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Full text of "Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände : . Bd. 2 Br - Cz"

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4 


Converſations-Lexikon. 


Zehnte Auflage. 


Elfter Band. 
| M bis Perth, 





je 


* Allgemeine deutſche 
Real-Encyklopädie 


fuͤr 


die gebildeten Stände. 


Eonversations-Lerikon, 





Zehnte, 
verbeſſerte und vermehrte Auflage. 





Sn funfzehn Baͤnden. 


Elfter Band. 








MR bi8 Werth. 
“Leipzig: | 
8. A. Brockhaus. 
YES: Zu 1853, 


Alm Rad. 


—X 


N, 


N, in unſerm deutſchen Alphabete der 14. Im griech. und lat. der 43. Buchſtabe, gehört zu 
den Dentalen und zur Lautclaffe der Liquidä. Das griech. und diefem fehr ähnliche Lat. Schrift. 
zeichen ſtammt aus bem phönizifchen Alphabet, aus welchem auch zumächft das hebrätfche und 
die übrigen des femit. Drients hervorgingen. Im Hebräifchen und jedenfalls auch dem Phöni⸗ 
ziſchen führte der Buchflabe den Namen Nun, b. i. Fiſch, wie er denn auch in feiner urfprüng- 
lichen Form das rohe Bild eines Fifches dargeſtellt zu haben fcheint. Von ben Semiten kam 
der Name unter der Form Nõ zu den Griechen. Während das N bei Legtern fehr häufig im 
Auslaut erfcheint, duldet e8 das Lateinifche durchaus nicht an biefer Stelle, weshalb auch griech. 
Eigennamen, bie auf v endigen, biefes bei ben rom. Schriftftellern abwerfen, 3. B. Platon und 
Plato. In den german. Sprachen tritt es [ehr Häufig im Auslaut auf, namentlich in ben jün- 
gern Sprachnieberfegungen, wo es nicht felten aus einem urfprünglichen m hervorgegangen ift. 
Im Sranzofifchen wirb ein n im Auslaut einer Silbe oder eined Wortes ſtets nafalirt. Als 
Abkürzung bezeichnet N. bei ben Römern ben Vornamen Numerius. Im Handel, befonbers im 
Buchhandel, iſt n. bie geläufige Abbreviatur von netto. 

Rabel (umbilicus) nennt man bie beim Menſchen in der Mitte bes Unterleibe befindliche, 
mehr oder weniger beträchtliche Vertiefung, welche auf folgende Art entfteht. In ber erſten Zeit 
nach bem Übergange bes Eies aus dem Cierſtocke in ben Fruchthalter findet man in erflerm, 
außer dem Embryo felbft, noch ein kleines Bläschen, das Mabelbläschen (vesicula umbilica- 
is), welches mit einer zus Ernährung ber Frucht dienenden Flüſſigkeit gefüllt, in ber Mitte des 
Unterleibs des Embryo fich in dieſen felbft fortfegt und fo den Anfang zum künftigen Darm- 
Banale bildet. Diefes Bläschen flirbt nach und nach, je mehr der Embryo ſich ausbildet, ab, und 
an berfelben Stelle, wo es mit bem Unterleibe zuſammenhing, bildet ſich zwiſchen der achten und 
jmölften Woche der Rabelftrang ober die Rabelſchnur (funiculus umbilicalis), welche zunächſt 
von einer ber Innern Eihäute, der fogenannten Schafhaut (amnion), feheidenartig eingefchloffen, 
meinem lodern, mit gallertartiger Feuchtigkeit erfüllten Zellgewebe die Nabelgefäße (vasa 
umbilicalia), eine Bene und zwei Arterien, zum Fruchtkuchen leitet. Diefer Strang ift anfangs 
ſeht kurz, —— ſich aber nach und nach bis zu einer Ränge von 18—22 Zoll aus und bietet 
mehrfache Windungen, Verfchlingungen und felbft Knoten dar. Die Nabelvene, welche das 
Blut vom Fruchtkuchen zum Embryo führt, geht fogleich vom Nabel theils in bie Leber, 
theils in die an dieſer befindlichen größern Venenſtämme über, von wo aus das Blut durch den 
ganzen Körper geführt wird und durch die aus der untern Körperhälfte herauffteigenden Na⸗ 
belarterien in ben Rabelfttang und zum Fruchtkuchen zurüdkehrt. Ber der Geburt wird 
der Nabelftrang Lünftfi oder auf natürliche Art zerriffen, fodaß ein kurzes Stüd davon 
am Nabel hängen bleibt, welches nach einigen Tagen abftirbt, abfällt und eine Narbe in 
ber Mitte der Mabelvertiefung bildet. Das im Innern des Körpers zurüdgebliebene Stück der 
Rabelvene gibt nun feine biöherige Function als Gefäß auf und wird in einen fehnigen Strang, 
das fogenannte runde Leberband (ligamentum teres hepatis), verwandelt; die beiden Arterien 
werden aber ebenfalls zu bandartigen Strängen, bie ſich als Seitenbänber der Blafe zur Harn⸗ 
blafe erfireden. Indem nım das Gewicht der Leber auf biefem Bande ruht, zieht dieſes dem 
Nabel nad innen und läßt fo die Nabelvertiefung entfiehen. Noch hat daran der Harnflrang 
(urachus oder ligamentum suspensorium vesicae) Theil, welcher, auch frühzeitig gebildet, Die 
Urinblafe an den Nabel anheftet. Unter dem Nabel befindet fich eine mit einem feften, aus inein- 
ander verflochtenen Sehnenfafern gebildeten Rande umgebene Öffnung, welche Rabelring (an- 
aulus umbilicalis) heißt und bie Mitte einer Sehne, weiße Linie (linea alba) genannt, einnimmt, 
velche vom Bruftbeine bis zum Becken herabläuft. Schließt fich die Nabelöffnung nicht 
ad nach ber Geburt oder überhaupt nur unvolllommen, fo tritt leicht ein Theil ded Darm 
vor und bildet einen Rabelbruch (hernia umbilicalis), welcher oft bei Kinben borfommt 


Gmster, Bepnte Auſt. KL 


3 Rabob Nachdruck 


und durch zwecmãßige Behandlung leicht geheilt wird. Schwerer wird dieſe Heilung, wenn ein 
Auseinanderweichen der Sehnenfafern fpäter (befonders bei ſchwangern Srayen) erfolgt, wobei 
faſt nur das weitere Ausdehnen ber Öffnung durch Binden verhindert werden ann. Bei der 
großen phyſiologiſchen Wichtigkeit des Nabels ift es übrigens nicht zu verwundern, wenn der 
Voiks aberglaube namentlich im 17. und 18. Jahrh. die Mabelorakel, d. h. Schlüſſe aus der 
Beſchaffenheit des Nabels eines Neugeborenen auf deffen fünftige Schickſale, erfand, da ja felbft 
gelehrte Theologen fich von der Beantwortung ber unftuchtbaren Streitfrage, ob die erfien un- 
geborenen Menfchen einen Nabel gehabt hätten, nicht abfchreden ließen. 
Nabob, eigentlich Ruwwäß, d. i. Abgeordneter, hieß im Reiche ded Großmoguls in Oſtin · 
. dien der ben Subahdars oder Statthaltern der großen Kandfchaften untergeordnete Befehlsha- 
ber und Adminiftrator einer einzelnen Provinz. Nach dem Sturze des Reichs des Großmoguls 
behielten diefen Titel diejenigen, die fich der brit. Herrfchaft als Vaſallen unterwarfen. &o 
wurde der Titel Nabob in Oftindien ein ſehr gewöhnlicher, den fpäter auch andere reiche und 
angefehene Indier erhielten. In Europa und namentlich in England wird mit einer geroiffen 
fpöttifchen Nebenbebeutung Jeder, der in Oftindien zu Macht und Reichthum gelangt ift oder 
ubega t mit orient. Pracht lebt, ein Nabob genannt, 
ahapmung oder Imitation kann, wenn von ſchönen Künften die Rede ift, objectiv und 
fubjectiv verftanden werden. Die Nachahmung in obfectiver Hinſicht betreffend, fo hat es Afthe- 
titer gegeben, wie 3. B. Batteuz, welche die Theorie der ſchönen Künfte auf den Begriff der 
Nachahmung der Natur überhaupt oder wenigſtens der ſchönen Natur zurüdführen wollten. 
Allein diefe Anficht war zu wenig in der Sache felbft gegründet, als daß fie fich lange hätte ber 
haupten fönnen. Dagegen läßt ſich nicht leugnen, daß die erſten rohen Anfänge der Kunft in 
der Nachahmung der Natur ihren Urfprung haben. Es fol aber der Künſtler eine Herrfchaft 
ausüben über die Natur und den bebürftigen Stoff zur freien Schönheit erheben. In fubjeti« 
ver Hinficht, wo gefragt wird, inwiefern der Künftler andere Werke und Meifter feiner Gattung 
nachahmen dürfe, unterfcheidet man bie freie Nahahmung von der ſklaviſchen. Prei ahmt der 
Mann von höherm Talent nach, der, von einem Vorbilde begeiftert, ohne am Nebenmerk zu haf- 
ten, den Geift beffelben in felne Schöpfungen aufnimmt. — In der Mufit bezeichnet man mit 
Nachahmung ober Imitation mehre ähnliche melodifche, in verſchiedenen Stimmen aufeinander 
folgende Säge. Die firengern Nahahmungen diefer Art kommen gewöhnlich in den Fugen und 
fugenartigen Sägen, die freiern in allen figurirten Mufitftüden vor. 
Nachdruck. Der Begriff des Nachdrucks und damit die Widerrechtlichkeit deffelben ergibt 
fid aus folgender Betrachtung. Sprache, Echrift und Drud (oder Preffe) find die verſchie⸗ 
denen, ftufenmweife aufeinander folgenden Mittel, durch welche die menfchliche Vernunft den Ge- 
danken zur immer allgemeinern Verftändigung bringt und dadurch bie Entwickelung der Menſch⸗ 
heit vermittelt. Der einzelne Schriftfteller bringt feine geiftige Subjectivität durch die Preffe 
zum Ausdrud, und es geht dadurch das Werk deffelben aus feiner Befonderheit in die Allge- 
meinheit über. Diefe Allgemeinheit, welche durch dad Publicum dargeftellt wird, hat nun das 
Rechi und ben Beruf, das Werk geiftig in ſich aufzunehmen, es Bann ſich gegen das Werk auch 
durch die Kritik negirend verhalten; aber es darf nicht die Freiheit des Echriftftellers über das 
aus feiner Gubjectivität hervorgegangene Werk negiren. Das Legtere gefchicht Durch den Nach · 
druck der, indem er nach der fubjectiven Seite die befondere Freiheit des Schriftftclers, Die ſich 
infofern als ein Recht beffelben darſtellt, negirt, nach der objectiven Seite zugleich als eine Stö- 
rung ber Gntwidelung erſcheint, welche für die menſchliche Vernunft im Allgemeinen in der 
Dreffe flattfindet. Diefe philoſophiſch · rechtliche Deduction der Wiberrechtlichkeit des Nach 
Drud® iſt mehrfach begmeifelt worden, in früherer Zeit aus Gründen des Eigennuges der Nadı- 
druder, in neuerer Zeit, weil man ben Grund ber Widerrechtlichkeit, abgefehen von pofitiven Ge- 
fegen, bald in einem Gedanken, bald in einem Bormeigenthume des Berfafferd an feiner Schrift 
den Wolfe, eiyze Zuffaffung, bie den Begriff des Nachbruds fo wenig wie den ber Preffe und 
7. Necrg * Spfend darftelt. Die pofitive Gefeggebung fügte früher nur in einzelnen 
7 pi Öurd, CH ‚egien. In allgemeinen Nahdrudsverboten ging England voran, wo ſchon 
{7} dag Üife, vi Di Eigenthum durch gefegliche Beflimmungen gefhügt wurde. In Brant- 
— bei, tar imn ber Revolution das Recht bes Verlagseigentfumb auf bie Dauer der 
So gel gm KIA und auf 203. nach feinem Tode feftgeieht,toeldje Iegtere Beft fpäter 
Bey dern DerfF zaurbe. Im England, too 1801 und 1844 Amenbements zu dem emähn, 
6 9, An, rfienen, erftredt fi Diefelbe nach dyg Tehten Beftinnmung vom 4. Juli 


rg —* £ Sand fl 1817 auf 203. nad dem ge da Bett, In Deriſh· 
"in - 
/ 


Nachdunkeln Nachfolge Chrifti 3 


land ſeyte ein Bundesbeſchluß vom 9. Nov. 1837 die Dauer des literariſchen Eigenchums- 
rechts auf 103. vom Erſcheinen an feft, und ein Bundesbeihluß von 19. Juni 1845 
dehnte diefelbe auf Lebenszeit und bis 30 I. nach dem Tode des Verfaſſers aus. Schon 
früher waren in mehren beutfchen Staaten Nachdrucktverbote, wenn gleidy in beſchraͤnk⸗ 
urm Maße, erlafien worden. Es beftanden deshalb auch vielfache Privatconventionen un⸗ 
ter folgen; auch erfannte ein Bundesbeſchluß vom 6. Sept. 1852 die Gegenfeitigkeit des 
Schutzes gegen den Nachdrud in.den einzelnen deutfchen Bunbesflaaten an. Mit jener Aus- 
dehnung diefes Schuges (bid auf 30 3. nach dem Tode des Verfaffers) und überhaupt mit der 
Ausbildung der deutfchen Gefeggebung gegen den Nachdrud ging jeboch Preußen durch fein 
Gefeg vom 11. Juni 1837 voran, dem ſeitdem eine Reihe deutfcher Staaten gefolgt find; nur 
im Herzogthum Scchfen-Gotha war ſchon durch Patent vom 18. Sept. 1828 die 3Ofährige 
Schupfrift anerkannt. Die Strafe des Nachdrucks ift in allen deutfchen Gefeggebungen, Die 
nicht blos Gonftscation anordnen, Geldbuße, an deren Stelle nur ausnahmsweiſe nach einigen 
Sefeggebungen, beim Rückfall, wie in Anhalt- Köthen, oder bei Unfähigkeit zur Bezahlung, wie 
in Baiern und Öftreich, Gefängnißftrafe treten kann. Sie ift häufig noch beim Rückfall durch 
Berluft des Rechts zur Betreibung des Buchhandler⸗ oder Buchdruckergewerbes geſchärft. Die 
Abmeſſung der Strafe ift fehr verfchieden, theil® nach dem Betrage des angerichteten Schadens, 
theils nach dem Preife der Eremplare unter Vervielfachung befielden (in Kurheſſen z. B. bis 
sum 1200fachen Ladenpreife des Eremplars des Driginalwerks), theild unter Beflimmung 
eines unveranderlichen oder eines Marimal- und Minimalfapes. Mit dem Schuge gegen Nadh- 
druck hängt übrigens der gegen unbefugte Aufführung und Darftellung muſikaliſcher Compo⸗ 
fitionen und dramatifcher Werke zufammen, Hinfichtlich deren der Bundesbeſchluß vom 22. April 
1841 Schug auf 103. von der erften Aufführung an verleiht. Vgl. Renouard, „Traite des 
droits d’auteurs” (2 Bde., Par. 1838); Schletter, „Handbuch, der deutſchen Preßgeſetzge 
bung” (8p3. 1846); Jolly, „Die Lehre vom Nachdrud” (Heidelb. 1852). 

Nachdunkeln nennt man bei Gemälden das bald nad) der Vollendung, oft aber auch erſt 
nach Jahrzehnden erfolgende Dunkelwerden einzelner Barbenmaffen oder auch der ganzen Fläche 
des Bildes. Die Urfachen biefes meift ſchwer oder gar nicht zu befeitigenden Übelftandes find 
verfchieden. Erſtens gibt ed eine Anzahl von Farbeftoffen, welche notorifch dem Nachdunkeln 
unterworfen find und deshalb bei jeder auf Die Dauer berechneten Schöpfung vermieden werben 
folten, 3. B. Yuripigment, Umbra u. f. w. Undere Farben dunfeln zwar in reinem Zuſtande 
nicht nad), wol aber bei gewiffen Vermifchungen, welche einen hemifchen Proceß nach ſich zie⸗ 
ben, der die Farbe vollig neutralifiren kann. Ferner lieben manche Maler eine dunfle Grun⸗ 
dirung, welche anfangs dem warmen, harmonifchen Tone des Ganzen günftig ift, fpär aber bid- 
peilen durchſchlägt. Endlich) kann das DI und nach Vollendung des Bildes auch der Firniß, befon- 
dert wenn erzufrifch aufgetragen wird, ehe die Karben recht ausgetrocknet find, das Nachdunkeln 
verurfachen. Vermeiden läßt fich das Rachdunkeln nur, wenn die Maler ſich eine tüchtige chemi⸗ 
(he Vorbildung aneignen und ihre Farben und Ole f elbft bereiten, wie dies vor 400 Jahren die 
altflandrifche Schule that. Für die Herftelung bereits nachgedunkelter Bilder hat faft jeder Re⸗ 
ſtaurateur fein befondere® Arcanum; man träntt z.B. das nachgedunkelte Bild mit neuem 
De, operirt nach Wegnahme de Firniffes direct auf die Farben u. f. w., wobeiaber freilich das 
Bild erſt vecht feinem Untergange entgegengeführt wird. Bei fehr vorzüglichen Werken ift es 
durchaus nicht rathfam, fie reftauriren zu laffen. 

Nachfolge Chriſti, d. h. die Hingebende Gottesliebe und Vereinigung mit Gott im Ge- 
fühle nach dem Vorbilde Jeſu, wurde von der populären Myſtik namentlich des 15. Jahrh., im 
Begenfage gegen die unfruchtbare Scholaſtik der herrſchenden Kirche, ſowie gegen die Mönchs ⸗ 
fabeln von der Eonformität mit Jefu, als das Wefen wahrer Frömmigkeit geltend gemacht 
und gefodert, In diefem Sinne ift das faft in ale bekannten Sprachen überfegte Buch „Von ber 
Nachfolge Chriſti“ („De imitatione Christi“) gefchrieben, das ſich feit 1415 verbreitete, ohne 
daß der Verfaffer zuverläffig befannt war. Über denfelben hat man in alter und neuer Zeit, _ 
zum Theil aus Drdens- und Nationalintereffe, vielfach geftritten. Indeſſen fprechen fur bie 
Abfaſſung von Thomas a Kempis (f. d.) nicht blos innere Gründe, wie die vielen eigenthümli« 
den Germanismen und die ganze Manier bed Buche, fondern auch äufere, wie das Zeugniß 

feines Zeit- und Ordensgenoffen, des Joh. Buſch, der ihn ausdrücküch als Verfaſſer erwähnt, 
ebenfo das Zeugniß von Petrus Schottus (1488) und von Joh. Trittenheim ( 1494) ; abgeie- 
ben davan, daß fich in Löwen und Lintwerpen Codices finden, bie von feiner eigenen Hand ge» 


4 Hachgeboren Hadt 

ſchrieben find, und baß andere alte Codices ihn als Verfaffer nennen. Der Ruhm, ben Gerſon 
( . d) als myſtiſcher Schriftfteller fich erwarb, mochte bie Urfache fein, die Autorfchaft dieſem zu 
vindiciren, ba Thomas damals weniger befannt war. Andere ſchrieben fie dem heil. Bernhard, 
noch Andere bem Job. Gerfen, Geſſen oder Befen, einem Benedictinerabt von Bercelli (um 
4350), zu. Der Streit, ber fich hierüber zwifchen ben regulirten Kanonikern und Benebictinern in 
Frankreich erhob, wurbe durch das Parlament zu Paris 1652 bahin entfchieben, dag das Buch 
nur unter dem Namen bes Thomas zu drucken ſei; indeß war der Streit über die Abfaffung 
noch nicht beendigt. Vgl. Silbert, „Gerſen, Berfon und Rempis, ober welcher ift der Verfafier 
ber vier Bücher von ber Nachfolge Chriſti ?“ (Wien 1828). Übrigens gehört das Buch zu den 
am meiften verbreiteten Büchern und iſt nicht blos in alle europ. Sprachen, fondern auch in 
die Sprachen fremder, bem Chriſtenthum zugeführter Völkerſchaften überfegt worden. Dane⸗ 
ben wurde es auch mehrfach für Proteſtanten bearbeitet, unter Andern von Krehl (Rypz.1846). 

Nachgeboren tommt in doppelter Bebeutung vor. Das eine mal bezeichnet es bie erſt nach 
dem Tode des Vaters erfolgte Geburt eines Kindes, ein Verbältmiß, welches oft wegen feiner 
rechtlichen Folgen in Bezug auf da6 Erbe oder bei berrfchenden Familien auf bie Thronfolge 
von großer Wichtigkeit fein kann. Gewöhnlich bedient man fich in ſolchem Falledes lat. Wortes 
Poſthumus (weiblich Poſthuma). Däufiger gebraucht man die Bezeihnung Nachgeboren in 
den Fällen, wo bie Exfigeburt gewiſſe Vorrechte gewährt, deren die nachgeborenen Gefchwifter 
entbehren. In diefem Sinnefommt es bei den herrfchenben Familien vor, wo überall die nach- 
geborenen Söhne nur ein entfernte Recht der Nachfolge haben für ben Fall bes kinderloſen 
Sterbens bes Exftgeborenen und deshalb anderweit, in ber Regel durch eine Geldrente (Apa⸗ 
nage) entfchädige werden. Außerdem gefchieht dies beſonders bei der engl. Pairie, welche auf 
bem Princip beruht, daß bie nachgeborenen Söhne (the younger sons) weder das Beſitzthum 
noch bie Zitel und Würden bes Vaters erben, daher auch nicht den Adelsnamen beffelben, ſon⸗ 
bern nur ben urfprünglichen Familiennamen führen, wie z. B. der bekannte Lord John Ruſſell 
ein nachgeborener Sohn des Herzogs von Bebforb ifl. 

Nachgeburt, f. Geburt. | 

Nachſchlag nennt man in der Muſik theils den Anhang, welcher bem Triller beigefügt 
wird, theils überhaupt eine oder mehre Eleine Noten, welche einer melobifchen Hauptnote ale 
Berzierung angehängt und nach ihr angefchlagen werben. 

achfpiel nennt man bramatifche Dichtungen geringen Umfangs, welche beftimmt find, 
nach bem Schluffe größerer Stücke gefpielt zu werben. Entweber ftehen fie mit einem folchen in 
innerm Zufammenhbang, wo dann aber ihre Abfonderung meift unkünſtleriſch ift; oder fie be⸗ 
ſtehen für ſich, in welchem Falle fie dann oft nur Feſt⸗ und Gelegenheitsfpiele für beftimmte 
Zwecke find. Während man früher, wie ſchon in Griechenland, gern komiſche Nachfpiele auf 
ernfte Hauptdarftellungen folgen ließ umd noch im vorigen Jahrhundert Heinere Dramen oft 
ausdrüdlich als Nachſpiele bezeichnete, ift diefer Name für eine befondere Gattung ded Drama 
jegt ziemlich außer Gebrauch gefommen. 

Hadt je in der Aſtronomie der Zeitraum vom Untergang bis zum WWieberaufgang der 
Sonne, während deſſen bie Sonne ober eigentlich deren Mittelpunft für den betreffenden Ort 
unter dem Horizont verweilt. Diefer Zeitraum ift ebenfo verfchieben nach den Jahreszeiten wie 
nach den Ländern. Unter dem Aquator herrfcht beftändig Tag⸗ und Nachtgleiche, zwifchen den 
Dolen und dem Aquator aber verurfacht die Schiefe ber Ekliptik eine ungleiche Dauer der 
Nächte und Tage, und nur gen mal im Jahre, um ben 21. März und 23. Sept, fällt hier die 
Tag- und Rachtgleiche (ſ. Aquinoetium) ein. Die Fürzefte und längſte Nacht findet in ber Zeit 
der Sonnenwenden ftatt, am 21. Juni und 21. Dec. Die Verfchiedenheit der Dauer ber Nächte 
ift um fo größer, je näher ein Ort nach den Polen liegt. Unter den Polarkreifen gibt es ein mal 
im Jahre einen Tag ohne Nacht und eine Nacht ohne Tag, in den Falten Zonen aber, zwiſchen 
ben Polarkreifen und den zugehörigen Polen, geht die Sonne im Winter mehre Tage, Wochen 
‚ und Monate, je nach ber nähern Lage bed Orts nach dem Pole, gar nicht auf und Im Sommer 
ebenfo Lange nicht unter. Unter ben Polen felbft herrſcht eine Nacht von einem halben Jahre, 
welcher am Nordpol um die Zeit der Frühlingsnachtgleiche und am Südpol um bie Zeit der 
Herbſtnachtgleiche ein ebenfo langer Tag folgt. Die genaue aftronomifche Beſtimmung des 
Anfangs ber Racht richtet fi nach dem Augenblide, wo ber Mittelpunkt ber Sonnenfceibe 
unter ben Horizont hinabſinkt, abgefehen von der Strahlenbrechung, welche die Sonne noch am 
Horizont erfcheinen läßt, während fie fon untergegangen ift, und bie wahre Dauer unferer 
Nächte um mehre Minuten, jq in pen Polargegenden bie Fängfte Nacht um mehre Tage ab- 


Nachtfalter Nachtigal 5 


kürzt. Die darauf folgende Abenddämmerung macht bie Scheidewand der Nacht in aſtronomi⸗ 
(her Bedeutung und in ber Sprache des gemeinen Lebens. — In ber Myrhologie ift die Nacht 
(lat. nox, griech. nyx) eine Tochter bes Chaos und Schweſter bes Erebus, mit welchem fie den 
Zug und den Ather zeugt. Alles Unbekannte, Dunkle, Schredliche gehört zu ihrer Nachkom⸗ 
menfhaft, mithin Tod und Schlaf, Träume, Schilfale, Krankheiten und Plagen ; ferner Zank, 
Streit, Zwietracht, Krieg, Mord, Betrug und Tadelfucht. Auch Die Hesperiden werden ihre Töch- 
ter genannt. Eie bewohnt abmwechfelnd mit dem Tage einen fchauernollen Palaſt in der Unter- 
welt. Rad, Orphiſchen Sagen war fie Göttin der Liebe. Die neuere Mythologie läßt fie auf 
einem Wagen über den Himmel fahren und gibt ihr einen befternten Schleier. — Beilige Nat 
heißt in der alten Kirche die Nacht vor Weihnachten, Oftern und Pfingften, welche die Ehriften 
der erften Jahrhunderte fingend und betend burchwachten. Insbefondere feierlich wurde bie 
Dfternacht begangen, weil man in biefer bie Wiederkunft Chriſti erwartete. Da aber allerhand 
Misbräuche aus jener Nachtfeier entfprangen, fo ſchaffte fie die Kirche ab. 

Nachtfalter oder Spinner (Lepidoptera bombycodea) heifien diejenigen Schmetterlinge, 
welche erft nady ber Dämmerung fliegen und am Tage verftedt figen. Die Fühler find bei dem 
Männchen ſtark gefämmt, bei bem Weibchen meift borftenfürmig, feltener gefämmt; der Leib 
des Weibchens ift did und am Ende abgerundet-flumpf. Die meift düfter gefärbten Flügel find 
in der Ruhe dachförmig ausgebreitet ober um den Leib gerollt, die Raupen verfchieden, zehn⸗ bis 
fechzehnbeinig, und die Puppen meift in einen Cocon eingehültt. In diefe Abtheilung gehört der 
Maulbeerfeidenfpinner (Bombyx Mori), ber einzige dem Menfchen direct nügliche Echmetter- 
ling. Durch ſchöne Färbung find die Arten der Gattungen Nachtpfau (Saturnia) und Bär 
(Euprepia) ausgezeichnet, wie ber braune Bär oder Neffelfpinner (E. caja), ber ſchwarze Bär 
oder Spinatfpinner (E. villica) u.a. Auch ber Jakobskrautſpinner (Callimorpha Jacobaeae) 
ift mit lebhaften Farben geſchmückt. Als befonders [hädliche Nachtfalter find dem Menfchen 
die Arten der Gattungen Gastropacha unb Sericaria verhaßt, wie der Kiefernfpinner (Ga- 
stropacha Pini), ber Proceffionsfpinner (G. processionea), ber Ringelfpinner (G. neustrie), 
der Kichtenfpinner oder die Nonne (Sericaria Monacha), ber Schwammfpinner (S. dispar), 
der Weidenfpinner (S. Salicis), bee Golbafter (S. chrysorrhoea) u. a. Minder ſchaͤdlich ift der 
Weidenbohrer (Cossus ligniperda), da deſſen Raupe nur im faulen Holge der Weiden und 
Pappeln lebt. Eine eigenthümliche, auffallende und fonderbare Geftalt befigt die Raupe des 
Bandweidenſpinners ober Gabelſchwanzes (Cerura vinula) und noch mehr bie Raupe (Kameel⸗ 
raupe) bes Buchenfpinners (C. fagi). Ahnliche wunderliche Geſtaltungen bieten auch die Rau⸗ 
ven der Gattung Notodonta, zu welcher 3. B. ber Erlenfpinner (Notodonta camelina) gehört. 
Die fleifen Haare der Raupen mancher Nachtfalter, z. B. der Kupferglode (Gastropaeha quer- 
cifolia), der Proceffionsranpe u. a., fallen leicht aus und dringen bei der Berührung in bie Haut 
ber Hand ein, wodurch heftiges Juden und öfters auch ſtarke Entzündung erregt wird, gegen 
welche am beften Ol angewendet wird. 

Nachtgleiche, [. Aauinoctium. 

Fachtigal oder Radtigalfänger (Sylvia Luscinia) ift ein unanfehnlicher, dunkel-toftgrauer, 
am Schwanze roftfarbiger, unterfeit6 meißgrauer Zugvogel mit geftiefelten, Tangen Läufen, ber 
uber ganz Europa, das gemäßigte Afien und Nordafrika verbreitet, doch nicht an allen Orten 
gemein ift und am zahlreichften in Portugal, Spanien und Stalien angetroffen wird. Bei und 
erſcheint er um bie Mitte oder gegen das Ende des April, wählt ſich Laubholz zum Aufenthalte 
und baut in niedern Büſchen nahe an der Exbe fein Neft, in welches das Weibchen vier bis ſechs 
graugrüne, einfarbige oder gefledte Eier legt. SeineNahrung befteht aus Infektenlarven, Pup⸗ 
pen und Beeren, von welchen legtern er bie Beeren bes Traubenflieders (Sambucus racemeosa) 
vorzieht; im der Befangenfchaft wird er mit Mehlwürmern und Amelfeneiern ernährt. Wegen 
feines melodilden, lauten und an Abwechſelungen reichen Geſangs (Schlag) ift er feit ben äl- 
teften Zeiten berühmt. Am fchonften ertönt der Gefang, zumal des Nachts, dann, wenn das 
Weibchen brütet; nachher wird er leifer und feltener und hört um Johannis ganz auf. In vie 
ien Ländern ift es ſtreng verboten, Nachtigalen einzufangen, ba fie wegen ihrer Arglofigkeit fehr 
leicht greifbar, durch anhaltende Verfolgung aus unfern Gegenden völlig vertrieben werben müß- 
ten. Dennoch werben fie als Stubenvögel häufig gehalten und von den Liebhabern al® Tag» 
fhläger, Nachtſchläger und Repetirvögel unterfchieden. Beſonders geſchätzt iſt der Sproſer 
oder die zroße Machtigal (S. Philomela), welche im öftlichen Deutfchland, beſonders in Un- 
garn md Holen einheimiſch und größer, hauptfächlich aber Durch bie Ränge der Schwingfebern 
Aſhichen ih, von Denen bie erſte fehr kurz und ſchmal, die zweite faft fo lang als die britte und 


x 


6 Nachtmahlsbulle Nacken 


länger als die vierte iſt, während bei ber gemeinen Nachtigal bie zweite Schwingfeder kürzer 
als die gleichlange dritte und vierte ifl. Der Sproffer fingt noch lauter, jeboch auch etwas min⸗ 
ber angenehm. Bol. Bechſtein, „Naturgeſchichte der Stubenvögel” (2. Aufl, Gotha 1812); 
Nindel, „Die vorzüglichften Singvögel im Simmer” (Um 1827); Brehm, „Handbuch für 
Liebhaber ber Stubenvögel” (Jimenau 1832). 

achtmahlsbulle, ſ. In ooena domini. 

Nachtrab, Nachbut, f. Arrieregarde. 

Nachtſchatten (Solanum) ift der Rame einer über alle Weltthelle verbreiteten, Hauptfäch- 
lich jedoch in Südamerika und Weftindien einheimifchen artenreichen Pflanzengattung, melde 
unbewehrte und dornige, oft fternhaarigfilgige Kräuter, Halbfträucher und Sträucher enthält. 
Die Blüten fliehen trugboldig oder faft rispig, felten traubig oder einzeln unb haben einen fünf- 
(felten bis zehn⸗)ſpaltigen Kelch und eine rabförmige, fünf. (felten bis zehn⸗)ſpaltige, gefaltete 
Blume mit fünf Staubgefäßen, deren Staubbeutel an der Spige mit zwei Löchern auffpringen. 
Die zweifächerigen Beeren enthalten viele und kahle Samen. Die hierher gehörigen Arten füh⸗ 
zen im Allgemeinen faft ſämmtlich ein giftiges Alkaloid, das Solanin, in größerer oder gerin- 
gerer Menge, wie der bei und überall gemeine ſchwarze Nachtſchatten (S. nigrum), und die 
Früchte find gewöhnlich mehr ober minder giftig, doch auch von einigen Arten unfchädlich und 
eßbar, wie von dem eßbaren Nachtſchatten (S. esculentam) und deffen Varietät mit eiförmi- 
gen Beeren, bie unter dem Namen Eierpflanze (S. ovigerum) bei uns oft eultivirt wird; fer- 
ner von dem orangenartigen Nachtſchatten (S. Quitoßnse), deſſen Früchte in Peru unter dem 
Namen Orangen von Quito, Naranjitas de Quito, als kühlendes Obſt genoffen werden, von 
dem großfräätigen Radtfchatten (S. macrocarpum) u. f.w. Die Früchte des feifenartigen 
Nachtſchatten (S. saponaceum) braucht man in Peru ftatt der Seife zum Waſchen. Bon dem 
Bitterfüßnadtfegatten (S. Dulcamara) oder Bitterfüß(f.d.) mit violetten Blüten, ber bei uns 
häufig in feuchten Gebüſchen wächft, find bie jüngeren Stengel und bie Afte als Arzneimittel ge- 
bräuchlich. Die wichtigfte Art aber iſt der knollentragende Rachtſchatten oder die Kartoffel (ſ. d.). 

RNachtſtücke nennt man Gemälde ober Zeichnungen, inbenen bie Seene nicht von der Sonne 
oder bem Tageslichte, fondern vom Monde oder einem künftlichen Lichte erleuchtet wird. Mit 
Abſichtlichkeit und entiprechender Virtuofität find dergleichen Gegenſtände meift nur von fol- 
hen Malern und Malerſchulen behandelt worden, welche im Colorit und in ber Beleuchtung, 
zumal im Helldunkel, ſich auszeichneten. &o hat der Schöpfer des Helldunkels, Correggio, auch 
das berühmteſte Nachtſtück — die Anbetung der Hirten (in der Galerie zu Dresden), 
wo bas Licht vom Kinde ausgeht. Namentlich haben die Holländer fehr Bebeutenbes in diefem 
Sache geleiftet, 3. B. Neefs, van der Neer, Rubens, Rembrandt, Honthorft, der Davon den Bei- 
namen dalle notti erhielt, u. A. Am raffinirteften bilbete Gottfr. Schalten die Nachtſtückma⸗ 
lerei aus, in deſſen Gemälden oft eine ganze Anzahl der verfchiebenften Lichter ſammt Nefleren 
und Hellduntel fich kreuzen. Unter den Franzoſen ift in Beziehung auf Nachtflüde M. Valen⸗ 
tin, unter den Italienern die Schule von Neapel zu nennen. Unter den lebenden Künſtlern 
zeichnet ſich C. Verreyt von Köln durch meifterhafte Mondfcheiniandfehaften, ber Holländer 
van Schendel durch Bilder mit Lichteffecten vortheilhaft aus. — Auf die Poeſie übergetragen, 
bezeichnet man mit Nadtftäd eine büftere, Schredien und Trauer erweddende Eompofition, wie 
dergleichen bei und C. T. A. Hoffmann (f. d.) geſchrieben und zum Theil auch unter dieſem 
Titel hat erfcheinen laſſen. 

Rachtwandler, f. Mondſfuͤchtig. 

Racken, Senick (cervix, nucha) nennt man ben hintern Theil bes Halſes, welcher, breiter 
und länger alö ber vordere, vom Hinterhaupte beginnt und fih nach unten in ben Rüden und 
bie Schultern verliert. Der mittlere umd etwas vertiefte obere Theil bes Radens führt den Na- 
men Nackengrube. Die Grundlage bes Nackens bilden bie in feiner Tiefe liegenden fieben 
Dalswirbel, beren Brüche und Berrentungen fofort ben Tod herbeiführen umb als fogenanntes 
Genickbrechen bekannt find. An diefe Wirbel lagert ſich eine große Anzahl ziemlich ſtarker und 
in Schichten übereinander liegender Muskeln an. In der Mittellinie zwiſchen biefen Muskeln 
der rechten und linken Seite iſt das Madenband verborgen, welches beſonders bei ben Wieder 
Böuern fehr ſtark ift umd zur Befeſtigung des Kopfs und feiner Muskeln bient. Die Naden- 
muöteln, deren krampfhafte Zufammenziehung (beim Starrkrampf) von fehr fehlimmer Be- 
beutung iſt, beforgen ihren Anheftungspunkten nach Bewegungen theils des Kopfes und Halle 
(befondere das Strecken und Aufrichten), theils der Schulter (das Deben berfelben). Wichtige 
Blutgefäße und Nerven trifft man am Nacken nicht. 


Nacktes Nadelgeld 7 


Nacktes bezeichnet in der bildenden Kunſt zunächſt ben von Kleidung entblößten menſch⸗ 
Gichen Körper, daher bie Redensarten: Nacktes ſtudiren, zeichnen, Kenntniß des Nackten haben 
u. ſ. w, und es iſt das Nackte das Weſentliche in der Plaſtik (ſ. d.). Daß das Studium des 
Nackten aber auch dann unerlaßlich ſei, wenn drapirte Figuren dargeſtellt werben, erhellt dar- 
aus, weil die Formen und Verhaͤltniſſe der Bekleidung durch die natürlichen Grundformen des 
Körpers beflimmt werben, daher felbft die gefchieteften und erfahrenften Bildhauer auch jebe 
Gewandfigur erſt nadt mobelliren, ehe fie ihr die Bekleidung umlegen. Allerdings ift die Ma- 
lerei in der Darftellung det Radten befchränkter als bie Plaſtik. Denn die Plaſtik hat weſent⸗ 
lid) durch den ınenfchlichen Körper den Ausdruck ihrer künſtleriſchen Ideen wieberzugeben, 
während die Malerei die ihrigen innerlicher und vergeiftigter durch das Antlig auszudrüden 
im Stande ifl. Die Triumphe der Plaſtik liegen in der antiten, die ber Malerei in ber cprift- 
lichen Kunft, und ber legtern ift natürlich der unverhüllte Körper nicht von fo großer Bedeu⸗ 
tung al& der erflern. &o wenig indeß der finnliche Reiz der Farbe aufgerufen werden darf, un: 
tein ſinnlichen Ideen zum Ausdruck zu dienen, fo wenig will die Malerei das Nackte umgehen, 
wo ein echt malerifcher Vorwurf es fordert. Alles Abſichtliche, Gemachte aber ift hier wie über- 
haupt zu meiden. Freilich hat die hriftliche Sculptur rülfichtlich ber Gemandung mit Schwie⸗ 
rigkeiten zu tämpfen; deshalb aber Statuen von gelehrten Männern ber modernen Beit nadt 
darzuftellen, wie die Franzoſen verfucht Haben, bleibt eben fo unftatthaft, ald den antiten Mar- 
morgeftalten blecherne Dedblätter vorzubeften. Ebenfo lag es ganz in der Natur und der An⸗ 
ſchauung Michel Angelo’, die Figuren bes Weltgerichts unbefleibet barzuftellen, ſodaß wir 
über die fpätere Behofung derfelben Lächeln müffen. Wie unnatürlich biefe Mafregel war, fo 
unnatürlich würben wir es auch finden, wenn heutzutage ein Maler mit einem ganz nadten 
Chriſtus auftreten wollte. Ein großer Mangel an fünftlerifhem Sinn bat ſich theilmeife in 
England bei Belegenheit der großen Ausftelung von 1851 Lund gethan, wo man in Wort und 
Schrift gegen die nadten Statuen geeifert hat. Bei Darftellung des Nadten in ber Malerei 
fommt es hauptfächlich auf Anatomie und auf die Farbengebung an, die man, infofern fie ſich 
mit ber Nachahmung bed Nadten befchäftigt, die Carnation (ſ. d.) nennt. Bill der Künftler 
hierin den Anfoderimgen ber ſchönen Kunft Genüge leiften, fo muß er zuvörderſt die Xocaltöne 
richtig treffen, d. 5. die natürliche Farbe des Gegenftandes fo wiedergeben, wie fie auf ihrem 
Standort erſcheint. Die verfchiedenen Abftufungen müffen aber in dem Haupttone der Carna⸗ 
fion harmoniſch vereint fein. Doch der Stoff bleibt immer Fleiſch, und es kommt daher endlich 
darauf an, den materiellen Charakter diefes Stoffs richtig auszudrüden. Bier fann gm die 
Wahrheit gefehlt werden entweder durch zu viel Härte, wiein den Werken ber ältern Maler ded 
15. Jahrh., oder durch zu große Mürbheit (morbidezza), bie fi) vornehmlich bei Guido Rent 
findet, deſſen Fleiſch Häufig blutleer, ſchleimig und grünlich ausfieht. Die franz. Schule ift darin 
fo weit gegangen, daß man nicht mehr Fleifch, fondern Porzellan oder Wachs zu fehen meint. 
In der wahren Sarnation ift Zizian das unübertroffene Mufter. 

Nadel, Eine der Hauptverwendungen des Drahts bildet die Nadelfabrikation, und man 
bedient fich bei derfelben des Gold-, Silber- oder Meſſingdrahts zu den Stednabeln, bes 
Stahldrahts zu den Rähnadeln, Stricknadeln und chirurgiſchen Nadeln, ober des Gifen- 
drahts zu den Haarnadeln. Die Nadeln waren fchon den Alten bekannt, welche ihre Erfin⸗ 
dung der Göttin Bellona zufchrieben; doch beftanden fie anfangs aus Holzfpigen, Fifhgräten 
u.f.w. Auch Die Phrygier und Babylonier mußten die Nadeln Eennen, da fie geftidte Gewän⸗ 
der befaßen. In Nürnberg war 1370 und in Augsburg 1406 dad Nadlergewerk zünftig. Die 
Arbeit greift wegen des Staubes beim Schleifen die Gefundheit fehr an. Die beten Nähna- 
dein kommen gegenwärtig aus England, wo fie in Sheffield und Birmingham ingroßer Menge 
und von allen Größen gemacht werden. Die erite Fabrik in England wurde 1560 gegründet. 
Aud in Deutfchland werben fehr gute Näh- und Stecknadeln gemadt ; von legten find bie 
karlsbader und bie nürnberger berühmt. Unter ben Nähnabeln nehmen bie aachener einen ber 
erften Pläge ein. Die Nähnadelfabrifation macht von eigentlihen Mafchinen feinen Gebraud) ; 
dagegen werden bie Stedinadeln in England grofentheil® mitteld Mafchinen verfertigt, wenig⸗ 
flens duch eine Maſchine mit ben Köpfen verfehen, welche aus dem Schafte ber Nabeln felbft 
gebilder und nicht, wie bei den durch Handarbeit erzeugten, als befonderer Theil aufgefegt find. 

Radelgelb oder Spillgeld (von Spille, d. i. Spindel) nennt man die fährliche Summe 
Beides, welche ber Mann der Frau zur Beftreitung ihrer Heinen Ausgaben für Kleidung, Pup 
ind Leibwaͤſche ausſeht. Allgemein üblich ift die Ausfegung von Nadel- und Spillgeldern nur 
iR den Ehen des Hohen Adels. Ihr Betrag richtet ſich nach den Obfervanzen des betreffenden 


8 Nadelhölzer Nadir (Schah von Perfien) 


ſes und nach befondern Umftänden. Etwas Anderes, wiewol im Nefultat ganz Ähnliches 
iſt es, wenn fich die Frau bei der Verheirathung aus ihrem Vermögen etwas zur eigenen Dispo» 
fitton und Verwaltung vorbehält. 

Nadelhoͤlzer oder Zapfenbaͤume (Coniferen) Bilden eine natürliche Pflangenfamilie und 

“ umfaffen alle diejenigen Bäume und Sträucher, deren Blätter nabelartig oder fhuppenartig 
und deren Eierchen (Samenknospen) nadt, d. h. nicht in einem Fruchtknoten eingefchloffen find. 
Die bei weitem größte Anzahl der Nadelhölzer gehört der nördlichen Halbkugel unferer Erde an 
und wir finden bei ihnen im Ganzen das gefellige Vorkommen häufiger als bei andern Pflan- 
zenfamilien, ja manche Arten nehmen ausfchließlich ausgedehnte Kandftriche ein, denen fie eine 
eigenthümliche Phyfiognomie ertheilen. Ihre Dauer ift eine fange, und kaum möchte es eine Art 
geben, die nicht wenigftens 1003. alt werden könnte, während manche felbft ein Alter von 2000 
— 30003. erreichen fönnen,.wie bie Eibentanne (Taxodium distichum). Hinſichtlich der Höhe 
find die Nadelhölzer vor allen zweifamenlappigen Zaubbäumen ausgezeichnet, was fich ganz be- 
fonder# in ber Andentanne (Araucaria excelsa), der Riefenkiefer (Pinus Lambertiana) und der 
Heiligen Niefentanne (Sequoia religiosa) zeigt, von denen die Tegtere in Californien 500 F. 
hoch wird. Das Holz des Stamm ber Nadelhölzer befteht nur aus getüpfelten (punktirten) 
Zellen, und ber von ber Wurzel abgehauene Stanım treibt nicht wieder aus. Die Blätter find 
meiftens immergrün und dunkel (ſchwarzgrün), weshalb man auch die Nabelholzwälder ale 
Schwarzwald bezeichnet; felten fallen die Blätter alljährlich ab, wie bei dem Lärchenbaume 
(Pinus Larix). Die männlichen und weiblichen Blüten find getrennt und zwar fo, daf fie entwe⸗ 
der auf verfchiebenen Bäumen, wie bei dem Eiben, dem Wachholder, oder auf verfchiedenen 
Stellen eines und deffelben Baums fich befinden, wie bei der Kiefer. Als chemiſche Beſtand⸗ 
theile treffen wir vorherrfchend ätherifch-ölige und harzige Stoffe an, ferner zufammenziehende 
Stoffe in der Rinde und fettes Ol in den Samen, bon denen bie größern gegeffen werden, wie 
die Zirbefnüffe, Pinien und die Samen der Andentanne (Araucaria), welche legtern den Arau⸗ 
kanern einen großen Theil ihrer Nahrung liefern. Man theilt die Nabelhölzer in 1) tannenar- 
tige, welche umgekehrte Samenknospen (Eierchen) und holzige Zapfen tragen und zu denen 
Kiefer, Fichte, Tanne, Lärchenbaum, Andentanne u. a. gehören; 2) eypreſſenartige, welche 
aufrechte Samentnospen und holzige oder beerenartige Zapfen tragen und zu denen Wachhol⸗ 
der, Lebensbaum, Eypreffe, Eibentanne u. a. gerechnet werben; 3) tarusartige, welche die Sa- 
men einzeln (nicht in Zapfen) tragen, wie Eiben (Taxus), Salisburie u. a. Die Nadelhölzer 
find von großer Wichtigkeit wegen ihres fchnell wachfenden und leichten, aber durch den großen 
Harzgehalt dennoch Tange ausbauernden Holzes, wegen der Menge ber harzigen und ätherifch- 
öligen Stoffe und wegen mancher anderer in technifcher, ötonomifcher und medicinifcher Bezie⸗ 
bung fehr Ihägbaren Eigenfchaften. Wegen ber getüpfelten Zellen bes Holzes ift das legtere 
für die Refonanz der Töne befonders geeignet, und es wirb daher auch allgemein folches Holz 
zu mufitalifchen Inftrumenten verwendet, und zwar ift basjenige Holz am beften dazu zu brau« 
hen, beffen Zellen nur eine Reihe, aber möglichft großer Punkte haben. 

Nadelſtich (als Heilmittel), f. Acupunctur. 

Nadir, ſ. Zenith. 

Nadir, Schah von Perſien, geb. 1688 in Khoraſſan, war der Sohn eines turkoman. Be⸗ 
fehlshabers und trat noch ſehr jung in die Dienſte des perſ. Statthalters ſeiner heimatlichen 
Provinz, verließ fie jedoch wegen Zurüdfegung und wurde Anführer einer gefürchteten Räuber⸗ 
bande. Doc Tahmafp, der Schah von Perfien, rief ihn bald gegen feinen Rivalen Afchraf zu 
Hülfe und erhob ihn, nachdem er denfelben befiegt, 1729 zum Oberbefehlshaber und bald auch 
zum Leiter aller Staatögefchäfte. Mit erheuchelter Demuth nannte HN. nun Tahmaſp⸗Kuli 
(d. i. Sklav bes Tahmafp)- Khan. Bald hatte er das ganze Heer für fich gewonnen, und ale 
der König einen nachtheiligen Frieden mit den Türken ſchloß, entthronte er denfelben, bemäch- 
tigte ſich im Namen des jungen Schah6 Abbas III. ber Regentſchaft und machte fih 1735, nad} 
einem blutigen Siege über die Türken und nachdem fein Mündel geflorben, zum Schah von 
Perfien. Seit biefer Zeit nannte er ſich Shah Nadir. Seine Waffen waren überall fiegreich ; 

allein er vergoß Gtröme Blutes und wüthete felbft gegen feine Unterthanen mit der emporent- 
fen Sraufamkeir. Seine durch N ünderungen ausnehmend bereiherten Soldaten waren ihm 
ſo ergeben daß Niamand lagen b un ihm die Spige zu bieten. Selbft ber Haß der Geiſtlichen, 

welche Pa, Niema nen tagen durfte, ochte nichts gegen ihn. Sein größter, aber auch gräuel⸗ 
dollfter Bee Ginfünfte entzogen, verm 739 den Großmogul befiegte, bemfelben mehre Pro- 
binzen und nn war der, in welchem er 4 (hi zerſtörte Endlich jedoch ſtellten ſich ſein eigener 


Einen hab abnahm und D 


Näfels Nägele 9 


Neffe und einer feiner Statthalter an die Spige einer Verſchwörung, durch deren gedungene 
Mörder er 1747 fiel. Sein einziger übriggebliebener Sohn, geb. 1737, wurde nach Kon- 
ftantinopel ımd von da nad) Semlin gebracht, wo ihn Maria Therefia taufen und erziehen 
ließ. Unter dem Namen eines Barons von Gemelin diente er ald Offizier im Siebenjährigen 
Kriege, wurde mehrmals verwundet, nahm als Major ben Abfchied und lebte zurückgezogen 
zu Mödling bis an feinen Tod. . 

Näfels, ein Flecken im Canton Glarus mit etwa 2000 Path. E. und einer fchönen Kirche, 
war früher ber Verſammlungsort der Path. Landesgemeinde. Der hier 9. April 1388 von 
1500 Schweizern über 8000 Öftreicher erfochtene Sieg wird jährlich noch feftlich begangen. 
Das Schlachtfeld ift mit Denkſteinen bezeichnet. 

Hagel Heißt ein zugefpigte® und meift mit einem Kopfe verfehenes Stück Metall, gewöhn- 
lich Eifen, deffen Hauptbeftimmung darin befteht, als Verbindungsmittel bei Holzarbeiten und 
einigen andern Gegenſtänden zu dienen. Nach Form und Größe werden bie Nägel in fehr viele 
Gattungen gefchieden, wie Schiffe oder Mühlnägel, Bodennägel, Zattennägel, Bretnägel, 
Schloßnägel, Schiefernägel, Hufnägel, Schuhnägel u. f. w. Hinſichtlich der Verfertigungsart 
unterfcheidet man gefchmiebete Nägel, welche aus Stabeifen unter dem Hammer gefchmiebet 
werben; gefchnittene Nägel (Mafchinennägel), welche aus Eifenblechftreifen durch eine Schneid⸗ 
maſchine geſchnitten und babei zugleich mit dem Kopfe verfehen werden; Drabtnägel (Draht. 
ftifte), zu welchen Eifendraht das Material ift und deren Verfertigung gegenwärtig meift eben- 
falls auf Mafchinen ftattfindet; endlich gegoffene Nägel, aus Gußeifen in Sandformen gegoſ⸗ 
fen. Nägel von Zink und Kupfer (erftere zum Aufnageln bes Zinkblechs bei Dachdeckungen, 
legtere zum Annageln des Kupferbefchlags ber Seefchiffe) kommen weit feltener vor als eiferne. 

Hagel (unguis) nennt man die Hornplatte, welche von jedem Finger und jeber Zehe mehr 
als bie Hälfte ber Rückenfläche des legten (des britten ober beim Daumen und ber großen Zehe 
des zweiten) Gliedes bedeckt. Die Nägel find an drei Seiten in einen Falz ber Lederhaut einge 
ſenkt, welcher an ber bem Fingerende entgegenftchenden Seit mehr ald zwei Linien tief ift. Die 
Leberbautftelle, auf weicher ber Nagel auffigt, führt den Namen des Ragelbetts. Won diefem 
Bette und bem Falze wird fortwährend bie Nagelfubftang abgefondert, ſodaß dadurch der Nagel 
don hinten nach vorn gefchoben und dider wird. Der hinterfte Theil des Nagels heißt die Na- 
gelwurzel, bie weichere und dünnere balbmondfärmige weiße Stelle derſelben das Mondchen 
(lunula). Beim Embryo entwideln fich die Nägel erft im fünften Monate feines Lebens. Der 
Ragel dient dazu, das von ihm bebedite Glied zu ſchützen, ift aber deshalb felbft oft befonders 
mechanifchen Verlegungen ausgefegt, ſowie er auch durch Leiden der umliegenden Theile mit an⸗ 
gegriffen werden kann. Pathologifche hierauf bezügliche Benennungen find: Ragelfpult (fs- 
sura unguis), eine vom freien Rande bed Nagel nach deſſen Wurzel fortlaufende Spaltung 
des Nagelgewebes, welche durch Schnitte, Quetfchungen u. f. w., aber auch durch Allgemein⸗ 
leiden bes Körpers, als Weichfelzopf, Syphilis u. f. w, entftehen kann; Nagelzwang (incar- 
natio unguis), eine Entzündung und Eiterung der neben dem Nagel gelegenen Weichtheile, 
durch egcebirendes Wachsthum beffelben in die Breite und daher kommendes Einwachſen in das 
Fleiſch mit daraus folgendem Drud auf daſſelbe entftehend, welche fehr ſchmerzhaft wird, ſehr 
lange anhalten kann und fehr leicht, felbft wenn fie durch eine ziemlich ſchmerzhafte Operation 
gehoben ift, wiederkehtt; Nagelgefhwür (panaritium subungue), ein Gefchwür an der Fin- 
ger- oder Zehenfpige, welches ben Nagel in Mitleidenfchaft zieht, ſodaß er oft gänzlich verloren 
geht umd einer fehr forgfamen Behandlung bedarf; Nagelgrind (tinea unguis), eine Entartung 
der Rägel in Folge von allgemeinen Übeln, wie Syphilis, Ausfag u. f. w., wobei Die Nägel zer- 
frefien, riffig, gekrümmt werden oder anfchwellen und fich verbiden ober gänzlich abfallen; 
Regeltrimmung (gryphosis), eine Degeneration der Nägel, wobei dieſe ſtark wuchern, länger 
und bider werben und fich Hauenartig krümmen und die meift mit allgemeinen Hautkrankheiten 
in Verbindung vorkommt. Neibnagel oder Rietnagel (reduvia) nennt man ein Meines mit 
dem einen Ende abgelöftes Stückchen der Oberhaut, welche bie Nagelwurzel überzieht, deshalb 
hier ſehr gefpannt ift und leicht zerriffen wird. Dieſes an und für fich geringe Übel kann doch 
au einer ſehr ſchmerzhaften Entzündung Anlaß geben, wenn man bei ber gänzlichen Lostren⸗ 
nung dieſer Oberhautfkreifchen nicht vorfichtig verfährt. _ 

Nägele (Kranz Karl), ausgezeichneter Geburtshelfer, geb. 12. Juli 1778 zu Düffeldorf, 
wo fein Vater Director der damals beftehenden mediciniſch⸗chirurgiſchen Schule war, wurde 
im dafigen Zefwitencollegium und von feinem Vater unterrichtet und verfah ſchon frühzeitig bie 
Stele ring Proſectors und Repetitors an ber genannten Lehranftalt. Hierauf ftubirte er in 


10 ‚Ragelilue Nagethiere 


Strasburg, Freiburg und Bamberg, wo er 1800 die mediciniſche Doctorwürde erhielt, machte 
dann Reifen und ließ ſich in Barmen als praktiſcher Arzt nieder, wo er Phyſikus, Municipal 
rath und Mitvorſteher einer durch ihn theilweiſe ins Leben gerufenen Armenanſtalt wurde. Im 
J. 1807 als außerordentlicher Profeſſor nach Heidelberg berufen, erhielt er, von jeher ber Ge⸗ 
burtshülfe mit beſonderer Vorliebe zugethan, 1810 bie ordentliche Profeſſur derſelben und das 
Directorium der Entbindungs anſtalt. Er wurbe 1815 Hofrath, 1821 Geh. Hofrath, Tpäter 
Seh. Rath; mehre an ihn von auswärts ergangene Rufe lehnte er ab. Im Fache der Gebürts- 
hülfe hat er fich einen ausgezeichneten Ruf erworben. Bon feinen Schriften find beſonders zu 
erwähnen: „Erfahrungen und Abhandlungen aus bem Bebiete ber Krankheiten des. weiblichen 
Geſchlechts“ (Manh. 1812); ‚Schilderung bes Kindbettfiebers nach ber Epidemie von 1811 
— 12" (Heidelb. 1812); „Uber den Mechanismus ber Geburt” (2. Aufl., Heibelb. 1822); 
„Das weibliche Becken“ (Karler. 1825; 2.Aufl., 1850); ‚Lehrbuch der Geburtshülfe für Heb- 
ammen” (8. Aufl., Heidelb. 1850); „Das fchräg verengte Beden nebft einem Anhange über 
die wichtigften Fehler des weiblichen Beckens überhaupt” (Mainz 1839, mit Kupf.); „Zur Me⸗ 
thobologie der Geburtshülfe“ (Heidelb. 1848). Außerdem lieferte er eine Menge Hleinerer werth⸗ 
voller Schriften und viele Auffäge in medicinifchen Zeitfchriften, beſonders in ben „Heidelberger 
kliniſchen Annalen‘, deren Mitherausgeber er feit 1825 war. Als Arzt wie als geiftreicher Leh⸗ 
rer gleich gefchägt, war er über 40 Jahre in Heidelberg ungeftört thätig, in feiner legten Lebens⸗ 
zeit aber durch körperliche Keiden gehindert, feinem Berufe nachzugehen. Er ftarb 21. San. 
1851. — Raͤgele (Herm. Franz Sofeph), älterer Sohn des Vorigen, geb. zu Heidelberg 1810, 
hat fih gleichfalls als geburtshülflicher Schriftfteller und Lehrer bekannt gemacht. Derfelbe ha⸗ 
bifitirte fi) 1835 als Privatdocent zu Heidelberg, wurde im Nov. 1858 außerordentlicher 
Drofeffor und fpäter Kreisoberhebarzt und ftarb 5. Juli 1851. Seine befannteften Schriften 
find: „Die Lehre vom Mechanismus ber Geburt” (Mainz 1838); „Die geburtshülfliche Aus- 
cultation” (Mainz 3838); „Commentatio de causa quadam prolapsus funiculi umbilicalis in _ 
partu” (Heidelb. 1839); „Lehrbuch ber Beburtshülfe” (3. Aufl. 2 Bde. Heibelb. 1850). Ein 
jüngerer. Bruber beffelben, Marimilian R., feit 1846 Privatbocent ber Nechte in Deidelberg, 
geft. 1852, Hat fi durch „Studien über altital. Rechtöleben” (Heibelb. 1849) befannt gemacht. 
Nagelflue oder Ragelflühe (Poudingue), ein Trünmergeftein, ift aus Bruchflüden und 
Geſchieben anderer Bebirgsarten und Mineralien gebildet und durch einen kalkig-kieſeligen Kitt 
verbunden. Beſonders mächtige Gebirge von Nagelflue gibt es in ber Schweiz. Da bie Schich⸗ 
ten der Nagelflue mit fandigen, thonigen und andern Ragen wechfeln, und biefe theils verwittern, 
theild durch eindringende Waſſer nach und nach zerflört werben, welche plöglich als Echlamm- 
ſtröme hervorbrechen, fo wird dadurch ben Ragelfluebaänken nicht felten eine Unterlage entzo- 
gen, foba fie mit großer Gewalt herabrutfchen. Eine folche Veranlaffung hatte z. B. der Ein« 
fturz eines Theils des Nuffibergs in ber Schweiz, welcher 1805 Goibau (f. d.) verfchüttete. 
Nagethiere, Hager (Glires) ober Bfotenthiere machen eine große, zugleich aber auch na» 
türliche Gruppe ber Säugethiere aus, welche ſich hauptſächlich durch bie in jedem Kiefer zu 
zweien ftehenden, meißelförmigen und gebogenen Vorberzähne (Nagezähne) auszeichnet, die tief 
in die Kinnladen eindringen und von der hohlen Wurzel aus fortwährend nachwachſen. Nur 
bei ben Hafen findet ſich Hinter dem vordern noch ein fehr kleines zweites Paar von Nagezäh⸗ 
nen. Die Nagetbiere find faft alle von Heiner Beftalt; am größten unter ihnen ift das amerif. 
Waſſerſchwein. Bei vielen find die Hinterfüße weit länger als die Vorberfüße, was am auf 
fälligſten bei den Springmäufen flattfindet; bei andern, welche ein unterirdifches Leben führen, 
wie bie Blindmäufe, find bie Vorderfüße befonders ſtark außgebildet. Die meiften gehen auf ber 
Sohle, wenige auf ben Zehen; bei einigen ift eine weit ausbehnbare Seitenhaut des Körpers 
vorhanden, welche beim Springen einen Fallſchirm abgibt, wie bei dem Flughörnchen. Die 
Augen ftehen immer feitlich und find zum Theil groß, zum Theil Hein, ja bei ben Blindmäufen 
fogar mit der ungefpaltenen behaarten Körperhaut überzogen. Backentaſchen als Magazine für 
das eingefammelte Futter find bei vielen vorhanden und münden meiftens im Innern des Mun⸗ 
des, felten nach außen, wie bei der Tafchenratte. Die Mundöffnung ift ftet6 ziemlich eng und 
die Oberlippe tief gefpalten. Im Allgemeinen führen die Nagethiere mehr ein Nacht» ald Tag- 
leben, wohnen unter ber Erbe, im Waſſer, auf Bäumen oder auf dem bloßen Boden, leben von 
Pflanzentheilen oder find Omnivoren und finden ſich unter allen Klimaten ber Erde. Sie zei- 
gen meiftens Lebhaftigkeit, auch Muthwillen, felten Bosheit, wie bie Ratten, find übrigens 
ſcheu und ſchreckhaft und entbehren der Intelligenz, die bei einigen durch einen ſcharfen Inſtinct 
erfept wird. Zwar können fie gegähmt und abgerichtet werden, aber Anhänglichkeit an ben Men- 


Nagler NRagy-Sdndor 11 


(den und Dankbarkeit ift ihnen fremd. Durch Schnelligkeit, Furchtſamkeit, Hüpfen, zugefpipte 
Kiefern, äußere und auch innere Befchaffenheit des Hirns und befonder6 Durch ben bei andern 
Gäugethieren ganz ungewöhnlichen Trieb zur Derftellung von tunftreichen Neſtern, wie beim 
Hamſter, Biber u. a., erinnern die Nagetchiere gewiffermaßen an die Vögel. Man theilt fie in 
folge, welche mit Schlüffelbeinen verfehen find, wie Eihhorn, Maus, Danıfter, Biber, und 
ſolche, welche keine Schlüffelbeine Haben, wie Dafe, Meerſchweinchen, Stachelſchwein. 
Nagler (Karl Ferd. Friedr. von), ein um das deutſche, beſonders preuß. Poſtweſen ſehr 
verdienter preuß. Staatsmann, wurbe zu Ansbach, wo fein Vater Regierungérath war, 1770 
geboren. Er findirte zu Erlangen unb Göttingen Die Rechte und wurde unter dem nachmali- 
gen Staatskanzler Hardenberg Erpedient bed fränk. Departements und Neferendar ber ans- 
bachiſchen Regierung, dann Kriegsrath und Mitglieb des Regierungscollegiums. Im J. 1798 
folgte er dem Miniſter von Hardenberg nach Berlin ald Rath für das ansbach-baireuth. De- 
Partement und wurde 1802 Geh. Regationsrath. Er hatte 1806 das Fürſtenthum Ansbach 
an den franz. Bevollmächtigten, Marſchall Bernabdotte, zu übergeben, ging gegen Ende bes 
Jahres nach Königsberg und Memel und wurde 1809 Geh. Staatsrath und Director ber 
weiten Section des Sabinetöminifteriums. In ben 3. 1810— 21 außer Dienft, wibmete er 
biefe Muße hauptſächlich feiner Liebe zur Kunft und brachte, namentlich durch Reifen in Deutfch- 
land, Holland und Frankreich, in faft allen Zweigen berfelben umfaſſende Sammlungen zu 
Stande, weſche, mit Ausnahme der Bemälde, 1835 für das Mufeum zu Berlin vom Gtaate 
angefauft wurben. Insbefonbere find es bie Schäge N.’S, welche die Grundlage für die Kupfer- 
ſtichſammlung des Mufeums bilden. Nach dem Tode Segebart's 1821 zum Chef des Poft- 
weiend und hierauf im April 1825 sum Generalpoftmeifter ernannt, brachte er mit Energie, 
Umfidgt und feltener Ausdauer einen völligen Umſchwung in biefen Zweig, ſodaß er in Preußen 
und mittelbar in Deutſchland als der Begründer des modernen Poſtweſens angefehen werden 
tamn. Im 3. 1823 erhob ihn ber König in ben Abelftand, und 1824 fandte er ihn, mit Be⸗ 
Laffang des Pofibepartements, ald Befandten auf den Bundestag nach Frankfurt, wo er eben- 
falls Talent und Gewandtheit geltend machte. Bon Frankfurt 1835 abberufen, blieb er Gene- 
talpoftmeifter, wurde aber zugleich 1836 zum Staatsminifter erhoben und richtete nun feine 
ganze Thätigkeit auf die Kortentwidelung des Poſtweſens. N. ftarb 13. Juni 1846. 
agy⸗Saͤndor (Jofeph von), ungar. Revolutiondgeneral, geb. 1804 zu Großwardein im 
biharer Gomitat, trat frühzeitig in die öfter. Armee, verließ fie aber wieder in ben erften vierziger 
Jahren umd zog fich mit Rittmeifterpenfion auf fein Befigthum in Ungarn zurüd. Patriotiſch 
geſinnt und thatenburftig, ftellte er fich beim Beginne ber Bewegung von 1848 der ungar. Re: 
gierung zur Verfügung und nahm ſchon im Sommer 1848 ald Major an den Südkämpfen 
Antheil und flieg zum Oberft. In der Norbarmee wohnte er ſodann als Commandant ber 
Sannoverhufaren dem Frühlingsfeldzuge von 1849 bei und erhielt nach ben fiegreichen Schlad- 
ten von Tapiobieske, Iſaßeg und Gödöllö 6. April 1849 den Generalsrang. In diefer Stellung 
betheiligte er fich als Führer des erſten Armeecorps an der Schlacht bei Waitzen, der Erſtür⸗ 
mung von Ragy-Gärld, dem Entfage Komorns und der Einnahme Dfens. Bei legterer Affaire 
hatte er 16. und 21. Mai mit feinem Corps die Breſche zu ſtürmen, wobei ex ebenfo viel Energie 
als perfönliche Tapferkeit zeigte. Später ging N. nach Komern, wohin Görgei fein Haupt. 
guartier verlegt hatte, und leitete bier das umglüdkliche Gefecht an der Waag vom 16. Juni, das 
er fomol als Klapka widerrathen hatte. Gegen Börgel hatte er bereits während der Belagerung 
Dfens Verdacht gefafit und diefen der Regierung mitgetheilt, auch Görgei gegenüber öffentlich 
geänfert, daß ein Eäfar an ihm feinen Brutus finden werbe. Doc, beſaß N. zu wenig Charak⸗ 
terftärße, um feiner Einficht gemäß zu handeln. Als in den erften Julitagen ber Zwiſt zwiſchen 
Görgei und ber Regierung offen ausbrach, trat N. anfangs entſchieden auf Seite der legtern, 
ließ ſich jedoch durch die übrigen Offiziere bald hiervon abbringen und ging felbft mit Klapka 
nach Peſth, um den Frieden zu vermitteln und Görgei's Verbleiben im Commando zu erwirken. 
Da diefer auch nachher mit dem Abzug von Komorn zögerte, tratR. allein mit bem erften Corps 
I. Juli den Marſch in die Theißgegend an, Eehrte indefien auf Klapka's Weiſung von Batorkeß 
wieder zurück und betheiligte ſich an der Schlacht zu Komorn vom 11. Juli. Als nun Görgei 
in den Abzug witigte, hatte N. als Führer der Avantgarde 16. Juli den heißen Kampf mit 
ben Ruffen bei Waitzen zu beftehen. Durch feine Bemühungen geſchah ed auch, daß bie 
24. Juli zu Rimafombath von Görgei beantragte Capitulation verworfen wurde. Anfang 
Auguſt von Gorgei über Debreczin entſendet, wurde N v g am 7. von Paskiewitſch angegrif- 
fen und von Börgei, trot wiederholter Hülfeanrufung, In gie gelaflen; doch beftand er mit. 


13 Naharro Kahl 


6— 7000 Mann einen ruhmvollen fünfftündigen Kampf gegen die zehnfach überlegene ruff. 
Macht. N.$ Corps war durch dieſe Schlacht fo geſchwächt, daß er fich, nachdem er in Arad an⸗ 
gelangt, der Börgei’fchen Unterwerfung anſchließen mußte. Von den Ruffen an bie Öftreicher 
ausgeliefert, endete er 6. Dct. 1849 zu Arab am Balgen. Er ftarb muthig wie er gelebt und 
gefämpft hatte. Meifterhafte Führung der Gavalerie und feine überaus glänzende äußere Er⸗ 
fheinung hatten ihm den Beinamen des „Murat der ungar. Armee” erworben. 

Naharro (Bartolome de Torres), einer der Gründer der ſpan. Bühne, ftammte aus ange- 
fehener Familie, wurde in Katorre bei Badajoz geboren und gehörte bem geiftlichen Stande an. 
Durch Schiffbruch gerieth er in algierifche Gefangenfchaft; nach feiner Befreiung hielt er fich 
in Rom auf, wo er mit der Familie Colonna in genauerer Verbindung ftand. Bald nach dem 
3.1517, vielleicht in Folge der Verdrießlichkeiten, die er fich durch eine allzu freie Sprache in 
feinen Komödien zuzog, ging er nach Neapel. Seine ſpätern Lebensſchickſale ſowie bie Zeit ſei⸗ 
nes Todes find unbekannt. Die „Propaladia”, das einzige Merk, das man von ihm hat, er⸗ 
ſchien zuerft zu Rom 1517, dann von N. felbft beforgt zu Neapel und nach beffen Tode wieder» 
holt zu Sevilla, Toledo und Antwerpen. Auf Befehl der Inquifition gereinigt von ben Aus- 
fällen gegen ben röm. Hof, wurbe fie zu Madrid 1573 herausgegeben. Diefe Sammlung ent 
bält außer einigen Iyrifchen und fatirifchen Gedichten in ben beiden frühern Ausgaben ſechs, in 
den fpätern acht Komödien, bie zu ben wichtigften Urkunden für die Gefchichte des fpan. Dra- 
mas gehören, indem fie den Beweis liefern für beffen Entwidelung aus rohen Feft- und Gele 
genheitsfpielen zu mit künſtleriſchem Bewußtſein gefchaffenen, mehr ibealifirten eigentlichen 
Kunftbramen. Er bat feine Komobien in fünf Acte abgetheilt, bie er zuerft Jornadas, d. i. Ta« 
gereifen, weil fie ihm Ähnlichkeit mit Stationen zu haben fchienen, nannte; und vor jeder Komö⸗ 
bie findet ſich ein Introito, worin ein Luſtigmacher das Publicum zur Aufmerkſamkeit auffodert 
und ein Argumento oder ein kurzer Abrif ber Handlung, aus welchen beiben einleitenden Ge- 
dichten fich Tpäter Die Loas bildeten. Auch in feinen Stüden ift ber Gracioso ſchon eine ftehende 
Perſon, und felbft in den mehr ideal gehaltenen dient die parodifch-Tomifche Wirklichkeit, durch 
die Dienerfchaft repräfentirt, ben ritterlich galanten Abenteuern der Hauptperfonen zur Folie. 
Bier feiner Stüde find in Böhl de Faber's „Teatro espanol” (Hamb. 1832) und die „Hime- 
nea‘ in Ochoa’$ „Tesoro del teatro espanol” (Par. 1838) abgedrudt. 

Näherrecht, |. Retract. 

Mahl, eine Künftlerfamilie, deren Mitglieder ſchon feit dem 17. Sahrh. in fortlaufender 
Reihe in beachtungdwerther ober ausgezeichneter Weiſe als Bildhauer oder Maler thätig find. 
— Rabl (Joh. Samuel), geb. zu Ansbady 1664, geft. zu Iena 1727, Eohn des markgräfli- 
chen Holzfhnigere Mathias R., kam als Hofbildhauer nach Berlin und wurbe dort Ehrenmite 
glieb der Akademie ber Künfte. Er fertigte Bildwerke von Gyps, ben er gegen Negen und 
Schnee härten zu können erfunden Haben fol, für die Schlöffer und Paläfte in Berlin und 
Dotsdbam, fowie auch das fteinerne Piedeftal zum Denkmal des Großen Kurfürften von Schlü⸗ 
ter. Obgleich fpäter Hector ber Afabemie geworden, ging er doch zulegt nach Sachfen. — Nahl 
(oh. Aug.), des Vorigen Sohn, geb. 1710 in Berlin, ftudirte unter Schlüter und erwarb fich 
dann auf Kunſtreiſen nach Frankreich und Stalien viel Gefchid und Kenntniffe. Nachdem er 
bis 1741 in Strasburg gearbeitet, wurde er nad) Berlin gerufen und hatte unter dem Titel 
eines königl. Director die Prachtgebäube ber Nefidenz, fowie biefenigen von Charlottenburg, 
Sansfouci und Potsdam mit Statuen, Neliefs, Vaſen und Ornamenten aller Art an Decken, 
Säulen u. |. w. zu [hmüden. Im $.1746 ging er nad) Bern in ber Schweiz, wo er berühmte 
Monumente für die Kirche zu Hindelbark verfertigte. Sobann erhielt er 1755 eine Anftellung 
als Brofeffor am Collegium Carolinum zu Kaffel. Endlich wurde er fürft-heff. Rath und flarb 
als folcher 1784. Sein beftes Werk in Kaffel ift das Standbild bes Landgrafen Friedrich II. 
von Heſſen⸗Kaſſel; N. fertigte indeß nur das Mobell; die Ausführung blieb feinem Sohne 
Samuel. — Rap (Samuel), Sohn des Vorigen, geb. 1748 zu Bern, befuchte nach vorausge- 
gangener väterlicher Anleitung zuerſt die Akademie zu Wien, ging bann 1772 nad) Paris und 
zwei Sahre Darauf nach Rom. Nach kurzer Zeit wurde er nach Kaffel gerufen, um das erwähnte 
Monument anfertigen zu helfen, welches 1783 zu Stande am. Andere Bilbwerke von feiner 
Hand find: ein über den Verfuft eines Vogels weinenbes Kind, ein Flußgott, Beides in Mar- 
mor, Reliefs im Marmorfaale zu Wilhelmshöhe bei Kaffel, Srabmonumente u.|.w. N. wurde 
zum Profeffor und afademifchen Rath ernannt und 1808 zum königl. weſtfäl. Akademiedirector 
in Kaſſel. Er kam 1813 in den Wellen ber Fulda um. — Nabl (Joh. Aug.), des Vorigen Bru⸗ 
ber, wurde 1752 zu Clamm in der Nähe von Bern auf dem Gute des Vaters geboren, vondem 


Rahrungsmittel 13 


er, ebenfalls zum Bilbhauer beftimmt, auch ben erften Unterricht bekam. Obwol feiner Neigung 
für die Malerei kein Dinderniß in ben Weg gelegt ward, vielmehr er die Untermweifung bes beruͤhm⸗ 
ten Tiſchbein erhielt, fo zeigten fich boch weber hier noch fpäter in Strasburg unter Tannaſch 
und Bemmel entfchiedene Fortfchritte. Erſt Lefueur in Paris brachte fein Talent zur Entfal⸗ 
tung. WER. genugfam in ben Geift deffelben eingedrungen war, ging er 41774 nach Rom, 
wo er fieben Jahre hindurch eifrig fludirte und einen großen Theil biefer Zeit ganz ber Antike 
widmete. Dann copirte er Rafael und Guido Reni und erſt im fünften Jahre trat er mit einer 
eigenen Sompofttion: einem Opfer an bie Venus, auf. Als er, durch die Krankheit des Vaters 
1781 heimgerufen, biefen kurz darauf verlor, wandte er fich nach England, befuchte auch Dr 
land, traf aber 1788 wieder in Rom ein, um einen längern Aufenthalt bafelbft zu nehmen. Das 
Beilpiel Hackert's führte ihn nun auf bie Randfchaft, welche er wiederum mit Eifer nad) ber 
Natur umd den großen Meiftern fludirte. Brachte er es auch hierin nicht zu entfchiebenen Re 
fultaten, fo verlieh er doch dadurch feinen hiſtoriſchen und mythologifchen Darftellungen einen 
harmoniſchen landſchaftlichen Hintergrund. Durch einen Kunftliebhaber in Bafel angeregt, 
ſchuf er eine Reihe Hiftorifcher Zeichnungen in brauner Zufche, welche ungemeinen Beifall fanden, 
ſodaß diefe Art Darftellungen eine Zeit lang die Olmalerei bei ihm in den Dintergrund drängte. 
Zu legterer zurückkehrend, fuhr er fort, mythologiſche, befonders erotifche Scenen in reizenden 
Lundfchaften zu liefern, 3. B. Venus, ber Amor einen Dorn aus bem Fuße zieht, Ariadne auf 
Naros, Narciß, Dlinth und Sophronia u. ſ. w. Im J. 1792 nad Kaffel zurückgekehrt, wurbe 
N. Profeffor an der Akademie und 1815 Director ber Malerclaffe. Er führte nun feine zahle 
reihen Studien aus, gewann die von Boethe in ben „Propyläen‘ geftelltePreisaufgabe für mas 
leriſche Compoſition zwei mal durch feinen Abſchied des Hektor von ber Andromache und durch 
den Achill an dem Hofe des Lykomedes. Dies trug ihm num viele Aufträge vom weimar. Hofe 
ein, bem er eine nicht unbedeutende Anzahl von hiftorifch-mythologifchen Bildern Tieferte. N, 
ftarb 1825. Seine ausgebreiteten Studien machten ſich in feinen Werken durch einen plaftifchen 
Charakter feiner Darftelungen, fowie burch eine harmonifche und fleifige Durchbildung geb 
tend. Man bat auch einige rabirte Blätter von ihm. Ä 
Rabrungsmittel (alimenta) nennt man diejenigen Subftanzen, burch deren Aufnahme 
und Aneignung (assimilatio) bie lebenden Befchöpfe Dasjenige wieder erfegen, was durch 
den Lebensproceß unausgefegt verbraucht und mittel der Ausfcheidungen aus dem Körper fort- 
geihafft wird. Nahrungsmittel kann jeder Stoff werden, ber ein Beſtandtheil organifcher Kör- 
per oder doch aus deren Brundftoffen zufammengefegt if. Auf den Aggregatzuftand kommt e6 
dabei nicht an; denn gadförmige, tropfbar-flüffige und feſte Subſtanzen werden von ben leben- 
den Körpern affimilirt. Nothwendig aber ift es im Allgemeinen, daß die Natur (oder die che» 
mifche Zufammenfegumg) des zu affimilirenden Stoffs der Natur des affimilirenden Indivi- 
duums entfpreche. Daher bie große Verfchiedenheit der Nahrungsmittel bei den verfchiedenen 
Slaffen der organifchen Weſen. Schon bei den Yflanzen bemerken wir, daß nicht jede in jedem 
Boden ernährt wird und ihr Leben fortzufegen vermag; ebenfo find die meiften Thiere, jedes 
auf beftimmte von ihm aufzufuchende Nahrungsftoffe angemwiefen (Bleifchfreffer, Pflanzenfref- 
fer u. ſ. w.). Dem Menfchen ift in diefer Hinficht verhältnißmäßig eine fehr freie Wahl verftat- 
tet, ſodaß faſt Alles von ihm ald Nahrungsmittel benugt werden kann, mas Beftandtheile ent- 
hält, die ben Thierftoffen überhaupt ähnlich oder gleich find. Es ift jedoch zmifchen Speife und 
Nabrungsmittel zu unterfcheiden; denn nicht Alles, was als Speife (d. b. um den Magen zu 
füllen, beztehentlich ben Gaumen zu kitzeln) genoffen wirb, ift zugleich unbedingt Nahrung. Erſt 
die Verdauung (f. b.) fondert die Stoffe, welche dem Körper affimilirt werden können, aus dem 
Speiſekanal ab und entfernt bie imnügen oder unbenugten wieder aus bemfelben. Da ber 
menfchliche Körper nur aus Verbindungen einiger der chemiſchen Grundſtoffe, ber Elemente 
(f. d.), beftebt, fo können natürlicy nur diefe, ungefähr 20 an ber Zahl, in den eigentlichen Nah⸗ 
tungsfloffen vorfommen. Die wichtigften berfelben find: Kohlenftoff, Stidftoff, Waſſerſtoff 
und Sauesftoff, außerdem Schwefel, Phosphor, Kalkerde, Alkalien, Eifen. Doc) werden biefe 
im den Nahrungsmitteln nicht als einfache Grundftoffe vorgefunden oder affimilirt. Der Kor 
ver iſt durchaus nicht im Stande, bie Elemente (mit Ausnahme des Sauerftoffe beim Athmen) 
fh anzueignen, wenn fie ihm geſondert geboten werben, ſondern dieſelben bilden gewiſſe bi⸗ 
näte, ternaͤre ober quaternäre Zuſammenſetzungen, d. h. fie treten je zu zwei ober drei oder vier 
in Aromen zufammen und bilden fo ;. B. Waffer, Fette, Eiweißſtoffe, und erft in biefer Form 
werhen fie von unferm Körper aufgenommen. Die Verſchiedenheit zwifchen Thier- und Pflan- 
Mall (animaliſcher und vegetabilifcger Nahrung) iſt nicht fo bedeutend; denn beibe beſtehen 


u Nabrungsfaft Nairn 


aus denſelben Grundſtoffen und auch aus ganz gleichen oder doch ſehr ähnlich zuſammengeſetz⸗ 
sen Beftandtheilen, indem 3. B. die Pflanzenfette, das Pflanzeneiweiß, das Legumin, der Ale 
ber und andere Pflanzenbeftandtheile in ihrer chemifchen Zufammenfegung faft ganz gewiffen 
Thierfloffen (dem Thierfett, Bluteiweiß, Faſerſtoff, Käfeftoff) entfprechen. Daher fehen 
wir, daß manche Thierclaffen nur von animaliſcher ober nur von vegetabilifcher Nahrung, noch 
andere aber von beiden leben, und daß manche, bie von ber Natur an eine biefer beiden Nahrungs⸗ 
mweifen gewiefen find, ſich an bie andere gewöhnen laffen. Die mineralifchen Stoffe, deren der 
Körper bedarf (3. B. Eifen für das Blut, Kalk für bie Knochen), werben ihm gewöhnlich ſchon 
im feinen Speifen mit zugeführt. Die Erbarten, welche mandye Völker geniefen, fünnen nicht 
als eigentliche Nahrungsmittel dienen, wenn fie nicht organifche Beimifchungen (Infuforien) 
enthalten. VBerfuche an Thieren, die mit ſtickſtofffreien Subftangen ernährt wurden, ſchienen zu 
beweifen, daß der Stickſtoff als das zur Ernährung am meiften beitragende Element betrachtet 
werden müffe ; allein es ift hinreichend gezeigt worben, daß fticftoffreiche Nahrungsmittel ohne 
eine verhältnigmäßige Menge anderer Elemente nicht immer eine gefunde Nahrung abgeben 
und daß ferbft ſtickſtoffarme Subftangen fehr nahrhaft fein können. Man mird mit Hülfe der 
neuern organiſchen Chemie bahin gelangen, dieſe Verhältniffe alle aufzuklären, und für jedes le⸗ 
bende Gefchöpf dann die ihm nöthigen ober zuträglidhen Nahrumgsbeftandtheile ebenfo ficher 
nachweifen können, wie es bie Agriculturchemie ſchon jet hinfichtlich der Nahrungsftoffe unfe 
ver Rugpflanzen thut. Sowol ihrer Zufammenfegung als auch den bamit angeftellten Verſu⸗ 
hen nach ift die Milch diejenige Nahrung, weldye ſich am meiften zur Erhaltung bes Menfchen 
eignet, indem fie nicht nur faft alle Die Elemente, welche den Korper zufammenfegen, in ben paf- 
fenden Berbindungen enthält, fondern auch am längften ohne Abmwechfelung genoffen werben 
Bann. Übrigens ift Abwechfelung und Verfchiedenheit der Nahrung bei den meiften höher ge- 
ftellten Thieren eine Duuptbebingung zur ungetrübten Erhaltung bes Körpers. Die Betrach- 
tung der Nahrungsmittel ber Pflanzen und Thiere nach ihren verfchiebenen Claſſen, die Ge⸗ 
ſchichte der menſchlichen Nahrungsmittel von den früheſten Zeiten bis jet, ber Unterfchied ber- 
felben nach Wohnort, Stand, Geſchlecht, Alter, Eulturftufe u. ſ. w. geben zu den intereffanteften 
Forſchungen reihhaltigen Stoff. Vgl. Danz, „Verſuch einer allgemeinen Befchichte der menſch⸗ 
lichen Nahrungsmittel” (Bb.1, Lpz. 1806) ; Tiedemann, „Unterfuchungen über das Nahrungs» 
bebürfnif, den Nahrungstrieb und die Nahrungsmittel des Menfchen” (Darmft. 1836) ; Lie⸗ 
big, „Thierchemie“ (3. Aufl., Braunſchw. 1846), und die zahlreiche Dadurch hervorgerufene 
Literatur, wie Böcker, „Die Genußmittel”, ober erfte Abtheilung der „Beiträge zur Heiltunde“ 
(Kref. 1849); Molefchott, „Die Phyfiologie der Nahrungsmittel” (Darmft. 1850) und „Lehre 
. der Rahrungsmittel für das Voll” (Erlang. 1850); Nochleder, „Die Genußmittel und Ge 
würze in hemifcher Beziehung” (Wien 1852). 

Nahrungsſaft, ſ. Chylus. 

Naht (sutura) wird in der Medicin in zwei Bedeutungen gebraucht. In anatomiſchem 
Sinne bezeichnet Naht diejenige Art unbeweglicher Anochenverbindung, mo Knochen mit Kno⸗ 
chen, meift mit unebenen Rändern zufammenftoßend, miteinander feſt und unverfchiebbar zufam- 
menhalten. Derartige Nähte kommen nur am Kopfe vor. In hirurgifcher Beziehung nennt 
man Naht die künftliche Aneinanderlegung ber Ränber verwundeter und getrennter Weichtheile. 
Geſchieht diefe Aneinanderlegung auf die Art, bag man Nadeln durch die Ränder ber getrenn- 

ten Theile fticht und fie mittels Fäden zufammenzieht, fo nennt man fie blutige Naht; bewirkt 
man dagegen die Vereinigung nur durch Heftpflafter, Bandagen u. ſ, w, fo heißt fie eine 
trodene Naht. Erſtere wird gewöhnlich fo ausgeführt, daß man in bie Ohre der Nadeln Fä- 
den von Zwirn oder Seide u. f. w, auch wol Metalldräthe einfädelt und mitteld dieſer die 
Mundränder zufammenbindet. Die umwundene Rabt befteht darin, Daß man die eingeftoche- 
nen Nadeln felbft in den beiden Wundrändern liegen läßt und dieſe mittels darüber gemidelter 
Fäden zufammenzieht. Man benupt dazu neuerdings am liebften die karlsbader Inſektenna⸗ 
dein, ehedem nur die, mit abfchraubbarer Spige verfehenen Haſenſchartennadeln. 

Rahum, einer ber fogenannten zwölf Heinen Propheten, lebte unter dem hebr. Könige His- 
Ras um 720 v. Chr. Ex verkündigt den Sturz des den Hebräern fo gefährlichen aflyr. Reiche, 
in&befonbere die bevorſtehende Zerftörung der afiyr. Hauptſtadt Ninive. Sein Vortrag iſt vol 
Feuer, Phantafie und Driginafirat und Hat zugleich auch Klarheit und Rundung. Unter den 
Gommentaren ifl befonderg } on D. Strauß (Berl. 1853) hervorzuheben. 

Raien, eine Grafſch en Echottland, ſüdlich am Mürtagbufen gelegen, zählt 


auf ↄ DM. 9966 €. im —* beſonders im Güden, iſt Me gebitgig, hat dort tenig 


Raivetät Name 15 


urbaren Boden, dagegen ziemlich ausgedehnte Moräfte. Die Küfte iſt flach und großentheils 
mit Flugſand bededt, ftrichweife aber auch fruchtbar, wie das Thal des Naim. Neben diefem 
ft der größte Fluß der 12 M. lange Finbhorn. Derfelbe ift durch die wechſelvollen ſchönen Sce⸗ 
nerien feiner Ufer berühmt, aber auch) durch fein plögfiches Anfchwellen und feine vermüftenden 
überſchwemmungen berücdhtigt. Die urbaren Gegenden find gut bebaut und liefern Getreide, 
Rortoffeln und Flache. Auch bie ——— wird mit Sorgfalt betrieben Die Grafſchaft ſteht 
mit Elgin unter einem Sheriff, umb beide ſchicken zuſammen ein Mitglied, ihre Hauptſtädte 
abwechſelnd ein zweites in das Parlament. Die Hauptftabt Rain, nahe der Mündung des Nairn 
gelegen, ift ein Meiner, aber wohlgebauter, reinlicher Borough mit Seebädern, einem Hafen und 
3420 E. welche Lachs⸗ und Heringöftfcherei, fomie Tartanweberei und Getreidehanbel treiben. 

Naivetät, abgeleitet von dem lat. nativas (im Mittelalter naivus), d. h. angeboren oder 
natürlich, wurbe aus dem Franzoöſiſchen (naif und nalvete) durd) Gellert in die beutfche Sprache 
eingeführt. An das bloße Wort ſich haltend, Haben Viele das Naive für den höchſten Grab des 
Natürlichen im Ausbrude ber Gedanken und Empfindungen erflärt; allein der Begriff, ben 
man nach und nach mit diefem Worte verknüpft hat, ift viel zuſammengeſezter. Im Weſent⸗ 
lichen bezeichnet er bie natürlichen unb ungekünftelten Empfindungen und Gebanten einer arg. 
(ofen um unverfleliten Seele, welche fich ohne Rüdficht auf Das äußert, was durch die herr- 
[chende Übereintunft des gefellichaftlichen Tons für ſchicklich oder unfchiclich gehalten wird. 
Das Raive ifl fo das Natürliche im Gegenfag bes Gekünſtelten, d. h. des blos durch Sitte und 
Ubereinkunft Seltenden. Es erfeint baher nur aus einem befondern Standpunkt als folches ; 
der am künſilichſten gebildete oder verbildete Beobachter bemerkt es am leichteften, weil ihm ber 
Abſtich am fühlbarften if; dem Naiven ſelbſt ift feine Naivetät Natur. Daraus erflären fich 
dann alle Eigenfchaften, die man mit dem Ausdrud des Naiven und der Naivetät zu bezeichnen 
gewohnt ift. Der künſtlich gebildete Menfch ift dem Naiven an Verftand und Welterfahrung 
überlegen; baher erfcheinen ihm Außerungen ber Naivetät, der Findlichen Einfalt, oft als 
Dummbeit und Albernheit, während er felbft doch der Dunme und Alberne tft, der fich von 
der Bildung nicht ſowol bilden als vielmehr nur verbifden Tieß. Für bie Aſthetik Hat der Begriff 
des Naiven dadurch eine befondbere Bedeutung erhalten, daß Schiller und Goethe bie naive und 
fentimentale Poefie als zwei weientliche Grundformen der poetifchen Darftellung erkannten. 
Bol. Schiller, „Über naive und fentimentale Dichtung”, und den Briefwechſel zwiſchen Schiller 
und Goethe. Das Raive bezeichnet hier Schiller als denjenigen VBildungszuftand, der Natur 
ft; ald das Sentimentale (f. d.) aber denjenigen, der nach der Natur fucht. Deshalb nennt er 
bie Kunft des Alterthums naiv, bie Kunft der neuern Zeit fentimental. Es ift Har, dag im 
Weſen der Naivetät immer bie höchſte Unſchuld und Unbefangenheit liegt. 

Najaden heißen in der griech. Mythologie die Nymphen (f. d.) der Binnengemwäffer und 
Quellen, die in mancher Beziehung Ähnlichkeit mit den deutſchen Niren (f.d.) haben. Man 
ftellte fie als halbbekleidete Mädchen dar, welche häufig große Mufcheln vorhalten, nicht felten 
mit dem Pan zuſammen ober auch mit Hercules, dem Befchüger warmer Quellen. 

- Name (lat. nomen, griech. von.) ift basjenige Wort, wodurd man ein Einzelmefen kenn⸗ 
zeichnet zur Unterfcheidung von andern: daher auch Eigenname (nomen proprium) genannt, 
im Begenfage zu dem grammatifchen Kunftausdrude Gemeinname (nomer commune), der zur 
Bezeichnung eines Begriffe, alfo einer Art oder Battung von Dingen, wie Baum, Menfch, Geiſt 
u. dgl, dient. Die Namen der alten Morgenländer waren hänfig von ber Benennung einer 
Gettheit ober von einem Ereigniffe bei der Geburt des Kindes hergenommen, wie Belfazar, 
Moie (2.Mof. 2, 10) ; auch legte man fich mol, veranlaßt durch wichtige Rebensereigniffe, einen 
neuen Ramen bei (1. Mof. 17,5). Bei den Semiten führten die Söhne zuweilen auch ben 
Namen deb Vaters mit vorgefegtem Bar oder Ben, wie Barnabas, Benfanin, Benhadad. — 
Bei den Stiegen gab es in Äftefter Zeit keine Geſchlechtsnamen. Nur gewiffe Familien in 
Athen und Sparta, namentlich Priefterfamilien, die eine politifche Bedeutung hatten, führten 
einen gemeinfchaftlihen Familiennanıen, wie 3.3. die Eumolpiden (von Eumolpus). Doc 
mar es Bitte, bie Abſtammung beizufegen durch ein Patronymiton (eine von Naternamen 
abgeleitete Wortform) ober durch ein zugefügtes oder angedeutetes Sohn, wie AxMeðc 0 
IImielöng, Achilles, der Sohn des Peleus, Zumpatngo 2 orxov, Sokrates, ber (Eohn) des 
Sophroniskos. Den Kindern ward der Rame, und zwar gewöhnlich) ber bes Großvater, durch den 
Bater beſtimmt und beigelegt, in ber Hegel am zehnten Tage nach der Geburt unter mandherlei 
Beierfichkeiten in Gegenwart der Verwandten. Bol. Keil, „Specimen onomatologici Graeci” 
%p,.1840)5 Yape, „Börterbuch der griech. Eigennamen” (GBraunſchw. 1843 52. Aufl., 1850) 


. 16 Name 


— Auch die Römer führten urſprünglich nur einen Namen; doch ſchon ſeit ben älteſten Zeiten 
der Republik regelmäßig drei, von denen der eine (nomen) das Geſchlecht (gens) bezeichnete, zu 
dem ber Träger befielben gehörte, und faft ſtets auf ius außlautete, wie Fabius, Julius, Tullius. 
Da aber bie Befchlechter in Familien (familiae) fich fpalteten, trat zur unterfcheidenden Bezeich⸗ 
nung biefer ein Samilienname (cognomen) hinter ben Geſchlechtsnamen, wie Cicero, Cäſar, 
Scipio. Endlich kam für jeden Einzelnen ein vor den Geſchlechtsnamen tretender Vorname 
(praenomen) hinzu, ber in der Schrift häufig abgefürgt wurde, wie A. = Aulus, C. — Cajus, 
M. == Marcus, T. == Titus. In dem vollftändigen Namen Marcus Tullius Cicero ift alfo 
Marcus das praenomen, welches den Rebner von feinem Bruder Duintus unterfcheibet, wäh⸗ 
rend da8 nomen Zulliuß, fein Geflecht (gens) und das cognomen Eicero ben beflimmten 
Zweig ober die Familie bes Geſchlechts angibt, zu der er gehörte. Zumeilen tritt auch noch hinter 
den Familienmanıen ein vierter, ein Zu = oder Beiname (agnomen), welcher durch berühmte 
Thaten, durch Adoption ober durch andere Umftände erworben wurde und gewöhnlich auch ben 
Nachkommen blieb, wie Africanus oder Cunctator. Auch in mehrtheiliger Geftalt erfcheint dies 
agnomen, wie bei P.(ublius) Cornelius Scipio Africanus Amilianus Minor, wo das erfte 
agnomen Africanus zugleich mit dem nomen Cornelius und dem cognomen Scipio vom 
Adoptivvater auf den Adoptivfohn übergegangen war, während das zweite agnomen Amilia- 
nus die Abflammung aus ber gens be leiblichen Vaters Cajus Amilius Paulus fefthielt, und 
das britte agnomen Minor (ber Jüngere) zur Unterfcheidung von dem Major (der Altere) bes 
Aboptivgroßvaters Yublius Cornelius Scipio Africanus Major diente. Feierlich beigelegt 
wurde den Knaben ihr Name am neunten, den Töchtern am achten Tage nad) der Geburt, und 
—* dem älteſten Sohne gewöhnlich das praenomen des Vaters, während bie Töchter in ber 

egel nur den weiblich abgewandelten Geſchlechtsnamen bes Vaters führten, ale Tullia, Livia, 
und, wenn ihrer mehre vorhanden waren, durch major und minor (ältere und jüngere) oder Durch 
prima, secunda, tertia u. f. w. (ältefte, zweite, dritte u. f. w.) unterf&hieben wurden. Den Skla⸗ 
ven gebührte bie Benennung nach dem Vaterlande, wie Numidicus, oder nur ein einzelner 
Name, wie Tiro, bem bei ber Freilaffung Vor⸗ und Gefchlechtöname bes Herrn zutraten, wie 
Marcus Zullius Tiro. — Die Kinder der Germanen wurden vor geladenen Zeugen gebabet, 
von dem angefehenften derfelben, gemöhnlich dem Mutterbruder oder Großvater, mit Waſſer 
übergoffen und babei mit einem einzigen Namen belegt, den man gern von biefem Hauptzeugen 
felbft entlehnte und der für den Freien und den Edeln wie für ben Knecht ausreichte. Denn c6 
gab zwar Gefchlechter ber Merovinger, Agilolfinger u. f. w., aber ber Einzelne führte ben Ge⸗ 
ſchlechtsnamen nicht. Natürlich hatten, wie bei allen Urvölkern, dieſe Namen fämmtlich eine all- 
gemein verftändliche Bedeutung und bewegten fi) in dem Kreife der nationalen Rieblingsan- 
(Hauungen. Vgl. W. Wadernagel, „Die german. Perfonennamen‘ (im „Schweizerifchen 
Mufeum“, Bd. 4, Frauenfeld 1837); Abel, „Die deutfchen Perfonenamen” (Berl. 1852). 
Mit der Einführung bes Chriſtenthums ward ein einzelner Taufname üblich, zu dem man theils 
die althergebrachten heimifchen, theils biblifche und Firchliche Benennungen verwandte. Fami⸗ 
fiennamen kamen erft im ſpätern Mittelalter auf, zuerft bei dem Abel mit dem 12. und 15, 
Jahrh. nach den Stammfigen, als Konrad von Wettin, Rudolf von Habsburg, dann bei dem 
Bürgerftande feit dem 1A. und allgemein üblich feit dem 16. Jahrh. Entnommen wurde die 
Bildung biefer Namen von den verfchiedenften Veranlaffungen, als von der Heimat, wie 
Schwabe, Baier, Haller, ober von der Beihäftigung, wie Müller, Schuge, Schmidt, oder von 
perfönlichen Eigenfchaften, wie Langbein, Breitkopf, Kurz, Biedermann, Liebreich, wohin aud) 
Übertragungen gerechnet werden innen, wie Wolf, Hafe, Blume, Duft. Auch eine Ableitung 
von andern gebräuchlichen Namen, des Waters, Pathen u. dgl., ward zum Geſchlechtsnamen, 
entweder durch bie lat. Benitivendung, wie Georgi, Fabri, Pauli, oder durch bie deutiche Geni⸗ 
tivendung, wie Hinrichs, Jacobs, oder durch angehängtes fon ober fen, wie Wilmfen, Mendeld- 
fohn, eine Form, deren in Deutfchland befonders Häufig bie Juben fich bedienten. — Ganz ent 
fprechend verhält es fich mit den Namen der übrigen german., roman. und celtifchen Volker. 
Zur Ableitung vom Vaternamen bebienten fich die Rormannen bes Wortes Fig (Filius), wie 
Figgerald, Figroilliom ; die Engländer eines angehängten fon, wie Sohnfon; ebenfo die Schwe⸗ 
den, wie Eriffon, und die Dänen, wie Martenfen; die Schotten eines vorgefegten Mac, wie 
Macdonald, Macaulay ; die Iren eines vorgefegten D, wie O' Connel, O'Brien, und die Spa⸗ 
nier eines angehängten eg, wie Hernandez. Zur Anderung bes Familiennamens bedarf es jegt 
der Genehmigung des Landesherrn. Vgl. Wiarda, „Über deutſche Vor⸗ und Geſchlechtsnamen 
(Berl. 1800); Dolz, „Über die Taufnamen“ (Bpz. 1824); Fleiſcher, „Dnomatologie, ober lat. 


Nameuloſe Geſellſchaft Namur 17 


zuch unſerer Taufnamen“ (Erl. 1824); Galverte, „Essai historique et philosophique 
noms d'hommes, de peuples etdelieux, consideres principalement dans leurs rap- 
ree la civilisation“ (2 Bde., Par. 1824); Pott, „Die perfönlichen Eigennamen” (Rpz. 
— Bei den Arabern gibt es Vornamen, gewöhnlich gebilbet von den Baternamen 
h einer Bezeichnung für eine Haupteigenfchaft bes Benannten, mit vorgefegtem Abu 
vie Abu-Dichafer, Abu⸗Bekr; Eigennamen wie Haffan, denen dann gewöhnlich des 
Großvaters ober Urgroßvaters Name mit zwifchengefhobenem Ebn oder Ben folgt, wie 
na (Avicenna); Zunamen, von der Religion oder dem Hofe hergenommen, wie Salah⸗ 
Saladin); Beinamen, bezüglih auf Geburts» oder Aufenthaltsort, Beichäftigung, 
mn, Stamm, Sekte u. dgl., von denen mehre nebeneinander vorfommen Tonnen; 
und tabelnde Spitznamen, endlich Dichternamen, deren fi) nur die Dichter in ihren 
n zu bedienen pflegen. 

renloſe Gefellfchaft oder anonyme Geſellſchaft wird bisweilen und namentlid) in 
ich (Soci6t&E anonyme), Stalien (Societa anonima), Spanien (Compadia anönima) 
Riederlanden (Naamlooze vennootschap) die Actiengefellfhaft genannt. (S. Han ⸗ 
Kdaft ınıd Actie.) 

zendtag Heißt der Zag, ber im kirchlichen Kalender dem Heiligen geweiht ift, beffen 
man führt. In ach. Rändern wird diefer Tag gewöhnlich ſtatt des Geburtstags gefeiert. 
aur, eine von den neun Provinzen Belgiens, begrenzt im N. von Brabant, im N. 
ich, im D. von Luxemburg, in WB. von Hennegau und im ©. von Frankreich, zählt auf 
DM. 274073 E. Der Boden ift theils eben, theils erhebt ex fich zu flark bewaldeten Hü⸗ 
man als Vorberge der Ardennen anfehen kann, welche die Grenze der Provinz ftreifen, 
uferordentlich fruchtbar. Die Hauptflüffe find die Maas, die Sambre und bie Leſſe. 
en Erzeugnifien bes Aderbaus und anfehnliher Viehzucht ift die Provinz reich an Ei⸗ 
i, Balmei, Schwefel, Alaun, Feuerfteinen, Schiefer- und Kalkfteinen, guter Thonerde, 
Hen und Marmor, namentlicd) in der Gegend von Philippeville und bei Dinant. R. 
ät8 im 10. Jahrh. eine felbftändige Graffchaft, zufammengefegt aus Theilen der Graf 
komme und Arnau. Unter Heinrich I., dem Blinden (geft. 1196), wurde fie mit Zurem- 
einigt. Dann ward fie wieder Davon getrennt und Fam in den Befig zunächft des Hau- 
ıegau, bald darauf jedoch burch Heirath an Peter von Courtenay, Kaifer von Konftan- 
geft. 1219). Des Leptern Sohn Balduin verkaufte bie Graffchaft an Guy von Dam- 
zrafen von Slandern, 1261, deffen Erben fie bis 1420 innehatten, wo Graf Johann III. 
jer Beine leiblichen Erben befaß, die fehr verfchuldete Grafichaft an Philipp den Gütigen, 
von Burgund, für 152000 Goldkronen verfaufte. Hierauf bildete fie eine der 17 Pro- 
er Niederlande und theilte deren Schickſal. Nachdem Frankreich fchon im Nymweger 
1679 von biefer Grafſchaft die Feftung Charlemont nebft andern Ortfchaften fich zu- 
batte, bie es noch gegenwärtig befigt, kam im Runeviller Frieden mit den übrigen Pro- 
ie ganze Grafſchaft als Depart. Sambre⸗Maas unter franz. Herrfchaft. Seit 1814 
:eine Provinz der Niederlande, zu welcher Theile von Küttich, Luxemburg, Brabant und 
u gefchlagen wurden, und in diefen Umfange ging fie 1851 an das neue Königreich 
über. Sie zerfällt in die drei Bezirke Namur, Dinant und Philippeville. — Die 
dt Namur, vlämifc Namen, am Einfluffe der Sambre in die Maas, eine ſtarke Fe⸗ 
t Eitadelle, der Sig eines Biſchofs, Hat 22620 E., einen Dom und 16 andere Kirchen, 
ogiſches Seminar, ein königl. Athenäum, eine großartig angelegte, von Jeſuiten geleitete 
agbanſtalt, eine Malerakademie, ein Confervatorium der Muſik, zwei Bibliotheken, ein 
koriiches Mufeum, eine Zaubflummenanftalt, ein Irrenhaus und eine Strafanftalt für 
€ Berbiecher. Der Dom oder bie St.Albinuskirche (Cathedrale de St.-Aubin) ift eine 
ıften neuern Kitchen Belgiens, eingeweiht 1772, und enthält dad Grabmal ded Don 
Auſtria. Die von Sefuiten zu Anfange des 17. Jahrh. erbaute St.Lupuskirche ftrogt 
zoldung und Pracht. In großem Rufe ſtehen die Arbeiten der Meſſerſchmiede; außer 
es fehr anfehnliche Ledergerbereien und Fabriken in Mefling und andern Metallivaa- 
Stadt war fchon in frühefter Zeit befeftigt und wurde 1691 von Coehoorn durch das 
heim verſtärkt. Defienungeachtet wurde fie 1692 von Ludwig XIV. und Vauban nad) 
er, das Fort nad) 22tägiger und die von Coehoorn felbft vertheidigre Gitabelle nah 
Belagerung eingenommen. Der Erbftatthalter Wilhelm III. eroberte 1695 bie leg- 
»Bauban noch bedeutend verftärkt hatte, ſowie die Stadt, die von 10090 Mann un- 


Bebnte Aufl. xl. 


18 Naney Nanking (Stadt) 


ter dem Herzog Bouflers vertheidigt wurde, nach zehnwöchentlicher Belagerung. Seit 1701 
von den Franzoſen beſetzt, wurde die Stadt vergebens von den Verbündeten beſchoſſen, 1715 
aber den Barriereplätzen beigeſellt und von den Hollandern befegt. Im 3.1746 nahmen bie 
Frangofen unter dem Grafen Elermont die Stadt und das Fort ein, gaben aber beide 1748 im 
Aachener Frieden zurüd, worauf Joſeph II. 1784 die Werke fchleifen ließ, mas 1794 auch mit 
ber von den Franzoſen eroberten Eitabelle gefchah. Seitdem wieber befeftigt, wurde fie 1815 
von den Franzoſen beim Rückzuge nach ber Schlacht bei Belle-Alliance befegt, von dem von 
Wavre fich zurücdziehenden Corps bes Generald Bandamme gegen das zweite preuf. Armee 
corp& unter dem General Pirch tapfer vertheidigt und erft nach dem freiwilligen Abzuge der 
Franzoſen den Niederländern eingeräumt. und durch fie feit 1816 flärker befeftigt. Kür die Aus⸗ 
fuhr der reichen Aderbau«, Fabrik und Mineralerzeugniffe leiften die Eifenbahnen nach Küttich 
und Brüffel, ſowie die Schiffahrt auf der Maas und Sambre die erheblichften Dienfte. 

Nancy, Hauptftadt des franz. Depart. Meurtye mit 40600 E., an der ſchiffbaren Meurthe, 
in einer angenehmen Ebene, mit Strasburg und Paris durch die öftliche. Eifenbahn, fowie 
mit Meg durch eine Zweigbahn verbunden, zerfällt in die unregelmäßig gebaute und finftere 
Altſtadt und in die Neuftadt, eine ber fchönften Städte, von regelmäßiger Anlage, mit 
prachtvollen Gebäuden, ſchönen Plägen und reizenden Spaziergängen. Beſonders zeichnet fich 
der Königsplag oder La Place Carriere mit der Triumphpforte aus. Merkwürdig find die 
Hauptkirche und das alte Schloß mit der Begräbnißkapelle der Herzoge von Lothringen, mo 
auch Karl der Kühne begraben wurde. N. ift der Sig eines Biſchofs, eines Appellationshofs, 
eines Hanbelögerichts, einer Gewerbekammer, einer Univerfität und Afabemie, einer Gefell- 
[haft der Wiffenfchaften und Künfte und einer Gentraladerbaugefellfchaft und hat ein Lyceum, 
eine Forftfchule, eine bedeutende öffentliche Bibliothek mit 50000 Bänden, ein Mufeum, einen 
botanifchen Garten und eine Gemäldegalerie. St.-Charles zu N. ift das Mutterhaus des Dr- 
dens der Barmherzigen Schweftern, ber 1652 hier geftiftet wurde. Don den alten Feftungs- 
werten ift nur noch die Eitadelle übrig. Die Fabriken liefern hauptſächlich Wachslichter, Li⸗ 
queure, wollene und baummollene Zeuge, Strümpfe, Spigen, Blonden, Leder und gemalte Pa⸗ 
piere. Der Handel, begünftigt durch die Eifenbahnen und ben Marne-Rheinfanal, ift fehr an- 
fehnlich und zwar außer den Erzeugniffen bes vielfeitigen und lebhaften Gewerbebetriebe befon- 
der& auch mit Getreide und Wolle. Die Stadt war feit der Mitte des 12. Jahrh. die Nefidenz 
der Herzoge von Kothringen bis 1766, mo fie nach dem Tode bes legten Herzogs, bes Erfönigs 
von Polen, Staniflam Leſzezynſki, mit ganz Lothringen an Frankreich Fam. 

Nangaſaki, eine bedeutende Handelsfladt des japan. Reiche, auf der Infel Kiufiu, mit einem 
Sechafen in ber Mitte der durch zwei Vorgebirge gebildeten Bai Kiufiu, ift von hohen Bergen 
umgeben, nad) der Seefeite befeftigt, nach der Zandfeite aber offen und hat gegen 70000 €. 
Die innere Stadt befteht aus engen, mwinfeligen und unebenen Gaffen und zählt 62 Tempel, 
unter denen der Suwatempel ber berühmtefte ift. Ebenfo find die umliegenden Hügel mit zahl« 
reichen Tempeln bebedit, die einen malerifchen Anbli gewähren. Der Hafen ift der einzige 
japan. Hafen, der den Fremden, d. h. den Ehinefen, Koreanern und Holländern, geöffnet ifl. 
Chineſen und Holländer haben in N. befondere Factoreien, die Erftern auf Jakujin, am füdlichen 
Ende der Stabt, die Letztern auf dem durch eine Brüde mit ben Rande verbundenen Inſelchen 
Defima, wo fie vollig wie Gefangene gehalten werben. Der Handel der Holländer ift außerdem 
auf eine beflimmte Anzahl Schiffe und eine gewiſſe Quantität Waaren befchränkt, unterliegt 
den drückendſten Förmlichkeiten und Einſchränkungen und befteht Hauptfächlich in der Ausfuhr 
von Kupfer und Kampher. Die Chinefen und Koreaner haben etwas größere Freiheiten, bürfen 
fich jedoch auch nur in den Vorftäbten aufhalten. 

Nänle (naenia oder nenia) nannten die Römer ein Trauerlieb oder einen Klaggefang, ber» 
gleichen gewöhnlich bei Begräbniffen von Weibern, bie bazu gedungen waren und praeficae 
hießen, unter dem heftigften Weinen abgefungen wurden. Da diefe Lieder von ben Weibern 
meift felbft verfertigt wurden, fo waren fie in der Regel ganz ſinnlos, und daher fam es, daß 
man das Wort Nänie oft für jedes ungereimte und gehaltlofe Lied oder für einen weinerlichen, 
klagenden Befang überhaupt gebrauchte. — Auch war Ränie der Name ber Klagegöttin felbfl, 
melche bei dem Begräbniffe der Greiſe angerufen wurde und nach Feſtus außerhalb der Stadt 
Rom vor dem viminaliſchen Thore eine Kapelle hatte. . 

‚ Ranking, d. 5. fünfiche Reſidenz, im Gegenfag zu Peling (f. d.), d. 5. nördliche Nefidenz, 
eigentlich Kiangıning (Etromesruhe) genannt, die Hauptftabt der chinef. Provinz Kiang-fi, 
am füblichen Ufer peg Kiang, nicht weit von ber Mündung diefes Fluſſes, war bis 1405, wo 


Ranking (Zeug) | Nantes 19 


Peking dazu erwählt wurde, die Nefidenz der chineſ. Kaiſer. Ungeachtet ein Drittheil der unge» 
heuer großen Stadt in Ruinen liegt und fie überhaupt in Vergleich mit Peking verodet zu nen- 
nen ifl, fo ſoll fie doch noch über eine halbe Mil. Einw. haben, die durch Gultur und Bildung 
fi auszeichnen. Überhaupt gilt N. als der Sig der chinef. Gelehrſamkeit und Bildung, und be: 
deutender als in irgend einer andern chinef. Stadt ift die Zahl der hier befindlichen Gelehrten, 
Bihliothefen und wiſſenſchaftlichen Anfialten. Sie hat Fabriken in allen chinef. Artikeln und 
überhaupt noch ziemlidy lebhafte Gerverbe und Handel. Das merfwürtigfte Gebäude ift der 
zum Tempel der Erkenntlichkeit gehörige, 200 3. hohe, achtedige, von Backſteinen erbaute, mit 
Porzellan überfleidete und mit Zaufenden von Schellen behangene Porzellanchurn. Jedes der 
neun Stodwerfe deſſelben umgibt eine Galerie, die mit Gögenbildern und Gemälden ausges 
ſchmückt ift. Die Materialien diefes ſchönen Gebäudes find fo miteinander verbunden, daß es 
aus einem Stücke gearbeitet fcheint. Ehemals gehörten auch die kaiſerl. Gräber, welche bei den 
Ginfalle der Mandſchu zerflört wurden, zu den Herrlichkeiten der Stadt. Die aus der Mongo- 
lenherrſchaft fkammenden Inftrumente des berühmten Obfervatoriums wurden während der 
Regierung Kanghi's nach Peking gebracht. Diefe Inftrunente, welche die Bewunderung ber 
Miffionare erregten, find aber nicht von Chinefen, fondern von mohammedan. Afttonomen und 
Künſtlern des Weften verfertigt worden. In der Umgebung der Stadt findet man in Fülle die 
gelbliche Gattung von Baummolle, von welcher ber bekannte Etoff Nanking (ſ. d.) verfertigt 
wird. Die Staude ift feineswegs von denen der übrigen Baummolle verfchieden, fondern fie er- 
hält blos ihre eigenthümliche Barbe von der befondern Natur des Bodens. Nicht minder wich- 
tig ift Bier die Zongpflange. Sie dient ald Arzneimittel, und aus der leichten Rinde der Pflanze 
fertigt man Kopftiffen und Echuhfohlen. Das weiche fanımetartige Mark der Pflanze aber wird 
in Streifen geſchnitten, die man bei und gemeinhin Reißpapier nennt und auf melden in China 
in außerorbentlicher Barbenpracht Blumen und Früchte, Pflanzen, Thiere und Menfchen dar- 
geftellt werben. Zu R. mußten die Chinejen mit den Englänbdern 26. Aug. 1842 ben welthi- 
ftorifchen Frieden eingehen, welcher die Herrfchaft der Mandſchu erfchüitterte und China zum 
erſten male im Berlaufe der Gefchichte in die Weltbewegung gezogen hat. 

Nanking Heißt ein fehr dichtes und feftes, leinwandartig gewebtes glatted Baummollenzeug, 
von fahler oder röthlich-geiber Farbe, welche bei dem chinef. und oftind. Nanking durch die na- 
türlihe Farbe ber Baummolle, bei dem europäifchen durch Färben bes Barnd erzeugt ift. Man 
hat auch geköperte, ſtets im Garne gefärbte gleichfarbige, geftreifte und melirte Nankings. 
Nankinet ift etwas feiner als Nanking, aber ebenfo dicht und von verfchiedenen Farben. 

Rannimi (Agnolo, eigentlich Giovannini), gewöhnlich Firenzuola genannt, wie ſich aud) 
kin Bater Baftiano nach dem Stammorte der Familie nannte, war 28. Sept. 1493 zu Flo⸗ 
renz geboren und ſtudirte zu Siena und Perugia. Später begab er ſich nach Rom, wo er in ben 
Orden von Ballombrofa getreten fein fol, was aber Tiraboschi nicht wahrfcheinlich findet, und 
nachher Die beiden Abteien von Sta.-Maria di Spoleti und San-Ealvador di Vajano erhielt. 
Mit Pietro Aretino (f. d.) befreundet, theilte er deffen Leichted und Iuftiges Leben. Wie Are- 
tino erwarb er ſich großen Ruf als Schriftfteller, fomol in Verfen als in Profa, im burlesken 
und fatirifchen, wie im ernften moralifchen Fache, als Novellift und als Dramatiker ; die Cruſca 
zahle ihn unter die Claſſiker und führt ihn häufig an. Seine Werke, darunter zwei Luſtſpiele, 
eine ber Zeit angepaßtte, freie Bearbeitung des „Goldenen Efel” von Apulejus, „Discorsi degli 
animali“ umb acht Novellen nach den Mufter deö „Decamerone”, erfchienen erſt ſpät vollftän- 
dig gefammelt (3 Bde. 1763). Die Zeit feines Todes ift nicht ganz gewiß; 1548 war er feit 
mehren Jahren verſtorben. 

Rantes, die Hauptſtadt des franz. Depart. Nieder⸗Loire und Seehafen erſter Claſſe, in einer 
ihonen Gegend ber ehemaligen Ober-Bretagne, am rechten Ufer der Loire, 10 M. von der Mün⸗ 
tung dieſes Fluſſes, hat fünf Vorftädte, welche die Stadt an Umfang und Schönheit übertreffen, 
an feſtes Schloß zur Beſchützung bes Hafens, 33 öffentliche Pläge, 17 Kirchen, darunter der 
Dom zu &t.-Ricolas, der durch feine Glasmalereien fehr berühmt ift, viele ausgezeichnete Ge- 
baude und 87000 E. Sie ift der Sig eines Bilchofs, eines Tribunals erſter Inftanz, einer 
Rifitärdivifion, einer Handelskammer und eines Handelögerichts ; auch hat fie ein Lyceum, eine 
Schiffahrts ſchule mit Sternwarte, eine öffentliche Bibliothek, eine Gemäldefammilung, ein Mu: 
kum, einen botantfchen Garten, eine Börfe und eine akademiſche Gefellfchaft. Bedeutend find 
Ye Banmmwollen«, Zucker⸗, Steingut- und alle aufden Seehandel und die Schiffahrt begüglichen 
Subrifen, ſowie ber Schiff· und Danıpfmafchinenbau. Allerdings find Handel und Schiffahrt 


4 


20 Naphtali Napier (Sir Charles) 


gegen früher, mo N. der Hauptausrüſteplat der Sklavenhändler war und deshalb den bebeu- 
tendften Handel mit Weftindien trieb, fehr geſunken; doch find, nächft dem Handel mit Landes- 
und Gewerböerzeugniffen, der Speditiond- und Zwiſchenhandel mit dem innern und dem füd« 
lichen Frankreich und noch immer der Seehandel nad) Weftindien und Afrika, fowie die Fiſche⸗ 
reien auf Sardellen, Walfifche und Kabeljaus (bei Neufundland) fehr wichtig. Der Seehandel 
befchäftigt 200 Schiffe längerer Fahrt. Jährlich Taufen in den Hafen von N. gegen 2008 
Schiffe aller Größen ein; da nur Heine Seefchiffe bis vor N. felbft auf der Koire kommen kön⸗ 
nen, fo find die Städtchen Nayaire und Paimboeuf an der Mündung der Koire als der eigent- 


« liche Hafen von N. zu betrachten, wo die großern Schiffe landen und die Waaren abgeladen und 


auf kleinern Schiffen nah N. gebracht werben. N., bie alte Civitas Namnetum, war im Mittel 
alter die Refidenz der Grafen und Derzoge der Bretagne; Heinrich IV. gab Hier 1598 das be- 
rühmte, von Ludwig XIV. 1685 wiberrufene Ediet von Nantes, welches den Reformirten die 
freie Ausübung ihrer Religion geftattete. In der Zeit ber Revolution wurde die Stadt überaus 
hart heimgefucht theild durch den bis unter ihre Thore geführten Krieg der Vendée, theils 
durch das furchtbare Wüthen Carrier's (f. d.), theil durch die Unterbrechung des Handels. 
Naphtali, der fiebente Sohn Jakob's und der Bilha und Stammmvater eines ber zwölf 
ifrael. Stämme, der bei ber Zählung vor dem Einzuge in Kanaan 45000 waffenfähige Männer 
ſtark war. Das Gebiet dieſes Stamms lag in Norbpaläftina, öftlich vom Jordan, nördlich vom 
Antilibanus begrenzt, und gehörte zu ben fruchtbarften Landftrichen Palaftinas. An den patrio 
tifchen Kämpfen der Sfraeliten gegen die fanaanitifchen Ureinwohner zur Zeit der Richter nah⸗ 
men die Naphtaliten ben Tebhafteften Antheil; bei ber Trennung des ifrael. Staats fielen fie an 
das Neich Iſrael und wurden unter dem Könige Pekah durch die Affyrer ind Eril geführt (um 
740 v. Chr.). Aus diefem Stamme gingen der Held Barak und Tobias (f. d.) hervor. 
Naphtha iſt der fonft auch auf die zufammengefegten Atherarten, wie Effigäther, Butter 
äther, und noch gegenwärtig zuweilen auf das der natürlichen Naphtha ganz ähnliche rectificirte 
DI des Steinfohlentheers übertragene Name des farblofen oder wenig gefärbten Erdöls (f. d.) 
ober Steinöls, welches an einigen Orten der Erde, befonders bei Baku in ber Nähe bes Kaspi- 
chen Meers, zu Amiano unweit Parma, zu Salies in den Pyrenäen, zu Tegernfee in Baiern, 
an mehren Orten in den Vereinigten Staaten u. |. w., mit Waffer zugleich hervorquillt. Die 
Naphtha unterfcheidet fich nur durch größere Reinheit von dem braunen Erböl oder Steinöl und 
hängt, wie alle bituminöfen Körper, ihrer Entftehung nad) mitden Steintohlen (f. b.) zufammen. 
Napier (Sir Charles), brit. Viceadmiral, geb. 6. März 1786 zu Falkirk, nahm, nach⸗ 
dem er-zeitig in ben brit. Seedienfi getreten war, an mehren Seezügen gegen die Franzoſen 
Theil, wurde 1809 Flottencapitän und eroberte in bemfelben Jahre das Fort Eduard auf 
Martinique. Im J. 1810 machte er ald Freiwilliger den Feldzug ber Engländer auf der 


Ypyrenäiſchen Halbinfel mit, wo er fi in mehren Gefechten auszeichnete. Noch größern 


Ruhm erwarb er fi) aber in dem Kriegszüge, den die Engländer im Sept. bis Nov. 1811 von 
Sicilien aus gegen bie neapolit. Küften unternahmen, durch die Eroberung ber Infel Ponza bei 
Gaẽta, weshalb er auch von dem Könige beider Sicilien Ferdinand zum Cavaliere be Ponza er- 
nannt wurde. Später mehrmals als Parlamentsmitglied ins Unterhaus gewählt, gehörte er 
dort zur Partei ber Whigs. Zulegt befehligte er. mehre Jahre lang die Fregatte Galatea, auf 
der er fich durch feine Verfuche, das Schiff durch Ruderräder zu bewegen, bemerklich machte, 
fowie er bald darauf auch einer der erften Beförderer der Dampffchiffahrt war. Im 3. 1852 
gab er fein Commando auf und trat ald Admiral in die Dienfte Dom Pedro's, in welcher Stel- 
fung er fi) durch feine wirkſame Thätigkeit zu Gunften der Einfegung ber Königin Donna 
Maria in Portugal, insbefondere aber durch feinen Seefieg beim Vorgebirge St.Vincent aus⸗ 
zeichnete und deshalb von Dom Pedro zum Visconde do Cabo de San-Pincente ernannt wurde. 
Nach Vertreibung Dom Miguel's aus Portugal ging er wieder nach England zurück, wo er, 
von den Tories angefeindet, auf Halbfold lebte. Erſt nach der Thronbefteigung der Königin 
Victoria, die ihn 1840 zum Ritter ernannte, trat er wieder in activen Seedienft. Er nahm in 
gedachtem Jahre ald Commodore unter Admiral Stopford’6 Oberbefehl den weſentlichſten 
Antheil an dem Kriegszuge gegen Mehemed-Ali und Ihrahim-Pafcha an der Küfte Syriens 
und ſchloß bald darauf den Vertrag mit bem Erftern. Diefe Ereigniffe befchrieb er ſelbſt in bem 
Werke „The war in Syria“ (2 Bde. Lond. 1842). Nach England zurückgekehrt, wurbe er da⸗ 
felbft wieder ins Parlement gewählt, wo er fich als confequenten Whig bewährte und durch fei« 
nen Eifer für Hebumg der brit. Seemacht bemerklich machte. Bei ber berben Offenheit und rüd« 
fichtölofen Geradheit feines Charaktere überwarf er fich jedoch bald mit feiner Partei und wurde 


Napier (Sir Charles James) 


daher, obwol 1846 zum Contreadmiral befördert, überall zurückgeſetzt und auch bei den Wahlen 
von 1847 in feiner Bewerbung um einen neuen Parlamentöfig nicht unterflügt. Er rächte fich 
durch eine Reihe von Briefen an die „Times“, in welchen er die Misbräuche in der Verwaltung 
der engl. Marine aufdeckte und welche von feinem Vetter, dem General William Napier, ges 
fammelt wurden („The navy, ils past and present state”, Lond. 1851). Als ihm auch der 
Admiral Dundas in dem Commando der mittelländifchen Flotte vorgezogen wurde, richtete er 
ein offenes Sendfchreiben an Lord John Ruffell, welches großes Auffehen erregte und dazu bei- 
trug, das Whigcabinet in der öffentlichen Meinung zu Grunde zu richten. Im Mai 1855 avan- 
arte er durch Anciennetät zum Viceadmiral der Blauen Flagge. 

Kapier (Sir Charles James), ber Eroberer von Sind, ein Enkel des fechäten Lord N., 
geb. 10. Aug. 1782 in London, trat im 12.3. in Militärdienfte, nahm 1798 und 1803 an den 
Operationen gegen die irifchen Infurgenten Theil und murde 1804 Major im 50. Infanterie 
tegiment Im Kriege auf der Pyrenäiſchen Halbinfel zeichnete er fich durch unvergleichliche Ta- 
pferfeit aus; doch hatte er dabei viel Unglüd, wie er denn in der Schlacht von Coruña im Ein- 
zelnkampf mit mehren Franzofen fünf gefährliche Wunden empfing und in der Schlacht von 
Bufaco mit zerfchmetterter Kinnlade vom Schlachtfelde getragen wurde. Im 3.1812 zum 
Oberſtlieutenant aufgerüdt, focht er am Chefapeafe gegen die Amerifaner. Um von der 
Schlacht bei Waterloo Zeuge zu fein, eilte er nach Europa zurück, fam aber zu fpät. Doc) be 
gleitete er die engl. Armee nad) Paris und that fich beim Sturme von Cambray hervor. Nach 
bem Frieden warb er Oberft und 1824 Gouverneur von Gephalonia, wo er ſich um Hebung ber 
Infel in allen Zroeigen menfchlicher Cultur die größten Verdienfte erwarb, durch diefe Verbeffe- 
rungsplane aber dem ab bercommier der Sonifchen Infeln, Adam, ſich unbequem machte, 
weshalb man ihn feiner Stelle enthob. Während bes Freiheitskriegs der Griechen intereflirte er 
fich aufs lebhafteſte für Diefelben und entwarf einen Plan zu ihrer Befreiung, bem Korb Byron 
ben höchſten Beifall ertheilte. Da das londoner Philgellenencomite aber nicht darauf einging, 
fo konnte R. nicht zu beffen Ausführung fchreiten und war nun genöthigt, mehre Jahre zurüd- 
gezogen von militärifcher Thätigkeit zu leben. Während diefer Zeit widmete er ſich literaris 
(hen Belhäftigungen. Erſt 1837 wurde er zum Generalmajor befördert und ihm 1859 
ber Militärbefehl in den nördlichen Sraffchaften Englands anvertraut. Im Herbft 1841 ging er 
als Chef des Truppencorps in der Präfidentfchaft Bombay nad) Oftindien. Dort angekom⸗ 
men, legte er dem neuen Generalgouverneur, Lord Ellenborough, einen Plan vor, die Unglücks⸗ 
fälle in Afghaniſtan wieder gut zu machen, ber deffen Beiftimmung fand. Bald darauf erhielt 
er ben Oberbefehl über bie Armee in Sind und Beludſchiſtan. Hier war es, mo er trog alles 
perfünlihen Misgefchids neue Lorbern errang, indem er durch die glänzenden Giege bei 
Meanee 17. Sept. und Hyderabad 24. März 1843 die Macht der Emire von Sind vernich⸗ 
tete, Die Beludfchen zähmte und durch den Feldzug gegen die Bergftämme am rechten Indus- 
ufer 1845 die Unterwerfung des Landes vollendete. Sein rafches, nergifches Verfahren wurde 
mar von ber Regierung, bie ihm das Großkreuz bes Bathordens verlieh, aber nicht von ber 
Dftindifchen Compagnie gebilligt, die ihre ohnehin zu weitläufigen Befigungen ungern noch 
weiter ausgedehnt fah, und im Oct. 1847 ward N. abberufen. Die Schlappen, welche das 
engl.-ind. Heer im zweiten Kriege gegen bie Sikhs erlitt, nöthigte ben Directorenchef, ber Stimme 
des Publicums und dem Rathe Welliugton’d nachzugeben und den bewährten Feldherrn an bie 
©pige der fämmtlichen Streitkräfte zu ftellen. Am 24. März 1849 fchiffte ſich N. zum zwei⸗ 
ten male nach Dftindien ein; bei feiner Ankunft fand er jedoch den Krieg ſchon beendet, und es 
bfieb ihm nichts übrig, als ſtrenge Mafregeln zur Neform der in ber Armee eingeriffenen Mis- 
bräuce zus treffen, wozu er 15. Dec. 1849 durch einen vielbefprochenen charakteriftifchen Ta⸗ 

gesbefehl den Anfang machte. Im I. 1851 kehrte er nach England zurüd, wo er feitdem eine 
neue Ausgabe feiner nach A. de Vigny bearbeiteten „Lights and shades of military life” (Xonb. 
1851) und auf Anlaß der nach dem 2. Dec. von England ergriffenen Vorſichtsmaßregeln 
einen „Leiter on the defence of England by corps of volunteers and militia” (2onb. 1852; 
deutſch Braunſchw. 1852) erfcheinen ließ. Er farb 29. Aug. 1853 zu Daklands bei Porte- 
mouth. — ein Bruder, ber Generallieutenant Sir George Thomas N., geb. 30. Juni 
1784, war Abjutant des Generals Moore in der Schlacht von Coruña und 1838 —44 Gou- 
verneur bdes Caplandes, wo er die unruhigen Kaffern theild durch Gewalt, theils durch friedliche 
Nittel nicht ohne Erfolg zu bänbdigen fuchte. Ein dritter Bruder, Sir William Francis Pa- 
tig geb. 17. Dec. 1785, widmete ſich ebenfalls dem Kriegerftande und kämpfte mit Aus. 
Kihnung in ben fpan.franz. Feldzügen, in welchen er ſchwere Wunden davontrug. Nach ge 


12 Naharro Nahl 


6— 7000 Mann einen ruhmvollen fünfſtündigen Kampf gegen die zehnfach überlegene rufſ. 
Macht. N.s Corps war durch diefe Schlacht fo geſchwacht, daß er fich, nachdem er in Arad an« 
gelangt, ber Görgei'ſchen Unterwerfung anfchließen mußte. Von ben Ruſſen an bie Öftreicher 
ausgeliefert, endete er 6. Oct. 1849 zu Arad am Galgen. Er ftarb muthig wie er gelebt und 
gefämpft hatte. Meifterhafte Führung ber Cavalerie und feine überaus glänzende äußere Er 
fheinung Hatten ihm den Beinamen des „Murat ber ungar. Armee” erworben. 

Naharro (Bartolome de Torres), einer der Gründer ber ſpan. Bühne, ftammte aus ange 
fehener Familie, wurde in Latorre bei Babajoz geboren und gehörte bem geiftlichen Stande an. 
Durch Schiffbruch geriet, er in algierifche Gefangenſchaft; nach feiner Befreiung hielt ex fich 
in Rom auf, wo er mit der Familie Eolonna in genauerer Verbindung fand. Bald nach bem 
3.1517, vielleicht in Folge der Verdrießlichkeiten, die er ſich durch eine allzu freie Sprache in 
feinen Komödien zuzog, ging er nach Neapel. Seine fpätern Lebensſchickſale fowie bie Zeit fei- 
nes Todes find unbekannt. Die „Propaladia”, das einzige Merk, das man von ihm hat, er⸗ 
ſchien zuerft zu Rom 1517, dann von N. felbft beforgt zu Neapel und nach deffen Tode wieder⸗ 
holt zu Sevilla, Tolebo und Antwerpen. Auf Befehl der Inquifition gereinigt von den Aus⸗ 
fällen gegen ben röm. Hof, wurde fie zu Mabrid 1573 herausgegeben. Diefe Sammlung ent- 
hält außer einigen Iyrifchen und fatirifchen Gedichten in ben beiden frühern Ausgaben ſechs, in 
den fpätern acht Komödien, bie zu ben wichtigften Urkunden für die Gefchichte des fpan. Dra- 
mas gehören, indem fie den Beweis liefern für deſſen Entwidelung aus rohen Feft- und Gele 
. genheitöfpielen zu mit künftlerifchem Bewußtſein gefchaffenen, mehr ibealifirten eigentlichen 
Kunftdramen. Er hat feine Komödien in fünf Acte abgetheilt, die er zuerft Jornadas, d. i. Ta- 
gereifen, weil fie ihm Ähnlichkeit mit Stationen zu haben ſchienen, nannte; und vor jeder Komö⸗ 
die findet fich ein Introito, worin ein Luſtigmacher das Publicum zur Aufmerkſamkeit auffodert 
und ein Argumento ober ein kurzer Abriß der Handlung, aus welchen beiden einleitenden Ge⸗ 
dichten ſich Tpäter die Loas bildeten. Auch in feinen Stüden ift der Gracioso ſchon eine ſtehende 
Perſon, und felbft in ben mehr ideal gehaltenen dient die parodiſch⸗komiſche Wirklichkeit, durch 
die Dienerfchaft vepräfentirt, ben ritterlich galanten Abenteuern der Hauptperfonen zur Folie. 
Bier feiner Stüde findin Böhl de Faber’s „Teatro espanol” (Hamb. 1832) und die „Hime- 
nea’ in Ochoa's „„Tesoro del teatro espanol” (Par. 1838) abgebrudt. 

Näherrecht, |. Retract. ’ 

Nahl, eine Künfklerfamilie, deren Mitglieder ſchon feit dem 17. Jahrh. in fortlaufender 
Reihe in beachtungsmwerther ober ausgezeichneter Weiſe als Bildhauer oder Maler thätig find. 
— Rah (Joh. Samuel), geb. zu Ansbach 1664, geft. zu Jena 1727, Sohn bes markgräfli- 
chen Holzfchnigers Mathias R., kam als Hofbildhauer nach Berlin und wurbe bort Ehrenmit- 
glieb der Akademie der Künfte. Er fertigte Bildwerke von Gyps, den er gegen Negen unb 
Schnee Härten zu können erfunden haben fol, für die Schlöffer und Paläfte in Berlin und 
Potsdam, fowie auch bad fteinerne Piebeftal zum Denkmal des Großen Kurfürften von Echlü- 
ter. Obgleich fpäter Rector der Akademie geworden, ging er boch zuletzt nach Sachfen. — Rahl 
(Soh. Aug.), des Vorigen Sohn, geb. 1710 in Berlin, ſtudirte unter Schlüter und erwarb fi 
dann auf Kunftreifen nach Frankreich und Italien viel Geſchick und Kenntniffe. Nachdem er 
bis 1741 in Strasburg gearbeitet, wurbe er nach Berlin gerufen und hatte unter dem Titel 
eines Lönigl. Directors die Prachtgebäube ber Reſidenz, ſowie biefenigen von Charlottenburg, 
Sans ſouci und Potsbam mit Statuen, Reliefs, Vaſen und Ornamenten aller Art an Deden, 
Säulm u. ſ. w. zu fhmüden. Im J. 1746 ging er nad) Bern in der Schweir, wo er berühmte 
Monumente für die Kirche zu Hindelbark verfertigte. Sodann erhielt er 1755 eine Anftellung 
als Profeffor am Kollegium Sarolinum zu Kaffel. Endlich wurbe er fürftcheff. Rath und ftarb 
als folcher 1781. Sein beftes Werk in Kaffel ift das Standbild des Kandgrafen Friedrich 11. 
von Heffen-Raffel; N. fertigte indeß nur das Modell; die Ausführung blieb feinem Sohne 
Samuel. — Naßl (Samuel), Sohn bes Vorigen, geb. 1748 zu Bern, befuchte nach vorausge⸗ 
gangener väterlicher Anleitung zuerft die Akademie zu Wien, ging dann 1772 nach Paris und 
zwei Jahre barauf nach Rom. Nach kurzer Zeit wurde er nach Kaffel gerufen, um das erwähnte 
Monument anfertigen zu helfen, welches 1783 zu Stande fam. Andere Bildwerfe von feiner 
Hand find: ein über den Verluft eines Vogels weinendes Kind, ein Flußgott, Beides in Mar- 
mor, Relief im Marmorfaale zu Wilhelmshöhe bei Kaffel, Srabmonumente u.f.m. N. wurde 
zum Profeſſor und alademifchen Rath ernannt und 1808 zum Lönigl. weſtfäl. Afademiedirector 
in Kaffel. Er fam 1813 in den Wellen ber Fulda um. — Rab (Joh. Aug.), des Vorigen Bru- 
der, wurde 1752 zu Clamm in ber Nähe von Bern auf dem Bute des Vaters geboren, von dem 


Rahrungsmittel 13 


er, ebenfalls zum Bildhauer beftimmt, auch den erften Unterricht befam. Obwol feiner Neigung 
für die Nalerei kein Hinderniß in ben Weg gelegt ward, vielmehr er die Unterweifung des beruͤhm⸗ 
ten Tiſchbein erhielt, fo zeigten fich boch weder bier noch fpäter in Strasburg unter Tannaſch 
und Bemmel entfchiebene Fortfchritte. Erſt Lefueur in Paris brachte fein Talent zur Entfal- 
tung. UHR. genugfam in den Geiſt beffelben eingebrungen war, ging er 1774 nach Rom, 
wo er fieben Jahre hindurch eifrig flubirte und einen großen Theil biefer Zeit ganz der Antike 
wibmete. Dann copirte er Rafael und Buido Reni und erſt im fünften Jahre trat er mit einer 
genen Gompofition: einem Opfer an bie Venus, auf. Als er, durch die Krankheit des Vaters 
1781 heimgerufen, biefen kurz darauf verlor, wandte er ſich nach England, befuchte auch Hols 
land, traf aber 1788 mwieber in Rom ein, um einen längern Aufenthalt dafelbft zu nehmen. Das 
Beifpiel Hackert's führte ihn nun auf die Landfchaft, welche er wiederum mit Eifer nach der 
Natur und den großen Meiftern ſtudirte. Brachte er es auch hierin nicht zu entfchiedenen Re 
fultaten, fo verlieh er Doch baburch feinen hiftorifchen und mythologifchen Darfiellungen einen 
harmonischen landſchaftlichen Bintergrumd. Durch einen Kunftliebhaber in Bafel angeregt, 
ſchuf er eine Reihe Hiftorifcher Zeichnungen in brauner Zufche, welche ungemeinen Beifall fanden, 
fodaß diefe Art Darftellungen eine Zeit lang bieDfmalere bei ihm in den Hintergrund drängte. 
Zu legterer zurückkehrend, fuhr er fort, mythologifche, beſonders erotifche Scenen in reizenden 
Landſchaften zu liefern, 3. B. Venus, der Amor einen Dorn aus bem Fuße zieht, Ariadne auf 
Naros, Rarciß, Dlinth und Sophronia u. ſ. w. Im J. 1792 nad Kaffel zurückgekehrt, wurde 
NR. Profeffor an der Akademie und 1815 Director der Malerclaffe. Er führte nun feine zahle 
reichen Studien aus, gewann die von Goethe in den „Proppläen” geftelltePreisaufgabe für mas 
lerifche Compoſition zwei mal durch feinen Abfchieb des Hektor von ber Andromache und durch 
den Achill an bem Hofe bes Lykomedes. Dies trug ihm num viele Aufträge vom weimar. Hofe 
ein, bem er eine nicht unbebeutende Anzahl von Hiftorifch-mythologifchen Bildern lieferte. R 
ftarb 1825. Seine audgebreiteten Studien machten ſich in feinen Werken durch einen plaftifchen 
Charakter feiner Darftellungen, fowie durch eine harmonifche und fleifige Durchbildung geb 
tend. Man bat auch einige radirte Blätter von ihm. 
Rabrungsmittel (alimenta) nennt man diejenigen Subftanzen, Durch deren Aufnahme 
und Yneignung (assimilatio) die lebenden Geſchöpfe Dasjenige wieder erfegen, mas durch 
ben Lebensproceß unausgefegt verbraucht und mittel der Ausfcheidungen aus dem Körper fort« 
geſchafft wird. Nahrungsmittel Bann jeder Stoff werden, der em Beftanbdtheil organifcher Kör⸗ 
per oder doch aus deren Grundftoffen zufammengefegt ift. Huf ben Aggregatzuftand kommt es 
dabei nicht an; benn gasformige, tropfbar-flüffige und fefte Subſtanzen werden von ben leben- 
den Körpern aflimilirt. Nothwendig aber ift es im Allgemeinen, daß die Natur (ober die che 
mifche Zufammenfegumg) des zu affimilirenden Stoffs der Natur des affimilirenden Indivi⸗ 
duums entfpreche. Daher die große Verfchiedenheit der Nahrungsmittel bei den verfchiedenen 
Claſſen der organifchen Weſen. Schon bei den Pflanzen bemerken wir, daß nicht jede in jedem 
Boden ernährt wird und ihr Leben fortzufegen vermag ; ebenfo find die meiften Thiere, jedes 
auf beſtimmte von ihm aufzufuchende Nahrumgsftoffe angewieſen (Fleiſchfreſſer, Pflanzenfreſ⸗ 
fer u.f.w.). Dem Menfchen ift in dieſer Hinficht verhältnigmäßig eine fehr freie Wahl verſtat⸗ 
tet, ſodaß faft Alles von ihm ale Nahrungsmittel benugt werben kann, was Beftandtheile ent- 
hält, bie ben Thierftoffen überhaupt ähnlich oder gleich find. Es ift jedoch zwiſchen Speife und 
Nahrungsmittel zu unterfcheiden; denn nicht Alles, was als Speife (d. 5. um ben Magen zu 
füllen, begiehentlich den Gaumen zu figeln) genoffen wird, ift zugleich ımbedingt Nahrung. Erf 
die Verbauung (f. d.) fondert die Stoffe, welche bem Körper affimilirt werden können, aus dem 
Speifefanal ab und entfernt die unnüten oder unbenugten wieder aus bemfelben. Da ber 
menfhliche Körper nur aus Verbindungen einiger ber chemifchen Grundftoffe, der Elemente 
(f. d.), befteht, fo können natürlich nur diefe, ungefähr 20 an der Zahl, in den eigentlichen Nah- 
rungs ſtoffen vorfommen. Die wichtigften derfelben find: Kohlenftoff, Stidftoff, Wafferftoff 
und Sauerfloff, außerdem Schwefel, Phosphor, Kalkerde, Alkalien, Eifen. Doch werben biefe 
in den Nahrungsmitteln nicht als einfache Grundfloffe vorgefunden oder affimilirt. Der Kör⸗ 
per ift durchaus nicht im Stande, die Elemente (mit Ausnahme des Sauerfloffs beim Athmen) 
fi) anzueignen, wenn fie ihm geſondert geboten werden, ſondern dieſelben bilden gewiſſe bie 
näre, ternäre oder quaternäre Zufammenfegungen, d. b. fie treten je zu zwei ober drei oder vier 
in Atomen zufammen und bilden fo ;. B. Waffer, Fette, Eiweißſtoffe, und erft in dieſer Form 
terden fie vom unſerm Körper aufgenommen. Die Verſchiedenheit zwiſchen Thier- und Pflan- 
Kabf nimaliſcher und vegetabilifher Nahrung) iſt nicht fo bedeutend; hey, beide beſtehe⸗ 


14 Nabrungsſaft Nairn 


sus denſelben Grundſtoffen und auch aus ganz gleichen oder doch ſehr ähnlich zuſammengeſetz⸗ 
en Beſtandtheilen, indem 3. B. die Pflanzenfette, das Pflanzeneimeiß, das Legumin, der Kle⸗ 
dee und andere Pflanzenbeftandtheile in ihrer hemifchen Zufammenfegung faft ganz gewiſſen 
Thierſtoffen (dem Thierfett, Bluteiweiß, Faſerſtoff, Käfeftoff) entſprechen. Daher fehen 
wir, daß manche Thierclaſſen nur von animaliſcher oder nur von vegetabiliſcher Nahrung, noch 
andere aber von beiden leben, und daß manche, die von der Natur an eine dieſer beiden Nahrungs⸗ 
weifen gewieſen find, ſich an bie andere gewöhnen laffen. Die mineralifchen Stoffe, deren der 
Körper bedarf (z. B. Eifen für das Blut, Kalk für die Knochen), werden ihm gewoͤhnlich fchon 
n feinen Speifen mit zugeführt. Die Erbarten, melde mandye Völker genießen, Fönnen nicht 
118 eigentliche Nahrungsmittel dienen, wenn fie nicht organifche Beimifchungen (Infuforien) 
mthalten. Berfuche an Thieren, bie mit ftidftofffreien Subſtanzen ernährt wurden, ſchienen zu 
jeweifen, daß der Stickſtoff als das zur Ernährumg am meiften beitragende Element betrachtet 
werden müffe; allein es iſt hinreichend gezeigt worden, daß ftidftoffreiche Nahrungsmittel ohne 
ine verhältnißmäßige Menge anderer Elemente nicht immer eine gefunde Nahrung abgeben 
und daß ferbft ſtickſtoffarme Subſtanzen fehr nahrhaft fein Finnen. Man wird mit Hülfe der 
neuern organifchen Chemie dahin gelangen, diefe Verhältniſſe alle aufzuklären, und für jedes le⸗ 
bende Befchöpf dann die ihm nöthigen oder zuträglichen Nahrungsbeftandtheile ebenfo ficher 
aachweiſen können, wie es die Agriculturchemie ſchon jegt hinfichtlich der Nahrungsftoffe unfe- 
er Nutzpflanzen thut. Sowol ihrer Zufammenfegung als auch den damit angeftellten Verſu⸗ 
ben nach ift die Milch diefenige Nahrung, welche ſich am meiften zur Erhaltung bes Menfchen 
ignet, indem fie nicht nur faft alle die Elemente, welche ben Körper zufammenfegen, in ben paſ⸗ 
jenden Berbindungen enthält, fondern auch am längften ohne Abwechſelung genoffen werben 
ann. Übrigens ift Abwechfelung und Verfchiebenheit ber Nahrung bei den meiften hoher ge- 
tellten Thieren eine Hauptbedingung zur ungetrübten Erhaltung ded Körpers. Die Betrach 
ung ber Nahrungsmittel der Pflanzen und Thiere nach ihren verfchiedenen Glaffen, die Ge- 
ſchichte der menſchlichen Nahrungsmittel von ben früheften Zeiten bis jegt, der Unterfchied der- 
ſelben nah Wohnort, Stand, Geſchlecht, Alter, Eulturftufe u. ſ. w. geben zu den intereffanteften 
Forſchungen reichhaltigen Stoff. Vgl. Danz, „Verſuch einer allgemeinen Gefchichte der menſch⸗ 
lichen Nahrungsmittel“ (Bd.1, Lpz. 1806); Tiedemann, „Unterfuchungen über das Nahrungs» 
pedürfnif, den Nahrungstrieb und die Nahrungsmittel bes Menfchen” (Darmft. 1836) ; Lie⸗ 
ig, „Thierchemie“ (3. Aufl., Braunſchw. 1846), und bie zahlreiche dadurch hervorgerufene 
Biteratur, wie Böder, „Die Genußmittel”, oder erfte Abteilung der „Beiträge zur Heilkunde“ 
(Kref. 1849) ; Molefchott, „Die Phyftologie ber Nahrungsmittel” (Darmft. 1850) und „Lehre 
der Nahrungsmittel für das Voll” (Erlang. 1850); Nochleder, „Die Genußmittel und Ges 
würze in hemifcher Beziehung” (Wien 1852). 

Nahrungsſaft, ſ. Chylus. 

Naht (sutura) wird in der Medicin in zwei Bedeutungen gebraucht. In anatomiſchem 
Sinne bezeichnet Naht diejenige Art unbeweglicher Knochenverbindung, mo Knochen mit Kno⸗ 
hen, meiftmit unebenen Rändern zufammenftoßend, miteinander feft und unverfchiebbar zufam- 
menhalten. Derartige Nähte kommen nur amı Kopfe vor. In chirurgifher Beziehung nennt 
man Naht bie fünftliche Aneinanderlegung der Ränder verwundeter und getrennter Weichtheile. 
Gefchieht diefe Aneinanderlegung auf die Art, daß man Nadeln durch die Ränder der getrenn- 
ten Theile fticht und fie mittels Fäden zufammenzieht, fo nennt man fie blutige Rabt; bewirkt 
man dagegen bie Vereinigung nur burdy Heftpflafter, Bandagen u. ſ, w., fo heißt fie eine 
trodene Naht. Erftere wirb gemöhnlich fo ausgeführt, daß man in die Ohre der Nadeln Fä- 
den von Zwirn oder Geide u. f. w., auch wol Metalldräthe einfädelt und mitteld dieſer bie 
Wundränder zufammenbindet. Die ummwundene Naht befteht darin, Daß man die eingefloche 
nen Nadeln felbft in den beiden Wundrändern liegen läßt und biefe mittels darüber gewidelter 
Baden zufanımenzieht. Man benugt bazu neuerbings am liebften die karlsbader Inſektenna⸗ 
deln, ehedem nur die, mit abfehraubbarer Spige verfehenen Haſenſchartennadeln. 

Rahum, einer der fogenannten zwölf Heinen Propheten, lebte unter dem hebr. Könige His- 
ias um 720 v. Chr. Er verfündigt den Sturz des den Hebräern fo gefährlichen affyr. Reiche, 
nebefondere die bevorftehende Zerftörung der aſſyr. Hauptſtadt Ninive. Sein Vortrag iſt voll 
euer, Phantafie und Ori inalitat und bat zugleich auch Klarheit und Rundung. Unter den 
ommenfüren iſt befond .. r von O. Strauß (Berl. 1853) hervorzuheben. 
Aei eine —5 — De nörbficpen Eiheitiand, fühtid) am Murraybufen gelegen, gl 

AM. 996€ gm gInnern, beſonders im Süden, iſt fie gebirgk hat dort wenig 


Raivetät Rame 15 


urbaren Boden, dagegen ziemlich ausgedehnte Moräfte. Die Küfte ift flach und großentheite 
mit Flugſand bedeckt, ftrichweife aber auch fruchtbar, wie das Thal des Naim. Neben diefem 
iſt der größte Fluß der 12 M. lange Findhorn. Derfelbe ift durch die wechſelvollen fchönen Sce⸗ 
nerien feiner Ufer berühmt, aber auch durch fein plögfiches Anfchwellen und feine vermüftenden 
Überfhmemmungen berüchtigt. Die urbaren Gegenden fmd gut bebaut und liefern Getreide, 
Kartoffeln und Flache. Auch die Viehzucht wird mit Sorgfalt betrieben Die Sraffchaft fleht 
mit Elgin unter einem Sheriff, ımb beide ſchicken zuſammen ein Mitglied, ihre Hauptftädte 
abwechſelnd ein zweites in das Parlament. Die Hauptftadt Nairn, naheder Mündung ded Nairn 
gelegen, ift ein Heiner, aber wohlgebauter, reinlicher Borough mit Seebädern, einem Hafen und 
3420 E. welche Lachs⸗ und Heringsfiſcherei, ſowie Tartanmweberei und Betreidehandel treiben. 

Maivetät, abgeleitet von dem lat. nativus (im Mittelalter naivus), d. h. angeboren ober 
natürlich, wurde aus dem Franzöfifchen (naif und nalvete) durch Gellert in bie beutfche Sprache 
eingeführt. An das bloße Wort fich haltend, haben Viele das Naive für den höchflen Grad des 
Natürliden im Ausbrude der Gedanken und Empfindungen erflärt; allein der Begriff, den 
man nach und nach mit biefem Worte verknüpft hat, ift viel zufammengefegter. Im Weſent⸗ 
lichen bezeichnet er bie natürlichen und ungekünſtelten Empfindungen und Gedanken einer arg- 
loſen umb unverftellten Seele, welche ſich ohne Rückſicht auf Das äußert, was durch bie herr- 
{chende Übereintumft des gefellichaftlichen Tons für ſchicklich oder unſchicklich gehalten wirb. 
Das Raise ift fo das Natürliche im Gegenſatz des Gekünftelten, d. h. des blos durch Sitte und 
Ubereinfunft Geltenden. Es erfcheint baher nur aus einem befondern Standpunkt als folches ; 
der am künſtlichſten gebildete oder verbildete Beobachter bemerkt ed am leichteften, well ihm der 
Abſtich am fühlbarften iſt; dem Nalven felbft ift feine Naivetät Natur. Daraus erflärn fi 
dann alle Eigenfchaften, die man mit bem Ausdruck des Naiven und der Naivetät zu bezeichnen 
gewohnt ift. Der kimftlich gebildete Menſch iſt dem Naiven an Verftand und Welterfahrumg 
überlegen; daher erfcheinen ihm Außerungen der Naivetät, ber findlichen Einfalt, oft als 
Dummheit und Albernheit, während er felbft doch der Dumme und Alberne ift, ber ſich von 
der Bildung nicht ſowol bilden al& vielmehr nur verbilden ließ. Kür die Afthetit Hat ber Begriff 
des Naiven dadurch eine befondere Bedeutung erhalten, daß Schiller und Goethe die naive und 
fentimentale Poefte als zwei weſentliche Grundformen der poetifchen Darftelung erkannten. 
Bol. Schiller, „Über naive und fentimentale Dichtung”, und den Briefmechfel aroifchen Schiller 
und Goethe. Das Naive bezeichnet hier Schiller als denjenigen Bildungszuftand, der Natur 
ft; als das Sentimentale (f. d.) aber denjenigen, ber nad) der Natur fucht. Deshalb nennt er 
die Kunft des Alterthums naiv, die Kunft der neuern Zeit fentimental. Es ift Mar, daß im 
Weſen der Naivetät immer bie höchſte Unfchuld und Unbefangenheit liegt. 

Rajäden heifen in der griech. Mythologie die Nymphen (f. d.) der Binnengewäffer und 
Quellen, die in mancher Beziehung Ähnlichtkeit mit den deutfchen Nigen (f.b.) haben. Man 
ftellte fie als halbbefleidete Mädchen bar, welche häufig große Mufcheln vorhalten, nicht felten 
mit dem Pan zufammen oder auch mit Hercules, bem Beſchützer warmer Quellen. 

- Name (lat. nomen, griech). Svop.«) ift dasjenige Wort, wodurch man ein Einzelweſen fenn- 
zeichnet zur Unterfcheidung von andern : baher auch Eigenname (nomen proprium) genannt, 
im Begenfage zu dem grammatifchen Kunflausdrude Gemeinname (nomen commune), ber zur 
Bezeichnung eines Begriffs, alfo einer Art oder Gattung von Dingen, wie Baum, Menſch, Geift 
u. dgl., dient. Die Namen ber alten Morgenländer waren hänfig von ber Benennung einer 
Gettheit oder von einem Ereigniffe bei der Geburt bed Kindes hergenommen, wie Belfazar, 
Moſe (2.Mof. 2, 10); auch legte man ſich wol, veranlaft durch wichtige Lebensereigniffe, einen 
neuen Namen bei (1. Mof. 17,5). Bei den Semiten führten die Söhne zumweilen auch den 
Namen des Vaters mit vorgefegtem Bar oder Ben, wie Barnabas, Benjamin, Benhadad. — 
Bei den Griechhen gab es in ältefter Zeit Feine Geſchlechtsnamen. Nur gewiffe Bamilien in 
Athen und Sparta, namentlich Priefterfamilien, die eine politifche Bedeutung hatten, führten 
einen gemeinfchaftlihen Familiennanten, wie 3.3. die Eumolpiden (von Eumolpus). Doch 
war es Bitte, bie Abftammung beizufegen durch ein Patronymilon (eine vom Naternamen 
abgeleitete IBortform) oder durch ein zugefügte® oder angebeuteted Sohn, wie AxMeöcò 
Nnieidng, Achilles, der Sohn bes Peleus, Zunparrgo 2 oxov,Sokrates, ber (Sohn) bes 
Sophronistos. Den Kindern ward der Name, und zwar gemöhnlich ber bed Großvaters, durch ben 
Bater beſtimmt und beigelegt, in der Regel am zehnten Tage nad) der Geburt unter mancherlei 
Feierlichkeiten in Gegenwart der Verwandten. Pol. Keil, „Specimen onomatologici Graeci” 
p3.1840); Hape, „Wörterbuch der griech. Eigennamen’ (Braunſchw. 184352. Auft., 1850) 


.16 Name 


— Auch die Römer führten urfprünglich nur einen Namen ; doch ſchon feit ben älteften Zeiten 
ber Republik regelmäßig drei, von benen der eine (nomen) das Geſchlecht (gens) bezeichnete, zu 
bem der Träger deſſelben aa umd faft ſtets auf ius außfautete, wie Fabius, Julius, Tullius. 
Da aber bie Geſchlechter in Familien (familiae) ſich fpalteten, trat zur unterfcheidenden Bezeich- 
nung biefer ein Familienname (cognomen) hinter ben Befchlechtenamen, wie Gicero, Cäſar, 
Scipio. Endlich kam für jeden Einzelnen ein vor den Geſchlechtsnamen tretender Vorname 
(praenomen) hinzu, ber in ber Schrift Häufig abgekürzt wurde, wie A. = Aulus, C. — Cajus, 
M. == Marcus, T.== Titus. In dem vollftändigen Namen Marcus Tullius Cicero ift alfo 
Marcus das praenomen, welches den Redner von feinem Bruder Quintus unterſcheidet, wäh. 
rend bad nomen Tullius fein Geſchlecht (gens) und das cognomen Cicero den beftimmten 
Zweig ober bie Familie des Geſchlechts angibt, zu ber er gehörte. Zumeilen tritt auch noch hinter 
ben Familiennamen ein vierter, ein Zu⸗ ober Beiname (agnomen), welcher durch berühmte 
Thaten, bucch Adoption oder durch anbere Umflänbe erworben wurde unb gewöhnlich auch ben 
Nachkommen blieb, wie Africanus oder Gunctator. Auch in mehrtheiliger Geſtalt erfcheint dies 
agnomen, wie bei P.(ublius) Cornelius Scipio Africanus Amilianus Minor, wo das erſte 
agnomen Africanus zugleich mit dem nomen Cornelius und bem cognomen Scipio vom 
Aboptivvater auf ben Adoptivfohn übergegangen war, während das zweite agnomen Amilia- 
nus bie Abftammung aus ber gens des leiblichen Vaters Cajus Amilius Paulus fefthielt, und 


das dritte agnomen Minor (der Jüngere) zur Unterfcheidung von dem Major (der Altere) des 


& 


Üboptivgroßvaters Yublius Cornelius Scipio Africanus Major diente. Feierlich beigelegt 
wurbe ben Knaben ihr Name am neunten, den Töchtern am achten Tage nach der Geburt, und 
war dem älteften Sohne gewöhnlich das praenomen des Vaters, während die Töchter in ber 
egel nur ben weiblich abgewanbelten Geſchlechtsnamen bes Vaters führten, ald Zullia, Livia, 
und, wenn ihrer mehre vorhanden waren, durch major und minor (ältere und füngere) oder durch 
prima, secunda, tertia u. f. w. (ältefte, zweite, dritte u.f. w.) unterfchieden wurden. Den Skla⸗ 
ven gebübrte die Benennung nach dem Vaterlande, wie Numibicus, oder nur ein einzelner 
Name, wie Ziro, dem bei der Freilaffung Vor⸗ und Geſchlechtsname bes Herrn zutraten, wie 
Marcus Tullius Tiro. — Die Kinder der Germanen wurden vor geladenen Zeugen gebabet, 
von dem angefehenften derfelben, gewöhnlich dem Mutterbruder oder Großvater, mit Waſſer 
übergoffen und dabei mit einem einzigen Namen belegt, den man gern von diefem Hauptzeugen 
ſelbſt entlehnte und der für den Freien und den Edeln wie für den Knecht ausreichte. Denn es 
gab zwar Gefchlechter der Merovinger, Agilolfinger u. f. w., aber der Einzelne führte den Ge⸗ 
ſchlechtsnamen nicht. Natürlich hatten, wie bei allen Urvölkern, biefe Namen fämmtlich eine all» 
gemein verftänbliche Bedeutung und bewegten fich in dem Kreife der nationalen Kieblingsan- 
ſchauungen. Vgl. W. Wadernagel, „Die german. Perfonennamen” (im „Schweizerifchen 
Mufeum“, Bd. 1, Frauenfeld 1837); Abel, „Die deutfchen Perſonenamen“ (Berl. 1852). 
Mit der Einführung des Chriftenthums ward ein einzelner Taufname üblich, zu Dem man theile 
bie althergebrachten heimifchen, theils biblifche und Lirchliche Benennungen verwandte. Fami⸗ 
liennamen kamen erſt im fpätern Mittelalter auf, zuerft bei dem Abel mit dem 12. und 15, 
Jahrh. nach den Stammfigen, ald Konrad von Wettin, Rudolf von Habsburg, dann bei dem 
Bürgerſtande feit bem 14. und allgemein üblich feit dem 16. Jahrh. Entnommen wurde die 
Bildung biefer Namen von ben verfchiedenften Veranlaffungen, als von ber Heimat, wie 
Schwabe, Baier, Haller, ober von der Befchäftigung, wie Müller, Schüge, Schmidt, oder von 
nerfonlihen Eigenfchaften, wie Langbein, Breitkopf, Kurz, Biedermann, Liebreich, wohin auch 
ertragımgen gerechnet werben können, wie Wolf, Hafe, Blume, Duft. Auch eine Mbleitung 
von andern gebräuchlichen Namen, bes Vaters, Pathen u. dgl., ward zum Gefchlechtenamen, 
entweder durch die lat. Benitivendung, wie Georgi, Fabri, Pauli, oder durch die beutfche Geni⸗ 
tivenbung, wie Hinrichs, Jacobs, oder durch angehängtes fon ober fen, wie Wilmfen, Mendeld- 
fohn, eine Form, deren in Deutfchland befonders häufig die Juben fich bedienten. — Ganz ent⸗ 
fprecdend verhält es fich mit den Namen ber übrigen german., roman. umb celtifchen Völker. 
Zur Ableitung vom Vaternamen bedienten fich die Rormannen des Wortes Fig (Filius), wie 
Fitzgerald, Figwilliam; bie Engländer eines angehängten fon, wie Johnſon; ebenfo bie Schwe⸗ 
den, wie Erikſon, und die Dänen, wie Martenfen; bie Schotten eines vorgefegten Mac, wie 
Macdonald, Macaulay; die Iren eines vorgefegten DO, wie D’Connel, O’Brim, unb bie Spa⸗ 
nier eines angehängten ez, wie Hernandez. Zur Anderung bes Familiennamens bebarf ed jegt 
der Benehmigung bes Randesheren. Vgl. Wiarda, „Über deutfche Bor- und Geſchlechtsnamen⸗ 
(Berl. 1800); Dolz, „Über die Taufnamen“ (Rpz. 1824) ; Fleiſcher, „Onomatologie, ober lat. 


Ramenlofe Geſellſchaft Ramnr 17 


Börterbuch unferer Taufnamen“ (Erl. 1824); Sulverte, „Essai historique et philosophique 
ır les noms d’hommes, de peuples etdelieux, consideres principalement dans leurs rap- 
orts avec la civilisation” (2 Bde., Var. 1824); Pott, „Die perfonlichen Eigennamen“ (Rp. 
853). — Bei den Arabern gibt es Vornamen, gewöhnlich gebildet von dem Vaternamen 
der auch einer Bezeichnung für eine Haupteigenfchaft des Benannten, mit vorgefegtem Abu 
.d.), wie Abu-Dfchafar, Abu⸗Bekr; Eigennamen wie Haffan, denen dann gewöhnlich des 
Jater6, Großvaters oder Urgroßvaterd Name mit zwiſchengeſchobenem Ebn oder Ben folgt, wie 
bn-Bina (Avicenna); Zunamen, von der Religion oder dem Hofe hergenommen, wie Salah- 
«din (Saladin); Beinamen, bezüglich auf Geburtd- oder Aufenthaltsort, Beichäftigung, 
xhusherrn, Stamm, Sekte u. dgl., von benen mehre nebeneinander vorkommen fönnen ; 
bende und tadelnde Spignamen, endlich Dichternamen, deren ſich nur die Dichter in ihren 
iedichten zu bedienen pflegen. 

Namenloſe Geſellſchaft oder anonyme Geſellſchaft wird bisweilen umd namentlich in 
tanfreich (Sociste anonyme), Stalien (Societa anonima), Spanien (Compania anönima) 
ıd den Niederlanden (Naamlooze vennootschap) die Actiengefellichaft genannt. (S. Han- 
Idgefelfgaft und Actie.) 

Namenstag heißt der Zag, ber im kirchlichen Kalender dem Heiligen geweiht ift, deffen 
damen man führt. In kath. Rändern wird diefer Tag gewöhnlich ftatt des Geburtstage gefeiert. 

Namur, eine von den neun Provinzen Belgiens, begrenzt im N. von Brabant, im ND. 
‚n Lüttich, im D. von Luremburg, in W. von Hennegau und im ©. von Frankreich, zählt auf 
34 QM. 274073 E. Der Boden ift theils eben, theils erhebt er fich zu ſtark bewaldeten Hü⸗ 
In, die man als Borberge der Ardennen anfehen kann, welche die Grenze der Provinz ftreifen, 
id iſt außerordentlich fruchtbar. Die Hauptflüffe find die Maas, die Sambre und die Keffe. 
ußer den Erzeugniſſen des Aderbaus und anfehnlicher Viehzucht ift die Provinz reich an Ei- 
%, Blei, Salmei, Schwefel, Alaun, Feuerſteinen, Schiefer - und Kalkſteinen, guter Thonerde, 
teinfohlen und Marmor, namentlic) in ber Gegend von Philippeville und bei Dinant. N. 
ar bereits im 10. Jahrh. eine felbftändige Sraffchaft, zufammengefegt aus Theilen der Graf 
jaften Lomme und Arnau. Unter Heinrich I., dem Blinden (geft. 1196), wurbe fie mit Luxem⸗ 
irg vereinigt. Dann ward fie wieder bavon getrennt und kam in den Befig zunächft des Hau⸗ 
6 Dennegau, bald darauf jedoch durch Heirat an Peter von Eourtenay, Kaifer von Konflan- 
nopel (geft. 1219). Des Legtern Sohn Balduin verkaufte die Grafichaft an Guy von Dam- 
ierre, Grafen von Flandern, 1261, deffen Erben fie bis 1420 innehatten, wo Graf Johann Ill. 
on R, der keine leiblichen Erben befaß, die fehr verfchuldete Grafſchaft an Philipp den Gütigen, 
jergog von Burgund, für 152000 Goldkronen verkaufte. Hierauf bildete fie eine der 17 Pro- 
mien ber Niederlande und theilte deren Schilfal. Nachdem Frankreich fhon im Nymweger 
nieden 1679 von diefer Brafichaft die Feftung Eharlemont nebft andern Ortfchaften fich zu- 
tignet hatte, bie es noch gegenwärtig befigt, Fam im Luneviller Frieden mit den übrigen Pro⸗ 
inzen die ganze Grafichaft ald Depart. Sambre⸗Maas unter franz. Herrfchaft. Seit 1814 
übete fie eine Provinz der Niederlande, zu welcher Theile von Lüttich, Kuremburg, Brabant und 
ſennegau gefchlagen wurden, und in dieſem Umfange ging fie 1831 an das neue Königreich 
zelgien über. Sie zerfällt in die drei Bezirke Namur, Dinant und Philippeville. — Die 
huptfladt Namur, vlämifch Ramen, am Einfluffe der Sanıbre in die Maas, eine ftarke Fe⸗ 
ung mit Gitadelle, der Sig eines Bifchofs, Hat 22620 E., einen Dom und 16 andere Kirchen, 
a theologiſches Seminar, ein königl. Achenäum, eine großartig angelegte, von Jefuiten geleitete 
niehimgsanftalt, eine Maleratademie, ein Confervatorium der Muſik, zwei Bibliotheken, ein 
wurbiftorifches Mufeum, eine Taubftummenanftalt, ein Irrenhaus und eine Strafanftalt für 
eibliche Verbrecher. Der Dom ober die St.-Albinusficche (Cathedrale de St.-Aubin) ift eine 
t fhönften neuern Kirchen Belgiens, eingeweiht 1772, und enthält das Grabmal des Don 
aan d’Auftria. Die von Sefuiten zu Anfange des 17. Jahrh. erbaute St.Lupuskirche ftrogt 
a Bergoldung und Pracht. In großem Rufe ftehen bie Arbeiten der Meſſerſchmiede; aufer- 
m gibt es fehr anfehnliche Ledergerbereien umd Fabriken in Meffing und andern Metallwaa- 
0. Die Stadt war fchon in frühefter Zeit befeftige und wurde 1691 von Coehoorn durch das 
xt Wilhelm verflärkt. Deffenungeachtet wurde fie 1692 von Ludwig XIV. und Vauban nad) 
hetägiger, das Kort nach 22tägiger und die von Coehoorn felbft vertheidigte Gitadelle nad 
Hägiger Belagerung eingenommen. Der Erbftatthalter Wilhelm III. eroberte 1695 die letz⸗ 
it, welche Bauban noch bedeutend verflärkt hatte, ſowie die Stadt, bie von 109 Mann un. 


Geanster. Zehnte Aufl. XI. 


18 Nancy Ranking (Stadt) 


tee dem Herzog Bouflers vertheidigt wurbe, nad) zehnmöchentlicher Belagerung. Seit 1701 
von den Franzofen befegt, wurde bie Stadt vergebens von ben Verbündeten befchoffen, 1715 
aber den Barriereplägen beigefellt und von den Holländern befegt. Im 3.1746 nahmen die 
Franzoſen unter dem Grafen Elermont die Stadt und das Fort ein, gaben aber beide 1748 im 
Aachener Frieden zurüd, worauf Sofeph II. 1784 die Werke fchleifen ließ, was 1794 auch mit 
der von den Franzoſen eroberten Sitabelle gefchah. Seitdem wieber befeftigt, wurde fie 1815 
von den Franzoſen beim Rückzuge nach der Schlacht bei Belle-Alfiance befegt, von dem von 
Wavre fich zurüdziehenden Corps des Generals Vandamme gegen bad zweite preuf. Armee- 
corps unter dem General Pirch tapfer vertheibigt und erft nach dem freimilligen Abzuge ber 
Franzoſen den Nieberländern eingeräumt. und durch fie feit 1816 ftärker befeftigt. Für die Aus- 
fuhr der reichen Aderbaus, Fabrik. und Mineralerzeugniffe leiften die Eifenbahnen nach Lüttich 
und Brüffel, ſowie die Schiffahrt auf der Maas und Sambre die erheblichften Dienfte. 

Nancy, Hauptftadt des franz. Depart. Meurtye mit 40600 E., an ber ſchiffbaren Meurthe, 
‚in einer angenehmen Ebene, mit Strasburg und Paris durch die öftliche. Eifenbahn, ſowie 
mit Meg durch eine Zweigbahn verbunden, zerfällt in die unregelmäßig gebaute und finftere 
Altſtadt und in die Neuftadt, eine der fehonften Städte, von regelmäßiger Anlage, mit 
prachtvollen Gebäuden, [hönen Plägen und reizenden Spaziergängen. Beſonders zeichnet ſich 
der Königsplag oder Ra Place Earriere mit der Zriumphpforte aus. Merkwürdig find die 
Hauptkirche und das alte Schloß mit der Begräbnißkapelle der Herzoge von Lothringen, wo 
auch Karl ber Kühne begraben wurde. N. ift der Sig eines Bifchofs, eines Appellationshofs, 
eines Sanbelögerichts, einer Gewerbefammer, einer Univerfität und Akademie, einer Gefell- 
(haft der Wiffenfchaften und Künfte und einer Centralackerbaugeſellſchaft und hat ein Lyceum, 
eine Forſtſchule, eine bedeutende öffentliche Bibliothek mit 50000 Bänden, ein Mufeum, einen 
botanifhen Garten und eine Gemäldegalerie. St.-Charled zu N. ift das Mutterhaus des Or- 
dene der Barmherzigen Echweftern, ber 1652 hier gefliftet wurde. Won den alten Feftungs- 
werten ift nur noch die Citadelle übrig. Die Fabriken liefern hauptſächlich Wachslichter, Li⸗ 
queure, wollene und baummollene Zeuge, Strümpfe, Spigen, Blonden, Leder und gemalte Pa- 
piere. Der Handel, begünftigt durch die Eifenbahnen und den Marne-Rheinkanal, ift fehr an- 
fehnlich und zwar außer ben Erzeugniffen des vielfeitigen und lebhaften Gemwerbebetriebs befon- 
ders auch mit Getreide und Wolle. Die Stadt war feit der Mitte des 12. Jahrh. bie Reſidenz 
der Herzoge von Lothringen bis 1766, mo fie nach bem Tode des legten Herzogs, des Exkönigs 
von Polen, Staniflam Leſzezynſki, mit ganz Lothringen an Frankreich kam. 

Nangaſaki, eine bedeutende Handelsftadt des japan. Reichs, auf der Infel Kiufiu, mit einem 
Seehafen in der Mitte der Durch zwei Vorgebirge gebildeten Bai Kiufiu, ift von hohen Bergen 
umgeben, nach ber Seefeite befeftigt, nach der Landſeite aber offen und hat gegen 70000 €. 
Die innere Stadt befteht aus engen, winkeligen und unebenen Gaſſen und zählt 62 Tempel, 
unter denen der Sumatempel ber berühmtefte ift. Ebenfo find die umliegenden Hügel mit zahl⸗ 
reihen Tempeln bededt, die einen malerifhen Anbli gewähren. Der Dafen ift der einzige 
japan. Hafen, der den Fremden, d. h. den Chineſen, Koreanern und Holländern, geöffnet ift. 
Chineſen und Holländer haben in N. befondere Factoreien, die Erftern auf Jakujin, am füdlichen 
Ende der Stadt, die Letztern auf bem durch eine Brücke mit dem Rande verbundenen Infelchen 
Defima, wo fie völlig wie Gefangene gehalten werben. Der Handel der Holländer ift außerdem 
auf eine beftimmte Anzahl Schiffe und eine gewiffe Duantität Waaren befchränkt, unterliegt 
den drüdtendften Formlichkeiten und Einfchräntungen unb befteht Hauptfächlich in der Ausfuhr 
von Kupfer und Kampher. Die Chinefen und Koreaner haben etwas größere Freiheiten, Dürfen 
fich jedoch auch nur in den Vorflädten aufhalten. 

Nänie (naenia oder nenia) nannten die Römer ein Trauerlied oder einen Klaggefang, ber» 
gleichen gemöhnlich bei Begräbniffen von Weibern, die Dazu gebungen waren und praeficae 
hießen, unter dem heftigften Weinen abgefungen wurden. Da biefe Lieder von ben Weibern 
meift ſelbſt verfertigt wurden, fo waren fie in der Regel ganz ſinnlos, und daher fam es, daf 
man das Wort Nänie oft für jedes ungereimte und gehaltlofe Lied oder für einen weinerlichen, 
klagenden Geſang überhaupt gebrauchte. — Auch war Raͤnie der Name ber Klagegöttin ſelbſt, 
welche bei bem Begräbniffe der Greife angerufen wurde und nach Feſtus außerhalb ber Stadt 
Nom vor bem viminalifchen Thore eine Kapelle hatte. 

Nanking, d. 9. [übliche Nefidenz, im Gegenfag zu Peking (f. d.), d. h. nördliche Nefidenz, 
eigentlich Kiang-ning (Stromesruhe) genannt, die Hauptftadt der chinef. Provinz Kiang-fu, 
am füblichen Ufer bes Kiang, nicht weit von der Mündung biefes Fluſſes, war bie 1405, wo 


Ranking (Zeug) Rantes 19 


Peking dazu erwählt wurde, die Refidenz der chinef. Kaifer. Ungeachtet ein Drittheil der unge: 
beuer großen Stadt in Ruinen liegt und fie überhaupt in Vergleich mit Peking verodet zu nen: 
nen ift, fo fol fie doch noch über eine halbe Mil. Einw. haben, die durch Cultur und Bildung 
fich auszeichnen. Überhaupt gie N. als der Sig ber chineſ. Gelehrſamkeit und Bildung, und be: 
deutender als in irgend einer andern chinef. Stadt ift die Zahl der hier befindlichen Gelehrten, 
Bibliotheken und wiffenfchaftlichen Anſtalten. Sie hat Fabriken in allen chinef. Artikeln und 
überhaupt noch ziemlich lebhafte Gewerbe und Handel. Das merfwürdigfte Gebäude ift der 
sum Zempel ber Erkenntlichkeit gehörige, 200 3. hohe, achtedige, von Badteinen erbaute, mit 
Porzellan überBleibete umd mit Tauſenden von Schellen behangene Porzellanthurm. Jedes der 
neun Stockwerke beffelben umgibt eine Galerie, die mit Gögenbildern und Gemälden ausges 
ſchmückt if. Die Materialien biefes ſchönen Gebaubes find fo miteinander verbunden, daß es 
aus einem Stücke gearbeitet fcheint. Ehemals gehörten auch die kaiſerl. Gräber, welche bei bem 
Ginfalle ber Mandſchu zerftört wurden, zu ben Herrlichkeiten der Stadt. Die aus der Mongo- 
lenherrſchaft ſtammenden Inftrumente des berühmten Obfervatoriums wurden während der 
Regierung Kanghi's nach Peking gebracht. Diefe Inftrumente, welche die Bewunderung der 
Miffionare erregten, find aber nicht von Chinefen, fondern von mohammedan. Aftronomen und 
Künftlern des Weften verfertigt worden. In der Umgebung ber Stadt findet man in Fülle die 
gelbliche Gattung von Baumwolle, von welcher der bekannte Stoff Nanking (f.d.) verfertigt 
wird. Die Staude ift keineswegs von denen der übrigen Baumwolle verfchieden, fondern fie er- 
bält 6108 ihre eigenthümliche Farbe von der befondern Natur des Bodens. Nicht minder wich 
tig ifl Hier die Zongpflange. Sie dient ald Arzneimittel, und aus der leichten Rinde ber Pflanze 
fertigt man Kopflifien und Schuhfohlen. Das weiche fammetartige Mark ber Pflanze aber wird 
in Streifen gefchnitten, die man bei und gemeinhin Reißpapier nennt und auf welhen in China 
in außerordentlicder Farbenpracht Blumen und Früchte, Pflanzen, Thiere und Menfchen bar- 
geftellt werben. Zu N. mußten die Chinefen mit den Engländern 26. Aug. 1842 den welthi- 
forifchen Frieden eingehen, welcher die Herrfchaft der Mandſchu erfchütterte und China zum 
erften male im Berlaufe der Gefchichte in die Weltbewegung gezogen hat. 

Nanking heißt ein fehr dichtes und feftes, leinwandartig gewebtes glatte6 Baummollenzeug, 
von fahler oder röthlich-gelber Barbe, welche bei dem chineſ. und oftind. Nanking durch die na- 
türliche Farbe der Baumwolle, bei dem europäifchen durch Färben des Garns erzeugt if. Man 
bat auch geföperte, ftet im Garne gefärbte gleichfarbige, geftreifte und melirte Nankings. 
Nankinet ift etwas feiner als Nanking, aber ebenfo dicht und von verfchiedenen Farben. 

Nannini (Ugnolo, eigentlich Biovannini), gewöhnlich Firenzuola genammt, wie fi auch 
fein Bater Baftiano nach dem Stanımorte der Familie nannte, war 28. Sept. 1495 zu Flo⸗ 
tenz geboren und fludirte zu Siena und Perugia. Später begab er fi) nach Ron, mo er in den 
Drden von Ballombrofa getreten fein fol, was aber Tiraboschi nicht wahrfcheinlich findet, und 
nachher bie beiden Ahteien von Sta.-Maria di Spoleti und San-Ealvador bi Vajano erhielt. 
Mit Pietro Aretino (f. d.) befreundet, theilte er deffen leichtes und Tuftiges Leben. Wie Are- 
tino erwarb er ſich großen Ruf als Schriftfteller, fowol in Verfen ald in Profa, im burleöten 
und fatirifchen, wie im ernften moralifchen Fache, ald Novellift und als Dramatiker ; die Cruſca 
zählt ihn unter die Glaffiter und führt ihn häufig an. Seine Werke, darumter zwei Zuftfpiele, 
eine ber Zeit angepaßte, freie Bearbeitung des „Goldenen Efel” von Apulejus, „Discorsi degli 
animali” und acht Novellen nach dem Mufter des „Decamerone”, erſchienen erſt [pät vollftän- 
dig gefanımelt (3 Bde. 1763). Die Zeit feines Todes ift nicht ganz gewiß; 1548 war er feit 
wehren Jahren verftorben. 

Rantes, die Hauptſtadt des franz. Depart. Nieder⸗Loire und Sechafen erſter Claſſe, in einer 
ihönen Gegend der ehemaligen Ober-Bretagne, am rechten Ufer der Loire, LOM. von der Mün⸗ 
dung dieſes Fluſſes, hat fünf Vorftädte, welche die Stadt an Umfang und Schönheit übertreffen, 
zin feſtes Schloß zur Beichügung des Hafens, 33 öffentliche Pläge, 17 Kirchen, darunter ber 
Dom zu &t.-Ricolas, der durch feine Glasmalereien fehr berühmt ift, viele ausgezeichnete Ge⸗ 
bäude und 87000 E. Sie ift der Sig eines Bifchofs, eines Tribunals erfter Inftanz, einer 
Riftärdivifion, einer Handelskammer und eines Handelsgerichts; auch hat fie ein Lyceum, eine 
Schiffahrts ſchule mit Sternwarte, eine öffentliche Bibliothek, eine Gemäldefammlung, ein Mu- 
ſeum einen botanifchen Garten, eine Börfe und eine afade iſche Geſellſchaft. Bedeutend ſind 
die Baummollen«, Zucker⸗, Steingut- und alle auf den Ser del und die Schiffahrt bezüglichen 
Fabriken, ſowie ber Schiff und Dampfmaſchinenbau. —58 ſind Handel und Schiffahrt 
| 


2‘ 


20 Naphtali Napier (Sir Charles) 


gegen früher, WEN. der Hauptausrüfteplag der Sklavenhändler war und deshalb den bedeu⸗ 
tendften Handel mit Weſtindien trieb, fehr geſunken; doch find, nächſt dem Handel mit Landes- 
und Gewerbserzeugniffen, der Speditiond- und Zwifchenhandel mit bem innern und dem füd- 
lichen Sranfreich und noch immer der Seehandel nach Weftindien und Afrika, fowie die Fiſche⸗ 
reien auf Sardellen, Walfiſche und Kabeljaus (bei Neufundland) fehr wichtig. Der Seehandel 
beſchäftigt 200 Schiffe längerer Fahrt. Jahrlich Taufen in den Hafen von N. gegen 2000 
Schiffe aller Größen ein ; da nur Beine Seefchiffe bis vor N. felbft auf der Loire kommen kön⸗ 
nen, fo find die Städtchen Nazaire und Paimboeuf an der Mündung der Loire als der eigent- 


liche Hafen von N. zu betrachten, mo die größern Schiffe landen und die Waaren abgeladen und 


auf Fleinern Schiffen nach N. gebracht werben. N., die alte Civitas Namnetum, war im Mittel- 
alter die Refidenz der Grafen und Herzoge ber Bretagne; Heinrich IV. gab hier 1598 dab be- 
rühmte, von Ludwig XIV. 4685 widerrufene Ediet von Nantes, welches den Neformirten die 
freie Ausübung ihrer Religion geftattete. In der Zeit der Revolution wurbe die Stadt überaus 
hart heimgefucht theild durch ben bis unter ihre Thore geführten Krieg der Vendee, theild 
durch das furchtbare Wüthen Carrier's (f. d.), teils durch die Unterbrechung des Handels. 
Naphtali, der fiebente Sohn Jakob's und ber Bilha und Stammmvater eines ber zwölf 
iſrael. Stämme, der bei der Zählung vor dem Einzuge in Kanaan 45000 waffenfähige Männer 
ſtark war. Das Gebiet dieſes Stamms lag in Nordpaläftina, öftlich vom Jordan, nördlich vom 
Antilibanus begrenzt, und gehörte zu den fruchtbarften Landſtrichen Paläftinas. An den patrio 
tifchen Kämpfen ber Sfraeliten gegen die Banaanitifchen Ureinwohner zur Zeit der Richter nah. 
men bie Naphtaliten ben Iebhafteften Antheil; bei der Trennung des ifrael. Staats fielen fie an 
das Meich Sfrael und wurden unter dem Könige Pekah durch die Aſſyrer ind Eril geführt (um 
740 v. Chr.). Aus diefem Stamme gingen der Held Barak und Tobias (f. d.) hervor. 
Naphtha iſt der fonft auch auf die zufammengefegten Atherarten, wie Eſſigäther, Butter- 
äther, und noch gegenwärtig zuweilen auf das der natürlichen Naphtha ganz ähnliche rectificirte 
DI des Steinkohlentheers übertragene Name bes farblofen ober wenig gefärbten Erdöls (f. d.) 
oder Steinöls, welches an einigen Orten ber Erbe, beſonders bei Baku in ber Nahe des Kaspi- 
ſchen Meers, zu Amiano unweit Parma, zu Salies in den Pyrenden, zu Tegernfee in Baiern, 
an mehren Orten in den Vereinigten Staaten u. f. w, mit Waffer zugleich hervorquillt. Die 
Naphtha unterfcheidet fich nur durch größere Reinheit von dem braunen Exrböl oder Steinöl und 
hängt, wie alle bituminöfen Körper, ihrer Entftehung nach mitden Steintohlen (ſ. d.) zufammen. 
Napier (Sir Charles), brit. Viceadmiral, geb. 6. März 1786 zu Falkirk, nahm, nach 
dem erzeitig in den brit. Seebienft getreten war, an mehren Seezügen gegen die Franzoſen 
Theil, wurde 1809 Flottencapitän und eroberte in dbemfelben Jahre das Fort Eduard auf 
Martinique. Im J. 1810 machte er ald Freiwilliger den Feldzug der Engländer auf der 


. Dorenäifchen Halbinfel mit, wo er fi in mehren Gefechten auszeichnet. Noch größern 


Ruhm erwarb er fich aber in dem Kriegszůge, den die Engländer im Gept. bis Nov. 1811 von 
Sicilien aus gegen die neapolit. Küften unternahmen, durch die Eroberung ber Infel Ponza bei 
Gaeta, weshalb er auch von bem Könige beider Sicilien Ferdinand zum Cavaliere be Ponza er- 
nannt wurde. Später mehrmals als Parlamentsmitglied ins Unterhaus gewählt, gehörte er 
dort zur Partei der Whigs. Zulegt befehligte er mehre Jahre lang bie Fregatte Galatea, auf 
der er fich durch feine Verfuche, das Schiff durch Ruderräber zu bewegen, bemerklich machte, 
fowie er bald darauf auch einer der erften Beförderer der Dampffchiffahrt war. Im J. 1832 
gab er fein Commando auf und trat ald Admiral in die Dienfte Dom Pebro’s, in welcher Stel⸗ 
fung er ſich durch feine wirkfame Thätigfeit zu Gunften der Einfegung der Königin Donna 
Maria in Portugal, insbefondere aber durch feinen Seefieg beim Vorgebirge St.-Vincent aus« 
zeichnete und deshalb von Dom Pedro zum Visconde do Cabo de San-Vincente ernannt wurde. 
Nach Vertreibung Dom Miguel's aus Portugal ging er wieder nach England zurüd, mo er, 
von ben Tories angefeindet, auf Halbfold lebte. Erſt nach der Thronbefteigung ber Königin 
Victoria, die ihn 1840 zum Ritter ernannte, trat er wieder in activen Seedienft. Er nahm in 
gedachtem Jahre ald Commodore unter Admiral Stopford's Oberbefehl den wefentlichiten 
Antheil an dem Kriegszuge gegen Mehemed⸗Ali und Ibrahim-Pafcha an ber Küfte Syriens 
und ſchloß bald darauf den Vertrag mit dem Erſtern. Diefe Ereigniffe beſchrieb er ſelbſt in dem 
Werke „The war in Syria” (2 Bde., Lond. 1842). Nach England zurückgekehrt, wurde er da» 
felbft wieder ind Parlement gewählt, wo er fi) als confequenten Whig bewährte und durch ſei⸗ 
nen Eifer für Hebung ber brit. Seemacht bemerklich machte. Bei ber derben Offenheit und rüd- 
fichtsloſen Geradheit feines Charakters uͤberwarf er fich jeboch bald mit feiner Partei und murde 


Papier (Sir Charles James) 21 


baher, obwol 1846 zum Sontreabniiral befördert, überall zurückgeſetzt und auch bei den Wahlen 
von 1847 in feiner Bewerbung um einen neuen Parlamentefig nicht unterftügt. Er rächte ſich 
durch eine Reihe von Briefen an die „Tiines“, in welchen er bie Misbräuche in ber Verwaltung 
der engl. Marine aufdeckte und welche von feinem Better, dem General Willianı Napier, ger 
fammelt wurden („The navy, ils past and present state”, Xond. 1851). Als ihm auch der 
Admiral Dundas in dem Commando ber mittelländifchen Flotte vorgezogen wurde, richtete er 
an offenes Sendfchreiben an Lord John Nuffell, welches großes Auffehen erregte und dazu bei» 
trug, das Whigcabinet in ber öffentlichen Meinung zu Grunde zu richten. Im Mai 1855 avan- 
arte er durch Anciennetät zum Viceadmiral der Blauen Flagge. 

Kapier (Sir Charles James), ber Eroberer von Sind, ein Enkel des fechöten Lord N., 
geb. 10. Aug. 1782 in London, trat im 12.9. in Militärdienfte, nahm 1798 und 1803 an den 
Operationen gegen bie irifchen Infurgenten Theil und wurde 1804 Major im 50. Infanterie 
tegiment Im Kriege auf der Porenäifchen Halbinfel zeichnete er ſich durch unvergleichliche Ta⸗ 
pferfeit aus; doch hatte er dabei viel Unglück, wie er denn in der Schlacht von Coruña im Ein- 
zelntampf mit mehren Franzoſen fünf gefährliche Wunden empfing und in der Schlacht von 
Bufaco mit zerfchmetterter Kinnlade vom Schlachtfelde getragen wurde. Im J. 1812 zum 
Oberfilieutenant aufgerüdt, focht er am Chefapenfe gegen die Amerikaner. Um von der 
Schlacht bei Waterloo Zeuge zu fein, eilte er nach Europa zurüd, Fam aber zu fpät. Doch be» 
gleitete er die engl. Armee nach Paris und that fich beim Sturme von Cambray hervor. Nach 
dem Frieden warb er Oberft und 1824 Gouverneur von Cephalonia, mo er fih um Hebung ber 
Infel in allen Zroeigen menfchlicher Cultur die größten Verdienfte erwarb, durch diefe Verbeffe- 
rungsplane aber dem a eabercommiler der Jonifchen Infeln, Abam, ſich unbequem machte, 
weshalb man ihn feiner Stelle enthob. Während des Freiheitskriegs der Griechen intereffirte er 
fich aufs lebhafteſte für Diefelben und entwarf einen Plan zu ihrer Befreiung, dem Lord Byron. 
ben höchſten Beifall ertheilte. Da das londoner Yhilhellenencomite aber nicht darauf einging, 
fo konnte R. nicht zu beffen Ausführung fchreiten und war nun genöthigt, mehre Jahre zurüd- 
gezogen von militärifcher Thatigkeit zu leben. Während diefer Zeit widmete er ſich literari- 
(hen Beichäftigungen. Erſt 1837 murde er zum Generalmajor befördert und ihm 1839 
ber Militärbefehl in den nördlichen Grafſchaften Englands anvertraut. Im Herbft 1841 ging er 
als Chef bes Zruppencorps in der Praͤſidentſchaft Bombay nad) Oftindien. Dort angekom⸗ 
men, legte er bem neuen Generalgouverneur, Lord Ellenborough, einen Plan vor, die Unglücks⸗ 
fälle in Afghaniftan wieder gut zu machen, ber deffen Beiftimmung fand. Bald darauf erhielt 
er ben Oberbefehl über die Armee in Sind und Beludfehiften. Hier war es, mo er trog alles 
perfönliden Misgefchids neue Lorbern errang, indem er durch die glänzenden Giege bei 
Deanee 17. Sept. und Hyderabad 24. März 1843 die Macht der Emire von Sind vernidy- 
tete, die Beludfchen zähmte und durch den Feldzug gegen die Bergflämme am rechten Indus- 
ufer 1845 Die Unterwerfung des Landes vollendete. Sein rafches, energifches Verfahren wurde 
zwar von der Regierung, bie ihm das Großkreuz bed Bathorbens verlieh, aber nicht von der 
Oſtindiſchen Compagnie gebilligt, die ihre ohnehin zu weitläufigen Befigungen ungern noch 
weiter ausgedehnt fah, und im Det. 1847 warb N. abberufen. Die Schlappen, welche das 
engl.-ind. Heer im zweiten Kriege gegen die Sikhs erlitt, nöthigte den Directorenchef, ber Stimme 
des Yublicums und dem Rathe Wellivgton's nachzugeben und den bewährten Feldherrn an die 
Gpige der fämmtlichen Streitkräfte zu ftellen. Am 24. März 1849 fchiffte fich N. zum zwei⸗ 
ten male nad) Oftindien ein; bei feiner Ankunft fand er jedoch ben Krieg ſchon beendet, und es 
blieb ihm nichts übrig, als firenge Mafregeln zur Neform der in der Armee eingeriffenen Mis- 
bräuche zu treffen, wozu er 15. Dec. 1849 durch einen vielbefprochenen charakteriftifchen Ta⸗ 
gesbefehl den Anfang machte. Im 3. 1851 kehrte er nad) England zurüd, wo er feitbem eine 
neue Ausgabe feiner nad) U. de Vigny bearbeiteten „Lighls and shades of military life’ (Lond. 
1851) und auf Anlaß der nach dem 2. Dec. von England ergriffenen Vorfihtsmaßregeln 
einen „Letter on the defence of England by corps of volunteers and militia” (Lond. 1852; 
beutfch, Braunſchw. 1852) erfcheinen lief. Er farb 29. Aug. 1853 zu Oaklands bei Porte- 
mouth. — Sein Bruder, der Generallieutenant Sir George Thomas R., geb. 30. Juni 
1784, war Adjutant des Generals Moore in der Schlacht von Goruita und 1858 —44 Gou- 
verneur bes Caplandes, wo er die unruhigen Kaffern theils durch Gewalt, theils durch friebliche 
Mittel nicht ohne Erfolg zu bändigen fuchte. Ein dritter Bruder, Str William Francis Pa. 
ti M., geb. 17. Dec. 1785, widmete ſich ebenfalls dem Kriegerftande und kämpfte mit Aus- 
richnung in den fpan.-franz. Beldzügen, in welchen er ſchwere Wunden davontrug. Nach ge» 


22 Napier (Zohn) Napoleon J. ( Kaiſer der Franzoſen) 


ſchloſſenem Frieden fegte er ſich die Aufgabe, Die Geſchichte des ſoeben beendigten glorreichen 
Kriegs zu ſchreiben, und gab in feiner „History of the war in the Peninsula and in the south 
of France” (6 Bbe., Zond. 1828— 40; neue Aufl., 1855) ein Werk, das nicht nur für die 
Kriegsmwiffenfchaft von hoher Wichtigkeit ift, fondern fich auch durch markigen Stil und ımabhän- 
giges Urtheil empfiehlt. Als Apologie feines Brubers fehrieb er au) „The conquest ofScinde, 
with some introductory passages in the life of general Sir Charles N.” (Xonb. 1845) und 
„History of general Sir Charles N.’s administration of Scinde” (Lond. 1852). Er ift jegt 
General, Chef eines Infanterieregiments und feit April 1848 Commandeur bes Bathorbens. 

Papier (Sohn), auch Neper genannt, ein berühmter Mathematiker, geb. 1550, war ber 
ältefte Sohn des fchott. Barons Archibald von Merchiſton. Nachdem er in St.Andrews feine 
Studien vollendet und Frankreich, Italien und Deutfchland bereift hatte, wählte er in feiner ge- 
Iehrten Muße die Mathematik zu feinem Hauptſtudium. Am berühmteften machte er fich durch 
bie Entdeddung ber Logarithmen, auf welche er durch bie Bemühungen, eine kürzere Methode 

zur Berechnung ber Dreiede zu finden, geführt wurbe. Auch ift er bekannt als Erfinder der 
Neper'ſchen Nechenſtäbchen, welche die Vielfachen ber einzelnen Ziffern bis zum Neunfachen 
- enthalten und mitteld deren man auf eine leichte Art multipliciren und dividiren fann. Ein Er- 
gebniß feiner eifrigen Befchäftigung mit der Offenbarung Johannis war fein „Commentarius 
in apocalypsin” (Edinb. 1593; Lond. 1614 und öfter). Kepler wibmete ihm feine „Epheme- 

rides”. Er ftarb auf feiner Baronie zu Merdifton 3. April 1617. Seine Hauptwerke find bie 
„Mirifici logarithmorum canonis descriptio” (Edinb. 1614; vermehrt 1618) und „Rhabdo- 

logia, seu numerationis per virgulas libri duo” (Edinb. 1617 und öfter). Vgl. M. Napier, 

„Memoirs of John N. of Merchiston, his lineage, life and limes, with a history of the inven- 

tion of Jogarithms” (Xond. 1834), der auch ein hinterlaffenes Werk deffelben, „De arte logi- 

stica” (Lond. 1842), veröffentlichte. — Sein ältefter Sohn, Archibald N., ein gelehrter Ju⸗ 
eift, wurde 1622 Lord justice clerk am f&ott. Obergericht und 1627 zum Lord N. von Mer- 
chiſton erhoben. Er ftarb 1645. Francis Scott, der Sohn feiner Urenkelin Elifabeth, folgte 
4706 feiner Tante in ber Pairie und nannte ſich ſeitdem Napier. — Napier (William John, 
neunter Lord), geb. 13. Oct. 1786, war brit. Marinecapitän und einer ber Nepraͤſentativpeers für 
Schottland. Er ift befannt durch die unglüdliche Rolle, bie er ald Oberaufſeher bes engl. Han⸗ 
dels in Kanton fpielte und die feinen Tod 11. Det. 1834 zu Macao berbeiführte. — Napier 
(Francis, zehnter Kord), Sohn bes Vorigen, geb. 15.Sept. 1819, betrat bie diplomatifche Lauf⸗ 
bahn, ward Attache bei ber Geſandtſchaft in Konflantinopel und im Mai 1846 Legations ſecretär 

in Neapel. Während bes Nevolutionsjahrs 1848 fungirte er eine Zeit lang ale Geſchäftsträger, 

fuchte aber ohne Erfolg eine Verftändigung zwiſchen ber Regierung und den ficilifchen Infurgen- 

ten zu vermitteln. Im 3. 1852 ging er ald Gefandtfchaftsfecretär nach Petersburg. — Rapter 
(Macvey),geb. 1777 aus einer Seitenlinie derfelben Familie, wurde 1799 Sachwalter, dann Re⸗ 
giftrator bes fchott. Court of session und 1825 Profeffor des Übertragungsrecht# an ber Uni« 

verfität Edinburg. Nachdem er mit „Remarks illustrative of the scope and influence of Lord 

Bacon’s writings” (Edinb. 1818) hervorgetreten, übernahm er bie Rebaction des Supplements 

zur „Encyclopaedia Britannica”, welches 1824 in ſechs Bänden erfchien, worauf ihm die Lei⸗ 

tung der fiebenten Auflage diefes großartigen Werks anvertraut wurde, das er 1842 mit dem 

21. Bande zu Ende brachte. Seit 1829 war er auch an Seffrey’s Stelle Nedacteur des „Edin- 

burgh review”. Er ftarb zu Edinburg 11. Febr. 1847. — Ein Abkömmling der fchott. Na- 

piers von Merchifton ift ferner der ausgezeichnete irifche Nechtögelehrte Joſeph M., geb. 1804 

zu Belfaft, feit 1848 Abgeordneter der Univerfität Dublin im Unterhaufe und vom Febr. 1852 

bis San. 1853 Generalanwalt für Irland im Minifterium Derby. 

Napoleon 1., Kaifer ber Franzofen, murbe 15. Aug. 1769 zu Ajaccio auf ber Infel Cor⸗ 
fica geboren. Er war ber zweite Sohn bes Carlo Bonaparte (ſ. d.), eines Patriciers der Infel, 
und der Lätitia, aus dem Haufe Ramolini. Sein Bater, ein fähiger, gebildeter Mann, ber 
Freund Paoli's (f. d.), nahm an ben Freiheitöfämpfen der Eorficaner gegen die Genueſer und 
Sranzofen lebhaften Antheil, und die Mutter, eine Frau von feltener Schönheit und Eharatter- 
ftärke, begleitete gewöhnlich ihren Gemahl auf den Kriegszügen zu Pferde. Diefelbe hatte auch 
ben Iegten Kämpfen 1769, welche Gorfica unter franz. [haft brachten, beigewohnt, als fie 
zwei Monate nach der Heimkehr von ihrer Niebertunft überrafcht wurde. Der junge N. erhielt 
die einfache, abhärtende Erziehung, die in feinem Vaterlande üblich war. Er äußerte viel Leb⸗ 
baftigkeit des Geiſtes, unermübliche Gefchäftigkeit und jene Empfindlichkeit, die frühreifen, 
nachdenklichen Kindern eigen ift. Durch Protection bes franz. Gouverneurs, Grafen von Mar- 


Napoleon I. (Kalſer ber Franzoſen) 3 


boeuf, erhielt Garlo Bonaparte, ber in feinem Vermögen durch Krieg und Aufwand herabge⸗ 
fommen, für feinen vielderfprechenben zweiten Sohn eine koönigl. Freiftelle in der Militärfchufe 
zu Brienne. Der zehnjährige R. trat 23. April 4779 freudig in diefe Anftalt und erregte bald 
durch verzehrenden Lerneifer, aber auch durch Bartnädigkeit und Leibenfchaftlichkeit Die Auf- 
merkſamkeit feiner Lehrer. In Purzer Zeit galt er ald der beſte Mathematiker ber Schule, und 
mit Eifer verfchlang er bie Werke der Gefchichte, befonders bie Lebensbefchreibungen Plutarch's. 
Dagegen blieb er im Schonwiffenfchaftlichen, in Grammatik und Katein zurück. Zrog feiner 
Jugend und einfeitigen Ausbildung erhielt er 1784 einen Plag in der Militärfchule zu Paris, 
wo ex in tieffter Zurüdgezogenheit bie militärifchen Studien fortfegte. Schon damals urtheilte 
über ihn einer feiner Lehrer: „Gorfe von Geburt und Charakter ; er wird's weit bringen, wenn 
ihn die Umflände begünftigen.” Nach einer glänzenden Prüfung trat er 1. Sept. 1785 ale 
Sous lieutenant in das Regiment Lafere und ein Jahr fpäter als Premierlieutenant in das vierte 
Artillerieregiment, welches theilmweife zu Valence in Garniſon lag. Die Muße, welche ihm Hier 
ber Dienft übrig ließ, verwendete er mit Eifer zu tieferer wiffenfchaftlicher Ausbildung. Auch 
betrat er die fchriftftelerifche Laufbahn und entfaltete hierbei ſchon jene lakoniſche, energievolle, 
nicht felten an bie Ausdrucksweiſe des Orients erinnernde Beredtſamkeit, die fpäter in den 
Acten feines öffentlichen Lebens fo wirkſam mar. Er begann eine Geſchichte Corſicas, zu deren 
ortjegung ihn der berühmte Reynal aufmunterte, und gewann 1786 ben Preis in ber von der 
Akademie zu yon geftellten Frage: „Welche Grundfäge und Verfaffungen foll man den Men⸗ 
[chen einprägen, um diefelben fo glücklich al6 möglich zu machen?” Au derſelben Zeit aber, wo 
er ſich in philanthropifche De ergoß, antwortete er einer Dame, welche Turenne 
wegen ber Berwüflung ber Pfalz tabelte: „Nun, mas liegt daran, wenn diefer Brand für feine 
Entwürfe nothwendig war ?’ " 

N. zählte 20 J. als in Frankreich die revolutionären Erfchütterungen begannen. Aufgewach⸗ 
fen in ben Freiheitöbeftrebungen feiner heimatlichen Infel, brennend vor Verlangen, feinen Kräf- 
ten eine Bahn nach außen zu brechen, gab er ſich mit Begeifterung und Berechnung zugleich 
ber politiſchen Bährung hin. Als Pfand feiner Gefinnung veröffentlichte er 1790 zu Auxonne, 
wo er in Garniſon lag, einen Brief gegen den corficanifchen Deputirten Buttafuoco, in welchem 
er benfelben als Verrather Frankreicht und Eorficas bloßftellte. Um biefe Zeit kam Paoli aus 
England nad) Frankreich und wurde zum Obergeneral in Eorfica ernannt. N. nahm 1791 Ur 
laub und folgte bem gefeierten Manne, mit bem er fortwährend im Briefmechfel geftanden, in 
bie Heimat. Dan übertrug ihm auf der Infel vorübergehend den Befehl über ein Bataillon 
Demokraten, an deſſen Spige er ber ariftofratifch gefinnten Narionalgarbe von Ajaccio mehre 
Gefechte lieferte. Am 6. Febr. 1792 ftieg er dem Dienflafter nad} zum Xrtilleriecapitän. Gleich⸗ 
zeitig kehrte er nad) Paris zurück, um fich von ber falfchen Beſchuldigung zu reinigen, als habe 
er bie Parteikämpfe Hervorgetufen. Nachdem er in ber Hauptfladt Zeuge von dem Umfturze 
bes Throns geweſen, eilte er in großer Aufregung zum Schuge feiner Familie nochmals nad) 
Sorfica. Anfang 1793 erhielt er hier den Auftrag, die franz. Erpebition nach der ſardin. Küſte 
mit zwei corfican. Bataillonen zu ımterflügen. Bei der Schilderhebung, welche nach diefer mis⸗ 
glüdten Erpebition die engl. Partei auf Eorfica veranlaßte, foderte ihn Paoli auf, feinen Degen 
ebenfall& gegen Frankreich zu Lehren. Allein N. gefellte fih ben von den Volksrepräfentanten 
Saficetti und Lecombe herbeigeführten republitanifchen Truppen zu und theilte beren Niederlage. 
Bon ben Infurgenten mit feiner ganzen Familie geächtet, ging er hierauf nad) Frankreich zu- 
rück und begab ſich, nachdem er die Seinen zu Marfellle untergebracht, nach Nizza, wo fein Re⸗ 
giment fland. Bald darauf erfchien von ihm eine Schrift: „Le souper de Beaucaire” (Avig- 
non 1793), in weldyer er bie Infurrection der üblichen Departements verurtheilte, die Über- 
legenheit der regelmäßigen Truppen bewies und das Schrediensfoften vertheibigte. Als De- 
moktat unb fähiger Offizier gekannt, erhielt er im Sept. 1793 während eines Aufenthalts zu 
Paris vom Wohlfahrtsausfchuffe den Auftrag, in bem Zruppencorps, mit welchem General 
Garteaug Toulon belagerte, das Belagerungsgeſchütz flatt des erkrankten Dutheil zu be» 
fehligen. Diefe Anftellung, mit welcher bie Erhöhung zum Bataillonschef verbunden war, gab 
ihm zum erſten male Gelegenheit, fein militärifches Genie und feine moralifchen Kräfte zu ent 
falten. Er fam 12. Sept. im Hauptquartier an, fand aber die Armee von Material entblößt 
und ben Öbergeneral vollig unfähig. Nachdem Dugommier an des Kegtern Stelle getreten, 
brachte er die Belagerung in Bang, aber anfangs ohne Erfolg, bis 15. Det. fein voller Plan 
angenommen wurde, der dahin ging, nicht bie Stadt, fondern bie nahen Höhen und das ſtarke 
Fort Mulgrave mit dem Hafen und ber Rhede anzugreifen. Inder Nacht vom 18, zum 19. Dec. 


a Napoleon I. (Kaifer ber Franzoſen) 


enblich fiel das Fort in die Hände der flürmenden Republikaner ; bereits am folgenben Tage ver- 
ließ der Feind die Rhede und die Stadt mußte ſich ergeben. Diefer Sieg,-den man dem Genie. 
der Thätigfeit und perfönlichen Kühnheit des jungen Artileriecommandanten verdankte, erregt: 
demfelben die Bewunderung der Armee und der Bolksrepräfentanten. „Befördert ihn“, fchrieb 
Dugommier an ben Wohlfahrtsausſchuß, „Denn wenn ihr. undankbar feid, wird er fich felbit 
befördern.” Erſt 6. Febr. 1794 indeffen erhielt er den Grad eines Brigadegenerals der Artillerie. 

Während die fogenannte Revolutionsarmee an der untermorfenen Stadt ſchreckliche Rache 
nahm, mußte N. die Küften der Provence in Vertheidigungszuftand fegen. Er vollzog diefen 
Befehl mit Umficht, obſchon unter Heinlichen Hinderniffen, welche die neidiſche Mittelmäßigkeit 
jedem emporfteigenden Talente bereitet, und begab ſich alddann nad) Nizza, in das Hauptquar- 
tier der Armee von Stalien, wo er unter Dumerbion das Commanbo der Artillerie übernahm. 
Obſchon in untergeorbneter Stellung, machte er fich Doch al8bald zur Seele aller Operationen. 
Er unterfuchte die Stellungen des Heeres und fchlug einen Plan vor, bei deffen Ausführung 
bie Piemontefer in wenigen Tagen aus ihren Stützpunkten vertrieben wurden., Eine andere 
von ihm entiworfene Operation verhinderte bie Vereinigung der Engländer und Oſtreicher und 
ficherte die Neutralität Genuas. Während er jedoch dem Kriegsausfchuffe den Plan zum au- 
genblicklichen Eindringen in Italien einfchickte, trat bie Kataftrophe vom 9. Thermibor (27. Juli 
41794) und ber Sturz der Schrediensherrichaft ein. Auch N. wurde ald Freund bes jüngern 
Nobespierre und Anhänger der gefallenen Machthaber unter nichtigen Anlagen verhaftet, und 
einen Augenblick fchmebte fogar fein Haupt in Gefahr. Die Repräfentanten Albitte und Sali- 
cetti, welche feine Verhaftung betrieben, fahen aber bald feine Unerfeglichkeit bei der Armee ein 
und verfchafften ihm nach 14 Tagen bie Freiheit. Einige Wochen fpäter entzog ihm jedoch der 
Director des Kriegsausfchuffes, Aubry, das Artilleriecommando und bot ihn, da er ihn nicht 
abzufegen wagte, eine Infanteriebrigade in der Vendee an. N. nahm entrüftet ben Abfchied 
und bezog mit feinen Sreunden und Adfutanten, Sebaftiani und Junot, zu Paris eine Heine 
Wohnung, wo er ſich bald in die kümmerlichſte Lage verfegt fah. In ſolcher Zurückgezogenheit, 
die ihn unglüdlich machte, gährten in feinem Buſen kühne militärifhe Entwürfe und mandher- 
lei Plane, ſich emporzuſchwingen. Einen Augenblid befreundete fich fogar feine feurige Phan- 
tafie mit ber Idee, dem Sultan feine Dienfte anzubieten und eine Rolle im Orient zu verfuchen. 
Diefer Umftand fchon beweift hinlänglich, baf ihn weder Patriotismus noch Schmerz über das 
gefallene Jakobinerthum, fondern die Sehnſucht nad) Raum für feine eigene, nur geahnte Größe 
verzehrte. Bei den Unfällen des ital. Heeres unter Kellermann fand fich endlich Doulet de Pon- 
tecoulant, der Nachfolger Aubry’s, dem bie vorgefundenen Arbeiten N.'s aufgefallen waren, ver⸗ 
anlaßt, ben faft vergeffenen Artilleriegeneral in den topographifchen Ausfhuß aufzunehmen. 
In diefem Verhältniß, in welchem er die vortheilhafte Aufftellung ber Armee in der Linie von 
Borghetto bewirkte, befand er fich noch, als die Ereigniffe vom 13. Bendemiaire (5. Det. 1795), 
die Kämpfe ber royaliftifchen Reaction mit dem Eonvent eintraten. Barras (f.d.) erhielt nach 
Menou’s Abfegung das Amt eines Generals des Innern, und biefer fhlug den bedrängten 
Machthabern N., den er vor Toulon kennen gelernt hatte, ald Untergeneral vor. N. zögerte ge- 
gen Erwarten, auf das Anerbieten einzugehen ; fein Parteieifer war erfaltet und leicht konnte 
feine Laufbahn unter den Trümmern des Convents für immer enden. Endlich, nad) reiflicher 
Ermägung, fchloß er ſich Barras an, und am entfcheidenden Zage, 15. Vendemiaire, erfocht er 
durch feine Elugen, thätigen und muthigen Vorkehrungen einen blutigen Sieg über die nad) allen 
Seiten bin niedergefchmetterten Sectionen der Hauptftadt. Zur Belohnung für biefen Dienft 
erhob ihn der Konvent 16. Det. zum Divifionsgeneral und 26. Det. zum Oberbefehlöhaber der 
Armee bed Innern. In diefer Eigenfchaft reorganifirte er die Nationalgarde und erhielt wäh⸗ 
rend der anhaltenden Hungersrioth die Ruhe mit milder, aber Fräftiger Hand aufrecht. Durch 
feine Beziehungen zu Barras lernte er auch Zofephine (f.d.), die Witwe bes in der Schrediens- 
zeit hingerichteten Generals Beauharnais kennen, zu der er eine leidenfchaftliche Neigung faßte 
und mit der er 9. März die Civilehe einging. Zugleich eröffnete ſich ihm mit Einführung ber 
Directorialvegierung eine neue, weite Ausficht bietende Laufbahn. Carnot, der ald Director 
nun dad Kriegsweſen leitete und der das außerordentliche Talent N.'s erkannt hatte, verlich ihm 
an Scherer's Stelle bereits 22. Febr. den Oberbefehl über dad Heer von Stalien. DiefeXebens- 
ereigniffe hoben gewaltig die Schwungfraft feines Charakters. Einige Tage nad) feiner Ver«- 
mählung, 21. März, verließ er Paris, um feiner Beftimmung zuzueilen. Das Directorium 
gedachte fih in ihm eine Regierungsftüge zu bereiten; allein er barg in feiner Bruft fchon bie 
weitgreifenden Plane des Eroberers, obſchon er erft 26 I. zählte und noch nie einer förmlichen 
Feldſchlacht beigewohnt hatte. 


Napoleon I. (Kaifer der Franzofen) 25 


Das Heer, deffen Führung N. zu Nizza übernahm, war ungefähr 52000 Dann ſtark; es 
befaß etwa 20 Kanonen unb befand fidy in großter Entblößung und Auflöfung. Die Oftrei- 
her hingegen, unter Beaulteu, zählten 60000 gut gerüftete Streiter, die Piemonteſer unter 
Collj 30000; überbies führte das verbumdene feindliche Heer 200 Feldſtücke; es lebte 
nm Überfluß und hatte alle Pläge des Landes inne. Der Kriegeplan, den Carnot vorge 
fhrieben, war Bein anderer als der, welchen N. einft dem Wohlfahrtsausfchuß eingefendet. Drei 
Heere zugleich follten den Krieg auf verfchiedenen Wegen in das Herz von Oftreich tragen. N. 
hatte die Weiſung, auf der ſüdweſtlichen Seite in Stalien einzufallen und durch die Lombardei 
und Tirol in die Erbſtaaten des Kaifers vorzurüden, während Moreau mit der Nheinarmee 
dur Schwaben und Baiern, Sourdan mit ber Maas⸗ und Sambrearmee vom Niederrhein her 
nad Wien vordringen follten. Gleich) vom erften Augenblide an, wo N. eine gebietende Stel- 
ung einnahm, zeigte er, daß er zum Befehlen geboren fei; die Achtung und den Gehorſam feiner 
Untergenerale, die, wie Maſſena, Augereau, Laharpe, Serrurier, Joubert, Cervoni u. A. ſchon 
erprobte Krieger waren, wußte er ſich au erzwingen. Er verſammelte zuvorderft die Truppen 
und bob deren Muth und Hoffnung durch einige fühne Worte. „Soldaten“, rief er ihnen zu, 
„ihr ſeid nadt und ſchlecht beföftigt ; die Regierung verdankt euch viel, aber fie kann euch nichts . 
geben. Eure Gebuld, der Muth, den ihr mitten unter diefen Felſen gezeigt, find bewunderns⸗ 
würdig; aber das verfchafft euch feinen Ruhm; Fein Glanz fällt auf euch. Ich will euch in die 
fruchtbarfien Ebenen der Welt führen ; reiche Provinzen, große Städte werden in eurer Gewalt 
"ein; Dort werdet ihr Ruhm, Ehre und Reichthümer finden. Eoldaten, follte es euch an Muth 
eder an Beharrlichkeit fehlen?” Diefe Anrede wirkte elektrifch; von dem Tage an fchlang ſich 
ein waffenbrüderliches Band um ben Feldherrn und feine Soldaten, welches mit die Quelle feiner 
wmerbhörten Siege wurde. Die Taktik, auf welche N., dem überlegenen Feinde gegenüber, feine 
Erfolge baute, war ganz neu und auf die Kenntniß des Terrains wie auf die Gemohnheit ber 
Gegner berechnet. Unter der genaueften Berückſichtigung von Drt und Zeit fuchte er feine Streit. 
kräfte fo ſchnell als moglich auf einen Punkt zufammenzuziehen, um von da aus den entfcheiden- 
den Schlag auf den zerftreuten Feind zu führen. Die ftrategifche Aufgabe fand er für den Au⸗ 
genblid darin, die Piemontefer von den Oftreihern zu trennen. Schon bie erfte Bewegung, , 
weiche er feine Armee nad) dem rechten Flügel hin machen ließ, gelang über Erwarten. Beau- 
lien ordnete fein Heer in drei Corps, um die franz. Verbindungslinie zu durchbrechen. N. con» 
centrirte jeboch feine Streitkräfte unerwartet in einer Nacht, ſchlug 11. April 1796 das feind- 
liche Centrum bei Montenotte unb, indem er unaufhaltfam nachdrängte, am 14. bei Millefimo 
ınd am 15. im Gefecht bei Dego. Die Trennung ber Feinde war bamit erreicht. Während 
Beaulieu feine Truppen fammelte, überfiel nun N. die Piemontefer, trieb diefelben aus dem ver- 
ſchanzten Lager bei Ceva und ſchlug fie 22. April bi Mondovi, ſodaß Eolli mit den Trfimmern 
ieinee Armee hinter die Stura zurüdweichen mußte. Der Hof von Turin bat den Sieger um 
Frieden und N. willigte 28. April inden Waffenftilfftand von Cherasco, der ihn zum Herrn ber 
feften Pläge des Landes und unermeßlicher Hülfsmittel machte. In feinem Heere herrfchten 
iept Hingebung, Mannszucht und Überfluß; 10000 Feinde waren getodtet, 15000 gefangen. 

Unter diefen Siegen, welche Frankreich und die Machthaber in Staunen verfegten, ergriff N 
auch bereits die Rolle bes Politikers, indem er den Völkern Staliens das Ende des Despotis⸗ 
mus verfündigte. Beaulieu war bei Valenza über den Po gegangen und hatte fich bei Valeggio 
aufgeftellt, um Mantua zu decken und hier den muthmaßlichen Übergang der Franzoſen zu ver: 
hindern. N. ging jedoch unerwartet fchon 7. Mai bei Piacenza über den Fluß und nothigte 
hiermit den Feind, auf die Adda zurüdgumeichen. Mailand liegen laffend, eilte er hierauf nach 
Lodi (f.d.) zu, wo der öftr. General Sebottendorf mit 10000 Mann den Übergang über die 
Adda vertheidigte. Doc, 10. Mai erflürmte N., unter großem Blutvergießen und indem er die 
wantenden Colonnen felbft ins Feuer führte, die ſtark befeftigte Brücke, und Sebottendorf zog 
fh mit Verluft auf Crema zurüd, wo fid) Beaulieu mit- dem Refte feiner Streitniacht befand. 
Diefer kühn errungene Sieg drückte daß öſtr. Heer, das diesmal auch ben Vortheil der Stellung 
gehabt hatte, gänzlich barnieder, während N. nach feinem eigenen Geſtändniß zum erften mal 
auf den Gedanken kam, daß er ein außerorbentlicher, unter einem befondern Schickſal ftehender 
Renich fei. Ein ſolch gefteigertes Selbftvertrauen ſprach ſich auch fortan in feinen Handlungen, 
ſtinen Berichten an das Directorium, feinen Proclamationen aus und nahm in ber Folge die 
Geſtalt eines gewiſſen Fatalismus an. Die militärifchen Vortheile, welche er aus bem Siege 
bei Lodi zog, waren die Befegung von Pizzighettone, Cremona und anbern wichtigen Platzen 
u der Rüdyug Beaulieu's nad) dem Mincio. Außerdem zitterten bie Fürſten Italiens und 


% Napoleon 1. (Kaifer der Franzofen) 


fuchten den Frieden. Schon 9. Mai hatte N. dem Herzoge von Parma einen Waffenſtillſtand 
bewilligt; am 20. ſchloß ex einen gleichen Vertrag mit dem Herzoge von Modena. Während er 
für feine Perfon beftechliche Geſchenke ſtreng zurückwies, mußten beide Fürften ungeheuere Sum- 
men zahlen, die er theild zum Unterhalt feiner Armee verwendete, theild an das Directorium 
mit der Weifung fendete, durch diefelben die Armee am Rhein zu unterftügen. Zugleich bedung 
er fich in diefen Verträgen Hunderte von koſtbaren Kunftwerken aus, die als glänzende Sieges⸗ 
zeichen ebenfalls nach Parid wanderten. Um die errungenen Vorteile auf dem Wege der Po⸗ 
litik weiter zu verfolgen, ließ er einen Theil des Heeres zur Bewachung Beaulieu's zurück, mit 
dem andern menbete er fich nach Mailand, wo er 15. Mai einen glänzenden Einzug hielt, wäh- 
rend das Directorium am 18. ben Frieden mit Sardinien unterzeichnete, durch ben Die Republik 
Savoyen, Nizza, das Gebiet von Tenda und andere Vortheile erlangte. : Die unabhängige Stel- 
lung, welche N. bereitö auf dem Felde bes Kriegs wie ber Politit behauptete, der Ton, in wel⸗ 
chem er mit bem ſchwachen, unfähigen Directorium ſprach, veranlaßte indeß die Machthaber zu 
einigen Verfuchen, ihren Nebenbuhler niederzubalten. Man beantwortete feine Anfragen rück⸗ 
fichtlich des Eindringens in Deutfchland und der Operationen am Rhein audweichend, fuchte 
feine Eriegerifchen Gedanken gegen ben Papft und Neapel zu richten und ftellte ihm endlich bie 
Foderung, das Deer in Italien mit bem General Kellermann zu theilen. N. wies dieſen an ſich 
unfinnigen Antrag zurüd und reichte feine Entlaffung ein, wodurch das Directorium zum Nach⸗ 
geben gezwungen wurde. Diefer Imifchenfall, den er fehr fcharffinnig benugte, hob ihn gleich 
fam auf die Stufe eines rom. Imperator. Sein Wille war feitbem in allen Angelegenheiten 
der Republik entfcheidend. Während er das franz. Volt durch Siegesruhm und eroberte Tro⸗ 
phaen berauſchte und fi den Einfluß auf das Heer durch Proclamationen ficherte, die an Die 
Sprache bes Alterthums erinnerten, imponirte er dem Directorium durch feine Unentbehrlichkeit 
und durch die Achtung vor feinem Genie. Die Völker Italiens hingegen fuchte er durch bie Ben 
heißung politifcher Freiheit zu gewinnen und dem brüdenden Joche ihrer alten Herren zu ent 
fremden. Die Verhältniffe ber Lombardei, bie fi) in feinen Händen befand, orbnete er nach 
Gutdünken; er errichtete die Nationalgarben und bereitete bie Republikaniſirung überhaupt 
durch populäre Inftitutionen vor. Wiewol er die willfürlichen Erpreffungen und Unterfchla- 
gungen der Agenten und Commiſſare hafte, verfolgte und oft hart beftrafte, blieb doch das 
drückende Requiſitionsſyſtem, welches er zur Unterhaltung bes Kriegs über bas Land organi 
firte, ein großes Hinderniß, die Herzen ver Italiener aufrichtig zu gewinnen. Auch wußten ber 
ſchwer verlegte Adel und eine unverfühnliche Priefterfhaft bald wieder Einfluß auf das niedere 
Bolt zu erlangen und dafjelbe zum Widerſtande gegen bie räuberifchen Eroberer zu entflam- 
men. Gegen Ende Mai 1796 brachen plöglich auf allen Yunkten Bewegungen gegen bie Fran⸗ 
zofen aus, die N. in die fehwierigfte Lage verfegten und die er durch Feuer und Schwert zu un« 
terdrücken fuchte. Nachdem er die ausgebehnteften Vorkehrungen getroffen und den Aufftand zu 
Pavia gedämpft hatte, zog er nochmals Beaulieu entgegen, ber hinter bem Mincio verſchanzt 
lag Er erzwang unter einem fiegreichen Gefecht 30. Mai bei Borghetto den Übergang über 
den Fluß, drängte die Reſte der öfter. Streitmacht nach Tirol und ließ Maſſena mit einer Heeres- 
abtheilung zurück. Während er 1. Juni die Blodade von Mantua ohne Geſchüz einleitete, er- 
bob ſich von allen Seiten die Infurrection; die kaiſerl. Lehen befanden ſich im vollen Aufftande; 
der Papft erwartete die Hülfe ber Engländer; dagegen ſchloß Neapel 5. Juni mit Frankreich ei- 
nen Waffenftilftand. Unter biefen Verhältniffen mußte Augereau mit einer Divifion in ben 
Kirchenflaat eindringen, was 24. Juni den Waffenſtillſtand von Azzara herbeiführte, in welchem 
ber Papft Bologna, Ferrara und Ancona abtrat, ungeheuere Summen zahlte und eine Menge 
Kunftwerke auslieferte. Die Verlegung des toscan. Gebiets mit ber Nothwendigkeit entſchuldi⸗ 
gend, lief N. 28. Juni Livorno überfallen, um fich der brit. Schiffe zu bemächtigen, was jeboch 
midlang. Am 29. endlich ergab fich die Eitadelle von Mailand, beren zahlreiches Gefhüg er 
nun vor Mantua fchaffen ließ, welches jegt, als der legte Stützpunkt der öſtr. Macht in Italien 
und ald der Schlüffel von Deutfchland, das närhfte Ziel der Eroberung war. 

Inzwiſchen ſammelte ſich im Etſchthale ein neues öftr. Heer und Wurmſer, der ben Ober- 
befehl übernahm, führte überdies 30000 Mann fiegreicher Kerntruppen vom Rhein herbei, fo- 
daß fich die feindlichen Streitkräfte wieder auf 70000 Mann beliefen. N. dagegen zählte außer 
8000 Mann Befagung 33000 Mann active Streiter, bie er an ber obern und untern Etſch und 
der Chieſa aufgeftellt Hatte, ſodaß es ihn möglich war, fich auf dem einen ober den andern Ufer 
bes Mincio zu concentriren. Nachdem der oftr. Feldherr fein Heer abermals in drei Corps ge- 
theilt und die 20000 Mann des rechten Flügels Quosdanowich, den gleich flarken linken Davi⸗ 


IT: 


Mapolconi (Baifer der Gremien) R 












bewich Ich ſelbſt aber die Führung des Centrums vorbehalten hatte, brach derſelbe 
Enke Zi 4796 ans bem hale hervor, um um bie Franzoſen vor Mantus einzufchliehen 
zu befreien. MR. beeilte fi, vermöge feines Gontentrirungsfoftens aus ber 






i 





Vortheil zu ziehen. Gr erfiörte fein Belagerumgsgeräth vor — 

Disifiouen zuſammen und warf ſich mit der ganzen Macht auf Quoedanowich, ber 
und Salo nach Bavardo zurüdwich. In diefer Vereinzelung ſchlug er benfelben 
bei Bomato, nahm mehre feiner Eolonnen gefangen unb warf den Heft nach Tirol zu⸗ 
ber Racht vom A. Hug. concentrirte er feine Armee bei Gaftiglione, befiegte am folgen 
urmier feibft und drängte denfelben über den Mincto und über Berona unb Corona 
das ital. Vrol hinein. Die De De en ann 29, Sul 19 Mg bie Hälfte ihrer 
Sereiter mebfi 70 Stũck Geſchũt verloren. Während nım R. eine zweite Blockade gegen bad 
friſch — Mantus eröffnete, ſtellte Wurmſer ein neues Heer von 60000 Mann ber, 
denen er 30000 unter Davidowic in Tirol Tief; mit bem Hauptcorps könd ging er Dura 

Die DAR der Brenta, um feinem Auftrage gemäß Mantua zu entfegen. R. ducchfchaute ben 
ſehr Gelb, uud weil er dem Gegner immer noch nicht gemachfen war, beſchloß er, ihn wie 
De re ſchlagen. Er wendete fi, nachdem Wurmſer feinen rechten Flügel entbiöft, 


ii 





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uch Kixel gegen Davidowich und ſchlug benfelben A. Sept. bei Moverehe; ſodaß Trient in bie 
Hãnbe der fi. warf er fi) Wurmſer entgegen und errang über benfelken 
8, Sept: bei Baffano einen entfcheibenden Sieg. Wurmſer, von den Erbflaaten vollig abge 





faßte ben kũhnen Entfchluß, fich nach Mantua durchzuſchlagen, und nachbem er bie Be⸗ 
verfuchte er ſogar das Feld zu halten und lagerte ſich zoifgen ber Eita- 
to. Hier überraſchte und ſchlug ihn jedech 19. Sept.; al- 
remfer gan in die Seflumg gebrängt, beren Belagerung nun mit 
von einem Theite Tram. eeres fortgefegt wurde, während ber andere bie Päfle Tirols 
R,be —— des legten Feldzugs die feindlichen Geſinnungen ber Fürſten kennen 
augenblickliche Waffenruhe, um feine kriegeriſchen Croberungen 
au fichern. Er ſuchte zuvörderſt die demokratiſchen Elemente 
zu organiſiren, errichtete mehre ital. Legionen und gründete aus * 
eit de Kispabdanifche Republik (f.d.) und die Transpabanifche Republif 


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1: 









4 


A) Denen er Berfaffungen nach bem Mufter ber franzoͤſiſchen verlich. In biefen Ba 


——— welches alle Eroberungen gern für ben Frieden mit 
| N. 


meiften hinberlich. Weil ber Herzog von Modena na heim ben Feind 
den Waffenftillftand mit bemfelben aufgehoben und vereinigte beffen 
a den Republit. Am 9. Det. gefland er unter harten Bebin- 


gen Genua ben Schut Frankreichs zu; am 10. ſchloß er ben Frieden mit Reapel und 5.Rov. 


felben unter großen Dpfern der Großherzog von Toscana. Der Friebe mit dem 
zerſchlug fich jeboch an ben Zänkereien bes Directoriums über — ea 
RN. den General Gentili nad Gorfica gefenbdet, der in her Mitte bes October 
franz. Botmäßigkeit zurü 

Wud) bau Gebinct zu ABien mußte R. ben Srieden anbieten, bas jedoch in Tirol ein neues 
Daum herſtellte und defien Führung Alvinczy anvertraute. Kaum befand fi 
R.in der Berfaflung, einen neuen Feldzug zu eröffnen; fein Heer war durch blutige Siege und 
derch WBefagungen gefhwädht, und wiewol er allmälig zwölf Bataillone Verſtärkungen erhal⸗ 
ven felite, — er vor der Hand doch nur ſeinem er 33000 Dann entgegenzuftellen. 
GihE mederholte Alvincz ben Fehler feiner Vorgänger und theilte die Streitkräfte. Der⸗ 
ſelbe Deang an ber Spie von 30000 Mann durch das Veroneſiſche auf Mantua * — 
— mis ————— der Erich herabſtieg, um fich mit ihm bei Vincenza 
m vereinigen. Rt. wollte bie verhindern, ſah fich aber in ber Gegend von Berona —— 
weil er ma jeden Preit die Belagerung von Nantua decken mußte. Vergebens warfen ſich Maf- 
Kine wub Uingereau bem oͤſtr. Felbherrn an ber Brenta entgegen ; auch mußten bie Franzoſen an 
Dasibewid) Die Etabt Trient überlaffen. Am 6.Rov. begann N. das Treffen an ber Brenta, 
nurbe — Berona — Nachdem er Alvinczy 12. Nov. auf den Hö⸗ 
Cobdlero geworfen, errang er enblich über denſelben in ber breitägigen Schlacht vom 
Ti) DL verzweifelte Tapferkeit und Beharrlichkeit den äußerft blutigen Sieg 
her —— zu Grunde gerichtet, aber es verfloſſen zwei Mo⸗ 
mit einem verſtaͤrkten Deere von 50000 Dann wieberum bi Offen fine engel 

kun über Reverede, Wincenga, Padua auf verſchicbenen Straßen und 













8 Napoleon I. ( Kaiſer ber Franzoſen) 


in mehren Abtheilungen gegen das Centrum und bie Flügel des 40000 Mann zählenden franz. 
Heeres zugleich vor. N. beichloß, nachdem er die genaueften Berechnungen getroffen, die einzel» 
nen feindlichen Corps auf dem Plateau von Rivoli (f.d.) zu erwarten. Dier begann 14. Jan. 
ein Kampf, in welhem N. durch feine Taktik, verbunden mit der geringen Vorficht der Oſt⸗ 
reicher, einen ungeheuern Sieg davontrug. In feine Hände fielen 15000 Feinde und zwölf Ka- 
nonen, und Alvinczy mußte mit ben Trümmern feines Heeres nach Tirol zurüdgehen. Cine 
5000 Mann ftarke öftr. Eolonne unter Provera war am Zage der Schlacht über bie Etſch bis 
Mantua vorgedrumgen; allein N. zwang diefelbe, 16. Zan. die Waffen zu ftreden, während 
Wurmſer in die Feſtung zurüdigeworfen wurde. Die Sranzofen hatten nun ihre frühere Stel. 
lung wieder, und 2. Febr. 1797 mußte ſich auch Mantua, dab legte Bollwerk ber Öftreicher, er⸗ 
geben. Während des Kampfes mit Alvinczy waren auch vom Papfte ungeachtet bes Waffen⸗ 
ftillftandes bie Feindfeligkeiten eröffnet worden. N. hatte anfangs die ital. Legionen gegen ihn 
abgeſchickt; jegt aber mußte Victor mit einer Divifion in das Kirchengebiet eindringen, der bie 
Päpftlihen am Senio und zu Ancona fchlug und bis Tolentino vorrüdte, wo der Papft 19. Febr. 
41797 Frieden ſchloß. Diefe Siege, durch welche NR. Herr von Ober- und Mittelitalien gewor⸗ 
den, machten feine Rage dem Directorium gegenüber völlig unabhängig, ſodaß er fich ohne Wir 
derrede anſchicken burfte, den Feind in deffen Erbftaaten anzugreifen. Indeß führte ber Erz. 
berzog Karl (f. d.) ein Corps Kerntruppen vom Nhein an den Tagliamento, vereinigte ſich mit 
den Heereötrümmern Alvinczy's und war bald bereit, mit einer Armee von 35000 Mann ben 
Eingang in das Herz bed Kaiferflaats zu vertheidigen. Zum erften male befaß R. das numeri⸗ 
ſche Übergewicht; er zählte diesmal durch Herbeiziehung der Divifionen Delmas und Berna- 
botte ein Heer von 55000 Mann, das er jedoch theilm mußte. Er felbft brang mit 38000 Mann 
gegen ben Erzherzog in Friaul vor, Soubert aber mußte ſich an der Spige von 17000 Mann 
den Weg durch Tirol bahnen und fich fpäter wieber mit dem Hauptcorps vereinigen. Dieſe 
Mafregel, wie der Feldzug überhaupt, war eine an Verwegenheit grenzende Kühnheit. Schon 
10. März 1797 ging N. über die Piave, erfämpfte am 16. den Übergang über ben Zagliamento 
und zwang bie Öftreicher zum Rückzuge nad; Palmanova. Maffena drang durch die Engpäffe 
"von Yonteba und ſchlug den Erzherzog 21. März bei Tarvis, während andere Divifionen Gra⸗ 
diska nahmen, ben Iſonzo überfchritten, Trieſt befegten und dem Feinde bei Chiuſa Veneta 
5000 Gefangene, 32 Kanonen und 400 Xrtilleriewagen abnahmen. Bon Görz ging N. über 
die Drau und fchlug fein Hauptquartier zu Klagenfurt auf. Der Erzherzog, aus allen Stel- 
fungen vertrieben, zog fich endlich auf Neumark zurüd, wo er feine Streitkräfte zur Vertheidi⸗ 
gung dieſes wichtigen Punktes fammelte. Bei der unermeßlichen Beſtürzung, welche feine An- 
näherung an Wien verurfachte, beſchloß N. mit kluger Berechnung den Feind nicht bi6 zum 
ßerſten zu treiben; erbot dem Erzherzog den Frieden an, ber jedoch ausgefchlagen wurbe. Dier- 
auf fegte er feinen Siegeslauf fort, Thlug den Gegner 2. April bei Neumark, am 4. bei Hunds« 
mark, am 5.309 er in Xeoben ein. Allein ſchon 8. April fand fi) das Eabinet zu Wien bereit, den 
Waffenſtillſtand zu Judenburg zu fchließen, welhem am 18. der Abfchluß der Friedensprälimi⸗ 
natien zu Leoben folgte. N., der feine Zwecke mit unglaublicher Raſtloſigkeit verfolgte, wendete 
fich jegt zu den Gefahren in Stalien zurüd, mo feine Abwefenheit bie geheimen Feinde entfeſſelt 
hatte. Der öftr. General Loudon war hinter Joubert aus Zirol hervorgebrochen und hatte Trieft, 
Fiume und einen Theil der Lombardei in Beſchlag genommen. Won diefen Erfolgen ermuthigt, 
hatte bie venet. Regierung trog ihrer Neutralität insgeheim eine allgemeine Schilderhebung ge- 
gen bie Franzoſen vorbereitet und allen Verſchwörungen die Hand geboten, welche die Arifto 
Pratie und bie Priefterfchaft über das Land verbreiteten. Nicht nur einzelne Franzoſen, fondern 
ganze Truppenabtheilungen wurden auf verfchiedenen Punkten von bem fanatifirten Pöbel er 
ſchlagen. Gegen den Willen des durch Geld gewonnenen Directoriums erklärte N. ber Repu⸗ 
blit Venedig 5. Maiden Krieg; am 12. erfchienen die Sranzofen in den Ragunen. Der Sieger 
verwandelte die alte venet. Dligarchie in eine bemofratifche Negierung, welches Schicfal gegen 
Enbe bed Monats auch Genua erlitt. Am 14. Juni erflärte N. die Eisalpinifche Republik ([.d.). 
Unter diefen Umgeftaltungen verlegte er, um den Verhandlungen des Friedens näher zu fein, 
feine Refidenz von Mailand nah Montebello. Sein Hauptquartier glich dem Hofe eines gemal- 
tigen, von Generalen, Miniftern und Diplomaten umbdrängten Fürften. Die Gegenwart feiner 
Gemahlin, die er feurig liebte, rief eine Reihe der glängendften Feſte hervor. Unter allen dieſen 
Zerftreuungen, Reichthümern und Genüffen blieb der 28 3. zählende General felbft nüchtern, 
einfach, mäßig und raftlo6 beichäftigt, fein Übergewicht und feine Erfolge zu befeftigen. 
Während der Eroberer Staliens neue Republiten fchuf und den Frieden verhanbelte, über 


Napoleon 1. (Kaifer der Franzoſen) w 


fein ſcharfes Auge auch bie Kriſis, bie ſich in Frankreich ſelbſt vorbereitete. Die Roya- 
vie die Republikaner mit dem Directorium, fuchten in ihren Beftrebungen und Kämpfen 
nterftügung. Er entfchieb fich jeboch ohne Zögern für das Directorium und bie Repu⸗ 
m denen er feine gewaltige Stellung allmälig erobert hatte und deren Erbe er der Wahr⸗ 
chkeit nach fein konnte. Augereau, beffen politifche Nichtigkeit Bein Mistrauen einflößte, 
mit einen Zruppencorps nad Paris eilen, um die Nevolution vom 18. Fructidor (f.d.) 
sftügen ; auch drohte N. ſelbſt auf’ dem Schauplage zu erfcheinen, follten bie Republi⸗ 
mterliegen. Zudem weihte er bas Heer durch ergreifende Proclamationen in feine Politit 
ſchuf fich Dadurch recht eigentlich den Hebel zur fünftigen Militärherrſchaft. Da er für 
ntwürfe des Friedens beburfte, fo äußerte er fich hart und misfällig, daß die durch ben 
bermüthige Regierung die Unterhandlungen aufhielt und gefährdete. Um Dftreich gefü- 
machen, ließ er Truppen über die Piave rücken und ben Iſonzo befegen. Unter faft bru- 
Drohumgen von feiner Seite fam endlih 17. Oct. 1797 ein Friede zu Campo⸗Formio 
u Stande, in welchem Oſtreich das linke Mheinufer, N. ebenfo eigenmächtig Venedig, 
‚ Dalmatien, bie Provinzen der Terra firma bis zur Etfch preisgab. Diefer Handel mit 
n, bei denen er einige Monate früher als politifcher Befreier erfchienen war, empörte und 
te bie Völker Staliend: er gab ben deutlichen Beweis, daß N. ſchon im Stande war, ſei⸗ 
elbſtzwecken Alles zu opfern. Das Directorium, das ihn aus Stalien entfernen wollte, 
ihn auf den Congreß zu Raſtadt. Nachdem er hier die Militärconvention mit ber öſtr. 
ztſchaft abgeſchloſſen, reifte er jedoch nach Paris, mo er 5. Dec. 1797 eintraf. Das Volt 
sete, bem ungen Helden zu huldigen; ein Heft drängte ba6 andere. Auch nahm man ihn 
not's Stelle in das Inſtitut auf. Das Directorium, das feinen gebieterifchen Nebenbuh⸗ 
Furcht und Eiferfucht betrachtete, veranftaltete ebenfalls 10. Dec. eine große Feierlich⸗ 
weicher unter pomphaften Neben ber Sieger den Friedenstractat überreichte. Durch 
€ Ehrenbezeigungen wurde der Ehrgeiz N.’& mehr erregt als befriedigt. Bei ber Käufe 
und ber gemeinen Habfucht, welche gewöhnlich unter ben Machthabern der Republit 
en, machte bie Privatuneigennügigkeit großen Eindrud, welche N. unter den verführe- 


Umftänden mit Strenge bewahrt hatte. Gr hatte mehr ald 420 Mill. an baaren Eontri«- 


n eigenmädhtig erhoben und vertheilt, und doch brachte er nur 500000 Fres., die Er⸗ 
ie von feinem Gehalt, zurüd, wovon er für feine Gemahlin das Schloß Malmaifon 
Das Directorium fuchte den gefeierten General zur Rückkehr nach Raftadt zu bewegen, 
od) mislang. Dagegen übernahm er den Oberbefehl über eine an ben Meerestüften zur 
pfung Englands angeblidy zufammengezogene Armee, merkte aber fehr bald, daß es 
ı feine Entfernung zu thun gewefen war. Bon einer fühnen Phantaſie befeelt, vom 
nad; Ruhm und dem Drange nach auferorbentlichen Thathandlungen verzehrt, eröffnete 
r dem Directorium einen Plan, den er fchon in den ital. Feldzügen gehegt und in feinen 
mationen angedeutet hatte. Diefer Plan mar Fein anderer als bie Eroberung Agypten®. 
m Ufern des Nil aus follte fi dann Frankreich die Thore von Indien öffnen und bie 
Zeltmacht in ihrem Schwerpunfte angreifen. 
tollkühn diefer Entwurf erfchien, ging die Negierung doch ſogleich darauf ein, weil fie 
mehr als eine folche freiwillige Verbannung des Gewaltigen und feiner Getreuen wünfchte. 
4 gefhahen Rüftungen im Hafen zu Zoulon, die N. felbft leitete, deren Beftimmung 
ber nicht ergründen fonnte. Mehr als 30000 Krieger der ital. Armee wurben erlefen, 
: berühmteften und bewährteften Generale, wie Kleber, Defaig, Neynier, Bon, Menou, 
18, Damas, Lannes, Lanuffe, Murat, Leclerc, Davouft u. ſ. w. zu ihren Anführern er- 
413 Linienfchiffe, 14 Fregatten und eine große Anzahl Meiner Fahrzeuge follten unter 
dmiral Brueys diefe Truppen an Bord nehmen. Eine bedeutende Anzahl Gelehrter, 
onge, Cortaz, Berthollet, Geoffroh, Dolomieu u. A., traten dem geheimnißvollen Zuge 
n weniger als zwei Monaten waren die Rüſtungen vollendet. Am 8. Mai 1798kam N. 
ion an und verfprad, den Truppen und Matrofen in einer begeifternden Anrede, biefel- 
n zu Siegen auf bem Meere zu führen, obfchon Niemand um die Beſtimmung ber 
a wußte. Am 19. Mai ging die Flotte unter Segel. Wirklich gehörte der Glücksſtern 
ı3u, um ber engl. Flotte unter Nelfon (f. d.) zu entgehen, der, nachdem ex ſich von dem 
der Ausrüftung überzeugt, unermübdlich jebe Spur ber frany. Schiffe verfolgte. Am 9. 
am N. vor Malta an, welche Infel er nach einer Capitulation bed Großmeiſters in Befig 
Um die Engländer zu täufchen, fegte er, abermals zu feinem Glüd, nicht den nächften 
ach Ägypten fort, fondern fuhe um Gandia herum und erfchien, nach einer Fahrt von 


4 


” Napoleon L (Kaifer ber Franzoſen) 


45 Tagen, auf der Höhe von Alerandria. Er machte die Truppen mit ih:er Beſtimmung und 
dem Verhalten aegen die frenıden Völker bekannt, erflürmte Aleranbria ohne großen Widber⸗ 
ftand, ehe noch die Ausfchiffung vollendet, und erließ eine Proclamation, in welcher er ber Be⸗ 
völkerung das Ende der Herrfchaft ber Manıluten (f. d.) und Achtung vor ihren Sitten und 
Einrichtungen verfünbigte. Hierauf ordnete er die Verwaltung der Stadt und Provinz, theilte 
fein Heer in fünf Divifionen und fegte fih 7. Juni nach Kairo, ber Hauptftadt, in Marfch, wo- 
bei er ben Soldaten durch Muth und Entfagung voranging. Am 13. Juli ftieß die franz. Flo⸗ 
tille, welche den Zug den Nil hinauf begleitete, beim Dorfe Chebriffe auf bie Schiffe der Mam⸗ 
Iufen, die in die Flucht gefchlagen wurben. Zugleich ftellte fi) dem Deere ein Corps von 4000 
Mann Reiterei unter Durad-Bei entgegen, welches N. unter einem mörberifchen Feuer eben- 
falls warf. Am 21. Juli gelangten die Franzoſen unweit Kairo, in ber Nähe der Pyramiden, 
an und fanden den 60000 Mann ſtarken Feind am rechten Ufer des Nil zur Deddung ber Haupt- 
ſtadt Hinter Verfchanzungen aufgeftellt. N. ließ fein Heer in Vierecke ordnen und wußte den 
wüthend hervorbrechenden Gegner mit ungeheuerm Erfolg zwifchen zwei Feuer zu nehmen. 
Faſt das ganze feindliche Heer wurde aufgerieben; dad Lager mit 50 Kanonen, A00 Kameelen, 
Schägen und Gepäd fiel in die Hände des Siegers. Am 25. Juli hielt N. in Kairo feinen Ein- 
zug, organifirte einen proviforifchen Divan, fuchte das Zutrauen ber Großen zu gewinnen und 
ſchickte feine Generale aus, um die eroberten Provinzen in Befig zunehmen.Eine ſtarke Abthei⸗ 
fung aber mußte nad) Syrien aufbrechen, um ben flüchtigen Ibrahim⸗Bei an der Rückkehr zu Hin 
dern. Alles mar biöher auf wunderbare Weife gelungen, ald man plöglich die Vernichtung ber 
franz. Flotte, 1. Aug., auf ber Höhe von Abukir (f.d.) erfuhr. In der allgemeinen Beftür- 
zung, welche bie Nachricht veranlaßte, behielt N. faft allein bie Faſſung, obſchon auf ihm bie 
ganze Verantwortlichkeit laftete und alle die kühnen Plane zur Eroberung bes Orients vernich- 
tet fchienen. Ex befchloß, alle Hülfsmittel, welche ihm feine ifolirte Stellung gewährte, zu ber 
ungen, und wendete fich mit neuer Schwungkraft der Drganifation unb der Verwaltung bes 
Landes zu. Wiewol er äußerſt Hug verfuhr, ja felbft die Sitten bes Drientd und die religiöfen 
Gebräuche annahm, fo blieb doc, die Religion wie das drückende Finanzſyſtem, das er aniven- 
den mußte, ein unüberwindliches Hinderniß, bie Gemüther und das Vertrauen. der ägypt. Be⸗ 
volferung zu gewinnen. Befonders nad) der Vernichtung der Flotte erhoben fich in allen Stäb⸗ 
ten und Provinzen meift von fremden Emiffaren geleitete Verſchwörungen und Aufftände, 
welche ganzen Abtheilungen bes franz. Heeres ben Untergang bereiteten. Nachdem R. bie Rube 
ziemlich hergeftellt, unternahm er eine gefahrvolle Reife, um die Spuren des fon von Seſo⸗ 
ſtris angelegten Kanals zwifchen ben Rothen und dem Mittelländifhen Meere zu unterfuchen 
Gr hegte die Abficht, diefen Kanal herzuftellen und fo eine neue Straße für den Verkehr mit 
Indien zu eröffnen. Auf ber Rückkehr erfuhr er jedoch zu Belbeis, daß Achmeb-Pafcha von 
Syrien die ägypt. Grenze habe befegen laffen, und baf die Pforte in Natolien ein Heer zufam- 
menziehe, um in Agypten einzufallen. N. faßte ben Fühnen Entfchluß, feinen Gegnern zuvor- 
zukommen, und traf zu Kairo fogleich Anftalten, nach Syrien in Perfon vorgubringen. Er 
brach 6. Febr. 1799 mit 1200 Mann Infanterie, 900 NReitern unter Murat und einem aus 
Sklaven gebildeten Regiment auf, nahm 19. das Fort El⸗Ariſch nad ſchwachem Widerſtande 
und zog über Gaza, das ſich 24. ergab, gegen Saffa (Joppe) los. Letztere Stadt wurde 7. März 
geflürmt und aus Rache geplündert; 2000 Mann türf. Befagung wurden erfchoffen, weil bie 
Mannfchaft zum Transport fehlte. N. errichtete hierauf einen Divan und ein großes Hospital, 
welches die peſtkranken Sranzofen aufnehmen follte. Um die Niedergefchlagenheit, welche bie 
Krankheit im Heere veranlaßte, zu heben, befuchte er 11. März mit Lebensgefahr bie Spitäler, 
berührte bie Peſtkranken und ſprach ihnen Muth zu, was eine außerordentliche Wirkung her⸗ 
vorbrachte. Dierauf fegte er den Zug fort und gelangte 8. März vor St.Jean d'Acre (Acca), 
deffen Belagerung er ohne Geſchütz unternahm, während die Feftung durch Unterflügung der 
Engländer ſtark bewaffnet war und geſchickt vertheidigt wurde. Er ſchickte Kleber mit einer 
Divifion nach Nazareth, Murat nad) Saffeth, und brady 15. April mit einer Heeresabtheilung 
felbft auf, weil er vernahm, daß die Türken den Jordan überfchritten. Schon am folgenben 
Tage traf er Kleber am Berge Tabor im Kampfe mit der 20000 Mann ſtarken türk. Neiterei. 
Er ordnete ungefäumt feine Colonnen in Vierecke und errang mittel einer fühnen, blutigen 
Taktik in wenigen Stunden den entſcheidendſten Sieg. Die Türken ließen 5000 Mann, ihre 
Schäge und Vorräthe auf dem Plage und flohen über den Jordan. N. fegte nun die Belage- 
rung von Here fort, konnte aber, obfchon er Gefhüg aus Jaffa erhielt, nicht zum Ziele gelan- 
gen. Rachdem er 3000 Mann durch Krankheit und Ausfälle verloren, trat er 21. Mat den 


| . Napobeon I. (Suifer ber Yeanzofen) — 
 Wüding noch upten an. Nur mit Mühe vermochte er in dieſer Lage Ordnung und Gehor⸗ 
ſan cufretht zu ——— du Ruf an ber Spige Ne: Gelennen, 20 Jaffa hey er 
e Peſtkranke zurůck, was fpäter zu der Werleumbung Anlaß gab, als habe 
durch Opium laſſen. Als er 14. Juni zu Kaico ankam, fand er 
Uufenbr gegen die Militaͤrbehörde Mit großer Strenge und Umficht ftellte er bei 
& und ging den Mamluken entgegen, die Murab-Bei wieder in 0» 
ben Feind, erhielt aber zugleich die Nachricht, daß Muflepha-Pafcha 
18000 Dann Sanitfcharen und Kerntruppen bei Akubir gelandet ſei 
6 auf der ſchmalen Halbinfel verſchanzt habe. N. eilte nach Alerandria und griff 25. 
Jall, che bie Ankunft aller feiner Divifionen abzuwarten, die verfchangten Linien ber Türken 
mit vergwelfeltem Ungeflüm und zugleich mit kluger Berechnung an. Murat, an ber Spige ber 
VNeiterel, eutfihleb endlich nach großem Blutvergießen ben ungeheuern Erfolg bes Tages: 
Zürfen wurden in die Fluten getrieben oder kamen durchs Schwert um; 6000, welche 
bes Forts Bildeten, erhielten Pardon. Diefer Sieg war nothwendig und konnte 
bee Franzoſen befefligen ; allein R. richtete bereits fein Auge von diefem Schau⸗ 
zurück. Seit zehn Monaten hatte er keine unmittelbare Nachricht 
erhalten, und aus engl. Zeitungen, bie ihm der Admiral Sidney 
die Unfälle der Franzoſen in Stalien und am Rhein erfahren. Indeſſen 
Sudan rte gelungen, ihm, wahrfcheinlich durch einen Grie⸗ 
Kunde über die unbeilsvolle Lage der Republik und des Directo⸗ 
Parteien und die Ausfichten, weiche fich für ihn eröffneten, zu er- 
er daher feine Nückkehr nach Frankreich; eine Reiſe ins 
Nachdem er bier 24. Aug. Kieber (f.d.) den Dberbefehl über- 
. mit Lannes, Murat, Bertbier, Andreofig, Bourrienpe, Gan⸗ 
Berthollet und Monge auf den Sregatten Murion und Garrire 
ei Abukir entgangen waren. Das Heer, weiches dieſes —* 
u brach anfangs in Zorn und Unwillen aus. Wie durch ein 
ben zahlreichen beit. Kreuzern und landete 9. Det. 1799 zu Frajus; 


Bel der übeln Lage ber Republik und der Abſpannung aller Parteien wurde R. auf feinem 
Suse Srantreich wie in der Hauptſtadt als ein Netter aus großer Roth empfangen und 
gefebert. Umfland befeſtigte in ihm, nach feiner eigenen Verſicherung, den Entſchluß, 
fi der Gtaatögewalt auf bie eine oder die andere Weiſe zu bemädhtigen. „Das Bolt will und 
braucht einen Deren“, äußerte er zu feinen Vertrauten. Die Directoren, von bemen jeber eine 
Yartel vertrat, ſahen ihhn mit Mistrauen, wagten aber nicht, ihn feiner eigenmächtigen Rückkehr 
wegen zur Nede zu fielen. N. hielt fich anfangs in großer Zurückgezogenheit, um bie Berhält- 
ziffe und Perſonen zu ſtudiren, und bald erfannte er, daß ex feinen Renolutionsentwurf auf bie 
Yartel Sieyes ([.d.) gründen müffe. Obſchon beide Männer große Abneigung gegeneinander 
kam zwiſchen ihnen doch eine förmliche Vereinigung zu Stande, welche ben Um- 
finrz der Directorialregierumg fammt ber Gonftitution bezweckte. (&. Frankreich.) Der 18. 
Brumalte ([.b.) wurbe zur Ausführung diefes Unternehmens beftinmt. An biefem Tage er- 

Welt R. von dem zum Theil eingeweihten Mach der Alten den Befehl über bie Truppen ber 
 Sauptfinbt und bie Weilung, eine Berlegumg bed GBefeggebenden Körpers nach St. Cloud zu 
mıterflügen. Umgeben von feinen Generalen leiftete Hierauf N. ben Rathe der Alten einen 
Trend. Am 19. Brumaire (10. Rev. 1799) zog er mit feinem 8000 M. ſtarken Truppen⸗ 
corpo, das er durch eine wirkfame Anrede auf die Greigniffe vorbereitet, nach StCloud und 
befegte alle Sugänge. Als ber hier verfammelte Rath ber Fünfhunbert gegen ben beabfichtigten 
Eereich zu protefliven begann, erſchien R. in Begleitung einiger Grenabiere Im Sitzungsſaale, 
mußte aber ſogleich unter ben Drohungen zurüdweichen. Bon Sieyes ernumtert, 
ließ ex eine Uhthellung Grenadiere in den Saal eindringen, welche Die Deputizten mit gefälltem 
Beyornet vertrieben. Der Rath ber Alten mußte nım auf ber Stelle R. und beffen Helfern 
cine BDankabreſſe votiren, das Directorium abfegen, 62 ſtreng republikaniſch gefinnte Depu- 
lirte auöfloßen, eine Gommiffion zur Abanderung ber Verfaſſung anordnen und bie vollzie 

Gewalt proviſoriſch an drei Couſuln, N., Sieyes und Roger Ducos (f. d.), ũbertta⸗ 

; MR, von ber Leidenſchaft nach Macht getrieben, verfäunmte keinen Augendblick, ſich aller 
des ‚pa bemächtigen. ie Hulfe feiner geheimen Rathgeber, zu denen 

uch, Gabaut⸗ Chazal und Wonlay de la Neutthe gehörten, erzwang er ſchon in ber 







a53 















25233 


gr 


33 Napoleon 1. (Kaifer der Franzoſen) 


erſten Gigung der neuen Regierung die Rolle des Dictators. „Jetzt haben wir einen Meifterz 
er weiß Alles, er thut Alles, er kann Alles“, äußerte Sieyes im Derausgehen mit Reſignaͤtion. 
Nachdem ih N. ein ganz ergebenes Minifterium gefchaffen, entfaltete er plöglich eine gerwal- 
tige Thätigkeit in allen Zweigen ber zerrütteten Staatöverwaltung. Er reorganificte das faft 
aufgelöfte Heer, ordnete die Finanzen, ftellte den Eredit durch Abſchaffung gezwungener Uns 
leihen her, fchaffte das Geſetz der Geifeln ab, betrieb die Auswechfelung der Gefangenen, rich⸗ 
tete bie Polgtechnifche Schule ein und wählte mit großer Umficht eine Commiſſion zur Ausar⸗ 
beitung des Eivilcoder (f. Franzöfifches Necht), an deren Spige er felbft trat. Schon 15. Der. 
geſchah die Publication der neuen, ganz nach N.'s Abſichten gefertigten Eonftitution, die eigent« 
lich nur zum Schein der Abftimmung des Volkes unterworfen wurde. (S. Eonfulat.) Durch 
diefe Verfaffung erhielt N. unter dem Titel eines Erften Conſuls auf zehn Jahre die volle Ges 
walt eines conftitutionellen Fürften. Zwar follten ihn zwei gleichnamige Gollegen zur Seit⸗ 
ftehen, aber nur mit berathender Stinnme. Da Sieyes und Ducos diefe Rollen nicht übernah- 
men, fo wählte fich der Erſte Conſul Cambaceres (f. d.) und Lebrun (ſ. d.), zwei politifche Nullen, 
zu Nebenconfuln. Die Maffe des franz. Volkes, im Vertrauen auf die Fahigkeit feine® Delden 
und im Andenken an die Schredlen der Revolution, ließ alle diefe Veränderungen gefchehen. 
Kaum hatte N. die oberfte Magiftratur der Republik übernommen, als er fogleih in feinen 
Hanblungen wie in feinen Worten dad Genie und die Abfichten eines geborenen Selbftherr- 
ſchers an den Tag legte: Er verlegte ald Erſter Conſul feine Wohnung aldbald in den Palaſt 
der Zuilerien und bildete einen glänzenden Hof, deffen Sitten und Gebräuche fehr ſchnell in bie 
republitanifche Gefellichaft eindrangen. Die Emigrantenlifte wurbe gefchloffen, und faft neun 
Zehntheile ber Ausgewanberten burften allmälig zurückkehren. Fouche organifirte eine furdhte- 
bare Polizei, welche die Tagespreſſe unterdrückte, die Parteien zerfprengte und die Häupter um 
ſchädlich machte. Die Organifation der Behörden geſchah nad) militärifchen Grundfägen, in- 
dem die Beamten zueinander ind ftrengfte Subordinationsverhälmiß traten. Schon nad 
einigen Wochen war die Vendee durch kluges Verfahren beruhigt. Viele Royaliften verföhnten .. 
ſich mit dem Erften Eonful fon darum, weil fie glaubten, berfelbe werde ald Schlußftein feines 
Werks bie Bourbons auf den Thron heben. Nachdem N. fowol England wie Oftreich verge- 
bens den Frieden angeboten, wendete er ungefäumt feine Aufmerkſamkeit dem Kriegsfchauplage 
in Stalien zu, wo Maffena mit 40000 Mann nicht mehr im Stande war, den 150000 Oſtrei⸗ 
hern unter Melas die Spige zu bieten. Um feine Gegner zu täufchen, zog er geräufchvoll ein 
ſchwaches Neferveheer in der Gegend von Dijon zufamnıen, vereinigte aber zugleich aus ben 
Truppen ber Bendee, der Befagung von Paris und aus zahlreichen Kreiwilligenfcharen eine 
Armee von 60000 Mann, die unbemerkt den Weg nad ber Schweiz nahm. Er hatte beſchloſ⸗ 
fen, dieſe Streitkräfte über die Alpen zu führen, um die Oftreicher unverhofft im Rüden zu 
überrafchen; Moreau follte unterdeffen mit einem ftarfen Heer am Rhein operiren. Am 17. 
Mai fegten fich Die einzelnen Colonnen über den Großen und Kleinen Bernhard, den Simplon, 
den Gotthard und den Mont-Benis in Bewegung, und ſchon nad) vier Tagen fliegen fie, unter 
unermeßlichen Schwierigkeiten, aber belebt von ber Gegenwart und der Daltung ihres Führers, 
in die Thaler Oberitaliens herab. Nach einigen kleinern Gefechten erzwang N. bereits 31. 
Mai ben Übergang über die Sefia und den Zeffino und erfchien 2. Juni zu Mailand, wo er 
mit Erflaumen unb Begeifterung empfangen wurbe und fogleich die Eisalpinifche Republik 
wieder ind Leben rief. Nachdem die Franzoſen 6. Zuni an verfchiedenen Punkten über den Po 
gegangen, gewann Lannes anı 9. die Schlacht bei Montebello, N. felbft aber 14. Juni ben ent- 
fcheibenden Sieg bei Marengo (|. d.), welcher dem Feldzuge ein Ende machte. Durch den Waffen: 
ftillftand von Aleſſandria wurden die Franzofen wieder Herren von Oberitalien. Der Sieger 
reorganifirte num auch die Kigurifche Republik, übergab dann Maffena den Oberbefehl und 
eilte über Lyon nach Paris, wo er 3. Juli eintraf. Der Enthufiasmus ımb die Dingebung des 
Volkes waren grenzenlos, und N. felbft nannte fpäter dieſe Tage die ſchönſten feines Lebens. 
Der Stolz und der Drud, welchen ber auf allen Punkten fiegreiche Machthaber in den innern 
wie in ben auswärtigen Verhältmiffen bewies, erweckte indeffen den Fanatismus der getäufch- 
ten Republitaner und Royaliſten, der fich zuvörderft in einer Menge blutiger Attentate und 
geheimer Complote äußerte. Am 3. Nivöfe (24. Dec. 1800) entging N. nur zufällig bem Tode 
bei der Erplofion einer Höllenmafchine (ſ. d.). Wiewol man bald mußte, daß ber Anſchlag von 
den Noyaliften herrührte, fo benugte doch N. das Ereignig und ließ ohne Urtheil umd Recht 
150 Republikaner, würbige und unwürbige, nach Gulana deportiren. Zugleich erzwang er im 
Senate und Tribunate die Errichtung eines Specialgerichts, welches fortan ohne Berufung 


Napoleon I. ( Kalſer der Franzoſen) 33 


hverrath urtheilte und das er meift mit ergebenen Offizieren befepte. Das Revolutions 
ar alfo wiederum und zwar in Intereffe eines Einzelnen hergeftellt. Nach bem Frie- 
meville (f. d.), ber 31. Dec. 1800 mit Öftreich zu Stande Fam, gebrauchte N. das 
wicht feiner fharffinnigen Diplomatie, un aud England zum Srieden zu nöthigen. 
e das bewaffnete Reutralitätsbiindniß der Seemächte, ſchloß mit Portugal einen Fries 
He brit. Schiffe aus den portug. Häfen verbannte, und ließ fogar Agypten fallen, Damit 
‚1801 den Frieden mit der Pforte unterzeichnen konnte. Hierauf richtete er feine ganze 
famfeit auf die Ausfohnung Frankreichs mit ber Kirche, die er durch Milde gegen bie 
mb Freundlichkeit gegen den päpftlichen Stuhl längft vorbereitet hatte. Wiewol ihm 
ı jeder pofitive Glaube gleichgültig war, fo erkannte er doch bie Bath. Hierarchie als eine 
ye Stüge abfoluter Regierungsgewalt und zeigte ſich darum auch dem Proteflantis- 
iger günftig. Nach langen Verhandlungen kam 15. Juli 4801 zu Paris das berühmte 
it mit dem Papfte zu Stande, welches zwar bie Franzoſen in ben Schoos des Katholi- 
urüdführte, aber auch zugleich die Freiheiten der Gallikaniſchen Kirche ſicherte. Endlich 
ich 27. März 1802 zu Amiens der Friebe mit bem erfhopften England gefchloffen. 
t hiermit Raum, feine perfönlichen Entwürfe noch eifriger zu verfolgen. Er vergrö- 
ankreich durch Einverleibung von Piemont und Elba, brachte bie Töchterrepubliken 
efaffungsveränderungen nody mehr ımter feine Gewalt, ftiftete Die Ehrenlegion (f. b.), 
? bie materiellen Intereſſen aufs großartigfte und beförderte die praktiſchen Wiſſenſchaf⸗ 
gegen hielt er die moralifchen und politiſchen Wiffenfchaften darnieder und unterbrüdkte 
€ Zweige im Inftitute. Nachdem ihm der Senat, angeblich um die Ruhe und Wohl- 
Ration aufrecht zu halten, 8. Mai 1802 das Conſulat im voraus auf weitere zehn Jahre 
t, ging er noch weiter und ließ fi) 2. Aug. das Conſulat auf Lebenszeit zufprechen. 
Kage barauf, 4. Aug., erfolgte eine fehr ſummariſche Berfaffungsveränderung, die den 
ft mit der Gewalt eines abfoluten Fürften bekleidete. Alle diefe Schritte zum Thron 
ohne Miderftand, wiewol jeder ſolcher Griff nad) der Krone nach dem Willen des 
bers einer Abſtimmung bes Volkes unterlag, um gewiffermaßen daB Siegel einer mo- 
Begitimität darauf zu drücken. Jedesmal beeilte ſich auch eine zahlloſe Majorität, dem 
m Glücke und dem Blanze des außerordentlichen Mannes die Huldigung zu gewäh⸗ 
der Erhöhung zum Conſul auf Lebenszeit ftreifte N. vollends den Republikanis mus 
igte feine Abſichten auf die Errichtung der Monarchie deutlih. Die Regungen polir 
ppofition und die republikaniſchen Erinnerumgen, die fi) in den Staatslörpern oder 
zpreſſe hervorwagten, wurben burch die Polizei ober durch militärifche Verwaltungs» 
n befeitigt. Zudem war der Gonful ein Meifter im Gewinnen wiberfpenftiger Köpfe. 
nen Senatöbefchluß vom A. San. 1803 errichtete man 31 Senatoreien über das Reid), 
inecuren an gefällige Diener oder politiſche Conyertiten verliehen wurden. Gern hatte 
ntfaltung der Seemacht und ber Induftrie den Frieden mit England länger bewahrt; 
ı beiden Seiten häuften fich die Befchwerden, und die brit. Regierung hatte überhaupt 
Erholung zur Fortfegung des. Kriegs. gegen das unter N. ſich mächtig entfaltende Frank⸗ 
pfen wollen. Nach einem erbitterten Journalkriege, in welchem N. bie heftigften Artikel 
ätter ſelbſt entwarf, entfernte fich der brit. Gefandte aus Paris und 18. Mai 1805 er 
om die Kriegserflärung. Ungeachtet des Friedens mit Deutfchland ließ N. hierauf das 
enthum Hannover (f.d.) befegen und als eroberteö Land behandeln. Zugleich entwarf er 
Dlage des Sontinentalfgftems (f.d.), indem er 20. Juli 1803 die Einfuhr der brit. Waa⸗ 
ankreich verbot. In allen franz. Häfen, von Havre bis Dftenbe, wurden ungeheuere 
m zur Landung in England felbft unternommen. England hingegen blodirte mehre 
ifen und unterftügte und leitete die Umtriebe der mehr als je thätigen Emigranten und 
m. Georges Cadoudal (f.d.), Pichegru (f.d.) und viele Mitverfchworene gelangten auf 
iffen nach Frankreich, um den Gonful im Intereffe der Bourbons zu flürgen ober zu 
. Die Polizei ergriff im Zebr. 1804 einige Fäden diefeß weiten, nie enthüllten Com⸗ 
ließ mehr als 40 Schuldige oder Unfchuldige verurtheilen. Cadoudal mit mehren 
beftieg das Schaffot. Pichegru wurde im Gefängniffe erdroffelt gefunden; Moreau, 
eigentlich ſchuldlos war, mußte als der Nebenbuhler des Machthabers in die Ver⸗ 
wandern. Das N. Geftändniffe durch die Kolter erpreßt und den engl. Capitain 
einen Mitſchuldigen, im Gefängniſſe habe ermorden laſſen, iſt gänzlich unerwiefen. 
fand man, daß mit den Verſchwörern vornehme franz. Emigranten in Deutſchland 
Ye. Bchute Aufl. XL 3 


3 | Rapoleon L. (Kaifer der Franzofen) 


in Verbindung geftanden. Angeblich auf Grund diefer Entdeckung ließ N. den Herzog von 
Enghien (f. b.) auf bad. Gebiet feſtnehmen, nach Vincennes fchaffen und dort auf den Spruch 
einer Militärcommiffion erfchießen. Der blutige Streich, mit welchen N., wenn nicht firafen, 
doch aus dem Geſichtspunkte der fogenannten hohen Politik ſchrecken wollte, erbitterte die legi 
timen Höfe und madhte diefelben den Ginflüfterungen Englands zu einer neuen allgemeinen 
Schilderhebung zugänglich. Als Schweden und Rußland ſich drohend gegen bad Verfahren 
NS erhoben, fuchte fich die franz. Regierung burch die Aufdelung ber Machinationen Brit. 
Sefandten in Deutichland zu entfchuldigen. Die Nachftellungen ber Royaliften und die Aus⸗ 
fihten auf eine neue Coalition Europas befchleunigten bei N. den Vorfag, ben legten Schritt 
zu thun und endlich feine Perfon mit der erblichen Kaifermürde zu befleiden. Das Glück und 
die Zukunft Frankreichs, hieß e6, würden dann gefichert fein, und der Held und Wohlthäter der 
Nation würde den Vortheil haben, feinen Feinden mit Scepter und Krone entgegenzutreten. 
N. hatte nun das Ziel erreicht, wohin ihn feine auferordentlihe Organifation und die Lage ber 
Dinge drängte: in feiner Perfönlichkeit vereinigten fich jegt die Kraft und die Macht einer gro» 
fen, fähigen Nation. Allein ſchon knüpfte feine kühne, raftlofe Phantafie an den Mantel be 
Kaifers die Eroberung der abendländ. Welt, und die Hartmädigfeit und Verzweiflung, mit 
welcher fich die Fürften des alten Europa diefer gigantifchen Ufurpation entgegenmwarfen, bot 
nur Gelegenheit, die Eroberung zu beginnen. 
Schon im März 1804 fam im Senat der Antrag zum Vorfchein, die höchfte Gewalt in N.v 
Familie erblich zu machen, und bie einzelnen Departements ſchickten gleichlautende Bittfchriften 
ein. Nachdem fich auch das Tribumat, in welchem Earnot allein dagegen ſprach, und der Geſetz⸗ 
gebende Körper dafür erflärt hatten, erließ der Senat einen organifchen Beſchluß, der die neue 
Megierungsform feftfegte. Diefe Acte wurde N. 18. Mat 1804 vom Senate zu St.Cloub 
überreicht. Der neue Monarch führte darin den Titel: „Napoleon, durch Gottes Gnaden und 
durch die Gonftitutionen ber Republik Kaifer der Franzofen.” Überdies erhielt das Geſet noch 
die genaueften Beſtimmungen über bie Erbfolge, über die Nechte ber Familienglieder bes 
Baiferl. Daufes, über die Großmwürdenträger des Neichs und die Amtsgewalt ber oberfien 
Staatsbehörben. N. befchwor die Acte auf der Stelle und ernannte fchon am folgenden Tage 
die Großwürdenträger und Marfchälle des Reichs. Am 20. Mai wurde unter großem Jubel 
die Thronerhebung in der Hauptftadt verfündigt, und 27. empfing ber Kaifer die Huldigung 
bes Senats und der Departements, Die erften kaiſerl. Derrete athmeten mehr Despotismus 
als Großmuth. Nur at Mifchuldige Cadoudal's erhielten Begnadigung ; Fouché trat wieber 
an die Spige eines Polizeiminifteriums; die Preffe unterlag noch härtern Befchränkungen ; 
die Polytechniſche Schule erhielt eine militärifhe Geſtalt. Auf die Nachricht von der IBegnahme 
vieler franz. Handels ſchiffe Durch brit. Kreuzer verdoppelte hierauf N. feine Anftrengimgen zur 
Ausrüftung einer Erpedition gegen die engl. Küfte. Cine mit 12000 Seefoldaten bemannte 
Landungsflotte von 2365 Fahrzeugen follte ein Heer von 160000 Dann, 10000 Pferden 
und 650 Stüd Gefhüg am Bord nehmen. Diefes Heer Iagerte unter Soult auf ben Höhen 
von Boulogne. Am 19. Juli erfchien N. im Lager und verfegte die Truppen durch feine Ge- 
genwart in den höchſten Enthufiasmus. Nachdem er 15. Aug. zur Feier feines Geburtstags 
eine große Vertheilung von Kreuzen ber Ehrenlegion veranftaltet, ging er an ben Rhein und 
empfing zu Aachen bie Anerkennung feines Throns von Öftreich, Portugal und Neapel und 
kurz darauf von Preußen, Spanien und Toscana. Zu Mainz befchäftigte er ſich ſchon mit ben 
Grundlagen des RHeinbundes (f. d.). Während das franz. Volk wiederum mit großer Majo- 
rität feine Zuftimmung zur Errichtung des Kaiferthrond gab, wurden in Paris weitläufige An- 
ftalten zur Krönungsfeierlichkeit getroffen. Zwar rechtfertigte N. bei ben Aufgeklärten feine 
Thronbefteigung am liebften durch die Behauptung, daß Der, weicher den Willen und bie in- 
nere Kraft fühle, ein großes Volk zu beherrfchen und deffen Wohlfahrt zu gründen, auch die 
größtmögliche Macht und Unabhängigkeit dazu befigen müffe; allein für die große Maffe hielt 
er bie feierliche Weihe durch die Kirche für das wirffamfte Zeichen feiner Kegitimität. Er veran« 
laßte Deshalb den alten, abhängigen Papſt Pins VII. nach Paris zu kommen und die geiftfichen 
Functionen bei der Krönungscerentonie zu übernehnen. Die Feierlichfeit wurde 2. Dec. in ber 
Kirche Notre-Dame mit unerhörter Pracht begangen. Nachdem ihn der Papft geſalbt, ergriff 
N. die Krone, fegte ſich diefelbe eigenhändig auf und that ein Gleiches mit feiner Gemahlin. 
Am 5. Dec. theilte der Kaifer auf dem Marsfelde (f. d.) an bie Truppen Bahnen mit goldenen 
Adlern aus, wobei er fich fchon bes Worts „mein Volk” bediente; 27. Dec. eröffnete erben 
Gefepgebenden Körper und äußerte: „Ich will das Gebiet des Reichs nicht vergrößern, aber 


Hapoleon 1. (Kaifer der Franzoſen) | 35 


n Integrität bewahren.“ Überdies verhleß er.mit ziemlich) Maren Worten eine abfolute Re⸗ 
mag, und auch feine Dofleute, Generale und Beamten hatten nun die Freiheit, den ſchran⸗ 
en Willen ihres Herrn, fowie ihre Unterwürfigkeit ohne republitanifche Floskeln an den 
zu legen. N. bot hierauf in einem eigenhändigen Briefe vom 2. San. 1805 den Könige 
England nochmals den Frieden an, wahrfcheinlich um die Schuld des bevorfichenden Kam⸗ 
von ſich abzumälzen, und reifte dann, umgeben von ben Prinzen und Prinzeffinnen feines 
led, nach Mailand, ber Hauptftadt der vereinigten ital. Republik, wo er ſich als König 
Italien 26. Mai unter gleichen Feierlichkeiten die Eiferne Krone der Lombardenfönige mit 
er Dand auffegte. Er ernannte dann B. Juni feinen Stiefſohn Eugen (f. Leuchtenberg) 
Bicefönig von Italien unb vereinigte trog feiner Zufiherung ohne weiteres Genua und 
Juli Parma mit Frankreich. Auch gab er ber Republik Lucca in der Perſon feiner Schwe⸗ 
FHiſe Bacciocchi (.d.), welche bisher ſchon Fürftin von Piombino geweſen war, einen Sou⸗ 
n. Diefe Machtvergrößerungen R,'s brachten inzwifchen eine Verbindung Englands mit 
Ianb zu Stande, welcher endlich auch das burch feine Verluſte in Stalien ſchwer gekränkte 
eich beitrat. N wurde durch diefe Wendung ber Dinge wol kaum überrafcht und hatte 
Haupt weniger daran gedacht, fich zum Einfall in England als zur Einfchüichterung der 
e zu rüften. Er gab nun feinen Streitkräften zu Boulogne ben Ramen der „großen Armee” 
ordnete diefelbe in fieben Corps, welche, von Bernabotte, Davouft, Soult, Lannes, Ney, 
pereau und Marmont geführt, unter feinem Oberbefehl über den Rhein gegen Dftreich vor» 
gen ſollten. Mit einem zweiten Deere von 75000 Mann follte Daffena den Erzherzog 
Lin Italien befämpfen. Der gefällige Senat befchloß außerdem die Drganifirung der Na⸗ 
Mgarde und bie erfte Confcription von 80000 Rekruten. Die Feindfeligkeiten begannen 
 Kriegserflärung. Kaum hatte R. das Vorbringen ber Oſtreicher in Baiern erfahren, als 
: Deeresabtheilungen an verfchiedenen Punkten vom 24.—26. Sept. 1805 den Rhein 
fchritten. Am 2. Det. ſchloß ex mit bem Kurfürften von Würtemberg in Ludwigsburg An 
idniß, worauf fi 10000 Würtemberger, bald darauf auch bie bair. Streitkräfte mit den 
ıgofen vereinigten. Gin ähnliches Bündniß kam 10. Oct. zu Eflingen mit Baden zu Stande. 
atte bei der Überlegenheit feiner Streitkräfte den Plan gefaßt, den Feind im Nüden zu 
eben und defien Verbindung mit den durch Mähren vorrüdenden Ruffen zu verhindern. 
eits nach 1A Zagen waren unter fortwährenden Siegen ſämmtliche feindliche Corps in ber 
mb von Um zufammengebrängt, und nad) mehren Gefechten, feit 13. Oct., gelang ed fogar, 
eiden Flügel der Oftreicher zu trennen. Während fich der Erzherzog Ferdinand mit dem 
ı Theile bes Heeres nach Franken entfernte, mußte fi) Mad mit ben andern nach Ulm (|.d.) 
en, wo ex ſich, ohne bie Waffen zu verfuchen, 20. Det. dem Sieger mit 23000 Mann und 
meßlichem Gepäd ergab. Andere öftr. Corps ftrediten die Waffen bei Trochtelfingen und 
fingen, und ber Erzherzog fuchte mit dem Reſte Böhmen zu gewinnen, wurde aber von 
rat verfolgt und vernichtet. Ungeachtet des beginnenden Winters fegte N. ben Feldzug fort, 
27. Dct. über ben Inn, trieb in blutigen Gefechten 40000 Ruffen, die unter Kutuſow bie 
unau vorgebrumgen, aus allen Stellungen und traf 13. Nov. zu Schänbrunn ein, während 
:at zugleich in Wien einrückte. Indeß fchien die Lage des Siegers trog diefer Erfolge menig 
dig. Er erfuhr zu Schönbrunn die Niederlage der franz.-|pan. Flotte vor Trafalgar (I. d.); 
Erzherzog Karl drang in Stalin vor ; Preußen zog ein Heer zufanımen, um bei günſtiger 
genheit ber Coalition beizutreten. Dennoch wies N. auf einen glüdlichen Schlag rechnend, 
Friebensanträge Oſtreichs zurück. Er ſchickte mehre Corps über die Donau, melde bie 
fen 15. Nov. bei Hollabrumn ſchlugen, und als er erfuhr, daß fich die ruff. Corps mit den 
. Heereötrünmern vereinigt, fegte er felbft über die Donau und verlegte 20. Nov. fein 
(ptquartier nach Brünn, wo fich beide Theile für eine Hauptfchlacht vorbereiteten. In ber 
ausfegung, daß fich das franz. Heer in der übelften Rage befände, eröffnete endlich Kutuſow 
)ec. ben Kampf bei Aufterlig (f. b.), der mit der volfftändigen Vernichtung des ruff. Heeres 
te. Sept erft fand fih N. zum Frieden mit Oſtreich geneigt. Derfelbe wurde 26. Der. zu 
Iburg gefchloffen. Oſtreich erfannte das Königreich Italien und die Souveränetät Baiernd, 
rtemberg6 und Badens an und verlor feine fhönften Provinzen. N. felbft hatte während 
Felbaug& außerordentliche Strapazen ertragen. Um fein Heer zu belohnen und fo feſt al& 
lich an fich zu knüpfen, überließ ex demfelben bie erbeuteten Magazine, fegte reiche Pan 
n aus und aboptirte fämmtliche Kinder ber Gefallenen. Ohne mit Rußland Frieden zu 
ven, verlief er hierauf 27. Dec. Schönbrunn und kehrte über Münden und Stuttgart nad 
is gurüd, wo er 27. Jan. 1806 eintraf. 3 


38 Napoleon 1. (Kaifer ber Branzofen) 


Der Auffchwung, den bie Mache N.’6 mit dem Brieden zu Presburg nahm, war ımermeß- 
lich. Die Franzofen, von Sieg, Ruhm und der Ausfiht auf Weltherrſchaft geblendet, verga⸗ 
Ben die Freiheit und die Republik und gehorchten dem leiſeſten Winke des Helden unb Gebieters. 
Der Einfluß Oſtreichs in Deutſchland war vernichtet; die beutfchen Fürſten fuchten die Freund⸗ 
fchaft und den Bund mit dem Gieyer. Seine Eroberungen ftrebte N. nun durch Familienbünd⸗ 
niffe und bie Begründung eines Foöͤderativſyſtems zu befeftigen und zu erweitern. Er vermählte 
zuvörderſt feinen Stieffohn Eugen mit einer bair. Prinzeffin, feine Adoptivtochter Stephanie 
Beaubarnaid mit dem Kurprinzen von Baben. Beil der neapolit. Hof ein ruff.-brit. Heer auf 
genommen, ließ N. im Febr. 1806 Neapel octupiren, erlärte die bourbon. Dynaftie für abge 
fest und verlieh den Thron von Neapel feinen Bruber Jofeph Bonaparte (f. d.). Überdies er 
hob er feinen Schwager Murat zum Großherzog von Kleve und Berg, ben Marſchall Berthier 
zum Herzog von Neufchatel; feiner Schwefter Pauline (ſ. Borghefe) gab er Guaſtalla. End⸗ 
lich fegte er nach Aufhebung ber Batavifchen Republik feinen Bruder Ludwig Bonaparte (f.d.) 
auf den Thron von Holland. Ein Paiferl. Familiengefeg vom 51. März 1806 erklärte den Kal 
fer zum Bamilienhaupte und verurtheilte ſämmtliche Glieder mit ihren Herrſchaften zum fireng- 
fien Vaſallenthum. Außer dem Verdienſtadel ber Ehrenlegion ſchuf er jegt auch) einen neuem 
Erbadel, ber bie Feftigkeit und den Glanz feines Throns vermehren, die Gelegenheit zu Gunft 
und Belohnung vervielfältigen und die Ariftokratie Europas mit den Institutionen bes Kaiſer⸗ 
reiche verſchmelzen und ausfohnen follte. Neben mehren unmittelbaren Reichslehen wurden 
eine Menge Derzogthümer und Großlehen in Stalien errichtet, welche feinen ausgezeichnetften 
Generalen und Dienern zufielm. Zudem ernannte er Grafen, Barone und Ritter, deren Adels⸗ 
thum fih an Majorate fnüpfte. Am 12. Juli 1806 kam der lang vorbereitete Rheinbund zu 
Stande, was die Auflofung des deutſchen Reichskörpers vollends nach fi zog. Indem ſich N. 
die Rolle des Protectors über den Rheinbund zueignete, wurde er ber Gebieter über den größern 
Theil von Deutfchland. Sofort mifchte er fi in die innern Angelegenheiten ber Bundesftan 
ten, führte franz. Inftitutionen ein und unterbrüdte die Regungen bes verlegten Nationalge- 
fühle durch Gewaltthaten, wie die Hinrichtung des Buchhändler Palm (f.b.), und burd) eine 
furchtbare Polizei. Wiewol er dem brit. Cabinet die Rückgabe des an Preußen abgetretenen 
Hannover verſprach, vermochte er feinen Feind boch nicht zu einem Friedensſchluſſe zu bewe⸗ 
gen. Dagegen beftimmte England nach For’ Tode bad mishandelte und vielfach bedrohte Preu- 
fen zu einer neuen Goalition gegen das franz. Übergewicht, welcher 17. Aug. 1806 au Ruß⸗ 
land und Schweden beitraten. Zum erften male follte in dem bevorftehenden Kampfe der em⸗ 
pörte Nationalgeift gegen die kaiſerl. Legionen unter die Waffen treten ; aber diesmal ohne allen 
Erfolg. Kaum hatte Friedrich Wilhelm III. (f. d.) von Preußen feine Kriegserklärung in ber 
Form einer Beichwerde abgegeben, als N. 25. Sept. 1806 Paris verließ und nad) Bamberg 
ging, wo er in wenigen Tagen feine 120000 Mann ſtarke Armee concentrirte. Die mit den 
fächf. Truppen verbundene preuß. Armee zählte 180000 Mann und Hatte ihre Stellung auf 
einer weiten Rinie, von Wach bis Jena, genommen. Die preuf. Generale fegten voraus, ihr 
Gegner werde eine dem heine parallele Operationslinie aufftellen. Allein N. faßte den Plan, 
mit ſeiner ganzen Macht von drei Punkten aus den linken Flügel des Feindes zu überfallen und _ 
au umgehen. Diefe fühne, genau berechnete Operation gelang volllommen. Seit dem 8. Det., 
wo Murat den Übergang über die Saale bei Saalburg erzwang, wurden die Preußen innerhafb 
vier Tagen aus ihren Angriffsftellungen zurückgedraͤngt und auf ihrem linken Flügel umgan⸗ 
. gen. Das Geficht gegen den Thüringerwald gekehrt, blieb dem preuf. Heere nur übrig, eine 
entſcheidende Schlacht zu wagen. N. ftellte fogar kurz vor dem Zufammentreffen bem Könige 
die Gefährlichkeit diefer Lage vor und bot ihm den Frieden an; allein das Schreiben gelangte 
erft fpäter in bes Konigs Hände. Am 14. Det. begann die Doppelſchlacht von Zena (f. d.) und 
Auerſtaädt, in welcher das preuß.-fächf. Heer völlig gefchlagen wurde. Mährend die einzelnen 
franz. Corps bie flüchtigen Abtheilungen des Feindes verfolgten und gefangen nahmen, fegte 
das Hauptcorps 21. Det. bei Wittenberg über die Elbe und z0g am 25. in Berlin ein. Am 
27. Oct. betrat R. die preuß. Hauptſtadt, wo er fogleich die Verwaltung der eroberten Provin⸗ 
zen anorbnete. Durch eine an Verrätherei ftreifende Muthlofigkeit fielen faft ſämmitliche Fe⸗ 
ftungen ohne große Gegenwehr in des Siegerd Hände. Auch Kurheffen wurde, weil der Kur⸗ 
fürft angeblich der Coalition angehangen, beiegt und als erobertes Rand behandelt. 

Mitten im Siegeslaufe vergaß N. nicht, einen gewaltigen Schlag gegen feinen fonft unzugäng⸗ 
lichen Erbfeind zu führen. Er erließ 21. Nov. 1806 von Berlin aus jenes berühmte Decret, 
welches die brit. Infeln in Blockadezuſtand erlärte, allen Dandel und Gemeinfchaft mit den 


Rapoleon I. (Kaifer der Franzoſen) 37 


m verbot und die Gonfiscation der engl. Waaren, forwie bie Verhaftung aller Briten 
ı franz. Truppen befegten Ländern anbefahl. Diefe Maßregel, welche England am 
Rero berührte, war eine Kriegserflärung auf Tod und Leben. Nachden ſich N. den 
fichert, indem er Sachen, das demzufolge die Königswürde annahm, zur Theilnahme 
bunde beftimmte, wandte er feine Aufmerkfamkeit gegen Rußland. Er hatte ſchon 
: Polen Hoffnung auf die Herftellung ihre Reiche gemacht und verlegte, um den En- 
6 diefer Nation noch mehr zu entflammen, 25. Nov. 1806 fein Hauptquartier nad) 
a er in Preußen ſtarke Befagungen laſſen mußte, zählte fein Heer nur 85000 Mann, 
bier Regimenter Polen fliegen ; die Ruffen hingegen befaßen 100000 Mann, Ange- 
Deereötrümmer der Preußen. Nicht diefe numerische Schwäche, fondern die Befchaf- 
I Kriegefchauplages, der moraftige Boden und das Klima, welche die Berechnungen, 
zug feiner Taktik, zu Schanden machten, verhinderten ihn dießmal, rafche und bedeu- 
äge zu führen. Am 16.Nov. ſchon brachen Davouft und Murat nad; Warfchau auf, 
a 29. in die Stadt ein und gingen dann den Ruffen nach über die Weichfel und Na- 
kam unter dem Jubel der Bevölkerung 19. Dec. in Warſchau an und folgte am 23. 
exe, dab bie Ruffen nach mehren blutigen Gefechten in die Gegend von Pultusk trieb, 
efelben verſchanzten. Hier kam es 26. Dec. zu einem langen, blutigen Gefechte, das 
der Parteien entfchied, obfchon fich die Ruſſen auf Oftrolenka zurüdzogen. N. ber 
d, die Weichfelübergänge zu befegen, und legte feine äußerft ermüdeten Truppen in die 
artiere hinter die Narew. Er felbft ging nach Warſchau zurüd, mo er 14. San. 1807 
forifche Regierung einfegte. Nach kurzer Waffenruhe drangen indeffen die Ruſſen 
nigfen in Oftpreußen vor, um die Feftungen an der Weichſel und Oder zu entiegen, 
er 25. Jan. bei Mohrungen geſchlagen. Unter fortgefepten Gefechten mußte fich hier- 
yien auf Preußifh-Eylau (f.d.) zurüdziehen, wo 7. und 8. Febr. die blutigfte Schlacht 
die N. je gefchlagen. In tiefe Gedanken verfunten, verweilte N. lange auf dem mit 
Iut und Leichen bededten Schlachtfelde. Das ruff. Heer, das keineswegs vernichtet 
ı feine Winterquartiere hinter der Paſſarge, während Mortier die Schweden aus 
trieb und Lefebvre 2A. Mai Danzig eroberte. Erſt nach viermonatlichen Berhandlun 
n beiden Theilen fortgefegt wurden, um Zeit zu gewinnen, eröffnete N. 4. Juni 1807 
nnten zweiten Feldzug nad) Polen. Nach mehren Gefechten bei Zomitten und Span- 
„ bei Deppen am 6., bei Buttftadt 9. Zuni, verfuchte R. 10. Juni die Schlacht bei 
; allein erft bei Friedland (f. d.) hielt der Feind Stand. Hier endlich wurde das rufl. 
Juni vollftändig zertrümmert, fodaß die Nefte dem Niemen zueilten. Am 16. fiel 
3 in des Siegers Hände. N. wagte nicht den Riemen zu überfchreiten, fondern zeigte 
, den Sriedensanträgen des Kaifers von Rußland geneigt. Nach dem 21. Juni ge- 
Waffenſtillſtande begannen die Verhandlungen zu Zilfit (f. d.), wo auch der fchwer- 
'önig von Preußen mit feiner Gemahlin erfhien. Am 25. Juni fand zwifchen N. 
ander jene Unterredung auf einem Floffe im Niemen ftatt, bei welcher Letzterer die Zu⸗ 
:8 Siegers durch vielleicht nicht ganz aufrichtige Bewunderung zu gewinnen mußte. 
ywach genug, ſich durch biefe kaiſerl. Anerkennung feines Genies Zugeftändniffe ab- 
laſſen, die ficherlich großen Einfluß auf fein fpäteres Schicfal hatten. Der König 
en erhielt gegen bedeutende Gebietsabtretungen feine Krone zurüd. Die Herftellung 
terblieb; doch wurde aus Preufifch-Polen das Herzogthum Warfchau gebildet und 
je von Sachſen verliehen. Die preuß. Provinzen am linken Elbufer wurden mit dem 
„heſſ. und hannov. Gebieten zum Königreich Weftfalen (f.d.) vereinigt, deffen Krone 
16 Bonaparte (f. d.)empfing. Am 9. Juli verließ N. Tilſit und reifte durch Deutich- 
Paris zurüd, mo er 27. Zuli eintraf. 
m Frieden von Tilfit eilte N. unaufhaltfam und mit verzehrender Raſtloſigkeit dem 
efeines Glücks und feiner Macht zu. Wenige Tage nach feiner Rückkehr verheirathete 
zruder Hieronymus mit ber Tochter bed Königs von Würtemberg. Während fich in« 
nz. Heer bie Ehren diefer Triumphe und bie Souveränetät über Europa zuerfannte, 
nkreich felbft unter der Hand des gewaltigften Machthabers auch die geringften Spu⸗ 
Innern Freiheit und wurde zum blindeften Behorfam verdammt. Am 19. Aug. ver⸗ 
n Senatsbefchluß die Aufhebung des Tribunats. Neben der Entfaltung der materiel- 
Ten, der Induftrie, des Handels, der praftifchen Künfte und Wiffenfchaften, der Hülfs⸗ 
Anſtalten für den Verkehr begann im Sinne des kaiſerl. Despotismus bie vollen- 
bildung und Anordnung im Mechtöwefen und der Verwaltung. Das Handels und 


38 Rapoleon 1. (Katfer der Zranzofen) 


auch das Strafgefegbuch wurben vollendet. Die Finanzverwaltung, die Abgabenerhebung er» 
hielten beinahe militäriiche Formen. Das Rechnungsweſen wurde fo vereinfacht, daß N. aus 
Liften, die er bei fich führte, ftet6 den Stand der Einnahmen und Ausgaben mit ben Rüdflän- 
den erfehen konnte. Für jeden Monat fegte der Kaifer durch) ein Decret die Summen feſt, die 
jedes Minifterium und jeder Dienft aus der Schagfanımer beziehen follte. Die Ausgaben des 
kaiſerl. Hauſes waren ſchon längſt mit gleicher Drdnung geregelt. Die Eivillifte für das I. 1806 
belief fi in den gewöhnlichen Ausgaben nur auf2,770841 Fres. Aus dem Schage ber außer 
ordentlichen Domänen, der ſich durch die Siege ungeheuer vergrößerte, beftritt N. die Luxusbau⸗ 
ten ? über 100 Mill. wurden auf Verfchönerung der Hauptftadt verwendet. Je höher die Macht 
und der Despotismus N.’S fliegen, um fo mehr zitterte er vor jedem Blatte, das ohne feine Auf 
ficht gedruckt wurde. Die Bewachung der Preffe erhielt deshalb nach bem Frieden von Tilſit in 
Frankreich wie in den unterworfenen Ländern noch drüdenbere Formen. Nach gleichen Grund 
fägen wurde das öffentliche Unterrichtd- und Erziehungsweſen der kaiſerl. Univerfität unterſtellt, 
die zugleich ihre legte Geftalt erhielt. Für alle fath. Gemeinden wurde ein Katehismus anbe- 
fohlen, der allen Tugenden die des blinden Gehorfams voranfegte, die Verehrung bed Kaiſers 
als des Stellvertreters Gottes auf Erben einprägte und dem Confcriptionsgefege eine faft reli⸗ 
giöfe Sanction verlieh. In Folge des Tilfiter Friedens und der Gewaltthaten der Engländer 
gegen die Pforte und Dänemark gelang es endlich auch N, Rußland und Dänemark zur 
Anerfennung des von Berlin aus gefchleuderten Blockadedecrets zu vermögen. Wußer 
Schweden hatte fid nur Portugal dem brit. Einfluffe noch nicht entzogen. Diefer Um⸗ 
ftand follte jegt N. die Hand bieten, feine Welteroberungsplane auch auf die Pyrenälfche 
Halbinfel auszudehnen. Unter der Beſchuldigung, daß der Hof von Liffabon mit Eng⸗ 
land zufammenhalte, mußte ſich zuvörderft Junot mit einem Heere über bie Bibaffos 
wenden und im Verein mit einem fpan. Hülfscorps auf Liffabon losgehen, das 30. Nov. 
1807 in ber Sieger Hände fiel. Der Prinz Regent, der fchon durch den „Moniteur” vom 
13. Nov. erfahren, „daß das Haus Braganza aufgehört Habe zu regieren“, floh nach Brafilien. 
Nachdem bereits Hetrurien mit Frankreich vereinigt, verfündigte der Senat, der die Dratel- 
fprüche des Kaiſers zur Kenntniß bringen mußte, 21. Jan. auch die Vereinigung von Weſel, 
Kehl, Kaftel und Vlieffingen mit dem Reiche. Der ganze Rhein wurde hiermit für franzöfifch 
erflärt. Am 22. San. rief ein anderes Decret 80000 Confcribirte unter die Bahnen, bie N. zur 
Ausführung einer neuen, in ber Gefchichte unerhörten Ufurpation dienen follten. Um nämlich 
feine Abſichten auf die Befignahme von Spanien durchzuführen, hatte er fich mit dem Minifter 
Godoy (f. Aleudia), der den ſchwachen König Karl IV. und zugleich das fpan. Volk unum- 
ſchränkt befnechtete, in gutes Vernehmen geſetzt und von demfelben fogar das fpan. Heer von 
20000 Mann zur Verfügung erhalten. Während diefes Corps unter franz. Adlern nad) Dä⸗ 
nemark abging, wirkte ſich N. von Godoy auch die Erlaubnif aus, 30000 Mann angeblich nad 
Portugal beftimmter franz. Truppen in Spanien einziehen zu laffen. Statt deffen fielen jedoch 
plöglic) 60000 Franzofen in Spanien ein, befegten die Keftungen Barcelona, Figueras, Pam» 
peluna, San-Sebaftian und rüdten langſam nach der Hauptftadt vor. Die Bevölkeruug em⸗ 
pfing die Sranzofen mit Jubel, weil man in denfelben die Erretter von der Bünftlingherrfchaft 
fah, und der Prinz von Afturien, mit dem N. ebenfalls in Verbindung fland, nahm fogleich 
die Gelegenheit wahr und ließ fich, nachdem er den Minifter und feinen königl. Vater zur Ab⸗ 
dankung veranlaßt, ald Ferdinand VII. (f. d.) zum Könige proclamiren. Hierauf befegte Mu 
tat 23. März 1808 Madrid; N. aber warf fih, als Karl IV. feine Abdankung für erziwungen 
erklärte, zum Schiedsrichter in diefem Bamilienftandal auf und veranlafte Vater und Sohn, 
nad Bayonne zu kommen. Hier wußte man Beide, Karl IV. wie Ferdinand VII. zur Abdankung 
zu Gunften des Prinzen zu bewegen, welchem ber Kaifer ald Schiedsrichter den fpan. Thron zu 
ſprechen würde. N. ließ nun ſogleich zu Bayonne aus ihm ergebenen ſpan. Großen, Beamten und 
Geiſtlichen eine Nationaljunta zuſammentreten, die den Bruder des Kaiſers, Joſeph Bonaparte, 
zum König verlangte. Derſelbe wurde auch 6. Juni 1808 als König von Spanien und Indien 
proclamirt und eilte, feinen neapolit. Thron ay Murat (ſ. d.) abtretend, nach Madrid, wo er 
ſich unter dem Schutze der franz. Bayonnete zu befeſtigen ſuchte. Indeß ſollte N., der dieſe ſchmach⸗ 
volle Uſurpation eine Eroberung nannte, gerade hier erfahren, daß Patriotismus und National- 
gefühl weniger leicht niederzutreten find als entartete Dynaftien. Als die Intrigue vollig ent- 
: widelt war, griff die fpan. Bevölkerung im Zorne über die Einmifchung der Fremden zu den 
Waffen und zwang 16. Juli den General Dupont (ſ. d.), mit 13000 Franzoſen bei Baylen (ſ. d.) 
gu capituliren. Dieſe ſchimpfliche Niederlage, verbunden mit der Vertreibung der Franzoſen 


Napoleon I. (Kaifer der Franzoſen) 3 


aus Portugal durch Wellington (f. d.), beſtimmte N., an der Spige eines neuen mächtigen Dee 
res in Perfon nad) Spanien zu zichen. Weil ſich auch der Papſt gegen ihn erflärte, der König 
von Schweden drohte und Oſtreich fich rüftete, fuchte er fich zuvor der Freundichaft des Kaifers 
Wesinder von Rußland duch eine Zuſammenkunſt zu verfichern, die 27. Sept. 1808 unter 
großen: Glanz und in Gegenwart vieler Fürften und Großen au Erfurt flattfand. Nachdem ſich 
beide Kaifer Freundſchaft und gemeinfame Herrſchaft Europas zugefichert, eilte N. nad) 16taͤgi⸗ 
gem Aufenthalte nach Frankreich, um an der Spige von 80000 aus Deutfchland zurückgerufe⸗ 
sen Kriegern die Pyrenäiſche Halbinfel feines Herrfchaft zu unterwerfen. Bei dem Übergewichte 
feiner Taktik wie feiner Truppen mußte die Infurrection allerdings für den Augenblick unter 
liegen. Die Spanier wurben in einzelnen Corps 10. Nov. in der Schlacht bei Burgos und bei 
Eipinofa, 16. Nov. zu Santander, 25. zu Tudela und endlich 30. Nov. im Treffen bei Somo- 
Sierra gefchlagen. N. feste num feinen Marfch gegen die Dauptftadt fort, hielt 5. Dec. den Ein- 
jug und benahm ſich nicht ald erzürnter Gebieter, fondern als Befreier. Am 9. berief er eine 
Berfammiung von 1200 Notabeln, denen er die Berbefferungen vorlegte, welche Spanien mit 
der neuen Dynaftie empfangen, und bie in feiner Gegenwart feinem Bruder den Treueid wieber- 
holen mußten. Da fich die Rüſtungen Oſtreichs täglich drohender geftalteten, kehrte er hierauf 
nach Frankreich zurück, zumal als die Ruhe auf ber Halbinfel bergeftelle ſchien. 

Die Zerſtrenung der franz. Heere, der Krieg in Spanien, die dumpfe Gährung ber Gemü- 
ther in Deutſchland und brit. Geld hatten das Haus Oſtreich nochmals zu dem Verfuche getrie- 
Ben, das Übergewicht und die Zwingherrfchaft N.'s zu brechen und die verlorenen Provinzen 
wieber zu erobern. Ein großes Heer von 150000 Mann follte unter dem Erzherzoge Karl au 
Böhmen in Baiern vorbringen; 50000 Dann Linientruppen mit 25000 Milizen unter dem 
Erzherzog Johann erhielten den Befehl, in Italien zu operiren; ein drittes Corps von 40000 
Dann unter dem Erzherzog Ferdinand hatte den Auftrag, das Herzogthum Warfchau zu be» 
fegen. N. konnte diefer großen Streitmacht 100000 Franzofen, 40000 Baiern und Würtem⸗ 
berger, 60000 Verbündete der Beinen Rheinbundfürften und 15— 20000 Polen entgegen. 
flellen. Nachdem er 12. April 1809 den Einfall der Oftreicher in Baiern erfahren, eilte er nad 
Deautfchland, ermuthigte die 80000 Mann Truppen, mit welchen er den Feldzug eröffnen wollte, 
und warf fich 20. April bei Abensberg auf den linken Flügel des Erzherzogs, während Davouft 
den rechten im Schach halten mußte. Schon in diefer erſten Schlacht verloren die Öftreicher 
18000 Gefangene, am folgenden Tage im Treffen und bei ber Einnahme von Landshut bie 
Hälfte mit zahlreihem Gepäd. N. wendete fi zurüd nach Eckmühl (f.d.), wo er den Erzher⸗ 
09 22. April mit Ungeftüm fehlug und 16000 Mann gefangen nahm. Der öſtr. Feldherr be 
bloß hierauf, feinen bei Regensburg concentrirten Reſt von 80000 Mann nady Böhmen zu- 
rũckzufũhren, und paffirte am 23. die Donau, während die Sranzofen Regensburg eroberten 
und die feindliche Nachhut heraustrieben. Ohne Hinderniffe fegte N. nun feinen Marfch über 
Ne Sfar und den Inn fort, warf 3. Mai die Trümmer einiger öfte. Corps mit großem Verlufte 
bei Eberöberg und langte 9. Mai unter den Mauern von Wien an, dad nad) einer heftigen Be 
Khießung 12. Mai capitulirte. Bon Schönbrunn aus, wo er wieder fein Hauptquartier auf 
flug, foderte er die Ungarn auf, ſich einen neuen König zu wählen, und ber öfft. Landwehr 
befahl er aufs ſtrengſte die Rückkehr zu ihrem Herde. Seine ftolzen Proclamationen, die er an 
die Truppen richtete, verriethen Verachtung und Erbitterung gegen das öftr. Kaiferhaus. Am 
17. Mai erfchien er zu Wien, um von da aus zu größerer Demüthigung der Habsburger die 
Bereinigung der rom. Staaten mit Frankreich zu decretiven. Der Papft Pius VII. ſchleuderte 
mar gegen ihn den Bannfluch ; allein N., auf der Höhe feiner Macht, fürchtete biefen Fluch um 
fo weniger, als feine Feinde durch die Auflöfung des Kirchenftaats in Italien ihren wefentlichen 
Stũtzpunkt verloren. Um dem Erzherzog Karl, der fein Heer auf dem linken Donauufer zur 
fammengezogen, feine Zeit au laſſen, befchloß N., ben Kampf ungefäumt fortzuführen, und 
begann 20. Mai feine Truppen über die Infel Lobau auf das rechte Donauufer zu fegen. Bei 
diefer Operation entfpann ſich 21. Mai die zweitägige Schlacht von Aspern und Esling (T.d.), 
durch welche die Melt zum erften male mit Erftaunen erfuhr, daß N. gefchlagen werben und 
mit feinem Deere in eine furchtbare Lage gerathen könnte. Während fich die Franzoſen mit 
Befeftigung der Infel Lobau, auf die ſich N. zurückgezogen, befchäftigten, erfchien die ital. Ar⸗ 
mee unter Eugen, der den Erzherzog Johann befiegt und die Schlacht bei Raab gewonnen hatte. 
Das franz. Heer ſtieg hierdurch auf 150000 Mann mit 400 Kanonen, ſodaß N. endlich 50. Juni 
den Übergang und jene Reihe von furchtbaren Gefechten begann, die 6. und 7. Juli mit der 
Schlacht bei Wagram (ſ. d.) und ber Zertrümmerun N des fir. Heeres endeten. Die Treffen 


48 Napoleon I. (Kaifer der Franzefen) 


bei Hollabrunn und Schöngraben und die Schlacht bei Znaym 11. Juli vollendeten den Feld» 
zug. Nach Tangen Unterhandlungen wurde der Friede 14. Oct. 1809 zu Wien unterzeichnet, 
der Oſtreich 2000 AM. an Flächeninhalt und ungeheuere Kriegefteuern koſtete und jede Ver» 
bindung mit dem Meere abfchnitt. Mitten im Siegesglück wäre N. 13. Dct. beinahe dem Dolche 
eines deutfchen Jünglings, Namens Stapf (f. d.), erlegen, der fein Vaterland auf biefe Weiſe 
von ber Hand des Unterbrüders befreien wollte. Diefer Umftand, der Kampf der Tiroler, die 
Erbitterung und die geheimen Verbindungen im Innern von Deutfchland, die Berfuche zum 
Parteigängerkriege von Schill und dem Herzoge von Braunfchweig hätten dem Machthaber 
die Augen über die Zukunft feiner politifchen Schöpfumgen öffnen fönnen. Indeß betrachtete er 
mit größerer Beforgnig die vorübergehenden Erfolge der Engländer auf Walcheren (f. d.) und 
zu Dlieffingen (f. d.), fomwie die Eroberung der Joniſchen Infeln. - 

Dem Frieden zu Wien folgte in den Leben N.’ ein Burger Zeitraum, in welchem der Sieger, 
auf dem Gipfel feiner Macht und feines Glücks, die Waffen niederlegte, um ſich mit der Befe⸗ 
ftigung feines Throne und der politifchen Geftaltung feines nunmehrigen Weltreih6 zu be 
fhäftigen. Zwar dauerte der Kampf auf der Pyrenäifchen Halbinfel in Folge der Opfer und 
Bemühungen des brit. Cabinets fort und rieb die faiferlichen Legionen auf; allein dies flörte 
den allgemeinen Frieden und die innere Thätigkeit des Machthabers nicht. In dieſe Epoche 
fällt die Errichtung von großen Bauwerken, Kunftftraßen, Kanälen und Induftrieanftalten, 
durch die fi N. nicht nur in Frankreich, fondern auch in den abhängigen Rändern verewigte. 
Um die Zufunft feines Reichs zu fichern, ließ ex fich durch einen Senatsbefchluß vom 16. Der. 
4809 von feiner Gemahlin Joſephine, die ihm feine Nachkommenſchaft gewährte, ſcheiden. Er 
hielt diefen Schritt, der auch fein eigenes Gefühl verlegte, für eine politifche Nothwendigkeit 
und that denfelben zwar mit Feftigfeit, aber mit Schonung. Seine Wahl für-eine zweite Che 
fiel erft auf die xuſſ. Sroßfürftin Anna, die vorige Königin der Niederlande; aber die Unter 
bandlungen über diefe Verbindung, welche unberechenbaren Einfluß auf das Schickſal bes 
franz. Kaiſerreichs gehabt Haben würde, zerſchlug fich, angeblich wegen des jugendlichen Alters 
der Prinzeffin. N. wendete fich hierauf an den Kaifer Franz von Oſtreich und erhielt von die⸗ 
fen die Sand der Erzherzogin Maria Luiſe (f. d.). Diefe Vermählung, die 2. April 1810 zu 
Paris flattfand, war vielleicht einer feiner größten politifchen Fehler. N. verließ hiermit feine 
Stellung als revolutionärer Machthaber und gerieth den alten Dynaftien gegenüber, die er zur 
Vervoliftändigung feiner Entwürfe befämpfen mußte, in eine unfreie Lage. Fortan trennte er 
ſich unwillkürlich noch mehr von den Volksintereſſen, und fein Hof, bisher ber Mittelpunkt 
großer Talente, wurbe der Sammelplag des alten Adels, der fi) mit dem neuen nicht vermi⸗ 
Then mochte. Nachdem endlich Schweden 10. Jan. 1810 dem Continentalſyſtem beigetreten, 
begann R. im tiefen $rieden abermals gemaltfame Gebietsveränderungen, welche eine vollkom⸗ 
mene Sperrung bes Feftlandes und die Abrundung des franz. Kaiferreichd bezweckten. Da 
Ludwig Bonaparte (f. d.) fich der Politik des Kaiſers im Intereffe feines Volkes widerfegte, fo 
wurde durch einen Senatöbefchluß vom 9. Juli 1810 ganz Holland mit dem Kaiferreich vereie 
nigt. Ein gleiches Schickſal erfuhren Wallis und die deutſchen Nheinbundländer an der Ems, 
Weſer und Elbe, die Danfeftädte, Oldenburg, ein Theil des Großherzogthums Berg und felbft 
einige Theile des Königreich Weftfalen, zu dem jedoch kurz vorher ganz Hannover gefchlagen 
worden war. Die Grenzen des Kaiſerreichs erweiterten ſich hiermit von den Ufern ber Tiber 
bi zu der Mündung der Elbe. Rom wurde die zweite, Amfterdam bie dritte Hauptftadt dieſes 
ungeheuern 44 Mill. Menfchen umfaffenden Reiche. Überdies erftredte fich die Schugherr- 
[haft des Kaifers fireng genommen faft über 100 Mil, Europäer. Am 20. März 1814 
wurde N. ein Sohn geboren (f. Reichſtadt), welcher der Erbe diefer ungehenern Macht werden 
ſollte und der ſchon beim Eintritte in die Welt den Titel eines Königs von Nom empfing. Das 
Continentalſyſtem, das zwar durch den fogenannten Tarif von Trianon vom 28. April 1811 
einige Erleichterungen erlitt, verurfachte bereit6 zu Anfange 1811 eine Spannung des Kaiſers 
mit Schweden und. Rußland, die einen neuen allgemeinen Krieg fürchten ließ. Das Umfich- 
greifen N's, der felbft den Herzog von Oldenburg, einen Verwandten des uff. Hofs, nicht ge- 
ſchont hatte, die Gründung des Herzogthums Warſchau im Lilfiter Frieden, die ungeheuern 
Nachtheile der Handelsfperre rückfichtlich der Finanzen entfernten allmälig den Kaifer Aleran- 
der von R., ber feinerfeits diefe Kälte mit großer Empfindlichkeit behandelte. Ein Ukas vom 
10. Dec. 1810 erlaubte bereits den Eingang brit. und fremder Colonialwaaren im zuff. Reiche 
unter fremder Flagge, während zugleich die Einfuhr frang. Fabrikwaaren verboten wurde. 
Unter dem diplomatifchen Streite, der fich darüber wie über bie Einverleibungen erhob, nab« 


Napoleon 1. (Kaifer der Franzoſen) 4 


wen plõtzlich zahlreiche ruff. Truppen eine drohende Stellung gegen Marfchau hin ein. N. er» 
eiderte dieſe Demonffration, indem er die Weichſel- und Oderfeftungen InBelagerungszuftand 
erklärte und Schwediſch⸗Pommern befegee, um dem Könige Karl XIN. von Schweden, dent 
Berbündeten des ruff. Hofs, das Angriffsterrain abzufchneiden. Während von beiden Seiten 
rieſenhafte Rüftungen für einen entfcheidenden Kampf begannen, bemühte ſich die Diplomatie 
noch länger ale ein Jahr, bie friebliche Ausgleichung zu verſuchen. N. erkannte die Continen- 
alfperre als die einzige Waffe, mit welcher er feine Nebenbubhlerin, die brit. Seemacht, ſchwä⸗ 
hen und zum Frieden zwingen konnte, und gegen die Vorftellungen feiner Freunde und Räthe 
türgte er fi darum mit faft blinder Leidenſchaft in einen Kampf, den er felbft, im Privatum- 
ange wie in feinen Proclamationen und Noten, ald verhängnißvoll bezeichnete. Unter dem 
Borwande, die große Weichſelarmee zu muflern, reiſte er 9. Mai 1814 nach Deutfchland, mo 
t zu Dresden die deutfchen Fürſten und Könige verfammelte, um diefelben zu gewinnen und ſich 
iber die Hülfsleiftungen in dem Kampfe gegen Rußland zu verftändigen. Faſt fchien es auf 
ieſer glänzenden Gonferenz, der felbft der Kaifer von Oſtreich beimohnte, als fei N. der Herr 
rer europ. Welt. Obſchon er allmälig im Kriege auf der Pyrenäiſchen Halbinfel gegen kine 
Million GStreiter verloren, fo fepten fih doch im Mai und Juni 1812 von allen Punkten der 
veſtlichen Ränder eine Halbe Million Krieger, Deutfche, Staliener, Srangofen, Holen, Schweizer, 
Spanier und Portugiefen, in Bewegung, um auf feinen Mint den Niemen zu überfchreiten. 
R. eröffnete den Feldzug, den er den zweiten polnifchen nannte, mit der Proclamation des 
Königreichs Polen und der Zufammenberufung der Nationalconföderation; doch nahm er aus 
Rüdfiche für feinen Schwiegervater das öftr. Galizien aus. In feiner Fühnen Yhantafie flie- 
ven aber auch noch riefenhaftere Entwürfe empor. An der Spige diefer ungeheuern, von fei 
ıem Genie geleiteten Streitmacht war es vielleicht möglich, die ruff. Herrfchaft nach Afien zu⸗ 
üũckzuwerfen und dann auf ben Trümmern Rußlands und der Türkei ein neues byzantinifches 
Ratferreich zu ftiften. 

Man darf das Unglüd, welches mit Befchreitung der ruff, Grenze in N.'s Laufbahn herein- 
rach, nicht als ein äußerliches Ereigniß anfehen, das feinen Übermuth und feinen Ehrgeiz zu⸗ 
ällig rächte. Er wurde hier von feinem DVerhängniffe, das ihn emporgehoben, geftürzt; fein 
Schickſal mußte fich erfüllen. Derfelbe Damon, durch welchen er Stalien eroberte, ber ihn in 
ie Wüſten Agyptens führte, der ihn zur Dictatur und zum Kaiferthrone trieb, der ihn in Spa⸗ 
rien eine Million Menfchenleben opfern ließ, derfelbe naturgemwaltige Drang nach Große und 
Beltherrſchaft führte ihn auch in die Eisfelder Rußlands. Wie ſonſt faßte er alle Mittel zu- 
ammen, um den Nebenbuhlern feiner Macht den tödtlichen Schlag zu verfegen und den Sieg 
ur Grundlage neuer Eroberungen und Entwürfe zu machen. Ein folcher ſchrankenloſer, durch 
merhörte Erfolge geftählter Wille berechnet die möglichen Wechfelfälle wenig, verachtet den 
Rat} Anderer, denen er ſich überlegen weiß, und erfährt endlich feine Schranke an ber phyſiſchen 
md moralifchen Weltorbnung. Die fchauernollen Scenen des Feldzugs begannen fchon in ben 
rften Wochen. Eine drüdende Sommerhige und die Unmöglichkeit, fo ungeheuere Maffen aus 
ver Ferne genügend zu verproviantiren, erzeugten verheerende Krankheiten und unter den Bun- 
wögenoflen, welche dem Machtgebot gefolgt waren, Unzufriedenheit. Zugleich erwachte der 
Bolkskrieg in feiner fchrediichften Geflalt. Die Einwohner entflohen und vernichteten oder 
erbargen bie Vorräthe; der zurücdtweichende Feind verheerte fein eigenes Rand und zündete 
Städte und Dörfer an, um den Frangofen jedes Hülfsmittel zu entziehen. Der Sieg bei 
Smolens?, 17. Aug. 1812, und die blutige Schlacht an ber Mostwa, 7. Sept., nach welcher 
50000 Leichen das Schlachtfeld bededkten, öffneten endlich 15. Sept. dent erfchöpften und ge- 
ichteten Deere Moskau (f. d.), wo N. einen Ruhepunkt bis zum nächften Frübfahre zu finden 
hoffte. Doch der Brand diefer ungeheuern und an Hülfsquellen reihen Stadt vereitelte mit 
Einem Schlage alle Hoffnungen und Berechnungen. Nachdem N. in den rauchenden Trüm- 
nern der Stadt rathlo8 einen ganzen Monat verweilt und dem täglich wachſenden Feinde ver 
zebens den Frieden angetragen hatte, entfchloß er ſich, mit feinen entmutbigten Truppen an die 
Divina und den Driepr zurüdzuziehen. Der Rückzug begann 15. Dct. bei günftigem Wetter; 
ıllein ſchon Anfang Noveniber trat eine ungewöhnliche Kälte ein, die bald auf 15— 20 flieg 
und durch welche ſämmtliche Pferde in einigen Nächten hinmweggerafft und ganze Corn& wehr⸗ 
los gemadjt und dem Tode oder dent auf allen Seiten eindringenden Feinde preisgegeben mur« 
ben. (5. Ruffifch-deuticher Krieg.) In diefer furchtbaren Rage erfuhr N. die Nachricht ven 
ber Verſchwörung des Generals Mallet (f.d.), die ihm mit Schrecken offenbarte, welche ſchwache 
Burzeln feine Dynaftie ſelbſt in Frankreich getrieben. „Und Napoleon 11.”, fagte er erftaunt, 


42 Napoleon I. (Kaifer der Franzofen) 


„man bachte alfo nicht an ihn!” Die Kämpfe und der Übergang über die Bereszina (f. b.) 
vom 22.—28. Nov. vollendeten die Auflofung und Zertrümmerung des Heeres. N., ber jegt 
wohl begriff, daß er fi) Europa nicht entwaffner zeigen dürfte, übergaB A. Dec. dem Könige 
von Neapel den Oberbefehl und eilte im ftrengften Incognito über Warfchau und Dresden 
nach Paris, mo er 18. Der. zugleich mit dem Bulletin, welches die furdtbare Niederlage offen 
verfündigte, anlangte. Wiewol jede Familie ihren Todten betrauerte, die waffenfähige Mann- 
Schaft durch die mörderiſchen Kriege faft aufgerieben, das Volt mit Steuern belaftet war, wußte 
doch die zwingende Perfonlichkeit des Kaiſers die Unzufriedenen in Unterwürfigkeit zu halten 
und die Nation durch flammende Proclamationen und eine übertriebene Darftellimg ber Ge 
. fahr zu neuen Opfern und Anftrengungen zu bewegen. Durch ftaunenswerthe Energie und 
Thätigkeit gelang es ihm, in den erfien drei Monaten 1813 ein neues, zwar wenig fampfge- 
übtes, aber, mit Ausfchluß der Garde, mehr ald 200000 Mann ſtarkes Heer mit 600 Kanb⸗ 
nen aufzuftellen. 

Indeß hatte die Nachricht von der Kataſtrophe in Rußland, das Einrüden des Feindes in 
Deutfchland, die begeifterte Erhebung Preußens und bie Auflofung bes Nheinbundes durch 
den Aufruf Kutufow’s (25. März zu Kalifch), fein Verhältnif zum europ. Feſtlande gänzlich 
verändert. Der fo plögliche Sturz des kühnen Eroberers bedite mit einem Schlage die Nichtig- 
keit und Vermeſſenheit des Gedankens auf, die Völker der civilifirten Welt durch materielle Ge⸗ 
walt unter ein Scepter zu beugen. Alle Nationalitäten von der Oftfee bis zur Tiber, welche 
durch die Idee bes Kaiſerreichs zertreten, gefeffelt, in ihren heiligften Intereffen verlegt waren, 
warteten nur, um die Waffen gegen den gemeinfamen Unterbrüder zu ergreifen. Die Volksbe⸗ 
wegungen verachtend und in der Erwartung, daß er feine Macht durch entfcheidende Stege über 
die verbündeten Fürften wieberberftellen würde, verließ N. 15. April 1815 Paris, um ben Feld⸗ 
zug gegen die Ruſſen und Preußen in Sachien zu eröffnen. Nochmals gelang es feinem nume⸗ 
rifchen Übergewicht, verbunden mit fchnellen ımb kühnen Operationen, den Sieg bei Lügen 
2., bei Baugen und Wurſchen 20. und 21. Mai an feine Adler zu feffeln. In der Hoffnung, 
durch diefe Vortheile eine Ausfohnung und einen vortheilhaften Frieden bei den Höfen zu ge- 
winnen, bewilligte er 4. Juni den Waffenftillfiand von Pläswig, ber jedoch nur da;:. »sente, 
den Feind zu verftärfen und unter Englands Mitwirkung den Beitritt Oſtreiche und Schwe⸗ 
dens zur Coalition vorzubereiten. Man trug ihm zwar unter Oſtreichs Vermittelung ben Frie- 
den unter ber Bedingung an, daß Frankreich feine Eroberungen bis an den Rhein aufgebe, aber 
diefer Vorſchlag emporte feinen Stolz, und während fih Deutichland in Maſſe erhob, ent- 
brannte der Kampf aufs neue. Vielleicht zeigte fih in keiner Epoche feiner außerorbentlichen 
Laufbahn der Charakter und das Genie N.'s größer als in diefer. Seine Entfchloffenheit, fein 
unbeugfamer Muth, fein unerfchöpflicher Reichthum an Hülfsquellen, gegenüber ben furcht- 
barften Schlägen, dem Abfall und der Erbitterung von ganz Europa, ift in der Geſchichte ohne 
Beifpiel. Nach dem Siege bei Dresden 27. Aug., ber einen Augenblid feine Hoffnung belebte, 
folgten der Abfall der Baiern und die Niederlagen feiner Generale bei Kulm, Großbeeren, 
Dennewig und an ber Katzbach, fodaß er den Entfchluß faßte, fih den franz. Grenzen zu nä⸗ 
hern. In diefer Operation begriffen, zwangen ihn die weitüberlegenen Deere ber Verbündeten 
16., 17. und 18. Det. zu der entfcheidenden Schlacht in den Ebenen bei Leipzig (f. d.). Zum 
legten male kämpfte er hier mit den Fürften, die ex fo oft befiegt, mit Verzweiflung um die 
Dictatur von Europa; und er unterlag. Einen Augenblid fchien feine phyfifche umd geiftige 
Natur von biefem Schlage vernichtet; bald aber gewann er feine Spanntraft wieder und eilte 
nach Paris, während die Trümmer feines Heeres den Übergang über den Rhein erftritten. Eine 
neue Aushebung von 300000 Zünglingen wurde durch ein Senatsbecret verfündigt und mit 
dem größten Eifer die Anftalten zu einem neuen Feldzuge getroffen. Allein wie eritaunte N., 
daß mit feinem und der Nation Unglüd auch in Frankreich der Zauber feiner Perfonlichkeir ge 
brochen, daß das Volk nicht Siege, fondern friedliche Ausgleichung verlangte, daß fich eine 
öffentliche Meinung und politifche Parteien gegen ihn erhoben, die er für immer vernichtet zu _ 
haben glaubte ımd die jegt Bürgfchaften gegen feinen Despotismus verlangten. Als audy der 
Gefeggebende Körper bei der Foderung neuer Anftrengungen zum erften male den Wunſch 
nach Frieden und nach Sicherung ber individuellen Freiheit blicken ließ, löfte er denfelben in ei« 
ner zornigen Rede auf, in welcher er zugleich proteftirte, Daß man feine Perfon von der Nation 
trenne. Die Nation war fo ermüdet und die Kaiferregierung hatte diefelbe fo von ber Theil- 
nahme anı öffentlichen Leben entwöhnt, daß felbft ein allgemeiner Aufruf in Maffe zur Bil 
bung eines Landſturms wenig Erfolg hatte. Von der offentlihen Meinung verlaffen, fegte er 





Napoleon I. (Kalfer der Frangofen) 43 


nun einzig feine Hoffnung auf das Kriegsloos und die Armee, die er wieder auf 80000 Mann 
verflärkte. Um im Weſten Frankreichs ficher zu fein, hatte er bereits im Dec. 1815 Ferdi⸗ 
nanb VII. die fpan. Krone wieder überlaffen: jegt vereinigte er fich auch mit dem in Frankreich 
fefigehaltenen Papſt und gab demfelben Rom zurüd. Am 25. Jan. 1814 endlich eilte er zu 
feinem Heer an der Aube und warf ſich den von allen Seiten auf franz. Boden eindringenden 
Berbündeten entgegen. Allein, obſchon er fein Genie in den kühnſten Combinationen erfchöpfte 
umd feine Truppen mit ber verzweifeltften Unftrengung Fämpften, warer nicht mehr im Stande, 
ber Ubermacht zu begegnen. Rad) der Schlacht von Brienne, die er 29. Jan. verlor, wurbe ihm 
ber Friede von dem zu Chatillon (f.d.) verfammelten Congreffe der Verbündeten unter der Be- 
dingung angetragen, daß Frankreich in die Grenzen von 1792 zurückkehre. Allein ungeachtet ber 
Bitten und Thränen feiner Generale verwarf er dieſes Anfinnen und foderte Die Grenzen bes 
Rhein. Nach den Vortheilen, welche er in einer Reihe von Gefechten vom 11.—18. Febr. da- 
vontrug, ſodaß die Verbündeten eine rüdgangige Bewegung machen mußten, fpannte er feine 
Foderungen fogar noch höher. Indeß fchloffen die Verbündeten den Vertrag von Chaumont 
([.d.), in welchem der gemeinfame Feind fchon ſo gut als entthront wurde. Das Geſchick N.E 
entfchteb fich nun fchnell. Nach einem blutigen Kampfe gegen Blücher bei Kaon, 9. März, 
warf er fih 20. auf Schwarzenberg bei Arcis-fur-Mube, wurde aber zurüdgefchlagen. Er faßte 
nun den Gntiäluf, Hinter ben Rüden des Feindes zu gehen, die Befagungen der Mofelfeftun- 
gen an filh zu ziehen und das Volk zum Aufftande zu bringen. Doc die Verbündeten, von 
feinem Plane unterrichtet, begnügten fich, ihn zu beobachten und fegten auf die Ermunterun- 
gen der rogaliftifchen Partei, an beren Spige Talleyrand ftand, ihren Zug auf Paris fort, das 
31. Marz capitulirte. Auf diefe Schredensnachricht eilte N. herbei, um den Befehl vor der 
Hauptfladt zu übernehmen, fam aber einige Stunden zu fpät und ging nun nad) Fontaine 
bleau, wo fich allmälig feine Truppen, die zufammen immer noch 60000 Mann betrugen, ver- 
fanmelten. Anfangs entichloffen, ben Kampf fortzufegen, ftand er jedoch davon ab, als er die 
Gleihgültigkeit der Nation, die Keindfeligkeit der Behörden, den Abfall der des Kriegs müden 
Generale und ben Verrath feiner einflufreichfien Diener fah und erfuhr. Nachdem der Senat, 
der in ben Tagen feines Glücks foviel Untermwürfigkeit gezeigt, 1. April feine Abfegung aus⸗ 
geiprochen, dankte er erſt zu Bunften feines Sohnes, endlich, nad) harten Kämpfen und untet 
ben Bitten feiner Getreuen, für ſich und feine Familie ab, indem bie Verbündeten erflärten, 
daß er das einzige Dinderniß für die Derftellung des Friedens fei. Nach diefer von ihm 11. 
April umterzeichneten Acte erhielt er die Infel Elba als Souverän und eine jährliche Nente 
son 2 MIN. für fi) und feine Gemahlin auf Frankreich; auch durften ihm 400 Mann feiner 
Garde als Freiwillige folgen. Am 20. April, nachdem er einen rührenden Abſchied von der 
alten Garde genommen, verließ er Fontainebleau und nahm feinen Weg nad) dem Süden, wo 
er von angeftellten Pobelhaufen bedroht wurbe, fobaß er fich verfleiden mußte. Auf einer brit. 
Fregatte fchiffte er fh 28. zu St.-Rapheau ein und langte 3. Mai auf der Rhede von Porto» 
Ferrajo an, während Ludwig XVII. an demſelben Tage feinen Einzug in Paris hielt. 

N. war geneigt, diefe fchnelle Veränderung feines Schickſals nur dem Verrath feiner Unter- 
gebenen, den Intriguen ber Noyaliften und den ermachenden Freiheitsideen von 1789 zuzu⸗ 
ſchreiben, und hielt deshalb auch feine Laufbahn nicht für gefchloffen. Er verbarg ben Beobach⸗ 
tern feine neuen Plane, die anfangs auf Stalien gerichtet waren, unter einer faft närrifchen 
Seichäftsthätigkeit, vermehrte aber und übte unterdef feine Truppen. Aus Frankreich kamen 
ihm fehr bald Nachrichten zu von ber Unzufriedenheit mit der Negierung der Bourbond und 
der Anhänglichkeit, welche das Heer feiner Perfon bewahrte. Der Gedanke, bie Lage Frank⸗ 
reichs zur Rückkehr auf den Thron zu benugen, reifte bei ihm zum Entfchluffe durch das Leſen 
des „Moniteur” und zwar plöglich. Briefe aus Wien, fowie von Murat, ber Agenten auf dem 
Gongreffe hatte, beftarkten ihn in diefem Gedanken, indem er erfuhr, daß die franz. Minifter 
den Verbündeten vorgefchlagen, ihn auf der Infel Elba zu überfallen und mit Gewalt nach 
St.⸗Helena zu bringen. Er traf deshalb Anftalten, die Infel in DVertheidigungszuftand zu 
fegen, und als er vernahm, daß unter den Mitgliedern des Congreffes felbft die Spannung in 
Zeindfeligkeiten auszubrechen drohe, hielt er den Zeitpunkt für günftig, das Wagniß feiner 
Nüdkehr zu unternehmen. "Am 26. Febr. 1815 ſchiffte er ſich während der Abweſenheit des 
ihn bewachenden brit. Commandanten zu Livorno auf feiner Brigg Inconftant mit 400 alten 
Bardiften, 100 poln. Reitern und ungefähr 400 Mann anderer Truppen heimlich ein und lan⸗ 
bete 1. März glücklich an der franz. Küſte auf der Rhede des Golfs von Juan, wo ihn die Be 
völferumg nicht ohne Beifall empfing. Raſch drang er num durch das fübliche Frankreich vor, 


aM Rapoleon 1. (Kaifer der Franzoſen) 


shne auf Truppen zu ftoßen, umd freute Proclamationen an das Volk wie an das Heer aus, Im 
welchen er fich ald Befreier Frankreichs vom Joche der Bourbon ankündigte. Erft 7. März 
ftieß er auf der Straße von Grenoble auf eine Truppenabtheilung von 6000 Mann unter abe 
doyere (f. d.), die ihm den Weg verfperren follte, aber nach kurzer Anrede zu ihm überging. 
Noch denfelben Abend öffnete ihm die Stadt die Thore, und am 10. gefchah ein Gleiches zu Lyon. 
Bon allen Seiten ftrömten jegt einzelne Solbaten oder ganze Abtheilungen herbei, die fich ihm 
mit einer großen Maſſe der Bevölkerung anfchlofien. Zu Aurerre ging 17. März fogar Ney 
(f. d.), der zu feiner Befangennehmung abgefchidt worden, yu ihm über, fodaß er nun ohne Zö⸗ 
gern den Weg auf die Hauptftadt einfchlug. Zwar hatte ihn bereits Ludwig XVIII. 6. März 
für einen vogelfreien Rebellen erflärt ; allein Niemand vergriff fi an ihm. Ohne daf nur ein 
Schuß gefallen, hielt N. 20. März Abends 8 Uhr unter großem Gedränge in Paris feinen Ein- 
zug, während die Bourbons in der Nacht vorher die Stadt verlaffen und den Weg nach ber 
Grenze eingefchlagen hatten. Diefer rafche, unblutige Erfolg würbe nicht möglich geweſen fein, 
hätte fich nicht fogleich das zum Theil entlaffene, von ben Bourbons gemishandelte und an ſei⸗ 
ner Ehre und feinen Intereffen vielfach verlegte Heer um feinen Helden gefchart. Zudem er- 
Märte N., als er den franz. Boden betrat, da er ben Gedanken an Krieg und Eroberung auf 
gegeben, daß er nur gekommen fei, um das franz. Volt aus dem Zuftande der Erniedrigung 
und Zerrüttung zu befreien, in welchen es mit Hülfe der Fremden durch die Bourbons verfegt 
worden, endlich daß er dem Bedürfniſſe und bein Verlangen nachgeben und eine Regierung mit 
conftitutionellen Formen einführen wolle. Diefe Verfprechungen, verbunden mit ben glängen- 
den Erinnerungen der Kaiferzeit und ber tiefen Misftimmung, welche die Reftaurationspolitit 
hervorgerufen, gewannen N. die Herzen der Mafien und menigfiend das neutrale Verhalten 
der Liberalen. Er wählte fogleich nach feinem Einzuge ein Minifterium, in welchem aus Rüd- 
fiht für die liberale Partei Camot (f. d.) das Portefeuille des Innern erhielt, organifirte den 
Staatörath und traf mit großem Eifer und Gefchiclichkeit folche Anftalten, daß in wenigen 
Tagen eine ihm ergebene Verwaltung über alle Departements verbreitet war. In verſchiede⸗ 
nen Decreten wies er hierauf die Emigrirten aus dem Heere, ſtellte die breifarbige Cocarde ber, 
bob den Adel und alle aus dem Lehnsſyſtem ſtammenden Titel auf, verbannte die feit bem 
1. Jan. 1814 zurüdgefehrten Emigranten wieder aus Frankreich und verfündigte eine außer 
ordentliche Verſammlung der Deputirten des Volkes, ſowie eine Erweiterung der conflitutio- 
nellen Rechte durch eine Ergänzungsacte. Zugleich dachte er daran, den Haß und die Beforg- 
niffe der auswärtigen Mächte zu beſchwichtigen. Er ſchrieb im Kaufe des April an ſämmtliche 
Fürften Europas einen Brief, in welchem er feine friedlichen Gefinnungen verficherte, und 
ſchickte den Baron Staffart mit gleichen Verfiherungen und der Foderung nad) Wien, daß ber 
öfter. Hof die Rückkehr feiner Gemahlin und feines Sohnes nach Frankreich geftatten möge. 
Alle diefe Schritte blieben indeß ohne Erfolg. Die verbündeten Fürften fprachen 13. Mai auf 
dem Congrefie zu Wien eine Art volterrechtlihen Banns über N. aus, erneuerten den Vertrag 
von Chaumont und trafen Anftalten, mit mehr ald 800000 Mann den franz. Grenzen wieder 
zuguziehen. N. fah ſich darum genöthigt, feine Hoffnung ebenfalls wieder auf den Krieg zu 
bauen, und obfchon er nur eine Armee von 80000 Mann vorgefunden hatte und wenig Mittel 
befaß, um die Ausrüftungen mit Schnelligkeit zu betreiben, fo betrug der Effectivbeftand feines 
neuen Deere 1. Juni ſchon 400000 Mann, von denen er jedoch nur 120000 Mann zur Er 
offnung des Feldzugs an die belg. Grenze ſchicken konnte. Um beim Volke eine rege Theil⸗ 
nahme zu erweden, wurden die Gemeinden ebenfalld bewaffnet und denfelben der Dienſt im 
Innern anvertraut. Endlich 1. Juni verfammelte N. die Deputirten der Departements auf 
dem Marsfelde (f. d.) bei Paris und ließ diefelben unter großen Feierlichfeiten über eine Zuſatz⸗ 
acte zu den Sonftitutionen des Kaiſerreichs abftimmen, in welcher er der Nation das Mepräfen- 
tativſyſtem mit zwei Kammern und Preffreiheit verlieh. 

Diefe Zugeftänbniffe, welche die Bourbons durch die Charte in viel weiterm Umfang ge 
währt, waren viel zu gering, als daß fie den genährten Erwartungen der Liberalen entfprechen 
oder vor bem kaiſerl. Despotismus, der fchon wieder hervortrat, fchügen konnten. N. hingegen, 
ber fich nur in die Umftände fügte und jede Theilung feiner Macht im Innerften verabfcheute, 
glaubte ſchon mehr als zu viel gethan zu haben. Nachdem er noch an demfelben Tage die Kam 
mern mit banger Ermartung eröffnet, eilte er zum Heere an die Nordgrenze mit der Hoffnung, 
daß die Erfolge feiner Waffen auch feine Macht im Innern herftellen würden. Er hatte be» 
ſchloſſen, die in Belgien befindlichen brit. und preuß. Streitträfte vor der Ankunft der Ruf- 
en und Oſtreicher zu vernichten, und ſtürzte ſich zuerſt auf die Preußen, die er 16. Juni bei 


Mapoleon I: (Raif: der Srangefen) = 
Die Gäumigkeit feiner Generale, bie weber zu ihrem Feldherrn nach zu 
te Zutrauen und ben alten Gehorſam befaßen, verhinderte jedoch R, aus 
nee ai nämlich bie völlige Trennung ber Englän- 
Dreufen, zu ziehen. Schon 18. am 6) gut gmeiten Schlacht, bei Waterloo 


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: nur mit Ruhe vermochte man ihn vom Schlachtfelde, auf bem er den 
Während bie Trümmer feines abe Bekaıe ber Grenze zulle⸗ 
ernb 20. Juni nad) Paris, wo er alsbald fah, daß Alles für ihn verloren 
verfanmelte ex ben Staatorach, um über bie zu ergreifenben Maßregeln zu berathen; 
ber Berhandlungen am 21. erfuhr er, da fich die zweite Kammer in Permanenz 
umb dieſem Veiſpiele folgte auch fogleich bie erſte. Diefer feindliche Echritt, ver- 
den Intriguen Fouches u. A. veranlafte N, am 22. der Kammer zu Gunſten 
feine Abdankung zu ũberſchicken. Man hatte diefe Bereitwilligkeit von Seiten 
ex ſelbſt bereite dieſen Schritt und bot num ber proviforifchen Regie⸗ 
eungtcsmwäfken feine kriegeriſchen Talente bie auf die Hauptſtadt eilenden Heere bex 
Berbünbeten en. Allein bie Regierung lehnte biefen Antrag ab, traf fogar Mafregeln, um fi 
feiner Perſen u verfihern, und nöthigte ihn zur Abreiſe nach) Malmaiſon. Bon bier entfernte 
vögerud unb immer noch auf einen günftigen Zufall hoffend 29. Juni unter Escorte des 
—— Dan enaßeiägt, verfäefen [de dm Han 
der, bena t, loſſen den 
buch Ihre Krenzer, und N, ber den Continentalmächten in die Hände —S trat 
mit den Brit. Offizieren in Unterhandlung umb erhielt bie Antwort, daß die Regierung zu Lon⸗ 
den erlaubt Habe, ihn, wenn er es wünfche, mit feinem Gefolge nach England einge. 
xecchchloß fich Hierauf, feine Perſon und fein Schickſal dem Hauptfeinde feiner Größe anzıs. 
vertrauen. Er fehrieb an den Prinz ⸗Negenten, baf er ſich „unter.den Schug des größten, aber 
und feiner Feinde” ſielle, und beflieg 15. Juli das vom Gapitän Maitland 
Bellerophen, auf welchen er am 26. vor Plymouth anlangte. Aus ben 
bie bier genommen wurden, um feine Landung zu verhindern, die ben Schug der 
Seit. Gefege nach ſich gezogen Hätte, fah er bald, baf man ihn als Gefangenen behandelte. Am 
Jeli endlich erften ber Admiral Keich mit der officielen Erklärung, daß die Werblindeten 
bem General Bonaparte im sreffe ber RNuhe Europas bie Infel &t.- Helena als Hufent- 
heitsert angewiefen hätten. Wiewol R. gegen biefes Verfahren wie gegen biefen ungefunben 
heftig proteflirte, mußte er fi doch fügen und 7. Uug. mit wenigen @etreuen 
Rertbumberland befteigen, das 16. Det. zu &t.- Helena anlangte. Bier bezog er 
Monaten ein ärniliches Baus, das man fiir ihn erbaut hatte und das von einem 
Tag und Racht bewacht wurde. Bald äußerte ſich der üble Einfluß 
des Klimas auf feine Geſundheit, und im April 1816 fügte die brit. Regierung zu biefen: Leiden 
us) ten Gouverneur Bir Hudſon Lowe (ſ. d.) Hinzu, ber den Gefangenen mit Härte und Bos⸗ 
heit behandelte. Beſonders fand fi N. gekränkt, ald Hubfon Lowe 1816 den Grafen Las 
Eefes (f. b.), bald Darauf audy den Doctor D’Meara und noch einige andere feiner Gefährten 
von der Infel entfernte, ſodaß ihm nur noch ber General Bertrand (f. d.) ımb der Graf Mon- 
thelon (f. d.) nebft deren Frauen und Kindern übrig blieben. Die würbige Ruhe und Faſſung, 
melche R. auch im tiefften Elende bewies, entwaffneten fogar allmälig feine Feinde und riffen 
feine Sreımbe zur Bewunderung hin; ſtets wurde er auch in ber VBerbannımg von feiner Um» 
gebung als Kaiſer behandelt. Beine Hauptbeſchäftigung war die Abfaffung feiner Dentwür- 
Digfeiten, und zur Erholung fpielte er Schach oder las Trauerfpiele, vorzüglich Corneille. Als 
man ihm nicht mebr erlauben wollte, ohne militärifche Aufficht ind Freie zu geben, verließ er 
feine Wohnung gar nicht mehr. Obſchon ihm der Arzt Antommarchi, ben ihm feine Familie 
geſchickt Hatte, außerordentliche Sorgfalt bewies, fo nahm doc, der längſt zerrüttete Gefund- 
heitszuſtand RS gegen 1821 bin einen unbeilbaren Charakter an. Vergebens wendete 
man fi) an die brit. Regierung, um bie Verfegumg des Kranken in ein gefünderes Klima zu 
erhalten. Im April ſchwanden feine Kräfte fo merklich, daß er felbft von feinem Ende über» 
jengt war und mehrmals ben Beiftand der Bath. Kirche verlangte, In der er fierben wollte. In 
den erfien Tagen des Mai verfiel er in heftige Fieber, die feine nahe Auflöfung verriethen. 
Eudlich 5. Mai, während ein heftiger Sturm die Infel verheerte, früh um halb ſechs Uhr, hörte 
wauf zu chen. Sein legte Wort, was er im Fieber augptieh, war „Tele d armée“. Rach der 


& 
nur 
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46 | Napoleon 1. (Kaifer der Franzoſen) 


Ausfage von acht brit. Ärzten farb er am Magenkrebs, an dem auch fein Vater gelitten; nad) 
ber Ausfage Antommarchi's an der Krankheit der Infel, einem chroniſchen Magen- und Leber» 
leiden. In feinem Teſtamente hatte er gewünſcht, an den Ufern der Seine oder zu Afaccie 
begraben zu werden. Auf Befehl des brit. Gouverneurs erhielt er jedoch in einem Meinen roman 
tifchen Thale der Infel, neben einer Maren Quelle, die er liebte, feinen Ruheplag. Mit Bewil⸗ 
ligung der brit. Regierung wurde das Grab 18. Det. 1840 geöffnet und fein noch wohlerhak 
tener Körper durch den Prinzen von Soinville nad; Paris abgeführt, wo beffen feierliche 
Beif:sung im Dome der Invaliden erfolgte. 

