern ros 
then Farbenabinderungen, als Edelftein; er ſteht jedoch, da er nur felten rein vor: 
kommt, nicht in hohem Werthe. Zu Ringfleinen ıc. eignen fich vorzüglich Die 
rönländ. und die oflind. Siranaten, welchen mitunter große Reinheit und überaus 
—* Farbung eigen iſt. Man ſchlaͤgelt die Granaten zum Theil aus, d. h. auf 
der untern Flaͤche des Steins wird eine halbkugelformige Vertiefung ausgearbeitet; 
auch unterlegt man fie wol mit Goldfolie. Aus den größern ſieiermaͤrkiſchen und 
tiroler Granaten werden Tabatieren u, a. Luxusartikel gefchliffen;, auch zu 
men hat man das Mineral angewendet. Die Körner, welche befonders in Böhmen 
häufig vorfommen, werden gebohrt, facettirt, auf Schnüre gezogen und zu Hals: 
oder Armſchmuck, oder zu Obrengehängen ze. benußt. Die geringern Granaten 
erden flatt des Smirgels als Schleifpulver gebraucht; die braunen und grünen 
endlich geben einen vorteilhaften Zufchlag beim Eiſenſchmelzen ab. 

Granaten, Öranaden, Srenaden, find mit Kernpulver oder 
einem andern das Sprengen ereagenben Sag angefüllte, Kohle, eiferne Kugeln mit 
einer Brandröäre, kleiner als die Bomben, übrigens dieſen völlig ähnlich, werden 
aber nicht, wie die Bomben, aus Mörfern, fondern aus Hapbigen geworfen. Ehe⸗ 
dem waren auch Fleinere einpfündige Sranaten üblich, welche mit der Hand gewors 
fen wurden und daher Handgranaten hießen. Don diefen befamen die Soldaten, 
welche fie warfen, den Namen Sranatier oder Grenadier. Ludwig XIV. 
brachte fie 1667 auf. Da zu ihrem GSefchäfte mehr Kaltblütigkeit und eine 
muthigere Anna g gegen ben Feind gehörte, wurden fie als eine ausgezeichnete 
Truppe geachtet. Gegenwärtig baben die Grenadiere dieſe Beftimmung verloren 
und find den Linientruppen gleich, Sie bilden den Kern eines Heeres und unter: 
fbeiden fich Bier und da durch erhöhten Sold, das Zeichen der Granate auf einigen 
. Montirungsftäden und durch ihre Muͤtzen, die aber auch als unzweckmaͤßig größten: 
theils abgefchafft find, Anfangs fanden fie nur bei der Infanterie ftatt, aber bei 
dem franz. Heere find feit Ludwig XIV. auch reitende Srenadiere eingeführt, wel⸗ 
che theils einzelne Sompagnien bei den Negimentern, theils eigne Regimenter 
(Grenadiers-ä-oherval) bilden, und dann zur ſchweren Cavalerie gehören. 

Srandes. Im caftilifchen Reiche gab es, wie in Aragon, eine Stufens 
folge unter den Edeln des Landes, die theils zum hohen, theils zum niedern Adel 
gehörten. jenen bildeten die Ricos Hombres (woͤrtlich: reiche Dinner), diefen 
die Ritter (Cavalleros) und die Edelbürtigen (Hidalgos). In der Entftehungsart 
der neuchriftlichen Staaten, welche im fortbauernden Rampfe gegen Die Araber fich 
Dildeten und vergrößerten, war es gegründet, daß der hohe Adel, die Abfommlinge 
der Männer, die den erften Waffenbund zur Befreiung des Baterlandes gefchloffen 
Batten, einen bedeutenden Antheil an den öffentlichen Angelegenheiten erhielt. Der 
König war durch fie befchränft in ſ. Gewalt, fie flanden ihm als geberene Rathgeber 

Seite und hatten die erften Anfprüche auf die höchften Staatsämter. Schon 

im 13. Jahrh. ward dieſer Anfpruch denjenigen Adelsgefchlechtern , die ſich durch 
Reichthum und alten Befig der Fürftengunft vor andern die Achtung des Volks ers 
worben hatten, gefeßlich zuerkannt, und felbft der Irame Grandes kommt um diefe 
Beit ſchon in dem Geſetzbuche (Las siete partidas) vor, welches Alfons X. dem 
enftilifchen Reiche gab.- Jene Auszeichnung gebührte nur den Erften unter dem 
hohen Adel, denn viele wurden gr dieſem gerechnet, die nicht Grandes hießen; aber 
feiner ward Grande genannt, dernicht Rico Hombre war, d. 1. auseinemangefehenen 
altadeligen Geſchlechte ſtammte. Grandes hießen tbeils bie Verwandten des Eünigl. 


si > 


Standes | 811 


Hauſes, theils diejenigen durch Süterreichthum ausgezeichneten Männer aus dem 
Boden Lehnadel, welchen der König durch Ertheilung des Banners das Recht geges 
ben hatte, Kriegsvolker als ihre Söldner zu werben, und dies gab ihnen einen Vor⸗ 
rang vor den Ricos Hombres, der in der Regel auf ihre Nachkommen forterbte, 
Sie theilten, als Ricos Hombres, alle Vorrechte des hoben Adels; fie befaßen, wie 
diefer, gewiſſe Soldgüter (Königslehne, Herrenlehne genannt), für deren Einfünfte 
fin dem Könige mit einer verhaͤltnißmaͤßigen Anzahl von Langen (deren jede aus eis 
nem Ritter mit 4 — 5 gerüfteten Leuten befland) dienen mußteg, und konnten 
dieſe Lehne nur in gewiffen gefeglich beftimmten Fällen verlieren; fie waren, da fie 
dem König im Kriege mit Hab und Leben dienten, frei von Steuern; fie durften, 
ohne befondern Auftrag des Königs, vor feinen bürgerlichen oder peinlichen Richter 
geforert werden, und fonnten während der Anarchie des Mittelalters ſammt ihren 
afallen ungehindert das Reich verlaffen und dem vaterländifchen Geſetze und der 
Lehnpflicht fich entziehen, um einem andern Fürften, felbft gegen ihren vorigen Ge⸗ 
bieter, zu dienen, obne daß es ihnen als Hochverrath zugerechnet ward. Außer dies 
fen allgemeinen Vorrechten des hohen Adels und dem Anfpruche auf die erften 
Stautswürden, flanden den Grandes noch einige Auszeichnungen zu, worunter bes 
fonders das Recht gehörte, bei allen öffentlichen Handlungen in Gegenwart des Kö: 
nigs, nach deffen Erlaubniß, das Haupt zu bededen: ein altes Vorrecht in Spas 
nien, das aus dem Geiſte einer befchränkten Feudalmonarchie hervorging, aber auch 
den Adelswürden, den fogenannten Titulos (Betitelten, d.i. Herzogen, Grafen) zu: 
font. Der König nannte fie: mein Vetter (mi primo), während er die übrigen 
Defißer hoher Adelsmwürden nur: mein Bermandter (mi pariente) nannte. Auf 
den Neichstagen ſaßen fie unmittelbar nach den Prälaten, vor den Titulos. Sie 
hatten freien Zutritt in den Palaſt und die Gemaͤcher des Königs, und bei feierlichen 
Handlungen in der koͤnigl. Capelle fagen fie zunächft am Altare. Ihre Gemahlin: 
nen theilten die äußern Vorzuͤge der männlichen Wuͤrde, die Königin —* vor ih⸗ 
nen von ihrem Sig auf, fie zu empfangen, und es wurden Kiffen für fie auf den ers 
hohten Polfterfiß (estrado) gelegt. Seit Ferdinand und Iſabella, durch den kraft⸗ 
vollen Zimenes geleitet und unterftügt, die Macht des Lehnadels gebrochen hatten, 
wurden die alten Dorrechte des hohen Adels gefchmälert, und am Ende des 15. 
—8 verlor ſich der Name der Ricos Hombres mit ihren Vorrechten. So wenig 
erdinands Nachfolger, Karl V., im Allgemeinen has Streben nach unbefehränfter 
Konigsgewalt aufgab, fo fand er doch manche Veranlaffüng, einige von den Großen 
des Reichs fich zu verbinden, und andre für die wichtigen Dienfte, voelche fie ihm bei 
der Unterdrüdtung des Aufflandes der Stadtgemeinden geleiftet Hatten, zu belohnen. 
Was alter Gebrauch in der Achtung des Volks befeftigt Hatte, ward von ihm auch 
Dee den Namen Grandesza ausgezeichnet und zu einer befondern Adelswürde ers 
oben, deren Vorrechte meift nur in äußern Auszeichnungen beftanden. “Denn die 
Macht, welche der Lehnadel in frübern Zeiten befeffen, follte er nicht wieder erhals 
ten, und was unter Ferdinand und Iſabelle fehlau begonnen war, füllte ftandhaft 
durchgeführt, aus dem unabhängigen Lehnadel ein abhängiger Hofadel gemacht wer: 
den. Es gibt 3 Claſſen der Grandes. Einigen befahl der König, fich zu bedecken, ehe 
fie ihn angeredet hatten; dies waren die Grandes der erſten Claſſe; Andre erhielten 
den Befehl, fobald fie geredet hatten, und fie hörten f. Antwort mit bedecktem Haupte: 
did Grandes der zweiten Slaffe, und wieder andre empfingen des Königs Befehl erſt 
nach f. Antwort: die Grandes der dritten Claſſe. In neuern Beiten war diefer Rangs 
unterfchied zwar veraltet, aber es gab doch noch 3, wenn auch nur unmefentlich vers 
ſchiedene Claſſen von Grandes. Alle genoffen bis auf die neuefle Staatsveraͤnde⸗ 
‚rung, außer bem angegebenen Vorrechte, noch die Vorzüge, daß fie den Excellenztitel 
führten, und daß, wenn fie durch den Saal der Garden im koͤnigl. Palaſte gingen, 
mit den Fuße geposht ward, um den Schildwachen ein Zeichen zu geben, das 


x 


N 


w| 





812 Granit Granvella 


wehr vor ihnen zu präfentiren. Andre Auszeichnungen hatten fie vor dem Abri 
en hoben Abel. ir bildeten feinen befontern‘Berein, mie te Herzoge und 
irs in Frankreich, und feine hohe Würde war ihnen ausfchliegend beflimmt, ans 
genommen böchftens die Würde eines Oberftallmeifters, eines Oberk 
und eines Hauptmanns der Hellebardierer-Sarde, aber felbft bei der Ernennung pa 
dieſen Hofimtern war des Königs Willfür im Grunde gar nicht beſchraͤnkt. 
Granit, eine Felsart, beſtehend aus Feldſpath, Quarz und? Stimmen, 
welche im koͤrnig⸗kryſtalliniſchen Gefüge unmittelbar und innig mit einander vers 
Bunten find. Die Größe des Korns ift fehr verfchieden; der Feldſpath ift im Allge: 
meinen der vorberrfchende Semengtbeil. Durch sinzelne in der Grundmaſſe einge: 
ssachfene Feldſpathkryſtalle wird das Geſtein zu porphprartigem Sranit. Im fo: 
gen. Schriftgranit Tiegen unvolllommen ausgebildete Quarzkryſtalle einzeln 
zerfireut, oder nach parallelen Zinien zerſtreut im Seldfpathe. Mancher Sranit bat 
zufällige Beimengungen, er gebt in Gneis, Glimmerſchiefer, Syenit ıc. über, führt 
im Allgemeinen wenig Mineralien auf Gängen und auf fremdartigen und unter 
geordneten Lagern, iſt befonders arın an Metallen und im Allgemeinen nicht ges 
ſchichtet. Ein großer Theil des Sranits galt bis jegt als das muthmaßlich "Altefte 


Geſtein, als die Unterlage fämmtlicher übrigen $elsarten; ein andrer Theil aber iſt 


offenbar jünger als Sneis, Glimmer⸗ u. Thonfchiefer und Grauwacke. Er ift ſehr 
weit verbreitet und bildet meift fchroffe Berge mit fpißen und zadigen Sipfeln. — 
Schon in früher Zeit diente ber Sranit, namentlich der Agyptifche rothe, zu Kunſt⸗ 
werken der verfchiebenften Art, welche Arbeiten meift nicht polirt wurden. Die Ru 
nenfteine der alten Ntordländer find menig oder gar nicht zugehauene Granitblocke. 
Das Fußgeftell der bekannten Eoloffalen Bildfäule Peters des Großen zu Peters: 
burg befteht aus einem 30,000 Etr. ſchweren Shranitblode. In neuerer Zeit vers 
wenden die Steinmeßen den Sranit, obwol derfelbe eine vortreffliche Politur an: 
nimmt, im Ganzen feltener, indem die Arbeiten zu muͤhſam und zu theuer find; ins 
deffen zerfägt und polirt man die Blöde und Sefchiebe der fchönern Granitabande⸗ 
rungen, befonders des Schriftgranits, zu Tifehplatten, Reibfchalen, Dofenflüden 
u. ſ. w. Als Material zum Bau von Hiufern, Kirchen, Brüden, Wafferfeitun« 

en xc., zu Pflaftern der Straßen, zu Eckſteinen u. f. ro. wird der Granit häufig 
Denußt; a auch zu Muͤhlſteinen, Zapfenlagern, zu Sußfleinen auf Meſſing⸗ 

en u. ſ. w. 

Granvella (Anton Perrenot, Cardinal v.), Staatsminiſter Karls V. und 
Philipps II. geb. 1517 zu Ornans in der Grafſchaft Burgund, ſtudirte zu Padua, 
dann Theologie zu Lowen, und warb darauf von f. Vater in die Staatsgefchäfte ein: 
geführt. Im Beſitze von 1.&Sprachen, die er mit Leichtigkeit fprach, mit feltenem 
Scharfblid u. unermüdeter Geduld ausgeftattet, dabei von einnehmender Seftalt u, 
gefälligen Sitten, folgte er ganz f. Ehrgeize, dem keine Wuͤrde im Staate zu hoch 
erfhien. Im 28. J. zum Biſchofe von Arras ernannt, begleitete er f. Vater auf den 
Reichstag nach Worms und Regensburg, wo beide Unterhändler verzgpens bemüht 
waren, die Religionsunruben zu unterdrüäden, Auch dem tridentiniſchen Sons 
eiltum wohnte er bei und fuchte hier die Ehriftenheit für den Krieg gegen Frankreich 
zu gewinnen. Als nach der Schlacht bei Muͤhlberg die Proteftanten Frieden be 
gebrt , ward G. mit Abfaſſung der Bedingungen beauftragt, umd er täufchte den 

anbarofen von Heſſen, dem man die Freiheit zugefichert hatte. Zu gleicher Zeit 
ließ G. Konftanz den Proteftanten durch Üfberfall entreißen. 1550 ward er Staats 
rath; er bewahrte die Reichsfiegel, Als der Kaiſer 1552, von Moris v. Sachfen 
in Tirol überfallen, von Inſpruck bei Nacht in einer Sanfte entfloh,_begleitete ihn 
G. mit eingelegter Lanze, Der paffauer Vertrag, welcher bald darauf Deutfchland 
rettete, machte G.'s Geſchicklichkeit große Ehre. 1563 unterbandelte er die Vermaͤh⸗ 
lung Don Philipps mit Maria von England. 1556 beantwortete er, in Di 


J 


‚Sept - Sin 813 


Lipps-Aufteng, Die Rede; welche Karl V. bei ſ. Abdankung vor den flonderiſchen 
Stränden hieit. ©, fprach auf eine des Gegenſtandes wärdige Art. Der Wafı 
Fenftillfiand von Vaucelles hatte die Ruhe zwiſchen Frankreich und Spanien auf 
5 Sabre her geſtellt. Heinrich II. König v. Sranfreich, brach ihn, und nach anfünge 
lichen linfüllen ward ihm dag Gluͤck günftig. ©. Enüpfte daher Unterhandlungen 
an und unterzeichnete 1559 den Frieden gu Chateau: Sambrefie. Philipp verließ 
fofort die bereits hochſt unzufriedenen Niederlande und lieg Margaretha p. Parına 
als Statthalterin und ©. als ihren Minifter arud. diefem Poften mußte 
ihn ter Haß des Volks treffen, das alle firenge Maßregeln ihm zur Laft legte, wäh- 
rend f. Feinde bei Philipp vorgaben, daß f. Schreäche. und Milde die Fortfchritte der 
neuen Lehre beförtere. Philipp. aber kannte De Talente-f. Minifters beffer und er- 
nannte ihn zum Erzbifchof von Mecheln. Sein Eifer für die Wieberberufung de 
‚tridentinifchen Conciliums unddie Unterdrüdung des Bajanismus erwarben ihm d 
Cardinalshut. G.'s Feinde Liegen indeß nicht ab, ihn mit Anklogen zu verfolgen, fie 
wußten auch die ſchwache Margaretha gegen ihn einzunehmen, und fo ertheilte ihm 
‚endlich 1564 Philipp den Befehl, in die France: ompte zuruͤckzukehren. Bald er⸗ 
kannte Margaresha ihren Fehier, fich eines fo treuen Diinifters beraubt zu haben, 
Sie ſuchte ihn vergeblich zur Ruckkehr zu bewegen. G. verlebte jegt.5 Jahre um: 
ter Studien und im Umgange mit Gelehrten. Er wohnte dem Sonclhaye bei, das 
Pius, V. zum, Papft erwaͤhlte. 1570 fandte ihn Philipp abermals nach Rom, um 
mit dem Papft und den Denetianern ein Bundniß gegen die Türken zu ſchließen. 
Diefe bedrohten Neapel, wohn ©. als Vicekonig gefandt wurde. ‚Er traf bier 
unter fo ſchwierigen Verhaͤltniſſen nicht nur zweckmaͤßige Bertheidigungsmaßregeln, 
ſondern gab auch treffliche Verordnungen für den innern Wohlftand, und Neapel 
durfte von h Geſchicklichkeit und Rechtſchaffenheit noch größere Vortheile erwarten, 
als er 1575- in den Staatsrath berufen wurde. Philipp, eiferfüchtig auf den 
Ruhm, ſelbſt zu regieren, begnügte fich, G. den Titel eines Praͤſidenten des höchften 
Raths von Italien und Fofilien zu ertheilen, ſodaß der Sardinal zwar acht dem 
Namen nach, aber in der That erſter Minifer mar. Als ſolcher an er 
‚die Bereinigung Portugals mis Spanien, war Beuge des von ihm vorausgefehenen 
Aufſtandes .der Niederlande umd ſchloß die Verbindung der Infantin Katharina 
mit dem Herzege von Saysyen, ie ein Meifferffüd der: Politik mar, indem Frank 
reiche Planen auf Mailand dadurch entgegengswirke wurde. So zaftlos befchäfs 
‚tigt flarb er 1586 an der Schwindfucht. Wie man auch uber ©. ursheilen mag, 
darüber ſtimmt man überein, daß er unermüdlich, feſt in.f. Entfchlüffen, von far: 
‚fem Blick, hochgeſinnt, untadelhaft in der Verwaltung, gemaͤßigt ſelbſt gegen ſ 
.ſchwaͤchern Feinde, und ſtets für Spanien und die Religion thätig war. 
Graphit, f. Reißblei. “ Er 
Gras, in.der Botanik, ein Gewaͤchs, das einen hohlen mit Knoten und 
. Gelenken verfehenen Stengel bat, deu hier Halm heißt, Die Blätter find. lang, 
ſchmal und geftreift,, fie fifen nicht, wieandere Pflanzenblaͤtter auf Stielen, fondern 
endigen fich unten in einer Scheide, die den Haim umfchließt. Die. Blüthen find 
Elein, meift grünlich von Farbe und haben Spelzen; fie bringen nur einzelne Sa⸗ 
menkbryer. Die Knoten der Sräfer ſchlagen, wenn fie mit Erde bededit werden, 
soieder Wurzeln , und hierauf gründet fich die Fünftliche Dermebrüng des Getreides, 
von dem viele Arten zu den Graͤſern gehören. BE | 
‚Bräter (Sriedrid David), D. und Prof. der. Philofophie, geb. den 22, 
‚April 1768 in der ehemaligen Reichsſtadt Hall, jegt k. würtemb. Pätagogarch der 
gelehrten Schulen des Doyantreifes, und Rector des k, Gymnaſiums zu Ulm. 
Hlözer’s isländifche Literatur und Geſchichte haste in Deutfchland eine nordifhe . 
Kälte über die nordifche Literatur und Sprache, beforiders aber über Mythologie und 
Dichtfunft verbreitet, Dagegen ırat G. 1789 mit ſ. „Mordifchen Blumen“ auf, 


.„ 


816 Save: . Grävel 


Hauptvorzug als Sänger beſtand in dem Vorting des Adagio, wiewol er duch kraf⸗ 
tige Partieen mit Geſchmack und Beichtigfeit vortrug. Seine Stimme. war em 
bober Tenor, dem es wol an Nachdrud, aber nicht an Anmuth gebroch. “Der 
König vergoß Thränen, als er den Tod Gi’6 zu Dresden erfuhr. n zaͤhlt ihn 
zu den verfländigften und gründlichften Tonfegern, Die ‚erften Compofitionen, 
welche; man von ihm kennt, find die Diotetten, welche er in Dresden- für die Kreuy 
fehule componirte. Später componirte er für den Kantor Rheinholdt eine Menge 
Kirchenſtücke. Die Zahl fr Werke, die er in Braunſchweig, Rheinsberg und Ber: 
lin verfertigte, ift fehr groß; es find darımter gegen 30 Opern. Seine Muſik gu 
Ramler's Pafſionsoratorium: „Der Tod ef. mird insgemein für ſ. Meiſter 
merk: angefehen, befonders wegen der darin befindlichen Mecitative und Chöre. 
Der Sopellmeifter Hiller. hat G.is Leben beſchrieben. Te 
Grave, zeigt in der Mufif eine langfame, ernſte Bewegung an. Punktirte 
Noten, Bindungen und dgl ſcheinen im Graye vorzugsweife zu paffen, welches 
das Seierlich: Parhetifche -ausdrüdt.. ’ 
:  Bravell(Marimilian Friedrih Wilhelm), D., konigl. preuß Reglerungs: 
rath, geb. den 28, Aug. 1781 zu Belgard in Hinterpommern, wo fem Vater 
‚als Feldprediger fland, ward in Kottbus von, feiner. Großmutter, dann ‚bis zum 
45. Jahre in der Koftfcehule des Necsors Engmann, zu-Nlieder: Wiefe ‚bei Grei⸗ 
fenberg in Schlefien erzogen. - Der Gattin diefes Mannes verdankt.er hie Ans 
‚bildung feines Style, forgie das Weibliche in feinen Gefühlen und Geſinnungen, 
welches fihon damals mit einem feften,. entfchloffenen Willen fich paarte. . Als 
‚der Prediger Bachflein, der ihn zur Communion vorbereitet hatte, ‚blind gewor: 
den. war, erbot er fich, ihm taͤglich vorzuleſen, wozu Die theologifchen, philofophi: 
ſchen und Literarifchen: gar der. Allgem, beutfchen Bibliothek‘‘ gewählt murs 
den ©, wollte damals Theologie ſtudiren; ‚Die Srfpeinung bes Religionsedicts 
aber beflimmte ihn, fich dem. Nechtsftudium zu widmen. Nach 3- zu Züllichau 
verlebten Schuljahren bezog ex die Univerfität Halle, wo er den philoſophiſchen 
‚Unterricht des Prof. Maaß benutzte, die Rechtswiffenfchaften aber in den bes 
ſten Handbüchern fludirte. ‚Darauf arbeitete er 1804 bei dem Stadtgerichte in 
Berlin als Auſcultator, nahm 1892 die Stelle eines Negimentsquartiermeiftere 
in der. weftfälifchen Füfelierbrigade an, ging aber 1803 nach Berlin zuräd und 
‚ward Hier als Afjeffor beim Kammergerichte, dann bei der Regierung zu Plock 
‚angeftellt. Durch den Aufſtand her ‘Polen 1806 vertrieben, begab er ſich auf 
fein kleines Landgut hei Storkow, allein ohne Sehmittel, um die gerrätiete 
Wirthſchaft. deifelben wiederherzuftellen, zog er nach, Kottbus, wo er prakticirte. 
Zugleich empfahlen ihn f. in Berlin gefertigen Probearbeiten in Dresden fo fehr, 
‚dag er. zum Juſtizbeamten in Kottbus ernannt wurde, 1811 trat er wieder in preuß. 
Dienfte und ward in dem Oberlandesgerichte zu Soldin, hierauf. als Juſtitiarius 
bei der Negierung in Stargardt,: und fpäter als Kath hei dem Militairggunernes 
ment dafelbft angeftellt. Als Preußen 1814 gegen Napoleon die Waffen ergriff, 
trat ©. auf eignes Verlangen in die pommerfche Landwehr als Adjutgnt des come 
mand. Seneralsein. Die Unthätigkeit, in welcher fich Diefes Corps bei der Blodade 
von Küftrin befand, veranlaßte ihn, den König um f. Verſetzung zu einem im Felde 
ſte henden Corps zu bitten, worauf er als Brigadeadjutant zu dem bergifchen 
pencorps Eanı) welches zur Blodade von Mainz gebraucht wurde. Nach erbaltenem 
Abfchiede vom Militair machte er den Minifter auf den Verfall der v. Schoning’s 
ſchen Stiftung ım kottbuſer Kreife aufmertfam, und erhielt von ihm Vollmacht 
zur Wiederherftellung derfelben. Allein er fand ſo viele Schwierigkeiten, daß das 
Minifterium ihn als Juſtitiar zur Regierung in Merfiburg verfeßte. Shier. vers 
wickelte ihn f. Eifer für die Aufrechthaltung der freien Stimme in collegialiſchen 
Beratbſchlagungen, für die Entfernung alles perfönlichen Einfluffes und für die ums 


Sravfane ‚847 


Bedingte Herrfchaft des Rechts, ſowie f. Muth als Schriftſteller, ih fehr unan: 
genehme Berhältniffe, die er ſalbſt ergiblt, in der „Neueſten Behandlung eines 
preüßifchen Staatebeamten‘‘ (2 Hefte, Ep}. 1818) und in der Brofehüre: „Der 
Schriftfteller als Staatsbeamter ꝛc.“ (Stuttg.1820). ©. betrat f. fehriftftellerifche 
Laufbahn mirdem „Antiplatonifchen Staate“. Die durch die ndultgefeßt erzeugte 
Rechtsungewißheit veränlafte in, f. „Sommentar zu den preußifchen Creditgeſetzen“, 
(3 Bde.) und die dazu gehörige „Theorie der hypothekariſchen Proteftarionen‘ zu 
fchreiben. In gleicher Art hat er die Lehren vom Befiße und der Verjährung, die 
Generaltheorie der Verträge u. f. 1. bearbeitet. In dem Lager vor Küftrin blieb 
ihm Zeit, nicht nur jenen Commentar fortzufeßen, fondern auch f. mehrmals auf: 
gelegtes Buch: „Der Menfch”’, zu fchreiben, an welches fich fpäter: „Das Wie⸗ 
Derfehen nach dem Tode” und die „Briefe an Emilie über Die Fortdauer unferer Ge⸗ 
fühle nach dem Tode“, angefchloffen Baben. Bertraute Sefpräche mit einem Freunde, 
der an der Unfterblichfeit zwoejfelte, bewogen den Verf., f. Gründe dafür in jenen 
Schriften weiter zu entwideln, und viele Lefer haben ihm Troft und Beruhigung 
verdankt. Als 2. Theil des „Menfchen” erfchien 1822 „Der Zürger, eine Unter: 
fuchung für gebildete Leſer“. Beiden Werken fchloß fich die Schrift: „Der Regent‘ 
(1823), an. Unter ©.’ pölitifchen Schriften iſt f, „Prüfung der Gutachten der k. 
preuß. Immediat⸗Juſtizcommiſſion am Rhein, über die dortigen Juſtizeinrichtun⸗ 
gen‘ (Lpz. 1819, 2 Ihle.), worin er fich gegen die Jury erklärt, eine der wichtige 
ften. Noch fehrieb er, durch Außere Umftände veranlagt: „Bedarf Preußen einer 
Conſtitution?“ (1816) und „Wie darf die Verfaffung Preußens nicht werden?” 
er 1819), und den „Anti:Benzenberg, über die Berwalting Hardenberg’s” 
u. A. m. Wenn auch gegen Einzelnes in einigen diefer Schriften Manches fich ers 
innern füßt, fü leuchtet doch aus allen der Blick eines hellen, auf das Höhere gerich: 
teten Geiftes und das Urtbeil eines Mannes Hervor, dem Necht und Wahrheit 
über Alles gehen. Seitdem fehrieb ©, einen „Praft, Comment. zur allgem. Se: 
richtsordn. f. die preuß. Staaten” (Erf, 1825, 2 Bde) Sept lebt G. auf dem 
Lande in der Mühe von Spremberg. 
Sravefande (Wilhelm Satob), Philoſoph und Math matiker, geb. 1688 
zu Herzogenbufch 'in.Holland, ſtammte von einer alten Parrizierfamilie aus Delft, 
“ fludirte zu Leyden die Mechte, wandte fich aber bald den phufifalifehen und mathemas 
tifchen Wiffenfchaften zu. Er gab bereits im +9. Jahre ſ. Verfuch über hie Pers 
fpective* heraus, ein Werk, welches Aufmerkfamfeit erregte und ibm die größten 
Lohfprüche von Bernoulli erwarb. Später erlangte er die juriftifche Doctormürde 
und gab dann von 1718 —22 im Vereine mit mehren jungen Gelehrten f. Vaters 
landes das „Journal litteraire“ heraus, welches fpäter in Leyden u. d.%.: „Jour- 
nal de la republique des lettres“, fortgefeßt wurde. Die Beiträge, welche G. 
zu dieſem poetifchen Werke lieferte, gaben demſelben befonders Berühmbheit, und - 
f. Abhandlungen über die Conftruction der pneumatiſchen Maſchinen, über die 
Theorie der Kräfte und über den Stoß in Bervegung gebrachter Körper, über die 
' Bewegung der Erde ıc. intereffirten die Mathematiker ebenfo wie ſ. Betrachtungen 
über die Freiheit die Philoſophen. 4715 ging ©. als Gefandtfchaftsfecretäir nach 
London, wo er mit dem Bifchof von Salisbury, Burnet, befannt und in die kͤnigl. 
Societaͤt der Wiffenfchaften aufgenommen wurde. 17177 ward er zum Prof. der 
Malhematik und Aftronomie in Leyden ernannt, 4721 und 1722 Iud ihn der Land: 
graf von Heſſen⸗Koſſel zu fich ein, um fein Gutachten über das von Orphireus da: 
mals“ufgeftellte Perpelunm mobile ju vernehmen. ©. hielt es nicht für durchaus 
unmöglich, eine Mafchine zu verfertigen, die in unsnterbrochener Bewegung durch 
ſich felbft fein fonne: ein Grundfag, den er fpäter in emigen kleinen Gelegenheits⸗ 
ſchriften naͤher entwickelte und durch Gründe zu belegen fuchte. In der Folge erhielt 
er auch den Lehrſtuhl der Phitofophie, den er.mit gleichem Ruhm ausfüllte. Durch 
“ Eonverfationd: Lericon. Bd. IV. 2 





8418 E Gravls Gravitation 


den Tod ſ. beiden hoffnungsbollen Söhne tief gebeugt, verfiel er in eine langwierige 
Krankheit und ftarb den 28. Gebr. 1742 in einem Alter von 55 J. ©. befaß einen 
. ungemein feharfen und umfaffenden Geiſt, und er konnte 3.3. währen? des Ges 
plauderg mehrer Menfchen, wie er dies oft waͤhrend fi Aufenthalts in England ge: 
than hatte, wo die Sefandtfchaftscavaliere fich häufig in f. Zimmer aufbielten, bie 
verroideltften marhematifchen Berechnungen turchführen. Seinem Vaterlande war 
er innig ergeben. Er ſchlug deßwegen mehre vortheilhafte Rufe aus und diente f. 
Geburtslande während des Succeſſionskrieges theils Durch f. Ratbfehtäge bei finan: 
zielen Angelegenheiten, theils durch fi Kunft im Dedhiffriren .aufgefangener De: 
pefchen. Für Newton hatte er eine ungemeine Verehrung; doch war er defwegen 
nicht fo blind, um nicht bei weiterm Studium Leibniß in den Punkten beizupflichten, 
wo derfelbe mit Recht andrer Meinung wie der Engländer ift. Nicht minder groß 
waren f. DBerdienfte in der Philofophie,; wo er fich der von Spinoza und Hobbes auf: 
eftellten faraliftifchen Lehre von der Vorherbeſtimmung mit aller Kraft widerſetzte. 
Ron f. trefflichen Schriften nennen wir nur, außer den ſchon ermähnten: 1) „P’hr- 
sices elementa mathernalica, experimentis cunfirmata” (nebfl einer Einleit. in 
die Meroton’fhe Philoſophie, Haag, Ießte Ausg. 1742, ins Engl. und Franz. 
überf.); 2) „Matheseos universalis elementa etc.” (Lenden 1727); 3) „Intio- 
dactio nd philosophiam, metaphysicam et logicam” (in 3 Aufl., Leyden); 
4) „Arithmetica universnlis, de Newton‘ (Haag 1732), 
Gravis, Accent a ' 
Gravitation, Schwerfraft oder allgemeine Schwere, nennen wir die in 
der Körpermwelt allgemein wahrgenommene Erfcheinung, daß alle Körper ohne eine 
äußere fichtbare Urfache fich einander zu nähern oder felbft in der Entfernung ans 
zuziehen ftreben. Dies findet nicht nur bei allen auf der Erde befindlichen Körpern, 
fondern auch bei den Himmelsförpern flatt. Erde und Mond, die Sonne und die 
umfreifenden Planeten ziehen einander gegenfeitig an. “Die Gravitation ift der 
Grund, dag ein freigelaſſener Stein gegen die Erde lothrecht Hinabfällt, fie ift aber 
auch der Grund, daß große Gebirgsmaſſen leichte fallende Körper von ihrer lothrech⸗ 
ten Richtung merklich ablenken und zu fich hinziehen. Die Atomiften, nach deren 
Lehre nur von Außen ber eine Kraft auf die an fich fefte Materie wirken kann, ver: 
mögen die Urfache der Gravitation nicht zu erklären: Mach derdynamiftifchen Leht⸗ 
art beruht fie auf den anziehenden Kräften, die der Materie, als folcher, weſentlich 
angehören und womit die Körper in allen Entfernungen, und felbft durch ben leeren 
Kaum auf einander wirken. Nach diefem Syſteme liegt der Grund der allgemeinen 
Schwere in der Wutcrie felbft, und die allgemeine Erfahrung flimmt damit überein, 
Schon Anaragoras kannte fie, und Lucrez lehrt uns, daß fie ein Satz des Epikuräi: 
fchen Syſtems war. Als man beiden Fortfchritten der Aftronomie die Gewißheit er: 
langte, daß die Himmelsfürper von Fugelähnlicher Geſtalt feien, und nach der Urfache 
diefer Seftalt forfchte, fand man keine andre als die Schwere, nach welcher die Ma⸗ 
terie ein Beftreben habe, fich zu vereinigen und nach einem gemeinſchaftlichen Punkte 
zu drangen. Aber das Geſetz, nach welchem die Gravitation wirft, fand Newton. Er 
entdedte, daß die Wirfungen der Sravitation im umgekehrten Berhältniffe des Qua⸗ 
drats der Entfernungen fteben, d. b. daß die Schwere 5. B. in der Entfernung des 
um 60 Erdhalbmeffer vom Mittelpunkt der Erde abffehenden Mondes 3600 Mal 
- geringer wirkt alsauf ihrer Oberfläche; daß aber für den Fall, dag ein Körper gleichs 
zeitig gegen mehre gleich weit von ihm entfernte Körper gravitirt, der Erfolg von dem 
Maſſenverhaͤltniſſe der Teßtern abhängig fei. (OS. Anziehung.) Aus den Wirkun⸗ 
gen der Bravitation laffen fich alle die Erfcheinungen herleiten, welche unfer Son⸗ 
nenſyſtem darbietet, nämlich die Bewegungen der Planeten und Kometen um die 
Sonne, und der Monde un: ihre Hauptpfaneten, die Ungleichheiten in diefen Beroes 
gungen, das Borrüden der Nachtgleichen, die Schwankung der Erdare, die Störun: 


Groaͤvius 819 
en, welche die Planeten durch gegenſeitige Einwirkungen auf einander in ihren 
ahnen leiden, die abgeplattete Geſtalt ber Erde, des Jupiters ꝛc. Seine weitere 
Ausbildung verdanft dies Syſtem vorzüglich Laplace (ſ. d.). — Nemton’s Gra⸗ 
vitationstheorie ift entwickelt in ſ. „Principia mathematica philosophiae natura- 
lis“ (Xond, 1687). Maclaurie („An account of Sir Newton’s philosopbica! 
discoveries”, Lond. 1748) und Pemberton („A view of Newton’s philosophy“, 
Lond. 1128) gewähren brauchbare Überfisgten; leichter find Voltaire's „Elemens 
de la philosophie de Newton, mis a la portee de.tout le monde” (Laufanne 
4773). Laplace's Forfcehungen. über diefe Materie enthält f. „Traite de ınd- 
canique celeste” (bis jeßt 5 Bde., 4.). 
Grävius (Johann Georg, eigentlih Gräfe), Philetg und Kritiker, 
eb. am 29. Jan. 1632 zu Naumburg a. d. Saale, erhielt f. erfte Bildung auf der 
hl Pforts, dann fludirte er in Leipzig die Mechte, fühlte fich jedoch flets mehr 
son den philolog. Wiffenfehaften angezogen. Eine Reife, die er in Geſchaͤften feines 
Vaters nach Oftfriesiand machte, entfchied endlich über f. Lebensberuf. Die Geles 
genheit, Holland zu fehen, wo Salmafius, Heinſius und Friedr. Gronovius glaͤn⸗ 
ten, war zu günflig, als dag G. fie nicht hätte benußen follen. Außerdem feffelte 
ihn noch folgender Umftand an Holland. Die Latinität war in jener Periode durch 
das Beifpiel des geiftreichen Juſt. Lipfius faft auf allen deutfchen Univerficäten in 
Derfall gerathen. Man hatte fih, aus Sucht fich auszugeichnen, von Cicero ents 
fernt, und fuhrt nach trodtener und fehwerfälliger alterthümlicher Kürze und Ges 
drumgenbeit. G., in folcher Schule gebildet, hatte bisher noch Feine Abnung von 
der Schönheit des Ausdruds in der alten Sprache Latiums gehabt, wenn fie mit 
Geiſt und Feinheit behandelt wird. Gronovius lehrte ihn dies fennen, und f. Ents 
ſchluß war gefaßt. Er verließ die Jurisprudenz und widmete fich in Deventer den 
Humanioribus. Hierauf feßte er In Amfterdam f. Studien unter David Blondel 
umd Alerander Morus fort; nuch trat er bier auf: Antrieb f. Lehrer von der luth. 
r reform. Confeffion über. 4656 erhielt er einen Ruf als Profeffor nach Duis⸗ 
urg, woſelbſt er 2 J. blieb und dann, nach dem Wunfche feines einfligen Lehrers 
Gronovius, deffen bisher verwaltete Stelle. am Gymnaſium zu Deventer übers 
nahm, obgleich ihm von Seiten des berliner Hofes die beſten Anerbietungen gemacht 
wurden, wenn er in Duisburg bleiben wollte. Den Wünfchen der Utrechter nach⸗ 
ebend, nahm er nach 3 J. die Stelle von Kmilius als Prof. der Geſchichte am. 
ein Ruf flieg nun immer höher, und Lenden ſowol als Amfterdam beyvarben fich 
um f. Befiß, auch der Kurfürft von der Pfalg fuchte ihn für Heidelberg zu gewinnen, 
und ebenfo die Republik Venedig für Padua, wo ihm außer einem bedeutenden Ge⸗ 
halt auch noch völlige Religionsfreibeit und Sicherſtellung vor dem Zeloteneifer 
der Inquiſition garantiert wurde. Allein G. lehnte ſowol diefe als die oft mieders 
bolten Anerbietungen des preuß. Hofes. ab. Er blieb in Utrecht bis an fein Ende 
(d. 11. Jan. 17103) und harte die Freude, Schüler aus faft allen Ländern und Stans 
den flets um ſich verſammelt zu feben, wie ihm denn z. B. König Wilhehn I. 
(von England) — der ihn zuf. siftoringraphen ernannte — den Unterricht des juns 
gen Prinzen von Naſſau anvertraute. Auch Ludwig XIV, fehäßte den feltenen Se: 
lebrten und ließ ihm ein anfehnliches Geſchenk übergeben. “Die von G. beforgeen 
Ausg. des Hefiod, Cicero, Catull, Tibult, Properz, Juſtin, Sueton, Florus, Caſar 
u. a. claſſiſchen Autoren befeftigten f. Ruhm als eines gruͤndlichen und — was zu 
f. Zeit felten war — auch eleganten Sprachforfchers, und f. „Thesaurus antiqui- 
tatam romanarun” (Utrecht 1694-99, 12 Bde., Fol), fowie der nach f. Tode 
von Burmann beendete „Thesaurus untiquitstum et historiarum Italiao” (Ley⸗ 
den 170428, 9 Thle., Fol., in SO Bön.) und der „Thes. antiq. et histor, 
Sieil., Sardin., Corsicae” (Leyden 172325, 15 Bde, Fol.) gereichen ihm 
wahrhaft zur. Ehre. Ein Sohn von ihm, Theodor Benrg OgB Magifter 


820 I Gray (Johanna) 
Begens der Beredtſamkeit und Sefchichte in Utrecht), fehien in bie Fußtapfen des 


Vaters treten zu wollen, aber fein frübzeitiger Tod zerflörte diefe Hoffnung. 


G. Batte 18 Kinder, von denen ihn.jedoch nur 4 Töchter überlebten. ” 
Gray (Johanna), geb. 1537, Urenkelin König Heinrichs VII. und ältefle 


T. des Marquis v. Dorfet, war 10 5%. alt, als ihr Großonkel, Heinrich VIII. 


ftarb, und deffen Sohn Eduard VI. ihm in der Regierung folgte, Eduard Seymour, 
Herzog von Somerſet und Onkel des minderjährigen Eduards VI., rourde zum Reiche: 
verwefer ernannt; dies empfand deffen Bruder, Thomas Somerfet, übel, und Joh. 
Dudley, Biscount von Ligle, ein ehrgeiziger und ränfefüchtiger Hofmann, nährte 
in der Hoffnung, beide Somerſet zu flürgen und fich dadurch den Weg zur erſten 
Reichsſtelle zu Yabnen, den Zwieſpalt. Sein Vorhaben gelang ihm nur zu gut, 
Der Reichsvermefer Elagte f. Bruder mehrer Staatsverbrechen wegen an, und das 
durch die Tyrannei des Tudors längft an feiges Sehorchen gewohnte Parlament wer⸗ 
dammte den Unglädlichen zum Tode. Jetzt hatte Lisle nur noch den einen Gegner 
zu flürgen, und auch dies gluͤckte f. Lift. Eduard Seymour wurde f. Stelle beraubt, 
und Joh. Dudley, zum Herzoge v. Nortbumberland ernannt, nahm deffen Platz 
ein, den er aber, fo lange Somerfet lebte, nicht ruhig glaubte befißen zu Eünnen, 
weßhalb er es dahin brachte, Daß der geftürzte Reichsverwefer das Schaffot beflieg, 
Jetzt ſchien Northumberland Nichts mehr im Wege zu fiehen als die Kraͤnklichkeit 
des Königs, nach deffen Abfterben, den Teftamente Heinrichs VIII. zufolge, 
f. Töchter Maria und Eliſabeth zum Thron gelangen follten, unter denen Lisle mit 
Recht den kaum gewonnenen Einfluß wieder zu verlieren fürchtete, da Beide ımgleich 
ehrgeiziger und felbfländiger waren als der ſchwache Eduard. Er benußte daher die 
Verwickelungen in Heinrichs VIII. Familie (Maria war bigott katholiſch; auf 


Elifaberhs Geburt haftete ein Flecken wegen ihrer Deutter, die auf dem Blutgerüſte 


geftorben war), um Eduard VI. dahin zu bringen, f. Schweſtern von der Erbfolge 
auszufchliegen und Johanna G., die fich kurz vorher mit dem Lord Builford, einem 
jfüngern Sohne von Northumberland, vermählt hatte, zu f. Nachfolgerin zu beftims 
men. Nach einigen Echwierigfeiten willigte auch das deßwegen zufammenberufene 
. Parlament, mehr gezwungen als freiwillig, ein, und Johanna, deren fanfter und 


“ 


rechtlicher Zinn ebenfb wenig nach einer Krone ſtrebte als die Drittel billigte, welche 


angewendet wurden, fie ihr zu verfchaffen, mard weiter gar nicht gefragt, fondern 
als Eduard V bald darauf (1653) in feinem 16. J. ftarb, faft mit Gewalt aus ih⸗ 
rer Surüdgezogenbeit zu Sion-Houfe von ihrem ehrgeizigen Schteiegervater und 
ihrem, gleichfalls durch den Glanz des Diadems verbiendeten Vater auf den Thron 
gehoben, um ihn nach wenigen Tagen mit dem Kerfer zu vertaufchen. Denn Volk 
und Adel waren den ehrgeizigen Abfichten des Herzogs von Northumberland längft 
abgeneigt. Da nun Heinrichs VII Altefte Tochter, die hersfchfüchtige Maria, auch 
der Schlinge entging, welche er ihr gleich nach Eduards von ihm mehre Tage ver: 
Beimlichten Tode legte, und nicht von f. Anhängern aufgehoben wurde, fo ſammelte 
ſich bald ein Heer in Suffolk (wohin Maria fich gerettet hatte) und rief, in Uberein⸗ 
flimmung mit dem größten Theile des Parlaments, Heinrihs VIII. Tochter als 
- rechtmäßige Königin aus. Anfangs verfuchte Northumberland zwar durch die Se: 
welt der Waffen f. Plan, Johannen auf dem Thron zu erhalten, Durchzufeßen; die 
Schwaͤche ſ. Streitkräfte nöthigte ihn aber bald davon abzuftehen, zumal da bei Am 
naͤherung von Mariens Heer auch die Hauptftadt fich für diefe erklärte. Er glaubte 
num durch fchleunige Unterwerfung fich retten zu fünnen, Mariens firenger und 
harter Charakter vereitelte indeß diefe Hoffnung. Er wurde auf ihren Befehl nebft 
dreien ſ. Sohne und einigen Anhaͤngern, fobald die neue Königin in London ringe 
jogen war; in den Tower gefeßt und bald darauf hingerichtet. NGährend dieſer Vor⸗ 
günge hatten Sohenna und ihr Gemahl bereits ebendafelbft gelebt, und der Herzog 
“. Sufſolk, ihr Vater, wollte diefe Feſtung gegen die anrüdenden Truppen der 


. 


vn 


feſtaͤt gewohnt Hatten. Ein 


Gray (Ihomas) Brig 84 


Maria vertheidigenz. allein gezwungen, die Shore zu offnen, waren.fomit auch 
Johanna und Guilford in die Hände der Siegerin gefallen, und Beide wurden jebt 
an denfelben Ort als Gefangene bewacht, wo fie kurz vorher im Glanze der Dias 
pruch Des Parlaments verurtheilte die unglücklichen 

Satten, deren einziger Fehler der war, den ehrgeizigen Abfichten ihrer Bermande 
ten nicht genug Widerſtand geleifter zu haben, zum Tode; Maria'beſtaͤtigte jedoch 
aus Staatsgründen dies Mal das Urtheil nicht. Johanna und Guilford blieben 
bloß in firenger Haft. Da indeß nicht lange nad) Marias Thronbefteigung der 
Geiſt des Mißvergnügens in offene Empörung‘ gegen eine Fürftin ausbrach, deren 
finfterer Charakter und religiofer Fanatismus —2* und Haß erregten, ſo muß⸗ 
ten, nach mißlungenem Aufruhr des Ritters Wiat, Lord Guilford und ſ. Gemah⸗ 
lin, obgleich völlig unwiſſend in der Sache, als Opfer fallen. Maria ließ Beiden 
den Proceß machen. Den 12. Febr. 1554 beftieg Johanna G. das Schaffot. Sie 
mar in furgem Zeitraume die dritte Königin, melche England auf diefe Art enden 
fah. Eine vierte Maria Stuart) folgte ihr 1587. — Maria hatte Seiflliche abs 
gefendet, um die Ketzerin zu befehren, Johanna ©. aber, feft an den Lehren ihres 
Glaubens haltend und wohlbewandert in den Schriften der Gottesgelehrten, wies 
flandhaft diefe Verſuche zurück und flarb mit dem Muthe der Unfchuld und der Ers _ 
gebung einer Chriftin. 47 J. war die unglüdliche Fürflin alt. Außere und innere 
Reize ſchmuͤckten fie in gleichem Grade, Sie las und fehrieb Sriechifch und Lateis 
nifch,, war fanftıund wohlthätig und ein Muſter ehelicher Zärtlichkeit. In der, 
Narht vor ihrem Tode fchrieb fie einen Troftbrief an die Gräfin Pembrode, ihre 
Schweſter, und einen an ihren Gemahl, den fie noch den Schmerz hatte, zum 
Tode führen zu fehen. Am 17. Febr. ward auch. ihr Vater enthauptet. Mehre 
Dichter haben das Schickfai diefer Fürſtin ale Stoff einer Tragödie behandelt; -da 
aber Johanna ©. ein durchaus mehr leidender als handelnder Charakter if, fo hat 
der Erfolg gezeigt, daß die Kataſtrophe ihres Untergangs fich ebenfo wenig zu einer 
dramatiſchen Darftellung eignet wie das Ende der Anna Boleyn. 
- Sray (Thomas), den die Briten ihren Pindar nennen, ift ung Deutfchen 
durch f. fchöne Elegie, gefchrieben auf einem Dorflirchhofe, wenigſtens in der Über⸗ 
feßung von Sotter, Kofegarten und Seume befannt. Er wurde geb. zu onden 1716, 


fludirte zu Cambridge die Alten, Hierauf in London, mit feinem Freunde Welt, die - 


.Rechte, gab dies Studium aber auf und begleitete f. zweiten Jugendfreund, Ho⸗ 
razio Walpole, auf f. Reife durch Franfreich und Italien; feine Briefe aus Ita⸗ 
lien find fehr intereffant. Hier trennten fich Beide durch Walpole's Schuld. ©, 
mußte f. Reife allein fortfegen, nicht ohne Unbequemlichfeiten, da er wenig Der: 
mögen batte. 14744 traf er wieder in England ein und- wählte f. Aufenthalt zu 
Cambridge, ms er fich in alle Arten von Studien vertiefte Als er endlich 1768 
zum, Prof. der neuern Sprachen and Sefchichte zu Cambridge ernannt murde, war 
f. Sefundbeit ſchon fo geſchwacht, dag er ſich außer Stand fühlte, ohne Sehülfen 
f. Poften zu verſehen. Er flarb 1174. Dryden, Eollins und Gray werden unter den 
britifchen Lyrikern zuerft genannt. Übertrafen jene ihn an Hoheit, Pathos und Des 
geifterung, fo übertraf er fie wieder weit an Reichthum der Bilder, Glut des Colo⸗ 
rits und Harmonie des Versbaues. Der Gedichte, die er in engl. und lat. Sprache 
hinterließ, find wenige; aber jedes trägt das. Siegel der Meifterfchaft. G.'s 
„Poems“ erfchienen in einer guten Xusg. von Wakefield (London 1786). 

Graͤtz, Hauptfl. des Herzogth. Steiermark an der Mur; hat 2700 Hr 
unter diefen an 50 Palaſte, und 40,000 &,, won denen an 42,000 durch die Zike 
umnd Cattunfabriken befshäftigt werden; auch führliche Meffen. Bemerkenswerth 
find das Maufoleum Ferdinandg I1., mehre Schwulen, Vereine, Sunmmlungen und 
Inſtitute, 3.8. das Lyceum (feit 1827 eine Univerfität) mit einer Sternmarte amd 
Naturalienſammlung, das von dem Erzherzog Johann (f. d.) gefliftete Johan⸗ 


t 


8223 ' ©razie Orazien 
neum mit wichtigen Sammlungen; insbefondere die Eultur der Eimmohner des 
böbern und des Mittelſtandes. . 
ra N e bezeichnet in den ſchoͤnen Künften diejenigen Eigenfchaften, durch 
welche ein Segenfiand einen höchft wohlgefälligen Eindrad fanfterer Art auf‘ uns 
macht, vornehmlich aber das Schöne in Bewegung und Ausdrud, Wir haben da⸗ 
für die Wörter Reiz, Anmuth, Lieblichkeit, Liebreiz, Holdfeligkeit, als eine Stu⸗ 
fenfolge von Ausdrätfen verwandter Empfindungen, deren die eine fich über die 
andre erhebt. Reiz feheint das Allgemeine zu fein, die übrigen bezeichnen befondere 
Arten deffelben. Das Schöne wird reizend, im edlern Sinne, wenn es nicht bloß 
das Vergnügen der Betrachtung erregt, fondern zugleich eine fchroärmerifche Bes 
gierde, fi innig mit ihm zu vereinigen, es feiner Phantafte zu fortdauerndem 
nuffe zu übergeben. Anmuth und Lieblichkeit find von Liebreiz und Holdſeligkeit 
Dadurch unterfchteden, daß jene auch von Teblofen und thierifchen Weſen, diefe blog 
von Menfchen und hähern Weſen gebraucht werden. koͤnnen; jene ein durch die 
Auffaffung einer Form erregtes angenehmes Lebensgefühl, diefe ein höheres, mit 
der Sittlichfeit nahe verwandtes Gefühl ausdrüden, jene in Werfen der Kunſt vors 
nehmlich in der Anordming und “Manier, diefe im Austruc ihren Grund haben. 
Liebreiz iſt das echte deutſche Wort für Grazie. Er ift vorzugsweiſe dem Gefchlecht 
eigen, welches wir das ſchoͤne nennen, und auch diefem vorzüglich in der Blüthe 
des Lebens. Liebreiz begleitet bei dem weiblichen GSefchlechte den Ausdrud der 
Liebe und atmet aus jenen gauberifchen Mienen und Bervegungen, in welchen der 
Ausdruck der Liebe mit dem Ausdrud einer unfchuldsvollen Begier, die Liebe zu ver: 
bergen, frei und natürlich verknuͤpft iſt. Ihn f. Werfen einzubauchen, wird dem 
Künftler nur in dem Augenblide der reinften Begeifterung gelingen. Die Grazie if 
der böchfte Schmuck der Natur umd hat in ihrem Ausdrud eine belebende Leichtig: 
keit und Natürlichkeit, daher eine gefünftelte Grazie fich felbft roiderfpricht. Hold: 
ſeligkeit tft nım Aberirdifchen, idealiſchen weiblichen Seftalten (tie den Madonnen) 
eigen; .fie ff der Ausdruck vollendeter Reinheit der Seele, erhabener, allumfaflen: 
der Liebe und Minneigung: gegen niedere Weſen, bei welchen man fich zugleich bee 
fimmt fühlt, fich gutrauensvoll anzunäbern und demüthig zuruͤckzuziehen. 
Grazien oder CHaritinnen, die Gottinnen der Anmuth , der fchönen 
Bitte, von welchen, wie Pindar fingt, den Sterblichen alles Schöne und 
nehme kommt, durch welche allein der Menſch weife, ſchoͤn oder glänzenden Ruß: . 
mes ift, Mach Heflodus und den meiften Diehtern und Mythographen war Jupi⸗ 
ter ihr Vater. Bet. Hefiodus heißt die Mutter Erpnome; und mit ihm flimmen 
die meiften Alten überein. ‘Die Lacedamonier und Athenienfer kannten zuerft nur 
2 Grazien, denen jene die Namen Phaenna (die Schimmernde) und Kleta 
(die Ruhmvolle), diefe aber die Namen Hegemone (die Führerin) und Auxo (die 
Beglüderin) gaben. König Eteofles führte bei den Drchomeniern die Anbe: 
tung dreier Grazien ein, und Heſiodus gibt ihnen zuerft die befannten Namen 
Aglaja (Glanz), Thalia (die Gruͤnende) und Eupbrofgne (Heiterkeit). Homer er: 
‚ wähnt ihrer in der Jlias“ als Dienerinnen der uno, in der „Odyſſee“ aber als 
Dienerinnen der Venus, welche fich von ihnen baden und ſchmuͤcken laͤßt. Er dachte 
ſie ſich als ein zahlreiches Gefolge dieſer Gottinnen, beftimmt, die Tage der Unfterb: 
lichen zu beglüdten, Nach Bob waren fie, wie fich fehon aus den Namen ſ. Gra⸗ 
zien ergibt, ein Bild von der höchften Anlage zu gefallen, deren Hauptzweck ift, Das 
geelfhaftliche Vergnügen zu befordern und durch Heiterkeit und Güte zu feffeln. 
ie fpätern Dichter entfernten fich von dieſer Vorftellungsart und machten aus 
ihnen allegorifche Dichtungen. Allenthalben aber erfehienen die Grazien (und eben 
Dies Scheint ihren Charakter zu vollenden) nicht als berrfchente , fondern ale Die: 
nende Gottheiten. Nicht fie felber fchimmern, aber Benus fehimmert durch fie; 
nicht fie erobern, aber durch fie getvinnt Venus die Herzen. Auch geiftige Genuͤſſe 


Grocourt Greenwich | ‚823 


. | , ' 

und Annehmlichkeiten, Dufit, Beredtſamkeit, Poeſie und andre Küinfte verfchönern 
- fie durch ihrer Einfluß; noch roird ihnen die Ausübung des Wohlihuns und der 
Dankbarkeit ucefchrieben. In den Altern Zeiten bildete man die Grazien völlig be- 
Fleitet. So waren 4.9. ihre goldenen Bildfäulen des Pupalus in Smyrna und 
die marmornen des Sofrates vor dem Eingange der Akropolis von Athen; ebenfo 
im Tempel zu Elis. Eine von ihnen hielt eine Rofe, die andre einen Myrtenzweig 
(Symbole der Schönheit und Liebe), die dritte einen Wuͤrfel (das Bild harmloſer 
Yugnd) in der Hand, In der Folge bildete man fie auch unbekleidet. In Grie⸗ 
chenland hatten fie eine große Anzahl von Tempeln, theils allein, theils mit andern 
Gottheiten gemeinfchaftlich, namentlich mit der Venus, den Mufen, dem Amor, 
Mearcur und Apollo. Ihre Feſte biegen Eharifien und wurden mit Tanz gefeiert, 
Übrigens ſchwur man bei den Chariten u. weihte ihnen beim Mate den erften Becher, 
- "Brecourt (Jean Baptifte Joſeph Willart de), ein erotifcher Dichter, 
geb, 1683 zu Tours, wurde, als der jüngfte Sohn, dem geiftlichen Stande be: 
ffünmt, Er fludirte in Paris, erhielt 1697 ein Kanonicat an der Kirche St.⸗Mar⸗ 
tin in feiner Daterftadt, und machte fich durch Predigten befannt, Wie mehr fatyri: 
fchen als moralifchen “Ynhalts waren. Aber bald mißfiel feinem unrubigen und leb⸗ 
Baften Seifte diefer Stand. ©. ging nach Paris, wo er als wißiger Kopf Eingang 
in den beften Häufern fand und die Gunſt des Marſchalls H’Eftrces fich erwarb. 
Dieſer nahm ihn mit ſich nach dem Schloffe Beret in Bretagne, einem Orte, den 
G— fein irtifches Paradies zu nennen pflegte, weil er Bier Alles fand, mas feiner 
Sinnlichkeit ſchmeicheln konnte. Sein ausfihroeifender Hang zu Genüffen und 

feine zügellofe Einbildungstraft hielten ihn von ernftern Studien ab; feine ganze 

Beſchaftigung beftand darin, muthrillige Erziblungen, Epigramme und andre 

kleine Gedichte zu verfertigen und feinen Freunden mit der ihm eigenthümlichen 

Anmuth vorzulefen. In diefer Kunft war er ein folcher Meifter, daß die ganze 

Seinheit feiner Poeſien fich erft durch feinen Vortrag fühlbar machte. Diefes 

Talent und feine luſtigen Einfälle machten ihn angenehm; aber feine Neigung jur 

Satyre 309 ihm auch manchen Feind zu. Er flarb zu Tours den 2. April 1745. 

Seine fümmtlichen Gedichte find nach feinem Tode oft gedruckt worden. Sie ente 

balten außer mehren mittelmäßigen Fabeln, Epigrammen, Liedern und andern 

- Meinen Gedichten, 91 poetifche Erzählungen (contes) und ein in latainifcher Spra⸗ 

che abgefaßtes und wider den Jeſuitenorden gerichtetes Gedicht: „Philotanus”, 

G.s Poefien find lebhaft und wißig, aber auch fehr frivol. Es gibt eine Ausgabe 

feiner Werke in 4 Binden, 12. (Paris 1761), 

Green wich, Stadt in der Sraffchaft Kent, am fuͤdl. Ufer der Themfe, 
hat ein großes Seebofpital und eine Sternwarte, 2120 H. und 18,000 Einm, 
Das Hofpital ift eins der prachtuoliften Gebäude, faft ganz aus Sandſtein aufges 
führt, und befteht aus 4 abgefonderten viereckigen Höfen, welche die Namen der 
Megenten führen, unter 'denen fie erbaut worden, König Karls und der Königin 
Anna Gebäude liegen nach N., König Wilhelms und der Königin Maria Höfe nach 
©, Zwiſchen den beiden erflern iſt ein großer Zrolfchenraum, auf welchem die 
Bildfiule Georgs It. in Marmor fleht. In König Karls Gebäude find die Ge: 
mücher des Oberauffehers und feiner Unterbeamten, auch wohnen hier 300 Koft: 
‚gänger. In der Königin Anna Gebäude werden 437 Veteranen erhalten, Der Theil, 
welcher König Wilhelms Namen trägt, unftreitigder prächtigfte, ward von Chriſtoph 
Wren aufgeführt. Hier find 551, endlich in dem Gebäude der Königin Maria 
41092 Betten. Außer. den Ringmauern des Hofpitals ift noch ein Krankenhaus 
mit 64 Zimmern, in deren jedem 4 Betten find. Ferner find in der Naͤhe des ⸗ 
Hofpitals 2 Schulhäufer, worin 1000 Kinder armer Seeleute unterrichtet werden. ;. 
In dem großen Hofpital werden etwa 3000 invalide Seeleute unterhalten, und von 
den Einfünften deffelken noch 30,000 Auswärtige. Auch Ausländer haben Anz 


+ 
⸗ 


324 —__ Vregor der Große Gregor VI. 


fprüche auf diefe Wohlthat, wenn fie 2 Jahre im. britiſchem Solde geſtan den. 
Die Witwen der Matrofen nimmt man vorjugsweife zu Würterinnen, Deren 
144 da find, die jährlich 8 Pfd. Lohn nebft freiem Unterhalt befommen. “Die 
Anvaliden erhalten Kleidung, Koft und etwas Tafchengeld. Liber diefe treff- 
liche Anftaft führen die Erzbifchöfe, der Lord Kanzler und der Lord Mayor von 
London die Oberaufſicht. Die Einkünfte der Anftalt werden theils aus wohl⸗ 
thatigen Stiftungen, theils aus Sirafgeldern, theils aus den Beiträgen genom⸗ 
men, die jeder Matrofe zu 6 Pence monatlich entrichten muß. Die Koften Des 
Unterbalts eines jeden Sjnvaliden ſchaͤtzt man auf 274 Pfd. jährlich. Die 1636 
von Karl 11. zu Sreenwich erbaute Sternwarte, durch welche die engl. Seo: 
grapben und Seefahrer. den erften Meridian ziehen (13° 40’ von Ferro), bat 
berühmte Aftronomen gehabt. Auf Flamftead, den erſten, fo:gte Halley, auf 
diefen Bradley, dann Bliß und Maskelyne; der jeßige beißt Pond. In ©. 
fleht die Trafalgarfüule, ein Octogon mit einer Schiffskrone. 
Sregorder Große, ſ. Päpfte 
Gregos VII. (Hildebrend). Das Fahr und der Ort feiner Geburt find 
weifeibaft. Einige nennen Siena, Andre Saone im Toscanifchen, und noch Andre 
om als feinen Geburtsort. So vielift gewiß, daß er fine Kindheit in Rom vers 
lebte, als ein junger Mann eine Reife nady Franfreich machte, Hier mit dem Klofter 
zu Elugny in Berbindung kam und um 1945 nad) Rom zurüdfehrte. Bekannter 
wird f. Geſchichte von der Zeit an, wo er fich wieder in dem Klofter zu Clugny ein⸗ 
gefchloffen hatte und hier dem ‘Papfte Leo IX. auf f. Reife durch Frankreich befannt 
_ ward. Er begleitete ihn nach Rom und fpielte von diefer Zeit an, obgleich im Hinz 
tergrunde, eing bedeutende Rolle, indem er, vermöge der Herrfchaft, welche große- 
Geifter über gewöhnliche Menſchen ausüben, die Schritte Diefes und mehrer nach⸗ 
folgenden Papſte leitete. Nach dem Tode Aleranders 11. (1073) beftieg der Cardi⸗ 
* Hildebrand den paͤpſtlichen Stuhl, Was er längft durch Maßregeln, zu denen 
er ten vorhergehenden Papſten gerathen hatte, vorzubrreiten bemüht geivefen, das 
ſuchte er nun felbft mit dem raftlofeften Eifer auszuführen Es war fein Ent: 
wurf, dem römifchen Stuble nicht bloß die höchfte Gewalt über die Kirche zu vers 
ſchaffen und die ganze Fülle der geiftlichen Gewalt in die Hinde des Papftes zu 
bringen, fondern auch die Kirche von der weltlichen Gewalt ganz unabhängig zu 
machen. Er wollte eme Theokratie fliften, in welcher der Papſt der Statthalter 
Gottes, der Höchfle Regent, in politifchen fowol als in Eirchlichen Angelegenhriten 
fein follte. Darum beſchloß er die Abſchaffung der ‘Priefterehe und die Aufhebung 
der Raieninveflitur, an welchem Rechte der Fürften, "die Bifchöfe zu belehnen, die 
ganze Gewalt hing, welche die Fürften noch über die Seiftlichfeit ihrer Länder aus: 
übten, 10%4 erfchien fein Verbot der Simonie und der Priefterehe, und 1075 das 
Decret, worin allen Geiſtlichen bei Strafe des Berluftes ihrer Amter verboten ward, 
die nveftitur über irgend ein Firchliches Amt aus der Hand eines Laien zu empfans 
gen, un? zugleich allen Laien bei Strafe des Bannes verboten ward, einem Seifllichen 
die Inveſtitur zu ertbeifen. Als der Kaifer Hinrich IV, hierauf nicht achtete, wußte 
G. die Handel, in welche der despotifche Kaifer, durch jugendlichen Leichrfinn und 
böfe Rathgeber irre geleitet, fich mit den Volkern und Fürften Deutfchlande ver: 
swikelt hatte, für feinen Zweck zu benugen. Schon 1075 fprach er das vorläufige 
Entfegungsurtheil über mehre deutfche Bifchöfe, welche ihre —*— von dem Kaiſer 
gekauft hatten, und den formlichen Bann über 5 kaiſerl. Raͤthe aus, welche dieſen 
Handel getrieben haben follten, und da der Kaiſer dieſe Rathe nicht entließ und jener 
Biſchoſe fih annahm, machte der Papſt 1076 ein neues Decret befannt, in mel: 
chem der Kaiſer vor eine Synode nach Rom geladen wurde, um fich wegen der ges 
gen ihn erhobenen Klagen zu verantworten, Seinrich IV. ließ dagegen durch eine 
Syn. de zu Worms das Abfeßungsurtheil gegen den Paoſt ausfprechen; worauf dic: 


) 


Sregorianifcher Calender Gregorius 825 


fer fofort den Kaiſer in den Bann that und alle feine Unterthanen und Bafallen von 

dem Eide der Treue entband. Bald fah der Kaifer ganz Oberdeutfchland gegen fich 
auffichen, zu eben der Zeit, Da die Sachfen in Niederdeutſchland den Krieg gegen ihn 
erneuerten, und als die zu Oppenheim verfammelten Fürften den Schluß faßten, ’ 
daß zu einer andern Kaiſerwahl gefchritten werden follte, ergab er fich ihnen faft uns ; 
bedingt, und mußte fich vorfehreiben laffen, dag er den Papſt, den fie ſelbſt erfuchen 
wuͤrden, in das Reich zu Eommen, als Richter über fich erkennen, feine escommunis 


cirten Käthe entlaffen und fich als fuspendirt von der Regierung betrachten wolle, 


Um dem Papſte und feiner Abfeßung zuvorzukommen, eilte jedoch Heinrich IV, 
(f.d.) felbft nach Italien, 100 er fich zu Sanoffa 1037 einer demüthigenden kirchli⸗ 
chen Buße unterjog und die Abfofution erlangte. Indeß ſammelten fich wieder mehre 
feiner Freunde um ihn, und er trug den Sieg über den Öegenfaifer, Rudolf von 
Schwaben, davon. Nun ließ er den Papft in einer Synode zu Brizen gbfeßen und 
einen Gegenpapſt, Clemens III., 1080 wählen, eilte nach Rom und feBte den 
neuen Papſt auf den Thron. G., weicher in der Engelsburg 3 Jahre lang wie im 
Gefingniffe lebte, Eonnte durch nichts bewogen werden, die Rechte der Kirche zu 
verlegen. Endlich befreite ihn Robert, Herzog der Normänner,: die Römer aber 
nörhigten ihn, weil Roberts Soldaten die Stadt geplündert hätten, Rom zu vers. 
Iaffen. Er ging daher nach Salerno zu den Normannern, wo er 1085 flarb. Durch 
den Colibat (f.d.) der Seiftlichen wollte ©. diefem Stande eine größere Heiligs 
keit verfchaffen und ihn unabhaͤngiger von weltlicher Samilienverbindung machen, - 
Eine große Stüße f. Macht war die Markgraͤfin von Toscana, Mathildis, welche er 
beftimmte , ihre faft Fönigl. Befigungen dem rom, Stuhle zu vermachen. Die 
meiften proteft. Gefchichtfchreiber Haben ©, VIEL. unerfättliche Herrfchfucht und 
grenzenlofen Ehrgeiz vorgeworfen. Betrachtet man aber das Ganze f. Lebens 
und die Größe feines Geiſtes, lieſt man feine Briefe, und erwaͤgt man, wie flreng 
er nicht nur gegen Andre, fondern auch gegen fich felbft war, fo ift es nicht glaub» 
lich, daß ein bloßes Eleinliches Streben nach eigner Größe der Zweck feines Lebens 
gervefen fei. Dielmehr.ift es wahrſcheinlich, dag er, wenigſtens bei feinem Haupt⸗ 
entwurf. ein höheres Ziel vor Augen hatte und mit redlicher, wenn auch irriger 
Überzeugung, für die Sache Gottes und Ehrifti, für die Sache der Religion und 


‚ der Kirche zu wirken glaubte. Vgl. „Hildebrand, als Papſt Sregorius VII. umd 


fein Zeitalter“, von J. Voigt (1815), und einen Yuffaß über ihn von Spittlerdm 
„Morgenblatt“, 1816, Nr. 237. 
Sregorianifher Calender, f Salenden. . ' 
Gregorius, Patriarch der griechifchen Kirche des Orients — das Opfer 
der fanatifchen Politik der Pforte Ar, geb. 1739 und erzogen im Dimitzana, Stadt 
in Arfadien auf Morea, ftudirte in mehren Klöftern, zuleßt auf dem Berge-Athos 
(f.d.), lebte ale Einfiedler, ward dann Erzbifchef zu Smyrna, und 1795 Pas 
triarch in Konſtantinopel. Als ſich 1798 die Sranıofen Agyptens bemächtigt hatten, 
gab man den Briechen geheime Verbindungen mis den Franzofen Schuld, und der 
Möbel foderte den Kopf des Patriarchen; allein diefer hielt durch f. Hirtenbriefe die 
riechen ab, fich für die Franzofen zu bewaffnen; und Selim LI. felbft erklärte def: 
fen Unfchuld, verwies ihn jedoch, um ihn zu fehüßen, auf den Berg Athos. Bald 
nachher ward. er wieder in feine vorige Würde eingefeßt, Als aber 1806 das Glück 
der ruff. Waffen und die Erfiheinung einer engl. Flotte vor Konftantinopef die Buch 
der Mufelminner aufs Neue gegen die Sriechen aufreizte, und das Leben des Pa⸗ 
triarchen bedroht wurde, obgleich er- auch jeßt durch feine Ermahnungen die Grie⸗ 


chen von jeder unruhigen Bewegung abgehalten batte, fo verwies ihn Selim noch⸗ 


mals zu feiner Sicherheit auf den Berg Athos; nach einiger Zeit ward G. das dritte 
Mat zum Patriarchen erwaͤhlt. Die apoftolifchen Tugenden den Demuth, Liebe 
und Mildthaͤtigkeit erwarben dieſem Prälaten.allgemiine Verehrung; er lebte ein 





eh, Gicht Grıma auf Eitriuhlrit bei en zürd. Seiliinhen at wit (eher Ein 
famte fremenen Zur mm, ten Arme eh Ulsarcfhrt ns Others, em de 


vom Desa dreben verlangten Tuneftuh om >41. Mir; 1821 aber Ypflancis, 
Ex wat al Thrituchmer en dam Azrionbe a=eprfpeechen. Zealeid erließ er 
gegen dee Pferte 


——— — — 
= hi he Griechen verbreiten. Deſe maren fihen 
Loge des — 22. April) num Wenige die Kirche zu befuchen wagten. Der 


Patriarch verrichtete das Syochamt, umaeben ven feinen fen, mit der gewöhn⸗ 
chen Feierlichkeit; als er aber aus der Daftlıfa trat, urarıngten ihn Yanıtfd;oren 


und fhleppten die Biſchofe fort; doch hielt fie eine natürliche Scheu wor dem ebr- 


erinnern, worauf fie den m eft 
vor ber Hauptpforte ber Kirche auffnũpfien. Daſſelbe geſchah mit ten 3 Biſchofen 
und mit 8 des Patriarchats, die Kmmtlich in ihrer Amtsflei vor 


— Jan (es Loheiei) Def welcher ohne Berbör und De: 
dem Patriarchen Schuld gab: „Er babe um den Auffland feiner Yanteleute in 

Mora gersußt und fei —— das geheime Haupt ter Verſchwoͤrung 
gemein; daber die ganze griechifche Nation, obwol fich Unſchuldige in ihr befünten, 
dem Zorne Gottes und ihrer gänzlichen Vernichtung nicht entgehen fenne”. Erſt 

am 24. warb der Leichnam abgenommen und den g:meinften Juden überloffen, die 
ihn durch die Straßen ſchleppten und ins Meer warfen, jedoch, durch die Griechen 
mit Geld gewonnen, nicht ganz verfenften, ſodaß ihn griechifche TRarrofen des 
— herausziehen und nach Odeſſa bringen konnten. Hier ward nach erhaltener 
aiſerl. Genehmigung am 29. “Juni a. St. das Märtnrerthum dee Patriarchen von 

* ruffiſchen Archimandriten Theophilus durch ein prachtrolles Yeichenbegingnif 
5 wobei ein griechiſcher, durch Beredtſar keit ausge zeichneter Geiſtlicher, Pa⸗ 
Konſtantin Hkonomes, der ſich nach Odeſſa gerettet hatte, die (nachher ins Ruf⸗ 

— und Franz Aberf.) Leichenrede hielt. Diefe Schmach ter Barbarei an tem 
—— der Kirche, an einem frommen 8Ojährigen Greiſe verübt, hatte die 
und Zerflörung vieler griech. Kirchen und die wildeſten Ausſchweifungen 

en die —— en in Konfioneinapet 8 Folge, brachte aber ſtatt zu fchredien, die 


eutgegengefeßte Wirkung hervor. Die Begeiſterung der Hellenen für bie Sache bes 


Grrgoriusfeſt Greif 327 


Glaubens und der Freiheit ſtieg bis zur Schwaͤrmeret, und der Krieg ward nun 
auch von ihrer Seite mit der wildeſten Erbitterung geführt. (S. Griechen, 
Aufſtand derſelben.) 20. 
Gregoriusfeſt, ein ehedem in mehren Gegenden, beſonders in Sach⸗ 
- fen beliebtes Schul: und Jugendfeſt, welches gegen Oſtern gehalten wurde. 
Gewöhnlich zogen die Schüler, auf eigne Weife, als Bergleute, Effenfehrer, a 
ger u. f. w. gekleidet, durch die Stadt; an andern Eleinern Orten erfchienen fie 
nur mit Bändern ausgepußt, und jeder gab durch Herfagung eines Reimes vor 
den Käufern der Bornehmen zu erfennen, welche Standesperfon aus der hürger: 
lichen Sefellfehaft er vorftelle. Einer war ein Arzt, oder vielmehr Quackſalber, 
mit einem Arzneikaften; ein andrer ein Corporal mit einem Degen und Stode; 
ein dritter, mit einer Trommel verſehen, flellte einen Tambour u. f. m. vor. 
Diefes Feſt war unftreitig eine Nachahmung des bei den Griechen unter dem 
Namen Panathenden befannten Volks: und Freudenfeſtes. Auch zu Rom 
“ feierte man jährlich 2 Minervenfefte durch feierliche Umginge. Diefe Fefte 
erhielten durch die. Länge der Zeit eine Heiligkeit und ließen fich nach dem 
-Übergange beidnifcher Völker zum Chriftenehume ſchwer abfchaffen. Daher 
verordnete Papft Gregor IV. 828, daß zur Ehre eines feiner Vorgänger, Gre⸗ 
gor J., welcher die erfte Singfchule in Rom geſtiftet hatte, um die Zeit, da das 
große Miinervenfeft fiel, ein eignes Schul: und Kinderfeft u. d. N. des Grego⸗ 
riusfeftes gehalten wurde. — Gregoriusſingen nennt man ten Umgang, 
welchen jährlich nach Oſtern die Dorffchulmeifter, befonders in Sachfen, in 
Begleitung ihrer Schulkinder, durch das “Dorf halten, wobei vor jedem Haufe 
ein Lied oder eine fogenannte Arie abgefungen wird, wofür dem Schullehrer 
eine Kleinigkeit an Gelde gereicht wird, die als ein Theil f. Befoldung in An⸗ 
fchlag gebracht iſt. In mehren Eleinern Städten, wo fonft diefes Sregoriusfin: 
gen auch gewöhnlich war, ift diefe den Schuflehrerftand herabwuͤrdigende Bettelei 
mit Recht abgefchafft, und die Lehrer find auf andre Weiſe entfchädigt worden. 
Greif, ein fabelhaftes Thier des Alterthums, das nach der gewöhnlichen 
Sage Leib, Füße und Krallen eines Lünen, Kopf und Flügel eines Adlers, Obren 
des ‘Pferdes, und flatt der Mähne einen Ramm von Fifchfloffen hatte; der Rüden 
war befiedert. Klian befegt den Rüden mit ſchwarzen, die Bruft mit rothen und 
die Flügel mit meißen Federn; Ktefias gibt ihm blaue, glänzende Nadenfedern, 
einen Adlerfcehnabel und feurige Augen, Spätere Schriftfteller feßen noch Manches 
inzu. Mach dem Verf. des Buchs: „De rerum natura”, ift er ärößer als ein 
dler, hat an den Vorderfüßen ‘große Adlerfrallen, an den Hinterfüßen Lünen: 
Elauen, und legt in fein Neſt einen Achat; aus den Klauen macht man Trinkgefäße. 
Er ift fo ſtark, fagt Kteſias, dag er im Kampfe mit allen Thieren Sieger bleibt, den 
Löwen und Elefanten ausgenommen. Man gab Indien für fein Vaterland aus 
und glaubte, dag er auf hohen Bergen nifte, nie ertwachfen, wohl aber jung gefangen | 
und gezäbmt werden fünne; daß er das Gold der Gebirge bewahre und fein Neſt 
davon mache, oder nach andern Angaben, daß er Die fürchte, welche Gold fuchen, 
und f. Jungen gegen fie vertheidige. Über die Entftehung diefer fabelhaften Bildung 
Haben der Graf von Veltheim in f. Abhandlung von den goldgrabenden Ameiſen und 
Greifen der Alten, und Böttiger inf. Bafengemälden viel Sinnreiches gefagt. Letz⸗ 
terer erklärt diefe und Ähnliche Ungeheuer bloß als Erzeugniffe der indifchen Tapeten: 
wirferei, da fich die Indier von den Alteften Zeiten her an feltfamen Zuſammenſetzun⸗ 
yen ihrer heiligen Thiere ergögten. Die Griechen, welche an Am Hofe des perfl: 
ſchen Königs dergleichen Tapeten erblidten, hielten die Darauf abgebildeten Thiere 
für wirkliche Geſchpfe des wunderreichen Indiens und verbreiteten Die Sage Davon, 
Auf ähnliche Art entftanten die nachherigen Arabesken, Grotesken sc., mit denen 
jene alfo einerlei Urfprung hätten, So viel iſt gewiß, daß der Greif aus Aſien nach 


.. 


⸗ 


828. Greifenfon Greifswald (Stadt — Univerfität) 


Griechenland im Gefolge des Dionyfos Fam. Er wurde daher Symbol der : 
Aufklärung und Weisheit, 5 
SGreifenfon (Samuel v. Hirfchfeld), geb., wie er felbft erzählt, 1622 im 
Speffart, machte als Musketier einen Theil des dreißigjührigen Krieges mit und * 
ftarb um 1668. Er ift der Verf. Des gu f. Zeit weitberuͤhmten und auch jeßt noch 
merfiwürdigen Romans: „Abentheuerlicher Simpliciffimus, d. i. Befchreibung des 
Lebens eines feltfamen Daganten, genannt Meldior Sternfels von Fuchsbaim” 
(Mompelgart 1669, 6 Thle.; u. d. angenofnm. Namen Schleifheim von Sulsfort.) 
Wenige Bücher haben ein fo allgemeines Auffehen gemacht wie der Simpliciffimus; 
bie 1725 zählen wir 9 Aufl., Sortfeßungen und Zufäge ımd eine große Menge von 
Nachahmungen deffelben. Für uns ift er anziehend als ein derbes und frifches Lebens⸗ 
gemälde der bunten, bewegten und gräuelvollen Zeit des dreißigjührigen Krieges, ge: 
mürzt durch manche finnreich naive und vorlaut drollige Betrachtung mit fatyrifchems 
liberzuge, dem jedoch eine wohlwollende Sjronie ven bittern Beigeſchmack benimmt. 
Greifswald. Da, wo dieſe jeßt zum Regierungsbezirk Stralfund ge: 
börende Stadt liegt (64° 6' N. B.), ſah man ehedem nur einen Wald, auf der 
Grenze des Fuͤrſtenthums Nügen und der Grafſchaft Guͤtzkow, der von dem rügis 
(chen Fürften Jaromir nebft andern Stüden Landes dem 1207 von-ihm geftifteren 
Eiftercienferklofter Hilda oder Eldena gefthenft ward. Ungeführ 1223, als die wen⸗ 
difchen Einwohner von den Anfümmlingen aus Sachfen immer mehr gedrängt wur⸗ 
den, Jieß der Abt den Bald ausbauen und baute daſelbſt die Stadt nach deutfcher 
Art, welche Anfangs nur Wald oder Wold hieß. Als fpäterhin im 14. Jahrh. 
die Einw. der Stadt wegen der günffigen Lage derfelben am Ryckfluſſe und wegen 
ber Nähe des Hafens Wyk, gleich den Bewohnern der ganzen Oſtſeeküſte, durch 
Handel fich bereicherten, roußte der Abt fie nicht mehr in der frühern Abhängigkeit 
zu erhalten; er gab fie daher den Fürften von Pommern zur Zehn, deren Wappen 
zur Veränderung des Namens in Greifswald (Grypswold) Deranlaffung gab, 
Durch den meftfülifchen Frieden kam die Stadt 1648 unter ſchwediſche Botmaͤßlg⸗ 
feit; 1715 fiel fie an Dänemark, ward aber 1121 an Schweden zurückgegeben. 
In Folge des Befreiungsfrieges ward fie 1815, ſowie das gefammte diesfeitige 
Pommern, mit dem preuß. Staate vereint, — Die erſte Veranlaſſung zur Stiftung 
der Univerfität fcheint der Aufenthalt während der Unruhen 1435 — 43 ge: 
flüchteter roſtockiſcher Profefforen gegeben zu haben. Sie ward 1455 von dem 
pommerfchen Herzog Wratislaw IX. molgaftifcher Linie, mit Zuſtimmung des 
Herzogs Otto Lil. fettinifcher Linie, auf Anrathen und unter Mitwirfung des 
greifsmaldifchen Bürgermeifters Heinrich Rubenow geftiftet. Die Tundationsbulle 
des Pnpftes Calixtus IN. ward unter dem 29. Mai 1456, und In def. J. die Bes 
flätigungsurfunde des Kaifers Friedrich HI. ausgefertigt. Am 17. Oct. ward die 
Univerſitat inaugurirt, und am folgenden Tage trat der erfie Nector, Heinrich Ru⸗ 
benow, f. Amtan; er inferibirte beinahe 300, unter denen der Fürft Wratislaw 
ſelbſt, 2 Bifchöfe, 3 Abte und andre vornehme Perfonen fich befanden. Als im 
Anfange des 16. Jahrh. die Kirchenverkefferung auch in Pommern, namentlich 
in Stettin, Stralfund und Greifewald, Beifall fand, widerſetzten ſich der Her, 
Georg und der Bifchof von Kamin derfelben, welches die Folge hatte, daß 12 Fahre 
hindurch Eeine Vorleſungen gehalten wurden. Im Nov. 1539 richtete Herzog 
Poilipp I, die Univerfität wieder auf; jedoch mar bis 1656 ihre Exiſtenz fehr ſchwan⸗ 
end. Da indef durch den augsburgifchen Neligionsfrieden 1655 die Annahme 
der Neformation ⸗.n Lande gefichert wurde, fo mußte dies auch auf den Zuſtand der 
-Univerfität einen vortheilhaften Einfluß haben. 1504 ward ihr das Dominicaners 
Flofter eingeraͤumt. 1558 ward die erfte Bifitation der Untverfität gehalten. 1591 
' begann der Bau des vormaligen Collegiengebtudes, und 1604 ward die Bibliothef 
‚gegründet, Vielfache Schenkungen hatten die Einkünfte der Univerſitaͤt bereits ans 


/ 


— 


8 


Gresham 320 


ſehnlich erhöht, als der letzte pommerſche Herzog Bogislaus XIV., 1634 das Amt 
Eldena mit den dazu gehörigen Gütern, Einfünften und Gerechtigkeiten, derfelben 
zu ewigen Zeiten ſchenkte; daher Eonnte fie die Drangfale des dreißigjühr. Kriegs 
überleben, zumal da der neue Landerherr, der König von Schweden, ſich den Flor 
Dicfer Lehranftalt ſehr angelegen fein lieg, Der Borfchlag, fie nach Stettin zu vers 
Iegen, ward nicht ausgeführt. 1747 ward das alte Collegiengebaͤude abgebrochen, 
und 1750 das neue eingeweiht. Die Derfaffung ift ſeitdem mehrmals nüber be: 
ftimmt worden. Unter der Aufficht des Kanzlers, jeßt,des Fürften Purbus (den bei 
feierlichen Promotionen in allen Facultäten der jedesmalige Generalſuperintendent 
als Profanzler vertritt) führt der Rector und der akademifche Senat oder das Con; 
cilium, das aus allen ordentlichen Profefforen befteht, das Regiment der Univerfi- 
tät; nur die Inſtitute ſtehen unter der Aufficht des Minifteriums der geiftlichen, 
Unterrichts: und Mebicinalangelegenheitenk Alle Studenten: und Discipfinarfas 
chen ungerfucht und entfcheidet der Nector mit dem Syndicus; . bei Strafen, die 
Bärter And als vierzehntägiger Sarcerarreft, votiren auch die Senioren der 4 Facul- 
täten. : Übrigens bat die Univerfität volle, ſowol Civil: als Triminalgerichtsbar: 
keit auch über alle Univerſitaͤtsverwandte, die nicht Studenten find, ſowie über ihre 
- Angehörigen und Bedienten; die dahin einfchlagenden Verhandlungen leitet Nas 
mens des Rectors und Concils der jedesmalige Dekan der Juriftenfacultät, Die 
Univerfität hat das Patronatrecht über 7 Landkirchen, und bei den 3 ftüdtifchen Pas 
floraten , ſowie bei allen ordentlichen Profeffuren (diefe wie jene befeßt der König) 
Das Recht der Präfentation. Die wiffenfchaftlichen Inſtitute, die Bibliothek, dag 
Anatomifche und zoologifche Muſeum, der botanifche Garten, das medicinifche und ' 
chirurgiſche Klinicum, die philologifche Sefellfchaft u. f. ww. gedeihen immer mehr. 
Die Zahl der Stipendien beträgt jührlich etwa 1300 Thlr. preuß. Sour. Das 1562 
geſtiftete Convictorium wurde von Zeit zu Zeit erweitert. Das Bermögen der Uni⸗ 
verfität wird von einer befondern Adminiftration, unter der Aufficht des Kanzlers, 
verwaltet. Eine Gefchichte der Univerfität, welche etwa jeßt 130 Studenten zähle, 
gibt es nicht. Die Stadt felbft hat (nach der Zählung vom J. 1822) 8080 Einw., 
gegen 900 Häufer, 3 Kirchen, ein Gymnaſium, ein Landfchulfehrerfeminar und 
mehre Elementarfihulen, ein Lazareth und 2 Mofpitäler; fie iſt der Sitz des Ober: 
appellationsgerichts für Neuvorpommern und Rügen, des Hofgerichts, des (faſt 
nur auf Ehefachen befchränften) Sonfiftoriums und des Kriegegerichts; die Juſtiz⸗ 
verfaffung tft bis jeßt unverändert geblieben und nicht der in den alten preuß. Pros 
dinzen conformirt. S. D. Sefterding's: „Beiträge zur Geſch. der Stadt Greifs⸗ 
wald ꝛc.“ (Greifswald 1827). | 
Gresham (Sir Thomas), der Gründer der londner Börfe, Sohn des 
Lordmayors diefer Stadt, geb. 1519, machte zu Cambridge f, humaniſtiſchen Stu: 
dien und widmete fich der Handlung. Eduards VI. Bormund, beflindig in Geldver⸗ 
legenheiten, brauchte den reichen und gewandten jungen Kaufmann zu Reguliru 
f. Seldangelegenheiten in Antwerpen, und ©. mußte für Die Regierung an 40 Mat 
nad) jenem Ort reifen, mo damals die Rothſchilde jener Tage wohnten. Bon Elifaberh 
ward ©. zum Ritter ernannt (1559) ; auch diefer Königin Seldgefchäfte beforgte er 
im Auslande. Dadurch wuchs ſ. Bermögen, und er befchloß, einen Plan auszufüh: 
ren, den bereits ſ. Bater gefaßt. hatte. Die Kaufleute Londons hatten nämlich noch 
Beinen Verſammlungsort, woſelbſt fie fich über ihre Geſchaͤfte befprechen, Handel 
abfehließen fonnten u, dgl, Lim ihnen ein folches den Verkehr erleichterndes Zu=, 
ſammenkommen zu verfchaffen, erbat fih ©. einen Plaß und ließ nach dem Muſter 
des Börfengebäudes in Antwerpen ein ähnliches aufführen, welches noch jet eine 
Zierde Londoris if. Den 7. Juni 1556 ward der erfle Stein dazu gelegt, und fehon 
. 1669 das Sanzp vollendet, worauf es den 29, Jan. 15710 von der Königin Eliſa⸗ 
beth befucht und „Eönigfiche Borſe“ („The royal exchange”). genaniıt wurde. 


I 


850. See | | 


Auf G.s Rath fing Eliſabeth an, die Staatsgeldgefchäfte nun auch mit infäntis 
ſchen Kaufleuten abzumachen, wodurch Englands Handelsftand ungemein gewann. 
In ſ. Teftamente (1575) beflimmte ©. das prachtuolle Hotel, welches er in der 
Stadt bewohnte, zu einem wiffenfchaftlichen Collegium. Es follte naͤmlich das 
halbe Börfengebäude dem Lordmayor und der Gemeinde von London, die andre 
Hälfte aber der Raufsmannsgilde unter der Bedingung gehören, dag fie für alle Zeiz 
ten, Profefforen (der Theologie, der Jurisprudenz, der Medicin, der Aftronomie, 
der Geometrie, der Muſik und der Rhetorik), jeden mit 50 Pf. St. jährlich befoldeten, 
und daß diefe Lehrer in dem von ihm bewohnten SHotel Wohnung und Raum zu ihs 
ren Borlefungen erhielten. Dabei feßte er noch mehre milde Stiftungen für Kranke, 
Gefangene und andre hülfsbedürftige Perfonien aus. Er ftarb den 21. Nov. 1679. 
Man befolgte f. Anordnungen pünktlich, fodaß In f. ehemaligen Wohnung bis gegen 
das Ende des 18. Jahrh. die von ihm feftgefeßten PVorlefungen in den genannten 
Wiſſenſchaften gehalten wurden. ‚Um diefe Zeit ward das &.’fche Gebäude nieder: 
geriffen, um durch ein andres erfeßt zu werden, beiwelcher Selegenbeit die ganze Lehr⸗ 
anftalt in die untern Säle der Börfe verlegt ward. ©. war ein geiftreicher und 
soiffenfchaftlich gebildeter Dann. Das Bolt nannte ihn wegen f. Reichthums und 
ſ. Verbindung mit dem Hofe haufig nur den „Eöniglichen Kaufmann‘. 
Sreffer (Jean Baptifte Louis), einer der anmuthigſten franz. Dichter, 
geb, 1709 zu Amiens, trat inf. 16. J. in den Sefuitenorden, und verließ ihn zehn 
any nachber wegen des Auffebens, welches fein Gedicht „Vert-Vert” machte. 
n Paris wußte er diefen Ruf zu vermehren und ward 1748 in die franz. Akade⸗ 
‘mie aufgenommen, Er lebte zu Ymiens, wo er eine Finanzftelle verwaltete und 
eine reiche Frau gehetrathet hatte. Die ländliche Natur, aus der er faft alle ſ. Bil⸗ 
ber entlehnte, ward f. Lieblingsaufenthalt. Mach dem Tode Ludwigs XV. fam er 
nach Paris und wurde gewählt, um Ludwig XVI. im Namen der Akademie zu ſ. 
Thronbefteigung Glück zu wünfchen. Hof und Stadt wünfchten den Mann zu 
ſehen, der fie fo trefflich gefchildert hatte, Aber die Meinung, welche feine erften Leis 
flungen erweckt hatten, wurde ungemein geſchwaͤcht durch ſ. afademifche Rede, wor⸗ 
in er eine frühere von Suard beantwortete und die Lafter der Hauptſtadt fchilderte. 
Seine Gemälde fchienen nicht natürlich, fondern Zerrbilder. Man fuchte vergebens 
den Drud des Werks zu bintertreiben. Mach feiner Ruͤckkehr nach Amiens ließ er es 
neu auflegen, ‘mit einem aus Profa und Verſen gemifchten Briefe vermehrt, 
worin er feiner Feder einen noch freiern Lauf verftattete. Bald Darauf ftarb er 
41777, ohne Kinder zu hinterlaffen. Die Annehmlichkeit f. Uıngangs, ‚die Unwan⸗ 
belbarfeit ſ. Srundfüge, die Nedlichkeit ſ. Charakters gewannen ihm ausgezeichnete 
. Sreunde, Ludwig XVI. erhob ihn 1775 in den Adelfland, Sein Vert-Vert” 
ift ein durch Witz, Leichtigkeit und Anmuth ausgezeichnetes Werk, deffen Werth 
um fo größer erfcheint, als der Stoff felbft wenig Hülfsmittel darbot. „Dieſes 
Gedicht”, fagt d'Alembert, „würde unter den Händen eines Andern eine fade und 
abgefchmadte Poſſe geworden fein und in dem Bezirke des Klofters, wo es erzeugt 
wurde, fein Grab gefunden haben. G. befaß in f. Eingezogenheit die Kunſt, das 
rechte Maß des Scherzes zu treffen, das einen fo unbedeutenden Segenftand in den 
Augen der feinen Welt anziebend machen Eonnte”. Er hatte es noch mit einem 
Geſange, „L’ourroir des nonnes“ überfihrieben, wermehrt, verbrannte ihn aber in 
f. letzten Krankheit. Auf „Vert-Vert“ folgte „La chartreuse”. Diefe Epiftel 
verräth einen originellen Charakter,” eine milde Philofopie; man findet darin Har⸗ 
monie und eine anlippigfeit grengene Fülle des Ausdruds. Don geringem Werth 
find f. „Epiftel an den Pater Bougeant” und „Les ombres”. Krüftiger und 
forgfältiger gearbeitet ift die Epiftel an f. Schweſter über f. Senefung, ©. wollte 
von der leichten Poeſie fich zur Tragödie erheben, aber f, „Eduard III.“, der 17740 
aufgeführt wurde, iſt nicht wieder auf dem Theater erſchienen. Die Jntrigue iſt 


| Gretna⸗Green Gretry 94 


Falt, und der Styl noch Fälter, Sin dem „Zidney”, der 1745 aufgeführt wurde, iſt 
die Intiigue ſchwach und die Berfnüpfung gemein; dach finden fich fehöne Verſe 
darin, „Le mechant”, der 1747 mit großem Erfolg gegeben wurde, ift wegen 
der Leichtigfeit, Mannigfaltigkeit und fchönen Berfification, wegen der Lebendigkeit 
und Fülle des Wißes und der Wahrheit der Charaftere eine der beften franz. Komd⸗ 
dien. Sie wäre vollkommen, wenn eine gleiche Fülle dee Komifchen diefe fchönen 
Eiaenfchaften Erönte. Unbedeutender find f. Dten, f. Uberfegungen der Eklogen 
Virgil's u. ſ. „Discours sur P’hharmonie”, S. Werfe Amſterd. 1782,2 Bde M. 
Gretna— (eigentlich Graitney⸗) Green, Pfarrdorf in der ſchottiſchen 
Grafſchaft Dumfries, an der Straße nach England, feit laͤnger als 70 J. in der 
Geſchichte zärtlicher Abenteuer als Die Zuflucht berühmt, wo bedrängte Riebende den 
KHinderniffen, die ihrer Neigung entgegen traten, auswichen, und heimlich ihre 
Verbindung feierten. In Echotttand bedurfte es nämlich feines Aufgebots, Feiner 
Einwilligung der Altern und keines Priefters zur Trauung, und die Erklärung des 
liebenden Paares vor einem Friedengrichter, doß es ledig und nicht in verbotenem 
Grade verwandt fei, mar binlänglich zur Schließung einer Ehe, die fein Ausfpruch 
Enüpfte, und die von allen Öerichten ale gültig anerfannt wurde. Wer Daher in Eng: 
land, mo andre Gefeße gelten, nicht.an dag Ziel f. Wuͤnſcht kommen Eonnte, eilte 
mit f. Seliebten nach Sretna:Sreen. Ein Grobfchmied, der zugleich Friedens: 
richter war, kygupfte während 40 Jahren viele folcher Verbindungen. Dean 
rechnet, daß bier jührlich 65 folcher Vermaͤhlungen gefchloffen wurden, was, 
jede zu dem gemöhnlichen Preife von 15 Suineen gerechnet, ein jührliches Eins 
kommen von 1000 Pf. St. gab, Er ftarb 1827, bald nach dem Entführungs⸗ 
proceffe der Miß Turner und Wafefield. Mach den neuern Strafgefegen follen 
‚unbefugte Berebelichungen mit Verbannung beftraft werden, 
Graätry (Andre; Erneft Modefte), franz. Componift, geb. zu Lüttich 1741, 
zeigte fchon im 4. J. Gefühl für den'mufifalifchen Rhythmus. Er war allein; 
das Wallen des firdenden Waffers in einem eifernen Topfe feſſelte ſ. Aufmerkſamkeit; 
er fing an, nach diefem trommelaͤhnlichen Geräufche zu tanzen; darauf wollte er 
auch fehen, wie fich di. fes Wogen ın dem Sefüß bilde, und goß es in ein flarf glü⸗ 
hendes Steinkohlenfeuer aus. Di: Erplofion mar fo heftig, dag er, vom Dampfe 
beräubt und fait am ganzen Körper verbrannt, zur Erde fie, Diefes Ereigniß jog 
ihm ıine langwierige Krankheit zu und fchwächte ſ. Augen für immer. 4759 ging 
G. nach Rom, um fich in der Muſik zu vervollfommnen. Er genoß bier den Un 
terricht mehrer Lehrer, aber Caſali ift der einzige, den er anerkannt hat, Er hatte 
fehon zu Rom einige ital. Scenen und Symphonien hören laffen, als er yon den 
Unternehmern des Theaters Alberti beauftragt wurde, zwei Intermezzi in Muſik zu 
fegen. Sein erfier Schritt auf diefer Laufbahn fand großen Beifgll, Am ſchmei⸗ 
chelhafteften war ihm das Lob Piccin’s. Wohl aufgenommen und verehrt in der 
Hauptſtadt Italiens, feßte G. dafelbft f. Studien fort, als Melon, Mitglied der 
franz. Geſandtſchaft zu Kom, ihm. eine Partitur von Rose de Colas zeigte, welche 
den Wunfeh in ihm erweckte, fich in ‘Paris befanntzumachen. Auf dem Wege nach 
Frankreich verweilte er zu Genf, wo er Die Dper „Sfabelle und Gertrude” ın Mus 
fit fegte, welche in Paris gegeben worden war, und deren Muſik etwas ſchwach ge: 
fdienen. Der Beifall, den die feinige erhielt, beftimmte ihn, nach Paris zu geben, 
um dort ein Theater und Schaufpieler zu finden, die feiner, würdig wären. Doch 
mußte er bier zwei jahre lang mancherfei Schwierigkeiten befämpfen, ehe er von 
Diarmontel den „Huron“ erhielt, deffen Text und Muſik in 6 Wochen vollendet 
wurde, und deffen Aufführung 1769 den ensfchiedenften Erfolg hatte. Mit noch 
grögerm Enthufiasmus ward bald darauf ber „Lucile“, eine Komödie in 1 Act; auf: 
genommen, Er widmete fich nun ausfchlieglich dem Theater und, componirte vier: 
sig Opern, von denen „Le tübleau parlant”‘, „Zemire et Azoı“, „L’ami de la 


833 Gy Guben! - 


mama”. „In funme mar”, Le Surzzment de Modes”, „Eamsei jalsux”, 
„les <euummens sure", „Lu:uetie 3 ka ee”, „In Caseesme”, 
ra”. Coe —. wir 
we Fehl sereber weten. © Ser wer Ders ter Derlasurise ze Meder 
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Bert. Sort Zemim, Tart Isle A.. are Garde ver Iem rerekıtsemairen 
Eicfı-re Kranfrrucke, von Fer # trrerten, Erb ©. ken als Muziier ve Fiir 
Er-t'e ert ter Örk Hchaft ter Beitsfreerte Samthait teen Freut wat mührfefte 
fick zur: gan veremt der Nuskekuza ter Scheas-Isepesacte. Er vertbritegte ſ Fremd 
Buriberferce aesen Tier: 1809, sch fie den Kru as Diesmarf ea Echireten 1891, 
intera er für tas Art der Meutrulen ſr ach wefür gen die Rarfiratr von Eitetein 
eine Trntustnye wehren, Als Format Orrmeür tas iinshrez i’rien, warte G, 
sunmchr Cart Herick erſter fort ter Ateocie:t unt usaliet des Tabinets, wer 
f. Rreunbe bei ber Aufbebung des © flasenhanteisfäng bestand. Rach Fers Tede 
ISAs erhielt er deſſen Stt lie ale Etaateſccretair ter auswirt. Argeleg.; ce des 
Pinifsrum beflar? aus zwei Parteien: du Freunte von —— — 
Lort Gireusille aber und ſ. Freunte lichen es bei ihrem ii gen Frenfreich taz 
nicht kemmen Danım ebrrtieshie Muhierter Socheter Karbelsfre hcbounabene. 
ſo err'ußfie der Korıa. Erittem nahm 5‘. wegen Kränflichkert nacht mehr den ser: 
gen Ancheil an effent!ichen Seht :fien: tech drana er auf — der 
Der fer weaen tes Zuas nad; Ralcherp. mıehllicte ihre Politik in Anfebzrz Por: 
moals unt Sraniens, fewie ten Krug gegen Napeleen 1813 — 15. ae 
erh der Kiniain trat er im Oberhauſe als ibr beretichter Bertbeitiger auf, nt 1829 
frrach er ebenſo bereit für die Emancipatien der Katholiken Tibrigene wirt G eg: 
sin aeachtet wegen ſ Lineigennüßisfeit: ben er bat füch weder eine Simecure nedh 
Penſien geben laffen, vielmehr gegen dieſ. n Mißbrauch im Obrchaufe ſiork aefprechen 
und noch andre Erfparniffe empfohlen. Auch bekleidet er keine andre Stelle als die 
eines Gasernor « Tihe Charterhon<e. Unter mehren mir [. Rede gegen die Alien 
Bill, im Juni 1816, für ein Merſterſtück gehalten. G. iſt vermaͤhlt mit ter Schwe⸗ 
fler feinee Freundes Ponſonby und hat eine zahlreiche familie. 
Gribeauval (Ian Ddar:ifte Vaguette de), Ingenieur und Artiflerift, art. 
4715 g: Amiens, wurde Officer bei Der Jioniercompagnie des Regim. Reral:A:till, 
und erbielt 1752 von dem Er D’Nrgenfen den Auftrag, nach Berlin su 
reifen, um die ven Zriebrich LI. zuerſt eingeführte leichte Regunenteartilierie zu te: 
ſichtigen. Dieſen Auftrag vollführte ©. nicht nur mit dem größten Fleiße, ſondern 


J 


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N 


Griechenland, das alte | 835 


überreiähte bei f. Zuruckkunft auch‘ einige wichtige Abhandlungen über bie Grenzen - 
und Feſtungen der Länder, die er bereist hatte. Er mard Obrifflieutenant und 
trat bald danach als General und Commandant des Artillerie: und Difneurcorpe, 
mit Bewilligung f. Königs, in öftr. Dienfte, wohin ihn der Graf v. Brogliv empfoh⸗ 
Ien batte, weil damals Maria Therefia, beim Ausbruch des fiebenjährigen Kriege, 


geſchickte Artillerieofficiere fuchte. Seinen Anordnungen bei der Belagerung von 


Glatz hatte Oftreich es vorzüglich zu danken, dag diefer Plaß, der Schlüffel von 
Oberfchlefien, den Preuffen entriffen wurde. — Im Betreff der Minen folgte Fried: 
sich mit faft unbedingtem Vertrauen dem Syſteme von Belidor; G. hatte fich das 
gegen eine andre Verfahrungsart auegedacht, und der Erfolg bervies, daß er Recht 
hatte, Die Preußen belagerten Schweidnitz, und Friedrich 11. leitete das Unter: 
nehmen felbfl. G. vertheidigte unter des Marſchalls Guasco Oberbefehl den Ort. 
Ein unterirdifcher Kampf entfpann fich nun bier, in welchem ſowol der König als 
der General, jeder nach f. Syſteme verführen. Friedrich ließ nach Belidor's Me 
thode 4 große Minen fprinern, aber umfonft! Ges treffliche Gegenanftalten ver: 
eitelten jeden gewiß gehofften Erfolg, und mo der König auch f. Feinde unter der 
Erde angriff, überall fand er die wirtungsvollfie Gegenwehr, ſodaß er 63 Tage 
nach Eröffnung ber. Trancheen und nad den heftiaften Anfirengungen fich gende 
thigt fah, die Belagerung aufzuheben. Schon waren die Befehle deßhalb gegeben, 
als eine glücklich gemorfene Bombe Alles anderge. Ein Pulsermagazin flog in die 
Zuft, dadurch entftand eine Brefche, welche die Oftreicher nothigte, fich zu ergeben, 
G. ward nun ale Sefangener f. Eönigl! Gegner vorgeftellt, der roirflich für einen - 


Augenblick den Dann, deffen Talent ihn geroiffermaßen überwunden batte, nicht 


fehen mochte. Bald fiegte aber in des großen Könios Seele die beffere Eimpfirts 
dung. Er ließ ©, zu fich Fommen, zog ihn an f. Tafel und beehrte ihn mit den 
gerechteften Robfprüchen. 1762 ward ©. von der Kaiferin zum Feldmarſchall⸗Lieut. 
und Großkreuz des Marien »Therefienordens ernannt; nach gefchloffenem Frieden 
kehrte gr auf Choiſeul's Einladung nach Frankreich zurüd, 100 er, ale Marechat be 


Camp und Seneralinfpecteur der Artillerie angeftellt, fich vielfach um das Genie, 


Fortificationg- und Artilleriervefen verdient machte, Eine Zeit lang, mehr durch: . 
Choiſeul's und des Grafen Bellegarde als durch eigne Schuld in Ungnade gefal: 
Ien, trat er erft, als Ludwig X VI, auf den Thron kam, in ſ. alte Wirkſamkeit unk 
ward furz vor f. Tode zum Oberaufſeher des großen Arfenals ernannt. Er ſtarb 
den 9. Mai 1789, ebenfo gefchäßt als Menfch wie als Krieger. ’ 

Griechenland, das alte Dieſer Name entftand in Italien, wahrſchein⸗ 
lich durch Die aus Epirus dahin gewanderten pelasgiſchen Colonien, welche, indem 
fie nach Graͤcus, dem Sohne ihres Stammpvaters Theſſalus, ſich Griechen nannten. 
Veranlaſſung gaben, daß dieſer Name auf alle die Volker uͤbergetragen wurde, wel-: 
che einerleiÖprache mit ihnen redeten. Bei ben Eingeborenen hatte Griechenland 
in.den frübern Zeiten, z. B. bei Homer, feinen allgemeinen Dramen; nachher be: 


kam es den Namen Hellas, und nach der Eroberung durch die Römer. den Ita: 


men Achaja,, unter dem jedoch Macedonien und Epirus nicht mit begriffen waren, 
Die griech. Nationen aber waren fo weit zerflreut, daß es ſchwierig wird, genan zu 
beftimmen, mas zu Griechenland gehört und was nicht. Bald nahm man Grie⸗ 
chenland im engern Sinne, wie es auf 3 Selten vom mittelländ. Meere umflof 
ſen, im N. durch die Eambunifchen Sebirge uon Macedonien gefchieden, etwa 200 

Q.M. enthaͤlt; bald in einem weitern Sinne, der Macetonin und Epirus mit 
einfchließt, das Hämusgebirge, das ionifche und Agätfche Meer ihm gu Grenzen gibt - 
und die Inſeln diefer Meere mit aufnimmt, Griechenland befteht theils aus fer 
ftem Lande, theils aus Inſelgruppen. Ein Gebirgszug von ambracifchen Meer⸗ 
bufen in W. bis Thermopplä in D. feheidet Das nördliche Öriechenland vom ſuͤdl. Das 


— „Klima ii abwechfelnd sau und mild, da Gebirg und Thal wehfen allein ſehr an 


Converſations⸗Lericon. Bd. IV. 6 


V. 