Außer den ſchon oben erwähnten Schriften N.’S, die ald „Oeuvres” (5 Bde. Par. 1821— 
22) erichienen, werden N. noch mehre andere zugefchrieben, die jedoch, untergefchoben find. 
Eine neue Ausgabe derfelben hat 1852 Napoleon III. angeordnet, Überdies veröffentlich⸗ 
ten die Generale Gourgaud und Montholon feine „Memoires pour servir à l’histoire de 
Frauce sousN., écrits a Ste.-Helene, sous la dictee de l’empereur, par les generaux qui 
ont parlage sa captivité, et publies sur les manuscrits entierement corriges de sa main’! 
(8 Bde., Lond. und Par. 1822—24; 2. verm. Aufl., I Bde, Par. 1850; deutſch, 9 Bbe., 
Berl. 1823— 25). Neben diefen wichtigften Beiträgen, welche N. zur Gefchichte feines Lebens 
und Charakters felbft gab, nehmen folgende Memoiren, Berichte und Sammlungen eine mehr 
oder weniger bebeutende Stelle ein: D’Meara, „N. in exile, or a voice from St.-Helena“ 
(2 Bde., Lond. 1822; deutfch, 2 Bde. Stuttg. und Tüb. 1822); Las Cafes, „M&ömorial 
de Ste.-Helöne, ou journal, oü se trouve consigne, jour par jour, ce qu’a dit et fait N. 
durant dix-huit mois” (8 Bde., Par. 1823 und öfter; deutfch, 9 Bde., Stuttg. 1823— 26) ; 
Srille und Muffet-Pathay, „Suite au Memorial de Ste.-Helene” (Par. 1824); Am 
tommardi, „Memoires, ou derniers moments de N.” (2 Bde., Par. 1825 ; deutich, 2 Bde., 
Tüb. 1825); „Recueil de piöces authentiques sur le captif de Ste.-Helene” (12 Bde., Par. 
1822 —25), eine Sammlung der Auffäge, Tagesbefehle, Proclamationen u. |. w., Die NR. zum 
Berfaffer haben; Hudfon Lowe, „M&morial relatif a la captivit6 de N. a Ste.-Helöne” (2 Bde., 
Dar. 1830; deutfch, 2 Bde, Stuttg. 1830); Forfyth, „Beichichte der Gefangenichaft Napo⸗ 
leon's auf St. Helena nach den Memoiren und Briefen von Hudfon Lowe” (Bd. 1, Lpʒ. 1855); 
Beauvais, „Correspondance insdite officielle et confidentielle deN. B. avec les cours étran- 
geres” (2 Bde., Par. 1819 fg.); „Biographie des contemporaius par N.” (Par. 1824), die 
in alphabetifcher Ordnung die Urtheile enthält, welche N. auf der Infel St.Helena über feine 
Zeitgenoffen gefällt; Fleury de Chaboulon, „Memoires pour servir al’histoire du retour et du 
rögne de N. en 1815 (2 Bbde., Zond. 1820 und öfter; deutſch, Lpz. 1820); Bauffet, „Me- 
moires anecdotiques sur l'interieur du palais imperial” (2 Bde, Par. 1827; Kortfegung, 
2 Bde., Par. 1828; deutſch, A Bde., Darmft. 1827— 29); Thibaudeau, „Meimoires secrd- 
tes sur la cour des Tuileries”, von 1799— 1804 (Bar. 1827); „Le cabinet des Tuileries” 
(Bar. 1827); Durand, „Mes souvenirs surN. etc.” (2 Bbe., Par. 1819; deutfch, Dresd. 
1821), dann unter dem Xitel „Memoires sur N., l’imp6ratrice Marie Louise etlacour des Tui- 
leries” (2 Bde. Par. 1828); Bourrienne, „Mewmoires sur N., le Directoire, le Consulat, l'Em- 
pire et la Restauration” (10 Bde., Par. 1829—50 ; deutſch, 10 Bde. Stuttg. 1829— 50); 
Billemareft, „M&moires de Constant, premier valet de chambre de l’enıpereur, depuis 1799 
jusqu’en A844, sur la vie privee de N., sur sa famille et sa cour (6 Bde., Par. 1830 - 51 ; 
beutich, 6 Bbde., pʒ. 1850— 31); Maitland, „„Narrative of the surrender of Bonaparte and 
of his residence on board H. M. S. Bellerophon” (Xond. 41826; deutſch, Dresd. und Lpz. 
1826); Fain, „Manuscrit de 1812, contenant le précis des 6v6nements de cette anne, pour 
servir a l’histoire de l’empereur N.“ (2Bde., Par. 1827; deutfch, 2Bde., Gotha 1832), „Ma- 
nuscrit de 1813 etc.” (2 Bde., Par. 1824—25 ; deutfch, 2Bde., Lpz. 1825), „Manuscrit de 
1814 etc.” (Par. 1825 und öfter; deutfch, Berl. 1823); Norvins, „Portefeuille de 1813 etc.” 
(2 Bbe., War. 1825; deutfch, 2Bde., Jlmen. 1826); Abrantes, „Memoires sur N. ctc.” (18 
Bde., Par. 1850— 35; deutfh, 18 Bde. Lpz. 18351— 35) ; Meneval, „N. et Marie Louise; 
souvenirs historiques” (3 Bde., Par. 1843 undöfter ; dbeutfch, 3 Bde, Lpz. 1844— 45) ; Men- 
tbolon, „Memoires pour servir a l’histoire de France sous N., écrits à Ste.-Helene sous sa 
dictee” (8 Bde., Par. 1823 ; deutfch, Stuttg. 1824— 26); Derfelbe, „Histoire de la captivite 
de Ste.-Iielene” (Var. 1846; deutfch, Xpz. 1846). Die gefchichtlichen Darftellungen, welche 
feit dem Anfange diefes Jahrhunderts über dad Privatleben und die öffentliche Laufbahn NE 
erfchienen, find ungemein zahlreich und gegenwärtig zum Theil ohne allen IBerch, Air heben aus 
den fpäter erfchienenen Werken nur folgende heraus: Cofton, „Biographie des premieres au 


Rapoleon II. Rarbe 47 


3@N.Bonaparte, depuis sa naissance jusqu’a l’&poque de son commandement en chef 
ırmee d’Italie” (2 Bde, Balence 1840; deutfch, 3 Bde., 2pz. 1840); Arnault, „Vie po- 
ie et militaire deN. etc.” (3Bde., Par. 1822—26 deutſch, 3Bde., Fkf. 1826); Gallois, 
loire de N., d’apr&s lui-meme’ (Par. 1825; deutſch, Fef. 1829); Bergk, ‚Leben des 
ers N.” (4 Bde., Lpz. 1825); Kolb, „Lebensgefchichte N.’E” (7 Bde. Speier 1826— 27); 
ent, „Histoire de N.” (Par. 1826; 2ypz. 1840); Thibaubeau, „Histoire generale de N. 
'(6 Bde., Par. 1827— 28; deutſch, 6 Bde, Stuttg. 1827—30); „Norvins, „Histoire 
+ (4 De, Par. 1827—28; deutfch, 6 Bde., Epz. 1828—50); Buchholz, „Geſchichte 
Zonaparte’8” (3 Bbe., Berl. 1827— 29); Jomini, „Vie politique et militaire de N., ra- 
6 par lui-même au tribunal de C6sar, d’Alexandre et de Frédérie II” (4 Bde., Par. 
75 beutfch, 4 Bde., Tüb. 1828— 29); WB. Scott, „Life of N. Buonaparte etc.” (9 Bde., 
ıb. 1827 ; deutfch, IBde., Stuttg. 1827), eine fehr parteitfche Darftellumg, die viele Gegen- 
ften veranlaßte; Hazlitt, „Life of N.” (4 Bde, Lond. 18285 deutfch, 2 Bde. Ep. 1835); 
leul, „Histoire de N. Bonaparte etc.” (A Bde., Par. 1829 — 39); Fr. Chr. Schloffer, 
e Beurtheilung N.s umd feiner neueften Zabler und Lobrebner” (3Bde., FF. 1833 — 35); 
9, „Histoire de l’empereur N.” (Par. 1835 5 deutfch, Stuttg. 1840) ; Beder, „N., darge 
t nach den befien Quellen” (2Bbe., Lpz. 1838 — 39) ; Mitchell, „Life of N.” (3Bde., Lond. 
9); St.Hilaire, „Histoire populaire, anecdotique et pittoresque de N. et de la Grande 
‚de (2 Bde, Par. 1842); Michaud, „Vie publique et privse de N. Bonaparte” (Per. 
4; deutſch, Lpz. 1846) ; Thiers, „Histoire du Consulat et de I’Empire” (Bd. 1—9, Par. 
5—49; deutſch, Lpz. 1845— 50); Rath, „N., Kaifer der Franzoſen“ (2 Bde. Stuttg. 
5). Die militärifche Laufbahn N.’ behandeln: Matthieu Dumas, „Precis des evene- 
ts militaires, ou essais historiques sur les campagnes de 1799 a 1814” (16 Bde, 
. 1800-24); Somini, „Histoire critique et militaire des gnerres de la r&volution“ 
Kufl., 15 Bde., Par. 1820—24, mit Atlas); Foy, „Histoire de la guerre de la pénin- 
sous N.” (4 Bde., Par. 1827); Suchet, „Memoires sur les campagnes en Espagne 
as 1808— 14" (2 Bde, Par. 1829, mit Atlas); Pelet, „M&moires sur la guerre de 
9 en Allemagne etc.” (2 Bde, Par. 1824); Ehambray, „Histoire de l’expedition de 
sie” (3 Bde., Par. 1825); Segur, „Histoire de N. et de la Grande armée pendant 
de 1812” (2 Bde, Par. 1825 und öfter; deutſch, 2 Bde., Stuttg. 1825 und öfter) 
bie Gegenfchrift Gourgaud’s: „N. et la Grande armée en Russie etc.” (2 Bbe., Par. 
6), eine Berichtigung Segur's; Plotho, „Der Krieg in Deutſchland und Frankreich 1813 
1814” (3 Bde., Berl. 1817); Vaudoncourt, „Histoire des campagnes d’Allemagne en 
5 et d’Italie en 1813 et 1814” (2Bde., Par. 1817); Derfelbe, „Histoire des campagnes 
814 et 1815 en France” (5 Bbe,, Par. 1826). Ä 
tapoleon 1., |. Reichſtadt (Herzog von). | 
tapoleon III., Kaifer ber Franzoſen, geb. 20. April 1808, Präfident ber Republik feit 
Der. 1848, Bräfident auf zehn Jahre in Folge des Plebifcits vom 3. Dec. 1851, erblicher 
fer feit 2.Dec.1852, vermählt 29. Jan. 1853 mit Eugenie aus dem Haufe Montijo (f. d.), 
snaparte (Ludwig Napoleon). 
tapoleoniden. Nach der Erklärung Napoleon’s III. zum Kaifer der Franzoſen beftimmte 
zezug auf den Senatus-Gonfult vom 7. Rov. ein kaiſerl. Decret vom 18. Dec. 1852, daß 
hemangelung directer männlicher Nachkommen bes Kaiſers (legitimer oder adoptirter) die 
onfolge auf Napoleon’ III. Dheim, Hieronymus Bonaparte (f. d.), und deffen directe und 
ime männliche Nachkommenſchaft aus der (zweiten) Ehe mit der Prinzeffin Katharine von 
wtemberg übergehen folle. Ferner wurde durch ein Senatus-Eonfult vom 23. Dec. 1852 
eventuell zur Erbfolge berufenen Mitgliedern der kaiſerl. Familie und ihren Nachkommen 
Zitel Franzöfifhe Prinzen, fowie das Recht verliehen, nach Vollendung des 18. Lebens 
es Eis im Senat und im Staatsrath zu nehmen. Übrigens f. Bonaparte (Kamilie). 
tarbe (cicatrix) bezeichnet im Allgemeinen das fihtbare Merkmal einer früher flattgehab- 
Berlegung eines lebenden Körpers, oder beftimmter: diefenige organifche Subftanz, welche 
1aturwidrig getrennt geweſenen Theile wieder miteinander verbunden hat. Man unter 
det nach der Urfache: Wundnarben, Gefhmwürsnarben, Pockennarben, Verbrennungsnar- 
u. ſ. w. (die ſich ſchon durch das äußere Anfehen umterfcheiden, was oft in ber gerihtlichen 
‚iin wichtig ift), und nach dem Gige: Hautnarben, Mustelnarben, Sehnennarben, Gefäß⸗ 
en u. ſ. w. Alle Narben werden entweder mittels Ausſchwitzung gerinnbarer Lymphe aus 
Haargefaͤßen der getrennten Flächen, indem dieſes & 8* ſich zu Bellgemebe, Faſern u. ſ. w. 


48 Rarbonne Narbe 


organifirt, ober durch Zellgewebe gebildet. Doch fehlen in der Narbenfubftang in der Regel alle 
höhern organifchen Elementartheile. Die Narben entbehren der Nerven faft gänzlich, haben 
feine Dautwärzchen und feine Talgdrüschen, find deshalb auch glatter und bedecken fich nicht 
mit Haaren. . Sie haben nur wenige Haargefäße, fehen deshalb bläffer aus, find fühler und 
werben, obgleich fie unempfindlicher find als die Haut, doc, durch ſchädliche Einflüffe leichter 
beeinträchtigt als diefe, machen daher das kranke Glied gegen Luft⸗ und Wetterwechſel enıpfind- 
licher (die fogenannten Kalender verwundeter Perſonen); fie brechen bei innern Krankheitszu⸗ 
fländen leicht auf und heilen, wenn fie verlegt werden, fchlechter und Iangfanıer. Vgl. Malle, 
„Die Narben in gerichtlichemebicinifcher Beziehung” (deutfh von Drey, Angsb. 1843). 

Narbonne, die Hauptftadt eines Arrondiſſements im franz. Depart. Aude der alten Pros 
vinz Languedoc, am Canal de la Robine, der durch den Strandfee Sifean mit dem Mittelländi» 
ſchen und durch den Canal⸗du⸗Midi mit dem Atlantiſchen Meere in Verbindung ſteht, in einer 
von Bergen umfchloffenen ungefunden Tiefebene gelegen, ift mit Wällen aus ber Zeit Franz'l. 
umgeben, alt und ſchlecht gebaut, hat aber einen durch Portal, Schiff, Chor und Orgel ausge 
zeichneten gothifchen Dom aus der Zeit, wo es noch Sitz eines ſpäter nach Toulouſe verlegten 
Erzbisthums war. N. ift der Sig eines Handelögerichts, hat eine Navigationsfchule, ein Mus 
feum, eine öffentliche Bibliothek, einen botanifchen Garten, eine Alterthumsgeſellſchaft und 
zählt 12000 E., die fehr gemwerbfleifig find und namentlich Effig, Branntivein«, Grünfpen«, 
Wollmügen- und Tuchfabriken, fowie Gerbereien, Färbereien und Ziegelbrennereien unterhal» 
ten, auch anfehnlichen Handel treiben, vorzüglich mit Getreide, Wein, Branntwein, Ol, Salz, 
Salzkraut (Salicot) ımd Salpeter. Die Stadt wurde 118 v. Chr. von den Römern durch ben 
Conſul Auintus Marcius Rer gegründet und hieß Narbo Marcius, fpäter auch Narbana, war 
bie Hauptftadt der gall. Provincia Romana, die nach der Eroberung des übrigen Gallien nad 
ihr Gallia Narbonensis genannt wurde, und blieb bei der fpätern Zertheilung der größern Pro⸗ 
vinzen Hauptſtadt der Provincia Narbonensis prima. (&. Gallien.) Ihre rom. Alterhümet 
find nicht bedeutend. Unter den Weftgothen eine der bedeutendften Städte Septimaniens (f.d.), 
fiet fie mit diefem 720 an die Araber, denen fie, nachdem Karl Martell es vergebens verfucht 
hatte, fie zu erobern, erft fein Sohn, Pipin der Kleine, 759 entriß. Sie Hatte feir Karl d. Gr 
eigene Grafen oder Vicegrafen, von denen bie Grafen von Touloufe, Carcaffonne und Boir ab» 
ftammten; ber legte, Wilhelm IIT., fiel 1424 vor'den Mauern von Jvry. Die Vicegraffchaft 
kaufte darauf Gaſton IV. von Foix (fpäter König von Navarra). 

Nareiffe (Narcissus) Heißt eine zur Kamilie der Amaryllideen gehörende Pflanzengattung 
mit unterfländigem Fruchtknoten, deren blumenkronartige, tellerförmige Blütenhülle ſechsſpal⸗ 
tig und am Schlunde mit einer mehr ober minder großen glodigen Krone befegt ift. Einige 
Arten derfelben find auch in Deutfchland einheimifch, die meiften gehören aber Südeuropa und 
Kleinafien an. Viele werden wegen ihrer frübgeitigen angenehmen und häufig auch wohlrie⸗ 
chenden Blüten in unſern Gärten als Zierpflangen gezogen, wie die bei uns in Freien aus⸗ 
dauernde weiße Narciffe (N. poeticus), deren Zwiebel den Alten als Brechniittel diente; die 
gelbe Rarciffe (Pseudo-Narcissus) und die große Nareiffe (N. major), die wieder eine große 
Anzahl von Gartenvarietäten geliefert haben und deren bitter und ſchleimig ſchmeckende gelbe 
Blüten einen, narkotiſch⸗ſcharfen Stoff enthalten, ſodaß das aus ihnen bereitete Ertract ſelbſt 
tödtlich wirkten kann. Berner dienen und vorzüglich ald angenehme Zierpflanzen die Sonquille 
(N. Jonquilla), die Tazette (N. Tazetia), bie vielblütige Narciffe (N. polyanthos), die fiernföre 
mige Narciffe (N. stellatus), die italienifche Narciſſe (N. Italicus) und andere, welche auf dem 
Schafte viele Blüten tragen, bie ihres flarken und angenehmen Geruchs wegen von ben arab. 
Arzten zur Bereitung des Narciffenols vermendet werden. 

Narciſſos, der Sohn des Flußgottes Kephiffos und der Nymphe Liriope oder Lirioeſſa 
aus Thespiã in Bootien, war ein fo ſchöner Küngling, daß er im Stolz auf feine Schönheit die 
Neigung Anderer zu ihm verfhmähte. Dafür firafte ipn Nemefis damit, daß, als cr einft von 
ber Jagd erhigt aus einer Quelle trank und in derfelben feine Geftalt erblickte, er fich in ſich 
felbft verliebte und vor Sehnſucht nach ſich dahin ſchwand. An der Stelle, wo er dahingeſchwim⸗ 
den, entiproßte die Blume, welche nach ihm genannt ift. Bei ältern Mothopraphen findet fich 
indeß die Sage nicht; fie ift erft fpätern Urfprungs. 

RNarde nannten die Alten mehre angenehm riechende Pflanzen, befonders aus ber Familie 
ber Baldriangewächle, ſowie auch ein Daraus bereiteted Ei Man unterfchied die gallifche oder 
celtiſche Narde, welche jegt als celtifcher Baldrian oder Speik (Valeriana Celtica) und wohlrie- 
Gender Baldrian (V. saliuuca) unterfchieden wird; die cretifche Narde, worunter man den itaf 


Nardini Narr 49 


Baldrian (V.Italica) und den knolligen Baldrian (V. tuberosa) begriff; die arab. Narde, welche 
sabrfcheinlich aus dem Narbenbartgrafe (Andropogon Nardus) beftand; die ital. Narbe, jegt 
mſer Lavendel (f. d.), und vor allen die indiſche Rarde, aus welcher dab koſtbare Nardenoͤl 
yereitet wurde. Die legtere, welche bei ben Alten im höchſten Anfehen ftand, fest in Europa 
aum noch angetroffen wird, in Afien aber auch als Arzneimittel fehr berühmt ift, ſtammt 
on ber auf den Bebirgen Oſtindiens wachſenden echten Narbe (Nardostachys Jatamansi), 
iner zu den Balbriangewächfen gehörenden Pflanze mit purpurrothen Blütenbüfcheln und 
ner Staubgefäßen in jeder Blüte. Mit einer Salbe von Narbe pflegten die Alten fich bei den 
Baftmälern zu falben. In der Bibel finden wir die Narbe im Hohen Liede Salomonis und im 
Reuen Teſtamente erwähnt. Mit dem Speik ober der eeltifgen Narde, welche bei den Alten 
benfalls in fehr großem Anſehen fland, wird noch jegt von Trieft aus ein bedeutender Handel 
ah der Türkei und Agypten und von da weiter nach Indien und Athiopien getrieben, indem 
Hefe Pflanze dort noch jegt zur Bereitung einer beliebten Salbe zu ben Bädern verwendet wird. 

Nardini (Pietro), einer ber größten Violiniften des 18. Jahrh., geb. zu Livorno 1725, bil. 
vete fich zu Padua unter Zartini und mar deſſen vorzüglichfter Schüler. Er wurde 1762 bei 
ver Kapelle zu Stuttgart angeftellt, ging 1767, ald man ihm feinen Gehalt bedeutend kürzte, 
aach Livorno zurück und befuchte 1769 feinen alten Lehrer zu Yabua, ben er in feiner legten 
Krankheit mit wahrhaft Eindlicher Zärtlichkeit pflegte. Im folgenden Jahre kam er ale erfter 
Biolinift in die Kapelle nad) Florenz, wo er 1796 ftarb. N. hat viel für die Violine und auch 
einige Trios für die Flöte gefchrieben. Seine Compofitionen haben im Ganzen einen ernften 
Sharakter und verlieren, wenn fie nicht im Geiſte der alten Zartini’fchen Schule vorgetragen 
verben. Er glänzte vorzüglich im Vortrage bes Adagio; hier glaubte man oft mehr Gefang 
ils ein Inſtrument zu hören. 

Rarkotica (griech.), betäubende Mittel, nennt man eine Anzahl Arzneimittel, welche in 
wrhältmigmäßig geringen Mengen fchon fehr heftig, daher gewöhnlich Lähmend auf das Ge 
m ımb Rückenmark wirken (denn eben die Hirnlähmung und ihre Folge, die Unempfindlich⸗ 
'eit aller Sinne, nennt man Betäubung und die damit verbundene Schlaffucht Rarkoſe). Da 
ine verhältnigmäßig fehr geringe Quantität eines Narkoticums fchon hinreicht, diefe Wirkung 
16 zu ber gänzlichen Lähmung des.Nervenfoftems und dem daraus folgenden Tode zu flei« 
jern, fo rechnet man bie Narkotica zu den Giften (f.d.), von denen fie eine eigene Slaffe bilden. 
Die Wirkung der Narkotica hängt davon ab, baf fie, ins Blut aufgenonmen, den betreffenden 
Rervenmaffen zugeführt werben. Auch richtet fich Die Wirkung in ihrer Stärke nach der Art, 
sie man einen narkotifchen Stoff in den Körper bringt. Diefelbe Quantität, welche durch Ein⸗ 
prigung in eine Vene ſchnell tödtlich wirkt, bleibt ohne alle bemerfbaren allgemeinen Folgen, 
venn man fie ald Einreibung auf die äußere unverlegte Haut anwendet. Außerdem hängt bie 
Virkung ab von der Empfänglichkeit des betreffenden Individuums und von der Menge des 
Sifte, welche daffelbe ins Blut aufnimmt. Daher verzehren 3. B. manche Thiere Bilfenkraut 
und andere giftigenarkotifche Pflanzen ohne Schaden. Die gewöhnlich fogenannten Narkotica 
hören dem Pflanzenreiche an; doch wird die in den bitteren Mandeln und im Kirfchlorber fich 
(derch Zerfegung bes Amygdalins) erzeugende Blaufäure auch durch Zerfegung thierifcher 
Stoffe gewonnen. Es ift der Chemie gelungen, aus vielen Pflanzen den Stoff, in denen fich das 
narkotifche Princip concentrirt, gefondert darzuftellen, z. B. das Morphin aus dem Mohnfafte, 
das Atropin aus ber Belladonna u. |. m. Derfelbe ift gewöhnlich ein fehr ſtickſtoff- und kohlen 
Roffreicher Körper. Ihrer Benugung nach gehören die Narkotica zu den ftärkften, aber auch 
heilſamſten Arzneimitteln. Am meiften werden von ihnen angewendet bie Bellabonna (f. d.), 
der Stechapfel (f. d.), das Bilfenkraut (f. d.), das Opium (f. d.) und bie im Kirfchlorber und 
iinigen andern Pflanzen enthaltene Blaufäure (f. d.). Die Pharmacie bat, um ihre Einfüh- 
tung in ben Körper zu erleichtern, fie in verfchiedene Formen gebracht, fodaß man fie ebenfo wol 
ia ihrer natürlichen Geſtalt als in Zincturen, Eytracten, Pflaftern, Salben u. ſ. w., je nachdem 
eb der Hall fobert, anwenden Tann. Während in manchen Staaten, 3.3. in England, ber 
Lleinhandel mit narkotifihen Stoffen keiner Beſchränkung unterliegt, ift es in vielen andern 
ven Apotheken umd Droguiften fireng verboten, Narkotica und deren Präparate ohne ärzte 
ſiche Vorſchrift zu verabreichen. Vgl. Kraus, „Über die Wirkungen und den Gebrauch der nat» 
lotiſchen und ſcharfen Mittel” (Gött. 1811); Greiner, „Die narkotifchen Mittel” (Epz. 1844). 

Narr nennt man im gemeinen Leben einen Menfchen, der in feinen Reden und Handlungen 
um der gewöhnlichen Regel fo abweicht, daß man über ihn mit einer Urt Verachtung oder 

Gene.s@er. Behate Aufl. XL | 4 


50 Rarrenfeft Rarfes 


Bedauern lacht. Es bedarf jeboch einer großen Unabhängigkeit von vorgefaßten Meinungen, 
um mit Recht einen Menfchen als Narren zu bezeichnen, da nicht felten durch den Einfluß vieler 
verfchiedener Umftände dem Einen Das als Narrheit erfcheint, was der Andere für ein Zeichen 
eines fich über das Gewöhnliche erhebenden Geiftes, für Geiſtesgröße hält, und ba es nicht 
immer leicht ift, die Geiftesftärke, welche fih an das Gewöhnliche nicht bindet, von bet Beiftes- 
fchwäche zu unterfcheiden, die unfähig ift, den gewöhnlichen Anfoderungen des gefellfchaftlichen 
Lebens zu entfprechen, oder gerade in Mleinlichen Ungewöhnlichkeiten eine Auszeichnung fucht. 
Ein folches Urtheil wird noch mehr dadurch erfchwert, daß fich diefe fo entgegengefesten Gei⸗ 
fleßeigenfchaften nicht felten in denfelben Individuum nebeneinander finden, wie das Beifpiel 
mehrer Hofnarren (f. d.) zeigt, welche, während fie mit fich das unmürdigfte Spiel treiben 
fießen, oft mehr Geift befaßen als Die, denen fie und die fich diefes Spiel erlaubten. ft aber 
die Geiſtesſchwäche, welche Anlaß zu ſolchen verkehrten, zweckwidrigen und oft zweckloſen 
Handlungen gibt, allgemein, fo wird die Rarrheit (moria) eine Geiftestrankheit, welche fid) 
durch vorherrfchende Selbftgefälligkeit, Ruftigkeit und die Sucht, durch Kleidung, Benehmen 
u. f. w. aufzufallen, charakterifict, von dem Blödſinn, den man auch zumeilen mit biefem Na- 
men bezeichnet hat, Durch erceffive Thätigkeit des pfychifchen Lebens unterfcheidet und eine Art 
des MWahnfinns (f. 6.) darftellt, welche gewöhnlich in eine andere Geiſteskrankheit, Tollheit, 
Blodfinn oder vollfommenen Idiotismus, übergeht. 

Narrenfeft nannte man das Feft, welches feit dem 5. Jahrh. in mehren hriftlichen Län⸗ 
bern Europas von Geiftlihen und Laien regelmäßig mit den größten Narrheiten gefeiert 
wurde und eine der merfwürdigften Erfcheinungen in der Bildungsgefchichte bleibt. Zu den 
Feften der Heiden, welche die chriſtliche Religion nicht fobald verdrängen konnte, gehörten die 
Saturnalien (Calendae Januarii), die in der momentanen Mifchung und Umkehrung aller 
Stände und der ausgelaffenften Sröhlichkeit felbft unſere freieften Carnevals übertrafen. Aus 
diefen Suturnalien, zu deren völliger Ausrottung alle bis ins 9. Jahrh. erlaffenen kirchlichen 
Verbote nicht Hinreichten, gingen ohne Zweifel die Narrenfefte (festa stultorum) ber Ehriften 
hervor, deren erfte Spur ſich in einer Schrift des Joh. Beleth gegen Ende bes 12. Jahrh. fin 
det. Sie wurden tie die Saturnalien im December gefeiert. Die Hauptfeierlichkeiten fielen 
auf ben Tag der imfchuldigen Kindlein oder auf den Neujahrstag; im Ganzen aber bauerte dad 
Narrenfeſt von Weihnachten bis auf den legten Sonntag nach Epiphanias. Anfangs machten 
dabei Chorfnaben und junge Sactiftane die Hauptperfonen, fehr bald nahmen aber auch die 
untern Kirchendiener und die Laien Theil daran, während Bifchof und Beiftliche die Zufchauer 
abgaben. Man mählte bei dieſem Fefte, das num auch das Feft der Unterbiakonen, die Decem⸗ 
berfreiheit oder das Feſt der Calenda genannt wurde, einen Narrenbifchof, der unter vielen lä⸗ 
cherlichen Feierlichkeiten in der Hauptkirche eingefegnet wurde. Er nahm fodann ben gewöhn⸗ 
lichen Sig des Bifchofs ein, hielt das Hochamt und gab unter lächerlichen Grimaffen dem Volke 
den Segen. Gleichzeitig verübten bie in Maskenkleidung gehüllten Narren in der Kirche allerlei 
Thorheiten ımd Poffenftreiche; man fang die fchmugigften Lieder, führte die üppigſten Tänze 
auf und nahm die unanfländigften Stellungen an. Noch von mehren Orten haben wir die Ri» 
tualien, nad) welchen das Narrenfeft begangen wurde. Der Hauptfig diefer Feſte war Frank. 
reich, wo fie auch entftanben fein follen. Bon Deutfchland wiffen wir nur, daß es in den Stäb- 
ten am Rhein gefeiert wurde. Übrigens wurden die Narrenfefte von Päpften, Bifchöfen, franz. 
und fpan. Concilien wiederholt verdammt und verboten und zwar ſchon in der Zeit, aus welcher 
wir die erſte Spur des Narrenfeftes haben, nämlich) 1198 durch den päpftlichen Legaten Car» 
en in einem Schreiben an ben Bifchof Odo von Paris; auch bie Sorbonne verbot 

eno | 

Narſes, der Zerftörer bes Reichs der Oſtgothen in Italien, lebte anfangs als Verfchnittener 
an dem Hofe des byzant. Kaifers Juſtinianus I., der ihn zu feinem Schagmeifter machte. 
Schon in bem perf. Kriege hatte er fich ausgezeichnet, und fo wurde er 538 n. Chr. nach Stalin 
mit einem Heere gefenbet, um den Belifar (f. d.) im Kriege gegen die Oſtgothen zu unterftügen, 
aber 539, da er mit Beltfar in Uneinigkeit geriech, zurücigerufen. Nach Beliſar's Abgang fen 
dete ihn indeß Juſtinianus 552 zum zweiten male nach Italien, mit einem Heere, das zum 
größten Theil aus Longobarden, Herulern, Hunnen, Armeniern und Perſern beftand, die N. 
mit gewaltiger Feldherenkraft zufammenzubalten wußte. Er nahm feinen Weg zu Lande über 
Iſtrien und zog, um den Rüſtungen ber Gothen auszuweichen, ganz an ber Küfte des Adria» _ 
tiſchen Meers, zum Theil auf Schiffbrücken, bis in die Nähe von Ravenna, von da weiter nad 
dem Gebirge, wo es bei Tagina unweit Gubbio zu einer Schlacht Fam, in der Totilas, der 


Rarufzewicz Narvaez 51 


aig der Gothen, ſeinen Tod fand. Von Rom aus, das N. eingenommen hatte, zog er 553 
en Tejas, den die Gothen zu ihrem König gewählt hatten, nach Campanien; den Fuͤhrer der 
h. Flotte gewann er durch Beftechung und Tejas fiel in der Schlacht, die erft am dritten Tage 
uber wurbe. Während N. 555—554 befchäftigt war mit ber Eroberung der Städte, befon- 
6 in Tuscien, durchzogen große Scharen der Franken und Alemannen unter Zeutharis und 
ecelinus verwũſtend das Land. Nachdem fie fich in Unteritalien getrennt, gingen die Kranken 
‚Beutharis auf dem Rückzuge durch Klima und Unmäßigkeit zu Grunde; die Alemannen, 
abadurch geſchwächt, vernichtete N. in der Schlacht bei Capua 554. Kurz vorher hatte ihm 
h der Gothe Hligern bie Vefte Eumä übergeben, und bie wenigen Orte, die noch in aoth. Ge⸗ 
t waren, unterwarfen fich ihm in den nächſten Sahren. Als Statthalter verwaltete N. nun 
lien mit Feſtigkeit und Klugheit bis 567, mo er die Stelle niederlegen mußte und bald darauf 
Rom flarb. Das Jahr darauf fielen bie Longobarben in Stalien ein, nach einer, jedoch nicht 
länglich verbürgten Sage von N. bazu aufgefodert, der fich für die Abfegung an Kaifer 
ſtinus II. und deffen Gemahlin Sophia, die ihn höhniſch habe in die Spinnftube zurüdgehen 
sen, durch die „Anfpinnung diefes Fadens’ habe rächen wollen. 

Rarufzewiez (Adam Staniflaw), poln. Hiftoriter und Dichter, geb. 1733 aus einer alten 
milie in Lithauen, trat 1748 in den Jeſuitenorden und wurde, nachdem er Deutfchland, 
ankreich und Stalien bereift hatte, Vorſteher bei dem Collegium nobilium der Sefuiten in 
arſchau. Rah Aufhebung des Ordens ernannte ihn Stanislaus Auguſt, der fi von dem 
ift und Big fprühenden jungen Manne angezogen fühlte, zum Biſchof von Smolensk und 
ter von Luck, doch ließ er ihn nicht von feiner Seite. Im 3.1773 trug ihm der König auf, 
Geſchichte der erften Theilung Polens ausführlich darzuftellen. N.’S Arbeit, von weldyer 
Fnichtö gedrudt erfchienen ift, fand des Königs vollen Beifall, der ihn nun zur Abfaſſung 
T volfländigen Geſchichte Polens auffoderte und ihn dabei auf das großmüthigſte umter- 
ke. So entfland N.'s mit fcharffinniger Kritik, ausgebreiteter Belefenheit und in einem 
rängten, ſchmuckloſen, dem Tacitus nachgebilbeten Stile abgefaßtes Geſchichtswerk (Bd. 2 
', Bari. 1780; 1805—4). Als fein Gönner vom Throne geſtürzt war, roidmete fih N. 
ſchließend feinem bifchöflichen Amte und lebte zu Sanowierin Galizien, mo er 1796 aus Bram 
e das Schidfal feines Vaterlandes flarb. Zu dem erften Bande feines Geſchichtswerks, der 
Schluſſe des Ganzen nachgeliefert werden follte, hinterließ er eine Materialienfammlung 
360 Foliobänden. Eine Gefellfchaft warfchauer Gelehrter unterzog ſich ber Bearbeitung 
eben (2 Bde. Warfch. 1824); das Banze erfchien fodann in neuer Ausgabe (10 Bde., 
.1836). Außerdem hat man von N. eine poln. Überfegung des Tacitus (4 Bde. Warfch. 
'5), in welcher er den Geiſt des Originals richtig aufgefaßt und die Präftige Kürze des Stils 
Eich nachgebildet hat; dann eine Biographie des lithauiſchen Feldherrn J. K. Chodkſewicz 
Bde., Warfch. 1805) und eine Gefchichte ber Tataren. Seine Dichtungen, befonders feine 
Men und Satiren (neuefte Aufl. 3 Bde., Lpz. 1835) fanden zu ihrer Zeit großen Beifall, 
ehren aber aller wahren Poefie. 

Karvaez (Don Ramon), Herzog von Valeneia, fpan. General und Staatömann, geb. 
5 zu Saen in Andalufien, nahm fehr jung am Befreiungskriege gegen Napoleon Theil 
war 1833 beim Ausbruch des Bürgerkriegs in den baskifchen Provinzen Oberfl. Die 
tzzeichnung, mit welcher er gegen die Karliften focht, verichaffte ihm den Grad eines Briga- 
8. Insbeſondere machte er fich durch die unermübliche Verfolgung bes Barliftifchen Generale 
mez auf deffen abenteuerlichem Zuge durch ganz Spanien 18536 einen Namen. Nach Been- 
mg des Kriege in ben baskiſchen Provinzen zerfiel er 1840 mit Ebpartero. Er trat ganz 
die Seite der Königin-Regentin Chriſtine und gehörte mit zu Denen, welche durch Aufftände 
41 Espartero zu ftürzen ſuchten. Allein der Anfchlag, den er im Oct. 1841 von Gibraltar 
zur Wegnahme von Cadiz machte, milang und er mußte fich nach Paris ins Exil begeben. 
r gehörte er als eines der Häupter der Moderados zur Camarilla der vertriebenen Königin 
äftine. R. war der eifrigfte Beförderer ihrer Plane, wozu ihn fein entfchloffener, energifcher 
wetter beſonders geeignet machte. Im J. 1842 begab er fich zur beffern Leitung bes chriſti⸗ 
hen Umtriebe nach Perpignan. Bei der 1843 umternommenen Infurgirung Spanien gegen 
partero war er es vorzüglich, der das Gelingen und die Vertreibung Espartero's herbeiführte, 
lem den Titel eines Herzogs von Valencia und die Grandenwürde erfter Claſſe verſchaffte. 
& der Rückkehr der Königin Ehriftine ſtellte er ſich an die Spige der Geſchäfte und elt 
a feine kraͤftige Hand alle Regungen ber Progreſſiſten und Ayacuchos mieber, die fein Minb⸗ 


52 Narwa Naſe 


fterium im Febr. 1846 geſtürzt wurde. (S. Spanien.) N. hielt ſich jetzt zurückgezgogen und 
ſchien ſogar die Sache Chriſtinens verlaſſen zu wollen, indem dieſe die Königin Iſabella gegen 
ſeinen Willen mit dem Prinzen Franz von Aſſis vermählt hatte. Da ihn das Miniſterium 
Pacheco deſſenungeachtet für gefährlich hielt, ſchickte man ihn als ſpan. Botſchafter nach Paris, 
Bon hier aus fohnte er fich indeffen mit Chriftine aus und ward ſchon A. Det 1847 abermals 
als Minifter bes Auswärtigen an die Spige des Cabinets berufen. In Folge erneuerter Strei⸗ 
tigkeiten mit der Königin⸗Mutter, die ihm befonders darum feindlich wurde, weil er ihre Kinder 
zweiter Ehe nicht genugfam bedenken wollte, legte N. 10. Jan. 1851 das Minifterlum nieder 
und wandte ſich nach Paris. Zwar kehrte er bald nach Spanien zurüd, warb aber hier vom 
Hofe mit Argwohn und Beforgniß betrachtet, weil er im Ganzen bie Anfchläge misbilligte, 
welche feit dem Minifterium Murillo gegen die fpan. Verfaffung unternommen wurden. Im. 
1855 wollte ihn der Hof gewifferniafen verbannen, indem man ihm als Botfchafter nach Pa⸗ 
ris, dann nad) Wien zu gehen befahl, welchem Anfinnen er jeboch nicht entſprach. 

Narwa, eine Stadt und Feſtung im ruff. Gouvernement Peteröburg, am Tinten Ufer ber 
NRarwa oder Narowa, die aus dem Peipusfee kommt und hier, zwei Meilen von ihrer Mün- 
dung in den Finniſchen Meerbufen, bei dem Fabriforte Joala, einen 20 F. hohen, mehre hun⸗ 
dert Fuß breiten, durch eine Infel in zwei Theile getheilten Waſſerfall bildet, beſteht aus der 
eigentlichen, meift von Deutfchen bewohnten Stadt und der Vorftabt und Feſtung Iwangorod 
auf dem rechten Ufer des Fluſſes, wo nur Ruſſen wohnen. &ie hat einen Hafen, ein Arfenal, 
eine Börfe und über 5000 E., die einen lebhaften Handel mit Bretern und Bohlen, Getreide, 
Flachs und Hanf, fowie mit hier gefangenen Neunaugen, Kyloftromlingen und Rachfen unter 
halten. N. wurde 1213 vom König Waldemar erbaut, 1553 vom Grofßfürften Iwan 
Waſiljewitſch eingenommen, 1581 aber von den Schweden zurüderobert. In ben J. 1590 
und 1658 hielt e& die Belagerungen der Ruffen aus. Am 50. Nov. 1700 ſchlug Karl ZI 
von Schweden mit 8200 Mann in ber Nähe der Stadt das 80000 Mann ſtarke Heer ber Ruf 
fen unter dem Herzog von Croy und erflürmte deren verfchangtes Lager. Vier Jahre fpäter 
fühnte Peter d. Gr. diefe Schmach, indem er 1704 die Stadt mit Sturm einnahm, worauf 
Rußland fich diefe Eroberung für immer zu fihern wußte. 

Naſe (nasus) nennen wir theils die äußere Nafe, theild die Höhle, welche Hinter jener Tiegt, 
das Geruchsorgan. Die äußere Nafe beftcht aus Nafenwurzel (radix nasi), Nafenrüden (dor- 
sum nasi), Nafenfpige (apex nasi) und Nafenflügeln (alae nasi). Zwifchen den Rafenlöchern 
(nares) befindet fi) die Nafenfcheidewand(septum narium). Dem obern Theile ber Naſe dienen 
die Nafenfnochen (ossa nasi), dem untern die Nafenfnorpel (cartilagines narium) zur Grund» 
fage, und ebenfo befteht die Scheidewand Hinten aus einem Knochen, dem Pflugfcharbein (vo- 
mer), nebft daran floßenden Fortfägen des Nachbarknochens und vorn aus einer Knorpelplatte. 
Die Geſtalt der äußern Nafe ift für den ganzen Geſichtsausdruck fehr charakteriftifch und fogar . 
nach den Menfchenracen verfchieden, fobaß die fogenannte Habichtenafe der kaukaſ. bie Stumpfe 
nafe ‘der äthiop. und mongol. und bie aufgeivorfene Nafe der malayifchen Race eigenthümlich 
ift. Die innere Nafe oder Raſenboͤhle hat eine fehr zufammengefegte Bildung, zu welcher nicht 
weniger ald 14 Knochen beitragen. Umfchloffen wird fie von dem Stirnbeine, Siebbeine, Keil 
beine, ben Thränenbeinen, den Nafentnochen, ben Oberkieferfnochen und ben Gaumenknochen 
Durch den Pflugfcharfnochen wird fie in zwei gleiche Hälften getheilt, und in jeber derſelben be» 
finden ſich wieder die drei Nafenmufcheln (conchae narium), von denen die beiden obern Theile 
y Siebbeins find, während bie untere einen felbftändigen Knochen barftellt. Die vordere 

ffnung der Nafenhöhle (apertura externa oder pyriformis) hat nach Wegnahme ber Weich⸗ 
theile eine birnförmige Geftalt, bie hintere =) ung (aperiura posterior ober choanae narium) 
ift vieredig und mündet in den Schlund. Außerdem fleht aber die Nafenhöhle noch burch bie 
Siebplatte des Siebbeins mit ber Schädelhöhle Durch verſchiedene Meine Offnungen, burch ben 
Thränenkanal mit ber Augenhöhle und durch einen ähnlichen knöchernen Kanal mit ber Aus⸗ 
höhlung des Oberkieferknochens (der ſogenannten Highmorshöhle) in Verbindung. Die ganze 
Höhle und alle in derſelben befindlichen Knochen find mit einer ziemlich dicken Schleimhaut, ber 
" Miehaut (membrana Schneideriana), überzogen, in welcher fich Gefäße und Nerven äuferfl. 
fein verbreiten. LZegtere gehören größtentheild bem Geruchsnerven (nervus olfactorius) an, 
welcher zu feinem andern Organ ald zur Nafe geht und durch die Siebplatte zu derfelben aus 
bem Gehirn herabfteigt. Außerdem verbreitet fich in ihr ein Aft des fünften, bem Taſtſinn bier 
nenden Nerven, welcher ber Empfindung mechanischer Reize (Berührungen u. dgl.) dient und 
Sig des Nieskitzels ift, durch welchen die Athmungsmustelnerven zum Niefen (f.d.) angeregt 


Nashorn 53 


werben. Die Beflimmung der Nafe ift zunaͤchſt bie, dem Geruchsſinne (f. Geruch) zu dienen. 
Um die in ber Luft fehr fein zertheilten auflöslichen, riechenden Theilchen zur Perception des 
Geruchs nerven zu bringen, ift die Nafenhöhlenfchleimhaut feucht und ihre Oberfläche durch die 
Scheidewand und die Nafenmufcheln mitteld vieler Kalten vervielfältigt, damit die in der Luft 
ſchwebenden Niechftoffe mit einer größtmöglichen Fläche in Berührung fommen und fo ihre 

irkungen entfalten. Durch Einathmen der Luft prüfen wir diefelbe im Geruchsorgan und 
konnen fo wenigftens bei manchen Ruftarten deren Schäblichkeit und Untauglichkeit zur Reſpi⸗ 
ration erfennen. Außerdem theilt die Nafenhöhle mit der Mundhöhle die Function des Ein- 
md Ausathmens der für die Lunge beftimmten atmofphärifchen Luft, ift alfo vorderes Ath⸗ 
mungsorgan. Werner hat der Bau der Nafe bedeutenden Einfluß auf die Modulation ber 

i und Sprache, indem die in dem Kehlkopfe gebildeten Schallwellen in derfelben wieder⸗ 
hallen und bei verftopfter Nafe einen eigentbümlichen Zon annehmen. Die Entmwidelung des 
Geruchsorgans beim Menſchen bleibt bebeutend Hinter der der andern Sinnedorgane zurüd. 
Die Naſenhoͤhle bildet fich erft fpät beim Embryo; ber Sinn felbft wird erft bei dem Hervor- 
brechen der erfien Zähne und der Entwidelung der Sprache ausgebildet und erreicht feine Voll⸗ 
endung erft in den Jahren ber Pubertät gleichzeitig mit ben Refpirationsorganen überhaupt. 
Obgleich ed von einigen wirbellofen Thieren nachgewieſen ift, daß fie riechen, fo hat fich doch 
nody bei feinem derfelben ein Organ finden laſſen, welches mit Sicherheit als Geruchsorgan be 
zeichnet werden konnte; dagegen findet fich daffelbe durchgängig bei den Fiſchen, Amphibien, 
Dögeln und Eäugethieren und ift bei manchen aus dem Iegtern Claffen außerordentlich, ausge 
bildet und weit feiner als bein Menfchen, der jedoch diefen Sinn, wie alle andern, durch Übung 
fehr Hoch ausbilden kann (3.3. die Weinprüfer). Der anatomifche Bau des Geruchsorgans 
bei den verfchiedenen Glaffen ber Thiere ift unendlich verfchieden, behält aber dabei faft überall 
feinen Grundtypus: bie Ausbreitung bed vorn im Gehirn entfpringenden Riechnerven auf einer 
verhälmigmäßig großen Fläche. ine befondere Art des Geruchsorgans ift der bei einigen 
Säugethieren vorkommende Rüffel (f. d.). — Als Krankheiten, welche die Nafenhöhle befal- 
In können, find befonber& zu erwähnen bie Entzündung (befannt unter dem Namen Schnu⸗ 
pfen), ferner Geſchwüre verfchiebenen Charakters und Wucherungen der Schleimhaut (Poly 
pen). Rafengefhmwüre (oft mit übelm Geruch, die Stinknaſe, ozaena) find in vielen Fällen 
Bolge von Allgemeinleiben, namentlich von Syphilis, und zerſtören, wenn fie nicht durch He⸗ 
kung bes Allgemeinleidene befeitigt werben, nicht felten einen großen Theil der innern und felbft 
ber äußern Naſe, welche legtere wieder zu erfegen Aufgabe der Rhinoplaſtik (f. d.) ift. Eine 
ſehr Häufige Erfcheinung ift das Mafenbluten (epistaxis), welches entweder burch geſchwürige 
zerſtörung oder Verwundung der Schleimbautgefäße oder durch Berſtung derfelben (z. 2. 
in Folge von Blutandrang nach dem Kopfe) entftcht, oder Zuftände begleitet, bei denen 
das Blut ber Zerfegung unterliegt (3. B. Faulfieber, Storbut). Es kann daher vorkommen, 
daß ein Blutandrang nad) den Kopfe durch Nafenbluten erleichtert wird, welches dann in hef⸗ 
ligen Fiebern eine günflige, fogenannte kritifche Bebeutung bekommt. Unter folchen Umftänden 
barf man es nicht unterdrüden, wie es überhaupt in vielen Fällen keiner weitern Behandlung 
bebarf. Wo es jeboch durch die Reichlichkeit bes Blutverluftes oder fonft Gefahr droht, ftillt 
man das NRafenbluten durch Einfhlürfen von Faltem Waſſer (mit oder ohne Zufäge von Eis 
oder Eſſig, Alaun und andern zufammenziehenden Mitteln), durch kalte Umfchläge auf die 
äußere Rafe, durch Ableitungen an bie Ertremitäten, felbft durty Tamponniren (Ver⸗ 
flepfung). Ein fehr häufiges und zur Gewohnheit werdendes (fogenanntes habituelles) 
Naſenbluten erfobert ſtets genaue ärztliche Unterfuchung ber Nafenhöhle, am beften mittels 
der Zeis’fchen Rafenfpiegel, wegen Möglichkeit vorhandener Nafengefchtvüre. Vgl. Des 
hamıps, „Uber die Krankheiten der Nafenböhle” (deutſch, Stuttg. 1805); Cloquet, „Db* 
phrefiologie” (deutih, Weim. 1824). 

Naghorn oder RKhinoeeros heißt eine Gattung von Säugethieren aus der Familie ber 
Didhäuter, von andern unterfchieden durch dreizehige Füße und ein ober zwei auf ber Nafe fie 
hende Börner, welche nur mit ber Haut verbumben und aus Hornfafern zufammengefegt find. . 
Der Körper ift ſehr groß und plump und ſteht auf verhältnigmäßig ziemlich niedrigen Fü⸗ 
Ben; bie Haut ift did, melft rauh, faft unbehaart und höchſtens mit fpärlichen Borften befept. 
Die Schnauze ift verlängert, aber ohne Rüffel und das Maul ftumpf und breit. Alle nähe 
ven fich von Pflanzen allein, ziehen fumpfige Gegenden zum Wohnorte vor, wälzen ſich im 
Merafte und find ziemlich träg und flumpffinnig, gereist aber meiftens fehr wild und gefähr⸗ 
B4, zumal da fie dann eine unerwartete Beweglichkeit und Schnelligkeit entwideln. Gehör umb 


54 Nafiraer Raſſau (Herzogthum) 


Geruch find unter den Sinnen bei ihnen am meiſten ausgebildet. Man theilt fie nach der Anzahl 
ber Hörner in ein« und zweihömige. Zu ben erftern gehört das indifhe Nashorn (Rhinock- 
ros Indicus), welches ſich hHauptfächlich durch das zwei Fuß lange einzelne Horn und bie tiefge⸗ 
fpaltene Haut unterfiheibet; das javanifche Nashorn (ih. Sondaicus) und das ſumatraniſche 
Sashorn (Rh. Sumatranus), welche legtern Feine Wildheit zeigen. Zu den zweihörnigen Arten 
gehört das ſchwarze Nashorn (Rh. bicornis) in Südafrika, deffen Körper 12 F. lang und an 
der Schulter 5 F. hoch ift. Es ift fehr mild und die Jagd auf daffelbe nicht ohne Gefahr. Die 
Eingeborenen effen das Fleifch, welches dem Nindfleifche ähnlich iſt; aus ber inrfrifchen Zus 
ftande zu Riemen zerfchnittenen Haut werden dort Neitgerten und Peitfchen (Schamboks) zus 
fammengedreht. Auch in Nordafrika werden auf ähnliche Art Reitgerten verfertigt, welche um: 
ter dem Namen Eorbage einen Handelsartifel in England bilden. Auch das fiumpfnafige Ras⸗ 
horn (Rh. simus) und dad Keitloa-Rashorn (Rh. Keitloa) leben in Afrika und find mit zwei 
Hörnern verfehen. Das erftere von ihnen ift weniger wilb und wird wegen feines wohlfchmeden- 
den Fleiſches viel verfolgt; das legtere aber zeigt fich fehr unbändig. Unter den Überreften unter 
gegangener Säugethiere bat man auch neun Arten bes Nashorns gefunden. 

Rafiraer oder Razarder hießen bei ben Juden der früheften Zeit eine Art Asceten, bie un 
ter Anderm das Gelübde gerhan hatten, fid) dad Haar nie ſcheeren zu laſſen. 

Raſſau, das Herzogthum, grenzt gegen N. an die preuß. Nheinproving und Weſtfalen, ger 
gen D. an das Großherzogthum Hefien, Preußen, Heffen- Homburg, Kurheſſen und das 
feankfurter Gebiet, gegen S. ebenfalls an diefes und an das Großherzogthum Heſſen, ge 
gen W. an bie preuß. Rheinprovinz und bildet mit Ausnahme eines einzigen Amtes und zweier 
Gemarkungen, bie ald Enclaven zwifchen den beiden Heffen liegen, ein wohl arrondirte® Ter- 
ritorium. Daffelbe befteht aus 23 Gebietstheilen des vormaligen Oberrheinifchen und Weſt⸗ 
fälifchen Kreifes, namentlich den Altern naſſauiſchen Beſitzungen, Naffan-Dranien, Naffau 
Ufingen und Naffau-Weilburg, fowie aus Theilen von Kurmainz, Kurtrier und Kurköln; es 
umfaßt 84°, AM., ift mehr gebirgig ald eben, bon vielen tiefen Thälern durchfchnitten und, mit 
Ausnahme der böhern Gebirgsgegenden bes Wefterwaldes, von mildem Klima. Die Dauptge- 
birge find der Taunus, welcher die ſüdliche Hälfte des Herzogthums zwifchen dem Main und 
der Zahn erfüllt, in feinem höchſten Punkte bis zu 2700 F. (der Große Feldberg) auffteigt und 
das herrliche Rheinthal (Rheingau) in ſich einfchließt, und der rauhe, unfruchtbare Weſterwald, 
der mit feinem höchften Punkte, dem Salzburger Kopf, 1960 F. hoch, die nördliche Hälfte des 
Herzogthums bededt. Von denzahlreichen Flüſſen, bie das Rand bewäffern, find der Main und 
der Rhein zwar die Haupt«, aber doch nur Grenzflüffe ; dagegen durchftrömt die Kahn, melde 
bei Weilburg ſchiffbar wird, in einem reizenden Thale das Herzogthum von Often nad) Weſten, 
und mit ihr vereinigen füch die Beil, Embs und Aar, welche vom Taunus, die Dill und bie 
Elbe, welche vom Weſterwald herablommen. Außerdem ift blos noch die Nidda oder Nieb zu 
erwähnen. An Producten erzeugt daB Rand Getreide, ſoviel der eigene Bedarf erfobert, treff- 
liches Obſt und allerlei Gemüfe, auch Hanf, Flachs und Zabad, befonders aber die edelften 
Weine im Rheingau und bie gleichfalls fehr gefchägten Weine an ber Lahn. Die Gebirge find 
mit fchonen Laubholzwaldungen bebedit, die zahfreiches Wild enthalten, die Bäche und Fluͤſſe 
reich an Fiſchen und Krebfen, und allenthalben in den Gebirgen findet fich Eifen, Blei, Kupfer, 
auch etwas Silber, im MWefterwald Stein- und Braunkohlen, an der Lahn Marmor u. f. w. 
Bon befonderer Wichtigkeit für den Wohlſtand des Randes ift die große Zahl berühmter Mi⸗ 
neralquellen, wie die zu Wiesbaden, Weilbach, Kangen- Schwalbach, Schlangenbab, Ems, 
Selters, Nieberfelters, Fachingen, Geilnau, die Trinfholderquelle bei Braubach u. f. m., bie 
bem Lande jährlich einen reinen Gewinn von 100000 Stdn. bringen. Die Zahl der Bewoh—⸗ 
ner belief fih 1851 auf 428218 Seelen. Ste find Deutfche, mit Ausnahme von etwa 6800 
Juden und einer Heinen Anzahl Nachkommen von franz. Hugenotten. Bon ihnen bekennen 
fich mehr als 224000 zur evangelifch-chriftfichen und ungefähr 195000 zur kath. Kirche; bie | 
mennonitifche Gemeinde zählt gegen 200 Mitglieder. Fabriken umd Manufacturen von Ber . 
deutung gibt ed außer den Hammer und Hüttenwerken verhältnigmäßig nur wenige. Der 
Geœwerbfleiß beſchränkt fich größtentheild auf die Production ber gewöhnlichen Kebensbebürfe 

niffe der Einwohner. Als Fabrikort kann allein das fehr thätige und Inbuftrielle Städtchen 
Hoͤchſt am Main betrachtet werben. Dagegen wird ein fehr Iebhafter Handel mit Mineralwäſ⸗ 
fern, Weinen, ben Erzeugniffen des Bergbaus und Hüttenbetriebs und mit Schlacht- und Zug. 
vieh ind Ausland getrieben, den bie Schiffahrt auf dem Nhein, bem Main und ber Lahn und 
zahlreiche Kunſtſtraßen nach allen Seiten bin außerordentlich unterflügen. Für die wiflen- 


Naſſau (Berzogehum) 55 


(Haftfihe und Volksbildung ift durch höhere und niedere Lehr- und Erziehungsanftalten hin⸗ 
lãnglich geforgt. Als Landesuniverfität gilt zufolge Vertrags mit Hannover die Hochſchule zu 
Göttingen, und für die wiftenfchaftliche Ausbildung der Bath. Geiſtlichen ift an der Univerfität 
zu Marburg gemeinfchaftlidy mit Kurheffen eine kurfürſtlich heſſ. und herzoglich naffauifche 
Eath.-theologifche Facultät errichtet worden, welche aus vier ordentlichen Profefforen befteht, 
von denen N. zwei ernennt. Pädagogien gibt ed in Dillenburg, Hadanıar und Miesbaben, 
Realſchulen zu Diez und zu Ufingen und ein Gymnaftum, die eigentliche Vorbereitungsanftalt 
für die Univerfttät, zu Weilburg ; ferner hat das Land ein Seminar für evangelifche Theologen 
zu Derkorn, während das für kath. Theologen bei dem biſchöflichen Sige zu Limburg fich bes 
findet; ein Schuliehrerfeminar zu Zoftein, das zugleich mit dem dort beftehenden landwirth⸗ 
ſchaftlichen Inftitute in Verbindung gefegt ift; ein Zaubftummeninftitut zu Kamberg und eine 
öffentliche Bibliothek von 40000 Bänden zu Wiesbaden, wofelbft auch ein Muſeum rhein. 
Alterthũmer befteht. Das regierende Haus befennt fich zurevangelifhehriftlichen Kirche, unter 
welchem Namen durch das Edict von 1817 die lutherifche und reformirte Kirche vereinigt wur⸗ 
den, Doch Haben feit 1805 auch alle andern chriftlihen Gemeinden freie Übung bes Gottesdien⸗ 
ſtes. Die evangelifche Kirche fteht unter dent Randesbifchof zu Wiesbaden, die fath. unter dem 
Biſchof zu Limburg, der die Verwaltung duch das bifchöfliche Commiſſariat zu Eltville in 
Rheingau übt. Die Staatöform ift monardifch-conftitutionell nach der Verfaffung vom 1. 
Gept. 1814. Die Stänteverfammilung befteht nach bem octroyirten Wahlgeſet vom 28. Nov. 

1851 aus zwei Kammern. Die erftie Kammer enthält ald erbliche Mitglieder die Prinzen des 

Haufes, den Erzherzog Stephan, bie Familien von Wied, Zeiningen-Wefterburg, Waldbott⸗ 
Baffenheim, Walderborff und Schönborn. Dazu fonımen, außer den Vertretern ber beiben 
Landeskirchen, Mitglieder, die der Herzog ernennt, und neun Abgeordnete, welche bie höchſtbe⸗ 
fleuerten Grundbeſitzer und Gewerbtreibenden wählen. Die zweite Kammer befteht aus 24 
Abgeordneten, welche nach dem Dreiclaffenwahlgefeg und duch indirecte Wahlen auf ſechs 
Jahre gewählt werben. Die Stände verfammeln fich jährlich ; fie haben weſentlichen Antheil 
an der Befeggebung und Steuerbewilligung ; ihre früher fehr beengten Befugniffe find durch 
Gefege feit 1848 ausgebehnt und genauer feftgeftellt worden. Der Herzog hat in neuerer Zeit 
das Präbicat Hoheit angenommen. Ihm fteht zur Seite ein aus den Vorfigenden der Landes⸗ 
behorden zufammengefegted Staatsminiſterium, bas ein dirigirender Staatöminifter leitet. 
Die höchſte Juſtizbehörde ift das Dberappellationsgericht zu Wiesbaden; in zweiter Inſtanz 
entſcheiden die Hof- und Appellationsgerichte zu Dillenburg und zu Wiesbaden. Für die Cri⸗ 
minaläuftiz find zwei Criniinalgerichte zu Wiesbaden und Dillenburg eingefegt. Unter dem 
Miniſterium ftehen als verwaltende Behörden die Landesregierung, die Generalfteuerdirection, 
die General-Domänenbirection (Lehnhof), welcher auch bie Verwaltung der Mineralbäder und 
die Kellerverwwaltung des Weincabinets zu Eberbach untergeordnet if, und die Staatskaffen- 
verwaltung. Das Staats bedürfniß betrug für 1852 4,253708 Gldn., der Capitalbetrag der 
Staats ſchuld war 1850 auf 10,200000 Gldn. geftiegen. Das Contingent, welches N. 
als Glied des Deutfchen Bundes ftellt, befteht aus 6745 Mann Infanterie, 576 Mann Artille⸗ 
sie und 12 Geſchutzen nebft einer Abtheilung Pioniere von 56 Dann; es gehört zun neunten 
Armeecorps. Im Engern Ausfchuffe des Deutfchen Bundes Hat N. mit Braunfchmweig die 15. 
Gtelle, im Plenum aber zwei Stimmen. Die Haupt- und feit 1840 Nefidenzftadt ift Wiesba⸗ 
den (f. b.). Vgl. Demian, „Handbuch der Geographie und Statiftif des Herzogthums N.“ 
(Viesbad. 1823); Vogel, „Hiftorifche Topographie bes Herzogthums N.’ (Herborn 1836) ; 
Dirfelbe, „Beſchreibung bed Herzogthums N.” (7 Hefte, Wiesbad. 1845 — 44); „Das 

thum R. in malerifhen Originalanſichten“ (Darmft. 1842 —A5). 

ie Gegend bed heutigen N. war in ber german. Vorzeit von Alemannen befept, Lie dann 

den Franken unterlagen, worauf fie zu den Fränkiſchen und nach der Theilung defielben zum 
Deutſchen Reiche gehörte. Unter die großen freien Grundbefiger dieſer Gegend, die allmälig bie 
Landeshoheit gemannen und fich zu Dynaſten emporſchwangen, gehörten auch bie reichbegüter- 
ten Grafen von Laurenburg, fo benannt nach dem Schloffe Laurenburg an der Zahn in der 
nachmaligen Grafſchaft Holzappel. Als den Stammvater berfelben nennt man mit großer 
Wahrſcheinlichkeit Otto von Laurenburg, den Bruder König Konrad's J. im 10. Jahrh. Sein 
Sohn, Walrtam J., geſt. 1020, wurde durch feine Söhne der Stifter zweier Linien. Der ältere, 
Walram II, pflanzte bie Linie Laurenburg fort, die ſeit 1160 nach dem neuerbauten Schloſſe 
Rafjau ſich nannte; der jüngere, Otto, vermählte ſich mit der Erbin von Geldern und ſtiftete die 
linie Naſſau · Geldern, welche 1425 im Manneſtamme erloſch. Die naſſauiſchen Erblande 


56 Naſſau (Herzogthum) 


theilten 1255 die Söhne des Grafen Heinrich II. oder des Reichen. Walram IV., ber ältere, 
erhielt den füdlichen Theil, Idſtein, Wiesbaden und Weilburg, Otto, der jüngere, bie nördliche 
Partie, Dillenburg, Beilftein und Stegen. Sie ftifteten die Walramiſche und die Ottoniſche 
Linie, von denen erftere noch gegenwärtig das Herzogthum N. befigt, legtere den Thron ber 
Niederlande einnimmt. Walram's IV. Sohn, Adolf (.b.), wurde 1292 zum deutichen Kö⸗ 
nig erwählt. Seine Nachkommen theilten ſich in mehre Zweige, von denen ber jüngfte 1605 in 
der Perfon des Grafen Ludwig II., geft. 1625, alle Befigungen der Walramifchen Linie wie⸗⸗ 
der vereinigte. Doch ſchon des Kegtern Söhne gründeten wieder brei Rinien: N.» Saarbrüd, 
N. Zoftein und N.Weilburg. Die Linie R.-Idftein, ftarb bereits 1721 mit Georg Auguſt 
Samuel, der den fürftlihen Zitel angenommen hatte, aus. Die Linie R.-Gaarbrüd zerfiel 
41640 in drei Rinien: R.-Ottweiler, R.Saarbrück und R.-Ilfingen, und als diefe 1721 bis 
auf die legtere ausgeftorben waren, feit 1735 wieder in bie Linien R.-Ufingen und NR.-&aar 
brüd, von denen bie Iegtere 1797, bie erftere 1816 erlofch. Dem bereits 1738 gefchloffenen 
Vertrage hinfichtlich des Erfigeburtsrechtd unter den einzelnen Aften der Walramiſchen Kinie 
ſchloß fich 1783 auch die Dttonifche Linie an. Jene befaß damals ein Areal von etwa 60 QM. 
Am Frieden von Luneville von 1801 mußte ber Herzog Karl Wilh. von R.-Ifingen bie 
Sraffaft Saarbrüd und mehre Amter auf dem linken Rheinufer, zufammen 20 AM. mit 
ungefähr 53000€., und N-Weilburg, etwa BAM. mit 19000 E., an Frankreich abtreten ; da⸗ 
für erhielt im Reichöbeputationshauptfchluffe von 1805 jenes eine Entfchäbigung von SGAM. 
mit 95000 E., dieles von 16 AM.mit37000 E. Auch erhielten beide Linien Sig und Stimme 
im Fürftencollegium auf dem Reichstage, was ihnen biöher ftreitig gemacht worden war. Ein 
Schnelles Beitreten zum Rheinbunde brachte 1806 dem damaligen Senior des Haufes, bem 
Fürften Sriedr. Aug. von R.-Ufingen, ben Herzogstitel und beiden Linien die Souveränetät 
und eine Zerritorialvergrößerung von 31 AM. mit 84500 E. Gleichzeitig wurden fämmtliche 
Befigungen der Walramifchen Linie für ein untheilbared Herzogthun erflärt. Nach der 
Schlacht bei Leipzig traten auch die beiden naffauifchen Kinien auf die Seite der Verbündeten, 
und auf dem Congreß zu Wien wurbe bas Recht der Walramifchen Kinie auf Luxemburg nad) 
Ausfterben der Ottonifchen Linie ausdrücklich anerkannt. Durch Tauſchverträge mit Preußen 
erhielten 4815 ber Herzog von N.-Ufingen und ber Fürft von N.-Weilburg faft alle Befigun- 
gen ber Dttonifchen Kinie und 1816 auch die Niebergraffchaft Kagenellnbogen. Nach dem Er⸗ 
löfchen der Kinie N.-Ufingen mit bem Herzog Friedr. Auguft, 24. März 1816, fielen gefammte 
Befigungen der Walramifchen Linie dem einzig übrigen Zweige M.- Weilburg zu. 

Der Fürft von N.-Weilburg, Wilhelm, geb. 1792, der faum zwei Monate vorher feinem 
Vater in der Regierung gefolgt war, wurde nun alleiniger Regent in N. und Herzog. Er gab 
bem Rande 1817 eine ganz neue Verfaffung ; doch gleich In der erften Verſammlung geriethen 
die Stände mit der Regierung in ſtarken Conflict, indem letztere die Anficht aufftellte, daß bie 
Domänen vollfländiges Eigenthum des fürftlichen Haufes feien, dag ihr Ertrag lediglich für 
den Herzog und bie herzogliche Familie zu verwenden fei und daß daher der ganze übrige Staats⸗ 
bebarf durch Steuern aufgebracht werden müffe. Nur die eigentliden Steuern follten von den 
Ständen beauffichtigt werden, und um biefe von dem Domänenvermögen zu trennen, wurden 
eine befondere Domänenkaffe und eine Landesfteuerkaffe gebildet. Weil fich hierbei nicht Alles 
genau trennen ließ, beanſpruchte bie Regierung von der Lanbesfteuerkaffe eine jährliche Ent⸗ 
hädtgung von 140000 Gldn. Obſchon nun bie Herrenbank der Ständeverfammlung füch gleich 
auf dem erften Randtage mit diefen Anfichten und Beſtimmungen nicht im Einflang erklärte, fo 
beruhte doch die Sache auf fich, Hiß die Deputirten in der Ständeverfammlung von 1831 biefen 
fogenannten Domänenftreit aufs neue anfachten. Als nun bie Deputirten die Verſchmel⸗ 
zung ber beiden oben angeführten Kaffen und die Aufftellung eines Budgets für den Her⸗ 
zog und das herzogliche Haus verlangten, auch wenn von der Regierung nicht barauf ein 
gegangen werden follte, und eine etwaige Steuervermeigerung in Ausficht ftellten, fo wurde . 
der Landtag 2. Mai 1851 vertagt und erft im Det. 1831 wieder berufen, nachbem bie’ 
Herrenbank durch die Bevollmächtigten der beiden Söhne des Königs der Niederlande und 
bie eigemwillige Ernennung breier anderer Mitglieder fo verftärkt worden war, daß bei 
Bewilligungen, mo die beiden Kammern zufammen zu flinnmen hatten, der Regierung bie 
Majorität gefichert ſchien. Die Deputirtentammer proteftirte in ihrer Mehrheit gegen eine 
derartige Zufammenfegung der Herrenbank, doch ohne Erfolg. Durch eine Mehrheit von 22 
Stinmen (den 18 Stimmen ber Herrenban? und vier Deputirten) gegen 17 Stimmen wurden 
bie Steuern bewilligt und hierauf ber Landtag aufgelöft. Die neuen Wahlen fielen faft durch 


Raffan (Herzogthum 57 


8 wieder auf bie frühen Deputirten ; von ihnen erffärten bein Zufammentritt 16 in einer 
ngabe an die Regierung ihre Wirkſamkeit für fo lange fuspendirt, bis die ungefegliche Zufam« 
mfegung ber Herrenbant befeitigt fein werde, und reifien ab. Doch die Regierung ließ durch 
zurückgebliebenen fünf Deputirten, die Bifchöfe Brand und Müller, den Kirchenrath Amı« 
un, den DOberfchulrath Friedemann und ben Butsbefiger Schott (die fogenannte Fünfmän- 
Hammer), den Landtag fortfegen, bas Budget bewilligen und die Ausgefchiedenen für une 
Yig erklären, je wieder gewählt zu werben. Auch wurden diefegtern in Unterſuchung gezogen, 
m Theil mit Gefängniß beftraft; der Präfident Herber aber wurde wegen eines Artikels in 
: „Danauer Zeitung”, ber ihn bereit8 vor ber Wahl zum Deputirten in eine Eriminalımter- 
Hung verwidelt, zu drei Jahren Feftungsftrafe verurteilt, von der ihn der Tod erlöfte. Die 
33 an bie Stelle ber Ausgefchloffenen neugewählten Deputirten waren insgeſammt freiſin⸗ 
re Männer; doch kam es zu feiner compacten Oppofifion, und ohne alle Weiterungen wurden 
: Steuern verwilligt. Eine mildere Praxis fand in N. erft Eingang nach dem Tode bes fehr 
populären birigirenden Minifterd von Marſchall im Jan. 1834, dem als Minifter der Graf 
alderdorff folgte. Die herzogliche Regierung machte bem Lande miehre Zugeftändniffe, und 
fichtlich der beanfpruchten Entfhädigung von jährlich 4140000 Gldn. für die Domänenkaſſe 
uͤgte man fi) mit den Ständen 1836 dahin, diefe Summe zu 2,400000 Gldn. capitalifirt 
& dreiprocentige Domänenfchulden auf das Rand zu übernehmen, während zugleich die Do- 
‚änen für umveräufßerlich erflärt wurden. Mit dem Jan. 1836 trat N. dem Deutſchen Zoll 
rein bei; 1838 wurde die Taunuseifenbahn conceffionirt und 4840 eröffnet, auch 27. Sumi 
139 ein Bertrag wegen Abtretung der agnatifchen Anfprüche auf Luxemburg mit dem König 
r Rieberlanbe abgefchloffen, zufolge deffen N. 750000 Gldn. ausgezahlt erhielt. Der Herzog 
iſhelm ftarb 20. Aug. 1839 im Bade zu Kiſſingen, und ihm folgte fein Sohn Adolf, geb. 
. Juli 1817, der fi) 1844 mit der Sroßfürftin Eliſabeth, der Tochter des Großfürften Mi- 
wi von Rußland, vermählte, die 1845 in Folge zu frühzeitiger Niederkunft farb. 

Im 3. 1842 nahm ber dirigirende Minifter Graf Walderdorff feine Entlaffung, und an feine 
elle trat nach längerm Interimifticum ber Geh. Rath von Dungern. Der 1845 verfanmelte 
ndtag firich zwar von ben als Landesbedürfniß gefoderten 2,431666 &ldn. die Summe von 
647 Gldn, doch herrſchte zwiſchen Regierung und Ständen große Einigkeit. Indeffen fehlte 
auch bier nicht an Stoffen gährenber Unzufriedenheit. Man Hagte über materiellen Noth⸗ 
nd des Beinen Bauern, über Beläftigung dur übermäßigen Wildftand, über ungenügenbde 
lege ber Quellen des Landesreichthums wie über die politifche Unmündigkeit, in welcher bie 
bigeglieberte Bureaufratie das Volk zu erhalten fuchte. Allerdings mochte es wenig Gebiete 
Debian geben, wo die Beamtenregierung vor 1848 fo ausgebildet, jebe Bewegung fo 
jfttich überwacht, alle Discuffion in der Preffe wie anderwärts fo gefliffentlich ferngehalten 
ıd. Eben dies trug freilich um fo mehr dazu bei, in den Jahren der Bewegung der Bevölke⸗ 
ag eine beſonders unreife Haltung zu geben und fie den gewöhnlichen Künften ber Demago- 
‚gugänglicher zu machen. Seit 1846 gab fich wieder ein regeres Intereffe an den öffentlichen 
sgelegenheiten fund; es Tprach fich dies auch in den Wahlen zur Ständeverfammlung aus. 
ie Regierung verhieß ftrenge Ordnung und Offenheit im Staatshaushalt und fuchte auch dem 
uch Die Theuerungsjahre zunehmenden Notbftande nach Kräften zu fleuern. In den Ständen 
te fich ein Lebhafterer politifcher Trieb. Es tauchten Anträge für Dffentlichkeit ber Verhand⸗ 
gen, eine freifinnigere Gemeinbeverfaffung, freie Preſſe auf (1847); die Regierung hielt 
er allen diefen liberalen Regungen gegenüber ihren ftreng verneinenden Standpunkt fefl. Die 
bruarereigniffe von 1848 überwanden raſch dieſen Widerſtand. Inden erften Tagen bes März 
nden auch in N., namentlich in Wiesbaden, große Berfammlungen flatt, als deren Ergebniß 
3 Programm auftauchte, welches, außer der Volksbewaffnung, freien Preſſe, einem deutfchen 
srlament, Vereinsrecht, Schwurgerichten, Religionsfreiheit, namentlich verlangte, daß bie 
omänen gu Etaatdeigenthum erflärt und fofort eine einzige Kammer zur Entwerfung eines 
uen Wahlgeſetzes einberufen werden folle. Das Minifterium hielt fi, ba der Herzog abwe⸗ 
ıd war, nicht für berechtigt, diefe 2. März aufgeftellten Begehren zu bewilligen ; doch erklärte 
feine Bereitwilligkeit und warb darin von ber verwitweten Herzogin und dem füngern Bru- 
e bes regierenden Herzogs unterftügt. In diefem aufgeregten Augenblidl, wo ſich Zaufende 
u Menfchen nad; Wiesbaden gedrängt hatten, kam (A. März) der Derzoa an und beſchwich⸗ 
te zunãchſt durch feine zuftimmende Erflärung die erfte Gährung. Indeſſen ſowol diefe Ber 
ihrungen als die Berufung eines Führers der liberalen Oppofition, des Advocaten Herchen- 
In, ins Minifterium reichte nicht Hin, die Aufregung zu befänftigen, welche die Frucht langer 


J 


58 Naſſan (Herzogthum) 


politifcher Unmündigkeit und verfäumter materieller Intereffen war. Es kamen Verwüſtungen 
adeliger Güter, gewaltfame Abfegungen der bisherigen Gemeindebeamten in Menge vor; für 
das früher erlittene Unrecht duch den Wildſtand rächte ſich jept der Bauer durch ſchrankenloſe 
Übung des Jagdrechts. Auch regte ſich eine republitanifche Partei, ohne jedoch auf dem flachen 
Lande großen Anhang zu finden. Die Unruhen, die fie im Juli 1848 in Wiesbaden wegen ber 
Befreiung gefangener Artilferiften veranlaßte und worin ein Theil ber Bürgergarbe vermwidelt 
war, fanden durch eingerückte Neichötruppen rafch ihr Ende. Inzwiſchen hatte bie Regierung 
die Ständeverfammlung nad) einem neuen Wahlgefege berufen. Die Herrenbank (erſte Kam 
mer) war befeitigt, eine einzige Kammer, aus 42 Abgeordneten gebildet und nach fehr weit aus⸗ 
gedehntem Wahlrecht gewählt, kam im Mai zufammen. Das demokratiſche Element war in 
ihr fehr ſtark vertreten, wie fi) bei den Debatten über das Veto zeigte. Sie betrachtete fich als 
conftituirt und begann durch eine Reihe von Gefegen die im März verheißenen Reformen in 
Vollzug zu fegen. Zur deutfchen Angelegenheit war die Stellung N.s feit ben Märztagen, we 
der Herzog durch bie Sendung M. von Gagern's felbft die Initiative zur Bundesreform gege 
ben, eine fehr auögefprochene. N. ſchloß fich dann den Regierungen an, welche fi} zur Anerken 
nung des Bundesftaatd mit preuß. Leitung bereit erflärten, und ald die Reichsverfaſſung vom 
28. März vollendet war, wurde fie von Negierung und Ständen als verbindlich aufgenommen. 
Der allgemeine Umſchwung der Dinge, die Verkettung ber Reichöverfaffung mit der neuaus⸗ 
brechenden Revolution und die Haltung Preußens brachten auch in N. einen Umfchlag hervor; 
im Zuni 1849 trat Herchenhahn aus dein Minifterium aus und ward durch YWingingerode er- 
fest. Es folgte alsbald der Beitritt Nis zum Dreikönigsbündniffe. Inzwifchen gingen die Ar 
beiten der Stände, wenn auch mit Unterbrechung, vorwärts; eine Reihe neuer organiſcher Ge⸗ 
fege entftand, die dann im Dec. 1849 publicirt und im Zufammenbang mit ber Derfaflung von 
1847 als das öffentliche Recht bezeichnet wurden. Auch bie Domänenftage fand ihre Ausglei- 
hung. Die Domänen wurden durch eine Vereinbarung ber Regierung.mit den Ständen (Sept. 
1849) für Staatseigenthum erflärt und ihre Verwaltung den Staatöfinangbehörden unter 
Controle ber Ständeverfamnilung übergeben. Ein fpäterer Verfuch der Stände, die Civilliſte 
herabzuſetzen, die Gegenftand ber Vereinbarung fein follte, warb von der Regierung als verfaf 
({ungswidrig zurüdgewiefen. In der deutfchen Angelegenheit ward. Durch das Mitlingen der 
Union auh N. veranlaft, davon zurüdzutreten, Iehnte jedoch auch (Herbft 1850) die Auffode⸗ 
zung Oſtreichs zur Befchickung des Bundestags ab. In ben innern Angelegenheiten war indefe 
fen die Hauptdiffereng durch die Frage entftanden, wiedie fünftige Landesvertretung fich geftalten 
folle. Je mehr bie Regierung von dem Einfluffe der zunehmenden Reftaurationspolitit beftimmt 
wurde, deſto größer zeigte ſich das Misverhältniß zu der noch ſtark mit demokratiſchen Elementen 
verfegten Landesverfammlung. Verfchiedene Verſuche der Einigung hatten Beinen Erfolg. Zulept 
ward der Landtag (Frühjahr 1851) durch Ausfcheiden der Linken factifch aufgeloft ; dieſe hieltdie 
Meriode für abgelaufen und das fernere Tagen ber Verſammlung nicht mehr für geſetzlich. Num 
griff die Regierung zu dem Ausweg der Octroyirung und erließ (Nov. 1851) ein neues (oben 
erwähntes) Wahlgefeg. Die Veränderungen in der deutfchen Politik, der zunehmende Einfluß 
Oſtreichs und die Herftellung des Bundestags veranlaßten im Febr. 1852 einen Miniſterwech⸗ 
fel. Prinz Auguft von Wittgenftein, Mitglied bes Iegten Reichsminiſteriums, warb als Staate 
minifter an bie Spige der Verwaltung berufen. Die nach dem neuen Wahlgefege vorgenomme- 
nen Wahlen fielen überwiegend im Sinne der Regierung aus. Rüdfichtlich der Handelspoftif 
befchicte die Regierung den wiener Zollcongrefi, was im Lande mannichfache, aber ungegrün⸗ 
bete Beforgniffe hervorrief. Der Herzog Adolf bat fih im April 1851 zum zweiten male ver» 
mählt mit ber Prinzeffin Adelheid von Anhalt-Deffau ; aus diefer Ehe ift ihm (22. April 1852) 
ein Erbprinz, Wilhelm Alexander, geboren worben. 

Die jüngere Linie des Haufes N., die Dttoniſche, welche ben Grafen Dtto, geft. 1292, zum 
Stifter hat und jegt im Königreich der Niederlande (f. d.) herrfcht, wurde erft feit Graf Wil⸗ 
beim’s des Altern Zeit, der 1559 flarb, gefcgichtlich merfwürdig. Sein Sohn, Wilhelm J. 
(f.d.), Graf von N., erbte 1544 von feinem Vetter Renatus das Fürſtenthum Oranien and 
vannte filh nun Prinz von Dranien. Er wurde 1574 von den infurgirten Niederländern zum 
Generalcapitän und Statthalter erwählt und ftarb 1584 durch Meuchelmord. Sein erfl- 
geborener Sohn, Phil. Wilhelm, Prinz von Dranien, geb. 1554, flarb 1618. In der 
Stattbalterfchaft der Niederlande folgten dem Water nacheinander feine beiden jüngern Söh⸗ 
ne, Morig, geb. 1567, geft. 1625, und Heinr. Friedrich, geb. 1584, geft. 1647, der aud, 
ba feine beiben Altern Brüder ohne Erben verftarben, das Fürſtenthum Dranien erbte. 


v 


Waffen (Et) —_Raifan-Biegen (Joh. Morig Erafvm) 60 


uf Morig wie auf Heinr. Friedrich des Waters Tapferkeit forterbte, jo Hatte bach 
ber Erſtere zu wenig politiſche Möfigung, um ruhig bad Staatsſchiff ber Die» 
leiten. Des Leptern Sohn und Nachfolger in der Statthalterſchaft dee Verei⸗ 
derlande, Wilhelm II., geb. 1626, gefl. 1650, erlebte zwar 1648 die Anerken⸗ 
Freiſtaats; allein feine Verheirathung mit Maria, der Tochter Karl's I. von ing 
bie von feinem Haufe begünftigten Reactionen der königl. Partei in England ex 
Groll Cromwell's gegen die Niederländer und bie ſchrecklichen Seekriege beider Na⸗ 
in kriegeriſcher Sohn, Wilhelm ILL. (f.d.), geb. wenige Tage nach des Vaters Tode, 
Erbſtatthalter von Holland und 1689 König von England. Er ftarh 1702 ohne 
Erben. Aus Dankbarkeit für ben Beiftanb, ben das Haus Brandenburg ihm bei der 
ve des Throne von England geleiftet hatte, vermachte er biefem Haufe bie Fürften- 
anien und Mörs nebft mehren Herrſchaften in Weſtfalen; alles Übrige erbte fein 
zuat, Joh. Wilh. Frifo, Fürſt von N-Dieg und Exbflatthalter von Friedland, geb. 
1711. Diefer ftammte ab von dem Bruder Wilhelm's I, des Stifters der Freiheit 
ande, vom Grafen Johann von Dillenburg, der im Revolutionskriege ald Statthal« 
een und Zütphen 1606 ftarb. Don Johann's von Dillenburg Söhnen fliftete Jo« 
Mittlere die Rinie N.Siegen (erlofchen 1743), Georg R.-Dillienburg (erlofchen 
bien. Johann R.- Hadamar (erlofhen 1814) und Ernſt Kafimir R.-Dieg. Nachein⸗ 
a Milh. Ludwig, geft. 1620, Ernſt Kafimir, erfchoffen 1632, deffen Sohn und En⸗ 
Keibrich, geſt. 1664, umd Heine. Kaſimir, geft. 1696, Statthalter von Friesland und 
. Des Legtern Sohn war ber oben genannte Joh. Wild. Frifo, Statthalter in Fries⸗ 
q ſeit Wilhelm's III., Erbſtatthalters von Holland, Tode Prinz von Dranien nannte 
trtrank. Was ihm nicht gelungen, gelang feinem Sohne Wilhelm IV., ber durch 
I ber oranifchen Partei in der Republik neben der Statthalterſchaft in Friebland all 
Die Statthalterfchaften Geldern, Zütphen, Bröningen, Omeland und Drenthe erhielt, 
latthalter wurde und 1751 flarb. Ihm folgte fein Sohn Wilpelm V., geb. 1748, 
z unter ber Bormunbfchaft bes Herzogs Ludwig von Braunſchweig fland und fpäter 
glüd regierte. Er mußte, von ben Patrioten gebrängt, faft allen Vorrechten entfa- 
chte nur durch preuß. Waffen fich zu behaupten, war bei dem Vorbringen ber Fran⸗ 
genoͤthigt, nach England zu fliehen, 1802 feinen Würden und Befigungen in den 
en zu entfagen, wofür er in Deutfchland mit dem Fürſtenthum Fulda entſchädigt 
ſtarb 8. April 1806. Sein Sohn, König Wilhelm L (f. d.), verlor 1807 ſowol 
bie Souveränetät feiner Erblande in Deutſchland, kehrte aber als Souverän nach 
anben zurüd, wurde 1815 König ber Rieberlande und Großherzog von Rupemburg 
843, nachdem er 1840 abdicirt hatte. (&. Niederlande.) Ihm folgte fein Sohn 
. und biefem feit März 1849 deffen Sohn, König Wilhelm II. Vgl. Arnoldi, „Ge 
seanifchenaffauifchen Ränder und ihrer Regenten” (3 Bbe., Hadamar 1799— 1816); 
Beichichte des Haufes N.-Dranien” (3 Bde. Aach. und Lpz. 1831 — 33). 
, ein am rechten Ufer der Lahn im Herzogthum Naffau gelegenes Städtchen 
200 E., ift gefhichtlich berühmt durch die ihm gegenüber an dem linken Zahnufer 
yoben Felſen gelegene Burg Raffau, das angeblich 1181 erbaute Stammſchloß des 
ſſau. Der Ort entfiand durch eine bafelbft befindliche Reichsdomane Rafowa, welche 
onig Konrad 915 mit allem Zubehör auf beiden Seiten der Lahn dem Stifte St. 
zu Weilburg ſchenkte. Die ganze Landfchaft gewährt einen mälerifchen Anblick, 
urgäfte zu Ems find Stadt und Burg Naffau, riamentlich die Tegtere mit ihrer 
benden Ausficht, fowie die am weſtlichen Fuße des naffauer Burgfelfens fich erhe⸗ 
ve ber Burg Stein ein anmuthiger Ausflug. Nach der erften Daupttbeilung vom 3. 
h welche die Entfiehumg der beiden naffauifchen Hauptflämme veranlaßt wurde, blieb 
* mit ihrem Zubehör in ungetheilter Gemeinſchaft, und dieſe Gemeinſchaft wurde 
wieder erneuert. Bemerkenswerth ſind noch im Orte ein Thurm, welchen der 
iſter Freiherr von Stein zum Andenken an bie Befreiung Deutfchlands in alter⸗ 
Form aufführen ließ, und die 1830 vollendete Kettenbrüde über bie Lahn. 
Biegen (Joh. Morig, Graf von), geb. 1604, der Sohn des Grafen Johann von 
‚ befien gleichnamiger Vater ber Bruder des großen Wilhelm von Dranien, bes 
yer niederl. Unabhängigkeit, war. Mori trat früh in die Dienfte der hol. Republik, 
h dann 1652 zu Maftricht ans, wo er Pappenbeim zum Rückzuge nöthigte, und trug 
30) weientlich zur Eroberung ber Schwedenſchanze bei. Seine ausgezeichneten Gi 


60 Naſſau ⸗Siegen (Karl Heine. Nik. Otto, Prinz von) Naſſer Weg 


genſchaften als Feldherr und Staatsmann erwarben ihm in demſelben Jahre die wichtige Rolle 
eines Oberbefehlshabers in Braſilien, deſſen Eroberung begonnen hatte. Im Jan. 1637 lan⸗ 
dete er auf der Küſte Braſiliens bei Pernambuco, ſchlug die Portugieſen, nahm ihnen die Fe⸗ 
ſtung Paraſoa, richtete im Sommer eine Erpebition nach ber Küſte von Guinea, welche den 
Holländern die Feſtung St.Georg dei Mina erwarb, drang dann im Frühjahr 1658 an der 
brafil. Küfte fublich vor und ward erft vor St.-Salvabor (Bahia) in feinem weitern Sieges- 
laufe aufgeßaltn. Auch im Laufe ber nächften Jahre mußte N. die Herrfchaft der Holländer 
in Brafilien, trog mancher ungünftigen Wendung der Verhältniffe, glüdlich zu behaupten und 
machte zugleich in Afrika neue Erwerbungen. Seine Verwaltung war nicht minder rühmlich 
wie feine Kriegszüge; aber feine mweife Mäfigung und Großmuth entſprach nicht überall dem 
Krämergeifte der Hanbelsleute, die ihn Hinübergefchidt hatten. Zerwürfniſſe mit ihnen waren 
die Urfache, weshalb er feine Entlaffung nahm und im Sommer 1644 nad) Holland zurüd« 
fehrte. Er nahm, während ungeſchickte Nachfolger fein Werk in Brafilien zu Grunde richteten; 
wieder eine Stelle im Heere an, ward General ber Reiterei und erwarb fich fo fehr das Ver⸗ 
trauen ber Generalftaaten, daß er fpäter bei der 1665 und 1666 drohenden Kriegsgefahr zwei 
mal zum Oberbefehlshaber fänmtlicher Truppen ernannt wurde. Indeſſen zog er es vor, bie 
hol. Dienfte mit den brandenburgifchen zu vertaufchen. Er war nämlich von früher mit bem 
Großen Kurfürften näher befreundet, ber ihm verfchiebene diplomatifche Sendimgen übertrug 
undihn dann zum Stasthalter von Kleve ernamte. Als folcher ftarb er 20. Dec. 1679 zu Ber 
genthal bei Kleve, wo er auch beerdigt ift. Die brafil. Stadt Dlinde hatte er nach ihrer Zerſtö⸗ 
zung nen aufbauen laffen und Morigburg genannt. 

Naffau-Siegen (Karl Heine. NIE. Dtto, Prinz von), ein ritterlicher Sonderling, flammte 
aus der kath. Linie des Haufes Siegen ab und war 1745 geboren. Wegen der Misheirath ſei⸗ 
nes Großvaters, Emanuel Ignaz, wurde er, gleichwie fein Vater, nicht für legitim anerkannt, 
obfchon auf den Antrag feines Vormundes das Parlament in Paris 1756 für feine rechtmäßige 
Herkunft entſchied. Hierdurch in die Nothwendigkeit verfegt, fich felbft eine Bahn zu eröffnen, 
trat er im 14.3. als Freiwilliger in franz. Krlegsdienfte, die er als Rittmeifter verlieh, um 
Bougainville (f. b.) auf feiner Reife um die Welt zu begleiten (1766—69). Nady vielfachen 
Abenteuern, namentlich auf Dtaheiti und In den Wüften Afrikas, Behrte er nach Frankreich zur 
rüd, wo er wieder ald Oberſt eines Infanterieregiments in Dienfte trat: Sm J. 1779 machte 
er einen vergeblichen Verfuch, die Infel Jerfey zu nehmen. Im Kriege zwifchen Spanien und 
England befehligte er vor Gibraltar eine von Argon’& ſchwimmenden Batterien. Er feste ſich 
bier mehr als irgend Einer dem Tode aus, dem er auch nur durch Fühnes Schwimmen entging. 
Der Konig von Spanien belohnte ihn mit dem Patente ald Generalmajor und bem Zitel eines 
Granden erfter Claſſe. Wo nur immer der Kanonendonner in Europa ertönte, ba fehlte auch 
N. nicht lange. Durch den Grafen Segur ber Kaiferin Katharina IL. von Rußland empfohlen, 
erhielt er als Viceadmiral den Befehl über ein Geſchwader, welches gegen die Tütken Preuzen 
follte. An der Spige von Galeeren und flachen Fahrzeugen griff er im Schwarzen Meere bie 
viel ftärkere Flotte des Kapudan⸗Paſcha an, nahm einige Schiffe deffelben, ſteckte andere in 
Brand und zerſtörte in mehren Gefechten die ganze dort flationirte Seemacht der Pforte. Bon 
der Kaiferin in ausgezeichneter Weiſe belohnt, vermählte er fich in Polen, wo er das Inbigenat 
erhalten hatte, mit ber Tochter eines reichen Wojewoden und erhielt dann Sendungen an bie 
Höfe zu Wien, Madrid und Verfailles, um diefe von den Abfichten des preuß. Hof auf den 
poln. Thron zu unterrichten. In dem Kriege gegen Guſtav IH. von Schweben übertrug ihm bie 
Kaiferin den Befehl ihrer Flotte im Finnifchen Meerbufen. Er fchlug die ſchwed. Scheerenflotte, 
trieb fie in den Bufen von Viborg und glaubte hier den König, der fie befehligte, gefangen zu neh⸗ 
men, als diefer von neuem angriff, feine Linie durchbrach und 46 feiner Galeeren in den Grund 
bohrte oder nahm. Diefer Unfall, vielleicht auch die heimlichen Abſichten Katharina’s auf Po⸗ 
Ten, und fein Widerwille, gegen Frankreich kämpfen zu follen, benahmen ihm endlich die Lufl 
zum Kriege. Unter Pauls I. Regierung teifte er in Europa herum, bis er nach dem Frieden 
von Amiend nach Frankreich ging, um Napoleon kennen zu lernen. Hier flarb er um 1805. 
Bei allen Anlagen zum Helden ließ er nur ben Namen eines Abenteurers zurüd, An Großſpre⸗ 
chereien, aber auch) an Großmuth und an Empfänglichkeit für Polens Schidfal gab ihm feine 
Semahlin nichts nach. Sie unterftügte von Paris aus die poln. Großen auf alle Art und jeber 
fand in ihrem Palaſte die gaftfreundfichfte Aufnahme. . 

Naffer Weg ift eine chemiſche Unterfuhungsmethode, die dem trodienen Wege oder dem 
Probiren auf trodenen Wege entgegengefest ift. Unter der lehtern verſteht man biejenige che 


Ratal Ratbanael 61 


Iperation, bei welcher zur Erkennung ber Ratur und Eigenfchaften einer Mineralſub⸗ 
se Wärme und Flußmittel angewendet werden. ‘Die burch biefe Analyfe gewonnenen 
te bieten aber keineswegs in allen Fällen biefenige Genauigkeit bar, die man ihnen bei⸗ 
at. Als nım bie Chemie neue Hülfsmittel auffand, wendete man ben Naffen Weg an, 
Hlüffige chemifche Agentien zur Auflöfung und Ausſcheidung der Körper bei gewöhn⸗ 
emperatur. Aus der Anwendung bes Naffen Wegs ift die Mineralanalyfe entflanden, 
ſſenſchaft, deren Zweck die qualitative und quantitative Beſtimmung aller Beftanbtheile 
ineralfubftang ift, und der die allgemeine Chemie, die Künfte und Gewerbe eine große 
wichtiger Entdedungen verbanten. 
al, Natalia oder Weihnachtsland, ein Theil des Kaffernlandes (f. Kaffern) an ber 
Südafrikas, fo genannt, weil die Portugiefen am Weihnachtstage (Dies natalis Do- 
698 zuerft in diefe Gegenden famen, auch unter bem Namen Eolonie Bietoria befannt, 
Rd den Fluß Om⸗Tukela, im ©. dur) den Om⸗Zimkulu begrenzt, fleigt von ber 
reaffenförmig auf zu dem fleilen und unzugänglichen Felſenwall des bis 6000 ober gar 
. heben Quathlamba ober Inkala (db. h. Schneegebirge) mit bem Großen Drakenberge 
als brit. Kolonie eine Küftenlänge von 2’ M. und eine in ber größten Erſtreckung ge- 
52, DM. betragende Breite. Zahllofe aneinander gereihte Hügel von mäßiger Höhe mit 
aliegenden reizenden Thälern, worin nie verfiegende Bäche und Flüſſe kryſtallhellen 
5 ihren Lauf nach der Küfte nehmen, erfüllen das Rand, und nirgends fieht man hier, wie 
m Rorben, fumpfige Einöden. Im Nordweſten gegen das Quellgebiet bes Om⸗Tukela 
ch das Terrain immer nıehr, bis es nördlich zwiſchen dem obern Zuflüfien beffelben eine 
teiftufe bildet, die am Fuße bed Quathlamba ſelbſt 1500 F. über dem Meeresſpiegel liegt. 
en beiden Brenzflüffen durchſtrömen das Land viele andere nicht unbebeutende Bewäfler, 
Bosjemann- oder Bufchmann- und ber Büffelfluß oder Buffalo, auch Om-Zingati ge» 
Zei feinem günftigen, auch den Europäern fehr zuträglichen Klima ımb dem ausgezeich⸗ 
oben probucirt das Land, obgleich ber Ackerbau noch auf einer niedrigen Stufe fteht, vor⸗ 
n Taback, Baummolle, Weizen und Sübfrüchte aller Art, ſowie ed durch den üppigen 
6 feiner Savannen für Rindvieh⸗, Pferde und Schafzucht fehr geeignet ift. Diefe 
tausſchließlich von der hol. Bevoͤlkerung, der Handel dagegen von ben Einglänbern 
1. Schon jegt ift die Ausfuhr von Schlachtvieh, Butter und andern Producten ber 
thſchaft nach den Infeln Mauritius und Bourbon fehr gewinnreich und verfpricht 
ukunft noch weit umfangreicher und anfehnlicher zu werben. Auch mit ber Capſtadt 
n fehr lebhafter Seeverkehr ftatt. Der Reichthum an Eifenerz und Steinfohlen wird 
nig benugt. Die Zahl ber eingemanderten Europäer, ber Briten und beſonders der holl. 
us der Gapcolonie (f. d.), welche Letztere bis 1848 das Rand faft ganz verlaffen hatten 
fegt wieber allmälig eingefunden haben, iſt ganz unbekannt. Die Eingeborenen, theils 
heils Neſte der von den Zulah großentheils außgerotteten urfprünglichen Kaffernbevölte- 
bien etwa 100000, nach Andern 200000 Köpfe. Diefelben wohnen theils in abgefon- 
Wrichen (Locations) unter eigenen Häuptlingen, theils familienweife in Kraals auf den 
len der Boers. Sie ftehen unter der Aufficht eines brit. Beamten, ber fie durch ihre 
Häuptlinge regiert. Die Belehrung zum Chriſtenthum hat nur fehr geringe Fortfchritte 
N., feit 1835 von den Briten befegt, bildet ein Territorium ber Capcolonie und fleht 
ven Gouverneur, hat aber fett 1845 einen eigenen Vicegouverneur, dem ein aus fünf 
a zufammengefegter Berwaltungsrath und feit 1848 ein aus drei Beamten gebildeter 
ser Körper zur Seite ſteht. Die Beſatzung beftcht aus einem Regiment Infanterie. 
ad wurbe 1848 in ſechs Diftricte eingetheilt. Die Hauptſtadt Piefer-Morigburg, am 
annfluß, Sig ber Regierungsbehörben, gut und regelmäßig gebaut, zählt etma 1600 E., 
Händer, und ift der Hauptmarkt des Kandes, in deffen Mitte fie liegt. Im Diſtricte 
R Port d’Ucban, früher Vort Ratal genannt, welche an der gleichnamigen Bai, dem 
‚aber vortrefflichen Dafen der Eolonie, liegt und 600 E. meiſt Engländer, zählt, wohnen 
fern, und am Umgeni befindet fich bie beutfche Anfiedelung Deutſchland mit etma200 €. 
han, ein hebr. Prophet zur Zeit David's, widexrieth diefem den projectirten Tempel. 
rügte beffen ſittliche Schwächen, wie bad Verhältniß zur Bathfeba, mit ebenfo viel Frei⸗ 
z Lehrweisheit. Ihm war bie Erziehung bed Salomo anvertraut, den er auch nachmale 
nige falbte und deffen ſowie David's Hiftoriograph er geweſen fein fol. Seine IBeis- 
nlafte Leffing, eins feiner Dramen nach ihm zu benennen. 
yanael, vielleicht ein und dieſelbe Perfon mit dem Apoftel Bartholomäus (f.d.), ſtammte 


62 Nathufius Nation 


aus Kana in Galiläͤa und ſchloß ſich Jeſus an, als dieſer mit prophetiſchem Scharfblicke 
die Einfachheit und Lauterkeit ſeines Herzens erkannt hatte. Im Neuen Teſtamente wird er 
faſt durchgehends in Verbindung mit dem Philippus genannt, in den drei erſten Evangelien 
aber unter dem Namen Nathanael nicht erwähnt, während das Evangelium Johannis feinem 
Bartholomäus anführt. 

Nathuſius (Gottlob), einer der größten Induſtriellen Deutfchlands, wurde 30. April 
1760 zu Baruth geboren, wo fein Vater eine Acciseinnehmerftelle bekleidete. Er lernte in Ber⸗ 
fin bei einem Kleinkrämer, wußte fich aber durch Fleiß und unermübete Thätigkeit höhere 
Kenntniffe von feinem Fache zu verfchaffen unb brachte es dahin, daß er von dort auß ald erfter 
Buchhalter in ein angefehenes Handelshaus zu Magdeburg kam. Hier erwarb er fi) das Ber- 
trauen feines Principals, fodaß ihm diefer Die Gefchäftsführung faft unbedingt überließ und vor 
feinem Tode die Verfügung traf, daß feine Handlung nur dann fortgeführt werden folle, wenn 
N. als Compagnon und Dirigent des Haufes eintrete, N. trat ein, und das Haus, welches bite 
her Sengewald geheißen, trat num unter der Firma Richter (dev Schwager des verfiorhenen 
Principals) und Nathufius auf. In den erften Jahren hatte N. mit großen Schwierigkeiten zu 
kämpfen. Indeffen halfen ihm Muth, Glück und Klugheit, ein bedeutendes Capital wor ſich zu 
bringen. N. hatte fich nebenbei mit den praktiſchen Wiffenfchaften, insbefondere mit der tech⸗ 
nifchen Chemie befchäftigt. Als mit dem Tode Friedrich's II. dad Tabacksmonopol aufhorte, 
legte ex fogleich eine Tabacksfabrik an, die bald einen außerordentlihen Aufihwung nahm. 
Da I Compagnon und deffen Witwe ohne Kinder farben, wurde er alleiniger Herr bes Ges 
(häfts. Sein fleigendes Capital trieb ihn zu Unternehmungen bin, die ihn felbft mit verſchiede⸗ 
nen Regierungen in Verbindung brachten. Bei dem Negierungsantritt bes Königs Friedrich 
Wilhelm II. wurde N. Mitglied der Commiſſion der neuen Tabadsregie mit bem Charakter 
eines Geh. Naths; doch gab er dieſes Patent zurüd, als die zweckwidrigſten Maßregeln durch⸗ 
gefegt werben follten. Unter ber weftfäl. Regierung verminderte fich der Abfag feiner Fabrik 
durch mehre Umſtände, und er wendete daher bie müßig werdenden Capitale auf den Ankauf 
des Klofters Althaldensieben (f. d.) mit dem dazu gehörigen Vorwerke Stüfig, auch Baufte er 
das Gut Hundisburg. In diefem Arrondiffement von etwa AM. ber fruchtbarften Länder 
reien in dee Nähe Magdeburgs entfaltete er nun fein Genie in wahrhaft erftaunlicher Weiſe, im 
dem er neben großartigem landwirthſchaftlichen Betrieb eine ganze Reihe der umfaffendften 
und verfchiedenartigften induſtriellen Anftalten begründete. Nie ließ fich indeſſen R. in Specu⸗ 
Iationen mit Staatöpapieren ein. Schlicht in feinem Außern, lebte er auch fehr einfach. Gr 
ftarb hochgeachtet 23. Juli 1835. 

Nation ift ein durch Gemeinſamkeit des Charakters (Rationalcharakter), ber Lebend-, Denk-, 
Empfindungs- und Handlungsweife fi von andern unterfcheidender und in ſich zufammen- 
ſchließender Bruchtheil der Menfchheit. Worin diefes Unterfcheidende einer Nation, die Ratio 
nalität, beftehe oder beſtehen follte, ift nicht fo Leicht anzugeben. Bemöhnlich nennt man als fol- 
ches die Abflammung und Sprache, und gewiß ift, daß diefe beiden fich als wefentliche Factoren 
ber meiften Nationalitäten barftellen ; aber doch nicht aller. Niemand wird leugnen, daß e6 eine 
ſchweiz. und eine nordamerik. Rationalität gibt; dennoch, fpricht das Schweizervolk breierlei ver» 
ſchiedene Sprachen, und die Bevoölkerung der Vereinigten Staaten iſt das bunteſte Gemiſch an⸗ 
gelfächf., franz, deutſcher, holl. und noch vieler anderer Stammeseigenthümlichkeiten. Ebenſo 
ift die franz. Nationalität, der man einen fcharf ausgeprägten Typus am wenigften abfprechen 
wird, keineswegs eine nach Abftanımung bee Sprache urfprünglich einartige, vielmehr zufam- 
mengemwachfen aus celtifchen, iberifchen, römifchen, feänkifchen, normannifchen Elementen. Den 
Elfaffer wird man, trog feiner deutfchen Abftammung, des noch großentheils erhaltenen Sprach⸗ 
idioms umd der langen gemeinfamen Gefchichte, welche ihn der beutfchen Nation als Stamm- 
verwandten zumeift, dennoch heutzutage feiner ganzen Denk. und Sinnesweife nach kaum an⸗ 
ders denn als einen Franzoſen betrachten können, mährend andererfeits von ben flawifchen 
Stämmen, welche beutfcher Herrfchaft unterworfen wurden, manche gänzlich (wie die im heutigen 
Preußen und Medienburg), andere zum größten Theile (mie die Wenden in der Zaufig) in der 
deutſchen Nationalität aufgegangen find. Angefichts diefer Erfcheinungen wird man das Weſen 
der Nationalität etwa fo faffen müſſen: Wie das Individuum neben Dem, was ihm angeboren 
ift ober was er gleichfam ohne fein Zuthum überliefert erhält, wie gewiſſe Börperliche und geiflige 
Anlagen oder Dispofitionen, Sprache, Gewöhnungen u. dgl., noch vieles Andere durch bie eir 
gene, felbftthätige Entwickelung fpäter hinzuerwirbt und herausbildet, ja wie fogar dies Tegtere 
erſt die eigentliche Vollendung und durchgebildete Individualität ausmacht, ebenfo iſt es mit dem 


Nation 08 


Biferinbivibuen, bie wir Nationen nennen. Eine Anzahl Menfchen, in der Regel wol 
ge Abſtammung verbunden, bisweilen jedoch auch auf anderm Wege, 3. B. durch bie 
nd eines Eroberer zufammengefügt, entwideln ſich gemeinfam, führen mit vereinten 
Thaten aus, deren Erinnerung fchon ein neues Band der Vereinigung für 

gehen unter fich mannichfache Beziehungen ein (der Verwandtſchaft, der $reundfchaft, 
zen Annäherung, bes Verkehrs, der vielfältigften Rechtöverhätmiffe), kurz, leben fich 
e Weiſe miteinander und ineinander ein, nehmen dadurch allerhand Eigenthümlichkei⸗ 
ander an und bilden fo einen gemeinfamen Typus, einen Nationalcharakter aus. Die- 
nit ebenfo häufig, ja bei vorgefchrittener Civiliſation fogar Häufiger das Probuct bes 
awirkens von Sulturelementen (gemeinfamen Staatseinrichtungen und Geſetzen, ge 
e Geſchichte oder Handels: und Verkehrseinheit, auch wol der religiöfen Glaubens- 
sft), als von bloßen Raturelementen, wie Sprache und Abflammung. Die Nationa- 
ebungen und Rationalitätsfämpfe, welche in der neueſten Befchichte, namentlich auch 
sterlandes, eine fo große Rolle fpielten, hatten daher auch weit öfter zu ihrer veran- 
Befache die gehemmte Entwidelung jener Eulturelemente, zu ihrem Ziel die Herſtel⸗ 
e Entwidelung in ihrer naturgemäßen Freiheit, als ba fie lediglich auf bie Stamntes- 
zheinheit zurückgegangen wären. Nicht die Sprache allein war e8, was Schleswig⸗ 
von Dänemark fchieb und zu Deutfchland hinzog, fondern die Erinnermg an die ge« ° 
Eergangenheit, namentlich bie gemeinſam durchlebte geiftige Bewegung, das dorthin 
Ge Berkehrs intere ſſe, endlicy der Wunſch, das lebendige Glied eines großen Gemein- 
ı fein, nicht das unfreie Werkzeug im Dienfte eines fremden Volksthums. Der ſoge⸗ 
weflawismus hatte feine Hauptwurzeln in dem Gefühl ber Unfreiheit ftaatlicher und 
Kicker Berhältniffe, worin ſich das Slawenthum von deutfchen Regierungen erhalten 
größerer politifcher Freiheit, namentlich einer ausgebehnten Selbftregierung ber Ge- 
mb Kirchen, würde diefe nationale Feindſeligkeit vielleicht nicht flattgefunden haben. 
g war das Vorwalten jenes politifchen oder Eultuemoments vor dem blod fprach- 
ammeßelemente in ben Rationalitätsbeftrebungen des deutſchen Volles im J. 1848. 
Derftellung der beutfchen Nation in ben alten Stammes oder Sprachgrenzen war e8, 
wollte, fondern bie ebung ber Innern Schranken, welche bie freie und Träftige 
ang der ſich als Eines fühlenden und doch durch Fünflliche politifche Scheidemände in 
Nation hinderten. Eine falſche Auffaſſung iſt ed, wenn man das Weſen 

in ſolchen Eigenthümlichkeiten ſucht, welche nur bie Folge einer gehemm⸗ 
Entwickelung der betreffenden Ration find, fo z. B. wenn man als das eigenſte 

Hl gar als einen Vorzug der beutfihen Nation die Abwendung von ben pofitifchen und 
eigung zu den rein idealen Intereſſen der Wiffenfchaft, Kunſt, Literatur 

Dergleichen Einfeitigkeiten, welche in Folge eigenthümlicher geſchichtlicher Bildungs- 
er Ration anhaften mögen (wie etwa auch der franzöſiſchen die Sucht nach Eroberum- 
itelkeit, durch Außerlichkeiten zu glänzen, die Reigung zu Revolutionen einerfeits, zur 
nterwerfung unter eine unumfchränkte Gewalt andererfeits), ſollen vielmehr durch 
feste thatkräftige Entwidelung des Nationalcharakters überwinden werben, und bie- 
ton flieht am höchften an Charakterbildung, welche alle Richtungen menfchlicher Thä⸗ 
möglichfter Vollkommenheit ausgebildet und fich dadurch zum energifchen Eingreifen 
gemeinen Gulturfortfehritt der Menſchheit am meiften befähigt Hat. Je höher daher 
: fleigt, deſto mehr müffen die verfchiedenen Nationalitäten fich einander nähern, ohne 
Shalb ihre Urfprünglichkeit und Beſonderheit gänzlich aufzugeben umb ineinander fo 
u verſchwimmen brauchen. Auf jene ſchlechthin ausfchließende, abſtoßende und feind- 
Eumg, welche bisweilen ein übertriebener Nationalitätseifer den einzelnen Rational. 
neinander anzuweiſen verfucht hat, iſt ein Zeichen mangelhafter oder einfeitiger Eultur. 
alb darf die Rationalbilbung Feineswegs auf eine Hätfchelung der einer Ration an- 
Schwächen und Einfeitigkeiten (3.8. der idealiſtiſchen und abftract gelehrten Neigung 
fen), muß vielmehr auf eine mögltchft allfeitige, Präftige und freie Entwidelung des 
nd Charakters gerichtet fein, alfo eigentlich gar Beinen befondern, fondern nur den all» 
wel aller Menfchenbildung verfolgen. Sobald nur einer Nation die äußere Freiheit 
were Kraft zur Hervorbildung und Bethätigung aller natürlichen menfchlichen Anla⸗ 
mangelt, fo wird auch jedes nachwachſende Geſchlecht von feihft von biefem Zuge natio⸗ 
htigkeit ergriffen werden, ohne einer künſtlichen Hinweiſung darauf zu bedürfen, wird 
in jenen falfchen Univerfalismns verfallen, ber Immer nur Fremdes nachahmt und 








64 - Rationalconvent 


‚hochftellt, fondern das Fremde ziwar aufnehmen und als Das fchägen, was es werth iſt, aber eb 
durch die eigene fortbildende Thätigkeit zu feinem wahren, geiftigen Eigenthune machen. 
National convent hieß in der Franzöſiſchen Revolution die Berfanmlung von Volksdepu⸗ 
tirten, welcher nach dem Umſturze bes Throns die Staatögemwalt zufiel und bie bald. das Organ 
alles Großen und Schredlichen wurde, das jene Epoche auf ihrer Höhe auszeichnete. Nachdem 
die Nationalverfammlung (f. d.) in den Ereigniffen vom 10. Aug. 1792 die Suspenfion des 
Königs becretirt, veranflaltete fie zur weitern Maßnahme den Nationalconvent, welcher 750 
Mitglieder zählte und 21. Sept. feine Sigungen eröffnete. Die Wahlen, die unter dem Ein⸗ 
fluſſe der Septembergräuel gefchahen, fielen fehr zu Gunften der Jakobiner aus, ſodaß nun 
die meift conflitutionell gelinnten Girondiſten (f. b.) in der öffentlichen Meinung wie in ber Ber» 
ſammlung zum confervativen Element herabſanken. Die erfte Thathandlung des Rationalcon- 
vents war die Erklärung Frankreichs zur Nepublit 25. Sept. Hierauf folgten die Verhandlun · 
gen über das Schickſal Ludwig's XVI., wobei unter ber Mitwirkung der aufgeregten Volksmaſ⸗ 
fen die Sakobinerpartei ober, wie fich diefelbe von ihren erhöhten Sigen nannte, ber Berg bie 
Oberhand behielt. Der Aufftand der Vendee und die Kriegserlärung der auswärtigen Mächte, 
die der Hinrichtung des Königs folgten, verfchafften ber eraltirten Partei in der Verſammlung 
das volle Übergewicht. Das Nevolutionstribunal wurde errichtet, zur Goncentrirung ber 
Megierungsgemwalt im Schoofe des Nationalconvents felbft der Wohlfahrtsausſchuß und 
der Sicherheitsausfchuß gebildet, endlich, auf den Antrag der Girondiften, die Unverleglichkeit 
der Deputirten aufgehoben. Bon der fanatifirten Volksmaſſe unterflügt, begann jegt bie Berg. 
partei die Vernichtung ihrer Nebenbublerin, der Gironde. Unter einer Reihe von Volksaufflän 
den unterlagen die Girondiften in ben erften Tagen des Juni 1793 der Verbannung und 
ber Guillotine, und bie Gewalt vereinigte fich nun gänzlich in den Händen des Bergs. In diefen 
blutigen Wirren ertheilte ber Nationalconvent 10. Yug. eine neue, ganz auf das Princip der 
Demokratie gegründete Berfaffung, die jedoch bis zur Herftellung des Friedens fuspendirt wurde. 
Zugleich entwidelten die Machthaber gegen ihre innern und äußern Feinde eine furchtbare En⸗ 
ergie, welche die Revolution und Frankreich eigentlich rettete. Faſt eine Million Bürger trat 
unter die Waffen. Ein ungeheueres Kriegsmaterial wurde durch gewaltſame Reguifition auf 
gehäuft; eine aus Sansculotten (f.d.) gebildete Revolutionsarmee mußte im Rande herumziehen 
“ und die fchlechten Patrioten vernichten; Hunderttauſende von Verdächtigen ſchmachteten in ben 
Kerken. Der Hungersnoth begegnete der Nationalconvent burch das Gefep bed Marimum (ſ.d.), 
und feine Milliarden von Affignaten wurben durch das Revolutionsgericht im Credit erhalten. 
Mitten in diefem chaotifchen, aber gewaltigen Treiben verfiel der Nationalconvent felbft der 
Dictatur Robespierre's (ſ. d.), des verfchlagenften feiner Mitglieber. Nachdem die fogenannten 
Ultras (Hebert) fowie die Gemäßigten (Danton) das Schaffot beftiegen, erreichte ber Sxchreden 
‚und die Gefahr unter den Mitgliedern der Verſammlung wie in ber Geſellſchaft ihre Höhe. 
Das fogenannte, von Robespierre, St.» Zuft und Couthon gebildete Triumvirat überlieferte 
binnen einigen Wochen alle feine würdigen unb unwürdigen Feinde ber Guillotine, fobaf die 
Zahl der Deputirten fehr zufammenfchmolz. Die fogenannte Ebene ober ber Moraſt, die große 
Menge Derer, welche zu feig oder zu vernünftig waren, ſich den Machthabern anzufchliefen, 
flimmte nur noch ohne Discuffton. Endlich vereinigte hie gewiſſe Ausficht auf ben Tod bie 
tühnften Mitglieder zu einem Verſuch, das furchtbare Zoch abzufchütteln. Am 10. Thermidor 
(27. Zuli 1794), als Robespierre neue Hinrichtungen verlangte, erhob fi) Tallien (f.d.) und 
gab feinen Genoffen die Sprache; ſchon am folgenden Tage mußte bie Partei Nobespierre's 
erliegen, und die Herrfchaft des Schredens nahm ein Ende. Der Nationalconvent, fortgeriffen 
von dem Reactionsgeifte, der im Volke hervorbrach, vervollftändigte fih durch Zurüdrufung 
der ben Henker entgangenen, aber geächteten Mitglieder und begann bie Unterdrückung des ber 
waffneten Pobel® und der Jakobiner. Eine Reihe von Aufftänden, bie die Legtern gegen ben 
Nationalconvent verfuchten, endete in den Emeuten vom 12. Germinal (2. April 1795) und 
4. Prairial (20. Mai) mit der vollftändigften Niederlage und der Entwaffnung der Empörer. 
Jadeß griff die Reaction in den Mittelclaffen fo gewaltig um fich und die royaliftifche Partel ge⸗ 
wann ein ſolches Übergewicht, daß fich der Nationalconvent, als ber Träger der Revolution und 
des Mepublitanismus, genöthigt fah, feine Waffen gegen bie Reaction felbft zu kehren. Allein 
auch in diefer Krifis blieb er Sieger, indem ber junge General Bonaparte (f. Napoleon) am 
13. Vendeminire (A. Oct.) die von Noyaliften geführten Sectionen der parifer Gemeinde durch 
Kartätfchenfeuer auseinander trieb. Die flürmifche Laufbahn des Nationalconvents nahte hier- 
mit ihrem Ende. Nachdem er den Frieden mit Preußen und Spanien gefchloffen und Freiheit 


Stationalgarde Rationalölonomie 6b 


Religionsübung wie die Einführung eines neuen Unterrichtsſyſtems decreürt hatte, löſte er 
4. Brumaire be $. IV (26. Oct. 1795) auf und hinterließ der Nation eine neue Verfaſ⸗ 
3, nach welcher bie Regierungsgemwalt einem Directorium (f.d.) überliefert wurde. Die Zahl 
Decrete, bie der Nattonalconvent erlaffen, belief ſich auf 8370. 
Rationalgarde, ſ. Volksbewaffnung. 
kationalliteratur nennt man die Geſammtmaſſe der ſchriftlichen, vorzüglich poetiſchen 
eugnifſe einer Nation, die aus dem Nationalcharakter oder Volksgeiſte ſelbſt hervorgegan⸗ 
find und denſelben in feiner Eigenthümlichkeit darſtellen. Je ausgebildeter daher der Cha⸗ 
⁊ einer Nation iſt, deſto ſchärfer und beſtimmter wird die Literatur derſelben die Grund⸗ 
dieſes Charakters bewahren und als das Refultat zwar verſchiedener individueller Geiſter 
Zeiten, aber doch, durch ein inneres Band feſt verbunden, als das Geſammtproduct eines 
n ihnen entwickelnden Nationalgeiſtes ſich offenbaren. Hieraus ergibt ſich zugleich, daß 
nigen Nation vorzugs weiſe eine Nationalliteratur beizulegen iſt, deren Geiſteserzeug⸗ 
ein zuſammenhängendes Fortſchreiten in einer vielſeitigen, tiefen und würdigen Gei⸗ 
ildung unter dem Einfluſſe der Nationalität darbieten. Den Begriff [ber Nationallite- 
ze bat zuerſt Wachler (f. d.) aufgeftellt, am grofartigften Gervinus (f. d.) die National. 
atur der Deutfchen dargeftellt. 
Rationalölonomie oder Volkswirthſchaftslehre. Die Nationalöfonomie ift eine ſtaats⸗ 
ſenſchaftliche Disciplin, in welcher vermittelft einer auf die Erfahrungen des Lebens geftüg- 
Methode bie allgemeinen Fragen bes induftriellen Lebens der Völker zu dem Zwecke erörtert 
ven, daß bie Befegmäßigkeit der wirthichaftlichen Erfcheinungen erfannt werde. Die Na- 
ilõkonomie zieht alle auf die Sachgüter gerichteten Thätigkeitökreife in Betracht, aber jeden 
Inen und mit Berückſichtigung feiner Bedeutung für das Ganze, obſchon ohne Rückſicht auf 
Techniſche in ihm. Durch den Nachweis der Gefegmäßigkeit in ben Erfcheinungen des Gü⸗ 
bens, wie 3. B.in ber Arbeitstheilung, in dem Tauſchverkehr, in dem Waarenpreife, in bem 
weſen u. ſ. w., erhält diefe Wiſſenſchaft auch für das praßtifche Leben die größte Bedeu⸗ 
und namentlich dann, wenn die wirthfchaftlicden Bedingungen und Verhältniffe für bie 
elnen wie für die Regierungen, für bie Staatsverbände wie für die Glieberungen der Ge⸗ 
haft in den Vordergrund bed Lebens getreten find. Dies war in ben Zeiten ber altclaffifchen 
'er wie in dem Mittelalter Tange nicht in dem Grabe der Fall als in der neuern Zeit, und 
rift es au erklären, daß wir erft fo fpät eine felbftändige Wiffenfchaft der Nationalökonomie 
n bie Politik treten fehen, in deren Behandlung man bis dahin auch wol Fragen bes ma- 
len Gũterlebens herangezogen hatte. Gleichzeitig fingen praktiſche Finanzbeamte und wif- 
haftliche Theoretiter an, in einem ausgedehntern Zuſammenhang namentlich die Frage zu 
ern: in welche Dinge der wirthſchaftliche Reichthum der Staaten zu fegen fei, mo bie 
fe deſſelben zu fuchen und durch welche Mittel man diefe zu einem möglichft ſtarken Fluſſe 
zen könne. Wie man nun damals in dem wirklichen Leben das Geld, deſſen Befig dem 
atmann zur Befriedigung aller materiellen Bedürfniffe verhilft, über Alles fchägte und in 
größern Maffen ald früher nöthig hatte, während man es unter den damaligen Pro- 
ond- und Verkehröverhältniffen namentlich durch Handel und Gewerbfleiß gewann, die in 
abfofutiftifch regierten Staaten in Allen durch die Regierungsreglements normirt und be⸗ 
ımbdet waren, fo ftellte fi auch ald das erſte Reſultat einer theoretifchen Verarbeitung 
e den Stalienern, Franzofen und Engländern, bald auch ben Deurfchen eine Reihe von 
en zu dem fogenannten Mercantilfofteme (f. d.) der Nationalökonomie zufammen, welches 
Meinung verfocht: der Reichthum ber Staaten beftehe in der Summe der innerhalb der 
wögrenzen befindlichen edeln Metalle. Diefe werde nur durch eine günftige Bilanz in dem 
nationalen Handel vergrößert, und die Regierungen follten mithin namentlich einestheil® 
uf die Ausfuhr gerichtete Gewerbsthätigkeit zu fleigern und anderntheild die Ausfuhr von 
ı und Silber zu hindern fuchen. Hiergegen erhob ſich dann fpäter, zunächſt und hauptſäch⸗ 
m Frankreich, das Phyſiokratiſche Syſtem (f. d.), in welchem behauptet wurde: nut 
) die Urprobduction der Bodenbearbeitung würden Sachgüter allein hervorgebracht, fo aus 
ı vermehrt. Die Regierungen aber follten ſowol diefe productive Beſchäftigung wie au 
ındere fireng genommen fterife fich felbft überlaffen und Gewerbfreiheit wie Handelöfteir 
oxoclamiren. Bald nachher erfannte der Schotte Adam Smith (f. d.) die entgegengefehte 
eitigkeit beider Syſteme, und wie Viele er auch von den gefunden Leiflungen der PH 
n feſthielt, fo günbete er doch mit voller Selbftändiggeit fein Inbuftviefgften auf den Sippe 
mu.ster. Zehnte Aufl, XI. Mh 


Bir 


”. 


06 Rationaltheater 


danken, daß die menfchliche Arbeit überhaupt die Quelle aller wirthfchaftlichen Güter Tel, per 
deren Berhätigung jeber Einzelne durch die inftinctiven Triebe des Eigennutzes angefporkt 
werde, und daß der Rationalreichthum, d. 5. die größte Bauſchſumme ber Tauſchwerthe, am 
ficherften fo gewonnen werde, wenn man e8 menigftens ald Regel aufftelle, Jeden für fich ſelbſF 
feinen Privatvortheil verfolgen zu laſſen. Die Refultate und bie Argumentationen Smith's 
waren von fo hervorftechenber Bedeutung, daß fich feine Anfichten, deren praftifche Folgetun⸗ 
gen durchaus in den Beftrebungen der Zeitgenoffen lagen, bald in allen cultivirten Bändern unb 
befonder in England, Frankreich und Deutfchland faft ganz allgemeine Anerkennung erwate 
ben. Mit der Zeit find fie wol im Einzelnen verbeffert, umgeftaltet, weiter ausgeführt und erw 
gänzt worden, im Großen und Ganzen aber wenig erfchüttert worden. Auch Smith's eifrige 
Gegner, wie Friedr. Lift (ſ. d.), welcher die Berechtigung und Nothwendigkeit von Schupe 
zöllen zu Gunſten ber Gemwerbtreibenden gegen ein im Gewerbbetrieb vorgefchrittene® Ausienb 
vertheidigte, ober Adam Müller (f. d.), welcher die Grundanfchauungen ber Reftaurationt- 
politik in dem volkswirthſchaftlichen Gebiet zur Anerkennung zu bringen fuchte, oder gar bie 
Theoretiker des Socialismus (f. b.), welche, weil in ber freien Bewegung der wirthſchaft⸗ 
lichen Privatthätigkeiten die Unterfchiede in dem Befig fachlicher Güter fich eher zu 

als auszugleichen ſchienen, alles Heil für die niedern Volksclaſſen von einer beöpotifchen Orge 
nifation der Arbeit in Ausſicht flellten: alle diefe Gegner haben doch nur einzelne Berichtigun 
gen und Miderlegungen zu einer allgemeinern Anerkennung zu bringen vermodt. In bee 
neueften Zeit ift freilich nach dem Vorgang W. Roſcher's (f. d.) auch für die fundamentalen 
Anfchauungen und Ausgangspunfte der Nationalökonomie eine Revifion durch bie Geltenb⸗ 
machung der gefchichtlichen Methode angebahnt worden, welche, bei aller Feſthaltung ber auch 
auf dem Gebiete der Volkswirthſchaft erfennbaren ewigen Wahrheiten, dennoch ſowol für Die 
gefchichtlichen Zuftände der praßtifchen Volkswirthſchaft als auch für die Syſteme ber national 
öfonomifchen Theorie die Maßſtäbe der in einer Entwidelung begriffenen, von Zeit und Ran 
abhängigen gefhichtlichen Erfcheinungen anlegt und, wie fie weder eine allgemeine normale 
Volkswirthſchaft noch eine in Allem abfolut gültige Theorie anerkennt, fo auch verſchlebenen 
wirthſchaftlichen Zuſtãnden und fi gegenüber und nacheinander auftretenden Theorien hre 
relative Berechtigung nebeneinander zugugeftehen bereit ift. Als nationalötonomifche Schrift 
ftellee haben fich beſonders bemerflic gemacht feit den Zeiten Adam Smith's in England: 
Malthus, Ricardo, Chalmers, James DIN, Mac Culloch, Scrope, Senior, Harriet Martinean, 
3. St. Mill und der Norbameritaner Cooper; in Frankreich: Canard, J. B. Say, Ganilh, 
Roſſi, d’Hauterive, Foelix, Baſtiat, Coquelin, Dumoyer, Droz, Garnier, Faucher; unter ben 
Deutſchen: Jakob, Soden, Hufeland, Lotz, Storch (in Rußland), Bülau, Rau, Hermann, 
Hoffmann, Nebenius, Prittwis, Schütz, Eifelen, Baumſtark, Roſcher u. W.; in Stollen, 
nach Galiani, Genovefi, Beccaria, Verri: Giofa, Fuoco, Scialofa. Unter den Gegnern U. 
Smith's find neben ben ertremen Socialiften, wie St.-Simon, Bazard, Enfantin, Confideramt, 
Proudhon, Owen u. f. w., und den gemäßigtern, wie Sismondi, Blanqui, Chevalier u. f. w, 
namentlich hervorzuheben: der Amerikaner Hamilton, die Engländer Lauderdale, Poulett, 
Scrope u.f. w.; in Frankreich: Louis Say, St.-Chamans; in Deutfchland: Adam Müller, 
Friedr. Lift, J. H. Fichten. A. 

Nationaltheater bezeichnet erftend den ganzen Reichthum ber dramatifchen Dichtung, 
welcher dem eigenthümlichen Geiftesleben eines Volkes entfproffen ift und daffelbe wlederſpie⸗ 
gelt. Ein folhes Nationaltheater kann nur bei einem ausgeprägten Nationalcharakter umb 
einem zur fräftigen und dauernden That gewordenen Volkscharakter beftehen. Im vollen Sinne 
des Wortes befigen baher ein folches nur die Griechen, Spanier und Engländer. Für Deutſch⸗ 
land begann e8 Hans Sachs unbewußt zu fchaffen; Schiller erftrebte feine Verwirklichung er» 
folglos. Zweitens bezeichnet man als Nationaltheater folche Schaubühnen, welche nur einhels 
mifche Stüde von weſentlich nationalem Charakter zur Aufführung bringen und eben dad 
auch die nationale Ausbildung der bramatifchen Dichtkunſt fordern. Für Frankreich iſt 
ſolches Nationaltheater das Theätre frangais in Paris. In Deutfchland wurde: ein foldie® 
zuerft 1767 unter Leſſing's Mitwirtung von zwolf Hamburger Bürgern unternommen, ſchei⸗ 
texte aber ſchon nach zwei Jahren. Einen zweiten Verſuch machte Joſeph II. mit dem Theater 
an ber Burg 1776, welches aber nach bes Kaiſers Tode nur den Namen, nicht das nationafe 
Streben beibehtelt. Im 3.1779 errichtete Kurfürft Karl Theodor von ber Pfalz ein Nationab⸗ 
theater, welches Heribert von Dalberg leitete und das durch Iffland geiftig befebt wurde; auch 
Schiller war eine Zeit lang für daffelbe thätig. Endlich führte noch das königl. Theater im 


Rationalverfammlung 67 


unter Iffland's Leitung 1796— 1814 den Ramen Nationaltheater. Aber alle biefe 
gungen waren von einem entfprechenden Aufſchwunge bes deutſchen Drama nicht be- 
der vermochten nicht ihn hervorzurufen. 
tonalverfammlung (Assembide nationale) mar ber Rame, den fi 17. Juni 1789 
freich (f. d.) der Bürgerftand in der von Ludwig XVI. (ſ. d.) zufammenberufenen und 
eröffneten Reichsverfammlung (f. Etats gendraux) aus eigener Machtvolltommen- 
legte. Zwar fuchte der Hof in einer königl. Sigung vom 23. Juni diefen Beſchluß zu 
en; allein die Deputirten des Dritten Standes, zu denen ſich ſchon die Freifinnigern der 
mdern Stände gefellten, ſchworen fi 20. Juni im Ballhauſe den feierlidhen Eid, nicht 
beinander zu gehen, biß fie Frankreich eine Eonftitution gegeben haben würden, und er 
zugleich jede Gewaltthat von Seiten des Hofe für ——— Der Hof gab hierauf 
d befahl dem Adel und der Geiſtlichkeit, ſich der Nationalverſammlung anzuſchließen. 
solution hatte hiermit begonnen, und die Verſammlung eröffnete nım unter dem Na⸗ 
e Gonftituirenden (Constituante) eine unermeflihe Thaͤtigkeit, durch welche das alte 
sich einer gänzlichen Veränderung unterlag. Der Abfchaffung fammtlicher Privilegien 
Radıt vom 4. Aug. folgte bie Aufhebung der herrfchaftlichen Berichtebarkeit, der Zehn⸗ 
5 Meligiend- und Preßzwangs und die Erklärung der Menſchenrechte (f. d.). Im Febr. 
unterbrödte man die Mönchsorden und die Überrefle des Feudalismus ; im März die 
s de cachet (.d.) und die drückende Salzſteuer; im Juni ſämmtliche Orden und Titel. 
8 erbiehten die Richtkatholiten die ihren Vorältern confiscirten Güter zurück; die Juden 
ı vom Leibzinfe befreit und die Sagdgerechtigkeiten abgefhafft. Ein Decret vom 18. 
6 bie geaufamen Griminalftrafen Ludwig’6 XIV. auf. Im Febr. 1791 geftattete man 
übern politifche Rechte; im Mai wurde die Verbrauchsſteuer an den Thoren der Städte, 
I die Folter abgefchafft ; auch wurbe die Verlegung des Briefgeheimnifles zum Verbre⸗ 
Krt. Im Sept. erhielten alle Bürger, von welcher Farbe oder Religion fie auch fein 
2, politifche Rechte. Ebenfo kühn verfuhr die Werfammfung in ihren politiſchen Schö⸗ 
1. Die Grundfäge, von welchen fie hierbei ausging, waren die Vollsfouveränetät, bie 
indigkeit dee Gemeinden, die Befchränfung ber koͤnigl. Gewalt durch ein bedingtes Veto 
bie Trennung ber politifchen Gewalten und bie Verantwortlichkeit der Minifter. Dem- 
rzetirte die Berfammlung fogleich nach ihrer Eonftituirung, daß ihr, mit Berüdfichti- 
»9 konigl. Veto, die gefepgebende Gewalt allein gehöre. Mehre Decrete im Sept. 1789 
ıten, daß der Gefeggebende Körper nur eine Kammer bilden und fich von zwei zu zwei 
erneuern follte; andere erffärten den König für unverleglich und die Krone für unver⸗ 
u. Ein Decret vom 7. Nov. verbot ben Deputirten die Annahme von Minifterftellen ; 
Decrete vom December begannen die neue Drganifation bed Gemeindeweſens. Im Ian. 
olgte die Eintheilung des Reichs in Departements ; im April bie Einführung der Ge⸗ 
nengerichte; am 22. Mai die Erflärung, daß der Nation, mithin der Verſammlung, 
a6 Recht des Kriegs und Friedens zuftehe. Im Ian. 1791 wurde das Zunftwefen auf- 
ı umd volfftändige Handeld« und Gewerbfreiheit eingeführt; im Febr. erfchienen bie 
gegen die Emigranten und gegen die Anwendung der Provinzialrechte bei Proceſſen. 
lifam ein Gefeg über die Minen, über den Randbau, über die Organifation der Natio 
en und die völlige Unterdrüdung aller Nitterorden zu Stande. Im Aug. ficherte ein 
die perfönfiche Freiheit, ein anderes gab dem Wolfe die Erlaubnif, von Zeit zu Zeit 
alconvente aufammen zu berufen. Was die Kinanzfrage betraf, wegen welcher die Ver⸗ 
mg eigentlich berufen worden, fo waren die Reformen nicht minder burchgreifend. Zu- 
rtlärte die Verſammlung, daß fortan die Abgaben ohne Anfehen des Standes und der 
einer gleichen Verthellung und Erhebung unterlägen. Dem folgte, gegen Necker's 
ne Bewilligung einer fünfprocentigen Anleihe von 80 Mi. und die Befreiung bes Ge- 
mbels. Ein Decret vom 6. Sept. 1789 bewilligte bie Annahme von freiwilligen Ge⸗ 
ı an den Staat; ein anderes vom 27. Nov. verorbnete die Veröffentlichung der Binanz- 
gen, ein dritte vom 5. Dec. die Gründung einer Nationalbank. Im März 1790 er- 
a8 erfte Geſetz, welches den Verkauf der Rationalgüter bis zum Betrage von 400 Mil. 
te, und 17. April ein zweites, welches die Creirung von Aſſignaten auf die National» 
efahl. Am 10. Sumi ftellte ein Decret die Givilfifte auf 25 Mitt. Fres. feſt; andere 
bedeutende Erſparniſſe in der Berwaltung ein; ein Decret vom 8. Det. erklärte die 
ten zur ımverzinslichen Schuld. Diefen Anordnungen folgte in bem erten Monaten 


68 Rativität Natolien 


von 1791 eine Reihe von Gefegen, welche die Fabrikation ber Münzen, bie Vertheilung ber 
Steuern, bie Unterftügung ber Induftrie, die Finanzverwaltung u |. w. betrafen. -Ein im 
Schoofe der Verſammlung errichtetes Gomite zur Reform der Firchlichen Angelegenheiten ber 
wirkte den gänzlichen Umſturz des alten Kirchenſyſtems. Nach ber Erklärung, daß der Kat 
licismus aufgehört, Staatsreligion zu fein, wurde der Zehnt abgefchafft und das Kirchengut 
eingezogen. Die Koftbarkeiten der Kirchen wurden als ein patriotifches Geſchenk an ben Staat 
weggenommen, bie Givilgerichtöbarkeiten ber Bifchöfe aufgehoben, bie Beneficien umter Se⸗ 
quefter geftellt, die Mönche und Nonnen ihres Gelübbes entbunden. Hierauf flellte man eine 
fogenannte Eivilconftitution bes Klerus auf. Nach diefer Verfaſſung bildete jedes Departement 
einen bifchöflichen Sprengel, in welchem die Gemeinden den Biſchof wie die Pfarrer wählten 
und befoldeten. Sämmtliche Geiftliche wurben ben weltlichen Gerichten, ohne Uppellation u _ 
den Yapft oder Einmifchung einer fonftigen Kirchenautorität, unterworfen. Jeder Geiſtliche 
mußte auf diefe Gonftitution einen Eid leiften, was die Auswanderung bed einen Theile ber 
Geiſtlichkeit und in der Kolge die härteften Befege gegen die wiberfpenftigen Priefter (prötres 
insermentös oder röfractaires) veranlaßte. Nachdem bie Sonftituirende Verſammlung ber 
Mevolution in ber Form von 3250 Decreten eine pofitive Grundlage zu geben verfucht und 
3. Sept. bie neue Eonflitution mit dem Könige und ben Abgeorbneten ber Departements be 
ſchworen hatte, Löfte fie fid 30. Sept. auf, um einer Befeggebenden Verſammlung Plap au 
machen, welche num das bürgerliche wie das Strafrecht nach ben Ideen des neuen öffentlichen 
Rechts reformiren follte. Diefe Verfammlung, bie alle vorigen Mitglieder ausfchloß, trat 
1. Oct. 1791 zufammen. Allein die demokratiſche Partei erhielt bei den Wahlen ein folches 
Übergewicht und die Revolution entfaltete fo mächtig ihre Schwingen, daß fich bie Verſamm⸗ 
lung fogleich von ihrem Zwecke entfernte und einen fortgefegten Kampf mit ben Reften ber 
königl. Gewalt begann, ber 10. Aug. 1792 mit dem Umſturz bes Throne und der Suspenfion 
bes Königs endete. Die Geſetzgebende (lögislative) Nationalverfammlung machte hierauf von 
ihrem Rechte Gebrauch und rief einen Nationalconvent (f. d.) zufammen, der, mit der Gewalt 
bed Souveräns bekleidet, über das Schickſal ber Monarchie entſcheiden und eine neue Form aller . 
öffentlichen Verhältniſſe begründen follte. — Den Namen Rationalverfammlung legten fich 
außerbem mehre andere, ebenfalls aus Volksbewegungen hervorgegangene und radicale poll 
tifhe Umgeftaltungen anftrebende Parlamente bei. So in Frankreich die Verfammlung, 
welche nady der Bebruarrevolution von 1848 bie Republik conftituirte, und ber 28. April 1849 
abermals eine legislative Berfammlung folgte; ferner die Deutfche Nationalverfammlung zu 
Frankfurt a. M.(f. Deutſchland) und bie Preußiſche Nationalverfammlung (f. Brenfen) 1848. 
Nativität ober Horofkop heißt die Prophezeiung der Schickfale eines Menfchen, weiche auf 
bie bei feiner Geburt flattfindenden Aſpecten (f. b.) gegründet iſt. 
Natolien, türk. Anadolt, das geied, Anatole, d. h. das Morgenland, wirb bie weftlichfte 
Halbinfel Afiens genannt, bie im N. vom Schwarzen Meer, von der Meerenge von Konftan- 
tinopel, dem Meer von Marmara und ber Straße der Darbanellen, im W. von bem Agäiſchen 
Meer, im ©. vom Mittelländifchen Meer und im DO. von Armenien und den norbweftlichen 
Theilen von Mefopotamien und Syrien begrenzt ifl. Das Land, einen Flächeneaum von um 
gefähr 10000 AM. einnehmend, erhält feine Geftaltung durch die mweftfiche Kortfegung ber 
Hochflächen und Randgebirge Armeniens. Das ziemlich unbekannte Innere bildet ein großes 
Plateau oder vielmehr eine Reihe von 2400—5000 F. hohen Plateauftufen mit kahlen Step 
pen, Salz- und Sumpfflächen, verfchiedenen Seen, mit vulfanifchen Unterlagen und vereingelten 
Kegelbergen, umter benen ber Erdſchiſch oder Aghridagh (Mons Argaeus) mit zwei Kratern bie 
2400 hohe Ebene von Kaiſarijeh (Caesarea) noch um 10000 %. überragt. Der nörbliche Rand 
ober das pontifh-paphlagonifch-bithynifche Gebirge, ein langer Zug von parallelen, aber durch 
viele Querthäler zerftücten, 4—6000 %. hohen gebirgsketten, fällt fteil zu einem ſchma⸗ 
Ien Küftenfaume mit fanften und waldlofen Gehängen nach innen hinab; ebenfo der Südranb, 
ber Taurus, oder das ciliciſch ⸗ pamphyliſch⸗lyciſche Gebirge, nur daß er zufammenhängender und 
höher iſt, im Norden des Meerbufens von Skanderun oder Iffus 10—12000 $., weiter 
wärts 8—9000 8. hoch. Der Weſtrand ift vielfach durchbrochen, feine Thäler find dem Agäi⸗ 
ſchen Mere geöffnet in ben kariſch⸗lydiſch⸗ myſiſchen Berglandfchaften, an deren Fuße die geſeg⸗ 
neten Küftenlandfchaften der Levante (ſ. d.) liegen und zu beren nörblichften die Berge Ida unb 
Diymp gehören. Huf dem Plateau bed innen. entfpringen die Flüſſe Jeſchil-Irmak (Iris) 
Kiſu⸗Irmak (Halys) und Sakkariah (Sangarius), welche ins — Meer, ſowie ber Sa⸗ 
rabat (Dermus) und Minder (Maͤander), welche ins Agaiſche Meer firömen. Das Klima trägt 





Ratrium Ratron 68 


im Ganzen noch ben füdeurop. Charakter; doch find vier Regionen deſſelben zu unterfcheiben. 
Das waffer- und holzarme Plateau in ber Mitte hat im Sommer ein heißes, im Winter aber 
ein kaltes Klima; die Sübküfte bes Landes hat milde Winter und brennendheiße Sommer; da- 
gegen erfreut ſich die Weftfeite am Ägäiſchen Meere des mildeften Klimas imd einer herrlichen 
Begetation. Wenn an ber Nordfeite das Klima auch nicht ganz fo mild und die Vegetation 
nicht fo füdlich ift al an der Weſtküſte, fo hat fie dafür einen um fo üppigern Pflanzenwuchs, 
und es ift dieſe Rordfeite vom Meer von Marmara bis Trapezunt jedenfalls einer der fchonften, 
angenehmften und reichften Exbftriche. Leider wirb die ganze Halbinfel ihres vulkanifchen Cha⸗ 
rakters wegen häufig von Erdbeben heimgefucht. Was den naturhiftorifchen Eharakter bed Lan⸗ 
bed betrifft, fo bildet es durch das Vorherrſchen europ. Hochwaldungen, europ. Vegetation und 
Rahrungspflangen, durch den Beginn europ. Bodencultur und die größere Verbreitung europ. 
Hausthiere neben ben befondern Gefchöpfen und Formen des Morgenlandes ben Übergang aus 
ber eigenthümlichen continentalen Natur bes letztern zu der oceanifchen des Abendlandes. Dem- 
gemäß trägt das Plateau im Innern, bas nur da fruchtbar iſt, wo Mittel zur Bewäfferung vor- 
handen, den Charakter eines afiat. Steppenlandes, das mehr zur Viehzucht für Nomaden als 
zum Aderbau dient, während die Küften mit ihrem Reichthum an allen europ. Probucten, ber 
ſonders dem herrlichſten Obft, an Sübfrüchten, DI, Wein und Seide, ganz den ſüdeurop. Cha- 
rafter tragen, ber in der heißern ımb dürrern Südküſte in die afrik. Natur binüberfpielt. Die 
Einwohner befichen aus ben verfchiedenften Völkerfihaften. Das Berrfchende Volk find die os⸗ 
man. Türken, ungefähr 1,200000 Köpfe ſtark und über das ganze Land, beſonders ben culti- 
bieten Theil deffelben, verbreitet. Nach diefen kommen, zu bemfelben Stamm gehörend und einen 
Dialekt ihrer Sprache fprechehd, die Turkmanen, auf dem Plateau im Innern ale Nomaden 
hauſend; ebenbdafelbft findet man auch Horden nomabiftrender Kurden und in ben Gebirgen öſt⸗ 
ih von Trapezımt die räuberifchen Lagen. Die Städte find neben den Türken im Weſten Haupt. 
fachlich von Griechen und Juden und im Dften von Armeniern bevölkert, welche, nebft den Fran⸗ 
ten in ben Geeflapelplägen, den ganzen Danbel des Randes in ihrer Gewalt haben. Die ge- 
ſammte Bevölkerung bed Landes wird auf 4,800000 E., von Andern mit Armenien zuſammen 
uf 10,700000 E. angegeben, welche legtere Angabe ficher übertrieben ift. Die politifcde und fo- 
iale Berfaffung ift im Ganzen wie in der Türke. Eine Eigenthümlichkeit derfelben find jedoch 
ie alttürk. Bafallendynaftien, die fogenannten Dere⸗Begs, die Thalfürften, welche, ganz in 
ver Art mittelalterlicher Feudaldynaſten, unter der Oberhoheit bes Sultans erbliche Verwalter 
ınd Kriegsanführer in ihren Gebieten und vorzüglich im norböftlichen Theil des Landes häufig 
mb von Bedeutung find. Ihre frühere Macht hat indef der Sultan Mahmud gebrochen. Das 
zanze Land zerfällt gegemmwärtig in acht Ejalets ober Gmeralftatthalterfchaften und jebe derfel- 
den in mehre Provinzen oder Sandſchaks, nämlich: 1) Khudawendkiar, ber nordweſtlichſte Sheil, 
8 alte Myſien, Weftbithynien und Theile von Phrygien, mit der Hauptfladt Bruffa (f. d.) 
und den Sandſchaks Karahiſſar⸗Saib, Kutahia (f. d.), Biledſchik, Erde, Bigha-Karaffi und 
Anvali; 2) Kaflamuni, ber mittlere Theil der Norbküfte, das alte Paphlagonien, Oſtbithynien 
md Theile von Pontus, mit der Hauptfladt Kaftamumi und den Sandſchaks Kabfhaiti, Boli, 
Wiranſchehr, Sinub oder Sinope (f.d.); 3) Tarabofan, der öftliche Theil der Nordküſte, das 
Küftenland des alten Pontus und das Land ber Lazen (f. d.), mit ber Hauptftadt Tarabofan 
oder Trapezunt (f.d.) und den Sandſchaks Gunieh, Karahiffar-Scharki, Dſchanik, Gümiſch⸗ 
Khanch und Drdu; A) Xidin, der fübmeftliche Theil, das alte Lydien, Karien und Phrygien, mit 
bee Hauptſtadt Ismir oder Smyrna (ſ. d.) und den Sandſchaks Sighala, Sarukhan, Denisli 
md Menteſche; 5) Karaman oder Kerman (ſ. Karamanien), oſtwärts von Aidin, das alte Ly⸗ 
ten, Pampbylien, Pifidlen, Lykaonien und WeſtCilicien, mit der Hauptſtadt Konich (ſ. Jeo- 
nium) und den Sandſchaks Hamid, Tekkeh, Alaja, Itſchil und Newfchehr; 6) Adana, das öſt⸗ 
ide Cilicien, Kataonien und Ofl-Rappabocien, mit der Hauptftadt Adana (f.d.) und ben Sand⸗ 
ſchaks Terſus ober Tarſus (f. d ), Ugeie, Kara’ifali und Maraſch; 7) Boſok, ber mittelfte Theil 
ver Halbinſel, das alte Kappadorien und Balatien, mit der Hauptftadt Enguri oder Angora 
(f.d.) und den Sandſchaks Angora, Kianghri oder Kiankari und Kaifariich (f. Eäfarea); 8) 
Siwas, öftlidh von Boſok, das Binnenland von Pontus, Theile von Kappadocien umd Klein- 
Urmenien, mit der Hauptſtadt Siwas und den Sandſchaks Siwas, Amaſia und Tſchorum, 
Yengil und Diwrighi. 

Natrium, f. Natron. 

Natron, Ratrinmerydoder Mineralifges Alkali (la soude) ift das zweite und nächſt dem 
Kali ([.d.) das wichtigſte unter den Alkallen (S. Alkali.) Es iſt bie Sauerſtoffverbindung eines 





70 Natter Nattern 


Metalls, des Natrium oder Sodium, das ſich nirgends frei, ſondern nur in Verbindung weil 
Ehlor als Chlornatrium, Kochſalz oder Steinſalz, oder als Sauerſtoffverbindung in einigen SIR 
neralien, wie z. B. in dem Ratronfelbſpath ober Albit findet. Das Natrium ähnelt in feinen 
Eigenſchaften fehr dem Kalium (f. d.), ift jeboch weniger weich und behält feinen metalliſcher 
Stanz auf der Schnittfläche Länger bei. Es ſchmilzt bei 90° und verflüchtigt fich erſt bei fehı 
hoher Temperatur. Die Verbindung des Natriums mit Sauerfloff und Kohlenſäure, bad koß 
Ienfauere Natron ober Die Soda ift ſchon feit ben älteften Zeiten bekannt. Es findet ſich als Be 
ftandtheil vieler Mineralquellen (Natrokrene), z. B. in benen von Karlsbad, Burtſcheib u. ſ.w. 
ferner als Auswilderung an vulkanifchen Gefteinen, ſowie in großer Menge in der Berberei, wı 
es die Erboberfläche überzieht und Trona genannt wird. In Columbia in Südamerika Eryflal 
liſirt die Soda in der heißen Jahreszeit aus ben natronhaltigen Seen heraus und wird vom ber 
Andianern Urao genannt. Früher gewann man bie Soda aus der Aſche von Strandpflanzen 
‚namentlich aus ben Gattungen Salfola, Atriplex, Salicornia, melche zu biefem Bwede in eins 
‚gen Gegenden cultivirt wurden. Die nad) dem Verbrennen der Pflanzen zurüdbleibenbe Aſch 
führt den Ramen rohe Soda und wirb je nad, den verfchiedenen Gewinnungsarten und bei 
verfchlebenen Ländern Barilla, Salicor, Blanquette, Kelp und Barec genannt. Geitben maı 
aber gelernt bat, aus dem Kochſalze und Glauberſalze durch einfache chemiſche Proceffe bie Bob 
in großer Menge, Reinheit und Billigkeit darzuftellen, hat fie für die meiften techniſchen Un 
wendungen bie Pottafche verdrängt. Man benugt fie hauptſächlich zur Geifenfiederei und zu 
Glas fabrikation. Durch Kalk wird die Soda in Atznatron verwandelt; eine Auflöfung b 
ben führt den Namen Seifenfiederlauge. Das doppelt-Lohlenfanere Natron (biearbonäte di 
soude), ein in der neuern Zeit zur Anfertigung kohlenſaͤurehaltiger Getränke vielfach angewen 
detes Salz, enthält doppelt foviel Koblenfäure als bie Soda. Nächſt der Soda iſt bat Ra 
felz oder Chlornatrium (f. Salz) die wichtigſte Ratronverbindung. Außerdem ſind wen bei 
Ratvonverbindbungen zu erwähnen das ſchwefelſauere Natron oder Glaub (f.d.), bei 
boeſauere Matron oder Borar (1.d.), das falpeterfanere Natron ober ber (peter (ſ. d.) 
das kieſelſauere XNatron oder das Glas (ſ. d.). 

Natter (Joh. Lorenz), einer ber berühmteſten Steinſchneiber des 18. Jahrh. ber als be 
Wiederherſteller feiner Kunſt angeſehen werben kann, geb. 1705 zu Biberach im 
ging ald Jumelier in Die Schweiz und dann nad) Italien, wo er, vorzüglich auf Ermuntesum 
bed Gemmenkenners Baron von Stofch, fi auf die Nachahmung der alten gefchnittemen 
Steine legte, in welcher er eine ſolche Ubumg erlangte, daß einige feiner Copien von ben Drigi 
nalen kaum zu unterfcheiden find. Nach einem mehrjährigen Aufenthalte in Italien, we e 
17352 —35 in Dienften des Großherzogs von Zoscana fland, ging er nach England md macht 
dann verfchiebene Reifen nach Holland, Dänemark, Rufland und Schweden, mo an ben Höfer 
überall feinen Leiſtungen reicher Lohn wurde. Im J. 1762 nahm er ben vortheilhafteften Un 
trag, fich in Peteröburg nieberzulaffen, an, farb aber bald nach feiner Ankunft 1763. Sein 
Sammlungen von gefchnittenen Steinen, Abbrüden, Mebaillen, Büchern und Kupferftiche 
wurden für den Großfürften erkauft. N. ſchnitt vorzüglich Bildniſſe. Zu feinen Hauptwerken 
gehören eine Schaumlinze zu Ehren des Sir Robert Walpole und eine fiegende Britannia 
einer Gemme mit fünf Lagen und ebenfo viel Karben. Er wagte fi fogar an den ſchwerſter 
Theil feiner Kunft und fchnitt in Diamanten. Zu mehren Medaillen bat er bie Stempel ge 
ſchnitten, und eine Zeit lang verwaltete er die Stelle eines Dbermebailleurs ber Staaten ver 
Holland. Sein „Trait6 de la methode antique de grayer en pierres lines, compar6e avet 
la möthode moderne”, ber von Leſſing fehr getadelt warb, ift im engl. Originale (Lond. 1754 
mit Kupf.) [ehr felten, weil er Bein Exemplar unter zwei Buineen verkaufte, baher nur werk 
Abſazt hatte, den Reſt aber verbrannte. Der zweite Theil des Werks liegt noch zu Peteräburg 
in der Handſchrift. 

Rattern bilden bie umfaffendfte Familie unter den Schlangen und find Dadurch ausgezeich 
net, daß ihnen die Giftzähne und jede Spur von Hintergliedern abgehen. Alle find mit Biegd 
ſchuppen befleidet, die einander genau bedien und lanzetförmig zugefpigt, oberfeite mehren 
held glatt, feltener mit einem flachen Kiele verfehen find. Sie find über den ganzen Erdkrel 
verbreitet und bieten bie zahlreichſten Beifpiele einer befonders glänzenden Kärbung. Größten 
theils Randthiere, vermögen fie doch über die Oberfläche des Waſſers hinzugleiten; einige abe 
leben Hauptfächlich im Waſſer, wie die Lappenfchlange (Homalopsis). Sie nähren ſich alle von 

bei deren Verfolgung fie eine große Schnelligkeit und Gewandtheit entwickeln, ba 
Menſchen aber fürchten fie oder unternehmen boch niemals eimen Angriff auf ihn. Überhaup 








Ratur 71 


fügen fie dem Dienfchen direct keinen Schaben zu. Diegemeinfte von allen Nattern ift in Deutſch⸗ 
band bie gemeine Ringelnatter, Kragennatter ober gemeine Matter (Tropidonotus Natrix), 
welche bis gegen zwei Ellen lang werden kann, im Ganzen bläulich oder grünlich⸗grau, auf dem 
Rüden mit zwei Reihen ſchwärzlichen Flecken gezeichnet ift und hinter den Schläfen jeberfeits 
einen ſchwarz gefäumten weißlichen Mondfled (die vermeintliche Krone) trägt. Sie Hält ſich 
gewöhnlich in der Nähe von Gewaſſern auf, nimmt auch Befig von Gängen, welche Maulwürfe 
oder Wafferfpigmäufe im weichen Boden gegraben haben, und ftellt vorzugsweife Fröfchen und 
Waſſerſalamandern nach. Doc) fängt fie auch Eibechfen, Mafferfpigmäufe und felbft Ratten. 
Ihre Gier, bie gemeiniglich zu 20— 30 mittel& dünner zäher Fäden aufammenhängen, bringt 
fie gern an feuchten warmen Orten unter, daher auch in Miftbeeten, auf Düngerhöfen und 
felbft in Viehſtällen. Sie ift übrigens fcheu und fanft, kann auch gereizt Niemand empfindlich 
verwunben, wird leicht zahm, Ternt ihren Herrn kennen, läßt fi von ihm erfaffen und erträgt 
die Befangenfchaft ange, wenn man ihr das nöthige TWaffer nicht fehlen läßt, ba fie ſich gern 
babet. Ehedem wurden mehre Theile diefer Natter als Heilmittel verwendet ; jegt braucht man 
höchſtens noch bie Haut als Überzug von Stöden. Auch die glatte Ratter (Coluber laevis) ift 
in Deutſchland häufig, wird bis zu einer Elle lang, ift röthlich.grau ins Grünliche und mit zwei 
Reihen brauner Rüdenflede und einem hufeifenförmigen Nackenflecke gezeichnet. Die Schuppen 
find wit brammen Pünktchen an der Spige verſehen. Auch diefe Natter läßt fich leicht zähmen. 

Natur, ven bem lat. nasci, d. i. werden oder entftehen, heißt im weiten Sinne Alles, was 
ohne fremdes Zuthun fo ift, wie es fich gibt, was nach eigenen, inwohnenden Trieben, Kräften 
und Befegen fich geflaltet und entwidelt und ſich in biefi. feiner Eigenthümlichkeit ber Auffaſ⸗ 
fung barbietet. „Von Natur” heißt im gewöhnlichen Sprachgebrauch ſoviel als „von ſelbſt“; 
es wird dadurch von einem Dinge, einem Ereigniffe Alles abgewiefen, was nicht in ihm felbft 
fiegt umb wirkt. Daher fpricht man nicht nur von der Natur der Dinge überhaupt, fonbern 
auch von der Ratur einzelner Claſſen ber Dinge und Erfcheinungen, ja felbft von der Natur 
einzelner Individuen; von ber Natur nicht nur bes Lichts, der Wärme, der Elektricität oder 
von ber ber Pflanzen, der Ihiere, ſondern auch von der eines einzelnen Menfchen, um bie ihm 
genen förperlichen oder geiftigen Eigenthümlichkeiten, die ihn zu Dem machen, was er für fi 
ſelbſt, unabhängig von fremden Einflüffen ift, in einen Begriff zufammenzufaffen. Die engern 
Beftanmungen diefes Begriffs verrathen ſich am leichteften Durch die Begriffe, die ihm gegen- 
übergeflellt werben. &o unterfcheiber man die Natur von Allem, was Product bes Gedankens, 
der Abficht, der Kunft, der Eultur und Erziehung ift: das Natürliche ftcht nicht nur Fictionen, 
Ginbildungen und Dichtungen als das Wirkliche, fondern auch allem Gemachten, Künftlichen 
oder Gekünſtelten ald bas von felbft Entftehende und Selbftändige gegenüber. Infofern daher 
für das geiftige Leben das bewußtvolle und abfichrliche Wollen und Handeln, bie Selbftbeftim- 
mung nad) Zwecken und Planen, bie überlegende Wahl unter mehren Mitteln charakteriftifche 
Merkmale find, erfcheint der Geift ſelbſt, ſammt Allem, was Product und Ausdrud des geifli- 
gen Lebens ift, ald Begenfag der Natur, und fomit fpricht man von einem Begenfage bald ber 
Ratur und des Geiftes, bald der Natur und der Freiheit, bald der Natur und der Geſchichte, 
wobei Gefchichte im engern Sinne als Gefchichte der Menfchheit, nicht des Weltall, verftanden 
wird. Zwar gehört auch der Geiſt infofern mit zur Natur, als er in feinem abfichtlihen Han⸗ 
bein ebenfalls eine eigeue Natur für fich hat. Weil er aber vermöge ber Gefege derſelben ben 
Lreis feiner bisherigen Gewohnheiten, Sitten, Kenntniffe und Erfindungen beftändig über 
reitet und fich mit Anfttengung von veralteten Zuftänden hinweg neuen felbftgeftedten Zie- 
len entgegenarbeitet, fo entſteht hierdurch ein nicht zu umgehender Unterfchieb zwiſchen feiner 
und derjenigen Ratur, welche wir ohne Veränderung und Anftrengung ihre einmal eingefchla- 
genen Bahnen fortfegen ſehen Da nun die legtere Natur ald die unbewußte ſich als ein im 
Raume ausgedehntes Lörperliches Dafein erweift, fo bezeichnet man mit Natur imengern Sinne 
den unermeßlichen Raum oder das Weltall fammt allen in ihm vereinigten Stoffen und Kräf- 
ten, Geſetzen und Veränderungen, oder ben ganzen Inbegriff Deffen, was durch die äußern 
Sinne wahrnehmbar ift, im Gegenfage zu Dem, mas durch unmittelbares Selbſtbewußtſein 
im Innern vernommen wird. In diefem Sinne gehört ber Menſch nur in einer gewiffen Hin⸗ 
ſicht, nänılicdh ben Thätigkeiten zufolge, deren Wirkungen ebenfalls in die Wahrnehmung der 
äußern Sinne fallen, der Natur an, während er den Xhätigkeiten zufolge, welche fich einer fol- 
den Wahrnehmung entziehen, über ihr fteht und in ihr nichts weiter als den gegebenen Grund 
und Boden feines Dafeins, fein zeitweiliges Wohnhaus, den Schauplag feines Wirkens und 
Leidens, das Mittel zur Bethätigung feiner Abfichten erblickt. Wie der Menfch die Natur an- 


7 Natur 


fleht und ſich in ihr zurechtfindet, das hängt beſonders vom Grade feiner geiſtigen Ausbildung 
ab. Zunächft iſt fein Verhältniß zur Natur theils ein praktiſches, indem fie ihm die Fundgrube 
zur Befriedigung feiner Bebürfniffe ift, theils ein äfthetifches, indem fie durch die Lieblichkeit 
oder Erhabenheit ihrer Eindrüde religiofe Empfindungen in ihm med. 

Das Hirtenfeben und ber Ackerbau bezeichnen die älteften thätigen Beziehungen des Men- 
{hen zur Natur; bie empirifche Beobachtung ber Vortheile, die ihm biefe oder jene Naturpro⸗ 
ducte gewähren, lehrte ihn frühzeitig, bie Natur für feine Zwecke zu benugen und auszubeuten. 
Dielen Bedürfniffen kommt nun die Natur oft genug freundlich und mohlthätig entgegen; oft 
aber geht fie auch, unbetümmert um des Menfchen Nothdurft und das Werk feiner Hände ver⸗ 
wüftend und zerftörend, ihren eigenen Bang. Daher erfcheint fie dem Menſchen bald ale gütig 
und mild, bald als tudifch und graufam, und der noch Eindliche Naturfinn, ber die Zuflände und 
ben Inhalt des eigenen Bemwußtfeins leicht und unbedacht auf Alles überträgt, was fich ihm ale 
thätig und wirkſam barftellt, Fam unwillkürlich dazu, die Natur mit Geſchöpfen feiner Phan⸗ 
tafie zu bevölfern, die einzelnen Naturproducte und Naturereigniffe zu perfonificiren und dem 
Mollen des Donnerd wie dem Raufchen des Baches lebende Weſen unterzulegen. Überhaupt 
ift die Natur in ihrer Größe, in dem unermeßlihen Reichthum ihrer Geftaltungen, in bem ge- 
peimnipvolten Dunkel ihres Schaffens und Zerftörens, in ihrem Wechſel des Furchtbaren und 

ieblichen, bes Seltfamen und Traulichen, des Erhebenden und Schredenden, in ihren preteu®- 
artigen Verwandelungen, hinter welchen fie eine wunderbare Negelmäßigkeit ahnen läßt, für 
den Eindlichen Menfchen, wenn er nicht dumpf und gedankenlos ift, zunächft ber Gegenſtand 
eines tiefen Staunen, und was er ihr ablaufcht, was er über fie ahnt, nimmt die Geftalt eines 
bald anmuthigen, bald büftern Gedichte an. Hier liegt ber Urfprung aller Maturreligion, d. h. 
einer vergötternben Perfonificirung fowol ber Natur im Ganzen, al& der einzelnen in ihr vor- 
ausgefesten Kräfte, ja felbft einzelner Naturproducte. Die Natur als das Mächtige, unauf⸗ 
heiefam Waltende wird für den Menfchen ein Gegenſtand der Furcht und ber Hoffnung, ber 

ndacht, der Verehrung, ber Anbetung. Die Auffaffung der Natur ift fomit urfprünglich Die 
Duelle eines unbefangenen Myſticismus, einer natürlichen Phantaflil, einer ernſthaft fpielen- 
den Symbolik, die auch für höhere Eulturftufen zwar keinen wiffenfchaftlichen Werth, aber eine 
Fülle poetifchen Reizes behält. Diefe Form der Naturbetrachtung tritt aber nothwendig all- 
mälig zurüd, wenn die beweglichen Bilder ber Phantaſie in Begriffen fich zu firiren, wenn bie 
Dichtung von der Wirklichkeit fich zu fondern, und die Perfünlichkeiten, die jene ber Natur uns 
tergelegt hatte, fih in den Gedanken an unperfünliche Naturgefege und Naturkräfte zu verwan⸗ 
dein beginnen. Diefer Ummandelungsproceß einer phantaftifchen Naturſymbolik in bie eigent- 
liche Raturforfchung ift bei manchen Völkern gar nicht, bei andern im Zufammenhange mit 
der ganzen wiffenfchaftlichen Cultur nur langfam und allmälig eingetreten. Die Aftronomie 
hatte ſchon längft die Grundlage ziemlich genauer Beobachtungen gewonnen, als man bie Ge» 
ſtirne noch immer von ben fie beherrfchenden Intelligenzen in ihren Bahnen getrieben werden 
ließ, nur ungern aftrologifche Träume aufgebend, welche bie Geſchicke an der Erbe in unmittel⸗ 
barem Zufammenhange mit den Gonftellationen am Himmel erfcheinen ließen; die Chemie hatte 
einen langen und hartnädigen Kampf mit ber Alchymie zu kaͤmpfen, ehe fie von aller Myſtik 
fih befreien konnte, und noch in unfern Tagen umkleidet man bisweilen jedes geheimnißvolle 
und noch nicht hinlänglich durchforfchte Gebiet der Naturerfcheinungen, wie 3. B. bie bed ani⸗ 
malifchen Magnetismus, mit dem Schleier des Wunderbaren und Beifterhaften. Der leitende 
Grundgedanke ber Naturforfhung: daß die Natur.nach unabänderlichen, in dem Wefen der 
Dinge felbft gegründeten Gejegen wire, konnte erft allmälig zur vollen Klarheit und allgemei- 
nen Gültigkeit fommen, weil dieſe Geſetze unter ber fcheinbaren Unregelmäßigkeit der Erſchei⸗ 
nungen tief verhüllt find und die Natur oft mit einer launenhaften Freiheit zu fpielen ſcheint, 
wo ihre Producte dennoch der gefegmäßige Erfolg ineinander verwebter, fich gegenfeitig bebin- 
gender Nothwendigkeiten find. Auf den Begriff eines Maturgefeges, als einer Regel, nach 
welcher ſich die Erſcheinungen in ihrem Zuſammenhange wie in ihrer individuellen Beſtimmt⸗ 
heit richten, führte zunächft Die Erfahrung, die wiederholte Beobachtung folder Erſcheinungen, 
beren Regelmäßigkeit unverkennbar ift. Die Anwendung des einmal gewonnenen Begriffs er» 
weiterte fich, je mehr jeder Fortfchritt ber Raturforfchung zeigte, daß auch das fcheinbar Unregel- 
mäßige nur auf verwideltern, mannichfaltig aufammengefegten Gefegen beruhe, bis endlich 
unzählige Erfahrungen zu der allgemeinen Vorausfegung führten, daß die Ratur immer unb 
hberall nach unverbrüchlichen Geſehen wirke, baß ber Begriffes Zufalls für bie Erklärung der- 
felben durchaus gar Feine Bedeutung habe, und daß die feheinbaren Ausnahmen von jener Befeg- 


Natur 13 


mäßigkeit nicht ein gefeglofes Spiel find, ſondern immer nur Lücken der Naturkenntniß verrathen, 
bie noch nicht alle Die Gefege ergründet hat, welche bei beſtimmten Erfcheinungen concurriren. 

Der Gedanke, daß die Naturwiffenfchaften die Beftimmung haben, das Weltall als ein ein⸗ 
ziges großes foftematifches Ganzes der Exiſtenz zu bucchbringen und zu begreifen, hat awar in 
ber Theorie etwas Erhebendes, erweiſt fich aber in der Praxis darum als unfruchtbar, weil un- 
ſere Kenntnif von diefem Ganzen lediglich an der Erfahrung der Einne hängt und alle finn- 
ſiche Erfahrung im genauen Detail nicht nur auf den Erdball (ein bloßes Pünktchen im Weltall), 
ſondern auch blos auf deſſen Oberfläche his zur Tiefe des Meeres und ber Bergwerke befchräntt 
ft, ſodaß ſchon das allernächfte und zur Überficht des Ganzen unentbehrlichfte Requiftt, nämlich 
die Kımde von den auf unfern Mitplaneten lebenden Wefen, für und jenfeit der Grenzen einer 
möglichen Erfahrung fällt. Die Ausbildung ber Idee ber Natur in ihrer Ganzheit ift das Ge- 
Haft der Raturphilofophie (f. d.). Der Stolz der Naturmwiffenfchaften ift umgekehrt, den feften 
Boden ber Empirie nirgends unter den Füßen zu verlieren und folglich, unberührt von fpecula- 
tiven Standpunkten, fich in das unfern Sinnen geöffnete Fragment der Schöpfung aufs tieffte 
finzugraben, hiermit alles dem Menfchen zunächft Liegende ihm vollig durchdringlich und nug- 
bar zu machen. Eben dieſe freiwillige Selbſtbeſchränkung, worin ſich die Naturwiſſenſchaften 
(f. d.) nicht als eine, fondern als viele und nıannichfaltige erfennen, hat diefelben zu ihren gro⸗ 
Sen Sroberungen geleitet. Die verfchiedenen Stufen ihrer Ausbildung laffen ſich am einfachften 
auf folgende Weiſe beftimmen. Zuerft wird es darauf ankommen, die unermegliche Fülle von 
Thatſachen, welche die Natur vor Augen legt, zu fammeln und zu befchreiben. Aber ein bloßes 
mdlofes Anhäufen von Materialien würde den Geift verwirren; nur durch einen geordneten 
Überblic® Bann ex bie Maffen bewältigen. Daher die Aufgabe, bie Fülle des Mannichfaltigen 
vem Begriffe eines Naturſyſtems unterzuorbnen. Es handelt fich dabei nicht um Unterfchei- 
ungen, Eintheilungen und Verfnüpfungen, bie blos auf fubjectiver Abftraction und Neflerion 
yerußen, fondern bie foftematifche Anordnung foll den eigenen Beziehungen und Abgrenzungen 
yer Natur felbft entfprechen. Bloße Naturbefchreibung, Naturgefchichte und Glaffification der 
Raturproducte bezeichnen aber nur die erfte Stufe der Naturforſchung. Es kommt zweitens 
rauf an, die Naturgefege zu entdecken und nachzumweifen. Die beiden großen Hülfsmittel 
tiefer Aufgabe find das Erperiment und die Anwendung der Mathematit. Das Erperiment, 
. 5. die künſtliche Herbeiführung gewiffer Naturerfcheinungen unter Bedingungen, die man 
jenau kennt und in feiner Gewalt hat, zwingt bie Natur, auf die Fragen des Forſchers zu ant- 
vorten. Es geftattet, die Phänomene zu ifoliren und bie Elemente zu beflimmen, aus welchen 
erwickeltere Erfcheinungen refultiren; es gibt reine, von fremden Beimifchungen geläuterte, 
ſenau begrenzte Thatfachen. Es geftattet eben badurdh, die Größenbeſtimmungen mit ind Auge 
a faffen, denen die Erfcheinungen unterworfen find, und erft durch Beachtung ber legtern wird 
% möglich, allgemeine Ausdrücke, d. h. eben Gefege über das Verhalten der Naturkräfte zu ge» 
sinnen. Mit der Anwendung ber Mathematik beginnt das ftrenge Wiffen über die Natur, und 
ie verfchiedenen Gebiete ber Naturforfchung nähern fich um fo mehr einer ftrengwiffenfchaft- 
ichen Unterfuchung, je mehr es gelingt, zu mathematifch beftimmten Ausdrüden der Gefege, 
sie ein gewiffes Gebiet ber Erfcheinungen beherrfchen, zu gelangen. Diefe Theile ber Ratur- 
iffenfchaft heißen daher auch vorzugsweiſe eracte Wiffenfchaften. 

Die Erweiterung und Vertiefung der Naturkenntniß ift von dem wichtigſten praktiſchen 
Einflurffe auf die Geftaltung der menfchlichen Lebensverhältniſſe. Die Herrfchaft des Menſchen 
iber die Natur, bie Benugung ihrer Reichthümer für feine Zwecke, bie Verhütung bes Unge- 
nahe, welchem dielinwiffenheit den Einzelnen wie die Gefellfchaft bloßſtellt, Hängen zum größ- 
m Theile von der Ergründung der Narurgefege ab, und es war namentlich der neuern Zeit 
wrbehalten, in biefer Beziehung Eroberungen zu machen, deren Möglichkeit noch vor einigen 
Jahrhunderten in das Reich der Fabel verwiefen worden wäre. Die Ergebniffe ber Mechanik, 
er Phyſik, der Chemie haben für den Aderbau, die Gewerbe und Künfte, die Mittel des Ver⸗ 
chrs u. f. w. eine unermeßliche Wichtigkeit erlangt, und wenn fich die neuere Zeit in irgend 
nem Punkte über dad Alterthum weſentlich erhoben hat, fo beruht diefe Erhebung zum größ- 
m Theile auf den Erfolgen des Naturfludiums. Ebenfo ift es eine falfche Anficht, als müfle 
ie Naturbetrachtung in demfelben Maße, in welchem ber Schleier bes Wunderbaren und Ge⸗ 
eimnißvollen finkt, aufhören, eine Duelle der dichterifchen und religiöfen Erhebung zu fein, ale 
xüffe die verfländige Unterfuchung den reinen Naturfinn, die Freude an bem mühelofen Sein 
mb Wirken der Natur ertöbeen. Die Größe und Schönheit der Natur ſtrahlt in ben Augen 
Deſſen, der die Natur kennt, nur um fo reiner, und eg gibt eine Bewunderung, eine Kiebe zu 


76 Raturgefchichte 


fchäftsführer Gröfer und Bruch, Mitglieder 950); 1843 in Gräz (Geichäftsführer Langer 
und Schrötter); 1844 in Bremen (Geichäftsführer Snidt und Focke); 1845 in Nürnberg 
(Gefchäftsführer Dieg und Ohm); 1846 in Kiel; 1847 in Aachen (fehr ſchwach befucht, wäh. 
rend die Berfammlung von 1848 wegen ber politifchen Ereigniffe ganz ausfiel) ; 1849 in Regens⸗ 
burg (Geſchäftsführer Fürnrohr und Herrih-Schäffer, Mitglieder 199) ; 1850 in Greifswald 
(Gefchäftsführer Berndt und Hornſchuch, Mitglieder 178); 1851 in Gotha (Geichäftsführer 
Buddeus und Bretfchneider); 1852 in Wiesbaden, wo zugleich bie 200jährige Stiftungsfeier 
der kaiſerl. Leopoldiniſch⸗Karoliniſchen Akademie der Naturforfcher flattfand, die eigentlich erft 
auf den 1. San. 1853 fiel, eine der befuchteften Verfammlungen, denn die Zahl ber Mitglieder 
betrug 7765 1853 in Tübingen (Gefchäftsführer von Mohl und Bruns). Für 1854 ift Göttingen 
ale Berfammlungsort beftimmt. Amtliche Berichte von großer VBollftändigkeit find feitder fieben- 
ten Verſammlung (1828) regelmäßig erfchienen. Diefe Verfammlungen der Naturforfcher ha⸗ 
ben zur Gründung fehr vieler anderer Wandergefellfchaften gereizt. Ob fie den großen Nutzen 
gefliftet haben, welchen ihr Urheber erwartete, fteht dahin; daß dieſer felbft mit ber Richtung, 
welche der Verein fpäter einfchlug, nicht zufrieden gewefen, hat er laut erflärt, indem er wieder 
holte Einladungen zur Theilnahme ablehnte. In Abrede ift es allerdings nicht zu ftellen, bag 
gefelliges Vergnügen, wol auch raufchende Feftlichkeiten einen fehr großen Theil der beraumten 
Zeit wegnehmen, daß Megierungen und Ortsbehörden in großartigen und fehr Loftfpieligen 
Beweiſen von Baftfreundfchaft fich zu übertreffen fuchen, und daß daher diefe Verfammlungen 
in nicht fernen ‚Zeiten von den betroffenen Städten leicht als Laſt betrachtet werden bürften. 
Vogl. Kraus, „Über die Berfammlungen der beutfchen Naturforfcher und Arzte” (Gott. 1856). 
Dem deutfchen Vereine find nachgebildet ber englifche, ber franzofifche, ſtandinaviſche, nieber- 
Ländifche und norbameritanifche. 

Raturgeſchichte im weitern Sinne ift gleichbedeutend mit Betrachtung, Erforſchung und 
Erkenntniß der Schöpfung, umfaßt daher das Weltall und wird richtiger Naturwifienfchaft 
(f. d.) genannt, welche in dem Verhältniffe, als die Außerungen ber erſchaffenden Kraft man- 
nichfaltig find, aus einer großen Zahl fich gegenfeitig unterftügender Wiſſenſchaften befteht. 
Die Bhilofophen des Alterthums nahmen das Wort Naturgefchichte in diefer Bedeutung. Im 
engern Sinne ift Naturgefchichte biefenige Wiffenfchaft, welche die auf unferm Planeten vor- 
handenen Dinge in biftorifch barftellender Form kennen lehrt. Da biefe, foweit als es irgend 
möglich ift, die Entftehung, Fortbildung, Vollendung ber erfchaffenen Körper begreifen fol, bie 
Anſchauung aber, welche hierzu erfodert wird, über unfere Erde nicht hinausreichen Tann, fo 
erſtreckt ſich das Gebiet der Naturgefchichte nur auf die legtere, nicht auf andere und unzu⸗ 
gängliche Weltkörper. Iſt fonach eine kosmiſche Naturgefchichte, d. 5. eine Naturgefchichte der 
Weltkörper, nicht möglich, fo ift dafür das Feld der Naturgefchichte auf unferm Planeten um 
fo ausgebehnter ; denn es umfaßt die Erbrinde und Alles, was auf ihr lebt, baher ſowol das 
Drganifche als Unorganifche. Die Erkenntniß der unorganifchen Erbrinde bezweckt die Geo⸗ 
logie (f. d.), der organifchen Körper die Botanik (f. d.) und bie Zoologie (f. d.). Die Naturge- 
fhichte der organifchen Körper ift gefchichtlich genommen die Darftellung des Kebenslaufs 
(Biologie und Phyfiologie) von ber erften Entftehung durch alle Entwidelungsftufen hindurch 
bis zum Tode; phyfiographifch befchäftigt fie fich mit Wefchreibung der Geftalt der Naturkör⸗ 
per und lehrt ung ihre unterfcheidenden äußern und innern Merkmale kennen; foftematifch be 
zweckt fie, die gegenfeitigen Verhältniſſe, alfo auch die Verwandtſchaften der Körper unb daher 
ihre Folge oder Gruppirung feftzuftellen; ganz fpeciell kann fie, z. B. techniſch u. ſ. w, Ein⸗ 
zelzwecke verfolgen. Unterftügung findet fie in andern Naturwiffenfchaften, wie Chemie und 
Phyſik. Sie beruht weientlich auf Erforſchung der materiellen Befchaffenheit der Körper und 
Tann daher ohne Anatomie nicht beftehen, die weniger ihre Tochter ald ihre Mutter ifl. Ihre 
höhere Bebeutung erhält die Naturgefchichte durch die Naturphilofophie (f. d.). Die verfchier 
denen Richtungen der naturgefchichtlichen Forfchung find fo verfchwiftert und unterftügen fi 
gegenfeitig dergeftalt, daß ein tieferes Studium mit Bernacläffigung ber einen oder ber andern 
unverträglich ift, zumal aber dann der Erkenntniß bindend entgegentreten muß, wenn die der 
Betrachtung unterworfenen Raturförper zu den volllommenern gehören. Ohne genaue Kennt- 
niß des Baus iſt bei organifchen Körpern Verſtändniß ihres phyſiologiſchen Verhaltens nicht 
möglich; auf ber Kenntniß des Ieptern aber beruht die philofophifche Vergleihung. Naturge- 
ſchichte ohne dieſe betrieben, kann ſich nicht über die Befchreibung des Außern (Phnfiographie) 
hinaus erſtrecken. Je höhere Stellung ein Naturkörper durch zufammengefegtere Organifation 
und mannichfachere Lebensthätigkeiten einnimmt, um fo mehr tritt bie Nothwendigkeit hervor, 


Aaturlehre 


——— De Brfung ud Ban unterwerfen. Der 
————— Merken Bienen: en mb niebere 
mehr combinizte und bieten der Folgerung 










und Vhyfiologie) um fie» 
qh ein fafl — Selb in Es en 
von Raturförpern bei chaftli Stubdium 

——— cin muß, das Gefammt 












oeblet der beherrſchen. 
| ——*z* legte Ariſtotelet, indem ex feine eigenen 
angeſtellten Unterfichungen zur Entbeckung und Ent 
wickelung yon und Unfichten auffielte, Die nad gegenwärtig Geltung 
befigen. Gen bie Pflanzen iſt indeffen verloren gegangen ; denn die noch vorhandene 
Gehen: Toner a Ditlbe was Benber Dr Bl, fe Id ma 
Griedgen.: Theophraſft und ö etwas 
und) für unfen Hit Brmuäbaret an lien, Fe Nikander, Oppian und Allan Tieferten Beiträge 







| 


aber ohne eine Syur bes tiefen Geiſftes zu zeigen, ber bed Ariſtoteles groß⸗ 
fleifiger Tompilator, fi 


artige Berk ot. Ylinins, ein , fgrieb eine erfiaunliche enge 
—— nicher, ohne irgend Britt zu üben, bewahrte aber ber Nachwelt ein reihe Ma» 
serkal ya. Beurtheilung be im Ganzen — Buflandes ber — fine 
Selten. "Die Werbreitung bes ſchen und 
ee 

*3 


chlichen Wiſſens und lebten auch nach Wieder⸗ 
—— — Hälfte bes Mittelalters traten 
—— —— elon und Rondelet als Anatomen 
Ben ale Beanfeon, —— ee Gebiet ber uno 
Schöpfung biieb, einige geringe Dix Berſuche abgerechnet, noch umbetreten. Im 17. 
ber Forſ zum erſten male feit Ariſtoteles wurbe, wenn 
tung, —— — glänzenden Erfolge durch Bacon von 
ö% bie bie Anfang ber Ratur zur philoſi zu erheben. 
Wolf folgten unb erwarben fich bleibende ienfle. Mit 
ever Kap an, und ber Legtere zumal wurde dadurch zum eigentli« 
öl chte, baf ex mit überall tief eindringendem Geiſte ber Wiſſen⸗ 
gab und durch fein Syſtem bie große Menge bereits bekannter Ge⸗ 
und überfichtlich zufammenftellte. Mit bem Auftreten biefes Genius 
—ã— und nun ſtanden, hierdurch angeregt, auf dem weiten 
ber Raturgefchichte immer mehr Forſcher auf, welchen es im Lauf eines einzigen Jahr 
Sumubertö run sine dieſelbe auf eine er ungeahnte Höhe zuheben. Die Biteratur ber Ratur⸗ 
entlichem Umfange. Vgl. Böhmer, „Bibliotheca scriptorum histo- 
rise naturalis” Ba. in 10 Bbn., —8 1785); elmann, „Bibliotheca soriptorum 
kistoriee naturalis” (Bd. 1, Apʒ. 1846). Die geſammte Natugeihiit: au umfaffen, beabfich- 
ügen, —* —— Wörterbücher, bie zumal Frankreich geliefert 
in kaum z enge vorhanden und von ſehr ungleichem — Zu em⸗ 
pfehten find — 5 Tief Burmeifter, „Dandbuch der Naiurgeſchichte ( Ber 
1837); Leunis, „Synopfis ber drei Raturreiche” (5 Thle. mit Sehfönitte, Hannov. 1851 
2 als — —æ bes gegenwärtigen Standes ber Wiſſenſchaft: Beudant, 
—— Naturgefchichte ber drei Reiche“ (deutſch, 12 Bbe., 
Geuttg. 0; 3 techniſ õtonomiſche Darſtelung: Funke, „Raturgefchichte und 
(3 Bde., AA Braunſchw. 1812); Löhr, „Bemeinnügige und vollſtaͤn⸗ 
dige Raturgeſch (5 Bde., 1815 — 17; als Werke: Oken, „Allg 
—— — — — —— nt Mean 
von ⸗ P un ‚Stu 
— 45). Woblildungen enthalten ber Eynoptiſch⸗ naturbifteri Kö Meios" (21 Blätter, 
er „Wöbhldungen 2* ———*— Abthl. 2. Auf, 
Waterichee, pP. 


a — politi 
waren ben — a a re ann ber enbredenten 
—— 





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i 











& 




























78 Naturphiloſophie 


Naturphiloſophie. Die metaphyſiſchen Unterſuchungen über die Sphäre der durch die 
äußern Sinne erkennbaren Exiſtenz, ſowol in ihren innern allgemeinen Zufammenhängen alt 
auch in ihrem Verhältniß zu dem durch das Bewußtſein al den innen Sinn unmittelbar er 
kennbaren geiftigen Dafein, vourden ehemals unter dem Zitel der Kosmologie ald ein unter» 
georbneter Theil der Metaphyſik (f. b.) behandelt. Seitdem aber bie letztere Wiffenfchaft fick 
duch ihr Wachsthum zu einer freiwilligen Selbftbefchräntung auf das rein ontologifche Gebiet 
bewogen fand, blieb die Kosmologie umter dem Namen der Naturphilofophie befondern Bear⸗ 
beitungen überlaffen, welche fih nun in ber ganzen Breite des Spielraums bewegen, ber zwi⸗ 
fchen ben empirifchen Naturwiffenfchaften einerfeits und den firengen Unterfuchungen ber Die 
taphyſik andererfeits if. Im Alterthum, wo weber die Methode der empirifihen Naturwiſſen⸗ 
fchaften noch die entgegengefegte Metaphufit in ihrer Reinheit erkannt war, flofien bie drei 
gegenwärtig getrennten Gebiete völlig in eine unter Dem allgemeinen Namen der Phyſik. Eine 
Sonderung mußte eintreten, fobald einerfeit6 durch Bacon von Verulam die empirifche Natur⸗ 
forfchung, andererfeits durch Kant die Metaphyſik zum Maren Gelbfibemußtfein ihrer einzig 
fruchtenden Methoden gelangte. Der Verſuch der Schelling'ſchen Schule, die drei Gebtete aufü 
nee nach antiker Weiſe in eins zu mifchen, ift an feiner Unklarheit gefcheitert. Es kann alfo 
von einer Naturphilofophie nur dann die Rede fein, wenn die Möglichkeit einer Metaphufit an⸗ 
erfannt wird. In England 3. B., wo man eine Metaphyſik im Gegenfag zur Methode der em 
piriichen Raturforfhung nicht anerkennt, wird unter Naturphilofophie noch immer nach dem 
Sprachgebrauche Newton's die mathematifche Phyſik verfianden. Eine wirkliche Naturphile- 
fophie hat zur Aufgabe, die Refultate der einzelnen Naturwiffenfchaften zu größern Zuſam⸗ 
menhängen zu verknüpfen, hiernach den mathematifchen Plan und Umriß bed Weltganzen zu 
entwerfen, ganz beſonders aber, die Erfahrungen der einzelnen Naturwiffenfchaften mit dem 
algemeinen innern Thatfachen des Bewußtſeins in Einflang zu fegen und zu dieſem Zwecke 
die Grundbegriffe von Materie und Kraft, Bewegumg und Veränderung, Anziehung und Abe 
ſtoßung in Nähe und Ferne, Zeit und Raum, Subſtanz und Urſache u. dgl. mehr, welche bie 
Naturwiffenfchaften bei Verarbeitung ihres Materials als Werkzeuge vorausfegen, einer Kritik 
zu unterwerfen. Daffelbe gilt von gewiffen oberften Grundfägen, wie z. B. dem von der Gleich⸗ 
heit der Wirkung und Gegenwirkung, von ber Unvermehrbarfeit der Materie im Weltall, von 
der Unmöglichkeit aller Veränderung ohne äußerlihen Anreiz und mehren andern, beren Gül⸗ 
tigkeit innerhalb gewiffer Grenzen durch die Naturwiftenfchaften beglaubigt wird, ohne daß bie» 
jelben jedoch über die Grenzen, innerhalb deren diefe Grundſätze allein Gültigkeit Haben, irgend 
ein Urtheil zu fällen im Stande wären. Diefes zu thun ift vielmehr das Amt derjenigen For⸗ 
fhung, welche bie entgegengefegten Sphären der Erfahrung gegeneinander wägt und ihre 
Werthe gegeneinander abmißt, nämlich der metaphufifchen. In Beziehung auf die legten Prin⸗ 
cipien einer Naturphilofophie find bereit im Alterthum die hHauptfächlichen Gegenſätze hervor⸗ 
getreten. Der vornehmfte unter ihnen ift der, ob ein Dualismus von Geiſt und Materie gefegt 
wird, ſodaß der Geift aus einem entgegengefegten materiellen Princip die Natur bildet und ent⸗ 
widelt, oder ob Geift und Materie für eines und baffelbe angenommen werden. Jenen Dua⸗ 
lismus behaupteten im Alterthum Anaragoras, Pythagoras, fowie auch Plato und Ariftoteles, 
obgleich Jeder unter ihnen mit höchſt verfchiedenen Modificationen. Wird eine Identität beider 
angenommen, fo finden fich die entgegengefegten Anfichten innerhalb dieſes Gedankens ebenfalls 
ichon bei den Alten. Derfelbe verträgt fich nämlich ebenfo mol mit dem reinen Materialismus 
des Demofrit und Epikur, welchem die Atome bie einzige Wirklichkeit find, als mit dem Idea⸗ 
lismus ber Neuplatoniker, welchem alle Materie nur für eine Emanation bes Geiftes galt, und 
dem Hylozoismus bes Heraklit und der Stoiker, welche das Weltall mit der Weltfeele ibentifi« 
cirten. Die neuere Zeit hat dieſe Gegenfäge theils wiederholt, theild aber auch mit neuen Hypo- 
thefen vermehrt. Wiederholt wurde 3. B. der Hylozoismus des Heraklit und der Jonier im 
MWefentlihen von Paracelfus, der Dualismus von Descartes und der Materialismus der 
Atome von den franz. Philofophen bes 18. Jahrhunderts. Dagegen trat in Keibniz bie gänz- 
lich neue Hypothefe hinzu von Monaden als Atomen, welche in ſich ſelbſt nicht von materieller, 
fondern geiftiger Natur feien, und in Spinoza bie Hypotbefe von einer fo befhaffenen Identität 
des Geiſtes und der Materie, daß der Unterfchied beiber babei keineswegs aufgehoben, fondern 
nur aus einem Unterfchiede in der Subſtanz zu einem Unterfchiede entgegengefegter Attribute 
oder Functionen eines und beffelben Grundweſens herabgefegt wird. Dadurch daß die An⸗ 
hänger der Polemik, welche Kant gegen den Atomismus in den Naturwiffenfchaften eröffnet 
hatte (f. Atome und Dynamik), die Spinoziftifche Anficht von ber ideellen und reellen Er⸗ 


Naturrecht Naturwiſſenſchaften 79 


gsweiſe einer und derſelben Subſtanz in ihrem polaren Gegenſatze ſich aneigneten, kam 
ſtweilig zu einem ſo großen Anſehen, daß die Gewohnheit entſtand, in einem noch gegen⸗ 
ortklingenden Sprachgebrauche unter Naturphiloſophie nichts Anderes zu verſtehen, als 
in die Anwendung dieſer Hypotheſe mit ihren modernen Modificationen auf das Gebiet 
urwiſſenſchaften. Die Folge davon iſt geweſen, daß die lehtern durch ben übermäßigen 
‚ welchen diefe Hypothefe trog der mannichfaltigen Unklarheiten, an denen fie fortmwäh- 
‚fi anzumaßen wußte, fich beengt umd beeinträchtigt fanden, und zulegt im Wider⸗ 
bogen dergleichen unberechtigte Eingriffe der Speculation in die empirifhe Methode das 
: Bemußtfein ihrer völligen empirifchen Selbftändigkeit in einem höchft gefchärften 
yohlthätig wieder erwachte, während auf der Seite ber Speculation der Spinozifcd)- 
gfchen Hypothefe gegenüber ebenfalls die Leibniz'ſche der Monadologie durch Herbart 
wolle Wiedererneuerung und Umwandelung erfuhr. Die Naturphilofophie fteht nicht 
ärts mit den einzelnen Naturmwifienfcaften, fondern auch aufwärts mit der Pſycho⸗ 
d Religionsphilofophie in höchſt naher Verbindung. Die Pſychologie ald empirifche 
daft von ber Seele gibt den Speculationen über das Naturganze dadurch einen ganz 
ichen Halt, daß fie der äußerlich empirifchen Baſis der Naturmwiffenfchaften einen inner- 
Krilhen Standpunkt außerhalb berfelben hinzufügt, deffen weitere Ausbeutung mit ber 
r weit führen dürfte. Wenn ſich hierdurch das Verhältniß der Pſychologie zur Nature 
‚ie fo gefaltet, daß jene zufammt den Naturmwiffenfchaften als eine Hülfswiffenfchaft 
ſcheint, ohne welche fie ſchlechterdings nicht beftehen Tann, fo tritt zur Religionsphilo⸗ 
236 umgekehrte Berhältniß ein, da biefelbe, obgleich mefentlich auf ethifchen Grundlagen 
body ohne eine Zuhülfenahme naturphilofophifcher Ideen niemals zu irgend einer Be⸗ 
eit ihrer Begriffe gelangen würde. Dan bezeichnet das Hauptgebiet der naturphilofo- 
Forſchungen, welche zur Befeftigung und Stügung des religiöfen Bewußtſeins dienen, 
Namen der Phyfikotheologie. Es gehören zu ihr alle Thatſachen, welche ben Innern 
enhang, die Schönheit und Zmedimäßigkeit der vorliegenden Naturorbnung beurkun- 
es liegt der Naturphilofophie ob, die Befchaffenheit dieſer Thatfachen näher zu unter» 
ım zu entfcheiden, ob diefelben auf den bloßen Begriff einer blind wirkenden Natur zu- 
hrt werden fönnen, oder ob fie auf eine nach Zwecken wirkende Intelligenz hinmeifen. 
eologie.) Je nachdem auf diefe Frage eine verfchiedene Antwort erfolgt, gewinnen bie 
: der Religionsphilofophie einen entweder mehr theiftifchen ober mehr pantheiftifchen 
er. Vgl. Echaller, „Gefchichte der Naturpbilofophte von Baco bis auf unfere Zeit” 
2pʒ. 1841—46). 
wrrecht, f. Rechtsphiloſophie. 
srwiflenfchaften. Die Naturwiffenfchaften enthalten die Erfahrungserkenntniß aller 
änglihen Theile bes unermeglichen Gebiets, welches Natur (f. d.) im engern Sinne ge⸗ 
ird. Ste fangerr mit der Beobachtung und dem Erperiment an und fchreiten zur reinen 
fort, fodaß die erftere überall ale Mittel, die Iegtere als der Zweck der Wiſſenſchaft an- 
wird. Nun aber findet in den verfchiebenen Naturwiffenfchaften in Bezug auf diefe ver⸗ 
n Functionen ein recht großer Unterfchied ftatt, welcher zu dem Unterfchiede bes organi⸗ 
d ımorganifchen Dafeins in einer gewiffen Beziehung fteht. Denn während man in 
ebieten des Unorganifchen bereits fo tief in den Zufanımenhang ber Thatfachen einge⸗ 
‚daß man felbft die compficirteften Erfcheinungen aus höchſt einfachen Gefegen abzuleiten 
iſt dies im Gebiete bes organifchen Lebens noch an keiner Stelle vollig gelungen, ſodaß 
mifche Gebiet ſich in den allermeiften Beziehungen noch einer bloßen Naturbefchreibung 
eben ficht. Die Naturwiffenfhaften beziehen ſich theil® auf die allgemeinen Elemente 
ındfloffe, aus denen alle Körper beftehen, nebft beren Kräften und Eigenfchaften, ſowie 
enfchaften aller Körperlichkeit überhaupt als einer folchen, theild auf die aus jenen 
offen zufammengefegten Claſſen von individuellen Naturproducten. Die elementa- 
zrundwiſſenſchaften find Phyſik und Chemie. Die Phyfik (ſ. d.) befchäftigt ſich mit der 
ig der Materie, ihrer Kräfte und Proceffe im Allgemeinen, alfo mit ber Natur ber 
‚bes Widerftandes, der Sohäfton, des Kichts, der Wärme, des Magnetismus, ber Elek⸗ 
.f. w. Bleibt die Phyſik bei der Befchreibung dieſer Grundphänomene ftehen, wie die- 
h erfahrungsmäßig durch das Erperiment ergeben, fo iſt fie Erperimentalphyfit. So⸗ 
‚ber übergeht zur theoretifchen Eonftruction diefer Phänomene durch dad Werkzeug ber 
ati, wird fie zur mathematiſchen Phyſik. Die Miffenfchaften der mathematifchen 
nd allefammt Anwendungen dee mathematifchen Bewegungslehre ober Mechanik im 


80 Naturwiſſenſchaften 


weiteſten Sinne dieſes Worts und enthalten das Vollkommenſte, wozu es menſchliche Einſicht 
im empiriſchen Gebiete bisher gebracht hat. Auf fie vorzugsweiſe paßt ber Name eracter Wiſ⸗ 
fenfchaften. Hierher gehört die Mechanik in engern Sinne als Lehre der Bewegung burdh 
Schwere, Drud und Stoß, welche in befonderer Anmendung auf bie Geftime Aftronomie, 
auf Flüffigteten Hydraulik und Hydrodynamik ift; bie Statik als Lehre vom Gleichgewicht 
ruhender Körper, in Unwendung auf das Flüffige bie Hydroſtatik, auf bie luftförmigen Kör⸗ 
per die Aëroſtatik; die Optik als Lehre von der Fortpflanzung des Lichts durch Wellen⸗ 
bewegung, mit der Dioptrik, welche feine Brechung, und der Katoptrit, welche feine Zurüd- 
ftrahlung behandelt; die Akuſtik als Lehre von der Verbreitung ber Schallwellen und ihren 
Schwingungsverhältniffen u. f.w. Der am fpäteflen zur Bearbeitung gelangte Theil der 
Phyſik iſt die dynamiſche Phyfit als Lehre von den elefttomagnetifhen und galvanifchen 
Kräften oder Stoffen. Diefer Theil ift überaus ſchnell burch feine vielfache praktiſche An⸗ 
wenbbarkeit zu einem der wichtigften geworben unb eröffnet burch feine engen Beziehungen 
gum chemifchen und organifchen Proceß die weiteſten Ausſichten für ein unausgefegtes Fort⸗ 
ſchreiten der Wiſſenſchaft. Zu den phufitalifchen Wiſſenſchaften gehört auch die Chemie 
(f. d.) als Wiffenfchaft von den Grundftoffen der Körper, ihren Verwandtſchaften und 
Verbindungen untereinander. Uber dieſe Wiſſenſchaft hat fich theils bucch ihr ſelbſtändiges 
Wachsthum, theils durch ihren eigenthümlichen Charakter von der Phyſik getrennt. Auch fie 
- zwar bat in der Stöchiometrie (f. d.), als der Lehre von den quantitativen Mifchungsverhält- 
niffen der Stoffe, mathematifchen Beftinmungen in ſich Raum gegeben, jedoch ohne daß in Ihrem 
Gebiete ein mathematifcher Ealcul irgendwie bisher Plag zu greifen vermocht hätte. Sodann 
ift fie, während die Gefege ber mathematifchen Phyſik uns ihre Wirkſamkeit durch ben ganzen 
Weltraum hindurch beweifen, auf die Erforfhung bes Telluriſchen befchränkt und zerfällt ger 
mäß den verfchiedenen Weſenreichen unferer Planeken, in denen diefelben Elemente zu verfchie 
denen Arten von Miſchung ımtereinander gelangen, in die anorganifche Chemie einerfeits, die 
organifche ober Pflanzen- und Thierchemie andererfeite. 

Waͤhrend nun fo Phyſik und Chemie von verſchiedenen Seiten her unmittelbar in die Pro⸗ 
ceffe bes Werdens Überhaupt fich einen Weg fuchen, tritt ihnen eine zweite Gruppe der Ra- 
turwiffenfchaften gegenüber, welche ſich mit den einzelnen Gebieten bes Gewordenen ber 
Ichäftigen und daher von einer ganz äuferlichen Naturbefchreibung oder fogenannten Matur 
— (ſ. d.) ihren Ausgang nehmen. Hebt man bier an mit einer Beſchreibung des 

tbaus im Großen, ber Sonnenſyſteme und Firfterngruppen, fo iſt dies die Kosmogra- 
phie ober MWeltbefchreibung, von welcher die Erbbefchreibung als phyfifge Geographie 
einen untergeordneten Theil bildet. Als Hülfswiffenfchoft bei beiden dient die Aftrognofie 
(ſ. d.), als bie Kenntniß des erfcheinenden Himmelsgewölbes mit feinen Sternbildern, Po⸗ 
Ien, Efliptit u. ſ. w. Bemächtigt fi) num die Mathematik diefes ganzen Stoffe, fo ent 
fieht daraus die Aftronomie (f. d.) welche bie Bahnen und Bewegungen ber Weltkörper 
nach ben Verhältniffen ihrer Größe, Maffe, Stellung und Entfernung berechnet. Die Aſtro⸗ 
nomie behauptet ben Rang einer durchaus eracten Wiffenfchaft, bildet einen Theil der ange⸗ 
wandten Mechanik und ift aus dem Gebiete der Naturbeichreibung völlig in das Gebiet ber all» 
gemeinen Phyſik übergemandert. Dies tft jedoch nur gefchehen in Bezug auf bie Bewegungen 
ber Geftiene, forte auf ihre Bildungsformen, ſoweit diefelben von mechanifchen Gefegen abhän- 
gen. Dagegen ift bie enſchaft, welche bie Entftehung des Weltalls zum Begenftande haben 
follte (Kosmogonie, in Beziehung auf den Erdball Geogonie) und außer den Gefegen ber 
Mechanik ebenfo fehr die der Chemie und dynamiſchen Phyſik zu berückſichtigen hätte, noch im- 
mer bloßen Dypothefen preißgegeben. An die phufifche Geographie ale die Befchreibung ber 
Erde in ihren aſtronomiſchen Verhältniffen fchfießen ſich die Wiffenfchaften von ber nähern Be⸗ 
Ihaffenheit der Erdoberfläche, ihrer Gebirge, ihrer Gewäſſer und ber Vertheilung berfelben, 
ihrer Atmofphäre und bes Einfluffes derfelben auf das Leben der Pflanzen und Thiere u. ſ. w. 
Hierher gehören die Meteorologie (ſ. d.) als Wiffenfchaft ber atmofphärifchen Veränderungen, 
bed Kreislaufs der Winde u. f. w.; die Geologie (f. d.) als Wiſſenſchaft von ben Veränberım- 
gen ber feften Erdrinde Durch Waſſer, vulkaniſche Thätigkeit u. ſ.w.; die Drologie als Wiſſen⸗ 
haft von ben Lagerungen ber Gebirge und dem Streichen ihrer Züge; bie Hydrographie als 
Phyſik der Gewäffer, Flüffe und Meere; bie Beognofie oder Oryktologie ald Lehre von ber 
—— der Gebirgsarten; zulegt bie Mineralogie (ſ. d.) als die Wiſſenſchaft von ben 
in der Geognofie vorgefundenen einzelnen Probucten und ihrer auf chemiſchen und kryſtallini⸗ 
hen Befchaffenheiten beruhenden Eintheilung. Hier bat bie Kryſtallographie als reine Form 


Raturwiflenfchaften | 81 


mineralifchen Proceſſes dugch ihre enge Verwandtſchaft mit der Stereometrie vor 
Shen Stofflehre jenes Proceſſes bereits einen bedeutenden Vorfprung gewonnen. 
erfüllt die Wiſſenſchaft des organifchen Lebens auf der Erde in die des Pflanzenreichs, 
nit (ſ. d.) und des Thierreichs als die Zoologie (ſ. d.). Auch hier hat die Wiſſenſchaft 
beſchreibenden Theile, einer ſogenannten Raturgeſchichte, anzufangen, deren Zweck 
ĩſication alles Vorhandenen in eine überſichtliche Ordnung iſt, wonach ſich dann die 
eilungen gliedern, wie z. B. Entomologie (Inſektenkunde), Helminthologie (Kennt⸗ 
Zürmer), Ichthyologie (der Fiſche), Ornithologie (der Voͤgel) u.f.w. Soll nun aber 
tur dieſer Organismen näher eingedrungen werden, ſo tritt in Beziehung auf jedes 
ane die Norphologie als die Wiſſenſchaft von der Entſtehung und dem Übergange 
nen einer Wiffenfchaft ihres chemifchen Stoffwechſels gegenüber. Die Morphologie 
) auf dem Grunde ber Zerglieberungswifienfhaft ober Anatomie (ſ.d.) ald Anatomie 
hen, Thiere und Pflanzen, wobei befonders die vergleichende Anatomie die größte 
het. Die Wiffenfchaft des organischen Stoffwechfels ift die organifche Chemie ſelbſt. 
iffenfchaften aber find untergeordnete Theile einer erflärenden Wiffenfchaft von den 
m Lebensprocefien überhaupt, welche mit dem Namen der Phyſiologie (ſ. d.) als Phyſio⸗ 
Menſchen, Thiere und Pflanzen bezeichnet wird. Diefe Wiffenfchaft leidet ganz vorzüg- 
mnod an fo vielen Duntelheiten, weil das Verhättniß der Proceffe des Seelenlebens zu 
effen der Chemie und Phyſik ein noch gänzlich unaufgeffärtes ift, ſodaß die Pſycholo⸗ 
‚ welche zur Morphologie und organifchen Chemie als eine dritte Hülfswiffenfchaft bei 
meinen Phyſiologie mitzuwirken hat, ihre Stellung im Verhältniß zu jenen bisher 
erheit noch nicht hat angewiefen bekommen können. 
ı wir nun auf dieſes ganze wie im Kluge durchlaufene Raturgebiet noch einen allge- 
Su, To fpringt als vorzüglich auffallend dabei in die Augen die große Verfchieden- 
erg auf das Fortgefchrittenfein ber verfchiedenen Wiffenfchaften, wobei überall 
neine® Geſetz gilt, daß eine Wiffenfchaft eine deſto größere Höhe ihrer Vollendung 
e mehr es ihr gelingt, fich zu einem untergeordneten Theile der allgemeinen oder 
en Raturwiſſenſchaften, namentlich der mathematifchen Phyſik und damit der 
ten Mathematit, umaugeftalten. Dabei darf jedoch nicht überfehen werden, daß 
ı elementaren Wiffenfchaften ebenfalls noch Theile vorkommen, melde eine Auf 
angewandte Mathematik bisher hartnäckig verweigert haben, wohin befonders die 
emie gehört, fodaß ed von diefen Theilen und Allem, was mit ihnen zufammen- 
ch dahin fteht, ob auch fie einer ſolchen Einſchmelzung fähig find ober ein eigen- 
6 Gebiet für ſich bilden, welches nicht mehr auf blos mechanifchen Bewegungs⸗ 
erubt, fondern feine Tegten Erklärungen auf anderm Wege in fich felbft zu fuchen 
leich mit dem Eintreten des erften Falls fcheinbar die großartigfte Einheit der Natur» 
5 eintreten würbe, fo ift Died bach darum bloßer Schein, weil die Proceſſe des Seelen⸗ 
h aus Principien der Mechanik nicht erklären laſſen und folglich doch zu einer An⸗ 
ehrer verfchiedenartiger wiffenfchaftlicher Standpunkte zwingen, bei welcher ed durch⸗ 
ı Übelftand bilden fann, wenn zwiſchen bem mechanifchen Gebiete auf der einen Seite 
oſychologiſchen auf ber andern noch Mittelglieber fich einfchieben. Mit den Naturwif- 
n in durchgehender enger Verbindung fteht die Mediein (f. d.), ſowol indem fie ihre 
aus allen Reichen der Natur herbeinimmt, als auch fih auf eine Kenntniß der Func⸗ 
I menfchlichen Organismus, ſowol des normalen als des geflörten, gründet. 
eſchichte der Naturwiffenfchaften hat einen langſamen Berlaufgehabt, benn im Alter- 
nügte man fic mit allgemeinen Philofophemen über die Natur. (S. Naturphiloſo⸗ 
ie werthvollen Entdeckungen, auf welche ſich eine genauere Erkenntniß derRaturgefege 
5, blieben theils zufammenhangslos flehen, theils vertrugen fie fich wegen innerer Lücken⸗ 
noch recht wohl mit falfchen Theorien, wie dies 3.3. mit den aftronomifchen Beobach⸗ 
6 Alterthums ber Sal war. Erft mie Bacon von Verulam kamen die Naturmiffen- 
um vollen Bewußtſein des Verfahrens, welchem fie ihre Fortſchritte in der Neuzeit 
ı und welches man im Allgemeinen als die erperimentirenbe und inductorifche Methode 
tion) bezeichnen darf. Dieſes empirifche Verfahren modificirt fi zwar gemäß dem 
r einzelnen Fächer, aber e& bleibt ſich doch darin immer gleich, daß es den Anfang ber 
ung beim Befondern und Einzelnen macht, von ihm allmälig und fiher zum Allge⸗ 
ıffteige und mit ber Eonftruction des Befondern aus dem Allgemeinen erſt zum Schluß 


5. Sehnte Aufl. XI. 6 


82 Nagmer Raubert 


fein Werk krönt. Das erfte Gebiet, worin bie Naturwiffenfchaften bedeutende Fortſchritte mad; 
ten, waren die Gefege des Weltbaus und der Mechanik; es folgte die Naturgefchichte, ſodann 
die dynamische Phyſik und zulegt die Chemie. Vgl. Whewell, „Geſchichte der inductiven Wiſ⸗ 
ſenſchaften“ (deutfch von Kittrow, 3 Bde., Stuttg. 1859 — 42). 

Natzmer (Dltwig Ant. Zeop. von), preuß. General, wurde 18. April 1782 zu Billin in Pom⸗ 
mern geboren. Sein Vater hatte fi im Siebenjährigen Kriege die Gunft Friedrich's II. erwor⸗ 
ben und diente zulegt als Oberft und Commandant der Feftung Kolberg. Seine Mutter gehörte 
zur nächften Verwandtſchaft des Feldmarfchalls Gneomar von R., deffen Einfluß auf den Kö- 
nig Friedrich Wilhelm I. bei der beabfichtigten Flucht des Kronpringen, des nachmaligen Fried⸗ 
rich II., von Wichtigkeit gewefen war. N. wurde, 133. alt, Leibpage des Königs Friedrich Wil⸗ 
beimli. Im 3.1798 trat er in die Leibgarde ale Offizier, wurde 18014 Adjutant und hatte ben 
Vortheil, feine Leiftungen im Dienft wie bei der Theilnahmean Beneralftabsarbeiten unter den 
Augen bes Königs bemerkbar zu machen. Im J. 1806 wohnte er der Schlacht von Auerftädt 
und dem Gefecht von Nordhaufen bei. In Prenzlau wurde er mit gefangen, jedoch 1807 wieder 
ausgewechſelt. Nach dem Zilfiter Frieden erhielt er ale Stabscapitän das Commando ber Leib- 
compagnie in dem neuerrichteten Garderegiment. Nachdem er 1809 zum Flügeladfutanten und 
wirklichen Hauptmann gefliegen, wurde er mit der Bildung des Garbdefüfelier-Bataillons ber 
auftragt, auch von biefer Zeit an häufig zu wichtigen Sendungen verwendet. Im J. 1810 zum 
Major befördert, nahm er Theil an der Anfertigung des neuen Eprereirreglements für Infan⸗ 
terie und Eavalerie. Er begleitete den König zu dem Fürftencongrefie in Dresden, murde im 
Herbft 1812 mit einer Sendung an das wiener Cabinet beauftragt umd bald darauf in das 
franz. Hauptquartier gefendet, um über die Trennung des General von York von ber franz. 
Armee die Erklärungen auszufprehen. Unmittelbar darauf erhielt er eine geheime und ſehr 
wichtige Sendung an den Kaifer von Rußland. Im J. 1813 wurde er als königl. Flügelabju- 
tant in das Hauptquartier des Generals von Kleift geſchickt. Er wohnte 5. April dem Gefecht 
bei Dannigkow bei und blieb bei dem General York bis aur Schlacht von Großgörſchen. Nach 
berfelben befand er fich) beim General Blücher bis zu dem Gefechte bei Hainau 26. Juni, an 
welchem er, ſowie an den frühern, thätigen Antheilnahm. Für fein Benehmen in der Schlacht 
von Baugen erhielt er das Eiferne Kreuz zweiter Claſſe. Während des Waffenftillftandes zum 
Oberftlieutenant befördert, war er mit der Bildung der fhlef. Landwehr befchäftigt. Beim 
Wiederbeginn der Feindfeligkeiten trat er in fein Verhältniß als Flügeladjutant zurück, wohnte 
den Schlachten bei Dresden, Kulm und dem Gefechte von Peterswalde bei, ſowie allen folgen- 
ben bis zur Schlacht von Keipzig. Er erhielt das Eiferne Kreuz erfter Claſſe und wurde im Des 
cember zum Öberften ernannt. Im 3.1814 war er in den Gefechten bei Manheim, Brienne und 
allen folgenden bis Troyes thätig; auch war er 20. März in der Schlacht bei Arcis-fur-Mube 
und 25. März bei Lafere-Champenoife. Nach dem Parifer Frieden begleitete er den König nach 
England. Im Herbft 1814 erhielt er ba6 Commando der Grenadierbrigade in Berlin, mit der 
er am Feldzuge von 1815 Theil nahm, und wurde dann zum Generalmajor befördert. Im J. 
1820 wurde ihm das Commando der elften Divifion in Breslau zugetheilt. Ex begleitete ben 
Kronpringen zu dem Congreffe zu Troppau, wohnte als preuf. Militärcommiffar dem Feldzuge 
ber Dftreicher gegen Neapel bei und ging dann mit Dem Corps des Generals Grafen von Wal- 
moden nad) Palermo. Im J. 1825 wurde er Generallieutenant und erhielt 1827 das Com⸗ 
manbdo der achten Divifion in Erfurt. Nachdem er in Folge des Ausbruchs ber franz. Julice 
volufion gegen zwei Jahre mit ber achten Divifion in und um Köln geflanden, erfolgte im März 
1852 feine Ernennung zum commandirenden General des erſten Armeecorps in Preußen. 
Im Nov. 1839 wurde N. auf fein Anfuchen vom Commando ded legtern entbunden und 
zur Dispofition geftellt, bann aber zum Mitglied des Staatsraths und Generaladjutanten des 
Königs ernannt und 1840 zum General der Infanterie befördert. 

Naubert (Chriftiane Benedicte Eugenie), eine der erften Romanfchriftftellerinnen Deutfch- 
lands, die aus Befcheibenheit ihre Anonymität bis kurz vor ihrem Tode felbft gegen ihre nächften 
Angehörigen behauptete, war 13. Sept. 1756 in Leipzig geboren und die Tochter I. E. Heben- 
ſtreit's, Profeſſors der Medicin. Nach dem Tode des Vaters lieh ihr Stiefbruder, der Profeſſor der 
Theologie, Hebenftreit, ihr eine fehr-forgfältige, vollig gelehrte Erziehung geben. Insbeſondere 
befchäftigte fie fih mit Geſchichte und neuern Sprachen. Sie war zuerft mit bem Kaufmann 
Holdenrieder, dann mit dem Kaufmann Job. Georg Naubert zu Naumburg verheirathet, wo fie 
in Eingezogenheit und häuslicher Thätigkeit lebte. Einer Augenoperation wegen in Leipzig, 
flach fie daſelbſt 12. San. 1819. Die Zahl ihrer geift-, phantafie- und gemüthreichen Ro 


Raufratis Naumann (Joh. Gottlieb) 83 


iſt fehr groß; zwar liegt ben meiften ein hiſtoriſcher Stoff zu Grunde, doch iſt die treue 
ſſung verfchiedener Zeiten in ihnen am wenigften gelungen. Ihr erfier bedeutender Ver⸗ 
a biefer Gattung war „Walther von Montbarry” (1786); diefem folgten „Thekla von 
“, woraus Schiller in feinem „Wallenſtein“ Manches, fogar wörtlich, benugte; ferner 
beth, Erbin von Zoggenburg”“, „Konradin von Schwaben”, „Gebhard, Truchſeß von 
burg“, „Eudogia” und viele andere. Ihre „Neuen Volksmärchen ber Deutfchen” (5 Bde., 
789—95) ftehen ihrem Vorbilde Muſäus nicht nach und treffen fogar den Märchenton 
‚heil noch beffer. Ohne gefchichtliche Grundlage find ihre fpätern Arbeiten, wie „Ale⸗ 
d Zuife” (2pz3. 1819), „Zurmalion und Razorta” (2 Bde, Lpz. 1820) und „Letzte Dri⸗ 
omane” (5 Bde., 2pz. 1827). j 

mkratis, eine ägypt. Stadt, welche unter dem erften Pſametich am Ende bes 7. Jahrh. 
. von fiegreich zur Eee eindringenden Milefiern gegründet wurde. Später wurbe fie von 
riechenfreundlichen Könige Amafis den ſich anfiedelnden oder nach Agypten Handel trei« 
ı Griechen ganz überlaffen und erlangte unter Anderm auch eine gewiſſe Berühmtheit 
ihre ſchönen griech. Hetären. Der Konig Pſametich IL follte fogar eine diefer Buhlerin⸗ 
mR., die ſchöne Mhobopis, welche von Andern auch Doricha genannt wird, zu feiner 
ihlin erhoben haben. Die Stabt lag an dem kanobiſchen Nilarme, an feinem rechten Ufer, 
jehörte zum faitifchen Nomos ; Plinius nannte fie fogar als Hauptort eines befondern, 
ihr genannten Nomos. N. blieb bie in ſpäte Zeiten immer ein bedeutender Handelsort. 
sumachia (griech.), eigentlich ein Schiffsgefecht ober bedeutendes Seetreffen, wurde bei 
ömern auch die Nachahmung eines foldhen als Schaufpiel genannt, und denfelben Namen 
ber dazu eigens eingerichtete Ort. Julius Cäſar ließ zuerft 46 v. Chr. in Nom eine Nau⸗ 
ı aufführen und hatte zu diefem Behuf auf dem Marsfeld einen Play ausgraben laffen. 
ſtaumachia, die nody unter Titus beftand, legte Auguftus jenfeit der Tiber in Caͤſar's Gär⸗ 
\, wahrfcheinlich mit amphithentralifhen E rreihen für die Zuſchauer; ihr Becken war 
FJ. lang, 1200 F. breit; eine andere ließ in derſelben Gegend Domitian bauen. Wie es 
‚ konnten die Beden ebenfo fehnell gefüllt als troden gelegt und dann auch noch zu an⸗ 
echterfpielen benugt werben; daß aber auch im Circus Naumachien gehalten worben feien 
an ihn dazu unter Waffer gefegt habe, ift an fich unwahrſcheinlich und nicht begrünbet. 
scinerfee gab Kaifer Claudius, ehe ex ihn ableitete, eine Naumachia. Die in Naumachien 
ıdeten Öladiatoren hießen Raumadiarii. 

mmann (Joh. Sriedr.), verdienter beutfcher Ornitholog, geb. 14. Febr. 1780 zu Ziebigk 
then, Eohn des ebenfalls als Drnitholog befannten Joh. Andre. MR. (geft. 15. Mai 
„ befuchte von 1790— 94 die Hauptfchule zu Deffau und widmete fih dann im Haufe 
Vateré, der ihn zu feiner Unterftügung wieder zu fi) genommen hatte, unermüdlich dem 
um von Echriften über Land- und Gartenbau, Yomologie und alle Zweige der Naturge- 
e, Botanik und Zoologie, vor allem jeboch der Ornichologie. Später wendete er ſich der letz⸗ 
Biffenfchaft ausſchließlich zu, beſchränkte fich aber zu nicht geringem Nugen derfelben we⸗ 
’ auf das Studium der deutfchen Vögel, bei dem er von ben nambafteften Forſchern un- 
t wurde. Die Menge und der Umfang ber mit größter Ausdauer und Umficht von ihm 
melten Beobadhtungen ift ftaunenswerth und verleiht feinem Hauptwerke „Naturge⸗ 
: ber Vögel Deutfchlands” (12 Bde., Xpz. 1822 — 44), zu dem er die große Anzahl vor- 
ber Platten felbft geftochen hat, einen unvergänglichen Werth. Mit Buhle gab er früher 
Bifrpflangen Deutfchlands” (Köthen 1804), eine Meine Schrift, fowie fpäter „Die Eier 
zgel Deutſchlands“ (5 Hefte, Halle 1819) heraus. Zu feiner „Zaridermie” (Halle 1815; 
fl., 1848) hat N. ebenfalls Die Kupfer felbft geftochen. N. gilt unter den beutfchen Natur« 
rn für den gründlichften und gewiffenhafteften Kenner der deutfchen Ornithologie. N. zu 
hat die Deutfche Ornithologengefellfchaft ihr Organ „Naumannia“ (1850 fg.) genannt. 
mmann (Iob. Gottlieb oder Amadeus), ein vorzüglicher Kirchencomponift, wurde 17. 
41741 zu Blafewig bei Dresden geboren, wo fein Vater Landmann war. In feinem 16.3. 
ihn ein ſchwed. Muſiker, deffen Aufmerkſamkeit er durch feine mufitalifhen Zalente er- 
tte, zur Bedienung mit ih nach Hamburg und 1758 nad) Italien. Sein Herr benugte 
usa den Unterricht Tartini's; fpäter gelang es auch N., unter deffen Schüler aufgenom⸗ 
ı werben und Unterftügung zu finden, ſodaß er drei Jahre in Padua bleiben konnte. Nach⸗ 
F er fich in Venedig nieber, wo er Unterricht ertheilte und einige theatralifche Gompofitio- 
ferte, die Beifall fanden. Nach einem fiebenjährigen Aufenthalte in Stalin berief ihn bie 


5 Naumann (Karl Friedr.) Naumann (Morig Ernft Adorf) 


Kurfürftin-Mutter, Marle Antonie, nach Dresden, wo er 1765 kurfürſtl. Kirchencomponiſt, 
bald darauf Kammercomponift und, nachdem er noch zwei mal Stalien befucht hatte, 1774 Ka⸗ 
pellmeifter,, endlich 1786 Oberfapellmeifter wurde. In fpätern Jahren war bie Kirchen- 
muſik fein Lieblingsfach. Er ftarb 23. Det. 1801. Von feinen Opern find „Ampbion‘ (1776), 
namentlich „Sora” (1780), „Suftav Waſa“ (1780) und „Orpheus (1785) die vorzüglich⸗ 
ften. Seine Kirchencompofltionen, darunter fein „Vater Unſer“ (Text von Ktopftod), mehre 
Pſalmen und viele Miffen, Oratorien und Bespern, find größtentheil® Eigenthum der dresbener 
Hofkapelle. Noch ift zu erwähnen, daß er auf der Glasharmonika große Fertigkeit befaß umb 
für dieſelbe ſechs Sonaten componirt hat. Vgl. Meißner, „Brucftüde zur Biographie I. G 
N.8” (2 Bde, Prag 1805—8). Ein aus freiwilligen Beiträgen feiner Verehrer an feinem 
hundertjährigen Geburtstage in Blafewig gegründetes Schulhaus verficht ald Naumanns- 
Stiftung zugleich die Stelle eines dauernden Monumente. 

Naumann (Karl Friedr.), ordentlicher Profeffor ber Mineralogie und Beognofie an ber Uni⸗ 
verfität Leipzig, der ältefte Sohn bed Vorigen, wurde 30. Mai 1797 in Dresden geboren. Rad 
dem frühen Tode feines Vaters Tieß fich Lie Mutter die Erziehung ihrer Kinder ganz befonbers 
angelegen fein. N. befuchte feit 1812 die Fürftenfchule zu Pforta und feit 1816 bie Bergaka⸗ 
bemie zu Freiberg, verließ fie jedoch nach Werner's Tode und ftudirte dritthalb Jahre lang unter 
manchen flörenden Verhältniffen philofophifche und Naturmiffenfchaften in Leipzig und Jena. 
Nachdem er am legtern Orte promovirt hatte, ging er nochmals nach Freiberg, befonbers um 
Mohgs zu hören, und machte 1821 — 22 eine wiffenfchaftliche Reife nad; Norwegen. Er habili⸗ 
tirte fi 1823 in Jena und 1824 in Leipzig, wurde, ald Mohs den Ruf nad) Wien angenom- 
men hatte, deffen Nachfolger in der Profeffur der Kryftallographie und Disciplinar-Infpertor 
an der Bergakabentie zu Freiberg, mofelbft ihm auch 1835 die Profeffur der Geognofie und bie 
Bearbeitung der geognoftifchen Karte von Sachfen übertragen wurde, und kam im Aug. 1842 
an bie Univerfität zu Leipzig. Von feinen Schriften erwähnen wir: „Beiträge zur Kenntniß Row 
wegens (2 Bde., Apz. 1824); „Verſuch einer Geſteinslehre“ (Epz. 1824); „Grundriß der Kry⸗ 
ftallographie” (Apz. 1825); „Lehrbuch der Mineralogie” (Berl. 1828); „Lehrbuch der reinen 
md angewandten Kryftallographie” (2 Bde., Lpz. 1830); „Erläuterungen zur geognoſtiſchen 
Karte von Sachfen” (Heft 1—5, Dresb. 18356—45 ; Heft 1—4, 2.Aufl., 1845); „Unfangs- 
gründe der Kruftallographie” (Dresd. 1841 52. Aufl., Lpz. 1854); „Elemente der Mineralo- 
gie” (%p3. 1846; 3.Aufl., 1852); „Lehrbuch der Geognofie” (2Bde., 2p.1850—53); „Uber 
den Quincung, als Grundgeſetz der Blattftellung” (Dresd. und Lpz. 1845). — Raumann 
(Ronftantin Aug.), jüngfter Bruder des Vorigen, geb. 9. März 1800 zu Drespen, feit 1827 
Profeſſor der reinen Mathematit an der Bergakademie zu Freiberg und dafelbft 21. Nov. 
1852 verftorben, war ein grünblicher Forfcher auf dem Gebiete ber höhern Mathematik, ber 
Aftronomie, ſowie der Gefchichte und Literatur beider Wiffenfchaften. | 

Naumann (Morig Ernft Adolf), ordentlicher Profeffor der Medicin zu Bonn ımd Direc⸗ 
tor des dortigen mediciniſch ˖kliniſchen wie poliflinifchen Anftituts, Bruder des PVorigen, geb. 
7. Oct. 1798 zu Dresden, bezog 1816 die Univerfität Leipzig, wo er fich für das Studium der 
Medicin entfchied und 1820 die Doctorwürbde erwarb. Nachdem er fich zu Leipzig und Berlin 
bis 1822 weiter ausgebildet, habifitirte er fi) 1824 als Privatdocent an erfterer Univerfität, 
wurde jedoch 1825 als außerordentlicher Profeffor nach Berlin berufen, von wo er 1828 alt 
ordentlicher Profeffor nad Bonn verfegt wurde. N. gehört dafelbft zu den ausgezeichnetſten 
Lehrern ber mebicinifchen Facultät und hat fich nicht allein durch feine ausgebreiteten Kenntniffe, 
fondern auch durch feine Unparteilichkeit und die Lebendigkeit feines Vortrags die vollfte Aner- 
kennung erworben. Während ber legten Kebensjahre Naſſe's nahm er an der Zeitung ber pro⸗ 
päbentifchen Klinik Antheil; nach des Benannten Tode erhielt er die Direction des gefammten 
Minifchen Inſtituts. Am Krantenbette tft fein Wirkungskreis ein höchft beachtenswerther. Seine 
Hauptwerke find das „Handbuch ber mebicinifchen init’ (Bd. 1—8, Berl. 1829-39; 2. 
Aufl, Bb. 1, Berl. 1848), die „Bathogenie” (Bd.1—3, Berl. 1841—45) und die „Allges 
meine Pathologie und Therapie” (Bd. 1, Berl. 1851). In dem letztern Werke hat N. die Ber 
trachtung krankhafter Lebens zuſtande zum Theil auf diejenigen phyſiologiſchen Folgerungen 
zurückgeführt, die er ſchon früher in den „Problemen der Phyſiologie“ (Bonn 1835) entmwidelt 
hatte. Zu denfelben gehören unter Anderm die wichtigen Gefege, daß die Primitivfäden dee 
Nerven nit in ihrem Verlaufe, fondern lediglich in ihren Urfprungsftellen ihre Ernährungs» 
quellen haben und daß die vordbern Rückenmarksnerven nicht blos als motorifche, Tondern zunächſt 
als trophifche Nerven zu betrachten feien. Unter feinen übrigen Schriften find befonders hervor 


Kaumann (Emit) Naumburg 85 


en: „Kritiſche Unterfudhungen der allgemeinen Polaritätsgefege” (2ypz. 1822); „Hand- 
ber allgemeinen Semiotik“ (Berl. 1826); „Iheorie der praktifchen Heilkunde” (Bert. 
) „Berſuch eines phyfiologifchen Beweifes für bie infterblichkeit der Seele” (Bonn 1850); 
aphyſiſches in der Phyſiologie“ (Bonn 1848). 
inmann (Emil), deutfher Muſiker, Sohn des Worigen, geb. 8. Sept. 1827 zu Ber- 
vibmete ſich unter Zuflimmung Mendelsfohn’s frühzeitig der Tonkunſt und hatte das 
„ den Unterricht dieſes Meiſters bis zu feinem Tode zu genießen. Sein erfteß größerek 
‚ das Oratorium „Chriftus ber Friedensbote“ gelangte feit Dec. 1848 erſt zu Dresden, 
1849 aud in Berlin zur Aufführung. In Folge einer Abhandlung, die Umgeftaltung 
oteft. Kirchenmuſik betreffend, welche Alerander von Humboldt dem Könige von Preußen 
efen, ward N. al Hofkirchenmufikdirector am Lönigl. Domchor-Inftitut angeftellt. In 
Gigenfhaft hat er bereits über zwanzig a capella componirte Pſalmen geliefert, welche 
me übrigen Compofitionen beifällige Anerkennung gefunden haben. Unter denfelben ift noch 
1852 zu Dresden und Berlin aufgeführten großen Meffe zu gedenken, zu der ihn 1851 
teife nach Rom begeiftert hatte. 
aumburg an ber Saale, Handels⸗, Stiftd- und Kreisftadt im preuß. Regierungsbezirk 
eburg, in anmuthiger Gegend, drei Viertelftunden ſüdöſtlich vom Einfluß der Unftrut 
-Gaale. Bier lag einft die Stadt Sena, deren Stelle jegt das Dorf Großjena einnimmt, 
Stammfig Eckard's I., Markgrafen von Meißen und Thüringen (982— 1002), der bie 
Hm benannte Eckardsburg und auf ber Stelle, mo jegt das Appellationsgerichtögebäude 
bie Neuenburg erbaute, fo geheifen im Begenfage zu der über dem Dorf Allmrich einft 
lichen Altenburg. In der Nähe diefer Neuenburg, von der die jegige Stadt den Namen 
gründete Markgraf Edard eine den Apofteln Petrus und Paulus von ıhm geweihte 
firdde und ein dem heil. Georg zugeeignetes Benebictinerklofter. Der Schug, den bie 
—A Umwohnern gewährte, ſowie die angenehme Lage derſelben, führte noch zu 
d's Lebzeiten viele Anfiebler hieher, und ſchon unter Eckard's Söhnen war N., welches 
a das Stadtrecht erhalten hatte, fo bedeutend, daß ber Sig bes bisher in Zeig leben- 
iſchofs 1028 dahin verlegt werden Eonnte. Nach diefer Verlegung wurde der Aufbau der 
ckard begonnenen Stiftskirche aufgegeben und der Neubau einer Domkirche nad) einem 
rtigern Plane befchloffen und fortgeführt, ſodaß ſchon 20 J. darauf der Gottesdienſt in 
ven beginnen konnte. Aber erft in der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. wurde diefer Bau 
Aſchofe Dieterich in feinen Haupttheilen zum Schluffe gebracht, und ihre drei Thürme 
einem vierten wurde nur ber Grundbau ausgeführt) erft 1549 vollendet. N. ift der Sig 
sotefl. Domcapiteld Naumburg-Zeig, feit 1816 der eine Obergerichts (Appellations- 
8), eines Kreidgerichte, Landrath«, Hauptfteuer- und Grenzpoſtamts, beögleichen einer 
intendentur. Es befteht aus ber eigentlichen Stabt, ber fogenannten Herrenfreiheit und 
torflädten und hat gegen 14000 E. Sehenswerth find die [chon erwähnte Domkirche in 
Stile, in der ſich viele Denkmäler altdeutfcher Kunft an Statuen, Schnig- und Gußwer⸗ 
Jemälden u. dgl.befinden, und das alte Schloß am Markte, erbaut für Herzog Moris von 
en- Zeig, ber von 1656 — 63 hier refidirte. In neuerer Zeit benugte daſſelbe eine Zeit lang 
auptſteueramt als feinen Sig und als Packhof, jegt hat man einen Theil deſſelben dem 
zerichte eingeräumt. Außer dent! Dom bat die Stadt noch vier Pfarrkirchen; ferner ein 
iafium, die Domfchule, mit der 1808 die lat. Stadtſchule, aus der dann bie noch beſte⸗ 
Bürgerſchule hervorging, vereinigt wurde; ein Waiſen ⸗ und ein Armenhaus; vier Ho8- 
, von denen das vor dem Salzthore gelegene jegt zu einer Kleinkinderbewahranſtalt ein- 
er iſt. NE Einwohner befchäftigen fih mit der Fabrikation von Wollenzeug, Leder, 
sen, Strümpfen, Bleiweiß, Vitriol und Seife umd treiben Handel. Jährlich wird in”. 
om Kaiſer Marimilian 1514 privilegirte Meſſe gehalten, die von den fchon erwähnten 
nen der Domkirche den Namen der Petri-Paulmeffe führt. Im J. 1818 wurde ber Stadt 
veite, Wintermeſſe, bewilligt, die jedody nicht von langem Beftande war. Einen nicht ganz 
eutenden Danbelsartifel gewährt ber Wein, welcher um N. wächft, namentlich ber rothe, 
r für beffer gilt als der weiße und häufig für franzofifchen verkauft wird. Das jährliche 
cfeft, das Huffiten- oder Kirfchfeft, fol feine Entftehung dem Angriff der Huffiten auf 
abt unter Procopius (28. Juli 1432) verdanken. Der Biſchof von N, von God, habe 
ch in Koſtnitz für Huß' Tod geſtimmt, Procopins aber dafür die Stadt zu zerfioren 
rt. Auf den Rath eines Bürgers, des Viertelmeifterd Wolf, feien daher ſämmtliche Kin- 
Sterbekleidern, eine Gitrone und einen grünen Zweig in der Hand, aus der Stadt ge» 


88 Navigationsgeſetz 


des oberſten Admiralitätsraths geworden, als 1808 ber Invaſionskrieg ausbrach. Da er von 
der franz. Partei keine Anſtellung annehmen wollte, ſo ging er nach Sevilla und dann nach 
Cadiz, wo er bis zur Reſtauration blieb. Auch nach der Reſtauration beſchränkte er ſich meiſt 
auf feine gelehrten Arbeiten, namentlich für die Akademie, deren Mitglied er mar. So gab er 
1819 die Biographie des Cervantes (f.d.) ald Anhang zu der neuen Auflage bes von ber königl. 
Atademie beforgten „Don Quixote” heraus. In den 3. 1820—25 wurde er von den Cortes 
zum flimmführenten Mitgliebe mehrer Junten und vom Könige zum Director des — 
phiſchen Inſtituts ernannt. Seit 1825 war er Mitglied der Directionsjunta ber koönigl 
maba und 1834 wurde er ald Dekan derfelben zum Rathe von Gaftilien und Indien für bie 
Section der Marine und zum Procer des Reiche, ſowie nach der Revolution von La Granja 
1837 zum Senator und Director der Akademie ber Befchichte ernannt. Dabei unternahm er 
die Herausgabe der „Coleccion de los viajes y des cubrimienlos, que hicieron los espaüo- 
les desde fines del siglo XV” (5 Bde., Madr. 1857). Diefes Werk zeichnet ſich durch bie 
Maſſen neuen Materiald und bie befonnene kritifche Verarbeitung derfelben fo jehr aus, daß 
Xler. von Humboldt es feit Mufozg’ „Gefchichte der Neuen Welt“ für die wichtigite Erfchei- 
nung in diefem Gebiete erflärte. Die eriten Bände, die Reifen ded Columbus und feiner 
Gefährten enthaltend, wurden auch ins Franzöfifche überfegt (Yar. 1828), und hauptfächlid 
nach den darin niedergelegten Forſchungen fchrieb Wafhington Irving feinen „Columbus und 
deffen Gefährten“. N, ftarb im Det. 1844 und hinterließ außer der Fortfegung des zuletzt ge- 
nannten Werks Vorarbeiten zu einer „Biblioteca de escritores mariuos espaüoles”. 
Navigationsgefeg oder Ravigationsacte hieß das Geſetz, welches das republikaniſche 
engl. Parlament 9. Det. 1651 zur Forderung der brit. Schiffahrt erließ. Daffelbe war haupt 
fächlich gegen die Holländer gerichtet, die faft alle Frachtfahrt ber Belt an fich gerifien hatten. 
Diefe Acte beftimmte: 1) daß alle in Aſien, Afrika oder Amerika erzeugten oder verfertigten 
Waaren nur durch brit. Schiffe nady England, Irland und den brit. Golonien direct und ohne 
bie Ladung wo anders zu vervollfländigen, follten verführt werden können; 2) daß alle in jebem 
eucop. Lande erzeugten ober verfertigten Waaren nur in brit. oder folden Schiffen in Großbri⸗ 
tannien follsen eingeführt werben Tonnen, welche das Eigenthum bes Landes wären, moher bie 
Waaren rübrten oder von wo fie ausgeführt wurden. Das waren die Hauptbeſtimmungen bie 
fer Acte, welche auch von dem königl. Parlament, welches dem Srommell’ichen folgte, ange, 
nemmen wurde. Doc beſchränkte man dabei bie legtere Beſtimmung dahin, daß fie nur bei 
Waaren aus Rußland oder aus der Türkei und bei gewiflen Artikeln anwendbar fein folle, die 
im Handel feitbem al® „enumerated articles” bezeichnet wurden, während alle andern Artikel 
in Schiffen jeder Art eingeführt werden konnten. In der Hauptfache wurde indeffen hierdurch 
wenig geändert, da alle Hauptartikel unter den „enumerated” ſich befanden. Bald glaubte 
man fogar Durch biefe Abänderung zu weit gegangen zu fein und verbot nun, hauptſächlich mit 
Rüdficht auf Holland, alle Einfuhr aus diefem Lande, den Niederlanden und Deutſchland unter 
jedem Verhältnifje oder in jebem Schiffe, britifchem oder fremden, bei Strafe der Eonfiscation 
bes Schiffs und der Waaren. Obfchon diefe außerordentliche Strenge fpäter gemäßigt warb, 
blieben doch die Dauptbeflimmungen bis zu den neuerlichen Änderungen in ihrer vollen Kraft. 
Im 3. 1787 erließen die Vereinigten Staaten von Nordamerika ein der brit. Navigationsacte . 
wörtlich entiehntes und als Repreffalie angekündigtes Geſetz. Auch die nordifchen Mächte droh⸗ 
ten in gleicher Weiſe zu verfahren. Daher wurde die engl. Navigationsacte 1821 und 1825 
durch neue Befege und durch Die Annahme des fogenannten Neciprocitätsfgftems weſentlich ge» 
mildert und ber Verkehr aller mit England im Frieden Iebenden europ. Länder auf gleichen Fuß 
gefegt. Der Uneerſchied zwiſchen enumerated- und non-enumerated-IBaaren beftand zwar 
fort; allein fie konnten nun fowol im brit. wie in Schiffen des Landes, wo fie erzeugt waren, und 
in Schiffen des Landes, das fie ausführte, eingeführt werben. In Bolge der großen durch Peel 
eingeleiteten Reformen der gefammten engl. Handelspolitik, wodurch das bisherige Schug- 
ſyſtem fo gut wie aufgegeben und der Übergang zum völligen Freihandels ſyſtem angebahnt warb, 
mußten aud) die Schiffahrtögefege eine weitere Umgeftaltung erfahren. So legte denn 15. Ron. 
1848 das Minifterium Nuffel dem Parlamente durch den Handelsminifter Labouchere eine 
Bi vor, wonach alle noch übrigen Beſtimmungen der Navigationsacte, mit alleiniger Ausnahme 
ber Beſchränkungen ber Küſtenſchifſabrt und ber Fiſcherei zu Gunſten des einheimiſchen Ge⸗ 
werbes, gänzlich aufgehoben wurden. Doc, behielt ſich die Regierung vor, gegen ſolche Länder, 
weiche die engl. Schiffe nachtheilig behandeln würden, Repreffalien eintreten zu laffen. Trop 
der heftigen Oppofition ber ſchutzöllneriſchen Partei ging der Vorfchlag mit großer Mehrheit 


Raviub Nazarener &8 


m Unterhaufe Durch ; doch konnten die Verhandlungen darüber wegen des nahen Echluffes der 
Beifion nicht zu Ende gebracht werden. In der folgenden Seffion wurde der Vorfchlag erneuert. 
Das Minifterium Hatte unterbeflen von den fremden Staaten Erkundigungen wegen ber zu er» 
nartenden Begenfeitigkeit eingezogen und diefe war günſtig ausgefallen. Die Bil paffirte das - 
Interhaus, wenn fchon mit ſchwächerer Majorität alt das erfte mal; im Dberhaufe erlangte fie 
ine Stimmenmehrheit von nicht mehr als gehn, und diefes nur darum, weil ein Toryminiſte⸗ 
dum nad ber ganzen politifchen Conftellation unmöglidy war. Die Mafregel der Aufhebung 
ver Ravigationdgefege hat fich burch die feitbem gemachten Erfahrungen als eine durchaus 
ichtige und für das eigene Intereffe des Landes günftige erwiefen. 

Naävius (Enejus), einer der älteften rom. Dichter, aus Campanien, von Geburt ein Grieche, 
rat, nachdem er während des erften Yunifchen Kriegs im römiſchen Heere gedient hatte, 255 
. Chr. in Rom ald Zrauerfpieldichter auf, fcheint fid) aber durch feine Luftfpiele, die er, wie 
eins Andronicus und Ennius, nach griech. Mufter bearbeitete, größern Ruhm erworben zu 
mben, und werfuchte fich zulegt auch in einem epifchen, im faturninifchen Versmaße verfaßten 
Bedichte „De bello Punico”. In Folge des Haffes, den er ſich durch feinen ausgelafienen und 
yerfönlicden Spott von Seiten der rom. Großen zugezogen hatte, mußte er nach Utica flüchten, 
vo er 204 v. Chr. ftarb. Die ziemlich unbedeutenden Bruchſtücke feiner Dichtungen find ge 
[ammelt in Bothe’s „‚Poetarum Latinorum scenicorum fragmenta” (Bd. 2, Halberft. 1824) 
md von Glufmann (Jena 1843). 

Harob, jegt Rarid oder Arid, in den älteften Zeiten Dia und Strongyle genannt, die größt⸗ 
ee GyPlabden (f. d.), zählt auf einem Flächenraum von 5, AM. etwa 15000 €. Sie hat fteile 
fer, wird von hoben, faft überall bewaldeten Bergen durchfchnitten, welche mit Thälern wech⸗ 
ein, und iſt ziemlich gut bewäſſert. Der höchſte Berg heißt jegt Dia ober Berg des Zeus, er⸗ 
ebt fi 3000 $. über das Meer umd hat am mwefllichen Abhange eine Tropfſteinhöhle. Auf 
einein Gipfel überficht man 22 Infeln. In der Nähe fteht der fogenannte Thurm des Achu⸗ 
es, ein runder, 50 $. hoher Thurm aus Marmorblöden, wohl erhalten; die Mauer ift drei $. 
ick unb ber innere Raum mißt 23 F.; an denfelben fchließt ſich eingroßer Bob ; inber Nähe 
ind helleniſche Gräber. Die Haupterzeugniffe der Infel beſtehen in Wein, DI, Getreide, Obſt, 
Süsfrüchten aller Art, Holz, Schmirgel und Baufteinen. Dody find Aderbau, Induftrie und 
dandel noch fehr unbedeutend. Im Alterthume war fie berühmt durch ihre auferorbentliche 
Iruchtbarkeit und durch den Mytbus vom Bacchus, dem dafelbft Tempel und Altäre errichtet 
mb Die vorzüglichften Feſte gefeiert wurden, ſowie durch das Schickſal der Ariabne (f. d.). Be⸗ 
anne war fie in fehr frühen Zeiten auch wegen einer Art Marmor, Ophaltes oder Dphite ge- 
annt, ber an der Zuft ſich mehr und mehr verhärtend und dann fehr dauerhaft, vielfach benugt 
mırde. Die erfien Bewohner der Infel waren der Sage nach Thrazier, die fpäter von Theffa- 
wen unter Anführung des Dtus und Ephialtes unterjocht wurden. Die Theſſalier aber wan⸗ 
erten wegen anhaltender Dürre aus, und es ließen ſich nun, bald nach dem Trojanifchen Kriege, 
karier bafelbft nieder, deren Anführer Napos geheißen und der Infel ben Namen gegeben ha⸗ 
en foll. Ben Pififtratus ber Derrfchaft der Urhener unterworfen, erlangte N. nach deſſen 
Eode feine Freiheit wieder und wurde außerordentlich blühend, theilte jedoch bald das Schickſal 
ver areiften Infeln des Archipelagus, indem es umter bie Öberherrfchaft der Perſer gerierh. Als 
Hefe indeſſen unter Zerxes das eigentliche Griechenland zu unterjochen verfuchten, benugten bie 
Ragier dieſe Gelegenheit, um in den Schlachten bei Salamis (f.d.) und Ylatää (f. d.) auch ihre 
Freiheit zu begründen. Während des Mithridatifchen Kriegs wurde die Infel von din Römern 
zobert. Dann untermwarf fie der Triumvir Antonius dem Protectorat der Nhodier, entzog fie 
cdoch biefen bald wieder, als fie daffelbe zu fehr misbrauchten. &o blieb N. in einem Zuftande 
ver Freiheit biß zu den Zeiten Vespaſian's, der fie zu einer rom. Provinz ſchlug. Hierauf folgte 
ie den Schidfale bes oftrom. Kaiſerthums und fand nach dem Sturze deffelben, wie die übri⸗ 
vn Infeln des Archipelagus, unter dev Oberberrfchaft der Türken, bis fie dem freien Griechen- 
and einverleibt wurde. — Die gleichnamige Hauptftadt ber Infel, Raros, mit etwa 4000 E., 
inee Kachedrale und einem feften Schloffe, ift der Sig eines griech. und eines Bath. Bifchofs. In 
brer Nähe auf einem Bleinen Eilande finden fich bei ber Quelle Ariadne noch die Trümmer 
ines Bacchustempels. Vgl. Engel, „Quaestiones Naxiae” (Gött. 1835). | 

Nazarkner, Nazaraer oder Razoraer wurden bei Juden und Heiden in den erften Jahr« 
hunderten alle Chriſten ohne Unterfchieb (von Nazareth), nicht aber, wie man oft gemeint Hat, die 
Jnbenchriften genannt; vielmehr war fürbie Legtern bei den Juden die fpecielle Benennung Mi⸗ 
nier, d.h. Abtrünnige, und beiden Heibenchriften der Ausdruck Ebioniten üblich. Erft allmä⸗ 


90 Razareth Neander (Joh. Aug. Wild.) 


ligging der Rame auf die judaifirenden Parteien in der Kirche über und wurde feit Epiphanius 
und Hieronymus auf diefenige Claſſe von Judenchriſten beſchränkt, bie im Gegenſatze zu den 
firengern Ebioniten das mofaifche Gefeg blos für Judenchriften verbindlich hielten. Höchſt 
wahrfcheinlich find fie aus den Flüchtlingen hervorgegangen, die fich zur Zeit des jüdifchen Kriegs 
von Serufalem nad) Pella begaben. Hier, auch zu Kolaba jenfeit des Jordan und zu Bersa 
in Niederfyrien hatten fie ihren Hauptfig. Ihre Lehre war ein Gemifch von Juden⸗ und Chri⸗ 
ſtenthum. Sie erfannten den Kanon des Alten Teſtaments als echt an, verwarfen aber ben des 
Neuen Teftaments und hatten unter dem Namen des Matthäus ein eigenes Evangelium, dem 
fie göttliches Anfehen beilegten. Den Apoftel Paulus verehrten fie ald Heidenapoftel. Ihr 
Evangelium, das nach Hieronymus hebräifch geſchrieben war, heißt auch das „Evangelium ber 
Hebraͤer“. Über ihre Lehre in Betreff der Gottheit Jeſu widerſprechen ſich bie Nachrichten. Nach 
Epiphanius hat man keine Gewißheit darüber, ob die Nazarener in Jeſus einen Dienfchen oder 
Gott erkannt hätten; dagegen behaupten Drigenes, Dieronymus und Yuguftin, daß fie Jefus 
ale Gottes Sohn anfahen, und die Zeugniffe diefer Kirchenlehrer erfcheinen glaubwürdiger als 
die Angabe Theodoret’6, nach welcher Die Nazarener Jeſus nur als einen gerechten Menfchen 
verehrt haben. Sie beobachteten die Befchneibung, felerten den Sabbath und den Sonntag, 
hielten die Zaufe und das Abendmahl und beftanden bis in bas 7. Jahrh. In Afien gibt e6 
jest noch Chriften, welche den Namen Nazarener führen. — Von den alten Nazarenern find bie 
Nazoräer oder Zabier (. d.) zu unterfcheiden, deren Überrefte noch jegt in Perſien ſich vorfinden. 

azäreth, ein Lanbftädtchen oder Dorf in Galiläa, im alten Stammgebiete Sebulon, lag 
(nad Luc. 4,29) auf einem Hügel und war der bekannte Aufenthaltsort der Altern Jeſu, fo 
wie der Erziehungsort deffelben. Da die Bewohner diefes Orts, wie die Balilier überhaupt, 
bei den Juben verachtet waren, wurde Jeſus ſpottweiſe ber Naxarener genannt. Im Xrabifchen 
beißen die Chriften heute noch die Nafära. Während der erften Jahrhunderte n. Chr, war 
‚NR. nur von Juden bewohnt, fpäter aber, namentlich feit den Kreuzzügen, gelangte es immer 
mehr als Wallfahrtdort, der fo bedeutende Erinnerungen an ſich knüpfte, bei den Chriften zu 
Unfehen, und bie neue Stadt N. (im Arabiſchen an-Näszira), welche am Abhange eines 
Berges liegt, hat gegen 3000 E., von denen zwei Drittel Chriften find. Das größte und maf- 
ſivſte Gebäude im Drte ift das Tat. Klofter, das fchonfte in ganz Paläſtina. 

Neander (Dan. Amadeus), evang. Biſchof und preuf. Eonfiftorialrath, geb. zu Lenge⸗ 
feld im ſächſ. Erzgebirge 17. Nov. 1775, befuchte das Gymnaſium zu Chemnig und die Uni⸗ 
verfität zu Leipzig und wurde hierauf Erzieher in Dresden, 1805 aber Pfarrer zu Flemmingen 
bei Naumburg. Erſt 1817 durch die Berufung ald Pfarrer und Superintendent, Conſiſtorial⸗ 
rath und Vorſteher des theologifchen Seminars zu Merfeburg eröffnete ſich ihm ein erweiterter 
Wirkungskreis. Hierauf folgte er 1825 dem Rufe als wirklicher Oberconfiftorialrarh, Mitglied 
der erften Abtheilung des Minifteriums der geiftlichen, Unterrichts und Medicinalangelegen- 
beiten, Propſt und Pfarrer an Hanſtein's Stelle nad) Berlin. Im 9. 1829 wurbe er erfter 
Seneralfuperintendent der Provinz Brandenburg und Director des Sonfiftoriums, 1830 zur 
Würde eines Biſchofs der evang. Kirche erhoben und im Nov. 1831 Mitglied des Staatsraths. 
Auf alle diefe vielfachen Gefchäftskreife wußte ex ein gleiches Maß von Kräften zu vertheilen 
und fo jeden berfelben tüchtig auszufüllen. Auf feinen Wunſch ward N. 1853 von ber Ver 
waltung der Generalfuperintendentur und von ben Gefchäften bei dem Conſiſtorium entbunden. 
Bei diefer Gelegenheit erhielt ex den Rothen Adlerorden erfter Claſſe mit Eichenlaub. Hinſicht⸗ 
lich feiner religiöfen Anfichten gehört er der fogenannten fupernaturaliftifhen Schule an. Als 
Schriftfteller trat er zuerft hervor mit bem in pfochologifcher Beziehung intereffanten Bude: 
„Die erfte merkwürdige Selftererfcheinung des 19. Jahrh.“ (Dresd. 1804). Außer mehren 
Caſualpredigten iſt zu gedenken feiner „Predigten über auserlefene Stellen der Heiligen Schrift“ 
(2 Bde., Berl. 1826), die dur Klarheit des Gedankens und Gediegenheit der Form fi 
auszeichnen. Mit Bretfchneiber und Golbhorn gab er das „Journal für Prediger” heraus. 

Neander (Joh. Aug. Wilh.), ausgezeichneter proteft. Theolog, geb. zu Göttingen 16. Jan. 
1789 von jüd. Altern, verlebte den größten Theil feiner Jugend in Hamburg, wo er das Gym⸗ 
nafium und Johanneum befuchte. Nachdem er fi) zum Chriftenthum bekannt, ftudirte er feit 
41806 in Halle und in Göttingen. Im J. 1811 Habilitirte er fich in Heidelberg und wurde hier 
1812 auferorbentliher Profeffor ber Theologie. Noch in demfelben Jahre folgte er dem Rufe 
an die Univerfität zu Berlin, wo er ununterbrochen ſowol für die Kirche wie für die Wiffen- 
ſchaft und insbefondere für bie akademiſche Jugend fegensreich gewirkt hat. Er ftarb 14. Juli 
1850. Schon in feiner erfien Schrift „Uber ben Kaifer Zufianus und fein Zeitalter” (Xpz. 


Neupel (Königreich) Neapel (Stadt) 9 


1812) kündigte er fi als Meifter in dieſem Zweige der Rirchengefchichte an. Diefenı Werke 
folgten: „Der heil. Bernhard und fein Zeitalter” (Bert. 1813); „Genetifhe Entwidelung 
der vornehmften gnoftifchen Syfteme” (Berl. 1818) ; „Der heil. Chryfoftomus und die Kirche, 
beſonders des Drients, in deffen Zeitalter” (2 Bde., Berl. 1821 — 22; 3. Aufl., 1849); 
„Antignofticus. Geift des Zertullianus-und Einleitung in deffen Schriften” (Berl. 1826; 
2 Aufl., 1849), das Ergebniß vieljähriger Studien. In feinen „Denkwürdigkeiten aus der 
Geſchichte des Chriftenthums und des chriftlichen Lebens” (3 Bde., Berl. 1822; 5. Aufl., 1845 
— 46), die aber nur bis auf bie Zeiten des Ansgar reichen, fuchte er den Raien das aus der Kir⸗ 
hengefchichte befonders Wichtige mitzutheilen. Alle diefe Schriften waren indeffen nur Vor⸗ 
orbeiten zu feiner „Allgemeinen Geſchichte ber chriftlichen Religion und Kirche” (Bd. 1—6, in 
11 Abteilungen, Hamb. 1825— 52; Bd. 1 und 2, 2. Auft., 1842— 43). Eine Darftellung 
des Entwidelungsgangs ber dhriftlichen Religion und Kirche im apoftolifchen Zeitalter gab er 
fodann in der „Geſchichte der Pflanzung und Leitung der Kirche durch die Apoftel’’ (2 Bbde,, 
Hamb. 1852 — 35; 4. Aufl., 1847). Gegen Strauß fchrieb er „Das Leben Jeſu Chriſti in fei- 
nem geſchichtlichen Zuſammenhange“ (Hamb. 1837; 5.Aufl., 1855). Auch feine „Kleinen Ge- 
legenheits ſchriften“, meift praktifch-chriftlichen und Hiftorifch-eregerifchen Inhalts, die urfprüng- 
hy Programme für die Feier der berliner Bibelgefelfchaft waren, vereinigte er in einer 
Eammlung (3. Aufl., Berl. 1829); feine „Wiffenfchaftlihen Abhandlungen” (Berl. 1851) 
gab Jacobi heraus. Ns Borlefungen. an der Univerfität erftreckten ſich über alle Zweige ber hi⸗ 
ftorifchen Theologie. Seine Wirkſamkeit als Mitglied des Conſiſtoriums ber Provinz Branden- 
burg umfaßte vorzüglich die theologifchen Prüfungen. Obſchon von ſchwankender Gefundheit, 
widmete er alle Zeit, die ihm Berufd- und literarifche Arbeiten übrig ließen, dem Unigange der 
ibm mit Kiebe ergebenen theologifchen Sugent. 

Neapel (Konigreich), ſ. Sicilien (Königreich beider). 

Neapel (ital. Napoli), das alte Neapolis (ſ. d.) die Haupt- und Neſidenzſtadt des König⸗ 
reichs beider Sicilien in der Landſchaft Terra⸗di⸗Lavoro, an dem ſchönen Golf von Neapel, den 
im N. das Vorgebirge Miſeno, im S. das Vorgebirge Campanella und die Inſeln Capri, Ischia 
und Procida umſchließen, zeichnet ſich durch dieſe ſeine Lage vor allen andern Seeſtädten aus 
und läßt ſich nur etwa mit Konſtantinopel, Genua und Liſſabon vergleichen. Sie iſt eine der 
ſchonſten Städte Italiens und zugleich die volkreichſte. Sie hat gegen fünf Meilen im Umfange, 
zahle über 50000 Häufer, ift meder ummauert noch mit Thoren verfehen und in zwölf Diftricte 
geteilt. Die Zahl der Einwohner war 1851 auf A16475 geftiegen. Die Straßen find durch⸗ 
gehends mit Lava gepflaftert, aber freilich zum größten Theil eng und winkelig, die Häufer fünf 
bis ſechs Stod hoch, mit Balconen und platten Dächern verfehen. Die größte und prächtigfie 
unter allen Straßen ift Die Straße Toledo, wo fortwährend ein furdhtbares Gewühl von Men- 
(denmaffen ftattfindet. In den längs bem Deere ſich erfiredenden Strafen Sta.⸗Lucia und 
Chiaſa wohnt und bewegt ſich, zumal des Abends, die vornehme Welt; befonders enthält die 
mit drei Baumreihen, einer Menge Statuen, Nafenplägen und Terraſſen gezierte Straße 
Chiaja fehr viele ftattliche Waläfte, vor denen unmittelbar am Meere die Villa reale, ein königl. 
Garten, ſich Hinzieht, in welchem die berühmte Gruppe des Farneſe'ſchen Stiers fteht. Unter 
den öffentlichen Plägen (Rarghi), die aber alle von feiner Negelmäßigkeit find, find die ſchönſten 
der Largo di Saftello beim königl. Palaſte, mit mehren Springbrunnen, der gemöhnliche Schau» 
dlatz aller Volksfeſte; der Largo Bi Monte Dliveto mit einem ſchönen Epringbrumnen und ber 
Statue Karls II. von Bronze; der Largo dello Spirito fanto, nahe an ber Straße Toledo, mit 
einem halbrunden, durch 26 Statuen verzierten Prachtgebäude au Ehren Karl's III., und der 
größte von allen, der Largo del Mercato, auf welchem Konradin von Hohenftaufen enthauptet 
wurde. Won den ſechs Kaftellen, die N. befigt, find St.-Elmo, welches eine regelmäßige ſechs⸗ 
edige Sternfchanze auf einem Hügel über der Stadt, mit in Felfen gehauenen Graben, Minen, 
Kaſernen und unterirdifchen Gewölben bildet, die Stadt von ber Landſeite vertheidigt und zu⸗ 
gleich mit feinen Kanonen im Zaume hält; ferner das Caſtello nuovo, am Hafen bei dem königl. 
Palaſte, welches die Stadt von der Seefeite oftlich, und das Eaftello dell’ Uovo, auf einer Erd» 
junge im Deere gelegen, welches fie von der weftlichen Seite her fchügt, die bedeutendften. Die 
Eradt bat verhälmifmäßig wenig Denkmale der Baukunſt, und die etwa vorhandenen find, mit 
einziger Ausnahme bes Finanzgebäudes in der Straße Toledo, von aufen und innen durch 
Uberladung, Echnörkeleien und unangemeffene Zuthaten eines entarteten Geſchmacks verunziert 
oder tragen durch Kahlheit und Einförmigkeit das Gepräge der Bebeutungslofigkeit an ſich. 
Unter die fehenswerthen Gebäude gehören das königl. Mefidenzfchloß, unmeit des Meere, am 


92 Neapel (Stabt) 


Ende der Strafe Xoledo, das wegen feiner Größe, Architektur des Srontifpice, feiner prächtigen 
Treppe, ber Pracht feiner Gemächer und feiner reich ausgeſchmückten Kapelle merkwürdig iſt; 
der Bönigl. Palaft Capo di Monte, mit entzüdender Ausſicht; dee ergbifchöfliche Palaſt, mit 
ſchönen Fresken von Lanfranco; das Recluſorio oder Armenhaus, das größte Gebäude der Stadt, 
mit vier Höfen und einer Kirche in der Mitte; der Palazzo degli Studi, mit dem Bourboniſchen 
Mufeum, der durch das Decret von 1816 königl. Allodialeigenthum ift, in defien unterm Ge⸗ 
fchoffe ſich die beften Wandgemälde und Mofaiten aus Herculanım und Pompefi, ſowie bie an- 
titen Statuen befinden, aus deren Menge wir blos den Barnefe'fchen Hercules, die Farneſe ſche 
Flora, die Venus Kallipygos, einen Ariſtides aus Herculanum, die Reiterftatuen ber beiben 
Balbus namhaft machen, und beffen zweites Stockwerk eine bedeutende Sammlung etrußfifcher 
Bafen, eine Gemäldegalerie, den Papyrusfaal, welcher bie berculanifchen Handfchriften nebfl 
der Anftalt zur Abwidelung derfelben, endlich die königl. Bibliothek mit 150000 Bänden und 
vielen feltenen Handſchriften umfaßt; ferner das fchon gebaute Theater San-Fernando, und vor 
allen das Theater San⸗Carlo, das größte Staliens, das 1816 abbrannte und von Niccolini 
wieberhergeftellt wurde, 165 Palmen breit und 330 lang iſt und ohne die den fechäten Bang 
bildende Galerie 142 Bogen enthält. Unter den 122 Kirchen, von denen feine ſich durch ihre 
Bauart auszeichnet, den 150 Kapellen und 149 Klöftern fteht oben an bie Kirche bed heil. Ja⸗ 
nuarius oder der Dom, von Niccolo Piſano 1299 erbaut, deffen urfprünglich goth. Charakter 
namentlich durch die Verfchönerungen bes Cardinals Caraffa mit Abfichtlichkeit getilgt iſt. Sie 
iſt die größte und zugleich reichfte Kirche der Stadt; ihr Eingang wird von zwei Porphyrfäulen 
geziert und das Gewölbe von 110 antiten Marmor- und Granitfäulen getragen. Unter ihrem 
Hauptaltar ruht der Körper des heil. Januarius, deffen Blut man in einer befondern Kapelle 
in zwei Flafchen aufbewahrt und da6 vor den Verwüſtungen des Veſuvs wie vor jeber andern 
Noth ſchützend, jährlich drei mal, 6. Mai, 19. Sept. und 16. Dec., flüffig wird. Won den übti- 
gen Kirchen find erwähnenswerth die Kirche il Gieſu nuovo, die wegen ihrer Kuppel berü 

ift; die Kloſterkirchen Sta.-Chidra mit Srabdbentmälern alter Familien von Anjou; San Do 
menico mit werthvollen Gemälden; San-Paolo, auf einem Tempel bes Caſtor und Pollur er» 
baut, defien Refte man an der Vorberfeite erblickt; San⸗Francesco di Paola, dem Pantheon in 
Rom nachgebilbet, deſſen fchöne, 200 F. hohe Kuppel von 34 Marmorfäulen getragen wirb 
und in deren Umkreiſe die koloſſalen Reiterftatuen Karl's III. gon Canova, und Ferdinand's L, 
von Righetti, aufgeftellt find; ferner Sta.-Maria bel Parto, zwar Hein, aber berühmt durch das 
Stab Sannazar's, und endlich Sti.-Apoftoli, auf den Reften eines Tempels des Mercur erbaut, 
eine der ſchönſten und reichften Kirchen ber Stadt. Unter dem Schuge der preuß. Geſandtſchaft 
gibt es auch eine deutfche evang. Gemeinde, die mit der dort beftehenden franzofifchen eine Kör⸗ 
perichaft bildet. Die Kapelle befindet fich im preuß. Geſandtſchaftshoͤtel. Eine befondere Merk 
würbigfeit find auch die in ben Bergen, an bie fich N. gegen Norden anlehnt, befindlichen Kata 
komben. Unter ben Privatpaläften verdienen in Bezug auf ihre Bauart Erwähnung ber des 
Prinzen von Salerno, des Prinzen Doria-Aingri, der Palaſt Maddalone und der Palaft ber 
Vicaria ober Gaftello Sapuano. Unter den wifjenfchaftlichen Anftalten find bemerkenswerth bie 
1224 von Friedrich II. geftiftete Univerfität mit Bibliothek und guten Sammlungen, doch we⸗ 
niger ihrer wiſſenſchaftlichen Leiſtungen als ihres Gebaͤudes wegen; die Sternwarte, von ge⸗ 
ſchliffener Lava, auf dem Hügel Capo di Monte; die Bibliothek Brancaccia, aus mehr denn 
50000 Bänden beſtehend und reich an Manufcripten, die Minifterialbibliochet, die Accademia 
Ercolanese di archeologia, das Confervatorium der Muſik, das Collegio reale zur Erziehung 
junger Edelleute, bie Marinefchule, die Polytechnifche Schule und das Chineſiſche Collegium, wo 
funge Chinefen zum geiftlichen Stande erzogen werden, um das Chriftenthum In ihrem Vater⸗ 
lande zu verbreiten. Unter den Wohlthätigkeitsanftalten, deren es mehr als 60 gibt, find zwei 
Spitäler, begli Incurabili, wo übrigens Kranke aller Art aufgenommen werden, und della An⸗ 
nunziata, welches fehr reich ift und meift Findlinge, weibliche Büßende u. f. w. aufnimmt, und 
das königl. Armenhaus Real albergo di poveri, mo die Regierung mit einem jährlichen Auf 
wande von 500000 Fres. an 6000 Kinder Unterricht in allen Künften und Handwerken erthei⸗ 
len läßt. Manufacturen und Fabriken find nur wenige vorhanden und der Handel ift, obgleich 
N. für den Mittelpunkt des Verkehrs und der Induftrie des Staats gilt, in den Händen der 
Fremden. Das Volk, dem Genuß und Reiz des Nichtsthuns hingegeben, fcheut jede Art ernfter 
Beſchäftigung und zieht es vor, müßig ben Erheiterungen durch Yulcinellen, Improvifatoren 
und Mufit Auge und Obr zu leihen. Der Adel ift größtentheild reich und prachtliebend ; un- 
ter den Bürgern herrſcht Wohlftand. Die völlig Unbemittelten der unterften Volksclaffe, die 


Neapolis Nebelbilder 98 


.d.), leben In der Regel müßig und ſorglos. Die Unfittlichkeit des Volkes ift in N. 
als in andern Hauptſtädten, und neben füblicher Leidenſchaftlichkeit und Heftigkeit 
ve die Tugenden der Mäßigkeit, Heiterkeit, Gutmürthigkeit und Treuherzigkeit. N.s 
ı find reich an Herrlichkeiten der Ratur, Kunft und unzähligen Überreften des Al⸗ 
E86 die merfwürbigften Punkte find zu erwähnen: der Berg Pofilippo oder Pauſi⸗ 
sit feiner merkwürdigen Grotte; der See von Agnano (f. d.); die Schwigbäber von 
no; die Hundsgrotte (f. d.); das vulkaniſche Thal Solfatara (f. d.); das reizende 
d.); ber Monte nuovo, welcher 1538 in eimer Nacht bei einem Erdbeben entftand ; 
che Gegend von Balä (f. d.) und ber Veſuv (f. d.); Herculanum (f. d.) und Pom- 
Pertici (f. d.) und Caſerta⸗nuova (f. b.). Die Stadt N. bildet einen eigenen Bezirk, 
om ber Provinz Xeapel, welche in drei Bezirke zerfällt und auf IEONM.440000 € 
ıd bie Provinz Terra⸗di⸗Lavoro in fünf Bezirken auf 117, AM. 750000 E. zählt. 
„„R. und die Reapolitaner” (2 Bde, Didenb. 1842). 
8, d. 5. die neue Stadt, eine Stabt Campaniens in Mittelitalien, wurde von Einwoh ⸗ 
mä (f. d.) und andern verwandten Griechen gegrünbet, und zwar vier röm. M. von 
tabt, die Baläpolis oder von einer dort göttlich verehrten Sirene Parthenope hieß, 
xios verſchwunden ift. Sie lag, nach Niebuhr's Unterfuchung, nicht fern vom Ein⸗ 
Rerzbufens von Puteoli oder bem heutigen Pozzuoli, am weſtlichen Abhange bes 
Ss Palapolis und N. im Alterthume noch beftanden, regierten fie ſich als einen 
ber Zerftörung der ältern Stabtim zweiten Samnitifchen Kriege, 326 — 304 v. Chr., 
8 Philo blieb N. eine anmuthige, durch griech. Gelehrſamkeit blühende Kolonie, 
sen weit beſchränktern Umfang als das jegige Neapel (f.d.), welches erſt im Mittel» 
rmalige Größe und Bebeutfamteit erhielt. 
6, ein berühmter Flottenführer Alexander's d. Gr., aus Amphipolis gebürtig, 
ud deſſen Feldzuge nach dem weſtlichen Indien 327—326 v. Chr. die Flotte vom 
urch das Erothräifche Meer in den Derfifchen Bufen und entdeckte auf diefer Fahrt 
sen des Euphrat und Tigris, während Alerander felbft mit dem größten Theile 
m Nückzug nad) Perfien zu Lande antrat. Die Brucftüde feines Reiſeberichts, 
Irrianuss (f. d.) erhalten hat, find am beften von Geier in ben „Alexandri histo- 
tores aslale suppares“ (Rpz. 1844) herausgegeben worden. 
ifen bie zumeilen über der Oberfläche der Erde fihtbar ſchwebenden Dünfte. Str 
erſchlag des Waſſerdampfes in der Luft. Da bei warmer Luft mehr Waſſerdampf 
ufgelöft fein kann als in kalter, fo muß, wenn die Luft fchon ziemlich mit Dämpfen 
jede Erniedrigung der Temperatur einen Nieberfchlag von Waflerdampf, alfo Ne 
Ebenfo entftehen Nebel, wenn über einem feuchten warmen Boben eine Pältere 
egt, indem die von erfterm auffteigenden Waſſerdämpfe in der Iegtern niedergefchla- 
Auf gleiche Reife entſtehen am Abend Nebel über Sümpfen, Slüffen und Seen, in- 
‚fee noch wärmer ift als die darüber befindliche Luft. Bilden die Nebel fi) am Mor» 
em fie, wenn die Sonne bei ihrem Auffteigen die Temperatur wieder hinlänglich er- 
fi. Mit den eigentlichen Nebeln ift der Höhenrauch (f. d.) nicht zu verwechſeln. 
[der (dissolving views) find eine in ber neuern Zeit beliebt geworbene optifche Be⸗ 
‚ England erfunden, in Deutſchland befonbers durch Döbler bekannt geworben. 
nma-Magica-Bilder, welche in Kolge der Unwendung ſtarker Linfengläfer und bet 
m Öydroogygengas - Beleuchtung in bedeutender Größe und Deutlichkeit auf einer 
inm. Durch allmälige Entfernung des auf Glas gemalten Bildes, welches fehr 
yet fein muß, können die Bilder aus dem Focus zum nebelhaften Verſchwimmen 
rt zum allmäligen Erſcheinen gebracht werden, nad) Belieben aus der tiefften Nacht 
auchen unb wieder verfchwinden, auch ſich allmälig vergrößern und verkleinern 
r nähern und entfernen. In der befchriebenen Weiſe waren alle biefe Effecte ſchon 
n ſogenannten Phantasmagorien benugt worden, nur nicht immer in gleicher 
Deutlichkeit der Bilder. Die neue Zugabe iſt die, daß man zwei magische Laternen 
richtung fo aufftelle, daß die Bilder beider ih genau beden. Man kann nım, 
‚eine Bild dafteht, das der andern Laterne mit ſchwacher Beleuchtung darauf fal- 
nd indem man nun die Beleuchtung des legtern allmälig verflärkt, bie des erflern 
t, entwickelt fi) aus dem erften durch einen nebelhaften Mittelzuftand hindurch 
ziid. Dies gibt dann vorzügliche Effecte, wenn beide aufeinander folgende Bilder 
nb, aber in verfchiedenen Jahreszeiten und mit verſchiedenen Staffagen barftellen. 


St Nebelflede 


Nebelflecke nennt man hellere Stellen, die man ganz getrennt von der Milchſtraße, mit ber 
waffneten und theilweiſe felbft mit bloßem Auge an vielen.Gegenden bes Himmels wahrnimmt. 
Man ann fie im Allgemeinen in zwei Elaffen theilen, nämlich in auflößliche Nebeiflede ober 
Sternhaufen und in unauflösliche oder eigentliche Nebelflede im engem Sinne. Bon ben er 
fleen kann man zwei, im Krebs (genannt die Krippe) und im Degengriffe bes Perfeus, yon mit 
bloßem Auge erfennen; in Bernröhren werben biefelben in eine große Menge von Sternen aufs 
gelöft und gehören alfo völlig in eine Kategorie mit den Plejaden und dem Haar ber Berenice, 
wo fchon das unbewaffnete Auge wenigftens die größern Sterne unterfcheiden ann. Viele Re 
beiflede find zwar noch nicht wirklich in Sterne aufgelöft worden, man hält fie aber dennoch für 
auflöslich, weil fe in ſtarken Fernröhren ebenfo erfcheinen wie aufgelöfte Nebelflede in ſchwa⸗ 
chen Fernröhren, welche fie noch unaufgelöft zeigen. Die Geftalt biefer Nebelflede ift ſehr ver 
fchieden; viele derfelben find aber kugelförmig und werben nach der Mitte zu dichter, fobaß man 
fie für ein einziges, durch das Band der Anziehung zufammengehaltenes Sternfoften halten 
muß, zu welchem oft 20000 und noch mehr Sterne gehören. Die Entfernung berfelben von 
ber Erde beträgt in vielen Fällen gewiß nicht unter 100000 Billionen Meilen, fobaß das Licht 
eine lange Reihe von Jahrtaufenden braucht, um von einem ſolchen Nebelflede zu uns zu kom⸗ 
men. Noch weit häufiger find Die Nebelflecke der zweiten Claſſe, die aller Wahrfcheinlichkeit nad 
ſtets auch für die ſtärkſten Fernröhre unauflösbar bleiben werben und nur aus einer dünnen, 
ſchwach leuchtenden Materie zu beftehen fcheinen, wiewol gegenmärtig ſehr allgemein angenom- 
men wird, daf auch fie aus fehr Heinen, aber noch entferntern Sternen beftehen. Herſchel hat 
etwa 200 Sternhaufen und auflösliche Nebelflede und 2300 eigentliche Nebelflecke beobachtet, 
welche legtere etwa 150 Quabdratgrabe einnehmen. Sept Eennt man über 3600 Nebelflede. 
Zuweilen zeigen ſolche Nebelflede glänzendere Stellen, die auf eine größere Dichtigkeit der leuch⸗ 
tenden Materie fließen laffen. Auf ein allmäliges, durch Akttraction bewirktes Zufammenbal- 
len derfelben deutet auch die rundliche oder ovale Form, welche fehr häufig vorkommt. Auch bie 
Nebelflecke diefer Art, unter denen der in der Andromeba mit bloßen Augen fichtbar iſt, müſſen 
von uns wenigftens fo entfernt al& die Firfterne fein, da man bisher an einem eine Parallare 
bemerkt hat. Merkwürdig ift übrigens, daß manche Gegenden des Himmels vorzüglich reich an 
Nebelflecken find und daß nicht felten zwei oder brei derfelben einen Doppelnebel bilden, d. 5. fe 
nahe beifammenftehen, daß fie ein einziges Syſtem zu bilden fcheinen. Noch find einige befondere 
Arten von Nebeifleden zu erwähnen, namentlich 1) bie planetarifchen Nebel (im Ganzen etwa 
25, von denen faft drei Viertel am füblichen Himmel), welche ſich durch ihre runbliche, regel- 
mäßige, fcharf begrenzte Geftalt und bie vollig gleichförmige Helligkeit auszeichnen, aber durch 
ihre außerordentliche Ausdehnung (oft Y. Minute und darüber im Durchmeffer), forte durch 
ihr viel matteres Kicht von den Sternen unterfcheiden ; 2) die ringförmigen Nebel, welche jeboch 
außerordentlich felten find (in der nördlichen Hemifphäre kennt man fieben) ; 3) die Nebelfterne, 
“welche in ber Mitte einen auffallend hellen Kern zeigen und das Anſehen eines Sterns haben, 
ber von einer nebeligen Hülle umgeben ift. Betrachtet man die Nebelflede im Allgemeinen als 
werbenbe, ſich allmälig ausbildende Weltkörper, ſo ſcheinen die Nebelfterne eine verhältnigmäßig 
höhere Stufe der Ausbildung erreicht zu haben. Sie find übrigens nody zu unterfcheiben von 
ſolchen Sternen, bie in der Umgebung eines Nebels erfcheinen, aber offenbar eigentliche Sterne 
find. Daß ein Nebelfled im Laufe der Zeit feine Geſtalt merklich verändert hätte, wie der ältere 
Herfchel von dem 1656 von Huyghens' entdeckten Nebelflede im Orion annahm, welcher durch 
feine Größe, Helligkeit und feltfame Geftalt zu den auffallmdften gehört, die man kennt, iſt nicht 
nachzumeifen. Hierbei ift freilich zu berudfichtigen, daß bie Nebelflecke exft feit Erfindung ber 
Fernröhre, alfo feit nicht viel mehr als zwei Jahrhunderten beobachtet worben find. Selbſt den 
mit bloßen Augen fihtbaren Nebelfled in der Andbromeda, welcher oval, "/; Grad breit und 15 
— 20 Minuten lang ift, ſcheint zuerft Simon Martus um 1612 beobachtet zu haben, und noch 
jpäter wurbe er öfter für einen Kometen gehalten, was Überhaupt bei vielen Nebelfledten ber Fal 
geweien ift. Erſt 1848 gelang ed dem amerik. Aſtronomen Bond, denfelben in (über 1500) 
Sternchen aufzulöfen. Erſt der ältere Herfchel (vor welchem nur 120 unaufgelöfte Nebelflede 
bekannt waren) hat die Erfcheinungen der Nebelflede von 1779 an mit einer Gründlichkeit und 
Vollſtändigkeit behandelt, welche Alles, was vor ihm über biefen Gegenſtand bekannt war, 
gänzlich in den Schatten ftellt. Sein Sohn, Sir John Herfchel, hat die vom Vater beobachteten 
Nebelfleke und Sternhaufen 1825— 33 einer neuen Mufterung unterworfen, die ältern Ver⸗ 
geichniffe durch 500 neue Gegenftände bereichert und 1835 einen vollftändigen Katalog von 
2507 Nebelfleden und Sternhaufen veröffentlicht. In den folgenden fünf Jahren (1834—38) 


- Rebelfierne Rebenplaneten 85 


Borgebirge ber guten Hoffnung mit einem 20füßigen Spiegelteleſtop ben ganzen bort 
Himmel durchforſcht umd jenen 2507 ein Verzeichniß von 1708 neuen Nebeifleden 
jt. Eine dritte Epoche in der Kenntniß diefer räthfelhaften Himmelskörper hat mit 
Hung bes großen 50füßigen Teleſkops des Grafen von Roffe zu Parfonstomn in Ir⸗ 
men, bucch das ſchon 1845 fofort über 40 bisher für unauflöslich gehaltene Nedel- 
ändig aufgelöft wurden, wonad John Herfchel vermuthet, daß zwiſchen Nebelfledten 
haufen fein wirklicher Unterfchied vorhanden fei. Den großen Nebelfled im Orion 
iſt jedoch noch nicht gelungen. Die größte Anhäufung von Nebelfleden findet fich 
lichen Hemifphäre, namentlich in ber Jungfrau. Am füdlichen Himmel enthält bie 
nifhe Wolke an 300 Nebelflede und 46 Sternhaufen. 

erne, f. Rebelflede. 
ins (Karl Friedr.), bad. Staatömann und ausgezeichneter Nationalötonnm, geb. 29. 
4 zu Rhodt bei Landau, befuchte 1793 — 1802 das Gymnafium zu Karlsruhe und 
1805 dieiniverfität zu Tübingen, wo erdie Rechte ftudirte. Sodann tourde er Advo⸗ 
ofgerichte in Raſtadt und 1807 Geh. Secretär im Finangdepartement. Im 3.1809 
it Empfehlungen des Minifters von Neigenftein nach Frankreich, um die franz. Ver⸗ 
men zu lernen. Nach feiner Zurüdtunft 1810 wurde er ald Kriegsrath zu Durlach, 
Finanzrath in Karlsruhe angeftellt, 1819 zum Geh. Referendar ernannt. Er hatte 
itheil an der bad. Verfafiungsurkunde, die von ihm zum Theil entworfen iſt, gewann 
ı bad. Landtag 1819 als Negierungscommiffar bei der Kammer durch weife Mäfi- 
enges Anſchließen an den nachmaligen Staatsminiſter Winter das allgemeine Ver⸗ 
> bewies fich außerordentlich thätig bei den erften Verfuchen zur Herftellung eines 
Ivereins in Süddeutfchland. Doch wollte es ihm nicht gelingen, auf dem Handels⸗ 
a Darmftadt feinen patriotifchen Anfichten den Sieg über momentane Intereffen zu 
, Mit Boch bearbeitete er das Steuerwefen. Er wurde nun zum Geh. Rath er- 
land der Sefeggebungscommiffion und Staatsrath, im Nov. 1835 jedoch der Vor⸗ 
bei der Sefeggebungscommilffton enthoben. Ein ganz entfchiedenes Werdienft er- 
> in diefer Zeit um Baden durch feine eifrige Thätigkeit für den Anfchluf des Landes 
atſchen Zollverein, wofür er fich auch in einer Schrift „Der Deutfche Zollverein, fein 
id feine Zukunft” (Karlsr. 1835) ausſprach. Nachher zum Director des Minifte 
Annern befördert, wurde er im April 1838 nach des Minifters Winter Tode Prä⸗- 
Dinifteriums des Innern. Indeß [yon im Dct. 1839 zog er fich in Folge der eintre- 
iction aus diefer Stellung zurüd, wobei fih im ganzen Lande bie lautefte Anerken⸗ 
e Verbdienfte zu erfennen gab. Um fo freudiger begrüßte man feine Ernennung von 
Regierung zum DMitgliede der erften Kammer 1843 und zum Präfidenten des Mini- 
ed Innern 1845, worauf er im März 1846 nad) dem Abtreten bes bisherigen Prä⸗ 
5 Staatsminifteriums, von Boch, auch zum Präfidenten des Staatsraths erhoben 
ı diefer Stellung nahm er an der im Raufe des 3. 1846 im liberalen Sinne modifi⸗ 
waltung Theil, bis die Revolution vom Mai 1849 das Minifterium zum Rüdtritt 
, Seitdem lebte N., von Staarögefchäften zurückgezogen, literarifchen Arbeiten und 
i den Verhandlungen uber die deutfche Verfaffungsreform in der Brofchüre „Baden 
tellung zur deutfchen Brage” (Karler.1850) öffentlich hervor. N. hat, neben feiner li- 
Berühmtheit imGebieteder Staatswirthfchaft, den wohlverbienten Ruf eines ebenfo 
n als humanen Staatömannes mit ins Privatleben genommen. Bon feinen ſtaats⸗ 
lichen Einfichten zeugen feine Schriften: „Betrachtungen über den Zuſtand Groß- 
8 in ſtaatswirthſchaftlicher Hinficht” (Karler. 1818); „Der öffentliche Credit“ (Karler. 
Kufl., 1829); „Über die Herabfegung der Zinfen der öffentlichen Schulden‘ (Gtuttg. 
Iber die Zölle des Deutfchen Zollvereins zum Schuge der einheimiichen Eifenproduction” 
842). Auch fchrieb er „Über technifche Zehranftalten in ihrem Zufammenhange mit dem 
ı Unterrichtömefen” (Karler. 1833); „Die kath. Zuſtände in Baden” (Karlör. 1842). 
planeten oder Monde, zuweilen auch Zrabanten oder Satelliten nennt man bie 
aneten, welche fih um die Hauptplaneten bewegen unb diefelben bei ihrem Laufe um 
begleiten. Außer der Exde (f. Mond) werden nur die vier größten und entfernteften 
son Monden begleitet, und es hat Jupiter deren vier, Satum acht, Uranus wenigſtens 
ſcheinlich aber fechE (die legtere Unbeftimmtheit rührt daher, daß zwei Uranusmonde 
am ältern Derfchel, aber keineswegs deutlich und beftimmt gefehen worden find), Rep» 
Hiernach gäbe es in unferm Sonnenfyflem 21 Nebenplaneten. Einen Mond der Bes 


Du Mebenfonne Nebrasta 


uud haben mehre Aftronomen zu fehen geglaubt, namentlich Domin. Caſſini, Short und Mon- 
taigne; da aber neuere Aſtronomen ihn weder bei den Durchgängen ber Venus vor der Sonne 
1761 und 1769, noch fpäter jemals gefehen haben, fo gilt feine Nichteriftenz für ausgemacht. 
Mit Ausnahme unferd Mondes kann von allen Nebenplaneten Peiner mit bloßen Augen ge 
fehen werben, da bie Angabe, daß mit außerordentlich ſcharfem Geficht begabte Perfonen zu 
mweilen die Jupitersmonde gefehen Haben follen, nicht Hinlänglich conftatirt zu fein ſcheint. Alle 
bewegen fich um ihren Hauptplaneten in Ellipfen, in deren einem Brennpunkte ber legtere ſteht, 
und zwar von Welten nady Dften, jedoch mit Ausnahme ber Monde des Uranus, die fich in ent» 
gegengefegter Richtung von Oſten nad) Welten bewegen. Der größte aller Monbe ift, abfolut ' 
genommen, der fechste Saturnusmond, relativ aber, nämlich im Verhältniß zum Hauptplane 
ten, ber Erbmond, deſſen Durchmeffer über ein Viertel bed Erddurchmeſſers ift, während jener 
Mond einen 17mal Heinern Durchmeffer als Saturn hat. Der abfolute Abftand eines Mondes 
von feinem Hauptplaneten ift am größten bei dem achten Saturnusmonde, wo er über 500000 
M. beträgt, am Heinften bei dem erften Saturnusmonde, wo er noch nicht 26000 M. erreicht. 
Bei allen Monden wie bei den Hauptplaneten find die Bahnen wenig gegen die Ekliptik geneigt; 
nur die Uranusmonde machen auch hierin eine Ausnahme, indem ihre Bahnen auf ber Ekliptik 
faft ſenkrecht ſtehen. Endlich ſtimmen höchſt wahrfcheinlich alle Nebenplaneten darin überein, 
daß ihre Rotationszeit der Dauer eines Umlaufs um ben Bauptplaneten gleich ift, weshalb fie 
diefem immer biefelbe Seite zukehren. 

Nebenſonne nennt man eine glänzende Rufterfcheinung, welche darin befteht, daß fig in 
ber Nähe der Sonne oder ihr gerabe gegenüber ein glängender, gewöhnlich farbiger Fleck von 
der Größe ber Sonne zeigt. Gewöhnlich zeigen fich bei ihrem Erfcheinen noch mannichfache Hofe 
um die Sonne und andere durch fie gehende Kreife. Die Nebenfonnen entftehen nım in ben Ge 
genden, wo zwei biefer Höfe und Kreife fich ſchneiden. Am häufigften erfcheinen die beiden Res 
benfonnen, welche auf dem Durchſchnitt eines ſolchen Hofs mit einem durch die Sonne gehen- 
ben horizontalen Kreife liegen und ungefähr 22° jederſeits von der Sonne abftehen. Rebenfon 
nen, bie der Sonne gerade gegenüberftehen, nennt man auch Gegenfonnen. Nach Venturi und 
Fraunhofer entftehen die am häufigften vorfommenden Nebenfonnen, wie die Höfe, durch die 
Brechung des Lichts in breifeitigen Eisprismen, welche in der Kuft ſchweben. — Nebenmonde 
entſtehen in Bezug auf den Mond unter benfelben Bedingungen, find jedoch weit feltener. 

Rebentöne, f. Beitöne. 

Nebraska (d. i. in der Sprache der Dtoes⸗Indianer: breit und feicht) ift der einheimifche 
Name des von den Weißen aud) Platte genannten Nebenfluffes des Miffouri in bem centralen . 
Bebiete der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Derfelbe entfteht unter 40° n. Br. in dem 
fogenannten Rorbpart, einem Hochthale des Felfengebirgs, windet fich nord- und oſtwärts mit 
Katarakten und Stromfchnellen durch das Gebirge, fließt dann reifend abwärts, nimmt unter 
bem Namen Nebraska oder North Fork nach einem Laufe von 87M. den füblihen Quellarm, 
den Paduca oder South⸗Fork, auf und fließt dann gegen Oſten, viele bewalbete und fruchtbare, 
aber baumleere Infeln und einen gleichfalls fruchtbaren Bottom bildend, dem Miffourt zu, den er 
130 M. oberhalb St.Louis nach einem Lauf von 326 M. erreicht. Sein ftets ſchlammiges Waſſer 
ift fo feicht, daß er drei Viertheile des Jahres ſelbſt für leichte Boote nur mit großer Schwierig⸗ 
keit fahrbar iſt. Gleichwol iſt er in neuerer Zeit von Wichtigkeit geworben, weil ihn entlang bie 
große Route durch Dregon und Californien zum Südpaß führt; von feiner Mündung bis zu 
jener des Solumbia und nah San⸗Francisco können beladene Wagen fahren. Nach diefem 
Fluſſe hat man in neuerer Zeit das ungeheuere Prairieland im Innern Nordamerikas benannt, 
welches vom Welfengebirge oſtwärts bis zum Miffouri und zum Theil bis in die Nähe bed 
Miffiffippi, norbwärts bis zum Saskatſchawan in Britifch-Norbamerika, ſüdwärts bis tief nach 
Texas hinein fich erſtreckt. Ein bedeutender Theil deffelben ift num bereits dem Gebiete Mine» 
fota, den Staaten Jowa, Miffouri, Arkanfas und Teras, dem Gebiete Neu-Merico und bem 
Indlan-Territory zugetheilt worden, fobaß man unter dem Lande Nebrasfa nur Das, was in 
nerbalb der angegebenen Umgrenzung fonft noch übrig geblieben ift, verfteht, d. i. den Immer 
noch fehr ausgedehnten Randftrich zwifchen dem Felfengebirge im Welten, dem Indian⸗Terrl⸗ 
tory, Teras und Neu-Merico im Süden, dem Miffourt im Often und dem 49. Breitengrabe im 
Norden. Aber feit 1850 Hat die Regierung zu Waſhington befchloffen, aus dem füblichen 
Theile der bisher unorganifirten Landſchaft ein neues Staatsgebiet, das Nebraska-Territory 
zu bilden, welches norbwärts bie zum 43. Breitengrabe reicht, vom Platte und zahlreichen an« 
bern Nebenflüffen des Miſſouri burchfchnitten wird und ein Areal von 7562 AM. umfaflt. 


” Nebukadnezar Nedar 97. 


Bee alien ben fett längerer Zeit beficbeiten Thellen der Bereinigten Staaten unb ben 
ns jenfeit des Felſengebirgs bis zur Weſtküſte fich erſtreckenden Gebieten, mit welchen eine 
tee Berbindung zur See nicht ausreicht. Jüngft hat man in Waſhington den Borfchlag ge 
nadht, von ber Grenze des Staats Miſſouri bis nach Dregon ımb Californien einelange Kette 
ou Milttärpoften zu ten, welche, je etwa 20 M. voneinander entfernt, den Kern für fefte 
Mederlaffungen bilden w Kommt biefer Plan zur Ausführung, fo wird eingroßer Theil 
isfer Mitlitärpoften auf R. feben und · von biefen Punkten aus das Land in feinen fruchtbaren 
derecken Goloniften erhalten. Der norbiwärts vom 43. Breitengrabe liegende Theil des bisher 
uter bem Ramen Rebraska im weitern Sinne verfiandenen Prairielandes bildet das gleich 
a jegt noch — Rorth· Weſt ⸗· Territory oder Rordweſtgebiet, welches das ganze 
bere Stromgebiet des Miffouri oſtwaͤrts bis Minefota begreift, darum wol auch noch das 
genannt wird und ein Areal von nicht weniger als 27735 AM. umfoft. 
r oder Rabuchodonoſor, König von Babylon, 604— 565 v. Ghr., war ber 
—* und er bes Rebopolaffa, der das babylon. Reich aufs neue von der affyr. Mio» ° 

write uabhängig gemacht hatte. Er erweiterte bad babylon. Reich durch feine Eroberungen 
kö zu ben Grenzen Sehens, unb bie Dradt Babylons war fein — ; ex ſchlug den 
Rönig von Recho, bei Circeſium, eroberte und zerflörte. Serufalem und belagerte 13 
Jahre lang bie Gtabt Tyrus. Rach Urt — Eroberer ließ er 588 v. Chr. eine große Anzahl 
Juden nah 1) Bebplorien verpflanzen, beren Aufenthalt dafelbft man bie Babylonifche Gefan⸗ 
venfchaft nennt. Radı der Sage foll er duch Libyen bis zur Weſtküſte Afrikas vorgebrungen fein. 
Die Gage im Buch Dantel, daß er fieben Jahre lang wie | ein wildes Thier gelebt, IR vielcigt 

ime aus Retisnalhaf hervorgegang ene Übertreibung einer Geiſtetkrankheit, an der N. Kt. 
Meckar (Nicer), einer ber. größten n beutfchen Resenfläffe des Rhein und ber Hauptfluß Wür- 
maberge, entfpringt nicht weit von ben Quellen ber Donau, aufdem Dftabhange bes Schwarz. 
ürtemb. Dorfe Schwenningen an ber bab. Grenze, auf fumpfigem 
Beben 3350 J. über bem Meere und macht auf feinem Laufe durch das Terraffenland von 
Rieberfiihwaben, Pulsader er bildet, einen großen gegen Dfien gerichteten Bogen. Sein 
often — felungen, Ku Gebiet die gefegnetftien Beide dar. In feinem 
er über Rottweil und Sulz bis Horb nordwaͤrts in einem ſchmalen, bis 500 F. 
Thale, in engem Bette. Bei Horb b t fein Mittellauf. Er fließt nun erft 
an —2 ber über Rottenburg, Tuͤbingen und Nürtingen bis Plochingen. 
Bau hier entfernt ex fich mehr von der Alb und geht mit oft anfegnlicgen Krümmungen gegen 
Gannfladt, Marbach, Befigheim, Lauffen, Heilbronn, Redarfulm 
bann auf bad. Gebiete bis Eberbach. Das Thal diefes mittlern Kaufs 
weiter ‚Keflel mit herrlichen WBiefengründen und dazwifchen liegender 
find . Stunde breit und von fanften Gehängen und Weinbergen 
—— pol fleile Formen, und ihre Wände nähern ſich bis auf Yı Stunde 
beginnt fein unterer Lauf; er —— bier in weſtlicher Richtung ben Oden⸗ 
N im om. tiefem Thale bis Dee Diefer Durchbruch Hat Höchft romantifche Partien, 
Bei Heidelberg tritt er in die Rheinebene, die er bis zu feiner 
bei — in norbieftticher Richtung durchfließt. Er nimmt außer vielen andern 
Buftägfen Dris die Enz mit der Nagold, rechts die Fils, Nems, Murr, den Kocher und 

* auf. 
— bon 



















4 
4 
* 
















—— — 





directe Abſiand der Mündung von der Duelle beträgt nur 20, die Strom ⸗ 
53 M. ber Gebtet m fi — Bei —— wird er Füßen, — hear 
kleinere Sahrzeuge, bei Hellbronn für bis Holland gehende 
ie Dampfboote ſchijſbar weiche die dortige Nedardamp * feit 1841 bis 
Deibetberg und Ranheim fendet. Die bei Marbach in berg gefundenen Denkmäler 
jegeiuben bie Vermuthung, daß ſchon umter ben 23 die —53— auf dem Neckar im 
——— 
a u haben, . 
ae 418. Jahrh. ließen bie —* von Würtemberg bie ke bie Giffbarkeit beffelben wieder⸗ 
Bpiffahrt 


auf demſelben durchaus frei, bis von Seiten Bades 1808 Manheim zum Daupt- 

Babe De ch de Erbe omg 
r e 

us, —— und Heidelberg für —* erklaͤrt. Wortembers ſind 





98 Neckarweine Necker 


ebenfalls zwei Freihaͤfen: Cannſtadt und Heilbronn. Durch Vertrag zwiſchen Baden, 
temberg und Heſſen⸗Darniſtadt 1855 wurde ber Zollfag ermäßigt und 1845 eine 
Schiffahrtsordnung eingeführt. Die Schiffahrt auf dem Nedar ift der vorzugli fte Kon 
den Dandel mit der Schweiz durch den Friedrichshafen, fodann nach Baiern, Oſtreich u, 
über Uln: in die Donau. Hauptgegenftände der Ausfuhr find: Holz, getrodnetes Obft, ( 
Pottafche, Lohrinde und Tabadsblätter; Einfuhr und Zranfito beftchen Hauptfächlich i 
lonialwaaren. — Der Nedarkreis in Würtemberg, 62 AM. mit 505000 €. in der H 
und Refidensftadt Stuttgart und 17 Oberämtern umfaffend, ift der bevölkertſte Theil det 
zen Königreichs, ja eines der volksdichteſten Gebiete Deutfchlande. 

Neckarweine nennt man im engern Sinne die am Nedar in Würtenberg mwachf 
Weine, von denen die beften auf den der Sonne zugewendeten Thalrändern ſtromaufwär 
Eflingen gedeihen; im weitern Sinne aber auch die Gewächſe der Seitenthäler des 
wie des Enz-, Rems⸗ und Suln oder Weinsberger Thales. Die befannteften Nedar 
find die vom Schaltenftein bei Befigheim, vom Käsberg bei Mundelöheim, von Klein⸗Bo 
Cöftlich von Mundelsheim), die Weine von Korb bei Waiblingen, das Brotwaffer von & 
beide im Nemsthale, der Wein von Roßwag im Enzthal, von Weinsberg im Sulmthaleı 
Diefe Weine find leicht, wohlfchmedend und gefund; ihre Production befchränft ſich abı 
den Landesverbrauch. Seit neuerer Zeit bereitet man aus den geringern Sorten mouff 
oder Schaummeine. Eflingen ging hierin voran, Heilbronn folgte; dort blühen die € 
pagnerfabriten von Keßler und Georgi, hier die von Zeller und Stauch. 

Meder (Jacques), berühmter Sinangmann und Minifter Ludwig's XVI. von Fran 
wurde 50. Sept. 1732 zu Genf geboren, wo fein Vater, ein geborener Brandenburger, 
feffor des beutfchen Staatsrechts war. Er erlernte die Handlung und ging 1750 als Go 
nad Paris, wo er ald Bankier während des Siebenjährigen Kriegs ein großes Vermög 
warb. Nachdem er fein Gefchäft aufgegeben, übernahm er für feine Vaterftadt am franz, 
die Stelle eines Minifterrefibenten. Als praktifcher Finanzmann fehr geachtet, benupte 
Kampf der Okonomiften (Phyfiokraten) mit der Oftindifchen Compagnie, um ſich auch als fi 
wirthſchaftlicher Schriftfieller einen Namen zu verfchaffen. Er gab 1769 ein Werk hera 
welchem er fich als Anhänger bes Mercantilfgftems (f. d.) zeigte, aber auch zugab, daß 
gewiſſen Verhältniffen die von ben Dfonomiften verlangte Freiheit des Handels eintreten ı 
Diefe rein praktifchen Anfichten verfolgte er weiter in feinem „Essai sur la legislation et le 
merce des grains” (Par. 1775), der außerorbentliches Auffehen machte. Der Hof, der ſi 
Minifterd Zurgot (f. d.), des Hauptes der Dfonomiften, entledigen wollte, wurde dadur 
N. aufmerkſam und verlieh ihm nach Turgot's Entlaffung im Juni 1776 die Stelle ein 
nanzraths. Nach ber Burgen und abfcheulichen Verwaltung Elugny’s erlaubte die Königü 
lich im Juni 1777, daß N. mit dem Titel eines Generaldirectors an die Spige der Yin 
treten Eonnte. Der Name eines Generalcontroleurs wurde ihm jedoch darum vorenthalten 
er als Proteftant Feine Stimme im Staatsrathe haben durfte. Ohne auf tiefgreifende X 
berungen einzugehen und neue Auflagen zu machen, wußte er ald geichidter Bankier 
Anleihen nicht nur die Bebürfniffe des amerik. Kriegs zu beftreiten, fondern überhauı 
Staats ſchuldenweſen erträglich zu orbnen. Die Erfparniffe, die er im königl. Haushal 
führte, verbunden mit feinem frengen proteft. Wefen, machten ihn jedoch dem Hofe uı 
Königin fehr bald auf äußerſte verhaft. Als er fogar in einem „Compte rendu au roi‘ 
1787) der Nation Rechenſchaft von dem Zuftande der Finanzen ablegte und den Eintritt 
Staatsrath verlangte, gab ihm Ludwig XVI. 12. Mai 1781 plöglich die Entlaffung. N 
nach Genf zurüd, kaufte fich in deffen Nähe die Herrfchaft Coppet und veröffentlichte hier 
Schrift „De l’administration des finances etc.”, wodurch er feine Feinde nur noch mehr 
Nachdem Calonne (f. d.) bie Verwaltung der franz. Finanzen übernommen, kehrte er 
nad Paris zurück, wurde aber, weil er das Verſchwendungs fyſtem des Minifters öffentli 

riff, nach kurzem Aufenthalte verwiefen. In ber finanziellen und politifchen Krifis, wel 
nanzverwaltung Lomenie de Brienne’s (ſ. d.) verurfachte, ſah fich Ludwig X VI. im Nov. 
genöthigt, N, ald den einzigen Retter aus der Noth, das Amt eines Generalcontroleut 
Staatsminiflers anzutragen. N. fühlte ſich durch diefe ZJurückberufung fehr gefchmeiche 
trat fein Amt mit Freuden an. Schon 1779 hatte er die Bildung von Provinzialftände 
geichlagen ; jetzt erflärte er ſich auch für die Berufung der Beneralftaaten (ſ. Etats gende 
und erlangte dadurch beim Volke die größte Popularität. Wie wenig er indeß gefchickt w 
die politifchen Verhältniffe ſelbſt einzugreifen, bewies er, indem er 1788 die Anzahl der 


Neefs Neer 09 


n Deputirten des Dritten Standes bem Gutachten einer Rotabeinverfammlung unter» 
8 fi hierauf die Rotabeln gegen jede Neuerung erklärten, fah er ſich genöthigt, bie 
ung ded Dritten Standes in gleicher Anzahl mit den übrigen Ständen durch ein königl. 
ot zu erzwingen. Indeß befaß er nicht Muth genug, auch die Form der Berathung 
lbſtimmung in gleicher Weiſe feftzuftellen, unb fo wurde er Dadurch eigentlich der Ur- 
Streitigkeiten, welche nady bem Zufammentritt ber Generalftnaten zur Eonftituirung 
nalverfanmlung (f.d.) führten. Als der Hof 23. Juni 1789 den Entſchluß des Drit- 
es durch eine konigl. Sigung vernichten und bie Generalſtaaten wieberherftellen wollte, 
ich N, in der Sigung zu erfcheinen, was ihm den vollen Zorn der Hofpartei erwedte. 
ig gab ihm deshalb 11. Juli feine Entlaffung und bat Ihn, ungefäumt über die Grenze 

R. gehorchte und erhielt die Genugthuung, daß bie Nachricht von feiner Entlaffung 
laſſung zu ben Unruhen vom 12., 13. und 14. Juli wurde. Der König fah fich auch 
öthigt, den vertriebenen Finanzminifter wieder zurüdzurufen. N. erfchien und war, 
Bchmeichelei feiner Frau und Tochter verbiendet, in der That überzeugt, daß er Frauk⸗ 
dem Abgrunde der Revolution herausziehen werde. Er verband fich zuvörderſt mit 
(£ d.) und andern Miniftern zur Einführung des Zweikammerſyſtems nach dem Mu⸗ 
tit. Berfa ſſung, wodurch er in der öffentlichen Meinung fchon fehr verlor. Obſchon er 
gen unter den Umftänben fo gut als möglich ordnete, mußte er doch Mirabeau (f. d.) 
58 graßen Sapacitäten der Nationalverfammlung gegenüber alöbald feine Unzuläng- 
finden. Nachdem die Verſammlung feinen Plan zu einer Anleihe verworfen, hinge⸗ 
Borflag Mirabeau’s zur Creation von Affignaten angenommen, bat er im Gept. 
feine Entlaffung, die ihm auch fofort gewährt wurde. Er zog fich hierauf nach Cop⸗ 
mb flach dafelbft 9. April 1804. Außer den angeführten Schriften R.'s find noch 
nen: „Sur l’administration de N., par lui-möme” (ar. 1791); „Reflexions 
à la nalion frangaise”, zur Rechtfertigung des Königs, und „Du pouvoir ex6outil 
grands éâats“ (Par. 1792); ‚De la rövolution frangaise etc.” (A Bbe, Par. 1796 
})5 „Cours de morale religieuse” (3 Bde, Par. 1800) ; „De l’importance des opi- 
sleuses”; „Derniers vues de politique et de finances” (Par. 1802). — Geine 
ar die berühmte Frau von Stadt (f. d.). — Seine Gemahlin, Sufenne, bie Tochter 
zers Gurchod zu Nyon im Kanton Bern, geft. 1794 zu Erppet, zeichnete fich durch 
Sharaftereigenfchaften und wiſſenſchaftliche Bildung aus. Mus den gelehrten und 
a’ @efellichaften, die fie in ihrem Daufe verfammelte, gingen hervor bie „Melanges 
manuscrits de Mad. N.” (3 Bde, Par. 1798) und bie „Nouveaux melanges etc.” 
Dar. 1801). Außerdem fchrieb fie „Des inhumalions precipitees” (Par. 1790); 
ı sur l’dtablissement des hospices”; „Reflexions sur le divorce” (Genf 1793). 
ss sur Mad, N. par Aug. de Sta8l-Holstein” (Yar. 1820). 

(Bieter), der Altere, ein Architefturmaler, geb. zu Antwerpen nach 1560, lernte bei 
n H. Steenwift. Sein Hauptfach war Architektur und Perfpectivmalel; vorzüglich 
) durch feine innern Anfichten von Kirchen, namentlich der oft von ihm behandelten 
e von Antwerpen, großen Ruhm erworben. Bei legterer ſtellt er das Innere meift 
zu oder Fackeln beleuchtet bar und läßt das Richt auf einen ausgezeichneten Gegen- 
Kirche fallen. Die Klarheit der Darftellung und. das Helldunkel darin find meifter- 
gen tadelt man eine gewiffe Härte und den Mangel an: Zuftyerfpective. Die Zahl fei- 
gift ziemlich groß. Daß Frank, Breughel, van Thulden und Teniers gewöhnlich bie 
s feine Bilder malten, hat deren Werth nur erhöht. Er flarb 1651. — Sein Sohn, 
ber Jüngere, deffen Blütezeit von 1650—60 fälle, malte in gleichem Genre, erreichte 

r nicht. 

(Hart van der), ein Landfchaftsmaler, wurde wahrſcheinlich zu Amſterdam 1613 ober 
men und fol nad) Einigen 1683, nach Andern weit fpäter gefterben fein. Er iſt einer 
9 Repräfentanten ber naiven, nichtheroifchen Landſchaftsmalerei und fleht feinem 
itgenoſſen Ruysdael vielleicht am nächften. Er verfland namentlich das Baer, vom 
oxizont begrenzt und zwifchen flachen Ufern eingefchloffen, durch zitterndes Mondlicht 
nern und ift hierin unfbertroffener Meifter. Ebenſo naturtreu flellte er Winterland⸗ 
ad Feuersbruͤnſte bar. — Sein Sohn, Eglon Hendrik van ber Bt., geb. zu Amfler- 
„ Jernte bei 3. Banloo und malte befonders hiſtoriſche Bilder und Landfhaften, au⸗ 
ch Geſellſchaftsſtücke, welche in der Ausführung forgfältig, aber in gu manierifti« 


100 Neerwinden Negativ 


ſchen Eleganz befangen ſind. Er lebte anfangs in Paris, dann zu Drange und endlich am 
kurpfälz. Hofe zu Düffeldorf, wo er 1703 ftarb. Er war Hofmaler des Königs von Spanien 
umd hatte ımter Andern van der Werff zu feinem Schüler. 

NReerwinden, ein Heiner Ort in der belg. Provinz Lüttich, iſt beſonders denkwürdig wegen 
Zurembourg’s (f. d.) Sieg über die Engländer unter Wilhelm III. 29. Juli 1695 und wegen 
der Niederlage Dumouriez' (f. d.) 18. März 1793, wodurch ber Prinz von Koburg wieder Herr 
ber belg. Lande wurde. 

Nees von Eſenbeck (Ehriftian Gottfried), ausgezeichneter beutfcher Botaniker und Na- 
turphilofoph, geb. 14. Febr. 1776 auf bem Neichenberg int Odenwald, erhielt eine fehr forgfäl- 
tige Erziehung, befuchte bas Gymnaſium zu Darmfladt und flubirte zu Jena Medicin, wo er 
auch promovirte. Schon von früher Jugend an mit Kiebe bem Studium ber Natur zugethan, 
wendete er fich Immer mehr, namentlich während feines Aufenthalts in Frankfurt a. M., ber 
Entomologie, Ornithologie und Botanik zu. Nachdem er Längere Zeit hindurch als praßtifcher 
Arzt gewirkt, erhielt ex 1818 die Profeffur der Botanik zu Erlangen. Im Auguſt beffelben 
Jahres von ber Zeopoldinifchen Akademie ber Naturforfcher zum Präfidenten ermählt, folgte er 
4819 einem Rufe als Profeffor der Botanik nach Bonn, von wo er 1831 in gleicher Eigen- 
ſchaft nach Breslau verfegt wurde. Im J. 1848 wandte er ſich nach Berlin, warb aber hier im 
San. 1849 ausgewieſen, fpäter, 29. Ian. 1851, wegen feiner Betheiligung an der Arbeiterver- 
brüberung als Profeffor ber bresfauer Univerfität ſuspendirt und in Folge richterlihen Erkennt⸗ 
niffes 13. März, 1852 feines Amts vollig entfegt. In demfelben Jahre ging die Direction ber 
Leopoldiniſchen Akademie an Kiefer über. Unter den beutfchen Botanitern nimmt N. eine vor⸗ 
zügliche Stellung ein, indem er nicht allein auf bem Gebiete ber befchreibenden Pflanzenkunde 
ungemein Bedeutenbes Teiftete, fonbern auch ben philoſophiſchen Theil ber Botanik fo geiftvoll 
behandelte, daß man ihn als einen der einflußreichten Urheber ber eigenthümlichen Anfchauung, 
welche die neue Botanik auszeichnet, betrachten nıuf. Was Goethe, pofitiver Vorkenntniffe er- 
mangelnd, über bie Metamorphofe ber Pflanzen angebeutet hatte, führte N. zuerft in einem bes 
fondern Lehrbuche wiffenfchaftlich aus. Bon demfelben tiefer forſchenden, bie Außere Form nicht 
zum Hauptgegenftand erhebenden Geiſte find felbft feine zahlreichen phytographifchen Arbei⸗ 
ten durchdrungen. NR. hat Beinen Theil feiner Wiſſenſchaft unbeachtet gelaffen. Er ſchrieb 
ebenfo über Kryptogamen (wie „Das Syſtem ber Pilze und Schwäãmme“, Würzb. 1816; mit 
Hornſchuch und Sturm die „Bryologia Germapica”, 2Bde., Rürnb. 1823 — 31, mit 43 color. 
Zafelnz mit Gottſche und Lindenberg das „Systema Hepaticarum”, Hamb. 1844—47) alt 
über große ganz erotifche Gruppen, wie 3. B. das „Systema Laurinarum‘’ (Berl. 1856). Yon 
feinen zahlreichen übrigen botanifchen Werken find hervorzuheben: „Die Entwidelung ber 
Dflanzenfubflany” (Erl. 1819), mit Bifhofund Rothe bearbeitet; „Decinnamo‘ (Bonn 1823); 
„Agrostologia Brasiliensis” (Stuttg. 1829), die einen Theil von Martins’ Werke über Bra 
filiem bildet; „Enumeratio plantarum cryptogamicarum Javae et insularum adjacentium” 
(Bresl. 1830); „Genera et species Asterearum“ (Bresl. 1832) u.f. w. Die Herausgabe 
feines längſt projectirten illuſtrirten Lehrbuchs ber allgemeinen Naturgefchichte Hat er mit „Die 
- allgemeine Formenlehre der Natur” (Brebl. 1852) begonnen. Auch als origineller Philofoph 
und felbftändiger Denker nimmt N. eine herporragende Stellung ein, wie fein „Syſtem ber ſpe⸗ 
eulativen Phlloſophie“, von bem nur ber erfte Band, die Naturphilofophte, erfchienen ift (Glog. 
1841), fowie einige fpätere Abhandlungen bemeifen. — Rees von Efenbed (Theod. Friedr. 
Zudw.), Bruder bes Vorigen, geb. 26. Juli 1787, geft. 12. Dec. 1837 zu Hitres, Profeffor 
und Infpector des botanifchen Gartens zu Bonn, hat ſich ebenfalls durch mehre bedeutende 
Werke einen Namen in ber Befchichte ber Botanik erworben. Beſonders hervorzuheben find 
feine „Genera plantarum Fiorae Germanicae” (Bonn 1833 fg.), ein Kupferwerk, das nad 
feinem Tode erfl von Spenner, Dann von Putterlick und Endlicher fortgefegt wurde. 

Negativ Heiße vermeinend, eine Verneinung bezeichnend. Der Ausdruck für bie reine 
Berneinung, bad Nichts, bezeichnet eben nichts, d. b. nicht Etwas. Verneinungen oder Nega- 
tionen haben daher nur einen Sinn ald Aufhebung einer Bejahung und Segung, und ber ganze 
Begriff der Verneinung hat feinen Urfprumg in den Beziehungen ber Gedanken. DieNegation 
wurzelt im Urtheile; der Sag: Cirkel ift nicht Viered, oder: Holz iſt nicht Eifen, fagt nicht, daf 
Cirkel oder Viereck, oder Holz oder Eifen negativ feien, fondern daß ber Begriff des Cirkels nicht 
durch das Prädicat bes Vierecks u. f. w. gedacht werben koönne. Deiperb gibt es wol negative 
Urtheile, d. 5. folche, welche ausfagen, ber eine Begriff ſei nicht ein Prädicat eines andern, aber 
fireng genommen Beine negativen Merkmale eines Begriffs. Megative Begriffe dagegen Tann 


Neger 101 


B Diejenigen nennen, been ganze Bebeutung auf der Berneinung eines andern beruht, z. B. 
Rerniß als —— des Lichts, Freiheit ale Verneinung bes Zwangs u. ſ. w. DieAn- 
bung bed Begriffs der = Berneinung ft daher immer velativ; wer den Weg nad) rechts in 
ben ift der Weg nach links hin negativ, und darauf beruht der 
negatiner Bröfen in der Mathematik, welcher nicht die Größen felbft, fondern ihre De 
ungen trifft. Auch ber reelle Gegenfag der Kräfte, ber Qualitäten u. |. w., führt ſiets auf 
Beesälenis Deffen, was einander entgegengefegt if, indem 3. B. jede mechanifche Kraft 
ih ſelbſt pofitiv iſt und ber Begriff ber Negation, bed Begenfages gegen eine andere, nut 
ſern auf fie übertragen wird, ale eranlaffungen vorhanden find, fie miteinander zu ver- 
Eger nennt man, den genäfnlißen Cprahgebtaude nad, ie in Mita nfeinifg 
nennt man, 8 en Sprachgebrauche nach, die rika einheimifchen 
von ſchwarzer Hautfarbe. Es kommen aber in dieſem Welttheile ung‘ lige Abſtu⸗ 
ms ber  Barbe bis felbft ind Weiße hinein vor, fobaß fich keine Grenze finden -läßt, bis wo- 
vie Bölkerſchaften noch zu dem Negertypus gezählt werben müßten. Auch die Schäbel- 
Gefichtsbilbung bietet wegen ber mannichfaltigen Übergänge kein entſcheidendes Merkmal 
Rad, Blumienbady' 6 Eintheilung der Nenſchen in Racen (f. NRenſch) würden die Neger 
der I grüße 55 eil der aftik Völkerfchaften überhaupt zu der äthiopifchen Race gehören. 
die eĩ Kennzeichen derſelben führt man gewöhnt! ch an das Zurüdtreten der 
m bei endem Kiefer, wodurch bas t etwas, Affenartiges erhält; bie breite, 
Rufe den großen Mund mit bien, aufgeworfenen Lippen; bas fürze, ſchwarze, dichte, 
ige umb verfilgte Haupthaar und bie Schwarze, fammetartige Haut, welche vermöge ihrer 
nscheutlichen — * ſich immer kühl, ſelten feucht anfühlt. Dieſer Typus habe ſich 
riſtãadigſten beiden Gallas, Schaggas, Anzikos, Rubas und mehren Stämmen des Hoch- 
m et. Die genamten Stänme haben aber nicht die fchwärzefte Haut, vielmehr 
a5 das tieffie Schwarz bei Jaloffen und Somaulis, bie aber zugleich ber Gefichtebilbung 
—— * Nace vollkommen gleichen ſollen. Di⸗ Fulahneger find bald dunkler, bald 
denn 5 sn gun ſchon faſt Kr und dabei ſchlichthaarig. Auch die Manbingos (ſ. d.) follen 





















kommen und eine fehr regelmäßige Geſichtsbildung haben. 

An alte * aber dabei hellere Farbe. Auf dem Atlas wohnen Ka⸗ 
weiche braͤunliche Gefichter und ſelbſt blonde Haare haben, und ebenfo find die 
Pa gelblich, ihre Frauen faft weiß von Farbe. Die Berbern von Sennaar 

find rothbraun, aber bie nörblichen Berbern haben beinahe gar nichts mehr von 
en Körperbildung, und felbft mitten unter Stämmen von tieffcgwarger Hautfarbe 
ſüdlichen Berberei, auf ben Hochlänbern von Narea und Kaffe ein Stamm von 
p. als afrik. Ausfehen.. Richt minder groß als bie Verfchiedenheit der körperlichen 
ie Verſchiedenheit ber Geifts- und Gemüthsanlagen, ber Sitten und ber Bil- 
göftufen bei Diefen Bölkerfchaften. Lange Zeit iſt man gewohnt geweſen, wie nur einen ein- 
m leiblichen Typus ber — ſo auch nur eine enigs Stufe der geiftigen Fähigkeit bei 
En. ſchwarzen —— e Zu ber Ungenauigfeit älterer Be 
ber erſt fpät ein wenig verringerten Inbetannefäft Europas mit Allem, was 

His angeht, fam die von ber Habſucht der Sklavenhändler und Sklavenverbraucher bewirkte 
e —— aller —— über bat Negergefchlecht, endlich auch die phllofo- 
er hinzu, um dat nad Urheber en und Gigenthümlichkeiten der Be⸗ 
ar verwirren. Ein —2 aus —— — ber 
annahmen, war Henri —** (ſ.d.). In den Werken neuerer Reiſender und Miſſio⸗ 
— bei Gurney („A winter in the Westindies“, Lond. 1841), finden ſich reiche 
erlalien, welche uns eine beffere Meinung von der Bildungsfähigkeit ber Neger beibrin⸗ 
—— in dieſer Hinſicht Burton geſammelt in „The African slave-trade” (deutſch 
1841). In Deutſchland ift es bisher foft nur Karl Ritter, gemwefen, welcher 

in Betreff des Regercharakters beflätigt hat. (Eine tüchtige Überficht ber aftl- 
Bõlkerſchaften, foweit dieſelben bekannt geivorden, hat Roon in feinen „Brundzügen ber 
I, Bölter- und Staatenkunbe” geliefert; die befte Schilderung der einzelnen Stammcharab⸗ 
* gibt Ritter in feinem großen Werke und Gumbrecht in Stein’ endbuch der Geo⸗ 

und Statiſtik“ (neu bearbeitet von a nseppäut, Bd. 2 2pı. 1853). 

Bökerihaften, welche Suͤdafrika bewohnen, heißen Kwohwos (Quoequoe). Unter 

u Namen, ben Barrow zuerfi auführte, find der öffiche Zeig, die Kaffern (t d.), und des 
die Hettentstten (ſ. d.), äuforımenbegeiffen. D Die weſilichſien Kaffern, mit denen yon 







* 
in der 








102 Negritos Neher 


europ. Reiſenden zuerſt Lichtenſtein Bekanntſchaft machte, ſind die Betſchuanen; ſie ſtehen an 
Begabung und kriegeriſchem Muth zwiſchen den hochgewachſenen, ſchöngebauten, lebhaften 
und kühnen Oſtkaffern und den ſchwerfälligen, trägen Hottentotten. Unter den Letztern zeichnen 
ſich die Bufchmänner (ſ. d.) durch athletiſchen Wuchs und Muth aus, die Namaquas dagegen 
an der Mündung des Oranjefluſſes werden als äußerſt ſtumpf und thieriſch geſchildert. Die 
uns bekannten Bewohner Mittelafrikas bilden drei Hauptgruppen. Zu der öſtlichen Gruppe 
gehören außer den Mozambique⸗Stämmen unter andern die Gallas (ſ. d.) und bie Somaulis. 
Die Gallas kommen nach der Negenzeit jährlich von den Bergen herab und verheeren das 
Abyffinierland; die Somaulis wohnen an der Küfte zwiſchen Cap Guarbafui und der Straße 
Bab-el-Mandeb. Zu der zweiten oder meftlihen Gruppe gehören die Congoftämme auf bem 
Weſtrande, die Anzikos auf dem innern Hochlande und bie Schaggas auf dem Norbrande und 
in den Eonggebirgen. Die Congoneger wohnen in gemäßigtem Klima, auf einem metallteichen, 
von fehönen Flüffen durchzogenen, fruchtbaren, bichtbevölferten und mwohlangebauten Berg. 
plateau. Die Anzikos, welche höher wohnen, find ein Bergvolk, ſchlicht von Sitten, ehrlich, 
kühn und Friegerifch. Die Schaggas, wie fie von ben Gongoern genannt werben, während fie 
felbft fi Agag nennen, famen zuerft 1542 aus dem Innern und machten fich feitdem durch 
ihre Raubzüge den Terraffenbewohnern und den Portugiefen an ber Küfte furchtbar. Zu ber 
dritten Gruppe, ber nördlichen, gehören die Nubaneger, die Neger von Nigritien, bie Fulahs 
(f. d.) und bie vom Hochfudan und Senegambien. Die Sulahneger auf den Zerraffen, befon« 
ders ber von Timbu, find den Küftennegern weit überlegen. Sie find Mohammedaner umb ha⸗ 
ben Mofcheen und Schulen faft in jeder Stabt. Nicht minder merfwürbig find Die Mandingos 
aufdem Hochſudan, beren Sprache die allgemeine Umgangsſprache von ber Senegalküſte bie 
hinauf nad) Timbuktu ift. Sie find das herrfchende Volk auf dem Nordabhange und haben 
fich, feitbem fte vor etiva 100 Jahren zuerft auf ber Bulahterraffe ald Eoloniften und Verkün⸗ 
diger bed Islam erfchienen, über alle benachbarten Landſtriche verbreitet, wo fie ſtets den ger 
bildeten Stand der Bevölkerung ausmachen. 

Unter den Sprachen Afrikas ift uns zuerft die Fulahſprache zugänglich geworben, bie weichſte 
und Pangreichfte von allen, in welcher die englifche „Society for missions to Africa and the 
Last“ eine Reihe chriftlicher Schriften hat drucken laffen. Der Sprachgemeinfchaft nach glaubt 
man die Bewohner Afrikas in drei Maffen abtheilen zu innen, nämlich in bie Sprachgenoffen 
bes ſchmalen Süb- und Südoſtſtrichs, die der Mitte von Afrika, mit Ausfchluß des Hochſudan 
und Abyffiniene, und die bes Norblandes. Merkwürdig ift, daß gleiche oder ſtammverwandte 
Sprache Völker von ganz verfchiedenen Farbenabftufungen miteinander verbindet. Auf dem 
Hochſudan gibt ed eine außerordentliche Menge von Dialekten; der König von Bornu allein 
fol Völker von 30 verfchiedenen Zungen zu feinen Unterthanen haben. 

Negritoß, f. Papuas. 

Negroponte, |. Eubön. | 

Nehemia, ein vornehmer Hebräer und Mundfchent des Königs Artareryed Longimanıd 
von Perfien, wurde auf fein dringendes Gefuch 444 v. Chr. als Statthalter nad) Jubäager 
ſchickt, mit der Erlaubniß, die Mauern und Thore Jeruſalems wieder aufbauen zu Taffen, die 
Stadt zu bevöltern, die Drdnung herzuftellen und das vaterländifche Gefeg zu befeftigen, wat 
ihm frog der Armuth ber niebern Volksclaſſe und der Gegenwirkungen der Samaritaner, 
Araber und Ammoniten gelang. Er kehrte 432 v. Chr. nach Perfien zurüd, machte jedoch, um 
eingefchlichene Misbräuche zu befeitigen, 414 v. Chr. wie es fcheint, eine zweite Reife nach Je⸗ 
rufalem. Nachrichten über feine Wirkſamkeit hat er felbft gegeben imeinem Buche, welches, fpä- 
ter mit Zufägen verfehen, in der Bibel ald Fortfegung des Buchs Esra (f. d.) enthalten iſt. 

Neher (Bernhard), Hiftorienmaler, geb. 1806 zu Biberach, erhielt den erften Kunftunter 
richt von feinem Vater und bildete fi) dann in Stuttgart und München weiter aus. Cinige 
Compoſitionen N.s, unter Cornelius’ Reitung ausgeführt, veranlaßten den König von Würtem⸗ 
berg, dem Zalente ein Reifeftipendium zu gewaähren, welches N. einen vierfährigen Aufenthalt 
in Rom ficherte. Unter den dort ausgeführten Bildern find die Erweckung des Jünglings vom 
Nain und ber Tod Ulrich's in der Schlacht bei Döffingen hervorzuheben. In benfelben 
lehnte ſich der Künſtler an bie Compofitions- unb forgfältige Ausführungsweife des altbeute 
[hen Malerftild. Nach feiner Rückkehr aus Italien nad Münden ſchmückte N. die äufere 

ite bes Iſarthors mit dem Einzug des Kalſers Ludwig bes Baiern. Über ben beiden Seiten. 
eingängen führte er noch auf Goldgrund bie Beftalten der Heiligen Jungfrau und des heil. Benmo 
aus. Im J. 1836 wurde N. nach Weimar gerufen, um an ber malerifchen Ausflattung ber 


Rehrung Neidhart von Reuentpal 208 


nd Sqhlller gewidmeten Räume im großh. Gchl I zunehmen. Sun 
Schillerzimmer zu. Sieben En in Pi a — Zar ne 
F Dichters, und jedes dieſer Bilder hat noch zwei Lünetten über ſich en den 
mb Senftern Fb dann noch vier Bilder zu den Balladen: „Toggenburg”, „Graf von 
8%, „‚Raimpf mit bem Drachen” und ‚Bang nach dem Eifenhammer“ angebradit. Uber 
emit Schillers — von Dannecker ſtellie R. bie Huldigung der Künfie dar. Außer» 
iden ſechs Pfeilern, welche die Hauptbilder umgeben, das Med von der Glocke in Ara- 
handelt. Nach der Vollendung bes Schillerzimmerẽ begann er ebenfalls die Goethes 
At Malereien nad) des Dichtere Balladen und Hymnen zu gieren. Diefe Arbeiten be» 
— im Sommer, während er in der Sbrigen Seit an ber Malerakademie in 
irkte an welche er feit 1844 als Director bi Auch als er 1846 als Lehrer 
anflfcyule mit Rang und Titel eines Unioerfk S nach Stuttgart ging, are 
von bort aus an der Vollendung ber weimariſchen Aufgaben und ſchloß diefelben 1847 
Entwürfe von drei Bronzethüren zur Goethegalerie. Sie zeigen einen unendlichen 
= feiner und finnvoller Darftelungen, welche In begiehungsreichen Motiven eine 
ie Podie und des Lebens bilden. Neben diefen Arbeiten malte er noch für 
in Hamburg ein großes Altargemälbe, ſowle ein Kirhmbit für bie kath. 
ie Bit Ravensburg Auch fertigte er die Cartons für die von Scheerer ausge» 
des Choro ber &tiftöficdhe in Stuttgart, eine Kreuzigung und eine 
* — Reber (Michael), ebenfalls Maler, wurde 1798 zu Münden geboren-und, 
Kedent zur Kumft zeigte, doch von feinem Vater in die lat. Schule geſchict, aus Beſorg · 
ier Knabe bie ungeroiffe künftieriiche Laufbahn einfchlagen möchte. So kam derfelbe 
Datwegen und mußte ſelbſt die Akademie, deren Beſuch ex glücklich erreicht Hatte, 
Haffen, um fi) durch Bildnißmalerei Erwerb zu verſchaffen Mit Empfehlungen 
5 * er Bun at, wo feine PR — bi * masen, daß er Mittel Hd 
ea, Stalien zu befuchen. Secht ielt er den Haupeftäbten 
af und gelangte 4835 nad) Rom, wo er Meter Meifter eifrig fludirte, nebenbei aber 
des in efache leiftete. Much entwarf er fehr hübſche Federzeichnumgen von ben 
Roms und Reapels. Im 3.1825 kehrte er nach Münden zitrück und — 


L ——e— hat er mit Vorliebe architektonlſche Anſichten, oft mit Hinzuzlehung 
ſchaftlichen dargeſtellt. Er zeigt dabei die ie maieriſche Jiluſion bei einem ind: 
yehenben dieiß ve Durchführung, 
nenn? man in Dftpreußen die ſchmalen fandigen Zandftreifen, welche die füßen 
ee rn anrifäen Haffs (f- Haff) von der Dſtſee trennen. Ihr Nrfprungfi 1 


bie mung, worin fih das Verlangen nad} einem Gute oder Glüd, 
Er Anderer per ve a Ya dene Fr nicht befigen möge. Findet 
e Wunſh allein ftatt ohne jenes Verlangen, fo tritt an bie Exelle de Neides die MRiB- 
denn man kann einem Andern mol etwas mißgönnen, welches man felbft doch nicht 
Anger nd fe nüglich if, und bin, nie — Ned 


als auf bem Misvergnügen am ergehen Anderer berubend, 
—— Seimmmgen, meihe Ba bei der Erziehung ohne Rüdficht zu ber 
en man ihnen freien Lauf läßt, immer eine niedrige Sinnesart wu 


mi Grab des Neides wird ald Scheelſucht bezeichnet. Betrifft der 
—— * von un als Baden Ba a —A— 
mt werben, ae Steigern iefe fe zu 

eit ar di ikter der Leidenſchaft (f. b. Heiden 
Baar —* ohne — be Pe Spas, a Kr Er id Schlaf 


—— Kräfte 

hart von Reuenthal, kunde a ah und fruchtbarſten Lyriker bes —8 
168, der ungefähr von 1210. 40 dichtete war gebürtig aus Baiern, nachher aber in 

wo noch Heute fein Brabmal aufen an der fühlichen Mauer ber SiStephans · 

gezeigt wird. Gr wurde der Urheber eiher neuen Di — tung, indem ex, 

io vom ber berrfcpenben, aub franz. Duck flaramenden. —8R 


104 Reigebaur 


und Formen hauptſaͤchlich aus der eigenen heimifchen Umgebung, und zwar aus dem Leben der 
Bauern, von ihren Tänzen und den bamit verbundenen Spielen, Aufzügen und Liedern ent- 
nahm, boch fo, daß er nicht in die Anfchauungsweife des Dorfes ſich verfegte und die Liebe und 
die Jahreszeiten nach Volksart befang, ſondern daß er das bäurifche Leben und Zreiben felbft 
den höftichen Kreifen zur Anfchauung brachte. Diefem Urfprunge gemäß zerfallen feine Dich 
tungen in zwei Dauptclaffen, in Srühlingslieber, wie fie zum Reigen, einem eigenthümlichen 
hüpfenden Tanze im Freien, gefungen zu werben pflegten, in zwietheiligen oder auch untheiligen 
Strophen, beginnend mit einer Anfündigung und Zeier der frohen, zu Liebesluft und Tanz unter 
der Linde rufenden Zeit, woran ſich dann eine entſprechende Situation ober Scene knüpft, und 
in WBinterlieder zum Tanz in der Stube, bie in breitheiliger Strophe ſchon mehr bem Einfluffe 
der franz. pastourelle nachgeben und nach einem der winterlichen Jahreszeit gewibmeten Ein- 
gange und einigen minniglichen Übergangsftrophen die „gogelheit der dörper”, ben ausgelaſ⸗ 
fenen Übermuth ber tölpelhaften Dorfbewohner fchildern, ihren Streit untereinander und mit 
dem unter ihnen in Liebeswerbung auftretenden Dichter. Schon bie rein objective Vorführung 
ſolcher Scenen würbe hingereicht haben, um diefe Gefellfchaft in den Augen bes Hofs lächer⸗ 
Lich zu machen ; aber N. brauchte diefe Form mol auch abfichtlich, um unter ihrer Maske alles 
in fich Kleinliche und Erbärmliche, aber Anmaßende, was feine Umgebung am bamaligen, nur 
noch den Schein alter Feinheit und alten Glanzes bewahrenden öftr. Hofe reichlich genug zeigen 
mochte, mit friſchem Humor und einer oft kecken Derbheit zu verfpotten. Mit diefem Humor 
führte er fich auch felbft unter feinem eigenen Namen rebend und handelnd in feinen Liedern 
ein und erleichterte dadurch den bald anhebenden und bi6 durch das 45. Jahrh. dauernden 
Misbrauch, daß ihm zahlreiche, dem Inhalte wie ber Form nach rohe Lieder und Strophen 
untergefchoben, daß er als Bauernfeind aufgefaßt und Abenteuer ihm angedichtet wurben nad; 
Art des Kalenbergers und Eulenfpiegel’d, bis er zulegt fogar unter bem Namen Reidhart 
Fuchs wirklich ald ein Zeitgenoffe des tölpelhaftegefpafigen Pfarrers vom Kalenberge und wie 
diefer al eine Art Hofnarr am Hofe des öftr. Herzogs Otto bes Fröhlichen (geft. 1339) dar⸗ 
geftellt wurde, während zugleich überhaupt in lyriſcher Form erzählte Schwänke, Schalks⸗ 
ftreiche und Abenteuer mit Bauern [hlechthin den Namen Reidharte erhielten. NS Lieder 
find außer in den großen Minnefingerhandfchriften (ſ. Minnefinger) auch in mehren eigenen 
Sammlungen auf uns gelommen, von denen die befte, vielleicht noch bem 13. Jahrh. angehö⸗ 
rende fich in der Bibliothek des Schloſſes Niedegg befindet und von Beneke in den „Bei- 
trägen zur Kenntniß der altdeutfchen Sprache und Literatur” (Bd. 2, Gött. 1832) her- 
ausgegeben wurbe. Alles Erhaltene ift gefammelt durch von ber Hagen in feinen „Minnefin- 
gern” (Epz. 1838). Vgl. von Liliencron, „Über Neidhart's höfifche Dorfpoefie” in Haupt's 
„Zeitſchrift für deutfches Alterthum“ (Bd. 6). 