834 | Griechenland, das alte 


8 
genehm und geſund. Ein Leben von mehr als hundert Jahren iſt hier nichts Sel⸗ 
tenes. Die Lage beguͤnſtigt die edelſten tropiſchen Fruͤchte in Thaͤlern und Ebenen, 
wahrend die, Wolkengipfel der Berge mit den Pflanzen der Polarlaͤnder bedeckt 
find. In Athen füllt das Thermometer faſt nie unter den ©efrierpunft, noch fteigt 
es über 25° Reaum. Auf den Inſeln kühlt jeden Abend zur nämlichen Stunde 
ein fanfter Seewind die Hige des Tages ab. Dagegen ift in den. Ebenen Theffa: 
liens, die 1200 5. über der Mleeresfläche liegen, und nech mehr auf den Sebirgen 
Arfadiens der Winter fo ftreng rote in England. : Die Fruchtbarkeit ift ebenfo groß 
als mannigfaltig. Selbſt da, wo der ‘Boden zum Aderbau wenig tauglich ifl, 
treibt er von felbft Thymian, Majoran und eine Menge aromatifcher Kräuter, bie 
eine reiche IBeide geben. Bon Weizen allein hat Griechenland 8 Arten, von Dliven 
10. Vielleicht ift es das Vaterland des Weinſtocks, befonders der Eleinern Beeren, 
die den. Namen son der Stadt Korinth erhalten Haben. May kennt 40 Arten grie: 
hifcher Trauben, Berühmt ift der griech. Honig (ſ. Hymettus). Griechenland 
bat Alles, was es braucht, und fehlen ibm Bedürfniffe, fo bat fein Land fo bequeme 
Küäften, Buchten und Häfen für den Handel mit 3 Welttheilen, als Griechenland, 
— Man theilt das fefte Land in. Kordgriechenland, Mittelgriehenland 
sder Hellas im. engern Sinne, und den Peloponnes. I, Nordgr.echen: 
land umfaßt a)Theffafien (f.d.) (jegt Janiah), I) Epirus (f.d.) (fegt Alba: 
nien), c) Macedonien (je&t Macdenia oder Filiba Vilajeti), erft feit Philipp und 
Alerander zu Öriechenland gerechnet; es machts gleichfam ein Mittelglied zwifchen 
Sriechenland und Thrazien, dem Nordlande im Sinne der riechen, welchem Ma: 
cedonien felbft früher beigerechnet wurde, II. Mittelgriechenland oder 
Hellas (jegt Livadien) enthielt: a) Akarnanien, hatte rohe und friegerifche Ein: 
mohner, Eeine bedeutenden Slüffe und Berge, 1) Atolten (ſ. d.) c) Doris oder 
Doris Tetrapolig (ehemals Dryopis), d) Lokris (ſ. d.), mit dem Pag von Ther⸗ 
mopplä, e) Phocis, vom Cephiſſus bewäflert. Hier erhob fich der Parnaſſus, 
unter welchem Delphi (f. d.) lag. f) Böotien (f. d.), g) Attifa ((.d.), 
h) Megaris mit der Stadt Diegara, die Eleinfte aller griechifchen Landfchaften. 
N. Die Halbinfel des Peloponnes (jebt Morea, 402 ) M., 300,000 
Einw., hatte im Alterthume 205 Städte und gegen 2,200,000 Einmw. :, zu welcher 
durch Megaris der korinthiſche Iſthmus führt, umfaßte: a) das Gebiet von Ko: 
rintb (f.d.) mit der Stadt gl. N., früher Ephyra genannt; b) das Fleine Gebiet 
von Sikyon, mit der alten Stadt gl. N.; c) Achaia, zuerft Agialos, dann Jonia ge: 
nannt, batte in f. Ausdehnung längs desforinthifchen Meerbuſens bis zum Fluffe 
Melas 12 Städte, d) Elis, von dem Alpheos durchfirhmt; erſtreckte ſich von 
Achaia ſuͤdweſtlich an der Meeresküfte hin. Dor Elis und Kyllene ift Olympia 
(f. d.) berübmt;, e) Meffenia mit dem Fluffe Pamifus, unterhalb Elis an der 
- Meeresküftebis zur Landfpige hinreichend, mit der Stadt Meſſene und den Grenz⸗ 
feftungen Ithome und Ira; f) Lakonia, Lakonica, Lacedämon, ein Gebirgsland 
(der Taygetos), vom Eurotas durchfirömt, wird von dem meffenifchen, lakoniſchen 
u argolifchen Meerbufen.von 3 Seiten befpült, Hauptft. Sparta (fd); g) Ar: 
golis (£d.); h) Arfadien (fd). Die zu Öriechenland gehörigen Inſeln liegen 
3, im tonifchen Deere, an der Weft: und Sübfeite des.feften Landes. 4. Corchra 
(Eorfu), 2. Cephalonia, 8. Afteris, 4. Ithaka (Teaki), 5. Zakynthos (Bante; St. 
Maura iſt die ehemals. mit dem feften Lande von Akarnanien zufammenhängende 
„Halbinſel Leufadien). 6. Cythera (Eerigo), 7. die Inſelgruppe des argolifchen 
Meerbufeng, 8. die Delopsinfeln beim Gebiet von Trözen, unweit derfelben Sphaͤ⸗ 
ria, Kalauria (Poro),. 8. Agina, 10. Salamis (Toluri), und mehre umliegende, 
11. Kreta (Kandia). Im ägdifchen Meere an der Süd: und Oftfeite des feften Lans 
des, im fogen, Archipelagus, lagen: 1. Karpathos (Scarpento), 2. Rhodus, 3, Cy⸗ 
prus, 4, die Cykladen, D.i. Delos umliegende Inſeln, die. weſtlichen, und 5. die 


5 


. los (Milo), Thera (Santorin), “08, wo Homer begraben fein foll; 


[4 


Griechenland (Gefchichte) 835 


Sporaden, d. i. zerſtreut Tiegende, die öftt, des Archipelagus. Zu ben Cykladen ges - 
bören Delos (Spilli), Rhenaa, Mifonos, Tenos (Tine), Andros, Gyaros, Keos 
(Zia), Syros, Kyihnos (Thermin), Seriphos, Siphnos, Kimolis (Alrgentiere), bee 
axos, früher 
Dia, Paros (Pario) u. a.m. Zu den Sporaden gehörten Kos (Stanthio, Stingo), 
Parmakuſa, Patmos (Palmo, Palmofa), Samos, Chios (Scio), mit mehren Elek 
nern umliegenden Inſeln, Lesbos (Mitylene), wo die umliegenden Eleinern Inſeln 
Hekatonnyſoi, d.i. hundert Inſeln, beißen, Tenedos (Bokthſcha Adaffi), Lemnos 
(Stalimene), Imbros (Lembro), Samothrafe, Thafos; und der Küfte Griechen: 
lands näher Skyros, Euböa (Negroponte), — Das alte Macebonien war inf, In⸗ 
nern raub, roaldig und arm, umd erzeugte nur in den Küftengegenden Wein, Olund 
Baumfrüchte; ebenfo Epirus. Dagegen war TIheffalien ein fruchtbares, fchön bes 
waͤſſertes Thal, das treffliche Pferde lieferte; Böotien, eben fo fruchtbar, war reich 
an fehönen Rinderheerden. Der Boden von Lofrig war mittelmäßig; defto fruchte 
barer war Doris, und noch mehr Phocis, welches guten Wein, fehones HI und , 
Krapp in Fülle bervorbrachte. Ätoliens rauhe Gebirge liegen weder Viehzucht noch 
Aderbau gedeihen. Afarnanien, die Seeküfte von Attifs und das bergige Megaris 


- waren ebenfo wenig ergiebig als Achaja. Argolis harte einen fruchtbaren Boden, 


und in Zafonien, Meffenien und Elis blühten Aderbau und Viehzucht; Arkadien 
war ein gebirgiges Hirtenland. Die griech. Inſeln waren, unter einem glüdlichen 
Himmel, größtentheils mie Wein, Obft und Seldfrüchten reichlich ausgeftattet ). 

Die Geſchichte der Griechen läßt fi) in 3 Hauptperioden: ihres Ans 
fange, ihrer Blürhe und ihres Verfalls, eintheilen. Die i, erſtreckt fich von dem 


 früdeften Urfprunge. der Griechen um 1800 vor Chr. bis auf Lykurg, 875 vor Chr., 


die 2, reicht von da bis zu ihrer Unterjochung durch die Römer, 146 vor Chr., die 
3. zeigt ung die Öriechen als ein überwundenes Volk, in zunehmendem Verfall, bis 
endlich feit 300 nach Chr. im byzantiniſchen Reiche das alte Griechenland vers 
ſchwindet. Die Pelasger waren die erfte unter Inachus, wie die Sage lautet, nach 


“ Griechenland einwandernde Mölkerfchaft. Sie wohnten in Höhlen und nährten 


fich von wilden Baumfrüchten, oft auch von dem Fleiſche überwundener Feinde, 


*) „Hellas, oder geograph. antiquar. Daritellung des alten Griechenl. und feiner Co⸗ 
lonien, mit Ruͤckſicht auf die neuern Entdedungen”. ' Bon F. K. ©. Krufe (Leipʒi 
41826, 2 Bde. mit Atlas). In dem „Tagebuch einer Reiſe durch Griechenland un 
Albanien’ (Berlin 1826) findet man mit Hinweifung auf dag alte Griechenland eine 
beſonders in militairifcher Hinficht ſehr befriedigende Vefchreibung des ießigen. Den 
alten und neuen Zuſtand von Griechenland beihreiben: Sell und Dodwell (dicker 
4821 von Sickler überfegr mit Anmerkungen), nrit den Schriften der Alten in der 
Hand, geographiſch, topographiſch und hiſtoriſch. Dodwel’s Begleiter Pomarbi hat 
(Rom 1820) einig, Zufäße gegeben. Chandler, Stuart, Mevett haben bie Meite 
architeltonifcher und plaftifher Kunft der Griechen genau bargeftellt. Spohn umd 
Wheler, Le Chevalier, Choiſeul⸗Gouffier, zum Theil auh Clarke und Turner has 
ben einzelne ‚geniger befannte Gegenden und merfwirdige Pläße forgfältig aufgenoms 
men. Siehẽ auch I. Horner’s „Bilder des griechischen Alterthums, oder Darſtellung 
der berühmteften Gegenden und wichtigften Kunſtwerke des alten Griechenlands’ 
(Zürich 1824 fg.). Weber die Sitten und Gebräuche der jesigen Bewohher Griechen: 


‚lands und der Inſeln des Archipeld enthalten Hughe's, Holland's, Vaudoncourt's, 


Leale's, Douglas’, Caſtellan's Meifen, auch Galt (Brief aus der Sevante) gute De: 
obachtungen; das Hauptwerk it Pouqueville's (ehemals franpöfifigen Generalconfing bei 
Alt Paſcha) „Voy. dans la Grece” (Paris 1820, 6 Bde.). Zur neuen Cultur⸗ 
gefenic e ber Hellenen enthält’ Ften’s „„Hellenion” ıc. Beiträge. Alle Cultur, welche 

e Griechen. der Emancipation wuͤrdig mache, fpricht ihnen Bill. Gell ab in f. „Nar-' 
pative of a journey in the Morea‘ (London 1823). Das Gegentheil zeist Ed. Bla⸗ 
quiere in f. „Report on the present state of the grech confederation” oto. (Lanz 
bon 1823). Don P. D. Broendſted's „Vorages dans la Grece, accompagnes de 
recherches en mit Kpfen., Paris 1826, Coquerell's Zeichnungen von 
Tardieu geit., deutſch bei Eotta, 4., engl. in London,) ift bie 3. a izu erſchienen. 
%* 


. [4 


856 OGriebesisat (Brit uite) 


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abırn Tissurk.naer und Peıten, we Ihmrre. Imsbeu. — — 
66, Ehre u. Am Ein Frwgeriächer Sei befertte tee sure Rarıem. teher jede 
ever Int. — — 
gegen Theven wet ter Trsiurihe Ara um 1200 ver Er. teten Fels re 
im ter Geſchechte Orurderlia’s berbatckte. Deftr Kumyf Krk 
viele Gebrete ihrer Auen beracbe; Bora mir em aicemarme 
in weicher «5 ten Serafliten, 80 I. na Trepas Ereherurg gelang des Fe 
logeumes ;: Femächtigen umb bie “jerwr und Adhier derats vertreiben Dre 
wentten ech nach Artıla. Dia fie aber herr muhı Azımm geriıa fünten, führte Re: 
Ieus um 1044 cine senıfche Celonur nad Kierriten, we icben irüber eine aelıkee 
aus Dem Tieieronunes angelangt wer, ur? 30 J. zudkber eme deriſche fich rieder 
fiek In andern Etaaten bareten fick Kepzhliten. 5 D. in Tibecs, m Theben, 
in ten cfiaıfdarn Celomen, endlich ah Athen u. w., fetuk ın ten micdkfärn 
49 9. Tas game fütliche Griechenland weriiuns mit Re-chıfn fich anfrikr. 
eb: Rand er.) treffliches Klima machten inteh der afiarıfchen Celenien gr Muterr 
der Tifteng: von bier gingen Künfic mar E iienkkaften ame. Ser war das Ri 
a ee hats: bier Bühten SunseL ES brirfahrt und 
Geſetzgebung. Doch blieb Griechenland ned: beider alten Eıchalt der Euten und 
unbrfannt mit tem Laxus. Wenn in eınrm Etaste fach der Sum. zu fehr anfiuf: 
ten, ſo fliftete mon Eslenien; im 7. un? 8. Johrh. . B. die michtigen Eelorıra 
von Abegium, Eyrafus, , Ereten, Tarent, Gela, Lofris unt Meffana in 
Sicilien und Unteritalien. (&.Orsßgriehenlant.) Die Heinen von cin: 
Griechenlanes aber 


anber unobhiingigen Staaten 
Dantes, das fie zufaummmenhickt. Dieſes Dant waren der Trac — 
Ampbi Olo mpiſchen 


fich ausxichneien, deren Syaupternenerung 776 J. n i 
rechnung kiente. Don dieſer Zeit an erfohem ſich vor den übrigen Staaten durch 
Macht un? Anfehen Eparta und Arhen. Bis zum perfifchen Kriege hatte Grie: 
Senden fon cine bedeutende Stufe der Xusbiltung erlangt. Außer der Dibifunfl 
den wir ı1m 600 v. Ehr. die Anfänge der Döilefoppie, und zwar früber in \enıen 
md Unteritalien als im eigentlichen Ghriechenland. ‘ Auch die Bıldbauerfunft und 
Malerei kamen in Fler. Die mächtigen Eolonien Maſſilia in Gallien und Agri⸗ 
ent in Sicilien entſtanden; Athen breitete ſ. Handel immer mehr aus und legte 
onders in Thrazien anfehnliche Sanbelsplige an. In Kleinafın aber waren Die 


⸗ 


Griechenland (Gefhihte) 337 


griechiſchen Colonien unter die Herrſchaft des lydiſchen Croſus und bald nachher des 
Tyrus gekommen; ſelbſt Altgriechenland wurde von Perſiens Beherrſchern, Darius 
umd Rerxes, mit gleicher Knechtſchaft bedroht. Da zeigte ſich der Heldenmuth ber 
freiheitliebenden Griechen in feinem herrlichften Glanze. Athen und Sparta wider: 
flanden faſt allein den ungebeuern Heeren der Perfer, und die Schlachten bei Dia: 
rathon, Thermopplä und Plataa, ſowie die Seetreffen bei Xrtemifium, Salamis 
und Mykale lehrten die Perfer, Daß riechenland nie zu ihren Eroberungen gehören 
werde. Vor allen griechifche: Staaten erreichte jeßt Athen die höchfte Blüthe und 
das entfchiedenfte Übergewicht. Der Oberbefehl, welchen bisher Sparta geführt hatte, 
kam an Athen, deſſen Feldherr Simon die Perfer zur Anerkennung der Freiheit der 
Kleinafiaten zwang. Zugleich war Athen der Mittelpunkt der Künfte und Wiſ—⸗ 
fenf&paften. Jetzt beach der peloponnefifche Krieg aus, als Sparta Athens übermäs- 
Kigen Stolz nicht länger ertragen konnte. Diefer Krieg, der Griechenland vers. 
beerte, demüthigte Athen. bie Thrafpbul es wieder befreite; dagegen mußte fich 
Sparta auf Furze Zeit unter Thebens große Manner, Epaminondas und Pelopis 

Das, beugen. Diefer Unruhen ungeachtet bfühten neben den Dichtern Künfller, 
Staatsmänner und Philofophen; der Handel war ins größten Flor, Sitten und 
Lebensart waren aufs hachiie verfeinert. Nun aber trar die unglüdiche Periode 
ein, wo mit dem Ende der politifchen Freiheit auch die Bildung der Griechen zu fine 
fen anfing. Im Norden von Griechenland hatte fich ein erobernder Staat gebill 
det, deffen Beherrfcher, Philipp, Tapferkeit mit fchlauer Politik verband. Die Uns 
einigfeit unter den griechifchen Staaten bot ihm Gelegenheit, feine herrfchfüchtigen 
Diane auszuführen, und die Schlacht bei Chäronen 338 v. Chr. gab Macedonien 
die Oberherrfchaft über ganz Griechenland. Vergebene hoffte daſſelbe, nach f. Tode 
fich wieder frei zu machen. Thebens Zerftorung foderte Unterwerfung unter den 
mächtigen Gentus des jungen Aleranders, Während er als erfter Feldherr der Grie⸗ 
chen über die Perfer Die glänzendften Siege erfocht, veranlaßte eine falfche Nachricht 
von f. Tode einen nochmaligen Verfuch, die Freiheit wiederzugewinnen, den jedoch - 
Antipater vereitelte. Ebenſo unglüdlich endigte der Tamifche Krieg nach dem Tode 
Aleranders. Griechenland warjeßt faftzu einer macedonifchen Provingberabgrfi unken. 
Verweichlichender Luxus ſchwaͤchte Die alte Tapferkeit und Kraft. Endlich ſchloſſen 
die meiſten Staaren des ſuͤdl. Griechenlands, Sparta und Atolien ausgenommen, den 
achaͤiſchen Bund zur Behauptung ihrer Freiheit gegen Macedonien. Als dieſer Bund 
fich aber mit Sparta entziveite, fuchte er Macedoniens Hulfe-und war Dadurch fiegs 
reich. Allein diefe Sreundfchaft war bald verderblich, denn fie verroidtelte Griechen⸗ 
land in die Haͤndel Philipps mit den Römern, welche zwar anfänglich die Freiheit der 


griech. Städte beftätigten, wäͤhrend fie in dem Kriege gegen Antiochus Atofien und 


bald darauf auch Macedonien in eine römifche Provinz verwandelten; allein fpäter 
fingen fie an, den achäifchen Bund unter fich zu entzweien, mifchten fich in die innern 
Streitigkeiten der riechen, und zwangen dieſe endlich zu dem legten Verſuch, ihre 
Sreiheit mit den Waffen zu behaupten, Der Ausgang eines fo ungleichen Rampfes 
konnte Ang lange unentſchieden ſeyn: die Eroberung Korinths, 146 v. Chr., unters. 
warf die Sriechen der römifchen Herrfihaft. Während des ganzen Zeitraums ' 
von der Schlacht bei Chaͤronea bis zur Eroberung Korinths blühten Künfte und 
Wiffenfchaften unter den Griechen; ja die Kunſt feierte erft unter Alerander ihr 
goldenes Zeitalter, Indeſſen waren doch die griech; Colonien in einem noch blühen: 
dern Zuftande als Bas Mutterland, befonders ward jegt Alerandria in Agypten der 


. Sig der Gelehrſamkeit. Da fie ebenfalls nach und nach unter die Bormüißigkeit 


der Römer kamen, wurden auch fie, wie das Mutterland, die Lehrer ihrer überwin⸗ 
der, der Romer. Unter Auguſt endlich verloren die Griechen auch den Schatten 
ihrer bisherigen Freiheit und börten-auf, ein felbfläntiges Volk zu fein, obgleich 
ihre Sprache, Sitten, Gebräuche, Wiffenfehaften, Künfte und Geſchmack überall 





838 Griechenland (Bolfscharafter) 


im roͤmiſchen Reiche ſich ausbreiteten. Der Charakter der Nation war jetzt fo 
tief geſunken, daß die Romer einen Griechen in der Regel als das nichtsmürdigfte 
Sefchöpf verachteten, Aſiatiſcher Luxus batte fie ganz verdorben; dag ehemalige 
Gefühl von Freiheit und Selbftändigkeit war erftorben, und niedriger Sklavenſinn 
an feine Stelle getreten. Gegen den-Anfang des 4. Jahrh. zeigte die Nation kaum 
noch eine Spur ihrer fchönen Eigenthümlichfeiten. Zugleich fingen die barbarifchen 
Volker jetzt an, auch Griechenland verheerend zu überziehen. — Außer den bekann⸗ 
ten Werfen über die griech. Sefchichte von Mitford, Gillies, Barthelemy (Anachar⸗ 
fis) u. A. nennen wir noch Clinton's „Fasti Hellenici” (Oxford 1824, 2. A. mit 
Zuf. Oxf. 1827), ein für die bürgerliche und literariſche Chronologie Griechenlands 
von der 55. — 124. Olymp. wichtiges Werk (von D. Krüger, Lpz. 1826, latein.); 
MWahsmuth’s „epelenifehe Alterthumskunde (2 Thle., Halle 1826 fg.), und 
Jacowaky Rizo Mterulog’s „Hist. moderne de la Grece depuis la chüle de l'em- 
pire d’Orient jusqu’a la prise de Missolunghi”. 

- Hauptzjüge in dem Charakter der alten Griechen waren Einfalt und Größe, 
Der Hellene war fein eigner Lehrer, und wenn er von Andern lernte, geſchah es mit 
Freiheit und Selbftändigfeit. Sein großes Vorbild war die Natur, die in feinem 
Vaterlande alle Reize in fich vereinigte. “Der noch ungebildete Grieche war männlich 
und ſtolz, thätig und unternebmend, ebenfo ausfchrveifend in ſeinem Haffe wie in 
ſ. Liebe, Er fchäßte und übte Saftfreundfchaft gegen Fremde und Landsleute. Diefe 
Grundlage des Charakters der Griechen hatte auf ihre religiöfen, politifchen, ſitt⸗ 
lichen:und philofopbifchen Meinungen einen großen Einfluß. Griechenlands Gotter 
waren nicht wie in Aften in ein heiliges Dunkel geftellt; fie waren in ihren Fehlern 
und Tugenden menſchlich, fanden aber höher ale die Menfchen. Sie gingen mit 
denſelben vertraut um; Gutes und Böfes kam aus ihren Händen; alle förperliche 

und geijtige Gaben waren ihr Geſchenk. Ebenfo menfchlich war auch die Moral 
der älteflen Griechen: Sie befahl, die Sötter durch genaue Beobachtung der 
Gebräuche zu ehren; die. Saftfreundfchaft heilig zu halten, felbft Mörder zu fchonen, 
wenn fie zu den Göttern ihre Zuflucht nahmen, Segen den Feind war Lift und 
Rache erlaubt. ‚Kein Geſetz befahl die Keuſchheit. Nur die Gewalt des Vaters, 
Ehegatten oder Bruders befchüßte die Ehre, des weiblichen Sefchlechts, welches da: 
ber in beftändiger Abhängigkeit lebte, Derlorne Unſchuld wurde zwar fireng bes 
ſtraft, aber der Verfuͤhrer freute fich fi Siegs ohne das Gefühl eines begangenen 
Unrechts, und brachte den Söttern ebenfomol Opfer und Geſchenke, als ob er die 
rühmlichfte Handlung begangen hätte, Die Sicherheit des häuslichen Lebens bes 
ruhte einzig auf dem Hausvater. Aus. diefen Grundzuͤgen der älteflen Sitten ber 
Griechen entfprang in der Folge die Eigenthümlichkeit ihrer religidſen Befinnungen, 
ihre Liebe zur Freiheit und. Thätigkeit, ihre Vorliebe für Schönheit, ihr Großſinn 
und die Einfalt in ihrem häuslichen und’ bürgerlichen Leben, Die Religion der 
Sriechen war nicht in dem Grade, wie die Religion der Römer, abergläubig; fo 
kannte 3.8. der Grieche das Auguralivefen nicht. Er neigte fich, auch in der Reli⸗ 
gion, zur Fröhlichfeit, und diente den Söttern weniger durch Sefinnungen als durch 
äußere Ceremonien. Auf die Sittenlehre, den Slauben und. den Unterricht des 
Geiſtes hatte die Religion wenig Einfluß, Nur den Glauben an die Götter und 
eine Sortdauer nach dem Tode foderte fie, ferner Enthaltung ven den gröbften Ber: 
brechen und Beobachtung der. vorgefehriebenen Gebraͤuche. Gute Sitten und wahre 
Religiofität zu befördern, wirften anfangs bei den Sriechın die Einfält ihrer Lebens: 
art und gewiſſe dunkle Vorftellungen von einer Alles regierenden, das Gute lieben: 
den und belohnenden, das Boͤſe haffenden und beftrafenden Gottheit, fpäterhin aber 
eine. durch Dichtfunft und Philoſophie erzeugte Aufklärung, welche von den Gebil⸗ 
detern fich auch dem großen Haufen mittheilte.. Dan batte in der Blüthe ber grie: 
chiſchen Bildung. geläuterte Begriffe von einer einzigen Sottheis, ihrer Allwiſſenheit, 


€ 
“- 


Griechenland, das neuere Aufſſtand der Griechen 839 


Allgegenwart, Heiligkeit, Güte, Gerechtigkeit und von einer wuͤrdigen Verehrung 
berfelben durch Tugend-und Reinheit des Herzens. Ebenſo lauter war die Sit: 
tenlehre einzelner Griechen. Man trug fie anfangs in finnreichen Sprüchen vor; 
dahin gehören die Sprüche der fogen. fieben Weiſen. Nachher traten Sokrates 
und deffen Nachfolger auf und verbreiteten gereinigte Grundfige, Die Freiheits⸗ 
liebe der Griechen hatte ihren Grund in dem glüdlichen Schickſale, lange ohne 
Drud und ohne Furcht vor andern Völfern gelebt zu haben, verbunden mit einer 
angeborenen Rebhaftigfeit des Geiſtes. Sie war es, roelche Eleine Heere unüber: 
soindlich machte und einen Lykurg, Solon und Timoleon Kronen entfagen ließ, 
Die Freiheit der riechen war ein Werk der Natur und Folge ihrer erften patriar: 
. halifchen Lebensart. Die eriten Könige wurden als Hausväter betrachtet, denen 
man freiwillig und zu f. eigenen Vortheile gehorchte. Wichtige Angelegenheiten ent: 
ſchied die Volksverſammlung. Syn feinem Haufe war Jeder Herr; Abgaben wurden 
anfangs nicht dezahlt. Als aber die Könige ihre Gewalt mehr und mehr ausdehn: 


ten, war man darauf bedacht, ihre Würde abzufchaffen, und eg entflanden Freiftaa: . 


ten, die fich mıyr oder weniger zur Akiftofratie oder Demofratie binneigten, oder 
auch aus beiden gemifcht waren; die Bürger liebten den Staat, weil nicht Will: 
für, fondern weife Sefege ihn regierten. Diefe edle Liebe für das freie Vaterland 
war es, welche Leonidas dem Perferfönige fager ließ, er wolle lieber flerben als 
über Griechenland berrfchen, roelche den Solon, Themiftofles, Demoftbenes, Pho⸗ 
cion begeifterte, da fie, ungeachtet des Undanks ihrer Landsleute, lieber dem Staat 
und den Geſetzen als ihrem eignen Bortheil dienen mochten. .Von der Thaͤtigkeit 
der Sriechen zeugt der Anbau ihres fruchtbaren Landes, das durch den Fleiß f. Be: 
wohner viele Millionen nährte, und der Reichthum ihrer Colonien. Allenthalben 
bluͤhten Handel, Schifffahrt und Gewerbe; Kenntniffe aller Art, wurden eingefam: 
melt; der Seift der Erfindung war raftlos gefchäftig; man lernte die Freuden eines 
gefelligen, aber auch allmälig eines üppigen Lebens kennen. Aus biefer Quelle der 
Thaͤtigkeit entſprang zugleich die Liebe zu großen Handlungen und Unternehmungen, 
“ wovon die griechifche Sefchichte fo viele Beifpiele aufftellt. Noch ein charakteriſti⸗ 
ſcher 38 des Griechen war fein Sinn für Schoͤnheit, ſowol geiſtige als körperliche, 
Diefer Sinn , durch die Natur gewedt und gebildet, fehuf aus fich ſelbſt ein Ideal 
von Schönheit, das ihm und uns zum Maßſtab ward für jedes Erzeugniß der 
Kunſt. Edle Einfachheit ift Allem aufgeprägt, was von ihm ausging. Diefer 
Sinn machte die Griechen zu Lehrern aller Zeiten und Gefchlechter. \ 
Sriehenland, das neuere, nebft Morea und den Inſeln (2000 
Q.M.) zählt etwa 4 Mill, Einw., wovon 4 Mill. in Morea und Negropont. 
Sie find ein Gemifch von Griechen, Tuͤrken, mohammedan. Albaniern, Juden, 
Italienern, Zigeunern u. A. Drei Viertel find eigentliche Griechen oder Nach: 
kommen der alten Hellenen. Rechnet man bierzu die Griechen in Kleinafien, 
Rußland, Deutfchland, der europ. Türfei, fo darf man wol die Anzahl aller 


jeßt lebenden. Giriechen zu 4 Mill. annehmen, . Sie find übrigens in ihrer . 


eigenthümlichen Natur noch die alten Griechen. Darum traten fie, nach faft 2000: 
jähriger Unterdrüdung ihres freien Volkslebens, im 2, Jahrzehend des 19. Jahrh. 
urplößlich wieder in der Weltgefchichte auf, um entiweder von Neuem zu erblühen 
oder glorreich unterzugehen. Diefes für Europa wichtige Ereigniß, der - 
ufftand der riechen 1824, wird begreiflich, wenn soir I. das 
Maturverhäftnig und Die gegenfeitige Stellung der Hellenen und 
Türken betrachten. Wenn in einem formlofen Stnate Barbare! und Bildungs: 
: trieb, Bwangherrfchaft und Freiheitsſim, Übermuth und Perzweiflung einander 
widerftreben, da beſteht fein Geſetz und Feine Ordnung, für den Gewalthaber fo 
‚wenig als für den Unterdrüdten. Wo überdieg noch 2 Völker, das ber Eroberer 
und das ber Befiegten, Jahrhunderie lang durch Religion, Sprache, Sitten, Se: 


840 Griechen (Auffland in Griechenland 4824) 


brauche, Denkart und Charakter getrennt, fich gegenfeitig abfloßen, da gibt es feis 
nen gefelligen Berband, und felbft die Moͤglichkeit ift nicht vorhanden, daß er je fich 
bilden werde. Ein folcher Staat ift fein Staat, fondern ein Zufaminenwurf von 
Trümmern, gehalten von der Schwere und dem Drud der Maſſen. Menfchen in 
diefem Staate find feine Bürger; denn das 2008 des Sklaven hingt ab von der 
Perſonlichkeit ſ. Treibers, Greift nun das der Willfür und Laune f. Zwingherrn 
preisgegebene und Hunden gleich behandelte Volk endlich, von Verzweiflung getrie: 
den, nach f. alten Rechten, Eampft es um Leben, Ehre, Bürgertbum, Glauben und 
Vernunft, erbebt es fich aus der Verwilderung eines gefeglofen Zuftandes zur Civi⸗ 
lifation, und wehrt es von fich ab die befchloffene Vertilgung: fo ift dies nicht Em: 
pörung , fondern ein Kampf um das heilige Dienfchenrecht der Natur auf Religion, 
Geſetz und Vaterland. Solchen Kampf, Volk gegen Volk, dat von jeher, -feit es 
Voͤlker und Staaten gab, denen häusliche Sicherheit, Schuß des Fleißes und Eigens 
thums, Religion und Bildung theure Güter find, die Sefchichte in ihrem Tempel ' 
efeiert. Solchem Kampfe verdankt es Europa, daß.es feine Satrapie von Aſien, 
Rußland, daß es fein mongolifches Khanat, Spanien, daß es feine Provinz des Kha⸗ 
Iifats u. Afrikas Nebenland, Ungarn, daß es fein Paſchalik Der Osmanen, Deutfchs 
land, daß es kein Dafallenbund für Napoleons Weltreich geworden iſt. Nur das 
Bolt gebt unter und verſchwindet, das, in fich verdorben, an f. Namen und an f. Da⸗ 
fein verzweifelt. Es gibt Eeine Römer mehr, aber es gibtnoch Griechen. Das ältefte 
Bolt in Europa, welches Sprache, Seftalt, Denkart und Charakter, welches den 
Leichtſinn roie die Begeifterung, den Heldenmuth und die glänzenden Naturgaben 
tie Die Fehler und den Thatendurft f. Altvordern, welches den Ruhm und die Graͤ⸗ 
ber ſ. Biter 2 Jahrtauſende hindurch, mitten unter dem Zufammenftoße des N. mit 
dem ©. und des Morgenlandes mit dem Abendlande, treu bewahrt, welches end: 
lich feit A Jahrh., von Hohn und Verachtung gepeinigt, den Glauben der Chriften 
nicht verläugnet hat: diefes Volk kaͤmpft jeßt wieder für f. alten Nechte, unbefüms 
mert um das Kunftgefüge des europüifchen Staatenbaues, der jünger iſt und vers 
Anderlicher als der geiftig-fittlich:politifche Bildungstrieb der Sriechen, weicher Eu⸗ 
ropa felbftändig geftaltet hat, und der jeßt aufs Neue erwacht ift, um das jüngffe 
Geſchlecht der alten Hellenen aus dem Schlamme der Unterdrüdung zu ziehen und 
aus Knechten des Drients daffelbe in europäifche Bürger zu verwandeln, Darum 
verd ent die legte Erhebung der Griechen gegen Mohammed und Osman, felbft 
svenn der Sieg den Kampf nicht Eränen follte, die Achtung der Nachwelt, und es if 
Pflicht der Zeitgenoffen, die Kunde davon treu aufjubewahren, ohne fich dabei durch 
Anfichten irre führen zu laffen, welche das Vorurtheil oder der Nutzen des Augenblicke 
erzeugt hat. — Hellenen und Osmanen flanden, durch Volks: und Slaubenshaß ge: 
fHieden, feindlich einander gegenüber, 374 J. feit Konflantin XI. im Sturme der 
Eroberer erfchlagen ward, und 110 J. feit die Republif Venedig Morea und die In⸗ 
fein verlor, Kein Stantsvertrag hatte Volk und Land den Türken unterworfen; felbft 
Morea war ohne ausdrüdliche Abtretung von Seiten Venedigs (im paffaroriger ı 
Frieden 17118), nach dem bloßen Rechte des Waffenbefißftandes (uti possidetis), eine 
Provinz der Pforte geblieben, Die Gewalt des Siegers und die Ohnmacht des Be⸗ 
flegten entfchieden allein das Schickſal der Hellenen; dennoch war diefes Volk nie 
ganz unterjocht ; einzelne Stämme behaupteten in den Gebirgen fortwährend die Uns 
abhängigkeit, fo die Sphafioten auf Kreta, fo die Mainotten, die Öulios 
‚ten, die Montenegriner (f. d.); felbft abhängige Häͤuptlinge fehüttelten oft 
ihre Feffeln ab. und die Abenteuer ühner Griechen, der fogen. Mephten, welche 
vor dem Aufitande ein freies Leben und mit den Türken immer Krieg führten, wur⸗ 
den der Hauptgegenftand neugriechifcher Bolfsgefünge, Bloß Fanarioten (ſ. d.) 
batten fich dem Sultan unterworfen, weil fle ihm dienten. “Das Loos der unters 
jochten Rajahs aber war nie und nirgend allgemein gefeglich feſtgeſtellt, ſondern 


x . 


riechen (Vorbereitung des Aufſtandes) J 841 


ein Spiel der Laune, Habſucht, Wolluſt und Grauſamkeit der einzelnen tuͤrkiſchen 
Statthalter. Nur wo diefe ihren Vortheil in der Schonung der Griechen fanden, 
oder aus Gleichguͤltigkeit, bisweilen auch durch ihr eigenes Gefühl zur Milde bewo⸗ 
gen, um die Giaurs fich nicht befümmerten, nur da errang der Hellene durch Bie⸗ 
nenfleiß und Handelsklugheit einigen Wohlftand; aber er trug im glücklichſten 
Falle vergofdete Ketten, und ſtets hing über ſ. Haupte an einem Faden des Damo⸗ 
Eles Schwert, Durch Bezahlung des Haratſch, eines großen Löfegeldes , müſſen 
Chriſten jährlich ihr Leben erfaufen! Nur gegen die Erlegung großer Geldſum⸗ 
wien, die fie oft nicht aufbringen fünnen , wird ihnen geflattet, ihre den Einſturz 
drohenden Kirchen aufzubauen! Unter ſolchem Drude verwilderte das Gemuͤth; 
mit der Klugheit paarten fich Hinterlift und Betrug, mit Dem Heldenmuthe Raͤu⸗ 
bertroß, mit der Unwiffenheit Aberglaube und Rohheit. Einzelne traten jedoch, 
bervor in Bildung und Charakter. Alle aber bewahrten. als ein heiliges Erbgut 
Sprache, Glauben, Sitte, das alte Nationalgefühl und die Liebe zum Vaterland. — 
War das Griechenvolk gefunfen , am meiften Die Fanarioten der Hauptſtadt, in der 
Naͤhe des Serails, wo Drud und Lift ihren Brennpunkt haben, fo waren es bie 
Osmanen noch weit mehr. hr Reich, ein flarres Songlomerat von den Trümmern 
des byzantinifchen, — die Türken felbft feine Nation, ſondern eine rohe Maffe 
von Kriegern, Befehlshabern und Ulemas, ein Miſchlingsvolk aftatifcher Horden 
und Baflarde von Tatarblut mit Sklavinnen aus gllen Welttheilen erzeugt, — 
haben feinen andern innern Verband als den’ des Fanatismus und Despotismus. 
Den geiftig fittlichen Verfall der Osmanen übertrifft noch der politifche, Denn in 
dem Weſen der türkifchen Verfaſſung liegt der Reim. ihrer Auflöfung. Die Türs 
fen machen in den ausgedehnten, von ihnen beberrfchten Lündern kaum den vier: 
ten Theil der Bewohner aus; fie betrachten die bei. weitem größere Zahl ihrer 
Nebenvölker als natürliche Feinde, die fie forgfältig hüten, folglich unterdräden 
müffen; fie fpielen die wilde Rolle noch jetzt fort, die fie als erfte Eroberer übernom⸗ 
men hatten; fie find daher noch immer Sremde in Europa und Fönnen nie mit den 
eingeborenen Stämmen zu Einer Nation zufammenfchmelzen. Hieraus folgt die 
ungemeſſene Macht, welche man den Pafchen in die Hand legen mußte, zugleich aber 
auch das Mißtrauen des Hofes gegen diefe Machthaber, deren Häufige Empoͤrungen 
und deren Untergang, feltener durch offene Gewalt als durch Hinterlift, welche nur 
die Schwäche der Regierung verräth. Bloß die'gemeinfchaftliche\Religion und der 
Sultan, als fichtbares Oberhaupt derfelben, nebft dem gemeinfchaftlichen Haffe 
gegen Alles, was Giaur oder Keßer heißt, bewirken, bag der Türfe des fernen Aſiens 
den europäifchen noch als f. Bruder, anerkennt, und dag die einzelnen Theile nicht 
ſchon längft zerflücelt worden find, Zugleich entſpringt aus der Berachtung jedes 
andern Menſchen, der richt Muſelmann ifl, und aus dem alten Erobererübermutbe 
diefer rohen Kriegerfafte jene Geringſchaͤtzung aller Künfte, welche erft von Giaurs 
erlernt werden müßten, zugleich aber auch jene Ruͤckwirkung vernachläfligter Bil⸗ 
dung: die Abhangigkeit der Türken von jedem cultivirten Wolfe, felbft von den 
Griechen, in Segenftanden, welche auf Aderbau, Kunftfleiß, Handel und Staates 
kunſt Bezug haben, ſowie der Verfall ihrer politifchen Macht gegen das chriftliche 
Europa, welches im 17. Jahrh. f. Taktik vervolllommnete, da hingegen die Ja⸗ 
nitfcharen, ungeachtet aller Verſuche, die Selim Il. Thron und Leben Eofteten und 
Mahmud I. nöthigten, feinen Jugendfreund Halet hinrichten zu laffen, nie einen 
Schritt darin vorwärts thun wollten, bis fir felbft, als Empörer und Brandftifter 
(1826) ganz ausgerottet werden mußten. So flebt Osman's flolger Stamm auf 
verfaulten Wurzeln, und nur der europäifche Staatenbau ift feine Stüße, wie ein ' 
morfches Gemaͤuer nur zwiſchen ſtarken Nachbarwanden fich noch haͤlt. 

li. Vorbereitung zu dem letzten Befreiungskampfe der Hellenen. Ein 
(0 feindfeliges Naturverhältniß zwiſchen Griechen und Türken, wie das eben darges 


x 


843 Griechen (Vorbereitung bes Aufſtandes) . 


ſtellte ift, muß endlich den Untergang des einen oder des andern Theits herbeiführen. 
Ein Bolt aber, das Jahrhunderte lang das Feuer der Baterlandeliebe zu bewahren 
wußte, das vor ſich das Beifpiel der Jonier fah und früher felbft von einer europäi« 
ſchen Macht, in der es f. natürlichen Befchüßer erblickte, mehrmals (17169, 1786, 
41806), zur Freiheit gerufen worden war, kämpft entfchloffen den Kampf der Ber: 
zroeiflung durch, ehe die Ießte Wurzel ſ. Daſeins abgehauen werden kann. “Der er: 
neuerte Ausbruch des alten, nie gefchlichteten, nur zu Zeiten unterbrochenen Kam⸗ 
pfes bat im März 1821 begonnen; eine Befchichte deffefben ift noch nicht vorhan⸗ 
den; e8 laffen fich daher bloß einzelne Wendepunkte und Thatſachen hervorheben, 
die den Gang und den Charakter deffelben bis jet beftimmt haben. Die Mittel, 
. endlich frei zu werden, waren feit längerer Zeit von den riechen vorbereitet. Schon 
1809 bildete ſich in Paris eine Verbindung für die Sache Griechenlands; in Wien 
entitand 1814 die Hetairia (f.d.); allein dennoch brach der Kampf für die Be⸗ 
rechnung;zu früh aus. Die Verzweiflung ift blind; der Geiſt muß-ihr den Arm 
führen, und der Charakter die Naturkraft bilden und verdoppeln. Reichthum an 
Geiſt ift vorhanden, aber noch hat fich nicht der Charakter bewährt in der Einheit 
des Semeingeiftes und in der Beharrlichkeit vaterländifcher Siefinnung. “Dies er: 
Eannten fehon vor 50 Jahren unter den Griechen des Archipelagus, in Morea, auf 
den ionifchen Inſeln, in ‘Paris, Odeſſa, Wien, Trieft und Petersburg, mehre geiſt⸗ 
volle und gebildete Männer, welche, nach den Planen eines Panagiotis, Maurokor⸗ 
dato und Demetrius Kantimir, ihr Volk für eine beffere Zufunft erziehen wollten, 
Daffelbe thaten in der neueflen Zeit Muſtoxydy, Gazy, Dukas, Kumas, Bambas, 
Gorgorios, Hkonomos, KRapetanafi und vor Allen der edle Korais (f.d.), der feit 
1805 dahin arbeitete, ſ. bedrängte Nation Durch veredelte Sprache und die Schriften 
der Alten allmälig höher zu heben. Do wollte er durch die von ihm herausgeg. Po⸗ 
litik des Ariftoteles, die nach f. Hoffnung der Befreiung entgegenfehenden Griechen 
über Das belehren, wodurch Gerechtigkeit und Volksglũck beftehen könne. Auch in 
Hellas gefchah viel, um die alte claffifche Sprache und mit ihr die roiffenfchaftliche 
Bildung wieder zu erwecken, vorzüglich auf den Inſeln (f. Hydrioten), mo Hans 
dei und Verkehr mit Frankreich, felbft mit den Verein. Staaten, politifche Ideen und 
Hoffnungen verbreiteten. Die Reichern ließen arme, talentvolle, hellenifche Jüng⸗ 
linge im Auslande fludiren und zu Lehrern fich bilden. Es wurden Schulen, Aka⸗ 
demien und Bibliotheken angelegt, auch uͤberſetzte man die Schriften eines Fenelon, 
Beccaria, Montesquieu und die einiger deutfchen Gelehrten ins Neugriechiſche. 
Krug's philoſophiſches Syftem überfegte Kumas in Smyrna. Es entftanden Schu: 
Ien zu Athen, Salonichi, Janina, Smyrna, Kydonia (Aywali), Buchareft, Faflı, 
zu Kuru: Tfehesme, einem Dorfe auf der europüifchen Küfte des Bosporus, auf 
Chios und a. a. O. 1815 ward die athenienfifche Sefellfehaft der Philomufen ers 
richtet, die 1820 aus 300 Mitgl., meiftens Fremden, beftand , welche junge Grie: 
hen zur Vollendung ihrer Studien nach Deutfchland und Italien ſchickte. Alte 
diefe Schulen und Anftalten, nahme der auf dem Derge 2tbos bat der 
‚Krieg vernichtet. — Um aber die Geſinnung zu beleben und die Einheit vorzubereis 

ten, begeifterte Rhigas (f.d.) die Jugend durch feine Geſange, und die alte Idee 
des Pythagoras von der Freundſchaft erneuerte fich in der Waffenverbrüderung der 
Hellenen, in jener anfangs reinvoiffenfchaftlichen Hetairia, deren Blüthe in der Mols 
dau zerknickt ward. Warum griff ein Finzelner unberufen dem Sange der Zeit vor! 
Durch ihn haben Ströme yon Blut eine herrliche Saat vernichtet. Der Zeitpunft, 
der die Feſſeln gelöft hitte, war nahe. Die Pforte wankte, von Innen und Außen 
tief erſchuͤttert. Mehmed ATi In Agypten übte unabhängige Gewalt; Ati 
Paſcha zu Janina trogte der Macht und der Hinterlift des Divans (f. beide 
Art). Der Plan Als, diefes Juguriha der neuen Zeit, begünfligte den Wunſch 
der Griechen nach Unabhängigkeit, und die klugen Primaten betrachteten den Ty— 


Griechen (Aufftand in der Moldau 184) 848 


rannen von Epirus, der an dem Umſturze des Thrones am Bosporus arbeitete, als 
ein Meittel zur Befreiung von Hellas. Schon hatten die Friegerifchen Serbier 
(1.d.) das Beifpiel gegeben, wie ein gefeglicher Zufland und ein Baterland erkaͤmpft 
werden ann; die Bewohner der Moldau und Walachei hofften von Rußland Schuß 


gegen die Erpreffimgen der Türken; auch fand das ruffifche Cabinet mit der Pforte, 


wegen mehrer Verleßungen der Verträge von Kainardſchi, Jaſſy und Buchareſt feit 
4816 in fruchtlofen Unterhandlungen, die jeden Augenblick einen‘Bruch herbeiführen 
konnten; endlich gab es in Aſien unruhige Pafchen und Grenzſtreitigkeiten mit Ver: 
fien, wo der aͤlteſte Sohn des SchachB, Mohammed Ali Mirza, türkifche Provinzen 
in Anfpruch nahm. So erblickte man das Reich des Halbmondes auf allen Seiten 
. von Feinden umringt. Dazu kam, daß die Pforte neue Bei’s in Griechenland ein⸗ 
feßte; die den alten Druck erneuerten und vervielfachten. Schon entzog die Pforte 
den Hüuptlingen, tvelche ihr gegen Ali Beiftand geleifter hatten, als fie diefelben 
"nicht mehr brauchte, x bisherigen Freiheiten. Schlimmeres noch ſtandnach Ali's 
Untergange bevor. Darum bereitete fich ganz Griechenland zum Aufftande vor. 
Allein die Stunde der That und der Befreiung war noch nicht gefommen; Vieles 
mußte fich entwideln, mehr noch vorbereitet werden; die Hellenenfreunde in Kon: 
flantinopel hatten wenig Mittel, denn die großen griech, Samilien des Fanar waren 
dem Plane fremd. Da flarb der Hospodar der Walachei, Alex. Suzzo, und die 
Paforte ernannte an deffen Stelle (1. Febr. 1821). den Fürften Karl Kallimachi. 
III. Dies gab unerwartet in der Moldau und MWalachei den erſten Anlaß 
zum Ausbruche des Aufftandes der Hellenen.- Die Furcht vor neuen Erpreffungen, 
wie fie bei jeder Thronbefteigung in jenen Fürftenthümern eintreten, brachte in den 
Gemůthern des Volks eine Bewegung hervor, welche den Hetairiften in Petersburg 
die Hoffnung gab, der rechte Augenblick, die Waffen zu ergreifen, ſei gekommen, und 
das ruffifche Sabinet werde fie unterftüßen. Ohne von diefem ‘Plane Etwas zu wif 
fen, im Segentheil den Griechen perfönlich abgenetgt, benußte jene unruhige Volks⸗ 
flimmung ein Walache von dunkler Herkunft, Theod. Wladimiresfo, um mit 60 
Panduren von Buchareft aus, das er am 30. San. verließ, das Land zu durchftreis 
fen und die Bauern aufzuwiegeln, denen er Rußlands Schuß, die Befretung von ber 
Laft ihrer Abgaben und die Herftellung ihrer alten Rechte verfprach. Da auch die 
Arnauten, welche die Bojarenregierumg gegen ihn brauchte, namentlich Kammar Sa: 
wa mit 1000 Mann, auf feine Seite traten, fo fab er fich bald an der Spiße eines . 
Haufens von 5000 M: und war Herr der Eleinen Walachei. Jetzt erhoben ſich die 
Griechen in der Moldau, unter dem Fürften Alex. Ypſilantis, k. ruſſ. Gene⸗ 
ralmajor (ſ. d.). Dieſer Aufſtand hing mit der Hetairia zuſammen und war vor⸗ 
bereitet durch ſehr einflußreiche und vermoͤgende Maͤnner. Vielleicht wollte man 
dadurch, was in dem eigentlichen Griechenland und ſelbſt in Konſtantinopel geſche⸗ 
ben follte, unterftüßen, oder den mwahrfcheinfichen Bruch zwifchen der Pforte und 
Ausland befchleunigen; denn das Nationalintereffe der in Rußland angeftedelten 
Hellenen fchien einen Stützpunkt zu haben in der ruſſiſch⸗griech. Kirche und in dem 
alten fogenannten griech, Projecte Katharinas H, Ein Aufruf vom 7. Maͤrz 1821 
(23. Febr. a. St.), den Aler. Ypfilantis, unter den Augen des Hospodars Mich. 
Suszo, in Jaſſy anfchlagen ließ, verfündigte: Alle Griechen Haben heute das tür: 
Eifche och abgeworfen; ich trete mit meinen Landsleuten an eure Spiße; der Fürfl 
Mich. Sugo will euer Gluͤck; befürchtet nichts von den Türken, denn eine große 
Macht ift gerüftet, um ihren übermuth zu züchtigen. Mit Ppflfantis waren mehre 
Officiere und Netairiften aus Beffarabien und Jaſſy gefommen. Allgemein war 
die Begeiſterung der Grlechen; Doch that Ppfilantig jeder Ausfchweifung Einhalt. 
Nur in Galacz hatte am Tage vorher ein Türke einen Auflauf veranlagt, in wel⸗ 
chem einige hundert Türken niedergebauen und türfifche mit Kriegsgeraͤth beladene 
Schiffe weggenommen wurden; darauf ermordete der moldauifche —* in Jaſſy 


— 


844 Griechen (Aufſtand in der Moldau 1821) 


30 gefangene Türfen. In Rußland, Polen und Deutſchland fand Ypſilantis s ver: 
wegenes und pflichtwidriges Unternehmen, das die Sache ſelbſt in Gefoͤhr brachte, 
um des Zweckes willen ziemlich allgemeinen Beifall, aber auch gerechten Tadel, weil 
er, im ruſſiſchen Heere angeſtellt, einen ſtrafbaren Schritt eigenmaͤchtig gethan hatte, 
der nicht nur das ruſſiſche Cabinet in Verlegenheit brachte, fondern auch mehre ruf: 
fiſche Of iciere, meiftens Hellenen, in fein Schickſal hineinzog. Unter diefen befan⸗ 
den fich ſ. Brüder und der Fürft Alerander Kantakuzeno. Zwar fandte Vpfilantis 


einen Bericht an den Kaifer Alexander nach Laibach und bat ihn um f. Schvg für 


die griechifche Sache und für die beiden Sürftenthümer; allein zu derfelben Zeit war 
die Diilitairinfurrection in Piemont ausgebrochen, und es bildete fich die Überzeu: 
‚gung , daß der Seift des Aufruhrs und der politifchen Schmärmerei von Spanien 
and Italien aug die Griechen angeftedt habe, Ppfilantie’s Schritt ward von dem 
ruffifchen Kaiſer öffentlich verworfen; er felbft aber aus der Armee und aus der 
Heide von Rußlands Unterthanen geflogen; zugleich erflärten der ruſſiſche Sefandte 
und der öftreich. Internuntius in Konſtantinopel, daß ihre Monarchen auf Feine Art 


die innern Unruhen in den türfifchen Provinzen begünftigen, fondern die ſtrengſte 


Neutralität beobachten würden. Deffen ungeachtet blieb die ‘forte, welche in 
Konftantinopel fribft, auf die Anzeige eines Engländers, Spuren der bellenifchen 
Verſchwoͤrung entdeckt zu haben glaubte, argwoͤhniſch, und die yon ihr verordnete, 
vertragswidrige Durchfuchung derruffifchen Schiffe, wodurch der Handel von Odeſſa 
litt, veranlaßte einen ernftdaften Notenwechſel zroifchen dem ruffifchen Sefandten, 
Baron von Ötroganoff, und dem Reis Effendi. Gegen alle Griechen wurden die 
ftrengften Maßregeln genommen; man unterdrüdte ihre Lehranftalten und nahm 
ihnen die Waffen; ohne Proce ward jeder Verdacht ein Todesurtheil, denn unter 
vielen Hingerichteten mußte die Rache doch einige Schuldige treffen; die Flucht der 
Einzelnen aber machte Alle ftrafbar; das Flüchten der Griechen ward bei, Todes: 


ſtrafe verboten; man ſprach felbft im Divan von gaͤnzlicher Vertilgung des griech. 


Namens; türfifche Truppen rüdten-in die Fürſtenthümer; der Hospodar Dich. 
Suzo ward geächtet; die Patriarchen von Konftantinopel und Jeruſalem thaten 
‚alle Aufrührer in den Bann (21. Marz, ſ. Gregorius), und ein Hatti⸗Scheriff 
vom 31. März foderte die Mufelmanner auf, fich für den Islam gegen die Nebel: 
‚Ten zu bewaffnen. Nun mar eine Zeit lang fein Grieche auf den Straßen von Kon⸗ 
ftantinopel f. Lebens ſicher; Weiber und Kinder wurden ins Meer geworfen; die 
edelften Jungfrauen öffentlich gefchändet und ermordet oder verfauft, der Pobel 
brach in die Wohnung des ruffifchen Geſandtſchaftsraths Fonton ein, und im Se 
rail ward der Fürft Moruſi, als-er nichts ahnend den Divan verließ, ohne Urtheil 
enthauptet. Seit der Ankunft des neuen Großveziers Benderli Alt Paſcha (er: 


nannt den 10. April), der aus Afıen ein zuchtlofes Heer an den Bosporus führte, 


war der graufamfte Fanatismus an der Tagesordnung. Zwar endigte der blutige 
Kampf — jedoch nicht die Verheerung des Kandes — in der Walachei und Meldau 
durch Verrath, Zwieſpalt und Feigheit der Panduren und Arnauten, mit dem Uns 
tergange der tapfern heiligen Schar der Hetairiften in dem Treffen bei Dragafchan 
(19, Juni 1821) und mit Jordaki's Heldentod im Klofter Seck (f.Dpfilantis); 


allein im eigentlichen Sriechenland vermochte keine Maßregel des Schreckenſyſtems 


das auflodernde Feuer zu erfliden, Die Beiis von Morea luden binterliftig alle 
Bifchöfe und die vornehmern riechen (Proödri) nach Tripoligza ein, um daſelbſt 


" über die Rettung des, wie fie fagten, graufam bedrüdten Volks zu berathſchla⸗ 
gen. Mehre gingen in die Falle und wurden bei ihrer Ankunft ins Gefaͤngniß 


geroorfen. Nur Sermanos, Erzbifchof von Patras, erfannte den Betrug und be: 
fprach fich mit den übrigen, wie fie die argliffigen Anfchläge ihrer Unterdrüder hin: 
tertreiben Eonnten. Darauf bemühten fich die Statehalter in Moren, die einzelnen 
Stämme zu entwaffnen; aber zu ſpaͤt: von den Hoͤhen des Taygetos fliegen die 


- 


Griechen Aufftand in Griechenland 1824) -. 845 


Mainotten herab, um Ppfilantie’s Aufruf zu ermwidern, und ganz Griechenland 
durchzudte mit eleftrifcher Gewalt Ber Freiheit Blitzſtrahl. 
„1. Erfier Kampf der Griechen in Moren, Livadien, Afarnanien, 
Atolien, Epirus, auf den Inſeln des Archipelagus und auf Kandia 1821, bis zur 
Errichtung emer Zwifchenverfaffung am 13. Jan. 1822. Der Kufftand nahm f. 
Anfang am 23. Maͤrz 1824 zu Kalavrita, einer Fleinen Stadt in Achaia, wo 80 
Türken gefangen genommen wurden. An demfelben Tage überfiel die türfifche 
Befagung von Patras die fricdlichen Bewohner diefer Stadt. Aber fehnell fam 
Hülfe herbei. Es erhoben ſich die Hauptlinge im alten Lafonien: Kofofotroni, 
ehemals Major in ruffifchen Dienften, und Pet. Mauro Michali, an der Spiße ih: 
rer bewaffneten Scharen. Dann pflanzte der Erzbifchof Germanos das Zeichen 
des Kreuzes auf und verfammelfe unter diefem Banner der Unabhängigkeit die 
° Bauern von Achaia. Zum Theil nur mit Meſſern (Dfehagatans) bewaffnet, ers 
oberten fie ſich Waffen. In Patras und den übrigen Pläßen wichen die Türfen in 
ihre Seftungen zurüd, Schon am 6. April trat ein meffenifcher Senat in Kala⸗ 
mata jufammen, und der Oberanführer Pet. Mauro Michali (Bei von Maina) . 
erließ eine Kundmachung, daß der ‘Peloponnes das Joch der Osmanen abrverfe, um 
den Sfauben zu retten und das alte Vaterland wiederherquftellen. „Bon Europa 
verlange man nichts als Waffen, Geld u. Rath.“ Seitdem fand die griech. Sache 
in Deutfehland, in der Schweiz, ın Frankreich, fpäter auch in England, vielfache, 
doch oft nur planlofe und vergebliche Unterſtützung. (S. Sriehen:Hülfsver: 
eine) Kinbildungsfraft und Gefühl führten eine Menge junger Miinner auf 
den Schauplag gräuslvoller Verwirrung. Denn als der wilde Juſſuf Selim Pa⸗ 
ſcha von Lepanto, durch den Gefchäftsträger einer auswärtigen Macht von dem 
orfalle in Patras unterrichtet, berbeieilte, um bie Eitadelle zu entfeßen, ward 
Patras, einer ter. bi’rendften Handelepläge, in einen Schutthaufen verwandelt, und 
die Ermordung der «to. (15..Aprif) gab das-Zeichen zum Kampfe der Verzweif⸗ 
fung und Rache auf Tod ınd eben. Seitdem galt Feine Ordnung mehr und kein 
Volkerrecht. Bald derauf berhächtigte fich der Mönch Gregoras an der Spiße ei: 
neg begeifterten Haufens der. Stadt Korinth, Sofort ergriff der allgemeine Brand 
Attika, Böotien, Moe, Atolien und Akarnanien. Die alten Namen Iebten wies 
derſ auf. Gleichzeitig erkfärten fich die Infeln für frei. In den erften Tagen des 
Aprils errichteten die reichen Kaufleute und Schiffseigenthümer, das Fleine, kuͤhne 
Bolt von Seeleuten auf Hydra, Spezzia und Ipſara (f. Hydrioten), 
Lingft durch Bambas“ und andre begeifterte Männer für den Plan gewonnen, eine 
unabhängige Regierung in Hydra. Sie rüfteren ihre Handelsfchiffe zum Kriege 
aus, und bald flaggte auf 180 Bricks, jede mit 10 bis 12 neunpfündigen Kanonen, 
der blaue und rothe Wimpel der Hetairia.“) Frauen traten an die Stelle ihrer 
efallenen Männer; unter ihnen die 40 Jahr alte Heldin von Spezzia, Laskarina 
ublina. Die Hydrioten Ereuzten in den türfifchen Semäffern und fperrten die 
Häfen. Die Inſein Tine und Samos folgten dem Beifpiel; aber ohne Maß und 
Haltung. Der Pöbel ermordete die Türken und veranlaßte dadurch ärgere Grau⸗ 
ſamkeiten gegen die Griechen zu Smyrna, in Kleinafien und auf den noch treu gee 
bliebenen Inſeln. Am böchften ward die Erbitterung gefteigert durch die fanati- 
fhe Verfolgung, welche feit dem Ende des Marz in Konftantinopel und a. a. D. ges 
gen bie Griechen ausgebrochen var. Auf bloßen Verdacht, oft nur um ihres Reiche 


*) Neophvtos Bambas, Lehrer der Phyfit und Mathematit an der Schule zu 
Chios, gab ein Lehrbuch der phllofophifben Moral (Menedig 1818) heraus, das zu 
den [hägbarften Schriften in der neugrich. Literatur gehört. Jetzt iſt er Profeffor an 
der durch Ford Guilford zu Stande gebrachten ionifhen Univerfität auf Korfu. 

**) Nach Pouqueville beftand die Handelsmarine der griechiichen Inſeln and 614 
Sahrzeugen, mit 17,500 Seeleuten und 5878 Kandnen, 


36 Briechen (Mufftand in Griechentand 1821). 


thums fich zu bemächtigen, ließ die Pforte die angefehenften griech. Kaufleute und 
anquiers binrichten, Die Wuth der Mufelmänner rafte am beftigften gegen die 
Geiſtlichen und die Kirchen. In Konftantinopel ward (22. April) der Patriarch 
—Gregorius (f. d.) mit f. Bifchöfen ſchmaͤhlich Hingerichtet; in Adrianopel der 
verdienftuolle Patriarch Tyrillus (3. Mai) , der fich in die Einfamfeit zurückgezogen 
hatte, hierauf der dortige Erzbifchof Proifog u. U. m. : Zugleich wurden mehre 
Hundert griech. Kirchen entweiht und niedergeriffen, ohne daß der Divan die Vor: 
flellungen der Sefandten der chriftlichen Mächte berüdfichtigte. Zwar verlor der 
“ wilde Großvezier (1. Mai) f. Stelle und bald darauf das Leben; allein Mahmud 
und. f. Sünftling Halet Effendi bebarrten bei dem angenommenen Bertilgungs- 
ſyſtem. Noch weniger Eonnte der muthige Stroganoff (ſ. d.) mit f. Foderungen 
durchdringen, als der Sroßberr, um f. Günſtling zu retten, der den Janitſcharen 
verhaßt war, weil er neue Einrichtungen im Kriegsiwefen beabfichtigte, 3 Mitglies 
der diefer Truppen in den Divan aufnahm. Vielmehr ward der ruffifche Handel 
auf dem ſchloarzen Meere durch die Sperrung des Bosporus gänzlich gehemmt, und 
Das Ultimatum des Sefandten nicht beantwortet. Baron Stroganoff brach daher 
(18. Juli) alle diplomatifche Verbindung mit dem Reis Effendi ab und fchiffte fich 
(31. Juli) nach Odeffa ein. Er hatte dem Divan erklärt, daß, wenn die Pforte ihr 
Syſtem nicht änderte, Rußland fich genöthigt feheri würde, „ben. Griechen Zuflucht, 
Schuß, und Beiftand zu bewilligen“. Die darauf zu fpät ertheilte fchriftliche Er⸗ 
siderung des Reis Effendi ward nach Petersburg gefchidt; aber erfl nach den wil⸗ 
deften Yusfchreifungen, die der SJanitfcharenpöbel und die Horden aus Aften (z. B. 
am 27. Juni und am 2. Juli) in Konftantingpel verübt hatten, brachten es die 
fremden Sefandten, vorzüglich der britifche, Lord Strangford, dahin, daß der Groß⸗ 
berr die Bewaffnung der Mufelmänner aufhob und durch Strenge die Ordnung 
voiederberftellte. Die Pforte verfprach fogar Amneftie, wenn die Sriechen fich un 
terwürfen; allein wer leiftete Bürgfchaft? Noch immer fielen einzelne Hinrichtun: 
gen vor; der zum Hospodar der Walachei ernannte Fürft Kallimachi ward mit feis 
ner Familie nach Kleinafien verwiefen, wo er bei der Nachricht von der Hinrichtung 
f. Bruders vor Schreden flarb, Cs gab feine alte Familie der Fanarioten mehr 
in Konftantinopel. Durch alles Dies aber wurde das Gefühl der Rache, des Fana⸗ 
‚tismus und der Verzweiflung bei den Griechen zu tief aufgeregt, als daß fie dem 
Worte des Großherrn getraut hätten. Noch lebten die Söhne u. Enkel der 300,000 
Peloponnefier, welche, ungeachtet der von Katharina Al. ihnen ausbedungenen Am: 
neftie, als die Opfer türkifcher Nachfucht gefallen waren. Außerdem beftärfte fie 
in ihrem Widerſtande der Ausbruch des Krieges zwifchen Perfien und der Pforte, 
forie die Hoffnung, daß Rußland endlich doch noch zu dem Echuße der Griechen, 
“den es inden3 lebten Friedensfchlüffen mit der Pforte übernommen batte, die Wafs 
fen ergreifen werde, — Unterdeffen hatte der türfifche Oberfeldherr in Epirug, 
Kurſchid Pafcha, welcher den Rebellen Ali in Janina eingefchloffen bielt, Truppen 
gegen die Sulioten entfandt, forvie nach Morea und Theffalien. Allein die Atolier 
unter Rhangos und die Afarnanier unter den Brüdern Hyskos zwangen die Tür: 
Een, fich in Arta einzufchließen, und bemächtigten ſich Salonas. In Theffalien 
ftellte ſich Odoffeus an die Spige einiger Armatolier, und der Archimandrit Anthy⸗ 
mos Gazis rief die Bauern zu den Waffen, In Euböa (Megroponte) erhob fi 
das gefammte Landvolk und ſchloß die Türfen in den befeſtigten Städten ein. Dieſe 
und andre Bortheile entfchieden jedoch Nichte, weil der Kampf ohne Plan, ohne Reis 
terei und Gefchüß, nur bandenmeife geführt wurde. “Der Pafıha von Salonichi 
befreite den in Lariffa eingefchloffenen Paſcha. Omer Vrione, Kurſchid's Lieus 
tenant, drang in Livadien ein; Athens Bewohner flüchteten auf die Inſeln; die Akro⸗ 
polis eopiett türfifche Beſatzung. Als hierauf die Hellenen aufs Neue ſich der 
. Stade Athen bemäshtigten und die Akropolis durch Hunger zu nehmen hofften, ent⸗ 


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Grriechen Nufftand in Griechenland 1824) - 847 


feßte Omer Vrione diefe Burg (30. Juli 1821), und die Einw. von Athen flüch⸗ 
teten fich wieder nah Salamis. Auf dem achäifchen Meere aber vereitelten grie- 
chifche und andre Seeräuber die Entwürfe der Navarchen (Adiniralität) in Hydra, 
und die europäifchen Mächte mußten Kriegsfchiffe abſchicken, um ihren Handel zu 
befchüßen. Bei der allgemeinen Bermwirrung zeigten jedoch die meifte Ordnung in 
der Verwaltung und größere Planmäßigkeit in der Leitung des Kampfes die gebilde- 
ten und wohlhabenden Bewohner der griech. Inſeln. Ihre Dratrofen waren kuͤh⸗ 
ner und geübter als die tü «ifchen, und ihre leichten Schiffe fehnelle Segler. Als 
aber dag erfte türfifche Geſchwader (19. Mai) aus den Dardanellen lief, verfolgten 
fie daffelbe, jedes Treffen vermeidend, mit ihren Brandern und griffen (8. Juni) ein 
bei Tenedos auf Untiefen gerathenes Linienfchiff fo geſchickt an, daß es der Capitain 
felbft in Brand fteden mußte (nach Boutier gefchah dies durch griechifche Brander), 
worauf das übrige Geſchwader in die Dardanellen zurücdkfegelte. Nunmehr Iande: 
ten die Spfarioten (15. Juni) an der Küfte von Kleinafien und eroberten das alte 
Endonia, die durch Handel blühende und von eignen Dbrigkeiten friedlich verwaltete 
griech; Stadt Aywali; allein die Türken verbrannten bei ihrem Abzuge die Stadt, 
und 36,000 Einw. wanderten aus oder famen um. “Diefe zweckloſe Unternehmu 
reizte die Muſelmaͤnner in Kleinafien und Konftantinopel zu neuer Wuth gegen. die 
Schuldiofen. Auf Kandia würden die Öriechen, welche bisher jede Theilnahme an 
dem Aufftand vermieden hatten, entwaffnet, und ihr Erzbifchof nebſt mehren Prä⸗ 
laten hingerichtet. Nur die Bauern im Bebirge und die tapfern Sphakioten — 
die Bewohner der Eleinen Inſel Sphakia, Kandias Sulioten genannt — lieferten 
die Waffen nicht aus, ſcharten fich zufammen und trieben die Türken in die Städte 
zurück. Seitdem dauerte der Kampf fort, und die Türken, obgleich von Ägypten 
aus durch mehre taufend Mann unterftüßt, Fonnten nicht wieder Meifter des Se: 
Dirgslandes werten. Doch behaupteten fie fich in den Städten. Auf Cypern, wo 
"ebenfalls feine Epur des Aufruhrs fich zeigte, wurden die Griechen im Nov. 1824 
entroaffnet und Bierauf in der Stadt Larnica, nebft ihrem Erzbifchof und andern 
Prälaten, faſt fimmtlich ermorden _ Die Landleute rotteten ſich endlich ihres 
Schußes wegen ..fammen, deßhalb wurden im Aug. 1822 zwei und ſechzig Dör- 
fer in die Afche gelegt. Seitdem herrfchte auf Cypern die Ruhe des Kirchhofs. Ahn⸗ 
liche Graͤuel verübten die türfifchen Truppen zu Scala nuova, auf Rhodus und 
zu Pergamus, nachdem die Hellenen leßtern Ort zwecklos überfallen hatten. Auch 
in Smyrna fielen neue Mordthaten.vor, und erft im Nov. 1821 gelang es den 
europäifchen Sonfuln, den Pafcha zu bewegen, daß-er den Ausfchweifungen der - 
Türken durch firenge Maßregeln Einhalt that. Von der Seit an ift die öffentliche: 
Sicherheit daſelbſt nur felten geflört worden. ”) Dagegen wüthete man in den eu 
ropaiſchen Provinzen des Reichs fortwaͤhrend gegen die Ehriften, indem der Sultan 
den Hatti-Scheriff vom 20. Sept. 1824, der allen Mufelmännern aufs Neue ge: 
bot, fich gegen die Giaurs zu bemaffnen, bloß in Konftantinopel nicht hatte befannt 
ı machen laffen. Dafür rüchte fich hier der Pobel durch Feueranlegen, hefonders 
dann, wenn unglüdliche Nachrichten f. Wurh gegen die Griechen aufreizten. — 
Die große türfifche Flotte unter dem Rapudan Pafcha, Kara Ali, hatte zwar in die: 
fem Feldzuge, Durch aͤgyptiſche, tunefifche und algierifche Kriegefchiffe verflärkt, die 
griech. Flottillen überall verjagt, hierauf ungehindert die türkifchen Feften in Morea 
. mit Truppen, Geſchutz und Lebensmitteln verfehen, dann im Golf von Lepanto 
(2. Oct. 1824) das Städtchen Galaxidi verbrannt und einige griech. Fiſcherbarken 
aus dem Hafen dafelbft mir fich fortgeführt, allein in der Hauptfache nichts aus⸗ 


ih Hier und a, a. O. retteten die Befehlöhaber der franz., dftr. und engl. Kriegs⸗ 
file, fowie die europ. Confuln, unter welchen vorziglich der franz. Generalccnul 
David genannt werden muß, vielen Ungluͤcklichen das Xeben, die außerdem das Opfer 
bed Sanatismus, ſowol der Türken ald der Griechen geworden wären, 


N 


548 Griechen (Aufftand in Griechenland. 1821) 


gerichtet. Raum mar fie (22. Oct. 1821). in die Dardanellen zuruͤckgekehrt, fo ers 
neuerten die griech. Flotten ihr Sperrſyſtem und beberrfchten wie vorher das Agdifche 
Mecr und den Golf von Salonichi. Unterdeffen war Demetrius Ypſilantis mit 
Vollmacht von f. Bruder, nebft dem Fürften Alerander Kantakuzend, über Trieft 
in Hydra angekommen, mo man den Ausgang des Kampfes in der Walachei noch 
"nicht kannte. Demetrius verfprach ruffifchen Beiſtand und Fündigte die Wiederhers 
ftellung des griech. Reiche an. Dennoch ward er erft nach vielen Schwierigkeiten 
(24. Juli 1821) als Archiftrateg des Peloponnes, deu e rchipels und aller befreiten 
Provinzen an die Spige der Hellenen in Moren geftellt,, wo Zwieſpalt unter den 
Kapitanis und Zuchtlofigkeit unter ihren Scharen jeden Fortfchritt der Waffen bie: 
der geh>mint hatten. Bald darauf ergabfich.die erfte türkifche Feftung Monembaſia 
(Napoli di Malvaſia) den 3. Aug. mit Capitulation an den Fürften Kantakuzeno; 
dann auch Navarin (f. d.) an Tipaldo und an Demet. Ypſilantis; allein die plün: 
derungsfüchtigen Moreoten achteten feinen Vertrag noch Kriegsgebrauch. Deme⸗ 
trius wollte deßhalb das Land verlaffen, wenn er nicht volle Gewalt habe, um der 
Zugelloſigkeit Einhalt zu thun. Er erhielt fie. Zugleich vereinigte fich der Senat von 
Kalamata mit dem von Hydra, um einen Congreß von Abgeordneten aus ganz Grie⸗ 
henland in Kalamata zu verfammeln. Während Maurokordato u. A. Dies vorbes 
reiteten, hielt Demetrius den Hauptwaffenplaß der Türken auf Morea, Tripolizza 
(in der Ebene von Mantinea), ing eingefchloffen. Schon wollte die Befagung fich ers 
geben, als die Erfcheinung der türfifchen $lotte in den Gewaͤſſern des Peloponnes 
{hr neuen Muth gab. Umaber auch die Truüppen durch die Furcht vor der Rache der 
Ehriften zum barenädigften Widerſtande zu bervegen, liegen die Befehlshaber unges 
fähr 80 vornehme Griechen und Präfaten, die theils aus eignem Antriebe dahin ge: 
kommen, theils arglog der trügerifchen Einlatung der Bei's gefolgt und in Feſſeln ges 
legt waren, bis auf zwei ermorden. Deſſemmgeachtet bemächtigten fich die Briechen. 
nachdem 2000 Albanefer freien Abzug erhalten, und die Unterhandlungen mit den 
Türken fich zerfe;lagen ‚hatten. der Stadt mit Sturm (5. Dct.); nur der legte Po⸗ 
ſten wurde auf Bedingungen von dem tapfern Kiaja Bei geräumt, allein die Plün: 
derungewuth der Hellenen ließ ſich nicht urüchalten, und 8000 Sduſelmaͤnner vers 
Ioren ihr Leben. In Tripolizga eroberten die Peloponneſier ihr erfteg ſchweres Ge⸗ 
ſchuͤtz, und der Plaß ward der Sitz der hellenifchen Regierung, bis ınan fie nach Ars 
08 verlegte. — Eben fo glüdlich kaͤmpfte Odyſſeus in Theffalien. Er und andre 
Bandenführer (Larınter Perevos) fehlugen am 5. und 6. Sept. bei Thermoppfä ein 
aus Macedonien vorgedrungenes türkifches Keer mit großem Verluſte zurück. Ends 
lich kam Afroforinth (26. Jan. 1822) durch Gapitulation in die Gewalt der Gries 
chen. Dagegen bgmächtigte fich der Pafcha von Salonichi der Halbinfel Kaffandra 
(11. Nov.) mit Sturm, weil die Griechen fich Durch Uneinigfeit gefchwächt hatten. 
. 8000 Hellenen wurden niedergebauen, die Weiber und Kinder in die Sklaverei ge: 
führt, und die wohlangebaute Halbinfel zur Einöde gemacht. Nur die Mönche und 
Einfiedler auf dem Monte Santo (Athoe) fchüßten fich durch eine flarfe Geldbuße, 
und blieben, weil die Türfen diefe Kelfeneinfiedelei als heilig betrachten, im Laufe 
den Krieges verfcehont. Um diefelbe Zeit ſtürmte Kurſchid Paſcha (13. Nov.) Als 
Feſte Laſhariza, und der alte Tyrann von Epirus harrte in f. legten Zufluchtsorte, 
einem Schloſſe in dem See bei Janina, vergebens auf Tntfaß von Seiten der Gries 
chen. Denn diefe, welche in den legten Tagen des Nov. fich der Stadt Arta, aber 
nicht der Citadelle bemächtigt hatten, mußten in der Mitte des Decembers, ale Omer 
Vrione aus Livadien zurüdfehrte, auch Arta wieder räumen, Und zerftreuten fich in 
die Gebirge. Mitten unter diefem regellofen Kampfe bildete fich die innere Verbin: 
dung der einzelnen griech. Regierungen Immer mehr aus. Sie übertrugen gemein: . 
fchaftlich dem Fürften Ypſilantis den Oberbefehl in Morea, dem tapfern Ddyffus 
den in Theffalien, in der Folge auch den in Attica, und dem Fürften Maurokordates . 


Griechen (Kampf derſelben 1822) 849 


den in den albanefifchen Provinzen. Endlich fandten fie den Fürften Kantakuzend 
an den Kaifer Alerander, um feinen Beiftand anzufleben; allein der Fürft erhielt 
nicht die erbetenen ruff. Päffe nach Petersburg. Denn das Syftem der europäifchen 
Mächte war Neutralität und Mißbilligung des griech. Aufftandes und friedliche 
Mermittelung. Ebenfo wenig gelang es den Navarchen von Hydra, den Vicekͤnig 
von Agypten zur Neutralität in dem Geekriege zu bewegen. Dieſer hoffte vielmehr, 
- bei diefer Selegenheit Kreta mit Agypten zu vereinigen. | 

V. Erſter Verſuch eines geordneten bürgerlichen Zuftan- 
Des der Hellenen, 13. Yan. (1. Yan.) 1822 in Epidauros, mährend ber Fortdauer: 
des Kampfes bis zur zweiten Nationalverfammlung in Aftro, 14. Mär} 1823, — 
Nur mit Diühe war es dem edeln Maurofordatos und den Primaten gelungen, dem 
formlofen Ganzen der in dem Kampfe zuchtlofer Volkshaufen und erbitterter Feinde - 
‚nichts weniger als völlig befreiten Länder eine Art von Bundesſtaatsverfaſſung und 
Eentralregierung zu geben. Das weſtliche Feflland von Hellas: Afarnanien, Atos 
lien und Epirus, fandte 30 Abgeordnete nach Miſſolunghi, welche unter.dem Bor: 
ftande des Aler. Maurofordatos (4. Nov. 1824) eine Regierung oder Geruſia von TO 
. Mitgliedern ermählten; das öftliche Feftland: Attika, Böotten, Eubsa, Phokis, 
Lofris, Doris, Ozolaä, Theſſalien und Macedonien, fandte 83 Abgeordnete nach 
Salona, welche unter dem Vorſtande des Theod. Negris am 16. Nov. eine Ne 
gierung, den Areopag von 14 Mitgliedern, einfeßten; der Peloponnes und die Im 
feln Hydra, Ipſara. Spezzia ꝛc. verfammelten zu Argos am 1, Dec. ımter dem 
Morftante 3 Fürften Demetrius 60 Abgeordnete, welche die peloponneflfthe 
Serufia vou 20 Mitgl. erwählten. Diefe 3 bellenifchen Negierungen füllten eine 
bleibende Berfaffung vorbereiten,. welche fich die Nation in.der Folge an der Hand 
ber Erfahrung geben würde. Syn diefer Abficht bildeten 67 Abgeordnete aus allen 
Provinzen Sriechentands zu Epidauros, unter Maurpfordatos’s Vorſtand, am 10. 
San. 1822 die erfte NMationalverfammlung, welche am 13. Jan., dem griech. " 
Meujahrstage, eine Zwifchenverfaffung aufftelltee Sie berubte auf folgenden 
Srundbefimmungen: Einjährige Amtsdauer. aller Provinze, Bezirks⸗ und Ge⸗ 
meindevorſteher; Gefeßgebung durch übereinffimmende Befchlüffe des berathſchla⸗ 
genden und des vollziehenden Raths; Vollziehung ‘der Geſetze durch den Voll: 
ziehungsrath, der die 8 Miinifter ernannte; unabhängige Rechtspflege, melche in 


+ Stufen von den Cantonalgerichten, den Provin;gerichten und dem oberflen Ge: 


richtehofe verwaltet werden follte. Hierauf ernannte der Congreß die 33 Glieder 
des berathfchlagenden und die 5 Stieder des vollziehenden Raths; Maurofordatos 
ward Procdros oder Borfteher, und Theod. Negris Staatsfecretair des Vollziehungs⸗ 
raths; Dpfilantis, der jene Stelle erwartet hatte, erhielt den Borfig in der berath- 
fehfagenden Verſammlung, machte aber von diefer Würde keinen Gebrauch. Ends 
lich erließ wer Congreß zu Epidaurss am 27. Jan. 1822 ein Manifeit, worin 
er- die Bereinigung der Griechen zu einem unabhängigen Yöderativflante aus⸗ 
ſprach. So wurden die erften Keime der bürgerlichen Ordnung gepflanzt, aber . 
fpät die widerfirebenden einzelnen Theile zu einem Ganzen feſt verbunden. Die 
bellenifche Sentralregierung nahm ihren Sitz zu Korinth, fpäterhin wieder in 
Argos. — Die Pforte mußte jetzt ihre Kräfte theilen. Ein Heer ſtand am Euphrat 


und focht unglüdlich in Armenien gegen die Perſer; ein andres ftand an der Donau, 


um das ruffifche Heer in Beffarabien zu beobachten, Al’s Fall erhöhte jedoch den 
. troßigen Muth der Pforte. Daßer Eonnten Englands und Hftreiche Borftellungen 
erft fpät den Divan von des Raifers Alerander Friedensliebe und Maͤßigung übet: 
zeugen. Doch ließ die Pförte aufs Rußlands Verlangen, 1822, einige griech. Kir⸗ 
chen wieder berftellen und einen neuen ‘Patriarchen, Anthymos, Bifchof von Chalce⸗ 
donien, auf die übliche Art mählen; auch behandelte fie denfelben mit Achtung, um 
durch ihn die Griechen zur Annahme der Anmeflie zu bewegen. Aus den Fuͤrſten⸗ 
Gonverfationd:Lericon. Bd. IV, 64 N 


-850 Griechen (Kampf berfelben 1822) . 


thuͤmern sogen im Mai 1822 unter Mord und Plunderung die afiatifchen Horden 
ab; im Juli wurden neue Hospodare: Ghika für die Walachei, Sturdza für Die 
Moldau — Beide aus der Mitte der Bojaren — ernannt, und die Griechen von allen 
Stellen in den Fürftenthümern ausgefchlojfen; allein die neuen Hospodare flanden 
unter türfifchen Serasfiers, und es.Slieben in den Sürftenthümern europüifche Tür: 
fen als Befaßung; doch räumten fie Jaſſy, das fie aber, aufgebracht über diefe An⸗ 
ordnung, am 10. Aug, 1822 in Brand ſteckten und plünderten. — Unterdeffen 
. hatte das J. 1822 in Griechenland wichtige Ereigniffe Berbeigeführt. Beide Theile 
befofgten dies Mal eine Art von Kriegsplan. Dach Ali's Falle beſchloß Kurfchid 
Paſcha in Theffalien Verſtaͤrkungen aus Rumelien an fich zu ziehen, um Livadien 
und Morea zu unterwerfen, während im Febr. und Maͤrz 1822 eine tärkifche Flotte 
unter Halt Bei die Feſtungen in Morea mit Truppen verftärfen follte, damit Fuf: 
fuf Pafcha von Patras und Lepanto aus Kurſchid's Angriff auf den Iſthmus und 
das Eindringen in Morea unterflüßen könnte, Allein der Verſuch der türkifchen 
Flotte, Morea durch frifche Truppen zu unterjochen, fcheiterte gänzlich, und der 
Miderftand der Sulioten hielt den Serasfier in Epirus zurüd; dadurch gewann 
Kolokotroni Zeit, die gelandeten Truppen in Patras einzufchließen und Hülfsfcharen 
nach Afarnanien zu fenden. In derfelben Zeit brach ein neuer Aufftand an verfchie: 
denen Orten aus, der den Streitkräften der Pforte eine andre Richtung gab ynd fie 
vereinzelte. Das Unglüd von Chios rettete das griech. Feflland. Die zahlreiche 
griech. Bevölkerung der blühenden, aber wehrlofen Inſel Ehios (f. Scios) hatte 
bisher jede Auffoderung, an dem Aufftande Theil zu nehmen, abgelehnt; als aber 
am 23; März 1822 eine griech, Flotte von Samos unter Logotheti erſchien, grif: 
fen die.durch unaufhörliche Bedrüdungen gereüten Bauern zu den Waffen. Es 
fielen große Unordnungen vor, und die Türken mußten fich, nachdem fie 80 Seifeln 
aus den vornehmften, friedlich gefinnten Einw. der Stadt ausgeboben, in die Tita⸗ 
delle zurückziehen. Da erfchien die große türkifche Flotte. Um Chios zu züchtigen, 
gab der Kapudan Paſcha f. Feldzugsplan gegen Morea auf und feßte am 11. April, 
nachdem die Chioten die. angebotene Amneftie verreorfen hatten, 15,000 Mann der 
mildeften afiatifehen Truppen ans Land; die Inſulaner wurden gefchlagen, und in 
wenig Tagen war der reiche Sruchtgarten von Chios ein großes Leichenfeld und eine 
fchauderhafte Branbflätte. Kaum vermochten die europäifchen Confuln, beſonders 
der friangöfifche, der entfchloffene Digeon, mit eigner Lebensgefahr, und die Capi⸗ 
taing der europsifchen Schiffe, einige Hundert Unglüdliche zu retten. Ein Theil 
der Samier entfloh aufden Schiffen, die übrigen feßten im Gebirge den. Kampf der 
Verzweiflung fort. Endlich bewirften die vuropäifchen Confuln, mittelft eines Hir⸗ 
tenbri:fs des Erzbifchofs und durch die fchriftliche Verficherung der übrigen Geiſeln, 
daß die Chioten der angebotenen Verzeihurig des Kapudan Pafcha trauen könnten, 
wenn fie die Anftifter und ihre Waffen auslieferten, Die gaͤnzliche Untewerfung der 
2andleute; allein beffenungeachtet hörten Mord, Brand und Pkinderung nicht 
auf. Dach den türkifchen Zollregiftern find bis zum 25. Mat 41,000 Chioten, 
meiftens Frauen und Kinder, ‚in die Sflaverei ausgeführt worden. — Gleiches 
Schickſal follte Ipfara, Tine und Samos treffen. Aber die Ipſarioten, fchon bes 
yeit, ihre Familien nach Moreg zu fchiden, umsingelten von fern die türfifche Flotte 
mit 70 kleinen Schiffen, darunter mehre Branter (Hephäftia genannt), die ebenſo 
finnreich eingerichtet waren, als fie geſchickt und fühn geleitet wurden. 43 Ipſario⸗ 
ten und Hudrioten weihten fich dem Tode, ruderten darauf mit ihren Scampapias 
(eine Art halber Kanonierfchaluppen) mitten durch die feindliche Klotte, die noch auf 


der Rhede von Chios lag, und in der Macht vom 18. um 19, Juni 1822 heftete - 


Eopitain Georg Brander an das große-Admiralfchiff des Kapudan Paſcha und an 
ein andres Linienfchiff. Jers flog mit 2286 M. in die Luft; dieſes rettete ſich. 
Der Kapudan Paſcha ward; tödtlich verwundet, an das Ufer gebracht, wo er ſtarb. 


BGriechen (Kampf derfetben 1822) 8. 


Starres Schrecken befiel die Tuͤrken; aber bald brach hhre Wuth los, und die le 
Spur von Cultur, die bisher noch geſchonten, für die Pforte ſehr einträglichen J 
ſtixdorfer, wurden vertilgt. In Konftantinopel kauften Mufelmänner chioti 
Griechen, bloß um fie nach eigner Luft ermorden zu Eonnen. Die dafelbft mohn! 
ten, an dem Aufftand unfchuldigen chiotifchen Kaufleute, ſowie die aus Chios di 
bin gebrachten Seifeln, murden ohne Proceßform theils heimlich, theils öffent 
Bingerichtet. &o lernten Morea und der Archipel das Loos fennen, das fie ern 
tete. Endlich ſah die Pforte ein, daß fie durch ihr Vertilgungsſyſtem die eig 
Hülfequellen zerſitöre. Denn überall arbeiteten nur die Rajahs für die Türken ı 
entrichteten eine beträchtliche Kopffteuer. Daher mußte auf des Großherrn Ber 
der Pafcha in Smyrna fireng auf Ordnung halten und die riechen befchügen: 
Chios gab der neue Statthalter Juſſuf Bei den auf -die erlaffene Amneftie zur 
kehrenden Chisten ihre Ländereien wieder. In Eypern en lich, 100 die Mordj 

auf griech. Chriiten mit Brand und Plünderung bis Ende 1822 fortdauerte, fchi 
Salih Bei, ein menfchlich gefinnter Dfficier des Pafcha von Aanpten, wenigfi 
ſ. Bezirk vor der Zerftörungsmtth, und 1823 fuchte der neue Statthalter, E 
Mehemet, die Ordnung auf der ganzen Inſel wiederherzuſtellen. Ein anl 
Punkt, wo der Aufſtand des gedrüdten Volks die Feldherrn der Pforte befchäfti 
war Macetonien. Die Ausfchweifungen der afiatifchen Truppen, twelche durch t 
Provinz zogen, um zu Kurſchid's Heere zu flogen, reisten die bisher ruhig gebli 
nen Dorffchaften des Sebirges zum Abfall. Sie befeßten, unter den hellenifchen . 
pitanis Diamantis, Taffos u. A., die Päffe des Olymps und eroberten, 24, U 
"4822, den wichtigen Plag Kara-Veria, das alte Berda. Doch zuletzt fehluc 
der Pafcha von Salonichi, Abbolubut, mit feiner. Reiterei bei Niauſia gänzlich: 
Bauern liefen aus einander, und ein Strich von 150 Dörfern ward wie Thios bef 
delt. 5000 chriftliche Bamilien famen um, und der Pafcha rühmte fi, an ei 
Tage 1500 Weiber und Kinder gemordet zu haben. Selbſt die Pforte mißbill 
dieſes Verfahren, und der Unmenfch follte erdroffelt werden; allein von f. Leibw 
umgeben, war er in dem befefligten Salonichi ficher. (Gleichwol ernannte ihn 
ter die Pforte zum Seraskier von Rumelien, und er 309 von Lariffa im Nov. 1: 
‚mit 15,000 M. bis Zeituni) Während Chios brannte und Macedonien Blur 
bemübte fich die hellenifche Sentralvegierung zu Korinth unter Maurokordatos, 
Vorſtand des Vollziehungsratheg, in Verbindung mit den Provinzialbehörden, 
Verwaltung des Landes durch das Geſetz vom 30. April 1822 (dem erften Je 
der Unabhängigkeit) vorläufig zu organifiren, die Etreitmaffen zu ordnen, eine 
leihe zu eröffnen, den Soldaten Ländereien (durch das Geſetz vom 7. [18.n. € 
Mai 1822) zu verfprechen, und da es außer den Zöllen feine directen Steuern ( 
auf die Erzeugniffe des Bodens eine Adgabe zu legen; allein fie fand faſt übe 
Widerſpruch und Trog, am meiften bei den an alte Unabhängigfeit gewöhnten K 
tanis. Jeder wollte nur für ſ. Rechnung kaͤmpfen und befehlen. So der habfiich 
und ehrgeizige Kolokotroni; ſo der trotzige Odyſſeus“) und der ſtolze Mauro Mid 
ſelbſt Hpfilantis fügte ſich nur ungern im die neue Ordnung. Allen aber war der 
eigennüßige, einfichtevolle Maurokordatos verhaßt, weil er nicht auf dem Kar, 
‚plaße die Würde des Procdros errungen hätte. Negris's Einfluß brachte es jel 
dahin, daß Maurofortatos die oberfte Leitung des Zuges nach Weſihellas ( 
rus) nebft der vollen Civil- und Militeirgewalt erhielt. Der Proẽdros 
num mit 2000 Peloponneflern und dem etwa 300 Manıt ftarfen Philhelle 
corps unter General Normann (f.d.)am 8. Juni zu den albanefifdhen Sch 


*) Odvſſens Tieß fogar einen tapfern Dfficier, den Oberften Haverino Pala 
nnd einen Kapitan Aleris Nuzzo, welche die Regierung an ibn geſandt hatte, 
ihm zu rathen und ihn für einen übereinftinmmenden Kriegsplan zu gewin 
niederhauen. ' 4 

5 * 


- 


852 Griechen (Kampf berfelben. 1822) 
des Chiliarchen Marko Botſaris, um Miſſolunghi, den Waffenplatz von Weſt⸗ 


hellas, zu decken, Suli zu entſetzen und Arta zu nehmen. Sie hatten hier den 
Paſcha von Janina, Omer Vrione, und den von Arta, Ruſchid, zu bekaͤmpfen, 
indem der Oberfeldherr (Seraskier) Kurſchid, der ſchon im Mai die Thermopylen 
vergebens geſtürmt hatte, am 17. uni endlich über Trifalt nach Lariſſa aufge: 
brochen war. In Albanien ward Suli, das Omer Vrione eingefchloffen bielt, 
zwar entfeßt, allein nach dem blutigen Kampfe bei Peta (16. Juli 1822), mo 
Kapiton Gozo verrätherifeh floh, und die Philhellenen, die am Iängfien gegen bie 
Übermacht Stand gehalten, 150 Mann, Kanonen und Gepäd verloren, mußten 
fich Botfaris und Normann ins Gebirge werfen. Vergebens rief Maurokordatos 
alle Mannfchaft zu den Waffen, die übrigen Heerführer unterftüßten ihn nicht; 
Seneral Barnafioti ging zu dem Seinde über, und innerer Zwieſpalt unter den 
Albanefen lähmte die Kraft der Hellenen; der Steinhaufen von Suli ward am 
20. Sept. den Türken übergeben, ein Theil der Sulioten (1800 Männer mit 
Frauen und Kintern) fand in Cephalonia britifchzionifchen Schuß, die librigen 30: 
gen ftolzund frei ins Gebirge, Endlich warfen fih Maurokordatos am 5.Nov. mit 
300 M. und Marko Borfaris mit 22 Sulioten nach Miſſolunghi. „Hier“, fagte 
Maurokordatos, „müffen wir mit Öriechenland fallen”, Omer Brione glaubte nun 
Meifter von Atolien zu fein und drang, nebft Ruſchid, an der Spiße von 11,000 
M. bis Miffolunghi vor. Juſſuf Pafcha fündte Truppen von Patras und Lepanto 
gegen Korinth ab, und Kurſchid, der in Lariſſa frifche Truppen aus Rumelien und 
der Bulgarei an fich gezogen, wollte aus Theffalien Durch Livadien, mo die Hellenen 


"bereits am 19. Juni 1822 die Akropolis nach Amonatlicher Einfchließung durch 


Hunger erobert hatten, gegen den Iſthmus ziehen, und dann mit Juſſuf und Omer 
Vrione vereinigt, den Seuerherd des Aufitandes in Morea erſticken. Schon war f. 
Hauptheer, an 25,000 M. ftarf, meiſtens Reiterei, durch die Thermopylen, welche 
Odyſſeus im Mai und Juni diefes Jahrs fo tapfer vertheidigt hatte, ungehin: 
dert vorgedrungen; es hatte auf f. Zuge durch Livadien, Alles vermüftend, eine Am: 
neftie befanntgemacht, und Korinth, das der Befehlehaber, ein Priefter, Namens 
Achilleug, der fich nachher aus Verzweiflung felbft den Tod gab, feiger Weiſe den 
19. Auli räumte, befegt; als aber Kurfchid felbft durch jene Päffe ziehen wellte, 
ward er 3 Mal von Orgfleue gefehlagen und nach Sariffa zurüdkgetrieben, mo er den 
26. Nov., Eur; vor der Ankunft des Kapidſchi Baſchi ftarb, der fein Todesurtheil 
brachte. Jenes Reiterbeer aber, ohne Fußvolk, Lebensmittel und Futter, fand in 
Moreas Bergfchluchten f. Untergang. Als es gegen Argos zog, von mo bie Central: 
regierung entflob, und 5000 M. von Jufjufs Deere zu demfelben geftoßen waren, 
‚worauf es Verftärfungen nach Napoli di Homania warf, bereinigte die Gefahr alle 
Kapitanis; jegt galt ihr Befehl allein, und ihre That entfchieb. Nikolaus Nikitas, 
der eben Napoli di Romania mir Capitulation zu ‚nehmen gehofft hatte, Mauro 
Michali und Hpfilantis zogen fich, das ebene Land vermüftend, auf die Höhen bei 
Argos; Ppfilantig hielt in der verfallenen Burg von Argos den Fortſchritt des Feins 


des auf; die griech. Flotte vereitelte den.-Entfaß von Nauplia durch die große türkis _ 


ſche Slotte und nahm ein öftreichifches mit Yebensmitteln nach Nauplia beſtimmtes 
Schiff; Odyſſeus bemächtigte fich ter Paͤſſe des Geranion; Kolofotroni aber, der 
von Patras, das er umzingelt hielt, berbeigeeilt war und alle Mannfchaft zu der 
Sahne des Kreuzes gerufen hatte, übernahm den Oberbefehl und befeßte noch in 
den legten Tagen des Juli die Paſſe zroifchen Patras, Argos und Korinth, roodurch 
er den Türfen die Verbindung mit Theffalien und Kurfchid abfehnitt. Darauf 
begann-auf allen Seiten der Eleine Krieg, Tag und Nacht vom 1. bis 8. Aug. Am 
8. erbot ſich der türkiſche Dberfeldherr, Dram Ali (oder Ttſchar Hadſchi Ali Paz 
fon), deffen Truppen nur Pferdefieiſch zur Nahrung hatten, Morea zu räumen; 
allein Kolokotroni verwarf den Antrag. Nun wollte fich der Paſcha nach dem Iſth⸗ 


[4 


. Griechen (Kampf derfeiben 1822) . 8 


mus von Korinth durchſchlagen; aber Nikitas *) flug In dem Paffe von Tr 
durch nächtlichen Liberfall die getrennten Züge der Türken am 9. und 10, At 
ſodaß kainn 2000 M. ohne Gepaͤck und Gefchüg den Iſthmus erreichten, wo 
Ppfilantis vollends zerftreute; einen andern Seertbeil, der gegen Patras floh, 
nichtete Kolokotroni; der letzte flüchtige Heerbaufe ward von den Mainotten 
26. Aug. bei Nauplia gefchlagen. So verfihwanden binnen 4 Wochen Üi 
20,000 Türken von: der griechifchen Erde. Einige Saufen? hielten noch den J 
mus und Akrokorinth befeßt, mußten aber bald die Zandenge räumen und wur! 
als fie fich nach Patras durchfchlagen wollten, von Nikitas in den Engpäffen ı 
gerieben. Nur 500 Türken behaupteten fich bis zum Nov. 1823 in Akrokorn 
Die Sieger und die Moreoten waren nunmehr zu der Einficht gelangt, daß fie ib 
Schuß nicht hinter dem Iſthmus, fondern am Olympos erfampfen müßten, A 
die türkifche Flotte, welche in derſelben Zeit 4 Wochen lang im Golf von Lepa 
gelegen und Miffolunghi ohne Erfolg angegriffen hatte, fegelte, mit der Peft 
ord, d. 1. Sept. wieder ab. Vergebens fuchte fie hierauf die Linie von 57 gri 
Bricks, welche Nauplia einfchloffen, zu durchbrechen, urd vermweilte endlich am © 
gange der Dardanellen bei Tenedos. Hier führten am 10. Nov. ſ7 fühne € 
leute von Per Schar der 40° Ipſarioten, wie Türfen gekleidet, 2 Brander 
vollen Segeln, als ob fie vor den Griechen flöhen,, indem 2 ipfariotifche Sch 
mit blinden Schüffen fie verfolgten, gleichfam um Schuß zu ſuchen, mitten in 
türk. Slotte, und befeftigten einen Brander an dem Admiralfehiff, den andern 
tem 2inienfchiffe des Kapitana: Bei. Bald flanden beide in Flammen; jenes 
tete fich mit genauer Noth; Ddiefes fprang mit 1800 M. in die Luft, der Kapu 
Paſcha, Kara Mehemet, entkam jedoch vorher ans Land; 3 Fregatten fcheiten 
an der Küste von Afien; ein Kriegsſchiff von 36 Kanonen ward erbeutet; &Sd 
den und Sturm zerfireuten einen Theil der ottomanifchen Flotte; von 35 Fahr 
gen flüchteten fich 18 fehr befehadigt in die Dardenellen. Jene 17 Ypfarioten 
ren glücklich nach Ipſara zurückgekehrt, wo Die Ephoren ihren Anführern Konf 
tin Känaris und Georg Mniauly eine Schiffsfrone auffeßten. Die Griechen 
ren wiederum Meiſter der Gewaſſer und erneuierten die Blockade der tuͤrk. Hi 
welche England jegt förmlich anerkannte. Die britifche Regierung fehien nam 
feit Sanning’s Eintritt in das Minifterium ihre Politik in Hinficht Griechenla 
geändert zu haben, und der Oberſtatthalter Maitland auf den ionifchen Inſeln 
° fuhr nun minder feindfelig gegen die Hellenen, Selbft Offreih und Frankr 
welche früher die neutralen Schiffe gegen die „roillfürliche und ungefegliche Mia 
gel des Btodadeflandes” unter den Schuß ihrer Kriegsfchiffe geftellt hatten, fchie 
nun ebenfalls das griech. Blockaderecht anzuerfennen. Endlich wandte fich auc 
Epirus der Sieg wieder auf die Seite der Öriechen , vorzüglich als bier mehre a 
nefifche Stämme von der "Pforte abgefallen waren. Griechiſche Schiffe befre 
Miffelunghi von der Seeſcite (20. Nov.) Die Sulioten behaupteten fich in 
Berofchluchten der. Chimära, umd die überreſte des Heeres von Maurokordato 
der Küſte des Golfs von Lepanto. Omer's Amneftie:Erkiärung fand bei den 
birgsbemohnern fein Vertrauen; hatte er doch felbft zwei ſ frühern Gebieter ve 
then! Sein Zug gegen Ätolien verunglädte gänzlich. Denn überall, wof.@ 
ren durchzogen, verbraunten die Bauern ihre Dörfer, fammelten fich bandenr 
im Sebirge und feßten den kleinen Krieg fort. **) Bet Miſſolunghi endlich, %x 
mehrmals, feit d. 7. Nov. 1822 bis zum Sturme am 6. Jan. 1823, angegri 


*) Nilitas erhielt daher von den Griechen ben Beinamen Turkophagos, 


kenfrefſer. 

**) uUeberhaupt darf man bei dieſem Kriege an regelmäßige Schlachten 
denfen. Es gibt nur Poftengefehte, Scharmügel, Ueberfälle u. f. m. Auß 
dentlich ift die Geſchwindigkeit der Griechen im Laufen; fie überholen darin 
ſchnellſten Weiter. od 


884 Griechen (Kanpf derselben 1328) 


ward Omer Briöne von Maurofordatos und Marko Borfaris mit großem Ver⸗ 
luſte zuruͤckgeſchlagen; er mußte die Belagerung aufheben, verlor ſ. Geſchütz und 
309 fich nach Vonizza zurüd, Die wichtigfle Folge des verunglüdten türfifchen 
——— wor der Fall von Napoli Bi Romania (ſ. d). Freiwillige erſtiegen 
am Tage des h. Andreas, des Schußheiligen von Morea (30. Nov. a. St., 12. 
Dec.) die Feſte Palamidi; dadurch kam auch die Stadt in die Gewalt der Griechen, 
welche die Sapitulation genau erfüllten und die türfifche Beſatzung nach Scala 
nuova bringen liegen, Schon follte der Ditz der Regierung in diefes Bollwerk der 
‚ Unabhängigkeit des Peloponnes verlegt werden, als der alte Zwift unter den Ka: 
pitanis wieder ausbrach, und Kolofotroni der Abficht, unter türk. Schuße fich 
zum Fürften von Morea zu erheben, verdächtig wurde, — Unterdeffen wor Kon: 
ftantin.pel der. Schauplaß des Sanitkharenaufzubrs. Der unglückliche Feldzug in 
Moren, die Unfälle in Afien, der Mangel in der Hauptftadt, verurfacht Durch die 
von den Sriechen gehemmte Zufuhr, die firengen Befehle des Großherrn, welche 
den Luxus in Kleidung und Schmud unterfagten und die Ablieferung des Goldes 
und ©ilbers in die Münze anordneten, die Herabfeßung des innern. Münzwerths 
und die Stodung des Handels erregten allgemeine Unzufriedenheit, Halet Effendi, 
der treue Jugendfreund des Großherrn — verhaßt durch ſ. Plane, den Troß der 
Janitſcharen, die nach Morea zu marfchiren fich weigerten, mit Hütfe aſiatiſcher 
Truppen und" europäifcher Kriegszucht zu bändigen, ſowie auch fein Einfluß, der 
die Großen des Reichs von dem Vertrauen des Sultans entfernte — wurde das 
Dpfer der Soldatenwuth. Mahmud ſah fich genöthigt, die Anhänger Halet's, 
den Großveſier Salih-Paſcha, den Muftt und andre hohe Beamte abzufeßen, 
Er hoffte ſ. Freund durch eine ehrenvolle Verbannung nach Aften (10. Nov.) zus 
retten;, allein er mußte das Todesurtheil ihm nachfenden, und Halet's Kopf ward, 
am 4. Dec, 1822, nebft den Koöpfen ſ. Anhänger auf den Thoren des Serails 
ausgeftellt. Der Hatti:Sheriff, welcher den Abdullah: Pafcha, einen Freund der 
Janitſchaͤren, zum Sroßvefier ernannte, flog mit den Worten: „Nimm deine 
Gedanken recht zuſammen, denn Gott weiß, die Gefahr iſt groß!” 
yı. Einführung einer Verfaffung in Sriechenland, und dritter er⸗ 
folglofer Feldzug der Türken gegen die Hellenen 1823. Die Sentralregierung, in 
weicher Maurofordatos und Negris durch richtige Beurtheilung der innern und 
äußern Verhältniffe Griechenlands fich ausz-ichneten, verfolgte jet einen doppelten 
Zweck. Eingedenk der Worte eines griech. Schriftftelfers: „Da alle Staaten 
Griechenlands berrfihen wollten, haben alle die Herrfchaft verloren“, fuchte fie die 
Einheit im Innern zu begründen, worauf zugleich Die Hoffnung beruhte, daß Eu⸗ 
ropa der. Wiederberftellung des Hellenenftaats Bertrauen und Billigung nicht vers 
fagen werde, In diefer Abficht erließ die Regierung zu Korinth ſchon am 15. April 


1822 eine Erklärung an die chriftl. Maͤchte; allein die Verhandlungen über die. 


riech. Angelegenheit in Wien und fpäter in Verona nahmen, als die Pforte, in 
—*— ihrer Erklaͤrungen vom 28. Febr. und vom 18. April 1822, nachzugeben 
ſchien, eine für die Griechen ungünſtige Wendung. Die Fortdauer der Pforte als 
legitime Macht und die Erhaltung des Friedens ließen ſich mit der Anerkennung ei⸗ 
nes unabhängigen Griechenſtaats nicht vereinigen; doch beſchloſſen Die Mächte, den 
Divan zur Sicherftellung der Griechen in bürgerlicher und Eirchlicher Hinficht zu be⸗ 
wegen. Es fonnte daher der Abgeordnete der griecge Regierung, Graf Metara ), 
*) Graf Metara ſchrieb d. 2. Fan. 1823 von Ancona audan den Papft Pius VIE, 
welchem er die Lage der Griechen fchilderte, ihn um fein Fuͤrwort in Verona bat, 
und zugleich erklärte, daß bie Griechen ihre Rechte der Prüfung ded Congreſſes 
unterwerfen und von einer chrifklichen Dynaſtie unter weifen und dauerhaften Geſetzen 
beherr ſcht zu werden einwilligten, nie aber mit der Pforte in irgend eine Verbindung 
wied.r treten würden. Daſſelbe erklärte die Diegierung zu Argos in einer an den 
Congreß gerichteten Schrift vom 29. Aug. 1833, Die Cireulardepefche von Verona 


® . 


Griechen (Rampf derfelben 1828) 85 


der nur bis Roveredo kam, auf dem in Verona verfammelten Songreffe um fo weni⸗ 
ger Sehöz finden, da der innere Zwieſpalt der Griechen die Aufldfung des jungen 
Freiflnntes erwarten ließ. Kolokotroni verweigerte. nämlich der Regierung den Einzug 
in Napoli di Romania uni befprach fich mit andern herrfchfüchtigen Kapitanis in. 
Tripolizza über eine Theilung Moreas in erbliche Fürftenthümer. Gleichwol gelang 
es der heflenifchen Regierung, die Gefahr eines Bürgerkriegs abzumenden und eine 
zweite Volksverſammiung im San. 1823 nach Aftro zu berufen. Yu Ernennung 
. der Abgeortineten des Volks waren bereits 2 Wahlftufen, die der Seronten oder Al: 
teften, Einen auf 10—50 Familien, und die der Senatoren, nach Eparchien, durch 
"die Wahlgeſetze vom 21. Nov. u.3. Dec. 1822, eingeführt worden. Die MWieders 
herftellung der Eintracht bewirkte vorzuͤglich Maurokordatos, ats die Etklaͤrung aus 
Verona durch die engl. Sefandtfchaft in Konftantinopel befannt wurde: Die Ortes 
chen hätten fich ihrem rechtmäßigen Herrn, dem Sultan, zu unterwerfen. Zugleich 
erhielt man Nachricht von den Rüftungen der Pforte, um Morea zu Waſſer u. zu and 
anzugreifen. Nun fanden fich immer mehr Abgeordnete in Aftro ein; felbft Odyſſeus 
‚und andre Kapitanis zogen mit ihren Scharen von Tripolizza dahin, fodaß die Na⸗ 
tionalverfammlung von 100 Abgeordneten in dem Dorfe Aftro am 14. März eroͤff⸗ 
net werden Eonnte. Sie wählte den Mauro Michali zam erſten Vorftande, und den 
Theodor Negris zum Kanzler, Huch Kolokotroni unterroarffich den Befchlüffen der 
Verſammlung. Darauf ernannte fie die Mitgl. des gefeßg. und die des vollzieh. 
Raths. Dorftand des erftern wurde der Hydriote Kondorioti, des legtern Petro 
Mauro Michali, Bei von Maina. Beide befihloffen 40—50 Dill, Piafter erheben 
zu laffen, um damit 50,000 M. und 100 größere Kriegsfchiffe auszurüften, Übri⸗ 
gens wurden die Grundfaͤtze der organifchen Befchläffe yon Epidauros mit unweſent⸗ 
lichen Abänderungen für ganz Griechenland angenommen, und flatt der Provinzial 


= regierungen Praͤfecte (Eparchen) eingeführt. Sodann wurde dasfrang. Heergeſetzbuch 


Mit den nöthigen Abünderungen angenommen, und die Abfaffung eines Strafgefeßs 
buche befihloffen. Hierauf machte die Verfammlung das neue Berfaffungsgefeß 
von Aftro den 28. April 1823 bekannt, und ging aus einander, nachdem die von ihr 
errichtete Itationalregierung am 20, April ihren Sitz zu Tripoligza genommen —— 
So war die Ordnung hergeſtellt, allein die Eintracht der verſchiedenen Volkshup⸗ 
ter bei weitem nuch nicht befeftigt, Daher auch die oberiten Vorſteher der beiden Käthe 


. und die Minifter öfters wechfelten. Maurokordatos wurde Präfident, und Rolofos 


troni Dicepräfident, Demetrius Ppfilantis aber als untauglich von den Sefchäften 
entfernt; endlich erhielt der Staatsfecretair Negris f. Entlaffung. Nur darin blie⸗ 
ben die Hellenen einig, daß fie die Amneſtie der Pforte und die durch brit. Unterhaͤnd⸗ 
ler angebotene Art von Unabhängigkeit, wie fie die Moldau u. Walachei gendffen, 
verwarfen. Die brit. Politik ließ jeßt wenigftens eine mittelbare Unterſtützung der 
Sriechen von Malta u. den ionifchen Inſeln aus zu. Auch das franz Cabinet legte 
der Theilnahme der Franzofen an der griech. Sache Fein Hindernig in den Weg. 
Früher als Rußland wollte jedoch Feine Macht fich über diefe Angelegenheit erfläs 
ren. Kaifer Alerander hatte die unmittelbare diplomatiſche Verbindung mit der 
Pforte abgebrochen. Er beftand auf der gänzlichen Kaumung der Moldau u. Wa: 
lachei von türf. Truppen. ies, ſowie die von der Pforte eingeführte Durchſu⸗ 
hund der europäifihen, nach dem ſchwarzen Meere beilimmten Schiffe, war ter 
Hauptgegenſtand der von Lord Strangford mit dem Divan gepflogenen Unterhand: 
lung. Die einzige Regierung, welche die Griechen beginflääte, war die der Verein. 


‚vom 14. Dec. 4822, enthielt in Beziehung auf Griechenland die Worte: „Les Mo- 
narques, decidis à repausser le principe de la revolte, en quelque lieu et 
sous quelque forme qu’il se monträt, se haterent de le frapper dune egale 

„et unanıme reprobation. — Mais ecoutant en meme tems la voix de leur 
conscience et d’un devoir sacre, ils plaiderent la cause de l'humanité, en 
faveur des victimes d’une entreprise aussi irrefdchie que .coupable”. 


856 Griechen (Rumpf berfelben 1825) \ 


Staaten von Nordamerika. Schon im April 1822 brachte eine amerifanifche 
Fregatte Gefchüß und andre Kriegsbebürfniffe nach Hrdra. Eine formliche Ber: 
bindung mit dem griech, Senate aber ward nicht-abgefchloffen. 

Die Begebenheiten des. J. 1823 find in Hinficht der Pforte und Griechen: 
lands nicht minder verworren und blutig als Die Gefchichte des ganzen dreijährigen 
Kampfes gervefen. Während in Theffalien und Epirus Waffenruhe eintrat, auf 
dem Meere aber die griech. Fiagge (8 blau u. weiße horizontale Streifen) herrfchte, 
brach in der Hauptfladt die Wuth des türfifchen Pobels, der nicht mehr morden 
durfte, in furchtbaren Brandfliftungen aus, Am 1. März 1823 follten Die griech. 
Vorſtaͤdte geplündert und in Afche gelegt roerden; allein der Wind trieb die 
Flarıme gegen die türf. Quartiere; 4 Mal walzte fich das Feuermeer gegen griech. 
Wohnungen, und 4 Mal warf es ein frifcher Nordwind auf die türkifchen zurück. 
Mera war gerettet; aber an 6000 türk, Käufer, ein Theil der Stüdgießerei (Tos 
phana) und ein Theil des Seearfenals lagen in Afche. Da rief der Mufelmanı 
aus: „Gott ift mit den Gjaurs!“ In Folge des Brandes ward der Großveſier 
. Abdullah abgefegt, und ein den Janitſcharen abgeneigter Pafcha, Ali Bei, trat 
an deffen Stelle. Die Janitſcharen ſannen daher auf Rache, und am 13. Juli 
bruch in Konftantinopel ein neues Feuer aus, wo 1500 Privathiufer und 8 türf. 
$regatten verbrannten. - Doch die Ordnung ward durch Strenge bergeftellt; aus 
Aſien trafen günftigere Nachrichten ein, und der Großherr befchloß einen allgemei⸗ 
nen Bertilgungszug gegen die Briechen, weßhalb er alle Moslims von 15 —60 %. 
‚zu den Waffen rief. Dagegen verfuchte in Sriechenland die Regieruug 1823 ihr 
Heer: und Finanzwefen zu bilden. Das aufgelöfte Philhellenenbataillon wurde 
“der Kern des erften griech, Rgiments. Maurofordatos fland an des Spiße der 
Landmacht. Die Kriegsfunft felbft aber mar noch im Zuflande der Kindheit, 
Es fehlte den Hellenen an Reiterei und Artifleriften. Sie kaͤmpften bandenmeife, 
mobei Kühnbeit und fchneller Anlauf die Taktik erfegten. — Der Seeminifter Or⸗ 
landi, ein Hydriote, ordnete die Seemacht, Diefe beftand 1823 aus 403 Fahr: 

zeugen mit Kanonen; das grüßte, Herafles, ein Zweidecker, führte 26. Oberad⸗ 
miral war der reiche Hydriote Miaulis; Viceadmirale: Manuel Tumbafis von 
Hydra, Georg Demitracci von Spezzia, NIE. Apoftolos von Ipſara. Endlich 
ward ein griech. Verdienftorden (hellblaues Kreuz) geftiftet.. Allein die Ausführung 
der Finanzmagregeln fand überall, vorzüglich auf den Inſeln, große Hinderniffe. 
Die Streitigkeiten der hellenifehen Regierung mit den bydriotifchen Navarchen, we⸗ 
gen Soldrüdfländen und wegen der Beute von Nauplia, twelche die Kapitanis mit 
den Hydrioten nicht theilen wollten, waren den entworfenen Unternehmungen zur 
See fehr nachtheilig. Zwar fchlug die griech. Flotte am 22. März 1823 eine 
aͤgyptiſche, nach Kreta (Randia) beftimmte Slottille, allein fie Eonnte die Landung 
türf. Hülfstruppen nicht hindern, und die kühnen Streifzüge der Ipſarioten und 
- Samioten an den Küften Kleinafieng waren für das. Ganze zwecklos. Als endlich 
die Flotte des Kapudan: Pafcha im uni erfehien, wichen ihr die griech. Schiffe 
aus, ſodaß ſie ungehindert die Pläße auf Euboa (Karifto und Negroponte), die in 
Morea (Patras, Koron, Modon), ſowie Lepanto mit Truppen und Rebensmitteln 
verfeben und dafelbft die Unternehmungen der Türfen unterflüßen konnte. — 
Die Landmacht der Griechen war in dem Feldzuge 1823 nach einem auten Plane 
vertheilt. An der Spiße leitete Maurofordatos das Ganze. Er hatte d’e Unterfu: 
chung gegen den bes Verraths angeflagten-Rolofotroni beigelegt und dieſen tapfern 
Feldherrn durch Klugheit geroonnen, indem derfelbe zum Vicepräfitenten gewahlt 
und zun zweiten Heerfirhrer efnannt worden'war. Den Oberbefehl in Weſthellas 
führte der Suliote Marko Borfaris, den in Oſthellas Odyffeus. Als Verbündete 
waren Die Bulioten treu und zuverläffig, weniger die albanefifchen Stämme, wel: 
che durch ihren Ahfall von Omer Brione deffen legte Niederlage verurfacht harten. 


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Griechen (Kampf berfelben 48237. 857 


‚ Diefe Stämme verkauften fich dem Meiftbietenden; fo nahmen einzelne Haufen 
devfelben die Anträge des Paſcha von Skutari an, melcher endlich 1823 gegen die - 
Griechen ins Feld rüdte. Der Aufftand der flreitbaren Bewohner des öftlichen 
Theſſaliens hatte nämlich den Mehemed Paſcha (Als törker), den zweiten Nach: 
folger des Serasfier Kurfch®, der die Trümmer von Kurfchid’s Heer bei Lariffa 
farnmelte, genöthigt, fich aus dem’ füdlichen Theſſalien zuruͤckzuziehen. In f. Ruͤ⸗ 
den waren Salonichi und Seres von dem helleniſchen Unterfeldberrn Diamantis 
bedroht, der fih am 23, Febr. 1823 der Halbinfel Raffandra bemächtigt hatte. _ 
Diefen drängten jedoch bald die aus Rumelien beranziehenden Truppen zurüd, 
Endlich eröffnete das nach Smonatlicher Ruͤſtung unter den Serastier von Rume⸗ 
lien verfammelte, 25,000 M. ſtarke Heer im Juni von Lariffa aus den Feldzug. 
Dorfichtig drang es in 2 Heermaffen. gegen Livadien vor. Aber die Griechen uns 
‚ter Mauro Michali und Maurokordatos blieben dies Mal nicht hinter dem Iſthmus 

ſtehen, fondern nahmen eine Stellung bei Megara, worauf Kolokotroni den Ober: 
befcht über Odyſſeus und Nikitas erhielt, mit deren Scharen das peloponnefifche 
Heer fich bei Platsa vereinigte. Don Hier zogen fie Ende uni dem Feinde entges 
gen. Nach mehren einzelnen Gefechten ſchlug Odyſſeus die eine Heerabthetlung 
der Türfen unter Mehemed Pafcha bei den Thermopylen; darauf vereinigte er fich 
mit dem Heere unter Rolofotroni, der nun das türfifche Lager unter Muſtapha Pa: 

ſcha bei dem St.:Lucas-Rlofter (zroifchen den Städten Theben und Livadia) am. 
Juli angriff, das Odyſſeus und Nikitas nach einem blutigen Kampfe eraberten. 
Die Türken zogen fich mit großem Verluſte zurüd; Odyſſeus erreichte fie am 17. 
Juli in der Ebene von Chäronea und ſchlug fie gänzlich. “Doch der Seraskier fams 
melte neue Streitkräfte und rückte wieder vor, indem gleichzeitig Juſſuf und Omer 
Vrione, von der Flotte des Kapudan Pafcha bei Patras unterftügt, gegen Miſſo⸗ 
lunghi, und der Pafcha von Skutari durch Weſthellas über Brachori, Vonizza und 
Salona nach Morea ziehen ſollten. Allein des Seraskiers Angriffe auf Voios und 
die Halbinfel Trikori mißlangen; Juſſuf's Zug ward durch den Abfall von 8000 
Albanefen verzögert, und die Vorhut des Pafcha von &Eutari, der mit 20,000 M., 
zum Theil Albanefen, ſchon die Höhen von Agrapha befegt hatte und Ätolien be: 
droßte, ward mm Lager bei KRarpiniffi, am.20. Aug. 1823, um Mitternacht von 
Marko Botfaris überfallen. Während die theffalifchen und epirotifchen Gebirge: 
Erieger auf den von Botfaris gegebenen Trompetenftoß das Lager von 4 Seiten ber 

.ongriffen, war der kuͤhne Feldherr felbft mit 500 Sulioten bie zum Zelte des Pas 
ſcha eingedrungen, erhielt aber, als er den ‘Pafcha von Delvino gefangen nahm, eine 
tödtliche Wunde, worauf f. Bruder Konftantin den. Sieg vollendete. Die Türken 
verloren alles Geſchütz und Gepaͤck, und fterbend rief Marko *) im Anblide f. Sie 
ges: „Konnte ein Sulioten: Anführer eines ſchönern Todes ſterben?“ — Die Alba: 
nefer des Pafcha zerftreuten fich, und er felbft kehrte nach Skutari zurück, weil die‘ . 
Montenegriner gu Gunſten der Griechen von ihm abgefallen waren. Damals vers 

ließ auch die große türfifche Flotte, von der Peft begleitet, am 30. Aug. den Meers 
bufen von Patras und kehrte in den Archipel zurütt, verfchonte die griech. Ynfeln, 
befreite dag zur See gefperrte Salonichi und fegelte nach einzelnen, zum Theil den: 
Or:erzen nachtheiligen Gefechten, ohne etwas entfchieden zu haben, Ende Det. in 
die Dardanzlien zurüd. Bald darauf gab es aber blutige Händel zwifchen den Hy⸗ 
drioten und Spezzioten über die Theilung der Beute einiger genommenen Schiffe. — 
Wahrend Livadien und Morea bedroht waren, hatten fich die Einw. Athens auf die ' 
zul Salamine begeben; der Unterfeldherr Gura behauptete jedoch die Akropolis, . 

ie Glieder der Regierung nebft dem beratbfchlagenten Rathe nahmen ebenfalls 
*) Marko Botfarie, ein Suliste, diente unter franz. Fahnen, kehrte 1820 nach 


Epirus zuruͤck, wo ihm Ali Paſcha Suli wiedergab, daͤmit er ihm gegen die Pforte 
Beiſtand leitete. ' — 


nr: 


- 858 Griechen (Rampf berfelben 1323) 


auf Salamine ihren Sig, von wo aus beide im Nov. 1823 fich wieder nach Argos 
und Nauplia begaben. Maurofordatos führte im Nov, eine Abtheilung der Flotte 
von Hydra nach dem Golf von, Lepanto, wo er die Barbareskenflotte, welche Miſſo⸗ 


im Nov, d. J. mit Sapitulation genommen, und der leßte vom Paſcha Muſtapha 
unterfhigte Angriff des Juſſuf Pafcha auf Anatoliko und Miſſolunghi, wo Andreas 
Metaxa Befehlshaber war, durch die Niederlage jenes Paſcha im Nov. 1823 günz 
lich vereitelt. Muſtapha Pafcha zog fich nach Janina zuruͤck. Der Feldzug war 
geendigt, doch dauerte der Eleine Krieg in Theffalten und Epirus fort, und griech. 
Schiffe drangen bis in den Wolf von Smyrna. Indeß fanden der ‘Pforte,- uns 
geachtet der Erfehöpfung ihrer Seldquellen, für den Feldzug 1824 größere Streits 
mittel zu Gebote als den Sriechen. Denn nach dem mit Perfien am 283. Juli 
1823 gefchloffenen Frieden und nach der —— Unterwerfung des rebelliſchen 
Paſcha von St.⸗Jean d'Acre, Eonnte fie ihre Truppen aus Aſien, ſowie nach erfolg: 
ter Räumung der Moldau und Walachei, auch die von der Donau gegen die Grie⸗ 
chen ins Feld ſchicken. In Konftantinopel hatte endlich der Einfluß des Janitſcha⸗ 
renpöbels auf die Befchlüffe des Divans aufgehört. Durch Galib Paſcha's Ernen: 


nung zum Öroßvefier (dem 5. feit 1821) und Sadik's zum Reis Effendi im Dec. 


4823, fiegte die gemäßigte Partei. Dagegen nahm bei den Öriechen der innere 


lungbi fperrte, zur Flucht Rgte. Die Fefte von Korinth ward von den Hellenen 


Zwieſpalt immer mehr zu. Der Fall von Ipſara, die Eroberung Moreas, bis auf 


Nauplia, durch Ibrahim Pafcha, Sohn des Vicekönigs von Agypten, der glorteiche 
Untergang von Miffolungbi(f. d.), die (bis zum April 1827) vergeblichen An: 
ſtrengungen, Athen zu entfegen und den tuürkiſchen Serasfier Reſchid Pafcha aus 
Livadien zu vertreiben, die traurige Zerfplitterung der griechifchen Seemacht in 
wilde Seeraͤuberei: Alles fchien den nahen Untergang Griechenlands anzufündigen, 
Allein eine wunderbare Lebenskraft hob das intereffante Volk der Mellenen wieder 
empor: Miffolunghis Heldenkampf regte die Theilnahme Europas tief auf. Dies 
ſes war feitdem thätiger als je. Endlich vereinigren fich’(A. April 1826) Rußland 
und England, hierauf mit beiden auch Frankreich (London den’ 6, Juli 1827) über 
bie griech. Sache, und verlangten von der Pforte die Anerkennung eineg gefeglich 
freien und felbftändigen Griechenlands, Die Entfcheidung des Sjührigen Nampfes 
kann nicht fehr entfernt mehr fein. Wir erzählen die einzelnen Erergniffe des zwei: 
ten Hauptabfchnitts der Sefehichte des Nellenentampfs von 1824 — 29 in dem 
Art. Türkei und Griechenland.) u 


*) Zur Geſchichte des Hellenenfampfs enthalten Beiträge: Raffenel's (Herausg. bes 
„‚Spectateur oriental’ zu Smprna, den nad ihm Tricorni fortiegte) „Historie des 
evenemens de la Grece’ (Paris 1822), vgl. die Berichtungen im „Lit. Conv.⸗ 
BL. (März 13823); — „Considerations sur la guerre actuelle entre les Grecs 
et les Turcs, par un Gree“ (Paris 1821); Dberft Voutier, der 1821 u. 1822 in 
Griechenland mitfocht, gab in Paris 1923 „Mémoires sur la guorre actuelle des 
Grecs’’ heraus; gratis, „Préois des aperations de la flotte grecque, durant 
la revolution de 1821 et 1822 (Parid 1822) (größtentheild nah dem Seejournal 
des Hpdrioten Jak. Tombafis, der als Beſehlshaber der Flotte in einem Seetreffen 
im März 1822 blieb). Der ſchwed. Artilleriemajor Nils Sr. Askling, der 1322 un: 
ter den griech. Fahnen diente, Befeblshaber in Navarin mar und 1823 nah Stock⸗ 
bolm zuruͤckkehrte, fchrieb einen „Verſuch einer Gefh. der griech. Revolut.“ (Stodh. 
1824). Allgemeinern Inhalte it das ſchaͤtzbare Werk des Prof. Mund: „Die Hee⸗ 
veszuͤge des chriſtl. Eurovas wider Die Osmanen und die Verf. der Griechen zur Frei⸗ 

eit“ (Bafel 1822 fg., 5 Thle). — D. Sieler’d „Anaſtafia“ (a. Ser 1322) war 
iefem Seaenftande gewidmet; fo auch D. Schott's und Mehold's „Tafhenbuch für 
reunde der Beh. des griech. Volks“ (1823 fg.). — Cd. Blaqniere, der an Ort 
und Stelle beobachtete, fihriebs The Greek revolution. its erıgin and progress, 
together with some remarks on the religion eto. in Greece’ (Xond. 1824, mit 
Kpfrn.; deutfch, Weimar 1825). Marime Rapbaud, Stabsofficier im Philhellenens 
corps, gab ,, Memoires sur Ja Grece, p. Servir a l’histoire de la guerre de I'm- 


— 


Griechen ⸗MHuͤlfsvereine 3909. 


Griechen⸗Hülfsvereine (Philhellenen-Vereine). Als 1821 die 
Griechen wider die Pforte aufſtanden, uͤberzeugte ſich bald ſelbſt der ununterrichtete 
Theil ver Volker Europas, daß hier nicht von einem Aufruhr gegen eine rechrmäßige 
Regierung die Rede fei, fondern von Abwerfung eines unerträglichen Joches, das 
die Griechen nie durch einen Vertrag anerkannt hatten. Sogar entfchiedene Anhaͤn⸗ 
ger der unumſchraͤnkten Herrfchergewalt, wie der franz. „Drapeau blanc“, erklärten 
fich laut für die Griechen. Es galt ja hier die Rettung eines Volks! Es galt die 
Rettung unterdrüdter Mitchriften! ‘Dem Prof. Krug in Zeipzig bleibt das’ Ders 
dienſt des erften „Aufrufa an die deutfchen Micbürger zur Bildung von deutfchen 
Hulfsvereinen für Griechenland” (am 1. Aug. 1824). Zwei Tage nach deffen 
Bekanntmachung in Stuttgart Hatten fich dort bereits über hundert Manner zu 
Bildung eines Vereins unterzeichnet; fie wählten am 14. Aug. einen Ausfchuß, 
und den Vrocurator D, Schott (rühmlich befannt als Mitglied der würtemb, Stäns 
deverſammlung) als Borftand. Hierauf trat Prof. Thierfch in München, den 18. 
Aug., mit dem Vorfchlag einer deutfehen Legion für Griechenland auf. Allein die 
Regierungen mißbilligten das Unternehmen; viele unterfagten felbft die Bildung . 
von Hulfsvereinen. Der Verein in Stuttgart blieb daher längere Zeit ber einzige 
in Deutfihland; dies und fein großer Eifer für Griechenland war Urfache, daß er 
als Hauptyerein galt, und dag ihm ber grüßte Theil Deutfchlande die für Griechen⸗ 
- land beftimmten Gelder zur Verwendung anvertraute. Inzwiſchen war feine Wirk⸗ 
famfeit außerer Umftände wegen anfangs Elein, feine Mühe aber verbältnigmäßig 
fehr groß. Es mußten Verbindungen’ mit den Seehäfen angefnüpft, die dringend: 
ften Bedärfniffe der Griechen erft erkundet werden.. Der Bricfivechfel mar erſchwert. 
Mehre Mitglieder des Ausfchuffes mußten neugriechifch lernen. Die nähern ital. 
8 waren für die Zwecke des Vereins geſperrt; man mußte Marſeille und 
Livorno (ſelbſt Rotterdam) waͤhlen. Von Werbung für Grigchenland war in 
Stuttgart nie die Rede gewefen; es meldeten ſich unaufgefodert Hunderte von juns 
gen Mannern als Streiter für Sriechenland und baten um Rath, Empfehlung, 
die meiften auch um Unterftäßung. “Der Werein unterflüßte nach Kräften vorzügs 
lich gewefene Mititairs, Arzte und Wundärzte; viele wurden abgewieſen, unglück⸗ 
liche Griechen aber, welche in ihr Baterland zurückkehren wollten, vorzüglich bedacht, 
Bsares Geld ging aus allen Theilen Deutſchlands, felbft aus Frankreich an die 
Bereinscaffe ein. Hülfreich unterftüßten einzelne Freunde der griech. Sache in ſol⸗ 
chen Drten, wo noch Feine Bereine fich gebildet hatten, die durchreifenden Philhelles 
nen, In Warfeille übernahm für diefen Zweck dag Handelshaus Sievefing Tan⸗ 
don u. Comp, die oft undankbarften Geſchafte ohne Entſchaͤdigung. Den 24, Det. 
1821 ging die 1. Eppedition mit dem Schiffe St.⸗-Lucia, Cap, Verite, ab, und 
fhiffte den 8. Nov. in Ralamata auf Morea 31 Philhellenen, unter Anführung des 
geivefenen würtemb. Hauptm. v. Liefching, bewaffnet und gerüftet aus. ine 2. 
von 35 WM, ging den 14. Jan, 182% von Marfeille dahin ab. Mit dem 3. Schiffe. 
. ging Seneral Graf Normann (f. d,) als Führer von 49 Mann ab; diefe Expe⸗ 


d&pendance 1821 et 4822”, mit topogr. Planen (Paris 1825, 2 Thle.) heraus, 
- Dann erfchien vom Oberiten Leicefter Stanhope: „„Greece , daring Lord Byron's 
residence in that country in 1823 and 1824’ (Paris 1825, 2 bie). — Pou⸗ 
queville’d ,‚Hist. de la regeneration de la Grèce etc.‘ (Gef. non 1740 — 1824) 
m. Charte u. Portr. (Paris 1824, 2. A., 1826, A Thle.) iſt mit Villemain's „‚Laa- 
earia’’ (Paris 1326) zu verbinden. Die Gerechtigkeit der griech, Sache, und warum 
man dieſe nicht mit Empoͤrung gegen die legirime Autorität verwechielm dürfe, zeigt 
aus dem religidsspolit. Geſichtspunkte eine dem Herrn v. Sturdza beigelegte Schrift: 
„La Grece en 1321 et 1322. Correspondance politique, publiee par un Greo’ . 
(Paris 1823, überf. m. Anm. vom Prof, Krug). ler. Sutzo's „Hist. de la revo- 
hation grecque’’ (Paris 1829) geht bie zum Frühjahre 1827. Wollitändiger find: 
zuurdaine „‚Mem. historiques et miliıtaires sur les 'dvenemens de la Grece 
epuis 1821 jusqu'au combat de Navarin’’ (Parid 1838, 2 Bde.). 


% 
- 


.860 Griechen⸗Huͤlfsvereine 
I - \ . 


dition var vor andern gut mit Waffen, Kriegsgeräthe, hirurgifchem Apparat und 
andern Bedürfniffen verfehen. Sie wurde das Stammcorps der Deutfchen in Grie⸗ 
chenland, das durch feine Tapferkeit Dem deutſchen Namen Ehre gemacht hat. In⸗ 
eisen bildeten ſich in der Schweiz 1821 fg. die Vereine von Zürich, Bern, Baſel, 
Au u. ſ. w., in Deutfchland traten, außer den Fleinern Vereinen in mehren wür⸗ 
temb. Städten, die Freunde der Griechen in Darmftadt, Heidelberg, Freiburg u. 
a. D. zufammen. So wurde esmöglich, daß bis 1823 8 Ausrüflungen von. Dlars 
feille und 2 von Livorno mit mehr als 390 M. nach Griechenland abgingen, Die 
meiften diefer Philhellenen erhielten Unterftügung; bedeutende Summen wurden 
nah Marfeille zur Ausruͤſtung der — geſandt. Allein die Bemühungen der 
Vereine hatten.nicht durchaus günftigen Erfolg. ° Bei der Ankunft in Griechen: 
land war Jeder ſich felbft überlaffen; die griech. Regierung konnte nicht alle Offi⸗ 
ciere bei dem Phithellenen: Bataillon in ihrem frühern Grade anftellen, fie follten 
für den Anfang als Gemeine dienen, viele traten deßhalb zurüd, Auch gab es 
Abenteurer, welche, als jeder Unterflüßung unwerth, von den Bereinen abgewie⸗ 
fen, auf eigne Rechnung nach Griechenland gegangen waren, und fremde Spione. 
Durch den Unfug folcher Leute, welche dienftlos im Lande umberzogen, wurden die 
Griechen mißtrauifch gegen die Fremden, und e8 wurde mancher rechtliche Mann 
unverdient fehlecht von ihnen behandelt. Endlich maren aud) die Unmenſchlichkei⸗ 
ten des griechifchen Pöbels gegen gefangene Türken, denen die noch ſchwache Regie⸗ 
rung nicht zu fleuern wußte, Schuld, daß nach und nach 60 Philhellenen bitter ges 
täufcht in ihren Erwartungen zuruͤckkehrten und die fchlimmften Schilderungen von 
Griechenland machten; oft ungerecht, indem fie nothwendige Folgen der Verhält: 
niffe, ohne Weiteres der Nation zur Laft legten. Sogar die Vereine wurden nicht 
gefihont; man N begierig auf, wo fie einen Mißgriff aus Unfunde gemacht hats 
ten. Um die bisherigen Erfahrungen zu nüßen, traten den 15. Sept. 1822 
Freunde der griech. Sache aus Darmfladt, Heidelberg, Zürich, Baſel und Stutt: 
gart in leßterm Orte zufammen. Sie veränftalteten in Marſeille eine größere Ein: 
ſchiffung von 150 M., theils Artilleriſten, Schüßen, Kriegshandiwerker, welche 
zugleich Soldaten waren, theils Dfficiere, welche ſich verbindlich machten, als Se: 
meine zu dienen. Diefe Erpedition erhielt Waffen für mehre 1000 M., Kriegsge: 
räthe und Inſtrumente aller Art, Ärzte, Wundürzte, Feldapotheke und Munition, 
Die Führung war einemAbgeordneten der griech. Regierung, Rephalos, anvertraut, 
und man hoffte Alles vermieden zu haben, was bei den frühern fehlerhaft eingerich: 
tet worden war, Hoffmann (f.d.) aus Darmſladt reifte deßhalb auf eigne Koften 
nah Marfeille, um die Einfchiffung zu leiten, welche am 22. Nov. 1822 erfolgte. 
. Allein Kephalos entfprach den Erwartungen nicht, und f. Unredlichfeit fol Schuld 
feiri, daß diefe Philhellenen, ebenfalls getäufcht , größtenteils zurückgekehrt find. 
Die bis dahin verwendeten Summen betrugen an 36,000 Gldn. freie Beiträge, 
wovon der fluttgarter Verein allein über die Halfte deckte, die andre Hälfte die 
übrigen Vereine Deutfchlands und der Schweiz zuſammen, und mehr als 12,000 
Gldn. Anleihen für Griechenland zum größern &peit aus Bafel, Einiges aus Hei: 
delberg, Darmfladt u. a. D. — Seitdem bat fich die Zahl der Vereine vermehrt, 
In Neuyork ward 1823 ein amerikan. Griechen: Huülfsverein geftiftet. Genf, 
Haag, Hamburg, Stockholm u a. Städte blieben nicht zurüd. 1823 errichtete 
die Societe de la morale chretienne zu Paris einen Nülfsausfchuß, der auch in 
Marfeille einen Verein fliftete, um arme ©riechen in ihr Vaterland zurüdzufchiden. 
1825 entftand in Paris die Societe philanthropiqne en faveur des Grecs, an 
deren Spiße die Herzöge von Choifeul, Fißjames, Datberg, Larochefoucault, Vi⸗ 
comte Chateaubriand, die Herren Lafitte, Ternaux, Andre u. A. ſich befinden. Sie 
fandte am 5. Sept. 1825 die erſte Unterſtũtzung von Marſeille nach Griechenland 
ob, die meiftens aus Artillerieofficieren und Arbeitern beftand und von dem Oberſt⸗ 


[2 , N 


Griechiſches Feuer Griechiſche Kirche 864 


lieut. Maxime Raybaud geführt wurde. Dieſer nahm alles Norhige mit, um in 
Griechenland eine Dtuͤckgießerei und ein Zeughaus zu errichten Miſſolunghüs 
Dertheidigung erregte bier, wie in ganz Deutfchland, die huͤlfreichſte Begeiſterung. 
Die anfehnlichften Beiträge gaben der Herzog von Orleans und Herr Eynard 
(f.2.). Letzterer ift zugleich der thätiafte Vermittler zwiſchen mehren Vereinen und 
den griechifchen Behörden. An Deutfchland bildete fich der dritte öffentliche Verein 
für ungluͤckliche Griechen zu Dresden 1826, Derm in Aller Herzen ertönte der Ruf 
der Dichter: Tiedge, Mid. Müller, Amalie von Helwig. Darauf entfländen in 
Leipzig, Berlin, München u. a. a. O. ähnliche Vereine. In Baiern handelte der 
König „als Menſch und als Chriſt“ für die Unterſtuͤtzung der Griechen, und erlaubte _ 
f. tapfern Kriegern (dem Oberſten v. Hetdegger als Führer), nach Sriechenland zu 
zichen. In England erhob zuerft der Prediger Hughes feine Stimme für die Helle: 
ncı; dann Lord Erskine (f. d.) in feinem Sendfehreiben an 2ord Liverpool. Sans 
ning war flets ein Srrund der Griechen. 1824 bildetefich in London ein Huͤlfsver⸗ 
ein; es kamen Anleihen zu Stande; Dampffchiffe wurden hier wie in Amerifa ge: 
baut; allein Raͤnke, Mifgrauen, nachtbeilige Berichte über die Lage der Griechen ftör- 
ten und hinderten viele Magregeln. Doch ließen fich hochherzige Männer wie Lord . 
Byron (f.d.) Dadurch nicht irren. Insbeſondere war Ver Oberſte Stanhone(f | 
dy fehr thatig, big ihn Englands ſtrenge Neutralität zurüdrief. Unter den tapferften 
Philhellenen muß der Vertheidiger der Akropolis, der fram. Oberſt Favier, vor 
Alten genannt werden. Seit dem April 1827 griffen auch Lord Cochrane (ſ. d.) 
an der Spitze der griech. Seemacht, und Gen. Church, an der Spitze der ‚griech. 
Landmacht, in die Sache der Hellenen fräftig.ein. Andre Philhellenen, Deurfche und 
Schweizer vorzüglich, haben für diefelbe bereits ihr Leben eingeſetzt. Möchte diefer 
Edelmuih die Griechen felkft zum Einmuth.auffodern! Ihren Dank bat wenigſtens 
fon im Juni 4823 der damal. helleniſche Staatskanzler Maurokor datos 
(f.d.) den deutfchen und ſchweizeriſchen Vereinen öffentlich bezeugt. Drei Mitglie 
der des züricher Vereins, oh. Kasp. Orelli, Bremi und Hirzel, erhielten das 
bellenifche Bürgerrecht. Der berner Hälfsverein Löfte fich im Juni 1829 auf. (DR, 
vgl. die gedruckten Berichte der verſchiedenen Bereine) © Ze 
Griechiſches Feuer, mahrfcheinlich ein Gemiſch von Schwefel; Harz 
und Salpeter, vielleicht auch Naphtha, welches der Grieche Kallmikus angegeben 
haben foll, als KRonftantinopel 668 durch die Araber belagert wurde, Man tauchte 
mit Flachs ummımdene Pfeile in dies Gemiſch oder trieb es in Ballen gegen den 
Feind, deffen Werke und Schiffe, um fie in Brand zu ſtecken. Die Wirkung dies 
fes Brandfages war außerordentlich und feheint der. unferes Schießpulvers (vgl. 
d.) allerdings fehr aͤhnlich gervefen zu fein; allein beffimmte Nachrichten darüber feh⸗ 
len. Was gleichzeitige Schriftfteller in Diefer Hinficht anführen und fich aus allen bie 
jegt angeftellten Forſchungen ergibt, macht es wahrfcheinlich, daß Kallinikus die 
Ideen zu f. Angabe bei den Araberır entlehnt habe, und diefe damals fehon Kennt: 
niß von der —A— einer Miſchung hatten, die unſerm ſogen. Brandzeuge glich. 
Griechiſche Kirche, derjenige Theil der Chriſtenheit, welcher in feinen 
Staubenslehren, Gebraͤuchen und firchlichen Einrichtungen der im ehemal. griech. 
Kaiſerthume gegründeten und vom 5. Jahrh. an unter den Patriarchen von Kon: 
fontinopet, Alexandrien, Antiochien und Jeruſalem eigenthümlich ausgebildeten 
nficht und Ausibung des Chriſtenthums folge, Die im $. und 4. Jahrh. durch 
allgemeine Kirchenverfammlungen und fleigigen Verkehr der Gemeinden mit einan- 
der erft mühfam zur Ubereinftimmung gebrachte Chriſtenheit trug gleichwol, wegen 
‚ihrer den ganzen Orient und Occident des römifchen Reichs umfaffenden Ausdeh⸗ 
_ zung umd der Verfchiedenheir der ihr zugehörigen Völter an Sprache, Denkart und 
Sitten, ſchon den Keim einer künftigen Scheidung in ſich. Die Gründung des 
neuen Roms in Ronfiantinopel, die politifche Trenmung des römifchen Kniſerthums 


— 


durch Hartnädigkeit von beiden Seiten und tömifche 
„flürmer unter den Griechen, 7138, und gegen den Patriarchen Photius zu Konflate 


362 0° Griechiſche Kirche  ' 
in das orientalifche oder griethifche und occidentalifche oder lateiniſche, die auf den 
Kirchenverfammlungen zu Ronftantinopel, 881, und zu Chalcedon, 451, durch: 


geſetzte Erhebung des Bifchofs zu Konftantinopel zum zweiten Patriarchen der Chri- 
ſtenheit nach dem römifchen, die Eiferfucht des leßtern gegen die anwachſende Macht 


des erftern, dies Alles waren Umftände, bei denen eg nur der Zweideutigkeit des vom * 


ariech. Kaiſer Zeno 482 gegebenen und den Lateinern wegen des Scheines einer 
Abweichung von den Befchlüffen der chalcedonifchen Kirchenverfammlung anſtößi⸗ 
‚gen Edicts, befannt u. d. N. des Henotifen, bedurfte, um eine ſoͤrmliche Spaltung 
in der chriſtlichen Kirche herbeizuführen. Der Patriarch Felix Ik zu Rom fprach 
tiber die Patriarchen zu Konflantinopel und Alerandrien, welche die vornehmſten 


Werkzeuge des Henotifons gewefen waren, 484 den Bannfluch aus und hob ba: 


burch die Rirchengemeinfchaft fimnitlicher morgenländifchen, diefen Patriarchen an- 
hängenden Gemeinden mit den abendländifchen auf. Zwar vermochte der römit;*e 
Patriarch Hormisbas, ‚bei veränderten Sefinnungen des kaiſerl. Hofes, 519, die 
Miedervereinigung der griechifihen Kirche mit der lateinifchen zu erzwingen; allein 
diefe ohnehin nicht ernftlich"gemeinte und nur loſe angefnüpfte Verbindung wurde 

annflüche gegen die Bilder: 


tinopel, 862, wieder aufgelöft. Die Vermehrung des griech, Kirchengebiets durch 
neubefehrte Völker, z. B. die Bulgaren, erwedte um diefe Zeit die Eiferfucht des 
Papſtes aufs Neue, und er verfuhr um fo übermüthiger gegen die Öriechen, da er 
fich von der Oberherrſchaft der griech. Kaifer losgemacht und an dem neuen frän: 
fifch-römifchen Kaiſerthum einen fichern Schuß gegen fie hatte. Photius dagegen 


‚ machte den Lateinern die Willkür zum Vorwurfe, mit der fie einen fchriftreidrigen 


_ 


Bufaß in das Symbolum vom Ausgange des heiligen Geiſtes eingefchaltetund mans 
chen Gebrauch der alten rechtgläubigen Kirche geändert hätten, z. B. daß fie den 
Prieſtern die Ehe verboten, das Chrisma wiederholten und Sonnabends, als am 
jñdiſchen Sabbath, fafteten; befonders aber beſchwerte er fich mit NRecht.über die 
Anmaßung des Papftes, der ſich zum Oberherrn über die ganze Chriftenheit auf: 
werfen und auch die griech. Patriarchen als feine. Untergebenen behandeln mollte. 
Die zwei Mal vom Papſt errungene Abfeßung diefes Patriarchen ftellte dennoch die 
Kirchengemeinfchaft der Griechen mit den Lateinern nicht völlig wieder ber, und da 
der Eonftantinop. Patriarch Michael Serularius 1054 die Lateiner, außer den von 
Photius gerügten Punkten, auch wegen des Gebrauchs ungefäuerter Brote beim 
Abendmahl, wegen des Genuſſes vom Blute erſtickter Thiere und der Sittenlofigkeit 
der Iatein. Geiftlichkeit überhaupt aufs Neue verketzerte, Papſt Leo IX .ihn Dagegen 
auf die uͤbermuͤthigſte Weiſe ertommmunicirte, fo kam es zu einer völligen Trennung 
der griech. Kirche von ber lateinifchen. Stolz, Nechthaberei und priefterlicher Eis 
gennuß vereitelten feit dieſer Zeit alle Berfuche, welche theils die Papſte, um den 


Drient in ihr Kirchengebiet zu ziehen, theils die von Kreuzfahrern und Mohamme⸗ 


danern gleich bedrängten griech. Kaifer, um fich des Beiftandes abendländifeher Fuͤr⸗ 
ften zu verfichern, zur Vereinigung der getrennten Kirchen machten, Keine von“ 
beiden wollte in den oben berührten flreitigen Punkten der andern nachgeben. Waͤh⸗ 
rend der Katholicismus fich nun unter Öregor VII, und durch die fcholaftifche Phi⸗ 
Iofophie immer volllommener und eigentbünmlicher ausbildete, blieb die griech. Kirche 
bei dem von Johannes dem Dartascener ſchon 780 geortneten Lehrbegriffe und 
ihrer alten Kirchenverfaffung ftehen. Die Eroberung von Konftantinopel dur 
franı. Kreugfahrer und Denetianer 1204, und die harten Bedruͤckungen, welche 
die Griechen von diefen Lateinern und den päpſtl. Legaten erdulden mußten, fonnten 
ihre Erbitterung nur vermehren, und obgleich der griech. Kaifer Michael I1. Palaͤo⸗ 
Iogus, der 1261 Konftantinorel wiedererobert hatte, den Primat des Papftes ı ns 
erfennen wollte und durch feinen Sefandten und einige feiner Ergebenen aus ter 


\ 
| 


keit und dem 


/ 


Griechiſche Kirche | 863 
griech. Geiſtlichkeit bie Sfaubenstrennung auf der Kirchenverfammlung zu Lyon 1274 


abſchwoͤren ließ, auch 12777 zur Befeftigung des Vereins mit den Lateinern eine Syn⸗ 


ode zu Konftantinopel gehalten ward: fo roiderfegte fich doch die Maffe der griech, 
Seiftlichkeit dDiefem Schritte; und ‚da Papft Martin IV. 1281 felbft den Kaifer 
Michael aus politifhen Berveggründen in den Bann gethan, ftellten die 1283 und 


1285 zu Konftantinopel von den griech. Bifchöfen gehaltenen Synoden ihre alte - 


Lehre und die Abfonderung von den Sateinern wieder her. Den legten Verfuch machte 
endlich der von den Türken aufs äußerfte bedrängte griech, Kaifer Johann VII. Pas 
Isologus, nebft f. Patriarchen Joſeph, auf der 1438 erft zu Ferrara und im folgenden 
Jahre zu Florenz unter dem Borfiß des Papſtes Eugen IV. gehaltenen Kirchenver: 
fammlung; allein die dafelbft getroffene Vereinigung hatte eher das Anfeben einer 
Unterwerfung der Griechen unter den röm. Stuhl und wurde von der griech. Geiſtlich⸗ 

Pole durchaus verworfen, fodaß es in der That bei der noch jeßt forts 
währenden Trennung beider Kirchen blieb, Die Einmifehung der griech. Kaifer, 
welche immer das meifte Intereſſe bei diefen ‚Dereinigungsverfüchen gebabt batten,, 
hörte mit dem Sturz ihres Kaiſerthums und der Eroberung von Konftantinopel 
durch die Türken 1453 von felbft auf, und die Bemüdungen der Romifch : Katho⸗ 


 Jifchen, fich die griech. Kirche. zu unterwerfen, Eonnten ſeitdem nur den Erfolg has 


ben, einzelne Sememten in Italien, wehin fich viele riechen vor den Türken 
geflüchtet hatten, in Ungarn, Galizien, - Polen und Lithauen unter die Hoheit des 
Dapftes zu bringen, welche jegt unter dem Namen unirte Griechen befannt find. 


Zum Sebiete der griech. Kirche-gebörten bis in das 7. Jahrh. außer Oftillyrien, dem 


eigentlichen Griechenlande mit Deorea und dem Archipelagus, Kleinafien, Syrien 
mit Palaſtina, Arabien, Aghpten und zahlreiche Gemeinden in Meſopotamien und 
Perſien; allein durch die Eroberungen Mohammed's und f Nachfolger verlor fie 
feit 630 faft alle ihre Provinzen in Afien und Afrika, und felbft in Europa wurde die 
Zahl ihrer Anhänger durch. die Tiyken im 15. Jahrh. beträchtlich vermindert. Auf 


"der andern Seite fielen ihr jedoch mehre ſlawiſche Völkerfchaften und befonders d e 


Ruſſen zu, welche der Großfuͤrſt Wladimir der Heilige 988 zur Annahme bes grie: 
chiſch⸗chriſtlichen Glaubens nöthigte. Diefer Nation verdanft die griech. Kirche 
auch das fumbolifche Buch, weiches nebft den Kanons der erften und zweiten nich= 
nifchen, der erften, zroeiten und dritten £onftantinopolitanifchen, der ephefifchen und 
chalcedoniſchen allgemeinen Stirchenverfammlungen, und der 69% zu Konftantinos 


pel gehaltenen Trullanifchem Synode für die griech. Chriſten allein Autorität in 


Slanbensfachen hat. Nachdem der gelebrte Patriarch Cyrillus Lascaris zu Konſtan⸗ 
tinopel die in f. Slaubensbefenntnig merfbare Annäherung an den Proteftantigmus 
1629 mit dem 2eben gebüßt hatte, wurde 1642 von Pet. Mogilas, Metropoliten 
zu Kiew, eine Darftellung des Glaubens der Ruffen in griech. Sprache abgefapt 


u.d.T.: „Ortbodores Glaubensbekenntniß der kathol. und apoſtol. Kirche Chrifti”, _ 


von fimmtlichen Patriarchen der griech, Kirche, zu denen feit 1589 der fünfte Pas 
triarch zu Moskau Hinzugefoptmen war, 1643 unterzeichnet und beftätigt, 166% 
griech. und latein. mit einer Borrede des Patriarchen Nektarius von Jeruſalem in 
Holland gedrudt, 1696 vom legten ruff. ‘Patriarchen Adrianus zu Mosfau, und 
17722 auf Befehl Peters d. Sr. von der heil. Synode herausgegeben, nachdent es 
vorher 1672 auf einer Synode zu Jeruſalem und 1721 in dem von Theophanes 


Procowicz abgefaßten geiftlichen Reglement Peters d. Gr. für das allgemein gültige 


fombotifche Buch der griech. Kirche erflärt worden war, Diefe Kirche erkennt, wie 
die kathoi., eine doppelte Duelle des Glaubens, Bibel und Tradition, an, unter 
welcher leztern fie folche Lehren verfteht, die die Apoftel bloß mündlich vorgetragen, 
und die gricch. Kirchenväter, befonters Johann von Damask, wie auch die 7 ge 
nannten allgemeinen Kirchenverfommlungen beftätigt haben. Die übrigen noch in 
der römifch:fathol, Kirche gültigen Kirchenverfammlungen erkennt fie nicht an, un: 


4‘ 


864 SGSGriechiſche Kirche 


terfagt es auch den Patriarchen und Synoden, nene Lehrfäge aufpiſtellen; die ihris 
gen gibt fie aber für durchaus gültig * ſo nothwendig er man ſie ohne Der: 
luft der Seligkeit nicht abläugnen fonne. Ganz eigenthümlich ift ihr die Lıhre, daß 


. ber heilige Geiſt nur vom Vater ausgehe, wodurch fie von den Katholiken und Pro 


⸗ 


teſianten, welche uͤbereinſtimmend ein Ausgehen des heil. Geiſtes vom Vater und 
vom Sohne annehmen, abweicht. Sie zählt, wie die Katholiken, 7 Sacramente: 
Taufe, Chrisma, Abendmahl mit vorhergebender Ohrenbeichte, Buße, Priefter: 
thum, Ehe und beiliges OL, bat aber das Eigne, daß fie 4) beider Taufe das drei: 
malige Eintauchen des gangen Körpers ins Waffer, mögen nun Rinder oder Er: 
wachſene getauft werden, zur völligen Reinigung von der Erbfünde für nothiwendig 
hält, und das Chrisma (Firmung) als die Vollendung der Taufe gleich damit ver: 
bindet; 2) beim heil. Abendmahle zwar die Transfubflantiation, auch die kathol. 
Anficht des Meßopfers annimmt, aber Doch vorfchreibt, daß das Brot gefüuert, ber 
Wein nach orientalifher Weiſe mit Waſſer wermifcht, und beide Seflalten Jeder 
mann, auch den Kindern, noch ehe fie.recht wiffen, was Sünde ifl, in dem Maße 
gereicht werden, daß der Communicant das‘ Brot gebrochen in einem mit dem geweih⸗ 
ten Weine gefüllten Löffel erhalt; 3) bei dem Prieſtertbum allen Seiftlichen, ausges 
nommen den Kioftergeiftlichen and der aus ihnen zu mählenden höhern Seiftlichkeit 
bis zum Bifchof herab, die Ehe mit einer Jungfrau gebietet, mit einer. Witwe aber 
ſowie eine zweite Ehe unterfagt, und daher verwitwete Beiftliche ihre Pfarrämter nicht 
beibehalten, fondern in ein Klofter gehen läßt, wo fie Hieromonachi heigen. Nur 
felten verftatten die Bifchöfe einem Witwer, fein Pfarramt beizubehalten, und von 


dem Grundſatze, daß fich für die höhere Geiſtlichkeit die Ehe überhaupt, und für. 


die niedrige wenigſtens die zweite Ehe nicht ſchicke, gibt es feine Ausnahme. Die 
Ehe der Laien haͤlt die griech. Kirche nicht für unaufldslich und verflattet häufig 
Ehefcheidungen, aber mit den verbotenen Graden der Verwandtſchaft, befonders 
der geifllichen Berwandtfchaft zwifchen Pathen und Sevattern, nimmt fie es ebenfo 


genau wie die kathol. Kirche, und erlaubt auch den Laien die vierte Ehe nicht. Won 


diefer letzten Kirche unterfcheidet fie fich auch dadurch, daß fie mit dem heiligen Ole 
nicht nur Sterbende, fondern auch Kranke, überhaupt zur Wiederherſtellung der 
Wefundheit, zur Vergebung der Sünden und zur Heiligung der Seele falben läßt, 
daß fie das Fegfeuer nicht annimmt, auch von Vorberbeftimmung, überverdienftlis 
chen Werken, Indulgenzen und Ablaß (für Lebende) nichts weiß (doch wird den Vers 
florbenen bisweilen, auf Anfuchen und zur Beruhigung ihrer Hinterlaffenen, ein 
baren Ablaß gegeben), und weder den Primat des Papſtes noch irgend einen 


ſichtbaren Stellvertreter Chrifti auf Erden anerkennt. Ferner dulder fie keine ges 


ſchnitzten, ausgehauenen oder gegoffenen Bilder heiliger Perfonen und Segenftünde, 
fondern die Bilder Chrifti, der Fungfrau Maria und der Heiligen, welchen Kirchen 
und Privarhäufern Gegenftände der religiöfen Verehrung fein follen, dürfen nur 
platt gemult und allenfalls mit Edelfteinen kunſtlich ausgelegt fein; in ruffifchen 
Kirchen findet man jedoch plaftifche Kunftwwerfe an Altaͤren. Syn der Anrufung der 
eiligen und befonders der Mutter Gottes find die Griechen ebenfo eifrig mie die 
atholiken, auch Reliquien, Gräber und Kreuze find ihnen heilig, und dem 
en im Namen Jeſu meffen fie eine zauberifche fegensreiche Kraft be. Don den 
ugübungen gilt unter ihnen vornehmlich das Faften, bei dem nur Früchte, Kraͤu⸗ 


- ter, Brot und. Fifche zu effen erlaubt find. Sie faften Mittwochs und Freitags in 


jeder Woche und halten überdies noch 4 große jührl. Faften, nämlich 40 Tage vor 


Oſtern, von Pfingften bis zum Tage Petri und Pauli, Muttergottesfaften vom 


4, bis 15. Aug., Apoftel Philippusfaften vom 15. bis 26. Nov., auße:dem noch 
am Tage der Enthauptung Johannes und Kreuzerhöhung. “Der Vottesdienft 
der griechiſchen Kirche bleibt faft ganz bei äußern Gebraͤuchen ſtehen; Predigten 


und KRätechefen machen. den geringften Theil davon aus, und im 17. SJabrb, unter 


⁊ 


, 


Griechifche Kiche .. 865 


dem Baar Alexei war das Predigen in Rußland fogär fcharf verboten, damit nicht 
neue ehren Dadurch verbreitet roürden. Syn der Türkei predigen meift nur die höhern 
Geiſtlichen, weil diefe allein im Befiß einiger Bildung find, Jede Semeinde hat ihr 
‚ beftimmtes Chor von Sängern, welche Hymnen und Palmen fingen; die Gemein: 
ben fetbft aber fingen nicht, wie bei ung, aus ©efangbüchern, und die Inſtrumental⸗ 
muſik ift ganz vom griech. Gottesdienſt ausgefchloffen. Die Liturgie befteht übris 
ens außer der Meſſe, welche als die Hauptfache betrachtet wird, im DBorlefen von 
Hriftftellen, Sebeten und Heiligenlegenden, und im Herfagen von Glaubensbe⸗ 
Eenntniffen oder Sprüchen, welche der Liturg oder Priefter anfüngt und das Volk im 
Chor fortfegt und beendigt. Die Kloſter folgen mehrentheils der ftrengen Regel des 
heil, Bafılius. Der griech. Abt Heißt Higumenos, die Abtiffin Higumene. Der Abt 
eines griech. Klofters, unter deſſen Aufſicht mehre andre ftehen, heißt Archimandrit 
und hat den Rang gleich nach den Bifchöfen. Die niedere Seiftlichkeit in der griech. 
Kirche befteht übrigeng aus Liturgen, als: Dorlefern, Sängern, Hppodiaconen und 
Diaconen, und aus Prieftern, als: Popen u. Protopopen oder.Erzprieftern, welches 
die erſten Seiftlichen an Haupt: und Kathedralkirchen find. Weiter als zum Proto⸗ 
popen können es Liturgen u. Priefter nicht bringen, denn die Bifchöfe werden aus den 
Kloſtergeiſtlichen gewaͤhlt, und aus den Bifchöfen die Erzbifchöfe, Deetropoliten und 
Patriarchen. In Rußland gibt es 31 bifchöfl. Sprengel; mit welchen die erzbifchöfl. 
Mürde verbunden werden foll, hängt von der Willkür des Kaifers ab. Petersburg 
mit Nowgorod, Kiew mit Saliz, Kafan mit Swijafchf und Tobolsf mit ganz Si⸗ 
birien find die feften Siße der 4 Metropoliten des ruff. Reichs. Die Patriarchen⸗ 
würde von Moskau, weiche der Patriarch Nikon (fl. 1681) angeblich gemißbraucht 
batte, hob Peter der Große auf, indem er unter die nach Adrians Tode 1702 zur 
Wahl eines neuen Patriarchen verfammelten Bifchöfe mit den Worten trat: „ich 
bin euer Patriarch”, und 1721 das ganze Kirchenregiment feines Reichs einem Col: 
legium von Bifchöfen und weltlichen Rüthen unterwarf, welches die heil, Synode, 
erft zu Moskau, jeßt zu Petersburg, iſt. Unter diefer Synode ftrhen jeßt, gußer den ' 
Metropoliten, 11 Erzbifchöfe, 19 Bifchöfe, 12,500 Pfarrkirchen und 425 Klöffer, 
von denen 58 mit Kfofterfchulen zur Bildung der Geiftlichkeit verbunden und zur 
beffern Erreichung diefes Zweckes mit 300,000 Rbl. jahrl. Zufchuffes vom Staate 
unterftüßt find. Die griechifche Kirche unter türfifcher Hoheit ift, fo viel es 
der Drud, unter dem fie Iebt, erlaubt, ganz der Alteften Verfaſſung treu geblieben. 
Me Würden der Patriarchen zu Konſtantinopel, Alerandrien, Antischien und Jeru⸗ 
alem beftehen noch, doch nur der. erfte hat das alte Anſehen der ehemaligen Erz 
ifhöfe von Konſtantinopel, führt als öfumenifcher Patriarch auf der aus den vier 
Patriarchen, einer Anzahl Metropoliten und Bifchofe und 12 vornehmen welt 
lichen Griechen gebildeten heil. Synode zu Konftantinopel den Vorfig, übt durch fie 
im ganzen türkifchen Reiche die obere geil Gerichtsbarkeit über die riechen aus, 
und wird auch von den nicht unirten Griechen in Saltzien, in der Bukowina, in 
Slavonien und den fieben Inſeln als das Oberhaupt der griech. Kirche anerkannt. 
Die übrigen drei Patriarchen haben, da ſich in ihren Sprengeln faft Alles zum Mo⸗ 
hammedanismus befennt, einen ſehr geringen Wirfungstreis (der zu Alerandrien 
hat nur zwei Kirchen gu Kairo unter ſich) und leben daher meift von der Gnade des 
konſtantinopolitaniſchen. Diefer bat beträchtliche Einfünfte, muß aber beinahe die 
Haͤlfte davon als Tribut an den Großherrn abgeben, der die Griechen fehr nieder: 
hält. Sie dürfen keine neuen Kirchen bauen, u die Erfaubniß, alte augzubef: 
fern, theuer bezahlen, dürfen Beine Thuͤrme und Glocken an ihren Kirchen führen, - 
auch die türfifche Kleidung nicht tragen, meift nur bei Nacht den Gottesdienſt hal⸗ 
ten, auf Morea nur des Nachts Meffe lefen, und müffen übrigens nicht nur Weg: 
zölle entrichten, von denen die Türken frei find, fondern auch vom 15. Jahre an 
eine flarfe Kopffteuer u. d. T.: Loskaufung vom Kopfabſchneiden 3 an den Groß⸗ 


Converſations⸗Lexicon. Bd, IV. 


k ⁊ 


866 Griechiſche Kunſt Griechiſche Literatur d. Periode) 


herrn bezahlen, wovon nur das weibliche Geſchlecht frei iſt. Rein Munder, daß 
unter den Griechen in der Türfei eine alte Weiſſagung im Umlauf ift, von Rußland 
werde einft Hülfe und Rettung für fie fommen. Sollte dies je.gefchehen, und der 
Eifer, mit dem die ruffifche Regierung fich der Bolksaufflärung annimmt, anhal⸗ 
tend und mit glüdlichem Erfolg begleitet fein, fo Eönnte die griech. Kirche vielleicht 
auch noch aus den allgemeinen Fortfchritten der Geiftesbildung in Europa, die ihr 
big jegt ziemlich fremd geblieben find, manchen Vortheil ziehen. Aber Iange hat die 
ftarfe Anhänglichkeit diefer Kirche am Alten jedem Berbefferungsverfuch im Wege 
geftanden. Sole Verſuche haben zur Entftehung einiger Sekten in der griech. 
Kirche Anlaß gegeben, welche die duldſame ruffifche Regierung jeßt ungefränft läßt. 


. Schon im 14. Jahr. fonderte fich die Partei der Strigolniken nur aus Haß gegen 


die Seiftlichkeit ab, wurde aber, weil fie fonft nichts Eigenthümliches hatte, bald 
wieder zerftreut. Daffelbe thaten mit mehr Erfolg um 1666 die Roskolniken 
(f.d.), d. h. Abtrünnige. Diefe nach und nach in zroanzig verfchiedene Parteien zer: 
fallene Sekte bildet keineswegs eine gefchloffene Eirchliche Sefellfchaft mit eignen 
Symbolen und Gebräuchen, fondern einzelne von einander unabhängige Gemein: 
den, welche fich durch Beibehaltung der unveränderten flampnifchen Agente und 


. Liturgie und der alten Kreuzbezeichnung von der griech. Mutterkirche unterfcheiden, 


felbftgeweihte Seiftliche haben, und durch frühere Verfolgungen gedrängt, grüßten: 
theils in die öftlichen Provinzen des ruffifchen Reichs gemwichen find. Die einzelnen 
Parteien derfelben halten mehr oder weniger an den, den Roskolniken überhaupt 
zugefchriebenen Eigenheiten, daß fie den Gebrauch des Tabads und der fiarfen Ole: 
tränfe für fündlich erklären, noch firenger als die orthodore Kirche falten, den Eid 
verweigern und aus ähnlichen fehrodrmerifchen Gruͤnden, wie fonft die Wiedertäufer, 
zu Empörungen gegen die Obrigkeit geneigt find. Pugatſcheff, felbft ein Roskolnik, 
fand bei feiner Empörung unter ihnen den meiften Anhang. Jetzt haben fie viel von 
diefen und andern Schwärmereien in Rüdficht der Ehe, der Kleidung, des Pricfter: 
ftandes und Maͤrtyrerthums nachgelaffen und fcheinen fich allmälig wieder unter 
die Orthodoxen zu verlieren. DBertriebene Roskolniken, roelche fich unter Philipp 
Puſtoſwiat in Lithauen und Oftpreußen niederliegen, waren die Dhilipponen 
(f. d.). Weiter vom Slauben der griech. Kirche entfernen fich die Duchoborzy, 


. eine auf den Steppen jenfeits des Don angefiedelte Sekte, die die Dreieinigfets: 


lehre verroirft und nur die Evangelien annimmt, feine Kirchen und 'Priefter hat und 
den Eid wie die Kriegsdienftefür unerlaubt halt. Antitrinitarier ähnlicher Art 1.d 
die unpopifchen Ruffen oder fogenannten ruffifchen Juden in Gouvernement Arch: 
angel und Katharinoslam, von dinen man nur weiß, daß fie weder Chriftum noch 
Lie Heiligen verehren, felbft De Taufe verwerfen und weder Priefter noch Kirchen 
haben, Liber die alten, von der griech. Kirche ausgegangenen, fehismatifchen und 


ketzeriſchen Religionsparteien in Afien und Afrika . Kopten, Habefh, Falko 


a) 


biten, Neftorianer, Maroniten, Armenier. © 9. % Schmitt: 


* „Die morgenländ. griech.:ruff. Kirche” (Mainz 1827). E. 
_ Briechiſche Kunf, f. Baufunft, Bildhauerkunſt, Malerei 


und Mufif, Wir nennen bier nur ein Hauptwerk über das Ganze: Heinr. 
Dieyer’g „Sefch. der bildenden Künfte bei den Griechen” (3 Abth., Dresden 1824). 
(Dgl. d. Art. Griechenland.) ” 

- _ Sriegifgetiteratur. In ein kaum erhellbares Dunkel verlieren ſich 
die Anfünge der griechifchen Literatur, d. $. der Bildung der Griechen durch Werke 
der Sprache und Schrift. Gab es auch in frühern Zeiten Feine eigentliche Literatur 
in Öriechenland, fo'niangelte es doch keineswegs an Anftalten, von denen Das auss 

ing, was man nicht mit Unrecht literariſche Bildung nennen kann, wofern man 

ch nur von dem Vorurtheil entwöhnt hat, daß in gefehriebenen Buchſtaben allein 
das Palladium der Menſchheit beſtehe. Die erfte ‘Periode griech. Bildung, weiche 


Griechiſche Literatur (2. Periode) - 867 


wir bis zum Einfall der Herakliden und Dorier in den Peloponnes, und den dadurch 
bewirften bedeutenden Beränderungen, alfo bis 80 J. nach dem trojanifchen Kriege 
feßen, und mit dem Namen der vorbomerifchen Periode bezeichnen fönnen, ermans 
gelt alfo der Literatur gänzlich; es fragt fich aber, ob auch aller Literarifchen Bils 
dung? Es verräch Unwiſſenheit und Mangel an hiftorifch:literarifchem Sinn, jene 
Frage durchaus verneinen zu wollen; denn auch dem Falſchen, was aus biefer Pe⸗ 
riode erzählt wird, liegt noch IBahres zum Grunde, das man nur richtig verftehen 
muß.‘ Unter den literarifchen Bildungsbeförderern diefer Periode hat man 3 Elaf: 
- fen zu unterfcheiden: 4) folche, von denen man feine Schriften kennt, die aber ale 
Erfinder, Dichter, Weife genannt werden: Ampbion, Demodokos, Melampus, 
Dien, Phemios, Promotheus; 2) folche, denen man nicht mehr vorhandene 
Schriften fälfchlich beilegt: Abaris, Ariftens, Cheiron, Epimenides, Eumolpos, 
Korinnos, Linos, Palamedes; 3) folche, von denen man noch Schriften hat, die 
ihnen aber in fpätern Zeiten untergefchoben find: Dares, Diktys, Horapollon, Mu⸗ 
ſaͤos, Orpheus, die Urheber der Sibpllinifchen Orakel. Es ift Bier der Ort nicht, 
zu unterfuchen, ob und wie viel Echtes fich in dieſen untergefchobenen Schriften 
finde, genug, daß fehon ber Gedanke des Unterfchiebens felbft ein früher vorhanden 
Sewefenes bezeugt. Und wie roäre es auch möglich gewefen, daß die folgende Pe⸗ € 
riode wie aus dem Nichts, ohne alle Vorbereitung, hervorgegangen wäre! Faſſen 
soir nun Alles zufammen, was gewefen fein mußte, wenn dag Folgende follte werden 
konnen, ſo ergibt fich aus den mancherlei Sagen von der vorhomerifchen Periode, 
daß es in ihr Anftalten gab, welche durch Religion, Poefie, Orakel, Myſterien, zur 
Entrilderung der Nation, zur Beförderung der Sultur, wol meift auf orientalifche 
Weiſe, und vielleicht, vom Orient felbft ausgegangen, nicht unkräftig wirkten, und 
daß diefe meift priefterlichen Anftalten vornehmlich in den nördlichen Theilen von 
Griechenland, Thrazien, Macedonien ihren Sig hatten. Bemerken muß man biers 
bei, dag dieBildung in Öriechenland weder auf einmal gedieh, noch bei allen Staͤm⸗ 
men zugleich fich zeigte, daß Sriechen nur im Verfolge der Zeit zu Griechen wurden, 
und einzeine Stämme fich hierin früher als andre hervorthaten. Etwa 80 J. nach 
dem trojanifchen Kriege begann in den Grenzen Griechenlands ein neues Drängen 
und Umpberziehen, ein Theil der Einw. manderte aus dem Mutterlande nach den 
Inſeln und Kleinafien aus, eine Berpflanzung, welche für den griechifchen Genius 
aͤußerſt heilfam war, denn auf diefer hafenreichen Küfte und den benachbarten In⸗ 
feln, von der Natur zu Handel und Betriebfamteit beftimmt, fand man nicht nur 
ein ruhigeres Leben, fondern auch größere Bildungsmittel, durch melche in dieſem 
‚Klima eine neue Lebensweiſe entftand. Die Alten legten den Colonien in Jonien 
und Rleinafien den Charakter der üppigkeit und des Lebensgenuffes bei. Annehm⸗ 
Iich£eit und Vergnügen waren die Hauptzwede ihres Lebens. Sanfte limriffe, 
Blaues Meer, reiner Himmel, fchmeichelnde Luft, die feinften Früchte und ſchmackk⸗ 
bafteften Kräuter im Überfluß, alle Erfoderniffe des Lurus, erfreuende Thaler und 
wechſelnde Berge fagten ungemein jener ſchoͤnen Sinnlichkeit zu, und blieben nicht 
ohne Einsoirfung auf den Geiſt. Dichtkunſt und Philoſophie, Malerei und Bilde 
hauerei erreichten hier ihre fchönfte Blüthe; man mochte aber große und heldenmü⸗ 
thige Thaten lieber erzählen als ausführen. In der Nähe der Hauptfcenen des 
erften mireuchen Nationalunternehmens der Griechen, des trojaniſchen Kriegs, war 
es wol fein Wunder, wenn die Theilhahme daran hier größer, die Phantaſie davon 
mächtiger aufgeregt wurde, und fo fand hier die Poefie einen Stoff, durch deffen 
Darftellung fie felbft einen Iharafter annehmen mußte, ganz verfchiedia von dem 
in der vorigen Periode. Bei allen Nationen blühte mit dem Heldenthum zugleich 
die Heldenpoeſie auf; hier folgte den Heroen der erzählende Sänger, und eg bildete 
ſich das Epos, Wir nennen deßhalb diefe zweite Periode das epifche Zeitalter der 
Griechen. Der Singer (Aodos) erfcheint nun getrennt von Pr Priefler, jedoch 


\ 


868 Griechifche Literatur (2. Periode) 


als hochgeehrte Perfon, vornehmlich auch darum, meil die Erinnerung der Helden 
in ſ. Sefange lebte, und Poefie die Aufbewahrerin aller Kenntnig von der Dorzeit 
soar, fo lange man noch Feine Sagenfchreibung hatte. Das Epos kann feiner Na⸗ 
tur nach nicht anders als hiftorifch (im weitern Sinne) fein, Unter ſolchen Umſtaͤn⸗ 
den ift es nicht zu verrwundern, wenn fich formliche Saͤngerſchulen bildeten, denn 
an der Phantaſie des erften Dichters entzündete fich die Phantaſie andrer, und man 
glaubte vielleicht Poeſie Iernen zu können, mie man andre Künfte lernte: ein Glaube, 
zu welchem unffreitig die Priefterfchulen nicht wenig beitrugen, nach denen die Saͤn⸗ 
gerfihulen fich wol bilden mochten. Sänger gab es aber in eigentlichfter Bedeutung, 
denn die Sage wurde gefungen, und der erzäblende Dichter begleitete felbft f. Geſang 
mit einem Saiteninftrumente. Bei feiner richtigen Angelegenheit fehlten die Saͤn⸗ 
ger, die man unter befonderem Einfluß der Gotter, vornehmlich der gefangliebenden 
Mufen, dachte, die das Jetzige, Vergangene und Zufünftige kennen. &o fand der 
Sänger mit dem Seher auf dem Gipfel der Menfchheit. Aus mehren aber, welche 
jenes Zeitalter unftreitig hatte, ragt wie ein Rieſe der einzige Homer hervor, von 
dem soir noch 2-große eptfche Gedichte, Jlias“ und „Odyſſee“, ein Eomifch:epifches 
Gedicht, die „Batrachomyomachie” (Frofch: und Mäufekrieg), mehre Hymnen und 
Epigramme befigen. Nach f. Namen nennt man eine ionifche Saͤngerſchule die 
Homeriden, welche wahrfcheinlich, anfangs zu Chios, eine befondere Rhapfoden: 
familie bildeten, bei denen fich die alte Homerifche und epiſche Weiſe, Geift und 
Klang der Homerifchen Poefie erhielt. Vieles, was man dem Homer zufchreibt, 
dürfte wol ihnen angehören, und eine ähnliche Bewandtniß mag es mit dem, dem 
Homer auch zugefchriebenen epifchen Cyklus haben, welcher uns auf die Cykliker hin⸗ 
weift, deren Gedichte jedoch bedeutend von dem ionifchen Epos abzumeichen anfin⸗ 
gen, indem in ihnen mehr und mehr das hiftorifche Element ftatt des poetifchen über: 
1009. Man verfteht Hier unter Cyklus den Sagen: und Fabelfreis nicht bloß der tro⸗ 
janifchen Begebenheiten; die cykliſche Poefie fehlang fih um den ganzen Mythen: 
flamm, und man fann unterfcheiden: 1) einen tosmogonifchen, 2) genealogifchen, 
und 3) Heroen-Cyklus, in welchem fich 2 Perioden unterfcheiden laffen, a) der He: 
roen vor, und b) nach dem Argonautenzuge. Sin die erfte Claffe gehören die Tis 
tanen: und Gigantenſchlachten, in die andre die Theo: und Heroogonien. In die 
dritte Claſſe gehören zur erften Periode die Europia, mehre Herakleia und Diony: 
fifa, mehre Thebaiden, Argonautifa, Thefeiden, Danaiden, Amazonifa ıc, Aus 
der zweiten Periode wählte diefe Poefie fich vornehmlich den trojanifchen Krieg ſelbſt 
aus. Diefen fehloffen fich die Noftoi an, welche die Rüdfehr der Helden von Troja 
behandelten. Die früheften diefer cyElifchen Dichter traten um die Zeit der erften 
Dlympiaden auf. An eine Bezeichnung der Bildungeftufen ihrer Poeſie iſt darum 
nicht zu denken, weil wir ung überhaupt nur mit fehr allgemeinen Nachrichten über 
- fie begnägen müffen. Was mir aber von: ihnen wiffen, berechtigt uns zu dem 
Schluffe, daß wol zwiſchen diefen hiſtoriſchen Dichtern und den tonifchen Sänger: 
fehulen Etwas möge mitten inne gelegen haben, welches gleichfam den Übergang bes 
zeichnet. Auch finden wir dies in der That in der, fich wahrfeheinlich gegen 890 
vor Chr, im europäifchen Griechenland bildenden, boͤotiſch askraͤiſchen Saͤngerſchule. 
Sie hat ihren Namen von Asfra in Böotien, dem Aufenthaltsorte des Heſiodos, 
der an der Spiße derfelben ftand, und durch den vielleicht die Poefie aus Kleinafien, 
denn er flammte aus Kumä in Xolien, wieder in das griech, Mutterland einwan⸗ 
derte. Auch ſ. Werfe wurden anfangs durch Rhapfoden fortgeflangt, ſpaͤterhin erfl 
kuͤnſtlich auuſammengeſetzt und zum Theil mit fremden Stüden vermehrt, weßhalb 
denn auch die Echtheit in ihrer jegigen Geſtalt fo zweifelhaft ift, als bei Homer. (G. 
Heſiodus.) Von 16 Werken, die ihm zugeſchrieben werden, ſind auf uns ge⸗ 
kommen „Die Theogonie“, „Der Schild des Herakles“ (Bruchſtück aus einem grö⸗ 
bern Sedicht) und „Werke und Tage”, ein didaktifches Gedicht über bie Landwirth⸗ 


= an 


Griechiſche Literatur. (3. Periode). 8689 


ſchaft, Tagewahl, untermiſcht mit Vorſchriften der Lebensklugheit, Erziehung u. ſ. w. 
Durch den Inhalt und den Geiſt aller dieſer Werke, beſonders der Homeriſchen und 
Heſiodiſchen, welche ein kanoniſches Anſehen erhielten und gewiſſermaßen die Grund⸗ 
lagen der Jugendbildung ausmachten, erhielt der Charakter der Griechen jene be⸗ 
ſtimmte Richtung, die ihn nachher ſo ſehr auszeichnete, und die ſich am deutlichſten 
in ihrer Religion zu erkennen gibt, welche bei dem Mangel nöthigen Anſehens, bes 
fonders einer Priefterfafte, (0 zwanglos, und eben dadurch fo phantaftereich wurde, 
Die Myſtik der erften Periode war Dadurch meiftens verdrängt worden, und in dem 
neuen griech. Böttergefchlechte (denn daß ein neues Goͤtterſyſtem entftanden war, 
kann nicht bezweifelt werden) fab man nichts ale die Blüthe der Mienfchheit. Sinn 
lichkeit wurde Daher der Charakter der griech. Religion, beimelcher feine andre Moral 
ftattfinden fonnte alg eine folche, die Das Leben mit Weisheit genießen lehrt. Poeſie 
war bisher die einzige Lehrerin und Erzieherin der griech, Welt geweſen, und fie blieb 
es auch ferner noch, als fie eine andre Richtung nahm. Dies gefchah in der drit: 
ten Periode, dem Zeitalter der Lyriker und der apologifchen Poefie und Philsfophie, 
mit welchem allmälig größere hiſtoriſche Gewißheit anhebt. Um den Anfang der 
Beitrechnung der Olympiaden (776 v. Chr.) entftand eine wahre Ebbe und Flut von 
Verfaffungen in den Eleinen griech. Staaten. Nach abwechfelnder Herrfchaft im: 
pfender Parteien, die fich mit gegenfeitigem Haßlange verfolgten, erhoben fich endlich 
Republifen von demofratifcher Verfaffung, und Nationalzufammenfünfte bei heili⸗ 
gen Spielen vereinigten diefe in gewiſſem Sinne zu einem Ganzen. “Der in folcher 
Zeit herrſchende Seift begünftigte vornehmlich die Igrifche Poeſie, roelche in Öriechen: 
Iand jeßt zur Kunſt wurde und bis auf den Einfall der Perfer den Gipfel ihrer Voll: 
kommenheit erreichte. Nachſt den Göttern, die an ihren Feſten mit Hymnen ge- 
feiert wurden, war das Vaterland mit feinen Helden ein Hauptgegenfland diefer 
Poeſie. Die aͤußern Umftände feheinen nicht wenig auf den Charakter derfelben ge: 
wirft zu haben. Die Semüthsfräfte waren durch die Verhältniffe des Baterlandes 
mehr aufgeregt; durch die häufigen Kriege und Kaämpfe, Liebe des Vaterlandes und 
der Sreih:it, Haß der Feinde und Tyrannen erzeugte fich die hiftorifche Ode. Das 
Leben aber wuͤrde doch zugleich mehr von feiner. trüben Seite angefehen und ſchmerz⸗ 
licher. empfunden; daher mehr Einmifchung von Empfindfamteit in der Elegie, von 
der andern Seite aber auch rüftige Segenmwirfung durch Spott in dem Jambus 
(Satyre): in Allem Eräftiger Anreiz zum Selbftdenfen, Forſchen und Herbeifchaf: 
fen eines erwunſchten Zuftandes. Die goldene Zeit ift vorbei, die ein Sefchenf der 
Götter war; jene, die der Dienfch in der Zukunft erfehnt, foll das Werk einer freien 
Kraft fein, Mit dem Gefühl hiervon wird die Menfchheit mündig, und in den Zus 
fand verfeßt, in welchem Philoſophie ihr zum Bedürfniß wird, die denn auch ims. - 
mer mehr und mehr fich entwickelt. Zuerft fprach fie fich jeßt in Sprüchen und 
Gnomen, in Fabeln, mitunter auch im dogmatifchen Lehrvortrag aus, “Bei dem 
Genuß von Ruhe umfaßte die Iyrifche Poefie aber auch die Freuden der Erde, den 
Genuß des Lebens und die daraus entfpringenden Gefühle, wobei fich jener feine 
Sinn, jenes Zartgefühl immer deutlicher ausfprachen, durch welche dag Leben rei: 
gender, der Genuß deffelben veredelt wurde, und die Darftellungen davon eine eis 
genthümliche Grazie erhielten, ſowie fie bei der herrfchenden Moral durch eine eigne 
Einfalt fich auszeichneten. Bon denen, welche durch diefes Alles, forsie durch Aus⸗ 
bildung der Mufif und durch Erfindung verfchiedener Formen diefer Igrifchen Poeſie 
fich ausgezeichnet haben, hat ung die Sefchichte die Namen: Archilochus von Pas 
ros, Erfinder des Jambos; Tyrtaͤus aug Mile, Sänger der Kriegslieder, Kalli⸗ 
nos aus Enhefus, Erfinder des elegifchen Sylbenmaßes; Alkman der Lydier; Arion 
gus Methymna, welcher den Dithurambos ausbildete; Terpander aus Antiffa, Er⸗ 
finder des Barbiton; Die zartliche Sappho aus Mitylene, ihr Landsmann Alkios, 
beider Zeitgenoſſin Erinna; Mimnermos aus Rolophan, der Slötenfpieler; Stefie- 


% 


820 | Oriechiſche Literatur (4. Periode) 


Fa ms Himera; Ibykos aus Rhegium; Anafreon und Simonides aus Keos; 
Hipponaz aus Ephefus; Timofreon aus Rhodos; Laſos aus Hermione; Korinna 
aus Tanagra, die Freundin und Lehrerin Pindar’g, erhalten. Als Gnomiker wer⸗ 
‚ den genannt: Solon, Theognis, Phocylides, Pythagoras; als Fabeldichter Afop. 
Mehre gehörten der Zeitrechnung nach in die folgende Periode, des. Zuſammenhan⸗ 
es wegen ſtehen fie am füglichften hier. Betrachtet man die Philofophie Diefes 
italters, fo findet man fie vorzüglich auf das Praktiſche gerichtet, weil von diefem 
Alles ausgeht und auf diefes Alles hinweiſt. Es mußte demnach früher eine Philo⸗ 
fophie des Lebens als des Wiſſens geben; Philofophie mußte eher eine Weisheits⸗ 
lehre als Wiffenslehre fein. In diefem Sinne muß man die fogenannten fieben 
Weiſen Griechenlands (Periander, ftatt beffen Andre Epimenides von Kreta ober 
Myon nennen, Pittatos, Thales, Solon, Bias, Chilon und Kleobulos) betrachs 
ten, von denen fechs ihre Namen nicht Durch Grübelei, fondern durch reifere Erfah: 
rung, durch ihre Daraus entfprungene Lebensweisheit, ihre Weliklugheit und Bes 
rathung, ihre praftifche Geſchicklichkeit und Fertigkeit in Geſchaͤften des Staats, 
Semwerben und Rünften verdienen. Ihre Sprüche find Lebensregeln durch Handeln 
erzeugt, oft nur Asdruck des gegenwärtigen Gefühle, Weil aber Wiffen doch die 
Grundlage der Weisheit ift, ſo mußte man bei weiterm Forfchen auch auf dag IBifs 
fen kommen, und fo ging denn auch die tbeoretifche Philoſophie wenigſtens nicht ganz 
leer aus, Thales wurde der Stifter der ionifchen Philofopie. Hier ftehen wir 
nun aber an dem bedeutendften Grenzpunkte der Kiterarifchen Bildungegefchichte 
Griechenlands, mo die Poefie aufhört, der Inbegriff alles Wiſſenswürdigen, die 
einzige Lehrerin und Erzieherin zu fein, Bisher hatte fie zugleich auch das Amt der 
Geſchichte, der Philofophie und Religion vermaltet; was man auf die Nachwelt zu 
bringen, was man von Lebensmweisheit und Kenntniffen mitzutheilen, was man von 
Religion einzuflößen Hatte, gefchah in ihrer gemeffenen Rede, die fich eben darum, 
weil fie gemeffen war, dem Gedaͤchtniß tiefer und feſter einprägte. Dies follte fortan 
anders werben, Das Leben des Staatsbürgers mußte auch auf die Sprache einen 
bedeutenden Einfluß haben. öffentliche Verhandlungen, an denen er Theil nahm, 
nöthigten ihn, die Sprache des gemeinen Lebens für den öffentlichen Vortrag ges 
gie zu machen, Dies und die nun in Griechenland bekannter werdende 
uchftabenfchrift, nebft dem eingeführten Gebrauch. des Aguptifchen Papyrus, bes 
feiteten die Bildung der Profa vor. “Alles dies hatte aber tefentlichen Einfluß 
auf den Zuftand der Wiffenfchaften; aus der epifchen Poeſie ging nun allmilig die 
Gefchichte, aus der poetifchen Lebensweisheit die forfchende Philoſophie hervor. 
Die bisherige Einheit der Anficht geht Dadurch verloren; wir müffen nothwendig 
den Blick nach verfehiedenen Seiten fehren, und in unferer Darftellung von nun an 
den einzelnen Wiſſenſchaften folgen. Es verfteht fich übrigens faft von felbft, daß 
diefe Trennung des Erfennens und Wiffens mehre andre nach fich ziehen mußte, 
denn Derftand und Vernunft, welche jeßt in Thaͤtigkeit gefeßt wurden, entdeckten 
inimer mehr der Unterfuchung Bedürftiges, und fo traten jeder diefer Hauptwiſſen⸗ 
fehaften mehre Meben und Hülfsreiffenfchaften zur Seite, wodurch der Baum des 
Erfenntniffes in immer mehre Zweige ausſchlug. Alles reizte die Forfchbegier, und 
überall ward ein roiffenfchaftliches Eireben rege. Deßhalb konnte man die vierte 
nım folgende Periode die der Kiffenfchaftlichfeit nennen. Sie erftredtt fich bis ana 
Ende aller griech. Kiteratur, theilt fich aber, nach Maßgabe des verfchietenen Geis 
fleg, der fich darin offenbart, und des Vorwaltens diefer und fener Miffenfchaft, in - 
mehre Cpochen. Wir rechnen die erfte von Solon bie Alerander 594 — 336 v. 
Chr. In der Philoſophie zeigt fich hier zuerft ein phufifch-fpeculativer Geiſt, denn 
fie ging mol zunächfl von Religion aus, alle Religion aber beruht auf Vorftellungen 
vonder Sottheit, welche im jener Zeit von der Natur nicht unterſchieden wurde, 
De, nun die Religionsbegriffe nichts enthielten als Dichtungen von der Entftehung 


Sriechifche Literanır (4. Periode) 91 


der vornehmſten Maturerfcheinungen, d 1. der Gottheiten, fo wurde nothwendig die 

ältefte Philoſophie Naturphiloſophie, in welcher der menfchliche Geiſt die bisher beobs 

achteten Sinnenerfcheinungen weiter zu zergliedern, befriedigender zu erklären und 

als ein Ganzes zu umfaffen flrebte. Natürlich iſt es, dag fich, aus Mangel an hinreis 

chenden Beobachtungen und Verfirchen in der Maturerfenntniß, in das Gefchäft des 

Verſtandes und der Vernunft öfter die dichtende Einbildungsfraft mifchte, wodurch 

denn diefe philoſophiſch phyſiſchen Unterfuchungen mit poetiſchen Bildern durchwebt 

erſchienen. So zeigte fich Die ionifche Philoſophie, deren Anführer Thales, Die itakifche, 

deren Stifter Pythagoras, und die Ältefle und fpärere eleatifche Philoſophie. Zu der 

ionifchen Schule, die nach einem materiellen Urfprunge der Welt forfchte, gebörten 