Neigebaur (Joh. Dan. Ferd.), befonders bekannt als deutfcher Neifefchriftfteller, geb. 24. 
Juni 1785 zu Dittmannsdorf in Schlefien, wo fein Vater Prediger war, befuchte das Gym⸗ 
nafium zu Schweidnitz und dann die Univerfität zu Königsberg. Nachdem er 1807 bei dem 
Obergerichte zu Breslau in den Staatödienft getreten, wurde er 1842 Affeffor bei dem Ober 
Ianbeögericht in Marienwerder. Im 3.1815 trat er als Freiwilliger in die Armee ein und 
wurde zum Landmwehrcapitän ernannt, zog es aber vor, als Gemeiner fofort gegen den Feind zu 
gehen. Auf dem-Marfche zur Armee in Sachſen fammelte er aus den aus Rußland zurüdteh 
renden Rheinbimdötruppen eine Compagnie, mit der er dem Rügom’fchen Freicorps zugewieſen 
wurde. Obgleich Gemeiner, fungirte er Doch ald Capitän feiner Gompagnie. Im fchlef. Gebirge 
nahm er nach und nach bem Feinde fo viele Pferde ab, daß er auch noch eine Escadron errichten 
konnte. Im Gefechte bei Lauenburg an der Elbe wurde er gefangen. Nach dem Frieden vom 
1814 erhielt er eine Anftellung bei dem Generalgouvernement zu Aachen und dann ald Unter 
präfect in Neuchäteau in den Ardennen, 1815 ald Präfeet in dem preuß. Antheile von Luxem⸗ 
burg. Hierauf kam er 1816 als Oberlandesgerichtsrath nach Kleve, 1820 nach Hamm, 1822 
nach Münfter, 1826 nad) Breslau, 1832 als Geh. Juſtizrath und Landesgerichtsdirector nach 
Srauftadt, 1835 ald Dirigent des Eriminalfenats nad Bromberg. Nachdem er 1842 bie rich⸗ 
terliche Laufbahn verlaffen, ging er als preuß. Generalconful fürdie Moldauund Walachei nach 
Jaſſy, welche Stellung er einige Jahre bekleidete. N. iſt auch als Schriftſteller ſehr thätig gewe⸗ 
ſen. In früherer Zeit veröffentlichte er: „Briefe eines preuß. Offiziers während feiner Gefan⸗ 
genfchaft in Frankreich in den J.1813— 15” (2 Bde. Köln 1816 —17) ; eine fatirifche Schrift: 
„Keine Volksrepräfentation in ben deutfchen Bundesſtaaten“ (Germanien 1816); „Der preuf. 
Proceß ohne die ihm zum Vorwurf gemachten Mängel und unter Aufnahme der Offentlich 


Reipyerg Reiſſe 106 - 


Rechtspflege” (Jena 1819); Handbuch zur Ausübung der freiwilligen Gerichtsbar⸗ 
mm 18245 2. Aufl, 1827). Als Srüchte feiner vielen Reifen, durch die er den größ⸗ 
; Europas aus eigener Unf Sennen lernte, find zu nennen: „Handbuch für Reis 
Stalien” (2pz. 1826; 3. Aufl, £pz. 1840); „Handbuch für Reifende in England” 
29); „Reuefles Gemälde ber Schweiz” (Wien 18315 2. Aufl, 1840); „Reueftes Ges 
taliens , ber Sonifchen Infeln und Maltas“ (2 Bde., Wien 1832); „Neuefiet Ge» 
e Rieberlande und Belgiens” (Wien 1853) und „Reuefted Gemälde von Schweden, 
u und Dänemark” (Bien 1833), die zugleich Theile der „Uülgemeinen WWelttunde” 
ig bilden; ferner das „Dandbuch für Meifende in Frankreich” (Wien 1832; 2. Aufl, 
3); das mit Ferd. Aldenhoven herausgegebene „Handbuch für Beifende in Griechen- 
Bie., 2pz. 1842); „Dresden und die Sächſ. Schweiz ; illuſtritrt von G. Echlid”” (Lpz. 
„Der Papft und fein Reich” (Epz. 1847; 2. Aufl, 1848); „Sicilien“ (Lpz. 18485 
1848) ; „Sarbinien” (Epz. 1853). Während feines Aufenthalts in den Donaufür- 
ern fammelte er die Materialien zur „Beichreibung ber Moldau und Walachei“ (Rp. 
Die Sübflawen” (Lpz. 1851) und „Daciens claffifche Alterthůmer“ (Kronft. 1851). 
veröffentlichte er einige pikante fatirifche Wrbeiten, wie Anſichten aus der Gavalier- 
ve im I. 1835” (Epz. 1856); „Der Gavalier auf Reifen” (Epz. 1838); „Rur 
h Necden“ (Epz. 1840). Gegenwärtig lebt N. meift in Italien. 

werg, ein altes, ehemals reichsunmittelbares Wittergefchlecht aus Schwaben im 
m, wurde 17354 duch Kaifer Karl VI. in den Reichögrafenfiand erhoben und erhielt 
ig und Stimme in dem fchwäb. Grafencollegium. Es befigt die Stanbesherrfhaft 
ern, unter würtemb., und halb Gemmingen, ımter bad. Hoheit, zufammen 1. QM., 
DE — Graf Wilß. von W., kaiſerl. Feldmarſchall, ſchloß 1739 den unglüdlichen 
m Belgrad und verlor 1741 die Schlacht bei Mollwig gegen Friedrich d. Gr., bie 
6 Schickſal entfchied, blieb aber nichtsbeſtoweniger bis zu feinem Ende ein Günſtling 
gLund Maria Therefia. Er farb 1773 als Hofkriegerath und Commandant von 
- Gein Enkel war der Graf Albbert Adam von M., geb. 1775. Derfelbe trat früh⸗ 
Wir. Dienfte und kam ebenfo frühzeitig in ben Generalſtab, hatte aber bad Unglüd, am 
u ben Franzoſen gefangen zu werden, bie ihn, als einen angeblichen Emigranten, arg 
Biten, bei welcher Gelegenheit er ein Auge einbüßte. Nichtsdeſtoweniger diente er mit 
er Auszeichnung fort. Beſondern Ruhm erwarb er ſich Im ital. Feldzuge vor Mantua, 
bei Caſſano, Novi und Marengo. Wegen bes von ihm und dem Grafen &t.-Sulien 
egrand in Paris abgefchlofienen Präliminarfriedens, den das öſtr. Cabinet nicht ge- 
wurde er nach) Mantua verwiefen und verbeirathete ſich 1806 mit einer gefchiedenen 
ini aus Baſſano. Im Kriege von 1809 fand er bei dem Corps des Erzherzogs Fer- 
mb 1814 ging er als Geſandter nach Schweben. Sein rühmlicher Antheil an den Er⸗ 
vor und in ber Schlacht bei Leipzig brachte ihm die Ehre, bie Siegesnachricht nach 
überbringen. Huch in dem Feldzuge in Frankreich zeichnete ex fi) mehrfach aus. Im 
B44 erhielt er den Grab als General-Feldmarfchalfieutenant und wurde zum Oberhof⸗ 
ex Kaiſerin Maria Luiſe erfehen, die fich fpäter mit ihm in morganatifcher Ehe verbun- 
n fol. Rad) langer Krankheit flach er 22. Febr. 1829. — Sein ältefter Sohn, Graf 
on M., geb. 26. Jan. 1807, würtemb. Generalmajor, iſt der gegenwärtige Standes⸗ 
ſeit 1840 mit der Prinzeffin Maria von Würtemberg vermaͤhlt. 

e, ein fchlefifches Fürftenthum, anfangs von ber Hauptburg Ottmachau das Ottma⸗ 
and, mit bem Aufkommen ber Stadt N. bas Neiffer Land genannt, gelangte 1201 
henkung an das Bistum Breslau und wurde burch bie Bifchofe, vergrößert. 
SAA erwarb der Bifchof Preczlaus burch Kauf Bas Grottkauer Land, weshalb ſich auch 
e breslauer Bifchöfe Fürften von NR. und e von Grottkau nannten. Gegen 40 
oh, umfaßte das ganze Fürſtenthum die Städte N, Grottkau, Patſchkau, Ottmachau, 
16, Weidenau, Zuckmantel, Sauernid und Freiwaldau. Nach den Breslauer Frieden 
2 blieb bei Off nur ber Eleinere gebirgige fübliche Theil (gegen 17 AM.), wo noch 
breslauer Bisthum Grundherrlichkeit hat; ber größere nördliche Theil gelangte an 
‚ bildete nun die Kreife N. (13, AM.) und Grottkau (9,52 AM.) des Regierungs« 
Dppeln und wurde 1810 bei der allgemeinen &äcularifation der geiftlihen Güter 
6 für Gtaatseigenthum erflärt. — Die Stadt und Feſtung Neiffe, früher Haupt- 
Fürftenthums und fürſtbiſchõfliche Refidenz, jegt Kreisfladt, liegt in breiter Thalung 
1, der in der Grafſchaft Glat auf den ſuͤdlichen Ausläufer bed glager Exhnen 





106 Meith Nekrologien 


bergs entſpringenden KReiſſe, von ber fie den Namen erhalten hat, und deren Nebenfluß 
Biele, ber die Stabt in zwei Armen durchſtrömt. Sie zählte 1852 mit Altſtadt und Pulver-. 
mühle 12968 (worunter 2222 Evangelifche und 380 Juben), mit Militär 16653 €. und hat 
zwei große Pläge (Marktplag und Salzring) und einige breite Hauptſtraßen (Breslauer- und 
Zollſtraße). Unter den acht Path. Kirchen zeichnen fich die große 1430 neuerbaute goth. Pfarr⸗ 
Eiche des heil. Jakobus, die im ionifchen Stit 1715 aufgeführte Euratialfirche zu St.-Peter 
und Paul und bie ſchöne Gymnaſialkirche Mariä Himmelfahrt (1688 von ten Zefuiten erbaut) 
aus. Die Evangelifchen befigen zwei Kirchen. Das 1624 vom Erzherzog Karl geftiftete kath. 
Gymnaſium mit einem Convict St.-Anna wurde 1853 von 450, die 1852 eröffnete Nealfchule 
von 200 Schülern befucht. Das aus bifchöflicher Zeit ftammende große Hospital im Klofter 
des ehemaligen Kreuzſtiftes ift jegt den Barmherzigen Schweftern anvertraut. Ein anfehnliches 
ftäbtifches Theater wurde 1852 erbaut. In den Räumen bes alten bifchöflichen Schloffes ift 
eine Artilleriewerkftatt eingerichtet; in dem neuern bifchöflichen Reſidenzgebäude befinden fich 
jegt mehre Fönigl. Behörden. N. ift durch eine Zweigbahn mit Brieg und der Oberfchlefifchen 
Eifenbahn verbunden und wird von ftarken Feſtungswerken umgeben. Es erhielt ſchon 1550 
durch Biſchof Preczlaus Mauern, hinter welchen die Bewohner 1428 den Huffiten tapfern Wis 
berftand Ieifteten, und wurde 1594 mit Schangen und Bafteien ſchwach verfehen. Während bes 
Dreißigiährigen Kriegs ward die Stadt drei mal feinblich befegt: 1621 vom Markgrafen Joh. 
Georg von Jägernborf, 1632 von Sachfen und Dänen und 1642 von ben Schweden. Seit 
1643 durch Wall und Graben ftärker befeftigt, ging fie 1744, von den Preußen belagert, durch 
Gapitulation über, worauf Friedrich II, der die ftrategifche Lage wohl zu würdigen wußte, einen 
großartigen Feflungsbau begann. Es wurden an bie Stelle ber eingeäfcherten Vorftädte ver⸗ 
ftärkte Werke gefegt und auf dem bis dahin fhuglofen Linken Ufer der Neiffe, wo der König zu⸗ 
gleich bie nach ihm benannte, bis 1810 eine eigene Stadt bildende Friebrichftadt erbauen Tief, 
einigg Dauptboilwerke, insbefondere felt 1743 das Fort Preußen aufgeführt. Im J. 1758 von 
ben Oftreicheen vergeblich belagert, mußte fich N. 16. Juni 1807 nach harter Belagerung den 
Franzoſen burch Eapitulation ergeben, die es num bis 13.Nov. 1808 befegt hielten. Vgl. Mins- 
berg, „Geſchichtliche Darftellung der merkwürdigſten Ereigniffe ber Fürſtenthumſtadt N.” 
(Neiffe 1834); Kaftner, „Urkundliche Gefchichte der Stadt N.” (Neiffe 1854). — Aufer dem 
bereits errmähnten Fluſſe führen noch zwei Flüſſe ben Namen Neiffe, nämlich die Laufitzer 
Reiſſe, die fich in Die Oder ergießt, und Die Wüthende oder Jauerfche Keiſſe, ein Nebenfluß ber 
Kasbach und mit diefer ebenfalls ein Nebenfluß der Oder. 

Neith ift eine ägypt. Göttin, welche vorzüglich in der unterägypt. Stabt Sais als Localgott⸗ 
heit verehrt wurde und daher hieroglyphiſch fehr Häufig die Bezeichnung „Herrin von Sais“ 
führt. Ste wurde von ben Griechen mit der Athene verglichen, an welche ihre Symbole, in äl- 
terer Zeit zwei Pfeile, in Tpäterer ein Inftrument, welches für ein Weberfchiffchen gehalten 
wird, erinnern. Sie erfcheint befonders haufig ald Gefährtin bes Prha, welcher ald Kocalgott 
der alten Reſidenz Memphis an der Spige ber unterägypt. Götterkreife ſteht; daher führt fie 
öfters ben Beinamen ber großen Göttermutter. Wie alle großen Göttinnen wurde fie nicht fel« 
ten mit ber Iſis ibentificirt. Zu Said wurde ihr jährlich ein eigenthümliches Heft gefeiert, am 
welchem man bie ganze Nacht hindurch unzählige Rampen anzündete, wovon ed das Lampen⸗ 
feft genannt wurde. Plutarch und Proflus führen an, daß ihr Tempel zu Said die Infchrift 
führte: „Ich bin das AU, das Vergangene, Gegenmwärtige und Zufünftige; mein Gemanb 
(peplos) hat noch Fein Sterblicher gelüftet“, eine Infchrift, die durchaus feinen ägypt. Cha 
rafter trägt und noch weniger als eine befondere Tempelauffchrift gedacht werben kann. 

Rekrologien, d. i. Todtenbücher, nannte man im Mittelalter die Kalender ber geiftlichen 
Stifter und Klöfter, in weldyen an ben betreffenden Tagen die Namen Derer eingezeichnet wur⸗ 
den, deren Andenken man durch Einfchließung in bie öffentliche Bürbitte ehren wollte. Gleich 
bedeutend ift Necrologium mit Mortilogium und Obiturniumz auch gebrauchte man dafür Re- 
gula und Martyrologium, weil das Nekrofogium meift der Orbensregel und dem Martyrolo- 
gium angehängt war, fowie Liber oblegiorum und Liber praesentiarum, weil man barin 
neben dem Namen des Verftorbenen zugleich die Gabe zu bemerken pflegte, die man ihm ver» 
dankte. In den Nefrologien wurben, außer den Dauptfefttagen und ben Namen der Heiligen 
und Märtyrer, in chronologifcher Ordnung eingezeichnet bie Namen der Päpfte, Kaifer und 
Könige; der Landesherren, Metropolitan. und Diöcefanbifchöfe; der Abte, Abtiffinnen, Pröpfte 
des Stiftes ſelbſt; der Ordensmitglieder; ber in Dem Stifte verftorbenen Pilger (peregrini) ; ber 
bekehrten, in den Moͤnchsſtand getretenen Sünder (cohversi); der in früher Jugend dem geift» 


Nekromantie Nekropolen 107 


lichen Stande geweihten Jünglinge (oblati) und Jungfrauen (velatae); der eingezellten Büßen- 
den (reclusi); der untern Kirchendiener, der Laienbrüder und der Laienſchweſtern; bie Haupte 
ftelle aber nehmen ein bie Stifter mit ihren Familien und die Wohlthäter (benefactores), welche 
für ihre Schenkungen die Brüderſchaft des Klofterd (Tratres conscripli) gewonnen oder Sees 
Ienmeffen geftifter hatten. Ste pflegten durch größere Schrift, durch farbige Tinte und durch 
Kreife ausgezeichnet zu werben; doch mußten freilich in dem mehr und mehr ſich füllenden 
Buche namentlich die Namen der ältern Wohlthäter denen ber neuern weichen. Die Nekro⸗ 
logien entftanden aus den gefchriebenen Diptychen, von denen fie ſich dadurch unterfcheiden, 
daß dieſe bei den Einzeichnungen meift die genealogifche Ordnung beobachten und fo gewiſſer⸗ 
maßen die erſten genealogiſchen Geſchlechtstafeln bilden. Die früheſten Nekrologien ſind un⸗ 
ſtreitig verloren gegangen; allein im 8. Jahrh. hat ſich bereits das der Abtei Lorch erhalten. 
Eine bedeutende Anzahl derſelben iſt in den Quellenſammlungen deutſcher Geſchichten und 
in den Schriften mehrer hiſtoriſcher Vereine abgedruckt. Das für die Geſchichte der deutſchen 
Fürſtengeſchlechter fo wichtige Nekrologium von Fulda, aus den J. 780 — 1065, iſt kein ei⸗ 
gentliches Nekrologium, ſondern ein nach den Jahren geordneter Auszug aus mehren Nekro⸗ 
logien. — In neuerer Zeit waͤhlte zuerſt Schlichtegroll den Namen Nekrolog als Titel für 
feine „Nachrichten von dem Leben merkwürdiger verſtorbener Deutſchen in den J. 1790 — 
1800” (22 Bde., Gotha 1791 —1801, nebft einem Supplementband, 1798), denen er den 
„Rekrolog ber Deutfchen für das 19. Jahrh.“ (5 Bde, Gotha 1802—6) folgen ließ. Der 
Buchhändler B. F. Voigt griff die Idee von neuem auf, und es erfchien nun feit 1823 der 
„Reue Nekrolog ber Deutfchen”, zuerſt unter F. A. Schmidt's Nebaction, nach deffen Tode aber 
uter Voigt's Leitung felbft, ber ihn unter manchen Opfern ununterbrochen fortgefegt hat. 

Nekromantie (griech.) bezeichnete im Alterthume dad Heraufbeichwören ber Abgeſchiede⸗ 
nen, um fie über die Zukunft zu befragen, und bildefe eine befondere Art der Wahrfagung. Wie 
faft alle abergläubifchen Gebräuche, ſtammt auch diefe Sitte aus dem Orient und verliert fich in 
bie grauefte Vorzeit. Beifpiele finden fih unter Anderm auch in den Schriften des Alten Te- 
flaments, wo die Nekromantie ald Kunft bes bofen Geiſtes verboten wird. Im elften Buche ber 
„Odyſſee“, welches daher die Überfchrift „Netromantie” führt, läßt Homer den Schatten des 
Zireftad vom Ulyſſes aus ber Unterwelt hervorrufen und weiffagen. Die Gebräuche, welche da⸗ 
ſelbſt befchrieben werben, enthalten aber durchaus nichts Zauberifches und beftehen im Grunde 
blos in einem mit befondern Feierlichkeiten vollgogenen Opfer. Überhaupt gab es feit den älte⸗ 
ſten Zeiten in manchen Gegenden Griechenlands fogenannte Nekromanteia ober Todtenopfer, 
umd felbft die Sage von bem Hinabfteigen bed Orpheus (f.d.) in bie Unterwelt wird von Eini- 
gen hierher gezogen. Während nun im übrigen Griechenland die Nekromantie unter Leitung 
der Priefter oder gottgeweihter Perfonen in Tempeln ausgeübt wurde, befchäftigten ſich in Thef- 
falien, dem Sige ber Zauberei, damit eigene Perfonen, welche Pſychagogen oder Heraufführer 
der Schatten genannt wurben und zauberifche Formeln und Gebräuche Dabei anmwendeten. Doch 
artete fie in diefem Lande fpäter aus und führte zu den empörendften Handlungen, indem bie 
Bauberer, bie dem menfchlichen Blute und Allem, was aus den Gräbern fam, eine höhere Kraft 
beifegten, balbverbrannte Menfchen vom Scheiterhaufen riffen, andere Icbendig begruben, die 
unzeitige Frucht aus dem Mutterfeibe fchnitten und bisweilen fogar Menfchen fchlachteten, um 
ihre Geiſter, noch ehe fie zur Unterwelt hinabeilen könnten, zu befragen. Infofern die hervorge- 
rufenen Schatten fich dem Beſchwörer wirklich zeigten, nannte man bie Nekromantie @fio- 
manteia und Pſychomanteia, d. h. Wahrfagen der Schatten oder abgefchiedenen Seelen. Auch 
in den Befängen der ſchott. Barden, namentlich bei Offian umd in mehren altdeutfchen Liedern, 
finden wir Andeutungen und Spuren biefer Wahrſagung. Eine genaue Auseinanderfegung 
ber verfhiebenen Arten der Nekromantie liefert das ältere Werk von Peucer: „Commentarius 
de praecipuis divinalionum generibus” (Zerbft 1591). | 

Metropolen, Tobtenftädte, werden bie Begräbnißpläge in ber Nähe der alten Städte ger 
nannt. Am berühmteften waren die ägyptifchen wegen ihrer oft fehr bebeutenden Ausdehnung 
und weil bier die zum großen Theil ftattlich aufgebauten oder in den Fels gehauenen Gräber, 
im weichen bie Mumien beigefegt wurben, noch paffender als anderswo mit Wohnungen ber 
Todten verglichen werden Eonnten. Die Nekropolen von Memphis und Xheben zogen fich mei⸗ 
Ienweit am Ranbe der Wüſte Hinz die Grabgebaäude bildeten öfter& breite regelmäßige Straßen, 
wie die in ber Nähe der größten Pyramiden von Gizeh, und enfhielten zumellen größere Com⸗ 
Yıre von Höfchen und bedeckten Räumen, welche der Familie jederzeit zugänglich blieben, um 
den Verſtorbenen darin die Todtenopfer zu bringen. 


108 Nektar Nellenburg 


Nektar (griech.) nannten die Alten, beſonders Homer, Heſiod und Pindar, fowie bie Rö- 
mer, den fpecififchen Trank ber Götter, Ambrofia aber bie Speife berfelben. Bei den Lyrikern 
Sappho und Alkman fand das umgekehrte Verhältnif ſtatt. Homer befchreibt den Trank als 
äußerlich dem Wein ganz ähnlich, roch und mit Waſſer vermifcht getrunken; doch unterfcheibet 
ex ſich mefentlich vom Weine, infofern der fortgefegte Genuß des Nektar Unfterblichkeit verleiht. 
Auch Menfchen, welche Lieblinge der Götter find, wird er gereicht, wie 3. B. dem Achilles, bei 
dem der einmalige Genuß von Nektar und Ambrofia mwenigftend eine augenblidliche Stärkung 
bewirkte. Spätere Dichter verbinden mit Nektar und Ambrofia vorzugsweiſe den Begriff des 
anmuthig, lieblich Duftenden ; fo Hauchen 3. B. das Haupthaar bes Zeub, die Loden der Here, 
der Gürtel der Aphrodite, die Sandalen der Athene u. ſ. w. Ambrofiadüfte. Was mit Nektar 
beträufelt, mit Ambroſia gefalbt ift, bewahrt ewige Jugend, bleibt frei von Nunzeln und Ver⸗ 
wefung. In weiterer übertragener Bedeutung vergleicht man mit Nektar und Ambrofia Alles, 
was fich durch Lieblichkeit des Geſchmacks auszeichnet. 

Neleus, der Sohn des Kretheus oder eigentlich des Pofeidon und der Tyro, der Tochter des 
Salmoneus, ein Zwillingsbruder des Pelias, Gemahl der Chloris und Vater des Neftor, 
wurde nebft feinem Bruder von ber Tyro ausgeſetzt. Pferbehirten fanden die beiden Knaben 
und zogen fie auf. Erſt erwachfen erfuhren fie, mer ihre Mutter fe. Wegen graufumer Be- 
handlung ihrer Mutter durch deren Stiefmutter Sidero erftach Pelias die Legtere. Nach dem 
Tode des Kretheus geriethen beibe Brüder in Zwift über die Herrſchaft von Jolkos in Theffa- 
lien, und N. zog vertrieben nach Meffenien, wo er Pylos erbaute. Hier kam er mit Herafles in 
Kampf, weil er ihn nach ber Ermordung bes Iphitos nicht fühnen wollte; dafür erfchlug Hera⸗ 
kles die Söhne des N., den Neftor (f. d.) ausgenommen. Auch hatte N. Kämpfe mit den Arka⸗ 
biern unb dem Epeierfönig Augene zu beftehen. Er farb endlich nach Pauſanias zu Korinth, 
wo ihm Siſyphos ein Grabmal errichtete. Seine Nachkommen, bie Meliden, wurden von ben 
Herakliden aus Meffenien vertrieben und gingen zum größten Theil nach Athen. 

Nelke (Dianthus) Heißt eine artenreiche Pflanzengattung mit fehönen und häufig fehr wohl⸗ 
riechenden Blüten, deren röhriger fünfzähniger Kelch am Grunde mit zwei ober vier Schuppen 
umgeben iſt und fünf am Schlunde plöglich in einen Inealifhen Nagel zufammengezogene 
Blumenblätter, zehn Staubgefäße und einen Fruchtknoten mit zwei Griffeln enthält. ‘Die vor« 
züglichfte und befanntefte Art iſt die Gartennelke (D. Caryophylius), welche auf Kelfen und 
altem Gemäuer im füdlihern Europa wild wächft, im mittleren Europa hier und dba verwildert 
vorkommt und mit einer Unzahl von Spielarten binfichtlich der Farbe, Anzahl, Form und Stel- 
lung ber Ölumenblätter allgemein in Gärten cultivirt wird. Sie trägt einzeln ſtehende, fehr an⸗ 
genehm und gewürzhaft riechende Blüten mit kurzen, faft rautenförmigen Kelchſchuppen, bes 
fist am Rande glatte Blätter und treibt zahlreiche niederliegende, fehr äftige, verlängerte Stänım- 
hen. In Hinfiht auf den Bau der Reltenblumen unterfcheiden die Blumiften ben Neltenbau, 
Ranunkelbau, Rofenbau, Kegelbau, Zriangelbau und gemifchten Bau, und binfichtlich der 
Grundfarbe und Zeichnung theilen fie bie Nelken ein in Picotten, Bizarden, Wicott-Bizarben, 
Doubletten, Feuerfaxe, Fameuſen und Concorbien. Auch hat man eine ziegelſchuppige Spiel» 
art. Bol. „Suftem der Gartennelke, geftügt auf das Weismantel’fche Nelkenfoftem” (Berl. 
1827). Die zum Theil auch in Deutfchland einheimifche Federnelke (D. plumarius) wird in 
den Gärten haufig zur Einfaffung der Beete verwendet. Die ihr nahe verwandte Prachtnelke 
(D. superbus), welche auf feuchten Stellen nicht felten wächft, befigt ſehr wohlriechende Blü⸗ 
ten. Die Bartnelke oder Buͤſchelnelke (D. barbatus) hat am Ende des Stengel dicht-büfche- 
lig gehäufte und von zugefpigten, ausgefpreizten Dedblättern umgebene Blüten, die in Farbe 
und Zeichnung äußerſt mannichfach abändern, weshalb biefe Art eine in unfern Gärten häufige 
Zierpflange abgibt. Unter den bei uns häufig wild wachfenden Nelken verdienen namentlid) die 
auf Feldrainen und Grasplägen wachſende deltafledige oder Faidenelke (D. deltoides) wegen 
ihrer ſchönen brennendrothen Blumen und bie auf Abhängen Häufige Karthäufernelke (D. Car- 
thusianorum) mit kopfformig gehäuften Blüten bemerkt zu werden. — Über die Frucht bes Ge⸗ 
würznelkenbaums und deren Ol f. Bewürznelten. 

Nellenburg, ehemals eine Landgrafichaft in Schwaben, von etwa 16QM., gehörte früher 
den Grafen von Thengen, wurde diefen 1645 vom Erzherzoge Sigismund von Öftreich abge» 
tauft, 1805 an Würtemberg und 1810 an Baden abgetreten und if jegt dem Seekreiſe einver- 
leibt. Der Hauptort war dad Stäbtchen Stodad mit 1500 E., der Sig des Faifer!. Landge⸗ 
richts zu Nellenburg und bekannt wegen ber dafelhft bis gegen Ende des 18. Jahrh. beftehenden 
Narsrenzunft. Das alte Bergſchloß Nellenburg, der Sig der Landgrafen von N., eine halbe 


Nelfon 109 


Stunde von Stockach, ift jegt Ruine. Gegenwärtig gehört fie zum Amte Stodac im Geekreife, 
welcher früher ber Hauptort ber Landgraffchaft war. 

Nelſon (Horatio, Viscount), einer der größten Sechelden Englands, war der Sohn des 
Pfarrers Relſon zu Burnham-Thorpe in der Braffchaft Norfolk und wurde dafelbft 29. Sept. 
1758 geboren. Sein Oheim, der Gapitän Sudling, nahm ihn im Alter von 12 3. auf 
ein Linienſchiff. Seitdem bereitete ex fich unter Seereifen für den Marinedienft vor und beftand 
4777 bie Prüfung als Schiffslieutenant. Auf der Fregatte Loweſtoffe that er ſich als folcher 
bei der Wegnahme eines Amerikaners in der Nähe von Jamaica fo hervor, baf er den Befehl 
über einen zur Eppedifion gehörigen Schooner erhielt. Der Admiral Parker nahm ihn hierauf 
auf fein Flaggenſchiff und gab ihm noch 1778 eine bewaffnete Brigg, mit welcher er an der 
Hondurasbai und der Mosquitofüfte kreuzen mußte. Die Unternehmungen gegen bie ſpan. Be⸗ 
figungen 1780 gaben ihm zuerft Gelegenheit, ſich auszuzeichnen. Doc war ihm das tropiſche 
Klima fo nachtheilig, daß er den Befehl über das Schiff Janus zu Jamalca niederlegen und 
nach England zurüdkehren mußte. Im Winter 1781 kreuzte er in ber Nordfee, aber ſchon im 
Sommer des folgenden Jahres ging er in die amerik. Gewäffer ab und trat unter dad Com⸗ 
mando bes Lord Hood. Im März 1784 erhielt er mit bem Range eines Gapitäns das Commando 
über eine Fregatte, die unter Sir Edward Hughes’ Befehl vor den Infeln unter dem Winde 
kreuzen follte. Nachdem er ſich 1787 zu Nevis mit einer Weftindierin, ber Witwe des Dr. Nes⸗ 
bit, verheirathet, kehrte er nach England in den Privatftand zurüd, bis ihn 1795 der Krieg ge 
gen Frankreich wieber auf ben Schauplag rief. Er ging unter dem Befehle bes Lord Hood ins 
Mittelmeer ab, wo er im Aug. 1795 mit Aufträgen an den brit. Gefandten nach Neapel ge 
ſchickt wurde. Hier entfpann fich zwiſchen ihm und ber Lady Hamilton (f. d.) ein Verhältniß, 
ba6 fpäter feinem Rufe fo nachtheilig werden ſollte. Noch in demfelben Jahre zur Aufrechterhal⸗ 
tung ber beit. Sache nach Gorfica geſchickt, hatte er das Unglüd, bei der Einnahme von Galvi 
das rechte Auge zu verlieren. Unter Lord Hotham, der den Befehl im Mittelmeer übernahm, 
leiftete er [ehe woichtige Dienfte, fobaß er ben Rang eines Oberſt davonteng. Als Sir John 
Jervis (Lord &t.-Bincent) im Nov. 1795 das Kommando antrat, wurbe er von biefem zum 
Commodore ernannt und erhielt die Führung eines Schiffs von 74 Kanonen. In der Schlacht 
beim Borgebirge &t.-Vincent, 14. Febr. 1797, erwarb er fich endlich den Grab eines Contre⸗ 
abnılrals, indem er ein Schiff von 64, ein anderes von 412 Kanonen eroberte. Hierauf erhielt 
er den Befehl über bad Blockadegeſchwader vor Cadiz. Auf die Nachricht, daß ein überaus rei- 
des fpan. Schiff im Hafen von Sta.-Eruy liege, verfuchte er im Juli 1797 die Wegnahme bef- 
felben an ber Spise von brei Sregatten. Bei diefem Unternehmen, welches misglückte, erhielt 
R. einen Schuß in dem rechten Arm, fodaß derſelbe amputirt werben mußte. Nach feiner Her⸗ 
ſtelumg befam er den Auftrag, mit einigen Schiffen den Hafen von Toulon an bewachen, wo bie 
Exrpedition nach Agypten (ſ. Napoleon J.) ausgerüftet wurde. Indeß zwang ihn ein Sturm, die 
Station zu verlaffen, und unterbef konnte die frang. Flotte auslaufen. Nachdem er eine Ver- 
flärtung von acht Linienfchiffen an fich gezogen, eilte er zufolge einer Nachricht, die er auf Sici⸗ 
lien eingezogen, nach der ägypt. Küfte, wo ex indeß früher ankam als die Franzoſen. Er kehrte 
hierauf nach Eicifien zurüd und erhielt hier die Gewißheit von ber Landung der Franzoſen bei 
Alexandria. Mit Eifer fegte er feinen Weg zum zweiten mal nad) Agypten fort, traf bie franz. 
Flotte bei Abukir (f. d.) vor Anker und lieferte hier jene dentwürbige Schlacht, die mit Zerftö- 
tung der feindlichen Streitmacht endete. Das Parlament erhob ihn bafür zum Baron Nelfon 
vom Ril und gab ihm eine Penfion von 2000 Pf. St.; auch vom türk. wie vom ruff. Kaiſer 
umb vom Könige von Neapel erhielt er reiche Gefchente. N. wurde zu Neapel mit Feſtlichkeiten 
empfangen, und der Hof erflärte num Frankreich ben Krieg. Als jedoch bie Franzofen in Nea⸗ 
pel einbrangen, führte er ben Hof, deffen befchränkte und blutige Reactionspolitit er weſentlich 
förderte, nad) Palermo und fuchte die Gegenrevolution im Neapolitanifchen zu bewir⸗ 
fen. Rachdem Lord Keith den Befehl im Mittelmeere erhalten, reifte er mit der Lady Hamilton 
über Zrieft nad) Deutfchland und Tehrte im Nov. 1800 nach England zurück. Kurze Zeit 
darauf wurde er Admiral der Blauen Flagge. In diefer Eigenfchaft übernahm er die Stelle 
eines zweiten Befehlshabers in der großen Flotte, die unter bem Admiral Parker in die Nordſee 
beflimmt war, um bad Bündniß ber nord. Seemächte zu trennen. Nachdem bie brit. Flotte den 
Sund paffirt, erhielt N. 2. April 1801 den Auftrag, mit zwölf Linienfchiffen und drei Fregat⸗ 
ten bie Defenfionslinie von Kopenhagen anzugreifen. &o ungemein auch bie Tapferkeit war, 
mit welcher er das Unternehmen leitete, fo blieb Doch der Kampf nach einem fünfftündigen Ge- 
fechte imentfchieden, und N. ſah fich endlich genöthigt, den Dänen einen Waffenſtillſtand anzu⸗ 


110 Nemea Nemeſis 


tragen, der zu einem Vergleich führte. Während ſich Parker auch mit Schweden und Rußland 
verſtändigte, kreuzte N. an den Küften der Oſtſee und kehrte dann im Mai nach England zu⸗ 
rück, wo ihn der König zum Viscount erhob. Er erhielt hierauf den Befehl über die Küftenflotte, 
mit welcher er 16. Aug. 1804 einen Angriff auf die franz. Schiffe vor Boulogne nıachte, der 
jedoch mißlang. Als die Feindfeligkeiten wieder begannen, übernahm er den Befehl im Mittel» 
meere. Er beobachtete hier unausgefegtdie franz. Flotte aus der Ferne, die endlich im Mar; 1805 
ben Hafen zu Toulon verließ, fi mit dem fpan. Geſchwader zu Cadiz vereinigte und ben Weg 
nach Weftindien einfchlug. AEN diefe Nachricht vernahm, eilte er nach, fand aber den Feind 
nicht, ber wieder nach Cadiz zurückgekehrt war. Bon England ging er im September ins Mittel« 
meer zurüd und übernahm vor'&adiz den Oberbefehl über 27 Linienfchiffe. Mit diefer Streit 
macht verfolgte er die ſpan.franz. Flotte, die 33 LKinienfchiffe ftark 19. Det. ausgelaufen mar, 
umd traf diefelbe 21. früh um 9 Uhr beim Vorgebirge Trafalgar (f. d.). Wahrend er durch ein 
telegraphifches Signal den Seinen das kurze, hiſtoriſch gewordene Wort zurief: „England expects 
every man to do his duty” („England erwartet, daß Jeder feine Pflicht thun wird I’), entfpann 
fich fogleich ein furchtbarer Kampf, der mit. der gänzlichen Niederlage der Franzoſen und Spa⸗ 
nier endigte. Schon war-die Schlacht entichieden, ald N. aus dem Maftlorbe des feindlichen 
Schiffs, mit dem er fampfte, einen Musketenſchuß in die Schulter erhielt, der durch die Runge 
drang und das Rückgrat zerfchmetterte, fodaß er nach einigen Minuten verfchied. Seine Reiche 
Langte 8. Zan. 1806 in London an, mo man diefelbe in ber Paulskirche unter einem prächtigen 
Denkmale beifegte. Sein Titel ging auf feinen Bruder, den Grafen Nelfon, über, der ihn 
1835 an den Schwefterfohn, Thon. Bolton, vererbte. Letzterer flarb 1856, und es führt num 
den Titel beffen Sohn, Horatio R., geb. 1823. Mit der Lady Hamilton hatte N. eine Tochter 
erzeugt, die feinen Namen führte. Sein Leben haben befchrieben Clarke (2 Bbe., Lond. 1810), 
Churchill (Lond. 1813) und Southey (2.Aufl., Lond. 1831). Vgl. außerdem Nicolas, „The 
dispatches and letters of Admiral Viscount N., Jan. 1802 — April 1804” (2ond. 1845); 
Pettigrew, „Memoirs of the life of N.” (2 Bde., Lond. 1849). 

Nemeẽea, ein Bleden in der Randfchaft Argolis im Peloponnes, zwifchen Kleona und Phlius, 
war im Alterthume berühmt durd, einen prachtvollen Tempel des Zeus und noch mehr durch 
die Nemeiſchen Spiele, welche in der waldigen Thalgegend um N. vier mal in zwei Olympia⸗ 
den gefeiert wurben. Diefe Spiele, welche mit den Olympifchen, Iſthmiſchen und Pythifchen 
Spielen eine ziemlich gleiche Einrichtung hatten und wie diefe zu den großen Nationalfeften von 
Hellas gehörten, wurden der Sage nad) von den gegen Theben vereinigten fieben Fürſten zu Eh⸗ 
ren des Zeus, nach Andern von Hercules nad) Überwältigung des Nemeifchen Köwen, der in der 
Nähe von”. felbit feine Höhle hatte, geftiftet. Sie beftanden ebenfalls theild aus gymnafti- 
{hen oder Förperlichen, theild aus mufitalifchen oder geiftigen Übungen und Wettkämpfen. Die 
Kampfrichter wurden aus Argos, Sicyon und Korinth gewählt, trugen ſchwarze Trauerffeider 
und ftanden im Rufe firenger Unparteilichkeit. Der Ehrenpreis des Siegers war anfangs ein 
Kranz von Olzweigen, fpäter von Epheu. Bon Pindar (f.d.) befigen wir noch elf Hymnen auf 
Sieger in diefen Wettkämpfen. Vgl. Kraufe, „Die Pythien, Nemeen und Iſthmien“ (Xp. 1841). 

Nemeflänus (Marcus Aurelius Olympius), ein rom. Dichter aus dem 3. Jahrh. n. Chr., 
von Geburt ein Karthager, fol ſich durch mehre didaktifche Gedichte über den Fifchfang, die 
Jagd und das Seewefen, die von ihm unter dem Titel „Halieutica”, „Cynegetica” und „Nau- 
tica” angeführt werden, großen Ruhm erworben haben. Vorhanden iſt noch ein größeres Bruch- 
flüd ber „Cynegetica”, aus 325 Verſen beftehend, herausgegeben von Haupt (Xpz. 1858), 
beögleichen Einiges aus einem Gedichte „De aucupio”, und vielleicht gehörte ihm auch das dem 
Claudianus (f. d.) früher fälfchlich beigelegte Gedicht „Laus Herculis”. Mit Unrecht halten ihn 
aber Einige für den Verfaſſer der dem Ovidius zugefchriebenen „Halieutica” und der vier 
Eflogen, die nach dem Urtheile der Krititer von Calpurnius (f. d.) herrühren und zulegt mit 
beutfcher Überfegung von Müller (Lpz. 1834) erfchienen find. Eine Sammlung ber echten und 
unechten Überrefte des N. findet fich in Wernsdorf's „Poetae Latini minores” (Bd. 1 und 4) 
und in Weber's „Corpus poetarum Latinorum“ (ff. 1833). 

Remekẽſis, nach Hefiod die Tochter der Nacht, ift bie Perfonification des fittlichen Nechts- 
gefühls, der Scheu vor firafbaren Handlungen und daher auch bei Hefiod mit der Scham ver- 
bunden. Später erfcheint fie als die Göttin des Bleihgewichts, bie jedem Übermaß im Men- 
ſchenleben feind ift. Sie laßt den Menfchen nie zu übergroßem, bie von der Gottheit gezogenen 
Grenzen überfchreitenden Glück gelangen, fondern weift ihn, ben Sterblihen, menn er nahe 
daran ift, in feine Schranken zurüd und firaft den aus dem Glück erwachlenden Übermuth. 


Nemi Nenndorf 111 


us entwickelt fih der Begriff einer rächenden und ftrafenden Schidfalsgöttin, welche den 
übermüthigen Frevler früh oder fpät demüthigt. Hierburch wird fie verwandt mit der Ate (f. d) 
und den Eumeniden (f. d.). Sie heißt auch Adraſtea (f. d.) und Rhamnuſia. Letztern Beinamen 
erhielt fie von dem zwilchen Marathon und Dropus am Meere gelegenen attifchen Flecken 
Rhammus, in deffen Nähe fie einen Tempel mit einem Stanbbilde hatte, welches Agorakritos 
ber Sage nad) aus bemfelben parifchen Marmorblod gefertigt hatte, ben Die Herfer unter Da- 
tis und Artaphernes zur Erricätung eines Siegeszeichens mitgebracht hatten. Dargeftellt wurde 
fie in der ältern Zeit als jungfräuliche Göttin, der Aphrodite ähnlich; daher jenes erwähnte 
Standbild, das eigentlich eine Aphrodite darftellen follte, fich leicht durch Veränderung der At⸗ 
tribute in die N. umänbern ließ. Verſchieden hiervon ift die allegorifche Darftellung der fpä- 
tern Sinnbildnerei. Sie findet ſich auf fehr vielen Münzen und Gemmen und wird gewöhnlich 
ftehend in Zunica und Peplum dargeftellt. Mit der Rechten hält fie einen Theil ihres Gewan⸗ 
bes über der Bruft und blickt dabei finnend in den Bufen ; mit ber Linken hält fie einen Efchen- 
weig ober einen Zügel. Zumeilen fieht man Schwerter in ihren Händen und ein Nad zu ihren 
Eisen mit einem Greif, ber die rechte Pfote auf dad Rad fegt. Auch erfcheint fie auf einem mit 
Greifen befpannten Wagen. Am feltenften wird fie geflügelt dargeftellt. 

Hemi, ein Dorf im Kirchenftaate, 3. M. füdoftlih von Rom, unweit der Straße nad) Vel- 
letri, in einer reigenden, an Obft und Gartenfrüchten reihen Gegend, maleriſch auf einem 
ſteilen Borberge bes Albaner Gebirge und am Lago di Nemi gelegen, den die Römer wegen 
eines der Diana geweihten Hains Lacus Nemorosus ober wegen feiner ruhigen Fläche den 
Spiegel der Diana nannten, nimmt wahrfcheinlich die Stelle des berühmten Tempels der Diana 
Nemorenfis in dem ihr geweihten Haine ein. Im Mittelalter hieß der Ort Massa Nemus, 
fpäter Castrum Nemoris, wurde abwechfelnd von den Familien Frangipani, Orfini, Colonna, 
Piccolomini, Eenci, auch von ben Päpften befefien und ift jegt Eigenthum bes Herzogs von 
Braschio, welcher Bier ein altes, noch von den Krangipani, den Verräthern Konradin's von 
Hebenftaufen, herſtammendes Schloß befist. Der Lago di Memi oder Memifee hat eine 
Meile im Umfange, Tiegt etwa 1000 8. über dem Meere, zeigt eine Art von Ebbe und Flut, 
füllt den Krater eines ehemaligen Vulkans umd war einft, wie der Albanerfee, durch ein Emife 
far zum Theil abgeleitet, von dem man noch Spuren im Thale von Ariccia fieht. Merkwürbig 
iſt ein auf feinem Grunde befindliches antikes Prachtſchiff aus ber Zeit des Kaiſers Tiberius 
von 140%. Länge, von dem burch Kifcher zu Zeiten einzelne Bruchftüde heraufgezogen werben; 
alle Berfuche, dies Wrack empor und and Land zu bringen, find Dagegen gefcheitert. 

Nemours, eine Stadt im franz. Depart. Seine-Marne, mit 5000 E., ift durch ben da- 
ſelbſt zwiſchen König Heinrich III. und ber Kigue gefchloffenen Vergleich vom 7. Juli 1585, 
das Ediet von Nemours genannt, bentwürdig. Die Stabt nebft dem Gebiet wurde ſchon 1404 
zu Gunſten der Grafen von Evreur zum Herzogthum erhoben. Nachdem bie Befigungen 1425 
durch Heirath an den jüngern Zweig des Haufes Armagnac übergegangen, ftellte Lubwig XI. 
Die Herzogowürde 1461 zu Bunften bes Jacques d'Armagnac, Grafen von Marche, wieder her. 
Weil fich jedoch d'Armagnac wiederholt in Verſchwörungen gegen den König einließ, fo ließ ihn 
berfeibe 1476 in ber Baftille in einen eifernen Käfig fperren und 4. Aug. 1477 enthaupten. 
Einer feiner Söhne, Louis d'Armagnac, erhielt zwar unter Karl VI. die Würde und einen 
Theil der Güter zurüd, ftarb aber kinderlos 1503. Ludwig XU. gab hierauf das Herzogthum 
1507 an feinen Neffen Gaſton de Foir (f. d.), der 1512 in der Schlacht bei Ravenna blieb. Daf- 
felbe wurde num von Kranz I. 1528 an Philipp von Savoyen, den Bruber feiner Mutter, ver- 
fiehen, der ſich mit Charlotte von Orleans vermählte und 1532 ftarb. Seine Nachkommen und 
Erben, die fich in den Kriegen Frankreichs bekannt machten, waren Jakob von Savoyen, geft. 
1585; Karl Emanuel, geft. 1595, und beffen Bruder Heinrich I. von Savoyen, geft. 1652; 
Karl Amadeus, geft. 1652, und defien Bruder Heinrich II. von Savoyen, ber 1659 ohne männ- 
ſiche Erben flarb. Seine Semahlin, Marie von Orleans, einzige Tochter des Herzogs von Lon⸗ 
gueville, geft. 16. Juni 1707, ift befannt als bie Verfafferin geiftreicher Memoiren (Köln 1709). 
Die weiblichen Nachkommen des Haufes Savoyen-Nemours verkauften das Herzogthum 1689 
an Lubwig XIV., welcher daſſelbe der Familie Orleans gab. Später verlieh der König Ludwig 
Philipp feinem zweiten Sohne, Philippe Louis Charles Raphael, ben Titel eines Herzogs von. 

Renudorf, ein Dorf im der kurheſſ. Provinz Niederheffen und zwar in der Grafſchaft 
Schaumburg, 5'/ Stunden weſtſüdweſilich von Hannover, mit einem Luftfchloffe, in ſchöner 
Umgebung, if beſonders wegen feiner wier falinifchen Schwefelquellen bekannt, die eine Tempe- 
ratur von 80 R., ſtarken Schwefelgeruch, eigenthümlichen bitterfalgigen Geſchmack und ziemlich 


113 Renner Neorama 


gleiche Miſchungsverhaͤltniſſe Haben. Sowol äußerlich als innerlich werben dieſelben vorzfigfich 
bei Hautkrankheiten, krankhafter Schleimabfonderung, Blutftodungen im Unterleibe, Gicht, 
chroniſchen Rervenkrankheiten u. |. w. mit Nugen angewendet. Seit 1814 ift auch zur Be 
nugung der in der Nähe befindlichen Salzſoole von Rodenberg eine eigene Babeanftalt ange 
legt worden. Außerdem gibt e8 noch Anftalten für bie verſchiedenen Arten Waſſerbäder, ſowie 
für Gas⸗ und Mineralfhlammbäber. Die Schwefelquellen waren fchon frühzeitig bekannt; 
boch erſt 1789 wurben fie durch die Sorgfalt des Kurfürften Wilhelm I. nugbarer gemacht. Vgl. 
d Oleire und Wöhler, „Die Schwefelmafferquellen zu N.” (Kaff. 1835). 

Renner, ſ. Brud. 

Rennwerth, f. Rominalwertb. - 

Neograd, ungar. Nögräd, Eomitat im bieffeitigen Donaufreis, nach ber neuen Lanbesein- 
theilung zum presburger Diftrict gehörend, grenzt nördlich an Sohl, öftlih an Gomör und He 
ves, ſüdlich an Pefth und weftlich an Hont und hat einen Umfang von nahe 7EAM. mit 832327 
Joch urbaren Bodens, worunter 351560 Joch Aderfeld und 338214 Joh Waldung. Mit 
Ausnahme einiger ebenen Flächen iſt M. durchgehends bergig und befigt einen romantifchen 
Charakter, vereinigt aber auch bie fchärfften Elimatifchen Gegenfäge. Während im Norden, na- 
mentlich im lofonczer und füleker Bezirk, der Boben fteinig und unfruchtbar ift und felbft der 
Hafer und bie Kartoffel nur mühfam gebaut wird, ift der fübliche Theil reich an allen Getreide, 
Obſt⸗ und Weingattungen, mit benen ausgebehnter Handel getrieben wird. Im nörblichen 
Theile werben viel Hülfenfrüchte gebaut und in den unterungarifchen Gegenden für Getreide 
umgetaufcht; auch iſt der Holzhandel recht bedeutend. Pferde und Viehzucht werden nur in 
geringer, hingegen in größerer Ausdehnung wird die Schafzucht betrieben, und die lofonczer 
Wollmärkte nehmend fortwährend an Bedeutung zu. Auch wird von den nördlichen Slawen 
treffliches Thongefchirr gefertigt und ausgeführt. Die zwei Hauptflüffe N.E, der Ypoli und bie 
Zagyva, find namentlich für den Holztransport und Handel von Bedeutung. Im J. 1850 zählte 
man 192571 E. DerNationalität nach waren bierumter 125047 Ungarn, 62087 Slawen, 
ber Reft Deutfche; der Eonfeffion nach 131199 Kathofiten und 52415 Lutheraner, während 
ber Reſt der ref. und ber griech. Kirche angehörte. Hauptort des Comitats iſt der fehr ſchön ger 
legene Marktflecken Balatha- Gyarmath, mit nahe an 4000 E., einem neuen Comitathaufe, 
Bath. Gymnaſium, vielen Gemwerböleuten und bebeutendem Weinhandel. Seinen Namen ver 
dankt das Comitat ber früher fehr bedeutenden Feſtung Meograd, bie wiederholte Stürme von 
Seiten der Türken beftand, doch 1685 theils durch deren Angriffe, theils durch das Einfchlagen 
bes Bliges in ben Pulverthurm zerflört wurde und jegt nur noch einen Ruinhaufen zeigt. Nen⸗ 
nenswerth ift außerdem noch der fehr alte Marktflecken Loſonez, mit bedeutenden Getreide» 
und Wollmärkten. Bei der ruff. Invafion von 1849 wurde ber Ort, angeblich weil er einen 
ruſſ. Poften an bie ungar. Armee verrathen haben follte, von ben Ruſſen gänzlich niederge⸗ 
brannt, feitbem aber wieder aufgebaut. 

Neokdrat, abgeleitet von Reokoros, was urfprüngfich einen Beamten bedeutete, ber bie 
Aufficht über einen Tempel führte, unter den rom. Kaifern aber ein Ehrentitel wurde, nannte 
man nachmals das Recht, Tempel, Feſte und öffentliche Spiele zu Ehren ber Kaifer zu ertich- 
ten, ein Necht, das mit großer Eiferfucht von den Städten, beſonders in Kleinafien, gefucht und 
in Folge bes immer weiter fich verbreitenben Gebrauchs, den Kaifern göttliche Verehrung zu 
erweiſen, fehr vielen Städten und manchen wol zwanzig mal ertheilt wurbe. 

Neoldgie Heißt Sprachneuerung, befonders im tabelnden Sinne, wenn man ohne dringende 
Veranlaffung neue Wörter, Redensarten und Wendungen (Meologismen) flatt derer ein- 
führt, welche die claffifche Periode der Sprache In ausreichender und entfprechenber Weiſe be» 
reits darbietet. — In einer abgeleiteten Bedeutung bezeichnet man mit Reologie jede andere 
Neuerung, jedoch gewöhnlich mit einer gehäffigen Nebenbebeutung bes Gefährlichen, Verderb⸗ 
lichen und Werthlofen. — In ber Mitte bes 18. Jahrh. bezeichneten bie orthoboren Kehrer ber 
chriſtlichen Kirche die Meinungen ber Heterodoren (f. d.) mit dem Worte Neologie und nann⸗ 
ten jene deshalb Neologen. 

Neophyten, d.1. Neugepflanzte, hießen in der alten Kirche Die Neugetauften. Sie trugen 
nach der Taufe, die gemohnlich in der Ofterzeit vorgenommen wurde, acht Tage lang weiße Klel⸗ 
der und legten biefelben am Sonntage Quafimobogeniti umter gewiffen Feierlichkeiten ab. — 
Später wurden auch bie in einen Mönchſsorden Neuaufgenommenen Neophyten genannt. 

Neoräma nennt man, zum Unterfchiede vom Diorama (f. d.) und vom Panorama (f. d.), 
diejenige Einrichtung, wo man von einem Punkte in ber Mitte aus ein Rundgemälde, dad Ins 


Real Nepomuk 113 


were eines Gebäudes barftellend, von Figuren belebt, bei einer wechſelnden Beleuchtung betrach⸗ 
set. Der Franzoſe Alaur erfand dieſe Vorrichtung und ſtellte 1827 das erſte Bild, das Irmere 
der Peterblirche in Rom, in einem eigens dazu erbauten Gebäude aus. 
Pe Gh, Nipal) oder Meväl, eigentlich) Nijampal, d. h. heiliges Land, ift der Name 
—— das längs des Himalafagebirgs auf deſſen Süpfeite von 98 — 
* in 2 in ane te vn 20—30 M. fi hinzieht und den Raum zwiſchen der 
—— — und der höchſten Schneegebirgo ketr⸗ bes Himalafa einnimmt, ber bier 
feine höchſte Spige, ben erg bat. R., das auf diefe Weifeim N. von Tibet, im 
W. und ©. von den engl.- oflin d. Beftgungen und im D. von Bhotan begrenzt wird, tft 
da ſchwer zugängliches Gebir %, zum größten Theil Alpenland, das aus mehren von ° 
Gangeszufluffen bewaͤſſerten Thalfoftemen befteht. Es Kat einen Flächenraum von 2550 
DM, und die Bewohner, deren Zahl man auf 2,500000 angibt, beftehen aus verfihie- 
benartigen Bölkerichaften, zwar gr6 hinduiſchen Urfprungs, aber mehr oder-weniger 
mit — Blute —* weshalb ber Unterſchied ber Sprachen und Religionen ber 
Bewohner, bie mehr Bubbäiften als Brahmabiener find, fehr groß ift. Unter ihnen treten be» 
ſeuders zwei Bölkerfchaften hervor: die Parbatijas ober Gebirgẽhindu, welche Brahmadiener 
find und einen Hindubialekt fprechen, der über den größten Theil Ro verbreitet iſt, weil die aus _ 
un geben herſtammende, jegt herrſchende Dynaſtie ihn fpricht; und die Nirwaris, das eigentliche 
NE, aus einem Gemiſch von Tibetanern und Hindu entfprumgen, welche Bubbhi- 
me umb am weiteften im Aderbau und den Bewerben vorgefchritten find und eine mit Sant» 
Kitwörtern gemifchte tibetanifche Sprache fprechen. Außer diefen beiden Völkerfchaften find 
noch ge ta Di rim bie Dauptmaffe der Bevölkerung bes benachbarten Bhotan, zu erwähnen, 
Ureinwohner in den höchften Gegenden des Himalafa bilden. Hauptgegenflänbe 
des else, ber hauptfächlich in ben fruchtbaren Thälern ber mittleren Regionen bes Himalaja 
betrieben wirt, find Reis, Mais und andere ind. Körnerfrüchte, Baummolle, Zuckerrohr, Ing» 
wer, ein grofer Cardamom, ind. Krapp und im Winter Weizen und Berfte. Manga und Ta⸗ 
marinbe werben um die Dörfer gepflanzt und tragen zur Zierde ber Landichaft nicht wenig bei. _ 
Bon Dausthieren iſt befonders das Schaf Häufig; auf den weidereichen Alpen des KR 
betreiben bie Bhotijas auch bie Zucht det Kaſchmirziege. Das Gebirge liefert Kupfer, Ei 
222— und in den Flußbetten findet man Goldſand. Im Betrieb der nie 
Gewerbe en ſich die Repauleſen befonders in ber Verarbeitung ber Metalle aus. Was 
igte geiflige anlangt, fo iſt ber Buddhismus mit feinen Einflüffen vorherrſchend, ber zu 
Shatgans einer der Hauptſtädte des Landes, eine Schule ſeiner Gelehrſamkeit gegründet unb 
in den dortigen Zempelbibliotheten große Schäge feiner Literatur aufgehäuft hat. Die frühere 
Dynaflie wurde 1768 von dem Radſcha von Gorkha, dem Haupte eines Friegerifchen Stamms 
im weſtlichen Theile N.s, vertrieben, ber num feine Dynaftie und mit ihr feinen Stamm zum 
herrſchenden in R machte Dieſe Dynaſtie, die noch herrſcht, zeichnete ſi 8 hauptſãchlich durch 
Ihre Troberungsluſt 9 in Folge deren fie bie ehemals unabhängigen Staaten, welche neben 
ber. alten Dynaſlie in R. beftanden, zu einem Reiche vereinigte, bie fie aber auch in mehre nach⸗ 
(heilige Kriege verwickelte. So hatten die Einfälle, welche Die Gorkhas 1784 und 1792 in Tie 
bet unternahmen, einen Krieg mit China zur Folge, ber unglücklich ausfiel und N. diefem Reihe 
inspflichtig machte. Auch mit den Engländern geriethen fie in Streitigkeiten, bie 1815 mit 
rer Befiegung und im en von Kathmandu 1816 mit der Abtretumg der weftlichen Ge- 
* ihres Gebiets endigten, wodurch England In den Befig der Gangesquellen kam. Die 
reg — welche die Gorkhas gegen die Nachbarländer einnahmen, ſowie die Abhän⸗ 
gigßelt von Ehina, in die fie gerathen find, ift die Veranlaſſung, daß zwiſchen N. und ben engl.» 
— — mir ein geringer Handelsverkehr beſteht; etwas lebhafter iſt der Verkehr 
ã— des Radſcha iſt die Stadt Kathmandu, welche 50000 E. nen Der 
— Radſcha — ikram Sah regiert ſeit 1816. Ex gebietet über 
biäcipfinirtes Eriegsheer und ſeine Einkünfte belaufen ſich auf A MIN. Thlr. 
Rephthys (Reptis), eine ägypt. Göttin, Tochter bed Seb (Kronos) und der Nut (Men), 
des Dfitie, Haroeris Set (Typhon) und der Iſis. Sie erfcheint befonders als Ge⸗ 
pet des Get. Es iſt kein beſonderer —22 der Rt. in Agypten bekannt. In den auf den 
Zebtencuit en Darftellimgen erfcheint fie beſonders Häufig mit ihrer Schweſter Iſis, 
bin Zobten bektagenb;, fie ee u en bie Iſis zu den Füßen der Mumie. _ 
aeromat (3 nd an Repoiaudg, hat. Johannes ‚Nepomucenus, einer der ber 






















He: Nepos Nepotismus 


rühmteften Heiligen und Schutzpatron Böhmen, ſoll nach der hiſtoriſch wenig begründeten 
Legende Johann Welflin geheifen haben. Ex wurde 1320 zu Pomnk, einer Heinen Stadt in 
Böhmen, geboren, flubirte zu Prag und wurde dafelbft Prediger in der Altſtadt und Kano- 
niter. Aus chriftlicher Demuth wollte er kein Bisthum annehmen Nach und nad) wurde er 
Dechant an ber Collegiatkirche Allerheiligen, Almofenier und Beichtvater der Königin. Da 
einige Hafleute ben König Wenzel hinfichtlich der ehelichen Treue feiner Gemahlin argmöh- 
nifch gemacht hatten und er von N. ben Inhalt ihrer Beichte zu wiſſen verlangte, ließ er N, 
der fich weigerte, ind Gefängniß bringen und 21. März (na Andern 16. Mai) 1583, an 
Händen und Füßen gebunden, in die Moldau hinabwerfen. Erſt 6. Mai fand man ben Leich⸗ 
nam N.'s auf, weshalb man diefen Tag zu feinem Gedächtnißtage beftimmte, der ſpäter auf 
den 16. verlegt wurde. Als Märtyrer in ganz Böhmen verehrt, erflärte Papſt Innocenz XIII. 
N.1721 für einen Heiligen, worauf die Heiligfprechung in Folge des Antrags Kaifer Karl's VI. 
von Benedict XII. 1729 vollzogen murbe. Als Heiliger wird er gegen Verleumdungen, An⸗ 
ſchwärzungen und Verkleinerungen angerufen. Ihm zu Ehren errichtete man auch eine eigene 
Brüderfchaft. In der Domkirche zu Prag ift ihm ein prachtvolles Grabmal vom beften böhm. 
Marmor und aus gediegenem Silber errichtet. Die Säcularfeier feiner Kanonifation wurde zu 
Drag 8. Juni 1829 höchſt feierlich begangen. Die Gefchichte kennt aus jener Zeit nur den 
Streit König Wenzel’3 mit dem prager Erzbifchof Joh. von Senftein und feinem Dom- 
capitel, anfangs, weil bie Beamten bed Erzbiſchofs in einem Rechtsſtreite Gewalt gebraucht 
batten (1384), dann wegen bed unbefonnenen Interdicts des Erzbifchofs gegen des Könige 
Bünftling und Unterfämmerer Sigm. Huler und ber Eigenmächtigkeit und des Ungehorfams 
bes Capiteld bei der Wahl des Abts von Kladrau (1395). Die meifte Schuld hatte dabei der 
erzbifchöfliche Generalvicar Joh. von Pomuk, den ber König 20. März 1393 foltern und dann 
in bie Moldau werfen ließ. 

Nepos (Cornelius), vom. Gefchichtfchreiber, wurde der gewöhnlichen Annahme zufolge um 
95 v. Chr. geboren, ſodaß feine Blüte in die legten Zeiten ber Republik fällt, und foll in freunde 
ſchaftlichen Beziehungen zu Catull, Cicero und Yomponius Atticus geftanden haben. Ge- 
burtsort und Tobesjahr, fowie feine übrigen Lebensumftände find unbekannt. Von den hiſto⸗ 
riſchen Schriften, die ihm beigelegt werden, befigen wir unter dem Namen „Vitae excellentium 
imperatorum“ noch 25 meift kürzere Biographien berühmter Feldherren und Staatdmänner, 
die, mit Ausnahme des Hamilkar und Hannibal, des ältern Cato und Atticus, dem griech. Al⸗ 
terthume angehören. Im Allgemeinen zeichnen ſich diefelben durch eine ziemlich reine Sprache, 
durch gedrängte Kürze und Deutlichkeit in der Darftellung und durch eine treffende Zeichnung 
der Charaktere aus, obwol man auf der andern Seite bei Ermähnung bes Wichtigen und Ge- 
tingfügigen das richtige Ebenmaß und bei Benugung ber Quellen die gehörige Zuverläffigkeit 
häufig vermißt. Weſentlich ift von den übrigen Lebensbefchreibungen die des Cato fchon durch 
ihren größern Umfang verſchieden. Diefe Ungleichheiten und einzelnes Auffällige im Ausdrude 
und in der Conftruction haben über ben Verfaffer felbft, über die Entftehung und urfprüng- 
liche Seftalt des Werks und über das Zeitalter deffelben fchon feit früherer Zeit mehrfache 
Zweifel und abweichende Meinungen hervorgerufen. Einige nämlich, unter diefen befonder® 
Rind, halten den Amilius Probus, beffen Name auch bis in die Mitte des 16. Jahrh. auf den 
Titeln der Ausgaben erfcheint, für den Verfaſſer und verfegen die Abfaffung des Ganzen in 
dad Theodoftanifche Zeitalter; Andere wollen in dem Probus den bloßen Epitomator be6 
echten N. finden; noch Andere endlich fchreiben dem N. die Schrift, wie fie gegenmärtig vorliegt, 
unbedingt zu. Wahrfcheinfich ift der Stoff diefer „Vitae antik, Die bermalige Beſchaffenheit des 
Buchs fällt aber.gewiß in eine fpätere Zeit, wo die lat. Sprache bereitd grammatifch behandelt 
wurde. Unter den frühern Ausgaben erwähnen wir ald die vollftändigfte und vorzüglichfte die 
von van Staveren (Leyd. 1734; neu herausgegeben von Barbili, 2 Bde., Stuttg. 4820) ; unter 
den zum Theil trefflichen Schulausgaben bie von Bremi (Zür. 1796; 4. Aufl., 4827), Feld⸗ 
baufch (2 Bde, Heibelb. 1828), Dähne (Helmft. 1830), Dietfch (Rpz. 1850), Nipperbey 
(2pz. 1851) und Siebelis (Epz. 1851); unter ben größern meift kritiſchen Bearbeitungen 
die von Roth (Baf. 1841) und Benecke (Poſ. und Bromb. 1843); umter den faft zahllofen 
Überfegungen bie von Bergfträßer $ Aufl., von Eichhoff verbefiert, Ef. 1815), Dehlinger 
(2 Bbe., Stuttg. 1827) und Roth (Kempten 1831). 

Repotismus nennt man die ungebührliche, meift mit Zurückſezung verdienterer Männer 
verbundene Begünftigung der Verwandten einflufreicher Staatsbeamten bei Verleihung von 
Würden, Amtern, Sinecuren, Penfionen u. ſ. w. Der Name rührt daher, daß biefe üngerech⸗ 


Neptun "Hay 15 
ähfich von Ben Därflen geũbt wurde, die Ihre Nepoten oder Enkel, natürlichen 
nädften Berwandten mit Iurülfegung verbienterer — zuweilen aus dem 
Stande, zu ben höchſten geiffichen ımb weltlichen Ehren 
eine aldital. Bench, war urfprämglich wahrſcheinlich F4 Wonaer Gott, unter 
hut namentlich die Pferde ſtanden, und ganz verſchieden von dem Pofeibon der Grie · 
dem er nur zirfãllig manche Ahniichkeiẽ hatte. Identifielrt mit bemfelben wurde er 

Römer eine Seeniacht bekamen und mit der griech. Mythologie befannt wur · 
urfprünglich der Bott des Waſſers im Allgemeinen und beſonders der befruch · 
etc war ber Sohn des Kronos mb ber Mhea und erhielt bei der Welttheilung 
den Kronos die Herrfchaft über das Meer, in deffen Tiefen er feinen. 
Hatte. ee hefanden ſich feine Ro, mit denen er in feinem Wagen über bie Meerflut 
1 —— em jeft er mit feinem Element die Erde zufammen, aber er er» 
gütterte A jege nahm er zu Gunſten der Hellenen ben lebhafteſten 
Kutheil: ‚auf die Krelanen man ee mar er ha —— felt Erbauung ber ann Troja 
bi; Gen, —e— 4 — aa —55 
gte, u ſ. w. Auch galt er fer des Rofſes 
Obmalter —— — Nach Herodot da % m ber Re Bi 


ft 
J 


— 


er (Harpume). Dargeſtelt wurde er in 5 meiſt in einer — — 
mb im Kun in forgfältiger Bekleldumn⸗ er fi auch damals ſchon —8 
vanz nad in Heftiger Bewegung vorfinbet. In ber Ye Biden der —8 entwickelte 

die et er bei mem etvoS filantern Körperbau eine berbere 


wen und sdenfg Bude in den Zügen, fm Hau t iſt etwas geſiraͤubt umb durcheinanderger 
sorfen, bißiweilen 3 geyiert. 
Bümgöbung. Hauptſãchlich flellte man ihn bar mit der Amphitrite auf einem ‚nie Olopn- 


** — von — und —* euer. Bu den ſchoͤn · 
‚ab feine Geliebte durch bie er das bücften! 1908 zum 
7 af —X imymone, 


tr nennt man Se —8 mie ber Anſicht Ahr. —— (.d.) 
“ g ber Erdrinde durch alleinige Mirtsirkumg des NBaflers ten. 
aan din zu den en * Fürften von Öttingen · Walierfiein gehöriges 
a a &ope auf dem Hrdefebe mit 1100 €, en 
nd ua Lnferdin, iſt — sehätäeg 6 Befanmth — die Schlacht vom 8. Aug. 1798 zwiſchen den 
1; —— elchern unter dem ee u, bie aber —** 
ace, niud das — Gefecht vom 17.Dct. 1 en bie jet. — 
Vale Babei Tiege bie ehennatige —— — de im 11. Jahrh. — ſeit des 13. 
Kabrk. unter öttingifcher Hoheit ftand, in A eb Bereit mit dem Haufe gen bie 
At erhielt, 1803 aber fi dem Fürſten von Thurn und Tapis zur 
ben wurde, —— —— loß gehört. 
—— a 2 left So Sohn bes und ber &äa, Gemahl ber Bode md von difer und 
= Göttinnen Vater von 50 Foͤchtern, den —* mar ein Mrergot, der ſich in 
des Meeres, närttentlich in Band u 3 ib andere Dichter far 
er Ye eiment wahthaften, mi und gfel ab Glanfop die Gabe ber 
Beiffagung und Verwandelung. —8 ertules — dureh ihn den Weg zu 
tm Deöperiben, ——— wird er in Titonenweife, aber bekieiden oder in ganz 
—* 
Stifter ber 
Eriedt) hg Du wende 1807 in ien giem. 





"116. Nero Nerthus 


Seine Anlagen zur Kunſt bemerkte und förderte der Kunſtforſcher von Rumohr, der ihn zum 
hier» und Landſchaftsmaler ausbildete. Als ſolcher, ſowie als Genremaler machte er auch 
bald Aufſehen und ging dann nach Stalien, welches ex von Rom aus nach allen Richtungen 
bin kennen zu lernen fuchte. Endlich Tieß er fich für immer zu Venedig nieder, wo er fich mehr 
und mehr architektonifchen Darftellungen, insbeſondere aus ber Lagunenſtadt, Juwandke bie er 
mit oft fehr figurenreichen Schilderungen des Volkslebens außzuftatten liebt. Gine Anficht der 
Piazzetta mit den fernen Lagunen im Monbfchein, welche er für den König von Preußen malte, 
mußte er fieben mal wiederholen. Eine große Landſchaft mit Staffage aus Wieland's „Dberon” 
erhielt fein Gönner Rumohr; eine große Anficht von Venedig ber Kaifer von Oſtreich. 
Nach Rußland in den Faiferl. Befig Lam: die Heimkehr ſicil. Fiſcher im Golf von Palermo, 
ſowie ein Gemälde, bie Büffel darftellend, welche den Marmorblod ziehen, aus welchem Thor⸗ 
walbfen bie Statue Pius’ VII, meißelte. Das Mufeun dieſes berühmten Bildhauer enthält 
ebenfalls N’fche Arbeiten. Eins feiner neueften Bilder zeigt die Darftellung einer Regatta. 
NR. if faſt einzig in der Schilderung venetianifcher Mondfcheinnächte, und auch den wechfelvollen 
Erfcheinungen ber Lüfte und Wafferreflere weiß er ihre Schönheiten abzugewinnen. Seine 
Architekturen vereinigen mif außerorbentlicher Treue unb Sorgfalt in den Einzelnheiten großen 
Meiz des Eoloritd und der Beleuchtung. 

Nero (Lucius Domitius, nach der Adoption Claudius Drufus), röm. Kaifer, 54—68 n. 
Chr., geb. zu Antium 37 n. Chr, war ber Sohn des Enejus Domitius Ahenobarbus und 
ber Zochter bed Germanicus, Agrippina, und nach der Verbeirathung ber Legtern mit dem 
Kaifer Claudius von biefem aboptirt. Nach bes Claudius Tode wurde er von ben Präto- 
rianern, denen ihr Präfect Burrus ihn vorftellte, während Agrippina den Britannicus, 
bes Claudius leiblichen Sohn von Meffalina, im Haufe zurüchielt, als Kaiſer ausgerufen und 
vom Senat anerfannt. Der milde Anfang feiner Herrfchaft erregte gute Höffnungen; bald aber 
entzog ex fi dem Einfluffe des ftrengen Burrus und des Philoſophen Seneca, feines Lehrers, 
und .gab ſich Dem Hange zur Grauſamkeit, Verſchwendung und Wolluſt bin, der vollends jede: 
Grenze überfchritt, feitdem Poppäa Sabina, die Gemahlin des Otho (f.d.), 59 feine Buhlerin 
und der Genoffe feiner Ausfchweifungen, Tigellinus, nach dem vielleicht durch ihn veranlaßten 
Tobe bes Burrus 62 Präfect ber Prätorianer geworden war. Den Britannicus hatte er ſchon 
55 vergiftet, ald Agrippina im Zwiſt gedroht hatte, ihn auf den Thron zu heben; Agrippina 
felbft Ließ er der Poppäa zu Gefallen 59 und Octavia, feine Gemahlin, bes Britannicus Schwe⸗ 
fter, 62 ermorden, um jene an ihrer Stelle zu heirathen, die er ſpäter, da fie ſchwanger war, im 
zornigen Muthe durch einen Fußtritt tödtete. Nom fie er im Juli 64 anzünden und bewun⸗ 
derte das Schauſpiel aus der Ferne, dabei Verfe recitirend, die Trojas Untergang fhilberten; 
den Brand, der acht Tage wüthete und faft zwei Drittel der Stadt einäfcherte, gab er dann der 
rom. Chriftengemeinde Schuld, bie nun mit Graufamteit verfolgt wurde. Die Stabt felbft Tieß 
er, wie er es gewünſcht hatte, prächtiger aufbauen, am prächtigſten feinen Palaft mit weitläu⸗ 
figen Anlagen, die fogenannte Aurea domus (das goldene Haus); dafür wurden aber Stalien 
und die Provinzen fhonungslos geplündert, während man den rom. Pöbel durch Komfpenden 
und Spiele befriedigte. Eine Verſchwörung, die feinen Sturz und die Erhebung bes Cajus 
Pifo beabfichtigte, misglüdte 65 n. Chr. Pifo tödtete fich felbft, viele angefehene Männer fie 
len als Opfer der Mache, unter ihnen Seneca und der Dichter Lucanus und 66 auch der tugenb- 
hafte Thrafen Pätus. Eitelkeit und Neigung hatten N., der übrigens geiftig wohlbegabt 
war, ſchon 64 veranlaßt, in Neapel öffentlich al Sänger, Schaufpieler und Wagenlenker auf 
zutreten. Im 3. 67 machte er einen Zug nach Griechenland, von bem er mit Preifen reich ge» 
Ihmüdt, da die Griechen fehr gut wußten, wie gefährlich es fei, ihn nicht zu bewundern, nad) 
Nom zurückkehrte. Als 68 erſt die galliichen Kegionen, dann auch die Prätorianer zu Gunften 
bes Galba (f. d.) fich erhoben, entfloh er von Rom; der Senat, der ihm lange feig gehuldigt 
hatte, erflärte ihn nun als Zeind des Vaterlandes bes Todes fehuldig. Auf die Nachricht faßte 
er den Entichluß, ſich zu töbten, was er auch 11. Juni 68 außführte. Mit ihm erlofch dad Ge- 
ſchlecht der Cäfaren aud in den adoptirten Zweigen. In Britannien hatte während feiner Ne- 
gierung Suetonius Paulinus den Aufftand ber Königin Boadicea unterbrüdt, im Orient fchügte 
Domitius Corbulo Armenien und Syrien gegen den Partherkönig Wologefes, und Vespaſian 
befämpfte ben Aufftand der Juden. 

Nerthus, die von mehren beutfchen Stämmen verehrte Göttin ber Erbe. Tacitus erzählt 
in feiner „Germania” von ihr, e& habe auf einer Infel des Deean, fei es nun eine ber bäni« 
Then oder Rügen, ein heiliger Dain gelegen und in ihm ein des Göttin geweihter, mit Tüchern 


Netihinst ; :- : Merven Mervenfuflem m | 


heckter ger geflanben, der, mit Küßen befpannt, vom Prieſter, dem allein um ber @ät- 
aNAUnweſt a ven worden. Wohin aber bie Böttin gekommen, Habe es 
rende und 55* Zuletzt ſei der Wagen, die Tücher, ja auch das Götterbild in dem 
telbſt befinbliigen Ce abgewafchen, bie dabei. befgäftigten Diener jedoch von dieſem ver- 
werben. Don dem Seite Frey, bes Riörb Sohn, wird Gleiches erzählt, und Hier wie dort 
es —— — und die Fruchtbarkeit bes Landes, bie ſich anfenen Umzug knupften. Der R Name 
ertha für Rerthus iſt eine itrige, kaum verbürgte Lesart In obigem Berichte bed Ta 
—— nal, eine Stabt von 6000 8. im ruff. Gouvernement Irkutsk im Sfrisen Eiki- 
——— M. von Petersburg und über 150 M. von der Gouvernements ſtadt entfernt, 
ı der ber Rertſcha in bie Schilke, die beide zum Stromgebiet des Amur gehören, 
it einer — welche die chineſ. Grenze —— iſt beſonders durch die Nertſchinekiſchen 
lei· Silber» und Golbbergwerke berühmt, weiche 40 DR. von der Stadt in dem ſogenannten 
textfeginstifgen ** liegen, einer Berggruppe bes um ben Baikalſee herumgelagerten 
e6 Daurien. In biefen Bergwerken, bie 33 Silbergruben umfaſſen, arbeiten ũber 
o0 Bergleute, barunter gegen 1000 Verbannte, meiſt in ſchauerlicher Tiefe, ſodaß das Loos 
fer Berbrecher das traurigſte ift, welches man ſich nur denken kann. Im I. 18355 wurden 
er 212 Pud 5 Pf. Silber und 12 Pf. Bold ausgebeutet, und 1845 betrug bie Golbausbeute 
a 48 Pub, wovon 38 duch Ausfcheibung aus dem Gilber gewonnen wurben. Der Hüt- 
ort Mertfinstoi Gawob, im — fhen Erzgebirge, der erſt vor etwa 36 Jahren 
sgelegt wurde, zählt bereits gegen 300 Häufer. 
Nerva (Marcus Cocteſus unbe nach bee Ermordung des Domitianus (f. d.) 18. Sept. 
5 n. Ehe. vom Senat zum rom. Kaifer erklärt. Er bewährte als ſolch er bie Tugend und Weis- 
* die ihn als Senator ausgezeichnet hatte, hob die Unterfahungen über Mofeftätöverbrechen 
fr exte bie —— — und minderte die Steuerlaſt. Da er ſich wegen hohen Al⸗ 
28 genug fühlte, allein dem Ubermuthe ber 3 zu widerſtehen, aboptirte 
—— d.), der ihm nach feinem Bode 37. San. 98 folgte. 
Serben, Rervenfuftem, In allen Thierdaffen, mit Ausnahme weniger, — 
och nicht hinreichend unterſuchter, finden ſich die Functionen des Em 6, Denkens und 
an eine weißliche oder graue markige, fettreiche Bf, das — 
weiche groͤßtentheils aus feinen, unzertheilt verlaufenden Röhrchen, ben ſogenann⸗ 
ern, unb außerdem aus bichtgehäuften einen Kugeln ober Zelichen, ben 
genannten Banglientugeln, ber grauen Beleg- oder Markſubſtanz befleht, von denen erflere 
de Röhrchen) lediglich für die Leitung ber Rervenanftöße, letztere (bie Kugeln) vielleicht auch 
r Erzeugung ſolcher Anftöpe (Gedanken, Bewegungen) beftimmt zu fein fcheinen. Diefe ge- 
mmte — — theilt ſich —** ein in die Nervencentralorgane und in die von 
nen auslaufenden Rerven. Das centrale Nervenſyſtem beſteht aus drei Theilen: dem Ge⸗ 
eu (£ d.) dem Rückenmark (f. d.) und den Ganglien (ſ. d.). Die von dieſen Centralorganen 
manfenden peripheriſchen Organe, bie Nerven, beſtehen aus größern und Meinern Bündeln 
w Rervenprimitivfafern, welche burch eine fehnige Hülle, das fogenannte Meurilem (Neu- 
\summan), umfelefien, zuſammengehalten und von andern Gebilden iſolirt werben. Sie fpalten 



































bh, nadiben: fie aus ben —— und ihren Hüllen alt Nervenſtaͤmme herausgetreten 
eb, im gröbere, nach und na ündel (die Rervenzweige, Rervenäftgen und 
terpenfähdgen), daß me babei ie etmitiofafern ſelbſt veräflelt würden. Diefe getheil- - 





ohne 

a Bndel uıichen fich wieder, fowol nahe bei dem Urfprunge (in den fogenannten Nervenwur⸗ 
un und arch in Ihrem fernen Berlaufe (in ben fogenannten Anaſtomoſen und Nervengeſſech⸗ 
fach untereinander, ſodaß zulegt ein einzelner Rervenaft ober Rervenfaden aus Pri- 
* — Urſprungs zufammengefegt iſt, von denen einige aus dieſer, andere 
jener Provinz ber Centralorgane herkonnnen, einige der Empfindung, andere ber Bewe⸗ 

* blenen u. ſ. w. Dieſe vielfältige Ausbreitung und Miſchung unzertheilter Primitivfaſern 
der weſentlichſte und charakteriſtiſche alte in ber Phyfiologie des Nervenſyſtems, welches 





an mis vollem Necht mit dem Syſtem elektriſcher Telegraphen, wie es jept ganz Europa über- 
it, verglichen bat. Denn wie beim —* die einzelnen unzertheilten, durch einen iſoli⸗ 
uden von der Außenwelt getrenn g6dräbte einen Anſtoß bligſchnell von einem 


kmfte zu einem zweiten fernen Hk fortofla i in den feinen 
— Eine ee verfeiben, Die —5 Bene Eimet) 
bauen, fenkibeln chmen Einbrüde von der Außenwelt 

Rpmmen ben Kirvent KAOR Kata Teen Te va dman Gentralergme Di. Sie heißen daher 


18 Nerven, Nervenſyſtem 


auch zuleitende oder centripetale Nervenfaſern. Eine andere Hälfte hingegen leitet bie An⸗ 
Röfe aus den Centralorganen heraus in alle mit Bewegungsorganen (|. Muskeln) verſehene 
Gebilde und erregt diefe zu den ihnen eigenthümlichen Sunctionen ; biefe heißen daher auch mo- 
toriſche (Wewegungs-) ober centrifugele Nervenfafern. Zwiſchen diefen beiden (im übrigen 
Körper fireng voneinander gefchiedenen) Claſſen von Nebenfafern findet in den Eentralorganen 
und nur in diefen eine Verbindung flatt, welche theils unmittelbar iſt (durch Umbiegung der 
Nervenfafer, fogenannte Schlingen), theils durch gewiſſe zwiſchenhinein gefehobene, quer laufende 
Primitivfäden (Commiffuren), theils endlich durch die oben erwähnte graue Kugel⸗ ober Beleg- 
maſſe vermittelt wirb. Es erhellt hieraus, daß bie Verrichtung des Nervenfoftems, im Ganzen 
betrachtet, eine breifache ift: 1) Zuleitung von Eindrüden nad) ben Gentralsrganen mittels ber 
GEmpfindungsnerven, 2) Verarbeitung daſelbſt, 3) Rückwirkung ober Entladung der Gentral- 
organe auf die Bervegungsnerven, und daß alfo ein großer Theil diefer Function auf eine rein 
mechanifche Weiſe vermittelt wird, deren Studium (die fogenannte Nterbenpbyftf) fchon eine 
Menge treffender und wichtiger Auffchlüffe geliefert Hat, ohne deshalb das geheimnißvolle Raͤth⸗ 
ſel diefer Function (und bamit auch des geiftigen Lebens) vollftändig aufzuflären. Doch ſteht 
fo viel feft, daß ein großer Theil dieſer Functionen (die fogenannten unwillkürlichen Functio⸗ 
nen) vollig ohne Theilnahme des Denkorgans erfolgt, indem bie fenfibeln Faſern im Rüden- 
mark ımd in den Ganglien einen Anftoß zu Bewegungen geben, ohne baf wir bavon wiſſen 
oder ed wollen (bie fogenannten Meflerthätigleiten oder Meflerfunctionen). Auf biefe Weiſe 
werden namentlich die zum Kortbeftand des 8 unentbehrlichen Berrichtungen, wie Derz- 
(lag, Athmen, Verdauung, Ab» und Ausſonderung, unausgefegt und ohne ZWiffen und Wol⸗ 
len bes Indivibunms im Gange erhalten, und auch viele andere Verrichtungen, an welchen wir, 
wenn wir baran benten, durch Willensentſchließungen Antheil nehmen können, erfolgen im ge 
wöhnlicgen Leben ohne dies und gleichſam von felbft (automatiſch) mittels folcher Refleractionen, 
3.8. das Säugen beim Säugling, das Hinterfchluden bei Betäubten, felbft das gewöhnliche 
Gehen u. |. w., oder auch zwangsweiſe, wider unfern Willen, z. B. das Nieſen, Huften, Würgen, 
Erbrechen u. dgl. m. Sobald ein Nervenaft (oder Rervenfaden) zerflört oder zuſammengedrückt 
(3. B. unterbunden) wirb, fo Hören In bem ganzen von ihm verforgten Gebiete die Emipfinbun- 
gen oder bie Bewegungen oder beide zuſammen auf, je nachdem berfelbe entweder blos empfin⸗ 
dende ober blos bewegende Primitivfafern enthält, oder aus beiden zufammengefegt (ein ge 
miſchter Nerv) ift. Dies erklärt ſich aus der mehrermähnten Unzertheiltheit der Primitivfq, 
fern, da es bier nicht, wie bei den Verzweigungen des Gefäßfgftems, Eommunicationen (Une- 
ftomofen) mit benachbarten Stämmen gibt, welche die unterbrochene Verbindung mit ben 
Sentralorganen (durch einen fogenannten Eollateraltreitlauf) wieberherftellen könnten. 
Sämmtliche Theile des Körpers, mit Ausnahme ber ihn überkleidenden und nach außen 
fhügenden Horngebilbe (der Dberhaut, der Rägel, Haare und ber Schleimhautepithelien), find 
mit Nerven verfehen, d. h. e6 münden in ihnen die Enden von Nervenprimitivfafern und befü- 
higen dadurch den betreffenden Theil für Empfindung und beziehentlich auch für Bewegung. 
Die befondere Art, wie beide fich in einem Organe kundgeben, und damit auch deſſen befonbere 
Bunctionsweife Hängen mefentlih von der Art und Weiſe ab, wie diefe legten Nervenenben in 
dent betreffenden Organe eingebettet und angeorbnet find. Dies ſieht man am beutlichften au 
ben Sinnesorganen. Im Auge finden wir ein vollkommenes optiſches Inftrument, welches ein 
Bild erzeugt und es auf eine aus den Enden bed Sehnerven gebildete Tapete, die Neghaut (re- 
tina) wirft. (S. Auge.) So ift das innere Ohr ein akuſtiſches Werkzeug, das dit Töne gleichſam 
präparirt den Gehornervenausbreitungen zuführt. Die Geſchmacksnerven enden in feuchten 
Geſchmackswärzchen, die Taftnerven in Taſtwärzchen und Zaftkörperchen, welche von Ober 
baut bekleidet find (und ohne diefen Schug das Zaftgefühl einbüfen) u. dgl. m. Undererfeits 
hängt die Art ber Verrichtung auch wieder weſentlich von der Stelle ab, an welcher das centrale 
Ende eines Nervenprimitivfadend im Innern bes Gehirns, Rückenmarks oder Banglienfyftemb 
ausmündet, ſodaß man auch hier für gewiffe Verrichtungen oder Kebensäußerungen gewiſſe 
Mittelpunkte oder Eentralftellen annehmen fann. Die beiden Haupteentralorgane, das Gehirn 
und Rückenmark, liegen bei ben höhern Thierelaffen, den fogenannten Wirbelthieren, inner 
halb zweier knöcherner Kapfeln, bes Schäbeld und ber Wirbelfäule. Das Gehirn entfendet in 
der Hauptſache die Sinnesnerven, und außerdem treten aus Ihm (oder wenigſtens aus der Schä- 
delhöhle) noch bie für das Auge, das Angeficht, die Stimm⸗ und Athmungefunction, die Zunge 
u. |. w. beflimmten Nerven, fobaß man zwölf Hirn- oder Schaͤdelnervenpaare unterfcheidet. 
Das Rückenmark entläßt 31-52 Paare fogenaunte Mütenmarkönerven, welche ſämmtlich 


Nervenſteber | Nervenkraukheiten 28 


u vorher motoriſchen und einer hinterm fenfitiven Wurzel (bie fich jedoch bald nach bem 
tuermifchen) entfpringen, ein —— querft Oh. Bei (ſ. ie sun 
den exften Anſtoß zu ber neuern und zur Rervenphyſik ins 
dann durch RarſhallHall, Johannes Müller u. U. weiter auögebilbet tele Bel- 
ab Bell'ſche Gefep). Die aus den Banglien entfpeingenben oder in fie einmünbdenben 
gehören namentlich den Gingeweiden, ben Gefäßfuftem und andern fimetionirenden 
n an; buch Berbindungsfäben murzelt jedoch das Banglienfoftern wefentlich im Rücken⸗ 
Das Rervenſyſtem ift wahrſcheinlich dab erſte, was fich im entfichenben thieriſchen Kör⸗ 
et. Gehirn und Rückenmark er die m Drgane, deren Ben ſich in dem Embryo 
n laffen ; ihnen folgt dann das Gef often. Beim And iſt dad Rervenmark noch an 
vorwiegend, aber auch weicher umd ee Beim Erwadfenen wird ed nad) und 
ber, aber auch in feinen Formen ausgebildeter. Im reife enblich wirb es zäher, Härter 
Bener und ſchwindet endlich zufammen ( — ber Greiſe und Greiſenwaſſerkopf). 
dorſch iR verhältnißmäßig zu andern Thieren ſehr reich mit Nervenmaſſe ausgeſtattet 
ſelbe bei ihm, namentlich im Gehirn, ſehr vollkommen und vielgeſtaltig entwickelt; doch 
einzelne riefigere Thiere, welche (abſolut) mehr Rerven- und Hirnmaſſe befigen, und 
Amige Pleinere, welche (relativ) im Berhältniß zu ihrer Körpergröße hirnreicher find als 
zu ber feinigen. Indeß kann im Allgemeinen ber Gag gelten, daß ber Menſch feine 
—*2* vor ben übrigen Thieren feinem an Menge und innerer Ausbildung überivie- 
Wersenfuften verdankt. Vol. Bell, le nie unb —E— Unter ungen” 
‚von Romberg, Berl. 18352); Marſha rſchner, 
40); Derſelbe, „Reue Unterf ne ee —8 1844); ; Ronget, 
mie and Phyfiologie des Nervenfgftems” te von n Seh, 2 Be, 2p;. 1847 — 49); 
gie des ——ez Graunſchw. 1844). 
„ſ. Nervöfe Zufaͤlle. 
ober Reutopafhien nennt n alle diejenigen —— 
w Bas Rervenſyſtem ober einer feiner Theile weſentlich und Hauptfäd 8 
MDie Störung betrifft bald nachweisbar den Bau, bie Subſtanz der —e oder 
Bien (fogmannte materielle Nervenkranffeiten), bald nur die Rervenfunctionen ohne 
nachweisbare Veränderungen des Rervenmärks (bie fogenannten dynamiſchen Mer- 
uBeiten oder Meurofen). In letztern Fällen bat jeboch bie neuere Mebicin Häufig gefum- 
entweder das Blut und dadurch bie Ernährung bed Nervenmarks fehlerhaft war (z. B. 
* bei nervenſchwachen Frauen), ober daß Reflerthaͤtigkeiten von andern erkrankten 
er angeregt werben (3.3. hufterifche — bei gebaͤrmutterkranken Frauenzim⸗ 
der Natur des Nervenſyſtems (ſ. Nerven) geht hervor, daß bie Nerven⸗ 
ten ſich äußern müffen als Störumgen ber Empfindung oder der Bewegung ober 
gen (oder zweier oder dreier biefer Functionen zugleich), und daß —* die 
in ben —— — entweder zu ſchwach, zu träg, beziehentlich ganz unterbrochen, 
zu Kart, zu ve vielfältig vertheit fein wird. Daher die üblichen Einthellungen ber 
kunfheiten: 1) Übermaf a) der Bewegung (Krampf), b) der Empfindung (Hyperaͤſthe⸗ 
ralgie I d.)); 2) Mangel a) der Bewegung (Lähmung im engern Sinne), b) ber Em⸗ 
9 (Uns een Empfindimgslähmung ). Die gleichen Unterfchiede Tonnen dann 
der Geiflesfranfheiten gemacht werben. Natürlich aber mifchen ſich (ſowie bie 
ern ber verfchiedenften Gattungen) die Symptome biefer verfchiebenen Grundſtö⸗ 
—2 in wirklichen Krankheiten mannichfach untereinander und bilden oft ſehr zu⸗ 
geſeyte Zeichenbilder, deren Entzifferung allen Scharfſinn eines phyſiologiſchen Arztes 
æx genaue anatomiſche Kenneniffe erfodert. Einige dieſer zufammengefegten Zeichenbil⸗ 
maen verhaltnißmäßig Häufig vor und find daher ſeit ältern Zeiten als beſondere Krank⸗ 
zen, als eigene Arten von Nervenkrankheiten betrachtet und beſchrieben worden, fo z. 3. 
ſucht, der Veitstanz, das Alpbrüden, der Hirnfchlagfluß u. f. w. Die materiellen 
eiten bed Nervenſyſtems Ind hingegen erft burch bie neuere pathologiſch⸗ anatomiſche 
aufgeſtellt worden. Am häufigften kommen vor: Entzündung des Nervenmarks oder 
yallen (der Hirn⸗ oder Rüdenmarföhäute, der Neurilemme, ber Knochenkapſeln), Er⸗ 
gen (tofhe, gelbe oder weiße), Wafferanſammlungen (Höhlenmafferfuchten oder Odeme) 
%,-Berdterungen u. f. w. Oft iſt eine Nervenkrankheit mır das Zeichen von einer das 
creffenden Krankheit, befonders von einer chronifchen oder acuten Vergiftung (4.9. die 
kiantheit von Mutterkorngift, der Starrkranpf von Strychnin- und Pfeilgiften, bie 

























IM Rervenmittel Neſſel 


Eklampſie von Harn⸗ oder Eiterinfection des Blutes, die Bleikolik, Bleilähmung, Bleiepilepfie 
u.dgl.m. Vgl. Andral, „Krankheiten der Nervenherde“ (deutſch von Behrend, Lpz. 1836)3; 
Marſhall⸗Hall, „Krankheiten des Nervenſyſtems“ (deutfch von Behrend, Epz. 1843); Hirſch, 

„Die Spinalneurofen” (Königsb. 1843); Romberg, „Lehrbuch der Nervenkrankheiten bes 
Menschen” (2. Aufl., Berl. 1852). 

Nervenmittel, f. Nervoͤſe Zufälle. 

Rervenſchmerzen, |. Reuralgien. 

Nervöſe Zufälle nennt man in Krankheiten die auffallendern Functionsſtörungen des 
Nervenſyſtems, insbeſondere des Hirns und Rückenmarks, namentlich geiſtige und körper⸗ 
liche Unruhe des Patienten, Phantaſiren und Raſen oder Vorſichhinmurmeln, Lallen, Schwer⸗ 
beſinnlichkeit, Bewußtloſigkeit, Schlafſucht, Sehnenhüpfen am Vorderarm, Muskelzuckun⸗ 
gen, Krämpfe, Geſichtsverzerrungen, Schielen, örtliche Lähmungen, Unterſichgehenlaſſen des 
Harns und Stuhls u. dgl.m. Wenn dieſe Erſcheinungen bei einem Fiebernden zu bemer- 
ten waren, fo nannte die ältere Schule dies ein nervöſes, nervös gewordenes Fieber oder 
ein Rervenfieber und bielt ſich berechtigt, einen ſolchen Patienten mit Reigmitteln (Mein, 
ätheröligen Arzneien, Kampher, Moſchus u. |. w.) zu behandeln. Die neuere Medicin Hat ger 
zeigt, daß diefen nervöſen Fieberzufällen ſehr verfchiedene Zuftände zu Grunde liegen konnen, 
am häufigften folgende: Typhus (f. d.), Eiteraufnahme ind Blut (f. Eiter), Entzündungen 
der Lunge oder der Hirnhäute oder bed Herzens, Harnvergiftung des Blutes, großer Blutman- 
gel und Erfchöpfungen, acute Ablagerungen (oder Nachſchübe) von Zuberkeln u. A. m. Es 
erhellt hieraus, daß die Behandlung der Nervenkrankheiten und der fogenannten nervofen Zu« 
fälle eine höchſt verfchiebenartige fein muß. Die alte Praxis, in ſolchen Fällen fogleich zu foge 
nannten Nervenmitteln zu greifen, ift jegt mit Recht ganz in Miscredit gelommen. Als Mer- 
benmittel (nervina) bezeichnet man nämlich jene Arzneiftoffe, welche im gefunden oder kran⸗ 
ken Körper vorzugsweiſe Veränderungen der Nerventhätigkeiten (alfo der Empfindungs-, Be 
wegungs- oder Denffunctionen) hervorrufen. Sie zerfallen in mehre Claſſen: 1) Nervenreiz- 
mittel (nervina excitantia), welche eine lebhaftere, gefteigerte Thätigkeit im Hirn, Rückenmark 
ober gewifien Nervengebieten hervorrufen, wie z. B. Weine und andere Spirituofa, Atherarten, 
ätherifche Sr balfamifche Harze, flüchtige Subſtanzen überhaupt; 2) herabſtimmende (ner- 
vina deprimentia), welde in größern Gaben lähmungsartige Herabfegung der Nerventhätig- 
feiten hervorbringen, dad Gehirn betäuben, die Sinneönerven unempfindlich machen u. dgl. 
(sie namentlich die fogenannten Narkotica [f. d.]); 5) umflimmende (nervina alterantia), 
welche auf eine noch unbekannte Weiſe die Ernährung ober die Thätigkeiten bed Nerven. 
ſyſtems abändern, mohin befonders die giftigen Metalle gezählt werden. Doch fließen biefe 
Unterfchiede fehr ineinander. Viele Narkotica find, in Fleinern Diengen gegeben, ſtark aufregend 
für das Gehirn (3.3. der Opiumraufch, die Belladomnatobſucht). Faſt alle Nervenreizmittel 
wirken, in ſtarken Dofen gegeben, betäubend: fo 3.3. Wein, Branntwein, Ather, Kampher. 
Ja die flüchtigſten ätherifchen Stoffe find neuerbing® ganz befonders als Anäfthetica (f. b.) ber 
rühmt geworden : fo 5. B. der Ather, dad Chloroform, das Kohlentrichlorid, der chlorirte Salze 
äther u.a. m. Endlich wirken mandje Metallgifte offenbar lähmend auf die Nervencentra, 3. 2. 
Blei, Arfen, Kupfer u. ſ. w. 

Mefjel (Urtica) ift der Name einer Pflanzengattung mit ein« oder zweihäufigen grünlichen 
Blüten, von denen die männlichen eine viertheilige Blütenhülle und vier, anfangs eingefchla- 
gene, dann elaftifch auffchnellende Staubgefäße, die weiblichen aber eine zweitheilige Blüten⸗ 
hülle und einen Fruchtknoten mit figender, Lopfförmig-pinfeliger Narbe haben. Es find Kräu« 
ter und Sträucher, von denen viele mit Brennhaaren befegt find, bie bei der Berührung in bie 
Haut eindringen, einen ſcharfen Saft ergiegen uud dadurch Brennen und Entzündung erregen. 
Nur wenn man die Neffeln fo anfaßt, daß die Brennhaare feitwärtd an den ergriffenen Theil 
angedrüdt werden und alfo nicht in die Haut eindringen können, erfolgt Bein Brennen. Das 
von unfern einheimifchen Neffen verurfachte Brennen ift zwar läftig, aber nur fehr unbebeu- 
tend im Vergleich mit einigen fübaftat. Neffeln. Unter diefen zeichnet ſich vorzüglich die feinge- 
erbte Reſſel (U. crenulata) durch heftige Brennen aus, indem fie auch bei nur leifer Berüh⸗ 
rung mit einem Finger ein anfangs ſchwaches Brennen erregt, das fich jeboch binnen einer 
Stunde zu einem foldhen wüthenben Schmerze fleigert, als ob mit einem glühenden Eifen fort» 
während über den Finger geftrichen würbe, ohne daß Geſchwulſt oder Röthe erfcheint. Der 
Schmerz verbreitet fich bald über das Glied, z. B. den ganzen Arm, erregt faft Kinnbaden- 
krampf und dauert in gleicher Heftigkeit an 24 Stunden. Derfelbe läßt die folgenden Tage 


Reffelansfchlag Neſſelrode 121 


nad), verſchwindet aber erft am achten oder neunten Tage, kehrt indeffen in diefer Zeit bei 
Benegun mit kaltem Waſſer fogleich in voller Heftigkeif'wieber. Überhaupt werden alle durch 
Refjein verurſachte Entzündungen durch binzugebrachte Näffe nur verlängert, und es kehrt ber 
—— IeDft noch einige Zeit, nachdem derfelbe ganz verſchwunden war, bei Anwendung von 
kaltem Waſſer fogleich zurück. Bon der bei uns überall gemein wachfenden ausdauernden zwei. 
Sünfigen oder großen Neſſel (U. dioica) und der einjährigen kleinen Neffel (U. urens) war 
fonft Kraut und Samen als Heilmittel gebräuchlich. Die jungen Triebe ber erftern werden hier 
umb da als Salat und die jungen Pflanzen wie Spinat ober Kohl als Gemüfe gegeffen. Die fe- 
ften Faſern des Stengels können von allen etwas flärkern Arten zu Gefpinnften und Geweben 
ſowol von ber feinften als auch gröbften Urt verwendet werben, und zwar nennt man das aus 
den Baſtfaſern der Reffelftengel probucirte zarte Gefpinnft Neffelgarn, das Gewebe Meffel- 
tuch. Gegenwärtig nennt man Reffeltudy bisweilen auch den baummollenen Muffelin (f. d.) ; 
häufiger bezeichnet man mit Meffel leichtere Sorten von Zutter- und Drudkattunen. So 
bereitete man früher auch in Deutfchland und der Schweiz, ehe noch die Flachefpinnerei 
eingeführt war, aus den Baftfafern der großen Reffel ein ſehr ſchönes Neffelgarn und Neffel- 
zwirn, mit welchen Namen man jegt das feinfte Keinengarn zum Batiſt belegt hat. Noch jegt 
werden die Baftfafern ber ſchneeweißen Neffel (U. nivea) in China, ber japanifchen Reffel 
(U. Japonica) in Japan und anderer zu Gefpinnften und Geweben verwendet. Die im mittlern 
Aßen einheimifche haufartige Meffel (U. cannabina) liefert ein vorzüglich ſchönes Reſſeltuch, 
und in England wird eine ihr fehr ähnliche Art, Whitlaw's Neffel (U. Whitlawi), eigene cule 
tivirt, welche die feinften Spigen wie auch bie flärkften Seile und Zaue gibt. Die hautige Ref 
fel (U. membranacea) braucht man in Waypten, wie früher bei uns auch die große und Heine 
ed, als Apbrobifiacum. 
$lag ober Meffelfudt (urticaria) ift eine Hautkrankheit, welche ſich durch 
flache, unregelmäßig begrenzte Erhebimgen ber Haut von bleicher Farbe mit entzundlich-rothem 
zu ertennen gibt. Diefe Neffelmäler (Quaddeln, pomphi) find nicht waffergefülite 
fen, fondern blos eine Erhebung des durch Ausſchwitzungen gefchwellten Mafchengemebes 
Lederhaut, daher fie auch ohne alle Spuren wieder verſchwinden Tönnen. Bisweilen find 
fie mit zothen Knötchen (den gefchwollenen Hautbälgen) befegt (Meffelfriefel). Der Neffel- 
ausſchlag bricht unter heftigem Juden und Brennen aus, ohne befondere Vorliebe für ber 
ſümmte Dautflellen zu zeigen, bleibt längere oder kürzere Zeit fliehen und ift entweder von 
Tieberbewegungen, dem Nefielfieber, begleitet ober verläuft fieberlos. In erſterm Kalle 
der Ausſchlag von größerer Ausbreitung, wobei fich zuweilen etwas Abſchilferung 
in legterm iſt er weniger außgebreitet, verſchwindet manchmal ganz und kehrt nach ſehr 
Zeit zurüd, oder wandert von einer Stelle zur andern. Die Krankheit ift nicht an⸗ 
, fleht oft mit leichten Unregelmäßigkeiten in ben Bunctionen ber Unterleibseingeweide 
im Berbindung und erfcheint nicht felten bei manchen Perſonen nach dem Genuſſe von Mu- 
ſcheln, Krebſen, Schnecken, manchen Fiſchen, Pilzen, Erbbeeren u. f. w. in Folge einer Idio⸗ 
fgukzafie (f. d.) und überhaupt bei Perfonen, deren Haut fehr reizbar iſt. Die Krankheit iſt 
ungefährlich, wirb aber manchmal durch häufige Rückfälle läftig. Sie heilt bei gutem Ver⸗ 
halten von ſelbſt; doch biöweilen muß man bei der Behandlung den Zuſtand ber Unterleibe- 
berüdfichtigen und diefen durch paffende Mittel zur Regelmäßigkeit zurüdführen. 
Reſſelrode (Kari Rob., Graf von), ruff. wirklicher Geh. Rath, Minifter der auswärtigen 
Angelegenheiten und Kanzler bes Reichs, einer der ausgezeichnetften Diplomaten ber neuern Zeit, 
geb. 1A. Dec. 1780 in Liffabon, wo fein Vater, ber Graf Mar Jul. Wilh. Franz von R. (geb. 
2A Det. 1724, geſt. zu Frankfurt 8. März 1810), damals ruſſ. Geſandter war, widmete ſich ſchon 
frish der diplomatiſchen Laufbahn umd erwarb fich allmälig, feit 1802 bei der Geſandtſchaft in 
Berlin, dann in Stuttgart, 1805—6 als Legationsferretär und Charge b’Affaires im Haag, 
1807 als Gefandtfchaftsrath in Paris angeftellt, Das Höchfte Vertrauen bes Kaifers Alexander. 
Im Kriege NRußlands gegen Frankreich fchloß er 19. März 1813 zur Ergänzung bed Kalifcher 
Bertrags nebft bem Baron Stein den Bertrag zu Breslau mit Hardenberg und Scharnhorft 
uud 15. Juni 1815 zu Reichenbach in Schleſien den Subfidienvertrag mit bem brit. Bevollmäch ⸗ 
tigten Lord Cathcart. Hierauf Fam er mit Metternich über die wichtigſten Punkte des Bünd- 
niſſes überein, en Dach m zu Teplig zwifchen Rußland und Oſtreich nebſt zwei ähnlichen 
Berträgen zwilchen ch umd Preußen vollzogen wurde. In dem Feldzuge von 1814 folgte 
avem Raifer nach Frankreich und unterzeichnete 1.März die Quadrupelallianz zu Chaumont. 
In der Rat vom 50. zum 31. März ſchloß er nebft den Grafen Orlow und Paar den Ver» 


4: 


L 


Hin 


Reftor ( Chroniſt) Reftorianer 133 


ann ut gu erwähnen. Auch wirb er unter ben Balybonifchen Jägern und unter den 
ten aufgezählt. Obgleich ex ſchen zwei Menſchenalter durchlebt Hatte, als der Zug 
egen Troſa unternommen wurde, nahen ex dennoch Theil an desufelben, fühete in 90 Sch 
Poller und andere Stämme borthin und war ungeachtet feines Alters tapfer und kuͤhn 
im Streite. Beſonders aber glänyte er vor allen Übrigen als erfahrener Bathgeber, und an 
Seredtſamkeit übertraf er fogar den Odyſſeus. Bei allen wichtigen Beratfungen gab er durch 
fein nz Ausſchlag; auch veranlaßte er die Berſohnung des ÄAgamemnon ımb 
Achilles. Trolas Fall kehrte er mit Mendaus und Diomedes über kesbos glüclich 
" Heimat zuru, mo er nach ein behagliches Alter mitten unter feinen Söhnen verliebte. 
traf ihn Aclemoches, ber ihn befuchte, um Nachrichten über ben Odyſſeus einzuziehen. 
fpat, zur Zeit des Pauſanias (150 n. Chr.), zeigte man in dem meffenifchen Pylos feine 
Vechbejahrte Männer, die ſich durch Weisheit und Beredtſamkeit auszeichnen, be- 
jegt fpruchwörtlich mit feinem Ramen. 
erſte ruſſ. Shronift, geb. um 1056, war Mönd im petfcherifchen Klofter in 
um 1116. Außer ben Rebensbefchreibumgen einiger Abte und Möndye feines 
Bruchſtücke aber erſt von fremder Hand zuſammengereiht find, fehrieb er in alt- 
„ober icher Sprache eine Chronik, welche für bie Befchichte des Rordens von höchſter 
igkeit iſt. Sichtbar benugte ex barin für die ältefte Geſchichte bie Byzantiner; feine an- 
Quellen find unbefannt; Vieles fchrieb er al6 Zeitgenofle und aus ber münblichen Über⸗ 
lwferung eines alten Monde feines Kloſters. Die Jahredangaben beginnen mit 852. Die 
Derfiellung ift dem Geifte feiner Zeit angemeſſen; fromme Betrachtungen und biblifche 
Gprüße werben in bie Erzählung häufig verwebt und die Perſonen meift redend eingeführt. 
Da ber Urtert feiner Chronik verloren und biefelbe buch bie Binfchaltungen feiner Fortfeger, 
des Biſchofs Sylveſter zu Kiew und mehrer Ungenannten, bis 1203 in hohem Grabe enrftellt 
iR, fo läßt fich ein ficheres Urtheil über fein Hiftorifches Werdienft nicht fällen, bis kritiſche Un- 
terſuch ausgemittelt Haben werben, wie viel von dem jegt Borhandenen N.'s Eigenthum 
iſt. 86 Life ſich nicht einmal mit Gewißheit beftimmen, bis zu weichen Jahre feine Mrbeit 
sächt. Die ältern Ausgaben find von 1767, 1781, 1784, 1786 und 1796, theild in Peters 
burg, In Moskau verlegt. Ein großes Verdienſt um dieſe Chronik hat ſich Schlözer durch 
feine egung und Erklärung berfelben erworben, die unter dem Titel „Ruſſiſche Annalen“ 
(5 Döer, Gött. 1802— 9; ins Ruffifche überfegt von Jazykow, 3 Bbe., Peteröb. 1809—19) 
erſchien, aber nur bis 980 reicht. Einen Auszug und eine Ergänzung ber Schlöger’fchen Ar⸗ 
beit enthält Sof. Müller’ 5 „‚Altruff. Befchichte” (Berl. 1812). Ein Stüd des Originaltertes 
nad der Puſchkin ſchen Handichrift gab Timkowſti (Most. 1814) heraus ; eine vollftändige 
Ausgabe lieferte 1841 Pogobin. 
ianer ift der Name einer kirchlichen Partei, die den Unfichten des Reftorius (f. d.) 
folgte und in ber erſten Hälfte des 5. Jahrh. ſich bildete. Indem bie N. behaupteten, das Goͤtt⸗ 
Ehe und das Menſchliche Habe auch nach der Vereinigung zu einer Perſon fein eigenthümli⸗ 
des Weſen bewahrt, folgerten fie daraus, daß die fogenannte Menſchwerdung des Logos un- 
benfbar, bie Uertragung ber wefentlich menfchlichen Eigenfchaften auf das Göttliche in Chriſto 
unftıtthaft fei, daß baber auch nicht von ben Keiben bed Logos, von ber Maria ald Gottedge- 
börezin bie Rede fein, daß man vielmehr Maria nur als Cheiflusgebärerin bezeichnen könne. 
Dieſe Anfichten (Neftorienismus) wurden durch Göleflin I. in Rom, durch Eyrill in Aleran- 
drien (A30) und auf ber allgemeinen Kirchenverſammlung zu Ephefus 431 tumultuariſch ver- 
dammt. Sept entftand aber eine Spaltung zwiſchen ber griech, antiochenifchen und ägypt. 
Birdge, indem die beiden erften in der VBerbammung Mpollinarismus (f. Apellinaris) und 
Doketitmus (f. Doketen) fanden; bie ägypt. Kirche jedoch meinte, daß jene Kirchen bei der 
Zrennung der Raturen im Logos nothwendig einen zwiefachen Chriſtus glauben müßten. In⸗ 
be beſtand doc, unter ben Morgenländern wenig Ginigkelt, und ber Biſchof Rabulas von 
Edeſſa trat ſelbſt zu Cyrill über und erhob fich gegen bie Schriften des Theodorus von Mopb« 
veſte, in denen er den eigentlichen Urfprung des Neftorianismus fand. Auch der Biſchof Jo⸗ 
haun won Antiochien unterhandete mit Cyrill und vereinigte fich mit diefem, als Eyrill ein von 
tet entworfenes, im Weſentlichen antiocheniſches Glaubensbekenntniß fanctionirte, in 
weichen er bekannte, daß zwei Naturen in Chriftus zur Einheit geworden feien, daß Maria 
Geotteögebärerin fei. Viele Agypter fanden hierin mit Recht nur das Bekenntniß des früher 
verurtheilten Neſtorianiomus, und viele fyrifche Biſchofe, die jept die unſchuldige Verdammung 
det Reftorisse beftätigt fahen, hoben bie Kirchengemennſchaft mit Antiochien auf. Um die Ver⸗ 


fit 


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41 


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1 Neſtorins Neſtroy 


dammung doch zu rechtfertigen, verfälſchten ſelbſt Kirchenlehrer, wie Caſſian und Auguſtin, die 
Lehre der Neftorianer, welche auch in verfälſchter Geſtalt auf die folgende Zeit überging, bis zu⸗ 
erft Luther in feiner Schrift „Won ben Goncilien” und nad) ihm andere Männer hellern Blicks 
die Faͤlſchung aufdedten. Mit Gewalt wurben bie fgrifchen Bifchöfe genöthigt, den Kirchen. 
frieden zwiſchen Johann und Eyrill anzuerkennen; bie, welche fih nicht fügten, wurden ver- 
trieben. Diefes Schidfal traf vornehmlich Lehrer ber theologifhen Schule zu Edeffa. Sie 
flüchteten nach Perfien und gründeten unter Thomas Barfumas (489) bie Separatlirche der 
Chaldaͤiſchen Chriſten oder, wie fiein Dftindien heißen, der Thomaschriften. Sie ftellten ſich 
unter den Bifchof von Seleucia und Ktefiphon und ernannten ihn zum Katholikos oder Jace⸗ 
lich. Auf dem Concil zu Seleucia (500) wurde unter dem Jacelich Babbäus dad Hauptdogma 
von ben zwei Naturen Zefu in einer Geftalt und von Maria als Chriftusgebärerin von neuem 
feftgefegt, und die Neftorianer erhielten fich nicht nur in Perfien, wo fie Rom gegenüber nach⸗ 
baltigen Schug fanden, fondern verbreiteten fich auch im 6. Jahrh. nach allen Seiten Afiens 
bin, namentlich nach Arabien und Indien. Im I. 636 follen fie felbft nach China gekommen 
fein. Sie bewahrten zugleich die Gelehrſamkeit der foriichen Kirche (ihre wichtigfte Schule war 
zu Niſibis) und vermittelten die Kenntniß der griech. Wiſſenſchaft für Aſien. Im 11. Jahrb. 
gelang es ihnen, den tatarifchen Fürſtenſtamm ber Kerait zu befehren. Vergebens machte 
Papſt Alegander III. den Verſuch, mit dem Fürftenflamme auch die Neftorianer ſich zu unter» 
werfen, die vielmehr nur einen größern Einfluß erlangten. Ebenſo vergeblih waren die neuen 
Verſuche unter Innocenz IV. und Nicolaus IV. Im I. 1551 entſtand jedoch über die Wahl 
eines Bifchofs eine Spaltung, indem ein Theil den von Papſt Julius II. unter bem Namen 
Johannes geweihten Priefter Sulakas, ein anderer den Prieſter Barmas als Bifhof ane» 
Sannte. Derjenige Theil, welcher Sulakas anerkannte, trat unter dem Einfluffe des Erzbi⸗ 
ſchofs von Boa, Alexis de Menefis (Alexius Menezius), zur rom. Kirche über und bildete die 
fogenannten Unirten Meftorianer; man nennt fie jegt gewöhnlich Chaldäiſche Ehriften. Sie 
zählen etwa 90000 Seelen, erkennen den päpftlichen Primat und bie fieben Sacramente an, 
haben aber übrigens ihr Hauptdogma beibehalten und beobachten ben Ritus ber griech. Kirche. 
Die Ritunirten Reftorianer haben nur die Sacramente von Taufe, Abendmahl und Pries 
ſterweihe; ihre Geiftlichen bürfen fich verheirathen; ihre Zahl beträgt etwa 70000 Seelen. 
Die frühere wiffenfchaftliche Bildung ift jegt faft ganz verſchwunden. Die Reſtorianiſchen 
Mönde und Nonnen find Neligiofe von der Regel des heil. Antonius. Sie haben viele Klö⸗ 
fer, von denen aber nur wenige zahlreich befegt find. Ihr Hauptklofter ift das Klofter Hormoz. 
In manden Mönchs klöſtern wohnen auch, doch in getrennten Zellen, Nonnen, welche Laien 
dienſte verrichten. Mönche und Nonnen können auch aus bem Kloſter treten und fich verhei⸗ 
rathen. Außer den religiofen Übungen befteht ihre Beichäftigung in Handarbeiten. 

Neſtorius, ein antiochenifcher Mönch und Presbyter, feit 428 Patriarch von Konftanti- 
nopel, hatte Diodor von Tarfus und Theodor von Mopsvefte zu Lehrern gehabt und zeichnete 
fich durch Kenntniffe und Beredtfamteit aus. Da er, in Übereinflimmung mit dem Presbyter 
Anaftafius, das Göttliche und Menfchliche in Chriſto ſchärfer trennte und deshalb auch bie 
Jungfrau Maria als Gottesgebärerin anzuerkennen fich weigerte, wurde er von Cyrillus (f. d.) 
in Alexandria angeklagt, daß er bie beiden Naturen in Ehrifto zu zwei Perfonen mache und die 
wahre Gottheit Ehrifti leugne, und deshalb auf der Kirchenverfammlung zu Ephefus A351 als 
Häretiter feines Amtes entfegt. Er flarb, auch von feinen Freunden aus politifchen Rückſich⸗ 
ten aufgegeben, um AAO in der Verbannung. (S. Neftorianer.) 

Reſtroy (Joh.), Schaufpieler und Theaterdichter, geb. 1801 in Wien, fludirte zwar die 
Rechte, gab ſich aber mit befonderer Vorliebe der Muſik und dem Schaufpiel hin auf einem im 
älterlihen Haufe errichteten Privattheater. Nachdem er in einer Gefangspartie öffentlich aufge 
treten, befchloß er fich ganz ber Bühne zu widmen und bebütirte 1821 ald Saraftro in der „Zaue 
berflöte” mit Beifall, ſodaß er fogleih ein Engagement erhielt. Doch ging ex bald als erfter 
Baffıft nach Amfterbam, wo er in einigen komiſchen Rollen die größten Erfolge erntete. Seit 
1824 fand er zu Brünn als Baffift und Localkomiker vielen Beifall, ebenfo feit 1826 zu Grätz, 
wo er faft nur noch in fomifchen Nollen auftrat. Seit 1831 wirkte er nicht minder glüdlich zu 
Wien am Theater an ber Wien. Einen noch größern Ruf bat indeffen N. als Berfaffer zahle 
reicher Poſſen und Zauberftüde erlangt. Diefelben find zumächft auf den Geſchmack bes wiener 
Volks berechnet, zeichnen fich durch fcenifche Effecte, hausbackene Moral, Handgreiflichen Humor 
und lebendiges Treiben aus und haben fi zum Theil wie „Rumpucivagabundus” und „Zu ebes 
ner Erde und erfter Stod” ſelbſi auf dem Repertoire außwärtiger Bühnen erhalten. 


Neßmely Nettelbeck 135 


Meßmely, ein durch feinen Weinbau berühmtes ungar. Dorf, am rechten Donauufer Im 
komorner Gomitat gelegen, mit 1200 E. Das Dorf tft rund von Weinbergen umgrenzt. Auf 
dem vnlkanifchen, zuweilen von geringen Erbbeben Heimgefuchten Boben gedeiht der Wein- 
ſtock fo trefflich, daß nach dem Tokayer ber Neßmelyer Wein als der beſte Ungarns gilt und im 
Inlande wie im Auslande nach jenem am meiſten geſchätt und geſucht wird. Der jährliche Ver⸗ 
kauf an Regmäyer iſt viel bedeutender als die Quantität des Erzeugniſſes, ba die ganze Um⸗ 
gegend ihren Wein in Neßmelyer umtauft. 


e, |. Kephthys. 

—2 (Kasp.), einer ber vorzüglichſten Maler des 17. Jahrh. geb. zu Heidelberg 1639, 
ber Sohn des Bildhauers Joh. N., verlor fehr früh den Vater und wurde von Tullekens, einem 
Arzte zu Arnheim, an Kinbesflatt angenommen und von biefem anfangs für die Arzneikunde 
beflimmt. Neigung und Zalent aber führten ihn zur Malerei. Ex lernte bei de Kofter, einem 
Stillebenmaler, und malte dann Vieles für Kunſthaͤndler. Zu feiner weitern Ausbildung wollte 
er nach Italien gehen, am aber nur bis nach Bordeaur, wo er ſich verheirathete. Hierauf ging 
ex wieber nach Holland und ließ fich im Haag nieder. Die Rothivendigkeit, eine zahlreiche Fa⸗ 
milie zu ernähren, beflimmte ihn, Yorträtmalerei neben feinen Eonverfationsftüden zu treiben, 
obſchon er Talent und Neigung genug hatte, fich in höhern Gattungen ber Malerei audzugeich« 
nen. In Dem, worin die nieberländ. Schule eine eigenthümliche Stärke befigt, in ber treuen 
Nachahmung der Natur, wetteiferte er mit den berühmteften feiner Zeitgenoffen ; er wird Ter⸗ 
burg und Dow gleichgeftellt, welchen er auch in feiner humoriſtiſcher Auffaffung des Lebens 
ber höhern Stände am nächften ſteht. Reben ber graziöfen Erfindung ift befonders feine Dar- 
flelung ber Gemwandftoffe berühmt. Der meiße Atlas und Sammet in den Gewändern und 
Draperien feiner Gemälde und das Haarige der tür. Teppiche Haben bei ihm eine täufchenbe 
Wahrheit. Befonders find feine kleinen Cabinetsſtücke ihrer Vollendung wegen geſchätt. In 
ber Hiftorifigen Malerei wählte er feine Gegenſtände gewöhnlich aus ber rom. Gefchichte; doch 
war er Dabei in ber Regel nicht ſehr glücklich. Indeß auch in diefen Hiftorienbildern wirb trog 
ber manierirten Zeichnung das Colorit bewimbert. König Karl H. lud ihn ein, nach England zu 
kommen; doch fein Leiden, die Gicht, Tieß Dies nicht zu. Er ftarb 15. San. 1684 und hinterließ 
ein Bermögen von 83000 Glon. Zwei feiner Söhne, Theod. R., geb. 1661, geft. 1732, und 
Ronftentin R., geb. 1670, geft. 1722, waren ebenfalls tüchfige Maler, jeboch nicht ausgezeichnet. 

Nettelbeck (Joachim), Bürger zu Kolberg, das Mufler eines guten Bürgers und Patric 
ten, geb. 20. Sept. 1738 zu Kolberg, wo fein Vater Brauer und Branntweinbrenner war, 
zeigte von früheſter Jugend an Neigung zum Schifferhandwert und tummelte ſich von 1753 
an bis zu feinem 45. I. als Schiffer auf allen europ. Meeren, in Weftindien und an der Küfte 
von Guinea umher. Zahllofe Gefahren und ein wechſelvolles Leben hatten ihn zu einem Manne 
von Energie, Muth, Umficht und Lebensflugheit gemacht, al er fi 1782 in feiner Vaterflabt 
Kolberg, um bie er bereits bei der Belagerung im Siebenjährigen Kriege fich ſehr verdient ger 
macht Hatte, als Branntweinbrenner nieberließ. Er hatte fich 1762 verheirathet; doch fiel dieſe 
Berbinbung fehr unglüdlich aus. N. mußte Schande an feiner Frau wie an ber während feiner 
iahrelangen Abweſenheit geborenen Tochter erleben, während fein einziger Sohn ihm ftarb. 
Auch eine zweite Ehe, die er 1799 einging, mußte er löfen. Dagegen ftand er felbft bei feinen 
Ritbũrgern in großem Anfehen und wurde burch ihr Vertrauen Bürgerrepräfentant, welches 
Ehrenamt er bis zur Einführung der neuen Gtäbteorbnung 1809 bekleidete. Allgemeineres 
Uufichen erregte er indeß erſi feit 1807, wo Kolberg von den Franzoſen belagert wurde. Seine 
bamaligen Anftrengungen in einem Alter von beinahe 70 3., fein Muth, feine Erfahrung, feine 
Rachſchlage und feine Bereitwilligkeit, Leib, Gut und Vermögen gu opfern, geben ein herrliches 
Zeugnif dafür, was ein Privatmann zum allgemeinen Wohle zu leiften vermag. Im guten 
Vernehmen mit ber Bürgerfchaft, bildete er, in Verbindung mit feinem Freunde Schill, vom 
Aufange ber Belagerung an durch Vorftellimgen, Warnungen und felbft Drohungen, der Gei⸗ 
ftesſchwache, Unentfchloffenheit und dem vorurtheilsvollen Düntel des Feftungscommandanten, 
Dberſten von Roucabou, gegenüber, ein wirffames Gegengewicht, wodurch diefer zu Maßregeln, 
weiche ben Fall bes Platzes verhüteten ‚-gleichfam mit Gewalt gezwungen wurde Seinem 
ſchriftlichen Anhalten beim Könige verbankte die Stadt die Zuſendung eines neuen Befehle. 
habers, bes Oberften Gneiſenau, dem N. fofort als Bürgerabfutant zur Seite trat. Ihm wurde 
Die Leitung ber ũberſchwemmungen übertragen. Wenn bei ſtürmiſchem Wetter Fein Uinderer 
dat Lootfenboot zu beftzigen den Muth hatte, ba war es N., ber bie Hülfe bringenden Schiffe 
in den Hafen 9 MUS Pilot: führte er namentuich das ſchwed. Kriegsſchiff, weiches bie 


196 Netto Retflügler 


Belagerer in ber Flanke und im Rüden zu befchießen beftimmt war, zunächft dem Ufer in bie 
vortheilhaftefte Stellung. Auch die Löfchanftalten in der Feſtung flanden unter feiner Aufſicht, 
und wo es galt, bem euer Einhalt zu hun, ließ er fich zu jeder Stunde, im dichteften Kugel⸗ 
regen, an der Spitze der Röfchenben finden. Bei jedem Ausfalle war er in der Rähe, um den 
Fechtenden Munition und Erquidungen zuzuführen und die Verwundeten in Sicherheit zu 
bringen. Mehr als ein mal kaufte er allen Brot und Fleiſchvorrath in der Stadt auf, um bie 
Krieger zu fättigen; er begleitete fie auf die gefährlichften Poften und flimmte patriotifche Lieder 
an, um ihren Muth zu beleben. Seine Meldungen ar den Commandanten waren ftet6 bie 
ficherften, und feine Beurtheilung der Vertheidigungsanftalten, wie fie in jebem Augenblicke 
Noth thaten, würde der Einficht jedes Kriegers Ehre gemacht haben. Auf feinen Rath murbe 
eine Belagerungsmünge eingeführt," welche bie weſentlichſten Dienfte leitete. Seiner Vermit⸗ 
telung und feinem Einfluffe gelang es, jede Reibung und Mishelligkeit zwiſchen der Bürger. 
(haft und Befagung fofort zu unterbrüden und eine faft beifpieflofe Eintracht zu erzielen. 
Sein Beifpiel und feine kräftigen Ermunterungen belebten den Muth urid bie Ausdauer feiner 
Mitbürger unter ben vielfachften Entbehrungen und ben fchredlichften Einbußen. In bem Au⸗ 
genblide, wo 2. Zuli die Belagerer, nachdem fie ſich der wichtigften Außenwerke bemächtigt, 
einen allgemeinen Ungriff unternahmen, traf bie officielle Nachricht von bem zu Tilſit abge 
Flo nen Waffenſtillſtande ein. N'o Name gehörte zu den gefeiertften jener Tage. Der König 
von Preußen ertheilte ihm eine goldene Verbienftmedaille, gab ihm die Erlaubniß, die preuf. 
Admiralitätsuniform zu tragen, und bewilligte ihm 1817, a6 er in feinen Bermögensumftän® 
ben zurüdigelommen, eine lebendlängliche Penfion von 200 Thlrn. Bis an feinen Tod dur 
feinen Iebenöträftigen Geift, hellen Blick und Gemeinfinn ein ehrwürdiges Denkmal Deffen, 
maß deutfcher Geift und Geſinnung in ſchlichter, aber marfiger Geſtalkung verniögen, ftarb er 
zu Kolberg 19. Juni 1824. Seine Lebensbefchreibumg, von ihm ſelbſt aufgezeichnet, gab I. C. L. 
Haken heraus (3 Bde., Lpz. 1821—23; 2. Aufl., in Einem Bande, 2ypy. 1845). 

Netto (ital., d. i. rein) heißt zumächft da6 Gewicht (Nettogewicht), melches eine Waare 
ohne die ihr beigegebene Umhüllung (Sad, Faß, Kifte, Bindfaben, Glas u. |. w.) hat. Netto- 
einnahme heißt die reine Einnahme, nach Abzug ber Unkoften u.f.w. (&. Brutto und Zara.) 

Netz (omentum, epiploon) nennt man in der Anatomie bie eigenthümlichen Verlän⸗ 
gerungen ber bie intezleibscingeweibe überziehenden Bauchhaut. (S. BVauch.) Das große Netz, 
eine Fortfegung des Überzugs des Magens, der Milz und des Grimmdarme, befteht aus zwei 
Platten ber Bauchhaut, welche dicht aneinander gelegt und von Gefäßen und Fett negförmig 
durchzogen find, und hängt vom großen Bogen des Magens mie ein Vorhang zwiſchen dem 
Bauchwänden und den bünnen Gedärmen bis zum Becken herab. Das Heine Nep, eine Ver- 
längerung bes äußern Überzugd des Magens und der Leber, fchlägt fich vom Heinen Bogen des 
Magens nach hinten und oben, ſodaß es den Magen mit der untern Fläche ber Keber verbindet. 
Noch kommen am Grimmbarme verfchiedene berartige Fleinere und fettreiche Anhänge vor 
(appendices epiploicae), die vielleicht dazu dienen, die Neibung der Eingeweide aneinander 
zu verhindern und diefelben fchlüpfrig zu erhalten. 

Retzediſtriet hieß von 1772—1807 der durch die erfte Theilung Polens außer Weſtpreußen 
an Preußen gekommene, von ber Nege, einem Nebenfluſſe der Warthe, durchſtrömte Theil von 
Polen. Der Negediftrict bildete ein befonderes Departement Weſtpreußens und umfaßte 
159 AM. mit den Kreisftäbten Krone, Cammin, Bromberg und Inowraclaw. 

Netzflügler ober Gitterffügler (Neuropt£ra), eine Ordnung ber Inſekten von nicht be 
beutendem Untfange, welche diejenigen Inſekten enthält, die vier gleichartige, häutige, mit wenig 
Nerven, aber vielen negförmigen Adern durchzogene, meift gleichgrofe Flügel, gewoͤhnlich bor⸗ 
ftenförmige, felten kolbige Fühler und zum Kauen eingerichtete Mundtheile beftgen. Unter- 
fiefer ift Häufig von einer Urt Kappe oder Helm (galea) bedeckt umb der Kopf weit vorſtehend; 
die Füße find nur zum Gange, nicht zum Springen und Graben eingerichtet. Die Larven 
haben ſechs mit Krallen bewehrte Füße und leben im Waſſer oder auf dem Lande. Die voll- 
tommenen Inſekten leben aber nur auf dem Bande. Die Verwandelung ift bald unvollkommen, 
wie bei Libellen (f. d.), Eintagsfliegen (f. d.) und Xermiten (f. b.), bald vollkommen ober fait 
vollkommen, wie bei Srühlingöfliegen ober Schmetterlingsftiegen, Ameiſecüungfern, Kameel⸗ 
halöfliegen u. a. Die meiften Regflügier fiegen gut und leben vom Juſektenraube, befün- 
ders find. die Libellen ſchr viigkiäje Jaſekteuraͤuber. Die Larven bee Förfllegen, welche ihre 
langgeflielten Eier an Baumzweigen anbeften, Ichen von Blateläufen. Die Tarden der Ameifen⸗ 
jungfern (Uimelfenfömen) wohnen in fanbigen Gegenden, in fedfigerkiichteti Saudertichtern, in 


Nenalbion Nenber un 
deren Grunde fie mit we vi aufgefperrten ‚Kifem auf auf Sufeten lauern, vom Naude 
re Di —* 35 —— en als Din Mile tb Wi Br 

ie a4 er ange, 
2 ıtilgung ber Blattläufe und bie Lihellen durch Vermi Derminderung von 3 


Die‘ Sch flelien fich dem Menfchen als furchtbar verwäftende und unbefiegbase 
Die Pforiden, die Mein; allen Regflüglern, ebenfall 
Fr — ae en an, wie bie —— ae im 


(Troctes pulsstorias). Die meiften Flo ober Hemerobien haben die enehme Gin 
— — verbreiten, ber den 


Veh font Ber an rang Daß 1578 enhedte ab fidem var den Briten in 
—S — Roi 6, von Dbercafifernien 
meiter bi zur Iuan be e, wo jegt 


Kain et ———— 
aaa von 1846 auch förmlich abgetreten wurde und feitdem zu ihren 


EEE En ram ae Cum, einige Meilen von ber 
—— ueuerbinge dur) feine reichen 
kalt grmosben. Die Be Ser Bine, 5,1 be 300cäglg Mrheit Fi 
Yahaıs ae Gilber autgeſchieden werden 
Üigenthümer der Gruben verfi — — nen un Se 2*. 
— ——⏑—————— ufſchwung genommen hat. 

Babe (Bde Bi), da ——— zu Aruſtadt im 
ae Eihuale, banı die Mitterafabemie AT, u Gen 
e in 

Mr Bet, van sta en promovitte. Radydem er eine Seit lang 
r" . 


Berftörum; 
Gericht” (Liegn. 1785) und "(Bb.1, 1798) 6. 
Renber Be en Im Ren, 

ub. waßefiheintiih 4692 zu Reicjenbach fm Wolgtlande, —— — 
— in Biden Ihe Oi a Behandlung, bie fie kn Haufe ihres Vaters, 
En fü — ante 

einem zwidauer mi 

Raften, in Weißenfeis auf das Bm 1 Br Rama Be Kür dl 


Da Wlan fear — * aber auch mit großem Beifall in keck⸗ke —e—— — 
an em ‚0 ol 
ia Braunfätei, end fe fe fäncl 


mu mit Ihrer Gefelfc) 7} fammelte fie die beften Talente 
um füdh und wußte ihrer Befellichaft einen für Die damaligen Deutſchland ungewöhn- 
fen 9 ⏑ ber Fi zum Dictatar 
die Bühne, 


Beide 1737; den Sansmurf, der bis bahin fein Weſen auf ber Bühne trich, vom Theater. Si 
achhet aber ũberwarf fich bie je J ottſched. Ihre otonomiſchen Verhaltniſſe geriechen zv 
leich fin Verfall und ein Petersburg, den fie 4740 annahm, Bradhte, ige mm Rasf- 
— rat 4741 Kur 35 fe nut an den —5 gegen Gottſched Theu 
em Vorfpiel ie as erlangte inbef- 

— — und 1öfe fh Kae e In den YUnsftänben 

ins 30. Son. 1760 ——— too Freunde. ber Kun ihr 1776 cin Dent· 
Al meiäteten, Bei Gelegenheit Au & Deut 7 Geyı, TOBS woenfalerı Gen 


198 Renbrandenburg Renbraunfchweig 


dachtnißfeier wurde daffelbe erneuert und die mit einem Denkſteine gezierte Grabflätte ber 
Künftferin auf dem Kirchhofe zu Leuben nachträglich geweiht. Ste ſchrieb Vorfpiele und Schä- 
ferfpiele, von benen auch einige gedruckt find. | 
Neubrandenburg, eine Stadt im Großherzogthum Medienburg-Strefig, nach Neuftrelig 
die bedeutendfte und wichtigfte Stadt bes Landes, am Norboftende des 1’. M. Iangen Tollen⸗ 
ferfeeß gelegen, die Vorderſtadt des ſtargardſchen Kreiſes auf den Landtagen, Sig eines Haupt⸗ 
zollamts, hat vier ausgezeichnet ſchöne alte goth. Thore, bie in ben legten Jahren mit großer 
Sorgfalt hergeſtellt wurden, zwei Kirchen, von denen bie goth. Marienkirche neuerdings ebenfalls 
veflaurirt wurde, ein. Gymnaſium, eine Realſchule, eine Mäbchen- und eine Armenfchule, ein 
großherzogliches Palais, ein Schaufpielhaus und 7000E. Diefelben unterhalten einen ſtarken 
Gewerbsbetrieb, namentlich anfehnfiche Berbereien, Tuchmacherei, Kattundrudereien, Damaft- 
und Wollenmeberei, Tabacksfabriken, eine chemifche ımb eine Kartenfabrit, eine Papier - und 
eine Krappmühle, Bierbrauerei und Branntweinhrennerei.. Auch der Handelsverkehr der Stadt 
iſt lebhaft, und na Güſtrow hat fie den größten mecklenb. Wollmarkt, forte auch beſuchte 
Pferderennen. Eine halbe Stunde von ber Stadt, auf einer fteilen Anhöhe an der Zollenfe, 
liegt das großherzogliche Luſtſchloß Belvedere mit ber ſchönſten Ausficht in Mecklenburg. 
Neubrauuſchweig (engl. New Brunswick), Gouvernement im brit. Norbamerika, be- 
grenzt im N. von Canada, im D. vom Lorenzbuſen, im &. von dem Iſthmus von Chignecto 
mb ber Fundybai, im W. von Maine, Hat ein Areal von 4475 AM... Obgleich nicht 
fo tief von Meerbufen eingefchnitten wie Neufchottland, befigt N. boch eine für Seehandel 
und Seefiſcherei günſtig gelegene Küfte, und dieſe vortheilhafte maritime Stellung wird noch 
bedeutend erhöht durch bie Ströme, welche faft das ganze Land durchfließen und auf einem 
großen Theil ihres Laufs Ichiffbar find. Dahin gehört der St.- John, welcher in die 
Fundybai fließt und 45 M. aufwärts, bis zu feinen großen 74%. hohen Waſſerfällen und 
Stromſchnellen ſchiffbar iſt; der Reſtigouche, der Ripifiguit und ber Miramichi, welche gegen 
Dften ftrömen. Ihr Lauf beutet die allgemeine Abbachung bes Zerrains an, das im Allge⸗ 
meinen eine wellenförmige Ebene bildet. Doch erfüllt die Mitte bes Landes, zwilchen dem 
- Reftigouche und Miramichi, ein breites Bergland, welches eine mittlere Höhe von 1000 8. hat, 
in einzelnen Bergen biß über 2000 F. hoch auffleigt und von verfchiebenen Thälern tief einge 
ſchnitten if. Das Klima von N. gilt für fehr geſund. Indeſſen theilt das Innere noch mit 
Ganaba bie großen Eontrafte zwiſchen Sommer- und Wintertemperatur, und bie Küften find 
fehr dicken Nebeln und großer Unbeftänbigkeit des Wetters unterworfen. Deshalb bleiben aud) 
an ben Küften bie Ernten von Weizen unficher, während das Innere klimatiſch zum Aderbau 
ganz geeignet und fehr fruchtbar iſt. Der Ackerbau wird indeſſen noch fehr vernadhläfftgt, indem 
bie ausgedehnten Mälder, die fchönften in Norbamerika, den Holzhandel fehr einträglich und 
zum Haupterwerbszweig ber Bevölkerung machen. Letztere betrug 1824 erſt 74226, 1840 
fchon 156162, Anfang 1848 bereits 208012 Seelen. Sie befteht theils aus Akadiern oder 
Abkõommlingen ber Franzofen, der erften Anflebler, theild aus Nachkommen ber fpätern brit. 
Eoloniften, benen fich fortwährend neue Anfiebler aus Großbritannien zugefellt haben, fobaf 
jegt die brit. Bevölkerung überwiegt. Indianer zählt man noch etwa 2000, denen 61000 Acres 
Landes vorbehalten find. Dem religiöfen Belenntniffenach bilden bie Anhänger ber Anglikani⸗ 
fchen Kirche bie Majorität ; nächftdem find bie Presbyterianer am zahlreichften. Die Kathofiten, 
zu welchen bie Akadier, bie zahlreichen trländ. Einwanderer und Ihre Nachkommen, ſowie dem 
Namen nach bie noch vorhandenen Indianer gehören, ftehen ebenfalls unter einem eigenen Bi⸗ 
ſchof. Den Reſt bilden vornehmlich Wesleyaner und Baptiften. Die Verfaffung der Eolonie 
ift ähnlich derjenigen von Canada, ausgenommen, daß dem von ber. Krone ernannten Gouverneur 
(Lieutenant Governor) ein eigener erecutiver Rath zur Seite fteht. Die gefeßgebende Ver⸗ 
fammlung oder das Parlament befteht aus einem Oberhaus, von ber Regierung ernannt, und 
einem Unterhaus, beffen Mitglieder von ben 12 Graffchaften bes Landes und von ber Stadt 
St.⸗John gewählt werden. Der Obergerichtshof beftent aus einem Oberrichter und brei andern 
Richtern; außerdem gibt es Graffchaftögerichte und Untergerichte. Die Eivilverwaltung iſt 
ganz felbftändig ; nur In Militärangelegenheiten tft ber Gouverneur von bem Generalgouver- 
neuer von Canada abhängig Die Einnahmen beliefen fich 1848 auf 81947, die Ausgaben 
auf 119322 Pf. St. Die wichtigften Ausfuhrproducte find Bauholz (namentlich von Tan⸗ 
nen, deren das Rand fieben Species enthält), Fifche, Thran und etwas Pelzwerk. Im Innern . 
N.E finden ſich noch Bären, Wölfe, Füchſe, Marder, Luchſe, Wolmerene, Biber, Masquafh 
oder Bifamratten, das Elennthier (Cervus Alces) und ber Garibor ober das amerit. Renn⸗ 


Reubritanuien Reuburg 129 


tier. Die Flüſſe, Landfeen und benachbarten Meere find fehr fifchreich; in den erftern wer» 
ben vornehmlich verfhiedene Arten von Salmen gefangen, in der See Kabeljaus, He» 
inge und Makrelen. Der Ertrag ber Fifcherei beläuft ſich jährlih im Durchſchniit auf 
2—500000 Doll. Aud nimmt N. am Walfifchfang Theil. Überdies iſt das Land reich an 
Eiſen, Kalkſtein und Gyps, und neuerdings hat man außsgebehnte Kohlenlager entdedt. Durch 
bie 1821 erfolgte Beichränkung ber Begünftigung, welche bie Einfuhr des Holzes aus N. 
früher (feit 1809) in Großbritannien genoß, ift in der Holzausfuhr eine große Stodung einge» 
treten. Hauptſtadt ift Fredericktown am St.-John, 18M. von ber Mündung und vortheilhaft 
an ber obern Grenze der Schiffbarkeit beffelben für größere Fahrzeuge gelegen. Sie ift der Sig 
ber Regierung, des Parlaments und bes engl. Biſchofs, weitläufig und regelmäßig gebaut, 
enthält mehre flattliche Gebäude, wie das der Regierung und bes Rings-College, ber bedeutend⸗ 
fen Zehranftalt des Landes mit vortrefflichen Lehrkräften, hat außerdem noch ein anderes von 
Baptiften gegründetes College, eine Epiffopalkirche und vier andere Gotteshäufer, eine Biblio- 
hei, mehre gemeinnügige Geſellſchaften und eine Bank, zählt aber wenig über 4000 E. Sie 
ward im Nov. 1850 durch eine Feuersbrunft größtentheils zerftört. Die größte Stadt und ber 
bebeutendfte Hanbelsplag von N. ift aber St.John an der Mündung des St.-Zohn, deffen Han- 
bei fie beherrfcht, mit einem fihern geräumigen Hafen, in welchen mit ber Flut große Schiffe 
einlaufen können. Die Stabt zählt 30000 E. hat zwei engl. Kirchen und fünf andere Gottes- 
häufer, ein Gymnaſium, eine Bank und mehre religiofe und Wohlthätigkeitögefellichaften. 
Schiffahrt und Handel find fehr bedeutend. Die Stadt &t.-Audrew, auf einer von bem St.- 
Croix und der Paſamaquoddybai gebildeten Landzunge gelegen, ift regelmäßig gebaut, hat 
6900 E., ein Gymnaſium, eine Bank, einen der beften Häfen Amerikas, anfehnlichen Holz- 
handel und Seefifcherei und fcheint fich zu einer bebeutenden Handels ſtadt emporheben zu wol⸗ 
Im. R., ehemals ein Theil des franz. Akadien, kam 1763 an die Briten, wurde zu Neufchott- 
land geaogen und von demfelben erft 1783 als ein befondered Eolonialgouvernement unter dem 
Namen New-Brunsmwid abgetrennt. Bis dahin war es eine wilde Einöde. Seinen Aufſchwung 
verdankt e& erft dem hohen Eingangszoll, ben England 1809 auf baltifches Holz legte. 

Reubritannien, eine Infelgrunpe Auftraliens, durch die Dampiersſtraße von der Oſt⸗ 
feite Reuguinea® getrennt und um 5° f. Br. und 169° 5.2. gelegen, mit einem Areal von 
ungefähr 1000 AM, befteht aus dem eigentlichen Neubritannien (von ben Eingeborenen 
Birara genannt), Reuirland (bei ben Eingeborenen Zombara), Reubannover und mehren 
andern Heinen Infeln. Die Infeln N.s find vullanifchen Urfprungs und gebirgiger Natur und 
zum Theil mit Korallenriffen an den niedrigen Küften umgeben. Noch gibt e8 auf ber Inſel N. 
zwei brennende Vulkane, und auf Neuirland erhebt fi das Gebirge bis zu 8000 F. Die na- 
türliche Beichaffenheit der Infeln kommt im Ganzen mit ber Neuguineas (ſ. d.) überein; fie 
find gebirgig, ſtark bewaldet, vortrefflich bewäffert und meift fehr fruchtbar an tropifchen Er- 
jeugniffen. Die Einwohner beftehen aus Auftralnegern, bie ſich auf diefer Infelgruppe durch 
ſchoͤnere Körperform und größere Givilifation, als fonft unter ihnen gewöhnlich find, auszeich⸗ 
nen. Dan findet hier bei ihnen eine eigene Bottesverehrung, Tempel, Gögenbilber in Menſchen⸗ 
und Zhierform ; auch zeichnen fie ſich durch ihre Reinlichkeit wie durch ihre Eiferfucht aus. Sie 
bauen das Land forgfältig mit Yams, Bananen u. f. w. an. Gegen die Europäer bezeigen fie 
fih wild und feindfelig. — Sonft wurden unter bem Namen Reubritannien von den Geo⸗ 
graphen auch die beiden Canada, Neumales und andere Befisungen ber Engländer auf dem 
Gontinente von Nordamerika begriffen. 

Neuburg, an der Donau, im bair. Kreife Schwaben und Neuburg, war früher bie Haupt- 
fladt des reichsummittelbaren Fuͤrſtenthums Neuburg, das zulegt auf etwa 50 AM. gegen 
90000 E. umfaste. Das Fürftenthum wurde nad) langwierigen Kämpfen von Baiern 1505 
nebſt Sulzbach an bie Pfalz abgetreten und ſeitdem auch bie junge Pfalz genannt. Bei ber 
Theilung bed Landes nach bem Zobe bes Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrüden 1569 kam 
& an beffen älteften Sohn Philipp Ludwig, welcher der Stifter ber Linie Pfalz: Reuburg 
wurbe, bie 1742 mit dem Kurfürften Karl Philipp erlofh. Das Fürftenthum ging nun als 
Erbe auf die Linie Pfalz⸗Sulzbach über, bei deren Erlöfchen mit dem Tode bes Kurfürften 
Kari Theodor 1799 e& an die Linie Pfalz⸗Zweibrücken fiel. Nunmehr zu Baiern gehörig, kam 
1802 ein Meiner Theil davon an dad neugefchaffene Kurfürſtenthum Salzburg, mit biefem 
aber 1810 wieber an Baiern. Bei der neuen Landeseintheilung 1837 wurde ed mit Schwaben 
zu Einem Kreife vereinigt. — Die ehemalige Daupeftadt des Fürſtenthums, Neuburg an ber 

Genn.s®ez. Zehnte Aufl. XL 9 


130 Reucaledonien (in Auſtralien) Neucaledonien (in Amerika) 


Donau, von 15961742 die Nefidenz der Linie Pfalz-Neuburg, jegt Hauptort eines Land⸗ 
gerichtsbezirks, liegt malerifch am rechten Ufer der Donau und zählt gegen 7000 E, bie in 
Handel und Donauſchiffahrt ihre Hauptnahrungszweige finden. Sie ift ber Sig des Appella- 
tionsgerichts für den Kreis Schwaben und Neuburg, hat ein königl. Schloß, welches eine merke 
würdige Waffenfammlung enthält, einen ſchönen Schloßgarten mit fehr kunſtreich angelegten 
Waſſerwerken, ein Gymnafium, ein Schullehrerfeminar und eine adelige Erziehungsanftalt. 
In der Nähe von N. beginnt das Donaumoos (f.d.). Auch liegen in deſſen Umgebung bie 
Ruinen der Kaiſers⸗ oder Altenburg, die Luftfchlöffer Grünau (befannt durch ben Landtags⸗ 
abfchied zwifchen Wolfgang und feinen Ständen 1562) und Negelheim, ſowie das Dorf Ober- 
haufen, bei welchem das Denkmal des hier gefallenen Latour d'Auvergne (f. b.) ſteht. 
Neucraledonien, eine gegen 325 AM. große, 50 M. Iange und 10—15 M. breite Infel 
Auftraliens, öftlich von Neuholland zwiſchen 181— 184° 6. 8. und 20— 23° f. Br. gelegen, ift 
vulkaniſchen Urfprungs und wirb von einer Bergkette durchzogen, beren zuckerhutförmige Gipfel 
fi) felten über 3000 $. erheben, und die aus kahlen, oben Bergen und Felſen befteht. Die 
Inſel ift von mehren Heinern umgeben, ſowie von Sanbbänten und Korallenriffen, befonders 
auf ber Weitfeite, mo eine 86 M. lange Reihe derfelben bie Schiffahrt fehr gefährlich macht 
Ihre Vegetation unterfcheibet fich in vielen Stüden von der der meiften andern auftral. In - 
fen und hat dagegen mandye Ahnlichkeit mit ber neuhollänbifchen. Die Bevölkerung, etwa 
50000 Köpfe ftark, befteht aus Papuas (f. d.), welche, wenn nicht durchgängig, boch großen 
theils noch Menfchenfreffer find. Die feit 1840 fowol von proteft. wie kath. Seite gemachten 
Bekehrungsverſuche unter ben Neucaleboniern find im Ganzen bis jetzt fehlgeichlagen ; jedoch 
haben evang.«chriftliche Lehrer von ben Cooks⸗ oder Herveyinſeln feit 1849 einigen Erfolg ge» 
habt, obwol ne nur auf ben Nebeninfeln, namentlich auf ben Royaltyinfeln. 
Pencaledonien (New Caledonia) ift ber gegenwärtige Name bes füdlichen Theils bes 
brit. Norbiweftgebiets in Nordamerika, welches ſüdwärts bis zu 49° n. Br. reicht und früher 
von ©. gegen N. mit ben Namen Reugeorgien, Reubannover, Neucornwall und Neunor⸗ 
fort bezeichnet wurde. Dies Norbweftgebiet ift der Bubfonsbaicompagnie (f. d.) untergeben 
und bildet das vierte, früher auch Kolumbia genannte Departement ihrer Territorien. Der 
nördliche Theil, ber hinter dem centralen ruff. Amerika Tiegt, ift wie dieſes noch vollig unbekannt. 
Das durch die Handelsunternehmungen ber Hubdfonsbaicompagnie einigermaßen befannt ges 
wordene N. ift ein von wilden Gebirgsketten durchzogenes Hochland, welche, zum Syſtem des 
Felsgebirgs gehörig, demfelben und der Küſte parallel laufen. Mehre bedeutende Flüffe, wie 
ber Bergfluß oder Itzehadzuc und der Friedensfluß oder Unbfchiga, folgen ber oſtwärts gerich- 
‚teten Dauptabdachung, durchbrechen das Felsgebirge und fließen dem Becken bes Madenzie- 
ſtroms zu. Der bebeutenbfte Fluß, welcher in den Stillen Dcean ftrömt, ift außer dem nur mit 
feinem nördlihen Quellarme hierher gehörigen Columbia der rafersfluß, der an der Sübgrenze 
in den Georgiagolf fällt, in feinem obern Kaufe regelmäßig mit Böten der Compagnie befahren 
wird, in feinem Unterlauf aber bis nahe zur Mündung wegen gefährlicher Stromfchnellen und 
Katarakten völlig unfhiffbar ift. Das Geftade N.s gehört zu den ausgezeichnetften Steilküſten 
ber Erde und bildet mit feinen zahlreichen tiefen Fjords und den langen vielfach gewundenen 
Kanälen zwifchen den vielen ihm vorliegenden Infeln ein fehr günftiges Fahrwaſſer für Dampf 
ſchiffe, die hier überall am Ufer Feuerungsmaterial im Überfluß finden. Für große Segelfchiffe 
ift die Küfte wegen ber eben berührten Verhältniſſe und wegen der häufigen, plöglich eintreten» 
den, überaus dicken Nebel nicht überall fo günftig geftellt. Der ſchmale Küftenftrich hat ausge 
zeichnetes Seeflima, milde Winter und fühle Sommer ; nur ift es fehr feucht und nebelig. Im 
Innern Hochlande aber, welchem die an vielen Punkten bis über Die Grenze des ewigen Schnee® 
auffteigende Küſtengebirgskette ben mildernden Einfluß bes Meeres entzieht, zeigt bas Klima, 
wie im Often des Felsgebirges, bedeutende Gontrafte, fünf bis ſechs Monate lange Winter 
mit ſtarkem Schneefall und oft drückend heiße Sommer." Die Flora N.E if der bed Hude 
fonsbaiterritoriums im Often des Felsgebirgs fehr ähnlich, doch fcheint fie Eräftiger und reicher 
u fein. Bei weitem ber größte Theil des Landes ift mit Waldungen bedeckt, in denen 
ie Laubhölzer viel weiter nordiwärts und höher an ben Bergen hinaufreichen als an jener Oft- 
feite, und welche an ber Küfte Bäume von riefigen Dimenfionen enthalten. Zum Anbau eu 
rop. Getreidearten und Gartengemwächfe, ſowie zur Rindviehzucht ift das Rand im Allgemeinen 
geeigneter ald die übrigen Territorien der Compagnie. Gleichwol ift der Aderbau nur eine 
geringe Nebenbefchäftigung der Bewohner der Forts. Die Hauptbefchäftigung ift die Jagd auf 
Pelzthiere, die im Norden zahlreicher find als im Often und ben einzigen Ausfuhrartikel bil- 


Neudietendorf Neuenburg 181 


m. Auch hat das Land eine größere Zahl von Hirfcharten aufzumeifen, und das amerik. 
jergfchaf und die Wollziege find bis in die Nähe ber Küſte verbreitet. Die Urbewohner von 
L zerfallen in zwei Hauptabtheilungen, die Indianer des Binnenlandes und die Küftenindia- 
er, welche in Sprache, Lebensweiſe und, wie es fcheint, in phufifcher Conſtitution weſentliche 
nterſchiede darbieten. Unter den Küſteninſeln find, außer dem Prinzeſſinarchipel, die Königin 
barlotte» und bie Bancouvertinfel bie wichtigften. Die Königin» Eharlotteinfel (Queeu 
harlotte Island), aud) wol Wafhingtonsinfel genannt, bie nördliche von beiden, nicht zum 
iebiet ber Hudſonsbaicompagnie gehörig, aber auch noch nicht von brit. Unterthanen befegt, ift 
birgig, faſt ganz mit Wald bedeckt, reich an guten Häfen, von Indianerftänmen befegt, im 
tanzen noch wenig bekannt, aber durch die Anfang 1852 entdedten reihen Boldlager wich⸗ 
3. Die Bancouversinfel, 63 M. lang, bit 12 M. breit, wird im S. durch die Straße von Juan 
Fuca, im DO. durch den Golf von Georgia, im N. durch den Königin-Charlottefund vom Feft- 
nude getrennt und hat hohe Steilküften mit mehren fehr guten Hafen, 3. B. dem Nutkaſund 
ı Beften, dem Port Camofad im Süden, dem Mac Neild Harbour im Nordoften. Im In⸗ 
en ift fie von hohen Bergen burchzogen ; doch bietet fie im Südoſten auch Ebenen mit frucht ⸗ 
sem Boden, prächtigen Wäldern und Wiefen. Auch hier hat man neuerdings mächtige Koh⸗ 
Hager entbedt, und dad Meer ift außerordentlich reich, an Fiſchen, befonders an Salmen und 
tören. Die Zahl ber Urbewohner wird auf 25000 Köpfe gefchäpt. Durch eine Parlamente-- 
te vom 5. Juli 1849 ift die Einfegung felbfländiger Gerichtshöfe auf der Infel für die Cri⸗ 
inal« und Civiljuſtiz befchloffen und deren Verwaltungsbezirke auf alle Niederlaffungen an 
z Beftküfte von Britifch - Nordamerika fübwärts von 52'n.Br. ausgedehnt worben. 
Stendietendorf, Kolonie ber evang. Brübdergemeine im Derzogthum Gotha, an der Eifen- 
ihn zwifchen Gotha und Erfurt in anmuthiger Gegend und im Angeficht ber drei Gleichen 
legen, 5* 282 E. und zeichnet ſich wie die übrigen Colonien der Brüdergemeine durch regel⸗ 
afige Bauart, Reinlichkeit und Ordnung aus. Die Fabriken des Orts haben in neuerer Zeit 
ı Ausdehnung zwar verloren, doch werden noch inımer in Siegellad‘, Federſpulen, Fiſchbein 
id Wollenzeugen anfehnliche Gefchäfte gemacht. N. wurde 1743 zum erften male gegründet; 
lein die Colonie erhielt erft Beftand, ald man fie 1753 erneuerte. Im 3.1764 erhielt fie fo- 
inn Die landesherrliche Eonceffion. Bis 1849 fland N. als Iuch. Gemeinde unter dem Con⸗ 
berium gu Gotha. 

Keuenburg, Reufcätel ober Neucätel, ein in ſechs Bezirke getheilter Schweizercanton, 
Rand aus dem Fürſtenthum Neufchätel und der Grafſchaft Balengin, grenzt weftlich an 
ankreich, ift in feiner größten Ausdehnung zwölf Stunden lang und etwa 4% breit und hat 
en Slächenraum von 14 AM. mit einer Bevölkerung von nahe 71000 Seelen. Davon find 
va 5600 Katholiten, etwas über 200 Juden; die Mehrzahl bekennt ſich zur ref. Con⸗ 
Bon. Mehre Ketten des Jura durchziehen das Land, und der Neuenburgerfee, weldyer 
6 F. höher als ber Genferfee liegt, 6 M. lang und 1, M. breit, 400 8. tief und fehr 
heeidh ifl, verbindet es mitteld anderer Bleiner Seen und Flüſſe mit bem Rhein. Es hat be- 
ichtliche Rindviehzucht, guten Weinbau, Obft, auch Hanfund Flache, gewinnt aber bei weitem 
dt Hinlängliches Getreide. Defto mehr zeichnet es fich durch feinen Kunftfleiß aus, der Ad) 
f &pigen-, Kattun- und insbefondere auf Uhrenfabrikation richtet. Letztere befchäftigt mit- 
» oder unmittelbar einen großen Theil der Bewohner. Außerdem wird noch mit Borten, 
Ieffern, mechanifchen Inftrumenten, Zig und andern Baummollenftoffen ein einträglicher 
andel getrieben. Seine Blüte verdankt N. zum Theil den vielen fremden Arbeitern, die bei 
E von uralten Zeiten an beftehenden Freiheit und Milde der Verfaffung von früher Zeit an 
Yin gezogen wurden. Die Landesiprache ift die franzofifche, doch wird auch Deutfch gefpro- 
em. Rad vielfachen Wechſel der Befiger gehörte N. der alten franz. Familie Longueville. 
4 diefe mit bem Zobe der Derzogin von Nemours, Marie von Orleans, 1707 erlofch, wurde 
e König von Preußen, als Erbe des Haufes Dranien, deffen alte Rechte auf das Fürſten⸗. 
au anerkannt waren, von ben Ständen beffelben zur Herrfchaft berufen und die darauf er- 
gie Befigergreifung in dem Utrechter Frieden beftätigt. Im 3. 1806 mußte der König von 
reußen das Fürſtenthum an Frankreich abtreten, worauf Napoleon den Marfchall Berthier 
D.) als fonveränen Fürften damit belehnte, ber ed nach dem Sturze Napoleon’s verlor. Im 
arifer Frieden von 1814 wurde es vergrößert an ben König von Preußen zurüdigegeben, ber 
m Lande von London aus unterm 18. Juni 4814 eine der genfer ähnliche Charte constitu- 
mnelle gab und bie Rechte eines für ſich beftehenden, von dem preuf. Stegt. intereſſe ganz 


132 Reuengland | 


getrennten Staats erneuerte. Hierauf murbe es 12. Sept. 1814 al6 der 22. Ganton in die 
Eidgenoffenfchaft aufgenommen, in ber es der einzige monarchiſche Canton war. Bei den Ber 
wegungen in der Schweiz feit 1851 gab es auch in N. Unruhen, die bald gedämpft wurden. ' 
In Folge davon ward im Wege einer Verordnung von 1831 die Berfaffung in mehren Punk. 
ten mobdificirt. Auch erteilte der Zürft der neuenburger Regierung auf deren Wunſch Boll. 
macht, mit der Eidgenoffenfchaft wegen Austritt des Cantons aus dem Bunde zu unterhandeln; 
es wurde aber biefer Vorfchlag von der Zagfagung im Juli 1854 einſtimmig verworfen. 
N. blieb alfo in ber frühern Verbindung mit der Eidgenoffenfchaft. In feinen innern Verhält 
niffen waren Befteuerung und Gefeggebung zwifchen dem Fürſten und ben Landfländen ge- 
theilt; von diefen ernannte ber Fürft zehn Mitglieder. Während N. eine Eivillifte von 70000 
Fres. bezahlte und ein Bataillon geworbener Neuenburger von 400 Mann zur königl. Garde 
in Berlin gehörte, war es zugleich zur Stellung feines eidgenöffifchen Contingents verpflichtet. 
Unter diefen Umftänden mußten fich die Reibungen zwifchen der republikaniſch und eidgenöſſiſch 
gefinnten Mehrheit mit der royaliftifägen Minderheit von Zeit zu Zeit erneuern. Sie vermehr- 
ten fich in Folge der Ereigniffe 1847 und im Frühjahr 1848. Durch eine bewaffnete Demon- 
ftration ber eibgenöffifch Gefinnten warb 8. März 1848 ber frühere Staatsrath zur Abdankung 
genöthigt, worauf eine proviforifche Regierung die Abfchaffung der Monarchie und die Einfüh- 
zung ber republitanifchen Verfaffung erklärte. Ein Verfaſſungsrath entwarf fobann im Geifte 
der repräfentativen Demofratie eine neue, vom Volke (50. April) genehmigte und von ber Eid- 
genoffenfchaft gewährleiftete republitanifche Konftitution. Der König von Preußen proteftirte 
feitbem wiederholt, namentlich 1850 bei Veräußerung bes fürftlihen Domanial« und Kirchen- 
gute, gegen bie einfeitige Aufhebung feiner Rechte, und ebenfo fanden mehrfache, aber vergeb- 
liche Verfuche von Seiten ber königlich Gefinnten ftatt, das frühere Verhaͤltniß berzuftellen. 
Auch ein 24. Mai 1852 bei ber Londoner Gonferenz von ſämmtlichen Großmächten unterzeich- 
netes Protokoll erkannte auf Grund der Verträge von 1815 das Recht des Königs auf N. ſowie 
befien Recht auf Wieberherftellung feiner Autorität an, ſodaß diefe Angelegenheit ihren drohen⸗ 
den Charakter für bie Schweiz (f. b.) behielt. Der Wohlftand des Kantons hat fi in neuefter 
Zeit außerordentlich entwidelt. Einem Staatövermögen von mehr als 3 Mill. Fre. gegenüber 
ift bie unter der früheren Regierung nahe 500000 Fres. betragende Staatsichuld bie auf etwa 
50000 Fres. vermindert. Die für 1853 auf 829000 Fres. veranfchlagten Einnahmen überfteigen 
regelmäßig die Ausgaben. Seit 1852 befteht das wohlthätige Inftitut einer Hypothekarkaſſe. 
Für das Unterrichtöwefen wird befonders viel gethan. Im 3. 1850 —51 befuchten etwa 10000 
Kinder die Schulen, und Gemeinden und Staat verwendeten dafür 148000 Fred. Die Befol- 
dung ber Lehrer beträgt Durchfchnittli 500 Fres. — Die gleichnamige Hauptfladt Neuenburg, 
am Fuße des Jura, da, wo der braufende Seyon ſich in den Neuenburgerfee ergicht, in einer 
fehr ſchönen Gegend, ift im Ganzen mohlgebaut, von freundlichen Weilern und Landhäufern um⸗ 
geben und zählt nahe an 8000 E. Sie hat viel Handel und ift fehr mohlhabend. Das bafelbft 
beftehende Gymnaſium und andere Lehr«, Erziehungs- und Wohlthätigkeitsanftalten verdan- 
ten zum Theil den Vermächtniſſen reicher Bürger ihre Entftehung oder Ausdehnung. 
Neuengland (New England) hieß urfprünglich dasjenige Küftenland der Vereinigten 
Staaten von Nordamerika, welches der engl. Capitän John Smith, als erfter Vorläufer der 
Golonifation, 1614 zwiſchen der Penobfcotbai in Maine und der Codbai füdöftlich von Boſton 
befuhr und fo günftig ſchilderte, daß König Jakob J. es N. nannte. Ebenderfelbe verlieh aber 
unter diefem Namen das ganze Land zwiſchen 40 — 48° n. Br. durch einen Freibrief der Ply⸗ 
mouthcompagnie, welche ihrerfeits das ihr zugefprochene Gebiet an andere Vereine oder Privat⸗ 
leute gab. Im 3. 1639 erflärte Karl I. ihren Freibrief für erlofchen, und das von ihr noch nicht 
vertheilte Land, welches das nachherige Pennſylvanien, Neuyork und Neujerfey fammt dem 
ganzen Welten umfaßte, fiel der Krone anheim. Jakob IL. verſchmolz das Land nördlich vom 
Delaware, alfo Neujerfey, Neuyork, Rhode-Island, Connecticut, Neuhampfbire und Maſſa⸗ 
chuſetts, zu einer einigen königl. Provinz unter dem Namen N. In Folge der engl. Revolution 
von 1688 wurde biefe große Norbprovinz wieder in ihre frühern Beftandtheile zerlegt. Später 
beſchränkte fich der Name N. auf die vier Provinzen Neuhampfhire, Maffachufetts, Rhodes 
Island und Connecticut, bie feit 1778 in der Reihe der 13 alten Freiftaaten der Union auftreten 
und feit 1785 als folche anerkannt wurden. Dazu kamen 1791 und 1820 zwei neue Staaten, 
Vermont und Maine, bie bis dahin zu ben Gebieten der beiden erfigenannten gehört hatten. So 
geſchieht es, daß man noch jept diefe ſechs norböftlichften Staaten der Union die New England 
Btates ober Reuengland-Staatennennt. Vgl. Talvi, „Die Eolonifation von N.” (&pz.1847). 


Rener Bund Renfundland 133 


Neuer Bund, f. Bund. 

Reufchätel, f. Neuenburg. 

Reufundland (engl. New Foundland, franz. Terreneuve), eine den Engländern ge- 
hörige Infel an ber Norbofttüfte Amerikas, oftlich vor dem &t.- Lorenzgolf gelegen, hat 
ein Areal von wenigftens 1400 AM. und bildet mit Anticofti, den Magdalenen- und an- 
dern Heinen Nachbarinſeln ein eigenes Gouvernement im brit. Nordamerika, deſſen Gebiet 
auf 1695 AM. mit etwa 100000 €. angegeben wird. N. wurde von Giov. Caboto 
(ſ, d.) und feinem Sohne Sebaſtian entdedt und 1583 von England in Befig genommen. 
Indeß follen fhon im 11. Jahrh. Normänner fich dafelbft angefiedelt Haben. Als feit dem 
Ende des 16. Jahrh. Franzoſen daſelbſt fich feftfegten, entftanden unaufhorliche Streitig- 
keiten, welche auch dadurch nicht gehoben wurden, daß die Infel im Utrechter Frieden 
1715 ganz an England abgetreten wurbe, meil die Sranzofen fi das Recht vorbehalten 
hatten, an den Küſten der Infel von Bonavifta bis Cap Rich an dem einträglichen Stodfifch- 
fang Antheil nehmen und deshalb Gebäude und Hütten anlegen zu dürfen. Im Pariſer Frie- 
ben von 1785, welcher auch den Nordamerikanern Antheil an diefer Fifcherei gab, erlangten 
bie Franzoſen noch vortheilhaftere Bedingungen in Anfehung der Fifcherei, die aber in dem Re⸗ 
volutionskriege wieder ganz in Die Hände der Engländer Fam, nachher jedoch fowolden Franzo⸗ 
fen als ben Nordamerikanern wieder zugeftanden wurde. N.s Küften find fehr unregelmäßig 
geftaltet und, beſonders an ber Oft» und Sübfeite, durch tiefe Baien und Meeres arme vielfach 
zerrifien; auch fleigen fie, außer an ber minder zerfplitterten Weſtſeite, wo fich niedrige ebene 

finden, überall fteil aus dem Meere empor. Das Innere iſt, wenn auch ohne bedeu- 
tende Einzelerhebungen, durchgängig hoch und umeben, eine von vielen Seen und Flüffen, 
Sümpfen und Moräften erfüllte, noch wenig bekannte Wildniß. Das Klima, bedeutend Fühler 
und wechfelnder als in den Ländern Weſteuropas unter gleicher Breite, gilt trog der großen 
Unbeftänbigfeit für fehr gefund. Charakteriſtiſch find für N. die dicken Nebel an der Süd⸗ und 
Oſtkũſte, welche, wie auch die verhältnifmäßige Milde des Winters, vornehmlich dem Einfluß 
des Golfsftroms zuzufchreiben find. Urbarer Boden findet fich faft nur an einzelnen Buchten ; 
daher ift Aderbau wie Viehzucht fehr unbedeutend. Man baut faft nur Kartoffeln, etwas Ha- 
fer und Gerſte; Brotkorn, Mehl und andere Lebensmittel werben hauptfächlich aus den Ver⸗ 
einigten Staaten, wie Manufacturwaaren aus Großbritannien eingeführt. In neuefter Zeit 
Baben die Regierung und mehre Aderbaugefellichaften den Aderbau fehr aufgemuntert, um 
die Inſel mit ihrem Getreibebedarf unabhängiger von der Einfuhr gu machen. Das Innere hat 
noch beträchtliche Waldungen von Fichten, Lärchen und Birken. Bon Landthieren find zu nen- 
nen ber Caribou oder das amerikan. Rennthier, welches im Innern heerbenmeife weidet und ben 
Nic⸗Mac⸗Indianern ihre Hauptnahrung gewährt,ber jegt felten gemorbene Biber, Füchfe, Wölfe 
und Bären. Bekannt ift der Reufundbländifche Hund, der fich durch feine große Stärke, Gelch- 
rigkeit und Treue auszeichnet, hier meift.mit gefalgenen Fifchen gefüttert wird, ſehr gefräßig ift, 
jedoch, wie die Urbewohner, auch fehr lange Hunger ertragen kann. ‚Die reine Race ift jegt ſehr 
felten ; die in Europa vortommenden Hunde dieſes Namens find meift mit engl. Kettenhunden 
gekreuzt. Biel wichtiger als die Zandthiere find für N. die Fifche feiner Küften, namentlich der 
Kabeljau (Codfifh), von dem die Bevölkerung faft ausfchließlich abhängt, auf deſſen Fang ſich 
alle ihre Thatigkeit richtet. Die Fifchereien N.’E find von Alters her berühmt, haben bis heute 
nichts von ihrer Bebeutung verloren und find noch immer die großartigften ber Erbe. Am er- 
giebigften ift die fogenannte Große Bank von R. im Often und Süboften ber Infel, welche 
430 M, ang, an einigen Stellen A3,M. breit ift und zwischen 25—95 Faden Waffer über fich 
bat. Außerdem gibt es noch eine Außere oder Kalfche Bank und eine ſüdwärts gegen Neu- 
ſchottland fich ausbehnende Reihe von Bänken. Über diefen Bänken herrfcht ein faft beftändi- 
ger Rebel. Das häufige Vorkommen von Eisbergen, welche durch eine Strömung bie Rabrabor- 
Büfte entlang hierher geführt werden, macht in biefen Nebeln die Schiffahrt fehr gefährlich. Die 
beften Fifchreviere liegen zwifchen 42° unb A6° n. Br., weshalb auch die Hauptnieberlaffungen 
im füdoftlichen Theile der Infel concentrirt find. Die anfälfige Bevölkerung N.s wohnt fehr 
zerſireut an ben Küften. Sie ift theils franz., theild brit. Urfprungs. Die Nordküſte ift fehr 
unwirthbar und faſt ganz unbewohnt. Die Ureinwohner der Infel, die fogenannten Rothen 
Indianer, fcheinen ganz audgerottet zu fein; fpäter eingewanbert find die Indianer vom 
Stamme der Mic-Mac. Die weiße Bevölkerung gilt für ehrlich und thätig, fol aber außer- 
erbentlich unwiſſend und vielfach dem Trunke ergeben fein. Die Katholiken bilden die Mehr- 
zahl ımb ſtehen unter einem Titularbiſchof zu St-Fopn's.und einem Vicar zu Harbour-Grace; 


134 Nengeorgien Neugranadı 


unter ben Proteftanten find die Presbyterianer die zahlreichften. Für den Volksunterricht hat 
man erjt in neuefier Zeit einigermaßen geforgt und in den drei bedeutendften Städten auch ge» 
lehrte Schulen (Classical academies) angelegt. N. erhielt zuerft eine Nepräfentativverfaffung 
1832, die faft allgemeines Stimmrecht gewährte, fich aber fo verderblich für Die Colonie zeigte, 
daß fie gegen eine andere vertaufcht werden mußte, in welcher das Wahlrecht und die Befug- 
niffe der gefeggebenden Verſammlung fehr beſchränkt wurden. An der Spige der Verwaltung 
fieht ein Gouverneur, ber auch den Oberbefehl über bie Landtruppen der Eolonie hat. Ihm 
zur Seite fteht ein Rath (Council), der bie Functionen des erecutiven und legislativen Raths in 
fich vereinigt. Das House of Assembly befteht aus 15 Deputirten, welche von den I Wahl⸗ 
diftricten der Infel gewählt werden. Seine Sigimgen hält daffelbe nur alle vier Jahre. Die 
Hauptftadt St. John's, an ber Oftküfte der Halbinfel Avalon, der Großen Neufundlandbant 
gegenüber und deshalb fehr vortheilhaft für die Seefifcherei gelegen, mit einem an 200 Schiffe 
faffenden Sreihafen, der durch ſtarke Batterien imd die zwei Forts Toronshend und William 
zugleich einen Kriegshafen von Wichtigkeit bildet, ift Sig ber Regierung, Dauptftapelplag der 
Inſel, hat eine fehr ſchöne kath. Kathedrale, und viele andere, aber unanfehnliche hölzerne Got⸗ 
teöhäufer, fowie ein Hospital. Sie gewährt im Ganzen mehr ben Anblid einer Fiſcherſtation 
als einer Hauptftabt und zählt im Winter 18000 €. Ihr Antheil am Fifch- und Nobbenfang 
ift fehr bedeutend. Beſſer gebaut ift Harbour-Brace, an der Weſtküſte ber Conceptionbai, mit 
6000 €. Trinity Harbour an ber nörblichern Zrinitybai zeichnet ſich durch einen vortreffli- 
hen Hafen aus. Placentia ander Südweſtküſte von Avalon, früher die ſtark befeſtigte Haupte 
ftadt der franz. Niederlaffungen, ift jegt ein Dorf mit einem fchonen Hafen. Die zum Gouver⸗ 
nement N. gehörige Infel Antieoſti hat Beinen einzigen Hafen und wird nur von wenigen Fa⸗ 
milien bewohnt. An der Südküſte von. N., vor der Fortunabai liegen die drei den Franzoſen 
gehörigen Infelhen Groß- Miquelon, Klein» Miquelon ober Langlade und St.Pierre, 
zufammen mit 4000 €. auf 6%, AM. Auf der legtern wohnt ein franz. Gouverneur ; au 
hält Frankreich hier gewöhnlich eine Compagnie Soldaten, darf aber eine Befeftigung an- 
legen. Überhaupt find diefe Eilanbe nur als Fifcherflationen von Belang. 

Nengeorgien, ſ. Salomonsinfeln. 

Reugranade, füdamerik. Republik, im N. von Gofta-Nica und dem Karaibifhen Meere, 
gegen D. von Venezuela, gegen ©. von Ecuador und gegen W. von dem Stillen Ocean begrenzt, 
hat einen Slähenraum von 18055 AM. Seiner Bodengeftaltung nach zerfällt es in zwei Theile, 
in das von den Cordilleren gebildete Hochland und das ebenereTiefland. Jenes nimmt ben grö⸗ 
Bern, weftlichen Theil der Republik ein and umfaßt ein eigenes, an den mannichfaltigften Bo⸗ 
dbenformen reiches Gebirgsſyſtem, das von drei Gebirgsketten gebildet wird, die im Süden vom 
Gebirgsknoten von Pafto ausgehen, parallel nach Norden ftreichen und durch die Längenthä⸗ 
ler des Sauca- und des Magdalenenftroms (f. d.) der beiden nah N. firömenden Hauprflüffe 
des Landes getrennt werben. Das Tiefland, die Oftfeite der Republik einnehmend, befteht aus 
der zwifchen den Cordilleren und den Gebirgen von Guiana ſich hinziehenden unb den Über: 
gang zur norbbrafilifchen Ebene bildenden Ebene von San⸗Juan, auf dem linken Ufer des Dri« _ 
noco, zu ber ſich die Kordilleren, eine Menge Flüſſe nad) dem Gebiete des Drinoco und des Rio- 
Negro oftwärts entfendend, auf ihrer Dftfeite ſchnell abdachen. Die Naturbefchaffenheit und die 
Productenfülle dieſes innerhalb der Tropenzone gelegenen Landes ift eine fehr mannichfaltige 
und reiche. Die Hauptprobucte find Zuder, Kaffee, Tabad, Cacao, Mais, Reis, Baummolle, 
Farbhölzer, Steinfalz, Platina, Silber und namentlich Gold, Iegteres befonbers In den Provin⸗ 
zen Antioquia und Cauca, fowie in bem Thale des Caucafluffes überhaupt. Auch finden fich bei 
den Dörfern Muzo in ber Nähe von Santa⸗Fe be Bogota und bei dem nörblichern Dorfe Eo- 
mondoco berühmte Smaragdgruben und bei der Stadt San-Gil die reichen Kupfergruben von 
Moniquira. Die Zahl der Einwohner belief fich 1840 auf 1,687000, 1850 auf etwa 2,138000, 
von denen die Creolen oder Weißen ungefähr 20, die Indianer 25, die Schwarzen nicht ganz 
ein und die verfchiedenen Mifchlingsarten über 54 Proc. ausmachen follen. Sklaven gab es 1850 
nur noch etwa 10000 in der Republit. Ein Gefeg vom 21. Juli 1821 ſchenkte den von diefem 
Zeitpunkte an geborenen Kindern von Sklaven bie Freiheit unter ber Bebingung, daß fie bie zu 
ihrem 18. 3. bei den Herren ihrer Altern verbleiben follten, die für ihren Unterhalt und ihre Er⸗ 
ziehung zu forgen hätten. Zu gleicher Zeit wurde für die allmälige Befreiung der Sklaven eine 
fogenannte Manumiffionskaffe gebildet, welcher die Auflagen auf Erbfchaften aufließen. Nach 
einer Verordnung vom 3. 1851 follte vom 1. San. 1852 die Sklaverei in N. gänzlich aufge 
hoben fein. Pandwirthfchaft und Bergbau bilden die Hauptnahrungsquellen der Bevölkerung. 


Neugranada 135 


N. iſt, wie kein anderer Staat in Südamerika, von zwei Dceanen, von Stillen und vom Atlan- 
tiſchen Meere befpült, an denen es bedeutende Häfen, wie Cartagena, Santa-Marta, Chagres, 
Portobello, Savanilla und die herrliche Bai von Yanama hat, welche mehr und mehr der Ver⸗ 
bindungspunft zwifchen Europa, Californien und Oftaften zu werden verfpricht. Es hat bem- 
nach neben ber Fülle feiner Ausfuhrproducte eine fehr vortheilhafte Handelslage. Indeſſen fehlt 
eine ſtärkere Bevölkerung und bie Induftrie, um die natürlichen Vortheile zu benugen. Über- 
dies gebricht ed an innern Verbindungdftraßen. Unter den größten Anftrengungen gefchah die 
Einführung der Dampfſchiffahrt auf dem Magdalenenſtrom. Zur Vermehrung ber Bevölke⸗ 
rung haben die Regierungen vor 1849 die Einwanderung durd bedeutende Eonceffionen, fogar 
durch Geldunterftügungen begünftigt; letztere find jedoch von der jegigen Regierung aufgehoben 
worden. Unter folchen Umftänden bat fich der allgemeine Handel während der legten Zahre nicht 
über 25 Mil. Fres. Ein- und Ausfuhr erhoben. Die hauptſächlichſten Einfuhrartitel find Wol- 
len⸗ Baummollen- und Seidengewebe, Weine, Quincaillerie u. f. w., die Hauptgegenftänbe ber 
Ausfuhr Farbhölzer, Taback, Cacao, Leder und Bold. Auf eine Gefammtausfuhr von 11 Mil. 
Fres. nimmt Gold allein 8 Mill. weg, ſodaß für alles Übrige nur 5 Mill. bleiben. Von diefem 
Verkeht beträgt der Antheil Englands 80, Frankreichs 7, Nordamerikas A Proc. Es find mit 
diefen und den Staaten Holland, Venezuela und Ecuador Handeld- und Echiffahrtöverträge 
geſchlo ſſen. Aber England befigt gegenwärtig allein das Privilegium ber Vermittelung zwi⸗ 
fen Europa und einem bedeutenden Theile von Südamerika mittels feiner Packetboote, die re» 
gelmäßig von Southampton nach dem Hafen Aspinwall-Eity an ber Limon- oder Navybai ger 
ben und durch die von hier ſüdwärts über den Iſthmus von Panama nad) Gorgona führende, 
feit 1853 eröffnete und AO engl. M. lange Eifenbahn mit ben Dampfbooten des Stillen Meeres 
in Verbindung ftehen. N. kann durch bie hier fich concentrirende Bewegung ded Handels und 
Perfonenverkehrs zwifchen beiden Dceanen nur gewinnen, vorausgefegt, daß feine politifchen 
Zuftände es geftatten, die Vortheile für feine innere Entwidelung zu benugen. Durch unauf- 
börliche Revolutionen zur Ohnmacht verurtheilt, fcheint e8 aber, dag N. den Iſthmus geradezu 
verlieren wird. Bereits fpielen die Norbamerikaner, die Erbauer der Eifenbahn, in Panama bie 
Herren und haben beffen ganzen Danbel an fich geriffen, dabei ſich auch faft gänzlich dem Ein- 
fluffe der Behörden von N. entzogen. Die Finanzen der Republik waren von jeher im elenden 
Zuftande. Bei der Theilung der Schuld von Columbia übernahm N. 50 Proc. im Betrag von 
5406500 Pf. &t. und dazu noch 1844 die auf Ecuador kommenden 21 Proc. im Betrag 
von 1,464795 Pf. St. Durch die rüdftändigen Zinfen und neue Anleihen ift die Gefammt- 
ſchuld feitbem noch mehr angewachſen. Das Ausgabebudget von 1850 belief ſich auf 35,443000 
Realen (zu 50 Centimes). Die Hauptquelle der Einnahme zur Dedung biefer Ausgaben be 
fieht in den Zölfen. In der legten Zeit beabfichtigte man eine directe Befteuerung des Eigen« 
thums; doch fehlte es dafür an ftatiftifchen Grundlagen. Die 1852 gegebene, 20. April 1845 
mit Veränderungen promulgirte Verfaffung erlitt feit 1849 noch mehrfache Abänderungen. 
Die repräfentative Volksregierung ift hiernach gegründet auf Nationalfouveränetät. Die vollzie- 
hende Gewalt übt ein auf vier Jahre gewählter Präſident aus, dem ein Vicepräfident zur Seite 
fieht. Die Legislatur beruht in einem aus der Senatoren» und der Deputirtenfammer beflehen- 
den Congrefje, der fich jebes Jahr 1. März auf 60 Tage verfammelt. Diefe Deputirte werden, 
wie der Prafident, alle vier Jahre durch directe Stimmenabgabe gewählt. Die richterlichen 
Sunctionen verfehen der aus drei Richtern Deftehende oberfte Gerichtähof, die höhern Diſtricts⸗ 
und die Gantondgerichte. Die kath. Religion ift die einzige, welche der Staat anerkennt und de⸗ 
ven Cultus er befolbet. Unter dem Erzbiſchof von Bogota ftehen die vier Biſchöfe von Carta⸗ 
gena, Mompos, Popayan und Santa-Marta; bie Koften für den Eultus und Unterhalt der 
Geiſtlichen werben durch den Zehnten beftritten. Die Republik zerfällt in die fünf Departements 
Gumbdinamarca (f.d.) mit der Hauptftadt Bogota (f.d.); Cauca, Iſtmo mit ber Stadt und Land» 
enge von Panama (f.d.); Magdalena mit der Stadt Eartagena (ſ. d.) und Boyaca (ſ. d.). Diefe 
Departements werben zufammen wieder in 20 Provinzen mit 114 Cantonen eingetheilt. 

N. gehörte einft zu bem fpan. Vicelönigreich Neugranada. Die Spanier hatten fich hier zu⸗ 
nachſt Hauprfächlich auf den Hochebenen der Cordilleras niedergelaffen, auf den Trünmern des 
Eulturftaats Eundinamarca der Muiscas, beffen König in ber Stadt Tunja refibirte. Nach der 
Losreifung von der fpan. Herrſchaft 1811 bildete N. mit Venezuela feit 17. Dec. 1819 und mit 
Ecuador feit 1822 die Republik Columbia (1. b.), trennte ſich aber wieder von derſelben durch bie 
Proclamation des Congreffes von Bogota 21. Nov. 1831 ald eine eigene unabhängige Republik 
unter bem Namen R. Im J. 1832 wurde eine definitive Gonflitution decretirt, womit ſich aber 


136 | Neugriechen 


auch der Kampf zwiſchen den ſogenannten Liberalen oder Patrioten und den Bolivianos oder 
Denjenigen entſpann, welche in ber letzten Zeit Bolivar's dictatorifche Gewalt vertheidigt hatten. 
Seitdem ift N. in fteten Umwälzungen begriffen geweſen. Die erfte Wahl, welche ftattfand, ver- 
lieh 9. März 1852 dem General Santander bie Präfidentenwürbe auf vier Jahre. Unter feiner 
Berwaltung übernahm N. die Hälfte der Geſammtſchuld von Columbia. Dies ſowie bie Partel- 
leidenfchaft gegen die Bolivianos, welcher mehre Generale als Anhänger Bolivar’s zum Opfer 
fielen, hatte zur Folge, daß bei der Wahl 1837 nichtder von Santander begünftigte General Jofe 
Maria Obando, fondern ber Eanbibat der Oppofition, Dr. Joft Ignacio be Marquez, zum Prä« 
fidenten erhoben wurde. Es entwidelte fich jegt eine Infurrection, an deren Spige Obanbo ſtand, 
und ein grauenhafter Bürgerkrieg flürzte von 1839 —41 das Land in Anarchie und das tieffte 
Elend. Endlich wurde ber Aufftand bemältigt und Dr. Marquez erreichte nach einer Periode der 
fürdterlichften Stürme das gefegliche Ende feines Mandats. Sein Nachfolger warb 2. Mai 
‚ 1841 General Don Pedro Alcantara Herran, einer ber Befieger ber Infurrection. Am 19. Det. 
4840 hatte fich Cartagena von N. getrennt; bald darauf folgten auch andere Provinzen. Am 18. 
Juni 1841 beſchworen zu Panama bie Provinzen Panama und Veragua eine neue Eonftitution, 
durch melche diefelben unter dem Namen des Staats des Iſthmus von Panama fid für unab- 
hängig erflärten. Doch vereinigten fie fich wieder mit N. Auf General Herran folgte 1845 
Seneral Mosquera. Unter biefen drei vom Geifte ber Mäfigung befeelten Präfidentfchaften 
Eonnte fich das Land allmälig wieber erholen. Unter Herran wurde bie Verfaffung reformitt, 
der öffentliche Unterricht befördert und mit den engl. Staatögläubigern zur Negulirung der aus⸗ 
wärtigen Schuld ein Vertrag abgefchloffen: Unter Mosquera warb ein großer Theil der einhel- 
miſchen Schulb getilgt, ber Handel mit Gold und Tabad für frei erklärt, die Dampffchiffahrt 
auf dem Magdalmenftrom ins Leben gerufen, bie Zolltarife revidirt, Schulen für Mineralogie, 
Geologie und Botanik gegründet und die Einwanderung in freifinniger Weiſe begünftigt. Ein 
im Anfang Mai 1846 mit Ecuador ausgebrochener Krieg endete ſchon 29. Mai mit dem Frie 
den zu Sta.⸗Roſa de Carchi. Indeſſen fehlten die drei genannten Präfibenten nacheinander bar- 
in, daß jeder von ihnen großmüthig Amneſtie bewilligte. Mosquera dehnte die feinige fogar 
bie auf die am meiften compromittirten Chefs der Infurrecfion von 1840 aus. Die Folge da- 
bon war, daf die revolutionäre Partei fi von neuem organifiren konnte. Sie vereinigte ihre 
Stimmen auf einen neuen Eandidaten, den General Joſe Hilario Lopez, der auch 7. März 1849 
zum Präfidenten gewählt wurde. Eine Reihe von Veränberimgen wurbe hierauf vorgenom- 
men oder beabfichtigt, welche die Herftellung der reinen Demokratie bezweckten, unter den gege- 
benen Umftänden aber nur abermals zur Anarchie führen müffen. Bei der Präfidentenmwahl bes 
3.1853 murde der von ber Regierung und ben demokratiſchen Geſellſchaften unterftügte bis⸗ 
herige Generalcommandant, General Jofe Maria Obando, gewählt. 

Nengriechen nennt man das dieneugricch. Sprache redende Volk, welches hauptfächlich über 
das jegige Königreich Griechenland, die füblichen und füdoftlichen Provinzen ber europ. Türkei, 
die Sonifchen Infeln, den Griechifchen Archipelagus, Candia und Cypern, die Küften Klein- - 
aſiens und Syriens verbreitet ift und vereinzelt auch in andern Seeftädten des Mittelländifchen 
und des Schwarzen Meeres vorkommt. Der Urfprung deffelben ift ein fehr gemifchter. Das 
reinfte altgriech. Blut bewahren wol noch theil die Infelgriechen, die am wenigften mit fremb- 
artigen Elementen vermifcht find, obfchon auch auf fie frank. und venet. Elemente und fpäter 
albanefifche (3.3. auf Hydra und Spezzia) nicht ohne Einfluß blieben; theils die Bewohner 
einzelner Gebirgäftriche, mie die Mainoten, die Griechen des Olymp, ferner der Gebirge von 
Agrapha und Valtos in Weftgriechenland, von Sphakia auf Candla u. f. w. Gemifchter find 
die Griechen Kleinafiens und in Konftantinopel oder bie eigentlichen byzant. Griechen, die ſchon 
in den fpätern Zeiten bes Alterthums auf mannichfache Weiſe mit barbarifchen Elementen ge 
mengt waren. Bon den Griechen des europ. Kontinents, insbefondere von denen des heutigen 
Königreich® Griechenland, ift es aber gefchichtlich nachgewiefen, daß fie aus einer Vermiſchung 
altgriech. Ureinwohner oder vielmehr byzant. Griechen mit law. und fpäter albanef. Eindring- 
lingen, die nach und nach gräcifirt wurden, entftanden find ; obfchon die Behauptung Fallme⸗ 
rayer's, daß das altgriech. Element in Morea und dem eigentlichen Hellas in ber Zeit der Sla⸗ 
weneinbrüche vom 6.—10. Jahrh. gänzlich vernichtet worden fei, für eine einfeitige und über 
triebene gehalten werden muß. Der Charakter und die Eivilifationsftufe der Neugriechen find 
im Ganzen überall diefelden. (S. Griehenland.) Im Allgemeinen neigen fie ſich mehr au den 
beweglichen als feßhaften Befchäftigungen, daher fie weniger im Aderbau und in den technifchen 
Gewerben als in Schiffahrt, Handel und in läffigem Hirtenleben ſich auszeichnen und auf 


Neugriechiſche Sprache und Literatur 197 


mandden Infeln wie in einzelnen Küftenorten faft nur mit Handel und Schiffahrt fich befaffen. 
Mit Ausnahme der Nachkommen fränk. und venet. Eindringlinge und der von ihnen gemach⸗ 
ten Gonvertiten auf Infeln des Agäifchen Meeres, z. B. auf Naros u. a., wo e8 gegen 15000 
Katholiken gibt, bekennen ſich alle Reugriechen zur orient.-orthoboren Kirche, die deshalb auch 
die Griechifche Kirche genannt wird. Vgl. Sallmerayer, „Gefchichte ber Halbinfel Morea während 
des Mittelalter6” (2 Bbe., Stuttg. 1850—36), und Deffelben Schrift, „Welchen Einfluß hatte 
die Befegung Griechenland durch die Slawen auf das Schickſal der Stadt Athen ? (Stuttg. 
1855); Binteifen, „Geſchichte Griechenlands” (Bd. 1, 83.1832); Finlay, „Die Sefchichte 
Griechenlands von feiner Eroberung durch die Kreuzfahrer bis zur Befignahme durch die Tür- 
°en, und des Kaifertyums Trapezunt, 1204— 1461” (a. d. Engl., Tüb. 1853). ' 
Neugriechiſche Sprache und Literatur. Es ift eine ganz falfche, wenn auch weitver- 
breitete und tiefeingemwurzelte Anficht, daß die neugriech. Sprache eine wirklich neue Sprache 
im Verhältniß zur altgrieh. Sprache fei, und daß fie im Laufe der Zeit fo verfchieden 
von Derfelben und fo ganz eigenthümlich fich geftaltet Habe, daß man fie als eine befon- 
dere, in ihrem Kerne und nad ihrem ganzen Weſen von dem Altgriechifchen abgefon- 
derte Sprache anfehen könne und müffe, die noch überdies feinen Anfprud auf befon- 
dere Beachtung habe. Vielmehr ift die Verfchiebenheit zwiſchen bem Neugriechiſchen und dem 
Altgriechiſchen, die allerdings flattfindet und nicht abgeleugnet werden kann, durchaus nicht fo 
weientlich und ducchgreifend, als man bei der völligen Umgeftaltung der äußern und innern 
Berhältniffe des alten Griechenland in dem neuen und nach den Ergebniffen der Gefchichte 
des Mittelalter und den Einwirkungen diefer Zeit auf Land und Volk, namentlich nach dem 
Beifpiele anderer Länder und Völker, z. B. in Betreff der ital. Sprache im Verhältniß zur la⸗ 
teinifchen, zu glauben berechtigt wäre. Die durchaus nicht zu verfennende Verfchiebenheit des 
Reugriedhifchen vom Altgriechifchen, auch infofern biefelbe nicht blos eine äußerliche ift und in 
Unfehung der Wörter und bes gefammten Wortſchatzes der neugriech. Sprache fich kundgibt, 
fondern zugleich deren Weſen angeht und in die Grammatik und Syntar derfelben eingreift, 
findet theils in dem Einfluffe ber Zeit felbft, theils in den politifchen Einwirkungen, denen bie 
Griechen feit dem Uintergange ber altgriech. Freiheit ausgeſetzt gewefen find, und in den Ein- 
wanderungen und Durchzügen fremder Stämme in Griechenland ihren Erflärungsgrund ; 
allein befienungeachtet muß diefe Verfchiedenheit um fouunbebeutenber erfcheinen, je mehr man von 
ber Anficht ausgeht, daß auch im alten Griechenland nicht immer fo gefchrieben, noch weniger ge» 
fprochen worden ift, wie die erften und beften Schriftfteller das Altgriechifche ſchrieben, und je 
mehr man zu der Überzeugung gelangt ift, daß auch in den Zeiten der höchſten Blüte der alt- 
griech. Literatur das Volk nicht nur nicht fo wie jene erften und beften Schriftfteller das Alt⸗ 
griechifche gefchrieben, und wie etwa die Gebildetern es gefprochen, baffelbe ebenfalls gefprochen 
haben, fondern daß auch neben ber ausgebilbetften Schrift- und Umgangkfprache der alten Grie- 
hen eine weniger geregelte, vielmehr regellofe und ungebunbene Art des Ausbrud in Munde 
ber Ungebilbeten, im Leben des Volkes geherrfcht Habe. Belege hierzu, bie zugleich für die that- 
fähliche Berechtigung der neugriech. Sprache von Gewicht find, finden ſich z. B. in den Komö⸗ 
dien des Ariftophanes, deren Sprache für bas Volk in Athen berechnet war und bie fogar mehr 
oder weniger in den Kreifen des griech. Volkes felbft fpielten. Denn die neugriech. Sprache ift 
an und für ſich eben nur die gefprochene Sprache des Volkes, wie fie, im Gegenfage zu der Schrift. 
fprade und der Umgangsfpracdhe der Gebildeten im alten Griechenland, im Umgange des ge- 
wöhnlichen Volkes die herrfchende war; nur daß fie durch die Vermiſchung mit fremden, na- 
mentlich mit ſlaw. und roman. Sprachen vielfach außgeartet ift und auch in ihrem innern We⸗ 
fen an grammatifchen und fontaktifchen Eigenthümlichkeiten im Verhältniffe zur altgriechifchen 
eingebüßt hat und danach Außerlich als eine durch fremdartige Elemente zerfegte und in ihren 
Formen verderbte Sprache allerdings fich darftellt. Mag dies felbft nicht felten in einem folchen 
Grabe ber Fall fein, daß das altgriech. Element in ber neugrieh. Sprache fcheinbar bis zur Un- 
kenntlichkeit verwifcht ift, fo ift dies doch oft nur feheinbar, und wie offenbar in der neugriech. 
Eprache altgriech. Elemente im Ganzen und im Einzelnen wunderbarerweife fich erhalten haben, 
fo ift auch die Meinung gerechtfertigt, daß die neugriech. Sprache keine neue, fondern daß fie nur 
bie noch mehr verderbte Volksſprache ber alten Griechen fei und daß fie auch in ihrer Ausartung 
als eine Stieffchwefter ber altgriech. Sprache, mit welcher fie aus einem und demfelben Stamme 
entfproffen, angefehen werden müffe. Die neugriech. Sprache ift ihrem Grunde und ihrem Kerne 
nach feine andere Sprache als die altgriechifche, und ihre Grundlage ift ber äolifche Dialekt, wie 
bean namentlich die Ausſprache ber Vocale und Diphthonge im Neugriechifchen faft rein äo« 


138 Neugriechiſche Sprache und Literatur 


liſch if. Dieſes Verhältniß kann dadurch nicht geändert werden, daß bie erſtere Manches von 
ber leptern ganz aufgegeben, Manches der äußern Korn und dem innern Gehalte nad) anders 
geftaltet und viel Fremdartiges in fi) aufgenommen hat ; vielmehr bleibt diefes Verhältniß das 
nämliche, auch wenn man bie neugriechifche Sprache, ftatt fie irrthümlich und fülfchlidy für 
eine neue ausgeben zu wollen, nur al& die im Laufe der Jahrhunderte zur Volksredeweiſe herab» 
gefuntene, gewiffer innerer und äußerer Schönheiten, ſowie einzelner grammatifcher und fontat- 
tifcher Feinheiten und eigenthümlicher Vorzüge entkleidete altgriech. Sprache darſtellt. Es 
kann von der neugriech. Sprache in der That mit Necht gefagt werben, baf fie einer altgriedh. 
Statue gleiche, welche Tange Jahrhunderte hindurch in dem zerfreflenden Schmuge bes Erd⸗ 
bodens vergraben gelegen hat. 

Will man die Gefchichte der neugriech. Sprache bis zu ihrem Urfprunge verfolgen, fo muß 
man ihre Anfänge geradezu an die Blütezeit ber altgriech. Sprache und Literatur felbft anfnü- 
pfen, wenn man'nicht fogar im Einzelnen fich veranlaft finden fonnte, noch weiter zurückzuge⸗ 
ben. Dabei muß man freilich, namentlich wenn von dem Neugriechifchen unferer Tage bie Rede 
ift, den Unterfchied zwifchen der eigentlichen Volksſprache (N xaSopukoup.dvn, oder yudale, 
oder xotvn, auch Krim oder ArNo-EAAnvarn, oder veo-EArvurn, fowie bupaisn YAdcca), wie 
fie von dem ganz gemeinen Manne im täglichen Leben geredet wird, und zwifchen der Schrift« 
ſprache fefthalten. Jene erftere, das urfprüngliche und naturgemäße Erzeugniß des Volksgei⸗ 
ſtes, das ungelünftelte Wort der bloßen Überlieferung vom Vater auf den Sohn, die Sprache 
ber täglichen Gewohnheit, iſt das eigentliche Neugriechifch, eben weil es nichts künſtlich und ab- 
fichtlich Gemachtes iſt. Diefes Neugriechifch, das mit der altgriech. Volksſprache einen und den⸗ 
felben Urfprung hat und fic bei ber Ausartung der altgriech. Schriftfprache felbft gleichfam wei⸗ 
ter fortbilbete, d. h. immer mehr von der Blüte ber altgriech. Literatur fich entfernte (befonders 
nachdem im 15. Jahrh. das griech. Kaiferreich vernichtet worden mar, wennfchon ed auch dann 
noch von dem Einfluffe der Kirchenfprache getragen ward), wurde zugleich in den ſpätern Jahre 
hunderten bes gänzlichen Verfalls griech. Bildung und feit dem Ende des 11. Jahrh., wenn auch 
nicht ausfchließlich, diejenige Sprache, in ber einzelne wifjenfchaftlich gebildete Männer, an denen 
es ſelbſt in den Zeiten der ärgſten Knechtſchaft und Verfinfterumg nie ganz fehlte, fchrieben und 
bichteten. Nur in biefer Volks ſprache konnten und mußten fie damals fchreiben und dichten, auch 
wenn fie eines edlern und reinern Griechiſch mächtig waren, indem fie bei dem gänzlichen Mangel 
eines gelehrten Standes und gebildeter Claſſen des Volkes nurim Allgemeinen für das Volk dich⸗ 
teten und ſchrieben und dazu natürlich deſſen eigene Nedeweife in Anwendung zu bringen gend» 
tigt waren, während Andere das dem Molke unverftändliche Altgriechifche anwendeten, Daneben 
aber das Volkfelbftin der Sprache der theilweife aus frühern Jahrhunderten bis auf unfere Zeit 
erhaltenen Volkslieder fortwahrend dichtete. Dieſes Verhältniß blieb ziemlich bis in das 18. 
Jahrh., nachdem im Kaufe der Zeit und beim Mangel aller Bildungsmittel für das Volk, ſowie 
beim Mangel einer befonbern Literatur die Sprache immer mehr vermildert war; und biefer 
Zuftand mußte um fo mehr in eine offenbare Verwirrung audarten, als zwar von Vielen, aber 
nicht nach beftimmten Grundfägen und fogar nad) verfchiedenen Syſtemen dad Neugriechifche 
gefchrieben zu werden und eine neugriech. Schriftfprache fich bilden zu wollen anfing. Diele 
Ummälzung in dem innern Leben des griech. Volkes, in dem fich die Erinnerungen altgriech. 
Art und Sitte lebendig erhalten hatten und in dem ber urfprüngliche Volksfinn nie ganz er- 
loſchen war, zeigte ſich nur als die Folge äußerer günftiger Umftände und ber theilweife verän« 
derten politifchen Verhältniſſe des Volkes. Zunächſt war die Erhebung der Fanarioten ([.d.) zus be: 
fonderm Einfluffe und anerkannter Wirkſamkeit im Serail und bei Verwaltung gewiffer Staats⸗ 
ämter, namentlich feitbem Alerander Maurokordatos (f.d.) Pfortendolmetſcher und fein Sohn, 
Nikolaos, Hospobar ber Walachei geworben war, in ber erften Hälfte des 18. Jahrh. von wichti« 
gen Folgen; benn der Werth ber Bildung und der Kenntniffe, denen allein die Sanarioten diefe 
Erhebung und die Erhaltung ihres Einfluffes verdankten, machte ſich hierbei beſonders geltend, 
und in Folge deffen bildeten fich die Griechen mehr als bisher auf abendländifchen Univerfitäten 
und brachten nicht nur Kenntniffe, fondern noch mehr das Bebürfnig nach weiterer Bildung in 
die Heimat zurüd. Diefem Bedürfniſſe zu entfprechen, gewährte befonders feit ber zweiten Hälfte 
bes 18. Jahrh. der griech. Handel bie erfoberlihen Mittel; die Theilnahme an ber beflimmten 
Familien der Fanarioten ausfchließlich zugeftandenen Verwaltung der Moldau und Walachei 
erhob die Blicke ber Griechen zu öffentlicher Thätigkeit, und die von Einzelnen ausgehende Er⸗ 
richtung von Schulen erregte nicht nur ben fhlummernden Eifer der Griechen nach Bildung und 
nad) Kenntnifien, fondern mußte nothwendig auch die Aufmerkſamkeit der Griechen auf ihre 


Reugriehifche Sprache und Literatur 139 


Sprache rihten. Hatte man bisher von Seiten der gelehrten Neugriechen das Griechifche gleich- 
fam im den Tag hinein gefchrieben, ohne danach zu fragen, wie man es denn eigentlich fchreiben 
müffe, in welchem Berhältniffe namentlich bie gefprochene Sprache des Volkes zu ber Idee einer 
Schriftfprache und eine neugriech. Echriftfprache zum Altgriechifchen ftehen müſſe, und inwie⸗ 
weit die Bildung einer neugriech. Schriftſprache von ber Volksſprache abhängig fein und fich 
an den gegenmärtigen, auch ausgearteten Zuftand diefer letztern halten folle, fo machten ſich nun 
fogar auf einmal mehre Syfieme in Beantwortung diefer Fragen praktifch geltend. Die Einen 
hielten fich nur an die Vergangenheit und fchrieben, gleich als ob die Neugriechen gar feine eigene 
Sprache redeten, bie todte Sprache der alten Griechen und wollten, daß fich bad Neugriechifche 
durch Einführung altgriech. Formen und Wörter bereichere (z. B. Neophytos Dukas, Stepha- 
n06 Kommitas); Andere (wie Katartfchis) hielten allein den von der Gegenwart vorgezeichne- 
ten Weg für ben beften und richtigen und meinten das Griechifche auch nur fo fehreiben zu 
müffen, wie es dad Bolt ſprach, eine Meinung, die Ehriftopulos (f. d.) noch weiter führte, indem 
er das verderbte Neugriechifch zu einer fünften altgriech. Mundart erheben wollte; wieder An- 
dere, bie ed erfannten, daß diefe Sprache des Volkes von einer viel ſchönern und ausgebildetern 
Sprache abftamme, hielten die Idee einer Verbefierung jener Volksſprache feft und glaubten 
eime folche Verbeſſerung dadurch herbeizuführen, daß fie viele Feten von dem prächtigen Kleibe 
ber altgriech. Sprache entlehnten und damit jene Volksſprache auspugten (das fogenannte 
£ , das befonbers bie Sprache der Fanarioten und ein Gemifch von Altgriechifchem, 
Tũrkiſchem und Sranzöfifchen war). Dagegen ſchlug Korais (f. d.) behufs der Verbefferung 
ber neugriech. Sprache (bie er ſehr richtig nur als die auvn Ser, nämlich als bie Sprache ber 
bloßen Gewohnheit und des täglichen Lebens bezeichnete) einen Mittelweg ein, indem er bie 
Sprache correct und verftändlich zu ſchreiben anrieth, dabei aber ebenfo unter Beachtung der 
Berwanbtichaft derfelben mit der altgriechifchen, als mit Berückſichtigung des originellen Gei⸗ 
ſtes der neugriechifchen die Nothwendigkeit einer forgfältigen Vergleichung beider Sprachen 
nachdrũcklich geltend machte und barauf drang, bie Verfchiebenheit beider in der Korm und Syn⸗ 
tag nücht unbeachter zu laſſen und nur fo viel von der altgriechifchen für die neugriechifche zu 
entiehnen, als diefe leptere bedürfe, damit fie für bat Volk verfländlich fei, zugleich aber auch, 
damit fie von ben Gallicismen und Germanismen, womit das Neugriechifche durch zahlreiche 
Uberfegungen überſchwemmt worben war, befreit, immer mehr gereinigt und veredelt und aus 
dem Schatze des Altgriechiſchen verbeffert und bereichert, nicht aber umgeftaltet werde. Diefe 
Unfiht von Koraid und das auf biefelbe begründete Syſtem, dad Neugriechifche zu fchreiben 
unb zugleich nach und nach zu verbeffern, warb nun zwar anfänglich aus ber Mitte der griech 
Nation felbft mit den Waffen des Ernſtes und des Spottes vielfach befämpft, z. B. von Kodri⸗ 
fat, Neophytos Dukas, Rifos Nerulos; indeß wurde diefes Syftem von ihm felbft in den 
nen zu ben von ihm beforgten Ausgaben altgriech. Claſſiker und fonft in feinen 

SHriften ohne Unterlaß empfohlen und zur Anwendung gebracht und von feinen Anhängern 
immer weiter verbreitet, auch endlich als allein der Vernunft entfprechend und ben gefchichtlichen 
Berhältniffen der Vergangenheit umd denen der Gegenwart angemeffen faft ausfchlieglich von 
ben Gelehrten und im Volke felbft anerkannt. Beſondern Einfluß übte in diefer Hinfiht die 
wiffenfchaftliche, auf Korais’ Rath 1811 geftiftete Zeitfchrift „ Eep.nc 6 Aoyıog” in Wien. Die- 
ſes Sprachreinigungsſyſtem bes Korais, das er für Darftellung einer Grammatik der neuern 
Sprache, namentlid; auch in Anfehung ber Lexikographie des gefammten griech. Sprachgebiets 
weiter ausführte, hat, wenngleich der Reinigungsproceß felbft, in welchem feitdem bie neugriech. 
Sprache befangen gewefen, noch fortbauert, doch bereits den wohlthätigften Einfluß auf diefelbe 
und auf die begirmende neugriech. Literatur geäußert, und ebenfo hat dieſe legtere in Verbindung 
mit alem Dem, was nach bem 3.1824 für Volksunterricht und für das höhere Schulweſen in 
Griechenland gefchehen ift, namentlich in Folge ber Errichtung der Univerfität Achen 1837, 
mächtig auf bie neugriech. Sprache eingewirkt, die feitdem bei ihrer Bildſamkeit und ber ihr da⸗ 
durch gegebenen Möglichkeit, fie ziemlich der altgriech. Sprache näher zu bringen, auf ihrer alten 
Grundlage bereit glückliche Fortfchritte gemacht bat. Auch fonft ließ es ſich Korais in jeder 
Beziehung angelegen fein, nicht nur zu einer glüdfichen Zukunft der neugriech. Sprache und Lie 
teratur und zu einer fegendreichen Bildung und Entwidelung des Volkes felbft einen fichern 
Grund zu legen, fondern auch die bisherige Nichtachtung der Helleniften Europas auf den rech⸗ 
ten Weg zu führen, auf welchem fie mit Hülfe der neugtiech. Sprache tiefer in die Kenntniß der 
eltgriech. und inniger in das Verſtändniß der Shrif llet des alten Griechenland einzubrin- 
gen vermögen. Übrigens fchreitet bie poetifche und p oſaiſche Sprache der Neugriechen ziemlich 


140 Nengriechiſche Sprache und Literatur 


gleichmäßig zum Beffern vor. War es früher nur Korais, ber in der Profa vorzüglich war, fo 
gilt dies jegt von Afopios, 3. Riſos Nerulos, Valettas, Manuffis, Joannis Sutfos, Perikl. 
Argyropulos, Konft. Paparrigopulos u. X. Um Verbeflerung der poetifchen Sprache der Reu- 
griechen haben befonders die Gebrüder Sutfos unleugbare Verdienfte, und einen glücklichen 
Anftoß auch in diefer Richtung gewährt der poetifche Wettlampf, welchen ber reiche Grieche 
Ambroſios Rallis in Trieft feit einigen Jahren mit patriotifcher Freigebigkeit eröffnet hat. 

Bas den Unterfchied des Neugriechifchen vom Altgriechifchen im Einzelnen anlangt, fo be- 
fteht er theild in den fremden Wörtern und Ausdrucksweiſen, bie das erfiere mehrfach von an- 
dern Sprachen entlehnt hat, bie man jedoch durch neue Bildungen ober mit Hülfe bes altgriedh. 
Sprachſchatzes felbft zu befeitigen und zu erfegen mit Glück begonnen hat, und in ber veränber- 
ten Bedeutung mancher altgriech. Wörter, während zugleich ein großer Theil der Iegtern ganz 
in Vergeffenheit gerieth, fowie in der Bildung neuer, theils und hauptſächlich in der bebeuten- 
den Berniinderung ber alten reichen Formen der Declination und Conjugation, indem in jener 
der bald durch den Genitiv oder Accufativ, bald durch eine Präpofition erfepte Dativ, in biefer 
das Medium, ber Infinitiv und Dptativ, das Perfectum, Plusquamperfectum und Futurum, 
in beiden aber ber Dual außer Gebrauch gekommen ift. Nur in einzelnen Redensarten und ein⸗ 
zelnen aus dem Altgriechifchen berflannmenden Zufammenftellungen haben fich manche jener 
altgriech. Formen auch für das Volk unverändert erhalten. Auch in der Syntax, und na- 
mentlid in ihr, hat ſchon in Gemäßheit jener Verfchiedenheiten in den Formen ein bedeutender 
Unterfchied fich offenbaren müffen, indem, befonders auch in Folge der erlittenen Einbuße an 
dem Partikelreichthum der altgriech. Sprache, an die Stelle bes bei aller Einfachheit ebenfo 
Bünftlichen ald gedrungenen und ausdrudsvollen Baus der, griech. Säge eine gewiffe ſchlep⸗ 
pende Unbeholfenheit getreten war. Die Ausfprache der Neugriechen ift in der Hauptfache bie 
unter dem Namen der Reuchlin’fchen unter uns bekannte. Iſt derfelben auch eine übermäßige 
Häufung des J⸗Lautes, ber fogenannte Itacismus, eigenthümlich, fo darf doch nicht vergeffen 
werben, baf bie richtige Ausfprache gebildeter Griechen verfchiedene Nüancen hierbei macht, für 
deren Seinheit ber Srembe fein Gehör bat. Dabei Ift dem Neugriechifchen noch das Ignori⸗ 
ten des Spiritus Asper (nvsüna daoð), bie Bernadhläffigung ber Quantität ber Silben auf 
Koften des vorherrfchenden Accents und ber Mangel ber zwar für das Auge, aber nicht für 
das Ohr vorhandenen Diphthonge eigenthümlich, anderer Eigenthümlichkeiten ber neugriech. 
Ausfprache in ber Profa und Poefie hier weiter nicht zu gebenten. 

Der reihe Schag der neugriech. Sprache kann aus den vorhandenen Wörterbüchern nur 
mangelhaft erfannt werden, indem Iegtere jenen Schag, wie er im Munde bed Volkes zerftreut 
fi findet, noch bei weitem nicht erfchöpfen, ein Schag, deffen Gewinn ber gefammten griech. 
Sprache zu Gute fommen würde. Indeß find die vorhandenen Wörterbücher (Somavera, ital. 
und neugriech, Par. 1709; Vendoti, neugriecdh., ital. und franz., Wien 1790; Weigel, neu 
griech. deutfch und ital., Lpz. 1796; Zalikoglu, franz., altgriech. und neugriech., Par. 1809 und 
41824; Alerandridis, türk. und neugriech, Wien 1812; Komas, neugriedh., ruff. und franz., 
Most. 1811; Vlanti, neugriech. und ital., Den. 1806; Gazis ſnach Schneider], alt« und neu⸗ 
griech, 3 Bbe., Ben. 18141—16; 2.Aufl., Wien 1835—37; Schmidt, „Neugriech.deutſches 
Wörterbuch”, Lpz. 1825; Deheque, neugriech. und franz., Par. 1825 ; Kumas [nach Riemer], 
alt» und neugriech, 2 Bbe., Wien 1826; Theocharopulos, franz., engl., neu- und altgriech., 
Münch. 1834; Anfelm, neugriedh. und deutfh, Münch. 1834; Starlatos Byzantios, „Askı- 
xdv TIE KAT Aäs Mirwurhs Faddxrov”, Athen 1835, und „Askucbv Eriropov Tg Mn- 
wong YAcsang”, Athen 1859; 2. Aufl., 1852, befonders nad) Henr. Stephanus ; Kind, 
„Handwörterbuch der neugriech. und deutfchen Sprache”, Lpz. 1841) für die Kenntniß ber 
Sprache und für den Gebrauch des Einzelnen genügende Hülfsmittel, auch wenn mandje von 
ihnen für den Geſichtspunkt der Eigenthümlichkeiten ber neugriech. Sprache noch garyu viel Alt 
griechifches enthalten, andere dagegen hinter ben Kortfchritten der neugriech. Sprache zur Unge⸗ 
bühr zurüdbleiben. Auch zur Kenntniß und zur Erlernung der Grammatik der neugriech. Sprache 
für Fremde (denn die Griechen felbft Haben keine eigene Grammatik der neuen Sprache und bedür⸗ 
fen einer folchen nicht, weil fie nur das Altgriechifche nach der Grammatik in den Schulen ler⸗ 
nen) haben fich gegenmwärtig die Hülfsmittel brdeutend vermehrt. Hierher gehören die Gram⸗ 
matiten von Chriftopulo® (neugrieh., Wim 1805), Darbaris (neugrieh., Wien 1806), 
Schmidt (deutfch, Lpz. 1808), Bojadfchi (deutfch, Wien 1821 und 1823), Jul. David (franz., 
Dar. 1821 und 1827 ; auch Lpz. 1828), deffen „Zuvorturös rapa&Indıopndc ns EAAnvuris 
xl ypauenene I KmIosAMvuchs Yiasanc“ (Par. 1820, deutich, Königsb. 1827) zugleich 


Reugriehifche Sprache und Literatur 141 


eine gute Überficht ber Verſchiedenheiten beider Sprachen gewährt; ferner von Münnich (deutfch, 
Dresb. 1826), Lüdemann (deutſch, pz. 1826), Minas (franz., Par. 1827 und 1828), M. 
china (franz., Par. 1829), Theocharopulos (griech. und franz, Par. 1850) und Ruffiadis 
(deutfch, Wien 1834). Als ein Werk, dab für die Sprache, wie fie in Volke lebt, von Wichtig- 
feit ifl, müſſen die „Researches in Greece” von Leake (Lond. 1814) gelten. Auch beutfche 
Philologen, wie Friedemann und Poppo, liegen ausnahmsweiſe das Reugriechiſche in Ver- 
hältniffe zum Altgriechifchen nicht unberüdfichtigt, und namentlich hat Hermann in Leipzig dem 
erftern feine Aufmerkſamkeit nicht ganz verfagt, während es Thierfch in München feit langer 
Zeit zum Gegenftande des Studiums gemacht. Auch Ludw. Roß ift vielfach bemüht gewefen, in 
feinen verfchiedenen Reifewerken über Griechenland im Allgemeinen und Einzelnen über bie 
neugriech. Sprache aufzuklären und Borurtheile und Irrthümer in diefer Hinficht zu beſei⸗ 
gen. Auf den deutfchen Univerfitäten findet das Neugriechiſche nur in wenigen Sertiond- 
katalogen eine Berüdfichtigung. . 

Was bie neugriech. Literatur anlangt, die früher mehr noch als jegt auf Überfegungen fich 
beſchraͤnkte, gegenwärtig aber eine felbftändigere Richtung zu nehmen angefangen hat, fo kann 
es bier nur Darauf ankommen, weniger auf Einzelnheiten ſich einzulaffen und mehr auf allgemei« 
nere Andeutungen und überfichtliche Bemerkungen über Das, was hierbei im Ganzen von Ein- 
Huf gewefen, und über die Hauptrichtungen ſich zu befchränten, welche die begonnene und in 
ber Entwidelung begriffene Literatur der Neugriechen eingefchlagen und verfolgt hat. Diefe 
kterarifchen Beftrebungen haben früher und fpäter bis auf unfere Zeiten herab begreiflicher- 
weife in einer fo genauen Verbindung mit den äußern Zuftänden bes Volkes geftanden, daß ſich 
ass biefen die große Abhängigkeit und Unfreiheit erflären läßt, in welcher dieſelben unter den 
Reugriechen bisher ſich befanden, weil jene Zuftände felbft gedrückt und nicht frei waren; und 
ebenſo erfärt fich auch daraus der mächtige Schwung, den jene Beftrebungen nahmen, al& mit 
dem Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts ein neues Streben nach wiffenfchaftlicher Aufklä⸗ 
rung md ein neues politifches Leben in demgriech. Volke fich zu regen und es zu durchdringen be⸗ 
gennen Batte, und als endlich nach langen Kämpfen eine politifche Seldftänbigkeit errungen 
werben war. Indeß war auch mit diefer Selbftändigkeit in manchen Beziehungen und aus man 
den Gründen immer noch, felbft gegenwärtig, ein zu gedrüdter und gelähmter, äußerlich abhän⸗ 
jiger und innerlich unfreier Zuftand verbunden, als daß dieneugriech. Literatur auch in ihren An- 
fingen in voller Freiheit und mit ungebundener Kraft ſich hätte entwideln können, wie dies ber 
zriech. Bolkögeift Früher wol von ſich hätte erwarten laffen. Diefer Bolkegeift hatte, nachdem 
kinder6 von Korais und andern Bleichgefinnten ſeines Volkes die Errichtung von Schulen 
mgeregt tworben mar und die bereit& beftandenen einen höhern wiffenfchaftlihen Aufſchwung 
nuommen hatten, erwünfchte Gelegenheit, aus dem wiffenfchaftlichen Leben an diefen Lehr⸗ 
uftolten reiche Nahrung für fich felbft zu ziehen, indem fich die Wirkſamkeit diefer Anftalten 
sit blos darauf befchräntte, in den Schülern fünftige Lehrer bes Volkes heranzubilden, fon 
den indem bie gegenwärtigen Lehrer felbft unmittelbar durch Wort und Schrift auf die Bil- 
bmg des Volkes und auf den Bildungstrieb deſſelben wirkten und feitbem immer mächtiger 
beiebende und erwärmende Strahlen in alle Länder des Drients dringen, wo Griechen wohnen 
md nach weicher: bie Blide des Panhellenismus gerichtet find. 

Als das ältefte Erzeugniß der neugriech. Literatur gilt eine Chronik von Simeon Sethos 
(1070-80), der am Hofe des Alexius Komnenus I. Protoveftiarios war, und in welcher der 
Vellidialekt zum erften mal als Schriftfprache auftritt. Als der erfle neugriech. Dichter muß 
dagegen Theodor Prodromos oder Ptochoprodromos (in ber Mitte des 12. Jahrh.) angefehen 
werden, in de ſſen Dichtungen wir den erften Anfängen der neugriech. Dichtkunft begegnen, 
wennſchen fie in ber Sprache berfelben mehr Altgriechiſches erkennen laſſen, ald man er- 
wartet, Über bie fernern Werke in neugriech. Profa ift bis in das 18. Jahrh. nicht viel 
ya ſagen. Nach dem Untergange des griech. Kaiſerreichs machten längere Zeit hindurch 
bie Airhlihen Schriften, geiftlihen Neben u. f. w. die ganze Literatur aus, infofern über- 
haupt die Kirche damals das einzige Verhältniß war, in dem das griech. Volk eine Art 
polttifcher und Literarifher Eriftenz fand, wie denn auch an fic die griech. Kirche bei ber 
migen Anhänglichteit der Griechen an fie und an ihren Glauben die politifche und natio⸗ 
nafe Eyifien, der Griechen gerettet bat, und ohne fie das Band gefehlt Haben würde, das bie 
wich. Ration unter bem Drude ber türk. Paſchas und dem Übermuthe der Türken zufanımene 

Mit dem 18. Jahrh. änderte fich diefe Richtung in Folge des im Schoofe des griech. 
neuerwachten Lebens, und namentlich fanden bie Geſchichte und einzelne Zweige der 


142 Reugriechifche Sprache und Literatur 


philoſophiſchen Wiffenfchaften eine Art felbftändiger Pflege. Fütedie neuere Zeit bis zur Ge⸗ 
genwart, wo bie literarifche Thätigkeit der Griechen auf andere Gebiete felbftändig ſich verbreis 
tete und fich zu verfuchen begann, mögen folgende überfichtliche Andeutungen genügen, mobei 
jedoch die Rückſicht auf bloße ÜUberfegungen, fowie die Erwähnung ber vielen ausgezeichneten 
Griechen, die nur ald Xehrer zur geifligen Wiedergeburt ihres Volkes beigetragen haben, aus⸗ 
geichloffen bleiben muß. Auf dem Gebiete der Theologie hat die bereits 1783 in vier Bänden 
erfchienene Kirchengefchichte des Meletios, Erzbiſchofs von Athen, noch Heutzutage nicht 
geringen Werth. In neuefter Zeit machten ſich Theoklitos Pharmakidis und Theophilos 
Kairis (f. d.) als Dertreter des rationalen Princips und Konft. Dikonomos als Vertreter 
der kirchlichen Orthodoxie befonderd bemerklich. Bon Pharmakidis erfchien auf dem Gebiete 
des Kirchenſtaatsrechts eines der bedeutendften Bücher der neueften Zeit, nämlich die Schrift 
„Uspi aAmFelac” (1852), worin er die Freiheit der Kirche des Königreichs Griechenland von 
dem politifchen Einfluffe des Patriarchen in Konftantinopel mit fiegreicher Kraft und Entfchie 
denheit wahrte. Konft. Ditonomos fchrieb (1845) zwei Bände über bie Septuaginta, Konft. 
Kontogonis lieferte eine „Kritifche Gefchichte der Kirchenväter der erften Jahrhunderte” (2 Bde., 
4846—53), und eine Sammlung ber Kirchengefege der morgenländ. Kirche unternahmen 
1852 3.4. Rallis und Mich. Botlis. Von den philofophifchen aiffen Khefecn wurden feit 
dem Ende des 18. Jahrh. die Logik, Ethik, Phyſik, Metaphyſik, Rhetorik, Aſthetik und Mathe» 
matik felbftändig behandelt, und es begegnen uns hier befonder& die Namen von Dan. Philip 
pidis, Stephanos Dukas, Varbalachos, Neophytos Dukas, Kumas (f. d.), Benjamin Lesbios, 
Bambas, Diktonomos und Kairis. Auf dem Felde der Gefchichte lieferte ber genannte Philip 
pidis (1816) eine Gefchichte Rumuniens oder ber walach. moldauiſchen und beffarab. Völker⸗ 
(haften, Perräbos eine Gefchichte Sulis (1815) und Denkwürdigkeiten über den Freiheit 
kieg von 1820 (1836), dergleichen auch vom Erzbifhof Germanos (18537), ſowie von Theod. 
Kolokotronis(f.d.) eine Autobiographie „ O yepay Koloxorpavng” (1851) und „ Aropvmpo- 
veupnara” von Spiliadis erfchienen. Früher hatte Riſos Nerulos eine „Histoire de la Grece 
moderne” (1828), fowie Aler. Sutfos eine „Histoire de la r6volution grecque” (1829), ferner 
Surmeliß eine Geſchichte Athens zur Zeit des Freiheitskampfes (1834), Philimon ein aus 
führliches Werk über die politifche Hetärie (1854) und Chryfovergis eine Befchichte der Joni« 
ſchen Infeln (1834) heraudgegeben. Konft. Yaparrigopulos, der fich vorzüglich mit der Ge 
ſchichte Griechenlands im Alterthume und im Mittelalter befchäftigt hat (von ihm erfchien unter 
Anbderm 1852 ein „Handbuch der alten Gefchichte‘‘), und Anaft. Georg. Levkias fchrieben 1845 
gegen Ballmerayer über bie Abftammung der heutigen Griechen, und K. D. Schinas lieferte 
(1845) eine Gefchichte der alten Volker. Wichtige und interefiante Auffchlüffe über den mittel» 
alterlichen Hellenigmus gemährt die gelehrte und umfangreiche Abhandlung des Leufadiers 
Spyridon Zampelios vor feiner Sammlung der „ Aopara Önporura ns‘ EMadog” (Korfu, 
1852). Eine gute Geographie erfchien bereits 1791 von Philippidis und Konſtantas; 
Skarlatos Byzantios lieferte ein geographifch-hiftorifches Werk über Konftantinopel in zwei 
Bänden, dagegen N. Chortafis eine mathematifche und phufifhe Geographie, I. D. Stama- 
takis einen nach officiellen Quellen verfaßten „ILLva& xupoypapındc ns Erradoc” (1846), 
ZN. Valettas eine Geographie ded alten und neuen Griechenland, Angelopulos eine Statiftit 
von Piräos (1852), ſowie Rangawis (1855) eine geographifch-hiftorifch-archäologifch-ftatiftifche 
Beſchreibung des alten und neuen Griechenland unter dem Zitel „Ta EdAnvıx2”. Als poli- 
tiſche Schriftfteller verdienen befonderd Minas, Polyzoidis, Paläologo® (von ihm erſchien ein 
Bud, über Staatsökonomie, ſowie eine „I'sopyuen wat oluosen olxovonla”,1835)und Sari- 
polos (über das conftitutionelle Recht, 1851) erwähnt zu werden. Spyridon Valettas phi⸗ 
Iofophirte in mehren Dinlogen über griech. Sitten und Zuftände und behandelte einzelne politifche 
Bragen des Tages (3. B. Preßfreiheit) mit Geift und Gewandtheit. Auf dem Gebiete der 
Archäologie gab früher I. Sakellarios ein Werk über die griech. Alterthümer (1796), fowie 
neuerdings Pittakis ein Buch über das alte Athen und feine Alterthümer (1835), ferner Xler. 
Riſos Rangawis „Antiquites hellöniques” (4842) heraus. Für die bildende Kunft muß Ku: 
manudis ald Schriftfteller genannt werden. In der Philologie waren außer Korais vor- 
nehmlich Neophytos Dukas, Darbaris und Afopios in Bearbeitung der alten Claſſiker 
thätig, und auch Pikkolos, von dem unter Anderm ein „Supplement à l’Authologie grecque‘’ 
(Paris 1855) erfchien, darf hier nicht übergangen werben. Für altgriech. Lexikographie, ſowie 
zu tieferer Kenntmiß der alten und neuen Sprache lieferte Korais fhägbare Beiträge; eine mes 
thobifchere Grammatik der altgriedh. Sprache ſchrieb Neophytos Dukas unter dem Titel 


Reugriechifche Sprache und Literatur 143 


„I a’ (1804 und öfter), während im Allgemeinen Bambas, Afopios, Germabios u. A. 
ihre Bemühungen der altgrieh. Grammatik zumandten und namentlich eine Syntar von 
Bambas (1828) und von Aſopios eine hägbare Schrift „Ilepi AArpucns auvrafenc” (1841; 
4. Aufl, 1852) erſchien; eine Metrik der Alten lieferte bereitö früher Zenobios Pop (1805) 
und neuerdings (Athen 1851) 3. Benthylos. Auch die Grammatik anderer Sprachen, 3.3. 
der lateiniſchen, italienifchen und deutfchen, ward von Griechen (z. B. der Tateinifchen von Ka⸗ 
ſtorchis, der italienifhen von Samurfafis) bearbeitet. Von Skarlatos Byzantios erfchien ein 
neugriech. Wörterbuch (1855), fewie ein altgriechifche (1859); dagegen ein franz. und griech. 
von Rangamwis, Sanurkafis und N. Lewadievs (1842) und ein „Askurov dnvuxöv xal 
yaddrueov” von Skarlatos Byzantios (Athen 1846). Die Literaturgeſchichte und zwar bie alt- 
geiechifche behandelten Anthin. Gazis, Dim. Alerandridid und K. Aſopios (,‘Icropla 
zöv 'Eiinvov Howmröv xal Zuyypapeov” (Bd. 1, 1850), die neuere Steph. Kanellos 
(in den die Grundlage von Iken's „Leukothea“ bildenden Briefen) und Riſos Nerulos 
(„Cours de litterature grecque moderne”, 1834); U. Pappadopulos Bretos gab eine 
„ EXdmvoen Beßdroypaopla” (1845) heraus. Die „Indifchen Überfegungen” von Dim. Ga- 
lanos, wovon bis 1853 fieben Bände erfchienen find, verdienen hier, aud) wenn fie indifche 
Dihtumgen u. dgl. aus dem Sanskrit im Gewande der altgrieh. Sprache enthalten, eine 
befondere Erwähnung. Von dem bekannten A. Chriſtopulos erfchienen 1853 „EAAnvuca 
apyazodoyruara”, literarifchen und linguiftifchen Inhalts, namentlich über die alt« und neu- 
griech. Sprache. Im Romane verfuchten ſich Aler. und Panag. Sutfos; Erfterer fchrieb einen 
politifchen Roman: „O ’EEöpıotog Tod 1831 Erovc” (1834; deutfch, Berl. 1837), Legterer 
nen mehr philofophifch-politifchen: „Adavdpoc” (1835). Als politifcher Redner aus ber Zeit 
bed Freiheitskampfes ift Tritupis zu nennen, von dem eine Heine Sammlung politifcher Reden 
erſchienen ift (1829) ; und im Allgemeinen hat daß in dem griech. Volke vorhandene Talent zur 
politifchen Beredtfamteit ſich namentlich auf dem Nationalcongreffe von 1845—A4 beurkunbet, 
wogegen als geiftlicher Redner aus früherer und neuefter Zeit der obgenannte Konft. Ditonc 
mos einer befondern Erwähnung werth ifl. Auch dad durch die Errichtung ber Univerfität in 
Athen hervorgerufene wiffenfchaftliche Leben in Griechenland gab ſich literarifc, infofern fund, 
als mandye der Lehrer für ihre Vorlefungen befondere Leitfaden drucken ließen, bie auch wiffen- 
fhaftlihen Werth haben Eine namentliche Erwähnung verdienen ald Frucht felbftändiger 
Tätigkeit bie ausführliche Anatomie des verftorbenen Profefford der Anatomie, Dim. Aler. 
Maurokordatos (1836), ferner die Schriften des Profefford der Theologie Kontogonid über 
altgriech. Mythologie (4837) und hebr. Archäologie (1844), des Profefford ber Chirur- 
gie Olympios über die phufifche Erziehung ber Kinder (1837), von Mamrojannis über bas 
Klima von Athen (1842), von Bambas ein Handbuch der geiftlichen Beredtfamfeit (1851) 
a.f.w. Einen beftimmten Bereinigungspunkt für wiffenfhaftliche Thätigkeit der Gelehrten 
bot ſich in der feit 1840 in Athen erfchienenen mwiffenfchaftlichen Zeitfehrift „Ebgwraix'< 
"Epanorng” dar, welche theils felbftändige Auffäge, theild Kritiken enthielt und einen gu⸗ 
ten Gradmeſſer für den Gehalt und Werth der Iiterarifchen Befchäftigungen der gelehrten 
Griechen gewährte. Auch fonft Dürfen hier die neugriech. Zeitfchriften nicht vergeffen werden, 
welche fchon früher und bereits vor 4824 außer Griechenland, mehr aber in ber fpätern Zeit 
GPOckonxöe Zuvexdmuog”, feit 1848, „Davdopa”, feit 1851) und bis in die neueften 
Zage in Griechenland erichienen und in der Hauptfache theils politifchen Inhalts waren, theile 
wiffenfche Zwecke verfolgten und felbft einzelne Bacher (theologifche, juriflifche, medi⸗ 
ciniſche, archaͤologiſche, militärifche, technologifche Zeitfchriften) vertraten, wie denn auch feit 

852 eine „Bolksbibliothel” zur Aufffärung des Volkes in Athen erfcheint. Aber leider ift 
zur Ungebühr und auf Koften der Wiffenfchaft und Literatur bie literarifche Kraft des Volkes 
den Zeitfchriften zugemendet worden. 

Was die neugriech. Poeſie betrifft, fo muß zwiſchen der Volksdichtkunſt und der gelehrten 
ober Kunſtpoeſie unterfchieden werden. In ber Volksdichtkunſt offenbart ſich die ganze Elaſti⸗ 
tät und Beweglichkeit des unvermüftlichen griech. Volkögeiftes, der volle Reichthum des poe⸗ 
tifchen Volks ſinns und Volkscharakters in feiner Innigkeit, Naivetät und Energie. Namentlid) 
die Klephthenlieder und die aus ber Geſchichte bes Freiheitskampfes felbft herſtammenden Volks⸗ 
gefänge gleichen dem gediegenen Bold ber Berge und find wahre Blätter ber Befchichte, bie man 
fammeln follte, ehe die Beit fie wegwaͤſcht und ehe fie mit ber Generation felbft abfterben, bie da 
lämpfte. Die andern Volkslieder, theild Meine bunte Bilder eines beweglichen Lebens im häus⸗ 
lichen Kreife, ober in ber Ratur, oder im gefelligen Beiſammenſein, theils Erzeugniſſe einer eb» 


144 Nengriechiſche Sprache und Literatur 


lern Nomantik find in ihrer Gemüthlichkeit und Zartheit, in dem rührenden und ſchwärmeriſchen 
Sinne und Ausdrude, der ihnen eigen ift, wie die frifchen Blüten des Frühlings ober wie der 
ungefünftelte Gefang der Vögel. Alle diefe Volkslieder umfaffen und bringen bie innere Welt 
der Leiden und Freuden des griech. Volkes, das fich felbft bei dem Mangel eines öffentlichen 
Lebens durch Gefang zu entfchädigen und die Sehnfucht nach einem beſſern Zuftande unver- 
tümmert zu erhalten wußte, zur Anfchauung. Auch die Kunftpoefie ber Neugriechen läßt den 
Geiſt und den poetifchen Sinn des Volkes erfennen, der fich bereits in verfchiebenen Gattungen 
ber Dichtkunſt nicht ohne Glück verfucht hat, wiewol gerade hier zum Theil erſt eine eigene poe⸗ 
tifche Sprache zu ſchaffen war. Aus dem 16. Jahrh. ift ein Ritterroman in Verſen „Eroto⸗ 
kritos“, von Vincenz Cornaro, auf uns gefommen, dad umfangreichfte griech. Gedicht feit Kon- 
ftantinopels Fall, das bei den Griechen in hohem Anfehen fleht und eine große Popularität er» 
langt hat. Dann verdient ein Trauerfpiel, Erophile“, von Georg Chortagis, aus dem 17. Jahrh., 
ferner ein Gedicht „Der Kampf ber Elemente”, fowie eine Idylle, ,Voskopula“ (Die Schäferin), 
und aus dem 18. Jahrh. ein gereimtes Gedicht, „Booropon.ayla” (Der Wettſtreit der beiden 
Ufer des Bosporos), ſowie eine erotifche Erzählung „Kleanthes und Abrokome“ befondere Er⸗ 
wähnung. Aus dem Anfange des 19. Jahrh. ftammt ein kleines fatirifches Drama „Pooo- 
’Ayydo-T'Mog” (Der Ruffe, Engländer und Franzofe), in dem bereits ein durch die Zeitereig- 
niſſe veranlaßter nationaler Freiheitsdrang fich Fund gibt. Damals hatte fchon Rigas feine 
berühmten Kriegs⸗ und Freiheitshymnen gefungen, und die Nation hatte fie begeiftert in fi 
aufgenommen. Später, nach ber Erhebung des griech. Volkes, 1821, fangen Panagos und 
ler. Sutſos, Kalmos, Salomos, Rifod Nerulos und Angelita Yali Hymnen, Oden und Eile 
gien von Kanıpf und Freiheit, beflagten die Unglücksfälle und Leiden ihrer Randsleute und 
feierten bie Helden und die Großthaten des Kampfes. Neuerdings hat fich diefer Richtung auch 
Karatſchutſchas mit Glück angefchloffen. Zugleich huldigten beide Sutfos (f. d.) in ihren pa⸗ 
triotifchen Dichtungen der Satire, namentlich gegen den Präfidenten Kapodiſtrias und beffen 
Partei (1830), vornehmlich aber Alex. Sutfos vor und nach 1843, wie nicht minder Orpha⸗ 
nidis. Der Igrifchen Gattung gehören ferner an: Zachar. Mavrudis („Der Traum“, auf den 
Tod der Maria Ghika, und „H vooradyla”, Wien 1808, voll poetifcher Schönheiten), ſowie 
Perdikaris, gleichfalls fatirifch ; Chriftopulos (f.d.), der „neue Anakreon“, mit feinen Kiebeslie- 
dern und bacchiichen Befängen voll Gefälligkeit, Kieblichkeit und Anmuth, und fein Gegenfag, 
Sakellarios. In ähnlicher Weiſe, wie Ehriftopulos, deſſen Lieder das Volk nachfang, Dichtete ſpä⸗ 
ter auch Panagos Sutfos und Tantalidid. In der dramatifchen Dichtung verfuchten fich Rifos 
Nerulos, von dem es theild die Zrauerfpiele „Polyrena” und „Aspaſia“, theils einige komiſch⸗ 
fatirifche Dichtungen gibt; ferner Pikkolos (‚Der Tod des Demofthenes‘), Zampelios („Timo⸗ 
leon”, „Konftantin Paläologos“ und „Rigas”), Evanthia, die Schwefter des gelehrten und 
aufgeflärten Theologen Theophilos Kairid in ihrem bie Kataftrophe von Miffolonghi 1826 
fhildernden Zrauerfpiel „Nikiratos“; Rangawis in feinem patriotifch-hiftorifchen Trauerſpiel 
„Der Vorabend”; Panages Sutſos in feinem „Wanderer und einigen hiftorifchen Trauer⸗ 
fpielen aus der neueften Geſchichte Griechenlands, 3.3. „Euthymios Blachawas“ und „Ka⸗ 
raiskakis“; ebenfo Aler. Sutfos in feinem „Markos Botſaris“. Unter den Griechen, die Luft 
fpiele gebichtet haben, find befonders Churmufis („‘O Tuyoöusung”, 1835, „O Asßoiv- 
ns" und „ O Durapyopoc”), ſowie namentlich Nangawis die Hochzeit des Kutrulis“, deutich 
von Sanders, 1849), ferner Alex. Sutſos für das politifch-fatirifche Drama (,, O IpoTurcoup- 
vos" und „O Arlsascog rounenc”, 1843) zu nennen. Boll Spott und Scherz iſt auch 
die Mufe des Rifos Nerulos ; von den beiden Brüdern Panagos und ler. Sutfos, bie jeden⸗ 
falls die originellften und fruchtbarften Dichter bes neuen Griechenland find, tft namentlich 
Panagos mehr ernft und tieffinnig. Von Legterm gibt es auch ein didaktifches Drama „Mef« 
find”, voll erhabener und tiefer Gedanken, wenn auch nicht ohne Schwulft. In dem komiſchen 
Epos „Der Raub ber Truthenne” gab Rifos Nerulos (f.d.) ein lebendiges Bild der Sitten 
und bed intriganten Charakters und Treibens der Banarioten. An hiftorifch-epifchen Dich⸗ 
tungen verdienen aus einer frühern Zeit die des Manthos Joannu aus Janina aus ber 
erften Hälfte des 18. Jahrh., darunter „Zuppopa xat alyurwala Mupeuc”, und aus der 
neueften „Anpos # "Exdvn“ von Rangamis Erwähnung. Das bedeutendfte neuere griech. 
Epos bleibt „Der Voltsverführer” von Rangamis, das die Befchichte des montenegrinifchen 
Mönche Stephanos, eines der falfchen Peter TIL. unter Katharina IL., behandelt, obgleich neuer- 
dings auch in biefer Gattung Aler. Sutfos in feinem Biftorifchen Epos „H Tovpxopayos 
Ediag” (wovon aber nur vier Gefänge 1850 im Drude erfchienen), ſowie Zalakoftas in ſei⸗ 


Reuguiden 2 


ebichte auf bie Kataſtrophe von Miffolonght (1851) und „Die Armatolen und bie 
ven” (1855) beachtenswerthe Proben ihres Talents gegeben haben. Zu ber romantiſch⸗ 
olitiſchen Gattung möchte man aud ben „Umherirrenden“ von ler. Sutfos rech⸗ 
bem er die Geſchicke feines Vaterlandes beiveint und den Ruhm Griechenlands 
im Gedicht, das von feinen Landsleuten worgüglich wegen ber Melodie und Kraft ber 
herrſchenden Sprache hochgeſchaͤzt wird. Jedenfalls aber müffen unter allen fo. ver- 
artigen Dichtungen des Aler. Sutſos deffen erfte Satiren als das Vorzüglichſte gelten, 
e neugriech. Poefie der neueften Zeit aufzumeifen bat, und in Betreff des Panagos 
gilt dies von einzelnen Stellen feines „Wanderer“ umb bed „Meſſias“. Endlich mögen 
—* duperft em —— er Si es —* namentlich 
a6 das iet ichtung anlangt, beſonders 08 ( oou Kapspya 
3358) und Rangawis genannt werben. 
ı ba in vorſtehender kurzer Zufammenftellung über Die neugriech. Literatur Bemerkte 
umgenügenbes Bild Deſſen gewähren, was in ihr verfucht worben und was fie ift, fo 
tdoch zugleich dieſe Zufammenftellung die Übergeugung, baß nicht geringe Kräfte in 
ech. Volke unferer Tage fchlummern, bie nur geweckt und gehörig gepflegt werben müſ⸗ 
it fie die Hoffnungen erfüllen, bie fie erregen, und daß das neugriech. Volk die Beachtung 
‚ bie es neuerdings theilweife gerade in diefer Dinficht gefunden bat. Vgl. über Die neuere 
z und Sulturgefchichte der Reugriechen im Allgemeinen : Villemain, „Lascaris” (1825); 
ea’' (1825); „Eunomia” (1827); Riſos Rerulos, „Cours de littörature grec- 
‚derne” (18275 deutich, 1827) ;.Brandis, „Mittheilungen über Griechenland” (Bb. 3, 
Bir die neuere Poeſie indbefondere ift Eliffen’6 Verſuch einer Polyglotte ber europ. 
(8b. 4, 1846) ein trefflicher Führer und Exfärer, während der 1841 in Athen er⸗ 
e ı EiinuxöcTlapvasads” den großen Reichthum der neugriech. Kunftpoefie erfennen 
uw nähern Erkenntnig ber Volkspoeſie dienen bie Sammlungen: „„Chants populaires de, 
e moderne par Fauriel” (2 Bde, Par. 1824-25, deutfch von Wilh. Müller, 2pz. 
yon einem Ungenannten, Kobl. 1825); Schmidt-Phifelbed, „Reugriech. Lieder” 
w. 1827); Kind, „Reugriech. Volkslieder” (Rpz 1827; Lpz. 1849); „O’Apd- 
va doda Tig Avayswısslor "Eradoc” (Wetersb. 1845); M. de Mar- 
t du peuple en Gr&ce” (2Bde., Par. 1851); „A Imporıxa TG 
no" (Korfu 1852) von Spyridon Zampelios. Die „NReugriech. Poefien” von Th. Kind, 
ste (2p5. 1833), fowie Deffen „Nedriech. Anthologie” (1. Böchn., Lpz. 1845) um- 
eis Bolkblieder, theils Kunſtgedichte. Ebenfo berüdfichtigt Kind's, Neugriech. Ehre 
e⸗ ( Zpʒ. 1835) die Poeſie und Proſa gleichmäßig. Literariſche und ſonſtige auf bie 
eſchichte der Neugriechen Bezug habende Nachweiſungen und Mittheilungen bieten 
eſſen „Beiträge zur beſſern Kenntniß des neuen Griechenland” (Neuft. a. d. D. 1831). 
ine Sammlung „Neugriech. Volks» und Kreibeitslieber” (Grünb. und Lpz. 1842) ge- 
jefere Blicke in die neugriech. Volkspoefie, und für Kenntniß der neuem griech. Dicht- 
ı Hügemeinen, namentli aber der Volksdichtkunſt ift Sanders’ „Das Volksleben ber 
chen“ (Manh. 1844) eine reichhaltige Zufammenftellung. | 
guinen oder Papua, nächſt Reuholland, von bem eb durch die Torresſtraße getrennt ifl, 
re Inſel Auftraliens, von 149 — 166° 5. 2. und Y,—10° f. Br., wurde von fpan. See⸗ 
15238 und dann wieder 1543 entdedit. Sie bildet mit ben um fie her liegenden Heinern 
ve norbiweftlichen Anfang ber Neuholland nach Süboften hin umgebenden Reihe der 
en Innerauftralifchen Infeln und bat eine Ränge von 240, eine Breite von 86 M. und 
Adhenzaum von 10000 AM. Das Innere ift noch gänzlich unbekannt und nur Die Ku- 
His neueſter Zeit etwas mehr unterfucht worden. Nach dem äußern Anblid zu urtheilen, 
8 gebirgiger Natur, mit zwei Vulkanen auf der nörblichen Küfte, die jäh auffleigt 
e Berge im Hintergrunde zeigt. Rings umber bildet fie äußerft malerifche und roman⸗ 
sfichten. Die nahe ans Ufer tretenden, eine Höhe von 3—9000 F., im Weften fogar von 
. en Gebirge zeigen ſich in ben mannichfaltigften Formen. Was das Klima 
fo iſt ed, wie e& bie Lage der Infel mit fich bringt, burchauß ein tropiſches; die Ungeſund⸗ 
e Küften iſt berüchtigt und bat bis jegt jede europ. Anfiedelung für die Länge unmöglich 
. Die Blora trägt noch faft ganz den Charakter der des Indiſchen Archipels und liefert 
ich Brotfruhtbäume, Cocos · und Sagopalmen, Pifang u. f. w. Dagegen beginnt bier 
h der durch ihre Armuth an vierfüßigen Thieren merkwürdigen Fauna Auſtraliens (ſ. d.). 
Ber. Zechnte Aufl. XL 10 

















146 | Neuhampfhire 


Insbeſondere aber bildet N. mit den benachbarten Salomonsinſeln (ſ. d.) das bie jegt wenig be⸗ 
Bannte Gebiet ber Paradiesvögel. Auch gibt ed in N. Kängurus, den gefleckten Phalanger, das 
Neuguineaſchwein und ben Papuahund, der der Stammovater aller wilden und zahmen in Au⸗ 
ſtralien einheimifchen Hunde fein fol. Die Bewohner beftehen, außer einigen wenigen malayie 
ſchen Stämmen an ber Küfte, !oie den zum Theil mohammed. Babfchus, aus Papuas (f-d.), 
die bier auf keiner fo niedrigen Stufe ber Cultur fliehen, wie ihre Stammgenoffen auf Neuhol« 
land und anderwärts. In dem Innern der Infel lebt jeboch ein roherer Stamm, die Hanaforen 
(f. d.), bier Arfakis oder Eudamenen genannt. Ein regelmäßiger Verkehr mit N. findet nicht 
ftatt; nur der nordmweftliche Theil der Infel wird von malayifchen und chineſ. Schiffen befucht, 
welche hier Paradicsvögelhäute, lebende Loris, Tripang, Schildpatt, Zabad und Sklaven ho- 
len. Die Holländer haben an der Tritonbai oder Südweſtküſte eine Nieberlaffung mit dem Fort 
Dubus, geben aber ihre Befigungen in”. auf nicht weniger als 3ZL1VAM. mit 200000 €. an. 
Neuhampfhire (engl. New Hampshire), einer der nordöftlichften der Vereinigten Staaten 
von Nordamerika, im N. von Untercanaba, im O. von Maine, im SO. vom Atlantiſchen Meere, 
im S. von Maffachufetts begrenzt, im W. durch den Eonnecticutfluß von Vermont getrennt, 
hat auf 458 QM., wovon 166 urbar gemacht und bebaut find, eine Bevölkerung, die ſich von 
1790-1850 von 141899 auf 517964 Seelen (darumter 475 freie Farbige) oder um 124 
Proc. vermehrt hat. Der kaum AM. lange Küftenftrich bildet einen ſchmalen und im Allge- 
meinen fandigen Strand mit Mündungen geringerer Flüffe, geringern Einfchnitten und Buch⸗ 
ten und wenigen Häfen, wie am Ausfluß des Yiscataqua bei Portsmouth, welcher den einzigen 
Hafen des Landes, aber auch einen der vortrefflichften ber Vereinigten Staaten bildet. Etwa 4 — 
‚GM. Hinter dem flachen Meereöftrande erhebt ſich der Boden allmälig und wird beffer; weiter 
landeinwärts folgt Hügelland und im Norben völlige Bebirgsland. Die Hauptkette, eineFort- 
fegung des Alleghanygebirgs und mit einigen der höchften Berge deffelben, beginnt zwiſchen 
bem Connecticut und Merrimac, zieht fich nördlich an den Quellen des letztern hin und bildet die 
Thäler diefer beiden Flüffe. Die höchſten Gipfel find der Grand-Monadnock, der Sunapee an 
dem gleichnamigen See, weiter nördlich der Moofehillod, noch weiter nördlich die Gruppe des 
Meißen Gebirgd (White Mountains), die ſich in majeftätifcher Pracht erhebt umb in ber 
höchſten Spige, dem Mount Wafhingten, bis zu 6234 F. Höhe auffteigt. Berühmt ift durch 
feine wilbromantifche Scenerie das Noich oder Gap in the White Mountains, eine tiefe Berg- 
fpalte an der MWeftfeite, welche an einer Stelle nur 22 F. breit iſt. Durch fie führt die 
Straße von Portland nad) Kancafter in Connecticut ben obern Sacofluß entlang. N. ift fehr 
reichlich bemäffert, jedoch mehr durch viele große Kandfeen als durch große Flüffe. Unter 
den erftern, die wol gegen I QM. einnehmen, ift der größte der Winnipifeogee, 23 engl. 
M. Tang und 2—IOM. breit. Unter den Flüffen find der Merrimac und an der Weftgrenze 
der Connecticut die bedeutendften. Das Klima ift großen Ertremen von Winterfälte und Som⸗ 
merbige unterworfen, aber nicht ungefund. Der Boden ift im Allgemeinen ziemlich fruchtbar 
und an den Flußufern zum Theil fehr ergiebig ; in den höhern Gegenden eignet er ſich mehr zur 
Viehzucht als zum Aderbau. Befonders werden Kartoffeln, Hafer, Gerfte, Roggen und Mais, 
auch Weizen und Dopfen gebaut ; Butter, Käſe und Wolle, fowie Ahornzuder gewinnt man in 
Menge; Apfel und Birnen verwendet man zu Eider. Die wichtigften Waldbäume find Eichen, 
Birken, Zuderahorn, die canadifche Fichte und die Weymouthskiefer. Neuerdings hat man 
reiche Kupfer- und Eifenerze aufgefunden; eifenhaltige Heilquellen gibt e8 mehre, und bei Che⸗ 
fter fprudelt eine Schmefelquelle. Aderbau ımd Viehzucht bilden die Haupterwerbszweige; doch 
hat N. auch eine ztemlich ſchwunghafte Induftrie, welche, von ber Waſſerkraft unterflügt, ſich 
vorzugsweife ber Verarbeitung der einheimifchen Wolle, fowie ber Baummollen-, Papier- und 
Lederfabrikation befleifigt. Außerdem bilden Waldwirthfchaft, Seehandel und Fifcherei ergie- 
bige Nahrungsquellen. Die Hauptgegenftände der Ausfuhr Tind Bauholz, Fiſche, Rind- und 
Schmweinefleifch, Pferde, Schafe, Perlafche und Pottaſche. In den Iegten Jahrzehnden hat in⸗ 
deß der überfeeifche Handel merklich abgenommen. Die 16 Eifenbahnen ven N. haben eine 
Länge von 542 engl.M. Die Finanzen find in gutem Stande ; die Gefammtausgaben beliefen 
fi 1851 —52 auf 202004, die Einnahmen auf 209988 Doll., die ganze Staatöfchuld auf 
nur 66195 Doll. Die Zahl der Banken beläuft fi) auf 31, die 1853 für 3,009405 Doll. 
Noten in Umlauf fegten. Für den Unterricht forgen vier höhere Lehranftalten, unter welchen 
das Dartmouth-Eollege zu Hanover am bedeutendften ift, 68 Akademien oder Mittelfchulen 
- und 2284 Volks- oder Diftrictsfchulen. Die erften Anfiedelungen in N. fallen in das 3. 1625. 
Eine befondere, von Maffachufettö abgefonderte Provinz wurde es 1679; die Unionsverfaffung 


Reubannover Neuhof 147 


aahm es 21. Juni 1778 an. Die Conſtitution wurde 1784 gegeben und 1792 abgeändert. 
Diefelbe ift num in geringen Maße demokratiſch. Die egecutive Gewalt ift dem Gouverneur, 
der 1000 Doll. Gehalt bezieht, und einem Beirathe von fünf Mitgliedern übertragen. Die 
kegislatur (General-Court of N.) übt ein Senat von 12 und ein Repräfentantenhaus von 250 
Ditgliedern. Alle Wahlen find jährlich. N. fendet zwei Senatoren und drei Repräfentanten 
am Gongreß und ift in zehn Gounties eingetheilt. Die politifche Hauptſtadt ift Eoneord, am 
ſchiffbaren Merrimac, 16'/% M. nördlich von Bofton, mit dem es in Kanalverbindung fcht. 
Bie zählt 85354 E. und bildet den Knotenpunkt für mehre wichtige Eifenbahnen (nad) Bofton, 
aach dem Champlain und nad) Canada). Die größte Stadt aber und die einzige Seeſtadt ift 
Bortſsmouth, auf einer Landzunge an der Sübfeite bes Piscataqua, /;M. vom Meere gelegen, 
wohl gebaut, mit fchönen öffentlichen Gebäuden, acht Kirchen, fieben Banken, einer Akademie, 
yem Athenäum nebft Bibllothet und naturhiftorifcher Sammlung. Sie zählt 9739 E., hat be» 
xutenden Schiffbau und Seehandel, ſowie Antheil an der Kabeljaufifcherei und unterhält Ger⸗ 
vereien, Mehlmühlen und Manufacturen. Der Hafen ift vortrefflich wegen ber ſtarken Strö- 
nung bei Ebbe und Flut, die hier 10 F. hoch fteigt, Faft immer eisfrei und durch mehre Kaftelle 
vertheibigt. Auch an der an der Oſtſeite des Piscataqua liegenden Infel Navy⸗Island befinden 
ich bedeutende Schifföwerften ber Bundesregierung. Die volkreichfie Stadt ift Mandefter, an 
en buch einen Schiffahrts kanal umgangenen Amoskeagfällen des Merrimac gelegen. Ihre Bes 
röfferung wuchs von 1840— 50 (mit dem Fabrikort Amoſskeag) von 3235 auf 13733 Seelen 

Nenuhannover, |. Reubritennien. 

Neuhäuſel (ungar. Ersek Ujvär), ein Marktflecken und Hauptort eines Etublgerichts im 
Bomitate Unter-Reutra im presburger Diftricte Ungarns, am Neutrafluffe und an der Südoſt⸗ 
am, mit 6700 E., einem Franciscanerflofter, Bath. Dauptfchule, Mädchenerziehungs- 
wmflalt, flarker Viehzucht und Landwirthſchaft, war früher, bis 1724 fümmtliche Werke ge- 
chleift wurden, eine wichtige Feſtung und hat während ber Berhlen’fchen und Rakoczy'ſchen 
Inruhen, fowie in ben Türkenkriegen mehrmals eine wichtige Rolle gefpielt. In dem für den 
Ratter Leopold I. fo unglücklichen Türkenkriege von 1661 wurde die Stadt von bem Großvezier 
Achmed Köprili 16. Sept. 1663 erftürmt und blieb nun in den Händen ber Türken, bis fie der 
Herzog Karl von Lothringen 19. Aug. 1685 mit Sturm eroberte. 

Reubebriden, eine Infelgruppe im Stillen Ocean, in der Reihe der innerauftralifchen In⸗ 
ein, Tübofllich von der Gruppe von Neubritannien (f. d.), auch Heiliger⸗Geiſt⸗Archipel, die 
Broßen EyPladen ober Quirosarchipel genannt, gehören au den auftralifchen Hohen Infeln 
on vulkaniſcher Bildung und find insgefammt mit Bergen bedeckt, von benen einige noch Feuer 
uöwerfen. Sie haben mildes, Liebliches Klima und der Boben ift fruchtbar an auftralifch-tro« 
iſchen Producten; namentlich aber zeichnen ſich die ſchönen Waldungen aus, bie Sandelholz 
n Menge liefern. Ihre Bevölkerung, die man auf 160000 Köpfe ſchätzt, befteht aus Papuas 
f.d.). Diefelben find betriebfam in der Bobencultur, haben Sinn für Mufit und Sefang, mö⸗ 
en im Allgemeinen auch gutherzig fein, find aber, wenigſtens auf ben größern Infeln, Men- 
| er. Die Hauptinfel des Archipels, Efptritu- Santo oder Heilige-@eift-Infel, ift 
KOM. groß; die nächfigrößte Mallicolo fol auf 29 AQM. 30000 E. zählen. Auf Erro- 
uango Haben die Engländer und Nordamerikaner Nieberlaffungen zur Ausbeutung der großen 
Banbeiholzwaldungen gegründet. Auf derfelben Infel ward 20. Nov. 1839 der berühmte 
Riffonar Williams nebft einem andern Engländer von den Eingeborenen erfchlagen und ge 
reſſen. Auf Tanna find fchon feit 1839, auf Paum, Ambrym, Api oder Sandwich aber feit 
1849 evang. Miffionare thätig. 

Renhof (Theodor, Baron von), König von Eorfica, flammte aus einer abeligen Familie in 
Beflfalen. Sein Vater war Hauptmann ber bifchöflich-münfterfchen Garde und ftarb 1695. 
Fr ſtudirte im Sefuitencollegium zu Dünfter und dann zu Köln, wo ex einen jungen Mann aus 
mem bedeutenden Haufe im Zweikampf tödtete. Deshalb flüchtig, wendete er fi nach dem 
Jaag. Durch die Vermittelung des dafıgen fpan. Gefandten erhielt er eine Lieutenantöftelle in 
inem fpan. NRegimente, das gegen bie Mohren in Afrika beflimmt war. Er war Hauptmann, 
18 ex bei einem Ausfall aus der Feſtung Dran in bie Hände ber Mohren gerieth, die ihn bem 
Yei von Algier auslieferten, ber ihn 18 3. als Dolmetfcher gebraucht haben fol. Als die Cor⸗ 
kaner nach mehren mißlungenen Verfuchen, ſich und ihre Infel von den Bebrüdungen Ge⸗ 
mas zu befreien, 1735 eine eigene Regierungeform einzuführen beabfichtigten und die Deis 
von Tunis und Algier um Unterflügung angingen, fenpeten ihnen dieſe unter 9 6 Oberbefehl 


148 Neuholland Neujahrsfeſt 


zwei Regimenter. Schon im folgenden Jahre ernannten ihn die Corſen unter dem Namen 
Theodor L zu ihrem Könige. Um auswärtige Verbindungen anzuknüpfen, ging er im Nov. 
1736 nach Holland, von wo er im nächſten Jahre mit vielem Kriegsgeräthe zurückkehrte, das 
er von einigen Handelshäuſern, denen er Hoffnung auf einen vortheilhaften Baumölhandel mit 
Corſica gemacht, erhalten hatte. Indeß ſchon 1738 unterwarfen franz. Hülfstruppen Corſica 
von neuem den Benuefern, ſodaß N. zur Flucht genöthigt war. Als die Sranzofen 1741 wieder 
abgezogen, entftanden zwar neue Unruhen, die auch N. für feine Zwecke zu benugen fuchte; al 
lein er vermochte fich nicht zu halten und flüchtete nach England, mo er, von feinen Kieferanten 
verfolgt, Schulden halber verhaftet wurde. Zu feiner Freimachung veranlaßte der-brit. Minifter 
Walpole 1756 eine Subfeription. N. befriedigte davon im Accorde feine Gläubiger und ftarb 
im Dec. 1756. Seine Freunde fegten ihm ein Denkmal mit der Infchrift: „Das Glück gab 
dem Manne ein Königreich und verfagte ihm im Alter Brot.” . 

Neuholland wird das Feftland von Auſtralien (f. d.), der Auftralcantinent, genannt. 

Neuilly, ein Dorf weftlich von Paris an der Seine, eine halbe Stunde von der Barriere be 
ſEtoile, von mo eine herrliche Baumſtraße, bie fogenannte Avenue de Neuilly, gerade barauf 
zuführt. Es ift berühmt durch feine ſchöne Brüde, feine zierlichen Landhäuſer und bie Hübfchen 
Aus ſichten, die es darbiefet. Im 3. 1606 war hier blos eine Fähre. Heinrich IV. aber, der mit 
feiner Gemahlin beim Überfegen bald das Xeben verloren hätte, Tieß eine hölzerne Brüde 
errichten, die indeffen nicht lange ftehen blieb. Die jegige Brücke, nach dem Riffe des Archi⸗ 
teften Perronnet 1768 — 72 aus großen Duaberfteinen gebaut, ift faft fo breit wie ber 
breite Fahrweg und 750 F. lang. Das Ganze bildet ein Prachtwerk von antit-röm. Anfes 
hen. Die Hauptzierde von N. war fonft der Sommerpalaft Ludwig Philipp's, in einem herr⸗ 
lichen Park von etwa 100 Morgen gelegen. Der König empfing bier als Herzog von Orleans 
die Deputation bes parifer Stabthaufes, welche ihm nach ben Julitagen 1850 die Krone von 
Frankreich anbot. Am 25. Febr. 1848 wurde das Schloß von einer Herumfchweifenden Banbe 
geplündert und faft ganz eingeäfchert; nur ein Flügel blieb unverfehrt. . In Folge bes Eonfis- 
cationsdecrets gegen bie Güter des Haufes Orleans ift auch dieſes Befisthum 1853 veräußert 
worden. Während feines legten Aufenthalts in England hatte Ludwig Philipp von dieſer feiner 
Sommerrefidenz den Namen eines Grafen von Neuiliy angenommen. v 

Reujahrsfeſt bezeichnet die feſtliche Feier des erften Tags in einem Jahre. Sie mar ſchon 
der Alten Welt bekannt und beftand hauptſächlich in Opfern für Janus (1. d.). Auch die Reli- 
gion der Parfen kannte das Neujahrsfeft (No⸗ruz) und feierte e8 mehre Tage hindurch. Das 
Judenthum erhielt es durch Mofes (3. Mof. 23, 24; 4. Mof. 29), der zur Feier den Monat 
Ethanim (Tisri, nach unferm Kalender ungefähr am 27. Sept. beginnend) beftimmte. Die 
jüd. Feier befland vorzüglich in Brandopfern. Weil das Feft dur Trompeten» ober Pofaunen- 
[hal verkündet wurde, hieß es das Trompeten: ober Poſaunenfeſt, auch Sabbath bes Wla- 
fend. Den Chriften der älteften Zeit war die Kirchliche Feier des erften Tags im bürgerlichen 
Jahre durchaus unbekannt ; fie glaubten durch eine folche Feier in Gemeinſchaft mit den Heiden 
zu fommen. Ja wegen ber bei den Nömern zur Feier bes Feſtes gebräuchlichen Geremonien und 
Vergnügungen (f, Saturnalien) warnten felbft Synoden vor der Theilnahme an einem ſolchen 
Feſte, als einem Überrefte heibnifcher Seftlichkeiten. Eine ſolche Warnung erließ noch die Trul⸗ 
lanifche Synode zu Konftantinopel (692). Die Kirche feierte vielmehr das Feft ber Beſchnei⸗ 
dung Chrifti zugleich als Neujahrstag (das fogenannte Große Neujahr). Doch blieb man ſich 
darin nicht gleich ; denn bald rechnete man das Jahr nach dem Fefte von Maria Verkündigung 
(25. März), namentlich in Deutfchland bis in das 9. Jahrh., bald nad) der Geburt Jeſu 
(25. Dec.), bis in das 16. Jahrh. Außerdem bezeichnete.man in diefer Zeit allerdings auch den 
1. Jan. ald Neujahrstag. — Wie die Feier des Neufahrs, fo waren auch Neujahrsgeſchenke 
ſchon im alten Rom gebräuchlich. Ste gehörten zu ben Vorrechten der Patricier, und jeder Client 
hatte dem Patricier, den er zu feinem Patron erkoren, am Neujahrstage ein Feines Geſchenk zu 
bringen. Die Kaifer foderten nachmals einen gleichen Tribut von allen Bewohnern Roms, ja 
Caligula trat fogar in eigener Perſon vor die Thür feines Yalaftes, um bie Neujahrsgefchente 
einzufammeln. Auch bei den alten Deutfchen kommt bie Sitte der Neujahrögefchenke vor, bie 
ſich in Franken und Baiern am längften erhielt. Nach Einführung bes Chriſtenthums famen 
die Neujahrögefchente durch die Weihnachtögefchenke immer mehr außer Gebrauch; nur in 
Srankreich, wo man diefe nicht kennt, wurden fie beibehalten. — Was die Nenjahrswünfge 
betrifft, fo wurden diefelben ebenfalls fchon zu Rom den Magiftratöperfonen dargebracht. Der 


Neujerſey 149 


Gebrauch ging ſodann in die chriſtlichen Gemeinden über, blieb aber hier nicht in den Grenzen 
einer Ehrfurchtöbegeigung gegen Staatsbeamte ftehen, fondern wurde ein allgemeiner Gebrauch. 
Reujerſey (engl. New Jersey), einer ber nordamerik. Sreiftaaten, grenzt im N. an Neu« 
york, in D. an den untern Hudſon und an das Atlantifche Meer, im ©. an daffelbe Meer, 
im W. an Pennfglvanien und Delaware, von welchen Staaten e8 durch den Delaware 
fluß und die Delawarebai getrennt if. Der Staat hat ein Areal von 392’/, AM., wovon ber 
dritte Theil bebaut iſt. Die Oberfläche zeigt fich im nördlichen Theile, der von der öftlichen 
Kette der Alleghanys, der Blue Ridge, durchzogen wird, burchgängig uneben und zum Theil 
gebirgig, der mittlere Theil vorherrfchend hügelig; der größere füdliche Theil gehört der atlant. 
Küſtenebene an. Größere ſchiffbare Flüſſe fehlen bis auf die beiden Grenzflüfie, den Hudfon 
im Rorboften und den Delaware im Welten. Auch geftaltet ſich die Seeküfte für den Verkehr 
nicht günſtig, indem fie durchweg flach ift, tieferer Hafenbuchten entbehrt und wegen ber ihr vor- 
liegenden vielen Sandbaͤnke für den Seefahrer gefährlich if. Der Haupthafen des Staats, 
Perth-Amboy, an der Mündung des Rariton in bie Raritonbai, gilt nur als Hafen zweiter 
Slaffe. Die Bodenbefchaffenheit ift im Allgemeinen nur mittelmäßig. Beffere Diftricte finden fich 
im mittlern und nördlichen Hügel- und Bergland, welches legtere fich jedoch mehr zur Viehzucht 
als zum Aderbau eignet. Die ganze Küftenebene dagegen ift fehr mager und theilweife ganz 
Reril, in weiten Stredien noch mit bradigen Sümpfen, Eichengeflrüpp oder Kiefern bedeckt. 
Das Klima gleicht dem füdlichen Theile von Neuyork, ift zum großen Theil Seeflima, im In- 
nern jedoch fchon bedeutenden Eptremen unterworfen. In ber Küflenebene kommen viele zum 
Theil [ehr bösartige Wechfel- und Sumpffieber vor. Die Hauptproducte bed Landes beftehen 
in den Erzeugniffen der Landwirthfchaftz in dem nördlichen Theile des Landes finden ſich aber 
auch nugbare Mineralien, wie Kupfer, Blei und befonders Eifen, wozu feit 1850 noch ein er- 
giebiges Zinklager entdeckt wurde. Auch hat gegenwärtig das früher faft als unbrauchbar an- 
geſehene Holz der Küftenebene für das benachbarte Neuyork namentlich ald Brennholz einen 
bedeutenden Werth erhalten. Die Bevölkerung betrug 1702 nur 10000, 1850 bereits 489555 
Seelen, wormter 466240 Weiße, 23093 freie Farbige und 222 fogenannte Apprentices oder 
Lehrlinge, wie die frühern Sklaven nach der 1846 erfolgten Abfchaffung der Sklaverei genannt 
werben. Der wichtigfte Erwerbszweig ift Die Landwirthſchaft, namentlich hat die Viehzucht im 
nördlichen höhern Theile bed Landes bedeutende Ausbildung erlangt. Sehr außgebehnt ift auch 
ber Gemüſe⸗ und Obftbau, deren Producte in Neuyork und Philadelphia einen vortheilhaften 
Kbfag finden und zum Theil felbft nach Europa ausgeführt werben. Auch Obftmein und aus 
ieſem Echaummein wird in beträchtlicher Menge bereitet. Die Habrikthätigkeit, vornehmlich in 
Eifen, Baumwolle und Wolle, dann in Kutfchen, Wagen und ganz neuerdinge in Nadeln, ift 
sehältnifmäfig erheblich. Dagegen find Seehandel und Schiffahrt ganz unbedeutend, indem 
her die Goncurrenz von Neuyork und Philadelphia erbrüdend wirkt. Lebhaft wird die Küften- 
ahrt betrieben, während N. an der großen Seefifcherei gar keinen Antheil hat. Der Zmifchenver- 
ehr iſt durch die in neuerer Zeit ausgeführten Kanal und Eifenbahnbauten fehr belebt gewor⸗ 
ren, und der Staat bezieht fein Daupteintommen aus bem Tranfitogoll und ber Befteuerung des 
n den Eifenbahnen angelegten Gapitald. R. befigt ſechs bedeutende höherekehranftalten. Das 
Sollege von N. oder Naffau-Hal zu Princeton, 1738 gegründet, iſt eins der beften Inftitute 
Nefer Art in der Union, und die Damit verbundene Rechtöfchule hat großen Ruf. Rutger's⸗Col⸗ 
ege, Früher Dueen’8-Eollege, zu Reubraunfchweig 1770 gegründet, ift ebenfalls angefehen, fo- 
vie das 1846 errichtete College zu Buriington. Mittelfchulen gibt es gegen 70, Volksſchulen 
1612. Dem religiöfen Bekenntniſſe nach bilden bie Metbodiften die Mehrzahl der Bevölkerung. 
Die erften Anfiedelungen im Lande gingen von einigen Holländern aus, bie 1623 unter Corne⸗ 
Ins Mey ober May am Cap May landeten. Im 3. 1638 gründeten die Schweben einige Nie 
verfaffungen, wurden aber 1655 von neuyorker Holländern vertrieben, wie diefe ihrerſeits 1664 
von den Englänbern. N., wie die Colonie feitbem hieß, gab fich 2. Juli 1776 eine eigene Con⸗ 
finstion und nahm 19. Dec. 1787 die Verfaffung der Vereinigten Staaten an. Die gegenmär- 
ige Staatöverfaffung ift 2. Sept. 1844 in Wirkfamteit getreten. Nach derfelben werben bie 
Benatoren (jet 20) auf drei, die Repräfentanten (jegt 60) auf ein Jahr, der Gouverneur auf 
wei Jahre gewählt. Lepterer hat 1600 Doll. Gehalt und ift für die drei nächften Jahre nicht 
wieder wählbar. Zum Congreß der Union ſchickt N. jegt zwei Senatoren und fünf Repräfen- 
anten. Die Finanzen des Staats find in fehr gutem Zuftande. Seine öffentliche Schuld beli 
4.1. San. 1852 auf 764346 Doll, feine Einnahme 1851 auf 182168, die Ausgaben a 
180615 Doll. Am 1. Ian. 1852 beftanden 26 Banken, von benen 24 ein Gapital von 


10 Neulich Neuleon 


3,800766, ſowie 2,359013 Doll. Circulation und 664454 Doll. Boarvorrath hatten. Der 
Staat zerfällt in 20 Counties und hat zur politifhen Hauptfladt Zrenton am linken Ufer des 
Delaware, an ber obern Grenze feiner Schiffbarkeit für Sloops und Danıpfboote und nahe fei- 
nen Wafferfällen gelegen. Die Stadt wird von zwei Kanälen durchfchnitten und mit Neuyork 
und Philadelphia und andern Städten durch Eifenbahnen verbunden, ift regelmäßig gebaut, 
befigt ſchöne Privat» und öffentliche Gebäude, 14 Kirchen, ein Staatsirrenhospital, ein Lyceum 
und zählt 6766 E. Die Stadt wurde im Freiheitskriege durch die Schlacht von: 25. Dec. 1776 
befannt, in welcher Waſhingten 1000 Heffen zu Gefangenen machte. Der volkreichſte und 
lebhaftefte Drt bes Staats N. ift aber Newark (f. d.). Außerdem find bemerfenswerth: die 
Städte Neubraunſchweig (New Brunswick), an der Oftfeite bes Raritonfluffes, mit 7898 €. 
und dem fchon erwähnten Rutger's⸗College, ſowie dem damit in Verbindung ftehenden theo⸗ 
logifchen Seminar der nieberl. Reformirten; Peterfon, an den ſchönen Warferfällen des Paſ⸗ 
faicfluffes, mit neun Kirchen, einem literarifchen Inflitut, blühenden Fabriken und 21341 E.; 
Jerfey- Eity, am Hudfon, Neuyork gegenüber, mit vier Kirchen, zwei höhern Schulen, meh⸗ 
ren Fabriken und 6856 €. | 

Neukirch (Benjamin), beutfcher Dichter, geb. 27. März 1665 zu Reinke, einem Dorfe an 
der fchlefifch-poln. Grenze, ſtudirte die Rechte, wibmete fich aber balb ganz den ſchönen Wiſſen⸗ 
fchaften. Nachdem er längere Zeit ald Erzieher thätig gewefen war, wurbe er 4705 Profeffor 
an der neuerrichteten Ritterakademie zu Berlin und nach deren Auflöfung Hofrath und Erzieher 
des Erbpringen von Ansbach, wo er 15. Aug. 1729 ftarb. Ohne wahres Dichtertalent, ergab 
er fich anfangs ber ſchwülſtigen Manier der zweiten ſchleſ. Dichterfchule; fpäter Lehrte er zwar 
zu größerer Einfachheit und Natürlichkeit zurüd, doch um fo mehr trat num der Mangel an gei- 
fliger Kraft in feinen Arbeiten hervor. Jetzt können höchftens feine Satiren noch einige Beach⸗ 
tung verdienen. Seine „Auserlefenen Gedichte” gab Gottſched heraus (Megensb. 1744). Den 
großen Ruhm, in welchem N. bei feinen Zeitgenoffen fland, verbankte er Haupefächlich feinen 
„Begebenheiten bes Prinzen von Ithaka“ (3 Bde, Ansb. 1727— 39), einer Überfegung von 
Fenelon's „Telemach“, welche ſich aber auch mehr durch prachtvolle äußere Ausftattung, Kupfer 
u. f. w. als durch innern Werth auszeichnet. Eine Auswahl feiner Gedichte enthält W.Müller’s 
„Bibliothek deutfcher Dichter des 17. Jahrh.“ (fortgefegt von Förſter, Bd. 14, Lpz. 1838). 

Neukomm (Sigismund), deutſcher Componift, geb. 10.Zuli 4778 zu Salzburg, wurde 
dafelbft Durch den Drganiften Weißauer unterrichtet und bereits in.feinem 15.9. als Organift 
und drei Jahre fpäter ald Chorrepetitor der Oper beim Hoftheater angeftellt. Nachher genof 
er den Unterricht Mich. Haydn's, und ald er 1798 nach Wien ging, wurde er auf beffen Em- 
pfehlung der Schüler Jof. Haydn's. Im J. 1804 folgte er dem Rufe als Kapellmeifter und 
Director der deutfchen Oper nach Petersburg, legte aber in Folge einer Krankheit feine Stelle 
nieder und ging nun nad) Paris. Hier wurben bie verwitwete Fürftin von Kurland, Die Fürftin 
‚on Lothringen⸗Vaudemont und befonders ber Fürft Tallegrand feine Beihüger. Im 3.1816 
zing er nach Brafilien, wo er auf Empfehlung des Fürften Talleyrand Lehrer des Kronprinzen 
Dom Pedro wurde. Mit Johann VI. kehrte er 4824 nach Europa zurüd. Dann bereifte er 
4826— 28 Italien, die Niederlande, England und Schottland. Nach feiner Rückkehr nach Pa⸗ 
ris war er faft fletö in der Umgebung bed Fürften Tallegrand, der ihn auch in ber Familie des 
Herzogs von Orleans einführte. Im 3.1830 begleitete er Talleyrand nach London, wählte 
diefe Weltſtadt zu feinem bleibenden Wohnfig und erlangte hier fehr bald große Gelebrität. In 
den 3.1836 und 1840 war er bei ben Inaugurationsfeierlichkeiten ber Denkmäler Gutenberg's 
und Mozart's in Mainz und Salzburg thätig. Zu feinen frühern Sompofitionen gehören bie 
große Oper „Alerander am Indus“, die melodramatifche Muſik zu Schiller's „Braut von Mef- 
ſina“, Phantafien fürdas Pianoforte und für das Orchefter, mehre Meffen, Tedeums, Sympho- 
nien, Ouverturen und Gefänge mit Occhefter- und Pianofortebegleitumg für Eoncerte; aus der 
fpätern Zeit haben mir anzuführen feine Eantate „Der Oftermorgen”, die Oratorien : „Chrifli 
Srablegumg”, „Chriſti Auferftehung”, „Chrifti Himmelfahrt”, „Das Gefeg des alten Bundes“ 
(franz. Zert) und „David“ (engl. Tert), ſowie eine beträchtliche Anzahl M almen für eine umb 
mehre Stimmen, mit Orgel-, Panoforter und Orcefterbegleitung. Alle feine Werke zeichnen 
fih durch Gründlichkeit und Gediegenheit aus, enthalten-jedoch zum wenig Geiſt, um fich einer 
allgemeinen Theilnahme erfreuen zu können. 

Neuleon (fpan. Nuevo Leon), einer ber norböftlichen Bunbesftaaten Mexicos, zwiſchen 
Cohahuila im W., San-Luis-Potofi im &., dem Küftenftante Tamaulipas im D. gelegen und 
mit ber Rorbfpige an ben Grenzfluß Rio bei Norte ſtoßend, zählt aufetwa OB30 QM. 1300008, 


Reumann | 261 


angen gebirgig und gegen Dften abgedacht, in welcher Richtung ber Rio be los Conchat 
bei Zigre oder San⸗Fernando in den Mericanifchen Meerbufen, der Rio San⸗Juan 
binas in den Rio del Norte fließen. Das Klima ift im Sommer fehr heiß, im Winter 
Ganzen aber gefund. Der faft überall fruchtbare Boden ift nur wenig bebaut. Die 
liefern Sarb- und Bauholz in Menge; die Flüſſe durchſchneiden die herrlichſten Vieh⸗ 
nd find fehr fiſchreich. Auch Wildpret und Cochenille finden ſich; aber Hauptproducte 
d, &ilber und namentlich Blei. Indeffen werben dieſe Metallichäge, forwie die Stein⸗ 
e nicht gehörig außgebeutet. Der Mangel an Strafen und die geringe Anzahl der Be 
ig erklären die Unbedeutendheit des Verkehrs. N. Liefert außer Metallen auch Pferde, 
iere, Rindvieh und Häute zur Ausfuhr und empfängt feine meiften Bedürfniffe aus 
mb Querefaro. Die Hauptſtadt iſt Monterey, an einem Arme des Rio del Tigre, Sig 
iſchofs, mit zwei Pfarrkirchen, einem Moͤnchskloſter, einem biſchöflichen Palafie, einer 
. Sie treibt einigen Hanbel und zählt 13000 €. Am 24. Eept. 1846 wurde fie von 
damerikanern unter General Taylor nach heifen Kämpfen durch Eapitulation der me- 
ruppen unter General Ampudia eingenommen, ber 1. Det. nach Abfchluß eines acht⸗ 
ichen WBaffenftillftandes und nach Feftfegung einer Demarcationsfinie Tängs bes Rio 
e mit vollen Ehren abzog. 

ann (Karl Sriedr.), ein verbienter Drientalift, wurde 22. Dec. 1798 zu Reichmannt- 
veit Bamberg von armen füd. Ältern geboren. Trog vielfach brüdender Berhältniffe 
feiner Reigung zu ernften Studien und bezog 1816 von Frankfurt aus, mo er in einem 
andgefhäft gearbeitet hatte, die Univerfität zu Deidelberg. Hierauf ging er nach MRün- 
er zur evang. Kirche übertrat, und dann nach Göttingen. Im J. 1322 wurde er Pro 
ı Gymnafium zu Speier, 1825 aber angeblich wegen zu freier Kußerungen in refigiöfer 
ng beim Beichichtöunterrichte feines Amts enthoben, worauf er bis 1827 in München 
te. Er wandte fich hierauf nach Wenebig, um in dem Kloſter auf. San-Razaro Arme 
lernen, und von hier 1828 nach Paris; wo er feine ertent. Studien fortfegte und fich 
h auf das Chinefifche legte. Einen Theil des J.1829 brachte er in London zu, und bier 
fih ihm in Folge feiner Sprachtenntmiß die Ausſicht, Indien und China zu befuchen. 
& 41830 trat er Die Reife nach China an. Bein Hauptbeftreben babei war, fi) im Chi⸗ 
zu vervollkommnen und eine chinef. Bücherfammlung, woran e8 in Deutfchland gänz- 
e, anzutaufen. Es gelang ihm auch, eine chinef. Bibliothek von ungefähr 10000 Bän- 
mmenzubringen, bie alle Rächer der Literatur umfaßt. Auch für die königl. Bibliothek 
a Baufte er über 2400 Bände. Balb nach feiner Ruͤckkehr 1831 wurde R. Eonferoator 
m Stagte unentgeltlich überlafienen chineſ. Bücherſammlung und Profeffor an der 
üt zu Münden. Seine Borlefungen erftrediten ſich indeſſen nicht nur auf chinef. und 
Sprache, fondern auch auf Länder« und Völkerkunde, auf politifche und Literaturge⸗ 
fobaß er ſich bald einen großen Zuhörerkreis erwarb. Dabei nahm er an allen Beſtre⸗ 
Re geiftigen, religiöfen und politifchen Fortſchritt regen Antheil: fo auch bei dert Bewe⸗ 
n Baiern während ber F 1847 ımd 1848. R. war Mitglieb bes Borparlamente und 
Infig öffentlich in pofitifchen Vereinen. Dieſe Umflände trugen hauptfachlich dazu bei, 
352 in den Ruheſtand verfegt wurde. Doch hat feitbem bie philofophifche Facultät wie- 
wef feine Reactivirung angetragen. Seine orient. Studien find vorzüglich auf die Ge⸗ 
nd Geographie von Hody- und Dftaften, in neuerer Zeit auch auf Indien gerichtet. Be⸗ 
krwaͤhnung verdienen in biefer Beziehung feine „Pilgerfahrten buddhifüſcher Prieſter 
sa nad) Indien“ (2pr. 1833) und „M&moires sur la vie et les ouvrages de David, 
me arm&nien du einqui&me siöcle de notre dre” (Par. 1829). Aus dent Armeni⸗ 
mfegte er: „History of Vartan by Rlisaeus” (2onb. 1830) und „Vahram’s chronicle 
nmenien kingdom in Cilicia” (2ond. 1830); aus dem Chineſiſchen: „Gatechism of Ihe 
s* (Bond. 1831), den er auch beutfch (kpz. 1854) erfcheinen ließ, und die „History of 
ese pirates” (Lond. 1833). RNach bem Stalienifchen bearbeitete er ben „Verſuch einer 
be ber armen. Literatur” (Apz. 1833), nach dem Ruſſiſchen und Armenifchen die „Be 
er ũberfiedelung von 40000 Armeniern“ (Epz. 1854). Seine „Afiatifhen Studien“ 
57) befiehen ans einzelnen Auffägen, und fein „Lehrſaal des Mittelreiche” (Münd. 
Beine Art chineſ. Chreſtomathie. Hierzu kommen feine „Beiträge zur armen. Literatur” 
‚#849). Mit der Schrift „Die Völker bes fühlihen Rußland in ihrer g 
Many” (2pı. 1847) gervann N. einen Preis des franz. Inſtituts. Um bie Geſchichte 
mb Dedjaftens machte ex fi dunih Petautgabe von Büplafl’s „Geichiäte bet incl. 





158 Neumark (die) Neumexico 


Neichs“ (Stuttg. 1847) und feine „Geſchichte bed engl.⸗chineſ. Kriegs” (Rypz. 1846), ſowie 
durch feine Zufäge zu Bürck's „Marco Polo” (Rpz. 4846) verdient. Eine große Thätigkeit 
hat N. ebenfalls ald Journalift und Verfaffer Meinerer Abhandlungen entwidelt. So lieferte 
er viele Auffäge unter Anderm für das „Ausland“, die „Gegenwart“ und Raumer's „Hiſtori⸗ 
ſches Taſchenbuch“. In legterm machte er namentlich mehre Bruchſtücke aus ber von ihm vor» 
bereiteten „Geſchichte des engl. Reichs in Aſien“ bekannt. | 
Meumark heißt derjenige Theil der Mark Brandenburg, welcher, auf dem rechten Oberufer 
und an der Warthe, von diefer gegen NO. als langer ſchmaler Landftrich ſich Hinziehend, im 
W. an die Mittel» und Ukermark, im N. an Pommern, im D. an Preußen und Polen und im 
S. an Schlefien und die Nieberlaufig grenzt. Die Neumark bildete früher eigentlich ben zwei⸗ 
ten Haupttheil der ganzen Mark, bie man in die. Kurmark und die Neumark eintheilte, zählte 
auf 206 AM. etwa 330000 E. und umfaßte, außer der Hauptſtadt Küftrin, die Städte und 
Kreife Königsberg, Soldin, Landsberg an der Warthe, Friedeberg, Arenswalde, Dramburg, 
Schiefelbein und Droffen. Später rechnete man zu ihr auch die Städte Sternberg, Kroſſen, Zulli- 
hau und Kottbus mit den zu ihnen gehörigen Kreifen. Seit ber neuen adminiftrativen Einthei« 
lung Preußens macht die Neumark den größten Theil des Negierungsbezirts Frankfurt aus. 

Neumark (Georg), ein deutfcher Lyriker, Meifter auf der Gambe, Mitglied der Frucht: 
bringenden Gefellfchaft, in welcher er den Beinamen „Der Sproffende” führte, wurde zu Mühl- 
haufen in Thüringen 16. März 1621 geboren. Er lebte -amtlos und in drüdender Armuth zu 
Hamburg, als ber ſchwed. Gefandte von Rofenkranz fich feiner annahm und ihn zu feinem Se⸗ 
cretär machte. Durch bie Vermittelung beffelben kam er nach Weimar, wo er Archivſecretär 
und Bibliothekar wurde und 8. Zuli 1684 flarb. Bekannt ift er beſonders durch feinen „Hod- 
fptoffenden poetifhen Palmbaum” (Nürnb. 1668), eine geſchmackloſe, aber werthvolle Ge 
ſchichte der Fruchtbringenden Gefellfchaft. Seine weltlichen Gedichte, 3.8. fein „Poetiſches und 
mufitalifches Luſtwäldlein“ (Bamb. 1652), welches er in einer vermehrten Husgabe unter dem 
Titel „Bortgepflangter mufitaltfch-poetifcher Luſtwald“ (Jena 1657) erfcheinen ließ, gehören 
zu den geiftlofen Nachahmungen der erften fchlef. Dichterfehule; höher fliehen ‚feine geiftlichen 
Lieder, von denen mehre in bie öffentlichen Sefangbücher übergegangen find. Das Lied „Wer 
nur den lieben Gott läßt walten” dichtete er in Hamburg, nachdem er, aus feiner Noth befreit, 
feine verfegte Gambe wieder eingelöft hatte. Eine Auswahl feiner Gedichte findet fi in W. 
Müllers „Bibliothek deutfcher Dichter” (fortgefegt von Förſter, Bd. 11, Lpz. 1838). 

Neumeiſter (Erdmann), ald beutfcher geiftlicher Riederdichter, zugleich aber auch als into 
leranter Theolog bekannt, geb. zu Uchterig bei Weißenfels 12. Mai 1674, beſuchte Schulpforte 
und die Univerfität zu LXeipzig, wurde 1697 Pfarrfubftitut zu Bibra in Thüringen, 1698 
Paſtor zu Edartsberga, 1704 Hofbiatonus und hierauf Hofprediger zu Weißenfels, wo er 
zugleich den Unterricht der einzigen Tochter bed damals regierenden Herzogs von Weißenfels 
leitete, 1706 Superintenbent zu Sorau und 1745 Hauptpaftor an der St.-Jakobificche zu 
Hamburg. Hier ftarb er 18. Aug. 1756. Sowol bei den pietiftifchen ald unioniftifchen Strei- 
tigfeiten war er betheiligt. Unter den von ihn herausgegebähen Dichtungen find die „Geiftli- 
hen Cantaten” (Halle 1705) und die „Pfalmen, Lobgefänge und geiftlichen Lieder” (Hamb. 
4755) zu erwähnen. _ 

Neumen heißen die alten wunderlichen Notenzeichen des Mittelalters, welche in Punkten, 
Stricken, Häkchen u. f. w. beftehen und der Verfchiebenheit des Gebrauchs und der Ungenauig- 
keit der Abfchreiber wegen kaum zu entziffern find. Auch bezeichnete man damit die Tonreihen, 
bie dem Schluſſe des Kirchengeſangs angehängt wurden, oft gar keine articulirten Worte hat« 
ten, fondern nur auf einen Vocal, meift a, erlangen. 

Reumerico (engl. New Mexico), eines der organifirten Territorien ber Vereinigten Staa⸗ 
ten von Norbamerika, grenzt im N. an bie Territorien Utah und Nebraska, im O. an Terab, im 
S. an Texas und Merico, im W. an Californien und zählte 1850 auf 10373 AM., wovon 
wenig über 42 AM. bebaut waren, nur 61547 E. Abgefehen von 17 freien Farbigen, beft:ht 
biefe Bevölkerung aus Weißen, größtentheild fpan. Abkunft und ein Gemifch fpan.-indian. 
Race; außerdem aus etwa 30000 anfäffigen Indianern oder Pueblos und 37000 wilden India⸗ 
nern. welche die Anfiedelungen bisher häufig. überfallen haben. N. ift ein theils plateauartige®, 
Fin gebirgiged Binnenland, etwa in der Mitte von zwei Gebirgsketten, von Süden gegen 

orden durchzogen, einer wefllichen, der bie gegen 3000 8. hoben Corbdillera von R., und 
einer öftlichen, der Sierra be Comanches, mit der Sierra Blanca, del Sacramento und an- 
bern, und mit Bergen, die in ben nördlichen Gegenden 10—12000 $. hohe ſchneebedeckte Gr 


- 


N Beumerico 183 


agen. Beide Ketten ſchließen das 2-— 7000 8. habe Plateau von Steumerice ein, wel⸗ 
rößtentheild den Charakter einer Hochfteppe hat. Die Gebirge beftehen größtentheils aus 
ifchem Geſtein, find in den obern Regionen bes Baumwuchſes mit Fichten, in ben niebern 
dern, zum Theil mit Eichen beflanden. Das Land ift wafferarm und Hat keinen einzigen 
aren Fluß. Der Hauptſtrom beffelben ift der obere Rio dei Norte (f. Motte), der hier 
t, ein fehr großes umfchloffenes Kängenthal von durchſchnittlich 4 M. Breite durch 
„ bei Paſo del Rorte das Land verläßt und außer bem Pecos oder Puercos nur unbebeu- 
Hüffe aufnimmt. Die Nordgrenze berührt der Arkanſas, bie Südgrenze bildet ber Gila, ein 
Aluß des Rio Colorado, eines ſchönen Gebirgsftroms, ber ben nordweſtlichen Theil des 
zriums burchfließt, dann die Weſtgrenze bilden Hilft und in ben Meerbufen von Galifor- 
ündet. Das Klima ift im Allgemeinen gemäfigt, beftändig und gefund, der Himmel ge 
Ich Bar, die Luft troden. Der Boden ift dürr und felbft Im Thale bes Rio del Norte faft 
ängig fanbig, gibt aber bei künſtlicher Bewäflerung gute, in manchen Jahren Doppelte Exrn- 
tan baut Hauptfächlic Mais, Weizen, Bohnen, Zwiebeln, rothen Pfeffer, auch etwas Obſt 
und Tabad. Die Trodenheit des Klimas und bie Dürre des Bodens wird flet6 den Acker⸗ 
if die mit Slüffen verfehenen Landftriche befchränten. Defto ausgebehnter find die Berg⸗ 
„ weshalb denn auch ziemlich flarke Viehzucht getrieben wird. Man zieht Pferde, Maul- 
Ziegen und beſonders Schafe. Alles Vieh ift aber von fehr Feiner Art, ba man der Ver⸗ 
g wenig oder gar feine Aufmerkfamteit widmet. Die Gebirge find reich an Gold, Silber, 
eumb Eifen. Bold wird in großer Ausdehnung befonders um Santa⸗Fe, fübwärts 22 M. 
E Nuinenſtadt Gran-Buivira, norbmärts 26 DR. weit bis zum Fluffe Sangre de Chriſto 
en. Hus ben Flüffen wird bier und bort Golbſtaub gewafchen. Der Bergbau wurbe im 
— ſpäter von den Spaniern ſehr ſchwunghaft betrieben; ſeit laͤngerer Zeit aber iſt 
und erſt neuerdings durch die Nordamerikaner wieder in Aufnahme gekommen. 
ou Hechebenen zwiſchen dem Rio bei Norte und Pecos finden ſich bedeutende Salzſeen, 
achen ber ganze Salzbedarf N.s gewonnen wird. Auch Steinkohlen find vorhanden und 
Lager von Gyps und Gypsipath. Handel und Verkehr find nicht unbedeutend, da bie 
e von Meico und von Teras, ſowie die Karavanenftraßen von den Staaten Arkanſas 
Kifouri nach Galifornien das Land durchziehen und auch mit Utah im Rorben flarker 
be fattfindet. Die Grundzüge ber Berfaffung find folgende: Der Gouverneur wird auf 
ahre und zwar, folange N. noch keinen Staat bildet, vom Praͤſibenten der Vereinigte 
m esnännt. Derfelbe bezieht einen Gehalt von 2500 Doll, einſchließlich 1000 Doll. als 
intendent der Inbianerangelegenheiten. Die gefepgebende Gewalt wirb von einem Se⸗ 
a mindeſtens neun (1853: 43) auf zwei Jahre und von einem Repräfentantenhaus von 
tens 18 (1853: 26) auf ein Jahr gewählten Mitgliedern ausgeübt. Die Sitzungen, 
erfte 15. Mai 1850 eröffnet wurde, dürfen, nicht über 60 Tage dauern. Indianer ımb 
vw And vom Wahlrechte ausgefchloffen. Die Sklaverei ift verboten. Zum Eongreß [endet 
en Delegaten ohne Stimmrecht. Das Land wird in fieben Counties eingetheilt. Die 
ſtadt Santa-Fe, vier M, öftlih vom Rio dei Norte, 7047 engl: $. über dem Meere, in 
zoßen, von Bergen umfchlofienen Ebene gelegen, ift unregelmäßig und fchlecht gebaut, 
sub ein Fort vertheidigt, hat wichtigen Karavanenverkehr und Handel und zählte 1850 
E. Roͤrdlich liegt der ſtark befefligte Ort Taos in einem der angenehmſten Thäler N.E. 
wigen Wohnpläge liegen füdlich im Stromthale bes Rio del Norte, z. B. Albuquerque, 
a, . , San- Diego und Paſo dei Norte. R. nannten bie Spanier nur das Ju 
bes 16. Jahrh. umter Dan Juan de Date von ihnen. befegte Land am Rio dei Rorte. 
nterwarfen und bekehrten die friedlichen, in großen Dörfern anfälligen Indianer, 
des neue Drtfchaften, entbediten und bearbeiteten: reichhaltige Bergwerke, übten aber 
Drud aus, daß 13. Aug. 1680 ein allgemeiner Auffland ber Indianer 
e umd ber Statthalter Dtermin mit bem Reſte der nicht ermordeten Weißen das 
eäumen mußte. Nach zehnjähriger Unabhängigkeit‘ erleichterten bie Indianer durch 
veimigkeit ben Spaniern die WBiedereroberung, die ſeitbem in ungeftortem Befige Ns 
nur daß es fpäter ein Staatsgebiet ber Republik Merico bildete. Im 3. 1837 
ı fich die Indianer sen die Merieaner, wurden aber bei La Gahaba, 5 M. nörd- 
Santa BE, befiegt. Bis zum. I. 4804 hatte kein Kaufmann von Norboften ber 
befucht und das Land feine Bebürfniffe vom der Hauptſtadt Mexico erhalten. Wllmä- 
lenkte man in ben Vereinigten Staaten ben Blick auf dab Land am obern Rio del Norte. 
in Pike, ber 1807 auf feiner Entdedungsreife zu deu Quellen des Med-Biver bie mepican. 


= 


5* 


254 Neumond Ä Neuorleans 


Grenze überfchritten, war gefangen genommen, nach Santa⸗Fe und Chihuahua gebracht und 
über San-Antonio de Berar in feine Heimat gefehidt worden. Seitdem galt N., von deffen 
Goldreichthum übertriebene Vorftellungen verbreitet waren, für ein neues Eldorado. Ginzelne 
- unternehmende Männer rüfteten Handelszüge aus, und trog mancher fehlgefchlagener Hoffnun- 
gen und vieler Widerwärtigkeiten war 1821 ein regelmäßiger Karavanenhandel zwifchen ber 
Grenze Miffourid und Santa⸗Fe eingerichtet. Hierdurch wurde M. näher bekannt. Befonders 
gelangten amerik. Gebirgsjäger auf ihren Streifzügen bis Taos, und mandye diefer fremden 
Abenteurer fiedelten fi) am Rio del Norte an. In dem Kriege zwifchen Merico und den Ver⸗ 
einigten Staaten warb endlich N. durch die Proclamation des General Kearney vom 22. Aug. 
4846 ald Gebietstheil der Union erflärt und im Frieden vom 2. Febr. 1848 an diefelbe abgetre- 
ten. Sm 3.1850 erhob man fodann das Land zum Territorium und ſchlug zu diefem auch noch 
einen großen Theil bed merican. Gebiets der freien Indianer hinzu. Diefes Indianergebiet er- 
ſtreckt fi im Welten der Cordilleren von N. bis an den Rio Colorado und die übrige Grenze 
von Galifornien, wird von den Moquis, Navajos und beſonders von den wilden Apaches be 
wohnt und deshalb auch Apacheria genannt. Daffelbe entbehrt noch ber feften Anfiebelungen. 

Neumond, f. Mond. 

Neunagauge (Peiromyzon), eine Fifchgattung aus der Ordnung der Rundmäuler oder Sau⸗ 
ger, unterfcheibet ſich Durch aalfürmigen Korper, fieben Kiemenlöcher jederfeit8 am Halfe, ſtarke, 
harte Zähne und zahnartige Höcker am Rande und im Innern der Mundfcheibe und zwei 
Rückenfloſſen, von denen die hintere mit der Schwanafloffe zufammenfließt. Mit ihrem Saug- 
munde faugen ſich diefe Fiſche unglaublich feſt an Steine und andere Fifche an, indem fie durch 
Zurückziehen der kolbenförmigen Zunge die Höhle des Mundes Iuftleer machen. Die gewöhn- 
lichfte Art ift da8 gemeine Neunauge ober die Flußpride oder Bricke (P. fluviatilis), welche 
bie Flüffe Europas bewohnt. Sie it 1—1'% F. lang, grünlich, an den Seiten gelblich, ihre 
hintere Rückenfloſſe edig und in die Schwangfloffe verlaufend. Die Nafenlöcher öffnen ſich in 
ein einziges Zoch, dor welchem eine blinde, nicht in ben Mund führende Höhlung liegt. Die 
Pricken geben ſowol frifch als marinirt eine wohlſchmeckende Speife ab und bilden einen bedeu⸗ 
tenden Handeldartitel. Gewöhnlich werben fie in Effig mit Zorberblättern und Gewürz gelegt, 
in Fäffer verpadt und fo verfendet. Da jeboch diefer Fifch ziemlich unverbaulich ift, fo barf er 
nur mäßig genoffen werben. In Norbdeutfchland find die lüneburger Pricken die beliebteften. 
In den Süßgewäſſern Deutſchlands, befonders in Gebirgsbächen, findet fich auch Plauer's 
Neunauge ober die Peine Pricke (P. Planeri), welche nur 7—1030ll lang und blaugrünlich ift 
und zwei zuſammenſtoßende Rüdenfloffen trägt. Zu diefer Gattung gehört auch die Lamprete (ſ. d.) 

euorleans (New Orleans), die bedeutendfte Stadt des norbamerif. Unionsſtaats Loui⸗ 
fiana, liegt im Delta und am: linken Ufer des Hauptarms des Miffiffippi, der bier bis 150 
F. tief ift, 22 M. von deffen Mündung in den Mericanifchen Meerbufen, 30 M. unter- 
halb ber politifchen Hauptftadt Baton-Rouge, in einer durch Sümpfe verpefteten Niederung, 
in welcher ed nur durch koftbare Damme (Leve&e) gegen bie Fluten des Stroms gefchügt wer⸗ 
ben kann und häufig durch Deichbrüche (Crevasses) heimgefucht wird. Die Stadt wurbe 1718 
von den Franzoſen gegründet, Bam mit dem franz. Lonifiana an die Vereinigten Staaten und 
bob fi nun reißend wegen ihrer ausgezeichneten commerciellen Rage als Hauptftapelplag nicht 
nur Louiſianas, fondern des ganzen probuctenreichen Miffiffippigebiets. Im 3. 1803 Hatte bie 
Stadt erft 9000, 1840 fhon 1021493, 1850 bereitd 119461 E. (davon 25000 Deutſche, 
350000 Irländer und 28000 Sklaven), im Sommer 1852 aber 145449 E., worunter 116275 
Weiße und 29174 Farbige. N. heißt auch wol Crescent City oder Halbmondſtadt, weil bie 
den Strom entlang laufenden Straßen fi) halbmondförmig biegen. Die Altſtadt bilder ein 
längliches Viereck, das ſich 1520 Yards weit an bem Strome hinzieht; die Befammtlänge der 
‚Stadt aber, mit Einfchluß der Vorftädte mit ihren hübfchen, in Orangengärten liegenden Ge 
bäuben, behnt fich über eine deutfche Meile weit am Strome hin. Sie ift regelmäßig gebaut, in 
dem innern, früher mit Wällen umgebenen Theile nad) altfranz. Weiſe. Architektonifch ſchöne 
Gebäude find indeffen nur wenige vorhanden, z. B. die 1835 erbaute Münzftätte der Union, 
bas neue Zollhaus, die Eity-Erchange mit Bank, Waarenlager und Gaſthof, die Communal- 
Exchange, das St.-Charleshötel, angeblich das prächtigfte Bafthaus ber Neuen Welt. Bemer- 
kenswerth find dagegen die großartigen Waarenlager und Baummollenpreffen, 5. B. die Lever⸗ 
Gotton-Breffe und bie von Dem deutfchen Ingenieur Karl Zimpel erbaute Orleans⸗Cotton⸗Preffe. 
MR. hat 14 Kirchen, darunter fünf katholiſche, ein großartiges Hospital, die 1849 gegründete 
‚Untverfität von Ronifiana, mehre Mittel- und andere Schulen, gemeinnügige Gefellichaften, 


Reuplatoniker 155 


barımter auch eine deutfche, brei Schaufpielhäufer, drei Markthallen, drei Börfen u. ſ. w. Sit⸗ 
ten und Sprache, früher durchaus franzöfifch, nehmen durch die zunehmenden Anfiebefungen 
von Angloamerikanern täglich mehr die Weife der übrigen Unionsftansen an. N. ift in Folge 
feiner fumpfigen Umgebungen, ber brennenden Sonnenhige in Sommer, des häufigen und rafchen 
Zeniperaturmwechfels im Winter, des Mangels an genießbarem Brunnenwaffer, des fchlechten, 
lauwarmen, oft übelriehenden Ciſternenwaſſers als eine fehr ungefunde Stadt, als ein Herd 
des Gelben Fiebers, bed Typhus und der Cholera verrufen. Gleichwol ift es nächft Neuyork ber 
bebeutendfte Danbelsplag der Union und bie wichtigfte Seeſtadt an ben Küften des Golfs von 
Merico. Es hat fünf incorporirte Banken mit einem Capital von 12,267120 Doll. und einem 
Rotenumlaufe von 3 MU. Doll. Auf dem Strome vor der Stadt und dem durch zwei Ka- 
näle und eine Eifenbahn mit ihr verbundenen Hafen an dem Binnenfee Pontchartrain liegen 
zu Zeiten 10001500 Sahrzeuge; Dampffchiffe kommen und gehen fat in jeder Stunde. Be: 
ſonders bedeutend ift die Ein- und Ausfuhr von Naturerzeugniffen bes Miffiffippigebiets. Das 
Bauptftapelproduct bildet indeffen bie Baummolle. Auch Taback, Zuder, Mais, Weizen, Mehl, 
Zalg, Schmalz, Schweinefleifc, und viele andere Nahrungsmittel werben in ungeheuerer Dienge 
ein- und ausgeführt. Im J. 1852 liefen 5129 Seefchiffe, barımter 2778 Dampfboote, ein; 
die Zolle ergaben einen Ertrag von 2,260191 Doll. Die Stadt befaf 113 Dampfboote, und 
ihte Rhederei belief fi auf 225680 Tonnen, wovon 143275 auf die Küftenfahrt kamen. Die 
fer großartige Handelsverkehr würbe noch bedeutender fein, hätten nicht bie Seeftädte der atlan« 
tiſchen Küfte, namentlich Neuyork, einen beträchtlichen Theil des weftlichen Verkehrs durch Ei⸗ 
fenbaßnen und Kanäle an fich gezogen. Nicht fo bedeutend wie ber Handel ift N.s Induſtrie; 
wichtig Dagegen die Thätigkeit ber Münze. Hiftorifch merkwürdig ift R. wegen des Siege, den 
bier der General Jackſon (f. d.) 8. Jan. 1815 gegen die Engländer erfocht. 

Renplatoniter, Die urfprüngliche Form der Platonifchen Philofophie (f. Plate) hatte 
ſich nur auf deffen nächfte Schüler, namentlich &peufipp und Xenofrates, vererbt. Sie 
machte innerhalb der Platonifchen ober Akademiſchen Schule bei Arcefilaus und Karnea⸗ 
bes Bald einem fkeptifchen Probabiliemus Platz und gerieth bei der Exrfchlaffung bes fpeculati- 
ven Seiſtes bald in Vergefienheit. Erſt im 1. und 2. Jahrh. n. Chr. trat der Platonidmus In. 
Griechenland und Rom wieder auf, jedoch vielfach in unklarer Mifchung mit Ariftotelifchen und 
Pychagorãiſchen Lehren. Zu den Reuplatonitern diefer Zeit gehören Theon von Smyrna, Al⸗ 
finsos, Plutarch von Chäronea, Lucius Appuleius, Marimus von Tyrus u. A. Don ihnen find 
aber Diefenigen wohl zu unterfcheiben, welche feit dem 3. Jahrh. befonders in Alerandria aufe 
traten umd gewöhnlich ſchlechthin die Neuplatoniter, richtiger aber die Platoniker der aleran- 
riniſchen Schule genannt werben. Ihr Wefentliches ift, daß fie bie griech. Philofopbie mit 
srient. Philoſophemen verfchmolzen, worin fchon ber Jude Philo (f. d.) und der Syrer Nume⸗ 
ns vorangegangen waren. Der Schwung, welchen danials die Platonifche Philofophie in 
heer veränderten Beftalt nahm, erklärt fich, abgefehen von ber Individualität der diefe Umge⸗ 
Baltung bes ältern Platonismus repräfentirenden Denker, aus dem dunkeln Drange nach einer 
Befriedigung, ben bie alte heibnifche Cultur nicht mehr gewähren fonnte, aus dem Dinneigen 
eb durch Zurus entarteten griech. Sinnes zur Myſtik und orient. Schwärmerei und aus dem 
Befizeben, dem immer mehr fiegreichen Chriſtenthum durch eine philofophifche Begründung 
veb Deibenthums einen Damm entgegenzufegen. Die Neuplatoniter ftrebten nach dem Höch- 
ken, nach Erkenntniß des Abfoluten und inniger Bereinigung mit demſelben, um dadurch bie 
Beftimmung bes Menfchen, vollkommen gewiffe Erkenntniß bes AS, Heiligkeit und Seligkeit 
ya erreichen, wozu nur Anfchauung des Abfoluten führen follte. Als der Urheber diefer Schule 
wird gewöhnlich Ammonius (f. d.), mit dem Beinamen Sakkas, aus Alerandrien genannt, der 
von dem Ghriftenehum zum Heidenthum zurüdtrat. Seine Lehre vertraute er feinen Schülern, 
suter denen Longin, Plotin, Drigenes und Herennius bie vorzüglichften waren, als Geheimniß 
md alte göttliche Weisheit an. Er felbft hinterließ nichts Schriftliches, und wir können daher 
eine Anfihten nur aus der Lehre feines Schülers Plotin (ſ. d.) errathen, der die Theorie die 
er nenplatonifchen Philofophie durch feine Schriften begründete. Plotin ging von dem Gedan⸗ 
en aus, daß Philoſophie nur dann möglich fei, wenn das Erkennen und das Erkannte, Subjec- 
ives umb Objertives, identifch find. Die Philoſophie fol nad) ihm das Eine, welches Grund 
mb Weſen aller Dinge iff und mit welchem fie felbft zum Theil identifch ift, micht durch 
Denten und Reflerion, fondern auf eine volllommene Weiſe, durch eine unmittelbare An⸗ 
KWeammg, bie bem Denken vorangeht, erfennen. Demnach beruht feine Philoſophie auf dem 
Berausfegungen, daß das Abſolute, überſinnliche her erkennbare Grund der Welt, und baf 


156 Neuralgien 


es durch geiftige Anfchauung, bie noch vor bem Denken hergeht, ertennbar fei. Die Intelligenz, 
als Abglanz und Bild des Einen, ſchaut das Eine (die Gottheit), was auch als Urlicht vorge, 
ſtellt wird, an; hiermit wirb das Mögliche wirklich, und durch das Denken bringt fie Alles her- 
vor. Unmittelbar geht von ihm aus die Pſyche (Weltſeele), deren Thätigkeit die nach außen ge- 
richtete Anfchauung ift. Diefe Seele ber Welt bringt die verfchiedenen Seelen oder bildenden 
Kräfte hervor. Zu ihnen gehört auch die Natur, die bewegende Kraft, welche die Materie bildet. 
Das Eine alfo, der göttliche Verftand und bie bildende Weltſeele bilden die Plotiniſche Trias, 
welche mit ber Vorftellung einer ewigen Emanation ſich verbindet. Die menſchlichen Seelen, 
deren Urquell ber göttliche Verftand ift und an benen fich wiederum höhere und niebere Kräfte 
offenbaren, find in das Niedere herabgefallen und wandern in verfchiedenen Beftalten zu dem 
Einen zurückſtrebend. Diefer myftifche Idealismus fand viele Anhänger. Unter den Schülern 
HM otin’s zeichneten ſich vorzüglich aus Porphyrius (ſ. d.) und Amelius. Auch Sambtichus (f.d.), 
ein Schüler des Porphyrius, hatte fehr viele Schüler, darunter Euftathius, Adefius und den 
Kaifer Julianus (f.d.). In der Folge wurde Athen der Hauptfig der Neuplatoniter. Unter 
ben fpätern Neuplatonitern war Proklus (f. d.), 412—485, der berühmtefte. Die neuplato- 
nifche Philoſophie iſt nicht nur für die Geſchichte der Philofophie von großer Wichtigkeit, weil 
fie namentlich) in Plotin einen der merfwürdigften, wenn auch fpäter in Phantafterei und Aber- 
glauben aller Art vertümmerten Verſuch bezeichnet, dad Abſolute in ber Form unmittelbarer 
Anſchauung zu erfennen, in welcher Beziehung fie vielfache Vergleichungspunkte mit ben neuern 
Philoſophen darbietet, fondern fie hat auch ein allgemeines culturhiſtoriſches Intereſſe, meil fie 
eine der wichtigften Phafen des ungeheuern Gährungsproceſſes barftellt, durch welchen bie an- 
tite Welt in ſich tufammenfant. Als ein reines Erzeugniß bed griech. Geiſtes kann fie nicht ber 
trachtet werden. Orient. Anfchauungsmeifen find das vorherrfchende Element in ihr, und daraub 
erklärt fich auch der ganz willfürliche Synkretismus, mit welchem fie Platonifche und Ariſtote⸗ 
fifche Lehren benugte. Dal. Fichte, „De philosophiae novae Platonicae origine” (Berl. 
1818); F. Boutermwel, „Philosophorum Alexandrinorum ac Neoplatonioorum recensio ao- 
curatior” (Gott. 1821); Matter, „Essai historique sur l’6cole d’Alexandrie” (2 Boe., 
Par. 1820); Simon, „Histoire de l’&cole d’Alexandrie” (2 Bbe., Par. 1845); Barthe 
lemy St. Hilaire, „De l’&cole d’Alexandrie” (Par. 1845). Die Neuplatoniker beftrebten 
fi, bie Volksreligion in ihrer urfprünglichen Bedeutſamkeit zu faffen und brachten daher zur 
Unterftügung ihrer Anficht viele biftorifche Notizen bei. Diefe hat man früher häufig verwor⸗ 
fen und dagegen behauptet, daß fie in einem fpätern Zeitalter nicht mehr Zeugen für Thatfachen 
abgeben könnten, die ſich zum Theil in das Dunkel der Geſchichte verlieren. Allein viele dieſer 
antiquarifchen und mothologifchen Notizen, welche wir zuerft und allein bei ben Neuplatonitern 
finden, tragen zu fehr das Gepräge der Wahrheit, als daß wir fie als von ihnen erdichtet anfehen 
könnten, und fie dürften daher leicht aus frühern echten Quellen geſchöpft fein, welche und ver- 
foren gegangen find. Bei ber Hinneigung derfelben zum Wunderbaren wird aber immer eine 
große Vorficht in ber Benugung ihrer Nachrichten nöthig fein. Der Uberdruß an der während 
des Mittelalters herrſchend geweſenen fcholaftifhen Philoſophie und dialektifchen Subtilität 
veranlaßte am Ende des 15. Jahrh. das Wiedererwachen der Platonifchen Philofophie in ber 
näherliegenden Umbildung, die fich durch die Neuplatoniker erhalten hatte. Es herrichte in die⸗ 
fer Periode, In welcher fich die moderne Wiſſenſchaft aus der Scholaſtik Herauszuarbeiten fuchte 
und dad Mittelalter feinem Ende entgegeneilte, eine ähnliche Unklarheit ber Beifter wie in den 
erften fünf Jahrhunderten nach Chriftus. Der größte Geiſt in Diefer neuen von den Mediceern 
zu Florenz begünftigten italifch-platonifchen Philofophie mar Marfilius Ficinus. 
Neuralgien oder Nervenfchmerzen nennt man jene Arten krankhafter Schmerzen, welche 
nur in dem Berbreitungdgebiete eines (oder mehrer) beftimmten Empfindungsnerven (|. Ner⸗ 
den) auftreten und fich ſchon durch diefe Begrenzung von ben andern, 3. B. durch Entzündung 
oder Desorganifation bedingten Schmerzen unterfcheiben, weil bei biefen der Sig und die 
Ausbreitung ber befallenen Gewebe audy dem Schmerze feine Begrenzung anmeifen. &o findet 
ſich alfo 3. B. bei Neuralgie des fünften Nerven genau die eine Gefichtöhälfte, wenn fein mitt 
fer Aft leidet, nur die Oberkieferpartie ſchmerzhaft; die Neuralgie des vorbern Schenkelnerven 
(ischias antica) verbreitet ſich an der innern Seite bes Oberſchenkels bie ind Knie und die bes 
bintern Schenkeinerven (ischias postica) vom Gefaß aus bis zum Knöchel und Plattfuß hin- 
ab, während die Neuralgien ber. Zwifchenrippennerven band» oder gürtelförnige Schmerzen 
um die Bruft herum bewirken. Außer dieſem Hauptlennzeichen (der anatomifchen Begren- 
dung), welches ſich nur dann verwifcht, wenn benachbarte Nervenftämme durch Überftrahlung 


Neurenther | 167 


‚im (Irrabiation des Schmerzes) mitſchmerzen, erkennt man eine echte Neuralgie ger 
ch noch an folgenden Zeichen: die Schmerzanfälle find unverhältnißmäßig ſtark und pel⸗ 
(in Vergleich zu dem übrigen Befinden des Kranken und ben vorzufindenden örtlichen 
; fie kommen im Unfällen periodiſch mit freien (oder nur durch ein dumpferes Gefühl 
illten) Zwifcheneäumen; fie werden oft hervorgerufen durch Untäffe, weiche beftimmt 
rvenſyſtem treffen (3. B. Bemüthsbewegungen), ober welche verhältnifmäßig unbebeu- 
mb (3. B. leife Berührung der Haut), wogegen anbere, anfcheinend weit verlegenbere 
(4. B. ein ſtarker Drud auf biefelbe Stelle) ben Schmerz nicht wecken oder gar lin⸗ 
ährend diefe doch ben durch Gewebskrankheit bedingten Schmerz fehr beutlich hervorru⸗ 
ei vielen, aber nicht bei allen Reuralgien findet ſich auch das zuerſt von Valleix entdeckte 
iſche Kennzeichen: daß ein Drud auf den Stamm bes befallenen Nerven, da wo ber- 
tweder aus einem Knochenkanal hervor ober burch eine fehnige Haut hindurchtritt, fofort 
ebhaften, in die Ausbreitungen des kranken Nerven. Binabfchießenben Schmerz weckt 
enannten Schmerzpünktchen, points douloureux). Übrigens kann auch der Fa vor- 
1, daß diefelbe Hautftelle, in welcher dem Patienten ber Schmerz wüthet, für eine äußere 
ung (Stiche, Kneipen und bergl.) ganz unempfindlich iſt (anaesthesia dolorosa). Dann 
Rerv in feinem Verlauf fo erkrankt, daß bie eine nach dem Gehirn zu liegende Hälfte 
a Schmerzen empfindet, während bie andere nach außen bin verlaufende Hälfte durch 
Erankheits product (3. B. eine drückende Geſchwulſt) in ihrer Leitungsfähigkeit ganz 
ochen wird. Die häufigften und am meiften flubirten Neuralgien find bie der Hautner- 
: Dermalgien) ; doch kommen Neuralgien auch in andern Theilen vor, 3. B. in den Ge⸗ 
Biyalgien), in Eingemweiden (Enteralgien). Manche der innern Eingeweide mögen &ig 
z Rervenftörungen fein, bie fich aber nicht als Schmerz, ſondern in Form anderer Ge⸗ 
sungen äußern, 3. B. in den Herznerven ald Herzensangft und Außerathemkommen (die 
wie Bruflbräune, angina pectoris). Die eigentliche (Grund⸗) Störung, welche ber 
6 Renralgien erleidet, kann ſehr verfchieben fein :- eine Entzündung befielben oder feines 
ed, eine Geſchwulſt in ober an demſelben (ein fogenanntes Neurom), ein denfelben 
s Giter- oder Geſchwürsherd, Splitter und dergl. eine denfelben drückende oder zer- 
lafchwellung benachbarter Theile (befonders der Mochenkanaͤle) u. |. w. Es kann aber 
w centrale Erkrankung bes Gehirns oder Rüdenmarks burch fogenannte ercentrifche Er⸗ 
19 bes Schmerzes Reuralgien bebingen (3. B. bei Hirnerweichung beiBleivergiftumg). 
können Reuralgien auch nach Art des Nervenzefleges (ſ. Nerven) entftehen, indem bie 
y eines entfernten Nervengebiets auf bie Nervencentra übertragen und bort auf an⸗ 
svengebiete überſtrahlt (irrabiirt) wurbe. So entftehen oft die Reuralgien bufterifcher 
von Üterusfrantheiten, oder Knieſchmerz bei Hüftgelenksentzündung, Angefichtsfchmerz 
ies eines einzigen Zahns u. ſ. w. Nervenfhwache, blutarme (anämifche) Perſonen 
iders zu Neuralgien geneigt. Die Krankheit iſt hiernach von verſchiedener Bedeutung 
mer; oft ſehr chroniſch (in wiederholten Anfällen); doch beobachtet man auch raſch 
de und gehende Neuralgien im Verlauf acuter Krankheiten, z. B. bei typhöſen ober 
wechfelfiebern. Die Vorherfage und Behandlung ber Neuralgien find nach dieſen Ver⸗ 
beiten der Urſache ſehr verfchieden. Ginige find verhaͤltnißmaͤßig leicht heilbar, wenn bie 
erkannt wird, 3. B. bie von ſyphilitiſchen Knochenhautübeln oder von Zahncaries, von 
wen oder zertheilbaren Befchwülften, von Wechſelſiebermiasma, von Bleivergiftungen, 
Mmangelabhängigen. Andere, namentlich bie von centralen Nervenmarkübeln abhän- 
ind meift unheilbar, unb es bleibt dann der Kunſt oft nur übrig, fie durch betäubende 
ãſtheſirende Mittel, oder durch Ableitungen (Körperbewegungen, Dautreize, Rocalbaber 
zu lindern. Vgl. Piorry, „Uber Natur und Behandlung der Reuralgien” (deutich von 
tting. 1837) ; Valleig, „Trait6 des neuralgies” (Par. 1841); Bretfchneider, „Pa- 
und Therapie der äußern Neuralgien” (Jena 1847), und bie Schriften uber örtliche 
rantheiten von Swan, Descot und Romberg. oo 
renther (Eugen), ein origineller Künftier, befonbers bekannt durch die Illuſtrationen 
e Dichter, der Sohn Lubwig N.'s, eines fehr gefchicten Malers, deram Hofe des Kur- 
War von Baiern lebte und als Zeichnenichrer am Bymnafium zu Bamberg 1830 flarb. 
de 1806 geboren und bis zu feinem 17. I. in ber Kunft vom Vater unterrichtet. 
ing er nach München und fiubirte mit königl. Unterflügung an der Akabemie. Später - 
ige ihn Cornelius bei den Fresken in der Glyptothek, wo er bie Blumen- und Arabes- 
ffungen bes trojanifchen Saals malte. Da der Meifter ſchon früher bie Hinneigung 


| 18 Neurologie Neuſatz 


feines Schülers zu ſolchen Gegenſtänden bemerkt Hatte, rieth ihm derſelbe ſich auch in Rande 
zeichnungen zu verfuchen und dazu die Balladen und Romanzen Goethe's zu nehmen. Es ge- 
ſchah, und der Dichter, dem die Arbeiten N.’6 überfandt wurden, zeigte eine fo aufmunternde 
Freude darüber, daß N. die Sachen mit der Geber auf Stein zeichnete und in 5 Heften (1829 

— 39) herausgab. Der Verleger derfelben fandte ihn 18350 nach Paris, un zu den Julirevo⸗ 
Iutionsliedern und den neuen Nationalgefüngen gleichfalls Randzeichnungen zu liefern. “Der 
Künftler löfte dieſe Aufgabe auf eine finnvolle und geiftreiche Art. Auf folche Weiſe wurde N. 
der Schöpfer eines neuen Gebiets, des der Dichterilluſtration. Nach feiner Rückkehr aus 
Frankreich ſchuf er zu den Dichtungen deutfcher Claſſiker mit umerfhöpflicher Phantaſie und 
tomantifchem Sinn formenreihe Rahmen, bie oft auf die anmuthigfte Weiſe den Inhalt der 
Dichtungen weiter ausfpinnen. Auch diefe Arbeiten kamen gefammelt unter dem Titel „Rand⸗ 
zeichnungen” in ſechs Heften heraus. Alle wurden aber übertroffen durch das einzelne in fehr 
großer Ausdehnung angelegte Blatt, welches das Märchen vom Dornrößlein behandelt (1836). 
Am Königsbau erhiele N. die Aufgabe, für den Salon ber Königin Wieland's „Oberon” zu ilu- 
ftriren. Ehe er 1838 nach Rom ging, lieferte er noch die Zeichnungen zu dem Derber’fchen 
„Sid“, und ſchuf fomit das erfte illuftrirte Buch, dem in allen Zweigen der Literatur feitbem fo 

viele gefolgt find. Nach feiner Rückkehr aus Italien fuhr er fort, aus feinen vermehrten Schägen 

zu fpenden; am liebften lehnte er fich dabei, wie früher, an bie Dichter an. Innige Bekannt⸗ 
ſchaft mit der Pflanzenwelt, mit deren reichem Material er fo erfindungsreich hauszuhalten 

weiß, glücklicher Humor, der fi gelegentlich gegen die Kunſtkritik zu richten pflegt, ein roman⸗ 

tifcher, märchenhafter Zug, der in der phantaftifchen Formenwelt fein liebenswürdiges ober 

tolles Wefen treibt: das ift der Charakter ber Randdichtungen bes Künftlers. In diefer Weiſe 

illuſtrirte er das Beder’fche Rheinlieb, gab er einzelne Blätter zu Goethe’fchen Gebichten, zu 

Kobell'ſchen Liedern in bairifcher Mundart u. f. w. Won dem großen Künftierfefte zu Mün- 

hen 1840 lieferte er eine Compofition in Gouache, welche den allgemeinften Beifall fand und 

1844 von ihm felbft in Stahl radirt wurde. Mit Julius Schnorr illuſtrirte er das 

Nidelungenlied. In einem Hauptbilde mit ſechs Nebenbildern ftellte er bie Hauptmomente bes 

Lebens und Leidens Chrifti dar. Zu den „Radirungen münchner Künſtler“ trug er namentlich 

durch eine fehr Humoriftifche Weihnachtöbefcherung bei. Zeblig' „Walbfräulein” und verfchie- 

dene deutfche Märchen, wie Afchenbröbel u. a., haben fich feiner iluftrirenden. Hand zu er⸗ 

freuen gehabt, der zahllofen andermweitigen Zeichnungen nicht zu gedenken, die er für verfchie- 

dene Zwecke des gefelligen und fünftlerifchen Lebens mit immer frifchem Humor und nie ver- 

fiegender Erfindung ausführte. Umfaffende Kenntniß der Decorationsformen zeigte N. in 

mannichfaltigen Entwürfen zur Decoration von Baulichkeiten aller Art. Eeit 1848 ift er Lei⸗ 

ter des artiftifchen Theil der königl. Porzellanmanufactur in München. 

Neurologie ober Nervenlehre heißt derjenige Theil der Anatomie, welcher es mit der 
Lehre von den Nerven (f. d.) zu thun bat. Diefe Wiffenfchaft onnte erft ind Leben treten, nach⸗ 
dem man fich in neuerer Zeit darüber verftändigt, was unter Nerv zu verftehen fei. Bei den 
älteften griech. Anatomen findet fi keine Spur diefer Wiffenfchaft. Ariftoteles ſcheint ber 
Erfte geweſen zu fein, melcher eine Ahnung davon hatte. Große Fortſchritte machte fie durch 
Galen; die Araber aber blieben bei Dem ftehen, was Galen erforfcht hatte. Zur Zeit der Wie⸗ 
derherftellung ber Anatomie machten ſich hauptſächlich Charl. Etienne, Falopia und Eu- 
ftahio um diefelbe verdient. Die neuere Nervenlehre begründeten in der zweiten Hälfte 
des 17. Jahrh. Thomas Willis und Raym. Vieuffens, die dann von Aler. Monro, Sömmer- 
ring, Sal und Spurzheim, Burdach, Karl Bell, Marfha Hal, Joh. Müller, Romberg, 
Stilling, Zonget u. X. weiter ausgebildet wurde. 

Neuropteren, f. Resflügler. 

Neuſatz, Neoplanta oder Uj⸗Videk, Freiftadt und Hauptort des gleichnamigen Diſtricts 
(85 AM. mit 218600 €.) in der feit 1849 von Ungarn abgetrennten Serbifchen Wofewob- 
(haft, am linken Ufer der Donau gegenüber von Peterwarbein, Sig des griech. nichtunirten 
Bischofs von Baͤcs, mit einem illyriſchen Gymnaſium, einer kath. Hauptfchule, eirier Judenſchule 
und einer Dampffchiffahrtsftation, zählte vor 1849 gegen 19000 €., darunter faft 10000 
griech. nichtunirte Serben. Die Stadt iſt neuern Urfprungs, treibt wichtigen Handel mit 
Deutfchland und der Türkei und baut vorzügliches Obft und Gartengewächs. Am 11. Juni 
1849 wurde N. durch die Palferlichen Truppen unter Seladhich mit Sturm genommen und 
bei diefer Gelegenheit durch das Feuer der Infurgenten aus ber Feſtung Peterwardein in einen 
Schutthaufen verwandelt. 


Renſchottland | Neufeeland wa 





ſchottland oderNova Bootia, ein brit. Bouvernement in Nordamerika von 885 QM. 
4 früher zufammen mit bem Gouvernement Neubraunſchweig (f.b.) den Namen Akadien 
‚ befleht aus einer von Rorboften nad) Südweſten fi) Hinziehenden Halbinfel am Atlan« 
ı Dean, bie blos im Rordweſten Durch einen ſchmalen Iſthmus mit Neubraunſchweig zu- 
enhängt, und aus ber norbofllich liegenden Inſel Gap Breton (f.d.). RN. hat viele und 
yafen, Darunter namentlich den zu Annapolis an ber Buntybai. Ebbe und Flut find hier 


irkften auf der ganzen Erde, indem in der Fundybai bie erftere bid zu einer Höhe von 55, 
inigen Stellen von 70 F. fleigt. Wegen feiner hohen und felfigen Küften bat das Land. 


uhes Unfehen. Auch im Innern ift es meiſt uneben, wenn auch ohne bedeutende Erhe⸗ 
n, im Allgemeinen ftark bewaldet und an den Küſten und Flüſſen gut angebaut. Der 
iſt ziemlich fruchtbar und das Klima wegen der oceaniſchen Lage des Landes gemäßigter 
x weſtwaͤrts unter gleicher Breite gelegene Eontinent, aber aus berfelben Urfache auch 
ucdht und im Winter faft imimmermährende Rebel eingehüllt, beſonders an ben Küften. 


xoducte find diefelben mie im ganzen nordöfllichen Theil Nordamerikas. Die Bewoh⸗ 


wa 300000, wovon 5060000 auf Kap Breton, find größtentheils beit. Urfprungs ; 
ibt es unter ihnen auch viele Franzoſen und Deutiche. Alle Religionsbekenntniſſe ge- 
in ber Eolonie völlige Toleranz. Die Presbyterianer bilden bie Mehrzahl, boch wird 
sgfifanifche Kirche als bie herrfchende angefehen. Unter ben Unterrichtsanftalten ift bie 
enbfte das King's⸗College zu Windſer; die Baptiſten Haben das Acabia- Kollege 
rton, die Sreöbyterianer eine höhere Schule zu Pictou, die Methodiften zu ©t.:Beorge, 


ten ein Seminar (St.⸗Mary's⸗College) zu Halifar. Außerdem gibt ed noch: 


here und Mittelfhulen und über 600 Elementarfchuien. Neben Viehzucht und Ader- 
Krb mit Erfolg Fifcherei getrieben. Die Eifenlager liegen unbenugt; die reichen Stein⸗ 
werden wenig ausgebeutet. Salz wird viel gewonnen, doch nicht ausreichend 
2 ber Seefifcherei. Der übrige Gewerbfleiß, höchſtens mit Ausnahme des Schiff- 
‚IR wabebeutend,, der Handel bagegen von Wichtigkeit, desgleichen die Rhederei. Die 
often Begenftände der Ausfuhr find Fiſche, befonders Stodfifche, Thran, Holz und 
kehlen. Die Verfaffung ift ähnlich ber von Canada. Dem von ber Krone ernannten 
erneur (Lieutenant-Bovernor), ber in militärifchen Unorbnungen bem General-Governor 
maba unterficht, ſonſt aber unabhängig ift, fteht ein egeeutiver Math zur Seite. Die le 
ve Berfammlung beficht aus einem Oberhaufe, beffen Mitglieder von der Krone auf 
Nag des Gouverneurs ernannt werben, und einem Unterhaufe, befien Mitglieder bie. 15 
und die Städte der Provinz wählen. Für den erſten Entbecker von. gilt Sebaſt. 
o (ſ. d.). Da die Engländer das Land anfangs vernadhläffigten, fo ließen fih auch Fran⸗ 
daſelbſt nieder, die jedoch 1613 von jenen vertrieben wurden. Vermöge eines Bertrags 
ngland kamen 1652 die Franzofen in den Beſit von N., indeß ſchon 1654 wurden fie 
Beonmell wieder vertrieben. Durch den Vertrag von Breba warb zwar das Land aber- 
m Frankreich abgetreten, 1690 aber während bes Kriegs zwiſchen Frankreich und Eng⸗ 
wu den Bewohnern Neuenglanbs wieber für England erobert, worauf im Frieben von 
1713 Frankreich auf defien Befig verzichtete. Als Hauptfladt des ganzen Gouverne- 
gitt Halifar (f. d.). Anbere bebeutendere Ortfchaften finb: Liverpool mit 10000 E., 
ı meit A000 E., von Hochfchotten angelegt;.bie auch in der Umgegend bie Hauptbevölte- 
Aden und in Tracht, Sprache und Sitte miel Nationales bewahrt haben; Lunenburg 
) mit 6000 E, welches von beutfchen Einwanderern 1753 gegründet ift, und be 

be Mheberei, Seefiſcherei und Handel mit Weftindien und Neufundland treibt. 
ufeeland (engl. New Zealand), das ſüdlichſte lied der das Feſtland von Auftralien 
we Halbkreis umgebenden Inſelreihe, befteht aus zwei, nur durch bie fünf Meilen breite 
raße getrennte, von Rorboften nach Suüdweſten lang hin fich erſtreckenden Infeln, bie 
a 4169 — 174° w. 2, und 344° 47° f. Br. liegen und einen Flächenraum von unge- 
DEO DM. einnehmen. Die nörblihe diefer Infeln heißt E⸗ikana⸗Maunwi oder Aina⸗ 
„ bie fübliche Tawai⸗Poenamm; jene wird in neuerer Zeit auch New⸗Ulſter, diefe Reto- 
ber genannt. Beibe find durchaus Gebirgsland, Heffen Höhe früher überfhägt murbe, das 
ı. ber That Alpen⸗ und zugleich vulkaniſchen Charakter hat. Sie zeigen ſich dem Feſtlande 







uftrallen an Reichtum bes Bobens, an Fruchtbarkeit und Schönheit, an Mannichfaltig⸗ 


Erzeugnifſe des Pflanzen- und Steinreichs beimeitem überlegen. Längs ber Weftfüfte ber 
en Infel erſtreckt ſich eine ſchmale Bergkette, die faft ſenkrecht aus dem Meere emporfteigt 
iter der fich landeinwaͤrts ein gewaltiges, die Sehneegrenze erreichendes Gebirge emporhebt. 


— 





160 Neuſeeland 


Von ber See aus gewährt dieſe Küſte einen wilden, abfchredienden Anblick. Die weiter noörblich 
gelegene Weſtküſte ift mit Bergen eingefaßt, durch die fich vegetationdreiche, ftellenweife waldige 
Thäler herabziehen ; auch gibt es hier viele Moräfte und Heine Seen. Der nörblichfte Theil 
ber Weſtküſte von Poenamu fteigt wieder fteil in die Höhe, ift jedoch mannichfach durchſchnit⸗ 
ten und gewährt dadurch viele vortreffliche Anterpläge. Durch die Mitte der Infel zieht ihrer 
ganzen Länge nach eine hohe, mit ewigem Schnee bedeckte Gebirgskette. Die DOftfeite der Süd⸗ 
infel gewährt von ber See aus feinen anmutbigen Anblid; auch bier ift diefelbe raube und 
wilde Natur bes Gebirge, das in hohen, mit Schnee bedediten, nur buch Engfpalten getrennten 
finftern Abſtürzen ſteil fich herabfenkt. Große Bergebenen, hoch über dem Meere gelegen, er⸗ 
ſtrecken ſich hier fenfeit ber Küftenkette, und bie meiften hier befindlichen Xhäler Haben einen 
fruchtbaren Boden. Jenſeit der auf beiden Seiten mit hohen Gebirgen umgebenen Cooksſtraße 
geht das Gebirge in der nörblichen Infel in derfelben Nordoftrichtung fort, bildet da8 hohe In⸗ 
felland, welches der 8450 8. Hohe Rua⸗Pahu beherrfcht, umd erreicht in bem 9035 F. hohen 
Edgecumbe feinen Scheitelpunft und in bem weit vorgeftrediten Oftcap unter 38° f. Br. fein 
Norbende. Auf ben Hochebenen und in den Thälern im Innern ber Infeln gibt es eine Menge 
Landfeen. Das unterirdifche Feuer auf den Infeln N.s ift fehr thätig, und außer mehren bren- 
nenden Vulkanen findet man überall Spuren biefer Thätigkeit in bervorfirömenden heißen 
Duellen und vulkanifchen Producten. Am ftärkften zeigt fich diefe vulkaniſche Thätigkeit auf 
ber Südweftfeite dee norblichen Infel, mo der 5820 F. hohe Vulkan Tongariro in unaufhör- 
licher Aufregung ift. Ein ausgebrannter Vulkan, Haupapa oder Taranaki, ben Seefahrern 
unter dem Namen Egmontsberg bekannt, erhebt fich in einem ifolirten, 8294 F. hohen Kegel nahe 
am Meere. DaN. außerhalb der Wendekreiſe liegt, fo ift fein Klima das ber warmen gemäßigten 
Zone, noch mehr gemäßigt Durch feine oceanifche Rage, ſodaß das Thermometer an ben Küſten 
nur zwiſchen 7 —290 R. Wärme ſchwankt. Die Gleichförmigkeit ber Temperatur und ber bad 
ganze Jahr, doch minder Häufig im Winter fallende Regen bewirken eine überaus Bräftige, 
immergrüne Begetation. Die hohen und ſtarken Bäume in den Wälbern find mit Schlingpflan- 
zen überzogen, und flrauchartige, zum Theil auch baumartige Farrnkräuter, beren man bier über 
140 Species zählt, überwuchern den Boden. Außerdem bat es eine Menge der tropiſchen 
ne aufzumeifen, während wieberum Mimofen, Myrtaceen und Proteateen eine 

nlichkeit der Flora N.s mit der von Neuholland, Südamerika und Südafrika hervorrufen. 
Zu den nüglichen, N. eigenthümlichen Gewächfen gehören ber neufeeländ. Flachs (Phormium 
tenax), die Arunwurzel und die Kohlpalme. Fruchttragende Bäume hat es nur wenige; da⸗ 
gegen iſt es reich an Bäumen mit buntelm, immergrünem Laube, zum Theil von außerordent⸗ 
licher Größe, wie die Bergfichte; auch finden ſich Kaubhölger mit zarten grünen Blättern. Die 
Sauna ift nicht reich; bei der Entdeckung fand man Bein einziges kriechendes Infekt und nur 
zwei Vierfüßler, eine Hundeart, die nicht belkt, und eine Beine Matte. Dagegen gibt es eine 
große Menge Vögel und Seethiere aller Art. Die einheimifchen Bewohner, etwa 150000— 
170000, gehören zu dem öftlichen Zweige der polgnef. Malayen. Sie find groß und ſtark, 
größtentheild von brauner Farbe, etwas dunkler als bei den übrigen polynef. Malayen, und 
haben angenehme Gefichtszüge. Beide Gefchlechter tättowiren fi, befonders die Männer. 
Zu ihren Gewohnheiten gehört es, durch Berührung ber Nafenfpigen ſich zu begrüßen. 
Ihre Kleidung befteht in einer groben zottigen Matte, verfertigt aus einer Art Schwert- 
Iilie. Ihre Wohnungen find einfach und bilden Dörfer, meift auf fteilen, unzugänglichen 
Punkten gelegen und mit Paliffaden, einem Graben und oft auch mit Thoren verfehen. 
Sie find Jäger, bauen Fahrzeuge mit allerlei Schnigwert und befchäftigen fich, befonders 
in den nördlichen Gegenden, mit Aderbau und Weberei. Untereinander im Betragen 
ziemlich leutfelig, zeigen fie fih um fo unverföhnlicher gegen ihre Feinde. Sie find Häufig im 
Kriege und verzehren ihre Gefangenen bis auf bie Köpfe. Ihre Sprache ift fehr wohltönend, 
da jedes Wort mit einem Vocal ſchließt. Sie zerfallen in verfchiedene Stämme, welche unter 
eigenen Häuptlingen ftehen. Diefe bilden einen eigenen Fürftenadel und flehen zum Volle, das 
in Adelige und Gemeine zerfällt, in einer Art Feudalverhältniß. Wuch haben fie Priefter und 
einige Religionsvorftellungen von einem höchften Weſen und Untergöttern. Dabei aber find fie 
in ihren Sitten und Gebräuchen fehr roh; noch immer herrfcht, außer der Menfchenfrefferet, 
die Sitte des Kindermordes unter ihnen. Doch rühmt man ihre Faſſungskraft, Kernbegierbe, 
Nechtlichkeit und Energie, wie fie denn überhaupt der Bräftigfte aller polyneſ. Volksſtämme 
find. Das Chriftenthum, das ihnen 4815 durch brit. Miſſionare gebracht wurde, machte hier 
erſt feit 1851 bedeutendere Fortfchritte. 


Renfibirien Reufiedlerfee 161 


N. wurde 1642 vom Holländer Tasman entbedt und Staatenland genannt; die erſte ge- 
sauere Kenntniß bes Bandes verdanken mir Coof, ber es auf feinen drei Reifen befuchte. Später 
wurde ed von vielen Weltumfeglern unterfucht. Seit Cook machten bie Engländer vielfache 
Berfuche, bas Land zu cultivicen ; doch erſt feit der Ankunft der brit. Miffionare gewannen diefe 
Berfuche einigen Erfolg und bewirkten, baß dad Land in den Bereich europ. Eolonifation gezo- 
sen wurde. Engländer und Franzofen rivalifirten in dieſer Beziehung. Erſtere gewannen 
durch ihre Miffionare nach und nach großen Einfluß; die Legtern aber fuchten in Folge ber Un⸗ 
temehmungen eines Übenteurers, Baron Thierry, eine eigene Nieberlaffung zu begründen. 
Um biefem Project zuvorzulommen, wurde N., nachdem ſchon zuvor einer brit. Eolonifations- 
yefellfchaft ein Freibrief zur Eolonifirung ertheilt und feit 1837 von ben Engländern mehre 
Anfiedelungen an der fogenannten Inſelbai an ber Norbfpige der nördlichen Infel begründet 
saren, 1840 ganz R. für eine Brit. Eolonie erflärt und die Etabt Wellington ald Hauptort 
ver Eolonie, ſowie Audland begründet. Allein die Speculationswutb, die fich auch hier der 
neuen Anſiedler bemächtigte, bie verehrten Maßregeln des Gouverneurs Fitzroy, vorzüglich 
ıber bie Eiferfucht der Miffionare, welche ſich in ihrem Einfluß auf die Eingeborenen bedroht 
jahen und fogar legtere gegen die brit. Coloniften felbft aufregten, verhinderten das Gedeihen 
ver Eolonie. Ein unglüdlicher Krieg, der 1845 mit den Eingeborenen unter dem Häuptling 
Defi ausbrach, brachte bie Nieberlaffung fogar dem Untergange nahe. Erſt nach erlangter Trup⸗ 
penverflärkung nebft Artillerie aus Auftralien rüdten die Engländer in das Innere der nörd⸗ 
chen Infel, erftürmten Anfang 1846 den feften Platz Pa des Häuptlings Kawiri, nahmen 
ben fühnen Häuptling Rauperaha gefangen und nöthigten Heli zur Flucht. Segt endlich er- 
Märten bie Eingeborenen ihre Unterwerfung, und der Gouverneur Gray erließ eine allgemeine 
Anmeſtie. Die Einwanderung aus England nahm nun allmälig, befonders feit 1850 zu, und 
1852 erhielt die Colonie ihre jegige Verfaffung. Danach wird diefelbe in ſechs Provinzen ein- 
erhellt. Un ber Spige ſteht der von ber Regierung erwählte Gouverneur mit dem ausſchließ⸗ 
lichen Rechte der Gefepgebung für die Eingeborenen. Für die Coloniſten übt die gefeggebenbe 
Gewalt ein Gentralparlament, welches aus einem Ober- und einem Unterhaufe befteht. Außer⸗ 
bem gibt es ſechs Provinzialverfammlungen, die wieder in ihnen legislative Functionen haben 
und an beren Spige je ein von ben wahlfähigen Körperfchaften ber Provinzen gewählter Su⸗ 
perintenbent fteht. Im 3.1849 wurde dad Areal des eigentlichen Eolonialbefiges auf 113AM. 
und befien Bevölkerung auf 31907 E. angegeben. Die nörbliche Infel enthält als die frucht⸗ 
barfle und volfreichfte faft alle Miffionsanflalten und brit. Anfiedelungen nebft den Städten 
Auckland, bem Hauptorte ber Eolonie und Sig des Gouverneurs, mit Kupfererz- und Braun- 
teingruben und 6000 E., Wellington mit 6000 E. und New⸗Plymouth. Die fübliche Infel 
hat im Ganzen einen für den Anbau minder geeigneten Boden, daher auch zur Zeit erft wenig 
Anfiebelungen, darunter die Stadt Relfon, und überdies eine verhältnigmäßig geringe Bevöl⸗ 
kerung von Eingeborenen. Vgl. Dieffenbach, „Travels in N.” (2 Bde., Lond. 1843); Rite 
er, „Die Eolonifation von N.” (Berl. 1842); Tyrone-Power, „Sketches in New Zealand” 
Tond. 1850); Brandes, „N. in gefchichtlichen Umtiffen von feiner Entdeckung bis zur Ge 
yenwart” in Raumer’s „Hiſtoriſchem Tafchenbuch” (1852). 

Renfibirien, eine Infelgruppe im nördlichen Eismeer, im Norden bes öftlichen Sibirien, 
unter 78" n. Br., von W. nad) D. ausgebreitet, hat einen Flächeninhalt von 1600 AM., 
beftebt aus drei größern und mehren Meinern Infeln und ift in eine öftliche und eine meftliche 
Gruppe getheilt. Simmtliche Infeln find felfig und faft das ganze Jahr mit Eisfchollen um⸗ 
geben; fie find wegen bes rauhen Klimas unbewohnt und werden von den Ruſſen nur wegen der 
Jagd auf Seethiere und wegen ber großen Dienge von Knochen urweltlicher Thiere, bie man da⸗ 
felbft findet, befucht. Insbefondere find die urweltlichen Elefantenzähne, die daſelbſt vorkommen, 
unter dem Namen bed Laͤchow'ſchen Elfenbeins wegen ihrer Schönheit berühmt. N. wurbe 
1760 duch ben Jakuten Ettrikan entdedit und fpäter von dem ruſſ. Kaufmann Lächow unter- 
fucht, weshalb es auch ben Namen Laächow'ſcher Archipel erhielt. 