Mherecndes, Anarimander, Anarimenes, Anaragsras, Diogenes aus Apollonia, 
Anararchos und Archelaos von Milet; die vornehmften Schüler der pytbagoräifchen 

Philoſophie. welche die Einrichtung der Welt auf Zahl und Maß zuruͤckführte, waren 

Alkmaon, Timdos von Lokris, Dcellus Rufanus, Epicharmos, Theages, Archytas, 

Philolgos und Eudoros. Zu der älteften eleatifchen Schule, welche den Gedanken des " 
reinen Seins fefthielt, gehören Zenophanes, Parmenides; zu der fpätern Zeno, Me⸗ 
liſſos und Diagoras. An diefe fehliegt fich die atomiftifche Schule des Leukipp und 
Demokrit und der Dualift Empedofles; dagegen Heraklit ganz eigenthuͤmlich dafteht 
mit f. Anficht vom ewigen Fluſſe ter Dinge, Ungefähr big um die 90. Olympiade wa⸗ 
ren die Philofopben und ihre Schulen durch alle griech. Städte zerſtreut geweſen; um 
diefe Zeit wurde Athen ihr Hauptfiß, und dies trug nicht wentg dazu bei, der Philoſo⸗ 
phie einen andern Beift einzuhauchen, indern bier die Sophiften die Lehrer derfelben 
“wurden, Georgias aus Leontium in Sicilien, welcher fich an die Eleaten anfchloß, 
MProtagoras aus Abdera, Hippias aus Elis, Prodifos aus Keos, Traſimachos und 
Tifiag find die beriihmteften, deren Namen aufung gefommen find. Ihr Name be: 
zeichnet fie fehon ale Männer der Wiffenfchaft, und wirklich waren fie die Enchklopaͤ⸗ 
biften ihrer Zeit, welche die Gedanken und Empfindungen der vorigen Zeitalter gefanıs 
melt und mit den ihrigen bereichert hatten. Befondere Verdienfte hatten fie um Rhe⸗ 
torik und Politik, dieſe zwei in demofratifchen Verfaſſungen fo ungemein wichtigen 
Wiſſenſchaften; allein hiermit nicht zufrieden, trugen fie auch Naturwiſſenſchaft, 
Mathematik, Theorie der fchönen Künfte und Philofophie vor, In der Teßtern nun 
feheint es ihnen eben nicht um Wahrheit, fondern nur um Glanz zu tbun gemefen zu 
fein, und zu dieſem Zweck bildeten fich vornehmlich die Sophiſtik und Eriſtik aus, d. . 
Beweis- und Streitfunft, welche man auch nachher Dialektif genannt bat, wobei 
es ihnen darauf ankam, Alles was fie rwollten zu beweifen. Hierzu erfannen fie Trug: 
ſchluͤſſe, welche nach ihnen noch jeßt Sophiſtereien heißen, und ſuchten den Gegner 
durch mancherlei Mittel zu verwirren. Daß dies der Philofophie felbft nur Nach: 
theil bringen Eonnte, fpringt in die Augen. Defto glüdlicher aber war es, daß eben 
in diefem Zeitafter Sokrates auftrat, nicht nur ein Eräftiger Bekämpfer diefer So: 
phiſten, fondern der Philoſophie felbft eine neue Bahn anweiſend. Man hat mit 
Recht von ihm gerühmt, er babe die Philofophie vom Himmel auf die Erde herab: 
gezogen, intem Er es war, welcher der Philoſophie wieder eine praftifche Richtung 
gab, die fich von der früher dageweſenen dadurch unterfchied, daß nicht mehr bloße 
Erfahrungen aneinandergereiht wurden, fondern dag man die Natur und Verhält⸗ 
niſſe des Menfchen, den Zweck und die befte Einrichtung feines Lebens im Zuſam⸗ 
menbange zu unterfuchen anfing und Das Nachdenken, flatt auf Phyſik und Meta⸗ 
phyſik, Hauptfüchlich auf Pfi;chologie und Moral lenkte. Sokrates hatte viele Schü: 
ler, von denen einige f. Ideen in feiner Manier fehriftlich darftellten: Cebes, Afchi- 
nes, Kenophon ,_ andre mit mehr oder weniger Abweichung von feinen Ideen und 
feiner Manier Stifter eigner philofophifcher Schulen wurden. Es gingen naͤm⸗ 
li) aus der Sokratiſchen folgende vier Schulen hervor: 1) die eyrenäifche, deren, 
Stifter Ariftippos von Cyrene (ſ. 8.) war; 2) die megarifche, elifche, ere: 


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872 Griechiſche Literatur (4. Periode) 
trifche unter Euffides, Phaͤdon und Menedemos; 3) die afademilfche, deren Stif: 


ter Platon, und 4) die ennifche, deren Stifter Antifthenes war. Platon (f. d.) 


par unftreitig das umfaffendfte und glaͤnzendſte Genie, deffen ahnungsvoller Seift 
am tiefften eindrang, Er vereinigte die philofophifchen Kenntniffe der frübern griech. 
Philoſophen mit denen der ägyptifchen Priefter und der Beredtſamkeit der Sophiften, 
Inniges Gefühl für dag Überirdifche, zarter moralifcher Sinn, feiner, feharf und 
tiefolidender Verſtand berrfchen in f. Darftellungen, die mit allen Grazien des Bor: 
trags gefchmüdt und durch eine bfühende Einbildungskraft belebt find, Die So: 


kratiſche Methode wurde bei f. poetifchen Talente zu wahrhaft Dramatifcher Darftel: 


Jung erhöht, und der philofophifche Dialog von ihm zum äftbetifchen Kunſtwerk aus: 
gebildet. Während die Bbilofopbie fo bedeutende Sortfehritte machte, nüherte fich 


auch die Sefchichte mit flarfen Schritten dem Gipfel der Vollendung. In den Zeit: 


raume von 550 — 500 v. Chr. entftand zuerft Sagenfchreibung (2ogographie) in 
ungebundener Rede, und als die älteften Sagenfchreiber fennt man Kadmos, Dios 
nyſios und Hefatäos von Milet, den Argiver Akuſilaos, Hellanifos aus Mitylene 
und Dbherechdes aus Leros. Nach ihnen erfchien Herodo tos (ſ. d.) aus Halifar- 
naß, der Homer für die Sefchichte. Sein Beifpiel reiste den Thuchdides zum Bett: 
eifer, und f. acht Bücher von der Sefchichte des peloponnefifchen Kriegs jeigen uns 
den erften philofophifchen Hiftgriker als Muſter für alle folgende. Wird er durch 
aufammengedrängte Sedankenfülle oft dunkel, fo herrfcht hingegen in Eenophon die 
heiterfte Klarheit, und er wurde dag Muſter ruhiger, ungefünffelter Gefchichtdars 
ftellung. Wie Sterne ber erften Größe glänzten vornehmlich dieſe drei Hiſtoriker in 
diefer Periode hervor, in welcher außerdem noch genannt zu werden verdienen: Kte: 
fias, Philiftos, Theopompos, Euphoros, melche Üoßteren jedoch durch rhetorifirente 
Manier fich bereits von der echten Sefchichtbarftellung entfernten. In der Poeſie 
entwickelte fich während diefer Periode eine ganz neue Gattung; aus den Luftbar: 
feiten der Danffefte nimlich, röelche das Landvolf nach der Weinleſe dem Freuden: 
geber mit wilden Sefang und Gebärdentanz feierte, entflanden, vorzüglich in At: 
tika, Lie Schaufpiele. Sinnreiche Dorffünftler gaben ben allmälig ernfthafteren 
Chorgefängen oder Dithyramben beim Bodsopfer Mannigfaltigkeit und rohe Kunſt, 
indem ein Zwifchenredner Volkefabeln erzählte, und der Chor das ewige Lob des 


Bacchus durch Sittenlehren, wie die Erzählung fie darbot, abmwechfelte. Ihr Lohn, 


wenn fie gefielen, war ein Bod, Andre bildeten aus dem Groben die leichtſertige⸗ 
ren Reigen außer dem Opfer, mit.den Schalfsftreichen des Feftes und Allem, was 
Lachen erregte, untermifcht, Bald wurden diefe Spiele des Kelterfeſtes auch an an: 
dern Tagen wiederholt. Nach einigen Vorgängern gab Solon’s Zeitgenoß, Thes: 
pis, der f. Schaufpieler gleich Kelterern mit Weinhefen, oder eigentlich mit Tre: 
bermoft, ſchminkte, an den Scheidewegen und in Dörfern, auf beweglichen Bühnen, 
Bald ernfihaftere Sefchichten mit feierlichen Choͤren, bald luſtigere mit Reigen, worin 
Saturn und andre Spaßmacher Selächtererregten. Ihre Vorftellungen hießen Tra⸗ 
gorien, d. i. Bocksopfergeſaͤnge; Trygödien, Kelter: und Moftgefünge; Komödien, 
uftreigen, und Satyrhandlungen (Drama satyricum). Endlich erhoben fich diefe 
piele veredelt in prachtvoller Zurüftung auf Schaubühnen der Städte und unter: 
ſchieden fich immer mehr Durch eignen Tonund.Sittlichfeit. Statt eines Zwiſchenred⸗ 
ners, der die Gefchichte aus dem Kopfe vortrug, ftellte Afchylos zuerft handelnde Per: 
fonen auf, die je zwei nach erlernten Rollen fich befprachen, und wurde der eigentliche 
Schöpfer der dramatifchen Hunſt. Schnell erhob fich auch diefe zum Gipfel der Boll: 


‚ endung, die Tragadje durch Afchylos, Sophofles, Euripideg, die Komödie durch Kras 


- ‚8108, Eupolis, Krates, vornehmlich aber durch Ariftophanes. Unter der Regierung 


der dreißig Tyrannen wurde die Freiheit der Romödie, Tebende Perfonen dem Seläch: 
ter preiszugeben, befchränft, und dadurch bildete fich allmälig die nıittlere Komödie 


-aus, wo der Chor abgefchafft wurde, und mit den allgemeinen Eharakterfchilderun: 


Griechiſche Literatur (4. Periode) 873 


gen auch die Charaktermasken auffamen. Ariftophanes und Alexis zeichneten fich 
hierin aus, Neben diefen Gattungen bildeten fich als eine eigne die Mimen des 
Sophron aus Syrakus, dramatifirte Sefpräche in rhythmiſcher Profa, und mit dies 
fen in Berbindung fteht die ficilifche Komödie des Epicharmus, Übrigens gehören 
der Zeitfolge nach mehre Sinomifer und Lyriker in diefe Periode; mehre Philsfophen 
erfchienen als didaftifche Dichter, Kenophanes, Parmenides, Empedofles, und 
als Epifer waren berühmt Pifander und Panyafis durch ihre Herakleen, und Antis 
machos durch f. Thebais. Das Epos wurde aber imnier hiftorifcher und verlor an 
fehöner poetifcher Geſtaltung. Heben die Poefte trat in diefer Periode, als eine 
ernftere Schweſter, die Beredtfamkeit, welche bei der republifanifchen Staatsform 
- Bedürfniß war, und bei der Richtung‘ des griech. Geiftes zum Schönheit ebenfalls 
kunſtmaͤßig ausgebildet wurde. Antiphon, Gorgias, Andofides, Lifias, Iſokra⸗ 
tes, Iſaos, Demofthenes, Afchines roerden als Meifter diefer Kunft gepriefen, für 
welche ebenfalls eigne Schulen geftiftet wurden. Von mehren diefer Redner. befißen 
wir noch die bewunderten Dleifterftüde. Wie nabe.die Rhetorik daran war, felbft 
über die Poefie zu fiegen, zeigt fich im Euripides, und es ift Feine Frage, daß fie 
auch auf Platon und Thucydides bedeutenden Einfluß hatte. Als Neben: und _ 
Hülfsroiffenfchaften bildeten fich für die Pbhilofophie die Mathematik, für die Se - 
ſchichte Die Geographie aus. Die Aftronomie verdankt der ionifchen, die Arithme⸗ 
tie der italifchen, die Geometrie der alademifchen Schule manche Entdeckung. Als 
Mathematiker waren berühmt Theotorog von Cyrene, Meton, Euftemon, Archis 
tas von Tarent, Eudoros von Knidos. Die Geographie wurde vornehmlich durch 
Entdeckungsreiſen bereichert, welche der Handel veranlaßte, und in diefer Hinficht 
verdienen Erwähnung: Hanno’ Fahrt um die Weftküfte von Afrifa, des Skylax 
Periplus Befchreibung der Küften des Mittelmeers'und des Pytheas von Maß, 
filien Entdeckungen im nordweſtl. Europa. Die Naturforfehung fiel ebenfallg den 
Philoſophen anheim, die Arzneitunft aber, von den Asklepiaden bisher in Tempeln 
geübt, bildete fich als ein abgefonderter Zmweig davon aus, und Hippofrates wurde 
der Schöpfer der wiſſenſchaftlichen Medicin. Der Tag nach einem Sieg ift auch 
noch ein fehöner Tag. Dies gilt von der nun folgenden Periode, welche man im 
Allgemeinen die alerandrintfche nennen und als die foftematifirende oder kri⸗ 
tifche charafterifiren önnte, Zwar hörte auch jegt Athen nicht auf, f. alten Ruhm ° 
zu behaupten, Alerandrien aber, wurde doch eigentlich die tonangebende Stadt. 
Hierdurch mußte nothwendig der Geiſt der griech. Literatur eine andre Richtung 
nehmen, und es fpringt befonders in die Augen, daß bei dem Gebrauch einer unge: 
heuern Bibliothek die eigentliche Gelehrfanifeit und Polyhiftorie über das frühere 
freie Seiftesftreben fliegen mußte, welches jedoch nicht fogleich erfticdt werden fonnte, 
In der Philoſop hie erfchien jeßt Platon’s fcharffinniger und geehrter Schüler, 
Ariftoteles, als Stifter der peripatetifchen Schule, welche durch Erweiterung des 
Gebiets der Philofophie und fuftematifchen Geiſt fich ausjeiäne- Er trennte Lo⸗ 
gie und Rhetorif, Moral und Politik, Phyſik und Metaphyſtk (welchen letz⸗ 
tern Namen, er veranlaßte), fügte mehre angewandte philofophifche Wiſſenſchaf⸗ 
ten hinzu: OÖfonomif, Pädagogik, Poetik, Phyſiognomik, erfand die philoſo⸗ 
phifchen Kunftausdrüde, und gab durch dies Alles der Philofophie die Geſtalt, 
welche fih Jahrtauſende hindurch erhalten hat. Auf feinem Wege in Forfchung 
der Philoſophie und Naturgefchichte fehritt fein Schüler Theophraſtos fort; Je 
dogmatifcher die Philoſophie aber durch Ariftoteles wurde, deflo mehr war den 
philofophifchen Forfchern Behutfamfeit nöthig, und der Geiſt des Zweifelns 
par ein fehr heilfamer Geiſt. Er zeigte fich vornehmlich in dem Skepticis⸗ 
mus, der von Pyrrhon aus Elis ausging. Ein wenigſtens ähnlicher Geiſt lebte 
auch in der mittlern und neuern Akademie, von Arcefilaos und Karneades geftif: 
tet. Die Sofratifche Schule trieb noch einige neue Zroeige in der ſtoiſchen Schuke, 


Pd ' 


J a . — 


Eu Griechiſche Sprache und Schrift 


beren Stifter Benon aus Citium auf Cypern war, und in der Epikuriſchen, welche 
Epikur aus Sargettus in Attifa fliftete. Mathematik und Aftronomie machten die 


"  bedeutendften Fortfchritte in den Schulen zu Alerandria, Rhodus und Pergamus; 


und mern find die Namen Euflides, Archimedes, Eratoſthenes und Hipparchos un: 
befannt? Der Gefchichte gaben die Züge und Thaten Alerander’s Stoff genug; 
allein im Ganzen gewann fig doch nur an äußerm Umfang, nicht an innerm Ge: 
balt, denn ein Streben nach dem Wunderbaren und Abenteuerlichen ward nun in 
ihr herrſchend. Defto erfreulicher ift gegen das Ende diefer Periode die Erfcheinung 
des Polybios aus Megalopolis, den man als Urheber der pragmatifchen Sefchichts 
darftellung zu betrachten hat, wodurch die Univerfalgefchichte einen pbilofophifchen 


- : &eift und würdigen Zweck erhielt. Dielfache Bereicherung erhielt die Geographie, 


welche Eratofthenes roiffenfchaftlich begründete, und Hipparchos mit der Mathe⸗ 
matik noch mehr in Verbindung feßte. An Linder: und Völkerkunde gewann man 
‚ durch die Nachrichten des Nearchos und Agatharchites, und die Chronologie erhielt 
einen bedeutenden Gewinn durch die parifche Marmorchronit. Syn Hinficht auf 
Poeſie kommen manche merkwuͤrdige Veränderungen vor. ' In Athen ging, nicht 
ohne Einwirkung politifcher Urfachen, aus der mittlern Komödie bie neue hervor, 
welche fich dadurch, daß fie die fittliche Menfchennatur zum Segenftand ihrer Dar: 
ftellungen nahm, dem neuern Schaufpiel nähert. Unter den 32 Dichtern diefer 
Gattung zeichneten fih Menander, Philemon und Diphilos aus. Aus den Mk 
men gingen die Idyllen hervor, in deren tung nach dem Vorgange des Steſi⸗ 
choros, Asklepiades u. A., befonders Theofritos, Bion und Moſchos fich auszeich⸗ 
neten. Auch die übrigen Dichtungsarten blieben nicht unbearbeitet, allein alle dieſe 
Arbeiten, ſowie die Kritik über Poeſie und fchöne Kunft, weifen ung auf Alerandrien 
Bin, und deßhalb ſchweigen wir hier von ihnen. Am Ende diefer Periode hörten ja 
bie riechen auf, felbflindig zu fein, und dag meltherrfchende Rom gewann auch 
bier feinen Einfluß. Dean f. deghalb die Fortſetzung unter d. Art. Alerandris 
nifches Zeitalter und Römifche Literatur. dd, 
Griechiſche Sprache und Schrift, Nicht von jeher wurde in 
Sriechenland gefprochen, was wir griechifche Sprache nennen, denn Briechenland 
war früher von Pelasgern bewohnt, Die alte Sprache der Pelasger fannte man 
aber fihon zur Zeit Herodot's nicht mehr, der diefe fremde Sprache von der helleni⸗ 
ſchen als verfchieden angibt und hinzufügt, es fei wahrfeheinlich, daß die Hellenen 
ihre urfprüngliche Sprache immer behalten haben (1, 57). Woher aber diefe 
fiamme, darüber find die Meinungen getheilt, denn Einige wollen fie aus dem ‘Per: 
ſiſchen, Andre aus dem Schthifchen ableiten: zwei Meinungen, welche fich jedoch 
vielleicht vereinigen ließen. Außer Griechenland wurde fie in einem großen Theile 
von Kleinafien, dem fübdlichen SYtalien und Sicilien gefprochen, ımd in andern Ge⸗ 
enden, wohin fich griech. Solonien verbreitet hatten. Bei der Menge bellenifcher 
ölferfchaften eines Hauptftammes läßt fich erwarten, daß es verfchtedene Mund: 
arten (Dialefte) müffe gegeben haben, deren Kenntniß bei der griech. Sprache um 
fo nothwendiger ift, da die Schriftfteller diefer Marion die Eigenheiten der verſchie⸗ 
denen Mundarten tm Gebrauch einzelner Buchflaben, Wörter, Wortformen, Wen⸗ 
dungen und Ausdrüde In die Schriftftellerfprache übertrugen, und zwar nicht bloß, 
um dadurch einen Sprechenden näher zu charafteriflren, fondern auch, wenn fie in 
eigner Perſon ſchrieben. Gewöhnlich nimmt man, nach ten 3 Hauptfiimmen der 
Griechen, 3 Hauptdialekte an: den Adlifchen, dorifchen, ionifchen, wozu fpäter der 
gemifchte attifche Dialekt kam; aufer diefen aber noch mehre Nebentialefte. Die 
4 Hauptdialekte laffen fich jedoch auf 2 zuruͤckführen: den hellenifch:borifchen und 
den ioniſch⸗attiſchen. Jener war der ältefte, wie denn überhaupt durch das Dort: 
ſche das Alte bezeichnet wurde, Die Altefle dorifche Mundart zeigt fich im aoli- 
ſchen Dialekt, aus welchem auch die lat. Sprache abgeleitet wird. “Der dorifche 


Griechiſche Sprache und Schrift 87 5, 


Dialekt war Hart und rauh, der ionifche der weichſte. Der Anlifche Dialekt wurde 
efprochen diesſeits des Iſthmus (außer in Megara, Attika und Doris), in den änlis 
chen Solonien Kleinaſiens und auf einigen nördlichen Inſeln des Agaifchen Meeres; 

der dorifche im Peloponnes, den dorifchen Vierſtadten, den doriſchen Solonien Klein⸗ 

ofiens, Unteritaliens (Tarent), Sicilien (Syrakus, Agrigent), am reinften von 

. den Meffeniern; der ionifche in den ioniſchen Colonien Kleinafiens und auf den 

Inſeln des Archipelagus; der attifche in Attika. In jedem diefer Dialekte hat man 

bedeutende Schriftfteller und Schriften. Zum ionifchen Diafekt gehören zum Theil 

die Werke der älteften Dichter, Homer's, Heſiod's, Theognis's ıc.; rein‘ findet 
man ihn in Profaikern, befonders Herodot und Hippofrates; im dorifchen Dialekte 

. fangen Binder, Theokrit, Bion und Mofchus: von-dorifcher Proſa ift nur roenig 
übrig, meift mathematifchen und philofophifchen Inhalts; im änlifchen Dialekte 
haben wir die Bruchſtuͤcke des Alkaͤss und der Sappho. Als Athen die Oberherrs 

“fchaft in Griechenland erhalten und fih zum Mittelpunkt aller Titerarifchen Bil⸗ 
dung erhoben hatte, wurde mit den attifchen Meiſterwerken eines Afchnios, So⸗ 
phofles, Euripides, Ariftophanes, Thuchdides, Zenophon, Platon, Iſokrates, 
Demofthenes u. A. auch der attifche Dialekt der allgemeine der Bücherfprache, 

Grammatiker unterfchieden nachher das echt Artifche, wie esfich in jenen Meiſtern 

des Attieismus findet, von dem Attifchen des gemeinen Lebens, und nannten dies 

den gemein griechifchen oder bellenifchen Dialekt, und felbft die fpätern attifchen 

Schriftftelfer nach jener fchönften Blüthenzeit der Literatur Semeingriechen oder 

Hellenen. Zu diefen gehören Ariftoteles, Theophraft, Apollodor, Polybius, Plut⸗ 

arch und die übrigen fpätern, unter denen doch Manche echtattifch fehrieben, wie 

Lucian, Alian und Arrian. Außer den Dramatifern hielten fich aber die übrigen 

Dichter keineswegs ausſchließlich an den attifchen Dialekt; die Dramatiker felbft 

nahmen in ihren Thören, meik diefe zu der älteften Liturgie der Griechen gehörten, 

um bes Feierlichen willen Etwas vom Dorifchen auf, und die übrigen Dichter blie⸗ 
ben bei der Homerifthen Sprache. Man muß demnach annehmen, daß die Gries 
chen mit ihren verfchiedenen Mundarten befannter waren, als wir mit den ımfrigen, 
wozu vielleicht das allgemeine Xefen des Homer, der Gebrauch eines religiöfen Ri: 
tuals und der häufige Verkehr derfelben unter einahter vornehnilich wirkten. Wahr⸗ 
fcheinlich aber hatten’ fich die Diafefte in der früheften Zeit noch nicht fo von einans 
ber gefchieden, wie es ſpaͤterhin gefehab, und daraus muß man fich die Eigenthuͤm⸗ 
lichkeiten der Sprache Homer’s und Heſiod's erflären. „Am Homer und Hefiod”, 
fagt Matthiä, „Eommen Wortformen und Austrüde por, die von den Grammas 
tifern für aͤoliſch, dorifch, artifch oder gar für Eigenheiten eines örtlichen Dialekts 
ausgegeben werden. Allein ſchwerlich waren fie diefes ſchon zur Zeit jener Dichter, 
die fich eine folche Meifchung wol ebenfo wenig würden erlaubt haben, als fich jet 
ein Dichter erlauben würde, niederfächfifche oder oberdeutfche Provinzialismen unter 
einander zu mtfchen. Die Sprache Homer's fcheint vielmehr ganz die Sprache der 
damaligen Jonier zu fein. Bon diefen'iim Homer gebräuchlichen Wortformen blie⸗ 
ben aber nicht alle im ionifchen Dialekte, fondern einige erhielten fich nur im Aoftfch- 

dorifchen, andre bloß im attifehen Dinlekte. Die Srammatifer nennen nur im 

Homer attiſch, aͤoliſch, doriſch ıc., was dieſes zu ihrer Zeit war““. Die Zeit, wann 

die Veränderungen in den Hauptdialeften erfolgten, laßt fich nicht beftimmen; eg “ 

geht aber aus allem Diefem hervor, daß man, um bie griech. Sprache gruͤndlich zu 
erlernen, den Sang der Bildung derfelben Hiftorifeh verfolgen, und Feine einfeitige 

Grammatik zum Grunde legen, fondern ſich über alle abweichende Formen der Dia: 

lefte verbreiten muͤſſe: eine Mühe, welche diefe an claffifchen Muſtern jeder Art fo 

reiche und eben deßhalb fo ausgebildete, biegſame, ausdrucksvolle, im Klange fo 
liebliche ; in der Bewegung fo barmonifche, in ihren grammatifchen Formen und 
ganzem Bau fo philofophifche Sprache verdient und reichlich Tohnt. Wann nıon 


876 Gries 


angefangen habe, dieſe Sprache durch Schrift zu begehen, Darüber bat lange Zwei⸗ 
fel obgemaltet. ‘Der gewöhnlichen Meinung zufolge brachte der Phönizier Kadmos 
die Buchftabenfchrift zu den Briechen. Das Kadmiſche Alphabet beftand aber nur 
aus 16 Buchftaben; im trojanifchen Krieg foll Palamedes noch 4 (OEOX), und 
ebenfo viele nachher Simonides aus Keos (ZAYN) erfunden haben. Daß die be: 
zeichneten 8 Buchftaben neue find, ift theils aus Nachrichten, theils aus den äl- 
teften Inſchriften gewiß. Weil die Jonier diefe Buchftaben zuerft aufnahmen, und 
von diefen die Attifer, fo nannte man das Alphabet mit 24 Buchſtaben das ionifche. 
Die Figuren der älteften phönizifchen und griech. Buchſtaben weichen übrigens fehr 
von den jeßt gebräuchlichen-hebräifchen und griechifehen ab, Es hat indeg nicht an 
Solchen gefehlt, welche behaupteten, Daß vor Kabmus’s Zeiten unter den Pelaſsgern 
ſchon die Schreibefunft geübt worden fei. Diefe, den Alten nicht unbefannte, jeboch 
durch keinen einzigen Schriftfteller von Gewicht beflätigte Meinung hat in neuern 
Zeiten nicht unbedeutende Anhänger gefunden. Dagegen traten aber auch Andre 
auf, ‚welche die Schreibefunft in Griechenland ungleich jünger machten. Der Erfte, 
.. der die Aufmerkfamfeit auf diefe Seite lenkte, war der Engländer Wood in f. ‚Essay 
on the original genius of Homer“. Es ift allerdings von großer Wichtigfeit für 
die Beurtbeilung Homer's und zur Entfcheidung über vorbomerifche Poeſie und 
Schriften, zu wiſſen, ob zu Homer’s Zeiten die Schreibefunft befaunt war, oder 
nicht. Wood's Meinung ift, daß man mol die Zeit, da in Griechenland der Ge: 
brauch der Buchftabenfchrift allgemein wurde, und den Anfang profaifcher Schrif: 
- ten beinahe in eine Periode feßen könne, ungefähr 554 J. v. Chr. und ebenfo lange 
nach Homer. Zu Homer's Zeit wurden alle Kenntniffe, Religion und Geſetze bloß 
dur das Sedächtniß erhalten, und ebendeßhalb in Verfe gebracht, bis mit der 
Schrift auch Profa eingeführt wurde. Die Einwendung von mehren angeblich Al: 
tern Auffchriften in Tempeln bat Wolf entkräftet,. welcher in ſ. Prolegomenen zu 
Homer die Streitfrage genauer beſtimmend in zwei verwandelte: 1) Wann wurden 
die Griechen überhaupt mit der Kunſt zu fehreiben befannt? und 2) Wann wurde fie 
bei ihnen allgemein? Bei Unterfuchung der leßtern Frage mußte beftimmt werten, 
wann bequemere Materialien zum Schreiben verbreitet wurden, und in welchem 
Jahrhundert die Sriechen die ſogen. Schriftfiellerei aufnahmen ? Wolf beweift nicht 
bloß, Daß Homer von Dem, was er fang, Nichts gefchrieben habe, indem man erft 
nad) ihm zum Schreiben fich der Thierhäute, und erft gegen des Pfammetichus Zeit 
des ügyptifchen Papyrus bedient babe, fondern auch, daß vor der Mitte des 6. Jahrh. 
v. Chr. diefe Sefänge nirgends fchriftlich vorhanden gervefen. Zu bemerfen iſt übrt 
eng, daß die riechen anfünglich die Zeilen von der Rechten zur Linken, dann 
uftrophedon (f.d.), endlich allein von der Linken zur Rechten fihrieben. 
Gries (Johann Dietrich), Überfeger des Taſſo, Arioft und Calderon, geb. 
den I. Febr. 1775 zu Hamburg, wo fein Bater Senator war, befuchte das Johan: 
neum, ward gegen feine Neigung im 17. J. für den Kaufmannsſtand beftimmt, und 
erhielt fpäter die Erlaubnig, fich den Studien widmen zu Dürfen. Da G. in Schul: 
Eenntniffen auf dem Johanneum guten Grund gelegt hatte, fo ward es ihm leicht, 
das Derfiumte durch Privatunterricht nachzubolen. 1795 fg. fludirte er in Sjena 
Die Rechte, “Doch war es ihm mehr um Bildung als um Unterhalt zutbun. Don 
Kühe: Jugend an liebte er die Muſik mir Keidenfchaft; fpaterbin feffelten ihn die 
eize der Dichtfunft, und in Jena Fichte’s philofophifche Vorträge. Einige f. klei⸗ 
nen Lieder wurden A. W. Schlegel (damals in Jena) befannt, deffen Beifall ihn zu 
größern Verſuchen ermunterte, Einer derfelben, „Phaeton“, ward Veranlaffung 
zu G.s Bekanntfchaft mit Schiller, der diefes Gedicht für den „Muſenalmanach“ 
von 1798 verlangte. Es war das erfte, was von ©). gedrudt ward. Von diefem 
Augenblide bis an das Ende fi Lebens würdigte Schiller ihn f. Freundfchaft. Ba 
darauf erfchienen, im Januarheft des „Neuen deutfchen Diercurs” von 1798, f. erften 


t 


Griesbach 877 


Überfegungen a. d. Ytal.: „Oxelle piume bianche e nere” und „T.a biondina in 
gondoſetia“, welchen Wieland in einem der folgenden Hefte ein Lob beilegte, das 
den jungen Dichter beflimmte, diefes Fach beinahe ausfchließlich zu bearbeiten. Auch 
Sörhe und Herder würdigten ihn freundlicher Ermunterung. Den Sommer 17798 
verlebte &, in Dresden, um dem Sinne für das Schöne durch Anſchauung der Mei: - 
fterwerfe der Malerei und Plaſtik tiefere Ausbildung zu verleihen. Hier entftand 
in ihm der Entfchluß, das „befreite Jeruſalem im Versmaße des Driginals zu über: 
feßen, was vor ihm Keiner verfucht hatte, Im Herbfte kehrte G. nach Jena zurück, 
in Begleitung Schelling's, deffen Freundfchaft er in Dresden erworben hat. Die 
Jurisprudenz war in der leßten Zeit vernachläffigt worden; gleichwol sing er nach 
Göttingen, wo er ein Jahr hauptfächlich dem Kechtsftudium widmete. Dann er: 
warb er Öftern 1800 in Jena die juridifche Doctormürde. ©, wollte fich nun in 
Meblar, Wien und Regensburg mit dem Gange des Neichsproceffes näher bes 
kanntmachen. Allein nach kurzem Aufenthalt -in Weßlar fand er feine Plane Durch 
den Wirderausbruch des Krieges (1800) gehemmt. Er kehrte alfo nach Jena zu: 
rück, wo unterdeffen der erfte Theil des Taffo bei Frommann erfchienen war. Guͤn⸗ 
ſtige Samilienverhältniffe feßten ihn in den Stand, von nun an ganz f. Neigung zu 
leben, da ohnehin eine allmälig anwachfende Sehörfchmäche ihn vom Sefchäftsleben 
auszufchließen ſchien. Er arbeitete jet in Jena um fo freier an f. Taffo, von wel - 
chem 1803 der Ichte Theil erfihien. Hierauf gab er 1804 und 1805 die beiden er: 
ften Theile feiner Überf.von Arioſto „Rafendem Roland“ heraus. 1806 begab fich 
©, nach Heidelberg und vollendete dort den Ariofto, deffen 2 Ießte Thle. 1807 und 
1808 erfchienen. 1808 machte ©. eine Reife durch die Schweiz und Oberitalien 
und kehrte dann über München und Nürnberg nach Jena zurüd, woſelbſt er 1810 
Lie zweite völlig unıgearb. Aufl. des Taffo drucken ließ. Alsdann verfuchte er fich an 
Bojardo’s „Orlando innnmorato“, deffen 12. &ef. im „Worgenblatt” von 1812 
erfchten. Allein die Riefenlänge des Gedichte ſchreckte ihn von der Sortfegung ab. Da⸗ 
gegen wandte er fich jeßt zum Salderon, durch Göthe und das Weimarfche Thenter 
zunächfl veranlagt. Bis jegt find von 1815 an 6 Bände erfehienen (Berlin). Auch 
gab er 1819 die 3, rechtmäßige Auflage des Taffo heraus, die eine ganz neue Überſ. 
genannt werden kann, und 1826 erfchien die 5. Aufl. Seine eignen Gedichte und 
kleinern Überf. find zum Theil in Schillers „Mufenalmanachen”, in den „Horen“, 
dem ‚‚Dteuen deutfch. Mercur“, Beder’s „Taſchenbuch“, Schlegel's „Blumenffräu: 
ger ital., fpan. und portug. Poefie und -in andern Zeitfchriften gedrudt worden. 
Griesbach (Johann Jakob), geft. am 24. März 1812 als geh. Kirchenrath 
und erfter Prof. der Theologie zu Jena, bat fich theils um die Kritik des N. T. theils 
um die Bildung vieler taufend Sünglinge bleibende Verdienſte erworben. Geb, zu 
Bußbach im Heffen:Darmftädtifchen d.4. jan. 17145, kam er als Kind nach Frankf. 
a. M., wo f. Bater 1777 a!s Prediger und Sonfiftorialraip ftarb. Auf dem frank⸗ 
furter Gymnaſium erhielt er f. erfte Bildung und bezog 17162 die Univerfität Tübin⸗ 
- gen. 1764 ging er nach Halle, und dann noch ein Jahr nach Leipzig. Chriſtl. Kir: 
chen: und Religionsgefchichte wurde das Ziel ſ. Studien, wobei ihn Ernefti in Leip⸗ 
zig mit Rath und Büchern unterflüßte. Hierauf begann er in Halle große Vorſtu⸗ 
dien zur Kritik des N. Teft, und für die Dogmengefchichte; unter Semler fchrieb er 
feine 2 erften Probefchriften über die hiſtor. Glaubwürdigkeit in den Dogmen, die 
durch den Papſt Leo den Großen ihre Beftätigungen erhalten. Entfchloffen, fi 
ganz der Kritik des neuteftamentl, Tertes zu widmen, unternahm er 1769 und 
1770 eine gelehrte Reife durch Deutfchland, Holland, England und Frankreich, 
Den folgenden Winter widmete er in feiner Vaterſtadt der Bearbeitung des gewon⸗ 
nenen Stoffes und trat 1771 in Halle durch die berühmte Abhandlung von den 
Recenſionen der Evangelien vom Drigenes zuerft als akadem. Lehrer mit fo vielem ' 
Beifall auf, daß er 2 Jahre darauf zum Profeffor ernannt wurde. Mit ımermüd- 


+ 


818 Grillparzer | 


lichem Fleiße verfolgte er jeßt den Gedanken einer neuen Ausgabe des N. Teſtam. 
Morficht bewog ihn, ber den Ruf zu einer ordentl, Profeſſur der Theologie zu Jena 
erhalten Hatte, zubörderft nur mit feiner Synopſis der Evangelien die Stimmung 
gu prüfen. Bald aber folgte die erfte Ausg. des ganzen Teſtaments. Das Eigen 
thuͤmliche derfelben ift, dag bei ihr nicht blog von aufgenommenen und verworfenen 
- Lesarten die Rede ift, fondern auch die verfchiedenen Grade der Wahrfcheinlichkeit 
beſtimmt und durch leicht verſtaͤndliche Zeichen unter dem Tert aufgeführt werden. 
Zu bedauern ift, daß er die vollſtändige Ausg., die 1796 begann und zu Halle und 
London zugleich erfchien, nicht fo vollenden Eonnte, wie er es gedacht hatte. Fr 
war indeß bis an feinen Tod unabläffig damit befchäftigt und erlebte wenigſtens 
die Freude, die bei Söfchen herausgefommene Prachtausgabe vollendet zu fehen. 
Neben der Kirchengefchichte und Eregefe und den dazu gehörigen Hülfswiffenfchafs 
ten ftiftete er auch durch f. populaire Dogmatif um fo bleibendern Nußen, als er 
darin, ein geübter, felbft überzeugter Sachwalter des alten Slaubensfuftems, ber 
Neuerungstucht mit weiſer Maͤßigung Schranken zu feßen wußte. Gabler bat 
G.s „Opuscula academica“ (Jena 1824, 2 Bde.) herausgegeben. S. Gos 
Leben, von Abeken, in den „Zeitgenoffen”, H. VIII. 1829. 

Srillparzer (Franz), geb. in den neunziger J. des verfloffenen Jahrh., 
lebt fcit 1823 als (fuftematifirter Hofconcipift) in Wien. Er zog feit 1816 die Aufs 
‚ merffamfeit des Publicams als dramat. Dichter auf ſich. Sein erftes dramatifches 
Merf: Die Ahnfrau“, erweckte große Hoffnungen. Wie Müllner, durch Werner’s 
„Vierundzwanzigſten Februar” angeregt, f. „Schuld“ dithtete, fo wahrſcheinlich 
& ‚durch diefe „Schuld“ veranlagt, f. viel fataliftifchere „„Ahnfrau, Schauer der 
Tracht wehen durch die ganze Dichtung; in Macht gehüllt (fie verbirgt auch mans 
ches Unrlatürfiche der Fabel) bewegt fich die. Handlung; in Nacht gehüllt fißen die 
Zufchauer vor der Bühne, und Die Schreden der Darftellung, welche fich ununters 
brochen aneinanderreiben, werden größer durch den Eindrud diefer Nacht. Nichts 
"mindert diefe Schrecken als eben die ununterbrochene Folge felbft, in welcher fie fich 
dem Semüthe von Außen aufdringen,fodaß der Unbefangene wol ſchwerlich den Ge⸗ 
danken, es fei auf.ein Saufelfpiel der Phantafie abgefehen, ganz abhalten kann. 
Das Feuer aber erblicken wir bier nur in feiner zerſtörenden Wirkung bervorbrechend 
und alle Figuren mit einem gemaltfamen Lichte fürbend. Mit großer und Fühner 
Iprifcher Kraft maltder Dichter die Situationen diefer Dichtung aus. Aber weder die’ 
Kraft der Schilderung noch die mufilal, Sprache berubigen und verfühnen mit der 
Grundidee; die Ruhe am Schluffe ift nicht die Ruhe der gefiirnten Nacht, fondern 
die Verodung räuberifch verbrannter Wohnungen. Die „Ahnfrau“ rourde zuerft in 
Wien, und feitdem faft auf allen deutfchen Bühnen mit Wirkung gegeben und in 
verfchiedenen Aufl. gelefen. 1818 trat der junge Dichter mit |. „Sappbo” auf. 
Var dort die Grundidee das Fehlerhafte, fo wurde es hier die Ausführung, die der 
Dichter einer ſchwankenden Fabel aus antiker Zeit gab, mit roelcher feine durchaus 
moderne Weltanficht fich nicht vertragen will. Überhaupt hat ©. bei weitem mehr 
das Talent, intereffante Situationen dramat. und lyriſch auszubilten, als feine Per⸗ 
fonen auf dramat, Wege in diefelben zu verfeßen. — Auch diefes Drama wurde mit 
dem größten Beifall in Wien und Berlin, forsie auf mehren andern Bühnen aufı 
nommen; wozu ohne Zweifel beitrug, daß baffelbe in der Rolle der Sappho den ber 
rühmteften tragifchen Schaufpielerinnen, die wir befißen, einen erwünfchten Stoff 
darbot, ihre Virtuofität zu entwideln. Aber diefer Beifall ift verhallt. Eine Reife, 
die &. nach Italien im Gefolge des Kaifers unternahm, unterbrach feine tramat. 
Wirkfamfeit. Nach einer längern Paufe ließ er 1822 fein drittes dramat. Werk, 
mit welchem fein poetifcher Genius fich Tänger befchäftigt hatte, nämlich: !, Das 
goldene Vließ“, in drei Abtheilungen („Der Gaſtfreund“, „Die Argonauten”, 
„Meden‘‘) hervortreten, weiches aber wenig Slüd auf der Bühne gemacht bat. Die 


—— 


 Srimabi 0.287 


Kritik hat den poetifchen Werth deffelben anerkannt, ohne ihm die tragifche Bedeu 
tung zuzugeſtehen, deren der antike Stoff fähig iſt; und es ift überhaupt bedauert 
worden, dag ©. mit einer durchaus modernen Sinnes: und Eimpfindungsart und 
ohne tiefe Anſchauung des Alterthums auf die Bearbeitung antiker Stoffe gefallen 
ift, bei deren Behandlung man wenigflens an einen SJeßtlebenden andre Foderun⸗ 
gen macht, als man an frühere Dichter zu machen berechtigt iſt. Um fo erfreulicher 
ift es, ihn endlich in f. „Dttofar” (1824), Trauerfpiel in 5 Aufz., auf vaterlandi- 
ſchem Srund und Boden zu finden. Diefes Trauerfpiel, welches nach manchen 


Hinderniffen und Schwierigkeiten in Wien auf die Bühne gebracht worden ift, zeich- 


net fich Durch eigenthünmliche Tüchtigfeit vortheilhaft vor allen übrigen Werfen ©.’8 
aus und ift, obgleich in der Anlage durch das Schwanfen zwiſchen 2 Helden (Öftreich 
u. Böhmen) verfehlt, doch im Einzelnen von echt dramat. Leben durchdrungen. 44. 
Srimaldi (die Familie), eine von den vier zum hoben Adel gerechneten 
Familien Genuas. Die in fpätern Zeiten zu einem Fürftenthunne erhobene Herr: 
(haft Monaco gehörte über 600 J. (von 980 an) den Grimaldi's. Diefe und die 
Fiesco’s fpielten in Genugs Sefchichte flets eine große Rolle, befonders in dem 
Kampfe zwiſchen den Sibellinen und Guelfen, zu welcher leßtern Partei beide Fa: 
milien gehörten. Reiche Befigungen im Königreich Neapel, in Frankreich und taz 
lien vern:ehrten den ‚Einflug der Grimaldi, aus deren Schoß mehre berühmte 
Männer hervorgingen, 1) Raimund ©. war der erſte Genueſe, der die Kriege: 
flagge feiner Republif jenfeits der Meerenge von Öibraltar führte. Zu Gunſten Phi: 
lippe des Schönen von Frankreich, der in einen langen Streit mit den Flamländern 
verwidelt war, fegelte G. u. d. T. eines Admirals von Frankreich (1304) mit 16 
genuefifchen Galeeren und 20 franz. Schiffen nach Zeeland, wo er den Grafen Gui 
von Flandern, der die feindliche, an 80 Echiffe fiarfe Seemacht befehligte, ſchlug 
und gefangen nahm. 2) Antonio ©, zeichnete fich in der erften Hälfte des 14, 
Jahrh. gleichfalls im Seedienfte aus. Die Catalonier hatten fich feindlich gegen 
Genua bemiefen, das wegen innerlicher Zwiftigkeiten außer Stande war, die Unbill 
zu rächen. Als der günftıge Moment fich dazu nabte, überfam Aut. ©. das Com: 
- mando der Flotte mit dem Auftrage; die Küften von Catalonien zu verrwüften. Die: 
fen Auftrag vollführte der Senuefe nur zu gut, Auch fchlug er eine aragonifch« Flotte 
von 42 Schiffen. 21 Jahre fpäter aber wurde er von den verbünderen Binetianern 
und Sataloniern unter Anführung von Nicolaus Piſani dergeflalt geſchlagen, daß 
von der ganzen genuefifchen Seemacht nur 17 Schiffe entlamen. Durch dieſe Nie⸗ 


derlage auf der Höhe von Coiera, d. 29. Aug, 1353, wurden die Genueſer genothigt, 


fich dem Beherrfcher von Mailand, Joh. Visconti, der ihnen Schuß vor ihren 
Feinden, den DBenetianern, zufagte, zu unteriwerfen, 3) Giovanni ©. machte 


\ 


fi) durch den Sieg berühmt, den er am 28. Mai 1431 über den,venetianifchen Ad- . 


miral Nic. Travifani auf dem Po davon trug, obſchon Sarmagnola, der berühm: 
tefte General jener Zeit, mis einer anfebnlichen Landmacht am Ufer des Fluffes zum 
Deiftande des venetinnifchen Admirals bereit war. Durch ein glüdfliches Manoeuvre 
wußte ©, die venetianifche Flotte von dem Ufer zu trennen, wo die Landmacht ihre 
Stellung hatte (drei Miglien unterhatb Cremona), und fo gelang es ihm nicht al⸗ 
lein, die Feinde völlig zu fehlagen, fondern ihnen auch 28 Saleeren und 42 Trans: 
portfchiffe nebft einer unermeglichen Beute abzunehmen. 4) Dominico ©, 
Sardinal, Erzbifchof und Vice:Legat von Avignon, lebte im 15. Jahrh. Ehe er 
diefe hohen Würden erhielt, übertrug ihm Pius V. die Oberaufficht über Die Galee⸗ 


ren des Rirchenflantes, und ©, wohnte, obfehon bereits Bifchof (1571), der See . 


fchlacht von Lepanto bei, bei welcher Selegenheit er fich durch feinen Muth ausge⸗ 
zeichnet haben foll. Huch rühmen die Annalen der röm. Kirche von diefem Eriegeri- 
ſchen Prälaten, daß es ihm gelungen fei, in feinem Sprengel: das Gift der Härefie 

gänzlich zu unterdrüden, Er ftarb 1629 und Hinterließ einen Band Briefe über dies 


880 Grimaldi 


jenigen Ereigniſſe, bet denen er die Hand mit im Spiele hatte. 6) Sein Neffe Ge: 
ronimoG,, geb. 1597 zu Genua, wurde im 28. J. zum Vice-Legaten der Rmagna, 
dann zum Bifchof von Albano und Gouverneur von Rom ernannt. Urban VIll. 
fandte ihn als Nuncius nach Deutfchland und Frankreich, und die guten Dienfte, Die 
er hier dem röm. Hofe erwies, erwarben ihm 1643 den Sardinalshut, Aus Danf: 
barfeit befchüßte ©. nach Urbans Tode deffen Familie und Iud dadurch den Zorn 
von Innocenz auffich, der, fo lange er lebte, die Bulle nicht unterzeichnete, Durch 
welche ©. zum Erzbifchof von Aix ernannt war. Erſt unter Innocenz's Nachfol: 
ger, Alexander VII., Eonnte er fein neues Amt antreten (1655), wo er die Sitten 
der ihm untergebenen Geiſtlichen zu beffern bemüht war. Er gründete zu diefem 
Zweck in Air ein Seminarium für Seiffliche, deßgleichen fliftete er ein Hofpital für 
Arme und vertheilte von feinem großen Vermögen an 100,000 Livres unter Hülfs⸗ 
bedürftige. Mehren Conclaven beimohnend, trug ©. befonders mit zur Wahl von 
Innocenz XI. bei, deffen Tugenden er verehrte. Obſchon er fpäter zum Dean: 
‚ten des heil. Collegiums in Kom ernannt wurde, fo fonnte er fich doch nicht ent 
fchliegen, die ihm anvertraute Semeinde zu verlaffer. Er ftarb in Air 90 J. alt, 
1685. 6) Nicolo G., geb. 1645, wurde 1706 von Clemens XI. mit dem rom. 
Purpur befleidet. Er ftarb fhon 1717.und hinterließ ein ungeheures Vermögen. 
A) Noch ein Seronimo G., 1674 geb., ward mit dem Cardinalshute geſchmückt. 
Früher fandte ihn der röm. Hof nach Avignon, dann als Nuncius nach Brüffel, 
Polen und Deutfchland. Später verroaltete er als Cardinal die Legatur Bologna. 
Er ftarb 1733. — Außer diefen Grimaldi's finden wir noch ©leichnamige, Die 
ſich in Wiffenfchaft und Kunft Hervortfaten: 1) Giacomo ©, ein Literator des 
16. Jahrh., deſſen Tirabofchi niit großem .Lobe gedenkt. Er wurde zu Bologna 
geb., widmete fich dem geiftl. Stande und machte fich als Auffeher des Archivs der 
Meterstirche in Nom durch die Ordnung verdient, welche er in das Ganze diefer 
foftbaren Sammlung brachte; auch fuchte er die unter Paul V, aufgefundenen al: 
ten Inſchriften durch erläuternde Bemerkungen zu erklären. Ein Verzeichniß feiner 
antiquarifchen und philologifchen Schriften findet fih um 4. Bde. der „Scriptor. 
Bologuesi“, Er flarb 1623. 2) Giovanni Francesco G., genannt Ber 
logneſe, weil er in diefer Stadt geb. ward, lebte im 17. Jahrh. und zeichnete fich 
als Maler, Architekt und Kupferftecher aus. In der erftgenannten Kunft hatte 
er fich Correggio zum Vorbilde gewählt; auch arbeitete er eine Zeit lang mit Al 
bano zufammen, Vom Cardinal Mazarin nach Paris gerufen, malte er mehre 
Frescos im Louvre. Als Architekt war er nicht minder ausgezeichnet, und f. Arbeis 
ten mit dem Srabftichel find fehr gefucht, Innocenz X. ließ ihn die Verzierungen 
der Frescos im Vatican und ım Quirinal machen. Mehre feiner beften Semälte 
findet man in der Kirche St-Maria del Monte in Rom; auch das parifer Mur 
feum befißt einige fehr ausgezeichnete von ihm. Er ſtarb 1680, 74 Y. alt. Em 
Sohn von ihm, Aleffandro, ift gleichfalls als Dealer befannt. 3) Francesco 
Maria G., Mitgl. der Gefellfchaft Jeſu, wurde 1613 zu Bologna geb. und zeich⸗ 
nete fich als Mathematiker aus. Er ftand dem P. Riccioli in deffen mathemat. Ars 
beiten bei und gab fpäter ein Werk über die Mondflecken heraus, denen er andre Na: 
men als die ihnen von Hevelius gegebenen beilegte. Noch bat man von ihm: 
„Physico-mathesis de lumine, coloribus et iride, aliisque annexis” (2 Bde., 
Bologna 1665, 4.). Dieſer gelehrte Jeſuit ſtarb in feiner Vaterſtadt 1663. 4) 
Francesco G., gleichfalls im 17. Jahrh. lebend, geb. im Königreich Neapel, 
trat zu der Sefellfchaft Jeſu und ift als lat. Dichter berühmt. Man hat mehre 
bucofifche und dramat. Dichtungen von ihm, die von f. Talente zeugen. Er ftarb 
als Prof. der Rhetorik am SJefuitencollegium zu Rom, 1738, ungefähr 60 J. alt. 
5) Ein andrer, Peter G., gleichfalls Sefuit und aus CivitasDecchia geb., lebte 
im 18. Jahrh. und war lange Miffionnair in Oftindien. Man erzaͤhlt von ihn, dag 


’ 


N t ’ 


Grimm (Friedrich Melchlor, Baron v) “ 8 
er bei ſ. Ruͤckkehr nach Europa ein Maſchine erfunden habe, mittelſt welcher er 


41751 von Calais nach Dover innerhalb einer Stunde in der Luft dahingeſchwebt 


oder „geflogen” fein foll. Pingeron in f. ÜÜberf. des Werkes von Mitizia und Fon: 


tenai im „Dict. des artistes” fprechen davon. Da fie jedoch nichts Näheres von 


der ganzen Sache angeben, auch bei der fpätern Erfindung des Luftballons (1784) 
in den darüber erfchienenen Schriften jener frühern Verſuche nicht gedacht wird, 


fo muß man allerdings einigen Zweifel in die Wahrheit jener dam P. Grimaldi 
zugefchriebenen Luftreife feßen. 6) Konſtantin G., geb. 1667 in Meapel, wo: , 


felbſt er! 1750 flarb, war Rechtsgeiehrter, zeichnete fich aber auch durch f. bedeutens 


{ 


den Kenntniffe in der Geſchichte, Medicin und Theologie aus. Am berühmteften _ 


wurde er durch f. Streit mit den Benedictinern, die, als blinde Anhänger der Ariſto⸗ 


telifchen Philofophie, damals „Lettere apologetiche” herausgaben, in welchen fie 
geroaltig über-Sartefius loszogen und fich in Schimpfen und Schmähen gegen ihre 


egner erfchöpften. Grimaldi nahm fich des geläfterten Carteſius an und führte ' 


in einer bittern Segenfchrift die guten Patres ad absurdum, Noch lebte Mim 


18. Jahrh. ein Franz Anton ©, (farb 1784) in Neapel, der fich durch gute - 


Geſchichtswerke über Neapel und diefes Landes Verfaffung befanntmachte, . 
Srimm (Friedrih Melchior, Baron v.), ein geiftreicher Dann, der lange in 

Paris lebte und mit den ausgezeichnetften Perfonen des vorigen Jahrh. in Verbins 

dung ftand, geb. d. 26. Sept. 1723 von bürgerl. Altern zu Regensburg, ftarb als 


kaiſerl, ruff. Staatsrath d. 19. Dec. 1807 zu Gotha. Obrrol f. AÄltern arm waren, - 
gaben fie ihrem Sohne dennoch eine forgfältige Erziehung / fodaß er mit diefer Aug: - 


ftattung fich einen Rang in der Sefellfihaft zu erwerben roußte, Nachdeg er f. Stu: 
dien beendigt und in Deutfchland für.f. Trauerfpiel „Banife” Spotf und Tatel in 
reicheni Maße eingeärntet hatte, begleitete er den Sohn des Grafen u. Schönberg, 


nachmal. kurſaͤchſ. Sonferenzminifter, nach sein, dann nach Paris. Hier ward er _ | 


Vorleſer des Herzogs v. Sachſen⸗Gotha, und befand fich in febi beſchraͤnkter Kage, 
als er J. J. Rouſſeau fennen lernte, Beide begegneten fich in der entfchiedenften Nei⸗ 
gung zur Muſik. Rouffeau führte ihn bei Diderot, dem Baron Holbach, der Frau 
v. Epinay u. a. Durch Geiſt und Geburt ausgezeichneten Perfonen ein,'und es gelang 
ihm allenthalben, fich in Gunſt zu feßen. Der Graf Friefen machte ihn zu f. Secres 
tair mit einem anflindigen Gehalte. G. kam jeßt noch mehr in die vornehmften Ge: 
fellfchaften und fuchte fich befonders den Frauen zu empfehlen. Er verſchmaͤhte fogar 
die Schminke nicht und jog fich dadurch den Spottnamen Tyran le blanc zu. Als 
die Anfunft der ital, Bouffons in Paris alle Kenner und Freunde der Mufik in 
AParteien fpaltete, erklärte ſich ©. für fie und fland an der Spiße des Coin de la 


reine, ſo genannt, weil diefe ‘Partei fich im Parterre unter der Loge der Königin zu 


verfammeln pflegte, während die Freunde Rameau’s und der franz. Muſik den 


- Coin da roi bildeten. ©. fchrieb bei diefer Gelegenheit eine Eleine Brofchüre voll . 


Seift, Salz und Geſchmack: „Le petit prophete de Boemischbroda”, und als 
die Gegner darauf zu antworten verfuchten, fchlug er fle durch f. „Lettre sur la 
musique francaise” völlig aus dem Felde. Aber diefer Brief gab ein fo gewaltiges 
- Argerniß, daß anfangs von Verbannung und Baftille die Rede war, bis endlich die 
Wuth fich legte, und dem Verf. flatt deffen der Beifall aller Freunde der neuen Muſik 
und der ital. Truppe zu Theil ward. Die Verbindungen G.'s mit den Unterneh: 
mern der Enchflopädie, ſ. Berhältniffe mit den Großen Frankreichs, ſ. Kenntniffe, 
forsie die Geſchmeidigkeit f. Geiftes, öffneten ihm bald eine glänzende Laufbahn. 
Nach des Grafen Sriefen Tode ward er Secretait des Herzogs von Orleans. Da: 
mals fing er an, f. literarifchen Bulletins für mehre deutſche Fürften, namentlich 
für den Herzog von Gotha, zu fchreiben, welche u. d.M, „Feuilles de Grimm” 
vielleicht in 20 Abfchriften circulirten, und welche von allen, nur einigermaßen wich- 
tigen Erfcheinungen der franz. Literatur: jener Zeit die geiftreichften Analyfen ent: 
Converſations· Lericon. Bd. IV. 56 — 


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882 Grimm (Jakob Ludwig Karl) ° Grimod be la Reyniere 


hielten. Friedrich d. Sr, Guſtav III. und die Kaiſerin von Rußland gaben ihm Die 
ausgezeichnetſten Beweiſe ihrer Hochachtung. 1776 ernannte ihn der Herzog von 
Gotha zu ſ. bevollmächt. Miniſter am franz. Hofe; damals ward er Baron, denn 
von Geburt war er ein Bürgerlicher. Er ftand f. neuen Amte wie ein Dann von 
Geiſt vor, ohne f. literarifche Correſpondenz zu unterbrechen oder fonft f. Gewohn⸗ 
heiten zu ändern. Als die Stürme der Revolution es den fremden Miniftern un: 
möglich machten, in Paris zu bleiben, begab ſich G. nach Gotha. 1795 ernannte 
ihn die ruff. Kaiferin zu ihrem bevollmächt. Minifter am niederfächf. Kreife. Diefe 
Monarchin fland in unmterbrochenem Briefwechfel mit ihm. Auch unter Paul I. 
verwaltete G. ſ. Poften, bis eine fchmerzhafte Krankheit ihm ein Auge raubte und 
ihn nöthigte, ſich von allen Sefchäften zuruͤckzuziehen. Er verlebte nun in Gotha 
f. legten Sabre, fo viel ihm die Kräfte geftatteten, flets mit Kunft und Wiffen: 
ſchaft befchäftige. Außer den genannten Schriften gab er eine lat. Differtation 
über die Gefegichte Maͤximilians I., „Briefe über die deutfche Literatur” u. a. m. 
beraus. Sein anfehnlicher literarifcher Nachlaß ift von dem ruff. Hofe in Empfang 
enommen worden. Es befinden fich darunter Memoiren über die Sefchichte f. 
Beit vom höchften Intereſſe, deren Nichtbekanntmachung ein Verluſt if. Dage⸗ 
en erſchien nach ſ. Tode ein einzelner Abfchnitt aus f. Literarifchen Bulletins u; d. 
‚t „Correspondance litterairc”, fpäter auch die übrigen (zufammen 16 Bde): 
ein Werk, das die anziehendften Details über einen wichtigen Seitraum der franz. 
gelehrten und gebildeten Welt und ihre innern Berfälmifke enthält, Barbier hat 
noch ein „Supplement a la Gorrespundancc herausgeg., das G.'s übrige franz: 
Schriften enthält... Die neue Aufl, der „Corresp. litter.. pbilos, et erit. deGriimm 
et de Diderot, depui« 1753 jusgu’en 4790“, m, Erläut., enthält auch die von der 
kaiſerl. Cenſur unterdrüdten Stellen (Paris 1829, 15 Bde). (S. über ©, die 
„Mem. de Mad. d’Epinay”, 8. Aufl., H., ©. 113, und ſ. Biographie in dem Aus: 
e aus jener Correfpondenz: „Grimm's und Dideror’s Eorrefpondenz von 1753 

is 1790 ıc.” (2 Ye, Brandenburg 1820). 

Srimm (Jakob Ludwig Karl, gewöhnlich nur Jakob), geb. zu Hanau 1185, 
gegenwärtig kurfuͤrſtl. Bibliothekar in Kaffel. Er Hat fich durch f. „Deutfche Sram: 
marif” (1. Thl., Göttingen 1819, neue Aufl. 1822) einen unfterblichen Namen in 
der Geſchichte der vaterkind. Sprachforfchung erworben, als der Erfte, welcher auf 
biftorifchem Wege den Srundbau und die Fortbildung ‚des germanifchen Sprach- 
ganzen entwickelfe. Seine „Deutfchen Rechtsalterthümer” (Görting. 1828) ftellen 
den inhalt ber Kechtsquellen bis in das 13. Jahrh. dar. Nicht minder ſchaͤtzens⸗ 

werth find mehre von ihm mit f. Bruder Wilhelm Karl (geb. zu Hanau 1786) 
gemeinfchaftlich vollendete Arbeiten für die altdeutfche Literatur, und namentlich die 
„Deutfchen Sagen” (Berlin 1817—18,.2 Bde); die „Kinder: und Hausmärchen“ 
(Berl. 181214, 2 Bde., 12., und feitdem wiederholt), der Eleinern Auffüge und 
Abhandlungen in den „Altdeutfchen Wäldern ic.“ nicht zu gedenken. Jakob's erfter 
Derfuch auf diefem Felde tar die. Abhandlung „Über den deutfchen Meiſtergeſang“ 
(Sötting. 1811). 1828 gab Wilhelm G. zu Goͤttingen das Bruchftüd eines alten 

Kittergedichts (a. d. 12. Jahrh.): „Grave Ruodolf“, mit grammat. und lexikal. 
Bemerk. heraus (4.). Ein dritter Bruder, & Emil, bat fich durch geiftreich radirte 
Blätter befanntgeniacht, z. B. „Bildniffe gatting. Profefforen‘ (Gott. 1824, Fol.). 

Grimodede la Reynièr e (Alexandre Balthafar Laurent), der wißigfte 
Epifuräer des neuern Frankreichs, Mitglied der Arkadier in Rom und mehrer gef. 
Sefellfchaften, geb. zu Paris 1758, war der Sohn, eines Generalpächters, An den 
Händen mißgeftaltet, wußte er Außerft geſchickt mit falfchen Fingern zu zeichnen, zu 
fchreiben und Speifen zu zerlegen, Bis 1780 war er Advocat, allein eine fehr bit: 
ter abgefaßte Schrift zog ihm Verweiſung zu. &eitdem lebte er in volliger Unab; 
hangigkeit ganz der Literatur, ingelebrten Clubbs, im Foyer der Schaufpielhäufer u. 


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Srifaille Grdger 883 


im Soffecehaufe'du Caveau. Erſchien diefer Sonderling in den glänzenden Cirkeln 
f. Ättern, fo zeigte er ſich linkiſch und blöde und machte fich in tiefen Büdlingen 
über den Rangftolz.der vornehmen Welt luſtig. Damals gab.er ein faſt berühmt 
gewordenes großes Gaſtmahl, wozu Niemand kam, der nicht bewies, daß er ein Bur⸗ 
gerlicher ſei. Ein anderes Dial Ind er fehr vornehme Leute zu fich ein, wo Jeder in ei: 
nem ſchwarz ausgefchlagenen Saale f. Sarg hinter ſich hatte, Auch trieb er eine 
Zeit lang einen Krambandel im Hauſe ſ. Vaters. Seine Eßluſt war fo groß, wie mur 
die des Apicius und Vitellius geweſen fein kann. Die Revolution durchlebte er frieds 
lich. In den erften Jahren der Regierung Bonaparte's ward. er durch ſ. wißigen 
„Almanac des Gourmanıds” in ganz Europa berühmt, den er Cambacereg’s.Koche 
widmete (von 1803—12, 8 Bde., 18.). Für die Emporkoͤnmlinge, die nicht wiffen, 
wie fie ihrem Vermögen Ehre machen follen, ſchrieb er 1808 „Le manael des Am- _ 
hitryons“.’ Sein Eifer für die Beförderung der Wiffenfchaft des Gaumens, wie 
fie Montaigne nannte, ließ ibn eine Jury von Seinfhmedern (degustatcurs) er: 
richten, die monatlich im Rocher de Caucale eine Sitzung bei einer ausgenihlten 
Tafel hielt; wo ernfte Kampfrichter und liebenswürdige Actricen mit ſchwarzen und 
weißen Kulgeln über ein faftvolles Salmi oder ein feines blanc-manger fo feierlich 
abftimmten, wie nur einft der rönifche Senat in der befannten Türbot:Sigung, 
©eit 1814 tebte ©. auf den Lande, allein mit den Wiffenfchaften in Verbindung. 
Srifatlle, f. Srau in Grau. man ic 
Gröger (Friedrich Karl) und Aldenrath (Heinrich), der erfte 1766 in 
Plön im Holfteinifchen, der zweite 1774 in Zübel geb, Wie die Freundenamen im - 
Altertbume, Damon und Pythias, und die Künfllerbrüder Theodoros und Teleffes 
ungertrenmlich genannt werden, fü vereinigte die verbrüdernde. Kunſt dieſe beiden 
Künftler unzertrennlich. Heinrich war in früher Jugend G.'s Schüler im Portrait: 
zeichnen mit Silberftift und Sepia, und die Harmonie ihres Talents war fo groß, 
daß Beide, viele Jahre hindurch in Lübek und Hamburg, gewöhnlich an demfelben 
Portrait arbeiteten, ſodaß, wenn Einer den Pinfel oder Süberftift nigderlegte, der 
Andre ihn aufnahm und an dem Bildniffe fortarbeitete, G.'s Talent entwickelt⸗ fich 
unter den drüdendften Verhaltniſſen aus fich ſelbſt. Von armen Ältern geboren, 
. zeigte er fehon als Kind Kunflfinn, durch gelingendes Puppenausfchneiden, * 
ſchnitzeln und Thonbildnerei nach dem Leben, ſowie Durch charakteriſtiſches Zeichnen 
nie gefebener, ihm bloß befchriebener Segenflände, als Schiffe u. dgl. Inder Schnei⸗ 
derwerkſtatt f. Vaters bemalte der Knabe, trotz mancher Süchtigung, Fenfterbreter, 
Thüren und Wände mit gemeiner Kreide oder mit in aufgelöfte Mauerfteine ge: 
tunften Befenreifern. Ja es gi aus f. Händen ein Eleines Puppentheater mit 
eoftumirten Diarionetten und Decorationen hervor, und er gab als Director deſſelben 
den 'Dlönern einen Hamlet, Lips Tullian ıc., bis der auf den 12: bie 44jährigen 
Marionettenmeifter erzürnte Vater die ganze Bühne in den plöner See warf, Um⸗ 
‚ fonft nahm fich ein Kunſtfreund, Graf Schmettow, des. Verzweifelnden an: der 
ungerathene Schneiderburfche ward in eine Drechelermerkflatt geſteckt, ging aber 
bald darauf, auch zu biefem Handwerk unfähig, in die Lehre eines Hausanſtreichers 
über. Hier fing er an Profilbildniffe in Rötbel ıc. zu copiren, dann nach dem Leben 
‚ähnlich zu zeichnen, und erwarb fi dadurch nach und nach ein Summchen, um’ 
welches jedoch Liftige Menſchen den gutmätpigen Jün ling betrogen. Bald wurde 
bem 1Tjähr. Rumfijünger auch diefe Sphäre zu eng. Er verließ fie mit freinnilliger 
Zurüdfaffung f. ziemlich angercachfenen Erwerbs, zog im Lande umher, zeichnete 
Menfchengefichter in Menge, und fand endlich in Kübed viele Arbeiten mit Silber⸗ 
ftift und Sepia, und einen Herzensfreund in ſ. Schüler Aldenrarh. Mit Diefem 
ging er 1789 nach Berlin, wo er dem Rector der Akademie Frifch viel verdankte, 
dann nach Hamburg, wo er pollauf Arbeit fand, und 17198 nach Dresden, ivo.er 
ganz den Studien der hohern Kunſt und der Ölmalerei lebte, Dana teilten beide 
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* minalgefege* (17198; 2. umgearb. A. 1805; die 4. 1826). 


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884 an Grolman 


Freunde Ihren Aufenthalt zwiſchen Luͤbeck und Hamburg, reiften nach ‘Paris, um 
die dort angehäuften Schäße Italiens zu betrachten, und ließen fich, nachdem fie ei: 
nige Jahre in Kielund Kopenhagen gelebt hatten, in Hamburg nieder. Beide hat: 
ten längft das SPortraitzeichnen verlaffen, und ©. fich zur Ölmalerei, Altenrath aber 
zur Miniatur gewandt. G.'s Bildniffe Haben das Verdienſt des dem Leben treuen 
und den Charakter der Perfonen ausfprechenden Ausdruds, dabei ein warmes Co: 
lorit, gluͤckliche Haltung, zarte und fleißige Vollendung des Kopfes und einen mit 
Geſchmack angelegten Gewandwurf. Auch weiß ſich f. fehöpferifehe Phantafıe ver- 
ftorb., oft von ihm nur wenig gefannte‘Jerfonen, nach Beſchreibungen oder ſchlech⸗ 


- tmSfiggen, Todtenmasten u. dgl. fo zu vergegenmärtigen, Daß folche unter ſ. Pin: 


fet, vote nach dem Leben gemalt, fprechend ahnlich hervorgehen. Aldenrarh’s Minia⸗ 
turen vereinigen Kraft mit Zartheit und Geiſt mit fleigiger Ausführung. Beide 


Kunſtler find zugleich Meiſter in der lithographiſchen Kunft, wovon, ſowie auch von 


den Sandfchäften, Vignetten u. f. w. des genialen hamburg. Kuͤnſtlers Siegfried 
Bendiren, die dortige Steintruderei, inBildniffen u. Landfchaften, treffliche Blät: 
ter liefert. Die perfünlichen Eigenfchaften und gefelligen Talente diefer edlen Maͤn⸗ 
ner rg fie längft den gebiltetften Cirkeln Hamburgs als Sefellfchafter fehr werth 
emacht. 
⸗ Grol man (Karl Ludwig Wilhelm v.), großherz. heſſ. Staatsminiſter für 
dns Depart. des Innern und der Juſtiz und Praͤſident der vereinten Miniſterien, 
geb. d. 23. Juli 1775 zu ®ießen, wo f. Nater, der Sandgräflich:beffen-darmflädtifche 
geh. Reglerumgerard, Mitgl. der Provingialregierung war, zeichnete fich auf dem 
yinnaftum f. Baterfladt durch Fleiß und Talent fo aus, daß er, noch nicht 17 5. 
alt, die Landesuniverfitit beziehen Eonnte, wo er die Rechte ſtudirte. Von hier ging 
G. nach Erlangen und kam 17195 nach Biegen zuruck, wo er im Nov. den afademt- 
ſchen Srad annahm und den Lehrſtuhl beftieg. 17798 ward er zum außerordentl. 
Prof., 2 Fahre daraufaber zum ordentl. Lehrer der Rechtewiffenfebaften bafelbft er: 
nannt; 1804 erbielt er den —8 eines Oberappellationsgerichtsraths, und im 
Dec. 1815 die ſeit Koch's Tod (1804) erledigte Kanzlerwürde der Landesuniverfität. 
Auch war in ihm und f. Brüdern 1812 die preuf. Adelswürde, welche antre Zweige 
der Familie ſchon Tänger führten, erneuert worden. 1816 ward G. nad) Darmfladt 
berufen, um dafelbft den Borfig bei der mit Abfaffung einer neuen Öefeßgebung für 
das Großherzogth. Heſſen beauftragten Commiſſion zu führen. Am 31. Juli 1819 
ernannte ihn der Großherzog, beider Krankheit des Staatsminiſters und Directors 
des geb. Minifteriums, Freih. v. Lichtenberg, zum Mitgl. des Staatsminifleriums, 
unter Verleihung der Würde eines wirft. Seheimenrarhes, und nach em Ableben 
des Freih. v. Lichtenberg zum Staatsminiſter. Hr. v. &. blieb einzice: activer 
Staatsminiſter und leitete als folcher alle Zweige der Staatsverwaltung, das Mi⸗ 
ltairweſen ausgenommen, bis zum April 1821, wo eine neue Organiſation der ober: 
fin Staatsbehörten im Großherzogth. Heffen ftattfand, nach welcher die Gefchäfte 
des Staatsminifteriums unter 3 von einander gefonderte Departements vertheilt 
wurden. Seitdem iſt Hr. v. G. Staatsminifter für Das Depart. des Innern und 
der Juſtiz, und Pröfitent der vereinten Minifterien. — Wahrend ſ. länger als 
2Ojahr. akadem. Laufbahn erwarb fih Sr. v. ©. nicht nur Verdienſte als Rechte: 
lehrer, fondern auch als i . Seine wichtigſten Werke find: 1) „Orund⸗ 
ſahe der Criminalwiſſenſchaft, nebſt einer ſyſtemat. Darfiellung ter deutſchen Cri⸗ 
ie darin aufgeftellte 
veranlaßte weitere Forſchungen nach einer tiefern Grundlage 
wnferes peinlichen Rechte. 2) „lider die Begründung tes Strafrecht: ınd der 
Strafgefepgebung, nebft Entwidel. der 2ehre von tem Maßſtabe der Strafen und 
der juridifgen Jmputation” (1799). Diefes Merk hatte vornehmlich zum Zweck. 
gegen Feuerbach und andre Gegner ter Prüventionstheorie den Beweis zu führen, 


0 Grönland | 885 


daß derfelben keineswegs, wie fie behaupteten, bie praßtifche Anwendung abgebe, 
3) „Theorie des gerichtl. Verfahrens in bürger!. Mechtsftreitigkeiten, nach gemeinen 
deutfchen Rechten” (1800; 2. umgearb. X. 1803; die 3. 1818); nach dem Ur; 
theile der Kenner unter G.'s Werfen das gelungenfte. 4), Handb. über den Tode 
Napoleon, zum Behufe wiffenfchaftl. gebilteter deutfcher Geſchaftsmaͤnner entwor- 
fen“. Von diefem auf 10 Bde. berechneten Werke waren die 3 erften 1810—12 
erfchienen, als die polit. Veränderungen in Deutfchland am Ende a 
deſſen Fortſetzung ein Ziel fegten. Unter G.'s Fleinern Schriften nennen wir f, „Ber: 
ſuch einer Entwidelung der rechtlichen Natur des Ausfpielgefchäfts‘ (1 9) u. eine 
proceffwalifche Schrift „Über olographe u. myſtiſche Teftamente” (1814). Außerdem 
war er theils allein, theils in Berbindung mit andern ©elehrten, Herausgeber meh: 
rer Journale, welche Erweiterung des Gebiets der Rechtswiffenfchaft und der Phi⸗ 
loſophie bezweckten. Hierher gehören: 1) „Magazin f, d. Philoſophie des Nechts 
‚und der Sefeßgebung”, feit 17198, und feit 1808 in Siemeinfchaft mit. dern gießner 
‚Prof. v. Lohr fortgef. u. d. T.: „Magazin für die Philoſ. u. Geſch. des Rechts und 
der Sefeßgebung”., 2) „Journal zur Aufklärung über die Rechte u. Pflichten des 
Menſchen u. Bürgers”, herausgeg. 1799 u. 1800 in Semeinfchaft mit den Prof. 
zu Siegen S. C. E. Schmidt u. F. W. Sell, 3) „Bibliothek für die peinl. Rechts⸗ 
wiſſenſchaft u. Geſchichtskunde“; der 1. Bd. 1797 war von G. größtentheils feibft 
bearbeitet; an den folgenden 5 Bön. haben L. Harfcher von Almendingen und P. 
C. 4. Feuerbach Theil genommen. loch verdankt die Univerfität Gießen ©.’s 
zweijaͤhr. Rectorat (1810— 12) die Errichtung des afadem, Disciplinargerichts, 
einer aus Mitgliedern der 4 Facultäten, unter Vorſitz des Rectors und aus dem 
Kanzler der Univerfität zufammengefegten und die Ausrotfung der Studentenver⸗ 
bindungen bezwedenden Behörde. Während G.'s Minifterium erhielt das Groß: 
herzogthum Heffen eine flellvertretende Berfaffung und eine neue Drganifation der 
Staatsvermaltung. Auch wurde, unter der Leitung des Minifters, an einer neuen‘ 
Civil⸗ und Sriminalgefeggebung für das Land gearbeitet. Die Unterfuchungsfache 
gegen den Sommerzienratb Hoffmann (f. d.) fällt in die letzten Jahre f. dffents 
lichen Lebens. ©, ftarb den 14. Febr. 1829 zu Darmfladt, 53 Sabre alt. 
Grönland, ein unter dänifcher Landeshoheit ftehendes Polarland mit einer 
Küftenftredde (im Weſten) von 300 Meilen und etwa 20,000 OM., das jeßt zu 
Amerika gerechnet wird, Seit Lieut. Parry 1819 aus der Baffinsbai durch die Lan: 
cafterftraße in dus Polarmeer gefegelt iſt, weiß man, dag Grönland nicht mit Ame⸗ 
rika zuſammenhaͤngt, fondern eine Inſel fl. So weit man es jegt kennt, erſtreckt 
es ſich von 59° 38° bis 78° n. Br. Nach Süden zu verengt es fich'in ein Vorge⸗ 
birge, Sap Farewell. Bon da erſtreckt fich die weftliche Küfte nordmwärts bis hr 
Davisftrape und Baffinsbai. Fine durch die Mitte des Landes von S. nah IR. 
laufende Sebirggfette theilt es in 2 Theile. Grönland war ſchon vor 800 J., von 
- Norwegen und Daͤnemark aus, durch 2 Colonien bevölkert worden, wovon die eine 
die Weſt-, die andre die Dftküfte inne hatte. Zu Lande befland zwifchen ihnen, der 
Gebirge wegen, keine Berbindung, fondern bloß zur See. Ein 1874 in Grönland 
gefundener Rumenftein (jegt im Eopenhagner Mufeum für nordifche Alterth.) beweiſt 
die frühe Entdeckung Srönlands yon Skandinavien aus, Die weſtl. Colonie befteht, 
nach mancherlei Schidfalen, noch jegt. Die Bolfsmenge im füdl. Theile bis zum 
Strome Srith, 68°, betrug 1811— 13, 3583; Nordgrönland zählte nicht über 
3000 Eingeb. Vom 67—69° iſt das Land unbewohnt. Die größeren Colonien 
heißen Logen. Das Schickſal der oͤſtl. Colonie, welche 1406 aus 490 Dörfern be⸗ 
fand und einenBifchof, 12 Kirchfpiele und 2 Klöfter Hätte, iſt feit jener Zeit in Dum= 
kel gehüllt, Bis zu diefer Zeit waren 16 on Norwegen enffandte Biſchofe regel: 
mäßig aufeinander gefolgt; der 37. erreichte, vom Eife abgehalten, das Land nicht 
mehr, Dergebens fuchten dänifche Seefahrer im 16. und 17. Jahrh. an der Oftküfte 


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886 | Groͤnland 


iu landen. Der letzte, 17186 durch den Capitain v. Loͤwenorn in Auftrag der daͤni⸗ 
ſchen Regierung gema Ste Verſuch ſchlug ebenfalls fehl. Nur fo viel weiß man, dag 
um die Mitte des 16, Jahrh. die Colonie noch beftand, obgleich fie ſchon Damals feit 
‚150 J. van der ganzen übrigen Welt getrennt gervefen war, Diefes verlorene Of: 
grönland foll zwar, nach von Eggers's Preisfehrift vom J. 1794, Das jebige Julia⸗ 
nenshqab auf der Weſſkuͤſte fein; allein nach einem auf der dresdner Bibliothek be: 
frige Manuſcripte (deffen Verf. wahrſcheinlich Paul Juel iſt) foll die alte Nie⸗ 
‚berlaffung-Ofterbygde wirklich auf der Oſtküſte Groͤnlands gelegen haben. Ein Rei: 
fender des 14. Jahrh., Nic. Zeno, befchreibt das damalige Grönland. 1818 fandte 
England, weil das Eis am Nordpool fich vermindert haben follte, eine Erpedition in 
das Polarmeer, die bis an den Nordpol vordringen follte; allein fie kehrte ohne Er: 
folg zuruͤckk. Dagegen fand Tapit, Scoresby der Jung. (f. deffen „Journal of a 
voyage.lo the northern whalefishery ete,”, 1822, überf. mit Anmerk. von Kries, 
Hamburg 1825) die Oſtkuͤſte im J. 1822 eisfrei, und Ponnte fie vom 75° ſuͤdwaͤrts 
berab bis zum 69° befahren und genau unterſuchen. Diefem Entdeder verdanfen 
wir die nenefte geroiffe Kunde von Oftgrönland, durch melche von Eggers’s Gegen⸗ 
gründe widerlegt werden. Er fand In den Ebenen üppigen Graswuchs, aber nirgends 
menfchliche Bemöhner, jedoch verlaffene Wohnpläße mit Jagd: u. Hausgeraͤthe, fogar 
einen hölzernen Sarg. Der engl. Tapit, Sabine befchreibt die Oftfüfte von Groͤn⸗ 
land (ſ. ſ. bi Öradmeffung angef. Werk) vom 7276? N. Br. Auch er fand 
es, wegen des befländigen Eifes, unmöglich, fich der Oſtküſte oberhalb des 74° zu 
nähern; übrigens entfchieden f. Unterfuchungen, dag es feine Strömung gibt, welche 
das Eis von jenen Küffen herabwärts treiben ſoll. Auch auf der Wefkfürle von Gron⸗ 
land war in der Mitte des 14. Jahrh. durch die fürchterliche Peft, welche man den 
ſchwarzen Tod nennt, die Semeinfchaft mit Norwegen und Island unterbrochen wor: 
den. Unter der Königin Elifabeth entdeckten Forbifher und Davis diefe Küfte von 
Srönland aufs Neue; feitdem geſchah nichts zur nähern Unterfuchung des Landes, 
bis die daͤniſche Regierung 1721 einen Prediger, Hans Egede, dergeftalt unterftüßte, 
daß er mit 2 Fahrzeugen im 64° 5 Ianden und am Bualsfluffe die erfte europ. Nie 
Ber affung „Ohute Hoffnung” (Godhaab) gränden konnte, Egede fand dafelbfl einen 
Schlag Menſchen, der wahrfcheinlich von Weſten her über die Davisftraße gefom: 
men und den Esfimog in Labrador dem Stamm und der Sprache nach verwandt 
war. 17133 legte die Brüderunität, auf Antrieb des Grafen v. Zinzendorf, Nieder⸗ 
laffungen und Miffionen auf diefen unwirthbaren Küften an. Jetzt gibt es auf der 
Weſtküͤſte von Grönland 20 Pflanzorte, von denen der füdlichfte, Lichtenau, unter 
dem 60° 34'N. Br. liegt. Gleich über ihm Liegt der zweite Dflanzort, SYulianens 
Hoffnung (Yulianens Haab), in deffen Nähe man noch die Trümmer einer altes 
isländifchen oder norwegifchen Kirche ſieht. Dann folgen immer nördlicher Fried: 
richs Hoffnung, Lichtenfels, Gute Hoffnung, Neuherrnhut, Zuderhut, Holfteinburg, 
Egedesminde) Chriſtians Heffnung, Jakobhaven, Omenack und Upernamik iya 72° 
32 N. Br., die nordlichſte Jeiederlaffung, roelche aber jeßt, von Europäern verlaf: 
- fen, bloß noch von Srönfändern bewohnt wird. Der Statthalter von Südgrönland 
bat feinen Siß in Gute Hoffnung, und der von Nordgrönland in Guthaven auf der 
Disko: nfel, 700 N. Br.. Auf der ganzen Küfte find 5 proteftant, Kirchen, worin 
das Evangelium grönländifch und dünifch gepredigt wird. Die Brüder haben 3 Ge: 
meinhäufer, in Lichtenau, Lichtenfels und Neuherrnhut. Die urfprünglichen Eins 
wohner, von den ülteften istindifchen und norwegifchen Schriftitellern Skrellinger 
Benannt, gehören zu dem Voͤlkerſtamme der Esfimos, die fich über den ganzen Nor: 
den von Amerifa bis an die weſtliche Kuͤſte verbreitet haben. Sie zeichnen fich durch 
ihre Fleine Statur, ſchwarze, lange, ftraffe Haare, ſchwarze Augen, ungewöhnlich 
große Köpfe, dünne Beine und eine hraun:gelbliche, faſt olibengrüne Farbe des Kör: 
pers aus, Die letztere iſt indeß die Folge theilg von dem Schmutz, worin fie leben, theils 


Seinen : 887 


von ihren. Nahrungsmitteln und Gewohnheiten, indem fie befländig mit Speck imd 
Thran ungehen. DieMeiber, von Jugend auf zum Lafftragen angehalten, befom- 
men dadurch fo breite Schultern, daß fie, wie auch ihres Anzugs wegen, alles weib⸗ 
liche Anfehen verlieren. Sie leiden fich in Rennthier- oder Seehundfelle ; davon iſt 
das kurze Gewand, davon die Beinkleider, die Strümpfe und Etiefeln beider Ge⸗ 
fehlechter. Bei großer Kälte tragen fle noch unter diefem Gewande ein Hemde von 
Vogelhaͤuten, befonders der Eidergans, tes Seerabens und des Papageitanchers, 
Im Winter leben fie in Häufen von Steinen erbaut, mit 2 Fuß dicken Wänden, 
deren Dach von Rafen ift, und in die man auf Haͤnden und Füßen hineinfriechen 
muß. Selten find in diefen Wohnungen Fenfter, die allemal aus den Dürmen der 
Wallfifche und Seehunde gemacht werden. Das ganze Haus ift nicht Aber 6 Fuß 
hoch, 12 Fuß breit und ebenfe lang. Eu beſteht nur aus einem Zimmer, an deſſen 
einer Wand eine Bank, mir Kobbenfell überzogen, als Tifch und Bette dient. Un⸗ 
aufbörlich dampft eine Thranlampe, und die Hiße, durch die flarke Ausdünftung 
der Bewohner noch vermehrt, iſt für einen Europser unerträglih, Dazu kommt 
ber Geſtank von dem Unrath umd dem Schlachtvieh, deſſen Abgänge beh großer Kitte 

in den Zimmern liegen bleiben; ſowie die ungeheure Menge Ungez und der 
Echmup, wovon ihre Kleider und Körper florren. Wenn der Schnee ſchmilzt, wel⸗ 
ches gewöhnlich in der Mitte des Meat gefchiebt, fo ſinkt oft das Dach des Haufes 
ein, md der Grönländer fehlägt nun feine Sommerwohnung in einem Zelte auf, 
welches mit Robbenfell bedeckt, mit einem Vorhang yon Wallfifchdärmer verfehen 
und im Innern ebenfo eingerichtet iſt als das Winterhaus. Seräthe und Werkzeuge 
find einfach, aber zweckmaͤßig. Sie beſtehen in Pfeil und Bogen, in Lanzen, Wırfe 
fpiegen und Harpunen. Die Kähne find von Bretern, mir Sifchbein zufammenges 
fügt-und mit Robbenfell überzogen. Diefe weiß der Groͤnlaͤnder, felbft bet ſtuͤrmi⸗ 
ſcher See, trefflich und ficher zu behandeln. Auch fähet.er über die gefrorene See 
6-8 Meilen weit vom Lande in Schlitten mit Hunden befpahnt. Diefe Thiere 
" £önnen 14 deutfche Meilen in 9—40 Stunden zurüdiegen Die Sprache der 
Srönfänder ift diefetbe, welche von den Eskimos ımd an der Hudſonsbai geredet 
wird. Spuren derfelben finden ſich bis an die Nordweſtkuͤſte von Amerika und bis 
zum Nutkaſand. Bewundernstruͤrdig ift in diefer Sprache die Mannigfaltigkeit der 
Formen ſowol für die Werben als auch für die Pronomen. Dem gröbften Aberglau⸗ 
ben ergeben, verehren die Grönlinder Zauberer, die Priefter und Arzte zugleich find. 
Vom höchften Weſen haben fie höchft rohe Begriffe. — Die Nordoftminde bringen 
oft im Winter eine folche Kälte hervor, dag das Fahrenheit'ſche Thermometer 48° 
unter den Gefrierpunkt ſinkt. Dagegen find die Weſtwinde, die über dir Davis: 
ftraße berwehen, ‘immer feucht und mitZhaumetter verbunden. Die Grundlage 

. aller Berge und Felfen ift feinförniger Granit mit Gneis, Glimmerſchiefer, Horn: 
biende und Weißſtein. Eingefprengt oder eingebettet find-feltene Foffiles eine Menge 
mognetifcher Eiſenſtein, Gadolinit, Cirkon, llanit Schoͤrl, Turmalin, die ſchoͤn⸗ 
ſten Öranaten, Sopaliten, Dichroiten und Hyperſthene von der fehönften himmel⸗ 
blauen Farbe, Scoresby fand hier alle Haupt: und Unterarten der Urgebirge, vom 
Gneis bis zum Thonfchiefer. Übergangsgebirgsarten ſinð hier zum erften Male in 
'- fü hohen Breiten nachgewiefen, von Flößgebirgen find menigftens 2 Formationen, 
A die der Steinkohlen und die des Trapp und Porphyhr entdeckt, mit Überreſten von 


Pflanzen, deren manche ein tropiſches Anfehen haben. Don baumartigen Gemwächfen | 


3. gibr es nur Ebereſchen, Birfen, Wothholder und Zwer gweiden; von Beeren nur 
Preißel: und Sumpfbeeren. Überhaupt laßt fich die Zahl der blühenden vollfom: 

- menern Sersächfe kaum auf 200! dringen; dafırr find die uwollkommenern Lands 
und Seegervächfe unzahlig. Bon Sangethieren hat Grönland den Polarfuchs, den . 

. " weißen Hafen, das Nenntbier, den toeißen Bar, das Wallroß, mehre Robben und . 
das Narwall. - Der grönländifche Wallfifch kommt in Wange und von außerordent⸗ 


888 Gronov (Familie) Gros 


lichem Umfang vor, Unter den.Bögeln find die Moen, Taucher, Sturmvägel, 
Pelikane, Nothgänfe, Eidergänfe, Papageitaucher, Lummer und die'grönländifche 


„Taube die wichtigften. Landvögel kommen wenig vor. Unter den Fifchen ſchatzt 


man die Alpenforelle, die Polarforelle, den Kabliau, Dorf und Schellfifch. , Bon 


den Inſekten ifteine Art Musquitos im Sommer die befehwerlichfte, Die Ausfuhr 


beſteht in Fiſchbein, Thran, Sped, Barden, Robbenfellen, Fuchs-, weißen Bären: 


. u. Rennthierbälgen, Eiderdunen und Narwallbörnern. Dafür werden Mehl, Brot, 


Thee, Caffee, Bier, Semüfe, Pulver, Blei, alle Eifenwaaren, Leinwand, Baum 


solle, Tucker u. Glaswaaren eingeführt; doch ift noch Vortheil bei dieſem Tauſch 


handel, denn der Werth der geönländifehen —— die jaͤhrl. nach Kopenhagen 


eben, wird auf 200,000 Thlr., dagegen die Einfuhr m Groͤnland auf 85,000 
bir. berechnet. - Bal, Manby's „Reiſe nach Grünland 1821”, a d. Engl. von 
Michaelis (Rpz 1823) u. Cranzs „Hiftorie van Shänl.” (2, Th. &py 1765 — 70). 
Grono v (Gronovius), Kritifer und Pbilplogen. FJehann Friedrid 

G., einer. der erften Alterehumsforfcher, geb. am 8. Sept. 1614 zu Hamburg, 


. befuchte Leipzig und. Jena, fludirte zu Altdorf die Rechte, hielt ſich einige Zeit 
in 


Hollach und. England auf, bereifte Frankreich und Italien, ward Prof. der 
Geſchichte und Beredtfamfeit zu Deventer, und ging 1658, nach Daniel Hein: 


‚ fius’s Tode, an deffen Stelle nach Leyden, wo er den 28. Dec. 1671 flarb. Er 
. verband mit ausgebreiteten Kenntniffen unermübdeten Fleiß undliebenswürdige Leut⸗ 
‚.feligkeit, Seine Ausg. des Livius, Statius, Juſtin, Tacitus, Gellius, Phadrus, 


Seneca, Salluft, Plinius, Plautus u. A., forie f. „Observationes“ find voll der 


- fcharffinnigften und richtigften Verbefferungen; f. „Commentarias de sesterciis” 


. zeigt die gründlichfte Kenntniß der romufchen Sprache u. Alterthümer, und f. Ausg. 


von Hugo Örotiug’s Buche „De jurc keili et pacis“ wird wegen der Anmerk. ge: 
ſchaͤtzt. — Sein Sohn, Jakob, geb. den 20. Det. 1645 zu Deventer, fludirte bier 
und zu Leyden, hielt fich einige Deonate zu Oxford und Cambridge auf, und fam 


. nach Leyden zurũck, wo f. Ausg. des Polybius, 1670, folchen Beifall fand, dag er 


einen Ruf nach. Depenter bekam. Er ſchlug ihn aber aus, um Frankreich, Spanien 
und Stalien zu bereifen. Der Großherzog von Toscana übertrug ihm eine Lehrſtelle 


Ä in Pifo, die er jeboch 1679 verließ und dagegen Prof. der fihönen Wiffenfchaften 


zu Leyden und 1702 Geograph der Univerfität ward. Er farb dafelbft den 21. Ext. 


+ 4716. Diefer gelebrte und fleifige Kritiker gab deu Tacitus, Polybius, Herodot, 


Pomponius Mela, Ticero, Ammiamıs Marcellinus u. A. heraus und fanımelte 
den fchägbaren „Thesaurus antiquitatum, graecarum” (Leyden v. 1697 an 18 


Bde., Fol.), fo wie er auch die Sammlungen des Graͤvius (f. b.) zur Herausgabe 


- förderte; allein er gab auch manche Bloͤßen und ließ «8. fich in ſ. Dünkel beifom: 


. men, Männer von.den entfchiedenften Derdienfien, wie Henricus Stephanus,' 


Spanheim, Boffius, Salmaſius, Bochart, Graͤvius, anzugreifen und su ſchmaͤhen. 
— Sein Sohn, Abraham, zu Leyder 1694 geb., hatfich durch f. Ausg. des Ju⸗ 


ſtin, Pomponius Mela, Tacitus und Alian auch als einen guten Philologen ge: 


zeigt. Er flarb dafelbft als Univerfitätsbibliothefar am 17. Aug. 1175. _ 
Gros (Antoine Jean), geb. zu Paris 1771,. Schüler von David, ber 
größte Schlachtenmaler unferer Zei. Sein Kunfifireben nahm eine ganz ver 


ſchiedene Richtung von ber feines berühmten Meifters. Erft machte fi) ©. durch 


fprechend ähnliche Portraits befannt (u. a. durch das Semälde: Bonaparte zu Ar: 
cole, 17196); hald ging er aber zu dem ihm eigenthümlichern Sache großer und 
reicher Sompofitionen über, soobei er fih Paul Veroneſe zum Vorbilde gewählt zu 


‚haben ſcheint. ein erftes gefröntes Werk diefer Art war das 1804 ausgeftellte 


Semälde: Bonaparte visitant les pestifgres.de Jaffa, geftochen won Laugier 
Paris 1829, von bem es 80 Abdrüde avant Ja lettre gibt. Das Furchtbare 
dieſes Gegenſtandes iſt zwar babei in ein grelles Licht geftellt, aber durch treffliche 


® 


En 


- Groſchen Groß/⸗Beeren (Treffen bei) ‘889 


. Wirkung und glüdtiche Gedanken auch wieder gemildert. “Dies Gemälde erregte 
allgemeines Auſſehen, die Regierung kaufte es, und G. bekam eine neue Aufgabe: 
die Schlacht bei. Abufir, Er entwarf diefes große und reiche Gemaͤlde in vollem 
Feuer eriter Begeifterung und vollendete es in ungeführ 14 Monaten. Die Schlacht 
von Eplau, welche ©. malte, ift von ungemeiner Wirkung, doch ift Vieles darin 

. übertrieben, und die Darftellung fo vieler Berftümmelten mißfallig. Gs allgemein 
bewundertes Gemaͤlde (1814), das den Befuch Franz's l. und Karls V. in der Abtei 

+ &t.:Dinis darftellt, befindet fich in der Sakriſtei diefer Kirche. DieAbreife des. Koͤ⸗ 

nigs in der Nacht des 20. März 1815 war der Gegenſtand eines neuern Werkes, 

welches ©. 1817 ausfiellte. Man tadelt die darin herrfchende Verwirrung und das 

Unedle der Hauptgeftalt, eine Sruppe Nationalgardiſten iſt ausdrucksvoll, der Licht: 

effect auf dem zweiten Plan und die Geſtalt eines alten Dieners find trefflich. 1824 

vollendete ©. fein großes Ruppelgemälde in der Sienovevatirche, das einen Naum - 

. von 3250 Fuß einnimmt, daher alle Figuren Eoloffal dargeftellt werden mußten. 
Es ftellt die den franz. Thron beſchuͤtzende Genoveva vor. loss, Karl der Große, 

der heil. Ludwig und (Napoleon: denn von diefem rübrte der Plan her; ftatt deffen) 

Ludwig XVIII. mit der ogin von Angouleme, bilden die Hauptgruppen. Als 

. Karl X. das Gemälde fah, begrüßte er den Meifter als Baron, und der Minifter 
gb ihm zu dem Preife des Gemaͤldes (100,000 Sr.) eine Zulage von 50,000 Fr. 

He Gemälde diefes Künftlers find durch fühne Beichnung und Kraft der Farben 
beſtechend. G. iſt Mitglied der Akademie; des Ordens des h. Michael und der Eh⸗ 
renlegion, amd Prof. der Schule der Dialer: und Bildhauerkunft. WI. 

Groſchen, eine Silbermuͤnze, von grossus, did, genannt: dicke Munze, 
‚Im Segenfaß der dünnen Blechmünje. Die älteften bis jegt bekannten Groſchen 
sourden in&rier.1104 gefchlagen. 1296 fihfug man die erften böhmer Groſchen zu 
‚Kuttenberg. In der Reichsmünzordnung von 41525 erhielten fie die Abtheilung in 
42 Pfennige. 4504 ſchlug zuerft die Stadt Goslar die jeßigen kleinen Srofchen 
(die Mariengrofchen Halten 8 Pfennige); der neuen preußifchen Silbergroſchen 
gehen 80 aufeinen Thaler. | ae 

‚., Öroßaventurbandel, Aventura grossa, Serverfihe 
rungssoder Affecuranzbandel. Die Waaren, welche der eıtropaifche Groß⸗ 
handel nach entfernten Weltgegenden verfendet, müffen durch viele Hände geben, 

. ebe fie an den letzten Berbraucher gelangen, hierdurch wird der Preis derfelben für 
diefen gar fehr erhöht; es ift daher natürlich, dag Jemand, der diefe Waaren in 
Europa kauft, mit denfelben in fremde Gegenden reift und fie felbft in die Hände der 

Verbraucher bringt, diefelben viel mohlfeiler geben kann und doch noch großen Ge⸗ 
winn dabei macht. Nun aber Eönnen die mit diefem Handel fich abgebenden Schif⸗ 

. fer, Matrofen u. A. dgl. Sefchäfte felten mit eignem Vermögen machen, fordern 
fie müffen entiveder die Waaren oder das Geld dazu borgen. Dergleichen Borfchüffe 
find folgenden befondern Sefahren unterworfen. 1) Die Zelt der Wiederbezahlung 
tft ungewiß, denn es läßt fich nicht beftiuimen, wie bald das Schiff und mit ihm der 
Borgende mit. dem gelöften Selde zurüdtommen werde. .2) Der Leihende muß'die 
ganze Seegefahr für die Hin und Herreife tragen. : 3) Der Borgende fommt nach 
Gegenden, die der Leihende nicht kennt, und wagt fich in Gefahren, die fein Geld 
und But in folche Hände bringen fünnen, aus welchen es ſchwerlich mwiederzuer: 
langen ift, da die Hand der Gerechtigkeit felten ſo weit reicht. 4) die Borgenden 
find gewöhnlich Perfonen geringen Standes und nicht immer ganz zuserläffig. Aus 

dieſen Sründen werden bie Zinfen fehr hoch beftimmt und fteigen auf ein Dritttheil, 
ja auf die Haͤlfte des Sapitals. Der in diefem Wege betriebene Handel heißt Groß: 
aventurhandel, und einen Borfchuß der Art machen, heißt auf Großaventure geben. 
Viel Ahnlichkeit mit dieſem Sefchäfte hat die Bodmerei (ſ. d.). MK, 

Groß⸗Beeren (Treffen bei), den 28. Aug, 4813. Als nach der Auf⸗ 


⸗ 


890 | Großbritannien. Gefchichte von England. 


kündigung des Waffenſtillſtandes der Krieg mit Napoleon den17. Aug. 1818 anf 
Treue begann, wollte der franz. Kaiſer 3Blige zu gleicher Zeit feyleudern, auf Dres: 


‚lau, Prag und Berlin. Sie fielen fimmtlich auf ihn zurück, an der Katzbach, kei 
- Kulm und G.B. Berlin desften der Landfturm und Die Nordarmee, welche unter 


dem daͤmal. Kronprinzen Karl Johann von Schweden aus der 3. und 4. preuf. 
Heerfchar, aus den ruff. Corps unter. Woronzow, Winzingerode und Czernitſchef, 
und aus etwa 22,000 Schweden beftand, Das frangöfifche, durch Wurtemberger, 


Baiern, Darmflädter und Sachfen verflärkte Heer beftand aus 4 Heermaffen unter 


Dudinot, dem Oberfeldherrn, Victor, Regnier und Bertrand, nebft der Reiterei um: 
ter Arrighi, und war 80—90,000 M. ftark, deren Beftimmung, Berlin zu erobern, 
der Senergl Sirard mit der Befakung von Magdeburg unterſtützte. Allein der 
Kronprinz machte im Kleinen denfelben Operationsplan gegen diefes Heer, den Die 
Derbündeten im Großer gegen die ganze feindliche Macht entworfen hatten. Er 
bildete nämlich mit f. Heere einen Bogen von Buchholz, dem aͤußerſten linfen Flü⸗ 
gel, über Mittenmwalde, Rlein:Beeren, Heinersdorf, Blankenfelde, Ruͤhlsdorf bis 

eliß und Treuenbriegen, dem Außerften rechten Flügel, von mo die Ruſſen in den 
Dogen einwürts gegen Juͤterbock bin flanden, die Preußen aber in die Mitte bis 


Trebbin vorgefchoben waren. Die preuß. Generale Hirfchfeld und Puttlitz beobach⸗ 
.. teten jenfeits Brandenburg Magdeburg. Don beiden Flügeln ftreiften Lichte Trups 


pen bisWittenberg, Guben und Baruth. “Der Feinde drang d. 22. in jenen Bogen 


ein; Regnier im Mittelpunfte, Bertrand auf dem rechten, Dudinot auf dem Linken 


Flügel. Sie griffen die Preußen bei Trebbin an, welche fich zuruͤckzogen; hierauf 


ſtuͤrzte ſich Bertrand 8.23. auf den General Tauentzien bei Blantenfelde, murde aber 


jurüdgeworfen. Regnierdrang bis G., den Schlugftein der Bogenftellung, etwa 


: noch? Meilen von Berlin, vor. Hier griff ihn aber unerwartet der tapfere Buͤlow an. 