Renfiedlerfee (ungar. Fertö), fiichreicher See im Weſten Ungarns, zmifchen bem ödenbur⸗ 
ger und dem wieſelburger Comitat gelegen, iſt nach dem Plattenfee der bebeutendfte See des 
Bandes, hat eine Länge von 4, eine Breite von 1; M., ift jedoch wegen feiner geringen 
Tiefe (6—13 F.) nicht ſchiffbar. Sein Waſſer erhält er aus dem Meinen Fluß Vulka; feine Ufer 
find mit dichtem Schilf bewachfen, das Heerben von wilden Bänfen, Enten und andern Waffer- 
bögefn zum Aufenthalt dient, von den Bewohnern der Umgegend aber aud) ie Dabebedung 


Gnsker, Sehnte Auſt. KL 


162 Renfilber Neuftadt - 


und zur Feuerung ſtark benugt wird. Das Waſſer ift fehr falzhaltig und fol gegen Hautaut« 
fchläge fehr gute Dienfte leiften. Don drei Seiten ift der See von blühenden Weingebirgen um- 
eingt, die ein treffliches Erzeugniß liefern. Im Often aber ſchließt fich ihm ber nur durch einen 
ſchmalen Damm getrermte große Sumpf Yanfag an, der an 6 AM. Ausdehnung hat, von 
Schilf und Rohr dichtbededt ift, bei hohem Wafferftande die Nachbarfelder überſchwemmt, oft 
aber auch zurücktritt und einen Theil feines Grundes dem Anbau überläßt. 

Nenfilber, f. Irgentan. 

Neuſohl (ungar. Besztercze-Bänya), königl. Frei- und Bergftadt im fohler Comitat, liegt 
am Bufammenfluffe der Gran und Biftrig in einem von hohen Bergen runbumfchloffenen Thale 
und gehört zu den fehönften Städten Ungarns, ſowol wegen ihrer reizenden, an Bergen, Hü⸗ 
gein, Gewäſſern, Wiefen, Waldungen, Schlöffern und Erzhämmern reihen Umgegend, als 
wegen der ſchönen Gebäude, welche die Stadt felbft zieren. Am bebeutenbften find unter biefen 
das alte Caſtell mit zwei kath. Kirchen, die Kathedrale, die ſchönen evang. Kirchen, das geräu- 
mige bifchöfliche Eaftell, der Palaft der Domherren, welcher früher ein Sefuitencollegium war, 
das herrliche Comitats⸗, das Stadthaus, das Bergmwerköfameralgebäube und das bürgerliche 
Spital. N. ift Hauptort des fohler Comitats, der Sig des Eivil- und Militärdiſtrietscomman⸗ 
dos, einer Bergwerkskammer und eines Berggerichte, wie des neufohler Bisthums und Capi⸗ 
tel. Es hat ferner ein kath. Gymnaſium, ein geiftliches Seminar, eine Nationalhauptſchule und 
andere Unterrichtd- und Wohlthätigkeitsanftalten. Die über 10000 Seelen ſtarke Einmohner- 
ſchaft, die Hauptfächlih vom Bergbau und ben verwandten Gewerbszweigen lebt, beftand früher 

faft nur aus Deutfchen, die Stephan I. des Bergbaus wegen aus Thüringen herbeigerufen 
° hatte. Gegenwärtig bilden die Deutfhen und Ungam zufammengenommen nicht ben zehnten 

heil der Einwohnerfchaft, die ſlaw. Nationalität ift und der Confeſſion nach ſich faft zu gleichen 
Hälften auf die kath. und evang. Kirche vertheilt. 

Neuſtadt heißen etwa 40 Städte und Marktflecken in Deutfhland. Darunter find bie be» 
mertenswertheften: Neuſtadt oder Wiener-Meuftadt, Hauptftabt einer Bezirtshauptmann- 
haft im Erzherzogthum Niederöftreich, mit dem Beinamen ber „ewig getreuen Stabt”, 6 M. 
füdlich von Wien, mit dem fie durch die Südbahn und den wegen des Holz. und Steinkohlen⸗ 
transports wichtigen Neuftädterfanal verbunden ift und an der Mündung des Kehrbachs in 
die Kleine Fiſcha, nahe an der ungar. Grenze. Die Stabt ift Sig mehrer Behörden und ward 
nach dem großen Brande vom 8. Sept. 1854, der nur 14 Häuſer verfchonte und vielen Men⸗ 
fchen das Leben koſtete, ziemlich regelmäßig wieder aufgebaut. Sie gilt als eine ber ſchön⸗ 
ften Städte Niederöſtreichs, ift mit einem breiten und tiefen Graben und einer bethürmten 
Mauer umfchloffen, hat vier Thore, einen großen Hauptplag mit einer fhönen Marienfäule, 
um den Laubgänge führen, zwei Kirchen und mehre Kapellen, darunter die Pfarrkirche zu 
Unferer Lieben Frauen mit merkwürdigen Dentmälern, die früherhin Domfirche war, eine Cie 
flercienferabtei mit einer Bibliothek von 20000 Bänden, Antiten-, Gemälde und Naturalien- 
fammlung, ein altes Rathhaus, ein Gymnafium, eine Hauptſchule, ein Bürger- und ein Mille 
tärhoßpital, zwei Kafernen bes Raketencorps, ein Theater und einen Neboutenfaal. Die fehr 
gewerbthätigen 13000 E. unterhalten Fabriken und Manufacturen in Sammt« und Seiden- 
zeug, Sammtband, Baummollengefpinnften, Fayencegeſchirr, Keder, fowie die größte Juderraf- 
finerie des Kaiferflaats, treiben auch Iebhaften Verkehr mit Wien und den meiften Kronländern. 
Vor dem wiener Thore fteht das fogenannte Wienerfreus, eine fhöne altdeutſche Säule, vom 
Herzog Leopold dem Biedern 1384 nach der Theilung der öfter. Rande zwifchen ihm und Al⸗ 
brecht II. errichtet. Vor dem füdöftlichen Ende der Stadt liegt die 1168 von Leopold dem Tu⸗ 
gendhaften erbaute vormalige kaiſerl. Burg, in welcher ſich fegt die berühmte kaiſerl. Militär- 
akademie für 500 Schüler befindet. In derfelben find bemerfenswerth die goth. St.-Georgt- 
. Kapelle mit dem Grabe Kaifer Maximilian's I. und feines treuen Nathes Dietrihftein, ſowie 
Glasgemaälden aus dem 15. Sahrh. und ſchönen Basreliefs in der Sacriftei; ferner bie ver- 
ſchiedenen Abtheilungen der Akademie mit werthuolln Sammlungen und einer Bibliothek 
von 8000 Bänden; in dem Burghofe das ſchöne Standbild Kaifer Friedrich’ II. vom J. 1455; 
vor bem Gebäude der große, von einer Mauer umgebene und vom Kehrbach durchfloffene Gar⸗ 
ten mit Wiefenplägen, Adern, Alleen, zwei Zeichen, Schanzen und Erercirplägen und bem Mo⸗ 
nument bes ehemaligen Akademiedirectors Grafen Kinsky. Die Stadt wurde 1192 von Der- 
ke Leopold dem Tugendhaften gegründet, 1236 von Kaifer Friedrich II. und 1237 von deſſen 

ruppen unter Konrad von Nürnberg gegen Herzog Friedrich II, 1241 aber von den Mor- 
golen belagert. Am 15. Juni 1246 wurden in ber Nähe dieingarn unter Frangipani von Her⸗ 


Reuftadt 163 


309 Friedrich II. welcher fiel, und 21. Mai 1274 von Ottokar II. von Böhmen befiegt. Im J. 
1455 verfammelte bier Kaifer Friedrich I. die deutſchen Reichsſtände, und 21. Aug. 1467 ge 
bot er daſelbſt den Fünfjährigen Landfrieden. Im J. 1485 wurde N. von König Matthias Cor 
vinus von Ungarn belagert, 15. Suni 1486 von diefem erobert und 28. Juni 1487 durch Ca» 
pitulation gewonnen, aber 1490 an Maximilian wieber übergeben. Auch ſah ſich die Stadt 
1529 und 1683 von den Türken belagert. Am 5. Juli 1609 erlangten hier bie evang. Stände 
Oſtreichs vom Kaiſer Rudolf II. den Majeſtätsbrief. — Meuftabt (poln. Prudnitæ), eine Kreid- 
ſtadt im ſchleſ. Regierungsbezirk Oppeln, mie 7000 E., Zuch- und Leinweberei und befudgten 
Getreidemärkten. Der Ort wurde gefchichtlich durch ein Gefecht zwifchen den Preußen und Oft» 
reichern 22. Mai 1745, welche Letztern auch die Stabt 23. Febr. 1779 zufammenfchoffen. — 
Keuftadt (poln. Novemiasto), eine Kreisftabt im weftpreuß. Regierungsbezirk Danzig,an ber 
Nheda und Biala, mit 2500 E., die Holz» und Getreidehandel treiben. Um bie Stadt herum 

30 Galvarienfapellen, wohin große Proceffionen unternommen werden, bie mit Sabre 
märften verbunden find. — Meuftadt, Hafenflabt im Herzogthum Holftein, an einer tief land⸗ 
ämmwärte dringenden Bucht der Oftfee, mit3000 E., die Schiffahrt und wichtigen Getreidehandel 
treiben. Hier fand in ber Nacht vom 20. zum 21. Juli 1850 des Kampf zwifchen bem holſtein. 
Kriegsdampfer „Don ber Tann“ unter Eapitänlieutenant Range und einem bän. Kriegsdampf⸗ 
boot, einer Corvette und einem Kutter flatt, wobei Zange, um ſich nicht ergeben zu mrüffen, fein 
Fahrzeug in bie Luft fprengte. — Reuſtadt an ber Donau, ein Städtchen im bair. Kreife 
Riederbaiern, im Lanbgerichte Abensberg, mit 1000 &., Pottafchfiederei, Hopfenbau, Zeug- und 
Wollenweberei und ftartem Holzhandel. Es finden ſich Hier mancherlet Spuren rom. Niederlafe 
fing und eine Sammlung alter Waffen im Rathhaufe ; ber Ort wurde 1632 von ben Schweden 
unter General Horn erflürmt. — Neuftabt an ber Aiſch, Stadt und Hauptort eines Randge- 
richts im bair. Kreife Mittelfranken, in ſchöner, fruchtbarer Gegend, mit Wollen-, Baummol- 
len⸗ und Lederfabriken, Nagelichmieden, Wein- und Hopfenbau und 2500 E. — Weuftadt an 
der Dofke, eine Stadt im ruppiner Kreife bes preuß. Regierungsbezirks Potsdam, mit ungefähr 
1100 E, ift wegen ber im nahen Dorfe Sieversdorf befindlichen Spiegelfabrit, befonders aber 
wegen bes Friedrich - Wilhelms - Geftüts bekannt. In dem benachbarten Dorfe Lindenau be» 
findet ſich das Landgeſtüt. — Neuftadt-Eherswalde, eine Stadt im oberbarnimer Kreife beffel- 
ben Negierungsbezirks, an der Finow und dem Finowkanal, fowie der Eifenbahn von Berlin 
nach Seettin gelegen, hat gegen 7000 E. und ift durch feine Fabriken in Stahl, Eiſen, Kupfer, 
Meſſing, Papier und Steingut, ſowie durch eine Mineralquelle mit erdig⸗ſaliniſchem Stahlwaſſer 
bekannt. Der Drt hat eine blühende Forftlehranftalt, welche fi bis 1830 in Berlin befand 
und durch Wilh. Pfeil (f.d.) organifirt wurde. Dig Umgegend bietet außer ben Kupferhämmern, 
Reffingmerten, Papierfabriken, Draht- und Nagelfabriken in ben nahen Dörfern Hegermühle, 
Eyechthauſen, Hohenfinow aud in alterthümlicher Hinficht Intereffe bar. Eine Meile nord⸗ 
wärts, am Wege nach Angermünde liegt dad Domänmamt Ehorin, früher ein Eiftercienfer- 
Bofter, welches 1231 gegründet wurde, die Gräber mehrer Markgrafen von Brandenburg ent- 
hätt und vorzüglich durch die ſchöne Ruine feiner Kirche ausgezeichnet tft. Vgl. Bellermann, 
„Beichreibung der Stadt N.” (Bert. 1829). — Neuftedt an der Hardt, eine Stabt und Haupt⸗ 
ort eines Landgerichts in der bair. Rheinpfalz, in einem anmuthigen Thale mit fchönen Umge- 
bungen gelegen, bat gegen 6600 E., ein Bymnafium, eine Hauptlirche mit ſchönen Frescoge 
mälden, aufehnliche Fabrikthätigkeit und Bierbrauerei. In der Nähe liegt bie alte Ruine Ham⸗ 
bach (ſ. d.). — NReuftadt an der Haide, eine Stadt im Fürſtenthum Koburg, an der Röthen ober 
Reha und am Fuße des dichtbewaldeten Muckbergs oder Mupbergs, mit einem herzogl. Schlofie 
und 2500 E. die viele fogenannte Sonnenberger Waaren verfertigen und flarten Hanbel da⸗ 
mit treiben. — Reuftadt unter der Harzburg oder an der Nadun, ein Marktfledien im braun« 
ſchweig. Fürſtenthum Wolfenbüttel, mit 1200 E.,dem Salzwerke Juliushall nebſt Sool- und 
Wellenbäbern, dem Hüttenwerke Ocker und ber benachbarten Ruine der alten Harzburg (ſ. d.) 
wobei ſich ein berühmtes Geftüt befindet. — Neuſtadt unterm Hohnſtein, ein Marktflecken 
und der Hauptort ber gräflich ftolbergfchen Grafſchaft Hohnftein (f. d.), mit einem Schloffe, 
worin bie gräfliche Kanzlei und das Unterconfiftorium ihren &ig Haben. Darüber erhebt fich det 
Hoehnſtein die größte aller Burgruinen bes Harzes. — Maͤhriſch⸗Neuſtadt oder Unczov, eine 
Stadt in der Bezirkshauptmannſchaft Zittau in dem olmüger Kreife Mährens, an der Oslawa, 
weit der Mocbbahn, Sig eines Bezirksgerichts, mit 4400 E., einer Landdechantei, einer deuf- 
ſhen Hauptſchule, einem Salzamte, einer Zegftätte und anfehnlicher Woufabeit⸗nion. — Ru 


164 Renftrelig Keufüdwales 


ſtadt an der Orla, Stadt und Hauptort des gleichnamigen, 1815 von Sachſen abgetretenen 
Kreiſes im Großherzogthum Weimar, mit 4500 E. einigen Fabriten und einem geſchichtlich 
merkwürdigen Exchloffe. — Menftabt an der Saale, Stadt und Hauptort eines Landgerichts 
im bair. Kreife Unterfranken, an ber Sräntifhen Saale, mit 2000 E., lebhaften Gewerbs⸗ 
betrieb, Gerberei, Färberei, Kunfl- und Damaftweberei, großer Baumwollenfabrik, Bier 
brauerei und anfehnlihem Handel. — Reuſtadt bei Stolpen, eine Stadt in der ſächſ. Kreis⸗ 
direction Dresden, an ber Polens, mit 2500 E. Lein⸗ und Strumpfiweberei. 

Neuſtrelitz, bie Haupt» und Reſidenzſtadt bes Großherzogthums Medienburg- Ctrelig, 
an der Oftfeite bes Zierkerfees, in anmuthiger hügeliger Gegend, erft 1733 angelegt und in Ge⸗ 
flalt eines achtedigen Sterns erbaut, beffen breite Strafen mit meift regelmäßigen Häufern 
am Marktplage zufammenlaufen, gehört zu den freundlichſten Mittelftäbten Norbdeutfch- 
lands, ift Sig der oberften Kandesbehörben, hat zwei Kirchen, bie Hof- und die Stadtkirche, ein 
großherzogliches Refidenzfchloß mit Park und Thiergarten, eine großherzogliche Bibliothek mit 
70000 Bänden, einer Sammlung wenbifh-obotritifcher Alterthümer und einem Düngcabi- 
net, ein Schaufpielhaus mit einer Hoflapelle, ein Bymnafium (Carolinum), eine Realſchule, 
eine Bildungsanftalt für die weibliche Jugend und andere Schulen, zwei Hospitäler, ein Ar⸗ 
menhaus und zählt 7500 E., welche hauptſächlich von der Hofhaltung, aber auch von Korn» 
und Wollhandel, Brauerei und Brennerei leben. Nur eine Biertelmeile üblich von R. liegt 
bie Stadt Strelitz ober Altſtrelitz mit zwei Pfarrkirchen, mehren Schulen, auch für bie jüb, 
Gemeinde, einer Strafe, Zucht» und Irrenanſtalt, mit 4000 E., lebhaften Gewerbsbetrieb, 
namentlich in Kabadise, Ledere, Ol, Wachslicht- und Wattenfabritation. Der Drt unterhält 
bie bebeutendften Pferbemärkte bes Großherzogthums. \ 

Neuſtrien oder Weſtfrancien (Francia occidentalis) hieß feit der Theilung von 511 in 
ber Beit der Merovinger und Karolinger ber weſtliche Theil des StammreichE der Franken 
(f.d.). Er erſtreckte fich von ber Scheldemündung füblich bis zur Loire, begriff die fpätern franz. 
Provinzen Isle⸗de⸗France, Orldanais, Perche, Zouraine, Anjou, Maine, Bretagne, Norman 
bie, Picardie und Artois, das franz. und belg. Flandern in fi und grenzte füblich an Aquita⸗ 
nien und oftlich an Burgund und Auftrafien (Francia orientalis). Die Hauptorte waren Soiſ⸗ 
fons, Paris, Orleans und Tours. Den Kern bes neuftrifchen Reichs bildete das Herzogthum 
Francien; bie Bretagne war immer nur lofe bamit vereinigt. Vom 10. Jahrh. an, nachdem 
Karl der Einfältige den Normannen den Landflrich, der nun die Normanbie bildete, 912 abge 
treten hatte, verlor fich ber Name N. | 

Reuſüdſhetland, eine um 64° f. Br. und 43° w. 2. gelegene Gruppe von fünf nad» 
ten, faft vegetationelofen, nur von Seevögeln und Seefäugethieren bewohnten Selfeninfeln, bie 
das ganze Jahr mit Eis und Schnee bebedit und nur für Walfifch- und Geehundsfänger, ſowie 
wegen ihres Steinkohlenreichthums von einiger Bebeutung find, gehören ihrer Natur nach, ſo⸗ 
wie die etwas öftlicher gelegenen füblichen Orkaden, zu den Sübpolarländern. 

Neuſüdwales (endl. New South Wales) heißt im weitern Sinne ber füboftliche Theil vom 
Neuholland (f. Auſtralien), im engern Sinne das Gebiet der brit. Eolonie Meufühwales, frü⸗ 
ber auch Botanybai (f. d.) genannt, welches zwifchen 317,0 und 36° f. Br. oder den Küften- 
flüffen Manning und Moruya fi etwa 75 M. meit in die Länge, 15—40 M. Iandeinwärtt 
erſtreckt, in 19 Graffchaften eingetheilt ift, aber feine meiften und wichtigften Niederlaffungen 
in ber 10—12 M. breiten Küftenterraffe zwifchen dem Dcean und den Blauen Bergen enthält. 
Das Areal bes befiebelten Theils wird auf 1625 DM. angegeben. Die Bevölkerung hat in 
ben legten Jahren bedeutend zugenommen. Im 3. 1831 belief fie fih auf 60800, 1845 auf 
189609, Ende 1850 bereits auf 265503 Individuen, welche außer wenigen Eingeborenen 
brit. Abkunft find. Der bei weitem größte Theil derfelben beftcht aus freien Anſiedlern, bie in 
urfprünglich Freie und in fogenannte Emancipirte, d. h. begnadigte Sträflinge und beren Rach⸗ 
kommen, zerfallen; bie übrigen find deportirte Sträflinge. Die legten fönnen nach abgelaufe 
ner Strafzeit zwar in die Heimat zurückkehren, bleiben aber gewöhnlich in ber Colonie. Die 
rüdfälligen oder unverbefferlichen Sträflinge werben ben fogenannten Pönalflationen im Wel⸗ 
lingtonsthale, an der Moretonbai, auf der Infel Norfolk (f. d.) zugewieſen und dort unter bie 
ftrengfte Aufficht geftellt. Die vorzüglichften Nahrungszmeige der Eoloniften find Landwirth⸗ 
haft, Handel und feit 18541 die Ausbeutung der reichen Boldlager. Der Ackerbau, der vor 
zugsweiſe durch die Verwendung ber Deportirten eine verhältnigmäßig große Ausdehnung ge⸗ 
iwonnen bat, wird im Allgemeinen nicht fehr durch den Boden begünftigt, obſchon man europ. 
Getreidearten und verfchiedene tropifche Früchte nicht ohne Erfolg baut. Defto günftiger find 


Ge de Gen Dargranet Bi ie erfien auf Gold veranflaltet wurden. 
waren bon üb Erfolge begleitet, und in Ba: entwickelte ſich 
permeineh Beben. Der Cisanpla Dr cn Geldgeber unb hielt 
min ‚Die hier geivonnenen jerwonnenen Befultate wurden indeſſe — br 


lem foiwie durch die Ne een Bunte im DMeroothale, in ber Nähe des — E 
Eeeſilich von Bathurſt. Seitdem ſuchte und fand man for Ina allen m Geafiöeften Ra, 
im Seiten der Blauen Berge, die — Gelbſchãte. Sie einem großen Gold» 

W das fich weit über die Grenzen von R. hinaub, wie es ſcheini, Theft licher Richtung, 
uptarme bed Murrayftroms (f. De auf 300 M. in die Länge und 87 IR. in bie 
alfo über einen Flähenraum von 26100 MM. ( faſt drei mal fo groß als Californien) 
IE Sm ug. 4851 begann bereits bie Solbanstuhr England. Die Eolowielcegier 
Hte Bald nach den erſten Entdeckungen bie ebein Metalle für ein Krongut erlärt und je 
hatperfon nur gegen — einer monatlichen Abgabe von 14 Pf.St. die Erlaubuiß 


beutung ber Golblagerftätten Fre Dehnoch befanden ſich 1851 ſchen an 10000 

rüber in er er $ erg ine für Die andern Gelonien im 

em Golbfunde bieher Vielmehr gingen leiden 

Erens Ei den A @xhdte, ufgeben ber Uxbeit, 

fonie Stö es 27 fung aller gefelf —ã— 
rung umi 2 

Hm, — (2 Bde, Lond. 1845); — ‚Travels. in N.“ (Bond. 


. ra‘ k 
Jngeoite, „Donots —AX 
eine Stadt von 10185 C. mit einen Freſhafen, im 
ovinz/ eine Biertelmelle vom! Drei, ml welpen 0 bar bie ban bez and 
und eine in neuefter Beit errichtete Dampffähre in — 
im ben Nömern, die hier ein —õ⸗ð; (eastra staliva) hatten. Die Stadt war früher 


Be beit! Öffenttichen Gpogiergängen umgefchaffen find. Die im Bund» 
ei 15. —* erbaute —— if —* — Ban 
jode am ganzen urfprüngfi- 
Bar barhnntenperhenbe Behunaen. DiePimühen 1%. fa De bontunbfen 
blend, indem jährlich auf acht Waffer- und vier Dampfmühlen gegen 140000 Gt. 
15 Zeinöl fabricirt wo . Frucht und Gteinfoplenhan- 
far befuchte Vichmäzkte. Gine ab mehee andere Babrifen bes Orts 
freitender Entivi Durch die Wocen-Düffelderfer Eifenbahn 
ie Belgien, erhalten; eine andere ifenbahn 
Farb Rrefelb ift in Ausficht geftelit. Oiſteriſch denftwürbig if Die Belagerung von 8 
r Karl den Küpnen von —— * der Gtreitigkeiten bes 
don Köln mit feinem den Herzog 


Hülfe rief, erfien die It fine gung henstmade 1ü.Satı 1474 vor. Ada 


: 166 Neutra Reutralität 


trotz ber größten Anſtrengungen vermochte er bie Stadt nicht einzunehmen. Nachdem bie Be 
Lagerung bereits elf Monate gedauert und dem Herzoge 10000 Mann gekoſtet hatte, beftimmte 
ben Herzog das Erfcheinen Kaifer Friedrich's III., der ſich mit ber Reichsarmee vor N. gelagert 
hatte, zum Frieden unb Abzuge. 

Neutra (ungar. Nyitra), Comitat Ungarns im bieffeitigen Donaukreiſe, im N. an Mähren, 
an das turöczer und trentfiner, im D. an das barfer, im &. an das komorner und preöburger, 
im W. an leßteres Comitat und an Mähren grenzend, war vor 1848 eines ber größten Comi⸗ 
tate des Landes. Es umfaßte einen Flächenraum von 122 AM. mit 1,380667 Joch urbaren 
Bodens und 364351, E. die m 2 königlichen, einer biſchöflichen Stadt, 59 Marktfleden und 
413 Dörfern wohnten. Mit Ausnahme des nördlichen Waag- und des Neutrathals und einer 
Beinen Ebene am Marchfluſſe ift N. vorherrfchend gebirgig ober doch hügelig. Getreide wird 
kaum für den eigenen Bedarf hinlänglich gebaut. Bon den Weinen ift namentlich der rothe 
Reuftabtler gefucht. Dingegen nimme N. in Rüdficht der Vich-, befonders ber Schafzucht bie 
erſte Stelle unter den ungar. Comitaten ein. N. erfreut fi) außerdem einer ziemlich Tebhaften 
Gewerbsthatigkeit; namentlich wird die Tuchfabrikation in Skalicz und Holich, die Lederfabri⸗ 
kation in Brezowa und Deutſch⸗ Pröna, die Papierfabrikation in Hradek, Lehota und Deite 
fhwunghaft betrieben. Die Nähe Mährens macht N. zum Vermittler zwifchen Ungarn und 
biefem Nachbarlande umd gibt dadurch feinem Handel Bebeutfamteit. Die Bevölkerung tft 
vorherrfchend ſlawiſcher Nationalität und kath. Glaubens. Die Magyaren fowie die Reformir- 
ten bilden Baum den fechöten Theil. Hauptort des Comitats war die fehr alte bifchöfliche Stabt 
Neutra am rechten Ufer bes Fluſſes Neutra, mit 6000 E. Andere bedbeutendere Ortſchaften 
find: Die befeftigte königl. Freiſtadt Skaliez mit 6860 €. ; die einft fo berühmte Feſtung Neu⸗ 
häuſel (ſ. d.) ; bie Feſtung Leopoldſtadt; ber bedeutende Marktflecken Nenftadtl nıit 7000 €. 
In neuefter Zeit iſt das Komitat R. durch mehre Bebietötheile der Comitate Presburg, Trentſin 
und Bars vergrößert, dann aber in zwei Gomitate, Oberneutra und Unterneutra, zerlegt wor⸗ 
ben. Dberneutra hat 54, AM. mit 207635 E., Unterneutra an 86 MM. mit 215283 E. 

tort Fo *8 Comitats iſt die ſchon erwähnte Stadt Neutra, des lettern bie alte königl. 
mau (|.d.). 

Reutralifiren heißt einen fauern Körper mit einem altalifchen oder bafifchen, oder einen 
altalifchen ober bafifchen mit einen: fauern dergeſtalt verbinden, daß feiner von beiden mebr vor» 
waltet, dag alſo bei Flüffigkeiten die neutralifirte Flüffigkeit weder blaues Lackmuspapier 
zöthet, noch geröthetes bläut. Man fagt in ſolchem Falle, die Säure fei von der Bafe gefättigt 
worben, und nennt bennach ben Zuftand, in welchem fich die Verbindung befindet, einen gefät- 
tigten, ben Act aber, Durch welchen diefer Zuftand herbeigeführt wurde, die @ättigung, und den 
Moment, in welchem durch fortgefegte Hinzufügung der einen Subftanz zur andern die Sättl- 
gung vollendet wird, ben Saͤttigungspunkt. Da der theoretifch-hemifche Begriff der Reutra⸗ 
lität oder bed neutralen Zuftandes in ber neuern Chemie eine andere Bedeutung erhielt 
(f. en) fo hat nur noch diefe praktifche Erklärung des Neutralifirend ihren Werth. 

Reutralität (lat.), das fi Enthalten von aller Theilnahme zwifchen ftreitenden Parteien, 
iſt in völkerrechtlicher Beziehung von befonderer Wichtigkeit. Kein Staat kann von Rechts we⸗ 
gen zur Theilnahme an einem Kriege dritter Staaten wider feinen Willen gezwungen werben; 
jeber Bat alfo das Recht, neutral zu bleiben, und folange er das bleibt, fteht er zu ben Krieg 
führenden im Friedensſtande, woraus denn die Unzuläffigkeit aller Feindſeligkeiten gegen ihn, 
‚ fein Gebiet und feine Angehörigen folgt. Dagegen darf er aber auch nicht auf indirecte Weiſe 

ben einen Kriegführenden vor dem andern begünftigen. Deshalb muß er bie Vortheile, die er 
dem Einen einräumt, auch dem Andern zugeftehen, e6 wäre denn, daß ber Erftere bereits vor 
bem Kriege durch befondere Nechteverhälmiffe ein befferes Recht in feinem Gebiete gehabt 
hätte. Man unterfcheibet zwiſchen allgemeiner umd partieller, nur für gewiffe Befigungen aus⸗ 
gefprochener Neutralität, wie auch wol z. B. wiffenfchaftliche Unternehmungen mitten im Kriege 
für neutral erflärt worden find. Der Unterfchieb zwifchen volltommener und unvollfommener 
Neutralität Hatte früher mehr Bebeutung als gegenwärtig. Dan konnte früher mit einer Na⸗ 
tion im vollen Frieden fein oder fich zu fein ftellen und doch ihrem Feinde in Folge älterer Ver⸗ 
träge eine Rriegshülfe gegen fie leiften. Rechtlich ift das auch noch gegenwärtig möglich ; felten 
aber würde es eine andere Folge haben als eine Kriegserflärung. Überhaupt find viele Subtl- 
litäten bes Völkerrechts in Betreff der Neutralität ziemlich unpraktifch geworben und zwar 
theils dadurch, daß der Krieg gegenwärtig einen ungleich ernftern und wahrern Charakter ange 
nommen hat umb nur noch um wichtiger, tiefgreifender Urfachen willen möglich ifl, wobei man 


Nentralfalze Neuwied 197 


o auch weniger um formelle Rechtögrünbe kümmert, theils dadurch, daß überhaupt bie 
yen Erwägungen bie Hauptentfcheidung geben. Dat ein Staat ein Intereffe daran, ben 
fen nicht zum offenen Gegner zu haben, fo ficht ex über Alles hinweg, was biefer thum 
im Gegenfalle zieht er ihn in den Krieg, indem zwar gegen den als neutral Anerkannten 
en zu beobachten find, e8 aber jeder Macht freifteht, der andern nach ihrem Ermeſſen und 
e Gefahr Krieg zu erklären. In diefem Umftande liegt zulegt auch das Unprattifche der 
ers im Seerecht vorkommenden Streitigkeiten über das Recht ber Neutralen: Gtreitig- 
bie 1780 au ber erften und 1800 zu ber zweiten Bewaffneten Mentralität unter ben 
hen Seemächten führten. So Tonnen auch nur die fogenannten Immerwährenden 
alitäten, bie man zumeilen einzelnen Staaten, z. B. Belgien, der Schweiz, zugefprochen 
ndem Weltlaufe abhängen. Beweis hiervon gab in neuerer Zeit das Verfahren mit 
eiftaate Krakau, der Oftreich einverleibt wurde, obfchon er jener Neutralität unterfiellt 
te. Sicher ift alle Neutralität nur fo weit, als die Kraft reicht, fie zu behaupten. 
stralfalze nannte man fonft vorzugsmeife die weder fauer noch alkaliſch auf Pflanzen» 
reagirenden Salze der Alkalien und Erben, fpäter alle Salze ohne fauere und alkalifche 
on. Seit Aufftelung bes beftimmten Begriffs der Sättigungscapacität in Folge ber 
ritte ber Lehre von den chemifchen Aquivalenten oder Mifhungsgewichten pflegt man 
ſolche Salze neutrale zu nennen, welche in ber. Säure ſoviel mal mehr Sauerſtoffäqui⸗ 
als die Bafis enthalten, als in dem einfachen Aquivalente ber Säure Sauerſtoffäquiva⸗ 
genogmen werben müffen. &o enthielt alfo in allen neutralen kohlenſaueren Salzen bie 
zwei Aquivalente Sauerftoff auf ein Aquivalent in der Baſis; in den fchwefelfauren tft 
rhaltniß 3 : 1, in den falpeterfaueren 5 : 1, in ben neutralen Salzen der gewöhnlichen 
jorfäure 5:3 u. ſ. w. Dies ftimmt aber mit dem ältern Begriffe nicht immer überein, 
neutraled Salz eine fauere Reaction befigen ann, wie z. B. bei dem fchwefelfaueren 
oryd der Fall ift, oder eine altalifche Reaction, wie das kohlenſauere Kalt. 
ateum (lat. d. i. keins von beiden) ift die fchon feit den Zeiten Quintilian’s übliche Be 
tg für bie dritte Gefchlechtöform, welche im Sanskrit, dem Griechifchen, Lateinifchen, 
Gen und fämmtlichen german. Sprachen neben dem Masculinum und Kemininum be 
Die Bezeichnung felbft ift nicht ganz beflimmt, weshalb man auch andere Benennungen, 
jliches, dingliches, ungewiſſes Gefchlecht, bafür vorgefchlagen hat. Andere Sprachen, 
Hebräifche, Celtiſche, Lithauifche und ſämmtliche roman. Sprachen, haben die Neutrale 
itweder gar nicht entwidelt oder haben fie, wie bie 5.3. bei ben roman. Sprachen am 
Heu nachweisbar ift, im Laufe der Zeit verloren. In biefen Sprachen find dann alle 
e, welche im Deutfchen oder Lateiniſchen Neutra find, theild dem Masculinum, theils 
mininum zugefallen. Diefer Umftand bat bei folhen Fremdmworten, die roman. Ur 
ı find, für und Deutfche bisweilen ein Schwanten zwiſchen Masculinum und Neutrum 
ge, z. B. das und der Eomitd, franz. le comito. Geiner urfprünglichen Bedeutung 
jeichnet das Neutrum nicht gerade die Geſchlechtsloſigkeit, fonbern vielmehr nur die Un⸗ 
lung des Geſchlechts. Deshalb wirb das Junge, deſſen Befchlecht ſowol männlich als 
fein ann, ſich aber noch unwirkſam darftellt (3. B. Kind, Kalb, Lamm), oder das All 
, Collective (3. B. Rind, Schwein) durch das Neutrum ausgedrüdt. Damit hängt zu⸗ 
1, daß auch die Diminutivformen eine befondere Neigung für das Neutrum zeigen. 
wales heißt der zu den brit. Befigungen in Nordamerika gehörige Landftrich, der mit 
Hächenraum von ungefähr 30000 AM. auf der ganzen Ränge der Weſtſeite der Hud⸗ 
von Südoſten nach Nordweften ſich binzieht, 1610 von Hudfon entdeckt wurbe und in 
wales und Neunordwales zerfällt. Das Land ift gebirgig, wird von ben Flüſ⸗ 
ern, Albany, Churchill und dem Nelfonfluß durchſtrömt und kommt hinfichtlich feiner 
und ethnographifchen und commerciellen Berhältniffe mit ben Ländern ber Hubfonsbai 
pt überein. N. ift im nördlichern Theile wegen feiner furchtbaren Kälte und des faft 
en Mangeld an aller Vegetation faft gar nicht bewohnbar, im übrigen Theile von un⸗ 
gen Indianerfiämmen befegt. Nur im füblichen Theile hat die Hudfonsbaigefellichaft 
Bederlaffungen. 
wied, die Hauptfladt der mebiatifirten Grafſchaft Wied (f. d.), Reſidenz des Fürften 
eb und Sig der fürfilichen Regierung, In dem preuf. Regierungsbezirk Koblenz, liegt 
ten Ufer des Nhein, über welchen eine fliegende Brüde führt, in einer fehonen Ebene 
gegen 7000 E., zum größten Theil Katholiken, Proteflanten und Reformirte, aber 
ennoniten, Quäfer und Infpirirte, Herenhuter und Juben. Die Stadt wurde erſt zu 


108 Neuyork (Staat) 


Anfange bes 18. Jahrh. angelegt und hat deshalb breite rechtwinkelige Strafen und freund» 
fiche Wohnungen. Ihren ſchnellen Flor beförberte der Fürſt Alerander von Wied-Reumieb be» 
onders dadurch, daß er allen Anfieblern freie Religionsübung geflattete. In dem mit einem 
hönen Garten umgebenen Refidenzfchloffe findet fich eine anfehnlihe Sammlung rom, Alter- 
thünmer, welche in ber Umgebung der Stadt, wo man 1794 namentlich eine Römerftabt ent- 
dedkte, gefunden wurden, fowie auch das von dem Prinzen Marimilian (f.d.) von Wieb gefam- 
melte brafilifche Mufeum. Sehenswerth ift außerdem das Haus ber Brüdergemeine. Auch 
bat die Stadt ein Schullehrerfeminar. Die Bewohner find fehr gewerbthätig, fabriciren Wol⸗ 
Ien- und Baummollmmaaren, Tapeten u. f. w., liefern ſchöne Uhren, Blech⸗, Tifchler- und an- 
dere Waaren und unterhalten einen bebeutenden Verkehr auf bem Rhein. Norböftii von R. 
Tiegt das Luſtſchloß Monrepos, ein einfaches Gebäude von einem Stockwerk mit herrlicher Aus- 
fit. Vgl. Eaffino, „Die Stadt N.“ (Neumieb 1851). 

Nenyork (New York), der durch Reichtfum, Vollsmenge und Ginfluß bedeutendſte ber 
Vereinigten Staaten von Nordamerika, liegt am nörblichften unter den Middle Atlantic States, 
zwiſchen 40'4° und 45° n. Br., wird begrenzt im N. von Canada, dem Lorenzfirom und On- 
tariofee, im W. vom Niagarafluß und Eriefee, im &. von Pennfolvanien, Neujerfeg und dem 
Atlantiſchen Ocean, im O. von Connecticut, Maffachufetts und Vermont, und umfaßt ein Areal 
von 2171 AM. Die Oberfläche ift [ehr mannichfaltig. Ihr Hauptrelief erhält fie durch zwei 
Bergzüge (die Highlands und bie Catskillberge) welche den öftlichen Theil des Staats durch⸗ 

iehen und als Fortfegungen der Alleghanys anzufehen find. Durch dieſe beiden Bergzüge, zwi⸗ 
chen denen das Thal des Champlainſees und des Hubfonfluffes eine merkwürdige Querſpalte, 
bie tieffte Depreffion im Syſtem der Alleghanys, bildet, erhält ber ganze Dften bes Staats 
durchgängig einen bergigen und hügeligen Charakter. Dagegen ift das Land im Weſten berfel- 
ben vorherrfchend eben, ausgenommen im Süden, in ber Nähe der pennfylvan. Grenze. Die Be 
wäfferung bes Staats ift reich und mannichfaltig. Unter den Flüſſen ift der 70 M. lange Hub- 
fon ber bedeutendfte und von außerordentlicher Wichtigkeit wegen der großen Vortheile, bie er ald 
Waſſerſtraße bietet, indem fein unterer Lauf, zum großen Theil eigentlich eine ſeenartige Erwei⸗ 
terung, für Seefchiffe bis zur Stabt Hudſon, für Sloops fogar bis Troy, 1Y DM. oberhalb Al⸗ 
bany und 34 M. von der Münbung, fahrbar ift. Bei Troy verftärft buch den 29 M. langen, 
weniger für bie Schiffahrt als durch feine Fälle (AO und 70 F. hoch) für die Fabrikeninduſtrie 
wichtigen Mohawk, mündet ber Hubfon gegen 5000 F. breit bei ber Stadt Neuyork. Der2IM. 
lange Benefee mündet, nachdem er einige bedeutende Waſſerfälle gebildet, inden Ontariofee, wie 
auch der 26 M. lange Black˖ Niver, der Oswego und andere Klüffe. Der Dsmegatchie fällt in den 
St.-Lorenz, der Saranac bei Plattsburg in den Champlain. An ber Norbgrenze fließt ber St. 
Lorenz, an der Südgrenze der Alleghany, der Susquehannah und ber Delamare, beren Haupt 
arme im Staate N. entfpringen. Außer bem Champlain- (f.b.), bem Ontario- (f. d.) und Erle 
fee (f. d.), die theilweife zu N. gehören, enthält der Staat eine Menge Bleinerer Zandfeen. Die 
Seeküſte von N. ift ihrer Ausdehnung nach die geringfte in den 13 alten Staaten ber Union ; aber 
in feinem derfelben ift die Berührung mit der See fo einflußreich für die Entwidelung bes Ver⸗ 
kehrs und der Macht geworden wie hier. Dies ift vornehmlich der günſtigen Rage des fhönen 
Hafens der Stadt Neuyork in Bezug auf die innere Wafferverbindung mit einem wichtigen 
Hinterlande zu verdanken, ſowie der auferordentlichen Sorge des Staats für Vervolllomm- 
aung und Vervielfältigung dieſer Wafferverbindungen. N. nimmt hierin ben erſten Rang unter 
den Unionsflaaten ein. Im 3.1825 befaß der Staat nur erft den Eriefanal (f. Eriefee) von 
79 M. Länge, 1853 aber ſchon einen Kanaltract von 186M. Das Klima NE iſt im Süd⸗ 
often veränberlich, der Winter zwifchen den Gebirgen lang und fireng. Im Weſten zeigt ſich 
war das Klima gemäßigter und angenehm, doch immer noch exceffiv an Wärme und Kälte im 
Vergleich mit europ. Ländern unter gleichen Breitegraden. Die Bodenbefchaffenheit ift durch⸗ 
gängig günftig, zum Theil fehr fruchtbar. Die eigentlichen Aderbaubiftricte find aber mehr 
auf den ebenern Welten befchräntt, und namentlich ift das Gebiet ziwifchen dem Mohawkthale 
und den Großen Seen der eigentliche Weizendiſtrict des Landes. Im I. 1850 waren IOHAM. 
bes Bodens urbar gemacht und bebaut. Der unebene Often eignet fich mehr zur Viehzucht, 
mit deren Producten, ſowie mit Honig und Wachs ein bedeutender Handel nach dem In⸗ und 
Auslande, auch nach Europa getrieben wird. Der Staat hat noch ſchöne Waldungen, befon- 
ber& in den Berggegenden, während diefe in den Ebenen mit ber Entwidelung des Anbaus 
zafch verfchwinden. Die wichtigften Walbbäume find die Weymouthkiefer, die Hemlockstanne, 
Eichen, Birken, Buchen und Ahorn, befonders Zuderahorn, aus dem 1850 gegen 10), Milk 


Keuyork (Staat) . 168 


Br. Ahornzucker geivonnen wurden. Annugbaren Mineralien find befonders zu nennen Salz und 
ifen, während Steinkohlen fehlen. N. ift der volkreichfte, wie Maffachufetts der volks dichtefte 
Staat der Union. Die Bevölkerung flleg-in den 3. 1790 — 1850 von 340120 auf 3,097394 
Seelen, was eine Zunahme von 810,58 Proc. ergibt. Unter ber Gefammtbevölterung befan- 
ben fi 1850: 47957 freie Farbige: unter ben Weißen aber 651801 Fremdgebotene, unb 
zwar 118398 aus Deutfchland, 84820 aus England, 31000 aus Schottland, 343111 aus Ir 
fand, 47200 aus Britifch- Amerika. Indianer zählte man nur noch 37793 Sklaven hat N. jegt 
Beine mehr. Das Hauptgemwerbe der Bevölkerung bildet noch immer die Landwirthſchaft, un⸗ 
erachtet des bedeutenden Aufſchwungs ber Inbuftrie und des Verkehrs. Man zählte 1850 
86 Baummollen- und 249 Wollenfabriken; fene mit einer Production von etwa 3,592000 
Doll, diefe von 7 Mill. Doll. Gleichwol ſteht In diefen Induftriegmeigen N. im Verhältniß 
zu feiner Größe unb Bevölkerung bem Staate Maffachufetts und ben meiften Neuenglanbs- 
ſtaaten nach. Dagegen ift die Eifenfabrifation bedeutender als in irgend einem der Unionsflaa- 
ten, felbft als in Sennfolvanien. Sie befchäftigt 18 Werke für Roh⸗, 60 für Stab » und 323 
für Gufeifen, bie für nahe 8 Mill. Doll. Eifen, darımter für nahe 6 Mil. Doll. Gußwerke 
lieferten. Es gibt aber außerdem kaum einen Induſtriezweig, ber nicht im Großen betrieben würde. 
Auch der Maſchinen und Schiffbau iſt von hoher Wichtigkeit. Legterer fteht nur dem in Maine 
nach und ließ 1850 nicht weniger ald 224 Schiffe, worumter viele Dampfboote, vom Stapel 
laufen. Marinearfenale umb Werfte find in der Stadt Neuyork, in Sacketts Harbour und 
Brooklyn. Ferner ift die Fifcherei von Bedeutung. In Handel und Schiffahrt übertrifft aber 
X. ae übrigen Unionsflaaten bei weitem. Die Ausfuhr betrug 1850— 51 etwas über 86, bie 
Einfahr über 1414 Mill. Doll. Die wichtigſten Producte der Ausfuhr find Getreide, Mehl, 
gepölektes Fleiſch, Butter und Käfe, Pferde und Schlachtvieh, Pottafche, Leinfaat, Erbſen 
Bohnen und Bauholz. Gefördert wird der Verkehr durch zmolf Häfen, movon vier (Neuyorf, 
Gagg-Harbour, Sreenport und Cold⸗Spring) am Meere, bie übrigen an ben Seen und am ©&t.- 
2orenzfireme liegen; ferner durch bie vielen Kanäle, durch die Menge von Poſtſtraßen (von 
3906 M. Länge) und durch 45 Eifenbahnen, von denen im Jan. 1853 gegen439 M. dem Be 
trieb übergeben und 196 M. im Bau begriffen waren. Zu dieſen Mitteln treten noch 277 Ban- 
fen mit einem Gapital von 65%. Mil. und einem Notenumlauf von 30 Mil. Doll. Dem reli⸗ 
siöfen Bekenntniſſe nach bilden die Epiffopalmethobiiten und die Presbyterianer die ntfchiebene 
Mebeheit. Sehr zahlreich find auch die Gongregationaliften, Bapriften, Holländifch - Refor- 
sukzten, Univerfaliften, Duäter und Katholiten. Der Staat befigt viele Titerarifche Inflitute: 
19 Univerfitäten und Gollegien, darunter ſechs theofogifche, eine furiftifche und vier medicinifche. 
Sfr den Belksunterricht ift Durch etwa 600 Mittel- und über 14000 Elementarſchulen hinläng- 
lich geſorgt. Auch liegt im Staate bie Milltäratabemie von Weſtpoint, ein ben Vereinigten 
Staaten gemeinfames Inftitut. Die Zahl der öffentlichen Bibliotheken beträgt über 200, die 
der Schulbibliotheken über 8000. Der Staatsſchulfonds beläuft. fich auf 6° Mill. Doll, bie 
vom Privateigenthum, das auf 728 Mill. Doll. gefchägt wird, gezahlte Freifchulenfteuer auf 
800000 Doll. Die Finanzen des Staats find In fehr befriedigendem Zuftande. Ex bat mar 
eine große Schuld, nämlich (1. Sept. 1852) 24,5235999 Doll.; allein die Eifenbahnen, Ka⸗ 
näle und andere Bauten befigen nach ihrer Koftenabfchägung allein einen Werth von mehr ale 
35 Mil. Don. und geben einen großen Gewinn. Im J. 1850 betrug die Einnahme 2,532969, 
die Auſgabe 2,478448 Doll. 

Der Hudſon und die Infel Manhattan wurden von Henry Hubfon 1609 entdedit. Die Hol- 
länber gründeten 1613 bie erfte Niederlaffung an ber Südfpige jener Infel, bemächtigten fich 
dann des Landes und nannten ed Meuniederland ober Nenbelgien. Im J. 1664 wurbe das 
Land von den Engländern umer Richard Nichols für den Herzog von York in Befig genom- 
men und auch im Frieden zu Breba 1667 von Yen Holländern überlaffen. Indeſſen nahmen 
e6 1673 die Holländer wieder weg, gaben es aber ſchon 1674 im Vertrage zu Weſtminſter 
abermals zurüd und ber Herzog von York erhielt num von feinem Bruder Karl II. ein neues 
Berleigungspatent. Die Colonie fühlte fi) unter ber Oberherrlichkeit des Herzogs oft hart 
bebrüd, hielt aber bereits 1683 ihre erfte legislative Verfammlung ab. Im J. 1689, nach der 
Bertreibung ber Stuarts, warb das Land unmittelbare Provinz der brit. Krone. Auch in dem 
nenen Berhältniffe gab fich oft genug politifches Misvergnügen kund, befonders in Bezug auf 
Übgaben, und zumal hei den Streitigkeiten über die Stempeltare (1765), welche der Tren⸗ 
wmg ber Colonien vom Mutterlande vorausgingen. Im 3.1776 wurde N. von ben Engländern 
erebert, die bis zum Frieden von 1783 im Beſitz blieben. Am 26. Juli 1788 nahm ber Staat 








40 Reuyork (Stabt) 


bie Berfaffung ber Union an. Die gegenwärtige Staatöverfaffung, welche die ſchon 1924 In 
mehr liberalem Sinne amenbirte, urfprünglich ſehr confervative Eonflitution von 1777 in eine 
entſchieden demoßratifche umgewandelt umd namentlich, das Wahlrecht faft zu einem allgeme» 
nen gemacht hat, ift vom 9. Oct. 1846. Sie ertheilt jedem Qijährigen weißen Bürger ber Ber 
einigten «Staaten, der ein Jahr im Staate und zehn Monate in ber Graffchaft, in weicher ex 
wählt, gewohnt hat, dad Wahlrecht. Auch die Farbigen haben dieſes Recht, wenn fie drei Sabre 
im Stante gewohnt haben, feit einem Jahre ein Freigut von 250 Doll. Sahresertrag als Eigen 
thum befipen und davon eine Tare bezahlen. Die ausübende Gewalt ift in ben Händen eines 
Gouverneurs, der einen Gehalt von A000 Doll. bezieht. Die gefeggebende Gewalt üben ber 
Senat von 32 und bad Haus der Repräfentanten von 128 Mitgliedern. Der Gouvernent, die 
oberften Beamten und bie Senatoren werben auf zwei, bie Repräfentanten auf ein Jahr, bie 
Richter auf acht Jahre vom Volke gewählt. Zum Congreß ſchickt N. zwei Senatoren und 33 
Repräfentanten. Der Staat wird in 59 Graffchaften eingetheilt. Die Hauptſtadt ift Albany 
(f. d.), die größte Stadt aber Neuyork (f. d.). Bebeutende Städte find noch: Broofiyn, Buf⸗ 
falo, Rochefter, Syracufe, Troy, Utica, Williamsburg. 

Neuwvork, die größte Stadt und das Hauptemporium ber Neuen Welt, nach London ber be 
beutendfte Handelöplag der Erbe, Tiegt auf dem Sübenbe ber zwiſchen dem Hudſon, Dem Harlem» 
und Eaft-River befindlichen, gegen 5 M. langen und etwa 1 DOM. umfaffenden Infel Manhat⸗ 
tan, welche das Stadtgebiet und bie Grafſchaft N. bildet. Die Stadt iſt an ber herrlichen Reu⸗ 
yorkbai erbaut, welche ben 5/. AM. umfaffenden, durch eine Gruppe von Inſeln (ſ. Long-I6- 
land) gänzlich vor bem flürmifchen Dcean geſchützten, zugleich an allen feinen Zugängen durch 
Feſtungswerke gefiherten Seehafen, und zwar den innern Hafen bildet, während ber Außen⸗ 
bafen ober bie eigentliche Bai von den Narrows, dem füblichen Eingang zwiſchen Staten⸗ 
und Long ⸗ Island, gegen 4 M. ſüdwärts bis zur Landzunge Sandy⸗Hook in Reujerfey reicht. 
Die fremden und mit dem ausländiſchen Handel beſchäftigten Schiffe ſammt den großen Küſten⸗ 
fahrern liegen meift am Ufer bes Eaft-River, die übrigen Küftenfahrer und Binnenlandfchiffe 
vorzüglich im Hudfon. Bon den Holländern 1613 umter dem Namen Neuamflerbam gegrün- 
det, 1664 von ben Englänbdern erobert, von biefen Neuyork genannt und mit Ausnahme eines 
holl. Zmifchenbefiges von 1673 — 74 bis zum Nov. 1783 behauptet, ift die Stabt ſehr raſch 
zur Metropole von Nordamerika emporgewachſen. Im J. 1731 betrug ihre Bevölkerung 4622, 
im J. 1852 532392 Seelen, mworunter 80000 Deutfche. Zählt man Brooklyn (f. b.) und 
Williamsburg auf Long⸗Island, die mit N. gefchäftlich nur als eine einzige Stadt zu hetrach⸗ 
ten find, hinzu, fo beträgt die Bevölkerung über 643000, mit den übrigen Nachbarorten 
630000, mit Staaten. und Long-Island etwa 750000 E., worunter 100000 Deutfche. Mit 
Ausnahme ber alten, urfprünglich von den Holländern angelegten, unregelmäßig und zum 
Theil fehr eng gebauten Theile der Stadt iſt N. regelmäßig und gut gebaut. In der Nacht vom 
16. zum 17. Dec. 1835 brannte durch eine furchtbare Feuersbrunſt ein AD Aeres großer Theil 
bes eigentlichen Geſchäftsquartiers ab, wodurch an Gebäuden und Waaren ein auf 18 Mil 
Doll. gefchägter Schaden angerichtet wurbe. Längſt fchon ift diefer Stadttheil ſchöner und 
zweckmaͤßiger wieder aufgeführt, wie auch die Spuren der großen Brandſchäden vom 31. März 
1842 und 17.—19. Juli 1845 wieder verſchwunden find. An der Sübfpige der Infel liegt bie 
fogenannte Battery, ein mit Alleen und Bosquets bepflanzter Platz mit herrlicher Ausficht auf 
die Bat, die beliebtefte Promenade ber Neuyorker. Bon ber Battery zieht die Hauptſtraße NE, 
der Broadway ober Breite Weg, 3 engl. M. weit nordwärts quer burch die Stadt, bildet aber, 
obgleich fehr belebt, doch mehr ben Tummelplag bes Lupus und der ſchönen Welt ald eine ei» 
gentliche Geſchaͤftsſtraße. Die eigentlichen Geſchäftsquartiere befinden ſich zu beiden Seiten bes 
füblicden Theils von Broadway, vorzüglich auf der Oftfelte, in dem engen unregelmäßigen 
Theile ber Stadt, bem urfprünglichen Neuamfterbam ber Holländer. Die öffentlichen Gebäude 
N.s find meiftens geſchmackvoll. So die neue Börfe (Merchants-Exchange), ein maſſenhaftes 
prachtvolles Branitgebäude mit einem Sehr. hönen Porticus von 16 ioniſchen Säulen und einem 
von acht korinthiſchen Säulen ans ital. Marmor getragenen Dome überbedit ; ferner bad ber 
Union gehörige Zollhaus (Custom-House), aus weißem Marmor in der Form eines borifchen 
Tempels erbaut; das Stadthaus oder Eity-Hall in der Mitte bes Parks, mit herrlichen Or- 
namenten; bad Gerichtshaus ober Ihe Tombs, aus Granit in ägypt. Stile erbaut unb mit bem 
Detentionshaufe in Verbindung ſtehend; die Halle der Univerfität von N. im goth. Stil; endlich 
das Golumbia-College. Großartige Gebäude find außerdem das City-Bospital, Barnum's 
Muſeum, das Gebäude der amerik. Bibel- und Tractatengeſellſchaft, das naturhiſtoriſche Ly« 


Nenyork (Stadt) 17 


ceum und Muſeum, bie Neuyork⸗Bibliothek mit 40000 Bänben, die erſt 1853 vollendete Alten 
Bibliothek mit 80000 Bänden, zu deren Gründung und Unterhaltung ber befannte neuyorker 
Kaufmann Jakob Uftor (f. d.) 400000 Doll. vermacht hat, verſchiedene Krantenhäufer und 
mebre koloſſale Hötels. Unter letztern iſt das 1836 eröffnete Aftor-Houfe, das berühmtefte in 
ganz Amerika, ein gigantifches, palaftartiges Gebäude aus Granit, gleichfam eine Welt im 
Kleinen. Im 3.1849 begann ber Bau des Waſhingtondenkmals. Es ift ein Obelist von 
500 8. Höhe, an ber Baſis 55 AF., an ber Spige 35 AS. meffend, innen hohl, äußerlich mit 
Neliefs und Gedenktafeln aller Staaten gefhmüdt. Das Großartigfte aber, mas N. an Baur 
werfen unternommen, ift der 5. Det. 1842 vollendete Groton-Aquäbuct, ber täglich 27 — 60 
Mill. Gallonen reines und gefundes Waſſer in der Stadt vertheilt. 

Die Stadt befigt 261 Kirchen von 29 Gonfeffionen, darunter A6 ber Presbyterianer, 
45 ber Epiffopalen, 33 der Methobiften, 31 der Baptiften, 21 der Römifch- Kathofir 
fen, 19 der -Holländifch-Neformirten, 12 der Juden u. f. w. Durd eine päpftlidhe 
Bulle vom 19. Zufi 1850 wurde N. zu einem Erzbischum erhoben und die Biſchöfe von 
Boſton, Hartford, Albany und Buffalo demfelben ale Suffragane untergeordnet. Unter 
den Kirchen befinden ſich mehre ſchöne Gebäude. Die ausgezeichnetfte und ohne Zweifel bie 
ſchonſte Kirche der Union ift die neuerdings vollendete Dreifaltigkeitötirche mit einem 264%. 
heben Thurme. N. Hat ſechs Höhere und 207 Volksſchulen. Die erftern find das Columbia» 

ege, 1754 unter dem Namen King's⸗College von König Georg II. errichtet, mit einem Pra⸗ 
füenten, 7 Profefforen und 110 Studenten; die 1851 errichtete Neuyork-Univerfity mit einem 
Kanzler, 41 Profefforen und 151 Studenten; die mebicinifche Zacultät diefer Univerfität mit 
6 Profefforen und 421 Studenten ; das Collegium der Arzte und Chirurgen mit 6 Profefforen 
umb 219 Studenten; dad allgemeine theologifche Seminar der Epiſkopalkirche mit 5 Profefforen 
wab 6A Studenten; das Union-Seminar ber Preöbyserianer mit 5 Profefforen und 106 Stu- 
denten. Außerdem find bemerkenswerth eine höhere weibliche Erziehungsanftalt, die Handwer⸗ 
kerſchule, die hiſtoriſche Geſellſchaft mit einer werthvollen Bibliothek, einer Sammlung von in- 
dianiſchen Alterthümern, Münzen u. ſ. w, bie Ethnologiſche Gefellfchaft, die 1852 erſt gegrün⸗ 
dete Geographiiche Geſellſchaft, das American-Institute zur Aufmunterung des Ackerbaus, ber 
Gewerbe und des Handels; die National⸗Kunſtakademie mit einer Statuenſammlung und 
Gemãldeausſtellungen; die Clinton » Hall» Aſſociation zur Beförderung ber Künſte und Wiſ⸗ 
fenfihaften; der kaufmänniſche Bibliothekverein. Ferner find zu nennen eine Menge religiöſer und 
philanthropiſcher Anftalten, befonders die verfchiedenen amerif. und neuyorker Bibel- und Mif- 
Konsgefellichaften, bie Mäßigkeits-Union, die Antifflaverei«, die Sonntagsfchulen- und die Geſell⸗ 
Schaft der Seemannsfreumde, die deutfche und die ſchweiz. Wohlthätigkeits geſellſchaft, das neu- 
horker Hospital u. m. a. Große Krankenhaͤuſer find das Irrenhaus, das Inftitut für Augen- 
kranke, das Blinden- und das Taubflummeninftitut. Auch hat N. 5 Schaufpielhäufer, 1 Opern 
haus ımd 1 Gircus, gegen 6000 Wirthshäuſer und Schenken, 15 Markthäuſer und Markt 
piäge. In der Stadt famen heraus 1850 106 Zeitfchriften mit 82,568478 Nummern jährlich. 
NE 3587 Fabriken und Manufacturen hatten 1850 ein Betriebscapital von 34, Mil. Doll. 
und erzeugten für etwa 105’, Mill. Waaren, namentlich Tuch, Kleider, Hüte, Zuder, Gold, 
Sitber- und Eifenwaaren, Bücher in mehr ald 150 Drudereien, Fortepianos und agreßertige 
Maſchinen. Der Schiffbau Hefchäftigte auf ben 12 Werften und in ben betheiligten Mafchinen- 
anſtalten 25000 Arbeiter und Tieferte 1850: 87 Schiffe von 89741 Tonnen Gehalt, darunter 
46 Dampfboote. Als Mittelpunkt des Handels in der Union überhaupt, insbefondere auch bes 
Buchhandels, Hat. eine außerordentlich ſtarke Schiffahrtsbewegung. Abgefehen von unzähli- 
gen Flußſchiffen, Kanalbooten und Küftenfahrern, liefen 1852: 3822 Schiffe (66 weniger al6 
1851), Darunter 206 Dampfer ein, wovon 2300 einheimifche, 1013 britifche, 255 deutſche (die 
Dälfte aus Bremen). Der auswärtige Handel belief fih 1852 auf 201,728880 Doll. (der der 
ganzen Union auf 421,878266 Doll.), und zwardie Einfuhr auf 120,267848 (über 20%, Mil. 
weniger als 1851), die Ausfuhr auf 81,461032 Doll. (1,235825 mehr als 1851), wovon 
858,853757 auf einheimifche Erzeugniſſe und außerdem 37,273703 auf Silber und Gold, da» 
gegen 5,3353572 Doll. auf fremde Erzeugniffe kamen. Die Zolleinnahme betrug 28,771452 
Del. (2,984717 weniger als 1851). N. tft der Haupthafen für die europ. Auswanderung. 
Die 26 Banken vom 3. 1851 Hatten ein Capital von 38 Mill. einen Metallvorrarh von 
SMILE, einen Rotenumlauf von 24 Mill. Doll, Auch die zahlreichen Affecuranzgefellichaften 
gegen See⸗ und Feuersgefahr befigen bedeutende Gapitalien. 

Die Stadtverwaltung ift in ben Händen eines jährlich vom Volke erwählten Bürgermel- 


178 Nevers 


$ (Mayor) und eines Rathes (Common oouncil), beſtehend aus zwei Collegien der Aldermen 
langer eben Mlbermen Die Stadt ift in 18 ae Wachen ober Quartiere) eingetheilt. 
Die Einnahme (ohne das Schufd- und Schulweſen) betrug 3,A09178 Doll. (faft ausfchlieflich 
aus ber Eigenthumsſteuer), die Ausgabe aber 4,151556 Doll. Für Schulen bewilligte bie 
Gtadtbehörde ein Jahr zuvor 227773 Doll. Die Schuld belief fi) am 1. Jan. 1855 auf 
13,885856 Do. Das Polizeidepartement ber Stadt umfaßt ein Perfonal von 903 Beamten 
und koſtete 1852: 689906 Doll. Die Feuercompagnie zählt 2000, die Stabtmiliz 45000 
Mann. Die Stadt fteht mit allen bedeutenden Sechäfen der Welt in directem Verkehr, mit 
vielen durch regelmäßige Packet und Dampfſchiffe. So mit Liverpool und über Southampton 
mit Havre und Bremen; ferner über Charlefton und Savannah mit Havanna, Neuorleand 
und Chagres zum Anfchluß an bie Sübfeelinie von Panama nach Californien. Mit ben Haupt» 
häfen der Vereinigten Staaten am Atlantiſchen Meere ſteht fie faft in täglichen regelmäßigen 
Dampfbootvertehr. Auch bilder N. einen Centralpunkt für eine Menge wichtiger Eifenbahnen; 
doch fängt, außer der Darlembahn, Feine derſelben unmittelbar bei der Stabt an, indem ihre 
Bahnhöfe fich alle auf dem ihr gegenüberliegenden Ufer befinden und nur durch Dampfboote 
mit ihr in Verbindung ftehen. Vgl. Pelz, „N. und feine Umgebungen” (Neuyorkund 2yp3.1854). 
Nevers (Noviodunum), bie Hauptftabt des franz. Depart. Nievre und ber ehemaligen 
Provinz ARivernais, 30% M. fübfüboftlich von Paris, rechts an der Loire und an ber Mün 
dung ber Nievre in herrlicher Gegend gelegen, Sig eines Bifchofs, eines Handelsgerichts und 
einer Manufacturentammer, iſt amphitheatralifch an dem Abhange eines Hügels erbaut. In 
ber obern Stabt befindet ſich die Kathebrafe mit einem fchönen Thurme, das alte Schloß der 
vormaligen Herzoge von Nevers mitten in ber Stabt. Außerdem verdienen Erwähnung : ber 
Dark, das Parifer Thor an der großen Loirebrücke mit 20 Bogen, bie St⸗Stephans und 
bie Reſte einer alten Benedictinerabtei. N. hat ein Communal ⸗College, ein theologifches Seminar, 
eine Zeichen- und Gewerbſchule u. f. w., eine öffentliche Bibliothek, ein Theater und zählt 
18000 E., bie überaus gewerbfleißig find. Beſonders wichtig find bie zahlreichen Fayencefabri⸗ 
fen, deren Producte feit alten Zeiten berühmt, Quincaillerie und Email⸗ Tuch⸗ Wollen, Die 
tallknopf⸗, Eifen- und andere Fabriken ; ferner Eifengießerelen, Darunter bie große, dem Staate 
ehörige Gefchüggieferei für bie Marine und Artillerie. Auch treibt N., das einen bequemen 
lußhafen Hat, durch Dampfboote mit Moulins und Orleans, durch Eifenbahnen mit biefen 
Städten, Paris u. f. w. in Verbindung fleht, einen beträchtlichen Handel mit Bauholz, Wein, 
Eifen, Stahl u. ſ. w. In den benachbarten Dörfern befinden fich ebenfalls bedeutende Eifen- 
werte, darunter Chaffade, das größte Frankreichs. Bei dem nahen Flecken Pougues liegen be⸗ 
rühmte Mineralquellen, beren Waffer viel Ahnlichkeit mit dem von Spaa und Selters hat. N. 
war ſchon zu Gäfar’s Zeit als ein frategifch wichtiger Punkt unter dem Namen Noviodunum 
im Lande ber Aduer befannt, hieß fpäter Nevirnum und warb unter dem Frankenkönig Chlod⸗ 
wig zur Stadt und 506 zum Bifchoffig erhoben. Nachdem die alten Grafen von Nivernais 
in männlicher Linie erlofhen, erhob König Franz I. 1538 die Graffchaft, welche 1494 
einem Grafen aus dem Haufe Kleve durch Erbfchaft zugefallen war, zur Pairie und zum 
Herzogthum. Diefer erfte Herzog von N. heirathete eine Prinzeffin von Bourbon⸗Vendome 
und verlieh damit feinen Nachlommen in Frankreich großen Glanz. — Seine Enkelin, Sen- 
tiette von Kleve, vermählte fi 1565 mit Ludwig Gonzaga aus dem Haufe ber Herzoge von 
Mantua, ber hiermit Herzog von N. wurde. Er war in früher Jugend an den Hof Heinrich's ll. 
in Paris gekommen und hatte an dem Kriege gegen die Spanier Theil genommen. Unter Hein⸗ 
rich I. wendete er ſich, jedoch mit vieler Mäfigung, der kath. Ligue zu. Als Heinrich IV. ben 
Thron beftiegen, unterftügte er denfelben fehr thätig in dem politifchen Verhandlungen und 
wurde Gouverneur von Champagne. Er ftarb 23. Det. 1595 zu Nesle und hinterließ „M6- 
moires” (2Bbe., Par. 1665), die für die Gefchichte jener Zeit nicht unwichtig find. — Sein 
Enkel, Charles IIL, deffen Schwefter Louiſe Marie den König Johann Kafimir von Polen 
beirathete, verkaufte das Herzogthum N. 1659 an ben Cardinal Mazarin. Lepterer vererbte 
baffelbe bei feinem Zode an feinen Neffen Phil. Julien Mancini, deffen Nachkommen in gera 
ber Linie nım den Titel der Derzoge von Nivernais führten. — Louis Jul. Barbon Man 
eint-Mazarint, vierter und legter Herzog von NRivernais, franz. Staatsminifter und fpan. 
Grand, wurde zu Paris 1716 geboren. Ex diente unter Villars in Italien, fpäter in Deutfch- 
land, verließ aber 1743 die Armee und widmete fich eifrig den Wiffenfchaften und der Diplo 
matie. Der franz. Hof ſchickte ihn 1748 als Geſandten nad) Rom, wo er bis 1752 blieb. Im 
3. 1755 wurde er nach Berlin gefendet, um das Bündniß Preußens mit Großbritannien zu 


Neville 173 


verhindern, was ihm jedoch nicht gelang. Nach dem Siebenjährigen Kriege mußte er ben Frie⸗ 
ben mit England verhandeln. Zu London erwarb er ſich als ein gebildeter Geiſt und rechtſchaf⸗ 
fener Charakter große Achtung ; ber Lord Chefterfield nannte ihn den vollenderftien Edelmann, 
Als ihm 1769 nad) dem Tode feines Vaters die herzoglichen Befigungen zufielen, entfernte er 
fi vom Hofe, wo er nie heimifch war, und wibmete fich mit feltener Uufopferung feinen Unter- 
thanen. Später proteflirte er entfchieben gegen das Parlament, welches Maupeou (f.d.) ein- 
fegte. Als DVergennes (ſ. d.) auf kurze Zeit and Staatsruder gelangte, ließ ſich der Herzog 
ebenfall bewegen, ins Minifterium zu treten. In ber Revolution gehörte er zu ben wenigen 
Großen, die fi) um den König ſcharten. Seiner Anhänglichkeit wegen wurbe er 1793 ins Ge 
fängnig geworfen, aus dem ihn erſt der Sturz Robespierre's rettete. Den Verluſt feiner Titel 
umb eined großen Theils feines Vermögens ertrug er mit philofophifcher Würde. Im J. 1796 

e er ber Wahlverfammlung im Depart. Seine ald Bürger Mancini. Er ſtarb zu Pa⸗ 
ris 25. Febr. 1798. Seine Poefien, Überfegungen und gefhichtlichen Fragmente gab er gefam- 
melt (8 Bde., Par. 1796) Heraus. 

Neville, ein in ber engl. Geſchichte vielgenanntes Adelsgeſchlecht, Teitet feinen Urfprung 
von dem angelſächſ. Grafen von Northumberland, Uchtred (1016), ab, deſſen Rachkomme, Ro- 
bert Fig-Malbred, Herr von Raby in der Graffhaft Durham, um das 3. 1200 Iſabel de N., 
Erbin eines mächtigen normannifchen Barons, heirathete und ihren Namen annahm. Gein 
Urenkel, Ranulph be R., ward 8. Juni 1294 als Lord N. in das Oberhaus berufen und flarb 
1331. Deffen Sohn, Ralph, zweiter Lord R., war mit Lord Percy Wardein ber fchott. Mar- 
Een, begleitete Eduard II. quf feinen Kriegen in Frankreich und ſtarb 1367. Sein Enkel, Ralph 
X. fpielte während feines langen Lebens eine Hauptrolle in ben Unruhen ber damaligen Zeit 
und flarb Hochbetagt 1425. Zwei mal verheirathet, hinterließ er zehn Söhne und zwölf Töch⸗ 
ter, von welchen die jüngfte, Gicely, die Gemahlin Richard Plantagenet's, Herzogs von York, 
unb die Butter Eduard's IV. und Richard’ IIL. wurde. Sein ältefter Sohn von feiner zweiten 
Frau, Tochter Johann's von Gaunt und Stieffchwefter Heinrich’ IV., Midgard K., vermählte 
ſich mit der einzigen Tochter und Erbin des Thomas von Montacute, Grafen von Salisbury, 
deſſen Titel ihm duch ein königl. Patent vom A. Mai 1442 ertheilt wurden. In dem Bürger 
kriege der beiben Rofen nahm er mit Eifer für da6 Haus York Partei, ſchlug bie Lancafteriee 
bei 1458 und Northampton 1460 und wurde zum Lorb-Oberfammerherrn von 
England ernannt. In ber Schlacht von Wakefield 24. Dec. 1460 gerieth er jeboch in Gefan⸗ 
genſchaft und wurbe fogleich enthauptet. Sein ältefter Sohn war ber heldenmüthige Graf von 
Wariwick (f. d.); der zweite, John M., ebenfalls ein Haupt der York'ſchen Partei, ward 1460 
sum Baron R. von Montague, dann zum Grafen von Northumberland erhoben und flegte bei 

über den Herzog von Somerfet. Nachdem er 4470 ben Titel eines Marquis von Mon- 

tagu erhalten, vereinigte er fich mit feinem Bruder Warwid, um Eduard IV. zu flürgen und 
Heinrich VL von neuem auf ben Thron zu fegen, fiel aber 14. April 1471 bei Barnet. Sein 
Sohn, George R., war im Jan. 1469 zum Herzog von Bebford erhoben worden und follte 
die Prinzeſſin Eliſabeth, ältefte Tochter Eduard's IV., heirathen ; nach dem Tode feines Vaters 
wurben jedoch bie Güter beffelben eingezogen und er felbft feiner Titel und Würden durch Par» 
lamentsbeſchluß verluftig erklärt, worauf er 1483 in der Dunkelheit flarb. — Ralph R,, Sohn 
von rg N. folgte feinem Großvater 1425 als zweiter Graf von Weftmoreland. Er 
hielt ſich in den Bürgerkriegen zum Haufe Lancafter und flarb 1485. Sein Neffe, Ralph R., 
britter Graf von Weltmoreland, flarb 1523. Deffen Enkel, Ralph R., vierter Graf von 
‚ wurde von Heinrich VIIL in diplomatiſchen Geſchäften verwendet und ge 

hörte zur nächſten Umgebung dieſes Monarchen. Seinem Sohne Henry folgte Charles R., 
fechöter Graf von Weſtmoreland. Er nahm 1570 an bem Aufftande des Grafen von 
Rorthumberland gegen Ellſabetch Theil, wurde geächtet und floh erft nach Schottland, dann 
nach den Niederlanden, wo er im Elende ſtarb. — Ein dritter Sohn des erſten Grafen 
von Weſtmoreland, William M., beirathete die Erbin des Lord Fauconberg, deſſen Ti- 
tel er annahm. Er focht als tapferer Krieger in ben Kriegen gegen Frankreich und Lancaſter, 
wurde 1461 zum Grafen von Kent und Großadmiral von England erhoben, ftarb aber 1462 
ohne männliche Erben. Ein vierter Sohn, Edward R., war der Gatte Elifabeth Beauchamp's, 
ber Tochter des Brafen von Worcefter und Erbin der Baronie Abergavenny, welche ihm im 
Sept. 1450 im Rechte feiner Gattin verliehen wurde. Auch er war ein eifriger Anhänger bes 
Yaufes York und ſtarb 1476. Sein Enkel, George W., dritter Lord Abergavenny, ein Günſt⸗ 
Img Heinrich s VII., heirathete bie Tochter Edward Stafford's, Herzogs von Budinghane 


174 Newa Newcaſtle (Stadt) 


Deſſen Sohn, Henry R., vierter Lord Abergavenny, ſtarb 10. Febr. 1587, eine einzige Toch⸗ 
ter, Cliſabeth, Gattin Sir Thomas Fane's, binterlaffend, von welcher die jegigen Grafen von 
Beftmoreland (f.d.) abftammen. Die Peerfchaft Abergavenny ging jedoch an Edward R. (gefl. 
1589) über, deffen Sohn, Edward R., fechöter Lord Abergavenny, mit feinen Anfprüchen auf 
bie Sraffchaft Weitmoreland abgewieſen wurde. — George R., funfzehnter Lorb Abergavenny, 
wurde 17. Mai 1784 zum Biscount N. und Grafen von Abergavenny erhoben. Er flach 
40. Sept. 1785. Sein Enkel, William R., vierter und gegenwärtiger Graf von Aberga⸗ 
venny, geb. 28. Juni 1792, ift ein Geiftlicher der Anglitaniichen Kirche. Ein Nachkomme in 
weiblicher Linie des Sir Henry N., Bruders des fünften Lord Abergavenny, ift Richard R.- 
Griffen, Lord Braybroofe, geb. 26. Sept. 1783, ein bekannter Alterthumsforſcher und Her- 
ausgeber der Memoiren des Samuel Pepys. Defien Sohn, Richard Cornwallis M., geb. 
17. März 1820, Hat fich gleichfalls buch feine „Saxon obsequies” (Lond. 18535) um bie engl. 
Archäologie Verdienfte erworben. 

Newa, ein nur 8. M. langer, aber fehr breiter Fluß im ruff. Souvernement Petersburg, 
der Abfluß des Ladogaſees, durchſtrömt Petersburg in mehren Armen, namentlich als Große 
und Kleine Newa und ald Große und Kleine Rewka, zwiſchen denen fie bie ſchönen wielen- 
und walbreichen und mit herrlichen Datſchen oder Villen verfehenen Infeln Petrowſky, Kre⸗ 
ſtowſty Oſtrow, Kamenny Oftromw, Jelagin und Waſſily Oſtrow bildet, umb ergießt fich unfern 
der Stadt in mächtiger Breite in den Sinnifchen Golf. Durch den Kadogafee (f. b.) fteht fie mit 
dem Wuora, der aus dem Saimaſee entfpringt, mit dem Wolchow, der vom Ilmenſee kommt, 
und mit dem Swir, der aus bem Onegafee tritt, in Verbindimg und führt alfo eine große Waſ⸗ 
ſerfülle in die Oftfee. Sie ift ſehr fifchreich, trägt fehr große Schiffe und bedeckt fich gewöhnlich im 
der zweiten Häfte des November mit flehendem Eis, während fie um die Mitte des April aufzuge⸗ 
ben pflegt., Ihr Waffer wird in Petersburg zum Trinken gebraucht, erzeugt aber für ben Frem⸗ 
ben leicht Übelteit und andere Beſchwerden, wenn es es nicht mit Wein vermifcht genießt. 

Newark, die bedeutendfte Stadt bes norbamerif. Unionsflaats Neujerfey, am Paffaickluffe, 
AM. oberhalb feiner Mündung in die Newarkbai, ein Einfuhrhafen und der volkreichfte, leb⸗ 
haftefte Ort des Staats, welcher in neuerer Zeit auch fehr rafch gewachſen ift, indem er 1820 
erft 6507, 1850 fhon 58894 E. zählte. Die Stabt iſt gefällig angelegt, Hat viele anfehnliche 
Gebäude, 25 Kirchen und befigt zwei Bibliotheken, zwei literarifche Geſellſchaften und 
ſechs höhere Schulen. N. liegt fehr günſtig für den Handel, indem der Paffaic bie hierher für 
Schiffe von 100 Tonnen fahrbar ift, der Morrisfanal mitten durch die Stadt geht und mit Neu⸗ 
york beftändiger Verkehr durch Eifenbahnen und directe Dampffchiffahrt ftattfindet. 

Newark upon Trent, eine Stadt in der engl. Grafſchaft Nottingham, zählt mit ihrem 
Diftrict 50549 E., deren Gewerbe hauptfächlic in Baummollenfpinnerei und «Weberei, Ber 
fertigung von Sadleinwand und Malgereien beftehen, die aber zugleich auch beträchtlichen Vich-, 
Getreide und Wollhandel treiben und Maffen des in der Nähe gewonnenen Gypſes verführen. 
Sie beſitzt von ihrem feften, unter König Stephan im 12. Jahrh. erbauten und in ber engl. 
Geſchichte oft genannten Schloffe nur eine ehrwürdige Ruine mit fchöner Krypta unter 
halb der Halle, Dagegen eine Pfarrkirche, mit welcher an Größe und architektoniſchem Schmude 
ſich Feine in England meffen kann und die überdies, außer einem kunſtreichen Taufbeden, inter» 
effante Grabmonumente und Meffinginfchriften enthält. Andere nennenswerthe Bauwerke 
find die auf eine vom Trent gebildete Infel führende Brüde, das Rathhaus und das Caſino. 
In N. ſtarb König Johann 1216, und ebendahin flüchtete KarlI. ind Lager der Schotten 1646. 

Neweaſtle oder Rewecaftle upon Tyne, die Hauptſtadt der engl. Grafſchaft Rorthumber- 
land, der fünfte Handelshafen des KönigreichE, liegt am nördlichen Ufer der zwei M. oſtwärts in 
die Nordfee fließenden Zyne, an und aufeinem Hügel, auf beiden Seiten von Manufactur- und 
Babrifgebäuden, Glashütten und großen Eifengiefiereien umgeben, während am jenfeitigen Ufer 
der breite, in feiner ganzen Ränge mit Kähnen, Kohlen- und Lichterfchiffen, fowie mit Schiffe- 
werften befegte Quai ſich ausdehnt. Mit der eigentlichen Stadt, die mit ihrem Diftrict 89145 €. 
zahlt, ift der am füdlichen Ufer in ber Graffhaft Durham liegende Ort Gatesbead, der eine 
Diftrictöbevöllerung von 71844 Seelen hat, durch zwei Brüden verbunden und gleihfam zu 
einer Vorſtadt verwachſen. Die eine Brüde ift zwar von Stein, aber unanfehnlich ; die andere, 
etwas ſtromaufwärts gelegene High Level Bridge wurde 1846 —49 von Rob. Etephenfon er» 
baut und gilt für das fchönfte Bruckenwerk in Nordengland. Der Bau, zu dem allein 100000 
Ctr. Gußeifen verbraucht wurden, hat Yı Mil. Thlr. gekoſtet. Der untere, alte Theil von N. 
iſt auf unebenem Boden erbaut, eng und ſchmutzig, meift von Schiffeen und Matrofen bewohnt ; 


Reweaftle (Stadt) 175 


ber obere ober neue Stadttheil hat mehre ſchöne Straßen und Marktpläge, viele prachtvolle öf- 
fentliche und Privatgebäude. Aus uralter Zeit find noch übrig und fehr merkwürdig der gegen 
100 $. Hohe Thurm und die alte Burg (Castle) mit ber freiftehenden Kapelle, bie an Reichthum 
und Schönheit ber Architektur von Feiner andern normannifchen Kapelle in England übertroffen 
wird. Die Gebäude find feit 1847 und 1848 theilmeife von der Befellfchaft der Alterthums⸗ 
ferfcher reſtaurirt, welche den Thurm für ihre Zufammentünfte und zu einem Muſeum der an 
Drt und Stelle ober in der Umgegenb aufgefundenen Antiquitäten benugt. Die Hauptkirche zu 
&t.-Ricolas mit ihrem ſchlanken umd Iuftigen, 198 F. hohen Thurme ift ein herrliches Denkmal 
gorhifcher Baukunſt. Zu den geſchmackvollſten neuern Gebäuden gehört das Sigumgehaus 
für die Grafichaftsgerichte mit einem Säulenporticus. Unter allen am ausgezeichnerften aber 
ft bie großartige Royal Arcade, eine halbkreisformige Halle, bie mit einer Durchſchnittslänge 
von 250 8. einem Tempel gleicht und außer ber zum Zeitungsfalon beftimmten, von Säulen 
getragenen und heil erleuchteten Rotunde noch zwei Banken, Elubzimmer, die Poſt, Stempel- 
und andere Bureauz enthält. An fonftigen offentlihen Gebäuden befigt N. ſechs Kirchen, drei 
Bespitäler, ein Irrenhaus, ein 1525 vom Bürgermeifter Thomas Horsley gegründetes und 
von der Königin Eliſabeth zur königl. Stiftung erhobenes Gymnaſium, mehre Armen-, Sonn- 
tagt und andere Schulen, eine Börſe, ein geräumiges Caſino, ein großes Theater, ein Stadt⸗ 
haus für die Affıfen der eine eigene Graffchaft bildenden Stadt, ein Rathhaus und ein Kaufe 
haus, deffen mit Schnitzwerk bedediter Saal einzig in feiner Art ift. Die Stadt ift fehr reich. 
Ihren Haupterwerb finden die Einwohner in ber Ausbeutung ber unerfchöpflichen Steinkohlen- 
sgruben, beren Flöge an beiden Seiten ber Tyne, von Shields bis Lammington, gegen 40000 
Nenſchen beichäftigen und eine jährliche Kohlenausfuhr von 50 Mil. Etr. gewähren. Schon 
1252 geftattete König Heinrich IT. ben Einwohnern von N. die Anlage von Steinfohlengruben, 
und 1281 werden die Kohlen als Handelsartikel der Stadt erwähnt. Im J. 1852 betrug bie 
Gefammtausfuhr von Kohlen 2,443982 Tonnen, die zum großen Theil nach Rondon, dann 
aber auch nad) andern Häfen Englands, nach den Niederlanden, Dänemark, Schweden und 
Norwegen, Rußland, Portugal und Weftindien gingen. In der Schiffahrt folgt N. gleich nad 
Zonden. Schon 1846 beſaß es 1276 Gegel- und 146 Dampffchiffe, zuſammen mit 287503 
Toennen Behalt, und die Rohzolleinnahme belief fi auf 483760 Pf. St. (1848 nur 391986 
Pf. St.). NR. ift indeffen nicht nur der Hauptfig des engl. Kohlenhanbels, fondern macht auch 
in Getreide, Blei und dem Erträge feines Walfifhfangs bedeutende Gefchäfte, ſowie in feinen 
Babrifaten. Es unterhält Zuderraffinerien, Gerbereien, Getreide, Ol⸗ und Yapiermühle, 
Thranflebereien, Taudrehereien, Ziegeleien, Leim-, Vitriol«, Salmiat-, Soda-, Theer-, Seife⸗ 
Steingut- und Schrotfabrifen, Bleiweiß- uımd Farbewerke, zahlreiche Glashütten, gegen 40 
Behöfen und große Eifengießereien, berühmte Anker⸗ und Kettenfchmieden und baut nad; London 
am meiften eiferne Dampf- und Segelfchiffe. Die Werften erſtrecken ſich an beiden Ufern der Tyne 
bis Tynemouth. Zu den Quais Eonnen nur Kahrzeuge von 3— 400 Tonnen Tragfähigkeit ge» 
langen, größere müffen bei Shields löſchen. In dee Umgebung von N. find an 40 Schienen 
wege über und zu bergmännifchen Zwecken ebenfo viele unter ber Erbe angelegt. Bon dem prachte 
vollen Bahnhofe ber Stadt geht eine Eifenbahn nad) Shields nad Often und eine andere 13 M. 
weit user durch das Land zur Weſtküſte nach Carlisle, ſodaß die Nordfee mit bem Iriſchen 
Meere verbumben ift. Etwa /, M. von ber Stadt fteht die öftlichfte Veſte des Pictenwalls (ſ. d.) 
der Römer, welche hier eine wichtige militärifche Station zum Schuge ber Habriansbrüde Kate 
ten. Unter den Ungelfachfen erhielt der Ort mit feinem Kloſter und Eaftell den Namen Monk⸗ 
heſter. Herzog Robert von ber Normandie, ber Bruder Wilhelm’s des Eroberers, ließ das alte 
Gafiel, als Sig der Rebellen von Northumberland, fchleifen und baute im Umkreis einer 
Gtunbe bie Neuburg, welche dem fpäter aufblühenden Orte ihren jegigen Namen gegeben hat 
und von ber die erwähnten Reſte übrig find. Hier war es, mo häufig Könige von Schottland 
und England verkehrten, wo z. B. König Eduard I. und Eduard II. zu Gericht faßen und 
Ismigfich banketirten, wo Jahr für Jahr im Namen des Königs nach engl. Gefegen Recht ge 
Iprochen wurbe. — Neweaſtle heißt auch ein Städtchen in bem norbamerif. Freiftaat und am 
Bluffe Delaware mit 3111 E. und einer bedeutenden Mafchinenbauanftalt der Nerwcaftler 
und Srenchtown-Eifenbahngefellfchaft. Der Ort wurde 1654 von den Holländern unter bem 
Ramen Sort Caſimir auf dem damaligen Gebiete der Schweden angelegt, 1654 von bem 
Schweden erobert, 1655 von ben Holländern nebft dem übrigen Neuſchweden abermals er⸗ 
dert und zur Gtabt Neuamſtel oder Reuamſterdam erweitert. Unter engl. Herrfchaft nannte 
man es fpäter Rewcaſtle. Seit 1682 wurbe der Ort bekannt durch die Belehnung Penn's 
(f. d.) mit ber Neweafilecolonie. 


116 Newcaſtle (Thomas Pelham⸗Holles, Herzog von) 


Neweaſtle (Thomas Pelham-Holles, Herzog von), engl. Staatsmann, ward 1694 als ber 
ältefte Sohn des Lord Pelham von Loughton aus einer altabeligen Familie geboren und bereits 
ale Knabe von feinem Oheim, John Holles, Herzog von Newcaſtle und Grafen von Glare, 
adoptiert. Durch dad Ableben beffelben 1714 Bam ber junge Pelham in Befig feiner weitläufigen 
Güter mit einem jährlichen Einfommen von 30000 Pf. &t. und ward im Oct. 1714 von bem 
ihm fehr gewogenen Georg I. zum Viscount Pelham und Grafen von Clare, im Aug. 1715 
aber zum Marquis von Glare und Herzog von Neicaftle ernannt. Schon von frübefter Ju⸗ 
gend in die politifchen Intriguen feiner Zeit eingeweiht, ſchloß er fich ber Whigpartei an, welche 
in Folge ber Thronbefteigung bed Haufes Hannover die Oberhand gewonnen hatte. Als fi. 
dieſelbe 1717 auf Anlaß des zwifchen ben Miniftern Stanhope und Townshend ausgebroche⸗ 
nen Streites fpaltete, hiele N., obgleich der Schwager Townshend's, fich zu dem von dem Kö⸗ 
nige begünftigten Stanhope und erhielt das Amt eines Oberfammerheren. Nach dem Tode 
Stanhope's jedoch ging er eine enge Verbindung mit Tomnshend und Walpole ein, verließ dann 
Erſtern, als deffen Geftirn erbleichte, und ward 1731 durch den Einfluß Walpole's zum Staats⸗ 
fecretär emannt. Anfangs ein blinder Vertheidiger der Friedenspolitik feines Goͤnners, neigte 
er ſich fpäterzu der Kriegspartei bin, die 1742 den Sturz Walpole’s bewirkte, und blieb daher 
auch nach dem Siege ber Oppofition im Amt. Im Yug. 1743 gelang es ihm fogar, feinen 
Bruder Henry Pelham an die Spige des Minifterlums zu bringen, und als biefer 1754 mit 
Tode abging, folgte ihm N. felbft als erfter Lord bes Schages. In biefer Eigenfchaft fungirte 
er während bes ganzen Siebenjährigen Kriegs, deffen für England glorreiche Ereigniſſe man 
aber nur dem Genius Pitt’6 zu verdanken hatte. N. felbft war eitel und eiferfüchtig auf feine 
Macht, aber unfähig, fie zu gebrauchen. Obwol er in einem corrupten Zeitalter mehr als 
vierzig Jahre lang die höchſten Staatsämter bekleidete, bereicherte er fich nicht nur nicht, fonbern 
trat, auch mit bem Verluſt eines großen Theils feines Vermögens vom politiiden Schauplag 
zurüd. Er ftarb 17. Nov. 1768. Da er ohne birecte Leibeserben geblieben, fo warb 1756 ber 
Kitel eines Herzogs von Neweaſtle durch königl. Patent auf feinen Neffen, Henry Fiennesß 
Clinton, neunten Grafen von Lincoln, übertragen, der von John, Korb Clinton (1299) und 
Edward Clinton, Großabmiral von England und feit 1572 Graf von Lincoln, abflammt. — 
Neweaſtle (Denry Pelham Fiennes-Pelham-Clinton, Herzog von), geb. 30. San. 1785, folgte 
feinem Bater fon 1795 in dem Titel und wurde zu ton erzogen. Kurz nach dem Frieden 
von Amiens ging er mit feiner Mutter nach Frankreich, wo er beim Wiederaus bruch bes Kriegs 
von Napoleon zurüdgehalten ward und erft 1807 feine Freiheit erhielt. Er vermählte ſich 

terauf mit einer reihen Erbin, Tochter der Lady Middleton, ward 1809 Lordlieutenant von 

ottinghamfhire und 1812 Ritter bes Hofenbandorbens. Seine Anhänglichkeit an die Grund» 
füge ber Torypartei trieb er bi6 zum Fanatismus und trug viel dazu bei, baf das Oberhaus 
7. Dct. 1831 die erfte Reformbill verwarf. Die Hierdurch verurfachte Aufregung war fo groß, 
daß einige Tage nachher bei einer Volksemeute fein Schloß zu Nottingham niedergebrannt 
wurde. Nachdem die Reformbill durchgegangen, zog er fich ganz aus dem Oberhaufe zurüd, 
wurbe auch 1839 wegen eines beleidigenden Schreibens an den Lordkanzler feines Amts als 
Lorblieutenant ber Graffchaft Nottingham enthoben. Er hatte in Wahlkämpfen einen großen 
Theil feines Vermögens zugeſetzt, als er 12. San. 1851 zu Clumber⸗Park ſtarb. — Reweaſtle 
(Henry Pelham Pelham-Elinton, Herzog von), ber ältefte Sohn des Vorigen, geb. 22. Mat 
4811, war bis zum Tode feines Vaters unter dem Namen Graf Lincoln bekannt, ftudirte zu 
Drford und trat 1832 ald Abgeordneter für Süd» Nottinghamfbire ins Unterhaus. In ber 
Politit nahm er ſich Peel zum Mufter, unter demer vom Der. 1834 bis April 1835 Lord des 
Schatzes war und hierauf im Sept. 1841 das Amt eines Obercommiffars der Wälder und 
Forſten erhielt. Als im Dec. 1845 wegen ber von Peel befchloffenen Aufhebung der Kornzölle 
ein Theil des Minifteriums von ihm abfiel, harrte Graf Lincoln bei feinem berühmten Führer 
aus und wurde zum Oberfecretär für Irland ernannt. Hierdurch ward die Erneuerung feines 
Mandats für Süd- Nottinghamfhire nöthig, und fein Vater, der in ihm einen Verräther an 
ber Sache des Protectionismus fah, bot Alles auf, bie Wiederwahl des Sohnes zu hintertrei 
ben, was ihm auch wirklich gelang. Doch wurde Lincoln bald nachher im ſchott. Diſtrict Fal⸗ 
firk zum Parlamentsmitglied erwählt. Im Juli 1846 zog er ſich mit Peel von ber Regierung 
zurück, fuhr indeß fort, erſt im Unter- und dann im Oberhauſe thätigen Antheil an allen Ta 
geöfragen zu nehmen, und wurde von der öffentlichen Stimme als der künftige Premier ber 
liberaleconfervativen Partei genannt. Zur Vermehrung feiner Popularität trugen auch die Bor» 
&täge bei, bie er Rov. 1852 in ben Handwerkervereinen zu Rewart hielt. Als nachdem Rücktritt 


Newhaven Newman 177 


iſteriums Derby die Coalition zwiſchen den Peeliten und Whigs zu Stande kam, über⸗ 
den eben fo wichtigen als ſchwierigen Poſten eines Staats ſecretaäͤrs für die Colonien. 
haven, abwechſelnd mit Hartford Hauptſtadt des nordamerikan. Freiſtaats Con⸗ 
ſehr ſchon an einer eine Meile landeinwärts gehenden Bai des Long⸗Island⸗Sundes 
iſt ganz regelmäßig angelegt. Der von Ulmen beſchattete Hauptplag ber Altſtadt ges 
den fchönften in den Vereinigten Staaten, und überhaupt macht die ganze Stadt mit 
zumſtraßen und den vielfach mit Gärten umgebenen Häufern einen ſehr freundlichen 
. Die bebeutendften öffentlichen Gebäude find das im dorifchen Stile erbaute Staaten⸗ 
I die Gebäude des Yale-College. Außerdem bat bie Stadt 20 Kirchen, ein Zollhaus, 
erhaus und fünf Banken. Am wichtigften ift das Yale-Gollege, die befuchtefte, faft in 
Weiſe eingerichtete Hochfchule der Vereinigten Staaten, welche 1704 zu Killingworth 
t, 1717 aber nad) N. verlegt wurde. Im J. 1851 Hatte Yale⸗College 25 Profefforen, 
O Studenten und eine Bibliothek von 51000 Bänden. N. treibt ben größten Seehan⸗ 
allen Städten von Connecticut. Der Hafen ift ficher, aber feicht; nur mit Hülfe der 
men 15 $. tief gehende Schiffe an den Hauptbafendamm oder Long-Wharf. An ei» 
iten Danım, der ein Baſſin Hat, wirb mit Hülfe von Flutſchleußen das Waſſer im- 
ochwafferhöhe erhalten. Die Bevölkerung flieg in den Jahren von 1810—40 von 
f 14990 und belief fi 1850 auf 22539. Die Stadt fleht durch den Farmington⸗ 
it Northampton in Maffachufetts und mittels Eifenbahnen mit Boſton, ſowie mit 
‚ wohin auch täglicher Dampbootverkehr flattfindet, in Verbindung. 
man (John Henry), ein durch feine Theilnahme an ben religiöjen Wirren unferer 
nnter Engländer, ift der Sohn eines Bankiers in London und wurbe 1801 geboren. 
frühzeitig großes Talent und Liebe zum Stubium. Die einzige Erholung, die er ſich 
„war bie Muſik, in der er ed zu einer bedeutenden Fertigkeit brachte. Bereits auf der 
chrieb er Gedichte und Schaufpiele, und nachdem er 1817 das Trinity⸗College in Ox⸗ 
gen, wibmete er fich, von den Lehrern menig unterftügt, ber claffifchen Kiteratur und 
yematit. Doc) gelang es ihm anfangs nicht, ſich auszuzeichnen, während übermäßige 
ung feinen Körper zerrüttete und auch auf fein Gemüth nachtheilig einwirkte. Im J. 
zb er zum Fellow bes Driel-Eollege ermählt. Von warmer Froömmigkeit befeelt, ließ 
bald er das gefegliche Alter erreicht, zum Geiſtlichen ordiniren. N. gehörte damals zu 
tanmten evangelifchen oder pietiftifchen Schule in ber Anglikanifchen Kirche, die aber 
chen Gemüth und den mittelalterfihen Sympathie N.s wenig zufagte, unb ed wurbe 
bar, baf er fich den fireng hochkicchlichen Doctrinen zuneigte. Schon jegt begann er, 
Studium der Kirchenväter fußend, die Tendenzen zu entwickeln, bie eine fo gewaltige 
ng in der engl. Staatslirche hervorrufen follten. Im J. 1828 ward er zum Pfarrer 
Rarienficche in Orford ernannt, und feine Vorträge, die bei den Studirenden großen 
fanben, legten den Grund zu dem Einfluffe, den er in der Univerfität ausübte. Das 
es Zutor im Driel-Eollege, welches er gleichfalls bekleidete, gab er 1850 auf, weil man 
: erlauben wollte, eine religiöfe Überwachung über die Zöglinge auszuüben. Kurz vor⸗ 
fein Freund Yufey einen Lehrftuhl bei der Hochſchule erhalten, und unter der Ein- 
des ſcharfſinnigern und energifchern N. fchloß ſich diefer dem theologifchen Syſtem 
er ſpäter den Namen gab. (S. Puſeyismus.) Im J. 1833 erſchienen die erſten 
lor the Times”, bie von dieſen beiden Führern in Verbindung mit andern gleichgeſinn⸗ 
m Männern herausgegeben wurden. Bald darauf veröffentlichte N. „The Arians 
arth century” (Xond. 1834), welche Schrift als ein Manifeft diefer Richtung betrach⸗ 
u Bonnte. Allmälig traten, die Gonfequenzen feiner Lehren immer deutlicher hervor, 
gannen die maffenhaften Übertritte der Yufeyiten zur röm. Kirche, während 1845 die 
lon Puſey's von feinem Prebigtamte erfolgte. N. zögerte noch, fich offen zum Katholi⸗ 
ju befennen. Im Det. 1845 aber fagte er fich endlich entſchieden von ber protefl. 
los und wurde auf einer Reife nad Rom zum Prieſter des Dratoriums geweiht. 
nem Baterlande zurückgekehrt, wirkte er mit allen Mitteln fubtiler Dialektik und einer 
nlihen Berebtfamkeit zur Ausbreitung des Glaubens, in beffen Arme er ſich ge 
atte. Nachdem er in den „Letters on certain difficulties felt by Anglicans in sub- 
o Rome” (Lond. 1850) die Bedenken, welche fich gegen den Anſchluß an den Papis⸗ 
end machten, befämpft, hielt er zahlreich befuchte Vorträge, in denen er bie Schwächen 
eſtantismus beleuchtete und bie unter dem Titel „Discourses addressed to mixed 
bez. Behnte Aufl. XL 12 


178 Newmarket Newport 


congregations” (Lond. 1850; deutſch von Schündeler, Mainz 1851) geſammelt wurden. 
Ein leidenſchaftlicher Angriff, den er in der „Dublin review’ gegen den zur Anglikaniſchen 
Kirche übergetretenen ital. Priefter Achilli richtete, zog ihm indeß eine Verleumdungsklage zu, 
bie nach einem höchft ſtandalöſen Proceffe im April 1853 definitiv zu Ungunften N.'s entfchie- 
den warb. Die ungepeuern Koften, welche die Herbeilhaffung von Entlaftungszeugen aus 
Stalin und andern Ländern verurfachte, deckte man durch eine Subfeription, zu welcher die 
Glaͤubigen in allen Theilen Europas von ben Häuptern ber Bath. Kirche aufgefordert wurden 
und N. flieg in den Augen feiner Partei im Glanze eines Märtyrers von der Ankiagebank 
herab. Indeffen hat er wol am erfolgreichften für den Katholicismus Propaganda gemacht, 
als er dieſem noch nicht offen angehörte; mit feinem förmlichen Übertritt ging ihm ein großer 
Theil feines Einfluffes verloren. — Newman (Francis William), jüngerer Bruber bes Vori⸗ 
gen, geb. 1805, wandte fich ſchon ald Knabe mit Vorliebe der Mathematik zu, bezog 1822 die 
Univerfität Oxford und promovirte 1826 mit großer Auszeichnung. Zum Fellow bes Balliol- 
College erwählt, unternahm er im Sept. 1830 eine Reife nach dem Orient, wurde durch bie 
Unruben in Türkifch-Afien 15 Donate in Aleppo zurüdgehalten und traf 1833 wieder in 
England ein. Kurz darauf ward er Kehrer am Briftol-Gollege, eine Stellung, welche er wegen 
feiner freifinnigen refigiöfen Anſichten aufgeben mußte, um 1840 als Profeffor bei der Akade⸗ 
mie in Mandhefter einzutreten. Im 3. 1846 erhielt er einen Ruf an die Iondoner Univerfitat, 
wo er den Lehrſtuhl der rom. Literatur einnimmt. Als Schriftfieller trat N. zuerſt mit einer 
ſehr [harffinnigen Abhandlung über die Anfangsgründe ber Geometrie (1841) und einer Über- 
fegung von Huber's Werk „Die englifchen Univerfitäten” (2 Bde., Kond. 1843) hervor. 
Allgemeiner befannt wurde N. durch „The soul, her sorrows and her aspirations” 
(3. Aufl., Kond. 1852; deutſch von Heymann, Lpz. 1851), worin er zwar auf einen pofitiven 
Glauben hinweiſt, aber babei weber die anglifanifche noch eine andere religiöſe Sekte, fondern 
das Chriſtenthum überhaupt zum Grunde legt. Als Gefchichtfchreiber erwarb er fi Ruf 
durch feine „History of the Hebrew monarchy” (Xond. 1850), beſonders aber durch „Regal 
Rome, an introduction to Roman history” (Lond. 1852), in der er es wagte, die Hypotheſen 
Niebuhr's über den Urfprung der Etrusker zu befämpfen, während ex in ber „Essay on the 
moral and constitutional right or wrong of the national debt” (Xond. 1849) und den „Lectu- 
res on political economy” (Xond. 1851) beachtenswerthe Ideen über bie focialötonomifchen 
DVerhältniffe Englands entwidelte. Die politifhen Bewegungen ber Zeit veranlaften feinen 
„Appeal to the middle classes” (Xond. 1848) und „Address on the foreign policy of Eng- 
land” (Xond. 1852), mie er auch außerdem durch Wort und Schrift den Iebhafteften Antheil 
an allen Zageöfragen genommen hat. Er überfegte ferner die Oden des Horaz (Lond. 1853) und 
lieferte einige wichtige Beiträge zur Kenntnif der Berberfprache. In den „Phases of ſaith“ 
(Zond. 1849) hat N. den allmäligen Übergang feiner religiofen Gefinnungen von dem ſtarren 
Drthoborismus der engl. Hochkirche zu einem der Anfchauungsmeife deutfcher Denker ver- 
wandten, auf Vernunft und Humanität begründeten Glauben bargeftellt. 

Newmarket, ein Flecken mit 3500 €. in der engl. Graffchaft Cambridge, 12 M. nord- 
norböftlich von London, reicht mit feiner langen Straße zwifchen öden Hügeln, die auf weiter 
Haidenfläche Raum zur fhönften Rennbahn in England geben, in die Grafſchaft Suffolk hin- 
über. Wirthshäuſer und Cafes reihen ſich aneinander und können doch bisweilen die Taufende 
nicht faffen, welche im April, Juli und October das große Pferderennen zufammenruft. Das 
Leben ſchlägt dann gleichfam in N. hohe, gefährliche Wellen. Auf der Bahn mit knapp gefcho- 
renem Rafen fteht nahe am Ziele das Breterhäuschen der Richter. Eng umher ſcharen fich die 
Wettenden, während längs der Bahn bie Schauluftigen harren, in erſter Reihe die Kinder, in 
—* bie Frauen, in letzter die Männer. Weiter zurück erheben ſich ſtaffelförmige Gerüſte mit 

ateſormen für vornehmere Zuſchauer. 

Newport, eine Stadt in der engl. Grafſchaft Monmouth, am rechten Ufer des Usk unweit 
der Mündung in den Kanal von Briſtol, mit einer hölzernen Brücke, deren Fahrweg mit der 
Flut ſteigt und ſinkt, empfängt auf dem USE und Brecon- und Monmouthkanale die Erzeug- 
niſſe der Kohlen- und Eifengruben in der Nähe der Städte Usk, Abergavenny und Pontypool, 
durch die Ebbw⸗, Sirhowey ⸗ und Rumney -Eifenbahnen aber die der Eifenwerke von Nan- 
tyglo, Ebbw Vale, Tredegar, Rumney und andern Orten in den von Süden nad} Norden, vom 
weftlichen Monmouthfhire nach Brecknockſhire parallel Iaufenden Tälern. Dies und die Wei⸗ 
texbeförberung, meift zu Waffer, machen die Stadt zu einem lebhaften Hanbelöplage, der einen 
vortrefflichen Doc, eine alte Kirche und Nefte einer feften Burg hat und mit feinem Diftrict 


Meisftead:Mbben Newton m 


E. zählt. — Rewport, die zweite Dauptftabt bes nordamerit. Freiſtaats Rhode⸗Ieland, 
Südweſtſeite der Infel RHode-Island, eine Meile vom Dcean fehr malerifch auf einer 
ı. Hafen fanft geneigten Fläche gelegen, hat ein Staatenhaus, eine Markthalle, ein Theater, 
enhaus, eine öffentliche Bibliothek, 15 Kirchen, drei Mittelfchulen, mehre Wollen- und 
ollenfabriten, Gerbereien, fieben Banken und 9563 C. Der Drt, der feiner fchönen 
feines milden Seeklimas wegen einen beliebten Sommeraufenthalt für Bewohner bes 
md ber füdlichen Unionsflaaten bildet, hat beträchtlichen Handel mit Europa, Oft- und 
en und eine bedeutende, im Seehandel und in der Seefiſcherei beſchäftigte Rhederei, 
Imäfige Dampfichifföverbindungen mit Providence, Neuyork und Neubebford. Zus 
R. unter allen Geeplägen der Vereinigten Staaten ausgezeichnet wegen der Mannich⸗ 
und Borzüglichleit der täglich zu Markte kommenden Seefiiche. Der Dafen, der im 
ver Stabt halbkreisförmig fi) ausbreitet, gehört zu ben fhonften Seehäfen ber Union, 
leicht zugänglich, geräumig ımb tief genug für die größten Seeſchiffe. Derfelbe wird 
jt durch das Fort Adams, welches auf der Brentonsfpige liegt und von vier Gom- 
der Unionsartillerie bejegt ift, während ein zweites Kort, Fort Green, auf ber Norbfeite 
t verfällt. Newport heißt auch eine Stadt auf der Infel Wight (f.d.). 

dead⸗Abbey in der engl. Grafſchaft Nottingham, eines der ebelflen Denkmale ber 
kin England, in einer malerifchen Umgebung am Flüßchen Lynn, ber Landfig des Hau- 
n, wo ber berühmte Dichter Lord Byron (f. d.) beigelegt wurde, war urfprünglich ein 
erkloſter, das von Heinrich IL. gefliftet, von Deinrich VL. aufgehoben und durch biefen 
ı Byron, feinem Lieblinge, gefchenkt wurde. Vgl. W. Irving, „Abbotsford and N.” 
335 . 


om (Iſaak), der Begründer ber neuern mathematiſchen Phyſik und der phyſiſchen Aftro- 
srde 25. Dec. 1642 zu Woolsthorpe in der engl. Grafichaft Lincoln als Poſthumus 
Da er als Knabe in der Schule zu Grantham keine befondern Erwartungen erregte, 
ute ihn bie Mutter für die Landwirthſchaft. Allein N. zeigte dafür Fein Geſchick, wol 
beſondere Borliebe für praktifche Mechanik, weshalb er eifrigft Mathematik fludirte. 
m yon ihm vermochte endlich bie Mutter, den Neigungen bes Sohnes nachzugeben 
wieber auf bie Schule zu Grantham zu bringen. Don hier ging N., 18 3. alt, auf die 
It zu Cambridge, wo Barrow, einer der gründlichſten Mathematiker feiner Zeit, ſich 
t Aebe annahm. Sehr bald offenbarte fich nun auch das eminente Genie N.'s In ber 
ten Weiſe. Er machte die Entbeddung, daß der binomifche Lehrfag (ſ. Binomifch) ſich 
} für ganze pofitive Erponenten, fondern auch auf gebrochene und negative anwenden 
» erhob fich mittels dieſes Echrfages zu einem allgemeinen Princip der Methobe ber 
1, welches darin befteht, aus der Art und Weiſe bes allmäligen Anwachſens der Grö⸗ 
hren Werth zu fchliefen. (S. Differentialrechnung und Integralvehuung.) Rod 
veß feine Entdetungen irgend Jemand mitgetheilt hatte, zwang ihn ums 3. 1665 bie 
mbribge zu verlaffen und ſich nach Woolschorpe zurückzuziehen. In biefer Ländlichen 
denheit fol er eines Tages in feinem Garten unter einem Apfelbaume gefefien haben, 
rabfallender Apfel fein Nachdenken auf Die wunderbare Kraft lenkte, bie wir Schwere 
nd die jeden fallenden Körper gegen den Mittelpunkt der Erbe treibt. (S. Gravita 
nbem er ben angeregten Gedanken mit Beziehung auf das dritte Kepler’iche Geſet 
E) betrachtete, kam er auf den Schluß, daß bie Attraction ber Sonne im umgekehrten 
iffe bed Quadrats der Entfernung wirkte. Erſt als Mercator's (ſ. d.) „Logarithino- 
erſchienen war und bie darin gelehrte Quadratur ber Hyperbel außerorbentliches Auf- 
ste, fand fich N. bewogen, feine bei weitem mehr leiftende Methode ber Fluxionen ſei⸗ 
ee Barrow in Edinburg, wohin er zurückgekehrt war, mitzutheilen. Gleichwol wurde 
uch jetzt noch nicht öffentlich bekannt, wozu wol beitragen mochte, daß N. fich ſchon wie 
Inem ganz andern wiffenichaftlichen Gegenſtande befchäftigte, nämlich mit ber Zer- 
bes weißen Sonnenlicht# in die verfchiedenfarbigen, baffelbe zufammenfegenden Strah⸗ 
das Prisma. (&. Farbenlehre.) So hatte er ſich bereits durch drei hochwichtige 
agen unfterblich gemacht, als ihm 1669 Barrow feinen Lehrſtuhl abtrat. Bald nach⸗ 
te ex durch eine Arbeit über beffere Einrichtung ber Spiegelteleſkope bie Aufmerkfam- 
Böniglichen Gocietät zu London, der er auch ein ſolches 30 — 40 mal vergrößerndes, 
feibft verfertigtes Teleſtop überreichte. Im 3.1672 als Mitglied berfelben aufge: 
fand er baburch Veranlaſſung, ihr einen Theil feiner Analyfis des van vorzulegen. 


‚180 | Newton 


Der Streit, in welchen er dieſer Theorie wegen mit Hooke gerieth, veranlaßte ihn zu ſeiner zwei⸗ 
ten Arbeit über das Licht. Seitdem Hooke Secretär ber Societät geworden, theilte N. mehre 
Jahre hindurch nichts mehr von ſeinen Arbeiten mit, bis ihn ein Bericht, den er 1679 über eine 
aſtronomiſche Arbeit abzuſtatten hatte, zu dem Vorſchlage veranlaßte, die Bewegung der Erde 
durch directe Verſuche über die Abweichung von ber Verticale zu beweiſen, welche frei fallende 
Körper erleiden. Damit war er in die früher ſchon ein mal betretene Bahn der Gravitations⸗ 
theorie wieder eingetreten. Da feitbem Picard einen Grad des Meridians in Frankreich gemeſ⸗ 
fen und darauf eine genauere Beftimmung bes Erbhalbmeffers gegründet hatte, fo fand N. bei 
Anwendung beffelben, Daß die Bewegung bed Mondes in ber That mit dem von ihm entbediten 
Sravitationdgefege übereinftimme. Bon nun an mar fein Leben faft ausſchließend der Verfol- 
gung diefes großen Naturgefeges gewidmet. Als 1684 Halley (f.b.) ihn in Cambridge befuchte, 
Eonnte er demfelben bereits ben „Tractatus de motu“ vorlegen, der dann das erfte und zweite 
Bud) feiner „Philosophiae naturalis principia mathematica” (1682; 2. Aufl., 1743) bildete. 

Inzwiſchen hatte N. auch eine politifche Bebeutung gewonnen. Er repräfentirte nämlich die 
Univerfität in dem Parlamente, welches 1689 die Thronerledigung ausſprach, und erregte hier 
die Aufmerkſamkeit des Grafen von Halifar in einem ſolchen Grabe, baf ihn berfelbe bei feinem 
nachherigen Eintritt in das Finanzminifterium 1696 zum Münzwardein und 1699 zum Münz⸗ 
meifter ernannte. N. leiftete bei der neuen Münzreform fehr nügliche Dienfte und wurde da⸗ 
dur auch auf chemiſche Unterfuchungen geführt, hatte aber das Unglüd, fein Laboratorium 
fammt den dazu gehörigen Manufcripten bei einer Feuersbrunſt zu verlieren, welcher unglüd» 
liche Zufall nicht nur auf feine Geſundheit, fondern au) auf feine Geiſteskräfte fehr nachtheilig 
eingewirkt haben foll. Der große Ruf, den N. genoß, brachte ihm aus allen Rändern Ehrenbe 
zeigungen ein. Er wurde 1699 auswärtiges Mitglied ber parifer Akademie, 1701 von ber 
Univerfität von Sambridge wieder zu ihrem Parlamentödeputirten gewählt und 1703 Präfi- 
bent der londoner Societät. Jetzt erſt ließ er feine „Philosophiae naturalis principia” erfchei- 
nen und zwar zuerft englifh unter dem Titel „Optics, or a treatise of the reflexions, inflexions 
and colours of light” (1704), die von Clarke unter N.’E Augen ins Rateinifche überfegt wurde 

(Lond. 1706). Mit diefer erften Ausgabe des Werks vereinigte N. auch feine analgtifchen Dif- 
fertationen „De quadratura curvarum“ und „Enumeratio linearum tertii ordinis”. eine 
„Arithmetica universalis” (1707), enthaltend die von ihm in Cambridge gehaltenen analyti- 
ſchen Borlefungen, wurde von Whifton und, wie behauptet wird, fogar gegen N.'s Willen her⸗ 
ausgegeben; auch feine „Methodus differentialis” und „Analysis per aequationes numero 
terminorum infinitas” (1714) wurben von fremder Hand, jeboch mit feiner Zuffimmung here 
außgegeben. Hinſichtlich bes übeln Streits, in den er feit 1712 mit Leibniz (f. d.) über die Er- 
findung des Infinitefimalcalculs gerieth, gilt jept die Anficht, daß Beide unabhängig voneinan- 
der auf ihre Methoden gekommen find. Auch über chronologifche Gegenftände hat N. ſcharffin⸗ 
nige Unterfuhungen angeftellt und ein eigenes Werk verfaßt, welches jedoch erſt zwei Jahre 
nach feinem Tode veröffentlicht wurde. Dagegen hätten feine „Ad Danielis prophetae vatici- 
Ma, nec non S. Johannis Apocalypsin observationes“, welche ebenfalls erft 1736 erfchienen, 
zu feiner Ehre ungedruckt bleiben follen. Überhaupt waren religiöfe Betrachtungen in ben fpä- 
tern Lebensjahren eine von N.’s Hauptbefhäftigungen. Seit dem Verluſte feines Laborato- 
riums und eines Theils feiner Manufcripte fchien er den Wiffenfchaften abhold geworben zu fein, 
und es finden fich aus biefer Zeit eigentlich nur drei neue Arbeiten von ihm: eine Abhandlung 
“ über Temperatur in den „Philosophical transactions” (1701); ein aus der nämlichen Zeit her⸗ 
rührender Aufſatz, der die Ideen entwickelt, welche Hadley nachher durch feine Spiegelfertanten 
realifirt hat; endlich eine Auflöfung des von Joh. Bernoulli vorgelegten Problems über bie 
Brachyſtochrone oder bie Linie des kürzeſten Falls, ebenfalls in ben „Philosophical transac- 
tiogs”. Eine Jörere analgtifche Aufgabe, welche Leibniz den engl. Geometern 1716 vorlegte, 
um ihnen die Überlegenheit feiner Differentialrechnung über die Methode der Fluxionen zu zei⸗ 
gen, ſoll N. als er Abends fehr ermüdet aus ber Münze kam, erhalten und noch vor bem Schla⸗ 
fengehen aufgelöft Haben. Dies war feine legte mathematifche Auflöfung ; denn in den legten 
zehn Lebensjahren hielt ex fich fern von jeder wiffenfchaftlichen Arbeit. Seine geiftigen Kräfte 
ſchienen erfchopft; nach kurzer Krankheit ftarb er 20. März 1727. König Georg ließ ihn mit 
. Pomp in der Weftminfterabtei beftatten. Seine Familie, in dem Befige einer Rachlaffenfchaft, 
welche, Landhaus und Zubehör ungerechnet, die für jene Zeit große Summe von 32000 Pf. Et. 
betrug, ließ ihm 1731 ein prächtiges Denkmal errichten, deffen Infchrift mit ben Worten „Sibi 
gratulentur mortales tale tantumque exstitisse humani generis decus” ſchließt. Im Trinity 


Key 181 

1 Sambribge wurde 1755 feine Marmorflatue aufgeftelit. N. war von mittler Statur 
ßeres angenehm,. ohne daß man in ihm ben Scharffinn erfannt hätte, den feine 
rathen; fein Charakter war fanft und gleihformig. Verheirathet war er nie; doch 
Grantham Reigung zu einem geiftreichen Mädchen, Miß Stovey, gehabt und fie auch 
e Berheirathung noch unterftügt haben. Seine Werke wurden lateinifch von Horsley 
Lond. 1779— 85) herausgegeben; wegen des Commentars zu ben „Principia” iſt die 
usgabe berfelben von Lefueur und Jacquier (3 Bde, Genf 1730—42) zu empfehlen. 
em befchrieb Brewſter (deutfch von Goldberg, mit Anmerk. von Brandes, Lpı. 1833). 
Michel), Herzog von Elchingen, Fürſt von der Mostwa, Marfchall und Pair von 
h, war der Sohn eines Böttchers und wurbe 10. Jan. 1769 zu Saarlouis geboren. 
: von 18 I. trat er in ein franz. Hufarenregiment und brachte es zum Unteroffizier. 
Revolution, ber er fich mit Enthuſiasmus hingab, eröffnete ihm eine weitere —— 
um Lieutenant, wohnte dem Felbyuge von 1792 bei und kehrte als Gapitän zurück. 
re feinen Muth bewunderte, erhob ihn nach einer Reihe der kühnſten Thaten zum 
chef und Generalabiutanten. Im J. 1796 trat N. in die Maas⸗ und Sambrearmee 
dan und erwarb ſich, indem er den Übergang über bie Regnig erzwang, ben Grad 
ıbegenerald. Imfolgenden Felbzuge hatte er Theil an dem Siege bei Neuwied; boch 
bei Diernsdorf in kurze Gefangenfchaft. Im Frühjahre von 1799 fegte er mit dem 
wugscorp& Bernadotte's über den Rhein, nahm durch einen Handflreih Manheim 
ve dafür zum Divifionsgeneraf erhoben. Hierauf trat er in die Donauarmee ımter 
erhielt aber bei Winterthur eine ſchwere Verwundung. Nach ber Derftelliing kehrte 
heinarmee zurüd, übernahm interimiſtiſch ben Oberbefehl und verhinderte durch eine 
berfion den Erzherzog Karl, ben Sieg Maſſena's bei Zürich über bie Ruffen zu ver 
u Feldzuge von 1800 zeichnete ex fich unter Moreau aus. Nach bem Frieden zu Zune 
2 Bonaparte, der den Republilaner gewinnen wollte, feine Bermählung mit einer ge- 
Kuguie, einer Jugendfreumdin ber Hortenfie Beauharnais, ein und ernannte ihn zum 
ufpertene ber Cavalerie. Im 3.1802 ging N. ale Befandter nach ber Schweiz, wo 
eben und die Mebdiationsacte zu Stande brachte. Nach feiner Zurückberufung im Det. 
rnahm er ben Befehl über das fechste Armeecorps im Lager zu Boulogne. Nachdem 
ichtung bed Kaiſerthrons den Marſchallsſtab erhalten, eröffnete er an der Spige feines 
n Felbzug von 1805, ſchlug den Erzherzog Ferbinand 10. Det. bei Günzburg und 
: Gapitulation von Ulm durch einen furchtbaren Sturm auf bie en von Elchin⸗ 
ih. Napoleon ernannte ihn dafür zum Herzog von Elchingen. rend die große 
f Wien loeging, drang N. in Zirol ein, warf die Streitkräfte bes Erzherzogs Johann 
ver und fland im Begriff, in Kärnten einzudringen, als ihm der Friebe zu Presburg 
ge. Im uge von 1806 verfolgte N. nach ber Schlacht bei Jena mit feiner Ca⸗ 
n fliehenden d, zwang Magdeburg zur Übergabe und drang hierauf nad) Ofl- 
ad Polen gegen die Ruſſen vor. Seine Thätigkeit, Kühnheit und Unbeugſamkeit trug 
ntlich zu den Erfolgen des 3. 1807 bei. Er entfchieb durch feine Dazwiſchenkunft ben 
kylau, hielt dann Monate hindurch die uff. Armee mit kaum 15000 Mann anı Pregel 
‚umterftügtebie Erfolge bei Deppen, Guttſtadt und Heilsberg und fiegte in ber Schlacht 
and an der Spige des linken Flügels. Wiewol N. die Politik Napoleon's auf der Py⸗ 
ı Halbinfel misbilligte, mußte er doch im Det. 1808 mit dem Kalfer nach Spanien 
uch Bier behauptete er in einer Reihe der tühnften Waffenthaten feinen Ruhm; allein 
uf ungervöhnliche Strenge gegen bie Bevölkerung war bem Frieden fehr binderlich. 
1809 er mit dem Oberfeldherrn Maffena über den Feldzugsplan und bewies 
roße WWiderfeglichkeit, daß ihn biefer von der Armee entfernte. Durch den Zabel wie 
durch ben Despotismus Napoleon's erbittert, Iebte er num längere Zeit in einer ge- 
tfernung. Im Feldzuge von 1812 erhielt er jedoch den Befehl über das dritte Armee 
: dem er bei Smolensk, befonbers aber an der Moskwa, Wunder ber Tapferkeit ver 
Der Kaifer felbft nannte ihn hier den Tapferſten ber Tapfern (le brave des braves) 
lte ihm noch am Abende ber Schlacht den Titel eines Fürften von der Mosfwa. Auf 
zuge befehligte N. erſt die Spige, feit dem 2. Nov. aber die Nachhut des Heeres. Mit 
trenge bielt er bie Zucht aufrecht, warf fich täglich dem herandringenden Feinde ente 
‚ germochte Durch blutige Anſtrengungen beim Übergange über die Bereszina wenig · 
krũmmer des Heeres zu retten. Nachdem er für den Feldzug von 1813 fein Armee 
nur aus Rekruten bergeftellt, eröffnete er mit Ungeftüm bie Schlacht bei Lügen, be- 


182 x Ney 


fehligte bei Baugen dad Centrum und drang hierauf nach Schleſien vor. Won Blücher ſchon 
vor Ablauf des Waffenſtillſtandes von Pläswitz angegriffen, fah er fich genöthigt, aus der Stel- 
lung bei Liegnig zurückzuweichen, bis ihm der Kaifer mit 25000 Mann zu Hülfe eilte. Indeß 
mußte er feine Streitkräfte Macdonald übergeben und den Befehl über den rechten Flügel bes 
Heeres übernehmen, an deffen Spige er bei Dresben fiegte. Nach ber Niederlage Dudinot's bei 
Großbeeren erhielt N. den Oberbefehl über bie zum Vorbringen auf Berlin beftimmten Streit 
kräfte, wurde aber trog feiner Hartnädigen Tapferkeit von Bülow bei Dennewig ebenfalls ge 
fhlagen. Ebenfo vergebens waren feine Anftrengungen bei Zeipzig, wo er noch 19. Okt. die 
öftlichen Vorftädte zu vertheidigen fuchte. Auch im Feldzuge von 1814 übernahm er den Befehl 
über ein Corps und kämpfte mit Verzweiflung bei Brienne, Montnirail, Eraonne, Chalons⸗ 
ſur⸗Marne u. f. w. Nach der Einnahme von Paris drängte er jedoch, ermübet und den Bür⸗ 
gerkrieg fürchtend, den Kaifer zur Abdankung und eröffnete, wiervol vergebens, mit ben Ber- 
bündeten Unterhandlungen. Ludwig XVII, dem er ſich mit Offenheit zumenbete, überfchüttete 
ihn mit Gunftbezeigungen, ernannte ihn zum Mitgliede des Kriegsconfeils, zum Pait und ver⸗ 
lieh ihm auch den Befehl über die fechste Militärdivifion. Indeß wurde N. von ben übermü⸗ 
thigen Royaliften bald mannichfach gekräntt, fobaß er fich feit dem Jan.1815 auf fein Landgut 
Sondreus bei Chaͤteaudun zurüdzog. Als er die Rückkehr Napoleon’s erfuhr, begab er ſich 
ſchnell nach Paris, verficherte dem Könige feine Anhänglichkeit und eilte, fi mit 4000 Diann 
dem Kaifer entgegenzumwerfen. In ber Nacht vom 11. zum 12. März verlegte er fein Haupt 
quartier von Befancon nach Lons⸗le⸗Saulnier, erfuhr aber bier, daß die Barnifon von Grenoble 
übergegangen und dag Napoleon an ber Spige bedeutender Streitkräfte und unter bem Jubel 
der Bevölkerung zu Lyon eingegogen fei. Bald verlangten auch feine Truppen, fi) bem Kaifer 
anzuſchließen; auch erfchien der General Bertrand, um ihm bie Lage der Dinge vorzuftellen. 
Nach einen harten Kampfe ließ ſich N. Hinreißen, in einer Proclamation die Sache bes Kaifers 
als die rechtmäßige zu erflären. Ex marfcirte in der Nacht vom 14. nad) Döle, gelangte 17. 
nad Dijon und traf endlich ben Kaifer zu Aurerte, der ihn gut aufnahm. Nach dem Einzuge 
in Paris mußte N. die Truppen an der Grenze von Dijon bis nach Landbau infpieiren. Ver⸗ 
flimmt und mit düſtern Ahnungen zog er ſich alsdann auf fein Landgut zurüd. Bei Eröffnung 
des Feldaugs von 1815 übernahm er den Befehl über den 38000 Mann ſtarken linken Flügel 
Während Napoleon felbft die Preußen bei Ligny (f. d.) fchlug, follte er an der Spige feiner 
Streitmacht das Plateau von Quatre-Bras (f. d.) gegen das brit. Heer behaupten und hiermit 
die Trennung der feindlichen Armeen bewerfftelligen. Die Zögerung, womit N. diefen Auftrag 
vollzog und die wahrscheinlich ihren Grund in Misverftändniffen hatte, brachte unleugbar Ra» 
poleon großen Schaden. In der Schlacht bei Waterloo befehligte N. das Gentrum und kämpfte 
in rafender Verzweiflung. Er verlor fünf Pferde unter fi) und wurde endlich mit Blut bedeckt 
vom Schlachtfelde geriffen. Nachdem er zu Paris eingetroffen, erhob er ſich in der Pairskam⸗ 
mer mit Heftigkeit gegen bie DVerficherung des Kriegsminiſters, daß die Armee noch aus 
60000 Mann beftehe ; er hielt Alles für verloren und rieth im Intereffe Frankreichs zu Unter- 
bandlungen. Viele betrachteten ihn deshalb als Verräther, und die Proviforifche Negierung wei 
gerte ſich, ihm unter den Mauern ber Hauptftadt ein Commando zu übergeben. Nach der Ca- 
pitulation von Paris entſchloß ſich N, auf dringende Bitten feiner Familie nad) der Schweiz 
- zu entweichen. Mit einem Paffe und geringem Gepäd verfehen, traf er 9. Zuli zu Lyon ein, 
fand aber die Grenze von ben Oftreichern verfchloffen. Er begab fich deshalb nach St.Alban, 
wo er feine Achtung erfuhr, und verbarg fich endlich auf dem Schloffe einer Verwandtin in der 
Nähe von Aurillac. Hier erregte ein Boftbarer ägypt. Säbel, ben er einft von Napoleon erhal. 
ten, den Verdacht eines Beamten und zog feine Verhaftung nach fich. N. hätte entfliehen kön⸗ 
nen; allein er hegte das Verlangen, fich zu rechtfertigen, und ließ fich willig nach Paris abfüh- 
ren, wo er 19. Aug. eintraf. Man ftellte ihn ſchon 8. Nov. vor ein Kriegsgericht, deſſen Com⸗ 
petenz er aber als Pair verwarf. Der Minifter Richelieu, dem feine Verurtheilung beſonders 
am Herzen lag, brachte hierauf den Proceß vor die Pairskammer. Wiewol fih N. mit feinen 
Vertheibdigern, Berryer und Dupin, auf bie Amneſtie berief, welche der 12. und 15. Art. der 
Gapitulation allen Eompromittirten gewährte, fo wurde er boch 6. Dec. 1815 mit großer Ma- 
jorität als Hochverräther zum Tode verurtheilt. Die Berufung auf die Capitulation von Paris 
hatte man befonders darum für ungültig erflärt, weil ber Herzog von Wellington verficherte, 
er habe in den betreffenden Artikeln nur den in ber Hauptftadt befindlichen Fremden Amneflie 
ertheilt. Man rieth darum N., den Umftand geltend zu machen, daß fein Geburtsort nicht mehr 
au dem Territorium von Frankreich gehöre. Allein er erfärte, als Franzoſe ſterben zu wollen 


Niagara 183 


und bereitete fich mit großer Baflung zum Tode vor, während feine Gemahlin bei Hofe wie bei 
ben Berbündeten vergebens Schritte that, um feine Begnadigung auszuwirken. Am Morgen 
des 7. Dec. wurde das Urtheil an ihm im Garten des Luxembourg vollzogen. N. ftarh muth⸗ 
voll, wie er gelebt; fein Schickſal warb ungemein betrauert und blieb ftet ein Vorwurf gegen 
die Bourbons. Die Familie erhielt die Erlaubniß, ihn auf dem Pere-Lachaife zu beftatten, 
N. Hinterließ drei Söhne, bie ſpäter feine „Mömoires” (2 Bde. Par. 1833) veröffentlichten. — 
Rey (Sofeph Napoleon), Herzog von Eichingen, Prinz von der Moskwa, der ältefte Sohn des 
Borigen, geb. 8. Mai 1803, ſah ſich ımter der Neflauration gänzlich, zurüdgefegt, heirathete 
aber 1828 die Tochter des Bankiers Jacques Kaffitte, der, als er nach der Julirevolution Mini. 
fler geworden, dem Schwiegerfohn erft eine Laufbahn öffnete. N. wurde Adfutant des Herzogs 
von Orleans und 1831 Pair. Da aber bie Pairskammer feinem wiederholten Antrage auf 
Herftellung ber Ehre feines Vaters nicht nachkam, trat er erft 1841 in diefelbe ein, wo er für 
die Befeftigung von Paris fprah. Er war einer vor den wenigen Pairs, die im Febr. 1848 
die Einladung zum Reformbanket unterzeichneten, gelangte 1849 in die Nationalverfammlung, 
wo er als Bonapartift eifrig wirkte, und übernahm zugleich mehre diplomatifche Sendungen, 
wie nach Berlin, Madrid u. ſ. w. Nach dem Staatsftreich vom 2. Dec. 1851 trat er in die con« 
fultative Berfaffungscommiffion, und 1852 warb er Senator. Auch ift er Oberft eines Chaſ⸗ 
ſeurregiments. Seine einzige Tochter heirathete 4852 den Minifter Grafen Perfigny. — Gein 
zweiter Bruder, Michel Louis Felix R., Herzog von Eldyingen, geb. 24. Aug. 1804, iſt Bri« 
gadegeneral, während der jüngfte Bruder, Graf Napoleon Henri Edgar R., geb. 20. März 
1812, feit 1852 Cavalerieoberſt, den Dienft eines Flügeladjutanten bei Napoleon III. verfieht. 
Riagära Heißt der Verbindungsftrom zmifchen dem Erie- und Ontariofee, welcher die 
Grenze zwifchen dem brit. Canada und dem norbamerif. Unionsftaate Neuyork bildet. Sein 
Lauf in nördlicher Richtung hat eine Länge von fünf, mit den Krümmmungen von 7Y% M., und 
fein Riveaummterfchied zwiſchen den beiden Seen beträgt 313 F. Etwa 1%; M. unterhalb Fort 
Grie (an feinem Ausfluß) theilt er fich in zwei Arme; welche die zu Neuyork gehörige Infel 
Grand⸗Island umfließen und nad) einem Laufe von kaum 2M. fich wieder vereinigen ; vor dem 
Ausfluß bes weftlichen Arms liegt das brit. Infelhen Navy. Kaum eine Meile weiter unter 
bald, bei einer fcharfen Biegung von Weſten nah Norden, Detour genannt, bildet num ber 
Strom Fälle (Riagarafall), welche die großartigften der bekannten Welt find. Durch die Zier 
geninfel (Goat⸗Island) oder Srisinfel, die fo genannt wird wegen bes über bderfelben erfcheinen- 
den Regenbogens und die etwa ein Viertel der gefammten Strombreite, 925 F., und eine Fläche 
von 75 Acres einnimmt, wird ber Niagarafall in zwei ungleiche Arme gefchieden. Der öftliche, 
der Amerikaniſche oder Fort-Schlofher-Fall, ift 1069 F. breit und in der Mitte 155 F. Hoch, 
der weflliche, der Große Fall oder Horſeſhoefall (d. h. Hufelfenfall), 1897 %. breit und 144%. 
hoch. Der erflere liegt ganz innerhalb bes Unionsgebiet, ber legtere nur zur Hälfte, indem die 
Grenze durch die Mitte beffelben gezogen gedacht wird. Die Ziegeninfel bietet an ihrem untern 
Enbe eine Felſenmaſſe dar, die ſenkrecht bis zum Fuße des Falls ſich hinabzieht. Die Waſſer⸗ 
maffe, welche in einer Stimbe in dieſen Fällen herabſtürzt, wird auf 100 Mill. Tonnen oder 
42 Mil. Kubitfuß gefhägt. Aus der Tiefe der von 230—280 F. hohen Felfenwänden einge 
faßten Muft, in welche das Waſſer ftürzt, fleigen weiße Schaum- und Woltenmaflen empor, 
bie meilenweit gefehen werben; auch das Toſen der Fälle ift weithin, zuweilen SM. hörbar. 
Da der Fall einen converen Bogen bildet, fo gibt ed am Ufer keinen Punkt, ber eine Gefammt- - 
anficht gewährte. Die befte hat man vom Tafelfelſen (Table Rock), einem 140 &. hohen Zelfen- 
verfprung auf der canabifchen Seite. Bon ber amerik. Seite, wo ber Fall eine mehr gerade Li⸗ 
nie bildet und ſich Daher weniger malerifch zeigt, hinüber zur Ziegeninfel, die mit Parkanlagen 
gesiert ift, hat deren Befiger ſchon früher eine hölzerne Brüde gebaut. Anr4. Juli 1848 ward 
jedoch eine Hängebrüde unterhalb der Fälle, zwiſchen diefen und dem fogenannten Wirbel 
(Whirlpool), vorläufig für Fußgänger eröffnet. ‘Diefelbe liegt 235%. über dem Waſſerſpiegel, 
bat eine Spannung von 750%. und ift 38 F. breit. Über dieſes kühne Werk führt jept fogar 
eine Eiſenbahn. Bis zu den Fällen beträgt der Laufdes N. 4, M. und das Gefälle 62 F., 
wovon jeboch 51 . auf die legte Achtelmeile unmittelbar vor den Fällen kommen. Bis zu bie 
fen Stromſchnellen ift der Fluß abwärts fchiffbar. Etwa eine Achtelmeile unterhalb ber Fälle 
ft das Waſſer fo ruhig, daß eine völlig fichere Bähre hat errichtet werben können; eine Meile 
weiter abwaͤrts aber wird durch eine plögliche Wendung bes Fluffes der ermähnte Wirbel & 
Vübet, der Alles zerſtoͤrt, was in feinen Bereich kommt. Die ungeheuere Waſſermaſſe der Fälle 
flͤrzt über ein 8A F. dickes, faft ganz horizontales Kafkfteinlager herab, unterhalb deſſen weiche 


184 Nibby Nibelungenlied 


Schiefermaſſen von derſelben Maͤchtigkeit liegen, welche leicht durch das Waſſer weggewaſchen 
werben. Dieſen geognoſtiſchen Verhältniſſen iſt es zuzuſchreiben, daß das Waſſer die ganze 
Höhe, nicht in Terraſſen, herabfällt und daß von dem unterwaſchenen Kalkſtein die nicht mehr 
. amterftügten Theile herabflürgen, wie die namentlich 1818 und im Sept. 1855 am Tafelfelfen, 
1828 am Hufeifen gefchehen ift, wobutch ein allmäliges Zurückweichen ber Fälle bewirkt wirb. 
Es ift darum nicht unwahrſcheinlich, daß die Falle einft bei den Queenftonhöhen lagen und daß 
ber faft 3% M. lange Kanal zwifchen Queenſton und den gegenwärtigen Faͤllen durch biefelben 
Urſachen hervorgebracht worden, welche jegt ein Näherrüden ber Fälle gegen ben Eriefee bin bes 
wirken. Da die Niagarafälle ale directe Wafferverbindung zwischen den nächften Seen völlig un⸗ 
terbrechen, fo hat man auf ber canadifchen Seite einen Schiffahrtöfanal, den wichtigen Welland⸗ 
kanal, angelegt, der von Port Eolbourne am Eriefee gegen Norden nad Port Dalhoufie am 
Dntariofee führt. — Inder zum Staate Neuyork gehörigen Graffchaft Niagara, mit ber 
Hauptftadt Kodport, liegt am rechten Ufer des —5 — der Ort Riagara-Falls, mit dem Fort 
Schloſher, und an der Mündung des Fluffes das Fort Niagara. — In dem zur brit. Colonie 
Sanada gehörigen Diſtrict Niagara, der die Halbinfel zwiſchen dem Erie- und Öntariofee 
umfaßt, befindet fich bie Hafenftadt Niagara, früher Rewark genannt, an ber Mündung des 
Niagara erbaut unddurch die Forts George, Miffifaga oder Maffacauga gebe. 

Nibby (Antonio), rom. Archäolog, geb. im Det. 1792, widmete fich früh den antiquarifchen 
Wiffenfchaften und fchloß fich denjenigen Männern an, welche, ben Fußtapfen Windelmann’s 
folgend, ein eigenes, forgfältiges Studium ber alten Überrefte für ihre Aufgabe erflärten. N. ſah 
bald ein, daß hierbei feinen Landsleuten Hauptfächlich der Mangel an Kenntnif bes Griechifchen 
am binderlichften gemefen. Schon in feinem 17.9. gründete er für das Studium diefer Sprache 
nad ital. Sitte eine Akademie, die „Hellenica“, aus welcher fpäter die „Tiberina“ hervorging. 
Sm 3.1812 wurde er als fogenannter Schreiber für die griech. Sprache bei ber vaticanifchen 
Bibliothek angmommen. Durch eine Überfegung des Paufanias mit antiquarifchen und kri⸗ 
tifchen Anmerkungen machte er fich einen Namen in Stalien. Später wurde er bei ber Con- 
gregazione economica angeftellt, in welchem Amte er mit Noth und Sorgen zu fämpfen Hatte, 
und 1820 als Profeffor der Archäologie an ber röm. Univerfität. Die erfte Arbeit, mit wel- 
her er hervortrat, war bie von ihm beforgte vierte Ausgabe ber „Roma antica” von Rardini 
(4 Bde., 1820). Den Unterfuchungen über das Forum, bie Via facra und das Amphitheater 
bes Flavius folgte „Viaggio antiquario de’ contorni di Roma“, die er fpäter voligneu bearbeitet 
unter dem Xitel „Analisi storicotopografico-antiquaria della carta de’ contorni di Roma” 
(3 Bde, 1857— 358) erſcheinen ließ und an bie fich feine Befchreibung der Stadt felbft (2Bde., 
1858 —40) anſchloß, die aus feinen hinterlaffenen Handfchriften fortgefeßt wurde. Von feinen 
übrigen hierher gehörigen Schriften find zu erwähnen der Tert zu „Le mura diRoma disegnate 
da W. Gell” und die Abhandlungen über bie Form und Einrichtung ber älteften chriftlichen Kir- 
hen, über den Circus des Garacalla und ben Tempel der präneftinifchen Fortuna (1824), über 
ben Babinofee, über Porto und bie antite Straße dahin, über das Grab der Horatier umd 
Guriatier und über die Orti Serviliani. Auch begann er ein „Kehrbuch der Archäologie” 
(Bd. 1, 1828) und ein „Lehrbuch über die röm. Alterthümer“ (Bd. 1, 1830). Ebenſo zog 
er die Denkmäler der Sculptur in den Kreis feiner Unterfuchungen, zuerft in ber Abhand- 
lung über den Sterbenden Fechter (1820). Dann lieferte er in Gemeinfchaft mit Lorenzo Re 
Erläuterungen zu den Monumenten bed capitolinifchen Mufeums, ferner die Befchreibung 
ausgewählter Monumente der Villa Borghefe und endlich die Kortfegung des „Museo Chiara- 
monti”, Seine Werke tragen das Gepräge bes Ernſtes, dem es um die Sache felbft zu thun 
ifl. Von ben Mitftrebenden unter feinen Landsleuten unterfchied ihn das unabläflige Be⸗ 
mühen, bie Forſchungen über einzelne Denkmäler und Überrefte zu fammeln und ein geordnetes 
Ganzes darzuftellen. N. ftarb 29. Dec. 1839. 

Nibelungenlied, oder, wie die beſſern Handfchriften es r. nen, der Ribelunge Not, iſt 
die vorzüglichfte Schöpfung der deutfchen vollsmäßig-höfifgen Kunftepit und neben Wolfram's 
„Parcival“ die höchſte Reiftung unferer alten Epik überhaupt. Das Gedicht erzählt, wie Siegfried, 
der Sohn König Siegmund’s von Niederlanden, aus Kanten nach Worms zieht, wo ber Bur⸗ 
gunderfönig Günther mit feinen Brüdern Gernot und Gifelher und feiner ſchönen Schweſter 
Kriemhilt wohnt. Letztere erhält er zum Weibe, nachdem er dem Günther bie ſtarke Jungfrau 
Brunhilt, die Herrin von Island, mit Hülfe ber Kraft und Unfichtbarkeit verleihenden Tarn⸗ 
Tappe (bed Hehlmanteld) erworben hat. In einem Streite der beiden Frauen über ben Rang 
und die Würdigkeit ihrer Gatten verräth aber Kriemhilt unvorfichtig, wie Brunhilt durch Sieg⸗ 


Ribelungenlied 185 


e Günther bezwungen worben fei. Diefe finnt nun auf Rache und läßt den Siegfried 
m grimmen Hagen von Tronje auf einer Jagd ermorden. Bei der Befkattung verrathen 
enden Wunden den Mörder; aber Kriemhilt verfchließt noch ihre Mache umd lebt nady 
ade dem Leide bucch dreizehn Jahre zu Worms in tiefer Trauer, obſchon wiederholt 
t durch Hagen, der auch den NRibelungenhort, ben unermeßlichen Schatz, welchen Sieg⸗ 
ıft den fernen norbifchen Nibelungen abgenommen hatte, heimlich in den Rhein verfenkt 
ı Worms und Lorſch, wo er noch bis auf biefen Tag begraben liegt. Da kommt Matt- 
ibiger von Bechelaren, für König Egel (Attila) von Hunnenland (Ungarn) um Kriem- 
and zu werben, und Kriemhilt, jept ber Hache gebentend, nimmt bie Werbung an. Wie⸗ 
ach dreizehn Jahren ladet fie die nun feit der Gewinnung des Ribelungenhorts ſelbſt 
gen benannten Burgunder, ihre Brüder und Hagen zu einem Feſte an Egel’6 Hof nach 
land und bereitet ihnen babei ben Untergang. In langem, furchtbarem Kampfe fallen 
rt, Gernot und Gifelher und alle die andern burgundifchen Mannen, barunter ber eble 
Volker von Alzei, und auch von Etzel's Seite der treue Rüdiger von Bechelaren und bie 
Dietrich" von Bern, ber noch bei Egel weilt, nebft vielen tapfern Männern. Zulept 
Rriemhilt felbft dem gefangenen, das Geheimniß des Horts feft bemahrenden Hagen mit 
ꝛd's Schwerte das Haupt ab, und darüber ergrimmt fpringt Dietrich's treuer Dienft- 
ber alte Hildebrand, hinzu und töbtet auch fie. 
Anfange des 13. Jahrh. warb bad Gedicht in diefer Geſtalt aufgefchrieben, und mehr 
heils ganz, theild nur in Bruchflüden erhaltene Handfchriften zeugen für feine Verbrei⸗ 
m 13. bis zum 16. Jahrh. Doch wurde es nicht, wie Wolfram's, Parcival“, in frühen 
ı vervielfältigt, fobaß es im Laufe des 16. Jahrh. nur einzelnen Hiſtorikern zu Gefichte 
es als eine hiftorifche Quelle auffaßten, und im 17. Jahrh. ganz unb gar in Vergeſſen⸗ 
eth. Diefer entriß es erſt Bodmer, indem er das legte Drittel beffelben aus ber erften 
mſer (gegenwärtig dem Freiheren Joſeph von Laßberg auf Mörsburg am Bobenfee ge 
a)Handfchrift (C) nebft der „Klage” und Bruchflüden aus dem vordern Theile heraus» 
er dem Titel „Chriemhilden Nahe” (Züri 1751). Den erften vollſtändigen Abdruck 
dann Chr. H. Müller in feiner „Sammlung deutfcher Gedichte aus dem 12.— 14. 
(Berl. 1782), doch fo, daf er die beiden erften Drittel feiner Ausgabe ber zweiten Ho⸗ 
2 (jegt zu München befindlichen) Handfchrift (A) entnahm, welche bie ältefte Tertform 
I, während er das legte Drittel nad) Bodmer's die jüngfte Tertesbearbeitung wieder⸗ 
m Drude wieberholte. Allein obfchon es bereitd Bodmer ausgeſprochen hatte, daß ben 
em des 13. Jahrh. eine höhere Bedeutung zuftehe als eine blos hiſtoriſche, fand Müller's 
ung doch noch wenig Erfolg. Nur der Gefchichtöforfcher Johannes Müller urtheilte 
ender und einfichtiger, und J. H Voß las bie Nibelungen bereits in ber Schule zu 
Die romantifche Schule endlich und das unter dem Joche ber franz. Fremdherrſchaft neu 
ıde Gefühl für Deutfchlands Ehre und alte Herrlichkeit weckte auch wieder den Sinn 
m Schag aus der Väterzeit, und von ber Hagen (f. d.) erwarb fi) das unbeftreitbare 
ft, diefen Sinn nach Kräften genährt und das Nibelungenlied durch feine mit einem 
verfehene Erneuerung (Berl. 1807) zuerft auch wiſſenſchaftlich eingeführt zu haben. 
rkliche Verſtändniß jedoch und eine wahrhaft wiſſenſchaftliche Behandlung bes Gedichte 
erft mit den Arbeiten W. Grimm’s und Lachmann's. Letzterer erfannte und bewies 
Über die urfprüngliche Geftalt des Gedichts von der Nibelungen Roth”, Berl.1816), 
en verfchiedenen erhaltenen Handſchriften eine dreifache Geſtalt bes Liedes vorliege, eine 
iBmäßig ältefte, um da8 3. 1210 entftandene und in der zweiten Hohenemſer (Münche⸗ 
ndſchrift (A) bewahrte Faſſung, eine erfte erweiternde Bearbeitung derfelben in ber St. 
Banbfchrift (B) und eine zweite vor 1225 verfaßte, wieberum erweiternde Bearbeitung 
eften Dohenemfer (Laßberg'ſchen) Handſchrift (C). Noch tiefer eindringend zeigte er 
aß auch jene ältefte Recenfion ber Handſchrift A aus verfchtedenen Stücken von unglei« 
ter beftehe, von denen er zwanzig als echte, alte, zum Theil noch bem 12. Jahrh. angehö« 
iſche Rieder bezeichnete, die dann durch Fortfegungen erweitert und endlich von einem 
ex und Orbner durch Hinzufügung der erfoderlihen Ausfüllungen und Verbindung. 
‚u einem Ganzen vereinigt worben feien. Geftügt auf biefe Entdeckung gab Lachmann 
erſte Eritifche Ausgabe (Berl. 1826) mit Zugrundelegumg der Handfchrift A, erörterte 
n feinen Anmerkungen „Zu den Ribelungen und zur Klage” (Berl. 1836) für jede ein« 
zophe die Gründe, aus denen fie zu ben echten 20 Liedern oder unter bie fpätern Zufäge 
t werben müffe, und machte bie verfchiedenen BeftandtHeile des Gedichts in den folgen- 


186 Nibelungenlied 


den Ausgaben (3. Aufl., vollendet von Haupt, Berl. 1852) auch äußerlich durch den 
Druck kenntlich, ſawie er auch „Die zwanzig alten Lieder von den Nibelungen“ abgeſondert 
von den Zuſätzen in einer nicht in den Buchhandel gelangten Prachtausgabe (Berl. 1840) er⸗ 
ſcheinen ließ. Inzwiſchen hatte auch der Freiherr von Laßberg von ſeiner (der erſten Hohenemſer) 
Handſchrift (C) einen treuen Abdruck beſorgt (im vierten Bande feines „Liederſaal“, Eppis⸗ 
haufen 1821), den Schönhut (Tüb. 1854 und 1840) und Leyſer (mit Holzfchnittn nach Ben⸗ 
demann und Hübner, Lpz. 1840) wiederholten, brauchbar, infofern er die Geſtalt ber jüngſten 
Bearbeitung volftändig und zufammenhängend wiedergibt, während die principlofen Ausgaben 
von ber Hagen's und die Recenfion Vollmer's (%pz. 1845) einen wiffenfhaftliden Werth - 
‚ nicht beanfpruchen konnen. Auch neuhochdeutfche Überfegungen find oft verfucht worben, unter 
benen Simrod’$ Übertragung (Berl. 1827 und öfter; „Die 20 Lieder” allein, Bonn 1840) dem 
erften Rang behauptet und die von Pfiger (mit den ſchönen Holzfchnitten nad) I. Schnorr von- 
Sarolsfeld und E. Neureutber, Stuttg. und Tüb. 1842 — 43) den zweiten verdienen mag. 

Neben ber Form bes Gedichte ward zu gleicher Zeit auch ber Inhalt von den beiden vorge- 
nannten Forfchern einer ebenfo gründlichen als ſcharfſinnigen kritifchen Prüfung unterworfen. 
W. Grimm gab, nach mehren vorbereitenden Abhandlungen in verfchiebenen Zeitfchriften, 
eine überfichtlihe und beurtheilende Zufammenfaffung bes gefammten Sagenftoffs in feiner 
„Deutfchen Heldenfage” (Gött. 1829), und Lachmann fonderte und verfolgte hiſtoriſch ent- 
widelnd die einzelnen Beftandtheile bes Nibelungenlieds in feiner „Kritik der Säge von den Ni« 
belungen” (im „Rheiniſchen Mufeum”, 1830 ; wieder abgedruckt in ben Anmerkungen „Zu ben 
Nibelungen“ u. |. w.). Fördernd wirkte auf bemfelben Wege auch der dän. Alterthumsforfcher 
P. E. Müller durch feine „Sagabibliothet” (3 Bde., Kopenh. 1817— 20; Bd. 2, deutſch von 
Lange, unter dem Titel „Unterfuchungen über bie Gefchichte und das Verhältnig ber nordiſchen 
und deutfchen Heldenfage”, FE. 18352), ferner Wadernagel, Müllenhoff u. A., während bie 
Schriften von von der Hagen („Die Nibelungen, ihre Bedeutung u. ſ. w.“, Brest. 1819), 
Böttling („Über das Gejchichtliche im Nibelungenliede”, Rudolſt. 1814, und „Nibelungen und 
Gibelinen”, Rudolſt. 1817), Mone („Einleitung in das Nibelungenlieb”, Heidelb. 1818), 
Rüdert („Oberon von Mons und die Pipine von Nivella”, Lpz. 1836), von Spaun (Heinrich 
von Ofterdingen und das Nibelungenlied“, Linz 1840) und W. Müller („Werfuch einer ety- 
mologifchen Erflärung der Nibelungenfage”, Berl. 1841) zwar mehr oder minder geiftreicge 
und glänzende Ausführungen, auch mancherlei wirklich brauchbare und ſchätzenswerthe Einzel. 
heiten enthalten, im Ganzen aber auf falfcher Fährte wandeln. 

Daß fihere Gefammtergebniß aller diefer Korfchungen läßt ſich in feinen Hauptzügen gegen 
wärtig etwa folgendermaßen kurz aufammenfaffen: Fünf Hauptgruppen fehr verfchiedenen Al⸗ 
ters und Urfprungs (f. Heldenfage), bie an Siegfried mit Brunhilt, Günther mit feinen Ge⸗ 
ſchwiſtern, Hagen, Dietrich und Egel fich lehnten, waren innerhalb ber beutfchen Heldenſage im 
Verlaufe mehrer Jahrhunderte allmälig in fo nahe Berührung gerüdt, daß fie zu einem Gan⸗ 
zen fich vereinigen fonnten. Auch waren einzelne Stüde aus diefem Kreife fchon feit Jahrhun⸗ 
derten in epifche Volkslieder von mäßiger Känge gefleidet, welche ftetö bie Kenntniß des ganzen 
Sagenftoffs im Allgemeinen vorausfegten und durch ihre Faffung diefen Zufammenbang fefl-- 
hielten. Aber die Form biefer Lieder, oder wenigſtens ber bedeutendften unter ihnen, erfuhr im 
legten Drittel des 12. Jahrh. eine Durchgreifende Anderung, unter dem Einfluffe jener gewal⸗ 
tigen fiterarifchen Bewegung, welche binnen wenig Jahren die gefammte deutſche Dichtung um⸗ 
geftaltete. Sie fügten fi) ſämmtlich in eine vierzeilige Strophe, deren Verfe, arm, aber rein im 
Reime und äußerſt fireng in der Metrik, eine Mittelftellung einnahmen zwifchen einer heimi⸗ 
ſchen, befonders in Oſtreich nachweislichen Versform und dem aus Frankreich herübergek m- 
menen Alexandriner; jeder Vers nämlich, durch eine Eäfur getheilt, zeigt in feiner erſten Hälfte 
drei Hebungen mit Hingendem oder vier Hebungen mit ftumpfem Ausgang und in ber zweiten 
Hälfte drei Hebungen mit jederzeit ftumpfem Reimausgange; nur am Schluffe ber Strophe 
ward des vollern Austönens wegen der Zuſatz einer vierten Hebung bald zur Regel. Während 
diefe Umgeſtaltung ftattfand, bemädhtigten fich aber auch zugleich die Fahrenben, bie wandernden 
Sänger edeln und unedeln Standes, dieſes Stoffs in feiner neuen Form ımd bildeten ihn weiter 
aus zur Nhapfodie, indem fie mehre folche epifche Lieder verwandten Inhalts aneinander reih⸗ 
ten und zu Gedichten von bereits beträchtlicheem Umfange verarbeiteten. Und noch war biefe 
Mittelftufe nicht vollkommen zurückgelegt, noch beftanden epifche Rieder und Rhapſodien neben- 
einander, als um 1210 in Oftreich, wo die Volksdichtumg beſonders blühte, ein edler, mit den 

„vorzüglichften Werken ber hoͤſiſchen Dichtung bekannter Fahrender von hoher bichterifcher Be» 


Nieaa | j ıH 


gabung aus noch jegt erkennbaren Liedern und Rhapfobien, unter Beibehaltung ihrer Bers- 
und Strophenform, ebenfo tieffinnig als taktvoll ein planmäfiges, abgerunderes Ganzes geftal- 
tete, dad Gedicht von ber Ribelunge Rot in derjenigen Form, welche bie zweite Hohenemſer 
(Bündpener) Handſchrift (A) darbietet. Meifterhaft entwarf er den Plan, der, die reiche Fülle 
von Geſtalten und Ereigniffen in [chlichter Einfachheit zu einer firengen Innern Einheit bindend, 
ben Pan der „Ilias“ und ber „Obyffee” an großartiger Kühnheit weit übertrifft; minder aber ge- 
lang es ihm noch, die einzelnen Lieder und die namentlich im zweiten Theile vorwiegenden Rhap- 
fobten kunſtreich zu verfchmelgen, ihre Ungleichheiten zu tilgen, ihre Lüden auszufüllen und ei⸗ 
nen gleichmäßigen Tom durch das Ganze hinzuführen. Diefen Übelftand erfannten bereits feine 
Beitgenofien und verfuchten auch, ihm abzuhelfen. Zwei mal, noch vor dem 3.1225, ward fein 
Werk überarbeitet; zuerft von einem, ber mehr durch Ausfchmüdungen (Xert der St.⸗Galler 
Handſchrift B), Bann von einem andern, ber, mit Benugung feines Vorgängers, beſonders ver- 
Hönbig erflärend (Test der erſten Hohenemſer ober Laßberg'ſchen Handſchrift C) nachhelfen 
wollte. Uber Beide waren nicht begabt genug zu einer wirklichen und durchgreifenden Verbeſſe⸗ 
rung, und bald danach welkte bie hoͤſiſche Dicht fumft ebenfo rafch Hin als fie aufgeblüht war, ſodaß 
eine weitere Vervollkommnung des Gedichte gänzlich) unmöglich wurbe und es mithin in Rück⸗ 
ſicht auf Darftellung und Ausführung bes Einzelnen Hinter „Stia#” und „Obyffee” zurückblieb. 
In den Handichriften und e ſchließt fich an der „Ribelunge Roth” noch ein zweites, 
in kurzen Reimpaaren abgefaßtes Bebicht, unter dem Titel „Die Klage”, worin bie Beftattung 
der an Attila's Hofe Gefallenen umb die ihren Tod nach der Heimat berichtende Botſchaft, mit 
g Dietrich's von Bern, bargeftellt wird. Es ift älter, aber an Gehalt weit geringer 
als das NRibelungenlied, und fein Berfaffer, den wir ebenfo wenig zu nennen wiffen als ben 
Drbner und bie Überarbeiter der „Ribelunge Rot“ (denn bie Bermuthungen, daß Heinrich von 
Wolfram von Eſchenbach, Klingsor von Ungerland, ein Pfaffe Konrad, Walther 
von ber Beogelweide ober gar Rudolf von Ems das Nibelungenlied gebichtet Habe, find nur 
theils grundloſe, theils felbft wiberfinnige Einfälle), kannte von dem Inhalte der „Ribelunge 
Rot” nur bie Heinere zweite Hälfte und Bruchſtücke ber erften, ober vielleicht auch ein jegt ver» 
lorenes lat. Gedicht, welches ein gelehrter Beiftlicher, Konrad, auf Geheiß bes 991 verftorbenen 
Bifgefs Pilgrim von Paſſau abgefaßt hatte. Bgl. Sommer, „Die Sage von ben Nibelungen, 
wie fie in der Mage erfcheint”, in Haupt’s „Zeitfchrift für deutfches Alterthum” (Bd. 5). Übrt- 
ent auch „Die Mage”-biefelben Überarbeitungen erfahren wie „Der Ribelunge Rot”. 

‚ eine anfehnliche Stadt in ber Heinafiat. Provinz Bithynien, am Ascaniafee, wurde 
von ‚dem Sohne bes Philippus, erbaut ımb nach ihm urfprünglich Antigonia ge 
nannt. Erſt fpäter erhielt fie von Perdikkas nach dem Namen feiner Gemahlin ben Namen 
Micha. Sie war frühzeitig der Sig eines chriftlichen Bifchofs umd hernach eines Erzbiſchofs. 
Ir 3. 1080 wurde fie mit Hülfe der Türken von Nicephorus Meliffenus, 1097 aber von 
Gottfried von Bouillon erobert und dem griech. Kaiſerthum wieder einverleibt. Später, nach 
Begründung bes lat. Kaiſerthums in Konftantinopel, gründete Theodor Laskaris 1206 ein 
eigenes griech. Kalſerthum in N. bad bis 1261 beftand, wo Michael Paläologus baffelbe wieber 
nach Konftantinopel verlegte. (&. Byzantinifches Rei.) Im J. 1330 kam R. für immer 
in bie Gewalt der Türken. Gegenmärtig ift bie Stadt, die ben Namen Isnik führt und zum 
alet Anaboli gehört, nicht viel mehr als ein von wenigen Einwohnern bevölkerter Schutthau« 
fen, von beffen einfliger Größe die Stabtmauern mit ihren Thürmen und Thoren, eine Waſſer⸗ 
(eitung und ber fogenannte Palaſt bes Theodorus zeugen. Berühmt find In ber Geſchichte ber 
Geglihen Kirche die m NR. 525 und 787 abgehaltenen allgemeinen Rirchenverfammlungen 
(dab erſte und fiebente Okumeniſche Concil). Die erſte wurde von Konſtantin d. Gr. veranſtal⸗ 
tet, hauptſaächlich zur Beilegung der Arianiſchen Streitigkeiten. (S. Arianer.) Durch bed Kai⸗ 
ſers perſonlichen Einfluß und die Beredtſamkeit bes alexandrin. Diakons Athanafius trug bie 
orthedoxe Kirche den Sieg davon. Die Arianiſche Lehre wurde verdammt und das auf den Brunb 
alten apoſtoliſchen Symbolums gebaute Glaubens bekenntniß angenommen, welches unter 
dem Ramen des Aicänifchen Glaubensſsbekenntniſſes bekannt iſt. (S. Symbol.) Außerdem 
wurde noch bie Gleichzeitigkeit der Oſterfeier in allen chriſtlichen Gemeinden angeordnet und Man⸗ 


et ur Gb der Beiftlichen und die Kirchenzucht fefigefegt, der Antrag aber, bie 
zur Seit zus verpflichten, verworfen. Das zweite Concil in N. hielt 787 bie 
—— Gegen die Bilderſtürmer wußte fie ben folgereichen Beſchluß durchzuſetzen daß 

eine durch Küffen, Kniebeugung, Räuchern und Lichteranzünben zu erzeigende Ber» 
"zu widmen Tl. Auqh wurhe das Aufſbewahren ber Reliquien in ben Kirchen angeordnet. 















188 Nicander Nicaragua 


Nicander (Karl Aug.), ſchwed. Dichter, geb. 20. März 1799 in Strengnät, verlor früh⸗ 
zeitig feinen Vater, der hier Conrector war, und gerieth dadurch nebft feiner Mutter in fehr bes 
drängte Umftände. Indeffen wurbe e8 möglich gemacht, daß er 1817 die Univerfität zu Upſala 
beziehen konnte. Bereits 1821 ließ er das Zrauerfpiel „Runesvärdet eller den forste rid 
(2. Aufl., Stodh.1835) erfcheinen, die befte feiner Hoefien, und bald darauf „Fjärilar frän Pin- 
den”, das Idyll „Rosalt” und „Runor”. Nachdem er promovirt, trat ex 1823 in die königl. 
Kanzlei. Demnächſt erfchienen fein Gedicht „Tassos död”, das den erften Preis in der ſchwed. 
Akademie erhielt, und „Konung Enzio“, welches ſich durch Farbenpracht, Glut und Wohllaut 
ber Sprache auszeichnet. Vom Kronprinzen und von der Akademie unterflügt, unternahm er 
1827 eine Reife nach Italien, die feinem ganzen Leben eine andere Richtung gab, indem Mangel 
an Mitteln ihn in die verzweifeltfte Lage brachte. Arm, fchuldenbelaftet und mit gebrochenem 
Herzen kam er endlich in die Heimat zurüd, wo nur neue Bedrängniffe ihm entgegentraten, da 
er für das Gefchäftsleben durchaus nicht taugte, auch Y feinem Talente nicht zu wuchern ver» 
ftand. Zwar erhielt er für fein „Minnen frän Södern” (Drebro 1831), fowie für die 
feiner Gedichte und Novellen, die unter bem Zitel „Hesperider” (&todh. 1835) erfchienen, ein 
nicht umbedeutendes Honorar; doch ben größten heil deffelben nahmen feine Gläubiger in 
Anfpruch. Oft mußte er Mangel fogar an dem Nothwenbigften leiden. In biefer andauernd 
übeln Lage ergab fich N. endlich dem Trunke. Ein alter Freund, der Freiherr Hamilton, nahm 
ihn zwar auf fein Gut auf; doch nach einigen Jahren ging er nach Stodholm zurück, wo er 
num bei einem Buchhändler arbeitete. Seine legte Schrift war „Leijonet i öknen” (&to 
1838), ein Gedicht, das man eine Apotheoſe Napoleon’s nennen kann. Gr flarb 7. Febr. 1839 
NE Dichtungen, die nach feinem Tode gefammelt (4 Bde, Stockh. 1839 —41; 7 Bbe, 
1851 —52) erfchienen, zeichnen fich weniger durch Ideenfülle und Gedankenreichthum aus, 
als durch Anmuth und vollendete Schönheit im Verſe und der Sprache. | 

Nicaragüua, Freiftaat in Eentralamerika (f.d.), zwifchen Honduras im N., der Mosquito- 
Lüfte (f. d.) und dem Antillenmeere im D., dem Staate Cofta-Rica im &. und dem Stillen 
Dcean im W., hat fich feit feiner Selbftändigkeit faft nur durch ununterbrochene Parteikaͤmpfe 
und ungeordnete politifche Zuftände bemerkbar gemacht. Diefe Streitigkeiten machen es auch 
jegt noch fchwierig, feine Grenzen mit Beftimmtheitangugeben. Statuirt man bie angenommene 
Trennung N. von Mosquitia, fo umfaßt der Staatnur etwa 1104AM. Der fübmeftliche Theil 
des Staats enthält Die Ebene von N. mit zwei durch den Panaloya verbundenen Seen, bem klei⸗ 
nern Managua- und bem vielgrößern Nicaraguafee, die in einer Gefammtlänge von 44 M. und 
in einer mittlern Entfernung von 6; M. von der Weftküfte durch das Land ziehen und mitihrer 
und der Thalſſenkung ihres Abfluſſes, des 22M.Iangen San⸗Juan, eine merkwürdige, von Nord» 
weft gegen Süboft gerichtete Unterbrechung bes mittelameritanifchen Hochlands bilden. In dieſe 
Ebene fallt von Süden her das Hochland von Cofta-Rica; in ihr erheben fich füdlich vom Ufer 
des großen Sees ſechs Vulkane. Die Hauptcordillera ftreicht dann jenfeit des Stromdurchbruchs 
in einem das große Seebaſſin umgiehenden Bogen gegen Nordweſten ale Waſſerſcheide gegen 
das Gebiet des Antillenmeeres, wahrend zwifchen dieſem Baſſin und dem Stillen Ocean nur 
eine niedrige, von einzelnen Vulkanen unterbiochene Hügelkette fich binzieht. Die flache Mee⸗ 
restüfte bildet außer der fehr geräumigen Bat von Conchagua (auch Golf von Fonfeca oder 
Amapala genannt) noch den fogenannten Golf von Papagayo. Binter dem fchmalen Küften- 
lande, welches bisher faft allein den Staat repräfentirte, ziehen fich ausgedehnte, theilweiſe ganz 
wilde, ſchwer zugängliche und wenig bekannte Gebirge. und Plateaulandfchaften nad) der 
Hauptcordillera hinauf, nämlich die Diftricte Chontales, Matagalpa und Segovia. Die Be 
wäfferung des Staats ift eine fehr günftige. Zahlreiche Flüßchen ergießen ſich in den Stillen 
Ocean, unter welchen der nördlich vom Vulkan Telica herabkommende Eiftero real 6'% M. 
weit aufwärts für 9—10 F. tief gehende Fahrzeuge fchiffbar ift. Von der größten Wichtigkeit 
in jeder Beziehung find aber die beiden Binnenfeen und ihr Abfluß in das Antillenmeer. Der 
Managua oder Leon ift etwa 10 M. lang, 6 oder 7M. breit, 143%, F. über dem Meere und 
4—5 M. davon entfernt'gelegen. Ex hat eine wechfelnde Waſſertiefe von 2, 9, 14—38 8. 
Sein Abfluß, der vier M. lange Panaloya, bildet bei feinem Austritt einen 12 F. hohen Waſ⸗ 
ferfall, ift aber feicht und Hat neuerdings, wie ber See felbft, durch ein Erdbeben noch eine be» 
deutende Wafferabnahme erfahren. Der Nicaraguafee , durch die erwähnte, an der ſchmal⸗ 
ſten Stelle kaum 2% M. breite vultanifche Hügelkette vom Stillen Dcean getrennt, iſt in fel- 
nen größten Dimenfionen 27 M. lang, faft 14 M. breit und mag eine Fläche von 290 AM. 
bebeden. Er liege 420 F. über dem Meeresfpiegel, bat bei ftet6 gleichem Waſſerſtande 


Nicaragua oo. 189 


eine Tiefe von 8A— 85 FJ. und umfchließt fehr viele üppig bewachſene Infeln vulkaniſchen Ur 
fpeungs, bie meift bewohnt ober bebaut find. Sein einziger Abfluß (desaguadero) iſt der 
Gan-Iuan, San⸗Juan bei Norte oder be Nicaragua genannt, der fich in einer Bänge von 
ni einer Breite von 281-938 $. und mit einer Tiefe von 14—22'/; 8. im Fahrwaſſer, 
durch Stromfchnellen und Untiefen gehindertem Laufe Ind Antillenmeer 

einigen Jahren befahren ihn und ben See Dampfboote. Auf dieſen hydrogra⸗ 

—* Ber ehiimifen beruht das Project, ben Ban-Juan und bie Seen zur Herftellung einer 
fferverbinbung seien bem Stillen unb dem Atlantiſchen Dcean zu benugen. 

Des Sime wm N. tft in feinen weſtlichen Ebenen fehr heiß, doch gilt ed im Ganzen nicht 


ungefund 
u Ir: Boden, obgleich vulkaniſcher Ratur, ift mit einer fetten Schicht vegetabilifcher Erbe bes 
Beibee und fehr fruchtbar. Die ausgebehnten Walbungen liefern außer Bau-, Möbel- und Far⸗ 
— 224 auch — Harz- und Gummiarten, ſowie —** Medicinalpflanzen. Es — in 
Regionen alle europ. Getreidearten, ſowie alle Arten tropiſcher Gewächſe. Die 

— be des Wohlſtandes bildet aber zur Zeit bie ſehr wild betriebene Viehzucht. Die 
— beträgt nach einer ber ſicherſten Schägungen gegenwärtig 264000 See⸗ 
len. Rach einer frühern Uingabe der Geſammtzahl auf 250000 ©. zählte man 25000 Weiße, 
45000 BRulatten und Schwarze, 80000 reine Indianer und nicht weniger als 130000 Labinos 
ner Bellen (Mifchlinge von Indianern und Weißen). Die Inbuftrie des Landes wie auch 
ber Bergbau find im Ganzen fehr unbedeutend; aber R. hat eine ſehr günflige Senbeitiage, 

vermöge welcher nach Ausführung des Interoceanifchen Kanals ein bebeutenber 
Welchandels durch das bisher fo auffallend in der Entwidelung feiner reichen — * 
Land geben wird. zingefähet werden vorzüglich Leinen und Baummollen- 
u. ſ. w.; bie Ausfuhr befteht in Probucten der Wälder und bes Bandbaus. Die 
iſt nach dem WBahlgefeg von 1852 demokratifch. Als Staatsoberhaupt übt ber auf 
ee gewählte Präfident ober oberfte Director der Republik bie vollziehende Gewalt. Ein 
amb eine Deputirtenkammer bilden bie gefepgebenhe Gewalt, und einem oberften Gerichts⸗ 
hef it bie —— — von welchem bie Diftrictögerichte abhängen. In adminiſtrativer 
Giant I ber bie fünf Diftricte oder Departements Leon, Managua, Granada, Nie 
cazagme und — eingetheilt. Die Hauptfiabt Leon, Gig der Regierung md eines Biſchofe 
beei WE. von bem Managuafee, ebenſo weit vom Stillen Meer gelegen, in einer ſchönen und 
findgebaren Ebene, 1525 von Brancisce be Corbova gegründet, liegt zum Theil in Ruinen und 
übt jegt nur 50000 E. Andere nennenswertbe Städte find Monagua, am Sübufer des 
en Sees, in gefunder Lage, mit 13000 E.; Mafaya oder Maffaya, weiter füböft- 
Ih gelegen, mit 13000 E.; Branaba mit 14000 E., auf dem norbiweftlichen Ufer des Nica⸗ 
ragnaſees; Ricaragua, *— am Weſtufer des Sees, eine ziemlich gewerbfleißige &tabe mit 
mei farbigen E.; Ghinandega mit 10000 E.; Realejo, gewöhnlich als der Haupt- 
RI am Giillen Meere bezeichnet, ein unbebeutenber Drt von etwa 1000 E. eine Stunde 
ber — an einem kleinen ie befien Mündung ben beften Hafen an biefer ganzen 
Bidet; Goncorbia ober San-Juan dei Sur, ein füblicher Hafen an der Papag ai, 
nad Ausführung des Nicaraguakanals große Wichtigkeit erlangen dürfte; San⸗Juan, 
GSan⸗Juan bei Rorte ober San⸗Juan de Nicaragua genannt, ein Peiner Drt an der 
bes San-Juan 2 bie — des Antillenmeeres, neuerlich von dem engl. Vice⸗ 
ber Diogfitofäfte in Befig genommen und feitbem Sreytoon genannt, zähle kaum 1000 
—— — und Farben, hat aber als Freihafen unter dem Schutze Englands und der 
Staaten einen raſchen Aufſchwung genommen, ber nach Vollendung bes interocea⸗ 

naiſchen Kanals ſich noch bedeutend erhöhen wird. 

SR. warb balb nach ber Entdeckung und Befignahme feiner Kuͤſtengegend durch Gil Gonzale; 
Derila eine eigene Intendantur des fpan. Generalcapitanats Guatemala, riß fih 1821, wie 
gauz Guatemala, von Spanien los und trat 1823 dem Bunde ber fünf Vereinigten Staaten 
bon Gentrelamezite (f.d.) bei. Obſchon N. feiner geographifchen Lage wegen bei der Aufrecht⸗ 
— 22— der Föderation mehr als die übrigen Staaten und namentlich mehr als Guatemala 
unb Goſta⸗Nica ne War Wege es ſich doch alsbald geneigt, dieſelbe aufzulöfen. Seine Ber 
ſeche im —— | eine Berwidelungen und Kriege mit Cofta-Rica wegen bed Gebiets von 
Rerya und Guanaſte, welches ſich freiwillig an Iehtern Staat anſchloß, feine Innern Spaltun⸗ 
mund wieberhelten Parteikaͤmpfe, bie nirgends einen fo T@onungelofen Dh — ange⸗ 
nemmen haben wie hier: bies bildet die Geſchichte R.is von 1825 — 48. Seitdem geſtalte 




















hefen 
von 










0 | * Niecolini 


ten ſich die Verhaͤltniſſe etwas feſter, indem eine Verfafſung und eine gefegliche, aber ſchwa⸗ 
che Regierung zu Stande Fam. Auf den Präfidenten Don Ramirez folgte im März 1851 
Laureano Pineda, und auf diefen 20. Febr. 1853 der General Don Fruto Chamorro. Wah⸗ 
rend N. noch mit Coſta⸗Rica um den Beſitz des Hafens von San⸗Juan firitt, erhob England 
unter ben Vorwande, daß bie öſtliche Spige des Staats, wo biefer Hafen liegt, ein Theil bes 
unter feinem Schuge ftehenden Königreichs der Mosquitoküfte (f. d.) fel, Anſprüche auf ben 
wegen bed Kanalifationsprofects fo wichtigen Punkt. Am 1. Jan. 1848 befegten engl. Trup- 
pen San-Juan. Diefer Schlag machte zuerft bie Vereinzelung N.s fühlbar. Auf Anregung bes 
nicht minder beeinträchtigten Staats Honduras warb zur theilweilen Wiederherſtellung der 
alten Föderation ein Congreß zufammenberufen, der 9. San. 1851 aus ben Abgeorbneten von 
N. Honduras und San-Galvador zu Ehinandega zufammentrat, während Coſta⸗Nica und Gua⸗ 
temala vergeblich eingeladen wurben. Diefer Congreß beichloß bie Errichtung einer Gentral- 
tegierung, die aber nicht zu Stande kam. Das wichtigfte Ereigniß für N. felbft, für ganz Cen⸗ 
tralamerifa und den zukünftigen Bang bes Welthandels überhaupt war aber bie Anbahnung 
bes ſchon erwähnten Aicaraguakanals. Der Plan bafür warb bereits feit dem 16. Jahrh. 
wiederholt aufgefaßt. Endlich fchloß eine Geſellſchaft aus ben Vereinigten Staaten von Nord⸗ 
amerita (Allantio and Pacific-Ship-Canal-Company) 1849 mit dem Staate N. einen Ver⸗ 
trag zur Herſtellung dieſes Kanals, begann auch feitdem bie Vorbereitungen, ſah ſich aber durch 
die Mosquito-Engländer ſowie dutch Cofta-Rica in ihrer Thätigkeit fortgefegt gehindert. Ob- 
wol die nordamerik. Union 1850 einen förmlichen Vertrag mit Großbritannien zu Stande 
brachte, ber dieſe Dinderniffe befeitigen follte, Dauerten doch die Intriguen fort, und bie Englän- 
ber ftellten fogar der frühern Geſellſchaft eine andere in Coſta⸗Rica (die Accessory--Transit- 
Company) entgegen. Erſt fpäter. kam unter fämmtlichen betheiligten Staaten ein neuer Ver⸗ 
trag zu Stande, ber die Grenzftreitigkeiten zwiſchen N, Mosquitia und Coſta⸗Rica fchlichtete, 
has Intereffe beider Compagnien einigte und dem Kanalbau freien Lauf gewährte. In Rück 
fit auf das Kanalproject hat fich bie europ. Auswanderung N. zugewandt, und unter andern 
erwarb die berliner Golonifationsgefellfchaft für Centralamerika von ber Negierung R.s fo- 
ſtenfrei eine große Strecke günftig gelegenen Landes. Allein viele Deutfche, bie fich ſeitdem nach 
N. wandten, haben das Land wieder verlaffen, weil ihnen neben ben politifchen 

das Klima fehr ungünſtig erfchien. Vgl. U. von Bülow, „Der Freiſtaat R. in Mittelamerika 
und feine Wichtigkeit für den Welthandel, Aderbau und die Eolonifation” (Berl.1849); „Die 
deutfche Anftedelung in N. u. f. w.”, vom Comité ber berliner Coloniſationsgeſellſchaft (Berl. 
1850); Marure, „Memoria historica sobre el Canal de N.” (Guatemala 1845); Xiot, „Pa- 
nama, N. and Tehuantepec” (Lond. 1849); Squier, „Sketches of travel in N.” (Neuyork 
4851) ; Derfelbe, „N. its people, scenery, monuments and the proposed Interoceanic- 
Canal” (2 Bde., Lond. 1852). 

Niecolini (Giovanni Battifta), ital. Dichter, wurde 31. Dec. 1785 in San-Giuliano bei 
Pifa geboren und gehört einer florentin. Yatricierfamilie an. Er erhielt feine erfte Bildung tm 
Florenz und ftudirte zu Pifa hauptſächlich Philoſophie und Nechtswiffenfchaft. Später wendete 
er fi mit Eifer dem Studium der claffifchen Literatur zu. Nachdem Yoscolo durch bie 
Zueignung feines „Baar der Berenice” die Aufmerffamkeit auf ihn gelenkt hatte, wurde R. 
durch die Königin von Hetrurien zum Profeffor der Geſchichte und Mythologie an ber Aka⸗ 
bemie ber ſchönen Künfte zu Florenz ermannt, weiche Stelle ex in Verbindung mit ber eines 
Bibliothekar biefer Anftalt fortan beBfeidete. In dieſem Verhaältniſſe ſchrieb eg mehre Reden 
über Gegenftände der fchönen Künfte, z.B. „Über das Erhabene bei Michel Au. ſ. w. 
doch feine vorherrſchende Neigung führte ihn zur dramatiſchen Poeſie. Sein erfled Trauerſpiel 
„Polissena“ wurbe 1810 bei der Preisbewerbung der Akademie der Crusca gekrönt; demſelben 
folgten „Ino e Temisto“, „Medea“, „Edipo“, „Matelda”, „Nabuoco“, ein feltfames Stüd, 
das anonym in London (1819) erſchien und Napoleon in fremdem Gewande barftellt, und 
„Antonio Foscarini” (4827), das, der venetian. Gefchichte entnommen, überall, mo man 0 
aufführen durfte, dem größten Enthuſiasmus erregte und N.’ Ruhm weit verbreitete. Sein 
„Giovanni da Procida“, der 4830 in Florenz über die Bühne ging, durfte politifcher Rückfich⸗ 
ten halber nur an einigen Orten aufgeführt werben. Im 3. 4831 veranftaltete N. eine Sanrım- 
fung feiner Trauerfpiele, Igrifchen Dichtungen und profaifchen Auffäge (3 Bde., Flor.). Bon 
feinen fpätern Dramen find noch anzuführen: „Lodovico il Moro” (1834), „Rosamunda” 
(1839), „Arnoldo da Brescia” (41835 und öfter), welches gleich nach dem Erſcheinen in dem 





... om. Inder kam, da ber Dichter barin nicht nur für Befreiung vom fremden Joche, fonbern 


kn 73 


Ricephorus Ricias 191 


auch gegen die weltliche Macht der Kirche eifert, und „Filippo Strozzi” (1847). Auch eine 
Rovelle in Verſen „Irene Malatesta” erfchien 1857 von ihm. Seitdem ift er, von: Alter ge- 
beugt, verflummt. ' 

Nicephörus ift der Name von mehren griech. Gefhichtfchreibern des Mittelalters, die größ⸗ 
tentheils zu den Byzantinern (f. d.) gehören. Eine befondere Erwähnung verdienen Nicepho⸗ 
rus, Patriarch von Konftantinopel, geb. 758, geft. 828, Verfaffer einer „Chronologia com- 
pendiaria” (herausgegeben von Camerarius, Baf. 1561 ; 2pz. 1573) und eines „Breviarium 
historicum” (herausgegeben von Petau, Par. 1648 ; neue Ausg. von. Belker, Bonn 1837). — 
Micepborus Bryennius, aus Drefiad in Macebonien, geft. 1137, verfertigte, nicht frei von 
Parteilichkeit, eine Gefchichte des fomnenifchen Hauſes, die von feiner gelehrten Gemahlin 
Anna Komnena (f. d.) ergänzt wurde, wovon ſich aber nur vier Bücher erhalten haben, bie 
den Zeitraum von 1057 — 81 befchreiben. Gute Ausgaben befigen wir von Poſſin (Par. 
1666) und Meineke (Bonn 1836). — Nicephorus Blemmides, Patriarch von Konftan- 
tinopel, in ber erften Hälfte des 15. Jahrh., hat zwei geographiſche Schriften binterlaffen, 
die zuerft von Spohn (2pz. 1818) und dann von Manzi (Rom 1819) bekannt gemacht wur⸗ 
den. — Nicephorus Gregäras, Patriarch von Konftantinopel im 14. Jahrh. fchrieb eine 
„Byzantinifche Geſchichte“ in 28 Büchern, von denen aber nur 24 auf uns gekommen find, 
weldye die Zeit von 1204—1351 behandeln und am beften von Schopen (2 Bbe., Bonn 1829 
—50) herausgegeben wurden. 

Nicktas Acominatus, von feinem Geburtsorte Chonä in Phrygien auch Choniates ge- 
nannt, ein namhafter byzant. Gefchichtfchreiber, erhielt um 1150 feine Bildung zu Konſtan⸗ 
tinopel, beBleidete dann mehre öffentliche Amter und floh nady der Eroberung jener Stadt nach 
Nicäa in Bithynien, wo er um 1206 ftarb. Sein Hauptwerk ift eine Gefchichte ber griech. Kaifer 
in 21 Büchern, die als Fortfegung des Zonaras (f. d.) den Zeitraum von 1117 — 1205 um- 
faßt und von Wolf (Baf. 1557), Fabroti (Par. 1647) und zulegt von 3. Bekker (Bonn 18355) 
herausgegeben worben ift. Außerdem befigen wir von ihm eine Befchreibung ber von den Fran⸗ 
fen bei ber Einnahme von Konftantinopel zerftörten Denkmäler, herausgegeben von Wilken 
(2pz. 1830), der fie in feiner „Gefhichte der Kreuzzüge“ (Bd. 5, Lpz. 1829) auch ins Deutfche 
überfegt hat. — Nicetas Eugenianus lebte ebenfalls im 12. Sahrh., fchrieb ein ziemlich um⸗ 
fangreiches, aber gefchmägiges iambifche® Gedicht in neun Gefängen, welches die Kiebesaben- 
teuer des Charikles und der Drofilla zum Gegenftande hat und von Boiffonabe (2 Bde., Lond. 
1819) zuerft befannt gemacht wurbe. 

Richtigkeit (im juriftifchen Sinne), f. Aullität. 

Nichts, die Verneinung des Etwas. Das Dogma von der Schöpfung aus Nichts hat den 
Theologen und Philofophen viel Veranlaffung gegeben, den Begriff des Nichts zu zerfpalten 
und das Nichts fo zu behandeln, als ob ed etwas wäre. Man machte die Unterfcheibung zwifchen 
einem abfoluten Nichts als der Aufhebung alles Seienden überhaupt und dem relativen Nichts 
als der Aufhebung eines beftimmten Seins. Schon Plato dichtete dad abfolute Nichts unter 
dem Namen des pn Ov zu einem Gegenftande um, nämlich zu der form- und gefeglofen Materie 
bes Weltalls, aus welcher die Weltfeele alle Dinge geformt und gebildet habe. Andere, wie 
der Echolaftifer Joh. Erigena und verfchiedene Myſtiker des Mittelalters, nannten die Gottheit 
ſelbſt das Nichte, weil wir feinen Weg hätten, und zur Segung des vollig Unfaßbaren zu erhe- 
ben, als durch Negation alles Deffen, was wir eriflirend nennen. In dem Sprachgebrauch der 
Hegel ſchen Logik finden fich beide Bedeutungen des Worts fo in Verbindung gelegt, daß das 
abſolute Sein zwar dem Sprachgebrauch der Myſtiker gemäß ale das abfolute Nichts bezeich- 
net, aber unter biefem Nichts zugleich vermöge einer dialektifchen Umwendung bes Begriffs 
das Nichts der Platoniker oder die ftoffliche Unterlage des Univerfums verflanden wird. Kant 
bingegen erflärte das Nichts als eine leere fubjective Denkformel ohne allen entfprechenden Ge⸗ 
genfiand und machte darauf aufmerkfam, daß ber Ausbrud obendrein an einer Unklarheit leide, 
indem er ebenfo gut das blos Mögliche (daB bloße Gedankending) als das gänzlich Unmögliche 
(da$ Unding) und anderntheild ſowol die bloße Aufhebung des Wirklichen als auch die Segung 
einer Chimãre bezeichnen Tonne. 

Nicias, ein reicher und angefehener athen. Staatömann und Feldherr, entwidelte zur Zeit 
des Peloponneftfchen Kriegs nach dem Tode des Klem (f. d.), deffen Gegner er war, große Ein» 
Seht und Thätigkeit. Durch ihn wurde namentlich nach der für Athen unglüdtichen Schlacht bei 
Umphipolis 423 v. Chr. ein Idjähriger Friede mit Sparta vermittelt, dem zufolge der Befig- 
Raub, wie ex vor bem Kriege geweſen war, wieberhergeftellt werden follte. Doch blieb diefe 


198 Nidel Nicolai 


Bedingung von beiden Seiten unerfüllt, und die Feindſeligkeiten brachen einige Jahre darauf 
von neuem aus. Durch den leichtſinnigen Alcibiades (f. d.) wurden die Athener zu einer neuen 
Unternehmung gegen &icilien forfgeriffen, von der man ſich bie Eroberung ber sangen Inſel 
verſprach. Der dedãchtige N. widerfegte ſich zwar anfangs, nahm aber dennoch, ald feine War⸗ 
nungen fruchtlos blieben, nebft dem Alcibiades und Lamahus als Flottenfuͤhrer an biefem 
Seeguge Theil. Auch erfocht er nach ber Flucht det Alcibiabes einen Sieg unter den Mauern 
von Syrakus und war nahe daran, die Stadt zur Übergabe zu bewegen, als eine peloponnef. 
Flotte zu Hülfe Fam, worauf 413 v. Chr. die athen. Flotte gefchlagen und eingefchloffen, die 
Mannſchaft aber nebft den Anführern auf dem Rückzuge durch Gicilien theils getöbtet, theils 
gefangen genommen wurde. Unter den Getödteten befand ſich auch R. Sein Leben hat Plutarch 
ziemlich ausführlich befehriehen. J 

Nickel, ein faſt filberweißes, dem Magnet folgendes, in feinen phyſiſchen Eigenſchaften dem 
Eifen ähnliches, aber meicheres, etwas cher als Gußeiſen ſchmelzendes Metall von 8,:—8,5 fpe- 
eififchem Gewicht, wurde 1751 vom Cronſtedt entdeekt. Es findet fich, außer in den Meteor- 
feinen, meiftin Verbindung mit Arſenik und faft ſtets als Begleiter ber Kobalterge und kann 
daher in ziemlichen Mengen als Nebenproduct bei Darftellung der Blaufarben aus Kobalt ge- 
mwonnen werben. Die wichtigern Nickelerze find das Kupfernickel, der Kupferantimonglanz, 
der Nickelglanz, der Haarkies und bie Nickelblüte. Da das Argentan oder Reufilber (f. d) 
Nickel als weſentlichen Beſtandtheil enthält, fo iſt dieſes Metall in neuerer Zeit techniſch wichtig 
und feine Erzeugung eine eimträgliche Nebenbrande für foldhe Gegenden geworben, wo ſich 
Kobalterze finden, wie in Saqhſen umb Heffen. Das Oryd und bie Salze des Ries, weldes 
chemiſch dem Kobalt analog If find grün gefärbt und werben zum Theil als Porzellanfarhen, 
zu grüner ſympathetiſcher Tinte u. ſ. w. benugt. 

Nicolai (Chriſtoph Friedr.), ein berühmter Schriftfteller und Buchhändler, wurde 18. Märy 
4733 zu Berlin geboren, wo fein Vater Buchhändler war. Aus der Kealſchule zu Berlin kom 
er 1749 nad} Frankfurt 0.d.D., um den Buchhandel zu lernen. In feinen Mußeftunden nahm 
er Gelegenheit, die ciaſſiſchen und die beften engl. Schriftfteller kennen zu Iernen, zugleich flu« 
dirte er Mathematik, Gefchichte und Philoſophie, vor allem aber Gelehrtengeſchichte. Als er 
1752 nad} Berlin zurückkehrie, war bie beutfche Literatur durch Gottſched und Bobmer in zwei 
Parteien getheilt. Er entdeckte bald das Einfeitige beider Parteien, das er in den „Briefen über 
den jegigen Juſtand ber fhönen Wiffenfchaften" (Bert. 1756) ausführlicher beleuchtete. Mit 
Leffing und Mofes Mendelsfohn zu gemeinfhaftlihen wifjenfhaftlichen Beſtrebungen ſich 
verbinden, ſchloſſen fich diefem Bunde in der Bolge die meiften guten Köpfe Deutfchlands an. 
Um ganz den WBiffenfchaften zu leben, zog er fih 1757 ganz aus dem Buchhändlergeſchäft zu- 
rück; als aber 1758 fein Bruber flarb, der bie väterliche Handlung übernommen hatte, fah er 
ſich veranlaßt, diefelbe au übernehmen. Mit Mendelsfohn Hatte er damals bie erften vier Bände 
der „Bibliothek der ſchoͤnen Wiffenfchaften” (Rpz. 1757—58) herausgegeben. Jegt übertru · 
gen fie die Herausgabe ihrem Freunde Weiße in Leipzig und liefen nun im Vereine mit Leffing 
die „Briefe, die neuefte deutfche Riteratur betreffend” (24 Bde., Berl. 1759—65) erfeheinen. 
Hierauf brachte N. den Plan einer „Allgemeinen deutſchen Bibliothef” (106 Bbe., 1765 
— 92) zur Ausführung. Cine Fortfegung derfelben war die zu Kiel erfcheinende „Neue allge» 
meine deutfche Bibliothe®”, die vom 56. Bande an 1800 N. wieder redigirte und 1805 ſchloß. 
Diefe Zeitfegrift wirkte auf den Fortgang der wiſſenſchaftlichen Bildung in Deutſchland wer 
fentlich ein; aber der ſchonungslofe und herbe Ton und die mit den Jahren zunehmende negative 
Aufklärung und proſaiſche Rüchternpeit ihrer Kritik raubten ihr fpäter einen großen Theil ihres 
Anſehens. N.s „Topographifch -Hiftoriihe Beſchreibung von Berlin und Potsdam” (Berl. 
1769; 3. Aufl,, 3 Bde., 1786) Tonnte für die damalige Zeit als Mufter gelten, und feine 
„Sharakteriftifchen Anekdoten von Friedrich II.” (6 Hefte, Bert. 1788—92) haben bleibenden 
Siteeifgen Werth, Seine Hiftorifche Kritit bewährte er in den „Freimüthigen Anmerkungen 

iber de6 Ritters von Zimmermann Fragen über Friedrich den Großen” (2 Bde., 1791—92). 
Dagegen Haben feine Romane Beinen bicpterifchen Werth, wenn fie auch für bie Literaturge · 
ſchichte bamaliger Zeit nicht ohne Bedeutung find. Am befannteften ift darunter der Roman 
„Reben und Meinungen des Magiſters Sebaldus Nothanker” (4. Aufl., Berl. 1799, mit 
Kofen. von Chodowiecki). Won feinen literariſchen Gegnern vielfach gereizt, ſchrieb N. die 
„Geſchichte eines dicken Mannes“ (2 Bde, Berl. 1794, mit Kpfen. von Mei). Zu ben grö 

ierken, die ihm heftigen Widerſpruch zuzogen, gehört feine etwas breite „Befchreibung 
einer Reife durch Deutfchland und bie Schweig“ (Wert. 178153. Aufl, 12Bde, 1788—96). 


Miley ....: ..  Miebupe (Rare) Li 


Sein fiarres Befthalten an der: früh eugeidiagenen ee re 
— I man af Die beutfehe Dhlofopie und fpäter Die Birnen fie bie: 


deuiſche Dichtung Leifteten, und fein. fhonsngslofes alle Diefe Reuerun · 
gem z0g. ihm zahlreiche Angriffe, namentlich von erber, von und Schiller in 
den Ecnien Ravater und wu, bei denen er Nach cheil blieb. So viele 


en“ von meiſt im 
Rs keit Streben ein 
Ren 
auf öfer, und Teller zu erwähnen. 


Keift, Wehe, Mi 
Aeyner Alm. vol ſchonert echterr Kbliherr hehe 
der ber Urt, für bie ex ſich wider feinen Dark verdiente. Bl. Rs ** jtapbie, 


von: I dem Bilbniffe 
„Über meine gelehtte Bildung, über — * ber kritiſchen Phüofophie und meine 
‚tem dieſelbe Ren — über Die Herzen Ra nt, J. B. und Fichte“ Ber 19), 
ur 6 und fondı Ge Dielapngene von herausgegeben vom 
— b. 1801) und or '$ Reben und literariſcher Radlaft, ', herausgegeben von 
Nicolay ie un 4 Breihert von), deutſcher Dichter, geb. 29. Der. 1737 zu Strat 
burg, wo er auch fludirte, wurde, nachdem er eine Zeit lang franz. a en 
fen, al6 Profefjor der Logik in Stradburg angefieht. Im J. 1769 folgte ex dem dd 
— — ‚Grof Ba Paul von Rufland und wurde hier 1770 Gabimetsfeczetär und Biblie- 


Seoffücfen, 1782 gab 1796 kaiferl, Otanttrath, 1798 Director ber Alabemie 

** 1801 Geh. und Bi bes Gabinets. Rad Kaiſer Daul’s Tode 

z0g ex ſich auf jein Gin ne 3 zurück, wo er 18. Ron. 1820 ſtarb. 

Seine Staatsämter hinderten ihn nich) — iftfteller in zahlreichen Fabein, Erzaͤhlun · 

gen, Elegien, Epifteln, —S Ar Obſchon es ihm an Dichterffcher. Kraft und 
j? lichkeit fehlte, fo tann * ihm bo tigkeit ber Darfielung, feine 

i ngöftaft und ein für die temiſche Grähtung nicht abfpre- 


Sen, bei mie (pie et in der & eb Ckoffb wie in der ——— 
hatte. Uı jabeln un Blei Die Samm- 
ung cn ee — — 
3 du t. 
Ba Sn In 
Bet Kan, — IL Hofe, der 1560 Die Kabadt- 
an), franz. Gefandter am portug. 
gm Geanheid hradıt und einige em Tabakzauden daſelbſt einfühere. 
‚en nannte man ben Taback (ſ. d.) Nicotiana. 
iſt eine organiiche Salybafis, bie in den ee finder ı am Die man 
— Korean —— —— ae Aus — m Eis 
jung mi ii 
* das en 2 Dan —* Fr Segen, „Bas mine Ri Fr 
farbfofe öl it, don Gewicht, 
= Beil — m fer, Weingeift und Hiher und — 


das 
—— —— a Ba a et m 7,9 Proc. Die Duan- 
16 in den Kabadsblättern ſcheint zu der Qualität in 4 Beziehung zu fie 
ben. Der berüchtigte Proceh bed belg. Bocarme 1851 Hat dazu beigetragen, bad Nico- 
en un dr Ban ie Ban, us. 7. Mi 1785 
2 er Are 

au Zübingworth im Hannov. Lande Habein, trat Ye in dän. 
und wurde im Jahre darauf, als ber König von —E 7 eine —E 6 
a — 
er eigegeben. u an " 
’ “2 dem Wege BR Seaflantinopel durch Sgypten ee Indien —— miliche — be 

———— Xufl, XL 


Miebunhr (Barthold Georg) 


ſer Geſellſchaft mit Ausnahme des einzigen N., der nun niit feltener Entſchloſſenheit bie Reife 
allein fortfegte und die Arbeiten und Beobachtungen aller feiner bisherigen Gefährten über 
nahm. Erſt 1767 kehrte er zurüd. Die Ergebniffe von feinen und feiner Gefährten Forſchun⸗ 
gen legte er nieder in feiner „Befchreibung von Arabien” (Kopenh. 1772); in ber „Reiſebe⸗ 
fhreibung von Arabien und andern umliegenden Ländern” (2 Bbe., Kopenh 1774— 78); in 
der Ausgabe von P. Forskaͤls „Descriptiones animalium etc.” (Kopend.1775) umd beffen 
„Flora Aegyptiaco-Arabica” (Kopenh. 1776). Außerfte Genauigkeit, überall blos auf eigene 
Anſicht, nie auf fremde Nachrichten negräinbete Unterfuhungen, hohe Wahrheitsliebe und 
vollige Entfernung von allem Hange zur Übertreibung geben feinen Nachrichten einen hoben 
Perth und Haben fie zu einer Dauptquelle ber Kenntniß von der Lage und Berfaffumg ber von 
ihm bereiften Länder gemacht. Er wurde 1768 Ingenieurcapitän, 1778 wirklicher Juſtizrath 
und Landfchreiber in Sübderbithmarfchen zu Meldorf, 1808 Etatsrath, auch 1802 ind franz. 
Rationalinflitut aufgenommen und ftarb 26. April 1815. 

Niebuhr (Barthold Georg), einer ber fcharffinnigften Geſchichtsforſcher, Kritiker und 
Philologen der neueften Zeit, ber Sohn des Vorigen, wurde zu Kopenhagen 27. Aug. 1776 ger 
boren, am aber im zarten Alter nad) Meldorf. Er eignete ſich auf der Schule zu Eutin tüchtige 
philologiſche Kenntniffe an, ging dann [päter nach Hamburg und machte fich Hier. unter bem ver- 
dienſtvollen Büfch, dem Freunde feines Vaters, mit ben Hanbelsgefchäften bekannt. Nachdem 
er von 1795— 94 zu Göttingen verweilt, um die Rechte zu fludiren, wandte er fih im Alter 
von 19 I. nach Edinburg mo er fih anderthalb Jahre den Naturwiffenfchaften widmete. Nach 
feiner Rückkehr warb er Privatfecretär des dan. Finanzminifters Schimmelmann, in welcher 
Stellung er Gelegenheit erhielt, fi mit der Staatsverwaltung bes Grafen Bernftorff bekannt 
zu machen. Schon 1798 trat er indeffen in den öffentlichen Staatsdienft und wurde 1805 zum 
Mitdirector ber Bank, 1804 zum Committirten des Commerzcollegiums ernannt. Seine beut- 
ſche Geſinnung, die ſich mit der Entfaltung des Napoleon’fhen Despotismus verfegt fühlte, be» 
wog ihn fchon damals eine deutfche, mit einem Zurufe an den Zar Alexander begleitete über- 
fegung der erften Rede des Demofthenes gegen den Philippus (Hamb. 1805; 2. Aufl, 1813) 
herauszugeben. Im 3. 1806 trat N. in den preuf. Staatsdienft über, mo er Mitbireetor ber 
Seehandlung, dann 1808 Staatsrath und Beamter im Finanzminifterium wurde. Wiewol 
unausgeſetzt in ben wichtigfien Geldangelegenheiten bes Staats thätig, blieb doch bie wiſſen⸗ 
fchaftliche Neigung in ihm Tebendig. Nach der Errichtung ber Univerfität zu Berlin begann 
er Vorlefungen über die röm. Gefchichte zu halten, die großen Beifall fanden. Zugleich wibmete 
ex fich der Publiciftif, und es gingen fpäter von ihm die nicht unwichtigen politifchen Stugfchrif- 
ten aus: „Preußens Recht gegen ben fächf. Hof” (Berl. 1814) und „Über geheime Berbin- 
dungen im preuß. Staate und deren Denunciation” (Berl.1815). Auch verfaßte er 1813 
„Srundzüge für die Verfaffung Niederlande” (herausgeg. von Ders, Berl. 1832). Nach Wie 
berherftellung de& Friedens wurde N. 1816 zum preuß. Geſandten am päpftlichen Hofe er- 
nannt. Hier lebte er nur ben Wiffenfchaften und fammelte für Titerarifche Zwecke. Nach feiner 
Rückkehr aus Rom 1825 ging er an die Univerfität nach Bonn, wo er durch gebiegene Vor- 
träge und Bekanntmachung feiner gefhichtlichen Unterfuchungen zur Entwidelung der claſſi⸗ 
fhen Alterthumswiſſenſchaften weſentlich beitrug. Sein durch firenge Studien abgefpanntes 
Gemüth ward indeffen von den politifchen Ereigniffen des 3.1830 Hart betroffen und er verfiel 
in eine Anfchauung der Dinge, die fein Urtheil vollig trübte und feine Börperliche Geſundheit un⸗ 
tergrub. In dem Wahne, daß das politifch bewegte Deutfchland der Barbarei entgegeneile, ſtarb 
er 2. Jan. 18351.N.’8 Sprach und Gefchichtötenntnif war umfaffend. Sein Hauptwerk iſt die 
„Rom. Geſchichte“ (3 Bde, Berl. 1811— 32; 2. Aufl., 1827—42; Bd. 1,4. Aufl, 1833; 
Ausgabe in Einem Bande, 1853), welche die frühere Zeit bis zum Kampfe mit Karthago um 
faßt. Mit dem Erfcheinen diefes Werts, das ſich zugleich Durch Kraftund Würde der Darftellung 
auszeichnet und auch im Auslande, befonders in England (englifch von Hare, Thirlwall, Smith 
und Schmig, 3 Bde., 4. Aufl., Lond. 1847—51) vorzügliche Anerkennung fand, begann für bie 
Behandlung ber röm. Gefchichte eine Epoche, indem N. nicht nur bie Unhaltbarkeit Deffen, mat 
bisher für beglaubigte Thatfache galt, nachzumeifen, fondern auch aus der Maffe von Sagen, 
Muthmaßungen und Verfälfchungen Das auszufcheiden fuchte, was als unverfälfchtes Element 
angefehen werden kann. N. half hierdurch überhaupt die eigentliche Hiftorifche Kritik mit ausbil⸗ 
ben, da er ben Werth von Quellen, Angaben und Thatfachen aus dem Innerften Verhältniſſe der 
antiten Rebensorbnung und Kunft, frei von ber herkömmlichen Trabition, zu entwickeln beftrebt 
war. Seine gewonnenen Anfichten über röm. Gefchichte wurden von Vielen beifällig aufgenom- 


Riederbeutfi): Medecanbe tu geo raphiſch ſati ſiſcher Mezichung TIME 
men und zuur Thell nitnenen Grũuben unterflügt, von Andern aber freilich, wie vom Wachsmuch, 
Hellmamn und angegriffen und widerlegt. Eine Fortſegung des nn ff Ben 
went geb and beffen Bortzögen fein ehenraiger Burhörer, der Engländer Leonhard ee 

ber „History of Rome from the first Punio war to Ihe death of Constantine“” (2 Bde, Land 
4844) Gerauß, bie von Zeiß unter dem Titel „Rom. en. Gefihichte von dem erfien Pınsifihen Kriege 
BIS gm Tode — deutfe ern (5 Bde, Sna1844—46). Manihe für bie To» 
pographie Bons wichtige Rotiz eucha bes Etadı Bm“ 
(4. Bbe., Stuttg. 1850 fg.). - Die ech, Heroengeſchichten“, ein Leſebuch für feinen Sohn 
Barıns, wurben erfi aus feinem m Redteff: (Hamb. 1842; 2. Aufl, 1850) Geransgegeben. 
Erſt im vorigen Derennium bie Beröffentlihung von R a mBiftocifee und pölieiaifehe 
Beuttäge, an ber Univerfität nn gehalten“, deren erſte Abteilung bie „Borträge über 
rãca. Geſchichte (herausgeg. von Ieler, 5 Be., Bert. 184647; engl. von Chepmell * 
Demnmler, 3 Bde. Lond. 1849— 50; Bd. 1, engliſch mit Zuſaͤtzen von —— Lonb. 1848), 
bie zwelte die, Alte Gefchichte” (herausgeg. von M. Niebuhr, 3 Bde., Berl. 1847—51) 
beitte bie Serteage über alte Ränder und BVälterhunde” (heraudgeg. von Jeler, Berl. 1850) 
umfaßt. Unabhängig Hiervon wurben R.6 „‚Lectures on the history of Rome” (4. Aufl, 
3 1850) von Gchurig in engl. Überfegung tlcht. Geine ¶ Geſchichee dei 
Setalters ber Revolution” (2 Bde., Hamb. 1845), bie bie aus RS 1829 gehaltenen 
in Benn eutftanden iſt, wäre beffer ungebrudkt geblieben. Sie wurde von feinem Sohne Mer- 
end BE. gegenwärtig Geh. Segierungsrath und bet Geheimen Civilcabinets des R5- 












% 
















Bruch 
4820), eines Bruchſtücks bes rom. Dichters und Mebners Merobaubes (Bonn 
ERDE); Bub ex während feined Aufenthalts in St. Gallen auf ber dafigen Bibliothek ent 
beiög, zus bie „Inscriptiones Nubienses” (Mom 1821). Ein Verbienft erwarb er ſich auch 
‚ daß er zugleid; mit Böch und Brandis felt 1827 das „Mheinifche. Mufeum für 
begründete und feit 1828 eine neue Benrbeitung der „Beriptores historiae Byzan- 
inne”: ipz WBereine mit mehren Gelehrten ind Leben rief. Eine Reihe der *3. 
22 * von ihm bieten feinen „Kleinen hiſtoriſchen und philologiſchen Schrif⸗ 
Bonn 1838 — 45) und feine „Radpgelafienen Gchriften hl has im 


33 3— — — ſtatiſtiſcher Beziehung. Das Königreich der Nieder 
—— ia seteppi Aattlac Bora ; aus den 17 unter Karl V. ver 
Provinzen. Doch hatten biefe nicht mehr bushgchenbe ihre Ore frühere — Die 
war mit Gelbern, die Herrſchaft Mecheln mit Antwerpen ver⸗ 
dig und bie Grafſchaft Im yrmäifihen Brieden von 1659 an Branfkeid) abgetreten 
Dagegen war Brabant Wegen feines Umfangs in Rorb- und Sübbrabant, aus * 

Grunde Flandern in Oſt⸗ und getheilt und die Grafſchaft Drenthe, die 
Gröningen gehörte, zur beſondern erhoben worden. Auch die Provinz Hol⸗ 
sur In ihrer innern Berwaltung in Süd⸗ und getrennt, bilbete aber in flant#- 
Binfüht nur eine Provinz. Es war das Königreich 1830 In folgende 17 Provinzen 
yeipelit: Borbbrabant, Gübbrabant, Bimburg, Geldern, Lüttich, Oftflandern, eftflandern, 
Poland, Zeeland, Ramur, Antwerpen, Utrecht, Friesland, Dveryſſel, Bröningen 
Drenche, bie mit Einfehtuf bes beutfcjen Großherzogthums Aupemburg (f. d.) ein Areal 
son 14177 DAR. ait ungefähr 5, 500000 E. umfaften. Un das in Folge der beig. Revolution 
zn 1830 u Könige Belgien (f.d.) kamen, nebft eg Fa Theile 
—*22 ant, Dſtflandern, Weſtflan en, Pan 
wm, Namur, gu Hälfte von Binbung (f 8), fbaf be De, Rcherianden bie Pro 





16 Micderlande in geographiſch⸗ſtatiſtiſcher Seziehung 


vinzen Rordbrabant, Geldern, Holland, das aber nım in die Provinzen Güd- und Rordholland 
getheilt wurde, Zeeland, Utrecht, Briebland, Overyſſel, Sröningen, Drenthe und bie Hälfte von 
Limburg blieben. Das Königreich Hat gegenwärtig einen Territorialumfang von 640, QM., 
ber im NW. und N. von der Öftfee, im D. von Dannover umb ber preuf. Rheinprovin; und 
im &. von Belgien begrenzt ifl. Die Bevölkerung belief fich 1851 in Ruremburg auf 194619, 
in den übrigen Provinzen auf 3,081158, zuſammen alfo auf 3,275777 Individuen, war aber 
Anfang 1853 in legten bereits auf 3,168006 gefliegen. Relativ am ſtärkſten find bie Provin⸗ 
zen Rord⸗ und Sübholland (f. Holland), am ſchwächſten iſt Drenthe bevölkert. Städte zählt 
man 138, Marktfleden 43, Dörfer über 3200. Das ganze Land ift Tiefland und Fortfegung der 
großen deutfchen Ebene. Der grögte Meerbufen an ber Norbfee ift bie Zuyberfee (1. d.), nächſt 
dieſer ber Dollart(f. b.)und der Laumerzerfee, an der Rorbküfte. Die Hauptflüffe find ber Rhein 
(f.d.), die Maas (f. d.) und die Schelde (f. d.). Auch die Mofel berührt die Grenze Lurem- 
burgs. Außerdem tft da6 Land von zahlreichen Nebenflüffen durchfchnitten, in welche fich 
bie anliegenden eingebänmten und burch Entwäflerung urbar gemachten Ländereien, bie 
fogenannten Polder, bes zuftrömenden Waſſers durch Abzugsgräben und Schöpfräber entlebi- 
gen. Unter den zahlreichen Kanälen ift ber Nordholländifche Kanal, der von Amſterdam nad) 
Helder zu bem Hafen Nieumwediep 12 M. weit führt, eines der größten Waſſerbauwerke ber 
neuern Zeit, das erft 1826 vollendet wurbe. Unter den Landfeen war bad Darlemer Meer (ſ. d.) 
ber größte, iſt aber 1845—52 trodengelegt worden. Durch bad Zuftrömen ber Gewäffer, int- 
befondere ded Rhein und ber Maas, find Geldern und Holland faft jährlichen Überfchwemmun- 
gen auögefegt, welche, bie Deiche (f. d.) und Damme durchbrechend ober überflrömend, ganze 
Lanbftriche mit Waſſer und Sand bebedien. Noch gefährlicher ift den Provinzen Holland, Zee⸗ 
land, Friesland und Gröningen bie Rordfer, welche höher geht ald das Rand. Theilweiſe wird 
zwar biefe Gefahr durch bie Dünen, eine Reihe Sandhügel, oft bis zu 180 F. hoch, bie fich von 
Dünkirchen im franz. Flandern bis an ben Terel erſtrecken, gemilbert ; die übrigen Secküſten 
aber müffen burch hohe, Außerft Eoftfpielige Deiche geſchützt werben. Die niedrigften Gegenden 
find Sröningen, Friesland, Holland und Zeeland. Das ſüdliche Nieberlanb ift eine Fortſegung 
ber großen fandigen Halbe, bie ſich von ber Dftfee durch Brandenburg, Lüneburg unb Weſtfa⸗ 
Ien bis an bie Schelde erſtreckt, nur durch die fruchtbare Betume, das zwifchen der Waal unb 
bem eigentlichen Rhein gelegene Land ber alten Bataver (ſ. d.), unterbrochen wird und fi dann , 
über Nordbrabant ausdehnt. Südwärts erſtreckt ſich das aus Haide, Sand und Moraft befte- 
hende Peel- und Kempenland bis tief in das ehemalige Bisthum Lüttich. Das Klima iſt in 
den höher liegenden füboftlichen Gegenden, fowie auch in Geldern, Utrecht, Dveryſſel und Grö⸗ 
ningen gefund, während in Zeeland, Holland und Friesland die Unbeftändigfeit der Witterung, 
die Seedünfte, die ftehenden Gewäſſer und das fchlechte DR Da verbunden mit dem häufl- 
gen Genuffe ber Fifche, unaufhoͤrliche Fieberkrankheiten verurfachen. Die fruchtbarften Gegen- 
den find Zeeland und Geldern; fchöne Wiefen und Viehmeiden gibt es in Holland, Friedland 
und Gröningen; Waldungen nur in Luxemburg. Unter ben Erzeugniffen des Thierreichs ſteht 
das Rindvieh oben an. Pferde, die an Größe, Stärke und Ausdauer wenige ihresgleichen 
haben, liefert Friesland. Die Schafzucht iſt nur in den ſandigen Gegenden Hollandé, vorzüg⸗ 
lich auf der Infel Terel, beträchtlich. Schweinezucht wird ftark betrieben, da Sped ein Haupt« 
nahrungsmittel der niebern Volksclaſſen ift. In den Seebünen halten fich zahllofe wilde Kanin- 
chen auf; anderes vierfüßiges Wildpret ift in den nördlichen Provinzen fehr felten, häufiger da⸗ 
gegen in Luremburg. Wildes und Jahmes Geflügel, insbeſondere Waffervögel, find im Über» 
fluffe vorhanden. Die Bienenzucht ift auf den Haiden in Geldern unditrecht nicht unbeträchtlich. 
Auftern, Mufcheln, aus welchen man den Muſchelkalk bereitet, Hummern, ſowie alle Arten See⸗ 
und Flußfifche, namentlich Kabelfaus, Schellfifche, Stinte, Bütten, Schollen, Zachfe, Yale und 
Heringe find in Menge an den Küften und in den zahlreichen Flüffen und Binnengewäffern 
vorhanden. Den Mangel an Holz erfegt der Torf der nördlichen Provinzen, welcher nament- 
ih in Holland und Friesland in großer Maffe gegraben wird. Die wichtigften Mineralien find 
Seefalz, Thon und Pfeifenerbe. 

Die Bewohner bed Königreich& find, abgefehen von etwa 59000 Juden und ziemlich zahl⸗ 
reichen andern Fremdgeborenen, bie fich, wie jene, des Handels wegen bier niedergelaflen haben, 
fämmtlich german. Stamms: Holländer, Vlamänder, Deutfhe und Friefen. Unter biefen 
Stämmen ift der holländiſche durch Zahl, Sprache und Befittung der herrfchende geworben. Er 
bewohnt vorzugsweife die beiden Provinzen, nach denen er genannt worden, und Utrecht, bildet 
aber auch in den angrenzenden Gegenden ber benachbarten Provinzen bie entſchiedene Mehr- 


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2 Niederlande in geographifch-Ratiifcher Beziehung 


Finanzzuſtand hatte die 1798 eintretende Berſchmelzung ber bisher von ber Staatsſchulb ge- 
trennten Provinzialſchulden; wohlthätiger war das 1805 durd den Rathepenfionär Schim⸗ 
melpennind eingeführte Ubgabenfyftem. Allein bie zum Theil durch die Verſchwendun⸗ 
gen bes Könige Ludwig, zumeiſt aber zur Dedung bes jährlichen Deficits in ben 3. 18079 
nöthig gewordene Anleihe von 9 Mill. Sihn., brachten, verbunden mit bem Einfall der Eing- 
länder (1809), das Land in einen fo Häglichen Zuftand, daß Rapoleon daffelbe bei ber Einver- 
leibung in das franz. Kaiſerreich durch Herabfegung ber Staatöfchulb auf ein Drittheil gewiffer- 
maßen für banfrott erflärte. Diefer Schlag, fo hart er auch bie einzelnen Staatsgläubiger traf, 
hatte wenigftens die heilfame Folge, daß bei der Wiederherſtellung des nieberl. Staats auch an 
eine Wiederherftellung der Finanzen gedacht werben konnte. Zwar erflärte man nur jenes eine 
Deittheil der Schuld für zinstragend, erkannte jedoch bie zwei andern Drittheile als aufgefcho- 
bene (uitgestelde, d.i. nicht zinstragende) Schuld an. Die wirkliche Schuld trug feit 1815 
2 Proc. Zinfen ; jährlich follten A Mill. der wirklichen Schuld abgetragen und ebenfo viele 
von der aufgefchobenen anihre Stelle treten. Die von der ehemaligen Republik Holland herrüh⸗ 
rende Staatsfchuld betrug 573, 153530 Blbn., die aufgefhobene 1,719,460591 Glbn., zufam- 
men 2,292,614124 Glbn. Für das ehemalige Belgien wurde durch Übereinkunft vom 11. Det. 
4815 die öftr. Schuld zu 34,466679 Gldn. übernommen. Im 3.1830 gab die Regierung den 
Gefammtbetrag der activen Schuld auf 784,610680 Stdn. und die aufgefhobene Schuld zu 
965,472687 Eldn. an. Die außerorbentlichen Laſten, welche bie neun Jahre nach der belg. 
Revolution verurfachten, hatten bie active Schuld um 197,257900 Gldn. vermehrt. Yür 
das 3. 1853 betrug das Schuldcapital1206,493330 Glon. wovon 12,813100 Gldn. auf bie 
2; procentige, 120,163230 auf die Sprocentige und 237,409500 Stdn. auf bie Aprocentige Ra- 
tionalfehuld, das Übrige auf die Schuldfcheine des vormaligen Tilgungsſyndikats, bie Schuld ber 
überfeeifchen Beſihungen und aufdie Schagbillets kam. Das Budget für dad I. 1853 gab 
die Staatdeinnahme auf 71,685772 Gldn., Die Ausgaben auf 70,085078@lbn. an, von wel- 
hen allein 35,995773 für da6 Departement ber Staatsfchulden berechnet waren. 

Das Königreich der Niederlande ift nady dem Gtaatögrundgefeg (Grondwet) vom 24. Aug. 
1815 eine eingefchräntte confliturionelle Monarchie; die Krone ift erblich in dem Haufe Dra⸗ 
nien-Naffau, und zwar in des erften Königs Wilhelm I. männlicher Nachkommenſchaft nad) 
dem Rechte der Erftgeburt und durch MRepräfentation. In Ermangelung männlicher Nachkom⸗ 
menfchaft geht fie auf die Töchter des Könige nach dem Rechte der Erftgeburt über. Wenn ber 
König keine Tochter hat, fo bringt die ältefte Tochter von ber älteften abfleigenden männlichen 
Linie des legtern Königs die königl. Würde auf ihr Haus und wird, wenn fie früher verflorben 
iſt, durch ihre Nachkommen repräfentirt. Iſt aber Leine männliche abfteigende Linie des lehtern 
Königs vorhanden, fo erbt die altefte abfteigende weibliche Kinie, jedoch) fo, daß der männliche 
Zweig vor dem weiblichen und der ältefte vor dem füngern und in jedem Zweige Männer vor 
Frauen und der ältere vor dem jüngern den Vorzug haben. Volljährig wird der König mit dem 
vollendeten 18.3. Über die Vormundſchaft eines minderjährigen Königs, infofern von feinem 
Vorgänger darüber Beine Anordnung getroffen worben ift, fomie über die Regentſchaft verfügen 
die Generalftaaten; bis diefelben verfügt, übt der Staatsrath bie Höchfte Gewalt aus. Die Ge⸗ 
neralftaaten bilden feit 1815, wo man zu dem alten, 1795 aufgehobenen Syftem unabhängiger 
Provinzen nicht zurückkehrte, eine allgemeine Repräfentation in zwei Kammern. Die gegen- 
wärtige Verfaffung wurde durch Fönigl. Erlaß vom 14. Aug. 1848 genehmigt und 8. Nov. 
41848 feierlich verfündigt. Der König kann keine fremde Krone tragen, mit Ausnahme ber von 
Ruremburg ; berfelbe erhält außer feinen Domänen 1 Mil. On: Es werben keinerlei arifto- 
Pratifche Vorrechte anerkannt. Die Volksvertretung, oder die Generalftaaten, zerfällt in zwei 
Kammern. Die zweite Kammer befteht aus Abgeordneten, welche von allen zur Ausũbung 
politifcher Rechte befähigten, eine gewiffe Summe directer Abgaben zahlenden Staatsangehsöri⸗ 
gen auf vier Jahre gemählt werden. Der Cenſus darf nicht über 160 und nicht unter 20 Gldn. 
fein. Auf 45000 €. kommt ein Abgeordneter, der wenigſtens 303. alt fein muß. Die 39 Mite 
glieder der erſten Kammer werben von ben Provinzialftänden aus der Claſſe der Höchfibefteuer- 
ten ernannt, müffen 30 J. alt fein und werben auf neun Jahre erwählt. Die zweite Kammer 
bat das Recht der Initiative. Die Steuern werden alle Jahre bewilligt; die Freiheit der Preffe 
und der Vereinigung ift gewährleiſtet, wird jedoch Durch Gefege geregit. Dem Könige ald In⸗ 
haber der erecutiven Gewalt, wie fie Verfaffung und Geſetz beflimmen, ſteht ein verantwort- 
liches Staatöminifterium zur Seite. Sämmtliche Minifter mit mehren Prinzen des königl. 
Haufes bilden den Eabinetörath des Könige, ber in diefem, ſowie auch in dem von ihm ernann- 


Niederlande in:gefchichtlicher Beziehung 201 


ten Staatsrathe ben mt führt. Wußerbem beftcht eine allgemeine Rechnungskammer, ein 
oberfter Gerichtshof (Hooge Raad) umd ein Dber-Militärgerichtshof zu —* Durch die 
Berordnung vom 30. April 1815 ernenerte der König Wilhelm I. zur Belohnung ausge 
Berbienfte bei der Land» und Seemacht ben militärifchen Wilhelmsorden, der aus vier 

fien beſteht, und Im April 1844 fliftete König Wilhelm II. einen neuen Drben für Subal- 
ternofflziere von 15—25 Dienftjabren, verbunden mit Gehaltszulage. Außerdem gibt es ben 
Giviiverdienfiorhen vom niederl. Löwen mit brei Glaffen, geftiftet 29. Sept. 1815, und ben 
Eegemburg. Orden ber Cichenkrone in vier Claſſen, geftiftet 19. Febr. 1825. Bol. Gioet,, ‚G6o- 
sraphie historique, physique et slalistique du rovaume des Pays-Bas et de ses colonies”" 

(2 Bde, Brüff.1822) ; Beijer, „Geschied en aardrijkskundige Beschrijving van hetKoningrijk 






der Nederlande” (Devent. 1841); Meifen in den Niederlanden” (2 Bbe., 2pı. 1850). 
Niederlande in gefchichtlicher \iebung. Bon den großen, im weitern Skune Nieder» 
lande genannten Niederungen, welche ber enwald, die Bogefen, ber Hundorück, das Sie⸗ 


bengebirge, ber Speſſart, ber Dbenwalb und der Harz einfchließen, gehörte der fübliche Theil zu 
Gäfar's Zeiten zu Gallien (Gallia Belgica), der nördliche, zwiſchen ber Maas, ber Waal und dem 
Rhein, bie Infel der Bataver genannt, zu Germanien. (&. Belgien. Nördlich vom Rhein wohn- 
ven bie Briefen (f. d.), gleich den Batavern (f. d.) ein deutſches Volk. Beide Völker lernen wir 

beſonders aus dem Kampfe tennen, ben fie 70 n. Chr. unter bes Claudius Civilis Anführumg 
mit ben Römern fo ehrenvoll beflanden. Später kommen fie theils als handeltreibende, theils als 
ſerfahrende Rationen und ald Seeräuber vor, bie endlich ben Römern unterlagen. Im 5.Jahrb. 
werben Die Bataver, im 6. die Belgier der fränt. Herrſchaft unterworfen, bie Friefen dagegen 
erſt im 7. Jahrh. von den Franken beftegt. Durch den Vertrag zu Berbun 845 kamen Ba- 
tavien unb Friesland und ber auftrafifche Theil des belg. Niederlande zu Deutfchland und wur- 
ben nun durch Statthalter regiert, bie ſich in ber Folge unabhängig machten. Brabant oder 
Niederlstkeingen und fpäter auch Luremburg, Limburg und Geldern wurden zu Derzogthü- 
man, Flandern, Holland, Seeland, Hennegau, Artois, Ramur und Zütphen zu 2 
das eigentliche Friesland blieb eine freie Häuptlingfchaft ; ; Utrecht wurde ein Bistum, welches 
feine weltliche Herrfchaft auch über Dverpfiel und Gröningen erſtreckte. Unter allen biefen 
waren die Brafen von Flandern (f. d.) die mächtigften, und nahben 1384 biefe 
Geofigaft durch die Bermählung Margaretha’s, der Erbtochter Ludwig's IL, des legten Gra⸗ 
fen von Hlandern, mit dem Herzoge Philipp von Burgund an biefes noch —— Haus 
gefallen war, fegte ſich dieſes theils durch Heirathen cheils durch Sewalt ober ſcheinbar frei- 
Abtretungen in den Beſitz ber meiften niederlãnd. Gebiete. Nach dem Tode Karl's des 
Eũhnen (ſ. d.), des legten Herzogs von Burgund, 1477, brachte deſſen Erbtochter Maria, bie 
mit ben Kaiſer Maximilian I. vermahlt war, bie Niederlande an das Haus Habsburg. Schon 
en rk L erflärte 1512 feine —— Erbbeſitzungen unter dem Namen des Bur⸗ 
u einem Kreiſe des Deutſchen Reichs; Oftfrieslanb aber blieb unter der 

5* eigener eigener 





ürften beim Weftfälifchen Kreife. Kaifer Karl V. vereinigte, nachbem er 

auch das Herzogthum Geldern und andere Gebiete zu behaupten vermocht hatte, durch 
bie Pragmatiſche Sanction von 1549 alle 17 niederl. Provinzen, ald auf ewig unzertrenn⸗ 
bar, nach dem Rechte der Erftgeburt mit Spanien. 

-Unter Karl V. fing in den batav. und belg. Provinzen der Proteftantiemus an, fich zu ver 
breiten, obſchon beshalb harte Berfolgungen flattfanden und viele Taufende von Menfchen ber 
reise umter feiner Regierung ale Keger mit bem Tode beftraft wurden. Doch hatte er, gleich 
den frũhern Beherrſchern der Niederlande, ſtets die Gerechtfame und bie alten Freiheiten des 
Landes geehrt, wodurch daffelbe blühend und für feine Herrfcher eine Quelle reicher Beifteuern 
geworben war. Nicht fo Karl's Sohn und Nachfolger, der kalte Tyrann Philipp U. (f. d.). In 
Spanien geboren, bebanbelte er die fernen Niederlande mit der größten Härte. Seine Stell⸗ 
vertreten, beſonders der ſchlaue Granvella tafteten die alten Rechte der Provinzen an; durch bie 
Inquifition follte jede freie Religionsmeinung ausgerottet werben. Da erwachte ber Grimm 
des ber politifchen Freiheit gewohnten Volkes. Die geoße Anzahl gewerbfleißiger Manufactur-, 
beſenders Wollarbeiter flüchtete in andere Länder, vorzüglich nach England und nad) Sachſen; 
der Adel trat zum Schuge feiner Rechte zuſammen (f. Genfen), und Die Nichtkatholiken feierten 
mit bem * angefachter Schwärmerei ihren Gottesdienſt öffentlich. Ais Granvella 1564 

wurde, war es zu ſpät, den von ihm angefachten Brand durch gelinde Mittel zu 
hen. Philipp ſandte ben graufamen Alba (ſ. d.) nach ben Niederlanden, und unter feinem 
Henkerbeile fielen 1568 die Häupter der Ebelften des Volkes, Egmond’s (f. d.) und Hoorn’s 


208 Niederlande in gefchichtlicher Beziehung 


(f.d.). Rur der Huge Prinz von Oranien, Wilhelm I. (f. d.), war entwichen, um mit bewaff⸗ 
neter Hand wieder zurückzukehren, während Alba feiner fanatifchen Wuth Laufende opferte. 
Selbſt die Mäfigung des weifen Rachfolgers Alba's, Zufliga y Requeſens (1573), konnte bie 
empörten Gemüther nicht beruhigen. Der ſtaatskluge Prinz von Oranien blieb, obgleich ex 
zwar oft auch von Johann von Dftreich (f. d.) und Aleſſandro Farneſe (f. d.), Bringen vom 
Parma, gefchlagen wurde, boch zulept Sieger in bem ungleichen Kampfe für Freiheit, Religion 
und vaterländifches Recht. Sicher wäre ber Kampf früher beendigt worden, hätten nicht Stt- 
liche Intereffen der niederl. Provinzen; bie Eiferfucht bee Großen, deren Jeder nur feine Zwecke 
erreichen wollte, und der unglüdlich angefachte Religionsargmohn der Katholiken umd Prote⸗ 
flanten gegeneinander den Sieg unendlich erichwert. Zwar fchloffen ſich ſchon 1576 zu Bent 
faft alle übrigen Provinzen dem offenen Aufftande Hollands und Seelands an und verbanben 
fich im folgenden Jahre nod) enger burch die Union von Brüffel, wobei Wilhelm I. zum Regen⸗ 
ten von Brabant ernannt warb; allein die ausgezeichnete Gewandtheit des fpan. Gtatthalters 
Sarnefe, der 1578 Johann von Oſtreich gefolgt war, wußte die füdlichften ober fogenannten 
wallon. Provinzen zur Unterwerfung unter bie fpan. Herrfchaft zu vermögen und bald auch 
Brabant und Flandern durch Gewalt ber Waffen zu unterjochen, was ihm durch die Flucht der 
aufgeflärteften und einflußreichften Einwohner, die fi) größtentheild nach Holland begaben, 
fehr erleichtert wurbe. Erſt 1579 fchlofien die fünf nördlichen Provinzen, Holland, Seeland, 
Utrecht, Geldern und Friesland, die berühmte Union von Utrecht, in Folge deren fie fich von 
Spanien unabhängig erflärten. Ihnen traten 1580 Overyſſel und 1594 Gröningen bei. So 
entftand, nachdem die vereinigten Provinzen dem Könige von Spanien „ald einem Tyrannen“ 
26. Zuli 1581 den Gehorfam gekündigt hatten, die Nepublik ber vereinigten Nieberlande, 
in der Folge gewöhnlich nach der durch Umfang, Bevölkerung, Reichthum und Einfluß vor 
herrſchenden Provinz Holland genannt. Als der fihon 1580 geächtete Wilhelm 1. von Dra⸗ 
nien burch Meuchelmord 10. Juli 1584 gefallen, folgte ihm fein Sohn Morig (ſ. d.) von Dra⸗ 
nien ale Statthalter, der in des Vaters Fußtapfen trat. Seine Siege bei Rieuport umb in 
Brabant, die kühnen und fiegreichen Operationen ber nieberl. Abmirale gegen Philipp's IL. 
Seemacht, Frankreichs und Englands gleichzeitige Kriege gegen Spanien und Phillpp's III. 
Schlaffheit führten 1609 den zwolfiährigen Waffenflillftand zu Antwerpen herbei. Doch 
mußte die Republik, ehe ihre von allen Mächten, Spanien ausgenommen, anerkannte Unabhän- 
gigfeit durch den Weftfälifchen Frieden zu Münſter ganz gefichert wurde, noch alle Wechſelfälle 
des Dreißiglährigen Kriegs beftehen. Die Niederlande boten, während die Religions wuth faft 
alle europ. Staaten zerrüttete, jedem Unterbrüdten eine fichere Zuflucht. Alle Confeffionen 
wurden gebulbet. Für bie fich immer mehr anhäufende Menfchenzanl mußte Erwerb jenfeit des 
Weltmeers gefucht werben. Aus Noth zunächft glückliche Korfaren gegen die fpan. Geſchwa⸗ 
ber, wurben bie Republikaner bald treffliche Seehelden und kühne, unermübdet thätige Kauf 
leute, die alle Meere burchfegelten und denen kein Gewinn zu entfernt, fein Hinderniß zu ab- 
ſchreckend war. Der Handel von Eadiz, von Antwerpen und von Liffabon fiel in ihre Hände, 
und fo wurben die Niederlande in der Mitte des 47. Jahrh. der erfte Handelsftaat und bie erſte 
Seemacht der Erde. Mit etwa 100 Kriegsfchiffen trogten fie damals jeder nebenbuhlerifchen 
Gemalt, während England ſowol ale Frankreich uber die Demüthigung des allgemein gefürd- 
teten ſpan. Rieſenreichs frohlockten. Die Oftindifche Gefellfchaft, geftiftet 1602, eroberte Infeln 
und Königreiche in Aften mit einem Fonds von nur 6,459840 Gidn. Mit etwa 200 Schiffen 
betrieb fie den Handel nach dem fonft unzugänglichen China und fogar nach Sapan. Sie allein 
verforgte Europa mit allen Erzeugniffen der Gewürzinfeln. Gold, Perlen und Edelfteine des 
Drients gingen gleichfam nur durch ihre Hände. Die Weftindifche Compagnie vermochte ihr 
nicht gleichzukonimen, denn als biefe geftiftet wurde, war Englands und Frankreichs Eiferſucht 
ſchon erwacht. Die Niederlande behaupteten trog dieſer Eiferfucht ihr Übergewicht zur See. 
Tromp (f.d.) und Runter (f. d.) fochten fiegreich, und felbft Ludwig XIV., der den Plan zur 
Demüthigung der fühnen Republik fo tief angelegt hatte, mußte endlich erfchöpft den Frieden 
erbitten. Aber diefe Kämpfe, bald mit England, bald mit Frankreich unter dem ruhmreichen 
Wilhelm III. und die zu thätige Theilnahme am Spaniſchen Erbfolgekriege entfräfteten bie Nie- 
derlande, während die republikaniſche Eiferfucht gegen das Herrfchlüchtige Streben bes Hauſes 
Dranien im Lande felbft Parteimuth und Bürgerkrieg anfachte Darum konnte die Megierung 
nie zur Einheit und zur Befolgung echt politifcher Grundſähe gaangen. Seit des Statthalters 
Morig und des Rathspenſionärs Oldenbarneveldt's Zeiten hatten ſich die beiden Hauptparteien, 
bie oranifche und bie antioraniiche oder flaatsgefinnte, allmällg In verſchiedenartige Abſchat 


Niederlande in geſchichtlicher Beziehung 03 


ertheilt, deren Führer meiſtens durch eigennügige Mbfichten geleitet wurben. Aus 
Untrieben wurde die Religion mit ind Spiel gemifcht, und in der Regel waren bie firen- 
iniften (Gomariften) oranifch, bie Undersdentenden (Urminianer, Remonfiranten 
antioranifh. Daher bie häufigen Staatsumwälzungen, welche bald durch die An» 
m einiger Statthalter, bald durch die aufgewiegelten niedern Volksclaſſen veranlaßt 
und denen ſtets entweber Drud durch Willkür oder umglüdlich geführte Kriege voran. 
Dies harte ſich ſchon 1618, 1672 und 1702 gezeigt und beflätigte ſich auch 1747. 
us Oranien fiegte über bie republitanifche Partei, und ber Prinz von Dranien, WBil- 
(Seitenverwandter des 1702 geftorbenen und feitbem unerfegt gebliebenen Wil⸗ 
), erhielt in allen fieben Provinzen bie Statıhalterwürbe erblich für feine männlichen 
lichen Nachkommen. 
Jan. oder Path. Niederlande waren zwei Jahrhunderte hindurch der Zankapfel gewe⸗ 
yen fich Oſtreich und Frankteich geftritten. Endlich ſah ſich Spanien genöthigt, in dem 
en Frieden von 1659 und in dem Yachener von 1668 ganz Artoi® und einige Plätze 
bern, Hennegau, Namur und Ruremburg an Frankreich abzutreten, und diefen Theil 
van feitdem die Franzöfiigen Niederlande. Durch den Frieden zu Utrecht von 1713 
e fpan. Riederlande wieder an die jegt allein übriggebliebene beutfche Linie des Haufes 
g, welches fie bis zur Sranzofifchen Revolution befaß, da die unter Joſeph II. (ſ. d.), ber 
btig 1782 den fogenannten Barrieretractat von 41715 aufhob, ausgebrochenen Un- 
5 namenttich der von van ber Root (ſ. d.) geleitete Aufftand 1790 durch öfte. Waffen 
wurben. 
mern Gährungen in den durch die auswärtigen Kriege erfchöpften Niederlanden waren 
Grblichkeitserflärung ber oraniſchen Starthalterwürbe (1747) keineswegs befeitigt 
rũh farb 1751 der Erbftatthalter Wilhelm IV. Nur zu bald fahen die Antioranier 
Btaatögefinnten, ba ihre Privatanfichten nicht dem allgemeinen Beften des Baterlan- 
fert wurden, wie dieſer weife Fürft ed gewollt, fondern den Privatanfichten ber Gegen⸗ 
fremde Mächte nährten durch geheime und offene Dachinationen diefe Gährungen. Die 
Händel 1781 mit dem Prinzen Ludwig von Braunfchweig, ber feit Wilhelm's IV. 
bmarſchall der Vereinigten Niederlande gewefen war und eine Zeit lang bie Vormund⸗ 
er ben Erbftatthalter Wilhelm V. geführt hatte, waren nur Vorfpiele des wüthenden 
‚ber nun entftand. Don den Patrioten oder ben Staatsgeſinnten beleidigt, vor denen 
V. 1786 feine Hauptftabt, den Haag, zu verlaffen genöthigt worben mar, rief des 
zalters Wilhelm V. Gemahlin, eine Schwefter bes Königs Friebrih Wilhelm II. 
fen, bed Bruders Schug an. Ein preuß. Deer von 24000 Mann erfchien, um den 
beftrafen und Wilhelm's V. Rechte zu ſichern. Vergebens mar ber Patrioten übel ge- 
Biderftand. Nach dem Sturme von Amftelveen fiel Amfterdam im Sept. 1787 in bie 
)er Preußen, und hiermit war das Übergewicht der oranifchen Partei entfchieden. In 
jerer Ausdehnung wurden nun die Rechte des Haufes Dranien beftätigt, während zu- 
Republik in ein engeres Bündniß mit Großbritannien und Preußen trat. Die antio- 
Partei war indeffen auch jegt blos eingefhüchtert, ihr alter Haß dagegen nur noch 
eizt. Als daher 1794 die Fahnen des republifanifirten Frankreich fiegreich an den 
wehten, erhoben ſich alle Misvergnügte. Durch den firengen Winter von 1795 und 
: ben Franzoſen günſtige Volkspartei unterflügt, war es für Pichegru (f.d.) etwas 
das Land zu erobern. Der Erbftatthalter Wilhelm V. floh im San. 1795 mit feiner 
aach England, und 16. Mai 1795 wurden die Niederlande als Bataviſche Republik 
et. Die bisherige Provinzialabtheilung wurbe in einen einzigen Freiflaat verfchmol- 
Macht der Gefeggebung nad franz. Muſter einer ftellvertretenden Verſammlung 
Boltziehung, feit 1798 völlig von dieſer Verſammlung getrennt, einem Directorium 
Männern übergeben. Gleichzeitig mußte die neue Republik einige fübliche Kandftriche, 
ch Maftriht, Denloo, Staats-Limburg und Gtaats-Flandern (einen Theil ber foge- 
Generalität6lande) an Frankreich abtreten, fich mit diefem Reiche zu einer beftänbigen 
rerbinden, eine Eumme von 400 Mil. Gldn. an daffelbe entrichten und den franz. 
bie Befegung ihres Gebiets geflatten. Die Verfaffung von 1795 erfuhr unter dem 
her ariftofratifchen Partei, die von Bonaparte begünftigt murde, eine Abänderung. 
ver abgeänderten Berfaffung vom i8. Det. 1801 murde die Republik wieder in ihre 
en Provinzen (unter dem Namen Departements) und die Generalitätslande (Bandes 
Brabant, Blandern, Limburg und Geldern) als achte Provinz hinzugefügt. Sie ver 


204 Niederlande in gefchichtlicher Beziehung 


einfachte das Negierungsperfonal, indem bie legislative Gewalt auf 35 Deputicte beſchränkt 
und die vollziehende Gewalt einem Gtaatöbewind von zwölf Männern übertragen wurbe. Un- 
fähig, mit dem geringen Überrefte eigener Kraft felbftändig zu handeln, fah die Republik ihre 
Flotten durch Großbritanniens Seemacht verdrängt, ihre Eolonien verheert, ihren Handel auf 
bloße Küftenfahrt und auf den innern Verbrauch befchränkt und die Bank von Amſterdam bis 
zur Vernichtung erſchüttert. Überdies raubte ihr der Friede zu Amiens 1802 Ceylon, eine ber 
reichften ihrer Colonien. Kaum fchien bie Hoffnung einer befiern Zukunft ſich zu zeigen, fo 
wurde fie wieder in den neubeginmenden Krieg Frankreichs gegen Großbritannien verflochten. 
Surinam und das Kap fielen in der Briten Hände, brit. Schiffe blodirten ihre Küften, und fo 
ſchien der lehte Nerv ihres Wohlftandes zerfchnitten. Zum dritten male mußte nach Napoleon’s 
Wunſche 29. April 1805 die Holländ. Staatöverfaffung umgeänbert werden. Zufolge derfel- 
ben erhielt ein gefeggebenbes Corps, die Hochmögenden, beftehend aus 19 Deputirten der 
Departements, mit einem von diefen auf fünf Jahre erwählten Rathöpenfionär an ber Spige, 
der aber mit einer faft unumfchränkten Macht bekleidet war, die höchſte Gewalt ; ihm wurde ein 
Staatsrath von fünf bis neun Mitgliedern zur Seite gegeben, und fünf Minifter beforgten die 
Geſchäfte. Doch war felbft Schimmelpenninck's (f.d.) Tugend, ber zum Rathepenftonär er⸗ 
wählt wurde, in diefem Sturme unvermögend, ein Land zu retten, welches durch den Verluſt 
feiner alten Selbftändigkeit und feiner mannichfaltigen Hülfsquellen ſchon an bem Manbe ei⸗ 
nes unabwendbaren Verderbens ftand. Durch Napoleon gezwungen, trug man 1806 beffen 
Bruder, Ludwig Bonaparte (f. d.), den Befig des Landes unter dem Ramen eines fouveränen 
Königreihs Holland an, und 5. Juni 1806 wurde berfelbe ald König von Holland autge⸗ 
rufen. Der deshalb mit Frankreich 24. Mai gefchloffene Vertrag befagte, daß Ludwig erblicher, 
conftitutioneller König von Holland fein, daß feiner rechtmäßigen männlichen Nachkommen 
ſchaft der Thron gefichert fein folle; doch follten nie die Kronen von Frankreich und Holland 
auf Einem Haupte vereinigt werben. Der König blieb erblicher Connetable von Frankreich 
und mit allen feinen Kindern bem kaiſerlichen Bamilienflatut unterworfen. In Holland befaß 
er ohne Einfchränkung die vollziehende Gewalt, die Macht der Ernennung zu Eivll- und Mili⸗ 
tärftellen, daB Begnadigumgsrecht und die außfchließliche Regierung der Colonien. Ihm ftanb 
ein Staatsrat, von 13 Mitgliedern zur Seite, worunter vier nicht verantwortliche Gtaatd- 
minifter. Das Gefeggebende Corps wurde aus 30 Mitgliedern gebildet und dabei feftgefegt, 
daß es nach Maßgabe der Vergrößerung bed Staatögebietd vermehrt werben fonnte. Aber 
Holland blieb dennoch ausgefchloffen von Frankreichs Handelövortheilen, während es an allen 
Kriegen Napoleon’s theilnehmen mußte. Die Staatsſchuld wuchs; ber Handel beftand nur 
noch in Schleihhandel, der zu England hinzog. Faſt alleQuellen des chemaligen Wohlftandes 
waren verftopft, und als Napoleon’6 Decret vom 11.Nov. 1807 aus Mailand erfchien und 
der Zarif von Trianon mit feinen Folgen eintrat (f. Eontinentalfyftem), da war Holland# 
Handel vollends verloren. Es erhielt 1808 zwar Offfriesland, Jever, Varel und Kniphauſen, 
mußte aber dafür das zmifchen der franz. Grenze und der Maas gelegene Gebiet nebft einem 
Theile von Seeland mit den Feftungen Bergen-op-Joom, Breda, Derzogenbufch, Beertruibem 
berg und Dlieffingen abtreten. Der neue Krieg gegen Oftreich 1809 veranlaßte die Landung 
der Engländer auf Walcheren, die Hollands Verberben nur befchleunigte. Fürchterliche Une 
glüdsfälle vermehrten das Unglüd. Im Jan. 1809 ſtand die ganze Gegend von Emmerich bis 
Dordrecht und Rotterdam, 50 AM. Landes, unter Waffer; über 300 Menfchen verloren ihr 
Leben in den Fluten, und viele Tauſend Stud Vich, viele Häufer und Mühlen, ja ganze Dör⸗ 
fer wurden weggeſchwemmt. Umfonft waren bie Anftrengungen bes Königs, bad allgemeine 
Elend zu mildern. Die Spannung zwiſchen bem König und feinem Bruder, dem Kaifer, wuchs, 
und ber Parifer Vertrag vom 16. März 1810, wodurch Ludwig eine franz. Armee zur Ber- 
binderung alles engl. Handel? nad) Holland nahm und ganz Seeland nebft Geldern und Schou⸗ 
wen an Frankreich abtrat, hielt den legten Schlag gegen Holland nur wenige Wochen auf. Der 
König, um nicht das Land in feine perfonliche misliche Lage zu verwickeln oder einen Krieg mit 
Sranfreich herbeizuführen, deffen Folgen fich mit Gewißheit vorherfehen ließen, legte 1. Juli 
1810 auf die Nachricht vom Anrüden eines franz. Corps unter Dudinot freiwillig und uner⸗ 
wartet die Königskrone zu Bunften feines älteften unmündigen Sohnes nieder und begab ſich 
ald Privatmann nad) Oſtreich. 

Napoleon erkannte feines Bruders Verfügung nicht an. Schon 4. Juli 1810 befegten franz. 
Truppen Amſterdam, und durch ein Paiferliches Decret vom 9. Juli wurde Holland mit bem 
franz. Reiche vereinigt, Amſterdam zur dritten Stadt bes Reichs erhoben, die Zahl der Sena- 


Riederkande in gefhichtliher Beziehung 205 


auf fechs, bie ber Deputirten im Staatsrathe gleichfalls auf ſechs, die der Richter im 
tionshofe auf zwei und bie der Deputirten im Gefeggebenden Körper auf 25 beftimmt. 
ffiziere der Land und Seemacht traten, wie das ganze Militär, in kajſerliche Dienfle; 
nfen der öffentlichen Schuld wurden auf ein Drittel herabgefegt, und der Erzſchatzmeiſter 
eichs, Lebrun, Herzog von Piacenza, erfchien als des Kaiſers Stellvertreter in Amſter⸗ 
um mit den alten Miniftern Ludwig's bis zum 1. Jan. 3844, wo bie ganze Verfaſſung 
Tanz. Mufter umgemwanbelt fein follte, bad Rand zu verwalten. Nach fpätern Faiferlichen 
ıgungen murben deſſen Functionen prorogirt, und er befand fi), wiewol mit geringer 
t, noch im Nov. 1813 in Amfterdam. Die holland. Departements, welche unter dem 
ſthume gefchaffen waren, bildeten nun zwei neue Militärdivifionen, die Conſcription 
: eingeführt und die eine Hälfte der ausgehobenen Mannſchaft zum Land», bie andere 
: zum Seedienfte beftimmt. &o waren bie 17 ehemaligen Provinzen ber Niederlande, mit 
reich vereinigt, wieder unter Einer Herrfchaft. Allein diefer durch die Gewalt herbeige 
‚für Holland ebenfo unglüdliche wie erniedrigende, allen Parteien gleich gehäflige Zu- 
bauerte nur bi6 Ende 1815. Die Schlacht bei Leipzig änderte das Schickſal Belgiens 
ollands. Die Heere der Verbündeten rüdten gegen Frankreich vor und ein vereinigtes 
uff. Armeecorps unter Bülow wurde von ber Nordarmee gegen bie Niederlande abge» 
Am 20. Rov. 1813 erließ Bülow eine Auffoderung an die Holländer, mit ben Verbün⸗ 
gemeinſchaftlich gegen die Franzoſen zu handeln. Schon mehre Donate vorher hatten 
ter von der oranifchen Partei fich vereinigt in dem Gedanken, die Unabhängigkeit Hol- 
wieberberzuftellen. Einer von ihnen, der Graf Gijsbert Karl von Hogendorp (f. d.), 
18. Nov. eine Anzahl ehemaliger Regierungsmitglieder, welche von 1788 — 95 das 
bruder gelenkt, indgeheim in feiner Wohnung verfanmelt und fie zu überreden gefucht, 
aftweilen als die ehemaligen Generalftaaten au conftituiren ; allein feiner wagte felbft Hand 
egen. Sept lub Hogendorp auch die anfangs ausgefchloffenen Männer ein, welche die Zü- 
B Gtaats 1786 und 1787 und nach 1795 geführt Hatten, um fie zu vermögen, auf feine 
einzugeben. Allein auch diefer Verſuch mislang; denn fo geneigt fie auch, ungeachtet ih⸗ 
ihern orangiftifchen Anfichten, jegt waren, dem aftrepublitanifchen oranifchen Syſteme 
nuſchließen, fo hatte fie doch die erfte Ausſchließung mistrauifch gemacht. Unter dieſen 
nben entichloffen ſich Hogendorp und fein vertrauter Freund, ber Baron, fpäter Graf 
2 Dupn van Maasdam, ein freifinniger, redliher Mann (geft. 1848), zu einem gewagten 
wehmen, indem fie einen Aufruf für die Unabhängigkeit Hollands an das Volk erließen, 
die Spige der nationalen Bewegung ftellten, das Militärcommando dem Grafen Leopold 
mburg-&tyrum, einem verdienten Offizier aus den Zeiten der Republik, übertrugen unb 
olk unter die Waffen riefen. Diefe kühnen Mafregeln hatten Erfolg. Die Nationalgar- 
Härten fich für die Bewegung, und die franz. Befagung im Haag entſchloß fich zum frei« 
3 Abmarſch. Hogendorp und van der Duyn, an die Spige ber Proviforifchen Regierung 
„. verabfäumten nichts, dad Werk zu vollenden. Sie fendeten Perponcher und Jakob 
als Abgeordnete an den Prinzen Wilhelm von Dranien, auch einen Abgeorbneten in das 
quartier des Generals von Bülow nad Münfter und nad Frankfurt am Main zu den 
beten Monarchen, welche dem Rande die Eräftigfte Unterftügung zuficherten. Ebenfo ſuch⸗ 
das mächtige Amfterdam zu einer offenen Erklärung zu bewegen, bie zwar wegen der 
bes franz. Dauptquartiers zu Utrecht noch nicht die gewünfchte Ausdehnung erhielt, wol 
ie größte Anhänglichkeit für das Haus Dranien ausſprach. Der Prinz von Oranien, der 
üge Sohn des 1806 verftorbenen Exbftatthalters Wilhelm V., war 30. Nov. im Haag 
offen und mit Jubel empfangen worden; am 1. Dec. ging er nach Amfterdam ab. Hier 
bereits in Betracht des Enthuſiasmus für die Sache der Befreiung Holland die Com⸗ 
ten bes Duumvirats, Kemper und Scholten, eine Proclamation erlaflen, welche ſich mit 
MHärung mdigte: „Niederland iſt frei und Wilhelm I. der fouveräne Fürft diefes freien 
z.“ Der Prinz von Dranien nahm anfangs Anftand, der unberathenen Proclamation 
fügen, und erſt als alle feine Gegenvorftellungen fruchtlos waren, willigte er in den ohne 
nbeften Einſchränkungen ihm gemachten Antrag, Löfte die Proviforifche Regierung auf 
bernahm bie Zeitung der Geſchäfte. Eine Commiffton von 44 Mitgliedern, barunter 
borp und van ber Duyn, murbe mit dem Entwurfe ber neuen Staatsverfaffung beauf- 
welcher bei einer im Allgemeinen freifinnigen Tendenz und vielen zweckmäßigen Verfü- 
3 ben Erwartungen einfichtsvoller Vaterlandsfreunde nicht ganz entſprach, jedoch in ber 
umlung ber aus allen Departements ber ehemals Vereinigten Niederlande zur Abſtim⸗ 


208 Niederlande in geſchichtlicher Beziehung 


mung zufammenberufenen 680 Rotabein (von benen jedoch nur 475 erichienen waren) 29, 
Mär; 1814 mit 449 Stimmen angenommen wurde. In Folge bes Parifer Friedens vom 
31. Mai und des Londoner Protokolls vom 21. Juni 1814 trat Milhelm in feine Rechte albd 
Generalgouverneur ber von den Alllirten befegten belg. Provinzen, bis die definitive Vereini⸗ 
gung der beiden Staaten regulirt würde, und fegte ben Baron van der Gapellen (f. d.) als 
oberfte Civilbehörde in denfelben ein. Durch den Staatsvertrag mit England vom 29. Det. 
1814 wurden dem fouveränen Fürften gegen Abtretung ber Rechte Holland auf das Borges 
birge der guten Hoffnung und auf die Colonien Demerary, Effequebo, Berbice und Ceylon bie 
fämmtlichen übrigen Eolonien, welche Holland 1. San. 1803 in Aſien, Afrifa ımd Amerika be 
feffen, zurückgegeben, mit ber ausdrüdlichen Beftimmung, daß es für obgenannte Abtretung durch 
eine Randesvergrößerumg in Europa werde entfchäbigt werden. Durch den Beſchluß des Wie 
ner Congreſſes vom 31. Mai unb durch bie Schlufacte vom 9. Juni 1815 wurden demnach 
die ehemaligen belg. Provinzen nebft dem ehemaligen Bischum Lüttich mit ben Vereinigten 
Niederlanden verbunden. Beide zufammen follten dad Königreich der Niederlande bilden, 
und der fouveräne Fürft Wilhelm I. (f. d.) wurde als König der Niederlande von allen Mäch- 
ten anerkannt. Auch wurde ihm zur Entſchädigung für die in Deutfchland abgetretenen nafe 
ſauiſchen Befigungen das Herzogthum Luxemburg (f. d.) umter dem Titel eines Großheryog- 
thums überlaffen, Doch fo, daß dieſes Land zu ben Staaten bes Deutfchen Bundes gehören follte, 
dem Wilhelm I. ſchon unterm 8. Juni 1815 beitrat. Die Einverleibimg fo vieler Provinzen, 
bemohnt von Völkerfchaften, die, wenngleid von einerlei Urfprung, dennoch an Sitten, Ge 
wohnheit und Religionsgrundfägen fehr voneinander abweichen, machte eine Abänderung ber 
Berfaffung nothwendig. Einer Commiſſion, in gleicher Anzahl aus Holländern und Belgiern 
zufammengefegt, wurbe biefe Veränderung aufgetragen. Nachdem ber König den neuen Ber» 
faffungsentwurf genehmigt, wurben die 55 Mitglieder ber Generalftaaten durch die Provin⸗ 
zialftaaten verdoppelt, um fich über bie zu treffenden Abänberungen zu beratben unb mit einer 
Mehrheit von zwei Drittheilen ihren Beichluß darüber zu faffen. Diefer Beſchluß lautete ein⸗ 
fiimmig auf Annahme des Entwurfs. Aus den füblichen Provinzen marb zu dieſem Zweck 
ebenfalls eine Verfammlung ber Notabeln berufen, von welchen jeboch ein Sechstel ausblieb, 
ſodaß die Geſammtheit der Erfchienenen fi auf 1523 belief, wovon 527 für und 796 gegen 
die Verfaffung ſtimmten. Da es fich aber erggb, baß nicht nur mehre Stimmen verorbnungs« 
widrig bedingt, fondern auch 126 derfelben blos aus Neligionsgründen für die Verwerfung 
geftimmt hatten, fo fand man für gut, legtere nebft den 280 Ausgebliebenen zu ben Einſtim⸗ 
menden zu zählen und hierdurch eine Mehrheit für die neue Berfaffung herauszutünfteln, welche 
nım 24. Aug. für angenommen erklärt und 21. Sept. vom König Wilhelm beſchworen wurde. 

In dem zweiten Parifer Frieden von 1815 mußte Frankreich auch diejenigen Stücke, welche 
von den ehemaligen öſtr. Niederlanden ihm noch geblieben, namentlic, den an Mineralerzeug⸗ 
niffen ergiebigen Landſtrich zwiſchen Hennegau und Namur in ber Mitte ber Ardennen 
mit den Feftungen Darienburg und Philippeville an das Königreich der Niederlande ab⸗ 
teten. Auch erhielt dieſes die Souveränetät über das Meine Herzogthum Bouillon (f. b.). 
Am 17. Mai 1816 verband fich eine niederl. Flotte unter dem Abmiral van der Gapel- 
len mit der beitifchen unter Lord Exmouth in der Bai von Algier, und Beide erfämpfe 
ten für fich die Anerkennung des europ. Völkerrechts von Seiten des Dei von Algier. Im 
Innern bes Landes aber zeigte fich ein Geift der Unzufriedenheit, der nur durch bie Mäfig- 
feit und Feftigkeit des Königs von ernften Ausbrüchen zurückgehalten werben konnte. Die un« 
beſchränkte Geiſtesbeherrſchung, welche bie belg. Geiftlichkeit, abholb dem nicht Bath. Herrſcher⸗ 
ftamme, ſelbſt über bie höhern Claſſen ausübte, und die verfaffungsmwidrigen Anfprüche, bie fie 
erhob, die mechfelfeitige Abneigung zwifchen den Belgiern und Holländern, die Unzufriedenheit 
ber Letztern mit dem langen Aufenthalte des Hofs in Brüffel, endlich bie feit Errichtung der 
Monarchie in den nördlichen Provinzen bemerkbar gewordene Trennung der erklärten Anhän- 
ger des Regentenhaufes in Altoranier oder Freunde bes erbftatthalterifch-republitanifchen Sy⸗ 
ſtems und Neuoranier oder Anhänger ber jept beftehenden Monarchie: dies Alles, verbunden 
mit ber ſchlechten Finanzlage des neuen Staats, gab Veranlaffung zu tiefen Misſtimmungen. 
In den äußern Verhältniffen folgte die Regierung größtentheild dem brit. Syftem. In Folge 
der Bermählung bed Kronpringen Wilhelm mit ber ruff. Großfürſtin Anna (die Bewerbung 
um die engl. Thronerbin Eharlotte fchlug bereits 1814 fehl) erwuchſen Verhältniffe, die den 
N. als Gegengewicht gegen Englands Einfluß vortheifhaft waren, aber auch Englands Intereffe 
an der nieberl. Macht Ipäterhin ſchwächten. Nachhaltige Beziehungen entwidelten füch auch zum 


Niederlande in gefepichtliger Beziehung %7 


ulden Bunde hinſichtlich Lupemburgs (1. d.) und der Schiffahrt auf dem Rhein (f. B.). 
t Oſtreich kam der neue Staat in Feine unmittelbage Berührung, da das vormalige belg. 
yuldenwefen durch den Vertrag vom 411. Det. 1815 genau geregelt war; dagegen fanden 
berholt Handels und Zollreibungen mit Preußen flatt, bis eine engere Verbindung zwiſchen 
ven Höfen in Folge ber Vermählung bes Prinzen Friedrich (1825) mit Luiſe, der Tochter 
Könige von. Preußen, eintrat. Die politifchen Beziehungen der N. mit Frankreich waren 
1850 frieblicher Urt, obfchon der Aufenthalt von Bonapartiften in den belg. Provinzen und 
Preßfreiheit des Landes einige Unzufriedenheit am franz. Hofe erregte. Mit Schweden umb 
nemarf, ſowie mit Spanien und Portugal fland R. blos in mercantilifchen Verhäftniffen. 
9 Danbelöverhältnig mit ben Vereinigten Staaten von Rordamerika wurbe nad) dem Grund» 
e der Gegenfeitigteit von ben frühern Beſchränkungen befreit. Endlich traten auch bie N. 
den neuen Freiftaaten bes fpan. Amerika, die es 1825 anerkannte, in unmittelbaren Verkehr. 
Biewol biefe auswärtigen Verhältniffe namentlich der beig. Induſtrie und dem beig. Handel 
n ungemeinen Aufſchwung verliehen und fämmtliche Theile ber vereinigten Monarchie feit 
8 eine vielverfprechende Entwickelung begannen, fo wollte doch die Verſchmelzung ber Hol« 
der und Belgier zu Einer Nation nicht gelingen. Die gegenfeitige Abneigung äußerte fich 
großer Erbitterung in der Kirche, in der Armee und felbft in ben Kammern der General 
ten. Am tiefften drang in das Volkoleben ber Zwieſpalt ein, den bie kath. Geiftlichkeit un⸗ 
seit, indem fie dem conftitutionellen Syſtem überall entgegenarbeitete. Der Papft hatte den 
» Drieftern nur dann erlaubt, den niederl. Staatsdienern die Abfolution zu erteilen, wenn 
e den Eid auf die Verfaffung blos im bürgerlichen Sinne geleiftet hätten; bie Regierung 
Ite aber hierin keine Beichräntung gelten laffen. Anfangs regte bie Widerfeglichkeit der kath. 
ffichen bie Unzufriedenheit des Volkes fo auf, daß bie Regierung eine ftrenge Polizeiaufſicht 
en füblicden Provinzen anorbnen mußte, bie aber, weil fie ebenfalls zu vielen Anklagen An- 
gab, 1. April 1818 wieder aufgehoben wurde. Der Papſt erließ auch eine Bannbulle ge⸗ 
bie Janfeniftifchen Bifchöfe, welche dem König ben Eid der Treue gefchiworen hatten. End» 
fehlen durch das zu Rom 18. Juni 1827 unterzeichnete, 25. Zuli 1827 zu Brüffel ratifi- 
€ Goncorbat das Verhälmif der nieberl. Staatögewalt zu ber rom. Curie feftgeftellt zu fein. 
vlge beffelben follte das von Pins VII. mit Napoleon 1801 abgefchloffene Concordat, wie 
her in den füdlichen, nun auch in den nördlichen Provinzen des Königreichs gelten. Über die 
führung biefes Concordats, welches einem großen Theil ber Nation misfiel, entftanden fehr 
> Irrungen, und es wurden neue Unterhandlungen in Rom angelnüpft, welche zum Theil 
von der Regierung 1825 gegründete philofophifche Collegium zu Löwen betrafen. Die 
amontane Partei fuchte namlid) den Unterricht ganz in bie Hände der Priefter zu bringen. 
nun die Regierung das Unterrichtsweſen gefeglich ordnen wollte und bie Redacteure meh⸗ 
Zeitungen, melche dagegen fihrieben, verhaften ließ, kam es in Brüffel zu einem Auflauf, 
bauptfächlich gegen den Juftizminifter van Maanen (f.b.) gerichtet war. Noch mehr reizten 
beig. Volk mehre Verordnungen, welche die Verdrängung ber franz. Sprache aus allen 
ntlichen Berhältniffen, felbft aus ben Schulen, dagegen bie Erhebung des Holländifchen zur 
weinfamen Nationalfprache bezweckten. Die Beſchwerden über biefen Eingriff fleigerten fich 
rälig fo, daß der König ſchon im Kaufe des 3.1829 mehrfache Zugeftändniffe machen, 4. Juni 
O aber den vollen Gebrauch ber franz. Sprache wieder zugeftehen mußte. Außer der Sprach⸗ 
Religionsverfchiebenheit waren auch flaatswirthichaftliche Differenzen zwiſchen den füb« 
en und ben nördlichen Provinzen vorhanden. Belgien, als ein gewerbreiches Aderbaulanb, 
Ite nämlich die Steuerlaft auf Ausfuhr und Einfuhr, Holland aber, um feinen Handel zu 
nen, auf bad Grundeigenthum wälzen. Ungeachtet mancher beffern Einrichtungen in der 
anzverwaltung mehrte ſich zugleich das Defickt im Bubget, fobaß die Regierung in ber 
ung von 1821 ben Antrag ftellte, bie Staatsfhuld um 57% Mill. Gldn. zu vermehren, der 
h angenommen murbe. So kam es, daß während einer AAjährigen Friedenszeit (1814 — 
die Staatsfchuld um 173 MIN. und die Zinfen in den legten zehn Jahren um 4’; Mil. Gldn. 
vermehrten. In ben Kammern, wo bie Mehrheit der hol. Deputirten minifteriell, die der 
. antiminifteriell war, warfen die Holländer den Belgiern Eigenfinn, Radicalismus und 
tamontaniömus vor, während die Belgier über Drud und Benachtheiligung in allen Zwei« 
der Befeggebung und Verwaltung Magten. Um die Einheit der Verwaltung zu befördern, 
tde 1823 ein Minifterrath angeordnet, ber alle Befegentwürfe vorher prüfen follte. Die 
talllone des Linienheers wurden 1819 mit denen der Nationalmiliz verfchmolgen, umd bie 
minberung des Heeres auf 40000 Mann machte bie Einführung einer Gemeinden. ober 


8 Niederlande in gefhichtlicher Beziehung 


Bürgermilig, der Schutterei, von 25500 Dann nöthig. Was den Zuſtand ber Rationalwirte 
[haft betraf, fo ging man von ber Anficht aus, daß aller Wohlſtand ber Nation zunächft auf 
der Volkscultur beruhe. Daher hatte anfangs ein und derſelbe Minifter, Bald (ſ. d.), die Le 
tung des öffentlichen Unterrichts, des Gewerbfleißes und der Golonien; feit 1824 aber wurde 
die Sache des öffentlichen Unterrichts mit dem Minifterlum bes Innern verbunden. Die Regie 
rung that viel für jeden Zweig des öffentlichen Unterrichts, beſonders für bie Bolksfchulen. Zur 
Ergänzung ber niederl. Geſchichte wurde eine königl. Commiſſion niebergefegt. Auch errichtete 
ber König 1826 eine Commiſſion für bie Statiftit des Reiche. 

Um die verfchiedenen Intereffen ber füblichen und nörblichen Provinzen in Hinficht auf Land⸗ 
wirthſchaft, Gewerbfleiß und Handel zu vereinigen, wurben mehre gwedimäßige Einrichtungen 
getroffen. Eine königl. Orbonnanz befahl 1818 die Einrichtung von Landwirthſchaftsgeſell⸗ 
haften in allen Provinzen bes Königreichs. Mehre Moräfte wurden ausgetrodinet und in üben 
Landſtrichen Armencolonien, 3. B. zu Frederiksoord (f. d.) und zu ZBortel, und Zorfflechereien 
angelegt. Zur Belebung des Kunft- und Gewerbfleißes warb eine öffentliche Ausſtellung der 
Erzeugniſſe der Nationalinduftrie angeorbnet, bie feit 1820 jährlich zu Gent flattfand. Auch 
wurden 1823 zu Brüffel eine Bank mit einem Fonds von 50 Mil. Glon. und eine allgemeine 
Gefellichaft zur Unterflügung ber Nationalinbuftrie begründet. Die Schiffahrt, vielfach unter 
ftügt, nahm immer mehr zu. Neue Quellen des Reichthums eröffnete dem Handelsgeifte ber 
Niederländer bie ZBiederherftellung des Colonialſyſtems, und der ind. Handel blühte ſchnell auf. 
Die auswärtigen Angelegenheiten betrafen bauptfächlich das Eolonialinterefje und den Sklaven⸗ 
handel. Mit Großbritannien wurde 1818 ein Vertrag gegen den Sklavenhandel abgeſchloſſen 
und 1822 ben brit. Kreuzern das Recht zugefprochen, niederl. mit Sklaven befrachtete Schiffe 
wegzunebmen ; zugleich verbot man die biöher erlaubt geweſene Einfuhr von Sklaven aus freu 
den Golonien, 3. B. Brafilien, mo beren unmittelbare Einfuhr aus Afrika noch geftaftet war. 
Alte Mishelligkeiten mit Großbritannien wegen Dftindien wurden durch den Vertrag von 1824 
ausgeglichen, der die Niederlande in dem ausſchließenden Befige der Sundainſeln und des wid) 
tigften Theils der Molukken, fowie bes dafigen Specereihandels beließ. Die Streitigkeiten mit 
Preußen über bie freie Schiffahrt auf dem Rhein, welche man deutſcherſeits bis in das Meer 
verlangte, nieberländifcherfeit® aber nur bis an das Meer geftatten wollte, wurden erft 1829 
vermittelt. In Anſehung der inmern Angelegenheiten Staliend, Spaniens und Griechenlands 
ſowie der Pforte beobachteten die Niederlande die ftrengfle Neutralität. So ftanden Die Verhält- 
niffe der Niederlande bis zum 3. 1830. 

Bunfzehn Jahre Hatte die Verbindung Belgiens mit Holland gedauert. Belgiens Städte, 
Induſtrie und Handel waren im höchften Flor; aber nichts Eonnte den belg. Trog und bie holl. 
Kälte verfchmelzen, nichts die religiöfe, fprachliche und fittliche Abneigung der Brabanter und 
Lütticher mit dem proteft. Holland verfühnen. Durch die Sulirevolution von 1830 in Frank⸗ 
reich fühlte der Stolz ber belg. Städte fich erhoben, und mehr und mehr feigerte fich der Haß 
gegen ben ſtrengen Suftigminifter van Maanen (f.d.), dem flarrfinnigen Verfolger der Preßfrei⸗ 
heit. Mit einem Volksaufftande in Brüffel 25. Aug. 1830 begann die Staatsumwälzung, 
welche Sübdniederland und Norbniederland trennte. In und bei Brüffel Bam es in Kolge eines 
zweiten Aufftandes in Brüffel (20. Sept.) vom 23.—26. zwifchen dem von dem Prinzen Fried⸗ 
rich befehligten Armeecorp6 von 6000 Mann und den bewaffneten, von fremden Offizieren an⸗ 
geführten Infurgenten zu blutigen Kämpfen, die den Rückzug der Niederländer entfchieben. In 
zwifchen hatte der König, dem Verlangen einer belg. Deputation vom 30. Aug. nachgebend, 
bereits 13. Sept. die Generalftaaten verfammelt, um mit ihnen die Frage über Verwaltungs⸗ 
trennung und Abänderung des Grundgefeges zu verhandeln. Beide Kammern waren dafür; 
allein es kam zu keinem die Gemüther beruhigenden Beſchluß. Dagegen entfpann fich der ofe 
fene Kampf für die gängliche Trennung, welchen auch das eigenmächtige Auftreten ded Prinzen 
von Dranien nicht mehr zu feinen Gunften zu wenden vermochte. Die fünf Mächte, Großbri 
tannien, Frankreich, Ofireich, Nufland und Preußen, an die fi Wilhelm I. gewendet hatte, ge» 
boten endlich von London aus beiden Völkern Waffenruhe und erfannten durch das Eonfereny 
protofoll vom 20. Dec 1830 Belgiens Unabhängigkeit an. Belgien (f. d.) organifirte fich num 
als Staat, und die Londoner Conferenz ftellte für die Vollgiehung der Trennung beiber 
Staaten 18 Artikel auf. Der König Wilhelm proteftirte 12. Juli 1831 gegen diefelben, na 
mentlich gegen bie darin feftgefepte Freiheit der Schelde und Vereinigung Luxremburgs mit Bel 
gien, und mit auferordentlicher Begeifterung erhob ſich Holland .für die ——— 
Rechts durch die Waffen. Es wollte keine Wiedervereinigung, fondern nach fo großen Opfern, 


Niederlande in gefchichtlicher Beziehüng 300 


Ye es dem Frieden gebracht, nur die bilfigern, früher von Holland angenommenen, aber von 
Belgien verworfenen Bedingungen ber Ausgleihung. Der Prinz von Dranien trat an bie 
Spitze bes Heeres und ging mit 70000 Mann 2. Aug. über die belg. Grenze. Zurnhout und 
andere Punkte wurden genommen, die Schelde gefperrt, ein belg. Heer 8. Aug. bei Haffelt und 
ein anderes 10. Aug. bei Löwen gefchlagen. Als aber ein franz. Hülfsheer unter Marfchall Ge⸗ 
rard in Eilmärfchen heranzog, vermittelten ber engl. und franz. Gefandte am belg. Hofe einen 
Waffenfliliftand, in deſſen Folge der Prinz von Dranien Löwen 14. Aug. räumte und fein Heer 
m die Stellung vor dem Kriege zurüdführte. Die Eonferenz legte hierauf beiden Theilen 20. 
Det. einen von ben fünf Mächten verbürgten Friedenstractat in 24 Artikeln vor, den Belgien 
15. Rov. 1831 förmlih annahm, Holland aber verwarf, weil er mit der frühern Trennungs- 
zrundlage nicht übereinflimmte. Und) Rufland, Preußen und Öftreich wünfchten die Abände⸗ 
rung einiger für Holland nachtheiligen Artikel, Dagegen verlangten England und Frankreich, mit 
Zwangs maßregeln drohend, beharrlich die Räumung der Eitabelle von Antwerpen. Sie blodir- 
ten bie holl. Küfte, legten auf holl. Schiffe ein Embargo, und durch ein franz. Heer wurde 
24. Dec. 1832 die Eitadelle von Antwerpen (f. d.) erobert. Endlich kam 21. Mai 1833 ein 
Proviforium zwiſchen England, Frankreich und Holland zu Stande, das ben Feindfeligkeiten 
ein Enbe made, aber ben Frieden mit Belgien nicht zu bewirken vermochte, daher Belgien und 
Holland fortbauernd gerüftet blieben. 

Die Londoner Eonferenz begann hierauf von neuem ihr ſchwieriges Geſchäft. Ganz befon- 
bere Schwierigkeiten hatte die Abtretung des Iugemburg. Gebiets an Belgien, ba der König von 
Holland bemerkte, daß er hierzu der Genehmigung des Deutfchen Bundes und ber Agnaten in 
Raffau bebürfte. Der Bundestag gab 18. Aug. 1836 feine Zuflimmung zu der Abtretung 
eines Theils von Luxemburg gegen eine entfprechende Entfchädigung im Limburgifchen. Unter 
Meinen Reibungen zwiſchen Belgien und Holland fuchte König Wilhelm den Abſchluß der Ber- 
Banbiungen in ber Hoffnung hinauszuziehen, daß ſich die allgemeinen Verhältniffe Europas zu 
feinen Bunften ändern könnten. Doc, entſchloß er ſich 14. März 1838 dem Vertrage ber 24 
Artikel beizuflimmen. Sept aber legte Belgien, auf die veränderte Sachlage fich berufen, 
Ginfpeadhe ein, und es fam fo weit, daß Ende 1838 beide Heere wieder an ben Grenzen 
einander feinblich entgegentraten; nur die Vorftellungen von Seiten der Conferenz vermochten 
ben Ausbruch zurüdzuhalten. Endlich in feinem Trotze, namentlich durch die immer bedroh⸗ 
licher ſich geftaltenden Finanzverhältniſſe des Staats erfchüttert, entſchloß ſich König Wilhelm 
4. Sehr. 1839 die nunmehr zu feinem Nachtheile modificirten 24 Artikel anzunehmen, worauf 
19. April die definitiven Friedensverträge von ben Bevollmächtigten ber Niederlande, Belgiens, 
Oſtreichs, Frankreichs, Englands, Preußens und Rußlands unterzeichnet wurden. Die Voll⸗ 
siehung bes Vertrags fand fogleidy flat. In Folge ber mit ben Agnaten und bem Deutfchen 
Bunde gepflogenen Verhandlungen wurden 27. Juni 1839 die Rechte der Agnaten auf ben 
für ben verlorenen Ingemburg. Antheil an Holland gekommenen Theil von Limburg von dem 
Agnaten gegen eine Entfchädigung von 750000 Gldn. abgetreten und hierauf dieſer Theil, mit 
Ausnahme der Feſtungen Maftricht und Venloo, die bei Holland verblieben, 16. Aug. als Ent⸗ 
ſchaͤbigung für ben an Belgien überlaffenen Theil von Luxemburg ald Herzogthum den beut« 
ſchen Bunbesftaaten einverleibt. Die Innern Verhäftniffe Hollands anlangend, fo zeigte ſich in 
den Kammern von 1839 eine große Aufregung. Man hoffte auf günflige Finanzgefege und 
Reformen, flatt deffen wurbe der Vorfchlag zu einer Anleihe von 56 Mil. Eldn. vorgelegt. 
Man verwarf 20. Dec. die Anleihe und 23. Dec. das Budget; nur eine Anleihe von 6 Mil. 
Sen. und nur auf ſechs Monate wurde das Bubget verwilligt. Bei dem Wiederzufammentritt 
der Omeralſtaaten im März 1840 ließ ber König mehre die Verfaſſung mobificirende Gefeg- 
entwwärfe vorlegen, zufolge deren die Civilliſte auf 1’ Mill. Eldn. geftellt wurde und an die 
Stelle des Lisherigen zehnfährigen Budgets ein zweiſähriges trat. Deffenungeachtet fleigerte 
fi die Misftiermımg gegen den König wie gegen die Minifter. Des Königs Hinneigimg zur 
kath. Bräftn Hetwiette ð Hultremont erregte befonder6 den Unwillen bes Volkes, ſodaß er un- 
term 25. Dörz 1840 erflären ließ, daß er einer Verbindung mit ihr entfage. Diefe Angelegen- 
heit ferne! wie bie Enchecung einer weit verzweigten Verſchwörung in Belgien, bei welcher 
Holland nicht unbetheiliet erfchien, und endlich die Finanznoth des Staats veranlaften ben Ko- 
nig 7. Oct. 1840 bie Regieung in die Hände feines Sohnes, Wilhelm's II. (f. d.), niederzulegen. 
Unter dem Namen eines Grafe- von Naſſau und mit einem ungeheuern Privatvermögen nahm 
er ia Berlin feinen Aufenthalt, we er fi mit der Gräfin vermählte und 12. Dec. 1843 ftarb. 

Gonn.ster. Behnte Aufl. XI. 14 


⸗ 


310 Niederlande in geſchichtlicher Beziehung 


Wilhelm IL. erklärte nach feinem Regierungsantritte zuvörderſt die Minifter für verantwortlich, 
woburd ein langer Streit zwifchen den Generalftaaten und ber Regierung beigelegt warb. Der 
Finanzzuftand trat indeffen immer wieder flörend ein und erregte die Oppofition. Namentlich 
litten die Finanzen durch ben Krieg auf Sumatra gegen bie Atfchinefen. Dennoch wurben große 
Summen im Intexeffe des Landes verwendet, namentlich auf Eiſenbahnen und bie Trocken⸗ 
legung des Darlemer Meeres. Mehre Danbelöverträge, 3. B. mit Texas, kamen zu Stande; da 
gegen führten die Verhandlungen mit Rom über Vollziehung des Concorbats von 1827 zu 
keinem Nefultat. Mit den Zollvereinsfiaaten waren wegen eines Handelsvertrags bereits 1841 
Berhandlungen angefnüpft worden, die nad) Mishelligkeiten mit Preußen endlich den Vertrag 
von 1842 herbeiführten. Differenzen mit Belgien wurden durch einen Vertrag vom 5. Nov. 
1842 befeitigt, dem 41843 ein fünfjähriger Handels-, Schiffahrts- und Zerritorialvertrag folgte, 
welcher bie Spannung beider Staaten vollends ausglich. 

Die traurige Finanzlage nöthigte endlich Die Regierung, den Kammern einen Gefegentwurf 
zu einer außerorbentlichen Vermögensfteuer oder zu einer freiwilligen Anleihe von 150 Mill. Sldn. 
gorzulegen, der auch, ungeachtet einer bedeutenden Dppofition,im März 1844 angenommen wurde. 
Die hiervon erwarteten Wirkungen auf die allgemeine Stimmung blieben jedoch abermals 
aus. Es entfpann fich vielmehr in ben Generalftnaten. ein verwidielter Kampf zur Erzielung 
einer durchgreifenden Verbefferung des Grundgefeges, wobei zwar bie ziemlich rabicalen Fo⸗ 
derungen einer Anzahl von Deputirten befeitigt wurden, ſich aber doch als Endergebniß ein 
förmlicher Antrag herausftellte, die Regierung möge Mare Vorfchriften über die minifterielle 
Verantwortlichkeit auch binfichtlich aller Handlungen, welche die Negierung und innere Ver⸗ 
waltung der Eolonien betreffen, aufftellen, fonie beftimmte Bürgfchaften bieten für bie Ver⸗ 
wendung der Geldüberfchüffe der überfeeifchen Befigungen im Intereffe des Staats ımb zu 
dem Zwecke die jährliche Abrechnung ber Einnahmen und Ausgaben diefer Befigungen den 
Generalftaaten unterwerfen. Der König fegte der Darlegung biefer Wünfche die Erklärung 
entgegen, er habe noch Beine genügende Überzeugung von der Rothwendigkeit einer Abänderung 
bed Örundgefeges, und ahndete mit aller Schärfe der Geſetze die Angriffe der Preffe und an ben 
Urhebern einige wegen des Miswachfes entftandene Unruhen. Da jedoch die Stimmung 
einen immer bedenklichern Charakter annahm, lenkte der Monarch ein. In der Thronrebe vom 
18. Dct. 1847 wurde die Ausficht auf mannichfache Reformen und namentlich auf Modifi- 
cirung ber Verfaffung eröffnet; allein bie Gemüther fanden ſich bald wieder enttäufcht, befon- 
ders nachdem bie Minifter van Hall und de Lafarraz, Die am eifrigften die Reformen betrie- 
ben hatten, aus bem Gabinet gefchieden waren. Auch die erften Stürme ber franz. Bebruar- 
revolution von 1848 beugten den Sinn des König nicht, indem er und zwar mit Recht auf bie 
große Befonnenheit feines Volkes und bie Schwäche der eigentlich demokratiſchen Partei rech⸗ 
nete. Die 9. März 1848 den Kammern übergebenen Reformvorfchläge waren umbebeutend, 
während die wirklichen Krebsfchäden der alten Verfaffung, die Wahl der zweiten Kammer 
durch die Provinzialftände und bie Eintheilung der legtern in die Drei Stände ber Ritterfchaft, 
der Städte und der Landſchaft, unangetaftet blieben. Erſt der darauffolgende Petitionsfturm 
und die allgemeinen europ. Zuftände brachen endlich Wilhelm's Widerwillen gegen die verlang- 
ten Reformen und hatten einen Miniftermechfel zur Folge, der zwar den Neformfreunden 
Donter Curtius (Juſtiz), Luzac (Eultus) und van Kempenaer (Inneres), aber auch den unpo⸗ 
pularen Graf Schimmelpennind (Auferes) und Nepveu (Krieg) Eingang ind Cabinet ver» 
fhaffte. Der Chef der liberalen Oppofition, Profeſſor Thorbede aus Leyden, blieb ausgeſchloſ⸗ 
fen, ward jedoch zum Vorfigenden des mit Entwerfung eines neuen Srundgefeges beauftragtm 
Ausfchuffes gewählt. Die Arbeit diefes Ausichuffes wurde endlich im Mai, freilich von der 
Hand des Königs bedeutend geändert, den Kammern vorgelegt. Als aber dieſe für unge⸗ 
nügend gehaltene Vorlage unter ben aufgeregten Parteien einen foldhen Kampf entzönbete, daß 
kein Ausweg mehr abzufehen war, ergriff ber König felbft die Initiative und leß nad) dem 
alten faulen Wahlgefege und unter Beibehaltung ber erften von ihm ernannten Kammer eine 
verdoppelte zweite Kammer als conflituirende Berfammlung aufftellen, die 15. Sept. 1848 zu- 
fammentrat. Der Berfaffungsentwurf wurde nun raſch in den Kammerr erledigt, da es ſich 
blos um Annehmen und Abiehnen der einzelnen Theile handelte, und thon 3. Nov. das neue 
Staats grundgeſetz bem Lande verfündigt. Das in Folge deffen gebstete Minifterium beftand 
aus van Boffe (Binanzen), van Kempenaer (Inneres), Donker Curtius und fpäter Michert 
Guſtiz), Lightenvelt (Bath. Euftus und Auswärtiges), Voer (Krieg), Ryk (Marine), Band, 
fpäter van den Bofch (Eolonien), van Heemſtra (ref. Eultus). Mit Eifer wandte das nene Cabinet 


Niederlande in geſchichtlicher Beziehung 211 


feine Thätigkeit der Vorbereitung einer großen Anzahl von organifhen GBefegen zu. Seine 
Bauptaufgabe mußte indeffen immer die Erleichterung der troftlofen Binanzlage bleiben. Da 
man aber Erfparungen im Daushalte für ungenügend erfannte, mußte man endlich auf die Er⸗ 
Afnung neuer Hülfsquellen, auf burchgreifende Mobifichrung des Abgabenſyſtems, Aufftellung 
von Bermögens- oder Cinkommenſteuern u. f. im. feine Anftrengungen richten. 

Mitten unter diefen Arbeiten ftarb plöglih Wilhelm 11. 17. Mär, 1849. Sein Nachfolger, 
Wilhelm II. (f. d.), beſchwor zwar die Verfaffung 11. Mai, ftieß aber, trog der freiwilligen 
Berminderung feiner Civillifte, auf eine mehr und mehr ungebuldige und mistrauiſche Dppo⸗ 
Rtion von Seiten ber conflitutionellen Kiberalen, fodaß er ſich genöthigt fah, das Minifterium 
feines Vaters zu entlaffen. Nach einer langen Krifis trat endlich 30. Det. 1849 ein von Thor⸗ 
bedde gebildetes Eabinet zuſammen, in welchem dieſer felbft das Innere, Rebermeijer van Rofen- 
thal (feit Zuli 1852 Strens) die Juftig, van Sonsbeeck (feit Det. 1852 van Zuylen) das Aus- 
wärtige, van Nievelt (Enslie) die Marine, General von Spengler (feit Juli 1852 Forſtner von 
Dambenoy) das Kriegsweſen, Pahud die Eolonien, van Boffe bie Finanzen verwaltete. Diefen 
ber Linken angehörigen Männern war ed während ihres dreijährigen Wirkens vorbehalten, nicht 
nur Die wichtigften organifchen Geſetze (3. B. über Verfammlungsrecht, Provinzial- und Ge⸗ 
meinbeordnung, richterliche Organifation) auf Grund ber neuen Verfaffung von den Kammern 
mit beträchtlicher Mehrheit genehmigen zu laſſen und fo Die friedliche Revolution der Niederlande 
zu vollenden, fondern auch Durch zweckmäßige Finanzgeſetze (Nentenummandelung, Poltreform, 
Reduction ber regelmäßigen Gtaatsausgaben, vor allem aber durch Aufhebung ber für nachtheis 
Big erfannten Borrechte ber niederl. Schiffahrt Im liberafften Sinne) die materielle Lage bes Lan⸗ 
des zu verbeſſern. Die im 3. 1850 vorgenommene Umgeftaltung des Handels und Schiffahrte- 
fyſtems ergabfchon 1851 einen Betrag der Gefammt-Ein- und Ausfuhr (546 Mil. GSldn.), 
der um 523 Mill. die mittlere Zahl der fünf legten Jahre überftieg. Dabei wurben im Innern 
Kanallfationen, befonders in Dveryſſel und Drenthe, angelegt, Eifenbahn- und Zelegraphen- 
verbinbumngen in Angriff genommen und die Austrodnung des Harlemer Meeres zu Ende ge 
führt. Neue Banbelöverträge wurden abgefchloffen mit Belgien, ber Türkei, Sardinien und 
Preußen, während andererfeits das Verhältnis mit Frankreich in Folge des Staatöftreich® 
vom 2. Dec 1851 eine Zeit lang fich zu trüben ſchien und die Unterhandlungen wegen Aufhe⸗ 
Sung des Nachdrucks zu keinem Refultate führten. Während der Wirren zwiſchen Oſtreich 
und Preußen wünfchten und betrieben zwar Wiele Die Losreifung Limburgs vom Deutfchen 
Bunde; aber bie Regierung, fo fehr fie das Misliche des Doppelverhältnifies diefer Provinz 
fühlte, enthielt ſich diefer Beftrebungen. Cine Spannung, welche zwifchen ber Regierung und 
dem nach größerer Unabhängigkeit firebenden Großherzogthum Luremburg fortbauernd herrichte, 
vermochte auch dieſe liberale Verwaltung nicht ganz zu heben. Der Zuftand der Colonien ge» 
Raktet ſich Dagegen trog der Opfer, welche Die Kriegsoperationen gegen bie Ghinefen in Sambus 
foderten, immer erfreulicher. Das aus der ind. Kaffe fich ergebende Boni figurirte auf dem 
Budget der Mittel und Wege von 1851 für 4,700000 Gloͤn. Die Auffindung beträchtlicher 
Koblenlager auf der Sübküfte von Borneo verfpricht von Jahr zu Jahr günftigere Ergeb» 
uiffe. Un bie Stelle des 1850 abberufenen Beneralgouverneurs von Nieberländifch-Indien, 
Baron von Rochuffen, trat Duymaer van Twift, früher Praäſident der zweiten Kammer. 

Wahrend das Gabinet Thorbecke fo umfichtig und erfolgreich, zwiſchen dem ertremen Con- 
ſervativismus umd den unreifen Ideen der Demokraten bie Mitte haltend, feine Bahn verfolgte, 
wurde plöglich die proteft. Bevolkerung bes Landes durch eine päpftliche Allocution vom 7. März 
1853 aufgefchredit, weiche bie Wiederherftellung von Bifchoffigen in Holland ankündigte und 
bez eurz Darauf ein apoflofifcher Brief folgte, in bem bie bürgerliche Einfheilung von fünf neuen 
Maifligen Sprengeln feftgefegt wurde. Es entwickelte fich hieraus eine fo heftige umd allge» 
meine anutatholiſche Agitation im Lande, wie fie feit der Reformation nie dageweſen, und man 
beflürnzte Die Negierung und ben Thron mit Petitionen. Trog der Aufregung erflärte bie Mes 
sierung, daß fie an und für fich der Errichtung von Biſchofſitzen verfaffungsmäßig nicht ent⸗ 
gegentzeten könne Das Goncorbat von 1827 fei aufgehoben, und nur in Hinficht ber bei 
Diefer kirchlichen Umgeftaltung befolgten Form, wonach die Rüdfichten gegen bie Megierung 
Kintangefegt worden, werde bie Regierung bei dem röm. &tuhl eine Klage einreichen. Diefe 
auf Die beftchenden Gefeyr gegebenen Erklaͤrungen erbitterten und erregten die öffentliche Mei- 
nung ungemein, obfedon es das Gabinet in den Generalſtaaten noch zu einem Vertrauens votum 
von 43 Stimmen gegen 12 brachte. Deſſenungeachtet glaubte ſich der König dm Drange bei 


312 Riederländifche Kun 


Umftände fügen zu müffen, indem er das Minifterium entlie$ und an deſſen Stelle ein zwar 
noch gemäßigt-liberafes, aber ftreng proteftantifches annahm. Bon ben frühern Diniftern be 
hielten in dem neuen Gabinet Pahud (Colonien) und Forſtner von Dambenoy (Krieg) ihre 
Portefeuilles, während van Dad (Auswärtiges und ref. Cultus), Donker Curtius (Jufliz), 
van Reenen (Inneres), van Doorn (Finanzen) und Lightenvelt (kath. Cultus) hinzutraten. 
Außerdem wurden bie Kammern aufgelöft und traten 14. Juni in ihrer neuen Geflalt wieder 
zufammen. Die Regierung, zu deren Gunften die Wahlen ausfielen, befchloß zwar, an ber Ver⸗ 
faffung von 1848 feftzuhalten, dagegen das Gentralifationsfyftem des abgetretenen Gabinete 
zu mäßigen, deffenungeachtet aber dem Staate gefegliche Mittel zu Tchaffen, das Gleichgewicht 
zwifchen den verfchiedenen religiofen Parteiungen vor Berlegungen zu bewahren. Die Adreſſe 
auf die in diefem Sinne gehaltene Thronrede lautete fireng minifteriell und wurde Ende Juni 
mit 45 Stimmen gegen 13 angenommen. Unter den neuern Schriften über niederl. Geſchichte 
find zu erwähnen: van Kampen, „Geſchichte der Niederlande” (2 Bde, Hamb. 1831 —35) 5 
Leo, „Zroölf Bücher niederl. Gefchichte” (2 Bde. Halle 1832— 35), welches Werk bie mittel- 
alterliche Geſchichte umfaßt; Janſſen, „Geſchichte der Niederlande” (deutich, 3 Bbe. Aachen 
‚1840); @rattan, „History of the Netherlands” (2ond.1830; deutfch von Friebenberg, Bed. 
4831); Davies, „The history of Holland and the Dutch nation“ (3 Bbe., Lond. 1851). 
Niederländiſche Kunft. 1) Baukunſt. Für die Baukunſt find befonder& die ſüdlichen 
Niederlande überreich an glänzenden Werken ihrer commerciellen Blüsezeit, bes 14. und 15. 
Jahrh.; von ältern Gebäuden find nur die Kathedralen von Tournay aus dem 11. Jahrh., von 
Brüffel aus dem 13. Jahrh. und einige Kirchen in Gent und Lüttich von Bedeutung. Abgeſe⸗ 
ben davon, daß die große Maffe der Bauten alfo ſchon in die zwei Tegten Jahrhunderte des Mit- 
telalters, in die Zeit des ausartenden goth. Stils Fällt, machte auch ber Mangel an großen Qua⸗ 
dern die ſchlanke Ducchfichtigkeit, wie fie die beffern deutfchen Bauten zeigen, unmöglich. Die 
Berzierungen erfcheinen daher bei aller Zierlichkeit meift an die Mauer geklebt, und bie freifte- 
henden Spitzthürmchen und andere felbftändige Schmucktheile fehlen faft burchgängig. Dagegen 
iſt die Perfpective des Innern meift von großer Gonfeguenz und Reinheit. Befondere Ermäh- 
nung verdienen die Dome zu Antwerpen, Löwen, Mecheln, Gent, Brügge, fowie zu Bruffel in 
der aus dem 16. Jahrh. ſtammenden Fagade des erwähnten Doms; beögleichen in Holland ein- 
zelne Kirchen zu Amſterdam, Utrecht, Derzogenbufch, Rotterdam unb Gröningen. Nur iſt bei 
diefen hol. Bauten die Ornamentation weit ärmer, das Gewölbe oft blos von Holz und ftatt 
der Pfeiler auf Säulen geflügt. Überhaupt aber hat die niederl. Kunft dem german. Stil, fei« 
nem Princip faft ſtracks entgegen, einen Ausdrud auf das Praktifche, Unkünſtleriſche hin ge- 
geben, ber mehr das leibliche als das höhere, geiftige Lebensbebürfniß ind Auge faßt. Daher 
entwidelte Belgien den: größten Lupus in feinen Stadthäufern und Hallen, z. B. in Brüffel, 
Gent, Brügge, Ypern, Dubenarde; ja das prachtvollfte Gebäude Belgiens ift vieleicht das 
Stadthaus von Löwen aus dem 15. Jahrh., ſodaß vornehmlich an Bauten ſolcher Art ſich die 
architektonische Ausbildung entfaltete. Mit dem 16. Jahrh. eignete ſich Belgien ben Renaif- 
fanceftil ungefähr in berfelben Weiſe an wie das norbmeftliche Deutfchland; doch ift kein Bau⸗ 
werk erften Rangs aus diefer Zeit erhalten. In der Folge machte ſich auch hier ein firengerer 
Claſſicismus geltend, obfchon im Allgemeinen aus dem 17. und 18. Jahrh. in Belgien nur wer 
nige namhafte Bauten vorhandenfind. Das Bedeutendſte ift mol der neue Stabttheil in Brüffel, 
welcher unter der Kaiferin Maria Therefin erbaut wurde und die Place royale, ben Park und 
die Rue royale zu einem Ganzen von vortrefflicher Wirkung macht. Im 17. Jahrh. glängten 
als Hol. Baumeifter der auch als Bildhauer ausgezeichnete be Keyzer und vorzüglich van Kam⸗ 
pen, der Erbauer des Stadthauſes (jept königl. Palaftes) zu Amſterdam, welchem ber Morif- 
palaft im Haag an bie Seite zu ftellen ift. Seitdem aber fchuf die Baukunſt in Holland, mit 
Ausnahme weniger, den frühern nicht vergleichbaren Kirchen und öffentlichen Gebaͤude, kein 
bedeutendes Werk, worauf allerdings die Natur bes Bodens und ber gänzliche Mangel 
mifcher Bauftoffe, vielleicht auch nicht minder der in der republikaniſchen Verferlung begrun- 
bete @eift der Gleichheit eingewirkt Haben. Bequemlichkeit und Reinlichkeit wurden immer mehr 
das eigenthümliche Bepräge Hol. Baukunſt; nirgends Großartigkeit, nirgmds auch nur Zier⸗ 
lichkeit, al& da, mo fie mit häuslicher Annehmlichkeit nothwendig verbunden war. Am meiften 
zeichneten ſich noch die Kandhäufer als ſchöne Bauwerke aus, was fry durch die Vorliebe ber 
Holländer für das Landleben erflären laßt. Aus Iegterm Grunde dat auch bie in England ge- 
ſchaffene neuere Gartenkunſt, trog aller natürlichen Hinderniffe, Hier faſt eine allgemeinere Ber» 
breitung gefunden als ſelbſi in ihrer urfprünglicgen Heimat. Im neuern Zeiten hat bie Wieder⸗ 


Niederlänbifche Kunft 313 


erhebung Hollands und die Bildung des Königreich ber Niederlande, wie den Künſten über- 
baupt, fo auch ber Baukunſt einen neuen Auffhwung gegeben, indem der Schug der Regierung, 
begünftigt vom Hofe, ein mächtiges Förderungsmittel wurde. Der früher ſchon in den nörd- 
lichen Provinzen fo treffliche Kanalbau erhielt jegt noch wefentliche Verbefferungen; die Heer⸗ 
firaßen, deren Vervolltommmung bie ——— des niedrigen, faſt überall/ſchwankenden, 
von Flüſſen und Kanälen durchſchnittenen Bodens große Hinderniſſe entgegengefegt hatte, 
wurden nach dem Muſter der belgiſchen in prächtige Kunſtſtraßen umgewandelt, ſoviel die Ort⸗ 
lichkeit es erlaubte. So verbreitete ſich, da auch die füblichen Provinzen die Vortheile der Civi⸗ 
liſation theilten, über das ganze Land bald ein Neg von Land» und Wafferwegen, wie e8 wol nie 
ber Gewerbſamkeit umd bem Handel in irgend einem Lande fich darbot. Nächft der Wafferbau- 
kunſt blieb auch die bürgerlihe Baukunſt im Fortfchreiten nicht zurüd. Belgien ſowol mie 
Holland verſchönerten immer mehr bie Städte und ihre Umgebungen. Denn menn man auch 
m Nordniederland nicht jene großartigen Anlagen findet, die in Brüffel, Lüttich und andern 
beig. Städten neue Stadttheile gefchaffen und das frühere Anfehen derſelben gänzlich umge 
wandelt haben, fo wird das Auge doch auch hier durch Verſchönerung der Straßen wie ber ein- 
jelnen Gebäude erfreut. Namentlich hat fich in dieſer Hinficht Leeuwarden ausgezeichnet. Auch 
verdienen die öffentliche Spaziergänge einiger Städte, wie bie von Arnheim, Harlem, neuerdings 
auch von Utrecht, ber Erwähnung, ganz vorzüglich aber bie neuen &xhöpfungen in dem prächti« 
gen Walde von Haag, welche die Promenaden mit ben Dünen und dem Meere verbinden und 
den ſchoͤnſten öffentlichen Garten bilden, den irgend eine Hauptſtadt befigt. Die zahlreichen 
öffentlichen Bauten ber Reftaurationsepoche, befonders bie des Hofarchitekten Roelands, huldi⸗ 
gen dem damaligen franz. Claſſicismus mit mehr oder weniger Pracht und Geſchick. Beſon⸗ 
dere Erwähnung verdienen die Paläfte des fpätern Königs Wilhelm II. zu Soeſtdijk und Ter⸗ 
vueren, das glänzende Univerfitätsgebaube zu Gent, ſowie die Theater zu Brüffel und Lüttich. 
Unter ben belg. Bauten feit 1830 dürfte der prachtvolle Juſtizpalaſt in Gent bie erfte Stelle 
einnehmen. Bemerkenswerth ift auch daſelbſt die Marienkirche in ber Vorſtadt Schaerbed, 
welche im reichiten byzant. Stil ausgeführt wird. Das Stadthaus zu Löwen erhielt 1850 die 
bis dahin noch immer fehlenden Bildfäulen in Die Nifchen feiner Fagaden. 

2) Die Bildhauerkunft fand im Mittelalter an den niederl. Kirchen geringere Anwendung 
als anderswo, indem man des Materiald wegen ben bildlichen Schmud der Portale, Rifchen 
u. f. w. im Ganzen vermied. Die Bartholomäustirche in Küttich enthält ein vortreffliches eher- 
nes Taufbecken mit Reliefs aus dem 12. Jahrh. Aus der Renaiffancezeit verdient der große 
Kamin im Juftizpalaft zu Brügge Erwähnung, welcher in prächtiger Holzarbeit Karl V. und 
feine Verwandten barftellt. Aber auch jegt und fpäter menbete die niederl. Kunft der Sculptur 
ein weit geringeres Intereffe zu ald ber Malerei; überhaupt Hat fie niemals in der Plaſtik einen 
eigenthũmlich nationalen Geift entwidelt. Aus ber fpätern Zeit nennen wir Willem van Zett- 
tode und ben ſchon erwähnten de Keyzer, den Letztern als Bildner des Mauſoleums Wil- 
helm's I. in Delft. Van der Bogaard ging, fein Vaterland verlaffend, nad) Paris, wo er den 
Ramen Desjardins annahm und an dem Hofe Ludwig's XIV. großen Ruhm einerntete. Ahn- 
liches gilt von Pouffin’s vertrautem Freunde, Fr. Duquesnoy aus Brüffel, beffen Meifter- 
werte Italien aufbewahrt. Duquesnoy war einer der tüchtigften Künftler feiner Zeit, verhält 
nigmäßig frei von Manier und befonders in anmuthigen Kinderflatuen ausgezeichnet. Nach die- 
[en Meiftern, denen noch der Holländer Zavery und Quellin aus Brüffel beizufügen find, ent- 
behrte die Sculptur einen langen Zeitraum hindurch, ben Holländer Matthieu abgerechnet, der 
Hand eines tüchtigen Vertreters, bis fie erft in neuern Zeiten, befonders in Belgien, ſich wieder 
emperhob. Unter den dafelbft fich auszeichnenden Künftlern haben Parmentier, Salloigne, 
Godecharles, van Geel, unter den Holländern Gabriel zu Amfterdam rühmenswerthe Kunft- 
werke geliefert. Auch Royer im Haag und Keffeld aus Maftricht (iept Profeffor in Münden) 
find mit Auszeichnung zu nennen. Sie werben indef an Zahl und Originalität ihrer Werke von 
den neueften belg. Bildhauern übertroffen, unter welchen fich beſonders Geerts, von dem die 
goth. Prachtflügle im antwerpener Dom herrühren, Geefs, Fraikin, Saquet, Poelaert (Monu- 
ment für den Nauonalcongreß) u. U. berühmt gemacht haben. Die Neigung ber jegigen Zeit 
iu Dentftatuen hat auch in Belgien treffliche Werke diefer Art hervorgerufen. Rubens hat fein 
Denkmal in Antwerpen, Rembrandt (feit 1852) in Amfterdanı durch Royer erhalten, von dem 
auch die Bildſäule für Lorenz Kofter und de Ruyter’s Denkmal in Vlieffingen find. Die beiden 
Kimige von Holland, Wilhelm I. und IL, haben ebenfalls ihre Standbilder erhalten; ferner 
Gretry in Lüttich, 3. van Ey in Brügge, General Belliard in Brüffel u. ſ. w. 


234 Niederlandiſche Auuft 


5) Die Medeilleurkunſt, die einft im tlaſſiſchen Alterthum, fowie im 15. Jahrh. in Itallen 
blüpte, verbient bier einer befondern Grwäahnung, ba fie nirgenb# fo- cultivirt worden oe wie in 
den Niederlanden. Schon Janus Secundus, weichen Karl V. durch feine —— ee u und 
der Stalien und Spanien bereiſte, brachte es zu eines feltenen Fertigkeit darin. Eime hohe Wo: 
kommenheit erreichte dieſelbe aber. beſonders zu: Zeit bes Kampfo —* Spyanien und ben 
Niederlanden, wa eine außerordentliche Menge Sifterifcher Derkmüngen —— auf Bes 
fehl der Beneral- und Prorinzialſtaaten geprägt iunzben, um ben 
tan und zu, beleben. Nachmals fand diefe Kunfl eine neue Gtüge in der rohen Borie der 
Holländer an Münzcabineten. Als ausgezeichnete Medailleurs des 17. Jahrh. werben genannt: 
Pieter van Abeele, Pool, Boskam, Smelging, fowie ber ber kath: Partei angehoͤrende Jean Ba- 
rin aus Lüttich, welcher unter Ludwig XIII. von Frankreich bie günfligfte Aufnahme fand; enden bem 
48. Jahrh. Schepp, Holghey, van Calcar, Dishoed, van Berdel, Lageman. Boch find die 
ten bes 17. Jahrh. im den dieaudgezeichnetern, ſowol in ber Eräftigen Ausführung Re 
als in Erfindung der Rüdfeiten. Gegen das Ende bes 18. Jahrh. verlor fich mit bes Hall. Reich⸗ 
thum auch die Pflege jener Kunft bei den NRieberlänbern. Reuerlich iſt fie jeboch durch die nr 

munterung der Regierung wieber gewedit worden, und es find ald Künfkter: biefes. Facht Kieis 
Landing (geft. 1827), bie beiden van ber Kellen, Braemt, J. F. Schomberg und befonbers van 
ber Chijs in Leyden zu erwähnen. Legterer ifl ac als thätiger Schriftſteller über dieſen Zweig 
ber Kunft aufgetreten und hat unter Anderm feit 1855 eine „Tüdschriftvoor algemeone Munt- 
en Penniugkunde”' herausgegeben. 

4) Die Malerei in den Rieberlanden hat ſeit dem Mittelalter eine fo gewaltige Stellung gu 
Leben und zur Geſchichte der Nation eingenommen, daß fie an Ausdehnung und Wichtigkeit 
igrer Leiflumgen zumächſt nach der ital. Schule genafint zu werben,verbient: Ihr Charakter iſt 
gegenüber dem ber legtern im Großen und Ganzen als Naturalismus und Inbivibusaliftif aufe 

 aufaflen, welche beibe Richtungen fie oft bis ind Extrem verfolgte: Dat nun bie niederl. Schule 
auch das höchfte Ziel der Kumft, bie Darſtellumg eines Höhern in ber Wenfchermatur, nie vollig 
erreicht, fo iſt fie auch von ibenliflifcher Manier und Unnatur bad bie Befundheit ihres — 
freier geblieben als irgend eine andere Schule; fie hat nicht nur bie höchſten Triumphe deö 

lorits aufzumeifen, fonbern auch einen wahrhaft erftaunlichen Reichthum an *2 
Kraftſchöpfungen und an dramatiſchem Leben. Das 14. Jahrh. hindurch war bie nieberl. Ma» 
lerei noch ein Ableger der deutſchen und gehörte der german. Spealiftenfchule an. Gegen Ende 
deffelben Jahrhunderts jedoch erwachte mit ber altflandrifen Schule ber Brüder van Eyd 
(f. d.) die Darftellung des unmittelbaren Lebens, die porträtartige Auffaſſung ber Geſtalten, 
bie Landfchaft, die-Perfpective, mit einem Worte ber Realismus ; zugleich erreichte das Golorit 
eine Intenfität und Blut wie in keiner fpätern Schule. Dem Hervortreten dieſes unabhaͤngigen 
Charakters der flandriſchen Schule leiftete bie Technik der Olmalerei, deren Erfindung Johann 
van Eyck zugefchrieben wird, wefentlihen Borfchub. Zur altflandrifchen Schule werben gerech⸗ 
net Gerhard van ber Meeren, Dugo van ber Goes, Juſtus von Bent, Rogier von Brügge, 
welche Schifer und Nachfolger der Eyck waren. Der Letzte, der eigentlich van der Wenden 
beißt, weicht fchon durch noch mehr durchgebildetes Naturftubium ab. Sein Schüler, Jan 
Memling, vertritt wieder ein neues Entwidelungemoment ber Schule, indem er Anmuth und 
Formenfülle hineinbringt. Befondere Gruppen bilden einerfeits die aͤlteſten Holaͤnder, bie un- 
ter dem Einfluffe ber flandrifchen Schule flanden, wie Dierid Stuerbout, Lucas von Leyden, ber 
Gründer des Genrebilds, u. A.; anbererfeits die brabantiſchen Maler um 1500, wie Quentin 
Meſſis, Rogier van der Weyde u. A, welche der fchärfern Charakteriſtik, dem bramatifchen 
Ausdrud nachſtrebten und denen dann eine große Anzahl von Nieberländern umter ital. Ein- 
flug füh anſchließt. Zu Letztern gehören Mich. Coris, Mabufe, I. von Kalcar, Franz Briendt, 
genannt Floris, den man ben flandrifchen Rafael anne; ferner Mart. de Vos (geb. 15) 
u.% Mit Pet. Breughel, dem fogenannten Bauern - Breughel, feinen &öhnen Peter, bem 
Höllen-Breugpel, und Johann, dem Sammet-Breughel, fonie mit Roland Savery aus Gour- 
tray gewann die Landſchaft und das Genrebild eine unabhängigere Entwidelung. Zwar rif 
der Religionskrieg die beiden Hälften der Niederlande auseinander, und auch bie beiden Schulen, 
die vlämiſche und bie Hol. Schule, trennen ſich entſchiedener, wirken aber bed fo fehr aufeinan- 
ber ein und haben fo viele Maler gemeinfchaftlich, daß bie Trennung oft fehr fhwierig ift. Als 
Hauptthatſache kann mdeffen betrachtet werben, ba bie hollaͤndiſche Schule ſich feit dem 
17. Jahrh. mehr und mehr auf das Genrebild, das Porträt und bie Landſchaft beſchränkte, 
während die vlaͤmiſche Schnle mit Nubent noch ein mal eine hereiſch⸗kirchliche Malerei ſchuf 











j Niederlandiſche Kun 315 


nd jene Fächer mehr fecundar behandelte. Pet. Paul Rubens (ſ.d.), 1577-1640, ber Fühnfie, 
mfaffendfte Maler neuerer Zeit, ifl ber zweite Begründer bes Ruhms biefer Schule, ein Mann 
on unerfchöpflichem Fleiß, von riefenhafter Phantaſie und Darſtellungskraft, bem man gegen 
000 Gemälde zufchreibt, von benen jeboch manche von feinen Schülern gemalt und von ihm 
ur retouchirt wurden. Mit Rubens bob fich die vlämiſche Malerei auf ihren Gipfel. Mehre 
ußgezeichnete Künftier lebten gleichzeitig mit ihm : Franz Snybers, deſſen Sagbftäde alle an 
een an Wahrheit und Kühnheit übertreffen; Jodocus Momper, Paul und Matthäus Bril, 
eren Bergthäler dem Auge angenehme Fernen zuführen; Peter Reef, ber berühmte Kirchen- 
salerz; Zeniers, Bater und Sohn, bie in Darſtellung von Bauerngefellfhaften, Dorffeiten, 
Vachtſtuben u. ſ. w. kaum ihresgleichen haben; Kasp. de Grayer, geb. 1582, ber fich in feinen 
iſtoriſchen Gemälden an Ausdruck und Golorit dem Rubens nähert; Gerhard Gegers, als Hi- 
orienmaler ebenfo tüchtig, wie fein Bruber Daniel als Blumen⸗ unb Infeltenmaler. Unter der 
roßen Zahl von Rubens’ Schülern zeichnen fi) aus J. Jordaens, U. van Dyd (ſ. d.), U. Die 
enbedd, Z. van Tulden, E. Quellinus u. U. Der ämfige Lucas van den, 3. Breughel und 
1. Wildens lieferten zuweilen bie Landfchaften zu Rubens’ Malereien. Ant. van Dyd erwarb 
& nächſt Zizian und Holdein den Ramen bed Könige der Porträtmaler und übertraf Rubens 
und; Reinheit und Schönheit der Formen. Adrian Broumwer erwarb ſich Ruhm durch feine 
Yarflellungen aus dem gemeinen Leben; Joh. van ber Meer durch feine Hirtenſtücke; Ant. 
franz van der Beulen, ber aber mehr in Frankreich ald Hofmaler Ludwig's XIV. malte, bdurch 
ine Schlachten, und Franz Millet, genannt Francisque, durch feine Landfchaften. Außerdem 
aben ſich in biefer Schule ausgezeichnet: Ferd. Bol, Beim. van Balen, Jak. Fouquieres, PH. 
on Champaigne, Fat. vom Artois, Bonav. Peters, Gonzalez Eoques, Pet. Bock, Nicharb van 
‚ Job. Franz van Bloemen u. A. Mit den Enbe des 17. Jahrh. war in der vlämifchen 
Schule ber höhere Lebensathem erftorben. Aus ber unbebeutenden Manier, in die fie verfallen 
ar, echob ſich zuerfl wieder U. Lens (geft. 1822) durch einfache Tüchtigkeit. Dazwiſchen 
oirkten mehe flörend als aufbauend die Schule David's und ihr Claſſicismus ein, fo BD. theil« 
seife bei dem trefflichen van Bree. Erſt in den Schülern bes Letztern und ihren Mitftrebenden, 
, Paelinck, Navez, Odevaere, Wappers, Vervloet, Maes, Brakelaer, Verboeckhoven, 
Zerhuiſt, Biefve, Gallait, de Keyſer u. A. blühte eine neue Schule auf, und zwar eine ber mäch⸗ 
igſten der Gegenwart, die neben ben Genaunten noch folgende Namen zählt: I. van Eyken 
Freoken in der Kapelle von Notre-Dame in Brüffel), Slingenaeyer, Joſeph Stephens, Por⸗ 
else, Iſchaggeny, den Landfchafter Kindermanns, ben ausgezeichneten Architefturmaler Boſ⸗ 
set m. U. Die heutige Schule ruht auf dem Stubium des Rubens, van Dyd und anberer gro- 
ee Borgänger und hat zumal im biftorifchen Fache die reichften, Iebensvollften Schöpfungen 
ufzuweiſen. Charakteriſtiſch ift ihr eine brillante Barbentechnit. Im Übrigen kann fie als ein 
eutrales Gebiet betrachtet werden, welches franz. Einfluß auf der einen und beutfcher auf ber 
udern Geite zu gewinnen firebt. Im biefem Kampfe, ber von Frankreich aus nicht ohne Unter- 
agung ber Preſſe ift, gilt Brüffel als Sig der franz, Antwerpen als Gebiet der deutſchen 
dichtung. Dort fieht Gallait, hier Wappers an ber Spige. 

Die hol. Schule hat in ber Beſchraͤnkung auf ihre Fächer das Höchfte geleiftet und in treuer 
Scilderung bed Lebens der Natur wie bes Menſchen einen unglaublichen Reichthum der Dar- 
ellung wie der Technik, 3. DB. bes Helldunkels, entwickelt, wenn auch ihr Naturalismus oft bie 
Irenzen des Schönen weit überfchritt. Ihr Stifter war ber bereit6 genannte Lucas von Leyden 
[.d.), geft. 1533. Ihre vorzüglichften Künſtler find: Detav. van Veen (Vaenius) aus Leyden 
zeſt. 1634), Rubens’ Lehrer; Abrah. Bloemart von Borkum, Gornelius Eorneliffen von Har⸗ 
ze, Martin van Ben, genannt Heemskerk, u.%., die in ihren Werken mit den Meiftern der 
landriſchen Echule jener Zeit übereinflimmen ; ferner Corn. Poelenburg aus Utrecht, der beſon⸗ 
ers glũcklich in Heinen Landfchaften mit Figuren war, und beffen würdige Schüler Dan. Ver⸗ 
angen und Joh. van Haendbergen, Joh. Wynants aus Harlem und I. Pynaker, als Land⸗ 
haftömaler, und Job. Dan. be Heem aus Utrecht (geft. 1674) durch feine täufchenden Nach 
mungen von Blumen, Früchten, Zeppichen, Gefäßen u. ſ. w. Berühmter als fie Alle wurde 
Remibranbt (ſ. d.), der mächtige Nachahmer ber Naturerfcheinungen, welcher durch die Magie 
eines Helldunkelt alle andern Fehler feiner Gemälde verdeckte; Hermann Saftleeven, ben feine 
Ianbfchaften als einen Liebling der Ratur zeigen. In Geſellſchaftsſtücken zeichnen fih aus 
Berhard Zerbung aus Zwoll (geft.1681), in Landfchaften Joh. Both aus Utrecht (geft. 1650), 
bermann Swanevelt aus Woerden, ber mit Glaube Lorrain und &. Pouffin in Italien lebte 
mb der größte bo. Landſchaftsmaler im höhern Stile war. Joh. Affelyn, genannt Crabetje, 


a RiederländifgeBipeache und: Literatur j 


malte Sglachten Landſchaften und Hirtenſtũcke mit glũhendem Colorit und weichem Auftrag. 
aber kann mem bei richtiger Zeichnung fchöner färben und genauer beleuchten als 
Dow.: “de ven Baer. warb ber a Urheber ber Bamborciaden (ſ. d.); ‘Joh. Fyt malte gute 
ucke, Vögel und Früchte; Gabr. Megu; in Terburg!s: Manier arbeitend, übertraf biefen 
noch im markigen Pinfelftrich, und die Landfchaften Breemberg’s find voll Eeben und Friſche. 
. Bouverman, ber: berühmtefte exkemaler, lieferte Schlacht und Jagdſtücke Dee 
| , Reifende und Räuber, ‚Ant. Waterloo Lanbichaften, welche. Joh. Weenix mit Fi 
und bieren ſtaffirte (doch iſt Erſterer berühmter durch feine unvergleichlichen radirten BI (ter). 
Berghem erwarb fi den Namen des Theskrit. der Maler und Paul Potter den bet größten 
Thiermalers. A. van Dſtade und feine Schüler C. Duſart und C. Bega waren. im Herren 
und treuer Abfpiegelung ber Natur ausgezeichnet; J. Steen übertraf fie jedoch an fröͤhlich 
Humor und ſchalkhaftem Lieffinn. Während Ludolf Backhuyſen fo (gön als were fine 
Geeftürme malte und Wilh. van be-Belbe feine fpiegelhellen ruhigen ae ed pn 
Franz Mieris durch eine äuferft feine und richtige Sehandlung vieler Geg 
lichen Bebens aus, und kaum war Joh. Peter Slingeland genauer. 
Dordrecht ift bis jept in Beleuchtung Scenen:unübertreffen. —— 
Spin Landfchaften malte Karl bu Jardin; Adrian van de Veide Landſchaften und Eher 
mit faſt uneteichbarer Bolltonrmenheit. Damals beſaß Holland au einen ber ‚größte 
ſchafte maler aller Zeiten, Jak. Ruysbael (ſ. d.), ie Landſchaften bie gewaltige * 
poetiſcher Stimmungen find. In Darſtellungen einſam ſchoͤner Ratur zeichneten ſich außerdem 
ber Frieſe M. Hobbema, N. Verboom und R. de Vris aud; in ſtillen, lieblichen dſchein⸗ 
gemãalden ˖ A. van der Neer. Zarter, aber auch manierirter bat kein anderer MRaler feine Heinen 
Geſchichten bis auf unbedeutende Nebenſtücke ausgearbeitet als Adrian van der Werf. Der 
—— * vu van. — — ı Fri ——— wurde übertroffen von Dem, weichen in biefer 
Gattung bt hat, meet b.). Dielen find noch beizu- 
nd. Fand, ——— Joh. van Raveſtein, Joh. van Goyen, Barthol. van der Heiſt, 
tto Marcellis, der große war —— Bann, di Be Everbingen, rw eine. Modes, 
Berbrond van den Eeckhout, F. B 
A. Cuyp, Heine. Verſchuring, —ãe Y van der —* Melchior —æ** * * der Hey⸗ 
ben, E. van der Neer, Joh. Glauber, Joh. van Huchtenburg, Joh. Verkolie, Karl be Moor 
Rachel Ruyſch (ausgezeichnete Blumenmalerin), Friedr. und Iſaak Moucheron, Gerh Latreffe, 
Joh. de Wit und Corn. Troofl, genannt der hol. Hogartb. Im 18. Jahrh. war auch in der 
holl. Schule die Originalität erfiorben, und erſt bie neuere Seit hat durch ein bewußtes Zurüd- 
geben auf bie claſſiſchen Mufter, zumal in der Landfchaft, bedeutende eigenthümliche Leiſtungen 
hervorgebracht. Eine ehrenvolle Erwähnung verdienen unter ben neuern holl. Malern: bie 
Hiftorienmaler Krufemann, Pienemann (geft. 1853), van Beveren (geft. 1852); die Genrema⸗ 
ler Wonder, Teerlink, Verſteeg (geft. 1845), I. Kobell (geft. 1782, ausgezeichnet als Land⸗ 
ſchafts· und Marinemaler), J. van Trooſtwijk (geft. 1810), van Hove (Interieur) u. U, ganz 
befonder& aber der treffliche Hiftorienmaler Eeckhout und die Landſchafter Koekkoek, van DE 
und Schelfhout, welche einen europ. Namen haben. Ausgezeichnetes leifteten auch Bald, 
Backhuhſen, Nuyen und ber Marinemaler Schotel, im Stillieben und Genre Schendel, Boelen 
md Woenfel, in ber Blumenmalerei van Dad. Günftigen Einfluß übten die Maleratabemien 
zu Antwerpen und Amfterdam, fowie bie Kunftausftellungen in Amfterdam, Gent, Hang, Ant- 
werpen, Brüffel u. |. w. Dagegen Eennt man bas Inflitut der Kunfivereine in Holland und 
Belgien nicht, vielmehr ift ber Bilderverkehr fo groß, daß berfelbe jener Bermittelung nicht be 
barf. Einen großen Verluft hat Holland 1850 Dura ben Verkauf ber ſchönen Sammlung des 
verftorbenen Könige Wilhelm II. erlitten. bie frühere niederl. Schule ſchrieb Karl van 
Mander, über die fpätere und neuere Houbzaten, van Gool, van Einden und van ber WBikigen. 
Kataloge ihrer Werke gaben Smith und früher &. Hoet. Vgl. Rathgeber, „Annolen der 
nieder. Kunfl” (Gotha 1839) ; Schnaafe, „Niederl. Briefe” (Gtuttg. und Tüb. 1834); — 
vant, „Beiträge zur Kenntniß der altniederl. Malerſchulen des 15. und 16. Jahrh.“, 
"„Kunftblatt” (1841 und 1843), zugleich mit Waagen's „Nachträgen” (ebendaſ. 1847). 
Niederländifche Sprache und Literatur. In den Gebieten, welche man jegt unter 
dem Namen der. Niederlande begreift, in ben Königreichen Holland unb Belgien, werben gegen- 
wärtig zweierlei Sprachen, romanifche und germanifche, gefproden ; Romaniſch, Franzöfiſch 
und Walloniſch (ſ. d.) jedoch, abgeſehen von ben größern Städten und den Beamtenkreiſen Bel⸗ 
giens, nur im ſüdlichen Belgien, ſodaß die Sprachgrenze anhebt am Meere zwiſchen Calais und 


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Niederländifche Sprache und Literatur a7 


Gravelingen ( Gravelines), dann nördlich Hart über &.-Omer und ferner füblich von Kortryk 
(Courtray) und Geraböbergen (Grammont) fortläuft, endlich zwiſchen Brüffel und Waterloo 
und von da in gerader Linie weiter zwifchen Lüttich und Löwen bis zur Maas ſich hinzieht. Die 
germanifch redende Bevölkerung ber Niederlande leitet ihren Urforung hauptfächlich von drei 
Boltöftänımen ber, von den Franken, den Sachſen und den Sriefen. Xegtere, ſoweit hiftorifche 
Nachrichten reichen, immer in denfelden Landftrichen an der Nordſecküſte gefeffen, haben auch 
in ihrer Sprache verhältnifmäßig nur geringe Anderungen erfahren (ſ. Friefen), aus ber Ber- 
ſchmelzung ber frank. und fächf. Sprache dagegen iſt allmälig eine neue, bie nieberländifche, her⸗ 
vorgegangen. Wann und wie diefe Umbilbung erfolgt fei, vermögen wir nad) dem heutigen 
Standpunkte ber Forſchung noch nicht anzugeben, zumal kein Sprachdenkmal erhalten iſt, was 
über das 12. Jahrh. hinaufreichte und mit Sicherheit in diefe Gegenden gehörte. Das ältefte 
bis jegt betannte batirte Denkmal ber niederl. Sprache iſt eine Keure (MWilltür, Verorbnung) 
ber Stadt Brüffel vom 3.1229; doch mögen einzelne Dichfungen, wie namentlid) der „Rei- 
naort”, wol fchon Der weiten Hälfte des 12. Jahrh. angehören. Gntfprechend dem gleichzeiti- 
gen Sprachſtande in Deutichland, dem Mittelhochdeutſchen und bem Mittelniederdeutfchen, 
nennt man biefe Sprachniederfegumg bis zum 16. Jahrh. das Dittelniederländifche; die gleich 
zeitigen Franzoſen nannten es ihyois ober liesche, die einheimifchen Schriftfteller dietsch und 
daher die Engländer noch heutigen Tags dutch, während die Bezeichnung viaemsch (fpridy : 
vloms, in Brabant) ober viemsch (in Oftflandern) mehr eine provinzielle Bedeutung ober ben 
Rebenfinn ber gemeinen, platten Volksſprache hatte und erft in neuerer Zeit bie gegenwärtige 
weitere Geltung erlangte. Nach feinem Lautflande, deffen Gonfonanten auf der goth. Stufe 
verharrt find (ſ. Deutſche Sprache und Launtverſchiebung) und befien Vocale neben andern 
Trũbungen ein merkwürdiges Schwanken ber Quantität zeigen, ſowie nach feinem Bau und 
TBortfchage ift das Mittelniederländifche dem Mittelniederdeutfchen am nächften verwandt, hat 
jedoch manderlei Eigenthümliches aus feiner dentmälerlofen Zeit bewahrt und anbererfelts 
verfchiebene Störungen durch das benachbarte Franzöſiſche, Deutfche und Frieſiſche erfahren. 
Seine Dialekte find noch gänzlich unerforfcht, waren aber fiher vorhanden. Schon im ‚Reinaert” 
ericheint bie mittelniederl. Sprache volllommen ausgebildet, gegen Ende bes 13. Jahrh. aber ver- 
brängte Maerlant (f. d.) alle feine Vorgänger und galt feitbem als Mufter der Schriftfprache 
überhaupt. Boch nicht lange nach ihm begann die Sprache, zugleich mit der Literatur, zu ſinken, 
indem durch bie burgund. Herrfchaft (1365— 1477) franz. Einfluß fo übermädhtig wurde, baf 
franz. Formen, Worte und Wendungen ſich überall eindrängten uud eine widerliche Sprach⸗ 
mengerei erzeugten. Was ben Kammern (Befellfchaften) ber Rederyker (Rhetoriker), bie etwa 
ben deutſchen Meifterfängern verglichen werben mögen, nicht gelang und bei ihrer Heinbürger- 
lichen Beichränttheit auch nicht gelingen konnte, die Ausſtoßung biefes fremdländiſchen Ele- 
ments und ein neuer Aufſchwung ber Sprache, daB gelang fofort, als das Volk fich gegen bie 
ſpan. Zwingherrſchaft erhob, als es von den großen Ideen der religiöfen und ber politifchen Frei⸗ 
heit begeiftert wurde; aber es gelang auch nur da, wo dieſe Begeifterung ausbauerte und durch⸗ 
drang, im nördlichen, im protefl. Theile ber Niederlande, dem heutigen Königreihe Holland. 
Dirt Volkerts zoon Coornhert und Filips van Marnig, Here von St.⸗Albegonde, waren es 
vornehmlich, die ben nörblichen Dialekt bed Neuniederländiſchen ober das Hollandife zur _ 
Schriftſprache ausprägten; Beide zugleich die erſten niederl. Profaiften, Beide auch Staats⸗ 
männer und nachdrücklich Theil nehmend an dem theologifdhen wie am politifchen Kampfe. 
Goornbert (1522-90) erhob fich zwar in feinen Gedichten und Dramen wenig über die Rede- 
roter feiner Zeit, deren Kammer In liefde bloeijende zu Amſterdam er angehörte, aber feine 
zahlreichen profaifchen Schriften gelten noch jegt als mufterhaft. Seine gefammelten Werke 
erſchienen 1650 in drei Folianten. Marnir (1538—98), obfhon in der Reinheit der Sprache 
jenem nachſtehend, erlangte faft noch höhern Ruhm durch feine fehr oft gebrudten und vielfach 
überfegten (beutfch unter Andern von Fifchart, 1579 und öfter) „Bijenkorf der heil. Roomsche 
Kercke” („Bienenkorb der heil. rom. Kirche”, zuerft gedrudt 1569). Einer von biefen beiden 
Männern (man ftreitet welcher) hat auch um 1569 das noch jegt feibig gefungene Volkslied 
„Wilhelmus van Nassauwen” gedichtet. Der Kampf um die höchften Büter, um Glaube und 
Freiheit, hatte die Holländer zur vollſten Entfaltung aller ihrer Kräfte und Tugenden heraus. 
gefobert. Ihre unerfchrodene Ausdauer, ihr mannhafter republikaniſcher Sinn beftand bie Probe 
und Die Folge war ein mächtiger Aufſchwung in allen Gebieten bes Staats - und des bürgerli⸗ 
chen Lebens, in Krieg, Handel und Colonialweſen, in Gewerbfleiß und bürgerlichen Einrichtun⸗ 
0er, in Wiffenſchaft, Literatur und Kunſt. So begann noch vor dem endlichen Abſchluß des Frie 


RNiederländiſche Sprache und Literatur A 


matit᷑ mit ſolchem Tiefblicke und fo großem Scharffinn, daß feine Entbeckungen noch in un⸗ 
fern Tagen einem Jakob Grimm zum Ausgangspunkte dienen konnten. Sein Haus if 
„Aenleiding tot de Kennisse van het verhevene Deei der Nederduitsche Sprake“ (2 Bbe, 
Amſt. 1725). Neben ihm zeichnete fih beſonders Balthazar Huydecoper (ſ. d.) aus burch ein- 
dringende Kenntniß der mittelniederl. Sprache, bie er in ben Erläuterungen zu feiner Aus⸗ 
gabe der Reimchronik des Melis Stode (1772) und in feinen Anmerkungen zu Vondel's Über- 
fegung von Dvid’s „Metamerphofen“ (1750; 2. Aufl. Durch Lelyveld und Hinlopen, 1782) be- 
wäbrte. Auf bem von ten Kate und Huydecoper gezeigten Wege waren bie bedeutendften 
folger Frans van Lelyveld, Hinlopen, Glignett und Steenwintel, und eine fehr erſprießli 
Wirkſamkeit entfaltete die 1766 gefliftete und noch gegenwärtig blühende Maatschappij van 
Nederiandsche Letterkunde zu Leyden. Gegen Anfang bes laufenden Jahrhunderts gewann 
der ausgezeichnete Proſaiſt van der Palm als Unterrichtsminifter (1799 — 1806) auch einen 
amtlichen förderfamen Einfluß auf ben Sprachunterricht und trug unter Anderm wefentlich bei 
zur Seftfegung einer allgemein gültigen Orthographie nad) dem von Siegenbeek entworfenen 
md durch die Regierung officieli beflätigten Syſteme („Verhandeling over de Nederduitsche 
Spelling“, Anft. 1804 und öfter; „Woordenboek voor de Nederduitsche Spelling“, Amfl. 
1805). Vgl. Willemd, „Over de Hollandsche en Vlaemsche Schrijfwijzen van het Neder- 
duitsch” (Antw. 1824). An Giegenbeet warb auch bie erfte 1795 gegründete Profeffur ber 
nieberl. Literatur zu Leyden verliehen, die er über ein halbes Jahrhundert trefflich- verwaltete. 
Am engften ſchloß ſich an ihn Pieter Weiland, der außer einer ebenfalls officielen Grammatik 
(„Nederduitsche Spraakkanst”, Amſt. 1805) ein großes Wörterbud, (‚‚Nederduitsch taal- 
kundig Woordenboek“, 141 Bde. Amft. 17991811) herausgab. Dagegen befämpfte Ste 
genbeet's Nechtſchreibungslehre W. Bilderbift. Schägensmerth find auch bie fprachwiffenfchaft- 
lichen Ürbeiten von X. Ypei („Beknopte Geschiedenis der Nederlandsche Tale“, 2Öbe., Utr. 
und Grõn. 1812 — 32; „Taalkundige Aanmerkingen over verenderde Woorden in de 
Staaten-overzetting des Bijbels”, 2 Bde., Amft. und Ur. 1807—11), 3. H. Lulofs (‚‚Gron- 
den der Nederlandsche Woordafleidkunde‘, ®rön. 1833); U. de Jager („Taalkundige 
: Handleiding tot de Staaten-overzetting des Bijbels”, Rotterb. 1837; „Over den Invioed 
van Bilderdijk’s Dichtwerken op onze Taal“, Zeyd. 1847; „Taalkundig Magazijn”, Rotterb. 
1835 fg.) und W. G. Brill („Hollandsche Spraakleer”‘, Leyd. 1846). Endlich war auch 
in Belgien mit dem Eifer für bas Vlämiſche wieberum das vaterländifhe Sprachſtudium er- 
wacht und ward buch Männer wie Blommaert, Snellaert und Serxrure rüflig gefördert, vor 
Allen aber durch Willems (f. d.), beffen Thätigkeit für das Mittelniederländifche auch nach 
Holland hinüber anregend zurückwirkte wofelbft num ebenfalls die Forfchung fich entfchiebener 
auf Das Mittelalter zu ſtüten begann und endlich Jonckloet nachdrücklich darauf hinwies, daf 
nur auf den Vorarbeiten Jakob Grimm’s und feiner Benoffen und nur durch beftändige Ber⸗ 
gleichung der hochdeutſchen Sprache und Literatur ein fichered Ergebnif gewonnen werben 
fonne, wovon er felbft ein fchlagendes Beifpiel aufftellte in feiner Abhandlung „Over mid- 
dennederlandsche epischen Versbouw” (Anft. 1849). 

Die Töne Literatur der Riederländer oder ihre Nationalliteratur im engern Sinne hat eine 
univerfalgefhiehtliche Bedeutung nicht erreicht, ſondern nur zuweilen einen vorübergehenden 
und beichtänften Einfluß über die deutfche Grenze hin entwidelt. Defto erfolgreicher aber war 
ihre Zhaätigkeit auf mehren Gebieten der wiffenfchaftlichen Literatur, und ſolches ſchon in ziem⸗ 
lich früher Zeit. Bor Karl d. Br. freilich gab es in den Niederlanden wie in Deutfchland nur 
erft vereinzelte Anfänge wifienfchaftlichen Lebens, aber der uralte Gewerbfleiß ber füdlichen 
Niederlande, der Freiheitsfinn und die Ausbauer ihrer Bervohner, bie günftige Küftenlage des 
Zarıdes mit feinen gewaltigen Strommündungen, bie lebhafte Verbindung mit den bebeutend- 
ſten Eufturländern, mit Gallien, Britannien, Deutfchland, Rom: alle diefe Urfachen zuſam⸗ 
men bewirkten, daß ber von Karl und feinen Genoſſen geftreute Samen raſch aufging, befleibte 
und reiche Frucht trug. Die ältefte Schule, und für die nördlichen Niederlande auf lange 
Zeit hin die einzige von Bebeutumg, ſchloß fi) an den Biſchofſitz zu Utrecht im Friefenlande, 
und $riefen, von jeher ausgezeichnet durch Körperkraft und geiftige Energie, durch ſittüche und 
religiöfe Tiefe, durch Freiheits ſim und Feſthalten am Einfachen und Natürlichen, waren es 
vornehmlich, bie damals zu den höchften kirchlichen Würden in Deutfchland berufen wurben, be» 
ſonders wo es galt neue Mittelpunkte des chriſtlichen Lebens zu befeftigen, neue Biſchoffitze, 
die Kraft und Beharrlichkeit erfoderten. So waren Friefen Ludger, ber erfte Bifchof von 
Münfter, Wibo, der erfie-Bifchof von Dsnabrud, Willihad, der erſte Bifchof von Brr—— 


Rieberlänbifhe Sprache und. —— Ei 


ü th ätigkeit, 

bie dahin fo gut als nicht vorhandenen Elementarſchulweſens. In diefer legtern 

gegneten Ipuen bie ——— Aus gleichen Gründen entftanb nach der: 

des il in ben nördlichen Riederlanben eine ähnliche Halb Möfterliche Brüberfihaft, bie 
aber in ihren auf Religienäiwefen und Wiſſenſchaft ungleich bebeutenber wurde: bie 


I gel : Schuleintüh- 

Seine Beftrebun; den allgemeinften Beifall, 
die erſchaft wucht end, ee eng ‚gefannnten Rieberlande unb 
dab angrenzende Deuiſchland aus, und aller Drten entfianden Schulen, bie sbenfe wol wel für bie 
Bebürfniffe der Armen, für Fiementar: Mädchen aus dem Wolke, 
wie für bie gelehrte Bildung forgten. Eine glänzende Reihe der bedeutendften Sehr gm 
aus ben dieſer —ãX erſchaft hetvor, verbreitete bie neue Bildung und Methode weit» 
bin, net ES 


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Yhllslogie wurde und blieb beflimmenber Mittelpunkt für bie wiftenafrichen Ein 
dies in ben Aieherlanben, befonberd in Des nächligem hei, in Hallanı, der son jegt ab in 
fgaftlicher wie anderer Hinficht den üben weit Üüberflügelte. Rach den Schülern ber 
be gemeinen Lebens, von benen Rud. Agricola (f. d.) und Grasmus (f. db.) von Ro& 
die Wirffomteit geübt hatten, erwarben neben vielen Andern ſich bedeu · 
senbe Berbienfte um bie Vhilelogie der —— a aan, die Stili ‚Bubertus 


und 16 Torrentius, der Archäoleg , die Ber. 
rimß, Luras terius, Franc. Modius, Theod. Yulman, Wil. und Ganter, Janus 
Douſa und ber gelehrte und ſcharffinni Be und Kritiker 
fins . b) eine feftere und methedifchere g aber, welche auf lebendige Erkenntnif 
und Erfaffung des Geiftes ber Alten —— ab. der Philologie erſt der große Juſtus 
Joſ. Scafiger (f. d.), der 159% aus Frankreich berufen worden war. Auf ber von 


er yepen Me fo ten der 3* —— — Huge Srs · 
tin Daniel Heim 
Rt Ken Eon m, 6, Jh. —— Du, *** 


—— 

EN 
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ber fleigige Sammler So E der. : aber plane umd geichmackloſe 


Hiederländifche Sprache und Literatur 


reich war bie Thätigkeit Sigebert Haverkamp's, Jak. Phil. d'Orvilles und Job. Dan van 
Lenney’s. — Eine zweite noch gehaltvollere Glanzperiode begann mit dem ebenfo gelehrten als 
geſchmackvollen Tiberius Hemfterhuis (f. d.), der bie von Richard Bentley (ſ. d.) aufgeftellten 
fireng wiffenfhaftlichen Brundfäge der Forſchung und Brarbeitung in ben Niederlanden zur 
Geltung brachte und in David Ruhnkenius (ſ. d.) und Ludw. Kasp. Baldtenaer (ſ. d.) zwei aus- 
gezeichnete Schüler fand, denen mit gleicher Vortrefflichleit Ruhnken's Schüler Dan. Wytten- 
bach (f. d.) aus Bern in der Schweiz ſich anfchloß. Die Auffaffımgs- und Behanblungs- 
weife diefer vier Männer ift für die Philologie in Holland bis auf biefen Tag im We⸗ 
ſentlichen maßgebend geblieben, fogar bis zum Schaden der Wilfenfchaft, indem man, ftatt mit 
den neuern dbeutfchen Philologen (feit F. U. Wolf) die ganze fprachliche wie fachliche Fülle des 
griech. und rom. Alterthums zu umfaffen und zu durchdringen, fogar auf ein engeres Feld zu- 
rückgewichen ift und mit einer gewiffen Hintanfegung des fachlichen Theile und ber lat. Sprache 
und Literatur fich vorzugsweiſe auf die fprachliche Behandlung ber griech. Schriftwerke be- 
ſchränkt hat. Aus diefem jüngften Kreife verdimen befondere Hervorhebung Wilh. van Heusde 
(f. d.), Dav. Jak. van Lennep (f. d.) und die leydener Profefforen San Bate (f. d.), Sat. Geel 
(f. d.), Pet. Hofmann Peerlkamp (f. d.) und C. G. Eobet. Die Gefchichte der moralliſchen und 
religiöfen Bildung in Griechenland behandelte neuerdings van Limburg Broumer (gefl. 1847), 
in der Archäologie leiftete Rühmliches C. I. C. Reuvens. — In ber lat. Poeſie haben 
fich die Niederländer von Alters her mit fo großer Vorliebe geübt, daß Hofmann Peerlkamp 
(„Liber de vita, doctrina ac facultate Nederlandorum qui carmina Lalina composuerunt”, 
2. Aufl., Hart. 1838) 325 folcher Dichter und Versmacher aufzählt, unter denen ſich befonder® 
auszeichneten Sohannes Secundus (1511 — 36), Lävinus Torrentius, Dom. Baudius (1561 
— 1613), Janus Doufa, die beiden Heinfius, Hugo Grotius, Kasp. Barlaeus (f. d.), San ven 
Broekhuyzen (f. d.), Loum (Laurens) van Santen (1746—98), Hieron. van Boſch (f. b.), 
Herm. Bosiha (f.d.), Dan. Fat. van Lennep und Hofmann Peerllamp. — Das Stu- 
dium der morgenländifchen Sprachen und Literaturen erhielt bie erfte Förderung durch 
Juſtus Joſ. Scaliger und durch ben leydener Buchdrucker und Profeffor Rapheleng 
(1579 — 97). Ausfchließlich den orient. Sprachen widmete fi zuerft Scaliger's Schü- 
ler Thom. Erpenius (f. d.); ihm folgten Jak. Golius (f. d.) und Adrian Reland (f.d.). Gleich⸗ 
zeitig mit der claffifchen Philologie erhob ſich auch bie orientafifche um die Mitte des 18. Jahrh. 
zu neuer Blüte durch die Familie Schultens (f. d.), Vater (Albrecht), Sohn (Joh. Jak.) und En- 
gel (Heine. Albr.). Der Vater begründete zuerft ein methodifches Studium auf den mwiffen- 
ſchaftlich geführten Nachweis der Verwandtſchaft der femitifchen Sprachen, und alle drei Schul⸗ 
tens lieferten treffliche Ausgaben und Erläuterungsfchriften. Ihnen folgten mit Auszeichnung, 
aber meift ebenfalls das Arabifche einfeitig bevorzugend, Nil. W. Schröder, Everard Scheid, 
Egbert Jan Greeve, ferner der Archäolog Reuvens (f. d.) und beſonders Hamaker (1789— 
1835), denen in neuefter Zeit fich anfchloffen Roorda, Weyers, Juynboll, Uylenbroek, Mzy 
und der namentlich un die ägypt. Alterthümer verdiente Archäolog Leemans (f.d.). Endlich 
ward auch das Japanifche bearbeitet durch Siebold, und die malayifchen Sprachen, befondere 
das Javanifche, fanden in Roorda einen verdienten Pfleger. 

Die wiſſenſchaftliche Theologie Hat, abgefehen von den philologifchen Theile, in den Nieber- 
landen feit ber Reformation nur geringe Förderung erfahren, obfhon auf allen holl. Univerfi- 
täten fehr bald proteft. Profeffuren errichtet wurden und die Regierung, mit feltenen und vor- 
übergehenden Ausnahmen, ſiets einfichtig genug war, ber Wiffenfchaft ihren freien Lauf zu 
laſſen. Weil aber neben dem Lutherthume auch die ref. Lehre fehr bedeutende Ausbreitung fand, 
und ihre Anhänger fich überdies in ftrengere Calviniſten und freiere Zwinglianer ſchieden, auch 
endlich noch mancherlei Sekten fich geltend zu machen fuchten, griff von vornherein eine wibder- 
liche und gehäffige Streitfucht fo wuchernd um fich, daß fie bis nad) der Mitte des 18. Jahrh. 
faſt jeden Verſuch eines unbefangenen wiſſenſchaftlichen Fortſchritts erſtickte und den kühnern 
freimüthigen Forſcher zu Zeiten ſogar mit Gefahr der Freiheit und ſelbſt des Lebens bedrohte. 
&o ward der leydener Profeffor Jak. Arminius (1560— 1609) als Vertreter der freiern Pra- 
deftinationslehre von feinem Sollegen Franz Gomar fo heftig befämpft, daß der Streit aufs 
politifche Gebiet hinüberfchlug, die fiegenden Gomariften (f. d.) in ber Dortrechter Synode 
(1618 —19) den ftrengen calviniftifchen Lehrbegriff aufs neue durchfegten und befefligten, bie 
Arminianer (f. d.) oder Remonftranten aber theild vertrieben wurden, theils gefangen gefekt, 
wie Hugo Grotius, theils gar auf dem Echaffote endeten, wie Ofdenbarnevelbt. Über biefelbe 
Srädeflinationsichre entbrannte gleich darauf felbft auch in den füblichen Niederlanden ber hef- 


Niederländifche Sprache und Literatur 2333 


tige Streit ber Janfeniften oder der Anhänger des Comelius Janſen (f. d.). Eine flille und 
hoͤchſt verdienftliche Thaͤtigkeit entfalteten indeß einige Jeſuiten (feit 1643), befannt unter dem 
Namen der Bollandiften (ſ. d.), durch die Herausgabe der „Acta Sanctorum”. Für dieref. Kirche 
in Holland gab die Philofophie bed Carteſius Veranlaſſung zu einer neuen bis tief ins 18 
Jahrh. hineinreichenden Spaltung, welche mit dem Streite des cartefianifchen leydener Profefe 
ford Joh. Coccejus (f.d.) und des fireng calviniftifchen utrechter Profeſſors Gyobert Voet (1588 
— 1679) über die Sabbathsfeier und die verbindende Kraft der Zehn Gebote begann. Ebenfalls 
durch Sartefius zum Selbftdenten angeregt, befämpfte Balthafar Bekker (ſ. d.den verberblichen 
Wahnglauben an die Gewalt des Teufels auf Erden und die damit zufanmenhängenden un 
menfchlihen Herenverfolgungen. Eine von der Dortrechter Synode angeordnete Überfegung 
der Bibel aus dem Grundtegte, die fogenannte Staatenbibel, war 1637 erfchienen, auch hatte 
bereits Hugo Brotius den Weg zu einer unbefangenen, rein philologiſchen Schrifterflärung ge 
zeigt, und Joh. Jak. Werftein (1695— 1754) einer Eritifchen Ausgabe des Neuen Teſtaments 
vorgearbeitet ; aber eine freiere und wifienfchaftlihere Auffaffung der Theologie begann erſt 
gegen Ende bes 18. Jahrh. burchzudringen, beſonders durch die Bemühungen von H. A. Schul- 
tens, van Vloten und dem unter Erneſti's Einfluffe ſtehenden Eyegeten und Dogmatiker Joan 
van Voorſt, denen im Laufe unfers Jahrhunderts Borger, van engel, Roifaarbe, Glariffe, 
Kift, Herm. Muntinghe, van der Palm u. U. ſich anfchloffen. Doch mochte bie theologifche Wiſ⸗ 
ſenſchaft in Holland weder auf bem Felde der Kritit und Eregefe noch auf bem der Dogmatik 
dem kühnern Vorfchreiten deutfcher Forſcher nachfolgen, fondern fuchte vielmehr auch in ber 
neueften Zeit möglichft am Pofitiven und an der alten Überlieferung feftzubalten. 

Noch geringer waren bie Leiſtungen der Niederländer von Geburt in der Philoſophie, werm- 
gleich die Republik mehren der eigenthümlichften, fühnften und erfolgreichfien Denker, wie Des- 
carte (f. d.), Spinoza (ſ. d.) und Bayle (ſ. d.), eine Sreiftätte gewährte, wogegen fie freilich an⸗ 
bererfeits den eigenen Sohn Hugo Grotius vertrieb. Auch fehlte es ber Philoſophie bes Garte- 
ſius nicht an zahlreichen Anhängern, unter denen befondere Arnold Geulinx aus Antwerpen 
(1625 — 69) durch weitere Entwidelung des Syſtems ber gelegenheitlihen Urfachen fi 
auszeichnete; und ber Kampf mit ben Gegnern, von benen 8’@ravefanbe (1688-1742) 
den meiften Scharffinn zur Widerlegung von Hobbes und Spinoza aufbot, gab mannichfache 
und lange fortwirfende Anregung, bie auch verfchiedenen Wiffenfchaftögebieten zugute kam; 
allein die Philoſophie felbft ward fo wenig gefördert, daß bie Profefforen zu Leyden fich fogar 
eine Zeit lang förmlich verpflichten mußten, in ihren Vorträgen weder für noch gegen das Sy⸗ 
ſtem des Gartefius zu fprechen, fondern bei dem Ariftotelifchen Herkommen zu verharren. 
Ebenfo wurde fpäter das zumeift Durch Paul van Hemert eingeführte und verfochtene Kant'ſche 
Syſtem weder in feiner vollen Tiefe geltend gemacht, noch gar felbftthätig weiter geförbert, ober 
in feinen Grundfeſten erfcgüttert. Nur die griech. Philoſophie fand, gemäß der philologifchen 
Grundrichtung, eine forgfame und ausdauernde Pflege, die ſich theils in trefflicher philologi⸗ 
fer Bearbeitung der Driginalwerke äußerte, theils auch vortheilhaft auf eigene Erzeugniſſe 
zurückwirkte, unter denen die Schriften von Franz Hemfterhuis (172090), befondere Aus- 
zeichnung verdienen, theils endlich fogar zu den wunderlichſten Verirrungen führte, wie noch in 
neuefter Zeit Ph. W. van Heusde (f. d.) fogar alles Ernftes bie Behauptung aufftellte ımb zu 
begründen fuchte, daß bie Sokratiſche Philoſophie auch ben Bebürfnifien der Gegenwart am 
vorzüglichften entfpreche. — Die Aſthetik ward durch den talent und gefhmadvollen H. van 
Alphen („Theorie der schoone Kunsten en Welenschappen”, 2 Bde., Utr. 1778— 80) 
und feitbem nicht wieder in zufammıenhängender Darftellung bearbeitet; einzelne äfthetifche Fra⸗ 
gen erörterten in gelegentlichen Abhandlungen Bellamy, Kantelaar, Feith, Bilberdyk u. U. 

Defto gla exe Verdienfte erwarben fich bie Niederländer um die Mathematit und bie 
verwandten Wiffenfchaften, beſonders im 17. Jahrh. Derlegbener Profeſſor Zubolf van Keu- 
Im aus Hildesheim (geft. 1610) beftimmte bie fogenannte Ludolf'ſche Zahl; Willebrord Snell 
(1591 — 1626) erfand bie trigonometrifche Methode der Meridianmeffung, entdedite das Ge 
jeg der Strahlenbrechung und löfte mehre wichtige mathematifche Probleme ; Simon Stevin ber 

undete die theoretifche Statik und förderte wefentlih bie Feftungs- und Waſſerbaukunſt; 

anz van Schooten erfegte den Mangel felbftänbiger Schöpferkraft durch bie ausgezeichnete 
Gewandtheit, mit welcher er Die Gedanken Anderer aufzufafien, zu entwideln und fruchtbar zu 
machen wußte. Adriaen Blacq vervoliftändigte die Logarithmentafeln bedeutend; Menno van 
Gechoorn (f. d.) war der Erfinder einer neuen Befefligungsmanier. Alle feine Landeleute bg, 
übertraf Chriſtian Huyghens (ſ. d.), gleich bedeutend ald Mathematiker, Aſtronom und V 


m Miederlandiſche Sprache und Literatur 


Während nun im 17. Jahrh. bie Mathematik fo allgemein geblüht hatte, daß ſelbſt Männer an 
derer Berufstreife,wie ber große Staatsmann Jan de Witt (f.d.), fie mit Liebe und bebeutenbens 
Erfolge pflegten, warb fie im 18. Jahrh. nur mäßig vertreten durch 8’@ravefande (f. b.) und 
ber Schule bes Legtern gingen hervor ber Aſtronom van Calkoen und van Swin⸗ 
ben, ber mi das neue franz. Maf- und Gewichtöfoften begründete und fpäter auch in ben 
Niederlanden einführte. Auch verbefferte van Swinden weſentlich bie für fein Vaterland fo 
wichtige Waſſerbaukunſt, worin Chr. Brünings, Conrad, Blanten und Goubriaan ihm nach⸗ 
eiferten. Rad) van Swinden s hochbegabtem Schüler P. Nieumland (1764— 94) zeichneten In 
neuerer Beit ſich aus unter ben Mathematikern der General Krayenhoff und bie Profefforen be 
Gelder und Uylenbroek zu Leyden und Garnier zu Bent, unter ben Aſtronomen van Uttenhofe 
und Gerh. MoH zu Utrecht und Kaifer zu Leyden. — Auch dem matbhematifchen Theile der 
hyf, beſonders der Optik und den optifchen Inftrumenten, wibmeten bie Rieberländer erfolg. 
weiche Thätigkeit. Gegen ben Anfang bes 17. Jahrh. erfanden fie das Fernrohr und das zu- 
fammengefegte Mikroflop; ald Erfinder und’erfte Verbeſſerer derfelben merben genannt Zach. 
Janſen (um 1590) und Jak. Laprei zu Midbelburg, ferner Jak. Metius nebſt Konr. Drebbel 
aus Alkmaar; bem Legtern wirb auch, doch nicht mit Sicherheit, die Erfindung bes Thermome⸗ 
ters augefchrieben. Rit. Hartſoeker (1656— 1728), ber neben ben großen Mathematikern des 
17. Jahrh. noch Erwähnung verdient, bewährte fich gleichfalls am meiften In der Verbeſſerung 
und Anwendung ber optifchen Inftrumente. Im 18. Jahrh. bereicherte Pieter Musſchenbroek 
(4692-—1761) bie Wiſſenſchaft durch finnreiche und fruchtbare Erperimente, erfand Eumaeus - 
(1746) bie Leydener Flaſche (ſ. b.), machte der Danziger Fahrenheit zu Amſterdam bad Ther⸗ 
mometer zu wifienfchaftlichem Gebrauche geſchickt. Im Laufe des 19. Jahrh. endlich vervoll⸗ 
fommmeten erfon und van Darum (1755 — 1837) ben Bau und bie Anwendung ber 
Elektriſirmaſchine und ber Luftpumpe. — Die Chemie hatte bereits um 1600 van Helmont 
(f. d.) zu Brüffel mit großem Eifer und Ruhm betrieben, Boerhaave (1668 — 1758) pflegte 
befennener und methoblfcher; gegen Enbe des 18. Jahr. veröffentlichten-bie unter La⸗ 
voifier’8 (f. d.) Einfluffe arbeitenden fogenannten holl. Chemiker die Ergebniffe ihrer Unterfu- 
Hungen hauptſãchlich in den „Phyſiko⸗chemiſchen Unterfuchungen” (5 Bde. .1 
Unter ben neuern niederl. Chemikern ragen hervor Stratingh in Gröningen, Mulber in Utrecht, 
van ber Boon Mefch in Leyben. Ä 
Bon ben beichreibenden Naturwiſſenſchaften ober ber Maturgefchichte fand die Mineralogie 
nur fehr geringe Pflege. Nennenswerthes dagegen ward geleiftet in ber Botanik und Ausge⸗ 
zeichneteß in ber Zoologie, zumal auf anatomiſchem Gebiete. Schon im 16. Jahrh. förderten bie 
Botanik durch Ihägbare Sammelwerke Matth. de Xobel oder Robelius, Rembert Doboens ober 
Dodonäus und Charles be l Ecluſe oder Elufius. Handel und Eolonien lieferfen'den botanifchen 
Särten der Univerfitäten, Städte und reicher Privatleute eine Fülle des Materials, aus 
welcher Linne (f. d.) binnen zwei Jahren (1735—37) feine größten Werke fchuf. Auch die 
Niederländer ſelbſt gaben manchen [hägenswerthen Beitrag zur beſchreibenden und foftematt- 
ſchen Botanik, befonders für bie außereuropäifche Flora. Unter den neuern Forſchern zeich⸗ 
neten fi aus bervielfeitige Brugmans (f. d.), Reinwardt, Kops, de Friefe und Mi- 
guel. — Die Boologie anlangend hatten ſchon im 17. Jahrh. Swammerdam (1637— 
1680) und Leeuwenhoek (16352 — 1723) ſchätenswerthe Monographien geliefert und ber 
Begtere namentlich durch mikroſtopiſche Unterfuchungen fi ausgezeichnet; im Zufammen- 
bange aber warb bie Wiſſenſchaft erſt fpät bearbeitet, wie auch die Teybener Univerfität 
erft 1773 in van Berkhey (f. d.) den erften Prof. ber Naturgefchichte und Director bes 
zoologifchen Muſeums erhielt. Zegteres gelangte feboch bald zu ausgezeichneter Bebeutung und 
lieferte in neuefter Zeit Dem Zoologen Jan van ber Hoeven (f.d.) und dem Ornithologen 6. 3. 
Temminge eine vorzügliche Grundlage zu ihren trefflichen Arbeiten. 
. Ein Niederländer, Andr.Befaltus (f.d.), eigentlich Wittings, 1514— 64, aus Brüffel, ward 
ber Exhöpfer ber wahren Anatomie, Noch in bemfelben Jahrhundert verfuchte der Friefe Bol- 
cher Koyter (1554— 1600) fich bereits in der vergleichenden Anatomie. Um bie Mitte bes fol- 
genben beginnt die lange und glänzende Reihe der hol. Anatomen 'mit Fr. Ruyſch (1638 — 
1731) und Joh. Swammerdam zu Amflerbam, denen die Wiſſenſchaft außer zahlreichen 
anatemifchen und zootomifchen Entbedungen bie erſte zweckmäßige Injectionsmerhobe ver 
dankt, während gleichzeitig Leeuwenhoek fich als Meifter der mikroſtopiſchen Beobachtung ber 
wies, und Ant. Nud (geft. 1692), verbient um bie Kenntniß der Lymphgefäße und Drü- 
fen, bie Neihe der leydenet Unatomen eröffnete. Seine Rachfolger waren Goverd Bidlo (1049 





Niederländiſche Sprache und Literatur 235 


— 1713) und Joh. Jak. Rau (1668—1719). Bernd. Siegfr. Albinus (f. d.), einer ber ge» 
Iehrteften und genaueften Anatomen, gab mehre große meifterhafte Kupferwerke heraus, wäh. 
rend ber talentvolle Peter Camper (f. b.), zugleich verdient um Chirurgie, Entbindungskunft 
und gerichtliche Mebicin, ſowol die vergleichende Zergliederungskunſt ald auch die Anwendung 
der Anatomie zu Zwecken der Aſthetik mefentlich förderte. Im 18. Jahrh. zeichneten fermer fich 
aus: Anbr. Bonn (1738—1818), Ed. Sandifort (1742 — 1784), der Vater, der befonbers 
bie pathologifche Anatomie erfolgreich pflegte ; im 19. Jahrh. Gerard Sandifort (1779— 1848), 
ber Sohn, zu Leyden ; Vrolik, Bater und Sohn, zu Amſterdam, Sebaftian zu Gröningen, Bleu- 
land zu Utrecht und ebendafelbft Schröber van ber Kolk, zugleich bedeutend als Patholog und 
als Begründer bes Irrenheilmefens in ben Niederlanden. — Die Chirurgie und die Entbin- 
dungskunſt litt in Holland wie in Deutfchland Tange unter dem Drucke des Vorurtheils, wel- 
ches beiden Künſten, indem es fie Bartfcherern und Weibern überließ, geziemende Standes ehre 
verfagte; fogar in Leyden ward für fie erft 1790 eine befondere Profeſſur errichtet. Neben den 
bereit8 genannten Anatomen werben aus älterer Zeit Joh. van Horne und Nic. Zulpius, aus 
neuerer D. van Geéſcher und I. Mulder gerühmt. In neuerer Zeit machte die fo überlegene 
franz. Chirurgie einen bedeutenden Einfluß geltend. Als Hauptvertreter bes iatrochemiſchen (f.b.) 
Syſtems ber Mebicin waren gefeiert Joh. Bapt. van Helmont (f. d.) und Srangois de la Boe⸗ 
Sylvius (1614— 72). Herm. Boerhaave (ſ. d.) zu Leyden, deffen Ruf weit über Europas Gren⸗ 
en hinaus drang, warb der Reformator der Medicin und zeichnete ſich auch als Lehrer und 
—32* in Chemie und Botanik aus; Gerard van Swieten (1700— 72) war neben Haller 
(f. d.) der bebeutendfte feiner Schüler. Boerhaave's Anſichten blieben maßgebend für die Spä- 
tern, unter denen herborragen: Bier. Dav. Gaub (1705—80), Wouter van Doeveren (1730 
— 83), RUE. Paradys (1748 — 1812), Bernard, Pruys van der Hoeven und Broers zu Ley- 
ben, Thomaffen a Thueffint in Gröningen, van Maanen in Amfterdam, Bleuland und Schrö- 
der van der Kolk in Utrecht. Die gegen Anfang biefes Jahrhunderts ausgeführte Reform des 
Hospital. und Mebicinalmefens wie der Pharmacie erfolgte weſentlich unter dem Einfluffe von 
Sebald Zuftinus Brugmans, einem ausgezeichneten Arzte und Naturforfcher, dem alle Zweige 
der Raturwiffenfchaften in feinem Vaterlande fo große Anregung und Förderung verdanken. 
Frühzeitig Thon erhob fich das Studium der Nechtswiſſenſchaft in den füdlichen Provinzen. 
Noch zur alten ſcholaſtiſchen Schule der Bartoliften (f. Römiſches Net) gehörte NIE. Eve- 
rard (geſt. 1532) aus Middelburg; der reformirenden franzöfifchen aber fchloffen ſich an bie 
berühmten Namen Viglius ab Aytta de Zuichem (geft. 1577), Gabr. Mudaeus (van der Muy⸗ 
den, geft. 1560), Jak. Cortius (de Corte, geft. 1567), Zoffe de Damhoudere (geft. 1581), El⸗ 
kertus Leoninus (Alb. de Leuw, geft. 1598), Joach. Hopper aus Friesland (geft. 1576), Petr. 
Peckius (geft.1589), Jak. Raewardus (Neyvaert, geft 1568) und Henr. Agylaeus (geft 1595), 
denen in Den nördlichen Provinzen nachfolgten: Arnold Vinnius (geft. 1659), Ant. Mattheus 
aus Heffen (geft. 1637) nebſt feinem gleichnamigen Neffen (geft.1654), ferner Paul Voet (geft. 
1667), der Frieſe Ulr. Huber (geft. 1694) und Joh. Böckelmann aus Steinfurt (geft. 1681), 
ber die Sitte der Compendien aus Deutfchland nad) Leyden verpflanzte. Auch einige det 
erfien und einflußreichften Verbefferer der Rechtsftudien in Deutfchland flammten aus den 
füblichen Niederlanden, die fie aus confeffionellen Gründen verlaffen hatten: Obertus Gipha- 
nius (Hubert van Siffen, 1534— 1609), aus Buren in Geldern, und Matthias de Weſem⸗ 
bee? aus Antwerpen (15351—86), nebft feinem Neffen Peter de Weſembeeck (1546— 
1603). Als nach der Mitte des 17. Jahrh. der Glanz ber franz. Schule erblich, entfaltete 
die norbnieberländifche ihre hochfte Blüte. Unterftügt durch eine gründliche Philologie, 
durch einen betriebfamen Buchhandel und durch den Reichthum des Landes förberten die 
hol. Suriften neben ber Nechtögefchichte namentlich, die Eregefe und bie Praxis und lie⸗ 
ferten auch treffliche Ausgaben von den Schriften berühmter Juriften des eigenen und des Aus- 
Iandes, ſowol in Einzeldruden als in Sammlungen ausgezeichnet. Als Juriften erften Ran⸗ 
ges ſtehen an der Spige diefer Schule: Joh. Voet (1647—1713), Gerard Noodt (1647 — 
1725) nebft feinem fharffinnigen Gegner Corn. van Bynkershoek (1675— 1745), und diefe 
noch überragend: Anton Schulting (1659 — 1734). Dionyf. Gothofr. van der Keeffel (1758 
— 77) und Hendt. Conft. Cras (1739—1820) hatten ſich wiederum zu Schulhäuptern er- 
hoben, jener durch die Fogifche Schärfe feiner Methode, diefer durch feine freiere und philofophi- 
{here Auffaffungsmeife. Jenem fchloffen fi) an: Henr. Wil. Tydemann, der Sohn, van Twiſt 
umd Jak. Nieuwenhuis; biefem Jon. Dav. Meyer (1730—1834) und ber angefehenfte unter 
Gony.s@er. Behnte Aufl. XI. 15 


396 Hiederländifche Sprache und Literatur 


den Rechtslehrern jüngfter Zeit, Jan. Melch. Kemper (17761824). Alle bisher Genannten 
hatten das römifche Recht zum Mittelpunfte ihrer Thätigkeit gemacht, aber fchon vor ihnen 
waren bie alten german. Gewohnheitsrechte einzelner Landſtriche aufgezeichnet, mar durch Phil. 
Wielant aus Gent (14501519) in feinem „Tractaet van de Lenregten van Vlaendern” 
die erfte Sammlung folcher Rechte veranftaltet und für den praktiſchen Gebrauch bearbeitet 
worden. Als nun die füblichen Provinzen zumeift auf Antrieb Karl's V. und Philipp’ IL., bie 
nördlichen darauf aus eigener Bewegung ihre fämmtlichen heimifchen Particularrechte aufe 
zeichneten und theils einfach beftätigten, theils reformirten, machte fi) das praktiſche Bebürf- 
niß einer Überficht und Ergänzung derfelben fühlbar. Zu diefem Zwecke fchrieb Hugo Grotius 
im löwefteinfchen Kerker feine „Inleiding tot de Hollandsche Regtsgeleerdheid”, das erfte 
Handbuch des pofitiven einheimifchen Landrechts, welches oft commentirt wurde und bie zum 
19. Jahrh. als Reitfaden im Gebrauch) blieb. Eine felbfländige geehrte Behandlung ward bem 
vaterländifchen Landrechte freilich nur fpärlich zu Theil, auch fand es erft fpät Aufnahme in 
den Kreis der Univerfitätövorträge; doch ward es fortwährend berüdfichtigt bei Gelegenheit des 
römifchen Rechts, welches in der Praris als fubfidiarifches galt. Wiederum Hugo Grotius 
warb der Begründer des mit ber Republik aufwachfenden Natur, Staatd- und Völkerrechts. 
In den Kreis ber Univerfitätsvorlefungen führten das Staatörecht gegen Ende des 17. Jahrh. 
ein Joh. Barbeyrac (1674—1744), Fr. Wild. Peſtel (1724— 1805), Adriaan Kluit (1735 
—1807) und Elias Luzac. Unter den jegtlebenden Staatsrechtöfehrern der Niederlande be 
hauptet Thorbeke (f. d.) in Leyden den erften Rang. Die Univerfität in Löwen war ſeit ihrer 
Gründung ein Hauptfig des Kirchenrechts und befaß in Seger Bernard van Espen (1646 — 
1728) den größten Karoniften ber neuern Zeit. Sein bebeutendfter Nachfolger war Soffe de 
Plat (1752—1810). Endlich hat in neuefter Zeit auch die Hiftorifche Behandlung des alten 
einheimifchen Rechts begonnen und find hier mit befonderer Auszeichnung zu nennen: M. J. 
Noorbewier („‚Nederduitsche Regisoudheden“, Ütr. 1853) und J. Brig („Code de l’ancien 
droit belgique”, 2 Bde, Bruff. 1847). 

Nicht befonders erheblich waren bie Keiftungen in den wenig angebauten Staatswiſſenſchaf⸗ 
ten und laffen fich Faft zufammenfaffen in den Namen Hugo Grotius, Elias Luzac und Graf 
Gijsbert Karl van Hogendorp. — Der politifchen Beredtſamkeit gebrach in ben Zeiten ber 
alten Nepublik vor allem die Lebensluft der Öffentlichkeit. Erſt als diefe geboten war (1795), 
fonnten Simon Stift, Schimmelpennind und Jak. Kantelaar ſich hervorthun und fpäter in den 
Berfammlungen der Generalftaaten an Kemper, van Hogendorp, van Alphen, Collot d' Escury 
van Heinenoord, Thorbefe u. A. Nachfolger finden. Noch minder gedieh, von beengenden For⸗ 
men mebergehalten, die gerichtliche Berebtfamteit; nur Herm. Noordkerk (geft. 1771) zeichnete 
fi rühmlich aus. Selbſt die Kanzelberedtfamteit, unter gleichen Widerwärtigkeiten hinfiechend 
wie die Theologie, ward erft durch van der Palm veredelt und zur Vollendung geführt, 
worin Jan van der Roeſt, Emald Kift und Elias Anne Borger ihm rühmlich nacheiferten. Aud) 
die alademifche Beredtſamkeit in den üblichen Feft«, Lob⸗ und Gedächtnißreden konnte erft in 
neuerer Zeit dem Ubergewichte der lat. Sprache ſich entziehen und fand wiederum an van der 
Dalm den ausgezeichnetfien Meifter. 

Die Geſchichtſchreibung fand in den Niederlanden eifrige, aber einfeitige und faft ausfchlief- 
lic, auf die Heimat befchränfte Pflege. Fleiß, Befonnenheit, ehrenhafte Gefinnung läßt fie ſehr 
felten, Tiefe der Auffaffung, Harmonie der Compofition, Gedrungenheit des Ausdrucks defto 
häufiger vermiffen. Kaum hat eins ihrer Werke auch) im Auslande einen größern Leferkreis ge- 
wonnen. Der Chronik entwuchs fie mit den Freiheitöfriegen. Noch dem Übergangszeitraume 
gehören an in den füdlichen Provinzen die umfänglichen Werke von Aubertus Miräus (Ra Mire, 
41575— 1640), Ant. Sanders (1586— 1664), Chp. Butkens (um 1620), Pontus de Heuter 
(Heuterus, 1535 —1602), Franz van der Haer (Haraeus, geft. 1632) und noch einige Ähnliche, 
fämmtlich vom Fath. oder auch fpan. Standpunkte aus gefchrieben, gelehrt und dem Forſcher 
um des Stoffe willen noch unentbehrlich, aber mangelhaft in Kritik und Stil. Höher fchon er- 
hebt fich auf derfelben Seite durch Unparteilichkeit und gemandtere Darftellung Nik. Burgun- 
dius (geb. 1586). In den nördlichen Provinzen gingen drei bedeutende Sammler vorauf: Pe 
ter Bor (f.d.), Eman. van Meteren (1535 — 1612) und Everard van Reyd (geft. 1602). Auf 
diefe Vorarbeiten und eigene Erkundigung baute Pieter Hooft feine „Nederlandsche Histo- 
rien” (1642), reichenb von 1555— 84, ein noch jegt wegen feines Gehalt und feiner reinen, 
gebrungenen Sprache bewundertes und als claffifch geltendes Werk. Diefem zunächft ftehen des 
Hugo Grotius „Annales et historiae de rebus Belgicis“ (1657) und die biftorifchen Werke dei 


Riederländifche Sprache und Literatur 337 


fen Geſchichtsforſchers der Frieſen, Ubbo Emmius (1547— 1628). In weicherm 
Hgerm, aber auch breiterm Stile als Hooft ſchrieb dann Gerard Brandt (1626— 85) 
mäßige Befchichte ber niederl. Reformation (4 Bde., 1671), eine gepriefene Lebensbe⸗ 
‚ des Admirals de Ruyter (1680) und zwei minder forgfältig flilifirte ausführliche 
ien von Hooft und Vondel. Nach ihm verdiente burch ein halbes Jahrhundert wiede⸗ 
sand ben Nanıen eines Geſchichtſchreibers. Pieter Valckenier's „Verwirrtes Eu⸗ 
ählt in breitefter Ausführlichkeit die Ereigniffe der wichtigen 3. 1672 — 74, und ber 
ıb forgfame, aber geſchmackloſe Frieſe Lieume van Aitzema (f. d.) füllte mit der Be⸗ 
des freilich glänzenden Zeitraums von 1621—68 gar 14 Quartanten. Eben⸗ 
Sanımler waren Gerard van Loon, der Begründer ber niederl. Muͤnzkunde, und 
ı Mieris. Selbftändiger Forſchung entbehrt bie niederl. Gefchichte des einfeltig prote- 
; und anderweitig beſonders um den gelehrten Journalismus mehr verdienten Sean 
(Stericus), welche fein Sohn Peter bis 1751 fortfegte. In diefe Zeit fallen auch zahl⸗ 
ſehr ausführliche Beſchreibungen und Geſchichten der bedeutendern niederl. Städte. 
Wagenaar (1709— 75) lieferte in feiner „Vaterlandsche Historie” (21 Bbe., Amſt. 
öfter) wiederum ein achtungswerthes Geſchichtswerk, welches höher ftcht als das des 
ven katholiſchen und unter öftr. Einfluffe fchreibenden Belgiers Lucas Sof. van der 
Troubles des Pays-Bas”, Brüff. 1765; deutſch, 3 Wbe., Zürich 1793). An Tiefe, 
t und Kraft mard jedoch auch Wagenaar weit übertroffen durch Simon Stijl (1731 
ber in „Opkomst en Bloei der Vereenigde Nederlanden” (1774 unb öfter) zuerft 
eine philofephifche Behandlung der Gefchichte verfuchte. Einzelne Abfchnitte der va- 
en Gefchichte bearbeiteten ferner mit Kermtnif und Geſchick Jona Willem te Water 
ı van het Verbond en de Smeekschriften der Nederlandsche Edelen“, 4 Bbe., 
6), I. Meermann („Geschiedenis van Graal Willem IL van Holland, Roomsch 
1781), E. M. Engelbert („Aloude Staat der Vereenigde Nederlanden”, 3 Bbe., 
id Jak. Scheltema („Peter de Groote in Holland en Zaardam”, 2 Bbe., 1814). 
luit fehrieb außer ber gelehrten „Historia critica eomitatus Hollandiae et Selandiae” 
1777) audy eine tief in die innern Verhältniffe dringende „Historie der Hollandsche 
ering” (5 Bde., 1802-5). Nik. Gottfr. van Rampen (f.d.) erzählte bie vater 
Geſchichte in gefälliger Form, WB. Bilderdijk (ſ. d.) befchrieb fie einfetig ariftotre 
Präftig und felbftändig. Inzwiſchen hatte der Reichsarchivar H. van Win durch 
lichen Fritifchen Forfchungen über bie verfchiedenen Kreife des mittelafterlichen Le 
neuen und fehr nachhaltig wirkenden Anftoß gegeben, welcher unter Anderm auch in 
achen feitbem erfchienenen Urfundenfammlungen und auf Urkundenforſchung geflüg- 
n eines de Jonge, Nijhoff, van den Bergh u. U. deutlich zu Tage tritt, unter denen 
ı Prinfterer’$ „Archives, ou correspondance in&dite de la maison d’Orange-Nas- 
3de., Leyd. 18355— 47; 2. Aufl., 1841 fg.) befondere Hervorhebung verdient. End» 
n auch die hiftorifchen Hülfsmiffenfchaften wiederum geeignete Vertreter, wie bie 
be in van der Chijs, ſodaß gegenwärtig in Holland faft alle Zeiten und Richtungen 
änbdifchen Gefchichte in den Kreis der Forſchung gezogen find und größtentheils mo- 
ch mit Erfolg bearbeitet werden. Für die auswärtige, die Kirchen- und die Univerſal⸗ 
bagegen ift bis auf diefen Tag nur Mäßiges geleiftet worden, abgefehen von Dem- 
36 mit den philologifchen Studien in engem Zufammenhange fteht. Der franz. Flüchte 
Basnage (1655— 1723) aus Rouen fchrieb eine „Histoire des Juifs depuis Jésus 
15 Bde., Haag 1716), Martin Stuart eine röm. Gefchichte bis auf Konftantin b. 
Ide. Utrecht und Amft. 1792 fg.), Ysbrand van Hamelsfeld (1743 — 1812) eine 
fortgefegte allgemeine Kirchengefchichte (26 Bde., Harl. 1799—1816), und bie 
m Kift und Royaard begründeten 1829 eine gehaltvolle Firchenhiftorifche Zeitfchrift 
voor kerkelyke Geschiedenis”). 
: Geographie haben fich die Niederländer verdient gemacht theils durch Verbefferung 
mittel, theils auch durch Erweiterung der Länderkunde, welche meift mit ihren See⸗ 
sungen, befonbders in Beziehung auf Hinterafien im engften Zufammenhange fland. 
ch verdankt man ihnen die erften zweckmäßigen Karten. Schon um bie Mitte des 
). erfand Gerard Mercator die nach ihm benannte Projectionsmethode, melde bald 
r Friefe Bemma vervolltommnete. Gleichzeitig lieferte Ahr. Orteliuß zu Antwerpen 
„Iheatrum orbis terrarum‘ (Antw. 1570 und öfter) das erfte u geordnete Kar 


238 Niederländifhe Sprache und Literatur 


tenwerf mit ausführlichen Erläuterungen, und burch das ganze 17. Jahrh. behaupteten die groß⸗ 
artigen geographifchen Kupfer- und Kartenmwerke, wie auch bie Globen ber Familie Blaeu (f.d.) 
einen vorzüglichen Rang. Seitdem freilich blieben, mit geringen Ausnahmen, die Nieberlänber 
auf diefem Felde Hinter den Nachbarvölkern zurüd. Ferner ward Phil. Cluver (f. b.) aus 
Danzig (1580 — 1623) durch bie Univerfität zu Leyden in den Stand gefegt, ben erſten gelun⸗ 
genen Verſuch einer ſyſtematiſchen Behandlung ber hiſtoriſch⸗politiſchen Geographie zu liefern 
und zugleich ben Grund für die alte dlaffifche Geographie zu legen, wie fpäter Abr. Reland 
die Geographie von Paläftina erfchloß. 

Nicht geringen Fleiß haben die Niederländer verwendet auf Biographie und Literaturge- 
ſchichte und ſowol in bio-bibliographifchen Sammelwerken ald in zufammenhängender Dar- 
ſtellung Löbliches geleifte. Schon Gerard Janszoon Voffius (1577— 1649) lieferte ebenfo 
gekehrte und umfaffende als gefunde Werke, und in neuerer Zeit verfuchte Chriftoph Gare fogar 
beinahe die gefammte Literatur in einem Lexikon zu begreifen, das bei allen Lücken und Män- 
geln doch zu einem höchſt fhägbaren Nepertorium von bleibendbem Werthe erwuchs („Ono- 
masticon literarium”, 8 Bde., Utr. 1775—1803). Auf bie Kumat dagegen befchräntten fi 
Baler. Andreas („Bibliotheca Belgica”, Löwen 1625—45), Franz Sweerts („Alhenae Bel- 
gicae”, Antw. 1628), Joan. Franc. Foppens („Bibliotheca Belgica”,2 Bde, Brüff. 1739), 
San Natalis Paquot („M&moires pour servir à l’histoire litt&raire des XVII provinces 
des Pays-Bas”, 3Bbe., Löwen 1763), 9. &. Witfen Geysbeek („Biographisch en oritisch 
Woordenboek der Nederlandsche Dichters”, 6 Bbe., Amft. 1821 —27), X. 3. van ber Ya 
(„Nieuw biographbisch en critisch Woordenboek van Nederlandsche Dichters”, 3 Bde., 
Amft. 1844), Kobus unb de Rivecourt („Biographisch Woordenboek der Nederlanden”, 
Zutph.1852 fg.) u. U. In zufammenhängenber Erzählung behandelten bie vaterländifche Li 
teraturgefchichte Ser. van Vries („Proeve eener Geschiedeuis der Nederlandsche Dicht- 
kunde”, 2 Bde. Amft. 1810), 3.5. Willems („Verhandling over de Nederduytsche Tael- 
en Letterkunde”, 2 Bbe., Amſt. 1819— 24), N. ©. van Rampen („Beknopte Geschiedenis 
der Letteren en Wetenschappen in de Nederlanden, 3 Bde., Haag 1821 — 26), CoLot 
d'Escury („Hollands Roem in Kunsten en Wetenschappen”, Bd. 4—7, Amft. 1824—44), 
Matth. Siegenbeef („Beknopte Geschiedenis der Nederlandsche Letterkunde”, Harl. 1826), 
5. A. Snellaert („Verhandeling over de Nederlandsche Dichtkunst in Belgie”, Brüff.1838 ; 
„Histoire de la litterature flamande”, Brüff.1850), 5.3. Goethals („Histoire des leltres, des 
sciences et des arts en Belgique”, 3 Bde., Brüff. 1840), W. J. A. Jondbloet („„Geschiede- 
nis der Middennederlandsche Dichtkunst”, Bd. 4 und 2, Amft. 1851). Bon auslänbifchen 
Beiträgen zur nieberl. Literaturgefchichte verdient noch befondere Erwähnung Mone's „Überficht 
ber niederl. Volksliteratur älterer Zeit” (Tüb. 1838). Auch über die Geſchichte der Bud: 
druckerkunſt und ber älteften Drucke ftellten die Niederländer höchſt verbienftliche Forſchungen 
an, großentheild veranlaft durch die Behauptung, daß Kaurens Cofter zu Harlem die Bud- 
drucderkunft erfunden habe. (S. Cofter und Incunabeln.) Anlangend die eigenen ausgezeich⸗ 
neten Derdienfte niederl. Druder und Verleger um Wiffenfchaft und Literatur, genügt ed an 
bie weltbefannten Namen der Bamilien Plantin, Elzevier und Luchtmans zu erinnern. We⸗ 
niger auf den Kortfchritt al auf Verbreitung und Popularifirung der Wiffenfchaft und Lite: 
ratur wirkten bie in den Niederlanden und befonders in Holland ungemein zahlreichen gelehr- 
ten Geſellſchaften; höchſt wichtig dagegen wurden die vielen bändereichen und ausgefuchten 
theild von Staats wegen, theild von Privatleuten angelegten Bibliotheken, unter benen zur faft 
vollftändigen Überficht des Geſammtbeſtandes der nieder. Literatur und infonberheit der Na- 
tionafliteratur vorzüglich die Bibliothek der leydener Gefellfchaft für niederl. Sprache und Kite: 
ratur und die in die königl. Bibliothek zu Brüffel übergegangene Hulthem’fche Sammlung bad 
Material darbieten. gl. „Catalogus van de Bibliotbek der Nederlandsche Letterkunde te 
Leyden” (3 Bbe., Zeyd. 1847 — 49) ; „Bibliotheca Hulthemiana” (6 Bde, Gent 1856 fg.). 

Nur bis zum 12. Jahrh. aufwärts können wir die ſchöne Literatur oder die Rationallite- 
ratur der Niederländer verfolgen ; Darüber hinaus gebricht jede Spur. Um jene Zeit aber begann 
zunächft eine bis tief ins 15. Jahrh. hinabreichende Neihe höfifcher Epopden, welche meift bem 
karolingiſchen Sagenkreiſe, theil® auch jenem von Artur, oder bem claffifchen, theild endlich an- 
bern leinern Gruppen angehören. Mit wenigen Ausnahmen find fie franz. Quellen entnom- 
men und nicht felbftändig umgearbeitet, fonbern nur überfegt, anfangs genauer, fpäter etwab 

eier, und ſchon deshalb durchfchnittlich von Tehr mäßigem dichterifchen Werthe. Uberdies hat 
ch auch nur eine fehr geringe Anzahl berfelben vollftändig erBalten, bie übrigen find theils nur 


Rieberländifche Sprache und. Literatur . m 


Küsten vorhanden, theils gänzlich untergegangen. Zu. den bedeutendern umler Ihn 
x „Roman van Lanoslot” (herausgegeben von Jondbloet, Haag 1846), ber „‚Roniem: 
üßen“, „Roman van Karel den Grooten” (Druchſtũcke herausgegeben von Jonckbloet, 
a), —— (einer von Penninc und: Pieter Voſtaert, — von 
2 Bde, Leyd. 1846 —48), „Fergunt“ ( herautgegeben von — 1888), 


liebliche Erzäßlung von „ he tet durch 24 Diebe van 
berausgegeben von Hoffmann .„Horae Belgicae*”, ®b 
Sie ae Poland übertroffen dur b —— befannte Erzeugniß der 

rt⸗ eben von Willems, Gent 1936; 


Hsdichtung jener Zeit, durch ben „Reinaert”(& 
4850), der auch in die frang. unbdeutfche Literatur 
5, Reineke Yu.) Bit ber Bifte beb Bittertäumg weitten and jene Epopðen Am: 
Melle trat, ben Bebürfniffen und Reigumgen bes auffirebenben Bürgerflantd entſpre⸗ 
andere Dichtungsait, bie, meift and lat. Duelle ſchoͤpſend, oder us felbftänbig geſtal 
u geſprochen berwiegend ein Zweck 


ex Abſicht ü olgte. Ir Hauptver; 
m. gweiten Hälfte bes 13. iſt Jak. Maeriant (ſ. d.). Schon in feinen früheften,: 
ei Ale ſchen — Erz en, ben beiden (noch ungebrudten) 
hen Kriege und von Alerander, ee iO, das Thatſachliche, Hiſto⸗ 

ben * Spielen ber Phantafie abzufcheiben ; leferte ex nur heils Erzählen: 
m er Lehrgedichte. Ihm ſchleßt fich unmittelbar 
sıtenbfle Dichter * 14. h. Jan genaunt Jan be Clere, Schreiber 


Neimchromken 

a „Brebantsche Yoesten“ (herausgegeben von Wiens, 2 Boe. 1856-45) ind 
derden Edewaerd” ; ferner zwei Lehrgebichte, in deren erflern („Der hekon Spieghei”- 
Os herausgegeben von de Vries, 5 Wbe., Beyb. 1844-28) er die Behauptung vers” 
a MRenfihen früher nicht beffer gewwefen feien als jegt, während er: im andern („Jans 
* 3 noch ungebrudt) zu beweiſen — daß fie jegt auch wit —— ſeien als 
Neheen dieſen verdienen noch einige andere geſchlchtliche — 2 
mehen: des Brabanters Jan von ge eſchrelbung ber * — 
ben von Willems 18363 dazu van Wyn'e „Aantekeningen”, 1840), Mei 
Veokes wichtige Chronik von (um 1305; heraubgegeben von Huydecoper, 
V. 1772) und eine bis ins 15. Jaheh. reichende „Reimchronik von Flandern“ Mer⸗ 
Aoon Raubler, Tüb. 1840). Unter.ben übrigen Behrpebichten And: de —53 — 

erausgegeben von Iondbioet, Leyd. 1846) und das dem autwerpener Clere 
xſchriebene „Dietsche Doctrinale“ vom 3.1345 (herausgegeben von Jonckbloet, 
Di unter ben Legenden ber „Theophilus“ (herausgegeben von Blommaert, Gent 
> bez „Brandan” (herausgegeben von Blommaert, Gent 1838; 1841). Die Lyriß, 
ven ber Didaktik übertwuchert wurbe, hat nur wenige Proben und Beinen bebeuten- 
Ser aufzuweiſen. Erheblicher find bie —ã— des Dramas, deſſen Anfänge eben⸗ 













I Beit fallen une bereits —— — — Sic | 
Eingreifen ins frifche Leben ber (Altnieberl. e. 
niet, herausgegeben en Oeffnen von Fallers leben In bem,,Horae | 
ie des 14. Jeh ie Lehrdichtung zu ermatten, und am bie 


bengathmigen Pen a Oittenfpiege md wi 7* 
Bizyere, oft improvificte Gebichte, welche gern Veides Erzählung und — 
pen ſuchten. Überhaupt gewann von jegt ab, zum großen Eyaden der Literatur, der 
neneſte Zeit eingehaltene Brundfap feſte Geltung, von jeder Dichtung einen mo- - 
weck zu fobern. Die Dichter, welche diefe neue Gattung pflegten und, gleich den ihnen 
anbten beutichen — oft ein Wanderleben führten, nannte man Spre- 

‚ eößten am 





(mm van Hildegaersberch bei Rotterdam (um —1400), v 
xee⸗ * iſt. —— hatt fich 2 u ve ki zwi 
ch — Di 3. Jahr⸗ 


Mrcgerſtand erheblich vermindert, ſodaß der bedeutenoſte Dichter bes 1 

I (geh 1428), ci ein Mann aus den böhern Kreifen, wieberum ein größeres . 
An Bean ( Der Minden loop“, 55* ‚2B8be., Leyd. 1845 
yr eine Nethe von Bichesgefchichtene mit Moralifationen zu einem 








320 Niederländifche Sprache und Riteratur 


ungeſchickten Ganzen verwob. Ja fogar perfönlich reichten fich bald beide Stände bie Hand zur 
Berfolgung gemeinfamer literarifcher Zmwede in den Kammern der Rederyker, alfo benannt - 
nach dem frangöfifchen rhetoricien, was in biefer Zeit einen Dichter bedeutete. Diefe Kam- 
mern ber Rederyker, welche um den Anfang des 15. Jahrh. wol ficher unter franz. Einfluffe 
entftanden waren und zu den urfprünglichen geiftlichen bald eine weit überwiegende und bis zu 
ben höchften Ständen hinaufreihende Anzahl weltlicher Mitglieder gewannen, waren poetifche 
Dereine, bie an beftimmten Zeiten und Orten ſich verfammelten zu poetifchen Übungen und Vor⸗ 
trägen, beſonders aber zur Ausarbeitung und Aufführung von Schaufpielen. Huch mehre fol- 
her Kammern traten nicht felten, nad) Art unferer Liedertafeln, zur Beier größerer Feſte zu⸗ 
fammen, wobei dann in Aufzügen und Schauftellungen eine glänzende Pracht entfaltet wurde. 
Der bichterifche Gehalt ihrer Erzeugniffe ift durchgehends fehr gering; dennoch wurben fie von 
Bebeutung für die Literatur, weil fie patriotifchen Sinn pflegten, durch ihre Schaufpiele un- 
mittelbar auf dag Volt wirkten und fich felbft in die politifchen Angelegenheiten mifchten, wie 
in die Kämpfe der Hoek und ber Kabeliaus und in die NMeformationsbewegungen. Darum 
wurden fie aud im 16. Jahrh, zur Beit ihrer höchften.Blüte, von ber fpan. Regierung in ben 
ſüdlichen Provinzen unterdeudt, fanden dagegen in den nörblichen beflo freunblichere Huf 
nahme, bis fie auch bort allmälig, zurückbleibend Hinter der Zeit, im Laufe des 47. Jahrh. ihr 
Anfehen verloren und endlich im 18. gänzlich erlofchen. 

Einer diefer Kammern jeboch war es befchieben, die glängendfte und gehaltwollfte Erhebung 
ber vaterländifchen Literatur aus ihrerMitte hervorgehen zu fehen. Gegen Ende bes 16. Jahrh. 
nämlich wanderten Bildung, Freiheit und Wohlfahrt aus ben fübliden Provinzen nach ben 
nördlichen. Antwerpener Kaufleute namentlich überfiebelten mit ihren Gapitafien und Handels⸗ 
verbindungen nach Amſterdam, und die bebeutendften Männer biefer nun fo Herrlich aufblühen- 
ben Stadt fuchten und fanden ohne Unterfchieb des Stande und des Glaubens einen ge 
meinfchaftlihen Mittelpunkt der Erholung und geiftigen Genuffes in der Reberyberfammer 
in liefde bloeijjende (in Xiebe blühend). Die oben bereit# genannten Filipt van Marnix, 
Soornhert und feine beiden Freunde, bie Kaufleute Moemer Visſcher und Benbrif. Laurens- 
zoon Spiegel, waren es vornehmlich, welche zuerft den Bemühungen biefer Kammer um bie 
Läuterung der unter der burgund. Herrfchaft ſtark verwelſchten Sprache einen feften Halt 
gaben, indem fie theils bie erften brauchbaren grammatifchen Schriften abfaßten, theils 
in ihren eigenen profaifchen und poetiihen Erzeugniffen Mufter aufftellten, welche alles feit dem 
Mittelalter Vorhandene übertrafen. Doch fie felbft wurden alsbald wiederum übertroffen durch 
bie ebenfalls unter fich befreundeten und in berfelben Kammer verfehrenben drei originalften 
niederl. Dichter, durch Hooft, Vondel und Huyghens, welche die vaterländifche Kiteratur faft 
plöglich zum höchften Gipfel erhoben. Pieter Cornelis zoon Hooft (1581 —1647), mit der vollen 
claffifhen Bildung feiner Zeit ausgerüftet, lernte Wohllaut und Formvollendung in Italien 
Bennen und fchägen. Es gelang ihm, fie auch felbft zu erreichen und in den eigenen Schöpfungen 
mit geiftreichem, gebantenvollem Inhalte fo glücklich zu verbinden, daf er der vaterländifchen 
Literatur einen ebenfo mächtigen Ruck gab, wie Dante, Gorneille und Klopftod ber ihrigen, fa 
mächtiger noch, fofern er Poefie und Profa zu gleichem Adel erhob. Sein Stil ift geiftreich, 
fließend, wehllautend und doch kräftig, gleich geſchickt für das Erhabene wie für das Zärtliche, 
nur felten gefucht (nad) Marini's Manier), jedoch im Luſtſpiele niedrig und felbft and Gemeine 
ftreifend. Er fchrieb Liebes⸗ und andere Gedichte, im fpätern Alter hiſtoriſche Proſa mit höchſter 
Meifterfchaft, Dramen mit geringerer. Jooſi van den Vondel (1587 — 1679) übertraf Hooft 
an poetifcher Begabung, entbehrte aber einer gelehrten Vorbildung, deren Mangel fpätere Stu- 
bien ihm nicht ganz erfegen fonnten, und hatte lebenslang mit Armuth zu kämpfen. Cr leiftete 
das Höchfte, was die niederl. Literatur überhaupt aufweifen kann, im Drama und ber Satire, 
- Borzügliches in allen übrigen Gattungen, mit Ausnahme des Epos; er übertraf alle andern 
Dichter an Vielfeitigkeit, Kraft, Erhabenheit, Gedankenfülle und Gefühlstiefe, wich nur Hooft 
an Anmut; doch find feine Dramen mangelhaft in Sompofition und Dialog und arm an Dand- 
lung. Konftantin Huyghens (des Mathematiters Vater, 15961686), auf deſſen Bildung 
und Schriftftellerei die Kenntniß aller bedeutendern lebenden Sprachen und Literaturen fühlba- 
ren Einfluß übte, verfiel in feinen Igrifchen, befchreibend -Tehrhaften und fatirifchen Gedichten 
durch das Streben nad, gehaltvoller Bebrungenheit nicht felten ind Befuchte, Schwerfällige und 
Dunfte, Im Gegenfage au biefen drei amfterbamer Meiftern wollte Jak. Cats (1577 — 1660) 
zu Dordrecht nicht für ein ausgefuchtes, fonbern für das große Publicum fchreiben und erreichte 
Dusch eine fließende und mit forgfältiger Vermeidung aller Höhen und Ziefen im Bereiche des 


Miederlandiſche Sprache und Litesatue 22 


tägfichen Lebens unb firanger —— Desftekung feinen Sec o vollfowime, 
ba „ilot Bock van Vader Cats” durch länger als ein Jahrhundert olen ehrfomen Bingen 
Isuten als zweites Hausbuch naͤchſi ber Bibel galt. Sn Megorie nad beimer Ansähhung Idee 
ex quch in ber That Vortreffliches. 
den Kreis, den dieſe vier Männer vorgezeichnet hatten, kam die Literatur. bis gegen 
den Schluß bes 18, Jahrh. wicht Hinand, un mb innerhalb beffelben vermechte fie Niemand 
erzsicgen. Unter ihren zahlreichen Racheiferern, bie bald ber amflerbamer Schule, bald 
dem Bater Cats und feiner dordrechter Schule ſich a anſchloſſen, erwarben fi ber. 
fonberes Lob: er feingebilbete Töchter, Maria Teſſelſchade und Unna, 
Dos, We yapen Befenuene und Beide gewandt in Bleinen Bebichten und 
Sat. van Weſterbaan (gef. 1670) durch eine zwiſchen Gate’ 
Banier vermitteinbe Ichehefte Beicwelbung feines Banbhanfes Deemb 





% 














er Rieberbichter, Joannes Bollenhove,(gefl. 1708). Das Drama Hatte {dom 
— 1618) mit Beifall behanbeit, und zwar das Luſtſpiel in der niebrigften 
arkts. erſtrebte Bam. Coſter, der ein Lich inter grünbete, welches 
ber Kammer in liefde bloohende verflgmolzen und in beffen das erfte maſſtoe 
Gipaufpickhens zu Umfterbam erbaut und 5. Jan. 1658 mit Wonbei’s „Gisbrecht van Am- 
sel” iimgerssiht 5* ſich bis auf dieſen Tag De Kae Soll. Bühnen *3 
:exhalten genannteß — um N uführen, während es 
jiewlich 'neniden Bretern verſchwunden iſt. Im Allgemeinen muß has ram bedeutenben 
baben, da mehre Dichter ihre Laufbahn gerade mit Dramen begannen, wie 
(geft. 1685), ber auch im Epigramm und ber hiſtoriſchen Proſa ſich aubzeich⸗ 
netz Goa, Oubaan (geft. 1692), ein freifiuniger Mann, der feine politifchen Anfichten muthig 
en wmb ungeachtet einer Schreibart als Lyriker. Lob verdient; ferner Reinler 
geh 1669), ber, Däftere Farben Kebents, die pariſer Bluthochzeit dramatifirte und eine 
VDeſchreibung ber Peft zu Neapel entwarf; endlich Joannes Untonides van ber Goet 
ACRA), gerũhmt als 2yriker und Dramatiker, befonders aber wegen feines beſchreibenden 
„De Hatroom”, in weichem er die Stadt Amfterbam verherrlichte. 
Die erfien großen Dichter am Anfange bes 17. Jahrh. waven befeelt und gehoben werden 
deh⸗ bie Vegeiſterung ber Freiheitskriege. Als aber dieſe erloſch und bie Sucht nach behaglichem 
Errungenen an ihre Stelle trat, ſank auch alsbald bie Literatur. Das Verderben 
eunsidhte den Gipfel, ſeit nach Aufhebung bes Editts von Nantes:(1685), mit den zahlzeichen 
Imgmetsifihen Slächtlingen franz. Einfiuß fo mächtig hereinbrach, daß er Sprache und Poefie 
waͤhrend · von einer Einwirkung Englands, trog ber nahen Verbindung beider Län- 
ah ich Die geringfie € Spur ſich zeigte. Dauptverfechter der franz. Poetik und namentlich 
herbei Bineisen im Drama warb ber unfirichterliche Pebant und mrittelmäfige Dichter Un- 
beieh Wels zu Unfierbam, und es gelang ihm in ber That, das Drama fo gründlich zu der 
22— ſeitdem fich nicht wieber zus nationaler Geibftändigkeit zu erheben vermochte. Der⸗ 
tbegrisnbete auch ben verderblichen Einfluß ber Kunstgenootschappen (poetiſchen Ber 
auf die Poeſſe. Die Bemühungen mehrer vaterländifch gefinnter und auch talentvoller 
wie des Raturdichters Hubert Gornelisgoon Poot (geft. 1755) und bes Lyrikers Jan van 
—** (ef 1707), Mar nicht Dagegen aufzukommen; umb fo ſiechten faſt durch 
Daß: Jahrh., wäbrmb —2* die —— in höchſter Blüte ſtand, bie Poefte 
— — Nur wenige Namen heben ſich einiger⸗ 
en —* der er und Bersmacher hervor, wie Lucas Rot⸗ 
thiſtoriſchen Gedichte auf Wilhelm UI. und mehren Dramen; Ar⸗ 
t (gefk. 4763) mit einem wieberum vielfach nachgeahmten biblifchen Epos „Abra- 
de Aurternder", der geledtte Gäitzand Feitama (geft. 1758), ber an bie Überfegung ber 
DR Ib 305.0 an —— — — auch ſteife Dramen ſchrieb und 
ae — * eb: —* Dramen, mie auch 
* und m | 
—⏑— Be Sam 4798), in Dramen, Cpen und einem: 











eiyieH 










= 
















233 Niederrhein Niederrheiniſcher Kreis 


wadern Lehrgedichte „Het Nut der Tegenspoeden”; beögleichen auch die Gebrüder Willem 
(geft. 1768) und Onno Zwier (geft. 1779) van Haren, aus Friesland, jener durch ein roman⸗ 
tiſches Epos „Gevallen van Friso”, diefer durch eine lyriſche Gefchichtserzählung „De Geu- 
sen’; ferner Luc. Trip (geft. 1785) durch Gedichte geiftlichen Inhalts. Durch felbftändiges 
Streben zeichnete fich aus der Luftfpielbichter Piet. Langendyk (geft. 1756), und burleste Ge- 
dichte ing niedrigften Stile lieferte W. van Focquenbroch (geft. 1695). 

Endlich um 1770 geſchah mit der wenigſtens theilmeifen Umkehr zum Natürlichen und Ba 
terländifchen ein entfchiedener Schritt zur Beſſerung. Der erfte Anftoß zu diefer Bewegung 
war hervorgegangen aus ber Befchäftigung mit der eben mächtig auffteigenden beutfchen Lite⸗ 
ratur, das Weitere forderten bald die neuen Revolutions⸗ und Freiheitskämpfe und die Bekannt⸗ 
[haft mit der engl. Literatur. Am frübeften und volften kam diefer Umſchwung ber Lyrik zu⸗ 
gute. Unmittelbar unter deutſchem Einfluffe dichteten Bier. van Alphen (f. d.), Jak. Bellamy 
(f.d.) und Rhynvis Feith (f. d.), während Pieter Nieuwland (1764—94) mehr nad) den Rö- 
mern und Griechen fich bildete. Wild. Bilderdijk (f. d.), trefflich ausgeftattet mit vorzüglicher 
Begabung, umfaffender Literaturfenntnig und feltener Sprachgemwandtheit, glänzte in allen 
poetifhen Gattungen, im Igrifchen, dramatifchen, ergählenben, befchreibenden und bibattifchen 
Gedichte, und vermochte Doch keiner einen neuen fchöpferifchen Geiſt einzuhauchen, weil er mit 
ſtörriſchem Eigenfinn an Boileau's pebantifchen Regeln fefthielt, die ihm auch bad Verſtändniß 
der engl. und beutfchen Literatur verfperrten. Wärmer als Bilderdijk ift ber Lyriker I. F. Hel⸗ 
mers, ber beſonders burch fein befchreibendes, den Ruhm bes Baterlandes feiernded Ge⸗ 
dicht „De Hollandsche Natie” großen Beifall fand. Durch Gedankentiefe zeichnete im lyriſchen 
und Lehrgedicht fich vortbeilhaft aus der Kantianer Joh. Kirker. Der gemüthliche Hendrik 
Tollens (geb. 1780) ift als Lyriker der erklärte Liebling feines Volkes, und feine „Overwinte- 
ring der Hollanders op Nova-Zembla” gilt al& das befte befchreibende Gedicht der holl. Kitera- 
tur. Berner fanden beifällige Aufnahme bie Lyriker Cornelis Loots (1765—1834), Adriaan 
Loosjes (1761 —1818), der auch im Drama und Roman fich verfuchte, Ab. Simons (1770 
. —1854), Hazo Albert Spandow, ber faft ganz nach deutſchen Muftern gebildete Barteld Hen⸗ 
drik Lulofs und Bilderdifl’ Schüler und Xobrebner: Iſaak da Kofta. Eine wirkliche Berei⸗ 
herung brachte ber vaterländifchen Literatur ber begabte Jan van Lennep (f. b.), indem er, an« 
geregt durch Byron und Walter Scott, die Romantik einführte und den falfchen franz. Elaffı- 
cismus erfolgreich zurüddrängte durch gelungene Behandlung vaterländifcher Sagen und Ge 
ſchichten in poetifchen Erzählungen und Hiftorifchen Nomanen. Am naͤchſten fteht ihm in ber 
poetifchen Erzählung A. Bogaers (‚„Jochebed”, 1855 ; „DeTogt vanHeemskerk naar Gibral- 
tar‘, 1837; „Balladen en Romanzen“, 1846), inn Roman 9. van ben Hage („Het Slot Loe- 
vestein”, „De Schaapherder” u. A.). Aus älterer Zeit find von Romanſchriftſtellern nur zu 
nennen die beiden Freundinnen Elizabeth Wolff, geb. Bekker (1758 —1804), und Agatha Des 
ten (1741— 1804), welche Sittenfchilderungen in dee Manier von Cats lieferten. Neuerdings 
ift auch die Auerbach'ſche Dorfnovelliftit nicht ohne Glück durch C. van Schad eingeführt wor- 
ben. Als eine feltene Erfeheinung in den Niederlanden verdient noch Erwähnung der Humo⸗ 
rift Arend Fokke (1755 — 1812), ber im „Modernen Helikon” die Sentimentalität geiftreich 
verfpottete und in feiner „„Boertige Reis door Europa” und in „HetHoekje van den Haard“ die 
Geſchichte von Frankreich und England wigig parodirte. Im Drama haben Viele fich ver- 
fucht, Bilderbijt, Loosjes, Feith, Tollens, Kliin u. A. doch ohne irgend erheblichen, gefchweige 
ihren anderweiten Leiftungen entfprechenden Erfolg. Die niederl. Bühne lebt gegenwärtig faft 
nur von Überfegungen, und Iffland und Kogebue ſcheinen bei ihr ein bleibendes Unterfommen 
gefunden zu haben. Die Profa, feit Ger. Brandt tief geſunken und verderbt, ward zuerft wieder 
gereinigt und erhoben durch den gefchmadvollen Zuftus van Effen (1684—1735) in feinem 
„Hollandschen Spectator” (1751— 35), einer belehrenden Wochenfchrift nach dem Muſter des 
engl. „Spectator”. Friſche innere Lebenskraft aber gewann fie erft wiederum zugleich mit der Er⸗ 
hebung ber Poefie um den Ausgang bes 18. Jahrh. Außer ben bereits genannten Geſchicht⸗ 
ſchreibern, Rebnern und Romanfcriftftellern pflegten fie mit Auszeichnung Hulshoff (geft. 
1795), Dennert, de Boſch (gefl. 1814), Siegenbeek, Bilderdijk, Geel. 

Niederrhein, franz. Departement im Elfas, f. Rhein. 

Niederrheinifcher Kreis ober Kurrheiniſcher Kreis, einer der zehn Kreife des Deutfchen 
Reiche, zu beiden Seiten bes Rhein und den Öberrheinifchen Kreis durchſchneidend, umfaßte 
folgende Territorien: 1) die kurmainz. Länder und zwar das Erzſtift Mainz, bie Stadt Erfurt 
nebſt Gebiet und das Eichöfeld ; 2) das Erzſtift Trier; 3) das Eraflift Köln; 4) die Pfalz am 





—. Wiedrige af w: 


Ehein; 5) dat — — Drdend Bauei Koblenz; 7) Die. Herr· 
Den bie hen Bürfen ;8)die Rider: fenbur; 
er St 
Figerm ber genannten Batte auch bez Bürt gu Zum und Tanis Cip und Stimme 
—— Des Directorium führte Kurmalnz. Die Kreistage wurden ſeit der 
Mitte deb 17: Ja! —E jalten. Der bei weitem größte Theil dieſes Krei 


meiſten 
Bremen und die Fütftenthlimer Lüneburg oder Celie, Srubenhagen und Kalenberg; 5) das 
ürftenehum Wolfenbüttel; 4) das Fürftenthum Hafberftadt; 5) die Hergogehümer Medlene 
ed r nu Bey meh ) das Herogthum So wi, nebſt — 
Pinneberg un a; 7) das Bis tbesheim; ſogthum jene 
Lauenburg; ” vn jochflift Lübec 10) das Biene um — — durſien 
NRapeburg; 1 ut Blankenburg; 15) im Grafſchaft Rangau; 14) 
9— Goslar; 1 47) Nordhaufen; is) Hamburg; 19) Bremen. Auf * 
Kreistagen des Niederſãchſiſchen Kreiſes zu Braunſchweig oder Lüneburg, die aber feit 1082 
— I Au sera wurden, —— abwechſelnd Magdeburg (Brandenburg) und Bremen 
jeburg, 
Pad oder ik — nan in der Chemie alles Das, was ſich aus einer 
In feier Form von ſelbſt oder af; Bufag einer andern Flüſſigkeit (des Fallungsmit · 
3— sche —— die meiften Körper ren Auflöfungen beim Zufammenbringen mit 
—— uflöfungen (ſ. Ren; —2 jarakteriftifch —— —* 
——— 35 ir die analytiſche Chemie. Auch die meiſten Farben und 
— im Großen als Niederſchläge gewonnen. Die Nieder · 
— —* Era je nach ihrer Befch ee So unterf&eidet man Ergflalli- 
flodige, Fäfige, gelatinöfe Niederfehläge u. f. w. Wenn Niederfehläge fo fein 
as und 34 geing find, daß ihre Theilchen nicht Bent unterſchieden werben können, be 
dient man fich der Ausdrüde Zrübung, getrübt. — Niederfhlagsarbeit Heißt im Blei und 
— die Schmelzoperation, bei der man dutch Zufag von Eifen den mit Schwe · 
verbundenen Ergen einen Theil ihres Schwefels zu entziehen ſucht. — Atmoſphäriſche 
ſchläge nennt man alle Formen, unter denen f ſich Waffer aus der Luft auf die Erbober- 
fläde — —— bes Negen, Schnee, Hagel ur. f. w. Es gehört zuden Aufgaben der Me- 
der Negenmeffer die Quantität diefer Nieberfchläge während eines Jahres 
für — zu beſtimmen, und man pflegt dies Ma Ad anzugebeit, daß man bezeichnet, 
wie viel Er Hoch am N gahresfehfuffe b a8 Waſſer die Erde bi würde, wenn nichts abge · 
verdunſtet oder in die Erde gedrungen wäre. — Si der Rhythmik und Muſit iſt 
rar ‚gleichbedeutend mit THefis und dem Auffchlag oder der Arſis entgegengefegt, 
Miederjchlagende Mittel nenne man foldhe, bie eine Aufregung des Gefäß. und Nerven 
foftems, wie fie nach Geitung, Schred, Hrger uf. zu —— pflegt, beſchwichtigen ſollen. 
Dahing ören : Zudetwaffer, verdüünnte Pflanzenfäuren, Wein ſtein und andere kühlen de Salze. 
15, Ki Mittel.) Als Hansmittel bebient man ſich in folchen Fällen fehr oft der Nie · 
‚den Pulver, ivelche gewoͤhnlich aus Salpeter und ftein beſtehen. 
eSufeli, Gefährliche Infeln oder Archipel des Böfen Meeres, in der Landes · 
ober Perleninfeln genannt, der weitlaͤufigſte Archipel der —— Inſel· 
welt, eine über Mn Breiten und 15 Langengtade in ber Richtung von NW. gegen SD. ſich 
erftreddenbe Kette von Infeln, Gürtelriffen * ‚Klippen in 66 Gruppen, zwiſchen 14% und 28°) 
FBr, 116-154 w. £, im NO, D. und SD. der Gefellfhafteinfeln, beftehen, mit Aus - 
— — der — flachen und I Raguneninfeln der Koral · 
een en Uenxiffen befäet, Beöhafb und wegen der hefs 
Höchft’ gefährlich zu durchſchiffen imd unter dem Namen de des Ben Ders 


334 Nielloarbeiten Niembſch von Strehlenau 


berüchtigt. Aus dieſen Riffen haben ſich die Infeln gebildet, die zum Theil erſt wenige Fuß hoch 
mit Erde bedeckt und deren viele in der Mitte vertieft find und Lagunen oder Seen bilden. So— 
wol die Vegetation wie das Thierreich der Juſeln zeigen fich überaus dürftig und unvollkom⸗ 
men. Dennoch haben die Infeln Bewohner, die ſich mittel der Gocospalme und Fifche küm⸗ 
merlich erhalten und großentheils jegt zum Chriſtenthum bekehrt find. Die bemerlenswertheften 
Gruppen find: bie Ballifergruppe oder bie eigentlichen Pa-umotuinfeln; bie Chain⸗ oder Ket⸗ 
teninfeln, beide mit evang.«chriftlichen Bewohnern; bie König-Beorgs-Infeln, beren Bewoh⸗ 
ner den Zahitiern gleichen und die Sprache berfelben verftehen ; die Bambierinfeln, zu welchen 
Mangareva ald Hauptinfel, Altena, Akamaru und Taravai gehören, und deren angeblich 4000 
Seelen ſtarke Bevölkerung Fatholif if. Unter den im äußerften Süden zerſtreut liegenden Ei⸗ 
landen ift Pitcairn (f. d.) die merfwürbigfte Infel. 

Nielloarbeiten (wahrſcheinlich vom lat. nigellum: ſchwärzlich) nennt man die auf Gold» 
oder Siiberplatten mit vieler Zartheit eingegrabenen Zeichnungen von Verzierungen ober Fi- 
guren, bei denen bie vertieften Rinien mit einer dunteln Maffe, dem Niello, ausgefüllt find, da⸗ 
mit die Arbeit um fo beutlicher hervortrete. Die Niellomaffe befteht aus einer Mifchung von 
Biber, Kupfer, Blei und Schwefel, bie mit Hinzufügung bes nöthigen Borax zufammenge 
ſchmolzen wird. Nach bem Kaltwerben verfeinert man die Eompofition durch öfteres Umſchmel⸗ 
zen; dann wird fie geftoßen, durch ein Sieb gefchlagen und in biefer Geſtalt über bie eingegra- 
benen Linien gebracht. Wahrfcheinlich kannte man biefe Kunft ſchon im Alterthume. Ein Mei⸗ 
fter in derfelben war Finiguerra (f. d.) zu Florenz. In neuerer Zeit ſchien die Kunft des Niello 
ausfchließlich den Ruſſen zu gehören. Man legte nämlich viel Gewicht auf die Echtheit einer 
fogenannten Zulabofe, d. h. einer in Tula fabricirten Niellobofe von vergolbetem Silber und ge 
wöhnlich nicht fehr gragiofer Zeichnung. Diefe fo verzierten Doſen wurden unverhältnigmäßig 
theuer bezahlt, bis man zur Überzeugung gelangte, baf fie anderswo, namentlich in Paris, viel 
beffer und fchöner gemacht werben konnten. Vgl. Duchesne, „Essai sur les nielles, gravures 
des orfövres florentins du 15m0 siöcle” (Par. 1826). 

Niembſch von Streblenau (Nikol.), unter dem Namen Kikolaus Lenau auf ben Gebiete 
der beutfchen Igrifchen Poefie der würdige Genoffe Uhland's, Rückert's und Anaſtaſius Grün's, 
war zu Cſatad in Ungarn 15. Aug. 1802 geboren. Nachdem er in Wien den philofophifchen 
Eurfus durchgemacht, widmete er ſich dem Studium der Rechtswiflenfchaft und dann bem der 
Heilkunde, ohne fich jedoch zu einer firengen Berufsthätigkeit entichliegen zu können. Seine 
Dichterkraft wurde genährt durch größere Reifen in die öftr. Alpen und 1832 nach Norbame- 
rika. Nach feiner Rückkehr hielt er ſich abmwechfelnd in Wien, in Iſchl und in Stuttgart auf. 
An legterm Orte wurde er im Det. 1844, als er eben im Begriffe ftand, nach Frankfurt a. M. 
abzureifen, um fich dort zu verheirathen, von einer Geiſteskrankheit ergriffen. Er warb in bie 
Heilanftalt Winnethal, von da 1847 nad) Oberdöbling bei Wien gebracht, wo er enblich 22. Aug. 
1850 ftarb. Als Schriftfteller trat er zuerft 1832 auf mit einer Sammlung „Gedichte“, ber 
1838 „Neuere Gedichte” folgten. Beide Sammlungen erfchienen fpäter vereinigt als „Gedichte“ 
(Bd.1,14.Aufl., Stuttg. 1852; Bd.2,12.Aufl., 1852). Zu den formellen Vorzügen diefer Ge- 
dichte gehört hauptfächlich ein feltener Wohllaut. Im Inhalte fehr verfchieden, hat die Mehr⸗ 
zahl zu ihrem innerften Kerne eine finnige, oft tieffinnige Auffaffung des Naturlebens, welche ſich 
auch durch dieReflerionen und Bilder bindurchzieht und den Gedichten eine höchſt anziehende Fri⸗ 
ſche, Wahrheit und Urfprünglichkeit verleiht. Am höchſten fteht er da, mo er ſich der vollen Ein⸗ 
fachheit des Volksliedes anfchließt und indiefem Zone namentlich ergreifende Bilder aus feinem 
Heimatlande malt. In den Gedichten diefer Art tritt aber auch fchon eine tiefwurzelnde Melan- 
cholie hervor, die fich nicht felten bi6 zum Schauerlichen fleigert, ohne jedoch Die Grenzen des Schö⸗ 
nen zu überfchreiten. Mit perfönlichen Verftimmungen find wol audy bie Gedichte zu entſchul⸗ 
digen, welche ex gegen feine frühern Tadler und Kritiker richtete. Nicht wenig haben feine Po⸗ 
lenlieder, rein elegifchen Inhalts, dazu beigetragen, ded Dichters Namen in weiten Kreifen zu 
verbreiten. Eine ganz andere Richtung ſchlug N. in drei gröfern Dichtungen ein, nämlich in 
„Fauſt“ (zuerft ald Fragment in dem von N. herausgegebenen „Frühlingsalmanach“, Stuttg. 

1835 ; 4.Aufl., 1852), „Savonarola” (Stuttg. 1837; 2.Aufl,, 1844) und den „Albigenfern” 
(Stuttg. 1842; 3. Aufl, 1852). Bei unverkennbarer Kraft und Eigenthümlichkeit in Auffaf- 
fung und Ausdrud und den herrlichften Eingelnheiten beweifen Doch die Mängel diefer Dich⸗ 
tungen, daß N. vorherrfchend nur ein Igrifcher Dichter war; denn wiewol er auch hier bie Ein- 
beit des Gedankens und ber Sefinnung bemahrte, vermochte er boch die Verſchmelzung der ly⸗ 
riſchen, epifchen und dramatiſchen Beftandtheile diefer Dichtungen künſtleriſch nicht durchzu⸗ 


Niemcewicz Riemen 235 


führen. Oft Hält es fogar ſchwer, den leitenden Grundgedanken Mar zu erfennen. Am meiften 
gilt Dies vom „Fauſt“, in welchem bie alte Volksfage faft ganz verlaflen ift, inden: die aus &tolz 
bervorgehende Selbſtqual bes Helden zum Mittelpunkt der Handlung geniacht wird, die ihn 
dem Teufel verfallen laßt, weil er nicht Gott gleich fein kann. Bleichmäßiger und vorberrfchend 

fh iſt „Savonarola” durchgeführt; boch fleht auch hier ber fpeculative Gehalt mehrfach im 

iberfpruche mit der Form der Erzählung. An einzelnen Schönheiten am reichften und am 
meiften zu gleichmäßiger Einheit burchgedrungen find die „Albigenſer“. Als dieſen Poefien 
gemeinfam kann der Kampf für veligios-fittliche Freiheit betrachtet werden. Nach N.'s Tode 
gab Anaft. Grün feinen „Dichterifchen Nachlaß“ (Stuttg. 1851) heraus, deſſen Haupttheil 
der „Don Juan’ bildet, den N. felbft für feine befte Arbeit hielt, der aber weder die Form des 
Drama noch bie Klarheit der Idee in vollendeter ZBeife darfiellt. Die allgemeine Theilnahme 
an Rs größern Gedichten, zugleich auch die mannichfachen Schwierigkeiten ihres Verftänd- 
niffes bemweifen die Schriften: „Über Lenau’s Kauft” von Johannes M—ı (Stuttg. 1836); 
„Rikol. Lenau, feine Anfichten und Zendenzen“ von Uffo Horn (Hamb. 1838); „Nil. Le 
nau. Gine ausführliche Charakteriftit des Dichters” von Opig(2pz. 1850) ; Niendorf, „Lenau 
sn) (2p3. 1853); „N. Lenau's Briefe an einen Freund” (berausgeg. von Mayer, 

tuttg. 1853). 

Riemcewic, Julian Urfin), ausgezeichneter poln. Gelehrter und Staatsmann, geb. 1757 
zu Skoki in der Woſewodſchaft Brzesc in Lithauen, erhielt feine Ausbildung in der Cadetten⸗ 
anftalt zu Warſchau und trat 1777 als Adjutant Czartoryiſki's in das lith. Heer ein. Er 
unternahm bann eine mehrjährige Reife nach Frankreich, England und Stalien. Im J. 1788 
verließ er ben Militärdienft mit dem Range eines Majors. Zum Landboten auf ben Reichstagen 
von 1788 — 92 berufen, wirkte er eifrigft und mit glängender Beredtſamkeit für die Conſtitu⸗ 
tion vom 3. Mai 1791. Um auch das Volk zu gewinnen, gab er mit Moftowfli und Weyſſen⸗ 
hoff bie „Gazeta narodowa” heraus. In gleicher Abficht ſchrieb er das politifch-fatirifche 
Luſtſpiel „Die Nüdkehr des Landboten” (Warfch. 1791). Aus einem kurzen Exil, zu bem ihn 
bie Anhänger der Conföberation von Targowig nötbigten, rief ihn die Infurrection von 1794 
zurüd. Er wurde einer der Adjutanten Koſciuſzko's und mit biefem bei Maciejowice gefangen 
und in Petersburg zurüdgehalten, bis er mit den Übrigen bei Paul's Thronbeſteigung bie 
Freiheit erhielt. Wie Koſciuſzko ging auch N. nach den Vereinigten Staaten, wo er eine Zeit 
lang in bem Haufe Wafhington’s lebte und zu Neuyork mit einer Amerikanerin, Levingſton⸗ 
Kean, fig verheirathete. Nach Napoleon’s Einmarfch in Holen kehrte er 1807 nach Warfchau 
zurüd und wurde Senatsfecretär und Gaftellan ; doch Iebte er vorzugsweiſe den Wiffenfchaften 
auf feinem Landhaufe Urfinow bei Warſchau. Nachdem Polen ald Königreich mit Rußland 
bereinigt war, wurde er Präfident des Conftitutionscomite und hatte ben größten Einfluß auf 
bie Abfaffung der Verfaffungsurfunde. Auch wirkte er als Präfident der Geſellſchaft der 
Freunde ber Wiffenfchaften. Beim Ausbruche der Revolution 1830 wurde er fogleich zum 
Mitgliebe des Adminiſtrations raths ernannt und ſchrieb als Senatsſecretär das Protokoll, 
durch welches das Haus Romanow vom poln. Throne ausgefchloffen fein follte. Durch feinen 
bedachtſamen Rath war er gleichfam der Neftor des Senats. Kurz vor dem Falle Warfchaus 
verließ er fein Vaterland und ging nach Paris. Dier war er wieder literarifch thatig und grün- 
bete eine öffentliche poln. Bibliothek für die Emigranten, fowie eine Gefelfchaft für poln. Ge 
ſchichtsforſchung. Indeſſen hatte er wegen feiner Anhänglichkeit an den Fürften Czartoryiſti 
mandherlei Kränkungen von Seiten ber bemofratifchen Partei zu ertragen. Er farb zu Pa- 
ris 21. Mai 1841. Beine vorzüglichften Schriften find: „Hiſtoriſche Gefänge der Polen” 
(Warſch. 1816 und öfter; deutſch von Gaudy, Lpz. 1833); „Geſchichte ber Regierung König 
Sigismund’s III. von Polen” (3 Bde, Warſch. 1819; neue Aufl, Brest. 1836): „Samme 
(ung von Memoiren zur alten poln. Geſchichte“ (5 Bde. Warfch. 1822; neue Aufl, 2pz. 
41840). In feinen Briefen poln. Juden, „Levi und Sara, ein Gittengemälde” (deutſch, Berl. 
41825), ſchildert er den elenden geiftig-fittlihen Zuftand dieſes Theils der poln. Bevölkerung. 
Sein, Roman „Johann von Tencayn” (3 Bde., Warſch. 1825; deutlich, Berl. 1828; 2. Ausg, 
1834) führt ben Leſer in eine der glängendften Epochen ber poln. Geſchichte, die Zeit bed Kö⸗ 
nigs Sigismund Auguſt. Geſammelt erfchienen feine poetifchen Schriften in zwölf Bänden 
(£ps. 1840). Aus feinem bebeutenben literarifchen Nachlaffe find nur die „Notes sur ma 
captivil6 à Peterubourg” (Par. 1843) veröffentlicht worden. 

Riemen, einer ber bebeutendern Blüffe des weftlichen Rußland und Oſtpreußens, mit einem 
Laufe von 115 M. und. einem Stromgebiet von 2020 OM., entipringt im Walde von Kopi“- 


338 Niemeyer 


low, füdli von Minsk, und wird bei Bielica für kleinere, bei Grodno für größere Fahrzeuge 
ſchiffbar. Er bildet von Grodno an die Grenze zwiſchen Rußland umd Polen, tritt als Memel 
mit einer Breite von 1000 $. bei Schmalleningken in das preuß. Gebiet umb geht zulegt in zwei 
Hauptarmen, Gilge und Ruf, welche bie fruchtbare Zilfiter Niederung oder Nehrung bilden, 
in das Kurifhe Haff. Auf diefem Fluſſe, bei Zilfit, fand 1807 die benfwürbige Unterrebung 
zwifchen Aleranber I. von Rußland, Friedrich Wilhelm II. von Preußen und Napoleon flatt. 
Die Ufer des Niemen find flach, oft fumpfig, namentlich in Rußland. Unter feinen Nebenflüffen 
zeichnen fich die ſchiffbare Wilia in Rußland und die Jura und Szezuppe in Preußen aus. 
Verkehr auf dem Niemen ziwifchen Preußen, Polen und Rußland ift fehr bedeutend; Rußland 
führt auf demfelben Holz, Getreide, Flache, Hanf und Talg aus, während Preußen Rohzuder, 
Leinen, Wollen- und Metallwaaren u. |. w. auf demfelben nach Polen und Rußland einführt. 
Hiemeyer (Aug. Herm.), Theolog, Pädagog und geiftficher Liederbichter, geb. 11. Sept. 
1754 zu Halle an der Saale, erhielt auf bem daſigen Pädagogium und auf der Univerfität, wo 
er fich ber Theologie widmete, feine Bildung. Nachdem er ſich 1777 bafelbft habilitirt, wurde 
er 1780 außerordentlicher Profeffor ber Theologie und Infpector des theologifchen Semina⸗ 
riums, 1784 ordentlicher Profeſſor und Auffeher des königl. Pabagogiums, 1785 Mitdirector 
des Pädagogiums und bes Waifenhaufes, 1787 Director des pädagogiſchen Seminartums, 
1792 Confiftorialrath, 1794 Doctor der Theologie, 1800 Director des Almoſencollegiums 
und 1804 Wirklicher Oberconfiftoriafrath und Mitglied bes berliner Oberfchulcollegiums. Im 
3.1807 wurde er nebft mehren andern angefehenen Männer feiner Vaterftabt ale Geifel na 
Frankreich deportirt, nach feiner Rückkehr aber 1808 Mitglied der Reichsſtände im Konigrei 
Weſtfalen und noch in bemfelben Jahre Kanzler und Rector perpetuus ber Univerfität zu Halle. 
Diefe Stellung verlor er 1813, ald Napoleon bie Univerfität wegen ihrer patriotifchen Geſin⸗ 
nımg auflöfte. Bei Wiederherſtellung der Univerfität 4814 Tehrte er zwar in die frühere 
Stellung zurüd, legte aber nachher die Stelle eines Kanzlers nieder und wurbe 1816 Confiſto⸗ 
tialrath und Mitglied des Confiftorlums zu Magdeburg. Er flarb 7. Juli 1828. Die größten 
Verdienſte hat N. als pädagogifcher Schriftfteller. Als Theolog war er ſtets bemüht, geläu- 
terte Begriffe über die Lehren der Religion zu verbreiten. Seine vorzüglichften Schriften find: 
„Sharakteriftit der Bibel” (5 Bde; 5. Aufl, Halle 1794— 95; neuefte Aufl., von H. A. 
Niemeyer beforgt, Halle 18350— 31); „Philotas, oder Beiträge zur Beruhigung und Belch- 
tung für Leidende und Freunde ber Leidenden” (3 Bbe., Hale1779— 91; 3. Aufl. Lpz. 1808); 
„Timotheus. Zur Erwedung und Beförderung ber Andacht nachdentender Ehriften” (3 Bbe., 
Halle 1784; 2. Aufl, 1790); „Handbuch für chriftliche Religionslehrer“ (Bd. 1, 7. Aufl, 
Halle 1829; Bd. 2, 6. Aufl., 1827); „Briefe an chriftfiche Religionslehrer” (3 Sammlungen, 
Halle 1796—99 ; 2. Aufl., 1805); „Leitfaden der Pädagogik und Didaktik“ (Halle 1802); 
„Brundfäge der Erziehung und des Unterrichts” (3 Bde.; 8. Aufl, Halle 1824; 9. Aufl, 
herausgeg. von H. A. Niemeyer, Halle 18354 — 36); „Geſangbuch für höhere Schulen”; 
das unter bem Minifterium Eichhorn in Preußen verbotene „Lehrbuch der Religion für die 
obern Claſſen in gelehrten Schulen” (18. Aufl., Halle 1845); „Religiöſe Gedichte” (Halle und 
Berl. 1814). In feinen „Beobachtungen auf Reifen” (5 Bde, Halle 182026) ſchildert 
er anziehen und Iehrreich feine Neife nach England im I. 1820, eine frühere Reife durch 
Weſtfalen nach Holland und die Deportationsreife nach Frankreich. Vgl. Jacobs und Gruber, 
„Aug. Herm. N. Zur Erinnerung an deffen Leben und Wirken” (Halle 1831). — Niemeyer 
(Herm. Agathon), verbdienter Theolog, jüngfter Sohn des Vorigen, geb. 5. Jan. 1802 zu Halle, 
machte feine Studien auf dem Pädagogium und der Univerfität bafelbft und habilitirte fich, 
nachdem er nach feiner Promotion 1823 patriftifcher Forſchungen halber in Göttingen gelebt, 
1825 zu Halle. Von Jena, wohin er bereits 1826 ald außerorbentlicher Profeffor ber Theo- 
logie berufen worden war, kehrte er 1829 als Profeffor und Condirector der Frande'fchen Stif 
tungen nach Halle zurüd. Noch in demfelben Jahre wurde er zum erften Director ber Stif⸗ 
tungen ernannt, in welcher Stellung er ſich durch Gründung einer Realfchule und einer höhern 
Töchterſchule, durch verbefferte Einrichtung des Pädagogiums u. ſ. w. vielfach verdient machte, 
Zugleich für das Wohl feiner Vaterfiadt unermüdlich thätig, ward er 1848 von feinen Mitbür« 
gern zur berliner Nationalverſammlung gefendet, wo er ber Rechten angehörte. N. ftarb 6. Der. 
1851. Als akademifcher Lehrer Hielt er egegetifche Vorlefungen und leitete dad pädagogifche 
Seminar. Als Theolog gehörte er der hiſtoriſch⸗kritiſchen Schule an und bekannte ſich, durch⸗ 
derungen von praftifcher Religiofität, du einer rationaliftifhen Auffaffung des Chriſtenthums. 
Bon feinen größern wiffenfchaftlichen Leiſtungen find die „Collectio confessionum in ecclesüs 


Niemojowſti Nieren 2337 


reformalis publicatarum” (2pz. 1840) und die „Kritifche Ausgabe ber Luther'ſchen Bibel- 
überfegung” (Halle 1840 fg.) beſonders zu erwähnen. 

Kiemojowfti (Wincenty), poln. Landbote, geb. in einer angefehenen Familie 5. April 
1784 zu Slupin in ber Wojewodfchaft Krakau, fudirte zu Halle und Erlangen die Rechte und 
bekleidete Darauf ein offentliches Amt zur Zeit bes Herzogthumd Warſchau. Nachdem er 1818 
in den poln. Reichstag berufen worden, zeichnete er fich bald burch feine Heftige Oppofition ge- 
gen Rußland aus. Er wurde aber verhaftet und zu ber zweideutigen Erklärung genöthigt, nie 
wieder vor dem Kaifer zu erfcheinen. Als er daher 1825 zum Reichstage nach Warfchau reifte, 
wurde er an den Thoren durch Gendarmen fefigenommen, nach feinem Landgute zurückgebracht 
und hier unter fleter Bewachung feftgehalten. Nach dem Ausbruche der Revolution von 1830 
ging er nad Warfchau, wurde Mitglied der Nationalregierung, erwarb fich allgemeine Ach ⸗ 
tung, legte jedoch nach den Mordſcenen im Auguft fein Amt nieder. Nach dem Kalle von War⸗ 
ſchau folgte er dem poln. Heere nad Moblin. Von ben Ruſſen gefangen, weigerte er fi in 
Warſchau, die Unterwerfungsacte zu unterzeichnen. Er wurbe erft zum Tode, dann zu ſchwerer 
Arbeit in den fibirifchen Bergwerken verurtbeilt und ftarb auf bem Wege bahin gegen Ende bes 
3.1834. — Niemojowſti (Bonaventura), des Vorigen Bruder, geb. 4. Sept. 1787, ftubirte 
auf den Univerfitäten zu Berlin und Erlangen. Nachdem er mehrjährige Reifen durch Deutfch- 
land, England und Frankreich gemacht hatte, erhielt er 1820 einen Sig auf dem poln. Reichs 
tage. Seinen Bruder an Rebnertalent überragenb, trat er mit demfelben an die Spige der Op- 
pofition gegen Rußland. Auch er wurde feit 1825 verhindert, an den Reichstagsſitzungen Theil 
zu nehmen umd nachher eine Zeit lang gefangen gehalten. Die Revolution von 1850, an bie er 
fich ſofort anſchloß, erhob ihn zum Juſtizminiſter, und nach Chlopicki's Fall wurde er Minifter 
bes Innern. Als er auf dem Neichötage die Aufhebung ber Leibeigenfchaft in den infurgirten 
altpoln. Provinzen nicht burchfegen konnte, nahm er feine Entlaffung und trat wieder als Land⸗ 
bote beim Reichs tag ein, wo er Skrzynecki's Operationsweife heftig angriff. Nach ber Erftür- 
mung Warſchaus war er eine kurze Zeit das Haupt ber damaligen poln. Regierung in Zakroc⸗ 
zyn; dann trat er mit Rybinſki nach Preußen uber, begab ſich nach Paris und flarb bafelbft 15. 
Juni 1835. R. fchrieb polnifch „Über die fegten Ereigniffe der poln. Revolution” (Par. 1853). 

Nieren (renes) nennt man bie zur Harnabfonderung dienenden Drüfen. Es find deren 
beim Menfchen und allen hohern Thieren zwei, die an der innern, hintern Oberfläche ber Bauch- 
böble zu beiden Seiten bes erften bis dritten Lendenwirbels liegen. Sie haben eine bohnenför- 
mige Geftalt, ſodaß man an ihnen eine vordere und hintere Fläche, einen äußern converen und 
innern audgefchweiften Rand und ein oberes und unteres Ende umterfcheibet. Die vordere Fläche 
ift von der Hintern Wand des Bauchfelld überzogen, bie hintere grenzt nach oben an den Lenden- 
theil bes Zwerchfells (f. d.). Der äußere Rand ift conveg, ber innere concav und mit einer in 
das Innere führenden Spalte (hilus renalis) verfehen, burch welche fich der Harnleiter in das 
Nierenbecken einfentt. Jede Niere hat eine eigene fefte, aber dünne Haut und ift mit loderm 
umd fehr fettreichem Zellgewebe umgeben, welches fie mit den angrenzenden Theilen verbindet. 
Die Subftanz der Niere befteht aus feinverzmeigten Gefäßen und Abfonderungsfanälden. 
Sie zerfällt in die äußere Rindenfubftan, und die Röhrenfubftang. Erftere ift röther gefärbt 
und gefüßreicher und wird aus dichten Kanälen oder Negen feiner Harnkanälchen (tubuli uri- 
niferi) gebildet, welche in den fogenannten Malpighi’fhen Bläschen ihren Urfprung nehmen 
und bafelbft mit Knäueln feiner Haargefäße verfnüpft find, aus deren bünnen Wandungen ber 
Harn hindurchſickert. Die Rohrenfubftanz befindet fich im Innern der Niere, in die vorige ein« 
gebettet, iſt weniger gefäßreich und bräffe: von Anfehen und enthält pyramibenförmige, aus fei« 
nen Abſonderungskanälchen gebildete Bündel (pyramides renales), welche die Ausführungs- 
gänge ber Harnkanälchen find und fich nad) und nach gabelformig miteinander zu größern Ka⸗ 
nälchen vereinigen, die endlich auf einer in den Hilus hineinragenden Spige endigen. Diefe 
Spige hat bie Geſtalt eines Heinen, mit feinen Offnungen verſehenen Wärzchens (papilla rena- 
lis), ragt, wie bemerkt, in die durch den Endaſt eines Harnleiters gebildete Höhle, welche Rie⸗ 
renkelch (calix renalis) heißt, hinein und ergießt in diefe ihre Flüffigkeit. Alle diefe Kelche, 7— 
14 an ber Zahl, vereinigen fich wieber zu zwei biß drei größern Schläuchen und diefe endlich zu 
änem einzigen, bem fogenannten Nierenbecken (pelvis renalis), welches trichterförmig in den 
Garnleiter (ureter) übergeht. Die Größe und das Gewicht ber Nieren find in verfchiedenen 
Körpern verfchieben, auch find Häufig beideRieren in demfelben Körper nicht von gleicher Große. 
Meift find fie —&'/, 3. lang, 2—3 3. breit, 1,—1’/4 3. did und 4—6 Unzen ſchwer. Über 
jeher Riere liegt noch eine Mebenniere (glandyla suprarenalis) von platt haldmondformiger 


338 Nierig Nieſen 


oder dreieckiger Geſtalt und weicher, ſchwammiger Conſiſtenz, welche zu den Blutdrüſen gehört, 
da ſie aus dicht ineinander geſchlungenen feinen Gefäßen beſteht und keinen wahrnehmbaren 
Aus führungsgang befigt. Die Function derſelben iſt unbekannt. Die Verrichtung der Nieren 
iſt, wie ſchon erwähnt, die Harnabſonderung, d. h. die Abſcheidung des Harns (ſ. d.) aus dem 
Blute, welches in zwei großen Pulsadern (den Mierenarterien) reichlich in dieſelben einftrömt. 
Da diefe Abſcheidung fo ſchnell vor fich geht, daß man ſchon zwei bis zehn Minuten nach dem 
Hinterfchluden manche in den Magen gelangte Subſtanzen im Urin wieberzufinden vermag, fo 
baden Manche geglaubt, daß eine unmittelbare Verbindung zwiſchen bem Darmkanale und den 

rnwerkzeugen flattfände; allein dieſe ift nicht nachweisbar. Won den Krankheiten der Nieren 
ift die gewöhnlichſte die erft neuerdings bekannter gemorbene Bright'ſche Rierenkrankheit 
(f.d.), außerdem bie Rierenentzündung (nephritis), am häufigſten als Rierenkelchentzündung 
(pyelitis) mit Ölut- und Eiterharnen verbunden, dabei oft, namentlich wo biefelbe durch Nieren- 
fteine (p. calculosa) bedingt wurbe, auch ein heftiger, feftfigenber oder anfallsweiſe wiederfehren- 
der NAierenſchmerz (nephralgia), welcher auch nach einigen Pathologen als reine ſelbſtaͤndige Ner- 
venkrankheit ohne Structurveränberung bed Organs fich zuweilen finden fol. Die Störung der 
Nierenausfcheidung gibt nicht felten die Urfache zu einer andern Krankheit ab, z. B. zu Urämie, 
zu Waſſerſucht, zu Steinkrankheit (f. Stein) und Gicht (f. d.). —5 „Die Krankhei⸗ 
ten ber Nieren” (deutſch von Schüge, Quedlinb. 1853); Bayer, „Über bie Krankheiten der 
Nieren” (deutfch von Krupp, Kaffel 1839 ; von Landmann, Erl. 1844). 

Nierig (Karl Buftav), beliebter Jugendſchtiftſteller, geb. 2. Juli 1795 zu Dresden, wo 
fein Vater Lehrer an einer Armenfchule war, befuchte einige Sabre die Kreuzſchule, wurbe aber 
in Folge körperlicher Leiden feines Vaters genöthigt, wider feine Neigung ſich bem Schulfache 
zu widmen. Nachdem er das Seminar zu Friedrichflabt- Dresden befucht, trat er 4814 als 
Hülfslehrer an der Schule feines Vaters ein, vermochte es aber erft 1828 nad) einer I Afährigen 
Amtsführung zu einem Gehalte von 150 Thlm. zu bringen. Eine etwas einträglichere Stellung 
erhielt er 1831 durch feine Beförderung zum Oberlehrer und 1841 zum Director ber Bezirks⸗ 
ſchule zu Antonftadt-Dresden. Neben dieſem mühevollen Amte entwickelte ex eine Ice ng 
reiche fchriftftellerifche Thätigkeit, zu ber ihn zuerft die Noth veranlafte. Seine erfte Drudichrift 
war „Das Pomerangenbäumchen”, welche 1830 in ber bresdener Zeitfchrift „ Merkur” er 
ſchien. In den naͤchſten Jahren lieferte er JZoummalbeiträge und einige felbftändige Erzählungen. 
Das rechte Gebiet für feine Wirkfamkeit aber fand er erft, als ihn 1854 Gubig auffoderte, 
Jugendfchriften nach dem Vorbilde Chriſtoph von Schmid's zu verfaffen. Seit diefer Zeit hat 
N. 81 Bände Erzählungen für die Jugend herausgegeben, welche meift in feiner „Jugendbi⸗ 
bliothek (Bd. 1 — 23, Berl., dann Lpz. 1840—53), feinen „Jugendſchriften“ (1. Sammlung, 
12 Bde., 2pz. 1846; 2. Sammlung, Bd. 1—10, 1847—52), in dem „Sähfifchen Volkska⸗ 
lender“ (2yp3. 1842 — 49 ; auch als „Preufifcher Volkskalender” in Berlin ausgegeben) und dem 
„Deutſchen Volkskalender“ (Lpz. 1850—53) vereinigt find und fein ganz entfchiedenes Talent 
zum Jugendfchriftftellec bezeugen. Zu den beften feiner Werke gehören „Das vierte Gebot” (Xpz. 
1845), „Sutenberg und feine Erfindung” (2p3. 1852), „Des Königs Leibwache“ (Berl.1849), 
„Das Vorbild” (Berl. 1850). Einige andere fehlen befonders darin, daß fie fich dem eigent- 
lichen Roman in einer für die Jugend nicht ganz geeigneten Weiſe nähern. 

Nierfteiner, gewöhnlich, aber fälfchlich, Aierenfteiner, ift ein berühmter Rheinmein, wel⸗ 
cher in der Umgebung bes dicht am Nhein, nördlich von Oppenheim gelegenen und 2300 E. 
zählenden großherzoglich heſſ. Dorfs Nierftein gebaut wird. Die befte Lage der nierfleiner 
Meinberge ift die Kled, deren Boden aus fandigem Kalkmergel befteht. Der Sag ift durchgän⸗ 
gig Riesling oder Orleans. Der nierfteiner Wein zeichnet fich durch Geift, Milde und Arom 
vortheilhaft aus. Erift nicht befonders ſchwer, wird aber aufdem Lager mit zunehmenden Jahren 
immer feuriger und beffer. Indeffen kann ein gewiffer Erdgeſchmack auch bei der beften Be⸗ 
handlung nicht entfernt werden. Aus beffern Lagen wird das Stück mit 800— 1000 Gldn. 
bezahlt. Der Nierfteiner ift einer der befannteften und verbreitetften Rheinweine, theils weil 
fein Ruhm aus den älteften Zeiten her batirt, theild weil fein Anbaugebiet fehr umfänglich if. 
Namentlich gehen unter feiner Etikette fämmtliche leichte Weine des angrenzenden Dorfs 
Nackenheim in den Hanbel. 

Nieſen (sternutatio) befteht in einem nach vorhergängigem Tiefeinathmen erfolgenden ge- 
waltfamen und fchnellen Ausftoßen der Luft durch bie Nafe allein oder theilweife mit durch den 
Mund mitteld einer plöglichen Zufammenziehung der Ausathmungsmuskeln des Bauchs und 
der Bruft. Diefe raſche, meift unwillkürliche, Frampfartige Ausathmung beruht auf einer Re 


Nieswurz Nießbrauch 239 


flegaction, welche in den Nerven diefer Muskeln vom Nervencentrum aus hervorgerufen wird. 
Der den Refleranftoß bedingende Nerv ift der Nafociliaraft des fünften Nerven, welcher die 
Naſenſchleimhaut mit Empfindungsfafern verfieht. (S. Nafe.) Zur Dervorrufung des Nies- 
kitzels dient jede Reizung der Nafenfchleimhaut und bes genannten Nafennerven : unmittelbar 
durch frembe in die Nafenhöhle gebrachte Körper ober beim Katarrh durch angehäuften ſtarken 
Schleim und Thränenfeuchtigkeit ; mittelbar durch Reizung der Augennafennerven beim Schen 
in die Somne oder auf fompathifchen Wege bei Neigungen der Unterleibsnerven. Das Niefen 
bezmedt zunächft Wegihaffung und Ausſtoßung bes bie Nafenfchleinihaut reigenden Körpers. 
Wird diefer daher nicht durch den erften Verfuch entfernt, fo fegt es fih fort. Dies geſchieht 
auch meift ein bis zwei mal nach ber Entfernung beffelben, ba die Reizung nicht fogleich aufhört. 
Man benugt das Niefen zumeilen als Beilmittel, 3.3. bei Kopfſchmerz, Benommenheit bes 
Gehirns, oder um bie Schleimhaut der Nafe ober anderer naheliegender Organe in erhöhte 
Thätigkeit zu verfegen, oder um eine heftige Erfchütterung der Nefvirationsorgane, z. B. bei 
Scheintod, zu erzielen. In diefen Fällen wendet man, um es hervorzubringen, entweder unmit- 
telbare mechanifche Reizung ber Nafenfchleimhaut(z. B. mitteld Kederpofen) oder die fogenann- 
ten Riesmittel (sternutatoria) an, zu benen Tabad, Hafelmurzel, florent. Violwurzel, Bete- 
nienmurzel, Nieswurz u. ſ. w. gehören und welche, fein gepulvert und auf die Nafenfchleim- 
baut gebracht, diefe theils mechanifch, theils chemifch reizen und dadurch Nieskigel und Niefen 
erregen. Die Gewohnheit, einem Niefenden Sefundheit zu wünfchen, iſt fo alt, daß ſchon Ari⸗ 
ftoteles ihren Urfprung nicht mehr anzugeben wußte. Es lautet nicht unwahrſcheinlich, daß, wie 
man gewöhnlich annimmt, bie Sitte bei einer Krankheit entftanden ift, in welcher das Niefen 
die heilfame Wendung bes Übels (z.B. bei vorher trodener Nafenfchleimhaut) anzeigte. Auch 
bei Opfern fah man das Niefen für ein günftiges Zeichen an. 

Nieswurz (Helleborus), eine zur Familie ber Ranunkelgewächfe gehörende Pflanzengat- 
tung, unterfcheidet fich durch fünf bleibende, öfters blumenkronartige Keichblätter, 8— 10 röhrig- 
zweilippige, fehr kurze und honigabfondernde Blumenblätter, zahlreiche freie Staubgefäße und 
3—10 Stempel. Es find ausdauernde europäifche Kräuter, mit meift kurzem Wurzelſtocke. 
Der Stengel ift faft blattlos oder feltener ſtark beblättert; die mehr oder minder ausbauernden 
Blätter find fußförmig getheilt mit länglichen oder Ianzettigen, gefägten Abfchnitten ; die Blü⸗ 
ten find endftändig und überhängend. Sämmtliche Arten gehören zu ben fcharfen Giftgewäch⸗ 
fen, welche draftifches Purgiren und Erbrechen und im größerer Gabe Entzündung bewirken. 
Ihren. Namen haben fie von ber Eigenfchaft ber getrodneten und gepulverten Wurzel, heftiges 
Niefen zu erregen. Die in Gebirgsmäldern und auf Voralpen des füblichern Deutſchland 
wachfende und bis nach Griechenland verbreitete ſchwarze Rieswurz (H. niger) wird bei uns 
in Gärten fehr häufig als Zierpflange gezogen. Sie befigt einen ein« bis zmweiblütigen Schaft 
mit großen weißen oder röthlich angelaufenen Blüten, welche fih gewöhnlich im December und 
den folgenden Monaten entfalten, weshalb die Pflanze auch Chriſtwurz und Weihnachtsroſe 
genannt wird. Die füßlich, dann kratzend⸗ſcharf und bitterlich ſchmeckende Wurzel ift in der 
Heilkunde gebräuchlich. Die berühmte Nies wurz ber Hippokratiker ſtammt von der orientali⸗ 
ſchen Nieswurz (H. orientalis), die einen beblätterten Stengel und grünlich⸗purpurröthliche 
Blüten trägt. Sie wuchs insbefondere Häufig bei der Stadt Anticyra (f.d.). Nach des Pau- 
ſanias Erzählung vergiftete einft Nebrus von Eos den Fluß Pliftus mit diefer Nieswurz und 
zwang dadurch die belagerte Stadt Cirrha, welcher er fo das Trinkwaſſer verbarb, zur Über⸗ 
gabe. Auch von der auf Hügeln und Bergen im füblichen und weftlihen Europa wachſenden 
ftintenden Nieswurz (H. foelidus) waren früher Wurzel und Kraut, welche fehr unangenehm 
riechen und bitter-fcharf ſchmecken, als Heilmittel gebräuchlich. Die ebenfalls officinelle weiße 
Aieswurz flammt von einem zu einer ganz verfchiebenen Gattung gehörenden Gewächs, dem 
weißen ®ermer (Veratrum album) aus der Familie der Melanthaceen. Diefe Pflanze treibt 
einen beblättertn Stengel, der in eine lange Rispe endet mittraubenförmigen zottigen Aftchen. 
Die gelblich-weißen, horizontal ausgebreiteten Blüten beftchen aus ſechs Blütenhüllblättern, 
ſechs Staubgefäßen und drei unten zufammengemachfenen Stengeln. Die Wurzel, welche in 
sehr großem Anfehen ftand und in vielen fchweren Krankheiten angewendet wurde, gehört zu 
ben ägenb-fcharfen Giftgewächſen und wirb jegt wegen der Heftigkeit der Wirkung felten und 
meift nur noch äußerlich angemwenbet. i 

Nießbrauch (ususfructus) Heißt das Recht, von einer einem Andern eigenthümlich zuftes 
henden Sache alle Nugungen zu ziehen, womit bann die befchränktern Rechte des Gebrauchs 
zu perfönlicdem Bebarf und der Wohnung bem Princip nach verwandt find. 


240 | Niethammer Niger 


Niethammer (Friedr. Imman.), deutſcher Philoſoph, geb. zu Beilſtein im Würtembergi⸗ 
ſchen 24. März 1766, wurde 1793 außerordentlicher Profeſſor der Philoſophie, 1797 der 
Theologie zu Sena, wo er in Wort und Schrift und im Verein mit Fichte u. A. als geifl- 
reicher und muthiger Kämpfer gegen das Eindringen eines plumpen Realismus in den 
“Kreis menfchlicher Bildung auftrat. Sehr verbient machte er fich auch durch die Begründung 
des „Philoſophiſchen Journal”, dad er anfangs allein (Bb.1—4, Jena 1795—96), dann 
mit Fichte (Bd. 510, Jena 1797— 1800) herausgab. Im J. 1804 wurde er ald Profeffor 
und Eonfiftorialrath nach Würzburg berufen, von wo er 1806 als proteft. Kreis⸗, Gonfiftorial- 
und Schulrath nah Bamberg ging. Im J. 1807 wurde er als Gentralfchul- und Studien- 
rath nach München verfegt und Mitglied der dortigen Akademie ber Wiffenfchaften, 1829 
erfter evangel. Oberconſiſtorialrath. Er trat 1845 in Ruheſtand und flarb 4. April 1848 zu 
Münden. Seine Ideen über dad Schulweſen, bie er in ber Schrift „Der Streit bes Philan- 
thropismus und Humanismus“ (Jena 1808) ausfprach, erfchienen verwirkficht in bem neuen 
Schulplane, ber 1808 in Batern eingeführt, 1829 aber wefentlich verändert wurde. Von N.'s 
Schriften find noch zu erwähnen: „Verſuch einer Ableitung des moralifchen Geſetzes aus ber 
Form ber seinen Vernunft” (Jena 1793); „Uber Religion als Wiſſenſchaft“ (Neuftrelig 1795); 
„DBerfuch einer Begründung des vernunftmäßigen Offenbarımgsglaubens” (Rpz. 1798). 

Nievre, ein nur ſechs M. langes, aber viele Hammerwerke treibendes rechtes Rebenflüß- 
chen der Loire im Innern Frankreich, mündet bei Nevers und bat feinen Ramen bem Departe- 
ment Nitvre gegeben, welches aus ber alten Provinz Nivernais und aus Heinern Stücken von 
Drldanats und Gatinals gebildet warb und ein Areal von 124, AM. hat, 459684 E. zaͤhlt, 
in die vier Arrondiffements Nevers, Chaͤteau⸗Chinon, Clamecy und Cosne zerfällt und Ne⸗ 
vers (f.d.) zur Hauptſtadt hat. Die Bergterraffe von Nivernais, welche fich im Welten an die 
Terraſſe von Bourbonnais anfchließt und im Oſten das fogenannte Morvangebirge bildet, 
befteht zwar faft durchweg nur aus wellenförmigen Bergflächen ohne Bipfelerhebung und 
Gebirgscharakter, gewinnt aber durch ihre tief eingefchnittenen Thaͤler ein wechfelvolles An⸗ 
fehen. Ste ift Im Welten, wo fie von ber Loire burchbrochen wird, kaum 600 $., im Offen 
aber, um Chäteau- Ehinon im Yonnethale, fogar 1818 F. Hoch. Das Morvangebirge mit 
feinen norbweftwärts auslaufenden Höhenzügen bifdet die Wafferfcheide zwiſchen Loire⸗ und 
Seinegebiet. Im Süden und Welten fließt die Loire felbft, welche bier rechts ben Aron, bie 
Nievre und den Nouain, links ben ſchiffbaren Allier an der Grenze aufnimmt. Won dem 
Kanal von Nivernats, der die Loire mit ber Yonne verbindet, gehort eine Strede von 
16, M. Hierher und von bem Seitenkanal der Koire 7% M. Der Boden befteht großen- 
theild aus einer Mengung von Thon ‚und Sand und ift ziemlich fruchtbar. Ränge der Koire 
wächft auf Kiesboden Wein in Menge. Die Landfhaft Morvan hat ſchweres Erdreich, ift aber 
wenig ergiebig an Getreide, defto reicher an guten Viehweiden und ſchönen Wäldern. Das et- 
was falte, dabei feuchte Klima verräth die Nähe der hohen Berge ber Auvergne. In der Regel 
ift die Getreideernte zureichend; Gemüfe und Obft werden im Überfluß gewonnen, ſowie Hanf, 
Safran, gute Weine, unter denen die weißen von Pouilly fi) auszeichnen. Die Waldungen 
nehmen JI—ZH4OAM. ein, enthalten fehr fhöne Eichen, Weiß- und Rothbuchen und liefern 
Holz zur Ausfuhr. Der Hauptreichthum bed Landes befteht in feinen Steinkohlenflögen, welche 
beſonders bei Decize im Betrieb ftehen, und feinen ergiebigen Eifenlagern. Sie bilden die Grund⸗ 
lage einer fehr lebhaften Eifenfabrikation. Beträchtlich iſt auch der durch natürliche und Fünfte 
Tiche Wafferftraßen geforderte Handel mit den Inbduftrieergeugniffen, fowie mit Brenn- unb 
Stabholz, Holzkohlen, Wein und Vieh. 

Niflheim, Nebelwelt, eine der neun verfchiebenen Velten, bie fich die alten Skandinavier 
im Anbeginn der Zeit dachten. Sie tft dab kalte Neich ber Finſterniß, von bem heißen bes Lich- 
ted, Muspelsheim, durch eine ungeheuere Kluft, Ginungagap, geſchieden. Bier fließt der vom 
Drachen Nidhugger bewachte Brunnen Hvergelmir, der 12 eifige Ströme entfendet, aus de⸗ 
ren Eistropfen, als fie vor den Feuerfunten aus Muspelsheim ſchmolzen, der haotifche Rieſe 
Ymer und die Kuh Audhumbla hervorgingen. N. war zugleich der Aufenthalt der bleihen To⸗ 
besgöttin Hel (f. d.), die hier alle an Krankheit oder Alter Verftorbenen aufnimmt. 

Niftel und Niftelgerade, f. Gerade. 

Niger, der größte und wichtigfte Strom Mittelafrikas, von feinen Anwohnern im obern 
Laufe Dſcholiba (Joliba), im mittlern und untern Quorra, richtiger Kawdra oder Kuära ge» 
nannt, entipringt mit feinem befannteften Quellſtrome auf der Norbdfeite bes Konggebirgs in 
Hochſudan, etwa unter 9°48’n. Br. und 9°4%/8”5.8. am Berge Loma in einem über 1500%. 


' Rider 3: 


hoben Terrain, im Ländehen Kifft. Diefer Quellarm, weicher den Namen Temba ober Timabk 
führt, vereinigt ſich oftlich vom Orte Kowia mit einem zweiten längern und flärfern Luellfironme, 
dem Ahmar ober Fluß der Wilden, welcher von Süben kommt und etwa unter 7°54'n. Br. unb 
7° 54 6.2. in dem Hochgebirge öftlich von Liberia entfpringt. Ass Dfcholiba durchfließt num 
der vereinigte Strom das Bergland ber Manbingos und tritt an ben Grenzen von Bambarra 
aus ber Bebirgsregion in die Ebene Sudans, in welcher ſeine Schiffbarkeit bei Marrabu beginnt. 
Erſt dei Dſchabbi (Jabbi) verlaffen indeſſen die legten Ausläufer ber weſtlichen Bergländer 
den R., der bis dahin, ungeachtet feines breiten Spiegels, einen ungemein reißenden Lauf 
bat, bei Dſchabbi aber, wo er die Breite der Themſe bei Weftminfter befigt, in einen fehr ſanf⸗ 
ten, oftnorböftlich gerichteten Lauf übergeht und zugleich zu einer Durch unzählige Fahrzeuge ber 
lebten Handelsſtraße, überhaupt zu ber größten Waſſerſtraße Afrikas wird. Unterhalb Sego 
und Sanſading find bie Umgebungen bed N. ungemein mannichfach und reizend, aber im 
—— fo flach, daß feine Fluten ſich in der Regenzeit weit und breit ergleßen. Nach den 
erſchwemmungen verwanbelt fi) das Umland in ungangbare, ungefunde Sümpfe, in benen 
zabllofe Elefanten, Löwen und andere Raubthiere haufen. In berfelben Strecke verzweigt fi 
der Strom in mehre Arme; zugleich nimmt er auf feiner Südſeite eine Menge größerer und 
Heinerer Flüſſe auf. Bon Sanſading fließt er norboftwärts bis in die Nähe von Dſchinnie, 
tritt in das Land ber Kiffer, wo er den aus deren Sprache entlehntn Namen Iſſa an- 
nimmt. Zwei Tagereiſen unterhalb Dfchinnie bildet er in feinem jegt nörblichen Laufe ben 
fehe bedeutenden, aber nur 12—15 %. tiefen Süßwafferfee Dhiebu ober Dibbie, auch Debo 
genannt, fließt bann bis an den Rand der Wüſte Sahara, worauf er fi von Kabra, bem 
Hafenplage von Timbuktu, etwa unter 17° n. Br. gegen Dftfübofl wendet. In feiner 
weitern Erſtreckung den Ramen Kuara führend, Durchbricht er dann zwifchen Kaffe 
und PYaseuri ſechs Tagereifen lang in einem eingeengten und mit Klippen erfüllten Bette eine 
walbbebedte Gebirgskette mit großem Ungeflüm. Andere Verengungen feines Bettes exleibet 
der Sctrom auch zwiichen Yaouri und Buffa, worauf er fich unterhalb der Handelsftabt Rabba 
wieber zu einer Breite von 14 DM. erweitert. Da die fogenannte Bergkette des Kong anfänge. 
lich feinen geraden Abflug ſüdwärts in den Meerbufen von Guinea verhindert, wird ex bier zu⸗ 
gleich zu einem großen Bogen nach Often gezwungen, bis endlich eine enge und höchſt pittoreske, 
den brechende Schlucht feinen Austritt aus dem Binnenlande möglich macht. Bei 
Kirzi, wo das weite Wlluvialland ber Küfte beginnt, gabelt ſich ber 8200 J. breite Riger zu» 
nacht in zwei große Arme, in den Benin ober Formofa im Weſten und den Bompfluß Im 
Dften, weiche die äußerten Grenzen feines weiten Deltas bilden. Innerhalb dieſer Grenzen 
finden jedoch noch mehre größere, durch unzählige Kanäle verbimbene Abzweigungen des 
Stroms flatt, von denen ber Mun ober Braßſtuß der wichtigfte-Urm ift. Die Ob des 
Migerbelte echebt fich Baum über ben Meeresfpiegel. Un bet Küfte iſt baffelbe ein 
mit ungen bedediter Sumpf, aus bem fich in der trodenen Jahreszeit die verberbe 
lchſten Miaſsmen entwideln. In der Regenzeit wird faft das ganze Delta überfchwenumt, bee 
Fluß führt dann außerordentliche Maſſen von Schlamm herab, ſodaß die Kusdeh bes 
Delta —— zunimmt. Der directe Abſtand der Quellen des N. von feiner Mün⸗ 
dung 250 M.; feine ganze Stromentwidelung hat man auf 650 M., fein Gebiet auf 
34000 . gefchägt, ſodaß ex zu ben größten Strömen ber Erbe gehört. Der Name R. 
ſtammt aus dem Älterthume und flimme mit der noch jept bei den Arabern gebräuchlichen Be⸗ 
nennung Ril⸗el⸗Kabir, d. i. der ſchwarze Fluß, überein. Herodot vermuthete, baf ber N. 
nad Weiten fließe und mit dem Nil ein und derſelbe Fluß fei. Diefe Meinung erhielt fig durch 
Alterchtun, Mittelalter und bei den Arabern bis in die neuefte Zeit. ZB. G. Browne in feinen 
„Traveis in Africa” (1799) war einer der Erſten, weiche diefe Meinung ernſtlich befämpften. 
Bis 1798 hatte noch Bein Europäer den N. gefehen. Mungo Park (f. b.) war ber Erſte, 
weicher in bein genannten Jahre die Stadt Sego erreichte und In bem Strome ben Niger bez 
Alten erfannte. Fürbie African association in London mußte die Erforſchung eines fo maͤchti⸗ 
ger Stroms, ber bie fruchtbarften und bevblkertſten Striche bes Sudan durchzieht, von größter 
chtigkeit fein. Daher wurde Mungo Park nad feiner Rüdkunft 1805 von neuem zur Er⸗ 
forſchung des N. ausgefenbet. Ex verfolgte beffen Lauf von Bammaky bis Timbuktu und 
erreichte Buffa, eines der bedeutendſten Handels emporien diefer Gegend. das Ende, wel 
des der & niunnt, wußte man nodh nicht das Beringfie, bis 1817 in London ein Reife 
bericht von June Niley Supercargo eines au bes afrik. Küfle geftrandeten Schiffe, veroffent 
Gun.sües;. Btnte Uni: Til. 16 





23 Migritien Nike 


ficht wurde, welcher es als ausgemacht darſtellte, daß ber Niger das Gebirge durchbreche und 
ins Meer ausmünde. Durch die Reiſe Clapperton's und Denham's 1825 und vollends 
durch Clapperton's zweite Reife 1827 wurbe biefe Meinung beftätigt, und die brit. Regierung 
fendete nım 1850 Rich. Zander (f. b.), ben Begleiter Clapperton's, zu näherer Erforfchung bes 
Niger ab. Lander und fein Bruder gingen zu Rande nach Buffa, ſchifften von bort den Strom 
hinab und erreichten nach einer Fahrt von etwa 560 engl. M. das Meer. Die Quellen des N. 
batte ſchon 1822 Zaing (f. d.) unweit der Quellen des Senegal und Gambia auf bem Berge 
oma entdedt. Lander führte 1852 eine neue Erpebition aus, indem er von der Beninbucht 
mit zwei Dampffchiffen in den N, eindrang ; Daffelbe gefchah gleichzeitig durch Laird und 
Oldfield, von denen ber Legtere 100 engl. M. weit, bis Rabba, gelangte. Das Dampfſchiff 
Ethiope unter Capitän Becroft kam 1840 noch weiter. Die vielbefprochene Nigererpedi- 
tion, welche bie brit. Negierung 1841 ausfandte, iſt ungeachtet ber forgfältigen Vorkehrumgen 
gänzlich misglückt; aber Handelsbampfichiffe wieberholten ſeitdem jährlich bie Nigerfahrten. 

Nigritien, |. Sudan. 

Nihilismus (vom lat. nihil: nichts) heißt jede Theorie, welche auf nichts hinaus läuft. So 
3.2. würde man unter moralifchem Nihilismus eine Theorie zu verſtehen haben, welche den 
Unterfchieb von Gut und Bofe aufhöbe, unter phyſikaliſchem Nihilismus eine ſolche, welche alle 
natürliche Realität in bloße Relationen und Beziehungen, benen nichts Wirkliches zum Grunde 
läge, auflöfen wollte. — Nibilianismus wird bie dem Petrus Lombardus (f. d.) aus Mis- 
verftändniß beigelegte, von Alexander II. 4179 verdammte und von ben parifer Theologen um 
41300 öffentlich gemisbilligte Anficht genannt, dag Chriftus, infofern er Menſch iſt, nichts fei. 

Nikander, ein gelchrter griech. Arzt und Dichter, aus Kolophon gebürtig, lebte von 160 
— 140 v. Ehr. am pergamen. Hofe zur Zeit des legten Königs Attalus umd verfaßte mehre bi- 
baktifche Gedichte, die zwar nicht durch den Fluß der Verfe fich empfehlen, wol aber wegen der 
tüchtigen Kenntniß der Sachen, bie er behandelt, von den Alten fehr gefhägt wurden. Einige 
berfelben, namentlich bie „Georgica”, welche dem Virgil (ſ. b.) zum Mufter gedient haben fol- 
Ien, find verloren gegangen. Nur noch zwei, beſonders naturhiftorifch merkwürdige Gedichte 
befigen wir, die „Theriaca”, ober von den giftigen Thieren und den Mitteln gegen den Biß ber- 
felben, und „Alexipharmaca”, oder von ben Gegengiften überhaupt, bie ein Ganzes ausmachen 
und von Bandini mit ital. Überfegung (Flor. 1764), fpäter von Schneider (jenes Halle 1792, 
dieſes Kpz. 1816) mit einem trefflichen Commentar und zulegt von Lehrs mit lat. Überfegung 
(Dar. 1845) herausgegeben wurden. 

Nike, die Göttin des Siegs bei den Griechen, nach Heſiod die Tochter der Styr und bes 
Pallas, bei den Römern Vietoria genannt, erhielt in der bildenden Kunft der Erftern von den 
untergeordneten Gottheiten bie meifte individuelle Ausprägung, während die rom. Vietorien 
nur Allegorien in allgemeiner Wuffaffung find. Nike wirb mit einem langen, aber einfachen, 
aufgefchürgten und leichten Gewand vorgeftellt; in den Händen trägt fie Yalmen oder Kränze 
oder fonftige Trophäen. Urfprüngfich ift Nike nur Beiname der Athene (Minerva), die felbft 
als die Siegesgottin galt; erft Phidias fombolifirte die fiegbringende Eigenfchaft derfelben als 
eine eigene Göttin, die er feinen beiden berühmteften Kolofien, dem Olympiſchen Zeus und der 
ehernen Pallas Athene auf bie Hand ftellte. &o erklärt es fich auch, daß die älteften Nike 
figuren flügellos find. Später erft, als die Nike zur untergeordneten Göttin ausgebildet 
wurde, erhielt fie Slügel, und zwar zuerft von dem Bildhauer Anthermus, ber zwiſchen der 50. 
und 60. Olympiade auf Chios arbeitete und gern ben ſtrengen Bötterfiguren anmuthige allego- 
tifche Beziehungen anbildete. Unendlich vielfach wurde nım bie Abbildung der Nike. Man 
findet fie auf Bafengemälbden, Lampen, Gemmen, Münzen, auf ben Wandgemälden von Pom- 
peit, auf Wagen, den Siegern die Zügel führend u. |. w. Bei heiligen Spielen, Stegegeinzügen 
u. |. w. pflegte vermittelft einer Mafchinerie oder getragen eine Nike über dem Haupt der Ge 
feierten gu ſchweben. Helden, die fie felbft in Händen trugen, auch die Bötttn Athene felbft, 
hießen Nilepboren. Bei den röm. Katfern fegte man auch bie Nike auf die Erdkugel, welche 
bie Faiferliche Hand zu Halten pflegte. Der Kaifer Konftantin, der das Kreuz gern überall an⸗ 
brachte, gab es bei folcher Gelegenheit auch der Nike in die Hand. Lange entging die Nike der 
Verweiſung aus ber hriftlichen Welt; endlich aber mußte fie doch weichen, während das Kreuz 
bfieb, fodag nun aus Kreuz und Weltkugel ber Reichsapfel entftand. Bon bekannten Victoria- 
figuren befindet fich eine beſonders fchöne bronzene im Mufeum zu Kaffel; eine andere aus dem- 
felben Material und vergoldet, 4 F. hoch (1830 auf der mantuanifchen Grenze gefunden), in 
Berlin; eine 6 &. hohe, ſchreibende, mit großen Schwingen, im Mufeum Brescianum. Bon 


Nikobaren Nikolaiten 248 


Sietorienfiguren neuerer Bildner hat zunächſt bie von Schadow auf dem Brandenburger 
Thore zu Berlin Berühmtheit erlangt. Ausgezeichnete Victorien bildete ferner Rauch. Eine ſchwe ⸗ 
bende ſteht auf einer Säule bes Belle⸗Alliance⸗Platz in Berlin. Für die Walhalla fertigte der» 
felbe in Marmor vier figende, unter denen die fogenannte kranzwerfende von hervorragender 
Schönheit und berühmt geworben ift. — Auf der Akropolis von Athen, welche mit ihren Tem⸗ 
peln und Statuen den Hauptherd der Verehrung ber Pallas Athene bildete, erhob ſich auch ein 
Pleiner Tempel aus pentheliſchem Marmor, 27%. lang und 18%. breit, ber dem Dienft der 
Athene als Siegeögöttin gewibmet war. In bemfelben war das ungeflügelte Bild derfelben auf- 
geftellt, und er führte den Namen Tempel der Nike Apteros (ungeflügelt). Die Hauptverzie 
rung bes in ioniſchem Stil ausgeführten Gebäudes beftand in einem Fries, ber Schlachtſcenen 
zwifchen Griechen und Perſern in Reliefbarftellungen enthielt. Bier Platten davon befinden 
fich jet im Britifchen Mufeum. Die Statue der Göttin hatte einen Granatapfel in der einen 
und einen Helm in ber andern Hand. Die Überrefte bes Tempels wurden durch die von Roſt 
1835 geleitete Ausgrabung ans Kicht gebracht. 

Nikobaren, von den Dänen auch Friebrichtinfeln, von den Malaien Yulo -&ambilong, 
b. i. Reuninfeln, genannt, heißen fieben größere und zwölf kleinere Infeln auf ber ſüdöſtlichen 
Seite des Bengalifchen Meerbufens in Dftindien, zwifchen den Anbaman (f. d.) und Su⸗ 
matra gelegen. Sie zerfallen in zwei geologifch verfchiebene, durch den Sombrerofanal getrennte 
Gruppen, bie zufammen ein Areal von etwa 30 AM. umfaſſen. Die ſüdliche Gruppe beſteht 
nur aus den zwei Infeln lein-Mikobar von etwa 4QM. und Groß⸗Nikobar von etwa 
12 DM., welche legtere die größte und füblichfte aller N. iſt. Beide haben Urwälber, 
find gebirgig und entwideln bie üppigfte tropifche Vegetation. Die Inſeln der nördlichen 
Gruppe, deren nörblichfte Car ˖ Nikobar heißt, find Pleiner, niedriger und ganz anders geflaltet. 
Sie haben theilweife ein ausgezeichnetes Eocosterrain, find aber im Ganzen weniger fruchtbar. 
Das Klima der Nikobaren ift recht eigentlich oceanifch; die Extreme ber Temperatur find mäßig. 
Die naffe Jahreszeit bauert aber bier nem Donate, während welcher ungeheuere Regenmaflen 
fallen und heftige Winde wehen, ſodaß alle Schiffahrt unterbrochen ift. Es gibt vielleicht keine 
Rocafität, wo bie tropifchen Fieber dem Menfchen gefährlicher find als auf diefen Infeln. Die 
Einwohner, beren Zahl auf 5000, von Anbern auf 412000 geſchätt wird, find malayifchen 
Stamms und ſtehen auf einer fehr ntebrigen Stufe der Bildung. Das ungefunde Klima bat 
bis jegt allen europ. Anfiebelungen unüberſteigliche Hinderniſſe entgegenfegt. So 1711 der An⸗ 
fiebelung der Sefuiten, 1778 der der Oftreicher auf Tamorta und ben verſchiedenen Verfuchen 
ber ‚ welche die ganze Gruppe 1756 in Befig nahmen. Den legten Colonifationsver- 
ſuch machten bie Dänen 1845, aber ſchon 1848 gaben fie die NRieberlaffung megen ber tödt- 
lichen Sieber wieder auf. Bon allen Europäern haben die Miffionare der Brübergemeine, bie 
auf Zancowry eine Station hatten, den größten Muth bewiefen. 

RNikodemus, der nach ber biblifchen Erzählung für die Wahrheit empfängliche, aber ſchüch⸗ 
terne Freund Sefu, war Pharifäer und Mitglied des Synedriums zu Jerufalem. Nach ber 
Gage lieh er fich fpäter taufen und wurde deshalb von ben Juden verbarmt, aber von feinem 
Better Gamallel heimlich unterhalten. Ob er mit dem im Talmud erwähnten Nitobensus, dem 
Gorion's, identiſch fei, laͤßt ſich nicht entſcheiden. Das in brei verfchiebenen Recenfionen‘ 
apofruphifche „Evangelium Nioodemi” ober „Acta Pilati” enthält offenbare Er⸗ 


Nikolaiten ift der Name einer angeblichen Kegerfekte, die im 1. Jahrh. n. Chr. in Syrien 
fich verbreitet Haben foll. Der Name wird zuerft in ber Offenbarung des Jo⸗ 
bannes Gap. 2, 6. 15. genannt, wo ber Verfaſſer gegen Verführer in Pergamus eifert, welche . 
nicht Bios die ben Heidenchriften gegebenen Speifegefege, fondern auch das Verbot ber Unzucht 
(Upsfidig. 15) verachtetin. Außerdem wird der Name in Feiner apoftolifchen Schrift erwähnt. 
Uns bieſem Grunde, ferner wegen der Bilderfprache in der Apokalypſe, wegen ber nur auf bie 
Angabe der Kirchenväter und wegen des Widerſpruchs, der fich in ihrer 
findet, Hat man mit Recht gefchloffen, daß der Name gar Fein eigentlicher Sektenname, 
nur eine von dem Apokalyptiker angenommene Bezeichnung für jene Verführer iſt. 
bie Tradition eine Kegerfekte dieſes Namens nannte und die Sektennamen nad bem 
der Stifter gebildet wurden, riethen bie Kirchenväter auf Nikolaus von Antiochien 
efch. 6, 5), weichen nun Irenäus und Zertullian zum Gtifter der Sekte machten, ob- 

ihn Lucas ald eine achtungswerthe Perfönlichteit barftellte. Ebenſo föilbert ihn Glemend 


if 


4 





Angabe 
fondern 


4 
g 









2 Ritolajew Nikolaus (Päpfte) 


von Alerandrien, nach defien Relation aber diefer Nikolaus bie unfchuldige Urfache ber Sekte 
gewefen fei. Diefer Nikolaus habe eine fchöne Frau gehabt und fei eiferfüchtig gewefen. Des- 
halb von den Apoſteln zurecht gewieſen, habe er feine Stau mit der Erklärung entlaffen, daß 
man bie Sinnlichkeit abgebrauchen (d. h. unterbrüden) müffe. Heidniſch gefinnte Chriften 
hätten biefe Außerung falſch aufgefaßt und fich zum fittlihen Indifferentiemus verirrt. Nach 
Srenäus dagegen follte Nikolaus feine Frau wieder zu fich genommen haben. Dieraus entftand 
im Mittelalter, als das Cölibatögefeg auflam, ber Ausdruck Mikolaitifhe Ketzerei für bie 
Prieſter, die ihre Frauen nicht von fich wieſen ober der Ehe wegen ihren Stand verließen. — 
Außerdem führte eine theofophifche Sekte in England den Namen Aikolaiten, nach dem Stif⸗ 
ter Heinrich Nikolai, ber feine Anhänger zu einer familia charitatis ober Liebesfamilie verei- 
nigte. Diefe Sektirer wurben aud) Familiften genamt und unter Elifabeth, die ein ſtrenges 
Edict (1580) gegen fie gab, umterbrüdt. 

—Nitlkolajew, eine neue, erft 1789 vom Fürften Potemkin gegründete Stadt im ruff. Gou⸗ 
vernement Cherfon, am Einfluffe des Ingul in den Bog, der bier nahe feiner Münbung in 
das Schwarze Meer einen Liman bilbet, ber ſich mit bem des Dniepr vereinigt, bat zwei Häfen, 
große kaiſerl. Schiffswerfte, eine Lootſen⸗ und Schiffbauſchule und ift gegenwärtig, an ber 
Stelle Cherſons, der Sig ber Abmiralität bes Schwarzen Meeres. Sie ift vegelmäfig und ge 
ſchmackvoll angelegt, hat fchöne, breite, fich in rechten Winkeln durchkreuzende Strafen und 
meift prächtige, mit Golonmaben und Balkonen verfehene Häufer. Unter ben öffentlichen Gebäu- 
den zeichnen fich befonders aus das Admiralitätsgebäude, das Ratbhaus, bas Zollhaus, bie 
Kathedrale im neuern Stil und bie 1821 erbaute Sternwarte. Auch bat die Stadt einen ſchö⸗ 
an Marktplatz, einen öffentlichen Spaziergang am Kai des Ingul und an bemfelben Fluſſe, eine 
Stunde ftromaufwärts, ein herrliches, mit Paläſten und Parkanlagen berfehenes. Landgut des 
Admirald Greigh, Spaſtoje, welches früher bem Fürſten Potemkin gehörte. Das Klima iſt 

ſehr mild und gefund. Die Stadt zählt 30000 E., bie fich meift vom Handel und von ber Schife 
fahrt nähren. Zwei Meilen bavon, bein Dorfe Porutino am Bog, findet man bie fehenswer- 
then Ruinen von ber alten milefiihen Stadt Olbiopolis, unter denen beſonders ber fogenammte 
Hunbert-@räberplag fich auszeichnet. 

Nikolaus, einer der Hauptheiligen ber griech. Kirche, geb. zu Patera in Lyfien, wurde 
durch den Zufall, daf er ber Erſte war, ber zur Kirche Bam, verabrebetermaßen Biſchof 
von Myra in Lykien. Zur Zeit der Chriftenverfolgung unter Kaifer Diocletian eingekerkert 
und erft unter Konftantin befreit, machte er fich als Kämpfer gegen bie Arianer auf dem 
Concil zu Nicaa 325 bemerkbar. Er war bereits mehre Jahrhunderte im morgenländ. Reiche 
und bier und da auch ſchon im abenbländifchen als Heiliger verehrt worden, als einige Kaufe 
leute von Bari im 11. Jahrh. feine Gebeine aus ber Kirche zu Myra entwendeten und nad 
ihrer Vaterftadt führten. Sein Feſt fällt auf den 6. Der. 

Nikolaus heißen ſechs rom. Päpfte. — NRikolaus L oder d. Gr., 858— 867, ein Römer 
von Geburt, vorher Diakonus zu Rom, als Papſt berrfchfüchtig und energifch, belegte 863 den 
Patriarchen von Konftantinopel, Photius, mit bem Banne ımb gab dadurch Veranlaffung zur 
Trennung ber morgenländ. von ber abendländ. Kirche. Er berief fich zuerfi auf die pſeudoiſi⸗ 
borifhen Decretalen (f. d.), legte Kaiſer Lothar IT. Kirchenbuße auf und erlebte die Belehrung 
bes Königs der Bulgaren, Bogoris, nebft deffen ganzem Volke. In der abendländ. Kirche 
wurde erden Heiligen beigezählt. — Nikolaus IL, 1058 — 61, geb. zu Chevron in Savoyen, vor⸗ 
her Gerhard, Bifchof von Florenz, und mit dem Rechte, fein Bisthum beizubehalten, zum Papſte 
erwählt, wirkte viel zur Befeftigung der päpftlichen Macht durch Übertragung der Papſtwahl 
an die Sarbinäle, ebenfo durch allmäliges Einführen des Cölibats und durch Feſthalten an der 
firengern Orthoborie im Abendmahlsftreite des Berengar (f.b.) von Tours. In Nobert Guis⸗ 
card, Herzog ber Normannen, gewann er einen Lehnsträger und Befchüser feiner weltlichen Be⸗ 
figungen in Untrritalin. — Nikolaus IIL, aus dem Haufe Orfini, 1277— 80, war ein Freund 
ber Wiffenfchaften, zugleich aber Beförderer des Nepotismus. Die Wiedervereinigung der mor» 
genländ. und abendländ. Kirche würbe unter ihm vielleicht zu Stande gelommen fein, wenn er 
etwas nachgiebiger gewefen wäre. Kaifer Rudolf von Habsburg beſtätigte ihm alle Befigumaen, 
welche die Päpfte in Stalien hatten ; dadurch gingen zugleich alle kaiſerlichen Rechte über das Exar⸗ 
chat auf den päpftlichen Stuhl über. — Nikolaus IV., früher Hieronymus, Biſchof von Prä- 
nefte, Papſt von 1288 — 92, befchäftigte fich viel mit den hriftlichen Eroberungen in Paläftina, 
war aber nicht im Stande, einen Kreuzzug wieber zu bewerfftelligen. — Nikolaus , vorher 
Pietze Rainaluci oder Peter von Corbiere genannt, Gegenpapft von Johann XXII., eingefegt 


Nikolauns Pawlowitich (Kaifer son Rußland) 35 


4328 von Ludwig dem Baier, mußte ſich ſeinem Gegner unterwerfen, ſtarb im Gefängniffe 
und wird in der Reihe ber Päpfte wegen feiner unkanoniſchen Wahl nicht gezählt. — Mike 
Iaus VL, 1447—55, eigentlich Thomas di Sarzana oder Parentucelli, vor feiner Wahl Gar 
dinalbiſchof von Bologna, zog ale Freund der Wiffenfchaften namentlich viele Griechen in feine 
Staaten und forgte für eine bedeutende Erweiterung der vaticanifchen Bibliothek. Er ſchloß mit 
Friedrich 111. das fogenannte Aichaffenburger, eigentlich Wiener Goncorbat (17. Febr. 1448) ab. 
Nikolaus Pawlowitſch, Kaifer von Rußland feit 1825, der dritte Sohn bed Kaifers 
Paul 1. ({.d.) aus beffen zweiter Ehe mit Maria Feodorowna (Sophia Dorothea), Tochter bes 
6 Eugen von Würtemberg, wurde 25. Juni (7. Juli) 1796 im Schloffe Gatſchin 
bei Petersburg geboren. Mit feinem füngern Bruder Michael warb er unter den Augen 
feiner Mutter durch ben Grafen Lambsborf erzogen. Der als Gchriftfteller bekannte 
Storch, ber Sprachforfcher Adelung und ber Ruſſe Murawjew unterrichteten ihn in den 
Wiſſenſchaften, Dupuget aus Laufanne im Franzöſiſchen. N. bewies weniger Neigung zu 
wifienfchaftlihen Studien, erlernte aber leicht neuere Sprachen und liebte ımb übte dabei die 
Muſik. In feiner Jugend befchäftigte er fich, gleich Michael, viel mit dem Militärwelen. Selm 
son Ratur ernftes, abgeſchloſſenes Weſen ficherte ihn vor den Einflüffen eines glänzenden Hof. 
lebens und bewahrte ihm feine phyfifche wie moralifche Kraft. Während der Regierung bes 
älteften Bruders Alexander bileb er gänzlich von den großen Ereigniffen und Geſchaͤften des 
Staatslebens entfernt. Nach Herftellung des Weltfriedens befuchte er verfchiebene europ. Län- 
der, namentlich 1816 England, fowie bie Provinzen Rußlands, und vermählte fi 13. Juli 
4817 mit Charlotte (geb. 13. Juli 1798), der älteften Tochter des Königs Friedrich Wilhelm II. 
son Preußen. Das Familienleben, das er feitbem, in gewiſſer Entfernung vom Hofe, im Anitſch⸗ 
kowſchen Palaſt zu Petersburg führte, galt als das Mufter häuslicher Ordnung und Glücks. 
Als Alexrander ({.d.) 1. Dec. 1825 flarb, ſiel N. in Folge ber Refignation bes Altern Bruders, 
des Großfürften Konftantin (f. d.), der Thron von Rußland zu. Eine längſt vorbereitete Mi-⸗ 
litãrverſchwõrung, die mit dem Thronwechſel ausbrach, unterbrüdite er energifch und muthig, 
aber mis großer Strenge. Diefes Ereignif, weiches bie Dynaftie, ja den Beftanb bed Reihe _ 
bebroßte, verbunden mit Anzeichen einer gewiſſen innern Auflöſung und Serrüttung, bie bap 
milde, ſchwankende Megiment Alexander's zurückließ, übte ficherlich bedeutenden Einfluß auf 
die kũnftige Regierungspolitit wie den perfünlichen Charakter bes neuen Herrſchers. R. brach 
den geifligen Entwidelungsproceß, den Alexander angeſtrebt, ab und fuchte fortan, auf Grund» 
lage bes alten Zarismus (f. Zar), vermittelft des Syſtems militärifchen Gehorſams unb for 
meller Disciplin die abfolute Herricherautorität ober bie reine Alleinherrichaft mit ber Macht⸗ 
fülle, den Hülfsmitteln und Dem Glanze, aber ohne ben felbfttyätigen Geiſt ber Givilifation ber» 
zuftellen. Seiner außerordentlichen Energie und Ausdauer, verbunden mit einem biefer Richtung 
entſprechenden Zuge ber rufſ. Nationalität, gelang es auch, jenes Syſtem zu einer confequenten 
D g zu bringen und babei wenigſtens auch großartige Erfolge in Bezug auf die ma- 
terielle Entfaltung bed ungeheuern Reichs zu erlangen. Die erfle Regierungsthätigkeit R.'6 
war bie Unterfuchung ber zahlloſen Mishräuche in der Staatsverwaltung, die eine theilweiſe 
aber nur äufßerliche Reorganifation ber Verwaltungsmaſchine zur Folge hatte. Daran (of 
fi} fett 1827 die Syftematifirung des ruff. Gefegbuche, eine riefenhafte Axbeit, die 1846 voll- 
enbet ward. Wiewol N. ſtets als Freund und Beichüger des Bauern gegen ben Adel galt und 
feine Ahronbeſteigung namentlich von biefer Seite her große Hoffnungen erweckte, Iteß er doch, 
feinem Syſteme gemäß, bie Leibeigenfchaft fortbeftehen, unterbrüdte fogar Bauernaufftände 
mit furchtbarer Strenge, ſuchte aber bie Stellung der Dörigen Durch verfchiedene Erlaffe zu re⸗ 
gein und zu erleichtern. Die äußere Politik N's war in den erflen Jahren feiner Regierung 
verzugtweiſe auf Afien gerichtet. Perfien begann ben Krieg, ber zwei Jahre fpäter (28. Febr. 
1828) zu dem ande Rändergebiet bedeutend erweiternden Frieden von Turkmantſchai führte, 
und bald darauf eröffnete ber Zar felbft den fiegreichen Kampf gegen bie Türkei, welcher ihm im 
Frieben zu Adrianopel (f. d. nebft Länder» und Geldentfhäbigung den frein Verkehr auf ber 
"im Schwarzen- und Mittellänbifchen Deere und unberechenbare politifche Vortheile 
brachte. Während fo die perf. Macht völlig gebrochen, bie Türkei gänzlich unter den Einfluß 
Nußlande geftellt war, begannen im europ. Weſten die politifchen Bewegungen von 1850, 
welche nicht aur Die Stellung des Zaren zu den europ. Mächten weſentlich afficirten, fondern auch 
——— Basıpfe unb unter Mrfbieung nnt Gefhönfung aler mifeäzfhen Hüff- 
e und unter unb öpfung milttärifchen Ä 
mittel Stußlande erdrũct werben konnte. tät: den Auffland, indem ex den poln. Staat 


! 


* 


346 Rikolaus Pawlowitſch (Kaifer von Rußland) 


in eine uff. Provinz verwandelte und bie poln. Rationalität allmälig aufzureiben fuchte. Allein 
durch dieſes Leidenfchaftliche Verfahren fchuf er zugleich fich ſelbſt und Nußland unvergängliche 
Feinde und Gefahren, und während fich dem zertretenen Volke Die allgemeinen Sympathien zu- 
wandten, entwidelte fich in der öffentlichen Meinung Europas tiefe Abneigung gegen bie Poli⸗ 
> tit des Zaren, die fich unter Umſtänden ſelbſt zu blindem Haffe fteigerte. Ohne Zweifel auch 
führte die polnifche Kataftrophe den mit Argmohn und verlegtem Stolze erfüllten Monarchen 
zu der äußerften Geltendmachung feines politifchen Syſtems im ganzen Umfange feines Reichs. 
Rußland ward mehr und mehr von der meftlichen Welt abgefchloffen, und ein verberbliches Po⸗ 
lizei⸗ und Spionenneg verbreitete fich namentlich über die weftlichen Provinzen. Die Einfchrän- 
kung ber wiffenfchaftlichen Thätigkeit auf das rein praktifche Bedürfniß, die Herabdrückung bes 
Unterrichts und der Bildung zur Abrichtung für den öffentlichen Dienft, die Feſſelung ber ein- 
beimifchen, bie bis and Seltfame grengende Überwachung ber fremden Preſſe follten bie Volker 
Rußlands verhindern, eine andere Weltanfchauung und andern Willen zu hegen ald den offi- 
ciellen. Es begann ferner die Ruffificirung der übrigen Nationalitäten und bie fyftematifche Be⸗ 
Behrung ber Proteftanten und Katholiten zur orthodoren Kirche, deren Haupt ber Zar ift. Im 
3. 1840 mußte auch die griech.-unirte Kirche ihre Vereinigung mit ber orthodoxen eingehen. 
Während NR. im Innern mit eiferner Eonfequenz feiner Politik Geltung verfchaffte, vernachläf- 
figte er keineswegs die äußern Verhältniſſe, und namentlich blieb fein Augenmerk und feine An- 
firengung fortwährend auf den Orient gerichtet. Die Bezwingung ber freien Bergvölker bes 
Kaukaſus, welche die Arrondirung bes ruff. Reichs wünſchenswerth machte, warb nach ber poln. 
Revolution mit gefteigerter Energie, aber trog unermeßlicher jährlicher Opfer an Menfchen und 
Mitteln ohne eigentlichen Erfolg betrieben. Die Gefahr, welche Rußland von der Ausbreitung 
des brit. Einfluffes in Mittelafien drohte, führte ben Zaren auch hier zu Gegenfchritten, unter an⸗ 
bern 1839 zu dem Zuge nach Khima. Bei aller biplomatifchen Klugheit, die N. unleugbar in den 
auswärtigen Verhältniffen beobachtete, mußte indefjenin den orient. Wirren von 1840 feinliber- 
gewicht in Bezug auf die Türkei, das insbefondere feit der Hülfeleiftung von 1833 gegen Me» 
bemed-Ali mächtig geworden, einen Nüdftoß erfahren, indem das Schickſal des Obmaniſchen 
Reichs durch den gemeinfamen Vertrag der Mächte den Händen bes Zaren gleichfam entwun- 
den und unter die Obhut Europas geftellt wurde. Die Fortfchritte, welche zugleich feit jener 
Zeit. das conftitutionelle Princip und der politifche Liberalismus allenthalben machten, bie un- 
abhängige Haltung Preußens feit dem Thronmechfel von 1840, mancherlei Enttäuſchungen 
rückſichtlich der Erfolge feiner Wirkfamkeit im Innern des ruff. Reichs, der Verluft einer ge 
liebten Tochter (1844), mit dem vielleicht auch tiefangelegte politifche Combinationen zerfie- 
Ien, brachten den Zaren augenfcheinlic, in eine perfönliche Misftimmung und eine politifche 
Bereinzelung, die befonderd mit dem Beginne der europ. Bewegungen feit 1847 auffallend 
hervortrat. Mit großer Klugheit bewahrte indeſſen N. in den politifchen Stürmen von 1848 
und 1849 eine zuwartende Haltung, fuchte aber dann bei günftiger Gelegenheit feinen Ein- 
flug nach allen Seiten hin wieder zu fihern. So nahm er bei den Wirren in ben Donaupro- 
vinzen Anlaß, feine Macht bier aufs neue einfchreiten zu laffen, und feine Intervention in 
Ungarn knüpfte die öſtr. Politik mehr ald je an fein Intereffe. Das Scheitern der deut- 
ſchen Sache befeftigte feinen Einfluß in Dänemark und eröffnete ihm dort fogar die Ausficht, 
feiner Dynaftie die Nachfolge in Dänemark und den deutſchen Herzogthümern gefichert zu fehen. 
Die Überwältigung ber Volksbewegung in Deutfchland knüpfte das geloderte Verhältniß zu 
Preußen wieder fefter, und indem er mit wohlberechneter Mäfigung halb als Vermittler, halb 
als Schiedsrichter in dem preuß.-öftr. Zerwürfniſſe auftrat, fchlichtete er zu Warſchau die Ver⸗ 
widelungen ber deutfchen Großmächte. Die Herftellung bes Napoleon’fchen Kaiferthums in 
Frankreich forderte nurdas feftere Anschließen dernördlihen Mächte an den Zaren und gewährte 
außerdem die Ausficht auf die Vereingelung oder gar Bundesgenoffenfchaft Englands. In Be⸗ 
tracht dieſer Verhältniffe gefchah es wol, daß der Zar mit bem 3.1855 feine ficherlich vorbereite- 
ten und zur religiöfen Angelegenheit des ruff. Volkes erhobenen Plane gegen bie Türkei zurAus- 
führung zu bringen fuchte. (&. Rußland.) N. ift unleugbar ein Charakter von fchärffter Prä⸗ 
gung und die hervorragendfte Herrfcherperfönlichkeit der neuern Zeit. Er ift überdies von feiner 
Miffion überzeugt, und weiß feine Diener und Rathgeber glüdlich zu wählen. Vielleicht trog ſei⸗ 
nes politifchen Syſtems hat er die ruff. Nationalität zu einer impofanten äußern Machtentwider 
lung gebracht, Diejedenfalls in der Weltgeſchichte ſchwer wiegen muß. In feinem Privatleben zeigt 
ber Zar die ftrengfte Ordnung, ein gemeffenes, kühles, wenig zur Vertraulichkeit neigende6 Be⸗ 
tragen, Reblichkeit und Berechtigkeitsfinn. Im J. 1853 legte ex fich, offenbar aus Rückſicht auf 
feine Stellung ald Haupt und Schirmherr der ruf. Kirche, den Zitel „Sehr gottesfürch⸗ 


Rifolsburg Nikon 37 


tiger”, den Gliedern feiner Familie bie B „Reihtglänbiger” bei. Aus feiner Ehe 
gingen hervor : 1) Alerander Nikolajewitſch Ceſarewitſch, Großfürſt und Thronfolger, geb. 29. 
(17.) April 1818, vermählt 1841 mit Maria Alexandrowna (vorher Wilhelmine Maximiliane 
Auguſte Sophie Marie), geb. 8. Aug. 1824, Tochter des verfiorbenen Großherzogs Ludwig IL. 
von Heſſen. Aus diefer Ehe entfprangen die vier Großfürften: Nikolaus Alexandrowitſch, geb. 
4845; Alexander Alexandrowitſch, geb. 1845; Wladimir Wlerandromwirfch, geb. 1847 ; Wieris 
Alesandrowitich, geb. 1850. 2) Großfürſtin Maria Nikolajewna, geb. 18. (6.) Aug. 1819, 
Wirwe des Herzogs von Leuchtenberg (f.d.). 3) Broßfürftin Olga Nikolajewna, geb. 11. Sept. 
" (30. Yug.) 1822, vermählt 1846 mit Karl, Kronprinzen von Würtemberg. 4) Großfürftin 
Alerandra Nikolajerona, geb. 24. (12.) Juni 1825, gefl. 1844 ald Gemahlin des Prinzen 
Friedrich von Heffen-Kaffel. 5) Großfuͤrſt Konflantin Rikolajewitſch geb.21.(9.) Gept.1827, 
vermählt 1848 mit Ylerandra Joſephowna (vorher Alexandra Friederike Henriette Elifabeth), 
geb. 8. Juli 1830, Tochter des Herzogs Jofeph zu Sachſen⸗Altenburg. Aus diefer Che wur- 
ben ber Groffürft Nikolaus Konftantinowitich 14. (2.) Febr. 1850 und die Großfürſtin Olga 
Konftantinowna 3. Sept. (22. Aug.) 1851 geboren. 6) Großfürſt Nikolaus Nikolajewitſch, 
geb. 8. Aug. (27. Juli) 1851. 7) Großfürft Michael Nikolafewitich, geb. 25.(13.) Oct. 1832 
Nikolsburg oder Mikulow, die Hauptſtadt einer Bezirkshauptmannſchaft im brün- 
ner Kreiſe Maͤhrens, am Fuße bee weinteichen Polauer Berge, zählt 9400 E., wor- 
unter 5500 Juben. Die Stadt bat ein Piariſtencollegium mit philofophifcher Lehranftalt 
nebft einer anfehnlihen Bibliothek und einem phyſikaliſchen Mufeum, ein Gymnafium, 
zwei Synagogen, eine Ifrael. Taubſtummenanſtalt und betreibt Zuch- und Wollenzeug- 
weberdien. Mitten in ber Stadt erhebt ſich auf einem Felſen das weitläufige fürftl. Dietrich- 
ftein ſche Schloß, das eine Bibliothek von 20000 Bänben, ein Naturaliencabinet und im Keller 
ein ungeheueres Faß von 2000 Eimern enthält. Andere fehenswerthe Gebäude find die ſchöne 
Pfarrkirche und die 1784 großentheild abgebrannte, 1846 wieberhergeftellte St.-Unnenficche, 
mit einem fleinernen Prachtportale. Inder Nähe liegt das Dorf Boitelſsbrunn ober Selecz mit 
300 E., einem Schwefelbabe, geräumigem Babehaufe und Barten, fowie mit gutem Weinbau 
es ift der Name dreier Könige von Bithynien. — Mikomebes L rief 278 v. 
die Ballier aus Thrazien zum Schug gegen ben fyr. König Antiochus J. nach Aſien und grüne 
dete Rifomebia (f.d.). — Nikomedes II. Epiphanes gelangte durch Ermordung feines Vaters 
Prufias' II. um 148 v. Chr. zur Regierung und wurbe durch feinen Bohn Sokrates 92 ge- 
flürzt. — Des Borigen anderer Sohn, Rikomedes M Philopator, wurbe gegen feinen Bru- 
der und Mithridates von den Römern unterftügt, im erften Mithridatiſchen Kriege buch Mi⸗ 
thridates vertrieben, aber von Sulla 85 wieber eingefegt. Ihm foll ſich Julius Gäfar, als er im 
zweiten Michribatifchen Kriege 81 feinen erſten Feldzug machte, zu [händlicher Wolluſt hinge⸗ 
geben haben. Bei feinem Tode 75 vermachte ex fein Reich ben Römern, was zum britten Mi- 
thribatifchen Kriege Beranlaffung gb. | 
Rikomedia, die Hauptflabt von Bithynien (f.d.), wurde vom Könige Nitomebes L am ber 
Stelle des von Megarenfern angelegten, von Lyſimachus zerftörten Aftatus gegrimdet und lag 
am öftlichftert Winkel des von ber legtern Stadt benannten Meerbufens ber Propontis (jept 
Buſen von Ismid). Sie war eine ber blühendften und prächtigften Städte ber Welt, und mehre 
ber fpätern rom. Kaifer, wie Diocletian und Konftantin, ber bafelbft ftarb, erwählten fie zu 
ihrene Aufenthalt und trugen Sorge für ihre Erhaltung, die burch Häufige Erdbeben, 260 n. 
Ohr. auch durch den Einfall der Gothen gefährbet wurde. In der Nähe von N. lag das Caſtell, 
in fih Hannibal den Tod gab. Jegtt liegt dort bie Meine Stadt Ismid. 

n, uff. Patriarch, geb. 1605 in Weljemanow, einem Dorfe unweit Nowgorob, aus 
Stande, wurde, nachdem er in dem Klofter des heil. Makarius unterrichtet worden, 
weifficher Priefter und trat dann in das auf einer Infel im Weißen Meere gelegene Unferfche 
Kiofter. Als Abt des Kofchejer Kiofters in Moskau zog er bie Aufmerffamteit des Zar Alexei 
Michallowitſch auf fih, wurde zum Archimandriten des Nowopasichen Kloſters In Moskau 
und 1649 zum Archimandriten von Nowgorod erhoben, wo er durch feine Entfchlofienheit zur 
eines Aufruhrs wefentlich beitrug. Im J. 1652 wurde er Pa von Ruf 

lanb. Der Sar Ulerei ſchenite ihm anfangs ein unbegrenztes Vertrauen; als aber R, ber ſtets 
einen unbeugfamen Gharakter bewahrte, den Zar gegen fich eingenommen fah, entfernte ex ſich 
4658 aus Mostau, begab fich in dab nahegelegene, von ihm felbft erbaute Woskreſenſche Kia 
Per und ſprach feierlich den Fluch über feine Feinde aus. "Dann trat er, indem er wieder im 
erſchien, in offene Oppofition gegen ben Zar. Der kluge Alexei, ben Streit mit ber 





:948 Nil 
kirchlichen Macht fürchtend, berief bie Patriarchen von Alexandrien und Antiochien nad) Mos⸗ 
kau zu einen Concil, das 1666 N. feiner Würde entfegte umd als Mönch in ein Klofter ver- 
bannte. Zar Feodor Alerjeritfch erlaubte N. nach dem Wostrefenfchen Klofter zurückzukehren, 
aber N. ftarb auf der Neife dahin zu Jaroflaw 1681. Verdienſte um die ruff. Literatur hat 
fich N. dadurch ermorben, baf er bie flaw. Kirchenbücher nad) den griech. Originalen berichti⸗ 
gen ließ, zu welchem Behufe er im Driente mehr als 500 griech. Manuferipte hatte ſammeln 
Iaffen. Mit Unrecht wird ihm die fogenannte Nikon'ſche „Ehroni”, welche die Peterburger 
Akademie der Wiffenfchaften (8 Bde., Petersb. 1767—92) herausgegeben hat, zugefchrieben. 
Nil, der größte Fluß Nordafritas, wird von zwei Quellflüffen gebildet, die fich in der Höhe 
der Nordgrenge von Abyffinien vereinigen. Der oftliche von beiden, der Blaue Fluß oder Ba⸗ 
her⸗el⸗Asrak genannt, ift der kürzere und entfpringt mitten im abyffinifchen Hochlande unter 
44° n. Br. und 544? 6.8. Er wendet ſich von hier aus erft nördlich in den Tfanafee, tritt nach 
Dften wieder heraus und befchreibt dann einen großen Bogen nach Süben bis über ben zehnten 
rad hinaus, dann nach Weſten, bis er am Eintritt in Dar⸗Faſokl, ber füdlichften Provinz von 
ypten, ben füdlichen Nebenfluß Dedbefa aufnimmt und nach Norden ſtrömt. Nachdem er 
dann von Often her noch bie Flüffe Dender und Rahad aufgenommen, vereinigt er fich bei Char- 
am mit dem großen weftlichen Strome, welcher der Weiße Fluß oder Baher⸗el⸗Abiad genannt 
- wird, wodurch die weißliche Farbe feines Waſſers in Vergleich mit der dunklern des Blauen 
KFluſſes angedeutet wird. Der Weiße Fluß ift der bei weitem bebeutendere von beiden, fomol an 
Länge als an Waſſermaſſe. Seine Quellen find noch immer nicht erreicht. Die legten 
Erpeditionen follen bis zu 2’ n. Br. vorgebrungen fein, und noch immer war ber Fluß ſchiff⸗ 
bar. Der füblichfte erreichte Punkt liegt ungefähr unter 50° 6.2. Seitbem nun von Mombas 
an der Dftküfte aus hohe Schneeberge ımter 1°. Br. entdeckt worden find, kann es feinem 
Ziveifel mehr unterliegen, daß die höchſte Erhebung bes afrik. Continents und folglich die Waſ⸗ 
ſerſcheide zwiſchen Nord» und Sübafrita ungefähr unter den Aquator fällt, wohin auch Ptole- 
mäus fein Mondgebirge und die Quellen bes Nil verlegt. Von dem äußerſten bis jegt befannten 
Punkte des Weißen Nil wendet ſich fein Lauf nordweſtlich bis zu 9’ n. Br. und 47°6.8& Bier 
nimmt er die bedeutenden weftlichen Nebenftröme, namentlich den Baher-el-Abda und den Ba⸗ 
ber-Bazäl auf, welche ihm zunächſt eine faft genau öftliche Richtung geben bis zum Einfluffe 
des öftlihen Sobat, von wo er nordöftlich ſtrömt und die ſchwarzen Schilluk und freien Nuba⸗ 
völker wefllich von den Dinkanegern öftlich fcheidet. Bei Alleis tritt er in das Gebiet bes Pa- 
[ha von Agypten ein und trennt hier die Gebiete der Provinzen Sennaar und Korbofan. Von 
Chartuͤm an hält der vereinigte Nil eine norböftliche Richtung und nimmt unter 17’/.° zum 
legten mal einen Nebenfluß, den Atbara, der von der abyfjinifchen Grenze herabſtrömt, in fi 
auf. Diefer Fluß ift der Aſtaboras ber Alten; er bildete die öftliche Grenze ber fogenannten 
Infel Merod, deren füdmweftliche Grenze vom Blauen Nil gebildet wurde. Bis hierher ungefähr 
erſtrecken fi) nordwärts die jährlichen, hier aber bereits nur fpärlichen tropifchen Regen. Alles, 
was nörblich von hier gelegen ift, kann im Ganzen ald regenlofes Land angefehen werden und 
trägt baher „u beiden Seiten bes Nil den entfchiedenen Charakter der Felswüfte. Daraus er- 
Märt fich die eigenthümliche Erfcheinung, daß der Nil von diefer Höhe an während eines Laufs 
von 350 M. nicht den geringften Zufluß mehr hat, weder von Flüffen noch von Bächen, fon- 
bern fih durch das erhöhte afrik. Felsplateau allein feine Bahn bricht und nur durch die eigenen 
jährlich ſchwellenden Fluten feine Thalfläche befruchtet. Nahe an 20° n. Br. wird der Strom 
durch mächtige, von Oſten vorgefchobene Urgebirgslager in feinem nördlichen Laufe gehemmt. 
Durch zahlreiche Katarakte windet er fich von der Infel Mokrät an nad Weſt und Südweſt 
zurüd durch die felfigen Landftriche Monaffir und Schaigieh, bis er vom Berge Barkal an bas 
harte Geftein wieder verläßt, bei Gebel- Dee in die Provinz Dongola tritt und von Ambufol 
an unter 18" n. Br. ſich wieder nach Norbmeft und Norden wendet. Von hier an durchſtrömt er 
ein breites und fruchtbares Thal bis zur nördlichen Grenze von Dongola, wo er von neuem in 
ein Kataraktenland eintritt, welches fich bis nach Wadi-Halfa von 19%, — 22" n. Br. erſtreckt. 
Es folgt das Rand zwifchen den beiden erften Katarakten, in welchem das Nilthal in Sandfels- 
boden ausgehöhlt ift. Bei ber nördlichften Katarakte, zwiſchen Philä und Affuan, überfchreitet 
er bie ägypt. Grenze umter 24° n. Br. und erreicht nach einem Laufe von etwa 100 M. die 
Spige des Delta, wo er fich in zwei Haupt- und mehre Rebenarme theilt, die fich in Facherartiger 
Berbreitung in das Mittelmeer ergießen. Die beiden größten Ausftrömungen find die von Da- 
miette und Rofette, welche ber phatnifchen und bolbitinifchen Mündung des Strabo entfprechen, 
in alter Zeit aber nicht fo bedeutend waren wie die pelufifhe Mündung im Dften und bie fano- 


Rilpferb v 


piſche Im Weſten, zwiſchen denen in ber Ordnung von Often her noch bie tanitifche, mendeſiſche, 
phatniſche (oder bukoliſche), febennytifche und bolbitinifche Mündung genannt werden. i 
Der Ril wurde von den alten Agyptern in der heiligen Sprache Hape ober auch nur Aur⸗aa, 
ber Große Fluß, koptiſch Jaro, daher auch hebrätich Jar oder Jaur genannt. Der griech. Rame 
Neo iſt von dem femitifhen Nahar hergeleitet worden; wenigftens flammt er ebenfo menig 
aus dem Ugyptifchen, wie die dem Lande gleichnamige Bezeichnung bes Fluſſes Alyurcroc bei 
Homer. Die heutigen Araber nennen ihn Bahr, mie jedes große Waſſer, oder auch el⸗Nil; die 
anmwohnenden Rubier nennen ihn Toſſi oder auch Ril-toffi, worunter vornehmlich der volle über- 
fließende Strom verflanden wird. Ein eigentliches überficömen bes Fluſſes über die umgebende 
Thalflache findet in ganz Nubien jegt nicht mehr flatt, fondern beginnt erft in Oberägypten un- 
gefähr in der Höhe von Edfu. Höher hinauf wird das Nilwaffer dur Waſſerräder auf bie 
Uferhöhe gehoben und dann auf die Felder geleitet. In frühern Zeiten war dies anders, wie 
ſchon der aus Nilſchlamm gebildete Thalboden felbft beweift, der jegt aud von dem höchſten 
Waſſerſtande nicht mehr erreicht wird. Welche Veränderungen in den Riveauverhältniften des 
Ru noch in Hiftorifcher Zeit vorgegangen finb, iſt aus der durch bie preuß. Expedition feflgeftell- 
ten Thatſache zu erfehen, daß bei Semneh, eine Tagereife über der zweiten Katarakte, durch hie⸗ 
roglyphiſche —— bezeugt wird, daß bier die Höchften Nilſchwellen vor etwa 40009. 
durchſchnittlich an 23 F. höher fliegen als jegt, während umgekehrt die jährlichen Nilüber- 
füemmungen in Hgypten bie ganze Thalfläche und zugleich das Nilbert felbft noch fortwäh- 
zenb erhöhen. Nach Ruffegger’6 Unterfuchungen liegt das Nilthal bei Affuan 342 $., Kotusko 
450 J., Abu-Hammeb 963 F., El⸗Mecheref 1331 FJ., Chartäm 1431 %. über dem Meere. 
Das Gtremgefälle beträgt in Ägypten durchfchnittlich 2,3 FJ. auf eine Meile, zwiſchen Aſſuan 
unb Korusko (etwa 30 M.) 3,6, zwiſchen Korusko und Abu Hammed (etwa 150 M.) 3,4, zwi⸗ 
ſchen Hier und El⸗Mecheref (etwa 28.) 15,0, zwiſchen hier und Ehartünı (etwa 50 M.) 2,0%. 
Im Ganzen beträgt der durchſchnittliche Fall zwiſchen Roſette und Ehartüm (etiva 408 M.) 
3,5 F. auf die Meile, indem er in Nubien durchſchnittlich 4,2 F. alfo faft das Doppelte von bem 
in Ägypten (2,3 J.) beträgt. (Über die den RU anſchwellenden Megenzeiten in den tropiſchen 
Duelienfiußgebieten beffelben und über die Zeiten des zu- und abnehmenden Nil in Agypten f. 
Ugypten.) Der Nil wurde von ben Agyptern, fpäter auch von Griechen und Römern göttlich 
verchet. Bon den Exfiern wurde er mannweiblich mit Bart und weiblichen Brüften dargeſtellt und 
von Hauer Hautfarbe. Man pflegte den obern RU von dem untern durch befondere Blumenfom- 
bole zu unterfcheiden. Sr hatte einen.eigenen Tempel zu Rilopolis, und fein Hauptfeft wird unter 
bem Damen Riloa erwähnt. In der griech. röm. Kunſt ift er in der Geſtalt eines liegenden Fluß⸗ 
getted bekannt, um weichen 16 Kinder fpielen, die 16 Ellen ber Rilſchwelle ſymboliſch bezeichnend. 
ober Flußpferd (Hippopotamus) ift der Name einer Battung von Säugetbieren 
and der Famille ber Dickhaͤuter. In foftematifcher Hinficht unterfcheidet fich dieſe Gattung von 
den versandten durch vier äußerlich faft ungefpaltene und breite, platte, hufetragende Zehen und 
und Geftalt der Badenzähne, nämlich oben ſechs und ımten fieben. Man Tennt 
une eine Urt, denn die Verfchiedenheiten bed fenegafifchen und fübafritanifchen Nilpferdes find 
zur Trennung nicht bebeutenb genug. Es findet fich allein in den Flüffen und Seen des mitt 
lern unb füblichen Afrika ; in Unterägypten und am füblichen Ende Afrikas ift es bereits aus- 
gerottet oder doch gänzlich verfcheucht worden. Dagegen iſt es noch häufig in ben Plüffen nahe 
am [üblichen Wendekreife, im Riger, im See Muggaby und im großen See Tſchad und feinen 
Ftüffen. Es Hat die Geſtalt eines Eoloffalen Schweines, nur ift bei ihm ber Kopf verhälmif- 
wäßig fürzer und die Schnauze breiter, angeſchwollen und mit dicken Borften befegt. Der um- 
gemein plumpe, zwölf Fuß Tange, am Widerriſt fünf Fuß hohe, außerordentlich dicke Korper 
wied von dicken, fäulenartigen, doch fo kurzen Füßen getragen, daß der Bauch im Gehen faft 
hinſchleift. Die Haut iſt grob, braunröthlich, unbehaart, ungemein bid, am Rüden 
Seiten etwa zwei Zoll ftark, der Kopf unförmlich groß, das Geſicht platt, von an- 
Breite, und bie Beinen, ſchweinartigen Augen flehen hoch oben. Der Rachen kann 
geöffnet werben, daß er einen Menfchen in der Mitte des Leibes umfaßt. Die Lage ber 
Düren und. Rafenlöcher in derfelben Ebene geftattet dem Thiere, in dem Waſſer ver- 
zu bleiben und das Geſicht allein etwas über die Oberfläche zu erheben, um zu athmen 
Feinde zu entdecken. In bevölkerten Gegenden bringen die Rilpferbe ben Tag im 
zu und kommen nur bes Rachts hervor, um ihre aus Pflanzen und zwar hauptſächtich 
Gen befiejende Rahrung zu fuchen. In menfchenleeren Einöden verweilen fie ſowol di.» 
des Bagt als auch ber Racht auf dem Lande. Das Schwimmen wird ihnen erbeich 














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20 Rilsfon Nimes 


ext durch eine unter ber Haut liegende und mehre Zoll dicke Schicht von halbflüfſigem Bett, in- 
dem dadurch bie unförmliche Körpermaffe im Waſſer fpecifiiche Leichtigkeit erhalt. Dieſes im 
ungereizten Zuftande ganz harmlofe Thier überläßt fich ber blindeften Wuth, wenn es gereizt 
ober angegriffen wird, und fucht dann feinen Feind niederzutreten oder mit ben lang vorragenben 
Zähnen zu erfaffen und zu germalmen. Daher gehört das Unternehmen, ein Nilpferd von ei- 
nem Boote aud anzugreifen, zu den gefährlichften Wagniffen. Wo Feuergewehre in den Hän- 
ben ber Bevölkerung find, nehmen die Nilpferde rafch ab, indem fie durch fehr ſchwere Büch⸗ 
fenkugeln getödtet werden. Die hauptfächlichfte Schwierigkeit befteht nur darin, ben unge 
euern Körper and Land zu bringen, und zuweilen muß er im Waſſer zerftüdt werden. Das 
Bleifch gilt für wohlſchmeckend und der Sped ift felbft in der Capſtadt ein gefchägter Leder: 
biffen. Die Haut wird in Streifen zerfchnitten und zu Reitgerten zufammengebrebt. Schon 
die Alten gedenken bes Nilpferbes an vielen Orten ; bie beften Nachrichten unter ben Neuern 
gab Smith. Cuvier hat Reſte mehrer vorweltlichen Arten in aufgeſchwemmtem Lande entdeckt. 
Das bibliſche Thier Behemotb, welches Hiob (Cap. 40, Vers 15— 19) befchreibt, wird für 
das Nilpferd gehalten; denn jener Benennung liegt wol urfprünglich das ägyhptiſche Wort 
Pehemout, b. i. Waſſerſtier, zum Grunde. 
Nilsſon (Swen), der ausgezeichnetfte Zoolog Schwedens, geb. 8. März 1787 unweit Lande- 
krona im füdlichen Schweben, fludirte in Lund und wurbe daſelbſt 1814 Doctor der Philofopbie, 
4812 Docent ber Naturgefchichte, 1816 Adjunct und 1819 Vorſteher bes zoologiſchen Mu- 
feums, welches von ihm geordnet und größtentheild auch von ihm felbft angelegt wurde. Nady 
bem er 1821 dafelbft Zitularprofeffor geworden, folgte er 1828 einem Rufe nad Stockholm 
zum Vorftand des zoologifhen Mufeums der Akademie ber Wiffenfchaften, das er nach bem 
Mufter ber berliner Sammlung ordnete. Im J. 1831 Lehrte er als ordentlicher Profeffor der 
Zoologie und Director des zoologiſchen Mufeums nach Lund zurüd, wo er feitbem unumterbro- 
chen im Interefje der Wiffenfchaft umd ber ihm anverteauten Sammlung gewirkt hat. Als per- 
fönliche Prädende erhielt er vom Könige Karl XIV. Sohann 1839 eine Pfarrei. N.’S vorzüg- 
lichſte Werke find die „Ornithologia Suecioa” (2 Bbe., Kopenh. 1817—21) und bie „Skandi- 
navisk Fauna“ (Bd. 1, Gäugethiere, Stodih. 1820; 2. Aufl., 18475 Bd. 2, Vögel, 1824; 
2. Aufl., 2 Thle., 1835; Bd. 3, Umphibien, 1842; Bb. 4, Fiſche, 1852— 53), an Die fich die 
„Uluminerade Figurer til Skandinavisk Fauna” (Heft 1—20, Stockh. 1832—40, mit 200 
color. Taf.) anſchließen. Sonſt verdienen noch befondere Erwähnung: „Historia molluscorum 
' Sueciae” (1822); „‚Petrificata Suecana formationis crelaceae” (Stockh. 1827); „Prodromus 
ichthyologiae Scandianae” (1832); die Schriften über die ſchwed. Fifchereien (1826, 1828, 
4830, 1832), die er auf Befehl der Regierung unterfuchte ; bie „Sahresberichte über ben Fort- 
ſchritt der zoologiſchen Wiſſenſchaft“ (1829— 31). Daneben hat fih N. auch mit Erfolg dem 
Studium der vaterländifchen Archäologie gewibmet. Unter Anderm fuchte er in dem Werke 
„Skandinaviska Nordens Urinvänare” (Xund 1838 — 43) zu zeigen, baf bie älteften Urein⸗ 
wohner Schwedens finnifhen Stamms waren, denen im füblichen Theile des Bandes Gelten 
folgten, und daß bie germanifche Bevölkerung mit dem Odincultus etwa erft feit dem 5. Jahrh. 
n. Chr. eingewandert fei. 

Nimbus, f. Heiligenſchein. 

Nimes ober Nismes (Nemausus, eine röm. Colonie), die Hauptſtadt des franz. Depart. 
Gard, im ehemaligen Riederlanguedoc, liegt in einem fruchtbaren, von zwei Hügelreihen einge- 
ſchloſſenen Thale und hat 45000 E., barunter gegen 24000 Reformirte. Die eigentlihe Stadt 
bat in ihren ältern Theilen enge Straßen, unregelmäßige Pläge und außer bem wegen feiner 
Uhr merkwürdigen Ratbhaufe und der Domkirche nur unbebeutende Gebäude. Regelmäßiger 
und ſchöner find die acht Vorftädte. Seit der Revolution gewann die Stadt auch ſchöne Boule- 
vards und überhaupt ein freundlicheres Anſehen. Die von Vauban erbaute Citadelle dient jegt 
als Detentionshaus, welches 1200 Gefangene aufnehmen kann. Mertwürbig find die rom. 
Alterthümer in und bei R., namentlich die Tourmagne, ein uralter Wartthurm, noch jegt 90 8. 
hoch, auf einer Anhöhe, an deren Fuße bie fogenannte Fontäne von N.in dem öffentlichen Gar⸗ 
ten, einem ber fchönften in Europa, fich befindet und wo man auch rom. Bäber gefunden bat, 
die wieberhergeftellt worden find ; ferner der Dianentempel oder bad Pantheon, aus den fchön- 
fen Quaberfteinen aufgeführt; die fogenannte Maison quarrse, ein alter Tempel, welchen 
Ludwig XVII. 1820 reftauriren ließ; das pradhtvolle Amphitheater, les Arönes genannt, ein 
ſchönes Oval mit vier Thorn und 120 in Doppelreihen übereimander gebauten Arcaben, 415%. 
lang und 317 F. breit, vermuthlich aus ben Zeiten Hadrian's; das erft in neuerer Zeit entdeckte 


\ Rimeod Rimwegen 21 


uguftuscher. Im Thale bes Barb (f. d.) befindet fich eine rom. Waſſerleitung, Pont du Gard 
genannt. Die Stabdt iſt der Sig eines Biſchoft, Hat eine Univerſitätsakademie, ein College mit 
einer Bibliothek, ein Lyceum, eine mediciniſche und eine Ackerbaugeſellſchaft, eine öffentliche 
Bibliothek, ein naturhiftorifches Gabinet und fünf ref. und elf kath. Kirchen. Wichtig find bie 
Fabriken in Geidenzeugen und nicht unbebeutend die in Baummolle und Halbbaummolle, in 
Strick · und Stickzwirn, fowie in Leder. Man ſchäht den Fabrikatenumfag jährlich auf mehr als 
Di Fres. wovon der Seidenhandel allein 16 MIN. beträgt. Hierzu kommen noch der ſtarke 

bie Färbereien und Gerbereien, bie Effigfabriten, Branntwein- und Weingeiſtbrenne⸗ 
reien an ber. Handel mit Fabritaten, Wein, Sämereien, Kräutern u. ſ.w. Im I. 1815 war N. 
der Schauplatz gräulicher Verfolgungen der Proteftanten durch die fogenannten Bandes Ver- 
dets, denen von Seiten der Regierung nicht eher Einhalt sehen wurde, bis 1819 die proteſt. 
Cevennenbewohner der kath. Bevölkerung in R. eine energiſche Erklaͤrung zukommen ließen. 
Auch nach ber Julirevolution wurden im Aug. 1830 in N. viele Schändfichkeiten gegen bie 
Proteſtanten verübt, mit Hülfe ber Truppen aber fehr bald Ruhe sehifee. Vgl. Menard, 
„Histoire des antiquitös de la ville de N. et de ses environs” (Rimes 1838). 

Nimrod war nady der hebr. Sagengeſchichte (1. Mof. 10) der Sohn des Kuſch, d. h. er 
war ein Kufchite, mit welchem Namen die Hebräer die Bölkerfchaften Hchiopins und Süd⸗ 
arabiens bezeichneten. Er wird zugleich als Gründer bes babylon. Reiche in uralter Zeit bes 
*2*8 der daſſelbe bis nach Aſſyrien erweitert und große Staͤdte, z. B. Ninive, erbaut habe. 

Das Sprüchwort: „wie Nimrod ein gewaltiger Jäger vor Jehovah” beweift, daß man ihn als 
deu Ahnheren des Waibwerks betrachtete. Der jüb. Befchichtfchreiber Joſephus macht ihn zum 
Erbauer des babylon. Thurms und fhildert ihn ebendeshalb als gottlofen Frevler. Bielleicht 
denkt fich die perf. Aftrognofie aus gleichem Grunde ihn als das Sternbild des Rieſen, d. 1. des 
griech. Drion, zur Strafe an den Himmel gefeffelt. — Der heutigen Tages Birs⸗i⸗Kimrud 
genannte, auf der weftlichen Seite bed Cuphrat liegende ungeheuere Erbhügel birgt bie Ruine 
bes Thurms von Babel, des achtſtöckigen Baus, den noch Herodot bewundern konnte, und iſt 
ibentifch mit dem Theile von Babylon, welcher fpäter Borſi ippa hieß. — Rimrud iſt ferner ber 
Name eines Meinen arab. Dorfs ſüblich von Moſſul, in deſſen Umgebung koſtbare Überreſte 
aus den Zeiten des aſſyr. Reichs Jahrhunderte lang unter Erdhügeln verdeckt waren, bis es 
neuerdings dem Engländer Layard gelungen iſt, ganze Palaͤſte aus Steinplatten, mit unzäh⸗ 
ligen Sculpturen und Keilinſchriften bebedit, ans Tageslicht und zum großen Theil nach London 
zu ſchaffen. Diefe Monumente vom höchſten Werthe für die Geſchichte des grauen Alterthums 
gehörten zu ber Stäbtegruppe ‚ welche einft mit dem gemeinfamen Namen Rinive benannt 
wurde, und machten einen Theil ber Einzelſtadt Calah, des griech. Lariffa, aus. — Endlich Heißt 
noch bis heute Sakr⸗el⸗NRimrud ein durch ben Tigris führender, aus ungeheueren Steinen, 
welche bei ſeichtem Waſſer hervortreten, gebildeter Damm, der urſprünglich angelegt —— 
um einen beſtändigen Bufluß für die unzähligen Kanäle zu erhalten, weiche ſich wie ein Rep 
über bie anliegenden Gegenden verbreiteten. 

Nimwegen oder Miimegen (franz. Nimegue; lat. Noviomagum), die befeftigte Hauptſtadt 
eines Diſtricts ber niederl. Provinz Geldern (f. d.), früher Hauptſtade ber fogenannten Zand- 
ſchaft Betuwe zwiſchen Waal und Rhein, reizend auf mehren Hügeln an ber Waal gelegen, 
über welche eine fliegende Brücke führt, hat 21500 E. welche Gerberei, Leimfiederei und Spe⸗ 
ditions treiben, berühmtes igi er (den bekannten Moll) brauen und Blechwaaren 
fertigen. Die Stadt befigt ein Gymmaſium, eine Geſellſchaft für Naturkunde, ein ſchönes Rath⸗ 
haus von hohem Alter umb acht Kirchen, unter benen fich die Stephanskirche aus dem 13. Jahrh. 
mit dem Grabmale ber Herzogin von Geldern, Katharina von Bourbon (geft: 1469), und dem 
Sabine, Bio? genannt, in dem man früher bie Privilegien ber Stadt aufbewahrte, auszeichnet. 

einer Anhöhe an der Flußſeite, Liegen die Trümmer des Falkenhofs, einer 

alten Bar die Karl d. Er. erbaut haben foll und die das Hoflager der fränt. Könige und fpä- 
tex Die Reſibenz ber Burggrafen von R. war. Nicht weit vom Falkenhof erhebt ſich das Belve⸗ 
ee ein tyurmähnliches, von Alba errichteteß hohes Gebäude, welches als Kaffeehaus bient. 

Unter dem Rei von R. verficht man den von der Gegend von Kleve bis in bie Rähe von Thiel 
zwiſchen ber Waal und Maas ſich hinziehenden Landfirih. Die von R. bis zu den Dörfern 
Heumen und Malten ſich erſtreckende Mookerhaide iſt geſchichtlich buch bi die Niederlage, welche 
bier 1574 die Grafen Ludwig und Heinrich von Naffau durch den fpan. General Sancho d’Avila 
erlitten. Die Stadt iſt fehr alt, war In früherer Bei eine Beichs- und Hanſeſtadt und wurde, 
weil fie fih 1579 der Verbindung ber niederl. Provinzen (Utrechter Union) angeſchloſſen hatte, 


22 Ninive Niuus 


4585 von ben Spaniern belagert und erobert, kam aber 1591 wieder in die Hände des Prinzen 
Moris von Dranien. Nachdem die Franzoſen unter Zurenne fich ihrer 1672 ohne Gegenmwehr 
bemeiftert, wurde bier 10. Aug. 1678 zwiſchen Spanien, Frankreich und den Vereinigten Nie- 
derlanden der Friede gefchloffen, in welchem Holland nebft N. audy feine übrigen Befigungen 
aurüderhielt; 5. Febr. 1679 aber der Friede zwifchen Spanien und Frankreich, dem Deutfchen 
Reich und Schweden. Fruchtlos war ein 1702 von den Franzoſen unternommener Überfall 
auf bie Stadt. Dagegen leiftete N. im Revolutionskriege 1794 nur geringen Widerſtand und 
theilte hierauf die Schidfale ber Niederlande. 

Ninive oder Rinus, die uralte berühmte Hauptftadt des großen affyr. Reichs, iſt ber Sage 
nach in grauer Vorzeit von Ninus (f. d.) oder Nimrod (ſ. d.) gegründer worden umd lag auf ber 
öftlichen Seite des Tigris, dem heutigen Mofful gegenüber. Die Stadt hatte nach Angabe der 
Alten den ungeheuern Umfang von 480 Stadien oder 14 deutichen Meilen, wobei bie Länge 
450, die Breite 90 Stadien betrug. Ihre Mauern follen 100 F. hoch, für drei Wagen breit 
und außerdem mit 1500 Thürmen verfehen geweſen fein, von benen jeder die Höhe von 200 $. 
erreichte. Nachdem diefelbe viele Jahrhunderte die Reſidenz einer langen Reihe von Königen 
gewefen, wurbe fie um 604 v. Chr. durch die vereinigten Meder (unter Syarares) und Babylo- 
nier (unter Nabopolaffar) nach mehrjähriger Belagerung erobert und zerftört. Als Herobot, 
noch nicht 200 Zahre fpäter, und Zenophon an die Stelle kamen, waren nur noch trümmerbafte 
Nuinen vorhanden. Dennoch hat ſich mit geringer Ausnahme eine ununterbrochene Tradition 
von ber richtigen Lage N.E jenfeit des Zigris erhalten, .obichon man erſt in neuern Zeiten dar⸗ 
auf kam, über das Vorhandenfein von Ruinen Nachforſchungen anzuftellen. Nachdem frühere 
Meifende bereits auf die Erbhügel und kegelförmigen Erhöhungen in der Ebene am öfllichen 
Afer des Tigrie, Mofful gegenüber, aufmerffam gemacht, wo Bruchftüde von Badfleinen in 
allen Richtungen umber zerftreut liegen und die Dörfer der Araber von einem Material erbaut 
find, auf dem fich keilförmige Infchriften entbedien laſſen, waren es zuerft die Reifenden Rich 
und Ainsworth, welche genauere Unterfuchungen anftellten, ohne zu beſonders günftigen Reful- 
taten zu gelangen. Der Erfte, welcher bie Sache auf die richtige Bahn brachte, war ber franz. 
Conſul in Mofful, P. E. Botta (f. d.), er 1843 zuerft in der Nähe von Moſſul, auf dem 
fenfeitigen Ufer des Tigris, dann in dem Hügel von Kujjundſchik, endlich in dem Hügel, auf 
welchem bad Dorf Khorfabad, fünf Stunden norboftlich von Mofful, liegt, Nachgrabungen an- 
ftellte, die den überrafchendften Erfolg hatten. Es zeigte fich, Daß biefer Hügel ſich Fünftlich ge- 
bildet hatte und einen großen Palaſt mit 15 zufammenhängenden Sälen, außerdem viele In- 
ſchriften, Bildfäulen, Geräthe verfchiedener Art, 3. B. Tiſche, Vaſen und andere Begenftände, 
Sahrhunderte lang bedeckt hatte, die jegt, foviel Davon fortgefchafft werden konnte, die Samm- 
lungen bes Louvre in Paris vermehren. Dielen glänzenden, für bie Gefchichte des alten Aſſy⸗ 
rien epochemachenden Entdedungen Botta’s ftellten ſich dann die bes Engländers Layard (ſ. d.) 
4845 zur Seite, welcher in den einige Meilen ſüdlich von Mofful gelegenen großen Ruinen- 
bügeln bei dem Dorfe Nimrud gleichfalls Paläfte, bedeckt mit Snfchriften und Sculpturen aller 

rt, auffand. Die Ausgrabungen an bdiefen, fowie fernere zu Kalah⸗Scherghat und andern 
Orten bilden jegt das wichtige Material für die Reconftruction der aſſyr. Gefchichte. Freilich 
wird erfl, wenn die unzähligen, bis jegt fehr unvolltommen verfiandenen Keilinfchriften, mit 
beren Entzifferung namentlich der durch feine Erfolge rüdfichtlich der perf. Keilinfchriften be- 
kannte engl. Oberft Rawlinſon beſchäftigt ift, mit Sicherheit zu lefen fein werben, über das 
dunkle Gebiet der afſyr. Geſchichte ein helles Licht aufgehen. Es fcheint indeſſen fefizuftehen, daß 
der Hügel, welcher das eigentliche N. deckt, noch nicht durchforfcht ift, nämlich der Hügel Mof- 
ful gegenüber, der Rabi-Junus (Prophet Jonas) Heißt und der Sage nach das Grab des Pro- 
pheten Jonas bildet. Da die Mohammebaner biefen Ort als einen heiligen verehren und auf 
demfelben ein Gebäude fteht, welches nur fie betreten dürfen, fo konnten bis jegt in demfelben 
noch Feine Ausgrabungen vorgenommen werben. Die Ruinen von Kufjundfcgit gehörten wahr- 
ſcheinlich zu einer Vorftabt des eigentlihen N. Nimrub wie Khorfabad waren Städte für 
fi, die aber mir N. vielleicht infoweit Im Zuſammenhang flanden, daß man bei der Angabe 
über bie Größe die ganze Stäbtegruppe zufammenfaffen und fo ben ungeheuern Umfang von 
480 Stadien annehmen konnte. — Denfelden Namen Minive führte noch eine andere Stadt 

Babyloniens, in der Ebene von Kerbela, weiche von ben Arabern im 7. Jahrh. in Schutt und 
Aſche verwandelt worden fein ſoll. 

Ninus war nad unfichern Angaben der claffifchen Schriftſteller der Stifter des großen 
aſſyr. Reichs, deffen Grenzen derfelbe von Agypten bis Indien ausdehnte. Er foll auch die nach 


Pre 


Niobe Niſaͤmi 2353 


ihm benannte Hauptſtadt des Reichs, Ninive (ſ. d.), erbaut Haben, wonach er mit dem Nimrob 
der Bibel identifch fein würde. Ihm zur Seite ftellt Die Sage feine kriegerifche Gattin Semira⸗ 
mis (f. d.), die nach feinem von ihr felbft herbeigeführten Zode die Herrfchaft fortgeführt haben 
ſoll, bis fie dieſelbe freiwillig an ihren Sohn Ninyas abtrat, der einem üppigen und ſchwelgeri⸗ 
ſchen Leben ergeben war. Die Sage beutet wol auf diefe Weife in dem Rahmen eines Fami⸗ 
lienbildes den Entwidelungsgang eines längern Abfchnitts der aſſyr. Gefchichte an. 

Nisbe, die Tochter des Tantalos und Schwefter des Pelops, war die Gemahlin des Am⸗ 
phion (ſ. d.), bem fie ſechs Söhne und ſechs Töchter gebar. Stolz auf ihre Kinder achtete fie 
fich der Leto (Latona) gleich, weil diefe nur Mutter zweier Kinder, bes Apollo und der Artemis, 
war, und hinderte das Volk an der Verehrung diefer beiden Gottheiten. Darüber erzürnt, for 
derte Leto ihre Kinder zur Rache auf, und diefe erlegten nun mit ihren Pfeilen die zmolf Kinder 
jener. Neun Zage lagen fie in ihrem Blute, ohne daß fie Jemand beftatten konnte; denn Zeus 
verwwanbelte Jeden, der ſich ihnen nahte, in Stein. Am zehnten Tage endlich beftatteten fie die 
Börter felbft. N. irrte nun in der größten Verzweiflung umber, kam auch in das Neich ihres 
Vater und wurde bier auf dem Berge Sipylos, an ber Grenze von Lydien und Phrygien, am 
Hermosfluffe, in Stein verwandelt, wo fie felbft ald Stein noch das ihr zugefügte Leid fühlte, 
In dieſer Geſtalt findet fich die Sage bei Homer u. U, Spätere haben fie mannichfach 
verändert und erweitert. Namentlich wird die Zahl der Kinder der N. verfchieden angegeben. 
Nach den Tragikern betrug fie 14, und diefe Zahl blieb dann auch in den Kunftdarfiellungen bie 
gewöhnliche. Von der bildenden Kunft wurbe die Fabel der N. oft und verfchiedenartig darge» 
ftellt. Am berühmteften ift jene Gruppe der R., welche fich im Giebelfelde des Tempels des 
Apollo Sofianus zu Rom befand, von Skopas oder Prapiteled gearbeitet und wahrfcheinlich 
als Beute vom Proconful Sofius, dem Freunde des Antonius, aus Afien mitgebracht worden 
war. Das Urtheil über die Compofition und die Motive, welche die Gruppe in ihren Theilen 
belebten und zufammenbielten, ift Durch den Zuftand, in dem fie auf uns gefommen, fehr er- 
fhwert. Im 3.1585 nämlich wurde dieſe Gruppe unter andern Trümmern hervorgezogen. 
Als Fundort wird von Zeitgenoffen ein Weinberg außerhalb des Thor San-Biovanni in Rom 
angegeben. Der Fund dieferMarmorbilder, 15 an Zahl, mard anfangs nicht fehr geachtet. Der 
Sarbinal Medici, nachheriger Großherzog Ferdinand von Toscana, kaufte fie für 800 rom. Thlr. 
und fellte fie in feiner auf dem Pincio gelegenen Billa Medici auf. Erft feit 1770 wurde ihnen 
eine würbige Aufftellung in der großherzoglichen Galerie zu Florenz zu Theil. Zu diefer Gruppe 
find aber unftreitig mehre ungehörige Figuren hinzugekommen; auch die Ringergruppe, obwol 
dabei aufgefunden, paßt nicht zu der übrigen Statuenreihe. Außer ber Mutter mit der jüngften 
Tochter find mahrfcheinlich zehn Figuren für echt zu halten und ber fogenannte Narciffus dazu⸗ 
zufügen. Ob aber überhaupt diefe Figuren die im Alterthume berühmten find, ift wegen des 
ungleichen Kunſtwerths äußerſt zweifelhaft; die rom. Abkunft wenigſtens der meiften haben 
erfahrene Künſtler felbft durch den Marmer beftätigen wollen. Ebenfo zweifelhaft mie ihre 
Driginalitäe ift auch ihre Vollftändigkeit. Eine begeifternde Schilderung ber einzelnen Statuen 
bat von bem Standpuntte äfthetifcher Kunftbefhauung Goethe geliefert. Vgl. Gerhard, „Drei 
Borlefungen über Gypsabgüffe” (Berl. 1844). 

Riobinm ift der Name eines felten vorkommenden Metalls, das fich in den Mineralien 
Golumbit , Eukolit, Pyrochlos und Afchynit findet. Es iſt noch nicht in reiner Geftalt darge 
fiellt worden. Die Sauerftoffverbindung bed Niobiums, die Riobfäure, iſt ber Tantalfäure 
ſehr ähnlich, fowie das Niobium einen häufigen Begleiter des Zantald ausmacht und deshalb 
auch feinen Namen von ber Niobe, ber Tochter bes Tantalus, erhalten hat. 

Nipon, Hauptinfel des japanifchen Reichs, f. Japan. 

Niſaͤmi, einer von den fieben größten Dichtern Perfiens, ber Begründer bes romantifchen 
Epo6, mit feinem vollen Namen Abu-Mohanımed-Ben-Jufuf-Scheih-Nifäm-eb-bin, wurde in 
ber Stadt Gendiche geboren und erfreute fich der befondern Gunſt der felbfchukidifchen Kürften, 
ber damaligen Herrfcher Perfiens. Er ftarb in hohem Alter 1180. Außer einem Divan ober 
einer Sammlung Igrifcher Bebichte verfaßte N. fünf größere Dichtungen, auf denen fein dich⸗ 
teriſcher Ruf beruht und bie in Perfien noch bis jet als unerreichte, wenngleich häufig nachge- 
ahmte Meifterwwerke ber Poefie gelten. Es find dies: 1) „Machſen ul-errär“, d. i. Magazin ber 
Geheimniffe, ein didaktiſches Bebicht, in welchem theoretifche Lehren über moralifche Gegen- 
Rande mit erläuternden Befchichten, Anekdoten und Fabeln wechſeln (perfifch herausgeg. von 
Bland, Lond. 1844). 2) „Chosrau u Schirin“, ein romantifches Epos, das bie Liebe bed per 
ſiſchen Königs Chosru zur Schirin zum Gegenſtande hat (in beutfcher Nachbildung von Ham 


» 
u Riſche Rifpnif-Rowgorod 


mer, 3 Bde, Wien 1812). 3) „Mebfhnun u Leila“, behandelt die Liebe bed Medſchnun / 
eines Sohnes der arabiſchen Wüſte, zur fchönen Leila (engl. von Atkinfon, Lond. 1836). 4) 
„Heft peiger“, die fieben Geſtalten, eine Sammlung von fieben Novellen in poetifcher Form, eine 
Art von Deptameron. Die berühmtefte biefer Erzählungen iſt die vierte von der Turandocht, 
die umter mannichfachen Abänderungen den Stoff zu Gozzi's und Schiller’$ bekannten Dramen 
lieferte (perf. und deutfch von Erbmann, Kafan, 1835). 5) „Iskender⸗ näme”, eine fagenhaft 
ausgeſchmückte Geſchichte Alexander's d. Gr., nach ber im Driente weit verbreiteten fpätern 
griech. Bearbeitung des Lebens Alexander's d. Gr. von PſeudoKalliſthenes gedichtet. Letzte⸗ 
res Gedicht zerfällt in zwei Theile, von benen der erfle mehr epifcher Natur (perf. Kalkutta 
4812; größere Fragmente deutſch von F. Rückert, 1828), ber zweite didaktiſchen Inhalts ift 
(perf. herausgeg. von Sprenger, Kalt. 1852). Diefe fünf größern Gebichte (Chamfe) find in 
Indien und Perfien öfters gedrudt und lithographirt worben. 

Niſche, vom lat. nidus, d. i. Neft, oder von dem ital. nicchio, d. 4. Mufchel, nennt man eine 
Bertiefung in einer Mauer, die, Halbrundförmig oder vieredig im Grundriß, oben halbkuppel⸗ 
förmig ober wagerecht gefchloffen ift. Man bedient fich berfelben gewöhnlich, um Statuen, 
Bafen u. f. w. darin einen gedediten Stand zu geben. Gehen fie bis zur Exbe, fo dienen fie, 
Sigbänke, Brunnen u. f. w., im Innern der Häufer aber, um Öfen, Statuen u... barin an 
zubringen. Un äußern Mauern und Fagaden bringt man fie auch wol ftatt der Fenſter an, wo 
folcye nicht angebracht werben können, um die geoße Fläche der Wand zu unterbrechen. An der 
vorbern Anficht erhalten fie gewöhnlich eine Einfaffung in Bogenform ober ähnlich den Fen⸗ 
ſter⸗ und —— Auch in der Gartenkunſt hat man dieſelben nachgeahmt. 

Niſhnij⸗Nowgorod oder Riſhegorod, d. i. Nieder-Neuftadt, eine ber älteften Provinzen 
bed europ. Rußland, befteht ihrem gegenwärtigen Umfange nach ald Gouvernement feit 1779, 
während die gleichnamige Eparchie bereits 1672 errichtet wurde. Das Gouvernement umfaßt 
ein Gebiet von 877 AM. und iſt im N. duch das Gouvernement Koftroma, im O. durch Ka- 
fan und Simbirst, im ©. durch Penfa umb Tambow und im W. durch Wladimir begrenzt. 
Daffelbe zeichnet fi au durch fruchtbaren Boden und gemäßigtes Klima; es gift für bie 
Kornkammer beider Nefidenzen. Alle Getreibearten, Hanf und Flachs gedeihen vortrefflich. 
Das Eichen- und Lindenholz, welches hier an ber Wolga, Da, Werluga, Sura und andern 
Strömen wächft, wird ſtark verführt. Die Viehzucht ift ebenfo blühend wie der Ackerbau; be⸗ 
fonders gibt es viel Geftüte auf dem Lande. Der Fifchfang bildet einen Hauptnahrungszweig. 
An Mineralien findet man Marmor und Kafkftein in der Gegend von Arfamas und Gyps an 
der Sura. Unter den fehr gewerbthätigen Einwohnern gibt es neben den Ruffen auch viele Tfchu- 
mwafchen und Mordiwinen. Die vorzüglichften Gewerbe find Juften⸗ und Lederfabrikation, Sei- 
fen-, Talg⸗ und Pottafchebereitung ; auch gibt es bedeutende Seilereien und Segeltuchfabriken, 
Bierbrauereien, befonders an der Oka, viele Eifenhämmer und Kupferfchmieben und eine wich- 
tige Vitriolfiederei bei Makarjew. Überdies beichäftigen fich viele Kanbleute mit dem Bau von 
Flußfahrzeugen, mit ber Verfertigung hölgerner Geſchirre u. f.w. Das Gouvernement hat 
eine Geſammtbevölkerung von 1,178200 E.; es befteht aus elf Kreifen: Nifhnij-Nowgorod, 
Balachna, Sfemenow, Makarjew, Gorbatow, Ardatow, Arfamas, Knäginin, Waſſil, Sergatich 
und Lukojanow, und zählt 13 Städte mit etwa 70000 E. Es hat die größten Dörfer des 
ganzen Reichs; namentlich zeichnet fich aus das Induftrieborf Pawlowo, das drei Meilen von 
Niſhnij⸗Nowgorod an der Dia liegt, dem Grafen Scheremetſew gehört und gegen 20000 ge 
werbthätige E. zählt, deren Schloffer- und Schmiebearbeiten im ganzen Reiche verführt werben. 
Andere große Dörfer und Marktfleden, die durch Betriebſamkeit fich auszeichnen, find Pogoſt, 
Nikolskoje⸗Selo, Bor, Muraſchkino und Lyskowo. Unter den Stäbten find bie bebeutendften 
Arfamas, mit 10000 E., und Makarjew. Bor allen aber ift wichtig die Haupt- und Gouver- 
nementöftadt Mifhnif-Mowgorob, berühmt durch feine von Makarſew hieher verlegte Meſſe, 
mit 32000 E., auf der rechten Seite der Wolge, da, wo bie breite und mächtige Oka hineinfällt, 
160 M. von Petersburg und 63'% M. von Moskau entfernt. Die Stadt hat eine höchſt 
malerifche Rage; der Daupttheil liegt auf Hügeln, bie ſich 250 — 300 $. über den Strom- 
fpiegel erheben. Beſonders ſchön ſtellt fich die Stade von der Okaſeite dar, zumal zur Zeit der 
Meffe, die von Mitte Auguft bi6 Mitte September abgehalten wird. Die Wolga, Oka und 
die Seen bei ber Stadt wimmeln dann von Dampfbooten, Barken und Fahrzeugen aller 
Art, und die Bazars in ber Stadt, ſowie bie Kaufhöfe und Buben auf bem eigentlihen Markt- 
platz, gegenüber der Stadt, auf ber durch die Dfa und Wolga gebildeten Landzunge, find dann 

mit Waaren aller Art angefülle. Der 1817 erbaute fteinerne Kaufhof bildet ein Parallelo- 


® 


Nifibis Nitzzſch (Karl Ludw.) 255 


nit mehr als 3000 durch Brandmauern voneinander abgegrengten Buben und iſt durch 
md ben großen Baranzewſchen See hinlänglich vor Feuersgefahr gefhüpt. Der Um⸗ 
uf der Meſſe zu N. gemacht wird, ift an Geld und Waaren umermeglich; oft find 3— 
Menfchen aus allen Gegenden Aſiens und Europas hier verfammelt. N. wurde 1221 
ſßfürſten Georgij II. Wſeſelodowitſch an der Stelle eines frühern bulgar. Orts gegrün- 
ließ derfelbe auf einem Hügelan ber Wolga das ſchöne Petſcherskiſche Klofter anlegen. 
is (Nifib) war die Hauptftadt von Mygdonia, ber norböftlichen, vom Fluſſe Mygdo- 
chſtrömten Gegend Mefopotamiens, in fruchtbarer Gegend gelegen, ald Banbdelöplag 
ung bedeutend. In der Zeit ber macedon.ſyr. Könige wurde fie auch Antiochia Mygdo- 
nnt. Tigranes von Armenien, dem fie Zucullus 68 v. Chr. abgenommen hatte, erhielt 
en Römern wieber zurüd. Zum zweiten mal kam fie durch Trafan, zum dritten mal, 
jan fie aufgegeben hatte, durch Lucius Verus um 165 n. Chr. in röm. Gewalt und 
ein Hauptbollmerk gegen die Perfer, bis Jovianus fie nach dem Tode des Julianus 
Ihr. diefen abtrat. Die von for. Kirchenfchriftftellern zuerft angenommene Meinung, 
nit dem alten Aram-Zoba, fowie eirle andere Behauptung, daß es mit der Stabt Accad. 
ı Zeftamente identisch fei, ift fehr zweifelhaft. Der urfprüngliche, fpäter wieder allein 
liche Name Nifibin (nach der Etymologie im Semitiſchen: Militärpoften) hat fich 
den heutigen unbebeutenden Sleden im türk. Ejalet Diarbekr erhalten. — Nicht zu 
eln mit Nifibin ift ein anderer Ort Miftb, bekannt geworden burch die Niederlage, 
e türk. Armee unter Hafiz-Pafcha 23. Juni 1839 dafelbft im Kriege gegen Mehemed⸗ 
. Diefes Nifib liegt auf der weftlichen Seite des Euphrat, nicht weit von Beredſchik, 
vahrſcheinlich daffelbe mit der bereits vom arab. Geographen Abulfeda angeführten 
ifibin im Lande Rum (byzantin. Reich), welche er drei Zagereifen von Charran an 
:des Euphrat gelegen fein läßt. 

y, Solonie der evang. Brüdergemeine in ber preuß. Oberlaufig, an der Straße zwifchen 
: und Börlig, auf dem Gebiet des Nittergutes Trebus gelegen, wurde 1742 von böhm. 
ıten gegründet, bie fich an die Brübergemeine anfchloffen. Obgleich bier die Natur 
teize bietet, fo bat doch der Fleiß der Einwohner den Ort mit Allen und parkartigen 
‚umgeben. N. zählt 500 Gemeineglieder, wozu noch die 160 Zöglinge der daſelbſt be- 
ı vier Erziehungsanftalten kommen. Die bedeutendfte derfelben ift das Paͤdagogium 
ah daranfchließenden niedern Erziehungsanftalt für Knaben. Die treffliche Anftalt 
ze ziemlich reich ausgeftattete Naturalienfammlung und ift überhaupt die höhere Bil⸗ 
flalt der Brüderunität zur Vorbereitung für das theologifche Seminarium, wirb jedoch 
fremden Zöglingen zahlreich befucht. 

nes, ſ. Rimes. 

8, der Sohn des Königs Pandion von Athen und der Pylia, König von Megara, Vater 
la, hatte eine purpurne oder goldene Haarlocke, an ber feines Neiches Schickſal hing. 
108 auf feinem Zuge gegen Athen auch Megara belagerte, verliebte fich die Scylla in 
aubte ihrem Vater jene Haarlocke und gab fie ihm, worauf Minos Megara eroberte, 
Verrätherin zur Strafe an ben Hintertheil feines Schiffs binden und im Saronifchen 
en ertränfen ließ. Nach Andern fprang fie in das Meer und ſchwamm dem Schiffe 
08, der fie voll Abfcheu verließ, nad. Während fie hier ihr in einen Meerabler ver 
r Vater fah und auf fie herabfließ, wurbe fie in einen Meervogel, Ciris, verwandelt. 
um, f. Salpeter. 

ch (Karl Ludw.), proteft. Theolog, wurde 6. Aug. 1751 zu Wittenberg geboren, wo 
ee Seiftlicher war, und bildete fich theils auf der Fürftenfchule zu Meißen, theild auf der 
At zu Wittenberg. Nachdem er fich vergebens um ein Schulamt beworben, verließ er 
erg und war ald Haußlehrer in Brandis bei Keipzig thätig. Dierauf wurde er 1781 
in Beucha, 1785 Superintendent zu Borna, 1787 Stiftsfuperintendent zu Zeig und 
jeneralfuperintendent und Profeffor zu Wittenberg. Ex nahm anfangs Theologie und 
mt in Spalding’s und Zollitofer’d Sinne; feit der Bekanntſchaft mit Kant's Schrif- 
gelangte er zur Fdee einer neuen Theologie. Da ihm bie Leiftungen der Kant’fchen 
icht genügten, fo ging er felbft and Werk. Es war nun 403. hindurch fein Beftreben, 
terfcheibung der Offenbarung von der Religion, der gefchichtlichen, äußern Einführung 
rheit von der Wahrheit felbft theils die Theologie vom Buchftabenglauben zu befreien, 
n eubämoniftifhen und naturaliftifchen Neigungen der Zeit entgegen bie Myſterien zu 
m und wirkfamem Anfehen zu bringen. Im J. 1813 wurde er feiner akademiſchen 


366 Nitzſch (Gregor Wilh.) Nitzſſch (Karl Immanuel) 


Wirkſamkeit enthoben, 1817 aber wieder als Director des in Wittenberg begründeten Predi⸗ 
gerfeminars angeftellt. Er ftarb dafelbft 5. Dec. 1831. Unter feinen Schriften find hervorzu⸗ 
heben: „De discrimine revelationis imperatoriae et didacticae” (2 Bde., Wittenb. 1850); 
„De revelatione religionis externa eademque publica” (2pz. 1808); „Uber das Heil ber 
Welt, deffen Begründung und Förderung” (Wittenb. 1817); „Uber das Heil ber Kirche” 
(Wittenb. 1822); „Uber das Heil der Theologie durch Unterfcheibung der Offenbarung und Re 
figion ald Mittel und Zweck“ (Wittenb. 1850). Vgl. Hoppe, „Denkmal N.'s“ (Halle 1832). 

Nitzſch (Gregor Wilh.), ausgezeichneter deutfcher Philolog, Sohn des Vorigen,geb. 22.Nov. 
1790 zu Wittenberg, erhielt feit 1806 feine VBorbildung zu Schulpforte, fiudirte dann feit 1810 
unter Lobeck Philologie zu Wittenberg, nahm nad) der Schlacht bei Leipzig als Freiwilliger im 
Zhielmann’fhen Corps Antheil an dem Befreiungskriege und wurbe nady feiner Heimkehr 
Sonrector am Lyceum zu Wittenberg. Nachdem er dieſe Stelle 1815 mit der eines Eubrectors 
zu Zerbſt vertaufcht, kehrte er 1820 in feinen frühern Wirkungskreis nach Wittenberg zurüd. 
Am J. 1827 übernahm er die Profeffur der alten Literatur an ber Univerfität zu Kiel, wo er 
namentlich der Zeitung des philologifchen Seminars feine befondere Aufmerkſamkeit widmete. 
Seit 1854 außerordentliches Mitglied der fchlesm.-Holft. Regierung für Aufficht über bie Gym⸗ 
nafialanftalten beider Herzogthlimer, fchrieb er in diefem SIntereffe „Über Reform der Gymna⸗ 
fien als allgemeiner Bildungsanftalten” (Kiel 1849). Im Juni 1852 wurde N. mit fieben 
andern Profefforen feined Amts und Gehalts für verluftig erflärt, worauf er im Auguſt def 
felben Jahres einem Rufe als Profeffor der Alterthumswiſſenſchaft nach Leipzig folgte. Seine 
wiflenfchaftlichen Arbeiten erfiredden fih, mit Ausnahme einer Bearbeitung von Plato’s 
„Jon“ (Rpz. 1822) und einiger kleinern Schriften, wie z. B. „De Eleusiniorum ralione pu- 
hlica” (Kiel 1845) und über „Polybius” (Kiel 1842), faft ausfchließend auf bie Erflärung und 
höhere Kritik der Homerifchen Gedichte. Hierher gehören: „Erflärende Anmerkungen zu Ho⸗ 
mer's Ddffee” (3 Bbde., Hannov. 1826 — AO), welche Die zwölferften Bücher umfaffen ; bie „Me- 
letemata de historia Homeri maximeque de scriptorum carminum aetate” (2 Bde, Hannov. 
1730—37) ; bie Gelegenheitsfchrift „Praeparatio indagandae per Homeri Odysseaminterpo- 
lationis” (Kiel 1828) und die Abhandlung „Über die Heldenfage der Griechen“ in ben „Kieler 
phifologifhen Studien” (Kiel 1841), fowie der Artikel „Odyſſee“ in der Erſch⸗Gruber'ſchen 
„Encyklopädie“. Hatte N. fchon durch diefe Forſchungen ein dee Hypotheſe F. A. Wolf's in 
vielen Punkten gerade entgegengefegted Nefultat gemonnen, fo ftellte er in einem feiner Haupt- 
werke: „Die Sagenpoefie der Griechen” (Bd. 4, Braunfchw. 1852), Lachmann und beffen 
Schule gegenüber einen Verſuch auf, die bei dem finnigen Griechenvolke und bei Ariftoteles 
allgemein herrfchende Überzeugung von Homer als einigem Verfaffer der „Ilias“ und „Ddyffee” 
theils mehr ins Kicht zu fegen, theil® auch mit ber heutigen Miffenfchaft zu verföhnen. In dem 
dritten Buche des gründlichen und gelehrten Werks verbreitet fi N. uber das wahre Weſen 
der tragifchen Trilogien des Aſchylus und ihr Verhältnif zu der Epopöe. 

Nitzſch (Karl Immanuel), einer der ausgezeichnetften deutfchen Theologen, Bruber des 
Vorigen, geb. 21. Sept. 1787 zu Borna, erhielt feine Vorbildung durch Hauslehrer und in 
Schulpforte, ftudirte zu Wittenberg, wo er fi) 1810 habilitirte und 1811 zugleich Diakonus 
an ber Schloßfirche, 1813 an der Pfarrkirche wurde. Um diefe Zeit begründeten fi dur 
Schleiermacher und Daub feine Anfichten, welche bisher mit denen feines Vaters übereinge- 
ftimmt hatten. Seit 1817, mo ihm bie theologische Facultät zu Berlin die Doctorwürbe ertheilte, 
trug N. an dem neuerrichteten Predigerfeminar Gefchichte des kirchlichen Lebens vor und er⸗ 
klärte Die Homilien ber Kirchenväter. Im J. 1820 ward er Propft zu Kemberg und 1822 folgte 
er einem Rufe nach Bonn als ordentlicher Profeffor und Univerfttätsprediger. Nachdem er in 
der evang. Kirche der preuß. Rheinprovinz am Kirchenregiment auf allen Stufen Theil genom- 
men, 1843 das Prädicat Oberconfiftorialrath erhalten und auf der preuß. Seneralfgnobe von 
1846 die freiere Richtung vertreten, ging er 1847 als Nachfolger Marheinele's nach Berlin, 
wo er als Profeffor, Univerfitätöprediger und Mitglied des Oberkirchenraths wirkt, mehrmals 
auch ald Mitglied der erften Kammer an politifchen Verhandlungen Theil genommen hat. Da: 
bei betheiligte ex fich auch fortwährend als Gentralvorftands- und Ausihußmitglied ſowol an 
der Thätigkeit der Guftav-Adolf-Stiftung wie am Deutichen Kirchentage. N. befennt ſich zur 
Union und hat auch ein „Urkundenbuch“ (Bonn 1855) derfeiben herausgegeben. Abgefehen 
von feinen zahlreichen kleinern dogmatifchen, Dogmengefchichtlichen und liturgifhen Abhand⸗ 
lungen, die, wie in andern Zeitfchriften, fo namentlidy in den ſeit I828 unter feiner Mitwirkung 
erjheinenden „Iheologifchen Stubien und Krititen” ſich finden, ifl vorzugsweife zu erwähnen: 


| Nivellement Nizza 0 BE. 
Eyſtem ber chriſtlichen Lehre“ (Bonn 1829; 6. Aufl, 1851), welches die chriſtliche Lehre 
ver Einheit von Dogmatit und Moral barftellt, und die „Praktiſche Theologie“ (Bd. 1 umd 
Benn 1847— 48). eine „Bredigten”‘, die in fech6 Sammlungen (Bittenb. 1815; 2. Aufl, 
mn 844; Berl. 1819; Bonn 1835—48) erfchtenen find; zeichnen ſich durch ungemeinen ' 
bankenreichthum aus. 
Mivelement bezeiänet im Allgemeinen die Auffuchung folder Punkte, bie untereinander 
gleicher Höhe, d. h. in derſelben Horizontallinie oder Horizontalebene liegen und eine foldhe 
timmen, Dies geſchicht entweder, um gegebene Ebenen, z. B. bie bes Meftifhes, oder Mef- 
krumgense horizontal zu ftellen, wobei man fich einer Waſſerwage oder, wo keine grofe Ge⸗ 
aigkeit erhelfeht wird, einer gewöhnlichen Setzwage bedient; oder um zu beflimmen, wieviel - 
eine von zwei Yunkten der Erdoberfläche höher oder tiefer liegt als der andere. Das letztere 
ine ſehr wichtige und überaus häufig vorkommende Aufgabe der praktiſchen Geometrie, ber 
Löſung man vorzugsweiſe das Mivelliiren im engern Sinne nennt. Man bedient ſich bier 
werfchiebener Inſtrumente, dergleichen fchon im Alterthum bekannt waren und z. B. von Bi- 
u erwähnt werben. Alle find im Allgemeinen fo eingerichtet, daß fie eine horizontale Rich⸗ 
‚gelinie angeben, bie als Bifirlinie dient, um nach eines entfernten Gegenſtande zu ſehen. 
8 jegt übliche Verfahren hierbei iſt im Weſentlichen folgendes. Zwiſchen ben zu vergleichen 
ı Yuntten fiellt man das Nivellirinſtrument auf. Für gmaue Arbeiten bebient man fich da- 
eines Fernrohrs, welches auf einem Stativ ficht und mie Hülfe eines rährenförmigen Ni- 
8 horizontal geflelt werben kann. An ben zu vergleichenden Punkten werden in Fuß und 
He eingetheilte Stangen aber | ogenannte Nivellielatten aufgerichtet, an welchen Beine Tafeln 
anf» und beruntergefchoben werben können. Diefe Tafeln find mit fehr abftechenden Farben 
ıngefrichen, daß bie horizontale Mittellinie fich deutlich markirt. Während man durch das 
nrohr nad) einer Tafel vifiet, muß ein Gehülfe diefekbe fo lange verfehieben, bis die Mittel» 
ie berfelben durch ben Horizontalfaden bes ——— im Fernrohr gedeckt iſt. Nun wird 
Hẽhe der ———* über dem Fußpunkt ber Latte abgeleſen. Der Unterfchieb ber. durch Vi⸗ 
8 —— blſben Nivellirlatten gefundenen’ Höhen * ſofort den geſuchten Höhenunterfchied 
vergleichenden Punkte an, und zwar muß derjenige Punkt niedriger fein, welchem 
5* Höhen entſpricht. Bei großer Entfernung dieſer Punkte muß auf die Krüm- 
Erboberflaͤche Rüdfiht genommen werben. Übrigens ift das beſchriebene Verfahren 
ö chiebe, wenn z. B. die Höhe eines Bergs beflimmt werben foll, nicht 
—— In dieſem Falle wendet man das barometriſche NRivellement an, welches 
in aa daß bie Höhen der einzelnen Punkte mit dem Barometer gemeffen werben. 
für das männliche, Rire für das weibliche Geſchlecht (althochdeutſch nihhus, angelfächf. 
or, — nikker, altnord. nikr, ſchwed. näk, nek, dän. nök, nok) iſt der allgemeine Aus⸗ 
ie der german. Mythologie für bie Waffergeiſier Man dachte ſie in menſchlicher Geſtalt, 
veilen aber auch aus⸗ oder  Üibergehenb in die Geſtalt eines Fiſches oder Pferdes; auch geflei- 
wie die Blenfchen, daun aber erkennbar am naſſen Saume des Gewandes oder ber Schürze. 
e ieben und üben Muſik und Tanz und befigen die Babe ber Weiſſagung, wie bie Sirenen, 
fen und andere griech. Waflergötter. Der Waſſermann lehrt gegen ein gutes Opfer dab... . 
ütessfpieh, umd Die Ichönen, oft im Sonnenfchein ihr langes Haar Bümmenden Nigen miſchen 
ı gern ben Abend in den Tanz der Menfchen. Doch tft dee Umgang mir ihnen gefährlich, 
m ſeltener erfcheinen fie mild und Segen fpendend, häufiger graufam und tückiſch. Mer 
rare und bie Sage: det ver ah muipe viel von den auf fie begäglichen Mychen und 


Borſtellungen bew 
Ba (ie (fvanz. Nice), eine um N önigrei- Sarbinim gehörige Grafſchaft und Provinz, 
Bar von Frankreich ſcheidet, Areal von 60 AM. mit einer Bevölkerung von 
8900 €. und beftcht aus vier Bezirken: Rizza, Gospello, Oneglia und dem unter Sardiniens 
a: a in Süsfienthume —*8 (f.d.).: Das Land wird von Auslaͤufern 
at ein maͤßig heißes Klima und ift reich an Südfrüchten, Dl und Seide, 
—5 — fa mit Seibenmanufactur und dem Handel mit Landesproducten, 
und Geifenfiedereien und Hefert fchöne eingelegte Schreiner- 
—— Be am — des ſteilen Berge Montalban, nicht weit von dem Ein- 
Hess Pagliene in das Mitteländifche Meer, überaus lieblich an einer Reihe amphitheatra- 
h ich erhebender Hügel gelegen und von Gitrenen- und Drangenhainen umgeben, ift ber Eis 
8: fö, fowie des Intendanten und * einen " Finftügen in neuerer Ed br verbeſſer⸗ 


Sinti . 





358 III Mega 


tem Hafen (Porta bi Limpia) und (ohne Militär und die befonders Im Winter fehr zahlreichen 
Fremden) mit ber nächften Umgebung nahe an 40000 E., die mit Liqueuren, Parfümerien, 
Effenzen, DI, Seide und tünftlichen Blumen Handel treiben. Die Altftadt hat krumme, win, 
kelige Gaſſen und finftere, theilweiſe fehlecht gebaute Häufer ; von freundlichem Ausfehen und 
in gutem Gefchmade gebaut ift die fich immer mehr erweiternde Neuſtadt, fowie bie Daran flo» 
Bende Vorftadt Croce di Marmo, melde fich längs des Meeres und an ber Straße nady Frank. 
reich hinzieht. Hier wohnen auch im Winter die meiften Fremden, unter benen bie Engländer 
gewöhnlich die Mehrzahl bilden. Stadt unb Umgegend, durch hohe Gebirge vor ben Norbiwin- 
den gefchügt, find berühmt durch die außerordentlich reine und gefunde Luft und burchbie Milbe 
des Klimas felbft im Winter, wo der Thermometer nur felten auf Null herabſinkt. N. ift 
darum ber Lieblingsaufenthalt aller Derer, die die Seebäber gebrauchen, bie von Gicht und Rheu⸗ 
matismus, Verſchleimungen, Unterleibs- und folhen Krankheiten genefen wollen, bie von un- 
terdrückter Hautthätigkeit herrühren, und für bie eine anregende und ſtärkende Luft. Bebürfnig 
ift. Nachtheilig aber erweift fich das hieſige Klima für Die, bei welchen die Lunge weſentlich 
leidet. Die Luft ift fo klar, daß man bei gutem Better die Gebirge Eorficas fehen fann. Im 
3.1543 von Franz I. von Frankreich zu Lande und von den Türken ımter Khalr-ed-din-Barba- 
zofle zu Waſſer belagert, wurde die Stadt, mit Ausnahme ber Citabelle, erobert und von ben 
Türken geplündert. Drei andere Belagerungen der Franzoſen, 1691 ımter Catinat, 1706 un- 
ter Berwid und 1793, brachten fie jebesmal in franz. Hände. Im J. 1796 wurde bie Graf⸗ 
haft als Depart. Seealpen mit Frankreich vereinigt, 1814 aber an Sardinien zurücigege- 
ben. gl. Riſſo, „Histoire naturelle des principales productions de I’Europe meridionale 
et particuliörement de celles des environs de N. et des Alpes maritimes“ (5 Bde., Par. 
1826); „Le conducteur des ötrangers à N.” (Nizza 1846); Camous, „Conseils hygieni- 
ques et medicaux aux malades eto.” (Betignolles 1848). Ä 

Niegofch, der Beiname der in Montenegro (Crnagora) berrfhenden Familie der Pe⸗ 
teomiefe aus dem Stamme Niegofch, in der Katunska Nahia, wo unweit der Landesreſidenz 
Zettinje die zweite Dauptorsihaft Niegofch Liegt. Der Ahnherr ber Familie ift Daniel Pe⸗ 
trowitſch W., der, nach ber Überfiedbelung nach Venedig des in ben Volkögefängen gepriefenen 
Geſchlechts des Ivo Tſchernewitſch, zum Metropoliten oder Bifchof, ſlaw. Bladika (d. i. 
Herr), in beffen Perfon feit jener Zeit (1516) die geiftliche und weltliche Oberwürde und 
Gewalt vereint ruhte, um das J. 1700 gewählt wurde und ſich dadurch audzeichnete, 
baß er ben in Montenegro bereitd wuchernden Samen bes Mohammedanismus gemalt» 
fam ausrottete und zum erften male um 1712 Montenegro in ein religiofes und politiſches 
Berhältni zu Rußland brachte, welches baffelbe feit Peter d. Gr. bis zu unfern Tagen ſtets 
mit befonderer Sorgfalt unterhielt. Das Vladikat ift feitbem in der Familie der Petrowitſch 
erblich geblieben. Eine innere Erfhütterung erhielt e& durch den Abenteurer Stephan Mali 
(der Kleine), ſonſt auch Stefano Piccolo genannt, der fich für den ruff. Kaifer Peter III. aus- 
gab, fich faft vier Jahre, von 1767— 71, gegen alle Agitation des ruſſ. Befandten, Fürſten 
Dolgoruki, des Vladika und ber Türken in der weltlichen Oberherrfchaft behauptete und endlich 
durch Hinterlift von der Hand eines Dieners einen tragifchen Tod fand. Unter den Vladiken 
folgender Zeit glänzt vor allen in ben Volksgeſängen der Name Peter's I, unter dem Monte- 
negro fich die thatfächliche Unabhängigkeit Durch einen des alten Griechenland würdigen Sieg 
über bie Türken 1796 errang, wobel von den Türken 30000 Dann auf bem Schlachtfelde 
blieben. Seit dieſem Siege gewann Peter I. einen unfterblihen Ruhm. Er fuchte nun feine 
Landsleute an eine regelmäßige Regierung zu gewöhnen, Cultur und Bilbung zu verbreiten, 
die Sitten zu veredeln und ben echten reltgiöfen Sinn zu heben. Zwar fcheiterten biefe Verſuche 
an dem ungebundenen Sinne des Volkes ; aber e& efgte feinen Helden durch ben ihm beigeleg- 
ten Namen „bes Heiligen”. — Peter I. folgte 1830 fein Neffe ald Peter IL, ber in Peteröburg 
feinem Beruf gemäß erzogen und in ber Theologie, Rechtswiſſenſchaft, Politik, Geſchichte, Li⸗ 
teratur und fremden Sprachen-wohlbeivandert war. Mehr dem Frieden als dem Krieg ergeben, 
bem er ſich 1834 und 1844 doch nicht entziehen konnte, fuchte er im Geifte feines Vorgängers, 
aber mit etwas mehr Erfolg, durch Errichtung von Schulen, durch Einführung einer geordne- 
ten Gerichtsbarkeit umd Verwaltung, durch Berufung eines fichenden Rathe von zwölf Alte⸗ 
ften oder Häuptern der Stammbevölferung, durch Errichtung einer regulären Leibgarde, 
durch Gründung einer Buchbruderei in Zettinfe, durch Kirchenbau u. f. w. fein Volk auf eine 
höhere Bildungsſtufe zu führen. Er felbft war eine wahrhaft bichterifche Natur. Seine groß ar⸗ 
tige nationale Dichtung „Gorski Venaz” („@ebirgöftang”), worin er bie Vertreibung der Tür⸗ 


Noch Noailles 259 


Ben aus Montenegro befingt, fein Drama „Stiepan Mali” („Der falfche Kaifer‘‘), feine Samm⸗ 
lung ferbifcher Heldenlieder (von 1510—1844) unter bem Titel „Ogledalo” („Spiegel“), ver» 
bürgen ihm den Ruhm eines großen Dichters. — Nach feinem Tode kam fein Neffe Daniel 
(Danilo) Petrowitſch R., kaum 24 J. alt, an die Regierung, ber erſte weltliche Herrſcher feit 
langer Zeit, der zugleich in alter Form die feit Jahrhunderten erlofchene Würbe eines weltlichen 
Oberhaupts wieberherftellte und in berfeiben auch unter dem Zitel Fürft von Zrnagora von 
Rußland anerkannt wurde. Der namentlich hierdurch mit ber Türkei veranlaßte Krieg 
(ſ. Montenegro) wurde durch die Bermittelung Oſtreichs, ſowie durch den Muth des Volkes 
zu Gunſten des jungen Fürſtenthums entſchieden. Ein anderes Mitglied der Familie behaup⸗ 
tet jegt die Würde des kirchlichen Oberhaupts als Biſchof oder Vladika. 
Road, der Sohn Lamech's, wurde wegen feiner Frömmigkeit von Gott bei der Sündflut 
(f. d.) mit den Seinigen und den an ber allgemeinen Sündhaftigkeit unbetheiligten Thieren ver- 
ſchont. Der Kaften oder die Arche, in welche er fich gerettet hatte, blieb nach Ablauf des 
Waſſers auf dem Gebirge Ararat (f. d.) in Armenien feft figen. N. wurde nun der Stamm⸗ 
vater eines neuen Menfchengefchlechts, welches er durch das von ihm verfündigte göttliche Ge⸗ 
bot, fein Menfchenblut zu vergiegen und auch gefchlachtete Thiere nicht roh in ihrem Blute zu 
effen, fowie durch Ader- und Weinbau, dem er trieb, zu entwildern begann. Die Erzählung 
von dem Gegen, den N. feinen Söhnen Sem und Japhet, ſowie von bem Fluche, ben er dem 
Sohne Ham's, Kanaan, gegeben habe, verräth das Beſtreben, fpätere politifche Verhältniffe 
rechtlich zu begründen. Parallelen zu der hebr. Sage von ber Noachitifchen Flut geben der 
Mychus von Deukalion (f. b.), der von dem chaldäiſchen Zifuthros und von dem ind. Prithu. 
Noailles, ein berühmte, ber alten Provinz Limoufin entſtammtes Geſchlecht in Frankreich, 
das feinen Namen von einer Herrichaft bei Brives, im Depart. Correze, erhielt, die ed urkund⸗ 
lich ſchon im 11. Jahrh. beſaß. Der Hauptſtamm erlofch 1449 mit Sean II., der feinen Neffen 
Yimar, den Stammpvater ber gegenwärtigen Samilienzweige, zum Erben einfege. Mit Antoine 
be R., geb. 1504, dem Nachkommen Aimar's in gerader Linie, eröffnete ſich die glänzende Lauf- 
bahn der Familie. Derfelbe bekleidete die Würde eines Admirals uon Frankreich und ftarb 1562 
als Gouverneur von Borbeaug. Auch feine Brüder, Fraugois und Gilles, beide nacheinander 
Bifchöfe von Daz, zeichneten fich als Diplomaten aus. Henri, der ältefte Sohn Antoine's, ließ 
feine Herrſchaft Ayen 1592 zur Graffchaft erheben. Unter feinem Enkel, Anne de N., wurde 
jedoch bie Grafſchaft 1663 in ein Herzogthum N. mit ber Pairfchaft verwandelt. Der zweite 
Sohn biefes erften Herzogs war ber berühmte Gardinal und Erzbiſchof von Paris, Louis An⸗ 
toine be M., geb. 27. Mai 1651. Die Unterflügung, welche derfelbe dem Janfeniften Quesnel 
(ſ. d.) bewies, forwie fein Widerftand gegen bie Bulle Unigenitus zogen ihm die Verfolgungen 
der Jeſuiten und des Hofs zu. Rachdem er endlich 1728 die Bulle angenommen, farb er 4. Mai 
1729. Sein ältefter Bruder, Anne Iules, Herzog von R., geb. 1650, zeichnete fich in den 
Feldzügen gegen die Spanier aus. Wiewol er Ludwig XIV. wefentliche Dienfte bei der Ausrot- 
tung der Proteſtanten in Rangueboc leiftete, ſtarb er 2. Dct. 1708 wegen ber Sreunbfchaft, bie 
er feinem Bruber bewies, in ber Ungnabe des Hofs. — Adrien Maurice, Herzog von M., des 
Borkgen ültefler Sohn, geb. 1678, befehligte im Spantfchen Exrbfolgekriege nicht ohne Erfolg 
ein franz. Armeecorps und erhielt dafür 1714 von Philipp V. die fpan. Sranbdenwürbe. Unter 
ber Regentſchaft des Herzogs von Orleans trat er an bie Spige ber furchtbar zerrütteten Finan⸗ 
zen. Als geiftreicher, aber unwiffenber Profectmacher ging er vor kühnen Neformverfuchen zu 
den gewaltfamfien Handgriffen ber alten Finanzmaͤnner über und mußte endlich als Gegner des 
Schotten Zar (f. d.) 1718 feine Stelle an d' Agueſſeau abtreten. Hierauf durch Dubois vom 
Dofe verbrängt, lebte er mehre Jahre im Privatftande. Erſt 1 738 ſtellte ihn der Minifter Fleury 
bei dem Heere am Rhein an. N. eroberte bie Linien von Ettlingen, befegte Worms und über 
nahm nach bem Tode des Marſchalls Berwid vor Philippsburg fogar den Oberbefehl nebft 
dem Marichallsftabe. Im folgenden Jahre trat er an bie Spige der Truppen des Königs von 
Sardinien unb vertrieb die Kaiferlihen aus Italien. Im Oſtreichiſchen Erbfolgekriege ſchickte 
Lubwig XV., defien Vertrauen ex vollkommen befaß, im März 1743 mit einem ſtarken 
e über den Rhein. N. begann die Operationen mit großer Umficht, erlitt aber durch die un⸗ 
zeitige Dige feines Neffen, des Brafen von Grammont, von der pragmatifchen Armee 24. Juni 
bei Dettingen eine völlige Niederlage. Er zog fih nım von ber Armee zurüd, trat in den Staats- 
ratch and machte ſich im Intereſſe Frankreichs zum Mittelpunkt aller auswärtigen Verhältniffe. 
Auf ſeinen Betrieb nuufte der in Schwelgerei verſunkene König den Seibyügen don 1744 und 


iL 


380 Ä Noailles 


4745 in feiner Geſellſchaft beivohnen. Von Bewunderung für die Talente des Marſchalls 
Merig von Sachſen hingeriffen, bot er fich demfelben als Adjutanten an und betbeiligte fidy auch 
in biefer Eigenfchaft an der Schlacht Bei Fontenoi. Im J. 1746 ging er, immer bemüht, Frank⸗ 
rei aus feiner übeln Lage zu retten, an den fpan. Hof, deffen Ausföhnung er glüdlich zu 
Stande brachte. Nachdem er 1755 aus dem Staatsrath getreten, ftarb er 24. Juni 1766. 
Obſchon N. den leichtfertigen Hofmann nie verleugnete, übertraf er doch die übrigen Ereaturen 
Ludwig's XV. bei weitem an Geift, Eharakter und Patriotismus. Seine „Mömoires” gab 
Millor (Maſtr. 1777), freilich fehr verkürzt, heraus. — Sein ältefter Sohn, Louis, Herzog 
von R., geb. 21. April 1743, wohnte mehren Feldzügen in Flandern und Deutfchland bei und 
erhielt dafür 1775 den Marfchallsftab. Er wurde ſodann Gouverneur von St.Germain, wo 
er 22. Aug. 1793 farb. Seine 70 I. alte Battin, eine geborene Cofie-Briffac, mußte mit vie- 
len Gliedern ihrer Familie 22. Juli 1794 das Schaffot befleigen. — Der ältefte Sohn des Bo- 
rigen, Louis Frangois Paul, erſt Herzog von Ayen, nach des Vaters Tode Herzog von M., 
geb. 26. Oct. 1739, war beim Ausbruche der Revolution Generallieutenant. Ex wanderte aus 
umb lebte in ber Schweiz phyſikaliſchen Studien. Obfchon ihn Ludwig XVIN. 1814 zum Pair 
erhob, kehrte er doch nicht nach Frankreich zurüd. Gr ſtarb 1824 und hinterließ fünf Töchter. 
Da auch fein Bruder, der Marquis de N., und deſſen ältefter Sohn geftorben waren, fo gingen 
feirte Titel und Würden an bes Legtern Sohn, Paul, das gegenwärtige Haupt des ältern Fa⸗ 
milienzmweigs, über. Derfelbe ift 4. Jan. 1802 geboren, trat 1827 in die Pairskammer, wo er 
bie Sache der Altern Bourbons vertheidigte, und ward auch Mitglied ber Akademie. Aus feiner 
Ehe mit einer Schwerter des Herzogs von Mortemart entfprangen zwei Söhne und eine Tochter. 

Der 1766 verfiorbene Herzog von N, Adrien Maurice, hinterließ außer feinem älteften 
Sohne Louis auch einen füngern Sohn, Philippe de R., geb. 27. Rov. 1715, der als Herzog 
von Mouchy der Stifter ber Rebenlinie R.Mouchy wurbe. Derfelbe wohnte ber Schlacht von 
Fontenoi bei, kämpfte in mehren Feldzügen in Deutfchland und wurde 1775 zum Marfchall 
erhoben. Als treuer Anhänger des Hofs flarb er, zugleich mit feiner Gemahlin, der Erbin des 
Haufes Arpafon, 27. Juli 1794 unter der Buillotine. Der ältefte feiner beiden &öhne, 
Louis Philippe Mare Antoine, Prinz von Poix, geb. 21. Nov. 1752, trat für ben Adel von 
Amiens 1789 in bie Generalftaaten, wanderte aber fpäter nach England aus. Während der 
erften Reftauration erhielt er die Pairswürde und 1817 den Hergogstitel. Er ftarb 1819. — 
Jean Eharles Arthur Zriftan Languedoc de R., Herzog von Mouchy, Pair von Frankreich, 
der ältefte der beiden Söhne bes Vorigen, geb. 15. Febr. 1771, ftarb ohne männliche Erben 1854. 
— Unt. Elaude Dominique Jufte, Prinz von Poix, Graf von R.,.geb. 25. Aug. 1777, be» 
kannt unter dem Namen Jufte de N. Bruder bes Leptgenannten, erbte hierauf ben Titel eines 
Herzogs von Mouchy. Er heirathete 1803 die Nichtedes Fürften Talleyrand und erhielt die Würde 
eines Kammerherrn am Hofe Rapoleon’s. Unter Ludwig XVII. verfah er bis 1819 die Stelle 
bes franz. Gefandten am Hofe au Peteröburg. Für das Depart. Meurthe trat er 1824 in bie 
Kammer. Seit 1830 zog er fi jeboch zurüd und flarb 1847. Sein ältefter Sohn, Charles Phi- 
fippe Henri de M., Herzog von Poix und von Mouchy, gegenwärtige Haupt diefes Familien⸗ 
zweigs, geb. 9. Sept. 1808, war 1849 Mitglied der Rationalverfammlung und wurde 31. Dec. 
4852 zum franz. Senator ernannt. Er ift mit feiner Eoufine vermählt und hat zwei Söhne. — 
Ein zmeiter Sohn des erften, 1794 auf dem Schaffot geftorbenen Herzogs von Mouchy war 
der Vicomte Lonis Marie de M., geb. 1757. Derfelbe wurbe 1789 vom Abel zu Nemours 
in die Seneralftaaten abgeordnet, hielt ſich entfchieden zur demokratiſchen Partei und machte 
fi als Redner wie durch ein Duell mit Barnave fehr bekannt. Doch fah er fih 1792 genö⸗ 
thigt, nach England zu entweichen. Von da ging er nach Amerika, mo er Rochambeau bei ber 
Erpebition auf &.- Domingo unterflügte. Sehr bald fiel er aber in die Hände ber Engländer, 
die ihn nach der Havaña brachten, wo er 1804 flarb. — Sein ältefter Sohn, Alexis, Graf 
von R., geb. 1. Suni 1783, wurde 1809 auf Befehl Napoleon’s feftgenommen, weil er ber 
kaiſerl. Politik zu widerfprechen gewagt hatte. Er wanderte dann aus und entwidelte in der 
Sache der Bourbon große Thätigkeit. Im 3. 1813 war er Adjutant bed Kronpringen von 
Schweden, und nach der Reftauration diente er in gleicher Eigenfchaft dem Grafen von Ar⸗ 
told. Ludwig XVIII. fendete ihn auch auf den Congreß zu Wien, wo ihm Talleyrand befonder® 
die ital. Angelegenheiten übertrug. Nach der zweiten Reftauration trat er in bie Deputirten- 
fammer und bald darauf ind Minifterlum, doch ohne Portefeuille. Als aufgeklärter Royalift 
bewies er ſich 1824 als entfchiedenen Gegner ber Verwaltung Villele's. Obſchon er die Julire⸗ 
volution anerkannte, blieb er ohne öffentliche Stellung und ſtarb 14. März 1835. Sein Sohn, 


Kobad Nobiles 361 


Alfred Adrien, Braf von R., geb. 15. Ian. 1825, nahm an der franz. Befandefchaft nach 
Shina unter der Regierung Ludwig Philipp's Theil. 
Noback (Ich. Chriftian), bekannt durch feine handelswiſſenſchaftlichen Arbeiten, geb. 6. Det. 
1777 zu Kölleda in Thüringen, widmete fih dem Baufnsännifchen Beruf und wirkte, nachdem 
er in mehren Städten als Commis tätig gewefen, zu Krefeld 1810—21 als Disponent einer 
großen Beiden- und Sammetfabrit, wo er bald das allgemeinfte Vertrauen feiner Mitbürger 
gewann. Im 3.1821 begründete er zu Erfurt eine der erſten Hanbelslehranftalten in Deutſch⸗ 
land, die er mit Erfolg bi 1842 leitete. Hierauf lebte er zu Gotha, feit 1845 zu Berlin und 
flarb auf einem Befuch 4. Juni 1852 zu Chemnig, N.'8 literariſcher Ruf.gründet fich auf fein 
Vollſtändiges Handbuch ber Münz-, Bank und Wechſelverhältniſſe aller Länder und Han- 
deiöpläge” (Ruboift. 1835), Wehe er in Gemeinſchaft mit feinem Sohne Friedrich N. als 
„Bollftändiges Taſchenbuch der Münz⸗, Maß⸗ und Gewichtsverhältniffe, der Staatspapiere, 
des Wechſel- und Bankweſens und der Ufancen aller Länder und Handelöpläge” (2 Thle., Lpz. 
1851) neu bearbeitete. Diefes mit dem gründlichfien Fleiße, Beharrlichkeit und größter Sorg- 
falt ausgeführte Werk gilt mit Recht für die erſte Autorität in dieſem Fache. Eine Art Aus- 
zug aus demfelben haben die Verfaffer unter dem Titel „Münz-, Maf- und Gewichtsbuch“ 
(2pz. 1855 fg.) begonnen. Außerdem hat N. mehre Pleinere Schriften und viele Beiträge zu Zeit- 
fgriften und Sammelwerken geliefert; auch gab er mit Schiebe 1836 37 die „Blätter für 
Handel und Induftrie” heraus. — Robad (Karl Aug.), Sohn des Borigen, geb. 18. Juni 1810 
zu Eblleda, befuchte das Gymnaſium zu Erfurt, dann das Tromsdorff'ſche chemiſch ˖ pharma⸗ 
centiſche und das Unger’fche mathematiſche Inſtitut daſelbſt. Er entſchied ſich aber für den Han⸗ 
dels ftand und bildete ſich in der Lehranſtalt ſeines Vaters, den er ſpäter, nachdem er einige Zeit 
zu Köln conditionirt, unterflügte. Hierauf wirkte er feit 1835 als Lehrer an der Handelsſchule 
zu Leipzig und feit 1858 wieder au ber Anſtalt feines Vaters, bis er 1843 mit feinem Bruber 
eine öffentliche Handelslehranſtalt zu Berlin begründete. Als diefe 1849 einging, fiedelte er 
nach Damburg über, war 1851 als Commiſſar für Norddeutſchland ale Mitglied der Jury 
bei der Weltinduſtrieausſtellung zu London thätig und folgte im Sommer 1851 einem Rufe 
ale Serretär der Handels- und Gewerbekammer nach Budweis. Unter feinen literarifchen Ar⸗ 
beiten find beſonders hervorzuheben: „Der Handel in Compagnie” (Beim. 1842); „Beſchrei⸗ 
bung bes Regierungsbezirts Erfurt” (Erf. 1840); „Die Leineninduſtrie in Deutfchland” 
Sams. 1850); „Gewerbs⸗ und Handelsftatiftit des Kreifes Bubweis” (Bubmw. 1853). Als 
nalõkonom ſteht N. auf Seiten der gemäßigten (principiellen) Freihändler. — Roback 
(Briebr. Eduard), geb. 28. Febr. 1815 in Krefeld, Bruder bed Vorigen, wirkte mit demſelben 
gerneinfchaftlich bis zum Eingehen ihres berliner Inftituts und folgte hierauf 1849 einem Rufe 
als Direttor der Handelslehranftalt in Chemnig, die unter feiner Leitung rafch emporblühte. 
Bon feinen Arbeiten find, außer den mit feinem Vater gemeinfchaftlich ausgeführten, noch be» 
fonder& zu erwähnen: „Der Kaufmann als Lehrling, Commis und Principal” (Bd. 1 und 2, 
%py 1842— 44); „Über Wechſel und Wechfelrecht” (Berl. 1845); „Suftematifches Lehrbuch 
der Dandelswifjenfchaft” (Berl. 1848—49). 

Nobiles hießen bei den Römern, feitdem die Plebejer den Zutritt zu den curuliſchen Magie 
ſtratus (f. d.) errungen hatten, bie Nachkommen Derjenigen, von welchen ein folches Amt zuerft 
bekleidet werben war. Sie bildeten bie Nobilitaͤt, die ebenſowol patriciſche als plebejifche Fa⸗ 
milien in ſich ſchloß und als ein erblicher, vom Amtsadel ausgehender Adel betrachtet werden 
kann. Schon früh, vor dem zweiten Puniſchen Kriege, ſchloß ſich die Nobilität ab gegen die 
nicht zu ihr Behörigen, welche Ignobiles oder Plebs ſchlechtweg genannt wurben. Das Stre⸗ 
ben der Robiles, die hohen Staatsämter in alleinigen Befig zu bringen, fowie die Nothwendig⸗ 
fait, deshalb auf bie comitien den ftärfften Einfluß auszuüben, verbunden mit der Feind» 
ſeligkeit, die in den Ausgefchloffenen erwachte, wirkten fehr auf den innern Verderb des rom, 
Staats, zumal jene Bevorzugung gefeglich nicht begründet war. Nur das jusimaginis war ein 
vom Stagte gewährtes Ehrenvorrecht derRobiles. Kraft dieſes Rechte mard das Bild (imago) 
Deſſen, der ein curulifches Amt bekleidet hatte, ale Wachsmaske (cera) geformt, mit Unter 
ſchrift des Namens, der Würden u. f. w. (tituli), im Atrium des Hauſes aufgeftellt, ſodaß fi 
in den Familien der Nobilität das Haus mit Ahnenbildern füllte, die, an ber Wand in Schran 
chen (armaria) bewahrt, durch Linien zum Stammbaum (stemma) der Familie verbunden, bei 
felichen Gelegenheiten befrängt und gezeigt, bei Leichenbegängniffen, mit ber Amts tracht be⸗ 
teidei, vorgetragen wurden. Gelang eẽ dennoch einem Ignobilis durch den Widerſtand der 
Robiikät zum curuliſchen Amt hindurchzudringen, wie bem ältern Cato, dem Marius und dem 


262 Nodier Nogaier 


Cicero, fo hieß er Homo novus, b.i. ein Neuling ; für feine Nachkommen aber hatte er die No⸗ 
bilität begründet. — Nobilis bedeutete im Mittelalter fo viel als Adeliger; Nobilissimus war 
ein Zitel der byzant. Kaifer; Nobili biegen in der Republik Venedig Die vom höhern Abel, 
welche. auch an der Regierung Theil nehmen konnten; Nobility begreift in England den hoben 
Adel in fih ; Noble Paffionen nennt man Liebhabereien, die, wie Jagd, Hunde, Pferde, Gelage, 
dem Adel oder vielmehr der vornehmen und reichen Welt überhaupt eigen find. 

Nodier (Charles Emmanuel), einer der bedeutendften Schriftfteller des neuern Frankreich, 
geb. 28. April 1780 zu Befangon, erhielt den erſten Unterricht durch feinen Vater, der ein ge- 
achteter Nechtögelehrter war. Zehn. alt, fendete ihn berfelbe nach Strasburg, wo er ferne Stu- 
dien unter dem durch bie Nevolution berüchtigten Eulogius Schneider betreiben follte. Nach 
feiner Geburtögegend zurückgekehrt, gab er ſich naturhiftorifchen Studien hin. Im J. 1797 wurde 
er dem Bibliothekar von Befangon abjungirt, aber ſtatt dem Wunſche feines Vaters gemäß fich 
dem Rechtöftubium zu widmen, las er Goethe's „Werther und ähnliche Productionen. Unter dem 
Einfluffe diefer Lectüre ſchrieb er die melancholiſchen Romane „Stella, ou les proscrits” (Par. 
4802), „Le peintre de Saltzbourg” (1803) und ähnliche Dichtungen, welche ihn mit ben Be- 
firebungen ber fpätern romantifchen Schule in einigen Zuſammenhang gebracht haben. Er 
neigte fi) anfangs zu republilanifhen Brundfägen. Bald aber wurde er in bad Getriebe roya⸗ 
liſtiſcher Clubs gezogen und fchrieb nım z. B. in feiner Strafobe „La Napoleone” (1802) mit 
großer Erbitterung gegen Bonaparte. Diele Polemik zog ihm Verfolgungen und felbft Ge- 
fängniß zu. Mehre Jahre Iebte er baher verborgen im Jura, flüchtete dann nach der Schweiz, 
wo er ſich als Eorrector ermährte, bis er nach manchen Abenteuern nad Frankreich zurückkehrte. 
Er begann num zu Döle Vorlefungen über die ſchönen Wiſſenſchaften. Dann burdhftreifte er 
aufs neue die Welt und ließ fich endlich in Laibach nieder, wo er Stabtbibliothefar und von Ju⸗ 
not und Kouche mit ber Rebaction bes „Te&l&graphe illyrien” beauftragt wurde. Im J. 1814 
kam er nah Paris zurüd, wurde Mitarbeiter am „Journal des debats”, was er bi6 1820 bfieb, 
wandte fi dann der „Quotidienne” zu und zog, beſonders im „Nain jaune“, welcher von ihm 
den berühmten Auffag brachte: „Napol&onau 4 Mai“, heftig gegen Napoleon los. Ludwig XVIII. 
belohnte ihn, indem er ihn in den Adelsſtand erhob und ihm das Ehrenkreuz verlieh. Im J. 
1824 wurde N. als Bibliothekar beim Arfenal angeftellt, fpäter zum Oberbibliothelar befördert 
und 1834 auch in die Akademie aufgenommen. Er ftarb 26. Jan. 1844. Die Zahl feiner Werte 
ift fehr groß. Als Kritiker verdankt man ihm eine Reihe trefflich commentirter Ausgaben franz. 
Glaffiter. Als Grammatiker und Leritograph hat er ungemein Tüchtiges geleiftet und veröffent- 
lit: „Dictionnaire des onomatop6es de la langue frangaise” (Par.1808 ; 2.Aufl., 1828); 
„Examen critique des dictionnaires de la langue frangaise” (Par. 1829) ; „Dictionnaire uni- 
versel de la langue frangaise” (2 Bbe., Par. 1822 und öfter); „El&ments de linguislique” 
(Par. 18354). Seine „Oeuvres” (12 Bde., Par. 1832) umfafjen größtentheild nur auf 
die fchöne Literatur Bezügliches. Don den Erzeugniffen diefer Art ift noch zu nennen: „Jean 
Sbogar” (2 Bde., Par. 1818), „Theröse Aubert” (Par.1819), „Trilby, ou lelutin d’Argoil” 
(Par. 1822) und „Le roi deBoh&me et ses sept chäteaux” (Par. 1830), ein fehr gelungenes 
bumoriftifches Werk. In den „Souvenirs de jeunesse” (Par. 1832), ben „Memoires de Ma- 
xime Odin” (Par. 1832) und in ben „Souvenirs, &pisodes, portraits, pour servir äl’histoire 
de la revolution” (2 Bde. Par. 1831) gab er intereffante Auffchlüffe über feinen Charakter, 
feine Schickſale und Studien. ” 

Nogaier oder Rogayen, ein Hauptftamm der turf-tatar. Bevölkerung des ruff. Reiche, 
find ihrer Körperbildung nach Tataren, während ihre Sprache ihre nähere Verwandtſchaft mit 
ber Samilie ber Turkvölker ganz entfchieden beweift. Sie wohnen in den füdruff. Bouverne- 
ments Cherfon und Jekaterinoſiaw am untern Dniepr, befonder® aber in der Provinz Kauka⸗ 
fin am Kubanfluffe, weshalb fie auch Kubenifhe Tataren und ihre Wohnfige bie Kubaniſche 
Steppe genannt werben, in Meinerer Zahl auch in ber Krim. Doch find die Erimfchen bei weiten 
edler al& die Fubanifchen Tataren. Beide, etwa 560000 Köpfe ftark, find faft ſämmtlich noch 
Mohammedaner und, wie alle Turkvölker, Sunniten; die Priefter, Mollahs genannt, leiten ben 
ganzen Unterricht des Volkes, der fich meift nur auf ein oberflächliches Verſtändniß ded Koran 
erſtreckt. Das Volk ift noch in tiefem Aberglauben verfunten und ber Glaube an ben Schaitan 
(Satan), der nur durch Opfer, Befprechung und Zalismane zu tilgen ift, madht ſich überall 
geltend. Den Murfas oder Adeligen ift das gemeine Volk in vielen Fällen dienſtbar; auch haben 
fie allein das Recht, einen Kenfchal oder Säbel zu tragen. Ihre Kadis oder Richter werden von 
ben Ruffen nicht mehr anerkannt, obwol das Bolt fih im Geheimen noch fort und fort bei ihnen 


Nola Nomen 208 


Raths erholt. Übrigens find bie Nogaier, die vormals vorzugsmweife von Pferdezucht lebten, 
jegt großentheils Aderbauer, haben nur geringe Abgaben zu zahlen, waren früher frei vom Mi 
litärbienfte, obwol viele 1813 freiwillig Kriegsdienſte Leifteten, find aber gegenwärtig theilweife 
auch dem Kofadlenheere der kaukaſiſchen Linie einverleibt. Die Nogaier befigen viel natürlichen 
Berftand, gefchärfte Sinne, auch viel Gutmüthigkeit neben großer Verfchlagenheit, Geldgier, 
Eigennug und Tüde. Ihre Gaſtfreiheit war vor Zeiten, als fie noch ſämmtlich Nomaden wa⸗ 
en, größer als jegt, wo fie zum Theil fefte Wohnfige innehaben. Vielweiberei ift erlaubt, doch 
find die echt nogaiifchen Frauen theuer im Preife und werben — mit 30 — 50 Kühen, 
d. i. 600—1000 Rubeln, bezahle. Alle Laſten des Hauseſtandes fallen ihnen zu; auch gehört 
das Wehklagen auf den Meſarlisk oder Begräbnigplägen zu ihrem Amte. Vgl. „Bruchftüde 
aus einer Reife nach dem füblihen Rußland, mit befonderer Rückſicht auf die Nogaiertataren“ 
(St.Gallen 1830). Den Rogaiern ähneln die Kumuken oder Kumüken, ein an ben Norboft- 
gehängen bed Kaukafus, im Oſten vom Terek bis zum Kaspiſchen Meere wohnender, etiva 
12000 Köpfe zählender turkstatar. Stamm, ber gegenwärtig ben Ruffen unterworfen iſt und 
zu ihnen in benfelben Verhältniffen fteht wie bie kubaniſchen Tataren. Sie find ebenfalls Mo- 
hammedaner und befchäftigen ſich mit Viehzucht und beſonders mit Fifchfang. Axai und En- 
dery find die Hauptorte ihrer vorzüglichftien Fürftenthümer, die — als Hauptraubneſter 
und Sammelplaͤtze des gefährlichſten Geſindels berüchtigt ſind. Menſchenraub und Sklaven⸗ 
handel find bei dieſem Volke an der Tagesordnung. Bon ihnen zu unterſcheiden find die Kafl- 
Kumülen, bie zwar auch Mohammedaner und ein Priegerifches Raubvolk find, aber zum 
Stamme ber Lesghier gehören und mehr weftlich wohnen. Kumüf und Kaſaniſch find hier die 
Hauptorte, beibe wohlbevölkert und die Sige verfchiedener Stammesfürften. 

Nola, eine der älteften Städte Campaniens, von ben Aufonern (f. d.) gegründet, wurbe im 
Sammitiſchen Kriege 313 v. Chr. von den Römern zur Übergabe genöthigt, benen fie auch im 
zweiten Punifchen Kriege treu blieb, wo Marcellus (f. d.), um fie zu fhügen, dem Hannibal 
in ihrer Rähe 216 und 215 v. Ehr. die erſten glücklichen Schlachten lieferte. Auguftus ftarb da⸗ 
feloft 14 n. Ohr. Durch Veſpaſian wurde fie Eolonie. Im 4. Jahrh. follen in N. die erften 
Glocken gegoffen worden fein. Auch im Mittelalter war NR. eine blühende Stadt; jett hat fie 
9000 €. und gehört zu der neapolit. Provinz Terra di Lavoro. 

Neli me (fat.: rühre mich nicht an), Sinnpflanze oder Senſitive pflegt man we⸗ 
gen der ſtarken Reizbarkeit ihrer Blätter mehre Arten von Mimofen (f. d.) zu benennen. In - 
der Malerei führt nach Joh. 20, 17 ben Namen Noli me tangere bie Darftellung ber Scene, 
wo Ghriftus nach feiner Auferfiehung der Magdalena erfcheint. 

Nomaben (griedh.), d. i. Dirtenvölker, werben Diejenigen Völkerſchaften genannt, welche, 
bhauptfächlich mit ber Viehzucht befchäftigt, noch Beine feften Wohnſitze haben, fondern ber Er⸗ 
näbrung ihrer Heerden wegen von einem Orte zum andern ziehen. Die Nomaden ftehen auf 
der Stufenleiter der menfchlichen Befittung Höher als die Jäger⸗ und Fiſchervolker, aber niedri« 
ger als die Aderbau- und Gewerbtreibenden und gehören noch wefentlich der Stufe des Barba⸗ 
renthums an. Die meiften Romadenvölker haben eine große Reigung zum Raub. Gebr leicht 
iſt ihnen der Übergang zum Kriegerleben, daher von der älteften Zeit an bie folgeteichften Crobe⸗ 
rumgen von benfelben ausgeführt wurden. beweiſen 3. B. bie Eroberungen ber Hunnen, 
Ungarn, Araber und Zataren. In Europa findet man nur noch In den Steppen am Schwarzen 
Meere und im hoben anbauunfähigen Rorden ſchwache Nomadenſtämme, dort tatariſch⸗türkl⸗ 
ſchen, hier finnifhen Stammes. Dafür find Afien und Afrika ihrer Natur nach bie eigentliche 
Heimat bes Nomadenlebens. Faft alle finnifchen, mongol. und türf. Stämme, fowie die auß 
ihnen gemifchten in ben Steppen und Wüſten Rorb-, Mittel- und Vorderaſiens find Roma» 
den; ebenfo die Kurden und bie arab. Bebuinen in Vorderafien und Nordafrika, fowie die mei 
fien Bölter Südafrikas, die Kaffern, Betſchuanen, Hottentotten u. ſ.w. In Südamerika find bie 
Gauchos und in mandyer Binficht auch einige Indianerſtämme als Nomaben anzufehen. 

Nomen (lat.), in der Mehrzahl Romina, dab Rennwort, ift in ber Sprachlehre derjenige 
Mebetheil, durch welchen man ein Ding im weiteften Sinne feinem Beftehen und Inhalte nad 
benennt. Zu biefen Rennwörtern gehören außer bem Apjectiv (f. b.) vor allen die Hauptwoͤrter 
oder nomina substantiva, durch welche ein Ding als felbftändig, oder doch als ſelbſtaͤndig ge» 
dacht, feinem eigenthümlichen Inhalte nach bezeichnet wird. Ihrer Art nach theilt man fie 
4) in Benennungen wirklicher Gegenflänbe ober nomina concreta, und biefe wieder theil® in 
Oigennamen (nomina propria) oder Benennungen einzelner Iebenber Weſen ober Ieblofer Ge. 
genfhinde, wie Columbus, Pegaſus, Wien, Engländer; theils in Gemeinnamen (nomina com. 


u’ Nomenclator | . Rominalwerth 


munia), bie eine Mehrheit oder Menge gleichartiger Gegenftänbde ober Theile umfaffen, und in 
Sattungsnamen (nomina appellativa), wie Gebirge, Gefchwifter ; endlich in Stoffnamen (no- 
mina malerialia) oder Benennungen unbegrenzter Stoffe in unbeflimmter Ausdehnung, wie 
ein, Silber, Getreide. Eine befondere Unterart diefer Soncreta bilden die VerBleinerungs- 
wörter oder nomina deminuliva, welche den Gegenftand feinen äußern Umfange oder feiner 
Innern Kraft nad) vermindert darftellen, wie Männchen, Büchlein. 2) Theilt man die Nenn- 
wörter in Namen von Begriffen oder Vorftellungen, die nur als felbftändige Gegenftände ge- 
dacht werden, oder nomina abstracta, und zur Bezeichnung theild von Gigenfchaften, wie Ju- 
gend, Schönheit,theils von Zuftänden, wie Zufriedenheit, Theuerumg, theils von einmaligen oder 
wiederholten Handlungen, wie Gang, Ruf, Geheul, Prahlerei, dienen. Ihrer Bildung nach ger 
fallen die Nennmwörter 1) in Stammwörter (primitiva), wie Mann, Haus, Baum; 2) in abge: 
leitete Worter (derivata), die Durch Anfegung von Silben am Anfange oder Ende des Stamms 
gebildet werden, wie Gehülfe, Miston, Dichterling, u. ſ.w. Auch können einige Formen des Zeit- 
worts, befonders das Particip, z. B. ber Lernende, das Belernte, und ber Infinitiv, 3. DB. das 
Lefen, das Schreiben, zu Subftantiven erhoben werden. 

Momenclätor, d. i. ber Namennenner, hieß in Rom vorzugsweife der Slave ober Diener, 
ber. bei verfchiedenen Veranlaffungen feinem Herrn die Namen diefer oder jener Perfonen, die 
gerade zugegen waren, anfagen mußte, was auc dann beſonders gefchah, wenn der Derr bei 
Bewerbung um eine Ehrenftelle umberging, um ſich Die Stimmen des Volkes zu erbitten. Auch 
ordneten dergleichen Sklaven die Gaſtmahle, wielen jedem Gaſte bie Pläge an und nannten die 
einzelnen Speifen und deren Befchaffenheit. — Momenclatur bezeichnete zu jeder Zeit ein blo- 
Bes Namensverzeichniß gewiffer Gegenftände ohne weitere —— | 

Nominalismus bezeichnet eine philofophifche Anſicht über das Weſen und die Bedeutung 
ber allgemeinen Begriffe, welche, im Gegenfage zum Nealismus (f. b.), keineswegs blos die 
chriſtliche Philoſophie des Mittelalters, die Scholaftit, in entgegengefegte Parteien theilte, fon- 
dern fich durch Die ganze Geſchichte der Philofophie hindurchzieht. Es Handelt fich nämlich 
barum, ob bie allgemeinen Begriffe etwas Seiendes bezeichnen oder bloße Probucte ber Abſtrac⸗ 
tion find. Der Rame entftand aber allerdings gegen Ende bes 11. Jahrh., als Job. Roscelli- 
nus mit der Behauptung auftrat, die allgemeinen Begriffe (Univerfalien) feien nicht Sachen, 
fondern bloße Worte und Namen (nomina rerum oder flatus vocis) und das Ginzelne fei bas 
wahre Seiende. Dagegen behaupteten bie Realiften, bie allgemeinen Begriffe würben nicht vom 
Berftande gebildet, fondern feien der Wirklichkeit nach in den Objecten gegründet; biefelben 
würden als Realität dem Verftande gegeben und feien die Sachheit felbfl. Die Lehre des Ros⸗ 
celinus wurde zu Soiffons 1092 verdammt, und die Mealiften wurden nun die berrfchende 
Schule, die ſich abweichender Anfichten halber wieder in Thomiften (f. Thomas von Aquino) 
und Scotiften (f. Duns Scotus) theilte. Im 14. Jahrh. erneuerte fich dee Kampf der Nomi⸗ 
naliften mit den Realiften durch den Franciscaner Wilhelm von Dccam, einen Schüler des Duns 
Scotus aus der engl. Grafſchaft Surrey, ber in Paris lehrte und in Münden 1343 oder 1347 
ftarb, auf eine folche Weiſe, daß die Nominaliften zulegt den Sieg bavontrugen. Dccam's Scharf: 
finn richtete fich zunächft gegen die von ben Realiften behauptete objertive Realität, welche den 
allgemeinen Begriffen außer dem Verftande zukommen folle, von welchen legtern er behauptete, 
daß fie nur ein fubjectived Dafein in ber Seele Hätten und ein Erzeugniß des abfirahirenden 
Verſtandes wären. Unter den nächftfolgenden Anhängern des NRominalismus find zu erwäh- 
nen: Johann Buriban (f. d.), geft. nach 1358; Nob. Holcot, geft. 1349; Greg. von Rimini, 
geft. 1358 5 Heinrich von Heffen, geft. 1397; Nikolaus Oresmius, geft. 1582; Matthäus von 
Krakau, geft. 1410, und Gabr. Biel, geft. 1495. Die Rominaliften wurden zwar noch öfters 
heftig verfolgt, wie 3. DB. zu Paris 1339, 1340, 1409 und 1473, wogegen auch fie ihrerfeits, 
wie Hug’ Verbammung bezeugt, die Realiften nicht immer mit criftlicher Sanftmuth behan- 
beiten ; indeß gemannen fie doch nach und nach in Frankreich wie auf den deutſchen Univerfitäten 
die Oberhand. Sie find in der Geſchichte ber Philofophie bes Mittelalters auch dadurch merk: 
würdig, daß, ungeachtet ihr Streit ſich eigentlich nur auf die Realität ber allgemeinen Begriffe 
bezog, von ihnen ein freierer und von ber kirchlichen Theologie unabhängiger Geift ausging, wel- 
cher. den größern philofophifchen Verſuchen der folgenden Jahrhunderte zuerft den Weg bahnte. 
Bol. 3. Salaberti, „Philosophia nominalium vindicata” (Par. 1651); 2.%.D. Baumgarten- 
Crufius, „De vero scholasticorum realium ei nominalium discrimine” (Jena 1821); 
Fr. Ener, „Über Nominalismus und Realismus” (Prag 1842). | 
Nominalwertb oder Nennwerth heißt der einer Sache durch Worte ober Zahlen beige 


Noneonformiten .  . Rorbalbingia | 28 


legte (aufgedruckte, aufgeprägte) Werth im Gegenſatze bes wirklichen Werths oder bes RNeal⸗ 
werths und bes bisweilen von dieſem legtern abweichenden Preiſes. Am Häufigften kommt bie» 
fer Unterfchieb bei den Staatspapieren und Actien vor. Haben diefelben gleichen Rominalwertb 
umb Preis, fo ſagt man, fie flehen al pari. . 

Noncouformiſten, ſ. Diſſenters. 

None heißt in ber Muſik der neunte Ton vom Grundton aufwärts gerechnet. 

Nonius, gelcehrter Portugiefe, f. Muüez. 

Nonnen und Ronnentlöfter, f. Abſter. 

Nonnus, ein fpäterer griech. Dichter aus Panopolis in Ügypten ‚ lebte nach Ginigen zu 
Unfange, nach Andern zu Ende bes 5. Jahrh. n. Ehr. und verfaßte ein Gedicht in 48 Büchern 
unter dem Zitel „Dionysiaca”, worin der Zug bed Dionyfos ober Bacchus nach Indien ber. 
ſchrieben wird. Die Schreibart ift ſchwülſtig und weitſchweifig und die Befhreibungen gehen 
zu fehr in das Einzelne ein; doch ift die metrifhe Behandlung nicht ohne Verbienft und ber mo⸗ 
berne Ton blühend und lebendig. Außerdem Haben wir von N. eine „Metaphrasis evangelii 
Joannei”, bie mehr ihrem Inhalte als ihrem dichterifchen Werthe nad; Beachtung verdient. Die 
befte und in fritifcher Hinficht vollftändigfie Ausgabe der „Dionysiaca” lieferte Gräfe (2 Bpe., 
£pz. 1819— 26); das 8.—13. Buch gab Mofer mit einem mytholegifchen Commentar beſon⸗ 
ders heraus (Heidelb. 1809); von ber „Metaphrasis” beforgte Paſſow eine neue und forgfältige 
Textrecenſion (2pg. 1834). Vgl. Weichert, „De Nonno Panopolitano” (Wittenb. 1810); 
Duwarow, „R. von Panopolis, ein Beiteng zur Geſchichte der griech. Poefie” (2p3.1817)-und 
beffen Abhandlung „Sur les Dionysiaques de Nonnus” in den „Etudes de philologie et de 
critique”‘ (Betersb. 1843). 

Root (Heinr. Rikol. van der), geb. 1750 in Brüſſel, ftudirte in Löwen die Rechte und 
wurde fpäter Advocat beim Hohen Rath, von Brabant in feiner Baterftabt. Ohne gründliche 
Kenntaiffe und richtigen Blid, wurbe ex doch durch feine Kühnheit und Beredtſamkeit ber 

er bei den 1788 in Belgien ausgebrochenen Unruhen. Gleich anfangs hatte er 
fi gegen die Verbefferungen Kaifer Joſeph's IL. erflärt, mußte aber deshalb bie Flucht ergrei» 
fen. Rachdem er 1788 wieder zurückgekehrt, fammelte er die Unzufriebenen, mit benen er in 
Breda den Gomitd von Brabant bildete. Dex Erfolg gab ihm ben Muth, die Entfegung Kaifer 
Joſeph's von ber Regierung und fi zum Bevollmächtigten der Stände von Brabant zu erklä⸗ 
ten. Er war nun zwar das Haupt des Aufſtandes; doch deffen Seele bilbete ber ſchlaue Prieſter 
van Eupen, been ganz beherrfchte. Nachdem fi 1789 der Aufftand über das ganze fand ver⸗ 
breitet und die Oſtreicher vertrieben waren, zog R. in Brüffelein. Dieb war der Hoͤhepunkt feines 
Gläds. Die ineinigkeiten, die unter ben Aufftändifchen ausbrachen, bewirkten, baf ihre Macht 
in fich ſelbſt zerfiel und die Oftreicher fhon 1790 wieder einrüdten und dem Auffiande ohne 
übe ein Ende machen konnten. N. wurde dadurch im Dec. 1790 gegwungen, nach Holland 
zu flichen, von wo aus er vergebliche Berfuche machte, feine Landsleute erft gegen bie öfter. Res 
gierung und dann gegen bie franz. Republik aufzuregen. Letzteres bewirkte, daß er 1796 auf 
Reguifition ber franz. Behörden in Bergen-op-Zoom verhaftet und ein Jahr lang in Gewah . 

ſam gehalten wurde. Rach feiner Freilaſſung Lehrte er nach Belgien zurüd, wo ex in Armut 
und Vergefienheit lebte und 13. Jan. 1827 in Seroombeek farb. 

MNaorbert, der Heilige, der Stifter ded Prämonſtratenſerordens (ſ. d.) im 12. Jahrh., ſtammte 
aus vornehmer Familie und war vorher Kanoniker zu Zanten und Köln geweſen. Die Rettung 
aus einer Tobesgefahr machte auf ihn, der bisher an dem weltlichen Zreiben ber Kanoniker Theil 
gensmmen batte, einen fo tiefen Einbrud, daß er, auf feine reichen Einkünfte verzichtend, feit dem 
J. 1148 in Deutſchland, Frankreich und ben Rieberlanden als Bußprediger umberzog und ende 
fich 1431 in Prementrd, einem rauhen Theile ber Diöces von Laon, eine mönchsartige Geſell⸗ 
ſchaft zur Ausũbung des geiftlichen Amts, Predigt und WBeichte, gründete. Zwar wurde er 1126 
zum von burg ertählt, doch fuhr er fort, für die Ausbreitung des neuen Drbens- 
bis an feinen Tod, 6. Juni 1134, zu wirken. Sein Todestag iſt auch fein kirchlicher Feſttag. 

Morbalbingia hieß urſprünglich das ganze von Sachſen im Norbpften ber Elbe bewohnte 
Land, das daher auch ben Namen Saxonia Transalbina führte. Bor Feſtſetung der Dänen im 

wigfchen und der Slawen in WBagrien mag es auch diefe Länder mit umfaßt haben, ſpä⸗ 
ter, zu Tarl's d. Br. Zeiten, wurde es im Nerden durch die Eiber von ben Dänen, im Sudiner 
ſten Durch Die Elbe von den übrigen Sachfen und im Dften durch eine durch die Trave gebildete 
Linie von ben Slawen gefchieden. Es befand aus Holftein im engern Gimme, Stormam un 
Dich arſchen unb gehörte als eine gene Matt zum Herzogthum Sachſen. | 





= 
2 


206 Rordamerifa 


Rorbamerike, die nördliche Hälfte des Feſtlandes ber weftlichen Halbkugel (f. Amerika), 
bildet faft ein rechtwinkeliges Dreieck von 342000 AM. Flächenraum und wird auf der Weſt⸗ 
feite vom Stillen, auf der Oftfeite vom Atlantifchen Dcean und auf ber Nordfeite vom nörd- 
lichen Eismeer befpült. Die Küftenentwidelung beträgt 6000 M., wovon 2280 auf die Weſt⸗ 
tüfte am Stillen Ocean, 2970 auf bie Oftküfte am Atlantiſchen Ocean und 750 M. auf die 
Nordküſte am Eismeer kommen. Die Küften find von vielen Bufen und Buchten durchſchnit⸗ 
ten, welche eine Menge Vorjprünge und Halbinfeln bilden. Die bebeutendften unter Iegtern find 
Meiville, Boothia Felix, dann Labrador (f. d.), Neuſchottland (f. d.), Florida (f. d.), Yucatan 
(f. d.), Californien (f. d.) und endlich bie große Halbinfel des Nordweſten, die wieder in mehre 
Heinere Halbinfeln ausläuft, von benen bie von Alaſchka bie bedeutendfte ift. Die Bobengeftaltung 
wird bauptfächlich von den beiden Gebirgszügen, den Gorbilleren und den Alleghanys beftimmt. 
Die Cordilleras (f.d.), auf ber Zandenge von Panama von denen Südamerikas getrennt, durch⸗ 
ziehen Nordamerika feiner ganzen Länge nach, anfangs in der Richtung von Sübdoften nad) 
Nordweſten, faft das ganze Land zwifchen dem Stillen Ocean und dem Antillenmeer nebft dem 
Mexicaniſchen Meerbufen meift in Plateauform ausfüllend, nehmen aber in Neumerico mit 
ber Kettenform die Richtung von Süden nach Norden an und biegen fich erſt im Dregongebiet 
wieber etwas nach Nordweſten hin, um unterdem Ramen ber Felfengebirge (Rody-Mountains) 
in biefer Richtung nach dem Eismeere zu in uns faft unbelannte Regionen zu verlaufen. Durch 
die Cordilleras wird Nordamerika in zwei ungleiche Hälften getheilt: in das Land weſtlich und 
öfttlich von benfelben. Jenes befteht in ben bis jegt wenig durchforfchten Plateaulandſchaften 
(Californien, Dregon, Neumerico, Utah), in welche die Corbilleras nach Welten zu ſich abda⸗ 
hen. Das Land im Oſten der Cordilleras bildet im Norden eine ungeheuere, raube, nur von 
niedern Kämmen und Klippenreiben durchzogene Felfenplatte, bie fich nach Norden bis zum 
Eismeer, im Often bis zur Hubfonsbai und im Norden ber Ganabifchen Seen bis zu den Ge⸗ 
birgen von Labrador, welche bie Norboftedde von Nordamerika bilden, und im Süden bie zubem 
Quellbezirk des Miffiffippi und Miffouri erſtreckt und dadurch merkwürdig iſt, daß fie in Folge 
‚ihrer höchſt regellofen Oberflächenbildung, welche eine regelmäßige Entwidelung von Scrom⸗ 
läufen verhindert, der Herd einer Menge größerer und kleinerer Seen iſt. Die Waffermafle 
derfelben findet theild in dem ins Eismeer mündenden Madenzie und bem Großen Fiſchfluß, 
cheils in dem in die Hudfonsbai fich ergießenden Nelſon und dem Churchill, theils in ben Ca⸗ 
nadiſchen Seen ihren Abfluß und fieht in verwidelter wunderbarer Verbindung miteinander. 
Süblich diefer Feldplatte breiten fich die Stufenländer des Waſſerſyſtems des Miffiffippi (T. d.) 
und feiner Zuflüffe (Miffouri und Ohio) aus, melde ben Kern des großen Ländergebiets von 
Nordamerika bilden, beftehend aus einem ungeheuern Flußbecken mit einer großen Ebene in der 
Mitte. In der Küftenebene des Miffiffippi ergießen fi außerdem noch mehre Flüffe, morunter 
der Rio del Norte, in den Mericanifchen Meerbufen. Die Alleghanys (ſ. Apalachen), von Süd⸗ 
weiten nad) Norboften ſich ziehend, begrenzen das Miffiffippigebiet im Dften. Zwifchen ihrem 
Südoſtfuß und dem Atlantifchen Dcean breitet fich bie atlantifche Küftenterraffe, das gefegnetite 
Eulturland Nordamerikas, aus, das, mit Ausnahme der fandigen Strandgegenden, eine fruchtba⸗ 
te, wellenförmige, nach den Alleghanys zu ftufenweife ſich erhebende Küftenebene ift, die im Sü⸗ 
den, wo fie mit der Miffiffippiebene ſich verfchmilzt, am breiteften, nach Norden zu immer ſchmä⸗ 
fer wird, bi6 am Ende nördlich vom Hubfon die Gebirge bis ans Meeredufer treten und eine fel- 
fige, mannichfach gezackte Küfte bilden, während umgekehrt bie Ebene nach Süden zu immer fla- 
cher, fumpfiger und fandiger wird, und an der Küfte Strandlagunen an bie Stelle von Häfen tre- 
ten, am meiften in ber Südweſtſpitze bed Landes, in der Halbinfel Florida. Bis auf den St-Johns- 
flug in Florida kommen ſämmtliche fchiffbare Flüſſe diefer wohlbewäſſerten Küftenterrafle aus 
den Alleghanys, beren verfchiedene Ketten bie meiften von ihnen in Querthälern durchbrechen. 
Den fünften Haupttheil Nordamerikas bilden die Ränder des Waſſerſyſtems des Lorenzſtroms 
und die fünf großen Landſeen, aus denen er fich ergießt. (S. Canada.) Diefe Süßwaſſetſeen, die 
ihre Wäſſer aus den Zuflüffen und Seen der arktifchen Felsplatte erhalten und zufammen ei- 
nen Flächenraum von etwa 5000 AM. einnehmen, liegen terraffenförmig einer uber dem an- 
bern und ergießen ihre Waſſermaſſen in Stromfchnellen und Waſſerfällen, 3. B. dem des Ria⸗ 
gara (f.d.), aus einem in den andern, bis fie im caradifchen Niederlande zmifchen ben Nord» 
weftabfällen der Alleghanys und dem öftfichen Theile ber arktifchen Felöplatte im Lorenzſtrom 
{f. d.) ruhiger dahinfließen und in ben Meerbufen gleiched Namens am Ende münden. Das 
Ktima, das fich durch alle Zonen erftredit, hat, den geringen innerhalb der Tropen gelegenen 
heil abgerechnet, das Eigenthümliche, daß es überhaupt älter als das europäiſche, insbefon- 


Nordeap -  Mordearoline * “w 


bere aber, daß es auf ber Oſtſeite der Cordilleras ein egceffiveres, d. h. ein im Semmer heißeres 
und im Winter Fälteres und im Jahresburchfchnitt überhaupt ein kälteres ift als auf der Weſt⸗ 
fette derfelben am Stillen Deean. Der Grund davon find vorzüglich die ben größern Theil des 
Jahres dafelbft vorherrfchenden Nordweſtwinde, welche für die Geis, öftlich von den Corbilleras 
über die trodenen Flächen bes norbmwefllichen Nordamerika und des arktiſchen Meeres und fei- 
ner Länder kommen, alfo überhaupt wenig Feuchtigkeit und, im Winter über die ungeheuern 
gefrorenen Flächen des Eismeers und der Landſeen im Norden Nordamerikas ftreichend, einen 
bebeutenden Kältegrad mitbringen, während fie der Weſtküſte Nordamerikas, über den Stillen 
Deean kommend, die feuchte, milde Seeluft bringen und das ganze Klima milder machen. 
Außer den Winden find es vorzüglich bie Meeresftrömumgen, beſonders die arktifche, die nach 
Neufundland geht, welche zu dieſer Ungleichheit ber Temperatur mitwirken. So kommt es 
denn, daß die Iſothermen Nordamerikas bedeutend in ber Richtung von Weſten nach Often, von 
Norden nach Süden biegen, d. h. daß nördlich gelegene Orte der Weſtſeite diefelbe mittlere 
Jahres temperatur haben wie fühlicher gelegene auf ber Oſtküſte, eine Differenz, die um fo be- 
deutender ift, je mehr man nörblich geht, und bie um fo mehr fich verringert, je mehr man fi 
dem Aquator nähert. Die Folge diefer Teniperaturbifferenz ift, daß die Weſtſeite Nordame⸗ 
rikas viel weiter nach Norden eultivirbar und mit Vegetation bedeckt ift als die Oftfeite, wo 
unter 56° n. Br. der Boden im Sommer nur drei Fuß tief aufthaut und das nördliche Ufer des 
Huronfees, unter gleicher Breite mit Venedig, ſechs Monate im Jahre mit Schnee bedeckt 
ift, obgleich die drei Sommermonate über 21° Wärme haben. So kann man annehmen, baf 
alle bie nördlich einer von 55° n. Br. an ber Weſtküſte bis zu 50° n. Br. an ber Oſiküſte fid 
ziebenden Linie gelegenen Ränder Norbamerklas und felbft noch viele Striche ſüdlich derſelben 
für ben Anbau europ. Getreidearten nicht mehr paffend find, wie denn ſelbſt die Gegenden füb- 
Lich und öftlich am Lorenzbuſen, z. B. Neufundland, Neubraunſchweig und Neuſchottland, be 
rũchtigt durch ihr rauhes, nebeliges Klima find; das in Neufundland kaum noch Aderbau 
erlaubt. Die Geſammtbevölkerung Rorbameritas beläuft fih auf 30 — 35 Mil. Seelen. 
Diervon kommen angeblich 7 Mill. auf die Indianer und Meſtizen, 4'/ Mill. auf die Neger 
und Mulatten, worunter 3", Mi. Skiaven und das Übrige auf die-Einwohner europ. Stam ⸗ 
mes. Die einzelnen Länder Nordanıerikas von Süden an find: die Staaten von Centralame⸗ 
rita (ſ. d.); das fogenannte Königreich Mosquitia an der Mosquitoküfte, die Republik Mexico 
nebft Yucatan; die Vereinigten Staaten; die uff. Niederlaffungen an ber Rorbwefltüfte 
(Reuarchangelsk); bie brit. Befigungen, welche, außer ber Nieberlaffung Honduras an der 
Oſtküſte von Yucatan und den Bermudas, das ganze übrige Rordamerika, alſo den ganzen Theil 
nördlich von den Vereinigten Staaten und öftlich von den ruff. Befigungen umfaſſen; endlich 
Grönland mit den bän. Niederlaffungen. Vgl. Undree, „Nordamerika in geographiſchen und 
geſchichtlichen Umriffen” (2. Aufl., Braunſchw. 1853). 

Rorbdcap, die nordlichſte Spige Europas oder eigentlich ber äußerſte Punkt feiner noͤrdlich⸗ 
ſten Infel Bageröe, an der Küfte von Norwegen, liegt unter 71° 40° n. Br. und 43° 30° 5. 2, 
während das nörblichfte Vorgebirge des Feſilandes, das Cap Mord: Kyn oder Kynrodden, 
etwas füblicher und öftlicher am Waranger Horb ſich befindet. Die Infel Magerde hat fehr 
zerklũftete Küften ; das Nordcap ſtürzt mit drei ungeheueren nadten Felsköpfen, beren Höhe 
4200 $. beträgt, in das Polarmeer, von deſſen Brandung es fortwährend gepeitfcht wird. Das 
Kirchfpiel der Infel Heißt Kjelwig und hat einen Hafen. Derfelbe ift aber den heftigften Win- 
den außgefegt, weldhe das Meerwaſſer zu einer Staubwolke zerpeitſchen, fobaß die Ufer ver- 
ſchwinden. Die Kälte äußert fich aber nicht fo fireng, wie man der nördlichen Lage halber er- 
warten follte. Das Meer gefriert nie. Die mittlere Temperatur des Jahres wird am Gap auf 
0°, die. des Winters auf 3,7° unter, des Sommers auf 5,1? über, die des Fältefin Monats auf 
4,5’ unter und bie des wärmften auf 6,15" R. über dem Gefrierpunkt angegeben. 

Horbenrolina (North Carolina), einer der Vereinigten Staaten von Nordamerika, im N. 
von Pirginien, im W. von Zenneffee, im S. von Sübcarofina, im D. vom Atlantiſchen Drean 

begtenzt hat ein Areal von 2124 QM. wonon gegen 401’ bebaut find. Die ganze Kü 
entlang zieht fi) eine vom Feſtlande durch bald engere, bald breitere Baten und Sunde getrennte 
Sandflaͤche mit vielen, aber ſelchten und daher für die Schiffahrt gefährlichen Emfchnitten. 
Auf 13—17YM. Breite von ber Küfte bildet das Land eine vollkommene Ebene mit langfam 
fließenden ſchiammigen Stüffen, vielm Moräften und Sümpfen. Dort iſt ber Boden, außer 
bicht an den Flußufern, wo er ftrichweife fruchtbar, ſandig und mager, geößtentheil6 mit Pech⸗ 
kamen bewaldet. Hinter diefer Bläche erhebt ſich auf 8% MR. Breite eine wellenförmige Cheue, 


268 | KRorbdcarolina 


bie ſich bis zu den untern Flußfaͤllen ausbehnt. Oberhalb der Bälle wird das Land hügelig, bie 
Flüffe haben ſchnellere Strömung, der Boden ift fruchtbarer und bringt Weizen, Roggen, 
Serfte, Hafer und Flache hervor. Der weitlichfte Theil des Staats bildet ein Tafelland, das 
ſich ungefähr 1690 $. über dem Meeresfpiegel erhebt, an das fich die Blauen Berge anfchlie- 
Sen, Reihen ber Alleghanys oder Apalachen (f. d.), die hier im Blad-Mountain, dem Eulmi- 
nationspunkte des ganzen Syftems, 6080 F. hoch auffteigen. Hier ift der Boden im Allgemei- 
nen gut, am fruchtbarften aber weftlich von ben Bergabhängen. Die bebeutendflen Stüffe find 
der Shoman, ber Roanoke, der Pamlico, der Reufe, der wichtigſte aber wegen feiner 19, M. 
langen Fahrbahn der Cape⸗Fear. Der Yadkin bildet einen Theil bes Great⸗Pedee in Südcaro⸗ 
line, wohin auch zum größern Theil der Catawba gehört. Die langfame Strömung nad der 
See zu und die fandige Befchaffenheit der Küfte bilden große Barren an den Mündungen, 
ſodaß der Staat nur wenig gute Häfen hat und der ſelbſtändige Handel und die Seefahrt nicht 
beträchtlich find. Die Bevölkerung ift deshalb hinfichtlich bes Abſatzes ihrer Probucte auf bie 
Grenzſtaaten und Georgia angewielen. Eine große Husbehnung haben die Swamps ober 
Sümpfe, wie der Dismal⸗Swamp, 11 AM. gro$, und der noch weit größere AlligatorSwamp. 
Noch bedeutender als biefe Sümpfe ift der ebene und fandige Küftenftrich mit Pechtannen 
bewaldet, bie bier größer werben als in ben nördlichen Staaten und einen bedeutenden Ertrag 
an Pech, Theer, Terpentin und Bauholz gewähren. Bas Klima ift im Gebirge mild, im 
ebenern Theile des Staatd [ehr warm, zur Winterszeit in den fumpfigen NRieberungen der 
Küfte ungefund. Die-Hauptprobucte des faft durchaus mit Regerfllauen in Plantagen betrie- 
benen Aderbaus find Baumwolle und Reis ımb neben den europ. Getreibearten Mais und 
Faback. In den Niederungen ift einiger Weinbau vorhanden. Außerdem find Viehzucht, 
Waldwirthſchaft und Bergbau nicht unbedeutend. Lepterer wird auf Gifen und vorzüglich 
‚auf Bold getrieben. Die Golbregion befindet fich auf beiben Seiten. ber Blauen Berge und 
sieht fich oftlich bis nach Yadkin hin. Die Zahl der Einwohner betrug 1850 in den 68 Graf⸗ 
fhaften des Staats 8689053, worunter fi 5535295 Weiße, 27196 freie Farbige umd 
288412 Sklaven befanden. Die Induftrie ift im Berhätmiß zu andern Staaten nicht be» 
beutend, fowie überhaupt eine gewiſſe Unthätigkeit herrſcht, ſodaß man N. ſcherzweiſe ben Rip 
von Winkle's Staat nennt. Im J. 1850 zählte man 253 Fabriken und Manufacturen, 
barunter 26 Eifenwerke, 28 Baummollenfabriten, 151 Gerbereien. Die Ausfuhr betrug 
416501 , die Einfuhr 323692 Doll. (davon 144443 auf fremden Schiffen). Eifenbahnen 
befaß der Staat Anfang 1852 vier, wovon 5AM. dem Betrieb übergeben waren. Zu berfelben 
Zeit betrug die Einnahme des Staats 366729, die Ausgabe 249254 Doll. ; die unverzind- 
Tide Schuld-977000 Doll. (für Eifenbahnen) ; eine verzinsliche gab es nicht. Den Unterricht 
beforgen zwei Univerfitäten, nämlich die 1791 gegründete Univerfität von N. in Chapel-Hill 
und das 1837 geftiftete Davidfon-Eollege in Medienbourg-County ; ferner 141 Akademien 
und lat. Schulen und 652 Volksſchulen, diefe mit 14937, jene mit 4398 Schülern. In den 
niedriger gelegenen Gegenden find die Methodiften und Baptiften, in den höher gelegenen die 
Presbyterianer vorherrfchend. Die erfte Nieberlaffung wurde um 1660 von Virginien aus 
von religiös Verfolgten gegründet, nachdem vorher mehre.andere Verſuche fehlgefchlagen waren. 
Bald darauf, 1663, übertrug die Krone England Nord» und Südcarolina als Schenkung einigen 
royaliſtiſchen Familien, die von dem Philofophen John Locke (f.d.) eine Berfaffung entwerfen lie- 
Ben, welche aber ihrer Mängel und Sonderbarkeiten wegen bereit6 1693 wieder abgeſchafft 
wurde. Im J. 1729 brachte die Krone für 17500 Pf. St. Carolina wieder an fich und theilte das 
Land fofort in bie zwei Provinzen Nord» und Südcarolina (f.d.). Die Bevölkerung wider 
fand mehrmals den Bebrüdungen des engl. Minifterlums, und wiederholt brachen Aufflände 
aus, die aber blutig unterdrüdt wurden. An bem allgemeinen Freiheitskriege betheiligte fich 
fodann die Bevölkerung mit großem Eifer, und R. nahm 27. Nov. 1789 die Unioneverfaffung 
‚an. Die Staatsverfaffung von 1776 wurde 1835 revidirt. Sie ertheilt allen freien fleuerzah- 
lenden weißen Bürgern der Vereinigten Staaten, bie 21 3. alt find und ein Zahr vor der Wahl 
im Staate gewohnt haben, das Stimmrecht für das Repräfentantenhaus. Für die Wähler des 
Senats ift der Befig eines Gutes von 50 Acres erfoberlih. Der Senat befteht aus 50, das 
Repräfentantenhaus aus 120 auf zwei Jahre gewählten Mitgliedern. Der Gouverneur wird 
bucch allgemeine Wahl auf zwei Jahre gewählt und bezieht einen Jahrgehalt von 2000 Doll. 
Auch befteht ein Vollziehungsrarh von fieben Bliedern, die von ben beiden Häufern gemein- 
ſchaftlich auf zwei Jahre gewählt werden. Die Richter verfchiedener Berichtshöfe werden eben- 
fall6 von ber Legislatur, die alle zwei Jahre zufammentommt, durch Ballotage gewählt. Haupte 


Aorddepartement Rorderney 28 
ſtadt und Sig der Regierung iſt Meleigh, im Mittelpunfte des Staats gelegen, mit 3091 €, 
zwei Banken und einem auf bem Dauptplage (Union) gelegenen ſchönen, durch eine Statue. 
Waſhington's gezierten Stadthauſe. Außerdem find bemerfenswerth: Fayetteville, ummeit 
des Cape⸗Fear, der bis dorthin für Fleinere Fahrzeuge und Boote fahrbar ifl, mit 5000 E, bie - 
beträchtlichen Handel mit Setreibe, Mehl, Tabad u: f. w. treiben; Nenbern (New Bero), von 
Schweizern gegründet, mit 4722 E. und beträchtlichen Ausfuhrhandel mit Getreide, Schweine 
fleiſch, Baubeh und Schiffemunitien ; Wilmington, ebenfalls am Cape⸗Fear, eine gewerbſame 
Stadt mit 11248 E. und ziemlich ſtarkem Handelsverkehr. 

; Rorddepartement (Departement du Nord), das nörblichfle Departement Frankreichs, 
gebildet aus Theilen der franz. Niederlande, namentlich von Flandern, auch von Hennegau und 
Sambrefis, hat ein Areal von 103, OM., zerfällt in Die Arrondiffements Aveſsnes, Cambrai, 
Douai, Dünkirchen, Hazebroud, Lille und Balenciennes, bat zur Hauptfladt Lille (ſ. d.) und 
ift nach dem Geine-Departement das volkreichfte und volksdichtefle des Staats, indem es 
1,158285 €. zählt. Die Küſte des Landes hat zwei Häfen, Dünfirchen (f. d.) und Gravelines 
(f. d.), ift mit Dünenreihen befegt und flach, wie auch das Innere. Im Norbweften fließen bie 
Ya und Yfer in die Rordfee, im Innern bie Schelde,; mit ber yd und Scarpe, im Süboften 
die Sambre. Gegen Süden iſt das Departement mit dem Baſſin der Seine durch ben aus ber 
Schelde führenden Kanal von St.-Duentin verbunden. Überhaupt bat baffelbe unter allen 
Departements die größte Länge von Kanallinien, faft 34 M. auf 16 felbfländige Kanäle ver- 
theilt. Abgeſehen von den Dünen und einigen Moräften iſt ber reichlich bewäflerte Boden fehr 
fruchtbar und reich, namentlich im Arrondiſſement Lille. Da die Agricultur bier zugleich ben 
höchſten Grad ber Vollkommenheit erreicht hat, fo bildet dad Departement eins der probuctivften 
des Staats. Alle Arten von Gerealien werden in großer Menge gebaut; ebenfo Hülfenfrüchte, 
Kohl, Hühen, Bemüfe, Obſt, Hanf, Flache im Überuf, Taback, Hopfen und Gichorien. Seit 
längerer Zeit iſt ſtarker Runkelrübenbau zum Behuf ber Zuderfabrilation im Gange. Die Blu⸗ 
menzudt wird mit gleicher Sorgfalt wie in Holland betrieben; überhaupt ift der Gartenbau 
von großer Bedeutung und die Zahl ber Baunnfchulen beträchtlich. Die Wälder nehmen nur 
awa 5 DM. ein; deſto ausgebehnter und ganz ich find die Wieſen und gen, 
weiche bie Wichzucht und Milhwirthfchaft unterftügen. Waſſervögel und anderes Geflügel gibt 
es im Überluß. Die Fluß- und Küftenfifcherei iſi fehr ergiebig, namentlich ber Heringsſiſch⸗ 
fang; auch geht man auf ben Kabeljau⸗ und Walſiſchfang aus. An Eiſen und Mineralquellen 
IM kein Mangel; unter legztern find bie von St.Amand die berühmteſten. Auch Marmor- und 
andere Steinbrũche, ſowie Thonlager zur Töpferei und Ziegelbrennerei werben ausgebentet, 
und ausgebehnte Torfftiche helfen den Holzmangel erfegen. Allein den Hauptreichthum bilden 
die Steinkohlenlager mit den wichtigften Gruben im ganzen Gtaate, namentlih um bie Stabt 
Lie und Balenciennes, bei welcher legtern die Minen von Anzin die bedeutendſten und zu⸗ 
gleich wegen der dort ausgeführten Betriebs arbeiten und Mafchinen bie wichtigften find. Au⸗ 
ferorbentlich lebhaft und vielfeitig iſt der Inbuftriebetrieh. Much der Schiffbau und die Schif- 
fahrt beſchaftigen eine Menge ber Einwohner, und fehr bedeutend iſt ber Handel. Derfelbe führt 
außer den Induſtrieerzeugniſſen auch Landwirthſchaftsyroducte, namentlich Hanf, Hopfen, 
Butter, Käfe, Vich, auch Sichorien und Steinkohlen aus, ſowie an Tranfitgegenftänden Wein, 
Effig, Materialwaaren, Droguen un. ſ. w. Begünſtigt wird ber Binnenverkehr durch mehre 
Eiſenbahnen und mehr als acht fchiffbare Flüfſe und die zahlreichen Kanäle. 

Rorberney, eine Inſel an der Küfte von Oflfttesland, zu der hannov. Landdroſtei Aurich 
gehörte, Hat einen Flächeninhalt von „AM. mit ungefähr 900 E., welche größtentheils Fifcher 
ober Schiffer find und in bem gleichnamigen Dorfe leben. Pepteres zäßtt über 200 in Hol. Ge⸗ 
ſchenack aufgeführte Hauſer von nette, freundlichem Unfehen. Die Taböftiche Hälfte der Infel 
beficht aus 40— 80 F. Sanddaunen, zwiſchen denen fich fruchtbares, wohlangebautet 
Band befindet. Seit ng 1804 beſteht in R. eine mit guten und zwedimäfigen Einrichtungen 
verſchene Geebadeanſtalt, weiche ſich befonders in den legten 25 3. bedeutend gehoben hat. Man 
badet auf ber Nord⸗ und Nordweſtſelte, wo ein fich ſanft abbachender, ebener und dichter Sand- 
boden gefunden wird und der Wellenſchlag ziemlich ſtark ift. Außer diefem Ealten Seebade find 
Bäder jeder Urt in dem gut angelegten Babehaufe gu haben, umd bie Däufer der Einwohner 
enthalten gleichfalls die nöthigen Borrichtumgen zu warmen Bäbern. Die Anſtalt Ifi jebes Jahr 
vom 1. Jull ble 15. Sept. geöffnet. Während der Ebbe kann man vom feften Bande auf einem 
Landwege zu Fuß und zu Wagen auf die Infel gelangen; außerdem gehen aber Dampfſchiffe 
von Hamburg, Weeiien und der N. gegenüberfiegenben &tabt Norben regelmäßig und anbeng 








m > Nordbauſen Nordiſcher Krieg 


Fahrzeuge zu jeder beliebigen Zeit dahin ab. Vgl. Bluhm, „Die Seebadeanſtalten auf ber 
Inſel N.“ (Brem. 1854). . 

Nordhauſen, eine alte Stadt im preuß. Regierungsbezirk Erfurt, liegt in angenehmer 
Umgebimg an der Sübfeite des Harzes und am Anfange der Goldenen Aue, an dem kleinen 
Flüßchen Zorge, das ſich abwärts von N. in die Helme ergießt. Die Häufer liegen theils 
in der untern Thalebene (Unterftadt), theils auf einer Hochebene (Oberftabt). Die Stabt be» 
fist ein Gymnaſium (mit etwa 220 Schülern), eine Mealfchule (in fieben Elafjen mit etwa 230 
Schülern), eine höhere Töchterfchule, fieben evang. Kirchen und eine Fatholifche (der Dom). In 
der St.Blaſienkirche befinden fich zwei Gemälde von Lucas Cranach. Die 14700 ©. find fehr 
betriebfam und haben N. zu einem Mittelpunkt für den Verkehr des Harzes, des Eichöfeldes 
und der Goldenen Aue gemacht. Zahlreiche Fabriken (Tabacks⸗, Cichorien«, Kattuns, Zuch-, 
Leder⸗, hemifche, Zuderfabriten u. |. m.) befinden fich theils im Drte ſelbſt, theils in feiner un- 
mittelbaren Nähe und befchäftigen Taufende von Arbeitern aus der Stabt und den benachbar- 
ten Dörfern, befonders aber vom Eichsfelde. Den Hauptverkehr bilden bie Branntweinbrenne- 
teien, von denen über 50 faft in beftändigem Gange find, jährlich zwiſchen 320 — 370000 
berliner Scheffel Getreide verbrauchen und 440 —171000 Thlr. jährlich Branntweinfteuer 

ablen. Durchſchnittlich find in ben J. 1849 -53 7—8000 Schweine und eine ntfprechende 
ab Nindvich gemäftet worden. An Branntwein bat bie jährliche Ausfuhr 60-— 70000 
Fäſſer (Orboft zu 180 Duart) betragen. Durch den fehr bedeutenden Getreidehandel verforgt 
N. zugleich den Harz und das Eichufeld, und bie höhern ökonomifchen Interefien der Umgegend 
finden in dem öfonomifchen Verein der Goldenen Aue, ber hier feinen Sig bat, ihre Befriedi⸗ 
gung. Die Nordhäufer find gaftfreundlich, bieder und lieben neben ihrem Gefchäft fer gefellige 
Aufheiterungen und VBergnügungen. Nicht wenig tragen hierzu diereigenden Anlagen unmittel- 
bar an der Stadt (das Gehege, Geiersberg) bei, bie von allen Ständen fehr befucht werben. N. 
ſoll ſchon fehr früh begründet worden fein; bereits 943 fliftete dafelbft Adelheid, die Bemablin 
Kaifer Otto's J., ein Klofter. Sie war reich6frei, und mehre Reichſtage wurben im 14. und 12. 
Jahrh. daſelbſt gehalten. Im J. 1265 wurde bafelbft von dem Landgrafen von Thüringen ein 
glänzendes Turnier veranftaltet, N. gehörte als Reichsſtadt zu dem Niederfächfiichen Kreife, 
hatte auf dem Reichstage die zehnte uud beim Niederfächfiichen Kreife die vierte Stelle unter 
den Reichsftädten. Durch den Luneviller Srieben und ben Reich&beputationshauptichluß verlor fie 
1805 ihre Selbſtändigkeit und kam an Preußen, 1807 an das Königreich Weſtfalen und 1813 
wieber an Preußen. Vgl. Förftemann, „Urkundliche Geſchichte ber Stadt N.” (Nordh. 1840). 

Nordiſcher Krieg heißt der gleichzeitig mit dem Spanifchen Exrbfolgefriege (f.d.) im Nor- 
den und Often Europas von 1700—21 geführte Krieg zwiſchen Schweben auf der einen und 
Polen, Sachen, Rußland und Dänemark auf der andern Seite, ber, an erfchütternben Kata⸗ 
ſtrophen und Wechfelfällen reich, in der politifchen Geftaltung Europas eine Reihe umfaffenber 
und folgenreicher Veränderungen bervorbrachte. Schwedens Macht und Anfehen unter den 
nordifhen Staaten, durch die günftigen Friedensfchlüffe zu Münfter und Osnabrüd, zu Dliva 
und Kopenhagen begründet, ſchien bucch bie weife Sparfamleit und die Präftige Herrſcherhand 
Karl's XI. dauerhafte Feftigkeit für bie Zukunft gewonnen zu haben, als Durch befien Tod 1697 
der erfi 15jährige Karl XII. (f. d.) zur Regierung gelangte, Auf die Tugend und Unerfahrenheit 
des neuen ſchwed. Herrſchers rechnend, vereinigten ftch unter des livländ. Edelmanns Patkul (f.d.) 
Antrieb die Nachbarſtaaten Dänemark, Polen. und Rußland zu dem Plane, fich wegen erlittener 
Verlufte an Schweden zu rächen ober auf beffen Koſten zu vergrößern... Dänemark wollte die 
im Frieden zu Kopenhagen (1660) verlorenen Befigungen und das im Altonaer Bergleiche 
(1689) an da6 Haus Holftein-Bottorp abgetretene Schleswig wieder gewinnen. Auguſt II. 
von Polen hoffte das einft von biefem Königreich abhängig geweſene Livland zu erobern, und Pe⸗ 
ter I. von Rußland beabfichtigte, die amFinnifchen Meerbufen gelegenen ſchwed. Länder in feine 
Gewalt zu bringen. Der junge König Karl XIL kam jedoch feinen Feinden zuvor. Zuerſt wen- 
bete er fich gegen die Dänen, die in Schleswig eingefallen waren, fchredite fie durch eine von ben 
. Seemächten unterftügte Landung auf dan. Gebiet und zwang Friedrich IV. durch einen Angriff 
auf Kopenhagen im Frieden zu Travendahl (im Holfteinifchen) 10. Aug. 1700, den vorigen 
Beſitzſtand wieder anzuerkennen. Hierauf eilte Karl mit 20000 Mann gegen bie Ruffen und 
Polen, die auf Patkul's Vorfchlag gemeinfhaftlich Livland angegriffen hatten, und warf fich, 
da das poln.-fächf. Heer vor ihm zurückwich, vorerſt auf die Ruſſen, deren 80000 Mann ſtarke 
Armee unter dem Herzoge von Groy er bei Narwa 30. Nov. mit feinem Beinen Heere von 8000 
Mann fchlug. Dann wendete er fig mit feiner ganzen Macht gegen bie Polen und Sachſen, 


Kordifcher Krieg arı 


beflegte, nachdem er ben Übergang über die Dina erzwungen, diefelben 20. Zuni 1701 in der 
Nähe son Riga, brachte dadurch Livland und Kurland wieber in feine Hände, eroberte nach den 
flegreichen Schlachten bei Gliffow (20. Juli 1702) und Yultust (1. Mai 1703) nach und nad 
ganz Holen ımd ließ nun zu Warſchau 2. Juli 1704 an Auguſt's Stelle, den die Polen ber 
Krone verluftig erklären mußten, den Wojſewoden von Poſen, Staniſlaw Leizczynfli (f.d.), zum 
Könige von Polen wählen. Nach dem Siege feines. Benerald Rhenſkiold über die Sachen un- 
ter Schulmburg, bei Frauftadt 13. Febr: 1706, drang er durch Schleften in Sachfen ein und 
nötbigte ben König Auguſt im Frieden zu Altranftädt, 24. Sept. 1706, auf die poln. Krone, 
jeboch unter Beibehaltung bes königl. Titels, Verzicht zu leiften. Nachdem Karl XII. hierauf 
noch den Proteflanten Schlefiens durch den Altranſtädter Vertrag vom 22. Aug. 1707 bie 
ihnen feit ber Befigergreifung Oſtreichs nach und nach entzogenen Rechte der Rellgionsfreiheit, 
ſowie 120 ihnen emtriffene Kirchen von bem durch den Spanifchen Erbfolgekrieg bebrängten 
Kaifer Joſeph I. wieder verfchafft Hatte, eilte er durch Schlefien und Polen nach Rußland, um 
die Fortſchritte des Zaren Peter aufzuhalten, ber unterbeffen Ingermanland erobert, die ſchwed. 
Kriegsvölter in Efibland und Livland zurückgetrieben und Einfälle in Kurland, Lithauen und 
Polen ausgeführt hatte. Statt aber den Gegner rafch anzugreifen, verweilte Karl XIL foft ein 
Jahr noch in Polen, um feinen Schügling auf dem Throne zu befeftigen. Zwar drang er im 
Srübfahre 1708 nach der Bereszina vor und rüdte im September über Mohilew in Rußland 
ein; doch durch große Hinderniffe, fowie durch die Borfpiegelungen des Kofadenhetmans Ma- 
zeppa (f. d.) bewogen, ließ ex fich zu einem Zuge in bie Ukraine verleiten. Hier aber fah er fi 
in allen feinen Erwartungen getäufcht. Mazeppa's Plan einer Aufwiegelung ber Koſacken mis⸗ 
lang; Mangel und ein furchtbar firenger Winter richteten unter den Truppen große Verheerun⸗ 
gen an, bie ein ſchnell einbrechendes Thauwetter noch vergrößerte. Dazu kam, daß fein General 
Lõ ‚ ber ihm von Kurland her Mannfchaft und Pferde, Kriegs⸗ und Lebens bedürfniſſe 
zuführen follte, bei Liesna am Dniepr von ben Rufſen angegriffen und nach einem dreitägigen 
Kampfe vom 7.—10. Oct. völlig befiegt wurde, fobaß ihm, umter Verluſt feines Gepäcks und 
Gefchüges, nichts übrig blieb, ald fich mit etwa 6000 Mann zum König durchzuſchlagen. Zwar 
eroberte Karl XII. bald darauf, 7. Jan. 1709, bie Heine Feflung Wepricz; dagegen belagerte er 
Pultawa jet Mat 1709 vergebens. Als er 28. Juni die zum Entfage der Feſtung herbeieilen- 
den Auffen zurücktrieb, wurbe er gefährlich am Fuße verwundet, in ber Schlacht bei Pultawa 
7. Juli aber fo entſcheidend gefchlagen, daß der Reft feines Heeres, noch 14000 Mann ſtark, aller 
Lebensmittel und Munition beraubt, unter Zöwenhaupt fi gefangen geben, er felbft aber zu 
ben Kürten nach Bender fliehen mußte. Während er hier nun. Alles aufbot, bie Türkei zum 
Kriege gegen Rußland zu bewegen, was ihm 1714 and) gelang, erflärten Auguſt I. und Fried» 
rich IV. die Briedensfchlüffe von Altranftäbt und Travendahl für ungültig und erneuerten, mit 
Peter b. Gr. vereint, ben Krieg gegen Schmeben. Der Zar, welcher bereits früher Ingerman- 
land erobert, unterwarf fi) nım auch Eſthland und Livland ımd fegte ben bereits 1705 ange- 
fangenen Bau von Petersburg eifrig fort. Auguſt ging im Oct. 1709 mit einem fächf. Deere 
nach Polen, trieb Staniflam Leſzezynſti nach Schwediſch⸗Pommern und bemädhtigte fich des 
Königsthrens wieder. Die Dänen landeten im Rov. 1709 in Schonen und eroberten Helfing- 
borg, wurden jedoch fpäter (11. März 1710) von General Stenbod wieder aus Schweden ver⸗ 
trieben. Der Sultan, der ein 200000 Mann ſtarkes Heer, vom Großvezier Baltafchi-Moham- 
Fe angeführt, über ben Bruch he unb bie faum * an kur Pt — bei 

eng eingeſchloſſen hatte, m ebenfalls, durch die Hinopferung Aſows igt, 
25 dan 4741 mit Rufland Frieden, dee auch ungeachtet einer durch Karl XII. bewirkten noch⸗ 
maligen Kriegserflärung vom 17. Dee. 1714 ohne Erneuerung bes Kampfes 18. Nov. 1712 
beftätigt wurbe. | 


Inzwiſchen Hatten die Seemächte mit dem beutfchen Kaifer aus Beſorgniß, der Rordifche 
Krieg möchte mit dem noch fortdauernden Spaniſchen Erbfolgekriege ſich verſchmelzen, für bie 
ſchweddeutſchen Länder im fogenammten Haager Concert 34. Maärz 1710 einen Waffenftiliftand 
verabredet, weichem Dänemark, Polen, Preußen und bie ſchwed. Stände beittaten. Da aber 
Karl XII. auf dem Reichſtage zu Regensburg.50.Nov. 1710 ausbrüdlich gegen benfelben pro- 
teſtiren Kieß, fo wurde der Krieg nad) kurzer Unterbrechung im nörblicden Deutfchland wieder 
fortgefegt. Die Dänen eroberten Stade, befegten Bremen und Verben, die Sachen überfielen 
Schwediſch⸗ Pommern und Peter d. Br. fegte die Unterwerfung Finnlands fort. Zwar wendete 
der ſchwed. General Stenbock, ber ein friſches Heer von 12000 Mann nad Pommern führte, 
durch ben Sieg bei Babebufch 20. Der. 1712 über die Dänen das Kriegbglück noch ein mal auf 


ara Nordiſche Mythologie 


Schwedens Seite. Alt er aber, von ben Dänen, Sachen und Rufen eingefchloffen, bei DibeS« 
worth imweit Tönningen mit Gapitulation fich ergeben mußte, blieb dem Adminiſtrator von 
—— — um ben Verluſt der ſchwed. Provinzen in Deutſchland zu verhindern, nichts 

tig, als mit dem Könige von Preußen, Friedrich Wilhelm I.,einen Sequeſtrations vertrag über 
Stettin und Wismar abzufchließen. In Schweden felbft aber ging man damit um, Karl's XI. 
jüngere Schwefter Ulrike Eleonore auf ben Thron zu erheben, und bann mit Dänemark und Rufe 
and Frieden zu ſchließen. Da erfchien 14. Nov. 1714 Karl XI. ſelbſt unerwartet zu Stral⸗ 
fund. Mit ungeſchwächtem Heldenmuthe, aber auch mit berfelben Hartnädigkeit wie früher, 
begann er fogleich den Kampf, vertrieb die Preußen aus Ufebom und Wollin und foberte Stet- 
tin zurüd. Aber Friedrich Wilhelm I. verband ſich mit Rußland und Sachſen, und auch ber 
König Georg I. von England, als Kurfürft von Hannover, trat, weil er fich die von den Dänen 
erkauften Herzogthůmer Bremen und Verben fi wollte, diefer Verbindung bei. Unter Die 
fen Umftänden half es Karl XI. nichts, daß er Stralfund gegen bie Dänen, Sachſen und Preu- 
en zugleich, bie es vom Oct. bis Dec. 1715 belagerten, mit ungemeiner Anſtrengung verthei⸗ 
digte. Nach dem Verluſte von Ufedom und Rügen mußte auch Stralfund und 19. April 1716 

feibft Wismar fich ergeben. Karl ging nach Schweden zurüd, griff aber ſchon im März 1716 
die Dänen, die im Vertrauen auf Rußland mit einem Einfall in Schonen drohten, mit einem 
aufammengerafften Deere von 20000 Mann in Rorwegen an. Zugleich begann er auf den Rath 
bes Freiheren von Borg Unterhanblungen mit Peter I., der mit ben übrigen Verbünbeten in 
. Misverftändniffe gerathen war, und erhielt von ihm bad Werfprechen, unter ber Bedingung ber 
Abtretung ber Dftfeeprovinzen, ihm die verlorenen beutichen Länder ober ftatt berfelben 
nover und Norwegen erobern zu helfen. Vorzüglich waren die Plane gegen den König von (ing. 
land und Kurfürften von Dannover gerichtet, ben man mit Dülfe bed Cardinals Alberoni (ſ. d.) 
zu enttbronen beabfichtigte, um ba6 Haus Stuart wieder auf den Thron Englands zu erheben. 
Uber ehe noch diefe Unternehmung zur Reife gediehen, hatte Karl XIL bei einem zweiten Ein- 
fall in Rorwegen in den Laufgräben von Friedrichöhall 11. Dec. 1718 feinen Tod gefunden. Die 
mit Übergehung ber Rechte des Herzogs von Holftein zur Königin von Schweben ernannte Ulrike 
Eleonore, ganz der Leitung der Dorn’fchen Partei hingegeben, brach fogleich die zeither geführten 
Unterhandlungen ab, erneuerte den Krieg gegen Rußland und ſchloß Dagegen, unter Frankreichs 
Bermittelung, nach ber Reihe mit Hannover, Preußen, Dänemark und Polen Frieden. Dem 
gemäß erhielt Hannover im Frieden zu Stockholm vom 20. Nov. 1719 die Herzogthümer Bre- 
men und Verden gegen Zahlung einer Summe von 1 Mill. Thlr.; Preußen behielt in Folge 
des Vertrags zu Stodholm vom 1. Febr. 1720 Stettin, die Infel Wollin und Uſedom, über 
haupt Vorpommern bis an die Peene und zahlte an Schweden 2 Mill. Thlr.; Dänemark gab 
im Frieden zu Frederiksborg 14. Juli 1720 Rügen, Stealfund und Wismar an Schweben zu- 
rüd, dagegen entfagte letzteres ber Zollfreiheit im Sunde, zahlte 600000 Thlr. und ließ Däne- 
mark im Beftge des Holfl.-gottorpfchen Antheil an Schleswig. Mit Holen endlich wurde 7. Nov. 
4719 ein vorläufiger Vertrag, ber erſt 17352 die Geltung als Friede erhielt, dahin abgeſchloſ⸗ 
fen, daß ber Friede von Dliva erneuert, Auguſt II. ald König von Holen anerkannt, aber zugleich 
verpflichtet wurde, dem entthronten Staniflam Lefzcaunfki den Königstitel zu belaffen umb ihm 
1 Mill. Thlr. zu bezahlen. Unterdeß hatte Peter d. Br. den Krieg gegen Schweden fortgefegt. 
Ein ſchwed. Geſchwader wurde 7. Aug. 1720 von einem ruffifchen gefchlagen, die Küfte von 
Weſtbothnien, fowie 1721 bie von Norrland barbarifch verwüftet und Stockholm von einem 
Angriffe der Ruffen nur durch die Ankunft einer brit. Flotte unter Admiral Norres gerettet. 
Erneuerte Landungen ber Ruffen in Schweden und damit verbundene Verheerungen bes Lan- 
des nöthigten endlich die Königin Write Eleonore zu dem fo nachtheiligen Frieden zu Nyſtad. 
‚In biefem Frieden trat biefelbe Livland, Eſthland und Ingermanland, die Bezirke von Kerholm 
und Wiborg nebft allen Infeln zwifchen Kurland und Wiborg ab und erhielt dafür das übrige 
Finnland zurück, 2 MIN. Thlr. und das Verfprechen, daß ſich Rußland in Schwedens innere 
Angelegenheiten nicht einmifchen wolle. &o war durch diefen Krieg die Bräpstenz, die Schmwe- 
den von 1645—1709 im Norden Europas hatte, verloren gegangen. Es fan? zu 
einer Macht ımtergeorbneten Ranges herab und Rußland trat an feine Stelle. 

Nordiſche Mythologie bezeichnet an fich den religiöfen Glauben des ganzen ſtandinav. 
Norden vor Einführung des Chriſtenthums, befchräntt fich aber für und nur auf diejenige Ge⸗ 
ftalt, welche diefer Glaube in Norwegen und feinen Eolonien angenommen. Denn wenn wir 
auch nad der innern Verwandtſchaft, auf welche Sprache, Recht, Sitte der ſkandinav. Völker 
dinweiſt, ſchließen dürfen, daß auch ihr Glaube im Weſentlichen ein gemeinfamer gewefen, fo 


Rordifge Rythologie 373 


atbehren wir doch für Schweden und Dänemark durchaus einer fo reichen mythologiſchen 
eferumg, wie fie und für Norwegen aufbewahet if. Die wenigen Notizen, die fi über 
web. und bän. Heibenthum in ber lat. Literatur des Mittelalters und im heutigen Volksglau- 
en, namentlich Schwedens, noch erhalten haben, dienen nur dazu, um ähnliche Abweichungen 
mer beiden von ber norweg. Mythologie kennen zu Sernen, wie wir fie bei gleich mangelhafter 
Inerfieferung altſchwed. und altbän. Schriftdenkmale für die Sprachen diefer Völker wahrneh⸗ 
nen. Die Quellen aber, aus denen wir unſere Kenntniß bes norweg. Götterglaubens ſchaͤpften, 
ließen uns neben mannichfachen Andeutungen, welche die hiſtoriſche und die Sagenliteratur der 
Rorweger und Isländer bietet, Doch vorzugöweiſe in den ihnen ausſchließlich angehörigen beiden 
Sammlungen, deren jede den Ranıen Edda (f. d.) führt. Obwol die Form, in der uns die hier 
iberfieferten mythiſchen Borftellungen, Bilder und Ideen entgegentreten, einer Zeit angehört, in 
velcher an die Stelle des unbedingten Glaubens an bie alten Götter bereits die Erkenntniß des 
Ihriftenthums getreten mar, tragen fie doch nicht nur das unzweifelhafte Gepräge ihrer Ur⸗ 
prünglichkeit und ihres hohen Alters, fondern laffen auch deutlich genug den tiefen und innern 
ufammenhang erkennen, in dem fie zu ber Glaubenslehre aller übrigen german. Stämme ſte⸗ 
en, mit ber fie auf einen gemeinfanıen Urfprung in den älteflen Mythen der arifchen Völker 
inmweifen. Während wie in diefen, fo auch in den germanifchen die allmälige Entwickelung bes 
holytheismus aus einem Dreigötterfgften, dieſes aber aus urfprünglichem Monotheismus 
ich verfolgen läßt, find e8 außer dem Namen der Aſen (f. d.) für die Götter überhaupt und dem 
Pin's (ſ. d.) für den älteflen und bebeutfamften unter ihnen vorzugsweiſe bie Mythen von ber 
Intflehung und vom Untergange ber Belt, vom Weltbaum, von der Unterwelt, von einzelnen 
Söttern, von den Nornen u. A. die fi für die german. Völker, die ſtandinaviſchen, wie alle 
eutfchen gemeinfam zeigen. 

Der Inhalt der uns in den genannten Quellen überlieferten Lehre ift nun im Wefentlichen 
olgender: Am Urbeginn der Zeit, dba war nicht Erde noch Himmel, nur eine gähnende Tiefe 
Ginumgagap) ; diefer im Norden lag dunkel und eisftarrend Nifiheim, im Süben Muspelheim, 
längenb, hell und heiß. Aus dem Brunnen Hvergelmer, b. i. der alten Quelle, in Niflheim 
kömten Giftflüffe Elimagar, über die, nachdem fie auf ihrem Laufe zu Eis erftarrt, der vom 
Bifte kommende Thau als Reif fich ergoß, und feine Schichten füllten Ginungagap. Funken aus 
Ruspeiheim fielen im Süden auf das Eis; es ſchmolz, in den Tropfen regte fich Leben und es 
ntfland ein Mann Imer, der bofe war wie feine Nachkommen. Während er fchlief, entftanden 
us feiner Iinten Hand ein Mann und eine Frau; feine Füße zeugten miteinander einen Sohn. 
Bon Ymer ſtammt dad Geſchlecht der Rimthurfen oder Neifriefen. Nach ihm entftand aus den 
Eistropfen noch die Kuh Audhumbla; die aus ihrem Euter fliegenden vier Milchſtröme gaben 
Imer Rahrung ; fie felbft nährte fi vom Belecken der Salzſteine. Aus dieſen leckte fie einen 
Rann, der hieß Bur, war groß und ſchön von Anfehen; fein Sohn hieß Bor, was in der alt 
ordiſchen Dichterfprache, gleichwie Bur, Sohn bedeutet. Bör zeugte mit der Tochter bes Nie 
m Bergthorir drei Söhne, Odin, Wile und We, bie den Riefen Ymer erfchlugen. Der Fluß, 
er aus bed Rieſen Blut entftand, erfäufte das ganze Gefchlecht der Rimthurfen; blos einer, 
Bergelmer, vettete fich mit feinem Weibe, umd von ihm flammen die neuen Riefengefchlechter. 
Xus Ymer's Fleiſch ward die Erde gefchaffen, vom Blute das Meer, von den Knochen bie Berge, 
om Haar die Bäume, vom Hirnſchädel der Himmel, aus dem Hirn bie ſchweren Wolken; aus 
einen Augenbrauen aber ſchufen die Götter um Mitgarb (d. i. bie bemohnbare Erbe) einen 
Ball gegen die Riefen, die am äuferften Rande ber meerumfloffenen Erde ihren Sig erhielten. 
sur fich felbft erbauten fie Asgard mitten in der Welt. Mit der Erbe, der Tochter der Nacht, 
eugte Ddin den Afathor, und fo entftand ber Afen ſchönes und helles Geſchlecht. Durch Fun⸗ 
en aus Muspelheim ließen die Götter Himmel und Erde erleuchten; den Kindern bes Mundil- 
ari, d. h. des Achfenbewegers, Sol und Maan, übergaben fie die Leitung ber Sonne und des 
Mondes, bie vorher ihre Stätte nicht wußten. Sodann gaben bie Götter den Tageszeiten Na- 
nen. Eine Rieſentochter Nott zeugte in ihrer dritten Ehe mit Delling, b. i. Dämmerung, aus 
em Afengefhlechte, ven Dagur, b.t. Zag. Allfadur gab der Nacht und ihren Söhnen Roß umd 
Bagen und fegte fie an den Himmel. Die Nacht fuhr voraus und der Schaum ihres Hengftes 
Rimfapi, d. 1. Reifmähne, träufelte ald Thau zur Erde; das Tagesroß Skinfarxi erleuchtete mit 
einer Mähne Luft und Erde. Unter bie vier Eden bes Himmels fepte Allfadur vier Imerge, 
Subdri, Auftri, Nordri und Veſtri; an des Himmels nörblichem Ende faß der Zatte Hrafvelg in 
Seftalt eines Adlers; das Lehen feiner Fittige verurfachte den Wind. Noch aber war Mit 

Genn.ses. Zehnte Xufl XL 18 


Na VNervifche Rytzologle 
aard unbewohnt, da ſchufen die Goͤtter aus dem ſchickſalsloſen Deſen Aok, d. i. Eſche, und Em⸗ 
er Menſchen: Seele gab ihnen Oden, Geiſt Härter und Blut Lobur. Ihre W g hieß 
Manheim und war der neun Welten mittelſte. Die übrigen, außer ben genannten Muspöfhelm 
und Nifiheim, Godheim oder Asgard für die Götter und Mannheim oder Midgard für die Men⸗ 
fihen, waren Wanaheim, die Belt der früher den Aſen feindfellgen, doch fpäter mit ihnen ver- 
Pönten Wanen, welche den Raum zwiſchen dem Himmelsgewölbe und der Erde au zwei 
elten Alfheim und Svartalfheim, jene für die dem Nenſchengeſchlechte freundlichen Lichtalfen, 
dieſe für die böswilllgen Dämonen, bie Zwerge, Die einſt als Würmer in Ymer's Fleiſche wohn ⸗ 
ten, endlich Sötunheim, die Welt der Rieſen, und Helheim, die des Todes, bie Unterwelt. Wie 
in andern Koßmogonien, fo entfleht auch bier die Erde aus dem Kampfe der Elemente Feuer 
und Waſſer; ber Reif gibt ben Grundſtoff; bie durch das Himmels licht veredelte Zeugekraft der 
Erde gebiert den die ſchaͤdlichen Dünſte vertteibenden Blitz 
Mit dem Ramen bes erften Menfdien, Ask oder Eiche, Hänge auch Die Rythe zufammen von 
der das Weltall darftellenden Efche Yggdraſil. Yggbraſil breitete ihre Zweige durch die ganze 
Welt bis in den Himmel; im ihren Zweigen faß ein vielverfichender Adler und zwiſchen feinen 
Augen ein Geier ; vier Hirfche fprangen in den Zweigen herum und fraßen fein * an ihrer 
Burzel, die nach Niſſheim ging, nagte der Drache Nidhöggur, und ein am Stamm laufendes 
Eichhörnchen, Ratastoskur, fuchte zwifchen dem Adler und dem Drachen, ber im Brunnen 
Hvergelmer liegt, Unfrieden zu fliften. Eine zweite Wurzel Aggdraſils erfiredte fich gu den 
Rimthurfen, wo Mimer’s Brunnen war; eime dritte ging zu ben Aſen und Menfchen; unter Ihr 
faßen die drei Nornen (ſ. d.), die den Baum begoffen. * war die Gerichtöftätte ber Aſen, 
wohin fie jeden Tag famen. Diefem das Weltall darftellenden Baume ſcheint die Bei Den Deut- 
ſchen, namentlich den Sachfen, hochverehrte Irminſul (f. Irmin) zu entfprechen, weiches Wort 
ebenfalls Weltſaͤule bezeichnet; ebenfo finder fich ein Weltbaum in ben Mythen der Inder und 
Serfer. Friede war bisher in ber Welt geweſen, da erfchienen bei den Afen unbeifbringend brei 
Miefenfungfrauen. In der fehr dunkeln Mythe ift von dem Verluſte von Golbrafeln, bie erſt 
nach der Götterdämmerung wieber aufgefunden werben, die Rede, der Unglüd bringt. Es ent- 
Hand Krieg, und die Afen hatten ſchwere Kämpfe mit den weifen Wanen; Asgards Wal 
ward gebrochen und die Aſen geben Häner an die Wanen und nahmen von diefen Riorb unter 
fi auf, mit feinen Kindern Freyr und Freyja. Endlos waren die Kämpfe mit ben Riefen, die 
Thor mit feinem gewaltigen Hammer nieberfchlug. Himmlifcher Götterburgen, die man durch 
bie Zeichen bes Thierkreifes erklärt, gab es zwölf; doch gehören fie nicht den vorzüglichften Böt- 
tern. Bragi und Thor hatten hier feinen Sig; dagegen wohnte Stade, bes Niefen Thiaſſi Toch⸗ 
ter, in Thrymheim, und Sökkvabek, d. i. Bach der Senkung, von falten Waſſern umrauſcht, 
ward von Saga bewohnt, mit der Ddin täglich aus goldenen Bechern trank. Thor's blitz durch⸗ 
zudte Burg Thrudwanger lag tiefer. " 
Der Sötter wie der Göttinnen find je zwolf, ohne daß es jedoch hier wie dort immer diefelben 
wären, welche diefe Zahl bilden, andererfeits nicht auch andere, nur halbgöttliche Weſen hinzu 
gezählt würden. Jedenfalls die vornehmften, außer Odin, dem Göttervater und älteften der 
Afen, find: Thor, Baldur, Nord, Freyr, Tyr, Bragi, Heimdall, Höbur, Odin's Sohn, der 
blind, aber ftark und gegen feinen Willen den Baldur cöbtet, fpäter felbft von Wale getöbtet wird 
(jedenfalls bezeichnet erdas blinde, unbezwingliche, nicht vorausfehbare Schickſal), Wibar, Wale, 
Uller, Forfete. Unter den Afen wird aber auch Kofi (f. d.) genannt, fo fehr er auch als ihr Feind 
auftritt, wie er denn überhaupt dad Princip bes Böſen bezeichnet. Thor (f.d.) ift der Gott des 
Donners, den das Rollen feines von Böden gezogenen Wagens hervorbrachte, der Rieſen ge 
waltiger Bermwinger ; Baldur (f. d.), der fchönfte und befte aller Afen, defjen Wohnung Brei- 
dablik weithin glaͤnzte; Niord, der Berrfcher des Meeres und der Flüſſe, der Gewalt harte über 
den Wind und das Fener zu ftillen, der auch Reichthum verlieh, beſonders von Fiſchern umd 
Geefahrern angerufen wurde und dem viele Tempel geweiht waren. Seine Wohnung war Noa- 
tun, d. i. Neuhof; feine Gattin Stade wohnte getrennt von ihm, ba fie ber Berge gemohnt war, 
während Niord es liebte, am Seegeftade zu weilen. Freyr (f. d.), der über Sonnenfchein und 
Begen gebot, wurde um Sruchtbarkeit und Frieden angerufen und hatte feine Wohnung zu Alf⸗ 
—* Tyr, Odin's Sohn, iſt der Gott der Krieger und ebenſo weiſe als tapfer. Seine Uner- 
rockenheit zeigte er bei Feffelung des Fenrismolfs, als er dieſem zum Pfande, daß fein Trug 
unterlaufe, fondern daß man nur im Scherz ihn feffeln wollte, feine Hand in den Rachen ſteckte, 
bie ihm Fenris dann abbif, weshalb er einhändig war. Bei der Bötterbämmerung Fämpfte er 
mit dem Höllenhunde Garm und beide töbteten fich gegenfeitig. Bragi (f. d.) war der Bott 


Rordiſche Mytholsgie 375 


ber Dichtkunſt. Heimdall, ber vom nem Jungfrauen am Rande der Erde Geborene, ſaß auf 
feiner Burg Himinbiorg, an ber Himmelsbrüde Bifröft, b. i. dem Regenbogen, als Wächter 
der Afen. Er ſchlief weniger als ein Vogel, hatte ein fo fcharfes Auge, daß er bei Nacht wie 
bei Tage hundert Meilen weit fab, und ein fo ſcharfes Gehör, daß er das Gras und die Wolle 
auf den Schafen wachfen hörte. Wenn er in fein Wächterhorn, Giallarhorn genannt, ſtieß, hörte 
man es durch alle Welten. Wibdar, der ſchweigende Bott, ein Sohn Odin's, der flärkfte nach 
Thor, hatte zur Wohnung Landwibi, d.i. Landweite. Wale, der Sohn Odin's und der Rinda, war 
ein tapferer Kämpfer und guter Schüge und wohnte in Walaſtialf, d. i. Wali's Wartthurm. 
Uller, der Stiefſohn Thor's, war eintrefflicher Bogenfhüge und Schlittfchuhläufer, der beim Zwei⸗ 
fampf angerufen wurde und beffen Ring man bei Eidesleiftung faßte. Seine Wohnung war 
VYdalir, d. h. Thaler des Pfeils. Korfete, Baldur's und Nanna's Sohn, war der befte aller Recht⸗ 
fprecher. Seine Wohnung war Glitnir, d. i. glänzend, mit goldenen Säulen und Silberdach. 
Wahrſcheinlich ift er mit Foſite gleichbedeutend, der von ben Friefen auf Helgoland, das nach 
ihm Foſite's Land hieß, verehrt wurde. Die vornehmſten Böttinnen find: Frigga, Odin's Ge- 
mahlin, die den Ehen vorftand ; Freyja (f. d.), die Göttin der Liebe, die in ihrem Palafte Folk⸗ 
vangr bie verfiorbenen Srauen aufnahm und der bie Hälfte der Todten gehörte; Idun (f. d.), 
bie Bewahrerin der Unfterblichkeitsäpfel; Eira, die ber Heilkumft vorftand, und Nanna, Bal- 
dur's Gattin („eb brach ihr Herz bei feinem Tod, fo liebte fie ihn”). Göttinnen niedern Rangs, 
die für Liebende forgten, waren Löfn, Siöfn und Bar; Gna, Hlyn, Fülle waren Dienerinnen 
der Srigga, deren Botfchaften Gna verrichtete. Nicht zu dem Gefchlechte der Afen gehörend, 
body von großem Einfluß auf der Menfchen Geſchicke waren bie Rornen (f. d.), die Vollziehe⸗ 
rinnen des Schidfals, die Walkyren (f. d.), die Schlachtenienkerinnen, und die Fylgien, bie 
Schutzgeiſter der Menfchen. 

Der Meergott Agir und feine Gattin Nan gehörten nicht zu dem Afentreife. Berühmt iſt das 
Gaftmahl, das Agir den Afen gab, wo fie Loki (f. d.) mit Schmähungen überhäufte. Auch 
Loki, obwel feit uralter Zeit mit Odin in Blutbrüderfchaft und unter die Afen aufgenommen, 
gehörte einem andern Böttergefchlechte an und bereitete, den Afen feindlich gefinnt, ihnen Ver⸗ 
berben. Mit der Riefin Angerbaude hatte er drei gräuliche Ungethüme gezeugt, die Hel, den 
Wolf Fenris und die Midgards ſchlange. Die Hel (f.d.) ward von Odin nach Niflheim verwie⸗ 
fen, wo fie uber das Schattenreich herrfchte, in das Diejenigen kamen, die fo unglücklich waren, 
nicht in ber Schlacht den Zod zu finden, oder fich nicht felbft tödteten. Hel war halb nur von 
menfchlichen Farben, ſchwarzblau die andere Hälfte; ihr Saal hieß Elvidr, d. i. Eiskälte, Hun- 
ger ihre Schüffel, Mangel ihr Meſſer, Auszehrung ihr Bett. Der Senriswolf warb von den 
Ufen in Banden gelegt; die Midgardefchlange aber verfenfte Odin ind Meer, wo fie fo wuchs, 
baß fie, ſich in ihren Echwanz beißend, die ganze Erde umfaßte. War es aber auch den Aſen 
gelungen, diefe Ungerhüme unſchädlich zu machen, fo traf fie indeß doch bald ſchweres Unheil 
burch den von Loki veranlafiten Tod Balbur’s. 

Seitdem Baldur, der von Göttern und Menfchen geliebtefte Bott, gefallen, wich alles Heil 
von den Aſen, und nichts war mehr im Stande, ber Welt bevorfichenden Untergang aufzuhal⸗ 
ten. Ragnarof, d. i. der Götter Dämmerung, tritt ein, bedeutſam lange zuvor ſchon angekün⸗ 
digt durch wachſendes Verderben unter den Menfchen. Winter folgen auf Winter, fein Som⸗ 
mer bazwifchen, nur gewaltige Stürme, Schneewehen und Finfternif: der ſchaurige Fimbul⸗ 
vetur ift angebrochen, Sonne und Mond von den fie verfolgenden Riefenwolfen verfchlungen, 
der Himmel mit Blut befprengt, die Erde bebt und die Felfengebirge ſtürzen mit Krachen zuſam⸗ 
men. Denn ber Fenriswolf hat fich frei gemacht, mit ihm die Midgardöfchlange und aud) Loki an 
ber Spige feiner Scharen. Ihm entgegen, durch Heimdall's weithin ſchallendes Dorn geweckt, 
ziehen bie Aſen unter Odin und alle gefallenen Helden, die Einherier, aufdem Schiffe Naglfar, 
dem aus den Rägeln Berftorbener gezimmerten, zum gemeinfamen Kampfplatze Wigrid. Nach 
heifem Kampfe, alt beide Deere ſich gegenfeitig vernichtet, als zulegt Odin vom Fenriswolfe 
verfehlungen, fchleudert Surtur, der flammende Gott, aus Muspelheim fein Feuer über bie 
Welt. Handy umwirbelt den Yagdrafil, Lohe lodert gen Himmel und die verbrannte Erde ſinkt 
ns Meer. Doch aus ihm erhebt ſich eine neue Erbe; grün und ſchön und ungefärt fpenden ihre 
Acker reiche Frucht. Und wie die Götter zu neuem Leben erwachen, erfproßt auch ein neues 
Benichengefchlecht. Lif, d. i. Leben, und Lifthrafir, der Lebensfrifche, haben fich während des 
Gräuels der Zerflörung im Holze Hobdmimir’s verborgen und vom Morgenthau genährt; vom 
ihnen flanımt das neue Menſchengeſchlecht. Die Riefen und Ungeheuer haben fr immer ihrem 





176 Nordiſche Nytholonie 

Untergang gefunden; bie Aſen aber kehren wieber, Baldur wird mit Höbur aus Rifſheim 

kommen, bie Golbtafeln werben wiebergefunden werben, bie Aſen wieder auf ber Idawieſe 
ammentonmen, mie in ber Urzeit. Nur Dbin wird fehlen und Thor. Dbin’s Halle werben 
bar und Hödur bewohnen; Thor wird vertreten durch feine e: Mode und Magne, b.i. 

Muth und Stärke, wie Odin durch feine Söhne Wibar und Wali. alla (ſ. d.) wird nicht. 

wieder entfliehen, neue Wohnungen werben ben Seligen bereitet, und nicht mehr wird allein bie 


+ Wet bes Todes über den Aufenthaltsort der Abgeſchiedenen entfcheiben. Die Völnſpa fagt, der 


Reiche, ber Starke von oben werben Gericht halten und entfcheiben über ben- Werth, ber blei⸗ 
ben wird. Die Guten und Tugendhaften werben in Gimle wohnen, wo ed am beften, und in 
andern Sälen; die Böſen aber, Meineidige, Berführer follen nach Naſtrand, d. t. Leichenfirand, 
geworfen werden, mo fie im Schlangenfaale in Giftftrömen waben folln. Wenn Odin's Herr» 
[haft vergangen, dann kommt ein Anderer, ein Mächtigerer, body „ihn nicht mag’ ich zu new 
nen“, heißt e& im Hindluliod. Ihm kommt der Rame Allvater zu, und bie jüngere Ebba ſagt 
von ihm, daß er lebe durch alle Aiter und herrſche über Alles. Er habe Himmel und Erde ge 
Schaffen und Alles, was dazu gehöre ; das Größte aber ift, daß er den Menfchen gesehen unb 
ihm einen Geiſt gegeben, der leben fol und nie vergehen, auch wenn ber Leib zu Staube mobert 
ober zu Aſche verbrennt. Ä ’ 
Wenn au auf biefe Ausbrudeweife das Chriſtenthum eingewirkt, Die Gedanken gehören 
bem Heibenthume an. Allerbings findet ſich auch in andern heidnifchen Religionen Die Lehre 
vom Bergehen und Wiedererblühen des Beftehenden nach gewiſſen Zeiträumen ; doch nirgenb# 
teitt Die Lehre von ber Vergänglichkeit der Bötter fo in den Vordergrund als in dem Glauben 
der Afen von ber Bötterbämmerung. Auch in ben Mythen zeigt fich der tiefe Geiſt des Volkes, 
und die naturphilofophifche Anſchauung Täßt fich nicht wegleugnen. Die Aſen find die ben 
Wechſel der Natur orbnenden, ihm aber auch felbft unterworfenen Kräfte berfelben. Die durch 
die Himmelslichter beftimmte Abwechſelung ber Zeit, dad Erwachen, Einfchlafen und Wieder⸗ 
erwachen ber Natur find deshalb auch diefer Bötter und ihrer Schickſale Symbole. Außer bie 
fen phyſikaliſchen Beziehungen finden fi) auch Klänge aus der Urzeit Leben. So ſcheint bie 
Aufnahme ber Wanengötter eine gewiſſe Realität zu haben in ber Bermifchung verfchlebener 
Neligionsfofteme; denn in den drei Wanengöttern zeigt ſich allerbings ein anderes Element. 
Nach der Eintheilung der Meligionen in Feuer- ober Waſſerdienſt, in welchem erftern das 
active männliche, während im zweiten das weibliche Element mehr hervortritt, würben bie ur 
fprünglichen Afen einer Seuerreligion angehören. Denn bei ber urfprünglichen Identität von 
Freyja mit Frigga fehlt unter ben Afen das Weibliche faſt ganz. Die Böttinnen nehmen nur 
einen niedern Rang ein und find meift SPerfonificationen ethiſcher Begriffe, ohne perfönlich- 
lebendiges Vortreten. Odin, der unter feinen Beinamen auch die des Feueraugigen und Alles 
Berbrennenden führt, ift urfprünglich die Sonne, ihm zunächſt Thor das Bligfeuer, Beide find 
Kriegsgötter, und ber Weltbrand führt zur Verfüngung. Dagegen ift von ben Wanifchen 
Göttern Njord der Herrfcher des Waſſers, und er und fein Sohn Freyr, ber aus Liebe fein 
Schwert weggegeben, find Friedensgötter; Freyja aber ift fehr bedeutend zugleich Kiebes- und 
Todesgöttin. Wenn man übrigens den Waſſerreligionen Wolluft und Graufamfeit zufchreibt, 
fo würde fich dies auch hier beftätigen durch die Erwähnung priapelfcher Darftellung beim Sreyr, 
und daß diefer bie erſten Menfchenopfer eingeführt haben fol; die Kagen aber, die Freyja's 
Magen ziehen, find ein für beide Richtungen paffended Symbol. Ebenfo finden fich hier Erin- 
nerungen an Kämpfe in uralter Zeit. Wenn auch bie Jätten urfprünglich als feindliche Natur- 
Präfte gedacht wurden, fo laffen doch manche Schilderungen nicht zweifeln, daß man fpäter 
feindliche wilbe Völker mit diefem Namen bezeichnet habe. IBährend die Kämpfe mit ben Wa⸗ 
nen allein nad} religiöfen Beziehungen aufgefaßt werben können, fo fallen die mit den Jaͤtten in 
eine der Gefchichte näher liegende Zeit und nad) Norbland. Denn noch zu Adam's von Bre- 
men Zeit lebten in den flandinavifchen Gebirgen in höchſter Verwilderung finniſche Urbewoh- 
ner, bie zumeilen mit furchtbaren Einfällen das Gebiet des gebildeten Volkes heimfuchten. End- 
lich mögen auch Erinnerungen an bie Kämpfe der um bie Herrſchaft ſtreitenden Prieſter in bie 
Mythen Eingang gefunden haben. Zu biefen beiden Elementen, dem naturphiloſophiſchen und dem 
fagenhaften, kommt nun noch das ethifche. Manche der Götter find aus dem Gemüth ber Men- 
hen hervorgegangen und Bezeichnungen ethiſcher Begriffe, z. B. der Gerechtigkeit. Hierher gehõ⸗ 
ten die meiften Böttinnen, fo Snotra, die Hoöfliche, Kluge; Wara, die auf die Eide der Kiebenden 
achtet und auf Verträge überhaupt. Mitunter find es auch ganz bürre Allegorien. Endlich iſt 
Manches blos poetifhe Ausfhmüdung und Zufag fpäterer Zeiten. Vieles aber bleibt dunkel. 