Zugleich umging Borftell den rechten feindl. Flügel. Die Preußen fochten im Ans 
‚gefichte ihrer Hauptſtadt mit Heldenmuth. Machdem eine reitende füchf. Batterie 


„in die Flanke gefaßt und genommen war, drangen fie vor im Sturmſchritt. Kein 


Gewehr ging los der Näffe wegen; man flug fich mit Kolbe und Bajonet. ©. 


: ward mit Sturm genommen, die Sachfen und das zweite frany. Corps wurden ge: 
- worfen, und die Reiterei des Herzogs von Padua wurde verfprengt. Als nun Dudis 
„not die 3 Heerfcharen des Nachhalts vorrüden-Ließ, flürmten ihnen, ſowie fie aus 
- dem Gehölze fich entwidtelten, die Ruffen und Schweden entgegen. Der ſchwed. 


Oberft Cardell, von einem Reiterangriff unterftügt, nahm das feindliche Geſchuͤtz. 


: Da brach. Dudinot den Kampf ab und zog ſich an die Elbe nach Wittenberg und 


Torgau zurück. Er verlor 30 Kanonen und über 2000 Gefangene. Die Preußen 
eroberten Juͤterbock, und den 28. Luckau. Friedr. Wild. IN. errichtete Hier feinem 
-tapfern Heere ein ppramidalifches ‘Denkmal von gegoffenem Eifen, k. 
Großbritannien und Irland oder die drei vereinigten Reiche Eng 
kand, Schottland und Irland. Der Name Grogbritannien für dag vereinigte Eng: 
land und Schottland Fam fchon unter Jakob I. auf, wurde aber erſt unter der Köni: 
gin Anna gerodhnlich. Liber das Geopraphifehe f. England, Schottland und 
Irland. England wurde zuerft durch die Didmer bekannt, welche es u. d. N. Dri: 
tannia zur römifchen Provinz machten. (S. Britannien.) Ms die Römer über: 
all von den einbrechenden fremden Völkern gedrängt wur en, 309 Balentinian UL, 
426 feine Zegienen aus England und überließ die Briten ihrem ickſale. Diefe, 
unter der Iangen Herrfchaft der Nomer des Kriegs entwohnt, konnten jeßt den Sco⸗ 
ten und Picten nicht widerſtehen, und fuchten Hülfe bei den um die Mündung ber 


| 


Elbe wohnenden Sachfen, welche auch (449) unter ihren Anführern Hengiſt und 


Horfa nach England famen, die Scoten zwar völlig zurüdtrieben, aber auch ſich 
felbft in England feftzufegen fuchten. Durch immer neue Haufen ihrer Landsleute, 
befonders der Angeln, verſtaͤrkt, zwangen fie die Briten, die fich lange, vorzüglid 


% ’ 
( 


Großbritannien. | Gefchichte von England bis 1154 394 


unter bem König Artur, vertheidigten, ihnen das Land zu überfaffen, Die noch übrig 


gebliebenen Briten mußten fich in die Feine ‘Provinz Sambrien — das heutige Wales 
— einſchraͤnken laffen, oder flohen nach Armorica in Frankreich, welches, von ihnen 
den Namen Bretagne erhielt. Die Angel: Sachfen errichteten nun 7 £leine 
Staaten, deren Haͤupter fich Könige nannten, aber doch in einer-geroiffen Gemein⸗ 


ſchaft blieben und allgemeine Verſammlungen hielten, in welchen Die das ganze Volk 


betreffenden Angelegenheiten verhandelt und entfchieden wurden. Vom 7}, 598 an 
wurde die. chriftliche Religion nach und nach unter ihnen eingeführt. Egbert der 
Große, König von Weftfer, vereinigte (827) alle diefe Staaten unter dem Namen 
England, Seine Nachfolger mıgten den Normännern oder wie mar fie in England 
nannte, den Dänen, welche auf ihren Streifzuͤgen zur See auch die engl. Küften au⸗ 
gegriffen und einen Theil des Landes erobert. hatten, einen jühr!. Tribut (Danegeld) 
zahlen. Alfred der Große weckte den Muth feiner Nation aufs Neue, überfiel 


"Die Dünen, vertrieb fie, befriegte fie felbft in der Folge zur See umd behauptete fich 


in dem Befiße f. Reiche. Sein Tod (901) war ein Berluft für England, das nun 
wieder von den Dänen angegriffen und, nachdem Ethelred I. alle in England woh⸗ 


- nende Diinen 1002 hatte ermorden laffen, vom Dänen: König Swen ganz erobert 


ward. 40 Jahre lang behaupteten fich die Dänen unter dem König Kanut und 
f. Söhnen in England. Als fie es (1041) verlaffen mußten, kam der angelfächfifche 
Prinz Eduard der Befenner aufden engl. Thron. Er veranftaltete eine, noch fehr 
mangelhafte Sammlung aus den Sefegen der Sachfen und Dünen, welche das ge: 
meine Recht (Common Law) genannt wurde. Machdem diefer Eduard, der letzte 
angelfüchf. König (1066) ohne Kinder verftorben war, wurde Harald, Graf v. Weſt⸗ 
fer, von der Nation als König. anerkannt. AberWilhelm, Herzog der Normandie, 
der nur entfernte Anfprüche auf den engl. Thron hatte, Iandete mit 60,000 M. in 
England und wurde durch das entfcheidende Treffen bei Haſtings (den 14. Oct.), in 
welchem Sarald blieb, Herr des ganzen Landes; er erhielt deßwegen den Beinamen 
der Eroberer. Wilhelm übergab alle wichtige Ämter feinen Landsleuten. Werfchtes 
dene Empörungen der mißvergnüägten Engländer gaben ihm einen Vorwand, feine 
Herrſchaft mit größerer Strenge auszuüben. Er führte das bis dahin in England 
ungerwöhnliche ehnrecht und. ſchwere Atıflagen ein. Da Wilhelm als Herzog der 
Hrormandie Lehnmann des Königs von Frankreich war , der. über die zunehmende 
Mache f. Bafallen eiferfüchtig werden mußte; fo nahmen von diefer Zeit an die 
Kriege zwifchen Frankreich und England, die beinahe 400 J. gedauert haben, ihren 


. Anfang. Wilhelm flarb 1087. Hatte England mit Klugheit, aber-auch mit 


- eifernem Scepter regiert. Ihm folgte fein zweiter Sohn Wilhelm II., der ebenfo 


ſtreng regierte, dann der dritte Sohn, Heinrich J., der von ſ. Älteften Bruder, Ro⸗ 


bert, den Befiß-der Normandie mit Gewalt erzwang, und den Engländern verfchie: 
dene ihrer alten Freiheiten wiedergab, übrigens aber feiner Habſucht und Herrſchhe⸗ 
gierde Alles aufopferte. Da er feine männliche Nachkommen hatte, ließ er feine an 
den Strafen Gottfried oon Anjoır vermählte Tochter Mathilde von der Nation, gie 
Kronerbin anerkennen, modurch dir weibliche Thronfolge in England eingeführt, aber 
auch veranlaßt wurde, dag England nachher beflindig von fremden Öefchlechtern Be: 
berrfcht worden ift. Ungeachtet diefer Verfügung wurde nach Heinrichg Ir Tode 
(1135) f. Schwerter Adela Sohn, Stephan, Graf von Blois, von der Natien als 


König’ anerkannt, der (1154) den Sohn der vorermähnten Mathilde, Heinrich IH: - 


mit dem Beinamen Plantagenet, Srafen v. Anjou, zum Nachfolger hatte. Hein⸗ 
rich II, war einer der mächtigften Könige Englands; außer der Normandie, f..müt: 
terlichen Erbaheile, erbte er von f. Bater Anjou, Maine und Touraine, und erhielt 
mit ſ. Semahlin, Eleonora von Suienne, von welcher Ludwig VH. von Frankreich 
fich hatte fcheiden laffen,, Guienne, Poitou und andre Landſchaften, ſodaß er faft 


den vierten Theil von Frankreich, und weit mehr, als damals dem Könige nou Frank: 


J 


802 Großbritannien. Gefchichte von England bie 1485 | 


‚ reich unmittelbar gehörte, befaß. Aber eben diefes Verhaͤltniß wurde Beranlaffung | 
zu öftern Kriegen mit Frankreich. Heinrichs I. lange Regierung — er fiarb 1189 
— war zwar durch feine Friegerifchen Unternehmungen glänzend, aber, befonters 
gegen dag Ende durch Streitigkeiten mit den Seiftlichen und die Empörungen feiner 
hne, fehr unruhig. Heinrichs Sohn und Nachfolger, Richard Lowenherz 
(f.d.), fo benannt wegen feiner außerordentlichen Tapferkeit gegen die Sarazenen, 
wurde von der Nation geliebt, und man ſchmolz ſelbſt Kirchengefüße ein, um das 
für f. Befreiung aus Ber Gefangenſchaft in Dftreich gefoderte Loſegeld von 150,000 
‚Mark Silber aufpıbringen. Während Richards Abmwefenheit waren in England 
Unruhen und ein verderblicher Krieg mit Frankreich entftanden. Ihm folgte (1199) 
:f. Bruder Johann, ein ſchwacher Regent, der, in einem Kriege mit Frankreich, die 
ormandie und andre Kinder verlor, in den Streitigkeiten mit dem ’Papfte ſich 
große Demüthigung gefallen laffen mußte, und von feinen Unterthanen gezwungen 
murde, ihnen 1215 den großen Sreiheitsbrief (Magna Charta, the great 
Charter, ſ. Charta M.) zu geben. Diefes Srundgefeß ift von verfchiedenen Konigen 
bekräftigt und erweiterf worden, Neue Streitigkeiten mit den Großen des Reichs 
batten die Solge, daß Johann won ihnen der Regierung entfeßt und nah Schottland 
iu flüchten genöthigt wurde, mo er (1216) farb. Er heißt daher Johann ohne Land. 
"Sein Sohn Heinrich HI. hatte eine lange, aber durch eigne Schuld unruhige Re: 
gierung; unter ihm entfland feit 1265 das Unterhaus des Parlaments, oder das 
Haus der Semeinen. Unter feinen Nachfolgern war Eduard IN. (von 182719) 
einer der mächtigften Könige Englands. Er entzog ſich der Oberberrfchaft des 
Papſtes umd eroberte einen beträchtlichen Theil Frankreichs, weßwegen er den Titel 
König von Franfreich annahm, den feine Nachfolger bis 1804 geführt Haken. 
N Dieſe Eroberurigen gingen zum Theil noch bei Eduards Leben, aber faſt gänzlich 
"unter ſ. Enkel und Nachfolger, Richard IL, verloren. Richard, der die Rechte der 
Nation verleßt hatte, verlor den Thron und im Sefängniffe das Leben (1399). 
Nun entftanden zroifchen den beiden von Eduard II. abflammenden Samilien San 
- " tafter und York wegen der Thronfolge Streitigkeiten, die beinahe ein Jahrhundert 
Bindurch dauerten. Sie werden der. Streit zwiſchen der rothen und weißen Rofe 
" genannt, weil die Samilie Lancafter eine rothe, York aber eine weiße. Hofe im Wap⸗ 
“pen führte. „Heinrich VII, Graf v. Richmond, aus dem Haufe Lancafter, behaup⸗ 
- tete (1485) den engl. Thron und vereinigte durch f. Heirath mit Elifabeth aus dem 
- Haufe York das Intereſſe beiber Familien, deren übrige Mitglieder Durch Schlachs 
"ten, Mord und Hinrichtungen aufgerieben worden waren. Nachdem einige von 
' Mißvergnügten erregte Unrußen geimpft worden waren, gelangte England in 
einen ruhigen Zuſtand, welchen es diefem Heinrich VII., dem man den Beinamen 
des engl. Salomo gub, verdankte. Mit ihn begann die Reihe der engl. Regenten 
- aus dern Haufe-Tudor (ein Name, den Heinrichs Großvater geführt hatte), die mit 
.Sifabeth (1603) endigte. Sein Soßn, Heinrich VIII., unternahm viel, aber fall 
" immer ohne wichtige Folgen. Er hätte in dem großen Streite zwiſchen Karl V. 
und Franz I. einen entfcheidenden Einfluß Haben fünnen, waͤre er nicht zu wanfel: 
nmuũthig gewefen, und wäre ee nicht den-Anfichten feines erſten Minifters, des 
Cardinats Wolfen, gefolgt, den perfonlicher Vortheil von einer Partei zur andern 
- Binzeg, Durch den Befiß von Calais war es den Engländern leicht, in Sranfreid, 
- fo oft fie wollten, zu landen; doch gingen Heinrichs Eroberungen dafelbft bald vers 
: foren, und nur Calais bfieb ihm noch. Die Kirchenverbefferung in Deutfchland 
erregte auch in England Aufſthen; ungeachtet des firengen Verbots murden 
Luther's Schriften Häufig gelefen. Heinrich VIII., nicht ohne gelehrte Kennt: 
niſſe, befonders in der fcholaflifchen Theologie, unternahm es, die Lehre der roͤmi⸗ 
ſchen Kirche von den fieben Sacramenten in einer eignen Schrift zu vertheidigen, 
welche Luther mit Heftigkeit widerkegte,. Papſt Leo X. aber dadurch ehrte, daß er 


} 


Großbritannien. Geſchichte v. England bie 1608 898. 


(4521) dem Könige den Beinamen Befchüger des Staubens gab: ein Titel, den 
die proteftantifchen engl. Konige noch jeßt führen. Das Anfehen des Papſtes war 
bieher in England fehr groß, und der Betrag der aus diefem Lande jährl. nach Nom 
fliegenden Geldſummen fehr bedeutend geweſen. Dies hörte auf, als König Hein⸗ 
rich (1634) mit dem römifchen Stuble brach, weil der Papft, aus Furcht vor dem 
Karfer, in die Ehefcheidung Heinrichs son fener Gemahlin Katharina von Aras 
onien, einer Derwandtin Karls V., zu willigen zögerte, Heinrich fündigte dem 
apfte allen Gehorſam auf, 309 nach und.nach verfchiedene Klöfter und. Abteien - 
ein, erflärte fich für das Oberhaupt der Kirche, behielt aber doch die Hauptleh⸗ 
ren der römifchen Kirche bei. Die Reformation fand indeffen viele Anhänger, und 
diefe Derfchiedenheit der Meinungen, forwie das Einziehen der Kirchengüter,, verans 
laßte mancherlei Unruben. Heinrich fuchte, wie fein Vater fhon gethan hatte, die 
fönigl. Gewalt zu vergrößern. Unter diefem war das erfte große Kriegsfchiff in 
england gebaut worden. Heinrich VII. ſchuf die erfte Flotte, mußte aber, um fie 
zu bemannen, fremde Seeleute von den Schiffen der Hanſeſtaͤdte, Genueſer und 
Venetianer, welche damals die erfabrenften Seeleute waren, in Sold nehmen. Er 
errichtete ein Admiralitätsamt und wies für f. Marine Befoldungen an. Nach ſ. 
Tode (1547) folgten ihm f. drei Kinder nacheinander in der Regierung. Eduard VI, 
ein Prinz von fanftem Charakter und ein großer Freund der Reformation, grün: 
Dete die anglifanifche ıbifchöfl,) Kirche, Seine Halbſchweſter Maria (1553). 
handelte in einem ganz entgegengefeßten Seifte und vermäblte ſich, um einen aus: 
wärtigen fichern Beiftand gu Haben, mit Philpp I. von Spanien. Dieſe Verbin⸗ 
dung, welche für feinen der beiden Theile die gehoffien Vortheile gewährte, in Engs- 
land aber viel Mißvergnügen verurfachte, hatte die Folge, dag England in einen 
Krieg mit Frankreich vermicelt wurde, in welchem es f. leßte Eroberung dafelbft, 
Calais (1558), verlor. Maria ftarb (1558) gehaßt wegen der häufigen Hinrich: 
tungen, durch welche fie die Reformation in England zu unterdruͤcken gedachte, Mit 
fegben Erwartungen des größten Theils der Nation flieg aus dem Kerfer, in wel: 
chem felbft ihr Leben nicht felten in Gefahr geweſen war, Elifabetb auf den Thron 
und erfüllte die Hoffnungen des Volks. Durch Feftigkeit im Handeln und Fluges 
Benußen der Limftände hob fie den Staat zu einer, bis dahin ungewöhnlichen Groͤ⸗ 
fe und gründete feine nachheridge Macht. Sie befünftigte mit Klugheit die Par⸗ 
teien und führte die Reformation nach der noch jetzt beftebenten bifchöfl, Einrichs 
tung ein. Sie ermunterte den Kunftfleiß der Nation, beförderte befondere die 
Wollenmanufacturen, auch durch Aufnahme. vieler vom fefien Lande wegen der Re⸗ 
ligion Vertriebenen; und begünftigte den auswärtigen Handel. Um die noch vor: 
. bandenen Mängel kennen zu lernen, reifte fie öfters im Lande umber. Dadurch, _ 
daß fie die Neformirten in Franfreich und die Niederländer gegen Spanien unters 
flügte, verfchaffte fie fih Anfehen im Auslande. Ihre Verhältniffe mit Spanien 
nöthigten fie, eine größere Seemacht als ihre Vorgänger zu unterhalten. 1603 bes 
fland ihre Flotte aus 42 Schiffer, mit 8500 Seeleuten bemannt, Die größten 
“engl. Seeleute dieſet Zeit waren Franz Drake, der, zuerft nach Magellan, die Reife ' : 
um die Erde machte, und Walther Raleigh (f.d.), der die erfte engl. Colonie in 
Nordamerika gründete. Philipp 11., König von Spanien, den Eliſabeth auf mehr 
als eine Art gereizt hatte, rüftete (1588) vergebens die große Flotte (vgl. Ar⸗ 
mada), welcher der Papſt den Namen der unuberwindlichen gegeben hatte, gegen 
fie aus. Ohne eine förmliche Seefchlacht wurde mehr als die. Hälfte diefer Flotte, 
durch Stürme und Angriffe auf einzelne Schiffe, vernichtet. Elifaberh felbft regierte — 
oft hart umd willkürlich. Ihr Charakter verrierhfich durch die Hinrichtung der, ob: 
ſchon nicht ganz ohne eigne Schuld, unglücklichen Königin Maria von Schottland. 
Mit Elifaberh (vgl. Effez) ftarb (1603) die Neibe der Regenten aus dem 
Haufe Tudor aus. 


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—9— 


—4 


894 Großbritannien, Geſchichte feit 1603 
Jakob, Konig von Schottland, aus dem alten fchottifchen Haufe der S tu⸗ 


arte abſtammend, Sohn der (1587) enthaupteten Königin Maria, war der einzige 


nahe Verwandte der Elifaberh (feine Lrgroßmutter Margaretha war eine T. Hein: 
richs VII. von England, des Großvaters der Elifabeth) und wurde ven ihr, kurz vor 
ihrem Tode, zur Thronfolge in England beflimmt. Was in den vorbergebenten Ze’: 
ten durch blutige Kriege nicht hatte bewirkt werden können, dag Schottland den Kö: 
nigen von England unterworfen würde, Das gefehah jeßt auf die rubigfte Art; Enge 
land erhielt einen fehottifchen König zum Regenten. afob I. wurde Ohne Wider: 
ſpruch als König von England anerkannt, aber nichtleicht hat ein Regent die Erwar⸗ 
tungen, 'die man beun Antritt ſ. Regierung haben fonnte, fo wenig erfüllt als er. 
Statt aus den politifchen Umſtaͤnden, befonders bei dem Friedensfihluffe mit Spa: 
nien (1604), den Mortheil zu ziehen, den er hätte erlangen fönnen, befchüftigte er fich 
mit theologifchen Streitigkeiten und mit Bücherſchreiben. Er war, widerden Rillen 
f. Mutter, in der proteftantit$ n Religion nach den Grundfägen der in Schottland 


herrſchenden preabyterianifch n Kirche erzogen worden, aber alser König von England 


geworden war, änderte er f. Öefinnung und begünftigte, wie Eliſabeth, die bifchöfl, 
Kirche, indem er die Presbpteriauer (Puritaner) unterdruͤckte. Diefes Benehmen, 
ſowie ſ. Bemühungen, die Eünigl. Gewalt auszudehnen und die Freiheiten des Par⸗ 
laments und der Nation als Anmaßungen zu vernichten, gaben den beiden, anfangs 
mehr religiöfen ale politifchen Parteien (Hof- und Landpartei) den Urfprung, welche 
in der Folge als Tories und Whigs die öffentliche Meinung in England fo oft ges 
theilt Haben und noch jegt theilen. Unter diefen Umſtaͤnden geſchah faft Nichts zum 
Beften des Landes, Jakob Eonnte felbft feine genauere Bereinigung f. beiden Reiche, 
die bloß den Namen Sroßbritannien gemein hatten, bewirken. England und Schott: 


land behielten jedes f. eigne Verfaffung und f. eignes Parlament. In diefem unfichern 


uſtande hinterließ Jakob (1625) den Thron beider Reiche ſ. Sohne Karli. Diefer, 
in den despotifchen Örundfügen des Vaters erzogen, felbft von unbeugfamem Geiſte 
und durch Guͤnſtlinge irre geleitet, wollte die koöͤnigl. Macht noch weiter ausdehnen 
und die bifchöfl, Kirche allgemein machen; beides mißlang und bereitete f. Fall vor. 
Die ganz unndthigen und nachtheiligen Kriege mit Spanien und Franfreich — der 
letzte wurde (1629) durch einen Frieden geendigt, in welchem England, das bisher 


allein im Befige von Nordamerika gewefen war, Canada an Frankreich abtrat — 


vermehrten den Unwillen der Nation gegen ihn. Die Schotten verwarfen feine Litur- 
gie. Bol. Covenant.) Das Parlament widerfegte fich ſ. Willen, eigenmächtig 
Steuern aufzulegen, und er ſah fich endlich (1641) genöthigt, in die Hinrichtung 
feines DMinifters Strafford (f.d.) zu willigen und dem konigl. Rechte, das Pars 
Iament aufzuheben, ju entfügen. Allein diefes traute feinem Worte nicht. Darauf 
rüfteten fich (1642) beide Theile Oliver Crom well (f.d.), der fich in dem fünf: 
ten, dem f. 9. langen Parlamente unter der Volkspartei bemerkbar gemacht hatte, 
trat jeßt an die SOpiße der Independenten (f.d.) und befehligte nach Effer u. 
Fairfax, dag Heer, welhesdas Parlament den pen des Königs entgegenftellte. 
Karl, überall im Felde gefchlagen, nahm (1646) zu dem ſchott. Heere, das im Solde 
der engl. Republik fand, feine Zuflucht, ward aber von demfelben für. 400,000 Pf. 
St, ruͤckſtandige Subfidien, tem Parlamente ausgeliefert und durch ein Blutgericht, 
das die Independenten, Cromwell an ihrer Spiße, mit Ungeflüm verlangten, um 
Tode verurtheilt, und am 30. jan. 1649 öffentlich hingerichtet. Diefes bis dahin 
beifpiellofe Berfahren erregte im Auslande nicht Die geringfte politifche Bewegung, 
fondern bloß eine literarifche Fehde, befonders von Seiten einiger niederländifchen 
und franz. Schriftfteller, denen der Dichter Milton, Cromwells geheimer Secre⸗ 
tair, antwortete. Nach Karls Tode fuͤhrte das Parlament die Regierung, doch 
war es Cromwell, der insgeheim Alles leitete. Karl 11. des hingerichteten Königs 
Sohn, war, von den Schotten unterftügt, in England eingedrungen, mußte aber, 


\ 


Großbritannien, Geſchichte feit 1660 895 


von Srommell (1651) bei Worceſter gefchlagen, im Ausland eine Sreiflätte fuchen, ' 
Cromwell richtete bald nachher das Parlament nach f. Willkür ein, übernahm die ’ 
vom Heer ibm übertragene Regierung und übte u. d. Titel eines Protectorg 
der Republik eine unumfchränfte Servalt aus. Im Auslande gefürchtet, hob er 
England, befonders Deffen Seemacht, auf eme hohe Stufe des Anjehens. Einen 
zweijaͤhr. Krieg zur See mit den Niederländern endigte er (1654) durch einen vor: 
theilhaften Frieden, in welchem die Vereinigten Staaten die Herrfchaft der Eng: 
Inder zur Dee anerfennen mußten. Durch einen ebenfo glücklichen mr entriß 
er Spanien die Inſel Jamaica, und erwarb für England Dünfirchen und Mardyk. 
Er ftarb 1658 im höchften Glanze feines Anfehens. -Sein Sohn, Richard Crom⸗ 
well; wurde zwar zum Protector ernannt, aber feine Abneigung gegen diefe Wuͤr⸗ 
de und die Menge der Parteien, die fich erhoben, bewogen ihn, die Regierung 
niederzulegen und fich in das Privatleben zurüdzuziehen. Nun entfland eine 
Anarchie, die damit endigte, daß die königl. ‘Partei, vom Heere unter dem General 
Mont unterftügt, Karl 1), zurüdtrief, der (29. Mai 1660) den väterlichen, Thron 
wieder beftieg. Karl IL, ehat bald alles Das, was feinem Vater das Lehen gefoftet 
batte, und felbft noch mehr, ganz ungehinder. Man hatte ihm Anfangs fo viel 
Einfünfte ausgefeßt, daß er in diefer Mücficht unabhängig von der Nation war; 
aber fein Hang zur Verſchwendung verleitete ihn, “Dünfirchen und Mardyk an 
Franfreich zu verfaufen. Ein ohne hinlänglichen Grund mit den Holländern ans - 
gefangener Krieg, in deffen Laufe der kühne Admiral Rur;fer die engl. Kriegsfchiffe 
auf der Themfe verbrannte, wurde durch den Frieden zu Breda (1667) mehr zum 
Vortheil der Holländer geendigt. Ein zweiter Krieg mit eben diefer Nation, der 
für den Handel der Engländer fehr nachtheilig war, wurde durch den Frieden zu 
Weſtminſter 1674 geendigt, Bei der immer zunehmenden Willfür des Königs 
konnte es nicht an Migvergnügten fehlen; vie fehon unter Jakob I. entſtandenen 
Parteien wurden jeßt Tories und Whigs genannt. “Den Abfichten des Königs, die 
kathol. Religion, zu welcher ſ. Bruder Sufob ſich öffentlich bekannte, wieder einzu: 
fiihren, feßte das Parlament (1673) die Teſtacte (f.d.), durch welche die Katho⸗ 
lien von allen öffentlichen Amtern «usgefchloffen wurden, entgegen, ſowie den will: 
fürlichen Verhaftungen die Hab eas-Torpus:Acte (f.d.). Karl handelte groͤß⸗ 
tentheils nach Frankreichs Ahſichten; in den letzten 4 Jahren f. Lebens regierte 
er unumfchränft und ohne Parlament. Die engl, Seemacht, die unter ihm auf 
83 Schiffe, darunter 58 Yinienfchiffe, vermehrt worden war, verfiel in den feßten 
Jahren. Jakob Ii., der f. Brüder (1636) auf dem Throne folgte und ein treffli⸗ 
cher Seemann war, gb ihr den vorigen Glanz wieder und vermehrte fie binnen 
drei jahren auf 173 Schiffe. Weniger weife und für ihn felbft am nachtbeiligften 
waren f. übrigen Handlungen. Er wollte mit Gewalt die Fondl acht unum⸗ 
fhränft machen und die kathol. Religion twieder einführen. Er fand mächtigen 
Widerſtand. His nun feine 2. kathol. Gemahlin einen Prinzen gebar, rief die - 
Partei der Whigs des Rönigs Schwiegerfohn, Wilhelm v. Dranien, Statthalter 
der vereinigten Niederlande, zu Hilfe, Diefer, von den Niederländern unferftügt, 
Iandete (Nov. 1688) in England, und ohne dag ein Tropfen Blut bei der Revolu⸗ 
tion (mie die engl. Sefthichtfchreiber diefe Begebenheit nennen) vergoffen wurde, floh 
Jakob mit feiner Familie nach Frankreich. : 
Wilhelm Il, wurde zum König von England ernannt, Loch unter gewiffen, 
Durch die Bill of Rights (Erflärung der Rachte des Volks). beſtimmten Einfchrän= 
£ungen der konigl. Gewalt. Durch diefe Regierungsverinderung wurde die alte 
Verfaſſung Englantıg hergeftellt, und die Staatsverwaltung erhielt eine dem Wohl 
Des Landes angeme ffenere Form. England erhielt feit diefer Zeit ein weit größeres 
Anſehen als vorher unter den europäifchen Staaten. Wilhelm blieb fortwah⸗ 
rend Statthalter ber vereinigten Niederlande, wodurch die nähere Verbindung beis 


\ | > 
. 896 Großbritannien, Geſchichte ſeit 16388 


der Länder entftand, die, zum größern Bortheile Englands, bis in die neuern Zeiten 
fortgedauert bat. Unter Wilhelm erhielten die bis dahin immer gedrüdten Pres⸗ 
byterianer (Puritaner) völlige Gewiſſensfreiheit, die Preßfreiheit wurde feftgefeßt, 
und (1694) zu London die Bank von England — diefes Meifterftüd der Finang 
wiſſenſchaft — mit einem Fonds von 1,200,000 Pf. &t. errichtet. Damals wurde 
durch ein von der Bank an die Regierung gemachtes Darlehn von 900,000 Pf. 
der Anfang der fundirten engl. Nationalſchuld gemacht. In dem 1689-begonne: 
nen Kriege mit Sranfreich, der durch den Frieden zu Ryswick (20. Sept. 1697) 
geendigt wurde, erlitt Die franz. Slotte bei la Hogue (1692) eine große Niederlage; 
feitvem erhob fich Englands Übermacht zur See. Die engl. Flotte beftand bei R. 
Wilhelms Tode (17102) aus 225 Schiffen. Da er feine Kinder hinterfieg, fo wurde 
die Schweſter f. vor ihm verfl. Semahlin, Anna (ſ. d.), Jakobs II. zweite T., Ri: 
nigin. Die Regierung diefer, obwohl am Seifte ſchwachen Königin gehört unter die 
längendften Perioden der engl, Sefchichte. Der fchon von Wilhelm durch bie 
erbindung mit Oſtreich eingeleitete Krieg gegen Frankreich wegen der Thron: 
folge in Spanien (fpanifcher Succeſſionskriegh wurde am 15. Mai 1702 erflärt 
und theils zu Lande unter Marlborougb, theils zur See mit vielem Glück geführt. 
Gibraltar wurde (17304) erobert, und die fpanifche Seemacht im Laufe dieſes Kriegs 
größtentheils vernichtet. Während deffelben ward auch die, von verfchiedenen der 
vorhergehenden Könige vergebens verfuchte Bereintgung (Union) Englands ımd 
Schottlands in Ein Königreid, u. d. N. Großbritannien (1707) zu Stande 
ebracht. Beide Nationen erhielten dadurch gleiche Rechte und Freiheiten, und aus 
eiden ward, mit Aufhebung des bisherigen fchottifchen, ein gemeinfchaftliches Par: 
lament errichtet. Bald nachher wurde die Thronfolge in England, da Anna (fie 
ar mit einem — Georg von Danemark vermaͤhlt geweſen) ihre 19 Kinder 
verloren hatte, mit Ausſchließung der mit der Familie der Stuarte naͤher verwand⸗ 
ten kathol. Häufer, Savoyen und Orleans, durch eine Parlamentsacte (1708) der 
verwitweten Kurfürftin von Hanover, Sopbie, Enkeltschter Jakobs I., und ihren 
Nachkommen zugeficdert. Der Friede zu Utrecht (1713), das Werk der Königin 
Anna oder vielmehr der fie regierenden Partei, enidigte den von England mir Slüd 
geführten Krieg wegen der Erbfolge in Spanien. In dieſem Frieden erhielt England 
von Frankreich verfchiedene Befigungen in Dtordamerika, von Spanien Gibraltar 
und Minorfa, auch beträchtliche Handelsvortheile durch den Affientotractat. Unter 
den verfchiedenen Urfachen,: welche England zu diefem, vor: Dielen getadelten, Frie⸗ 
densfchluffe.bewmogen, war der außerordentliche Aufwand, den der Krieg, befonders 
auch durch die an andre Mächte bezahlten Hülfsgelder, verurfachte, feine der uner: 
beblichfien. Englands Nationalfeyuld war durch denfelben fat um 50 Mill. Pf. 
Sterl. vermehrt worden. Aber England nahm auch nun den entfcheidenden 
Ton an, den es ſeitdem in allen wichtigen Welthändeln geführt hat. Die tiefe 
Ruhe, welche diefer Friede eine Zeit lang für ganz Europa hervorbrachte, hatte auch 
. für England wohlthätige Folgen. Der Gemwerbfleiß wurde wieder geweckt, und alle 
Künfte des Friedens befordert. Anna ftarb d. 12, Aug, 1714, und dem Parla⸗ 
mentefchluffe gemäß beftieg Georg Ludwig, Kurfürft von Braunſchweig⸗Luͤneburg, 
Sohn der vorermähnten Enkelin Jakobs J., u.d.N. Gaorg 1. fogleich den 
engl, Thron, Diefe Regierungsveränderung brachte auch. einen Wechſel der Par⸗ 
teien hervor; ‚die Whigs traten auf die Seite des Hofs und behielten Die Ober: 
"band; gegen die Tories, die Anhänger der Familie Stuart, wurden ſtrenge Maßre⸗ 
geln ergriffen. Unter Georgs 3. Eluger und. glüdlicher Regierung gervann England 
an Macht und Anſehen; innere Unruhen wurden bald gedämpft, ausroärtige Kries 
e, die der König feheute, verhinderte fein in Linterhandlungen aroßes und Auferft 
’ btiges Talent, und fein friedlich gefinnter erfter Minifter, Robert Walpole, unters 
flügte ihn dabei. Nicht ungegründet ſcheint indeſſen die Behauptung zu ſein, daß 


N 


Großbritanalen, Geſchichte ſeit 1714 | 897 


die 13 friedlichen Jahre feiner Megierung wol die Mittel Hätten werfchaffen Eönnen, 
Die damalige Nationalſchuld, wo nicht abzutragen, doch wenigſtens fehr gu vermin⸗ 
dern. Georg ftarb den 22, Juni 1727 zu Osnabruͤck. Sein Sohn und Nach: 
folger, Seorg I1., feßte alle Berbindungen feines Vaters und deffen Entwürfe, das. 
Gleichgericht in Europa zu erhalten, fort. Das friedfiihe Syſtem des Miniſte⸗ 
riums Walpole wurde (1739) durch einen Handelskrieg mit Spanien geflört/ den 
die Nation verlangte. Ungeachtet der überlegenen Streitkräfte Englands wurde 
Diefer Seefrieg in Amerika nicht mit dem erwarteten Erfolge geführt. - Bald nach 
ber mußte England an dem öftr. Erbfolgekrieg (1740), als Bürge von Karls VI, 
pragmatifcher Sanction, Antheil nehmen. Anfangs unterftüßte England f. Yun: 
Desgenoflin, ‚die Rönigin von Ungarn und Böhmen, Maria Therefia, nur insge⸗ 
Heim und durch Hülfsgelder, aber feit dem Frieden zu Breslau (1742) und nachdem 
der friedfertige Walpole, als ein Opfer der Parteifucht, die Stelle eines erften Mi⸗ 
nifters dem Lord Earteret, einem feurigen Manne und heftigen Gegner Frankreichs, 
Hatte überlaffen müffen, erklärte fich England gegen Frankreich und deffen Berbürne: 
Dete. Es roMede in Deutfchland eine Armee (die pragmätifche genannt) zuſammen⸗ 
gezogen, an deren Spitze Georg I, bei Dettingen (27. Juni 1743) das Schlacht? 
feld gegen die Framzoſen behauptete. Die überlegene engl. Flotte fehlug die fran> 
zoſiſche (2°, Febr. 1744) bei Toulon und behielt die Oberhand zur Eee. Waͤh⸗ 
rend diefes Kriegs landete Prinz Eduard, der Sohn des Prätendenten und Enfef' 
des vertriebenen Jakob Ib, durch Frankreichs Unterſtützung 2 Mal in Schottland. 
Der erfte Verſuch wurde fügleich vereitelt; beffer gelang der zweite (17745), bis 
Eduard: bei Eufloden (fd) (1746) gänzlich gefchlagen und zur Flucht genöthigt 
wurde. Der Friede zu Aachen (18. Oct. 1748) endigte diefen Krieg, England ers 
hielt, ungeachtet f. Überlegenheit, außer dem Verfprechen von Frankreich, den Prätens 
denten nichs weiter zu unterflüßen und die Thronfolge des Haufes Hanover in En 
land anzuerkennen, bloß einige Handelsportdeile, die gegen die große Schuldenla 
welche die Kriegsrüftungen und die an Oftreich, Sardinien, Dänemark, Sachfen 
und andre deutfehe Fürften bezahlten Hülfsgelder verurfacht hatten, in feine Ber 
trachtung famen. Die 1739 mit Spanien entflandenen Ötreitigfeiten vourben 
47140 durch einen Vertrag beigelegt, in welchem England den Aſſiento — die Ver: 
anlaffung derfetben — gegen eine Beldentfhädigung aufgab. Um diefe Zeit (1146 
— 17144) hatte Anfon auf ſ. Reife:um die Welt nüßliche Entdedungen für Hand⸗ 
Iung und Schifffahrt gemacht. Bei der Ausficht auf einen fangen Frieden feßte 
man die Zinfen der auf mehr als 75 Deill, Pf. St. angewachſenen Nationalſchuld 
großentheits auf 3 p&t. herab, Dies find die fogen. confolidirten oder 3 Procent 
Stock. Bon den an den Zinfen erfparten 800,000 Pf. St. und einigen andern 
Zuflüffen wurde ein zur allmäligen Bezahlung der Schuld beftimmter Fonds (sin- 
king fand) errichtet, welcher aber oft zu anderm Sebrauche verwendet worden iſt. 
Srenjftreitigkeiten in Nordamerika, welche durch die vorhergehenden Verträge 
nicht befeitigt worden waren, veranlaßten (17755) einen neuen Krieg mitranfreich, 
der fich auch auf das fefte Land verbreitete, wo er u. d. N. des fiebenjährigen ber 
fannt geworden .ift. England, deffen Angelegenheiten von 1758 — 1761 der 
große Pitt (Lord Chatam) leitete, entriß in dieſem ‚Kriege den Franzofen, deren 
Seemacht ungleich ſchwaͤcher war, viele ihrer. auswärtigen Befigungen und machte 
in Oftindten (unter Clive) große: Eroderungen. Georg 11. war im Laufe diefes 
Krieges (1760) geftorben, und hatte f. Enkel Georg IN. zum Nachfolger. Unter 
ihm wurde der Krieg, zu welchem feit 4762 auch ein Krieg mit Spanien gefom: 
men war, durch den Srieden zu Paris (40. Febr. 1763) geendigt: England behielt - 
einen großen Theil der in beiden⸗Indien gemachten Eroberungen. Noch nie hatte 
England einen fo glücdlichen Krieg geführt, deßwegen entfland auch über die am 
Ende. daffelben auf 443 Will. Pf. St. angeroachfene Nationalſchuld Fein Muren 
Converſations⸗ Lexicon. Bd. IV. 57 


898 Großbritannien, Geſchichte fit 1.798 


Die Zahl der engl, Kriegsfahrzeuge rechnete man auf 374, mit 100,000 M. und 
44,000 Kanonen. Unruhen im Innern von England, durch Streitigkeiten über 
Preßfreiheit veranlagt, häufige Veränderungen der Minifter, Cook's Entdeckungs⸗ 
reifen und die mit abmechfelndem Gluͤck in Oſtindien geführten Kriege find bie 
Begebenheiten des nächften AOführigen Zeitraums. Wichtiger war der Streit mit 
den Colonien in Nordamerika (1774), welche die Miniſter befteuern wollten. Durch 
dr unklugen und ſchwankenden Diagregeln brach 1775 ein Krieg aus, an welchem 
ranfreich (17778) und fpäter auch Spanien Theil nahm. Durch die beivaffnete 
Neutralität (1780) der nordifihen Maͤchte gereizt, griff England au noch die ver: 
einigten Ieiederlande an. Allein es fonnte die nordamerikanifchen Solonien nicht 
bezwingen; England foderte daher den Frieden, “Diefer wurde 1788 zu Verfailles. 
gefchloffen. Der wichtigfte Artikel deffelben war, daß England die Unabhängigkeit 
der 13 Verein, nordamerifan. Staaten anerkannte, Wenn auch England durch 
diefe Trennung ſ. Colonien feinen bedeutenden Verluſt erlitten, weil es nun nicht 
mehr die großen Koften zu ihrer Vertheidigung, wie vorher aufwenden darf, und f. 
Handel in geroiffer Rüdficht dabei gewinnt: \ bat es doch im diefem neuen Frei 
—* einen Nebenbuhler zur See und im Welthandel zu fuͤrchten. Übrigens hatte 
ener Krieg die Nationalſchuld bis auf 240 Mill. Pf. St. erhoͤht. | 
Mit dem Aufblühen des felbfländigen Nordamerika und mit den Erſchuͤtte⸗ 
rungen der politifchen Weltordnung, welche die franzdf, Revolution hervorbrachte, 
beginnt Großbritanniens neuefte Geſchichte. Am 1. Febr. 1793 fündigte der Na⸗ 
tionalconvent des republikanifchen Frankreichs England den Krieg an. Diefer 
wurde bald ein Kampf auf Tod und Leben. Englands Anftrengungen waren außer: 
ordentlich, Es wurden anfehnliche Truppenmaffen auf das feſte Land geſchickt oder 
dafelbft in Sold genommen; die engl. Seemacht verbreitete fich über den ganzen 
Dcean und wirkte in beiden Indien, tm Sanal und im mittelländifchen Meeres 
man zahlte (bis 1801, über 12 Mill, Pf. St.) Hülfsgelder an Sardinien, Preu: 
gen, Heffen-Kaffel, Hſtreich, Portugal, Rußland und die fram. Ausgewanderten; 
man verftärkte diefe Anftrengungen, als fpäter die Holländer und Spanier auf die 
Beite der Srangofen traten. Die Ergebniffe des Landkrieges waren für die Coali⸗ 
tion meift unglücklich; zwar gab die Eroberung von Toulon und Corfica (1798) 
den britifchen Waffen einen neuen Glanz, aber weder das Eine noch das Andre 
konnte behauptet werden, Dagegen wurden von den Engländern bie meiften franz. 
und holland. Befigungen in beiden Indien und in Afrifa genommen. Howe's Sieg 
über die brefter Flotte (1. Juni 1794), die Niederlage der fpanifchen Flotte bei dem 
Dorgebirge St. Vincent (14, Febr. 1797) und der hollaͤndiſchen bei Egmont (11. 
Oct. 1197) gaben den Briten die Seeherrſchaft. Die feindlichen Küften und Ha⸗ 
fen wurden von ihnen blodirt, und der feindliche Seehandel allenthalben zerflört, bie 
franz. Seemacht äußert geſchwaͤcht und die bolländifche Flotte fogar nach England 
abgeführt (30. Aug. 1799), nachdens zuupr durch den glänzenden Sieg bei Abukir 
(1. Aug. 1798) die Unternedmung auf Agypten geläbmt und der Grund zu einer 
zweiten Coalition gelegt worden war, Zu gleicher Zeit übermwältigten die Briten in 
Dftindien ihren mächtigften Widerfacher Tippo Saib, eroberten (4. Mat 1799) f. 
Hauptſt. Seringapatnam, erbeuteten unermeßliche Schäße und vereinigten den 
größten Theil des Königreichs Myſore mit Ihren Befigungen. Unterdeß hatten ihre 
Semaltthätigkeiten gegen die Schifffahrt der Meutralen und ihre Eingriffe in das 
Seerecht der Völker den nordifchen Bund veranlagt, durch welchen Rußland, Dä: 
nemarf, Schweden und Preußen (1800-1801) die Rechte der Neutralen mit bee 
waffneter Hand vertheidigen wollten, Die engl. Regierung ergriff dagegen feind⸗ 
liche Maßregeln, und Dänemark ward durch die Schlacht von Kopenhagen gezwun⸗ 
gen (2. April), wieder eine friedliche Haltung anzunehmen. &o loͤſte fih der Bund, 
deſſen Haupt, Paul J., am 29. Maͤrz 1804 geflorben war, auf; man vergläh fich, 


— 


Großbritannten, Geſchichte ſeit 1798 89 


ohne den Hauptpunkt des Streites zu erledigen‘, ımd die Preußen rhumten das von 
tönen befegte Hanover. Mittlerweile hatte fich Frankreich mit allen f. Feinden auf 
dem Feftlarıde verfühntz num foderte auch in England die öffentliche Stimme ben 
Frieden. Die Staatsfchuld mar nämlich. auf 454 Mill. Pf, St. — Theu⸗ 
rung und Abgaben brachten das Volk zur Verzweiflung; der Zweck des Krieges, Die 
Wiederherſtellung der Bourbong,' erfihien als Unmöglichkeit. Das neue Mini 
ftertum (Addington⸗Hawkesbury) ſchloß daher den Vertrag von Amiens (25. März 
1802), der nach folcher Überlegenheit im Kriege nur geringe Vortheile gewährte: 
Die Inſel Trinidad, den hollaͤndiſchen Antheil von Ceylon und das freie Einlaufen 
in den. Hafen des Caps. Die. Nation war mit diefen Friedensbedingungen fehr 
unzufrieden; als nun auch Napoleon den britifchen Stolz durch nene Anmaßungen 
reiste, fo erflärte England ben Krieg an Frankreich den 18, Mai 1803, Die Frans 
zofen nahmen Hanover in Beſitz, gaben ihrem Spetrſyſtem gegen England die 
größte Ausdehnung, fehloffen Bundesverträge. mit Holland, der ital. Republif und 
fpäter mit Spanien,‘ und drbhten: mit diner Landung auf England. Pitt, der wiee 
der ins Minifterinm getreten war, erregte dagegen einen neuen Krieg auf dem feften 
Lande (1805), welcher aber den Kaifer Napoleon nur aüneuen Siegen und Erobes 
“rungen führte. Doch das Meer gehörchte den Briten; und die Schlacht bei Trafals 
gar (21. Det, 1805), in ber Nelſon fiel, Erönte ihren Ruhm. Pitt flarb am 28%. 
an. 1806. Das nette Biiniftertum.»— Srenville, Addington, Fox — war zum 
Frieden geneigt, aber nach den Eroberungen, die Napoleon in dem preußifch : ruffts 
fhen Kriege gemacht hatte, und nach deffen feindfeligen Deereten von Berlin und 
Mailand, Eonnte man fich nicht mit ihm verfshnen, ohne f. Herrfchaft über das 
Feſtland anzuerkennen. Dean richtete daher alles Beftreben darauf, die Macht zuk 
See zu erweitern. Allein die Einnahme Kopenhagens und die Hinwegführung der 
daͤniſchen Kriegsflotte (Sept. 1807) vermehrte Englands Feinde; felbft Rußland 
brach ſ. Verbindungen ab, Dennoch wurde die von den Raifern Napoleon und 
Alerander in Erfurt an Georg III. erkaffene Einladung zum Frieden verroorfen, weil 
England Joſeph Bonaparte als König:von Spanien nicht anerkennen wollte. 
Schon hatte ein engl. Heer in Portugal ben franz. General Junot und die im Tajo 
liegende ruffifche Flotte zur Capitulation (30. Aug..und 3, Sept. 1808) gendthigt. 
Die Spanier, die gegen Frankreich aufgeſianden waren, wurden mit Geld, Kriegs⸗ 
bedürfniffen und Truppen unterflüßt, Sayenne, Martinique, St.⸗Domingo und die 
ionifchen Inſeln bis auf Corfu und St.⸗Maura wurden erobert, und eine Expedition 
1809 gegen Seeland und Flandern imternommen, die aber mit der Räumung von 
Walchern endigte. Dagegen fielen 1810 Guadeloupe, St» Martin, St.-Euflach, 
Amboina, Bourbon und Isle de France in britifche Sewalt. Indeß machte die 
wiederkehrende Gemuͤthskrankheit des Königs eine Regentfchaft nothwendig, welche 
das Parlament (10. Jan, 1811) dem Bringen von Wales übertrug; Yür den von 
der engl, Regierung hie aus dem Auge verlorenen Sefichtspunft, daß mit Frank⸗ 
veich nicht Friede gemachs werden koͤnne, es trete denn in feine alten Grenzen zuruͤck 
und huldige wieder f. alten Negentenhaufe, Erbffnete der Feldzug von 1812 neue 
Hoffnungen, Bald war England durch ſ. Gold bie Seele der Eoalition, die fich 
1813 auf dem Feſtlande bildete, und ein britifch:portugief. Heer entriß den Franzo⸗ 
ſen Spanien, Der gleichzeitige Krieg Englands mit den nordamerifanifchen Staa⸗ 
ten wurde durch den Brieden zu Geht (24. Dec. 1814) beigelegt, Die glänzend» 
ften Erfolge Erönten fo große Anftrengungen, Indem die Berbindeten in Paris 
einrädten, 309 Wellington über die Pyrenaͤen und drang bis Bordeaur und Tou⸗ 
loufe vor, Es erfolgte die Wiederherftellung der Bourbans und die Anordnung 
eines auf die Srundlagen des Rechts gebauten allgemeinen Staatenſyſtems. Eng⸗ 
land gab im Frieden zu Paris (30. Mai 1814) alle Eroberungen an Frankreich 
zurüd, mit Ausnahme von Tabago, St, Lucie und Isle de nr Da es aber 


900 Grypſßbritannien, wit.-4g15 


zugleich von den hollandiſthen Ensberingen das Mbrgehirge der guten Hoff: 
nung, Demerarp, Effeguebo und Berbice,; ſowie von den tänifchen Helgoland 
und von den ital. Malta behielt, und die Protection über die ionifchen In⸗ 
feln überfam, fo mar der Gewiin in Hinficht auf Landbeſitz und polirifches 
Gewicht bedeutend, zumal da in derfelben Zeit fich ihr oſtindiſches Reich durch 
die Eroberung der Befißungen des Königs. von Candy erweiterte, ſodaß nun 
‚ganz Ceylon der britifchen Krone unmittelbar gehört. Auch Hanover erhielt be: 
srächtliche Erweiterungen und die Benennung eines Kbnigreiche. Bonaparte’s 
Rückkehr änderte nichts... Die britifchen Waſſen ertwarben neuen- Ruhm in der 
Schlacht bei Waterloo, in.deren Folge Bonapstte fich den 13. Juli 1815 einem 
englifchen. Kreuzer (Belleropbon, Capitain Mailland) überlieferte. on 

- Seit 1815. So war Englands Politik feit 23 Fahren durchaus Friegerifch 
gervefen; alle Kriege des europaͤiſchen Continents gegen das revolutionnaire wie 
gegen das fireng monardhäfehe Frankreich waren von England angefacht und mit 
englifchem Gelde unterhalten merden. Endlich war:nicht nur'der alte Königsſtamm 
soieder aufden Thron gefeßt, fondern auch) Frankreich gedemuͤthigt, in f. alten Oren: . 
zen zurüdgedrängt, als Seemacht vernichtet und vonı Welthandel fo gut wie aus: 
- gefchloffen. Aber auch für. England hatte der Steg bittere Früchte getragen, welche 
nun erft nach mehren Frledensjahren zur rechten Reifetamen: Eine Schuldenmaffe, 
deren Sapital die Summe 40jähriger Einkünfte des Reichs überftieg, und eine Zers 
rüttung der innern Verhaͤltniſſe der Tlation, welche die größten Gefahren drohte, 
- foderten das Minifterium zu den vorfichtigften, aber auch Eraftvoflfien Maßregeln 
auf. Die leichtfinnige Meinung, daß der Krieg dem Staate ebenfo große Mittel 
des Wohlftandes eröffne, als er Krüfte verfehlinge, war durch die That widerlegt 
worden, und Niemand zweifelte mehr an der Richtigkeit der Berechnungen, welche, 
felbft von einem minifteriellen Schriftfteller- (Xorve „The present state of England 
in regard to agriculture, trade and finance”, Lond. 1822; deutfch von 2. N. 
ton Jakob, 2p3.1823) angeftellt, das entgegengefeste Nefultat darlegen. - Spars 
famfeit und Bermeidung aller außerordentlihen Ausgaben, befonders aller Kriege, 
ift daher fett 1895 das erfte Gefeg der Berivaltung gewefen, und Englands Politik 
dadurch ebenfo friedlich gernorden , als fie. vorker -Eriegerifch war. Obgleich dem 
Grundſatze, welcher von den übrigen europäifchen Mächten ausgefprochen ift, Daß das 
europäifche Staatenſyſtem berechtigt ſei, geroaltfame Störungen des Beftehenden 
überall mit NBaffengeronit zu unterdrüden, dem Rechte der bewaffneten Interven⸗ 
tion, von der engl. Negierung förmlich widerfprachen wurde: fo hat man fich doch 
wohl gehütet, ver entgegengefeßten Anficht dich etwas mehr als eine bloß wortliche 
Erflärung zu begegnen. Nur wo die Vergrößerung einer ohnehin ſchon koloſſalen 
Macht zu befürchten war, in den Verhältniffen Rußlands mit der Türkei, hat das 
englifche Cabinet vermittelnd eingegriffen, Mit dem Eintritte Canning's in das Mi⸗ 
nitlerium der auswaͤrt. Angelegenheiten, nach Londonderrys (f.d.) Selbſtmord, 
am 12, Aug. 1822, entfernte fich die britifche Politik von dem Gange der Conti⸗ 
‚nentalpolitif. Großbritannien blieb neutral in dem fpanifchen Feldzuge Frank⸗ 
reichs 1823; «8 Yeflattete Privarperfonen, die Sache der Griechen zu unterflüßen, 
und erfannte das Slodaderecht der griechifchen Sinfurgenten an; es ſchloß mit den 
neuen amerifanifchen Freiſtaaten, die es 1825 formlich anerkannte, Handels: und 
Bundesverträge; es glich Portugal mit Brofilien aus; es unterftüßte, als Portu⸗ 
gals alter Allirter, durch Truppenfendung die Sache der Conſtitution und die Ne 
gentfchaft feit dem Ende 1826, indem es Spanien binderte, gewaltſam einzufchreis 
ten; Canning hatte ſich mit dem frangaf. Sabinette über tie Beruhigung der. Halb⸗ 
infel vereinigt, und Dftreich, Rußland und Preußen überliegen dent brit. und dem 
franz. Sabinette die Leitung dieſer Angelegenheit. "Zugleich vereinigte fich das 
beißt Cabinet (4. April 1826 zu St. Petersburg) mit dem ruffifehen,, und durch 


’ 


Großbritannien, feit 1888 (Anneres)- BL 


- den Pacificatiönsvertrag zu London (6. Yuli 182) auch mit dem frangöfifchen, 
um die Pforte zum Nachgeben in der griechifchen Sache zu bewegen und nöthigen 
falls zu zroingen. , Dagegen entfiand über den Grundfag der Neciprocität, wel⸗ 
cher dag Princip der Handelsfreiheit bedingte, eine Spannung mit den Vereinigten 
Staaten. Diefes Verhäaltniß, ſowie der Einfluß der theofratifchen Partei auf das 
franz. Cabinet, hemmte die rafchere Entwickelung des polit. Syſtems, das Canning im 
Yarfam. am 12. Dec. 1826 faft zu kuͤhn andentete, um fo mehr, da er, nach Lord 
Liverpools's Krankheit, am 11. Apr. 1827 an die Spiße des Minifteriums trat, und 

‚ indem er ſich mit den Whigs (Landsdown, Burdett, Brongham, Holland, Earligle 

u. %.) formlich vereinigte, die mächtige Partei der Tories (Wellington, Eldon, 
Bathurſt, Weftmoreland u. A.) zur Oppofition aufrief. Nach f; Tode (8. Auguft 
1827) trat zroar Lord Goderich (Robinfon) den 17. Aug. an feine Stelle, und der . 

Seeſieg der brit.:frang.<ruff. Flotte unter Codrington bei Navarin (20. Det.) fchien 
Canning's Politik ihrem Ziele zu nähern; allein das neue Minifterium unter Wels 
lington (24. Jan. 1828) fah in jenem Siege ein „verhängnißvolles Ereigniß” und 
in dem Sultan Englands alten Alliirten. Seitdem verlor Wellington das Steuer: 
ruder der Politif von Europa, welches ihm Canning hinterlaffen hatte, Rußland 

riff die Pforte an; diefe wies hartnaäͤckig jede Dermittelung von fich, weil fie auf, 
nglande Beiftand vertraute, das der Freiheit der Griechen engere Grenzen vor⸗ 
fehrieb. Doch der neue brit. Sefandte, Sir Robert Gordon, ging nur nach Kons 
ftantinopel; um zu fehen, wie Rußlands Heere Ronftantinopel bedrohten, und die 
Pforte zu fpät zum Nachgeben (Ende Augufts 1829) fich entſchloß. Wellington 
batte vergeblich Rußland durch leere Drohungen aufzuhalten verfucht; auch der . 
Ufurpator von Portugal, D. Miguel, batte ihn getäufcht, und Brafiliens Kaifer 
tonnte in England, das feine Tochter als Königin von Portugal bei fich aufnahm, 
wahrend es deren treue Unterthanen auf einer ihr treu gebliebinen Inſel (Tereeira) 
zu landen mit Gewalt verhinderte, nicht mehr den treuen Alliirten fehen. So ftand 
Wellington im Sept. 1829, obgleich er mit Frankreich unter Polignac’s Miniftes 
rium verbunden zu fein fehien, ohne entfcheidenden Einfluß und ohne Achtung, 
fern von dem Gange des Schicfals, | 
In der innern Verwaltung trug jeder Schritt zum Beffern das Gepräge jes 
ner langſamen Entwickelung an fich, die überhaupt den Charakter der großbritant: 
ſchen Sefeßgebung ausmacht und eine Folge jener feit verfetteten Herrfchaft der 
wenigen großen Landeigenthuͤmer zu fein ſcheint. Ungeachtet aller Erfparniffe, bes 
fondersder großen Reduction der Kriegsmacht, Tafteten dennoch fo große Brürden auf 
dem Volke, und durch die ſchlechten Arnten 1816 u. 17 war die North der Fabrik⸗ 
arbeiter fo gefteigert worden, daß 1819 eine wahre Verzweiflung fich diefer Claſſe 
der Nation zu bemächtigen ſchien. Das Recht der Engländer, fich zu verfammeln, 
um über ihr gemeinfchaftliches Intereſſe zu berathen, rourde von Demagogen, befon: 
ders dem befannten Hunt benußt, um eine gänzliche Reform der Parlamentswah: 
ben und eine jährliche Erneuerung des Parlaments zu fodern. Schon mählten fie 
Deputirte zu einem neuen Parlamente, und man wußte nicht, was ein Haufe von 
Hunderttaufenden vielleicht am nächften Tage unternehmen werde. Daber wurden 
ernftere Maßregeln ergriffen. Eine folche Berfammlung zu Manchefter am 16, 
Aug. 1819 wurde von den Stadtbeamten durch die Landwehr (die Deomanry, aus 
den wohlhabenden Bürgern beftehend) und Dragoner auseinandergetrieben, wobei 
» Miele verwundet und getödtet wurden, “Den Stadtbeamten wurde faft allgemein 
der Vorwurf gemacht, daß fie nicht nur ohne Noth Gewalt gebraucht hätten, ſon⸗ 
dern daß auch die Form keineswegs beobachtet worden ſei. Es kam zu gerichtlic 
chen Anklagen gegen die Beamten, welche aber nur mif Freifprechungen endigen 
Eonnten. Doch nahmen diefe Bervegungen (fi Radical:Reformers: einen 
immer bedenklichern Charakter an, und das Minifterium fand fich genöthigt, dem 


902 Großbritannien ; feit 1845 (inneres) 


Parlamente am Ende des. Jahres außerordentliche Maßregeln vorzufchlagen, wie 
wenige Deonate zuvor auch in Deuffehland auf 5 Jahre befchloffen worden waren. 
Diefe wurden gleichfalls auf 5 Jahre angenommen, 1) Berbot man das heims 
liche Exerciren; 2) den Befiß von Waffen; 3) geflattete man Volksverſammlun⸗ 
en nur mit Senehmigung der Ortsbeamten und nur nach Pfarreigemeinden; 
) legte man den ſchweren Beitungsftempek auf Flugfchriften unter 2 Bogen 
und fhärfte die Strafen gegen fihriftliche Injurien, forvie gegen die Berbreiter 
aufrübrerifcher oder irreligiöfer Schriften; endlich 5) befchleunigte man, das ges 
richtliche Verfahren in Fällen geringerer Vergehungen. Der Tod des Königs 
Georg III. am 29. Jan, 1820 änderte in diefen Beziehungen nichts, fo manche 
andre wichtige Folge er auch hatte, Die Gefahr des Nadicalismus verſchwand 
aber von felbft, forvie die Verminderung der Zaren, der vermehrte Abfag der 
Manufacturwaaren nach Außen, befonders nach dem fpanifchen Amerika, reis 
here Arnten und mohlfeilere Lebensmittel die Lage des Fabrikarbeiters wieder 
verbeffert hatten. Beſonders wirkte dahin auch die Zurüdnahme der Banfres 
ftrictionsbill (die Wiederherſtellung der Baarzahlung der Bank), wodurch der 
reale Werth des Geldes fich verbefferte, welches vorzüglich auch der Claſſe der 
Sabrifarbeiter zu Gute fam. Es mar nur noch als Ießte Zudung diefer Be 
mwegungen zu betrachten, daß eine Bande verzweifelter Mienfchen (unter Anfühs 
rung Archur Thiſtlewoods, der ſonſt in beffern Umftänden gelebt hatte, aber 
durch wuͤſtes Leben ins Derberben geſunken war) fich zu Ermordung ſammtli⸗ 
her Minifter verſchwor; fie wurden verratben, und es ift ungewiß geblieben, 
ob nicht das Ganze von dem Anzeiger, einem gemwiffen Edwards, felbft angeftif: 
tet worden war, wenigſtens haben die Minifter nicht in Abrede geftellt, daß fie 
diefen Edwards als Spion gebraucht hatten. Thiſtlewood und 4 Verſchworene 
büßten ihr Verbrechen mit dem Tode; 4 Andre wurden auf Lebenszeit nach 
Botanybay geſchickt, jenem großen Ableiter aller moralifchen Unreinigkeiten” 
des Mutterlandes, in welchem fich manche verdorbene Säfte wieder veredeln, 
Wenn ein wahrhaft revolutionnairer Stoff in Altengland vorhanden gemefen 
‚ wäre, und nicht bloß die wirkliche Noth jene Bernegungen der Radicalen her⸗ 
vorgebracht "hätte, mit welcher fie auch wieder yerfehwanden, fo würden fie eine 
gefährliche Wendung in dem Proceffe der Königin baben nehmen fünnen, Dies 
‚fer Proceß, welchen Sehler und Leidenfchaften von beiden Seiten herbeigeführt 
hatten, und in welchem alle Schonung ſowol der Frauenwuͤrde als der Fürftens 
ebre mit Süßen getreten wurde, gab der Unzufriedenheit einen neuen Vereini⸗ 
gungspunft, Er begann mit der Ruͤckkehr der Königin nach England, am 6. 
uni 1820, durch: eine koͤnigl. Botſchaft ans Parlament, die Aufführung der Kö: 
nigin zu unterfuchen, worauf am 5. Juli der minifterielle Antrag auf eins jener uns 
formlichen perfönlichen Strafgefeße (bill of peins and penalties) folgte, welche 
bie engl, Geſetzgebung nicht zu Ihrem Vortheil auszeichnen. “Der Antrag ging 
dahin, zu verordnnen, daß die Königin Karoline des Titels, der Rechte und Vor⸗ 
zuge einer Königin von Großbritannien verluftig, und die Ehe des Königs mit ihr 
für aufgelöft zu achten fei. Was im Parlamente Befehimpfendes gegen die Kds 
nigin vorfam, wurde reichlich vergolten durch Spottbilder auf ihren erlauchten 
Gegner, in denen ſich Alles, was nur Bitteres und Boshaftes zu erfinden war, 
völlig erfchöpfte. Der Widerpille gegen dies Verfahren war fo groß, daß die Mi⸗ 
nifter es nicht wagten, die im Oberhauſe genehmigte Bill ins Unterhaus zu bringen. 
Die Zeit war auch allzu gefährlich, die Revolutionen in Spanien, Portugal und 
Neapel waren rafch aufeinandergefolgt; die Ermordung des Herzogs v. Berg 
(13. Gebr. 1820), die Catoſtreet-:Verſchwoͤrung (23 Febr.) waren bedenkliche Zeichen. 
Deffenungeachtet ging die Krifis in England fehnell genug vorüber, des Königs 
Popularität wurde durch ſ. Beſuche in den Nebenftanten wiederhergeſtellt, und die 


Großbritannien, feit 1815 (Snneee) - . 908 


Ednigin mar beinahe vergeffen, als fie (T. Aug. 1821) ſtarb. (S. Georg IV.) Eine 
tiefere Zerrüttung der innern Verhaͤltniſſe Großbritanniens zeigte fich 1822, als 
die Folgen jenes Migverbältniffes bervorbrachen, welches fich ziwifchen dem gros _ 
Gen Grundeigenthum und dem Stande der Anbauer des Bodens in den britis 
ſchen Inſeln vorfindet. Das Eigentum des Bodens ift in fehr wenigen 
Händen vereinigt; außer der Seiftlichkeit, welche etwa 6000 gefchloffene Guͤter 
(estates) befißt, und den Corporationen, deren Befißungen man auf eine gleiche 
Anzahl anfchlagen kann, gibt es jeßt in England nur noch etwa 20,000 Grund⸗ 
eigenthümer. Das engl. Rechtsſyſtem, welches “alles unberbegliche Vermoͤgen 
dem älteften Sohn allein zufpricht, ift fchon an und für fich diefer Zufammen: 
ziehung des Grundbeſitzes günftig, allein mehr noch hat der Druck des Krieges da: 
bin geroirft, denn 1786 waren noch 250,000 Grundeigenthuͤmer vorhanden. Jetzt 
gibt es faſt feine Bauern mehr, fondern nur Zeitpachter, deren ein Herr Coke allein 
600 um fich verfammelte. In Schottland ift der alte gemeinfchaftliche Beſitz der 
Stammgenoffen aufdas Oberhaupt allein übergegangen; in Irland find durch die 
Eonfiseationen unter Elifabetb, Srommell und Wilhelm III, die alten Befiger faſt 
ganz verdrängt, und das Grundeigenthum unter wenige engl. Familien vertbeilt 
worden, ſodaß man bort felbft zu den Parlamentswahlen bloße Zeitpachter zulaffen 
mußte, weil es fonft an Wahlberechtigten fehlen würde. Außer ihren eignen e⸗ 
ſitzungen hat die Geiſtlichkeit in England und Irland ng faft auf allen Grundſtuͤ⸗ 
den den Zehnten. Als nım von 1818 an auf der einen Seite die hohen Setreides 
preife herabfanten, auf der andern der Geldcurs durch die Wiederberftellung der baa⸗ 
ren Zahlungen aus der Banf (1820) ſchwerer geworden war, drohte dem ganzen 
Stande der Zeitpachter, alfo m England dem wahren Kern der Nation, in d 
der großen Maſſe des Volks, ein unausbleibliches Verderben. Sie konnten bei dem 
Pachte nicht mehr beſtehen, in England mußten ſie einer allgemeinen Verarmung 
entgegenſehen; in Irland entſtand nach einer ſchlechten Arnte Hungersnoth. In 
Schottland bereitete ſich eine Vertreibung der Urbewohner aus ihren alten Wohn⸗ 
ſitzen vor; ein Herr Murron vertrieb im April 1820 600 Familien aus ihren alten 
Pachtungen in der Grafſchaft Roß, und in der Grafſchaft Sutherland that die 
Marquiſin v. Stafford ein Gleiches mit mehr als 15,000 Menſchen, um die Pacht⸗ 
güter in entrhgliepere Schafmweiden zu verwandeln. Syn England erregte diefer Zu: 
ftand des Aderbaus, weiler einen größern und Erdftigern Theil der Nation ergriff, 
auch aus einer tiefern und bebarrlichern Urfache kam, weit größere Beforgniffe alsdie 
Unruhen der Manufacturgegenden; die Mittel aber, welche man dagegen vorſchlug, 
sonren fehr verfehieden. Die Minifter deuteten die wahre Duelle des Übels an; 
wie fie fehon 1816 die gegen ihren Willen vom Parlamente befchloffene Aufhebung ° 
der Vermögengfteuer für einen Sieg der Reichen über die Armen erklärt hatten, 
deſſen Folgen fich nunmehr entwidelten, Denn durch jenen Sieg war das ganze 
bewegliche Bermögen, das Geldeinkommen aus Sapitalien und Eolonialbefißungen 
von allen Beiträgen zu den Staatscaffen befreit, dadurch aber die Laft faft aus: 
ſchließlich auf die arbeitenden Claſſen und auf die Conſumtion der Lebensbedürfs 
niſſe —5 worden. Das Reden der Oppofition, daß die Noth eine Wirkung 
der übermäßigen Taren fel, hatte daher eigentlich Feinen Sinn; benn alle die 
noch möglichen Erfparniffe (befonders Aufhebung der Sinecuren, auch ber geift: 
lichen), konnten nicht gründliche Abhülfe gewähren, und man hätte mehr auf 
eine gerechtere Bertbeilung der Abgaben hinwirken müffen, wozu aber die Ope 
pofition ebenſo wenig Luft hatte als die Minifterialparte. Das Hauptmittel, 
zu soelchem es doch früher nder fpäter einmal fommen muß, bleibt aber immer 
eine folche Regulirung der Berbältniffe des Grundeigenthums, daß dadurch der 
eigentliche Bearbeiter des Bodens wieder ein eignes, unwiderrufliches Recht an 
denfelben befommt, die Srumdrente, welche er zu entrichten bat, fixirt wird, wit 


904 Großbritannien, ſeit 1845 (Inneres) 


Tinem Worte, daß der Pachter wenigſtens Miteigenthuümer, und eine größere Ders 
heilung des Grundeigenthums bewirkt wird. Vor einem ſolchen Gedanken 
wuͤrde freilich die herrſchende Ariſtokratie der Grundeigenthuͤmer wie vor ver 
revolutionnairſten aller Maßregeln zurückſchrecken, obgleich fie wie Alles, was 
den Rechtszuftand und die phufifche Eriftenz der Menſchen fichert, gerade die 
erfie aller antirevolutionnairen wäre; fie nennt dies Schreden Heiligkeit des 
Eigenthums. Nicht einmal das fo nahe Hegende Mittel wagte ınan vorzufchlas 
gen, welches durch den erhöhten Werth des Geldes zur Nothwendigkeit gewor⸗ 
- den war, nämlich‘ die Pachtgelder, welche in den Zeiten verabredet waren, mo 
das Papiergeld um 15 Procent niedriger fland als nach Wiederherſtellung der 
“ bearen Zahlungen der Bank, um diefe 15 Procent gefeßlich herabzufeßen, 
Dies blieb der eignen Billigkeit der Örundherren überlaffen, und in der That haben 
die Zeitungen Diele genannt, welche ihren Pachtern 10, 15, ja bis 30 Pröcens 
freiwillig erlaffen haben, von denen aber, welche dies nicht thaten, haben fie ges 
ſchwiegen. Im Ganzen fuchte die Örundherren > Ariftofratie den Schaden 
wieder auf den zweiten großen Haupttheil des Volks, die Fabrifarbeiter, zu wer⸗ 
fen, indem fie Abgaben von der Einfuhr fremden Setreides verlangte und er⸗ 
bielt, wodurch das Sinfen der Getreidepreife bis unter einen Preis, bei welchen 
ihre Pachter mit den hoben Pachtungen beifehen Eonnten, verhindert wird. Ein 
andres Mittel fanden Einige in den Einfünften der Geiftlichkeit: Einkünfte, wel⸗ 
che man in England als eine übermäßige, in Irland ſogar als eine unnüße Laft 
des Volks zu betrachten gezwungen iſt. In England find theils die Einfünfte 
der bifchöflichen Kirche überhaupt viel größer, alg-fie nach Verhaͤltniß der Volks⸗ 
messe fein follten, teils aber ift auch die Vertheilung derfelben im höchften Grade 
ungleich und ungerecht. ‚Sie werden im Sanzen auf 7,600,000 Pf. St, berechnet 
(Cove, „On the revenues of the church of Eugland, with an inquiry into the 
nccessity. justice and policy of an abolilion or commutation of tithes“, 
Aufl., Lond. 1823) und find alfo verhältnißmäßig weit größer als die Einfünfte der 
fpanifchen, italienifehen und portug. Geiſtlichkeit. Auf 1000 Seelen fommen 
+ Din Rußland für die Öeiftlichkeit nach den „Remarks on the consumption of 
ablic wealth by the Clergy of every christian nation etc,” (2ond. 1823) 15 
f. in $ranfreich jeßt 35, in den meiften proteftantifchen Ländern 60, in Spanien 
und Portugal 400, in England aber 1266, und in Irland gar 3250 Pf. St. 
Diefes Einkommen ift unter 2 Erzbifchäfe, 18 Bifchöfe und unter 40,500 andre 
Sirdyliche Präbendarien (worunter 5098 Rectorate oder Pfarreien und 3687 Vica⸗ 
wien) vertheilt, Davon aber find bei weitem nicht alle mit wirklichen Amtsverrichs 
tungen verbunden, fondern werden, wie ehemals die franz. Abteien, nur als Pens 
fionen und Sinecuren befeffen. Die Zahl der Kirchen beträgt höchftens 5000, die 
Zahl der Familien, welche zur Seiftlichkeit gehören, 16 — 18,000. Dabei ift die 
dienſtthuende Geiſtlichkeit erbirmlich befoldet; im J. 1814 waren unter 4408 
Pfarrern 1657, deren Dienfleinfommen noch nicht 60 Pf. St. betrug, und 1000, 
deren jaͤhrl. Gehalt weniger als 50 Pf. betrug. Im Sanzen beziehen die Pfar: 
rer von den 7,600,000 Pf. St. der bifchöfl. Kirche nur etwas über 500,000 Pf. 
oder 1; der gefammten Einkünfte, und da die ärmern größtentheils von freiwilligen 
Beiträgen ihrer Pfarrkinder unterftüßt werden, fo find die Mitglieder der reich- 
ſten Kirche der Welt noch genöthigt, vom Meitleiden Andrer zu leben, Daher . 
- sollte man allerdings zu Gunſten des Dolks und felbft der untern Beiftlichkeit 
eine Herabfegung und gleichere Bertheilung der Eirchlichen Einfünfte (befonders 
Die Aufhebung der Zehnten) in Vorfchlag bringen. Wenn man das Minimum 
einer Landpfarrei auf 250 Pf. Di. feßt, und für einen Dechant 1000 Pf., für 
die Bifchdfe 3000 Pf., für einen Erzbifchof 8000 Pf. St. rechnet, fo wür: 
de jährlich wenig aber 2 Mill, Pf. St. erfgdert, und alfo über 5 Mill. des 


M ._. 





Großbritannien, feit 1845 XInneree) 2.805 


Jahres erfpart werden fünnen. In Irland iſt, die Sache noch aͤrger. Dort ſind 
4 proteflant. Erzbifhöfe, 22 Bifchöfe, und eine Menge reich ausgeſtatteter Des 
chanien, Rectorate u. f. w. Alles dies find reine Sinecuren, weil unter der Volks⸗ 


menge von 7 Mill. Menfchen höchftens 500,900 zur englifch:bifchöfl. Kirche gehö⸗ 


ren. Gleichwol beziehen auch diefe Herren ein Sefammteinfommen von 1,300,000 
Pf. St., mofär fie für Staat und Kirche nicht das eringfte tbun, und das in 
tiefer Armuth lebende Volk muß noch feine kathol. Seijtlichkeit außerdem erhalten 
und behandelt dies mit der Heiligkeit einer wahren Ehrenfchuld. Mit diefen Eins 
kuünften der ganz unnüßen proteftantifchen SeiftlichEeit würde dem armen Irland. 
große Srleichterung verfchafft werden fönnen, wenn nicht die Grundherren Ariſto⸗ 
kratie in den Weg träte, denn die großen Landherrenfamilien betrachten diefe Stel: 
‚len als ihr Eigentum, als eine Verforgungsanftalt für ihre jingern Söhne, und 
die Bifchöfe, Erzbifchöfe und Dechanten find meift Brüder und Bettern der Lords, 
Sie betrachten jeden Vorſchlag, welcher diefe Einrichtung antaftet, als Kirchen: 
raub, fcheuen fich aber nicht, die Einkünfte der Kirche zu beziehen ohne das Ger 
ringfte-für die Kirche zu thun, Ein Geſetz von 1803 fehrieb den Präbendirten wes 
nigfteng eine firengere Reſidenz vor und feßte Strafen darauf, wenn einer linger 
als 3 Donate ohne gefegliche Urfache von feiner Kirche abivefend wäre, Strafen, 
welche ein Jeder einflagen konnte. 41807 brachte ein Herr Wright wirklich 200 
folcher Klagen bloß gegen Geiftliche aus den drei Diöcefen London, Norwith und 
Ely an, welche ihm 80,000 Pf. Strafgelder eingetragen haben würden. -Aber 
die Miniſter vereitelten feine Bemühung durch einen Parlamentsfchlug vom Sabre. 
- 4813, wodurch alle diefe Proceffe gegen Geiftliche niedergefchlagen wurden. Def: 
fenungeachtet wird diefe Angelegenheit durch jeden Vorfall, welcher ein übles Licht 
auf die hohe Seiftlichkeit wirft, noch mehr angeregt. Man fragt nach den Grün⸗ 
.. den ber Beförderung und findet z. B. mit Erftaunen, daß der vorige Erzbifchof 
von Caſhel vom Schiffslieutenant weg auf diefen erzbifchöflichen Siß erhoben 
“wurde. Auch der ärgerliche Fall des Bifchofs von Clogher, welcher 1822 we⸗ 
gen eines unnatürlichen Laſters (weghalb im Nov. 1725 zwei. jünge Leute, 
John Holland und William King, gehängt wurden) mit der Degradation das 
von fam, empörte die Gemuͤther um fo mehr, als diefer unmwürdige Prälat 
ſchon 4811, da er noch Bifchof von Fermes war, eines folchen Vergehens befchuls 
digt wurde, es aber durch ben Einfluß feiner Familie und feine Scheinheiligs 
feit bewirkte, daß der Angeber als Derleumder beffraft wurde, . 
In England ift die Verlegenheit des Pachterftandes theils durch die erwähns 
ten freiwilligen Ntachläffe der Grundherren, theils durch die geftiegenen reife und 
die Einfuhrzölle, welche, wenn das Quarter Weizen bis auf 70 Schillinge herab: 
gegangen iſt, flattfinden, ziemlich gehoben worden, aber in Irland ift die Noth 
des Volks und ihre Wirkungen, Rohheit, häufige Mordthaten und Käubereien, 
noch die alte. Immer iſt eine oder die andre Sraffchaft im vollen Aufruhr, und 
die Banden der MWeißfittel, Bandmänner, Krempler und dergl., welche einen 
fleinen aber graufamen Krieg gegen hartherzige Sutsbeamte, Zmifchenpachter, 
Sriedengrichter und Gutsherren führen, find nicht auszurotten. Irland trogt als 
len Bemübungen der Minifter, weil man fich nie entfchliegen wird, das Übel 
in der Wurzel anzugreifen, einestheils die Derbältniffe der Pachter gegen die 
Srundherren gefeglich zu firiren, die Söhne Erins in ihr altes Recht am Boden, 
mit billigen Grundrenten für die jeßigen Herren deffelben, wieder einzufeßen, und 
‚anderntheils die Kirchengüter der Kirche des Volks, d. h. der Eatholifchen, zuzu⸗ 
wenden und dadurch für Erziehung und Sittlichkeit des Volks die einzig wirkſaine 
Maßregel zu ergreifen, Die Emanctpation (f. d.) der Katholiken, d. h. 
ihre Einſetzung in die ihnen gebührenden bürgerlichen Rechte, haͤngt mit dem 
zweiten Punkte aufs genauefle zufommen; lange fheiterten hier die Miniſter 
\ . . Ki. Ar 


— 


⸗ m 


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808 . Großbritannien, feit 1845 (Inneres) 


auf der einen Seite an dem blinden Eifer der hohen proteſtantiſchen Geiſtlichkeit, 
auf der andern an der Unbiegſamkeit des römifchen vB, welcher der englifchen 
Regierung nicht einmal das Recht einräumen wollte, bei Befeßung geiftlicher Stel⸗ 
Ien Diejenigen auszufchließen,, deren Befinnungen fie nicht trauet. Selbſt die ge: 
mäßigte Motion des ‘Premierminifters Sanning, den irländifchen Eathol. Pairs 
die Fähigkeit, im Parlanıente zu ſtimmen, nicht länger zu verfagen, wurde im 
Haufe der Lordg wiederholt verworfen. Endlich feßte XBellington, um Aufruhr zu 
vermeiden, im J. 1829 die Reliefbill durch, nach welcher Katholiken in das Par⸗ 
lament geroäblt werden konnen; zugleich ward der Wahlcenfus in Irland auf 10 
Pf. erhöht, und die Zahl der Eathol. Geiſtlichen feft beftimmt. — Ähnliche Vorur⸗ 
theile der Grundherren⸗Ariſtoktatie hemmten auch bisher die Reform der Criminal⸗ 
gefeße, wobei Sir James Madintofh der Nachfolger des berühmten Rechtsge⸗ 
Iehrten Sir Samuel Ramilly (f. d.) geworden if, Dan glaubt, wenn man 
Die Schrecken jener blutigen Sefeße hinmegnäbme, durch welche in unruhigen Zeis 
ten der Tod auf fehr unfcehuldige Handlungen (3.8. ſich masfirt auf der Landſtraße 
oder im Forfte blicken zu faffen) oder geringe Vergehungen (vorfäßliche Lähmung 
eines Stüdes Vieh, Abhauen eines Baums) geſetzt ift, das Mittel zu verlieren, 
wodurch das Volk in Furcht gehalten wird. Man bat in diefen Geſetzen (und in 
der Gerichtsverfaffung mit Geſchworenen) ein Werkzeug, fich manches Mannes zu 
entledigen, roelchem man auf geradem Wege nicht beifommen kann. So wurde 
dem Parlament in einem amtlichen Gutachten vorgehalten, daß ein Menfch wegen 
eines umgehauenen Baumes, zum Schreden des Anflägers und der Schöffen, 
soelche nach ihrem Schuldig nur eine Geldbuße oder höchftens Gefaͤngnißſtrafe er 


. warteten, von dem Nichter zum Strange verurtheilt und troß aller Vorbitten 


Bingerichtet wurde — weil man ihn im Verdacht hatte, an flaatsgeführlichen Um⸗ 
trieben Theil genommen ju haben. Und im Juli 1822 wurde ein wohlhabender 
Mann, Thomas Lee, in der Grafſchaft Stafford bei den Quartalfeffionen der 
Sriedengrichter der Entwendung eines Fifchneßes angeflagt, nachdem man den wirf: 
lichen Entwender freigefprochen hatte, und zu fiebenjähriger Transportation nad 
Botanybay verurtheilt — weil er in dem Gerede ftand, zuweilen ohne Erlaubniß 
einen Hafen oder ein Rebhuhn zu fehießen. (Won Wilddieberei kann man in Eng: 
land nicht reden, denn es gibt feine im Eigenthum befindliche Jagdbezirke, fondern 
die Jagd gehört dem Staate, welcher fie den Begünfligten vermöge jaͤhrl. Jagd⸗ 
päffe geſtattet.) · So ift das Sefchroorenengericht auch ein fehr nothwendiger Ring 
in jener Kette, welche die Ariffofratie des Befiges, vornehmlich des Landeigens 
thums, in England zufammenhält und fie zur eigentlichen Inhaberin der dffent: 
lichen Macht erhebt, Darin hat Cottu in feinem Befannten Werke alfo recht geſe⸗ 


. Sen; ob aber gerade diefe Seite den Einrichtung für andre Staaten zur Nachah⸗ 
mung empfehlen darf, möchte me 

menhalten der Bermögenden, wobei Dinifterialpartei und Oppofition fich nur als 
- unbedeutende Nuaneen von einander fcheiden, Eommt auf die perfönlichen Meinun: 


r ale zroeifelhaft fein. Bei diefem feſten Zuſam⸗ 


‚gen und Neigungen des Miniſters in den Hauptfachen wenig an, Indeß hat Str 
bert Peel, voelcher ind San. 1822 der Nachfolger des Viscount Sidmouth im 
Minifterium des Innern wurde, angefangen, einzelne Theile der Criminalgefeß: 
ebung zu fichten und zu vereinfachen, namentlich die den Diebſtahl betreffenden, 
uch mar die von Husfiffon, Robinſon und Canning ausgegangene Milderung der 
alten firengen Sefege gegen fremden Handel und Schifffahrt (die neue Navigationgs 
öcte vom 8. J. Georgs IV. Cap. 43) der erſte Schritt zu jener allgemeinen Sans 
beisfreiheit, welche fich bereits in ihren Folgen bewährte, als die Wellington'ſche 
Dermaltung eintrat. Freiheit und Wohlftand find nicht nur eng mit einander ver 
Enüpft, fondern die befte Burgſchaft für die Ruhe der Staaten, und mo Diefe ges 
wird, läßt fich ficher auf wirkliche Noth des Volks fehliegen. In dem Lei: 
sjahre von 1817 flieg die jährliche Zahl der Criminalanklagen in England plotz⸗ 


) - 


Großbritannien, feit 4815 (Inneres) 907 


lich von 8000 auf beinahe 14,000, die Zahl der Todesurtheile von 890 auf 1302, 
der nach Neuholland Berwiefenen von 1054 auf 1734. Nach der Wiederberftels 
Img der baaren Zahlungen der Bank (das Merk des Minifters Peel), nach der 
neuen Navigationsacte und dem fortgefegten Syſtem der Sparfarhfeit und des 
Sriedens konnte der Minifter Peel im Juni 1823 dem Parlamente folgende erfreu⸗ 
liche Thatfachen über die Lage des Landes vorlegen. 1817 waren von 9 Fabrikars 
beitern 7 ohne ArBeit, 1823 Eeiner. In Sheffield betrugen die Armentapen im 
J. 1820 86,000 Pf., im 5%. 1823 nur 13,000; im J. 1817 ftanden dafelb 

1600 Häufer leer, 1823 keins. In Birmingham mußten 1817 von 84,000 8 

27,500 Unterftügungen aus der Armencaffe erhalten, ein Dritttheil der Handwer⸗ 


fer hatte gar eine, der übrige Theil nur halbe Befchäftigung; die Armentaren bes- 


trugen nahe an 60,000 Pf. Im J. 1823 waren alle Arbeiter befchäftigt, die Ars 
mentagen betrugen nur 20,000 Pf.; der wöchentliche Arbeitsiohn der Weber, wel⸗ 
cher im J. 1800 13 Schilling betrug, 1817 aber auf 3 Schill. 3 Pence geſunken 
war, hatte fich 1823 wieder auf 10 — 16 Schilling gehoben; mit feinem Spins 
nen aber waren wöchentlich 30 Schill. und mit grobem 28 Schill. zu verdienen. 
Die gefammte Ausfuhr Englands betrug 1820 48,951,467 Pf.; im %. 1822 
63,464,122- Pf.; der Preis des Setreides war im Ian. 1822 32 Schill. vom 
Duarter Weizen, im Juni 62 Schill., wobei alfo auch die Landwirthe ihre Rech⸗ 
nung fanden. Dafür aber waren auch (Irland ausgenommen) alle Unruhen und_ 
alle Umtriebe der Kadicalreformers verfehtwunden! Zwar entftand 1826 abermals 
eine allgemeine, das Gewerbe niederdrüdente Noth; allein diefe war die Folge eis 
ner fein Maß und kein Ziel fennenden Speculationsmwuth in auswärtigen Anleihen 
und Eofifpieligen Unternehmungen, fowie der Überfüllung des Waarenmarftes. 
England verlor Dadurch ungebeure Summen an baarem Selde; zahliofe Banfes 
rotte brachen aus; der Credit war zerrüttet; die Mafchine des bürgerlichen Hauss 
balts droßte ftill zu ftehen. Indeß legte fich auch diefer Sturm. Das Schreden 
war noch größer geweſen als die Gefahr. Damals gelang es der Sanning'fchen 
Verwaltung nicht, durch eine im Seifte der Handelsfreiheit vorgenommene Mils 
derung ber Korngefeße die Lage des Fabrikftandes gegen das Monopol der Grunds 
eigentbumsariftofratie ficher zu ftellen. Die mächtige Oppofition im Oberhauſe 
und Wellington vereitelten Sanning’s Derbefferung der Cerealgefege. “m J. 1829 
reisten nochmals Handelsftodungen und Noth die Fabrifanten zum Aufruhr und 
Zertrümmerung der Mafchinen. Viele Manufacturen fanden flill; andre wurden 
zerflört. Sanning’s Maßregeln (Aufhebung der Kornbill u.a. m.) allein können retten, 

Der britiſche Nationalreichthum, die Bafıs der britifchen Macht, 
beruht theils auf den Erzeugniffen des Bodens, theils und hauptfächlich auf Ge⸗ 
werbfleiß und Handel. Der große Aderbau wird forgfältig betrieben, der Eleine, 
der bloß durch die Familienhülfe, ohne Sefinde —8 wird, nimmt durch Ver⸗ 
treibung und Auskauf der kleinen Beſitzer immer mehr ab, beſonders in Schott⸗ 
land, wo man das Huͤtten⸗ und Gemeinheitsrecht der alten Landbewohner aus⸗ 
kauft, und dieſe an die Kuͤſte zur Fiſcherei und Seenahrung verſetzt; aber die Manu⸗ 
facturen und Fabriken entziehen ihm zu viel Hände, die Viehzucht und Jagdliebha⸗ 
berei der großen Süterbefißer zu viel Land, und der Speculationggeift der Reichen zu 


* 


viel Capital. Man rechnet in England und Wales von 40 Mill. Acres 8 Mill. ol: 


ften und 14 Mill, nicht ‚gehörig benußten Landes, Der britifche Kunftfleiß iſt am 
thätigften in London und in den Manufacturftädten Birmingham, Leeds, Mans 
chefter ıc. in Wollen: und Baummollen:, in Stable und Thonronaren ꝛc. Don 
2.941,383 Familien, die Sirogbritannien im J. 1821 zählte, trieben 978,656 
Aderbau, und 1,350,289 Induſtrie und Handel, liber den Handel, die Seele der 
britifhen Politik, f. die Art. Welthandel, Oftind. Compagnie, Engl, 
Reich in Dftindien, und Londoner Bank. Uber die Canalſchifffahrt Engs 


lands fe Canaͤle. Noch lange wird der Reichehum der Eolonien Englands Une 


N 


208 Ä Großbritannien, Ritterorden 
ſuß und furchtbare Macht ſichern. Neue erbluͤhen in Neuholland (ſ. d.) Um 
ſich die Colonien zu, erhalten, knüpft ſie die Regierung durch Handelsfreiheit und 
eigenes Verwaltungsrecht an das Mutterland, das fie vertheidigt. Die brit. Colo⸗ 
nien nennt d Art. Welthandel. Don den im letzten Kriege gemachten Erobe⸗ 
rungen hat es Malta und Helgoland, die franz. Sinfeln Tabago, St.-Lucie (deren 
farbigen Bero. die Regierung 1829 vollftändige bürgerl. und polit. Rechte bewilligte) 
und Isle de France, die holländ. Beſitzungen auf Ceylon, das Cap, Demerary, 
Effeguebg und Berbice, und die fpan. Inſel Trinidad behalten. England firebt fort: 
gehend dahin, Handels: und Militairniederlaffungen an der Mündung der großen 
tröme zu erwerben. So in Hinterindien und auf der Halbinfel Malacca. “Der 
engl. Nationalreichthum ift, wie diefe Betrachtung feiner D.uellen zeigt, -fehr une 
gleich vertheilt. Da die Reichen (immer der Eleinere Theif) ihre Sapitale weit mebr _ 
auf den ausmwärt. Handel, auf die Solonien, auf Staatspapiere wenden, als auf 
den weniger einträglichen Landbau und felbft Fabriffleig, fo ift eine große Menge 
Menfchen in England ohne Erwerb. Daher die vielen Auswanderungen und die 
große Anzahl der Armen (über den zehnten Theil der ganzen Bevölkerung). “Die 
Maffe des brit. Nationaleinkommens berechnete man 1810 für diejenigen, die folche 
fingirte Zahlen vergnügen, auf 132,470,000 Pf. Dagegen kann man das vors 
bandene baare Geld lange nicht auf 100 Mill. Pf. anfchlagen. Bon obigen 132 
Mil. find, nach idealiſchen Berechnungen, 51 Milk, zum nothdürftigen Unterbalte 
der Nation erfoderlich, ſodaß im Frieden win überfluß von 8i Mill. bleibt. Die 
fundirte und nicht fundirte Nationalſchuld betrug im J. 1820 832 280,327 Pf. 
Sterl.; im jahre 1828 betrugen die Zinfen der Nationalfchuld 27,146,000 
Df. Der Tilgungsfonds, welcher 5 Mill. Pf. jährlich gab, ift feit 1828 zur 
Einnahme gefchlagen, Die Taren find entweder jührfiche, die jedes Jahr von 
Neuem bemilligt werden müffen, oder permanente, die ein für allemal bewilligt find. 
Jene waren fonft die Malztaxe und die Landtaxe oder Sirundfteuer. Diefe aber war 
von Pitt 1798 auf 20 Jahre permanent gemacht, oder vielmehr voraus verkauft 
und anticipirt. Die alten ſtehenden Taren find die Zölle (über 44 Dill. Pf.), die 
Acciſe (204 Mill), das Stempelpapier (7 Mill.), die Fenftertare, die Miethkut⸗ 
ſchentaxe und die Penſionentaxe. Unter den neuen Taren, die der Krieg bervorges 
bracht, war die vorzüglichfte die Einfommentare (10 Proc. von jedem jährl. Eins 
£ommen über 200 ‘Pf. und einer geringen Abgabe von jedem über 160 Pf.). Diefe 
Taxe, welehe im J. 1813 144 Mill. Pf. St. einbrachte, wurde, weil der Reich⸗ 
| um fie für fehr_drüdend erklärte, am 19. März 1816, gegen den Wunſch der 
inifter, mit einer großen Mehrheit der Stimmen abgefchafft. Übrigens gibt es 
eine unzählige Menge Taren auf viele Gegenſtaände des Luxus und des Verbrauchs, 
Im %. 1828 betrug die Einnahme 55,187,124 Pf., die Ausgabe. 49,336,973 
Df., davon die Civilliffe 1,057,000, dag Heer, 8,084,000, die Marine 6,667,000, 
Das Feldzeugamt, 1,446,000 Vf. Die Marine (585 fegelfertige Schiffe, darunter 
1071 von der Linie) ift bis zur Varſchwendung zahlreich, da kein gebrauchtes Schiff 
über 80 Fahre dauert. -Sjeßt werden 16 bis 20,000 Matrofen von der Krone bes 
zahle und find im wirklichen Dienfte, wogegen Nordamerika ungefähr die Hälfte 
im wirklichen Dienft hat und eine überflüffigen Kriegsfchiffe baut. Die Landmacht 
ift 102,000 M., die oftind. Sefellfch. hält über 270,000 M. 

Ritterorden: I) Der des blauen Hofenbandes (engl. the Garter, franz. 
de la jarretiere), einer der ülteflen und angefehenften in Furopa, vom König 
Eduard III. im J. 1349 geftiftet. Der frühere Urfprung iſt ungewiß. Der Orden 
bat nur eine Slaffe, und. außer dem Großmeiſter, welches der König ift, 26 Ritter... 
Seine Devife ift: Honny soit, qui mal y pense, Die Beamten des Ordens find 
angefehene englifche Seiftliche. 2) Der Bathorden, gefliftet von Heinrich IV. 
1399 und von Georg I. 1725 erneuert, wurde 1815 in einen Wilitairver⸗ 
bienfioeden verwandelt; der auch ausländifchen Militairs, die mit Engländern 


_ Größe Größe (fejeinbare) 909 


gefochten haben, ertheilt rotrd, und hat 3 Claſſen: Großkreuze, deren 72-fein fo 
len, und die wenigfteng den Rang von Seneralmajorg oder Sontreadmiralen haben 
müffen; Commandeurs, deren Zahl bis jeßt auf 180 beftimmt worden, und Die wer 
nigſtens Oberlieutenants oder Poſtcapitains in der Marine fein müffen, Xitter, 
deren Zahl nicht beftimmt ift, 3) Der ſchottiſche Orden von der Diftel oder Sto 
Andreasorden, von Jakob V.1550 geftiftet, von der Königin Anna und von Georq F, 
erneuert, wird nur an 12 fchottifche Große vertheilt, 4) Der Drden des heil. Pa: | 
trik (der Schußpatron von Irland) wird nur an irifche Pairs vertheilt. Beorg III, 
ftiftete ihn 1783. Liber Großbritanniens Verfaffung, Verwaltung u. a. Verhält⸗ 
niſſe fd. A. England, Schottland, Yrland, Englifches Keich in In— 
dien, Seorgtt., II., Ill. und IV., Rationalfchuld u.a. m. Als hiftorifche 
Werke nennen wir: die von Hume und Smollet, welche Will. ones tn f. „Hi- 
story of England during the reign of George 111.” (Lond. 1825, 3 Bde.) fort: 
gefeßt bat. Diefes Werk enthält zugleich die Zeitgefchichte. Allein der Berf. ifinicht - 
unparteüifch genug. “Des fathol. Geiſtlichen, D. Lingard, „History of England“ 
from the first invasion by the Romans to the accession of Mary” (2, A., Lond. 
43825, 6 Bde., 4.) und die Fortf; bis auf Seorg II, (zuſammen 8 Bde., 4.; deutfch 
- vom Freih. C. A. v. Salis, Fkf. a. M. 1827 fg.) iff gründlich und gut gefchrie: 
ben; aber in Hinficht der Eirchlichen Gebräuche einfeitig und befangen. Aus den 
Quellen und parteilos find Sharon Turner sQßerfe: 1) f. „History of ihe Anglo: 
Saxons from. their first appearance on the Elbe and their invasion of Eng- 
land to the norman conquest” (4, X., Lond. 1824, 8 Bde.); 2) f. „History of 
England during the middie ages” (von Wilhelm dem Eroberer bis auf Hein: 
rih VIII.) (2. A., Lond. 1825 fg., 6 Bde). — Des Lord John Nuffel „Geſch. 
der engl. Regierung und Berfaffung von Heinrichs VIII. Regierung an bis auf die 
neuefte Zeit‘ hat D, Kriß nach der 2. Ausg. überf. (2p}. 1825): Ge, Moore's 
„Geſch. der brit. Revolut. von 1688 ıc.“ hat®. J, F. v. Halem a. d, Engl. überf, 
(2p;. 1822), — Unbefangenet als Hume und wärdiger als Lingard hat Guizot bie 
„Hist. de la revolut, d’Anglet. ‚depuis Pavénement de Charles J. jusqu'à la 
chüte de Jacques I. (Paris 1826 fg., 2 Bde.) dargeftellt. Auch hat Guizot 
8 Hallam's „Hist. constitutionnelle d’Anglet.‘ (Dar. 1829, 5 Bde.) überf. — 
tatift.:polit. Inhalts fink: die „lLettres sur PAn leterre‘ vom Bar. v. Stacl: 
Holftein (Par. 1825), deutfch von Scheidler 1. d.%.: „üb. die Verfaffung, Vers 
waltung und den polit. Gemeingeiſt Englands in Vergleich mit Frankreich” (Jena 
41825); die yeettres de Saint-James“ (Senf 1819 — 26, 5 Thle.); die „Vo- 
‚yages dans la Gr,- Bretagne, entrepris relatirem, aux services publics de la 
guerre, de la marine et des ponts et chaussees, an commerce etä l’indu- 
- strie, depuis 1816. Par le Bar. Ch. Dupin“ (4.%.1820, 2.%., Paris 1825, 
3 Abth. jede von 2Bdn.; deutfch mit den Anm. des engl. Überf. und m. Kpfn. 
Stuttg.); Lowe's „England nach f. gegenroärt. Zuftande des Ackerbaues, des Han⸗ 
bels und der Finanzen“, deutfch von Jakob (23.1823), und H. Meidinger’s „Reife 
durch Großbrit. und Irland, in topogr;, commerz und ftatift. Hinficht, Ein 
Handb. für Reifende” (2 Bde., m. Charten, Fkf. a. M. 1829), 
Größe, Ördpgenlehre, ſ. Mathematik. | . 
Große, fheinbare Wenn man von den aͤußerſten Enden eines fichts 
baren Segenftandes gerade Linien nach dem Mittelpunfte der Pupille des Auges 
giebt, fo heißt der Winkel, den -fie bier einfchließen, der Sehewinkel oder die 
ſcheinbare Größe des Gegenſtandes. -Diefer Sehewinkel wird bei einerlei 
‚Object natürlicherweife größer, je näher dieſes dem Auge kommt, und deſto Fleiner, 
je weiter es fich davon entfernt, Yun hängt unfer Urtheil über die Größe der Ges 
genflände nicht allen von ihren wahren Dimenfionen, fondern auch von dieſem 
Sehewinkel ab; und egenftände von fehr verfchiedenen wahren Größen können fich 


8 
N 


j 


: 919 Großgriechenland Graotius 


dem Auge ſcheinbar gleich groß darſtellen, wenn ſie unter einerlei Sehewinkel er⸗ 
feinen. So ſehen wir z. B. Sonne und Mond, trotz der außerordentlichen Ver 
ſchiedenheit ihrer wahren Durchmeſſer, faſt gleich groß. Außerdem miſchen ſich aber 
in unfer Urtheil über die Größe der Gegenflinde eine Menge von finnlichen Ange: 
wohnheiten und Täufchungen, die umfere Seele in dem Maße beberrfchen, daß wir 
unvermögend find, Herr darüber zu werden. Ein merkwürdiges Beiſpiel folcher 
Sefichtsvorurtheile iſt die Erfahrung, daß. ums deraufgehende Mond viebgrd: 
fer erfcheint, als wenn er fhon hoch am Himmel fteht. Wir glauben ihn am Ho⸗ 
rigonte weiter von ung entfernt als im Scheitelpunkte, weil im erſtern Falle Ge⸗ 
genflände zwifchen ihm und uns liegen und unfer Urtheil beftechen, bie im leßtern 
fehlen. Wendet man bei der Beobachtung ein Fernrohr oder auch nur-eine offene 
öhre an, die uns den Anblid jener zwifchenliegenden Segenftände entzieht, fo 
berfchroindet die Täufchung , und der Mond erfcheint dann in beiten Fällen gleich 
grob. Dat. Bohnenberger’s „Aftronomie”, Tübingen 1811, S.84 
Sroßgriechenland, ber untere von griech. Coloniſten bevölkerte Theil 
—5— DAnpille läßt es nördlich vom Fluſſe Silar oder Selo, der ſich in den 
olf von Päftum ergießt, begrenzen; aber es feheint natürlicher, auch Campanien 
Dazu zu rechnen, und an der einen Seite der Volturnus, wo das Gebiet von Cuma 
endigte, und an der andern den Frento oder Fortore, der Apulien begrenzt und ſich 
Ing adriatifche Meer ergießt, zur Grenze anzunehmen, weil die griech. Colonien bis 
dierder reichten. Die Volkerſtaͤmme nämlich, welche in den frübefien Zeiten von 
. ber in Italien eingewandert waren, bewohnten zwar ganz Italien, aber immer 
zroifchen den Apenninen und in dem Innern des Landes eingefchloffen. Als num 
mehre Jahrhunderte fpäter riechen, theils weil fie in der Heimat keinen Raum 
mehr fanden, theils weil fie fich von diefein nahe gelegenen ande angezogen fühle 
ten, hierher kamen, fingen fie an, auf den noch.unbefegten Küften Pflanzftädte zu 
erbauen , und vermifchten.fich nach und nach mit den Bewohnern des Innern. 
Der Zeitpunkt, mann diefe griech. Anpflanzungen anfingen, fällt unftreitig nach 
Trojas erftörung. Athener, Achier, Eubder u A., auch einige Trojaner Eamen 
hierher. Nach Dionyfius von Halikarnaß zerftreuten fich alle Begleiter des Anens . 
in verfchiedene Gegenden Italiens. Einige landeten in Japygia, andre zogen an 
den beiden Seiten des Apenninengebirges bin, und legten mit Güte oder Gewalt 
Colonien an. In der Folge fandten auch die Römer Colonien nach Calabrien, 
und theils dadurch, theils durch das Mecht der Eroberung, wurden fie feit 272 v. Ch. 
Herren aller griech. Colonien. Dan fprach nun in Calabrien nicht mehr bloß grie⸗ 
chiſch, ſondern auch lateinifch, und ebenfo vermifchten fich die griecgifchen mit deu 
römifchen Sitten und Sebräuchen, ſodaß noch jeßt Die Vermiſchung erkennbar iſt. 
Sroßgriechenland umfaßte die Landfchaften Sampanien, Apulien, Japygien, Lu⸗ 
canien und das Yand der Bruttier; die berühmteften Republiken dafelbft waren 
Tarent, Sybaris, Crotona, Poſidonia, Lokris und Rhegium. 
Großgörſchen (Schlacht von), 2. Mai 1813, ſ. Lügen. 
Größtes und Kleinſtes (mathem.), ſ. Maximum. 