Nordiſche Mythologie 977 


- Unter biefen Umfländen bedarf es feiner weitern Erläuterung, wie erfolglos es fein muß, 
Alles durch ein Syſtem erklãren zu wollen. Bon den beiden hauptfächlichften Deutungsweifen, 
der naturphilofopbifchen und der hiſtoriſchen, ift legtere, der fchon Saxo Srammaticus und 
Snorri Sturlufon folgten, fehr alt umd ihre Entſtehung leicht erflärlich, indem bei der im Gan⸗ 
zen friedlichen Einführung des Chriſtenthums im german. Norden bier keine ſolche Erbitterung 
entftand, die jede Spur bes frühern Cultus zu vernichten fuchte. Man brauchte Die Afenmycho- 
logie fortwährend als poetiſchen Schmud, und die Hoffkalden fuhren fort, der Fürften Abkunft 
von Din zu befingen. &o konnte man bie alten Götter bier nicht wie anderwärts zu böfen Gei⸗ 
ſtern machen, fie wurden zu zgauberfundigen Menſchen. Aus Aſen wurden Afiaten; eine Prie⸗ 
fterfchar follte vor ben Römern fliehend nach Skandinavien eingemandert, dort als verkörperte 
Bötter aufgetreten fein, eine neue Religionslehre eingeführt und durch höhere Kenntnif und 
Zaub ertrug ſich ber Herrſchaft bemächtigt Haben. Asgard warb von Saro nach Kanftantinopel 
(Miklegard), von dem Berfaffer ber Vorrebe der jüngern Edda nach Troja gefept. Spätere For⸗ 
ſcher haben zu beweifen gefucht und zum Theil mit großem Scharffinn, daß biefe Angaben nicht 
blos auf gelehrten Brillen, fondern auf alter Erinnerung des Volkes an feine Urheimat beruhen. 
Man bat auf die Gegenden am Kaspifchen Meere ober auf den Kaukaſus gewiefen, wo ähnliche 
Namen von Völkern noch gegenwärtig vorfommen, wie Abchefen, DO fieten (das altnorbifche Ass 
wird Os gefprochen) u. ſ. w. Strabo erwähnt oftlich vom Mäotifchen See ein Volt Aspur- 
gianer, und Paulus Diakonus berichtet, daß Wodan in alter Zeit in Griechenland geherrfcht habe. 
&o intereffant-Derartige Forſchungen fein konnen, fo ift es doch ein vergebliches Beſtreben, bar 
aus eigentliche Geſchichte bilden zu wollen, wie dies von Suhm und nachher von Münter in ih⸗ 
ven Schriften verfucht worden iſt. | 
Für die naturfgmbolifche Deutung hat befonbers Finn Magnuſen (f.d.) viel geleiftet, und es 
hat diefelbe auch bei Übertreibungen den Borzug, wenigſtens nicht mit Zerftörung der Mythen 
zugleich die Geſchichte zu verfälichen. Fragen wir, was von der Aſenlehre mol im Glauben des 
Volkes gelebt, fo ift es natürlich, daß weber alle Diythen noch minder deren Bedeutung Volkt⸗ 
eigenthum fein tonnten. Da es keine gefchloffene Priefterkafte gab, wenigftens in ber fpätern 
biftorifchen Zeit, in der die Könige und Jarls in ihren Reichen und Bezirken dem Opferdienſte 
‚ fo konnte es auch Beine nur dem Sriefterftande zugängliche Geheimichre geben. 
Spuren berfelben finden füch, wenn es heißt, daß Odin durch Kieder und Runen ben Oberprie- 
fiern feine Weisheit mitgetheilt Habe, und biefe Höhere Kenntnif vom Weſen der Götter nennt 
dat Bafthrubnismal alte Stäbe und Rımen der Götter. (&. Runen.) Natürlich werben bie 
Fürften, die auf bie Aſen ihren Stamm zurüdführten, von biefen, die fie ald Stammväter ehr- 
ten, bie meifte Kunde gehabt Haben, und manche Lieder find vielleicht nur bei zauberiſchen Hand⸗ 
lungen gebraucht worden. Die tiefern Lehren von einem höchften Weſen werben immer nur Ei⸗ 
genthum einzelner Begabter geweſen fein, wie wenn Harald Daarfager bei dem Gotte ſchwoört, 
der ihn gefchaffen und ber über Alles herrfcht, und der Isländer Torkel Mane in ber Todes⸗ 
flunde feinen Geiſt Dem befiehlt, der die Sonne erfchaffen. Das Volkaber im Allgemeinen hing 
an den Aſen. Wie das weibliche Geſchlecht an Freyja und Frigga feine Gebete richtete, fo die 
Männer an bie drei Eriegsgewaltigen Götter Odin, Thor und Tyr und an den Fruchtbarkeit 
und Reichthum befcherenden Freyr, ſowie bie Seefahrer und Fifcher an Niorb. Ihnen erbaute 
man zum Theil prächtige Tempel, ſchmückte ihre Bilbfäulen und ehrte fie mit blutigen Opfern 
und andern Geſchenken, während man dagegen Hülfe und Weiffagungen von ihnen foderte. 
Die zahlreichſten Verehrer hatte der riegsgewaltige Thor. Manche beteten zus befondern Fami⸗ 
liengöttern. So ber mächtige Jarl Hakon in Rorwegen zu den Zauberfchweftern Thorgerb, 
Hörgabrud und Yrpa, den Töchtern eines Könige Holga von Halogaland (b. i. das heilige Land, 
eine der nörbfichften und am frübeften bevölkerten Landſchaften Norwegens, nicht die In⸗ 
ſel Helgsland), von welchem Hakon feinen Stamm ableitete. Ihre Bildfäulen fanden im Gulb⸗ 
brandsthale in einem Tempel, wo auch Thor's Bild ſtand, und im Krieg gegen bie Jomsvikin⸗ 
ger fo Hakon für den Sieg ihnen feinen Sohn als Opfer gefchlachtet Haben. Häufig war auch 
die Raturverehrung von Flüffen, Bergen, Bäumen und Steinen, an bie man geiftige Weſen 
gehunben glaubte, und biefer Dienft war es, ber nad Einführung bes Ehriftenchums in allen 
oten heidniſchen Weſens am meiften erwähnt wird. Wie tief er im Volke gewurzelt, zeigt 
fih auch darin, daß, während das Andenken vieler großen Götter gang verfchollen, diefe Natur⸗ 
geiſter zum Theil noch heute im Glauben des Volkes leben. (&. Elfen.) . 
Betrachten wir den fittlichen Einfluß der Aſenlehre, fo treten freilich die fanftern Gemüths⸗ 
regungen in den Hintergrund; auf Kampf und Krieg war das ganze Leben geftellt. Unter kei⸗ 


378 u | Nordlicht 
nem ſchoönern Bilde kann der Tod gedacht werben als unter dem ber im Waffen glä 


glänzenden 
MWalkyre; ber Slaube an Walhalla trieb die Männer kühn dem Schlachtentobe entgegen; auch 
fenerte zu Krieg und Raub der Glaube an, daß Keichthum in ſener Welt chre, daß mam aber 
dorthin nur die auf Bentegüigen erworbenen Schäge.im Grabhügel mitnchmen könne. Dage 
gen gab bie Überzeugung. von Indivibweller Unfierblichkeir imd einftiger Bemeinfchaft mit ben 
Göttern ein Gefühl des Werte, das vom Niebrigen abhielt. Die Irene war ten Goa⸗ 
term geheiligt; fie unverbrüchlich zu halten in Liebe, Freundſchaft und feglichem Gelsbuiß war 
böchite Pflicht. So innig indeß Blauben und Leben verbunden erſcheinen, fo gab es doch auch 
Manche, die nichts von den Göttern hielten und nur auf die eigene Kraft trauten, fo Hroif 
Krake und feine Helden. Solcher Gleichgültigen gab es fee Viele, als das Chriſtenthum tm 
Rorben eindrang, und ſo ſank der Aſenglaube ohne ſchweren Kampf. Die Tempel waren, da in 
denfelhen auch die Opfermahle gehalten wurden, zum Theil von bedeutender Größe; fo gab’;e® 
im holzarmen Island einen Tempel von 120 Een Länge. Als prachtvoll ſchildert Adam von 
Bremen den Haupttempel in Upfala; von andern reichgeſchmückten berichten die Sagem. Die 
Büdfäulen der Götter waren zum Theil Boleffal; bagegen hatte man auch Peine von Metall, 


zum fie bei fich tragen zu können. 


Unter den poetifchen Bearbeitungen ber Aſenmythen iR Kiopfiod’s Berfuch ein miälungener. 
In Braun’s „Hermann ber Eheruster” fehlt bei geſchickter Anlage und trem fich ben Rythen 
anfchließender nblung ber bichterifche Schwung, und in Blochmann's „Bertha don Stal⸗ 
mene” fcheint biefer etwas erzwungen; mit dem meiſten poetiſchen Geiſte, aber fehr ee fie 
Henne benugt im „Divico”. Die von deutfchen Gelehrten über Echtheit der Afenlchre geinßer- 
ten Zweifel find jegt nur noch literarhiftorifch zu erwähnen. Was die Verehrung der Mer 
Deutfchland betrifft, fo find Odin, Thor Freyja durch fichere Zeugniſſe erwieſen; atibere ein- 
zelne Spuren in Sprache und Sitte, Volksſagen und Aberglauben hat Jak Geimm wit um- 
faffendfier Kenntniß in feiner „Deutfchen Mythologie” zufammengeftelit. Bon Grimm's Werke 
erſchien von Wolf ein fehr brauchbarer Austzug: „Die beutiche Bötterlchre” ( Goͤtt. und kpz. 
1858). Neue Forfchungen find durch Grimm’s Abhandlung „Über zwei entdeilte Gedichte au 
der Zeit des beutfchen Heibenthums” (Bert. 1842) angeregt werden. Vgl. außer dem zahlreichen 
Schriften von Suhm (f.d.) und Bräter (ſ. d.): Srundtvig, „Nordens Mythologie eller Udſigb 
over Eddalären” (Kopenh. 1808); Heiberg, „Rordifche Mythologie” (Schlesw. 1817); Stuhr, 
„Nordiſche Alterthümer“ (Bert. 1817); Geijer, „Schwediſche Urgefchichte” (deutſch, Sulzb. 
1826); Finn Magnufen, „Ebdalären og dens Oprindelſe“ (4ñ Bde, Kopenh. 1824— 26); 
Derſelbe, „Prisoao veterum borealium mythologiae lexioon“ (Kopenh. 1828); Mund, 
„Rorbmaenbenes Gudelaere i Hedenold tilligemed de vigtigfte Helteſagn“ (Chriſtiania 1847); 
Keyſer, „Norbmaendenes Religions forfatning i Hedendommen“ (Ehriftiania 1847); Faye, 
„Norſte Folke⸗Sagn“ (2. Aufl. Chrift. 1844); Peterſen, Nordiſt Mythelogi” (Kopenh. 1849). 

Nordlicht (aurora borealis). In den Nordgegenden des Himmels, gewöhnlich bald nach 
Sonnenuntergang, erblidt man zumellen nahe am Horizont einen dunkeln Kreisabfchnitt, um 
welchen ein glängender weißer oder feuriger Bogen erfcheint, der fich auch wol in mehre con- 
centrifche Bogen theilt, durch deren Zwiſchenräume das dunkle Segment hervorfcheint. Aus bie 
jen Bogen, gleichwie aus dem von ihnen begrenzten Segmente felbft, ſteigen Lichtſtrahlen von 
weißer ober bei lebhaften Glanze auch von rother und grüner Farbe, oftmals felbft ganze Feuer» 
garben nach allen Richtungen empor. Die gange Erfheinung nimmt babei an Intenfttät zu, 
und dieſes Zunehmen kündigt fich durch eine allgemeine zitternde Unruhe der ganzen Lichtmafſe 
an. Wenn ein Nordlicht fehr lebhaft wird und feine Strahlen über den Zenith hinausgehen, fo 
bildet fi an dem Punkte des Himmels, nach weichem das obere Ende einer magnetiſchen Rei 
gungsnabel hinweiſt, die fogenannte Nordlichtfrone, indem hier die Strahlen (mie bie Bäume 
an bem entfernten Ende einer Allee) durch eine perfpettivifche Täuſchung zufammenzulaufen 
einen. Bald nachher wirb die Erfcheinung faft immer ſchwächer und ruhiger; jedoch gefchicht 
bies ſo zu fagen nur ruckweiſe, wobei ſich Die vorigen Umftände, das Zittern ber Lichtſäulen, die 
Bildung einer Krone u. f. w, aber unter tauſenderlei Nüancen, erneuern. Endlich hört die Bes 
wegung auf, bas Licht zieht ſich gegen ben nördlichen Horizomt zufaminen, das dunkle Segment 
loͤſt ſich auf umd es bleibe nur eine allgemeine flarke Helligkeit am Norbhimmel zurück, bie ſich 
äulege in die Morgendämmerung verfiert. Diefes prächtige Phänomen wird bei und vorzugs 
weife Nordlicht genannt, weil mie es nach Maßgabe unferer geographifchen Stellung nur im 
ben Rordpol beobachten können. Reifende in der füblichen Demifphäre haben aber auch Ahn- 
liche Süblichter wahrgenommen, und man ſollte daher eigentlich von Polarlichtern ſprechen. 


Rördlingen .---- Morbdpolerpeditionen | m 


Veien iſt übrigens —— und wird ourch ding 
Wefeche, weiche im innigen Zuſammenhange * der magnetiſchen Kraft der Erde 
rgeruſen. Wir müſſen diele Polarlichter als ein unanögejege an beiten Polen ver⸗ 
—— betrachten, Indem aufmerkſame fie in den Velargegenden i in bee 
t ſahen; in unfern Gegenden wird daſſelbe nur fichtbar, wenn es eine bedeutende 
t. In der Erklärung biefer merkwürdigen Grideinung haben fich viele aufge 
rſcher, wie Euler, Franklin, 33 Biot, Hanſoen u. A, verſucht, ohne 
ändige Theorie zu geben. Mit Gewißheit kann man bis jogt nur Folgendes ſa⸗ 
Nordlicht ct m wie die Sterne eine tägliche Bewegung von Oſten nach Weſten 
an dev Achſendrehung der Erde Theil nehmen und daher in ber Atmoſphaͤre 
ur afficirt, der Erfahrung gemäß, die Magnetnadel und ändert ihre — 
e Punkt bes Nordlichtbogens liegt in der Richtung bes magnetiſchen Pols⸗ 
’s Erfahrung hat der Erbmagnetismus kurz vor dem Cintritte eines Rab 
liche Stärke, die aber gleich nach dem Beginnen bes Rordlichts abnipu 
gew nn Stärke herabſinkt. Da die magnetifche Kraft nur eine Wirkungt⸗ 
elektriſchen in einer beftimmten Form ift, fo weift das Geſagte darauf bin, daß daß 
in ee Art elektriſcher Entladung befiche, über deren nähere Natur freilich erſt noch 
Beobachtungen bie nöthige Aufflärung geben müſſen. 
ingen, im hair. Kreife Schwaben und Reuburg, im fogenannten Ries, am Egerbache 
* ſenbahn von München nach Nürnberg gelegen, war bis 1805 eine Freie Reiche 
it einem Gebiete von 17, DM. und gehörte zum Schwäbifhen Kreiſe. Sie hat eine 
fehentmwerthe Kirche mit hohem Thurm und fhöner Orgel und zählt gegen 6700 E., bie durch 
Viehzuche — ſich währen. —— iſt der Ort —* me 
idebig bauch bie beiden Schlachten im Dreifigiährigen Kriege. In der erftern, 6. Sept. 1654, 
— — um erſten male auf deutſchem Boden geſchlagen. Die Veranlaſſung 
erung der Stadt N. durch den König Ferdinand mit einem zahlreichen Heere. 
Fo de bes Konigs ein Biel zu fegen, befchloffen der Herzog von Sachſen⸗Weimar 
Bi > be General Horn, bie Stadt zu entfegen. Ohne ein heranzichenbes ſchwed. Heer abzu⸗ 
7* un sit ber Herzog Bernhard gegen den Rath Horn's bie ihm bei weitem überlegene,. & 
ſtarke oͤſtr. Armee an, die ſich auf einer Anhöhe bei N. verſchanzt hatte. D 
Sande, welche nur 24000 Mann ſtark waren, fat fehr tapfer, wurben aber befiegt. ei 
29000 Zodte und Verwundete und verloren 300 Fahnen und Stanbarten, 80 Kane 
nen umd einige Seuſend Gefangene, darunter auch der Beneral dom und mehre andere hohe 
—** In ber zweiten Schlacht, umweit N., bei dem Dorfe Allerheim, 5. Aug. 1645, wur⸗ 
den bie Kaiſerlichen unter Mercy von ben Frangofen unter Eonde gefchlagen. Zwei Jahre dan 
auf uuche R. von den Batern beichoffen und zum Theil niebergebrannt. Auch 1796 und 1800 
kam ed bei R. ra ben Franzoſen und ſtreichern zu Gefechten. 


Rerspel, ſ. P | 
Slesbpelicpebifionen, Als bald nach der Entdeckung von Amerika, welche man ſelbſt 
dem Plane verdanft, eine weſtliche Durchfahrt nach Indien zu finden, fich biefe durch Die ‚bes 
kannt Lamas geinerbene ununterbrochene continentale Ausdehnung der Neuen Belt von Süden nach 
Rorden als mırmöglich herausgeſtellt hatte, fuchte man, wie im Süden Amerikas eine fübliche, 
fo im Rorben bieſes re eine Nordweſtliche Darchfahert und im Norden von Aſien eine 
Sochöplide Durchfahrt nach Dftindien und China aufzufiaden. Hieran ſchloſſen ſich die ſpü⸗ 
tern Beſtrebngen, auch eine nördliche Durchfahrt über den Rordpol fetbft.anfzufnden. Schon 
Gehaftians Eabote (ſ. d.) fell unter König Eduard YI. von England eine —— — 
untermeumen haben, une fo nad) Dem goldreichen Indien zu gelangen. Sorbiſher such eiffe 

1577 eine ber vielen Einfahrten in da$ Binnenmeer der Hudſonsbai. Davis entbedite 1587 bie 
Davisfirafe und. Hubfon 1640 die nad) Ihm benannte Strafe und Bai. Baffin untezfuchte 
1622 die nördlichen und öfllichen (Begenben ber nach ihm benannten Bai, in welche die Davite 
firafe Deu eg gegeigt hatte umb an Yeren Weſtſeite ex unter 74° 30’ n. Br. eine Einfahrt 
fanb, Die ex Bameaflerfunb nannte. Jones, Mibdieton u. U. beftimmten fobann bie er 

fübfidpen uud nörbiichen Grenzen der Hubfonsbai. Alle hofften bier einen Durchweg nuch Wer 

hen zu finden. Ein vom Pariamente auf biefe Entdeckung gefepter Preis veranlafte 1746. bie 
** von Sit: Epter Arangen zu Lande 2774: Heaume von ber norbweftlichen Rieberlaffung 
ber Qubfonsbahterepagnie ind Mackenzie 1780 von den Riederlaffungen ber Norbivekcompage 
nie aus gegen Face vor und entdediten unter 69°--74° u. Br; das Gimee bed Rordpoit 


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. Rorbpolerpeditionen 


A das der Kupferminen- und Madenziekuß ausmlnbeten, ſowie bie Walſiſchinſel. In diefer 
—3 Barrington zu beweifen aha, da daß in gewiffen Jahreszeiten bie Urktifchen Deere 
hinreichend frei wären, um fig den 3* nähern zu können. Die brit. Regierung 
—* — 1773 den Gapltän Philipps Er Lord Mulgrave, mit zwei Schiffen nad 
Spitzbergen; allein unter 80° Pr binderten Ihn elder weiter vorzudringen. Auch Ges 
wurde, als er 1778 aus der Beringäftraße bis 70° Ph ober bis zum Giscap, bez nörbiichften 
Gpige der Weſtkũſte Nordamerikas, gelangt war, durch Cieberge aufgehalten. Diefe und andere 
Berfuche der Engländer, Ruffen und Holländer führten endlich zu der Überzeugung, baf eine 
norböftliche Durchfahrt aus dem Atlantiſchen Deere in das Stille Meer oder. ein ſchi 
Weg um Aſiens Nordküſte in die Beringöftraße nicht verhanden feis benn daß ber Kofad Si⸗ 
mon Defchnew 1648 aus dem Eismeere bis nach yr durch eine Meerenge (die Beringt- 
ſtraße) geichifft fet, unterliegt vielen Zweifeln. 

Dagegen bofften Geographen, wie Barrow In feiner „Chronolegical histery of voyages 
inte the Polar regions” (Lond. 1818) u. U., daß der Weg um bie Rordküſte Rorbameritas 
bis in bie Beringöftraße weit geringere Sqhwierigkeiten haben und daß das Meer in einiger 
tens vom Feſtlande eisfrei gefunden werben dürfte. Die brit. und fpäter auch bie 

, Regierung erfannten die Wichtigkeit diefer geographiihen Frage, durch deren Zöfung 
möhlichermeile ganz neue Handelswege entfliehen konnten. . Eine Porlamentsacte ficherte 
dem erften auf nordiveftlichem Wege in den Großen Deean gelangenben ann 20006, dem 
erften ben Rorbpol kreuzenden Schiffe 5000 Pf. St. als Srämie zu, und 1819 fegte der Pin 
Negent für Erreichung gewiſſer anderer Punkte ber Arktiſchen Deere noch Belo 
5—15000 Pf. St. aus. Die erfle brit. Erpedition fegelte im Juni 1818 ab. Cie beffenb ans 
den Schiffen Trent und Doföthen unter Capitän hen und den Schiffen Wiegander und Ifa- 
bella unter Capitän Roß. Der für das öftliche Etsmeer beftimmte Buchan gelangte 29. Juli 
bis nördlich von Spigbergen (80° 32°), kehrte aber nach nuglofen Kämpfen mit dem Eiſe um 
und erreichte 10. Det. die engl. Küfte. Roß fegelte nach ber Baffinsbai, brang 9; Aug. bis . 
75° 55’ n. Br. und 65" 32’ w. 2. vor, unterfuchte die Weſtküſte von Grönland, erreichte unter 
77° 40° die nördlichfie Grenze der Baffinsbei, verließ nach der Entbedtung von Bancafterfimd 
(74° 30°) und Gumberlandfirafe (63°) 1. Oct. jene furchtbaren Regionen und fam im Nov. 
1818 in England an. Vgl. Roß, „Voyage of discovery etc.” (Xond. 1819). Die zweite 
Erpedition wurde 1819 ausgefendet und befland aus den Schiffen Hella und Griper unter 
Lieutenant Parry (ſ. d.), welcher Roß begleitet Hatte. Glücklicher als „fein Borgänger ge- 
langte Parry durch die neuentdedte Barrowſtraße in das Polarmeer und überwinterte auf ber 
Melvilleinfel (74° 45'n.Br.). Nach zehn Monaten fegelte er 1. Aug. 1820 aus dem Winter⸗ 
bafen, ging mweftlich, bis ihn unter J3° 46’ w. 2. umbewegliche Eisfelder aufhielten, kehrte 
16. Aug. um und anterte 29. Det. im Hafen von Leith. Die Gntdedung, daß die Küſte 
des Feftlandes nad) Weſten fortlaufe und Eis allein den Weg in den Großen Ocean zu ſchlie⸗ 
en fcheine, berechtigte zu den beften Hoffnungen und veranlaßte bie Regierung, ben 
Dberbefehl über die auf mehre Jahre verproviantirten, zu einer britten Erpebition be- 
flimmten Schiffe Fury unter Capitän Lyon und Hekla wiederum an Parry zu übertragen. 
Parry ging 8. Mai 1821 in See, unterfuchte zuerft die Hubfonsbai, die nirgends eine Durch · 
fahrt darbot, ging dann nordwärts und bezog 8. Oct. den Winterhafen. Erſt 30. Juni 1822 
war es möglich, bie Schiffe loszueiſen. Nordwärts ſegelnd entdeckte man ben Barrowefluß und 
drang bis zur Amherſtinſel vor (69° 45° n. Br., 84° w. 2), wo große Eisfelder das übrigens 
landfreie Meer fperrten und zur Rückkehr zwangen. In der Straße Ingloobik (69° 20’ n. Br.) 
wurde überwintert. Nochmals verfuchte Parry vorzudringen, indem er 7. Aug. 1823 aus bem 
Winterhafen nad) Norden fleuerte, allein zu dem vorjährigen Hinderniffe gefellte fich der &tor- 
but und zwang zur Rückkehr. Am 10. Det. anferte bie Erpedition an den Shetlandeinfeln. Die 
Ergebniffe beider Eppebitionen Parry's, der, weil er 10. Sept. 1820 140° w. 2. erreicht 
hatte, die erfte Parlamentöprämte erhielt, waren fehr bedeutend. Vgl. Yarey's „Journal of a 
second voyage for the discovery of a Northwest-Passage etc.“ (Zend. 1834) unb Wler. 
Fiſher's „Journalof a voyage ef discovery to the Arctic regions” (4. Aufl. Zond. 1824). 
Sm 3.1825 ging Capitän Sabine, um Pendelverſuche zu en, ef bem Schiffe Griper 


nach Spigbergen, gelangte im Aug. bis 81° n.Br. und 75° 20° 8. a ehe tm Dec. nad 
England zurück, nachdem er bie Theorie über die Erdgeſtalt beftätige hatte. Scoresby, 
ein vieljähriger Brönlandsfahrer, erforfchte 1822 die Oſtküſt gem pr bi8 zu 83’ n. Br. 


Bel. defien „Journal of a voyage to Ihe northern —— oto.“ ( Edinb. 1825). Roch 


Rordpolerpeditionen 


weiter drang 1820 31 und 1834 ber dän. Capitãn Graah vor; doch vermochte er feine Spu⸗ 
ven ber ehemals vorhandenen Colonien Oſtgrönlands zu entdecken. Zugleich mit Roß und 
Parry erhielt Capitaͤn Franklin (ſ. d.) den Auftrag, die nordweſtliche Durchfahrt, jedoch zu 
Bande, zu erforſchen. Bon der 30. Aug. 1819 erreichten Factorei York an der Hudſonsbai zog 
er. durch faft menfchenleere Wüften bis Providence (62°17’n.Br.), dem nörblichiten Poſten ber 
Subfonsbaicompagnie, überwinterte vom 10. Sept. an in einer Einöbe, erreichte im Sommer 
4831 den Kupferminenfluß, ſchiffte an der Küfte des Eismeers hin, kehrte vom Mangel ge 
zwungen um und erreichte in fehr erſchöpftem Zuftande mit wenigen Begleitern 14. Juli 1822 
Dort. Bol. feine „Narrative of a 7oyage to the shores of the Polar-Sea“ (2ond. 1823). Eine 
neue Polarreife veranftaltete die brit. Regierung 1824. Die Schiffe Hekla und Fury unter 
Capitãn Parry und ber Griper unter Gapitän Lyon verließen England im Mai. Lyon erlitt 
auf ber See Schaden, ſodaß er nach Erreichung bes 66.’ n. Br. umzukehren genöthigt war. 
Bol. „Narrative of an unsucoesful attempt to reach Repulsebay” (Lonb. 1825). Parry traf 
237. Sept. in Port Bowen in ber Prinz⸗Regentenbai ein, wo er überwinterte und 20. Juli 
4825 wieber abfegelte. Ex ging nım fübwärts, verlor die Fury, nahm ihre Mannſchaft 
auf und erreichte England wieder 11. Oct. 1825. Auch Franklin unternahm 1825 wie 
der eine Zandreife, erreichte unter 69° 50° die Seeküſte, ging zurüd, überwinterte in Fort 
Franklin am Bärenfee, brach 24. Juni 1826 wieder auf, ſchiffte den weftlichen Arm des Maden- 
ziefluſſes hinab und befuhr das Eismeer bie Küfte entlang von 143°— 149° 38° w. 2., ohne 
jedoch mit dem von England um Gap Horn unter Beechey abgefendeten, zu feiner Abholung 
jenfeit des Eiscap beftimmten Schiffe Bloffom zufammenzutreffen. Er kehrte nad Fort Frant- 
Kin im Dct. zurüd, und war nur 30 engl. M. von dem geankerten Bloffom entfernt gewefen, 
ber, nachdem er 120 engl. M. über das Eiscap hinausgebrungen, 14. Det. nach langem War⸗ 
ten umkehrte und um Afrika 26. Sept. 1828 in England wieder anfam. Um diefelbe Zeit fen- 
bete die Abmiralität den Capitän Parry (f. 5.) mit bem Hekla nach dem Rorbpole. Parry nahm 
zu Hammerfeft Renntbiere und Eisboote an Bord, erreichte Spisbergen 27. Mai 1827, ließ 
24. Juni den Hella im Eiſe zurüd, fchiffte drei Tage in offenen Booten, verließ biefe, begann 
unter 81° 12° die Eisreife nach dem Bol, erreichte aber in 35 Tagen nur 82’ 45° n. Br., fand 
endlich die Eisdecke zerbrochen, mußte umkehren und traf 29. Sept. 1827 in derfelben Stunde 
mit Franklin bei der Admiralität zu London ein. Kapitän Rof (f. d.) unternahm 1829 auf 
feine und feiner Freunde Koften eine neue Expedition, verließ an Bord bes auf drei Jahre verpre- 
viantirten Dampfſchiffes Victory 223. Mai England, verbrachte vier Winter an ber Nordküſte 
Amerikas, dieer bis 70" n.Br. verfolgte,entdedite ben magnetifchen Nordpol, verlor fein Schiff und 
kehrte auf Booten zurüd, bis ein nach Hull beflimmtes Schiff ihn aufnahm, das 2. Det. 1833 
in England landete. Man hatte ihn verloren gegeben, und von Seiten ber königl. Geographifchen 
Geſellſchaft war Kapitän Bad ((f.d.) abgeſendet worden, um ihn aufzufuchen, der 17. Febr. 
1833 England verließ und, obfchon er die Rückkehr von Roß vernommen, 1834 und 1835 über 
Montreal bit zum Stlavenfee vordrang, den Großen Fifch- oder Backfluß bis zu feiner Mün- 
dung befuhr, bie Entdedungen von Roß in dem bortigen Wilhelmslande vervollftändigte, aber 

ne eine See» ober Landreife nach dem nur 78 M. entfernten Gap Turnagain ausführen zu 
tonnen, wieder zurückkehrte. Auch feine zur Unterſuchung der in die Repulfebai führenden 
Frozenſtraße 1856 und 18357 unternommene Seereiſe misglüdte. Mehr Gewinn für die Kennt 
niß der Polarküften Amerikas brachten die drei Lanbreifen, welche Peter Warren Deafe und 
Themas Simpfon im Auftrage der Hubfonsbaicompagnie 1837, 1838 und 1839 unternahmen. 
Sie entbediten die Küfte vom Eiscap bis zur Mündung des Kaftor- und Polluxfluſſes (68°28° 
n. Br. und 76° 35° w. 2.), dem öftlichften in diefen Gegenden erreichten Punkte, von welcher un- 
geheuern Strede vor Franklint erfter Landreife nur zwei Punkte befannt waren. Es hatten 
Diefe beiden Reiſenden jenfeit des zulegt erwähnten Punktes offenes Meer gefehen und gefchlof- 
fen, daß daſelbſt eine Strafe in bie Pringregent-Einfahrt führe. Bald wurde nun, ganz gegen 
bie von Roß gemachten Entdeckungen, faft allgemein angenommen, daß Boothia Feliz eine 
Inſel ſei und eine nordweſtliche Durchfahrt eriftire. Allein die von ber Hudſonsbai ausgerü- 
fiete Expedition, welche Rae befehligte, entſchied 1846 und 1847 die Streitfrage zu Gunſten 
von Nof. Es erkannte Rae das geiehene Meer als Bat, König Wilhelmsland als eine Infel, 
Boothia Felir als eine Halbinfel. Nachdem er in ber Repulfebai überwintert, unterfuchte er 
ben füdlichen Theil des Boothiagolfs bis zu dem Punkte, mo bie Entdeckungen von Rof aufge 
hört hatten. Die allgemieinfte Theilnahme erregte bie legte Norbpolreiſe Franklin's (.d.), ber mit 
finen 126 Gefährten verſchwunden iſt. Sänmtliche Erpebitionen, die feit 1848 zu feiner Auf⸗ 


u 2. Mosbfer :. + 


ſachung außgefandt wurden, find in biefer Hinficht erfolglos geblieben. Doch mehre ber Führer 
jener See⸗ und Bandzüge haben in beharrlichſter Selbſtverleugnung uud Lühnfter Auſtrengung 
wetteifernd fich in ber Geſchichte der geographiſchen Entdeckungen cin Denkmal gefegt. Unter 
Anderm wurde durch Eapitän M' Clure bas geographifche Problem der nordweſtlichen Durch⸗ 
fahrt;glüctich gelöft. Ex verließ 5. Aug. 1850 die Barromfpige, entbeckte im NO. das Cap 
arry, Baring · Land und Prinz-Hibert-Land (leyteres mit Wollafton- und Bictoria⸗Land zu⸗ 
ammenhängend) durchſteuerte dann bie Straße Prince of Wales, welche die genannten beiben 
Länder trennt und in die Barrowſtraße mündet. In Icgterer überwinterte der Entbedier 1852 
—53. Im Sommer 1852 entdeckte Belchers einige Infeln (Rordcornwall, Bictoria-Ardhi- 
pel, Nord» Kent) nörblic) ber fogenanuten Parry⸗Inſeln und beffätigte die ſchon früher ausge⸗ 
Korochene Bermutbung, daß nörblich.bes.8N." das Polarmeer (das fogenannte Polarbaffin) vestt 
Eife faft frei fei. Auch Die Capitäne Kellet und Ingieielb waren in ben 3. 185155 in ben 
arktifchen Regionen als Entdecker und Beobachter thätig. Überhaupt waren alle jene Erpeditio- 
wen fruchtbringend für die Wiffenfehaften, beſonders bie Theorie bes Erbmagnetitmuß, bie 
Phyſik der Erde, bie Geographie und Nautik, und lieferten felbft in Ethnographie und Boologie 
anſehnliche Reſultate. Und dieſe gewähren. für die Im Übrigen erfolgloſen Anftrengungen und 
Aufopferungen um fo mehr eine Art Entfehäbigung, als ſelbſt die Auffindung der nordweſtlichen 
Durchfahrt (deren es Übrigens wol mehre geben mug) Leinen praftifchen Nugen mehr bringen 
kann, da die Wege über bie Landengen von Panama und Suez immer mehr den Verkehr nach 
Indien, China und Auftralien an fich ziehen und die Dauer der Schiffahrt bebeutenb verfürzen. 
Die von der ruſſ. Regierung veranflalteten Entbeddimgsreifen galten ber Exforfchung der 
Küften Rordafiens, alfo ber norböftlichen Durchfahrt. Capitän Otto von Kogebue (1. d.) ge 
Iangte auf feiner zweiten Meife 1824—26 bit über Coof’s Eiscap hinüber, wurde aber vom 
Polareife zur Rückkehr gezwungen. Eine höchft merkwürdige und erfolgreiche Reife war bie von 
Wrangel, Anjou und Kober von Irkutst aus unternommene nach der Mündung bed Kolyma 
umd bie Eismeerküſte entlang, April 1820 bis Nov. 1825. Die Neifenben verfischten ſogar 
auf Hundeſchlitten über das Eis nach dem Pol zu gefangen, entgingen aber mit genauer Noch 
dem . Bas fie wifienfchaftlih Großes geleiftet und mas fie mit bewundernswürdiger 
Energie gebufbet, ift in Wrangel's „Phyſikaliſche Beobachtimgen auf bein Eismeere, heraus⸗ 
gegeben von ©. F. Parrot” (Werl. 1827) und „Reife längs der Nordküſte von Sibirien 
und dem Gismeere, heraußgeg. von K. Ritter” (2 Bde., Berl. 1839) entwidele. F. Lütke be» 
gründete feinen Ruhm durch zwei 1822 und 1823 nad) Nowaja⸗Semlja und ben Küften Lapp⸗ 
lands unternommene Erpeditionen. Vgl. F. Lütke, „Viermalige Reife durch bas nördliche Eis⸗ 
meer” (deutſch von Erman, Berl. 1835). Außerdem murben noch mehre Seereifen in größerm 
Mafftabe von Seiten Rußlands unternommen, 5. B. vom Capitän Waffilfew, der 1819 von 
Kronftabt nach der Beringsſtraße ging und 1822 zurückkehrte, und fehr viele Peine Expeditionen 
von Archangelsk aus, z. B. von Rafarem 1819 und von Lawrow 1821, derhauptfächlih Nowaja⸗ 
Semlja erforfchte. Die legte Expedition unter Middendorf (1841 — 44) reiht fi würdig an 
biefenige Wörangel’d an und hatte die Erforfchung ber Gegenden an ber Oby-Mündung zum 
Gegenftande. Auch die Franzoſen haben ſich bei ben. Reifen nach dem hohen Norden betheiligt. 
Im 3. 1852 wurde die Kriegebrigg Lilloiſe nach Grönland gefendet, die aber nicht wieder 
kehrte. Zur Aufſuchung ber möglicherweife noch lebenden Mannſchaft ging Capitän Trehonart 
7. April 1835 mit der Gorvette Recherche von Cherbourg nach Island, wo er die Naturforfcher 
zurückließ; doch gelang es der Expedition erft im nachften Jahre, Grönland und Spigbergen zu 
berühren. Die Naturforfcher Iandeten fpäter Im nördlichſten Norwegen und kehrten langſam 
durch Lappland und über Stockholm zurüd. Obgleich das Prachtwerk von Paul Gaimard: 
„Voyages de la commission soientifique du Nord etc.” (6 Bde., Par. 1840-44 und 8 Ut- 
lantenmit 250 Taf.), bie Erpebition auf die Nachwelt bringen wird, fo find die erlangten Refule 
tate doch nicht im Verhälmiß zu den aufgewendeten Koften, ben Berheifungen und den gerechten 
Erwartungen; auch ift der werthvollſte Theil bes Berichts fkandinav. Forſchern zu verdanken. 
Rordſee oder Deutfcges Meer nennt man die Wafferfläche von etma 12000 AM. Klächen- 
raum, welche, als ein Theil des Atlantiſchen Dceam, zwifchen Großbritannien, den Niederlan- 
ben, Dänemark und Norwegen, von der Meerenge von Calais bis zu den Shetländiſchen Infeln 
ſich erſtreckt. Durch die Meerenge von Calais ift die Nordſee mit dem an den Weften Europas 
anftogenden Theil des Atlantiſchen Meeres, zunächft mit bem Kanal oder La Manche, durch den 
Kottegat mit der Oſtſee in Verbindung gefept, und die Zuyberfee (f.d.), bie man als Theil vom 
ihr betrachten Bann, ſchließt fich üblich an fie an. Sle hat Cbbe und Flut, welche fich am ftärke 


Nertwefgebiet.  -. . Morfolk (Sraffaft) u 


den an den Küften von Gelanb unb nahen irigen, mei wire, —— *2 
——— ⏑⏑— ben enen Ufern don Norwegen hoch und feifig 
find, flärkern Galzgehalt als dad Waſſer der und erhäft an mandhen Stellen durdh bie 








von Güden nad Durchfchnittslinie vom tengrabe ber 
in Shetlande infel bis * Dftenbe im umvegelmäfigen Berhältniffe von 30 bis hoch⸗ 
40 Yaben Tiefe. Die Unregeimäßigbeiten ber Tiefe Hängen von ben häufigen, in der 
Bei: befonders ausgebehnten Sanbhänfen ab, Die gegen brei Biertel des ganzen Flaͤchenraums 
en Ihren Zufinf son Süßwaſſer erhält bie Nordſee von Süden ber durch bie Elbe, 
Weſer, Ems, die Rheinmündungen ımd bie Schelde, von Weſten durch die Ehenfe imd Hum- 
ber und ben Zap, von 1 Of durch die Eider und die vielen Heinen Flüffe Schleswigs, Weſtlün 
lands unb Roriwegens. Zu ihren bebeitenbften Meerbuſen gehören an Deutfchlands Küfte der 
Dollart ([. d.) und bie Ausflüffe ber Weſer unb Elbe, bei Großbritannien die von Waſh, Forth, 
Nurray und Domed und bei Rorwegen der Buckeſiorb. Die 2 otrömnngen find äufeef ven ver» 
änberlich und fobern ben Schiffsführer in biefem vielbefahrenen Meere zur größten Behutſamkeit 
auf. Im Ganzen genemmen haben fiein Folge des vorwaltenden —— * — eine nordöſtliche 
Miechtung. —— tländ. Riff und der Küſte von Norwegen iſt Die Strömung durchge» 
hends a Weſt, ſelbſt bei Weftwinden, während ber fütlänb. Küftenfirom oftwärts nach Ska⸗ 
gen Hieft. Mit nordlichen und norbweflfichen Winden zieht ein Strom längs ber norweg. Maſte 
unb Aber bat jũtlãnd. Riff mit großer Geſchwindigkeit nach Helgoland. Jene beftändige Weſtſtrõ⸗ 
mung aus dem Skagerrack if eine nothwendige Folge ber Waſſermenge, weiche die Oſtſee in bie 
Rorbfer ergießt, indem erftere mehr empfängt, als fie durch Verdunſtung verliert. Länge ber Dfl- 
kũfte Großbritanniens Läuft eine Strömung nach Süden. Sie kommt aus bem Atlantifchen Dcean, 
bränge ſich durch bie Pentlanbsſtraße im Rorben von Schottland, um von ba aus ihren Weg bis 
zum Das-be-Galais fortzufegen, wo fie in die Strömung fällt, bie auf directem Wege aus dem At⸗ 
lantifchen Desan durch ben Kanal in bie Rorhfee fließt. Wegen der zum Theil bedeutenden Sand» 
bãnke iſt bie Schiffahrt auf der Nordſee gefährlich. Der Handelsverkehr auf derſelben wird ei 
tei8 ber Kanäle in Frankreich, bie in ben Rhein und die Schelde münden, fowie burch ben Lu 
wigtkanal mittels bes Rhein urib der Donau mit dem Schwarzen Deere in —— see 
Rordweſtgebiet (Nord West Territory) heißt ein noch nicht organiſirtes Gebiet der Ber» 
einigten Staaten von Nordamerika, welches biöher zum Gebiet Nebraska (f.d.) gerechnet wurde, 
606 ganze obere Stromgebiet des Biffouri umfaßt und ein Arealvon 27735 QM. bat. — 
verfieht man unter dieſem Namenben weſtüchen Theil des brit. Rordamerita zwiſchen dem ri 
fengebtuge aub dem Stillen Decan, bad früher füch meit ſüdwärts in das an bie Vereinigten Staa⸗ 
ten abgetvetene Gebiet Oregon (f. b. ) erſtreckte und gegenwärtig Reucalebonien genannt wird. 
—— a auch Northfolk ober Norfolkſhire genamnt, eine ber ſechs öftlichen Grafſchaften 
—— von Guffolk, Gambribge, Lincoln und von der Nordſee umſchloſſen, hat auf 954 
8/ auf Ackerfeld, en und Hutungen kommen, 433800 E. Die Grafſcha 
bude eine weite, einförmige Tiefebene, in welcher die fließenden Waſſer ohne Fall ſchleichen 
unb fi zum Thei in Sumpfflächen oder Fens verwandeln, bie den ſeichten Meerbuſen Waſh 
Außer ber Dufe, dem Bauptfluß bed Bandes, finb an der Weflgrenze ber Ren, an often 
bie Küftenflüffe Bure und Jare, an ber Gübgrenze bie Waveney bemerkenswerth. N. iſt nur 
durch Fleiß und Mühe im Samen u made: geworben, Ungeachtet ber Nähe bes Meeres fi 
bas Klima weniger feucht, im und geſund. Getreide⸗, namentlich Gerften- 
bau, Schaf⸗ und —E machen naͤchſt — ** zumal Heringefang, die Hauptnah⸗ 
zungsymeige der Bewohner aus. NR. führt im Frühjahr Tauſende von Dehfen, jährlich rg 
als 300000 Quarter Weizen und an 100000 Säde Mehl nad) London aus. Zugleich tft 
bie einzige ber Sftlichen Brefichaften, wo Fabriken in gröferm Maßftabe, vorzüglich im 2 
und Wollſtoffen, namentlich in der Hauptſtadt Rorwich (ſ. d.), beſtehen. Varmouth naährt ſich 
mehr vom Handel und bean Fifchfang, Lynn Regis ober PN Lynn, eine Hafenflabt an der 
Mintbung ber Dufe, ie mit —— 2 20528 €. zählt, fowie die Hafenotte Wells umb 
Eromer un der Rordküſte von Berfigiffen der : Banbeöprobucte. — Norfolk Heißt ferner eine 












8 Rorfolk (Seſchlech/—⸗ 


An Marinchoepital. — Norfolk iſt endlich ber Name einer auſtraliſchen Inſel, 22OM. oſtnord⸗ 
äftlich von Sidney. Sie hat 84 DR. im Umfange, iſt ungemein fruchtbar und dient als Poönal 
flation für die rückfälligen ober unverbefferlichen der nach Neuſũdwales beportirten Verbrecher. 
Norfolk, Titel der berühmten Familie Howard, die in der engl. Adelshierarchie die höchſte 
Stelle einnimmt. Die erften Grafen von N. waren aus dem Geſchlechte Bigod, nach deffen 
Eduard L 1285 feinen zweiten Sohne Thomas von Brotherdon zum Grafen von 

N. und Großmarſchall (Earl-Marshal) von England erhob. Deſſen Urenkel von weiblicher 
Seite, Thomas Mowbray, Herzog von N. und Graf von Rottingham, gab feine ältefte. Tochter 
Margaret ums 3. 1420 bem Sir Robert Howard zur Ehe. Der Ahnherr des. Geſchlechts der 
Howard, das wahrfcheinlich ſächſ. Urfprungs if, war Willtem Howard, Oberrichter der Com 
nion· Pleas von 1297 — 1308. Bein Sohn, Sir John Howard, war Kammerherr Eduarb’s IL 
Der Sohn Robert Howard's ans feiner Ehe mit der Tochter bes Herzogs von. N, John Ho- 
werd, galt ſchon unter Heinrich VL al& ein ausgezeichneter Kriegemann. Als Feind des Hau⸗ 
fes Lancaſter flieg ex unter Eduard IV. zum Generalcapitän fämmtlicher Streitkräfte zu Waſſer 
und zu Lande, ward 1470 ale Korb Howard in ben Peersftand erhoben und leitete auch die po⸗ 
litiſchen Angelegenheiten. Beil er Richard 11. in der Thronufurpation unterftügte, gab ihm 
dieſer, nachdem der Better feiner Mutter, John Mowbray, ohne männlicye Erben mit Tode ab- 
gegangen war, im Juni 1483 die Würde eines Großmarſchalls und Herzogs von W. Gr fiel 
mit dem Könige 22. Aug. 1485 in der Schlacht bei Bobworth, ımd da ihn das Parlament 
nachträglich als Hochverräther werurtheilte, wurde feiner Familie der Herzogstitel wieder eat⸗ 
zogen. — Thomas Howard, bes Vorigen ältefter Sohn, gerierh in der Schlacht bei Bosworch 
in die Hände Heinrich's VI. und erhielt erft nach dreifähriger Gefangenfchaft die Freiheit nebſt 
dem Titel eines Grafen von Surrey zurück, den er von Richard empfangen hatte. Durch feine 
Talente als Krieger wie ald Diplomat wußte er fich bald Achtung und Anſehen zu verfchaffen. 
Un der Spipe eines Heeres verwüftete er 1495 bie ſchott. Grenzen, wurde 1501 zum Lord» 
Schagmeifter ernannt und bethelligte fich ſeitdem wefentlich an ber auswärtigen Politik Heim 
rich's VII. Auch Heinrich VIII. ſchenkte ihm in der erfien Zeit feiner Regierung viel Bertrauen. 
Im 3.1513 übernahm er abermals ben Befehl gegen die Schotten und ſchlug diefe 9. Sept. 
in ber Schlacht bei Flodden, in der Jakob IV. umlam. Der König belohnte ihn, indem er ihm 
die Würde eines Herzogs von M. wieder verlieh. Nachbem er 1521 als Großſherif ben Schwie- 
gervater feines älteften Sohnes, den Herzog von Budingham, aufs Schaffor hatte befördern 
müffen, zog er fich auf das Schloß Framlingham zurüd, wo er 21. Mai 1524 flarb. — Tho⸗ 
mas Howard, bes Vorigen ältefter Sohn, erft Graf von Surrey, dann britter Herzog von 
N., wurde 1474 geboren. In der Schlacht von Flodden befehligte er unter feinem Vater mit 
Auszeichnung die Vorhut. Der Kardinal Wolfey ſchickte ihn 1524, um feinen Einfpruch gegen 
die Hinrichtung feines Schwiegervater& zu verhindern, als Lordlieutenant nach Irland, wo er 
mit geringen Mitteln durch weife Strenge bie Infurrection O'Neale's bampfte. Zum Rachtbeil 
von Irland mußte er fi 1522 an die Spige der Erpedition gegen Frankreich ftellen. Er lan- 
dete in der Bretagne, drang durch die Picardie bis elf Stunden von Paris vor, nahm aber bei 
Annäherung des Herzogs von Vendöme den Rüdzug. Nach ber Heimkehr erhielt ex an ber 
Stelle des Vaters das Lordſchatzmeiſteramt und zugleich den Befehl über ein Heer, mit dem er 
bie ſchott. Grenzen verwüſtete. Nachdem er ben Cardinal Wolfey, vor dem er fich früher ge- 
beugt, vom Staatsruder verbrängen geholfen, fliegen feine Macht und fein Anfehen gewaltig. 
Als eifriger Katholik verfuchte er alle Künfte der Diplomatie, um ben völligen Bruch mit dem 
Dapfte zu verhindern. Deffenumgeachtet umterflügte er Die Vermählung Heinrich's VIII. mit 
feiner Nichte, Anna Boleyn, fuchte derfelben aber aus Kräften zu ſchaden, als er bemerkte, baf 
fie die Reformation begünftigte. Mit dem Sturze Anna's nahm er offen Partei gegen fie. Als 
Dräfident der Berichtscommiffion fprach er ohne Zögern das Todesurtheil über fie aus. Beim 
Ausbruche ber Bath. Unruhen in den nördlichen Provinzen hatte er einen übeln Stand, indem 
er gegen feine Slaubentgenoffen zu Felde ziehen mußte. Es gelang ihm, Heinrich VILL. zu einer 
Umneftie zu vermögen. Als die Fanatiker aber 1537 Garlisle belagerten, überfiel er diefelben 
und ließ 70 Anführer ohne Proceß auffnüpfen. Die Aufftellung der ſecht Glaubensartikel, 
bie er betrieben hatte, ſowie die Bermählung des Königs mit feiner katholiſch gefinnten Nichte, 
Katharina Howard, der Tochter feines Bruders Lord Edmund Howard, verfchafften ihm Gele 
genheit, die Reformirten mit Feuer und Schwert zu verfolgen. Die Berurtbeilung ber Köni- 
gin, deren Schickſal faſt auch die Hinrichtung feiner Mutter, ber alten Herzogin von N., nad) 
ſich gezogen hätte, brachte ihn nicht um die Gunſt Heiunrich's VIH., dem er fich ſtets als gefälli- 


- 


Eorfolk (Geſchlecht) 285 


ges Werkzeug beivied. Im J. 1542 erhielt ex den Befehl, mit einem Deere in Schottland ein 
jufallen, und 1544 beteiligte ex ſich weſentlich an der Grpebition, die der König in Perſon ger 
gen Frankreich führte. Rad ber Nückkehr gelang es mehren Großen, bie er ſelbſt verfolgte oder 
die feine Macht und ‚feinen Einfluß bemeideten, ihn beim Könige zu verdächtigen. NR. wurde 
nach fo vielen Dienften und fo großen Beweifen von Grgebenheit 12..Der. 1546 plöglich mit 
feinem älteften Sohne, bem Grafen Surrey, unter ber Anſchuldigung in ben Tower geworfen, 
daß Beide die Abſicht gehegt, nach des Könige Tode die Dynaftie zu flürzen. Surrey, dem eine 
Jury ſchnell das Urtheil ſprach, beftieg ſchon nad} wenigen Tagen das Schafft, N. hingegen, 
beffen Procef das Oberhaus in aller Form führte, Hatte das Glück daß der König in der Nacht 
vor feiner Hinrichtung felbft mit Tode abging, worauf der Geheimrath das Bluturtheil fuspen- 
dirte. Inbef mußte N. die ganze Regierung Ednard's VI. hindurch im Tower ſchmachten; erſt 
unter Daria erhielt er Freiheit, Güter und Würden, fowie als entfchiedener Katholik ben voll⸗ 
fien Einfluß zurück. Er betrieb mit Eifer die Bermäblung der Königin Maria mit Philipp vom 
Spanien und unterbrüdte die Empsrung Wyat's nebſt andern Volksauffländen. Er flarb auf 
feinem Schloffe Kenninghall in Rorfolk 25. Aug. 1554. — Thomas Howard, vierter Ger 
zog von N., Sohn bes bingerichteten Grafen Surrey, wurbe 1536 geboren. Er ftand bei der 
Königin Elifaberh in großer Bunft, faßte aber, von feinen Freunden aufgemuntert, den Ent⸗ 
ſchluß, als Bewerber um bie Hanb ber gefangen gehaltenen Maria Stuart aufzutreten, und 
fieß fich deshalb nicht nur mit biefer, fondern auch mit dem Papſte, dem Könige von Spanien 
und bem Herzog von Alba in einen Briefwechfel ein, ber bie Befreiung ber Gefangenen be 
zweckte ſchott. Negenten Murray verrathen, wurde er vor eine Peercommiſſion geſtellt, 
"die ihn als Hochverräther zum Tode verurtheilte und aller Güter und Würden verluſtig erklaärte. 
Am 2 Juni 1572 beſtieg er auf Towerhill das Blutgerüft. Er war mit der Erbtochter bes 
Strafen Arundel, aus der uralten Famille ber Fitzalan, verheirarhet geweſen, weshalb fein ein⸗ 
siger Sohn, Philipp Howard, ba bie väterlichen Titel durch bie Achtserklärung verwirkt waren, 
fich Graf von Arunbel nannte. Auch diefer erlitt Bath. Umtriebe halber 1590 eine Anklage 
auf Hochverrath und flarb 1595 im Tower. Sein Sohn, Thomas Howarb, Graf von 
Arundel, erhielt 1603 von Jakob I. den Titel eines Grafen von Surrey und die Güter des 
Haufes zurüd, wozu 1621 noch die Großmarſchallswürde kam, und 1644 Heß er ſich auch zum 
Grafen. vonR. ernennen, bamit nicht diefer Rame einer andern Familie zu Theil werde. Er 
gehörte zu den wenigen Großen feiner Zeit, Die ſich durch Kunſtſinn auszeichneten. Er flark 
4. Det. 1646. Sein Enkel, Thomas Howard, ältefter Sohn Henry Frederid’s, Grafen von 
Arundel, Surrey und R., erhielt 1664 die Herzogswürde zurück, umb deſſen Bruder Henry 
ward 1672 aud) zum Großmarſchall ernannt. Doch blieb den Norfolks die öffentliche Kauf 
bahn verſchloſſen, weil ſich diefelben entfchieden bem Katholicismus zumendeten. Als die gerade 
Linie 20. 1777 mit Edward Howard, neuntem Herzog von R, erlofch, gingen Titel und 
Würden an Charles Howard, Nachkommen des vierten Sohns von Henry Frederic, über, der 
ebenfalls fireng katholiſch war und 31. Aug. 1786 ſtarb. — Der Sohn defielben, Charles 
Gowarb, feit 1777 Graf von Surrey, nach des Vaters Tode elfter Berzog von R., geb. 1742, 
fegte 1780 den kath. Glauben ab und erhielt damit das Recht, als Abgeordneter von Carlisle 
ins Unterhaus zu treten, wo er die Minifter North und Pitt mit Heftigkeit befämpfte. Im 
Oberhauſe fegte ex feine Oppoſition fort, genoß aber wegen feiner regeltofen Sitten nur geringen 
Unfebens. Er ftarb 16. Dec. 1815 ohne legitime Nachkommenſchaft und hinterließ die Güter 
und Würden einem entfernten Verwandten, dem von Bernard, fünftem Sohne Henry Frebe- 
rick e, ftammenden Bernard Edward Howard, geb. 1765. Derfelbe war der erfte kath. Peer, 
ber 1829 nad) ber Emancipationsbill feinen Sig im Dberhaufe einnahm. Er ftarb 16. März 
1843. Sein einziger Sohn, Henry Charles Howard, breigehnter und jegiger Herzog von®t., 
warb 12. Aug. 1791 geboren und vermählte ſich 27. Dec. 1814 mit einer Tochter ded Mar- 
quis von Stafford. Im 3. 1832 zum Parlamentöglieb für Weſtſuſſer erwählt, erhielt er 1835 
ben Poften eines Schagmeifters des koͤnigl. Hofftaats und wurde 1841 noch bei Kebzeiten feines 
Bater6 als Lord Maltravers zum Peer erhoben. Als treuer Anhänger ber Whigpartei ward 
er im Juli 1846 zum Oberftallimeifter ernannt. Den Eingriffen des päpftfichen Stuhls trat er 
mit Feſtigkeit entgegen, ſtimmte 1851 für die geiftliche Titelbill und fchloß ſich bald Darauf der 
proteft. Kirche an. Mit dem Sturze des Minifteriums Nuffel im Febr. 1852 trat auch er von 
feiner amtlichen Stellung aurüd, erhielt aber im Ian. 1853 unter Uberdeen bie hohe Charge 
eines Lord Stewarb (Dberhofmeifter). — Sein ältefter Sohn, Henry Granville Howard, 
früher Lord Flhalan, jegt Braf von Arundel und Surrey, geb. 7.Rov. 1815, war zuerf 


| 2 Normann⸗ Ehrenfels Rormannen 


Siege bei Azinceurt (4415) fie 1417—19 wieber eroberte; aber. ſchon unter feinem Sohne 

VL wurhe fie von Karl VL 1449 wieder für Frankreich gewonnen, bei bem fie ſeit 
dem verblieb. Liquet, „Histoire de la N.” (forgefegt von Depping, 2 Bbe, Par. 1835).. 
.. Rermann-Eprenfeld (Bil. Chriſtian, Graf von), ein durch Geiſt, Charakter, Kari 
niſſe und große Berdienfle.ausgezeichneter Maun, geb. 1756 zu Streſow in oe 
mern, ſtammte aud dem Haufe Tribbewig, einem altabeligen Geſchlecht auf der Inſel NRügen, 
wurbe 4768 Page an bem Hofe bes Herzogs Karl von Würteınberg zu Lubwigsiuft und wib⸗ 
mete ſich dann 1772-78 auf der Karlsafabemie zu Stuttgart ben Wiffenichaften. Im $ 
4778 teat er als Regierungsrath in.würtemberg. Dienfte, 1791 erhielt er das Praͤſidium bes 
Hofgericht und 1794 bie Hofrichterftelle. Im Herbſt 1799. organifirte er in ber Neckargegend 
die Volksbewaffnung gegen die Franzofen. Im folgenden Jahre wurbe er Geh. Rath und Vice⸗ 
präfident in der Regierung, 1801 Gefandter in Paris und im Dec. 1802 Staatsminiſter. In 
Regensburg wirkte er 1805 als würtemberg. Subbelegirter bei der Reichts deputation zu ber Er» 
teilung der Kurwürbe an Würtemberg mit. Der neue Kurfürft ernannte ihn zum Mitglieb 
bes 1803 neuerrichteten Staatsminiſteriums, gab ihm 17. Juni 1803 den Beinamen Ehren 
fels und erhob ihn 4806 in den Grafenfland. Seit 1812 in Ruheſtand verfegt, flarb er zu Tü- 
bingen 36. Mai 1817. — Bekannt ift fein zweiter Sohn, ‚Karl Friedr. Lebr., Graf von R., 
geb. zu Stuttgart 14. Sept. 1784. Aus Regung Golbat, war er 1799 in öfte., 1803 
in würtemberg. Dienfte getreten und in ben Feldzügen von 1806 und 1809 vom Rittmeifter 
zum Oberften aufgeftiegen. In dem ruff. Feldzuge von 1842 befehligte er das Reibchenaup 
legeröregiment und 1813 als General eine Brigade Reiterei, mit ber er bei Kigen unweit Leip⸗ 
“ ig während des Waffenſtillſtandes ben Hinterliftigen Angriff auf die Lützow'ſche Freiſchar un. 









ternabm. In be lacht bei Leipzig ging er 18. Det. mic feiner Brigade zu den Verbündeten 
unter ber Bedingifftg über, daß er bie Brigabe fogleich nad, Würtemberg zurädführen dürfe. 


Allein noch ehe er Würtemberg erreichte, erfuhr er, daß der König feine Beftrafung befchloffen 
babe. Er verließ daher bie Brigade und fuchte nun in Wien eine Anftellung, bie er aber nicht 
erhielt, weil man ihm den Überfall ber Lützow'ſchen Freiſchar nicht verzieh. Im J 1816 fand 
er zu Waldfee in Dberöftreich einen Zufluchtsort, wo er die Söhne bes Landgrafen Ernſt von 
Heffen-Philippsthal unterrichtete. Nach dem Tobe bes Königs Friedrich erhielt ex die Erlaub- 
niß zur Rückkehr in fein Vaterland und lebte dort, bis der Aufftand der Griechen ihn nach Mo⸗ 
rea 30g. Bier bildete er ein Bataillon Philhellenen und trat als Chef in ben Generalftab bes 
Fürften Maurokordatos, mit dem er nach Miffolonghi zog, wo er 24. Juni 1822 den Türken 
ein glüdliches Gefecht bei Kombotti lieferte. Ex fegte num den Gebirgskrieg fort, bis er fich nach 
Miffolonghi werfen mußte, wo er 3.Nov. 1822 einem Nervenfieber unterlag. Vgl. „Tage 
bücher aud dem Felbzuge der Würtemberger” (Ludwigsburg 1820); Bollmann, „Der Helle 
nen Freiheitskampf 1822” (Bern 1823). 

Normannen, d. i. Nordmannen, beißen im engern Sinne die Bewohner Norwegens, fe- 
wie die ber nad) ihnen benannten Rormandie. Im mweitern Sinne galt im Mittelalter der Name 
bald für die gefammte german. Bevölkerung Skandinaviens, bald, mit Ausſchluß der Schwe- 
den, nur für die Dänen und Norweger, und vorzüglich wurben bie kühnen Seeräuberfcharen, 
die von dorther eine Zeit lang einen Theil des übrigen Europa durch ihre Züge heimfuchten, 
von ben Deutfchen und Franzofen mit dem Namen Normannen belegt, während die Englänber 
fie gewöhnlich Dänen oder Oftmannen nennen. Auch ald Markmannen (von Dänemarf), als 
Askmannen (von ber Efche, d. i. dem Schiff) und ald Heiden werben fie bezeichnet. Die erfte 
Beranlaffung zu jenen Zügen, welche normannifche „Wilingar“, d. i. Krieger, mie fie ſelbſt ſich 
nannten, ımter Anführern, See⸗ ober Heerkönige geheißen, in Meinen Schiffen über ba6 Meer 
hin unternahmen, war wol Übervölterung und baher entflandene Noth im Vaterlande; dann 
aber lockte das abenteuervolle Kriegsleben felbft gewaltig, das noch bazu reiche Beute ober eine 
neue Heimat verfprach und in der heibnifchen Zeit, die im Skandinavien bis ums Ende des 
10. Jahrh. dauerte, felbft für Den, der den Tod fand, bie Ausſicht auf Kortbauer in Odiw's 
Walhalla eröffnete. Endlich trieb auch Unzufriedenheit mit dem immer größern Wachsthum 
der Macht der Oberkönige viele Stammhäuptlinge mit ihren Genoſſen zur Auswanderung. 

Am früheften, ſchon 787, erfchienen däniſche Normannen an ben öftlihen und füblichen 
. Küften Englands. Seit 832 wiederholten fich ihre Raubzüge, bei deren einem der In ber Sage 
gefeierte Ragnar Lodbrok Gefangenfchaft und graufamen Tod gefunden haben foll, faft alljähr- 
üb. Im J. 851 überwinterten fie zum erften male in dem Lande und feit 866 faßten fie feften 
Buß darin. Der angelfächf. Ethelted I. fiel 871 gegen fie. Sein Bruder Alfred (f. d) blieb 


Normannen W 


nach langem verzweifeltem Kampfe zwar Sieger, doch mußte er die Dänen unter feiner Ober⸗ 
herrfchaft im Befig von Nordhumbrien und Oftangeln, wo Gotrun das Ehriftenthum annahm, 
laſſen und hatte nicht nur einen Angriff, den 895 Hafting von Frankreich her machte, abzuweh⸗ 
ren, fondern auch, wie feine nächften Nachfolger, gegen Empörung dernormannifchen Eindring» 
finge zu fämpfen. Neue Einfälle von Dänemark und Norwegen her begannen erft 991 wieder. 
Konig Ethelred II. fuchte fie anfangs durch Zributzahlung, das Danegeld, abzumenden. Die 
Ermordung ber im Lande befindlichen Dänen auf Ethelred's U. Befehl 13. Nov. 1002 rächte 
durch vier furchtbar vermüftende Züge ber dän. König Swen, der endlich 1013 ganz England 
eroberte, aber fhon 1014 flarb. Sein Sohn, Knut (f. d.) d. Gr., hatte erft mit Ethelreb ſelbſt, 
dann mit deffen Sohne Edmund Jronfide zu Pänıpfen. Nach der Ermordung beffelben fand 
England unter dan. Herrichaft bis 1041. Hierauf folgte bis 1066 wieder angelfächf. Bert» 
[haft unter Edmund dem Bekenner, defien Rachfolger Graf Harald fich zwar durch den Sieg 
bei Stamfortbridge am Deventer, 26. Sept. 1066, bes norweg. Königs Harald Hardrade er. 
wehrte, aber fon 44. Det. bei Haſtings Reich und Leben gegen Wilhelm ben Eroberer, Herzog 
ber Normandie (f. d.), verlor, durch den die Herrſchaft der franz. normanniſchen Dynaftie über 
England begründet wurde. (S. Großbritannien.) Vgl. Thierry, „Histoire de la conquäte de 
l’Angleterre par les Normands” (4 Bde., Yar. 1828 und öfter). 

Dän. Normannen waren es auch vornehmlich, welche bie Küften des europ. weftlichen Feſt⸗ 
landes von der Elbe biß zur Garonnemündung und weiter beimfurhten. Schon 810 hatte ber 
bän. König Gottfried Friesland überfallen; boch wurden die Dänen damals noch durch Karls 
d. Gr. Kraft und Macht gebändigt. Bald nach feinem Tode aber, um 820, erneuerten fich ihre 
Züge und fie waren nun, begünftigt durch die Schwäche unb Zwietracht der Karolinger, das 
9, Jahrh. hindurch der Schrecken und bie Geißel des norbmeftlihen Deutfchland und Frank. 
reiche. Sie plünderten Hamburg mehre male, verheerten die Küften bes weftlichen Friesland, 
nahmen das füdweftliche Friesland bis zur Scheide in Befig umter fcheinbarer fränk. Oberherr» 
ſchaft und fepten fih 843 an der Loiremündung feſt. Bald aber begnügten fie fich nicht mehr 
mit ben Küften, fondern brangen in ihren Heinen Schiffen bie Flüffe aufwärts tief ind Innere 
des Landes, daß fie ringsum verheerten. &o fuhren fie feit 841 die Seine herauf, plünderten 
845 und öfter Paris und drangen 887 bis nach Burgund; fo 844 und 845 die Garonne auf 
wärts bis Touloufe; fo die Loire bis Tours, Orleans und 865 bis Fleury. Namentlich aber 
trafen im legten Viertel bed 9. Jahrh. ihre Verwüſtungen bas Land zwiſchen dem Rhein, ber 
Mofel, Maas, Schelde und Seine. Hier verbreiteten fie fi) von der Schelde aus 879 und in 
den folgenden Jahren. Lüttich, Tongern, Köln, Bonn, Aachen ımb andere Städte wurden von 
ihnen verbrannt. Eine Schar wurbe in der Picarbie vom weftfränt. König Ludwig III. geſchla⸗ 
gen; der größern Maſſe dagegen Faufte bei Asclo an ber Maas Karl ber Die ben Frieden mit 
Geld ab. Eine andere Schar z0g fühlich gegen Rheims, dann gegen Soiffon® und bedrängte 
887 Paris. Obmol bei einem neuen Einfall ein normannifches Heer durch ben tapfern deut» 
hen König Arnulf 891 an der Dyle bei Löwen aufgerieben warb, fo drangen boch ſchon 892 
wieder Rormannen bis Bonn und an bie Mofel vor; ja die Sage erzählt, daß Normannen bis 
in die Schweiz gekommen und ſich dort in Schwyz und dem Haslithal angefiedelt. Von Aqui⸗ 
tanien au® hatten fie 844 die galicifchen Kuften geplündert, waren dann In Andalufien gelandet, 
bei Sevilla aber von Abd-ur-Rahman gefchlagen worden. In ben 3.859 und 860 verheerten fie 
die Küften von Spanien und Afrika und die Balearen, fuhren auf der Rhoͤne bis Valence, wen⸗ 
deten fich gegen Stalien, wo fie Pifa und Luna verbrannten, und kehrten erſt von ben griech. Kü⸗ 
ften ber zurück. 

Ohne Zweifel nahmen auch normwegifche Normannen an ben Zügen ber bänifchen Theil. 
Eigene Fahrten unternahmen fie fchon im Anfange des 9. Jahrh. nach dem nörblichen Irlanb, 
nach Schottland, nach den Shetlandsinfeln, ben Orkneys und Hebriben, und als die Ausbrei- 
tung ber Herrſchaft Harald Haarfager's über Norwegen um 880 größere Auszüge Unzufriede⸗ 
ner aus dem Vaterlande veranlaßte, wurden diefe Infeln Sige normannifcher Wikinger. In 
diefe Zeit fallen auch die Niederlaffungen norweg. Normannen auf den Faröern umd namentlich 
auf Island (f. d.), von mo auch Grönland (f. d.) normannifche Bewohner erhielt und das nord⸗ 
öftliche Amerika, das fie Winland (f. d.) nannten, entdeckt wurde. Don Norwegen aus ging 
auch der legte Zug an bie franz. Küfte, den Rollo oder Rolf, von Harald wegen Seeraubs an 
ber heimatlichen verbannt, unternahm. Er zwang Karl ben Einfältigen 912, ihm das Land an 
der Seine von ber Epte und Eure bis zum Meere abzutreten, wo ſich [don unter Karl bem Kah⸗ 


Gons.sEez. Achute Aufl. XL | 


290 Rormannifche Infeln 


Ien Rormannen feftgefegt hatten und das nun den Ramen Normandie (f. d.) erhielt. Die mit 
Rollo (Robert) eingemanderten Normannen nahmen, wie er, das Chriſtenthum und fehr bald 
auch von der unterworfenen Maffe der Bevdiferung die roman. Sprache an, die durch fie ſchon 
4066 nach England, das fie eroberten, getragen wurde. Die Normandie war es fodann vorzüg- 
lich, wo in 12. Jahrh. die nordfrang. Poefie fich entwidelte. (&. Franzöfifche Literatur.) Es 
blieb den Normannen aber die alte Luft zu abenteuerifcher Kriegsfahrt, ımd fo zogen im Laufe 
des 11. Jahrh. viele Edle mit ihrem Gefolge von der Normandie nach dem füdlichen Italien, 
wo die Streitigkeiten der einheimifchen Fürften, der Griechen und der Araber Kampf und reir 
hen Lohn verhiefen. Einer von den zehn Söhnen bes normannifchen Grafen Zancred von 

auteville, die dahin gegangen waren, Robert Guiscarb, wurde zulegt von den Seinen als 
Saure anerkannt, von Papſt Nikolaus II. als Herzog von Apulien und Ealabrien 1059 beftä- 
tigt und war 1071 Heer von ganz Unteritalien. Sicilien eroberte fein Bruder und Lehnsmann 
Noger von 1060-89. Beide Länder vereinte Roger II. von Sicilien 1127; aber fhon ımter 
feinem Entel Wilhelm IL. erlofch Hier das normannifche Haus. Der Hohenſtaufe Beinrich VI. 
fegte die Anſprüche, die er als Gemahl ber normannifhen Prinzeſſin Conſtantia auf das 
Land machte, gegen den normannifchen Zancreb und deffen Sohn Wilhelm mit Gewalt durch. 

Die öftlichen Küften des Baltifchen Meeres wurden, wie die füdlichen, zwar auch von bän. 
Rormannen befahren, vorzugsweife gingen aber dahin, und zwar befonders an die Turifchen, 
efthnifchen und finnifhen Küften, fchon im Anfange des 9. Jahrh. Züge ſchwediſcher Norman- 
nen, die im Weſten nicht erfcheinen. Sie wurden, nach bes ruff. Annaliften Neftor Erzählung, 
von ben flaw. und finnifchen Bewohnern des Landes um Nowgorod, mo fie fich niedergelaffen, 
vertrieben, bald aber von denſelben zurüdgerufen, um bie Herrfchaft wieder zu übernehmen. 
Hierauf famen 862 mit andern Wäringern oder Warägern (f d.), wie diefe Krieger hier bei- 
fen, von dem Stamme der „Ro8” (daher Ruffen) aus Schweden drei Brüber, Rurik, Sineus 
und Trumor, deren erfterer das Reich von Nowgotod gründete, das fich nach Norden bis zum 
Weißen Meer erftredite. Sein Nachfolger Dieg vereinte Damit das Reich, das andere Norman⸗ 
nen um Kiew gegründet hatten, welche Stadt nun der Sig des durch ihn und Rurik's Sohn 
fehr erweiterten ruff.-normannifchen Reich& wurde. Range Zeit waren biefe Rormannen, die, 
wie es fcheint, im 10. Zahrh. mit ihren Unterthanen zum flawifch redenden Volke der Ruſſen 
verfchmolzen, gefährliche Feinde des byzant. Reiche, deſſen Küften fie vom Schwarzen Meere 
her befuhren und deſſen Hauptſtadt Ronftantinopel fie feit 865 öfter bedrängten. So nament- 
lich unter Igor 941 mit mehr als 1000 Schiffen; fa im Anfange bes 10. Jahrh. befuhren fie 
fogar das Kaspifche Meer und drangen in deffen füdöftliche Küftenländer ein. Theile von ihnen, 
theild aus Skandinavien felbft famen die Söldner, welche vom Ende des 9. bis ind 12. Jahrh. 
bauptfächlich die Leibwache der byzant. Kaifer unter dem Namen Baranger bildeten. Vgl. Dep: 
. Ping, „Histoire des expe&dilions marilimes des Normands et de leur &lablissement en France 
au 10M® siecle” (2 Bde. ; 2. Aufl., 1843 ; deutfch, Hamb. 1829); Wheaton, „History of the 
Northmen from the earliest times to the conquest of England” (Xond. 1831) ; Worfune, 
„Minder om de Danſte og Normändene i England, Skotland og Irland“ (Kopenh. 1851 ; 
deutfch von Meißner, Lpz. 1852). 

Rormannifche Infeln, bei den Engländern Channel Islands (franz. Nes Nor- 
mandes), eine brit. Infelgruppe, die im Kanal (Ra Manche) in dem von der ehemaligen Nor- 
mandie umd Bretagne begrenzten Meerbufen liegen und der einzige Überreft ber Befigungen 
find, welche einft die Könige von England ald Herren der Normandie an der Küfte von 
Frankreich befaßen. Die Gruppe befteht aus den beiden Hauptinfeln Jerſey und Guernfey, 
aus Alderney, Serk, einigen fehr Heinen Felseilanden, wie Herm, Jethou u. ſ. w, und aus 
vielen Klippen, welche nebft der ftarfen Brandung die Zugänglichkeit erfchweren. Eie haben 
zufammen ein Areal von 5—6 AM. und zählten 1851 90800 €. Die Infeln find un⸗ 
geachtet ihre® Granitbodens bei dem überaus milden, dabei gefunden oceanifhen Klima 
ergiebig an Getreide, Gemüfe und befonders an Obſt, welches nebft dem daraus bercite- 
ten Cider und Perry fogar einen Hauptausfuhrartikel bildet. Nächftdem ift ein wichtiger Er- 
werbszweig die Viehzucht, namentlich einer Art fehr Eleinen, aber mildreihen Nindvicht, 
der Alderney-Race. Andere Erwerbszweige bieten Fifcherei und Aufternfang, Schiffahrt und 
Handel mittels einer beträchtlichen Marine. Wie gegenwärtig Afyl vieler politifchen Flücht⸗ 
linge Frankreichs, waren bie Infeln während der franz. Revolutionskriege und der Napoleon’ 
fen Eontinentalfperre Hauptniederlagsorte für ben Schleichhandel nad) Frankreich, und zu- 
glei) befanden fich auf ihnen große Kriegemagazine. Die Dampfſchiffahrt Hat.die Infeln Eng- 


Nornen Norrköping E 


ch näher gerückt und ihnen rückſichtlich des Verkehrs noch mehr Wichtigkeit verlichen. 
—* ſprechen einen Dialekt der —æe Sprache, ae aber auch Eng⸗ 
d Franzoſiſch und bekennen ſich zur ref. Kirche. Obgleich die Inſeln unter der Herrſchaft 
me Englands ſtehen, gehören ſie doch nicht zum Reiche (realm) und haben an der engl. 
ſung keinen Theil. Dagegen ſind ſie aller Vorrechte der Engländer theilhaftig und be⸗ 
ußerdem viele beſondere Privilegien, fogar vollkommene Zoll- und Abgabenfreiheit. Sie 
ine eigene, der engl. ähnliche Verfaſſung, einen Gerichtshof und eine Ständeverſamm⸗ 
te aus den Richtern, den Pfarrern (beide find Mitglieder auf Lebenszeit) und auf drei 
ewählten Connetables ober Abgeordneten beficht. An ber Spige der Verwaltung fich 
uverneur. Die zwei Hauptinfeln find wahre Miniaturbilder von England ſelbſt, mit treff- 
tandftraßen. — Jerſey, die ſüdlichſte und größte der Infeln, etwa 3 AM. groß, durch Ra- 

> Kunft befeftigt, Hat fruchtbaren, über Granit Iagernden Boden, gleicht einem großen 
rten und zählt mit den nächften Heinen Eilanden 57155 €, Die Infel befigt, ohne die 
fahrer und Boote, 346 Segelfchiffe von 32277 Kommen Gehalt und unterhält einen groß⸗ 
Verkehr mit allen brit. Ländern wie mit bem Auslande. St. Helier, ihre Hauptſtadt, ſo⸗ 

: Daupthafen und Sig bed Gouverneurs, Tiegt an der Sübküfte, an ber Bucht von St. 

‚ zahlt 20000 E. und Hat geräumige Dods, ſowie einen 1851 auf Koften ber brit. Re- 

) begormenen großen Sicherheitshafen. Auch das benachbarte St.Aubin an ber gleich- 

a Bucht Hat einen ſchönen Hafen. — Buernfey (franz. Grenesey ober Guernesey), 
filih von Jerſey, etwa 2'/, LM. groß, ringe von fteilen Felſen umgürtet, außerdem durch 

He Befefligungen vor jedem Angriff gefichert, bietet Im Imnern lieblichen Wechſel von 

t, faft immer grünen Wieſen und Grasweiden und forgfam gepflegten Obftgärten bar 
hlt mit den Nachbareilanden 33645 E. Ende 1850 befaß die Infel 141 Segelſchiffe 
496 Tonnen Gehalt. Die einzige Stadt IE &t.-Pierre oder Peter’s Port mit etwa 
E. und einen durch zwei Steindämme eingefaßten Hafen, der durch die kleine Feſtung 
Caſfile vertheidigt wird. — Alderney (franz. Aurigay), die nördlichfte der Infeln, eben- 

om Wellen und Klippen umfchloffen umd von folchen auch im Innern bedeckt, erzeugt 
ol den Bedarf feiner A000 E. Das gleichnamige Städtchen mit feinem durch ein Fort 

a Hafen enthält den größern Shell der Bevölkerung. 

enen find die Parzen der nordifchen Mythologie. Das Schickſal wurde von ben fen 
ingig gerad und nach dem Schluffe deſſelben Fnüpften die Normen den Lebensfaben ber 
ven. waren drei Jungfrauen, mit Ramen Urd, Verdandi, Skuld, d. i. Bergangenheit, 
wars und Zukunft. Sie faßen am Urdarbrunnen unter dem Weltbaum Yagbrafil und 
nten von bier aus, die Welt nach ihren unveränberlichen Geſetzen lenkend, das Schickſal 
erMenfchen als auch ber Götter. Außer diefen drei großen Nornen vom Böttergefchlecht 

auch andere, die von Alfen und Zwergen flammten und binfichtlich ihrer Gemüchtart 

es Verhaltens gegen die Menfchen in gute und böfe fich ſchieden. Auch unter den Wal 
f.d.) find öfters Nornen zu verftehen. Ebenſo werben weiffagende Frauen vom Men- ' 
fchlechte, die der Zauberei mächtig waren, Nornen genannt. 

roña (Don Baspar Maria de Nava Alvarez be Norofia, Conde de), fpan. Dichter, geb. 
1760 zu Caſtellon de Ia Plan, trat zeitig in die fpan. Armee und flieg im Kriege gegen 

3. Republik bis zum Generallieutenant. Nach Abſchluß des Friedens von 1795 trat er 
ner berühmt gewordenen Ode auf dieſes Ereignif auf, nachdem er auch während bes 
fi ſtets mit poetifchen Arbeiten befchaftigt und namentlich den Tod des an feiner Seite 
braltar gefallenen Oberſten und Dichters Cadalſo (f. d.) in einer Ode und einer Elegie 

a ar Später ergriff er bie biplomatifche n, wurbe Gefandter in Bern und 

ı burg, welchen legtern Poften er jedoch nach Anerkennung Napoleon's durch den 
Hlegander verließ. Er ging nun nach Cadiz und erhielt daſelbſt durd die Eentraljunta 
sverneurftelle. Im Befreiungskriege commanbirte er eine Abtheilung bes Nationalheers 
icien. Nach der Reftauration kehrte er nach Madrid zurück, wo er 1816 flard. Man 
ihm „Poesias” (2 Bde, Madr. 1799—1800), eine Sammlung feiner lyriſchen Ge⸗ 
vebft dem philofophifchen Gebicht „La muerte” und dem heroifch-Tomifchen „La Qui- 
ferner „La Ommiada”, ein epiſches Gedicht (2 Bde, Mabr.1816) und „Poesias asia- 
oriental Gedichte ind Spaniſche überfegt (Par. 1833). Seine Igrifchen Gedichte zeich⸗ 
durch einfache Natürlichkeit und einen fließenden Versbau aus. 2 
erksping, eine Stapelſiadt und her bedeutendfle Ort in dem Eintöping-Län ber ſchwed 





7) g Korte North 
Landſchaft Oftgethland, an dem Ausfluß bes Bier mit ſchönen Brüden überfpannten Motala- 
fieomg in den Braͤviken, hat reigende Umgebungen. Nach mehren großen Feueröbrünften (zu- 
fegt 1822) ift fie jegt Freundlich bergeftellt, aber ohne anfehnliche Gebäude. Bon den drei Kir 
en zeichnet fi die St.Olofskirche durch prächtige Orgel und ihr Altargemälde aus. Auch 
bat die Stadt ein mufterhaft eingerichtetes Zuchthaus. N. gilt für die größte Fabrikſtadt Schwe⸗ 
dene, bat 12000 E., viele Zuchmanufacturen, mechanifche Werkſtätten, Zuderfiedereien, 
Stärke, Tabacks⸗ Strumpfs, Lad» und Geifenfabriten, Olmühlen, Schiffeöwerfte und bedeu- 
tenden Handel. Ganz nahe vor der Stadt, Länge dem Motalaftrom, liegt ber berühmte Befunds- 
Dbrunnen Himmelstaland. Bon dem ehemaligen großen und weitberühmten Schloſſe Johan: 
nisborg, dicht bei der Stadt, iſt nur noch eing unbedeutende Ruine übrig. Im J. 1719 wurbe 
R, von den Ruſſen zerftört. Geſchichtlich merkwürdig iſt der Morrköpinger Erbvertrag von 
1604, in dem Karl IX. die Krone erhielt und Guſtav Adolf als Thronfolger defignirt wurde. 
Korte (Rio del), auch Rio Bravo dei Norte oder Rio Grande bei Morte, einer der 
größten Flüſſe Nordamerikas, inshefondere ber Vereinigten Staaten umb des Baſſins bes Golfs 
von Mezico, gehörte früher ganz dem merican. Gebiete, bildet aber ſeit 1848 größtentheils 
die Grenze zroifchen beiden Staatögebieten. Er macht eine Ausnahme von den übrigen gro 
fen Strömen der Neuen Belt, indem er nicht einen verhaͤltnißmaͤßig kurzen Ober- und fehr lan⸗ 
gen Unterlauf bat, fondern umgekehrt feine fehr Iange Strombahn dem bei weitem größten Theile 
nad) dem Hochlande angehört, indem er das ausgebehntefte Längenthal des Gorbillerenfofteme 
durchfließt. Der Strom entfpringt in Neumerico (f. d.), deſſen Hauptfluß er ift, in bem Gebirge, 
welches die Waſſerſcheide des Arlantifchen und des Stillen Dcean und ben 9 zwiſchen 
den mezican. Eentralcordilleren und dem Zelfengebirge bildet, und zwar zwifchen 38 uflb 30° 
n. Br. Bon 6—8000 $. hoben Bergen eingefchloffen, befigt fein That in Neumexico, wo er 
finds den Rio de Chamos, Rio de Sta.-Clara und de Belen aufnimmt, ein ſehr ſtarkes Ge⸗ 
fälle und eine durchfchnittliche Breite von 4% M. Bei Taos oberhalb Santa⸗Fe durch 
bricht er eine fchauerliche Steilſchlucht. Bel Pafo bei Norte verläßt er Neumerico, verän- 
dert feinen biöher füdltchen in einen füböftlichen Lauf, bildet von bort an bis zu feiner Mündung 
die Grenze zwifchen Texas und den merican. Staaten Chihuahua, Coahuila und Tamaulipas, 
und nachdem er links den Rio Pecos oder Rio de Puercos und Rio be Altar, rechts den Rio 
San⸗Pablo oder Conchas, Salado, Alamo oder Sabinas und den San⸗Juan aufgenommen, 
ergießt er fich in einer wüften Gegend unterhalb Reynofa und Matamoras in mehren Armen 
in den bier von Sandbarren begrenzten Golf von Merico. Seine ganze Stromlänge wird 
auf 434 M. angegeben, fein Gebiet auf nur 12300 AM., was fich aus dem Mangel bedeu- 
tender, ſüdwärts weit ausgezweigter Nebenflüffe erflärt. Sm Ganzen ift er zu feicht, zu reich 
an veränderlichen Zriebfandbänken und Sandbarren, als daß er für die Schiffahrt Bedeu⸗ 
. tung erlangen könnte. 
North (Frederick, Lord), Graf von Guilford, brit. Staatöminifter unter Georg III. wurbe 
"43. April 1733 geboren. Er fludirte zu Oxford, erwarb fi Sprachkenntniſſe auf einer drei 
jährigen Reife auf dem Feſtlande und trat 1754 ins Unterhaus, wo er nicht ohne Gewandtheit 
das Intereffe ber Regierung vertheidigte. Schon 1759 erhielt er eine Stelle im Schagmeifter- 
amte, die ihm aber 1765 mit Eintritt des Minifteriumd Rodingham verloren ging. Als einem 
Haupt der Oppofition verlieh ihm das Minifterium Graften 1766 das Amt eines Zahlmeifters 
der Armee, und als 1767 Lord Townshend mit Tode abging, folgteer bemfelben fogar als Lord⸗ 
fhagfanzler. Bei der Auflofung des Eabinets im San. 1770 übernahm N. aus Ergebenheit 
für den König das Staatsruder, das ex durch Beharrlichkeit wie durch Nachgiebigkeit 13 3. 
hindurch zu behaupten wußte. Die erften Schritte feiner Verwaltung waren fehr populär. Er 
Iinderte das Schickſal Irlands, unterwarf die gerrüttete Oftindifche Compagnie der Oberaufficht 
ber Krone, teformirte die Verfaffung Canadas und Tief, um die Händel mit den amerif. Golonien 
beizulegen, alle Golonialzölle mit Ausnahme des Theezolls fallen. Die Hartnädigkeit, womit 
N. unter dem Einfluffe Georg's III. diefen leptern Zoll beibehielt, führte Indeffen bald von bei⸗ 
den Seiten zu Mafregeln, welche den Kampf der amerif. Eolonien mit bem Mutterlande und 
bie Unabhängigkeitserflärung ber Vereinigten Staaten zur Folge hatten. N. bewies fich in die 
fer verhängnigvollen Epoche weniger als tiefblidender, wol aber als gefchidter, dem Hofe erges 
bener Staatsmann. Während er ımter maßloſen Schwierigkeiten einen unglüdlichen Kampf 
gegen die Kolonien und die Seemächte fortfegte, mußte er zugleich feine Politik gegen die von 
den beiden Pitts, Bor, Burke, Norfolk umd andern glänzenden Geiftern geleitete parlamenta- 
riſche Oppofition vertheidigen. Endlich, nachdem alle Mittel erſchöpft waren und die Majorität 


Northampton . Rorthumberland (Sufſchaft) 0) 


des Unterhaufes fernere Bewil ıgen verweigert hatte, legte er 19. März 1782 feine Wer» 
waltung nieder. Da er troß des Haffes, mit dem feine Politil beladen war, keine perfonlichen 
Beinde befaß, fo vereinigte ſich Bor (f. d.) mit ipm im April 1783. Aus diefer Verbindung 
19 das fogenannte Minifterium der Talente hervor, in welhem N. das Departement bes 
Innern übernahm. Schon 18. Der. 1785 mußte ſedoch diefe berühmte Goalition einer neuen 
von Pitt (f. d.) geleiteten Verwaltung weichen. N. verflärkte nun die Reihen der Oppofition, 
um feinen unverföhnlichen, aber gewaitigen Nebenbubler zu ſtürzen. WBieool phyſijch aufge 
rieben md allmälig erblindend, erſchien er noch oft auf dem Rednerflubl und erhob nam. 
feine Stimme 1787 gegen die Aufhebung des Tefteides und 1789 in den Verhandlungen über 
die Regentfchaft. Nach dem Tode ſeines Bates gelangte ex 1790 zur Peersiwürbe und hiermit 
ins Oberhaus. Er flarb 5. Yug. 1792. Pol. „A view of the history of Great Britain during 
the administration of Lord N.” (2ond. 1782); „Histoire de l'’administraion de Lord N.‘ 
@ Ft 179). - Befer 9 
rthampton, eine ber mittlern Graffchaften Englands, umgrenzt von ut · 
land, Lincoln, Cambridge, Huntingdon, Bedford, Buckingham, Drford umb —S ein 
Areal von 48 QM. wovon 42% auf Culturiand kommen und zählt 218784 E. Died! e 
bietet eine wellenförmige, von wohlbewäfferten Thãlern durchzogene Ebene dar; nur im 
und Süden gun größere Hügelreihen. Die wichtigften Fluͤſſe find die Dufe im Süden, der 
Ren in dee Mitte und im Dften, der Welland Im Norden. Der Grand-Sunctionkanal, der nach 
ber Themſe führt, nimmt bei Braunfton feinen Anfang und durchbricht N.s Högelkette in 
einem 9168 8. Langen Tunnel bei Blisworth. Die Haupterwerbögweige find Rindvieh · und 
beſonders Schafzucht; doch wird auch viel Getreide gebaut. Große Fabriken fehlen, weil e8 an 
Holz und Steinkohlen gebricht. Die Hauptftabt Rorthampton, ein Borough, liegt am nörd- 
Nnchen Ufer des Nen, it nach mehren Feuersbrünſten In regelmäßigen Strafen faft ganz aus 
bftein gebaut und hat einen der fchönften Marktpläge in Ensfand, vier Kirchen und 
ein Theater, Mit ihrem Difkrict zählt die Etadt 33858 E, deren Hauptgewerbe Wollmanu- 
factur, öppelei und Schuhmiacherarbeiten bilden. N. ift überdieb der Centralpunkt des 
Holz und handels In ber Graffchaft umd des Verkehrs zwiſchen London und dem nörd- 
chen England, auch als Hauptmarki für Bupuspferbe und buch bie Wettrennen auf dem Pye 
befonnt. Peterborsugh am Ren, als Bifchoffig eine und ein alter Ort, zähle 
€. (Im Diftrict 28966), die theils Handel niit Getreide, Malz, Steinfohlen und 
en, theils mit Wollenzeugweberei, triderei und Gpigentföppelei ſich befpäftigen. 
iſt der Drt wegen feines fm goth.snormann. Stile erbauten Doms, ber das Grab ber 
Stuart enthält. In einiger Entfernung finden ſich die Refte der Burg Fotheriughay, 
v Ricyard III. geboren, Maria Stuart ihre legten Tage verlebte und enthauptet ward. Da- 
ventey, nahe den Quellen des Ren und Avon, gilt für den Gentralpunft des engl. Pferdehan · 
dei6, Hat viele Peitſchen · und Geidenftrumpffabriten und gäplt mit feinem Diftrict 21925 
Rortfumberland, eine von den nerdüchen Seaflan Englands, genannt nad’ dem 
Fluffe Humber, auf deffen Rordſeite fie liegt, zählt auf 88%. OM., wovon 59 auf Felder und 
Beiden kommen, 303535 €. und wird von berRorbfee, Durham, Eumberland und den ſchott. 
Grafigaften Berwit und Rorburgh begrenzt. Sie iſt die usrdlichſte engl. Graffchaft und 
Hlbet den größten Theil der Grenze gegen Schottland. Der Boden, theils wellenförmig eben, 
eils gebirgig, iſt befonders im Süden fleinig und mager, liefert aber hier in reichem Maße 
auch Eifen- und Bleierz. Nähft dem höchft wichtigen Bergbau, verbunden mis 
von Hoböfen, Kupferwerken, Glashütten, Bleimeißfabrien, befchäftigen ſich die 
vorzäglid mit au, ber großartigen Ausfuhr von Steinkohlen, befonders 
nach Senden und vielen andern Häfen; ferner mit Vichzucht und Bifcherel, weniger mit Adere 
bau der yermöge ber Befchaffenbeit bed Bodens nicht ſehr ergiebig Ift. Das Kllma iftgemäfigt, 
dach befonbers toegen bed Talten bieten Nebels, Sea-Froet, der häufig aus bem Meere aufflgigt, 
del rauher als in den Übrigen Theilen Englands. Neben einer Menge von Moräften und 
Shinipfen find Kpne und Xiverd bie Hauptflüffe. Die Hauptfladt ift Nerocaftle (f. d.). Andere 
Bemertenswerthe Drtfäpaften find: Chield6 (f. d.) mit Tynemouth ; Berwick (1.d.); Derbem, 
am Zufammenftuß bes Dertolb mit dem Tyne, früher Bifhoffig, mit iprem Diftciet 50436 fehr 
gemwerbrhätige CE. yählend, ıerfwürbig aio öftäicher Enbpunft des Pictenwalls, ſowle durch) ihre 
—— — BR: m am ln, jept bie —ãAãai, he 
iftricte sählend, und Stamm von R.; ferner 
Deore mie Didgrihto mb Granit Ss Ehe ni bemmeaben Einen. 


Ine 


304 Rorthumberland Grafen und Herzogstitel) 


Northumberland iſt der Grafen und Herzogstitel mehrer berühmter Geſchlechter Eng⸗ 
lands. Beſonders knüpft ſich dieſer Name an das alte Geſchlecht der Percy, die mit Wilhelm 
dem Eroberer nach England kamen, weite Ländereien in den Grafſchaften Vork und Lincoln 
erhielten und im Mittelalter die blutigen Schlachten zwiſchen den Engländern und Schotten 
ſchlagen halfen. — William de Percy, der in ber erften Hälfte des 12. Jahrh. lebte, hinterließ 

wei Töchter, von bemen die ältefte kinderlos ſtarb, die jüngfte aber mit Zoscelin von Hennegau, 
ruder der Gemahlin König Heinrich’ 1., vermählt war, der ihren Familiennamen Percy an⸗ 
nahm. DeffenSohn, Richard de Percy, war einer der 25 Barone, welche zu Hütern der durch 
die Magna Charta ertheilten Privilegien eingefegt wurden. — Der gewaltige Heury, Lord 
Perey, wurde 16. Juli 1377 zum Grafen von N. erhoben. Als Anhänger des Haufes Lan- 
cafter unterftügte er die Thronufurpation Heinrich's IV. Wiewol er dafür die Würde eines 
Gonnetable und bedeutende Güter erhielt, glaubte er fich doc) nicht hinreichend belohnt. Als 
überdies Heinrich IV. die Herausgabe mehrer ſchott. Herren verlangte, bie N. im Treffen bei 
Homildon gefangen genommen und von-benen er ein reiches Röfegeld hoffte, brach die Feind⸗ 
haft zwiſchen dem König und dem mächtigen Vaſallen offen hervor. N. verband ſich mit ſei⸗ 
nem füngern Bruder, Thom. Percy, Grafen von Worcefter, mit Owen Glendower von Wales, 
mit dem fchott. Lord Douglas, dem er die Freiheit gab, und rüftete ein Heer, um ben König zu 
flürzen. Da er jedoch in eine ſchwere Krankheit verfiel, übernahm fein Sohn Henry be Percy, 
der feiner kriegeriſchen Hige und Kühnheit wegen den Namen Hotfpur, d. i. Heißfporn, führte, 
den Oberbefehl und rüdte nach Shrewsbury. Hier begann 21. Juli 1403 die berühmte, blu⸗ 
tige Schlacht, in welcher nur der Tod Hotſpur's den Sieg für ben König entfchieb. Die Blüte 
bes Adels und 6000 Streiter blieben auf dem Schlachtfelde. Der alte N. verföhnte fich zwar 
mit Heinrich IV. (f. d.), trat aber zwei Jahre fpäter in das Complot des Erzbiſchofs Richard 
Scrope von York, welches die Thronerhebung des Grafen March, Edmund Mortimer, ber von 
weiblicher Seite dem Haufe York angehörte, beswedte. Der König mußte ſich aber mehrer 
Verſchworenen durch Liſt zu bemächtigen, ſodaß RR, um dem Schaffot zu entgehen, nach Schotte 
land, von danach Wales entfloh. Bei einem Einfall auf das engl. Gebiet wurde er 29. Febr. 
1408 erſchlagen. — Der Sohn Henry de P.'s, Henry, zweiter Graf von N., fiel fürdie Sache bes 
Haufes Rancafter 23. Mai 1455 im Treffen bei St.-Albans ; ber Enkel, Henry, dritter Graf 
don N., 29. März 1461 bei Tomwton. Hierauf ertheilte Eduard IV., nachdem er fich bed Throns 
bemächtigt, dem John Neville, Lord Montagu, Bruder des berühmten Warwid (f. d.), die 
Würde eines Grafen von N., gab fie jedoch ſchon 1464 dem Sohne des legten Percy, Henry, 
zurück. Diefer genoß unter Heinrich VII. großen Anſehens, wurde aber 28. April 1489 in 
einem Volfsaufftand erfchlagen. Sein Enkel, Henry Algernon, fehster Graf von R., war 
mit Anna Boleyn verfprochen, mußte jedoch ihrer Hand entfagen und die Tochter des Grafen 
von Shrewsbury heirathen. Er ftarb ohne Nachkommen, und ba fein Bruder, Thomas Percy, 
durch feine Theilnahme an dem Aufftande der Katholiken 1536 das Erbfolgerecht für feinen 
Familienzweig verfcherzt hatte, fo fielen Güter und Würden der Familie an die Krone zurück. 
Der unter Eduard VI. allmächtige John Dudley, Graf von Warwid, eignete fich die Beſitz⸗ 
thümer der Percy nebft dem Titel eines Herzogs von N. zu. (S. Dudley.) Nach feiner Ent- 
bauptung erhob die Königin Maria den Sohn des hingerichteten Thomas Percy, Thomas, 
1557 wieder zum Lord Percy und Grafen von. Auch biefer fiebente Graf mußte indeß unter 
ber Königin Elifaberh als kath. Verſchwörer 22. Aug. 1572 zu York das Schaffot befteigen. 
Seinen Bruder Henry, achten Graf von R., fand man als Gefangenen im Tower 21. Juni 
1585 in feinem Bette ermorbet. Deffen Sohn, Henry, neunter Graf von N., warb der Theile 
nahme an der Pulververfchwörung beſchuldigt und faß gleichfalls Jange Zeit im Tower. Er 
ftarb 5. Nov. 1632, fein Sohn Algernon, zehnter Graf von N., der von Karl I. zum Grof- 
abmiral ernannt worden, aber fich dennoch in der erften Zeit bed Bürgerkriegs gegen den Hof 
erflärte, 13. Oct. 1668. Mit Joscelin Percy, elftem Grafen von, erlofch 21.Mai 1670 der 
männliche Stamm ber Familie. Karl IL verlieh nım feinem natürlichen Sohn von ber Herzogin 
von Cleveland, George Fitzroy, 1674 den Zitel eines Herzogs von N., der aber 1716 ohne 
Nachkommenſchaft ftarb. — Die Erbin bes legten Grafen von N. aus der Familie Percy hatte 
fich mit Edward Seymour, Herzog von Somerfet, vermählt und ihr Sohn, Algernon @eymout, 
erhielt 1722 den Zitel eines Lord Percy und 1749 den eines Grafen von N., welche nad) fei« 
nem Tode 2. Febr. 1750 auf feinen Schwiegerfohn, Sir Hugh Smithfon, einen Baronet aus 
Yorkſhire, übergingen, der fich in Kolge beffen Percy nannte. Durch die großen Befigungen 
dieſes Hauſes, forte durch fein eigenes nicht unbebeutendes Dermögen einer ber reichiten 


Norton Rorwegen 205 


Magnaten Englands, ward er 22. Det. 1766 zum Herzog von N. erhoben und flarb 1786. — 
Sein ältefter Sohn, Hugh Percy, zweiter Herzog von R., geb. 1742, zeichnete fich als Ge- 
neral im Ameritanifchen Kriege aus und war fpäter Chef der Gardegrenadiere. — Nach fel- 
nem Zode, 10. Juli 1817, folgte ihm zunächft fein ältefter Sohn, Hugh, geb. 20. April 1785, 
ald dritter Herzog von R. Er wurde 1825 als Borfchafter zur Krönung Karl's X. nad 
Rheims gefandt und war vom März 1829 bis Nov. 1830 Lordlieutenant von Irland. Seine 
Gattin, Tochter des Grafen von Powis, war Gouvernante ber Königin Victoria. Er ftarb 
Tinderlos 12. Febr. 1847, worauf Titel und Güter feinem Bruder, Algernon Percy, als 
viertem Herzog von R. zuficlen. Am 15. Dec. 1792 geboren, war diefer ſchon im 13. J. als 
Freiwilliger in die Marine eingetreten, in der er nicht ohne Auszeichnung diente und 1815 zum 
Sapitän erfien Range ernannt wurde. Nachdem er 1816 mit dem Titel Lord Prubhoe zum 
Deer erhoben worden, unternahm er große Reifen nach bem Orient, machte ſich als Mäcen, 
namentlich der archäologiſchen Wiffenfchaften, befannt und wurde Präfident der Royal⸗Inſtitu⸗ 
tion. Im J. 1850 flieg er Durch Anciennetät zum Eontreabmiral. Unter bem Dinifterium Derby 
erhielt er im Febr. 1852 ben Poften eines erſten Lords ber Abmiralität, zu dem er fich jedoch mer 
nig befähigt zeigteund von dem er mit bem Sturze feiner Parteigenoffen im December zurüdtrat. 

Norton (Caroline Elizabeth Sarah), engl. Schriftftellerin, die Tochter von Thomas und 
Enkelin des berühmten Richard Brinsley Sheridan, wurde 1808 geboren und erhielt eine aus» 
gezeichnete Erziehung in Schottland. Bereits in ihrem 17. 3. fchrieb fie die „Sorrows of Ro- 
salie”, eine rührende Gefchichte aus dem Landleben. Im 3.1827 verheirathete fie ficy mit 
George Chapple Norton, den Bruder des Lord Grantley. Die Ehe war aber unglüdfich und 
wurde 1856 getrennt, angeblich wegen eines unerlaubten Verhältmiffes mit Lord Melbourne, 
deffen Bekamtſchaft Mrs. N. 1831 gemacht hatte. Mrs. N. nimmt unter ben engl. Dich 
terinnen der Gegenwart fo ziemlich den erften Rang ein und hat fich den Namen eined weib⸗ 
lichen Byron erworben, mit bem fie durch Stärke der Keidenfchaft und Kühnheit ber Gedanken 
viel Apnlichkeie hat. Auch an Stellen unübertreffliher Zartheit fehlt es in ihren Gedichten 
nicht. Außer dem genannten Gedicht hat fie „The undying one“, „The dream and other . 
poems” (1840) und „The child of the islands” (Xond. 1845) herausgegeben, in welchem leg- 
tern, deſſen Titel den Prinzen von Wales bezeichnet, fie die Misverhältniffe der geſellſchaft⸗ 
lichen Zuftände Englands ebenfo wahr als dichterifch darftellt. Erwähnung verdient ferner ihre 
Kinderfchrift „Aunt Cary’s ballads” (Xond. 1846), der fie eine Sammlung unter dem Titel 
„Sketches and tales in prose and verse” (2ond. 1850) folgen ließ. Ihr Roman „Stuart of 
Dunleath” (3 Bde., Lond. 1851 ; deutfch von D. von Czarnowſtki, Lpz. 1852) ift reich an ein- 
zelnen Schönheiten, kränkelt aber an berfelben trüben Anfchauung, bie ſich in ihren Poefien 
bemerklich macht. Er ward indef mit einem Beifall empfangen, ber fie ermutbigte, mit einem 
weiten „Lost and saved” (Lond. 1853) aufzutreten. 

Norwegen, dän. und normweg. Norge, ſchwed. Norige, ein Königreich, bas die Weſtſeite 
der Skandinaviſchen Halbinfel einnimmt, mit der es auch in Bezug auf Bobengeftaltung, klima⸗ 
tiſche und naturhiftorifche Verhäftniffe ein unzertrennliches Ganzes bildet (ſ. Skandinavien), 
wird nördlich vom Eismeer, öftlich von Rußland und Schweden, füblich vom Skagerrad und 
der Nordſee, meftlich von der Nordfee, dem Atlantifchen Ocean und dem Eismeer begrenzt, er⸗ 
ftredt fih von 57° 58° bis 71° 12n. Br. und von 224° bis 49° 5.2,, einen langen von Norb« 
nordoft nad) Südfübmeft ſich erſtreckenden Streifen bildend, deffen Ränge 232, beffen Breite 
aber im Norden tbeilweife nur 2—3, im Süden jeboch bis zu 55 M. und beffen Seegrenge 1600, 
mit allen Fjorden aber gegen 2000 M. beträgt, und hat einen Flaͤcheninhalt von 5858 (nad 
Blom 5571) AM. Hiervon Tiegen nur 800 AM. unter 300 $. abfoluter Höhe, 60 zwischen 
300 und 800 F., 700 zwifchen 800 und 2000 $. und das Übrige über 2000 $., davon 440 
AM. über der Grenze des ewigen Schnees; ferner nehmen die Seen über 300 DM. und die 
Schnee und Felsmwüften ungefähr 3000 AM. des ganzen Flächeninhalts ein. In Folge diefer 
durchaus gebirgigen Natur des Landes und feiner nördlichen Rage find feine Producte nicht fehr 
mannicdfaltig. Der Aderbau, obfchon faft 70 Proc. der ganzen Bevölkerung fich von ber Land⸗ 
wirthſchaft nähren, ift daher nichts weniger als glänzend und, obfchon er gegen früher große 
Fortſchritte gemacht hat, felbft in guten Jahren kaum zur Ernährung der gefammten Bevölke⸗ 
eung hinreichend, viel weniger In ben häufigern minder guten und den nicht feltenen vollkomme⸗ 
nen Misjahren. Mit dem meiften Erfolge wird der Aderbau noch in den ſüdöſtlichen Küſten⸗ 
landſchaften betrieben, während et in ben nördlichen Provinzen auf wenige begünftigte Locale 
von geringer Ausbehnumg befchränt ift. So liegen von ben 116 AM, welche im Norden benz 


ZOG Morwegen 
Ackerbau gewidmet find, 64 Proc. in dem größtentheils ebenern Stifte Aggerhuus, 8 in Chri⸗ 


ſtianſand, 9 in Bergen, 15 in Drontheim, 3 in Nordland und 4 Proc. in den Finnmar⸗ 
Sen; doch könnten die angebauten Flächen durch weitere Cultur des anbaufähigen Landes auf 
das. Doppelte gebracht werden. Überwiegend unter ben Getreidearten iſt der Anbau bes Hafers, 
der über / aller Getreideausſaat ausmacht, während die Gerſte nur/. das Gemeng aus Ha⸗ 
fer und Gerfte '/s, der Roggen etwas über 0 und. der Weizen gar nur /oo beträgt. Durch- 
chnittlich wirb Die Getreideproduction auf 2,200000 Tonnen und bieder Kartoffeln auf 2Mill. 
onnen jährlich gefchägt. Noch befchränkter find der Obſt. und ber Gartenbau. Zwar reifen 
die norbifchen Obftarten in den Gärten und Thälern der füblichen Provinzen, ja felbft an ge- 
fhügten Stellen bis zu 64°; allein der Gelammtertrag if unerheblich und kaum von ber Be⸗ 
deutung als die Menge der wilden Beeren, bie in ben Wäldern und Gebirgen felbft der nörb- 
lichſten Gegenden in dem kurzen, aber heißen Sommer ber Polargone gezeitigt werben. Mit dem 
Ackerbau geht die Viehzucht Hand in Hand, bildet aber auch in Gegenden, bie für den Ader- 
bau untauglich find, eine felbfländige Nahrungsquelle umd iſt daher insbefondere in ben rauhen 
Gebirgsgegenden ein Haupterwerbszweig, mo fie auf ähnliche Weiſe rote in den deutſchen Al⸗ 
pen in Saetern (Sennereien) auf halbnomadiſche Weiſe betrieben wird. Die Rinder und Pfer- 
deracen N.s find im Allgemeinen räftig, doch Hein und unanfehnlich ; die Schafe find dagegen 
Heifchig, tragen aber nur grobe Wolle. Der Viehftand N.s wird auf 123000 Pferde, 856000 
inder, 1,250000 Schafe, 185000 Ziegen, 80000 Schweine und 90000 den Zappländern an- 
gehörige Nennthiere angegeben, mit einem Geſammtwerth von 8 Mill, Speciesthlrn. 
Näcft dem Aderbau und der Viehzucht ift die Fiſcherei eine der Hauptnahrungsquellen des 
Landes und zwar diejenige, welche ben wichtigften Ausfuhrartikel liefert. Sie wird fowol im In⸗ 
nern bes Landes aufden vielen Seen und Flüffen als ander Küfte in den zahlreichen Kiordenunb 
innerhalb des fchügenden Bürteld ber Scheren, Pleiner Infeln und Klippen, auf alle in den bor- 
tigen Gewäffern vorkommende Seethiere getrieben, ift abet vorzüglich als große Seeſiſcherei 
auf Kabeljau und Hering von größter nationalstonomifcher Bedeutung. Jener wirb bauptfäch- 
fich in.den Monaten Februar bis Mai an der Nordweſtküſte N.s, beſonders zwiſchen den Loffo⸗ 
den und dem Feſtlande im großen Weftfjord gefangen, wo fich In ben genannten Monaten gegen 
46000 $ifcher mit umgefähr 3000 Booten und Jachten verfammeln, welche hier nach befon- 
bern Gefegen ihren Fang betreiben und in den rauhen Winfermionaten ein merkwürdiges, ei⸗ 
genthümlich geordnetes Leben auf die rauhen, oden Selsinfeln der Loffoden bringen. Man fchlägt 
den jährlichen Kang auf 16 Mil, Stück Kabeljaus im Werth von mehr als 1,500000 Speciet- 
hen. an. Faſt noch wichtiger als der Bang bes Kabeljaus iſt die feit ungefähr 25 J. in ben 
onaten Januar und Februar vier Wochen lang an der Südweſtküſte N.s betriebene Herings- 
fifcherei, die nicht weniger ale jährlich 5— 600000 Tonnen Heringe im Werthe von 1’. Mil. 
Speciesthlr. einbringt. So kann man denn ben Geſammtwerth ber ganzen norweg. Fifcherei 
auf jährlich 5—A Mill. Specieöthlr. anfchlagen. Höchſt anfehnlich ift auch der Nugen, welchen 
bie trog der fchlechten Forftwirthfchaft noch immer unermeßlihen Wälder NE durch Gewin⸗ 
nung von Bau und Brennholz, durch Kohlenbrennen und Pechfieben u. f. w. gewähren. Mit 
ber Holgnugung hängt auch das in mehren Gegenden auflipende Gewerbe des Schiff- und 
Häuferbaus zufammenz die in den Wäldern gezimmerten Häufer werben zu Schiffe nach den 
Städten gebracht und dort verkauft. Auch bie Jagd, obſchon fie ganz frei ift, If noch immer von 
ungewöhnlicher Erheblichkeit. Die noch immer große Menge der vorhandenen Pelgthiere (Bä- 
ven, Wolfe, Füchſe, Luchfe, Fiſchottern u. f. w.), fowie der Seehunde an ben Küften gewähren 
eine anfehnliche Ausbeute für den Dandel. Ein ähnliches Ergebnif gewährt bie Gewinnung ber 
koftbaren Federn der Eidergänfe und anderer Seevögel. Viel unwichtiger ift Die Jagd der ein- 
geimifien grasfreffenden Thiere, des Elenns, Rennthiers, Dirfches u. ſ. w. und bes kleinern 
ogelwilbprets. Wichtiger als bie Jagd ift ber Bergbau, ber namentlich auf Silber, Kupfer, Eifen 
und Kobalt betrieben wird. Die wichtigften Erzgruben des Landes liegen im füblichen Theile 
deſſelben und meift im Gebiet des Glommen, wie das reiche Silberwerk vom Kongsberg, das 
Kupferwerk und die Chromeifenfteingruben bei Röraas, das Blaufarbenwerk von Modum und 
die zahlreichen Eifenmwerke, welche am füboftlichen Abhange bed Gebirgs und in den Thälern der 
füblichften Fjelde in der Linie von Arendal über Kongsberg bis zum Blommen gefunden werden. 
In der neueften Zeit Hat der Bergbau auch in dem nörblichften Theile bes Kandes Boden ger 
faßt, in den Finnmarfen, wo dad Kupferwert von Kaafiord in einer unwirthbaren Gegend 
blüht. Man berechnet den jährlichen Ertrag der Bergwerke NE an Eifen auf 203000, an 
Silber auf 200000, an Kupfer auf 156000, an Blaufarbe auf 84000 Spetiebthle. Der Ge 


% 


Rorwegen 207 


werbfleiß (in engerer Bebeutung) ift in R. von geringer Ausdehnung und DIS jet ohne erheb 
lichen Einfluß auf den Wohlftand feiner Bewohner. Die häusliche Betriebſamkeit beſchraͤnkt 
ſich faft allein auf die Befriedigung des eigenen Dausbedarfs. Gelbft die Handwerke find noch 
nicht überall, die wenigen größern Städte abgerechnet, zu felbfländigen Bewerben gedichen. Ei 
Tiegt in der Natur der Verhältniffe, daß der durch lange Winter, große Entfernungen und ſchlechte 
Wege iſolirte Landmann fein eigener Schneider, Schufter, Weber, Schmied, Seiler, Sattier 
u. ſ. w. fein muß; die langen Winter geben ihm ohnehin Hinlängliche Muße dazu. Die bebeu- 
tendften Fabriken find noch diejenigen, welche ſich mit.ber erften Verarbeitung der Rohprobucte 
des Mineralreich6 und ber Wälder befchäftigen, aber auch dieſe nicht in dem Maße, wie es die 
natürlichen Hülfbmittel bed Landes geflatteten ; ja nicht einmal den innern Bedarf decken fie in 
allen Zweigen; nur der Schiffbau und die mit ihm zufammenhängenden Gewerbe maden 
iervon eine Ausnahme, denn fie haben ſich in neueſter Zeit fehr gehoben. Sonft finden 
bie wenigen, meift nur die erften Bebürfniffe des Lebens betreffenden Fabriken blos 

in ben großern Städten, und an Dedung des Bedarfs von Kleibungsftoffen, Geräthen 
und Luxus artikeln aller Urt, an Papier, Porzellan, ja felbft an verarbeitetem Zucker und Tabad 
iſt noch nicht zu denken. Am deutlichften beweift die geringe Anzahl der Gewerbtreibenden bie 
Unbebeutendheit des Gewerbfleißes; diefelbe beträgt nämlich, mit Ausfchluß der Familien, nur 
gegen 20000 Köpfe oder ungefähr 1/z Proc. ber Geſammtbevölkerung. Wichtiger find Handel 
und Schiffahrt, die durch die maritime Lage des Landes, durch die bedeutende Anzahl guter Lan⸗ 
dungspläge, durch zweckmaͤßige Schiffahrtseinrichtungen und mehre vortheilhafte Handelbver⸗ 
verträge mit dem Auslande, burch die winterlichen Schnee und Cibbahnen und die tief einfchnels 
benben Fiorde, fowie durch ben das Seelehen liebenden Sinn ber Einwohner beförbert werben, 
andererfeit6 aber auch in dem Mangel innerer Verbindungswege, in ber Größe und Unwirth⸗ 
barkeit der die Ortfchaften trennenden Einöden, in der Därte des Klimas und der Unſchiffbar⸗ 
keit der Gewaͤſſer große Hinderniffe finden. Der Handel wird befonders von den Städten Chri⸗ 
ſtiania, Drammen, Bergen, Stavanger und Drontheim aus betrieben und befchäftigt eine. Han» 
Delöflotte von faft 3000 Seefhiffen mit ungefäyr 100000 Sommerzlaft (45200. Pf.) Zrachtig- 
Leit. Die Ausfuhr beträgt jährlich an 4,760000 Speciesthlr., nämlich Holzproducte 1,687000, 
Sticherei te 2,480000, Bergprobucte 550000, Pelzwerk, Daunen, wenige Leinwand u.f.w. 
65000 le. Die Einfuhr, deren Werth aus. den Zollregiſtern nicht zu ermitteln ift, iſt 
ebenfo bedeutend ald mannichfaltig, muß jeboch, nad dem Steigen des. Nationalreichthums des 
Landes zu urtheilen, in der Bilanz nicht zum Nachtheil befielben. ausfallen. Eingeführt werben 
nicht nur Selonial,, Manufactur- und Luxut waaren in großer Menge, ferner Dl, Wein Taback, 
chte unb Droguerien, fondern auch Fett- und Fleiſchwaaren, Butter und Seife, Hanf unb 
achs, Segeltuch und Taue, vorzüglich aber zwei der wichtigften Rohproducte, Getreibe, durch⸗ 
ſchnittlich jährlich 800000 Tonnen, und Salz, 362000 Tonnen. Vormals war der Verkehr 
mit England überwiegend ; jegt iſt er am bebeutendften mit Hamburg, woher R. den größten 
Theil feines Bedarfs in Golonial- und Manufacturwaaren, fogar franzöſiſchen und englifchen, 
bezieht; nach Hamburg folgt Holland, welches mit Ausnahme des Eiſens und ber Heringe ein 
er Abnehmer aller norweg. Producte ift. Wichtig iſt auch.der Handel mit Rußland 

unb. Dänemart, die jedoch mehr nach N. einführen, als von ihm empfangen. Der Handel mit 
Schweden ift verhältnifmaäßig ſehr gering ; Dagegen find Portugal, Spanien und die Länder bes 
Mittelmeers die Hauptabnehmer bes gefifchten Kabeljaus. Das gefeglich in N. curfirende Geld 
find Speciesthaler, 9’, auf eine Mark fein, zu 5 Neichöorten und 120 Schi. (14 Thlr. Cour.). 
Die Einwohner N.s, nach der lehten Zählung (31. Dec. 1845) 1,52847 lan Zahl, find, 
bie wenigen Appen in Finnmarken (f. Lappland) abgerechnet, norbgermanifchen Stamms. 
In ihnen kommt in Folge der ausgeprägtern Natur des Landes auch ber flandinav. Volls⸗ 
charakter In feiner größten Schärfe zur Erfcheinung. Von Natur find bie Norweger ein kräf⸗ 
tiger, mehr großer als Heiner Menfchenfchlag, der, obſchon nach den verfchiebenen Provinzen 
und fogar einzelnen Lecafitäten mannichfach, wie in Sitte und Tracht, fo in Körperbilbung mo⸗ 
diſicirt, im Banzen doch durchaus das echte Gepraͤge german. Geſichts züge, blaue Augen und 
braume oder blonde Haare befigt. Die Grumbzüge ihres Nationalcharakters find eine große 
fittũüche Tüchtigkeit und Verſtaͤndigkeit neben einem Mangel an Sinn für alles Ideelle, große 
Energie und Thatenluſt neben zurüdigegogener Abgefchloffenheit, eine gewiffenltgerman. Wild⸗ 
heit neben Mangel an Lebensiuft und Beigbarkeit. Aus diefen Grundzügen ergeben fi, ger 
durch die natürliche Beſchaffenheit des Bandes und bie ale des Volkes, alle feine 
Sugmben: und. Laſter, bie jedoch nach ben und Beichäftigungen 


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mannichfaltige Modifitationen erkeiben. Im Allgemeinen zerfällt das Volk in zwei große 
charakteriſtiſche Familien, In die der Land⸗ und Gedeute, von denen bie erftern, die den alten 
Bolkscharakter am reinften bewahren, hinmwieberum in bie eigentlichen Aderbauer und in bie 
Hirten, bie legten aber in die Fiſcher und in bie eigentlichen Seefahrer zerfallen, welche nebft 
ben wenigen dem übrigen europ. Leben näher flehenden Bewohnern ber größern Städte, ins⸗ 
befondere den Kaufleuten, die Vermittler des Ausländifchen bilben. 

Die Sprache ber Norweger, mit Ausſchluß der Lappen, iſt in ben Städten und als 
Schrift- und Umgangsfpracdhe der Bebildeten die bänifche, während bei den Thal⸗ und 
Gebirgsbewohnern des Landes bie alte Sprache N.s, nach den einzelnen Diftricten dialektiſch 
verfchieden, treu fich erhalten hat. Den Bemühungen der Wiffenfchaft und Schule, diefe Dia⸗ 
lekte zu einer allgemeingültigen norweg. Sprache auszubilden, fteht bei dem regen Eifer, der 
fi dafür überall im Lande kundgegeben, ein günftiger Erfolg in Ausficht. Daſſelbe Streben 
nach nationaler Ausbilbumg, wie in der Sprache, gibt ſich in der Dichtung Fund, die vor ber 
Trennung des Landes von Dänemark mit ber bänifchen eine gemeinfame (f. Daͤniſche Sprache, 
Literatur und Kunft), ſeitdem aber ein felbfländiges und immer regeres Leben entfaltet bat. 
Borzugsmweife al6 Lyriker haben fih vor Andern J. S. C. Welhaven (ſ. d. und H. Werge⸗ 
fanb (f. d.) ausgezeichnet, neben benen ſich in neuerer Zeit, gleichfalls als lyriſche Dich⸗ 
ter, 4. Mund (ſ. d.), Kr. Monfen, 3. Moe, Kegterer wie auch Asbjörnfen um bie 
Sammlung einheimifcher Sagen verdient, nicht geringere Anerkennung erworben haben. Wiſ⸗ 
fenfchaftliche Forſchung, fofern fie befonders der Geſchichte bes Vaterlandes und feinem Alter⸗ 
thume zugewenbet ift, Hat hervorragende Vertreter gefunden in R. Keyſer, beffen claſſiſche Ab⸗ 
handlung über bie urſprüngliche Bevölkerung N.s (1839 und 1843) zuerſt einen ſichern Grund 

ür bie Kenntniß der ethnographiſchen und vorhiſtoriſchen Verhaͤltniſſe bes Landes gelegt hat; 
Chr. Lange, Verfaſſer einer Geſchichte der norweg. Klöſter im Mittelalter (1847) und In Ge⸗ 
meinfchaft mit &. 8. Unger Herausgeber einer norweg. Urkundenſammlung (2 Bbe., 1847, 
1852); 9. A. Mund (f. d.), dem man. außer ber Bearbeitung mehrer norweg. Geſchichts⸗ 
quellen, namentlich auch (mit R. Keyfer) der alten Gefege, die erfte, dem jegigen Standpunkte 
der Wiſſenſchaft entfprechende ausführlide Geſchichte des norweg. Volkes verbankt. ber 
Legtere, haben auch Keyſer, Unger und Holmboe ſich um altnorweg. Sprache und Literatur in 
geben Grade verdient gemacht. Für neuere Gefchichte, Geographie, Statiſtik find vorzugsweift 

J. Aal, I. Kraft, M. B. Trethe zu nennen. Auf bem Gebiete der Mathematik und Na⸗ 
turwiffenfchaft Haben der Mathematiter N. H. Abel, ber Geolog B. M. Keilhau,ber Aſtronom 
Chriſtoph Danfteen eine weit über bie Grenzen ihres Vaterlandes fich erftreddende Berühmtheit 
erlangt. Eine fehr brauchbare Überficht über die norweg. Literatur feit dem 3. 1814 gibt das 
wiffenfchaftliche Negifter in Niſſen's „Rorft Bog-Fortegnelfe” (Ehrift. 1848). 

Sämnitliche Norweger bekennen fich zur luth. Kirche, welche bier die bifchöfliche Verfaſſung 
beibehalten hat und die bevorzugte Staatskirche des Landes bildet. Katholiken gibt es nur weni⸗ 
ge, Juden war durch Staatögrundgefeg vor 1851 der Aufenthalt im Lande gar nicht geftattet. 
Obgleich die eigentliche gelehrte und höhere wiffenfchaftliche Bildung, für welche die Univerfität 
Chriſtiania und acht. Gelehrtenfchulen forgen, erft noch im Aufblühen begriffen unb noch nicht 
auf einen [ehr Hohen Stanbpuntte fteht, fo ift dafür bie populäre Schulbildung um fo verbrei⸗ 
tete, umd das norweg. Volk zeichnet fich in diefer Beziehung im Ganzen aus. Faſt alle Ror- 
weger fönnen lefen und fchreiben, was fie als Kinder theils von ihren Iltern unb Lehrern, tbeil® 
von herumziehenden Lehrern lernen, da die bünne Bevölkerung nur felten die Anlage von fie 
henden Schulen erlaubt. Was die Lebensweiſe ber Norweger betrifft, fo leben von ihnen nur 
14 Proc. in den Städten, bie übrigen auf dem Lande, theils Aderbau und Viehzucht, theils 
Sifcherei, zum Theil auch beide Beichäftigungen zugleich betreibend. Die Natur hat nur in 
wenigen Rocalen die Entftehung von Ortſchaften geftattet, wie man denn nur 33 Städte und 
26 Flecken zählt. Diefe liegen mit nur wenigen Ausnahmen an den zugänglichften und geräu- 
migften Stellen ber Küfte; an ben übrigen geeigneten Küftenpuntten befinden ſich blos Eleine, 
oft nur aus wenigen Häufern beftehende Löfch- und Ladepläge und die mehr ober minder zer- 
fireuten Wohnungen ber Fifcher. Im Innern bes Landes müffen ſich bie Anſiedelungen der 
Landbauer daher ebenfalls nur auf gemiffe Punkte beſchränken, wo Boden und Klima den 
Ackerbau geftatteten. Da diefe Punkte aber faft nirgends für eine größere Menfchenzahl hinrei⸗ 
chend waren, fo kommt ed, daß man faft nirgends Dörfer, fondern meiftnur einzelne Güter, Höfe 
und Meiereien (Gaarbar, Hemman, Mantal u. f. w.) fieht, die oft in mellenmweiter Entfernung 
voneinander liegen. Mehre diefer Gehöfte find zu einem Kischfpiel verbimben, beren es im Nor⸗ 


Rorwegen 299 


ben 341 gibt und von denen ganz abgefehen von den nörblichen, faft unbewohnten Gegenden, 
oft ein einziges mehre AM. umfaßt. Das Leben in diefen eigenthümlich geftalteten Gehöften ift 
ein höchſt originelles, das im Innern bed Landes noch ganz den patriarchalifchen Charakter 
und die einfachen, reinen Bitten der alten Zeit bewahrt, des verhältnißmäßig bedeutenden Reich⸗ 
thums ungeachtet, den viele von den Eigenthümern folcher Gehöfte befigen. Eine wichtige Stel⸗ 
lung nehmen in diefen Kirchfpielen bie Beiftlichen ein, die außer ihrem Berufe als Seelforger 
auch noch in allen übrigen Beziehungen bed Lebens große Autorität befigen und ebenfo als 
Nichter in Streitigkeiten wie ald Arzte in Krankheiten und Berather in allen Vorfällen des 
Lebens dienen. Wie die Natur N.s nur eine zerftreut lebende Bevölkerung geftattet, fegt fie 
auch deren gleihmäßiger Ausbreitung und dem Zufammenmwachfen überhaupt unüberwindliche 
Schranken entgegen. Daher enthalten die füdlichen anbaufähigen Theile N.s den größten Theil 
der Bevölkerung, und im Stift Aggerhuus lebten 382, in Norbland dagegen nur 95 und in 
den Finnmarken gar nur 52 Menfchen auf der AM. 

NE politifche Verfaffung wird durch die fogenannte Eonftitution von Eidsvold beftimmt, 
die den entfchiebenften demokratifchen Charakter trägt und unter monarchifchen Formen dem 
Weſen nach eine faft republifanifche Regierungsmweife begründet, welche durchaus feine Ariflo- 
kratie der Geburt und des Standes, wol aber factifch eine Ariſtokratie bes Befiges, insbefon- 
dere ded bäuerlichen anerkennt. Nach jener Eonftitution, die dem ftaatsbürgerlichen Sinne 
des Norwegers unb feiner angeborenen Freipeitsliebe einen hohen Aufſchwung gegeben hat, 
EN. ein mit Schweden vereinigtes, aber unabhängiges Königreich, das nur die Dynaftie, 
die Aufßere Politit und Diplomatie mit demfelben gemeinfam, fonft aber feine eigene Gefeg- 
gebung, Regierung und Verwaltung hat, mit befondern Finanzen, Heer und Flotte. Der 
König ift zwar der höchſte Befehlshaber der bewaffneten Macht, kann fie aber nicht eigen- 
mächtig vermehren oder verringern, darf mit Ausnahme bes Kriegs nicht fremde Truppen ine 
Land und die norweg. nicht außer Land ziehen. Derfelbe kann ferner nur nach Abhören bes 
Staatsraths Krieg erflären und Frieden fchliefen, Bündniffe eingehen und aufheben; ihm 
gehört die Ernennung aller Geifllichen, ſowie der Eivil« und Militärbeamten; er kann Ritter 
orden vertheifen, aber keine Titel ohne Amt, noch Jemanden in den Adelſtand erheben, ſowie 
auch alle perfünlichen Adels vorrechte mit dem Tode der bis zum 1. Aug. 1821 geborenen Mit- 
glieder der 15 einzig noch vorhandenen adeligen Geſchlechter N.s aufhören. In jedem Jahre foll 
fig der König in N. aufhalten. Während feiner Abwefenheit fieht ein Reichsſtatthalter, der auch 
ein Schwede fein kann, an ber Spige ber Regierung, welche aus einem Staatsminifter und 
minbeftens fieben Staatsräthen, von denen ſechs zugleich die Häupter der einzelnen Verwal⸗ 
tungs zweige bilden, beftehen muß. Der Staatöminifter und zwei Staatsräthe befinden ſich 
immer bei der Perfon des Königs. Alle Gefchäfte müffen erft von der Negierung berathen 
werben, ehe fie an ben König gelangen können. Die gefepgebende Gewalt nebft der Befleuerung 
wird vom Könige und dem Stortbing (ſ. d.) ausgeübt. Der König hat nur ein befchränktes Veto, 
indem jede Vorlage, ſobald fie der Storthing drei mal angenommen hat, zum Gefeg erhoben 
wird. Im Storthing hat das bäuerliche Element durchaus das Übergericht, gegen welches das 
höher gebildete ſtädtiſche feiner Unbebeutendheit wegen nicht auflommen kann. Die Folge bavon 
ift, daß ſich trog des demokratiſchen Charakters der Conſtitution eine gewiffe Bauernariftofratie 
bildet und auf dem Syſteme ber Regierung ein gewiſſer Geift der Befchränttheit laſtet, der das 
Land an einem höhern Auffchwung hindert. Selbſt die übertriebene Eiferfucht auf Bewah- 
rung der Rechte wirkte in diefer Beziehung lähmend, trog des regen politifchen Lebens, das 
fonft in ganz N, herrſcht. Der Staatsrat bildet die oberfte Negierungsbehörbe, unter bem 
zunädft die Amtmänner ftehen, welchen die Aufficht über die gefammte Verwaltung und bie 
Rechtspflege obliegt. Die in den Bifchoffigen Ehriftiania, Ehriftianfand, Bergen und Dront- 
beim befindlichen heißen Stifsamtmaͤnner und leiten gemeinſchaftlich mit den Bifchöfen alle 
Civil⸗ geiftfihen und kirchlichen Angelegenheiten. Unter den Amtmännern ſtehen die Voigte, 
welche die unterften Steuer- und Polizeibehörden bilden, fowie die Sorenffriver (geſchworene 
Schreiber), welche auf dem Lande die Richter erfter Inftanz find und dem aus zwölf Things⸗ 
männern gebildeten Thing vorftchen. In den Städten bilden die Stadtvoigte und in ben vier 
Stifrsftädten die Bürgermeifter die unmittelbare Obrigkeit. Die zweite Rechtsinſtanz bilden 
die Stift⸗Oberrette (Stiftsobergerichte) und die dritte und höchfte das Höifte Nett (höchſte Ger 
richt). In kirchlicher Hinficht zerfällt das Land in die fünf Bisthümer Ehriftiania oder Agger« 
Baus, Chriſtianſand, Bergen, Drontheim und Norbland mit den Finnmarken. 

Die Finanzen haben ſich durch das auf der andern Seite häufig in Knauferei ausartende 


200 Norwegen 


Sparſyſtem des Storthing aus ihrer frühern Zerrüttung auf glänzende Weiſe erhoben. Die 
Siaats ſchulden, die bis Anfang 1848 auf etwa 2 Mill. SpeciesthRer vermindert worden wa⸗ 
ren, erhoben ſich in Folge zweier Anleihen, die ſeit 1848 wegen der Kriegsrüſtungen zu Gunſten 
Dänemarks gemacht wurden, bis Ende 1851 wieder auf 4,061000; body ſtand biete Sunme 
ein Staatsactivvermögen von 5,600000 Speciesthien. gegenüber. Das Budget auf 1851 — 
54 fchlägt die Ausgabe jährlich zu 3,200000 Speciesthlrn. an. Davon werden, ba alle directen 
Steuern aufgehoben find, an 2 Mill. durch die Zollintraden, etwa 4 Mill. durch die übrigen Ein- 
nahmen und der Reft aus dem Baarbehaltber Staatskaſſe gedeckt. Nach der Eonftitution iſt jeder 
Wehrfahige zur Landesvertheidigung verpflichtet. Die Armee beftcht (1853) aus 23484 Mann. 
Davon find 14824 Mann Linientruppen (11924 Mann Infanterie, 1070 Mann Eavale- 
tie, 1350 Mann Artillerie) und 9160 Mann Landwehr. Die Flotte zählte Ende 1851 außer 
4136 Kanonenbooten 2 Fregatten, A Eorvetten, 1 Brigg, 5 Schooner und 5 Dampffchiffe. Die 
Anzahl der enrolirten Seeleute zwifchen 30 und 60 $. betrug ungefähr 30000. Die Seemadht 
ift mehr auf die Vertheidigung ber Küfte als auf Seezüge berechnet. Zu Horten in Chriſtia⸗ 
niafiord iſt zu ihrer Stationirung ein neuer Kriegshafen eingerichtet. Die befefligten Punkte 
N.s find Frederiksſteen bei Frederikshall, Frederiksſtad, Kongsoinger und Aggerhüus bei 
Chriſtiania. Für Bildung der Offiziere der Land» und Seemacht iſt gut geforgt. Im J. 1844 
wurden mit Flagge und Wappen des Staatd mannichfache Veränderungen vargenommen. Hi- 
ſtoriſch zerfällt N.in die kandſchaften Söndrefield, Nordrefield und Nordland mit den Finnmar⸗ 
ten ; abminiftrativ wird es aber In die vier Stifte Aggerhuus oder Chriftiania, Chriſtianſand, 
Bergen und Drontheim und bie beiden Diftricte Norbland und Finnmark eingetheilt. Die 
vier Stifte zerfallen wieder in 16 Amter, während Norbland und die Finnmark zufammen eins 
bilden. Sämmtliche Amter zerfallen wieder in 45 Voigteien. Die vorzüglichften Städte und 
zwar die einzigen, die mehr als 3000 E. befigen, find Chriſtiania (f. d.), Drammen ( d.), 
Kongsberg (ſ. d.), Chriftianfand (ſ. d.), Stavanger, Bergen (f.d.), Drontheim (f.b.) und Röraas. 

Die Urgefchichte N.s gehört ver Geſchichte des gefanımten Skandinavien (ſ. b.) an und iſt 
durchaus fagenhaft. Erft mit der Einführung des Chriſtenthums unter König Olaf I. gegen 
Ende des 10. Jahrh. wird fie lichter und gewinnt eine beflimmtere Beftalt. Drei Hauptpunkte 
treten num hervor: die Seezüge der Normannen (f. d.), durch die fie in Berührung mit dem 
übrigen Europa famen; als Rückwirkung davon die Einführung des Chriſtenthums, die mit 
dem alten Heidenthum auch einen Theil des alten ſtandinaviſchen Volksthums vernichtete, und 
bie Vernichtung der alten Stammhäupter des Landes, deren Kämpfe feiner Urgefchichte und 
ſelbſt fpäter noch eine Zeit lang einen fo blutigen und wilden Charakter gaben, der auch nach 
Einführung des Chriſtenthums in den Thronkämpfen noch lange dauerte. Dlaf II.(f.d.) oder der 
Heilige fegte um 1020 die Belehrung des Landes zum Chriftenthum fort und unterwarf bie 
Heinen Könige ober Häuptlinge, die bis dahin im Rande geherrfcht hatten. Als Olaf durch Knut 
(f.d.) d. Sr. 1028 vertrieben und 1030 in der Schlacht von Stikleftad gefallen war, Fam N. 
unter diefen König von Dänemark, bis es nach beffen Tode 1036 wieder an Diaf'6 des Heili- 
gen Sohn, Magnus I., zurüdfiel. Von diefer Zeit an fand N. unter einheimifchen Königen bis 
1319. Als in diefem Jahre mit Hafon VII. der Mannsftanım der norweg. Könige ausftarb, 
wählten bie Stände den jungen ſchwed. Magnus VIIL, Hakon's Tochterfohn, zum Beherrſcher 
N.s, deſſen Enkel Olaf IV., der 1376 zum Könige von Dänemark erwählt wurde, nach Abfter- 
ben feines Vaters 1380 beide Ränder gemeinfchaftlich regierte und fie bei feinem Tode 1587, da 
er kinderlos war, feiner Mutter Margarethe (f.d.), ber Tochter Waldemar’s II, Königs von 
Dänemark, hinterließ, von welcher Zeit an N. mit Dänemark (f.d.) vereinigt blieb, aber doch, 
einige fpätere Unterbrechungen ausgenonimen, feine eigene Vetfaffung behielt. Diefe Vereini- 
gung beider Reiche dauerte bis 1814. Als Preis des Beitrittd zur Verbindung gegen Frank⸗ 
reich war nämlich ſchon 1812 von einigen der verbündeten Mächte das Königreid, R., welches 
dem mit Frankreich verbundenen Dänemark entriffen werden follte, der Krone Schweden zuge 
fichert worden. Daher wandte ſich nach ber Schlacht bei Leipzig der Kronprinz von Schweden 
mit feinem Heere gegen Dänemark, worauf nach einigen Gefechten im Holfteinifchen im Frie⸗ 
den zu Kiel, 44. Jan. 1814, Dänemark dad Königreich N. an Schweden abtrat. Da ſedoch 
anterbeß ber bän. Prinz Ehriftian (f. Ehriftian VILL), Statthalter von N, von den Ständen 
dieſes Landes, welche die im Kieler Frieden gefchehene Abtretung nicht anerkannten, zum um 
abhängigen König von N. erwählt worden war, fo drang ber Kronprinz von Schweden im Juli 
1814 in N. ein, welches in 14 Tagen, nach einigennicht fehr bebeutenden Gefechten, nicht ganz 
ohne Verdacht eines geheimen Einverfländniffes in die Hände der Schweden fiel, obgleich das 


Norwich Roſſairier a 
Solt ſich in allen Kirchen einige Monate vorher durch ben feierlichſten Eid verpflichtet Hatte, 
Blut umd Leben für feine Selbſtändigkeit zu laſſen. Hierauf wurde zu Moß 14. Aug. 1814 
ein Waffenftilftand umd eine Übereinkunft geſchioſſen, vermöge welcher N. als felbftändiges 
Königreich mit einer befondern Verfaffung mit Schweden vereinigt werden fen: I 8566 
fungsurkunde, welche das zu Cidsvolb verfanmelte Storthing für N. 17. Mai 1 
fen date, wurde vom König von Schweden angenommen. Zwar entftanden in an 
eilen Ne aber ohne Erfolg, und das zu Chriſtiania verſammelte Storthing be 
ſchloß 20. Det. 1814 die Bereinigung R.6 mit Schweden Raqh ber unterm 4. Rev. 1814 in 
etwas abgeänderten Verfaſſungsurkunde blieb R. als Kürten frei, unabhängig und unge 
theilt. Die Gedichte Nis war feit diefer feiner ͤußern Vereinigung mit Schiweben (f. d.), mit 
dem eb ſeitdem die äußere und dynaftifche Geſchichte — ein fortgefegter mehr oder minder 
Heftiger Kampf des Storthing gegen die Bnigt jewalt zur Wahrung der mit der Conſtitu · 
ichtigften Sorgfalt überwacht. &o mislang * 


8 
1856 von bemfelben beantragte Einführung eines abfoluten Veto beide male entſchieden vom 
Storthing verroorfen. Erſt in neuefier Zeit, feit der Thronbefleigung des Königs Oskar 1844, 
der dab en des Volkes durch mehrfache Bugeftändniffe, treue Befolgung der Conſtitu· 
tion, fowie durch die hinterhaltslofe Beige t feiner 5 gewann ließ jener Kampf 


— ‚Bund, „Det nat — florie” (3b. 1— 2, Shrifl. 186253). 
die Hauptftadt der engl. Bra! RA hungrig | 

erreiigeaben und für De hmerfben Batfäife bis Hierher fahrbaren Jare gelegen um! 

Diefe, tie dench eine Eifenbahın mit dem Gechafen Yarmouth (f.d.) verbmben, zählt 68196 CE, 

iſt Sit eines ifo in und umgeatet rer unzegelmäigen Anlage bie ſchönſte Stade im iR 

11 3b —— me —— — 

—8 Ka —* mie aus. 
Gebäuden ifk dab alte, I Rn G erbaute Cchlof mntwerig, welehe — 


Dient. 
bie ——— negenden Orte Worſteas auch Worfleabfluffs hiehen, berühmt. 
Holl Flůchtlinge legten hier im 16. —— Grund zum nachfolgenden Fior der dabriken 
von Taͤchern wollenen Zeugen und Strämpfen in Engiand. Getzemwärtig fertigt man daſelbſt 
Shatols, bie einen beträchtlichen Handelsartitel nach allen Theilen der Welt abge 
— ferner wollene und feibene —— auch fo und Fiacheleinwand. Außer der Aut · 
diefer Fabrikate treibt R. Handel mit Getreide, Maly, —X ), Fiſchen und 
— gie Heißt —— die —E weilche fi} mit den Krant 
iftretenden Kran! 


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vien am Gemmat et, den war ine bon Zi —* an fonft aber 
— —ãS tungen. — ** — und durch ũbe — —38— Se· 
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Dre ice Nachbarn, Derabfe [genen fe, ahnt ihr — von ber Religionsanficht mir Lg 
tem 


Mae, Gare Des u Da find Ihnen bite ab bie are ——— 
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da DD aller Seojung ein d der den Kürten Haben fie eine Menge 
— 5 3 mir rien 6 eräufe, gelbe 


2 Noſtitz (Geſchlecht) Noſtitz (Aug. Ludw Ferd., Graf von) 


wird. "Ein geiſtliches Oberhaupt, Scheikh Khalil, führt bie Aufſicht darüber und wird von If 
nen als Prophet geehrt. Die Meinung, da die Noffalrier die forifchen Sabier oder Johan- 
neschriften wären, berubt-auf einer Verwechfelung ihres Namens mit dem der Nazaräer. 

Roſtitz, eines der älteften Adelsgeſchlechter der Laufit, welches fich aus derſelben ſchon fehr 
früh nach Schlefien, Böhmen, Polen und weiter verbreitete. Die ordentliche Stammreihe ber 
Familie beginnt in der Laufig mit Kaspar von N., geft. 1484, deffen drei Söhne, Otto, Georg 
und Hartwig, die drei Linien zu Nothenburg, Gotta und Zſchochau flifteten, welche wieberum 
in mehre Afte zerfielen. Im 3. 1577 blühten in der Laufig die drei Hauptſtämme zu Rothen- 
burg, Unwuͤrde und Ullersdorf, fümmtlic mit großem Grundbeſit. Das jegt gräfliche Haus 
N. ftammt aus der von Hartwig von N. geftifteten Zſchochauer Linie. Won Abraham von N., 

ft. 1592, dem Enkel bes Leptgenannten, ſtammte als dritter Sohn Joh. von M.,geft. 1619 alt 
Landeshauptmann des Fürſtenthums Wohlau, welcher zwei Söhne, Otto und J. 9, hin⸗ 
texließ, von denen erfterer Ahnherr ber jegigen Linie zu Rokitnig, legterer ber zu Rieneck wurbe. 
Otto von R. wurde 16341 von Kaifer Ferdinand IL in den Freiberrenftand und ber Sohn deſſel⸗ 
ben, Chriſtoph Wenzel von N., 1675 in den böhm., 1692 in den Reichegrafenftand erhoben. 
Gegenwärtiged Haupt ber Linie zu Rokitnitz, welche die Herrfchaften Plan, Gottſchau und 
‚Rofimig in Böhmen, bie Güter von Lobris und Steinfeifersdorf in Schlefien befigt, iſt Graf 
Sofeph von R., geb. 5. Dec. 1821. — Der Stifter der Linie Rieneck, Hartwig Joh. von N. 
geb. 1610, geft. 1685 als wirklicher Beh. Rath und oberfter Kanzler von Böhmen, wurbe 1673 
mit einem Theile der Graffchaft Rieneck belehnt und in den Neichsgrafenftand erhoben. Gin 
Enkel deſſelben, Graf Franz Wenzel, geft. 1765, war der Vater des Grafen Franz Ant. von 
N., geb. 1725, geft. 1794 als Oberftburggraf zu Prag, und des Grafen Friedr. Morig-von 
R., geb. 1721, geft. 1796. LXegterer trat in bie oftr. Armee, warb 1766 Generalmajor, 1771 
Feldmarfchallieutenant, 1785 General der Gavalerie und 1796 Feldmarſchall und Hoftrtegs- 
rathpräfident. Sohn bes Grafen Franz Anton war Graf Jo. Nepom. von R. geb. 24. März 
4768. Er trat 1788 in die öfte. Armee, machte bie Feldzüge gegen bie Türken mit, warb 1796 
Oberft, 1800 Seneralmajor, 1809 Felbmarfchallientenant und betheiligte ſich an allen Feldzü⸗ 
gen feiner Zeit. Bei Aspern commandirte er eine Infanteriebrigade, bei Leipzig einen Theil der 
Mefervecanalerie und 1814 einen Theil der Hauptarmeereferve. Seit 1820 penſionirt, ftarb er 
22. Dct. 1840 zu Prag. Sein Bruder, Graf Friedr. von R., ift der Vater bes Grafen Er- 
wein von N. geb. 8. Sept. 1806, des gegenwärtigen Haupts der Linie zu Niened und Befigers 
der Derrfchaften Falkenau, Heinrichsgrün, Graslig, Tſchochau, Stirzim und Pakomierzig (zu 
fammen 7,16 AM. mit 44000 E.). — Eine dritte in Schleften blühende gräffiche Linie bildete 
ſich aus dem ranfener Afte des Haufes Damnigfch in Schlefin. Georg Sigismund von R., 
geft. 1761, poln. und kurſächſ. Geh. Rath und Befandter in England, wurde 1711 in den 
Meichögrafenftand erhoben. Sein Sohn, Graf Georg Lubw. von R., geb. 1709, ftarb 17. Jan. 
1758 als poln. und kurſächſ. Generallieutenant an den in ber Schlacht bei Leuthen erhaltenen 
Wunden. Enkel deffelben iſt Graf Aug. Ludw. Ferd. von M. (f. d.), das gegenwärtige Haupt 
der fchlef. Linie, welche die Herrfchaften Zobten und Zyrowa befigt. 

Noſtitz (Aug. Ludw. Ferd., Graf von), preuß. General der Eavalerie, Generaladjutant des 
Königs und Gefandter am Hofe zu Hannover, geb. 27. Dec. 1777 zu Zeffel bei DIS, trat, nad’ 
dem ee 1795—97 die Schule zu DIE befucht und bis 1799 in Halle flubirt hatte, 1802 als 
Lieutenant in preuß. Dienfte. ah Münſter, wo fich fein Regiment unter Blüchers Commando 
befand, gewann er fich deffen Zuneigung und Vertrauen in hohem Grabe und bleibend. Im 2. 
1806 wohnte er der Schlacht bei Jena und ben Gefechten bei Nordhaufen und Prenzlow bei. 
Auch er fiel in franz. Sefangenfchaft, ward aber unter bem Verſprechen, nicht ferner zu dienen, 
entlaffen. Im J. 1810 nahm N. feinen Abfchied, trat aber 1813 als Staberittmeifter bei den 
ſchleſ. Ulanen wieder in die Armee. Sn biefer Stellung zeichnete er fih 1813 in der Schlacht 
bei Baugen aus. Während bes Waffenftillftandes wurde er Blücher's Adſutant und wirklicher 
Nittmeifter, nach der Schlacht bei Leipzig Major und nach der Schlacht von Paris Ritter des 
Eifernen Kreuzes erfter Claſſe. Nach abgefchloffenem Frieden blieb N. Blücyer'6 perfonlicher 
Adjutant umd begleitete denfelben auf ber Meife nach England. Auch in dem Felbzuge 
von 1815, wo er in ber Schlacht bei Ligny Blücher das Leben rettete, war er deffen Adju- 
tant und blieb es im Frieden. Im J. 1818 wurde er zum Oberſten und, nach Blücher's Tode, 
1819 zum Flügelabjutanten und Commandeur bes Garbehufarenregiments ernannt. Hierauf 
erhielt er 1824 das Commando der zweiten Garbecavaleriebrigade, rückte 1825 zum General 
major auf und begleitete 1826 ben Prinzen Karl gu den Srönungsfelerlichkeiten nach Peters 


Noſtitz und Jaͤutkendorf (G. A. C.v.) Nofigunb Jatckendorf (C. G.) 308 


burg und Moskau. Als 1828 ber Krieg zwiſchen Rußland und ber Pforte ausbrach, wurbe de 
ins Hauptquartier des Kaiſers Nikolaus gefchidt und machte Hier den Feldzug mit. Nach des 
NRückkehr erfolgte feine Ernennung zum Generalabjutanten. Bon 1830-32 war er dem 
Generalgouverneur für die Rheinprovinzen und Weftfalen ernannten Prinzen Wilhelm als. 

des Stabs beigegeben. Im März 1855 wurde R. zweiter Commandant von Berlin, 1838 Ge 
nerallieutenant und 1840 Chef des fünften Hufarenregiments (Blücher’fehe Dufaren). Im 
J. 1847 nahm er den Abfchied. Seit 22. Nov. 1850 ift er Gefandter in Hannover, in welcher 
Stellung er während der Spannung zwiſchen Preußen und Hannover wefentlich zur Herftellung 
bes guten Einverftändniffes gewirkt hat. " 

Koftig und Yändendorf (Gottlob Adolf Eruſt von), als Dichter unter dem Ramen 
Arthur von Rordſtern befannt, geb. 21. April 4765 auf feinen väterlichen Gute See in ber 
preuß. Dberlaufig, ſtuditte in Leipzig, trat dann als Finanzrath in den ſächſ. Stantsbienfl, 
ließ fich aber nachmals auf feinem Gute Dppad in der Oberlaufig nieder, mo er für die Provinz 
als esältefter, Oberamtshauptmann und feit 1795 als Prafident der Oberlaufiger Geſell- 
ſchaft der Wiſſenſchaften Gorlitz viel Gutes wirkte. Im J. 1806 wurde er Oberconſiſtorial⸗ 
präfident, bald. nachher Wirklicher Conferenzminiſter und 18417 Wirklicher Geh. Rath in dem 
neuerrichteten Geheimen Rathe. In biefer Stellung leitete er bie Ausgleichung der Kriegsent- 
ſchãdigungen, bie Redaction des 1821 erlafjenen Mititärfirafgefegbuchs, ſowie bie Verwaltung 
aller ſachſ. Zucht», Arnıen- und Waifenhäufer. Ihm verdankt Sachfen bie Errichtung der Ir 
renheilanſtalt auf dem Sonnenftein bei Pirna und vieler anderer gemeinnügiger Cinrichtungen 
und Inflitute. Als Großmeiſter übfe ex vielen Einfluß auf die Freimaurerlogen in Dresden, 
benen er auch feinen „Liederkreis für Freimaurer” (2 Bde, Dresd. 1810-28) widmete: Im 
J. 18232 machte er eine Reife durch Sübbeutfchland, bie Schweiz, Oberitalien, Kärnten und 
Ungarn, auf der er die „Grinnerungeblätter eines Reiſenden im Spätſommer 1822” (2p;. 1824) 
niederſchrieb. Nachdem er noch weientlichen Antheil am Staatögrundgefege genommen, behielt 
er nur die Stelle als Ordenskanzler bei und trat in ben neu begründeten Staatsrath. Er ſtarb 
45. Det. 1836 aufbem Gute Oppach. Einer feiner früheſten bichterifchen Verſuche war, Valeria, 
ein romantiſches Gedicht” (Dresd.1805). Ohne fein Wiſſen erſchien „Georg, ein Roman nach 
zwölf gegebenen Worten“ (8pz.). Seine „Gemmen“ (2pz. 1818) enthalten finnreiche Aut⸗ 
Deutungen von 16 antiten Gemmen. Sein Gedicht „Irene” (2pz. 1818) in Ottavenftanzen 
war eins ber erften, das beutfch In biefer Dichtungsform erfchien. Zur Bermählungsfubelfeier 
bes Königs Friedrich Auguft, 1819, erfchien fein größeres Gedicht „Kreis ſächſ. Ahnfrauen“. 
—— — ſtehen durch kräftiges und warmes Gefühl feine religiöſen Dichtungen „Sinnbil⸗ 
ber ber Chriſten“ (2pz. 1818) und ,Hinterlaſſene geiſtliche Gedichte”, herausg. von Ammon 

. 1840). Mebre feiner Gedichte wurden von Himmel componirt und dadurch fehr populär. 

und Janckendorf (Eduard Gottlob von), fächf. Staatsmann, ältefter Sohn des Vo⸗ 

zigen, 31. März 1791 zu Baugen, befuchte das Gymnaſium zu Baugen, feit 1806 Schul⸗ 
“ pforte und widmete ſich dann ben furiflifchen Studien zu Leipzig und Heidelberg. Im I. 1815 
nahm er als freiwilliger Jäger im Lützow'ſchen Corps an allen Operationen bee Walmoden'⸗ 
fhen Deeresabtheilung Theil und wurde bei Lauenburg, wo er mit einer von ihm befehligten 
Jagerabtheilung den Sranzofen ben Übergang über bie Elbe mit Grfolg flxeltig machte, ſchwer 
verwundet. Nach feiner Heilung trat er als Volontaͤr in das fächf. Ulanenregiment und machte 
ben Feldzug von 1814 als Ordonnanzoffizier in der unmittelbaren Umgebung Thielmann’s 
nit. Dierauf nahm er feinen Abſchied und trat nach Beendigung feiner juriftifchen Stubien 
1817 als Kammerrath In dab ſächſ. Geheime Finangcollegium. Im I. 1819 ward er alt 
ann, 41821 als Wirklicher Geh. Referendar im Geheimen Rathe, 1825 als Geh. 

Finanztach, 1832 als Abtheilungsvorſtand und Director im Finanzminiſterium angeftellt und 
an sum en des Saum been. — verwaltete er han Pe Im - 

wicberholtes Unfuchen vom König b um tt wurde. 

texfiches Befigthum Oppach in ber Operlaufip " Pr * theils mit —*— kurs, 
theils mit literariſchen Arbeiten befchäftigt, feinen wefentlichen Wohnſit bat. Unter feiner Ver⸗ 
waltung traten fafl alle dahin einfchlagenden, in der Berfaſſungsurkunde vorgeichriebenen Ge⸗ 
fege ins Leben. (©. Sachſen.) Un den fländifchen Verhandlumgen mehrer Landtage nahm er 
ale Abgeorbneter des Hochflifte Meifen, ſowie auch der Oberlaufig bis in bie neuefte Zeit thä- 
tigen umb ward noch von biefen Kammern zum Mitglied bes Staatsgerichtshofs beru- 
fen. Ein Bender beffelben, der wirkliche Geb. Rath Julius Gottlob von R., war felt Sept. 
1840-48 ſachſ. Bunhetagsgefandter zu Frankfurt und nahm auch 1854 diefe Stelung am 






a Rt — -  Motabein . . 


Bunbestage wieber ein. — Eine Schweſter ber beiden Vorigen, Klothilde Septimia von ., 
geb. 27. San. 1801 zu Baugen, iſt als Dicterin befarmt gersorden. Don ihrem Bruder 
wurde herausgegeben „Aus dem Nachlaffe meiner Schweſter Klothilde von N.“ (2pz. 1855). 

Moftradämud, ein berühmter Aftrolog, hieß eigentlich Micheĩ Notre-Dame und ſtammte 
aus einer ehemals jüb. Familie. Er wurde 1593 zu St.Remy in ber Provence geboren, ſtu⸗ 
dirte Medicin, legte fich dann auf Quackſalberei und fiel zulegt auf die Aftrologie. Seine Pros 

vhezeiungen, die er, aus feiner Abgefchiedenheit zu Salon, in gereimten Quatrains zu ganzen 
Humderten in bie Welt ergehen ließ, erregten durch ihren Ton und ihre Dunkelheit großes 
Auffehen. König Heinrich II. von Frankreich, deffen Tod man fpäter In einer ber Prophegeium- 
gen des N. angedeutet finden wollte, machte ihm ſehr anfehnlihe Geſchenke, und Karl IX. er- 
nannte ihn zu feinem Leibarzt. Die angefehenften Perſonen befuchten ihn zu Salon ; doch fehlte 
es auch nicht an Zeuten, bie feiner Prophezeiungen ſpotteten. Gr ftarb zu Salon 1566, Noch 
4781 wurden feine Prophezeiungen von bem päpftlichen Hofe verboten, weil der Untergang 
des Papſtthums darin verfimdet wird. . 

Nota (Alberto), der vorzüglichfte neuere ital. Lufkfpieldichter, geb. zu Turin 1775, genoß 
eine forgfältige Erziehung, welche feine natürlichen Anlagen fchon früh entwideln half. Er ſtu⸗ 
dirte die Rechtswiſſenſchaften, prakticirte eine Zeit lang als Advocat und bekleidete dann m 
anſehnliche Staatstellen, bis bie politiſchen Verhältniffe Italiens auch Ihn -nöthigten, dem öfe 
fentlichen Leben zu entfagen. Endlich in den Staatsdienſt zurückgekehrt, wurde er 1818 Unter 
Generalintendant zu Rizga, 1820 Intendant zu Bobblo, 1823 zu San⸗Remo, fpäter zu Pine 
zolo, enblich Beneralintendant zu Gafale und Cuneo. Er farb 18. April 1847 zu Turin. Der 
allgemeine Charakter feiner Zuftfpiele Ift der des Ernſten. Seine Schidfale, namentlich eine 
unglüdliche Ehe, follen dazu beigetragen haben, feinen Charakter zu verbüftern. Das komiſche 
Element ift bei ihm ſchwach, die Intrigue meift ſehr einfach, und die Greigniffe find aus dem 
gewöhnlichen Leben genommen. Dagegen ift er ald Charakteriſtiker ausgezeichnet, und auch bie 
abmeichendften Naturen weiß er mit außerordentlidem Geſchick barzuftelln. Zu den beften 
Charakterſtũcken gehören „Die Ehrfüchtige” (1810), „Die Kokette” (1818) und „Der Pro 
jectenmacdher” (1809). An diefelben fchließen ſich an, jedoch mit großerm aum für die 
Intrigue: „Der neue Reiche” (1809), „Die Proceffüchtigen” (1811), „Der Ehefeind (1811), 
„Der Kranke in der Einbildung” (1813) und „Der Büchernarr” (1822). Voll Sentimenta- 
hieät und vollig im Geſchmacke Iffland’fcher Familiengemälde find : „Der Unterbrüder und die 
Unterbrüdte” (1804), „Die Herzogin von Lavallidre” (1806) und „Die erften Schritte zum Ver⸗ 
berben” (1808). Zuftfpiele, in denen die Intrigue vorherrfcht, find : „Der Jahrmarkt” (1826), 
ein anfprechendes und unterhaltendes Eittengemälbde, welches überdies das Iebendigfte und ab« 
wechfelndfte unter feinen Stüden fein möchte, und „Die Verliebten” (1820). Die StüdeN.’s 
erſchienen gefammelt in feinen „Gomedie” (7 Bde., Flor. 1827— 28; 4 Bde. Turin 1837 — 
42) und bem „Teatro comico” (8 Bde., Turin 1842 und öfter). Viele feiner Luftfpiele wurden 
ins Sranzöfifche, Spanifche, Deutfche (3.B.von K. Blum), Schwebifche, Ruffifche überfept. 

Notabeln (les Notables) heißen, urfprünglich nur in Srantreich, die durch Rang umd 
Stellung ausgezeichneten Männer im State. Als die Neichöftände in Frankreich (f. Etats 
göndraux) dem königl. Despotismus befchwerlich wurben, begannen ſchon die Könige aus 
dem Haufe Valois an deren Stelle Berfammlungen der Notabeln (Assembl&es des Notables) 
zu berufen, welche die großen Nationalverfammlungen herabbrüden und in Vergeffenheit 
bringen follten. Da die Zeit der Berufung, die Zufammenfegung und die Thätigkeit der Nota- 
bein ganz von der Willkür des Hofs abbingen, fo zeigten fich dieſe Verſammlungen gewöhn⸗ 
(ich bereit, Das zu genehmigen, was man von ihnen verlangte. Befonders leicht bewilligten fte 
Abgaben und Subſidien, die jie nicht felbft zu zahlen Hatten. Die Zeitumftände brachten jedoch 
allmälig im Inftitute der Notabeln eine Ausbildung hervor, die fi) den Reichsſtänden näherte. 
Auf einer Verſammlung im San. 1558 erfchtenen fogar neben den drei Ständen Abgeordnete 
der Obergerichtähöfe, und eine ähnliche Verſammlung rief Heinrich IV. 1596 auch in Rouen 

zuſammen. Jeg einer Verſammlung von 35 Notabeln, die Richelieu 1626 zu Paris veran⸗ 
ftaltete, ließ der Hof auch diefen legten Reſt von Volksvertretung in Bergeffenheit ſinken. Erſt 
als die Zerrüttung der Finanzen unheilbar, bie Monarchie dem Abgrunde nahe war, bewog der 
Minifter Salonne (f.d.) Ludwig XVL, feine Zuflucht zu den Notabeln zu nehmen. Die Ver⸗ 
fammlung, welche am 22. Febr. 1787 eröffnet, 25. Mai gefchloffen wurde, beftand aus fieben 
Prinzen von Geblüt, 9 Herzogen und Pairs, 8 Marfchällen, 14 Erzbifchöfen, 22 Edelleuten, 
8 Staatsräthen, 4 Requetenmeiftern, 37 Oberrichtern, 12 Abgeordneten ber Pays d' Etats, 


Notarien .Noten (diplomat.) ss 


dem Givillientenent und 25 obrigkeitlichen Perſonen aus verfhiedenen Städten des Meise. 
Die Enthüllungen, welche Salome über den Finanzzuſtand machte, verfegten die Notadeln 
nicht nur in den höchften Unwillen, fonbern auch in einen augenblidlichen Reformeifer, der unter 
andern: tiefgreifenben Maßregeln den Antrag auf Herſtellung ven Provinzialverfamnilungen, 
Abſchaffung der Frohnen, der Salzſteuer und Entlaftung des Getreidehandels jur Folge hatte. 
Kaum war indeſſen bie Berfammlung-auseinandergegangen, als ſich Biele mit den Parla⸗ 
menten gegen die ihre Sonberinterefien verlegenben Beistäfr verbanden, ſodaß ſich der König 
genöthigt ſah, endlich die Berufung der gefürchteten Reichsſtände zu gewähren. Neder (f. d.), 
der unterbefien an die Spige der Berwaltung getreten, verfammelte bie Rotabeln 5. Rov. 1788 
nochmals und gab denfelben auf, über die Formen ber abzubaltenden Reichsverſammlung, 
namentlich über die Zahl der Mitglieder vom Dritten Stande und bie Urt der Abſtimmmg zu 
berathen. Die Rotabeln erlärten ſich jeboch gegen jede Neuerung und zwangen baburd ben 
of, Durch Halbe Maßregeln ber Revolution bie Thore zu öffnen. In neuerer Zeit find von den 
ierungen einiger Staaten Notabeln zufammenberufen worden, um vorläufige Berathun- 
gen in Berfaffungsangelegenheiten zu pflegen. | 
Motarien (Notarii) hießen bei den Römern urfprüngli diejenigen Sklaven ober Freige- 
kafienen, welche als Gefchwindfchreiber vorzüglich bei den Senatsverfammiungen gebraucht 
wurben, und zwar deöhalb, weil fich diefelben beim Schreiben gewiſſer Zeichen oder Abkürzun⸗ 
gen bebienten. In ber fpätern Zeit bes rom. Neichs nannte man Notarii die Schreiber oder 
Secretäre ber öffentlichen Behörben. In Deutſchland gehörte die Beftellung der Notare 
ale rechtskundiger, öffentlicher Urkunbsperfonen zu den Laiferlichen Borbehalten;. doch 
Sonnten fie Bier fehon deshalb keine große Webeutung gewinnen, weil bie Juſtizverfaſſung 
der einzelnen Lande bie Wirkfamkeit bes Lalferlicden Notars (Notarius publicus Sacrae 
Caesareae Majestatis) zu befchränten fuchte. Ihre Nechte und Pflichten beflimmte Kai- 
fer Marimilian I. durch die Rotariatsorbnung von 15412. In Deutfchland iſt baher ber 
Rotar eine unter landes herrlicher Autorität beftellte und vereidete Perfon, weiche gewiſſe recht⸗ 
liche Hanblumgen (Banblımgen ber freiwilligen Gerichtsbarkeit) in Gegenwart von Zeugen zu 
sehen und barüber eine glaubwürbige Urkunde, das Rotariatsinftrument, aufzunehmen 
die Befugnif bat. In dem Deutfchen Reiche fland nur bem Katfer und den Reichövicarien das 
Necht zu, entweder unmittelbar oder bucch Pfalzgrafen Rotare zu ernennen ; feit Auflöſung 
des Reichöverbandes beſtellt fie ein jeber deutfche Landesherr durch feine Collegien. 
pre Rechte finb in einzelnen Ländern ſehr eingefchränkt worden. Das größte Anſehen ge- 
wanuen bie Rotaze in Frankreich, und ihre ausgebreitete Wirkſamkeit haben fie auch inder nach 
der Revolution eintretenden neuen Gerichtöverfafiung behalten. Die Organifatien ber franz. 
Gisitcechtäpflege beruht nämlich theils auf nicht Recht ſprechenden, theild auf Recht fprechen- 
ben Unftalten.. Unter ben nicht Recht fprechenden Unftalten fteht das Notariat oben an. ‘Der 
franz. Netar ift ein öffentlicher Zeuge in fubjertivem und ebjectivem Sinne. Durch ihn bezeugt 
ber Staat, und fein Zeugniß wirb für den Staat und für die ganze Geſellſchaft geführt und 
verwahrt. Er jegt Conttacte, Schulbverfchreibungen und Vergleiche und alle andern bie will» 
kũrliche Berichtöbarkeit betreffenden Acten auf, die bie Summe von 150 Fres. überfleigen. Ro» 
tariatSurkunden haben vollen Glauben, und ein Beugenbeweis gegen fie wird nicht zugelaffen. 
Ihr Inhalt it der Nechtskraſt gleich. Der Notar führt Über alle von ihm vorgenommenen 
Handlungen eine Regifiratur und iſt für die Verwahrung derfelben den Parteien und dem 
Publikum verantwortlich. Dat ber Bläubiger bie Ausfertigung feiner Schuldverfchreibung ver 
(oren, fo findet er das Original bei dem Notar wiederi: Huch Haben die Notare in Frankreich 
ein wichtiges Amt bei Erbtheilungen, ba ihnen bie Fertigung von Inventarien und bie Leitung 
deb Grhefeitumgbgefchäfts zuftcht. n EN 
Moten werben die im diplomatifchen Verkehr von einer Regierung der andern gemachten 
formellen Mittheilungen oder Eröffnungen genannt. Solche Roten koͤnnen entweder direct an 
bie betseffende Regierung gerichtet und im Wege bes gewöhnlichen gefandtfchaftlichen Verkehrs, 
auch unter Unflänben durch eine außerordentliche Botſchaft überreicht merdens oder fie gehen 
blos an den Meſandten ber Regierung, welche fie erläßt, mit ber Weiſung, ber Megierurig, bei 
welcher er beglaubigt ift, davon mündliche Mittheilung zu machen und —— eine ab⸗ 
ſchriftliche Kenntnißnahme zu geſtatten. Bei Vorgängen von allgemeinerer t erlãßt 
wol auch eine Negierung gielchlautends oder ſogenannte Eireularnoten an Ihre ſaͤmmtlichen 
Gefandten bei fremden Höfen, um dieſen und durch fie ben ſäͤmmtlichen andern Regierungen 
. Gonnster. Behnte Sf. X. . 20 | 


206 "ir NMoten (mufital.) 


ihre Unfichten und Eutfchliefungen in Betreff einer ſolchen allgemeinen vollerrechtlichen Frage 

kimdzugeben. Solche Sircularnoten werden dann bisweilen durch bie amtlichen Drgane ber 
Megierung auch zur Kenntniß des Publicams gebracht, befonders wenn es ſich um Maßregeln 
handelt, wegen deren man fich vor der öffentlichen Meinung zu rechtfertigen wünſcht. Diele 
Noten dienen dann alfe zugleich gewiſſermaßen als Manifefte. - | 

Noten (notaemusicae) heißen in ber Muſik die Tonzeichen. Man bediente ſich Hierzu ſchon 
m Alterthume gewiffer Buchflaben des Alphabets. Die Hebräer follen Actente als Tonzeichen 
gebraucht haben. Da die Griechen für die Töne der Vocalmuſik andere Zeichen hatten als für 
bie der Inſtrumentalmuſik, und ba fie die Detave noch nicht kannten, fo bedurften fie einer unge» 

uern Maffe Roten, zu deren Bezeichnung fie ebenfalls des Alphabets ſich bebdienten. Die 

ahl derfelben belief fid auf O00, wovon die eine Hälfte für Die Bocal-, bie andere für die In- 
ſtrumentalmuſik beflimmt war. Um aber mit ber geringen Anzahl der Buchflaben bes Alpha⸗ 
bets eine folche Menge Töne bezeichnen zu können, gab man denfelben verfehiedene Stellungen 
und Sormen. Auch nahm man die Accente zu Hülfe, indem man fie theils allein als Roten ge- 
brauchte, theild durch Hinzufügung berfelben zu.den Buchftaben neue Roten bildete. War ein 
Lied beftimmt, mit Inftrumentalbegleitung gefungen zu werben, fo ſtanden zuerft Die Roten der 
Vocalmuſik, unter diefen die Noten ber Infteumentalmufit und dann erſt ber Tert felbfl. Da 
die Silben der griech. Sprache meift auf einer feftbeftimmten natürlichen Quantität (Geltung in 
Hinficht ber Zeit) beruhen, fo brauchten die griech. Noten nicht die Dauer bed Tons zu bezeich⸗ 
nen, welche durch die Kürze oder Länge der Silbe von felbft gegeben war, unb Eonnten ſich daher 
in der Regel nur auf Bezeichnung ber Höhe, Tiefe und Natur des Tone einfchränten. Bei den 
Eilben, welche ancipites (lang und kurz) waren, und derem Gebrauch ber mit ben Geſetzen be& 
Metrums und ber Rhythmik weniger befannte Muſiker Hätte misverfichen Sonnen, bediente 
man fich gewöhnlich des A, um ben Igngen, und des B, um ben kurzen Gebrauch der Silbe zu 
bezeichnen. Die 15 Haupttöne bes griech. Tonſyſtems, bie ſich vom großen A bis. zum eingeſtri⸗ 
chenen a erſtreckten, wurden zuerſt Durch Papſt Gregar I. am Ende des 6. Jahrh. auf fieben zu⸗ 
rüdgebracht unb mit den fieben erften Buchftaben des rom. Alphabets bezeichnet, wobei man 
die Initialbuchftaben für die erfte Stimme, die Heinen Buchftaben für die Höhere Detane und 
die doppelten Buchflaben für die höchfte Detave gebrauchte. Diefes zwar vereinfachte, jedoch 
immer noch fehr unvolltommene Notenfoftem, für welches man fich auch bald ber Parallellinien 
bediente, auf welche die Buchftaben geftellt murben (daher der Rame Tabulatur), biteb fo lange 
im Gebrauch, bi6 man auf die Idee geriet, ftatt der Buchſtaben ſich der Punkte mit fünf Linien 
(Rotenfyftem oder Linienſyſtem genannt) zu bedienen, indem man die Punkte und verfchobe- 
nen Quadrate fowol zwifchen die Linien als auf diefefben fegte. Gewöhnlich wird biefe Erfin- 
dung dem Buido von Arezzo (f.d.) beigelegt ; nach Andern war fie ſchon im 10. Jahrh. vorhan- 
den. Die Buchftaben, deren man ſich vorher flatt der Noten felbft bedient hatte, wurden nım 
Notenſchlüſſel (ſ. d.). Da indeffen diefe neuerfundenen Linienpunkte noch nichtdie Verfchiebenheit 
der Dauer der Tone oder ihre Geltung bezeichneten, fo blieb noch die. Erfindung übrig, ihnen 
durch befondere Geftaltung auch biefe Bedeutung beigulegen. Diefe Erfindung wird von Eini- 
gen dem Franco von Köln beigelegt, der im 13. Jahrh. lebte. Andere fchreiben fie, ober wenig- 
ſtens ihre Bervolllommnung, dem Sean de Moeurs oder Meurs (Johannes de Murs) zu, ber 
zwiſchen 1550—50 angefangen hatte, die einfachen Punkte in Heine Quadrate zu verwandeln, 
die bald ſchwarz, bald nicht ſchwarz waren, bald Striche, bald keine Striche hatten, und biswei⸗ 
len mit krummen Strichen (Schwänzen) verfehen waren, wodurch noch jegt bie Verlängerung 
und Verfürzung der Noten außgedrüdt wird. Die diminutio oder Verringerung und bie Zer- 
theilung einer Note in Noten von geringerm Werth, 3. B. wenn ein Viertel in zwei Achtel ober 
vier Scchzehntheile zergliedert wird, und der Gebrauch der laufenden Roten ift zuerft von Sean 
Mouton, Kapellmeifter König Franz’ I. von Frankreich, im 16. Jahrh. erfunden worden. Seit 
Rouffeau bat man zwar vielfach eine andere muſikaliſche Zeichenfchrift, z. B. bie Ziffern, welche 
bei dem Elementargefangsunterrichte angumenden find, vorgefchlagen; body hat bisher bie mu- 
fitalifche Notenfchrift, die felbft Leibniz auf den Gedanken einer Paſigraphie (ſ. d.) gebracht ha⸗ 
ben foll, wegen ihrer die Tonverhältniſſe bezeichnenden Anfchaulichkeit durch Beine andere Erfin⸗ 
dung verdrängt werben können. 

Die Geſchichte bes Motendruds ift ein Gegenſtand, der erſt ganz neuerdings durch Ant. 
Schmid, Cuſtos an der Hofbibliothek zu Wien, in dem vortrefflihen Werke „Dttaviano bei 
Petrucci ba Foffombrone, der erfte Erfinder des Muſiknotendrucks mit beweglichen Metalltypen 
und feine Nachfoiger im 16. Jahrh.“ (Wien 1845) gründlich erörtert worden ifl. Früher und 


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nuf die neuefte Zeit mar man hierüber vollig im Unflaren, ſodaß felbft Ferkel in feiner „Ge- 
ſte der Muſik“ geficehen mußte, daß er der gänzlich unkun Zwei Epochen find 


Notendruc wefentlich gu unterfcheiben : Wie erfle, In welcher manı ſich dazu ganzer Platten - 


mte, und bie zweite, in welcher man bie Roten auf ähnliche ZBeife wie Schriften mit beweg- 
a Bettern fegte. In jener erſten Epoche bebiente man fig beim Rotenbrud ber Holztafeln. 
älteften, wahrfcheinlich mit folchen Tafeln gedruckten Noten, die man Pennt, finb von 1473. 
r auch findet man in Büchern aus ber Zeit, wo ber Notenbrud noch etwas Neues war, die 
n vorkommenden Noten mit ber Schreibfeber eingezeichnet. Der Erſte, der Die Kunft erfand, 
beweglichen Metalltypen Muſikwerke zu druden, war Petrucd, geb. 1466 zu Koffombrone 
firchenflaate. Bon 1502—235 wurden von demfelben 48 Tonmerke herausgegeben, deren 
Inheit und Zierlichfeis, was die Ausführung betrifft, flaunenswerth fein fol. Unter den 


‚olgern Petrucci's in Italien ift Jacobus Ant. Zunta oder Junte in Rom 1526 zu bemer- 


bemt bald baranf Ant. Blabo folgte. In Benedig tratem fafk zur gleicher Zeit, um 1556, 
wiano Scotto und Marcolino ba Forli auf. Beide erreichten ben Petrucci nicht und nur erfl 
Hardano kam ihm nahe: In Deutſchland erwarb fi zuerft Erharb Oglin oder Oglin, 
lein genannt (lat. Ocellus), in Augsburg wahrhafte Verdienfte um biefe Kunſt. Das 





von ihm gebrudte Werk erſchien 1507. Ihm folgten in Augsburg Melch. Krießſtein und 


uUlhard. Per. Shöffer in Mainz, fpäter in Worms, Strasburg und zulegt in Venedig, 
rte 1512 in Mainz fein erſtes Druckwerk, welches an Schönheit den alusgaben von Pe⸗ 
A ganz gleich fteht. In Frankreich find in älterer Zeit vorzüglich bie Namen Pierre Hautin 
25) und Pierre Attaignant (1527) in Parts zu nennen; vorzüglich wichtig war die Familie 
lard, bie Durch einen Zeitraum von beinahe zwei Jahrhumberten eine Art Monopol des Mu⸗ 
tendrucks in Frankreich ausübte und 1558 zu drucken begann. In ben Niederlanden kom⸗ 
erſt gegen bie Mitte bes 16. Jahr. gebrudte Werke vor, obgleich kein Land eine größere 
ab! bedeutender Zonmeifter im 15. und 16. Jahrh. als dieſes aufzumweifen hatte. In Eng⸗ 
: finden ſich erſt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. gebrudte Muſikalien, und John Day 
ı wol die erfien geliefert haben. Aus ber neuern Zeit iſt Breitkopf (f. d.) im Leipzig zu nen« 
der feit 1755 die Kunſt bes Notendrudis, die am Ende des 17. Jahrh. in Deutichland wie 
en andern Bändern ber Vergefienheit anheimgefallen war, wieder in das Keben rief und 
mäglihfen Vollkommenheit fleigerte. Seitdem ift man bemüht gewefen, ben gebruckten No⸗ 
n Übereinflimmung mit ben Sortfchritten ber gefammten Eypographie eine geſchmackvollere 
n zuverleihen. Die wieberholt in Borfchlag gebrachten Notenſegmaſchinen, mittel deren, 
dem Fortepiano in Verbindung: gefegt, die Phantaſien des Kizufliert fogleich auf Roten 
je werben, find insgeſammt zus keiner praktiſchen Anwendung gekommen, vielmehr als Ber 
e einer müßigen Speculation zu betrachten. | 
toteufchlüffel (itaf. Chiave, franz. Clo, engl. Key) nennt man das Zeichen, welches am 
ange eines Zinienfuftems befinblich ifl, und welches bie refpective Tonhöhe der auf bemiel- 
befindlichen Roten anbeuten fol. Bei den frühern Rotationsverfuchen fügte man entweder 
m jeden Zwiſchenraum ober einer jeden Linie die Benennung ihres Zond mit großen oder 
en Buchſtaben, um bie Höhe anzubeuten, beis doch feit der Mitte des 17. Jahrh. beſchraͤnkte 
ſich nur auf eine einzige Linie des Syſtemd and waͤhlte drei Buchflaben, welche hinreichend 
en, den Umfang von vier Detaven oder der Menfchenflimme genügend barzuftellen, nämlich 
F-, G- und G-Schlüffel. Dieſe drei Schlüffel vermehren ſich auf neun ſolche, je nachdem ei⸗ 
berfelben auf diefe oder jene Linie des Syſtems gelegt wird. Ban wandte demnach ben F- 
lüffel, für tiefe Stimmen geeignet, auf ber 5., 4 umd 3. Biniez den T-Gchlüffel, ben höhern 
samen augemeffen, auf der 4., 3., 3. und 1. Linie, und den G- Schlüffel, mehr für Inſtru⸗ 
te paffend, auf ber 2. und 4. Linie an und ertheilte einem jeden folhen Schlüfſel eine be⸗ 
mie Bezeichnung ald: tiefer, gewöhnlicher unb hoher oder Bariton - &xhlüffel; Tenor, 
Halbſopran⸗ und Discant-Schlüffel; Violin· und Franzoͤſiſcher Violinſchlüſſel. Gegem 
tig bemugt man faſt nut den Biolin- und gewöhnlichen Baßſchlüſſel. Jedoch iſt bie Kennt 
ſaämmtlicher Schlüffel zum Studium äfferer Tonwerke und ber Partituren unentbehrlich. 
Lotbhelfer, in der kath. Kirche diejenigen Heiligen, von dene man in befonbern Röfhen 
fe erwartet. Gewöhnlich werden 14 Nothheifer angeführt: Achatus, Blafius, Chriſtopho⸗ 


Cytiacus, Dionyſius der Areopagit, Egidins, Erasmus, Euflachius, Georg der Märtye 


Pantaleon, Bits, Barbara, Katharina und. Margaretha. Berner werden in ſchweren 
en auch andere Heilige vorzugsweife angerufen, wie Florian bei Gewittern, Sebaſtian und 
Des bei Peflfeng u. 1. | | ne . 


2 Metpläge rochreqht 


Rothlage, f. Lüge. 

Nothmünzen nennt man alle diejenigen KRunzen, welche bei eintretendem Geldmangel zur 
Abwendung deffelben für den gemöhnlichen Verkehr gefchlagen werben. Man nimmt entiveber 
Metall, doch fo, daß ber wahre Werth ber Münze weit unter bem Nennwerthe flieht, ober es 
werben ganz werthlofe Begenftände dazu verwendet. In beiden Fällen ift die Ausgabe von 
Rothmünzen lediglich auf ben Grebit Deffen berechnet, von. dem fie ausgehen. Solcher Roth 
münzen find in den Zeiten des Kriegs in Europa und namentlich in Deutichland fehr viele ge 
ſchlagen worden. Rothklippen nennt man die ediigen Rochmünzen und Belagerungdwmünzen 
die bei Belagerungen zur Befoldung der Truppen gefchlagenen Münzen. Bgl. Kiog, „Historia 
numorum obsidionalium* (Altenb. 1765); Duby, „Recueil génôral des pidces obsidionales 
ei de necessite” (Par. 1786); Rũder, „Verſuch einer Befchreibung der feit einigen Jahr 
Bunberten g.vrägten Nothmünzen“ (Halle 1806). 

Nothomb (Jean Baptifte), einer der talentvollſten belg. Staatömänner, geb. 5. Juli 1805 
zu Meflancy im Lugemburgifchen, finbirte in Lüttich die Rechte und prakticirte barauf als Ad⸗ 
vocat, zuerft in Luxemburg, dann in Brüffel, wo er an ben Kanıpfe gegen bie damalige mederl. 
Regierung ben lebhafteften und einflußreichften Antheil nahm. Zur Zeit des Septemberaufflan- 
bes von 1830 war er von Brüffel abweſend. Nach demfelben wurde ex von ber Proviforifchen 
Megierung, die auf feinen Rath, 16. Det. 1830 auch das Großherzogthum — Be 
fig nahm, zum Witgliede ber Berfaffungscommifften ernannt. Bald nachher zum Mitglied 
bed Gongreffes und im Nov. 1830 zum Mitglied des biplomatifchen Comité ernannt, trat er 
den Beftrebungen ber nad) Frankreich ober nach republffanifcher Staatsform Binneigenden 
Partei entſchieden entgegen, indem er ſich für Einleitung von Verhandlungen mit den europ. 
Srofmächten und für Annahme des Syſtems ber conflitutionelln Monarchie ausſprach und 
eines der Häupter der belg. boctrinären Partei wurde. Durch feine Rebnergabe war ex, obgleich 
das füngfie, eines ber einfiufreichften Mitglieder bes Congreſſes und nach der Auflöfung ber 
Proviforifchen Regierung durch feine Einficht eine der Hauptſtützen des Cabinets, in welchen 
er ald Generalfecretär mit ben Miniftern van de Beyer und Lebeau die Verhandlungen mit 
ber Londoner Eonferenz leitete. Ihm gehörten vorzüglich die Bemühungen zur Berufung bes 
Prinzen Leopold auf den belg. Thron an, und namentlich find auch die 48 Artikel (f. Belgien), 
bie er aus London bei der Conferenz mit zurückbrachte, In ihrer modificirten, für Belgien fo 
günftigen Geftalt im Weſentlichen als fein Wert anzufehen. Rad, Einführımg der neuen Ver⸗ 
faflung nahm er, von dem Bezirk Arlon in die Repräſentantenkammer gewählt, als ein Haupt 
ber Gemäßigten, den wichtigften Antheil an allen Geſchäften derſelben. Im Minifterium des 
Auswärtigen blieb er fo unentbehrlich, daß er feine Stelle als Generalſecretär trog aller Mini- 
fterwechfel behielt. In diefer Zeitgab er feinen „Essai historique et politique sur la r&volution 
beige” (2 Bde, Brüff. 1833; deutfch von Michaelis, Stuttg. 1836) Heraus, die glücklichſte 
Dertheidigung ber belg. Revolution. Selbſt das katholiſche de Theur ſche Minifterlum konnte 
feiner nicht entbehren, fondern gab ihm im Jan. 1837 das neu gegründete Mintfterium 
der öffentlichen Arbeiten, das er mit Erfolg führte. Weſentlich förderte er auch bie An⸗ 
nahme des Vertrags zur endlichen Regulirung der Differenz mit Holland, insbefondere zur Ab⸗ 
txetung eines Theild von Luxemburg und Limburg im Cabinet und ben Kammern. Bei dem 
Sturze des de Theur ſchen Sabinets im März 1840 nahm. feine Entlaffung und wurde bald 
barauf belg. Sefandter am Bundestage zu Frankfurt, wo er ein freimblichered Verhältniß mit 
den deutſchen Mächten anbahnte. Doch ſchon im nächften Jahre trat er als Minifter des Innern 
in das neugebildete gemäßigt liberale Cabinet und 1843 an die Spige eines von ihm ſelbſt ge- 
bildeten Halb Eatholifchen, halb liberalen, welches 1845 von einem rein Batholifchen erfegt wurde. 
Unter feiner Verwaltung Fam ber Zoll. und Dandelsvertrag zwifchen Belgien ımb dem Deut 
[hen Zollverein zu Stande. Nach feinem Rüdtritt wurde N. Gefandter in Berlin, welchen Po 
ſten er noch bekleidet. Die von N. verfuchte Bertufchung bes Antagonismus zwiſchen Liberalen 
und Ratholiten Hat ihm viele Entfremdungen zugezogen, aber feinen Ruhm als Staatsmann und 
Diplomat nicht zu beeinträchtigen vermocht. Im 3. 1842 ward N. zum beig. Baron erhoben. 

Notbrecht nennt man Dasjenige, was einem Einzelnen oder auch dem Staate, wenn er fi 
In der Lage befindet, feine Exiſtenz nicht anders als durch Eingriff in fremde Rechte retten zu 
Tonnen, zu thun erlaubt ift oder wenigſtens ihm nicht zur Schuld angerechnet wird. Roth tennt 
Bein Gebot, fagt das Sprüchwort, welches den juridifchen Sag ausdrückt, daß die äußere Rechte 
beurtheilung auf bie Schwäche bes menfchlichen Willens, welche vor ber Vernichtung des phy- 
ſiſchen Lebens zurückbebt, fo viel Nüdficht nimmt, us das Handeln in der Noth nicht für ein 


Retbtaufe Nothwehr vo 
ng freies, zurechnungsfähiges zu halten. Daburch wird aber nicht ein Recht begründet, ein 
xecht zu begehen, wol aber das begangene Unrecht ald ein unftelwiiliges betrachtet, die Schuld 
fachoben oder doch gemildert. Ce wird Der nicht geftraft, weicher bei Hungeronoth für ſich 
d die Seinigen Lebenömittel entwenbet, ober wer.in Lebensgefahr ſich auf Koften eines An- 
m vettet. Etwas Anderes ifk bie Rothivehr (f.b.). Ans obiger Darftelung des Rochreche⸗ 
yibt fich auch, inwieweit dem Staaie ein ſolches zugeſchrieben werben könne. Da ſich das 
ochrecht nur auf die Zurechnungslaſigkeit eines unfreiwilligen Handelns gründet, ein ſolches 
ex bei dem Staate eigentlich niemald angenommen werden ann, fo fällt bei dem Staate im 
runde auch der Begriff deffelben hinweg. Es bleiben aber ziweierlei Bälle übrig, in welchen 
in von einem echte des Staats, ſich über bie getvähnlichen Megeln und Formen des Rechts 
teegaufegen, reden kann. Der eine bezieht ſich auf den Grumbfag, daß der Staat berechtigt 
‚aut Erhaltung des Ganzen das Recht (Mermögen, Freiheit, Leben) Emzelner aufuopfern. 
och Bann man hier dem Staate ein Rothreche nur dann zugeben, wenn der Staat wirklich in 
fahr, und fo weit ald nur von Aufopferung erfegbarer Güter bie Rede iſt. Unerfegliche Güter 
Anſprach zu nehmen, etwa Unfehulbige einem rachfüchtigen Feinde Hinzugeben, Menfchen zu 
schen, welchen kein ftrafbares Handeln erwieſen werben kann, Diejenigen, welche in einer 
agerien Siadt zur Vertheidigung nichts nügen und doch die Lebensmittel früher aufzchren 
fen, bein Tode preiszugeben: das ſcheint unter keiner Bebingung gerechtfertigt werben zu 
men. Der andere Sal iſt der, werner die Gefahr, in welcher ſich der Staat befindet, fie möge 
äußern ober innern Feinden ober auch von Raturereigniffen Herrühren, ein fo fräftiges und 
Handeln erfodert, daß die gewöhnlichen:gefeglichen Formen nicht bamit vereinigt wer · 
konnen. Für dergleichen Bälle Hatten ſchon bie Mömer den Ausweg, entweder ben Conſuln 
ve außerordentliche Gewalt zu übertragen (‚‚Videant oonsules, ne respublica detrimenti 
id eapiatꝰ) ober einen Dictator zu ernenmen,- weicher bie‘ Gewalt aller Beamten in feiner 
‚fon vereinigte. In ber neuern Zeit wird zu diefem Behufe, z. B. in England, die Habeas- 
wpus-Acte (f. d.), in andern Staaten bie Berfafleng fuspenbirt, eine d ober ein Drt in 
Hagerungsaufland, erklärt und das Mriegögefeg prociamirt. Auch dieſes kann man bem 
‚nate nicht freitig machen; doch hat ed ebenfalls feine natürlichen Schranken. 

Nothtaufe Heift bie Taufgandlung, bie an Meugebsrenen ober nad ben Grundfägen der 
H. Kirche fogar an Dalbgeborenen, für beren Leben zu fürchten iſt, in Abweſenheit eines Geifl- 
jen Durch bie.Hebamme ober irgend eine andere chriſtliche Verſon unter Anwendung der Taufe 
‚mel vollzogen wird, Nur in dem Yale, daß ber Taufact mangelhaft vollgogen worben, muß 
jelbe, wenn dad Leben des Kindes erhalten wird, wiederholt werden; außerdem iſt nur eine 
chtraͤgliche Einfegnung des Täuflings durch den Geifltichen erfoderlich. Die Rothtaufe im 
eichneten Sinne war der alten Kirche durchaus unbelannt. Sie entwickelte ſich aber für Kin · 
: aus ber fogenannten Rranlentaxfe (baptismus olinieorum), warb dann durch die ſeit Au · 
fin aufgelommene Anſicht von ber Erbfünde, von ber Sünde tilgenden Kraft ber Taufe, da- 
: auch wen der Notwendigkeit ber Kaufe zur Seligkeit für die Rinder verbreitet und blieb 
hrimder griech. und röm,-Tath. Kirche herwfchenbe Praris. Unter ben Reformatoren bildete 
) eine verfhiedene Anfıcht. Luther und die Männer feiner Richtung erflärten-fih nach Augu - 
fcher Theorie für die Beibehaltung der Rocheufe Daher wurde fie auch in der fpätern 
h. Rice vollzogen, ohne gerade fombolifche Lehre zu ſein. Zwingli und Calvin dagegen ver · 
fen entfchieben die Nothtaufe, ſprachen ſich für bie Saigkeit der vor ber Taufe geftorbenen 
ader aus, und diefer Anficht folgen auch größtentheils Die Symbole ber ref. Kirche. Nachdem 
dann in ber [uth.Rirche fehon Die.äftern Bogmaüiker jener Anficht auch angefchloffen hatten, 
ızbe bie Bollziehung ber Nothtaufe immer feltener und in der neuern proteft. Kicche findet ſie 
ht mehr, ftatt. Auch die unirte Kirche nimmt Seine Rothtaufe an. 

Rotpiwehr (inculpata tutela) nennt man im Griminaleecht die Rechtfertigung einer an 
» zedhtbverlegenden und ftrafbaren Handlung, vornehmlich der Verwumbdung oder Tötung 
es Menfchen, welche Davon hergeleitet wird, daß biefe Handlung nur In gerechter Gegenwehr 
yen einen Angriff, deſſen man ſich fonft nicht gabe erwehren Eönnen, oder auch in Vertheidi⸗ 
ng eines Andern erfolgt fei. Angriff muß aber vonder Axt geweſen fein, daß der An« 
Biffene ohne Gefahr für Leib, Leben und Chre nicht entweichen Eonnte, und es Hat der inge 
kene fürdiefen Fall aud) nicht nöthig, mit feiner Gegenwehr zu warten, bis er felbft ange» 
Jen worebn. Ahein dad Map ber Begenwehr bazf nicht überfehritten und, mo geringere 
fiel - ausgereicht Hätten, nicht zum Rußerſien gegriffen werben; auch darf die Gegenwehr 
ht länger als nöthig IR fortgeſert und ber gurlichweidhende Angreifer wicht. auf ber diucht ges 


* 


* 


310 MWMotywendigkeit nwvotker 


tödtet werben: ſonſt liegt wenigſtens ein ſtrafbarer Exceß der Nothwehr vor. Derfenige, weis 

her felbft zuerft einen Andern überfüllt. oder in einer ſträflichen Übelthat von ihm betroffen 
wird, kann fich gegen diefen nicht mit Nothwehr entſchuldigen, und fd ift allerdings bie Fra 

ob in einem vorkommenden Falle eine völlig entſchuldigende Nothwehr anzunehmen ſei, nad 
den Umfländen zu entfcheiben. Eine Nothwehr fol allerbings bewiefen werben ; biefes ſtimmt 
aber mit dem allgemeinen Grundfage des Griminalrechts: Keinen zu ſtrafen, deſſen Schuld 
nicht erwiefen ift, nicht zufammen, zufolge deſſen Keiner aus dem Brunde verurtheilt werben 
darf, weil ihm die Bemeife feiner Unfchuld fehlen. Daher genügt es, wenn nur Umſtände aus- 
gemittelt werben, aus welchen die Rothwehr mit Wahrfcheinlichkeit hervorgeht. 

Nothwendigkeit ift Unmöglichkeit des. Gegentheils. Das Gebiet, für welches ber Begriff 
ber Nothwendigkeit wefentlich feine Bebeutung hat, iſt daher das des Denkens, und bie logiſche 
oder forınale Nothwendigkeit gibt ſich Dadurch zu erkennen, daß ein anderer Gedanke oder eine 
andere Gedankenverknüpfung als bie, welche man für nothwendig erflärt, widerfprechend fein 
würbe. Die reale oder phyſiſche KRothwendigkeit nennt. man einen ſolchen Zufammenbang 
ber Ereigniffe, daß ein anderer Verlauf berfelben unmöglich ift; fie bezeichnet die gefegmäßige 
Bedingtheit ber Erfcheinung und Ereigniffe. Gleichwol liegt der Gegenfag des Heat -Mögli- 
chen, an welchen man denfen muß, um ſich die Nothwendigkeit eines Ereignifies zum Bewußt⸗ 
fein zu bringen, ebenfo wenig al6 die Nothwendigkeit, ſtreng genommien, in den Dingen felbft 
und. in ihren objectiuen Verhaͤltniſſen, fondern in ber Reflerion über ihren Zuſammenhang. In 
ähnlicher Weile fpricht man auch von moralifger oder praktiſcher Nothwendigkeit, wenn 
darüber geurtheilt wird, ab eine beſtimmte Handlungsweiſe unter Borausfepung fitflicher Ge⸗ 
bote oder praktifcher Bebürfniffe eintreten werde, und das moralifch Nothwendige wirb Häufig 
mit bem Pfiihtmäßigen gleichgeftellt: Die bedingte ober hypothetiſche Aotßwendigkeit hängt 
von gewiffen Bedingungen und Vorausſetzungen ab; von einer unbebingten ober abſoluten 
Nothwendigkeit fpricht man, wenn dies nicht der Fall iſt. Streng genommen gibt es aber gar 


keine abfolute Nothwendigkeit; jebe Nothwendigkeit beruht auf Bedingungen, und jener Unter- 


ſchied ift darauf zu beſchraͤnken, ob jene Bedingungen ſelbſt veränderlich ober umveränberfich find. 
Nothzucht (stuprum violentum) nennt man bie gewaltfame Befriedigungbes Geſchlechts⸗ 
triebeö an einer unbefcholtenen Frau oder Jungfrau. Die Halsgerichtsorbnung Karl's V. von 
4532 (Art. 119) fegt auf Vollendung diefes Verbrechens ben Tod durchs Schwert; neuere 
- Befepgebungen dagegen ahnden das Verbrechen nach Maßgabe der Umftände mit Zuchthaus⸗ 
firafe oder öffentlicher Arbeit. Verwandt mit dem Verbrechen der Nothzucht ift bie Unzucht mit 
Derfonen in bewußtlofem Zuftande (das fogenannte stuprunı nec violenftum nec voluntarium) 
und die Unzucht mit Kindern. (S. Unzucht.) | 
Motker hießen fünf verdiente und berühmte Mönche in St.-Ballen, die wegen ihrer Na- 
mendgleichheit von fpätern Schriftftelleen nicht felten umtereinander vermechfelt wurden. 1) Not 
ter Balbulus (der Stammler, alfo benannt wegen feiner ſchweren Zunge) oder ber Heilige 
(wegen feines untabeligen Lebenswandels, obſchon die kirchliche Kanonifation erft fehr fpät er» 
folgte), der 912 ftarb, lag neben dem Gottesbienfte mit raftlofem Eifer nur allem den Wiſſen⸗ 
fhaften ob und erwarb fich fo gründliche Kennmiß der Bibel und ber theologifchen Xiteratur, 
der lat. und griech. Sprache, der Muſik und Poefie, daß er für einen der größten Gelehrten ſei⸗ 
ner Zeit galt. Von entfcheidend fortwirfender Bedeutung wurden namentlid, feine Bemühun- 
gen um den Kirchengefang, indem er nicht nur im Allgemeinen die einfachere romifche oder Gre⸗ 
gorianifche Sefangsweife befeftigte und forberte, fondern auch, veranlaft durch ein Antiphonar, 
welches ein vor ben Normannen aus Jumieges geflüchterer Priefter nah Et.-Gallen mitge 
bracht hatte, den bis dahin tertlofen Melodien bes Neuma oder der langgebehnten Schluffubi- 
lation des Allelufa profaifche und Gregorianiſcher Sangesform ſich anbequemende Texte unter 
legte, die fogenannten Profen oder Sequenzen ([.d.), welche allgemeine firchliche Geltung er» 
hielten und in ihrer Kortentwidelung für bie Befchichte der Poeſie fehr wichtig wurden. Solcher 
geiftlicher Gefänge hat er gegen funfzig verfaßt und außerdem noch verfchiedene andere theologi- 
he Schriften. — 2) Notker Phyfiens (dev Arzt), ein Zögling des N. Balbulus, gerühmt als 
Mufiker, Maler, Schreiblünfter und Arzt, verzierte die Kioſterkirche und mehre Handſchriften 
mit Gemälden, ſchrieb Verfchtedenes in lat. Verfen. und ſtand wegen feiner Arzneikunde am Hofe 
Kaiſer Otto's I. in befonderer Achtung. — 3) Mofker ber Abt, ein Neffe des ebengenannten 
Arztes, verwaltete während feiner nur vierjährigen Regierung die geiftlichen und weltlichen An⸗ 
gelegenheiten bes Kloſters auf das trefflichfte, verbefferte bie Lage feiner Bewohner und Anger 
börigen und gründete eine tüchtige und erfolgreich wirkende Schule für bie Söhne feiner Mint 


Rotoriſch Nottingham an 


ſterialen. — 4) Notker der Propft, ſpaͤter (972 — 1008) hochverdienter Biſchof von Lüt- 
tich, ſchrieb dad Reben des heil. Remaclus. — 5) Motker Labeo (mit den großen Lippen), auch 
Zentontens (der Deutſche) genannt, zeichnete ſich gleichfalls aus Durch umfafiende Belchrfam- 
Beit. Er war Theolog, Muſiker, Dichter, Aftronom und Mathematiker, in ben griech. und röm. 
Giaffitern nicht minber bewandert als in der Bibel und der geiſtlichen Literatur, und übte auch 
die BRalerei und bie Heilkunft. Unter feiner Leitung erreichte bie Kloſterſchule Ihre höchſte Blüte. 
Zunãchſt für die Zwede biefer Schule verfaßte R., unterftügt burd feine Freunde und gereiften 
Schüler eine Reihe von Überfegungen und Erläuterungsſchriften in deutſcher Proſa, weiche 
eine große Sicherheit und Gewandtheit ber Darftellumg zeigen und zu ben wwichtigfien Dentmä- 
lern ber althochbeutfchen Sprache gehören, Leider aber großentheils (und darunter gerabe eines 
der bedeutenbften Werke, bie Erklärung des Hiob) verloren find. Erhalten Haben fich die Pfal- 
men nebft den übrigen pfalmenartigen Stüden bes Alten unb Neuen Teſtaments (gedruckt in 
Schiter’s „Thefaurus”, Bd. 1, und in Hattemer’s „Denkmalen bes Mittelalters”, Bd. M; die 
Kategorien bed Ariſtoteles und deſſen Abhandlung xepl Eounvelas (herausg. von Braff, Berl. 
41837); des Boethlus Schrift „De consolatione philosophiae” (herauſsg. von Graff, Berl. 
1837, und bei Haitemer, Bd. 35); des Marcianus Capella zwei erfle Bücher „De nuptiis Philo- 
logiae et Mercurli” (herandg. von Graff, Berl. 1837); eine Abhandlung „De octo tonis* (in 
vonder Hagen's „Denkmalen bes Mittelalters”, Berl. 1824); eine andere „De syllogismis” 
und eim Bleineb Lehrbuch ber Rhetorik (in Haupt's „Zeitfchrift für deutfches Alterthum“, Bd. 
4). Berloren find Borthius“, De trinitate”, Eato’s „Dikkiha”, Virgil’6 „Bucolica”, bie „Un 
bria”.des der Hiob, ein Werk unter dem Ramen „Principia arithmeticae” und vie 
leicht noch manche andere, von benen wir nicht einmal den Titel Bennen. Unzweifelhaft von R. 
fetbpt verfaßt find unter diefen Schriften nach dem ausbrüdlichen Zengniffe feines Schülers 

IV. die Pſalmen, der Hiob und Gregor's „Moralia in Hiob.” R. Kabeo flarb im 
10. 3. ſeines Lebens 22. Juni 1022 in Folge der Peſt, welche das Heer Heinrich's 11. aus Ita- 


lien e. 

— als allgemein bekannt. Die Notorietaͤt einer Thatſache ſchließt die 
Nochwendigkeit a, fie im Proceffe zu beweiſen. Die Grenzen Deſſen, was für notoriſch zu 
halten, Laffen ſich nur mit Rüdficht auf die befondern Umflänbe beflimmen. - on Ä 

Notreldame ift die alte franz. Bezeichnung der Jungfrau Maria, wie im Den 
Unfere liebe Yran, und deshalb ber Name mehrer der Jungfrau Maria gewibmeten Kirchen 
u. f. w. in Frankreich, z. B. der großen Dauptfirche von Paris. | 
Rottingham, auch Notts genannt, eine der mittleren Grafichaften Englands, Hat einen 

t von 38 QM., wovon 35 auf Felder, Wiefen und Hutumgen formen, und 

294458 E. und liegt zwifhen den Sraffchaften York, Lincoln, Leicefter und Derby. Sie tft 
eine ber angenehmften und reichften Landſchaften Englands, mit milbem und gefimden Klima, 
um Uderbau ebenfo wol geeignet wie zur Viehzucht. Waldungen und Anhöhen wechfeln mit 
weiten Thaͤlern und Ebenen ab, und zahlreiche Klüffe, unter denen ber Trent ber einzige größere, 
besuäffern das Band, das überdies noch vom Grand⸗Trunkkanal burihfchnitten wird. Durch 
Fruchtbarkeit ausgezeichnet tft beſonders das Thal von Belvoir. Im Rordweſten ber Graffchaft 
findet man noch einen Überreft des großen Waldes vom Sherwood, wo der in engl. Romanen 
vielfach befungene Robin Hood einft haufte. Getreide, Barten- und Bülfenfrüchte, Hopfen, . 
Flachẽ und Vieh werden fo reichlich erzeugt, daß man eine bedeutende Nenge davon ausführen 
Bann; auch liefert ber Boden, außer etwas Blei und Galmei, Alabaſter, Gyps und Steinkohlen. 
Den Kımftfleif befchäftigen vorzüglich die zahlreichen Wollen und Baummollenfpinnereien, 
weberelen, Alchrauereien, Malereien und andere Gewerbe. Die Hauptftabt ift Note 
Augham, groß und amphicheatraliſch an einem ftellen Hügel, fowie am Trent ımb Grand» 
Trunkkanal gelegen, der fie mit Liverpool, London und Hull verbindet, mit 58418 E., von bes 
nen über 10000 fi mit Strumpfweberei befchäftigen. - Außerdem verfertigt man hier und in 
ber Umgegend fehr viele baumwollene und feidene Spigen, Bleiweiß und grobe irdene Waaren; 
auch braut man Ale und Yorker und der Handel mit dieſen Producten iſt bedeutend. Unter 
den Sffenflichen Gebäuden zeichnen fich mehre Kirchen, die Brücke mit 19 Bogen, dab Gerichts⸗ 
haus für die Affıfen, das von doriſchen Säulen getragene Rathhaus, bie Börfe und das Thea⸗ 
ter ans. Das urſprunglich 1130 auf einem hervorſpringenden Sandfteinfelfen erbaute Schloß, 
früher eine Haupizierde der Stadt, war ſtark befeftigt, wurde jeboch unter Kart I. im Bürger 
Priege zerflört und, nachdem es ber Herzog von R. nen aufgeführt, während der Volksunruhen 
zur Seit der Reformbill niedergebramnt. In ber Berlängeruing jenes Sanbfleinfelfen legen di- 










319 : Rotturne Novelle 


Druidenhöhlen, Überrefte einer ehemaligen Troglodytenſtadt. — Andere wichtige Stäbte der 
Grafſchaft find außer Newark upon Trent (f.d.) noch Mansfield,mit feinem Diftrit 30158 €. 
zäblend und Hinfichtlich feiner Manufackuren ein Heines Nottingham; Workſop, nebſt Difrict 
419210 €. enthaltend, unweit des Cheſterfieldkanals gelegen, ein freundliches Städtchen mit ei- 
ner fhönen Abteikirche, ift von prächtigen Kandfigen und ber Newſtead⸗Abbey (f. d. unngeben. 

Notturno, Nachtmuſik von ernflem, fanften und melancholifchem Ausdruck für Befang 
ober Yianoforte. Für die erfiere Gattung lieferten Blangini, Piantanida, Panſeron und einige 
andere neuere franz. Tonfeger ausgezeichnete Mufitftüde, und in ber andern glänzte J. Field, 
der in biefer Art finniger Tongemälde von I. Schmitt, Chopin u. U. nicht erreicht wurde. 
Umfangreiche Werke für fümmtliche Blasinſtrumente componirten unter der Bezeichnung Not⸗ 
turno 2. Spohr und A. Mühling. (&. Serenade.) 

Novalis, Dichtername bes Freiherrn Friedr. von Hardenberg (f. b.). 

Novära, eine Provinz des Königreichs Sardinien, größtentheils aus dem ſardin. Antheil 
des Herzogthums Mailand gebildet, zählt auf 1014 AM. 455000 E. Die Lepontiniſchen 
Alpen ziehen längs der Nordweſtgrenze bin, und ihre Husläufer verflnchen fi in füblicher 
Richtung in die Ebene, melche weiterhin der Po begrenzt, ber Bier die Sefla und Agogna, 
den Terbopio und Ticino aufnimmt. Die Provinz bringt bie gewöhnlichen Producte ber 
Poebene hervor und zerfällt in die fünf Diſtricte Novara, Komellino, Pallanza, Dffola und 
Balfefio. Rovara, bie Hauptſtadt ber Provinz, auf einer fanften Anhähe zwiſchen ber Agogna 
und dem Terdopis gelegen, &ig eines Biſchofs und der oberſten Provingialbehörden, ift mit 
Mauern und Baflionen umgeben, hat ein verfallenes Caſtell, ziemlich geräumige unb gerade 
Straßen und zähle 16000 E., deren Haupterwerbszweige Leinwandiweberei, Hutfabrikation 
und Handel mit Reis und Seide bilden. N. ift eine fehr alte Stadt und war feit dem 14. Jahrh. 
fehr oft Kriegefchauplag. Am 25. März 1849 erfochten bier die Oftreicher umter Rabetky einen 

heibenden Sieg über das farbin. Heer. rn 

ovatianer hießen die Anhänger einer ſtreng ascetifchen Partei, bie ſich um 250 unter 
dem rom. Presbyter Rovatianus bildete. Ihre Behauptung, die fogenannten Tapsi. (f. d.) 
feien nicht wieder aufzunehmen ober doch nur nach vollzogener WBiebertaufe, hing wit ihrer 
Brundanficht von ber wahren Kirche zufammen, welche fie, wie fpäter die Denatiſten (1. d.), 
ohne die Heiligkeit aller Glieder derfelben ſich nicht denken konnten. Die Gegenwirkung ber 
Hierarchie trieb fie zur Bildung eigener Gemeinden, bie ſich namentlich in Italien und Afrika 
bis in das 6. Jahrh. erhielten. a | 

Novation, d. i. Umfchaffung oder Neuerung, nennt man im juriftifchen Sinne diejenige 
Urt, befiehende Verkindlichkeiten zu tilgen, daß man eine.neue Verbindlichkeit an die Stelle ber 
frühern treten läßt. Solches gefchicht entweder unter denfelben Perfonen, indem der Grund 
der alten Verbindlichkeit aufgehoben und eine andere an deren Stelle gefept, 3. B. Kaufgeld oder 
Erbegeld in ein Darlehn oder ein Darlehn in einen Kieferungscontract verwandelt wird; ober 
mit Veränderung ber Perfonen, indem flatt des vorigen Schuldners ein anderer eintritt oder der 
Schuldner Einen, der ihm fchuldig ift, dem Gläubiger an Zahlungsftatt überweiſt. (S. Ceffion.) 

Novelle heißt im Allgemeinen eine Kleinere Erzählung in profaifcher Form und ber Ver- 
faſſer derfelben Rovelliſt. Die Novelle ſchließt fich zwar auch, wie der eigentliche Roman (ſ. d.), 
an die Wirklichkeit an, beſchränkt fich aber, während der Roman ein umfaffendes Zeit - und Le- 
bensbild vorführen muß, mehr auf einfache Vorfälle des Lebens, die von dem Erzähler als 
nächfte Vergangenheit oder Gegenwart dargeftellt werben, wenn fie auch nicht wirklich ſich zuge 
tragen baben follten, jeboch mit Ausſcheidung alles Wunderbaren, wodurch fie ſich wieder vom 
Märchen (f. d.) unterfcheidet. Ihr Weſen und Intereſſe liegt vorzüglich in den Situationen 
unb deren Verflechtung, daher die Charaktere mindere Ausführung erhalten und ihre Handlun- 
gen ſich bis auf einen Punkt zufammendrängen. Urfprünglich war fie, worauf ſchon der Name 
binweift, Erzählung einer Neuigkeit oder Tagesbegebenheit von unterhaltender Art, erzeugt aus 
dem Bedürfniffe gejelliger Unterhaltung, mit dem Reize des Neuen und Ungewöhnlichen aus- 
geflattet und mit einer anmuthigen Keichtigkeit, raſch und lebendig dargeſtellt. Meifter und Mu- 
fter in diefer Gattung ift Boccaccio in feinem „Decamerone”, und unter feinen Landsleuten 
zeichneten ſich Darin namentlich Banbello, fpäter Mafuccio von Salerno und Giov. Francesco 
Straparola von Caravaggio aus. Unter den fpan. Novelliften iſt der vorzüglichfte Cervantes, 
unter den franzöfifchen Scarron. Auch in der altdeutfchen Kiteratur finder ſich mande Erzäh⸗ 
lung, die fi in Erfindung, Anlage und Ausführung der Rovelle nähert doch iſt letztere erſt 
durch Goethe (f. d.), H. von Kleift und 2, Tieck zur hoͤchſten Vollendung ausgebildet worden. 


MAellen Novlziat - =” os 
Außer diefen —* ſich Wilibald (f Giring), Leop. Schefer, Achim von Arnim 
und Steffens ald Novelliften aus, ital. Rovellen aus dem 15.— 17. Jahrh. wurden 
son Rumehr in der „Sammlung —* er und Pier (Hamb. 1825) gefamnelt; eime 
treffliche Auswahl der ital, fpan., franz., engl. und deutfchen enthalten Ed. von Bütomw's 
ea ( Bde, 2p. 1854-56), ſewie .. Kchrs „tal. Rorellenſchat⸗ 6 Tue, 

NRNovellen (Novellae) Beifen bie Bersrhnungen ber griech. Kater, weiche erſt nach der offl- 
cieflen Sammlung derſelbe n(dem Codex repelitas.praelectionis von 534) erfchienen. Wir be 
figen in ber Hauptſache brei Sammlungen derſelben: einen lat. Auszug aus 125 Novellen, von 
einem Profeffor in Konſtantinopel, Julianut noch unter Juſtinian veranſtaltet (das ſogenannte 
Epitome Juliani); eine Sammlung von 168:Rovellen in griech und eine gleiche von 134 Re 
vellen in lat. Sprache, von weichen 97 buch die Bloffatoren in neun Bücher (collationes) ge 

und liber authenticorum ober corpus aulhenticum geuannt wurden. In bem Corpus 
.. Jeria (f. b.) befinden fich 168 Novellen in lat. Sprache, von denen aber nur 95 gefeglidhe Biit- 

tigkeit haben, ba nur dieſe von den erſten Bearbeitern bes röm. Rechts behandelt — * 
den ſind. Die beſte neue kritiſche Ausgabe bed‘,,Authendcum” ift von Heimbach (29.1846). 

. November (vom lat. novem:'neam, weil der neunte Monat bes alteöm. Wenders ber 
| Bintermenat, Reif⸗ oder Windmond ift) heißt bei uns der eifte Monat des Jahres, der erſte 
deb Winters. Lepterer und mit ihm das Flimatifche Jahr begiant mit bem 8. Ron. Der Über 
gang in ben eigentlichen Winter bebingt in dieſem Monate trübe, feuchte Witterung und vie 
größte Anzahl Tage mit naffen Sederſchlagen, worunter aud) Schnee nit felten; minder 
haufig ſedech tritt ſchon ſtrengere Kälte ein. : Die Eotienbung der Bäume wird gegen die Mitte 
bin vollſtandig und die Natur fallt in ben Binterfihlaf: Im Freien iſt nur ber dorſtiaann mie 
Holzſchlagen und Jagd thätig. : 

e (Jean Georges), bee Schöpfer bes neuen franz. Tanzes, wurde zu Haris 27. Rig 

geboren und von feinem Vater für die militärifche Laufbahn beſtimmt, von der ihm aber 

fine Reigung für Muſtk und Tanz abzog. Im Zange bildete er fi umter Dupre, und ſchon 
1 740. rntete er bei feinem Auftreten in Fontainebleau ben größten Beifall. Darauf ging er 
nach Herlin, wo er Friedrich's d. Or. und des Prinzen Heinrich Gunſt gewann, umb dann auf 
Anrathen Barrid’4 nach London. Bon 1789 an hielt er fich A in Parid und In Lyon 
auf. Seine „Letires sur la danse et sur. les ballets” (3 Bbe., Lyon 17605. deutſch, Hamb. und 
£p3. 1769) begrünbeten ebenfalls fein Anſehen ats Schriftſteler. Nachmals an den wärtemb. 
Hof berufen, verfchönerte er hier darch feine Ballets einige Jahre lang bie ausgeſuchten Sefle 
dieſes Hofe. Später ging er nach Wien, we ihn bie Kaiferin Maria Tyerefin mit Bunfibezel- 
gungen überhäufte, nach Mailand, nach Reapel und Liſſabon. Endlich nahm er im Paris die 
Stelle des erſten Balletmeifters bei ber Acadsmie-royale de musique an. ZBährend der Revo 
Intion, ie ihm ben größten Theil feines Vermögens raubte, hielt ex ſich in London auf. Seine 
„Leures sur les arts imitateurs en göndral et sur la danse:en. particulier” Heß er 3807 im 
einer neuen Ausgabe erfcheinen. Er flarb zu. &t.-Bermain-en-Laye 19: Nov. 1810: Sein Ba⸗ 
ter war 105 und fein Bruber, ebenfalld — über 80 3. alt geworden. Seine ſnmtlichen 
—— Peterbburg Boe. 4803). Seine berühmteften Schüler waren Gardel, 


a Stadt i in der ſardin Provinz Genua, anf der neuen Strafe, weiche aus Piemont über 
bie Apenninen in Genueſiſche führt, mit 10008 €. und eimem feiten Bergfchlaffe, dient den 
reichen Genuefern, welche hier Thone Villen und Paldfte befigen, gewöhnlich zum Herbſtaufent · 
* Mie Stadt treibt. Seidenbau und wichtigen Handel, beſonders mit Beide, hat vier große 
und mwurbe im franz. Mevolutionskriege merkwürdig durch bie 15. Aug. 1799 zwiſchen 
ſtreichern und NRuffen :unter Sumorow und den Sranzofen unter Joubert gelieferte 
sich in. welcher der franz. Oberbefehlöhaber blieb und die Sranzofen, deren Gemimande 
Moreau übernahm, 16000 Dann verloren. Die unmittelbare Bolge dieſes Siege der 
öſtr.rufſ. Armee war die Übergabe von Tortona. 

Moviziat heißt die Prüfungszeit, welche die Novizen, d.h. Diejenigen, welche in einen Klo⸗ 
ſterorden treten wollen, befichen müffen. Dieſe Prüfungszeit bauert gewöhnlich ein, bisweilen 
auch zwei Jahre, wird nach den: ven der Drdensregel vorgefchriebenen Formen und Übungen: 
abgehalten um» Aug für. die Novigen fehn beſchwerlich zu fein.. Diefe können jedoch während: 
des Noviziats den Ktofterfiand wieder verlaſſen. In dem: Kloſter ſtehen bie Novizen unter 
ber, BR a inch Boniganmetfers, ber.ein Öichenägeiftlicher iſt und dem fie won den unbeden· 









Su RowajmSemtfa Rowgersd-Weliki 


senbften Handlungen Rechenſchaft geben müffen. Ihnen liegt es auferbem ob, die niedrigſten 
Haus arbeiten für das Klofter zu verrichten, die geiftlichen Ubungen und den Kirchendienſt des 
Ordens zu erlernen. Für Fehltritte werben fie mit Kaſteiungen und zum Theil mit harten 
Bufübungen beftraft; doch üben nicht alle Orden und Klöſter eine gleiche Strenge in ber Be 
handlung der Novizen ans, ımd oftmals wird aus mancherlei Rückſichten die Probezeit erfeich- 
tert. In der Kleidung unterfcheiden fich die Novigen von ben wirklichen Ordensgliedern merk⸗ 
lich, bisweilen jedoch auch nur unbedeutend. Rach Üiberflandenem NRovigiate erfolgt unter Ab⸗ 
legung ber Ordensgelübde der feierliche Eintritt in ben Orden; man nennt Died: Profeß thun. 
. Rowaja-Gentja, d. i Reuland, bie größte der bekannten Iufeln bes nördlichen Gis- 
meers, zum ruff, Bouvernement Archangelsk gehörig, ſoll über 4000 QM. groß fein, Hat aber 
auf der Nord» und Oſtküſte noch fehr ungewiſſe Grenzen, weil bier bie faft ftehenden Eisan- 
fegimgen jede genauere Unterfuddung verhindern. Erſt neuerdings hat man eutdeckt, daß N. 
eigentlich aus zwei großen Infeln und mehren Eilanden befteht. Exftere trennt bie Straße Ma⸗ 
totſchkin. Die Inſeln find faſt immer mit Schnee und Eis bebedit, und vom 15. Det. bit 
Ende Februar herrſcht fiete Nacht, die nur buch Ben Blanz.bed Schnee und durch Nordlich⸗ 
- ter erbelkt wird. Auf der Nordküſte find fehr hohe Berge. Die Unterfuchungen bes Grafen 
Rumjänzow, der 1807 Bergwerks verſtändige hierher fendete, Haben indefien das Irrige der 
Anſicht bargethan, als ob früher hier ber Staat Groß⸗Rowgorod bedeutende Silberbergwerke 
unterhalten. Man fand wol Glimmerſchiefer und Kagenfitber, aber von Silber ſelbſt keine 
Spur. Bon Pflanzen gedeiht nur Moos und eine verfümmerte Weide; dagegen ift. die Inſel 
on Thieren viel reicher. Es gikt Rennthiere, Eiöbären, Füchſe, Fiſchottern, weiße Hunbe, weiße 
Walfiſche, Seekälber,, Robben, Walroſſe, Eidechſen und im Sommer eine große £ Sn 
vögel, z. B. Schwäne, Gänſe, Enten, Möven u. f. w., ja Falten. Bon Menſchen tft R. nicht 
bewohnt; im Sommer kommen häufig Jäger und Fifcher von bem benachbarten Archangelst 
hierher. In neuerer Zeit find viele wiſſenſchaftliche und mercantilifche Expeditionen nach N. 
gemacht worden. Der ruff. Viceadmiral Lütke (f. d. machte allein vier Eypebitionen nach biefer 
Inſel und befchrieb diefelbe unter bem Titel „MWiermalige Meife durch bas nördliche Eismeer 
uf bet Brigg Nowala-Senilja in ben I. 1821-24”. (2 Bde, Peterob. 1828; deutich von 
Erman, Berl. 1835). Auch haben fi der Capitän Ziwolka, der 1838 in diefen Eiörtgionen 
feinen Tod fand, und der Akademiker Bär, ber 1837 und 1840 zwei Erpebitionen nach N. lei- 
tete, Berbienfte um die Kenntniß diefer Infelgruppe erworben. ' | oo 
Rowgorod⸗Weliki, d.i. Groß⸗Neuſtadt, ein nach der gleichnamigen Stadt benannted 
Gouvernement im europ. Rußland, ift nur ein Theil des ehemaligen Großfürftenthums dieſes 
Namens, wozu außer N. auch noch die Statthalterfchaften Dlonez, Pſtow, Twer und ein Theil 
von Peteröburg gehörten. Die jepige Verfaffung erhielt das Gouvernement 1776; ungleich 
älter iſt die Nowgoroder Eparchie, welche ſchon 988 errichtet wurde. Das Gouvernement ift 
eine der älteften und größten Provinzen des ruff. Reiche, begrenzt im N. von Dionez, im D. 
von Wologda und Jaroflam, im &. von Twer und Pflow und im W. von Pſkow und Veters- 
burg. Wichtig if fie wegen bes Waldaifchen Gebirge (fonft auch Wolchonſki Wald und 
Alauniſche Berge genamnt), einer Reihe anfehnlicher Hügel, über welche die Landſtraße von Pe⸗ 
teröburg nach Moskau führt. Unter den zahlreicher Sen dieſes Gouvernements zeichnen fich 
der Ilmenſee (f. d.), der Bjelo-Dfero oder Weiße See und die Seen Wofh und Walbai aus. 
Auch an Klüffen ift das Land reich, die zum Theil Durch kunſtreiche Kanäle miteinander in Ver⸗ 
bindung gefegt find. Die größten Flüſſe find bie Mſta, Lowat, Polifta und Schelona, die 
ſämmtlich in den Ilmenſee fallen, während derſelbe den anfehnlichen Wolchow ins peter&burger 
Bouvernement entläßt. Zum Gebiet des Wolgaftroms gehören die Maloga und die Schekbna, 
welche legtere aus dem Bjelo⸗Oſero abfließt. Der Boden diefes mit den Seen 22154, AM. 
großen Gouvernements ift zum Theil moraftig und nur mit Moos bedeckt, wie in den nördlichen 
- Gegenden, zum Theil fandig, felbft thonig und ſtellenweis ſchwarzerdig, wie im den füdlichen 
fruchtbarern, mit Getreide, Hanf und Flachs beftellten und von Wieſewachs und Wäldern 
durchſchnittenen Gegenden. Die Viehzucht ift nicht bedeutend; an Wild gibt ed dagegen Über- 
fluß. Auch hat das Land reiche Salzquellen, Gyps-, Kalkſtein⸗ und reiche Eifenlager. Die Ein- 
wohner, Ruffen und Finnen, befchäftigen fich vorzüglich mit Landbau und Holzhandel ; Fabriken 
beftehen nur in Seife, Leinwand, Talg und Pottafche. Das Bouvernement zählt etwa 900000 €. 
umd zerfällt in zehn Kreife. — Rowgorod⸗Weliki, die Souvernementsftadt, am Wolchow, nahe 
am Ausfluffe deffelben aus dem Ilmenſee, auf der grofien Heerftraße von Petersburg nach Mob- 
Bau, ift eine der älteften Städte bes Reichs Sie war zu Ende des 14. und Anfang bes 15. Jahrh, 


Rewoflyew  Rünncen sı5 


wo fe Fed in Verb wit be Danfa —— Stapelort bes arktiſch · vriental. Handels 
fol fü mehr ie 200000 € an It haben * beſaß —— — 
oll ſie mehr eine võ 

Auch fol eine große Zahl an um Wolchow, felbſt an der Rama und iin von ihe 
—— fein. Das Sprüchwort: „Ber ann wider Bott und Groß⸗Nowgorod!“ bezeugt 
bie Macht und den Stolz dieſes alten Sreiflaats. Der Stamm Rurik's war von bier aufge 
gangen, wodurch N, als die Gtifterki. des ruſſ. Staats galtz den Herrſchern Ruflande fiel ed ed 
aber wieder anheim, als Bürgerzwiſte und Srämergeifl ben Patriotismus und Del ner 
Bewohner verbrängten. Im 3. 1478 wurde bie Republik eine Beute des Großfürften Iwan 
Waſillewitſch db. Sr. und 4570, nach einem vergeblichen Aufftande, bu) den Biopfürfken 
Swan Waflljewitfh den Säredlicen faft der Bernichtung 

dung Petersbutgs ſank ihr Wohlftand vollende. Jege erinnert nur no Weniges an —8 ver⸗ 
gangene Pracht. Sie zählt kaum 20000 C. und hat weiſt hölzerne Häufer. Bon den⸗Hunder 
ten von Kirchen find nur 35 übrig geblieben. Die Stadt zerfällt in drei Theile: den Kreml, 
bie Gophienfadt auf dem linken Ufer des Wolchew und bie Handeisfladt auf dem rechten Ufer. 
Zu ben Hauptzierden gehören dad neue Schloß, ber Volksgarten Länge des Wolchow unb bei 
Handelsbazar. An die alte Glanzperiode erinnert bie uralte Kathedrallirche ber heil. Sophia im 
Kreml mit den ſogenannten korßunſchen ober cherſonſchen Thüren, die Adelung in feiner Schrift 
„Die —— Thüren in der Kathedralkirche ber Heil. Sophia in NR.” (Beet. 1823) fix ein 
Prachtwerk des Mittelalters und elrbeusfiher Kunft im bygantin. Geiſte erflärt. Bet. Meyer, 
„uff. Denkmäler” (2 Bde., Hamb. 1837). 

Mowsfilzow, ruf. Staatsmann aus einer alten ruff. Adelsfamilie, geb. 4770, wurbe mit 
den Werander und Konftantin am Hofe Katharina’s II. ergagen. Tolmtvol, aber 
äußerft zornig, zog er ſich totederholt bei Hofe Ungnade zu, ward jedoch von feinem einfluf- 
Sreunde, dem Fürſten Adam Ezartoryifi, gehalter und one mterflügt. Auf bes 
** Betrieb erhielt ex 1805 die Miffien, unter bee Madke ber. Friedens vermittelung zwi⸗ 
Rapoleon und England eine.neue Goalition gegen Frankreich zu Stande zu bringen. Ee 
jeboch.nicht, Preußen und die kleinern beutfchen Höfe zum Beitritt zu bervegen, ſo⸗ 
der. von Berlin Jurückrief und nicht weiter in biplomatifchen Geſchaͤften verwen⸗ 
— blieb N. fortwährend in der Nähe bes Kaiſers und ſoll namentlich in ben Ereig⸗ 
aiffen von 4814 bei dem Monarchen feinen auf eine gewaltſame Politik ae Einfluß kn 








uns beim Kaifer als * * — Beftrebungen, was ben Rüdtriet Cʒqarto⸗ 


ganıe RegierungSgetriche leitete, zu bem ber 325* Konſtautin den Ramen ergab. Bon 
den Polen glühend gehaft oder verachtet, Müchtete fich R. beim Ausbruche der Revolution von 
1850 ſogleich Nach Petersburg, we er Mitglieb bes Reichsraths und 1854 on vn Gender 

1855 aber in den Grafenſtand erhoben wurde. Exit 1838 wegen Krankheit von den 

entbunben, farb er noch zu Eude Jahres ohne Rachkommenſchaft. 
—8 (von noyer, d. i. erſaͤufen) naunte man in ber Franzoͤſi ifchen Nevolution bie von 
bem Gonventsdeputirten Carrier (ſ. d. zu Nantes angeorbneten Ertraͤnkungen ber politif Bes 
ſchuldigten in Maffe. Unter Auderm hieß dieſes ſcheußliche Verfahren auch verticale Deportation. 
Moyon, das alte Noviomagus, im franz. Depart. ber Dife, nahe ber Dife gelegen und von 
vielen Gärten umgeben, eine freundliche, gut gebaute Stadt mit 6400 E. und einer Kathebrale, 
bat anfehnliche Fabriken in baumwollenen und wollenen Waaren und bebeutenden Handel. Ihre 
Umgegend heißt Royonnais. Bier oder bei Goiffons kam es 486 zur Schlacht zwiſchen Chlod⸗ 
wig (f. 3 und Syagriuß, die ber Herrſchaft dee Römer in Frankreich vollends ein Ende machte. 
iſt N. als Beburtſort Calvin's denkwürdig. 

neen neunt man in der Malerei die Mofefungen innerhalb einer und der⸗ 


316 Nubien Nugent 


felben Farbe vom Dunkeln zum Hallen, ober die übergãnge zwiſchen ganz verfehiedenen Farben. 
Man bringt fie hervor theils durch Verdünnung oder Berbichtung des arbeftoffs, theils durch 
quantitativ abgeftufte Vermifchungen verfchiebener Farben. Es beruht hierauf die ganze Wif- 
ſenſchaft des Eoforits, die Darftellung des Lichts mit-feinen Refleren, die Modellirung des Er- 
benen u. ſ w- 
— umfaßt nad) dem jegigen Sprachgebrauch bie Ränder zwiſchen ügypten und Abyſ · 
finien. Im engern und genauern Sinne würde nur der Theil jenes Ländergebiets darunter zu 
verftchen fein, in welchem das feine eigene Sprache redenbe Volk ber Nubier wohnt, das Nil- 
hal von Elephantine ober den erſten Ratarakte bis zur ſüdlichen Grenze der Provinz Dongola 
und ein Theil des Steppenlandes fübmweftlich von Dongola nach Kordofan hinein. Das Volt 
der Mubter wird zu Eratofihenes’ umd Strabo's Zeit als ein großes weftlich vom Nile figendes 
Bolt erwähnt und erfüllte damals wahrſcheinlich Kordofan und vielleicht die nördlich datanı ge 
Tegenen Dafen. Sie wurden: erft um 300 n. Chr. von Diocletian aus den Dafen an den Nil in 
den zunächft an Syene grengenden Landſtrich gerufen, um Ngypten gegen die Einfälle der bis 
dahin den obern Nif befegt haltenden Blemmyer und Megabarer zu [hügen. In den nächfter 
» Jahrhunderten werben fie meiftens in Verbindung niit ben Blemmyern bald als deren Genoffen, 
bald als ihre Feinde genannt. Allmälig aber drängten fie biefe gänzlich aus dem Nilthale in die 
öfttichen Länder nad) dem Rothen Meere hin. Seit dem 6. Jahth. drang das Chriſtenthum 
bei ihren ein nad) jafobitifcher Lehre. Ihr Reich ward mächtig und blühend. Ihr König refi- 
dirte in der Stadt Donkola (dem jegigen Alt-Dongola). Die einzelnen Provinzen wurden von 
befondern Statthaltern regiert. Dex nördliche Theil des Reichs, von Philae bis zut Notdgrenze 
bed heutigen Dongola, hieß Meris und ftand größtentheils unter’ dem „Herrn vom Berge“, wel- 
her in Addon (dem jegigen Adde, Abufimbel gegenüber) wohnte. Der ſüdliche Theil hieß Mo- 
fra und grenzte in ber Gegend des Fluſſes Abbara an den Staat Aloa, welcher ſich füblichund 
Ifttich. an das axumitiſche Reich (Abyſſinien) anſchloß. Vom 7. bie zum 14: Jahrh. blühte das 
chriſtliche Nubien; zahlreiche Kirchen und Kiöfter wurden im Nilthale, namentlic) in ber Pro- 
ding Dongola gebaut, deren Ruinen noch erhalten find. Auch die beiden andern großen Süd · 
weiche waren chriftliche Staaten umd gehörten derfelben Sekte wie die koptiſche Ktche an. In 
fpäterer Zeit wird daher der nubifche Name in kirchlicher Beziehung zuweilen auf alle drei Neiche 
außgebehnt und hat feit jenet Zeit die allgemeinere Bedeutung über bie eigentlichen Grenzen der 
nubiſchen Bevölkerung hinaus nie. gang verloren. Seit dem Anfange des 14. Jahrh. unterlag 
das nubifche Reich allmälig den immer heftiger andringenden Arabern, und um 1350 trat‘ der 
König felbft zum Islam über, ber jegt ganz allein im Rande herrſcht. Der obere Theil ded nu · 
biſchen Reiche, nämlich die Heutigen Provinzen Berber, Robakat, Monaffir und Schaigieh wur- 
den von arab. Stämmen befegt, welche aus diefen Theilen auch die nubiſche Sprache gänzlich 
verdrängt haben. Ebenſo wird jegt in den früher zum Meiche Aloa gehörigen Strecken bes Nil- 
thals bis zu den Negerftämmen hinauf nur Arabiſch gefprochen. Dagegen wird in den öftlichen 
Kändern vom Nie, in dan ſüdlich an Abyſſinien grenzenden Bellaͤd-ẽ · Tata und den nördlichen 
Xändern bis in die Höhe von Affuan herab, noch die von der alten maraitifhen Sprache ab» 
ſtammende Begaſprache geſprochen, welche wahrſcheinlich auch die des Staats von Aloa war. 
Die nubiſche Sprache hat ſich zum Theil noch in and bei Kordofan erhalten. Im Rilthale wird 
fie in drei Dialekten gefprochen, in dem von Dongola, deſſen Grenzen mit denen diefes Landes 
aufammenfallen, zweitens in dem des garigen Rataraktenlandes unterhalb Dongola und bem 
öften Theile von Unternubien, nämlich bis Korusko. Bon hier an im Wadi · Kenus bis nach 
Gieppantine wird ein dritter, jeboch von dem Dongoleſiſchen nur wenig abweihender Dialekt 
gefprochen, welchen die urſprünglich arab. Stämme ber Ben-Kanz, die fich eine Zeit lang des 
dongofefifchen Throns bemächtigt und mit den Nubiern vielfach vermiſcht hatten, dahin ver- 
pflangt zu haben ſcheinen. Sprache und Bolt pflegen von den Arabern Berber (Plural Baräbra) 
genannt zu werben, weldpes aber nur die frembfpradjigen Barbaren bezeichnet, wiederfelbe Name 
auch von ben ſprachlich und volklich ganz verſchiedenen Tuarikvölkern im Atlas gebraucht wird. 
Ihr eigener, von ihnen felbft noch gebrauchter Rame war von jeher Nob, Plural Nobt. Ihre 
Anzahl in Dongola wird auf etwa 60000, im nördlichen Nubien auf 130000 Köpfe gefhägt. 
San Nubien ift jegt dem Pafcha von Agypten unterworfen, feit es 1820 von Semail-Pafıha, 
einem Sohne von Mehemeb-Wli, erobert ward. . 
Nugent, eine aus der Normandie ſtammende, aber feit bem 12. Jahrh. in Irland angefe- 
dene Familie. Gilbert de R. war eimer der Ritter, weiche den Gonnetable Lacy auf feinem 
ſroberungs zuge nach Irland begleiteten. Seine Tapferkeit wurde durch die Baronie Deloin in 


" Nukahiwa bar Wr 
der Provinz Weſtmeath belohnt, von der feine Rachkommen feitdem ben Titel führten. Richard 
AX., zehnter Lord Delvin, wurde 1607 wegen eines angeblichen n Gompiott a — —— ern 
aber aus dem Schloffe zu Dublin und warb als Hochverrather in 
* jeboch, | bei Jakob L zu —— ſodaß er — — ſondern rt auch 

um Grafen von Weſtmeath wurbe. Gr flarb 1641. Die Familie war katholiſch, bit 
homas N., fechöter Graf von Belment, zum Proteſtantismus überging. George Tho⸗ 
mas John M., geb. 17. Juli 1785, feit 181 achter Graf, ward 12. San. 1822 zum Mar- 
quis von Weſtmeath erhoben. Er gehört zu den Häuptern der Drangepartei und bat feine 
Erben. — Aus einem jüngern Zweige des Hauſes ſtammte Robert R., Viscount 
Glare, ber 1776 den Titel eines Grafen R. erhielt, welcher nach dem Tode feines Schnes Ed» 
mund nebft den Gütern auf feine Tochter, vermählte Marquife von Budingham, überging. 
Edmand N. hatte jedoch zwei natürliche Söhne Hinterlaffen, die in der brit. Armee und Marine 
zu hoben Würden gelangten. "Der ältere, Sir George R., geb. 10. Juni 1757, trat 1773 im 
die Armee, biente mit Auszeichnung in Amerika und den Niederlanden und wurbe wegen ſeines 
—* Benehmend während ber iriſchen Rebellion zum Generalmajor ernannt. Im J. 
4801 wurde er Gouverneur von Jamaica, 1806 Generallieutenant und Baronet und 41811 
Oberbefehlshaber der Armee in Dflindien, welches Amt er bis 1815 bekleidete. Im J. 1846 
erhielt er al ältefler General im brit. Heere ben Felbmarſchallsſtab und ſtarb 11. März 1849. 
Der füngere, Sir ni Edmund M., geb. 1759, that fi unter Rodney in ben —— 
ten gegen De Graſſe, ſpäter im franz. Revol utiondfriege bervor, ward 1797 Contreabmiral, 
1801 Bkceabmiral und 1808 —* der Blauen Flagge. Im J. 1833 erhielt er ben Titel 
eines Admirals der Flotte und rangirte als folcher mit den Feldmarſchaͤllen. Er ſtarb 7. San. 
1844. — George N.Temple ⸗ Grenville, jüngerer Sohn bed Marquit von Budingham (f.d.), 
geb. 50. Dec. 1788, folgte 1813 feiner Mutter in der iriſchen Peerswürde als Lord N. Nach⸗ 
bem er feine ©tubien in vollendet, trat er 1812 ind Unterhaus, wo er fich durch Libera⸗ 
lasmud ſewie Parteinahme für die Königin Karoline (f.d.) und bie Griechen bemerklich machte, 
zugleich aber das Briefen feiner Familie erregte. Als im Nov. 18350 die Whigs das Staats- 
ruber ‚wurde N. um Korb des Schages, 1852 aber zum Lord-Obercommiffar der Jo 
—* ernannt. Auf dieſem Poſten —— er durch verföhnliche Mafregein und For 
ber griech. Rationalität das Vertrauen der Einwohner zu gewinnen, fanb aber ſowol bei 
feinen feinen Untehemiten als bei der engl. Regierung felbft Hinberniffe und warb 1835 abberufen. 
Er lebte hierauf entfernt von der Politik Iiterarifchen Beſchaͤftigungen. Bereits 1812 hatte er 
ein cn „Portugal“ veröffentlicht und 1832 [ehr intereffante „Memorials of John Hamp- 
den“ (2 Die.) herausgegeben. Er ſchilderte nun in dem Werke „Lands classical and sacred” 
(2 Bde, Lond. 1843) feine Reifen im Orient und ſchrieb im Verein mit feiner Gemahlin die 
‚Legends of Lillies, by the Lord and Lady thereof (2 Bbe., Lonb. 1846). Im Sommer 
1081 —* ihn endlich bie Stadt Aylesbury wieder ins Parlament, wo er, inſoweit es Krank 
chkeit erlaubte, mit feinem frühern Eifer für bie Sache bes Fortſchritts wirkte. Er ftarb ohne 
— Rachkommenſchaft 26. Nov. 1850. — Nach der Vertreibung des Hauſes Stuart 
wanberten mehre, bem Katholicismus ergebene Blieber der Familie R. aus Irland aus und 
een fü in: Ofhei nice nieder, wo ihre Nachkommen noch jegt blühen. Laval, Graf M. von 
Bbetmeath, 5 eldmarſchall, wurde 3 4780 zu Prag geboren, wo fein Bater den 
Doften eines Commandanten befleidete. Frũh zum Pilitär-beftimmt, hatte ex fich bereits 1809 
zum Oberſten und Stabechef beim Erzherzog 363 — und ging 4811 mit ei⸗ 
er geheimen Miffion nach London, um mit der engl. Regierung Uinterhandlungen anzuknüpfen. 
Im 3.1813 commandirte er als Generalmajor eine Ahtheilung bes Armeecorps unter Hiller, 
womit er Trieft einnahm, und Far nachher die Übereinkunft mit Murat ab, welche diefem bie 
Krone Reapels garantirte. Nach ber Reftauration der Bourbons wurde er 1817 zum Gene 
raliffimus ber nespofit. Armee ernannt, welchen Poſten er jedoch in Folge ber Revolution von 
1820 aufgeben: 2 Er trat nun wieder als Feldmarfchallientenant in bie oſtr. Armee, 
rũckte zum Felbzeugmeifter auf umb-erbielt 1848 hr Commando eines Armeecorps, mit web 
hen ex bem von den Piemontefen bebrängten Rabepky zu Hülfe eilte. Auch in dem ungar. 
Felbzuge befehligte ex ein eigenes Gorp6 und ward zum —*8* befördert. Eine jüngere 
Zinte, W.:Waliguacere, wurbe 1689 in in ben ®reiherren-, 1778in den Reichsgrafenſtand erhoben. 
Autahive, auch Mabifonsinfel, bie größte unter den acht Waſhingtonsinſeln (f. Mar 
anifadinfeln), mit denen fie Hinfichtlich ihrer gefammten phyfiſchen und ethnographifchen Ber 
haltniſſe übereintommit. Die Jufel, deren Ränge gegen 17 IR. beträgt, ift mit hohen Gedirgen 


sis Nullitaͤ Numantia 


bedeckt und hat gute Häfen. Die Zahl ber Einwohner iſt ziemlich bedeutend; fie theilen ſich in 
zwei einander feindfelige Stämme, bie fonft in immerwährendem Kriege lagen, und gelten für 
die fchönften Cüdfeeinfulaner Ihen Stammes. Bu 

Aullität, d.i. Nichtigkeit, Heißt im juriflifchen Sinne die gänzliche Ungültigkeit eines Rechts- 
gefchäfte oder der darüber aufgefegten Urkunde, eines Zeflaments, eines Nichterſpruchs, einer 
ganzen proceffualifchen Verhandlung. Sind bei einer Handlung gewiffe Formen als wefentlich 
vorgeſchrieben, fo zieht ihre Vernadläffigung bie Nichtigkeit von ſelbſt nach ſich. Nirgends ift 
dies fo häufig ber Kal als in dem franz. Eivil- und Sriminalproceß, und ber Kaffetionshof ift 
blos dazu eingefegt, über bie Nichtigkeitsbeſchwerden (cassation) zu entfcheiden. Auch in Eng- 
land gibt es viele Förmlichkeiten, zumal im Criminalverfahren; die Richtigkeitsbeſchwerden 
(writs of error) gehen bier in legter Inſtanz ans Parlament. Ein Rechtsſpruch ift nichtig, 
wenn er entweder gar eine haltbare Erörterung der Thatfachen zur Grundlage hat, wenn we⸗ 
fentliche Beftandtheile des Proceffed verlegt find, ober wenn er gegen ein klares und ausdrüd- 
liches Gefeg geht. Dem Misbrauche der Ricgtigkeitöflage, wodurch man nach Durchführung 
eined Proceſſes durch alle Inftanzen das legte Urtheil noch als nichtig anfocht, ſuchte bie deutſche 
Meichögefeggebung in dem Reichsabſchiede von 1654 abzuhelfen, indem fie nur wegen unbeil- 
barer Pichtigkeiten eine eigene Nichtigkeitöffage und auch ba nur innerhalb 30 3. zuließ ; allein 
der Begriff der Unheilbarkeit wurde nicht genau beitimmt. Ganz fünnen allerdings Richtigkeits- 
befchwerben nicht verbannt werben, und es ift hart, fie an eine kurze Zeit zu binden. 

Numa Pompilius wird in der fagenhaften Urgefchichte Roms als deſſen zweiter König auf- 
geführt, ber von 715—672 v. Chr. geherrfcht haben fol. Er war nach der Sage der Sohn eines 
Sabinerd Pompo Pompilius, ber Cidam bes Tatius, der mit Romulus berrfchte, und wurde 
von Eures im Sabinerland, wo er ald Privatmann lebte, nach Ron zur Herrichaft gerufen. 
Wie dem Romulus bie Gründung und erſte Drbnung bes Staats und feine Sicherung durch 
Krieg, fo wirb ihm deffen Befeftigung durch Erhaltung bed Friedens und Gründung und Orb- 
nung bes rom. Religionsweſens zugefchrieben. Der Janustempel blieb unter ihm ſtets gefchlof- 
fen. Er ordnete den Bottesbienft der Tribus und Gurien, jegte die Flamines, Salier, Veſtalin⸗ 
‘nen, Augurn, Fetialen und ald Aufſeher bes ganzen Eultus die Pontifices ein, verbefferte den 
Kalender, förderte ben Feld» und Weinbau durch VBorfchriften und fiherte ihn durch Einführung 
geheiligter Grenzfteine (termini), ſchärfte auch die Heilighaltung der Ehe und fiftete die Zünfte 
(collegia) der Handwerker. Die Nymphe Egeria (f. d.) war ihm hierbei befreundete-Rathgebe- 
rin. Seine Tochter Pompilia heirathete den Numa Marcius und wurde bie Mutter des vierten 
rom. Könige, Ancus Marcius. | 

Numantia, eine Stadt bes celtiberifchen Volkes der Arevaker im alten Spanien, am Durius 
(Duero),in ber Gegend des heutigen Soria in Altcaftilien gelegen, ift berühmt durch ben Wiber- 
fland, den fie mitihren 8000 ftreitbaren Männern den Römern bis zum beldenmüthigen, auch von 
Cervantes durch feine Tragodie „Numancia” gefeierten Untergang leiftete. Schon 153 v. Ehr. 
hatten die Numantiner glüdlich gegen den rom. Conſul Duintus Fulvius Nobilior gefämpft, 
und nachdem Quintus Cäcilius Metellus Macedonicus in den 3. 143 und 142 alle Stämme 
des dieffeitigen Spanien, bie an dem Kriege des Viriathus (f. d.) Theil genommen, unterwor⸗ 
fen, waren fie allein noch unbefiegt übrig, als 144 Quintus Pompejus den Oberbefehl über⸗ 
nahm. Der Friede, zu dem fie ſich erboten, kam nicht zu Stande, ba Pompejus Auslieferung 
der Waffen verlangte. Bald fah fich aber diefer fo von ihnen bedrängt, daß er ſelbſt einen billi- 
gen Frieden anbot, ben er dann in Rom ableugnete und den das rom. Volk für ungültig erflärte. 
Auch fein Nachfolger Marcus Popilins Länas führte den Krieg 139 und 138 unglücklich, umd 
Cnejus Hoftilius Mancinus wurde 137, da er die verfuchte Belagerung aufhob, auf dem Rüd- 
zuge von den Numantinern eingefchloffen und nur dadurch mit feinem ‚Deere gerettet, daß jene 
auf einen Friedensvertrag eingingen, den er ihnen durch feinen Quäſtor Ziberius Gempronius 
Grachus andot. In Rom aber wurde die Beftätigung verfagt und Mancinus felbft den Nu⸗ 
mantfinern zur Sühne ausgeliefert, die ihn jedoch nicht annahmen. Der Krieg ruhte nun, bie 
154 der jüngere Yublius Cornelius Scipio als Conful zu feiner Führung abgeſchickt wurbe. 
Derfelbe ftellte die gerrüttete Mannszucht in bem Deere, das er übernahm, wieder ber, verwü⸗ 
ftete das Land um R,, ließ ſich auf keine Schlacht ein und umſchloß endlich die Stadt eng durch 
Wal und Graben mit feinem durch Hülfsvölker auf 60000 Mann verftärkten Heere. Die 
Ausfälle der Numantiner waren vergeblich. Von den Spaniern wagte Niemand Dülfe zu brin- 
gen, nachdem Scipio einen derartigen Plan an 400 Jünglingen der Stadt Rutia durch Ab⸗ 
badung der Hände graufam geahndet hatte. So befchloffen endlich Die Rumantiner, ben Vor⸗ 


— tr Rumidien L- ] 


fölag Übengabe, ben Eisipio hat, verf_pmähcnd, fich fihft Buraichunger der" @k- 
han ben Bor gehen, A Bere fand bez Sieger noch lebend, ald er tu 15. Diomat 
feiner Krieg! ann 133 in die Stadt eindrang, die er zerſtören ließ. 

Rumeriſch Heißt, was ſich auf beftimmte Zahlen Bach sum ——— von algebratfe, 
was fich auf Buchftaben, als allgemeine en, bezieht. Eine mmerifge Gleigung 
ift daher eine ſolche in welcher bie befannten Gro sicht dur) Buchflaben, fondern durch ber 
Bimmte Zahlen ausgehrüdk find. 

Numerus (at heißt in der Poſa die freie Bewegung ber Nede durch ——S 
der Wörter hindurch, im Gegenſahe des vorausbeflinmten gleichgehaltenen ee 
ber Dorfie. Er befe pränft ſich Hr mai war auf den Tonfall einzelner Worter, weicher in 

der vegelmäfigen, dem Ohre wohlg⸗ siegen Beiee 5 derſelben *8 Laute verſchiedenen Raßes ber 
ruht, und unterliegt mithin lediglich dem Urtheile des Obres. Man darf daher nicht, wie Tinige 
gehen Saben, ben den Begriff deffelben zu ſeht erweitern und zugleich daß richtige. — vn 

irter und Glieder einer Periode als ZI eines —ãe verfichen, ba 
Periodologie fällt, Far —— Eee 
bingt wird und Die Übereinflimmung der Theile zu einem abgerundeten Gau· 
zen eine reiche Duelle des Rumerus ſelbſt if, Ahlen damen ioportion auch dab Wohl 
gefälige des Wortfalls berät Schon die Alten, welche ben Rumerus als eine ber we 
fentlichften Tugenden oraioriſcher Darftellung betrachteten, ſtellten verſchiedene Regeln darüber 
auf. Im AU; — tritt der Ramerus zu Anfange, am meiſten gegen bad Ende ber Perie- 
den und am je der einzelnen Gäge hervor, wo der Gedanke bereits vollftändig vorliegt 
und das Ohe —* —— —— 
ten, bie den $ am wohlgefäßigften Doch muß man bei Antoendung und Beu 

em et 


wendung, und wir. Einnen in biefer vd —— mehee m ber Kun 
noch im Gefühle erreichen. Übrigens verſteht es ſich vom ſelbſt Da ber Rumerus ganz vorzüge 
lid) ber oratorifchen Schreibartzufäflt; dem in ber wiffenfchaftlichen Abhandlung und im Briefe, 
wo die Klarheit als erſter Vorzug gilt und das Aut je nur eine untergesrbnete Stelle ein · 


muthig 
im, A reg der Rebe, ſelbſi in der erhabenfleni, 
zus man ein —— Streben, überall ee zu bei —— eher, 


laffen, vermeiden. Als einer nuumeröfesr Bede find water den Griechen Plato und Der 
moftpenes, —— ke Römern m Salut, 2 Kadtus * Cicero ——— — en 
Rumidien yes Land —— bp Alterthume im weitern Sinne der 


ber Rerbtüfte von dab m entfpricht. Es gem gegen 
—A —* a on dern Bes 
biet von Earthago, unter dem Römern. Africa propria; gegen W. war Ar ben Bla Ru 

Moluya) von Maptitanien geſchieben ; game. trennten es Die Ketten bed Etoben 


en Het. 
maren fi tsliebend, kräfti— d Fri unb befenders als vergügliche Reiter berühmt. 
Unter — die fe eg ic bie Maffplier in dem öftlichen, bie Maffäx 
folier im: weſtlichen Theile bie bedeutend ſten. Mafiniffe (f- b.), ber König bex Extern, —*5 — 
von N Römern N) bie 8* nomabiſchen Stãmme m. [pr rg 8 3 
nem Staate, unter di term Beherefehern Jugurtha (( 
rühmt find. Mae: eb ſiegung Er 'sL — —— —7— 5.) 46 v.Chr. 
wurbe N. zöm. Provinz. Yuguftus aber gab ben weichen Theil vo m Fluſſe Axıpfaga (ept 
——— an os Mauritanien a Er? ae —* er u — — 
a i et. Jener er , 
— Br — in zwei Theile getreunt wurde, von ber Stadt Eäfarea Sm 


iepigen —— Gäfarienfis, u farienfts, während Er alle —— — 
nam vom der abe King bekam. num vorzugẽweiſe 
— Numidia waren die —e— he — der Mündung bes dluſſea 


Rubricatueh (jegt Geibaufe), Kara, Berühmt dunh kipis's Unterrebung wit Qamnibel, 


av/ NMumismatik 
Nama, wo bie Schlacht 201 v. Chr. vorfiel, und Cirta, dad von Konſtantin hergeſtellt den Ra- 
men erhielt, der noch jept in Konſtantine (ſ. d.) dauet. 

Nuinismatik oder Münzkunde Heißt die Wiſſenſchaft und Lehre von den Münzen (ſ. d.) in 
techniſcher oder artiſtiſcher und in gefchichtlicher Beziehung. In technifcher Hinficht hat fie es zu 
thun mit dem Stoff ber Münzen umd feinen Mifchungen, mit dem mechanifchen Verfahren des 
Münzenst, dem Gepräge u. ſ. w., in geſchichtlicher mit dem Datum ber einzelnen Stücke, den 
Münzherren und ber Deutung ber Embleme, Legenden und Aufſchriften. Sie ift demnach durd- 
ans an das Materielle ber Münzen gebunden und überläßt ber Theorie bed Geldes (f.d.), bie 
gefeglichen oder conventionellen Veränderungen anzuführen, weiche in dem Schägungsierthe 
ber Münzen als des allgemeinen Tauſchmittels von Zeit zu Zeit ſich begeben. Als hiſtoriſche 
Hülfswiſſenſchaft befchäftige fie ſich vorzugsweiſe mit den Münzen und Dentmünzen bes Ulter- 
thums und des. Mittelalters, fonie mit ben Denkmünzen und feltener gewordenen Münzen 
neuerer Beit. Dan bat bie Numismatik verfehiebenartig eingeteilt, je nachdem man bald bie 
Materie, bald die Form, bald die Darftellung, bald den Kunftwerth für maßgebend erachtete. 
Am meiften empfiehlt fich die Eintheilung der Münzen nad) ber Zeit ihrer Entftehung in brei 
Dauptelaffen: antite Münzen, bie gefanımten Münzen bes claſſiſchen Alterthums bis zum Un- 
tergange des weftröm. Reiche umfaflend, in Münzen des Mittelalter6, vom Untergange bes 
weitröm. Reichs bis ungefähr 1500, und in neuere Münzen. Biele rechnen noch die Münzen 
der oftrom. Kaifer, bie fogenannten Byzantiner (ſ. d.), zu ben antiten Münzen; allein mit grö« 
Ferm Rechte, namentlich in Betracht des an ihnen bemerflichen Sinkens der Kımfl, werben fie 
zu ben Münzen bed Mittelalters gezogen. ‚Reben ber hronologifchen Ordnung diefer brei Haupt ⸗ 
dafien findet zur beſſern Überficht eine — Zuſammenſtellung derſelben ſtatt, mit 
Ausnahme der röõm. Münzen, bie in Conſularmünzen; Familienmünzen und Katfermünzen ein- 
getheilt find. Als felbfländige Abtheilungen reihen fi) ben Hauptelaſſen an bie fogenamnten 
barbarifchen Münzen, d. h. alle im Abendlande von Nichtrömern geprägten Münzen, und bie 
oriental. Münzen. Namentlich find bie antiten Münzen eine ergiebige Duelle für Geographie, 
Chronologie, Sefchichte, Mythologie und Archäclogie. Sie geben vortrefflichen Aufſchluß über 
ben Zuftand und bie Blüte der Stäbte und das wechfelnde Steigen und Fallen der Staaten; fie 
find die vorzüglichfte und zumellen einzige Quelle unferer Kenntni von untergegangenten Stäb- 
ten, Reichen und Sprachen. Durch fle allein Laffen ſich manche ftreitige chronologiſche Angaben 
gründlich ermitteln, und durch fie wird fo manche Lüde in ber Gefchichte, wobei wir nur an 
Baktrien (f.d.) erinnern, ausgefüllt. Sie enthalten viele Andeutungen aus der Sagengefchichte 
und zur Eulturgefchichte, und als Kunſtdenkmale vortreffliche Beiträge zur Kenntniß des gei 
fligen Lebens im Alterthume, fowie getreue Darftellungen einer Menge von Geräthen, Gebäu⸗ 
ben, Inftrumenten u. ſ.w. Daher kam es auch, daß früher die Numismatiker faft anschließend 
mit den antifen Münzen fich befchäftigten. Exft in neuerer Zeit Haben die Münzen des Mittel⸗ 
alters bie Beachtung, ber fie würdig find, gefunden, und ebenfo die oriental. Münzen. Die 
Münzkunde ber neuern Zeit bietet natürlich weit weniger gehaltreiche Momente als die des Al⸗ 
terthums und Mittelalters, und faft nur die Liebhaberei findet hier Befriedigung. 

Die gelehrte Beichäftigung mit ben Münzen fcheint dem Aiterthume fremd gewefen zu fein, 
und felbft von einer Liebhaberei im Sammeln berfelben findet fich keine beftimmte Nachricht. 
Erſt im fpätern Mittelalter fing man an, eigentliche Münzfammlungen anzulegen, ohne bie 
ein gründliches wifienfchaftliches Studium der Münzen gar nicht möglich iſt. Petrarca ſoll als 
eine Seltenheit bie erfte bedeutende Münzſammlung gehabt haben. Bei dem fleigenden Samm⸗ 
lereifer feit dem 15. Jahrh. bildeten Münzen meift den erften Beſtandtheil der in großer Zahl 
in ben Niederlanden, in Italien, Spanien, Frankreich und Deutfchland entflehenden Mufeen 
doch fammelte man damals und noch lange nachher nur antike und zwar vorzugkweiſe röm. 
Münzen. Die bedeutendften Münzſammlungen befaßen der König. Alfons von Aragonien und 
Neapel, der Cardinal Eosmo dei Medid, Hieronymus Eolonna in Rom, Antonio Agoftino in 
Spanien, Kaifer Maximilian L, Budäus im Frankreich, Katharina von Medici und Hubert 
Goltz in den Niederlanden. Unter ben gegenwärtig beftehenden öffentlichen Münzſammlungen 
find die wichtigſten: das königl. Münzcabinet in Paris, das aus Ber Sammlung ber Katha⸗ 
tina von Medici entfland und ſchon feit der Zeit Ludwig's XIV. feiner Vollftändigkeit wegen 
den erſten Rang unter allen Muͤnzſammlungen einnimmt; das Cabinet des Britifchen Mus 
feums zu London, ausgezeichnet namentlich durch feinen Reichthum an antifen, wie auch 
oriental. Münzen; das Fönigl. Cabinet zu Madrid, das aus mehr als 100000 Stück beſteht; 
das königl. Gabinet zu Kopenhagen; das kaiſerl. Cabinet in Petersburg, vorzüglich reich an 


Numis matik 2391 


ruſſ. und oriental. Stüden; das kaiſerl. Cabinet in Wien, welches aus den Sammlungen Magb 
milian's L, Busbecq't, des Thom. Lanſius u. A. entftand, bie erft unter Karl Vi. dutch Heräus 
zu einem Ganzen verſchmolzen wurden; ferner das königl. Gabinet in München, von Derios 
Albrecht V. von Baiern begründet; das Fönigl. Cabinet in Berlin, das herzogliche zu Gotha, 
die Eöniglichen Sammlungen zu Daag und zu Dresden. " 

Die erfte Anleitung zum Münzfammeln gab 1577 ber Spanier Antonio Agoftino in feinen 
faft in alle Sprachen überfegten „Dialogen“. Jacopo und Dttavio Strada fuchten durch Ab» 
bildungen die Neigung der Reichen und Vornehmen in Italien für das Sammeln von Müngen 
anzuregen. Wolfganz Lazius, Kaifer Ferdinand's L Leibarzt, machte zuerfi Anwendung von 
den som. Münzen zur Erläuterung ber Geſchichte. Fulvio Drfini und ber augsburger Arzt Deco 
befchäftigten fi namentlich mit vom. Samilien- und Zaifermünzen. Hubert Golg fing zuerft 
an, auch die griech. Münzen zu beachten. Inzwiſchen hatte man in Folge der vielen Nachfragen 
nach antiten Münzen auch gelernt, biefelben täufchend ähnlich nachzumachen. Es gefchah dies 
durch [ehr gefchidte ital. Stempelfchneider zu Padua, Parma, Vicenza, 3. B. Cavino, Belli u. 
A. gar nieht in der Abſicht zu täufchen, ſondern nur um ben Abnehmern zu genügen; allein ſehr 
bald wurde aus bem erfünftelten Befruge ein Gewerbe, das noch gegenwärtig in Italien getrie 
ben wird. Vgl. Seftini, „Sopra i moderni falsificatori di medaglie greche antiche etc.” (Flor. 
1826). Soldye falfhe Münzen verfertigten unter Andern nachmals auch Leber in Florenz 
und Beder in Hanau und Offenbach. Zwar wurde in der folgenden Periode nicht mehr fo eife 
rig gefammelt, aber defto umfaffender waren die Forſchungen, die Vaillant (f.d.), Spanhein 
(f.d.), Pellerin u. U. einzelnen Münzclaſſen zumendeten. Der kritiſchen Sichtung des Echten 
vom Unechten und ber überfichtlichen Zufammenftellung bes gefammten Vorraths unterzog fich 
mit Glüd und Erfolg Jof. Eckhel (f.d.), ber in feiner „Doctrina numorum veterum” (8 Bbde,, 
Wien 1792—98 ; „Addenda”, berausgeg. von Steinbüchel, 1826) die geographiſch⸗chronolo⸗ 
giſche Methode fireng burchführte. Seinem Syſteme ſchloſſen id an Domenico Seſtini (f. d.) 
und Mionnet (f. d.). Obwol fich die Maffe der antiten Münzen noch fortwährend vermehrt, fo 
hat doch bas von Eckhel aufgeftellte Syſtem bis jegt nur geringe Veränderungen erlitten ; nur 
die Rumtsmatit der freien Städte Griechenlands hat feitdem eine andere Geftalt angenommen. 
Dal. Cadalvene, „Recueil des mödailles grecques inedites” (Par. 1828); Millingen, „An- 
cient coins of Greek cities and kings” (Lond. 1831). Wie viel die Numismatif und alle auf 
ihre Hülfe angewiefenen Wiffenfchaften durch monographifche Bearbeitungen der Münzen ein- 
zelner Difteicte und Epochen gewinnen können, zeigen deutlich Arbeiten wie bie Friedländer's 
„Die oslifhen Münzen” (2ypz. 1850). 

Mit großem Erfolge hat man in neuerer Zeit die Bearbeitung der oriental. Münzen begon- 
nen. Namentlich bat Frähn (ſ. d.) durch feine vortrefflichen Arbeiten zu großem Eifer auf die» 
fem Gebiete der Forfchung angeregt. Verbienfte erwarben fich unter Andern Erdmann, Zorn. 
berg, Gafliglione, Möller, Stiel („Bandbuc ber morgenländ. Münzkunde”, Heft 1, Lpz. 
41845), Dorn u. f. w. um die Münzen ber moslem. Staaten, Endlicher um dhinefifche und 
japanifche, Broffet um georgifche, Brinfep, Laſſen, Wilfon um baktrifche und ältere indiſche 
DMünztımde, Olshauſen, Dorn, Mordtmann um die Münzen mit Pehlevilegenden, Gefenius 
und befonderd der Herzog von Luynes um phönizifche Münzen. Kür bie Münzkunde des Mit 
telalter& fehlt e6 noch an einem Manne wie Eckhel, der das Gefammtgebiet zu überfchauen und 
wiſſenſchaftlich aufzuklären vermochte. Treffliche Vorarbeiten dazu lieferten Mader (,Kriti» 
ſche Beiträge zur Münzkunde des Mittelalters”, 6 Thle, Prag 1805— 155 „Werfuch über bie 
Bracteaten”, 2 Thle, Drag 1797 — 1800); Lelewel („Numismatique du moyen age”, 2 Bbe., 
Dar. 1836) u.f.w. Die Münzen der Oftgothen (Berl. 1844) und der Vandalen (Xpz. 1849) 
fanden an Julius $riebländer, die der Angelſachſen an Hildebrand (Stockh. 1846) treffliche 
Bearbeiter. Über bie fpan. Münzen fchrieben Laflanofo, über die ital. Argelati und Zanetti, 
über die neapolit. Bergara, über die favoyifchen Promis, über die franz. Leblanc, Rollin, Du⸗ 
puy, über bie engl. Akerman und Rüding, über die nieberländ. Aikemade, Leclerc, van Mieris, 
van Loon, Verkade, über die ſchwediſchen Brenner und von Berch, über bie ruſſiſchen Chandoir, 
über die poln. Bandtke, Raczynfii, Zagorſti, Naſtawiecky, über die ungar. Schönviener, Sze⸗ 
chenyi, Rupp, über böhmiſche Voigt, uber deutſche von Götz, über öfter. Karafan, über preuß. 
Bofberg, über bair. Obermayer, über ſächſ. Sugittarius, Diearius, Leuckfeldt, Schlegel, 
Schmidt und von Pofern-Kiett, über die würtemberg. Binder, über die ſchweiz. ©. F. von Hal 
ter und H. Meyer, über die elſaſſiſchen Berſtett, über die hamburgiſchen Gädechent, u. |. w. 

Gonn.sker. Achute Aufl. ALL - 21 


m Ruñez Nuntien 


Ofuse trefftiche Üherficht der Leiſtungen im Gebiete ber neuern Numismatik geben die ſogenannten 
„Nistoirve metalliques” Ludwig's XIV., Lubmwig’6 XV., ber Franzöſiſchen Revolution (von Millin, 
fortgefegt von Dillingen, Par. 1806— 22), Napoleon's u. |. w. Auch haben fleißige Sammler 
eingetne Clafſen neuerer Münzen in beſondern Schriften behandelt, fo Köhler die Dufaten, 
Lilienthal und Madai bie Thaler, Joachim die Groſchen, Reinhard bie Kupfermüngen ; andere 
Werke umfaffen ganz fpecielle Stafien, wie das von Zepernid („Die Sapiteld- und Gedis- 
vacanzmünzen“, Halle 1822— 34). Vgl. Eckhel, „Anfangsgründe ber alten Numis matik“ 
(Wien 1788; 2. Aufl, 1807) und „Elementa rei numariae veterum, sive Eckhelii pro- 
legomena doctrinae numorum” (Berl. 1841); Kolb, „Trait &l&mentaire de numismati- 
que ancienne” (2 Bde., Par. 1825); Hennin, „Manuel de numismatique ancienne” (2Bbe,, 
Par. 1830); Alerman, „A numismatic manual“ (Lond. 1832); Raoul-Rochette, „M&moires 
de numismatique et d’antiquit6” (Par. 1840); Gräfe, „Handbuch ber alten Numis matik 
(%p;. 1852 fg.). Hauptwerk über die Beftimmung bes Werths u. |. w. der altn Münzen 
find Böckh's „Metrologifche Unterfuchungen” (Berl. 18358); Kartenwerke zur Geſchichte des 
antiten Münzweſens lieferten Green („Atlas numismatique”, Par. 1829) und Seftini („Clas- 
ses göndrales geographiae numismaticae”, 2. Ausg., Flor. 1821). Zeitfchriften für Münz« 
kunde gaben in Deutfchland Leipmann (Weißenſee 1854 fg-), Grote (Hannov. 1834 fg.) und 
Köhne (Berl. 1841 fg.) heraus; in Frankreich wurbe die „Revue numismatique” von Earlier 
und 2. de la Sauffaye (War. 1840 fg.) begründet; in Belgien erfcheint bie „Revue de la nu- 
mismatique belge” feit 1845 zu Zirlemont, in England bie „Proceedings“ ber Numismati- 
{hen Geſellſchaft feit 1836; van ber Chiis gab in ben Niederlanden feit 1833 die „„Tijdschrift 
voor Munt- end Penningkunde” heraus. Auch Gerhard's „Archäologifche Zeitung” und bie 
von Köhne herausgegebene Zeitfchrift ber petersburger archäologifchen Geſellſchaft ziehen die 
Numismatik in ihr Bereich. 

Nuñez (Pet.), gewöhnlich Monius genannt, ein fehr gelehrter Portugiefe, geb. 1492, war 
königl. Kosmograph und Profeffor der Mathematik in Coimbra und farb 1577. Seine Schrif⸗ 
ten (Baf. 1566) verbreiten fih über Geometrie, Schiffahrt, Kartenprojectionn umb die Ver» 
befferung aftronomifcher Infteumente. Vorzüglich fuchte er die Schiffahrtskunde zu vervoll- 
fommnen, wie er benn auch für den Erfinder der Korodromifchen Kinie (f. d.) gilt. Auch wurde 
von ihm um 1542 eine neue Eintheilung des Kreifes auf ben aftronomifchen Inflrumenten 
aufgeftellt, die feinen Namen trägt. 

Nuntien (Nunti apostolici oder Legati missi) heißen die Befandten des Papſtes, fobald 
fie feine Cardinäle find. Ihre Geſchichte ift daher die Gefchichte der päpftlichen Kegaten (ſ. d.). 
Das Amt wie der Sig ber Nuntien heißt Runtiatur. In Deutfchland hatten bie Erzbiſchöfe 
zwar die Einrichtung beftändiger päpftlicher Tribunale bis in das 16. Jahrh. verhindert und 
die Nuntien nur auf den Concilien oder als durchreiſende Viſitatoren geduldet; aber nad) ber 
Meformation wurden die Nuntiaturen zur Aufrechthaltung ber tridentinifchen Befchlüffe und 
als Gegenwirkung gegen ben Proteftantismus eine nothiwendige Mafregel. Der röm. Stuhl 
gründete num vier bleibende Nuntiaturen, zwei Gregor XIIL, zu Wien 1583 für das öftfiche und 
zu Köln für das weftliche Deutfchland, zwei andere Sixtus V., Ju Luzern 1586 für die Schweiz 
und zu Brüffel 1588 für die Niederlande. Die Nuntien dafelbft waren geiftliche Oberrichter 
in ihren Bezirken und übten, befonders in Dispenfationsfachen, erzbifchöfliche Nechte aus. 
Weber die Befchwerben der Reichsbehörden und Erzbifchöfe, noch bie Verordnungen, welche 
beshalb ben Reichsabſchieden und Wahlcapitulationen von Zeit zu Zeit beigefügt wurden, ver- 
mochten in biefer drückenden Einrichtung etwas abzuändern. Pius VI. errichtete fogar 1785 
eine neue Nuntiatur für das fübliche Deutfchland zu München, zunächſt zur Abwehr des Illu⸗ 
minatiömus. Dagegen ſprach Kaifer Zofeph II. in einem Reſcripte an die deutfchen Erzbi- 
ſchöfe vom 12. Det. 1785 den Nuntien alle Gerichtsbarkeit in kirchlichen Sachen ab und er- 
Härte fie blos für politifche Gefandte des Papftes, worauf der in Folge dieſes Faiferlichen Aus- 
ſpruchs zufammengetretene Emfer Congreß ſich für das gänzliche Aufhören der Nuntiaturen 
in Deutfchland entfchied. (S. Emfer Punctation.) Doch unter Begünftigung des Kurfürften 
von Pfalzbaiern begann der Nuntius Zoglio zu München von neuem fein Amt auszuüben; 
ber Nuntiud Pacca in Köln verwahrte ſich förmlich gegen den Verluft feiner Dispenfatione- 
rechte. Auch in ben Niederlanden gelang es dem bereits vertriebenen Nuntius zu Brüffel mäh- 
rend der Unruhen gegen Joſeph II. ſich wieder feftzufegen, und in dem übrigen Deutfchland 
liegen bie Gegenwirkungen ber römiſch gefinnten Bifchöfe zu Würzburg, Speier und Hildes⸗ 


Be Tim die Emfer Punctation nicht zur Ausführung fommen. Da nach Joſeph's Tode 1790 


Rürnberg Ä 2 


der Papſt eine förmliche Rectificationsfchrift an die Theilnehmer des Emſer Vertrags erließ und 
ber Kurfürft von Trier ſich gänzlich von dem Vertrage losſagte, fo blieben die Nuntien in: Befig 
ihrer Gewalt, bis die Franzöſiſche Revolution den Runtiaturen zu Köln und Brüffel ein Ende 
machte. Die Nuntiaturen in Wien und Münden beftehen zwar noch; doch bürfen die Runtien 
gegenwärtig nichts ohne Genehmigung ber dortigen Höfe thun; hier wie anderwärt® gelten fie 
nur als politifche Beichäftsträger, obfchon fie gern ihre alte Stellung wieder erlangen möchten. 
Die meifte Macht ift dem Nuntius zu Zugern verblieben, ber zwar in ber ſchweizer. Revolution 
vertrieben, 1803 aber zurüdigerufen wurde. Das Schidfal der Vertreibung traf auch ben Nun⸗ 
tius zu Ziffabon nach ber Eroberung Portugals durch Dom Pedro (1833). Exft in neuerer 
Zeit warb ihm bie Rückkehr wieder verftattet, außerdem auch dem päpfllichen &tuhle Belegen- 
heit gegeben, Numtiaturen in Limburg, für das nördliche Deutfchland und für England zu 
gründen. Bol. F. v. Mofer, „Geſchichte der Nuntien in Deutfchland” (EM. 1788). 
Nürnberg, eine ber Mutterftädte deutſcher Kunftbildumg, früher eine Freie Reichsſtadt, bie 
zweite Stadt Baierns, liegt in einer fandigen, aber durch Anbau fruchtbar gemachten an⸗ 
genehmen Gegend und wird durch die Pegnig, über welche mehre Brüden, barunter feit 1824 
eine Kettenbrüde, führen, in zwei Hälften getheilt, von denen bie Bleinere nördlich nach ber 
Pfarrkirche zu StSebald die Sebalder Seite, die fübliche größere von ber Kirche zu St.Lorenz 
die Lorenzer Seite heißt. Der Umfang ber Stadt innerhalb der noch mit 60— 70 Thürmen 
verfehenen Mauern, in welche viele öffentliche Gärten und Pläge eingefchloffen find, beträgt 
17% &t. Die Strafen, worunter mehre anfehnliche, daneben aber auch viele fehr winkelige fich 
finden, Haben feit einer Reihe von Jahren durch heitern Anſtrich, Trottoirs u. f. m. fehr ge⸗ 
wonnen. Die Wohnhäufer find vielfach noch fehr alterthümlich und tragen im Außern das 
Gepräge bes gothifchen Stils, in ihrem Innern bie Spuren bes Privatlebens Längftverfloffener 
Zeiten. Mertwürbig ift in diefer Beziehung insbeſondere das alte Schloß, bie Burg oder Veſte 
genen, ber ehemalige Sig der Burggrafen von R., auf einer fleilen Anhöhe mit herrlicher 
usſicht, welches feinem Außern nach noch ganz erhalten ift. In bemfelben befindet ſich bie 
öffentliche Gemaͤldeſammlung nebft vielen Glasmalereien umd unter Anderm das intereffante 
mmbırd zu X. Dürer's Andenken. Das 275 F. lange Rathhaus ift eins der anfehnlid- 
fien in Deutichland ; bemerkenswerth find in dem großen Saale deſſelben bie reftaurirten 
Mandgemälde Dürer’s und Gabriel Weyher's und an der Decke bes Corridors das Gefellen- 
ſtechen von 1446 in Hautrelief und Stud. Durch Bauart und Kunſtwerke find ferner ausge 
eichnet: die St⸗Lorenzkirche mit Ad. Krafft's berühmtem Sacramentshäuschen, bem Englifchen 
von Veit Stoß, den fhönen Blasfenftern von Hirſchvogel u. A., ber neuen Kanzel und 
dein Altar von Rothermundt; die &t.-Sebalduskirche, mit zwei Thürmen, bem aus 120 Eten. 
Metall gegofienen und 15 F. hohen Grabmale bes heil. Sebalbus, den ellenhohen bronzenen 
zwõlf Apoſteln, zahlreichen Figuren von Pet. Viſſcher, vielen guten Glasmalereien und andern 
Kunftwerken ; die Kirche St.Jakob, 1825 im Innern erneuert (beſchrieben von Löſch, Rürnb. 
4825), und die im neuern Geſchmack 17141—18 wiederaufgebaute Agidienkirche. In der 1850 
reſtautirten Heifigengeiftkicche wurden feit' 1424 die Reichskleinodien aufbewahrt, bie fegt in 
Wien find. Auf dem Johamisfirchhofe befinden fich die Grabmale U. Dürer’s, Hans Sachs, 
Mart. Behaim's u. A., auf dem Rochuskirchhofe P. Viſſcher's u. ſ. w. Nächſtdem find zu er⸗ 
wähnen bie ſchone unvollendet gebliebene Kirche bes Deutſchen Ordens; das große Heiligegeiſt 
hoepital, welches auf zwei Bogen Über ber Pegnitz erbaut iſt; das 1845 erbaute große ſtädtiſche 
Krankenhaus vor dem Frauenthore; das Theater, das Gebäude ber Muſeumsgeſellſchaft, das 
königl. Bahnhofsgebaͤude. Unter den Privatgebäuden ältern Stils zeichnen fih aus: das Naf- 
ſauiſche Haus, das Tucher'ſche, das Grundherr'ſche, in welchem die Goldene Bulle abgefaßt 
wurde, das von Peller ſche, das Fuchs’fches unter ben neuern das Bankgebaͤude, Bed’fche, Kalb'- 
ſche, Gebhard'ſche Haus u. f. w. In der Nähe von A. Dürer’6 Haus auf dem Albrecht⸗Dürer⸗ 
Platz ift 1840 die Statue bes großen Malers (nach dem Mobell Rauch's gegoffen von Yurg- 
ſchmid) aufgerichtet worben. Unter den zahlreichen öffentlichen Brunnen verdienen befonbere 
Hervorhebung: der fogenannte Schöne Brunnen, 60 8. hoch, mit 16 Figuren, ber Brunnen an 
der Lorenzkirche, die Fontaine auf dem Marplage u. ſ. w. In dem vormaligen Dominicaner⸗ 
oder Predigerkloſter befindet ſich die Stadtbibliothek mit über 50000 Bänden und 600 Hand⸗ 
ſchriften. Unter vielen trefflichen Bildungsanftalten nennen wir zunächft das Gymnafium, vor 
welchen 1826 bei Gelegenheit der dreihundertjährigen Subelfeier der Einweihung durch Die- 


lanchthon beffen von Burgſchmid gefertigtes Standbild aufgeſtellt murbe; a Kunſtgenez 


SM Nürnberg 


ſchule; ferner die Polgtechnifche Schule, die Landwirthſchaftsſchule; dad Schullchrerfeminar, 
508 Handelsinftitut und mehre andere Lehranftalten. Auch TAN. mit allen Arten von Wohl⸗ 
thätigkeits · und Unterflügungsanftalten reichlich und zum Theil ausgezeichnet verforgt. Unter 
den Sammlungen für Kunfl und Wiffenfchaft find die Galerien in ber Morigkapelle und im 
Randauerklofter, das Hertel'ſche Cabinet, die von Aufſeß ſchen Sammlungen (dad Deutfche 
Muſeum) u. f. m. hervorzuheben. Huch beftehen für diefe Zwecke mehre Vereine, wie bie 
Bauhütte, der Albrecht-Dürerverein, Gewerbverein u. f. w. 

Ehe der oftind. Handel durch die Entdeckung eines Seewegs eine neue Richtung erhielt, war 
N. einer der wichtigften Handelöpläge Deutfchlands, ja felbft Europas, indem es die von Ita⸗ 
lien ihm zugeführten oſtind. Waaren nach dem Norden vertrieb. Der öffentliche und der Pri- 
vatwohlftand und ber Kunſtfleiß der Stadt waren bamals außerordentlich, und es ift auch des⸗ 
halb die Kunftgefchichte N.s für die Gefchichte der Kunft im Allgemeinen von Wichtigkeit. Der 
veränderte Weg bes oflind. Handels, bie Aufmerkſamkeit anderer Staaten auf die Vortheile bes 
Handels, die Verheerungen bed Dreißigjährigen Kriegs und das Zurückbleiben der innern Ber» 
faffung der Stadt gegen die Fortſchritte des Zeitalters Haben fie von ihrer frühern Höhe herun⸗ 
tergebracht. Indeſſen ift der nürnberger Handel auch gegenwärtig noch, namentlich mit den 
einheimifhen Manufacturwaaren, nicht unwichtig. Man verfertigt Metall«, Holg«, Hornwaa⸗ 
zen, Bleiflifte, Eichorien, Lebkuchen, kurze Waaren und Spielfachen, vorzugsweiſe nürnberger 
Wagren genannt, welche nicht allein durch ganz Europa, fondern felbft nach Amerika und In- 
bien verfendet, zum Theil jedoch von ben Bewohnern des Thüringerwaldes währendbes Win⸗ 
ters gefertigt werden. Außer bem Handel mit eigenen Fabrikaten mache N. auch gegenwärtig 
noch nicht unbebeutende Speditions⸗ und Wechfelgeichäfte. Seit einer Reihe von Jahren find 
ferner mehre umfangreiche Fabriken entftanden, fo bie Heine-Zeltner’fche Ultramarinfabril, die 
Cramer⸗Klett'ſche Mafchinen- und Eifenbahnwagenfabrit und Eifengießerei u. ſ. w. Mit Fürth 
(f. d) ſteht N. bereits feit 1836 durch eine Eifenbahn, die erfte in Deutfchland mit Dampf be» 
fahrene, in Berbindung, ebenfo über Augsburg mit Lindau und über Hof mit Norbbeutfchland. 
Der Ludwigskanal gewährt der Stadt einen Hafen. Die Zahl der Bewohner, bie fich früher auf 
400000 belief, nach und nach auf 27000 herabſank, beträgt gegenwärtig etwa 51000, barun- 
ter 5000 Katholiken und feit 1849 auch Ifraeliten, die früher nicht aufgenommen wurden. 

N. wird zuerfi 1050 urkundlich erwähnt und erhielt 1219 feinen erften Freiheitsbrief. 
Durch Kaifer Heinrich V. wurde fie bis auf die Burg zerflört und erſt unter Kaifer Kon- 
rad wieder aufgebaut. Kaifer Heinrich VI. begründete 1198 das nürnberger Patricia da- 
duch, daß er bei einem Zurnier 38 bürgerliche Familien in ben Adelftand erhob, bie 
fi fpäter, mit Ausſchließung aller Bürgerlichen, des Stadtregiments bemeifterten. Wann 
N. zum Burggrafenthum geworben, ift unbefannt. Schon um die Mitte bes 12. Jahrh. foll 
daffelbe erblicy an das Haus Hohenzollern (f. d.) gelommen fein, mas ſich jeboch erft feit ber 
Zeit Burggraf Friedrich's L., ber 1218 flach, urkundlich erweiſen läßt. Burggraf Friedrich VI, 
ber feit 1411 die Mar Brandenburg (f. d.) unterpfändlich befaß, verkaufte 1417 die Burg 
nebft deren Pertinentien an die Stadt, um mit bem gewonnenen Gelbe die Mark Brandenburg 
alt erbliches Zehn zu erwerben. Hiermit endeten bie mehrfachen Fehden, in weldyen bie Stadt 
mit den Burggrafen bisher gelegen hatte. Wie fhon 1324, 1356 und 1390 Reichstage in N. 
gehalten worden waren, auf welchem legtern man einen gleichen Münzfuß für ganz Deutich- 
land beſchloß, fo fanden derem dafelbft auch in den 3. 1522 und 1523 flat. Am 23. Juli 
1552 wurde in. ber erfte Religionsfriede gefchloffen, und 1538 kam bafelbft der Deilige Bund 
zwiſchen Karl V. und den kath. Ständen gegen die Proteitanten zu Stande. Nachdem dieStadt 
ſchon im Dreißigjährigen Kriege viel gelitten, geriech fie in Kolge des franz. Revolutionskriegs 
in eine fo mislihe Lage, daß fie dem Könige von Preußen, ald Burggrafen von N., zu freie 
williger Unterwerfung ſich erbot, was aber Damals nicht angenommen wurde. Als eine um 
Kaifer, Reich und die deutſche Nation hochverbiente Stadt behielt fie auch bei ben Veränderun- 
gen, die der Reichsdeputationshauptſchluß von 1803 in Deutfchland hervorbrachte, ihre alte 
dreiheit. Sie befaß ein größtentheils gut angebautes Gebiet von 23 AM. mit 40000 E., und 
ihre jährlichen Einkünfte betrugen gegen 800000 Gidn. Zu ihren Gebiete gehörten auch Alt 
borf (ſ. d.) und ber fogenannte große Reichswald. Bald nachher in Etreitigkeiten mit den 
Könige von Preußen verwidelt, die fich in Folge der preuß. Befigergreifung eines Theils des 
nürnberger Stadtgebiet nur mehren konnten, hatten diefelben auf einmal ein Ende, als N 
1806 durch die Rheinbundsacte nebſt feinem ganzen Gebiete mit voller Souveränetät an den 
König von Baiern überging. Dot. Mayer, „R. und feine Merkwürdigkeiten (Nürnb. 1852). 


% 
Ruß Rykoͤping 

Muß nennt man im gemeinen Leben alle diejenigen Früchte, deren Samen von einer 
beinharten holzigen oder lederartigen Fruchtſchale (manchmal auch nur Samenfchale) ein 
gefchloffen ift, die nicht von ſelbſt auffpringe. Dahin rechner man bauptfächlich die Haſelnuß, 
die Lampertönuß, die nur zum Theil efbaren Palmennüffe, unter welchen die Gocosnüffe die 
befannteften find, die Waſſernuß oder Stachelnuß (Trapa natans), die Zirbelnuß von einer 
Art der Gattung Kiefer, die dreiedigen fogenannten brafilifchen ober Yaranüffe, die in neue- 
rer Zeit viel nach Europa gebracht werben und von einem riefigen Baume (Berthollelia exceisa) 
des äquatorialen Südamerika herrühren, bie Erdnuß und vieleandere, theils mebicinifch, theils 
technifch angewendete Nüſſe. —— aber verſteht man darunter die welſchen Auſſe oder 
Wallnuͤſſe, die Früchte bes nußbaums (f. d.), der gemeiniglih vom Volke nur Muf- 
Baum genannt wird. . 

Nutation. In Folge ber Anziehung ber Sonne und des Mondes gegen die von ber Ku⸗ 
gelform abweichende Erde burchläuft jeder Pol des Himmels in einem fehr langen Zeitraume 
einen Kreis um dem entiprechenden Pol der Ekliptik, geht jeboch in dieſem Kreife nicht gleich- 
mäßig fort, entfernt fich auch von bemfelben abwechfelnd nach beiden Seiten. Diefe von Brad- 
ley zuerft bemerkten Änderungen nennt man die Nutation oder das Wanken der Erbachfe. ie 
find periodifch und laffen ſich fo anfehen, als ob der Himmelspol in 18'4 3. die Peripherie ei- 
ner Beinen Ellipſe durchliefe, deren Achfen 49 umd 14 Secunden betragen und beren Mittel» 
punkt um den Pol der Efliptik einen Kreis von 23'/% Grab Halbmeſſer befchreibt. 

Autlabai oder Mutlafund, eine Bucht an ber Suüdweſtküſte der Infel Duadra-Vancouver 
unter 49" 35° n. Br. und 108° 57°. m. £,, nahe bei der Nordweſtküſte Nordamerikas, ift befon- 
ber& des Seeotterfangs wegen wichtig. Zur Betreibung des Pelzhandels haben daſelbſt die 
Engländer 1790 eineRiederlaffung, weldheungefähr 2000 Köpfe zählt. 
NMützlichkeitspriucip, f. ütilitarismus. 

Nux vomlea, |. Brechnuß. 

Eborg, eine feſte Stadt auf ber dän. Inſel Fůnen am Großen Belt, der Überfahrtsert 
nach Korför, mit Hafen und 3200 E, iſt gefchichtlich denfwürdig durch den Sieg der Dänen 
über die Schweden 1659, fomwie durch das Gefecht vom 9. Juli 1705 zwifchen Peter d. Gr. 
und den Schweden. 

Ayerup (Rasmus), einer der ausgezeichnetften dän. Literarbiftoriker, geb. auf Fünen 
4759, flubirte in Kopenhagen, war bann feit 1778 an der königl. Bibliothek angeftellt, wurbe 
4796 Profeffor der Literargefcgichte und Univerfitätsbibliothefar und flarb 28. Juni 1829. 
Durch fein treffliches „Spicilegium bibliographicum” (Spec. I— V, 1782 — 85), feine Me 
nographien über bie „Biblia pauperum” und das „Speculum humanae salvationis” (1783), 
fowie über bie vorreformatorifchen Unterrichtsbücher (1784—85) ſchloß er fich den Fußtapfen 
Maoittaire's an, fowie er durch feine höchft werthuollen „„Symbolae ad literaturam Teutonicam” 
(1787) die Damals rege gewordenen Bemühmgen zur Herausgabe der Überrefte altbeutfcher 
Poeſie und Literatur mächtig förderte. Seine zahlreichen fpätern verbienftvollen Werke find 
theils biftorifch-antiquarifche Sammelwertke, unter benen die „„Biftorifch-ftatiftifche Darftellung 
des Zuftandes Dänemarks und Rorwegens in älterer und neuerer Zeit” (4 Bde, 1802—6) 
ben erften Platz einnimmt, theils, und bies iſt Die glaͤnzendſte Seite feiner Wirkſamkeit, beſtehen 
fie in einer Erneuerung ber Denkmäler altbän. Dichtkunſt und Sprache. In lepterer Bezie⸗ 

g find beſonders zu nennen feine in Verbindung mit Rahbek und Abrahamſon veranftaltete 
abe der altdän.. Heldenlieder („Ubvalgte danſke Kiempevifer”, 5 Bbe., 1812— 14) mit 
hiftorifchen Erläuterungen und den alten Melodien; feine Auswahl und Ausgabe ber ältern 
dan. Sprũchworterſammlungen („Peber Syv's Bernefulde Ordfprog”, 1807, und „Peber Los 
Drbfpeog”, 1828) und feine Muſterung der alten dan. Volksbuͤcher („Almindelig Moerſtabs⸗ 
lasning in Danmark og Norge”, 1817). Auch gab er mit Kraft, einem Norweger, zwar nicht 
das erfle, aber das erſte mit literaturbiftorifcher Einficht abgefaßte Gelehrtenlerikon über ban., 
norweg. und isländ. Schriftſteller („Almindeligt Literaturiericon for Danmark, Rorge og I6- 
land”, 3 Bde. 1820) heraus, weiches eine Fortfegung in Erslev’s „Zorfatterlericon” (3 Bde., 
4841 —350) gefunden bat. 

Ryksping, die Hauptfladt ber gleichnamigen Sandeshauptmannfchaft und ber gangen 
Landſchaft Sodermanland in Schweden, nordöftlih,von Norrköping, an einem Buſen ber Oft 
fee ausgezeichnet fehön gelegen, vom Ryköpings-M burchflofien und regelmäßig gebaut, zählt 
ungefähr 3000 &., die, wie die Bevölkerung ber ganzen Umgegend, das Schwediſche am rein⸗ 
en fprechen. Die Scabt iſt Gig bes Lanbethauptmanns, hat brei Kirchen, Meffing-, Tuch⸗, 


3. Nymphen - Rympbomanie 


Baumwollen⸗, Tabacks⸗, Strumpf- und mehre andere Fabriken, Schiffswerft, Müblenwerke 
und eine gute mechanifche Werkſtatt. Vor ber Nordweſtſeite der Stadt liegt das Neue Schloß 
.und ebenfalls in der Nachbarſchaft die Papierfabriten Hary und Perioden. Das ſeg alte, 

4665 ausgebrannte und jegt verfallene Alte Schloß, war einft häufig Reſidenz ber Könige, 
galt nach dem in Stodholm und Kalmar für das feftefte in ganz Schweden und ward oft be» 
lagert. Viele gefchichtliche Ereigniffe nüpfen ſich an biefe Ruine. König Waldemar ſaß in 
demfelben 1288 gefangen und ftarb 1502 dafelbft. Auch ftarben hier die Söhne bes Königs 
Magnus, bie Herzoge Erich und Waldemar, 15148 durch ihren Bruder, König Birger, den 
Hungertob, worauf das Volk das Schloß eroberte umb fchleifte. Ferner wurden hier Reichstage 
gehalten. Im 3.1592 Hielt dafelbft KarlIX. mit Chriſtine von Holftein fein Beilager, und Beide 
ftarben auch hier. Karl X. wurde in bem Schloffe 1622 geboren. Verheert wurbe bie Stadt 
N. 1719 durch die Ruffen. 

Nymphen heißen urfprünglich im Griechiſchen alle jungen, aber mannbaren Frauenzimmer, 
mögen fie num verheirathet fein oder nicht. Als Eigenname aber find die Nymphen weibliche 
Gottheiten von nieberm Range umb wohnen im Meere, in Strömen, in Hainen, auf Auen 
und Wiefen, in Grotten, an Quellen, auf Bergen, in Bäumen und allen Gegenfländen, 
welche nicht ohne Waſſer beftchen können. Überhaupt heißen Nymphen alle Göttinnen 
nährender Feuchtigkeit, vorzugsweiſe auch die heilkräftiger und begeifternder Quellen, de 
sen Waſſer mit prophetifchen Erbbünften geſchwängert fchien. Die Nymphen als unter 
georbnete Naturgottheiten werben eingetheilt in Okeaniden ober Dfeaninen, als Gottheiten 
bed. großen erbumftromenden Dfeanos, in Nereiben (T. Nereud), ald Bewohnerinnen bes 
innern Meeres, ferner in Yotamiden ober Flußnymphen, in Nafaden (f. d.) ober Quellnym⸗ 
phen, Limniaden ober Seenymphen, Leimoniaden ober Wiefennymphen, Dreaben oder Dreftia- 
ben (Bergnymphen), Napäen oder Thalnymphen, Dryaben (f. b.) oder Hamadryaden (Wald⸗ 
und Baumnymphen). Als Rocalgottheiten gewifier Gegenden werden fie nach biefen benannt, 
fo von Nyſa Nyfiaden, von Dodona Doboniden u. ſ. w. Als Böttinnen nÄährenber Feuchtigkeit 
find fie nicht blos Exrnähreriimen ber Wiefen, Bäume, Heerben u. |. w., fondern auch menfch- 
licher und göttlicher Säuglinge, wie des Aneas, des Bacchus und felbft bes Zeus. Ferner tre⸗ 
ten fie ald Raturgottheiten mit andern höhern Naturgottheiten in Verbindung, fo mit Apollo 
und Hermes als heerdebefchirmenden Göttern, mit der Jägerin Artemis, mit Dionyfos u. |. w. 
Ihre Beſchäftigungen und Beluftigungen waren Jagd, weibliche Arbeiten und Tanz; aufer- 
dem befaßen fie die Gabe der Weiffagung und bie Kraft der Begeifterung. Sie find nicht un- 
ſterblich, ſondern leben bloß, außerordentlich Lange und altern nie. Geopfert wurden ihnen Bie- 
gen, Lämmer, Milch und DI. Von der Kunft wurden fie als ſchöne Jungfrauen bargeftellt, 
entmweber nadt oder halbbekleidet. 

Nymphenburg, ein Luſtſchloß des Königs von Baiern, in ber Nähe von München, mit 
einem Park, ber eine Meile im Umfange hat. Das Luftfchlof ift ein fehr mionotone® Gebäude, 
1663 von der Kurfürftin Adelheid angelegt, von Marimilian IH. vollendet. Vor bemfelben be⸗ 
finden fih Springbrunnen, bie 90 F. hoch gehen. Sehenswert find insbefondere die ſchöne 
Amalienburg, die Babenburg, bie Eremitage, die Treibhäufer, die Pagodenburg; auch befindet 
ſich dafelbft ein weibliches Erziehungsinftitut und eine bedeutende Porzellanfabril. Am18. Mai 
41741 wurde das Bündniß oder ber Tractat zwifchen Baiern und Frankreich in R. abgefchlof 
fen, in welchem man fich über eine vorläufige Theilung ber öſtr: Befigungen verfländigte. In 
diefem Schloffe haben die Kaifer Napoleon I., Alerander I. und Franz I. gewohnt, und König 
Marimilian I. von Baiern ift darin geftorben (Det. 1825). 

Noymphomanie ift eine Art Wahnſinn beim weiblichen Geſchlechte, welcher fi durch 
wollüftige Reden und Handlungen kundgibt. Beim Manne wird ein ähnlicher Zuftand, der 
fi aber der Natur der Sache nach buch andere Geberden und Symptome kund gibt, Saty- 
riafis (f. d.) genannt.. Beide unterfcheiden fich von der Erotomanie (f. d.) dadurch, daß bei leg- 
terer nur ber geiftige Organismus, das ſchwärmeriſche Bhantafieleben von einer Krankheit er- 
griffen wird, ohne Börperliche Steigerung des Geſchlechtstriebes. Die Nymphomanie verbindet 
fich meift mit phyſiſcher Srritation der Geſchlechtstheile und mit Neigung zu unnatürlidher Be⸗ 
friedigung der Begierde, geht dann in einen melancholifhen Zuftand über (der fehr gern zum 
Selbftmord verführt), oder fleigert fich zu Anfällen von Raferei (Nympbomanie oder Mutter 
wuth im engern Sinne), bei welchen mit Steigerung ber phyſiſchen Symptome bie Kranken 
ohne Rückſicht auf Zeit und Ort und ohne alles Schamgefühl Tediglich die Befriedigung ihrer 

egierden erſtreben. Diefer Grad der Krankheit iſt felten, meiſt unheilbar und endet gewöhn⸗ 


3 


-ı a. 


Rolade Daſen U 


ich vach kürzerer Dauer mit dem Tode. Die Urſachen find oft unbekannt, oft rein örtlicher Urt 
+ DB. Juden der äußern oder innern @enitalien), ober im Gehirn u. f. w. begründet. Nach 
hnen und der Individualität der Kranken if auch die Behandlung verſchieden. Vgl. Herpain, 
‚Essai sur lanymphomanie” (Par. 1812). 

Nyftadt, eine 1617 am Bottniſchen Meerbufen in Finnland zwifchen Abo und Björneborg 
ıngelegte Seeftabt, ben infeln gegenüber, bat einen guten Hafen und 3000 E. die einen 
ebhaften Handel mit Latten, Holzgefchirren und Leinwand treiben, auch Wollen-, Leinenzeug 
ınd Strumpfiwaaren ver fertigen. Hiſtoriſch iſt fie merkwürdig durch den hier 10. Sept. 1721 
jmifchen Schweben und Rufland gefchloffenen Frieden, welcher den Rorbifchen Krieg (f. d.) 
:nbete. In Folge dieſes Friedens gewann Peter d. Gr. nicht blos Livland und Eſthland, fon« 
yern auch einen Theil von Finnland, das fogenannte Karelien, mit der Stadt Wiborg; auch 
vurde er zugleich in dem Befige von Ingermanland beftätigt. 


O. 


D, in unſerm deutſchen wie den meiſten andern abenbländifchen Alphabeten ber 15. im Iatei- 
üſchen ber 14. Buchftabe, bezeichnet einen der fünf einfachen Bocallaute der neuhochbeutfchen 
Sprache. Das Schriftzeichen, das im griech., lat. und andern Alphabeten im LBefentlichen bie» 
elbe Form hat wie im deutfchen, empfingen die Griechen von den Phönigiern, in deren Alpha⸗ 
yete das An die entiprechende Stelle in ber Reihenfolge der Buchftaben einnimmt. Ain heißt im 
Debräifchen wie im Phönizifchen Auge, wie denn auch die urfprüngliche Form bes phöniz. Buch» 
tabent das rohe Bild eines Auges barfiellt. Zwar bezeichnet dad Ain zunächft feinen Bocal, 
ondern einen allen femitiichen Sprachen eigenthümlichen Guturallaut, welcher fich jedoch in der 
honig. Ausſprache einem o fehr genähert zu haben ſcheint. Das griech. Alphabet, wie ed uns 
egt vorliegt, hat zwei Schriftzeichen, von denen das eine (0), das O mikron (b.i. kleines O), ben 
urzen, das andere (0), das O mäga (d. i. großes O) den langen O-Raut bezeichnet. Letzteres 
Zeichen foll nach ben Berichten ber Alten erſt von Simonides erfunden und dem Alphabete zu- 
jefügt fein; im Altern griech. Alphabet, wie es noch auf Infchriften vorliegt, wird kurzes und 
anges O, ja felbft ou durch das fogenannte O mikron ausgedrückt. In Lautlicher Beziehung ge 
ort o wie e keineswegs zu den Grundlauten ber Sprache, infofern «8 erft aus Vermiſchung 
‚ed a mit u entflanden ift. Daher erklärt fich, daß o und e, z. B. im Sanskrit, diphthongiſche 
Ratur zeigen und nur lang vorkommen. In ben übrigen indogerman. Sprachen bat fich bie 
Rürze des o erft allmälig entwidelt. Im Althochdeutſchen ift o bereits in vielen Fällen an bie 
Stelle des got9. au getreten. Derfelbe Lautübergang zeigt ſich auch innerhalb bed Lateinifihen 
elbſt, fowie im Verhaͤltniß zu feinen Töchterfprachen. In den Altern german. Mımbarten trat 
> häufiger auf als in den neuern; in vielen Bildungs- und Flexiond bat fich der vollere, 
onore O-Laut, mit dem fie im Althochdeutſchen Iauten, bereite im Mittelhochbeutichen gu ei» 
um e abgeſchwaͤcht. In geographiichen Schriften und auf dem Compaß pflegt man Oſt, Often 
jewöhnfich durch O. abzukürzen; bei bibliographifchen Angaben bedeutet 0. O. (b.1. ohne Ort) 
oviel wie: ohne Angabe des Drudorts. — D' vor iriſchen Eigennamen, z. B. O'Brien, 
D’Gonnell, wird gewöhnlich aus dem engl. of, d. i. von, erklaͤrt. - 

Dafen beißen bie in den Wüſten, insbefondere in den Wüſten Rorbafritas vorfonimenden: 
ewohnten und anbaufähigen Stellen, die in ihrer Vereinzelung wahren Infeln im Sandnieere 
Jleichen. Alle Dafen Nordafrikas find bedenartige Vertiefungen, umgeben von Beinen Berg⸗ 
'etten unb Dügelzügen, in denen ſich ein Bach ober ein Feiner See von ſpärlichem Regenwaſſer 
amımelt, ober mo Tuellen unter einer ber umgebenden Hochflächen entfpringen. Diefe Waſſer⸗ 
mfanımlımgen bedingen die Anbaufähigkeit der Dafen, indem fie einen regen Pflanzenwuchs 
yervorrufen, welcher in Vergleich mit der Wüſte prächtig zu nennen, an ſich aber nichtö weniger 
ls ũppig und dabei fehr einförmig ift. Derfelbe wird hauptſächlich durch die Dattel- und bie 
bebaifche Palme, die Gummiakazie und den Mannaſtrauch charafterifirt. Wusgebehute: 
Dafenlandfchaften find Fezzan (ſ. d.), Darfur (f. d.) und Korbofan. Schon im Alterthume ben 
ühmt, zum Theil als Verbannungsorte, waren die Dafe des Jupiter Ammon ober.bie fegige: 
Dafe von Siwah (f. Ammonium) und die weſtlichere Dafe Hugilg, Audſchila aber Udſchiba, 
dwie die ſogenannte Kleine und Große Daſe zunaͤchſt weblich —X a u 


Bw Dardea Dbadia 


Dardea oder Dajden, einer der füblichften Staaten Meztcos, umfaßt einen großen Then zes 
Iſthinus von Tehuantepec zwifchen dem Atlantifchen und bem Stillen Dcean und ein Areal von 
16601 AM. Die fchroffen Ketten der Eorbillerad durchziehen vom Iſthmus aus das Land in 
nordweftlicher Richtung. Unter den Zuflüffen der Südſee ift der breite, aber flache und reißende 
Nio⸗Verde mit dem Atoyac, unter benen des Mericanifchen Golfs der Alvarado der bemerkens wer 
thefte. Das Klima gehört im Allgemeinen zu dem angenehmften in Merico ; nur in tiefen Schlud- 
ten und Thälern wird Die Hige, wie an ber Küſte, zuweilen fehr drückend. Regen find felbft in ber 
trodenen Jahreszeit häufig und mehren die Fruchtbarkeit bes im Ganzen fetten Bodens. Der 
Ackerbau erzeugt befonderd Mais, Weizen, Gerfte und alle Gartenfrüchte. Ferner erntet man 
vortrefflihe Baumwolle, Indigo, Kaffee, Zuder, Cacao, wildwachfende Vanille, Ananas, Obft- 
und Südfrüchte aller Urt, echte Jalape, Sarſaparille, weißen Rhabarber und ſchlaͤgt treffliche 
Baur, Tifchler- und Farbehölger. Der Anbau des Nopal und die Zucht des auf benifelben leben- 
den Cochenilleinſekts ift indeß, wie feit alter Zeit, noch immer ber Haupterwerbszmeig und das 
dadurch gewonnene Erzeugniß ein fehr bedeutender Ausfuhrgegenftand des Staats. Die Vich- 
zucht ift nicht unbedeutend, ebenfo Die Bienenzucht. Purpurſchnecken von vorzüglicher Güte und 
Deren finden ſich faft an der ganzen Küfte und die Flüſſe find reich an guten Fifchen. Das Mi- 
neralteich liefert Golb, Silber, Blei, Kupfer, etwas Quedfilber, Eifen, befonders Magneteifen- 
ſtein, Salz, Schwefel, verfchiedene edle Steinarten, Kalt, Gyps u. |. w. Der Bergbau ift übri⸗ 
gens noch großer Ausdehnung fähig. Manufacturen und Fabriken in größerm Maßftabe fehlen 
faft gänzlich ; Gewerbe und Handwerke befchränten fich Faft ausfchließlich auf die Anfertigung 
der gewöhnlichfien Gegenflände des Hausbedarfs. Die Ausfuhr befteht in Cochenille, etwas 
Banille und einigen Droguen, Indigo, Blei, grobem Kattun, Agavezwirn und Salz für den 
Handel mit den Nachbarſtaaten. Ein großes Hindernif für das Aufblühen des Handels in D. 
ift ber gänzliche Mangel an Strafen; gute Seehäfen fehlen ebenfalls. Bon unberechenbarer 
Wichtigkeit aber für D. wird die von Rorbamerikanern unternommene Anlage einer Eifenbahn 
über ben Iſthmus von Tehuantepec (f. d.) werden. Die Bevölkerung bed Staats wird auf 
700000 Seelen angegeben. Darunter find bie Weißen in fehr geringer Anzahl und faft nur 
in den Städten anfälfig. Die Hauptmaffe bilden Meftizen und Indianer. Lettere follen über 
drei Viertel der Bevölkerung ausmachen. — Die Hauptflabt Darden, Gig der Regierung und 
bes Biſchofs, in dem großen, herrlichen Thale gleiches Namens, in einer vom Atoyac und an⸗ 
dern Flüſſen wohl bewäfferten Gegend gelegen, ift in Form eines Quadrats fehr regelmäßig 
gebaut, hat breite und gut gehaltene Straßen, mehre fchöne Pläge und fleinerne Häufer. Sie 
bofigt einen weitläufigen Regierimgspalaft mit den Gefängniffen, -einen Bifchofspalaft, eine 
Ihöne Kathedrale neuern Urfprungs, zwei Eollegien und ein Theater. Die 35000 E., worun- 
ter viele reiche Kaufleute und Gutöbefiger, verforgen die Hauptmärkte des Staats mit den Pro⸗ 
ducten bed Bandes wie der Inbuftrie. Die Stadt wurde auf ber Stelle von Huapyacac, eines 
Hauptorts bes einft mächtigen indian. Königreichs Zapotecapan, 1522 von ben Spaniern unter 
dem Ramen Antequera gegründet. Einige Meilen öftlih von der Hauptſtadt liegt das große 
Dorf Mitla, der ehemalige Sig zapotekiſcher Priefterherrlichkeit, mit Palaſt und Tempelrui- 
nen, Opferpyramiden u. ſ. w.; wie denn der Staat überhaupt zahlreiche Überreſte altindian. 
Bauwerke aufzumeilen hat. Andere bemerkenswerthe Orte außer Tehuantepec (f. d.) find Ka- 
lapa oder Jalapa; Miehuatlan, mit 35500 E. und ausgebehnter Eochenillecultur; Yamil« 
teyec, mit 4000 €. 

Ob oder Obi, ber Hauptſtrom des afiat. Rußland, entfteht aus mehren Quellflüſſen ſüdlich 
von Bisk, an der rufl..chinef. Grenze, durchſtrömt bie Gouvernementd Toms und Tobolsk, ift 
fehr fiichreich, wird früh ſchiffbar und mündet in anfehnlicher Breite und in viele Arme getheilt 
in ben Obiſchen Meerbufen bes nördlichen Eismeers. Das Flußgebiet des Ob ift mehr als 
noch ein mal fo groß als das ber Wolga und umfaßt über 64000 AM. ; die Ränge des Fluſſes 
beträgt in gerader Linie 270 M., die Krümmungen mit eingerechnet, 475M. Der Irtyſch, 
der Dauptnebenfluß des Ob, entfpringt in der Dzungarei im Großen Altai, durchſtrömt den 
Saiſanſee, tritt dann bei Buchturminst ind Ruſſiſche und bilder hierauf bis Omst und Tobolst 
jene mehr als 200 M. lange Seftungslinie, welche die Ruſſen gegen die Angriffe mongol. Völ⸗ 
kerſchaften fihern fol. Der Irtyſch felbft ift über 300 M. lang und nimmt den Iſchim umd 
ar . Außerdem ſind die Nebenflüſſe des Ob: der Tom, der Tſchulim, der Ket, Wakh 
un wa. 

Dbadia, ein hebr. Prophet, nach der Tradition ein geborener Idumaͤer und fpäter Schüler 
des Elias, erlebte die Berheerung Serufaleme durch Nebnkaduczar. Sein kleines Orakel, wel⸗ 


Obbuction Obedien; Rn) 


ches zu den zwolf Heinen Propheten gehört; iſt gegen bie Ebomiter gerichtet, Die fchabenfreh an 
ber Zerſtörung Jeruſalems Theil genommen hatten. Der Prophet verfündet den Fall der Haupt⸗ 
ſtadt Edom und göttliche Hülfe für Iſrael. Sein Rebe ift lebendig und heftig. 

Dbduction wird von Einigen für jede gerichtsärgtliche Unterfucyung, von Andern nur für 
bie an Leichnamen oder Theilen eines menfchlichen Körpers, welche eine gerichtliche Unterſuchung 
nöthig machen, vorgenommene Befichtigung und Section und enblich lebiglich für die Section 
allein gebraucht. Rimmt man das Wort in ber zweiten Bebeutung, fo gehört zu einer Obduc⸗ 
tion bie Aufhebung bes Leichnams, die Aufere und, abgefehen von ben Fällen, wo vorausficht- 
lich wegen Fäulniß u. ſ. w. kein weiteres Refultat erlangt werben würde ober ber objective Thate 
beftand keiner Beftätigung meiter bebarf, die innere Befichtigung deffelben und das barüber 
aufzunehmende Protokoll. Um gerichtliche Gültigkeit zu Haben, müffen alle diefe Berrichtungen 
in ber Regel von einem Gerichtsarzte oder einem beſonders dazu in Eid und Pflicht genomme⸗ 
nen Arzte und in Gegenwart ber fogenannten befegten Gerichtsbank, beftehenb aus dem Unter- 
ſuchungsrichter, dem Gerihtöfchreiber (Actuarius) und ben als Zeugen dazu beftellten Bei» 
figern (Schöppen), vorgenommen werden. Dem Richter liegt bie Leitung des ganzen Verfah- 
rens ob; er fodert ben Arzt auf und beflimmt die zu beobachtende Ordnung. Die Aufhebung 
gefchieht num in der Art, daß fich alle diefe Perſonen an den Ort begeben, wo der Leichnam ge» 
funden worden ift oder mohin Ihn die Finder gebracht Haben, und hier fämmtliche Umftänbe, bie 
irgend einigen Aufſchluß uber bie Zeit, bie Art und die Urfache bed Todes geben können, alfo bie 
Beſchaffenheit des Orts ſelbſt, die in der Nähe gefundenen Begenftände, die Lage bes Leichnams 
u. ſ. w. zu Protokoll nehmen. Iſt an bem Orte felbft eine genauere Befichtigung und Section 
ſtatthaft, fo kann diefe daſelbſt auch angeftellt werben; iſt hingegen ein anderes Rocal nöthig, fo 
wird der Leichnam vorfichtig, Damit er nicht etwa Verlegungen erhält u. ſ. w., nach einem 
felgen gebracht. Die genauere Den beginnt mit ber Befchreibung der äußerlich wahr- 
nehmbaren befondern Merkmale, ber Bekleidung u. ſ. w., worauf bie vorfichtige Entkleidimg 
und Angabe der Befchaffenheit ber äußern Oberfläche des Leichnams umb ber dazu gehörigen 
Eingänge in das Innere, ald Mundhöhle, Gehörgang u. f. w. erfolgt. Gibt biefe, wie z. B. bei 
völliger Zerſchmetterung ber Hirnfchale, ein genügendes Refultat in Hinficht auf Feftftellung 
der Todedurſache, fo kann die Dffnung des Leichnams umterbleiben; außerdem aber wird bie 
Gertion von bem Arzte nach den Regeln der Kımft ausgeführt. Sollte bie Unterfuchutg ber 
Schaͤdel⸗ Bruft- und Unterleibshöhle nicht genügen, fo müffen auch noch der Hals, die Rüden- 

ble und andere Theile einer genauern Beſichtigung unterworfen werben. Finden ſich 

im r Begenftände, zu deren genauerer Kemtniß chemifche Unterfuchungen nötbig fa, 
fo müffen diefe forgfältig aufbewahrt und einem verpflichteten Chemiker zu biefem Zwecke über- 
geben werben. In dem über das ganze Berfahren aufzunehmenden Protokoll iſt der Zuftand 
2 auch wenn er naturgemäß iſt, anzugeben, und nichts, was von der Regel ab- 
wegzulaffen, auch. wenn ed mit ber muthmaßlichen Todesurſache nicht in Verbindung 

zu ſtehen fcheint. Diefem Protokoll, welches Bericht oder Fundſchein (Par&re medicum, Visum 
repertum ober eigentlich Visum et repertum) heißt, müffen die Unterfchriften der gegenmwärti- . 
gen Gerichts perſonen beigefügt werden. Den Schluß, ben der Arzt aus den gefundenen Um- 
ftänben auf bie Todesurſache oder überhaupt auf die in Frage ſtehende Thatſache zieht, ober bie 
Untwort auf die Fragen, welche in manchen Befeggebumgen ihm vorgelegt werben, kann er fo- 
—— alien oder ſich zu ausführticherer Erörterung vorbehalten, was auch in ben meiften 
geſchieht. Um das Urtheil des Arztes in dieſer Hinficht unbefangen zu: Tafien, werben 

ihm zur Unsarbeitung dieſes Butachtens die Acten über die Umſtände vor ber Obduction nicht 
gt, und es wird Ihm nur Das angegeben, was zur Auftlaͤrung, Beſtaͤrkung oder 
WBiderlegung ſchon vorliegender Berdachtsgrůnde nöthig iſt. Hat ber Richter über biefes Gut⸗ 
achten noch Zweifel, fo kann er von höhern Mebdicinaldehörben und medicinifchen Facultäten 
weitere Prüfung beffelben einholen. tft zu bemerken, Daß, wenn ber angeftellte Gerichtsarzt 
den zu umterfuchenden Todten behandelt hat, gewöhnlich ein anderer Arzt zur Section verpflich- 
tet, erſterm aber geftattet wird, berfelben beizumohnen. Bol. Orfila und Zefuenr, „Traitö des 
exhumations juridiques” (Par. 1834 5 deutfch von Büng, 2 Bbde., Lpz. 18352— 35); Bernt, 
Anleitung zur Upfaffung mediciniſch ⸗ gerichtlicher Fundſcheine und Gutachten” (Wi 1821). 
Dbebienz heißt zunächft dad Abhängigkeitsverhättniß, in welchen kirchlich Untergebene zu 
Diern Heben. Sodann bezeichnet man damit auch gie von einem geiftfichen Obern an bie 
(obedientiarii) zur Verwaltung ertheitten Amter. Weil mit dem Amte auch ein, 
Giubornmen verbunden iſt, heiſt Obebien endlich auch die Beſoldung, naurentlich in ben Dom⸗ 


830 Dbelisten Oberlabnftein 


fliftern. Wird in einem Stifte oder Klofter eine Pfarrei als Lehn von einem Möndye ober Kar 
nonifer verwaltet, fo heißt fie Dbedienzpfarre. — Obedientia canonica heißt im rom. 
Kirchenrecht der Gehorfam aller Geiftlichen und Laien einer Diöcefe gegen den Biſchof derſelben. 

Dbelisten wird eine befonbere Gattung ägypt. Monumente genannt, welche in einem lang⸗ 
geſtreckten vieredigen, ſtets monolithen Pfeiler beftchen, der ſich nach oben verjüngt und in eine 
befondere Spige ausläuft, welche Pyramidion genannt wird. Der Name iſt griech. und bedeutet 
eigentlich einen Heinen Spieß. Der ägyptiſch⸗hieroglyphiſche Name war Techen. Ihr urfprüng- 
licher Zweck war, eine kurze Gedächtnißinfchrift aufzunehmen, und die Obeliskenform ſcheint ur 
fprünglich, wie auch die Pyramide (f. d.), dem Todtencult anzugehören. Der ältefte bis jept be» 
kannte Obelisk wurde in einem memphitifchen Grabe der fünften Manethonifchen Dynaftie (ſ. 

gypten) von der preuß. Erpedition aufgefunden und befindet ſich jeht im königl. Mufeum zu 
Berlin. Er ift nur gegen 2 5. body, aus Kalkftein und trägt ben Namen des Grabinhabers. Au⸗ 
ferdem ift aus dem alten Reiche nur noch ber berühmte Obelisk von Heliopolis bekannt, ber 
noch jegt bei Matarieh aufrecht fleht, und ein zweiter in ber Sammlung bes Herzogs von Nor: 
tbumberland in Alnwid-Gaftle. Beide gehören in die zwölfte Manethonifche Dynaftie. Der er- 
ftere befteht, wie alle großen Obelisken, aus Granit, ift 65 F. hoch, 6 F. an ber Bafıs, nicht ganz 
4%. unter der Spige breit und fleht auf einer hohen Bafıs ; der Iegtere, von Kalkſtein, ift ſepul⸗ 
eraler Natur. Eine Mittelform zwifchen einem Obelisk und einer oberhalb rund gefchloffenen 
Steleift der 39 F. Hohe fogenannte Obelisk von Begigim Fayum. Eine mweitgrößere Anwendung 
fand diefe Dentmalform im neuen ägyptifchen Neiche. Dier warb ed Sitte, vor dem Eingange 
großer Tempel an jeber Seite einen Obelisken zu errichten, welche entweder nur die Namen und 
Titel des errichtenben Könige oder auch Die des verehrten Gottes enthielten. Gewöhnlich waren 
alle vier Seiten befchrieben; feltener, und wol nur aus Unfertigfeit, tragen fie gar Beine Infchrife 
ten. Der höchſte in Agypten erhaltene Obelisk ift ber ber Königin Numt-Amen in Karnak, 
welcher 86 F. mißt. Die meiften Obelisten wurben während ber 18. und 19. Dynaſtie errich- 
set; doch find uns auch mehre aus griech. und röm. Zeit erhalten. Die rom. Kaifer liebten es, 
Dpelisten nad Rom zu führen und defien Pläge damit zu ſchmücken. Noch jegt finb neun be» 
Khriebene Obelisken und mehre unbeichriebene daſelbſt erhalten. Der größte ift der vor S. 
Giovanni in Laterano aufgerichtete, deſſen Maß auf 99 franz. Fuß angegeben wird. Er wurbe 
urfprünglich vom König Zuthmofis II. für Theben beſtimmt, au Ehren bes Anımon-Ra. Im 
3.1851 warb einer der beiden Obelisten von Lukſor von Mehemed «Ali den Sranzofen ge 
ſchenkt und von diefen nach Paris transportirt, wo er auf der Place be la Concorde aufgeftellt 
ift. Diefer war von Ramſes II. ausgehauen worden. Vgl. über diefe Denkmäler Zoega, 
„De origine et usu obeliscorum” (Rom 1797) ; Ungarelli, „Interpretatio obeliscorum Urbis“ 
(Rom 1842); Thote, „Notice historique sur les ob6lisques” (Par. 1836); Bird), „Notes 
upon obelisks” (im „Museumof classical antiquities” (Bd. 2). — Auch in Axum (in Athio⸗ 
pien) find eine Anzahl Obelisfen gefunden worden, darunter einer von 80 F. Höhe, fpätere 
Nachbildungen der ägyptifchen Obelisten, doch ohne Infchriften. Daß auch in Afıen die Form 
nicht unerhört war, lehrt der berühmte Obelisk von Nimeud (jegt im Britiſchen Muſeum). 
Er ift 6° 6” engl. hoch und endigt in drei Stufen ohne fcharfe Spige. Er befteht aus ſchwar⸗ 
sem Marmor und trägt auf allen vier Seiten Darftellungen mit Keilfchriften. 

Obergnerichte heißen zunächft diejenigen Gerichte erfter Inftanz, welche für alle in ihrem 
Bezirk vorkommenden Streaffälle und inshefondere für alle Eriminalfachen competent find (alta 
jurisdictio, haute justice), im Gegenſatze zu den bloßen Erbgerichten (bassa jurisdictio, 
moyenne et basse jurisdiction). Hauptſaͤchlich aber verftcht man darunter die Gerichte, welche 
die Appellationsinftanz anderer Gerichte bilden und die Aufſicht über fie führen. Von diefer Art 
find die Oberlandesgerichte, bie Juſtizkanzleien, Hofgerichte, Appellationsgerichte, Landes juſtiz⸗ 
collegien und in einigen Staaten auch noch bie vorzugsweiſe fo genannten Regierungen. Diele 
Dbergerichte müffen grundgefeglich eine collegiale Verfaffung haben und mit einer hinreichen- 
ben Zahl von Richtern ober Räthen befegt fein. | 

Oberhaus und Unterhaug, f. Parlament. 

Dberlahnftein oder Lahnſtein, ein uraltes Städtchen und ein Brunnemort mit 1800 E. 
in bem ehemals furmainzifchen Theile des Herzogthums Naffau, unweit von ber Mündung 
ber Lahn in den-Nhein in einer fruchtbaren, obftreichen und gewerbfleißigen Gegend, iſt nad) 
alter Art mit Thürmen, Mauern und Gräben umgeben, bat ein altes Schloß mit neuerm An⸗ 
bau aus bem 18. Jahrh., zwei Sauerbrunnen, fowie Hütten» und Hammerwerke. Vor dem ſüd⸗ 
Gen Thore fteht bie. kleine Kapelle, in welcher 20. Aug. 1400 die Kurfürften fich verfammel- 


Dberlin Oberrheinkreis 331 


ten, König Wenzel ber deutſchen Kaiſerkrone verluſtig erklärten, dann aber jenſeit be# 
Nhein auf bemKönigftubl (f. d.) den Pfalzgrafen Ruprecht erwählten. Eine Biertelmeilenörd- 
ch von D. liegt der Marktfieden Riederlahnſtein, am rechten Ufer und nahe ber Mündung 
ber, Lahn, die hier den eigentlichen Hanbelöhafen bes Herzogthums Naffau bildet. Der Ort 
bat über 2000 E., ein Eifen-, Hütten- und Hammerwerk u. |. w. und lebhafte Schiffahrt. Da- 
bei liegt ber Allerheiligenberg mit einer vielbefuchten Wallfahrtölapelle. 

Dberliu (Jerem. Jak.), Literator und Alterthumsforſcher, geb. zu Strasburg 7. Aug. 
4735, widmete ſich auf ber Univerfität feiner Vaterſtadt feit 1750 den Sprachen und hiſtori⸗ 
ſchen Wiſſenſchaften, wurde dann bafelbft als Lehrer am Gymnafium und Adjunct der Biblio» 
thek angeftellt und fpäter als Profeffor bei der Univerfität. Als folcher ftarb er 10.01.1806, 
Richt ohne Werth waren feine Ausgaben bed Horaz (Gtrasb, 1788), Tacitus (2 Bde, Lpy 
41801) und Cäfar (2pz. 1805; 2. Aufl., 18149), fowie die „Orbis antiqui monumentis suis 
llustrati primae lineae” (Strasb. 1790) unb die „Rituum Romanorum tabulae”, die lange als 
Beitfaden beim Unterricht dienten. Ferner fchrieb er „Artis diplomalicae primae lineae” 
(Strasb. 1788) und „Literarum omnis aevi fata” (Strasb. 1789). Das Studium ber deut 
[chen Sprache des Mittelalters bewog ihn zur Herausgabe und Vervollftändigung von Scherz's 
„Giossarium Germanicum mediü aevi” (2 Bbe., Strasb. 1781 — 84). Unter bem Titel 
„Museum Schoepflinianum” (Straeb. 1770 — 73) befchrieb er bad von Schoͤpflin ber 
Stadt Strasburg vermachte reichhaltige Mufeum und bearbeitete die „Alsalia literata” 
(Strasb. 1782), wozu ihn Schöpflin früher mit Materialien unterftügt hatte. — Oberlin 
(Joh. Friedr.), des Vorigen Bruder, bekannt als ebler Menfchenfreund, wurde 31. Aug. 
1740 zu Strasburg geboren. Ex fludirte Theologie und übernahm 1766 das proteft. Pfarr 
amt zu Waldbach im Steinthale (Ban de laroche), einer rauhen Gebirgsgegend. Seit dem 
Dreißigjährigen Kriege verheert, gab das Steinthal ben 400 Familien, bie es bewohnten, einen 
ſo dürftigen Unterhalt, daß fie faft aller Bebürfniffe und Bequemlichkeiten des gefitteten Lebens 
mtbehrten. D. umterzog fich ber geifligen wie materiellen Eultur diefer Bevölkerung mit Aus- 
Jauer und folhem Erfolg, daß fie am Ende des Jahrhunderts, trog der Revolution, auf 5000 
Seelen gefliegen war. Als die Landwirthſchaft nicht mehr ausreichende Beichäftigung gab, führte 
er Strohflechten Baummollenfpinnerei und fpäter Weberei ein, die aber auch nur fo lange mit 

getrieben werben konnte, biß in ben benachbarten Dörfern Mafchinen eingeführt wur. 
yen. ber großen Bedrängniß, in welche bie Bewohner in Folge davon geriethen, wurden 
ne dadurch errettet, daß Legrand von Baſel feine Bandmanufactur vom Oberrhein in das 
Steinthalverlegte. In ber legten Zeit feines Lebens lieferte D. eine freundliche Schilderung des 
Alters. Er flarb 1. Suni 1826. Vgl. Lutherot, „Notice sur 0.” (Par. 1826; deutſch von. 
Krafft, Strasb. 1826) ; Stöher, „Vie d'O.“ (Strasb. 1831); Schubert, „Züge aus dem Leben 
D.8” (4. Aufl, Münd,. 1832). 

Dbernzell ober Hafnerzell, ein Marktfleden in Nieberbaiern, im ehemaligen Bisthum Paſ⸗ 
au, an ber Donau, unweit ber öfter. Grenze, mit 1500 E. ift beſonders befannt wegen ber ba 
elbſt verfertigten und weit und breit verfendeten Schmelztiegel, bie gewöhnlich Paſſauer Ziegel 
jenannt werben. Auch fertigt man bafelbft viele Töpferwaaren, Ziegel und Bleiflifte. Das. 
Material zu biefer wichtigen Töpferei und übrigen Induftrie, Graphit und Porzellanthon, wirb 
a bem nahen Marktfleden Briesbad gefunden, von mo auch die Kabriten von Rymphenburg 

or en. 

Dberon, -der König ber Eifen (f. d.), Gemahl der Zitania, erfcheint zuerft als roi du 
'oyaume de la f6erie in dem altfsang. Gedichte Huon's be Villeneuve: „Huon de Bordeaux, 
‚air de France”, das fpäter in einen profaichen Volksroman aufgelöft wurde und dem Sa⸗ 
jenkreiſe von Karl d. Gr. und feinen Palabinen angehört. Der Name Oberon ift für Au⸗ 
eron gefchrieben, welches für das ältere Alberon ſteht und dem beutfchen Alberich, b. 5. Eifen- 
önig, entipricht. Aus dem Sranzofifchen haben die engl. Dichter Shakſpeare, in feinem „Som- 
nernachts traum“, Spenfer und Ehaucer ihren Oberon gefchöpft, und ebenbaher, nämlich aus 
cm vom Grafen von Treffan in ber „Bibliothöque universelle des romans” (1778) gegebe- 
ıen Außzuge des franz. Romans, nahm Wieland einen Theil der Materialien für feinen „Ober. 
on, ein romantisches Heldengedicht“, ber zuerfl im „Deusfhen Mercur“ (1780) in 14 Ges. 
ängen, dann verbeffert in zwölf. Befängen im feinen „Auserleſenen Gedichten” (Bd. 5 und 4, 
pz. 1785) und hierauf abermals verbeffert (Lpz. 1789) erfihien. Nach Wieland ift Planes 
Lest für Weber's Oper „Oberon‘‘ bearbeitet. 

Dberrheinfreis ober Oberrheiniſcher Kreis, einer der zehn Kreife-bes Deutihen Reiche. 


3323 Dberfachfen Object 


der nach und nach alle feine jenfeit des Rhein gelegenen Landſchaften an Frankreich verlor. Zu 
den Ständen deſſelben gehörten in ber legten Zeit die Hochſtifter Worms, Speier mit ben 

ropfteien Weiffenburg, Strasburg, Bafel und Fulda, das Johanniter-Meifterthum oder das 

ürſtenthum Heitersheim, die gefürftete Abtei Prüm, die Propftei-Odenheim, die Pfalz, Kur- 
pfalz wegen ber Fürſtenthümer Simmern, Lautern und Veldenz, Pfalz⸗Zweibrücken, Heffen- 
Kaſſel, Heffen-Darmftadt, das Fürſtenthum Hersfeld, die Grafſchaft Sponheim, die gefürftete 
Sraffhaft Salm mit Kyrburg, die Fürftenthümer Naffau- Weilburg, Nafjau-Ufingen, Raffau- 
Idſtein, Raffau-Saarbrüden und Ottweiler, die Graffchaften Walde, Hanau-Müngenberg, 
Hanau-Richtenberg, Solms⸗Hohenſolms, Solms-Braunfels, Solms-Röbelheim und Solms⸗ 
Laubach, Kurmainz und Stolberg wegen ber Graffchaften Königftein, Ifenburg-Birftein, Iſen⸗ 
burg-Büdingen, die Wild- und Rheingrafen, die Graffchaften Leiningen-Harbenburg, Leiningen- 
Wefterburg, Münzfelden, Sayn-Wittgenftein zu Sayn⸗Wittgenſtein, Wittgenftein zu Berleburg, 
Falkenſtein, Reipoltölirchen, Krichingen und Wartenberg, die Herrfchaft Bregenheim, Dachſtul 
und Ollbrück, die Neichsftädte Worms, Gpeier, Frankfurt a.M., Friedberg und WBeglar. 
Heſſen⸗Kaſſel fagte fich wiederholt von den Ständen bes Oberrheinifchen Kreiſes los, trat ihnen 
aber zulegt 1764 doch wieber bei. Die ausfchreibenden Directoren waren ber Biſchof von 
Worms und ber Pfalzgraf am Rhein. Die Kreistage wurden früher in Worms, feit Anfang 
des 18. Jahrh. in Frankfurt gehalten. | | 

Oberfachfen oder Oberfächfifher Kreis, einer der zehn Kreife bes Deutfcherr Reiche, von 
ungefähr 1800 AM. mit 4, Mil. E. umfaßte folgende 22 Stände: Kurfachfen, Kurbran- 
benburg, die Fürftenthümer Sachſen⸗Weimar, Sachſen⸗Eiſenach, Sachfen-Koburg, Sachſen⸗ 
Gotha, Sachfen-Altenburg, Sachfen-Querfurt, die Herzogthümer Vorpommern, Hinterpom- 
mern mit Cammin, das Fürftenthum Anhalt, die Abteien Quedlinburg und Gernrode, das Stift 
Waltenrieb, die Grafſchaften Schwarzburg-Sondershaufen und Schwarzburg ⸗Rudolſtadt, 
Mansfeld, Stolberg, Barby, die Grafſchaften Reuß und Schönburg. Der Kurfürft von Sach⸗ 
fen war ſtets Treisaußfchreibender Kürft und Director bes Kreifes. Die Kreittage wurben 
feüher in Leipzig, dann auch zu Frankfurt a. d. D. und in Jüterbogk gehalten ; felt 1683 fand 
feine Berfammlung wieber flatt. Sämmtliche Stände waren bis zum Rüdtritte des Kurhaufes 
Sachfen der evangelifchen Kirche zugethan. 

Dberft, nach früher gebräuchlicher Schreibart Obriſt, bezeichnet eine höhere militärifche 
Charge, deren Wirkungskreis nach der Eigenthümlichkeit ber Armeen und ber Zeiten fehr 
verfchieden ift. Wenn der obere Befehlshaber mehrer vereinigter Zruppentheile ſelbſtredend 
auf diefe Benennung Anſpruch machen konnte, fo war ein ſolches Commando doc nicht immer 
mit der Charge verbunden ; fie bezeichnet gegenwärtig vielmehr den militärifchen Grad, welcher 
zwifchen dem Oberfllieutenant und General liegt. (&. Offizier.) Ob der Oberft hierbei ein 
Regiment ober mehre unter feinem Befehle hat, hängt von den befondern Verhältniffen und 
Einrichtungen in jeder Armee ab, er kann auch zu andern Bunctionen, 3.3. im Generalftabe, 
ale Adjutant, Feftungscommandant u. f. w., beftimmt fein. Die Benennungen Feld⸗ ober 
Kriegsoberft bezeichnen nur das höhere Commando über mehre Zruppentheile vor dem 
Feinde. — Oberſtlieutenant, die dem Oberſt zunächft ſtehende Charge, hatte anfänglich die 
Beflimmung, ben Oberft in Krankheitsfällen u. f. w. zu vertreten ; gegenwärtig ift fie nur als 
eine zwiſchen dem Major und Oberſt eingeſchaltete Charge zu betrachten, der keine beſondern 
Functionen beiwohnen. — Oberſtwachtmeiſter iſt eine in Deutſchland ſehr gebräuchliche Be⸗ 
zeichnung der Majorscharge. Da ber Major mit den Wachen in keiner unmittelbaren Bezie⸗ 
bung fteht und diefelben ebenfo gut durch einen Hauptmann u: f. w. infpicirt werben können, fo 
bat jener Name eigentlich keine Bedeutung mehr; ber Gebrauch beffelben befteht aber fort und 
wird felbft als eine befondere Höflichkeitsform betrachtet. | 

Dbject oder Begenftand ift dem Subject entgegengefegt, d. h. einen Weſen, welches ſich 
den Gegenſtand vorftellen, ihn erfennen ober erftreben kann. Es verſteht fih, daß jedes Subject 
in anderer Beziehung auch zugleich fein eigenes Object fein kann. Der Vorſtellende, Erken⸗ 
nende und Betrachtende wird bann felbft das Worgeftellte, Erkannte und Betrachtete (Gub- 
jeetobjeet), ja jedes menfchliche Subject kann fich felbft zum Object feines Vorftellens und 
Erkennens machen. Das Objeetive, dem Gegenftande Gemäße uud in Beziehung auf ben 
Gegenſtand Bebachte, fteht dem Subjectiven oder bem Subject Angehörigen entgegen. Aber 
das Objective ift deshalb nicht immer real oder wirklich, ba der Gegenſiand des Vorfteliens fo- 
wol ein Wirkliches als auch ein nur Vorgeftelltes fein kann. Doch pflegt man objectiv auch zu- 
weilen in der Bedeutung des Realen zu gebrauchen. Einen Gegenſiand objectiv betrachten heift 


Dbjectiv Obligat 333 
dann, ihn an fi, nach feiner Natur und Beichaffenheit betrachten ; ihn fubjectiv betrachten 
aber, fein Berhälmiß zu uns oder wie er fich in unferer Auffaſſung geftaltet, erkennen und 
barftellen. Die Objectivität iſt entgegengefegt der Subiectivität ober Perfönlichkeit. Eine 
objective Ertennmiß oder Darftellung ift der wahren Befchaffenheit des Gegenſtandes gemäß, 
. eine fubjective nur ber Vorftellung, bie fih der Auffaffende davon gemacht bat, wobel die Frage 
nach der Richtigkeit und Wahrheit der Vorftellung immer erft zu entfcheiden iſt. Die Frage 
nach den Kennzeichen einer objectiven, d. b. mit dem Gegenftande felbft übereinfiimmenben Er- _ 
kenntniß, deren Möglichkeit der Skepticismus leugnet, läßt fich nur im Zuſammenhange weit 
greifender wifienfchaftlicher Unterfuchungen beantworten. Der Gegenfag objectiver und fub- 
jectiver Darftellung bezieht ſich hauptfächlich auf bie ſchöne Kunſt; er beruht darauf, ob die Dar» 

den Gegenftand felbft forechen läßt oder ob fie dem letztern fich unterorbnet. Der 
Unterfchieb wird leicht fühlbar, wenn man bie Darftellung Jean Paul's mit ber Goethe's ver- 
gleicht. Einige Kunftformen fobern die reinfte Objectivität, fo die Plaſtik, das Epos und Drama ; 
andere geflatten mehr ober weniger fubjective Elemente, 3. B. bie Muſik und bie Lyrik, Auch 
die reinwiffenfchaftlihe Darſtellung iſt an die Sache felbft gewieſen. 

Dbjertiv oder Objectivglas heißt in einem Fernrohre oder Mikroſkope dasjenige las, 
welches dem Gegenftande zugekehrt ift und von demfelben die Lichtſtrahlen empfängt, im Ge⸗ 
genfag zu dem vor dem Auge fiehenden Deular. Je gößer das Objectiv eines Fernrohrs iſt, 
defto mehr Helligkeit gewährt daffelbe. Große Objective find aber ſchwer zu verfertigen, weil 
es überhaupt ſchwer ifl, ein etwas größeres, ganz gleichartiges Glasſtück zu erhalten, und weil 
es ferner fehr ſchwierig iſt, großen Linfen genau die Krümmung einer Kugel zu geben. Soll 
ein Fernrohr oder Mikroſkop die Gegenftände frei von farbigen Rändern, rein und ſcharf 
zeigen, fo nıuf das Objectiv aus Linfen verfchiedener Glasgattungen zufammengefegt fein 
(1. Achromatiſch) und diefen Linfen eine ſolche Krümmung gegeben werben, daß bie aus ber 
Kugelgeſtalt entflehende Undeutlichkeit möglichft verringert wird. 

Dblaten find dünne, aus ungefäuertem Weizenmehle gebackene Scheiben, welche bei gerin- 
ger Anfeuchtung weich und deshalb fatt des Siegellacks zur Befiegelung der Briefe gebraucht 
werden. Auch bedient man ſich ber Dblate zu allerlei Gebadenem. In ber röm.kath. und 
protefl. Kirche heißt das confecrirte Brot im Abendmahle Oblate, d. h. das Dargebrachte, weit 
es in der früheften Kirche Sitte war, daß Brot und Wein zur Feier bes Abenbmahls von den 
reichern Chriften für die Armen mitgebracht wurden. Diefe Gaben hießen Oblationen, dann 
auch Hoſtien (ſ. d.), und die Kirchenfprache bezeichnet den Diakonus, welher bem Bifchofe bei 
dem Mefamte Brot und Wein zuträgt, mit dem Worte Oblationarius. Spaͤterhin fielen die 
urforünglich für die Armen beflimmten Gaben und Almoſen als Oblationen ben Mönchen zu 
und bildeten einen Theil der geiftlihen Einkünfte. Die Oblaten beim Abendmahle (ſ. d.) be 
fanden urfprünglich aus gewöhnlichem und gefäuertem Zeige, erft feit bem 8. und 9. Jahrh. 
wurde ber Gebrauch des ungefäuerten Brotes gebräuchlich. Dagegen hatten die Oblaten ſchon 
in ber alten Kirche eine runde, kuchenförmige Geſtalt, auch wurben fie bald mıit Symbolen und 
Auffchriften verfehen, namentlich mit dem Bilde Chriſti und einem Grucifiz, ober mit dem 
Bilde eines Lammes; ale Aufichrift gebrauchte man gern die Buchſtaben I.N. R.L. — Obßla- 
ten nannte man in der Kirchenfpradye aber auch nicht blos die Laienbrüder und Laienſchweſtern 
(Oblati und Oblatae) in den Kiöftern, fondern auch überhaupt Die, welche ſchon in ihrer Kind» 
heit dem Kiofterleben fich beflimmten oder-beflimmt wurden, endlich Die, welche ihr materielles 
und meralifches Vermögen einem Kiofter weihten ; fie trugen die Kiofterfleidtung. — Den Or» 
ben der Oblaten ber heil. Franziska bilden Damen aus adeligen und fürftlichen Familien, die 
in flöfterficher Verbindung nad der Benedictinerregel leben, aber feine feierlichen Gelübde ab- 
legen, felbft aus der Verbindung wieder treten und fich verheirathen können. Der Orden wurde 
von der heil „Branzista, der Gemahlin Ludovico's de Pontianis, eines röm. —— 1433 in 
Rom geſtiftet, ſtand anfangs unter dem Ordensgeneral der Mönche vom Olberge, kam aber 
ſchon unter Eugen IV. unter die Leitung von Beichtvätern. Das Noviziat dauert ein Jahr; 
R orismus in ber Befolgung der Ordensregel wird nicht gehandhabt. | 

bligat nenn: man in der Muſik diejenigen Stimmen oder Inftrumente, welche entweder 
allein oder mit anhern zugleich Die Hauptmelodie des Stücks führen, alfe nicht bIod begleitend 
find ; obligat fpielen heißt demnach fo viel als die Hauprflinme fpielen, während die übrie 
gen Stimmen die harmoniſche Grundlage zu diefer bilden. Ein Inſtrument kann entweder 
durchaus obligat gefept fein, in welchem Falle man das Mufitftüd ein Goncert für dieſes In⸗ 
ſtrument nenn und weshalb auch bie Uusdrüde obligat und concerticend, ebligate Stimmeunb . 


* 


34 Obligation Dbolus 


Concertſtimme, obligater Spieler und Concertſpieler oft gleichbedeutend gebraucht werden, oder 
daſſelbe kann nur hin und wieder einzelne Solo⸗ oder obligate Sätze haben, wie dies meiſt in 
Singſtücken der Fall zu fein pflegt. 

‚Dbligation heißt das Verhältniß, vermöge beffen Jemand einem Andern zu einer pofiti- 
ven Reifung verpflichtet ift und wobei man alfo immer eine fpecielle Entſtehungsurſache vor⸗ 
ausſetzt, z. B. den Empfang einer Sache oder Leiſtung unter der Bedingung der Zurückgabe 
oder Gegenleiſtung, ein gültiges Verſprechen, oder eine Beſchädigung, wofür Erſat gegeben 
werden muß. Die Obligation wird in dieſer Bedeutung der allgemeinen negativen Berbind- 
fichkeit, Niemand zu befchädigen oder in feinen Rechten, befonders in den Eigenthumsrechten, 
zu verlegen, entgegengefegt. Nach röm. und gemeineni beutfchen Rechte muß die Obligation, 
wenn fie auch auf ein Thun, 3. B. Verfertigen eines Fünftlerifchen oder mechanifchen Werks, 
gerichtet ift, ihrem Buchftaben nach erfüllt werden ; nach franz. Rechte kann nur Entfchädigung 
gefodert werben. Auch nennt man Obligation die Handlung, wodurch Jemand eine fpecielle 
pofitive Verpflichtung auf fi nimmt. In der Nechtöfprache verſteht man unter Obligafior 
einen Schuldfchein (f. d.). Im Handel begreift man barumter die Schufdverfchreibungen der 
Staaten (Staatspapiere, Staatsobligationen), Gemeinden, Erebditinftitute, Inbuftriegefellichaf- 
tenu.f.w. (&. Staatspapiere.) - 

Dbligo (eigentlich Obbligo, ital.) heißt Verbindlichkeit, Gewähr, Garantie; Obligo ftehen 
baber: Gewähr fliehen. Es kommen biefe Ausbrüde vorzüglich im Wechſelverkehr vor. Na⸗ 
mentlich fagt der Acceptant bei Annahme eines für dritte Rechnung auf ihn gezogenen Wech⸗ 
ſels, worüber er von bem betreffenden Dritten noch einen Bericht (Avis) hat, baf er ihn ımter 
eigenem Obligo acceptirt Habe. Ferner ann man ſich beim Inboffament vom Regreß befreien 
durch den Zufag: ohne mein Obligo, ober eine gleichbedeutende Claufel (3.8. : ohne meine Ver⸗ 
bindfichkeit u. ſ. w.). - . . 

Dblongum nennt man in ber Geometrie ein rechtwinkeliges Viereck (Rechteck) mit un⸗ 
gleichen Seiten. 

Obmann bebeutet im Allgemeinen Einen, bem ein gewiſſer entfcheidenber ober maßgeben- 
der Einfluß eingeräumt iſt. So nennt man Obmann Denienigen, den bei Errichtung eines 
Schiedsgerichts zur außergerichtlichen Vergleichung einer Privatrechtsfache die beiden von 
den Parteien gewählten Schiedsrichter ald Dritten wählen, deſſen Stichentfcheib den Aus- 
ſchlag gibt, wenn jene Beiden verfchiedener Anficht find. Ferner nannte man fo in vielen Ge 
genden die Xeiter der Volksverſammlungen oder politifhen Vereine, befonders auf Seiten der 
demofratifchen Partei. 

Obde oder Hoboe (franz. Hautbois) heißt ein Blasinftrument, welches aus einer geraden, 
aus mehren Stüden zufammengefegten, gewöhnlich von Buchsbaumholz gearbeiteten und mit 
Löchern verfehenen Röhre befteht, die ſich unten in einen Heinen Trichter endigt und durch ein 
oben aufgefeßtes enges Mundſtück von Rohr geblafen wird. Die Oboe hat einen hellen, ber 
menfchlichen Stimme nahekommenden ſcharfen, ermunternden und qufregenden Ton, reicht vom 
tiefen oder ein mal geftrichenen c biß ins drei mal geftrichene g und ift feit Jahrhunderten in 
Deutſchland eingeführt und beliebt. Außer zum Tanz wurde bie Oboe, als durchdringendes 
Discantinffrument, vorzüglich bei der Feldmuſik gebraucht und nach ihr, als dem Hauptinftru- 
mente, das ganze Corps der Feldmuſiker Hautboiſten genannt. In der neuern Zeit erlitt die 
Oboe durch bie Elarinette großen Eintrag, da die Güte und Reinheit des Tons der Oboe gar 
fehr von der Güte des Mundſtücks abhängt, und eine fehr zarte Behandlung des Inftruments 
verlangt wird, wenn der Ton nicht fchreiend und freifchend fein foll. Beſonders ift das foge- 
nannte Uberſchnappen auf dieſem Inftrumente unerträglich, und doch kann es faum von den 
beften Spielern immer vermieden werben. Indeß verdient die Oboe.nicht nur als Orchefterin- 
firument, fondern auch als concertirendes große Aufmerkfamkeit, da der ihr eigenthümliche Ton 
weder durch die Clarinette noch durch ein anderes Inftrument erfegt werben kann und in dem 
Colorit der Inftrumentalmufif eine Hauptfarbe ausmacht. Man bedient fich der Oboe in Se- 
renaden, Sägen von idylliſchem Charakter u. f. w. Sie wird gewöhnlich in der Tonregion über 
die larinette gelegt, wenn beide zufammen vorfommen, und die leichteften Tonarten auf die. 
fem Inftrumente find C-dur, F-dur, G-dur und D-dur. Die fogenannte Hautbois d’amour, 
welche eine Terzie tiefer ftand als die gemohnliche und eine unten zugemachte Stürze hatte, be» 


"ren Mündung etwa einen Finger did war, ift nicht mehr im Gebrauche. Eine Anweifung, die 


Oboe zu fpielen, lieferte Fröhlich. 
Dblus (griech.) bebeutet urfprünglich ein ſpitziges Stück Eifen, eine Pfeilfpige, Spieß 


Obotriten DODBrien 335 


n.f.w., und ſechs Stüd biefer fpigigen Eifenftüden nannte man eine Drachme. Später ging 
‚die Benennung Obolus auf diejenige Münze über, welche den fechöten Theil einer Drachme 
ausmachte. Mit dem Werth der Drachme wechfelte auch der Werth des Obolus, ber in Silber 
und Kupfer ausgeprägt wurbe. Außer ber Drachme, bem ſechsfachen Obolus, gab es noch ei⸗ 
nen vierfachen, Zetroboluß, einen dreifachen, Triobolus, und einen boppelten Obolus, Diobo⸗ 
[n8, und ', Yı und '/ Obolus, welche Iegtere Münze den Namen, Chalkos führte. Wie bie 
Drachme, fo waren auch bie Obolen im Werth und Gehalt fehr verſchieden; am befannteften 
find der attifche, Eretifche und äginetifche Dbolus. Unter ben griech. Münzen war ber Obolus 
die gewöhnlichfte Scheidbemünge ; ſprũchwoörtlich brauchte man das Wort Obolus, wie etiwa im 
Deutichen Pfennig und Heller. Als Gewicht ift der Obolus ebenfalls der fechste Theil der 
Drachme. Dem Namen nad ging ber Obolus auch auf fpätere Zeiten über, und namentlich 
findet fich derfelbe im frühen Mittelalter wieder. 
Dbotriten, ſ. Wenden. Ä 
D’Brien, eine altirifche Familie, deren Ahnherr Brian Boroimhe, einer ber berühmteften 
Helden Irlands, 1014 in der Schlacht von Clontarf getöbtet wurde. Seine Nachkommen 
nannten fi Könige von Thomonb, waren jedoch den Engländern zinspflichtig, bis Murrougp 
DB. fih unmittelbar der Krone unterwarf und 1543 zum Peer von Irland mit dem Titel 
eines Grafen von Thomond und Barons von Inchiquin ernannt wurde. Von feinem älteften 
Sohne Dermod ftammte Murrough D’B., welcher 1800 zum Marquis von Thomond erhö- 
ben ward und 1808. flarb, und befien Neffe, James O'B., dritter Marquis von Thomond, 
ber fi) als Seemann im frang. Kriege auszeichnete, feit 1847 den Rang eines Admirals in ber 
brit. Flotte bekleidet. — Der jüngere Sohn bed Grafen Murrough, Donough, war ber Stamm- 
vater Donough's8 O’B. auf Dromoland in ber Braffchaft Clare, der im Nov. 1686 den Ba- 
ronetötitel erhielt. Sir Ebward D’B., vierter Baronet, geft. 13. März 1837, war mit der 
Erbin William Smith's auf Cahirmoyle in der Grafſchaft Limerick vermählt und hinterließ 
mehre Söhne. Der ältefte, Sir Lucius O’B., geb. 5. Dec. 1800, wurde im Mai 1843 zum 
Lorblieutenant von Glare ernannt und bat nach dem Ableben des gegenwärtigen Marquis von 
Thomond die Anwartſchaft auf die Baronie Inchiquin. Als Parkamentsmitglied für Glare 
1826—30 und dann wieber 1847—52 gehörte er zu den ftandhafteften Anhängern confer- 
pativer und protectioniftifcher Srundfäge. — Sein Bruder, William Smith O'B., geb. 
17.0.1803, erbte da8 bedeutende Vermögen der Mutter und wurde 1832 für bie Grafſchaft 
Limerid ind Unterhaus gewähle. Obwol Proteflant und Sproß einer Toryfamilie, wurde 
er bald in bie von O' Connell hervorgerufene Repealbewegung hineingeriffen und wetteiferte 
an Heftigkeit mit feinem Führer, den er an uneigennügiger Aufopferung uud Überzeugungs- 
treue gewiß übertraf. Allmälig bildete fih um O’B. eine Partei, weldhe unter dem Namen 
des Jungen Irland bekannt wurbe und, weit entfernt, ſich auf die ſtets von D’Eonnell einge» 
ſchärſte gefegliche Agitation zu befchränten, mit dem Plane umging, bie Losreifung von 
England durch gewaltfame Mittel zu bewerkſtelligen. Die furchtbare Hungersnoth, welche 
Irland heimfuchte, erbitterte die Gemüther noch mehr, und nad) O'Connell's Tode wurbe ber 
Einſluß O’B.E und feiner Gefinnungsgenoffen vorherrfchend. Doch rieth er fürs erſte von 
übereilten Schritten ab und veröffentlichte in einer Schrift „Reproductive employment“ 
(Dubl. 1847) Anſichten über die Maßregeln, die zur Abhilfe der materiellen Leiden Irlands 
getroffen werben müßten. Die Kunde von der franz. Februarrevolution ließ ihn jedoch bald bie 
von ihm ſelbſt empfohlene Vorficht vergefien ; er glaubte die Zeit fegt gekommen, einen ent⸗ 
ſcheidenden Streich zur Befrelung Irlands zu führen... Er unternahm zuerft eine Reife nach 
Paris, wo er zwar von Lamartine freundlich empfangen wurde, aber bie gehoffte Zuficherung 
franz. Hüife nicht erhielt. Dies hinderte ihn nicht, einen Natlonalconvent von 300 Mitglie- 
bern nad) Dublin einzuberufen, der inbeß von der Regierung verboten wurbe. Ein gegen D’B. 
angeſtellter Proceß mußte megen Uneinigkeit der Jury aufgegeben werben; als fi jedoch 
überall unter feiner Leitung bewaffnete Scharen bildeten und eine Kataftrophe unausbleibli 
[dien, hob das Miniſterium mit Bewilligung des Parlaments die Habens-Corpus-Acte auf 
und einen Berhaftöbefehl gegen OB. und andere Häupter des Jungen Irland. Der 
Aufftand nahm ein fchnelles und Mäglihes Ende; der von O’B. gefammelte Haufen warb 
29. Juli 1848 von einigen Policemen in die Flucht gejagt, er felbft ergriffen, vor Gericht ger 
ſtellt und 9. Det. Ar Tode verurtheilt. Das Urtheil wurde zwar nicht caffirt, doch milbderte 
die Krone feine Strafe in einige Verbannung nach Auftralien, wohin er fi im Juli 1849 
einfchiffte. Er lebt ſeitbem in erträglichen Berhältniſſen auf Ban-Diemensland. 


336  Dfenrantismus Dbfidian 


Dbſeurantis mus, abgeleitet vom lat. obscurare, d. h. verfinftern oder verbunfeln, ſteht 
der Aufflärung (f. 6.) entgegen. Während der für Aufklärung Wirkende fich beftrebt, Die Be- 
griffe von phyſiſchen und moralifchen, religiöfen und politifchen Gegenftänden, fowie überhaupt 
von allen bedeutenden Angelegenheiten des Lebens möglichft aufzuhellen, fucht ber Obſcuram 
die Menfchheit in dem dunkeln und verworrenen Denken über bergleichen Gegenſtände ımb 
Angelegenheiten nicht nur zu erhalten, fonbern fie wo möglich noch mehr zu verwirren. 

Obfequium, d. h. Gehorſam, nennt die kath. Kirche ſowol den unbebingten Gehorſam ger 
gen bie Obern, zu bem ſich Mönche und Nonnen durch bie Kloftergelübde (f. d.) verpflichten, 
als das Gefängniß, in welches jene wegen Widerfpenftigkeit eingefperrt werden, um Gehorfam 
zu lernen. Auch verfieht man unter Obfequien das Todten- oder Seelenamt für Berflorbene 
und zuweilen felbft das feierliche Leichenbegängniß, bie Todtenfeier. (S. Exequien.) 

Dbfervanten, f. Franciscaner. 

„ Obſervanz oder Herkommen.nennt man eine ſtillſchweigend durch längere Befolgung und 
Übung anerkannte Regel, welche dadurch auch ferner und bis fie ausdrüdtich oder ſtillſchwei⸗ 
gend aufgehoben wird, für die Betheiligten verbindlich ift. Die Obſervanz unterſcheidet ſich von 
dem ſtillſchweigenden Vertrage badurch, Daß diefer durch eine einzige Handlung begründet wer- 
den Bann, bie Obfervanz aber eine folhe Reihe von Handlungen fodert, daß baraus auf eine 
Unterwerfung unter eine gewiffe Regel ſich Tchließen läßt. Von dem Gewohnheitsrechte ift fie 
durch ihre mehr befchränktes Object unterfchieden, indem man meift nur da von Obfervangen 
fpricht, wo gewiffe Formen und corporative Rechte durch Iangiährige Beobachtung angenom- 
‚men mworben find ; dann aber auch dadurch, daß durch die Obſervanz Befugniffe für die Be- 
theiligten begründet werben. 

Dbfervationsarmee ober bei geringerer Truppenzahl Obſervationscorps nennt man 
einen Theil des Heeres, welcher nicht gerade zu offenen Kriegszwecken, fondern mehr zur 
Beobachtung und zur Sicherung für alle Fälle aufgeftellt wird. Dies gefchieht im Frieden, 
3.2. an bee Grenze bei drohenden politifchen Verwidelungen, bei Rüftungen des Nachbar⸗ 
ſtaats, bei dortigen revolutionären Bewegungen, ober im Kriege zur Dedung ber Verbindun⸗ 
gen, zum Schug eines Belagerungscorps vor einer Feſtung gegen feindlichen Entfag, zur Be⸗ 
hauptung eroberter Landſtriche u. f. w. Ihre weitere Verwendung richtet fih dann nach ben 
Umftänden. Zuweilen kann damit eine Diverfion (f. d.) bewirkt werden ; oft auch greiftein fol- 
ches Corps fpäter in Die Operationen ber Hauptarmee ein. 

Dbfervatorium, jede zur phyfitaliihen Beobachtung eingerichtete Anftalt, namentlich 
eine Sternwarte (f. d.). 

Dbfidian ober Lavaglas, wozu auch der Warelanit gehört, ift ein hartes und fpröbes, aber 
nicht ſonderlich ſchweres Mineral von ausgezeichnetem Glasglanze, mit vollkommen mufcheli- 
gem Bruche, an ben Bruchftüden fehr ſcharfkantig, fchneidend und Mingend wie Glas, halb⸗ 
durchſichtig bis blos an ben Kanten burchfcheinend. Es kommt in flumpfedigen und runden 
derben Stüden, rumblichen und edigen Körnern und auch in fadenformigen Gebilden vor. Er- 
wärmte Bruchſtücke phosphoresciren. Die Beftanbtheile find Kiefel, Thon, Kalk, Kali und 
Eiſenoxyd. Nach der Durchſichtigkeit und Farbe unterfcheidet man zwei Abänderungen, den 
durchſcheinenden Obfidian, der durchfcheinend bis nur an den Kanten durchfcheinend, pech- und 
ſammetſchwarz ins Rauch⸗ und Afchgraue, auch grünlichſchwärz iſt, und den durchfichtigen Ob⸗ 
fidian, der halbdurchſichtig, entenblau, grünfichweiß, braun, roth, gelb, grün, auch gefledt und 
geftreift ift. Der derbe Obfidian "bildet ganze Gebirgsmaſſen und einzelne Kelfen, auch findet 
er ſich auf Lagern in Porphyr nahe den vulfanifhen Herden und oft mit Bimsftein durchwach⸗ 
fen. Der förnige Obfidian wird in Perlftein, auch einzeln in Flüffen u. f. w. gefunden. Die 
bauptfähhlichften Fundorte find Island, Lipari und Volcano, Sardinien, Ungarn, Spanien, 
Teneriffa, Merico, Popayan, Quito, Afcenfion, Madagaskar, Sibirien, Die fadenförmigen 
Obfidiangebilde finden fih am Veſuv, auf Volcano und Bourbon. Der Obfidian läßt fich zwar 
ſchleifen und nimmt eine gute Politur an, aber wegen feiner großen Sprödigkeit und Zerfpring- 
barkeit zerbricht er leicht bei der Bearbeitung und erfodert deshalb Vorſicht. Von den Pol 
Bern, welche den Gebrauch des Eiſens noch nicht kannten, wie den Aateken, wurde er von jeher 
zu ſchneidenden Waffen und Geräthen, zu Ranzen und Pfeilfpigen, Meffern, Degenklingen, 
Rafirmeffern u. f. w. verwend t. Noch jest wird er au Dofen, Knöpfen, Ohrgebängen u.dgl ver 
. arbeitet. Die fadenformigen Obfidiangebilde (Kryflalliten) von Bourbon benußt man aur Ver: 
fertigung guter Mikrometer. Echonvon Plinius wird der Obfidian unter diefer Benennung auf 
geführt, und die von ihm gegebene Beſchreibung ſſimmt ganz mit unferm isländifchen Obfidian. 


DE | Obſtruction ss 


Doſt nennt man diejenigen efbaren Fruͤchte bee Bäume und Sträucher, ſowie auch ber 
Kräuter, welche, ohne erſt einer Zubereitung zu bedürfen, ſogleich von dem Menſchen genoffen 
werben können. Alle die Bäume, welche dergleichen Früchte tragen, werben Obſtbaͤnme ge 
nannt. Das Obſt wird eingetheilt in wildes und edles, in Sommer⸗, Herbft- und Winterobſt 
und in Kern, Stein-, Schalen» und Beerenobſt. Das wilde Obft, welches auf Bäumen und 
Sträuchern im freien Felde und im Walde wächlt, ift zum Genuß wenig tauglich, wie Holz 
apfel, Holzbirnen, während anderes gem gegeſſen wird, wie Hafelnüffe, Brombeeren, Erbbee- 
ven, Heidelbeeren u. ſ. w. Das edle Obſt wird in ber Regel in Gärten und Plantagen gezogen 
und von Bäumen gewonnen, welche aus Kernen gezogen und fpäter burch Pfropfen, Copuliren 
ober Oculiren veredelt oder doch durch forgfältige Cultur verbeſſert worben find. Kernchſt nennt 
man biejenigen Obflarten, deren Samen in dem mehrfächerigen Kerngehäufe(Gröps) einer fafti- 
gen Frucht (der Apfelfrucht) eingeſchloſſen find. Zu dem Kernobft, weiches die Familie der Yo⸗ 

maceen bildet, gehören Apfel, Birnen, Quitten, Mispeln, mehre Arten der Mehlfäßchen (ober 
Weifbom), Gifebeeren und Speierlinge. Steinobſt nennt man bapegen diejenigen Obflarten, 
welche in ber faftigen Frucht nur einen einzigen harten Kern (Steinkern) enthalten. Zu dem 
Steinobſt gehören Zwetſchen oder Pflaumen, Spillinge, Schlehen, Sielden, —— Sc 
Bofen und Gorneliuskicfchen. Unter Schalenobſt verftieht man biefenigen Obftarten, 
men in einer harten Schale liegt und allein gegefien wird. Dazu gehören anbeln, HR ann 
* Kaſtanien, Wallnüſſe, Hafelnüffe, Lambertéͤnüſſe, Paranüſſe u. ſ. w. Beerenobſt endlich 
Find diejenigen Obſtarten, welche faftig und ohne Kerngehäufe find, und In denen bie Samen 
deefizrut liegen. Es gehören bazu Johannisbeeren, Stachelbeeren, Heibelbeeren, WBeinbeeren, 
Himbeeren, Brombeeren, Maulbeeren und Feigen. Unter Sommerobft ng 
* ſolche Obftarten, welche im Sommer reifen und nicht Lange haltbar find, wie Kirfche 
Erohelberten; m; Dei obfl reift im Spätfommer und Herbft unb hält ſich bis zum 
en⸗ und Upfelforten. Winterobſt erlangt feine Reife erſt im Fe 
— Aa nur durch längeres Liegen mürbe und zum Genuſſe tauglich und hält fi) meiſt 
656 zum folgenden Sommer, wie WBinterbirnen, Borsborfer Apfel u. ſ. w. Das eble oder 
verebeite Obſt flammt aus fremden Ländern, meift aus Aſien, von wo ed zunächſt in 
Griechenland und Italien, fpäter in Spanien und Frankreich und dann in Deutfchland 
eingeführt wurde. So wichtig auch der Obſtbau ift, und foniel er zum Wohlſtande und 
zur keit bes Lebens —5 — fo eignen ſich doch nicht alle Gegenden Deutid- 
lande gleichmäßig zum Anbau des Obſtes. Manche Arten gedeihen nur in wärmern Him⸗ 
um eh wie Sie Mandeln, Pfirfiche, während andere Arten auch noch in z 
Gegend forttommen. Allein je rauber dad Klima wird, deſto mehr verliert auch Du oft 
von von nen Güte, bis es in den nörblichften Theilen nicht mehr mit Vortheil zu Sen ift und 
ar nicht mehr gezogen werben kann. 

D Er: f. Yomologie. 

on oder Stuhlverftopfung, auch Berkopfung ſchlechtweg genannt, adcne 
Zuftand, in welchem der Menſch feltener und weniger al gewöhnlich ober auch gar 

ehe buch den Maftdarm — Wenn auch mande Menfchen, obgleich fie nur aller zwei bis 
drei Tage ae haben, dennoch fich des beflen Wohlſeins erfreuen, ſo iſt doch in der großen 
Mehrzahl der Fälle ein Außenbleiben der Leibesöffnung über 24 —36 Stunden ein Zeichen 
eines — Zuſtandes. Die Stuhlverhaltung findet ſich beſonders beim —* Ge⸗ 
ſchlechte und bei Greiſen. Sie wird manchmal nur durch Diaͤtfehler, z. B. durch ſihende Lebens⸗ 
* e, grobe, trockene oder zu gewuͤrzhafte, reizende Koſt, häufigen Genuß mit Blei verfälſch⸗ 
ſtarker Biere, Unterlaffen des Waſſertrinkens, Misbrauch von Brech⸗ und Abführ⸗ 

— 5* Opium u. ſ. w. bedingt; meiſt aber iſt fie Zeichen einer wirklichen Krankheit ber Der 
bauumgöwerkzeuge, namentlich des ımtern Darmkanald (3. B. der Lähmung oder Schwäche 
ber Darmmuskeln, der Verengerungen und Verfchliefungen de Darmrohre, der Bleivergif« 
tung, ber mangelnden Abfonderung im Darmkanal). Die gewöhnlichen Folgen einer länger 
bauernben Obftruction ‚find Undrang des Blutes nach dem Kopfe, Kopfſchmerzen, geiflige Ber» 
flimmung u. ſ. w. bei höhern Graben Auffloßen, Erbrechen, zulegt das gefährliche Kothbrechen. 
(©. De ae) Benn fich ſolche Folgen zu ſtark bemerkbar machen, fo wird es zum Bedürfniß, 
Symptom fobald ald möglich zu befeitigen. Durch welche Mittel dies zu bewerkſtelligen 

* Id on der Art der Krankheit ab, indem zuweilen ein Kinflier ausreicht, in andern Bällen 
mieit ber Abfüprmirtel au. —* gerufen» werden muß, wenn nicht rass wie bei ein⸗ 

Gonv.⸗ex. Zehnte Hub EL : : : 


8 Deampo Decafionalismus 


jeklemmten Brüchen, Verſchlingung ber Gedärme u. dal, ein entzündungswidriges Verfahren, 

u.f. w, oder chirurgiſche Operationen allein dieſes Übel zu heben vermögen. Deshalb 
tft bie Obſtruction ein Zuftand, der am allerwenigften das eignmächtige Gebahren mit Arznei⸗ 
mitteln geftattet, wie es wol ſehr Häufig zu gefchehen pflegt. 

Deampo (Florian de), fpan. Geſchichtſchreiber, wurde zu Zamora geboren, wo er nad) Bes 
enbigung feiner Stubien auf ber Univerfität von Alcala ein Kanonikat erhielt. Er wurde von 
Koffer Karl V. zu feinem Chroniften ernannt und erwarb fich durch feine ausgebreiteten hiſtori⸗ 
ſchen und antiquarifcgen Kenntniſſe einen folden Ruf, daß die Cortes von Caſtilien 1555 dem 
Kaiſer baten, D. einen Gehalt aus dem Arar anzuweifen, bamit er, unbehindert burch bie mit 
feiner geiftichen Pfründe verbundenen Pflichten, ſich ganz ber Fortfegung feiner „Cronica ge- 
neral de Espaüia” (Bd, 1, Zamora 15445 2. Xufl., 1545) widmen könne. Eine neue mit bem 
fünften Buche vermehrte Ausgabe erfchten zu Medina dei Campo 1553. Nach Os um 1576 
erfolgtem Tode beforgte fein Nachfolger im Amte, Ambrofio be Morales, einen neuen Abdruck 
nebft Kortfegung (3 Bde. Alcala und Eorbova 1574— 86; wiederabgedruckt, 10 Bde., Mabr. 
41791). Diefes Geſchichtswerk leidet zwar noch an allen Gebrechen jener Zeit; benn bei umfafe 
fender Belefenheit und großem Sammlerfleiße, die es bekundet, ift es nicht frei von Kabeln und 
Aperglauben und ermübet durch Breite und Trockenheit. Dagegen erhebt fi der Ton in ben 
Befchreibungen von Großthaten ober außerorbentlichen Ereigniffen zu einer blühenden Darſtel⸗ 
Iung und wahren Beredtſamkeit, und mehre Stellen deſſelben gelten als eines ber früheften 
Mufter elegahter und erhabener. Srofa in fpan. Sprache. Außerdem gabD. die auf Befehl des 
Königs Alonſo des Weifen gefhriebene „Cronica general“ (Jamora 1544 ; Balladolid 1604) 
Beraus, die wegen ber Gleichheit bes Titels mit feinem Werke oft mit dieſem verwechſelt worden iſt. 

Deecam (Wilh. von), mit dem Beinamen Doctor singularis ot invincibilis, der Stifter der 
Schule der Decamiſten, lebte im 14. Jahrh. und flach zu Münden 1543 oder 1347. Er trat 
fehr jung in ben Srandiscanerorden und: hatte Duns Scotus zum Lehrer In ber Theologie und 
Philoſophie, über welche er zu Unfange des 14. Jahrh. in Paris Vorlefungen zu halten an- 
fing. Wegen feiner Vertheidigung Philipp's des Schönen von Frankreich gegen Johann XXIL 
wurdeer mit bem Banne belegt, und ebenfo, als ex fich des deutfchen Kaifers Lubwig bed Balern 
gegen Johann XXII. annahm und zu beweifen fuchte, daß der Papſt fo gut wie jeder andere 
Menſch ſich irren könne und nicht über ber weltlichen Obrigkeit fiehe. Der Bann beunrubigte 
ihn indeffen menig, da ber Kaifer fich feiner annahm, an deſſen Hofe er lebte. In feiner Art zu 
philofophiren wich er ganz von feinem Xehrer ab. Er wurde der Wiederherfteller des Nomina⸗ 
lismus (f. d.), wovon er den Namen venerabilis inceptor empfangen hat, und befämpfte mit- 
tels deffelben viele bisher angenommene Säge ber natürlichen Theologie. Unter feinen in rau⸗ 
hem Stile gefchriebenen Werken find außer „Quaestiones super IV libros sententiaram” und 
„Centiloquium theologicum“ viele, die ſich auf kirchen- und flaatsrechtliche Fragen beziehen. 

Decafionalismus, das Syſtem der gelegentlichen ober veranlaffenden Urfachen, ift eine 
metaphufifche Anficht, betreffend das Wirken der Dinge in ihrer Beziehung auf Gott, welche 
ſich in Descartes’ Schule ausbildete. Vor Descartes herrſchte nämlich die Meinung, daß ber 
Körper auf die Seele wirkte und Bewegungen in berfelben hervorbringe und umgekehrt; man 
ſchrieb alfo jedem von beiden eine Fähigkeit zu, Veränderungen in dem andern hervorzubringen, 
und biefe Anficht von einer unmittelbaren Verbindung der Seele und des Körpers durch Cau⸗ 
falität wurde das Syſtem des natürlichen Einfluffes genannt (systema influxus physici). 
Descartes verwarf daffelbe mittelbar durch feinen ſcharfen Dualismus und fuchte diefen zu 
vermitteln durch Gott, den er zur Urfache aller Bewegung machte (Affiftenz Gottes). Doc 
ſcheint er über dieſen Punkt nicht Mar geworden zu fein. Auch fein Anhänger Rouis de Laforge 
fegte Gott als die allgemeine Urſache aller Dinge, nahm aber eine wechfelfeitige Vereinigung 
des Körpers und der Seele an, ſodaß keins von beiden allein auf das andere wirke, fondern beibe 
immer zugleich thätig feien, indem jedes bem andern Beranlaffung gebe, fich zu bewegen. Noch 
weiter entwidelten Arnold Geuling, geb. zu Antwerpen 1625, geft. 1669, und Malebrandye 
(1.d.) dad Syſtem der gelegentlichen Urfachen, nach welchem Gott bie Bewegungen, bie durch 
einen von beiben Theilen in dem andern nur veranlaßt werben, hervorbtingt. Nicht mein Wille 
bewegt nach diefer Anficht den Körper, fondern Bott will, daß die Bewegung erfolgt, wenn id) 
wi. Leibniz’ Präftabilirte Harmonie (f. d.) unterfcheidet fidh von bem Decafionalismus nur 
dadurch, daß nach ber erſtern die Veränderungen der Seele und des Körpers ein- für allemal fo 
georbnet find, daß fie zufammentreffen, während ber Occafiemalismus für jede einzelne Ver⸗ 
änderung ſich auf eine befondere Wirkſamkeit Gottes beruft. (&. Caufafität.) 








Oecident Ochlokratie 330 


Decident (lat.) ift die Himmeldgegend, wo bie Sonne ſcheinbar untergeht, ber Weſten oder 
Abend. Dann begreift man damit die europ. Länder, welche zum weſtröm. Reiche (f. Rom) 
gehörten. Endlich verfleht man unter Decident im weitern Sinne alle Länder im Weften ber 
europ. Türkei, demnach das chriftliche Europa. 

Decupation heißt die Aneignung einer Sache, In der Abficht, fie als die feine zu behalten. 
Das Recht zu einer folchen Aneignung und was damit eins ift, die rechtlichen Wirkungen dere 
felben, ift wefentlich verfchieben, je nachdem daffelbe nach einer pofttiven Befeggebung oder dem 
natürlichen Rechte zu beurtheilen iſt. Das rom. und dad gemeine deutſche Recht ftellt hier den 
Sag auf, baf das bloße Factum der Befigergreifung und der Wille der Aneignung einer nicht 
im Eigenthume eines Andern befindlichen Sache (res nullius) hinreiche, Eigenthumsrechte zu 
begründen (res nullius cedit prius Occupanti). Im Stante ift das Recht, herrenlofe Dinge in 
Beſitz zu nehmen, welche entmeder noch Niemand vorher im Befig hatte, wie z. B. wilde Thiere, 
gute Steine und Gegenſtände, die das Meer ausfpült, oder die ber vorige Beftger aufgegeben 
batte, ſehr beſchränkt. Dies war ſchon in Rom der Fall, noch mehr aber in den neuern Staaten, 
wo auch Jagd und Fifchfang in der Regel zu einem ausfchlieglichen Rechte des Staats (f. Neger 
lien) und zum Eigenthum geworben find und dem Staate ein allgemeines Recht auf herrenlofe 
Dinge (droit d'épavos) zufteht, wovon nur einzelne Ausnahmen ftattfinden, die Durch die be 
fondern Gefege oder durch Herkommen beftimmt find. — Eine befondere Gattung von Occu⸗ 
pation ift die militärifche Befegung eines Landes durch feindliche Truppen (Decupations- 
corps), entweder um gewiffe Rechtsanfprüche geltend zu machen (mie bei Erbfällen), ober um 
wegen Erfüllung der von dem betreffenden Staate eingegangenen Verbinblichfeiten eineSicher- 
beit zu haben. Xegtere Art von Occupation fand z. B. in Bezug auf Frankreich feitens der 
alliirten Mächte nad) dem zweiten Pariſer Frieden ftatt und wurde mehre Jahre lang fortge⸗ 
fegt, theils der innern Ruhe diefes Landes unter der von ben Alliirten wiebereingefegten bour⸗ 
bonifchen Dynaftie, theild der richtigen Abführung ber ausbedungenen Kriegskoftenentfchädie 
gungen wegen an bie Alliirten. 

Dcean, f. Meer. 

Deeanus bei den Römern, Okeänos bei ben Griechen, ift nach Homer der große, die Erbe 
und das Meer rings umfchliegende Weltſtrom, ein mächtiger Gott, der allein dem Zeus weicht, 
ber Gemahl ber Tethys und der Urquell alles Deffen, was ift, auch der Urheber der Götter. 
Beinen Palaft hat er im Welten, mo er mit ber Tethys die Here, welche ihnen Rhea bringt, er⸗ 
zieht. Bei Heſiod ift DO. ein Sohn des Uranos und der Bäa, der ältefte der Titanen, ebenfalls 
der Gemahl ber Tethys, mit der er 3000 Ströme ober Flüffe und ebenfo viel Töchter, die Okea⸗ 
niden, zeugt, worunter nach den Orphifchen Hymnen alle Göttinnen der unterirdiſchen, aus 
dem Weltſtrom Dfeanos abgeleiteten Wafferadern zu verftehen find. Bei Hefiod Hat er Quel⸗ 
(en. Ein Arm von ihm ift der Styr und zwar der zehnte Theil des ganzen Stroms, während 
die übrigen neun um Erde und Meer fließen. In der fpätern Zeit wird mit bem Namen das 
aufere große Meer bezeichnet. 

Ocellus Lucänns, fo genannt von feinem Geburtslande Lucanien in Unteritalien, angeb- 
lid) ein unmittelbarer Schüler des Pythagoras, lebte zu Anfange des 5. Jahrh. v. Chr. und ver⸗ 
faßte mehre philoſophiſche Schriften von denen fich eine „Über die Natur des Weltalls” erhal 
ten bat, welche hHauptfächlich den Zehrfag über die Ewigkeit der Welt behandelt und wahrſchein⸗ 
lich erft ſpäter aus der borifchen Mundart umgearbeitet worden iſt. Die beften Bearbeitungen 
berfelben lieferten nach ber erften Bekanntmachung (Par.1539),d’Argens (Berl.1762), Bat. 
teug (3 Bde, Par. 1768) und Rubolf (Xp. 1804); deutfche Überfegungen Barbili in Fülle 
born’s „Beiträgen zur Geſchichte der Philofophie” (Bd. 10, Jena 1799) und Schultheß in der 
„Bibliothek der griech. Dhilofophen” (Bd. 3, Zur. 1781). 

Ocher oder Daer ift ber gemeinfchaftliche Name für alle ſich natürlich findenden, zerreibli- 
hen, metallifch-erdigen und abfärbenden Foſſilien, z. B. Eifenocher, Nidelocher, Wismuth- 
ocher, Molybdänocher und Zinkocher. Als Farbe wird unter Ocher das Eifenopybhydrat in ſei⸗ 
nen gelben, braunen und rothen Abänderungen verftanden, nämlich der Gelbeifenocher, Braun⸗ 
eifenocher und Rotheifenocher, wonach man Ochergelb, Ocherbraun und Ocherroth unterfchei- 
bet. Der Chromocher dient in der Df- und Porzellanmalerel. , 

Ochlokratie, Maffen- oder Poͤbelherrſchaft unterſcheidet ſich dadurch von der vernünftigen 
Volks herrſchaft oder Demokratie, daß in legterer (3, B. in Nordamerika) der Wille des Volkes, 
und zwar bes Volkes als einer Gefammtheit, erft dann bie Kraft eines gefealichen Beſchluſſes 


sid Dehotet | Dehs 


erhält, nachdem er durch eine Reihe organiſch ineinander greifender Einrichtungen (freie Preſſe, 

Berfammlungsrecht, geregelte Vertretung in Gemeinde und Staat, mit‘befonbern Bürgfchafe 
ten für befonnene Berathungen, 3. B. Zwelkammerſyſtem, endlich das Gegengewicht einer ſelb⸗ 
ftändig hingeftellten oberften Regierungsgewalt) bindurchgegangen und dadurch geläutert iſt, 
während in ber Ochlofratie ber ZBille irgend eines, oft fehr Heinen Theile bes Volkes, und zwar 
meift in feinem unmittelbarften roheften Ausdrucke, für den Willen des ganzen Volkes erklärt 
und unbedingtefte Unterwerfung unter denfelben von allen Einzelnen verlangt wird. Cine 
wirkliche Staatsform kann man die Ochlofratie nicht wohl nennen, fondern nur einen anorma⸗ 
len, geflörten Zuftand des Staatslebens, der entweder allmälig zu normalen Berfaffungszuftän« 
den ſich rüdbilbet oder, was das Bewöhnlichere, in einen ebenfo rechtlofen Zuftanb ſchrecklicher 

Einzel» ober Vielherrfchaft, Despotie oder Dligarchie (f.d.), umfchlägt. Eine Ochlokratie beftand 

dem Weſen nad, wenn auch mit Beibehaltung demokratifth-conflitutioneller Formen, in Franf- 

zäcd, als die Kommunen von Paris und der Jakobinerclub durch den von ihnen tyranntfirten 

Gonvent ganz Frankreich beberrfchten. Dchlokratiſche Principien zeigten fich bei manchen Wort ⸗ 

führern der beutfchen Demokratie 1848, indem dieſelben durch Volksverſammlungen und Ver⸗ 
‚eine einen nicht blos anregenden ober moralifch mitbeflimmenden, fonbern geradezu zwingenden 

und-jede andere Rüdfihtsnahme ausfchließenden Einfluß auf Volksvertretungen und Regie 
zungen auszuüben verfuchten. " 

Ochotsk, eine ruff. Seeprovinz im öftlihen Sibirien, die von der Provinz Jakutsk, von der 
Seeprovinz Kamtſchatka und vom Dehotskiſchen Meere, einem Meerbufen ber Sübfee, be» 
grenzt wird und ein Areal von 8718 AM. hat, ift ein rauhes, unfruchtbares, im Südweſten 
von hohen, mit ewigem Eis bebedten Bergen bucchichnittenes Land und nur ald Mittelglieb 
des Dandels ziwifchen Sibirien und dem ruff. Amerika wichtig. Die gleichnamige Hauptfladt 
Hat Beine, ärmliche Häufer, einen Hafen, worin man ſich nach Kamtſchatka einfchifft, und gegen 
1800 E. die fi vom Pelzhandel und Schiffbau nähren und aud) eine Saline befigen. Eine 
andere befeftigte Stadt des Landes ift Iſchiginsk mit 600 E., meift Kaufleuten, bie einen leb⸗ 
haften Verkehr mit den Korfäten und Tſchuktſchen unterhalten, deren den Rufſen unterwor⸗ 
fenes Land, Tſchukotien oder Tſchuktſchenland, gewöhnlich auch noch zu D. gerechnet wird. 

Dehs (Bos), eine Säugethiergattung aus der Familie der Wieberkäuer und der Gruppe ber 
Hohfhörner oder Hornthiere, ift ausgezeichnet durch einen fehr breiten Kopf, halbmonbfownrige, 
nad außen gebogene, ftielrunde, glatte Hörner bei beiden Geſchlechtern, vier Zigen und den 
Mangel ber Thränenfpalten, Drüfengruben zwifchen den Zehen und in den Weichen. Die über 
die ganze Erde, mit Ausnahme Auftrafiens, verbreiteten Arten find ſchwerfällig gebaut, ftark, 
am Halfe mit einer herabhängenden Hautfalte (Wamme) verfehen, von wilden Naturell, vielem 
Inſtinct und geringer Intelligenz. Sie find gefellig und bilden unter Leitung der polygamiſch 
lebenden Bullen weidende Heerden, nehmen im völlig wilden Zuftande bald auf waldigen Ber- 
gen, bald in offenen Ebenen, zum Theil auch in fumpfigen Nieberungen ihren Wohnort. Zum 
Theil haben fie fich dem Menfchen unterworfen, find aber nur in geringem Grabe ber Dankbar⸗ 
teit und Anhänglichkeit fähig. Mehre Arten find vollig außgeftorben und ihre halb oder ganz 
foffilen Knochen liegen in den oberſten Erdſchichten oder in Zorfmooren, ſodaß der Untergang 
diefer Arten erft in verhaͤltnißmäßig neuer Zeit flattgefunden haben muß. Von dem zahmen 
Dehſen oder Hausochſen (B. Taurus) ift die Stammrace verloren gegangen, welche wahrfchein- 
lid) ber Urſtier (B. primigenius) gewefen iſt, der einft über Nordeuropa und vielleicht auch Mit 
telafien verbreitet war, und von welchem man in ältern Torffchichten nicht felten Schädel, in der 
Gegend von Weimar fogar ein volffländiges Skelet ausgegraben hat. Unter den jegt noch vor⸗ 
bandenen Rinbdviehracen kommt dem Urftiere der fogenannte Wilde Os Schottlands am 
nächften, der fich gegenwärtig nur noch in gefchloffenen Parks zu Chillingham In Northumber- 
land findet. Der zahme Ochs ift nach und nach über die ganze Erde, mit Ausnahme arktiſcher 
Länder, verbreitet worden und in eine ungemein große Anzahl von Abarten zerfallen. Unter 
den beutfchen Racen find die ſchweizeriſche, oftfriefifche, oldenburgifche, holfteiniſche und allgauer 
am gefchägteften. Unter den fremden Racen zeichnen ſich die ungarifche und ſiciliſche Durch unge⸗ 
mein große Hörner, die englifche burch Größe aus; auch in Polen, der Ukraine, Moldau und 
Walachei, in Nordafrika und Südamerika, namentlich in den Plataſtaaten, kommen Racen von 
befonberer Eigenthümlichkeit vor, an welchen ſtets eine ober die andere fchägenswerthe Eigen- 
ſchaft vorzugsweife ausgeprägt ifl. Auf den Ebenen der Plataſtaaten, wohin der zahme Dchs 

durch bie Spanier gerät worden war, fand eine fo große Vermehrung diefer Thiere ftatt, daß, 

ehe der enblofe Bürgerkrieg über diefe Staaten den Ruin gebracht hatte, von Buenos-Myres 


Ocfenbein ODchſenhauſen al 


jãhrlich an 800000 Ochfenhäute nach Europa ausgeführt wurden. In vielen Gegenden bient 
der Ochs als gefchägtes Zugthier, in manchen Gegenden wird er auch zum Reiten benugt. Zu 
den Stiergefechten Spaniens braucht man Ochfen einer Halbwilden Race, die ſich durch Muth, 
Stärke und Größe auszeichnet. Die Nuglichkeit der Rinder wurde ſchon in den Urzeiten fo danke 
bar anerfannt, daß man fie zu Gegenftänben religiofer Verehrung machte. &o wurde der Bott 
Apis (f. d.) von den alten Agyptern in Geftalt eines Ochſen angebetet. Unter ben Weibern von 
Cyrene galt es für ein Verbrechen, eine Kub zu fchlagen. Im Orient bediente man ſich feit ur- 
Item Zeiten ber Ochfen zum Austreten bes Getreides, wie es bei ben Bewohnern von Syrien, 
ypten und Nubien noch heutigen Tags gefchieht. (S. Rindviehzugt.) Der Bucelochs 
oder Sebu (B. Taurus, varietas Zebus) gilt für eine Varietät bes zahmen Ochſen und iſt durch 
das hohe, einen großen Fetthöcker tragende Widerriſt und lange Hängeohren ausgezeichnet. (Er 
vertritt in Indien, im öftlichen Perfien, in Arabien, Afrika, füblih vom Atlas durch Oberägyp- 
ten, Koyffinien und Atbiopien bis Madagaskar, die Stelle unfers Rinboicde. Der Auerochs 
(f. d.) wird innerhalb der europ. Grenzen nur noch im bem großen Walde von Bialo- 
wicza in Lithauen angetroffen. Indien befigt mehre Ochfenarten, von denen befonders ber 
®ayal (B. Gavaeus), der Baur (B. Gaurus), der größte unter den Ind. Dchfen, ber Arni (B. 
Arni) und ber Bhain zu erwähnen find. Der Capiſche Büffel (B. Caffer) ift für bie dürren 
Gegenden Südafrikas fehr wertvoll, befonders als Zugthier; denn andere Arten würden bei 
fo kärglicher Nahrung nicht beftehen Tonnen. (S. Büffel.) Amerika befist zwei wilde Ochſen⸗ 
arten, den Bifon (B. Bison) und den Moſchusochſen oder Bifamochfen (B. moschatus), wel» 
cher Tegtere ben äufßerften Norden Amerikas bewohnt. Das Fleifch der Ochſen befigt einen 
Moſchusgeruch, während Kühe und Kälber von dem ſtarken Geruch des Ochfen ziemlich frei 
find. Der Körper ift mit einer grauen dichten Grundwolle bedeckt und außerdem am Halfe, 
Rüden, an den Schultern und Lenden mit langen glatten Haaren bekleidet. Die Wolle tft fo 
fein, daß in Frankreich die aus ihr zur Probe gewehten Kleinigkeiten für vorzüglicher als 
eigentlich ſeidene erflärt wurben. 

Ochſenbein (Ulrich), Mitglied des ſchweiz. Bundesraths und Director der eibgenöflifchen 
Militärangelegenheiten, geb. 1811 zu Ridau im Ganton Bern, wo er feinen erſten Unterricht 
erhielt, wibmete fih dem Stubium der Rechtswiſſenſchaft und zeigte fich ald tüchtiger An⸗ 
walt und gewanbter Redner. Eine Zeit lang war er Mitarbeiter an dem Blatte „Die Junge 
Schweiz”. Im J. 18536 Half er in Biel zur Verhaftung des franz. Spione Eonfeil, an die fi 
für bie Schweiz einige diplomatifche Verwickelungen fnüpften. In Folge der Verfaffungsände- 
rung im Canton Bern ward er Mitglied der Regierung, im Juni 1847 Regierungspräfibent 
und als folcher auch Präſident der eibgenöffifchen Zagfagung. Neben feinem bürgerlihen Be 
rufe und im Zuſammenhange mit feiner politifchen Laufbahn hatte fich DO. mit Eifer dem vater» 
ländifcgen Militärwefen zugemendet. Im I. 1834 Offizier bei ber bernifchen Artillerie, trat er 
1842 als Oberfieutenant in ben eidgenöffifchen Stab und warb 1844 zum Stabshauptmann 
ernannt. Als ein entfchiedener Gegner der ultramontanen Partei übernahm er die militärifche 
Oberleitung des vollig misglückten, aber nach einem nicht unzweckmäßig entworfenen Plane 
eingeleiteten Freiſcharenzugs gegen Luzern vom 30. März 1845. Wegen dieſer Betheiligung 
wurde er aus dem eidgenöffifchen Stabe geflrigen, aber 1846 als Mitglied der neuen berner 
Regierung zum Miflzdirector dieſes Cantons und zum Eantonaloberften ernannt. Bei dem 
Ausbruche des Sonderbundskriegs warb D. von neuem in ben eibgenöffifchen Stab als Oberſt 
aufgenommen. In diefer Eigenfchaft befehligte er 1847 bie bernifche Refervedivifion auf bem 
Marfce gegen Freiburg und auf dem Zuge gegen Luzern bucch das Entlibuch, wo er dem Feinde 
mehre glüdfiche Gefechte lieferte. Nach Enführung der neuen Bundesverfaffung wurde D. 
Mitglied des Bundesraths und erhielt das Directorium ber eidgenöſſiſchen Militärangelegen- 
heiten. Obgleich in den Iegten Jahren ein Theil feiner frühern politifhen Meinungsgenoffen in 

ppofition mit ihm trat, wird doch von allen Seiten anerkannt, daf er ſich um eine ber wichtig⸗ 
fen Inftitutionen der Schweiz, die Ausbildung und Durchführung der neuen eibgenöffifchen 
Militärorganifation, die größten Verdienfte erworben hat und noch fortwährend erwirbt. 

Dchſenhauſen, eine ehemalige Benebictinerabtei im Schwäbifchen Kreife, zwiſchen ben 
Stäbten Memmingen und Biberach, wurde 1100 als Priorat geftiftet und 1391 vom Papfte 
jur Abtei erhoben. Nachdem der Abt nach und nach von mehren Kaifern mit großen Privile⸗ 
gien ausgeftattet worden war, erhielt er 1746 Sig und Stimme auf ber ſchwäb. Prälatenbank 
bes Reichstags. Durch den — ——— von 1803 kam das Territorium als 
Entſchäbigung zum pi: a an ben Fürften Metternich, theils an ben Grafen von Schach 


3 Döfenzunge D’Eonnell 


erg. Im J. 1825 aber erfaufte es ber König von Würtemberg, ber es ald Standesherrſchaft 
(MH OM.) noch jept befigt. Das Schloß in dem gleichnamigen Flecken heißt Winneburg. 

Dehſenzunge (Anchusa) ift der Rame einer zu den Bortagineen gehörenden Pflanzengat- 

tung mit fünftheiligem Kelche, trichteriger und mit fünf Deckklappen verfehener Blumenkrone, 

Staubgefäßen, flumpfer Narbe und eiförmigen Schließfrüchten, deren Grund mit einem 

«wulftigen Ringe umgeben ift. Es find fleifhaarige Kräuter mit verlängerten Blättern 
mb en, bediblätterigen, feiten- und endſtäändigen Trauben. Von der auf trodenen und fan- 
digen Plägen und an Wegen im mittlern unb nördlichen Europa wachfenden gebräuchlichen 
Dofenzunge (A. officinalis) waren fonft Wurzel, Blätter und Blüten als erweichende, küh⸗ 
Tende und befänftigende Mittel in der Heilkunde gebräuchlich. Die Wurzel der an bürren Stel. 
Im in Ungarn und Südeuropa wachfenden färbenden Dehfenzunge (A.tinctoria) iſt unter dem 
Namen Dchſenzungenwurzel ober falſche Alkannawurzel im Handel. Sie kommt in feberfiel- 
ober fingerdicken Stücken vor, deren ſchwärzliche, innen ſchön dunkelrothe Rinde dem weißlichen 
Kerne nur loſe anliegt. Sie enthält hauptſächlich einen harzigen pihen Färbeftoff, Pfeudo- 
Alkanin und wird zum Färben von Salben, fetten und ätheriſchen Olen, auch fpirituöfer Arz- 
neien gebraucht, denen fie eine faft karminrothe Färbung ertheilt. In genden und kohlenſauern 
Alkalien Löft fich das Pigment mit blauer Farbe auf; von Zinnchlorür wirb es farminrotb, von 
Bleieſſig blau, von Eifenvitriol duntelviolett, von Alaun purpurfarben und von effigfauerer 
Thonerbe violett gefärbt. (S. Alkannawurzel.) 

Deenbeim (Johannes), eigentlih Dckeghem, bemerkenswerth als Haupt der zweiten 
niederl. Schule der Muſik, wurde zwifchen 1420 und 1430 im Hennegau, — zu 
Bavai, geboren. Wo er die Muſik ſtudirt und ˖wen er zum Lehrer darin gehabt, iſt gaͤnzlich un⸗ 
bekannt. Als Componiſt und Lehrer ſchon rühmlichſt bekannt, ſcheint er ſich einige Jahre in 
Italien aufgehalten zu haben, wo damals die Muſik erſt im Entſtehen war. Er ſtarb nach 1512 

Einer feiner berühmteſten Schüler war Jotquin⸗Desprez (ſ. d.). Von feinen für jene Zeit be⸗ 
wunderungswerthen contrapunktiſchen Arbeiten iſt uns noch Mehres erhalten. 

D’Eonnell (Daniel), ber Irland. Agitator, wurde 6. Aug. 1775 zu Cahir oder Caherciveen 
In ber trländ. Grafſchaft Kerry geboren. Seine Familie will von den Clans von Jvragh ab⸗ 
flammen, bie ihre Herkunft wiederum von einer jüngern Linie des königl. Hauſes Hermon her⸗ 
leiteten. Sein Bater, Morgan D’E., war jeboch nur ein Pachter der proteft. Univerfität zu 
Dublin, Hinterließ aber feiner Familie ein anfehnliches Vermögen. Der junge Daniel war das 
ältefte von zehn Geſchwiſtern und erhielt feine erfte Bildung durch einen Path. Prieſter. Weil 
er fich dem geiftlichen Stande widmen follte, ſchickte man Ihn auf ben Eontinent, erſt zu den Je⸗ 
fuiten nah) St.Omer, dann nah Douay. Als er 1794 zurückkehrte, ſchlug er jedoch bie juri- 
ftifche Laufbahn ein, die ben kath. Irländern zwei Jahre vorher mareröffnet worden. Er widmete 
fih derfelben in der Rechtöfchule des Middle-Temple zu London und wurde im April 1798 beim 
königl. Gerichtshofe zu Dublin als Advocat zugelaffen, wo er durch Geſetzkenntniß und fieg- 
reiche Beredtfamkeit fich bald den Ruf eines ausgezeichneten Sachwalterd erwarb. Ein fühner 
Patriotismus erwarb ihm befonders das Vertrauen feiner kath. Landsleute. Als 1800 die le⸗ 
gielarfive Union zwifchen Irland und Großbritannien vorbereitet wurde, proteflirte er mit feinen 
Gollegen heftig Dagegen. Seine äußere Lage geftaltete fich damals günftig, indem er von einem 
Oheim Gut und Fleden Derrynane ererbte. Im 3. 1807 verheicathete er ſich mit feiner Bafe 
Marie D’E., mit ber er in glüdlicher Ehe fieben Kinder zeugte. Bei Reorganifirung des Ka⸗ 
druſhen Vereins (Catholic association) im Mai 1809 trat er in einer von ihm veranlaßten 

erſammlung zuerſt als Volksredner auf. Seine Worte wirkten ſo gewaltig auf die Gemüther 
ber Iren, daß ſeitdem fein Einfluß in der Volksſache vorherrſchend wurde. Während ihm aber 
die unterdrüdten Eingeborenen als künftigem Befreier anbingen, betrachteten ihn die Prote- 
ftanten als religiöfen und politifchen Gegner. Ein beleibigender Ausdruck, ben er gegen bie aut 
Drangemen (f. d.) zufammengefegte Corporation von Dublin gebrauchte, vermwidelte ihn 1813 
mit dem Alderman d’Efterre in ein Duell, in welchem er feinen Gegner erſchoß. Diefer Unfall 
bewog ihn zur Ablegung des Gelübdes, nie mehr eine Herausfoderung anzunehmen. Viele 
Jahre hindurch benugte er feinen Einfluß nur, um die Iren in friedlicher Duldung zu erhalten. 
Als aber jede Ausficht auf Abhülfe des politifchen Drucks erlofchen fchien, verfuchte er endlich 
der Regierungdgewalt eine Volksgewalt entgegenzuftellen. Mit feinem Freund Shiel unterwarf 
er den Katholifchen Derein einer demokratiſchen Ausbildung. Auf O' C's Betrieb erſtanden 
auch) in den größern Städten volksthümliche Zeitfchriften, welche zunächft im Sinne des Vereins 
auf die politifche Emancipation der Katholiken hinarbeiten mußten. Außerdem verfolgte er in 


D'Sonnel 343 


Bolksverfammlungen durch wunderbar wirffame Beben baffelbe Ziel. Der Verein erhielt all⸗ 
mälig unter feiner Zeitung eine folcde Bedeutung, daß ſich die Minifter 1825 veranlaft fahen, 
benfelben durch eine befondere Parlamentsacte zu unterdrüden. Der Huge D’G. Iöfte zwar ben 
Berein auf, flellte benfelben aber unter anderer Form und anderm Namen wieder her. Wie 
ſchrankenlos damals ſchon O' C.s Einfluß auf die Volksmaſſe war, zeigte fich, als 1828 die To- 
ries unter Wellington und Peel and Staatsruber gelangten. Er trat im Laufe des I. 1828 in 
der Graffchaft Clare gegen ben Proteſtanten Figgerald ald Parlamentscandidat auf und ver 
mochte durch ermuthigende Neben in der That die Schüchternheit der Wahler zu feinen Gun 
ſten zu befiegen. Da bie Emancipation der Katholiken (f.d.) noch im weiten war und D’G. 
erflärte, ba er den Teſteid, das einzige gefegliche, aber unüberfleigliche Hinderniß, weiches die 
Katholiken vom Parlamente ausſchloß, nicht leiften würde, fo verfegte diefer kühne und doch 
wohlberechnete Schritt alle Parteien in Feuer und Flamme. Die furchtbare Bewegung, in welche 
Stand in Folge diefer Wahl gerieth, veranlaßte indeß den Minifter Wellington, die Katholiken. 
emancipation num felbft zu betreiben. Nachdem im April 1829 die Bill Geſetzeskraft erhalten, 
dos O C. im Triumph nach Zondon, um feinen Parlamentsfig einzunehmen, Eonnte aber fein 

echt nicht geltend machen, weil eine Glaufel der Emancipationsacte feine Wahl für diesmal 
ungültig erffärte. Erſt nach einer zweiten Wahlhandlung in ber Graffchaft Glare, wobei fein 
Rebenbubler gar nicht erfchien, trat er im Febr. 1830 ins Unterhaus. Das nächfte Ziel war 
jegt erreicht, und D'C. fuchte num bie Irländer in anderer Weiſe tätig zu erhalten. Er beam- 
tragte die Abſchaffung des proteftantifchen Pfarrzehnten in Irland und erflärte plötzlich im 
Sommer 1850, noch vor Ausbruch der franz. Julirevolution, daß die Auflöfung (Repeal) ber 
legislativen Union zwifchen England und Irland der einzige Weg fei, Iegterm Gerechtigkeit zu 
verfchaffen. Während dieſes Wort die Iren entflammte, ftiftete er zu Dublin einen neuen Ver⸗ 
ein, der die Auflöfung ber Union durch Vorbereitung und Einreichung von Petitionen betreiben 
follte. Die Parlamentsreform, welche bie Whigs nicht ohne Beihülfe bed gewaltigen Demagogen 
durchfegten, trug noch dazu bei, feine Macht zu vermehren. Bei den Wahlen von 1832 warb 
er ſelbſt zu Dublin, fünf feiner Samilienglieder wurben an andern Orten gewählt; außerbem 
traten von 105 Abgeorbneten, bie Irland ſchickte, 40 nur durch feinen Einfluß und unter der 
Verpflichtung ins Unterhaus, daf fie ihn in der Repeal unterflügen würden. Beil er bei den 
patriotifchen Beftrebungen theilweife fein eigenes Vermögen verausgabt und feine einträgliche 
Advocatenpraris vernachläffigt hatte, verftanden fich feine Landsleute feit 1833 gu einer durch 
freiwillige Beifteuer aufgebrachten Rente, bie fich fortan jährlich auf 13 — 18000 Pf. St. be» 
lief. Diefe mehr ale reichliche Entſchädigung und das Wohlleben des Empfängers gegenüber 
dem Elende ber Geber zogen D’E. von Seiten feiner politifchen Gegner oft die bitterften Vor⸗ 
würfe zu. In der Parlamentsfigung von 1834 wagte D’E. endlich, den fürmlichen Antrag 
auf Huflöfung der Union zu ftellen, ber aber vom Haufe mit 523 gegen 38 Stimmen fogleich 
verworfen wurde. Der Minifter Grey feste hiekauf bie fogenannte irifche Zwangsbill durch, 
womit die Repeal vor der Hand Ins Stoden gerieth. Eine höchſt günftige Stellung zur Regie 
zung erhielt O' C, als im Juli 1834 Grey das Minifterium in Melbourne‘s (ſ.d.) Hände legte, 
welcher Zegtere fi nun gewiffermaßen mit dem Agitator verband. Als ſich im November die 
Tories der Regierung bemächtigten, bot Daher D’E. bei den Wahlen, welche die neuen Minifter 
ausfchrieben, die ganze Macht und Kunft feiner Demagogie auf, um ber WWhigoppofition das 
Übergewicht zu verfchaffen. Er erfchien bei Eröffnung der Sigung an der Spige von 60 An⸗ 
bängern, die bei Verhandlung ber irifchen Zehnebill im Unterhaufe nochmals den Ausfchlag ga» 
ben, fobaf die Tories im April 1835 dem Minifterium Melbourne weichen mußten. Mit die 
fem Siege ftieg der Einfluß D' C.s auf eine kaum glaubliche Höhe; nicht nur, daß er nach ſei⸗ 
nen Abfichten bie Gemüther ber Iren beberrfchte, fondern auch das Schidfal der Whigpartei, 
welche Großbritannien regierte, lag fortan In feiner Gewalt. Nachdem Normanby (f. d.) zum 
Lordftatthalter von Irland ernannt worden, erflärte er feinen Landsleuten, baf die Repeal vor 
ber Hand ruhen folle, weil er ben Whigs Vertrauen umd Unterftügung zugefagt habe. Da aber 
auch biefe nicht Alles thun konnten, was er, wie er glaubte, für Irland und den Katholicismus 
zu fodern das Necht hatte, fo fiel er bald von ihnen ab und griff fie eben fo heftig an wie früher 
die Toried. Nach dem Sturze ber Whigs im Aug. 1841 wendete ex feine Energie abermals 
Der Ausbreitung der Repealaſſociation zu, welchen Namen er im Juli 1840 für bie ſchon bes 
fiehende Verbindung gewählt hatte. Noch dringender als früher warnte er jegt bad Volk vor 
jebem Friebensbruche, indem er das Gelingen des Vorhabens nur von der Beobachtung ber ges 
feglihen Schranken abhängig machte. Indeſſen konnte er felbft mol am beften begreifen, ‘auf 


saR O Counaẽ 

welchen Widerſtand feder Verſuch, der Einheit deb brit. Reichs einen ſolchen Niß beizubringen 
flogen würbe, ſodaß man annehmen muß, bie Repeal fei Ihm ſtets nur das Mittel, nicht bei 
Zweck der Bewegung geivefen. Seit bem Herbſte 1842 durchzog er die Infel und berief Volke⸗ 
verfammlungen, in welchen er mit feuriger Beredtſamkeit das Elend der Nation beſchrieb und 
bie Auflöfung der Union als nahe bevorſtehend und als das Ende aller Leiden bezeichnete. Klug 
wies ex jede Unterftügung bes engl. Radicalismus zurüdl, fowie ex Tpäter auch ben Bund mit 
ber franz. Demokratie auf das ſchnödeſte ablehnte. Unter dem Einfluffe der Repealer wurde 
D’E. 1842 fogar vum Lordmayor von Dublin erwählt. Mit dem J. 1845 nahm bie Bewegung 
durch ben offenen Beitritt ber kath. Beiftlichkeit einen maßlofen Aufſchwung. Außer 70 klei⸗ 
nern hatte D’E. bereits 20 große Volksverfammlungen, fogenannte Monster -Meetings, auf 
verſchiedenen Punkten Irlands gehalten, als er zum 8. Oct. eine folge Rieſenverſammlung aus» 
ſchrieb, bie in der Ebene bei Clontarf abgehalten werben follte. Roc am Abende des 7. Det. 
aber wurden bie in der Nähe von Clontarf anlangenden Haufen ber Repealer durch Militär» 
gewalt auseinandergetrieben, wobel bie Maffen nicht ben geringften Widerſtand leifteten. Gegen 
DE. und bie übrigen Häupter der Repeal eröffnete hierauf die Regierung einen Staatsprocef, 
der 10. Febr. 1844 mit feiner Verurtheilung zu einjährigen Gefängniß und 2000 Pf. Strafe 
endete. Rachdem er das Volk zur Ruhe ermahnt, trat ee 50. Mai mit feinen Genoffen zu Du⸗ 
blin die Gefängnißfirafe an. Am 1. Sept. erflärte ein Peerögericht das Verfahren mehrer 
Kormverlegungen wegen, welche bie Regierung verfchuldet, für nichtig, und D’E. ging trium- 
phirend aus dem Gefängniffe hervor. Doch Hatte fein moraliſcher Einfluß einen Stoß erlitten, 
und es kam bald eine Spaltung unter feinen Anhängern zum Ausbruch, indem bie Partei bes 
Jungen Irland, 'der friedlichen Agitation müde, auf Die Trennung von England durch gewalt- 
ſame Mittel Hinzuarbeiten begann. O' C. begriff, weichen traurigen Ausgang ein foldhes Be 
fireben Haben müffe, und entfchloß fich, überdied von dem Anblicke ber furchtbaren Hungersnoth, 
die damals über Irland hereinbrach, tief erſchũttert, mit ſchon geichtwächter Gefundheit zu einer 
Pilgerreife nah Rom, auf ber er 15. Mai 1847 zu Genua . Man bat den Charakter 
D’E'S fehr verſchieden beurteilt; doch gehörte er ohne Zweifel zu ben außerordentlichſten Maͤn⸗ 
nern unfers Jahrhunderts. Sein ungewöhnliches Rednertalent, feine Schlauheit und Geiſtes⸗ 
gewandtheit trugen ganz dad Bepräge der irifchen Nationalität. Auch fein Ultrakatholicksmus 
umd fein Feſthalten an Nationalvorurtheilen, wodurch ex fi zum Theil die Anerkennung feiner 
Zeisgenoffen verfcherzte, find mol aus diefem Geſichtspunkte zu betrachten. Man bat von ihm 
: „A memoir of Ireland, native and Saxon“ (Dublin 1843). — Sein ältefler Sohn, Maurice 
D'E., wurde 1827 Barrifter in Dublin und trat 1831 ale Nepräfentant ber Sraffchaft Clare 
ins Unterhaus. Im 3.1832 wählte man ihn zum Abgeordneten für die Stadt Tralee, welche 
er feitdem faft ohne Unterbrechung vertrat. Obgleich er im Sinne feines Vaters zu wirken 
ſuchte, fo zeichnete er fich doch durch eine Mäßigung aus, die ihm die ultramontane Partei fehr 
verargte. Er ſtarb in London 17. Zuni 1853. Der zweite Sohn, John D’Eonnell, geb. 1808, 
trat gleichfalls Thon 1833 Ins Parlament, wurde in die Anklage feines Vaters verwidelt und 
theilte fein Gefängniß. Nach dem Tode deffelben ftellte er fich an die Spige der verwaiften Re« 
pealaffociation, die aber unter feiner Leitung immer mehr von ihrem Einfluß verlor und nach 
fruchtloſen Berfuchen, ihr neues Leben einzuhauchen, 1852 fi ganz auflöfte. Schon vorher 
hatte Zohn O' C. weil er fich den ulteamontanen Anfichten nicht unbedingt fügen wollte, fein 
Mandat ale Abgeordneter der Stadt Limerick niederlegen müffen. Doch blieb er ein thätiges 
Mitglied des kath. Schugvereind. Als Schriftfteller ift er durch eine Biographie feines Vaterts 
unter dem Xitel „Life and speeches of D. 0°C.” (2 Bde, Dublin 1846— 47), fowie durch 
feine „Recollections and experiences during a parliamentary 6areer from 1833 to 1848” 
(2 Bbe., Lond. 1849) bekannt. | 

D’Eonnor (Feargus), ehemaliges Haupt der Chartiften in England, ift der. Sohn des Ro- 

ger O'C. auf Connorville in ber Nähe von Cork und wurde 1796 geboren. Er flug 
die juriſtiſche Laufbahn ein und ſchloß ſich als angehender Advocat mit jugendlicher Be⸗ 
geifterung den Beftrebungen ber iriſchen Volkspartei an. Er hatte fich bereits als kühner 
Bollsredner eine große Popularität ermorben, als ihm .die Wuflöfung bed Parlaments 
nach der Annahme ber Neformbill 1832 die Gelegenheit bot, als Abgeordneter ber Graf⸗ 
[haft Cork das Intereffe feiner Nation im Unterhaufe zu vertreten. Obwol ihn feine _ 
zaube, derbe, leidenſchaftliche Art wenig zum Parlamentsrebner befähigte, erhob er feine 
Stimme nicht ohne tiefen Eindrud in den iriſchen Angelegenheiten und erwarb fich die Ach⸗ 
tung ber Rabicalen. Geine Gegner verhinderten darum bei der Erneuerung des Parlaments 


Detaeder | 35 


ne Wiederwahl, indem fie nachwieſen, daß ihn fein Meiner Grundbefig In ber Graf. 
re zur Waͤhlbarkeit nicht befühige. D'C., ohnedies unzufrieden mit der gemäßigten 
yelhe D’Connell beobachtete, faßte jegt ben Entſchluß, ale Agitator ber niedern Volks⸗ 
England aufzutreten. Er verband ſich mit ben Häuptern der Radicalen, durchzog bie 
n, hielt in den politifchen Vereinen ber Handwerker glübende Heben, In welchen ex bie 
fichkeit der Parlamentsreform und das Elenb und bie Rechtlofigkeit ber arbeitenden 
arlegte, und unterflügte dadurch wefentlich den Entwurf der Volkscharte und die Ver 
der fogenannten Ehartiften zu einer feften Partei. (S. Ehartismus.) Unter feiner 
am endlich 6. Aug. 1858 zu Birmingham eine große Chartiftenverfammlung zu 
worauf der Zufammentritt eines Rationalconvents in London erfolgte, der einen allge 
ufftand vorbereiten ſollte. In dem blutigen Zufammenftoß zu Newport 4. Rov. 18359 
n jedoch die Ehartiften. Mehre Anführer wurden ergriffen, vor Gericht geftellt und 
D’E, die Seele ber Bewegung, entging ber gerichtlichen Verfolgung, weil er klug 
mieden hatte, wodurch er perfünlich dem Geſetze verfallen konnte. Er gründete jegt zur 
mg ber niebern Claſſen das Journal „The northern star“, das ungeheuere Verbrei« 
. Der Abdrud einer feiner aufrübrerifchen Neben dos Ihm zwar 1840 eine gerichtliche 
u, allein ex wurbe freigefprohen. Das theilweife Verlöfchen der chartiftifchen Bewe⸗ 
nd der große Aufſchwung, den in Irland die Repenlagitation nahm, veranlaßte D’E. 
ein Vaterland zurückzukehren, zumal da durch feine Aufopferung feine befcheidenen 
n&verhältniffe ſehr gelitten Hatten. Er gefellte fich den Häuptern ber Repeal mit gro⸗ 
zu und fah fih im Mai 1844 ebenfalls in den Staatsproceß verwidelt, ber O’Con- 
ie übrigen Dauptagitatoren auf einige Monate ins Gefängniß brachte. Im I. 1847 
urch die Bemühungen feiner Partei wieder für Nottingham ins Parlament gewählt. 
3. Bebruarrevolution von 1848 erfüllte ihn mit den ausfchweifendften Hoffnungen. 
einen neuen Chartiftenconvent, überreichte dem Unterhaufe eine Monfterpetition für 
ing der Nationalcharte und ließ biefe durch eine Volksdemonſtration unterftügen, bie 
April 1848 ftattfand, aber ohne weitere Refultate blieb. D'C.'s Reformvorſchläge 
om Parlament mit Verachtung zurückgewieſen, und das Mägliche Ende der in Irland 
denen Bewegungen fchredte auch bie Ehartiften vor allen fernern Unternehmungen 
Yefes Misgeſchick brachte auf das reizbare Gemüth O'C's einen tiefen Eindrudl here 
ınodh der fehlechte Erfolg einer durch Aetienzeichnung nach feinem Plane geftifteten 
communiflifchen Principien verwalteten Gemeinde Fam. Die neuen Anſiedler gerie 
in große Noth, und es erhoben fich gegen D’E. zahlreiche Klagen. Echon bei ben ge« 
ı Verhandlungen darüber legte er eine Epcentricität des Betragens an ben Tag, bie 
mgs für erfünftelt hielt; urz darauf (im Febr. 1852) ward er wegen eines Angriffs 
Polizeibeamten zu achttägigem Gefängniß verurtheilt. Kaum in Freiheit gefegt, eilte 
iverpool, um ſich nach den Vereinigten Staaten einzufchiffen, kehrte aber alsbald wie 
P und erfchien von neuem im Parlament. Hier ließ jedoch fein Benehmen bald einen 
ber feinen Beifteszufland übrig; er wurde in Juni 1852 nad) einer Irrenanſtalt ge» 
id durch eine auf Anfuchen feiner Freunde ernannte Commiſſion de lunatico inqui- 
pril 1853) für unheilbar wahnfinnig erffärt. — Sein Oheim, Arthur D’E., geb. 
nd mit an ber Spige bes irifchen Aufftandes von 1798 und mußte deshalb nach Fran» 
lieben, wo er die Tochter Condorcet's heirathete. Ex flieg in franz. Kriegsdienften 
Beneral und farb 1850. — Die Familie D’Eonnor tft übrigens fehr alt, übte ſonſt 
:äne Herrfchaft über die Provinz Eonnaught und zähle noch gegenwärtig viele große 
figer in der Grafſchaft Sligo. Das Haupt derfelben führt den Titel O’Eonnor Don. 
: D’Eonnor Don, Denis D’E., geb. 1794, war feit 1852 Parlamentsmitglied für 
non, warb 1846 Korb des Schages im Minifterium Ruſſell und flarb zu London 15. 
7. — Ein Seitenzweig, die Familie D'Connor von Dfally, wanderte, nachdem fie in 
d. Aufftänden ihre Befigungen verloren, nach Spanien aus, wo mehre &lieber zu ho⸗ 
en emporftiegen. Don Bernardo D’E. von Dfally wurde 1761 fpan. Grand und 
ur von Lerida, fpäter Generalcapitän von Caſtilien. Er ftarb 1784, und feine Nach⸗ 
ind bie Grafen von Dfalia. 
der heißt in der Stereometrie einer ber fünf regelmäßigen Körper und zwar berie- 
her von 8 gleichfeitigen Dreiecken eingefchloffen wird. Derſelbe hat 6 Eden, 12 Kan 
Diagonalen. Man kann ihn als aus zwei vierfeitigen Pyramiden gufanmengefept 


welche ein Quadrat zur gemeinfchaftlichen Grundfläche Haben. 


346 Detave Detavius 


Detave heißt im diatoniſchen Tonſyſtem ber achte Ton von einen angenommenen Grund⸗ 
tone. Die Dctave gehört zu ben volllommenen confonirenden Intervallen, ſodaß, wenn fie mit 
bem Grundtone zugleich angegeben wirb, a6 Obr faft nur einen Klang vernimmt und kaum 
im Stanbe ift, einen von dem andern zu untericheiden. Ebendeshalb muß auch bie Dctave in 
unferm Tonſyſtem eine volltommene Reinheit befigen, während alle andern Intervallen etwas 
über oder unter ſich ſchweben dürfen. Nach der Einrichtung unſers neuern, d. 5. biatonifchen 
Zonfoftems ift Die Detave die Grenze, innerhalb welcher alte fieben wefentlich voneinander ver- 
chiedenen Töne enthalten find, und alle Tone außerhalb der Grenze einer Detave find nichts 

deres als Wiederholungen der bereits In dem Umfange der Dctave enthaltenen Töne in einer 
vermehrten oder verminderten Größe. Man nennt baher Octave auch ben ganzen Inbegriff der 
Zöne des diatonifhen Syſtems, welche eine Octave umſchließt. (&. Tabulatur.) Die Octave, 
als Intervall betrachtet, hat unter allen Intervallen ben wenigften —e Reiz, und es 
gilt für fehlerhaft, wo nur eine Hauptſtimme iſt, in Octaven fortzuſchreiten, außer im Anfange 
ober bei einem Schluſſe. Falſche ober verbotene Octaven find daher im mehrſtimmigen Tonſatze 
Fortfchreitungen zweier Stimmen in geraber Bewegung durch Octaven. Dagegen bringt eine 
Neihe aufeinanderfolgender Detaven, wenn eine Melodie dadurch herodrgehoben werben foll, 
eine fehr gute Wirkung hervor. — Detave ober Ottave rime (f. 5.) heißt auch eine Art von 
Stanzen. — In ber Bath. Kirche bezeichnet Detave biefenigen religiöfen Gebräuche, welche acht 
Tage hindurch dauern und fich auf ein Dauptfeft in diefer Zeit beziehen. Diefer Ritus tft jüd. 
Urfprungs, nad) 3. Mof. 23, 56. Zuerft wurden bie Dctaven nur bei dem Oſter⸗, Pfingſt⸗ und 
Weihnachtsfeſt, feit dem A. Jahrh. aber auch bei den Beinern Feften, namentlich bei den Feſten 
ber Maria und ber Heiligen angewendet. Treffen in einer Woche zwei Detaven zufammen, wie 
bie 3. B. bei dem Fefte Johannis des Täufers und dem Frohnleichnamsfeſte ber Fall ift, fo 
muß nad dem Kirchenrituale bie Detave bes wichtigern Feſtes vorgezogen, bie eier des andern 
Feſtes aber boch erwähnt werden. In der proteft. Kirche wurden die Octaven ſchon burch bie 
Reformation abgefchafft. 

etavia, die Gemahlin des Triumvir Marcus Antonius (f. d.) und Schweſter bes Octa⸗ 
vianus Auguftus (f. d.), ausgezeichnet durch edeln Charakter und weibliche Tugend, wie burch 
Schönheit, war bie jüngere Tochter des Cajus Dctavius und der Atia und zuerft mit Cajus 
Claudius Marcellus (f. d.) verheirathet. Nach des Legtern Tode ſollte ihre Vermählung mit 
Antonius 40 v. Chr. die Verfohnung zwiſchen biefem und ihrem Bruber fihern, und wirklich 
gelang es ihr, als zwiſchen Beiden bald neue Mishelligkeiten entftanden, biefe in einer Zuſam⸗ 
menkunft mit Dctavianus 36 noch ein mal beizulegen. Als Antonius hierauf nach Aſien ging, 
fendete er fie von Korcyra aus zurüd, und da fie ihm auf Die Nachricht, daß er gegen bie Parther 
zu ziehen gedenke, dennoch folgte, um ihm Truppen und Geld zuzuführen, nahm er, ben die 
bublerifchen Reize der Kleopatra (f. d.) von neuem ganz gefeffelt hatten, zwar ihre Gaben an, 
ihr felbft aber fendete er nach Athen das Verbot, zu ihm zu kommen. Obwol Dctavian ſchon 
damals auf Trennung drang, blieb fie doch in dem Haufe ihres Gatten in Rom, und erfi al6 
Antonius felbft ihr 32 den Scheidebrief ſchickte, verließ fie baffelbe; ihr Leben aber blieb der 
Erziehung des Marcus Claudius Marcellus (f.d.) aus ihrer erften Ehe gewidmet, der fpäter 
25 v. Ehr. dem Neide der Livia Drufilla zum Opfer fiel, der beiden Töchter, die fie bem Anto- 
nius geboren hatte, und des jüngern Sohnes deffelben von der Fulvia, Julus. Als nach des Anto- 
nius Befiegung und feinem und feines ältern Sohnes Antyllus Tode, 30 v. Ehr., bie drei Kin- 
ber, die Antonius mit Kleopatra gezeugt hatte, nach Nom gebracht wurden, nahm fie auch diefe 
bei fi auf und widmete ihnen diefelbe mütterliche Sorgfalt wie den ihren. Sie ftarb 11.0. Chr. 
Auguſtus hielt ihr die Keichenrebe, lehnte aber die Ehrenbezeigungen ab, bie ihr der Senat zu- 
erkannt hatte. — Detavia hieß auch die Gemahlin des Kaiferd Nero, bie Tochter bed Kaifers 
Claudius und der Meffalina, die Schwefter des Britannicus. Von des Kaiſers Buhlerin Pop- 
pda Sabina verfolgt und verleumbet, wurde fie auf deffen Befehl 62 n. Chr. hingerichet. 

Detavius ift der Name eines rom. plebejifchen Gefchlechts, das aus dem volsfifchen Veliträ 
in Latium abflammte und aus welchem zuerft Enejus Detavius Rufus 230 v. Chr. zu ei⸗ 
nem Ehrenamt, der Quäftur, gelangte. — Sein älterer Sohn, Enejus Detaviuß, zeichnete ſich 
im zweiten Punifchen Kriege ald Prätor in Sardinien 205 v. Chr. und dann in der Schlacht bei 
Zama 202 aus und wurde der Stammpvater der ältern Familie des octavifchen Geſchlechts, die 
zu den angefehenften gehörte und fich der Partei der Optimaten anfchloß. In ihr erwarb fein 
gleichnamiger Sohn, bem fi, ba er unter Amilius Paulus im macedon. Kriege als Prätor 
bie Slotte befehligte, Perſeus nach der Schlacht bei Pydnä 169 ergeben Hatte, zuerft 165 das 


October Deuliren wm 


Gonfulat. Im I. 162 als Gefandter zu Laobicea wurbe er in Syrien ermorbet. — Gen fün- 
gerer Sohn, Mareus Detavins, leiſtete als Eollege bes Tiberius Gracchus (f. d.) im Molke 
tribunat 155 v. Ehr. diefem unbeugfamen Widerſtand und wurde deshalb feiner Würde ent 
fegt. — Sein Enkel von einem ältern Sehne, Eneins Detavins, vertrieb 87 als Conſul feinen 
Gollegen Lucius Eornelius Cinna (f.d.) aus om, fiel aber bei defien und des Marius Nück 
Behr durch Mörder. — Cajus Detavius, ber jüngere Sohn des zuerft erwähnten Enejus Drta- 
vins Rufus, rom. Ritter, war ber Stammvater des füngern Zweige bes octavifchen Geſchlechts, 
der, reichbegütert, erft durch Cajus Detavius, den Vater des Auguftus, zu Ehrenſtellen ge 
langte. Derfelbe verwaltete, nach der plebeiifchen Adilität, 61 die Prätur, 60 und 59 mit dem 
Titel eines Proconfuls die Provinz Macedonten umd zeichnete ſich durch feine Siege über die 
thrazifchen Beffier im Hämus und durch Milde und Gerechtigkeit aus. Er war in zweiter Ehe 
mit Atia, der Tochter des plebefifchen Marcus Atius Balbus und der Julla, Cäfar’s jüngerer 
Schweſter, vermählt, bie ihm einen Sohn, Eajus Detapius, und eine Tochter, Octavia (1. b.), 
gebar, und farb 58 kurz nach feiner Rückkehr nach Italien, im Begriff, fi um das Confulat 
zu bewerben, zu Rola in bemfelben Zimmer, wo fpäter fein Sohn Eajus flarb. Letzterer erhielt 
durch feinen Großoheim Julius Cäſar 45 v. Chr. das Patriciat und nahm in Folge ber Adop- 
tion durch Cäfar den Namen Cajus Julius Eäfar Detavianus an, welchem er bann den 
Ehrennamen Auguftus (f. d.) Hinzufügte. 

Detober (vom lat. ooto acht) bei den alten Römern ber achte, bei uns ber zehnte Monat 
des Jahres, der Weinmonat, ift ber zweite Herbfimonat. Die Wärme nimmt in bemfelben 
ſehr rafch ab, denn während bis zum 42. durchfchnittlich eine Temperatur herrſcht, welche ber- 
jenigen der Mitte des Mai entfpricht, folgt darauf gewöhnlich gleich vom 13.—20. eine ſolche, 
wie fie die Mitte bes April Im Durchfchnitt zeigt. Daher müffen fehon vor dem 14. bie egoti- 
ſchen Pflanzen in die Gewächshäufer gebracht werben. Der Landwirth beendet im October 
feine Winterbeftelung ; die Obflernte und Weinleſe fällt in diefen Monat. Der Forſtmanm 
ſammelt Baumfamen; die Hauptjagb auf Saum, Dachſe, Füchfe und Schnepfen beginnt. 

Detroi ober Detroy, ein altes franz. Wort der Kanzleifprache, wahrfcheinlich aus dem lat. 
auctoritas entftanben, bebeutet fo viel wie Bewilligung, Verftattung einer Freiheit von Seiten 
ber Regierung und wird befonders von Banbelsprivilegien gebraucht, die einer Perfon oder 
Geſellſchaft ertheilt werben. Daher heißen vetrsizte Handelseompagnien ſolche, denen das 
ausfchließende Recht, einen gewiffen Handel zu treiben, durch ein Privilegium beftätigt worden 
iſt, 3. B. die Oftindifche Compagnie in England. In ähnlichem Sinne ſpricht man von oetroir⸗ 
ten Berfaffungen und Gefegen, welche einfeitig von dem Fürften gegeben wurden, im Gegen- 
fage derer, die mit einer Vertretung des Volkes vereinbart wurden. Ebenfonannte man bie 1804 
über das Rheinzollweſen gefchloffene Übereinkunft Rheinſchiffahrts⸗Detroi. Auch gebraucht 
man in Frankreich Octroi hier und da für ftäbtifche Acciſe. 

Deular ober Denlarglas, auch Augenglas heißt in einem Fernrohre oder Mikroſtope 
dasjenige Glas, weiches dem Auge zugekehrt ift. Nach der verfchiedenen Befchaffenheit des 
Deulars, das man mit dem Objectiv eines Fernrohrs verbindet, erhält letzteres verfchiedene 
Namen. Bei dem holl. Fernrohre iſt das Dcular eine Hohllinfe, die fich in einer folchen Stel- 
lung zum Öbjectiv befindet, daß die Entfernung beider Linſen voneinander nahe bem Unter 
fchiede ihrer Brennweiten gleichlommt. Ein folches Fernrohr zeigt die Gegenftände aufrecht, 
bat aber ein fehr kleines Gefichtöfeld. Bei dem aftronomifchen Fernrohre ift das Ocular eine 
comveze Kinfe und fleht von dem Objective nahe um die Summe ber Brennweiten beider Linſen 
ab. Bei dem Erdfernrohre wendet man, um ein aufrechtes Bild zu erhalten, mehre bintereinan- 
Der befindliche Dculare an. Durch Anwendung verfchiebener Dculargläfer kann man bei dem⸗ 
felben Fernrohre fehr verfchiedene Vergrößerungen hervorbringen, da bie Vergrößerung von 
bem Berhättniffe zwifchen den Brennweiten bes Dcular- und des Objectivglafes abhängt und 
durch den Quotienten beider beftimmt wird. 

Deuliren ober Augeln heißt diejenige Art, wilde Obſtbäume und Bierfträucher befondere 
Binfichtlich ber Blüte und Frucht zu verebein, bei welcher man eine ober mehre Knospen (Augen) 
mittels eines anhängenden Rindenftüds des Edelreiſes auf bie entrindete Stelle bes Wildlings 
überträgt. Dan umterfcheidet Oculicen mit dem Schilde und Oculiren mit der Rindentöhre. 
Bei der erften Art nimmt man ein Meines, mit einer Knospe verfehenes Rindenſtück des Edel⸗ 
reife, dem man eine breiedig-Feilförmige oder feltener viereckige Geſtalt gibt, und trägt es auf 
ben Wildling über, indem man entweber ein gleichgroßes Stud Rinde megnimmt oder, wie es 
faft immer gefchiebt, einen Querſchnitt bis auf den Splint umd von ber Mitte dieſes Quer 


Us Oezakyw ODde 


- fegnitts abwärts einen eben fo tiefen Längenfchnitt macht, ſodaß der Schnitt einem T ähnlich iſt. 
Die Rindenränder des Schnitte werden behutfam getrennt und fo weit von beren Splint ge 
Iöft, daß dad Rindenfchildchen des Edelreiſes barumter geſchoben werben kann, wobei die obern 
Mänder ber Rinde und des Schildes genau aneinander ſtoßen müffen. Dann 
t man bie Wundlefzen ber Rinde über das eingefchobene Schilbchen und ummidelt bie 
be, jeboch nicht zu feft, mit Hanf, Baft u. f. w., fobaß bie Knospe frei vorficht. Nimmt 
man das Dculiren im Frübjahre vor und entfernt alle übrigen Knospen und Zweige des Wild⸗ 
ling6, fo nennt man dies das Oculiren auf das treibende Ange, weil dann das Auge noch in 
dbemfelben Jahre treibt; wird aber erft im zweiten Safte (von Ende Juni bis Mitte Yugufl) 
oculirt und nichts von dem Wildlinge abgefchnitten, fo heißt die das Deuliren auf das ſchla⸗ 
fende Auge, weil bann das Auge erſt im nächften Frühlahre treibt, wo bie übrigen Knospen des 
Wildlingẽ entfernt werben. Bei dem Deuliren mit der Rindenröhre ober Pfeife, mas man auch 
Belzen nennt, nimmt man einen mit ben Knospen mehrer Blattwinkel verfehenen Rindenring 
bes Edelreiſes und Legt ihn um ben gleichweit entrindeten und gleich bilden Zweig des Wild⸗ 
lings. Entweder nimmt man eine vollftändig gefchloffene Rindenröhre und fchiebt fie über das 
obere Ende bes bis hierher entgipfelten Zweige bes ling, ober man fpaltetden Rindenring 
an der einen Seite ber Ränge nach auf und legt ihn dann wie ein Querband um bie gleich große 
gefchälte Stelle des nicht entgipfelten Zweigs des Wildlings. 8 Ä 

Dezãkow oder Otſchakow, eine Stadt im ruff. Bouvernement Eherfon, an ber Mündung 
bes Dnieprlimans, Kinburm gegenüber, war unter türk. Herrichaft eine. der wichtigften Fe⸗ 
flungen, bie durch eine befondere Gjtabelle gefchugt war. D. if vielen Kriegs auße 
gefegt geweien und fiel ſchon 1757 unter Münnich und zulegt 1788 unter Potemkin und Su⸗ 
worow in bie Hände ber Ruſſen, worauf es gefchleift und im Frieden zu Jaſſy 1792 als ein ganz 
beröbeter Plat vom der Pforte an Rußland abgetreten wurde. Nur langſam bat es fich wieder 
erholt, woran wol bie Gründung ber drei Nachbarfläbte Cherſon, Odeſſa und Nikolajew 
Schuld iſt. Es zählt etwa 5000 E., Hat einen Meinen Kauffahrteihafen, eine Quarautaͤnean⸗ 
flalt und treibt einigen Handel. Un ber Mündung des Bug unfern ber Stabt findet mau bie 
Trümmer einer alten griech. Stabt, bie vielleicht dem einft fo beräßmten Olbia angehören. 

DB iſt die (aus den Rordiſchen entlehnte) Bezeichnung einer eigenthümlichen Kraft, welche 
Karl Freiherr von Reichenbach entdeckt Haben will. Diefe Kraft ſoll nach ihm eine allgemeine 
Verbreitung haben, fie foll als lodernde Flamme oder Lichterfcheinung auftreten an den Polen 
eined Magnetd oder Eleftromagnetd, an ben Polen ber Kruftalle, in dem chemifchen Proceß 
durch alle feine Stufen, ſodaß 3. B. in Folge der Verweſung ber Leichname auf den Gottes⸗ 
ädern leuchtende Geſtalten auf ben frifhen Gräbern ericheinen u. |. w. Alle Ab- und Zunei⸗ 
gung gegen gewiffe Perfonen, Gegenflände oder Farben u. |. w. erflärt Reichenbach durch 
das Od. Indeſſen Tonnen nad) Reichenbach alle Wirkungen dieſer Kraft nur von fogenann« 
ten fenfitiven Derfonen empfunden werben. Reichenbach hat bie von folchen Berfonen auf fein 
Befragen gemachten Angaben und Reflerionen hierüber zufammengeftellt in der Schrift: „Phys - 
ſikaliſch⸗ phyfiologifche Unterfuchungen über die Dynamide des Magnetismus, der Elektricität 
u. f. w. in ihrer Beziehung zur Lebenskraft” (3 Bde, 2.Aufl., Braunſchw. 1849), und in kür⸗ 
zerer Weife inden „Odifch-magnetifchen Briefen” (Stuttg.1852). Da Reichenbach in feinen For- 
[dungen nie auf die Evidenz ber eigenen Sinne, fondern durchaus auf Ausfagen Anderer fußt, 
fo find vielfache Zweifel an der Sache aufgetaucht, wie denn überhaupt die meiften Phyſiker von 
Bach einer ſolchen Raturkraft, wie fie Reichenbach als Od bezeichnet, alle Exiſtenz abfprechen. 

Odaliske, im türk. Odalik, heißt im Allgemeinen eine Beifchläferin. Insb eſondere aber 
verſteht man Darunter diejenigen SHavinnen in dem Harem bes Gropfultans, welche noch nicht 
zu dem Range einer Favoritin gelangt find. | 

Dde nannten die Griechen, bei denen das Wort urſprünglich Geſang überhaupt bebeutet, 
jedes lyriſche Gedicht, das ſich vorzüglich ‚zum Gefange eignete, und ſchloſſen felbft das eigent- 
liche Lied nicht davon aus. In diefem weitern Sinne gehören hierher die Ghorgefänge ber griech. 
Dramen, die Poeſien des Pindar, der Sappho, des Alcäus und Anakreon, bie Skolien, auch 
bie Hymnen mit ihren verfchiedenen Benennungen (3. B. die Dithyramben). DieRömer ahm- 
ten auch bierin die Griechen nach. Die Oden der Alten unterfcheiben ſich von den lyriſchen Ge⸗ 
dichten der Neuern dadurch, baf fie, gemäß dem herrfchenden Charakter bes Alterthums, das 
Gefühl mehr durch die Gegenftände felbft fchildern. In neueren Zeiten bat man bie Ode von 
bem Liebe (|. d.) getrennt, ſodaß man die Ode als diejenige Art der lyriſchen Poeſie betrachtet, 
welche die tiefern Bewegungen des Gemüths und den Wechſel flarker, erhabener Gefühle ber 


Diem Ddenbnrg 349 


Luft und Unluft mit hohem Schwunge ber Begeifterung verkündet. In ihr offenbart fich bie 
kühnſte Kraft des Geflhls; das Ideal wird im Gefühl ergriffen und duch die von demfelben 
aufgeregte Phantafie angefhaut. Damit Hänge die höchſte Mannichfaltigkeit und Lebendigkeit 
ehytämifcher Bewegungen zufammen, welche fich durch kunſtvolle Bildung und Verfchlingung 
der phen kund thut, ferner ber freiefte Gedankenſchwung. Doc, hat ber im 17. Jahrh. 
erneute Gebrauch der von ben Alten erfundenen lyriſchen Strophen, z. B. der Alcäifchen und 
Sapphiſchen, bewirkt, daß wir im Allgemeinen alle Igrifchen Gedichte, welche in jenen für bie 
Oden beflimmten oder diefen ähnlichen Versmaßen gedichtet werben, ebenfalls Oden nennen, 
auch wenn fie in Hinficht ihres Charakters fich mehr ober weniger bem Liebe nähern. Man bat 
die Ode nach den verfchiebenen Gegenftänden derfelben mit drei verfchiedenen Namen belegt. 
Die Höchfle Gattung iſt bie religiäfe Dde ober die Hymne (f. d.), fofern fie nicht epifch iſt. 
Hierher gehören aus dem Alterthume viele hebr. Pſalmen, das fogenannte Lied Mofis und ber 

Deborah, einige Oden des Pindar, ber Hymnus bed Kleanthed und viele Chöre in ben griech. 
Dramen, einige Dden des Horaz. Ferner viele riftliche Kirchenhymnen und altbeutfche Lob⸗ 
gefänge; bei den Sranzofen die Hymnen Sean Bapt. Rouffeau’s; unter den Engländern die 

ymnen von Gray, Akenſide und Thomfon, Cowley und Prior ; unter den Deutfchen bie von 
ramer, Denis, Kretſchmann und Haller, vor Allen von Klopſtock; unter den fpätern aber Ge 

Dichte und Lieder von Herder, Lavater, Maler Müller, Stolberg u. A. Zunächſt ber Hymne 
fteht die Herotfche Dde, welche die Höhere Menfchheit, Heroen, Heldenleben, Kriegsruhm, Gei- 
fteögröße u. ſ. w. befingt. Hierher gehören die meiften Pindarifchen Oben und einige des Horaz, 
wiele Oden ber Engländer, namentlich Dryden's, und unter ben Deutfchen von ben genannten 
Dichtern, fowie von Bleim, Ramler, Schiller und Goethe. An die heroifche Ode ſchließt fich die 
didaktiſche Dde, weiche große, das Gemüth begeifternde Wahrheiten ober die Ideale ber Kunft 
und bes Lebens zu Gegenftänben hat, aber leicht in kalte Neflerion und trodenes Möralifiren 
übergeht, wodurch ihr Charakter ebenfo wie durch die Hinneigung zum Schwermüthigen, Ele 
gifchen geftört wird. Schon Horaz verfällt oft in den Reflexionston und feine Bilder find nicht 
felten nur Fünftliche Erzeugniſſe einer gereizten Phantafie. Die neueren lat. Dichter, felbft Balde, 
Lotichius und Johannes Secundus, find gleich den Stalienern Nachahmer ber Alten. Unter den 
Italienern zeichnete fich beſonders Ehiabrera aus. Diefen am ähnlichiten find die Spanier, 3.2. 
Garcilaſo de la Bega, Duevedo, Bongora u. A. Die Engländer nehmen meift einen Präftigen 
Zehrton an und Haben häufig Zeitgegenftände behandelt. Die Sranzofen, wie J. B. Rouffeau, 
Racine, Greſſet, Chenier und Lebrun find zu declamatorifch und flrogen von moralifchen Sem 
tenzen und Bübern ohne poetifche Anſchauung. Unter den Deutfchen find Weckherlin, Opig, 
Flemming, Haller, Hagebom, Us, Zavater, Ramler, Stolberg, Voß, Kofegarten, Schubart, 
Herder, Schiller, Arndt, Stägemann und Platen anzuführen. 

„ Dbem ober Waſſergeſchwulſt nennt man gewöhnlich bie örtliche Hautwafferfucht. Diefes 
Odem ſtellt fi als faft unelaflifche, kalte und ſchmerzloſe Geſchwulſt dar, welche von einer in 
das Bellgewebe der Haut ergoffenen und daſſelbe ausdehnenden waſſerähnlichen Flüſſigkeit her« 
rührt. Man findet es an allen Stellen des Körpers, beſonders aber an folchen, welche vom Her⸗ 
zen weit entfernt find, alfo meift an ben Ertremitäten, ben Augenlidern u. ſ. w. Ferner wird aber 
auch noch die Wafferanhäufung in der Subftanz von Eingeweiden Odem genannt, und deshalb 
ſpricht man von Hirm-, Lungen-, Schleimhaut. u. f. w. Odem. Stets ift das Ddem wie die Waſ⸗ 
ſerſucht (f. d.) ein Symptom, welches den allerverfchiedenartigften Krankheiten zukommen kann. 

Ddenburg (ungar. Sopron), Comitat im jenfeitigen Donaukreis, grenzt im W. und N, 
an Oſtreich, im N. auch an dus wiefelburger, im D. an das raaber und veßprimer, im S. an das 
eiſenburger Somitat und hat eine Ausdehnung von 58 QM. mit 629145 Joch urbaren Bo- 
dens. Der Welten und Norden find von einigen ans Steiermark ſich erfiredienden Gebirgszü⸗ 
gen durchſchnitten, Daher gebirgig, waldig und außer Kartoffeln zum Anbau nicht geeignet. Der 
Suben und Often ift durchgehends eben und gehört zu den gefegnetften Theilen Ungarns. Der 
gebirgige Norden iſt befonders an Obſt und Wein reich. Der Rußter ſteht dem Tokayer nur 
werig nach. Die weſtlichen Gebirge find reich an Kalkfteinen und Steinkohlen, die namentlich 
bei Brennberg gegraben werben. Die in drei königl. Freiftädten, 38 Marktfleden, 198 Dör« 
fen und 31 Yußten wohnende Bevölterımg war 1850 203196 Seden ſtark. Hierunter waren 
über 99000 Ungarn, 85150 Deutfche, die Übrigen Kroaten; der Gonfeffion nach 175675 8a» 
tholiten, 27164 Gvangelifche, ber Reſt Reformirte und Juden. Die Hauptbefchäftigung ber 
. Einwohner ift Beld-, Barten« und Weinbau ; aber auch der Handel iſt fehr bedeutend, da O. na⸗ 

mentlich dem zwiſchen Ungarn, Steiermark und Dftreich vermittelt. Hauptort 


7) Dbenfe - Dder 


des Comitats ift bie Bönigl. Freiftadt Obenburg, die zu ben ſchönſten in Ungarn gehört. Gig 
Sat ein kath. Symnafium, ein evang. Lyceum und Seminar, bebeutende Gewerbs- und Han⸗ 
beisthätigkeit, mehre Fabriken, ſtark beſuchte Märkte, die namentlich für ben Rind» und 
viehhandel fehr bedeutend. Die 15000 E. find vorherrſchend Deutfche. Die zweite Lönigl. Frei» 
ſtadt ift Eifenftadt (ungar. Kismärton), ein fehr freundlicher, von Weingebirgen und Walbun⸗ 
gen umkränzter Drt, der in die eigentliche Stadt und Feſtung und In die Unterftabt zerfällt, 
welche zufammen an 6000 deutfche E. zählen. Bemerkenswerth find Hier dad Maufoleum der 
fürftlich Eſterhazy ſchen Familie, das prächtige Schloß derſelben mit der Bildergalerie der un⸗ 
gar. Könige, der große engl. Garten mit einer Dampfbeinä gsmaſchine und ber Galvarien- 
berg, ber nach dem fhemniger und eperiefer die meiften Wallfahrer anzieht. Die dritte konigl. 
Freiſtadt iſt Mut, die Heinfte Stadt in Ungarn mit faum 1200 E. e Berühmtheit ver 
dankt ber Ort dem trefflichen Weine (Rußter). 

Odenſe, die bebeutendfte und Hauptftadt ber dän. Infel und des ganzen Stiftse Fü 
mit dem Obenfefiord ober Stegeftrand durch einen Kanal verbunden, Gig eines Biſchoft und 
Stiftsamtmanns, eined Gymnaſiums, einer literariſchen und ökonomiſchen Geſellſchaft, Hat 
10000 E., die einigen Handel treiben, ein königl. Schloß (1726 erbaut von König Friedrich IV., 
ber bier 1731 flarb) und gilt für die älteſte Stadt Dänemarks, angeblich ſchon von Dbin ge 

nbdet, nach dem fie, wie Die Infel felbft, in ben älteften Zeiten Obdinsde genannt wurde. Das 

thum wurde 988 gefliftet. Sie ift merkwürdig durch bie alte, von Knut dem Helligen ge 
gründete Domfirche mit deſſen Grabmale und denen mehrer anderer bän. Könige, durch die zu 
einem Fräuleinftift gehörige Bibliothek, weiche alle in bän. Sprache gedruckten Bücher enthält, 
fowie burch den 1527 dafelbft gehaltenen Reichstag, welcher den Proteſtanten gleiche Rechte 
mit den Katholiten in Dänemark gewährte. Auf dem Beichötag von 1539 murbe das neue, 
von Bugenhagen rebigirte Kirchengefeg angenommen und auf bem von 1657 ber Krieg gegen 
Schweden befchloffen. j 

Ddenwald, im Mittelalter Odunewald oder Otenwald, ein GBeblrgäzug zwiſchen dem 
Schwarzwald umb bem Speflart von etwa 10 M. Länge und A—6 M. Breite, zieht ſich von 
Südweft nad) Nordoft durch Baden und Heſſen Darmiſtadt, ohne daß ſich ein fortlaufender 
Mücken verfolgen ließe. Das Gebirge bildet ein Plateau von 13 — 1500 $. mittlerer Höhe, if 
mehr freundlich und mild als wild und erhaben und hat weite fruchtbare Thäler mit einzelnen 
Bergen, die als Meine Abfchnitte großer Kugeln erfcheinen. Bon Often nach Weften wird das 
Gebirge durch das romantifche Querthal bed Nedar (ſ. d.) durchbrochen. Der Odenwald ift 
mit Eichen, Buchen und Nabelholz bewachfen, bietet auch in großen Strecken Ader- und Wie 
fenland und wird ſtark bewohnt. Die Dörfer liegen jeboch meift in einzelnen Häufern und Ge 
böften zerftreut. Sein weftlicher Fuß, der im Rheinthale fteht und unter dem Namen der Berg- 
ſtraße bekannt ift, gehört Hinfichtlich feiner Naturfhönheiten zu den berühmteften Gegenden 
Deutſchlands. Er befteht aus Granit, Syenit und Gneis und ift beſonders nach ber Gegend 
ber Bergftraße hin dicht bewaldet. Die bemerkenswertheften Yunkte find ber Kagenbudel im 
Norboften von Eberbach in Baden, 2180 F., und in Heffen die Neuntircher Höhe, zwiſchen 
Lindenfels und Neunkirchen, 1820 F., der Krähberg, füdlich von Erbach, 1736 $., der Melibo- 
cus ober Malchen, 1985 $., mit Wartthurm, und der Feldberg, an defjen Abhange die Riefen- 
fäule liegt, 1696 $. hoch über der Meeresfläche. Vgl. Grimm, „Vorzeit und Gegenwart an 
ber Bergftrafe, am Nedar und im DO.’ (Darmſt. 1822); Jäger, „Die Land- und Forſtwiſſen⸗ 
ſchaft des Odnwalds” (Darmft. 1842). 

Dder (lat. Viadrus, flaw. Modry) einer der Hauptflröme Deutfchlands, entfpringt 990 8. 
über dem Meere in Mähren aus einem Sumpfe des Lefelbergs, zwiſchen den Dörfern Koslau, 
Neueigen und Haslicht, unfern des Städtchens Liebau, öftlich von Olmütz, auf dem niedrigen 
Höhenzuge, der den weftlichen Arm ber Karpaten ober das Zirfcheiner Gebirge mit dem 
mähr.«|chlef. Gebirge oder dem Bergzuge des Altvaters verbindet. Sie tritt nach einem Laufe 
von IHM. bei dem Städtchen Dderberg in das preuß. Schleften ein, macht hier bie Grenze 
zwifchen dem preuß. und öftr. Gebiete und durchſtrömt Schlefien, wo fie das ſtärkſte Gefälle, 
auf jede Meile 8—9 F., bat, dann die Provinz Brandenburg, wo fie fehr inſelreich wird, In 
nordweftlicher Richtung, zulept, mehrfach getheilt, In nördlicher Richtung die Provinz Pom⸗ 
mern. Ihren Oberlauf legt fie bis Oderberg in einem tief eingefehnittenen Thale zurück. Der 
Mittellauf, 50 M., sn dann bis Glogau und zwar zunächſt bis Breslau in einem breiten, 
flachen, mit Gebüfch, Wieſen und Lachen erfüllten Thale. Erſt von ber Kazbachmündung an 
werben bie Thalränber hoch, indem bas Bett gmifcken Gend- ab Lehmhägein tiefer eingefenkt 


Odeſſa 351 


iR, bis oberhalb Glogau, wo der Durchbruch durch die fübliche Landhöhe Nordbeutfchlande 
endet. Der Unterlauf geht meiftens durch fruchtbare Niederungen in breitem Thale, die theil« 
weife fumpfig und bufchreich, an einigen Stellen aber, mie bei Wartenberg, Rothenburg und 
Fürſtenberg auf dem linken, bei Carolath, Kroffen und Frankfurt auf bem rechten Ufer, hoch 
und bewaldet find. Unterhalb Srankfurt folgt der zwei M. breite Oderbruch bis Wriezen, 
Freienwalde und Oberberg, welcher wegen feines üppigen Wiefemachfes und feiner ergiebigen 
trefflichen Viehzucht bekannt ift. Diefer wie andern Niederungen ift die Ober durch Über 
ſchwemmungen fehr gefährlich, weshalb man Fofibare Deiche und Dämme angelegt hat. 
Unterhalb des Oderbruchs folgt ber Durchbruch durch bie nördliche Landhöhe, wo die oft 
fehr malerifchen Thalränder, bei Schwedt, Stettin, 3—A00 F. Höhe haben und der Strom 
fich vielfach fpaltet. Unterhalb Schwedt, bei Fibdichom, entſtehen kurz vor dem Eintritt in Pom⸗ 
mern zwei Hauptarme, von denen ber öftliche anfangs Kranichſtrom (bis Greifenhagen), dann 
die Große Reglitz, auch wol Zollfttom heißt und ſich unweit Stettin in den Dammfchen See er» 
gießt, der weftliche aber den Namen Oder behält und in das nörbliche Ende des Dammſchen 
Sees fließt, mo bad Papenwaffer bei Politz beginnt und bis zum Anfange bed Pommerſchen 
ober Stettiner Haffe reicht. (©. Haff.) Aus diefem endlich fällt die Oder mit drei ſtarken aus⸗ 
gehenden Strömen, Diwenow, Swine und Peene, welche die Infeln Wollin und Ufedom bilden, 
nach einem Laufe von 134 M. in die Oſtſee. Ihr an Flüſſen überaus reiches Stromgebiet 
nimmt einen Flächenraum von 2400 AM. ein, welches durch die Sudeten vom Donau - und 
Elbgebiete getrennt, in das obere, mittlere und untere geteilt wird und von welchem 120 AM. 
auf das öfter. Stantögebiet gehören. Die Ober ift bei Ratibor in Oberfchlefien zuerft für Heine 
Fahrzeuge, bei Kofel für größere Kähne und bei Breslau für große Oderkähne oder für Ladun⸗ 
gen von faft 1000 Eten., im Ganzen auf einer Länge von 122 M. ſchiffbar. Mit der Havel tfl 
fie duch den 5, M. langen Finowkanal, mit der Spree, einige Meilen unterhalb Frankfurt, 
durch den drei M. Iangen Friedrich⸗Wilhelmskanal vereinigt. Ein britter Kanal, der den Na⸗ 
men der Neuen Ober erhalten bat, wurde von 1746 — 53 gegraben und führt aus dieſem 
Strome bei Büftebiefe, einem Dorfe mehre Meilen unterhalb Küſtrin, bis zum Dorfe Hohen- 
faaten, wo er fich wieder mit der Alten Ober vereinigt, nachdem biefe ihren Lauf über Wriezen 
und nahe bei dem Badeorte Freienwalde fortgefegt bat. Diefer neue Kanal ift gegenwärtig 
ber Hauptfttom, wogegen bie eigentliche Alte Dder mit jedem Jahre mehr verfanbet, fobaß fie 
nur im naffen Frühjahr und Herbfte fchiffbar ift. Die Fiſcherei iſt in der Oder bedeutender 
als in ber Elbe. Die Nebenflüffe der Oder, welche die commercielle Wichtigkeit des Haupt 
ſtroms beflimmen, find links die Oppa, die Schlefifche Neiße, die Ohlau, welche bei Breslau 
ausmündet, die auf dem Riefengebirge entfpringende Weiftrig, die Kagbach, ber Bober, welcher 
unfern Ktoffen mündet, bie Laufiger Neiße, die Eanalifirte Finow und die auf kurzer Strede 
fahrbare Welfe; rechts die Klodnig, wichtig wegen ihres Kanald, die Malapane, die poln. 
Bartſch, die bei Küſtrin ausmündende Warthe, welche ihrerfeits die fchiffbare Nege aufnimmg 
die ducch ben Bromberger Kanal und bie Brahe mit der Weichfel verbunden ift, bie Plone, Ihna 
und Stepenig, welche fänmtlich in den Dammfchen See und in das Haff fliegen. Der Haupt 
hafen des Oderftroms, der zugleich dev Dandelähafen für Stettin ift, befindet ſich bei Swine⸗ 
münde (f. d.) auf der Infel Ufedom. Bon diefem Hafen aus bezieht Stettin die Colonial⸗ 
und andere Waaren, mit denen es Pommern, die Marken, die Laufig, Sachſen, Schlefien, 
Weſtpreußen und Polen zum Theil verforgt. Ausgeführt werben Getreide, fehlef. Tücher 
und Obft, insbefondere aber Schiffbau- und Stabhölzer nach den engl., franz., fpan. und 
portug. Häfen. Auch wird viel Brennholz zum inlänbifchen Gebrauche auf der Oder, Warthe 
und Neiße verflößt, umd Berlin bezieht einen großen Theil feines Bedarfs auf diefem lege, 
gleichwie Getreide, Obſt, Käfe u. ſ. w. In militärifcher Hinficht iſt die Ober ald Transport» 
und Feflungslinie wichtig. An ihr liegen von Süden nach Norden die Feſtungen Kofel, Brieg, 
Großglogau, Küſtrin und Stettin. Bedeutende Brüden befinden ſich bei Ratibor, Kofel, 
Krappig, Dppeln, Brieg, Breslau, Großglogau, Kroffen, Frankfurt umd von bier ab bei zu- 
nehmender Wichtigkeit des Stroms an allen bedeutenden Punkten. 
Odeſſa, die bedeutendfte See» und Handels ſtadt zioifchen ben Mündungen bes Dnieftr und 
Dniepr im füblihen Rußland, im Bouvernement Cherfon gelegen, aber ein eigenes Stadtguber⸗ 
nium von 8°, AM. bildend, wurde unter ber Regierung ber Kaiferin Katharina II. 1794, bald 
nach dem Frieden von Jaſſy, in welchem bie Kaiferin biefen Landſtrich erhalten Hatte, unweit 
der Stätte der althellen. Stadt Orbeffus erbaut und erhob fich ſchnell unter ber Leitung beö 
Herzogs von Richellen, welchen Kaifer Alexander mit der Gowerneurwürde von OD, be 


D | Oben - 
Beidet hatte, zu einer ganz ungewöhnlichen Bebeutung, wozu auch bie Lage am Geflabe bes 
— * nicht wenig beitrug. Die Stadt iſt in einem laͤnglichen Viereck regelmãßig 
auf einem nad) bem Hafen ſich neigenden Abhang erbautz Feflungswerke befhügen den durch 
zweil Molen gebildeten Hafen, ber für ungefähr 500 Schiffe Raum hat und an deſſen einem 
Ende, unmittelbar unter der Feſtung, bie große Quarantäneanſtalt liegt, von welcher 1 M. 
gegen Süden entfernt auf einer vorfpringenden Spige ſich ein ebt. Die Rhede 
iſt fehr geräumig und ber Ankergrund, da fie gegen ben Andrang ber Winde gefchügt ifl, ficher. 
Der Hafen wurbe 18417 auf 30 J. zu einem Freihafen erfärt, was fehr zum Gebeihen bes 
Handels und re beitrug. Die Stadt ift ſchön gebaut und Hat gerabe und breite Strafen, 
Die fich in rechten Winkeln ſchneiden, und faft lauter zweiflödige Häuſer, meift im ital. Stil. 
Unter den Bebäuben zeichnen fich aus bie rufſ. Karhebrale, das Zollhaus, das Admiralitätsge⸗ 
bäude, das Palais bed Grafen Woronzow und mehre andere Baläfte, beſonders Länge ber Bou- 
levarb& bed eine unvergleichlich fchöne Ausficht barbietenden Hafens, bie Börfe, das Theater, 
wo ruff. Stücke mit ital. Opern und griech. Tragäbien wechfeln, und das Hospital. Huch bie 
veflaurirte Bath. und neuerbaute ref. Kirche find bemerkens werth. Die Umgegenb ifl eine weit⸗ 
gebehnte, haum⸗ und waſſerloſe Ebene; daher fehlte es der Stabt fonft Häufig an Trinkwaſſer, 
weichem Übelftande durch viele Brunnen und gegenwärtig buch eine Wafferleitumg abgeholfen 
iſt. In der Mitte der Stadt iſt ein fchöner öffentlicher Garten. D. Bat vortreffliche Lehranſtal⸗ 
ten, unter benen beſonders das vom Herzoge von Richellen gefliftete und nach ihm benannte Ly⸗ 
cam, zwei Bymnafien, bie Handlungs⸗ und Schiffahrtefchule, eine Anftalt für orient. Sprachen, 
bie große jüb. Schule und das abelige Fräuleinftift Fi erwähnen find. Huch befigt bie Stadt 
ein 1825 errichtetes Muſeum für führuff. Alterthümer und einen botanifchen Garten. Die 
Biefigen neuangelegten Seebäber find fehr befucht. D. bat bebeutende Brauereien, Branntwein- 
brennereien, Seilexeien, Wollen⸗ Seiben«, Tabacks⸗ und Lichtfabriken, Seifen⸗ und Talgfiebe 
veien und führt beſonders viel Zeigen, ben Volhynien, Podolien und bie Ukraine hierher liefern, 
nad ber Türkei, Italien, Frankreich, Spanien und England aus ; andere Begenftänbe ber Aus- 
fuhr find Flache, Bauholz, Leinfaat, Wolle, Talg und Nindshäute, während bie Haupteinfuhr- 
gegenftände in Golonialmaaren und Fabrikaten aller Art beftehen. D. fteht in unmittelbarer 
Berbindung mit Trieft, Livorno, Marfeille, Barcelona und Londen, durch regelmäßige Dampf- 
ſchiffahrt mie Galacz und Konftantinopel; von deutſchen Handelsplägen ift Wien der einzige, 
mit welchem D. unmittelbare Wechfelgefchäfte macht; ber Speditionsplag zwifchen beiden Städ⸗ 
ten ift Brody. Der Waarenverkehr wird jährlich auf 50 MIN. Silberrubel angegeben, allein er 
ift großen Schwankungen unterworfen. Am meiften ftationär if! noch die Einfuhr; fie beträgt 
feit längerer Zeit 10 Mill. Die Ausfuhr aber, hauptfächlich auf Getreide bafirt, Darum vom 
Ausfall der Ernten und überdies von der Concurrenz anderer Ränder abhängig, variirt bedeu- 
tend und zeigte 1848 — 50 eine auffallende Abnahme. Ihr Werth belief fih 1840 auf 
10,659000, 1847 auf 34,765000, 1848 auf 20,873000, 1849 auf 19,178000, 1850 auf 
16,894534 Silberrubel. Unter ben Einwohnern ber Stadt, deren Zahl fich gegenwärtig auf 
etwa 70000 in der Stadt und 90000 im Gubernium beläuft, gibt es viele Franzoſen, Englän- 
der, Deutfche und Italiener, wozu noch Griechen, Armenier und Juden kommen, in beren Hän- 
ben zugleich der Haupthandel if. Nuffen bilden bie geringere Zahl der Bevölkerung. Die Um⸗ 
gegend wird von Anfiedlern aus verfchiedenen Gegenden Deutſchlands, namentlich aus Schwa⸗ 
ben, von Bulgaren, Zigeunern, poln. und ruff. Bauern bewohnt, berem Lage zum Theil eine 
ſehr traurige ift, ſodaß fich alljährlich viele jener Coloniften in die Stabt überfiebeln. Das 
Stadtgebiet enthält viele Obft- und große Weingärten. Auch Seidenbau wird hier viel getrieben. 
Ddeum bei den Römern, Odeion bei den Griechen hie ein für die mufitalifchen Wettſtreite 
einzelner Virtuoſen auf ber Zither, Flöte u. f. w. beftimmtes öffentliches Prachtgebäude. Daf- 
felbe war dem Außern nach den Theatern, aus denen es hervorging, ähnlich umd bildete eine 
große, mit einem kreisförmigen Dache bedeckte Rotunda, bie auf vielen Säulen ruhte. Mit ge⸗ 
nauer Berechnung ber akuſtiſchen Gefege endigte ſich die Bühne, bie den Sigen ber Zuſchauer 
gegenüber errichtet war, in drei Wänden, welche unter flumpfen Winkeln aneinander ſtießen. 
Das erſte Odeum erbaute Perikles, flatt deſſen Vitruvius irrthümlich den Themiſtokles nennt, 
um 442 v.Chr. zu Athen und verwendete dabel die in ben Schiffswerften des Piraäeus ungebraucht 
Begenden Mafte und Trümmer ber bei Salamis zerflörten perf. Flotte ald Sparrwerk des Da- 
es, um dem Volke zu ſchmeicheln, welches darin eine Nachahmung bed vielgepriefenen golbe» 
nen Prachtgezeltes erblickte, worin Xerres bie große Schiffömufterung gehalten hatte. Dieſes 
Verikleiſche Odeum, weiches fpäter zu Bolksverfanumlungen und als Gerichtohof biente, wurde 


DPdilon · Barrot Odipus — | 


Aett und nahe: m Bäform wich anfachm —— — De 

¶ d.) Atticus auffũhren: Dald verbreiteten ſich dieſe Odeen ͤber ganz Griechenland: und die 
Golonien und von: hama Rom, we Douikian und cabere Kaifer.bergleihen Gebäude erric 
Befen. Außerhalb Nom mar. ben ee auf ee acien bad berähmtefte. In In neuerer Belt 


—— — zu geäßere, bes Ruf, Dem heater und ang, üb erhaupt dem 
— * 


Din, altbeuifh Buotan, ber ältefte und eberfle Gott in ber nordiſchen uib deutſchen Ryche · 
Stammvater der Aſen und Herrſcher über Himmel und Erde. Er iſt nicht Schöpfer der 
ſondern nur ihr Ordner, die höchſte organiſche Kraft, welche bie Materie durchgeifligt 
unb als Quelle alled hoͤhern Lebens zu mannichfaltigfter Erſcheinung gelangt. Daher die vie 
len Beinamen, Alles Bezeichnungen feines verſchiedenen Weſens und Wukens, deren er g 
300 führt. Gr wird Allvater genannt und Water der Zeit; als Sonne gedacht, führt er bie bie Beh 
namen bes Feueraugigen, Alles Berbvennenden; Bater der Erfchlagenen heift er, weil er bie im 
ber Schlacht gefallenen Helben. zu fi eufnkmmt in aloe (ſ. d.) Als Geber aller Güter 
wird er insbeſondere um den Sieg in der Schlacht angerufen. Als Kriegsgott iſt er auch Erfiw 
bes ber Teilförmigen Schlachteeduung. Durch die von Uhm abgefendeten Walkyren (f. d.) leitet 
er das Geſchick der Schlachten. Er iſt der Weiſeſte, ſeitdem er aus Mimir's Brunnen. 
ten, wofürer ein Auge zum Dienbe änfegen mußte, weshalb er einäugig erfcheint. In bet 
Dichtkunſt iſt er ebenfalls der: Größte, ſeitdem er von des Zwergs Suttung Meth getrunfen: 
Gr ift aber unter den Aſen der Sauberkundigfte und vieler Zaubereien Erfinder, bie er ben Gab 
nen lehrte. Seine Bemaplin iſt Frigga (1. Freyja); feine Wohnung iſt in Blabsheim, wo fü 
taͤglich umter —— die hohen Götter zum Gericht verſammeln. Auf ſeinem 
f überficht er Alles, was auf Erden vorgeht. Seine Raben Huginn (d. i. Gedanke) 
und an (d.i —** bie täglich die Welt umfliegen,. bringen ihm Nachricht vom 
Allem, Zu feinen merkwuͤrdigen Befistgümern gehören ber achtfüßige Sfeipner, aller Roffe 
befles, ber Speer Gungner und Ring Draupner. Übrigens genießt er nur Wein. Bei Gare 
— D. ein ee und Prieſter aus Afien, der vor dem fiegreihen Schwert 


fliehend, durch Deutfchland nad) Standinanien font. 
© geben ey — —See ab und durch höhere Bildung, Arglift und Bauberkunft 
erringen fie —*  Gadpfen, das O. erobert hat, gibt er feinen Söhnen zu regieren; 
auch bemächtigt. ex fi Dänemarks, wo er feinen Sohn Skjold zum König fest. DRie Kinig 
Gylfe in Schweden ſchließt er einen Vertrag ; in Upfala baut. ex feinen Haupttempel ; ex ver» 
kündet die Lehre von Walhalla und orbnet dad Verbrennen ber Leichen an; vor feinem Tode 
läßt er ſich neun ——— am Haupte ritzen, als Symbol des Schlachtentodes. Nach Sa⸗ 
50'6 Schilderung iſt D. von vermorfenem Charakter; er muß, von ben. Aſen vertrieben, lange 
landflüchtig fein, bis ex endlich die 6 wieder erhält. Indem man die Mythen von DI. 
zu einer Geſchichte zu machen und die Widerſpruͤche in ben Erzählungen von ihm zu loͤſen ſuchte, 
kam man auf.bie Annahme mehrer Dbine, und Suhm nahm beren vier an, was aber ganz ge 
gen das Weſen ber Geſchichte wie ber Sage ifl. Bei allen beutfchen Völkerfchaften wurde D. 
16 Wuotan verehrt, und bie angelfächf. Könige führten is den norbifchen ihte Stammtafeln 
auf ihn zurück. Er galt im ganzen ſtandinav. Norden für ben hoͤchſten Bott ;. doch war. in. Dd- 
nemarf Ten Cultus am lebhafteſten. Man ehrte ihn durch Menfchenopfer, und oft wurden für 
ben ben ie d te Gefangenen ihm ale Dpfee 0 gelost. Ned, gegenwärtig lebt er in Dänemark fort ig 
dem Geiſterſpuk des wilden Jagb umb im Deutfchen in dem wütbenden Deere. Nur imnap 
bochdentfchen Dialekt iſt D.C Name von a ven ihm geweihten Wochentage gegen bie Mittwoch 
u ihren Dam alle re german. Zungen haben. ©. auch Nordiſche Mythologie, 
a ade welche ex, ohne baf es Beide mußten, heirachete 
un er —— Ba . dieſes Verhaͤltniß offenkundig geworden, 
aber bern qeäl von ben Erlamen, übe Theben fort, bie er end 
16 an onen Kanyfe fd. &e regen 


Spater wurde dieſer Mythus, namentlich vom. 

erweitert unb —88 dann gewöhnlich folgendermaßen: Lalos, des Lab⸗ 

dakes Sohn von Theben, heirathete Jokaſie, die. Tochter des Menökeus und Schweſter 
des Kreon. Weil er kinderlos blieb, befragte er deshalb Dad Drake. —** verfündeteibn; daß 

der ihm aus dieſer Ehe entſprießende Cohn fen Mötder ae us (u babrs Sotafe wish 
Tenv.⸗Lex. Bin UL: _ RL Ä 


u 3:y.. - Ddsarer: :s:. u. : - 


Sch eineri Sohn gebar, lich ex dieſen nt durchſtochenen Süßen auf bem Bithäron:aurkfegen: Dier 
fand ijn ein Hiet dab Könige Polybes von Korinth unb:buachte ihe feiheni —— 
Sverloſe Geniahlin Merehe das Kind. erzog und dom feinen angeſchwollenen Ser aunde. 
Erwachſen, wurde ihm von einem Korinther einſß die Dunkelheit feiner Abkunſt zum 
demacht. Datüber betrũbt, beftagte er das delphifche Orakel, son dem eu. bie Sntwort erhlel 
daß eu feinen Vater ermorden und mit feiner BEutter Blutſchande trelben · werde, Yırı.dem zu on® 
gehen, kehrte er nicht nach Korinth zurück, begegnete aber, feinen Weg nad Ahebeneinfchlagern 
in einem Engpaß In Phocis feinem wirklichen Vater, befien Wagenlonder ihm auckzuweichen be⸗ 
fehl. D.that dies nicht und erfchlug im Gtreite Beide Nichts Buſes ahnend, Tegte er feinen Weg 
water nach Theben fort. Hier wũthete damals bie Sphiur (f.b.), welche ben Thebauern ein Raͤth⸗ 
fat. aufgab und Jeden, der es nicht löſen konnte, tödtete. Dem Retter des Landes wurde daher 
der erledigte Thron und bie Hand ber Königin zugefagt. D. hörte ba, eilte herbei, löſte das 
Bäthfel, befreite fo das Rand vom dem Ungeheuer, erhielt ben Preis und arfüllte:hiermedz das 
Drakel. Mit feiner Mutter zeugte er num ben Eteokles unb Polyneikes, die Antigone und Y6- 
mene. Die Folge diefer unnatürlichen Verbindung war. eine Peſt, von ber das Drakel nur dann 
Befreiung verfprach, wenn Der entfernt werde, der den Fluch Über dab Band gebracht. D., au⸗ 
erorbentlich bemüht, diefen zu entbedien, erfuhr endlich vom Seher Iireſiat daß unglückliche 
Seheimniß. Jokaſte erhing fich, D. flach ſich beide Augen aus und verlangte, daß man:ihn ver- 
Rufe. Diefes that man aber erſt fpäter auf Berlangen ſeiner herrſchbegierlgen Söhne. - Etzürnt 
ſorach er den Fluch über fie aus, daß das Schwert ihr Erbe theilen ſolle. — — 












feine. beiden Töchter an ihn an. Nach langem Umherirren kam er endlich in Begle 
Antigone (ſ. b.) in den. Hain ber Cumeniden bei Kolonos in Attila, wo er von Theſeus be 
Ayügt und von den Emmwrnibden einem Orakel zufolge in ihrem Heiligthum ‚der Erde entrückt 
wurde. Seinem Grabe durfte Niemand nahen. Sein Tod mar der Tod Ber leibenden Unſchuld; 
Hit Bötter waren Ihm nun verſoͤhnt. Theben felbft nahm ihn wieder in Schuß. Diefer Mychus 
als tragifcher Stoff vielfach für die Bühne bearbeitet worden. Des Kfufus und Eurtpibes 
find verloren. gegangen; dagegen haben ſich des Sophokles Kbnig sand ‚Di. 
yus auf Kolonos” erhalten. Außerdem kam ber Mythus auch fonft bei den Tragikern noch vor, 
fa In den „Sieben gegen Theben” bes Aſchylos umd in den „Phoͤnizierinnen“s des Euripides. 
Das Grabmal des D. mit einem ihm geweihten Heroon wurde zu Athen gezeigt. Einzelne 
Beenen aus dem Leben bes D. finden fich oft auf Vaſen und Gemmen darge 
: Dboäcer, Beherrfcher von Italien von A76—493, ein Rugier von Geburt, trat nad) da- 
maliger Sit. e beuticher Jünglinge und, wle erzählt wird, durch eine Prophezeiung bes heil. Se⸗ 
verinus über feine künftige Größe aufgemuntert, in weſtröm. Kriegedienft, in welchem er ſich 
bald emporfhwang. Er war als Feldherr jenfeit der Wipen mit einem Kriege beſchäftigt, als er 
bie Nachricht erhielt, daß ein anderer Feldherr, der Mömer Oreſtes, den Kaiſer Zulius Nepos 
som Throne geftürgt und feinen eigenen Sohn Romulus Auguſtulus auf dieſen erhoben habe. 
Das aus beutfchen Söldnern, namentlich Herulern, Ruglern, Turcilingen und Skiren befte- 
bende Heer DE folgte bereitwillig feiner Auffoberung, nach Stalien zu ziehen umd dort eine 
Herrſchaft zu gründen. Oreſtes wurde in Pavia, das D. erſtürmte, gefangen und dann'in Pia- 
conza hingerichtet. Kurz darauf, im Aug. A76, entfagte befien Sohn, dem D. das Leben ſchenkte, 
In Ravenna der weftröm. Kaiſerwürde, die auf dieſe Weife, da D. fie nicht annahm, aufhörte. 
Zum König von feinem Heere ausgerufen, vom röm. Senat und bem byzantin. Kaifer Zeno, der 
bie Oberherrlichkeit über Italien beanſpruchte, unter dem Titel eines rom. Patricius anerkannt, 
herrſchte O. nun üder Italien mit Kraft und Weisheit. Die alte Gtaatseinrichtung blieb be- 
ftehen, namentlich auch die ſtädtiſche Verfaffung. Bei ber Anweifung des dritten Theils der 
Bändereien an feine Zruppen wurden befonders die größern Gutöbefiger getroffen, bie Meinern 
Colonen aber gefhont. Gegen die Räubereien der Vandalen ſchützte D. die Küften bes Landes, 
das neu aufblühte,- und obwol er ſelbſt Arianer war, erwies er fich duldſam gegen die rechtgläu- 
Bigen Italiener. Die Herrfchaft über Dalmatien fiel ihm zu, als Nepos 480 ſtarb, der dahin 
geflohen war und ungekränkt von D. den Kalfertitel fortgeführt hatte. Um das I. 487 befriegte 
er die Mugier, feine Landsleute, bie in dem Lande von Nieberöftreich, das nah ihnen Rugiland 
genannt wurde, wohnten. Er nahm ihren König Fava gefangen und- führte viele Rugier nad) 
Italien; ber größere Theil des Vdikes aber wendete ſich unter Friebrich, Fava's Sohn, oftlich zu 
ben Dftgothen, deren König Theoderkh (f.d.), von ihnen und ebenfo von dem byyantin. Kaifer 
Zeno aufgefodert, 488 ben-Zug gegen D. nad) Italien unterriahm. Am Iſonzo bei Aquilefa 
und zum zeiten mal bei Verona 489 gefchlagen, zog fih D., nadgdem-fein Feldherr Tufa 


ODonnili 868 

Wolland an die Oftgothen verr und Rem ihen bie There , nach Ravenna 
rũck während Theoderich in ws —* and fer * 
der abgefallen mar, mit einem neuen Heere ans aber der Werlaft der blutigen Schlacht au der 
Ada 11. Aug. 490 — ihn zur Ruckkehr nach Ravenna, wo Hin die Gochen mm drei Jahre 
lang belagerten. Endlich fibergab er bie Stabt dem Theoderich dutch einen Vergleich. Aber 
bald nach dem Einzug Theoderich's, im Dir; 493, wurde O. bei einem Gafmahle entweber 
durch Veoderich fett oder doch auf [feinen —— niedergehauen. Grin Sohn unb:wiele feiner 
länder oefüben ne each dem nur fein Beuber denulf, ber bie Berwaltinng ber Der 
D’Dornel ol ober D’Donel, eine alte Familie im Iuend, weicher bie frühere Landſchaft yw 
connel, die jepige Graͤfſchaft Donegal, gehörte. In einem fortgefegten Kampfe mit ben D Neals 
verlor bie Familie O’D. ihre Befigungen, erhielt Melden aber nach dem Sturze ihrer Feinde 
unter ber Königin Eliſabeth wieder zurück. Der Bruder des tapfern unb Bingen Hugh Re 
DD, Rory oder Noberid DO’D., wurde 1603 von Yatob-I. zum Baron von Donegäl und 
Srofen von Tyrconnel erhoben. «ls Jakob II. nach feiner Vertreibung vom engl. Throne we 

moftend Irland zu behaupten fuchte, flellten fi auch die D’D. unter die Fahne ber 
Stuarts und mußten darum nach der Sciach am Boynefluß faſt ſaͤmmtlich ihr Baterland ver⸗ 
laſſen. Sie machten ſich hierauf zum Theil in Oſtreich unter dem Namen ber Grafen von Tyr 
eonnel anſãſſig und gelangten zu hohen Staatswurden. Karl, Graf O D. von Tyresmwel, 
trat in kaiſerl Dienfle und erwarb fich 1746 in der Schlacht bei Piacenga den Grab eines 
Generals. Im I. 1756 Bämpfte er in Böhmen; nach der Schlacht bei Bobofis wurde er Yet» 
marfchallieutenant und in der Schlacht bei Kollin befehligte er Die Cavalerie. Er erhielt fobanz 
den Rang eines Gavaleriegenerald und betheillgte fich als ſolcher dei Hochkitch und bei Mapen. 
Rach der Verwundung Daun’s bei Torgau übernahm er ben Dberbefehl, aber nur, um das 
Heer nad) Böhmen zurüdzuführen. Weniger glüdfich war er in Sciefien, wo er 1761 ba 
Reichenbach geſchlagen und zur Übergabe von Shweldnitz gezwungen wurde. Im 3. 1764 
führte er den Oberbefehl in den Niederlanden und 1768 erhielt ex das Generalgouvernement 
von Siebenbürgen. Ex ftarb zu Wim 1770. — Franz, Graf OD., trat 1809 an die Epige 
der öfter. Finanzen, ftarb aber ſchon 1810. — Morig, Graf D’'D. von Tyreonnel, öfle. Küm- 
merer und Felbmarfehaffieutenant, war vermählt mit Chriſtine, Tochter des Yürfteri von Ligne 
und flarb 1. Der. 1845. Sein dltefter Sohn, Marimilian Karl Lamoral, Graf D'D. von 
Tyreounel, geb. 29. Dct. 1812, ift öflr. Dserft und Plügeladfutant des teiſere Franz Jofeph 
und machte ſich bei dem Atentat auf den Monarchen 18. Febr. 3855 durch Muth und Geiſtes⸗ 
gegenwart bemerklich. — Richt minder zeichneten ſich die D’D. aus, welche nach Spanien 
überfiebeiten. Joſ. Seine. D D., Graf von Abispal, trat in die fpan. Barden und wohnte 
dem Felbzuge von 1795 gegen die Franzofen bei. In dem fpan. Inſurrectionsſkriege gegen Na⸗ 
poleon flieg er zum General, erwarb ſich durch einen Sieg bei La Bispal den Grafentitel, wurde 
. aber in den J. 1810 ımd 1811 mehrmald geſchlagen und endlich im Streite mit den Gorted ge 
fangen eingezogen. Ferdinand VII. ernannte iin 1844 zum Generalcapitän von Andalufien 
und ni um Gouverneur von Gadir; 1819 aber erhielt er den Befehl überein nach den ſüd⸗ 
nien beſtimmtes Armeecorps. Ehe er ſich jedoch einſchiffte, brach bie Verſchwörung 
fee 80 Leon aus, die ex vergebens zu unterbrüdten fuchte. Der König übergab ihm hier- 
auf den Befehl über die in der Provinz Manche verſammelten Truppen, an deren Spige er 
fi) auf dem Zuge nach Galicien zu Decaña für die Eonflitution erklärte. Indeffen benahm er 
ſich al6bald fo zweideutig, daß Ihm die Conſtitutionellen wenig Zutrauen ſchenkten. Beim Ein- 
bruche der Franzoſen 1823 gewann er mit einem zur Unterflügung des Generals D’Daly ab⸗ 
gefchickten Korps dem Feinde einige Vortheile ab und fihernahm dann den Befehl über die Re 
fervearmee, Die Madrid deien-folte. Beil er ſedoch mit der röyatiftifchen Partei ia Unterhand- 
Iung trat, zwangen ihn feine eigenen Solbaten, das Commando nieberzulegen. Ex ſuchte nun 
nad) Frankreich zu entlonnmen, wurde aber zu Villareal von ben Gonflitutionellen gefaugen. 
Rachdem ihn die Franzofen wiedet befreit, * er nach Bordeaur, von ba nach Ainoges, vo er 
fi niederlief. Im 9. 1834 auf der Mäctehr nach Saanien begriffen, ftarb er zu Montpellier 
aus Entfepen über die Nachricht, daß der Karliſtenchef Sumala-Carregıy feinen Priegegefange- 
nen Sohn babe erſchießen laffen. Sein Bruder, Heinr. Kal O D., Ma 1850 als General» 
capitän von Altcaflilten. — Leopold OD. ber zweite Sohn bes Grafen von Abispal, — 
fei 1855 9 gegen Bon Earios und erwarb ſich den Sad eine? ee” As Anhän 


3 | | Qbvſſene 


ger ber: Ränigin-Regentin Maria Ehrifing leiſtete ex derſelben im Det. 1840 bei Nieberlegung 
der Regentfchaft zu Valencia große Dienfte. Er lebte hierauf kurze Zeit in Frankreich, ging 
Bann nach. Bübao und verfuchte im Det. 1841 zu Gunſten dex Erregentin zu Pamyeluna einen 
Aufftand, ben Icboch fein Wetter vereitelte. Er floh mac Frankreich, Lehrte. aber 1845 nad 
Spanien zurüd, um den Begenten rtero ſtũrzen zubelfen. Die Regierung ſchickte ihn hier 
auf alt Beneralcapitän nach ber. Inſel Cuba, von wo er aber, da er dem Sklavenhandel zu 
fteuern achte, 1848 abberufen wurde. — Karl, Graf D'D,, ber Sohn des 1830 geflorbenen 
Generalcapitãns von Aitcaftilien, biente früher ale Oberſt unter ben royaliſtiſchen Freiwilligen, 
erfämpfte fich in ber Armee der Regentin Maria Ehriflinaben Brad eines Generals und befeh⸗ 
ligte fogar einige Zeit die Britiſche Legion. Dem Negenten Espartero ergeben, vereitelte er 1841 
ben Aufftand ber Chriſtinos zu Pampeluna und ging nach dem Sturze bed Regenten mit bem- 
jeben nach England. —. Das jegige Haupt: ber Familie D’E. in Irland ift Str Richard 
ey D’D., Baronet von Rewporthoufe, ber feine Würben 1828 von feinem Bruder erbte. 
Odyſſens, bei den Römern Nfyffes ober richtiger Ulixes, der Sohn des Laërtes und ber 
der Zorhter bes Autolykos Bruder der Ktimene; Gemahl der Penelope (ſ. d.), Vater 
des Telemachos (ſ.d.) und König von Ithaka, zeigte ſich ſchon in feiner Jugend als muthigen 
Reiſenden und gewandten Unterhändler. Auf einem Befuche bei feinem Großvater Autolykos 
erhielt er auf ber Jagd eine Wunde am Knie, an deren Narbe ihn fpäter feine Amme wieber- 
ertannte. In Meffene, wohin ihn einft ſein Vater geſchickt hatte, um Vergeltung zu fobern, 
weil Meffenier Schafe von Ithaka geraubt Hatten, traf er mit Iphitos zufammen, der ihm jenen 
berühmten Bogen bed Curytos ſchenkte, den die Freier nicht zu fpannen vermochten. Zum Buge 
gegen Ilios vermochte ihn Agamemnon nur mit Mühe zu überreden. Gr verfuchte vorher bie 
Auslieferung ber. Helena (ſ. d.) und ihrer Gchäge in Güte zu bewerkftelligen und reifte deshalb 
wach. Ilios; allein vergebene. Nach ber fpätern Sage war. es vorzüglich Palımedes-(f.b.), ber 
pH gur Theilnahme am Zuge nöthigte. Er nahm nun mit zwolf Schiffen daran Theil und 
rte bie Kephallenier gegen Ilios. Hier zeigte ex ſich als tapfern Streiter, vorzüglich aber alt 
gewanbten, beredten und ſchlauen Kundfchafter und Unterhänbler. Auch übernahm er das Ge 
ſchaͤſt ber Ausföhnung zwiſchen Agamemnon und Achilles und verfchaffte fich nach des Legtern 
Tode durch feine Beredtſamkeit deſſen Waffen weshalb. Ajar (f. d.) fein Feind wurde. Des⸗ 
gleichen befand er ſich mit in dem hölzernen Roſſe und eilte nach Eröffnung deſſelben mit Mene⸗ 
laos zuerſt in die Wohnung bes Deipbobos, wo er in ſchrecklichem Kampfe fiegte. Merkwür 
diger noch wurde er nach dem Falle von Ilios durch feine gehnjährigen Irrfahrten, die Home 
(f.d.) in der „Odyffee” ausführlich befchreibt. Zuerſt wurde er nach Ismaros, ber Stadt bei 
Kitonen, nördlich über Lemnos, verfchlagen, wo er 72 Gefährten verlor. Hierauf kam er zu 
den Lotophagen an ber libyfchen Küfte, dann an die Küften der Cyklopen (Weſtküſte von Sici- 
lien), wo Polyphem (ſ. d.) ſechs feiner Gefährten vergehrte und ihm baffelbe Geſchick bevor- 
ftand, wenn er jenen nicht beraufcht und im Schlafe feines einzigen Auges beraubt hätte, wes⸗ 
yıb ihn nun Pofeidon, der Vater des Polyphem, verfolgte. Von ba gelangte er zur Infel des 
lus (an der füblichen Spige Sicilins), dann zu ben menfchenfreffenden Läſtrygonen (an ber 
nordweftlichen Küfte Siciliens), benen er nur mit einem einzigen Schiffe entkam. Dierauf führte 
ihn fein Gefchic zur Infel der Zauberin Eirce (f.d.), die ihn endlich entließ und ihm auftrug, 
in das Reich des Hades hinabzufteigen, um dert den Tireſias zu befragen, wie er in feine & 
mat zurüdtehren könne. Diefes that er, kehrte dann zur Girce zurück, fegelte von biefer zur In⸗ 
fel der Sirenen und gerieth dann zwiſchen die Scylla und Charybdis, mo er wiederum ſechs 
Gefährten verlor. Hierauf landete er an der Infel des Helios Trinakria, wo feine Gefährten, 
während er fchlief, aus Hunger Stiere von ber Heerde des Bottes fchlachteten. Dafür wurde 
fein Schiff auf der Weiterreife von Zeus durch einen Bligſtrahl zerfchmettert und alle Gefähr- 
ten wurben getödtet. Ganz allein kam D. auf einigen Trümmern feines Schiffs auf der Infel 
Dgygia an, wo ihn die Nymphe Kalypfo (ſ. d.) gut aufnahm und acht Jahre bei ſich behielt. 
Hier baute er fi ein Floß und fuhr auf biefem fort. Aber Pofeidon fendete Sturm, in Folge 
beffen die Bellen ihn davon herabfchleuderten. Schwimmend erreichte er das Ufer des Phän- 
kenlandes. Hier teaf ihn bie Nauſikaa (ſ. d.), von der er zu ihrem Vater Alkinoos geführt wurde, 
ber ihn gaftlich aufnahm und reichlich befchenkt in die Heimat fendete. Im Schiffe feſt einge 
ſchlummert, gelangte er endlich des Nachts in Ithaka nach einer zwanziglährigen Abwefenheit 
wieber an, wo er bie Penelope, bie ihm treu geblieben war, umd feinen Sohn Telemachos wieder 
antraf. Die Freier, welche ſich um die Hand ſeiner Gattin beworben und ſich ſchamlos aufge⸗ 
führt hatten, tödtete er. In Bezug auf feine ſpätere Lebenszeit erzählt Homer nur die Weiffa⸗ 





Oell de boeuf | Dfen (der) 357 


gung des Tireſias, nad) der ihm ein fanfter Teod in behaglichem Alter bevorfland. Nach einer 
fpätern Sage wurde er von feinem mit der Eirce gegeugten Sohn Telegonos, der nach Ithaka 
verfchlagen wurde, getöbtet. Homer fiellt den D. als gewanbten und erfindungsreichen Dann 
und fühn ausharrenden Dulder bar, während er bei Spätern als falfcher, raͤnkevoller und fei- 
ger Mann erfcheint. | 

Beil de boeuf (franz., d. i. Ochfenauge) heißt in der Architektur jene eine runde oder ovale 
Offnung in dem Fries oder den Dächern großer Gebäͤude, welche zur nothdürftigen Beleuchtung 
fonft dunfler Räume dient und ihren Urfprung in bee Zopfarchitektur findet. 

Dfalia (Don Rarcifo de Heredia, Graf von), fpan. Minifter, geb. 1777 aus einer alten 
Samilie in Almeria, ftudirte zu Granada und wurde bier Doctor und Profeffor beider Rechte. 
König Karl IV. ſchickte ihn 1800 als Legationsfecretär nach den Vereinigten Staaten. Nach 
feiner Rücktehr 1805 heirathete er eine frühere Beliebte, die Tochter des Generals Cerviñio, die 
man gezwungen hatte, Ronne zu werden, und lud dadurch den Haß der Geiftlichkeit auf fich, 
Er wurde nun Bureauchef im Minifterium des Auswärtigen; doch unter der Regierung Joſeph 
Rapoleon’s 208 er fich nach Almeria zurück. Nach ber Rückkehr Ferdinand's VII. wurde er nur 
zu einzelnen Gefchäften verwendet. Während der conftitutionellen Epoche lebte er abermals in 
der Zurückgezogenheit und verheirathete fi) nach dem Tode feiner erſten Gemahlin mit der 
Schweſter des Marquis be la Torrecilla, die ihm Vermögen unb den Titel eines Grafen von 
Ofalia mitbrachte. Nach der Herftellung der abfoluten Gewalt 1823 ernannte ihn der König 
zum Juſtizminiſter, 1824 zum Minifter des. Auswärtigen. Durch feine Bemühungen für ein- 
gemäßigtes Syſtem zog er ſich gänzlich den Haß ber apoftolifchen Partei zu. Des Liberalismus 
verdächtig, wurde er plöglich abgefegt, 1827 aber zum auferorbentlichen Sefandten in London 
ernannt. Gegen Ende 1828 als Botfchafter nach Paris verfegt, trug er hier viel zur Erleichte- 
rung der ausgewanderten Spanier bei. Unter Sea Bermudez übernahm er gegen Ende 1832 
das Minifterium des Innern. Daſſelbe bekleidete er bis zum Tode Ferdinand's VIL., ber ihn 
auch zum Teſtamentsvollſtrecker und Mitgliebe des Regentſchaftsraths ernannt hatte. Als 
Mitglied der Proceresfammer flimmte er für die Ausſchließung des Don Carlos von ber Thron⸗ 
folge; übrigens lebte er in der Zurückgezogenheit, bis er im Dec. 1837 als Präfident des Minis 
ſterraths und Minifter des Auswärtigen an bie Spise ber Regierung trat. Er benahm fich mit 
Auger Maͤßigung; allein die ultraliberale Oppofition, der Einfluß bes engl. Gefandten und 
Espartere’s, ſowie bie glüdlichen Operationen der Karliften nöthigten ihn, 1838 feine Entlaf 
fung zu nehmen. Geine Rechtlichkeit war über allen Zweifel erhaben. Gr flarb 1843. 

D’Farrill (Don Gonzalo), ein ausgezeichneter fpan. Krieger und Staatömann, geb. zu 
Havaia 1753, aus einer daſelbſt angefiebelten irländ. Bamilie, erhielt feine Bildung in Frank» 
reich und trat 1766 in fpan. Kriegsdienfte. Er machte die Belagerungen von Mahon und Gi⸗ 
braltar mit, wurbe 1780 zur weitern Ausbildung von der Regierung nach Paris und Berlin 
gefendet und hierauf an bie Spige der Militärakademie zu Yuerto-de-Sta.-Maria bei Cadixr ge 
fielt. In ben J. 1793 und 1794 focht er gegen die Franzoſen in den weftlichen Pyrenäen und 
1795 leitete er als Generalquartiermeifter den Feldzug des Heeres von Catalonien. Nach dem 
Bafeler Frieden übertrug ihm Karl IV. die Grenzberichtigung in den Pyrenäen und ernannte 
ihn 1798 zum Seneralinfpector der Infanterie. Im J. 1808 wurde er von Kerdinand VII. zum 
Beneralbirector der Artillerie und zum Kriegsminifter ernannt. Er rieth damals dem Könige, 
Rapoleon’s Schug in Bayonne zu ſuchen. Als Mitglied der unter dem Infanten Don Anto⸗ 
nio niedergelegten oberftien Regierungsiunta bewies er fich als muthvollen Vertheidiger der 
Rechte feines Souveräns gegen Murat's Drohungen. Bei bem Aufftande zu Madrid 2. Mai 
that er dem Blutvergießen Einhalt. Als nach ber Abreife Don Antonio's Murat Sig und 
Stimme in der Junta verlangte, nahm er feine Entlaffung. Unter Joſeph Napoleon Wurde 
D'F. wieder Kriegsminifter, mas ihn jedoch nicht abhielt, an der kühnen Denkfchrift an Napo⸗ 
leon (im Aug. 1808) Theil zu nehmen. Nach ber Rückkehr Ferdinand's VII. auf ben fpan. 
Thron erklärte ſich D’F. über die Beweggründe feines Verhaltens auf eine ebenfo edle als be 
friedigende Art. Allein der König ließ den durch 5Ojährige Dienflzeit um den Staat —2 
verdienten Mann als Joſefino zum Tode verurtheilen und feine Güter einziehen. OF. fand 
nebft feinem Freunde Azanza ein Aſyl in Frankreich, wo er mit biefem das „Me&moire de Don 
Miguel Azanza et de Don Gonzalo O’F. et expos& des faits qui justißent leur conduite poli- 
lique depuis mars 1808 jusqu’en avril 1844” herausgab, welches ein wichtiger Beitrag zur 

dichte der fpan. Revolution ift. Im der Verbannung farb er zu Paris 19. Juli 1851. 
fen nennt man im Allgemeinen jeden eingefchloffenen Raum, welcher dazu beſtimmt If, 


ws ee I Bra: Ofen (Stadt) 1 — 


Zn igm, darch Verbreunuug Kärme zu entwickan und In zweckmaͤßiger Weiſe auf zu erwär⸗ 
ende Körper. zu ůbertragen. Haudelt 26 ſich um bie Erwärmung ober Exhigung feſter Körper, 
ba merien dieſe ins Anere des Dfend gebracht, encweder birect zwiſchen das Brennmatiriuf, 
auch wol auf rinen von deſſen Flamme beftrichenen herdförmigen Raum; oder in Gefäßen 
(Tiegeln) wie bei den Schmelz: und Blühöfen. Waſſer und andere Flüſſigkeiten erwärmt mau 
in Keſſeln, welche in ben Afenraum eingehüngt ober eingelegt werden, Seflelüfen. Bum Kochen 
has Gpeilen hat man Mochöfen, wo Die Gefäße auf eine vom Feuer echipte Eifenplartte g 
oder in Öffnungen derſelben eingeſenkt, folglich divect bem Feuer dargeboten werden. Die Er» 
wärmung ber Luft in mehr oder mertiger großen Räumen gefchieht entweber fe, daß man den 
Dfen Innerhalb eines. ſolchen Raums felbft aufſtellt (Btubendfen), ober auf bie Weiſe, daß 
man die mittels des Dfens im einer. Beinen. Heizla eswärnte Luft durch Kanäle nad ven 
bewohnsen Räumlichleiten leitet (Luftheizangdöfen). Die Stubenöfen müffeh, wein fie ihren 
Zweck erfüllen follen, darauf hin conftruist ſein, dad Heizmaterial fo ſchnell alB möglich zu ver⸗ 
brennen, dan durch die Verbrermung erzeugten Rauch möglichſt abgebühlt in beit Rauchfang zu 
führen und dem Zimmer felbft eine nach Verhältniß möglichft große Ausſtrahlangefläche der an 
die Dfenwänbe abgegebenen Wärme darzubieten. Dom Material nach find bie Ofen -untweber 
ne oder fleinerne oder Kachelöfen. Ihrer Conſtruttion nach find ‚bei weitem die meiſten 
fen Kaſtenöfen, bie Ältefte Art, und. Zugbfen. Deſondere Arten ber Bugöfen iind ber ſchwe⸗ 
bifche, bei welchem eine Euftfchicht aus dem Zimmer durch ben: Kaften geleitet, dort erwärmt 
wird md dann wieder ind immer tritt, und ber zuffißche, welcher. ſich darrch feine große Anzahl 
von Zügen, und. feinen Verſchluß auszeichnet. : Wie Yüllöfen werben am Meorgen mit Brenn- 
material gefüllt und verzehren da ohne weitere Aufſicht nach und nach ; fie ſtad pait einer 
Bomichtung zum Reguliven ber Verbrennung verfehen arıb heizen vorttefflich. Den ra 
zu den Kechöfen bilden die coefifhen Dfen, in weichen die zum Heizen bes Sinunses erfober 
iche Warme zugleich zum-Kodhen der Speiſen beugt wich. Zu den Ofen für texhwifdge givece, 
hei denen das Hauer befpnders. geleitet wierken muß gehören hauptſächlich die Ofen zur Gewin ·⸗ 
uung. ber Metalle aus ihren Erzen und zur Schmeigung deu Metalle feihft, mäzilich bie Hoh ⸗ 
ohend.d.); die Flammofen ober Meverberidfen, bie fo conſtruirt ſind daß bas zu ſchmelzende 
ober reducirende Erz oder Metall nicht unmittelbar mit: dem euer in Berſthrung keramt, ſon⸗ 
gr nuz der Einwirkung der Flamme auögefegt tft; und bie Befäßbfen, d. 5. Diejenigen 
fen, in welchen befonbere, aus feuerfeften Thon ober Gußeifen gefertigte Gefäße, Tegel, Re 
torten und Röhren durch Kohle oder anderes Brennmaterial erhigt umd darin enthaltene Stoffe 
geihmolzen, calcinirt oder fonftigen techniſchen und chemiſchen Operationen unterworfen wer 
den, Dabin gehören 3. B. die Gußftahlöfen, Meffingöfen, BlaBöfen, Emailiiröfen, Gementir 
ofen, Zinköfen u. |.w. Die Eupoföfen, die hauptfächlich zum Umſchmelzen bed Robeifens für 
beffere Gußſtücke dienen, find eigentlich audy Hohöfen, unterfcheiden ſich aber von dieſen dadurch, 
daß fie freiftehend von Bußeifenplatten zufannnengefegt und innen außgemawert find. 

. ofen, ungar. Bude, die Hauptſtadt des Königreich6 Ungarn, im peſther Eomitat am linken 
Monauufer, Yefth (f. d.) gegenüber gelegen, beftcht aus ber Feſtung oder mern Stadt, fünf 
Vorſtädten (Mafferftadt, Landſtraße, Reuftift, Chriſtinenſtadt, Taban ober Raizenſtadt) und 
dem 1850 einverleibten Marktflecken Altofen. ‘Der Haupttheil iſt die Feſtung, die frühere Ne 
ſidenz der ungar. Könige, auf einem felfigen Berge 192 3. über der Donau gelegen, Bis 1849 
batte fie faft ganz die Geftalt, in der fie 1686 den Türken ducch Karl von Rothringen entriffen 
wurde. Bei der Belagerung von 1849.litten die Mauern und. Bafleien bebeuten® ; auch wurde 
nach der Einnahnıe auf Befehl der revolutivnärer Regierung bereits wit ber sölligen Schlei⸗ 
fung begonnen. Die öfte. Regierung fuchte jedoch fpäter die Werbe wirberherguftellen. Die 
Seftung iſt regelmäßig gebaut, hat reinliche Strafen umd enthält ausgezeichnet fehöne Paläfle 
Das koͤnigl. Schloß, von Karl VI. erbaut, bildet gegen die Donau eine 94 Klafter lange Fronte, 
enthalt die Hoflirche (den Aufbewahrungsort ber Reichskteinobien), eine Gemäldefammlung 
und Bibliothek, ſowie einen ſchönen Barten und ifl-feit dem Brande von 1849 wieder in feiner 
frühern Geſtalt Hergeftellt morben. In der Feſtung ſind fonft noch zu nenwen: das Zeughaus, 
die Paläfte ber Grafen Sander und Teleki, bie Statthalterei-, Kameral« und Kriegsrarhe- 
gebaude, die Sternwarte und Buchdruderei der peſther Umiverficät, das 1851 zur Erinnerung 
an die legte Belagerung Ofens errichtete Denkmal. Die Chriftinenftabt liegt in einem anmu⸗ 
thigen Thale Hinter ber Feſtung und hat einfache, aber nette Bebäube, barımter namentlich das 
Im Horvath'ſchen Garten ‚gelegene Sommertheater. Die andern vier Berftäbte liegen an bee 
Donau. Die bebeutendfte derſelben ift die Raizenſtadt, die namentlich feit bem Brande von 





Offenbach ¶ Dffenbarung — 


1844 im ußern viel ‚gewonnen hat: ‚Größer und volkreicher als dieſe fünf ältern Vorſtäbte iſt 
ber frühere Marktfieden Altofen, das rönı.Acincum oder Aquincum, von melden noch ein 
od, Spuren bes Amphithenters und zahlreiche Sufcpriftenfteine erhalten find: Bemertensrverth 
find bier namentlich bie große, breite und, mit fhönen Gebäuden werfehene Dauptftraße,, die 
kath. und ref. Kirche, Das Kameralgebäude, bie königl. Monturanſtalt mit einem Gaftell und 
einer Roferne, das fechöftöctige, früher als Seidenfabrit benupte Lönigl. Gaftell, das jegt zur 
Keferne umgefaltete Rfofier ell, die Synagoge, die ſchönſie im ganzen Bftr-Raiferftante, 
bie Schifföwerfte, auf welcher bie Schiffe, der Donaubanıpfihiffahrtögefellfchaft gebaut 

und ſtett an 5—600 Arbeiter beichäftigt werden. Die Bevölterung betrug 1850 ohne 
rende und Solbaten in D. 534895, in Altofen 10760, aufammen 45653 Seelen. Der Natior 
nalitãt nad) iſt das deutſche, der Eonfeffion nach das röm.-Lath, Element vorherefchend; doch 
——— 3343. Juden und auch O. hat eine geringe Zahl von Reformirten, Griechen und 
. Die Einmohnerföpaft der Sefkung beficht aus Beamten; bie ber fünf Ale 
sen Vorſtãdte nährt fih vom Handwerk, eld- und befonders Weinbau, daD. in einem 
von Weinbergen umfcloffen if, Die ein ſehr gutes Grzeugniß liefern. In Zuefen 
vied ausgedehnter Handel und der ſeanbau betrieben. Un Unterrichtsanflaften zählt D 
ein kath. Hauptgymnafium und zwölf Elementarſchulen. Die Bahl der & nſtel 
tes {ft bedeutend. D, befigt fünf unter denen das Balgenbab in ber Maigenftabt, 
das Königsbad am Vordende ber‘ ſerſtadt und das zwiſchen dieſer und Altofen gelegene Rab 
ferbab zahlreich befucht find. Leptereh war ſchon sub (Aquse calidae superiores) be 
kannt und beiden Türken fehr beliebt, bie Hier eine Moſchee gegrünbet Hatten, zu der man ſelbſi 
aus Perfien Wallfahrten unternahm. Mit dem gegenüberliegenden Pefth ift D. feit einigen 
Jahren durch eine große Kettenbrüdte verbunden. Am Fuße derfelben wird feit 1852 durch den 
Beltungsberg ein Zumnel gebaut, ber, von ber Brüde aus direet in bie Feſtung führen fol. D, 
entftand aus einer Colonie der, Römer und war dann Attila's und Arpaͤd's Sig. Die erfien 
‚ar, Könige reſidirten jedoch abwechfelnd in Stuhlweißenburg und Vifegräd. Erſt Ludwig. 
weht 1351 das Schloß zu feinem beftändigen Yufenshalte, das Matthias Corvinus neu erbaute 
und deffen hier aufgeftellte berühmte Biblio het 1526 bei der türf. Eroberung vernichtet murbe. 
Während 3. trafen bad Schloß 20 Belag: en, und feit 1541 war es 145.8. in den 
Händen ber Türken, denen es Karl von Lothringen 1686 entrif. Seitdem hatte die Beftung erſt 
1849 wieber a Angriff zu beftehen. ‚Nachdem Görgei 4. Mai die Befhiefung der 
von it mit 5000 Mann befepten Beflung begonnen, aber bald wieder eingeftellt hatte, machte 
er 16, 19. und 20. Mai ernfiliche Angriffe, die-aber tapfer abgeſchlagen wurben, Erſt durch 
den Sturm in der Nacht vom 20,—21. Mai fiel bie Beftung in die Hände der Ungarn, nachdem 
öftreichifcherfeits außer dem General Henpi.1400 Offiziere und ‚Soldaten geblieben waren 
Rach den Abzug der revolutionären ungar. Regierung wurde 11: Zuli bie Feſtung durch bie 
Nuffen ohne Miderfand befegt und dann den feiern übergeben. Vgl. Nemedy, „Die Ber 

Tagerungen der Feſtung D. in den J. 1686 und 1849” (Peſth 1855). 

Offenbach, Handels und Fabrikftadt am füdlichen Ufer des Main, über welchen hier, eine 
Schiffbrüde führt, in der Standesherrfchaft bed Bürften von Sfenburg-Birftein-gelegen, früher 
die Hauptftadt der ifenburg. Rande, jept ur großherzoglich heff. Proving Starfenburg gehörig 
und Winterzefibenz bes Kürften von Ifenburg-Birftein, ber im Sommer in Birftein wohnt, ft 
größtentheils {bon gebaut, hat bier Kirchen, eine Synagoge, ein fürftliches Palais, ſowie Nefte 
eined,ältern Schlofjes und 13000 €, D. ift der fte Fabrikort bes Großherzogthums und 
bat lebhaften Handel, der durch die Nähe von Frı t, mit welchem es durch, eine Cifenbahn 
verbunden wird, bedeutenden Zufluß erhäft. Man findet hier Manufacturen in Düten, Seiben- 
deug, Leinen und Baumiollenwaaren, Wachslichtern, Wachẽ tuch, Spielkarten, Dofen, Regen« 
und Sonnenfdirmen, ladirten Blech waaten / Biſouterieſachen u. [- w-; berühmt find indbefon- 
dere die biefigen Buchbinderarbeiten, Pfefferkuchen und-die Kutſchenfabriken z 

Dffenbarung (revelatio), beielönst in ber Theologie überhaupt die Zhätigkeit Gotted, 
durch welche er den Menſchen Kunde gegeben hat von Dingen, bie ihnen verborgen oder doch 
umbefannt taten und die fie durch eigene Geiftesthätigkeit aud nicht hätten finden Pönnen, 
Wat geoffenbart worden ift, find.theile.Rehren und Wahrheiten, theile Vorichriften, oder Er 
öffnungen über die Mittel, Gott zu verehren und ihmwohlgugefallen, oder Enthüllungen ber 
verborgenen Ratbfchlüffe Gottes über die Zukunft (Prophetien und Drake). Die ganze Alte 
Welt glaubte, wenn aud) in ſeht berfciedenem Sinne, an che —— Beet 
hielt nicht nut die Religiongftifter und die Seher der Bulunft für angehaucht von der Gotthei 





[1 ginn 73 Dffenbarung 
Me J die Wellen, Künftter und Dichter. Wa 
** hal ee Alte Belt fi Gott — alt 
Fintich den Menfejen erfeßeinend mb in menfhlicher Mebe fprechend, bald: als bat zu Df- 
ferbarende dem menſchlichen Geiſte in Gefichten, Bildern, Träumen’ zur Beſchauung 
vorhaltend, bald aber Sie man auch die Tätigkeit Gottes für ein ummittelbares Ein 
fied in den m ven Geift, und ber Empfänger der 
Sarımg follte dieſe Einwirkung in der Seeie fetbft empfinden. Man nannte dies Inſpita- 
An (f. d.), und dieſe Begriffe Eennt auch das‘ Wite Teflament. Solche Offenbarungen Got · 
908 fürieben die Cpriften den Patriarchen, Moſes ben Prophetin, Epriflus, den Apofteln 
und Evangeliften zu. Da die Bibel, welche diefe Offenbartingen enthält, ſelbſt als ein Bert 
icher Infpieation betrachtet wurde, fo nannte man auch oft Die Heilige Schrift ſelbſt die Df · 
. Die Alte Welt zog diefe Vorſtellung nicht in wiſſenſchaftũche Unterfuchung, und 
auch die protefl. Theologen begnügten fich anfangs damit, die Infpiration ber Biber als 
Batung anzufehen. Die Kirche behielt daher von jeher jenen Bi von Offenbarung bei und 
Begeidgnete ihn mit den Ausbrüden droxndAußg und während fie die Plutalformen 
bieſer jet flir die fortwãhrenden, wahren ober falſe Ibarungen anwandte. Die Gno · 
fitfer und Platontker der alten Kirche faßten dagegen ben Begriff wieder in verſchledenem Sinne 
aufs Bälentin nannte ben Menſchen, Marcion Sekım eine Offenbarung, während Dionyfius 
Urtopagita fie als eine Einwirkung ober Einftrahlung bes göttlichen Lithts auf die Welt er- 
Märte, durch welche dieſe allein beftehen und fi entiwideln fünne. Jenet kirchliche Begriff, wel ⸗ 
die Offenbarung als eine ummittelbare und übernatürtiche Bekanntmachimng Goties an bie 
iſchen erklärte (revelatio immediate), bie in den göttlichen Eintoirfungen auf gewiſſe Men- 
ſchen al6 Lehrer oder Schriftſteller zu ſuchen fei, iſt auch in dle Symbole der enang.-protefl. und 
kath. Kirche übergegangen, doch ohne ihn ausbrüdtich gu beftimmen. Erft mit dein Auftreten 
bed Deia mus und der mit bemfelben vermambten Lode’fhen Phüofophie, zu Ende des 17. und 

Unfange des 18. Jahr., fing man an, frriere Erörterungen Über bie Offenbarung aufzuftel- 

namentlich die unmittelbare Eimotrfinig Sottes zu beftreiten und die Außern Beweife der 

ibarung, nämlich. Wunder und Weiſſagungen, entmeber gatiz zu beriverfen ober doch ihre 
Seweiskraft zu leugnen. Nicht minder große e in biefer Lehre machte dann bie Kant ſche 
Philoſophie, und eine wiſſenſchaftliche der gangen Theorie von Offenbarung wurbe 
awecft angeregt durch Fichie s Verſuch einer Kritik aller fendarung" (Königsb. 1792). 

As Refultat der wiſfenſchaftlichen Unterſuchung Tann man Folgendes anfehen. Dffenba- 
rung im Allgemeinen ift jede Kundgebung Gottes über fi) felbft und göttliche Dinge an den 
menfchlichen Geiſt. Der Form nach Eann fie mittelbar und unnittelbar gedacht werden. Diefe 
Ausdrüde waren ſchon in der Ariftotelifchen Schulſprache und bei den Scholaſtikern gebräuch- 
fich, und ſtets wurden fie auf das Außere und Unmittelbare der göttlichen Wirffamteit bezogen ; 
Im ber neuern Theologie dagegen faßte mar fie in einem. oft fehr verſchiedenen Sinne auf. Im 
17. Jahrh. bedeutet mittelbare Dffenbarung eine ſolche Offenbarung, welche entweder durch 
einen göttlichen Geſandien an die Menfchen ober von einem erften Verkündiger allmälig durch 
Schrift und Tradition auf die Rachwelt gefommen fel, unmittelbare Offenbarung aber die Gb 
ftafen und Infpirationen ſchwaͤrmeriſcher Sekten. In diefem Sinne leugnete man damals eine 
unmittelbare Offenbarung überhaupt ganz ab. Seit der Mitte des 18. Jahr. faßte man die 
mittelbare Offenbarung als eine Mittheilung Gottes durch die Vernunft, Lehre und bie Lebens · 
geföier, wãhtend man bie unmittelbare Offenbarung nach der fichfichen Vorftellung erflärte. 

och fpäter nannte man die Dffenbarung, bei welcher nichts Manifeftirendes zwiſchen Bott und 
dem menſchlichen Geiſte ſtehe, Die unmittelbare, die aber, bei welcher dies der. Fali fei, bie mittel 
bare Offenbarung, während wieder Andere die unmittelbare Offenbarung nur als einen Re- 
fleionebegriff bezeichnen wollten, dem entweder die objective Realität ganz fehlen oder von dem 
Beugniffe des Empfängers abhängen follte. In der neueften Theologie Heißt bie Offenbarung 
mittelbar, wenn fie sehgient durch Thatſachen und vorgehaltene Anfhauungen, die den menſch · 
lichen Geift — — ött zu ſuchen mit der Vernunft, und die ihm behülflich find, Gott zu fine 
den und feinen Willen zu verfichen. Die unmittelbare Offenbarung ift die Offenbarung im 
lirchlichen Sinne, wenn fie durch eine unvermittelte Einwirkung Gottes auf den menfhlichen 
Seiſt geſchieht, um ihn zu erfeuchten. Man unterfcheidet auch allgemeine und individuelle Ofe 
fenbarung. Die allgemeine Offenbarung if biefenige Kundgebung Gottes über fih, welche 
Bundy bie Natur der Bee, alfo durch Die Säkpfung, Erhaltung und Regierung derfelben oder 
durch die Vorſehumg und durch dad Wefen und die Befege des vernünftigen Menfchengeiftes 


Offenbarung des Johannes Dffenburg 381 


ſelbſt geſchleht. Im ber Schöpfung der Welt und des Menfchen Hat nämlich Bott feinen Ge 
banfen außer fi) Realität gegeben: Diefe Offenbarung iſt die erſte und allgemeinfte; fie iſt aber 
auch in dem Maße wachfend und fortfchreitend, in welchem theils die Erkenntniß bes Weltalls 
waͤchſt, theils die Welt felbft in ihrer Entwickelung zum Plane des Schöpfers weiter fortfchrei- 
tet: und fo unferm nachdenkenden Beifte die Gedanken des Schöpfers immer weiter enthüllt. 
Man bat biefe allgemeine Offenbarung Raturoffenbarung und ihre Anhänger Raturaliften ge 
nannt. Der Begriff fam fchon durch Röm. 1, 19 fg. in die Kirche, die ſelbſt die Ideen der Ber 
numft und bie Refultate derfelben ale göttliche Offenbarung an die Menſchen bezeichnete. Die 
Bath. Kirche fand in biefer Anficht nichts Unkirchliches, während fie von ben orthoboren Thee- 
bogen ber proteft. Kirche noch im Ablaufe des 18. Jahrh. als rationaliftifch und alfo auch als 
unlicchlich verworfen wurde. Die individuelle Offenbarung ift diefenige, welche von Bott an 
ben Geiſt einzelner Männer fam und fie zu Lehrern ihrer Zeitgenoffen und der Nachwelt 
machte. Sie gehört alfe in die Reihe gefchichtlicher Thatfachen. Als eine Abart der individuel» 
len Offenbarung erfcheint die unter Myſtikern berrfchende Anſicht von einer ſtets möglichen 
Wirkung Gottes auf bie Seele der Menfchen. Diefer Anficht nahe fleht bie in ber kath. Kirche 
herrſchende Meinung, daß eine flet unmittelbare Offenbarumg in ihr als wirklich gebacht und 
angenommen wird. Die Wahrheit der individuellen Offenbarung glaubte man befonders in 
Wundern und Weiſſagungen zu finden, die jedoch darum Feinen volllommenen Beweis bilden, 
weil bie dabei flattfindende Vorausfegung, baf fie nothwendig von Bott gewirkt felen, nicht evi⸗ 
dent zu erweifen ift, worauf auch bie Schrift hinweiſt. Vielmehr muß fich die individuelle Offen 
barung Hauptfächlich durch ihre innere Wahrheit und ihre wohlchätigen Wirkungen als göttlich 
ermweilen. Da fich auch die individuelle Offenbarung nach dem Auffaffungsvermögen ihres Zeit 
alter& und befien Welterfenntniß richten muß, fo wird fie, ebenfo wie die allgemeine, eine fort 
ſchreitende und fich weiter bildende fein. Das Dafein individueller Offenbarung zeigt der Um 
ftand, baf ber religiöfe Fortſchritt hHaupefächlich durch einzelne ausgezeichnete Geifter geſchehen 
ift, welche Die Lehrer ihrer Zeit und der Nachwelt wurden. Wir konnen aber nur Diejenigen al 
von Gott erkeuchtete Boten anfehen, in deren Dffenbarungen Wahrheit, Zweckmäßigkeit und 
Sortfchrist zum Vollkommenen vorhanden find. den neuern theologifhen Syftemen ift bie 
Dffenbarung überhaupt auch als höhere veligiöfe Überzeugung bezeichnet worden, und zwar [4 
daß als göttliche Offenbarung ausgegeben wird, was aus ben Ideen ber Bernunft und der Tiefe 
des Gemüths hervorgehe, oder die Begeifterung für das Göttliche und Höhere wird als Kraft 
und Wirkung Gottes in dem Menfchen dargeftellt. Dagegen fafien die Theologen aus ber 
Schule von Schelling und Hegel die Offenbarung in ganz gleicher Bebeutung mit ben Aus⸗ 
drüden Erlöfung, Verſohnung oder Menſchwerdung Chriſti. Im legten Falle geht ihre Bow 
ftelung dahin, daß fi in dem Chriftenthume, dem Refultate aller frühern Entwidelung 
ber Menfchheit, das Göttliche und Menſchliche volllommen vereinigt, die Menfchheit in ihren 
Anlagen gleihfam zur Harmonie mit ſich felbft verflärt habe, ſodaß die wahre Religion bes 
Evangeliums, die ſich mehr im Gefühle uud auf fittliche Weiſe ausfprach, von ben folgenden 
Zeiten zur Wiffenfchaft umgebildet werden müßte: | 

Dffenbarnng des Johannes, f. Johannes der Evangelift und Apokalyptiker. 

Dffenburg, eine Stadt im Mittelcheinkreife bed Großherzogthums Baden und Hauptort 
eines Amtsbezirks, in fruchtbarer Gegend am Eingange des Kinzigthals, an den fich hier kreu⸗ 
zenden Straßen von Karlsruhe nach Bafel umb der ganzen Schweiz und von Strasburg durch 
das Kinzigthal und den Kniebispaß im Schwarzwalde nach Oberſchwaben gelegen, regelmäßig 
gebaut und von freundlichem, heiterm Anſehen, zählt 4300 E., welche ſtarken Getreide» und 
einbau, fowie lebhaften Speditionshandei treiben und ſich auch durch Gewerbfleiß auszeich⸗ 
nen. Sie befigt ein kath. Gymnaſium, eine weibliche Unterrichtsanſtalt in dem Fr 
und ein Theater. O. war angeblich ſchon in den älteſten Zeiten eine Freie Reichsſtadt, wurde 
dann an Baden, von diefem 1330 an den Bifchof von Strasburg verpfändet, welcher bie Hälfte 
der Stadt an Kurpfalz abtratz won jenem machte fie ſich Ende des 15. Jahrh. und von biefer 
1504 frei. Ihre Neichsſtandſchaft wurde 1635 erneuert; fie ftand num unter dem Schutze Oſi⸗ 
reiche und war &ig ber Baier. Landvolgte in der Ortenau bi6 zum Presburger Frieden 1805. 
Bon den Schweden wurde die Stadt 1652 erobert umter Horn und 1658 angegriffen unter 
Bernhard von Weimar, von den Franzoſen 1689 zerflört, auch im Spanifchen Erfolgekriege 
hatte fie zu leiden; 24. Sept. 1707 erfochten daſelbſt die Kaiſerlichen unter Mercy einen Sieg 
über die Franzoſen unter Vivans. In neuerer Zeit wurde D. durch bie bafelbft 1847 veranflal 
tete Berfammlung der Demokraten, fowie durch bie Volksverſammlungen vom 19. März 1848 


362 1 Dffenfive +. Dffeiitliche Meinung > 


und 42. und 13. Mai 184Nbekannt. (8; Baden.) In der Nähe ficht das Schloß Ortenburg, 
fen Trümmer in neuefter Beit wiederhergeftelft worden find; 
five heißt Angriff,iim Gegenfage der Defenfive (f.d.) oder Vertheidigung. Siebe 
fteht darin, daß der Feind aufgefucht und angefallen wird, ihr liegt alfo bie Bewegung zum 
Grunde, die Vernichtung des Feindes ift ihr Zweck. Ein Dffenſidkrieg ift derjenige, der mit 
dem Einmarſch in Feindesland nt. Man unterfcheidet ſtrategiſchen und taftifchen An ⸗ 
jeiff. Der erftere fehneidet durch Operationen (f, d.) außerhalb der Waffenfphäre des Beindes 
Berbindungen ab, um ihn ficherer gu vernichten, der lehtere führt den Schlag felbft durch die 
Waffen aus. Als Grundfag für das Gelingen der Offenfive gilt: mit ber eigenen Stärke'die 
ſchwaͤchſte Stelle des Gegners, alfo Flügel oder Flanke, anzugreifen, wenn e8 nicht das Terrain 
oder'eime leicht gu durchbtechende Fronte änders bedingen. Es Tann hiernach der Angriff fein: 
4) parallel, 2) umfaffend, 3) keilförmig. Der Angreifer hat die: Initiative (Breiheit des An- 
fangs) : er kann die Zeit und Form des Gefechte, auch auf dem feindlich befepten Terrain den 
ihm günftigften Punkt wählen; er hat volle Bispofttion über feine Truppen, farm fie in ver- 
ſchiedenen tungen verwenden und: ben Feind durch Scheinangriffe oder bloße Demonftra- 
tionen (f. d.) taͤuſchen, ehe er den wirklichen Angriff beginnt. Auch das moraliſche Element iſt 
bein Angriffe geſieigert; ſchon die Bewegung dazu hat etwas Auftegendes, Begeiſterndes, und 
diefer Impuls wird oft durch Trommeiſchlag und volle Feidmuſie gefteigert. Aber die Defenſive 
hat dody bie beformene Vorbereitung und in den meiften Fällen die Vortheile des Terrains für 
und wird darum für die ftärkere Gefechtalage angefehen. 3 A 
Dffentliche Meinung ift die in einer gegebenen Zeit bed einen Vote geltende überzeu · 
gung von Recht und Pflicht über Angelegenheiten des Öffentlichen Lebend, über Religion und 
Kirche, Verfa und Verwaltung des Staats, über Gefepgebung und Nechtöpflege, mit 
einem Worte über Alles, was das Gemeinfanie des menſchlichen Lebens berührt. Sie wird 
vielfach bedingt von dem’ Volksthun, den Sitten, Gewohnheiten, Eigenthümlichteiten des 
Volkes, ift aber keineswegs gleichbedeutend mit ihnen, umfaßt baid mehr, bald’weniger und 
wurzeli ungleich mehr in dem Bewußtfein. Sie entfpringt vielfach aus der Wiſſenſchaft, um- 
faßt aber auch nicht diefe mit, eben weil fie ein Meinen, fein Wiffen ift und vor dem wirklichen 
Wiffen, der erwiefenen Wahrheit, eigentlich zutückwelch en muß. An ihrer Bildung nehmen auch 
BVorurtheile, Neigungen, Wünſche, allgemeine Sympathien und Anripathien Antheil. Auch die 
Religion fällt nicht eigentlich unter diefen Begriff,/da fie auch kein Meinen, fondern ein Glauben 
und Anerkennen von Wahrheiten fein fol. Die öffentliche Meinung iſt auch von dem Volkswil · 
Ten zuunterfcheiben, theils weil dev Mille fich auch auf etwas richten kann, was die Meinung 
ſelbſi nicht für gut Hält, theils meil die Meinung nicht immer die. Kraft hat, zum wahren Willen 
zu werben ; ferner von dem Gemeingeifte, der im Volke verbreiteten Geneigtheit, für dad Gemein« 
wohl zu wirken; endlich auch von dem Zeitgeifte, als dem Geſammtcharakter der Richtungen 
eines Beitalters und der Einflüffe, unter denen es wirkt. Aber verwandt iſt fie mit dem Allem 
und:fleht vielfach mit ihm in Wechſelwirkung. Die wahrhafte öffentliche Meinung ift eine ge- 
waltige Macht, ftärker ald Kanonen und Bayonnete, vielfach die höchſte Inſtang in irdiſchen 
Dingen umd den Gang der Weltgefchichte an ihrem Theile beſtimmend. Der öffenelichen Mei- 
mung lãßt ſich feine Richturig vorschreiben ; Verfuche, fie durch Befehl, Überredung oder andere 
Kunſtgriffe zu leiten, bringen in der Regel eine entgegengefegte Wirkung hervor, Sie ift eine 
örganifche Kraft mit Naturgewalt wirkend. "Auch ihre Gegner'unterliegen ihrem Einfluffe. 
Denn das ift eben die wahrhafte öffeneliche Meinung, welche von Allen, die nach ihrem allge: 
meinen Bildungsgrade und Verhältniffe in ber Sache irgend ein Urtheil beanfpruchen können, 
getheilt wird und welcher nur die Unfähigkeit zum Urtheil oder wider beffere ——— die 
Seib ſtſucht entgegenſtrebt. Mo dagegen über eine Meinung noch unter urtheilsfähigen und 
rechtſchaffenen Männern gefteitten wird, da kann man auch nicht von dem-wirklichen Vorhan- 
denſein einer öffentlichen Meinung darüber ſprechen / ſondern ed iſt dann Höchflens von einer 
Meinung der Mehrheit, nicht gerade des Volkes, unter deſſen Gliedetn viele über viele Sachen 
gar keine Meinung Haben, aber doch det Gebildeten die Rede. Auch wird gumelfen eine ſich fehr 
laut machende, von manchen öffentlichen Wortführern ſeht heftig verfochtene Meinung mit der 
Öffentlichen verwechſelt oder fucht fich felbft dafür auszugeben und dadurch zu imponiren. Auf- 
gabe des gefchriebenen Worte in der Preffe, wie des geſprochenen in Vereinen, Berfammlungen 
amd vor allem in den öffentlichen Verhandlungen der Wolksvertrerung ift es, ber öfentihen 
Meinung ebenſowol einen würdigen Ausdruck zu geben md den iht gebührenden Einfluß zu 
ſichern, als andererfeits auf diefelbe Täuternd und belehrenb zurückzuwirken. 


Hatiadet nnd Miu the — ss 
Öffentlichkeit und — be der Bedtäefiege find Focnuen, die ich ſehr verſchie 





Denen, reifen und Entwidelung anſchließen, unter Un 
auch geradezu fehlen konnen, — —* an ſich allein — 
ben. Dies wurde vielfach von Denen wicht eingeſehen welche feit dem Aufange des 





berts ald Gegner bed —— tsberfahrenß, namentlich ber ſeit drei Jahrhunber- 
ten ig immer gecferer Einfeisigleit ausgebildeten Strafrechtspflege auftraten und ſelten 
meinten, wenn nut an die Stele ber Heimlichkeit und Schriftlichkeit des Werfahrens 
keit und Münblichkeit beffelben gefegt wizde, fo wäre die Reform gethan. Da hierbei {ehr ver- 
worzene Vorſtellungen über dm Werth dieſer Formen des Verfahrens zu Tage kamen, fo war 
es ein großer Gewinn, daß —355 (ſJ da vbſchon derſelbe der Sache noch nicht auf den 
Grund drang, in ne —e ù ſem Gegenſtande gewidmeten Schrift wenigſtend jene un⸗ 
klaren berichtigen unternahm. Man hat ſeitdem einſehen gelernt, daß, was 
vorerſt die ——*—* betrifft, dieſer Begriff ein au ſich fehr vager umd vielbeutiger iſt Denn 
öffentöich im blos äußerlichen find die Berichte auch bei ben Brönländern, Tungufen, Re 
gern, Arabern u. ſ. w. —** in vielen durchaus despotiſchen Staaten, wo aber freilich die 
Theilnahme des Volkes eine ganz paſſive If} und bie  Ofenuiäe auf äußerlichen, jebenfalls 
dem Rechte und Interefie des Volkes gänzlich fremben Gründen beruht. Wie ganz grundver⸗ 
ſchieden hiervon erfcheinen die öffentlichen Gerichte in den Freiſtaaten der Alten MWele (Bridge 
land und Rom) und wieber bie bei ben Germanen, die fich freifich nur bei dert Engläͤndern über 
das —— tn die De 8 erhalten und organifch fortgebilbet haben. Im antiken Frei-· 
ffentlichkeit auf ber Selbftherrlichkeit ber freien Volksgemeinde. Bei den 
ermanen he beruhte fie auf dem naturwüchfigen, aber freilich unreifen Zuſtande einer noch unmit- 
telbar aus bem Leben ber Bemeinbe, fpäter. ber Stände ſich herausenswidelnben Rechtsbilbung, 
woraus für bie Gemeinde, refpective Stanbesgenoffen das Recht und die Pflicht entftand, in firem- 
gexer obez loſerer Form (je nachdem die Berichte ungebaten oder gebeten waren) fich theils als 
re als Gerichtögengen (ba es Feine Archive amd Regifivaturen gab) einzufinden. 
möglich noch verworrener waren bie. Berftellungen über bie Mimdlichkeit, um um fo mehr, 
als in den gefchichtlich zu Tage getretenen Proceßformen bie ausnabmelefe Durchführung ber 
‚zehn münblichen Form ber dlung und Entſcheidung Hödfk felten IR, das abfolute Ber 
gentheil aber kaum vorkemumt, während bie bei weiten meifl pefiti ichen Erfgeinungs- 
formen ein Mehr oder Minder von mündlicher Form: zeigen, wobel jedoch eben Die Frage 
über ben Grundſatz, über das Weſen der Mimdlichkeit ganz in der Schwebe bleibt. er 
ſcheidung diefex Frage liefern aber gerade diejenigen pofitiven Bechte um 5 Stoff, welche 
Alles minblich vor ſich gehen —* weil dieſe —* nur in ber Raivetät ein $ noch gan, uns 
reifen Gulturzuflandes ihren Grund hat, wie bei amfern german. Vorfahren. Uberall dagegen, 
mo mehr ober minber münbliches und fchriftliches Verfahren gemiſcht auftritt, wie im [päters 
rom. and im beutfchen Rechte feit dem Ende bes Mittelalters, da läßt fich miederum nad) ber 
blos äußerlichen Form nichts entſcheiden, da In einer Proceßform ſehr wiel mündliche 
Iung vorkommen kann, während gleichwol der Brundfag ber Schriftlichkeit der herrſchende iſt, 
und umgefehkt. bier beburfte e6 alfo einer weit genauern Beftimmung bes. Begriffe, die 
im legtern auch Feuerbach nicht ganz gelungen ift, Durch fein Vorurtheil gegen 
das Geſchworenengericht (T. d.) wurde namlich diefer große Criminaliſt auf den Verſuch hinge⸗ 
brängt, den Formen ber Offentlichkeit umd Mündlichkeit gleichwol einen abfoluten Werth zu 
vinbiciren, ben fie auch ohne Verbindung mit ber Jury haben ſollen. Ein Gewinn war «6 frei 
ig —— — daß die angeſehenſte Autorität ſich fo eniſchieden gegen die Heimlichkeit, als im 
iderſpruch mit der Idee ber Gerechtigkezt ſtehend und alles Vertrauen untergrabend, 
— erſter Linie für volle Parteienöffentlichkeit, zugleich aher auch für Zulaſſimg des Bol- 
kes —2— unbeſcholtener Männer) ausſprach, und zwar mit ausbrüdlicher Berufung auf 
das canflitutionelle Princip, ſowie darauf, bag sin Werbrechen eine allgemeine Angelegenheit 
fei. Ebenſo war es ſicher —— wenn dieſelbe gewichtige Stimme zulegt auch für die wer 
relative Nothwendigkeit ber Mundlichkeit, d.h. dahin fich entichied, daß mindeſtent bie 
Varteien ein abſolutes Recht darauf haben, von dem erkennenden Richter felbfl ann: I Ann wer» 
den. Eine anbere Frage aber war, ob ſich auch nur biefe Federungen mit dem Weſen und Geifle 
bes Nechtsverfahrens, wie es fich ſeit Jahrhunderten tn Deutſchland ausgebildet Hatte, manent 
Lich mit dem Hrincip det zur aͤußerſten Einfeitigkeit entwickelten Inquiſitſons proce ſſes in Stwnal 
ſachen vereinigen lafſen eb fie vielmehr nicht noch eine ganze Maihe anderweitiges Anderan- 
gen bedingen, die, mindeſtent für daß Strafverfahrim, zu einer zabisalen Reform führen nis 


504 | Dffenttichteit und Mäudtigtiit 


ten? Gerade dieſe wichtigſte Frage liefen bie meiften der tonangebenden Suriften bei Seite lie» 
gen. So gab es bis 1848 immer noch Solche, weiche fich mit ber bloßen, etwa gar auf eine 
Schlußverhandlung befchränften Münblichkelt begnügten. Andere wollten Öffentlichkeit und 
Muͤndlichkeit eingeführt Haben ohne Gefchworenengerichte, gerietien bann aber In große Verle 
genheit barüber, wie es denn mit den hiermit unvereinbaren weſentlichen Theilen des bisherigen 
Verfahrens, den Entfcheidungsgründen, den Rechtsmitteln und den -bindenden Beweisregeln zu 
halten ſei ? Die Conſequenz aller deshalb gemachten Vermittelungsvorſchläge im Strafproceffe 
lief am Ende darauf hinaus, das Princip des Geſchworenengerichts anzunehmen, aber ohne 
Geſchworene, d. h. das bisherige Verfahren radical gemäß der Idee des Geſchworenengerichte 
umzugeftalten, dabei aber den rechtögelchrten Richtern die Stellung der Geſchworenen zu über 
tragen. In Folge diefer Anfchauung wurde es herkömmlich, ohne organifche Verbindung mit 
bem für das ganze Verfahren zu Grunde zu legenden Princip, fich in der Aufzählung einzelner 
Vortheile der Formen ber Mündlichkeit und Offentlichkeit zu ergeben, welchen man dann von 
anderer Seite die vermeintlichen Nachtheile entgegenftellte. So wurbe namentlich für bie Münd⸗ 
lichkeit angeführt: 1) dag nur durch Ir die Richter die Gewißheit erlangen, daß bie Aus ſagen 
ber Parteien und Zeugen treu, vollitändig und in ihrem richtigen Zuſammenhange zu ihrer 
Kennmiß gelangen; 2) daß nur das mündliche Verfahren dem Richter die Möglichkeit gebe, 
burch geeignete Sragen an bie Parteien und die Zeugen alle etwa übriggebliebenen Zmeifel zu 
befeitigen; 3) daß im Strafverfahren die gehörige Würdigung der Individualität der Ange» 
- Bagten und der Zeugen nur bei dem mündlichen Verfahren möglich ſei; 4) daß das Vertheidi- 
gungsrecht des Angeklagten erft in der mündlichen Verhandlung feine wahre Bebeutung er- 
lange; 5) daß nur das beftändige Zufammenwirken aller Tebenbig vor der Seele der Richter die 
Umftände bed zu entfcheidenden Falls reconſtruirenden Ausfagen, das raſche Ineinandergreifen 
der Ergebniffe der Beweismittel u. ſ. w. die geiftige Thätigkeit der Richter nachhaltig anrege und 
ein Bild des Ergebniffes der Verhandlungen gewähre, wie keine Relation es geben könne; 
6) daß das mündliche Verfahren ſich vorzüglich trefflich in Beziehung auf den Indicienbeweis 
bewähre; 7) daß es eine größere Schnelligkeit und geringere Koftfpieligkeit des Verfahrens ga- 
zantire, u. ſ. w. Es rebucirt ſich dies eigentlich, Alle auf den Sag, dab Selbſtſehen und Selbſt⸗ 
hören eine beffere Garantie für bie Wahrheit gebe ald Protokolle, Nelationen und Eorrelätio- 
nen, wogegen aber von anderer Seite erwidert werden konnte, bag durch die münbliche Verband 
lung die Sicherheit ber Operation, woraus das Urtheil hervorgehen fol, gefährdet werde. Es 
war eben hierbei durchaus verkehrt, dag man bie Form ber Mündlichkeit im Allgemeinen loben 
ober tadeln wollte. Die Mündlichkeit hat im Eivilproceffe eine andere Bedeutung und andere 
Bedingungen ale im Strafproceß, und in diefem hat fie unbedingten Werth nur für Gerichte 
in denen ohne Beweisregeln nach dem Totaleindrud geurtheilt wird, d. h. fr Befchworenenge- 
richte. Im Givilproceffe reducirt fich bie Foderung der Mündlichkeit auf bie Foderung eines in 
einer Hauptverhandlung eintretenden unmittelbaren Verkehrs der Parteien mit dem urtheilen- 
den Gerichte behufs der vollfländigen Ausführung ihrer Anfprüche. Hierbei wird aber eine 
Kombination des münblihen Vortrags mit fchriftlicher Firirung nicht zu umgehen fein; und 
jedenfalls muß der behufs der mündlichen Ausführung eintretenden Hauptverhandlung ein 
ſchriftliches Verfahren ale Grundlage vorangehen. Hier ift alfo die Form ber Münblichkeit nur 
eine an fi fecundäre Gonfequenz des Rechts der Parteien, vom erfennenden Richter felbft ge- 
hört zu werben: eine Modalität, die auf das Princip hinfichtlich der das Urtheil hervorbringen- 
ben Geiftesthätigkeit, auf dad Beweisverfahren, auf Entfcheibungsgründe, Rechtsmittel u. ſ. w. 
keinen Einfluß übt, man müßte denn auch in Eivilfachen, was aber ber Natur der Sache zumider 
ift, Geſchworenengerichte einführen wollen. Anders verhält es fich im Strafverfahren. Auch hier 
war die Foderung ber Mündlichkeit auf der Grumdlage des bisher beflandenen Rechts, das 
ein nad) Beweisregeln conftruirtes Urtheil verlangte, eher abzumweifen als gut zu heigen. Ein 
Schein von Berechtigung entftand für die Foderung berfelben nur dann, wenn man die Jdee 
des Geſchworenengerichts in den bisherigen Proceß hineinzog und die rechtögelehrten Richter 
factifch zu Geſchworenen machte. In Wahrheit hat aber die Mündlichkeit nur in dem Strafver- 
fahren mit Geſchworenen wahren Sinn und Werth, und hier ift fie abfolutes Bedürfnig. Ein 
mündliches Beweisverfahren läßt fich nämlich einzig und allein dadurch rechtfertigen, weil es 
allein die Möglichkeit gewährt, einen Gefammteindrud auf das Gewiffen der Richter der That⸗ 
frage zu vermitteln. Diefer Fall tritt eben nur bei dem Strafverfahren mit Geſchworenen ein. 
ee gewinnt denn auch die Mündlichkeit eine viel weitere und tiefere Bedeutung als im 
vilproceſſe. Sie erfcheint als die abfolut nothimendige Form bed gefammten Beweidverfah- 


Dffetortum . De Zn 
rens, als die (und puoar alleinige). Baße cuet, ganz eigen gearteten Urtheils; fie zicht Bey 
fall der Eutfcheibungsgründe, weientliche Beichränkungen der Rechtömittel und andere 
nach ſich, peu ihr im Civllproceſſe nicht —— a eine große Ungereieigtet au 
begehen. Ubrigens muß auch im Strafproceß bie Form der Münblichkeit. für alle dem Hanpt- 
verfahren er den Geſchworenen vorhergehenden Jete ber Nechtspflege hi allen, weil mei ie 

weſentlich Dazu bienen, die äußern Momente. bes Falls ſowol für bie gegenwärtige wie für 
fernen Inflangen als Brumblage ber Verhandlung ‚bleibenb-zu firiven. 

Was anbererfeits bie Form ber Offentlichkeit beteifft, fo war es ebenſo ungerechtfertigt. ſie 
ſchlechthin zu fodern, wie fie ſchlechthin zu verwerfen, beſonders wenn erſteres aus. dem völlig 
verkehrten Grunde geſchah. daß das a ein Recht "bayu babe, bie —** — der Gerichte zu 
controliren. Bielmehr iſt auch bier vor allem der bürgerliche Rechtsſtreit vom Strafverfahren 
zu unterſcheiden. In jenem muß zwar ohne Zweifel bie Form ber Parteienoffentlichkeit als eine 
'abfolute, aus dem Axiom ber —— — ee auch umversichtbare Faderung 
. aufgeftellt werben 5 Dagegen mnf-vermöge em benennen Bela 
prindp6 es den Parteien freigeftellt bleiben, —* —— — 
cum zu verzichten. In Strafverfahren dagegen muß bie — ** —* — fein, 
weil * fich Hier um das. Recht nicht, ſofern es ein der Cinzelwillkür zur Dispoſition unterworfe⸗ 
ner Rechtsanfpruch ift, fondern um das Recht als ſolches umb um einer felbft willen, mithin 
um das Recht als ein ſchlechthin allgemeines Interefie Handelt. Freilich begnügen fich bie Mei 
fien nicht mit dieſem ſchlagendem aus ber Natur bes Verbrechens als eines Angriffs auf bie 
ganze Gefelihaft und ihre rechtliche Drdnung überhaupt hervorgehenden Grunde, fondern 
bringen noch: allerlei Nebengrünbe bei, 5. ®. daß durch die Dffentlichkeit. die Wirkſanfelt ber 
Strafgefepe verftärkt werde; baf fie zur Vermehrung bee Materialien ber Merheilefällung (4:8 
zur Entledung neuer Zeugen) biene; daß fie bie Wahrheitslüebe her Zeugen beſtärke; daß fe 
den Verhandlungen eine höhere Würde gebe; daß fie die Rechtskenntniß unter dem Wolke ver 
breite, u.f.w. Alle biefe Gründe aber entfcheiben für fi nichts unb laffen in ber That eine 
Menge —— qu ‚ bie freilich eben auch fecundärer Ratur find, z. B. daß bie Beftattung 
ber Theilnahme bes oites nationalöfonomiich werderblich und police —— ſei; daß die 
ffentlichkeit der Mechtöpflege zu einer Schule der-Immoralität für das Volik werde; daß fie bie 
Erlangung bes Geftändniffes hindere; daß die Unbefangenheit ber Zeugen dadurch leide; daß 
bas öffentliche Verfahren für den Angeklagten eine graufame, ſtrafartige Bedrückung ſei, u. ſw. 
Eine in ber Natur ber Sache gegründete Beſchraͤnkung ber Öffentlichkeit and) in Strafverfah · 
ten iſt es bed daß fich biefafbe überhaupt nur auf das Stabium bes Vewelsverfahrens er- 
fixedit, da fie vorher keineswegs Bebürfniß, vielmehr Ha Zwecke bes ſtrafrechtlichen erfahrene 
widerſprechend iſt. Bewöhnlich findet man voch zwei weitere Beſchränkungen: bie eine für den 
Ball, wenn Gefährdung des Staats oder ber öffrntlichen Gicherheit zu beforgen, was freilich will⸗ 
türlic) erfgeint ; bie andere, wenn ein ſittliches Argermiß entfichen Fonnte, was nur in ber Weiſe 
zu rechtfertigen, daß man die Öffentlichkeit bei Berbregen ausfcjlöffe, deren Sffentide Ver⸗ 
handlung eine Profanirung des fittlichen Geiſtes der Familie herbeiführen würde, . 

Dffestorium beißt. in der Bath. Kirche der erſte Haupttheil ber —— (f.d.), wo ber Heiler 
unter Gebet ben Wein und das Brot und fich felbft zur Gonferration vor —* 

Official heißt der Vicar eines Diſchofs in weltlichen Gerichtsang naelsgenheiten, z. B. Ce 
ſachen, der ai folcher für die geiftlichen und Kirchenſachen den Titel ie zu führen 
pflegt. Die Officiale kamen im 13. Jahrh. auf, als die Archidiakonen ihre Gewalt vielfach zu 
aber len anfingen. Dffigialaf nannte man das bifchafliche Bericht, — in * 

len Fällen, wo ein Official an des Biſchofs Seatt ben Werfig hatte und Recht ſprach 

oe nennt man das von-einer gefeglich conflituirten Behörde Ausgehende, im Gegenfag 

was Privatperfonen hun 3 es ift alle ungefähr gleichbebeutend mit autlich. Wo eine 
ae 3. B. in ber Preffe oder bei Berhandlungen mit Privatperfonen, nicht, gerabegu wub und 
außgefpeochenermaßen amtlich auftreten will, aber doch fo, daß ben von ihr veranlaßten Kund 
gebungen oder Borfhlägen ein größeres Genie als den. von -Privatperfonen ausgehenden 
beigelegt werben foll, da nennt man eine folche Axt des Verfahrens .offisiös. So gibt e6°offi- 
ciöfe Zeitungsartifel, welche von Megierungsorganen unter ber Maske von Privatperſonen ver⸗ 
faßt oder. auch wol wirklich von Iegtern verfaßt, aber von erflern veranlaßt ober eingegeben 
find, etwa um bie-öffentliche Meinung erſt wegen einer Maßregel, bie man treffen will, zu fon- 
diren, oder um richten zu verbreiten, für weiße man sit gern bie volle Te amtliche De 
wortung übernehmen will. u 


‘366 Offielnell Daglone 

Offieinell wird alles Dasjenige genannt, was als einfaches, ben drei Naturreichen entnom. 
meneb, oder als zudereitetes Arpneimirtel: nach der Veſtimmung ber Landespharmakopöe 
¶ Dibpenſatorium) In der Apotheke (Officin) vorräthig gehalten werden muß Dffieinelle 
Pflanzen oder Arzneigewachſe nennt man diejenigen Pflanzen, die wegen ihrer Heilkräffigteit 
als Heihnittel bei Krankheiten der Menfchen in die Pharmakopden aufgenommen find. Die 
Pharmakopden der verſchiedenen Ränder enthalten aber‘ nicht durchgängig diefelben Pflanzen, 
fondern es find je nach Bedürfnig und Gelegenheit bald mehr, bald weniger Arpneipflangen in 
den Argneifchag aufgenommen. "Solche offieinelle Pflanzen, welche in großer Menge gebraucht, 
aber nicht fo zahlreich und Teicht wild gewachſen gefammelt werben konnen, werden, fomeit eb 
Boden und Klima geftatten, angebaut. In Deuiſchland wird Hauptfächlich im Süden, na 
‚mentlich in Baden, Würternberg und Baiern die Cuitur von Arzheipflangen betrieben, wo z. B. 
Suüßhoid, Eibiſch, — ————— uf w. in größerer Ausdehnung angebaut werden. 
Auch im Schwarzburgifchen, Weimarif—hen und im Königreiche Sachfen befleifigt man ſich in 
manchen Gegenden des Anbaus von Arzueigemwächfen, 3. B: der röm. Ramillen, der Bertrams- 
wurz/ eiwurz, des Alant ua, Viele officinelle ern wachſen in Deutfchland auch 
wild auf Wiefen, in Wäldern und auf Bergen, und Teiche, find gewãhnlich noch Fräftiger 
als die cultivirten. Man hat mehre Sammlungen von Abbildungen aller offieinellen Gewächfe 
und unter ihnen iſt befonders hervorzuheben: Dayne, „Getreue Darftellung und Befchreibung 
der in der Arzneikunde gebräuchlichen Gewächſe u. |. 1." (4 Bde, Berl. 1805—46); Need 
von Eſenbeck, Weihe, Walter und Funke, „Vollftändige Sammlung offiineller Pflangen” 
(5 Bde., Düffeld. 1821— 35): n 

Dffizier iſt der allgemeine Name des Befehlenden im Mititärftande. Eigentliche Dffisier- 
corps haben fich erft im 6. Jahrh. gebildet. Ihr Rangverhältniß war anfangs unbeſtimmt 
und ift in der franz. Armee zuerft unter Ludwig XIV. geregelt worden. Man unterfcheider zu - 
nächft Ober- und Unteroffiziere; für die erſtern wird aber das Beimort gewöhnlich wegge- 
laſſen, um die Charge im Allgemeinen zu bezeichnen, Die Offiziere zerfallen in zwei Haupt 
—* Subaltern- und Stabsoffiziere; bei den letztern bildet die Generalität noch eine 

ſondere höhere Abtheilung. In der preuß. Armee bilden die Hauptleute (Rittmeifter) 
eine $*fondere Claſſe zwiſchen beiden obigen. Die verfchiedenen Abftufungen in jeder die- 
fer Elaffen kommen in der Hauptfache bei allen Heeren überein und weichen nut im einzelnen 
Benennungen ab. Sie folgen: Faͤhnrich, beider Cavalerie Cornet (nur in der ruff. und engl. 
Armee noch als Offizier), Lieutenant (Unter, Sous · oder Secondlieutenant, auch blos Pieutte- 
nant genannt und Ober- oder Premierlieutenant),; Stabscapitän (im ruff. Deere), Hauptmann 
oder Capitän, bei der Eavalerie Rittmeiſter; Major, Oberftlieutenant, Oberft (diefe drei Char- 
gen Stab6offiziere); Generalmajor, Generallientenant (Feldmarſchallieutenant in der öftt. 
Armee), General der Infanterie (Beldzengmeifter in der öftr. Armee) oder Gavalerie, Generale 
feldmarfchall. — Befondere Functionen veranlaffen noch Nebentitel: Compagnie, Escadron-, 
Batteriechef, Bataillons · Negiments- u. f. w. Commandeur oder Commandant, Rechnungs · 
führer, Abjutant, Chef des Generalftabes, Generalquartiermeifter, Gouverneur u, |. w. 

Dfterdingen (Heinr.von) wird in dent Gedicht vom dem Sängerfrieg aufder Wartburg als 
der Sänger aufgeführt, der das Rob des Herzogs Leopold von Oftreich fingt, und gilt auch ei» 
nem Meifterfänger aus den Schluffe des 13. Jahrh für einen der ältern und berühmtern Kie- 
derdichtet. Sonft wiffen wir nichts von ihm; feine Exiſtenz ift ſchwach verbürgt, und die Ver- 
muthung, daß er ber Verfaffer des Nibelungenliedes (f. d) geweſen, entbehrt jedes Grundes. 
Novalis Hat feinen Namen an die Spige eines ſchönen, aber unvollendeten Romans geftellt. 

Dg, ein König von Bafan, aus dem Volksſtamme der Amoriter, deffen das Alte Teftament 
gedenkt, befämpfte die zu Mofes" Zeit in Paläftina eindringenden Debräer, wurde aber bei der 
Stadt Edrei beſiegt, fein Land erobert und dem Stamme Manaffe überlaffen. Er war von rie · 
ſenhafter Größe, und fein eiſernes Bette, welches neun Ellen lang und vier Ellen breit war, 
würde fpäter noch Er Rabbat Ammon gezeigt. Namentlich haben die Nabbinen die Nachrich · 
ten von Dg durch Märchen erweitert. 

Dpgione (Marco d’), auch Rpgtone und Nglowe genannt, ie zu ben ältern Schülern des 
Xeoriarbo ba Vinci unb lieferte tuͤchtige Arbeiten im Stile des Meifters. Doch find feine Gtaffe- 
leid ilder Höher zu ſtellen als die Freßcogemälde, welche er in Sta.-Madonna bella Pace ausführte 
unbbiejegt inder Brera aufbewahrt werben. Diefe zu ihrer Zeit ſeht bewunderten Arbeiten zeigen 
N ſchwach in der Compofition und haben etwas Kleinliches in der Ausführung. Dagegen find 
feine drei Ergengel in der Brera von fhönem und edelm Ausdrick und bemerfensrwertt; im der 


Daiuſti WS) gie Dil Ani ar 


—— Im Leunes Definket ſich eine Heilige: Fancilie in Sta Tuphemia zu Malanbein 
Alcacblatt, im Maſeum zu Mörsiinreine Madonaa ven —2 Seifen Heſonders bebanit IE RX 
Aug zwei Gepien;: bie: gE Bon. Dens bereiten Abendmahle Leonazbe’s fertigte. Die eine iu 


wardgerlei Echickſalen endlich an —— London. Die andere befindet ſich im Six 
fentorism des Buch au Gofichtzza bei Mailand. Eteifi ai fresco (wahrfcheinlich 1514):arık 

einige Veranderungen an fidh und od ging; von ihr bie Gage, daß Leonarbo ſelbſt bei 
ben Reyfe. Ehriſti und des Judas gehelfen haben [oll. Bei der faft gänglihen Vernichtung bes 
Driginals find bi biete Copien von großer Sicugeeit Marco ſtarb 1530 


f ef 
leitet, —* ſeit den 18 Jabrh. berüftnt geworden. Als Karl XH. von Schweben im 
Velen einzog, traten. Me Oginiti gegen bit —— ——* b. nn at —— 
In offenen Karapf, urban aber be Otolnit 1701 ũberwunbden. Die berähmteften find: Mich 
D., var Brpanen, geb zu Warſchau 1751, verband mit vorchellhaftern 
den liebent Ehabalter und ein ausgezeichnetes Talent für Muſik und Dies 
lerei. Sein Schloß zu Slonim war ber Bereinigungöpemit aller berühmten Künſtier und durch 
Hung oder Geiſt — Derfonlichkeisen: Die Vaterlandbsliebe rief ihn 1771 aus dem 
Schooſe des reichſten und ſeinften Lebensgenuſſes acf das Schlachtfeld. Un der Spitze ber 
Genföbetion in Lithauen Lämpfte er gegen bie im Polen eingedrungenen rufſ. Deere; doch von 
Suwerew übersenden, mußte er nad Preußen flüchten und ſeine Güter wurden conſiscirt 
* Mouföderation won Ber, ber D. angehört hatte, aufgelöſt unb er ned © einige Jahre 
‚geblishen war, wurde e 42776 aumeſtirt. Er kehete auf ſeine Güter gurüd und 
Th anf ioene Shen ben Ab — Randl graben, br ferien Namen führt und durch 
Sereinigung bes Diopes unb Flienien bie Dftfee und das Schwarze Merr In Verbindung fept. 


Gorfitution.vom 3, Drei, obgleich er durch dieſelbe feiner. Hetmanswürde verluflig ging. Ev 
Sein Reffe, Mid. — D.,:Oroßfchagmeifter von Litchautn, 
seh. 1765, trat, 19 3. alt, in dem: wurde Abgeordneter beim Neichstage bar 
auferorhentlicher Geſandeer in Holland ind 1793 Schafminifter. Als Koſciuſzko 1794 das 
Boll: zum allgemeinen Aufſtande tief, gab D. fein Portefeuille zurüch und wurbe eines 
auf feine Koſten ausgeräfleten — — Ian glänzenden- Binveifen von. Buy und 
bes Bampfeb — eher feine 1 Dane = 
* 




















Fran nach Kulm 
rück und erwarb ſich das — 2 * Alerander, Nr ſchon is1s wendete ie 
wieher — wo wo er 34 flarb; Unter. feinen Compoſitionen find beſonders die Polo⸗ 
naiſen berũhent. Seine „Mömoires sur la. Pologne et les Polonais depuis 1788 1815" 
(2 Bbe., Pak. 1826; beurfch son Pipig ınb-Minke, Bellen 1845) enthalteninstreffent Auf 
ſchlüſſe vorzglich über die Zeit von 1794-08. 
WE der :alteſte von ber: Gage angeführte Löndg m Aıriea und Böotien, zu beſſen Zeit 
(wc Far 750 v. Ghr.) eine große Shut, dee Dgugiſche Flut genamit, alle wiebern Gegen; 
eider Lander vermüftete und ihre Bewohner vernichtete. Er wird bald ein bbotiſcher Was 
ir een Böotus genannt, MM der Vater des attiſchen Gert Eleufis: wih 
Gemahl ber Daciva, dev Tochter des Hkeanos. Die verſchiedenen Sagen leiten uf bie Werk 
thung, baf.anter DD. eine:ägypt: Golonie nad) Böotien mb: von da nady Aeme am. Ru ihm 
führte Bästien: ben Kamen zgia. Zr 
Dhbio, einer ber. anal e Bordinerttas,- bekfen: Crrungebtit: wach 9000 BE 
beträgt, ** — —— ed Mltnhamg und: des Ronongahela 
welche auf in einer Höfe von 19.1400 6. entire 
gem, —— — he Dbib, Indlana, Sltnois auf: feiner. Nordweſtſeite und 
einem Theile Pennſylvaniens, Virginens und eutucyt auf der Südoſtſeite meiſt in ſübweſt⸗ 
licher Nichtung in einer Länge von 292 M. mit den Krümmungen und von 152 M. ohne die 






328 Qut sı" 2. Ohio (Staat) ad 


ſelben durch eins —— und reizenbften Sebient, über: Eimeinnati und 

dem Miſſiſſippi zu. Ex tft ſehr wafferreich und, — von Loutsville 

bie jegt durch einen Kanal umgangen werden, aufwärts bis Pitteburg (220M. weit) für ck 

VNußſchiffe zu befahren. So —* —7 ben Kumälen, bie In Son münden, **8 *8 
nen, die ihn berühren, einer. bee Hauptverkehrbwege, weiche den Miſſifftp 

—— — —* den ehe Canadiſchen Seen und * Atlantiſchen Dcean verbinden, ad 

zahllos find die Dampf- und andern —— — die ihn befahren. ‚Unter feinen zum Theil ſehr 

anſehnlichen Nebenfläffen, wie Wabafch und Cumberland, iſt der Teneſſee ber waſſarreichte 

der ebenfalls weit aufwärts ſchiffbar iſt. 

DOhio, einer der Bereinigten Staaten von Nechamerifa, von Indiana im 8, von Michigan 
und dem Griefee im N., von Pennſylvanien im O. begrenzt, von Birginien ımb Kentucky im S 
durch den Ohioſtrom zaieben, bat ein Areal von 1886 AM. Im Allgemeinen: hat O. den 
Charakter eines Zafellandes. —* an gends, obwol tm Dften hügelig; der Nordwe⸗ 
ſten iſt eben und zum Theil. noch ſumpf von Prairien und dichten —— 
durchzogen. Der Hauptfluß —26 d.) ), weißer bei Marietta ben Mustingum, bel Ports 
mouth.den &ioto, fowie ben Kleinen Miami und ben Großen Miami aufnimmt. De Mon: 
mee, Sandudky, Cahuyoga, Bermillon, —5 und andere in ben Erieſee, *2 
M. weit den Staat begrenzt und verſchiedene Häfen bat. Das Klima iſt im Allgemeinen 
Figt und geſund. Der Boden iſt faſt ängig ſehr fruchtbar, namentlich in den 





ae a Ten u Be Be 
20 ——— werden. Beim tft das net hat ce Ehaatt, Doc werben ei imerben u Malt 


und andere Betreibearten, ſowie Taback, Obſt, Wein in ziemlicher Menge Hebaut. 
‚Der Viehſtand an Pferden, Rindern und Schweinen iſt ſehr bedewsend. Reben det blühenden 
Landwirthſchaft, der Rutzung ber immer noch anſehnlichen Walder und dem Bergbau, ber 
wbeh blos auf Steinfohlen (dad Rager der bituminsien Kehle nimmt 582 IM. ein) und Salz 
betrieben wird, macht die Induſtrie mächtige Fortſchritte, namentlich in Ciſenwaaren jeber Urt, 
in Wollen- und Baummollenmanufattur, Bapier, Gerberei, Leberarbeiten, Pulver, Seide, fer 
tigen Kleidungsftüden u.f.w. Der Handel und bie Schiffahrt nehmen den erften Hang für ben 
Binnenverkehr im Weſten der Union ein, befonders in rohen, unverarbeiteten Producten ber 
Landwirthſchaft, wie Salzfleiſch, Weizen, Mais, Mehl u. ſ. w. Dielen Verkehr fördern fo 
zahlreiche Fünftliche Communicationsmittel wie in keinem andern Staate bed. Weſten, ein Ka- 
nalneg von 1794 M. Länge und 36 Eifenbahnen, von benen 1. San. 1853 eine Strecke von 
3004 M. eröffnet, von 380/. M. im Bau begriffen war. Im 3. 1848 hatte ber Staat 48 
Banken. Die Bevölkerung, welche 1790 nur 3000, 1800 bereits 45365, 1810 ſchon 230760 
Seelen betrug, war bie 1850 auf 1,980408 gewachſen, nämlich 24300 freie Farbige und 
1,956108 Weiße, darunter 600000 Deutfche und Schweiger, welche überhaupt das TBefent- 
uͤchſi⸗ dazu beigetragen haben, den Staat zu feiner gegenwärtigen Blüte zu bringen. Für ben 
Volksunterricht ift mit größer Breigebigfeit und mehr als in den übrigen weſtlichen Staaten ge 
forgt. Außer der Obio-Untverfität zu Athens, der Diami-Univerfität zu Orford und der Wes 
leganer-Univerfität zu Delaware gibt es noch acht andere Colleges, fieben theologifche, eine juri« 
ftifche, vier medicinifhe Schulen, eine große Anzahl mittlere und über 12660 niedere Schulen. 
Die Staats ſchuld belief fich 1852 auf 17,339246 Doll. die jedoch zum großen Theil auf ge 
winnbringende öffentliche Unternehmungen, wie Eifenbahnen, Kanäle u. ſ. w, verwendet worden 
find. O. gehörte früher zu Virginien, bildete dann einen Theil des Nordweftgebiets, wurde feit 
1788 meiftene von Neuengland und Pennfolvanien aus colonifirt umd feit 1802 ein eigener 
Staat. Nach der 1851 verbefferten und vom Volke fanctionixten Berfaffung ift jeder weiße 
Bürger von 241. I, der ein Jahr vor der Wahl in Staate anfällig war und Stewern zahlte, 
flimmfähig. Die gefepgebende Gewalt übt ein Senat von 35 Mitgliedern und ein Haus von 
100 Repräfentanten aus; beide werben auf zwei Jahre gewählt: Die ausübende.Gewalt ruht 
in den Händen eines Bonverneurs, der einen Gehalt von nur 1800 Doll. bezieht und auf zwei 
Jahre duch Stimmenmehrheit gewählt wird. Der Staat zerfällt in 87 Grafſchaften. Sig der 
Regierung iſt bie Hauptſtadt Columbus (f. d.). Die größte Stadt aber ift Gincinnati (f. d.). 
Andere volkreiche Städte find Eieveland (f. d.) Dayton am. Großen Miamifluffe mit 10976 €., 
Banesville am Muskingum mit 10555, Steubenville am Ohio mit 6140, Ghillicothe am &xcioto 
mit 7098 E., ſaͤmmtlich mit bebeutendem ‚Subufteiebetrieh, 


Öplenfchläger Oplmüller 309 


Dilenfchläger (Adam Gottlob), einer ber ausgezeichnetſten bänifchen Dichter, war auf re 
deriksberg bei Kopenhagen, wo fein Vater, ein Schleswiger, Organift und zulegt Schloßverwal- 
ter mar, 14.Nov. 1779 geboren. Nachdem er die Vorſchule verlaffen, widmete er fich einer ziem⸗ 
lich ungeorbneten Lectüre. Zugleich begann er mit feiner Schweſter und einigen Spielgenoffen auf 
dem Schloſſe Komödien aufzuführen, verabfäumte aber dabei das Griechiſche und Lateinifche 
nicht ganz. Sein Theaterſpiel brachte ihm zwar keine Lorbern, wol aber des edeln Rahbek und 
des großen Schaufpielers Roſing Freundfchaft. Durch diefe Männer ermuntert, begann er nun 
eine ernftere Laufbahn einzufchlagen, machte im 19. J. das juridifche Präliminareramen und ſtu⸗ 
dirte ein Jahr die Rechte unter X. ©. Drfted. Beim Angriff der combinirten engl. Flotte unter 
Nelfon und Parker auf bie bönifche vor Kopenhagen, 2. April 1801, diente er als Fahnenjun⸗ 
Ber im Stubentencorpd. In diefer Zeit trieb er auch lebende Sprachen, altnord. Gefchichte und 
Isländiſch. Sein dichterifches Talent that ſich zuerft dar in einer Sammlung von „Gedichten“ 
(1805), denen „Poetiſche Schriften” (2 Bde., 1805) folgten, worin er ſchon die Wiederge⸗ 
burt ber nord. Poefie in „WBaulundurs Gaga” verfündigte und auch die ganze Farben⸗ und 
Märchenpracht des oriental. Geiſtes mit Dramatifcher Verjüngungskraft im „Aladdin“ nieder- 
legte. Im 3. 1807 erfchienen feine „Nordifchen Gedichte”, unter denen ſich „Hakon Jarl“ bes 
fand, ein Werk, das feinen Ruhm mit begründete. Inzwiſchen hatte er 1805 eine Reife nach 
Deutſchland angetreten, bie für ihn höchſt weckend und fördernd wurde. In Berlin hörte er 
Fichte, und durch häufiges Vorleſen ſeines „Hakon Jarl“ und „Aladdin“, die er gleich beim 
Lefen ins Deutfche übertrug, bereitete er fi zum deutſchen Schriftfteller vor. Schleiermacdher 
machte ihn mit dem Trimeter und den anapäftifchen Kunflformen bekannt. Befonders enge 
Freundſchaft ſchloß er mit Zied und Steffens. Von Deutfchland ging er nach Frankreich, wo 
ex in Yaris zwei Jahre fi aufhiele. Die Vorbereitung zur ital. Reife fing damit an, baß er in 
Tübingen, wohin er mittel& eined Meinen Darlehns gefommen, Cotta feine deutſchen Manu⸗ 
feripte verkaufte. In Eoppet verweilte er fünf Monate beider Frau von Stael-Holftein und lernte 
bier U. W. Schlegel, Beni. Conſtant, Sismondi und Zach. Werner Eennen. In Rom fchrieb 
er feinen „Correggio“, dem die beiden nord. Zrauerfpiele „Palnatoke“ und „Axel und Wal⸗ 
borg” vorangegangen waren. Zurüdgelehrt ind Vaterland, wurbe er 1810 Profeffor ber 
Aſthetik und hielt num eine Reihe von Jahren hindurch zum Theil fehr befuchte, befonders durch 
fein plaftifches Darftellungstalent und feine Babe der vertraulichen Anfchmiegung an Die Be⸗ 
dürfniffe gebilbeter Zuhörer beliebte äfthetiiche Worlefungen. Eine neue Sammlung feiner 
„Dichtungen“ (2 Bde, 1810) enthielt unter Anderm mehre Igrifche Stüde, die zu bem Vor⸗ 
trefflichften gehören, was feine Dyfe hervorgebracht hat. Sein Conflict mit I. Baggefen, be 
fonder6 von 1815 — 16, berührte D. zwar oft fehr fehmerzlich, trug aber gewiß mefentlich zur 
Forderung eines gereinigtern Kunſtgefchmacks und zur Wiederherſtellung bed nothwendigen 
Gleichgewichts zwifchen der poetifchen Form und Probuctivität bei. Auf einer zweiten Reife 
nad Deutſchland und Italien von 1817 — 18 erweiterte D. feinen Gefichtöfreis, wovon bie 
Beſchreibung diefer Reife, die 1819 im Druck erfchien, die Spuren trägt. Die Mittagshöhe bes 
Dichters bezeichneten wol das meifterhafte Epos „Nordens Guber” (1819; Prachtausgabe, 
1852), das dramatifche Märchen „Fifteren” und der nord. Romanzencyklus „Helge“, neben 
der Reihe von Zrauerfpielen, die mit ben frühern in einer bän. Gefammtausgabe unter beit 
Titel „Zragöbier” (10 Bde., 18351 — 38;. Prachtausgabe, 10 Bbe., 1849) gleichzeitig mit einer 
zweiten Hauptſammlung feiner „Digtervärker” (10 Bde, 1835; Prachtausgabe, 23 Bde., 
1851—852) erfchienen. Noch 1850 veröffentlichte er „Reue dramatiſche Dichtungen” (2Bbe., 
2p3.). In fpätern Jahren wandte ſich O. auch feinem Talente fremben Gebieten zu, was ihm felbft 
und Anbern bie Freude an dem früher Errumgenen verfümmerte. D.flarb als bän. Conferenzrath, 
von feinen Bandsleuten vielfach gefeiert, 20. Jan. 1850. Noch ift feiner Übertragung von Hol⸗ 
berg’s „Ruftfplelen” (4 Bde. Lpz. 1822— 25) zu gedenken. Seine „Werke“ erſchienen deutſch 
zwei mal gefammelt (18 Bde, Bresl. 182930, ımd 21 Bbe., 1839), in denen auch feine an 
intereffanten Zügen reiche Selbftbiographie (Bd. 1—2) eingefchloffen if. Die erfle vollftänbige 
Ausgabe von O.s Schriften bilden bie „Sanılede Värker” (38 Bde., 1848-52); auch wurde 
eine befondere Ausgabe feiner „Lyriſte Digte, Romancer og Ballaber” (5 Bde. 1852) veran- 
flaltet. Nach feinem Tode erfchienen noch feine „Lebenserinnerungen” Gebe: 2p,.1850—51) 

Ohlmüller (Jof. Dan.), namhafter deutſcher Architekt, geb. 10. Jan. 1791 zu Bamberg, 
machte feine Studien theild in München, theils feit 1815 in Italien und Sicilien. Als bair. 
Regierungsrath ſtarb er in München 22. April 1839. Bei höchſt umfaffender Kenntniß alles 

Gonp.sEer. Zehnte Aufl. XL " 3 


90 Ohm Raß) Dinmacht 


Bauftite hatte fich feine Neigung vorzüglich denjenigen des chrifklichen Mittelalters zugewendet, 
in welchen auch feine Hauptwerke ausgeführt find. So die 1831 begonnene goth. Kirche in ber 
Vorſtabt Au bei München, welche in ihren drei Schiffen von gleicher Höhe bie Form deutfcher 
Kirchen aus der Mitte des 13. Jahr., in ihrem Thurm aber das Motiv des Münfterthurms 
von Freiburg im Breidgau wiederholt. Kerner gehören ihm das Rationaldentmal zu Oberwit- 
telsbach, eine ſchlanke goth. Pyramide, die meifterhafte Reſtauration des Schloſſes Hohen 
—— — zum Theil nach Dan. Quaglio's Plan, die Kapelle zu Kiefersfelden und ähnliche 

mittelalterlichen Stils, deſſen Principien er mit dem höchſten Schwunge der Yhantafıe 
anzizwenden mußte. Sein glängenber Entwurf zu einer großen Ruhmeshalle ingoth. Stil kam 
nicht zur Ausführung. D.'E Werke zeichnen fich Überdies burchgängig durch Gewiſſenhaftigkeit 
und Schönheit des Details aus, feine Zeichnungen durch bie größte Sauberkeit und Vollendung. 

Ohm, Ham, ein Flüſſigkeitsmaß, befonders für Wein, in Deutfchland, ber Schweiz, Livland, 
Eſthland, den Niederlanden, Dänemark und Schweden, von fehr abweichender Größe. In 
Deutfchland begreift die Ohm 2 Eimer ober 4 Anker. 

Dhm (Martin), ausgezeichneter deutfcher Mathematiker, geb. 6. Mai 1792 zu Erlangen, 
wo fein Vater als Schloffermeifter lebte, ftudirte, auf bem dafigen Gymnaſium vorbereitet, aud) 
auf der Univerfität zu Erlangen feit 1808 Kameralwifienfchaften, worauf er fich 1811 als Pri⸗ 
vatdocent der Mathematik habilitirte. Sechs Jahre barauf folgte er einem Rufe als Oberlehrer 

e Mathematik und Phyſik an das Gymnasium academicum zu Thorn, ging aber 1821 na 

erlin, wo er erſt ald remımerirter Privatdocent, feit 1824 als außerorbentlidher und feit 1859 
als‘ ordentlicher Profeffor ununterbrochen gewirkt bat. Außerdem hielt er 1824— 51: Vorträge 
an ber Bauakademie, 1833 —82 an der Artillerie und Ingenieurfchule,. woneben er fett 1826 
auch als Lehrer an der allgemeinen Kriegoſchule thärig ift. Unter den verfchiebenen Lehrblichern, 
bie D. verfaßte, find die „Reine Elementarmathematit” (3 Thle., Berl. 1826 5 3. Aufl., 1844), 
„Kurzes Lehrbuch für den gefammten mathematifchen Elementarunterricht” (Xp. 1836; 
4. Aufl., 1848) und das „Lehrbuch für die gefammte höhere Mathematik” (2Bbe,, 2pz. 1839) 
befonders hervorzuheben. Sein Hauptwerk iſt jeboch der „Verſuch eines vollkommen confe 
auenten Syſtems ber Mathematik” (Bd. 1—9, Nümb. 1822—52; Bd. 1 und 2, 3. Aufl, 
4855— 54). Bon feinen übrigen ftrengwiffenfchaftlichen Arbeiten verdienen, außer dem „Lehr⸗ 
buch der Mechanik” (3 Bde. Berl. 18356— 38), noch befondere Erwähnung : „Auffäge aus 
bem Gebiete der höhern Mathematik“ (Berl. 1823); „Lehre vom Größten und Kleinften” 
(Berl. 1824); „Geiſt der mathematifchen Analyfis” (2 Thle. Berl. 1842—45). Von einem 
berliner Wahltreife 1849 in die zweite Kammer gewählt, nahm er drei Jahre hindurch vom 
Standpunkt eines confervativen Liberalismus aus an den Arbeiten berfelben thätigen Antheil. 

Ohmacht (Landolin), Bildhauer, geb. 6.Nov. 1760 zu Dunningen bei Rottweil, der Sohn 
eines Landmanns, zeigte fchon früh fein Bildnertalene und hatte fpäter den Bildhauer Melchior 
in Frankenthal zum Kehrer. Nachdem er einige Zeit in Manheim und Bafel hHauptfächlich im 
Porträt gearbeitet hatte, befuchte er um 1790 Stalien, wo er feine Bildung vollendete. Hier⸗ 
auf bereifte er Deutfchland und hielt fich dann Längere Zeit in Hamburg auf, wo er das Dent- 
mal des Bürgermeifters Rodbe im Dom zu Lübed und Klopſtock's Büfte in Marmor arbeitete, 
bie eines feiner trefflichften Werke ift, auf welches er felbft den meiften Werth Iegte. Im J. 1801 
führte er in Strasburg das Denkmal für den General Defair aus, das Weinbrenner entworfen 
batte. Seitdem arbeitete er meift in Strasburg: fo dad Urtheil des Paris, in Sandftein ; bie 
beiden toloffalen Büften Hans Holbein’8 und Erwin's von Steinbach, in Marmor; Neptun, 
in Sandftein; die Denkmale Oberlin’d und Koch's in ber Thomaskirche in Strasburg; eine 
Denus in Lebensgröße, in Marmor; eine Flora, als Seitenftüd zur Venus ; das Denkmal einer 
Mutter von vier Kindern umfchlungen ; eine Pfyche, welche ſich aufrichtet und dem Amor nach⸗ 
blickt ; das koloſſale, für den Dom zu Speier beftimmte Grabdenkmal König Adolf's von Naſ⸗ 
fau u. ſ. w. D. erfcheint in allen feinen Werken als gründlicher, ideenreicher, in ber Ausführung 
discreter Künſtler; befonders find feine weiblichen Geftalten von vieler Grazie. Er ftarb zu 
Strasburg 31. März 1834. 

Ohnmacht (animi deliquium, lipothymia oder syncope) iſt eine Unterbrechung der ani« 
maliſchen Lebensäußerungen (der Empfindungs-, Bewegungs- und Denkfunction), wobei die 
vegetativen (indbefondere Athmung und Stoffwechfel) nur in vermindertem Maße fortdauern. 
Je nad) der theilweifen oder gänzlichen Unterbrechung und der Dauer derfelben find die Grade 
ber Ohnmacht verfchieden. Bei den höhern Graben iſt alle Thätigkeit der Sinnesorgane aufge» 
hoben, die Wärme und Röthe ber Haut verringert, die Refpiration faft gänzlich unterdrückt, der 


Ohr 971 


Puls und der Herzſchlag ſchwach und kaum fühlbar; ber höchſte Grad, wobel das Herz ganz 
ſtill ſteht, ift der Scheintod (f. d.). Die Ohnmacht entfteht, wie es fcheint, Durch Unterbrechung 
ber dem Gentralnervenfufteme (f. Rerven), d.b. dem Gehirn und Rückenmark, unentbehrlichen 
Blutzufuhr, daher am häufigften durch Stillftand oder Schwächung ber Herzbewegung. Slie 
wird daher herbeigeführt durch Unterbrüdumg ber Nerventhätigfeit nad) heftigen Gemuͤthsbe⸗ 
wegungen, förperlichen Anftrengungen, ſtarken Sinneseindrüdten, Schmerzen, heftigen elektri- 
ſchen Schlägen, Blut» oder überhaupt Säfteverluft u. ſ. w.; ferner in manchen Krankheiten, 
3. D. bei allgemeiner Nervenfchwäche, Hufterie, organifchen Fehlern des Herzens u. dgl. We⸗ 
gen feines viel reizbarern Nervenſyſtems ift das weibliche Gefchlecht ben Ohnmachten weit mehr 
außgefegt als das männliche. Der Ohnmachtsanfall beginnt oft mit Schwindel, Sinnestäu- 
fhungen, einem Gefühle großer Mattigkeit, Verminderung des Blutumlaufs in den Haar- 
gefäßen, worauf dad Bemwußtfein ſchwindet und der Körper durch Nachlaſſung aller Mustel« 
fpannung zufammenfinft. Gewöhnlich dauert diefer Zuftand einige Minuten, worauf ſich leichte 
Zudungen in den Geſichtsmuskeln, tiefere Athemzüge, ftärkerer Herz- und Yulsfchlag, Erwa⸗ 
hen ber Sinne und Rückkehr des Bemwußtfeins einftellen. Zumeilen dauern aber die Anfälle 
bedeutend länger oder geben in die höhern Grade und biefe in Scheintod und wirklichen Tod 
(den fogenannten Nervenichlagfluß) über. Tritt eine Ohnmacht in Folge zufälliger Gelegen⸗ 
heitöurfachen (von oben genannter Art) ein, fo ift fie meift vorübergehend und ungefährlich; 
kehrt fie jedoch in unbeftinnmten Zmwifchenräumen längere Zeit hindurch ohne ſolche Urfache zu⸗ 
rüd, fo ift fie ein Zeichen einer gefährlichen (3. B. Herz⸗ oder Nerven-) Krankheit. Die An- 
fälle felbft kann man zuweilen verhindern, wenn man bei bem Gefühle ihrer Vorboten alle Hin⸗ 
derniffe der Refpiration und des Kreislaufs, befonders eng anliegende Kleider, verborbene Luft 
u. bgl., befeitigt, einen frifchen Trunk oder ein Erquidungsmittel (3. B. Kaffee, Thee, Wein) 
barreicht und durch Reiben der Eptremitäten oder warme Hand» und Fußbäder u. dgl. ben 
Blutkreislauf zu erhalten fucht. Im Anfalle benugt man diefelben Mittel und forgt vor allem 
für eine ruhige, gan horizontale Lage bes Körpers und Kopfes. Als Mittel, das Erwachen zu 
beförbern, find Zufächeln von frifcher Luft, Befprigungen des Gefichts mit kaltem Waffer und 
Eſſig, Waſchen der Stien und Schläfe mit denfelben oder geiftigen Flüffigkeiten, als Naphtha, 
Kölner Waſſer u. f. w., Riechmittel (Salmiakgeift, Effigfäure), Nießpulver, felbft reizende 
Kiyſtiere, Frottiren der Eytremitäten u. |. w. zu nennen. 

Dbr (auris) ift da6 Organ des Gehörfinns, d. h. der Apparat, welcher die ſchallgebenden 
Luftſchwingungen fo auffängt, fortleitet und verarbeitet, daß fie von dem Gehörnerven in ihren 
Eigenthümlichkeiten unterfchieden wahrgenommen werden. (S. Gehör.) Es ift noch nicht 
vollftänbdig ermittelt, welchen Zwecken ein jeder einzelne Theil des Ohrs beim Hören dient; als 
Hauptrefultat aber ber darüber angeftellten Unterfachungen kann ungefähr Folgendes betradh- 
tet werden. Die bis zum äußern Ohre gelangenden Schallwellen werden durch die Hauptfäch- 
li von dem Ohrknorpel gebildete Ohrmufchel fo aufgefangen und zurüdgemworfen, daf fie 
leichter in den äußern Gehoͤrgang eindringen koͤnnen, welcher fietheild unmittelbar, theils durch 
eigene Erſchütterung mittelbar zum Trommelfell leitet, theils durch feinen akuſtiſchen Bau mit- 
tels der in ihm entftehenden Refonanz verftärkt. Das Trommelfell wird durch die Schallwellen 
in Bewegung gefegt und theilt diefe theils der in ber Paukenhöhle befindlichen Luft, theils ben 
am Trommelfell befeftigten Gehörknöchelchen mit. Von der erflern pflanzt fich die Beivegung 
weiter durch das runde Loch auf die Flüffigkeit in der Schnede, von ber Tegtern auf die im Vor⸗ 
bofe fort und trifft fo endlich auf die feinften In diefen Theilen verbreiteten Veräftelungen bes 
Gehörnerven. Auf welche Art diefer die Stöße ber Luftſchwingungen (der Exchallmellen) als 
Töne empfindet, laͤßt ſich noch nicht phyſikaliſch erflären. Aus der Paukenhoͤhle geht ein Inne 
rer Gehörgang, die Euftachifche Trompete, nach der Hintern Rachen» und Nafenhöhle hin, mit. 
tel& welcher eine unmittelbare Verbindung der Paukenhöhle mit ber äußern Luft hergeftellt wird, 
um einen Luftwechfel in berfelben und die @leichheit bes Luftdrucks auf beiden Seiten bes Trom⸗ 
melfellö zu vermitteln. — In der Thierwelt ift ber Sinn des Gehörs bei weitem nicht fo allge 
mein als ber Gefichtd- und Taftfinn, und wenn es auch von den Inſekten ausgemacht If, daß 
fie hören, fo ift doch bis jegt nur an zwei Arten ber wirbellofen Tiere, ben Kephalopoben und 
ben höhern Eruftaceen, ein Gehörorgan entdeckt worden. Mehre Thierclaffen fcheinen nur durch 
Erſchütterung der Kopftnochen zu bören (mie aud wir durch Anfegen einer ſchwingenden 
Stimmgabel auf den Schädel deren Töne ohne Hülfe des äußern Ohrs wahrnehmen). Sehe 
einfach iſt das Gehörorgan ber Fiſche; hei mehren von ihnen hängt e8 mit u Schwimmblaſe 


973 BShringen hrling 


ſammen. Während, die nackten Amphibien in Hinſicht auf den Bau ihres Ohrs ſich ben FH 
anfehließen, erfleigen die mit Schuppen verfehenen eine weit hößere Gtufe ber Orgariſa⸗ 
tion.: Wenig davon unterfcheidet ſich der Bau des innern Ohrs bei den Vögeln, bie hinſichtlich 
deſſelben Wpnlichkeit mit bem Krokodil Haben. DemMenfchen am naͤchſten kommen die Säuge 
thiexe, bei benen nicht nur bie innere Anlage des Ohrs yemus ebenfo eingerichtet iſt, ſondern 
auch ein äußere Ohr fich findet, welches nur bei ben im Waſſer oder in ber Erbe lebenden Glaf- 
fen fehlt, bei den übrigen aber die verfhiedenften Geftaltungen annimmt. j 

Daß ein fo zart und kunſtlich organifirter Theil wie das Ohr mannichfachen Störungen umb 
fomit Krankheiten unterliegen müffe, ift natürlich ; allein die abgefchiebene Lage des Hauptrheils 
diefeß Organs im Imern eines Knochens, ſowie bie Zartheit feines Baus Haben daſſelbe den 
Forſchungen der Phyfiologie und Pathologie, forwie den Heilverfuchen.ber Therapie fehr umzu- 
gänglich gemacht, fobaf darüber noch viele Ungewißheit herrſcht. Gewiß ift, daß ſämmtliche 
Theile bes Ohrs ebenfo wie andere Organe ber Entzündung und beren Folgen, Vereiterung, 
Verhärtung, Wucherung und andern organiſchen Ubeln audgefegt find. Faſt allen Ohrenkrank 
beiten ift ein Symptom gemeinſchaftlich, nämlich eine Modification ber Gehörfähigkeit. Diefe 
kann momentan erhöht werben, wird aber Inden meiften Fällen auf kürzere oder längere Zeit ver- 
ringert oder ganz aufgehoben, ſodaß Schwerbörigkeit und Taubheit (ſ. d.) entſteht, welche alfo 
keine Krankheit für ſich, ſondern ein Symptom der verſchiedenartigſten Ubel iſt und alſo auch nicht 
einem einzigen Heilmittel (wie fie noch immer marktſchreieriſch aus geboten werden) weichen kann. 
Unter ben entferntern Urfachen ber Ohrenkrankheiten find befonders Erfältungen, heftige Erſchüt⸗ 
terungen durch Stoß ober Fall, Ablagerungen von Krankheitäftoffen (befonders von Tuberkeln 
In das Felſenbein) und allgemeine Nervenleiden zu nennen. Gewiffe Arten von Schwerhoͤrigkeit 
werben durch ben Gebrauch der ſogenannten Hoͤrrohre etwas verbefiert. Eine ziemlich genaue 
Anſicht des äußern Gehorgangs bis zum Tronmelfellbelommtnan durch den Ohrſpiegel (spe- 
oulum auris), welcher nach Art der übrigen chirurgifchen Spiegel eingerichtet ift. Als kefondere 
Nervenkrankheiten bed Ohrs find fehr bekannt ber Direngwang und das Öbrentönen. Ohren ⸗ 
zwang (otalgia) nannte man jeden heftigern Schmerz im beſonders werm er den Charak⸗ 
ter einer Reuralgie (f. d.) Hat; doch beruht er auch oft auf Entzündungen. Das Dfrentöuen 
beftebt darin, daß man einen von außen kommenden Schall gu vernehmen glaubt, ohne baf ein 
folder eriftirt, ift alfo eine Gehoͤrstäuſchung. Iſt diefer Schall Hoch, fo nennt man ed Ohren⸗ 
klingen (tinnitus aurium), ift er tief, Obrenfaufen (susurrus aurium). Zwiſchen beiden 
m man jedoch noch eine Menge Abftufungen, welche Unterfcheibungen indeffen wenig praßti- 
hen Werth befigen. Das Obrentönen beruht meift auf Erkrankung des Gehömerven; doch 
begleitet ein bumpfes Braufen aud die Verftopfung ber Euftachifchen Rohre oder Anfüllung 
ber Dohle vor oder hinter dem Trommelfell. Viele Ohrenkrankheiten werben von Obrenlaufen 
oder Orenfiuß (otorrhoea) begleitet, wobei eine Slüffigkeit aus dem äußern Gehörgange aus⸗ 
fließt, aus deren Beichaffenheit man oft auf die Art und den Bang der Krankheit ſchließen kann. 
Meiſtens beruht fie auf einem entzündlichen Zuftande (fogenannten Katarrh) des äußern Ge⸗ 
börgangs. Um Kenntnif und Behandlung der Ohrenkrankheiten haben fich befonders ver- 
dient gemacht: Saiffy, Itard, Deleau, Kramer, Schmalz, Linde, Yeardley u. A. Vgl. Linde, 
„Das Gehörorgan in anatomifcher, phyfiologifcher und pathologifch -anatomifher Hinſicht“ 
(3 Bde., Lpz. 1837—45); Kramer, „Die Erkenntnif und Heilung der Ohrenkrankheiten“ 
(2. Auſi, Berl. 1849). 

Dbringen, ein Oberamtsbezirk im würtemb. Jartkreije, am Kocher gelegen, hat ein Areal 
von 7/. AM, zählt 32500 E., umfchließt die Standesherrſchaft Öfringen des Fürften von 
Hohenlohe⸗Ohringen (ſ. Hohenlohe) und hat zum Hauptort die Hauptftadt Obringen an ber 
Ohra, mit 3500 E, die Bijouteriefabriten unterhalten und Weinbau treiben. Es befindet ſich 
bier das fchöne Reſidenzſchloß des Fürſten, mit großen Gartenanlagen und der Fürftengruft in 
ber ſehens werthen Hauptlicche. Zu den Medlatbefigungen des Fürſten, die zufammen auf 
6 DM. 26000 ©. zählen, gehören auch die benachbarten Städte Ingelfingen, gleichfalls mit 

Houteriefabrifation und Weinbau, Neuenftein mit Wollenzeugweberei, Forchtenberg mit 
Weinbau, Künzelsau mit mancherlei Bewerben und Niedernhall mit einer Salzquelle. 

‚Obrling oder Dhrwurm (Forfioula), eine Infektengattung aus ber Ordnung der Gerad⸗ 
flügler, ausgezeichnet Durch Die Zange am Ende bes Hinterleibs und bie längs und zugleich auch 
quer gefalteten Hinterflügel. Es find nächtliche Thiere, die fich gern in Höhlumgen verkriechen, 
keineswegs aber für bie Ohröffnungen bed Menfchen eine Vorliebe haben, wie ber Name ans 
deutet und man früher geglaubt hat. Dadurch, daß fie gern reife, füge Früchte benagen, Nelten, 






[2 


Ohrenbeichte Dken | 378 


Georginea u. ſ. w. gute en, werben fie läflig. Man Bann fie aber leicht in Papierdüten, Rohr⸗ 
flengel, Heine mit Moos gefüllte Krumentöpfe aufgehöngte Lappen u. dgl. locken und dann 
ohne Drühe tödten. Der gemeine Obrling (F. auricularia) ift 7—10 Linien lang, braun, unbe 
haart und hat 1Agliederige Bühler; er findet ſich überall Häufig. Seltener ift ber kleine Ohrling 
(F. minor) mit ſchwarzem Kopfe und Halsfchilde; er lebt befonders unterm Mifte. 
Dprenbeichte, |. Beichte. 

Dbflon (Konftantin, Freiherr b’), ſchwed. Befandter und bevellmächtigter Minifter am Hofe 
zu B geb. um 1780 zu Konſtantinopel, wo fein Vater Monradgea (f. d.) d'O., ein Arme⸗ 
nier, bevollmächtigter ſchwed. Miniſter war. Der Sohn erhielt eine gelehrte Bildung und wurde 
4807 Legations ſecretaͤr zu Berlin, 1808 zu Madrid und 1810 zu Paris. Im J. 1812 zurück 
berufen und zum Legationsfecretär beförbert, warb er 1816 Befandter im Haag, 1828 in den 
Freiherrenſtand erhoben und 1834 nach Berlin verfegt. Neben feinen biplomatifchen Gefchäften 
fand er mehrfache Gelegenheit zu ſehr verbienfllichen literariſchen Fotſchungen. Namentlich Hat 
ex feine Zeit der Aufhellung der afiat. Gefchichte gewidmet, für die ihm feine oriental. Sprach⸗ 
kenntniſſe die Quellen eröffnen. Beſonders Hervorzuheben find feine „Histoire des Mongols” 
(4 Bbe.; neue Aufl., Amſt. 1854— 35) und „Des peuples du Caucase dans le 10me® 
siöcle" (Par. 1828). Auch vollendete er das „Tableau de l’empire ottoman” feines Vaters. 

Dife, ein Fluß in Frankreich, der auf den Ardennen bei Chimay in Belgien entfpringt, die 
Departements Aisne und Dife durchſtrömt und im Depart. Seine» Dife bei Gonflans 
Ste. Honorine, 10 M. ımterhalb Parts, in bie Seine fich ergießt. Er hat einen 36 M. langen 
Lauf, nimmt rechts bie Serre und Aisne, links bie Therain und andere Heine Flüſſe auf und 
wird beim Eintritt in das Dife Departement bei Chauny 20 M. weit fchiffbar. Das nach ihm 
benannte Departement Dife, im nördlichen Frankreich, umfaßt ehemalige Beftandfheile von 
Isle⸗de⸗France, Balois, Noyonnais und Soiffenais ımd von ber Picardie die Landſchaften San⸗ 
terre und Amidnaie. Es zählt auf 106% AM. 403857 E. und: zerfällt in die vier Arron- 
biffements Beauvais, Elermont, Sompiegne und Senlis. Bon der Dife, dem Durcq und vielen 
kleinen Flüſſen und von einer Menge niedriger Hügel durchzogen, bringt das Land gutes Rind- 
vieh und in zeihem Maße Getreide, Dbft und Gartengewächfe aller Art hervor, während die 
lebhaft betriebene Induftrie ſich mit Fertigung von Leinwand, Spigen, Teppichen, wollenen und 
baummollenen Waaren, Leder und Töpferarbeiten befchäftige. Der ziemlich Iebhafte Handel 
wird durch die Dife und Aisne bedeutend unterftügt. Hauptſtadt ift Beauvais (f. d.). Nächfl- 
dem find die Städte Compiegne (f. d.), Glermont (f. d.) Senlis, Noyon (f.d.), die Flecken 
Chantiliy (ſ. d.), Liancourt mit 1400 &., einem Schloffe und dem Grabe bed. Herzogs von 
Larochefoucault-Liantourt, fowie das Dorf Ermenonville (f.b.) bemerfenswertb. 

Da, bie türk. Gewichteinheit, eingetbeilt in 400 Dramm oder Drachmen zu 64 Graͤn, in 
der Schwere von 1285,56 franz. Grammes — 2,57 beutfche Zollpfund — 2° preuß. Pf. 
2’/ho wiener Pf.; 44 Den machen den Kantar aus. In Agypten ift die gewöhnliche Dfa — 
1235,35 Brammes — 2,07 deutfcheZollpfimd. Es gibt dort auch für einige Waaren noch zwei 
[were Oken von A20 und 412 Drachmen. Auch in Griechenland bedient man fich häufig noch 
der Ofa, welche daſelbſt — 1280 Srammes. In ber Walachei ift die Dka (von A Kitra ober 
400 ) = 1283, u Stammes, in der Moldau = 1292, Grammes. Die Dfa dient 
in diefen Ländern gewöhnlich auch für ben Verkauf ber Flüſſigkeiten. 

Den (Lorenz), eigentlich Ockenfuß, das er fpäter in Den verwandelte, ein ausgezeichneter 
philoſophiſcher und praktifcher Raturforfcher, geb. zu Bohlsbach in der ſchwäb. Landſchaft Or⸗ 
tenau 4. Hug. 1779, ſtudirte zu Würzburg und Göttingen und lebte dann daſelbſt mehre Jahre 
als Privatdocent, bis er 1807 als außerorbentlicher Profeſſor ber Medicin nad) Jena berufen 
murbe, wo feine Borlefungen über Ratınphilofophie, allgemeine Naturgefchichte, Zoologie mit 
vergleichender Anatomie, Pflanzen, Thier⸗ und Menſchenphyſiologie bald den verdienten Bei⸗ 
fall fanden. Im 3.1810 wurde er Hofrath, 1812 ordentlicher Profeſſor ber Naturwiſſenſchaf⸗ 
ten. Im Spätherbft 1816 fing er an, bie Iſis“ herauszugeben, ein encyklopaͤdiſches Blatt, 
vorzugswelfe aber naturhiftorifchen Inhalte. Da damals in Weimar größere Preßfreiheit ald 
andermärts Berrfchte, fo wurden an D. alle Befchiwerden und Klagen gefendet, bie man wollte 
laut werben laffen und die auch D. in die „Ifi8” aufnahm, ſobald fie ein allgemeines Intereffe 
hatten. Daburdy erregte D. auswärts Großes Misfallen, ſodaß endlich die weimar. Regierung 
ihm die Alternative flellte, entwweber die Profeſſur ober die „Sfis” aufzugeben. D. that bat et» 
flere, während die Iſis im Weimariſchen verboten und nun in Rudolſtadt gebrudt wurde, 
bis fie 1848 zu erfcheinen aufhörte. Gleichzeitig wurbe er In die Ungelegenheit bes Wart⸗ 


r 


374 | Dfolampadins 


burgfeftes verwickelt, jeboch von aller Schuld frei gefunden. Er lebte nun mit geringer Un- 
tesbrechung als Privatgelehrter in Sena, einzig mit der Herausgabe der „Ifi6” und feiner natur⸗ 
Biftorifchen Werke befchäftigt, bis ex 1828 an die neuerrichtete Univerfität zu München ging, wo 
er anfangs als Privatdocent naturhiftortfche Borlefungen hielt und dann ordentlicher Profeffor 
wurde. Weil er auf eine Verfegung an eine andere batr. Untverfität nicht einging nahm er auch 
bier feine Entlaffung und folgte 1832 einem Rufe an die neuerrichtete Univerfität zu Zürich, we 

er 11. Aug. 1851 ftarb. Sein Hauptbeftreben war bie Darftellung eines allgemeinen, in 
zufammenbhängenden, alle Reiche ber Natur und deren Elemente umfaffenden Raturfyfiens, 
deffen philofophifche Begründung den Inhalt feines „Rebrbuch ber Raturphilofophie” (Jena 
1808—11 ; 2.Aufl.,1851) bildet, während er es in bem „Lehrbuch der Raturgefchichte (3 Bde 
2pz. 1813 — 27) volfftändig entwidelte. Da fein Raturfoftem fehr eigenthũmlich iſt und von allen 
vorhandenen Syftemen abweicht, beutfche Benennungen oft mangelten umd bie leitenden Grund⸗ 
fäge ber Einthellungen burch bie Namen derfelben angedeutet werben follten, fo ſchuf D.eine eigene 
Nomenclatur, die in vielen Fällen gezwungen klingt, meift aus neugebilbeten Ausdrücken befteht, 
ſchwer zu behalten ift und fomit Feinen Beifall gefunden hat. Seine Raturpbilofophie wurbe viel⸗ 
fach mißverftanden und veranlaßte, daß manche flache Schriftfteller auftraten, die in myſtiſche Ein- 
kleidung ihr Hauptverdienft Iegten, bie alltäglichften Erfcheinungen in geheimnißvollem Tonebe- 
ſprachen und an die Stelle des klaren Urtheils Schwärmerei und Willkür fegten. Solche Aus⸗ 
wüchſe haben bei Engländern und Franzoſen bie Naturphiloſophie D.'s fehr In Miscrebit ge 
bracht, während fie in den praftifchen Schriften berfelben leitenb geworden. In Deutfchland 


. Hingegen erfannte man wol an, daß durch die philoſophiſche Anfchauung O.6 ber Raturfor 


fung eine neue und vortheilhafte Richtung gegeben worben ifl. O. war auch als praktiſcher 
Anatom und Phyſiolog ausgezeichnet und hat auf biefem Felde viel gefchrieben. Ein | 
if feine „Allgemeine Raturgefchichte für alle Stände” (13 Bde. Stuttg. 1855 —41). Sei⸗ 
nen Anregungen in der, Iſis“ verdankt der deutſche Raturforfiherverein (ſ. d.) feineh Urfprung. 
O.'3 Büfte, von Drake in Berlin gefertigt, wurbe 1853 auf dem Gichplage in Jena errichtet. 

Okolampadius (Joh.), eigentlich Hausfegein, neben Zwingli einer ber ausgezeichnetfien 
Mitarbeiter am ſchweiz. Neformationswerke, wegen feiner Gelehrſamkeit und feines milden 
Charakters der Melanchthon der Schweiz genannt, wurbe 1482 zu Weinsberg in Schruaben 
geboren. Bon feinem Vater war er zum Stubium ber Rechtswiſſenſchaft beſtimmt, das er auch 
in Heidelberg und Bologna betrieb. Doch aus Neigung wendete er fich zur Theologie, bie er 
dann in Heidelberg fludirte. Nach Ablauf feines akademiſchen Curſus ward er zuerſt Hofmei- 
fter bei den Söhnen des Kurfürften von der Pfalz, dann Prediger in Weinsberg. legte 
aber feine Stelle nieder, ging zu Reuchlin nad) Stuttgart und widmete fich dem genauen Stu- 
dium ber griech. Sprache, während er bei dem fpan. Arzte Matth. Adrian Hebräiſch lernte. 
Hierauf erhielt er durch Capito einen Ruf als Prediger nach Bafel, wo er die Bekanntfchaft des 
Erasmus machte, der die ausgezeichnete claffifche Bildung des D. fo ſchaͤtzte, daß er benfelben 
bei der Herausgabe bes Neuen Teftaments benugte. Doc, ſchon 1516 gab D. feine Stelle wie- 
der auf und folgte einem nieuen Rufe als Prediger nach Augsburg. Auch Hier blieb er nur kurze 
Zeit, indem er in das Brigittenklofter Altenmünfter eintrat. Inzwifchen war aber Luther auf- 
getreten, deffen Wort ihn fo mächtig ergriff, daß er das Klofter verließ umb die Stelle eines 
Schloßpredigers bei feinem Freunde, Dem Ritter Franz von Sickingen, antrat. Nach deſſen Tode 
ging er wieder nach Baſel zurüd (1522), wo er nun feine reformatorifche Thätigkeit als Pre- 
diger und Profeffor der Theologie eröffnete und die früher von Gapito begonnene Reforniation 
Bafels fortführte. Nach feinen Disputationen zu Baden 1526 und Bern 1528 mit ben kirch⸗ 
lichen Gegnern führte er 1528 die Reformation in Bafel und Ulm völlig ein. In dem über bie 
Abendmahlslehre mit Luther entflandenen Eonflicte näherte fich 5 mehr und mehr ber Anficht 
Zwingli's, nur daß er die Worte: „Das ift mein Leib“, fo auslegte: Das ift ein Zeichen oder Bild 
meines Leibes. Im I. 1525 ſprach er diefe Anficht in der Schrift „De genuina verborum Do- 
mini: hoc est corpus meum, interpretatione” aus, die er zur Bertheidigung Zwingli’6 abge- 
faßt hatte, fand jedoch bei den ſchwäb. Predigern keinen Anklang, denn diefe fegten ihm das 
„Syngramma Suevicum’ entgegen. Später disputirte DO. bei Dem Neligionsgefpräd zu Mars 
burg 1529 mit Luther und flarb kurz nach dem Hingange feines Freundes Zwingli zu Bafel 
23. Nov. 1531. Unter den Schriften, die er zur Förderung der Reformation ſchrieb, zeichnete 
fi befonders aus „De ritu paschali” und feine kurz nad) ber leipziger Disputation erfchienene 
„Epistola canonicorum indoctorum adRccium“. Bol. Derzog, „Das Leben des Joh. D. und die 
Reformation ber Kirche zu Bafel” (2 Bde, Baf. 1R43). 


Dfonomie DI 975 


Dfonomie (griech.), d. 5. wörtlich Haushaltung, bezeichnet eigentlich nur ein Verfahren, 
weiches an fich weber an ein beflimmtes Geſchäft gebunden erfcheint, noch das Merkmal eines 
Lobes oder eines Tadels an fich trägt; zunächft aber drückt es die in einem Befchäfte vorhandene 
Drdnung im Schaffen und Ausgeben aus. Indeffen hat fich der Sprachgebrauch eines Theile 
bahin ausgebildet, daß man unter bem Worte Ökonomie eine ſolche bausbälterifche Orbuumg 
verfteht, an bie fich einzelne Tugenden der Haushaltung, insbefondere möglichfte Cinſchränkung 
im Berzehr, Benugumg auch Bleiner dargebotener Bortheile, die Anſammlung erfparter Ge 
winnfte u. f. w. fnüpfen. Endlich bezeichnet man unter Ökonomie namentlich die in der Land» 
wirthſchaft (ſ. d.) gu bemährende Haushaltungsrhätigkeit. — Okonomiſten nannte man vor» 
zugsweiſe Die Anhänger des Phyſiokratiſchen Syftem® (f. d.) in ber Rationalöfonomie. 

Dfonnew (Nikolai Aierandrowitfch), ruff. militärifcher Schriftfteller, geb. 1792 zu Pe⸗ 
teräburg, wo fein Vater ale Geh. Rath angeftellt war, genoß im älterlichen Haufe eine 
treffliche Erziehung und trat ſchon im feinem 15. I. bei dem Minifterium bes Auswär- 
gen in den Staatsdienft. Doch gab er biefe Stellung 1811 auf und machte dein $elb- 
jug des folgenden Jahres im Corps des Grafen Wittgenſtein mit. Seit 1813 aber wohnte 
er dem allgemeinen Kampfe im Dauptquartiere bes vierten preuß. Armeecorps, welches 
vom Grafen Zauenzien befehligt wurde, als Generalſtabsoffizier bei. Nach ber Rückkehr 
m fein Vaterland wibmete er feine Muße gänzlich den Militärwiffenihaftn. Es erichie 
nen von ihm: „Reöflexions sur le systöme de guerre moderne“ (Petersb. 1823); „Histoire 
de la campagne de 1800 en Italie, augment&e de consid6rations sur les mouvements des 
deux armöes belligörantes” (Petersb. 1825); „Examen raisonnd des propriötes des trois 
armees, l'infantcrie, la cavalerie et l’artillerie, de leur emploi dans les batailles et leur rap- 
port entre elles“ (Par. 1827; 2. Aufl., 1832); „Considörations sur les grandes op6ralions, 
les batailles et les combats de la campagne de 4812 en Russie” (Par. 1829); dann feine 
„Me&moires sur les principes de la stratögie et sur ses rapporls inlimes sur le terrain” 
(Par. 1830). Im 3. 1829 wurde er im Beneralftabe der kaiſerl. Armee angeftellt und machte 
unter Diebitſch⸗Sabalkanſki den türk. Feldzug bis zum Frieden von Abrianopel mit, worauf 
er 1831 dem Grafen Paskewitſch⸗Eriwanſki als Stabsoffizier nach Polen folgte, wo ihm die 
Ausarbeitung der Eriegerifchen Operationen, welche bie Einnahme Warſchaus herbeiführten, 
übertragen wurbe. In Folge biefer Arbeiten ward er zum Adjutanten des Kaifers und darauf 
sum Generalmajor ernannt, auch 1833 in bie Suite des Monarchen aufgenommen, mit Un- 
weifung feines Aufenthalts im Hauptquartier bes Feldmarſchalls Fürſten von Warſchau. 
Seine aufmerffamen Beobachtungen der zweiten Epoche bed poln. Feldzugd legte ex in der von 
Parteilichkeit freien „Histoire de la seconde &poque de la campagne de 1831 en Pologne” 
(Petersb. 1825) nieder, ber dann das taktifche Werk „Mömoire sur le changement qu’une 
artillerie bien instruite et bien employ6e peut produire dans le systöme de la lactique mo- 
derne” (Par. 1825) folgte. Studien unb ununterbrochene militärifche Beſchäftigungen hatten 
feine Augen fo angegriffen, daß er 1832 auf bem Punkte war, zu erblinden. Seit 1852 Mit 
glieb des Cducationsraths, feit 1837 erfted Mitglied des Minifteriums bes Innern und feit 
1859 Mitglied des Staatsraths im Königreich Polen, fand er einen weiten Spielraum zu einer 
äußerft verdienſtvollen Thätigkeit, die 1840 durch die Ernennung zum Generalfieutenant bes 
lohnt ward. D. ftarb 1851. 

Dfumenifch (olsoupswucde, universalis), d. i. allgemein, dann auch, weil e& früher eben 
feine andere Kirche gab, ald die rechtgläubige chriſtliche, fo viel als katholiſch. Das Papſtthum 
nahm baher ben Ausbrud mit römiſch · kirchlich in gleicher Bebeutung, obſchon bie röm. Kirche 
die allgemeine Kirche nicht war. Das Wort öokumeniſch iſt ein gewoͤhnliches Prädicat für den 
allgemeinen Kirchenvorftcher einer Provinz, alfo für den Ergbifchof oder Patriarchen. Ein aub⸗ 
ſchließliches Prädicat für den Oberhirten zu Rom war es aber nicht, wie fich ſchon baraus er⸗ 
zibt, —* Patriarchen von Koynſtantinopel, Antiochien u. f. w. daſſelbe Prädicat ſich beileg⸗ 
ten., Okumeniſch heißen insbeſondere auch mehre Kirchenverſammlungen. (S. Coneilium.) 

DL iſt der Gattungsname für flüſſige, in 5 wenig ober nicht losliche, in Weingeiſt und 
Ather Lößliche, ber Hauptmaffe nad aus Kohlenftoff umd WBafferfloff beftehende Körper orga» 
nifhen Urſprings. Zwar haben auch mineralifche Flüffigkeiten zuweilen oͤlige Eonfiftenz und 
308 äußere Anfehen ber Die, 3. B. bie deshalb Vitriolsl genannte Schwefelſäure; boch läßt ſich 
kein wahres DI mineralifchen Urſprungs nachweifen, da die Erdöle zwar foffil, aber jedenfalls 
veganifchen Urfprungs find. Die Die zerfallen in zwei Hauptelaffen, in die fogenannten fetten 
ober firen und in die aͤtßeriſchen Dfe (f. d.) oder flüchtigen, bie chemifch ganz verfchieden find, 


316 Dlaf 


Die fetten ober firen Die, welche ſämmtlich fauerftoffhaltig und ſtickſtofffrei, leichter als Waſ⸗ 
ſer, mit Waſſer gar nicht miſchbar, jedoch mit Hülfe von Gummi oder Eiweiß darin zu einer 
Emulſion zertheilbar, ohne Zerſetzung nicht flüchtig, auch in kaltem Weingeiſt nur ſchwer loös⸗ 
lich und von den Fetten und Talgarten nur Durch die Conſiſtenz verſchieden find, daher bei nie⸗ 
drigen Temperaturen, wobei viele Ole erflarren, oder in der Waͤrme, wo bie Fette ſchmelzen, 
diefen ganz gleich. Sie find wie das Fett (f. d.) aus Olein (Olſtoff) und Steaxin zufammen- 
gefest, geben mit Alkalien Seifen, wie jenes, und mit Bleiopyb Pflafter. Alle Ole verändern 
ſich an der Zuft; bie einen werden dabei übelriechend, fauer und ranzig, bleiben aber flüffig; bie 
andern trodinen zu einer harzartigen Maffe ein. Jene nennt man fchmierige Ole, wie bad 
Baumöl, Mandelöl und Rübsl; diefe trocknende Die, wie Mohnöl, Nußöl und Leinsl Die 
ſchmierigen Dfe eignen fich vorzüglich zur Verwendung als Brennmaterial für Lampen, als. 
Schmiermittel für Mafchinen, zum Einfetten der Wolle u. f. w. und kommen mit ben flüffigen 
thierifchen Fetten, wie Thran, Klauenfett u. f. w, ganz überein. Die trodnenden Ole eignen 
ſich, da fie ſehr rufen, nicht zum Brennen, wegen des Trocknens auch nicht zum Einſchmieren, 
dafür aber vorzüglich zur Olmalerei und zu Birniffen; wie denn der Leinolfirniß (f. Firniß) 
mit etwas Wleiglätte gekochtes oder mit Zinkoxyd behandeltes Leinöl iſt. Als Speiſeöl kann 
jedes mild und rein ſchmeckende fette DL benutzt werden. Die fetten Die find vorzüglich in den 
Samen der Pflanzen enthalten und nur das Baumol findet fih im Fleifche der Dliven. Eie 
werben bucch Auspreffen mittel Stampfwerken, Walzen, Breiten u.f.m. in den Olmüblen ge» 
wonnen. Wendet man dabei Wärme an, fo gewinnt man das Ol vollftändiger, aber unreiner 
als durch kaltes Preffen. Alle gepreßten Samenole enthalten Verunreinigungen, welche das 
Ranzʒigwerden befchleunigen und die Flamme rußig machen. Man raffinirt daher die Brenn 
öfe, indem man durch Schwefelfäurezufag jene Beimiſchungen abfcheidet, die Säure dann aber 
duch Kalk wieder entfernt. Geſchieht letzteres unvollftänbig, fo bleibt das DI fauer und greift 
dad Metall der Rampen an. Kupfer und Meffing wird übrigens auch vom reinen Ole unter 
Luftzutritt allmälig angegriffen und mit grüner Farbe aufgelöft. Die Rückſtände des Preffens 
ölhaltiger Säuren, die Olkuchen, finden als Viehfutter und als Düngemittel Anwendung. — 
Dein oder Eläin, reines DI oder Olſtoff, iſt einer der beiden Beftandtheile, welche alle 
fetten Die des Pflanzen und alle Fette des Thierreich® zufammenfegen; ber andere ift Stearin 
(f.d.). Die flüffigen Ole enthalten natürlich weit mehr Olein als die fetten Talgarten. Es 
erſtarrt erſt in viel größerer Kälte ald Stearin, ift ber Kroftallifation nicht fähig und Loft fich 
viel Leichter in Weingeift. Im Kleinen trennt man daher das Dlein vom Stearin am beften 
durch Weingeift. Im größern Maßſtabe bedient man fich des Auspreffens der Ole und Fette 
bei einer Temperatur, wobel das Stearin völlig feft, da8 Dlein aber noch völlig flüffig ift. Rei⸗ 
nes Dlein ift, da es in der Kälte nicht did wird, ein fehr gutes Schmiermittel für feine Maſchi⸗ 
nentheile. Noch beffer eignet fi) dazu die aus dem Dlein dadurch, daß man es an Kalk bindet 
und die Verbindung nachher wieder durch Schwefelfänre zerfegt, meift ald Nebenproduct der 
Stearinfäurefabriten gewonnene Dleinfäure oder Dlfäure. Sie muß aber dann forgfältig 
von aller beigemengten Schwefelfäure befreit fein, weil diefe die metallenen Theile angreifen 
würde. — Der Olhandel, mit Baumöl in Italien, Frankreich, Spanien und der Berberei, mit 
Rüböl im nördlichen Europa, ift überaus wichtig. Dort, wie noch mehr hier, werden in dem⸗ 
felben eine Menge Lieferungsverträge abgefchloffen, die großentheild auf Differenzgefchäfte (ſ. d.) 
binauslaufen, was namentlich am Rhein, in Norbdeutfchland, in Belgien und Holland fehr ge- 
Ka der Fall ift. In gewiffen Mittelpuntten von Gegenden, die viel Olfaat erbauen und 
viel Ol ſchlagen, hat fich in neuefter Zeit zu geeigneten Zeiten eine Urt Börfenverkehr ber Pro- 
ducenten, Gonfumenten und Mäkler für jenen Handel gebildet, die fogenannten (periodifhen) 
Olboͤrſen, deren Termin im voraus bekannt gemacht wird. Große Pläge haben indeffen ihre 
regelmäßigen Olbörſen. 

Dlaf ber Dide, nach feinem Zode der Heilige, einer der gefeiertften norweg. Könige. Urur⸗ 
enkel Harald Haarfager’s (f. d.), Sohn Harald Gränske's, des Srönländers, ward er 995 ge 
boren und fchon frühzeitig durch feine Wilingfahrten in der Normandie und England berühmt 
und gefürchtet. Nach dem Tode Erich's, des bisherigen Throninhabers, und der Vertreibung von 
deffen Sohn ließ er fich 1019 als einzig rechtmäßigen König des Landes ausrufen. Er begann 
feine Regierung mit durchgreifender Umgeftaltung des Hofweſens, erließ ein befonderes Hof⸗ 
recht (die Hirdskra) und fellte die alte Grenze Norwegens und Schwedens wieder her, vor allem 
aber war er bemüht, dem unter feinen Vorgängern gefährdeten Chriſtenthum neue Geltung zu 
verſchaffen. Die Härte, mit ber er hierbei verfuhr, follte er ſchwer entgelten. Won Knut d. Gr, 


PDlam Dlbanm! —X 


dem Dänentönig in England, zum ampfe gezwungen, war er zwar anfangs im Bunde air 
König Jakob von Schiveden fiegreich, mußte aber dann nach Schweden ımd Rußland entflichen, 
von wo aus er, durch einen Traum gemahnt, 1028 nach Notwegen zurückkehrte. Hier fand er 
aber bie Gemüther feines Volkes ſich ſo entfremdet, daß er dem mädtigen Knut nur 3000 red 
ter gegenüberzuftellen vermochte umd beffen Übermagpt in ber berühmten Schlacht bei Gtifieflab, 
in ber Nähe Drontkeims, 29. Juli 1050 mit get ſeines eigenen Lebens unterlag. Dee 
Leichnau des Könige, ben bas reuig gewordene Bolt noch et fand, wurde von ihm im 
droutheimer Dom begraben. Geit 1164 zum Scchut heiligen jene erklärt, hat D. im 
ganzen Rorden ein durch vielfache Sagen Kae Se A gefunden. Nach 
— me iſt der 21. Aug. 1847 von Kör ekat geſtiftete Dlafſorden. 
Tand, eine lange ſchwale Oſtſeeinſel, an ber öfktichen Müfte des ſudlichen Schrei 
Landes hauptmannſchaft Kalmar gehörig und vom Lande durch den kaum 1% M.breiten Aura 
ober Kalmarſund getrennt, hat ein Avesl von 38 MM. und zählt 40000 E. bie einen eigenen‘ 
Dialekt reden. Sie iſt faſt durchaus eine Kalktſippe und kat darum nur theilweiſe fruchtbare 
Streden, im Norden aber Laubholzungen. Das Klima if mild und angenehm. Man treibt 
Getreidebau und einige Viehzucht. Die alte Pferberase ber Inſel, die ogenannten Diands- 
Bepper oder Kinigepfee, ift jedt faſt autgegangen. Außerdem nähren fi) die Bewohner 
von Fiſchfang von ber Ausbeutung ber Gteinbrüche und eines Wiaummerks; von Kalkbrenneret 
und Verarbeitung ber Wolle, An ber Weſtſeite Der Inf Hegt Borgholm, ihre einzige 1817 
angelegte Stadt, mit einem Hafen und 400 E. Etiva 1 Y, IR. nördlich von D.Tiegt bie Mippige, 
aber bewachfene ei Yungfeun (Jungfrau) oder Stalle (Blauer Berg), mit der gleit 
namigen 200 $. hohen Ktippe, die in bemfelben Rufe ſteht wie in Deutſchlanb ber —— 
Dlavides Ar Pablo), Braf von Pilo, geb. 1740 zu Lima in Peru, kam früh nach Ma— 
drid, wo er eine gute Bildung genoß und bei feinen Talenten ſeht bald im Staatöbienfte ange: 
fiellt wurde. Als Steretär folgte er dem Grafen von Atanda auf beten Befanhrfäaforectie 
nad) Frankreich, wo er fehr leichte Sitten annahm. Bon König Karl HI. wurde er in ben Gra- 
fenftand ergoben und zum Intendanten von Sivilla ernannt. Zu ben. mancherlei Berbienften, 
die er ſich um fein Batetland erwarb, gehört namentlich auch bie feit 1767 umternommene &o- 
loniſirung der Sierra Morema (f. b.).  Wefchulbigungen ber Kegerei unterhrachen fein wohle 
thätiges Wirken. Bon ber Inquiftion 4778: zu mehrjähriger Gefangenſchaft verurtheile, 
waren ihm 1780 feine Freunde zur Flucht nach Venedig behülflich. Gpäter-durfte er nach 
Spanien zurũcktehren, wo er in Ainbalufien 1805 flach. Man Hält ihn für ben Verfaffer von 
„Bl,evangelio en -triunfo”, das trog feines geringen Gehalts ungeheuere Berbreitung fand. 
Dlbanım (Olea) Heißt eine Pflangengattung, weldye ſich burd) einen Beinen, vierzähnigen 
Selch, eine tetchterigradförmige, bierthellige Bikumenkcone, zwei —— eine zweifpaltige 
Narbe und eine Steinfruche mit zweifächerigem Steinkerne unterſcheidet. Die hierher gehöri« 
gen Gewärhfe End immergrüne Bäume und Gträucher, mit gegenfänbigen, Ieberigen, ıheifk 
ganzrandigen, kahlen oder fein fchilferigen Blättern. Die Beinen, oft wohtriehenten Btiten 
ſtehen traublg-rispig in ben Blattwinkein ober ſtraufförmig am Ende der Smeige. Am bekann · 
teften ift der echte Dibaum (O.Buropaea), ber im wilden Zuftanbe faft ſtrauchig und dornig fl, 
duch Cultur aber zu einem 20 —40 F. hohen, dornenlofen Baum wird. Et flammt aus beue- 
Driente, kam dann nach Attita in Griechenland und wird fegt in allen Ländern am Mittellän- 
diſchen Meete in äuferft zahlreichen Barietäten cultivirt. Durch feine den ZBeibenblättern 
ähnlichen, oberſeits matt dunkelgrůnen und unterſeits f&ilferigen , weißlich · grauen Blätter 
gibt er den, Landſchaften ein eigenthümliches Anfehen. Er trägt Heine weiße Btüten in kurzen 
dichten Trauben / und feine Früchte find bie Dliven (f.6.), ans denen man das Baumöl (f.d); 
erhält, weshalb er überall, wo er gebeiht, gern unb häufig cultivirt wird. Schon feit ben aͤltoſten 
Bee an man Dim sie Berka Bei den Griechen war ex ber Pallas Arhene ge 
—e“ Gpenberin beffelben verzgrte, und ein GtunSilb ber. 
keuſche — umd Jungfrauen bie Früchte brechen und ſammein durften Ein 
gigreigen mar beiten Beiecenbie geihee — — um das Vaterland hoch · 
er6, fornie der-Höchfie Mreis des Gtegers bei ben DI Spielen. Dee 
5* —————— und Befiegte, bie um Frieden zu bicten kammm 
trugen Biimege I dm Hinden. Die bite abtrngkeenbt be Binde ben Bann, wie auch die: 
irgend —— Te Aa Pr m am —— — 
dem Storar 
Dlivin, ehe, wiri im ganz Stalien zu Mäucern vervendet. Da das Datz bed 


378 Dlberg Divenbarneveldt 


eine ſchöne Politur annimmt und auf grünlich⸗gelhem Grunde ſchwarze wolkige Flecken und 
Adern bat, fo wird ed hauptſächlich zur Verfertigung feiner Zifchler- und Drechölerarbeiten 
verwenbet. Vorzüglich fehone Zeichnungen, bie oft ganz denen auf bem florentinifchen Ruinen 
marmor gleichen, enthält das Holz der Wurzel, woraus unter Anderm auch fehr fehöne und 
Loſtbare Tabadödofen gefertigt werben. In Carolina werben bie Früchte des amerikaniſchen 
Dfibaums (O. Americana) al Speife verwenbet; die Blüten find wohlriehend und das fehr 
harte Holz führt den Namen Deovil-wood. Die äuferft wohlriechenden Blüten bes in China, 
Sapan und Cochinchina einheimifchen wohlriegenden Olbaums (O. fragrans) werben dem 
&inefifchen Thee oft beigemengt, um ihm ben angenehmen Geruch zu ertheifen. Dem auf New 
feeland und Norfolk einheimifchen blumenloſen Olbaum (O. apetala) fehlt bie Blumenkrone. 
- Dlberg, ein namentlich im Neuen Teftament häufig genannter Berg, etwa eine Viertel. 
ftunde nördlich von Jerufalem gelegen, nur durch das Thal Kibron, welches man vom Stepbans- 
thore aus überfchritt, davon getrennt, beſteht aus Kalkſtein und bildet drei Kuppen, von denen 
die nörblichfte bie höchfte ift und eine weite Fernſicht gewährt. Nach Saybert erhebt fich der 
D. 2556 8. über das Thal Zofaphat. Seinen Namen erhielt er von ben Olpflanzungen, bie 
befonder6 an bem Weſtabhange angelegt waren, jegt, aber größtentheild verſchwunden find. Ser 
ſus beftieg bei feiner Anweſenheit in Serufalem ben D. öfter, befonders aber bielt er fich gern in 
der Meierei Gethſemane am weftlichen Buße beffelben und in den Flecken Bethphage und Betha⸗ 
nten .auf. Noch gegenwärtig zeigt man die Orte, wo ber Herr betete, die drei Apoftel ſchlie⸗ 
fen, Judas den Verrath übte. Die fübliche Spige heißt jegt bei ben Ehriften Berg bes Arger- 
niſſes. Auch wird von der Tradition der a) ber Himmelfahrt Jeſu auf diefen Berg 
verlegt. Vgl. Tobler, „Die Siloahquelle und der OD.” (&t.-Ballen 1852). 

Dlbers ( Heinr. Wilh. Matthäus), ausgezeichneter Aftronom, geb. zu Arbergen im Her⸗ 
zogthum Bremen 14. Det. 1758, befuchte die Domſchule in Bremen, ftudirte dann feit 1777 
in Göttingen die Arzneiwiſſenſchaft umd ließ ſich als praftifcher Arzt in Bremen nieder, das er 
bis zu feinem 2. März 1840 erfolgten Tode nie auf längere Zeit verlaffen hat. Als Arzt wie 
als Menich ftand er in hoher Achtung. Im J. 1811 gewann er mit Jurine in Genf ben von 
Napoleon ausgefegten Preis für bie befte Abhandlung über die Häutige Bräune. Schon in 
früher Jugend erwachte feine Liebe zur Aſtronomie, deren Studium ihm nachmals zur eigentli- 
hen Hauptaufgabe feines Lebens wurbe. Sein ganzes Leben hindurch befchäftigte er fich vor⸗ 
zugsweife mit ben Kometen. Er fand eine neue Methode, um aus drei Beobachtungen die 
Bahn eines Kometen zu berechnen, die er in einer 1797 zu Weimar erfchienenen Abhandlung 
veröffentlichte und die noch gegenwärtig allgemein im Gebrauch ift. Auch lieferte er das voll. 
ftändigfte Verzeichniß der berechneten Kometenbahnen und entdedite 1815 einen nach ihm be= 
nannten Kometen. Noch bekannter wurde er durch die Entdeddung zweier neuen Planeten, ber 
Pallas (1802) und der Veſta (1807). Außerdem unterfuchte DO. die Wahrfcheinlichkeit eines 
Aunatifchen Urfprungs der Meteorfteine; auch entwidelte er eine Methode zur Berechnung ber 
Sternfchnuppen u.f. w. Viele feiner höchſt intereffanten Abhandlungen, durch die er die Aſtro⸗ 
nomie in allen ihren Zweigen bereicherte, finden fi in Zach's „Monatlicher Correſpondenz“, 
Schumacher's „Aftronomifhen Nachrichten” und andern Zeitfchriften. Im J. 1850 wurde 
ihm zu Bremen eine von Steinhäufer modellirte Marmorftatue errichtet. 

Dldenbarneveldt (Ian van), Großpenfionär von Bolland, geb. in Holland um 1549, 
zeigte ſchon früh Hohen Eifer für die Unabhängigkeit der vereinigten Provinzen feine Vater⸗ 
landes. Als Generalanmalt der Provinz Holland bewährte er ebenfo fehr feine Einfichten als 
feine Geſchicklichkeit in Unterhandlungen. Die geheimen Plane des Prinzen Morig (f. d.) von 
Oranien durchfchauend, wurde er das Haupt der republifanifchen Partei, welche ben Statthal- 
ter ber gefepgebenden Gewalt unterordnnen wollte. Auch war er es, ber, den Eriegerifchen Be⸗ 
ftrebungen des Prinzen Morig entgegenarbeitend, 1609 den Waffenftillftand mit Spanien ab- 
ſchloß und die Theilmahme der Generalftaaten an dem Wufftande ber Böhmen verhinderte. 
Sein fteigendes Anfehen reiste das Haus Naffau zu Immer größerer Eiferfucht, die bei Gele⸗ 

enheit der Streitigkeiten ber Remonſtranten (f. d.) und Gomariften (f.d.) zu der bitterften 

eindfchaft ausartete. Um einem Bürgerfriege vorzubeugen, ſchlug D. eine Kirchenverfamm- 
lung vor, durch welche dann eine allgemeine Duldung binfichtlich der ftreitigen Punkte feftge- 
fegt wurde. Die Staaten gaben diefer weifen Maßregel anfangs ihre Zuftimmung; allein die 
Umtriebe der oranifchen Partei wußten fie nachmals zu andern Anfichten zu bringen, indem 
man bie Remonftranten als heimliche Freunde Spaniens barftellte. D., ber für die Legtern 
Partei nahm, wurde in Schmähfchriften angegriffen und in ber Berfammlung ber Staaten 


Divenburg (Era) 879 


ſelbſt von dem Volke beleidigt, beffen Abgott Moritz geworden. Immer heftiger entbrannte nme 
der Kampf zwifchen Nemonſiranten und Gomarifien und drohte zum offenen Bürgerkriege zu 
werben. Inzwifchen lieh Morig 1618 die Synode zu Dordrecht halten, welche Die Remonflran« 
tem mit ber ungerechteflen Strenge verurtheilte. Für Morig war biefe Verurtheilung die Aufe 
foberung zu noch geiwaltfamern Schritten. Ungeachtet der Vorſtellungen ber Staaten Tief er 
D. nebft den andern Häuptern ber Remonſtranten verhaften und von 26 erfauften Richtern 
den ſchuldloſen Mann, bem das Vaterland fein politiſches Daſein mit verdankte, als Hochver⸗ 
rãäther zum Tode verurtheilen. Vergeblich waren bie Vorſtellungen der verwitweten Prinzeſſin 
von Dranien und bes franz. Geſandten; vergeblich erhoben feine Freunde und Verwandten 
laut ihre Stimme: Morig blieb unerfhütterlih. Am 13. Mai 1619 beftieg der 72jährige 
Sreis das Blutgerüft und litt ben Tod mit berfelben Feftigkeit, bie er unter allen Umfländen 
feines Lebens bewieſen hatte. Seine Söhne, Wilfelm und Nend, wurden gleichzeitig ihrer 

mter entfegt. Im Verein mit ben Remonftranten fliftete Wilhelm eine Verſchwörung gegen 
das Leben des Prinzen ; doch diefelbe wurde entdedit umb er entfloh nach Antwerpen. Da man 
feiner nicht babpefe werben konnte, wurde fein Bruder Rene aufgegriffen, obfchon er dem Bru⸗ 
der von feinem Vorhaben abgerebet hatte, und zum Tode verurtheilt. Vergebene bat die Mut- 
ter beffelben bei dem Prinzen, was fie für ben Gatten, meil ex unſchuldig war, nicht gethan 
hatte, für das Leben des Schuldigens auch er wurde 1623 hingerichtet. 

Dldenburg, das beutfche Großherzogthum, bat einen Flächeninhalt von faft 115 AM. 
und gegen 232000 €. Es befteht aus breitäumlich ziemlich weit getrennten Landestheilen, nim« 
lich dem Herzogthum Didenburg mit Einfluß der Erbherrſchaft Jever (I. d.), dem Fürſten⸗ 
thum Lübeck (f. d.) und dem Fürſtenthum Birkenfeld (f. d.). Der erftere biefer drei Theile tft 
das Hauptland und Hatte 1. Juli 1852 mit Inbegriff der felbftändiger gefteiten Herrfchaft 
Kniphauſen (f. d.).auf beinahe 100 QM. 228811 E. Es grenzt gegen NR. an bie Norbfee, 
aorböflfich an die untere Weſer, auf allen übrigen Seiten an Stücke des Königreichs Hannover 
und macht bis auf bas Heine Amt Lanbwührben, das am rechten Ufer des Weſerſtroms liegt, 
ein vollig zufammenhängenbed Gebiet aqus. Das Klima bes Landes ift vorwiegend taub und 
unfreundlich, in ber feuchten Marfch ungefunber als auf ber Höhern und außerhalb der Moore 
trodenen Geeſt; ber Herbft pflegt in der Megel die angenehmfte Jahreszeit zu fein. Drei 
Stromgebiete beherrfchen das Land: öftlich die Weſer, in welche Hunte und Ochtum fallen; 
nördlich Die Jade, welche in ben breiten Meerbufen gleiches Namens ausläuft ; weſtlich die Ems, 
welche vermittelft der Leda eine ſtarke Anzahl Heiner Flüffe und Sieltiefen an fich zieht. Unter 
den Landſeen zeichnet fi, das Zwiſchenahner Meer ſowol durch landſchaftliche Schönheit wie 
durch feinen Reichthum an Fifchen aus. Berge find im Bande. nicht vorhanden. Der Boben be» 
fteht zu '/ aus Marfch, zu °/; aus Geeſt, welche wieder theils Haide, theild Moor ift. In den 
fruchtbaren Riederungen der Marfch werden Raps, Weizen, Gerſte, Hafer und Hülfen- 
früchte zur Ausfuhr, Roggen nur zum eigenen Gebraudy gebaut ; in der Geeft bilden Roggen 
und Hafer bie vornehmften Hanbelsartikel, Daneben ein wenig Flachs, Hanf, Hopfen und Taback. 
Kartoffeln werden natürlich bier wie dort als umentbehrliches Nahrungsmittel gebaut. In 
Bezug auf Viehzucht find von befonderer Wichtigkeit die Pferde und das Rindvieh ber Mar 
ſchen, bie Schafe auf den öden Haiden ber fühwefllichen Landestbeile. Der gefammte Vieh⸗ 
beflanb des Herzogthums betrug 1. Mai 1852 573965 Stüd, nämlich: 33413 Pferde, 
1895230 Stud Rindvieh, 75101 Schweine und 276031 Schafe. Der Pferdemarkt zu Olden⸗ 
burg, am Medarbustag, fowie ber Hornviehmarkt zu Dvelgönne zählen zu den erften Ihrer Art 
in ganz Deutfchland. An Holz ift fein Überfluß, namentlich fehlt es an Nadelwaldungen auf 
dem dafür übrigens vortrefflihen Sandboden der Geeſt. Dagegen verfprechen mächtige Torf. 
lager noch auf Jahrhunderte auszuhalten; Steinkohlen befigt das Land überall nicht. Bon 
Manufacturen und Fabriken ifl, außer ganz vereingelten Gattungen, nur bie Linneninduſtrie 
des Ammerlandes und des auffizebenden Fleckens Varel, die Strumpfinduftrie im fühweftlichen 
Kreiſe Kloppenburg und etwa die Zabadsfabrikation in Oldenburg und Lohne zu nennen. 

Der Handel ift, ſoweit er fi) auf das Land und feine Einwohner beſchränkt, nur Kreinbanbel 
mit ben Producten ber inlänbifchen Landwirthſchaft gegen Colonialwaaren ımb Fabrikate und 
wird durch ben Großhandel von Bremen vermittelt. Nur die Weinhandlungen der Hauptftabt 
find von mehr als kleinſtädtiſcher Bebeutung. Der Umfang der Rhederei und Schiffahrt ergibt. 
ſich aus ber Angabe, daß 1. Jan. 1853 unter oldenburgifcher Flagge 5354 Schiffe zu 
18958 Roggenlaften und mit 2067 Mann Befagung fuhren. Namentlich im legten Jahrzehnd 
bat dieſer Erwerbszweig einen großen Aufſchwung genommen. Die Auswanderung iſt wir 


850 Didenburg (Staat) 


ſehr erheblich und beeinträchtigt bie fletige Zunahme bee Bevölkerungsziffer in einer Weiſe, 
zumal das früher ſtark beftehende „Hollandsgehen” (zur Arbeit an holl. Kanalen oder Indu⸗ 
firien) in jüngfter Zeit mehr und mehr verfchwindet. '. - Ä 
In der politifchen Lage D.6 hat da6 3.1848 einen großen Umſchwung hervorgebracht. Das 
Großherzogthum ift nach einer taufendjährigen Gefchichte ohne alles fländifche Weſen in die 
Neihe der conftitutionellen Staaten eingetreten, und zwar auf der Bahn frieblicher Verein⸗ 
barung zwiſchen Fürft und Volk, deren Ergebniffe endgültig in dem allerdings revidirten Staats⸗ 
grundgefeg vom 22. Nov. 1852 enthalten find. Diefe Verfaſſung, die außer den Befugniſſen 
des Landtags dem ganzen Volke ein ziemliches Maß von Freiheiten und Grundrechten gewahrt, 
erſtreckt fich auf das ganze Großherzogthum, ſodaß der Landtag ben drei Provinzen gemeinſam 
und auch das Staatsminifterium als höchſte Ererutiubehörde an der Spige der drei im 
rigen getrennten Verwaltungen ftebt. Nechtöpflege und Verwaltung find durchgehends ge 
trennt ; in jeber beftehen drei Stufen ober Inſtanzen, namlich: Amter oder Magiftrate, Regie 
zungen, Minifterium für die Adminiſtrationz Landgerichte, Kanzleien, Oberappellationsgericht 
für die Juſtiz. Kür verfaffungsmwidrige Handlungen der Minifter und fämmtlicher Beamten, 
welche der Landtag verfolgen will, ift ein fländiger Staatögerichtöhof niedergefegt. Schwur⸗ 
gerichte mit Offentlichkeit und Mündfichkeit find in der Verfaffung verfprochen. — Während 
Staat und Kirche vollig getrennt find, befinden fich Kirche und Schule noch in ber engfien Ver⸗ 
bindung und Wechſelwirkung miteinander. Eine unbebingte Religionsfreiheit iſt feit 1848 
zum Grundfag erhoben, und die Befreiung ber evang. Kirche von der Oberaufficht der Staats⸗ 
bebhörden ift in dem Gefeg vom 3. Juli 1849 feftgeftellt worden. Ein Oberkirchenrath, von ber 
jährlich abzuhaltenden geiftlich- weltlichen Synode gewählt und controlict, fteht an der Spige 
der evang. Kirche. Die Roͤmiſch⸗Katholiſchen der münfterländ. Kreife ſtehen unter dem bifchöf- 
lichen Officialat zu Vechta. Das Verhaltniß der Eonfeffionen nach der Kopfzahl war 1. Jul 
1852 folgendes: 157442 Lutheraner, 349 Reformirte, 65598 Römiſch⸗Katholiſche, 128 Bap⸗ 
tiften, 86 Mennoniten, 725 Iſraeliten. Die Dibenburger fiehen ber übrigen Bevölkerung 
Norddeutſchlands in Bildung und Sharaktertüchtigkeit nicht nach. Bon höhern Schulen gibt e& 
zwei Gymnaſien und eine Provinzialfchule, in denen das claſſiſche Alterthum Grundlage des 
Unterrichts ifl; außerdem drei höhere Bürgerfchulen, ein Schullehrerfeminar und eine Taub⸗ 
ftummenanftalt. Da bie niederdeutfche Mundart noch überall in den untern und mittlern 
Schichten der Gefellfchaft vorherrfcht, fo geht das Volksſchulweſen im engern Sinn ziemlich im 
Unterricht des Hochdeutfchen auf. Die Finanzen des Großherzogthums befinden ſich in einer 
günftigen Lage: Bei der fleigenden Wohlhabenheit der Bevölkerung, welche freilich, da ed weder 
einen Stand großer abeliger Grundbefiger noch einen ausgebildeten Dandeldftand gibt, über: 
mäßige Capitalhäufung ausfchließt, wird es leicht, die erfoderlichen Steuern aufzubringen, zu« 
mal ein nicht unbeträchtliches Domanium für Staatögut erklärt und die Civillifte bes Groß⸗ 
herzogs zu einen mäßigen Anfag vereinbart ift. Zolle gab es bis in das dritte Jahrzehnd 
bes 19. Jahrh. hinein fo gut wie gar nicht ; erft mit der Stiftung des nordweſtdeutſchen Steuer- 
vereind 1854 murden indirecte Abgaben eingeführt, die nun allerdings durch Anſchluß 
an den preuß.-hannov. Septembervertrag von 1854 Steigerungen erfahren müffen. Auch bie 
directen Steuern hat D. verhältnifmäßig fpät erft kennen gelernt, da die Wohlhabenheit feiner 
Fürſten diefe lange Zeit unnöthig machte. Seit 1848 fteht die Bewilligung ber Steuern, bie 
indirecten ausgenommen, dem Landtag zu. Von den Gefammtausgaben des Großherzogthums 
(oberfte Behörden, Kriegsweſen, Bundesumlagen) fallen auf DO. 80 Proc., auf Lübed 
15 Proc., auf Birkenfeld 7 Proc. Das Budget der Eentralausgaben ift für 1853 auf 397800 
Thlr., für 1854 auf 381500 Thlr. veranfdylagt. Die hiervon auf D. fallende Quote eingerech⸗ 
net, betragen die Ausgaben des Herzogthums für die beiden Jahre anſchlagsmäßig 1,018500 
und 979000 Thlr., die Einnahmen 910500 und 891000 Thlr. Zur Dedung des entſte⸗ 
henden Deficitö von vorausfichtli 196000 Thlr. ift im Juni 1853 eine Anleihe befchloffen 
worden. Als Mitglied bes Deutfchen Bundes führt der Großherzog in der Engern Verſamm⸗ 
lung mit Anhalt und Schwarzburg die 15. Stimme gemeinfam, in ben Plenarverfammlungen 
die 21. für fich allein. Das Bundescontingent betwägt nach der gültigen Matritel 2986 Mann, 
welche mit ben Truppen der drei Hanfeftädte zufammen die dritte Brigade in der zweiten Divi- 
fion des zehnten Bundesarmeecorps ausmachen. Die Offiziere diefer Brigade werden in ber 
Gabettenanftalt zu Didenburg gebildet, deren Koften zur Hälfte die Freien Städte tragen. Die 
Thronfolge ift in männlicher inte nad) dem Rechte der Erfigeburt erblich. Der Zitel des Re⸗ 
genten iſt: Großherzog vond., Erbe zu Rorwegen, Herzog zu Schleswig, Holftein, Stormarn, 


Ä Didenburg (Statt). 881 
ber Dithmarfchen und zu D., Fürft von Lübe ımb Birkenfeld, Herr von Jever und Kniphau 
{en u. ſ. w. Der Großherzog Paul Friedrich Auguſt Hat 27. Nov. 1838 den erften Drben feb 
nes Haufes a ben Haus· und Berbienftorben zum Andenken feines Vaters, des Herzogs 

er r wig. 
In den älteſten Zeiten war D. von dem deutſchen Völkerſtamme der Chauken bewohnt, welche 
fpäter in dem allgemeinen herrſchenden Ramen ber Briefen aufgingen. In Ammergau und Le 
rigau geheilt gehörte das Rand ange Zeit zu den Befigungen der Derzoge von Sachen. Er 
4180 benugten die Grafen von D. und Delmenhorſt den Sturz Heinrich’s des Löwen, um ſich 
bie Reihbunmittelbarkeit zu verſchaffen. Im I. 1448 wurbe der Sohn des oldenburg. Grafen 
Dietrich, Ehriftian, zum König von Dänemark (f. d.) erwählt und begründete fo die Dynaftie, 
welche noch Heute in Kopenhagen herrſcht. (&. Oldenburger Haus.) Unter ber langen, glüd- 
lichen und weifen Regierung des Grafen Unten Günther (160567), des größten Fürften, 
ben D. befefien bat, wurden die beiden ſtammverwandten und benachbarten Braffchaften 1647 
endgültig vereinigt. Indem fich Diefer äußere Machtzuwachs mit der beharrlich fefigehaltenen 
Innern Politik der Grafen verband, wonach fie weber übermächtige Ebelleute oder Prälaten dul⸗ 
beten noch einer etwaigen Bewilligung von Steuern und Gontributionen feitens ihrer Untertha⸗ 
nen bedurften, entwickelte fich ber abſolute Staat in feiner reinften Geftalt und eben deshalb in 
milden, erträglihen Kormen. Nach dem Tode Anton Günther's fiel das Land in Ermangelung 
anberweitiger Erben an die Krone Dänemarf, deren Statthalter es länger als ein Jahrhundert, 
bis 1723, verwaltet haben. Unter. dieſem Sxcepter erfuhr D. einige Einflüffe der freilinnigen 
ban. Riniſter Bernflorff und Struenſee im Geifte des Jahrhunderte. Nach einem Familien⸗ 
handel, den König Chriſtian VII. 1773 einging, Hätten feine beutfchen Befigungen an den Große 
fürften Paul von Rußland fallen und ſomit aus dän. in ruff. Gewalt übergehen follen. Allein 
Letzterer trat hie beiden Grafſchaften an feinen Vetter Friedrich Anguſt, ben Fürſtbiſchof von 
Lübeck, ab, in Folge deſſen fie vom Kaifer zu einem Herzogthum vereinigt wurden. Friedrich 
Auguſt flarb 1785. Sein Sohn Yeter Friedrich Wilgelm mußte drei Jahre fpäter wegen 
nehmender Geiſtes ſchwäche abdanken, und es folgte fein Vetter, Peter Friebrich Ludwig, befien 
feitbem in D. regieren. Der Reichödeputationsbaupefchluß von 1803 brachte ihm 
bas bisherige Biethum Lübeck als erbliches Fürſtenthum, bad hannov. Amt Wildeshauſen unh 
die münfterländ. Amter Bechta und Kloppenburg zu. Im 3. 1806 vorübergehend und angeb- 
lich aus ** — von holl. —— Fa yon dem — 
poleon’& bei, was jedod verhinderte, daß 1811 framg. pen auf w e und ge 
— Weiſe das Herzogthum befegten, zum franz. Reiche zogen und den Landesherrn im 
bie trieben. Die Ereigniffe von 1845 führten ihn als Freund und Verbündeten der Sie» 
ger zurüd. Durch den Wiener Gongreß, in dem ber einträglihe Weſerzoll zu Elsfleth definitiv 
befeitigt wurde, erhielt ber Herzog eine Bebietövermehrung um 5000 Seelen Hannoveraner 
und 20000 8. des ehemals franz. Saardiſtricts. Aus jener wurde fpäter das Amt Damme an 
ber füblichften Grenze des Herzogthumo, aus biefer das Fürſtenthum Birkenfeld hergeſtellt. Der 
Megententitel ward in den eines Großherzogs erhöht, den jedoch Herzog Peter Friedrich Ludwig 
perſonlich wicht mehr annahm. Letzterer farb 1829 und es folgte ihm fein Sohn Paul Friedrich 
Aunguſt, unter bem das Land 1848 feine fundamentale Umgeftaltung erfuhr. Das ziemlich de» 
mokraqtiſche Stantögrundgefeg vom 1. März 1849 warb jedoch 1852 einer Repifion unterwor- 
fen, bie en immer noch eine freifinnige conflitutionelle Verfaffung zurückließ. In demfel 
ben Geiſte eines maßhaltenden Fortfchritts gingen ſeitdem Landtag und Regierung Hand in 
83 wiewol hierbei die —JI und eine aufgeklaͤrte, die Intelligenz bes Landes in ſich 
Hliefende Bureaufratie das Übergewicht befigt, da die Entwidelung eines policiich ſelbſtthä⸗ 
tigen Bollslebens in D. erſt begonnen bat. Der um das Land hochverbiente Großherzog Paul 
Auguſt ſtarb 27. Febr. 1853 und e& folgte ihm fein Sohn Peter (ſ. d.), der in ber be 
fonnenen Weiſe des Baters fertregiert. Bel. von Halem, „Geſchichte bes Herzogthums O.“ 
(3 Bde, Dibenb. 1794 — 96) ; Runde, „Kurzgefaßte olbenburger Chronik . 1851) 
Kohl, „Handbud einer hiſtoriſchſtatiſtiſch gerographiſchen Beſchreibung bes ums D, 
fammt der Erbherrfchaft Jever umd den Fürfinehümern Lübed und Birkenfeld” (2 Wbe, 
Dremen 1824— 26) ; für die jüngfte Gefchichte des Landes bie Bände 1850—53 bes oldenb. 
Hauskalenders „Der Befellichafter”. 
Didenburg, die Haupt» und Mefibenzflabt bes gleichnamigen Großherzogthums, liegt au 
der ſchiffbaren Hunte und zählt ohne ‚bie Garnifon gegen 9400 €. Die ein freundliches Bi 
gewährende Stadt iſt Eig ber oberfien Staatsbehorden, hat ein Bgmnafiuu, ein Shui 


3 Didenburger Baus 


ſeminar, eine Mititärfchule, eine öffentlihe Bibliothek von 80000 Bänden, mie vielen Interefe 
ſanten Handfchriften, nebft Gemälde, Raturalienfanmlung u. f. w, und ein Hoftheater. Das 
großherzogliche Nefidenzfchloß, mit Garten, enthält ebenfalls werthvolle Gemälde- und andere 
Sammlungen, fowie eine Bibliothel von 29000 Bänden. Unter den öffentlichen Gebäuden 
find zu erwähnen: die Lambertskirche mit den fürftlichen Begräbniſſen, die Kaferne und 
der Marftall. Außer den gewöhnlichen Gewerben und einiger Sabritihärigkei unterhält bie 
Bevölkerung lebhaften Handel und Schiffahrt. Im J. 1852 kamen zu O. an 1065 
mit 13733 Laft und gingen ab 994 Schiffe mit 41134 Laſt. Zur Wohlhabenheit des Orts 
tragen nicht wenig die großen Vieh⸗ und Pferbemärkte bei, die Hier im Juni und Auguſt mit 
einem Umfag von 3—400000 Thlrn. gehalten werben. 

Didenburger Haus, Nah dem Ausfterben des alten daͤn. Regentenſtamms der Skiol⸗ 
dungen (f. Daͤnemark) wählten die dän. Stände ben von mütterlicher Seite mit jenem Haufe ver⸗ 
wandten Grafen von Oldenburg zu ihrem Könige, ber 1448 unter dem Namen Ehriftian J 
den Thron beftieg und zugleich die Herzogemwürbe von Schleswig und Holftein erlangte. Die 
Nachkommenſchaft biefes Ahnherrn theilte fich im zwei Bweige: 4) ben königlichen mit feinen 
beiden Seitenlinien, ben Herzogen von Sonderburg-Muguftenburg (f. Auguſtenburg) und Son- 
derburg · Glücksburg; 2) ben hergoglichen, ber von Herzog Mbolf (geft. 1586), dem Sohne Kö 
nig Friedrich's J. dem Enkel bes erfien Oldenburgers auf bem dän. Throne, abftammt. ZBäh- 
rend deſſen älterer Bruder Chriftian III. (1553559) auf den dän. Thron erhoben marb, er» 
bielt er einen Theil bes Erbes in Schleswig und Holftein und ward Gründer der fogenannten 
bolftein-gottorpfchen Linie. Diefe Linie iſt bebeutend geworden durch das glänzende Geſchick, 
welches einzelnen Ablömmlingen und deren Nachkommen zugefallen iſt. Von dem Urenkel bes 
Gründers, dem Herzog Chriftian Albrecht (gefl:1694), ſtammt als älterer Sohn Herzog Fried⸗ 
ri, deffen Sohn Karl Friedrich mit Anna, ber Tochter Peter's d. Gr., vermählt war und in bie» 
fer Ehe den Prinzen Karl Peter Ulrich erzeugte, der ald Peter II. (geft. 1762) auf den ruff. 
Thron erhoben wurde. Ein jüngerer Sohn jenes genannten Chriftian Albrecht, Chriftian 
Auguft von Holftein-Eutin, ift durch bie Wahl feines Sohnes Adolf Friedrich auf den ſchwed. 
Thron (1751 — 71) Stammvater der mit Guſtav IV. vertriebenen ſchwed. Königsdynaſtie ge- 
worden. Von einem jüngern Sohne des Naͤmlichen, dem Pririgen Georg Ludwig (geft. 1763), 
dem jüngften Bruder Adolf Friedrich's, ftammt bie gegenwärtig im Großherzogthum Diben- 
burg regierenbe Kinie des holftein-gottorpfchen Stammes. Das gegenfeitige Verhältniß biefer 
Linien des Haufes Oldenburg hat in unfern Zagen eine befondere Bebeutung erlangt durch ben 
Streit über die dan. Erbfolge. Der regierende König Friedrich VII. ift ohne männliche Nach⸗ 
kommen, ebenfo. fein Oheim, ber Erbprinz Ferdinand; es trat daher die Eventualität immer nd- 
her, wo das verfchiebene Erbrecht bes bän. Königsgeſetzes und der beutfchen Herzogthümer eine 
Trennung ber bisher vereinigten Löniglichen und herzoglichen Würden hervorrufen mußte. Nach 
bem der dän. Verfuch, diefen Fall durch einfeitige Machtfprüche abzumenden, ben Widerſtand 
ber Herzogthümer und ben Kampf feit 1848 hervorgerufen hatte, trat die Einmifchung der 
europ. Grofmächte dazwifchen und fuchte „in Anbetracht, daß die@rhaltung ber Integrität der 
dän. Monarchie fich an die Intereffen des europ. Gleichgewichts knüpft und für bie Bewahrung 
des Friedens von großem Werthe ift”, durch eine diplomatifche Feſtſtellung das ftreitige Erb⸗ 
recht zu entfcheiden. So entftand der von den Nepräfentanten Englands, Frankreichs, Oſireichs 
Preußens, NRußlands, Schwedens und Dänemarks abgeſchloſſene Londoner Vortrag vom 8. 
Mai 1852, durch deffen erften Artikel in Falle des Ausfterbens der männlichen Linie bes Kö⸗ 
nigshaufes der Prinz Chriftian von Schlesmwig-Holftein-Sonderburg-Glülsburg (geb. 1818) 
fammt feinen männlichen Nachkommen nad der Primogeniturordnung zur Nachfolge in allen 
mit der Krone Dänemark bisher verfnüpften Befigungen berufen wird („A reconnaltrele prince 
Christian deS.H. S. G. et ses descendants mäles issus en ligne directe de son mariage avec 
la dite princesse le droit de succeder à la totalit6 des ötats actuellement unis sous le scep- 
tre de S. M. le roi de Danemark”‘). Im zweiten Artikel erflärten die Großmachte, weitern Er⸗ 
Öffnungen des Königs von Dänemark für den Fall entgegengufehen, daß das Ausſterben der 
männlichen directen Nachkommenſchaft des Prinzen Ehriftian von Glücksburg bevorftände. 
Bar durch dies Abkommen einerfeitd das in den Herzogthümern Schleswig und Holftein gel- 
tende Erbrecht unzweifelhaft verlegt, fo mar andererſeits durch die Ungewißheit ber im zweiten 
Artikel enthaltenen Beftimmung ein neuer Zweifel über die Erbfolge nichts weniger als abge- 
wendet. Dem fuchte die dän. Regierung, vom ruff. Einfluffe geleitet, dadurch zu begegnen, daß 
Fe in der Fönigl. Botfchaft vom A. Oct. 1852 dem Reichstag eine Erbfolgeorbnung vorfchlug, 


Dleander Diearins 383 


wonach die weibliche Erbfolge des bän. Königtgeſetes gänzlich aufgehoben und für bie Erbfolge 
überhaupt das Princip der männlichen Succeffion nach dem Rechte der Lineal ⸗ und Gradual- 
folge und der Primogenitur, vom Prinzen Chriſtian an als Thronfolger gerechnet, für bie Zu⸗ 
kunft in Betreff der Sefammtmonarchie gelten follte. Nach diefem Vorſchlag würde dem Ptin⸗ 
zen Chriſtian erft fein älterer Sohn, Prinz Chriftian Friedrich Wilhelm Karl (geb. 1843) 
fammt deffen männlichen Nachkommen, dann ber jüngere Eohn, Prinz Chriſtian Wilhelm Fer⸗ 
binand (geb. 1845) fammt den männlichen Nachkommen fuccediren und nad) dem Yusfterben 
Beider und ihrer Defcendenten das Haupt dernächften männlichen Linie, alfo ber ältere holſtein⸗ 
gottorpfche Zweig, das gegenwärtige ruff. Kaiferhaus, zur Nachfolge berufen werden. Es ift 
Bein Zweifel, daß die Unterzeichner des Vertrags vom 8. Mai dies nicht beabfichtigt Hatten. Auch 
entftand in Dänemark felbft dagegen eine Heftige Oppofition. Abgeſehen von ben Rechten ber 
deutſchen Herzogthlimer mar in Dänemark felbft ber Widerwille gegen die mögliche ruff. Suc- 
ceffion fehr lebhaft und daher die Stimmung überwiegend gegen die unbedingte Befeitigung der 
im Koͤnigsgeſeß aufgeftellten Exbfolge, wie fie bie Botſchaft ankündigte. Zwei mal hatte der 
Reichstag die Botfchaft verworfen. Erſt nach einer Vornahme neuer Wahlen gelang es ber 
Regierung im Juni 1853 die Majorität für ihre Borfchaft zu erlangen, zum Theil unter bem 
Eindrud der Verſicherung, daß fie mit Befeitigung, ber weiblichen Erbfolge nicht beabfichtige, 
das agnatifche Erbrecht Ruflands anzuerkennen. Diefe Erklärung iſt nicht allein Durch die Dp 
pofition im Lande, ſondern auch durch Die Thaͤtigkeit ber auswärtigen Mächte, namentlich Groß⸗ 
britanniens, hervorgerufen worden. Dan berief fich auf die ſtriete Erfüllung bes Londoner Ver⸗ 
trags, und es ſteht zu erwarten, daß bemgemäß bie neue Exrbfolgeorbnung wird feftgeftellt wer- 
den. Nur Eines ift einleuchtend, daß die ganze Sachlage nach dem Londoner Vertrag weder an 
fi weifellos und unangefochten noch gegen neuen Zwieſpalt vollftändig fichergeftellt erfcheint. 

Dleander (Nerium) ift der Name einer zu ben Apocyneen gehörenden Pflanzengattung, 
beren Kennzeichen in einem fünftheiligen Keldye, der Innen am Grunde mit vielen zahnartigen 
Zipfelchen oder Drüfen befegt iſt, einer telerförmigen, fünffpaltigen Blumenkrone mit fünf 
theiliger, mehr oder weniger gezähnter oder zerfchligter Schlundkrone, fünf Staubgefäßen, de» 
ren Staubbeutel ber Narbe anhängen, und in zwei Balgkapfeln mit fchopfigen Samen beſtehen. 
Es find immergrüne Sträucher mit lederigen, gegenfländigen oder zu dreien ftehenden und von 
vielen parallelen Seitennerven durchzogenen Blättern. Die Trugbolden find end- ober achjel- 
ftändig und die Blüten anfehnlich. Der gemeine Dleander (N. Oleander), welcher im fübli- 
hen Europa, im nörblichen Afrika und im Oriente bis beinahe nad) Oftindien verbreitet iſt, 
wird feiner ſchönen rothen ober öfters auch weißen Blumen und feiner immergrünen Blät—⸗ 
ter halber auch bei uns häufig als Zierflrauch cultivirt. Die Engländer nennen thn Roſen⸗ 
Iorber (Rose-bay) und die Franzoſen Xorberrofe (Laurier-rose). Er liebt feuchte Stellen, 
wächft daher vorzüglich an Bächen und wird 8-15 $. hoch. Durch feine rothen Blütenbü- 
ſchel gibt er manchen Ruinen Sübitaliens ein prächtigeö Unfehen. Alle Theile bes Oleander 
enthalten einen bittern und narkotifch-fcharfen, für Dienfchen und Thiere giftigen Saft, der beim 
Abbrechen junger Iweige als weiße Milch ausfließt. Der in Oftindien einheimifche wohlrie⸗ 
chende Dleander (N. odorum), ber bei und gleichfalls cultivirt wird, zeichnet fi) durch den 
Wohlgeruch feiner Blumen aus, welche auch größer und deren Schlundfchuppen in A— 7 linea» 
liſche Zipfel gefpalten find. Der Fiſchfangsoleander (N. piscidium) befigt eine fehr faferige 
Rinde, welche in Bengalen wie Hanf benugt wird. Legt man fie ins Waſſer, fo werben die 
Fiſche im Umkreiſe jener Stelle getöbtet. 

Diearius (Adam), eigentlich Olſchlaͤger, einer der beften profaifchen Schriftfteller feiner 
Zeit, geb. um 1600 zu Aſchersleben im Halberftäbtifchen, wendete ſich nach Vollendung feiner. 
Studien in Leipzig nach Holftein und wurde bes Herzogs von Holftein- Gottorp, Friedrich IU., 
Hofmarhematicus und Bibliothekar. Im 3.1633 ſchickte ihn der Herzog mit einer Befanbt- 
Schaft, bei der ſich auch Paul Flemming (f. d.) befand, als fürftfichen Rath und Secretarius an 
feinen Schwager, den Zar Michael Feodorowitſch, nad) Moskau. In gleicher Eigenfhaft kam 
er 1635 zum zweiten male nad) Rußland und von da an den perf. Hof. Nach feiner Ruͤckkehr 
nad) @ottorp 1639 gab er eine in mehrer Hinſicht merfwürdige und reichhaltige, auch von. 
Seiten der Sprache verbienftfiche Befchreibung feiner Reife ımter dem Titel: „Neue oriental. 
Reifebefchreibung” (Schlesw. 1647 und, öfter), heraus. Ex Hatte in Perfien die Landes ſprache 
erlernt und lieferte unter Anderm eine Überfegung des „Rofengarten” von Sadi. Er wurde 
1651 Mitglied der Fruchtbringenden Geſellſchaft und farb 22. Febr. 1671. — Dlearius 
Gottfr.), geb. 1604; geſt. als Superintendent In Halle 1685, und defen Sea. D., S8- 


384 Oleĩn Dliva (Marktfieden) 


1639, geft. als Profeſſor der Theologie zu Leipzig 1713, find als theologiſche Schriftfteller und 
als Herausgeber der „Acta eruditorum‘' bekannt. — Dleatius (Joh. Chriftoph). geb. 1668, 
geft. als Generalfuperintendent zu Arnſtadt 1747, machte ſich um die Numismatif fehr ver- 
bien ee als geiftlicher Kiederdichter. 

. Diein, ſ. DI. Ä 

Dieron (Uliarus), eine Heine, an Getreide, Wein und Gemuͤſe reiche Infelan der Wefttüft 
von Frankreich, an der Mündung der Charente, gehört zum Depart. Nieder» Charente, zählt 
16000 E., die geborene Seeleute find, hat zwei Städte, Chaͤteau und &t.-Pierre d’Dlerem, 
vier Flecken und mehre Dörfer. "Nach ihr führt eine uralte Sammlung von feerechtlichen Be⸗ 
flimmungen, bie Röles, Jugements oder Lois d’Oleron (corrumpirt Röles de Leyron), ben 
Namen. Diefelbe enthält Rechtögemohnheiten und Urtheils ſprüche über Schiffahrt und See 
handlung, außerdem nur bie eine Sriminalverorbnung, daß ber Steuermann bas Leben ver- 
wirkt, wenn er vorfäglich dba6 Fahrzeug untergehen läßt. Der ältefte Theil, beſtehend aus 25 
Artikeln, ift wahrſcheinlich in ber Mitte bes 12. Jahrh. unser Wutorität der alten Herzoge von 
Suyerme zu Stande gekommen. Das ältefte Actenſtück, welches bie Geltung ber Röles d’Olsron 
in Frankreich beftätigt, gehört ins 3.1364. Auch in Spanien und den Niederlanden kam Jahr 
hunderte hindurch dieſes Seerecht zur Anwendung. Durch die Vermählung Heinrich’ IL ver. 
England mit Eleonore, der Erbin von Guyenne, erhielt baffelbe fogar auf den brit. Infeln 

roßes Anfehen und wurde fubfidiarifch gebraucht. — Dleron oder Dloron heißt auch bie 
Hauprfladt eined Arrondiffements im franz. Depart. Nieder-Pyrenden, in ber alten Graf 
ſchaft Bean, an dem Zufammenfluß der Gaven von Dffau und Aspe, bie hier die Gave 
von Dleron bilden und durch eine fehr hohe Brüde mit dem Städtchen Ste.» Marie verbunden 
find. Sie zählt 6800 E. und hat zwei Mineralquellen. Der Ort fabricirt Tuch, Strümpfe und 
Mügen aus Wolle und Papier und treibt Iebhaften Handel mit Wollenwaaren, Bayonner 
Be Salzfleifch, navarrefifchen Pferden u. |. w. 

Ifarben beißen bie Farben, we dazu eignen, mit Hifirniß verſeht zu werden, um fie 
bann entweder zur feinen Kunft- und Olmalerei (f. b,) oder zu gewöhnlichen Anſtrich zu ver 
wenden; beögleichen aber auch die wirklich ſchon mit Olfirniß angemachten Farbſtoffe. Es find 
durchgehende fogenannte Dedfarben, namentlich außer ben verfchiebenen Rußarten und eini⸗ 
gen Lackfarben faft nur mineralifche Pigmente, Anftreichfarben reibt man mit Leinölfirniß an 
und verdünnt fie oft Durch Terpentinol. 

Dlga, die Heilige, war die Gemahlin bes ruff. Sroßfürften Igor von Kiew, welcher fie auf 
einer Jagd im Pſtowſchen hatte kennen lernen. Obgleich nur eine einfache Bäuerin, aus einem 
Dorfe nahe bei Pſkow, befaß fie Doch ungemeine Geifteßgaben und einen vortrefflichen Charak⸗ 
ter. Nach dem in einer Schlacht gegen bie Drzewlier erfolgten Tode ihres Gatten, 946, führte 
fie bis 955 für ihren minderjährigen Sohn Swäntoſlaw die Regierung und ging dann nach 
Konftantinopel, wo fie fi von dem Patriarchen Theophilaktes taufen ließ. Obgleich fie bei der 
Zaufe den Namen Helena empfing, wurde fie doch nach ihrem Xode, ber 968 erfolgte, von ber 
griech. Kirche unter ihrem frühern Namen Olga heilig gefprochen und der 14. Juli alten Stils 
zu dem Tage ihrer Feier beftimmt. Sie erfcheint ben Ruffen für um fo verehrungsmwürbiger, 
weil fie unter allen Großfürftinnen bie erfle war, welche die chriftliche Religion annahm; bie 
röm. Kirche hat fie nicht unter ihren Heiligen. 

Dligarchie oder Dligokratie heißt wörtlich die Herrſchaft Weniger. Da aber an fich die 
Zahl Hier nicht entfcheiden kann, die ohnebied nur relativ beurtheilt werben önnte, fo wird dar» 
unter eigentlich jene Ausartung der Ariſtokratie verflanden, bei welcher nicht mehr das Gemein. 
wohl, fondern der eigene Bortheil der Herrfchenden ihre höchſte Richtſchnur iſt, wobei fie ſich 
dann, um fich in ihrer gemeinfchäblichen Stellung zu behaupten, aller Mittel ber Unterdrüdung 
bedienen müffen. Es verhält ſich alfo die Dfigokratie zur Ariſtokratie wie die De&potie zur Mo- 
nardie, die Ochlofratie zur Demokratie. 

Dlivn, ein Marktflecken in dem preuß. Negierungsbezirt Danzig, unweit der Oſtſee, mit 
4500 €, ift der Sig des Fürſtbiſchofs von Ermeland und zugleich belebt durch viele Ranbhäu- 
fer vornehmer und reicher Bewohner von Danzig. Früher war es berühmt durch die im 12. 
Jahrh. geftiftete, jegt aufgehobene Ciflercienferabtei, deren prächtige Kirche eine vortreffliche 
Drgel und AO Altäre enthält. In diefer Abtei wurde 3. Mai 4660 der Friebe gefchloffen, bet 
ben Krieg zwiſchen Schweden, Polen, dem Kaifer und Brandenburg beendete. Der König Jo⸗ 
hann Kafimir von Polen entfagte feinen Anfprüchen auf Schweden und die Republik überlieh 
das nördliche Livland, Efthland und die Infel —* an Schweden; Schweden verzichtete auf 


Dliva (Baefiro Fernan Perez de) Dliven 35 


urland und beide Theile beftätigten Preußens Unabhängigkeit. Hierauf gab Schweden im 
rieden zu Kopenhagen 27. Mai 1660 Drontheim und Bornholm an Dänemark zurüd; mit 
fand aber ſchloß es 1661 den Frieden zu Kardis auf den vorigen Befigftand. So ordnete 
= zu D. die Staatenverhältmiffe des Norden und befeftigte Schwedens ũbergewicht. 
Dfive Maeſtro Fernan Perez de), ein berühmter fpan. Humanift und Profaift, geb. um 
497 zu Cordova ſtudirte in Salamanca und Aicala Philoſophie und die [hönen Wiffenfchaf- 
n und dann In Paris bauptfächlic Mathematik. Bon hier ging er nad) Rom zu einem Dheim, 
x im Dienfte bes Papſtes Leo X. ftand umd in deffen Stelle er nachmals eintrat. Er hielt nun 
‚ei Sabre in Mom Vorieſungen über Moralphiloſophie. Um ſich aber in den Wiſſenſchaften 
och mehr auszubilden, kehrte er nach Paris zurüd, wo er ebenfalls einen breifährigen Curs 
jer denfelben Gegenftand abhielt. Rach dem Tode bed Papfted Hadrian VL, ber ihm eine geifß» 
de Penfion verliehen hatte, verfügte er fich wieder nach Spanien umd las auf der Untverfität 
m Salamanca über Philoſophie, Mathematik und Theologie. Er zeichnete ſich fo fehr aus, 
Her zum Mector diefer Univerfität und endlich fogar zum Lehrer Philipp's II. ernannt wurde; 
‚ch ein frübgeitiger Tod, um 1533, verhinderte ihn, Tegtere Stelle wirklich anzutreten. Ob 
jon D. an der humaniſtiſchen Zeitrichtumg lebhafien Antheil nahm und nicht nur des Lateini · 
yen, fondern auch des Griechifchen kundig war, ſchrieb er doch nur in feiner Mutterfpradhe, 
e er nad) dem Muſter der claſſiſchen zu bilden fuchte. Um zugleich feine Landsleute mit dem 
beater der Alten bekannt zu machen, bearbeitete er mehre griech. und röm. Dramen, die indefe 
n ohne Einfluß auf die Geſtaltung ber fpan. Bühne blieben. Selbfländigen Werth hatte da · 
gen fein „Dialogo de la dignidad del hombre“, ber, in der Manier des Cicero gefchrieben, in 
tfpan. Literatur für das erſte Mufter einer Maren und zufammenhängenben Unterſuchung in 
1er correcten, edein und eleganten Sprache gilt. Auch ſchrieb er In gleicher Manier einen 
Jialogo de la castidad” und einen „Dialogo del uso de las rıquezas”, die aber nicht fo ber 
hint geworben find; noch weniger bedeutend find feine poetifchen Verſuche. Beine geſammten 
derke wurden von feinem Neffen Umbrofio de Morales (Cordova 1586) herausgegeben, feine 
Ibras poeticas” exſchienen In Madrid (2 Bde, 1787). 
Oitvarez (Don Gasparo de Guzman, Graf von), Herzog von San-Lucar, Premierminifter 
bifipp's IV. von Spanien, flammte aus einem vornehmen, aber fehr herabgefommenen fpan. 
eſchiechte und wurde zu Rom 6. Jan. 1587 geboren, wo fein Water @efandter am Hofe Papft 
irtusꝰ V. war, ben er vergiftet haben ſoll. Gr erhielt eine gelehrte Bildumg, und ehrgeizig, wie 
war, gelang es ihm, der Vertraute Philipp's IV. in deſſen Licheshändeln gu werden. Bom 
ünftlinge ſchwang er fi zum Premiermintfter empor und übte nun 22 9. eine faſt unum- 
ränfte Gewalt. Den Anfang feines Minifteriums bezeichnete er durch nügfiche Verordnun · 
n; balb aber war er bemüht, nur Gelb aus dem ande zu ziehen, um ben Krieg mit den be · 
harten Mächten zu unterhalten. Geine Härte verurfachte, daß Catalonien und Andaluſien 
h empörten unb daß die Portugiefen das fpan. Joch zerbrachen und 1640 den Herzog ven 
taganza für ihren König anerfannten. Dem Könige kündigte er dieſes Ereigniß ald etwas 
tfreufiche® an, indem er dadurch berechtigt werde, die ungeheuern Befigungen des Herzogt 
Spanien einzuziehen. Doch der Krieg nahm für Spanien, deffen Heere von ben Franzoſen 
id deffen Flotten von ben Hollänbern geſchiagen wurden, eine fo unglüdfiche Wendung, daß 
r König fi 1645 genöthigt ſah, feinen verhaßten Minifter zu entlaffen. D. mußte vom 
hauplage abtreten, too er vieleicht, befreit von feinem furchtbaren Rebenbuhler Richelieu, ber 
342 geflerben war, die Angelegenheiten bes Reichs twieberherzuftellen vermocht hätte. Auch 
äre er gurüdberufen toorben, wenn er nicht zu feiner Bertheibigung eine Schrift abgefaßt, bie 
ehre mächtige Perſonen belcidigte, ſodaß ber König e8 gerathen fand, ihm noch weiter zu ent» 
men und duf Xoro zu befcyränfen, wo er 12. Juli 1645 farb. Neben Graufamkeit und Geiz 
ſchuldigte man ihn noch mancher Verbrechen, bie jedoch nicht eriviefen find. - 
Dliven nennt man bie Steinfrüchte des Hlbaums (f. d.), welche höchftens bie Größe eines 
aubeneies erlangen, meiſtens oval, aber auch kugelig, eförmig, verfehrt-eiförmig, ſtumpf ober 
gefpigt und von Farbe fämanı, violett, röthfich, weißlich oder grün find, mit grümlich-weißem 
eifche, aus welchem das für Medidin, Ökonomie und Technologie gleich wichtige Dlivenöl oder 
aumöl (f.d.) gewonnen wird. Auch werden die Dfiven, noch vor der völligen Meife abgerom- 
en, auf verfehtedene Art eingelegt, Indem man fie vorher in Talkwaſſer einweicht, wodurch fle 
aen mildern Befhmad erhalten und weicher werden. In Güdeuropa werben die eingelegten, 
wie befonders auch Die getrockneten Dliven Häufig gegeffen; doch erfodern fie, in größerer Menge 
Gons.ster. Behnte Aufl. XL W 


888 Olivier (Guillaume Antoine) Dlivier (Mater) 


genoffen, eine Karte Verdauungekraft. Bei und ninınt man bie eingelegten Oliven nur zu Se 
laten und Brüben. ? 

Dlivier (Guillaume Antoine), Entomolog, geb. zu Les⸗Arcs bei Frejus 19. Jan. 1756, - 
dirte in Montpellier Mebicin und widmete fi dann ganz den Naturwiſſenſchaften. Rachdem er 
eine entomologifche Reife nach England und Holland gemacht hatte, bearbeitete er dieſen Theil 
der Raturgefchichte in der „Encyclopsdie möthodique”. Seine Stelle als Raturforfcher bei der 
Antendanz von Paris verlor er in der Revolution. Im 3.1795 erhielt er nebft Bruguieres 
durch den Minifter Roland den Auftrag zu einer Reife nach Perfien, um Danbelöverbindungen 
anzuknüpfen und über den Orient naturhiftorifche Nachrichten zu fammeln. Der 
Plan diefer Reife wurde durch Roland's Sturz vereitelt. Doch ließen fich die beiden Reiſenden 
nicht abhalten, ohne Unterflügung und unter ben größten Gefahren die Türkei und Perfien zu 
bereifen. Mit anfehnlichen naturbiftorifchen Sammlungen Iangte D., nachdem Bruguières in 
Ancona verftorben, 1798 in Paris wieder an, wo er 1800 ald Mitglied des Inſtituts aufge 
nommen wurbe. Später fam er ald Profeſſor der Zoologie an die Thierarzneiſchule zu Alfort. 
Er flarb zu Lyon 11. Aug. 1A. Geinen Ruhm begründen bie „„‚Entomologie, ou bistoire 
naturelle des insectes” (6 Bde., Par. 1789— 1808, mit 363 Kpfrn. ; deutfch won Illiger, 
2 Bde, Braunfhw. 1800—2) und das „Diotionnaire de l’'histoire naturelle des inseotes 
de l’Eucyclopsdie methodique” (9 Bde., Par. 1789— 1819). Außerdem ift feine „Voyage 
dans l’ompire ottoman, l’Egypte et la Perse” (Bar. 18041— 7, mit Atlas ; deutfch von Merk. 
Mülter, 3 Bde, Lpz. 18068) zu erwähnen. Er hinterließ eine berühmte Inſektenſamm⸗ 
Iung, beren Katalog Zatreille bearbeitet hat. . " 

Dlivier (Louis Heinr. Ferd.), der Erfinder einer nach ihm benannten Leſemethode, wurde 
19. Sept. 1759 zu la Sarra im Canton Waabt geboren und befuchte die hohe zu Lau⸗ 
fanne. Nach Vollendung feiner Studien ging er 1779 als Hofmeifter nad) Livland. Als bat 
von Baſedow gegründgte Philanthropin in Deffau allgemeines Aufſehen zu erregen begama, 
Eehrte D. aus Livland zurud und wurde Lehrer der franz. Sprache an jener Erziehungsanfteit 
mit dem Titel Profeffor. In Deffau fehloß ex einen innigen Freundſchaftsbund mit Matthiffen 
und Spuzier. Nach ber 1793 erfolgten Auflöfung des Philanthropins errichtete er eine bald 
ungemein aufblühende Erziehungsanftalt, die er aber 1801 wieber aufgab, um ganz für bie 
weitere Ausbildung und Ausbreitung ber von ihm erfundenen Leſemethode zu leben, die er in 
einigen in feinem Haufe errichteten Claffen von Knaben und Mädchen erprobte und in Leipzig 
und Berlin perfönlic) zur Anerkennung und Einführung in mehre fehranftalten brachte. Mehre 
junge Männer, die fich dem Lehrftande widmen wollten, wurden zu ihm nach Deffau gefchict, 
um in die neue Leſemethode eingeweiht zu werben. Mit einem bderfelben, Tillich, errichtete er 
1809 von neuem ein Erziehungeinftitut, das er aber nach einigen Jahren bem Letztern ganz 
überließ. Im Sommer 1811 machte er eine Reife in die Schmeiz, um fich dort anzufiedeln und 
eine Erziehungsanftalt nach Art der Salzmann'ſchen in Schnepfenthaf zu begründen. Wegen 
der damaligen Kriegszuſtände verfchob er die Ausführung feined Plans und ging indeß nad 
Wien, um fich mit feiner Familie, deren meifte Glieder fich dort befanden, wieder zu vereinigen. 
Hier ſtarb er 31. März 1815. Auf den Wunſch der Fürftin Schwarzenberg wurde er auf der 
fürftlihen Herrſchaft Worlid in Böhmen beerdigt, mo ihm fein ältefter Sohn ein Grabmal in 
goth. Stile jegen ließ. Seine Lefemethode gehört zu den Lautmethoden (ſ. Lefen und Kefemetho- 
ben), die von dem Grundſatze ausgehen, daß die Leſekunſt auf ber Kenntniß des jedem Buchſta⸗ 
ben eigenthümlichen Lauts beruhe. D. hat feine Methode in mehren Schriften dargeſtellt. Sein 
Hauptwerk ift dad „Orthoepographifche Elementarwerk oder Lehrbuch über die in jeder Sprache 
anwendbare Kunft, rechtfprechen, Iefen und rechtfchreiben zu lehren” (Deffau 1804). 

Dlivier, drei ausgezeichnete Maler, die Söhne des Vorigen, die fi um das Wiedtrauf- 
blühen der Kunft zu Anfang unfers Jahrhunderts Verdienft erworben haben. Ihr Vater fuchte 
ben Einen nach dem Andern in feine Berufsbahn einzulenten, gab aber dann immer als ein- 
ſichtsvoller Erzieher der Naturanlage nach. Heinrich von D., der ältefte der Brüder, wurde 
1785 in Deffau geboren, Ferdinand von D. zwei Jahre fpäter. Beide genoffen zunächft den 
Unterricht des trefflichen Malers K. W. Kolbe (f. d.) und gingen dann 1804 nad Dresden, 
nicht ohne vorher den Vater ale Hülfsichrer unterflügt und als folche nach Berlin begleitet zu 
haben, wo Ferdinand fi, unter Unger's Leitung mit der rylograpbifchen Technik vertraut ge 
tworden, ſchon durch bie Illuſtration des Elementarwerkes feines Vaters befannt gemacht hatte 
In Dresden reihten fich die Brüder D. den Strebenden durch tüchtige Leiſtungen in der Land⸗ 
ſchaftomalerei würbig an. Die politifchen Verhältniffe riefen Ferdinand 1806 auf kurze Zeit 


Ola potrida Almalerei 387 


m biplomatifchen Zwecken in die Dienfte feines Landesherrn, der bie Brüder freigebig unter⸗ 
Zuge hatte. Doc konnten Beide ſchon im Jahre darauf nach Paris gehen und ihre Studien 
m Musde Napolson fortfegen. Im J. 1810 kehrten fie nach Deffau zurüd; aber fchon im 
folgenden Jahre zog es fie nach Wien. Dorthin begleitete fie auch ber jüngfle Bruder, 
Friedrich von D. Diefer, 1791 in Deſſau geboren, war anfangs ebenfalls längere Zeit 
Dülfsichrer des Vaters, bis auch er zur Kunſt überging. Erſt in Wien konnte er fich 
ndefjen einem planmäßigern Studium ber Malerei ergeben, ben er aber 1413 durch den 
Eintritt in das Lügom’fche Freicorps wieder entriffen wurde. Gr focht tapfer als Offizier 
nd nahm dann 1814 in Wien feine Studien wieder auf, welche ihn befonders zu biblifchen 
Darftellungen führten. In Wien war inzwifchen durch Wächter, ben Nachfolger von Garfiens, 
ia kleiner Kreis von Jüngern für die neuerwachte Kunftrichtung gewonnen worden, und das 
Daus Ferdinand Ors bildete für längere Zeit den Wereinigungspunft jenes Kreifes. Ferdinand 
jab 1823 eine Folge eigenhändig lithographirter Blätter unter dem Titel „Sieben Gegenden 
us Salzburg, Berchtesgaden u. |. m.” Heraus. Diefe vortrefflichen, in dem Geifte der dame- 
igen Richtung componirten Blätter fchöpfen ihre Stimmung aus den fieben Tagen ber Woche 
md find burch zwei allegorifche Blätter verbunden. In feinen Olbildern (größtentheils bifterie 
che Landichaften oder rein hiſtoriſche Werke) zeigte Ferdinand eine are Entwidelung des Ge⸗ 
ankens neben großer Kormenbeflimmtheit und forgfältiger Durchführung. Heinrich fertigte 
n Wien eine Copie von Pordenone's Bild von der heil. Juftina aus dem Belvedere, daneben 
igene Sompofitionen, deren man in ben Kirchen feiner Vaterſtadt fieht, wohin er bald zurück⸗ 
ehrte. Friedrich ging 1818 nach) Rom und fand günſtige Aufnahme in dem Kreife, der in ber 
wigen Stadt die neue Kunſtära anbrechen ließ. Das erfte in Rom ausgeführte Gemälde von 
bm war Shriftus mit bem Zinsgrofchen. Außerdem lieferte er Landſchaften mit hiſtoriſcher Gtaf⸗ 
age. Im J. 1824 Lehrte er nach Wien zurück, wo er nun die Porträtmalerei übte. Das Verlan⸗ 
ven nach größerer Wirkſamkeit führteihn endlich 1829 nad) München. Hier malte er verfchiebene 
iblifche Begenflände und half auch bei den Fresken im Königsbau, in den Nibelungsfälen und 
m Saale ber Homerifchen Hymnen. Was ihn aber zumeift beſchäftigte, war ber Entwurf zueiner 
Volksbilderbibel, wozu er ſchon in Wien Zeichnumgen begonnen hatte. Seit 1834 erfchien die 
es Bert zu Gotha unter dem Titel: Volksbilderbibel in 50 Darftellungen aus bem Reuen Xe- 
tanıente* (den Text ſchrieb G. H. von Schubert; Thäter, Merz u. U. lieferten die Stiche). In⸗ 
‚wifchen war auch 1833 Ferdinand als Profeffor_ber Kunftgefchichte und GBeneralfecretär der 
Hlademie nach München berufen worden, welche Amter eine Zeit Iang feine praßtifche künſtleri⸗ 
che Thätigkeit in ben Hintergrund ſchoben. Doc erfhien er 1838 wieder mit Gemälden auf 
ver Ausftellung und zeigte, daß fich unterbeffen feine tünftlerifchen Kräfte eher concentrixt und 
vehoben als vermindert hatten. Ferdinand 11. Febr. 1841 flarb. Heinrich war nach der oben 
zwähnten Bibelausgabe eine Zeit lang Wirthſchaftsrath in Deffau und ging dann nady Ber⸗ 
in, wo er Beichnen- und Sprachunterricht gab und 5. Mär, 1848 flarb. Friedrich lebt feit 
1850 in Deflau, ebenfalls mit Unterricht befchäftigt. 

Olla potrida (mörtlich : fauliger Topf) bezeichnet eigentlich die in einen Topf zufammenges 
vorfenen Hefte von Fleifch, Bemüfe und andern Speifen, dann aber insbefondere ein beliebtes 
Rationalgericht ber Spanier, daB aus einem Gemiſch von verfchiebenen Fleiſchſorten und Ge⸗ 
nüſe bereitet (gedämpft) wird. Man gebraucht baber auch dad Wort für jeden Miſchmaſch, 
. 8. auf Büchertiteln für Allerhand, in Beitfchriften für Miscellen, Beuilleton u.|.m. 

Dlmalerei, die Kunft mit Olfarben (f. d.) zu malen, weiche für große und kleine Gemalde 
jegenwärtig am bäufigften in Anwendung kommt, hat wegen ber Lebhaftigkeit, Kraft, Anmuth 
ınd Naturwahrheit der Farben, wegen der Mannichfaltigkeit und Miſchung der Tinten, über- 
yaupt wegen bed volltommenen Zaubers des Colorits vor allen übrigen Arten ber Malerei große 
Borzüge. Die Farben find etwas dunkler, aber auch glängender als die Wafferfarben. Man 
reicht in Olfarben den Schmelz, womit die Natur die Gegenſtände ſchmückt, das Sanfte und 
Duftige, wodurch fie ihren Landichaften ben größten Reiz gibt, dad Durchfichtigere der Schat- 
en und das Imeinanderfließende der Karben. Auch leiden Olgemälde vom Waſſer und andern 
Seuchtigkeiten wenig; denn die Hifarbe löſt ſich nicht fo leicht wieder auf, wenn fie einmal ange⸗ 
zodnet iſt, und eine Stelle kann, fo oft der Maler nur will, übermalt werden. Durch öfteres 
Ibermalen aber wir die befte Harmonie und höchſte Wirkung der Farben beffer erreicht, als 
Bea man die Farben fliehen laſſen muß, wie fie zuerſt aufgetragen worben find. Auch konnen 

farben übereinandergefegt werben, fobaß die untere durchſcheint. Da ferner bie Difarbe gäbe 


388 Ölmalerei 


iſt und die nahe aneinandergelegten Tinten nicht ineinanderfließen, ſo kann der Maler mit ige 
eine beſſere Mifchung unb bequemere Rebeneinanberfegung der Farben erreichen als in Waſſer⸗ 
farben. Durch einen Überzug von Firniß fucht man dem Staube, ber leicht barauf haftet, zw 
vorzufommen, wozu man neuerdings das —— häufig anwendet. Mit der Zeit werden 
freilich die Farben allmälig dunkler, welches man Nachdunkeln nennt. Die Schuld davon Hegt 
meift am minder guten Dle, mit welchem bie Farben angemacht werben. Am gemöhnlichften be 
dient man fich des Nußöls, mit welchem die Farben aufgelöft und gerieben werben und welches 
feiner Ratur nach trodinend iſt. Das Leinöl, ald das gröbfte und fettefte, wird zum Gründen 
gebraucht. Auch erfegt man das Nußöl durch Mohnol, welches weißer und heller ift als biefes 
und ebenfalls trodnet. Da aber einige Farben, wenn fie gerieben werben, fehr ſchwer trodinen, 
fo hat man ſich mannichfaltiger iffe bedient, die man unter bie ſchwer trocknenden Farben 
mifcht. Ein großer Vortheil der Olmalerei iſt auch ber, baf ber Maler die Wirkung feiner Ar 
beit ſchon während bes Arbeitens ficherer beurtheilen kann, indem die Farben im Trodinen fi 
nicht fo fehr verändern wie die Waſſerfarben; nur muß er, um bem angeführten Nachdunkeln 
entgegenzutommen, gleich anfangs den Ton etwas Präftiger unb heller halten und das rechte 
Maß im Die zu treffen wiſſen. Viele wenden daher auch Spiköl an, welches die Farben fläff- 
ger macht und bald verfliegt. Man malt mit DI auf Holz, Pappe, Kupfer und anbere Metalle, 
auch auf Mauern und groben Taffet, gegenwärtig aber am gewöhnlichften auf Leinwand, bie 
auf einen Blindrahmen gezogen und mit Leim ober Goldgrund, von Einigen auch mit weißen 
Bafferfarben überzogen oder gegrünbet wird. Wenn bie Leinwand zubereitet ift, pflegt man 
da6 Bild mit weißer Kreide zu zeichnen und fängt bann an, mit Farben ben Grund zu machen. 
Man reibt Die Karben vorher mit dem fogenannten Läufer auf einem Porphyr unter Bufegumg 
von DI, bis fie die Steife eines dicken Breis haben. Diefen Brei thut man alsdann in Heine 
Blafen, bie aus Schmweindblafen gefchnitten werben, binbet fie zu und flicht fie beim Gebrauch 
mit einem Kreuzſtich an. Die Karbenblafen liegen in einem Farbenkaſten, eine jede in einem be» 
fondern Fach. Der ganze Apparat wird Heutzutage vorbereitet im Handel gefunden. Niemand 
reibt fich noch feine Farben eigenhändig. Bei dem Auftragen ber Farben bedient man fi ber 
Palette (f.d.). Mit berfelben zugleich Hält die Linke ben Malſtock von leichtem Holze ober Mohr; 
er dient der Rechten, welche den Pinfel führt, zur Unterlage. Die Pinfel find zumeiſt Borſt⸗ 
pinfel, deren Spigen durch Spalten der einzelnen Borften elaftifch gemacht werben. Die foge 
nannten Lyoner find bie beften. Größere Pinfel aus Dachshaaren, womit man Hintergründe, 
Lüfte, Untermalungen u. f. w. herftellt, heißen Vertreiber; zum Ausziehen langer, gerader Con⸗ 
touren bedient man fich der langhaarigen fogenannten Schlepper. Die vorbereitete Leinwand 
ftellt man zum Bemalen auf die Staffelei, jene bekannte Vorrichtung, welche ſich auf- und ab» 
fhieben läßt. Zuerft wirb das Gemälde untermalt; der Entwurf muß mit denfelben Tinten ge 
macht werden, womit man ausmalt. Die Kunft, die Karben ber Ölgemälde vom Holze abzu- 
Iöfen und auf Leinwand überzutragen, foll von einem gewiffen Picault erfunden worden fein; 
auch pflegt man in neuerer Zeit das murmfräßige Holz bis auf die Unterfläche des Gemäldes 
ganz fein abzuhobeln und diefe auf neues Holz überzutragen. Die Kunft, Gemälde zu reflau- 
riren, hat nächft Andern in neuefter Zeit der Staliener Palmaroli auf einen hohen Brad der 
Vollkommenheit gebracht. Ölgemätde, an denen bie Leinwand zu fäfeln anfängt oder Miffe be» 
kommt und abfpringt, werben auf neue Leinwand gezogen, was die Franzoſen rentoiler nennen. 
Über die Entftehung und das Alter der Olmaletei ift viel geftritten worden, ohne daß irgend 
eine Meinung fich allgemein geltend zu machen vermocht hätte. Die ältere und gewöhnliche 
Meinung war, daß Ian van Eyd (f.d.) diefe Kunft im 15. Jahrh. erfunden habe. Allein 
die Methode, DI als Bindemittel ber Farben ſtatt des Waſſers zu gebrauchen, iſt viel älter und 
wurde vielleicht fchon feit dem 10. Jahrh. hier und da angewendet. Auch die nächfte Generation 
vor den van Ey in Deutfchland wie in Italien hat eine ziemliche Anzahl Olbilder aufzu⸗ 
mweifen, wenngleich nur vereinzelt und ohne wefentliche Vorzüge der Technik. Die Priorität 
frage zwiſchen Italien und dem Norden Hinfichtlich diefer Anwendung des Ols wird wol nie zu 
entfcheiden fein. Dagegen ift fo viel ficher, daß die van Eyck zuerft die großen Vortheile für 
das Colorit aus der Olmalerei entwidelten und durch eine Reihe glüdllicher Entdeckungen bie- 
felbe zu einer fo Hohen Vollkommenheit brachten, daß der folgenden Zeit nicht mehr viel zu ent- 
decken übrig blieb. Daß die Erfindung feldft den Schülern als große® Geheimnif vorenthalten 
worden fei, widerlegt ſich [don aus den Werken derfelben, z. B. aus einem Bilde des Chriftopf 
jen und van ber Meir's vom 3. 1417, welches die Technik der van Eyd zeigt, fomwie auch aus 
der rafchen Verbreitung über ganz Deutichland. Längere Seit dauerte es in Stalien, his biefe 





Dlmüg Dlouez 350 


nee Olmalerei, welche Antonello von Meffina, der Schüler des Ian van Eyck, nad) Venedig 
gebracht hatte, vollig durchdrang. Wenigſtens find noch die meiften Hauptwerke bi6 gegen Ende 
bes 15. Jahrh. in Tempera gemalt; doch kam noch vor Beginn der höchſten Glanzperiode der 
tal. Kunft das DI in allgemeinen GMruch. Seit jener Zeit find der Verfuche zur Vervoll- 
kommnung der Olmalerei unzählige gemacht worden, unb noch gegenwärtig befigen Echulen 
und einzelne Dialer hier und da befondere Traditionen. Vgl. Bouvier, „Anweifung zur Olma- 
lerei (deutfch, Halle 1828) ; Volker, „Die Kunft der Malerei” (Xpz. 1852). 