Grotius oder van Groot (Hugo), einer der vielfeitigften Gelehrten 
und Staatsmänner, geb, zu Delft den 10. April 1588, ſtammte aus einer edeln 
Familie und erhielt eine treffliche Erziehung. Schon in feinem 15. J. disputirte 
er über philofophifche, mathematiſche und juriftifche Thefes mit allgemeinem Bei⸗ 
fall. Das Jahr barauf ging er mit dem holland. Sefandten Barneveldt nach Frank⸗ 
reich, gewann durch ſ. Geiſt und f. Beträgen den Beifall Heinrichs IV., und wurde 
überall wie ein Wunder angeftaunt. Nach f. Ruͤckkehr führte er den erfien Proceß 
in feinem 17. J., und ward im 24. Seneraladvocat, auch 1613 Syndieus oder 
genfionnat in Rotterdam. Die Angelegenheiten der Remonftranten und ihrer 

gner beunrubigten damals Holland, Barneveldt war der Befehüger der Erſtern, 


. J 


Grottesken | mi 


Grotius, der fich für ihn erflärt hatte, unterftügte ihn durch ſ. Schriften und fein 
Anfeben. Dies verwidelte ihn in den Proceß, der mit der Enthauptung Barnes 
veldt's 1619 endigte, und war Urfache, daß er felbft zu Tebenslänglicher Sefangens 
ſchaft auf dem Schloffe Lowenſtein verurtheilt ward, Aus diefer wußte er mit 
telſt einer Kifte, in welcher ihm ſ- Sattin Bücher geſchickt hätte, und in melche er 
fi verbarg, zu entkommen. Nachtem er einige Zeit in den kathol. Niederlanden 
umbergeirrt war, flüchtete er fich nach Frankreich. Ludwig XIII. gab ihm eine 
Denfion von 3000 Livres. Vergebens fuchten die holland. Sefandten dem König 
eine ungünftige Meinung von ihm beizubringen. Endlich nöthigte ihn Richelien, 
dem er nicht genug fehmeichelte, fich zu entfernen, und 1681 wurde felbft f. Penſion 
eingezogen. ©. Eehrte jeßt in f. Vaterland zurüd, da er auf das Wohlwollen des 
Prinzen Friedrich Heinrich v. Dranien, der ihm einen theilnehmenden Brief geſchrie⸗ 
ben hatte, rechnen zu konnen glaubte. Allein f. Feinde beroirkten, daß er zu ewiger 
Derbannung verurtheilt ward. ©. ging jeßt nach Samburg, von 100 die Könige 
von Dänemark, von Polen und von Spanien ihn in ihre Staaten zu ziehen ver- 
fuchten; aber der Baus den der Kanzler Oxenſtjerna ihm zuficherte, und-die Nei⸗ 
ung der Königin Shriftina für Gelehrſamkeit beftimmten ihn, die Dienfte diefer 
Karin anzunehmen. 1634 ging G. nach Stodholm, wo er zum Staatsrath und 
Geſandten am franz. Hofe ernannt wurde. Diefe Wahl mißfiel dem Card. Riche⸗ 
lieu, der ungern einen Mann zurüdtehren fah, dem man Schuß und Aufenthalt in 
Sranfreich verfagt hatte; allein Oxenſtjerna wollte feinen andern Miniſter ernene 
nen, und ©, erſchien im März 1635 in Paris. Hier verwaltete er den Sefandtr - 
fhaftspoften 10 Jahre fang und erwarb fich allgemeine Achtung. Auf f. Ruͤckkehr 
nach Schweden über Holland, fand er in Amfterdam den ausgezeichnetften Em⸗ 
pfang. Der größte Theil f. Feinde rar todt, und man bereuete; den Dann, der die 
Ehre ſ. Baterlandes war, aus demfelben verbannt zu haben. Ebenfo günftig ward 
er in Schweden von f. Königin aufgenommen, “Dennoch foderte er ſ. Abſchied, ers 
bielt ihn endlich, und war auf dem Wege nach Holland, als ihn ein Sturm nach 
Pommern verſchlug. Er kam krank in Roftod an und flarb dafelbft den 28. Aug, 
- 1645. Hugo ©, verband mit den Talenten des gewandteſten Staatsmanns eine 
tiefe und ausgebreitete Gelehrſamkeit. Er war ein gründlicher Theolog, trefflicher 
Exeget, deffen Commentar über das N. Teft. noch heute geſchaͤtzt wird, ein ausge⸗ 
jeichneter Humanift, feharffinniger Philoſoph und Juriſt, und ein mit den Quellen 
der Sefchichte vertrauter Hiftoriker. Deine Schriften haben auf die Bildung eines 
teifern Geſchmacks und auf Verbreitung einer aufgeflätten und milden Denfart in 
voiffenfchaftlichen Angelegenheiten einen entfchiedenen Einfluß gebäbt. Als Philolog 
faßt er den Geiſt f. Seseiftftellers ſcharf und richtig auf, erläutert ihn kurz und 
treffend und verbeffert den Text leicht und glüdlich; feine metrifchen Überfegungen _ 
der Griechen find mit Dichtergeift verfertigt; unter den Neuern lat. Dichtern nimmt 
er eine der erften Stellen ein; auch ın holland. Verſen dat er fich verfucht. Die 
Philofophie der Rechtswiſſenſchaft aber ift durch f. Werke über das Natur, Staatss 
und Bölferrecht vorzüglich gefordert worden. Durch ſ. Werks. „De jure belli et 
Ppacis“, hat er den Grund zu einer neuen Wiffenfchaft gelegt; ſ. Annales Belgicad 
usque ad ann, 4609; ſ. „Parallelon rerumpublic,”; f. Buch „De veritate 
religionis chriat,” und f. „Poeniata” (Lepden 164 1, 12.) find befannt. S. Ch. 
Butler’s „Life of Grotius etc.“ (Lond. 4827) und Hieron. de Vries's „Hugo 
de Groot en Marie de Reigessbergen‘ (Amfferd. 1827), . 
Grottesken, als Werke der Malerei, werden häufig mit Arabesken ver . 
wechſelt. Man nennt alle Verzierungen, die aus Menfchen, Shieren, Ble.men, 
Pflanzen u. a. m. auf eine phantaftifche, abenteuerliche Weiſe zuſammengeſetzt find, 
bald Arabesten, bald Örstiesten, allein mit Unrecht, Arabesten find Blumen⸗ 
zuge, von allerhand wirklichen und. erdichtetens Laub: und Blumenwerb; fie haben 


Fu 


2 "Grube: s 


‚ Ihren Namen von den Xräbern, welche, weil fie feine Thiere und Menſchen abbilden 
durften, Diefe Art von Verzierungen wählten. Da die Mauren fich derfelhen bes 
dienten, fo werden fie zuweilen auch Moresten genannt. Die Römer brachten in 
ihren Zimmern Verzierungen an, unter denen man, außer dem Blumenwerke, noch 
Senten, Menfchen, Thiere, Gebaͤude u. a. auf eine Weiſe verbunden findet, wie 
es die fpielende Phantafie dem Künftler eingab, Diefe Verzierungen (Ornamente) 
nun heißen eigentlich Grottesken, ‚teil fie in den Zimmern der verfchütteten Gebäude, 
der alten Römer und in Gewoͤlben unter ‚der Erde, Die man Grotten nannte, gefun: 
ben wurden. Den Urfprung folcher phantaftifcehen Compoſirionen, deren Werth in 
dem fchönen Formenfpiele liegt, leitet Böttiger aus den mit allerlei Fabelthieren der 
prientalifchen Maͤrchenwelt verzierten indifchen und perfifchen Teppichen ah In 
den Badern des Titus und der Livia zu Rom, in der Vila Hadrian's zu Tivoli, in 
den Zimmern der Gebäude von Herculanum und Pompeji u, a. a. O. haben fich 
deren erhalten, bisweilen zu voll und zu roh verziert, aber in der Anordnung und 
Ausführung doch meift fehr fehäßbar, Das erfannte Rafael, der durch f. Schüler, 
Insbefondere Stov, anni da Udine, die vaticanifchen Loggien nach jenem Muſter 
‘malen ließ. : Auch er bediente fich Ihrer, wie die Alten, * 
der Lieblichkeit aber, die ihnen, wenn ſie gut ſind, nicht abzuſprechen iſt, ſind ſie doch 
oft ſehr hatt beurtheilt worden. Dies geſchah von Solchen, deren Verſtand nur 
ſtrenge Wirklichkeit fodert, und die Daher das Phantaſtiſche der Maͤrchenwelt an: 
ekelte. Zum Theil aber artete der Geſchmack am Grottesken auch in das Bizarre 
und MWidernatürliche aus. Diefem: gemäß bat fich der Kunftausdruf Grottesk 
der Grotesk gebildet, welcher auch in andre Künfte übergegangen ift und haufig 
eine Art von Berrbild, das Nürrifch:Seltfame nämlich, das XWiderfinnige- einer 
zuchtloſen Phantafie, bezeichnet. Wiefern ſa Etwas mit Abficht und Freiheit in der 
Kunſt dargeftellt: wird, gehört es zu der Gattung des Komifchen; daher hat mar 
endlich mit Grotesk eine Art des niedern Komiſchen bezeichnet, Man nennt diefe Art 
auch das Grotesffomifche, welches fich vornehmlich in der theatralifchen 
Tanzkunſt und der dramatifchen Komik zeigt. Wenn man es als Unedles und Ab- 
afomadice geradezu hat vermwerfen wollen, fo bat man nur den rechten aͤſthetiſchen 

fichtspunft dafür noch nicht gefunden, den eines umgefehrten Ideals. Bon die: 
fer Seite betrachtet, erfcheint es, 100 es nur fonft mit Geiſt und Witz behandelt iſt, 
als ungemein fehägbar, denn die Satpre reicht der Komik ſchweſterlich die Hand, 
um durch das umgefehrte deal für das Ideale zu wirken. Uber Arabesten f. das 

Berk von Sutenfohn und Joſeph Thürmer (Rom 182. .), | dd. 

Grube (Brubengebäude, Bemggebäude, Zeche), im Allgemei: 
nen ein auf Gaͤngen, Lagern, Flößen, Stoa? und Seifenwerfen, aus einer ober 
aus mehren einzelnen befondern Lagerfittten der Mineralien beftiehender, mit den 

um Betriebe des Bergbaues nöthigen Waffer: Ind Tagegebäuden durch Muthung, 
erleibung und Bermeffung von Privatperfonen,erb> und eigenthümlich erlang- 
ter, oder vom Landesherrn vermöge des Bergregals befeffener Bezirk, wo der Legtere 
oder eine Gewerkſchaft, oder ein Eigenlöhner Bergleute anfahren läßt, um die darin 
befindlichen Mineralien bergüblich zu geroinnen. Insbeſondere nennt man Grube 
oder Girubengebäude (Bau unter Tage) die verfchiedenen Anlagen und unterirdifchen 

Aushöhlungen, deren Bildung durch die Berg: oder Häuerarbeiten geſchieht, und 
welche die Auffuchung und Gewinnung der Mineralien zum Zwede haben. Sie 
find ſewol ihren Zweden als auch der Form nach verfchieden. Dem Zwecke nach 
unterfcheidet man: 1) Verſuch baue, Grubenbaue zur Auffuchung baumwürdis 
diger Lagerſtaͤtten. Sie bringen, da fie größtentheils im tauben Geſtein getrieben 

"werden, am wenigften ein; als Berfuchbaue dienen Stollen, Streden, Querſchlaͤge, 
Schächte und Sefenke. 2) Abbaue, -Beranftaltungen, durch welche man die nutz⸗ 
baren Mineralien unmittelbar gewinnt, Die Formen, in welchen. die Abbaue ange: 
legt oder die Theile einer Lagerflätte, die man gewinnen will, ausgehauen werden, find 


infaffungen, Ungeadtet 


1) 


[4 


J 


N. Ä Grube | as 


fehr verfchieden. Bei dem Abbaue der Gange und der gangweiſe fallenden Lager 
wendet man folgende Arten an: a) Stroßenbaue, welche in der Richtung von 
oben nach unten angelegt werden, indem man, von der Sohle einer Strecke aus, | 
Stufen niedermärts aushauet. Es wird naͤmlich auf der Sohle der Strede ein | 
kleines Abteufen angefangen, und alsdann nach der Richtung der Sohle das I 
ausgehauen. ft der Häuer etwas vorwärts, fo wird das Abteufen um einige Fu | 
tiefer niedergebracht, und ebenfalls nach der Richtung der Strecke von einem wen , 
ten Häuer das Erz ausgehauen, jedoch fo, daß diefer zweite immer um mehre Fuße 
Binter dem erften 1 pır6 bleibt. A ein folcher Bau längere Zeit hindurch betrieben, 
fo erhält er das Anſehen von einer Treppe. b) Förftenbaue oder $ isftenbaue 
find die ftufenweifen Aushauungen bauwuͤrdigen Srubenfeldes von unten näch oben, 
Um den Bau vorzurichten, durchfinft man das Dtittel mit einem Schachte, treibs 
in der Richtung des Mittels (Lagerſtaͤtte) eine Strecke, welche man mit einer feften 
. Bimmerung oder mit einem gemauerten Gewoͤlbe verfieht, von roelchem aus man 
die Förften anlegt, indent man das taube Seftein zu Füßen bauet, oder folches von 
einem andern Punkte der Grube, oder von Tage hereinbringt. Mit der Zeit gewinnt 
der Bau das Anfehen einer umgekehrten Treppe. c)- Örters oder Ortbaue, 
Diejenigen Srubenbaue, wobei man auf kurzen Diſtanzen Stollen nach den bauwuͤr⸗ 
digen Punkten treibt, um biefe zu gewinnen. d) Auerbaue werden nur felten 
angewendet und nur bei mächtigen Singen und fteil ftehenden Lagern; man treibt 
dabei in der Richtung der Kagerftätte eine Strede und auf diefe fenfrecht Kleine 
Auerfchläge dicht neben und über einander, wodurch man die Erze gewinnt, und 
welch· man alsdann mit taubem Geſtein ausfüll. — Bel dem Abbaue von 
lösen und flachfallenden Lagern wendet man an: a) den Pfeilerbau, Niere 
i richtet man die Zagerftätte mit einem Stollen oder Schacht aus (ficht fie zu er 
reichen), treibt nach dem Streichen derfelben Strecken, welche man mit andern, die 
‚ nach dem Fallen getrieben worden find, verbindet und fo das Feld in lauter Pfeiler 
abtheilt, welche man wegnimmt und dann die Streden zu Bruch gehen läßt. b) 
Der Strebenbau erfcheint alg ein weiter, in das Flöß getriebener Rum, wo⸗ 
durch deſſen baumürdige Theile abgebauet werden. — Bei dem Abbane der Stbe 
Re, Stodwerfe u, Stüdgebirge endlich wird der Stockwerksbau, der Steinbruch 
bau u. der Bruchbau angewendet. a) Die Stodmwertsbaue beflehen in mehr 
oder minder großen in der Erzmaffe ausgehauenen Weitungen, die von Pfeilern uns 
terſtuͤtzt und etagenweiſe durch fefte Sohlen von einander abgefondert find. b) Des 
Steinbruchbau ift der Abbau ganzer Gebirgsmäffen von Tage nieder und der 
wohlfeilſte von allen (f. Steinbrüce). c) Der Bruchbau Hl derjenige, wos 
durch marı die, durch die Altern fchlechtern Baue zu Bruche gegangenen Theile eines 
Stockwerkbaues gewinnt, — 3) Hülfsbaue find Grubenbaue, durch welche 
es möglich gemacht wird, daß bie Abbaue beftehen fünnen, und daß das Gewonnene 
“  gebörig Ju Tage geſchafft werden kann. Hiether gehören: a) die Stollen zur 
afferlofung, zur Förderung und zum Wetterwechſel; fie werden aus einem Thale 
" oder aus irgend einem tiefern Punkte des Gebirgs in horizontaler Richtung in dafs 
ſelbe Hineingetrieben. Die Form eines Stollens ift die eines ‘Prisma, deffen Bafis 
| im Allgemeinen ein Rechteck bildet, Erbflollen ift ein folcher, welcher der tieffte 
- in einer Degen? iſt und einer oder mehren Gruben Waffers und Wetterlofung ver 
ſchafft. b) Roͤ ſchen find Stollen, weiche den Maſchinen Waſſer zu: oder abführen, 
| eo) Schächte find Baue, die entweder von ber Erdoberfläche oder von irgend einem 
Raume unter der Erde ab, in fenkrechter oder in fehiefer Richtung, in beftimmter 
Länge und Breite zu verfchiedenen Zwecken in die Tiefe des Sebirgs hinab gearbeis _ 
tet werden. Die Form der Schächte ift entweder Die eines Tänglichen Vierecks, oder 
eines Quadrats, oder einer Ellipfe, oder eines Kreifes. d) Radftuben und andre 
zur Stellung der Mafchinen ausgehauene Räume, — Der Sorm nach unterſchei⸗ 
Converſations⸗Lericon. Bd. IV, | ‘68 | 


} 
| _ — 


Ma Grübel Grumbach 


det man: 9) Grubenbaue in Stollenform: a) Stollen; b) Streden. 2) Gru- 
benbaue in Schachtform: a) Schächte; b) Kichtlöcger, d. h. folche Schächte, die 
den Zweck haben, einen Stollen mit Wettern zu verfehen, 3) Grubenbaue, die 
ſowol von Stollen als Schächten in der Form abweichen, und wodurch man nur an 
dem einen oder andern‘ Punkte eine größere Aushöhlung bilden will, find nun noch 
Die verfchiedenen Arten der Abbaue, die Radſtuben u. ſ. w. 

Grizbel Johann Conrad), Bürger und Stadtflaſchner zu Nürnberg, geb. 
dafelbft d. K. Juli 1736, lernte von f. Vater, ebenfalls Flafchner, Eünftliche mechani: 
ſche Arbeiten verfertigen, welche zum Theil nach Italien in Kirchen und auföffentliche 
Pläge gekommen find. Vorzüglich if er durch f. Gedichte in närnberger Mundart 
(4 Bde., von 1798— 1812) als ein Beiftesverwantter ſ. Landsmanns, Hans 
Sachs, rühmlich befannt geworden. Mach einem thätigen, einfachen u. ehrbaren Le⸗ 
ben ftarber d. 8. März 1809, Freunde, die den wackern Dann perfonlich gekannt, 
< verfichern, daß man ihn ganz aus f. Gedichten kenne. Er fteht in allen f. Darſtel⸗ 
Iungen u: Außerungen als ein Muſter von Seradfinn, Menfchenverfland u. & darf 
blick in f. Kreife da. Keine Spur von Schiefheit, falfcher Anfoderung, dunkler 
Selbſtgenügſamkeit, fondern Alles Elar, heiter u. rein. Die Stoffe, die er bearbei: 
tet, find meift bürgerlich oder baͤueriſch. ©. verfteht die Verhältniffe der Männer u, 
Frauen, Altern u. Kinder, DMeifter, Sefellen u. Lehrburfchen, Nachbarn, Nachba⸗ 
rinnen, Bettern u. Oevattern, ſowie der Dienftmägde, der Dirnen, in Geſpraͤchen 
und Erzählungen auf das Lebhaftefte u. Anınuthigfte vor Augen zu ſtellen. Manch⸗ 
mal ergößt er fich an mehr oder minder befannten Batemecumsgefchichten, bri wel: 
chen aber durchgängig die Ausführung des Details im Hinfchreiten zu der ictzten 
Pointe als das —*2 und Eigenthümliche anzuſehen iſt. Andre Gerichte, 
soo er fein perfünliches Behagen bei diefem und -jemem Genuß ausdrüdt, find hoͤchſt 
ergoͤtzlich; und fehr gefällig ift es, Daß der Dichter mit tem beften Humor, fowol in 
eigner als dritter Perſon, fich öfters zum Beſten gibt. Daß ein fo gerad febenter, 
wohldenkender Dann auch in Das, was die höhern Stände vornehmen, einen rich: 
tigen Blick habe, und manchmal geneigt fein möchte, diefe und jene Verirrungen zu 
tadeln, läßt ſith erwarten; allein fowol hier als überhaupt, wo fich ſ. Arbeiten Dem: 
jenigen nähern, was man Satyre nennen Eonnte, iſt er nicht glůcklich. Die befchränf: 
ten Handelsweifen, die der Eurjfinnige Menſch bewußtlos mit Selbſtgefalligkeit aus: 
Abt, darzuftellen, ift fein großes Talent. Hat man nun einen fo wadern Bürger mit 
Teidlicher Bequemlichkeit, bald in, bald vor f. Haufe, auf Märkten, auf Plaͤtzen, auf 
dem Rathhauſe inimer heiter und fpaßhaft gefehen: fo ifl es merkwindig, wie er in 
ſchlimmen Tagen fich in gleichem Humor erhält und über die außerordentlichen Übel, 
ſowie die gemeinern fich erhaben fühlt. Ohne daß fein Styl einen höhern Schwung 
nahme, ftellt er den bürgerlichen Zuftand toährend der Theurung, anhaltenden Fro⸗ 

es, Uberſchwemmung, ja während eincs Krieges vor, Sein Dialekt hat zwar etwas 
reites, ift aber doch f. Art gu dichten fehr günftig. Seine Sylbenmaße find ziem⸗ 
lich sartirt, und wenn er dem ehnmal angegebenen auch durch ein ganzes Gedicht nicht 
voͤllig treu bleibt, fo macht estoch beidem Tone der ganzen Dichtart feinen Mißklang. 

Grumbach (Wilhelmv.), ein frinf. Edelmann, ter 1558 in Verbindung 
mit dem Markgrafen Afbret von Brandenburgs. Kulmbach eine Fehde gegen die 
‚ Bifchöfe von Bamberg u, Würzburg begann, in die Reichsacht.verfiel, und um fich 
für den Berluft f. Guͤter zu rächen, den Bifchof von Würzburg, Melchior von Zo⸗ 
bel, durch Meuchelmord umbringen ließ (1568). Als darauf das Domcapitel die 
Sache vor ben Kaifer brachte, um den Schuldigen beftraft zu ſehen, verfchaffte fh 
, ©. einen zahlreichen Anhang unter dem fränkifchen Adel, überfiel 1563 die Stadt _ 
Würzburg und zwang fie zu einer fchimpflishen Sapitulation. Zugleich hatte er 
den leichtgläubigen Herzog von Gotha, Johann Friedrich, durch die Hoffnung in fein 
Intereſſe gezogen, daß er die von Karl V. f. Vater entgogene Kurwürde vielleicht 


Grund. 945 


durch ihn wiedererhalten konne. Dafür aber traf auch diefen die Acht, mit deren 


Vollziehung Kurfürft Auguft von Sachfen beauftragt wurde. Mach einer harten 
Belagerung wurde Gotha mit dem feften Schloffe Grimmenſtein am 13. Aprü 
1567 übergeben. Der Herzog mußte durch lebenslängliche Sefangenfihaft büßen; 
G. wurde lebendig geviertheilt. Dies war das Ende eines Mannes, der mit une 
bezwinglichem Muth, ausdauernder Standhaftigfeit und vieler Eimficht in Staates 
and Kriegsgefchäften Schwäche, Wankelmuth und Bosheit verband... Vgl. Gru⸗ 
ner: „Zur Sefchichte Joh. Friedrichs des Mittlern” (Koburg 1785). 


Grund, in den zeichnenden Künften: 1) die Materie, worauf eine Zeich⸗ 
‚ nung oder ein Gemaͤlde verfertigt iſt; 2) die über dieſe Materie verbreitete erſte Far 


benlage, worauf das Gemälde ſodann geſetzt wird; 8) derjenige Farbenauftrag, vor 
welchem man die Segenflände des Gemaͤldes erblickt; 4) die Släche überhaupt, auf 
welche Die Segenftände geftellt find. Was die erfte Bedeutung betrifft, fo nennt der 
Kupferftecher auch den Kirnig, mit welchem eine polirte Platte überzogen wird, um 
fie zum Agen tauglich zu machen, den Grund, und diefes ganze Verfahren das Gruͤn⸗ 
den oder Örundiren, von welchem zum großen Theil die Vollkommenheit des 
Atzens abhängt. In diefen Grund wird die Zeichnung mit einer Nadel gemacht, und 
dann Atzwaſſer aufgegoffen, welches bloß in den mit der Nadel gemachten Umriffen 


u. Strichen einfrißt. Dean hat zweierlei Arten von Ätzgrund, den harten u. weichen, 


Neuere Künftler übergründen die Platte bisweilen noch, d. h. fie überftreichen 
diejenigen Theile der Platte, an welchen Das Scheidewaſſer hinlänglich gefreffen bat, 
mit einem Firniß, damit es bloß an den übrigen noch tiefer einfreffen möge. Was 
die zroeite Bedeutung des Ausdrucks Grund betrifft, fo ift zu bemerken, daß jede Mar 
terie, worauf gemalt werden foll, gehörig zubereitet werden muß, damit das Gemaͤlde 
theils haltbarer, theils fcheinbarer werde. Holz überftreicht man mit Leim, um bie 
Luftlöcher zu füllen, firnißt daffelbe und flreicht es dann an; Mauergrund muß 
ebenfalls befonders zubereitet werden; Leinwand fpannt man in einen Rahmen, 
traͤnkt fie mit Leimwaſſer, reibt fie dann mit Bimseſtein und ſetzt eine einfache Farbe 
auf, mworauf,"wenn diefe trocken geworden, die Leinwand noch ein Mal mit Bims⸗ 
flein geglättet wird. Diefes nennt man ebenfalls Gründen eder Örundiren, 
braucht denfelben Ausdrud aber auch von der erften aufgetragenen Sarbenlage ings 
befondere, wobei zu ermägen ift, daß die Wahl diefer Grundfarbe für das Gemälde 


keineswegs gleichgültig ift, indem ein großer Theil der Friſchheit u. Dauer deffelben 


davon abhängt. Bei dem Grund in der dritten Bedeutung (gleichfam als Hinter: 
grund des Gemaldes) hat Ver Dialer wohl zu beherzigen, daß gewiſſe Sarben einander 
jrflören, andre einander heben. Sleifchfarbe wird blaß auf einem gelbem Grunde, 

laßroth erfcheint Iebhaft u, feurig auf einem gelben Grunde. Dan muß alfo den 


‚für die dargeftellten Gegenſtaͤnde vortheilhafteften Grund nach den Geſetzen der Hars 


monie u. des Contraftes ausmwählen. Oft beftimmt der rund die allgemeine Wirs 
Eung der Scene, unterftüßt die Maffen, macht die Figuren geltend, belebt, oder zer: 
flört den Ausdrud, Bon Srund in der vierten Bedeutung iſt zu bemerfen, dag man 
bei Landfehafts: u. hiftorifchen Gemälden den Grund nach.den Sraden der Nähe u, 
Entfernung in den Vor⸗, Mittel: und Hintergrund eintheilt. Der Bor: oder Vor⸗ 
dergrund ift der unterfte Theil deffelben, welcher die nächften Gegenftände vor⸗ 


ſtellt; der Höhere Theil, welcher Die entferntern Gegenſtaͤnde vorſtellt, wird der Hins 


tergrund öder die Ferne genannt. Das allgemeine Geſetz für ſolche Darſtellun⸗ 


gen ift: die Erhöhungen dieſer Theile follen nicht leicht unmittelbar über einander 


u ſtehen kommen, fondern durch Abwechfelung einander ungeziwungen ausweichen. 


s gilt hier eine genaue Beobachtung ſowol der Farben oder Kuft:, als der mathe 
matifchen Perfpective. Die entfernteren Gegenftände werden verkleinert, mit wenis 
ger Deutlichkeit u. ſchwaͤcheren Zügen gezeichnet, und der ferne Sarbenton darf ges 


gen die jedesmalige Farbe der Luft und des Himmels nur wenig abftechen. Wo Ent⸗ 


58 * 


‘ 


7 | | 
946 Ä Grundanſchlag on Örupbeigenthum 


fernung nicht durch die Folge der Segenflänte auszudrüden ift, da muß es durch eis 
nen Tuftigen Grund gefchehen. Ein Grund ift WE! wenn er den Ton der Morgens 
Iuft darftellt; warm, wenn der Untergang der Sonne ihm eine brennende Farbe 
gibt; malerifch, bei einer finnreichen Auswahl des durch Sarbenfpiel und Beleuch⸗ 
tung Gefaͤlligen; reich, wenn er viele, uͤberladen, wenn er zu viele, arm und Earg, 
"wenn er wenige oder zu wenige Gegenflände enthält. Diefe Eigenfchaften der 
Grunde hängen von der auszudrücdtenden Hauptidee des Künftlrs ae dd, ” 
| Grundanſchlag, die Abfchigung oder Berechnung des Capitalwerths 
aller Srundftücde und Zubehörungen eines Gutes. Um einen richtigen Grundan⸗ 
ſchlag anzufertigen, muß auf folgende Segenftände Rüdficht genommen werden: 
4) Iſt der Slächenraum nach genauer Bermeffung in dem üblichen Landesfeldmaße 
nach Morgen oder Adern und Ruthen zu beftimmen; denn die bloße Abſchaͤtzung 
deffelben nach Schritten und dem Augenmaße ß ebenſo truͤglich als nach der Aus⸗ 
ſaat. 2) JE auf das genaueſte die Verſchiedenheit des Bodens oder ſ. innere Be: 
ſchaffeuheit und Ertragsfaͤhigkeit zu berücdfichtigen, und find danach die Grund⸗ 
flüdte eines Gutes in verſchiedene Claſſen zu bringen, Hat man diefes bewirkt, fo 
muß bei Berechnung ihres Capitalwerths auch noch 3) ihre verfchiedene Lage beach: 
"tet werden, weil ein gleichgroßes Feld von einerlei Bodenclaffe dadurch einen ver: 
fhiedenen Capitalwerth erhält. 4) Muß man unterfuchen, ob der Grund und Bo⸗ 
den zu f Bearbeitung viele oder wenige Arbeitskoſten verurfacht, 5) Wird auch 
darhuf geſehen, was mit dem größten Vortheile in dem Boden nach f. Lage und nach 
f. Entfernung von dem Verfaufsorte erbaut werden kann. 6) Endlich kann als 
leitendes Hülfsmittel bei Berechnung des Capitalwerths der bisherige Ertrag nach. 
einem 25jähr. Durchfchnitt mit benußt werden; 6: und 12jührige Durchfihnitte 
leiften nicht Senüge, weil in fo kurzen Friften feine wefentlichen Hauptveraͤnde⸗ 
rungen‘, die alsdann ftehend find, flattfinden können. | 
._ - Örundbag, Bundamentalbag, nennt man die 3 Fundamentaltöne jeder 
Tonart, den Grundton und deffen Obers und Unterdominante, auf welche ſich alle 
in der Harmonie enthaltenen Accorde beziehen muͤſſen. Der Bag eines Tonſtücks 
iſt aber nicht immer Grundbaß; daher iſt es eine gute Ubung in dem Studium der 
Harmonie, den Grundbaß aus der Aecordenfolge eines Tonſtuͤcks herauszuziehen. 
Grundeigenthum. Die Berhältniffe des Grundeigenthums gehören 
& den verwideltften, aber auch zu den wichtigften der bürgerlichen Gefellfchaft. 
"Auf ihnen beruhen faft alle andre Berfältniffe und Einrichtungen des Staats; von 
ihrer richtigen Beftimmung hängt die Blüthe und Stärfe der Staaten ab, in ihnen 
liegen die Übergangspuntte von einer Eufturftufe zur andern Ges und Sifcherei, 
irtenvblker, Aderbau, durch Sklaven und Leibeigne, durch Freie ohne und mit 
igentbumsrecht am Boden);. in ihnen Außert fich die uralte Feindſchaft zwifchen 
den verfchiedenen Beftantiheilen der Völker, zwiſchen Jaͤgern, Hirten und Acker⸗ 
bauern, zroifchen Dorf und Stadt, zwiſchen dem Materiellen und dem Geiſtigen. 
Gleichwol ift vielleicht noch Feine Lehre der Rechts: und Staatsroiffenfchaft fo wenig 
ründlich Durchforfceht worden, in feiner hat ein bloßes Vorurtheil eine fo allgemeine 
rrſchaft und mit fo roichtigen Folgen erlangt als'gerade in diefer. Faſt alle neuere 
Stantsyerfaffungen haben das Grundeigenthum zur Baſis ihrer wichtigften Ein: 
‚ richtungen genommen, und den Befißern des Bodens eine Gewalt über die übrigen 
Mitglieder der Staatsgefellfchaft zugewendet, deren Folgen ſchon hier und da here 
vortreten. Namhafte Gelehrte find fo weit gegangen, die Landeigenthümer für die 
einzigen wahren Bürger des Staats, für das eigentliche Volk, zu erklären, alle Andre, 
welche der Zufall eines unmittelbaren Antheils am Stantsgebiete beraubt bat, für 
bloß geduldete, zur Miethe wohnende Fremdlinge, ein heimatlofes, unzuverläffiges, 
vom guten Willen des Hausherren abhängiges Sefindel, dem in Angelegenheiten 
der Bolbegemeinde kaum bas Zuhören, niemals das Mitfprechen, und nur Gehor⸗ 


4 


% 
\ \ 


Grundeigenthum und Staat 97 


fam gegen feine natürlichen Herren, die Grundeigenthuͤmer, gebuͤhre. So lehrt 
nicht nur Schmalz inf. Schriften über die Staatswiſſenſchaft und Rechtsphiloſophie, 
fondern auch v. Haller findet im Srundeigenthum die Quelle aller rechtmäßigen Ge⸗ 
walt und das Heilmittel für die, nach f. Meinung einer Reftauration bedürfenden 
Staatsroiffenfchaft. Allein wenn man alle diefe Verhäftniffe genauer betrachtet, 
fo ift auch nicht eine Seite, in roelcher jene Anficht nicht mit den bandgreiflichften 


Irrthümern behaftet wäre. 1. Iſt es ſchon unrichtig, daß die Vereinigung der Dien: . 


ſchen im Staate mit der Aneignumg eines Stantsgebietes zufammenfalle, und biers 


durch die Horde, ein in umgeregelter Verbindung nomadiſch lebender Menfchenhaufe, 
fich von der Staatsgefellfchaft unterfcheide. Auch nomadifche Völker haben aller: 
dings den Begriff eines ausfehließenden Rechts ihres Stammes an einer gewiſſen 
Landſtrecke, auf welcher fie in regelmäßiger —— der Weideplaͤtze fuͤr ihre 
Heerden hinreichende Nahrung finden. Sie halten es für einen Eingriff in ihre 
toefentlichen Rechte, wenn ein andrer Stamm fich in diefe Weiden eindrängt, wie 
Jagdvolker es für eine Verlegung ihres Eigenthums erklären, wenn ihr Jagdbezirk 
durch Anfiedelung gefehmälert oder auch nur von den Fremden zur Jagd benugt 
wird, Darum K: 
reichen Berträge der europäifchen Anfiedler mit den Jagdvolkern Amerikas zeigen 
deutlich, wie tief der Begriff vom Stammeseigentbum am Boden in der Natur der 
Dinge gegründet ift, ind wie er ſich Tange vor der Ausbildung der rohen Stammes: 
verbindung zum Staate bereits entwickelt hat. II. Iſt eine Vertheilung des Staats⸗ 
gebiets in Privateigenthum eine viel fpätere Erfcheinung, welche meder mit der Ent: 
wickelung einer wahren Staatsverbindung unzertrennlich verfnüpft ifl, noch jemals 
in abfoluter Bollftändigkeit eintreten kann. Denn es ift auf der einen Seite ebenfo 
gut denkbar, daß eine folche Austheilung des Bodens in Privateigenthum fthon 
fehr früh vorgenommen werde, ehe noch der Gedanke von dem Zweck des Staats in 
dem Volke reif geworden ift, als auf der andern Seite die Erfahrung gezeigt hat, dag 
auch eine fehr geregelte qanteserfaffing die urfprüngliche Gemeinſchaft des Bo⸗ 
bens beibehalten fan. . “jenes, die Vertheilung des Bodens in Privateigenthum, 
ehe das zufällige Beifammenfeln der Menfchen und ihre Verbindung tn einzelnen ge> 
meinfchaftlichen Beftrebungen ſich zum Staat entfaltet, iſt aber nicht nur Biftorifch 
der feltenere Gall (fodaß er in der Geſchichte vielleicht gar nicht vorfommt, wenn nicht 
irgendwo ein Robinfon Cruſoe fich als Eigenthuͤmer eines noch von Niemand befef- 
fenen Stüd Landes betrachtet), fondern der Hauptpunft bleibt auch immer der, Daß 


ein wahres rechtliches Eigenthum am Boden nur in dem Staate und durch ihn ent⸗ 


fteben kann, und daß dieſes Recht am Boden immer fehr verfchleden von demjenigen 


bleibt, welches an beweglichen Dingen möglich ift, Die Verwechfelung diefer beiden. 


fo wefentlich von einander verfehiedenen Rechtsverhältniffe, wozu der für beide ges 
brauchte Name des Eigenthums geführt hat, iſt die Quelle jener zahlreichen Irrthu⸗ 
mer, deren üble Folgen fich durch alle Adern des Volkslebens erſtrecken. 111. Dars, 
auf, daß echtes Eigenthum (und das rechtliche Dafein eines mit Forperlicher Inne⸗ 
habung nicht verbundenen oder idealen Befißes mit feinen Folgen) erſt im Staate 
und durch ihn entfleht , bat vorzüglich Kant aufmerkfam gemacht, indem man vor. 
ihm ſich durch gewohnte Begriffe des pofitiven Rechts verführen ließ, die Befigergrei- 
fung ols eine Handlung anzufehen, wodurch ein Segenftand der Natur ein für alle: 
mal mit der Perfon des Befißergreifenden dergeftalt als das Seinige verknüpft wer⸗ 
‘den fönne, daß jeder Andrefich alles Gebrauchs deffelben fogar dann enthalten müßte, 


werin auch der erfte Befißer felbft ſolchen völlig unbenußt Tiegen ließe, oder gar nicht 


im Stande wäre, ihn, 3. B. einen garizen Landſtrich, auf eine zweckmaͤßige Weiſe 
= benußen, Es ift aber, abgefehen von den pofltiven Sefeßen des Staats, gar fein 
rund vorhanden, dem bloßen Willen eines Dienfthen eine folche Macht beizulegen, 


eilte fich fehon Abraham mit Loth (1. B. M. 13), und die zahl: 


ıv 


den Willen Andrer fitr ewige Zeiten zu binden, huch iſt dies in Beziehung auf den 


Boden ſchon darum nicht möglich, weil es dadurch in Die Willkuͤr der erften Beſiß⸗ 


. 


918 Grundeigenthum und Staat 


. ergreifer gelegt waͤrde, Andre von der erſten Bedingung Ihres natärlichen Daſeins 


- 


gänzlich auszuſchließen. Daher gehört das Privateigentbum am Srund und Boden 
zu den Einrichtungen, welche erft Durch den Staat zu Stande gebracht werden, aber 
eben deßwegen auch, um dies hier vorläufig zu berherfen, dein Staate dergeftalt uns 
terroorfen bleiben, daß fie von ihm, fo oft es nöthig if, toieder abgeändert werden 
fonnen. Außer dem Staate bat der Menſch nichts Eignes als fich felbft, ale den 
Anfpruch auf Achtung der perfönlichen Wuͤrde, welche in feiner höhern Beflimmung 
liegt und welche Andern verbietet, ihn als bloßes Mittel für ihre Zwecke zu braus 
chen, fich feiner Kräfte und des Damit Gewonnenen wider feinen Willen zu bedienen, 
Arbeit ift alfo der Grund alles Eigentbums (außer dem Staate) und ihr Außerliches 
erfennbares Dafein, d. i. die durch fie hervorgebrachte Form, zugleich das Zeichen, 
woran Andre abzunehmen haben, daß in einer Sache Etwas liegt, welches ihnen ver⸗ 
bietet, folche für fich zu brauchen. Durch die Arbeit legt der Menfch einen Theil 
von fich in eine Sache, und verbindet fie mit feiner ‘Perfon, aber keineswegs für 
ewige Zeiten, fondern nur auf fo Tange, ale bis die Natur jene von den Menfihen ihr 
aufgedrüdte Form wieder von fich geflogen und vermifcht hat. Denn alles Ergebs 
niß der menfchlichen Arbeit an Naturſtoffen iſt nur Form und Ortsverhaltniß, nicht 
ein Hervorbringen. Der Menfch fann nichts Neues ſchaffen — dies ift ein Vor: 
recht, welches der Natur nach ewigen und unveränderlichen Geſetzen vorbehalten wor⸗ 
den iſt —, fondern er kann bloß die Formen und Berbiltniffe der natürlichen Dinge: 
verändern, fie in Verbindungen bringen, worin die ſchoͤpferiſchen Kräfte der Natur 
feinen Zwecken dienftbar werden. So drüsft er den Dinaen fein Sepräge auf und 
übt jene Herrfchaft des Geiſtes über die Materie, deren Erweiterung ein wichtiger 
Theil feiner Beftimmung ifl, oder welche, wenn man auch die Beherrfchung feiner 
eignen finnlichen Triebe nach Vernunftgefegen, "und die Unterordnung des ganzen 
DMeenfchengefchlechts im Außern Handeln unter Gefeße des Rechts aus diefem Ge— 
fihtspunfte betrachtet, überhaupt feine Beftimmung auf Erden erſchoͤpft. Es gibt 
alfo zwar ohne den Staat eine Art von Eigenthum, aber nicht als ein felbffändigee 
und bebarrliches Recht, wozu es erft im Staate wird; fordern da der Menfeh an der 
Natur nichts befißt als die Arbeit, welche er in fie gelegt, d. 1, die Form, welche er 
ihr gegeben bat: fo muß dies Recht aufhören , forvie fich jene Arbeit wieder verliert 
und die Form verſchwindet. Die Natur hat eine Tendenz, das kuͤnſtliche Sepräge 
wieder abzuftreifen; das Gebilde der Menſchen Eehrt zur Formloſigkeit, das gezihmte 
Thier fur Wildheit zurũck, der bearbeitete Acker wird wieder zur Wildnig. Yon der 
menfchlichen Arheit liegt nichts mehr darin, ein Zweiter, welcher die Sache für feine 
Zwecke ergreift, entreißt feinem Andern die Früchte feiner Kraftäußerung, von einem 
Eigenthum ift nicht mehr die Me. IV. Sowie es nun von diefem philofophifchen 
Standpunfte aus durchaus unzuläffig iſt, den Staat als eine Verbindung der 
Grundeigenthuͤmer zu betrachten, weil die Leßtern erft durch den Staat werden, rüns 
fie find, und es ebenfo ungereimt ift, fein Dafein von Etwas abzuleiten, was nur 
in ihm entftebt, als den Adel für älter und von dem Fürftentfum unabhängig zu 
erffären: fo ift es auch von der biftorifchen Seite durchaus unrichtig. In der Ge 
fehichte aller Staaten kommen wir mit voller Gewißheit bie zu den Punkte zuruͤck, 
wo das Staatsgebiet fich noch im ungetheilten Eigenthume der Geſammtheit befin⸗ 
det, aber auch zu der großen Unterfcheidung diefes Sefammteigenthums, je nachdem 
es Stammes: oder Semeindeeigenthum iſt. Jenes iſt offenbar die Altefle Form, 
welche fich zuerft in der patriarchalifchen Verfaffung entwickelte und in der Urzeit 
faft aller Stagten zu bemerfen ifl. Die Entftehung des Stammeseigenthums weiß 
man nicht anders abzuleiten ale aus der unmittelbaren Verleihung eines höhern 
Weſens. So hatte Jehoyvah dem Stamme Abrahams das Land am “Jordan verhei⸗ 
fen, und fo fehreiben noch heute die nordamerifanifchen Stämme das Recht der ro⸗ 
then Menfchen an ihrem gemeinfchaftlichen Jagdbezirfevoneiner Schenkung des gro: 


‚Ben Geiſtes her. Targus wird aber auch erflärlich, wie «8 zugeht, daß, wenn mar 


Grundeigenthum und Saat | 619 


anfängt, das Geſammteigenthum za vertheilen, faſt uͤberall ein. bedeutender Theil, 
oder eine bleibende Abgabe, der Zehnten von allen Früchten; für den Dienft der Na⸗ 
tionafgottheiten vorbehalten wird. Aus dem Geſammteigenthume entflebt aber in 
‚ber patriarchalifchen Berfaffung zumeilen ein ausfchliegliches CEigenthum des Stam⸗ 
mesoberhaupts. Denn indem der Ültefte des Stammes der Repräfentant des Sans 
zen in allen Beziehungen wird, geht auch das Recht auf ihn über, das gemeinfchafts 
liche Sebiet zur einzelnen Berußung zu vertheilen. Wenn nämlich die Bevolke⸗ 
rung mächft und die Ausfendung von Colonien oder die Auswanderung eines Theile 
des Stammes durch die Umflände verhindert wird, fo bleibt nichts übrig, als der 
Erde durch regelmäßige Anbauung ein reicheres Maß von Rabrungsmitteln abzus 
gevoinnen, und indem fonach das Jagd: und Nomadenvolk fich zur hartern Arbeit 
des Aderbaus bequemt, wird guch eine Vertheilung des Gebiets in ein mehr oder. 
“ weniger feftes und ſtrenges Pıgreigenthum unvermeidlich. Aber die Formen, unter 
welchen diefe große Veränderung vor fich gebt, find von unendlicher Mannigfaltig⸗ 
keit. Bald find es jährliche Austheilungen an die Einzelnen; bald roird das Land im 
tanzen an die Zweige des Stammes, dig Alteften des Volkes, und von biefen wieder 
weiter vertheilt; felten gefchieht Dies unentgeltlich, meiftens gegen einen beflimmten 
Theil der Früchte, oder gegen eine ohne Rüdficht auf die te zu entfichtende 
Summe. Die Begriffe des Sefammteigenthums verlieren ſich nach und nach, 
— wenn neben der jaͤhrl. Austheilung, oder in benachbarten Volkern, ein feſteres 
rivateigenthum auffommt; das Stammeshaupt wird aus dem Berwalter des Ges 
meingnts deſſen ausfchließlicher Eigentbämer. So ift es in den meiften fädafiatis 
fihen Staaten gegangen, aber auch bei dem Volke Europas, In welchein fich eine . 
patriarchalifche Berfaffung, wenig modificirt durch die allgemeine Stantsverfaffung, 
bis in die neuern Zeiten erhielt, inden galifehen Stämmen der fchottifchen Hochlande, 
treffen wir diefelbe Erfcheinung. Ein jeder Stamm betrachtete fich dort als eine Fa: 
milie, deren Altefter, der Laird, der Herr war; das ganze Stammgebiet gehörte 
diefem, er vertheilte Das, was er nicht für fich und für das Ganze behielt, in großern 
Erüden an feine nahern Berwandten (Tacksmen), welche es wieder in kleinern 
Theilen an die Gemeinen verliehen oder verpachteten. Aber auch die Verleihung an 
Die. Tacksmen war nur eine vorübergehende, denn fir mußten Immer im Fortgange.. . 
der Gefchlechter wieder den nähern Bermandten des Laird Platz machen, Je deut: 
licher diefe urfprüngliche Befchaffenheit des Grundeigenthums fich erkennen läßt, 
befto größer ift die Ungerechtigkeit, welche die jegigen, Haͤupter der hochſchottiſchen 
Clays dadurch begehen, daß fie den Stamm felbft aus dem gemeinfchaftlichen Eigen 
tbum, aus feinen uralten Wohnfißen vertreiben, um das Land als Schafweiden 
zu einem höhern Ertrage zu bringen, Eine Fer verſehiedene Beſchaffenheit hat das 
Geſammteigenthum des Bodens da, wo die Stammverbindung durch die Gemeinde⸗ 
verfaſſung gefprengt wird. Dies mußte überall erfolgen, wo ein Theil der Stämme 
bei zunehmender Volksmenge fich neue Wohnplaͤtze fuchte, und wo, um den Wider: 
fland der alten Anfiedler za befiegen, die Ausiwanderer mehrer Stämme fich.mit ein: _ 
ander vereinigten. In der Gemeindeverfaffung gehörte dag Befammteigenthum 
fanmtlichen Genoſſen (doch auch bier gemöhnlich ein Theil den Goͤttern, ein Theil 
dem Führer und Vorfteher), und bei der Eriegerifchen Tendenz der meiften Gemein⸗ 
den, welche immer ziwifchen Eroberung und Bertheitigung ſchwankten, mußten die: 
felben darauf bedacht fein, daß auf dem gemeinfchaftlichen Rande immer eine hinrei⸗ 
chende Zahl flreitbarer Männer fiße, foroie daß nicht durch Zufammenkauf oder Erb- 
(haft ein zu großes Beſitzthum in die Hände eines oder.des andern Gemeindegliedes 
omme. Man machte daher eine.beftimmte Zahl von Looſen, groß genug, um 
eine Familie von Freien zu ernähren, und fuchte ſowol deren weitere Theilung als 
ihre Zufanmmenfchmelzung durch Gefege zu verhindern. Dies gefchah vornehmlich 
in Sparta, aber ohne feinen Zweck zu erreichen, In Rom war vor den 12 Tafeln 





90 Grundbeigenthum 


Ane ahnliche Einrichtung, und eine Folge derſelben, doß das 2006 bes ein 
Inen Römers, fein Stammgut, ihm weder genommen noch von ihm ſelbſt vers 


kauft werden Eonnte, Da überhaupt im Altern Nom noch viele Überbleibfel der 


Stammverfaffung (im Patriciat und der Sentilität) übrig waren und großen Eins 
fluß auf die Staatsverwaltung hatten, fo Eonnten auch die Berhälmmiffe des Grunde 
eigenthbums demfelben nicht entgehen. Die Gemeinde hatte ein großes Örundeigens 
tum, welches durch glückliche Kriege, deren Folge meift für die Befiegten in dem 
Verlufte eines Theils ihres Gebiets (ihres Sefammteigenthums) beftand, Immer 
“vermehrt wurde, aber nur der eigentlich herrſchenden Patriziergemeinde zu gute kam. 
Unter fie wurde der Boden zahlweiſe vertheilt, und er hätte auch der Claſſe der Buͤr⸗ 
er, welche nur von dem Ertrage feines Fleinen urfprünglichen Looſes lebte, nichts 
helfen können, weil ihm die Hände zur Benugung fehlten. Diefer Diangel an Ars 
beitern verräth fich auch in der Menge, mit welcher Die Patrizier ihre Schuldner aus 
‚den Semeinen (und die beftindigen Kriege nothigten faft alle zum Borgen) pr 
beiten zwangen. Es war daher ein fehr großer Gewinn fü diefe Elaffe, daß in 
412 Tafeln in jener berühmten Stelle, über deren Sink man ſchon ımter den 
toninen nicht mehr einig war, und welche man fogar von Zerfchneidimg des Körpers 
verftanden bat, allem Anfehen nach Verfäuflichkeit und Theilbarfeit eines bürgers 
lichen Süterloofes feftgefeßt vourde. Zugleich zeigt fich (vol. Heeren’s Eleine Schrife 
ten), daß das Nerlangen der Bolfsgemeinde, eine neue billigere Austheilung der 
Semeindegrundftücde anzuordnen (die leges agrariae), auf ganz guten Gründen 
Den. Rechts beruhte. Nachdem aber einmal jener bedeutende Schritt gefchehen mar, 
entroidelte fich im römifchen Rechte immer mehr eine volllommene Freiheit and 
Theilbarkeit des Grundeigenthums, welche den Charakter diefer Giefeßgebung aus⸗ 
acht. In den germanifchen Staaten war Sprengung der alfen Stammverfaffung 
durch Die Siemeindeverbindung das Grundprincip, welches in dem Verhaͤltniſſe des 
Gefolges zum Gührer feine erfte Entftehung fand. In den durch Eroberung geftifs 
teten neuen Staaten entftand aber allerdings ein vielfach combinirtes und verfchluns 
genes Verhaͤltniß, da bald die alten Bewohner alles Landeigentdum verloren, wie u. 
4, in England, bald nur einen Theil ihres Randbefißes abgaben ‚ wie in Italien und 
dem füdlichen Frankreich, auch biefe Theilung felbft mannigfaltige Nuancen zuließ, 
In Anfehung des auf die Eroberer kommenden Anthetls am Lande zeigt fich wieder 
ine Hauptabtheilung darin, daß ein beftimmter Theil der Maſſe dem Fuͤrſten zufiel, 
welcher davon auch das Gefolge zu ernähren hatte, ein andrer aber dem Gefolge 
felbft, umd zwar nach geroiffen Unterabtheilungen, Zehnfchaften, Gemeinden als 
Gemeindegut eingeräumt wurde, Dies legte (All oder Gemeingut) war weit das 
Son entfernt, freies Eigenthin:, zu fein, denn auf ihm baftete die ‘Pflicht, im Heers 
Banne zu erfcheinen. bat ſich Hier und dort länger als Semeindegut erhalten, 
wurde zumeilen vom Borfteher der Semeinde zur Cultur vertbeilt, bier und da aber 
iſt es Eriegsdienftpflichtiges Gut Einzelner gervorden, Auf diefe Eigenfchaft grün 
bete fich ſowol die Untheilbarkeit, swelche man in einigen Berfaffungen findet, als - 
auch die Ausſchließung der Weiber von der Erbfolge (in die terra salica der Frans 
Een). Diefem Semeindegute, dem Allode (bei den Sachſen Folkland, oder Reo- 
veland, Volksland, NRichterland), fand gegenüber das Fürftengut, reiches von 
dem Fürften bald dazu benußt wurde, fich aus der Diaffe des Volkes, ſowol der Stier 
der als der Beſiegten, wieder ein neues Gefolge der enger und ihm perfönlich Ders 
pflichteten (Antruftionen, Leute, Getreue des Königs, fideles, im Spanifchen hi- 
dalgos) zu errichten, welchen er flatt Soldes Güter zu benugen gab. Daraus entr 
fan das Herrenland (thaneland), und in weiterer Verleihung mittefft fchriftlicher 
ontracte, das Buchland (bookland) der Sachfen, das feh-od (Soldgut, Dienft: 
gut, vom Sothifchen faihn, Vieh, Vermögen, Geld, Lohn, davon noch Feegebühren 
im Englifhen), das Lehen. Wie fich nun alle diefe Verhaͤltniſſe durchFreugt 


Ars 
den 
Ans 


Grundeigenthum | 921° 


Haben, ſowol ımter einander als mit dem Verbältniffe der freien und unfreien Pache 
ter, Solonen, —3 — und dienſtpflichtigen Leute; wie ſich das Band beſonderer 
Pflicht und Treue bald feſter bald lockerer um Alle geſchlungen hat, wie hier die ge⸗ 
meine Freiheit im Lehnweſen und in gutsherrlichen Rechten untergegangen iſt, dort 
aber ſich auch die urſpruͤngliche Unfreiheit wieder gelöft hat, das iſt hier nicht weiter 
zu verfolgen. Es genügte zu zeigen, wie in den neuern europ. Staaten das Pris 
vateigenthum am Grund und Boden fich aus einem Sefammteigenthume herauss 
gebildet Bat, und noch die unverfennbarften Spuren diefer Entfichung an ſich 
trägt, wie es alfo auch auf einer Verleihung von Seiten der Sefammtheit berußt, 
and daher die Grundeigenthümer ein vom Staate unabhängiges Recht an Grund 
und Boden haben. Was ihnen der Staat dabei gegeben bat, ift nicht etwa bloße 
Anerkennung und Sicherung eines auch ohne ihn vorhandenen Rechts, fondern es 
iſt das Recht felbft. Es ift kein willürliches Recht, fondern zugleich mit fehr ben 
flimmten Pflichten vertnüpft, und ſteht feinem “Dafein und feinem Sebrauche nach 
ſchlechthin unter der Sefeßgebung des Staats, Die Grundeigenthuͤmer find nicht 
das Volk, fondern eine Claſſe deffelben, welche wie alle andre mit ihrem Gute und 
für ihr Gut dem Sanzen zum Dienfte verpflichtet find. Aus jenen unläugbaren hi» 
ftorifchen Borderfägen ergibt fich auch, wie unrichtig es ift, wenn man die Domai⸗ 
nengüter unbedingt entiweder für Staatsgüter oder für Privatgüter Ber regierenden 
Familien erklären will. Die fimmtlichen deutfchen Staaten haben fich aus Reichs⸗ 
Amtern und Allodialbefigungen zufammengebildet, wovon auch jene mit dem Genuß. 
Beftimmter Amtsgüter und nußbarer Rechte verbunden waren. In den Domainen: 
gefüllen ift altes Reichsgut, Staatsgut und Privatgut verbunden, und eine Schet⸗ 
dung wäre beinahe vom Anfang an unmöglich geweſen. Aber bis auf die neueften 
Beiten ift es ſtaatsrechtlicher Grundſatz geweſen, daß aus den Domainen nicht bloß 
die Hofhaltung, fondern auch die Koften der Staatsregierung beftritten werden muß⸗ 
ten, umd die Untertbanen nur dag Fehlende beizutragen hatten, woraus fich denn 
eine gemifchte Eigenfchaft jener Güter offenbar ergibt, Ein großer Theil der neuerm 
Domainen ift überdies ehemaliges Kirchengut, deffen Übergang in das Privateigens 
thum der fürftl. Familie fehr ſchwer zu erweifen fein möchte. Daher iſt auch in den 
meiften deutfchen Staaten hierüber durch befondere Verträge das Nöthige beftunme 
worden. — V. Die Sefchichte gebt aber nun auch darin mit der Philofophik 
Hand in Hand, dag, wie jene fich Dagegen verwahrt, daß das (Yrundeigentbum als 
ein vollfommen freies und. beliebig zu brauchendes Beſitzthum vergeben fei, dieſe 
eine folche Verleihung als unrechtmäßig, ja als nichtig vermerfen müßte. Nicht das 
gerinofte Theilchen wirklich beftchender Rechte darf durch folche philofopb. Grunde 
aufgehoben werden, aber wohl hat die Vernunft bei der Frage, was in den beſtehen⸗ 
ben Rechten eigentlich enthalten fei, eine nicht zu verachtende Stimme. Dem ged 
funden Menſchenverſtande leuchtet fchon ein, daß einem jeden Menfchen Die erſte Be⸗ 
dingung feines phyſiſchen Beftebens, ein Plag auf der Erde, gegönnt fein muß, imd 
wenn Die Zahl Derer, welche an der Bruft Diefer gemeinfchaftlichen Mutter ihre Nah⸗ 
sung Rasen, zunimmt, die früher gefommenen zurüden müſſen. So lange baben 
der Boden nor Stellen hat, auf welchen ſich Dienfchen nähren koͤnnen, fo fann es 
nieht in der Willkuͤr der Befiger liegen, folche der Menſchheit zu entziehen, Cie 
find ſchuldig, den Boden fo zu benußen, wie es der Zweck des Ganzen erfodert 
Denn jedes Recht gründet fich auf eine Pflicht, und auch das Grundeigent hum wird 
nur dadurch zum Recht, daß es die Verbindlichkeit auf fich gerommen bat, ber 
Menfchheit die nährenden Stoffe von der Natur zu verfchaffen. Je dringender und 
swichtiger diefe Pflicht bei fteigender Bevölferung wird, defto nothwendiger wirb.fät 
den Staat die Aufficht über die Erfüllung, defto Heiliger aber auch das Recht Das 
fen, der fie unmittelbar auf fich genommen bat. Nach diefen Borderfügen haben 
bie Staaten von jeher gehandelt; fie haben es verhindert, daß ein ertragsfühlges 








* ‘. 


922 Örundeigenthum 


Grundſtuͤck umgebaut Tiegen bfeibe; fie haben den Anbau folcher Grüchte, welche 
nicht zur Nahrung der Menfihen dienen, z. B. des Tabacks, befchräntt; fie Haben 
den Anbau andrer durch Beifpiel und Befehl befördert, die Ausfuhr der Erzeugniffe, 
welche der eigne Staat nicht entbehren konnte, verboten, in den Handelsverkehr 
freilich zumeilen nach irfigen Grundſatzen eingegriffen; befonders aber haben fie die 
KHinderniffe der beffern Cultur, fo wie fie dafiir erfannt waren, aus dem Wege ges 
räumt. Zu allen diefen Anordnungen find die Staaten befugt, weil Das Eigenthums⸗ 
zecht am Boden felbft feinen andern rund und Zweck hat, als den Anbau deffelben 
zum Wohl des Ganzen zu fördern, und meil in feiner Verleihung diefer Vorbe⸗ 
hatt nothwendig und wefehtlich enthalten ift. Es ift Damit nicht gefagt, dab nicht 
die Geſammtheit, wenn fie eg nothwendig findet, dern Grundeigenthümer einen ihm 
bis dahin als Eigenthum zugeflandenen Bortheil zu entziehen, ihn dafür entſchaͤdi⸗ 
gen müffe; allein wenn ihm diefe Schadloshaltung gewaͤhrt wird, fo kann er es 
“ nicht für einen Eingriff in fein Necht erklären, wenn ihm über die Benußung des 
Bodens Borfchriften gegeben werden. Daher iſt der Staat wol befugt, ſowol Bes 
fihränfungen der Benutzung Zehnten, Triften u. dgl.) gefeglich aufjuheben, als auch 
eine größere Bertheilung des Bodens (durch Abfchaffung oder Einfchränfung der Uns 
theilbarfeit, der Fideicommiffe u. dgl.) anzuordnen, und die Lage des eigentlichen Bes 
bauers dadurch 3. 2. ficher zu flellen, daß er die willführliche Vertreibung deffelben 
unterſagt, wie in Mecklenburg, dag Niederlegen ganzer Dörfer verbietet, oder bloß 
u. Verhaͤltniſſe zu bleibenden macht, 3.8. in Irland die Grundherren nötbigte, 
re Zändereien flatt des verderblichen Zeitpachts zu einem Theile in Erbzins und 
Erbpacht zu vergeben. Es find bei folchen gefeßlichen Anordnungen auch nicht die 
Grundherren, welche ihre eigene Angelegenheit gefeglich regnliren, fondern es ift Dies 
fes eine Sache der im Staate bereiten Sefammtbeit, wobei die Nichteigentbümer 
faft ein größeres Intereſſe und ein eben fo großes Recht mitzufprechen haben, als die 
Orundbefiger. Man, wird es wenigſtens niemals für richtig erfennen, wenn in eis 
ner mehre Parteien: betreffenden Angelegenheit der eine Theil einfeitige Entfcheiduns 
gen treifen darf, und da’hierdurch der Zwieſpalt nur gefteigert werden kann, fo muß 
die Staatsregierung fich die Mittel vorbehalten, eine Verfohnung zu Stande zu 
bringen. Sie begibt fich aber derfelben in dem Maße, als fie fich durch einfeitige 
Dertretung ber Volksintereſſen die Hinde bindet, wie Lies in England der Fall ift, 
wo das Miniſterium gegen das Volk Alles, aber gegen die in beiden Parlaments⸗ 
ufern vereinten Grundherren nichts vermag. — Daher iſt es VI. eine bedenkliche 
te vieler neuern Verfaſſungen, daß fie beinahe nur das Brumdeigenthum zur 
fländifohen Vertretung berufen haben. Sie haben fich dabei teils von hiftorifchen 
nfichten, theils.von dem an fich richtigen Grundſatze leiten laffen, daß der Menfch: 
Beit nur ein langfames, befonnenes und ficheres Fortfchreiten,, nicht ein übereiltes 
Umwerfen alter wenn auch mangelhafter Einrichtungen frommt, und daß es weit 
. nöthiger ift, das Beftehende zu erhalten und zweckmaͤßig fortzubauen, alg auf neue 
Sebäude zu finnen, deren Anlage untadelhaft fein Eonnte, ohne daß fie deßhalb 
eine fichere Bürgfchaft des Beftehens gäbe. Allein ob diefer Zweck durch eine aus: 
fehliegliche Bertretung der Srundbefißer werde erreicht wecaen, möchte wol fange 
wicht fo.entföhieden fein, als man glaubt. Daß im Stande ter Grumdbefißer ein 
mehr erbaltender Geiſt berrfche als im Stande der Gewerbsleute, der Gelehrten, der 
©taatsbeamten, wird mehr behauptet als erwieſen; geſetzt äher, es wäre Dies wirk⸗ 
lich der Fall, fo: ift mit dem bloßen Erhalten auch nichts gethan, wenn nicht, role 
Ancillon (über Staatswiffenfehaft) fehr richtig bemerkt, der Geiſt befonnener Res 
form fich mit dem Erhaltenden verbindet. Das Nöthigfte ift allenthalben Gerech⸗ 
Agkeit, und eine Serechtigkeit, deren fich das Bolt bewußt wird, fodann Wahrheit, 
vor weicher fich Niemand zu fcheuen braucht, und in deren fegngem Aufrechtbalten 
und n die.höchfte Würde eines Staats befteht. Bon wem foll aber der 


. 


, 


Grundkraͤfte  ° Grundfleiee”" > 928 


Geiſt der befonnenen Reform feine Nahrung empfangen als von der wiffenfehafts, 
lichen Bildung eines Volkes, und wie follen Stinde über die wahren Betürfniffe 
ihres Volkes urtheilen, wenn nicht in ihrer Mitte das mittlere af der Volks⸗ 


einficht repräfentirt wird? Daher ift Mannigfaltigkeit fo fehr zu. wünfchen, und in 


der That in einigen Repräfentativverfaffungen fehr berüdfichtigt worden, So nöthig 
es ift, dahin zu ſehen, daß nur Leute in ftindifche Nerfammlungen kommen, welche 
durch Das, mas fie im Staate find, mehr Vortheil von dem Erhalten als von dem 
Derändern beftehender Einrichtungen haben: ebenſo nothwendig ift es, ſowol Dies 
jenigen möglichff zu entfernen, deren Vortheil in den Mißbraͤuchen der Staates 
einrichtungen beftebt, als auch neben diefen allgemeinen Bedingungen, welche aller: 
dings den Stand der mittlern Grundeigenthümer ſchon fehr begünftigen, indem ein 
mößiges Beſitzthum für Alle im Durchfehnitt die meifte Bürgfchaft gewährt, vors 


zuͤglich danach zu trachten, daß die mittlere geiftige Bildung und Einficht der Volks⸗ 


gemeinde in ihrem Ausſchuſſe mit möglichfter Allgemeinheit dargeftellt werde. Nicht 


Ber Boden, nicht feine Bebauer allen, fondern das allgemeine menfchliche Intereſſe 


find Zweck des Staats und die höchſte Aufgabe des fländifchen Wirfens., - 37. 
Srundfräfte, diejenigen Kräfte, welche der Materie.als folcher weſent⸗ 
(ic) jnfommen, und ohne welche Diefelbe nicht gedacht werden fan. Dahin gebör 
a . die durch die ganze Kaͤrperrlt verbreitete Anziehung (ſ. d.). Auch di 
eelenlehte nimmt Grundkraͤfte an, welche auch Srundvermögen der Seele genannt 


werden, und als die man das Erkenntnißvermögen, das Sefühlsuermögen und das 


Begehrungsvermögen, oder Geiſt, Gemüth und Willen, anfiedt. u 
®rundri * eine von den Arten der gezeichneten Entivürfe von einem auf 
geführten oder aufjuführenden Gebäude, Mehre Arten von Kiffen werden näms 
ich erfodert, um fich eine Vorftellung yan dem Baue machen und den Bau wirklich 
nach den Kiffen ausführen zu Eönngn; denn nach einigen kann man nur die Länge 
und Dice, nicht aber die Höhe der Manern ermeffen, Daber..nun Hauptriß, 
GSrundrig,. Aufriß, Durchſchgütt, perfpectivifher und Deden 
riß. Der Vrundeiß iſt ein nach verjüngtem Maßſtabe gemachier Entrourf aller 
Borigontalflächen,. worauf Die augzufiibrenden Stücke eines Gebäudes zy fießen 
ommen. 


Sruntdfleuer. Die Erklärung: daß eine Steuer, welche auf rund und 


Boden⸗Eigenthum gelegt. und danach geordnet ift, fo heiße, gibt Eeinen Elaren Be 
gif über die Natur und das Wefen, derfelben; denn fie Eönnte ja mit Theilen des 
odens ſelbſt, oder mit den Producten (Erträge) des Bodens, oder.vgn dem reinen 
Einkommen deſſelhen bezahlt werben und nach einem dieſer (Sründe vertheilt un 
Beftimmt fein. , Eine ‚echte Steuertheorie verlangt aber, baf, pam und, 
Boden keine andre Steuer erhoben werde, als, die einen The des,reinen Ein: 
kommens aus demfelben ausmacht und nach der Proportion ‚deifelben daraus 


br ge wird; denn nur eine ſolche Steuer wird auf die Prinsipien der Blei 


eit gebaut werden .fünnen und. zipeckmaͤßig fein, mithin eine Grund⸗ 
odenrentenfteuer, (S. Rente) — Wollte man vielleicht. die Grundſtener 

nach dem Flaͤchenraum ordnen, fo ift es offenbar, daß gleiche Slächenräun 
einen ſehr ungleichen Ertrag und noch 'ungleichern reinen Ertrag, folglich, Me 

ihrem Defier ein ungleiches Eintommen gewähren; wollte man fe dnasan na 
demroßen Ertrag (f.d.) der Ländereien beſtimmen, ſo erfodert ein gleichen roher 
Ertrag bier mehr, dort weniger Mühe und Koften, nach derem Abzug ‚alfo.den Bes 
Igern glei 'oßerÖrundflächen, die gleiche Arnten geben, eine Br usrfoiedenereine 
innahme übrig bleibt, wenn fie Das abziehen, . was ihnen die Produkte, ipelche fie 
durch die Arnte erhalten, gekoftet Haben. In beiden Fällen wuͤrde alfo die Citeugr 
höchft ungleich werden. — Diefes Raifonnement ift richtig; ſo lange man den Bes 
griff ber Abgaben oder Steuern (vgl. beide). feftpält, Betrachtete man aber 


— 


⸗ 


o24 Grundton | Gruner (Epriftian Gottfried) . 


die Grundſteuer als Antheile der Regierung an dem Sirundvermögen der Privak 
Berfonen, die ihr von Kechtsivegen zufommen, zuſammengebracht und abgeliefert 
werden müffen. fo ändert dies den Begriff der Abgaben überhaupt. Sie hören auf 
Abgaben zu fein und werden eine Laſt, die auf dem Grundſtücke haftet, die aber der 
Srundeigentbümer nicht bezahlt, die ihn alfo auch nicht druͤkt. Das Grundſtück 
koſtet ihm um fo weniger Capital, als die Sirundabgaben, als proportionirliche Zin⸗ 
en betrachtet, werth find. Hat z. B. ein Grundſtück 40 Thlr. Grundſteuer jähr: 
ich zu bezahlen... fo ift es 1000 Thlr. weniger werth, als wenn eine Grundſteuer 
barauf haftete. Da nun der Eigenthümer diefe 1000 Thlr. nicht bezahlt bat, fo 
gehört ihm auch das Einkommen jener 40 Thlr. nicht, fondern er hat fie dem Staate, 
fie allein geboren, zu berechnen. Die Anhänger diefer Meinung fließen hier: 
nach, daß es völlig einerlei wäre, wie yog bie Srundfteuer fei, wenn fie nur nicht 
verändert würde; die Ungleichheit diefer Steuer fei auch weder ein Fehler noch un: 
erecht. Wer ein fteuerfreies Gut hat, befißt ein größeres Eigenthum als Der, wel: 
her ein fleuerbares von gleichem Umfang und gleicher Süte bat.. “Der Lebtere hat 
den Staat zum Miteigenthümer, Erfterer nicht. Wenn daher der Staat ſteuer⸗ 
freie Güter mit Srundfteuern belegen, oder die Grundſteuer der fteuerbaren Güter 
erhöhen wolle, fo fei das ungerecht und ein offenbarer Eingriff in das Eigenthums 
recht. — Dies flimmt aber, wie gefagt, nicht mit dem eigentlichen Sinne der Ab: 
haben. Das fie das Einkommen des Sebenden vermindern, ift natürlich; fobald fie 
aber afle Arten des Vermögens und Einfommens proportionirlich treffen und ein: 
mal die nothwendige Bedingung des Schutzes und der Sicherftellung deffelben find, 
kann fich Niemand davon losmachen wollen, ohne ungerecht gegen die übrigen u . 
fein, die auf De Untoften ihn übertragen müßten, Werden alfo höhere Abgaben 
nbehin, fo muß fich das Jeder gefallen laffen, mithin auch der. Grundeigenthuͤmer. 
Der Umftand, daß dadurch fein Grundſtück an Sapitalwerth verliert, kann fein 
Grund zur Befreiung von der Abgabe oder deren rhehung fein, denn dies begegnet 
dann jedem DBermögen. Auch kann nur Verluſt am Sapitalmerthe der Grund⸗ 
ſtuͤcke entſtehen, wenn die Abgaben nicht richtig vertheilt werden, denn außerdem 
vermindern fie nur die Einfünfte. Wer bisher fein perfönliches Tapital auf 1000 
Thlr. reines Einkommen nüßte und num eine Abgabe von 5 Proc. edlen muß, be: 
Hält freilich nur noch 950 Thlr. reines Einkommen; aber fein Sapital felbft hat 
fich nicht vermindert. Gerade Daffelbe begegnet dem Grundeigenthuͤmer, der ſonſt 
1000 Tr. jährlich Pacht erhielt und nım 50 Thlr. davon abgeben muß, dem 
Künftler, dem Gelehrten an ihrem Einkommen von Gewerhe, Talente ıc., denn 
Keiner toird fein Bermögen mebr auf 1000 Thlr, nägen, fondern Jeder um 50 Thlr. 
goeniger. Nur dann, wenn die Srundfteder die_einzige nach dem reinen Ein 
kommen bemeffene und aufgelegte Steuer wäre, mürde der Einwurf gegründet fein; 
denn in dieſem Falle wuͤrde Jemand für ein Srundflüd‘, deffea Einkommen durch 
die Steuer vermindert wäre, nicht mehr ein fo großes Capital geben als vorher, weil 
hann das reine Einkommen von allen Übrigen apitafen unbefleuert geblieben wäre, 
dem Beſitzer alfo immerfort noch 1000 Thlr. brächte, wo der Grundeigenthü⸗ 
‘mer nur 950 gerodrme,. Aber dadurch würde nicht die Ungerechtigkeit der Srund: 
feuer überhaupt, fondern nur die einfeitige und fehle Hte Anordnung derfelben er- 
wieſen. J nn l. 
Grundton, ſ. Hauptton. 
Grundſtoffe, fe Elemente 


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°  "Bruner'(Chriffian Gottfried), ein beruͤhmter Arzt, geb. den 8. Non. 1744 

HSagan, verdankie feine erſte Bildung dem Rector Harmuth daſelbſt. In einer 
‚Art vor Sefbftbiographie (ſ. Gruner’s „Atmanach für Arzte und Nichtärzte aufs J. 
17187”, &.144) erjäßle er die fonderbare und mähfame Art, wie er.das Studium 


der lat, Spra | getrieben. 17162 bezog er das Gymnaſtum zu Gorlitz, wo er dem 


Gruner (Karl Suftus v.) 07.928 


- Eonrector Seisler ſ. Hauptbildung und vorzäglich die Liebe zu den Alten verdanfte, 
Drei “Jahre fpäter ging er nach Leipzig, wo 5 Jahre hindurch Ernefli, Morus, 
Sellert, Stodius u, X. feine Hauptlehrer waren. Allein das Studium der Theos 
logie, welches er dem väterlichen Willen gemäß hatte wählen müffen, erfchien ihm, 
tie er (im Almanach für Ärzte) fagt, einengend und befchränfend, Sein Vater war 
indeß geftorben, umd dies beftimmte ihn, fich der Medicin zu woldmen. In dem’ lim: 
gange geiftreicher Maͤnner, eines Bofe, Gehler, Pohl, Reichel u. X. fühlte er fich 
fo glüdlih, daß ihn nur die Unmahrfcheinlichkeit einer baldigen Berforgung abs 
Hielt, als Arzt und Lehrer im Leipzig fein Fortkommen zu gründen, Er ging daher, 
nachtem er 1769 zu Halle promovirt hatte, nach f. Baterlande zurüd und lebte dort 
bis 1773 als praftifcher Arzt. In d. J. folgte er einem Rufe nach Jena als Prof. 
der Botanik; 1776 ward er von dem Herzog v. Sachfen: Weimar zum Hofrath 
und 1791 von dem Herzog v. Sachfer:Koburg zum geb. Hofrath und Leibarzt ers 
nannt. Nach Neübauer's Tode (1777) rüdte er In die zweite, und nach Niclas 
Ableben (1803) in die erfte Stelle der Facultät Binauf. Er Ias mit Beifall faft 
. über alle praktifche und tbeoretifche Theile der Medicin bis ans Ende f. Lebens, 
Mebenbei gründeten einige glüdliche Euren f. Praxis, wiewol er ihr in fpätern Jah⸗ 
ten entfagte, da fie f. Liebe zur Unabhängigkeit und zum ungeflörten Studiren hin: 
derlich war. Diefer Abgefchiedenheit von der Welt verdanken wir ſ. zahlreichen, ſich 
foft über alle Fächer der Medicin verbreitenden Schriften. Die Zahl der größern 
Werke beläuft fich auf 50; außerdem bat er über 100 Programme und andre aka⸗ 
demifche Schriften, Vorreden, Recenfionen u. ſ. w. — Wenig ha⸗ 
ben mit einer fo ſeltenen Gelehrſamkeit, mit dieſer Mannigfaltigkeit und Vielſei⸗ 
tigkeit des Willens fo viel Klarheit ımd Tiefe verbunden wie G. Bei der gründlis 
chen Theorie, die er, befaß, war er aber dennoch praktiſcher Gelehrter; denn er fand ' 
erft dann in f. Wiffenfchaft die volle Defriedigung, wenn fie, wenigſtens theilweife, 
ing Leben eingriff. Dies hat er u. a, inf. „Bibliothek der alten Irzte in Überſetz. 
und Ausz.” (Lpz. 178082, 2 Thle.) gezeigt, wo er immer das Praftifche im Auge 
bhält. Die Fortfegung unterblieb, als die Grimm'ſche liberfegung des ganzen Hips 
pofrates erfchien. Außer dem Studium der Sefchichte der Medicin gehörten Pa: 
tbologie und Zeichenlehre („Semiotice physiologicam et pathologicam com- 
loxa“, Halle 1775; deutfch Jena 179%), gerichtliche Medicin und medicinifche 
Bali („Kurzgefaßtes em der gerichtlichen Arzneiwiſſenſchaft, entworfen von 
J. B. Metzger, nach des Verf. Tode mit Zuf. berausgeg. von C. G. Gruner”, Kö: - 
nigsb. 1814), allgemeine und fpecielle Therapie zu f. Lieblingsfächern. S. das Verz. 
f. fümmtl, Schriften in Güldenapfeßs „Senaifchem Univerfitätsalmanach” (Jena 
1816). Eine Dislocatton des Magens, durch Leibfchäden erzeugt, endigte fein thaͤ⸗ 
tiges Leben den 4. Dec. 1815, im 71. 3, Es gab faft Feine Akademie oder gelehrte 
Geſellſchaft in und außerhalb Deutfchland, Die ©. nicht als Ehrenmitglied aufge: 
nommen hätte. Noch Eurz vor f. Tode erhielt er von dem koͤnigl. Collegium me- 
dicum zu Stockholm die filberne Baccinationsmünge, und wurde von dem König 
von Schweden zum Ritter des XBafa: Ordens ernannt. . 
"Gruner (Karl Juſtus v.), Sohn des fürftl. Osnabrädifchen Vice: Kanz- 
leidirektors Joh. Chriftian G., geb. d. 28. Febr. 4777 zu Osnabruͤck, ftudirte in 
Göttingen und Halle. An letzterm Orte fam er mit dem dort commandirenden 
und mit den Studenten in fteten Handeln Tebenden Prinz Wilhelm von Braun: 
fchweig (der als Herzog bei Quatrebras blieb) in Reibungen, und verließ deßwegen 
Halle. Er ward nun als Richter in feiner Vaterſtadt angeftellt, gab jedoch die Stelle 
auf und ging auf Reifen. Hier lernte er den nachherigen Minifter Stein, damals 
Dberprüfident zu Minden, umd Blücher kennen, und erhielt 1803 durch Verwen⸗ 
dung des Senerafzkieut. v. Kneſebeck eine Anftellung in preuß. Staatsdienften, 
erft bei den Coloniſationsgeſchaͤfte für Sudpreußen (mo er fich der deßhalb nothigen 
\ 


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; 


ende außerdem getrennte, Grupyen vereinigen, wejn 
der die "bes Lichtes und Sichatsens ja Hilfe mamnt. dd. 
Gryphinus (Andreas, ber deutfihe Name war Greif), geb. 1616 zu 

in , f. Bater, welcher dert Archikiofenns war, vor f. 


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frielen ift der Alexandriner, allein die Form noch nicht fo enge, wie die wachherige 
franzöfifche; der Schauplatz wechfelt zizoeilen, und die mufikalifchen, yım Theil 
allegorifchen Bios Zwiſchenacte, Reihen genannt, haben einige Ähnlichkeit mit den engl. 
Masten. Seine naͤchſten Muſter 


Deffe: , burlesten 
Trauerfp. „Poramus und Thisbe”, in Sha —— — iſt 
mit Witz und Zaume gefchriebe ı. Es ift nebft biograph. Nachrichten von ©. in Pre 
dow’s nachgelaffenen Sıhri’.en wieder abgedrudt. Auch unter f. Kirchhofsgedan⸗ 
Een, Degrübnig- und Hochzeitgedichten, ſowie unter ſ. Dien, geifl. Liedern und 
Sonetten ift manches Gelungene. Der Charakter f. lyriſchen — iſt Feuer 
und Innigkeit des Gefühls, gemifcht mit dunkler Schwermuch, die fein mũhevolles 
Leben ſ. Seele eingeflöpt harte. Aber die Kraft der Religion haͤlt diefer Schwer⸗ 
muth das Sregengewich. Die vollfiändigfie Ausg. feiner Gedichte erfihien 1698 
(Breslau u. Leipz.). Eme Auswahl ſ. beſſern Getichte enthält das 2. Böchen, ber 
„Bibliothet deutfcher Dichter es 17. Jahrh.“ von Zi. Müller (2p5. 1822). 
Suadeloupe, franzoſ. Gouwernement und Inſel in Weſtindien, ven 
Extmbe fo benannt wrgen der Äpalihfi rer Berge mit denen Im Opa gl 
M. an der Grenze von Neucaftilien und Eſtremadura. Sie befiehe aus zwei 
durch den Meeresarm Salzfluß getrennten Inſeln: Grande-Terre und Basse- 
Terre; legtern Namen führt auch Lie gut befefligte Hauptſtadt. Die erflere leitet 
Baffermangel und ift nicht fo reich an Dreducten als I . Diet 
ten 1635 dafelbft eine Eolonie an, die aber in fehlechtem fiande biieb is 1674 
der König die Inſel von der weſtind. Compagnie übernahm. 1820 züflte man auf 


— — 


.. 
\ 


| wurde aber fchon 1585 als 
Anſehen am Hofe gelangt, nahm er dennoch 2 Jahre darauf f. Entlaffung, da der 


. erflerm Orte über die Ethik bes Arifioteles 


. \ ) 
Guarini 820 


der Infel, die nach v. Zach über 42 X. groß iſt, 109,404 E., darunter 87, 008 


aven, 12,802 freie Weiße und 8604 Farbige. Haupterjeugniffe find Zus 
—* affee, Indigo, Cacao, Rocon und Baumwolle; die Xusfuhr davon nach 
Srantreich betrug 1788 über 15 Mill, Livres, die Ausfuhr der nahen, zu dieſem 
Souvernement gehörenden, Kleinen: Inſeln Maria Salante, Defirade und les Sain⸗ 
tes mit gerechnet. Die Angriffe der Engländer 1691 und 17106 ſchlugen fehl; aber 
47159 fiel fie nach einer täpfer Gegenwehr in ihre Gewalt und kam erft im Frieden 
47163 wieder an Frankreich; 17793 nahmen die Engländer fie ebenfalls roeg, wurden 
aber im folg. J. vertrieben. Seitdem behaupteten fich die Franzoſen, bis in den letz⸗ 
ten Tagen des Jan, 1810 eine überlegene. engl. Macht unter den Seneralen Bed: 
with und Harcsurt erfchien, welche vom Admiral Cochrane mit einer Escadre un= 
terftügt, nach dem Treffen am 8. Febr. den General: Sapitain Ernouf nöthigten, 
fich mit der Befagung Priegsgefangen zu ergeben. In dem den 8. März 181% 
zwifchen England und Schweden zu Stockholm abgefchloffenen Bertrage wurde 
* diefe, Inſel an Schweden abgetreten, das dieſelbe aber tm parifer Frieden, gegen an- 
derwarts zu erhaltende Entſchadigung, an Frankreich zurückgab. S. „Les Antilles. 
fraucais, particulier. la Guadeloupe (geſchichtl. u. ftarifl.) par le Colonel Boyer- 


- Peyreleau” (Paris 1823, 3 Bde., m. e Charte). Die Krone deckt den Ausfall an 


Einfünften gegen die Ausgabe jährlich mit einem Bufchuß von 1,800,000 Fr. 
Suarini(Ciovanni Battiſta), geb. 1537 zu Ferrara, flammte aus einer 
um-das Wiederaufbläben der Wiſſenſchaften und der Dichtkunſt verdienten adeli⸗ 
gen Familie. Nachdem er in f. Vaterſtadt, Rn Piſa und Padua fludirt, und on 
riefungen gebalten, trat er.in die 
Dienfte des Herzogs Alfons II., der fi Talente fehäßte, ihn zum Cavalier machte 
und als f. Sefandten an die Republik Venedig, an Emanuel Filibert, Herzog von 
Savoyen, an Gregor Xill., an Maximilian I1., an den zum Könige von Polen er: 
mühlten Heinrich von Valois, und ale dieſer u. d. M. Heinrich III. den franzdf. 
Thron befliegen hatte, an die polnifchen Stande abſchickte, um ihn, den Herzog, 
zum Könige vorzufeglagen. Das Mißlingen diefer Sendung, für die er einen Theil 
fe Dermögens aufopferte, ward von ſ. Neidern benutzt, ihm die Gunſt f. Fürften za 
tauben, fodag er fich nach fo wichtigen "Dienften in Gnaden entlaffen fah. Er lebte 
jeßt in literarifcher Eingejogenheis theils in Padua; theils auf einem Landgute, 
taatsſecretair zuruckgerufen. Aufs Neue zu großem 


Herzog in einem Ötreite G.'s mit der Schwiegertochter deffelben eine ihm mißfäk 
lige Entſcheidung gegeben hatte, und lebte hierauf wieder als Privatmann. 1591 
trat er in die Dienſte des Großherzogs Ferdinand I. von Toscana. Aber auch bier - 
blieb er nur furge Zeit. Er argmwohnte, der Herzog Habe die von f. jüngften Sobne 
‚heimlich und wider des Baters Willen geſchloſſene Ehe begünftigt, entjroeite fich 
darüber mit ibm und begab fich: zum Herzoge von Urbino. Nachdem er demfel: 


ben einige Beit gedient hatte, kehrte er nach Ferrara zurüd, hielt fich aber, f. zahl⸗ 


n Proceffe wegen, in die ihn f. Streitſucht verwickelte, abwechſelnd zu Ve⸗ 


| nedtg „Padua und Rom auf. 4605 erfihien er als Abgefandter ſ. Vaterſtadt in 


Rom, um Paul V. zu f Erhebung Gluͤck zu wuͤnſchen. Er ſtarb 1612 zu Vene: 
Dig... "Su gehört pa den zierlichſten Schriftftellern uud Dichtern Italiens, wie f. 
Briefe, f. in dialogiſcher Form abgefagter „Segretario”, f. Luftfpiel.,,2’Fdropica”, 
£, Rime‘‘ und vor Allenrſ.,Paſtor Fido beweiſen. Durch diefes Schufertrama, 
‚das 1585 zum trfien Mol zu Tutin bei:der Bermählting Karl Emanuels Herzogs 
Yen Savohen, mit Ratherina von Öftreich, aufgeführt, nachber Häufig auf die 
Buhne gebracht und faft in alle Sprachen diberfeßt wurde, iſt fi Name unfterblich: 
geworden. . Der-flüchtigfte Blick lehrt/ daßidaſſelbe keineswegs eine Nachahmung 
:des Aminta ſei, den es zweit ichertrifft ag Ti Wendungen, epigrammatiſchen 
Converſations⸗ Lexicon. Bd. IV. 69 


930 - Guatemde . ' Bubig 


Wortfpielen und dichteriſchem Schmuck, welche Eigenſchaften ihm aber, weil man 
fie für das Schäferdrama wenig paffend Hielt, auch häufigen, doch ungerechten Ta⸗ 
del zugezogen haben. ©.’6 Werke erfchienen zu Ferrara 17137 in 4 Bänden, 4. 


Sein „Trattato della politica liberta” (gefehrieben um 1599) erfepien zum er: 


fien Mal gedrudt, Demevin 1818, thit f. Xeben, von Ruggieri. 
Guatemala, ſ. Mittelamerika, ' 
Subig (Friedrich Wilhelm), Prof, bei der koͤnigl. Akademie der Känfte in 
Berlin, geb, d. 27. Febr. 1786 in Leipzig, beſtimmte fich zum Studium der Thes⸗ 
logie; Samilienverhältniffe zwangen ihn aber, an ein rafches Erwerben zu denfen. 
Er erwählte die Holzſchneidekunſt und lieferte. feine erfien Verſuche darin in einem 
Alter von 444 3. Sie erregten ſolches Aufſehen, daß er in dieſer Kunſt Mittel zu 
finden glaubte, feine Studien fortgufeßen. Da erkrankte f. Daten (der fich in ber 
Stahlſchneidekunſt ausgezeichnet und namentlich die fimmtlichen Stempel der fo- 
genannten Unger’fchen Schriften und Noten in Stahl gefchnitten bat) und verlor 
nach langwierigen Krankheiten ein Auge; der Sohn mußte fich nun der Holzſchnei⸗ 
dekunſt ausfchließend widmen, um Eindliche und brüderliche Pflichten erfüllen zu 
fönnen. Er vervollfommnete mit Hülfe f. Baters, nachdem er felbft Schriftgigßerei 
und Buchdruderei erlernt hatte, jene Kunſt ſo, daß er bald mit Allen, die früher 
darin Etwas keifleten, twetteifernd, in, mehren Behandlun des Holzfchnitts, 
3 D. in der Eolorit: und Tufcgmanier, wnübertroffen iſt. Er empfängt daher ſelbſt 
aus andern Welttheilen Beftellungen. Auch verföhnte fich fein heftigfter Gegner, 
rof. Freidhof, endlich mit ihm, namentlich als ©. mit dem Portrait der Gräfin 
oß den erfien und glüdlichen Verſuch in der Eoloritmanier lieferte. — In Ber: 
sheidigung ſ. Kunft zum Schriftfteller geworden, machte ex fih während der un- 
glüdlichen Kriegszeit in der literarifchen Welt bekannt, Kaum hatte nämlich 
(1805) ©. f. Lehramt angetreten, da blieb der nicht bedeutende Gehalt aus, der ar: 
tiftifche Derkehr lag danieder, und fo mußte die Schriftftellerei ihm Mittel werben, 
der böfen Periode eine neue Kraft entgegenzufeßen. Auf den Wunſch mehrer das 
mals mit dem preuß. Hofe in Königsberg lebenden Freunde gab’ er von 1807 bis 
1809 (bei Fr. Maurer in Berlin) eine. in: jenen Tagen vielgelefene Zeitfhrift: „Das 
Daterland” (auf dem Umfchlage auch „Feuerſchirme“ genannt) heraus, wodurch 
er mit der franz. Cenſur in Hindel rieth. Die Tendenz diefes Journals ge 
Dabin, die Gemuͤther für eine beffere Zukunft zu ſtimmen. zugleich einer 
Stimmung entgegenzutwirken, wurden die „Bertrauten Briefe” und „Feuerbrände” 
des H. v. Colln bekämpft, der aber, troß diefer litexarifchen Fehde, ein ſolches Ber: 
trauen zu ©. gewann, daß fpäter, als, auf Hardenberg’s Beranlaffung, Colin un: 
ter angenommenem Namen nach Berlin kam, er mitten in der Nacht ein Obdach 
bei ©. fuchte und fand, bis f. Angelegenheit ausgeglichen war. Als Herausgeber jes 
ner Zeitfchrift ftand ©. mit den damals merkwuͤrdigſten Maͤnnern, namentlich mit 
Still, in Briefwechfel, Bei der Ruͤckkehr des Königs nach der Hauptſtadt wurde 
dies Journal gefchloffen. Fortwauͤhrend befchäftigte fich nun G. mit f. Kunſt, lie⸗ 
ferte bedeutende Blätter (4. ®. obenerwähntes Dildnig, den Heiland nach Lucas 
Kranach, Landfchaften in der Strich: and Tuſchmanier, unter denen fich ein Waſ⸗ 
ſerfall nach Klengel auszeichnet, Bas Portrait PeftalozzPs, kuͤnſtliche 
zu Staatspapieren u. fi mw.) Überhaupt hat er über taufend Holzſch tien 
‚vollendet, nur ſolche gezählt, die er ohne Beihulfe ſ. Schuͤler anfertigte. In f. Bias 
eſtunden entſtanden einige dramatiſche Arbeiten, Die zum Theil mit Gluͤck auf der 
ühne gegeben find, & B. die, Taler tprobe, Luſtſpiel; auch gab er 2 Bandchen 
ſ. ſchriftſtelleriſchen Arbeiten Werlin, bei Maurer) heraus u. d. T.: „as wir 
einfiel’" und. „Iheaterfpiele”. : In den Kriegsjahren 1812 bis 1815 machte er, 


zum Beſten des „uaterländifchen ins” (zur Derpfiegung der Invaliden), def | 
nternehmungen. 


Mitglied er iſt, mehre für jenen Zweck ſehr eintraͤgliche Li 


[3 4 tt J t, L 


Guelfen — Guerillas 934 


1817 begann ©, f. Zeitſchrift: „Der Gefellfchafter”. Diefe Bat fich, troß mancher 
von ihm flets mit Ruhe behandelten Fehden, zu einem der gelefenften Blätter 
Deutſchlands erhoben. Auch bat er die „Sammlung von Verzierungen, in 
Abgüffen für die Buchdruckerpreſſe zu haben“ (Berlin, Vereing:Buchh.) here 
‚Ausgegeben, Dies find größtentheils Arbeiten f. Sgüler, bie als Verzierungen 
fat in allen Buchdruckereien gebraucht werden. a Platten, von ihm 
feldft, Liegen zur Herausgabe der Abdrüde bereit. Noch iſt er mit der Errichs 
fung einer Druderei.für den Schondruck befchäftigt, in welchem er bei ſ. artis 
fifchen Arbeiten viele Erfahrungen gefammelt Bat, . 
Suelfen und Sibellinen, f. Welfen, nn 
Buercino (eigentlih Sianfrancesco Barbieri da Cento, mit 
‚dem Beinamen Quercino, weil er fehielte), geb. zu Cento bei Bologna 1590, 
fand durch ſ. Senie die erfien Grundſaͤtze ſ. Kunft felbft auf und bildete fish nache 
ber in der Schule des Lodpvico Carracci. Eine Akademie, die er 1816 eröffnete 
509 eine große Anzahl Schüler aus allen Theilen Europas zu ihm. Der König 
von. Sranfreich bot ihm die Stelle f. erften Malers an, aber er 309 es vor, ein Zims 
mer in: dem Palaſte Des Herzogs von Modena anzunehmen. Bon Charakter war 
er fanft, aufrichtig, höflich, wohlthätig; f. Kunſtgenoſſen unterflüßte er mit Kath 
und That. Er ſtarb 1666 in Bologna, wo er ſich nach Guido's Tode niedergelaffen 
haste. Beine vorzäglichften Arbeiten befinden fich zu Rom, Parma, Piacenza, 
Modena, Reggio und Paris im Muſeum. Er ftellte Gegenſtaͤnde mit vie: 
ker Wahrheit dar; aber Cortectheit, Adel und Ausdrud fehlten ihm geroöhnlich, 
denn er glaubte Dadurch fein Genie in die Feſſeln der Nadahinlng zu legen. Srüs 
ber war ſ. Manier überfräftig, fpäter ſchien er $ mehr dem Guido zu nähern, 
Wenige Maler haben mit fo viel Leichtigkeit und Schnelligkeit gearbeitet. Als er 
einſt von Geiſtlichen am Vorabend eines Seiertags gebeten wurde, ihnen für den _ 
Hauptaltar einen Gott Bater zu malen, vollendete er das Bild In Einer Nacht bei 
KFackelſchein. Man bat auch eine Anleitung zur Zeichnenkunſt von ihm, 
Guericke (Dttov.), Bürgermeifter zu Magdeburg, einer der verdienftvolk 
ſten Phyſiker des 17. Jahrh. Er war dafelbft den 20. Nov. 1602 geb,, ſtudirte zu 
Leipzig, Helmſtaͤdt und Jena die Rechte, zu Leyden Mathematik, befonders Geome⸗ 
trie und Mechanik, reifte nach Frankreich und England, diente als Oberingenieur 
zu Erfurt, wurde 1627 Rathsherr zu Magdeburg, 1646 Bürgermeifter und brane 
denburg. Rath, legte 5 jahre vor f. Tode ſ. Amter nieder, begab fich zu ſ. Sohne 
nach Hamburg und farb dafelbft den 44. Mai 1686, Er erfand um 1850 die 
Zuftpumpe, zu derfelben Zeit, als Robert Boyle eine ähnliche Idee in England faßte, 
Durch diefe Maſchine wurde die Seflalt der Experimentalphyſik völlig verändert; 
und eine genauere Kenntniß von der Natur und den Wirkungen der Luft begründet, 
4654 machte er auf dem Reichstage zu Regensburg vor Kaifer Ferdinand III, defe 
‚fen Sohne, dem rom. Könige Serdinand IV ., mehren Rurfürften u. a, Neichsftänden 
die erfien öffentl. Berfuche mit ſ. Maſchine. Die erfte Luftpumpe, womit G. 
2 Halbkugeln ziemlich Iuftleer machte, wurde auf der koͤnigl. Bibliothek zu Berlin 
aufbewahrt. Berner erfand G. eine Luftwage und die Eleinen Glasfiguren (Guerickꝰ⸗ 
ſche Wettermaͤnnchen), deren man ſich vor der Erfindung des Barometers bediente, 
am die Veränderungen ber Temperatur anzitzeigen. Uber f. Verſuche wegen des 
Druds der Luft f. Halbkugeln (magdeburger), Auch mit ber Aftronomie bes 
ſchaͤftigte er ſich. Seine Meinung, daß fich die Wiederkehr der Kometen werde bet 
ſtimmen laſſen, hat fich beſtaͤtigt. G. s michtigfte Beobachtungen find, von ihm ſelhſt 
geſommelt, 1672 zu Amſierdam in Fol. erſchienen u. d. T.: Experimenis nova,. 
ut vocant, Magdeburgica de vacuo spatip”, (Pgul ufpump e.) 
Gun epidlas biegen im ſpan. —— Kriegerſcharen, die 
dem Feinde dr vielfacher Hinſicht Schaden thaten, babe) aber — ihre, auf den 





"932 Gusrin Guernſey 


Gebirgskrieg berechneten Bewegungen gegen ſ. Angriffe geſichert waren. Es war 
der General Juan Martin mit dem Beinamen EI Empecinado, der zuerſt, in der 
Nahe von Madrid, als Saragoffa eingenommen und Spanien nach den Miederla- 
"gen f. Heere ohne Rettung verloren zu fein fehien, eine folche Schar errichtete. Ne: 
mana aber führte fie allgemeiner ein. Sie trugen mwefentlich bei, das Bertrauen des 
Volkes auf endlichen glüdlichen Erfolg, dieſe moralifche Kraft ter Nation, zu er: 
Wlten,' welche wieder den Muth zum Widerfiande gegen den Feind beliebte, Sie 
ftreiften ſelbſt bis in die von dem Feinde befeßte Hauptſtadt ımd überzeugten da: 
durch jedermann, daß der Widerfland, wie die Franzoſen gern geglaubt wiffen mol: 
ten, keineswegs aufgehört habe. Micht minder reichtig war es, daß fie Alles, was 
ſich irgend Guͤnſtiges für die Sache der Spanier eretgnete, blißfchnell überall, und 
oft mit ÜÜbertreibungen verfündigten, wodurch die Wirkung der von den Franzoſen 
auch in Spanien verſuchten Entftellung oder Verſchweigung der Wahrheit vereitelt 
“word: Der engl. General Rob. Wil ſon (f. d.) hatte ebenfalls auf die Organi⸗ 
-fation und: die Erfolge der Guerillas großen Einfluß. " 
Buerin, Schüler von Regnault, einer der bedeutendften Maler der neuern 
‚franz. Schule, Sein Styl if edel und' anmuthig, f. Tolorit Durchfcheinend und har⸗ 
moniſch. Das erfte Gemälde, wodurch er fih Ruhm erwarb, war f. Opfer vor 
Astulap’s Statue nach Sefner’s Idylle. Doch hat das Ganze Maͤngel, die von 
der jugendl, Unerfahrenheit des Rünftlers zeugen. Es befindet fi) in der Salerie zu 
Verſailles. Darauf malfe er den Seta, den fein Bruder Taracalla ermorbet, dann 
den Coriolan. Durch f. Marcus Sertus erregte G. 1800 allgemeines Auffchen, 
"Sein tiefftes Gemuͤth fpricht fich darin aus, Der edle Berbannte ift dargeſtellt, wie 
er zurückkehrt und ſ. geliebte Sattin todt findet, G.'s nächftes Werk, Hyppolit und 
Phaͤdra (1802), erwarb ihm den Preis. Dies Gemalde hat viele Schöndeiten, aber 
auch etwas Thentralifches und Übertriebenes, Es wurde mit großem Beifall aufge: 
“nommen; nur der befcheidene Kuͤnſtler ſelbſt war nicht mit fich zufrieden und fehnte 
fich, in Italien den rechten Geiſt der Kunft zu erfpähen. Nach f. Rüdtehr befam er 
den Kuftrag, Napoleon zu malen, wie er den Rebellen in Cairo verzeiht. Der Rünft: 
ler wußte alle Bortheile diefer Aufgabe zu benußen, Die edeln Formen, die glühende 
Farbe, die malerifche Tracht diefer Meorgenländer, der Glanz jenes Himmels, die 
" Eigenthümlichfeit der Landfehaft, die Einheit der Handlung bei der Mannigfaltig: 
“feit der-Sefühle, Abftich zwiſchen Europäern und Aflaten: Alles diente dem Eunf: 
erfahrenen Sinne. Links ſteht Napoleon etwas erhöht, man fiehe ihn im Profil; der 
"Bier nothwendigẽ Ausdruck des klugen Mißtrauens und des ſtillen Ernftes ift mei: 
ſterhaft aufgefaßt. Die Beleuchtung ift effectvoll, ein über der Gruppe der Fran: 
zoſen fich augbreitender Baum wirft Schlagſchatten mit durchfallenden Streiflich- 
tern auf die Ägypter, ſodaß dies ohnehin dunkelfarbige Volk defto beſtimmter gegen 
den Flaren, wolfenlofen Himmel abflicht. Zur Ausſiellung von 1812 malte ©, das 
treffl. Semälde der Andromache. Voll Reiz und Farbenzauber ift ſ. Sepbalus u. Au- 
xrora. Shröpere Gemaͤlde, als je vor, ftellte der jartge Rünfter 18177 aus: eine Dido, 
* foelche der Erzihlung bes Aneas zuhört, und. eine Kiytamneſtra, in dem Augenblide, 
wo Agiſth fie hindraͤngt zum Morde des fihlafenden Gatten. Bur Beleuchtung die 
fer Scene mühlte der Kuͤnſtler ein düfteres, blutrothes Licht. ©. malt nur felten 
Portraits, aber fie gelingen ihm trefflich: 1817 erug ihm der König auf, das Per: 
* trait des Helden der Bender, Henri.de fa Roche Jacquelin, zu'malen, wie er eine 
Verſchanzung erflürmt; es’ wurde eln höchft ansteudevolles Bild. 1816 wurde 
G. zum Director der. franz. Malerſchule in Rom ernannt, aber ſ. Geſundheit bin: 
berte ihn, diefe Stelle anzunehmen. Er iſt Mirglied der Akademie und. der Ehren: 
legion; fein Charakter iſt liebenswürdig, anfpruchlos und heſcheiden. WI. 
— Guernſey (feang Deeneny) und. Jerſey, 2 britiche Iaſein im Canal; 
beibe Haben ihre eignen Geſetze. Suerafey- 6 EM., 20,827 Gin) Bat: von 


Oueschn  Gumam. | 938, 


Sudweſt nach Nordoſt 133 , und von D. nach W., da, wo fle am hreiteften iſt, 
124 engl, Meile. Die Luft ift gefund, der Boden fruchtbar, aber nicht gehörig an⸗ 
gebaut. Die Ufer find theils durch fteile Selfen, theils durch Fünftliche Befeſtigun⸗ 
gen vor jedem Angriffe gefichert. Die Hauptſt. St-Petersport hat einen trefflichen - 
Hafen. Jerſey, ebenfalls durch Natur und Kunſt befeftigt, zahle auf OR. 
28600 E. Die Viehzucht, befonders die Pferdezucht, ift beträchtlich. Die wich. 
tioften Städte find ©t.Helier und &t.:Aubin, legtere mit. einem guten Hafen. 
Hier, wie auf Guernſey, befargen die Verwaltung und die Rechtenflege ein Gtnttg; 
halter, ein Amtmann und 12 Sefchworene, welche vom Konig ernannt werden, 
Zu diefen normännifchen Inſeln (zuf. 28 OM,, 55,000 Einw.) an der Küfte vom: 
Bretagne, dem Refte der ehemaligen engl. Befigimgen in Frankreich, gehoren noch 
Alderney und Sark. Die Einroohner find Franzoſen und refarmirt., 
.. Bueselin (Bertrand du), Graf v. Longueville, Connetable von Frankreich 
verewigte fich durch Klugheit und Heldeumuth. Er wor gegen 1314 auf dem) 
Schloſſe Motte⸗Broon bei Rennes geb, Die Dichter leiten den Urſprang ſ. Ge⸗ 
fhleches von einem Mourenfönig ab. eine Altern vernachläffigten ſ. Erziehung ı 
fo.fehr, daß er, wie die meiften Edelleute damaliger Zeit, weber ſchreiben noch Kifem' 
bernte, Bon Kindheit an athmete er nur Krieg und Kampf. Er hatte ein Regiment: 
aus f: Altersgenoſſen gebildet, fich zu ihrem General gemacht, und Ichrte fie, indem 
er fie in.&ompagtien theilte, die Kunft, fich in Schlachterdnung zu ſteilen. G. war 
ſtark von Wuchs, mit breiten Schultern und nerbigen Armen. Beine Augen waren. 
Elein, Tebhaft und voll Feuer. Seine Phyfiegnomie hatte nichts Angenehmes. „ch; 
bin (ehr haßlich“, fagte er.als Jüngling, „der Frauen werde ich nie gefallen; aber 
ich. werde mich wenigfteng den Feinden meines Königs furchtbar zu machen wiſſen“. 
Ganz durch eigne Kroft ſchwang er fich empor. 173. alt, gewann er den. Dank in 
einem Turnier zu: Rennes; : Er war unbekannt und wider den Willen f. Daters da⸗ 
In gegangen. Seitdem führte er unabläffig die Waffen, und flets mit gutem Erfolg. 
ach dem unglüdtichen Tage von Poitiers, 1356, fam er, wahrend der Gefam⸗ 
. genfchaft des Königs Johann, deffen-Alteftem Sohne Karl, der die Negierung vers 
Maltete, zu Hilfe, Melun ergab fih, die Seine wurde befreit, und mehre Plaͤtze 
unterwarfen fih ihm. Karl V., ver 1364 ſ. Vater gefolgt war, belohnte Gsß 
Verdienſte nach Gebuͤhr, der noch in demf, J. den Sieg bei Cocherel über den König 
von Mavarra davon trug. Seine Erfolge befhletinigten den Frieden. Dann unters 
flüßte ex. Heinrich, der den Titel eines Königs non Saflilien angenommen hatte, ge« 
gen f. Bruder, Peter den Grauſamen, entriß diefem die Krone und ficherte fie Hein⸗ 
der ihn. dafür mit einer großen Geldſumme belohnte und zum Connetable von 
aſtilien ecramtce, G. kehrte bald wieder nach Framfreich zurüd, um fein Vaters 
land prera England zu vertbeidigen. Die bisher fiegreichen Engländer wurden 
überall geſchlagen. Zum Sonnetable ven Frankreich erhoben, tberfiel er fie in 
Maine und Anjou, und nahm felbft ihren Anführer Srandfon gefangen. Er brachte 
Poitou und Gamntonge unter die Herrfchaft Frankreichs, „fodaß den Engländern 
nichts übrig blieb als Bordeaur Calais, Cherbourg, Breft und. Bayonne Mitten 
unter ſ. Triumphen ereilte ihn dee Tod vor Chateau⸗ neuf de Nandon, den 13. Juli 
1380. Sein Leichnam ward mit königl. Ehren neben dem Grabmale beerdigt, das 
Kart V. für fich beſtimmt hatte. Nach ihm hat Frankreich unter ſ. vielen Feldherren 
nur Einen gehabt, der-mit ihm verglichen voerden kanns Zurenne, Beide waren 
gleich tapfer, befcheiden und grofmäthig. Du & war 2 Mal vermahlt, hinterließ _ 
aber feine Kinder, außer einem natürlichen Sohne, Michel du G. S. Guyard de 
Berville's „Hist. de B. du Guesclin” (N. A., yon 1829). 
Guevara (Louis Valez de kan Duenas y), ein Dramatifcher Dichter, feineg 
Witzes und f. Laune wegen der fpanifche Scarron genannt, wurde zu Ecija in An: 
dalufien 1574 geb, Er hatte fich dee Nechtsfunde gewidmet und lebte als Adyocat 


934 Ongtielmi Guiana 


in Mabrid. Durch f. ſtets fliegenden Witz und ſ. unerſchopfliche Laune brachte er 
feföft bei den ernfieften Rechtsverhandlungen die zahlreichen Zuhörer wie Die Rich: 
ter gm Lathen. So erjiblt man von ihm, daß er einſt einen Verbrecher Dadurch 
vom Tode rettete und felbft dem König (Philipp IV.) befannt wurde. Dieſer 
"Monarch, welcher fein Talent, Derfe zu machen, kannte, veranlaßte ihn auch 
Komödiert zu dichten (Philipp IV. dichtete zuweilen ſelbſt welche, die er Darm dem 
&. zuc Durchficht übergab, umd die Hernach öfters am Hofe aufaeführt reurden). 
Auf diefer neuen Bahn machte ©. nicht wenig Glück. Seine Stüde verdienen 
wegen Ihrer trefflichen Eharafterzeichnung und ihres Reichthums an echt komiſchen 
Zugen die Lodfprüche, welche ihnen Lopez de Bega ertheilt. Was jedoch Gos Dis 
hen NRuhm begründete, war f. „Diablo coniuelo, o memorial de ta otra 
- vida“, ein_ebenfo elegant als wißig gefchriebener Roman, in welchem der Dichter 
die Sitten ſ. Landsleute und das in Madrid auf das witzigſte und gefffreichfte 
ſchildert und mit Einer unnachahmlichen Satyre geißelt. Lefage’s befannter „Diable 
boiteux’‘ Heine Art Fortfegung davon, und der fpanifche Roman diente dem 
ſpaͤrern Autor gewiffermaßen zım Anlehnungspunkte. Diefer Roman iſt wörtlich 
ins Franzbf. (vom Verf. der „Lectures amusantes”)umd ins Jtaltenifche überfebt. 
©. ſtarb zu Madrid, 72 J. olt, im Yan.’ 1646, bis an fein Ende fi der Sunft 
des Monarchen erfteuend und bis an fein Ende ein oft übertrieben —— —* 
Verehrer des andern Geſchlechts. Viele ſ. Witzworte find in ſ. Vaterlande Ins Bolt 
übergegangen, und heutzutage hoͤrt man folche noch oft als Sprüchiwörter jenfelte 
der Toremien. Es gibe noch mehre fpan. Dichter diefes Namens, 

Gugk!kielmi GMietro), geb. im Mai 1727 zu Maffa Earrara, mof. Bater, 
Giacomo ©., Tapellmeifter des Herzogs von Modena war, flubirte bis zu f. 18. 
Jahre die Muſik unter ſ. Vater, und ging darauf nach Neapel in dag Conſervatoris 
di Zoretto, welchen der berühmte Durante vorftand, ©. verrietb wenig Anlage 
zur Muſik, aber Durante hielt ihn zuden Studien des Contrapenkts und der Com⸗ 
pofition an. Er trat mit dem 28. J. aus der Anſtalt und fing ſogleich an, für die 
ital. Theater komiſche und heroiſche Opern zu componiren. In beiden Gattungen 
arbeitete er mit gleichem Gluͤck. Er wurde nah Wien, Madrid und London beru⸗ 
fen und kehrte in einem Alter von ungeführ 50 J. nach Neapel zurũuck. Hier inte 
fich fein Talent am glänzendfien. Zwei Metfter hatten das große Theater von Nea⸗ 
pel eingenommen und ftritten um die Palme: Timarofa und Parfielle. Er nahm 
die edelfte Rache an Letzterem, über weichen er fich zu beklagen Hatte. 

ſ. Segners ftellte er ein anderes entgegen und beflegte ihn umabläffig, 1793 ers 
nannie ihn Pius VI. zum Eapellmeifter von Se: Peter, welches ihm Gelegenheit 
gab, fich in der Kirchenmufll auszeichnen, Dion zahlt von ihm über 200 Werke, 
welche fich Durch einfachen und —** Geſang, durch eine klare, volltöwende Hart 
monie and durch Begeifterımg und Eigenthuͤmlichkeit auszeichnen. Er flarb zu Rom 
den 19, Nov. 1808 nf. MR Sein Sohn, Pietro Carlo, ift ebenfalls ein aus⸗ 
gezeichneter Componiſt. — Der Moter Gregor Suglielmi, geb. zu Rom 
den 13. Dec. 1714, Trevifani’a Schaler, durch hiſtor. Gemälde, befonders al 
fresco, in Rom, Turin, Prag, Dresden, Wien, Augsburg und Warſchau befanzt, 
farb als kaiſerl. Hofmaler zu Sr. Peatsburg den 1. Gebr. 1713. Ä 

Guianaoder Guahana, tin &00 Stunden langer Landſtrich in Säbs 
amerika. Die Kuͤſte zieht fich 100 Seemeilen weit, von dem Ausfluß des Oronoca 
bis zu der Mündung des Marannon oder Amszonenfluffes. Der fpanifche See⸗ 
fahrer Vasco Nrunnez, welcher 1504 die ganze Kuͤſtenſtrecke entdeckte und befuhr, 
nannte fie Tierra firma. Indeſſen feheinen die Spanier fich wenig um die Benutzung 
dieſer Entbeddungen befümmert zu haben; denn 1595 fegelte der engl, Seefahrer 
Walter Raleigh 100 Meilen weit in den Oronoco hinauf. Dann fanden fih Zrei 
Beuter an biefen Kuͤſten ein, und 1634 gründete Capit. Marſhall in Surinam eine 


ben v8 


Anfledelung bon Franjofen artd- Endlandern, weite Tabad Banten. Diefe Eolonie 
wurde anfangs unter britiſchen Schutz geſtellt, dann den Hollandern uͤberlaſſen. 
Späterhin Haben ſich angefiedelt: die Franzoſen zwiſchen den Fluͤſſen Maroni und 
Oyapock; bie Portugiefen zwifchen dem letztern und dem Amazonenfluffe; die Hol 
länder zwiſchen dem Maroni und den Cap Raffan; die Spanier endlic von dem 
legtern an bis zur Mündung des Oronoco und noch mehre 100 Meilen ine Land 
binein.: Das fpanifche Guiana, die größte und wichtigfte Beſitzung, vom Effes 
quebo Bis ar den Dronoco, hat auf 41, T6ETTM. 120,000 Einw., worunter 
80,000 Indianer. Der Küſtenſttich beiträge 40 Seemeilen, aber die Niederlaſſun⸗ 
gen am Oronoco ziehen fich bis an den Ayuätor Hinauf in das Land, welches zu 
den fruchtbarfien auf der Erde gehört. Es iſt von den wilden Raraiben bevölkert, 
deren Haß gegen die Spanier die Hollärider unterhalten follen, um ihren eignen 
Handel weiter ausbreiten gu können. Dieſes Suiana iſt ein Theil des jeßigen Des 
portements‘'Dronoco in der Rep. Colombia. Die Hauptfi. Si.⸗Thomas oder An- 
goſtura (eine Zeit fang der ig des Congreſſes der Republik Colombia) mit 8500 
Einw., am Ufer des Oronoco, 50 Meilen landeinwaͤrts, iſt der Sig eines Bis 
fchofe. In dem hollandiſchen Antheile, Surinam (f. d.), ift Paramaribo am 
Ausflug des Surinam der Hauptort. Auch in BerBice, Demerary und Sffequebo, 
bie den Briten: gehören (zufammen 8910 LFM.), find vorzugliche Niedetlaſſungen, 
wo befonders Zucker, Reto, Beunkibelle, coffee und Farbenholz gebaut und aus⸗ 
A werden. Sn dem franz, —— ift Cayenne, aüf einer Inſel am Meere 
1320 M.), wo Gewurznaͤglein ſeit 1777 gut fortkommen, der Hauptort, “Der 
fram. Ingen.⸗Geogr. Bodin führte 1825’ von Cayenne aus einer Unterſuchungs⸗ 
erpedition nach Guiana. Es gibt nur 50 Pflanzorte im ganzen Lande, Das por: 
tügiefifche Guiana gehört zu Brofifien. (&. Südamerika.) - 
BGuiiber t (Jaoques Antonie Hippolite, Graf v.), geb. den 12.Nov. 1743 
zu Montauban, wo f. Bater, ein Mann von ausgegeichneten militairiſchen Kennt⸗ 
niffen, in dem Reg: Auvergne dierite (fhüter Gouverneur der Invaliden), wurde zu 
Paris erzogen md folgte, 13 J. alt, f. Vater in den fiebenjähr. Krieg nach Deutfche 
land, wo er IFeldzuͤgen als Hauptmann in dem Regim. Auvergne beiwohnte, dann 
ebenfo vielen in dem Generalſtabe der: Armee, bei der ſ. Vater als Marechal de 
Camp fand. Hier fehlte es ihm fü ——— ſ. Kenntniſſe zu erwei⸗ 
tern, als ſich auszuzeichnen. In dem Treffen'bei Bellinghauſen, 1761, hatte er die 
befonnene Verwegenheit, eine durch den Wechſel der Unflände unpaffend gewordene 
Drdre, die er überBringen follte, dem Beduͤrfniß gemäß abzuändern. Im corfica« 
nifchen Kriege, 1166, erhielt &’ das Zubrstgsfreu, und bald darauf, als Oberſt, den 
Oberbefehl der neu errichteten cerfifchert Legion, Seine Muße benußte er zu ſchrift⸗ 
flellerifchen Arbeiten, und f. „Essat general de tactique, precdd& d’un discours 
sar l’etät de la politique et de'ka seionte militaire en Earope” (Xond. 1772), 
vermuthlich ſchon waͤhrend der deutfchen Feldzuͤge gefehrieben, erregte um fo mehr 
Anffehen, als man bei'den meiflen Heeren damals mit Reformen beſchaͤftigt war. 
voyage en Allemagne, fait en 1'178, 'ouvrage posthuma'de Güibert, publie 
ar la venve, et precedd d'une notice historique sur la vidde l’auteur par Tou- 
Fongeond "areo Ag, 4809, war ein Bloß für Den Verf. fElggirter Entwurf, wird 
aber anziehend durch Schilderungen und Anekdoten von berühmten Mannern, be: 
fonders von Friebrich II, deſſen große Sigenfigaften G. leidenſchaftlich betoundert. 
Beine Trauerſpiele: „Le Gonnétable de Bourbon“, „La mort des Griacques” 
w. „Anna Boleyn’% haben fich nicht erhalten, da Styl u. Compofition zu mangel⸗ 
haft find. 1169-erfchien f. „Defense du systeme da guerre moderne”. Fine 
Streitigkeit über Gegenſtande ber Taktik, wobei er ſich gegen den M fl von 
Broglis erflärte, der dad auf den Küften der Nermandie zuſammengezogene Uhungs 


.y36 Gui⸗ciacdiui 


lager befehligie, veranlaßte ihn zu mehren Schriften, u. a. zu der „Refalation com- 
\ete du systeme do M. Menil Duraad”. &, „Histoire de la milice frascaise” 
I jedoch nicht im Druck erfchienen. 17186 wach er Mitgl. der franz, Akad.; 1787 
ſchrieb er f. berühmte Lobrede auf Friedrich 1., welche zu den würdigſten Denkmaͤ⸗ 
Iern gehört, die dem großen Könige gefept worden find, Überhaupt gehören G.o 
Lobreden, unter Denen wir nach eine auf Ihomas und eine andre auf ſ. Geliebte, Die 
Eopinaſſe, namhaft machen, zu f. vollendetſten Arbeiten. Kraft, Pbanzafle, 
Klarheit und eine geyeiffe Kunftiofigfeit feffeln dem Leſer und entſchadigen ihn für 
manche Nachlaͤſſigkeit. G. war indeg Marechal de Lamp und Referent des Kriegs 
saths geworden, dem die Ausarbeitung eines neuen Militaircader übertragen war; 
ein Poften, der ihm, viel Arbeit und Verdruß verurfachte. Er flarb d. 6.DRgi 1790 
im 47. J. Akters. Ruhmbegierde und eine Alles umfafiende Tätigkeit bezeichnen 
G.s Charakter; ſ. Leidenfchaft u. ſ. Lieblingsftudium waren Kriegskunſt u, Krieges 
wiſſenſchaft. Er Hatte ein ſtarkes Gedachtniß und eine richtige Beurtbeilungsfraft, 
Guieciard ini (Francesco), Sefchichtfehreiber, geb. d. 6. Marz 1482 zu 
Slorenz, wo f. Familie in angefehenen Verhaͤltniſſen lebte, erwarb als Rechtsgelehr⸗ 
ser einen fo großen Nuf, daß er ſchon im 23, J. die Profeffur der Rechte erhielt und, 
ungeachtet ex noch nicht das gefegtiche Alter erreicht hatte, zum Geſandten an den 
Hof Ferdinands von Araggnien ernannt wurde, “Drei J. darauf ref ihn Leo X, 
an feinen Hof und übertrug ihm die Verwaltung von Modena und Reggig, Diefe 
Stelle beBleidete er auch unter Hadrian VI. zu allgemeiner Zufriedenheit, uud ala 
hierauf Clemens VII. (von Medici) den päbftt. I beftieg, ward er in bie von 
den Parteien der Guelfen und Sibellinen gerriffene Romagna gefenbet, wofelbft e& 
ihm durch ſtrenge und geroiffenhafte —— Gerechtigkeit bald gelang, die 
Ruhe herzuſtellen. Auch forgte er hier durch Anlegung von Londſtraßen, Auffühs 
rung er Sebäude, Errichtung nüßlicher Anſtalten, vielfach für das allge: 
meine Befte. Zum ©enerallieutengnt des heil: Stuhls ernannt, vertheidigte ex 
mit großer Tapferkeit das von den Sranzofen belagerte Parma (menigftens berichtet 
er Dies in fe Geſchichte ſelbſt; Angeli, Bert, einer Sefehichte von Parma, bezüch- 
tigt ihn Dagegen einer ungemeinen Feigheit),,: ©, wurde fpüter von den Florentinern 
‚nach dem Tode des Johann v. Medici erſucht, an deffen Stelle das Commando der 
berühmten ſchwarzen Schar zu uͤbernehmen, wogegen jedoch der Papſt inſofern 
proteftirte, daß er G. noch für einige Zeit.ig ſ Dienften behalten Eonnte, Er ſtillte 
darauf einen Auffignd in Bologna und kehrte, ungeachtet der heil, Bater ihn noch 
länger zu behalten ſuchte, in f. Vaterſtadt zrruͤck, wo er (1534) ſ. großes Sefchichte« 
wer begann (Storia d’ltalia”, 1.XX. von 1494 Pen Venedig 1580, 1640, 
4.; 17138, 2 Bde. Fol. Friburgo (Florenz) 1135, AMBide,, 4.), das ihm einen blei⸗ 
benden Rang unter denerften Hiftorikernerworben hat. Auch inf. Zusücgezogenbeit 

‚ nüßte G. dem Baterlande, und ſ. Rathſchlaͤge hielten oft die Ausbrüche der Vers 
fhwendungs- und Derrfchfusht des Alex. Medici, welcher den. Sefchichtfchreiber fe 
hoch Er zurüd. Derfelbe Fall war auch mit Karl V., deſſen Antereffe G. 
in f. Perdandlungen mit · Neayel beförderte, umd der einft, als.fich feine Hofleute 
darüber beflagten, daß er den Florentiner ihnen vorzöge, erwiderte: „ch kann je: 
ben Augenblid hundert Orands von Spanien, aber in hundert Jahren feinen Guic⸗ 
ciardini machen”, Als Alex. Medici durch f, Verwandten Lorenzo ermordet wurde 
(1536), und bie Florentiner unter des Cardinal Cibg Borfig die republifanifche Bers 
faffung herfiellen wollten, trat G., einfehend;. wie wenig das entartete Volk dazu 
taugiich war, faft allein auf und kewies, daß, wenn der Staat. night eine Beute der 
Fremden und actionen werden follte, die angnarchifehe Regierungsform beftebend 
werden müßte, feine Beredtſamkeit und die Kraft f. Gruͤnde errang den Sieg über 
die Menge, und Cosmus pon Medici wurde zum Großherzog von Florenz proclas 
wirt, G. farb 1540 und wurde ſ. Anordnung gemäß ohne Pomp in der Kirche 


—— 


Guido Aretinus .. :. "Bulffeminse _ 237 

Santa Feſlicite an Blggen kei Seine ſtrenge Nedptfcpaffenheitsund.f edlen, 
Eifer fürg, Befte des Staats machten, daß er allgemein bedauert wurde. Man erz 
zählt von ihm, daß f. Liebe zu den Studien fo groß geweſen fei, daß er oftmals pwei 
bis. drei Tage, ohne ſich niederzulegen und ohne Speife zu nehmen, bei f. Arbeiten 
verweilte, Fin Werk von ibm, das fpäter ins Franz. überfeßt tuurde: „Rathfchläge 
in Stoatsfachen‘‘ enfchien 1525 zu Antwerpen, . De ‚Horentinar J. BAdriani 
(geſt. 3579) bat in der „Istoria de suoi tempi” 1883), welche man ala 
die Fortſetz. des Werke von Guicciardini anfehen kann, die BRbenheiten von 1536 
bis 1574 gut eraot: fie, erſchien zuerft nach des Berf. Tode 1583. .. „, 
Suida (Bu) Aretinus, fi U, Re, Mu . , 
Guido Rent, Reni. 
. Buignes(Sofephde), Orientaliſt, geb, zu Dontoife 8.19. Det. Hab m 
dirte Die Sprachen des Orients unter dem berühmten-Efienne Foupniont. ward da 
zum fonigl, Dolmetfcher und 1753. zum Mitgl, der Akad, der ſchönen Wiffenfch. eve 
nannt, Er legte ſich befonders aufdas Studium der-hinefifchen Charaktere. zen 

er fie mit denalten Sprachen verglich, glaubte er zu entdecken, daß fie nur eine Art vo 

Monogrammen feien, gebildet aus 3 ägpt. Budffaben, und daraus fchloß er, da 
Ihing durch eine ägppt. Colonie benölfert worden. fe Das „Journal des savans“ 
at er 85 J. lang, ſowie die Memoiren der Afhdemie mit einer großen Anzahl von 
ffüßen bereichert, in denen fich tiefe. Gelehrſanikeit, neue Anfichten und eine ſcharf⸗ 
finnige Kritik zeigen. In einem Alter von faſt 8Q > gerieth er durch die Revolution 
in Mangel; aber auch in diefen Verhältniffen behielt er’ £ Gemuthsruhe, f. Uneigenz 
nüßigfeit und f. Unabhängigkeit, die ihm nich erlaubten, ‚irgend eine Unterftügung 
anzunehmen, Er ftarb zu Parig d, 49. Marz 1800, Unter ſ. zahlreichen Schriften 
behauptet den erften Platz ſ. „Uistgrie generale des Huns, des Turcs, des Mo-. 
ols et.dss autres Tartares occidentaux‘‘' (Paris 1756 — 58, 5 Bde. 4). In 
bie fem Werke, zu welehem er die Materialien ausden niarafien, zum Theil noch unbe 
nußten morgenländifchen Quellen, zu denen er ſich den Weg durch ein umfaffendeg 
Sprachſtudum gebahnt hatte, fehipfte, findet man.niele ? es e über die Sex 
ſchichte des Khalifats, der, Kreuzjüge und des Orients überhaupt, Voii Seiten des 
Fieißes iſt kaum etwas zu wünſchen übrig geblieben; - Dagegen vermißt man, hin und, 
wieder die gehörige Sorgfalt im Styl, einen reinen. Beſchmad und die nöthige Krie 
tie, Die Sprache iſt zum Theil nachläffig behandelt. Ein beffese Geſchmack würde 
die eigenthünnlichen.oriental. Auspruͤcke Eräftiger gegeben haben. Mehr abi ophie 







D 
’ 


Fr . 


* 


* 


war nöthig, um die Dichtungen des Orients zu ergründen, die wahren Triebfeder 
der Ereignuffe zu entbüllen, und die Hauptfacden zu erörtern, über voelche zu oft Teich 
binmeggefchlüpft wird. De G. hat, wie Herbelot, aus einer Maſſe von Handfehrifs 
ten gefipöpft, und iſt, wie diefer, in häufige Wiederholungen und zuroeilen in Wibers 
fprüche verfallen. Bon großem Werth find: ſ. „Memoire, dens lequel on prouva 

ue les Chinois sont nuc colouie egypticane”; eine Überf. deg „Chou-King‘ 
mom Pater Saubif), eines ber heil, Bücher der Thinefen; „L'art militaire des 
Chiuois“, yan Amyot überf, und von de G. heraͤusgeg. in a. m., außerdem 29 Abs 
handl. in den Diemoiren der Akademie, und Beiträge zu den „Notices et extraits 
de la bibliotheque royale”, — S. Sohn Ehretjen, geb. zu Paris d. 25. Aug, 
4759, ebenfallg ein Kenner der chinefifchen Sprache und Literatur, ſchrieb zahlreiche 
Abhandlungen darüber, Er ging 1784 als Refidene nach China, ‚begleitete 1794 
die Holland, Geſandtſch. nach eting und kehrte {801 nach Frankreich zurüd, Er 
fcgrieb „Voy. à Pekin, Manille et Pile de Frauce” (Maris 1808, 3 Bde). Sein 
„bictionnaire ohinois, frangois gl latin” (Paris 1813 Fol.) ift in der typograph 
Ausführung ein Meijterwerk.und wird uͤberha el haͤtft. De 
. Builleminot.Armand Tharles, Sraf), Senerallieufenant, feig dem Ich, 
4823 Pair von Frankreich, geb, in Belgien d. 2. März 1774, erhielt eine forgfültige 





sss ER Guillemiet 


Erziehung. Wei den Aufſtande der Brabanter gegen’ ſtreich ITH0 ſocht er in den 
Reihen der Patrioten und floh, als diefe —e Macht unterlagen, nach Frumk⸗ 
reich, wo er in dem Generaiſtabe des Sen, Dumouriez eine Anſtellung erhlelt. Nach 
dem Abfalle Diefes Feldherrn in Lille verhaftet, rettete er fich durch die Flucht und 
verbarg fich in den Reihen des franz. Heers. Hier nahm ihn Moreau in f. Generals 
fab anf; G. blieb daher deſſen dankbarer Anhänger auch im Ungläd. 1805 flellte 
hn Napoleon bei de Heere in Deutfchland an und ernannte ihn 1806 zu f. Slüs 
geladjutanten. 1808 diente &. in Spanien, als Chef des Generalſtabs des Mar: 
ſchalls Befficres; und wurde nach dem Siege bei Medind det Rio⸗Seco Brigadege⸗ 
neral und Dfficier der Ehrenlegion; 1809 erhielt er von Napoleon eine Sendung 
an den perſiſchen Sof, blieb einige Zeit im Orient und darin mehre Monate zu Kon: 
nopel; ‘daher trägt er dem rurk, halben Mond: und den perf. Sonnenorden. 
n den Felbzügen 1812. und’ 1813 jeichnete er fich aus in den Schlachten an der 
oskwa, bei Lüßen, Baugen uf. w. Insbeſondere ſchlug cr (28. Sept. 1818) 
ben Angriff der Schtoeden auf Deffau zurüd, wofuͤr ihn Napoleon zum Diviſions⸗ 
generaf erhob. — Nach der Reflauration gab ihm Ludwig XVIN, das große Band 
er Ehrenlegion und pas Lubwigskreuz, auch ernannte er ihn bei Napoleons Rüd: 
kehr —* um Chef des Beneralſtabes der Armee, die der Herzog v. Berry befeh: 
figen ſollte. Diefelbe Steffd bekleidete er bei dem’ Heere, das im uni 1815 unter 
den Mauern von Paris aufäihmengegogen wurde, und er unterzeichnete in 
des Marſchalls Davouft die Capitulatſon von Paris, Darauf warb et zum Director 
des topographifch:miilitair chen Bureaus ernannt und vollzog 1816 u. 17, mit den 
Eommirfarien der Eidgerioffenfthaft, nach Vorſchrift des Friedensſchluſſes von 1815, 
die neue Grenzbeſtimman zeiten Frankreich und ber Schweiz. In dem Kriege 
mit Spanien 1823 erhielt‘ ‚auf Berlangen des Seneraliffimus, Herzogs von Ans 
goulenye, gegert den Willen des damaligen, ſelbſt dazu beftimmten Kriegeminifters, 
erz. v. Beumo, den Poſten eines Major⸗Generals des franz. Heeres. In dieſer 
igenſchaft leitete er den ganzen Feldzug, vom 7. Apr. an bie fung des 
Königs Ferdinand (1. Det, 1823), der ihn dafuͤr mit f. Orden befohnte. Hierauf ver: 
theilte G. das franz, Befhgungsheer In fpanifche Seffmgen, ſchloß über die Verpfle⸗ 
umg deſſelben uf den Feld & forte über andre Segenflände, mit der fpanifchen 
Regierung eine Übereinkunft Ab, und kehrte erft in der Mitte des Der. nach Paris 
aid, wo ihm der Geſand Saftepoften In Konftantinapel gegeben wurde, da es dem 
Minifters Präfidenten yon Villoͤle nicht gelungen war, ihn Ru Kriegsminifter ers 
nennen zu kaſſen. ©. hatte naml. durch die Ordonnanz von Andufar(8. Aug. 1823), 
welche der willkürlichen Befandhmg der Sonftitutionnellen von ®eiten der fpanifchen 
Behörden der Regentſchaft Einhalt thun folfte, den Freunden des abfoluten Syſtems 
ſich mi fallig gemacht. Dagegen jeichnete der 233 v. Angouleme ihn durch fein 
volles Vertrauen aus. Penn ‚hatte als Major⸗General das Syſtem, in Spanien 
durch Maßlgung zu flegen, den holitiſchen Fanatismus der Glaubensſoldaten ımd des 
Pobels in Schranken zer halter, und durch eine liberale militairiſche Diplomatie die 
anifchen Heerfuͤhrer Moritlo und Baffeftetos; ſowie die Fefhngsbefeßlshaber zum 
apituliren zu bemegen, und bie Mitglicher der Cortes unter fich zu entzweien; Flug 
durchgefüßrt, und den Zielpundt des ſechsmonatlichen Feldzugs, die Unterwerfung 
von Sadir, gluͤcklich erreicht. — 1828 Fam ©, von Konflantinopel nach Paris, um 
in dem Ouvrard ſcheun Proceffe, der die Zieferungscontracte für das frangdf. Heer in 
Spanien betraf, fich vor dem Pairsgerichtshofe mn verantworten.- reigefprochen, 
Eehrte er in Aug. d. J. nach Konſtantinopel zuruck. Hier unterbandelte er und ber 
brit. Botſthafter gereinfchaftfich mit der Pforte über die Vollziehung des londner 
Vertrags vom 6. Jult 1827, Beide verließen, weit der Sultan nicht nachgab, ins 
Decbr. 1827 Ronflantinopet und.gingen nach Neapel, von wo G. nebfl dem neuen 
Brit, Botfchofter, S. Rob, Sorden, im Juli 4829 nach Konflantinopel zurüd: 


Guilloline Guinea 939 


Sehen und das Bermittelungsgefchäft in der yriechifägen She‘ aufge Neue übers 
nahm, ::&. iſt einer der unterrichtetfien from, Offlciere, und man hat von ihm 
eisie Geſchichte der neuern Kriege zu erwarten. 
Gwiltot ine. Diefe Koͤpfmaſchine wird irrig für ine während der Revolu⸗ 
ton von dem Arzte Guillotin zu Paris gemachte Erfindung gehalten; ebenfo 
faiſch iſt das gewoͤhnliche Urtheil Uber dieſen Mann von firunger — — 
der, zu Saintes den 28. Mai 1738 geb., vor der Revolution iR ziemlicher Dunkel⸗ 
beit iebte. Durch f. Bittſchrift der 6 Corps, für die er von Seiten der Regierung 
verfolgt wurde, zog er die Theilnahme des Volks, das ihn im Triumph aus dem 
Gerichte zurünfführte, auf fi und wurde sum Mitgliede der Mationalverfimmlung 
emannt. Er zeichnete ſich durch f. Charaktermilde aus; fo war auch im Geiſte der 
Humanitãt fein Bericht über das peinliche Geſetzbuch am 1. Dec, 1769 abgefoft; 
wortn er flaft des qualvollen Stranges jene Muſchine vorſchlug, die feinen Namen 
etbielt. G.ſtatb di 26. Mat 1814 In Paris wis einer der gefchickteften Ärzte. Wie 
Prater Labat in ſ. Reifen erzahlt, iſt die Guillorine eine perfifche Erfindung.‘ Dep 
fie auch In Europa ſchon fr&h debraucht wurde, beweiſen alte Ergäßfungen und Den 
miler. Konradin von Schwaben wurde zu Neapel nicht Durch das Schwert, fopberh 
alten Nachrichten zufolgedurch eine Aet von Guillorine enthauptet, die man bie weis 
fede Falle nannte, ımd deren Gebrauch überhaupt in Italien nicht ungewoͤhnlich war: 
Auch in Deutfehland, Böhmen, Englard und a. Rindern fannte man fie: In Patis 
sourde am 25. April 1792 der erfle Berurtheifte mit:der Guillotine hinderichtet. 
Hernach kamen tragbare Guillotinen in Gebrauch, welche von Ort zu Ort gebra 
und aufgerichtet wurden. Schon in Altern deutſchen amd engl. Werken findet m 
die Griflotine abgebildet. Indeß hat Guillotin's Einrichtung die wefentliche Abwei⸗ 
chung der fchlef gerichteten SchneidedesFallbeils, ſodaß der Hals des Hinzurichtenden 
wirklich abgeſchnitten, nicht abgeſtoßen wird, wie bei der Altern Maſchine. 
Gun ea, ein großes Kuͤſtenland in Weſtafrika, deſſen Grenzen verſchieden 
beſtimmt werden, Die Holländer rechnen Senegambien dazu und nennen vom Cap 
Blanco, 24° N. B. an, die ganze Küfte bis hinunter nach Congo und ange nis 
nen. Nach den Franzofen liege Seinen zwiſchen dem Cap Monte 111° 9 und 
den Cap Lopez. Die Engländer belegen den Strich zwiſchen dem Gambia, 124°, 
und dem Palmenvorgebirge, 4° N. DB, mit dem Namen Ober: oder Nordquinea, 
amd Sädguinen erſtreckt ſich dann vom Palmenvorgebirge big zum Cap Lopez. Es 
edört demnach, wenn wir diefe Beſtimmung anriebinen, Vie Hälfte von Senegams 
ien, das Land der Fulahs, Sierra Leona, Sanguin, die Küener⸗ Zahn: und Gold⸗ 
Eüfte, die Reiche Dabomey, Whida, Benin, Ovare, und die unbetannten, 5 M. B. 
und 1° S. Bo zu Guinea. Das Land erſtreckt fich alſo beinahe 500 Seemeilen an 
der Küfte Hinunter und wird von den verſchledenartigſten Volkern bervohnt. Da es 
zum Theil unter dem Aquator liegt, fo iſt die Hitze das ganze Jahr hindurch außers 
ordentlich groß, Nehmen wir jedoch die Gegend um den Sambia aus, welche, wie 
die ganze Küfte bie an den Rio Grande, fehr niedrig und daher ungefund ift, fo iſt 
der größte Theil des Landes an ſich gefünder als manche andre Gegend zwiſchen den. 
Wendekreiſen. Die gegen Weihnachten einfallende Harmatta⸗ (trockene Winds) zeit 
iſt die Fühlfte tim Fahre. Das Innere des Landes ift wenig befannt. Nur die Um⸗ 
gebungen der europ. Niederlaſſungen am Sambia, auf Bulam, in Sierra Leona, 
auf der Soldfüfte und in Benin, find neuerlich befannter geworden, vorzüglich das 
£and der Aſhantis durch den Engländer Bowdich 1817. Entdeckt wurden diefe Lanz 
der zuerſt 1455 durch den Venetianer Cada Moſto (f.d.), in Auftrag des Infam 
ten Heinrich, Die Portugiefen haben im füdlichen Theile die meiften Ntiederlaffuns 
gm; die Engländer, Holklander umd Dänen auf der Goldkuͤſte; die Sranzofen am 
mbia und in Benin; fügar die Preußen errichteten unter dem großen Rurfürften 
3 Niederlaffungen auf der Soldküfte, die fle indeß noch 30 J. wieder an die Hollan⸗ 
der verkauften, Unter den verſchiedenen Gebieten, in welche Guinea eingeteilt wird, 


90 Suine . Quiscard 


iſt die Pfefferoder Rörnerfüfte merkwuͤrdig. Sie erſtreckt ich 100 Seemeilen 
weit vom Cap Mefurgdp bia zum Palmenvorgebirge und iſt im Ganzen flach, wel: 
dig und von vielen Ztromen durchmüffert: Den Namen hat diefe Küfte vonden Pas 
radieskornern und dem langen Pfeffer (Malagunete), zweien Arten Amemum, bie 
haufig wachſen und als ein beliebtes Sewürz ausgeführt werdem Sie wird zum 
Theil von den Eriegerifehen Yolofs (Jaloffen) bewohnt, den ſchwaͤrzeſten und größten 
unter allen Itegern, dann yon ben weit verbreiteten Fulahs und vielen andern Völkern. 
Faſt alle find eigentliche Neger, der mohammebdanifchen Religion zugethan und wer⸗ 
den von ihren Häuptlingen voflig despotifch fein. Einige unter ihnen, befanders in 
der Naͤhe es Rio Seſtos, find von ſanſteren Sitten und’ treiben Handel mit den Ge⸗ 
würzen ihres Landes, mit Elfenbein, Leder und Goldſtaub, aber auch mit S£laven, 
Hier Habgwdie Nordamerikaner ins Lande Sanguin dieNegercolonie Liberia, ähnlich 
her britifchen auf Sierra-Leonz (frd.) „gegründet, Weiter ftlich erſtreckt ſich die 
Ifenbeinfüfte 140 Seemeilen weit vom Polmenworgebirge bis nach dem Cap Apol⸗ 
fonia, Hier gibt es Feine europ, Niederlaſſung, dech handeln die Einw. vorzauglich mit 
Elfenbein, auch mit Gold, Salz Baumwolle, yndige, Palmenwein, Reiß und mans 
ge Gewürzen, Dann folgt die Goldküſte, die weſtl. vom Cap Apollonia bis zum 
Rio Volta eine Ausdehnung von 60 Seemeilen has. Hier liegen die Negerſtaaten 
Apollenia und Axim mit dem bollind. Kort St.» Anton umd a, holland, Niederlaffuns 
ge unter melchen St..Seorg de la Dina-die pistane iſt. Die vornehmfle brit, 
efisung und Feftung auf diefer ‚Rüfte heißt Cap Coaſt Caſtle (auch. Cabo Corſo 
annt), bekannt durch den blutigen Krieg mit den mächtigen Afbantis ([.d.) 
323. Die ganze Küfte, ſowie das Innere des Landes, iſt außerordentlich volkreich. 
Nach der Goldkuͤſte folgt die Sklguenfüfte, die von Rio Volta bis Rio Logos etwa 
48 Seemeilen weit fich erſtreckt. Die beiden Hauptfinaten Whida und Dahomey 
find mächtig und volfreih, Engländer, Holländer und Dänen haben hier mehre 
—55 Über Guinea find, außer Altern Schriften, 4. B. von Römer, Iſert, 
tabartber, des din. Miſſionnairs Monrad „Beitr. zur Schilderung Guineas“ 
(Kopenh. 1822) wichtig: Monrad erklärt ſich nachdrücklich gegen den Sklavenhandel. 
. Buinee, eineengl. Soldmünge, einundzwanzig engl. Schilling enthaltend, 
Aber 7 Thlr. Conp.⸗ Ge. Die erften diefer Munzen wurden unter Karl 11. aus 
dem Golde- geprägt, welches die Engländer aus Guinea holten; daher der Name. 
> Banisen.nd(Kobert), Herzog v. Apulien und Ealabrien, ein Sohn des bes 
übten Tancred v. Hauteville, ward um 1015 geb. Hauteville Hatte-eine Menge 
Höhne, und fe Befigungen in der Normandie waren nur Eleim “Dies veranlaßte ſ. 
3 älteften Söhne, Wilhelm den Eifenarnı, Dagobert und Humphrey, ſich nach Ita⸗ 
lion zu wenden und ihre Dienfle Ben dortigen, in fleten Kriegen begriffenen Yüı fien 
anzubieten, Gluͤck, Muth und Lift verhalfen Wühelm Eifenasm, der die Schwäche 
der ital. Fuͤrſten zu uen verftand, zum Beſitz von Apylien, und Robert Guiscard, 
heranwachſend in diefer Zeit, brannte vor Begierde, Das glänzende Loos ſ. Brüder ia 
Italien zu theilen, Bald fand fich in jener zu Wagniſſen aller Art aufgelegten Zeit 
ein Haͤuflein Abenteurer, das in Hoffnung auf reiche Beute ihm folgte, und Robert, 
dem nicht weniger Muth einwohnte wie ſ. Brüdern, zeichnete ſich in riner Dienge von 
Sefechten fo aus, daß die won feinen Thaten begeifterten Krieger ihn nach feines 
Bruders Humphrey Tode um Grafen von Apulien-augriefen; eine Würde, welche 
Guiscard fein Bedenken trug anzunehmen, obfehon Humphrey's Kinder dadurch 
in ihren Rechten gefränkt wurden, Nun eroberte er auch) Salabrien, in- deffe - 
Beſitz ihn Papft Nicolaus 1, 4057 beftätigte,'dar ihn nicht Tange vorher, wegen fi 
vielfachen Sewaltthätigkeiten, in den Bann gethan hatte, Aus Dankbarkeit machte 
Robert fich verbindlich, dem römifchen Stuble gährlich einen Tribes zu entrichten; 
von daber fihreibt fich dag bis in unfere Zeiten beflandene Lehnrecht des paͤpſtl. 
Hofes über ehe, In Apulien. felbft herrſchte Guiscard mit großer Willkur. 
Dis Sand hatte Fig guf- ihn. mehre Prwilegien nd ein ‚Art: Derfoffung gehabt; 


. .1 J Guiscard x . 55 ' . 944 


-Panse war er aber im Befig, ſo vernichteie er Died Alles, und da Hieriber unter dem. 
:, Adel — denn diefer hatte Damals allein Rechte — Mißvergnugen und Berfchiwd: 
"zungen entflanden, fa beftrafte Robert Mehre mit dem Tode und untermarf die Art: 
dern. Jetzt dachte er auch an die Eroberung Sieiliens, deffen Befis ihm der Papſt 
im Voraus zugefügt hatte. Er fandte deßwegen Yen jüngiten f Brüder, Roger, 
deſſen Tapferkeit fich bereits in manchem Kampfe bewaͤhrt hatte, an der Spitze von 
:300 entfchloffenen Kriegern nach dirfer Inſel, und mit.diefer Eleinen Schar nahm 
-Roger 1060 Mefline. Im folg. J. fehlugen Die beiden Bruͤder vereint Tie Sara: 
‚samen in der Ebene von Enna; die Zroiftigfeiten jedoch, welche unter den Siegern 
-ausbrachen; vernichteten einen Theil der Folgen diefes Siegs. ©. hatte namlich ſ. 
Bruder die Hälfte von Salabrien verfprochen, falls ihm der Zug nach Sicilien ge⸗ 
lange; jetzt wollte er ihm nur ein Paar Staͤdte geben ; und da Roger hierüber unzu⸗ 
frieden war, fo befchloß Robert, den Bruder feſthehmen zu laffen. Die Anhänger 
‚Rogers kamen ihm aber zuvor; Robert wurde felbft gefangen, und Roger war fo 
edelmũthig, dieſen Vortheil nicht zu benußen. Dies brachte ©. zur Befinnung; er 
werſohnte fich mit dem Bruder und gab ihm dns Merfprochene, Roger eroberte num 
faft die ganze Inſel und wurde erfler Graf von Sicilien. ©. belagerte unterdeffen 
die in Unteritalien noch den Saracenen unterworfenen Städte, die fich zum Theil 
Jange hielten, wie Salerno und Bari, vor welchem leßtern Orte ©. 4 J. lang lag, 
der Witterung und den Defahren des Kriegs in einer Laubhütte troßend, die er fich 
‚an den Willen diefer Stadt hatte erbauen laſſen. So gelang es ihm nach und nach, ' 
‚die Provinzen, weiche das heutige Königreich Neapel büben, zufanımenzubringen, 
‚und, er würde ſ. fiegreichen Fahnen noch weiter getragen haben, wäre er nicht wegen 
eines Einfalles in Benevento von Gregor VII. in den Bann gerban worden, was 
ihn nöthigte, feiner Eroberungsfucht nach diefer Seite hin. Schranken zu ferem, 
Die Bertobung f. Tochter Helena mit Konflantin Dufas, dem: Bohn und Erven 
von Michael Vil., gab ihm fpäter Gelegenheit, ſich in die Händel des griech, Kaifere 
reiche zu mifchen. Er ruͤſtete eine anfehntiche Flotte aus, ſandte feinen Sohn Bohe⸗ 
mund zur Eroberung von Corfu und ſchickte ſich ſelbſt an, Durazzo anzugreifen, 
Sturm und anſteckende Krankheiten machten aber dies Unternehmen beinahe ſchei⸗ 
tern, Alexis Komnenus, damals Herrfcher won Stonftantinopel, nahte ſich mit 
einem überlegenen Heere; es fam unter den Mauern von Durazzo zur Schlacht, in 
‚welcher fich der Sieg erft auf die Seite der Sriechen neigtey doch G. ſammelte die 
fliehenden Hauferkder. Seinen, führte ſie von Neuem in den Kauipf und errang einen 
vollfländigen Triumph über den 6 Mal.flärfern Feind. Durazzo mußte fich erge⸗ 
ben, Robert drang in Epirus ein, näherte ſich Theffalonich und verfeßte Die Haupt: 
flodt des Meiche in Schrecken. Mitten auf dieſer Siegesbahn hemmte ihn die Nach⸗ 
sicht, daß Kaifer Heinrich IV. von Deutfihland in Italien eingerückt ſei. Er über: 
gab Bohemimd.den Oberbefehl und. eilte — um Gregor VII., der in der En⸗ 
elsburg belagert warb, gegen die Deutſchen beizuſtehen. Heinrich IV. ward zum 
Ruͤckzuge genorhigt, Bregor befreit und nach Salerno in Sicherheit gebracht, G 
‚eilte nun von neueminach Epirus, wo er die Griechen mehrmals fchlug, ſich mit 
Huͤlſe f. Flotte vieler Inſeln des Archipels bemächtigte und eben. im Begriffe fiand, 
auf Konfiantinspel loczugehen, als ihn der Tod auf der Inſel Cephalonia den 17. 
Juli 1086, im 70 3. f. Alters, von der Welt abrief. Sein Heer zog fich zuruͤck, 
‚and der griech. Kaiſerthron war gerettet, ©.’8 Leiche wurde auf einer Galeere ein: 
ei die bei Benufa Schiffbruch litt, woſelbſt man die UÜberreſte des Eriegeri- 
-fchen Fürſten in der Kirche zum heit, Geiſt zur Narbe brachte. Seine Söhne Bobe- 
‚mund and Roger theilten fich, nicht ohne Hader, tm die von ihrem Water eroberten 
‚+ Bänder, ſodaß der Erftere Tarent, der Andre Apulien:befam. - Robert ©. hinterließ 
den Ruhm, die Wiſſenſchaften befchüßt zu haben und in f. PrivciverhAmi ſſen fters 
vgqetungswerth geweſen zu ſein. Seiniffugsres mar. kriegeriſch und kraftig; ſ. Ta⸗ 
oferkeit ibegrenzt. Die hohe Schgur von Salerno. neunt ihn ihren Stifter. 


N 


. 942 Guifchard Guife (Franz, Herzog v. Lothringen) 


Buifhard (Karl Gottlieb). Dieſer u. d. N Auintus Jeiliws be 
Eannte Liebling Friedrichs 11. war 1724 zu Magdeburg geb., fludirte zu Halle, 
Marburg, Herbern und Leyden Theslogie, alte Literatur und orient. Sprachen, trat 
aber 17147 als Jahnrich in fachfen : Hildburghaufifche Dienfte , hielt fich feit 1754 
141 J. in er ri ar? 1 57 pr Freiwilliger per 

tedrich I. nahm i als Hauptmann in und gab ihm den 

Dlamen Duintus Jcilius. Als Major eines Freibatsillens wohnte er den Feldzuͤ⸗ 
gen von 17159 und 17160 bei, und führte die ihm ertheilten Aufträge fo. gefchidtt 
aus, daß der König ihm zu Leipgig ein Freiregiment von 3 Bataillonen und 
den Auftrag gab, noch T andre Ereibotoillone ju errichten. 17160 u. 1762 war er 
bei der Armee des Prinzen Heinrich und leiſtete die ihm obliegenden Dienfte bis an 
das Ende des Kriegs unter großen Gefahren. In Sachfen beſchuldigte man ihn 
jedoch vieler Erpreffungen. Nach hergeſtelltem Frieden ward fein Regiment 17763 
am Tage des Einmarfches zu Berlin aufgelöft;, ihn aber behielt der König bei fich 
zu Potsdam und ernannte ihn 1765 zum Oberfilieutenant in ber Armee. Er war 
einer von den wenigen Männern, rdelche der Konig feines vertrauten Um 
würdigte. Mehre Anekdoten geben Beweiſe Davon; doch mußte er fich auch Bi 
von den Lauen des Königs gefallen laffen, der ihn zumeilen mit beigendem Scherz 
angriff. Er ſtarb 1775. In f. „Memoires militaires sur les Grecs et les Ro- 
mains” und inf, „Memoires critiques et historiques sur plusieurs-points d’an- 
tiquites militaires” hat er eine Menge Irrthuͤmer des Chevaliers Folard gegeigt. 
BGuiſe, der Name einer berühmten herzogl. Familie in Frankreich, eines 
Mebenzweigs des lothringifchen Hauſes. Elaude v. Guiſe, der zweite Sohn des 
Herzogs Renatus v. Zothringen, geb. um 4496, ließ fich in Frankreich nieder ımd 
vermaͤhlte ſich 1613 mit Antoinette von Bourbon, Seine Tapferkeit, f. kuͤhner 
Geiſt, f großen Eigenfchaften erwarben ihm Anfehen und machten ihn zum Grün: 
der eines der erften Käufer in Frankreich. Ihm zu Ehren wurde die Graffchaft Gui 
4527 zum Herzogthum und zur Pairie erhoben, Bei ſ. Tode, 1550, hinterließ er 
6 Söhne und 5 Töchter, wovon die Altefle an den König von Schottland, Jakob V. 
vermaͤhlt war. Den Stanz des Hauſes bob vornehmlich f. ältefler Sohn: Guife 
Granz, Herzog v. Lothringen), geb. 1519, und von einer Wunde, die er 1545 
bei der Belagerung von Boulogne erhielt, und die eine bleibende Narbe auf f. Ge⸗ 
fichte zurüd ließ, le balafre (der Benarbte) genannt. Auf eine ausgezeichnete Weiſe 
bewährte ſich ſ. Muth 15583 zu Meß, das er gegen Karl V. glucklich behauptete, 
obgleich. derfelbe geſchworen hatte, daß er lieber umkommen ols unverrichteter Sache 
abziehen wolle. In der Schlacht von Renti, den 13. Aug. 1654, that er Wunder 
der Tapferkeit. Andre Bortheile erfocht er in Flandern und SYtalien; er ward pım 
Rieutenantgeneral über alle Eönigl. Armeen ernannt. Das Unglüd Frankreichs mim 
derte fich, fobald er an der Spige der Truppen ftand, In 8 Tagen nahm er Calais 

und das ganze Dazu gehörige Gebiet, mitten im Winter, Er entriß die Stadt für 
immer den Engländern, welche fie 210 Jahre Defeffen batten. Darauf eraberte er 
Tpionville von den Spaniern, Er bewies, daß das läd oder Ungluck ganzer Staa: 
ten oft von einem einzigen Manne abhängt. Unter Heinrich II., mit deffen Schwer 
ſter er fich vermaͤhlt harte, noch mehr aber unter Franz Il., war er Herr von Frank 
reich, Die Verſchwoͤrung von Amboife, weiche 1560 von den Proteflanten anges 
fponnen wurde, um ihn gu flürgen, batte den. enfgegengefeßten Erfolg, Das Pan 
Iament gab ihm den Titel eines Retters des Vaterlandes. Erſi nach dem Tode 
Franz Ik. verminderte ſich fein Anfehen , ohne jedoch fich ganz zu verlieren. Seit 
jener Zeit bildeten fich die Parteien der Sonde und Guiſe. Auf der Seite von Diefen 
fanden der Connetable v. Montmorency und der Marſchall v. Saint: Andre; aufder 
Seite von jenen die Proteflanten und-Keligny. Ver Herzog v. Guife, eh ebene 
+ifriger Katholik ale Feind der Proteſtanten, beſchloß, de mit de n in der 
Hand zu verfolgen, Nachdem er den 2: Marz 1562 bei Vaſſi über die Birengen der 


u Guiſe (Heinchh, Herzog p. Lothringen) Mi 


Ehimpagnergeoängen: wat, faud ar die Cainifen , welche in einer Schener die 
Pſfaltnen von Maroe fangen. "Sen Geſolge brleidigte fie, man ward bandgemein, 
und faft 60 diefer Ungluͤcklichen wurden .getödtet, und 200 verwundet, Dieſes uns 
erwartete Ereigniß entzündete den Bürgerkrieg im ganzen Rönigreiche, Der Herzog 
9. Guiſe nahm Rouen, Bourges und gewann die Schlacht von Dreux den 19, Dec. 
1562. Am Abende nach dieſem Siege blieb er ohne alles Migtrauen in demfelben 
Zelte mit dem gefangenen. Prinzen Coddé, theilte mit demfelben f. Bett und fchlief 
rubig an der Seite ſ. Gegners, in welchem er jeßt nichts mehr als einen Verwand⸗ 
sen und Freud ſah. Damals war der Herzog auf dem Gipfel ſ. Gluͤcks. Er ruͤ⸗ 
flete fih zur Belagerung von Orleans, welches der Mittelpunkt der proteſtanti⸗ 
ſchen Partei und ihr Waffenplatz wer, als ein Piftolenfchuß von Poltrot de Me: 
rey, einem bugenottifehen Edelmann, ihn am 24. Febr. 1563 tödtte. 

* Suife (Heinrich, Herzog v. Lothringen), ältefler Sohn des Borgenannten, 
war 1550 geb. Seinen Diuth bewies er zuerſt in der Schlacht von Jarnac, 1569. 
Seine fchöne Geſtalt gewann ihm alle Herzen. Er fiellte fih an die Spike eines 
Heeres unter dem Vorwande, den —5 — lauben zu vertheidigen, und rieth zu 
dem graufamen Blutbade in der St-Barıbelomäusnacht (1572). Um ſich pers 
fonlich gu rächen, wollte er bie Ermordung Colignys auf fich nehmen, den er den 
Mörder feines Batersnannte. 1516 bildete fich die Ligue, eine zuerft von feugt 
Oheim, dem Tarbinal von Lothringen, entworfene Verbindung, Dean legte zu 
dem Ende den eifrigſten Buͤrgern von Paris den ‘Plan zu einem Bundniſſe vor, dgs 
angeblich die Vertheidigung der Religion, des Königs und der Freiheit des Stanis 
zum Zweck haben follte, wirklich aber. die Unterdrückung des Königs und des Staats 
beabfichtigte. Der Herzog v. Guiſe, der fich auf Srankreichs Truͤmmern erheben 
wollte, entflammte die Aufrührer, erfocht mehre Siege fiber die Calviniften und 
ſah ſich bald im Stande, feinem Fürften ſelbſt Geſetze vorzufchreiben. Er zwang 
Heinrich II, alle Freiheiten der Hugenotten gu vernichten, und ging in feinen ge⸗ 
 bieterifchen Foderungen fo weit, daß der König ihm endlich verbat, nach Paris zu 
kommen. Dennoch erfdien er daſeibſt 1688 und zwang den König, die Stadt zu 
verlaffen und einen Vergleich mit ihm zu fehliegen. Aber beraufcht von dieſem 
Triumphe, folgte er nicht mehr der Kiugheit, fondern ließ nur zu deutlich wahrneh⸗ 
men, daß er nach der höchften Gewalt firebte, Eine Folge jenes Vergleichs war der 
Mieichstag zu Blois, Der König, auf die herrfchfüchtigen Plane des Herzogs aufs 
mertfam gemacht, berieth fich mit feinen Bertrauten, d' Aumont, Rambonillet und 

inNangis, und alle Drei waren der Meinung, daß man ihm einen formli⸗ 
hen Proceß nicht.machen könne, fondern ihn heimlich aus dem Wege räumen müffe, 
und daß diefe Maßregel durch fo offenbare Diajeflätsverbrechen gerechtfertigt werde. 

Der tapfere Erillon weigerte fich, die Ausführung zu übernehmen. Man übertrug 
fie daher Lognac, erfiem Kammerherrn des Königs und Hauptmann der 45 gascos 
gniſchen Edelleute der neuen Ebnigl. Garde. Diefer wählte I der Entſchloſſenſten aus 
und verbarg fie in dem Cabinet des Königs. Der Herzog wurde zwar gewarnt, und 
fein Bruder, der Cardinal, riet ihm, nach Paris zu geben; allein auf den Rath 
des Erzbifchofs von Lyon, der ihm vorflellte, daß feine Sreunde den Muth verlieren 
üßten, wenn er Blois in einem fo günftigen Augenblick verließe, befchlaß er, das 
ußerfte zu wagen und zu bleiben. Denfolgenden Tag, den. 23. Dec, 1588, ging 
er zum König. Er war ein wenig betroffen, die Wachen verflärkt zu fehen. &o: 
bald er in den erfien Saal getreten war, verfehloß man die Thür. Dennoch behielt 
er feine äußere Freundlichkeit und grüßte die Umſtehenden wie gewöhnlich. Als er 
aber in das Tabinet treten wollte, ward er von mehren Dolchflichen durchbohrt, che 
er noch den Degen ziehen kannte, und mit den Worten: „Gott, erbarıme Dich mei⸗ 
mer”, ſank er ſierbend zu Boden. Er war 88 3 alt. Am andern Tage ward auch 
der Cardinal im Gefaͤngniß umgebracht. Das Feuer des Bürgerkriegs warb durch 


‘ 


944 Ä Buitarte. ’ - Bil... ; 


diefen doppelten Mord nur noch mehr anzeſache, und ter Haß Ver Katholiken 
gegen den König fleigerte fic$ zum Fanatismus. Heinrich von Navarra (Sein 
rich IV.) fagte, als er die That vernahm: „Ware Guiſe in-meine Hände gefal: 
len, ich würde ihn anders behandelt haben. Warum, febte er noch hinzu, hat 
er fich nicht mit mir verbunden; ganz Itallen waͤrden wir vereinigt erebert haben“. 
©. „Les Etats de Blois, ou la mort des MM, de Güise, scönes historiques“ 
"vom Derf. des Barricades (Vitet) (Paris 1828, 3.4). " - 
Suttarre Diefes in der letztern Zeit einmal Mode gemordene, der Laute 
ſehr nahe kommende Inſtrument if zur Begleitung Eleiner Geſange und ie 
der vorziglich paffent. Es Hat 6 Saiten, melde in die Töne G, A. d, g. 

h, e, geflimmt und theils mit den Fingern geriffen;.sbeils mit dein Dänmen 

geftrichen werben, Die beften Guitarrſchulen find von Doiſy, Bartslazzi, Cu: 
liani, einer der größten Gnitarrſpieler, und Lehmann (neue Guitarrſchule). Au: 
ßer Giuliani ſind noch Zechi und von Gärtner als Guitarriſten befannt ge: 
worden, Ein deutſcher Künftler zu London bereicherte die Guitarre an dem 
untern rechten Baden der Reſonanzdecke mit einer. Elayiatur vor 6 Taſten, 

deren Tangenten bei Berührung der Taftert ans dem Schallioche Bervortreten 
und die Saiten kerühren, wie die Hammer eines Pianoforie. Daher Kat diefe 
Art den Damen Pianoforteguitarre erhalten. " 

—Guizot (Franceis), Prof, der neuern Geſchichte an der Akad, zu Paris, 
"geb. 1787 zu Nimes, ein Proteftant, fludirte zu. Senf Philoſophie und deutſche 
Literatur, ging nach Paris, widmete fih den Wirfenfthaften, ward Mitarbeiter 

an gehaltvollen Zeitfehriften, und gab Meils fprachwiffenfchaftliche, z. B. das 

 "„Nouv. Dictionn. des synonymes de Ja langue franc.” (2. 3, 1822), theils 
biographifche, theils auf die Erziehurig und den Zuftand der fchönen Künfle in 
Frankreich Bezug habende Schriften heraus. Erſt 1814, nach der Reflauration, 
betrat er die adminiſtrative Laufbahn, in welcher er, befchüßt von dem Abbe Mon: 
tesquiou, fchnell emporftieg, und als Serteralfecretair im Miniſterium des Innern, 
dann im Minifterium der Juſtiz zu einem großen Einfluß gelangte. Allein die Art, 

- wie er anfangs martche von f, Gonnern betriebene Reformen ausführte, machte ihn 
nicht beliebt. Bei Napoleons Rüdfehr von Elba begleitete er Ludwig XVIII. nach 
Geſnt und ward dafür von dem Kimige zum Requetenmeiſter, 1817 zmm Staats⸗ 
rath ernannt. Don jeßt an zeigte G. gemäßigtere Sefinnungen und gehörte zu den 
fogen. Doctrinairs; allein der Sturz des Miniſters Decazes (f.d.) 1820 hatte 
auch ſ. Entlaffung zur Folge, Denn das von ihn früher, als Montesguiou's 

Schüßling, befolgte Syſtem ward jeßt von den Gegnern der Liberalen gegen diefe 

eltend gemadht. G. wirkte feitdem als Lehrer der Sefchichte und als Schriftſteller. 

Dan fhäßt vorzüglich f. (zum Theil mehrmals aufgelegten und ins Deurfche aberſ.) 

publiciftifch = biftorifchen Schriften, z. B. ſ. „Idees sur le liberte de la presse” 

(1814); f. Bud: „Du gourernement representatif et de l’etat aclael de la 

France” (1816); f. „Essel sur l’histoire et sur l’Etatactuel de l’instraction.en 
' France” (1816); und „Du gouvernem, de la France depuis la restautration et 

du ministere actuel (4. Aufl. 1821). Selne Schrifts „Des conspirations el 

de la justice politique 2, Aufl, 1821) enthält wichtige Thatſachen, die espions 
und provocateurs (Anheger) betreffend, deren ſich die Polizei ale Werkzeuge bedient. 

Aufmerkfamfeit verdierit ſ. Unterfuchung: „Dela peinede mort en matiere poli- 

tique“ (1822). In ſ. „Esseis sur P’histoire. de France”, verbunden mit der 
verb. Ausg. von Mably’s „Observat. sur P’liist, de Fr.” (Paris 1823, 4 Ye) 

geigt er, wie der vaterländifeh gebildete Mittelſtand der Kern, und in Zeiten der &e: 
: fahr die Stüße der Staaten iſt. Auch gab er eine „Collection des memoites re- 

latifs & la revolution d’Angleterre‘‘ ("Paris 1823, in 25 Bon.) heraus, die für die 
"Gegenwart fehr lehrreich iſt; hietauf eine Colleet. des memoires reiatifs&. Phist. 


— 


Guidberg Bun 646 


de France depuis la fondation de la 'monarchie jusqu'au treizieme sidele” (mit 
einer Einleitung u. Anmerf,) in 30 Bdn.s die erfle Sammlung diefer auch für die 
deutſche Sefchichte und die des Mittelalters wichtigen Zeugniffe der Zeitgenoffen, 
1826 fg. erfihien zu Paris f. „Hist. de la revol. de l’Anglet, dep. l’avenement 
de Charles 1 jusqu’ä la chüte de Jacques 11.” — Big zur Kufdebung der Tenfur 
und der Auflöfung der Normalſchule 1822 war ©, koͤnigl. Cenfor und Prof. an 
diefer Bildungsanftalt. Seine Vorträge über die neuere Gefchichte wurden fo’ gern 
bar, daß der Unterrichtsrath fie für das Schuljahr 1824 nicht wieder geflattete, 
Erſt nach dem Sturze des Billele’fchen Minifteriums 1828 trat er wieder als Leh⸗ 
ter auf, und f. „Cours d’hist, moderne” in 18 lecons (Paris 1828) ift ein Übers 
blick des Ganges der Tivilifation in Europa feit dem Mittelalter. Im mu 1829 
ward er ıwieder in bie Lifte der außerordentl, Staatsräthe eingetragen. — Guizot's 
Sattin, Pauline, geb, de Meulan, hat mehre gut aufgenommene Romane und 
einige Werfe über Erziehung gefchrieben; doch fchadete ſie ihrem Rufe durch ihre 
zournalfebbe mit dem Abbe Zalguen dem Verf. von einſeitigen Memoiren über 
Napoleon als General u. Conſul. Auch redigirte fie eine Zeit lang die Theater⸗Art. 
in dem „Publiciſte“. Sie ftarb d. 1. Aug. 1827 zu Paris, 54 J. alt. 20. 
“  Guldberg (Friedrich, mitdem Adelsbeinamen Högh), Prof. und Ritter, 
Sohn des 1808 geftorb. Staatsminifters, Ove High: Huldberg, geb. zu Kopenhas ' 
en d.26. März 1771, iſt einer der originalften dänifchen Dichter. Seine „Drei 
ofen deg Lebens”, eine höchft Tiebliche dee, wurden durch Graͤter's Nachbildung in 
gm Deutſchland ˖ bekannt, und nach Doring's fomol als des Sapellmeifters a 
ompoſitionen in Concerten aufgeführt, Müller in Berlin behandelte es als Volks⸗ 
(led; Buchhändler Campe aber nahm dieſes Sefellfchaftslied in feiner erften und 
richtigern Geſtalt in die von ihm herausgeg. allgemein beliebte Liederfammlung auf, - 
S.8 Lied auf den flerbenden Abrahamſon, das man, in der Alterthumszeitungs 
„Idunna und Hermode“ für 1816 findet, und mehre neuere Lieder find vom Hofs 
muſicus Kuhlau zu Kopenhagen mit Sompofitionen begleitet, durch welche der eigene 
Geiſt der alten dänifchen Bolksmelodien zu wehen ſcheint. Ungemein ſchon darunter 
ſind „Die Blume der Ewigkeit“ („Fvighedsblomsten‘) und „Der Sterbende”. 
„Den Döende‘). Seine früher gefammelten Gedichte kamen 1815 — 16 aufs 
eue in 3 Bdn. heraus und haben, da fie auch mehre profaifche Stuͤcke von gleichem 
Werth enthalten, den veränd. Titel: „Samlede Smaating” (gefammelte Kleinig: 
keiten). Das Neueſte find feine jedem fühlenden Bibellefer höchfiwerthe „Digte over 
bibelske Einner“ (Gedichte über bibl, Segenflände, Kopenh. 1823), für die Ju⸗ 
gend beflimmt, deren Herz und Phantafie fie auch zu ergreifen vollkommen fühig. 
find, Noch verdankt man ihm (während ſ. Aufenthalts zu Rieb die Herausg. der 
„Zeitung für Literatur und Kunſt in den dan. Staaten” vom Juli 1807 bie mit 
dem uni 1810. ©, bat auch den Terenz und Plautus (6 Bde.) überfeg. 81. 
" Gulden, eine deutſche Silbermünge, welche übereinfünftlich 16 Groſchen 
ober 60 Kreuzer gilt. Noch führen andere Müngen von verfechied. Werthe in und 
außer Deutfchland diefen Namen, und find theils Rechnungsmüngen, theils wirkliche. 
So ift ein Gulden in Augsburg eine Rechnungsmünze von 20 Gr. 4Pf.; in Bafel 
414 Gr. 9 a; (Mechfelgeld 16 Sr. 8 Pf.); in Zürich 15 Gr. 6 Pf.; (Wechfelgeld 
471 Gr.; Münze 14 Gr, 4 Pf); ein Sulden zu St.⸗Gallen Rechnungsmünze von 
14 Gr.; ein Gulden in Senf 2 Gr.; in Brabant 11 Sr. 2 Pf.; (Wechfelgeld 
138 Gr.); in Holland 13 Gr.; in Lüttich 3 Gr.; in Oſtfriesland 8 Sr, 4 Pf; 
ein Gulden polnifch in Danzig 6 Gr.; ein Gulden preugifch in Königsberg I Sr, 
6Pf.; ein polnifcher Gulden 4 Sr. (feit 17166; vorber 3 Gr. 4 Pf.); ein preuß. 
Gulden 8 Sr. (feit 1776; vorder 6 Sr. 8. Pf); ein Gulden in Riga 8 Gr.; in 
Trieft 15 Sr. Anfänglich waren die Bulden Goldmünzen, Die zuerft in Florenz 1252, 
auf der einen Seite ınit dem Gepraͤge einer Lilie, auf der andern mit dem Bilde Jo⸗ 
hannes des Täufers, gefchlagen wurden, und ungefähr fo viel ale einen Dukaten 
| Eomverfationd: Lexicon. Vd. IV. ' 60 


J 





946 Gültene Zahl Günther (Johann Epriflian) 


. galten. Daher bat man noch jeßt alte Tübifche Gulden, die 2 Thlr. 21 Or. gelten; 
eine dgl. Münze waren bie rhein. Gulden oder Sülden. Späterhin prägte man klei 
here Goſdmunzen, die en 8. und 4. Theil jener ausmachten, und nannte fie Fleine 
Gulden. Die erften paͤpſtl. Goldgulden find von Johann XXII. Die Eleinen Gulden 
prägten 1551 die rhein. Kurfürften (72 Kreuzer) aus Silber. Man ließ ihnen ten 
Namen, den fie bis jetzt noch führen. Die größeren goldenen Gulden nannte man 
nunmehr zum Unterfchiede Soltgulden oder Soldgülden. Hanover ſchlug feit 1749 
Goldgulden zu 2 Rthlr. Taffengeld. Es gab deren auch Doppelte und viertoppelte, 
üldene Zahl, f. Salender. 

- Gummi nannte man fonft fowol die fchleimigen als auch die harzigen 
Safte, welche von ſelbſt oder durch Einſchnitte aus den Gemwächfen rinnen und au 
ber Luft erharten, Daher die Ausdrüde Gummi Eopal, Gunmi guttä ıc., die gegen: 
kärtig, wo man nur dem trodenen flanzenfchleime diefen Namen beilegt, nicht 
mehr — **— ſollten. Obgleich der Pflanzenſchleim einen vorgiglichen Theil aller 

anzen ausmacht, fo laͤßt er ſich Loch nicht aus allen gleich rein abſcheiden. Einige 

flangen und gewiſſe Theile Lerfelben liefern ihn reichlicher als andre. Ganz rein 
iſt Bas Gummi weiß, —— hart fprode, ohne Geruch und Geſchmack, im 
kalten Waſſer leicht auflösiich. Durch Erwärmung zerfließt es nicht, ſchwillt auf, 
wirft Blafen und dampft; endlich wird es fohlig, ſchwarz und verbrennt. 
BGundling (Jakob Paul, Freih. v.), geb. d. 19. Aug. 1673 zu Hersbrud, 
wohin fich f. Mutter wegen Kriegegefahr geflüchtet hatte, (f. Vater war Prediger 
zu Kirchen⸗Sittenbach dei Nürnberg), flubirte zu Altorf, Helmſtaͤdt und Jena, 
reifte nach Holland und England, und wurde Prof. der Ritterafatemie zu Berlin, 
Darauf fpielte er eine wentg ehrenvolle Rolle an dem Hofe Königs Friedrich Wil⸗ 
beim I. von Preußen. Diefer Monarch, der weder Gelehrte noch Gelehrſamkeit fon: 
derlich fehäßte, hörte von G.'s gründlichen hiſtor. Kenntniffen und Schriften; er 
Hlaubte in ihm einen brauchbaren Zeitungsreferenten und Hiſtoriographen zu finden 
und ernannte ihn PB diefen Würden. Auch war ©. dazu geſchickt; allein f. Stolz, 
f. Dedanterie umd linkiſche Steifheit machten ihn zum Sefpötte des Hofer. eine 
übertriebene Neigung zum Trunf und f. albernes zänfifches Betragen un Zuſtande 
der Trunfenheit machten ihn noch lächerlicher, und er ſank bald zum Hofnarren ber: 
ab, ohne den Titel zu führen und ohne felbft den geringften Wißz zu befigen. Nor 
nehme und geringe Hofleute erlaubten fich die plumpften und entehrendften Scherze 
mit ihm, welche der König zu belachen fich herabließ. Zum Spott erhielt er eine 
Menge Titel der höchften Staats: und Hofämter; doch er war einfältig genug, den 
Epott nicht zu fühlen und nur noch ſtolzer zu werden. G., der zuletzt felten nüchtern 
ward, ftarbd. 11. Apr. 1731 zu Potsdam und wurde zu Bornflädt in einem Wein⸗ 

faffe begraben. ©. Bruder Nicolaus Hieronymus (geb. 1671, geſt. 1729), 
geb. Rath und Prof. zu Halle, war ein feltener Polphiftor, der zu dem Ruhme der 

niverfität Halle nicht wenig beitrug. Seine zahlreichen Schriften tragen zwar fafl 
alle die Spuren der Eilfertigfeit an fich, waren aber für ihre Zeit nicht unwirkſam. 
Guͤnther (Johann Chriſtian), geb. am 8. Apr. 1695 zu Strigau in Nieder⸗ 
fihlefien, zeichnete fich ſchon aufder Schule zu Echweidnig durch ſ. poetifches Talent 
aus. Leider trugen aber die Zobfprüche, tuelche er deßhalb von allen Seiten empfing, 
verbunden mit f. lebhaften und ungeregelten Einbildungsfraft, nur dazu bei, ihn zu 
verderben. Stolz auf Das, was ihm die Gunſt der Muſen mit Leichtigkeit gewährte, 
verfiumte er, fe Geiſt mit ernften Dingen zu näßren, und da ihn zugleich auch ſ. ge 
zwang, auf den Gewinn zu ſehen, fo fing er an, f. ſchönes Talent dem Meiſtbietenden 
preiszugeben. DBergebens tsaren die Ermahnungen f. akademiſchen Lehrer in Wit: 
tenberg und f. Freunde im Vaterlande; er We fort, ein unordentliches und lockeres 
Leben zu führen, perfiflirte Die, fo ihm Borftellungen machten, in bittern Satyren 
und ward endlich Schulden wegen feftgefegt. Als er f. Freiheit nieder erhielt, ging 
er nach Leipzig, wo er an Menke einen Vefepüger fand und ſich eine Zeit lang fo gut 


/ t 


Günther (Johann Arnold) | 947 


benahm, daß man hoffte, er werde endlich dem wuͤſten Leben entſagen. In dieſer 
Periode verfaßte er ſ. Gedicht zur Feier des Friedens, welchen der deutſche Kaiſer da⸗ 
mals mit den Türken ſchloß, wodurch ſ. Ruhm als Dichter allgemeine Ausbreitung 
erhielt; darauf ward er von Menke dem Könige v. Polen und Kurf. v. Sachfen em⸗ 
pfoblen, der den jungen Poeten felbft Eennen lernen und für ihn forgen wollte. Der 
Wirbel eines liederlichenTreibeng hatte aber den Ungluͤcklichen ſchon wieder ergriffen. 
Als er in Dresden ankam und dem Könige vorgeftellt wurde, war er dermaßen bes 
trunfen, daß er fein Wort bervorbringen konnte, und der Monarch ihn mit Verach⸗ 
tung entließ. Auch Menke, empört über ein folches, ihn felbft compromittirendes 
Benehmen, 309 f. Hand von ihm ab, und ©, irrte von nun an, immer tiefer in Elend 
und Ausſchweifung verfinkend, heimathlos umher, von den Wohlthaten f. Bekann⸗ 
ten lebend und außer Stande, fich durch einen feften Entfchluß aus der Tiefe, in wel: 
cher er verloren ging, zu retten. Er ftarb zu Jena d. 15. März 1728, kaum 28 J. 
alt, im Elend. Sein Talent war fo groß, daß felbft in den legten Augenbliden feines 
in Jammer und Gemeinheit verfinfenden Lebens der ihm inwohnende Sötterfunke 
wie ein Blitz durch die Macht hervorbrach. Nach f. Tode fam eine Samml, f. Ge 
dichte Beraus (B. Aufl, 1764). Die angeblich von ihm felbfi verfaßte Geſch.ſ. Lebeng 
und fe Wanderungen, der einige Briefe von ihm an Freunde angehängt find, erſchien 
Leipz. 1732, Vgl. Franz Horn’s Auffaß über ©, in den „Sreundlichen Schriften”, 
Günther (Johbann Arnold), Licentiat der Rechte, Senatsrder Stadt Ham⸗ 
burg, defelbft geboren d. 9. April 1755 und geft. d. 20. Aug. 1806. — In ſ. Er⸗ 
ziehung von einem vermögenden, aber ſtarrſinnigen Vater vernachläffigt, ging er in 
der literar. Bildung unter ſchweren Kämpfen mit dem Schidfal, das ihn zu einer 
dem höheraufftrebenden Seiftunangemeffenen, niedrigen Sphaͤre verurtheilen wollte, 
unter hartem Geiſtesdruck und peinlichen, f. Phyſiſchen höchft nachtheilig gemorde: 
nen Derfagungen ‚aller Art, ald Autodidaftos aus fich prof bervor. Mach in 
Böttingen vollendeten Studien ya: ganzes Leben ſ. Mitbürgern geweiht. Durch 
meiſtens freiwillig übernommene Se chäfte öffnete er zuerft fich felbft Diefe rühmliche 
Laufbahn. Hierzu fand er in der Hamburger (1765 geftift.) patriotifchen Geſellſchaft 
zur Beford. der Künfte und nügl, Gewerbe, der er beif, Rüdkehr nach Hamburg 
17180 beitrat, die nächfte Veranlaſſung, ſowie in dem Kreife ihrer Stifter, Büfch, 
Keimarus, Kirchhoff, Volkmann, Sonnin und a, edeln Dinner, gewichtige Mit⸗ 
arbeiter zur Gründung und Vollendung fo mancher gemeinnügigen Staatsanſtal⸗ 
ten, die Fi Hamburg, und als Mufter für andre Staaten, aus diefer Gefellfchaft 
Deruorgingen und befonders durch G.'s fchaffende, leitende und ordnende Hand in 
irffamfeit gefeßt wurden. Dahin gehören die Vorarbeiten zu der allgemeinen 
Armenanftalt, die Stiftung der Ereditcaffe für Erben und Grundſtücke, die der all: 
emeinen Verforgungs: und die der technologijehen Lehranftalt, die verbefferte und 
iterte Anordnung der Rettungsanftalt für Ertrunfene und Erftidte, u. a. m. 
Für diefe u. a. Segenftände der Staatswirtbfchaft und Polizei verfaßte. G. theos 
retifche und praftifche Schriften, die zum Theil ungedruckt und dem Auslande ums 
befannt geblieben find, In den genannten Fächern frhrieb ar von 1788— 91 
auch für die „Allgem. Jenaiſche Literatur-Zeitung” 153 R.cenfionen, worunter fich 
vollendete kritiſche Abhandlungen befinden, forte aͤhnliche Muffige für die meiften 
bierin eingreifenden, Damaligen deutfchen Zeitfchriften. Auf Beranlaffung einer zu 
Wien ausgefegten Preisfrage arbeitete G. 1789 f. wichtiges, man möchte fagen, 
feft zu tief ergründendes Werk über den Wucher aus, und gewann damit, unter 
80 Beantwortungen, den Preis. Es erfchlen 1790 u. d. &.: „Verſuch einer volls 
fländ. Unterfuch. über Wucher und Wuchergefege und über die Mittel, dem Wu⸗ 
cher ohne Strafgefege Einhalt zu thun“ (1 Th, Wucher in zinsbaren Seldanleis 
ben). Don der Vollendung diefes Werkes mögen ibn, der fonft nichts halb.that, 
ſpaͤterhin ihm BI öffnende philefophifche Anfichten dieſes Gegenſtandes abgehalten 
baben. Zum Mitgliede des hamburger Senats erwaͤhlt, blieb er 008 bier, fo yir 


N ‘ 


948 Gurlitt 


eine dadurch mehr gebundene Wirkſamkeit es zuließ. der edelſten Semeinnüßigfeit 
treu, die der Grundſatz und die Freude f. Lebens war. Bei einem fortwaͤhrend 
kraͤnklichen Körper arbeitete er bis ar f. Tod unermütet in den feinen Erfahrumgen 
und Kenntniffen angeeigneten Zeigen der Staatsverwaltung, einmal aufgefaßte 
Plane mit immer gieicher Pünftlichfeit, weifer Zeiteintheilung und Leichtigkeit um 
Arbeiten bebarrlich durchführend. Zwei f. verdienftlichften Amtsarbeiten waren die 
vollſtaͤndigen Materialien zu einer Medicinal⸗ und zu einer Zeuer: Coffenortnung, 
woraus erft 15 J. nach f. Tode der vollendete Bau Diefer beiten neuen 
ſtalten in Hamburg größtentheils hervoraing. In f. letzten Willen ſchenkte er ſ. be 
fonders in der Sefchichte, Länder: und Bolferfunde, den Staatewiffenfchaften, der 
Technologie und Kunft reichhaltige, aus 8000 B. beftehente Bücherſammlung 
der hamburger patriot. Geſellſchaft zur Beford. der Künfte u. Gewerbe, der er uf. 
erften bürger!. Bildung fo Manches, und bie ihm in f. 40jähr. Zeitung ihrer Ge 
ſchaͤfte von 1780 — 90 fo viel verdanfte, indem er mit f. Freunde Dreyer, durch 
eime neue Organifation, ihren dauernden Beſtand gründete, Selbſt jenes Ber 
maͤchtniß trug dazu bei, intem die Sefellfehaft Dadurch die erfte Veranlaſſung zu 
: dem von ihren Mitbürgern freigebig ımterftüßten Anfauf eines wohleingerichte⸗ 
ten Hauſes erbielt, um darin die Sünther’fche Bibliothek, mit der ihrigen int ihren 
übrigen reichhaltigen Sammlungen vereint, zweckmaͤßig aufzuſtellen. — Ss 
Freund und Mitarbeiter an mehren patriot. Inſtituten, der Domberr Meyer, hat 
4810 inf. Schrift: „Johann Arnold Günther. Ein Lebensgemälde”, diefen ham⸗ 
Burgifchen Patrioten und Staatsmann treffend’ gefchildert. Auch gab er aus den 
Binterlaff. Schriften G.s f. auf einer Reife 17196 geführtes Tagebuch u. d. T. 
heraus: „Erinmerungen aus den deutfchen Kriegsgegenden, der Schweiz und den 
angrenz Ländern” (Hamb. 1806), das feharf: und freifinnige Beobacht. enthält. 
Gurlitt (Johannes Gottfried), D. der Theol. Director und erfier Prof. des 
Johanneums zu Hamburg, und Prof. der oriental. Sprachen am Gymnaſium daf, 
geb zu Halle d. 13. März 1754, erhielt ſ. erfte Bildung auf der Thomasſchule zu 
eipgig. Die gelehrte Ausbildung gber für die Univerfität erlangte er unter dem 
Mector oh. Fr. Fifcher, deffen gruͤndl. pBilolog. Gelehrſamkeit und firenger rechtli: 
her Charakter ihm zum Borbilde wurten. Im 19. J. bezog®. 17173 Lie Univer: 
fität Leipzig. Als akadem. Bürger feßte er f. philolog. Studien mit dem angeſtreng⸗ 
teſten Fleiße fort und verband damit die theolog. und philoſoph. unter Leitung eines 
Morus, Platner, Sammer u. A. In der Theolagie herrſchte Damals die heftigſte 
Derfchiedenheit der Meinungen. G. der fchon früh die Wahrheit jenes berühmten 
Ausfpruchs des Malebranche erfannt hatte, daß Zweifeln der erfle Schritt zur 
Weisheit fei, und folglich feiner Dteinung ohne eigne Prüfung zu huldigen ge: 
wohnt war, wohnte forvol den fireng orthodoxen und faft ſchwaͤrmeriſchen Vorleſun⸗ 
gen des Cruſius als den völlig entgegengefegten des _gelehrten J. A. Ernefti bei. 
ging aus langer u. gewiffenhafter Prüfung für ſ. Überzeugung endlich die freie 
fe rationalift. Anficht in theolog. Slaubensfachen hervor: eine Anficht, welche ſtets 
fein Eigenthum geblieben if. Dach beendigter afadem. Laufbahn wählte ihn 
Reſewitz, Abt zu Kiofter::Bergen bei Dtagdeburg, 1778 zum Oberlehrer am Pada⸗ 
ogium diefes Klofters; 1786 rückte er in den Convent, und Khon 1779, als der bie- 
ige Reetor Jona f. Amt verließ, erhielt er in Berbindimg mit dem Mathematiker 
Lorenz !die gemeinfchaftl. Berroaltung des Nectorats, bis 3797. 1794 fand dis 
Unterfuchung aller Schulen des preuß. Staats durch Hermes und Hilmer, in Hin 
ſicht auf theolog. Lehre flatt; auch Klofter-Bergen ward von ihnen befücht, und 
wenn gleich die dort berrfchende freie Lehrart Diefen Eiferern wenig zufagen mochte, 
.fo erhielt dach deshalb das Kloſter kein tadelndes Refcript; dagegen ward auf An: 
ftiften von Hermes eine „Recherche” des dortigen Schulweſens durch den Minifter 
Wollner verordnet. Unter Denen, die Damit beauftragt roaren, war es Hecker befon- 
ders, der G.'s Werth erkannte, und auf deſſen Betrieb er 1797 zum Prof. und 


U 


Pr 


Sußfapt Guſtav I. 949 


Director des Paͤdagogiums mit ziemlich, ausgedehnten Rechten ernannt ward. Oft 
sourden ihm Anerbietungen zu andern Ämtern gemacht, jedoch ohne Erfolg, bis ihn 
1802 der Senat von Hamburg zum Director des Johanneums u. Prof. des Gym⸗ 
nafiums berief. Es ward ihm zwar ſchwer, Klofter:Bergen zu verlaffen, aber der 
Blick in die Zukunft verhieß unter den damal.Umfländen feine erfolgreiche Thätigfeit _ 
mehr, Als ©. fein Amt in Hamburg antrat, bedurftedie Schule daſelbſt einer gaͤnzli⸗ 
hen Reform. .Wie er diefe mit Beihülfe f. Obern herbeigeführt, wie er durch uner⸗ 
miüpdliche Thätigkeit und durch ein auf fefte Grundſaͤtze gegründetes Verfahren diefe 
Anftalt endlich zueiner der blübendften Deutfchlands gemacht, das näher auseinan 
zufeßen, gehört in eine Schul: Geſchichte. Überhaupt ift feit ſ. Wirkfamfeit wiſſen⸗ 
ſchaftl. Streben und gründl, Wiffenfehaft in Hamburg allgemeiner verbreitet; theo⸗ 
Iog. Aufklärung aber insbefondere zu befördern, hielt G. fich von jeher für verpflichtet, 
vorzüglich als Prof. des afadem, Gymnaſiums (weßhalb ihn auch die heimflädter 
Univerfität 1806 zum D. der Theol. ernannte), Er farb zu Hamburg d. 14, Juni 
1827. Aus f. Nachlaffe bat C. Müller Spittler's „Geſch. der Hierarchie” und deſ⸗ 
fen „Geſch. der Kreuzzuͤge“ (Hamb. 1827 fg.) herausgeg. G.'s zahlr. Schriften find 
theils Sn rl er: päbagg., tbeils philolog., hiſtor. u, archaͤolog. Inhalte. 
ußſtahl, en. 

Guſtav 1., König von Schweden, befannt u. d. N. Guſtav Waſa, geb. 
4490, war ein Sohn Herzogs Erich Waſa von Örppeholm und ein Sprößling der 
alten konigl. Kamille. Er gehörte zu jenen feltenen Männern, welche die Natur mit 
allen Eigenfehaften ausflattet, ein Volk zu beherrfchen, Schon fein ſchͤner Wuchs 
und fein edles Äußere gewannen ihm die Herzen, Seine kunftlofe Beredtfamfeit rig 
unmiderftehlich hin; fein Genie entwarf verwegene Plane, aber fein unbefiegbarer 
Muth wußte fie glücklich zum Ziele zu führen. Er war unerfchroden mit Beſonnen⸗ 
heit, voll Sanftmuth in einem noch rohen Zeitalter, und fo tugendhaft, wie das 
Oberhaupt einer Partei fein kann. Als der tyrannifche Shriftian Ik, von Dänemark 
in Stemäßbeit der Falmarifchen Union fich des ſchwed. Throns zu bemächtigen ftrebte, 
faßte Guſtav den Entfchluß, fein Vaterland aus dem Unglüd und der Erniedrigung 
zu retten; die Ausführung f. Plane wurde jedoch unterbrochen, da Chriftian ihn, - 
nebft 6 andern vornehmen Schweden, als Seifel nach Kopenhagen bringen ließ. 
Als er aber zu Ende 1519 vernahm, daß Ehriftian die Unterwerfung Schwedens 
faft vollendet hatte, da faßte ihn auch im Sefängniffe der Gedanke, fein Baterland 
zu befreien. Er entflob in Bauernkleidung. Zroölf Meilen ging er am erſten Tage 
in einem unbefannten Lande; in Flensburg traf er jütländ. Ochfenhändler; um fich 
zu verbergen, nahm er Dienfte bei ihnen und kam in Luͤheck an. Hier wurde er zwar 
erkannt, aber von dem Senate in Schuß genommen; ja man verfprach ihm Unter: . 
flüßung zu f. Vorhaben, das er nicht mehr verheimlichte. Darauf fchiffte er fich ein 
und landete zu Kalmar. Die Befaßung, der er fich entdeckte, weigerte fich, die Partei 
eines Fluͤchtlings zu ergreifen. Seächtet von Chriftian, verfolgt von den Soldaten 
des Tyrannen, zurückgeſtoßen von Freunden und Verwandten, wendete er ſich nach 
Dalecarlien, beiden Eräftigen Bewohnern diefer Provinz Hülfe zu ſuchen. Nur mit 
Mühe den ihn umgebenden Sefahren entgangen, fand er Aufnahme bei einem Pfar: 
rer, der ihn mit ſ. Anfehen, ſ. Geld und ſ. Rath unterflügte, Nachdem man die Ge⸗ 
muther vorbereitet, benußte man ein Feft, zu welchem fich die Bauern des Cantons 
verfammelt hatten; Guſtav erfchien unter ihnen. Seine edle, zuverfichtliche Miene, 
fein Unglüd und der Adfcheu gegen Chriftian, der eben den Antritt f. Regierung . 
durch ein fchrecfliches Blutbad in Stockholm bezeichnet hatte: Alles lieh ſ. Worten 
eine fliegende Kraft. Man griff zu den Waffen; das Schloß des Gouverneurs wurde 
erftürmt. Mathig gemacht durch diefen Erfolg, verfammelten fich die Dalecarlier. 
unter den Fahnen des Siegers. Bon diefem Augenblide an waren Guſtavs Unter: 
nehmungen eine Reihe von Triumphen. An der Spiße dines felbft gefchaffenen 
Heeres machte er reigende Fortſchritte und vollendete die Vertreibung deg Feindes. 


‚980 | Guſtav I. 


4521 Hatten ihm die Stände den Titel eines Adminiſtrators ertheilt; 1528 riefen 
fie iin als König aus. Bei Annahme diefer Würde fehien er nur mit Muͤhe den 
Wuͤnſchen der Nation nachzugeben; -die Kronungefeier aber verfchob er, um nicht 
die Aufrechtbaltung der Farb. Religion und der Rechte ber Seiftlichen beſchwören 
zu müffen. Er fühlte, daß die Wohlfahrt des Reichs eine Kirchenverbefferung erbeis 


fche; aber er fühlte auch, daß diefelbe nur durch eine gänzgliche Reform Dereigefüher 
re 


werden fünne. Sein Kanzler, Lars Anderfon, rieth ihm, fich der Lutherifchen Le 
zu bedienen, um f. Abficht zu erreichen. Guſtav genehmigte diefen Eühnen Plan 


und führte ihn noch mehr durch die Überlegenheit f. Politik als durch f. Macht aus. 


Während er inggeheim die Fortfchritte des Lutherthums begünftigte, ertheilte er f. 
Sünftlingen die erledigten Pfruͤnden und legte unter dem Vorwande, das Volk zu 
erleichtern, der Geiſtlichkeit auf, für den Unterhalt der Truppen zu forgen. Bald 
. wagte er mehr; 1527 verlangte und erhielt er von den Ständen die Abfchaffung 
der Vorrechte der Bifchöfe. Die Lehre Luthers verbreitete ſich indeß mit Schnellig⸗ 
keit, Guſtav kam den Unruhen zuvor oder unterbrüdte fie; er hielt die Unzufrie⸗ 
denen im Zaume, fchmeichelte den Ehrfüchtigen, gewann die Schwachen, und trat 
endlich dHffentlich zu einer Religionspartei über, zu der fich bereits die Mehrzahl f. 
Unterthanen bekannte, (1530 nahm ein Nationalconcilium die Augsburgifche 
Eonfeffion als Slaubensregel an.) Nachdem Guſtav, wie er fagte, fein Reich auf 
diefe NBeife zum zweiten Mal erobert hatte, blieb ihm noch übrig, ſ. Kindern die 
Nachfolge zu fichern. Auch dies Derlangen bersilligten die Stände, indem fie 1542 
das Wahlrecht abfchafften und das Geſetz der Erbfolge feftftellten. Obgleich 
Schweden eine fehr befchränfte Monarchie war, fo übte Boch Guſtav eine faft unbe: 
fhränfte Gewalt aus; aber dies war ihm vergönnt, weil er fie nur ausübte, um 
Schweden im Innern zu beglüdten, f. Feinden furchtbar und f. Freunden achtungs- 
werth zu machen; auch verlegte er nie die Form der Reichsverfaffung. Er vervolk: 
. Eommnete die Gefeßgebung, bildete das Volk, milderte die Sitten, ermunterte 
Sewerbfleig und Gelehrſamkeit und erweiterte den Handel. Nach einer 3Tjährigen 
rubmvollen Regierung farb er 1560 in einem Alter von 70%. S. v, Archens 
bolz’s Geſch. Guſtavs Wafa u ſ. w.“ (Tübingen 1801, 2 Bände). 

Suftav IL, Adorf, Schwedens größter Monarch und Deutſchlands Ret⸗ 
ter, war ein Sohn Karls IX., der nach der Entfeßung Sigismunds auf den ſchwed. 
Thron geftiegen war, und ein Enfel Suftans Waſa. Geb. zu Stodholm 1594, 
empfing er die forgfältigfte Erziehung. Syn ſ. 12, J. trat er in die Armee, und 
ſchon in ſ. 46. leitete er die Angelegenheiten, erfchien im Staatsrath und an der 
Spig des Suces ‚ gehorchte ale Soldat, unterhandelte als Minifter und befahl 
als König, 16141 erteilten, nach Karls IX, Tode, die Stände dem 18jaͤhr. Fuͤrſten 
die Krone ımd erklärten ihn. ohne das Geſetz zu berücfichtigen, für mündig, da 
fie einfahen, daß nur die Eräftigften Maßregeln dag Reich vom Untergange retten 
önnten, eine Kegentfchaft aber es zu Grunde richten würde. Guſtavs fcharfer 
Blick erkannte in Arel Orenftjerna, dem jüngften unter den damal. Neichsräthen, 


den großen Staatsmann, deffen Rath er in den ſchwierigſten Lagen folgen dürfe. . 


Dur die innigften Bande der Freundfchaft Enüpfte er ihn an fih. Dänemark, Pers 
len und Rußland waren gegen Schweden im Kriege. Guſtav, 3 fo mächtigen 
Feinden nicht zu gleicher Zeit gewachſen, verſtand —* war gegen Dünemarf in 
dem Frieden zu Siörbd, 1613, zur Zahlung von einer Mill, Thlr., erhielt aber 
alles Eroberte zurüd. Rußland ſchloß er, nach einem vortheilhaften Feldzuge, in 
welchem er nach fi eignen Geſtaͤndniß durch Jakob de la Sardie f. militairifchen 
Talente ausbildete, durch den Frieden von Stolbowa 1617 von der Oſtſee ganz 
aus; Polen aber, wiewol es nicht glüdlicher gegen ihn geroefen war, ging, nach der 
Eroberung Lieflande durch Guſtav Adolf, nur einen Waffenftillftand von 6 Fahren 
ein, den diefer annahm, theils weiler an fich vortheilhaft war, theils weil er ihn 
Beit genug ließ, um etwas Entfcheidendes gegen Oftveich zu unternehmen, deffen 


EEE nn Lu u a. 


Guſtav IH. | 951. 


Haupt, Kaiſer Ferdinand IT., auf alle Weiſe ſ. Macht zu vergrößern ſtrebte, und zu⸗ 
gleich ein unverfohnlicher Feind der Proteflanten war. Des Kaifers Abficht, fich 
der Oſtſee zu bemeiftern und einen Angriff auf Schweden vorzubereiten, war keinem 
Zweifel unterworfen, Aber einen noch mächtigern Berveggrund, fich den Fortfchritz 
ten f. Waffen entgegenzuftellen, fand Guſt. Adolf in dem Kriege zwifchen den Ka: 
tbolifchen und Proteftanten, der mit der Deutfchen Freiheit zugleich Die ganze evangel, 
irche in Gefahr feßte. Guſt. Adolf, der der Lutheriſchen Lehre mit wahrer Froͤm⸗ 
migfeit zugethan war, befchloß, beide zu retten, Nachdem er den Reichsfländen in 
einer kraftvollen Rede f. Entfehluß vorgetragen, mit Thränen in den Augen ihnen f. 
Tochter Thriffina, in dem Dorgefühl, dag er f. Vaterland nicht wwiederfehen würde, 
als Kronerbin vorgeftellt, und die Regierung, mit —— f übrigens zärtlich 
von ihm geliebten Gemahlin, einem Ausfchuffe von regierenden Reichsräthen anver: 
traut hatte, brach er 1630 nach Deutfchland auf und landete mit 13,000 M. an 
den Küften von Pommern. Welche Schwierigkeiten ihm zum Theil felbft Fürften 
entgegenfeßten, für deren Sache er gekommen mar; wief. Klugheit, f. Edelmuth u. 
f. Ausdauer über Wanfelmuth, Migtrauen und Schwäͤche fiegten, melche Helden: 
thaten er an der Spitze f. Heeres verrichtete, und wie er als ein unbefiegter und un: 
befleckter Feldherr in der Schlacht bei Lügen, am 6. Nov. 1632, unfern von dem bes 
kannten großen Stein an der Landſtraße fiel, f.im Art. Dreißigjühriger Krieg. 
Die nähern Umftinde f. Todes wurden Tange auf fehr verfchiedene und widerſpre⸗ 
chende Art erzählt. Indeß weiß man jet aus dem befanntgemachten Briefe eines 
ſchwed. Officiers, der an ſ. Seite verwundet wurde, daß er, durch äffr. Kugeln ge: 
troffen, gefallen if. Des Königs blutiges Roller ward nach Wien gebracht, wo es 
noch aufbewahrt wird, den Leichnam aber führte der edle Bernhard v. Weimar nach 
Weißenfels, um ihn dort der Königin zu überliefern. Das Herz ward bier beigefeßt 
und blieb in dem Lande, für das er geblutet. Bol. die „Schlacht.bei Breitenfeld u. 

die Schlacht bei Lügen” von K. Corths (Leipz. u. Altenb, 1814) und Ldw. v. Ran: 
96 (k. preuß. Capit.) „Guſtav Adolf d. Große, K. v. Schweden” (Leipz. 1824), 
Guſtav I11,, König von Schweden, geb. 1746. Difer Regent, deſſen Ge⸗ 
ſchichte ein Fürftenfpiegel genannt werden kann, war der ältefte Sohn Adolf Fried: 
richs, bei f. Geburt noch Herzogs v. Holftein:Soteorp, feit 1743 ermählten Thron: 
erben von Schre?:n, und Ulrife Luiſens, einer Schwefter Friedrichs II. Graf Te 
fin, dem vom 5. J. des Prinzen an deffen Erziehung übertragen war, ſuchte den 
Geiſt und Charakter deffelben mit fteter Hinficht auf f. Beſtimmung zu bilden, bes 
fonders war er bemüht, den Ehrgeiz des Juͤnglings zu befehränfen und ihm Ach⸗ 
‚ tung für die Berfaffung Schwedens einzuprägen; fein Nachfolger, der Graf Schef⸗ 
fer, richtete ſ. Bemühungen auf daffelbe Ziel. Nichtsdeſtoweniger entwickelten ſich 
in dem feurigen Semütbhe‘ des Juͤnglings die Beftrebungen des ungenugfamften 
Ehrgeizes, der Herrfihbegierde und der Eitelkeit; aber gefchidt wußte er, fü lange 
es nöthig war, die Gefühle f. Herzens zu beberrfchen. Ein überaus geſchmeidiges 
Mefen, bee Sitten und eine bezaubernde Freundlichkeit und Milde verbargen 


den immer heißer erglühenden Ehrgeiz und Thatendrang hinter dem Scheine des 
anfpruchlofen Charakters. Nitterliche Übungen, Wiffenfchaften und Künffe, die feis 
nern Bergnügungen des gefelligen Lebens und eine mit Geſchmack vereinigte Pracht: 
liebe fchienen f. Lieblingsneigungen zu fein, Schweten war damals der Schauplatz 
mehrer Parteien, vorzüglich der Muzen und Hüte, durch welche Rußland und Frank: 
reich einander entgegenwirkten. Beide Parteien waren jedoch darin einverflande 
die Eönigl. Gewalt möglichft zu befchränfen. Guſtavs Vater, ein verfländiger un 
wohlwollender Fürft, empfand zwar die Unannehmlichkeit f. Lage; aber es fehlte 
an an Charakterſtaͤrke, ſ. Mißfallen, ſtatt der Klagen, durch Handlungen zu aͤußern. 
efto fühner ſchritt Guſtav, als er, nach f. Vaters Tode (19. Febr. 1771) zur Re: 
gierung gelangt war, f. Ziele mit beroundernswürdiger Runft entgegen. Er hatte da: 
mit angefangen, durch die Stiftung des Waſaordens einige unternehmende Milt: 


> 


952 Gaſiav UL 


tale für [. Abficyten zu gewinnen. Diefe bildrten eine Berbratung, befenbers der 
jüngern Officiere, gı Gunſten tes Könizs. Vorzüglich thing war in der Haupt 
flate der Oberſt Sprenanerten; ein Gleiches thaten Abgeſandte bei den Reginen⸗ 
bern in Ben Provinen. mens 
und Scheffer — hatten fi) mit bem König vereinigt; eine neue Berfajfung war 
entworfen, und die Rollen fo vertheilt, doß tie Brũder des Kenigs die Revelitmon im 
ten Provinzen leiten follten, während er felbii fie in ber Hauptitadt beginnen würde. 
Tem Plane gemaͤß ließ nım der Commandant yon Chriſtianfiadt, Hauptmann 
Hellich ius, einer der treueften und Fühnften Anhinger tes Konigs, am 12, 1772 
tie & :srıtbore fchließen, alle Zugänge befegen und in f. und der Defagung Namen 
ein Manifeft befanntmachen, worin den Ständen wegen ihrer Sewalthantiung der 
Sehorfam aufgefündigt wurde. Der Prinz Karl erfchien vor Chriſtiauſtadt, und da 


‚f. Auffoterung zur Übergabe fruchtlos blieb, begann eine ſcheinbare Belagerung u. 


Vertheidiqung, die Niemandem Leid zufügte, Der Konig ſchien indeg in der Hauptſt. 
fo gleichgfiltig und untheilnehment, Laß er den Argwohn des geb. Ständeausfchuffes 
zerfireute. Diefer hatte verfügt, daß die Bürgerreiterei in der Hauptſt. patrouilliren 
ſolle; bei diefen Parrouillen fand ſich der König häufig ein, unt wußte durch Freund: 
lichkeit den Kern der Mannſchaft und immer mehr Öfficiere für fich zu gewinnen. 
ahrend er fodie Entſcheidung vorbereitete, zeigte er eine heitere unbefangene Stirn 
und gab noch am Abend vor dem zur Ausführung beftimmten Tage ein glänzendes 
Hoffeſt, bei dem er durch ſ. froße Laune alle Anweſende beliebte. Am folg. Tage, d. 
49. Aug. 1772, begab ſich der König nach einem Spazierritt in den Reichsrath aufs 
Eich, 100 es zum erfien Mal zwifchen ihm und einigen Neichsräthen zu einem leb⸗ 
haften Wortwechſel kam. Don bier aus gerfüge er ſich zu Pferde nach dem Arfenal, 
soo er Die Wachtparade manoeuvriren ließ. Während deffen verfammelten fich, in 
Folge eines geheimen Befehls, die Officiere um ihn, auf die er rechnen zu konnen 
faubte, und begleitzten ihn nach dem Schloffe, wo eben die Garde die Wache wech: 
et, und ſowol die abgehende als die aufjiehende gegenwärtig wor, Mit dem Ein: 
tritte des Königs in das Schloß begann die Revolution. Der König verfammelte in 
der Wachtſtube die Officiere um fich,, eröffnete ihnen ſ. Plan’ und foderte fie zur Un: 
terftüßung auf, Die meiften waren Junglinge und durch den Gedanken an die Ret⸗ 
tung des rlandes augenblidlich gewonnen, Den Z ältern, bie fich weigerten, ließ 
‚ber König den Degen abfodern, Alle übrige leifteten den Eid der Treue und des Ge⸗ 
orfams, und indem ihnen der König f.fernern Befehle gab, band er um den linken 
rm ein weißes Tuch, als das Zeichen, woran er f. Sreunde erkennen roürde. Des 
Königs Anrede an die Soldaten wurde von dieſen mit beifälligem Zuruf erwidert, 
Hierauf ließ er die Bugänge zu dem Berfammlungsfanle des Reichsraths befehen 
und demf ruhiges Verhalten befehlen; fodann begab er fich, unter dem Zu⸗ 
auchzen des Volks, nach dem Zeugbaufe, wo er fich des Artillerieregiments verficherte, 
Ein dffentlicher Ausruf ermahnte die Einw. Stockholms zur Ruhe und wies fie an, 
Beinen andern als des Könige Befehlen zu geborchen, Es wurden Kanonen aufges 
fihet, Maffen vertheilt und aus Vorficht mehre Perfonen verhaftet. So war der 
tſcheidende Schlag ohne Bluwergießen gefchehen, und der König begab ſichenach 
dem Schtoffe zurädt, wo er die Gluͤckwuͤnſche der fremden Geſandten empfing, die er 
zur Tafel hatte einladen laſſen. Am folg. Tage leiftete der Stadtmagiſtrat, unter dem 
Allgemeinen Buruf des Volks, auf dem großen Marfte den Eid der Treue. Aber auch 
die Stände mußten die Revolution genehmigen und die neue Verfaffung anerkennen, 
burch welche die koͤnigl. Macht, nicht ſowol auf Koſten der Stände als nur des Reiche: 
raths, wuchs. Sie wurden zu dem Ende auf den nächften Tag zu einer allgem, Ver: 
fammlung auf das Schloß befchieden, wo fie fich einzeln und ohne Gefolg einfanden. 
Der Schloßhof mar mit Militair befeßt, gegen den Berfammlungsfaal Kanonen aufs 
gepflanzt, und zu jeder Kanone ein Artilleriſt mit einer brennenden Qunte in der Hand 
geſtellt. Der König erfehien mit einem zahlreichen Gefolge von Dfficieren und in un: 


⸗ sy 


‘ 


I 


&iftep TIL. 953 


woͤhnlichem Pomp ſchilderte in einer kraftvollen Rede die Lage. des Reichs, bie 
thwendigkeit einer Reform, erklärte ſ. gemaͤßigten Abfichten und ließ Die neue Ders 
faffung verlefen, die augenblictich genehmigt und durch Unterfchrift u. Eid bekräftigt 
wurde. Faſt alle Stantsdiener blieben in ihren Amtern; die Verhafteten wurden in 
Freiheit gefeßt, und die Revolution war geendigt, “Der König bemühte fich jeßt mit 
allem Ernfte, fein Land zu beglüden; er bereifte es mehrmals, und nie ohne Beleh⸗ 
rung für fich und ohne Mugen für ſ. Unterthanen. Im Herbfte 1783 reifte Guſtav 
durch Deutfchland nach Italien, um die Bäder von Piſa zu brauchen, und ging im 
folg. J. über Frankreich, wo er zugleich polit. Zwecke verfolgte, nach Schweden zu⸗ 
rüd. Hier warteten feiner Unruhe und Gefahr. Eine Hungersnoth raffte Taufende 
ſ. Unterthanen weg; dos Volk murrte; der Adel erhob fich gegen des Königs willfär- 
liche Politik, und die Reichsftände verwarfen 1786 faft alle ſ. Borfchlige und nöthigs 
ten ihn zu harten Opfern. Bald darauf brach 1787 zwiſchen Rußland und der Pforte 
ein Krieg aus, und Guſtav befchloß, einem alten Bertheitigungsbündniffe mit letzte⸗ 
rer gemäß, Rußland anzugreifen, deffen Monarchin dag Mißvergnügen in Schroeden 
antsehielt. Der Krieg ward 17188 erklärt. Als aber der König durch einen Angriff 
auf die Feftung Friedrichsham f. Unternehmungen anfangen wollte, ſah er fich Pine: 
lich von einem großen Theile f. Heeres verlaffen, welcher fich jetem Angriffskriege a 
geneigt erklaͤrte. Der König begab fich nach Haga, und von hier, Hülfe fuchend, zu 
den Dalecarliern. Bald fland ein achtbares Heer freissilliger Baterlanfsvertbeidiger 
dg, mit denen der König das von den Dänen bedrängte Gothenburg rettete, indeß der 
Aufftand bei der finnländifchen Armee, die mit den Ruffen einen Waffenſtillſtand ger 
ſchloſſen hatte, foredauerte, Die dringende Lage des Reichs foderte die Zufammenbes 
rufung der Reichsſtaͤnde. Um den WiderfeglichEeiten des Adels zu begegnen, ließ er 
einen geheimen Ausſchuß erwaͤhlen, zu welchem der Adel 12, jeder der übrigen, den’ 
König ergebenen Stände 6 Mitglieder ernannte. Der Adel,gab es darum nicht auf, 
dem Könige zu troßen, derendlich, von den übrigen Ständen zur Anwendung aller 
ihm dienlich fcheinenden Maßregeln aufgefodert, einen entfcheidenden Schritt rongte, 
die Häupter des widerfeßlichen Adels verhaften ließ und die Annahme einer neuen 
Dereinigunge: u. Sicherheitsacte (3. Apr. 1189) erzwang, die ihm noch ausgedehn⸗ 
tere Rechte, als bisher einräumte, Munmehr ward der Rrieg mit höchfter Anſtren⸗ 
ung und wechſelndem Süd fortgefeßt. Blutige Schlachten wurden, befonders zur 
&r gewonnen und verloren; aber wie ritterlich auch ©. die Übermacht bekaͤmpfte, 
fo machten ihn doch die bedrängte Lage f. Reichs und der Gang des Congreſſes zır 
Reichenbach (f.d.) zum Frieden geneigt, der in der Ebene von Werelä, am id. 
ug. 1790, abgefchloffen ward. Statt die durch fo vielfaches Unglüd empfangene 
bre für die Zufunft zu benußen, befchloß jetzt Guſtav, in den Gang der franz. Res 
volution einzugreifen und Ludwigs XVIJ. Macht rn Er wollte Schweden, : 
ußland, Preußen und Oftreich vereinigen und ſich an die Spitze diefes Bundes flel: 
len. Zu dem Ende ging er im Frühling 17791 nach Spaa und Aachen, ſchloß mit Ka⸗ 
tharina einen Freundfchaftsvertrag, und berief einen Reichstag in Sefle im Jan, 
4792, der nach 4 Wochen zur Zufriedenheit des Könige endigte. Aber hier mar es, 
mo bereits ein Mordanfchlag gegen ihn verfucht worden war. Die Grafen Horn 
und Ribbing, die Freih. Bielke und Pechlin, der Obriſtlieut. Liljehorn und mehre 
Andre hatten fich verbunden, den König zu ermorden und die alte Ariftofratie berzus: 
ftellen. Ankarſtroͤm(ſ. d.), der den König perfönlich haßte, bot fich zum Werkzeug: 
on, Eine Maskerade zu Stodholm, in der Nacht vom 15. zum 16. März 1792, . 
ward zur Ausführung beftimmt. Kurz vor dem Anfange des Balls erhieltder König 


- ein Warnungsbillet, dennoch begab er fih um 11 Uhr mit dem Grafen Effen auf die 


Redoute, trat ineine Loge, und da Alles ruhig war, inden Saal. Hier umgab ihn ein 
Gewühl von Masken, und indem ihn eine derfelben (Graf Dorn) mit den Worten: 
„Bute Nacht, Maske!” auf die Schultern Flopfte; ward der König von Ankarſtrom 
durch einen Schuß im Ruͤcken tödtlich verwundet, Mit feltener Geiſtesgegenwart 


954 BGBuſtav IV. 


traf er fogleich Die nöfhigen Verfügumgen. Er verſchied am 29. März, nachdem er 
noch mit Seiftesheiterkeit bie nörhigften Geſchaͤfte geordnet (f Armfelt) und den 
Befehl untergeichnet hatte, f. Sohn zum König auszurufen, 

Suftav IV., Adolf, entfeßter König von Schweten, geb. ten 1. Now, 
4778, ward nach dem Tode ſ. Varers (Guſtav 111.) am 29. März 1792 zum König 
ausgerufen, fland 41 J. unter der Vormundſchaft f. Oheims, des Herzogs Karl von 
Sübermannland, der die Regentfchaft führte (nachmal. K. Karl XIII.), und trat 
den 1. Nov. 17196 die Regierung an. Die Regierungsgefchichte diefes Monarchen 
zeigt, wie bei Talenten und Herzensgüte Borurtheile und LeidenfchafflichFeit zuns 
böchften Unglüd führen. Sein Bater wollte einen beharrlicden Mann aus ihm bil- 
den, und Guſtav IV, mochte felbft glauben, im Geiſte ſ. Baters zu handeln, wenn er 
mit eigenfinniger Unbiegfamfeit Alles feinem einmal angenommenen Syſtem unter: 
ordnete, Er hatte zudem von f. Bater einen Hang zum Ritterlichen geerbt, daher ſo 
viele f. Schritte den Anftrich des Abenteuerlichen haben. Doch Bieles von dein Un: 
begreiflichen, das er that, ift f. Abergläubigkeit zuzufchreiben, die hinlänglichen Stoff 
Befonders in Jung's Schriften fand. Er war in feinem 18. J. bereits mit einer 
Prinzeſſin von Mecklenburg verfprochen, als ihn die Kaiferin Katharina 17796 in der 
Abficht, ihn mit ihrer Enkelin Alexandra Paulorona zu vermählen, nach Petersburg 
einlud. on war Alles zu diefer Dermählung vorbereitet, und der verfanmmelte 
Hof erwartete den jungen Kömig, als er fich weigerte, den Ehecontract zu unterzeich⸗ 
nen, weil man Punkte darin aufgenommen, die er der Kaiferin nicht zugeſtehen 
wollte; u. A. batte man der jungen Königin die freie Ausübung der griech. Keligion 
in ihrem Palafte zugefichert, was gegen die Grundgeſetze des ſchwed. Reichs war. 
Nichts Eonnte die Weigerung Guſtavs befiegen; er begab fich in fein Zimmer, und 
das ganze Feft wurde rückgaͤngig. Am 31. Oct. 1797 vermählte er ſich mit der 
Prinzeſſin Sriederike v. Baden, der Schwägerin des Kaifers Alerander und des Ki: 
nigs von. Baiern. Ein auffallendes Zeichen feiner Confequenz war, daß er einft auf 
dem Punkte ftand, einen Kampf mit Rußland zu beginnen, weil er verlangte, daß 
das Sheländer einer Grenzbrücke der ruff. Seite mit Schwedens Farbe ange: 
frichen werden ſollte, was Ihm nicht gewährt werden Eonnte. Als die nordifchen 
Mächte über die Erneuerung des fehon früher beftandenen, befenders gegen Eng: 
Iand gerichteten Bünbniffes der bewaffneten Meutralität unterhandelten, begab er 
fi 1804 felbft, zu Befchleunigumg des Abfchluffes, nach Petersburg, wo er auch 
von Paul I., der ihm in manchen Stüden glich, brüderlich aufgenommen wurde. 
Der ruff. Monarch ertheilte ihm bei diefer Gelegenheit den Orden des h. Johannes 

‚von Serufalem. Im Yuli 1803 reifte er mit f. Gemahlin an den Hof f. Schwieger⸗ 
vaters nach Rarlsrube, um den Kaiſer und die Keichsfürften für die Damals ganz 
unausführbar feheinende “dee, die Bourbons an die Stelle des erblich gewordenen 

Conſuls wieder. an die Spitze der franz. Regierung zu feßen, zu gewinnen. Er be: 
fand ſich noch in Karlsruhe, als den 15. Anarı 1808 der Herzog v. Enghien auf 
Bonaparte's Befehl aus dem Badifchen mit Gewalt entführt wurde. Guſtav 
fandte fofort ſ. Adjutanten nach Paris, um den Prinzen zu retten; allein der‘Prinz 
war ſchon todt. Guſtav übergab deßwegen nachdrüdliche Noten in Regensburg 
und war mit Alerander I. der einzige Souverain, der über jenen Mord ſ. Unwillen 
laut außerte. Es ift bekannt, wie fhimpflich er dafür in dem „Moniteur” behandelt 
wurde. Der Bruch mit Frankreich, die Verbindung mit Örogbritannien und Ruß⸗ 
land, und Spannung mit Preußen, dem Guſtav den ſchwarzen Adlerorden zurück⸗ 
— weil Napoleon ihn auch erhalten, und die Ritterehre es verbiete, Waffen⸗ 
er eines Mörders zu fein, — war die Folge ſ. Haſſes gegen Frankreichs neuen 
Souverain. Ein müßiger Kopf hatte berechnet, daß in dem Namen „Napoleon 
Bonaparte” die Zahl 666 enthalten fei, und Guſtav glaubte hierin das Thier in der 
Offenbarung "Johannis zu erfennen, das rur eine kurze Zeit regieren mürde, und zu 


deſſen Sturg er berufen ſei! Diefe myſtiſche Anficht veranlaßte fein oft unbegreif: 


— — 


Guſtav IV, 1773 


liches Betragen. So wuͤrdig Die Erklärung war, die fein Geſandter am Neichetage 
4806 übergab, daß der König an den Verhandlungen des Reichstags fo fange kei⸗ 
nen Theil nehmen werde, als deffen Befchlüffe unter dem Einfluffe der Ufurpation 
und des Egoismus fländen; und fo edel es war, daß er die von Napoleon £urz vor 
dem Frieden von Tilfit gemachten Friedensvorſchlaͤge verwarf und fogar in der Abs 
ficht, Dreußen beffere Sriedensbedingungen zu verfchaffen, am 3. fi 1807 den 
Marfenftillftand mit Frankreich aufhob, fü bewies er Noch eine unfluge Hartnaͤckig⸗ 
£eit, alser nach dem Frieden von Tilfit die von Rußland und Preußen angebotene 
Vermittelung ausfchlug, Er verlor Stralfund, daser am 20. Aug. 1807 verließ, 
und die Inſel Rügen. Durch f.Leidenfchaftlichkeit, die ihn eine gleiche Sonderbarfeit 


in Anſehung des ruſſ. St.:Andreasordens begehen ließ, wwiefrüher mit dem preuß. Ad⸗ 


lerorden, und durch ſ. Anbänglichkeit an England ftürzte er ſ. Volk 1808 ineinen Krieg 
mit Rußland und roard aufs Neue Preußens, dann Dänemarks Feind. Finnland ging 
verloren, and drobend fland ein daͤn. Heer an der Rw von Schweden. Taub gegen 
alle Vorſtellungen, Frieden zu ſchließen, reizte er durch Eigenfing den Adel und das Heer 
gegen ſich auf. Er beleidigte die Garden und erbitterte die Nation durch Ausſchreibung 
einer Kriegsſteuer, wahrend die ſchwed. Soldaten an Allem Mangel litten. Als er end⸗ 
lich ſogar England von ſich abſtieß, weil er, als dieſe Macht ihn zu verfländigeen An⸗ 
fichten zurückzubringen ve:fuchte, auf alle engl, Kauffahrteifchiffe in den ſchwed. Haͤ⸗ 
fen Befchlag legte: da ward es Jedem deutlich, daß er die Wohlfahrt ſ. Wolke gang 
f. Zeidenfchaften aufzuopfern fühig fei. Ein im tiefften Dunkel entworfener ‘Plan ges 
dieh jur Reife. Die weſtl. Armee (nach dernormeg. Srenzezu), verfichert, Daß die Daͤ⸗ 
nen die Grenze nicht überfchreiten würden, feßte fich in Mai fch gegen Stockholm, wo 
unter den naͤchſten Umgebungen G.'s die Erften der Berfchroorenen fich befanden. Sie 
war nur noch 15 Meilen von der Hauptſtadt entfernt, als Guſtav ihre Annäherung 
erfuhr. Bon Haga aus, wo er fich mit f. Familie befand, eilte er nach Stockholm, 
um fich hier gegen die „Empörer‘ zu vertheidigen. Doch er änderte diefen Plan 
und wollte mit den in Stockholm befindlichen Truppen nach Linföping geben. Die 
Bank follte die. Hauptſtadt verlaffen, zuvor aber 2 Mill. Thlr. oder den möglichft 
größten Vorſchuß an ihn zahlen. Die Commiſſarien bermeigerten dies; Guſtav 
wollte fein koͤnigl. Anfehen geltend machen; da ward Gewalt gegen ihn befchloffen. 
So fanden die Sachen am 12. März 1809 Abends. Der König arbeitete die ganze 
Macht vom 12. auf den 13; März; Alles war zu f. Abreife bereit, und der Augen: 
blid gefommen, wo er das Geld aus der Banf nehmen laffen wollte. Brei Thore 
des Salofpe waren fehon gefperrt, und alle Dfficiere, weil es gewoͤhnlicher Parades 
tag. war, bei dem Schloffe verfammelt. Noch ein Mal wollte der Feldmarſchall 
Klingfpor den Weg gütlicher Vorftellungen verfuchen ; er rief den Sen. Adlerkreutz 
und den Seneraladjutanten Silfverfparre herbei; doch Guſtav beleidigte Die Spre⸗ 
her auf das Empfindlichfte. Nun rief Adlerfreug 5 Adjutanten berbosg foderte dem 
önige feinen Degen ab und erflärte ihn zum Sefangenen im Namen der Nation, ; 


Suftay zog den Degen gegen ihn; diefer ward ihm von Silfperfparre entwwunden, : ” 


Auf f. Sefchrei nach Hülfe erbrachen zwar einige f. Setreuen die verſchloſſene Thür; 
Doch von 30 Hinzueilenden Mitverſchworenen wurden fie überwältigt, Während dies 
fes Auftritts entfloh Guſtav, ward aber auf der Treppe ergriffen und von einem 
—— zuruͤck in ſein Zimmer getragen, wo er in bewußtloſe Wuth gerieth. 
Alle Zugänge des Schloſſes wurden nun mit Wachen beſetzt. Schon nach Mittag 
verkündigte eine Proclamation des Herzogs Karl v. Südermannland, daß er die Re: 
gierung übernommen babe. Die Thronrevolution war in diefen wenigen Stunden 
vollendet. Jetzt zeigte Guſtav eine ſtille Ergebung; vielleicht war auch bier feine re; 
Kigiofe Schwärmerei die Duelle feines Gemuͤthszuſtandes. Nachts um 1 Uhr brachte 
man ihn nach Drotningholm; ſeine Gemahlin mußte mit ihren Kindern in Haga 
bleiben. Am 24. März ward er nach Grypsholin, einem feiner Fiebften Aufenthalte: 
orte, verfegt. Hier flellte er am 29. März eine Entfagungsacte aus, die endliche 


- 


956 Guthrie 


. Beftiemumg feines Schickſals von dem Reichstag erwartend, in deffen erſter Sitzung 
- (40. Mai) man ihm Treue und Seherfam feierlich auffagte und ſowol ihn als ſei⸗ 
ne leiblichen, geborenen und ungeborenen Erben der Krane und Regierung Schwe⸗ 
dens für jeßt und die Folgezeit verluftig erklärte. Darüber wurde eine forwmliche Acte 
ausgefertigt. In Grypsholm befchäftigte der enttbronte König ſich vorzüglich mit 
der Offenbarung Johannis. Er münfchte Schweden verlaffen zu können. Die 
Keichsflände feßten ihm, auf des nengerwählten Königs Karl Xitl. Antrag, ein 
jährliches Einkommen für ſich und feine Familie von 66,6661 Thlrn. aus; fein 
eignes Privatvermögen, das feiner Gemahlin und feines Sohnes, blieb ihm eben: 
falls; 1824 aber wurde flatt jener Rente und zur Abfindung für gehabtes "Privat: ' 
vermögen und fonftige Foderungen die Summe von 721,419 Thlr. ausgezahlt; er 
t jedoch für feine Perfon von Schweden Nichts angenommen und lebt von den 
infen eines Eleinen Sapitals. Den ihm beflimmten Aufenthalt auf der Inſel 
Wiſings⸗Oe bezog er nicht, fondern ging den 6. Dec. 1809 von Grypsholm nad) 
Deutfehland und der Schweiz, wo er zu Bafel u. d. I. eines Grafen v. Gottorp 
lebte. Er hat fich feitdem freiwillig von feiner Gemahlin und feinen Kindern ge: 
trennt, und feine Ehe wurde auf fein Berlangen den 17. Gebr. 1812 aufgehoben. 
In demf. J. verlangte er in die Brüdergemeinde zu Herrnhut aufgenommen zu 
werden, wie er denn auch ſeit feiner Entfernung ſtets das myfifch:religiöfe Zeichen 
des Johanniter⸗Ordens zu tragen pflegt. Seit 1810 reifter ohne beffimmttn Zweck 
herum; 1840 begab er fich nach Petersburg, 1811 nach London. 1814 rüftete er 
fo in Bafel zu einer Reife nach Jeruſalem, kehrte aber aus Morea zuruͤck. Im 
Rov. 1814 lieg er dem wiener Congreß eine Erflärung überreichen, in welcher er 
Die Rechte feines Sohnes auf den ſchwed. Thron in Anfpruch nabın. “Dann nannte 
er fih in Frankfurt Oberft Guſtavsſon, wurde 1818 Bürger in Baſel und 
pribatifirte feit 1827 in Leipzig, roo er 1829 das „Viemorial du Colonel Gustats- 
son‘! herausgab, um einige Behauptungen des Art. Gust, Adolfe in der „Biogra- 
phie des Contemporains” ımd in Segur’s „Hist, de Nap, et de la grande ar- 
mée“ zu widerlegen. Huch erzaͤhlt er darin f „promiers faits d’armes” in Pom⸗ 
mern 1807. Im Sept. 1829 verließ der Oberft Cuftausfon Leipzig und ging 
nach Holland. ”— Sein Sohn Guſtavb, geb. den 9. Oct. 17309, fludirte in Lau: 
fanne und Edinburg, reifte nach Wien und Berona, zur Zeit des Congreffes 1822, 
und trat 1825 als Obriftlieut. von Kaif. Uhlanen in k. k. öflreich, Dienfle. Er 
nahm den Titel Koͤnigl. Hob. an und nannte ſich Prinz v. Schweden. Diefem 
Titel wißerfprach jedoch der König von Schweden, als fich der Prinz zu Zoo am 
43, Juni 1828 mit der niederländ. Prinzeffin Marianne verlobt hatte. Die Ber: 
mählung ward ausgefegt und ging endlich zurüd. Die Höfe von Hffreich, Frank: 
reich, Rußland, Preußensc. erkannten den Titel des Prinzen nicht an. Diefer nennt 
fi jest Prinz u. Waſa und lebt geroohnlich zu Wien. Er hat 3 von ihrer Mutter 
eft. in Lauſanne den 265. Sept. 1826) forgfültig eriogene Schweſtern. Die ältefle 
"ward 1819 mit Leopold v. Hochberg, Markgraf v. Baden, vermaͤhlt. 

Guthrie (William), ale Herausg. eines univerfalgiftor. Werkes, fonft aber 
nicht fehr ehrenvoll als Schriftfteller bekannt, geb. 1708 zu Brichen in Schottland, 
war anfangs Schulmann. Er kam nach London, befchäftigte fich mit Schriftftellerei 

Sund verkaufte ſ. Feder jedem, der ihm bezahlte. Das Minifterium belohnte f. Dienfte 
4745 mit einer Penſion, dieer biszu dem Endef. Lebens, 17770, bezog. Es fehlte ihm 
nicht an Talenten und Kenntniffen, allein da er f. Schriften eilig arbeiten mußte, find 
fie voll Nachläffigkeiten und. Irrthumer. Dennoch Eonnte er die Beftellungen der 
Buchhändler faum genugfam fördern. Sein Name prangt vor einer Dienge von 
Eompilationen, Seine Weltgefchichte gaber in Berbindung mit Gray heraus. Man 
hat von ihm nocheine Sefchichte von England, eine Geſch. son Schottland, aber Nie: 
mand lieft fie mehr. Das einzige Werk, dasnoch Werth hat, it die „Orammatif der 
Geſch. Seogr. u. d. Commerzes, bie aber Einige dem Buchhaͤndl. Knox zuſchreiben. 


Guttenberg Guys 99 
Suttenber 9, richtiger Gutenberg (Johann oder Henne-Genfe 


‚ fleifch, nicht, wie man gewöhnlich annimmt, von dem Stamme der Familie 


Genfefleifch, welcher von Sorgenloch ſSulgeloch] ſich nänhte), der Erfinder der 
Buchdruckerkunſt, wurde gegen 1400 in Mainz geb. Die Familie Gutenberg 
rechnete fih zu den Patriziern umd führte den Namen Genfefleifeh ſowie Gu⸗ 
tenberg (Gudenberg) von 2 Srundftüden d. M. 1424 lebte ©. in Strasburg, 
soo er 12 J. darauf mit Andreas Dryzehn (Dritzehn) u. A. einen Contract abfehlog, - 
durch weichen er fich ihnen für.ali feine geheimen und wunderbaren Künfte verbind: 


uich machte (d.h. fie den Andern j lehren und zu ihrem gemeinfchaftl. Nußen ans 


zumenden verfprach). Dryzehn's bald erfolgter Tod machte indeß das Unternehmen, 
tvelches die Compagnie vorbatte, und das vermuthlich die erſten Anfünge ter Buch⸗ 
druderfunft mit in fich fchloß, fcheitern, um fo mehr, da Georg Dryzehn, ein Brie 
der des Verſt, mit G. eisien Rechtsſtreit anfıng, der für Legtern ungünftig ausfiel, 
Wann und wo dieerften Berfuche in der Kunſt des Bücherdrudlens gemacht worden 


find, kann man nicht völlig beftimmt angeben, da ©. ſelbſt unter dievon ihm gedruck⸗ 


ten Sachen niemals weder ſ. Namen noch die Zeit feßte; ſo viel ift gewiß, daß er ges 
en 1438 zuerft bevegliche Typen von Holz anwendete. 1443 wandte er fich von 
traaburg, wo er bisdahin gelebt hatte, nach Mainz, und 1450 ging er die Verbin: 
dung mit ob. Fauſt oder Fuft, einem mohlhabenden Soldarbeiter diefer Stade . 
(der jedoch nicht mit dem befannten Schwarzkünftier Fauſt [f.d.], zu verwechſeln 
ift) ein, vermöge welcher Kauft das Geld bergab, um eine Druderei anzulegen, in 
welcher dann die lat. Bibel zum erfien Male gedruckt wurde: Aber ſchon nach eint 
gen J. löfte fich diefer Bereinwieder. Fauſt hatte ftarfe Borfchüffe gemacht, Die G. 


‚nun zurüdzahlen follte, und da er dies nicht wollte oder konnte, fo Fam die Sache vor 


die Gerichte und endete damit, daß Kauft die Druckerei behielt, die. er dann mit ‘Peter 
Schoͤffer von Gernsheim gemeinfchaftl. fortfeßte und vervollkommnete. Durch 
die Unterflüßung von einem mainzer Rathsherrn, Konrad Hummer, ward ©, aber 
von Neuem in den Stand gefeßt, fihon im folg. J. wieder eine Preſſe anzulegen, in 
welcher wahrfcheinlich das Werk: „Hermanmi de Saldis speculu:n sacerdotum“ 
(in Quart, ohne Datum und Namen des Druders) gedrudt wurde. Auch follen bier, 
wie Einige behaupten, 4 Ausg. des „Donat” erfehienen fein, die jedoch von Andern 
der Öfficin von Fauft und Schöffer zugefehrieben werden. 1457 erfchienen auch be: 
reits die Pfalmen, mit einer typogr« „h. Eleganz gedruckt, welche Hinlänglich beweift, 
wie fchnelle Fortſchritte die neuerfundene Kunft mashte und mit roelchem rühmlichen 
Fleiß fie getrieben wurde. G.'s Druderei beftand bis 1465 in Mainz. Um diefe Zeit 
wurde er von Adolf v. Naſſau In den Adelftanderhoben, ſtarb aber bereits d. 24. Febr. 
1468. Über fein Leben und Wirken und den Hergang der Erfindung und erften Aus 
bildung der Buchdrudicei mit beweglichen Lettern berrfcht im Ganzen viel Dunkel⸗ 
heit, die jegt ſchwerlich aufgeklärt werden dürfte; doch haben mehre Literatoren, wie 
> B. Fifcher in f. „Berfuch zur Erklärung alter typograph. Merkwürdigkeiten“ 
(Mainz 1802), Wolf in den „Monumenta typographica” x, (Hamburg 1740), 
Oberlin in den „Beiträgen zur Geſch. Gutenberg’s” (Strasb. 1801), Denis, Lich-, 
tenberger, Panzer, Lehne u. A. m. ſchaͤtzbare Aufſchluͤſſe hierüber gegeben. 
uyenne, f. Aquitanien, 

Guyon, f. Auietismus, 

Guys (Pierre Auguftin), geb. zu Marfeille 1721, Kaufınann in Konſtanti⸗ 
nopel, dann in Smyrna, berühmt durch f. Reifen und die darüber herausg. Werke, 
wurde zum Mitgl. des Inſtituts umd der Sefellfch. der Arkadier in Rom ernannt, 

ein erftes Wert (17144) enthält die Begebenheiten f. Reife von Konftantinopel nach 
Sophia (der Hauptſt. der Bulgarei) in Briefen. 1748 fihilderte er in Briefform fe . 
Reiſe von Marſeille nach Smyrna und von da nach Konſtantinopel. Am mehrften 
verdanfte er f. literar. Ruf f. „Voyage litieraire de la Grece” , im welchem Werte 
er mit ebenfo viel Scharffinn als Sachkenutniß den Zuſtand Neugrchenlands-und 


958 Gdyges Gymnaſtum 


der Nengriechen mit dem der Altgriechen und ühren fiaatlichen und boͤrgerlichen Ein: 
richtungen vergleicht ımd auseinanderfegt. Als Dichter u: schte fich G. bei Sielegen: 

it einer Reiſe nah Neapel durch ſ. „Jahreszeiten“ befannt, die Damals zemlichen 

#fall fanden. Als f. „Voyage de la Grece” erfihien, wibmete ihm Voltaire ex 
nige fehr ſchmeichelhafte Berfe, und die Griechen, erfreut, in ihen einen Mann zu fin: 
den, der nicht, wie dies gewöhnlich gefchieht, in dieſem unglüdtichen Volke Lauter 
Nihtswürbige fah, überfandten ihm das Diplom eines Bürgers von Athen. ©. flarb 
719 3. alt, 1799 auf der Inſel Zante, eben da er im Begriff fland, zu der dritten 
Ausgabe ſ. Reife durch Giriechenland neue Materialien zu fanumeln. & Soße von 
ihm, Pierre Alfonfe, war als ©ecretair bei den franz, Geſandtſchaften nach 
‚Konftantinopel, nah Wien und nach Liffabon, angeftellt und erhielt hierauf die Stelle 
eines Conſuls in Sardinien, fpäter in Tripolis in Afrika, und zuleßt in Tripolis in 
Syrien, wofelbft er 1812 farb. Er gab Briefe über die Türkei heraus, in welchen 
der Derfall Diefes Staates recht gut daryefielle iſt. Auch war er der Berf. des Luft 
fiels „La maison -de Molieıc”, in 4 Acten, welches Goldoni umgearbeitet bat. 

Gy ges, ein Sünftling des Indifchen Königs Kandaules, welcher, um ihn 
son der Schönheit f. Gemahlin Durch Augenfchein zu übergeugen, ihm diefelbe einft 
zeigte, als fie fich entkleidet niederlegte. Diefe Unverfchämtheit erzürnte die Königin 
dermaßen, daß fiedem G. die Wahl ließ, entweder ihren Gemahl zu ermorden und als 
ihr Gatte das Königreich zu beherrſchen, oder felbft ſ. ſtrafbare Neugier mit dem Tode 

bezahlen. G. ermordete daher, nachdem er vergebens den Entfihluß der Königin 
** hatte, den Kandaules, und ward von dem delphiſchen Orakel in der Herr⸗ 
ſchaft beſtaͤtigt. Die Fabel ſpricht von einem Zauberringe, den ©. als Hirt in ei⸗ 
ner unterirdiſchen Höhle gefunden, und welcher die Kraft gehabt habe, f. Beſther 
unſichtbar zu machen, fobald diefer den Stein deftelben einwärts kehrte. Mit Huffe 
des Ringes foll er Die Umarmungen der Königin genoffen und feinen Herrn ermordet 
haben. Den Ring des G. befißen, wurde nachher fprüchwärtlich bald von wankel⸗ 
mütbigen, bald von boshaften und Kiftigen, bald von glüdlichen Leuten gebraucht, 
die Alles, was fie wuͤnſchen, erlangen. 

Gy mmnafinm hieß bei den Spartanern der öffentliche Ort (das Gebäude), 
wo die Jugend fich nackt (daher der Name, von Gynmos, nackt) im Springen, Raus 
fen, dem RBerfen mit der Wurfſcheibe und der Lanze, dem Ringen und Fauſtkampf, 
oder dem fogen. Fünftampf (Pentathion, quisquertiun, übte. Dieſes fpartan. 
Inſtitut wurde in den meiflen Städten Griechenlands umd zu Kom unter den Caſo⸗ 
ren nachgeahmt. Eine folche Erziehungsanftalt blieb aber nicht auf die korperlichen 
Übungen eingefehräntt, fondern dehnte fich auch auf die Übungen des Geiſtes aus, 
indem bier die Philoſophen, Rhetoriker und Lehrer andrer Wiffenfchaften ihren Uns 
serricht ertheilten. Sin Athen waren 6 Eymnaſien, unter denen die Afademte, das 
Lyceum und Kynofarges die berühmteſten waren. In dem erften lehrte Platon, im 
gweiten Ariftoteles, im dritten Antifihenes. Diefe Gymnaſien waren in den älteften 
Zeiten offene, geebnete, mit einer Umfaſſung eingefchloffene Pläge mit Abtheilungen 
für Die verfehiedenen Spiele. Um Schatten zu erhalten, pflanzte man Reihen von 
Platanen, die nachher in Säulengänge mit verfehiedenen Behaͤltniſſen verwandelt 
- wurden; endlich wurden die Gymnaſien eine Menge aneinanderhängender Gebsude, 

die geräumig genug waren, mehre Taufende zu faffen. Bon der Einrichtumg derfels 
ben bat Vitriw in ſ. Werk über die Baufunft (5, 11) eine genaue Befchreibung ges 
geben. Indeß enthielten manche Gymnaſien bald.mehr bald weniger Theile, alle 
aber außerdem noch eine Menge andrer Verzierungen. Hier fand man die Sta: 
tuen und Altäre des Mercur und Hercules, als der Götter, denen die Gymnaſien 
gebeiligt waren, oft auch des Thefeus, al des Erfinders der Kunſt zu ringen; Sta⸗ 
tuen von Helden und berühmten Deännern, Gemaͤlde und Basreliefs, Gegenflände 
der Religion und —— darſtellend. Eine gewoͤhnliche Verzierung der Gymna⸗ 
fin waren Hermen. So verſammelte ſich bier Alles, wos Junglinge in den 


, 


Gymnaſtik Gymnoſophiſte 959 
Künften des Friedens und Krieges unterrichten, erheben und begeiftern fonnte, und 


der Staat, Künfte und Wiffenfchaften erhielten fich blühend, fo lange die Gymnaſien 


cehörig unterhalten wurden. Der Borfteher hieß Gymnaſiarch; Gymnaſten 
Ichrten die Theorie, und Padotriben ftanden dem prakt. Unterrichte der gymnaſt. 
Übungen vor, fowie die Eyftarchen denlübungen in den £yften (Stadien), Bie⸗ 
weilen nennt man ein folches Gymnaſium auch Paläftra, welche eigentlich nur 
der Theil war, wo Diejenigen, welche fich zu Athleten, d.h. zu Kämpfern in den öfe 
fentl, Spielen, bilden wollten, im Fauſtkampfe geübt wurden. Ignara iſt der Diet 
nung, daß zu der Zeit, mo die‘,“gilofopben u, A. hier zu Lehren anfingen, ein Unter 
Ki zroifchen Gymnaſium und Palaͤſtra gemacht worden fei: diefe habe nur den 
la für die korperl. Übungen, jenes den lag für den geiftigen Unterricht bezeichnet, 
In diefem Sinne hat man in neuern Zeiten die öffentl. gelehrten Schulen, in denen 
man die Schüler auf die Univerfität vorbereitet, Gymnaſien genannt, In Rom 
hatte man zur Zeit der Nepublif eine Bebäude, die fich mit den griech. Gymnaſien 
vergleichen ließen; unter den Caͤſaren aber laffen fich die öffentlichen Bäder damit 
vergleichen, und man Bann fagen, daß die Gymnaſien in den Thermen untergingen, 
Symnaftit, die Kunft, dem Körper nach den Kegeln durch Übungen Fer⸗ 
tigkeit, Behendigkeit, Dauerhaftigfeit und Geſundheit zu verfchaffen, Eurz, die Kunſt 
der Leibesbervegungen, Wortund Sache find griech. Urfprungs; denn in Griechen: 
land bifdete man zuerfl diefe Bewegungen zur Kunft aus, (&, Gymnaſium.) 
Sie kam aber von den Kretenſern nach Sparta. Man unterſchied daſelbſt 8 Arten 
von Gymnaſtik: die kriegeriſche, welche fi auf Angriff und Nertbeidigung bezog, 
die medicinifche, welche die Erhaltung der Öefundheit bezweckte, und die atbletifche, 
die berühmtefte unter allen, welche ihren Urfprung dem Vergnügen verdankt und 
dem Verlangen, von f. Kraft und Geſchicklichkeit offentl. Beweiſe abzulegen, Die 


erſte Art beftand in Übungen des Laufen zu Fuß, Pferd und Wagen, im Springen, 


Ringen, Werfen und Bogenfchießen; die zweite vereinigte mit einigen der. erſten 
Tanz, Ballfpiel, Bäder und Salbungen, und der Arzt Heradikos fol fie, kurz vor 
Hippofrates, in die Medicin eingeführt haben; zur dritten Art gehörte Allee, weſ⸗ 
fen ein Athlet bedurfte, um in ben öffentl. Spielen den Sieg zuerhalten. Diefe dritte 
Art nennt man bald Athletik, weil die Übung in Kämpfen beftand, bald Gym⸗ 
nif, weil man nadt kaͤmpfte, bald Agoniftik, weil fie Hauptgegenftand der oͤf⸗ 
fentl. Spiele war. Um diefe Kunft zu ben, reichte man mit den Vorbereitungen 
der Gymnaſien nicht aus, fondern bedurfte noch weit fehwererer in der Paläftra, 
Durch eine eigens dazu angeordnete Lebensart wurden die Athleten zu ihrer Kunſt 
vorbereitet, Man fieht übrigens, dag diefe Eintheilung mehr zufällig ift, alsin dem. 
Weſen der Kunft felbft gegründet, und daß fie Eeinesivegs alle hier aufzuführende, 
bungen umfaßt. Abgefehen von aller Anwendung, zerfallen die Leibesbewegungen 
in 2 Claſſen: 1) in folche, die allein durch die eigne Bewegung des Körpers voll: 
bracht werden, und 2) in folche, zu denennoch ein fremdes Berwegbares hinzufommt, 


* Bu der erften Claſſe gehören Sehen, Balanciren, Laufen, Tanzen, Springen (Bots 


tigtren), Klettern, Ierfen, Schleudern, Ringen, Fechten, Schwimmen; zu der ans 


dern Reiten und Fahren. Sollen diefe Übungen geſetzmäßig getrieben werden, fo 


muß die Gymnaſtik von einer in den Geſetzen der Mechanik begründeten Theorie 
ausgehen, Syn der neuern Zeit verfuchte man diefe Eunftmäßig betriebenen Übungen 
in der Gymnaſtik wieder in den Jugendunterricht einzuführen. &o in der Sal 
mann’fchen Erziehungsanftalt in Schnepfenthal; fpäter in der Turnkunft, Zu 
London legte Clias 1823 eine Normalſchule für Gymnaſtik an; nach ſ. Methode 
befinden fich ähnliche Turnanftalten bei den Kriegefhuten zu Chelfea, Greenwich, 
Sandhurft und Woolwich. In Paris blüht des Oberften Amoros Gymnase nor- 
mal, militaire et civil, | 

Gymnoſophiſten (auch Brachmanen) nannten die riechen die Indiz 
ſchen Philoſophen, weil fie, der Sage nach, unbefleidet gingen und in 2 Sekten, 


1) 


960 Ghynaͤceum Gytomantie 


Brahmanen (Braminen) und Samanen (Sarmanen, Germanen), getheilt wurden. 
Von ihren philoſophiſchen Syſtemen wiſſen wir nur ſo viel, daß ſie das Weſen der 
Philoſophie in ſtete Contemplation und in die ſtrengſten aſcetiſchen Übungen ſetzten, 
wodurch fie die Macht der Sinnlichkeit zu befämpfen und mit der Gottheit ſich 
yereinigen ſuchten. Sie verbrannten fich oft Tebendig felbft, um defto eher 
n eimen reinen Zufland überzugehen, wie z. B. Kalanus in Aleranders Gegens 
wart, und Zarimarus zu Athen, als Auguft fich dafelbft befand. Die Unbes 
kanntſchaft der Alten mit Indien machte übrigens, daß man viel Wunderbares 
von ihnen erzählte Auch die äthiopifchen Weiſen werden fo genannt. 
Gpnäceum (Opnäkeion, Gynakonitis). Die Griechen lebten 
mit ihren Frauen nicht nach der Weiſe der Neuern in einer freundfchaftlichen Bers 
traulichkeit, fondern in einer gewiffen Abfonderung, welche aus den frühern Zeiten 
qurüdtgeblieben war, wo die Weiber als Sflavinnen und Eigenthum der Männer 
angefeben rourden, Jene bewohnten daher einen abgefonderten Theil des Haufes, 
welcher Gynaͤceum (Srauengemach, Frauenziinger) hieß und in dem innern ents 
legenſten Raume des Sebändes, noch hinter dein Hofe, befindlich war. — Gynäs 
Tologie, Lehre von den’ eigentbümlichen gefunden und krankhaften Zuſtaͤnden 
des Weibes. S. D. Carus's „Lehrbuch der Gynakologie“ (2 Thle., Lpz. 1828), 
Gyps (fhwefelfaurer Kalk). Diefes Diineral kommt in folgenden 
Arten vor: 4) Das Marien: oder Frauenglas erfcheint Fryftallifirt in ſchie⸗ 
fen gefchobenen Säulen und in Erpftallinifchen Maſſen von deutlichem Blätter: 
gefüge, iſt wafferhell und grau, durchfichtig und weich, ‚Es kommt am häufigften 
im Gyps⸗ und Steinfalggebirge, feltener auf Bingen vor. 2) Der Fafergyps 
tommt derb, von faferigem Gefüge, von weißlicher und grauer Farbe und durch⸗ 
fcheinend auf ſchmalen Shrigen und Lagen im Gypsgebirge vor. 3) Der Schaum: 
gyps befleht aus fchuppigen, loder verbundenen Theilen, iſt ſchneeweiß und kommt, 
forsie auch die Gypser de, mit andern Öppsarten vor. 4) Der förnige Gyps 
Bat ein Eorniges Gefüge, roelches auf der einen Seite ing Dichte und auf der andern 
ins Schuppige und Blätterige übergeht; ſchneeweiße, ins Röthliche, Graue, Blaue 
und Selbliche fich verlaufende Farbe. &r bildet die Hauptmaffe der Gypsgebirge, 
welche in der Ur⸗ umd Übergangspeit nur felten auftreten, dagegen in der ältern 
Flotzperiode bedeutende Maſſen bilden. Sehr Häufig kommt das Steinſalz mir ihm 
vor, Don Reften einer frübern organifchen Welt ift er theils ganz frei, theils ent⸗ 
Fur er nur wenig, als Gerippe von untergegangenen Abaͤnderungen vierfüßiger 
biere, Vögel, Amphibien, ferner Suͤßwaſſermuſcheln und vegetabilifche Reſte. 
Haͤufig find in dem Gyps Höhlen (Schlotten, Kaltichlotten) und Erdfülle (Sees 
löcher). — Der reine feinförnige GOyps, der Alabafter, dem Marmor, was die 


Dauer angeht, nachſtehend, auch ſchwieriger zu poliren, aber leichter zu behauen . 


und-zu fchneiden, vwoird zu Statuen, Säulen, Bafen, Dofen, Luftres, Tifchplatz 
ten, Uhrgebäufen ıc., zu innerlichen Verzierungen der Gebäude ıc, benußt. Als 
Mauerftein ift der Gyps ſchlecht. Den gebrannten Gyps (Sparkalk) brauche 
man zu den Stuffaturarbeiten; man bereitet aus ihm den Gypsmar mor, womit 
man Winde, Zäulen u. f. w. überzieht und diefe Dede dann fihleiftz auch werben 
Böden damit ausgegoffen (Eftrich), und der daraus bereitete Mörtel (Gypsmoͤrteſ) 
wird zum Mauern an trodenen Stellen benugt. Der gemaßlene, robe oder ges 
brannte Gyps wird auch zur Derbefferung des Bodens angewendet. Den Fafers 
gyps benußt man zur Ausfertigung von Halsbändern, Obrgebängenc. MH. 

Gyromantie (von den griech. Wörtern Gyros, Kreis, und Manteia, 
Welffagung); die Wahrfagefunft mittelft geroiffer Kreife, welche der —I 
mit allerlei Feierlichkeiten beſchreibt, und in denen er unter Herſagung von Zaubers 
ſprüchen und andern gebeimnißvollen Sebräuchen herumgeht, um Unerfahrene deſto 
leichter zu bethoͤren. - 





— — 


Berzeihniß 


ber in dieſem Bande enthaltenen Artikel. 


— 


Converſations/Lexikon. Bd. IV. 


61 


Seite Seite Seite 
Gi a 2 
abel, Tabulifien .„ — —3— — Sn . 2.2. — 
Faber (Theodor von) 2 Fahnenberg (Haid Sanaristn . . . — 
Sabier . 2... 4 Joſeph Karl von) 42 Sanatismuıs .,. — 
Fabius Maximus Fahneneid, Fahnen⸗ Fandango... 27 
(uintus. —  Iehen, Fahnen * Sanfare, Fanfaron, 
Sabliers u. Fabliaug, fehmied, Fahnen⸗ Sanfaronnde . — 
f. Srangöfifche Lite: hub, Fahnen⸗ Fantucci (Marc, 
ratur 2 0 00 fehmwung, Fahnen: Graf) .. — 
Sabre d'Eglantine Phi⸗ Daher Fre — 
lippe Srangoie) . — Bahrbüchfe, Fahrende Sarbe 0... 38 
Kabretti. . oo Habe, Fahrrecht, Farben der Pflanzen — 
—5 (Cafus). 6 Fahrt, Fahrſchacht, Sarbengebung . . — 
abrichus (Yohann Fahrwaſſer.. — Farbenlehre . . 29 
Albert) .. — Gaprenpeit (Gabriel Farbekunſt, Farberei 31 
Gabrieius (Johann Daniel . . . 43 Färberröthe, . ,„ — 
Chrifienn . » 7 Bealir . — Sürbeflöffe . . .. 32 
Sabrit, — Se (Thomas, — Farſe.. — 
bricat . . — — Faria y Souſa (Ma: 
Fabroni (Angel) . 8 Gute Anton Kein: nl) . 2.2.0. 
acade . . . — bi). . 44 S$arinelli (Carlo Bro: 
Facciolati — — Falkonet (Etienne di) . ... 83 
Sachinger Waffer . 9 Maurice) . . — Farnefe (Haus — 
Gadeltanz . .. +. — Falieri (Marino). 16 Pietro — Ottavio 
—A ee. Falk (Johann Da: Aleffandro — Ra: 
actor, Factorei, Fac⸗ nel) . © 00 muziol. — Odoardo 
toreien, Factoreis Falke, Sallneri . 8 — Ranujzioll. — 
ande . „. . AO Falkiren, Falkade. 19 Francesco — Eli: 
Facultaͤten, ſ. Univer: all der Keörrper. — ſabeth — Antonio) 84 
ſitaäten... — Fallgut, Falllehen. 20 Farquhar (Georg) . 36 
Faden 2... — Falliment... 21 Farrill (Gonzalo, 09 — 
Fagel (Familie, — Fallſchim . . 25 Faſanen, Safanerien 87 
Kaspar — Sranz1. Falſch, Saltäpei, Base . . — 
— Franz il. — Falſches ih . — So (Rarl Friedrich 
Franz Ill, — Hein: Beet (Sir John) —  Ehrifon) . . — 
rich 1. — Franz Ni⸗ alſet, ſ. Sifel . — Faſchinen . . 
colaus — Hein⸗ Faltenwurf, ſ. Dra⸗ Faſching, Faſten, f. ſ. 
ci 1.— Jakob — perie und Gewand — aſtnacht u. Car⸗ 
Robert)... — Falter (ME Ye TE VE nwol , 0m 


862 


Favart (Marie Yu: 


Seite 
Saft... 38 
Saftnacht, Faſtnacht 


fpiele, Faſtenzeit — 
Fatalismus, Fataliſt 40 
Fata Morgana. — 
Fatum — 


Fauche⸗ Borei (Louis) 41 


Fauglas de Saint⸗ 
I (Bartheles 


Sau 0... 
Fauna 00. 43 
aunen - ‘. . . 0 —⸗ 
Fauſt (Johann) . — 
Sat (Bernhard 
Chriſtoph) : . 46 
Fauflinn . . » . — 
auftreht . 46 
Favart (Charles Se 
mon — Charles 
Nicolaus) . . 4 


fline Benedicte) 
Savier .'o . 
Sarardo (Diego de 
Saavedra) 
Fayence... 
3 Marquis de 
la), ſ. Lafayette — 
Fayette (Marie Mag⸗ 
dalene, Graͤfin de 
lo), ſ. Lafahyette — 
Febronius, ſ. Hont⸗ 
beim . . .. 
Februar . . . 
Febvre (Francois % 6: 
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» (Francois Joſeph) 50 
Sehter, Fechierſta⸗ 
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Federkraft, ſ. Elaſti⸗ 

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Schrbelin . . . — 


Feigen, Seigenfäfe . 57 F 
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Felbiger (Johann Ig⸗ 


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Geldänite, Feldlaza⸗ 
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Feldgefchrei . 


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Feldzeichen, Selb: 
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Feldwacht 
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Fellenberg (Philipp 


Emanuel von) . — 
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Semgerihte . — 
* GSrancois de 
Salignac de la 
Motte) ... 
Feodor Iwanowitſch 67 
Feodoſia, ſ. Kaffa. 68 
Ferdinand l. — IV, 
(deutſche Kaifer) — 
Ferdinand V. (König 
von Spanien) . 10 
Ferdinand I, (König 
beider Sicilien) — 
Serdinand VII. (Kö: 
nig von Spanien) 712 
Ferdinand (Karl en 
ton Joſeph, Erg 
herzog von —*— 
reich — Ferdinand 
Karl of. v. Eſte) 75 
Ferdinand lII. (Joſeph 
Johann Baptiſt, 
Großherzog von 
Toscana). 7 
Gerbufi (Iſhak Ben 
Scerifiihah) . 78 
Fere Champenoife, f 
Paris (Einnahme 
im 3.1814) . 79 
ien .o . ' 


p\ XX 


— Be tgoſvb 
— Ferſen Arel, Graf) 


Feſt⸗ und Feiertage 


Verzeichniß der in diefem Bande enthaltenen Artifel. 


Seite 


Fermate. ... 79 
5 Fern 


ey 
Fernom( Kari? Ludwig) * 
Fernrohr, Fernglas 81 
eronia . » 82 
Serrand (Antoine, 
Graf) ... 
Serrara . 


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Graf von) 
Ferreira Antonio) 
Ferreras Quan de) 
Ferro 


Feſcenniſche Berfe . 
31 (Jeſeph) . - 

6 und Maröfos . 
Feßler (Ignay) 


Feſte (kath)... 
Fllen . . .» 
Feftung . 

Fetfa, Muri” 
Fuſchemus . 


SIRISIBIRITIEIIE. 


66 ecdaiat, Feudal⸗ 


— ſ. Lehnrecht, 
Lehnſyſtem .. 
Feuer, ſ. Wärme . 
Feuer (griechifches) 
Feuerbach Paul Jo⸗ 
Bann Anfelm von) 
Feuerdienft, Feuer: 
verehrung. . 
Seuertugel . 
Feuerland '. . 
Feuerpolizei, ſ. Poii⸗ 
zei⸗ und Rettungs⸗ 
anſtalten... 
Beuerprobe, ſ.c ſ. Orda⸗ 


still 


"ls 


Geuerfchwamm .— 
Feuerfpeiender Berg, 

f. Vulkane 
Feuerſtein . . — 
Feuerbergoldung . 100 
Feuerwerkerkunſt. — 
Feuerzeug . 
Feyerabend (Jo⸗ 

hann J. — Hierony⸗ 

mus — Johann IL 


“ ® ’ 


Verʒ eichniß der in dieſein Bande enthaltenen Artikel. 


Seit 

—Sdriſtoph — 
igismund 
Karl Sigismund 102 
Fiber, Fibern, Fibrös — 


Fink (Friedrich An: 
guft von) . . 42 
Finnen ei. 
Finnland . . . 124 
Sinfterng . . . 1 
Fioravanti (Balent.) 128 
Birenzuola, f. Nan⸗ 


Firmament , j 


e . 


- 


Seite 
0 0 41% 
Firmen . 2. — 
Firmung (fath) . — 
Firmian (Karl Jo⸗ 


Slamme, f. Wärme — 
Slammöfen . . 
Sanflech (John) , j 140 
Flanke, Klanqueurs, 
Slangquiren . 
Flaſche (leydner) . 
Flaſchenzug + — 
Staffan, ( getan de 
Xaris de) 


Seite 
Bau 2.2.0.1 
Klarman (“John 9— . — . 
Flochier (Esprit) . 148 . 


Flehen . . . 144 


ichte (Joh. Oonttieb)108 ſeph, Graf von — Flechten, Flechte — 
ichtelber Leopold Anton) 128 Fleck (Johann Fried: 
Ficinus Marfil iu) — Sin 2... rich Herdinand). — 
Kictionen . Firnigbaum . . 45 Fleiſch . 146 
5* — ſ. FI — Fivscal — Si . — 
ideicommiß. — Sifhart (Zobann) . — Flemming Paut) . — 
Fieber. Siihben -. » 130 Flemming (Jakob 
Fieber (gelbes) . 4106 Fifche Heinrih, Graf 
Fielding (Henry) . 107 Fiſcher Gotthelf) . 182 von) . . . ,447 
Fiesco (Giovanni ih (Tpriftian Aus Felde » . 2: — 
Luigi de’ Fiecchi) 110 uf) . . 133 Fletcher (John), f. 
Fiefole (Saeti Toſini) 12 Fiferring (kath) . 13 Beaumont und 
Fievée (J.) .. Fiscus. Fletcher — 
Figur, Fourlich, di ee ei 436 Fleurieu Charles Pi⸗ 
qurirt „+ 15 Fiz.... — erre Claret, Sof 
Figuranten. » . 116 Fume . . — ao) on 
igurirte Jhlen . — Fr .. 2.0. eurus 148 " 
ilangiert (Gaetano) . a Piacidue) 108 Fun (Andre Ser 
—* (Bincenz v.) 118 eulede) . 
iligranarbeit . . 119 * Cajus ale —* laude) . 149 
Sieren . .— 187 leye de Thaboulon 
Filz.... — Br, Bligenmep P. A. Edouard, 
Finale .. — unft » Baron) . . . 150 
Sinanpriffenfchaft , , glas giacheinm· Fleury (Bernard), ſ. 
ſ. Staatsfinanz⸗ maſchine, ſ. Lein — FranzoſiſcheSchau⸗ 
wiffenfchaft . — Flacius (Mathia) — ſpielkunſt und Pa⸗ 
Findlater (Lord Ya: Flagellanten — riſer Theater — 
mes Earl of Sind: Flageole..— Flibuſtier — 
later and Seafield) — Flagge, Flaggenſchiff, Fliege. . 152 
Findling.. . . 0 Flaggenofficiere . 139 Slinderg Manpine) — 
Sing (Fin Da a (Srauv.) e_ Flinte ., 158 
DD... 2 Sou Flintglas — 
Fingalehohle 122 Slamändifche Sul, Flittergoßd, Flitter: 
Fingerſetzung . — a Niederlandiſche ſilber, litten. — 
Finiguerra (Tom: Schu . . . Slögel (Karl ried. 
mafo) . .. —. Flamen . .» rich) 54 
Finisterrae, Finis —— giimiches tor, Blumenflor . 
terre — R Flora.. 


Florentiner Arbeit — 
Florentiner Lacke. — 
.155 
. 167 


Sloreny . . » 

Flöoret 0. 
Florian (Jean Pierre 
Klorida ® [2 % “ 158 
Florida = Blanca 


(Francesco Anto: 
6 * 


964 Verzeichniß der in diefem Bande enthaltenen Artikel. 


Seite 

nio Monino, Graf 
von) ® ® “ 58 
Floris (Kranz) . 159 

Florus (Luchs 

näus) er Fe 
—9 Floß Er 
Flot .. . 162 


6 
Fon, Flotte, Flottille — 
Floͤtze, Floͤzgebirge, 
K. Geologie und 
Geognoſie 
—** keit 
Klüe ( 
der) . 00 0 — 
Glügel, Slügelgraben, 
‚Slügelmauern . 163 
Slugfond „. .„ . 164 
Sub, Flußgötter — 
Fluß, Stasflug SC 


mie) . 

7 — Flußſaure — 
Iuhgebiet + .165 
lüſſigkeit 
uf ſ. Ebbe . 
lynz 
0 . ® 0 ‘ ® 

Focus, ſ. Brennglas 167 

—— 
ve (Daniel) . . 111 

Ser (D (Safton de), ſ. 


ſton 
Folard ( hartes, C he⸗ 
valier de — Hubert 


3— 0 ® . 


icolaus von 


® 
m 
“ ‘ 2 


Font (Peter Anton) 473 
Fontaine (Jean la), f. 

Lafontaine (Jean) 181 
Sontainebleau . » — 
Eon (Domienico) — 

ontana (Felice — 

Gregorio — Maria: 

no — Francesco) 182 
Sontanes (Louis, 

Marquis von) . 183 
Fontanges(Herzoginv )— 
Fontenay .. . 184 
Fontenelle Sanaid 

le Bovier de) 


Forſter 


®e ’ 


| | Seite 
—* .4 186 
ontindlien . - » 
a (Samuel) . 
orbin (Louis Nicolas 
Philippe Augufle, 
Graf von . . 186 
—* —2 — 
orderung, ſ. Berg⸗ 
werfsfunde . . 1481 
Forkel (Johann Ni⸗ 
colaus) 


orm 0 0 — — 
ormalien, Formali⸗ 
taͤten, Formaliter, 
Formai iren, For: 
maliſt, Formeln, 
Formulare „ . 188 
Formerei und Gieße⸗ 
rei, ſ. Eiſen 
— Formey(Joh.Samuel) — 
Bere (%o5.Ludw.)189 
ormfchneidefunft, f. 
Holzſchneidekunſt 190 
goretäl (Peter) . 


ee oh a 191 


— zorſe Ani Georg 
192 


. .s 


gute Weirg . 193 
orſtweſen, Forftwif: 
fenfhaft, Forſt⸗ 
wirthfehaft, Forſt⸗ 
wirth, Forftbenu: 
Bung, Forſttechno⸗ 
logie, Forſtſchutz, 
Forſtpolizei, Forft- 
taration, Surfein 
- richtung, Forſtver⸗ 
meifung . . . 19% 
Fortdauer der Seele 198 
Fortepiano, f. Piano: 
forte . . . 
Fortification, f. Krieger 
baukunft . . 
Fortinguerra Rico) — 
Fortuna 201 


Forum . . — 

Foscolo ug)” . 202 

Soffie Knochen, f. 
Umelt „ „ . 208 


— —9 Frachtfahrer 214 


Seitz 
Soffilien 
Bl (John) . — 
Fouche (Joſcphy 
Foulis (Robert) — 
Andreas) . . 206 
Fouque (Heinrich Au: 
gu ae, de la 97 


{ ® 


Fer WGrieirih, 
Baron de la Motte 
— Karoline, Ba: 
ronin de la Motte) — 
Fouquier = Zinville 
(Antoine Quentin)20 
Bee ine 
Trance) . . 209 


Borg Qui: 


gor( Charles James) 210 
50) Darimilian Se: 


fan ... 
Sracafloro (Geroni: 
. 213 
Srachtregulirung . 216 
ratur „ „0. . 218 


Sragmente (Wolfen: 
büttelfche),, ſ. Leſ⸗ 


N 2 2 22 
Fraiß 2:0 00 ee 
ranc . — 
— (D ), ſ Ya: 
vaguy . » — 
Francia (Francesco 
— Siacom) . — 
Sraneisca (Herzogin 
von Würtemberg), 
f. Hohenhein — 
Francisanr „. „ — 


Franciscus (St.⸗), f 
Franz von Aſſiſi 221 


0 Frank (Johann Peter 


———— 


— Joſeph) . 


Drancois de Neufche- 
teau (Nicolas, 
Graf) — 


Francois de Paule, ſ. 
Franz von Pauia 222 
Sranfe Ausuf Her: 
mann) 


r . 6 


| 





| 
| 


: 


| 


Berzeichniß der in diefem Bande enthaltenen Ariikel. 


Seite 
Sr Stiftungen 223 
ranfe (Sebaftian) 225 
Franke 
—ãA W 
ranken, Fraͤnkiſcher 
Kreis... 
Srantenberg (Sploius 
Friedrich Ludwig, 
Sreiherr von) . — 
Dec ne . + 226 
- Srantfurt am Main — 
Frankfurt a.d. Oder 227 


® ® 0 


Franklin (Benjamin) 228 Fr 
krei 30 


In reich . » 
rankreich vor der Re⸗ 
volution „ . . 26 
Frankreichs geogra- 
phifch = ſtatiſtiſcher 
uftond . . » 
Sranquemont (Fried: 
rich, Graf von) 
Franz von Affıfı — 
Franz von Paula . 296 
Franz I. (Konig von 
Srankreih) . . 297 
Franz Il, (König von 
Frankreich) . 
Franz 1. Stephan 
(deutfcher Kaifer) — 
Franz l. Joſeph Karl 
—5— von Of: 
reich) \. 800 
Fran; Leopold Fried: 
rich (Herzog von 
Deffau) . . . 304 
Frangbranntwein, f. 
Branntivein 
Srongensbrun . — 
Franzöfifche Akademie — 


295 


Franzoſiſche Bank. 303 F 


Sranzöfifehe Gefeßge: 
bung, f. Codes (les 
cing) . . 804 

Granpfi ifches Deci- 
malfpfiem . 

Franzöfi ſche Bildhauer: 
Eunft, f, Bildner der 
neuern eit . — 

Franzoͤſiſche Literatur — 

Sranzöfıfche Literatur 


— 


in der neueſten Zeit 834 F 


—  Sranzfifche Schule 


on v v ‘ ® 
5 Frayffinous (Denis 


. 302 


Seite 
Franzoſiſche Medicin 


und Chirurgie . 338 $ 


Sranzöfifche Dufi k 341 


— Franzoſiſches Recht, ſ. 


Codes (lcs cing) 345 
Sranzöfifche Sprache 349 
Srangöfifche Staats⸗ 
eunft „ :. . °. 354 
Sranziveine . 0.856 
rauen , 
Sraueneig, f. Gere 360 
auenlob (Heinrich) — 
Srauenfommer. 3 
rauenvereie — 


Fraunhofer (Joſeph 
v 6 


de eo... 
Fredegonde « + 366 
Srederitsoord . . 
Frediani (Enegildo) 367 
regatte, Sregaton 368 
rebeg. oo.» 
Sreibeuter 


reiburg 
Freicorps 
Sreidant , . 
Freie Kuͤnſte, ſ. Kunſt — 
Freidenker.. 
Freienwalder Send: 
brunnen „ „ . 37 
Freie Staͤdte . . 
Sreigeding, Freige⸗ 
richt, Freigraf, f. 
Femgeriht . . 374 
Freigeiſt... 
Freigelaſſene . . 


T reigut 2 
Freihafen 
Freiheit. 
Freiheit (kirchliche) ſ. 

Religionsfreiheit 316 
Freiheitsbaum, Frei⸗ 

heitsmuͤtze Pr VE 
Freiherr, f. Baron 
$reimaurer, Freimau⸗ 
‚ rerbrüderfchaft . 


976 


2 0 


N 985 | ka. 
Freinsheim (Joh. | geia L Wilhelm 


reiſaſſe... 


2 Freyre (Manvelh). 


5 ib 9; . ‚870. 
reibriefe, f. Licenzen — 
299. % iefe, ſ. Licenz 


965 


: 


Freitag een. 8b. 
remde . Zr Zr Benni 
Sremdenbill . + 887 
Freret (Nicolas) .„ — 
Freron (Elie Cathe⸗ 

rine) . 0000 00 u 
Treron (Stanisfaus) 388 
Ares . u 
Treudenpferd . . 389 
Gremafgaftlice In: 


Bra f. Nordiſche 
ythologie. 300 
Freycinet (Louis de) — 
Freygang (Wilhelm 
von) PEN 02 


Friedensgerichte . 392 


5 Friedensfhluß „ . 394 


Sriedensfchlüffe . 396 
Friedland (Schlacht bei) 
ridlond . . . 896 
riedlinder (Dayid) — 
Sriedländer (Michel) 897 
Friedrich 1, (der Roth: 98 


rt 2’. >» 
— Friedrich II. (der Ho: 
benftaufe) . . 399 
2 Friedrich III, (der 
Schöne) ,„ . . 404 
— Griedrich III, (deut: 
ſcher Kaiſer) . 406 


3 Friedrich der@äebiffened09 
‚Friedrich VI, (König 


von Dänemarf) 410 
Friedrich Auguſt I. 
(König v.Sachfen) 411 

Friedrich Wilhelm 
(Rurfürft von 
Brandenburg) . 414 

Sriedrih 1. (König 
von Preußen) . 416 

Friedrich IT. (König 
von Preußen) . 419 

Friedrich Wilhelm 11, 
(König von Preu: 94 


fen) , ı . « 
Friedrich Wilhelm III. 
(König von Preu⸗ 


966 Berxichniß ber im biefem Bande enthaltenen Metifel. 
ü Edi 





lenhagen 
Froſft.. — Furſtenberg (Fürſten 24 
Fruch — * 2.469 
Fruchtbarkeit —  Gürftenberg (Friedrich 
Fruchtbringende Ge Wilhelm Franz, Bernhard von) 4856 
ſellſchaft 441 Freiherr von) . 410 Galenus (Claudius) — 
ME... Fü und ⸗ iſten, ſ. 
chtwein, ſ. Ede — fhder, . . . „U fine . . .. — 
tor : . . — FZüfenrcht . . 4712 Saleone, Salionifen — 
Trageni(Earlo Inno⸗ Kürftenfhulen . . — Osleote, Bombar⸗ 
en) - .:..:.— Fürth .. . . 4 diergaliote 486 
Srüblind . - . 448 Zug (Merstunfl) — erie — 
Frühlingsnachtglei⸗ Fuß (Muſikl).. — Saliani (Fernando) — 
de, Fruhling Fuß (Map). — alien . 7 
mit .. — Tu. . r . 8416 Salilei (Galileo) — 
Fry (Madame) 449 Zub . . .. — icien 
Fualdes (der Sul . — Balicien und Lodeme⸗ 
des)... — Füußli (Joh. Kaspar rien 


Za⸗ — 
46 — Joh. heinGau (Joh. Jolephy 492 


Verzeichniß der in diefem Bande enthaltenen Artikel. - 


| Seite 
Saollapfl . . 1 492- 
Galle, Sallenfteine. 493 
Sallert, Sallerte . 
Galletti (Job. Georg 
Auuf) . . . — 
Sallicanifche Kirche 494 
Sallicismus . 495 
Gallien . oo 00° 


Seite 
Sasarten . . . 516 
Sasbeleuchtunng . 519 
Safometer _— . » 520 
Safopyrion . » » 
Saffenerleuchtung .— 
Saffendi (Pierre — 
Sean Jacq., Graf) 521 


G 
Gaßner (Joh. —8* 


Gallier... 0.496 Baflin . .. . 
Gallimathias . 499 — 
Salltiin  ( Amalie , | Safmähler der Alten 623 
Fürſtin) .. — Gaſton de Foix.. 521 
Gallo (Marzio Me Gaſtriſch — 
ſtrizzi, Marquis v.) 500 Gaſtromanie, Goaſtro⸗ 
Galmei.... .50 nomie . . . 52 


Saluppi (Baldeffare) — 
Galvani (Aloiſio). 502 
Salvanismus . — 
Gama (Vasco de) . 504 
Gambe . .» . . 506 
Sanerben * 
ang, ſ. Geognoſie — 
Ganganelli, ſ. Cle⸗ 
mens XIV. . . 507 
Sangs . 
Ganglienſyſtem . 
Sangränn . 
Sant, Santbaus, . 
Gantmann, Sant: 
meifter, Santpre: 
ceß, Santrecht, 
Santregifter — 
Sarnymedes . . 508 
Sarat (Dominique 


p 

VominiqueFabry⸗ 9 — 
Garcilaſo de la Vega 

Vnca Garcilaſſo de 

loBega . . — 
Garnerin (Jean Bap⸗ 

tifte Dlivir— Eli⸗ 

Inh — Andee Jae⸗ 

® . 50 

. (Benvenuto) — 
Garrick (David) . 510 
Gartenkunſt . . bil 
Gartner ( (Karl Chri⸗ 


ftian) 5 
Garve (Thriftion) . 515 
Ga 


=] 


—2 
we 


® «4 0 1} 


Saftremantie .. 
Satterer Sean 
ter) ..7T 


a (Rarl Sran}) . "526 
Saudin (Martin Mi: | 
hei Charles) . 627 
Gauß (Karl Friedrich) — 
Savotte . oo w 


DE... — Seheimfhrift . — 
Gebaͤrde, Gebärden: Sehirn . „ . . 550 
fprache, Gebärden: Gehler (Johann Sa: 
il 2. 2... muel Traugott) 551 

Geben . . . . 581 Gehör 
Gebet . . Schorfm, f Kioſter · 
Gebirge, ſ. Berge . . 532 gelübte . . . 552 
Sebirgsarten, f. Seo: Gehoͤrwerkzeuge — 
anfe . — Sedruns ehrhobel 
Gebirgshͤe. — SGehrmaß 658 
Sebirgsfriieg . * — Geiler (Johann, von 
Sebläfe © . . . 5383 Kaiſersberg) — 
Gebrochen.. — Geige, ſ. Violine — 
Geburt... . 534 Geißelungen — 
Geburtsadel, ſ. Sr Seift. 2... . 6555 
add . . .536 Geiſt (der heilige) . 556 
Seburtshälfe . — Geiſt der Zeit 557 
Gedachtniß, Gedächt: Seiitererfeheinung . — 
nißtunft . . . 538 Geiftestranfheiten . 558 
Gedichtnigübung.. — af . . .. — 
Sebadt . . . . 539 559 


Sedanfe. . . . 
Sedärm, f. Darm . 


516 Gedicht, f Poefie . — 


5 Oefühlsvermögen . 


967 
Seite 
Sedigen . » . 589 
Gedike (Friedrich) . 
Gedritter Schein, f. 
. Afpecte oo [) “ 540 
Gefaͤll, Gefaͤlle er — 
Gefaͤngniſſe 0 d sk 
be... 4 
Gefecht, ſ. Schlacht — 
Gefiedert er Ver VL — 
Sfilg . 0 — 
Gefrieren, Gefrier⸗ 
punft . . 
Gefuͤhl . . 


Sefühlemenfien . 


Segenbervegung . 5 
Gegenbeweis . » 
Gegenfüßler. 
Segenfaß, A Antithe: 
fe und Contraſt — 
Segenfchein, ſ. Afpecte — 
Segenwirfung . „ — 
Geheime Seh, 
ten . 
each 
nungen, Geheime⸗ 
rath -. .. 


— 


Geiſtl ſtlich . ... 
Seiftlicher Vorbehalt, 
f. Vorbehalt . 


. 0.8 8 0 . 090 


Gemeindeordnungen 574 
ingefübl . . 580 
. . 581 


Gemeinheitstheilung 582 
Osemenge . . . 583 
Oemmen ... 
Semmingen (Otto , 
Heinrich, Freih.v.) — 
Omfe ...:..— 
Gemũth, Gemuͤthlich 684 
Gemuthsbewegungen, 
ſ. Affecten . . 585 
Gemuthskrankheiten — 
Gendarmen 86 
Genealogie... — 
General, Generalſtab, 
Generalquartiermei⸗ 
ſterſtab, Generalat 688 
Generalbaß... 


— 


3 Seomklifche Mafgine — 
Seo . 


601 


daͤſie 
Geoffrin (Marie The: 
refe Rodet, Ma 
Feb q . v* „602 
offroy (Sul. Louis) 602 
Sesgenie . . . 608 
Geognoſie u, Geologie — 
Geographie, mathe 
matifche, phyſikali⸗ 
fhe, politifche Se: 
ſchichte derfelben 610 
Geographiſche Kupfer: . 
ſtecherkunſt, ſ. Ku: 
pferfiecher . . 614 
Geologie, f. Geognoſie 
Seomantie . - . 
Geometrie, Gonio⸗ 
merie  . . . 615 
Seometrifche Reihe, 
f. Progrefiion . 
Georg (der heilige 
Ritter St.) 


m 
” 


ff) . . 634 
Sermanicus (Eifar) 635 
Sermanien . . 636 
Sermanismus . . 642 
Serning (oh. Chri⸗ 

fian — Johann 
Iſaak, Freih. von — 
ona, Girona . 
Seronten (die Alten) — 
Sefau . .. . 
Sersdorff( Karl Fried: 
rich, Wilhelm von) — 
Serftenberg (Heinrich 
Wilhelm von) . 644 
Geruh . . . .645 
Seryon oder Geryones — 


Verzeichniß der in biefem Bande enthaltenen Artikel, 


Seite 
Sefammte Hand, 
Sefammtitimme 646 
Sefandte, Geſandt⸗ 
fhaftsredt . . 
Sefang . . . . 648 
Sefangbücher .. — 
Sefangfehulen , f 
Singfhulen . . 650 
Sefhäftsfyl . . 
Sefchäftsträger, ſ. 
efandte . . . 651 
Geſchenkte Handwerke — 
Geſchichte . . 
—— . 654 
Sefchichtfchreiber . 
Geſchiebe, Geſchobe 664 
Geſchlecht, 
ſchlechtslos 
Geſchmack in phyſio⸗ 
logiſcher, in aͤſthe⸗ 
tiſcher Bedeutung, 
Geſchmackskritik 666 
Geſchnittene Steine, 
ſ. Semmen . . 667 
Geſchütz, Kammer: 
gefhüg, Orgel: 
gefbüß °_ . . 668 
Sefpwindfepreibefunft 
f. Stenographie . 
Gelben nengerict ſ. 


Sr Sein, 


[“ 
—86 (Societät) — — 
Geſellſchaftsrech⸗ 
nung « 
Sefellfchaftsvertrag” 
Sefenius (Wilhelm) 670 
Sf ... 11 
Sefebgebung, Gefeß: 
bücher, Geſetzge⸗ 
bende Gewalt . 672 
Seficht 0. +69 
Seft ms . . 
Geſi inde, Sefir nde: 
recht . » 
on: (Joh. Dat 
thias). 
Gesner (Konrad) . 681 
Sefpanfchaften. . — 


— ⸗ 


— Gewohnheitsrecht 


| Seite 
Geſpenſter...681 


Geſpilderecht, ſ. Re. 


« tractreht . . 682 
Geßner (Salomon) — 
Geſtalt der Erde, ſ. 
Erde, Abplattung 
u. Gradmeſſungen 688 
Geſtaͤndniß.. 
Seficlatin, f Se 


bärde « . — 
Seftirn, f. Sternbilder — 
Sefundbrunnen . — 
Sefundheit, Geſund⸗ 
beitstunde . . — 
Getreide . . 0. 686 
Setreidehandel: , f 
Korndantel . . — 
Getreidemagazine, f. 
ornmagazine „ 
Setreidemangel, f 
Kornmangd 
eufen . 2... 
Seviertfhein, f 
Afpete 2 . . 687 
Semwährleiftung, Ge: 
waͤhradminiſtra⸗ 
tion . 
Gewand... . 
Gewehr, ſ. Degen, 
Flinte u. Waffen 688 
Sewehrfabrit .. 
Sewerbefreibeit, ſ. 
Zunftwefen . 
Semwerbfteuer, Indu⸗ 
ftriefteuer, Arbeits: 
ſteuer . 


R 


Geœwicht, ſ. Maf und 
. 689 


Gewicht. 
Gewiß u. Gewwißheit — 
Seriſen Gewiſſens⸗ 

be 2... 
Semiffensfall . 
Gewiſſensfreiheit 


Gewitter.. 


690 


— 


Gewürze. 
Serürzinfeln oder 
Moluden oo. 


Sewürzjnelten . "693 
Geyer (Erit Suflav) — 
Gherardesca, (Familie 


Gift, Gegengifi 


Giotto. 


969 


Seite 
— Ugolino — Ri⸗ 
eri Donavatico — 
Manfred — Bo: 
nifagio— Philipp) 694 
Ghiberti (Lorenzo) 696 
Ghirlandajo (Dome: 
nico — David — 
Benedict — Nis 
dolfo)-. - - . 69 
Gianni (Francesco) — 
®iannone (Pietro). 698 
Gibbon (Edward) . 699 
Sibellinen, ſ. Weifen 701 
Gibraltar . . 


86 Gicht, f. Arthritiſch 102 


Sichtel (oh, Georg) — 
Giebel . . .. . 708 
Siebichenftein . . 
Gieſeke( Nic. Dietrich) 704 
Gießen oo. — 

. 106 

. 707 


Giganten .. 


Gigantiſch, ſ. Koloß — 


Gigli (Hieronymus) — 
Gilbert (Gabriel — 
Nicolas Joſeph) 798 
Gilde 
Gilray, ſ. Caricatur 109 Ä 
Gimle, f. Norbifche 
—5— ee... 
Ginguene (Pierre 
Lou) 2... 
Gioja (Flavio) . . 110 
Giordano (Luca) .. 714 
Giorgione di Taſtel— 
france.... — 
— “ ® 712 
Sirardon (Francois) — 
Giro, Giriren, Cie 
rant, Sirat, Giro 
in bano . . 
Sirobant . . . 718 
Sirodet:Triofon . 
Girondiftn . 
Siulio Romano, ſ. 
Julius Romanus 7115 
Giunti, Buchdruder: 
familie — Giun⸗ 
tinın . a. 2.0. — 
Giuſtinianiſche Ge⸗ 
maͤldeſammlung 717 


A., Ludwig, Graf 
von) . . 128 
Steicher, f. Hquator — 
Gleichgewicht. 
Gleichgewicht d. Stan- 
ten 0. 
Gleichheit ... a 
Sehr . . . 
- Öleihung -. . . 732 
Gleim (Johann Wil: 

heim Ludwig). — 


Gterfher, | Gletſcher· 


alz 
Gliedermann, le 
- derpuppe . . . 135 
Glimmer, Glimmer: 
ſchiefer 
Globus Erdglobus, 
A mmelsgtobus) 7136 


Glocken .. lender. 
Glockenſpiel T Soldgulden,f. Gulden — — 
Glogau.... Goldoni (Carlo) — 
Stoffe, Stoffator, Goldſchlaͤger . 169 
Stoffen: . . °. 788 Goldſmith . 7160: 


Glover (Richard) . — 


Gluck (Chriſtoph), 
Ritter von) . . 
Slühen, Stühe . 141 


— 22 


970 
Seite Seite 
Glacis..719 Stähwmurm . . . 74 
Stodiatoren . . Glyptik, Slyptogra⸗ 
Glas 0 0 ® 0 0 720 pbie .y 0 . 142 
 Stasfenfler . . . 721 Styptorbet 0. 
Glasgalle . . — Gmelin (Johann Se: 
Blasen . .. — drg — Philipp 
Stasmaterii . . 722 Friedrich — Sa—⸗ 
Olasfchlefn . . 123 muel Gottlieb — 
Stastropfen . . Dib. Friedrich) 743 
Glaſur.. 724 na re. 1a 
Glaͤtte oder Bleiglätte — Onaderie, f x, 
States. Li. nn. 146 
Glaube d0 0 0 Gneis — 
Slaubenseid . . 125 Oneifenau Boedherd, 
Glaubenseid (kath) — Grafv.). 
Glauber (Johann Ru: Gnidus (Rnides) . m 
dolf) ... 126 nom, Gnomiden. — 
Sauus . Gnome (griech.) . 148 
Glaz, Sraffehaft und Gnome . 
Kreis. . . — Onofis (griech. ), Oo 
Gleditſch (Iehann ſtiker .. 
Theophilus).. . 727 Goa . "152 
Gleichen (Ernft, nach Gobelin (Sifes), Go⸗ 


belinſcharlach, So: 
belintapeten . . 75 
God save theKing 
Goez (Joſeph Franz, 
Freiherr von) . 
Gockingk (Leopold 
Srietrich Günther 
von) . ., 76 
SB... .7 
Soldmacherkunft , T. 
Alchymie . . . 156 
©oldenes Vließ, ſ. 
Jaſon und Argo⸗ 
nauten. Orden des 
goldenen Vließes 
und der drei golde⸗ 
nen Vließe, ſ. Vließ 
(das goldene) 
Goldene Zahl, ſ. Ca⸗ 


Golgatha, ſ. Ealva⸗ 
rienberg . . .. 161 

Golkonda 

Golownin (WB. ®) 162 


Verzeichniß der in biefem Bande enthaltenen Artikel. 


Seite 
Gomarus, Gomari⸗ 
ſten, ſ. Reformirte 
vide . . . 762% 
Sonfaloniere, Sonfa: 
Ioniere des paͤpſt⸗ 
lichen Stühle . 
Sonfalvo (Hernandez 
y Aquilar) . 7163 
Sonzaga (Familie — 
Friedrich — Job. 
Franz — Rudolf 
— Filippino — 
Guido — Petrino 
— Franz — oh. 
Franz — Lub⸗ 
wig III. — Fried: 
rich 11. — Ludwig 
— Barba — Iſa⸗ 
belle — Lucretia — 
38 Marie — 
Anna 
Seranitgof, ðrafv. 165 
Sordifcher Knoten, f. 
Alerander u. Gor⸗ 
iu... 
Sordius . 
Gorgonen '. 
Goͤrlitz 


4 m 
0 
“ 


. 166 


Grres 5 (dos Jofeph) — 


Gorz (Georg Heinrich, 
Freiherr von) . 768 
Goͤrz (Johann Euftach, 
Srafvon) . . 169 
Shslar . » 
Soffer (Francois Yo: vn 


feph) . 
Gotha (Hergogehum 
und Stadt) . 
Goͤthe (Johann Wolf, 
gang von) . 112 
Gothen (Gothones, 
Gnttones) . 182 
Sothenburg Goͤthe⸗ 184 


9 
tund Goͤtter 
Gotter (Friedrich Wil⸗ 
beim). . . . 7181 
Sötterlehre, f. My: 
then, Mythologie 7188 
Sötterfpeife, Ambro- 
sa 


a — 


| Verzeichniß der in 


Seite 
Gottesdienſt, Got⸗ 
tesdienftliche Ge⸗ 
braͤuche . . 188 
Sottesdienft, der fa: 
tholifhe . . .» 189 
Sottesfriede, Treuga 
de . — 
Gornegerichi Gottes; 
urtel, ſ. Ordalien 190 
Gottfried v. Bouillon — 
feed von Stras: 


bur 
Sotthardsberglöit. 3719 


Göttingen (Stadt, Derrenst, Cardinal 
Univerſitaͤt/) .. on) — 
Gottorp, ſ. Holſtein 192 Gravis f. Reißblei — 
Gottſched (Job. Chri⸗ Sr . — 
ſtoph — Graͤter (Sriedr. Da 
Sortfhed @ouife Ad vi) . . — 
gunde Victorie) 198 Grau in Grau . . 814 
- Sg (Johann Nico: Sraubindten . . — 
laus) . » . 194 Graun (Karl Hein: 
—— Sobendiener rih) . . 815 
Grave . . 0 .» 816 
Gottze obann Mi Shrävell Mapimition 
hior) . . 95 Karl Friedr. Wil⸗ 
Gotze (Johann Auguſt helm 
phraim).. — —*8 (Wilpelm 
Oonda . » — ...8117 
Gourgaud (Gaspard, Pi f. Accent . 818 
Baron de) 196 Gravitation . . — 


Gozzi (Carlo, Graf) 197 
Gozzi (Gasparo, 


8 


diefenn Bande enthaltenen Artikel. 


Seite 

Gral, Sraal, f. Ta: 
felrunde . . 80 
Srammitt .. — 


‚Sramme . . — 


Grammont WMöili⸗ 
bert, Graf von) 809 

Shan, Gran ,;„. — 

Granada.. — 

Sranat . » 

Granaten, Gienidir s10 

Grandes . . 

Granit Pe er 812 

Granvella (Anton 


Graͤvius (Johann 
Georg — Theodor 


Sf) ... Georg) .. 

Grab, heiliges, ſ. Hei⸗ Gray (Johanna) . 820 

liges Grab und Gray (home) . 821 
Sl . .» .80 Si... 

Srabmal, £ Dentmal — OSrie . . 929 


Srachus (Tiberiug 
empronius und 
Cajus) 0 — 0 — 
Gracioſo. . . 808 
Sradaton . . .» — 
Grade, Grad u. 0 
Sradiren, Gradir⸗ ® 
werte . 2... 80 
Sradineffunden . — 
Sf... . 80 
Graͤfe (Karl Ferdi. 
nand) . „ . . 807 
Graff Anton) 808 


Grazien ... — 
Srecsurt(Yean Bap⸗ 
tiſte Joſeph Wil⸗ 
lart d de) 40 28 
Greenwich . — 
Gregor der Große, ß. 
Päpfte . 824 


4 Greg VI... — 
Gregorianiſcher. C as 


lender, ſ. Calender 825 
Gregorius 
Gregoriusfeſt, Grego⸗ 

riusſingen . . 827 


8 Gireifenfon (Samuel, 


971 


Seit? 
Greif . 827 
von Hirfchfeld) . 828 
Greifswald ‚Stadt 
— Yniverfität) . — 
Sgham Thomae, "209 
Sreffet (Jean Bapi. 
Louis)...830 
Gretna⸗Green . 831 
ee (Andre Erneft 


Grey Charie Ho: 
899 


id) . 2 
—E “(Jean 
„opel Baguette 


Srkehenfand (das 
alte) . 833 
Griechenland (das F 


neuere) .. 

Sriechenhülfsvereine 859 
Sriechifches Feuer 861 
Griechiſche Kirche . — 


Griechiſche Kunft . 866 


Griechiſche vLiteratur — 
— Griechiſche Sprache 

und Schrift. . 874 
Gries (Johann Diet: en 


rich) 6 
Sribai (Jopann 
. . 877 


Jakob) 
Srillparzer (Fran) 878 


. 819 GrimaldilFamilie — 


Raimund — An: 
tonio Giovanni — 
Domenico — Hie 
ronymus — Nico⸗ 
lo — Geronimo — 
Giacomo — Gio⸗ 
vanni Francesco —⸗ 
Francesco Maria 
— Francesco — 
Peter — Konſtantin 
— Franz Anton) 879 
Seimm . Ügriedeich 
Dieichier, Baron 


on) 
Grimm (Jakob ud: 
wig Karl — Wil: 
. 882 


..881 


 HimKad . 


972 Bergeichnif der in dieſem Bande enthaltenen Artikel. 


Site 
Grimod de la Reyniere 


(Alexandre valthe: 
Laurent) 


rath (Heinrich) . 
Grolmann (Karl Lud⸗ 
538 Wilhelm von) 884 


Gronov (Johann 


Friedrich — Jakob 


— Abra 
Srofchen. 


Srogaventurhandel 


Groß: Beeren (Tref: 


fen bei) 


Großbritannien und 


Irland 


Groͤße, Sroͤhenlehre, 
ſ. Mathematik 


890 


. 909 


Größe, fheinbare . — 
Sroßgriechenland . 
—— (Schlacht 
von), f. Lügen . 
Groͤßtes und Klein: 
fies (Matb.),-f. 
Maximum . - 


Grotius (Hugo) 
Grotesken, Srottest, 


das Groteskkomi⸗ 


Crübel(Jopann.Ron: 

ad) . 914 
Srumbad di (Withelm 
Gründen, 


rund, 
Grundiren 

Grundanſchlag 

Grundbaße. 


910 


f\ [U 1 


. 911 
. 912 


. + 915 
‚ 916 


L 0 


16 


Grundeigenthum. — 
. 923 


Grundkrafte 
Grundriß 


Grundſteuer 


2 





Grundten, f. —* i en 940 
m . . . .92ı Ouifcharb Gett: 
Srundftoffe, f. Eie: eb) .» - 0.42 
mente. . - . If (Familie — 

Oruner ( Chriſtian Caude v.— Franz, 
Gottfried) — Herjyog v. Lothrin⸗ 
Gruner (Rarl Juſtus gen Guiſe — Hein⸗ 
vum) . ... ri, Herzog 
Grüner Donnerstag 927 Lothringen) . . M3 
—— er — Guitarre .e o 60 944 
Gruppe, Gruppiren — Guizot (Francais — 
Seyphius (Andreas) 928 Pauline). . — 
arini (Giovanni Guldberg (Friedrich) 945 
Battiſta). . 929 Gulden.... 
Guatemala, f. Mit: Guldene Bat ſCa⸗ 
telamerita . . 930 lender . +. M6 
Subis (Friedrich Wil: Gummi...» 
kim). ...— Sendling Yatob Pant, 
Sue und Se Freiherr von — N 
linen, ſ. Wel⸗ —— —— 
fen .. . 981 Günther (%o 
Suercn . . Chriſtian) . — 
Guericke (Otto von) — Günther (Johann 
Surilas . . Arno) . . 947 
PA . Ser . 982 nes 9 
uernſey u. — DD) * . 98 
en (Bertrand —— ſ. Eiſen 949 
Guevara (Louis Die, — 1. Adolf . . 950 
delas Duenas y) — Guflaulil.. . . 951 
Sugielmi (Pietro Guſtav IV. Adolf . 954 
Sregor) . . 984 Guthrie (William) 956 
Suiana » 02. —  Outtenberg(‘sohann)967 
Guibert (Francois An: Guyenne, ſ. Aquita⸗ 
toine, Graf v.) 986 nin . -» 
Ouiccardimi Gran⸗ Guyon, ſ. Quietismus — — 
esco) 6 Guys ag sr 
Sido Öretinus, k flin — Pierre At 
' Ut, Re, Mi 937 fonfe) . . oe >» 
Guido Keni, ſ. Reni — Ss . ... 958 
Guignes (Joſeph de Gymnaſium. — 
— Chretien). — Gymnaſtik .959 
Suilleminot (Armand Somnofophiften . — 
Charles, Graf) — um Gynaͤko⸗ 
Guillotine.. .... 860 
Guinea ..e ee 0 Sops, Gypserde — 
Guinee 0 ® v 940 Gyromantie 26  —