Dlmüß, ſlaw. Holumauc, Hauptftadt eines Kreifes und einer Bezirtshauptmannfchaft der 
Markgrafſchaft Mähren, eine der Hauptfeflungen Oſtreichs, liegt auf einer Infel der Mar, 
welche durch Schleußen bedeutend gefchwellt werben kann, und zählt mit den fünf Vorftäbten 
etwa 13000 E. Den großen ſchönen Oberring zieren eine 114%. hohe Dreifaltigkeitsfäufe, 
bie ſchönſte der Monarchie, und zwei Springbrunnen von Georg Rafael Donner. Merfwür- 
dige Gebäude find die Domkirche, ein fühner, alter Bau; die Mauritiusfirche von 1412 mit 
ber berühmten Orgel von 48 Negiftern und 23352 Pfeifen; die Reſidenzen des Erzbifchofs und 
Domdechanten; das ſchöne Rathhaus mit dem künftlichen Uhrwerke von 1574 auf dem 244 $. 
oben Thurme und das Zeughaus. Die Stadt ift der Sig eines Erzbiſchofs, des einzigen in 
Oſtreich, deſſen Wahl vom Domcapitel abhängt, eined Kreisamts und einer Univerfität, die 
1581 geftiftet, 1778 aufgehoben und 1827 wiederhergeftellt wurde. Diefelbe ift im Beſit einer 
Bibliothek von 50000 Bänden, eines naturhiftorifchen und eines bedeutenden phyſikaliſchen 
Mufeums und zählt gegen 500 Studirende. Auch beftehen daſelbſt ein Gymnaſium, ein ery 
bifchöfliche® Seminar, eine ftänbifche Akademie, eine Eabettenfchule, eine Hauptſchule, ein Then» 
ter, ein allgemeines Krankenhaus und ein allgemeines Witwen. und Baifenverforgungsinfti- 
hut. An Vergnügungsorten ift Mangel, da felbft die Gärten 1000 Klaftern von ben Feſtungs⸗ 
werten entfernt fein müffen. In neuerer Zeit wurben innerhalb der Werke Alleen und Spa- 
jiergänge angelegt und aud) viel für Ableitung der Sümpfe gethan. Eine Viertelftunde von D. 
auf einem Hügel liegen bie Gebäude bes 1074 gegründeten und 1846 wieder erneuerten Prä- 
monftratenferflofter8 Hradiſch. Lange Zeit war D. der Hauptort Mährens und ber Sig ber 
Regierung, bis diefe 1640 nad) Brünn verlegt wurde. Früher blos ein Bisthum, als beffen 
erſte Verweſer vie Bifchöfe Cyrill und Method genannt werben, wurbe baffelbe 1777 zu einem 
Erzbischum erhoben, nachbem den Bifchofen fchon 1588 die Reichsfürſtenwürde erteilt wor 
yen war. Die Stadt wurde vielfady von den Wechſelfällen des Dreifigjährigen und ber Schle 
ſiſchen Kriege betroffen. Zur Zeit des erftern wurde fie 1619 in den Aufftand Böhmens und 
Mährens verwidelt und 1642 von den Schweden unter Torftenfon eingenommen, die fie erft 
1ach dem Frieden wieder herausgaben. Im J. 1741 ergab fie ſich an die Preußen, die fie im 
April 1742 wieder räumten. Im 3. 1758 durdy die Preußen von neuem belagert, wurbe fie 
son der Befagung umter dem General von Marfchall und von ber Bürgerfchaft fo lange tapfer 
sertheidigt, bis der Feldmarfhall Daun fie entfegte. Maria Therefia belohnte die damals von 
en Bürgern bewiefene Treue dadurch, daß fie das Stadtwappen mit einem Lorberkranz und 
hrem Ramenszuge vermehrte, die meiften Rathöherren in den Adelsſtand erhob, andere mit 
joldenen Schaumünzen und Ketten beſchenkte, den erlittenen Schaben wiedererftattete u. |. w. 
Am 2. Dec. 1848 entfagte zu D. Kaifer Ferdinand I. der Negierung zu Bunften feines Neffen 
Franz Jofeph. Sodann fanden 28. und 29. Nov. 1850 Hier Konferenzen zwifchen dem preuß. 
Minifler von Manteuffel, dem öſtr. Minifter Fürften von Schwarzenberg und dem rufl. 
Befandten am öftr. Hofe, bem Grafen Meyenborff, flatt, die zur Feſtſtellung der ſogenann⸗ 
en Olmüger Punctation in Bezug auf die friedliche Schlichtung ber beutfchen Wirren 
f. Deutf$land) führten. 

Diönes (fprich Alöneg), ein 2784 AM. großes, 1846 nur von 263100 Menfchen ber 
vohntes Bouvernement des europ. Rußland, begrenzt von dem Großfürſtenthume Finnland, 
von den Gouvernements Archangelst, Wologda, Nowgorod, Petersburg und vom Ladogaſee, hil- 
yete in früher Zeit einen Beſtandtheil bed nowgorodiſchen Staats und ift ein im Ganzen fehr 
infruchtbares, theils fumpfiges, theil® fleiniges oder fandiges flaches Land, welches nur im Nor⸗ 
ven von fchroffen Hügelketten durchfchnitten wird. Uber 370 AM. kommen auf die großen Waſ⸗ 
erflächen. Die Hauptfeen find der Laboga-, Onega- und Wygoſee. Unter den Flüſſen find der 
Swir, welcher ben Dnega mit dem Ladoga verbindet, die Wodla, die aus dem Wodlaſee in ben 
negafee fließt, und der Onegafluß, der in den Onegabufen des Weißen Meeres fällt, die bedeu- 
endften. Das Klima ift raub, der Winter lang und fireng, dagegen im kurzen Sommer bie 
Dige ımerträglich. Das Getreide kommt oft nicht zur Reife; Flachs und Hanf aber werten ik 


390 Dlozaga Ds 


gebaut. Die Waldungen enthalten fchoned Nadel- und befonders Lärchenholz, vieles Wilb und 
Geflügel. Auch an Fiſchen ift großer Überfluß. An Mineralien, edein Metallen und Gtelnen 
herrſcht Reichthum; befondere wird viel Kupfer und Blei, ſowie [höner Serpentin, 

und der berühmte kareliſche Marmor häufig gewonnen: Die Bewohner, größtentheils 
wozu ſich auch einige finnifche Völkerſchaften geſellen, verlaffen gewöhnlich einen großen 

des Jahres ihr Land, um auswärts Arbeit zu fuchen. Die frühere Hauptftadt Olönez, OR 
anı Onegafee, ift fehr Plein, zählt kaum 1000 €. und hat in der Rachbarfchaft Eifen- und An 
pfergruben. Die jegige Hauprfladt Petroſawodsk, mit 7000 E. in meift hölzernen Wohnhän- 
fern, hat mehre Fabriken, darumter die große Kroneifengießerel Alexandrowsk und liegt in einer 
wildromantifchen Gegend an ben Felfenufern bes Onegafees. 

Diozäga (Don Saluftiano), fpan. Staatsmann und Progreſſiſt, war früher Advocat zu 
Rogrofio und machte ſich zuerft bemerklich 1831, wo er, in eine Verſchwörung gegen Ferbi⸗ 
nand VII. verwidelt, feftgenommen wurde. Im I. 1832 entkam er der Haft und flüchtete nad 
Frankreich. Als er nach dem Tode Ferdinand's zurückkehrte, wurde er in die Cortes gemählt, we 
er in der Oppofition ald Redner gegen das Minifterium Iſturiz fich hervorthat. Im J. 1836 
ſchloß er fi) anfangs an Mendizabal an; nach ber Revolution von La Granja aber trat er an 
die Spige der monardhifchen Oppofition und zeigte fi thätig für das Intereffe der Königin 
Maria Chriftina. Obſchon er 1838 als Generalfiscal fich weigerte, ben General Cordova in 
Anklageſtand zu fegen, ernannte ihn doch Espartero 1840 zum Geſandten in Paris. Als nad 
der Majorennitätserklärung ber Königin Sfabella 1845 das Minifterium Lopez abtrat, wurde 
D. zurüdgerufen, um an die Spige bes Minifterlums zu treten. Doch dauerte fein 
nur wenige Tage. Gleich von Anfang an mit den Moberados und der Hofpartei, an beren 
Spige Narvaez ftand, in Zwieſpalt, glaubte er fich und fein Minifterium nicht anders Kalten gu 
können als durch die Auflöfung ber verfammelten Cortes. Nach der Behauptung der Hofpartei 
zwang er die junge Königin in der Nacht von 28. zum 29. Nov. 1843, das betreffende Decret 
zu unterzeichnen. Diefer Act entfchied vollends feinen durch die Intriguen des Hofes vorbereite 
ten und von den Moberabos durchgeführten Sturz. Verfolgt und in Lebensgefahr floh er nad 
Portugal, und da er auch hier feine freundliche Aufnahme fand, ging er nady England, fpäter 
nad) Frankreich. Zu Anfange bes 3. 1847 ward D. in zmei Wahldiftricten in die Cortes ge 
wählt. Da auch er in der Ammeftie, welche bie Königin gewährt hatte, eingefchloffen war, kehrte 
er nad) Spanien zurück, wurde aber auf dem Mege nach Madrid in Folge eines Befehls bet 
Minifteriums Ifturiz verhaftet und auf die Eitadelle nad) Pampeluna gebracht. Diefer unge 
jegliche Schritt des Hofs erbitterte faft alle Parteien, ſodaß D. freigelaffen, doch aber wie⸗ 
der bed Landes verwieſen ward. Als im März 1847 das Minifterium Pacheco ans Ruder 
trat, erfolgte indeffen die Rüdberufung O.'s und fein Eintritt in die Kammer. In Folge 
des republitanifchen Aufſtandes im Mai 1848 verhaftete die Regierung auch D., ließ ihn 
jedoch bald wieder frei. 

Dlpflanzen heißen diejenigen Gewächſe, welche ihrer olhaltigen Samen halber zur Gewin⸗ 
nung eines fetten Ols cultivirt werden. Der Anbau der Olpflanzen wird im Großen betrieben 
und man nimmt an, daß allein an Rüböl alljährlich 2 Mill. Ctr. in den Handel fommen. Die 
hauptſächlichſten Olgewächſe, welche in Deutfchland auf dem Felde im Großen angebaut mer: 
den, find Winterraps und Winterrübfen, Somnierraps und Sommerrübfen, Zeindotter, Mohn, 

in und Hanf. Außerdem wird hier und da noch die Sonnenrofe, das Madikraut umb der 

(rettig angebaut. 2egterer, nur eine Abart des gewöhnlichen Nettigs, warb aus China, wo 
man ihn Hauptfächlich cultivirt, zuerft von Ekeberg nach Schweden eingeführt und von ba nad 

eutihland und Italien verbreitet. In Chile wird vorzüglich Madikraut (Madia sativa) als 

Ipflange angebaut, in Oftindien und Abyffinien die Ramtille (Guizotia oleifera) und der ind. 
Sefam (Sesamum Indicum), in Agypten und dem ganzen Orient bis nach China und Japan 
der orient. Sefan (Sesamum Orientale) und in den Tropenländern die Erdeichel (Arachis sub- 
terranea). Der Olgewächsbau im Felde ift da, wo Klima und Boden ihn begünftigen, fehr 
lohnend, er verlangt aber ein mildes Klima, guten, fruchtbaren Boden und vielen Dünger. 
Bol, Löbe, „Die Ölgewächfe” (Köslin 1845). 

DIE, eine Standeöherrfchaft mit dem Titel eines Fürſtenthums in Nieberfchlefien, zum Re 
gierungsbezirk Breslau gehörig, hat einfchließficy des feit 1745 wieder damit vereinigten Für» 
enthums Ols Bernſtadt einen Flächeninhalt von 35%, AM. mit etwa 150000 E. Es um 
faßt die Kreife DIE (16% AM. mit 64000 €.) und Trebnig (15% DM. mit 55000 E.) 
de Oerrſchaft Meczibor im Kreife Wartenberg, Stadt und Diſtriet Konftadt im Kreiſe Kreuj- 


Olshauſen (Herm.) Olshauſen (Suftus) 391 


burg des Regierungsbezirks Oppeln, zuſammen acht Städte, einen Marttfleden, 324 Dörfer und 
164 Vorwerke. Der Boden ift im Ganzen fruchtbar, vorzüglich an Getreide, Flachs und 
wohlbewäfjert, in Norden reich bewaldet, im Südoſten aber von Sandftrichen durchzogen. 

der Hauptſtadt DIS, auf einer Ebene an der Olfa, mit 6200 E., welche fich mit DVerfertigung 
von Tuch und andern Induftrieartileln nähren, haben das FürftentHumögericht, die Fürften- 
tbumslanımer, fomie die Landfchaft ihren Sig. Das 1558 erbaute Schloß mit einer anſehn⸗ 
lichen Bibliothek, einem Garten, Park und einer Zafanerie ift von ZBällen und Gräben umge 
ben. Die Stadt hat ein evang. Gymnafium mit der 1727 gegründeten gräflich Kospoth'ſchen 
Stiftung, ein Predigerwitweninftitut, drei evang. und eine Bath. Kirche, eine Synagoge und 
teeffliche Armenanftalten. In der Nähe liegen die Dörfer Wilhelminenort und Sibyllinenort, 
beide mit bergoglichen Luftilöfiern. Das Herzogthum D., welches in frühern Zeiten ben fchlef. 
Herzogen gehörte, dann dem Könige Wladiſlaw von Böhmen zufiel und zulegt durch Taufch 
an den Herzog Heinrich von Münfterberg aus dem Piaſtengeſchlecht wieder überging, gelangte 
nach dem mit dem Tode des Herzogs Karl Friedrich 1647 eintretenden Erlöſchen des münften 
bergichen Mannesftamms an deffen Schwiegerfohn, ben Herzog Silvius Nimrod von Würtem- 
berg, den Gtifter ber Linie Würtemberg⸗Ols. Als diefe Linie 1792 mit Herzog Karl Ehriflian 
Erdmann ausſtarb, fiel durch deffen einzige Tochter und Erbin, Sophie Friederike Charlotte, 
geft. 1789, das Fürſtenthum an deren Gemabl, den Herzog Friedrich Auguſt von Braun- 
ſchweig und nach defien Tode 1805 an defien Neffen, den 1815 in der Schlacht bei uatrebra® 
gebliebenen Herzog Friedrich Wilhelm, welchem die Erbfolge 1785 durch Friedrich d. Gr. zu⸗ 
gefichert worden war und der fi num Braunfchweig-DIS nannte. Hierauf kam es an beffen 
Sohn und Nachfolger Karl, der es 1825 feinem Bruder Wilhelm ald Secunbogenitur unter 
Bedingung bed Heimfalls abtrat. Diefer befigt ed noch gegenwärtig, nachdem er 1830 die Re- 
gierung in Braunfchrveig übernommen. 

Olshauſen (Herm.), proteft. Theolog, geb. 21. Aug. 1796 zu Oldeslohe im Holfteinifchen, 
chielt feine VBorbildung im väterlichen Haufe und auf ber Schule zu Glückſtadt. Nachdem er 
in Kiel und Berlin ftudirt, wurde er 1818 NRepetent in Berlin, 1821 auferorbentlicher Pro» 
feffor in Königsberg und hier 1826 Doctor und 1827 ordentlicher Profeſſor der Theologie. 
D. richtete feine Tätigkeit vorzugsweiſe auf die Eregefe des Neuen Teflaments und ließ mehre 
Schriften erfcheinen, in denen zwar Geift und lebendige Liebe zum Chriſtenthume, aber nicht 
überall die nöthige wiffenfchaftliche Unbefangenbeit zu erkennen ift. Im J. 1834 ging er ale 
ordentlicher Profeffor und Geh. Kirchenrath nach Erlangen, wo er 4. Sept. 1839 flarb. Bon 
feinen Werken find vorzugsmeife zu nennen: „Die Echtheit der vier Evangelien aus ber Ge⸗ 
ſchichte ber beiden erften Jahrhunderte erwielen” (Königsb. 1825); „Ein Wort über tiefem 
Shriftfian” (Königsb. 1824) ; „Die bibliſche Schriftaußlegung, noch ein Wort über tiefern 
Schriftfinn” (Königsb. 1824), worin er der allegorifihen Erklärung bas Wort redet. Das bes 
deutendfte feiner Werke ift: „Biblifcher Kommentar über füämmtliche Schriften bed Reuen Te 
ftaments“ (Bd. 1—4, Königeb. 1830—40; Bd.1 und 2, 3. Aufl., 1837 — 38; Bd. 3, 
2. Aufl., 1840; Bd. 5—7, von Ebrard und Wiefinger, 1850—53 ; Bd. 1, 4. Aufl., 1853). 
Gegen die Altlutheraner ſprach er fich in den Schriften „Über die neueflen kirchlichen Ereig⸗ 
niſſe in Schlefien” (2pz. 1835) und „Erwiderung gegen Scheibel u. f. w.“ (2pz. 1836) aus. 

Disbaufen (Juſtus), verdienter Drientaliſt, Bruder bes Vorigen, geb. 9. Mai 1800 zu 
Hohenfelde in Holftein, befuchte die Schule zu Glückſtadt und Eutin und widmete ſich feit 1816 
zu Kiel, feit 1819 zu Berlin und dann auf Koften der dän. Regierung zu Paris unter Silv. be 
Sacy ben Studium der oriental. Sprachen. Nach feiner Rückkehr 1823 erhielt er eine außer 
ordentliche, 1830 eine ordentliche Profeſſur gu Kiel, wurde hierauf 1840 Ritter vom Danebrog, 
1845 Etatsrath und ordentliches Mitglied der dan. Akademie der Wiffenfchaften. Im J. 1848 
wurde ihm bald nach der Erhebung ber Herzogthümer das Guratorium ber Univerfität zu Kiel 
und die Leitung des Medicinalweſens anvertraut. Die Stadt Kiel wählte ihn 1848 in die erfte 
Zandesverfammlung, deren Vicepräfident er bis gegen Ende 1849 blieb. Gleich nach der Über 
gabe des Landes an die dan. Regierung 1852 ward D. erft feines Amts als Curator, bald 
nachher auch feines Lehramts enthoben, aber 1853 von der preuß. Regierung als Oberbiblio- 
thefar und Profeſſor der oriental. Sprachen nad) Königsberg berufen. Von feiner Ausgabe des 
Zenbavefta, zu welcher er 1826 in Paris und 1828 zu Kopenhagen reiche Marerial gefammelt 
hatte, erfchten nur ber Anfang unter dem Titel „Vendidad. Zend- Avestae pars vioesima 
adhuc superstes“ (Damb.1829). Bon feinen übrigen Schriften find noch zu nennen: „Emen⸗ 
bationen zum Alten Teſtament“ (Kiel 1826); „Zur Topographie des alten Serufalem (Bis 


303 Disbaufen (Theodor) Olymp 


.1833); „Die Pehlewi⸗Legenden auf den Münzen ber legten Saffaniden” (Epz. 1843)3 „Er- 

Märung der Pfalmen” (2ps. 1853). Auch wurden von ihm bie Kataloge der arab. und perfi- 

ſchen Handfchriften der Fönigl. Bibliothek zu Kopenhagen bearbeitet, von benen der erſtere ( Ke⸗ 
6. 1851) gedruckt vorliegt. 

Dlshanfen (Theodor), bekannt durch feine Theilnahme an ber [hleswig-holft. Bewegung, 
Bruder der Vorigen, geb. 19. Suni 1802 zu Glückſtadt, befuchte die Schulen zu Glückſtadt und 
Eutin und fludirte 1820— 24 die Rechte zu Kiel und Jena. Die Theilnahme an ben bamali- 

en Kreiheitöbeftrebungen der akademiſchen Jugend nöthigte ihn 1824— 28 zu einem längern 

fenthalte in Frankreich und der Schweiz. In die Heimat zurückgekehrt, lebte er feit 1830 
anfangs als Advocat, fpäter als ftädtifcher Beamter in Kiel, gründete 1830 das „Kieler Corre⸗ 
Spondenzblatt” und wirkte durch diefe6 Organ nachhaltig und kräftig auf die Belebung polld- 
ſchen Intereffes und auf die Entwickelung vaterländifcher und freiheitlicher Geſinnung ia Schles⸗ 
wig und Holftein ein. Weil er in demfelben die Anficht vertrat, daß das beutfche Bundesland 
Holſtein, gleich Lauenburg, von allen übrigen Theilen ber Monarchie abgefonbert, eine ſelbſtän⸗ 
dige Verfaffung und Verwaltung erhalte, geriet) er mit den Anhängern der althergebrachten 
engen Verbindung Holfteine mit Schleswig in heftigen Eonflict. Den Beſirebungen Epriftian's 
VII. zur Duchführung gefammtftaatlicher Einrichtungen trat er jedoch 1845—47 im Ein- 
verflänbniß mit bem.ganzen Bande auf das thätigfte entgegen. ZBegen ber von ihm und An- 
bern auf den 14. Sept. 1846 nach Rortorf berufenen Volks verſammlung wurbe er zu Kiel ver» 
haftet und auf die Feſtung Rendsburg gebracht, nach einigen Wochen jedoch auf Verfügung bes 

berappellationsgericht6 wieder auf freien Buß gefegt und bierauf 1847 von ber Stabt Kiel 
zum Abgeordneten in die hofft. Ständeverfammlung erwählt. In den Märztagen 1848 mit 
fünf andern Mitgliedern der Ständeverfammlung nach Kopenhagen abgeorbnet, um Frieb- 
rich VII. zu einer den Rechten entfprechenden Behandlung der Herzogthüimer zu vermögen, ge» 
rieth er bier bei der Aufregung ber daͤn. Bevölkerung in Lebensgefahr, mußte auch u. feinen 

Genoſſen ohne Erreichung feines Zwecks nach Kiel zurückkehren. Hier trat D. in U 
flimmung mit dem Wunſche aller Parteien 28. März in die Proviforifche Landesregierung zu 
Rendsburg ein, nahm jedoch, weil feine Vorfchläge nicht die Zuftimmung der Majorität fanden, 
im Aug. 1848 feine Entlaffung, um bald nachher für Itzehoe in bie Landesverfammlung ein- 
zutreten. In berfelben entwidelte er bis zulegt ald Führer der Linken große Energie zur Durch 
führung feiner Anfichten. Als die Statthalterfchaft im Febr. 1851 abtrat, zog fih O. nad 
Hamburg zurück, wo er 1849 die das demokratiſche Princip vertretende „Norddeutſche freie 
Preſſe“ begründet hatte. Im Juni 1851 fchiffte ſich DO., von der bän. Regierung erifirt, nadı 
Nordamerika ein und lebt feitdem zu St.Louis in Miffouri mit wiffenfchaftlichen Arbeiten be- 
ſchäftigt. Dafelbft hat ex ein umfaſſendes Werk über die Vereinigten Staaten (Bb. 1: „Das 
Miſſiſſippithal“, Kiel 1855) begonnen. 

Dlung. Die legte Dfung (unctio extrema „ unctio inärmorum) tft feit dem 12. Jahrh. 
eins der fieben Sacramente ber kath. Kirche, welches durch das Tridentiner Concil von neuen 
beftätigt wurde und an Todtkranken Durch Salbung ber Augen, Ohren, der Naſe, bes Mundes, 
der Hände, Süße und der rechten Seite (die beiden zulegt genannten Theile aber nur bei Män- 
nern) mit einem vom Bifchofe geweihten Ole (f. Chrisma) unter Gebet vom Priefter verrich- 
tet wird. Die kath. Kirche gründet diefed Sacrament aufMarc. 6, 13 und Jak. 5, 14 und legt 
ihm die Kraft bei, bie Vergebung ber verzeihlichen Sünden, Stärkung der Seele und, wenn es 
Gottes Weisheit gemäß ift, auch leibliche Genefung zu bewirken. Vollzogen wird das Sacrament 
nur durch den Priefter und kann, weil es die eigene Andacht des Genießenden erfobert, nur an 
ſolchen Kranken gefchehen, denen der Genuß des heiligen Abendmahls, das in der Regel auch 
vorhergeht, verftattet ift. Kleine Kinder und Ercommunicirte find dieſes Sacraments nicht fü- 
big, guch darf es in berfelben Krankheit nicht wiederholt werden. Die Proteftanten haben bie 
legte Olung nicht beibehalten, weil nichts von einer Einfegung diefes Gebrauchs durch Chri⸗ 
ſtus felbft bekannt iſt. Im der griech. Kirche wird fie nicht nur bei den Sterbenden, fondern 
überhaupt bei Kranken aller Art als ein zur Genefung und zur Vergebung der Sünben bien- 
liches Sacrament angewenbet. 

‚ Dlymp ober Olympos heißen im Alterthume mehre Gebirge, z. B. in Myfien bie nordieft- 
liche Bortfegung des Taurus, ferner auf der Infel Eypern in der Nähe von Amathus und an 
ber Brenze von Lakonien und Arkadien, an defien Buße Kleommes den Antigonus ſchlug. Am 
berühmteften aber war der Olympos in Thefialien, jegt Lacha genannt, welcher ber Sage nad) 
In feuhefter Zeit mit dem Oſſa (f. d.) zufammenhing und nach ber durch ein Exhbeben bewirk 


Olympia Dlympiabe 3 


ten Trennung dem Peneus durch das enge Thal Tempe (f. d.) einen Ausgang verſch uffte. Die 
Gipfel defjelben werden durch eine fübliche Biegung der Kambunifchen Gebirgskette, weiche 
Macedonien von Theffalien fcheibet, gebildet, erreichen eine Höhe von mehr ald 6000 F. und 
find ziemlich nem Monate lang mit Schnee bedeckt. Der am höchſten hervorragende Berg, 
welcher vorzugsweiſe bei den Alten den Namen Olympos führte, erhebt ſich am Eingange des 

‚ wird in ber Regel von ben lieblichften Farben in feiner Beleuchtung umfloffen, und 
auf feinen grünen, mit Alpenblumen geſchmückten Matten leben die Hirten während bes Som⸗ 
mers mit zahlreichen Heerden. Hier war der eigentliche Sig ber Homerifchen Götter und Mu 
fen, er felbft noch jegt bei den Türken Semarat Evi, d. 1. das himmlifche Haus, genannt 
wird. Die Stadt, welche die Götter auf den erhabenften Yunkten bewohnten, hatte Hephäſtos 
erbaut und mit Thoren verfehen. Hier befand ſich auch der Palaft des Zeus, wo zu Berathung 
und Schmaus nicht blos die olympifchen Götter, welche feinen Rath bildeten, ſondern auch bie 
übrigen, welche auf der Erde und im Meere walteten, zufammenzutommen pflegten. Diefe 
höchſte Spige war es, welche die Aloiden (ſ. d.) erflürmen wollten. Später verfegten die Phi 
lofophen und namentlich die Mathematiker bie Gottheit auf die äußerſte; um die Ylaneten- 
kreiſe ſich bewegende Himmelsfphäre, und auch diefer neue Bötterfig erhielt den Ramen Olympos. 

Dlympia, der Schaupfag ber berühmten Olympiſchen Spiele (f. d.), ift ein ſchön gelegenes 
Thal in dem mittlern, Pifatis genannten Theile ber pelopomnefifhen Landſchaft Elis (1. d.). 
Es iſt nur wenige Stunden vom Meere entfernt, gegenüber ber Infel ante (f. d.) oder Zakyn⸗ 
t608. In D., ald dem großen Rationalheiligthuume ber Helenen, häuften fich auf Meinem Raume 
bie koſtbarſten Schäge ter griech. Kımfl aus allen Stämmen und Zeitaltern, Tempel, Grabmale, 
Ultäre, Schaghäufer, Theater, Stabtum, Hippodrom und Zaufende von Bötterbilbern, Statuen 
und Weihgeſchenken aus Erz und Marmor; fogar zur Zeit des Altern Plinius finden bier noch 
5000 Statuen. Ebenſo wurden bier unter dem Schuge des Gottesfriedens, der über biefe hei⸗ 
lige Stätte ausgefprochen war, alle wichtigen Staats- und Privaturkunden und Verträge und 
Infchriften aller Art aufbewahrt. Der heilige Hain, der dieſe Spiele und die darauf bezüglichen 
Heiligthümer umfchloß, bie fogenannte Altis von D., nahın eine Ebene von 35004000 $. 
Länge ımd 16002000 F. Breite ein. Im Rorden war er von felfigen, aber fanft anfchiwel- 
lenden Hügeln begrenzt, aus denen das Kronion, d. h. ein im Alterthume mit einem Heilig. 
thume des Kronos geſchmückter Hügel malerifch vorfpringt. Im Süden bildete die Grenze der 
180 $. Hreite und wafferreiche Alpheios, im Weſten der Kladeos, ein munter riefelnder Dep 
bach. Die Pracht und Herrlichkeit diefer alten Heiligthümer tft nicht nur völlig verwüſtet und 
verſchwunden, fondern ber Boden hat fich fogar durch bie von den Höhen herabgefpülte Erde 
und durch die Überfchwernmungen ber beiben angrenzenden Flüfſe durchgängig um 4—6 F. er⸗ 
höht. Der Plug des Landmann burchfurcht jegt träg und mühfam die Bahnen, bie einft fie 
gesftürmenb die von Sindar gefeierten Helden und Roſſe durcheilten. Eine fehr ausführliche 
Beſchreibung von den Ortlichkeiten O.s gibt Eurtius in „Ofympia” (Berl. 1852) und in feinem 
„Peloponneſos“ (2 Thle., Gotha 1852). Bei der Wichtigkeit, die D. für das Verftändniß der 
alten Gefchichte und Kunft hat, und bei der Wahrfcheinlichkeit, daß hier der alte claſſiſche Boden 
noch fehr reiche und feltene Schäge berge, faßte ſchon Winckelmann, der Begründer ber griech. 
Kunfigeiichte, den Plan zu ausgedehnten Musgrabungen. Er wurde nicht verwirklicht, weil 
Bindelmann’s Tod hindernd dazwiſchentrat. Seitdem hatte eine franz. Commiſſion den Anfang 
einer Ausgrabung gemacht und bedite nach kurzer Arbeit bie Heiden Srontefeiten und bie Gella 
bes Zeustempels auf. (Vgl. „Expedition scientifique de la Moree etc.”, Bb. 1, Par. 1851). 
Aber auch diefer Berfuch wurde vorzeitig abgebrochen. Vereinzelte Funde, die bie Gunſt bes 
Zufalls aufbedte, find namentlich für die Infchriftenkunde fehr bebeutenb geweſen und bekun⸗ 
ben hinreichend, wie erfolgreich bie gründliche Ausführung jenes alten Winckelmann ſchen ans 
fein müßte. Da die griech. Regierung felbft bisher nicht die Mittel zu einem ſolchen Untern 
men befaß, erließ Roß (f. d.) im Frühjahr 1853 einen Aufruf an alle Aiterthumsfreunbe, 
bie Ausgrabung in D. Beiträge zu |penden. Diefer Schritt hatte bei der Ungunſt ber Zeiten 
zwar nicht Hinreichenden Erfolg, erwedte aber das Intereffe des Königs von Preufen, for 
daß für die Ausführung des Unternehmens Hoffnung vorhanden iſt. 

Diympiade hieß bei den Griechen ein Zeitabſchnitt von vier Jahren, ben man nad) ber ge- 
fegmäßigen Wiederkehr der Beier der Diympifchen Spiele (1. b.) fo benannte. (&. Ira.) 
Zeitrechnung nach diefen Dlympiaden erhält aber erſt feit dem I. 776 v. Chr. mit dem 21. ober 
32. Iuli völlige Sicherheit und ſchließt mit der 293. Diymplade oder mit dem J. 594 n. Er, 
ba während ber Regierung Sheobofind' d. Br. bie Beten. der Dlgmpttären Spiele SEHR Tr Ei 


Olympias Olympiſche Spiele 


aft erreichte. Doch kam dieſe Art der Zeitrechnung erſt nach 300 v. Chr. durch den Geſchicht⸗ 

zeiber Zimäus aus Sicilien auf; denn vorher und noch nachher beſtand die ältere Sitte, bie 
Jahre nach einer obrigkeitlichen Perfon, in Sparta nach bem erſten Ephorus, in Athen nad 
dem Archon Eponymos zu bezeichnen. Vgl. Ideler, „Handbuch ber mathematifchen und tech⸗ 
nischen Chronologie” (2 Bde., Berl. 1825—26). 

Olympias, die Gemahlin des macedon. Königs Philipp (f.b.) und Mutter Alexander's b. 
Br., eine Tochter des Königs Neoptolemus von Epirus, verband mit vielem Berflande einen 
ränkevollen und herrfchfüchtigen Charakter, der fie zu ben größten Unthaten verfeitete Als näm⸗ 
lich in Folge eingetretener Misverhältniffe Philipp von ihr fich getrennt und mit Kleopatra wie 
der vermäblt hatte, trug fie nicht nur zur Ermorbung ihres frühern Gemahls 356 v. Ehr. wer 
fentlich bei, fondern brachte auch die Kleopatra dahin, daß diefe ſich felbft den Tod gab. Rach 
dem Tode Alerander’s, der fie ſtets mit kindlicher Ehrfurcht behandelt hatte, fuchte fie bei den 
©treitigkeiten der Kronbewerber ihre eigenen Anfprüche auf den Thron geltend zu machen und 
gewann auch den Polyfperchon (f.d.) für ihre Plane; allein die Graufamteit, daß fie den blöd⸗ 
finnig gemachten Stiefbruder und Nachfolger Alexander's, Arrhidäus, nebft deſſen Gattin Eu- 
rydice 347 v. Chr. Hinrichten ließ, fand fehr bald Vergeltung. Kaffander, Polyſperchon's Geg⸗ 
ner, ließ ſie gefangen ſetzen und durch gedungene Meuchelmörder 315 v. Chr. ermorden. 

Dlympiodörus, ein Platoniker aus Alexandria zu Ende des 6. Jahrh. n. Chr, verfüßte 
außer dem Leben ded Plato auch Commentare oder Scholien zu mehren Dialogen deffelben, die 
zum „Gorgias“ in ber Ausgabe von Routh (Drf. 1784), zum „Philebus“ in der Ausgabe von 
Stallbaum (2pz. 1820), zum „Phäbon“ zulegt von Muſtoxydes in den „Anecdota Graeca“ 
(Ben. 1816) und zum „Alcibiades 1.” von Greuzer in den „Initia philosophiae ac theologiae 
ex Platonicis fontibus ducta” (Bd. 2, Fkf. 1821) bekannt gemacht worden find. — Auch gibt 
ed zwei Peripatetifer Olympioborus, von denen ber ältere, ber Lehrer des berühmten Neu- 
platoniters Proklus, im 5. Jahrh. n. Chr, ber jüngere in der zweiten Hälfte des 6. Jahrh. n. 
Ohr. lebte und einen Eonımentar über des Ariftotele „Bleteorologica” hinterlaffen hat, heraus« 
en von Aldus (Den. 1551). — Endlich iſt noch ein vierter Olympioborns aus Theben 
in Agypten zu erwähnen, ber in der erften Hälfte des 5. Jahrh. n. Chr. lebte und in 22 Büchern 
eine allgemeine Geſchichte feiner Zeit von 407 — 425 ale Fortfegung des Eunapius fchrieb, 
wovon fich inder „Bibliothel”” bes Yhotius Auszüge finden, bie in Bekker's und Niebuhr's Aus- 
gabe von „Dexippi, Eunapii etc. historiarum quae supersunt“ (Bonn1829) abgedrudt find. 

Olympiſche Spiele, die berühmteften unter den vier feierlichen Spielen der Griechen, 
welche bie Nationaleinheit der verfchiedenen Stämme bezwedten, erhielten ihren Namen von 
dem geweihten Orte Olympia (f.d.), wo fie, und zwar zunächft in dem Haine Altis am Fluſſe 
Alpheos, dem Zeus oder Jupiter zu Ehren jedes fünfte Jahr gehalten wurden. Die Gründung 
und Einrichtung derfelben wird ſchon von ben Alten auf die mythifch dunkle Zeit, von den Mei- 
ften auf Hercules zurüdgeführt. Später follen fie mehre male erneuert und geordnet worden 
fein, namentlid) unı 884 v. Chr. von bem eleifchen Fürften Sphitus in Bemeinfchaft mit dem 
fpurtan. Geſetzgeber Lykurg; doch wurde erft feit 776 v. Chr., als der Eleer Korobos den Preis 
im Wettlauf bavontrug, ein ununterbrochenes Verzeichniß der Sieger in diefen Spielen gehal- 
ten, welches fpäter zu ber Zeitrechnung nad) Olympiaden (f.d.) Weranlaffung gab. So mur- 
den diefe Spiele bis auf das Zeitalter des Kaiſers Theodoſius, 394 n. Ehr., regelmäßig fortge- 
fegt. Die Feier felbft begann mit dem elften Tage des attifhen Monats Hekatombäon, welcher 
der legten Hälfte unfers Zuli und dem Anfang Auguft entfpricht, und dauerte fünf Tage hin- 
durch. Die Kämpfer mußten ſich dazu zehn Monate auf dem Gymnaftum au Elis vorbereiten, 
und in den legten 50 Tagen vorher wurden diefe Kampfübungen ebenfo vollftändig verfucht wie 
bei den Spielen felbft. Die Feftlichkeit nahm Abende unter großen Opfern ihren Anfang, die 
eigentlichen Spiele aber mit dem Anbruche des folgenden Tages. Diefe beftanden in Wettren⸗ 
nen zu Pferde und zu Fuß, im Springen, Disfuswerfen, Ringen und Fauſtkampf; mufitalifche 
und dichterifche MWettftreite machten den Beichluß. Aus allen Gegenden ſtrömten Zufchauer her⸗ 
bei; doch war außer den Prieflerinnen der Ceres nur Männern der Zutritt geftattet. Diejeni- 
gen Frauen, welche diefes Gefep übertraten, wurden wenigftens ber frühern Anordnung nach 
von einem Helfen herabgeflürzt. Andere Beftlichkeiten, befonders Aufzüge und religiöfe Gere- 
monien, an benen die von den einzelnen Staaten abgeſchickten Geſandten Theil nahmen, fchlof- 
fen fid an. Die Sieger, die man Olympioniken nannte, wurden öffentlich ausgerufen, mit 
dem Siegeskranze, welcher aus Zweigen des wilden Olbaums beftand, geſchmückt und mit Pal 
swengiseigen in ber Danb bem Volke vorgeftellt. Auch außerdem widerfuhren ihnen große Aus⸗ 


Olyuthus Dmaojfaden 385 


zeichnungen, Verherrlihung durch Lobgeſänge und Bildfäulen, bei der Rückkehr in ihr Water» 
land ein Ehrenplag bei öffentlichen Schaufpielen und Befreiung von öffentlichen Laften, in 
Athen Speifung im Prytaneum u. f.w. Die Anordner der Spiele waren die Eleer; fie be 
ſtimmten die Zeit und verfündeten die während jener Zeit gefeglich vorgefchriebene Waffenruhe 
im ganzen Peloponnes, fowie die Unverleglichkeit des Feſtes und der zum Feſte Neifenden. Die 
eigens dazu beftellten Kampfrichter oder Hellauodiken machten die Zeit bekannt, binnen welcher 
die Athleten in Elis ſich melden mußten, unterfuchten, ob fie Hellenen und Sreigeborene und im 
Genuſſe der bürgerlichen Ehre waren, beeidigten fie dann, daß Alles im Kanıpfe ehrlich vor fi 
gehen follte, ordneten die Kampfhandlung, egtfchieden Darüber, wenn Jemand nach der öffent. 
lichen Auffoderung der Herolde als Ankläger gegen die Kämpfer auftrat, paarten biefe endlich 
durch das Loos und fahen auf die Beobachtung der Kampfgefege. Die Auffeher, welche bei dew 
Spielen felbft Ordnung hielten, hießen Alyten und flanden wieder unter einem Vorgefegten, 
Alytarches genannt. Bon Pindar (ſ. d.) befigen wir noch 14 Hymnen auf Sieger in diefen Spie- 
(en. Vgl. Kraufe, „Olympia, oder Darftellung der großen Olympifchen Spiele” Bien 1858). 
Dlyntbus, eine fon im früheften Alterthume fehr bedeutende Stadt an der Grenze Ma- 
cedoniens, auf der Chalcidiſchen Halbinfel, ſchloß fih anfangs dem Perferheere beim zweiten 
Einfalle in Griechenland an, wurde aber bald wieder abtrünnig und deshalb von Artabazus 
hart gezüdhtigt. Im Peloponnefifchen Kriege erfcheint fie unter den Feinden Athens, und nad 
der Demüthigung der Athener durch die Spartaner gelangte fie in Folge der Erweiterung des 
Gebiets zur höchſten Blüte und Macht. Durch Misbrauch ihrer Macht zog fie fich aber den 
Haß Spartas zu und mußte nach einem vierjährigen Kriege und einer langwierigen Belage 
rung die Hegemonie dieſes Staats anerkennen, ohne jedoch an ihrem frühern Anſehen zu ver» 
lieren. Bei der Ausbreitung der macedon. Herrſchaft wurde fie endlich vom Könige Philipp IL. 
nebft den mit ihr verbundenen Städten 348 v. Chr. durch Verrath und Gewalt erobert. Die 
Athener hatten zwar den Olynthern, befonders von Demofthenes (ſ. d.) in drei Reden dazu auf- 
gefodert, die wir noch befigen, zu wiederholten malen eine mäßige Unterftügung an Zruppen ge» 
fendet, vermochten aber den Untergang der Stadt felbft nicht zu hemmen, die fi) dann nie wie⸗ 
ber erhob. Vgl. Wömel, „De Olynthi situ, civitate, potentia et eversione” (#ff. 1827). 
Dmajjaden, eine arab. Khalifendynaflie, welche ihren Namen von ihrem Ahn Omafja- 
Ben-Abd-Schems, der vor Mohammed lebte, führt, Bam mit Moamijah I. 661 auf den Thron 
und berrfchte bis 752 in Damask. (&. Khalif.) Ihrem Sturze in Aften waren nur zwei ihrer 
Glieder entronnen. Das eine derfelben, Abd⸗ur⸗Rahmaͤn L, luden die Scheikhs bed von Par- 
teiungen zerriſſenen farazen. Spanien 755 dahin ein und erkannten ihn als Emir⸗al ⸗ Mumenin 
an. Zrog mannichfaltiger Empörungen behauptete er fi und wurde fo der Gründer bed un- 
abhängigen Khalifats von Cordova (f. d.), daB, faſt ganz Spanien umfaffend, im Norden bis 
an ben Ebro, ja Darüber hinaus und bis zu den Gebirgen Altcaftiliens, Afturiene, Leone und 
Galiciens ſich erſtreckte. Er ordnete fein Reich in ſechs Provinzen, die, ſowie die zwölf wichtig. 
ften Städte, unter eigenen Walis ftanden. Diefe mit den Kadis bildeten eine Art Reichstag. 
Er ftarb 778. Die Regierung feiner Nachfolger Heſcham's L, bi6 796, und Hakem's L, bit 
812, war fehr unruhig. Die Statthalter empörten fich und Thronſtreitigkeiten entflanden mit 
den Berwandten. Die hriftlihen Spanier gewannen dadurch an Kraft, und ed ging Daraus hervor 
die Spanifche Mark im Norboften bes Reichs. Abd-ur-Rabman IL., bis 852, ſtellte bie innere 
Ruhe wieder ber und befchäftigte fein Volk mit Bekriegung der Ehriften, gegen die er fich mit 
Macht wendete. In diefen fortwährenden Kriegen zwifchen den Arabern und chriftlichen Spa⸗ 
niern entwidelte ſich auch unter jenen ein ritterliches Heldenthum, das in Liedern gefeiert wurde, 
ja felbft das Verhältnif der Frauen erhielt ein romantifches Gepräge, wie fonft nirgends in ber 
mohammed. Welt. Abd-ur-Rahmän war ſelbſt Dichter und Gelehrter und zeigte fich auch als 
Beſchützer der Künfte und Wiffenfchaften. Dabei war er mild und gerecht, brachte die Ber- 
faffung feines Reichs durch Ausfchliefung der Weiber vom Erbe an Grunbeigenthum ber 
german. Berfaffung näher und ordnete die Verwaltung feines Reichs fo gut, daß das mohammeb. 
Spanien für das beftverwaltete Land der ganzen damaligen Zeit gelten konnte. Sein Sohn 
und Nachfolger Mohammed, bis 880, war ebenfalls durch die Beförderung der Künfte und 
Wiſſenſchaften ausgezeichnet. Zu den Kriegen mit den chriftlichen Spaniern kamen jett noch 
bie Einfälle der Rormannen. Mohammed's Sohn und Nachfolger Mundhar fiel ſchon 882 in 
einen Kriege gegen den Empörer Haffun. Ihm folgte fein Bruder Abdallab, der neben dieſem 
Mebellen auch noch mit den Empörern feines eigenen Hauſes zu kämpfen hatte, diefe zwar be» 
fiegte, aber, weil er ben Frieden mit dem König Alfons III. von YAuxken ya vraalten Solate, Vor 


306 DmarL Omen 


Empörung ber fanatiſchen Mohanmedaner Vorſchub leiſtete Ex ſtarb 912. Sein Enkel US 
ur⸗KRahman ILL, der ihm folgte, war einer der fchönften, geiftreichften und liebenswürdigſten 
Negenten, welche die Geſchichte kennt. Er befiegte alle Empörungen in feinem Reiche umd 
brachte das Khalifat auf den höchſten Punkt der Blüte und Macht, indem er auch in einem 
langwierigen Kriege gegen den König Don Ramiro von Afturien ımb Leon Sieger blieb. Alt 
Dichter und Regent hochgeehrt, beſchloß er 961 fein genußreiches Leben. Die Regierung fel- 
nes Sohnes Hakem IL war in jeder Beziehung die Bortfegung der Begferung feines Vaters. 
Dit als irgend ein anderer arab. Fürſt erwies er fi) als Freund der Wiffenfchaften unb ber 

tkunſt. Seinem Beifpiele folgten alle Großen und Beamten des Reihe, ſodaß Spanien 
unter feiner Regierung ber Hauptfig der arab. Wiffenfchaften wurde. Hakem ftarb indeß ſchon 
976, als fein Sohn Heſcham T. der bi6 1008 regierte, erft gehn Jahre alt war. Die Mutter 
deſſelben herrfchte nun allein, und Heſcham wuchs im Palaſt auf, entfernt von den Gefchäften. 
Zwar führte der allmächtige Vezier Mohanımed-Abu-Amerral-DManfur die Reichsangelegen⸗ 
beiten auf treffliche Weiſe im Innern wie nach außen, allein die Regierung befam von num an 
einen andern Charakter. An die Stelle ber perfönlihen Regierung und Tüchtigkeit der zeit- 
herigen Khalifen, die ihre Söhne und Nachfolger durch forgfältigen Unterricht und Mittheil- 
nahme an ben Staatsgeihäften zu ihrem Berufe vorbereiteten, trat nun das gewöhnliche 
orient. Seraild- und Vezierregiment. Die Khalifen wurben fo mehr und mehr weichlicher und 
üppiger, zugleich ſchwacher und untüchtiger, und ber herrfchende Einfluß gelangte in bie Hände 
der Hofleute. Die eigentlichen Staatsgeſchäfte verfah der Hadſchebs, der diefelbe Macht beſaß, 
wie ber Emiral-Omrab in Bagdad. Die Folge davon waren innere Unruhen, Thronftreitig- 
keiten und äußere unglüdliche Kriege. Das Reich warb geſchwächt und zerrüttet, ſodaß bie 
Shriften immer größere Kortfchritte machen konnten. Die Thronbewerber hielten ed gewöhnlich 
mit biefen Feinden des Reichs, um mit ihrer Hülfe den Thron zu gewinnen. Es verfiel das 
Reich in dem Maße, als die Macht der Ehriften erſtarkte, und unter fchnellem Thronwechſel bei 
immerwährenden Bürgerkriege und immer unglüdfichern Kämpfen gegen die Ehriften endigte 
durch Die Thronentſagung Seſcham's IV. 1031 die Dynaftie der fpan. Omafjaden. Ihr Reich, 
das mächtigfte und blühendfte der farazen. Reiche Spaniens, Löfte ſich num in eine Reihe Meiner un 
abhängiger Königreicheauf. Vgl. Aſchbach, „Befchichte der Dmafjaden in Spanien” (Fkf. 1829). 

Omar 1., ber zweite der Khalifen, f. Khalif. 

D’Meara (Barry Edward), der Arzt Napoleon’s auf St.-Helena, war ein Irländer von 
Geburt und diente ald Wundarzt am Bord des brit. Schiffs Bellerophon, auf welchem Na⸗ 
poleon 7. Aug. 1815 Zuflucht fuchte. Weil er während der Überfahrt von Rochefort nach Ply⸗ 
mouth mehren franz. Offizieren zuvorfommend Hülfe geleiftet, foderte ihn der Kaifer bei der 
BVerfegung auf den Rorthumberland auf, als Leibarzt mit nach St.-Helena zu gehen. O'M. 
wirkte ſich die Erlaubniß bei feinen Vorgefegten aus und widmete feine Kunft dem Gefangenen 
drei Jahre hindurch mit allem möglichen Eifer. Der Gouverneur Hudfon Lowe wollte ihn 
beim Kaiſer ale Spion benugen; allein er widerftand diefem Anfinnen mit ehrenhafter Fe⸗ 
ſtigkeit und mußte deshalb 25. Juli 1818 St.-Helena verlaffen. O’M. hatte verfucht, den Cha- 
rafter Napoleon’s in der Abſicht zu ſtudiren, um der Welt einft feine Refultate mitzutheilen. 
Er hatte die täglichen Gefpräche mit Napoleon gewiffenhaft in ein Tagebuch eingetragen, deſſen 
einzelne Blätter durch einen auf der Schifföftation befindlichen Freund nach London an einen 
gewiffen Halma, den Agenten des Kaifers, gelangten. Nachdem Napoleon geftorben, ließ O’'M. 
mit Bewilligung der Teflamentsererutoren das Tagebuch unter dem Xitel „Napoleon in exile, 
or a voice from St.-Helena” (2 Bde. Lond. 1822; deurfch, Stuttg. und Tüb. 1822; franz., 
5 Bde., Par. 1851— 32) erfcheinen. Wiewol ſich Napoleon gewiß nicht abſichtslos mittheilte, 
fein Arzt auch ficherlich nicht unbefangen genug war, um die Rolle eines wirklichen Beobachters 
durchzuführen, fo bleibt doch diefe Schrift immer ein höchft wichtiger Beitrag zur Geſchichte 
bed Kaifers. D’M. verlor nach Veröffentlichung des Buchs feine Anftellung als brit. Marine 
arzt. Er ftarb zu London 3. Juni 1836. Ä 

Dmen oder Prodigium nannten die Römer bedeutfame Zeichen, die ſich zufällig und unge⸗ 
fucht darboten und aus denen man Glück oder Unglüd verkündete. Genauer unterfhieb man 
beide fo, daß man unter erfterm jebes hörbare Zeichen, befonders das gefprochene Wort, unter 
legterm Erfcheinungen in der Menfchen- und Thierwelt, wie Misgeburten, Schlangen, Heu- 
ſchrecken, ferner das Unftoßen bes Fußes, Reifen bes Schuhriemens, felbft das Niefen u. |. w., 
bderſtand. Sollte bie Berheifung eines ſolchen Zeichens in Erfüllung gehen, fo mußte es von 

Dem, weldem es begegnete, aufgenommen werben; doch fand, wie auf Seiten ber Wörter im 


Omer · Paſcha 7 


Geben ber Zeichen it herrſchte, fo auf Seiten ber Menfchen in Hinſicht der Annahme ber- 
felben Willkür ſtatt. Man konnte nämlich bei einem ungünfligen Zeichen das drohende Unglück 
durch Opfer ımb Sühnungen, fogar durch gewiſſe Zauberformeln oder auch dadurch abzumen- 
den fuchen, daß man ihm fogleich eine pa glüdtiche Deutung ımterfchob, wie, B. Gäfer, 
als ex bei ber Landung an ber Küfte A zu Boden ſtürzte, durch die Worte: „Ich faffe 
bich, Afrika!“ das wibrige Zeichen in ein gümfliges ummanbelte. Biswellen achtete man auch 
abſichtlich nicht auf folche Zeichen ober verhöhnte fie, wie P. Claudius im erſten Puniſchen 

bie heiligen Hühner, als fie nicht aus dem Käfig herausgehen wollten, mit ben Worten: 
„Run, wenn fie nicht freffen wollen, fo follen fie faufen I” ins Meer werfen ließ. Doch erkannte 
ber allgemeine Glaube bie Unterwürfigkeit unter folche Zeichen an, und die Alten gebrauchten 
daher bei ihren gottesdienfilichen Hanblungen bie größte Vorficht, um alles Wiberwärtige in 
biefer Beziehung abzuhalten. &o verhüllte der Opfernde das Haupt, um fich gegen alles St}- 
rende zu verwahren; man gebot Stille beim Beginn einer heiligen Berrichtumg und bei ber Er⸗ 
Öffnung ber Feſtſpiele; jedem Opferzuge gingen Herolbe voran, die mit dem Zurufe „Habt 
Adel” die Leute ermahnten, ihre Geſchaͤfte ruhen zu laffen, bis der Zug vorüber wäre, damit 
Die Prieſter keinen Miston vernehmen möchten. Beim Unfang des Opfers fagte man bie be 
kannte Formel „Favete linguis!“ d. 5. „Sprecht kein Wort von übler Bedeutung”, und fuchte 
fogar durch Muſik das Vernehmen ſchlimmer Dmina unmöglich zu machen. In fpäterer Zeit 
gebrauchte man Dmen für jede Borbedeutung und fagte 3. B. von einer Perfon, deren Name 
zugleich mit ber Befchäftigung übereinflimmte, wie $teifcher, Müller u. [.w., nomen ot omen 
habet, b. h. er hat den Namen mit der That. Bol. Fallati, „Uber Begriff und Weſen bes 
rom. Omen und über befien Beziehung zum röm. Privatrecht” (Zub. 1836). 

- Dmer-Bafcha, türk. General, ein Renegat, flammt aus ber front. Famille Lattas, bie in 
ber öfte. grenze angefeffen, unb wurbe 1811 zu Plaski im oguliner Grenzbezirke gebe» 
ren. Sein Bater war Verwaltungslieutenant in biefem Bezirke und wirkte dann in gleicher 
Eigenfchaft im likkaner Regimentsbezirke. Der junge Lattas befuchte bie Militärnormalfchule 
feines Geburtsorts und machte fi) beſonders eine ſchöne Handfchrift eigen. Er fam dann in 
die mathematifche Schule nach Thurm bei Karlſtadt und ward, nachdem er ben Curſus vollen- 
bet, bei dem oguliner Grenzregiment als Gabet eingereiht. Später fand er Verwendung als 
Secretär bes Auditors und Straßenbaudirectors Major Eajetan Kneczig, beffen Rachficht ex je- 
doch gemisbraucht Haben ſoll. Die Geſchäfte in Unordnung zurücklaſſend, entwich er 1835 nad 
Sara und ging von ba in die Türkei, nach Bosnien. Hier trat er in die Dienſte eines türk. Kauf-⸗ 
manns als Gontorift, der ihn fpäter, als er zum Mohammebanismus übergetreten, zum Pri⸗ 
vatlehrer feiner Söhne machte uyd mit biefen nach Konftantinopel ſchickte. Wegen feiner aus⸗ 
gezeichneten Handſchrift fand er in ber Hauptſtadt Anſtellung als Schreiblehrer in einer Militär» 
anftalt. Im diefer Stelle leiftete Omer-Efendi, welchen Namen und Titel Lattas jegt führte, 
Borzügliches, ſodaß er zum Schreiblehrer des Prinzen und fpätern Sultans Abd⸗ul⸗Medſchib 
auserfehen, zugleich auch mit dem Range eines Jũz⸗Baſchi (Gapitän) in bie türk. Armee aufge 
nommen wurbe. Als fein Zögling zur Begierung kam, erbielt er den Rang eines Oberſt und 
wohnte als folcher, unter bem Befehle des tür. Divifionsgenerals und fpätern deutfchen Reichs⸗ 
minifters Jochmus, dem Feldzuge von 1840 in Syrien bei. Bei diefer Gelegenheit erwarb er 
fi) den Rang eines Liva oder Brigabegenerals. Als die Pforte 1842 den Emir Kaffım wegen 
Unfähigkeit vom Militärgouvernement im Libanon entband, erhielt D. deſſen Stelle, ber aber 
ebenfalls dieſes Amt alsbald niederlegen mußte, weil die bortigen Ehriften fich über Härte und 

fucht des Nenegaten beffagten. Im 3. 1843 machte D. unter dem Oberbefchle 
Nedſchib⸗Paſcha's, den Feldzug in Albanien gegen den Rebellen Dſchuleka mit, beffen Bezwin⸗ 
gung beſonders durch feine Anordnungen geſchah. Er ftieg hiermit Immer mehr in ber Geumfl 
und dem Vertrauen des Sultans. Als 1846 in Adfchara, an ber kaukaſiſch⸗ rufſ. Grenze, Kör⸗ 
Huffein-Bei die Sahne des Aufruhrs erhob, ward D. im Sept. zur Dämpfung dieſes Huf 
ſtands abgeſchickt. Allein Halil⸗Paſcha Hatte inzwifchen bie Empörung unterbrüdt und DL 
kehrte, ohne ſich auszeichnen zu können, ſchon im October nach Konftantinopel zurüd. In dev» 
felben Zeit überfiel der Kurbe Bebr-Han-Bei bie neftorianifchen Ehriften und erflärte ſich zu- 
glei mit Han⸗Mahmud⸗Bei gegen die Pforte. Unter dem Oberbefehle Deman ⸗Paſcha's er» 
hielt D. den Auftrag, mit einem Theile des Armeecorps von Arabiftan diefen Aufftand nieber- 
zuſchlagen, was er auch im Sommer 1847 durch Erftürmung ber kurdiſchen Feſtungen ausführte, 
Den Reſt bes Jahres brachte er ald Militärgouverneur von Aleppo zu. Als 1848 bie Unruhen 
in den Donaufürſtenthümern ben Einmarfch der Nufſen que Tolgı yatıza, ru D un SAHEn 


Id 


Avð Omnibus Hueus 


der Pforte an der Spige türk. Befagungstruppen ebendahin geſchickt. Er beſchoß hier 25. Sept. 
Die Kaſerne zu Bukareſcht und blieb dann dort als Militärgouverneur bis April 1850. Damals 
erhielt ex den ruff. &t.-Uinnenorden; auch vermählte er fich mit der Schweſter bes bekannten 
&imuntc aus Siebenbürgen. Im Sommer 1850 unterbrüdte D. den Aufſtand, welchen ber 
bosnifche Adel gegen die Sonfeription und den Zanfimat erhob, und im Herbft wandte er fich 
gegen die Herzegowina, um bie Bewegungen biefer Provinz nieberzuhalten. Unterdeflen bra 
chen aber die Unruhen in Bosnien, namentlich in der Kraina, aufs neue aus, die D. erſt im Mai 
1851 mit Erftürmung der Veſte Bihac völlig unterbrüden konnte. Er ordnete hierauf die Ent 
waffnung des Landes an, begann aber biefelbe mit Entwaffnung der gänzlich unbetheiligten 
Cheiſten, die er überhaupt mit rückſichtsloſer Strenge behandelte. Nachdem er in Sommer 
1852 nach Konftantinopel berufen worben, erhielt er im December ben Oberbefehl über die 
Armee gegen Montenegro (f. b.). Diefe von D. felbft in Verbindung mit der alttürk. Partei 

Exrpedition hatte mit großen phyſiſchen Schwierigkeiten zu kämpfen und mußte end» 
lich im Jan. 1853 auf Einfchreiten Oftreich& aufgegeben werben, ohne daß O. audy nur ent 
fern fein Ziel erreichen konnte. Er erhielt num ben Oberbefehl über das Heer, welches währenb 
der Entwidelung des ruff.-türk. Streits am rechten Donauufer aufgeftellt ward, und eröffnete 
zu Unfange Nov. 1855 den Kampf, indem er vor bem Feinde die Donau zwiſchen Ruſtſchuk 
und Siliſtria und weiter oben bei Widdin überfchrite. 

Dmnibns (lat.: d. 1. für Alle) heißen die gegen Mitte ber zwanziger Jahre zu Parts und 
Renson entftandenen, raſch nach allen größern Städten verbreiteten geräumigen Fuhrwerke, 
welche gegen feſtes und billiges Fahrgeld zu beflimmter Zeit und von beftimmten Punkten aus 
ben Perfonenverfehr zwiſchen den entlegenern Stadttheilen ober felbft der Umgegend unterhal« 
ten. Gewohnlich Iaufen die Sigbanke des Omnibus ber Länge nad) und bie Thür iſt Hinten 
angebracht. Namentlich in London find dieſe Fuhrwerke ein wichtiges, ja unentbehrliches Com⸗ 
municationsmittel. Ä | 

Omphäle, die Tochter bes Iydifchen Königs Jardanes und Gemahlin bes Tmolos, nad 
befien Tode fie felbft regierte, kaufte von Hermes den Herakles (f. Hereules) und gebar biefem 
einen Sohn. Spätern und zwar aſiat. Urfprungs ift die Sage, daß Herakles in ihrem Dienfte 
weibifch geworben, Tolle gefponnen u. f. w., fie dagegen Keule und Löwenhaut geführt Habe. 

Dnegafee, nach dem Ladogafee (f. d.) der größte europ. See, in Rußland im Gouverne⸗ 
ment Dlonez gelegen, ift 30 M. lang, 7—I4M. breit, hat eine Warfferfläche von 230 AM. 
und ergießt fi mitteld des Swirfluſſes in den Kadogafee, während er durch die Wodla bie 
Waſſer bes Wodlaſees aufnimmt, durch unzählige andere Bleinere und größere Flüſſe gefpeift 
wird und durch das Syſtem des Marienkanals, der von ber Raiferin Maria Feodorowna, ber 
Gemahlin Paul's J. feinen Namen hat, ſowol mit der Wolga und dem Kaspiſchen See, als 
auch mit der Dwina und dem Weißen Meere in Verbindung ſteht. Durch den Onegakanal, 
der von Wytegra am gleichnamigen Fluſſe nach Woßneſſenskoe am Swirfluſſe führt, wird die 
Schiffahrt auf dem gefährlichen Onegafee umgangen. Am weſtlichen Ufer des Onegaſees liegt 
die Dauptflabt von Dlonez, Petroſawodsk, zwifchen malerifchen Kelfengruppen. Der Onegafee 
ift ſehr fifchreich, hat klares, Helles Waſſer und umfchlieft mehre Infeln. Es gibt auch einen 
Fluß Dnega, der aber mit bem Onegafee nicht in Verbindung ſteht, fondern der Abfluß des 
Latſchaſees ift und im Urchangelfchen Gouvernement nach einem Laufe von etwa 60 M. bei der 
Stadt Dnega in den Onegagolf des Weißen Meeres mündet. 

Dneus war der Sohn des Portheus, Gemahl ber Alchäa(f. d.), Vater des Tydeus und 
Melenger (f.d.) und König von Pleuron und Kalybon (f.d.) in Atolien. Nach der fpätern Sage 
der Tragiker war er der Sohn des Porthaon und ber Euryte, der Enkelin des Flußgottes Ache⸗ 
lous, und zeugte mit der Althäa den Toxeus, Thyreus, Kiymenos, Periphas, Agelaos, Melea⸗ 
groß, dje Gorge, Eurymede, Melanippe, Mothone und Deianeira. Hierauf vermählte er fi 
mit Peribön, des Hipponoos Tochter, die ihm den Tydeus gebar, des Diomedes (f. d.) Vater. 
Zur Zeit des Trojanifchen Kriege war fein Stamm untergegangen und ein Fürft aus anderm 
Geſchlecht, Namens Thoas, führte die Utoler gegen Troja. Nach noch fpäterer Sage raubten 
ihm die Söhne ſeines Bruders Agrios in feinem Alter die Herrfchaft, gaben diefe ihrem Vater 
und mishandelten ihn fogar; fein Enkel Diomebes aber erfchlug dafür den Agrios und deſſen 
Söhne bis auf zwei. Diomedes nahm ben Greis mit fich in den Peloponnes, wo er von jenen 
beiden Söhnen des Agrios bei dem Altare des Telephos in Arkadien ekabse: wurde. Dio⸗ 
medes beftattete den Leichnam in Argos und benannte nach ihm die Stadt Once. Nach Andern 

Mash er in hohem Alter bei Diomedes in Argos. 


Duslogie Huotrer 298 


Huologie (aus dem Griechiſchen, deutſch: Weinbaulehre) iſt ein erft in neuerer Zeit 'grünb» 
lich und witfenfhofi auögebilbeter Zweig ber Bodencultur. Die Onologie begreift in ſich 
bie Lehre von der Anpflanzung ber Reben in dazu günftigem Boden und in geeigneter Lage, 
ihrer aturgemäßen Gultur, ihrer Pflege nach wiſſenſchaftlichen Grundfägen und der zwedimd- 
Figen Behandlung ihrer Brücte, ber Trauben, um aus deren Saft das geiftige Betränf, — 
darzuſtellen. Eine naturwi —— Ausbildung muß auch für den Dnologen die erſte 
Baſis des rationellen Fortſchritts in biefem Zweige ber Landiwirtbichaft bilden. Rur Kae 
wird es ihm möglich, die reigenden, ſchaffenden und bildenden Potenzen in dem Proceß der 
Weinerʒeugung, ihr harmonifches Zuſammenwirken und das innige Verſchmelzen der Atome zu 
neuen Schöpfungen zu erforſchen und zu feinem Vortheile zuleiten, alfo der Weincultur die ratie- 
nelle Grundlage der Kenntniß bes Urſaͤchlichen zugeben. Vgl. Kölges, Onologie“ (Beri.1841). 

Dnomalritos, ein im griech. Alterthume berühmter Wahrſager und Dichter, lebte im 
Zeitalter ber Pififtratiden zu Athen, ordnete und erklärte die Weiffagungen oder fogenannten 
Drakel des Mufäus (f. d.) und benugte die Mythen bes Orpheus zu politifchen Sweden, daher 
er von Hipparchus um 516 v. Chr. aus Athen verwielen wurde, obgleich ex feine Dichterifche 
—— ganz dem Dienſte derſelben gewidmet zu haben ſcheint. Von ihm ſtammt vielleicht 

Meiſte, was zu Herodot's Zeiten unter dem Namen des Orpheus vorhanden war. So 
* iſt gewiß, daß er der Begründer einer Drpbifchen Roi war, welche ein Syſtem vom 
Büßungen ſchuf, um die gefallene Seele zu entfühnen, wozu auch die Zerftreuung bes Pythage⸗ 
räiſchen Bundes beitrug, deſſen Lehrfäge von der — — und Heiligung damals uw 
ter ben Griechen in Umlauf kamen und eine Läuterung der Dichtermythen und des dadurch be 
„Bis @ötterthums beförderten. 
maifon ( (griech.), eigentlich jebes Ramen- ober Wortverzeichniß, nennt man vorzugb- 
weile ein Real» oder Sachworterbuch, wovon bie einzelnen in Eigennamen oder Sachen befichen- 
ben Artikel na. einer —* ſyſtematiſchen Unordnung, urſprünglich aber ohne Berückſich⸗ 
tigung der alphabetiſchen —— aufgeführt und erklärt werden. Das älteſte Wörterbuch 
unter dieſem Ramen befigen wir bereits aus bem 2. Jahıh. v. Chr. von Pollur (ſ. d.) in griech 
Sprache, welches in der angegebenen Weiſe verſchiedene Gegenſtände bes religiöſen, bürgerli⸗ 
hen, häuslichen und künſtleriſchen Lebens behandelt. Unter den fpätern Werken biefer Art nen- 
nen wir Glandorp's „Onomasticon historiae Romanae” (ff. 1589), worin die berũhmteſten 
Ramen und Sefchlechter der Roͤmer — erläutert werben; ferner Saxe 6,0nomasticon 
literarium“ (8 Bde, 17751803), noch immer ein Hauptſchatz für bie Literaturgeſchichte; 
ach aus der neueften Zeit Orelli’6 und Baiter’6 „Onomastioon Tullianum‘” (3 Bbe., Bär. 
1836 — 38), welches außer dem Leben und der Riteraturgefchichte bes Gicero bie geographifchen 
und geſchichtlichen Namen, ein Verzeichniß der Befege und der von Cicero gebrauchten griech. 
Ausdrüde uf. w. umfaßt. — Auch bezeichnete man mit Dnomaſtikon in fpäterer Zeit ein meift 
Fürgeres Gedicht auf den Geburts» oder Namenstag einer Perſon. 
nomatopdie (griech.) nennt man In der Sprachlehre die Bildung von Wortern nad dem 

Naturlaute oder nach dem Klange eines Gegenflandes, z. B. brüllen, blöken, raffeln, ſchmet⸗ 
teen u. f. w. Die fo gebilbeten Wörter, die ſchon Bi ben ten Duomatopoietita bie» 
den, gehören zu den früpeften Erfcheinumgen in jeder Sprache, und viele derſelben find beſon⸗ 

ers von ben Dichtern, wie unter den Griechen von —— — unter den Deutſchen von 
—* in den Balladen, mit vielem Glücke geſchaffen worden. Einige rechnen bie Dnamato⸗ 
pöie fogar zu den fogenannten phonetifchen Figuren in der Mhetorit und verfiehen dann bie 
eines Schalls in ganzen Wortfägen darunter, wie in bem von Voß trefflich nad 

gebildeten Domerifen Werft, wodurch das Zurückſturzen des Steins des Siſyphus bezeichnet 
wird: „Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tüdifche Marmor“, ober in einem Verfe bei 
Dvid, worin das Sefüre ber Fröſche nachgeahmt wird: „Quamvis sint sub aqua, sub aqua 
—— Eine ſchriftſteller der Alten, lebte in ber Mitte des 

ander, einer der vorzüglichfien Kriegs ber Alten, tte 
1. Jahrh. n. Chr. unter der —— — des Claudius und Nero zu Rom und verfaßte in griech. 
Eprache unter dem Titel „Strategetikos ein auf bie Erfahrungen der Römer gegründetes vor⸗ 
treffliches Werk über die Feldgerrnäunft, welches am beften von Schwebel (Rürnb. 1763). und 
Korais (Bar. 1822) bearbeite und ‚unb ven 2 Baumgärtner (Mant. 1779) nebft Planen und Zeich⸗ 
“ „Beste — in Bene ſũdweſtlichen Spitze Italiens, die im Norden fi 
bie * der ⸗ 
eine von Poſidonia ober Paͤſtum gegen Zaren gengee Uni waläig errarın. \R- 








"00 Dnslow Dntolsgie 


Sie gehörten wie bie ihnen nahe verwandten benachbarten Peucetier in Apulien wahrſcheinlich 
dem pelaßgifchen Volksſtamme an umb zerfielen felbft in zwei Theile, deren einer, im Rorben 
hieß, während ber andere, im Süden, ben Namen Staler, nach einer Gage von einem 

nig Italus, führte. Bon den Zegtern breitete fi der Rame Stalia allmälig über bie g 
Kpenninifche Halbinfel aus. Die Önotrer wurden ſchon früß theils durch die Griechen, 
an ben Küften fich niederließen, theils durch bie Lucaner, bie zum ſabelliſchen Stamme gehörter 
(f. Gabeller) und von Norden ber eindringend dem von ihnen eroberten Lande ben Ramen u 
santen (f. d.) gaben, unterworfen. In den Bergmäldern der füblichften Spige bildete fich aus 
entlaufenen, namentlich önotrifchen Knechten der Griechen und Lucaner das Volk der Bruttier 
von benen biefer Landestheil Bruttium genannt wurbe. 

Onslow (George), bedeutender Snftrumentalcomponift, geb. 1796 in Englanb aus der 
Grafenfamilie diefes Namens, verließ aus Liebe zur Tonkunſt mit großen Opfern feine Heimat 
und ging feiner Kunftausbildung wegen nach Wien. Hier ſchloß er ſich zunächft an Beethoven, 
fiudirte Daneben mit großem Eifer die Werke Haydn's und Mozart's und wurde auf biefe Weiſe 
eingeweiht in den Geiſt der deutfchen Schule, der er in allen weientlihen Eigenfchaften angehört 
umd ſtets treu geblieben ift. Später ging er nach Paris, wo er unter Reicha's Beiftand fich noch 
weiter ausbildete. Abwechfelnd lebte er in Paris und auf feinem Landgute bei Glerment. Den 
meiften Ruf erwarben ihm feine ahlreichen Quartetten und Quintetten für Streichinſtrumente, 
die durch ihren eigenthümlich ernten Charakter anziehen, aber zu fehr an Ausſchmũckungen lei⸗ 
ben. Auch verfuchte er fich an einigen Opern. Nächfidem gewannen vorzugsweiſe feine Compo⸗ 
fitionen theils für das Pianoforte allein, theils für das Pianoforte mit Begleitung großen Bei⸗ 
fall, unter welchen legtern namentlich ein Sertett fehr befannt geworben iſt. Im J. 1824 wurde 
in Paris feine Oper „L’alcalde de la Vega“, bie vortreffliche Säge enthält, und fpäter „Lo col- 
porteur” mit Beifall aufgeführt. Die Symphonien, bie er feitbem Tieferte, find vortreffliche Ar- 
beiten und voll großartiger Gedanken; doch Flingt auch in diefen Orchefterwerten ber Reiſter 
für Duartett- und Quintettmuſik fo fühlbar Durch, daß biefer Iegtern unter allen feinen Werken 
umbeftritten ber Borzug eingeräumt werben muß. Im Mai 1846 kehrte D. nach langer Abwe⸗ 
Vonpeie in fein Geburtöland zurück und flarb Hier 3. Oct. 1853. 

ntariofee, der unterfte der fünf großen canadifchen Seen, ift in feiner größten Ausdeh⸗ 
nung von O. nach W. 43 M. lang, von R. nah S. 13 M. breit, hat einen Umfang von 116M, 
und bedeckt ein Areal von 640 AM. In der Mitte erreicht feine Tiefe 560 F. Die im Allge⸗ 
meinen niedrigen und dichtbewaldeten Ufer bieten verfchiedene treffliche Häfen dar, beſonders auf 
ber nördlichen, canadifchen Seite, wo Burlington-Bai und Kingfton, aud) Toronto und Co⸗ 
burg befonder& hervorzuheben find. Der befte Hafen der Südküſte ift Sacket's Harbour im 
Staate Neuyork. Mit dem Eriefee (f. d.), welcher 310 F. höher liegt, ſteht ex durch den Nia- 
gara (f.d.), mit dem Dcean durch den St.Lorenzſtrom (f. d.), der bei Kingfton unter dem Na- 
men Gataraqui den See verläßt, in Verbindung. Durch die Infel Grand⸗Isle wird diefer Aus ⸗ 
flußfteom in zwei Kanäle gefpalten, von denen der nördliche der Kingfton-, der füdliche ber Carl⸗ 
ſton· Jslandkanal heißt. Die ſchwierige Schiffahrt auf dieſem Fluſſe, ber übrigens bie Grenze 
zwiſchen Canada und den Vereinigten Staaten bildet, hat beide Staaten veranlaßt, künſtliche 
Waſſerſtraßen durch eigenes Gebiet aus dem D. nach ihren öftlichen Provinzen anzulegen. So 
bie Amerikaner den Oswegokanal, der von Syracufe aus dem Eriekanal abgeht und bei D#- 
wego (f.d.) den See erreicht; die Briten den großartigen Rideaukanal, der den D. mit dem Ot⸗ 
tama verbindet. Mit dem Erieſee iſt der D. englifcherfeits durch den Wellandfanal verbunden. 
Der Ser friert nie zu, weshalb bie Schiffahrt auf demfelben vor der auf den übrigen Seen einen 
großen Vorzug hat; doch kommen auf ihm nicht felten heftige Stürmeund ſtarker Wellenſchlag vor. 

DOntologie (griech.) heißt die Lehre von dem Seienden und den ihm als ſolchem zufommen- 
den Beflimmungen. Der Name ift auf Plato und Ariftoteles zurückzuführen, welche erfannt 
hatten, daß die Aufgabe der Metaphyſik (f. d.) darin beftehe, zu den Erfcheinungen dad Seiende 

zu finden und in Begriffen zu beflimmen. Deshalb wurde das Wort fpäter ald Bezeichnung 
für die allgemeinen Unterfuchungen ber Metaphyſik (philosophis prima) gebraudit, und die 
Ontologie bildete namentlich in der Wolf’fchen Schule den erften Haupetheil der Metaphyſik, 
dem die Kosmologie, bie Pſychologie und die natürliche Theologie fich anfchloffen. Inder Kant’ 
hen Periode verſchwand der Name der Ontologie, weil an die Stelle der auf die Erkenntniß 
des Seienden gerichteten Metaphyſik die Unterfuchung des Erkenntnißvermögens treten follte. 
In ben fpätern Syſtemen, welche die fubfectiv-Fritifche Richtung des Kantianismus wieber ver⸗ 
steßen, Bam mit ber Sache audy der Rame wieder am Vorſchein, und fo bezeichnet namentlich 
Derbact den erſten Haupttheil der metaphyſſſchen Unterfuchung wit dern Samen Dutaingle. 


Dntologifcher Beweis Dyal nf 
Dutologifcher Beweis Heißt ber aus dem Begriffe Gottes geführte Beweis für dad De- 
fein Gottes. (S. Bott.) 


Dnyr nennt man diejenige Spielart des geflreiften Ehalcebon (f. b.), bei welcher weiße und 
ſchwarze oder weiße und dunkelbraune, ſcharf begrenzte, gerade oder eomcentrifche Streifen mit- 
einander abwechfeln. Seltener findet fi über dem weißen noch ein dritter farbiger Streifen. 
Die Spielart bes Chalcedon mit abwechfelnden weißen und grauen Streifen bezeichnet man als 
Chalctedonyx. Bon ben verfchiedenen Varietäten des Chalcedon iſt ber Onyx bie gefchägtefte, 
und ein Stüd von einen Zoll Durchmeffer hat fehon einen fehr hohen Preis. Mei ben alten 
Griechen und Römern, welche den Onyx wahrſcheinlich aus dem Orient erhielten, flanden biefe 
Steine bereits in hohem Werthe, und ed wurden aus den geradfreifigen die bekannten Cameen 
gefchnitten, wobei e8 der Künftler fo einrichtete, daß bie bunkeln Lagen des Steine ben Brumb 
abgaben und aus den weißen bie halberhabenen Figuren gefchnitten wurben. Bei ſolchen Stei⸗ 
nen, welche über bem weißen noch einen britten Streifen hatten, benugte der Künftler diefen zu⸗ 
weilen, um einigen Theilen ber balberhabenen Figuren, wie Haaren, Gewändern u. f. w., eine 
andere Farbe zu geben. Aus den größern concentrifch geftreiften Onyren verfertigte man in alten 
Zeiten verfchiedene Gefäße mit Halberhabener Arbeit, und eins der fchönften Stücke biefer Art ifl 
das fegenannte Mantuaniſche Befäp oder Vaſe, bis 1830 in Braunfchweig. Die fchöne, 3 Zoll 
breite und über 3 Zoll lange Onypplatte im Grünen Gewölbe zu Dresden wird auf 44000 Thlr. 
sefgagt. (S. Sardonyr.) ' 

ort (Adam van), richtiger Roord, ber Sohn eines Glasmalers zu Antwerpen, geb. gegen 
Ende des 16. Jahrh. geft. 1641, war einer ber beffeen Diftorienmaler der antwerpener Ma- 
nieriftenfchule, weldye Rubens voranging. Letzterer war fogar einige Zeit fein Schüler, verließ 
ihn aber, weil ihm die unbändige Roheit des Meiſters nicht zufagte; Jordaens hielt länger aus, 
weil er van O. s Tochter liebte. Seine Werke find nicht Häufig und finden fich meift in Belgien. 

Doft (Jak. van), einer ber beften nieberländ. Maler, geb. zu Brügge 1600, bildete ſich, 
nachdem er die Anfangsgründe der Kunſt in feinem Vaterlande erlernt hatte, Hauptfächlich um 
ter Annibale Caracci in Rom aus. Er copirte in feiner Jugend mit ſolcher Geſchicklichkeit 
nad) Rubens und van Dyd, daß feine Gemälde noch jegt Die Kenner täufchen, und lernte auf 
diefe Weiſe die Grundfäge einer ſchönen Färbung und zierlichen Führung des Pinfels. Später 
malte er nur große Geſchichten. Seine Kompofitionen find ungefünftelt und wohlüberlegt, 
ohne müßige Figuren; bie Verzierungen finnreich, voll edler Einfalt und bie Gewänder fchön. 
Seine Hintergründe ſchmückte er mit Architektur, bie er, wie die Perſpective, gut verftand ; 
feine Zeichnung ift in gutem Geſchmack, das Colorit feines Radten frifch und natürlich. Er 
ftarb 1671. — Sein Sohn, Jakob van D., der Züngere, geb. 1637, ftudirte zu Paris und 
Rom, lebte dann über 40 J. zu Lille ımd ſtarb in Brügge 1713. Große Hiftorifche Gemälde 
von ihm finden fich in den Kitchen und Paläften zu Lille. Zeichnung ſowol als Eolorit find vor- 
trefflich. Seine Manier ift markiger und fein Pinfelftrich freier als bei feinem Vater. Er drapirte 
im größten Stil. Seine Eompofitionen waren nicht überreich, aber fehr verftändig geordnet. 

Dpal, ein Mineral aus dem Kiefelgefchlechte, findet fich faft immer nur derb oder einge: 
fprengt, niemals kryftalliſirt, hat meift volltommen mufcheligen Bruch, einen ziemlich beträcht⸗ 
lichen Glanz, ber oft bis ins Starkglängende übergeht und nur felten in das Wenigglängende 
ſich verliert, einen hohen Grad von Durchfichtigkeit, der fait nie unter das Burchfcheinende her» 
abſinkt, eine geringe Härte und Schwere und zeigt häufig ein Iebhaftes fchillerndes Farben⸗ 
ſpiel ( Oyalifiten). Er ift vor dem Löthrohre für fich unfchmelgbar, erleidet aber einen bebeu- 
tenden Gewichtsverluſt und zerfpringt in Splitter. Seine Hauptbeftandtheile find Kiefelerde 
und ZBaffer, wozu bei einigen Warietäten oft Eiſenoryd und Thonerde kommen. Es werben 
folgende Varietäten unterfchieben: 1) Perlmutteropal oder Kaſcholong, ift perlmutterglaͤn⸗ 
zend, undurchſichtig bis durchſcheinend, milchweiß ind Grauliche, Gelbliche und Röthliche, am 
Bruch flach mufchelig und ber weiße oft mit Denbriten verfehen. Ex findet fi auf Island, 
ben Barser, in Kärnten, ber bucharifchen Kalmudei. Diefer Opal nimmt eine ſchöne Politur 
an und beißt beiden Juweliern Kalmuden-Adet. 2) Der Feueropal ift hyacinthroth ins 
Gelbe, an lichten Stellen irificend, auch Tarminroth und apfelgrün, ſtark glasglänzend und 
durchſichtig. Er findet fich in Merico und auf den Faröer imd tft als Schmuckſiein geſchätt. 
3) Der edle Dpal ift waflerhell, milchweiß ind Wein- und Schwefeigelbe, feltener ind Blaue, 
Rotheund Grüne, mit lebhaften, wandelbarem Barbenfpiel, ftarkglängend, mit Glas⸗ bis Wachs 
glanz, mehr oder minder Yalbburchfichtig und findet ſich Haupefächlich und am Mhöndien im Vo- 

Seno ⸗ſex. Beine u. EL. . : ° ara ESP 


ER ' Dper 


gan. Dan trägt ihn a3 Ringftein, Kopf- und Hals ſchmuck und vermendtt ihn auch zu Ber- 
zierungen ; doch find Steine von einiger Größe theuer, da er gewöhnlich viel Riffe her. Um ge- 
fuchteften find die rothfpielenden Stüde. Als Schmud muß er jedoch behutfam getragen wer- 
den, ba er feiner geringen Härte halber fich leicht bereibt. Deshalb ſchleift man ihn auch ge» 
wöhnlich Iimfenförmig, wodurch zugleich fein Barbenfpiel erhöht wird. Bei den Alten fland er 
in noch weit höherm Werthe; fo wurde der haſelnußgroße Opal bes Nonius auf 800000 Tlr. 
geichägt. 4) Der Glasopal oder Hyalith ift waſſerhell, gelblich», röthlich- und graulich-weiß, 
gelblich und afchgrau, glasglänzend, durchfichtig und halbdurchfichtig und auf ber Oberfläche 
glatt. Er findet ſich z. B. bei Frankfurt a. M., im Breisgau, in Ungarn u. |. w. 5) Der ge 
meine Dpal ift milchweiß ins Röthliche, Gelbliche und Grünliche, auch gelb und grün in ver- 
fegiedenen Rüancen, zuweilen baumförmig gezeichnet (Moosopal), glas⸗ bit wachsglaͤnzend, 
halbdurchſichtig und durchfcheinend. Die weißlichen Abänderungen fpielen manchmal in Roth 
und Blau. Er findet fih auf Gängen und in Gebirgsmaſſen unb zwar an vielen Orten, in 
Sachſen, Schlefien, Ungarn u. ſ. w. Einige Abaͤnderungen bes gemeinen Opals, wie ber apfel 
grüne, ſchleſiſche u. a., werben gefchliffen und zu Ringfleinen und Petfchaften benugt. Der 
gelbe gemeine Opal war fonit unter den Ramen Weadsopal und Pechopal bekannt. 
6) Der Holzopal hat Holzgefüge und Holzgeftalt, iſt durchſcheinend, zumellen nur an ben 
Kanten, weiß ins Gelbe, Graue, Braung, feltener gelb und ſchwarz und zuweilen geflceift und 
geflammt. Er findet ſich in volltommener Holzgeftalt, als Aft-, Stamm.» und Wurzelſtücke, 
und awar von ziemlich bedeutender Größe in Siebenbürgen und in Ungarn. Man ſchneidet ihn 
in Platten und verarbeitet ihn zu Dofenftüden, befonders in Wien. 7) Dos Weltauge ober 
Hydeopban ift ein edler ober gemeiner Opal von eigenthümlicher Verwitterung, inbem ex an 
der feuchten Lippe anklebt, ins Waſſer gelegt baffelbe unter Ausſtoßen von Luftbläschen ein- 
faugtunddadurd an Durchfichtigkeit, zuweilen auch ein buntes Farbenfpiel gewinnt. Er fommt 
weiß, gelblich und rõthlich vor. 8) Der Halbopal Mebt nicht an der feuchten Lippe, iſt durch⸗ 
ſcheinend, manchmal nur an den Kanten, weiß Ins Gelbe, Grüne, Rothe, Braune und Graue, 
zuweilen auch gefleckt und geftteift oder mit baumförmigen Zeichnungen und von größerer 
Härte und Schwere. Er ift die gemeinfte Abart und findet fi) an vielen Orten, 5. B. im Erz⸗ 
gebirge, Mähren, Schlefien, Würtemberg, Ungarn, auf Island u. |. m. Man benugt ihn eben- 
falls zum Theil zu Ningfteinen u. dergl. 9) Der Jaspopal oder Eifenopal, welcher von Man⸗ 
chen zum Jaspis gerechnet und daher auch Dpaljaspis genannt wird, fteht dem Halbopal ſehr 
nabe, ift aber ſtark fettglängend, undurchfichtig oder an den Kanten ſchwach durchfcheinend, gelb, 
roth oder braun und finder ſich wie die übrigen Opale in Porphurgebirgen u. f. w., 3. B. in 
Sachen, Ungarn. 

Dper. Die Operiftein muſikaliſches Drama. Der äußere Rahmen und die Grundlinien der 
Situationen, der Charaktere und der Handlung find in der Dichtung (dem Tertbudhe, Kibretto) 
gezeichnet; bie individuelle Durhbildung und Ausführung diefer allgemeinen Züge fällt der 
Muſik zu. Poefie und Tonkunſt wirken darum in der Oper gleichberechtigt miteinander, und die 
Geſchichte der Dper zeigt, daß diefe Gleichberechtigung um fo entfchiedener praftifch zur Geltung 
gebracht wurde, je reiner und tiefer fich der Begriff der Oper allmälig entwidelte. Da num in 
ber Oper die Muſik keineswegs als ein blos äußerlicher, unmwefentlicher Schmud der dramati- 
[hen Dichtung erfcheinen fol (mie in der Zwitterform des Schaufpiels mit Muſik), fondern der 
Kern ber Charaktere und der. Handlung felbft mufitalifch geftaltet werben muß, fo find dem Zert- 
dichter vorweg für die Wahl und Ausführung feiner Stoffe fehr beftinnmte Grenzen geftedt. 
Starke, allgemeine, ſinnlich anfchauliche Gegenfäge der Motive und Charaktere werden vor- 
zugsweiſe einer wirkſamen mufitalifchen Behandlung fähig fein. Das mufikalifche Drama 
kann nicht, wie das rein poetifche, Charaktere und Handlung dialektifch entwickeln und verftan- 
de&mäßig zurechtiegen, aber es kann diefelben mit einer weit unntittelbarern Naturkraft der 
Empfindung zur Anfchauung bringen. Es werben darum in ber Oper die Charaktere und &i- 
tuationen nicht ſowol allmälig und in ftetiger Togifcher Vermittelung vor unſerm Auge aufwach⸗ 
fen, wie im Drama, fondern als gegebene gegeneinanbergeftellt, dagegen um fo breiter und tiefer 
in ihren Eontraften ausgemalt. Die Oper gibt eine Reihe dDramatifcher Bilder, deren innerer 
Zuſammenhang felbftverftandlich fein muß, weil er muſikaliſch nicht im Einzelnen entwidelt 
werden Tann. Dadurch erhält die äußere Anlage ber Oper etwas Typiſches, Schablonen- 
baftes. Die Stoffe ber Operntexte gruppiren ſich nach weit beftimmtern Kategorien als bie des 
Dramas. Die alte Glaffification der Bötter- und Helbenoper, die neuere der hiſtoriſchen und 


samantifcyen Oper, ber Zaubereper, Goviserfationsoner u. {. wm. zengen Dafür. Bei ben Stalle- 


Der 8 
nern namentlich find gersiffe Opernfufets faft von allen bedeusendern Gomponiften immer wie⸗ 
der behandelt worben; faft jeder hat eine „Ipbigenin”, „Yhädra”, „Dlympia” u. dgl. gefchrie- 
. ben. Der bekannte bichterifche Stoff erleichtert das muſikaliſche Verſtaͤndniß und geftattet eine 
breitere mufitalifche Individualifirung. Ebenfo find die handelnden Hauptperfonen ber Oper 
in ihren allgemeinen Zügen großentheils ftereotyp geworden. Die zärtlichen hohen Tenore, die 
burleöten Baffe, die ritterlichen Baritone, die von Wuth, Rache oder Verzweiflung erfüllten 
* hohen Soprane, bie Igrifch-fentimentalen Mezzo⸗Soprane find in unzähfigen Opern ganz nach 
ber gleichen Schablone der allgemeinen Charakteriſtik angewendet. Nur ganz wenige Meifter 
erfien Range vermochten es darum, wirfli neue mufitalifche Charaktere zu fchaffen; bie 
große Mehrzahl der Operncomponiften muß bei ber mehr ober minder geſchickt variirten Um 
wendung der einmal geläufigen Charaktertypen ſtehen bleiben. Da endlich Wirkung und Ver⸗ 
ſtãndniß der melodifchen und harmonifchen Gebilde an eine gewiſſe architeftonifche Symmetrie 
des mufitalifchen Formenſpiels gefnüpft iſt, eine Symmetrie, die in den höhern Gattungen ber 
reinen Inſtrumentalmuſik ihren confequenteflen Ausdruck gefunden hat, fo tritt auch Bier eine 
Gebundenheit ber einzelnen muſikaliſchen Abfchnitte und Blieberungen in der Oper ein, welche 
mit der freien Gruppirung der Scenen, der freien Entfaltung des Dialogs im Drama feharf 
contraſtirt. Die Iyrifchen Monologe in den Arien, die Dialoge in ben Duetten, Duartetten, Eu⸗ 
ſembles, die dramatifchen Erpoſitionen und Übergänge in den Reditativen, das Eingreifen ber 
Maſſen des Volkes in den Choͤren: dies Alles ift an eine conventionelle Symmetrie bes muſika⸗ 
lifchen Baus gebunden, die der talentvolle Meifter mildern und verdedien, die ex aber nie ganz 
wegfchaffen kann, wenn fich nicht die ganze Oper in ein unverftänbliches, ungegliebertes mul» 
kaliſches Chaot auflöſen fell. In der dramatiſch noch höchſt unvolltommenen ital. Oper bes 
17. und 18. Jahrh. herrſchte dieſe architektoniſche Symmetrie der Arien, Duetten, Chöre u. ſ. w. 
wie der ganzen Acte im ausgeprägteften Regelzwange. Schon Lully hatte in der franz. Oper 
diefer flarren Gebundenheit ber mufitalifchen Formen ein freieres Anfchmiegen der Muftt an 
das dramatiſche Fortfchreiten des Textes gegenübergeftellt. Zum entfchiedenen Kampfe ent⸗ 
widelte ſich jedoch dieſer Gegenfag erſt, als die deutfche Oper durch Gluck mündig und feldflän- 
dig gemacht wurde. Bon da an werben bie in der conventionellen Architektonik des Inſtrumen⸗ 
talſtils conſtruirten Arien immer mehr verdrängt durch die freiere Form der Eavatinen, Lieber 
u. |. w, Die bramatifch fi) bewegenden Enfembleftüde, namentlich die Finales nehmen einen 
immer größern Raum ein auf Koſten ber Iyrifchen und declamatoriſchen Solonummern, welche 
die alte Oper zu einem großen Concert in Coflüm gemacht hatten. Als der moberne Höhepunkt 
diefer gegen die mufitalifche Architektonik in ber Oper antämpfenden Richtung erfcheinen bie 
Werke Ricyard Wagners. Da aber diefe muſikaliſche Architektonik nicht an ſich, fondern nur 
in ihrer conventionellen Erſtarrung von Übel war, fo liegt jept die Gefahr ebenfo nahe, daß in 
ber Oper das. Drama die natürlichen Mechte der WMufik zerftören möge, wie vor 100 I. bie 
Mufit das Drama verfchlungen hat. 

Man umnterfcheidet eine ernfte und eine Pomifche Oper, Opera seria und Opera baffe. 
Infofern in ber Opera seria ber gefprochene Dialog wegfällt und durch Mecitative erfegt iſt, 
auch wol (dach nicht nothwendig) die Tanzkunſt im Ballet Hinzutritt und durch bie größere 
Bevorzugung des malerifchen und architektoniſchen Schmuds in der Scenerie eine Bereinigung 
aller Künfte erzielt wird, nennt man fie große Oper. Die Swittergattung, in welcher fich bie 
Elemente der komiſchen und ernfien Oper mifchen (mezzo stilo) und ber geſprochene Dieleg 
beibehalten iſt, hat man als Eonverfetionsoper bezeichnet. Doch wechſelte bie Bebentung diefer 
Namen in verfehiebenen Zeiten und bei den verfehiedenen Nationen. Der Franzoſe zählt jebe 
Oper mit gefprochenem Dialog zur Opera comique, und Mozart’s „Don Juan” z. B. hat wei 
ſelnd für eine komiſche, ernſte und große Oper, fa wel gar für eine Gonverfationsoper gegelteit. 
Eine Heins Dper mit gefprochenem Dialog heißt Operette. Haftet die Muſik nur als vorwie- 
gend ſchinũckendes Beiwerk, doch in ansgeführterer Weiſe an bem Textbuche, fo treten bie 
des Liederſpiels, Singfpiels, Vaudevilles u. f. w. ein. 

der Oper fleigt bib ins 16. Jahrh. hinauf, wo Vicenzo Galilei, Giulio Gat⸗ 
Peri in Florenz, um die alte griech. Tragödie Un, es unten» 
unter einfacher Begleitung eines Gaiteninfiruments zu recitiren, umb große 
we Gehe ng he Don * Kenn ahnen ben Weg bem —— Fi 

a en 
ſegten Drama „Dafnel, das, —— Blmwecini gebiet yon Deri in Rufit gefeht, “* 









306 DmarLl Omen 


Empörung ber fanatiſchen Mohammedaner Vorſchub leiſtete Er ſtarb 912. Sein Enkel AS 
ur⸗Kaßmän ILL, der ihm folgte, war einer der ſchönſten, geiſtreichſten und liebenswürdigſten 
Negenten, welche die Gefchichte kennt. Ex befiegte alle Empörungen in feinem Reiche und 
brachte das Khalifat auf den Höchften Punkt der Blüte und Macht, indem er aud) in einem 
langwierigen Kriege gegen den König Don Ramiro von Afturien ımb Leon Sieger blieb. Als 
Dichter und Regent hochgeehrt, beſchloß er 961 fein genußreiches Leben. Die Regierung fel- 
ned Sohnes Hakem IL mar in jeder Beziehung die Fortfegung der Regierung feines Vaters. 
Mehr als irgend ein anderer arab. Fürft erwies er fi als Freund der Wiffenfchaften und der 
Dichtkunſt. Seinem Beifpiele folgten alle Großen und Beamten bes Reiche, ſodaß Spanien 
unter feiner Regierung ber Hauptfig ber arab. Wiſſenſchaften wurde. Hakem farb indeß ſchon 
976, als fein Sohn Heſcham IL., der bis 1008 regierte, erft zehn Jahre alt war. Die Mutter 
beffelben Herrfchte num allein, und Heſcham wuchs im Palaſt auf, entfernt von den Geſchäften. 
Zwar führte der allmächtige Vezier Mohammeb-Abu-Amer-al-DManfur bie ReichBangelegen- 
heiten auf treffliche Weiſe im Innern wie nach außen, allein die Regierung befam von nun an 
einen andern Charakter. An die Stelle der perfönlichen Regierung und Tüchtigkeit der zeit- 
herigen Khalifen, die ihre Söhne und Nachfolger durch forgfältigen Unterricht und Mittheil- 
nahme an den Staatögefchäften zu ihrem Berufe vorbereiteten, trat nun bad gewöhnliche 
orient. Gerails- und Vezierregiment. Die Khalifen wurden fo mehr umd mehr weichlicher und 
üppiger, zugleich ſchwaͤcher und untüchtiger, und der herrſchende Einfluß gelangte in bie Hände 
der Hofleute. Die eigentlichen Staatsgeſchäfte verfah ber Hadſchebs, ber diefelbe Macht befaß, 
wie ber Emirsal-Omrah in Bagdad. Die Folge bavon waren innere Unruhen, Thronftreitig- 
keiten und äußere unglüdliche Kriege. Das Reich ward gefchwächt und zerrüttet, ſodaß bie 
Shriften Immer größere Fortfchritte machen konnten. Die Thronbewerber hielten ed gewöhnlich 
mit dieſen Feinden bes Reichs, um mit ihrer Hülfe den Thron zu gewinnen. Es verfiel das 
Neich in dem Maße, als die Macht ber Ehriften erftarkre, und unter ſchnellem Thronwechſel bei 
immerwährendem Bürgerkriege und immer unglüdlichern Kämpfen gegen bie Ehriften endigte 
buch bie Thronentfagung Seſcham's IV. 1031 die Dynaſtie der fpan. Omafjaben. Ihr Reich, 
das mãchtigſte und blühenbfte ber ſarazen. Reiche Spaniens, löfte ſich nun in eine Reihe Heiner un- 
abhängiger Königreiheauf. Vgl. Aſchbach, Geſchichte der Dmafjadenin Spanien” (FF. 1829). 

Dmatr 1., der zweite der Khalifen, f. Khalif. 

D’Meara (Barry Edward), der Arzt Napoleon’s auf St.-Helena, war ein Irländer von 
Geburt und diente als Wunbarzt am Bord des brit. Schiffs Bellerophon, auf welchem Na- 
poleon 7. Aug. 1845 Zuflucht fuchte. Weil er während der Überfahrt von Rochefort nach Ply⸗ 
mouth mehren franz. Offizieren zuvorkommend Hülfe geleiftet, foderte ihn der Kaifer bei der 
Verſetzung auf den Norchumberland auf, als Leibarzt mit nach St..Helena zu gehen. O'M. 
wirkte ſich die Erlaubniß bei feinen Vorgefegten aus und widmete feine Kunft dem Gefangenen 
drei Jahre hindurch mit allem möglichen Eifer. Der Gouverneur Hubdfon Lowe wollte ihn 
beim Kaifer als Spion benugen; allein er wibderftand diefem Anfinnen mit ehrenbafter Fe⸗ 
ſtigkeit und mußte deshalb 25. Juli 1818 St.-Helena verlaffen. O’M. hatte verfucht, den Cha- 
rakter Napoleon’s in der Abſicht zu fludiren, um der Welt einft feine Mefultate mitzutheilen. 
Er hatte bie täglichen Geſpräche mitNapoleon gewiffenhaft in ein Tagebuch eingetragen, deſſen 
einzelne Blätter durch einen auf der Schiffsftation befindlichen Freund nach London an einen 
gewiſſen Halma, ben Agenten des Kaifers, gelangten. Nachdem Napoleon geftorben, ließ O’M. 
mit Bewilligung der Teflamentserecutoren das Tagebuch unter dem Xitel „Napoleon in exile, 
or a voice from St.-Helena” (2 Bbe., Xond. 1822; deutfch, Stuttg. und Tüb. 1822; franz., 
5 Bde., Par. 1831 —32) erfcheinen. Wiewol ſich Napoleon gewiß nicht abſichtslos mittheilte, 
fein Arzt auch fiherlich nicht unbefangen genug war, um die Rolle eines wirklichen Beobachters 
durchzuführen, fo bleibt doch diefe Schrift immer ein höchſt wichtiger Beitrag zur Gefchichte 
bed Kaiſers. O'M. verlor nach Veröffentlichung des Buchs feine Anftellung als brit. Marine 
arzt. Er ftarb zu London 3. Juni 1836. " 

Dmen ober Prodigium nannten die Römer bebeutfame Zeichen, die ſich zufällig und unge 
fucht darboten und aus benen man Glüd oder Unglück verkündete. Genauer unterfchied man 
beide fo, daß man unter erfterm jedes hörbare Zeichen, befonders das gefprochene Wort, unter 
legterm Erfcheinungen in ber Menfchen- und Thierwelt, wie Misgeburten, Schlangen, Heu⸗ 
ſchrecken, ferner das Unftoßen des Fußes, Reifen des Schuhriemens, felbft das Niefen u. ſ. w., 
vLerſtand. Sollte bie Berheifung eines folchen Zeichens in Erfüllung gehen, fo mußte es von 

Dem, welden es begegnete, aufgenommen werben; doch fand, wie auf Seiten ber Götter im 








Dmer-Palha - 7 


Geben ber —— ‚fo auf Seiten ber Men in t ber Annahme ber» 
felben Bieir flatt. konnte —— bei einem en Bee u drohende Ungluͤck 
durch Dpfer und Sühnungen, fogar durch gewiſſe Zauberformeln ober auch dadurch abzumen- 
den fuden, daß man Ihm a fooleich eine glüdliche Deutung ımterfchob, wie, B. Gäfer, 
als er bei ber Landung an ber Küſte zu Boben flürzte, durch bie Worte: „Ich faffe 
dich, Afrika!” das wibrige Zeichen in ein günfliges ummanbelte. Bisweilen achtete man auch 
Fanart) nicht auf ſolche ar ober verhößnte fie, wie 9. Claudius im erften Puniſchen 
bie heiligen Hühner, als fie nicht aus dem Käfig herausgehen wollten, mit ben Worten: 

„Run, wenn fie nicht freffen wollen, fo follen fie faufen I" ins Meer werfen ließ. Doch erkannte 
ber ein € Glaube die Unterwürfigkeit unter folge Zeigen an, und die Alten gebrauchten 
daher bei ihren gottesbienfilichen Handlungen bie größte Vorſicht, um alles Widerwärtige in 
biefer Beziehung abzuhalten. So verhüllte der Opfernde das Haupt, um fich gegen alles Gtd- 
rende zu verwahren; man gebot Stille beim Beginn einer heiligen Berrichtumg und bei ber Er 
—** der Feſtſpiele; jedem Opferzuge gingen Herolde voran, die mit dem Zurufe „Habt 
na I“ die Leute ermahnten, ihre Geſchaͤfte ruhen zu laffen, bis ber Zug vorüber wäre, damit 

bie Priefter keinen Miston vernehmen möchten. Beim Anfang des Opfers fagte man bie bes 
kannte Formel „Favete linguis }” d. 5. „Sprecht kein Wort von übler Bedeutung”, und fuchte 
fogar durch Muſik das Vernehmen khlimmer Omina unmöglich zu machen. In fpäterer Zeit 
gebrauchte man Omen für jede Borbedentung und fagte 3. B. von einer Perfon, deren Rame 
zugleich mit der Befchäftigung übereinflinnmte, wie Fleiſcher, Müller u. [.w., nomen et omen 
habet, d. h. er hat den Namen mit der That. Vgl. Ballati, übe Benrif und Weſen bes 
rom. Omen und über nelen Beziehung zum röm. Brivatrecht” (Tüb. 1856). 

Dmer-Bafcha, tür. General, ein Renegat, flammt aus ber front. Famille Lattas, bie in 
ber oſtr. enze angefeffen, und wurde 1811 zu Plaski im oguliner Grenzbezirke gebo⸗ 
ren. Sein Bater war Verwaltungslieutenant in diefem Bezirke und wirkte dann in gleicher 
Eigenſchaft im likkaner Regimentöbezirte. Der junge Lattas befuchte die Militärnormalſchule 
feines Geburtsorts unb machte fich befonders eine ſchöne Handſchrift eigen. Er kam dann in 
die mathematifche Schule nad) Thurm bei Karlfladt und warb, nachdem er ben Curſus vollen- 
bet, bei dem oguliner Brenzregiment als Cadet eingereiht. Später fand er Berwendung ale 
Secretãr des Auditors und Straßenbaudirestord Major Cajetan Kneczig, deſſen Nachficht er je- 
boch gemisbraucht Haben fell. Die Befchäfte in Unordnung zurücklaſſend, entwich er 18355 nad 
Sara und ging von ba in bie Türkei, nach Bosnien. Hier trat er in die Dienfte eines türk. Kaufe - 
manns als Gontorift, ber ihn fpäter, als er zum Mohammedanismus übergetreten, zum Pri⸗ 
vatlehrer feiner Söhne machte ugb mit biefen pe Konftantinopel ſchickte. Wegen feiner aus⸗ 
gezeichneten Handfchrift fand er in ber Hauptſtadt Anftellung ale Schreiblehrer in einer Militär» 
anftalt. In diefer Stelle leiftete Omer-Efendi, welchen Namen und Titel Lattas jegt führte, 
Borzügliches, ſodaß er zum Schreiblehrer des Prinzen und [pätern Sultans Abd-ul-Mebichib 
auserfehen, zugleich auch mit bem Range eines Jũz⸗Baſchi (Eapitän) in bie türk. Armee aufge 
nommen wurbe. Als fein Zögling zur — kam, erhielt er den Rang eines Oberſt und 
wohnte als folcher, unter bem Befehle bes türk. Divifionsgenerals und fpätern deutſchen Reichs⸗ 

miniſters Jochmus, bem Feldzuge von 1840 in Syrien bei. Bei biefer Gelegenheit erwarb er 
fi) den Rang eines Lina oder Brigabegenerals. Als die Pforte 1842 den Emir Kaffim wegen 
Unfähigkeit vom Militärgouvernement im Libanon entband, erhielt D. beffen Stelle, ber aber 
ebenfalls dieſes Amt alsbald nieberlegen mußte, weil bie dortigen Chriſten fich über Häzte umb 
Berfolgungsfucht bed Menegaten beffagten. Im 3. 1843 machte D. unter bem Oberbefehle 
Redſchid⸗Paſcha's, den Feldzug in Albanien gegen den Rebellen Dſchuleka mit, deſſen Bezwin⸗ 
gung beſonders durch feine Anordnungen geſchah. Er flieg Hiermit immer mehr in ber Gunſt 
und bem Bertrauen des Sultans. Als 1846 in Adſchara, an der kaukaſiſch⸗ ruſſ. Grenze, Kör⸗ 
Huſſein⸗Bei die Fahne des Aufruhrs erhob, warb D. im Sept. zur Dämpfung biefes tr 
ſtands abgeſchickt. Allein Halil⸗Paſcha Hatte inzwifchen die Empörung unterbrüdt und DL. 
kehrte, ohne ſich —— w können, fon im October nad) Konftantinopel zurüd. In der» 
felben Zeit überfiel ber Kurbe Bedr⸗Han Bei die neftorianifchen Chriften und erklaͤrte fich zu⸗ 
gleich mit Fr gegen bie Pforte. Unter dem Oberbefehle Dsman-Pafcha's er» 
hielt D. den Auftrag, mit einem Theile des Armeecorps von Arabiftan biefen Hufftand nieder» 
aufchlagen, was er auch im Sommer 1847 durch Erftürmung ber kurdiſchen Feſtungen ausführte. 
Den Reſt des Jahres brachte er als Militäͤrgouverneur von Aleppo zu. Als 1848 bie Unruhen 
in den Donaufürftentgümern ben Einmarfc der Rufen, —— Yalten, woh Des — 


Avð Omnibus Hueus 


der Pforte an der Spitze türk. Befagungstruppen ebendahin geſchickt. Er beſchoß hier 25. Sept. 
Die Kaſerne zu Bukareſcht und blieb dann dort als Militäͤrgouverneur bis April 1850. Damals 
erhielt ex den ruff. &t.-Unnenorden; auch vermählte er fich mit der Schwefter des befannten 
Cimmnie aus Siebenbürgen. Im Sommer 1850 unterbrüdte D. ben Aufftand, welchen ber 
bosnifcge Adel gegen die Gonfeription und den Zanfimat erhob, und im Herbft wandte er ſich 
gegen die Herzegowina, um die Bewegungen biefer Provinz nieberzubalten. Unterdefien bro 
chen aber bie Unruhen in Bosnien, namentlich in ber Kraina, aufs neue aus, die D. erfl im Mai 
1851 mit Erftürmung der Vefte Bihac völlig unterbrüden fonnte. Gr ordnete hierauf die Ent 
waffnung des Landes an, begann aber diefelbe mit Entiwaffnung der gänzlich unbetheiligten 
Gheiften, die er überhaupt mit rüdfichtslofer Strenge behandelte. Nachdem er im Sommer 
1852 nad) Konftantinopel berufen worden, erhielt er im December den Oberbefehl über bie 
Armee gegen Montenegro (f. d.). Dieſe von O. felbft in Verbindung mit ber alttürk. Partei 
betriebene Erpedition hatte mit großen phyſiſchen Schwierigkeiten zu kampfen und nıufte end» 
lich im Jan. 1853 auf Einfchreiten Oſtreichs aufgegeben werden, ohne daß D. auch nur ent» 
fernt fein Ziel erreichen konnte. Er erhielt nun ben Oberbefehl über das Heer, welches während 
der Entwickelung des ruff.-türk. Streits am rechten Donauufer aufgeftellt ward, und eröffnete 
44 Unfange Nov. 1853 ben Kampf, indem ex vor dem Feinde die Donau zwifchen Muftfchuf 
und Gilifiria und weiter oben bei Widdin überfchritt. 

Dmmibns (lat.: d. i. für Alle) heißen die gegen Mitte der zwanziger Jahre zu Paris und 
Renbon entftandenen, raſch nach allen größern Städten verbreiteten geräumigen Fuhrwerke, 
weiche gegen feſtes und billiges Fahrgeld zu beſtimmter Zeit und von beſtimmten Punkten aus 
den Perfonenverkehr zwiſchen den entlegenern Stabttheilen ober felhft der Umgegend unterhal« 
ken, Gewöhnlich Iaufen bie Sigbäante des Omnibus der Länge nad) und bie Thür iſt hinten 
angebracht. Namentlich in Londen find diefe Fuhrwerke ein wichtiges, ja unentbehrliches Gom⸗ 
municationsmittel. " 

Omphäle, die Tochter bes Iybifchen Königs Jarbanes und Gemahlin bes Tmoles, nad 
‚beflen Tode fie felbft regierte, kaufte von Hermes den Herakles (f. Hercules) und gebar biefem 
einen Sohn. Spätern und zwar afiat. Urfprungs ift die Sage, daß Herakles in ihrem Dienfte 
weibifch geworben, Wolle gefponnen u. f. w., fie Dagegen Keule und Löwenhaut geführt habe. 

Dnegafee, nad dem Ladogaſee (f. d.) der größte europ. See, in Rußland im Gouverne 
ment Olonez gelegen, ift SO M. lang, 7-IAM. breit, hat eine Warferfläche von 230 AM. 
umd ergießt ſich mitteld des Swirfluſſes in den Ladogaſee, während er durch bie Wodla die 
Waſſer des Woblafees aufnimmt, durch unzählige andere Bleinere und größere Flüſſe gefpeift 
wird und durch das Syſtem des Marientanals, der von ber Raiferin Maria Feodorowna, ber 
Gemahlin Pauls I., feinen Namen hat, ſowol mit ber Wolga und dem Kaspiſchen See, als 
auch mit der Dwina und dem Weißen Meere in Verbindung ſteht. Durch den Onegakanal, 
der von Wytegra am gleichnamigen Fluſſe nach Woßneſſenskoe am Swirfluſſe führt, wird die 
Schiffahrt auf bem gefährlichen DOnegafee umgangen. Am weftlichen Ufer des Onegafees liegt 
die Hauptflabt von Dlonez, Detrofawodst, zwiſchen malerifchen Belfengruppen. Dex Onegafee 
ift fehr fifchreich, Hat Elares, helles Waſſer und umfchließt mehre Infeln. Es gibt auch einen 
Fluß Dnega, der aber mit dem Onegafee nicht in Verbindung fteht, fondern der Abfluß bes 
Latichafees ift und im Archangelfchen Gouvernement nach einem Kaufe von etwa 60 M. bei der 
Stadt Onega in den Onegagolf des Weißen Meeres minder. 

Dneus war der Sohn bed Portheus, Gemahl der Althäa (f. d.), Vater des Tydeus und 
Meleager (ſ. d.) und König von Pleuron und Kalydon (ſ. d.) in Atolien. Nach der fpätern Sage 
der Tragiker mar er der Sohn des Porthaon und ber Euryte, ber Enkelin des Flußgottes Ache⸗ 
lous, und zeugte mit der Althaa den Toxeus, Thyreus, Kiymenos, Periphas, Agelaos, Melea⸗ 
groß, dje Gorge, Eurymede, Melanippe, Mothone umd Deianeira. Hierauf vermählte er fi 
mit Periböa, des Hipponoos Tochter, die ihm den Tydeus gebar, des Diomebes (f. d.) Water. 
Zur Zeit des Trojanifchen Kriege war fein Stamm untergegangen und ein Fürft aus anderm 
Geſchlecht, Namens Thoas, führte die Atoler gegen Troja. Nach noch fpäterer Sage raubten 
ihm bie Söhne feines Bruders Agrios in feinem Alter die Herrfchaft, gaben diefe ihrem Water 
und mishandelten ihn ſogar; fein Enkel Diomedes aber erichlug dafür ben Agrios und deſſen 
Söhne bis auf zwei. Diomebes nahm ben Greis mit fich in den Peloponnes, wo er von jenen 
beiden Söhnen des Agrios bei dem Altare des Telephos in Arkadien erfchlagen wurde. Dio⸗ 
webes beitattete ben Leichnam in Argos und benannte nad) ihm bie Stadt Onoe. Nach Undern 

Bash er in hobem Alter bei Diomebet in Urgot. 


Huologie Hnotrer 390 


Dnologie (aus dem Griechiſchen, deutfch : ZBeinbaulehre) ift ein erft in neuerer Zeit gründ⸗ 
lich und wiſſenſchaftlich ausgebildeter Zweig der Bodencultur. Die Onologie begreift in ſich 
die Lehre von der Anpflanzung ber Neben in dazu günftigem Boden und in geeigneter Lage, 
ihrer naturgemäßen Gultur, ihrer Pflege nach wiffenihaftlihen Grundfägen und der zmedimä- 
Figen Behandlung ihrer Krüchte, ber Trauben, um aus deren Saft das geiflige Betränt, Wein, 
barzuftellen. Cine naturwifienfchaftliche Ausbildung muß auch für ben Onologen die erfle 
Baſis bes rationellen Kortfchritts in diefem Zweige ber Landwirthſchaft bilden. Nur hierdurch 
wird es ihm möglich, die reizenden, fchaffenden und bildenden Potenzen in dem Proceß der 
Weinerzeugung, ihr harmoniſches Zufammenwirken und das innige Verfchmelgen der Atome zu 
neuen Schöpfungen zu erforfchen und zu feinem Vortheile zu leiten, alfo der Weincultur die ratie- 
nelle Grundlage der Kenntmiß bes Urfächlichen zugeben. Vgl. Kölges, „Önologie” Gerl. 1841). 

Onomakritos, ein im griech. Alterthume berühmter Wahrſager und Dichter, lebte Im 
Zeitalter der Pififtratiden zu Athen, ordnete und erflärte die Weiffagungen oder fogenannten 
Drakel des Mufäus (f. d.) und benugte die Mythen des Orpheus zu politifchen Zwecken, daher 
er von Hipparchus um 516 v. Chr. aus Athen verwiefen wurbe, obgleich er feine dichterifche 
Thätigkeit ganz dem Dienfte berfelben gewidmet zu haben ſcheint. Bon ihm flammt vielleicht 
das Meifte, was zu Herodot's Zeiten unter dem Ramgn des Orpheus vorhanden war. So 
viel iſt gewiß, daß er der Begründer einer Orphiſchen Myſtik war, welche ein Syſtem von 
Büßungen fchuf, um die gefallene Seele zu entfühnen, wozu auch bie Zerſtreuung des Pythago⸗ 
räiſchen Bundes beitrug, beffen Lehrfäge von der Geelenwanberung und Heiligung damals um- 
ter den Griechen in Umlauf famen und eine Zäuterung der Dichtermythen umd des dadurch be 
dingten Götterthums beforderten. 

Dnomaflifon (gried.), eigentlich jedes Namen- ober Wortverzeichniß, nennt man vorzugt⸗ 
weife ein Real» ober Sachwörterbuch, wovon bie einzelnen in Eigennamen oder Sachen beftehen- 
den Artikel nach einer gewiffen foftematifhen Anordnung, urfprünglich aber ohne Berückfich⸗ 
tigung der alphabetifchen Reihenfolge, aufgeführt und erflärt werden. Das ältefte Wörterbuch 
unter diefem Ramen befigen wir bereit6 aus dem 2. Jahrh. v. Chr. von Pollux (f. d.) in griech. 
Sprache, welches in der angegebenen Weiſe verfchiedene Begenflände des religiöfen, bürgerli⸗ 
chen, häuslichen und künſtleriſchen Lebens behandelt. Unter den fpätern Werken diefer Art nen- 
nen wir Glandorp's „Onomasticon historiae Romanae” (K#f. 1589), worin die berühmteften 
Namen und Geſchlechter der Roͤmer gefchichtlich erläutert werben; ferner Saxe „Onomasticon 
literarium” (8 Bde. 1775— 1803), noch immer ein Hauptfhag für die Literaturgefchichte ; 
endlich aus der neueften Zeit Orelli's und Baiter's „Onomasticon Tullianum” (3 Bde., Zur. 
1856— 38), welches außer dem Leben und ber Biteraturgefchichte bed Cicero die geographiſchen 
und gefchichtlichen Namen, ein Verzeichniß ber Befege umd der von Cicero gebrauchten griech. 
Ausdrüde u.f.w. umfaßt. — Auch bezeichnete man mit Dnomaſtikon in fpäterer Zeit ein meift 
kürzeres Gedicht auf den Geburts⸗ oder Namenstag einer Perſon. 

Dnomatopdie (griech) nennt man in der Sprachlehre die Bildung von Wörtern nad) dem 
Naturlaute oder nach dem Klange eines Gegenſtandes, z. B. brüllen, blöfen, raſſeln, ſchmet⸗ 
teen u. ſ. w. Die fo gebildeten Wörter, die fchon bei den Alten Onsmatopoietila bie 
fen, gehören zu den früheften Erfcheinungen in jeder Sprache, und viele berfelben find befon- 
ders von den Dichtern, wie umter den Griechen von Ariſtophanes, unter ben Deutichen von 
Bürger in den Balladen, mit vielem Glüde gefhaffen worden. Ginige rechnen die Onamato- 
pie fogar zu den fogenannten phonetifchen Figuren in der Rhetorik und verftehen dann bie 
Nachahmung eines Schals in ganzen Wortfägen darunter, wie in dem von Voß trefflich nad) 
gebildeten Homeriſchen Verſe, wodurch das Zurückſtürzen des Steine bes Siſyphus bezeichnet 
wird: „Burtig mit Donnergepolter entrollte der tüdifche Marmor”, oder in einem Verſe bei 
Ovid, worin das Geſchrei der Fröfche nachgeahmt wird: „Quamvis sint sub aqua, sub aqua 
maledicere tentant.” 

Dnofander, einer ber vorzüglichfien Kriegsfchriftfteller der Alten, Iebte in ber Mitte des 
1. Jahrh. n. Chr. unter der Regierung des Claudius und Nero zu Rom und verfaßte in griech. 
Sprache unter dem Titel „ Strategetitos” ein auf die Erfahrungen ber Römer gegrünbetes vor 
treffliches Werk über die Feldherrnkunſt, welches am beften von Schwebel (Rümb. 1762) und 
Korais (Par. 1822) bearbeitet und van Baumgärtner (Manh. 1779) nebft Planen und Zeich⸗ 
nungen ind Deutfche überfegt worden iſt. 

Duötrer hießen die älteften Bewohner der ſũdweſtlichen Spige Italiens, die im Norden GA 
durch eine von Pofidonia ober Paͤſtum gegen Tarent geyogene Treie wngklütt Teyrraren Vie. 


00 Duslow Onutologie 


Sie gehoͤrten wie die ihnen nahe verwandten benachbarten Peucetier in Apulien wahrſcheinlich 
dem peiasgiſchen Volksſtamme an und zerfielen ſelbſt in zwei Theile, deren einer, im Rorben 
ner hieß, während der andere, im Süden, den Namen Italer, nach einer Gage von einem 

nig Stalus, führte. Von den Legtern breitete fi der Name Italia allmälig über bie g 
Apenniniſche Halbinfel aus. Die Önotrer wurden ſchon früh theils durch die Griechen, wei 
an ben Küften fich niederließen, theils durch die Lucaner, bie zum ſabelliſchen Stamme gehörter 
(f. Sabeller) und von Norden her einbringend dem von ihnen eroberten Lande ben Namen Eu 
canten (f. d.) gaben, unterworfen. In ben Bergwäldern ber füblichften Spige bildete ſich ans 
entlaufenen, namentlich önotrifchen Knechten der Griechen und Lucaner das Volk der Bruttier 
von benen biefer Zandestheil Bruttium genannt wurbe. 

Onslow (George), bedeutender Inftrumentalcomponift, geb. 1796 in England aus der 
Grafenfamilie dieſes Namens, verließ aus Liebe zur Tonkunft mit großen Opfern feine Heimat 
und ging feiner Kunſtausbildung wegen nach Wien. Hier ſchloß er ſich zunächft an Beethoven, 
finbirte daneben mit großem Eifer bie Werke Haydn's und Mozart's und wurbe auf diefe Weiſe 
eingeweiht in den Geift der beutfchen Schule, der er in allen wefentlichen Eigenſchaften angehört 
umd ſtets treu geblieben ift. Später ging er nad) Paris, wo er unter Reicha's Beiſtand fich noch 
weiter ausbilbete. Abwechſelnd lebte er in Paris und auf feinem Landgute bei Elerment. Den 
meiften Ruf erwarben ihm feine jahlreichen Quartetten und Quintetten für Streichinſtrumente, 
die durch ihren eigenthünmlich ernften Charakter anziehen, aber zu fehr an Ausfchmüdungel Ich 

- den. Huch verfuchte er fich an einigen Opern. Nächfivem gewannen vorzugsweiſe feine Compo⸗ 
fitionen theils für das Pianoforte allein, theils für das Pianoforte mit Begleitung großen Bei⸗ 
fall, unter welchen legtern namentlich ein Sertett fehr bekannt geworben iſt. Im J. 1824 wurde 
in Paris feine Oper „L’alcalde de la Vega‘, die vortreffliche Säge enthält, und ſpäter „Le col- 
porteur” mit Beifall aufgeführt. Die Symphonien, bie er feitdem Fieferte, find vortreffliche Ar- 
beiten und voll großartiger Gedanken; doch klingt auch in dieſen Orcheſterwerken der Meifter 
für Duartett- und Quintettmuſik fo fühlbar durch, daß dieſer Iegtern unter allen feinen Werken 
umbeftzitten ber Vorzug eingeräumt werben muß. Im Mai 1846 kehrte D. nach langer Abwe⸗ 
Tenpei in fein Geburtsland zurüd und ſtarb Hier 5. Oct. 1853. 

ntariofee, der unterfte der fünf großen canadifchen Seen, ift in feiner größten Ausdeh⸗ 
numg von D. nach W. 43 M. lang, von R. nach S. 13 M. breit, hat einen Umfang von 116M. 
und bededt ein Areal von 6AOMM. In der Mitte erreicht feine Tiefe 560 3. Die im Allge⸗ 
meinen niedrigen und dichtbewaldeten Ufer bieten verfchiedene treffliche Häfen dar, beſonders auf 
der nördlichen, canabdifchen Seite, wo Burlington-Bai und Kingfton, aud) Toronto und Co⸗ 
burg befonders hervorzuheben find. Der befte Hafen der Südküſte ift Sacket's Harbour im 
Gtaate Neuyork. Mit dem Eriefee (f. b.), welcher 310 F. höher liegt, fteht er durch den Nia⸗ 
gara (f.d.), mit dem Dcean durch ben St.Lorenzſtrom (f. d.), der bei Kingfton unter dem Na- 
men Gataraqui den See verläßt, in Verbindung. Durch die Infel Grand⸗Isle wird diefer Aus ⸗ 
flußfteom in zwei Kanäle gefpalten, von denen ber nördliche der Ringfton-, der füdliche der Carl⸗ 
ſton⸗Islandkanal heißt. Die ſchwierige Schiffahrt auf diefem Fluſſe, der übrigens bie Grenze 
zwiſchen Canada und den Vereinigten Staaten bildet, hat beide Staaten veranlaßt, Fünftliche 
Waſſerſtraßen durch eigenes Gebiet aus dem D. nach Ihren öftlichen Provinzen anzulegen. Se 
die Amerikaner den Oswegokanal, der von Syracuſe aus dem Eriefanal abgeht und bei Ds- 
wego (f.d.) den See erreicht; die Briten den großartigen Rideaukanal, der den DO. mit dem Ot⸗ 
tawa verbindet. Mit dem Eriefee ift der D. englifcherfeitt durch den Wellandkanal verbunden. 
Der See friert nie zu, weshalb die Schiffahrt auf demfelben vor der auf den übrigen Seen einen 
großen Vorzug hat; doch kommen auf ihm nicht felten Heftige Stürmeund ſtarker Wellenfchlag vor. 

Ontologie (griech.) heißt die Lehre von dem Seienden und den ihm als folchem zufommen- 
den Beflimmungen. Der Name ift auf Plato und Ariftoteles zurückzuführen, welche erfannt 
hatten, daß die Aufgabe der Metaphyſik (f. b.) darin beftehe, zu den Erfcheinungen dad Seiende 

zu finden und in Begriffen zu beftimmen. Deshalb wurde das Wort fpäter als Bezeichnung 
für die allgemeinen Unterfuchungen der Metaphyſik (philosophis prima) gebraucht, und die 
Ontologie bildete namentlich in der Wolffchen Schule den erften Haupttheil der Metaphyſik, 
dem die Kosmologie, bie Pfychologie und die natürliche Theologie fich anfchloffen. Inder Kant’ 
ſchen Periobe verfhwand der Name der Ontologie, weil an bie Stelle ber auf die Erkenntniß 
des Seienden gerichteten Metaphyſik die Unterfuchung des Erkenntnißvermögens treten follte. 
In ben fpätern Syſtemen, welche die fubjectiv-Britifche Richtung des Kantianismus wieder ver: 
Siegen, Fam mit ber Sache auch ber Name wieder zum Vorſchein, und fo bezeichnet namentlich 
Derbart ben erfien Daupttheil ber metaphyſiſchen Unterfucgung volt dem Romen Dutologle. 


Dutologifcher Beweis Dyal a 


Dntologifcher Beweis heißt der aus bem Begriffe Gottes geführte Beweis für das De» 
fein Gottes. (&. Gott.) 

Dnyr nennt man biejenige Spielart des geftreiften Chalcedon (ſ. d.), bei welcher weiße umb 
ſchwarze oder weiße und buntelbraune, ſcharf begrenzte, gerade oder comcentrifche Streifen mit- 
einander abwechfeln. Seltener findet fidh über dem weißen noch ein dritter farbiger Streifen. 
Die Spielart des Chalcedon mit abwechſelnden weißen und grauen Streifen bezeichnet man als 
Chalcedonyx. Bon den verfchiedenen Varietäten des Chalcedon iſt der Onyr die gefchägtefte, 
und ein Stüd von einem Zoll Durchmeffer Hat fhon einen fehr hohen Preis. Bei den alten 
Griechen und Römern, welche ben Onyx wahrfcheinlich aus dem Orient erhielten, flanden diefe 
Steine bereits in hohem Werthe, und es wurden aus ben geradftreifigen die bekannten Gameen 
gefchnitten, wobei es der Künftler fo einrichtete, daß die bunkeln Lagen des Steins den Grund 
abgaben und aus den weißen die halberhabenen Figuren gefchnitten wurden. Bei folden Gtel- 
nen, welche über bem weißen noch einen britten Streifen Hatten, benugte der Künftler diefen zu⸗ 
mweilen, um einigen Theilen ber halberhabenen Figuren, wie Haaren, Gewändern u. |. w., eine 
andere Farbe zu geben. Aus den größern concentrifch geftreiften Onyxen verfertigte man in alten 
Zeiten verfchiedene Gefäße mit balberhabener Arbeit, und eins der ſchönſten Stüde diefer Art ifl 
dab fogenannte Mantuaniſche Gefäß oderBafe, bis 1830 in Braunfchmeig. Die ſchöne, 3 Zoll 
breite und über 3 Zoll lange Onypplatte im Grünen Gewölbe zu Dresden wird auf 44000 Thlr. 
geſchätt. (S. Sardonyx.) 

Dort (Adam van), richtiger Roord, der Sohn eines Glasmalers zu Antwerpen, geb. gegen 
Ende bes 16. Jahrh., geft. 1644, war einer der beffern Hiftorienmaler der antwerpener Ma- 
nieriftenfchule, weldhe Rubens voranging. Letzterer war fogar einige Zeit fein Schüler, verließ 
ihn aber, weil ihm die unbändige Roheit des Meifters nicht zuſagte; Jordaens hielt länger aus, 
weil er van D.’6 Tochter liebte. Seine Werke find nicht häufig und finden fich meift in Belgien. 

Doft (Jak. van), einer ber beften niederländ. Maler, geb. zu Brügge 1600, bildete ſich, 
nachdem er die Anfangsgründe der Kunft in feinem Baterlande erlernt harte, Hauptfächlich um 
ter Annibale Saracci in Nom aus. Er copirte in feiner Jugend mit ſolcher Geſchicklichkeit 
nad Rubens und van Dyd, daf feine Gemälde noch jept die Kenner täufchen, und lernte auf 
diefe Weiſe die Grundfäge einer fchönen Färbung und zierlichen Führung des Pinfels. Später 
malte er nur große Geſchichten. Seine Eompofitionen find ungekünſtelt und wohlüberlegt, 
ohne müßige Figuren; die Verzierungen finnreich, voll edler Einfalt und die Gewwänder ſchön. 
Seine Dintergründe ſchmückte er mir Architektur, die er, wie die Werfpective, gut verftand; 
feine Zeichnung iſt in gutem Geſchmack, das Colorit feines Nadten friſch und natürlich. Er 
farb 1671. — Sein Sohn, Jakob van D., der Jüngere, geb. 1637, ftudirte zu Paris umd 
Rom, lebte dann über AO J. zu Lille und farb in Brügge 1713. Große hiftorifche Gemälde 
von ihm finden ſich in den Kirchen und Paläften zur Lille. Zeichnung ſowol als Eolorit find vor- 
trefflich. Seine Manier ift markiger und fein Pinfelftrich freier als bei feinem Vater. Er drapirte 
im größten Stil. Seine Compoſitionen waren nicht überreich, aber fehr verftändig geordnet. 

Dpal, ein Mineral aus dem Kiefelgefchlechte, findet fich faft immer nur derb oder einge» 
fprengt, niemals kryftalliſirt, Hat meift volllommen mufcheligen Bruch, einen ziemlich beträcht- 
lichen Glanz, der oft bis ins Starkglängende übergeht und nur felten in das Wenigglänzende 
ſich verliert, einen hohen Grad von Durchfichtigkeit, der faft nie unter das Durchſcheinende her- 
abſinkt, eine geringe Härte und Schwere und zeigt häufig ein lebhaftes ſchillerndes Farben⸗ 
fplel ( Opalifiten). Er ift vor dem Röthrohre für fich unfchmelzbar, erleidet aber einen bedeu⸗ 
tenden Gewichtsverluſt und zerfpringt in Splitter. Seine Hauptbeftandtheile find Kiefelerde 
und Waſſer, wozu bei einigen Varietäten oft Eifenoryd und Thonerde kommen. Es werben 
folgende Varietäten unterfchieden : 4) Perlmutteropal oder Kafcholong, ift perimutterglän. 
zend, undurchſichtig bis durchſcheinend, milchweiß ins Grauliche, Gelbliche und Röthliche, am 
Bruch flach muſchelig und ber weiße oft mit Dendriten verſehen. Er findet ſich auf Island, 
ben Faröer, in Kärnten, der bucharifchen Kalmudei. Diefer Opal nimmt eine fchöne Politur 
an und beißt beiden Juweliern Kalmucken⸗Achat. 2) Der Feueropal ift hyacinthroth ins 
Gelbe, an lichten Stellen irifirend, auch karminroth und apfelgrün, ſtark glasglänzend und 
durchſichtig. Er findet fih in Meyico und auf den Farder umd iſt als Schmuditein geſchätt. 
3) Der eble Dpal ift wafferhell, milchweiß ind Wein- und Schwefelgelbe, feltener ind Blaue, 
Rotheund Grüne, mit lebhaften, wandelbarem Barbenfpiel, ſtarkglänzend, mit Glas⸗ bis Wacht- 
glanz, mehr oder minder halbdurchſichtig und findet ſich hauptſaͤchlich und am fönfen in Um 

Gonn.skez. Bchnte Tu. XL ' 


m tal Dpe en ut 
garn. Man trägt ihn a6 Ringſtein, Kopf und Hals ſchmuck und verwendtt ihn auch zu Ber- 
gierungen ; doc) find Steine von einiger Größe theuer, da er gewöhnlich viel Riſſe hat. Am ge- 
fuchteften find die rothfpielenden Stüde. Als Schmuck muß er jedoch behutfam getragen wer · 
den, daer feiner geringen Härte halber ſich leicht bereibt: Deshalb ſchieift man ihn audyge 
wöhnlich linfenförmig, wodurch zugleid) fein Barbenfpiel erhöht wird. Bei den Alten ftand er 
in noch weit höherm Werthe; fo wurde der haſelnußgroße Opal bes Nonius auf 800000 Thlt. 
gefihägt. 4) Der Glasopal oder Hyalith ift waſſerhell, gelblich», röthlich- und graulich · weiß 
gelblich und aſchgrau, glasglängend, durchſichtig und halbdurchſichtig und auf der Oberfläche 
glatt. Er findet ſich z. B. bei Frankfurt a. M., im Breisgau, in Ungarn u. ſ. w. 5) Derge- 
meine Dpal ift miichweiß ins Röthliche, Gelbliche und Grünliche, auch gelb und grün in ver- 
ſchiedenen Nüancen, zuweilen baumförmig gezeichnet (Moosopal), glas bis wachsglänzend, 
halbdurchfichtig und durchfcheinend. Die weißlichen Abänderungen ſpielen manchmal in Roth 
und Blau. Er findet ſich auf Gängen und in Gebirgsmaffen und zwar an vielen Drten, in 
Sachſen, Schlefien, Ungarn u. f. w. Einige Abänderungen des gemeinen Opals, wie ber apfel 
‚grüne, ſchleſiſche u. a, werden gefchliffen und zu Ningfteinen und Petfchaften benugt. Der 
gelbe gemeine Opal war font unter ben Namen Wachsopal und Pechopal befannt. 
6) Der Holzopal hat Holsgefüge und Holsgeftalt, iſt durchſcheinend, zumeilen nur an den 
Kanten, weiß ind Gelbe, Graue, Braune, feltener gelb und ſchwarz und zuweilen geffreift und 
geflammt. Er findet ſich in volffommener Holzgeftalt, als Äſt · Stamm+ und Wurzelftüde, 
und zwar von ziemlic) bedeutender Größe in Siebenbürgen und in Ungarn, Man fchneidet ihn 
in Platten und verarbeitet ihm zu Dofenftücen, befonders in Wien. 7) Dos Weltauge oder 
Hybdrophan ift ein edler oder gemeiner Opal von eigenthümlicher Verwitterung, indem er an 
der feuchten Rippe anklebt, ind Waſſer gelegt daffelbe unter Ausſtoßen von Luftbläschen ein- 
faugtunddadurd) an Durch ſichtigkeit, zumeilen auch ein buntes Farbenſpiel gewinnt. Er fommt 
weiß, gelblich) und röthlich vor. 8) Der Halbopal Mebt nicht am der feuchten Kippe, iſt durch · 
fheinend, manchmal nur an den Kanten, weiß ins Gelbe, Grüne, Rothe, Braune und Grau, 
auimeilen auch gefleckt und geftreift oder mit baumförmigen Beichnungen und von größerer 
Härte und Schwere. Er ift die gemeinfte Abart und findet fich an vielen Orten, z. B. im Exp 
gebirge, Mähren, Schlefien, Würtemberg, Ungarn, auf Island u. |. m. Man benugt Ihn eben- 
falls zum Theil zu Ringfteinen u. dergl. 9) Der Jaspopal oder Eifenopal, welcher von Man- 
chen zum Jaspis gerechnet und daher auch Opaljaspis genannt wird, fteht bem Halbopal fehr 
nahe, ift aber ſtarẽ fettglängend, undurchfichtig.ober an den Kanten ſchwach burchfcheinend, gelb, 
roth oder braum und findet fich wie die übrigen Opale in Porphyrgebirgen u. f. w., 3. B. in 
Sachſen, Ungarn. 

Dper. Die Dper iſt ein muſtkaliſches Drama, Der äufere Rahmen und die Grundfinien der 
Situationen, der Charaktere und der Handlung find in ber Dichtung (dem Tertbuche, Libretto) 
gezeichnet; die individuelle Duchbildung und Ausführung diefer allgemeinen Züge fällt der 
Mufit zu. Poefie und Tonkunſt wirken darum in ber Oper gleichberechtigt miteinander, und bie 
Geſchichte der Dper zeigt, daß diefe Gleichberechtigung um fo entſchiedener praktiſch zur Geltung 
gebracht wurde, je reiner und tiefer ſich der Begriff der Oper allmälig entwidelte. Da nun in 
ber Oper bie Muſik keineswegs als ein blos äuferlicher, unweſentlicher Schmud ber dramati - 
fen Dichtung erſcheinen fol (tie in der Switterform bes Schaufpield mit Mufit), fondern der 
Kern der Charaktere und der Handlung felbft mufitalifch geftaltet werben muß, fo find Dem Tert · 
dichter vorweg für die Wahl und Ausführung feiner Stoffe fehr beſtimmte Grenzen geftedt. 
Starke, allgemeine, ſinnlich anſchauliche Gegenfäge der Motive und Charaktere werben vor- 
zugsweiſe einer wirkſamen mufttalifchen Behandlung fähig fein. Das muſikaliſche Drama 
Tann nicht, wie das rein poetifche, Charaktere und Handlung dialektifch entwideln und verftan- 
desmãßig zurechtlegen, aber es Bann diefelben mit einer weit ummittelbarem Naturkraft der 
Empfindung zur Unfhauung bringen. &8 werden darım in der Oper die Gharaktere und &i- 
tuationen nicht ſowol allmälig und in ftetiger logiſcher Vermittelung vor unferm Auge aufwach · 
fen, wie im Drama, fondern ald gegebene gegeneinandergeftellt, Dagegen um fo breiter und tiefer 
in ihren Gontraften ausgemalt. Die Oper gibt eine Reihe dramatiſcher Bilder, deren innerer 
Sufammenhang felbfiverftändlid, fein muß, weil er muſikaliſch nicht im Einzelnen entwidelt 
werben Bann. Dadurch erhält die äufere Anlage der Dper etwas Typiſches, Schablonen 
hafte. Die Stoffe der Dperntepte gruppiren ſich nach weit beffimmtern Kategorien al die des 
Dramas. Die alte Glaffification der Bötter- und ‚Helbenoper, die neuere ber. ſchen und 

Awanciſchen Diper, ber Bnuberaper, Genweriationtoper u. [. ww. zeugen dafür. Mei den Stalie- 


Drer 483 


nern namentlich find gewiſſe Opernſujets faft von allen bedeusendern Gomponiften immer wie⸗ 
der behandelt worden; faft jeder hat eine „Iphigenia”, „Phädra”, „Olympia“ u. dgl. gefchrie- 
ben. Der bekannte dichterifche Stoff erleichtert das mufitalifche Verftändniß und geftattet eine 
breitere mufißalifche Individualifitung. Ebenfo find die handelnden Hauptperfonen der Oper 
in ihren allgemeinen Zügen großentheils ftereotyp geworden. Die zärtlichen hohen Tenore, bie 
burlesten Bäffe, die ritterlichen Baritone, die von Wuth, Rache oder Verzweiflung erfüllten 
- hoben Soprane, die Igrifch-fentimentalen Mezzo-Soprane find in unzähligen Opern ganz nad) 
der gleichen Schablone der allgemeinen Charakteriftit angewendet. Nur ganz wenige Meifter 
erſten Rangs vermochten es darum, wirklich neue mufitalifhe Charaktere zu fchaffen; bie 
große Mehrzahl der Dperncomponiften muß bei der mehr oder minder gefchidt variirten An⸗ 
wendung der einmal geläufigen Charaktertypen ftehen bleiben. Da endlich Wirkung und Ver⸗ 
ftändniß der melodifchen und harmonifchen Gebilde an eine gewiſſe architeftonifche Symmetrie 
des mufitalifchen Kormenfpield geknüpft ifl, eine Symmetrie, die in den höhern Gattungen ber 
reinen Inftrumentalmufit ihren confequenteften Ausdrud gefunden hat, fo tritt auch hier eine 
Gebundenheit der einzelnen mufitalifhen Abfchnitte und Gliedberungen in der Oper ein, welche 
mit der freien Gruppirung der Scenen, ber freien Entfaltung des Dialogs im Drama fcharf 
contraftirt. Die lyriſchen Monologe in den Arien, die Dialoge in den Duetten, Quartetten, En⸗ 
ſembles, die dramatifchen Erpofitionen und Übergänge in den Recitativen, das Eingreifen der 
Maffen des Volkes in den Ehören: dies Alles ift an eine conventionelle Symmetrie des muſika⸗ 
liſchen Baus gebunden, die der talentvolle Meifter mildern und verdecken, die er aber nie ganz 
wegichaffen kann, wenn fich nicht die ganze Oper in ein unverftändliches, ungeglieberted muft- 
kaliſches Chaos auftöfen fol. In der dramatifc noch höchſt unvollkommenen ital. Oper bes 
17. und 18. Jahrh. herrfchte diefe architeftonifche Symmetrie der Arien, Duetten, Chöre u. ſ. w. 
wie der ganzen Acte im ausgeprägteften Regelzwange. Schon Lully hatte in der franz. Oper 
diefer flarren Gebundenheit der mufitalifchen dormen ein freiered Anfchmiegen der Muſik an 
das dramatifche Fortfchreiten des Zertes gegenübergeftellt. Zum entfchiebenen Kampfe ent- 
wickelte ſich jedoch diefer Gegenfag erft, al& die deutfche Oper durch Gluck mündig und felbftän- 
dig gemacht wurde. Bon da an werden die in der conventionellen Architektonit des Inflrumen- 
talſtils conftruirten Arien immer mehr verdrängt durch die freiere Form der Cavatinen, Rieder 
u. f. w., die Dramatifch fich bewegenden Enfembleftüde, namentlich die Finales nehmen einen 
immer größern Raum ein auf Koften der Igrifchen und declamatorifchen Solonummern, welche 
die alte Oper zu einem großen Concert in Goflüm gemacht hatten. Als der moderne Höhepumkt 
dieſer gegen die mufikalifche Architeftonit in der Dper anfämpfenden Richtung erfcheinen bie 
Werke Richard Wagner's. Da aber diefe muſikaliſche Architektonik nicht an fich, fondern nur 
in ihrer conventionellen Erftarrung von Übel war, fo liegt jept die Gefahr ebenfo nahe, daß in 
der Oper das Drama die natürlichen Nechte der Muſik zerftören möge, wie vor 100 3. die 
Muſik da6 Drama verfchlungen hat. 

Man unterfcheidet eine ernſte und eine Bomifche Dper, Opera serla und Opera buffa. 
Infofern in der Opera seria der gefprochene Dialog wegfällt und durch Recitative erfegt ift, 
auch mol (dach nicht nothwendig) die Tanzkunſt im Ballet hinzutritt und durch die größere 
Bevorzugung des malerifhen und architektonifchen Schmucks in der Scenerie eine Bereinigung 
aller Künfte erzielt wird, nennt man fie große Dper. Die Swittergattung, in welcher fich die 
Elemente der komiſchen und ernften Oper mifchen (mezzo stilo) und der gefprochene Dialog 
beibehalten ift, hat man als Eonverfationsoper bezeichnet. Doch wechfelte die Bedeutung dieſer 
Namen in verfchiedenen Zeiten und bei den verfchiedenen Nationen. Der Franzoſe zählt jede 
Dper mit gefprochenem Dialog zur Opéra comique, und Mozart‘ „Don Juan”;. B. hat wech⸗ 
ſelnd für eine komiſche, ernſte und große Oper, ja wol gar für eine Eonverfationsoper gegolten. 
Eine Heine Oper mit gefprochenem Dialog heißt Operette. Haftet bie Muſik nur als vorwie⸗ 
gend ſchmückendes Beiwerk, doch in ausgeführterer Weiſe an dem Textbuche, fo treten bie 
Begeichnumgen bes Liederfpield, Singfpiels, Vaudevilles u. f. w. ein. Ä 

Die Geſchichte der Oper fteigt bis ins 16. Jahrh. hinauf, wo Vicenzo Galilei, Giulio Gac⸗ 
cini und Giacomo Peri in Florenz, um die alte griech. Tragödie wieberherzuftellen, es unter 
nahmen, Gedichte unter einfacher Begleitung eines Saiteninſtruments zu recitiren, und große 
Dichter, wie Zaffo in feinem „Aminta”, Schäferfpiele mit hören dichteten. Diefe Verſuche, 
welche als Urſprung der Oper angefehen werben, bahnten den Weg dem durchaus in Mufik ge 
fegten Drama „Dafne”, das, von Dttavio Rinuccini gebichtet, von Peri in Muft gefegt, 1597 


g 1 Dper . 


in Florenz zuerft aufgeführt wurde. In baffelbe Jahr fällt ber von Horazio Vecchi gebidhtete 
und componitte „Antiparnasso“, welcher zu Venedig durch Schaufpieler aufgeführt werke, 
- wobei Sänger hinter der Scene den Tert ber Rollen in Form der Madrigale fünfflinunig ab- 
fangen. Andere Schäferfpiele, wie die „Egle” von Giraldi und bie „Aretusa” von Lollio, follen 
‚bereits früher am Hofe des Herzogs von Ferrara aufgeführt worden fein, wie man benn auch 
von Buarini’s „Pastor Ado” behauptet, daß er fhon in ber Mitte bes 16. Jahrh. muſikallſch 
bargeftellt worden ſei. Die Muſik zu biefen Schaufpielen beftand meift in einem fteifen, von dem 
basso continuo begleiteten Bortrage, der, bem jegigen Recitativ und den Mabrigalen 
nur felten durch Chöre unterbrochen wurde. Für den Erfinder des Recitativs Hält man 
da Gavaliere in Florenz, von dem 1590 zu Florenz zwei Schäferfpiele, „I Satiro” und „La di- 
-sperazione di Sileno”, aufgeführt wurben. Nach mehren andern vergleichenden Verſuchen 
-wurbe 1600 bei der Vermählung König Heinrich's IV. das Singſpiel „Euridice”, von Rinuc⸗ 
cini gedichtet und von Peri und Eaccini componirt, in Florenz öffentlich aufgeführt. Rinuccini 
-Dichtete auch die Dper „Arianna”, bie zur Bermählung des Herzogs von Mantua 1608 von 
Monteverde in Muſik gefegt wurde. Legterer ging bann nach Benebig, von wo aus bie Oper 
"weiter durch Stalien fich verbreitete. Die erfle Opera buffa fol 1624 pi aufgeführt 
worden fein, wo auch 1637 die erſte Opernbühne errichtet wurde. Der inal ser 
pflanzte die Oper 1646 nach Srankreih. In Deutfchland wurben ſchon zur Zeit bed Hans 
Sachs gefungene Faſtnachts ſpiele aufgeführt. Die Königin Sophie Charlotte unterhielt in 
Deutſchland die erfte ital. Oper, bei der Buononcini als Kapellmeifter angeftellt war. Der erſte 
eigentliche Dperntert war Mart. Opig' „Daphne“, eine Nachahmung bes erwähnten ital. Ging- 
ſpiels Daſne“, welche vont Kapellmeifter Schüg in Dresden 1627 in Muſik gefegt wurde 
Nachher fchrieb Paul Thiemich die ebenfalls nach dem Stalienifchen gearbeitete Oper „Wicefle”, 
bie erſte, bie 1693 zu Leipzig in der Oftermeffe aufgeführt wurbe. Die erſte deutfche Driginal- 
oper fol ‚Adam und Eva” geweſen fein, welche 1678 zu Hamburg gegeben wurbe, wo Damals 
Phil. Kaifer ald Componift in großem Rufe ſtand. Ginige halten die Operette „Der Teufel ifl 
1081” für die erſte komiſche Oper in Deutichland ; Flögel dagegen in ber „Geſchichte ber komi⸗ 
ſchen Literatur” behauptet, daß es bei ben Deutfchen ebenfo früh komiſche Opern gegeben habe 
als ernfihafte. Zu Augsburg wurde 1697 zum erften male eine deutfche Oper aufgeführt und 
zu Nürnberg 1667 ein Opernhaus erbaut, in welchen man 1697 die erfte deutfche Oper „Ar⸗ 
minius“ aufführte. In Schweden wurde 1774 die erfte ſchwed. Driginaloper „Birger Jarf 
don geborenen Schweden aufgeführt. In England war die ital. Oper bereits im 17. Jahrh. 
eingeführt. Händel bewirkte hier eine Revolution, die aber für die engl. Oper ohne Erfolg ge: 
blieben if. In Spanien drang erſt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. die ital. Oper ein. 
Bei ben Italienern war in der ernflen Oper von jeher der gefprochene Dialog ausgefchloffen 
und die Gattungen ber ernften und fomifhen Oper firenger auseinandergehalten als bei den 
Deutſchen und Franzofen. Ihr claffifcher Operndichter war (neben Apoftolo Zeno) Metaftafio, 
welcher gewandter als irgend Einer der flarren fommetrifchen Architektonik der alten Delben- 
oper im Tertbuche vorzuarbeiten wußte. Für bie fomifche Oper fchrieb unter Andern Goldoni. 
Die zwei bedeutendften Gomponiften der alten Heldenoper waren Scarlatti und Leonardo Xeo. 
Ihre Nachfolger Sacchini, Piccini, Leonardo da Vinci, Jomelli, Francesco Mafo u. U. bildeten 
den großen Stil jener Meifter zu anmuthigern, gefchmeidigern Formen weiter. Die Spaͤtern, 
wie Eimarofa, Paefiello, Zingarelli, Martin, Salieri, Righini, traten ſchon in marmichfache 
Wechſelwirkung mit beutfchen und franz. Einflüffen und bezeichnen den Übergang zur moder- 
nen ital., durch Roffini begründeten Schule. Deffen begabtefter Nachfolger war Bellini, der 
Bandfertigfte Donizetti. Ale Drei legten den Grund zu einer gemifchten ital.-franz. Schule. 
Unter den franz. Operndichtern find Quinault, Marmontel, Favart, Sedaine, Scribe zu nennen. 
Der epochemachende Vertreter ber alten franz. großen Oper war Zully, der Gründer der mit 
dem nationalen Vaudeville fo eng zufammenhängenden komiſchen Gonverfationsoper Philibor. 
Vorzugsweife in der fomifchen Oper bedeutend find außerdem: Gretry, Monfigny, Rouffeau, 
Dalayrac, Ifouard, Boyeldieu. Catel, Lefueur, Mehul, Spontini und Cherubini begründeten eine 
neuere franz. große Oper, Spontini und Cherubini unter vorwiegend ital. und deutfchen Einflüſ⸗ 
fen. Auber, Herold und Haldoy kamen der von Roffini angeregten franz.-ital. Richtung entgegen 
und fegten die große romantifche Oper an die Stelle der frühern großen Heldenoper. Kür Spa- 
nien, Belgien und England wären wol die Namen einiger Operncomponiften zu nennen, für 
die Seſchichte der Oper aber Haben diefelben kaum eine Bebeutung. Unter den Deutfchen bilde: 
Sen Danbdel und Baffe bie alte ital. Heldenoper in eigenthümlicher Weiſe weiter ; Hiller und Rau- 


Opera supererogationis Dperationen 405 


mann bereiteten durch ihre Bingfpiele das Verftändniß einer auch im Texte deutfchen Oper vor; 
Stud wandelte die ital. umd frang. Heldenoper in ein beutfches mufikalifches Drama um; Mo⸗ 
zart und Beethoven trugen die Errungenfchaften der großen claffifchen Periode unferer Inftru- 
mentalmufit auf die Oper über. Unter Mozart’ Nachahmern gewannen Winter und Weigl 
bie populärften Erfolge. K. M. von Weber begründete eine volksthümliche romantifche Oper 
in Deutfehland. Spohr, Marfchner, Kreuger u. X. bildeten diefe romantifche Schule nach ver» 
ſchiedenen Seiten aus. Meyerbeer ſchloß einen Pact der deutſchen Romantik mit der Richtung 
Moffini’s und Auber’d. Lachner fuchte das einfame Vorbild Beethoven’s in der Oper nachzu⸗ 
ahmen. Richard Wagner verkündete theoretiich und praktiſch die völlige Zertrümmerung des 
alten ardhiteftonifchen Schematismus in der Oper und die Herausbildung eines neuen muſika⸗ 
liſchen Dramas in freier Form, eine Wiederaufnahme der Beſtrebungen Gluck's in erhöhter 
Potenz. Für die deutfche Oper bichteten Weiße, Gotter, Bregner, Goethe, Kogebue, Schikane⸗ 
der, Kind, Rich. Wagner u. U. Über die meiften der Genamnten f. die betreffenden Artikel. 

ra supererogationis, d. i. überflüffige Werke, nennen bie Scholaftiter mit Beziehung 
auf Luc. 10, 35 (nad) der Vulgata) die Verdienfte Chrifti und der Heiligen, welche fie ſich da» 
durch erwarben, daß jener in und mit feiner Aufopferung mehr leiftete, ald zur Erlöfung des 
Menſchengeſchlechts nothwendig war, diefe aber nicht nur da6 von Gott Gebotene (praecepta), 
fondern auch das Gerathene (consilia) hienteben treu befolgten. Aus der durch die Bulle 
Unigenitus, die Clemens VI. 1343 erließ, beftätigten Anficht, daß jene Verbienfte gleich einem 
Schage der Kirche anheimfielen, entftand der Ablaß (f.d.), indem der Papft mit Dem, was 
Andere zu viel gethan, Denen, welche zu wenig geleiftet, aus zuhelfen vermöge. 

Operation nermt man im mebdicinifchen Sinne ein zum Behuf der Heilung oder Linderung 
von Krankheiten (bezichentlich Derunftaltungen) vorgenommenes mechanifches Ginfchreiten 
des Arztes am menſchlichen Körper mit bewaffneten oder unbewaffneten Händen. Es ift dem⸗ 
nach das einfache Frottiren mit den Händen ebenfo gut eine Operation als die Entfernung eie 
nes ganzen Gliedes mittel& der Amputation, und Operationen führt nicht nur ber Chirurg, 
fondern auch der Krankenmärter, die Hebamme, ber Geburtöhelfer und der Arzt aus. Die 
Operationen find untereinander in ihrem Werthe fo verfchieden, daß in civilifirten Staaten auf 
gefeglihem Wege einer jeden Claſſe ber Medicinalperfonen beftimmte Grenzen in Hinficht auf 
das Recht, Operationen auszuüben, geftedt find. Als Hauptabtheilungen ftellt man unblutige 
und blutige Operationen auf, von denen bie legtern fich durch die Trennung organifcher Theile 
charakteriſiren. Die Lehre von ben blutigen Operationen heißt Akiurgie (f. d.), bie von der un. 
blutigen nennt Schindler Ahaͤmaturgie. Vgl. Sprengel, „Geſchichte der Chirurgie oder der 
wichtigften Operationen” (2Bbde., Halle 1805— 29) ; Schreger, „Grundriß der chirurgiſchen 
Dperationen” (3. Aufl, Nümb. 1825); Bourgery, „Die Heinen chirurgiſchen Operationen” 
(deutfch, Berl. 1836); Günther, „Lehre von den blutigen Operationen” (2p5. 1853) ; Schind- 
ler, „Die Lehre von den unblutigen Operationen” (2pz. 1844); Dieffenbach, „Operative Chi⸗ 
rurgie” (2 Bde. Lpz. 1844—48). 

Dperationen nennt man diejenigen Mafregeln, welche eine Armee im Kriege ergreift, um 
ben allgemeinen Zwed zu erreichen, der bei dem unternommenen Feldzuge zu Grunde liegt. 
Hierher gehören zunächft bie Märfche und Stellungen der Armee und ſodann die unternommte- 
nen Belagerungen und Schlachten. Es gibt ftrategifche und taktiſche Operationen, je nach⸗ 
dem fie auf die Entfcheibung des Kriegs ober nur auf den augenblidlichen Waffenerfolg be» 
rechnet find. Der Dperationsplan, d. h. die allgemeine Anordnung der Unternehmungen, 
muß zwar ber Eröffnumg des Feldzugs vorangehen; jedoch beſtimmt er Das, was gefchehen 
fol, nur in allgemeinen Umtiffen, da fi) die Geſtaltung der Verhältniffe nicht vorausfehen 
läßt. Eine fehr ins Einzelne gehende Feftftellung des Dperationsplans kann nachtheilig wer- 
den, wenn fie den Feldheren zu fehr beſchränkt und ihm nicht erlaubt, feine Maßregeln den je- 
desmaligen Umftänden anzupaffen. Deshalb haben zu allen Zeiten diejenigen Heerführer die 
meiften Bortheile ertämpft, welche ſelbſt Regenten und mithin unabhängig waren. Das ganze 
Zerrain, in welches die Operation trifft, nennt man das Dperationsfeld. Der Punkt, von 
welchem eine Operation ausgeht, heißt Dperationsfubject; es wird gewöhnlich ein Hauptwaf 
fenplag, eine Feſtung oder fonft ein wichtiger Punkt, urfprünglich im eigenen Lande, fein. Der 
Punkt oder das Ziel (ed kann auch das feindliche Heer fein), welches dadurch erreicht werden 
fol, iſt das Dperatiousobjeet. Richtig gemählt wird baffelbe für die Entfcheidung des Kriegs 
von Wichtigkeit fein. Die allgemeine Richtung, welche nach diefem Ziele führt, heift Dxe- 
zationslinie. ES iſt die Berwegungslinie zur Bernichtung det Yenbed, wo Aher WARUE. 


406 Operette Oyfer 


dgene Berbindungslinie (Communication) nad dem Subject, aus welchem die Zufuhr aller 
Kriegbbedürfniffe, ber Erfag u. ſ. m. zu beziehen. Gefährlich iſt es, folglich fehlerhaft, nur eine 
Berbindimgslinie bei feinen Operationen zu haben: man nennt biefe bann ſchlecht bafırt. Dan 
aus geht die Rothwendigkeit mehrer Operationsſubjecte hervor, und die Linie, welche dieſelben 
verbindet, mögen fie in einer Richtung ober gruppenweiſe liegen, heißt bie Dperationsbafts. 
Bei langen Dperationslinien wird nach dem Kriegefchauplage im Vorrücken immer eine vent 
Bafis gebildet. So lag z. B. Napoleon’s Dperationsbafts im Sommer 1815 an der Elbe. Als 
Dperationslinien find in neuefter Zeit die Eifenbahnen wichtig geworden. (5. Militärftrafen.) 
Sie gewähren den Vortheil: 1) große Streitkräfte in kürzeſter Friſt an entſcheidenden Punkten 
zu vereinigen; 2) bei veränbertem Operationsplan bisponibel gewordene Truppen ſchnell an 
ihre neuen Beflimmungsorte zu verfegen ; 3) die gegenfeitige Verbindung getrennter Corps zu 
fichern und darum diefe weiter betachiren zu können, weil fie nicht allein rechtzeitig verflärkt, 
fondern auch ſchnell dem Feinde entzogen werben; 4) bie freiefte Verwendung ber Hetreöre- 
feeven ; 5) die Rachfuhr aller Kriegsbebürfnifie, wie ben Erfag aus ben rückwärts gelegenen 
Depöts und Waffenplägen zu erleichtern. Allerdings iſt es aber nothwendig, baf die als Dpe⸗ 
sationslinie gebrauchte Bahnſtrecke auch gegen feindliche Streifcorpe (wenn fie nicht blos aus 
Gavalerie beftehen) gefichert und der Punkt, wohin die Truppen beftimmt find, bereits von einer 
hinreichenden Abtheilung durch einen Marſch eingenommen und fchlagfertig befegt iſt, unter 
deren Schug die ankommenden Truppen ausfleigen und ſich formiren konnen. 
Operette, ſ. Oper. | 
Opfer waren die erſte Wirkung ber Anerkennung höherer Wefen und ein Haupttheil bes 
GBottesdienftes in allen Religionen des Alterthums. Die Vorftellung, daß Gott ſinnliche Be⸗ 
bürfniffe Habe, und die Lebensart der Opfernden beftimmten die Befchaffenheit der Gaben. Hir⸗ 
ten und Jäger brachten Thiere, Aderbauer Früchte und Brot; bie Ehrfurcht vor ber Gottheit 
gebot, ihr das Beſte, was ber Opfernde befaß, zu widmen. Daher wollte Abraham ſelbſt feinen 
Sohn und Ugamenmon feine Tochter Iphigenia opfern. Doch zeigte ſich in der glücklichen 
Wenbung, die diefe Opfer nicht zur Ausführung kommen ließ, ſchon früh die reinere Idee, daß 
Bott Fein Menſchenblut verlange und durch die fromme Gefinnung befriedigt werde. Die Ber- 
terungen des Naturdienftes erhielten gleichwol den graufamen Gebrauch der Menfchenopfer 
auch bei folchen Heidnifchen Völkern aufrecht, die der erfien Roheit entwachfen waren. Die Phoͤ⸗ 
nizier opferten ihrem Götzen Moloch Kinder, wie die german. Völker und die ältern Mexicaner 
und Peruaner. Während fo die Altäre der heibnifchen Welt Häufig vom Blute unfchulbiger 
Kinder und wehrlofer Gefangenen trieften, beftimmte Mofes in feinen Opfergefegen reine, ma- 
kelloſe Thiere und Früchte als Sinnbilder der Hingebung und Buße feines Volkes vor Jehovah. 
Die Opferhandlung wurde nun der Mittelpunkt des iſtael. Gottesdienſtes. Die iſrael. Opfer 
waren theild blutige, wenn Rinder, Ziegen, Schafe oder auch Tauben von ben Srieftern ge- 
Thlachtet und ganz oder zum Theil verbrannt wurden (Brandopfer), theild unblutige, wenn 
man Mehl, Kuchen, Salz, DI, Honig und Weihrauch (Speifeopfer) ober Wein, der um den 
Altar her gegoffen wurde (Trankopfer), darbrachte. In Rüdficht ihres Sinns und Zwecks 
waren dieſe Opfer entweder Dank⸗ und Freudenopfer, die in Rind⸗ und Kleinvieh beſtanden 
und gewöhnlich mit Speiſeopfern begleitet waren, oder Suͤhn ˖ und Schulbopfer, zu denen nur 
Thiere gebraucht wurben. Bei den legtern pflegten bie Priefter die Darbringenben, zum Zeichen 
ihrer Berföhnung mit Jehovah, mit dem Blute ber gefchlachteten Thiere zu befprengen, und 
wenn e& einer allgemeinen Buße und Entfündigung des ganzen Volkes galt, das Opferthier zu 
verbrennen, Dagegen wenn es nur Privatperfonen anging, das Fleiſch felbft zu genießen. Denn 
bie Opfer an Thieren und Erftlingen der Früchte, die an gewiſſen Feſten und bei wichtigen $a- 
milienbegebenheiten oder zur Entfündigung Einzelner dargebracht merden mußten, gehörten zu 
ben Maturaleinfünften ber Priefter, die nur den ungenießbaren Theil derfelben verbrannten. 
Diefen Vortheil verfchafften ſich auch die heidnifchen Priefter, die, wenngleich bei Juden und 
Heiben nur die Priefter opfern durften, an ihren Opfermahlzeiten die Geber Theil nehmen lie 
en. Im tom. Reiche machte Theodoſius 392 dem heibnifchen Eultus, alfo auch bem Opfer- 
bienfte ein Ende. Die Hekatomben (f. d.) der Griechen und Römer waren Brandopfer, ihre 
Übationen (f. d.) Trankopfer, Speifeopfer die Gaben, bie fie in den Myſterien darbradhten. 
Die bereits von ben Propheten bes Alten Bundes erkannte Wahrheit, baf ber Menfch der Bott. 
heit nichts anbieten Bönne, was nicht ſchon an und für ſich ihr Eigenthum und ihre Babe fei, 
madte das Chriſtenthum baburdy geltend, daß es den heidniſchen und jüd. Opferbienft gänzlich 
abfcpaffte und ben Tod Jeſu als bie ein für allemal und Immer gültige Genugehuung für die 





Ophieleyde | Dpig a 
i 


Eãnden der Menſchen und als bie legte Erfüllung der alten Opferidee darſtellte. Ganz Meß 
ſedoch die Vorſtellung, daß man Gott auch finnliche Baben ſchuldig fei, bei den zum Chri 
thume bekehrten Völkern nicht ausrotten, da ber Drang des Gefühls Symbole jener 

foberte und anderntheils das Bebürfniß ber Armen in der Gemeinde und Kirche zur Unterhaf- 
tung bes Cultus und der Geiſtlichkeit gewiſſe gleichfam Gett geweihte Abgaben immer noth- 
wenbig machte. Als ſolche find die Oblationen (f. Oblaten) oder bie freiwilligen Geſchenke an 
Brot und andern Lebensmitteln, weldye bie erſten Chriſten darbrachten, zu betrachten. Sie wur- 
den, auch da die Leiſtung des Zehnten an bie Geiſtlichen eingeführt war, beibehalten und meiſt in 
Geld verwandelt. In geſchichtlichem Zuſammenhange ftehen hiermit, ohne jedoch gotteöbienft- 
liche Handlungen zu fein, bie Opfer, welche nach einem noch gegertwärtig bei faft allen chrifil- 
chen Religionsparteien beſtehenden Gebrauche zu gewiflen Zeiten für die Geiftlichen auf den 
Altar gelegt werden, Dpferpfennig genannt. Dagegen wirb eine Haupthandlung bes Cultus 
tn ber Bath. Kirche, die Meffe, noch jegt das unblutige Opfer genamm, weil nach dem Lehrbe⸗ 
griffe diefer Kirche der Meßpriefter durch Weihung bes Brots und Meins ben Leib und das 
Blut Chriſti im Sinne der jüd. Sühnopfer gleichfam aufs neue opfert (Meßopfer). Bei ben 
Heiden findet ber Gebrauch gotteöbienfllicher Opfer noch gegenwärtig flaft;, der Chinefe weißt 
feinen Göttern Früchte, der Karaibe Zabad, der Neger in Weſtindien Bronntwein, und bei 
den wilden Infelbewohnern zeigen fi) immer noch Spuren von Denfchenopern. | 

Ophieleyde, ein in neuefter Zeit erfundenes ganz aus Mefling gebautes Beginftrument 
von aufgezeichnet guter Wirkung bei Militaͤrmuſik. Es vertritt die Stelle des Comrcafagotts 
und bes Serpents, bietet jedoch vielmehr Vortheile bar al& jene. Der Ton der Ophicleyde iſt 
£raftvoll und ſtark, ftärker noch als der ber Bafpofaune, aber dumpfer unb nicht fo ſchmetternd. 
Ihr Umfang erfiredt fi vom Contra-B biß 8, jeboch im Maßſtabe von 32 $., demnach eine 
Dctave tiefer. Eine Anweifung, diefes Inftrument zu fpielen, findet fi in Nemeg’ „Allge⸗ 
meiner Muſikſchule für Militärmufit” (Wien 1840). 

Ophir wird mehrmals im Alten Teftamente eine Gegend genannt, aus welcher unter Au⸗ 
derm Salomo auf Schiffen, die in den ebomitifchen Häfen ausgerüſtet wurden und brei Jahre 
auf der Reife waren, Gold nebft Edelfteinen, Sandelholz u. f. w. bezog. Das ophiritifche Golb 
galt bei den Hebräern für das reinfte umd gediegenfte. Über die Lage diefes D. find die verſchie⸗ 
denſten Anfichten aufgeftellt worden. Während ed Einige in Sofala an ber Oftküfle Afrikas 
wiederfinden, fuchen es Andere in Arabien oder in Indien. Die meifte Wahrfcheinlichkeit Dürfte 
Die legtere Anſicht behalten, wenn auch gegen das Ergebniß von Lafſen's Unterfuchung („Inbi» 
ſche Alterthumskunde“, Bd. 1, Bonn 1844), welcher das Volk der Abhira an ben Küften ber 
Andusländer mit Ophir combinirt, fi noch Manches einwenben läßt. 

Dpbiten oder Dphiauer, d. i. Schlangenbrüder, nannte man eine im 2. Jahrh. hervortre- 
tende und im 6. Jahrh. verfchwindende gnoflifche Partei. (S. Gnoſis.) Nach ihrer Geiſterge⸗ 
nealogie, die zum Theil der, des Valentinus ähnlich war, ſtellte ſich das göttliche Selbſtbewußt · 
fein, die Ennoia, in zwei Aonen dar, welche der erſte und der zweite Menſch genannt wurden; 
aus ber Vereinigung beider entftand der Geiſt oder die Mutter des Lebens und bildete mit jer 
nen gel bie ophitifche Trias. Das Überſtrömen der göttlichen Kraft in das Chaos veranlaßte 
der Yon Achamoth oder Sophia und konnte diefe wegen dee Gegenwirkung des entarteten Welt⸗ 
Ihöpfers und Judengottes Jaldabaoth, fowie des von diefem erzeugten wirklich böfen Geiſtes 
Ophiomorphos, der das Heidenthum tepräfentirte, nicht wieder zurüdführen. Indeß biente 
der böfe Geiſt infofern dem Zwecke ber Sophia, al6 er unter der Hülle einer Schlange die Men⸗ 
ſchen verleitete, das milltürliche Gefeg Jaidabaoth's zu übertreten. Endlich erſchien der vom 
der Materie nicht berührte Kon Chriftus und verband fi) mit dem Menſchen Jeſus, um vom 
Judenthum und Heidenthum zu erlöfen. Übrigens war der Schlangendienft viel älter als biefe 
Sekte, und es wurde die Schlange von mehren Völkern des Alterthums aldböfes, von den Phö- 
niziern als gutes Princip verehrt. 

Ophthalmiatrik (vom griech. ophthalmos: Auge) bezeichnet fo viel wie Augenheilkunde. 

bnfiche Bildungen find Dphthalmie, Augenkrankheit, Augenübel, bei ben Alten befonders 

vom Augentriefen, gegenwärtig meift von ber äußern Yugenentzündung gebraudt ; Ophthal ˖ 
miten, Steine, welche das Anſehen eines Auges haben, wie manche Arten des. Achat und Chal⸗ 
cedon; Dpbthalmologie, Lehre von den Augen ; Dphthalmotherapie, Lehre von ber Behand» 
dung der Augenkrankheiten u. f. w. 

Dpiat, |. Opium. 0 

Dpig (Martin), der Begründer der Schiefifchen Dishterfchule, wurde 25. Der. 1SCT sn 










Vunzlau en geboren, wo ſein Vater Bürger und ſpäter auch Rathsherr war. Auf 
en —* und den Gymnaſien zu Breslau und Beuthen a. d. D. in die claffifchen 
Studien eingefühzt, gab er ſchon 1616 eine Fleine Sammlung lat. Epigramme über Segen 
der Literatur, „Stronse”, und fpäter den „Aristarchus” heraus, worin er feine Begel- 
flerung für die Sache ber deutſchen Sprache und Riteratur bethätigte. Im I. 1618 bezog er 
Die Univerfität zu Frankfurt a.d.O. Im J. 1619 war er in Heibelberg, 1620 in Strasburg, 
werauf er, um ben Kriegsftürmen aus zuweichen, zu Ende 1620 mit feinem Freunde Hamilten, 
einem Dänen, nach den Nieberlanden ging. Scriver, Voſſius und Dan. Heinfius wirkten is 
Seyben günftig auf feine geehrte Bildung. Im 3. 1621 lebte er im Holfleinifchen. Hierauf 
fehrte er in fein Vaterland zurüd und kam an den Hof des Herzogs von Liegnig, folgte aber 
4622 einem Ruf Berhien Gabor’s, Fürften von Siebenbürgen, als Lehrer ber Philofophie und ber 
Sumaniora nad) Weißenburg. Hier lebte er in der Gunſt bes Fürflen und in äußerm Glanze; 
allein bie Uncultivietheit des Landes weckte in ihm die Sehnfucht nach der Heimat, und fehr bald 
wurbe er an den Hof ax Ziegnig zurüdberufen. Im I. 1624 ließ Zinkgref die erſte Ausgabe 
ber „Gedichte“ D.’s eriheinen, worauf biefer bald nachher felbft eine Ausgabe veranflaltete. 
Dafür, daß D. auf Befehl bes Herzogs die Sonn- und Fefttagsepifteln in Verſe gebracht Hatte, 
ernannte ihn diefer gleichzeitig zu feinem Rathe. Auch erfchien 1624 fein bis 1668 in zehn 
en wieserholte® Buch „Bon ber deutfchen Poeterei”, womit er den Grund zu einer deut 
—— — Metrik legte. Um dieſelbe Zeit wurde O. in die Fruchtbringende Geſellſchaft 
unter dern Namen bes Gekrönten aufgenommen. Im J. 1625 ging er nach Wien und empfahl 
ſcch hier durch ein Trauergebicht auf ben Tod des Erzherzogs Karl dem Kaifer Berbinand IL, 
aus deſſen Händen er den poetifchen Lorberfrang empfing. Im I. 1626 lebte er wieder zu 
Breslau, Brieg und Liegnig, trat dann als Setretär in die Dienfte bes fireng kath. und kaiſerl. 
Burggrafen Karl Hannibal zu Bohne, in defien Angelegenheiten er mit mehren fremden Hõ⸗ 
fen unterhanbelte, und wurde 1629 vom Kaifer Ferdinand IL. unter dem Ramen Martin Dyig 
son Boberfelb in den Adelftand erhoben. Im J. 1630 lernte er auf einer Reife nach Paris 
Hugo Grotius kennen. Nach bem Tode bes Burggrafen von Dohna 1633 ging er abermals 
an die Höfe von Liegnig und Brieg. Sept gab er fein Lehrgebicht „Befub” und das fchon 1621 
in Holſtein gefchriebene „Zroftgedicht in Widerwärtigkeit des Kriegs”, feine befte Dichtumg, 
beraus. Im J. 1634 folgte er dem Herzoge Johann Ehriftian von Brieg nach Thorn und lebte 
darauf zu Danzig feinen Studien. Das Singfpiel „Judith“ und die überfegung der „Antigone” 
des Sophokles waren die Früchte biefer Muße. Auch gab er 1637 die Sanımlung feiner geift- 
lichen Poefien heraus und vollendete dann feine Pfalmenüberfegung. Als der König von Polen, 
Wladiſlaw IV., ben D. bereits früher mit einem Lobgedichte begrüßt hatte, 1638 nach) Danzig 
kam, nahm er Letztern ald Secretär und Hiftoriographen in feine Dienfte. So hatte er die Blüte 
der männlichen Jahre und feines Ruhms erreicht, als er in Danzig 20. Aug. 1639 ein Opfer 
der Peft wurde. D. brachte die in Beratung verfuntene deutſche Dichtung auch äußerlich wieder 
zu Ehren und wurde von feinen Zeitgenoffen gefeiert wie felten ein Dichter. Er erwarb ſich be- 
ſonders bleibende Verdienfte um die Form der deutſchen Dichtkunſt. Dadurch, daß er, obgleich 
Proteftant, ſich doch ber kath. Partei näherte, verfchaffte er der von Luther begründeten neu⸗ 
hochdeutſchen Sprachniederfegung bie Anerkennung durch ganz Deutfchland, welche fie bis 
dahin faft nur in den proteft. Gegenden gefunden hatte. Ferner drang er auf Reinheit und 
Richtigkeit ber Sprache und führte zuerft wieder die Meffung der Silben ſtatt der feit vollen 
zwei Jahrhunderten herrfchenden Zählung derfelben ein. Der Inhalt feiner Dichtungen ifl 
durchaus ber einer verftändigen Reflexion mit nur fehr geringen Beimifchungen von Phantafie 
und Gefühl, obgleich entfchieden fittlich-Tchrhafter Richtung, und es kann deswegen auch jegt den 
meiften derfelben nur ein fehr geringer Afthetifcher Werth beigelegt werden. Aber eine folche 
Natur eben war erfoberlih, um die deutſche Dichtkunſt aus ihrem tiefen Verfall zu erheben. 
Zugleich bewies fih D. ald Mann von ausgebreiteter und gründlichee Gelehrfamteit, bie er je 
doch auch ald Dichter zu viel Hervortreten ließ. Unter den Ausgaben feiner Werke erfchien die 
volftändigfte zu Breslau (3 Bde, 1690; neu aufgelegt, Fkf. und Lpz. 1724), die zierlichfte zu 
Amfterdam (3 Bde., 1646). Den meiften kritifchen Werth hat die von Bodmer und Breitin- 
ger beforgte Ausgabe (Zür. 1745), von der aber nur der erfte Theil, meift Lobgebichte enthal⸗ 
tend, erſchienen ift. Eine gute Auswahl aus feinen Gedichten enthält Wild. Müller’s „Bi⸗ 
bliothek deutfcher Dichter des 17. Jahrh.“ (Bd. 1, 2pz. 1822). Vgl. Gullmann, „Über die 
Ausgaben der Geſammtwerke von O.“ (Ratibor 1850). 
Dpium (meconium oder laudanum), eines ber flärkften Arzneimittel, wird aus dem Mohn 


8 * Opium 
der 


Dpodeldo« 408 


(f. d.) auf verſchiedene Art gewonnen. Entweder werden hierzu bie noch unreifen Mohnköpfe 
nur angerigt, worauf ein milchiger Saft hervorquillt, ben man an der Luft eintrodnen läßt, 
fammelt und dann in geößern Maffen zufammenfnetet, oder man preft und kocht biefe Mohn- 
köpfe mit Waſſer aus und läßt die Flüſſigkeit dann eindiden. Die auf erflerm Wege gewon» 
nene Sorte iſt die vorzüglichere. In den Handel kommt das Opium in Geftalt Heiner, undurch⸗ 
fihtiger, rothbrauner, harter Kuchen von —2 Pf. Schwere und bitterm, ſcharfem Befchmad 
und widerlihem Geruch. Um das Zufanımenbaden diefer Kuchen zu verhindern, beftreut man 
fie mit den Heinen dreitantigen Samen einer Ampferart ; indeffen findet man auch häufig efne 
Menge folder Körner abfihtlich in die Maffe bes Dpiums felbft eingefnetet. Je nach den Or⸗ 
ten, wo es erzeugt wird, hat man orientalifches (Thebaisum, Orientale, Levanticum oder Tur- 
cicum), indifches und inländifches Opium, von denen das erftere ziemlich allgemein als das 
befte anerkannt iſt. Die Güte des Opiums richtet fih nach feinem Gehalt an Morphin (f. d.) 
ober Morphium. Der neuern Chemie und befonders den Forſchungen van Derosne, Sertürner, 
Delletier, Mer, Anderfon u. A. ift es gelungen, die einzelnen Beftandtheile bes Opiums gefon- 
dert darzuftellen, unter benen fich eben das Morphium als Träger der meiſten dem Opium zu⸗ 
kommenden arzneilichen Eigenſchaften zeigte. Von ben übrigen Beflandtheien des Opiums 
find zu erwähnen das Codein, das Narkotin (Opian) und da6 Papaverin. Nach Hufeland’s 
Ausſpruche zu den drei Heroen unter den Arzneimitteln und nach ben Wirkungen, die es her» 
vorbringt, zu den narkotifchen Mitteln (f. Rarkotica) gehörig, beruhigt das Opium das Ner- 
venſyſtem, während es den Kreislauf des Blutes beſchleunigt. In Heinern Gaben ſchmerzſtil⸗ 
end und ein regeres Xeben mit darauf folgender unangenehmer Ermattung beroorbringend, 
unterbrüdt es in größern Baben das Nervenleben gänzlich und fleigert die Bluterregung bie 
zur Apoplerie (Schlagfluß). Außerdem vermindert es alle Abfonderungen, ausgenommen bie 
der Haut. Jedoch gewöhnt fich der Organismus bald an das Opium, ſodaß es in immer grö- 
fern Baben vertragen wird, mobel fich aber nach und nach eine höchſt nachtheilige Wirkung auf 
die Berdauungsorgane bemerkbar macht. Die erfterwähnten Eigenfchaften diefes Stoffs 
haben auch den bei mehren oriental. Völkern einheimifchen Gebrauch des Dpiumeſſens und 
Opiumrandens herbeigeführt, defien beraufchende Folgen äußerſt nachtheilig find. Die Attri- 
bute des Morpheus und der Nacht in ber alten Mythologie bezeugen binlänglich, daß die Alten 
mit den einfchläfernden Eigenfchaften des Mohns befannt waren; boch wurde das Opium felbft 
nut wenig von den ältern griech. Ärzten gebraucht und nur erſt Durch die Araber, namentlich 
aber durch Yaracelfus und Sylvius zu hohem Anfehen in der Heilkunde gebracht. — Dpiate 
nennt man die zufammengefegten Arzneimittel, in denen das Opium einen Hauptbeftanbtheil 
bildet. In der ältern Medicin waren folche Zufammenfegungen, durch die man gemwiffe Neben- 
wirfungen bes Opiums zu verbeffern oder feiner Hauptwirkung eine beftimmte Richtung zu 
geben fuchte, fehr beliebt. Dahin gehören die Theriats, Mithridate, Orvietans u. ſ. m. und von 
den noch jegt gebräuchlichen das Laudanum, das Elixir paregoricum, das Dover’fche Pulver, 
die Blackdrops der Engländer. Neuerdings hat die Zerlegung das Opium in feine chemifchen 
Beftandtheile, insbeſondere bie Entbeckung und arzneiliche Benugung des Morphium und feiner 
Salze jene alten Sompofitionen großentheils überflüffig gemacht. — Gegen Dpiumpergiftung, 
welche ſich durch heftige Unruhe, Erbrechen, Zudungen, Bewußtlofigkeit, kalten Schweiß, 
Schlaffucht und gänzliche Unempfindlichkeit äußert umd zulegt durch Schlagfluß tödter, ift nach 
vorausgeſchicktem Brechmittel reichlicher Genuß ſtarken Kaffees oder guten Rheinweins, auch 
vegetabilifher Säuren, namentlich Gerbfäuren, mit Kampher vorzüglich wirkſam. Vgl. Sachs, 
„Das Opium” (Konigsb. 1836); Hirzel, „Das Opium” (2pz. 1851). 

Dpodeldoe nennt man eine nur zum äußerlichen Bebrauche beftimmte arzneiliche Mi- 
fung, welche vor noch nicht gar zu Tanger Zeit ein Geheimmittel war und als ſolches aus Eng⸗ 
land nach Deutfchland kam. Der Opodeldoc ift eine Art von Kampherfeifenliniment, von ber 
Eigenthümlichkeit, daß er erfaltet gallertartig exfcheint, aber in der Handwärme ſchmilzt. Er 
ift Halbdurchfichtig, von gelblichweißer Karbe und angenehmem Geruch und muß in wohlver⸗ 
ſchloſſenen Glaͤſern aufbewahrt werden. Das Einreiben von Opodeldoc in die Haut leiftet in 
vielen Fällen, wo die Erregung eines flüchtigen Hautreizes von Nugen fein kann, gute Dienfte, 
fo namentlich bei manchen Rheumatismen, gichtifchen und rein nervöfen Schmerzen, Quet⸗ 
Ihungen, Lähmungszuftänden, Froftbeulen u.f.w. Es wird aber freilich oft auch gemis⸗ 
braucht. Manche neuere Yharmakopsen ftellen einen flüffigen (nicht fulgigen) Opobeldoc dar, 
weiher gleich dem echten aus Salmiakgeiſt, Seife, Kampher und ätherifchen Dien (4. B. vom 
Ihymian) beficht, aber keine befondern Vorzüge bat. 


410 Dporin DOpoffum 


rin ( Joh.), eigentlich Herbſt, einer bergelehrteften und verbienteften ältern Buchdrucker, 
geb. 35. Ian. 1507 zu Baſel, wurde, nachdem er zu Strasburg ſtudirt hatte, Profeſſor der 
griech. Sprache in feiner Vaterſtadt, gab aber biefe Stelle bald wieder auf underrichtete daſelbſt 
eine Druckerei, ber er bis an feinen Tod, 6. Zuli 1568, mit großer Einfiht und Sorgfalt vor 
fland. Aus feiner Officin, die man an bem auf einem Delphin reitenden Arion erkennt, ging 
eine Reihe der correrteften Drude alter Claſſiker und wiſſenſchaftlicher Werke hervor, für berem 
würdige Ausflattung er felbft in Verbindung mit mehren gelehrten Freunden forgte. 

Oporto oder Porto, nach Liſſabon die größte und bedeutendſte Stadt Portugals, in der 
Provinz Entre Minho e Duero, der Sig eines Biſchofs, in einem engen fruchtbaren Thale zwi⸗ 
fihen hohen Bergen, an beiden Seiten des Duero, eine halbe Stunde von deſſen Mündung im 
den Atlantifchen Ocean gelegen, hat gegen 65000 und mit den Vorflädten, wie Gaya und Vil⸗ 
lanova am füblichen Ufer, 80000 E., viele Plaͤtze, 90 Kirchen, eine Münze, ein Zeughaus, ein 
Muſeum, eine Schiffahres - und mehre Gelehrtenichulen, eine Bibliothet mit 65000 Bänben, 
viele Hospitäler und andere wohlthätige Anſtalten. Obgleich bie Stabt ſchön gebaut iſt, befigt 
fie doch nur wenig ausgezeichnete öffentliche Gebäude. In den trefflichen, burch ein Fort ber 
fhügten Bafen laufen jährlich an 1200 Schiffe ein. Den Handel mit Portwein, der, obwol in 
neueſter Zeit fepe gefunken, ber Stadt boch noch immer ihre commmercielle Wichtigkeit verleiht, 
betreibt vorzuglich die privilehirte Handelögefellfchaft vom obern Duero, die auch an 30 Brannt- 
weinbrenpereien unterhält und jährlich über 100000 Ohm Bein (f. Portwein) und Brannt⸗ 
wein verfenbet. Unter der Maffe großer Handelshäufer gibt es viele britifche und deutſche. Auch 
die Fabriken in Seide, Kattun, Tabad u. f. w. find nicht ganz unbedeutend. Geſchmackvolle 
Landhäufer (Quintas) verfhönern die Umgebungen ber Stadt. Im Alterthume lag bier ber 
— Portus Cale, fpäter Porto Cale, von welchem ber Name Portugal herkommen fol. 

neuerer Zeit wurde D. merkwürdig durch den Ausbruch der Revolution vom 24. Aug. 1820; 
dann unter Dom Miguel's Ufurpation durch das Blutgericht gegen die Anhänger ber Königin 
Donna Maria, zu welcher Zeit die Stadt durch Auswanderung über 10000 ihrer Bewohner 
verlor; ferner in ben 3. 1832 und 1835 durch ihre Vertheidigung gegen Dom Miguel und als 
Stüg- und Mittelpunkt der Operationen Dom Pedro's gegen jenen. Endlich erhoben fich gu 
D. die Aufftände von 1842 und vom 8. März 1846, wo fich bier 12. Det. eine proviforifche 
Regentfchaft, wie 1847 eine Revolutionsjumta bildete, die bis zur Gapitulation der Stadt 27. 
Suni befland. Ein abermaliger Abfall der Stadt von der Regierung fand zu Bunften Sal. 
danha's 24. April 1851 ftatt. — Der Diſtrict Dporto zählte 1850 auf 51 ,AM.299640 €. ; 
er ift der volfreichfte in ganz Portugal. ” 

Dpofjum oder Bierauge nennt man eine zur Gattung Beutelratte (Didelphys) gehörende 
Art, welche im Syſtem ben Namen virginifche Beutelratte (D. Virginiana) führt. Diefe zu den 
fleifchfreffenden Beutelthieren (ſ. d.) gehörende und nur in Amerika vortommende Säugethier« 
gattung, welche durch manche abweichende Einrichtung die Aufmerkſamkeit der Korfcher von 
jeher auf ſich gezogen hat, unterfcheibet fich von ben Verwandten durch die mit nagellofem, ab» 
gefegtem Daumen verfehenen Hinterfüße und den langen, nur am Grunde bebaarten, übrigens 
nadten und mit Schuppenringen befegten Schwanz. Der Körperbau ift geſtreckt, der Kopf lang 
und zugefpigt und die Zahl ber Zähne fehr bedeutend, indem ihre Geſammtzahl 50 beträgt. Die 
Buße find kurz, mit flarfen krummen Krallen bewehrt und die Augen mit einer Rihaut verfe- 
ben. Das fchon im 16. Jahrh. entdeckte, von Merico bis Pennfylvanien verbreitete Opoffum 
iſt bie größte Art diefer Gattung, 18 Zoll lang, ohne den 11 Zoll langen Schwanz. Der werth- 
Iofe Pelz, der immer wie abgerieben außfieht, ift ſchmutzig-⸗weiß, hier mehr ins Belbliche, dort 
ins Gräuliche und an den Füßen und Augen, über welchen letztern ein weißlicher Fleck fteht, in 
rußiges Braun übergehend. Die großen, bünnhäutigen, fchmärzlichen Ohren, ber unbehaarte, 
widerlich bleich-fleifchfarbene Wickelſchwanz, die vorftehenden Augen und die eigenthümliche, 
ftarke, wibrige Ausdünſtung machen dad Opoſſum zu einem widerlihen und überall gehaßten 
Thiere. Es verfchläft den Tag in hohlen Bäumen und geht des Nachts auf die Jagd nad) Vö⸗ 
geln, Heinen Säugethieren, Reptilien und Infekten, dringt aber auch in die Hühnerftälle, wo es 
Alles tödtet, was es erreichen ann. Um bei Verfolgungen fich zu retten, rollt es fich in einen 
Knäuel zufammen und behauptet, wenn es aufgefunden wird, hartnädig den Schein des Todes, 
fodaß es alle Stöße und Verwundungen erträgt, ohne durch einen Laut oder Zuden Leben zu 
verrathen. Die 12-—16 Jungen, welche ſehr unvollkommen, als Heine, formloſe, nur 10 Gran 
wiegende Klumpen geboren werden, hängen fich in der Beuteltafche an die Zigen der Mutter, 
200 fie ſich feftfaugen und in etwa 50 Tagen die nöthige Ausbildung erlangen. Aber auch nad» 


Oppelu Dppofition 41 


ber fuchen die Jungen gelegentlich noch Schug in der Beuteltafche der Mutter, welche die Taſche 
ganz eng und feſt ſchließen und dann durch Feine Marter dahin gebracht werben kann, fie zu öffe 
nen. Das Fleiſch ift zwar weiß, zart und fett, befigt aber jenen eigenthümlichen widrigen Ge⸗ 
ruch und wird daher nur von Negern gegefien. Eine zweite Art diefer Gattung, die furinamt- 
fe Beutelratte (D. dorsigera), iſt ebenfalls ſchon lange bekannt und befonders dadurch 
merkwürdig, daß fie die Jungen auf dem Rüden herumträgt und ihnen dabei ben Schwanz zum 
Anhalt darbietet, weil fie ftatt einer Beuteltafche nur eine flache Hautfalte hat. Sie iftgrangelb, 
an Stirn und Wangen weiß, etwa 8 Zoll lang, ohne den 7 Zoll langen Schwanz, und lebt in 
Surinam, Guiana und dem nordöftlichen Braſilien. 

Dppeln, die Hauptftadt des gleichnamigen Regierungsbezirk in der preuß. Provinz 
Schleſien, am rechten Ufer der Oder und an der oberfchlefifchen Eifenbahn, hat 8500 E., vier 
kath. und eine enangel. Kirche, eine Synagoge, ein altes großes Schloß, vier offene und ein feit 
Einbringung der Leiche bes Herzogs Nikolaus 1497 vermauertes Thar. Sie ift feit 1816, wo 
bier eine befondere königl. Regierung für Dberfchlefien errichtet wurde, durch neue Gebäude, 
unter denen fich dad NRegierungsgebäube auszeichnet, und freumdliche Barten- und Parkanlagen, 
namentlich in der Groſchowitzer Vorftadt und auf der Strominfel Pafchete, fehr verfchönert. 
Das Rathaus mit Theaterfaal ift ein fehr anfehnliches Gebäude. Dafelbft nefichen ein aus 
dem 1801 aufgehobenen Jefuitencollegium entftandenes kath. Gymnaſium, ein Fanigl. Hebam⸗ 
meninflitut, in welchem der Unterricht deutfch und polnifch ertheilt wird, und drei Hospitäler. 
Die Bewohner treiben Speditionshandel mit Wein, Vieh und Bergmerksprobucten und fa- 
briciren Band⸗, Leinwand-, Leder⸗ und Töpferwaaren. Einft die Hauptftadt des unmittelba- 
ven Fürftenthums Oppeln (137 AM. und 300000 E.) und feit 1200 die Refidenz der ober- 
ſchleſ. Dergoge aus dem Stamme ber Piaften, die 1552 ausftarben, worauf der Kaifer das Her⸗ 
zogthum einzog, war D. ſchon 1024 ein beträchtlicher, in der Landesgeſchichte, namentlich im 
Dreißigjährigen und Siebenjährigen Kriege oft genannter Ort. Die995 von dem Biſchof Adal- 
bert von Prag bier erbaute Kirche wird für die erfte chriftliche Kirche in Oberfchlefien gehalten. 
In der Nähe liegen die Etahl- und Eifenwaarenfabrit Königshuld, die großen Gifenhütten 
und Gießereien zu Malapane mit ſchönen Anlagen und eine Fayence- und Steingutfabrit in 
Proskan, auch eine landwirthſchaftliche Kehranftalt. Der Regterungsbezirt Oppeln zerfällt 
in 16 Kreife und zähle auf 243 AM. ungefähr I Mill. Seelen. 

Dppenheim, eine Stabt in ber großherzoglich heff. Provinz Rheinheſſen, zur Pfalz gehörig, 
am Rhein, auf einem ſteilen Abhange, hat 2600 E., bedeutenden Weinbau und anfehnliche 
Schiffahrt. D. liegt an der Stelle des Römercaftelld Bauconia. Im Dreißigfährigen Kriege - 
wurde es durch Guſtav Adolf und 1689 durch Melac faft ganz zerftört. Noch jegt liegt die 
ſchöne Katharinenkirche, ein Denkmal deutfcher Baukunſt aus den 3. 1264— 1317, im Klei- 
nen ein Rachbild des kölner Doms, zum Theil in Trümmern. Bemerkenswerth find dafelbft 
die Schwedenfäule und in der Nahe die Ruinen der Burg Lands kron, das romantifche, feines 
Weinbaus wegen berühmte Nierftein, Laubenheim und Bodenheim. 

Dppiannd, ein griech. Lehrdichter gegen Ende des 2. Jahrh. n. Chr, aus Anazarba in 
Cificien, wird für ben Verfaffer zweier noch vorhandener Gedichte gehalten, „Kynegetita” ober 
über die Jagd, und „Halieutika“ oder über ben Fifchfang, die eine forgfältige Nachahmung äl⸗ 
terer Mufter verrathen und einzelne wahrhaft dichterifche Schilderungen darbieten. Die neuere 
Kritik Hat fich jedoch für zwei verſchiedene Dichter deffelben Namens entfchieden und fchreibt nur 
die „Halieutifa” dem genannten Gilicier, die „Kynegetika“ aber einem weit füngern D., aus 
Apamen in Syrien, zu. Die beften kritiſchen Ausgaben beforgten 3. G. Schneider (Strasb. 
1776; gänzlich umgearbeitet, &pz. 1813) und Lehre (Par. 1846). 

Dppofition, d. i. Gegenſatz, Widerſpruch, Widerftand, wird befonders von den flaatli- 
hen Gegenfägen gebraucht und bezeichnet dann bie im Volke namentlich durch die Preffe oder, 
wo es folche gibt, durch die Stimme der Volksvertreter ſich kundgebenden, ber Regierung oder 
deren jeweiligen Trägern wiberftrebenden Anfichten oder Richtungen. Stellung und Bedeutung 
„der Oppofition ift natürlich eine wefentlich andere im abfoluten und im conftitutionellen Staate. 
Dort wo die Regierung fich als die allein berechtigte Xrägerin, Verkünderin und Vollzieherin 
des Staatd- und Volksintereſſes, das Wolf dagegen ald unfähig zur Würbigung diefes Interef« 
fe& und folglich auch der Megierungshandlungen betrachtet, wird entweder jede Oppofition 
en für — erklärt und vorkommendenfalls —* — geahndet, oder nr 

ern man eine folche buldet, Halt man fich doch keineswegs für verpflichtet, ihr irgend einen mof- 
gebenden Einfluß auf die Entfchliefungen ber Regierangen — —öRRRR 


413 -  Dppofition 


gewöhnlich felbft den Schein zu vermeiden, als thue oder ‚unterlaffe man etwas, weil bie Dppe⸗ 
fition es gewünfcht hat, ftellt auch an legtere das ausdrückliche Verlangen, daß fie „beicheiden 
und wohlmeinenb” verfahre, d. h. den Kreis politifcher Anſchauung, in welchem die Regierung 
ſich abſchließt, nirgends überfcgreite, höchſtens innerhalb deffelben vom Standpunkte ber Regie⸗ 
zung felbft aus auf dieſe oder jene mögliche nnd wünfchenswerthe Verbefferung unmaßgeb 
aufmerkfam mache. Überfchreitungen dieſes Maßes der Oppofition weiß man denn mol auch bus 
polizeiliche Mafregeln, namentlich die Genfur, zu verhindern. Aus einer ſolchen Stellung en 
fpringt freilich ein doppelter Nachtheil für das Gemeinweſen: die Regierung wirb nicht ordent⸗ 
üch aufgeflärt über die wahren Interefien des Staats und Volkes, verblendet fich oft ſelbſt 
durch den Glauben an die eigene Unfehlbarkeit und fällt daher leicht in politifche Irrtümer im 
Innern wie nach außen. Andererfeits nimmt bie Oppofition, bie bei einem nur einigermaßen 
gereiften und denkenden Volke nicht ausbleiben kann, ımter folchen Verhältnifien, wo ihr 
nicht nur bie praktifche Erprobung ihrer Anſichten, fandern felbft deren freie Discuffion abge» 
ſchnitten ift, Teiche einen verbiffenen, verbitterten, feindfeligen, gehäffigen, nicht mehr die Sache 
von der Perſon, das wirklich Ungerechtfertigte von bemnach ben gegebenen Umftänden wol zu 
Rechtfertigenben, vielleicht gar Unvermeidlichen unterſcheidenden, ober zum Wenigſten einen un 
peaktifchen, iveoisgifchen Charakter an. Weil ihr bier auch die befcheibenften und handgreiflich 
begründetften Foderungen verfagt werben, verliert ſich jeber Maßſtab des Foderns und verirrt 
fi auch zu den ausfchweifendften und unerfüllbarften Wünſchen; weil fie jede Möglichkeit des 
allmäligen Fortfchritts auf dem Wege ber Reform fich verfperrt fieht, wird fie revolutionäz, 
radical, beftructiv. Im conftitutionellen Staate bagegen ift die Oppofition nicht blos ein um- 
ſchaͤbliches, fondern ein durchaus nothwendiges und heilſames Element. Ein engl. Staatemann 
äußerte mit Recht: eine parlamentarifche Regierung würde ſich eine Oppofition ſchaffen müſ⸗ 
fen, wenn fie eine folche nicht vorfände. Da im ausgebildeten parlamentarifchen Staate bas 
ganze Staatsleben auf einem Kampfe ber Parteien beruht, von denen die jeweilig zur Majori⸗ 
tät in ber Volfövertretung gelangte auch bie Zügel ber Regierung zu ergreifen pflegt, während 
die andere von der Regierung zurüd und in bie Stellung ber Oppofition tritt, fo ift bier bie 
Dppofition keineswegs die Vertreterin eines einzigen, beftimmten politifchen Princips, am aller- 
wenigften Das, wofür fie im abfoluten Staate gewöhnlich gilt und was fie dort auch fehr häufig 
if, eine foftematifche Gegnerin ber Regierungsgewalt als ſolcher oder gar ber ganzen Staatd- 
ordnung: vielmehr ift es abmwechfelnd das eine und das andere der kämpfenden Principien, wel⸗ 
ches die Stellung der Oppofition einnimmt. &o find in England das eine mal bie politifchen 
Reformer und die Sreihändler, ein anderes mal die Gegner politifcher Reformen und die Schug- 
zöllner in der Oppofition. Je geſunder in einem ſolchen Staate das Volksleben, deſto mehr grup- 
pirt fich die jeweilige Oppofition immer um einen großen einfachen Gedanken, um ein wirkliches 
politifches oder volkswirthſchaftliches Princip. Es zeigt immer von unentwidelten ober ver- 
bildeten Staatszuftänden, wenn, wie in Frankreich unter ber Julidynaftie, bie Oppofition fich 
mehr nach perfönlichen als nach principiellen Gegenfägen ſchattirt, ober doch in ſich wieder fehr 
mannichfaltig abgeftuft und zerklüftet ift (3. B. die Partei Dufaure, die Partei Thiers, bie 
Doctrinaires, die Linke und äußerſte Linke, oder die Parteien Odilon-Barrot und Mauguin, bie 
Legitimiſten, Republikaner und die dynaftifche Oppofition u. f. w.) ine fogenannte fyftema- 
tiſche Oppofition, d. h. eine foftematifche Bekämpfung aller von ber jeweiligen Regierung aus» 
gehenden Mafregeln ift im ausgebildeten parlamentarifchen Staate in Bezug auf alle princi 
piellen Maßregeln der Regierung faft unvermeidlich, weil die Parteien fich hier eben nach Prin⸗ 
cipien ſcharf fcheiden, was aber nicht ausfchließt, daß (mas in England faft jederzeit gefihieht) 
die Oppofition dad Minifterium bei gemeinnügigen Maßregeln anderer Urt, wo die zwiſchen 
ihnen ftreitigen Principien mehr außer dem Spiele bleiben, oder bei folchen Handlungen, welche 
die auswärtige Stellung des Staats, die Wahrung feiner Ehre und Macht betreffen, unterflügt. 
Wo jedoch die Oppoſition mehr perſönlicher Natur iſt, wie ehemals in Frankreich, oder wo ſie 
gar, wie zum großen Theil eben dort, nicht blos gegen das augenblickliche Regierungsſyſtem, 
fondern gegen die ganze beſtehende Regierungsform fich richtet, da entfteht faft unausbleiblich 
jene fo gehäffige, dem wahren Gemeinwohl fo nachtheilige und für den politifchen und morali- 
(hen Sinn bes Volkes fo verderbliche Art von foftematifcher Oppofition, welche entweder nur 
darauf außgeht, die am Ruder befindlichen Männer zu flürgen, um felbft and Ruder zu gelan- 
gen, nad) dem bekannten franz. Spruche: „Ote-toi, pour que je m’y meltel”“, oder wol gar 
planmäßig die ganze beftehende Staatsordnung untergräbt, um ihre republifanifchen, imperia- 
Iſſiiſchen ober legitimiftifchabfolutiftifchen Ideen zu verwirklichen. 


Dptativ Optimismus “ls 


- Dptatie, Oytations wird in ber Grammatik diejenige Ausſageform des Zeitworts ge» 
nannt, bie zum Ausdrucke des Wunſches dient, wie ſchon die Ableitung vom lat. opiare, d. i. 
wünfchen, zeigt. Unter ben gebildeten Sprachen hat aber nur die griech. eine befondere Korm 
bafür, welche in berfelben zugleich nad} einem freien Gebrauche in der bedingten oder abhängi- 
gen Rede zur Bezeichnung ber fubjectiven Borflellung angewendet wird. In den übrigen alten 
und neuern Sprachen, namentlich auch in der deutſchen, vertritt der Gonfunctiv dieſe Stelle, da 
eigentlich jeder Wunſch nur mit bem Begriffe der Möglichkeit oder Unmöglichkeit gebacht wer 
ben kann; 3. B.: „Frommer Stab, o hätt’ ich nimmer mit dem Schwerte dich vertaufcht” ; oder 
man bedient ſich noch der umfchreibenden Zeitwörter „mögen“, „wollen“ und „können“, häufig 
in — mit den Conjunctionen „wenn“, „doch“ und „daß“; z. B. „Möge er doch im- 
mer glüdtich fein!” 

Optik heißt im weitern Sinne die gefammte Lehre vom Lichte. Im engern Sinne umfaßt 
Optik aber nur die Erfcheinumgen der gerablinigen Bewegung bed Lichts, Indem bie übrigen 
GBegenftände ber Dioptrik (f. d.), der Katoptrik (f. d.) u. ſ. w. zugewieſen werben. In biefer 
engern Bebeutung hat es bie Optik nur mit der Ausbreitung bes Lichts und dem Sehwinkel zu 
thun und etwa noch mit der Perfpective (f. d.) und Photometrie (f. d.). Die Begriffe der Alten 
von der Optik waren fehr unvolllommen: den Umfang ihrer Kenntniſſe erficht man aus bem 
dem Cuklides zugefchriebenen Werke über Optik. Im Mittelalter ſchrieben über die Optik Ur 

en, Bitello, Peckham, Roger Baco, Maurolyceus, Aquilonius, Porta u. A. Die meiften 

patern Schriftfteller Haben fich mehr mit ber Dioptrit und Katoptrit als mit der Optik im 

ern Sinne beichäftigt. Aus der neueften Zeit find Hauptfächlich bie Werke von Derfchel dem 
Süngern ımd Brewfter über die Optik im weiten Sinne zu nennen. 

Dptimätes und Yopnläres find zwei Namen, mit welchen die beiben politifchen Par- 
teien, bie in ben fpätern ber rom. Republik ſich gegenüberftanden, benannt wurden. 
Man könnte bie erfte, deren eigentlichen Kern der größte Theil bes Senats und ber Nobilität 
überhaupt (f. Mobiles) bildete, bie ariftoßratifche oder confervative nennen, die zweite, bie 
minder gefchloffen als bie erfte aus einzelnen, felbft fehr Häufig der Robilität angehörigen Män- 
nern befland, welche aus reiner ober ehrgeiziger Abſicht, auf bie Maffe des Volkes geftügt, ger 
gen bie erftere auftraten, bie demokratiſche oder die Partei der Bewegung. Der Kampf zwiſchen 
beiden begann, als die beiden Gracchen, Populares, d. i. Volksmanner im ebelften Sinne bes 
Worte, ber Bebrüdung und Armuth des Volkes aufzuhelfen unternahmen. Nachdem biefel- 
ben an dem Widerftand der fogenannten Gutgefinnten, ber Optimaten, gefcheitert, erneuerte 
fid) der Kampf durch Marius und Cinna. Noch ein mal fiegten die Optimaten durch Sulla ; 
enblich aber unterlagen fie mit ihrem oft ſchwankenden Führer Pompejus der Kraft und bem 
großen Geiſte Julius Caͤſar's, der, um feine großen politifchen Plane auszuführen und zur Al⸗ 
leinherrſchaft zu gelangen, an bie Spige der Popularen getreten war, und ihr Verſuch, nach 
Gäfar’s Ermordung bie alte Herrichaft wiederzugewinnen, war vergeblich. Diefer Verſuch en⸗ 
bete mit ber Niederlage bed Brutus und Caſſius burch Antonius und ODetavianus, in deren 
fpätern eigenen Streitigkeiten bie alten Gegenſätze erlofchen. 

Optimismus (vom lat. optimus, der befte) wird die philofophifche oder religiöfe Lehrmei⸗ 
aumg genannt, welche behauptet, daß die Welt, worin wir leben, ungeachtet ihrer fcheinbaren 
Unvolltommenheiten im Einzelnen, im Ganzen volltommen und auf die Glückſeligkeit ber darin 
lebenden Geſchoͤpfe berechnet fei. Diefer Lehrmeinung waren ſchon im Alterthume die Stoiker 
und Plotin zugethan. Vorzugsweiſe aber verfteht man darunter bie Wendung, welche Leibniz 
in feiner Theodicee mit Hinfiht auf Bayle's Zweifel in Beziehung auf die vielen Übel im 
ber Belt, diefer Lehre gab: Bott habe unter allen möglichen Zelten, welche fein umendildher 
Verſtand gedacht, nach der Bolltommenheit feines Willens die befte auswählen und hervorbrin⸗ 
gen mäfien. Denn wenn biefe Welt nicht die befte wäre, fo hätte Bott eine volllommenere ent« 
weber nicht gekannt ober nicht Haben fchaffen können oder nicht fchaffen wollen, welches Alles 
mit feiner Vollkommenheit fireiten würde. Das Gegentheil bes Optimismus iſt der Yefkimis- 
muß, welcher annimmt, es ſei Alles in der Welt To fchlecht, als es nur fein könne, um nicht au⸗ 
genblldiih —5* zu Grunde zu gehen, welches das Beſſere wäre. Außerbem gibt man aber 
auch dem Worte die Bedeutung einer Gemüthsſtimmung, indem man einen Optimiften Den 
nennt, welcher alle Begegnifle feines Lebens von ber beften und heiterfien Seite auffaßt, ben 
Menfchen, mit benen er zu thun hat, das Beſte zutraut und überall die Hoffnung und ben guten 
Muth vorwalten läßt, während ein Peſſimiſt Der ift, welcher überall zuerſt Die Binderniffe er⸗ 
bit, die Dienfchen ins Uligemeitsen für ſchlecht auficht na ara Saar er en Border rate. 


au Optiſche Tauſchung _ Opmmepeiatum 


Optiſche Täufchung oder Augentäuſchung, Geſichtsbetrug iſt eine Täuſchung Hinficht- 
lich einer wahrgenommenen Erſcheinung, welche aus einem falſchen Urtheile über das Geſehene 
hervorgeht. Eine große Menge ſolcher Täuſchungen kommt namentlich bei dem Anblicke der 
Hinmelstörper vor. Mir halten 3. B. ſämmtliche Geſtirne für gleich weit von und entfernt, 
als befänden fie fich an der innern Fläche einer Hohlen Halbfugel, Halten Sonne und Mond für 
flache Scheiben von gleicher Größe, weiche aber beim Auf · und Untergange größer find als zu 
jeder andern Zeit u. |. w. Sehr viele optifche Täuſchungen haben ihren Grund darin, daß der 
Lichteindruck auf das Auge eine gewiſſe, wenn auch fehr Kleine Zeit'erfobert, um dom Auge 
deutlich empfunden zu werden, daß er aber, einmal empfunden, im Auge eine gewiſſe Zeit, etwa 
eine Viertelfecumde, fortdauert. 

Dpuntie oder Feigendiftel (Opuntia), eine zu ben Gacteen gehörende und nut in Amerika 
einbeimifche, jegt aber auch nach Afien, Afrifa und Südeuropa verbreitete Pflangengattung, 
befigt einen fleifchigen, meift aus zufammiengedrüdten Gliebern beftehenden, feltener walglichen 
Stengel, der nur an den jüngften Trieben Beine ftielrunde, fehr Hinfällige Blätter trägt, übri: 
gend aber blattlos ifF und aus den Stachelbüſcheln oder dem Nande oder Scheitel der Glieder 
einzelne oder felten doldentraubig-rispige Blüten treibt, welche eine gelbe, feltener weiße oder 
rothe Blume befigen und deren Griffel am Grunde zuſammengeſchnuͤrt if. Die hierher gehö- 
enden Pflanzen find mit mehr oder minder langen Stacheln oder Stachelborften bewehrt, felten 

ſtachellos, und werben dadurch oft unangenehm, daß ihre Stachelborften fehr Leicht in der Haut 
haften bleiben und beſchwerliches Juden erregen. Die Früchte find feigenartig, nad) Entfers 
nung der äußern ftacheligen Haut meiftens efbar, fchleimig, mehr oder minder füß ober fabe 
und haben das Eigenthümliche, den Harn roth zu färben. In den heifern Ländern werden 
mehre Arten zu Einfriedigungen verwendet, welche wegen ihres dichten Wachsthums und Ihrer 
Stacheln einen guten Schug abgeben. Am betannteften ift die fogenannte indifche Feige oder 
echte Feigenbiftel (0. Ficus Indica), welche, zeitig aus Amerika gebracht, in ganz Südeuropa 
und Nordafrika angepflanzt und an Belfen und dürren Orten verwildert ift. Ihre Früchte find 
groß umd werden in jenen Gegenden allgemein gegeffen. Die Iwergfeigenbiftel (O. nana), 
welche ebenfalls aus Amerika ſiammt, ift ſelbſt in Südtirol und der füdlihen Schweiz an fon« 
nigen Belfen verwildert. Sie zeichnet fi) durch Kleinheit und ihren ausgebreitet nieberliegenden, 
kriechenden Stengel aus. Wichtig ift für manche Gegenden die Cochenillopuntie oder No- 
palpflanze (O. cochinillifera), welche ſich durch rothe, nicht ausgebreitete Blüten und lang 
vorragende Staubgefäße unterfcheidet. Sie wird, wie gleichfalls die Tunaopunfie (O. Tuna), 
welche Durch die Anivefenheit langer Stacheln kenntlich ift, in Südamerika eigens im Großen 
angepflangt, weil auf ihnen die Tochenillſchildlaus (f. Eochenille) lebt. Die Verfuche, fie in 
Spanien und Südfrankreich im Großen zu ziehen und hierdurch bie Zucht jener für die Färberei 
wichtigen Inſekten einheimifch zu machen, find ohne genügenden Erfolg geblieben. Dagegen 
hat man in neuerer Zeit mit glüdtiherm Exfolge diefe Tultur in Algerien eingeführt. Faſi alle 
DOpuntienarten ſchwiten in ihrem Vaterlande ein Gummi aus, welches dem Traganch oder 
Bafloragummi ähnlich fein fol. 
Syus (lat.), zu deutſch: Werk, beſonders in der Literatur ein ſchriftſtelleriſches Wert, Daher 
in der Mehrzahl opera, die Werke eines Autors, und opusculum, ein Meines Schriftwerk, 
fowie opuscula eine Sammlung Meiner Werke ober Abhandlungen. Opera omnia finb bie 
fämmtlihen Werke, opera, quae supersunt bie noch vorhandenen Werke eines Autors. — 
In der Baukunſt wird opus nach dem Vorgange Vitruv’s gewiſſen Bezeichnungen vorange · 
fegt, welche fich auf das Techniſche der verfehiedenen Arbeiten begiehen. &o heift opus retion- 
latum (nepförmiges Werk) ein Mauerwerk, bei welchem bie regelmäßig vieredig geformten 
Steine eine folche Rage bekommen, daß die Fugen Diagonallinien bilden. Daffelbe gewährt einen 
ſchõnern Anblii alt das opus incertum (unbeftimmtes Berk), bei welchem bie Bruͤchſteine 
ohne beftimmte Drdnung, wie fie am beftenineinander paffen, beifanmen liegen unb miteinander 
verbunden find. Opus teotorium (Mekleibungsiwerk) beyeihnet den äußerften und feinften 
Mauerüberzug von Marmorſtucco, der vermuthlich bis in Die fpätefte Zeit auch zur Berfhöne 
rung des poröfen Xravertins gedient hat. Opus tesselatum (IBürfelwerf) iſt der würfel- 
förmig mit Heinen Marmorftüden von verfchiedener Farbe ausgelegte Fußboden. 

‚Opus operatum ift im Allgemeinen jede Handlung, welche feinen moraliſchen Gehalt dat, 
fondern bei der e& nur auf die äußere Form abgefehen if. Solche opera operata in religiofer 
Beziehung find gedantenlofes Beten und Cingen, Zaften, Wallfahrten u. ſ. w. Beſendern 
hpnig und vieifadg; auch von den Beformateren, anitverfienben if die cöm.-tath. Lehre vom 


Dpzosmer Drakel 46 


der Wirkung der Sacramente ex opere operato. Sie hat nur den Sinn, daß bie äußere ſacra⸗ 
mentale Handlung ſtets auf den Menfchen einwirke, nicht aber den, daß fie zur vollen Recht⸗ 
fertigung hinreiche. Vielmehr wird dazu von den Katholiken ebenfo wie von den Proteflanten 
die innere gute Regung gefodert. 

Dpzoomer (8. %.), der nambaftefte nieberl. Philoſoph ber Gegenwart, geb. 20. Gept. 
1821 zu Rotterdam, gab ſchon als Student zu Leyden, aufer verfchiedenen Auffägen 
in juridiſchen und literarifchen Zeitichriften, eim „Sendichreiben an da Coſta“ heraus zur 
Beftreitung der holl. Drthodorie und eine „WBeurtheilung ber hol. theologifhen Jahr⸗ 
bücher”, in weldyer er ben Berfuch, bie hriftliche Apologetik auf das fogenannte Zeug 
niß des Heiligen Geiftes zu gründen, angriff. Nachdem er 31. Det. 1845 zu Leyden Doc 
tor ber, Rechte geworben, auch die philofophifche Doctorwürde honoris causa erhalten, 
ward D. 21. Jan. 1846 zum Profeſſor der Philoſophie an der Univerfität zu Utrecht 
ernannt. Durch feine politifchen Schriften „Über directe oder indirecte Wahlen” wirkte 
er 1848 für Einführung des neuen Grundgeſetzes. In demfelben Jahre ward er vom König 
zum Mitglied und Secretär einer königl. Commiſſion ermählt, deren Aufgabe darin befand, ein 
neues Gefeg über die Univerfitäten zu entwerfen. Ex felbft bezweckte hierbei eine radicale Re 
form umb die Verſchmelzung ber drei Univerfitäten bes Landes in eine, und gab auch, da feine 
Gollegen fi dem nicht geneigt zeigten, feinen Plan als „Geſetentwurf über bie Reform ber 
Univerfitäten” heraus. D.’6 philofophifcher Standpunkt ift der eines rationalen Empirismus. 
Sin „De weg der Wetenschapen” (Utr. 1851; deutfch von Schwindt, Utr. 1852) gab er ein 
Handbuch der Logik, In welchem er die Methode der Raturmwifienfchaften und ihre Anwendung 
auf die erhifchen Discipiimen darzulegen ſuchte. Ferner veröffentlichte er: „Oratio de pbiloso- 
phiae naturae” (Utr. 1852), die er als Rector hielt, und ſprach fich über Edm. Burke's Porktie 
aus in der Schrift „Sonfervatiemus und Reform” (deutfch, Utr. 1852). Sonſt fchrieb er 
noch einen „Sommentar zum Givilgefegbuche Hollands, „Sechs Reden über die Ethik” und 
men kleinere Abhandlungen. ' 

rakel hießen bei den Alten ſowol die Götterausfprüche, welche ben Anfragenden angeblich 
durch begeifterte Perſonen, als auch die Orte, an welchen dieſe Ausſprüche unter befondern 
Borbereitungen und Gebräuchen ertheilt wurden. Der Urfprung berfelben verliert ſich in das 
höchſte Alterthum. Das ältefle befand fich zu Merok in Ugypten, dem das zu Theben 
und zu Ammonium, an welchen Orten der Dienft des Jupiter Ammon herrſchend war, 
der Zeit nad am nächſten flanden. In Griechenland erlangte das Drakel zu Dodona 
(f. d.), fpäter das zu Delphi (f.d.) ben größten Ruhm, weiches theild wegen feiner günfligen 
Lage, theild wegen feiner Verbindung mit dem Amphiktyonengerichte zu Pylä das wichtigfte 
von allen wurde. Außerdem hatten Zeus zu Elis, zu Pifa und auf Kreta, Apollo auf Deles 
und zu Klaros unweit Kolophon eigene Drakel, und das der Brandiden zu Milet war ebenfalls 
ben Apollo und der Artemis geweiht. Auch erhielt fich da8 Drakel des Trophonius zu Lebadea 
und bad des Amphiaraus in Dropus langere Zeit in Anfehen und Einfluß. Die Römer dat 
ten, wenn man bie Albunea, welche in einem Haine und einer Grotte bei Tibur weiffagte, bie 
cumanifche Sibylle (f. d.), die Sibyllinifchen Bücher, das Orakel des Faunus und das ber 
Fortuna zu Pränefte abrechnet, welche fämmtlich in die ältefte Zeit gehören und nachher ver- 
ſchollen, keine einheimifchen Drakel, fondern nahmen ihre Zuflucht zu denen in Griechenland 
und Ugypten. Der Imed ber Drakel war im Allgemeinen wol auf Beförderung milder Sitten 
und Befjerung der Menfchheit durch Gebote und Warnungen gerichtet, daher durch biefelben 
oft Ungluͤckliche gerettet, Rathloſe berathen, gute Anftalten mit göttlichem Anſehen bekräftigt 
und Sittenfprüdhe ſowol als Staatsmaximen gebeiligt wurden. Bei Gründung von Stäbten 
und Solonien, bei Einführung neuer Berfaffungen, bei wichtigen Unternehmungen im Kriege 
und Frieben, namentlich aber bei außerordentlichen Unglücksfällen wendete. man fi an die 
Orakel, und die Vorſteher derfelben beburften ebenfo vieler Behutſamkeit als Klugheit, um fi 
nicht bloßzuftellen. Dunkelheit und Zweideutigkeit in den Ausſprũchen war daher ein gewöhn⸗ 
liches Auskunftsmittel. Doch mar diefe berüchtigte Zweideutigkeit der Drakelfprüche urfprüng« 
lich nicht auf Betrug abgefehen, wie es die fpätern Zeiten außlegten, fondern es fchien diefer 
Räthfeiftil, wie er überhaupt dem Alterthume eigenthümlich, fo auch ber göttlichen Ratur vor» 
zůglich angemeffen, theiis weil dies zu weiterm bemüthigen Forſchen nöthigte, theils vielleicht 
and darum, weil man glaubte, daß die Götter ihr höheres Wiſſen dem untergeorbneten Men 
fgengefchlechte nie ohne einiges Wberfirchen effenbar machten. Bieweilen lag auch in ber 
Dunbeiheit der Oval jene Ironie, Die ſih ſeibſt In Vita Karate ar ch er RER 


416 Drau | Drange (Brudt) 


ung des Untechts eine [härfere Schneide gibt. Obwol die Drakel auch bem Betruge und ber 
Belehung ficherlich unterworfen waren, Haben fie doch lange ihre Bebeutfamteit behalten; 
fie Tanken erft nach dem gänzlichen Verluſte der Freiheit und Unabhängigkeit Griechenlands, bi 
zulegt unter der Megierung des Theodoſius die Tempel der weiſſagenden Götter für immer 
‚gefchloffen oder zerftört wurden. Augenfcheinlich haben in den Orakeln die Erſcheinungen bei 
Schlafwachens und Hellfehens ebenfalls eine Rolle gefpielt. Bgl. F. U. Wolf, „Beitrag zur 
Geſchichte des Somnambulismus aus dem Altertyume” in beffen „Wermifchten Schriften umb 
Auffägen” (Halle 1802); Glavier, „Mömoire sur les oracles des anciens” (Par. 1819); 
Wiekemann, „De variis oraculorum generibus” (Marb. 1838); Yabfl, „De diis Graecorum 
fatidicis, seu de religione, qua Graecorum oracula nitantur‘ (Bonn 1840). 

Dran, die Hanptfladt der gleichnamigen und weftlichfien Provinz ber franz. Colonie Algier, 
am Mittelländifchen Meere, im Hintergrunde bes nach ihr benannten Golfs, mit 25400 &, 
darunter 18260 Europäer, meift Spanier, ift gut befefligt, neu und gut gebaut, der Eig eines 
Milttärgouvernements und baher vor allem mit vielen Gebäuden für die Militärvermaltung 
verfehen. Die Stadt befigt zwei Häfen, den unmittelbar dabei gelegenen, der minder gut iſt, 
und den von Mers⸗el ⸗Kebir, zwei Stunden nördlich von D. und burch eine Strafe mit bemfel- 
ben verbunden, der einer ber trefflichfien der ganzen nordafrik. Küfte iſt und nur den einen 
Ubelftand hat, daß es ihm an Trinkwaſſer fehlt. D., vielleicht ſchon im Alterthum von eine 
Mömercolonie befegt oder gegründet, war im Mittelalter eine anfehnliche mauriſche Gtabt. 
Sm J. 1509 bemädhtigten fich ihrer Die Spanier, die als bie zweiten Begründer der Stadt gel 
ten können. Sie behielten biefelbe bis 1708, mo fie in bie Hände der Türken fiel, eroberten fie 
aber 1732 aufs neue und vermehrten ihre Feſtungéwerke, als die bes wichtigften Punktes ihrer 
Befigungen auf der nordafrik. Küfte,'mit ungeheuern Koften, ohne jedoch die umliegende Be 
gend ihrer Herrfchaft zu unterwerfen. Trotzdem fahen fie fi) in Folge des furchtbaren Erd⸗ 
bebend vom 9. Oct. 1790, welches die Stadt faft zu einem Trümmerhaufen machte, umb ber 
"darauffolgenden immerwährenden Angriffe bes Weis von Maskara gezwungen, im März 
41792 die Stadt den Türken durch Gapitulation zu übergeben, unter deren Herrſchaft fie num 
immer mehr verfiel, bis bie Sranzofen, in deren Gewalt fie 1831 kam (f. Algier), fie wieder 
aus ihren Trümmern erhoben und ald den wichtigften Punkt bes Weſtens ihrer algiertfchen 
Befigungen von neuem befefligten, aufbauten und zur Hauptfladt des nach ihr benannten 
. Militärgouvernementd ober Provinz machten. Dieſes Militärgouvernement D., die Mauri 
tania Gäfarienfis der Römer, zulegt unter ben Türken die Provinz Maskara, umfaßt den weft- 
lichen Theil Algeriens. Die bedeutendften Städte beffelben find: an ber Küfte Moftaganem, 
fonft eine fehr beträchtliche, unter ber franz. Herrfchaft aber herabgekommene Stadt mit 7200 €, 
und Arzew, mit der fiherften Rhede auf der ganzen Küfte, unweit der Trümmer des alten Ar⸗ 
fenaria der Römer und in ber Nähe bes großen, meift trodienliegenden Salzſees Melah, beffen 
Benugung dem Staatsfchag großen Gewinn bringt ; im Innern Maskara, fonft die blühende 
Hauptftadt der Provinz, jegt ebenfalls fehr herabgefommen, in der überaus fruchtbaren Egres- 
ebene, mit 3819 E., Gerbereien und Gewerbeanlagen; Zlemezen oder Tlemfen, in fehr frucht- 
barer, waſſer⸗ und obftreicher Gegend mit 9440 €. und fehr bedeutendem Hanbel in das In⸗ 
nere, fonft der Sig eines Beis, und Tekedemt, auf den Ruinen einer alten Römerſtadt gegrün- 
bet und von Abd«el- Kader, bem es eine Zeit lang als Reſidenz und Stützpunkt feiner Unter 
nehmungen diente, ermeitert und befeftigt. Die Provinz, an fich die fruchtbarſte Algeriens und 
unter der tür. Derrfchaft Die am beften bevölkerte und angebaute, ift ald Hauptſchauplatz des 
Kriegs zwifchen Abd-el- Kader und den Franzoſen ganz von ihrer frühern Blüte herabgeſunken. 
Im 3.1852 zählte man A8275 europ. Einwohner. Die verfchiedenen einheimifchen Tribus 
zählen etwa 300000 Seelen. 

Drange ober Pomeranze nennt man die Srucht bes Pomeranzenbaums oder ber Drangen- 
Agrume (Citrus Aurantium), welche ſich von den übrigen Arten der Gattung Agrume (Citrus) . 
durch den mehr ober minder geflügelten Blattfliel, 20—25 Staubgefäße und die meiſtens Eugel- 
runden und ungenabelten Früchte unterfcheidet. Sie ift im füdlichen Aſien und nördlichen Afrika 
einheimifch und dort feit alten Zeiten, jegt auch in allen übrigen Welttheilen Häufig und in zahle 
teihen Spielarten angepflangt. Diefe Spielarten kann man umter folgende drei Gruppen orb- 
nen: 1) Bittere Drangen mit bitterm Sruchtfafte; 2) füße Orangen mit füßem oder ſäuerlich⸗ 
fügen Sruchtfafte; 3) Bergamotten mit fäuerlich-bitterlichem Fruchtſafte. Bon allen diefen 
Spielarten find die bitter-aromatifchen Blätter (Drangenblätter), die fehr ftart und angenchm 
riechenden Blüten (Orangenblüten), die unreifen, (ee bittern te (Orangen ober Pome 


Drange (Stadt) Drangelogen 417 


nzen), die ſtark aromatiſch⸗bittere Schale der reifen Pomeranzen (Pomeranzenſchalen) und 
s ätherifche DI ber Iegtern, beſonders ber Spielarten ber legten Gruppe (Bergamottöl) offi- 
el. Das äußerſt angenehm riechende ätherifche DI der Blüten ift unter dem Ramen Dran- 
nblütenöl oder Reroliöf bekannt und fehr beliebt als Parfüm. Die Orangen der zweiten 
ruppe und vor allen bie Apfelfinen (f. d.) werben wegen ihres wohlſchmeckenden, kühlenden, 
urſt ftillenden Saftes in den wärmern Gegenden ungemein häufig gegeffen, aber auch in gro- 
n Mengen in die kältern Gegenden ausgeführt. Bon dem abgeflärten Drangenfafte wird auch 
ı fehr mohlfchmedender, erfrifchender Syrup bereitet, der jedoch leicht verdirbt. Aus den Dran- 
iſchalen wird unter Anderm nocd der Curaçaoliqueur bereitet. — Die Drangenfarbe ift 
Rothgelb, das den Schalen reifer Pomeranzen gleicht. — Orangerie ift der gemeinfchaft- 
je Name für alle zur Gattung Agrume (Citrus) gehörenden Gewächfe, welche bei uns nur 
Sommer ins Freie gebracht werden Tonnen und während des Winters im Gewächshaufe 
fbewahrt werden müffen. Unter den verfchiedenen Spielarten ber Drange ift die kleine myr⸗ 
blätterige Varietät befonder& zur Cultur im Zimmer fehr beliebt. 
Drange, die Hauptftadt eines Arcondiffemente des franz. Depart. Bauclufe, in einer maf- 
reichen, herrlichen Ebene der Provence, am Flüßchen Meyne, 3% M. von der Rhoͤne, ift eng 
yaut, hat aber mehre öffentliche Pläge und vortreffliche Fontänen, befige ein Communal-Eol- 
e und zählt gegen 9000 E., darunter viele Proteſtanten, die ſich hauprfächlich von Weinbau, 
idenfpinmerei, Fabrikation von Gerges, gefärbten Zeugen, Unterhaltung von Krappmühlen, . 
vie von Handel mit Wein, Branntwein, DI, Trüffeln, Safran, Krapp u. f. w. nähren. Die 
adt ift berühmt wegen ihrer bedeutenden rom. Alterthümer, ımter benen vorzüglich ein ziem- 
y wohlerhaltenes Amphitheater, ein Triumphbogen, gewöhnlich Arc de Marius genannt und 
e Wafferleitung fich auszeichnen. D., das Araufio der Alten, im Lande der Cavari gelegen, 
x im Mittelalter und noch im Anfang der Neuzeit der Hauptort des Fürſtenthums Dranien 
d.), befaß von 1365 bis zur Revolution eine Univerfität und hatte als einer der Sige der 
ıgenotten in den franz. Bürgerkriegen im 16. Jahrh. viel zu leiden. Auch wurden zu D. in 
en Zeiten mehre Concile gehalten, unter denen ba8 vom 3. 529 das berühmtefte ift. 
Drangefluß, holl. Oranje Rivier, in der Landesſprache Karib oder Garip, der einzige 
'ennirende und zugleich der bedeutendfte Strom bes Caplandes (Capeolonie), ſowie einer ber 
igſten Afrikas überhaupt. Seine Länge wird auf 220M., fein Stromgebiet auf 17000 AM. 
chätzt. Er entſteht aus zwei Hauptquellflüffen : einem füdlichen, vom Nu Garip oder Schwarzen 
uß (Zwarte Rivier), und einem nördlichen, bem Kay Garip oder Gelben Fluß (Vaal Rivier), die 
de mit ihren zahlreichen Duellarmen an der Weftfeite des Quathlambagebirgs im Kaffern- 
ide entfpringen und fich unweit Campbellsdorp vereinigen, woraufber Geſammtſtrom eine weft- 
ye Richtung annimmt und beibehält. Der vereinigte Orangefluß durchzieht, nachdem er von 
den her aus dem Betfchuanenlande noch den Raub Garib oder Harzfluß (Hart Rivier), der 
ch Malalarin genannt und als dritter Quellfluß betrachtet wird, aufgenommen, faft noch die 
(be Breite des Eontinents als ein vollig ungetheilter Strom. Er hat weftlich von Campbells- 
:p ſchon die Breite des Rhein bei Düffeldorf, in feinem unterften Kaufe während ber Regen- 
t die Breite einer Stunde, in der trockenen Jahreszeit jedoch von nur 1700 5. Im ganzen 
ufe ift er entweder von hohen Felsmaſſen umfchloffen, oder e& erfcheint fein Bett in den Ebe⸗ 
1. als ein fehr tiefer, von ſenkrechten Felswänden gebildeter Canal. Seine Waffermenge ift fo 
ing, daß er den größten Theil des Jahres hindurch an den meiften Stellen zu Buß durchwa⸗ 
und ungeachtet der großen Ränge feines Laufs nirgends für bie Schiffahrt tauglich gemacht 
den kann. Seine nur etwa 4000%. breite Mündung wird fogar meift noch durch eine Sand⸗ 
ne fo gefchloffen, daß in der trockenen Jahreszeit nicht einmal ein Canot darin einlaufen kann. 
irz vor der Mimdung bildet ber durch die vorliegende Sandbank aufgeftaute Strom einen 
Hten Süßwafferfee. Die in allen diefen Theilen Afrikas oft plöglich und mit ungemeiner 
ftigkeit eintretenden Gewitterregen bewirken oft ein Steigen des Stroms von 20— 50 8. 
er den gewöhnlichen Wafferftand, worauf indeffen gewöhnlich ebenfo ſchnell ein Abfließen 
| zum geringften Niveau erfolgt. 
Drangelogen beißen bie politifchen Vereine, melde bie engl.-proteft. Partei in Irland den 
eſtrebungen der kath. Partei entgegenſtellte. Als der Bund der vereinigten Irländer gegen 
ıde des 18. Jahrh. das engl. Intereffe in Irland (f. d.) drohend gefährdete, vereinigten fi 
. Sept. 1795 die entfchloffenften Orangemen (Orangemänner, wie die Batholifchen, ben ver- 
ebenen Stuarts anhängenden Irländer die bem Dranier Wilhelm II. und beffen Nachkolgern 
Gonv.⸗Lex. Zehnte Aufl. XL X 


418 -  Drangelogen 


ergebenen Proteftanten nannten) niedern Standes in eine Drangeloge ober in ein Ordensbünd⸗ 
ih, welches die Aufrechthaltung des proteſt. Übergewichts überhaupt, fowie bie bes Hauſes 
Braunfchweig auf dem Throne der drei Königreiche zum Zweck hatte. Bei ber drohenden Ge 
faͤhr und der Zoyalität des Bundes aus engl. Befichtöpunfte traten bald Proteftanten ber höhern 
Stände, felbft die königl. Prinzen, die Herzoge von Elarence, Eumberland und Vork hinzu, und 
bereits 1798 wurbe bie große Loge von Irland gefliftet. Einen gewaltigen Aufſchwung nahm 
ber Drangebund nach der Tegislativen Union im 3. 1800. Die Orangiften befegten alle offentli- 
chen Umter, verbrängten die Iren aus ben Pachtungen, fowie den ftädtifchen Corporationen, und 
ſelbſt in England kamen Logen zu Stande. Im J. 1808 wurde die große Loge zu Manchefter 
eröffnet, bie man 1821 nach London verlegte. Indeffen äußerte fich die Wirkfamkeit des Bundes 
länger als ein Jahrzehnd nur in Aufzügen, Verſammlungen, Reibungen und Bebrüdungen ber 
Katholiken. Erft als D’Eonnell (f. d.) den Kathofifchen Verein reorganifirte und die Frage ber 
politifchen Emancipatton ber Katholiken näher rückte, erreichte ber gegenfeitige Haß feinen Gi⸗ 
pfelpuntt. Deffenungeachtet vermochte der Drangebund ben Liberalismus und bie toleranten 
Gefinnungen der Mittelclaffen nicht zu unterbrüden. Das Haus der Zories felbft mußte 1829 
die Katholitenemancipation einleiten, durch welche Mafregel eigentlich die proteft. Suprematie 
von Seiten des Staats aufgegeben wurde. Die Drangiften geriethen hiermit in Widerfprud) 
mit ber Regierungs politik, den Gefegen.und der öffentlichen Meinung. Ihre neue Stellung er- 
hielt einen noch weit ſchroffern Charakter, als 1830 die Whigs and Staatöruder gelangten und 
im Einverftändniffe mit ber irifhen Nationalpartei die Yarlamentsreform durchſetzten. Rad 
einer Menge blutiger Scenen, an welchen freilich beide Theile gleiche Schuld trugen, wurde 1852 
die Jahresfeier der Schlacht am Boynefluß verboten; zugleich traf die vom Könige befohlene 
Auflöfung aller Vereine noch während der Parlamentsdebatten auch die Drangelogen. Der 
Bund nahm jegt die Form eines geheimen Ordens an, beffen Richtung, wie man fpäter ent- 
deckte, felbft dem Throne gefährlich wurde und der in wenigen Jahren zahlreiche Mitglieder über 
das ganze brit. Reich und in allen, namentlich aber in den hohern Ständen gewann. Gin 
fanatifcher Oberſt, Namens Fairman, begründete ben Orden in Schottland. Andere verbreite 
ten ihn in den Colonien; in Canada, Neufübwales, fogar in Vandiemensland gab ed Drangi⸗ 
ſten. Auch im Heere zählten 40 Regimenter Logen. Der Bifchof von Salisbury war der Praͤ⸗ 
lat, der Herzog von Cumberland, der ald Zoryhaupt und Feldmarfchall doppelten Einfluß be- 
ſaß, ber Großmeifter des Ordens. Die Zahl der Logen belief fi) auf dem Höhepunkte bed Bun⸗ 
des in Irland auf 1500, in England auf 350; die Gefammtzahl der Orbensbrüder ſchätzte man 
ım ganzen Reihe auf 500000. Der Umftand, daß der Orden gemwiffermaßen den Gehorfam 
gegen sen König von der Aufrechthaltung der proteft. Suprematie abhängig machte, verlich 
demfelben, ganz abgefehen von den Umtrieben Einzelner, in der That einen revolutionären Cha- 
rakter. ALS der Schwache Wilhelm IV. im Nov. 1854 die Whigs plöglich vom Staats ruder 
entfernte, boten die Drangiften ihre ganze Macht auf, um namentlich bei ben Wahlen in Irland 
das Übergewicht zu erhalten. In der Parlamentsfigung von 1835 trug endlich ber irländ. Ab- 
geordnete Sinn auf eine Unterfuchung des Zuftandes ber Drangelogen an, bie auch fogleich er- 
öffnet und nach dem Rüdtritt der Tories im April 1835 von dem Minifterium Melbourne 
fortgefegt wurde. Das ganze Reich gerieth bei diefen Exrörterungen in Bewegung. Während 
die Orangiften offene Drohungen aus ſtießen, wurden fie von ihren Gegnern geradezu beſchul⸗ 
digt, nad) dem Tode bed Königs die Thronfolge verändern zu wollen. In Iegterer Hinſicht fand 
fi) beſonders der Oberft Fairman compromittirt, und 37 Logen fprachen nach diefer Entbedung 
ihre Trennung von der Hauptloge aus. Die Regierung begann die Drangiften von den öffent- 
lichen Amtern aus zuſchließen, und das Parlament von 1836 rieth dem Könige in einer fehr ge 
mäßigten Adreſſe zur Unterdrüdung der orangiftifchen Umtriebe. Der Herzog von Cumber- 
land erklärte hierauf, daß er ſämmtlichen Logen bie Auflöfung empfohlen habe, und bald löſter 
fi die Logen nacheinander auf oder galten wenigftene der Form nach für aufgelöft. Mit den 
Logen waren jedoch die Drangiften felbft mit ihren Volksverfammlungen und Demonftrationen 

nicht verſchwunden. Die Hungersnoth, welche 1846 und 1847 Irland heimfuchte, brachte erfl 

biefe im Grunde genommen kirchliche Bewegung eine Zeit lang zum Schweigen. Als aber 

die nicht mehr von O' Connell zurücgehaltene Repealpartei einen offenen Aufftand verfuchte, 

traten bie Drangemen ihr abermals energifch entgegen und fchleuderten den Vorwurf ungefef 
licher Tendenzen mit Erfolg auf ihre Widerfacher zurück. Auch nach dem Mislingen des Ir 
Jurrectionsverfuch führte die gegenfeitige Erbitterung nicht felten zu blutigen Auftritten, wie 
12. Juli 1849 bei Dolly's Brae, und das übermäthige Gebahren ber Bath. Hierarchie rid 





\ 


-.-..- BE ae 


Drang-litang Dranienbaum 490 


feitdem eine vermehrte Thätigkeit der Drangelogen hervor, bie fich befenders bei ben Parla⸗ 
mentöwahlen von 1852 geltend machte. 

Drang-lltang (Simia) ift der Name einer Affengattung, welche ſich durch die vorfpringen- 
den Knochenleiſten des Schädels, dicke fleiſchige Schwielen auf den Wangenknochen, die faft bie 
auf den Boden reichenden Arme, den nagellofen Daumen ber hinten Hände und den Mangel 
des Schmanzes und der Badentafchen auszeichnet. Am meiften iſt vom ben hierher gehörigen 
Arten ber roftfarbene Drang⸗Utang (8. Satyrus) befprochen worden. Einige Forſcher wollten 
nämlich in diefem Thiere das Verbindungsglied zwiſchen Menfchen und Thier fehen. Manche 
gingen felbft fo weit, daß fie dem Orang⸗Utang Civiliſirbarkeit zutrauten und die Vermuthung 
aufftellten, es würde fein’ ſchlummernder Geiſt durch Umgang mit Menfchen zu werden fein und 
vielleicht aus dem Bebürfniffe der rietheilug neuentftandener Ideen ſich Redefähigkeit ent 
wickeln. Allein dieſe Annahme mußte ſich natürlich als gänzlich falſch erweiſen. n auch 
der Örangelltang mittels eines Stocks aufrecht gehen kann, ſich leicht gewöhnt, Löffel, Tafſen 
und Gläſer zu gebrauchen, fein eigenes Bett zu bereiten und ſich ohne Hülfe warm zudeckt, fo 
ift er doch nie menſchlich bildungsfähig, indem ihm das unterfcheidende Urtheil und der freie 
Wille durchaus mangelt. Auch fein Körperbau eignet fich keineswegs dazu, fortgefegt und ohne 
Hülfe fih in aufrechter Stellung zu halten. Der Drang-Ütang lebt einfam in den Wäldern 
des Innern von Borneo und Sumatra, wird bie zu fünf Fuß hoch und befigt eine wunderbare 
Körperftärke, durch welche er ben Angreifer gefährlich werben kann, zumal ba er in ben gewal⸗ 
tigen Edzähnen auch Vertheidigungswaffen befigt. In der Farbe ändert er mehrfach ab, und 
auch die Kopfbildung ändert ſich mit dem Alter, was zur Aufftellung vermeintliche neuer Arten 
Beranlaffung gegeben hat. 

Dranien oder Drange, ehemals ein Heines Fürſtenthum in Frankreich im jegigen Depart. 
Banclufe, Hatte vom 11.—16. Jahrh. eigene Fürften. Der legte, Philibert von Ehälons, farb 
1531 ohne Kinder, worauf das Rand durch feine Schwefter, die mit einem Grafen von Nafſau 
vermählt war, an das Haus Raffau (f.d.) und zwar an die Dillenburger Linie kam, deren Haupt 
damals der Graf Wilhelm war, ber Vater Wilhelm's I, des Statthalters der Vereinigten Nie» 
derlande. Erſt 1570 konnte indeß das Haus Raffau zum ruhigen Befig des Kürftenthums 
fommen, und erft 1697 im Ryswijker Frieden wurde ihm die Souveränetät barüber beftäfigr. 
Nach dem 1702 erfolgten Einderlofen Tode Wilhelm's IU., Prinzen von Dranien und Königs 
von England, entftand namentlich über ben Befig des Fürſtenthums D. der langwierige Dra⸗ 
wife Erbfolgeſtreit. Hauptbeiwerber waren ber König Friedrich I. von Preußen, nach bem 
Zeftamente feines mütterlichen Großvaters, des Prinzen Heinrich Friedrich von Dranien, und 
der Fürft Johann Wilhelm Friſo von Naffau-Dieg. Auch die Fürften von Naffau-Siegen 
machten Anfprüche darauf, und ſämmtliche Bewerber nahmen einftweilen den Titel des Für- 
ſtenthums an. Das Ende davon mar, daß der König von Preußen, bed Widerſpruchs der 
ſchwächern naffauifhen Häufer ungeachtet, daS Land im Utrechter Frieden 1715 gegen ander- 
weitige Bergünftigungen an Frankreich abtrat, welches feitdem im ungeftörten Befige deffelben 
verblieben ift. Der Fürft von Naffau-Dieg erhielt jedoch für ſich und den älteften feiner Nach⸗ 
tommen den Titel „Prinz von Oranien“, der dann auf den König der Niederlande überging 
und gegenwärtignachdem Staatögrundgefepe von bem älteften Sohne bes Königs oderdem prä- 
fumtiven Thronerben geführt wird. Hauptort des Fürftenthums war die Stadt Drange (1. d.). 

Dranienbaum, eine Heine, fünf M. von Petersburg entfernte Stadt, in überaus maleri» 
fcher Lage am Finnifchen Meerbufen, gegenüber der Feftung Kronftabt, ift befondere megen 
ihre& herrlichen Parks und Luftfchloffes berühmt. Letzteres, das vom Fürften Menſchikow, dem 


Günfilinge Peter's d. Gr., erbaut wurde, fpäter an die Krone fiel und gegenwärtig im Bellg 


des Sroßfürften Michael ift, liegt auf einem hohen Abhange des Geftades und gewährt eine 
vortreffliche Aus ſicht über die Stabt, den Golf und die Infel und Feftung Kronftadt. Es be 
fieht aus drei durch Colonnaden verbundenen Gebäuden und ift auf allen Seiten von Gärten 
und Drangerien umgeben, durch welche ein ſchnurgerader Kanal bis in den Golf geleitet if. 
In einem nahen Fichtenhain liegt die Solitude ober das nach dem Laut der Überrafhung be» 
nannte Schlößchen Ha, wohin ſich Katharina 11. oft in die Einſamkeit zurückzog. In der Stadt, 
welche in meift hölzernen Häufern 4000 €. zählt, befindet ſich eine Seecadettenſchule und „ein 
Seehospital. Der Weg von Petersburg nad) D., der über die kaiſerl. Luftfchlöffer Strelna und 
Peterhof führt, ift einer der prächtigften, indem er faft der ganzen Länge nach mit Parkanlagen, 
prächtigen Billas oder Datfchen, fteinernen Werftpfählen und Laternen verziert A — Dranien 


420 Dratorium Dratorinm (Priefter vom) 


baum, eine Stadt von 2500 E. im Herzogthum Anhalt-Deffau, Hat ein herzoglihes Schloß 
nebft Rufigarten und geoßer Orangerie. 1 
Dratorium nennt man ein muſikaliſches Drama ernfien, würdigen Inhalts, welches für 
blos mufifafifche Aufführung, mithin nicht für theatraliſche Action beftimmt iſt. Es erfodert 
daher von Seiten ber Poefie Handlung, wenn auch nicht in dem firengen Sinne bes theatrali« 
{hen Dramas, noch viel mehr aber Vergegenwärtigung einer Handlung oder Begebenheit, es 
fei unmittelbar durch die zur Handlung und Begebenheit gehörigen Perfonen oder mittelbar 
Durch erzählende Perfonen, welche fi) an deren Stelle verjegen und durch den eingreifenden 
Chor, ald die mufitalifche Auferung der Maffe von Individuen. Vorzüglich hat man geiftliche 
Stoffe, bibliſche Handlungen und Geſchichten zum Inhalte der Dratorien gemacht. Das eigent- 
liche Oratorium entftand, als ſich die geiftliche Mufik beftimmter von der weltlichen Muſik ab- 
fonberte. Vorbereitet war es durch) Lieder und abwechſelnde Chöre der hriftlihen Pilgrime, 
welche in den Zeiten der Kreuzzüge auf ihren Wallfahrten das Leben und ben Tod des Erlöfers, 
das Jüngfte Gericht und andere chriftlich-religiöfe Gegenftände öffentlich befangen, anderntheils 
durch die Myfterien (f.d.). Man nennt den Philipp von Neri (geft. zu Rom 1595), ben Stif- 
ter der Congregation ber Priefter des Dratoriums, ald Denjenigen, der die Dratorien um 1540, 
nach Andern 1558 eingeführt habe, um die Luſt der Römer an dem Drama auf religiöfe Ge 
genftände hinzuwenden. Den Namen bekamen diefe geiftlihen Mufiten erft in der Mitte des 
47. Zahrh. entiweder von der vorhergenannten Gongregation oder von ber Kirche, wo fie auf · 
geführt wurden. Emilio da Cavaliere in Florenz componirte um 1590 Dratorien mit einer Art 
Recitativ; ein Oratorium „L’anima e corpo” wurbe zu Rom 4600 aufgeführt. Im 17. Jahrh. 
bildeten ſich die Dratorien in Hinſicht ihrer mufitaliihen Form neben den Opern aus. Sie be 
fanden anfangs nur aus kurzen Chören im einfachen Contrapunft; in der zweiten Hälfte des 
47. Zahrh. aber wurde ed Sitte, jeden Theil eined Dratoriums mit einem Duett zu fehliefen. 
Als ausgezeichnete Dratoriendichter im Anfange des 18. Jahrh. find zu nennen Pariati, der 
Jeſuit Ceva, Orfini, Spagna, Zeno und Metaftafio, ald Dratoriencomponiften Galdara, 
Iomeli, Leo und Buononeini, Einen. großartigen Charakter gewann das Dratorium durch 
Seh. Bad und Händel, welcher Legtere den Chor mit aller feiner Kraft und dramati- 
ſchen Wirkfamteit ausftattere. Weit tiefer ſtehen in diefer Hinficht Gran, deffen „Tod Iefu* 
eigentlich nur eine Cantate ift, Haffe, Homilius, Nolle und Naumann, Durch Haydn wen- 
dete fi) das Oratorium zugleich weltlichen Stoff und Tone zu. An Haydn und Händel 
ſchloß fich Friede. Schneider, an Händel vornehmlich auch Bernh. Klein an. Außerdem 
befigen wir treffliche Oratorien von Schicht und Spohr. In neuefter Zeit hat Mendelsfohn- 
Bartholdy in feinem „Paulus“ und „Elias“ das Bedeutendfte auf dieſem Gebiete geleiftet. — 
Dratorium heißt in der Kirchenſprache überhaupt jedes zum Beten beſtimmte, mit einem Cru - 
cifixe, einem Heinen Altar und andern die Andacht erivedlenden Gegenftänden verfehene Zimmer, 
m den Klöftern der Betfaal. In der erften Zeit des Chriſtenthums führten felbft Kirchen, die 
Überdies doch nur Mein waren, den Namen Dratorien. Geit bem 6. Jahrh. wurde es indeß in 
ver abenbländ. Kirche gewöhnlich, an die großen und prachtvollen Kirchen noch befondere Bet 
Tapellen oder Bethäufer anzubauen, die man nun Dratorien nannte, weil fie eben, wie jegt noch 
in der Path. Kirche, vorzugsweife zum Beten dienten. Nur mit Genehmigung bed Biſchofs 
konnte und kann Meſſe in ihnen gehalten werden; doch darf er an großen Beften bie Erlaubniß 
hierzu nicht geben. Aus dem Gebrauche jener Bethäufer gingen die Kapellen hervor. 
Dratorium (Priefler vom) oder Priefter vom Bethaufe heißen die Glieder einer geiſtlichen 
DVerbrüderung, die Philipp von Neri aus Florenz (geb. 1515), urfprünglic) unter dem Namen 
der „Brüberfchaft von der Heil. Dreieinigkeit” in Rom (1548) ftiftete und die nach der Regel 
bes Heiligen Auguftin in Übungen der Andacht und Barmherzigkeit Iebte und dem Studium der 
theoiogiſchen Wiſſenſchaften fich widmete, ohne ſich durch Kloftergelübde zu binden. Anfangs 
beftand die Verbrüderung nur aus 15 Perfonen, allmälig verflärkte fie fich, und Neri gründete 
darauf ein großes Hospital zur Aufnahme armer, zu ben Gräbern des Petrus und Paulus in 
Rom wallfahrender Priefter. Paul IV. beflätigte die Stiftung und übergab dem Vereine bie 
Kirche des heiligen Benedict. In dem Dratorium hielt Neri geiftliche Übungen und Unterre · 
bungen, die mit Gebet, Lob · und Dankliedern für Gott und die Helfigen fchloffen, worauf die 
Mitglieder des Vereins die Hospitäler befuchten, um Arme und Kranke zu unterftügen. Daher 
erhielt die Verbrüberung den Namen „Priefter vom Oratorium” oder auch Dratoriften, ber 
indeß erft feit dem Tode (1595) und der Kanonifation Neri's durch Gregor XV. (1622) ge 
wöhnlich wurde. Neri erhielt 1574 ein fehr großes Oratorium In Florenz und verbreitete feine 


"Drbilins Pupillus Orchideen “1 


B  Gtiftung in ganz Italien, wo der Orden mit feinen frähern Gonftitutionen noch jegt beflchk. 


ed I u 


Ihm gehörte der befannte Gelehrte und nachmalige Cardinal Baronius an. Verſchieden von 
biefem Orden ift die Eongregation der Wäter vom Oratorium Jefu in Frankreich, weiche 
4614 zu Paris durch Peter von Berulle, ebenfalls ohne Verpflichtung zu Kloſtergelübden, geſtif⸗ 
tet und 1613 von Paul V. unter dem Namen „Priefter vom Oratorium Jeſu“ fanctionirt wurde. - 
Zweck der Stiftung war, das geſunkene Anſehen der Geiſtlichen durch Veredlung wieder zu he» 

ben; bie Glieder der Kongregation waren und find Weltprieſter. Die Stiftung verbreitete ee 
ziemlich bedeutend in Frankreich, befonder® nach Berulle's Tode (1629) und zählte zu ihren Mit- 
gliedern große Gelehrte, wie Malebranche, ben Drientaliften Morin und ben freimüthigen Theo⸗ 
Iogen Richard Simon, während Andere ald Lehrer an Schulen und Seminarien für Geiftliche 
fich verdient machten. Nach der Vertreibung der Jefuiten in Frankreich ſtanden bie Priefter diefes 
Ordens an der Spige vieler Seminarien und Gollegim. Während der Reftauration entfalteten 
fie abermals eine große Thätigkeit, die fie auch jegt noch beſonders im Miffienswefen zeigen. 

Drbilins Pupillus, ein durch fein finfteres Weſen und feine Zuchtmeifterei berüchtigter 
rom. Grammatiter aus Benevent, ertheilte, nachdem er im Macedonifchen Kriege als gemeiner 
Soldat gedient, lange Zeit in Rom feit Cicero's Confulate Sprachunterricht, wobei ex zum 
großen Berdruß der Lernenden ganz veraltete Gedichte erflärte. Er ftarb in dem Alter von fafl 
100 3. in größter Dürftigkeit. Dem Horaz, der ihn in Folge eigener Erfahrungen den „ohr⸗ 
feigenden Magifter” nennt, verdankt er Hauptfächlich die Ehre, daß noch jegt fein Name fprüch- 
wörtlich für einen Pedanten gebraucht wird. 

Orbis pletus (lat.), eigentlich „Die gemalte Welt”, iſt der Titel eines Schulbuchs, welches 
Amos Gomenius 1657 m NRürnberg zuerft herausgab. Der vollfländige Titel des merk⸗ 
würdigen, unzählige male aufgelegten und umgearbeiteten Buchs Tautet: „Orbis sensualium 
pictus, hoc est omnium fundamentalium in mundo rerum etin vita aclionum pictura et 
nomenclatura.” Der Zweck deffelben war, das Lateinlernen dadurch zu erleichtern, daß es bie 
Worte für alle möglichen Gegenflände, Perſonen, Begriffe und Thätigkeiten, jedes einzeln mit 
einem Bilde außftattete, fo Begriff und Anfchauung verband und damit zugleich den erſten An⸗ 
ſtoß zur Einführung der Realien in die Schulen gab. Eine Erneuerung bed „Orbis pictus” im 
Sinne des 18. Jahrh. war Baſedow's „Elementarwert”. Neuerdings haben eine Menge von 
Bilderbüchern ohne alle pädagogiſche Brauchbarkeit denfelben Namen zum Aushängefchild ge» 
wählt. Bgl. K. von Raumer, „Geſchichte der Pädagogik‘ (Bd. 2). 

a (Andrea), eigentlich Andrea di Eione, genannt Areagno oder Arcagnolo, ein 
florent. , Bildhauer und Architekt des 1A. Jahrh., war der Schüler bes Biov. Pifano, 
Gr fol 1329 geboren fein und flarb 1589. Unter feinen Gemälden haben ihn befonders biefe- 
nigen Fresken im Campo Santo zu Pifa berühmt gemacht, welche unter dem Namen Triumph 
bed Todes und WBeltgericht bekannt find. Die Fortfegung, eine Hölle, fol von O.6 Bru⸗ 
der Bernardo, die Thebaifchen Einfieblee von Pietro di Lorenzo gemalt fen. Ds Geflalten 
find [chen ungleich freier aufgefaft und richtiger gegeichnet als diejenigen Giotto's. Auer Piſa 
befigt nur noch Florenz in der Kapelle Strozzi zu Santa⸗Maria novella Gemälde von D.’8 Hand, 
nämlich ein Ultarbild mit der Jahrzahl 1357 und ein Weltgericht in Fresco, daneben aber 
feine einzigen urkundlich erwiefenen Bauwerke, die zierliche Kirche Or San-Michele und die ein- 
fach⸗grandioſe, nur aus drei hohen und weiten Bogen beftehende Loggia de’ Lanzi, deren Sculp⸗ 
turen ebenfalls zum Theil von D. herrühren. 

Orcheſter (Orchestra) nannte man im Alterthume den Raum vor der Bühne bie zu ben 
Sitzen der Zufchauer, der bei den Griechen für den Ehor und die Mufiker, bei den Römern zu 
Ehrenplägen für die Senatoren beftimmt und daher auch in ben röm. Theatern meit niedriger 
als in den griechifchen mar. Begenwärtig bezeichnet man mit diefem Namen in dem Schau 
fpielhaufe den vor dem Theater befindlichen und von den Zufchauern abgefonderten Drt, und in 
dem Eoncertfaale diejenige etwas erhöhte Abtheilung deſſelben, wo fich bie Muſiker befinden, fo- 
wie bie Geſellſchaft ber Tonkünſtler felbft, die die Muſik aufführen oder die Kapelle. 

Drcheſtik Heißt griech. die Tanzkunſt (f.d.), jegt befonders die höhere, dramatiſche. 

een nennt man eine zu ben Monokotyledonen (f. d.) gehörende zenfamilie, 
welche bei Linne die 20. Claſſe von deſſen Syſtem ausmacht und ſich hauptſächlich dadurch aus⸗ 
zeichnet, daß das einzige Staubgefäß mit dem Griffel in einen Körper, die Griffelſäule, zufam- 
menggwachfen und ber Blütenflaub eines jeden Fachs zu einer Maffe (Staubmaffe) vereinigt 
ift. Außerſt felten find zwei Staubbeutel an der Griffelfäute, wie bei dem Frauenſchuh (Cypri- 
pedium), oder gar drei, wie bei der Gattung Mpoflafia, vorhanden. Die zu biefer (car arefen. 


AAN. Drchomenos Ordalien 


und ſchönen Familie gehörenden Pflanzen kommen zwar in allen Klimaten und Belttheilm 
vor; doch finden fich ihre zahlreichſten und fhönften Formen nur zwiſchen den Wendekreiſen 
Sie wachfen theils auf der Erde, theils ſcheinbar ſchmarohend auf der Rinde der Bäume. Die 
auf der Erde wachfenden Arten Haben großentheils zwei Wurzelknollen, welche das in der Geil 
Bunde gebräuchliche Satep (ſ. d.) geben. Einige wenige befigen durch ein. angenehmes ätheri- 
ſches öl ausgezeichnete Früchte, mie die Vanille (f.d.), und bei manchen find felbft bie Blatter 
wohlriechend, wie bei dem buftigen Augurek (Angraecum fragrans), befien Blätter unter 
dem Namen Faam oder Faham oder Thee von Bourbon auch nach Europa als Heilmittel ge 
gen die Schwindfucht eingeführt worden find. Bei fehr vielen befigen die Blüten einen ange 
nehmen, meiſtens vanillenartigen Wohlgeruch, wie unfere wohlriechende Radtorde (Gymna- 
daenia odoratissima), fehr felten einen widrigen, wie die Wanzen-Ragwur; (Orohis corio- 
phora). Wegen ihrer durch Größe, Schönheit, fonderbare Beftaltung oder Wohlgeruch ausge: 
zeichneten Blüten find diefe Pflanzen in neuerer Zeit bei uns der Gegenftand einer mit Vorliebe 
betriebenen Eultur geworden und werben in befondern Warmhäufern (Orchideenhäuſern) mit 
großen Koften cultivirt. Auch find diefelben vielfach monographifd, behandelt worden, wie von 
Lyons, Hooker, Reihenbad u. A. 

Drhomenos, eine uralte berühmte Stadt in Böotien, der Hauptort ded früher völlig unab» 
hängigen Reichs der Minyer (f. d.), lag in der Nähe des jegigen Dorfs Skripu, nörblich vom 
See Kopais, auf dem linken Ufer des Kephiffus, und zeigt noch jegt die Trümmer der Burg auf 
einem Bergrüden und einige Überrefte des Schaghaufes des Minyas. Schon in den früheften 
Zeiten breitete fich die Herrfchaft von D. bis zum Meere hin aus, ſodaß diefer Staat bereit beim 
Kampfe gegen Troja mit 30 Schiffen fich betheiligen konnte. Als Theben neben Sparta und 
Athen zu einem bedeutenden Range fich erhob, zerftörte ed nach dem Siege bei Leuktra 371 
v. Chr. aus Eiferfucht die alte Nebenbuhlerin D. und verkaufte die Einwohner als Sklaven. 
Philipp von Macedonien ließ die Stadt zwar wieberherftellen; ihr Wohlftanb und Anfehen wa 
ven aber für immer vernichtet. Vgl. O. Müller, „D. und die Minger” (2. Aufl, Bresl.1844). 

Orens nannten bie Alten bad Reich bes Pluto (f. d.), überhaupt die Unterwelt (f. d.). 

Drdalien oder Gotteöurtel nannte man im Mittelalter diejenigen Handlungen, melde 
man in peinlichen und zuweilen auch in bürgerlichen Rechtöfällen zur Ermittelung ber Wahr⸗ 
beit durch Gottes unmittelbare Einwirkung von den Angeklagten bann fobderte und ihnen aus- 
zuführen geftattete, wenn alle andern Beweise für Necht oder Unrecht, Schuld oder Unfchuld 
mangelten. Diefelben wurden feierlich in Gegenwart der Priefter abgehalten, und e& handelte 
fich dabei in der Regel um ein Wunder von Seiten Gottes, der mit feiner Gerechtigkeit da ein- 
treten werde, wo menſchliche Einficht nicht ausreiche. Obſchon diefe Gottesurtel faft bei allen 
uncultivirten Völkern vorkommen, waren fie doch befonders unter den Deutfchen üblich. Dir 
einzelnen Arten waren hier ber gerichtliche Zweikampf (f. d.), in welchem ber Beſiegte für firaf- 
bar geachtet wurde, die Feuerprobe, die Waſſerprobe, die Probe des geweihten Biffens, die 
Probe des heiligen Abendmahls, das Kreuzgericht und das Bahrrecht. Val. Majer, „Ger 
ſchichte ber Ordalien, insbefondere der gerichtlichen Zweikämpfe in Deutfchland” (Jena 1795). 
Die Feuerprobe beftand darin, baf der Beklagte über glühende Kohlen oder neum glühende 
Pflugſchare niit bloßen Füßen gehen oder ein glühendes Eifen mit bloßer Hand einige Schritte 
weit tragen mußte, oder daß man ihm glühende Kohlen auf den bloßen Fuß legte, ober ihm burch 
ein Beuer gehen ließ, bei welchem Iegtern Verfuche ihm oft ein mit Wach überzogeneb Hemd 
angezogen wurde, weshalb man died auch die Probe bed wächfernen Hemdes nannte. Band 
keine Verlegung durch das Feuer ftatt, fo erflärte man ihn für ſchuldlos. Die Waflerprobe 
beftand theils darin, daß ber Angeklagte einen Ring oder Stein aus einem Keſſel fiedenden 
Waſſers herausnehmen mußte, theils darin, daß er an Händen und Füßen gebunden in fließen 
des Waſſer gelaffen wurde. Letztere Probe mußten häufig Frauen, die ber Zauberei angeflagt 
waren, beftehen; ſank die Angeklagte unter, fo war fie unfchuldig, ſchwamm fie aber auf dem 
Waſſer, fo galt fie für fchuldig. Die Probe des geweihten Biſſens befland darin, daß man 
dem Angeklagten die geweihte Hoftie unter vielen Verwünfchungen in den Mund legte. Der 
jenige, welcher ihn fogleich ohne Mühe verfchluden Ponnte und nachher weder Krankheit 
noch Schmerzen empfand, wurde von der Strafe befreit. Die Probe des heiligen Abend 
mahls war befonders unter Geiftlihen und Mönchen gebräuchlich, die zum Beweiſe ihrer 
Unfhuld das Abendmahl nahmen, indem man glaubte, daß Gott den Schuldigen nad 
deſſen Genuffe fogleich töbten oder krank machen werde. Das Kreuzgericht war boppel- 
ter Art. Entweder fiellte man den Kläger und den Beklagten mit ausgeſtreckten oder 


- 


Orden (teitfiche) kai 


kreuzweiſe außgebreiteten Armen eine Zeit lang unter ein Kreuz und verurtheilte Den, der 
zuerft die Hände bewegte ober ſinken ließ, ober man bezeichnete von zwei Würfeln einen 
mit einem Kreuze und zog einen von beiden, mo dann, wenn ber gezogene Würfel das Zei⸗ 
hen des Kreuzes hatte, Befreiung von der Strafe erfolgte. Das Bahrrecht wurde hauptfäch⸗ 
lich bei Crforſchung der Mörber angewendet und beftand darin, baf man den Ermorbeten auf 
eine Bahre legte und den vorgeblichen Mörder bie Xeiche, insbefondere die Wunden berühren 
Tieß. Floß dabei Blut aus denfelben oder trat Schaum aus dem Munde des Bemorbeten, ober 
veränderte und bewegte ſich angeblich der todte Körper, fo beftrafte man den Verdächtigen als 
Mörder. Bisweilen nahm man hierbei flatt der ganıen Leiche bloß die Hand des Ermorbeten, 
und dieſes hieß dad Scheingehen. Was bie höchſte Einfalt und Rathloſigkeit gefchaffen, Fan 
nachher durch den Aberglauben und Betrug zum böchften Anfehen, und felbft die Verbote aufe 
geklärter Kaifer feit Lubwig's des Frommen Zeit konnten biefen vernunftlofen Gebräuchen nicht 
Einhalt thun. Stärker wirkte bene ber päpftliche Stuhl durch Häufige Unterfagungen und 
durch Einführung einer beſſern Gerichtöverfaffumg entgegen. Nach und nach fahen auch viele 
Obrigfeiten felbft das Abgeſchmackte und Abfcheuliche derfelben ein. Daher wurden die Orba- 
lien ſchon feit dem 44. Jahrh. feltener, bis fie im 15. Jahrh. durch das weitere Umfichgreifen 
des kanoniſchen Rechts, welches den Reinigungseid einführte, noch mehr aber durch allgemei⸗ 
nere Einführung des rom. Nechts ganz außer Gebrauch kamen. Ein Überreft ift das in Eng⸗ 
land wenigftens noch nicht gefeglich abgefchaffte gerichtliche Boren, und daB Bahrrecht findet 
in Deutfchland hier und da gewiffermaßen noch flatt. In voller Kraft beſtehen die Gottesur- 
theile noch bei einer Menge aufereurop. Völker. Vgl. wider, „Uber bie Ordale. Ein Beitrag 
zur beutfchen Rechtögefchichte” (Gött. 1818). 

Drden (weltliche) nennt man die äußern Auszeichnungen, die in faft allen civilifirten Staa⸗ 
tem für bürgerliches oder militärifches Verbienft erteilt werben. Der Gedanke des Inſtituts 
wurzelt in ben mittelalterlichen Ritterorden (f. d.), jenen geiftlich-feubalen Verbindungen, die zu 
irgend einem Friegerifchen oder religiöfen Zweck geftiftet wurden unb auf firenger Affociation der 
Mitglieder mit beſtimmten Gelübden und Pflichten beruhten. Daraus ermuchfen die von Mo⸗ 
narchen geftifteten Orbensverbindungen, in denen bie Idee einer ritterlichen Aſſociation noch. 
nicht verwifcht ift, aber doch zugleich ſchon der Bedankte des Dienftes, der einem beſtimmten 
Fürſten oder Staate geleiftet wird, bem Inftitute zu Grunde Tiegt. Solche Orden waren ber engl. 
Hoſenbandorden von 1350 und der Burgund. Orden des Goldenen Vließes (geftifter 1430), 
der ſpäter auf die Abkömmlinge des burgund. Haufes, auf die Dynaftien in Oſtreich und Spa⸗ 
nien überging. In ihnen gibt fich der Übergang von dem mittelalterlichen Orbenswefen zu dem: 
modernen monardhifchen fund. Daran fchloß fi) im 16. Jahrh. der von Heinrich II. in Frank⸗ 
reich gefliftete Heilige Geiftorden (1578). Mit dem 17. Jahrh. verwifchte fich die Erinnerung an 
das Mittelalter völlig, und die ſeitdem geftifteten Orden entfprangen weſentlich aus bem mo» 
narchifchen Intereſſe, wie es ſich feit Ludwig XIV. ausbildete. So gründete Ludwig XIV. felbft den 
Heiligen Ludwigsorden (1695), der erſte König von Preußen (1701) den Schwarzen Adleror⸗ 
den, Peter d. Gr. den Alexander⸗Newſtkiorden (1722), Maria Therefia (1751) nach dem Siege 
bei Kollin den Maria⸗Thereſienorden. Auch die rom. Eurie und der türkiſche Padiſchah haben 
Orden in biefem Sinne gefliftet. Cine eigenthümliche Ausnahme bildet der in Nordamerika 
1785 geftiftete Eincinnatusorden (f. d.), ein moderner Ritterorden zur Erhaltung der republi- 
kaniſchen Freiheit, der aber ſchon mit feinen Stiftern erlofch. Cine bedeutſame Stelle inder 
neueren Befchichte nimmt der im März 1813 gefliftete Orden des Eifernen Kreuzes ein. Heut- 
zutage beſtehen in den meiften, auch felbft in fehr Meinen Staaten ein oder mehre folcher Orben. 
Sie find entweber für bürgerliche ober für milttärtfche Verdienſte ausſchließlich beflimmt ober 
werden gemifcht für das eine mie das andere außgetheilt. Auch ift mit einzelnen eine Dotation 
verbunden. Der frühere firenge Rangunterſchied iſt nur noch bei einzelnen Drden, die eine ge- 
wiffe ariftofratifche Stellung behauptet haben, geblieben. Bei der Mehrzahl fönnen Perſonen 
der verfchiedenften Stände vom Bürger und Beamten an bis zu den fürſtlichen Geſchlechtern 
Inhaber feien, nur macht dann die verfchiebene Elaffe im Orden felbft einen Unterfchieb. Die 
rein militäriſchen (3. B. ber Marien-Therefienorden) oder die ausſchließlich für wiſſenſchaftli⸗ 
ches Berbienft geftifteten (3. B. der preuß. Orden pour le merite) find naturgemäß auf gewiſſe 
Claſſen der Geſellſchaft befchränkt. Das Anfehen und die Bedeutung des Ordensweſens hat 
im Laufe unſers Jahrhunderts weſentlich abgenommen, vielleicht weniger in Bolge ber revolu⸗ 
tionairen Eindrücke und Anfichten feit 1789, als ber großen Zahl und ber verſchwenderiſchen 
Bertheilung wegen, welche in vielen Staaten mit den einzelnen Orden getrieben worden iſt. 


“u ODrben (geife) - 


Bol. Perrot, „Collection historique..des ordres de la ahevalerie civils et militaires etc.“ 
Dar. 1820); Gottſchalck, Almanach der Witterorden” (3 Bde, Lpz. 1817 — 19); dab 
achtwerk von Gelbke, „Abbildung und Beſchreibung ber Ritterorden u. |. w.“ (11 Lieferum 
gen, Berl. 1852— 39), und deffen fpecielle Arbeiten, die „Ritterorden und Ehrenzeichen ber 
preuß. Monarchie” (Erf. 18357), „Ritterorben und Ehrenzeichen Sachſens“ (Beim. 1858) . 
und „Ritterorden und Ehrenzeichen bes uff. Kaiferreih6” (Epz. 1859); Biebenfeld, „Ge 
ſchichte und Verfaffung aller geiftlichen und weltlichen, blühenden und exlofchenen Ritterorden⸗ 
(2 Bbe. mit 40 illuminirten Tafeln, Weim. 1841). 
Orden (geiftliche) nennt man Verbindungen zu einem durch Be Regeln oder Ordnun⸗ 
gen beflimmten anbachtigen und enthaltfamen Leben. Bon den religiöfen Brüberfchaften (f.b.) 
‚umterfcheiden fie fich durch bie Tebenslängliche Verpflichtung zu den fogenannten Orbensregein 
oder Kloftergelübben (f. d.), welche jeder Novize nach überftandenem Noviziat (f. d.) abzulegen 
at. Religiöfe Brüderfchaften und Orden findet man in allen Religionen, felbft im Heidenthum. 
alten Jubenthum wie bei den Mohammedanern kommen fie in ‚verfchiedenen Abflufungen 
(f. Moͤnchsſweſen) vor. In der chriftlichen Kirche aber treten fie in außerordentlich vielen Rüan⸗ 
cen auf, und hier hängt ihre Entftehung und Entwidelung mit ber Ausbildung ded Papſtthums 
ur Hierarchie innigft zufammen. Nach dem Gefchlechte ihrer Glieder theilt man fie in bie 
öndh8- und Nonnenorden oder in Drbensbräber und Ordens ſchweſtern. Beide werben auch 
mit dem gemeinfamen Namen ber Oxrbensperfonen ober Drbenslente bezeichnet, ihre ganze Ge⸗ 
fammtheit aber nach ihrem Aufenthaltsorte, den Klöftern (f. d.), Klofterorden genannt. Die 
gemöhnfiche Kleidung, welche von ben Drdensperfonen getragen werben muß, bildet bie Dr- 
denstradt. Bei befondern Gelegenheiten, namentlich im Ehordienfte (f. b.), wird Die gewöhn⸗ 
liche Kleidung mit einem Feftkleide vertaufcht, welches das Chorkleid heißt. Die Gefege, welche 
von dem Stifter eines Ordens mit päpfllicher Betätigung oder von dem Papfte für einen Or⸗ 
ben gegeben wurden, heißen bie Drbensregel. Die Mönche und Nonnen im Orient, beſonders 
bie griechifchen, richten fich nach der Megel des heil. Baſilius (f. d.), der auch die Bafilianer in 
Spanien folgen. In der röm. Kirche hingegen erhielt das Mönchsweſen feine Grundregel vom 
heil. Benebict (f. d.) von Nurfia, ber als der erfle Stifter eines geiftlichen Ordens betrachtet 
werben muß. Die Klöfter der orient. Kirchen tragen den Ramen gemeinfchaftlicher Stifter und 
Schugheiligen, ohne Darum in einem fo feften Verbande miteinander zu ſtehen wie im Decident. 
Anfofern die Regel Benedict's und die ſchwarze Kutte vom 6. bis zu Anfange bes 10. Jahrh. 
faft allen Mönchen und Nonnen im Dccident gemein waren, kann der Benedictinerorden für 
den einzigen während jener Zeit gelten, obgleich die dazu gehörigen Klöfter ohne gemeinſame 
Drbensobere noch unter den Bischöfen flanden und fich durch partielle Erweiterung, Schärfung 
ober Milderung der Grundregel in mehre Congregationen theilten. (S. Benedictiner.) Im 
Mittelalter äußerte ſich das Beftreben, bem Monchsweſen nod) größere Strenge und Heiligkeit 
zu geben, theil$ durch Meformationen, tbeild durch die Stiftung mehrer Orden, die auf bie 
Srundregel Benedict's neu gebaut waren. So entftanden die Camaldulenfer (f. d.), die grauen 
Mönche von Ballombrofa, die Silveftriner, die Grandimontaner, die Karthäufer (f. d.), die Co» 
leftiner (ſ. d.), die Ciftercienſer (ſ. d.), nebft den von ihnen ausgegangenen Brüderfchaften, und 
der Orden von Fontevraud. Von einer bedeutenden Anzahl geiftlicher Orden wurde aber 
auch die vermeinte Negel des heil. Auguftinus (f. d.) angenommen. Yuguftinus hatte zwar, 
ohne an die Stiftung eines Mönchsordens zu denken, Geiftliche an feiner Hauptkirche und meh- 
ren andern Kirchen feines Sprengel zur Beobachtung des kanoniſchen Lebens vereinigt, und 
die Mönche, welche man noch im 7. Jahrh. unter die Laien rechnete, konnten die zunächſt für 
Geiſtliche beftimmten Vorfchriften des Auguſtinus gar nicht auf ſich anwenden ; aber ſchon im 
8. Jahrh. fing man an, fie ald Glieder des geiftlichen Standes zu betrachten, und im 10. Jahrh. 
wurden fie durch die Verwilligung der Zonfur förmlich für Geiſtliche erklärt. Die Meinung 
des Volkes und felbft päpftliche Bullen fegten fie wegen ihrer vorzüglichern Heiligkeit noch über 
die Weltgeiftlichen, welche dadurch genöthigt wurden, häufig felbft in ben Mönchsſtand au tre- 
ten oder fich doch zur Beobachtung der Moͤnchsgelübde und des kanoniſchen Lebens zu vereinigen. 
Bon diefer Art waren die nach der Regel ded-Auguftinus gebildeten Congregationen der regu- 
lirten Chorherren oder Kanoniker. Cigentliche Mönchorden nad) der Regel des Auguftinus 
find die Prämonftratenfer (f. d.), Auguſtiner (f. d.), Serviten (f. d.), Dieronymiten (f. d.), Se 
fuaten und der Brigittenorden (f. d.). Unter die Claſſe der bisher genannten, nady ber alten 
Idee des Mönchslebens mehr der flillen Betrachtung ergebenen Orden gehören auch die eigen⸗ 
thümlich conftituirten Karmeliter (f. d.). 


Orden (geiſtliche) | 20 


Schon mehr Neigung, der Welt zu dienen, zeigten bie Trinitarier und der Orden von 
ber —— — aber wurde das Streben nach hierarchiſchem Einfluſſe auf die Welt 
bei den im Anfange des 13. Jahrh. geſtifteten Orden ber Bettelmönche (ſ. d.), nämlich der Do⸗ 
minicaner (ſ. d.) und Franciscaner (ſ. d.), während die auch hierher gehörigen Minoriten und 
Minimen (ſ. d.) mehr Neigung zum beſchaulichen Leben darlegten. Obwol ſpäter die Stiftung 
neuer Moͤnchsorden vom päpftlichen Stuhle und von einigen Kirchenverfammlungen ausdrück⸗ 
li unterfagt worden war, fo mußten ſich Doch mehre feit dem Anfange bes 16. Jahrh. entſtan⸗ 
dene Inſtitute biefer Art die päpftliche Genehmigung zu verfhaffen und jenes Verbot dadurch 
zu umgeben, daß fie nicht für neue Mönchsorden gelten wollten, fondern fich regulicte Chorher⸗ 
ren des heil. Auguftinus nennen ließen und bie ſchwarze Kleidung der Weltgeiſtlichen trugen. 
(8. Stift.) Der große Berluft, welchen die alten Orden durch die Reformation erlitten hatten, 
machte bie Papſte geneigt, dergleichen-Unternehmungen wieder eifriger zu unterftügen. Dierher 
gehören ganz vorzüglich die Sefuiten (f. d.), dann aber auch bie Theatiner (f. b.), Barnabiten 
(f.'d.), die Priefler und Väter vom Oratorium (ſ. d.), die Lazariften (ſ. d.), Bartholomäer 
(f. Bertholomäns), Piariſten (f. d.) und Barmherzigen Brüder und Schweftern (ſ. d.). 

Bei der Bildung neuer Mönchsorben fchloffen ſich gewöhnlich auch Nonnen gleiches Namens 
und gleicher Negel an, aber ohne an der priefterlichen Wirkſamkeit derfelben Theil zu Haben. 
Der männliche Zweig eines Ordens heißt ber erfte Orden, der weibliche Dagegen der zweite; fo 
gehören 3. B. die Kapuziner zum erflen und bie Kapuzinerinnen zum zweiten Drben bed heil. 
Franz. Auch entfianden Gongregationen von Klofterfrauen, welche ſich gewiſſen Mönchsorden 
anſchloſſen, ohne deren Namen zu tragen, wie die Blariffinnen, die Urbaniftinnen, die Nonnen 
von ber Empfängnif Unferer Lieben Frau in Italien und Spanien und, die Annunciaten ober 
Ronnen von der Verfündigung Mariä, welche zum zweiten Orden bes heil. Franz gehören, umb 
die Angeliten oder Englifchen Schweftern, welche ber Regel der Barnabiten folgen. Weibliche 
Orden, welche feinem männlichen Orden angehören und ſämmtlich nach ber Hegel bes Keil. 
Auguflinus leben, find die Klofterfrauen von der Buße der Magdalena, die Saleftanerinnen, 
die himmliſchen Annunciaten, bie Urfulinerinnen und die Barmberzigen Schweftern. 

Außer den Klofterfrauen erhielten faft alle geiftlichen Orden noch neuen Zuwachs durch bem 
Zutritt von Laienbrübern (fratres barbati oder conversi) und Laienſchweſtern (sorores con- 
versae), bie man zur Verrichtung der Hausarbeiten in ben Klöftern und zur Beforgung des 
Verkehrs mit der Welt annahm, bamit die Profeffen, d. h. die eigentlichen Neligiofen, welche 
bie Kloftergelübde abgelegt und im Chore der Kirche die Horas. ober kanoniſchen Betflunden 
abzuwarten haben, in ihren Andachtsübungen und Studien nicht geftört würden. Unter dem 
Namen von Oblaten, d. h. Dargebrachten, und Donaten, d. h. Geſchenkten, wibmeten fo 
unzählige Andächtige ihre Perfon oder ihr Vermögen und ihren Einfluß dem Dienſte der geiſt⸗ 
lichen Orden. Ganze Familien, Eheleute aus allen Ständen traten auf diefe Axt in ein Ver» | 
hältniß der Abhängigkeit zu der regulirten Geiftlichkeit. Der heil. Franz gab biefem Verhältniß 
zuerft eine befiimmte Form, indem er Laien, die ſich mit den Mönchen verbrüdern wollten, ohne 
Geiftliche zu werden, in eine befondere Corporation unter dem Namen bes britten Ordens ber 
Minoriten vereinigte. Nach diefem Mufter geſellten ſich außer ſämmtlichen Bettelorben auch 
die Eiftercienfer, Zrinitarier und die Religiofen von der Gnade dergleichen Zertiarier zu, von 
benen nur wenige in die Clauſur traten und die Kloftergelübde leifteten. Die meiften Mitglieber 
derfelben blieben in ihren bürgerlichen und häuslichen VBerhältniffen und verpflichteten fi nur 
zu einem frönnmern Leben. Dazu gehörte, daß fie täglich einige Ave Maria und Parernofter 
beteten und zu gewiffen Zeiten fafteten. Die Tertiarier durften die Kleidung ihres Ordens an 
legen, begnügten fi) aber in ber Regel, das Scapulier ober den Gürtel deffelben unter ihrer 
bürgerlichen Kleidung zu tragen. — 

Die Orden älterer Stiftung regierten ſich anfangs auf ariſtokratiſch - republikaniſche Weiſe 
ſelbſt. Die Benedictinerkloͤſter blieben lange voneinander ganz unabhängig; bie Ciſtercienſer ge⸗ 
horchten einem hohen Rathe, der den anfangs jährlich, fpäter in jebem dritten Jahre gehaltenen 
Beneralcapiteln der Abte umd Prioren aller Eiftercienferflöfler verantwortlich war. Schwäc 
Drden, wie bie Karthäufer, Grandimontaner u. |. w, hatten bei ähnlichen Berfaffungen über- 
dies noch mit den Bichöfen zu impfen, deren alte Anfprüche auf bie Gerichtsbarkeit über alle 
Kiöfter ihres Sprengels fie nicht fo leicht abzuweiſen vesmochten, wie bie erimirten Benebictiner 
und Giftercienfer. In ein engeres Verhältniß zum Papſte ſetzten ſich aber gleich bei ihrem Ent 
ſtehen die Bettelorden. Bermöge ber ihnen verliehenen Privilegien unmittelbar abhängig von 
Rom, bewährten fie die Stärke ihrer monarchiſch⸗militätiſch geordneten Verfaſſung mit großen 


426 Drdinaten —* Ordination 


en. Bald folgten die meiſten der übrigen Orden ihrem Syſteme, welchem gemäß am der 
Spige jedes geiftlichen Ordens ein Geueral oder Negent ſteht, der alle drei Jahre gewählt wird, 
zu Rom feinen Sig hat und nur dem Papfte verantwortlich ift, jedoch bei einigen Drden noch 
einen Admonitor zur Seite hat, der ſeine Schritte im Namen ded Drdens beobachtet. Die Der 
finitoren oder Näthe des Generals find die Ordens provinzialen, Obere, denen bie Aufficht und 
Regierung ber Klöfter in den einzelnen Provinzen obliegt. Sie bilden unter dem Vorfige des 
Generals das Generalcapitel des ganzen Drdens und präfidiren wieder ald Generalvicare auf 
den Provinzialcapiteln, an denen dieDbern der einzelnen Klöfter einer Provinz als ftimmfähige 
Capitulaten (suffraganei) Theil nehmen. Diefe, die bei den verfchiedenen Orden Äbte, Prioren, 
Superioren, Miniftri, Guatdiane, Pröpfte oder Rectoren heißen und im Sinne des fanonifchen 
Rechts Prälaten find, verhandeln die Angelegenheiten eines. Kloſters in einem Capitel oder Con · 
vente mit den zum Ghore gehörigen Neligiofen deffelben, doch jeder für fich allein. Daher führ 
ven die Religiofen (auch wol Choriften genannt) ben Namen ber Eonventualen und Väter (patres), 
zum Unterfchiede von den niedern Mönchen, den Brüdern (frätres), welche ald Neulinge der 
bhöhern Weihen noch nicht theilhaftig find oder als Laienbrübder zu Hausdienften des Kioſters 
gebraucht werden. Auch werden bei den Bettelorden nur die Legtern zum Terminiren (Bet ⸗ 
telm) ausgefendet, während die Väter blos zur Verwaltung priefterliher Amtshandlungen im 
Kloſiet und auf den Pfarreien, bie zum Patronate des Kloſters gehören, berechtigt find. Die 
Capitel der einzelnen Klöfter einer Provinz flehen unter dem Provinzial, als ihrer Behörde in 
erfter Inftanz. Die legte Inftang für alle Glieder eines Drdens ift der General deffelben, ber 
auch dem ziweiten und deitten Orden (den Nonnenklöftern und Verbrüderungen der Laien) vor» 
fteht: Die Frauenorden, Haben eine ähnliche Verfaffung, nur können fie nicht ohne einen Propft 
beftehen, der mit feinen Raplänen das geiftliche Amt bei ihnen verwaltet. Wenn fie feinem zivei- 
ten Orden angehören, find fie, wie bie Hospitäler und alle nicht befreiten Möfter, der Gericht. 
barkeit und Aufficht ded Biſchofs untergeben, in deſſen Sprengel fie liegen. Galten ſchon die Bet · 
telmönche als Stügen des röm. Stubls, ſodaß man fie Häufig al das flehende Heer dee Pap- 
ſtes“ bezeichnete, jo gewannen doch die Jefuiten unter allen geiftlichen Orden die größte Bedeu 
tung, und ige Fall war der Vorbote der Befchränkung oder ſelbſt des Untergangs mehrer anderer 
Drden. Bl. Helyst, „Histoire des ordres monastiques et militaires“ (8 Bde. Par. 1714; 
neue Aufl, 1792; deutich, %pz. 1753); Crome, „Pragmatiſche Gefchichte der Moͤnchsorden“ 
(10 Bbe., 2p4.1774—83) ; Döring, „Gefchichte der Möndsorden” (2Bbchn., Dresb. 1828). 

Ordinaten heißen in der analytifchen Geemettie 1) parallele gerade Linien, die von einer 
der Lage nach gegebenen geraden Linie, ber Abfeiffenlinie, zu einer krummen oder auch an eine 
andere gerade Binie in derfelben Ebene gezogen find; 2) parallele gerade Linien, die von einer 
der Lage nach gegebenen Ebene an eine krumme Fläche oder doppelt gekrümmte Linie gezogen 
werben. (S. Eoorbinaten.) 

Drbdination heißt in der proteft. Kirche die feierliche Einweihung zum geiftlichen Anıte. 
Sie war von jeher in der Kirche gebräuchlich, findet in der Praxis der alten apoftolifchen Kirche 
und in 1. Tim. * und Tit.1 ihre Begründung und beftand flet$ in derfeierlihen Dandauflegung 
mit Gebet. Daher heißt fie ordo sacerdotalis, manus impositio. Ihr muß die Vocation zum 
geiftlichen Amte vorausgehen, weil dieſes ein übertragenes iſt; das Necht ber Vocation hat die 
Kirche oder Gemeinde. Rach proteft. Srundfägen kann die Ordination von jedem Pfarrer voll- 
zogen werden. Die kirchliche Praxis hat ſich indeß dahin ausgebildet, daß dem Drbinanduß, d. h. 
dem zu weihenden Gandidaten, von einem obern Geiſtlichen die Pflichten des geifllihen Amts 
vorgehalten und mit Anteben, Segenfprechen und Auflegung der Hände bie Rechte und Befug · 
niffe zur Verwaltung des geiftlichen Amts ertheilt werben. Bei dieſem uralten Gebrauche de6 
Händeauflegens wird der Beiftand mehrer, gewöhnlich noch zweier anderer Amtsgeiſtlichen er» 
fobert, welche damit einen Segenswunſch für den Drbinandus verbinden, der gleich darauf, zum 
Beichen feiner Kirchengemeinfchaft, das heilige Abendmahl genießt. Die Erlaubniß, Eandidaten 
au orbinicen, wird von den Kirchenräthen und Gonfiftorien in der Regel nur den ald Eramina- 
toren und Confiftorialaffefforen angeftellten Superintendenten, Dekanen oder Infpectoren über« 
tragen, in England und in den nordiſchen Reichen den proteft. Bifhöfen. Eine Wiederholung 
ber Ordination beim Hinaufrüden in Höhere Amter findet nicht ftatt. Im der Fath. Kirche iſt die 
Dxbination ober Priefterweihe (f. d.) ein Sacrament. Der Glaube, daß bie Ordination von ben 
Apofteln nur durch die Biſchöfe fortgepflangt und bis jegt in ber Kirche erhalten worden fei, 
marht nach der Anficht der Katholiken bie Ordination proteft. Prediger durch verheitathete Su- 
⸗erintendenten und Dekane ungültig und biefe zur Ertheilung der priefterlichen Würde unfähig. 


Dräuung Drbsyugnzen | 


Drdnung heißt bie gefegmäfige Aufeinanderfoige oder Snfammenfiellung der Dne 
Auch wird der Inbegriff der Iegterm ſelbſt jo genannt, wenn fie vach irgend einem Befege zu 
fammengehören, baher 3. B. die Naturforſcher diejenigen Abthellungen, welche fie unter ge 
wiffen Claſſen ber gegenftände finden und annehmen, Ordnungen (ordines) nenne. 
Ferner redet man von einer moralifhen Weltorbnung als der Zuſammenſtimmung aller Dinge 
in der Welt zu einem abfoluten, fittlichen Zwede. Ordnung überhaupt bewirkt ſchon für fich 
ein Wohlgefallen, ſelbſt unabhängig von dem Inhalt der Gegenflände ; denn alles Geordnete 
wird überfchaulich und faßlich. Daß der afthetifche Heiz der Darfiellungen der ſchönen Kunft 
gleichwol nicht auf bloßer Ordnung, etwa bes Rhythmus, ber Symmetrie u. ſ. w., berußt, ver 
fieht fi von felbft. — Im juriſtiſchen Sinne bezeichnet Orbnung (ordinatio) ein umfafiendes 
Gefeg über die Drganifation einer Behorbe und bie bei ihren Geſchäften zu beobachtenden Som 
men. So gibt e8 Gerichtö- und Procef«, Appellations, Gemeinder, Kirchen, Polizeiordnum 
genu.f.w. Dronungsſtrafen nennt man die Beſtrafung wegen verlegter Drbnung, welche 
von ber auffehenden Behörde ohne eigentliches richterliched Gehör und Urtheil verhängt wird, 
und wogegen alfo auch kein eigentliches Rechtsmittel, fondern nur Vorſtellung aber Beſchwerde 
bei der vorgefegten Behörde ftattfindet. . 

Drbonnanz bezeichnet zunächft ein militärifches Gefeg im Allgemeinen und fpeciell diejenl⸗ 
gen Borfchriften, welche für einzelne Zweige bed militäriſchen Dienftes gegeben find. Außer- 
dem nennt man diejenigen Militärs Ordonnanzen, welche den höhern Vorgeſetzten zugetheilt 
werben, um ihre Befehle ſchnell und ficher an die beflimmte Perfon zu überliefern. Beim höch⸗ 
ften Befehlöhaber der Armee find Ordonnaugoffiziere von jedem Truppentheile commanbizt; 
der Regimentscommandeur, Stabsoffigier und Hauptmann hat zu gleichem Zweck nur Un 
ſpruch auf einen Gemeinen. Der Ordonnanzoffizier unterſcheidet fi) vom Adjutanten dadurch, 
daß er nur auf kurze Zeit, gewöhnlich 24 Stunden, zu ſeinem Dienſt commandirt iſt und mit 
allen übrigen Geſchäften des Adjutanten (ſ. d.) nichts zu thun hat. Drdonnanzeompagnien 
hießen die von Karl VII. von Frankreich 1445 errichteten 15 adeligen Reiterfahnen, durch welche 
er die Krone in Kriegszeiten von dem guten Willen der Vaſallen unabhängig machte (S. Gew: 
darmes.) Sie werden als die erſten Anfänge zu ſtehenden Heeren betrachtet. Der 
fuchte eifrig den Dienft in denfelben, und Frankreichs berühmtefte Krieger find capitaines ber 
Drdonnanzcompagnien gewefen. Erft 1660 wurden fie aufgehoben. 

Ordounanzen (ordonnances) nannte man in Frankreich vor ber Revolution von 1789 
alle eff bes Könige oder Regenten. Die Ordonnanzen im weitern Sinne zerfielen in ei" 
gentliche Ordonnangen, welche alle Gegenftände des öffentlichen Rechts, Edicte, welche das Fi-⸗ 
nanzwefen, und Declarationen, offene Briefe (Leitres patentes) und Reglemente, welche bie 
Erläuterung, Beftätigung und Anwendung ber Gefege zum Gegenftanbe hatten. Diefe ſämmt⸗ 
lichen Erlaſſe oder Drbonnangen befaßen die Eigenfchaft von Geſetzen, weil die Könige nach dem 
Grundfage „si veut le roi, si veut la loi” wenigſtens factifch das Hecht der Gefepgebung aus⸗ 
ſchließend übten. Verweigerte bad Parlament (f.d.) die Einregiftrirung und mithin die Publi⸗ 
cafion eines Erlaffes, fo erſchien gewöhnlich ein offener Brief, welcher den Provinzialbeamten 
die Publication und ben Unterthanen die Beobachtung der Ordonnanzen befahl und auf biefe 
Weiſe der Sache Rechtskraft verlieh. Die Ordonnanzen im engern Sinne waren, wie die Ebicte 
und Declarationen, vom Könige unterzeichnet, von einem Staatsfecretär contrafignirt, mit dem 
großen Siegel beurkundet und vom Siegelbewahrer vifirt. Gleich den Edicten datirten auch ge 
wöhnlich die Drdonnanzen nur vom Monate bed laufenden Jahres und fchloffen mit der bekann⸗ 
ten Floekel: „Car tel est notre plaisir” (Denn fo beliebt es und). Um ber eingeriffenen 
Iofen Verwirrung zu begegnen, befahl Ludwig XIV. die Veranftaltung einer Sammlung aller 
Drbonnanzen, welche die Könige ber dritten Dynaſtie erlaffen. Der erſte Band diefer wichti⸗ 
gen Sammlung kam 1723 zu Stande; diefelbe zählt gegenwärtig 20 Foliauten, welche die Dr» 
donnangen von 1051 bis Dec. 1497 enthalten. Seit der Einführung der conflitutionellen Charte 
erhielten die Ordonnanzen in Frankreich wie in allen conflitutionellen Staaten einen weſentlich 
andern Charakter. Während nun wirklich die Gefege nur unter Mitwirkung der Kammern zu 
Stande kommen Eonnten, blieb dem Könige nach dem 13. Artikel der Eharte zwar das Recht, 
auch Ordonnanzen zu erlaffen, Diefelben follten jeboch nur die Ausführung und Aufrechthal⸗ 
tung der gefeglihen Ordnung regeln, bie Geſetze ſelbſt aber weder verändern nod) aufheben. 
Die treulofe Auslegung jened 13. Artikeld durch Karl's X. Minifter brachte den Sturz ber alten 
Dynaftie und die Julirevolution von 1850 zuwege. Durch die neue Verfaffung von 1852 unb 
bexen fpätere Modificationen iſt ber Unterfchieb zwiſchen Gefegen und Drdonnanzen KR wien . 


= Dreaden Diegim: " 

“aufgehoben, wenigftens die Macht des Staats oberhaupts zur eigenmächtigen Exlaffung gefeg 
geberifcher Arte bedeutend ausgedehnt. Auch der franz. Staatsrath erläft in beftinmten Streit» 
füllen Ordonnanzen, die ebenfalls nicht den Charakter von Gefegen haben, ſondern Entſchei - 
dungen und Urtheile (jugements, arr&ts) find. Endlich führen die Entfcheidungen , melde 
die franz. Griminalgerichte auf den Vortrag bes Inſtructionsrichters abgeben, den Namen 
ber Drbonnangen. 

Dreaden, Bergnymphen, ſ. Nympben. 

Drebro, die Hauptftadt des Drebro-Lan oder ber ſchwed. Landſchaft Nerike (155%, AM. 
mit 152000 €), M. vom weftlihen Ende des Hielmerſees, der hier den Svart · Elf auf 
nimmt und ben Hafen der Stadt bildet, hat eine ſchöne Stadtkirche mit einem hübſchen Aitar- 
gemälde und unter andern Grabmälern das bes hier 1456 beftatteten Reichsverweſers En- 
gelbrecht, ein altes, aber ſchönes und berühmtes Schloß, welches vom Waſſer umfloffen ift, ein 
Rathhaus, ein Affembleehaus, ein Lazareth und zählt 4500 E., welche Schnupftabade-, 
Strumpf · / Wachsiuch · und andere Fabriken unterhalten und Handel mit Bergproducten treie 
ben. Der Ort kommt ſchon im 8. Jahrh. unter dem Namen Eyrarfund, Eyrarfundbro ober 
Drefundbro vor. Das Schloß wurde im 13. Jahrh. von Birger Zarl angelegt. Es wurden zu 
DO. mehre Reichstage gehalten, 3. B. 1547, auf weichem das Randesgefeg bed Könige Magnus 
Smek gegeben wurde, 1529 gegen ben fath. Ritus, 1531 wegen der Reichsſchuld an Lübed, 
4540, wo Schweden ein Erbreich wurde unter Guftav I. Wafa. Repterer wurde in einem noch 
vorhandenen Haufe geboren, welches Guſtav J. wie fpäter Karl-IX. bewohnte. Auf dem Reiche- 
tag von 4810 wurde 21. Aug. Bernadotte zum Thronfolger in Schweden ermählt. Auch 
wurde zu D. 20. April 1812 der Präliminarfriede zwifchen Schweden und England und 
42. Juli 1812 der Friebe zwiſchen England und Rußland abgefchloffen. 

Dregön oder Oregan, aud wol Nordweftgebiet hieß früher ber Landſtrich auf der Nord» 
meftfüfte Nordamerikas, der fi von der Südgrenze der ruff. Befigungen bis zu der al- 
ten Grenze Mepicos zwiſchen dem Stillen Deean und dem Belfengebirge erſtreckt, während 
man jegt darunter nur bie Küſtenlandſchaft Neualbion (f. d.) fammt dem dahinter liegenden 
Flußgebiet des Dregon- oder Eolumbiaftroms verfteht. Dies Dregon-Kerritsrium der Nord- 
ameritan. Freiſtaaten hat ein Areal von 16117 AM. Die Zahl der Bewohner, abgefehen von 
etroa 10000 Indianern, ift fehr im Steigen und betrug 1852 bereitö 20000 Seelen. Die 
Küſte hat weder weit ins Meer vorfpringende Vorgebirge noch tiefere Buchten. Auch Häfen 
für größere Fahrzeuge fehlen ihr, außer an der Norbgrenze, an der Bucaftrafe, wo eine An- 
zahl vortrefflicher Häfen ſich befinden, 3. B. Port Discovery. Im Süden ber Bucaftraße erhebt‘ 
fi der 7688 F. hohe Olympus oder van Buren. Etwa 22M. Hinter der übrigen Küfte und 
iht parallel durchziehen das ganze Land die nordamerikan. Seealpen unter dem Ramen bes 
Cascaden · ober Präfidentengebirge (Presidents Range) mit herrlichen Fichten · und Cedernwal · 
dungen und vielen, zum Theil mit Schnee bedeckten Kegelbergen, 3.8. dem Mac-Raughlin, dem 
Mount-Jefferfon, dem 4690 8. hohen Mount-Hood oder Mafbingten, dem 8958 $. hohen 
thätigen Vulkan St.-Delens oder John Adams, dem 11565 $. hohen Vulkan Rainier oder 
Hartiſon und dem 11256 F. hohen Mount · Baker an ber Norbgrenge. Hinter biefer vom Co- 
lumbiaſtrom durchbrochenen Gebirgskette breitet ſich eine weite Berg- und Plateaulandſchaft 
mit den Blue-Mountains, die in nördlicher Richtung von 46° n. Br. bis zur Notdgrenze gie» 
hen. Un der Oftgeenge endlich fleigt das Alpenland der Nody-Mountaing oder des Belfen- 
gebirg6 auf, welches auch Dregongebirge genannt wird, mehre Zweige gegen Weſten ausfen« 
bef, im Fremonts · Pic ſich 12730 &. hoch erhebt und den 70168. hohen Südpag und die Waſ · 
ferfcheide zwifhen dem Miffouri-Miffiffippie und dem Gebiete des Columbia (f. d.) bilder. 
Diefer Iegtere mit feinen zahlteichen Quellarmen und Nebenflüffen ift der Hauptſtrom des 
Zanbes, bem er früher aud) den Namen Eolumbiabiftriet gegeben hat. Er und feine Reben- 
flüffe find zwar nur wenig zur Schiffahrt geeignet und tragen auch wegen ber fhluchten- 
artigen Beſchaffenheit ihrer Thaͤler nur wenig zur Bewäſſerung des Landes bei, enthalten 
aber mit ben zahlreichen Seen und dem Küftenmeere einen großen Reichthum an Fiſchen, 
ſobaß bie Fifcherei einen bedeutenden Erwerbszweig der Einwohner bildet. Das Sregon - 
Territorium zerfällt in drei natürliche, nach Klima» und Bodenverhäftniffen verſchiedene 
Sectionen: die weftliche zwiſchen dem Dcean und dem Gascadengebirge, die mittiere zwifchen 
biefem und ben Blauen Gebirgen und die öſtliche zwiſchen Iegtern und dem Belfengebirge. 
Die beiden erftern tragen den Charakter ber Plateaufteppe, die legtere den der Küftenter- 
saffe. In Oftoregon fällt vom April bis October nur felten Negen; am Tage ift die Hihe oft 


Dregon 430 


ſehr ſtark, die Nacht fühl, die Luft äußerſt trocken, ſodaß die Pflanzen verborren, wo es ihnen 
an Waſſer fehle. Im iſt Die Kälte oft fehr ſtreng, ber Schneefall auf ber Ebene indeß 
nicht bedeutend. Der Boden ift unfruchtbar ımd im Ganzen nur unbewohnbare Wüſtenei, mit 
Ausnahme einzelner gefhügter Tyäler. In Mitteloregon find die Eptreme von Hige umb 
Kälte ſchon geringer. Es gelten Hier indeß die Wintermonate als naffe Jahreszeit, in wel⸗ 
er die Hochfteppe und die Wiefenthäler im Schmuck ũppiger Bradvegetation prangen, die frei⸗ 
lich beim Eintritt des Froſtes und der Hige verfommt. Die Bewaldung ift nur ſchwach. Am 
Wallawalla und feinen Zuflüffen ift der Boden mehrfach des Anbaus fähig, im Ganzen jedoch 
das Rand höchſtens ftrichweife zur Viehzucht geeignet. Weſtoregon dagegen hat bie günfligften 
Boben- und Klimaverhältniffe umd iſt für jegt allein zur Unfiebelung geeignet. Es hat mehr 
Regenzeit als eigentliche Winter, ein fehr mildes Kuͤſtenklima. Die Regenzeit beginnt gegen 
November und dauert bis Anfang April; die Felder umd Ebenen prangen felbft in fpäter Jah⸗ 
reszeit im fchönften Grün. Der Boden ift, außer im Gebirge, fruchtbar, ganz befonders das 
Willamettethal; dort wächft ganz —A— Weizen, ber mol ein Stapelproduct werden 
wird. Die Wälder liefern ausgezeichnetes Bauholz in Menge. Im Allgemeinen iſt O. reich au 
Bild, namentlid an Elennthieren, Büffeln, Rothwild, Antilopen, Bären, Wölfen, Füchfen, 
Bifamthieren, Mardern und Bibern, und der Pelzhandel von großer Wichtigkeit. Das Terri» 
torium war bis 1855 in 10 Graffchaften eingetheilt. Die oberfte Gewalt hat der auf vier Jahre 
gewählte Gouverneur, welcher einen Gehalt von 1500 Doll. und außerdem 1500 Doll. als Su⸗ 
perintenbent ber Indianerangelegenheiten bezieht. Der Senat befteht aus neun auf zwei Jahre 
und das Repräfentantenhaus aus 18 aufein Jahr gewählten Mitgliedern. Zum Congreß fenbet 
e6 einen Delegirten mit Berathungs⸗, aber ohne Stimmrecht. Huch bildet O. für fich eineneigenen, 
den elften Militärdiftrict und gehört mit Californien zur Divifion am Großen Drean. Im Laufe 
won 1855 hat indeß der Kongreß auf einen fchon 29. Ang. 1851 auf einem Eonvent in Lewis. 
County beichloffenen und 1852 vom Delegirten, General Lane, geftellten Antrag der Cinwoh⸗ 
ner von dem biöherigen Territorium D. ein neues, bad Gebiet Waſhington abgefondert, wel⸗ 
ches das Land im Norden des Columbiaſtroms umfaßt. Die Bevölkerung in O. beſteht meiftens 
aus arbeitfamen, nüchternen Landwirthen, bie ſich in moralifher Beziehung hoch über das zuſam⸗ 
mengemwürfelte Boll von Ealifornien erhebt. Die zahlreichen Dregenindianer bilden das nörblichfle 
Glied der Familie der Comanches, das Glied der Schofchonen oder Schlangenindianer. Sie find 
cob, ſchwärmen größtentheild herum und fchmelzen immer mehr zufammen. Die wenigen be 
deutendern Ortfchaften find Dregon⸗City, die politifche Hauptftadt, unter den Waſſerfällen des 
Willamette; Aftoria am untern Columbia, von Aſtor (ſ. d.) gegründet; Portland am Unten 
Ufer und Plymouth an ber Mündung des Willamette; Fort Bancouver am Solumbia u. ſ. w. 
Die erflen Entbecker des Landes waren die Spanier, ohne daß fie es jedoch befegt Hätten. 
Dennod betrachteten fie es als eine ihnen zugehörige Befigung und vermehrten engl. Pelz- 
händlern 1789 die Riederlaffung am Nutkaſunde. Erſt nach ernftlichen Drohungen erfannten 
fie den Engländern das Recht auf jene Gegenden zu, und diefe nahmen 1792 davon Befis. 
Dierauf begründen die Engländer ihre Anfprüche auf das Land. Die Vereinigten Staaten ba- 
gegen begründen ihr Anrecht auf das Einlaufen bed ameritan. Capitaͤns Gray in ben Colum⸗ 
biaftrom mit einem Hanbelsichiffe 1792, fomie auf vier Entdedungsreifen, bie zu Rande aus 
sach dem Oregonlande in der Zeit von 1795— 1811 unternommen mwurben, von benen aber 
nur eine von ber Regierung ber Vereinigten Staaten, bie andern dagegen von ber Nordweſt⸗ 
compagnie ausgingen. Die Niederlaffungen, bie in Folge berlegtern Reifen flattfanden, waren 
höchſt unbedeutend. Wichtiger war dagegen die von Aftor (f. d.) gegründete Niederlaffung 
floria an der Mündung des Columbia, die 1813 von den Eingländern zwar weggenonzmen 
und in ein Fort (George) verwandelt, im enter Bertrage aber (1814) der norbamerikan. Union 
zurüdgegeben wurde. Allein die Befigung, an der die Nordweſtcompagnie Antheil hatte und 
die Aftor nicht behaupten konnte, ging durch die Vereinigung ber erſtern mit der Hudſonsbai⸗ 
gefellichaft an diefe über. Unterdeß Bam, da die commercielle und politiiche Wichtigkeit bes 
Landes ſich immer mehr berausftellte, bei Abſchließung des Vertrags von 1818 zwiſchen Eng⸗ 
Iand und den Vereinigten Staaten über die Norbgrenge ber Iegtern auch das Oregonland zur 
Sprache. Allein die Wichtigkeit, die man dem Columbiaſtrome beilegte, verhinderte eine 
Übereinktunft und man einigte fi), die Frage von ber Souneränetät über bad Oregon⸗ 
Land auf zehn Jahre für beide Theile als offen zu erklären. Im felbigen Jahre fehloffen 
die Vereinigten ten den Bertrag über Floriba mit Spanien ab, in welchem unter 
Underm beflimmt wurde, daß der 42.° n. Br. bie Grenze zwiſchen des keteriuisiuen Urn 


® 


[2] Drel en Drei 


Agungen weſtlich vom Felfengebirge fein foltte, Ein anderer Vertrag zwiſchen Rußland 
und den Vereinigten Staaten von 1824 umd ebenfo einer zwiſchen England und Ruf- 
land von 1825 beftimmte, daß 54° 40 n. Br. die Südgrenge der ruff. Befigungen nad) 
dem »Dregonlande zu bilden follte. Es blieb daher nur der Raum von 42° und 54° 40% 
Br. übrig, Über welchen ſich England und die Vereinigten Staaten zu einigen hatten. 
Ein Verfuc) dazu, der 1826 gemacht wurde, mislang, und man am nun dahin überein, ben 
4828 ablaufenden Vertrag von 4818, der die Sache unentſchieden läßt, auf unbeſtimmte Zeit 
gwverlängern. Indeſſen bekam das Land durch die Coloniſations · und Handels plane Englands 
und der Vereinigten Staaten täglich eine größere Bedeutung, und es wurde die Eofonifation des 
Dregonlandes völlig zur firen Idee in den Köpfen der Nordamerifaner, Einen offtciellen Aus · 
drud gewannen dieſe Beftrebungen 1845 durch die Schritte bes Präfidenten Polt, ber die Frage 
über das Dregongebiet zum Gegenftande der Entſcheidung durch den Congref machte. Bier 
wurde die Dregonfrage Anfang 1846 in einer Weife behandelt, daf ein Krieg mit England 
nur durch die Mäfigung Polf's und der brit, Megierung, die ſich zu bedeutenden Gonceffionen, 
unter Andein zur Abtretung der Columbiamündung bereit erBlärte, vermieden wurde. Am 15. 
Juni 1846 kam endlich unter beiden Theilen der Dregontraetat zu Stande, wonach feitdem das 
Tand in zwei Gebiete zerfällt, in das engl. Oregongebiet, welches mit Einſchluß der Inſeln auf 
7800 AM. gefchägt, Neucaledonien (f.d.) genannt und von der Hubfonebaicompagnie ausge 
beutet wird, uͤnd das bereitß beſchriebene Dregonterritorium der Vereinigten Staaten. Vgl. 
Waſh. Irving, „Astoria“ (3 Bde, Lond. 1856); Greenhow, „Ihe history of Oregon and 
Califorstia” (Rond. 1844); Duflot de Maufras, „Exploration da territoire de "Oregon" 
(Par. 1844) ; Dünn, „History ot the Oregon territory”*(2. Aufl, Lond. 1846); Fremont, 
Report ofthe exploring expedition to Ihe Rocky-Mountains in the year 1842 and to Ore- 
gon and California in the years 1845—44 (Mafhingt. 1845). 

Drel (ausgefprochen Arjol), ein SEIAM. großes, von mehr als 1'/ Mil. Seelen bevöl- 
kertes Gouvernement des europ. Rußland, in beffen mittlerm Theile es Liegt, ift eine der geſegnet ⸗ 
len und feuchtbarften Provingen bes ruff. Reiche, und namentlich gleicht die Gegend von Mienst 
bio zur Gouvernementsſtadt einen anmuthigen Gatten. Die Blufgegenden, hauptfächlic, die 
Hochufer der Dfa, zeigen eine Menge pittoresfer Anfichten, und nicht minder ſchön find die Ge 
genden am Don, an der Sosna und Desna. Das Klima ift mild, und es gedeihen daher alle Ge- 
tweibeaxten vortrefflich. Man baut aufer den gewöhnlichen Getreidearten, wovon jährlich größe 
Quantitãten nach den nördlichen Provinzen ausgeführt werden, auch Buchweizen, Hirfe, Spelt, 
Hanf, Mohn, Tabad und befonders viel Hopfen. Die Opfkcultur fteht fehr hoch. Im Dften 
des Gouvernementö gibt es viele Waldungen umd zahlreiches Wild; befonders ergiebig ift der 
Wachtelfang. Viehzucht, Bienenzucht und Fifcherei find zum Theil fehr erheblich; befonders gibt 
es vortreffliche Stutereien und ſiarkes Rindvieh. Won Federvieh halten die Bauern viele Me- 
ſchusenten. Die Ergeugniffe des MineralreichE find unbedeutend ; man gewinnt Sumpfeifen, 
Kreide, Kalt, Alabaſter und Galpeter, auch gibt es einige Gteinbrüche, wo gute Mühl- und 
Schleifſteine gewonnen werden. Unter ben zahlreichen Fabriken zeichnen ſich die Tuch und Lein- 
wandfabriken, die Gerbereien, Talgſchmelzereien und Branntweinbrennereien vorzüglich aut. 
Lebhafter Handel wird mit den Reſiden zſtädten, ſowie mit dem Schwarzen und Kaspiſchen Meere 
unterhalten. Die Einmohner, die faft nur aus Groß- und Kleinruffen oder Kofaden (auch 
Tſcherkeſſen genannt) beſtehen, bekennen ſich ſämmtlich zur griech. Kirche. Die wichtigfte Stadt 
ift Drel mit 53000 E., über 30 Kirchen, zwei Klöſtern einem Priefterfeminar, einem Gymna · 
fium, einem großen Kaufhof, einem alten, in ein Magazin verwandelten Schloß, Segeltuchfa- 
briten und vielen Pelz und Kornvorrächen. Sie liegt in einer reigenden Rage auf dem fteilen 
Ufer der Dfa, die hier die Arlita aufnimmt, und treibt einen durch Jahrmärkte gehobenen Han- 
dei und Verkehr. Handelsftädte find auch Jelez mit 26000 und Volchow mit 13000 E. 

Drelli Goh. Kasp.), ausgezeichneter Philolog und Kritiker, geb. zu Zürich 13. Behr. 
1787, erhielt feinen erften Jugendunterricht zu Wädenfchweil, mo fein Water eine Zeit 
lang Landvoigt war. Seit 1799 befuchte er das Garolinum in Zürich, widmete fih mit 
Eifer und großem Erfolge befonders dem Studium der alten, aber auch neuern Sprachen und 
Literatur und ward 1806 als Geiſtlicher orbinirt. Nach einem kurzen Aufenthalte bei Vevay 
kernte ex zu Yverdun im Inſtitute Peſialozzl's dieſen ſelbſt und deſſen Unterrichtsmethode fen« 
nen, für die er ein lebhaftes Intereffe gewann. Als Hauslehrer zu Bergamo, wo er vom Juli 
4807 bis Ende 1813: blich, Hielt er religiöfe Vorträge in deutfcher, franz. und hauptſächlich 

ital. Eprache. Bier faßte er ben Plan zu einer Gefchichte der ital. Literatur von ihrem Beginne 


Dreuburg 4 


bis auf unfere Zeiten; auch ließ er ſchon 1810 zwei Defte „Beiträge zur Gefchichte ber ital. 
Poeſie“ ericheinen. Im 3.1813 folgte D. um fo lieber einem Hufe an die Cantonsſchule zu 
Chur, ald ihnı der Predigerberuf zu Bergamo um feiner vom kirchlichen Syftem abweichenden 
Anfichten willen auf die Dauer nicht zufagte. Hier wirkte er mit raftlofem Eifer zur Förderung 
ber. Anftalt. Auch gab er unter Anderm bei Gelegenheit des Reformationsfeftes zwei ſehr ner 
giſch gehaltene Volksſchriften über die Abweichungen des Papſtthums von der einfachen Chri⸗ 
finslehre heraus. Im J. 1819 kehrte D. ale Profeffor der Cloquenz und Hermeneutik in feine 
Vaterſtadt zurüd, und nad Gründung der züricher Hochſchule, wofür er felbft thätig gewirkt 
hatte, war ex eine der glänzendſten Zierden derfelben. In diefer legten und einflußreichften Pe⸗ 
riobe feines der Erkenntniß und Förderung alles Wahren und Schönen in Wiffenfchaft und 
Kunſt mit hingebender Treue gemwidmeten Lebens gab O. die meiften feiner gelehrten Werke 
heraus und führte zahlreiche Schüfer durch lebendige und belebende Vorträge in ben Geiſt des 
Alterthums ein. Zugleich ſchloß er ſich durch Wort und That allem Bedeutenden an, was bie 
Gegenwart brachte: wie den Beftrebungen zur Befreiung Griechenlands, den politifchen Re 
formen feines Heimatlandes, ber Umgeftaltung bed Schulmefens u. f. w. D. ftarb 6. San, 
4849. Unter feinen zahlreichen, mit echt kritiſchem Beifte veranftalteten Ausgaben griech. und 
hefonders rom. Elaffiter find vor allen zu nennen die des Horaz (2 Bbe., Zür. 1837 —38; 
3. Aufl., befergt von Baiter, 1850—52; Heine Ausgabe, 2 Bde., Zür. 1838; 3. Aufl, be 
forgt von Baiter, 1851 — 52), des Tacitus (2Bde., Zür.1846—47 ; eine Ausgabe, 2Bbe., 
Zür. 1846 - 47) und der „Opera” Cicero’ (Bb. 1—4 in 7 Abtheil. Zür. 1826— 31 ; 2. Aufl, 
Bd. 1 und 3, 1845), an welche ſich eine Ausgabe der Scholiaften des Cicero als fünfter Band 
(Zür. 1855) und ein „Onomasticon Tullianum” (3 Bde., Zür. 1856—38) ſich anfchließen. 
Letztere beiden Werke bearbeitete D. gemeinfchaftlich mit Baiter, der auch nebft Halm die Vol⸗ 
lendung ber zweiten Ausgabe des Cicero übernommen hat. An Baiter's und Sauppe's Aus- 
gabe der Werke bes Plato hatte D. wefentlichen Antheil. Bon feinen übrigen philologifchen 
Arbeiten ift die „Inscriplionum Lalinarum selectarum collectio” (2 Bde, Zür. 1828) von 
hohem Werthe. Außerdem erfchienen von D. viele kleinere, theild philologifche, theils ſolche 
Schriften, in denen Borgänge und Beftrebungen der neueften Zeit befprochen find. — Drei 
(Konrad), des Borigen Bruder, geb. in Zürich 6.Nov. 1788, erhielt 1810 die Drdination, wib⸗ 
mete fi) aber bem Lehrerftande und murbe 1819 Lehrer der franz. Sprache an der Bürgerfchute 
in Züri, 1833 aber daſeibſt zum Profeflor der Philofophie am obern Gymnafium und zum 
Lehrer der franz. Sprache an der Induſtrieſchule gewählt. Er bearbeitete von dee 3. — 16. Aufl 
(Aar. 1852) Hirzel's „Franzöfſiſche Branmatif” und fchrieb unter Anderm eine „Altfrangöfi» 
(de Grammatik (2. Aufl, Zur. 1848) und „Spinoga’s Leben und Lehre“ (2. Aufl. Zür. 1850). 
Drenburg, ein ruff. Souvernement auf ber Grenze von Europaund Aſien, welches von Sei⸗ 
ten Rußlands zu dem erftern, von den Geographen bes weſtlichen Europa gewöhnlich zum let⸗ 
- tern Erdtheil gerechnet wird, hatte in feinem bisherigen Umfang ein Areal von 5581 AM. mit 
1,895500 E. mit Einfluß des von ihm abhängigen Landes der Uralifchen Kofaden (1192 DM. 
nit 59000 ©.) dagegen ein Areal von 6773 AM. mit 1,948500 E. Durch einen Ukas 
vom 6. (18.) Dec. 1850 ift aber auf der öftlichen Seite der Wolga das neue Gouvernement 
Samara gebildet worben, wozu, außer Theilen von Simbirsk und Saratow, auch die brei oren⸗ 
burgifhen Kreife Bugulma, Buguruslan und Buſuluk (zufammen 1011 AM.) gefchlagen 
wurden, ſodaß auf das Gouvernement D. nur noch 4570 AM. und 1,192825 €. kommen. 
Nach diefen Ahfonderungen grenzt es im N. an Perm und Kafan, im W. an Samars, im ©. 
an die Kirgifenfteppe, von welcher es durch den Uralfluß getrennt ift, und im D. an Omsk und 
Tobolsk in Sibirien. Das Land der Uralifchen Koſacken aber zieht fich von unterhalb der Stabt 
Orenburg am rechten Ufer des Ural erft weft, bann ſüdwärts bis zu beffen Mündung in bas 
Kaspifche Meer hinab. Das Gouvernement D. ift ein öde, größtentheils unfruchtbares Land, 
welches vom Landrücken Obtfcheifirt und den Gehängen des füblichen Uralgebirgs durchſchnit⸗ 
ten, von bem Uralfluß und von ber durch Die Ufa und viele andere Flüffe verftärkten Bjelaja be» 
wäſſert wird. Es bildet den Centralpunkt des mittelafiat. und ruff. Handels, der namentlich 
zwifchen der Stadt Drenburg, ber fonfligen Hauptſtadt des Landes, und den Ländern ber Kir 
gifen, Bucharen und Khimenfer durch Karavanen auf Pferden und Kameelen fehr lebhaft und 
faft ununterbrochen unterhalten wird. Die jegige Hauptfladt des Landes ift fe, an der Mün- 
oung der Ufa in bie Bielaja. Die Stabt ift befeftigt, Ei zwölf Kirchen, drei Schulen, mehre 
Eabriken und 15000 E., worunter viele Tataren, Bucharen, Kirgifen und andere Aſiaten. 
Andere große Stähte find Drenburg, anı rechten Ufer bes Ural, mit-16000, unb Uxelat, Ve 


458 Drefted | Drfila 


Bauptftadt des ural. Koſackenheers, mit 16000 E. zu deſſen Land auch Gurjew im Delta bes 
Ural gehört. — Dreuburgiſcher Ural heißt der Theil des Uralgebirgs, ber fi von O. bi⸗ 
Gfatust erſtreckt und reich an Metallen und gutem Bauholz iſt. 
Dreſtes, der Sohn des Agamemnon und ber Klytämneſtra umb der Bruder der Ehryſe⸗ 
emis, Laodite und Iphianaffa (oder nach den Tragikern der Elektra ſtatt der Laodike, nad 
—* der Iphigenia ſtatt der Iphianaſſa und bei Sophokles nächſt der Sphianafp auch 
der Iphigenia), fand bei der Rückkehr von Troja feinen Vater nicht mehr am Leben, Fam ti 
achten Jahre nach ber Ermordung deſſelben von Athen nach Mykene und rächte ich an Agiſthus 
‚mb feiner Mutter. Diefes ift die. einfache Erzählung, wie fie ſich bei Homer findet, die aber von 
den Tragikern, welche ben D. zu einem der Haupthelben der griech. Tragödie gemacht haben, 
mehrfach erweitert worden ift. Bei der (Ermordung bed Agamemnon würbe ihn baffelbe 
Geſchick betroffen Haben, wenn ihn nicht Elektra durch feinen Erzieher zum Könige von PYhofis, 
Strophios, dem Gatten der Schwefter Agamemnon's, geflüchtet hätte: Hier wuchs DO. mit 
bem Sohne des Strophios, Pylades (f. d.), zufammen auf und ſchloß mit diefem jenen im Al⸗ 
teethum viel gefelerten Freundſchaftsbund. In feinem Racheplan gegen feine Mutter und ben 
iſthus von dem delphiſchen Gotte felbft beftärft und von ber Elektra oft dazu aufge 
fodert, eilte ex in feine Heimat zurüd und ermorbete Beide. Doch nun verfiel er ald Mutter 
mörder den Eumeniden, die ihn in Raferei flürzten und ımabläffig verfolgten, bis er auf Apol⸗ 
los Rath feine Zuflucht nach Athen zur Athene nahm, die ihm Schug gewährte. Athene brachte 
bie Sache zur Entſcheidung vor den Areopag, und es fam endlich zur Abſtimmung. Die Looſe 
waren gleich und D. nach der von ber Athene zuvor gemachten Beſtimmung fomit freigefpro- 
den. Nach einer andern Wendung der Sage befahl ihm Apollo auf fein Befragen, wie er von 
feiner Dual befreit werben könne, nach Tauris zu ſchiffen, um von dort das Bild der Artemis 
zu holen. In Begleitung des Pylades ging er dahin. Bei ihrer Ankunft wurden fie aber er» 
griffen und follten nach Landesbrauch ber Artemis als Fremdlinge geopfert werben. Iphi⸗ 
gertia (f.d.) als Priefterin follte diefe Opferumg vollziehen. Aber bie Schweiter erfannte ben 
Bruder, entwenbete mit Lift jenes Bild, und Alle entkamen glücklich in ihre Heimat. Bier 
lebte nım D. rubig als König von Mykene, Argos und Sparta und vermäblte ſich mit Her⸗ 
mione, mit ber er den Tiſamenos zeugte. Seinen Tod foH er in hohem Alter durch einen 
Schlangenbiß in Arkadien, fein Grab in Tegea gefunden haben, von wo einem Orakel zufolge 
feine Gebeine nach Sparta gebracht wurden. Der Oreſtes⸗-⸗Mythos, welcher aus dem mit hifto- 
rifhen Überlieferungen verflochtenen Sagentreife der Pelopiden entnommen ift und feinen Ele⸗ 
menten nach bereits in ber „Odyſſee“ bes Homer liegt, ift von Aſchylus (f.d.) in einer tragifchen 
Trilogie, bem „Agamennon”, den „Choephoren” und den „Eumeniden“, behandelt worden. 
Bol. Franz, „Des Äſchylos Orefteia” (Rpz. 1846). Sophokles behandelte ihn in ber „Eleftra” 
und Euripides in „Dreftes” und „Iphigenia in Tauris“. 

Dreftes, ein rom. Feldherr zur Zeitdes Untergangs des weſtröm. Reichs, der aus einer patri- 
eifchen Familie ſtammte, empörte ſich in Gallien gegen den Kaiſer Julius Nepos, flürzte dieſen 
475 n. Chr. vom Throne und übertrug denfelben feinem Sohne Romulus Auguftulus (f. d.), 
wurde aber hierauf von Odoacer (f. d.) in Pavia belagert und nach Erftürmung der Stadt zu 
Placentia (Piacenza), wohin man ihn abgeführt hatte, 28. Aug. 476 n. Chr. hingerichtet. 

Dreftheus, ber Sohn bes Deukalion, König der Ogolifchen Kofrer, Vater des Phytios und 
Großvater bes Öneus, hatte einen Hund, der ein Stud Holz gebar, aus dem, nachdem ed D. 
vergraben, ber Weinſtock emporwuchs, von deffen Spröflingen er fein Volk das ozoliſche (6%0g, 
d.i der Zweig) zubenannte. 

Drfila (Matthieu Joſ. Bonaventure), parifer Arzt und Chemiker, befonders befannt durch 
feine Wirkſamkeit auf dem Gebiete der gerichtlichen Mebicin, geb. 24. April 1787 zu Mahon 
auf Minorca, wo fein Vater als wohlhabender Kaufmann lebte, befuchte die Schulen feiner 
Vaterftadt, machte 1801 eine Reife nach Agypten und Ztallen und widmete fich, urfprünglich 
zum Seedienſt beftimmit, feit 1805 zu Valencia, Barcelona, Madrid und Paris der Heilkunde. 
Nachdem er in Paris 1814 die medicinifche Doctorwürbde erworben hatte, hielt er Vorträge über 
Chemie, Botanik und Anatomie, die ihm neben feiner mebicinifchen Praris bald einen bedeuten- 
den Ruf und eine behagliche Stellung verfchafften. Eine Einladumg nad) Spanien 1816 lehnte er 
ab; dagegen wurde er 4819, da er ein Jahr vorher die Rechte eines eingeborenen Franzoſen er» 
halten hatte, zum Profeffor der gerichtlichen Mebicin und Toxikologie ernannt. Von dieſer Stelle 
1822 diöpenfirt, erhielt er 1825 die Profeffur der mebicinifchen Chemie und gerichtlichen Mebicin. 

Gein erftes Dauptiwerd, ber „Traite des poisons, ou toxicologiegsnerale” (2 Bde. Par. 1814; 





Drgan 438 


3. Aufl, 2 Bde. Par. 1829; deutfch von Kühn, 2 Bde., 1830), welcher einige Jahre darauf 
bie „El&ments de chimie medicale” (2 Bde. Par. 181758. Aufl, 5Bde., 1851) folgten, war, 
ein Werk von höchſter und nachhaltigſter wiffenfchaftficher Bebeutung, das feinen Berfaffer den 
Autoritäten des Fachs beigefellte. Ludwig XVII. ernannte D. zu feinem Leibarzte, Ludwig Phi⸗ 
Iipp fett 1850 erſt zuin Offizier, dann zum Großoffizier ber Ehrenlegion, zum Dekan der mer 
diciniſchen Facultät, Mitglied des Generalraths ber Hoßpitäler und des Generalraths des Seine 
departement® u. ſ. w. Dabei entwidelte er vor Gericht eine außerordentliche Thätigkeit, bie 
ihn öfter in Streitigkeiten verwickelte, bei denen auch feine confervative politifche Gefinnung nicht 
obne Anfechtungen blieb. Bekannt wurde umter Anderm feine Eontroverfe mit Raspail bei 
Selegenheit des Proceſſes Lafarge. Auch in ben Proceß Bocarme ift O.'s Nanie verflochten. 
Seit der Februarrevolution 1848 feiner Function in ber medicinifchen Facultät enthoben, ſtarb 
er 12. März 1855 zu Parts. Als Schriftfteller genießt D. eines Weltrufs im eigentlichen Sinne 
des Worts. Die meiften feiner Werke, wie außer ben genannten namentlich die „Lecons de 
meödecine legale” (3 Bde. Par. 1823; 4.Aufl., 18465 deutfch von Krupp, 2 Bde., 2p3.1848 
—50) und ber „Trail6 de toxicologie” (3 Bde. Bar. 1831; 5. Aufl., 1852; deutfch von 
Krupp, 2 Bde, Braunſchw. 1852—53), find, abgefehen von mehrfachen Nachbruden, zum 
Theil felbft wiederholt in alle abendländifche Sprachen, der „Secours & donner aux personnes 
empoissonn6es ou asphyxiées“ (Par. 1818 ; 6.Aufl., 18325 deutſch von John, Berl. 1830) 
ſelbſt ins Arabiſche und Zürkifche überfegt worden. In Berbinbung mit Lefueur bearbeitete 
D. den „Trait6 des exhumations juridiques“ (3. Aufl., 2Bbde., Par. 1836 5 deutfch von Güng, 
2 Bde, &p,. 1852-35). | | 
Drgan, im Sriechiſchen organon, heißt eigentlich Werkzeug oder Inſtrument, ımd in diefer 
wördigen Bedeutung könnte es jedes Werkzeug, auch ein mechaniſch wirkendes und durch äu⸗ 
ßere Kräfte in Bewegung geſetztes bezeichnen. Der Sprachgebrauch hat aber zwiſchen dem griech. 
organon und dem lat. instrumentum einen Unterſchied feſtgeſtellt. Der Grund liegt in den di» 
genthümlichen Merkmalen und der geheimnißvollen Wirkungsweiſe der lebendigen Naturpro⸗ 
ducte, welche man vorzugsweife mit bem Worte Organismus bezeichnet. Ebenfo räthfelhaft 
als der Begriff bes Lebens (f. d.) ift auch der Begriff des Organismus und ber Drgantfation, 
und es iſt nicht wohl möglich, davon mehr als eine bloße Rominaldefinition aufzuftellen. Das 
bervorftechendfte Merkmal des Organismus ift bie innere Zweckmaßigkeit in feiner Einrichtung, 
wonach zwiſchen feinen Bliedern als Organen ein foldher Zufammenhang gefegt ifl, daß die Er⸗ 
haltung bes einen von ber Erhaltung bed andern und umgekehrt abhängt. Die Pflanze wächſt 
3.3. durch den Saft, durch welchen fie neue Zellen bildet, aber der Saft iſt feiner Riſchung 
nach ein Product der Pflanze aus den affimilirten Stoffen; die Blätter werden vom Stamme 
aus erzeugt, dienen aber auch wieder dem Stamme, u. ſ. w. Obgleich diefe Wechſelwirkung in 
Betreff der verfchiedenen Organe ihre fehr verfejiebenen Grabe hat, fo unterfcheidet ſich doc) 
durch fie ber Organismus fireng von der Maſchine, bei welcher die verfchiedenen Theile zwar 
ebenfalls auf einen beflimmten Zweck arbeiten, ohne daß fie aber fich untereinander erzeugen 
und bervorbringen. Zu ber gegenfeitigen Erzeugung der Theile auf Beranlaffung einer Affimt- 
lation äußerer Stoffe tritt beim Organismus noch die Erzeugung ähnlicher Organismen in der 
Bortpflanzung. Man hat daher den Organismus definirt ald Naturganzes, In welchem fämmt 
liche Theile fich gegenfeitig als Mittel und Zweck verhalten. In der Stufenfolge der natürlichen 
&men, von den niedrigften Pflanzen und Thieren bis zum Menſchen hinauf, ift ein wach⸗ 
fender Reichthum der Organe und ihrer Functionen zu bemerken. Im Thierreiche erfcheint das 
organifche Keben als Träger der Functionen finnlicher Empfindung und fpontaner Bewegung; 
im Pflangenreiche zeigt es fich auf die Functionen bes Wachsthums, der Affimilation und Fort» 
pflanzung befhräntt. Die Frage nach dem Wefen des Organifationsproceffes ſchließt daher 
ganz befenders auch die Frage nach dem Verhäftnig des chemiſchen Procefies als feines An- 
fange zu den pſychiſchen Funetionen als feiner höchften Btüte in ſich. Mit der Aufzählung der 
Merkmale, durch weiche ſich das Organiſche vom Unorganifchen und die einzelnen Arten und 
Claſſen der Organismen voneinander unterfcheiden, iſt noch Fein Wiſſen über das Weſen ber 
Drganifation gewonnen, und fo werthvoll der angegebene, zuerſt durch Kant in die Wiffenfchaft 
eingeführte Organismus ift, um Berwechſelungen und Bermifchungen mit bem Mechanifchen, 
wie fie früher bei jeder Gelegenheit begangen wurden, zu verhüten, fo barf man doch nicht babei 
vergefien, daß naturphilofophifche Formeln, wie z. B. die, daß die Natur ſich feibft nach einerlei 
Eremplar im Ganzen, aber mit ſchicklichen Abweichungen im Inbivibuellen organifire, ober 
Gono.ster. Behnte Kufl. KL. | R 


444 | Drgende Otrgel 


daß organiſche Naturptoducte als ihre eigene Urſache und Wirkung gu betrachten ſeien, nur dazn 
* ri Problem zu fisiren, nicht aber baffelbe zu löfen. Nachdem man den Begriff des Dr- 
" ganifhen im Naturgebiete feftgeftellt hatte, fand man denfelben ebenfalls anwendbar auf Ge- 
‚genflände anderer Art, z. B. Wiffenfchaften, Kunftwerke, insbefondere aber auf das Stasi 
leben und alle gefellfchaftlichen Zufammenhänge der DMenfchen untereinender. Denn im gef 
gen Verkehr ift jedes Glied beffelben nicht blos Mittel, fondern zugleich auch Zweck, um, indem 
«6 zum Beſtehen des Ganzen mitwirkt, durch die Idee bes Ganzen wiederum feiner Stellung 
‚und Function nach beflimmt zu werben. Daher wird dann auch das Staatsweſen um fo me 
den Ramen eines organifchen nerbienen, je vollftändiger das Ganze nicht nur auf jeden Cinel 
nen einwirkt, fondern auch von jedem Einzelnen lebendige Rüdwirkungen empfängt, ober je 
mehr die einzelnen Individuen ſich an den Intereffen und Functionen bes Ganzen ſelbſtändig 
mitbethätigen. Den Gegenſatz hierzu bildet ber Staatsmechanismus als das Verhältniß, worin 
ben Einzelnen keine felbftthätige Theilnahme an den Intereffen und Bunctionen des Ganzen, an 
ber Befepgebung, Verwaltung, Beftenerung u. f. f. geſtattet iſt. aupt verſteht man unter bem 
Organiſchen im bildlichen Sinne jedes Verbälmif einer Wechſelwirkung und felbeziehung 
im Begenfag zum Mechanifchen, als dem Verhältniſſe einfeitiger Wirkung und Beziehung. Und 
weil in allen focialen Sitten und Einrichtungen ein gefundes und Träftiges Leben nur duch 
lebendige Wechſelwirkung der Individuen gedeiht, fo hat man ben Ausdrud des Drganifirens 
und der Drganifation auf jedwede Art von forialer Einrichtumg ober Anorbnung außgebehet, 
3. B. Organifation des Schul- und Kicchenwefens, bes Militärs u. bgl. Von einem Organit- 
mus der Wiffenfchaften zu reden, hat infofern einen guten Sinn, als verfchiebene Wiſſenſchaf⸗ 
ten fich häufig in gegenfeitiger Wechſelwirkung untereinander erzeugen, wie 3. B. Politik und 
Geſchichte einerfeits, Mathematik. und Phyſik andererſeits im Berhältiffe wechfelfeitiger Au⸗ 
regung und Forderung ftehen. Bird hingegen die Welt ober das Naturganze ein Organismus 
genannt, fo ift hiermit die naturphilofophifche Hypotheſe außgefprochen, wonach man annimmt, 
daß die Geſtirne außer den phyſikaliſchen Wirkungen bes Lichts und ber Schwerkraft, welche 
fie gegenfeitig voneinander empfangen, nuch noch andere, nicht finnlich wahrnehmbare Bezie⸗ 
ER untereinander haben, wonach fie auf teleologifche Weiſe füreinander beſtimmt find, 

nlich wie in ber und näher anfchaulichen Raturfphäre der männliche zum weiblichen Orga 
nismus oder bad Thier zu dem Elemente, in welchem es geboren iſt und lebt, in einem Verhält 
niffe gegenfeitiger Zweckbeziehupgen angetroffen wird. — Drganif im Rechtsweſen insbe 
fondere nennt man Gefege, Statuten u. dgl., infomweit fie die rechtlichen ober abminiftrativen 
Grundlagen eines Inftituts feftftellen, oder auch die Beflimmungen über bie Grundfäge und 
Srundformen enthalten, nad, welchen ein zufammengefegtes Rechts ˖ oder Verwaltungsinfti- 
tut eingerichtet werden foll. 

Drgende bezeichnet im Allgemeinen einen mit Zuder verfüßten Kühltrank, aus Gerfte, 
Mandeln, Mohn, Hanfkörnern oder dergleichen bereitet. Insbeſondere aber verfteht man bar 
unter dasjenige Getränk, welches aus dem fäuerlich-füßen Marke der fügen Orangen (f. d.) mit 
Waſſer und Zuder bereitet wird und milder und weniger fäuerlich als die Limonade von Gitto- 
nenfaft ift. Wo dergleichen frifche Orangen nicht zu haben find, fann man aus dem Syrup, 
der aus dem abgeflärten Drangenfafte bereitet ift, mit Waffer vermifcht Orgeade herftellen. 

Drgel, Die Orgel ift nicht nur merfwürbig in Rüdficht auf die Einrichtung unſers Ton- 
foftem® und auf bie Erfindung und Ausbildung der Harmonie, fie ift auch zugleich das größte 
und volltönendfte unter allen Inftrumenten. Der Vortheil, daß auf der Orgel, wie auf dem 
Klavier, Melodie und Harmonie zugleich ausgeübt werben können, verbunden mit der Vielheit 
und Mannichfaltigkeit ihrer Stimmen, gewährt eine Pracht und Fülle ber Wirkung auf dad Ge 
bor und dad Gemüth, die wol hinreicht, den Mangel verfchiedener Feinheiten des Geſchmacks, 
befonders des Crescendo und Decrescendo, zu erfegen, dem man indef auch neuerdings abzu⸗ 
helfen verfucht hat. Überdies gewinnt die Orgel durch die Eigenfchaft, daß jeder Ton in gleicher 
Stärke klingend erhalten werden kann, den Vortheil, baf fie vorzüglich zu dem gebundenen, ern- 
ſten und feierlichen Stile, wie er namentlich in der Kirche erfodert wird, und zu den ſtärkſten 
Verwickelungen in ber Harmonie geeignet iſt, weshalb fie aber auch einen Spieler erfodert, der, 
mit dem Weſen und Umfange ber Harmonie vertraut, die Geſchicklichkeit befigt, feine mufitali- 
ſchen Gedanken ſchnell zu ordnen und zu ihrer Auflöfung die entfprechendften Mittel zu wählen. 
Die Hauptbeftandtheile der Orgel find die ginnernen oder hölzernen Pfeifen von vier, acht, fech®- 
sehn Fuß u. |. w., deren Ränge durch die Böpe oder Tiefe des Ton beflimmt ift, die Regiſter 
ober Züge, woburch einer Orgelftimme der Zugang bes Windes entweder verfperrt oder eröff- 





Drgel 435 


net wird, das Manual, aus einer oder mehren Claviaturen beftehend, und Das Pedal (f.d.), die 
Blafebälge und die Windlade. Vgl. Schlimbach, „Uber die Structur, Erhaltung, Stimmung 
amd Prüfung der Orgel” (Epz. 1801; 2. Aufl., 1845); Wolfram, „Anleitung zur Kennt 
aiß, Beurtheilung und Erhaltung ber Orgeln“ (Gotha 1825); Töpfer, „Orgelbautunft” (Beim. 
1853) ; Seidel, „Die Orgel und ihr Bau” (2. Aufl, Berl. 1844). 

Einige leiten ben Urfprung der Orgel von den uralten Pfeifenwerken der Chinefen und Hin- 
du ab; Andere von denen ber Hebräer, deren Nachkommen bie Orgel fchon in dem Tempel Sa⸗ 
lomonis, jeboch ohne Beweis, vorausfegen, ober von der Sackpfeife; noch Andere von einem ber 
Orgel ähnlichern Inftrumente der Griechen, bee Wafferorgel. Neben diefer nämlich findet fich 
ie pneumatiſche Orgel oder die Windorgel ſchon im 3. und 4. Jahrh. erwähnt, und ein Epi⸗ 
zramm in der griech. Anthologie, welches dem Kaifer Julian beigelegt wird, befchreibt biefelbe 
mit Blafebälgen, ehernen Pfeifen und Zaftatur als eine wunderbare Erfcheinung. Aus Grie- 
henland fcheint fie fi langfam In dem Abendlande verbreitet zu haben. Caffiodorus, der im 
z. Jahrh. in Stalien lebte, befchreibt eine Windorgel, und gleichzeitig war die Orgel auch unter 
ven Franken bekannt. Erſt fpäter murben fie in den Kirchen eingeführt, theils weil fie früher zu 
koſtbar waren, theils auch weil bie Paͤpſte Neuerungen in der Einrichtung der Kirche nicht lieb⸗ 
en. In den Kirchen des Abendlandes kamen fie erft im 9. Jahrh. häufiger vor. Die Vervoll- 
ommnung der Windorgeln aber fchritt fo langſam vor, daß man ſich nicht wundern darf, wenn 
ie häufig für eine erft fpäte Exrfindumg ausgegeben worden find und man fogar behauptet hat, 
yaß die erſte Orgel, fowie wir fie jept haben, 1342 durch einen Deutfchen zu Venedig erbaut 
vorden fei. Gewiß ift, daß erft im 14. Jahrh. in Deutfchland ihr Gebrauch allgemeiner wurde. 
Doch blieben bie Orgeln noch lange fo unvolltommen, daß man einen vollftändigen Accord nicht 
>arauf greifen, noch viel weniger einen Choral fpielen konnte. Erſt nady und nach verſchwan⸗ 
yen die breiten Xaften, man fchob zwifchen die biatonifchen Töne bie halben Zöne ein und be- 
chäftigte auf einer zweiten Claviatur auch die linke Hand. Im 3. 1444 verfertigte H. Droß⸗ 
yorf aus Mainz eine große Orgel mit Pedal. Die größte Orgel, die man bie zu Ende des 15. 
Jahrh. in Deutfchland kannte, war die in dem Stifte St.Blaſius zu Braunfchmweig, welche 
Heinr. Kranz dafelbft 1499 erbaut hatte. Im 16. Jahrh. folgten die Verbefferungen der Dr⸗ 
jeln fchneller aufeinander; man erfand die Scheidung des Pfeifenwerks in befondere Regifter 
ind fegte die Stimmung der Orgel nach dem Ehorton feft. Befonders wurden die Windladen 
nd Blafebälge verbefjert, da von Iegtern bis dahin an einem Werke oft 20— 24 gewefen wa⸗ 
:en und von 10— 12 Menfchen hatten getreten werben müffen. Den gegenwärtigen Grad von 
Bollkommenheit tonnte bie Drgel jedoch nicht eher erreichen, als bis im 17. Jahrh. von Chri⸗ 
tan Förner die Windprobe erfunden worden war, durch welche bei allen Bälgen ein völlig 
leiher Drud des Windes erhalten werden kann. Vgl. Sponfel, „Orgelhiftorie” (Nürnb. 
1771); Antony, „Geſchichtliche Darftelung der Entftehung und Vervollkommnung ber 
Irgelwerke” (Münft. 1832). Die größte Orgel ift die in der Peterskicche zu Rom, welche hun⸗ 
vert Stimmen hat. Andere große und Fünftliche Orgeln find die in ber Petri und Paulkirche 
u Görlig, im Münfter zu Strasburg, zu Ulm, zu Rothenburg an ber Zauber, in der Stifts⸗ 
irche zu Halberfladt, in der Domlicche zu Merfeburg, in Maria Magdalena zu Bredlau, in 
ver Kirche zu Harlem, im Klofter zu Weingarten am Bobdenfee und in ber Paulskirche zu Frank⸗ 
urt am Main. Als Orgelbauer haben fich in der neuern Zeit in Deutfchland beſonders Zroft, 
Sriederici, Schröter, Silbermann, Hildebrand, bie Gebrüder Trampeli, Schulze, Buchholz, 
Nende, Jemlich, Walker berühmt gemacht. 

Wie die Orgel das zufammengefegtefte und Funftreichfte mufitalifche Inftrument ift, fo etw» 
odert auch das gute Orgelfpiel eine vorzügliche Kunft. Zur Natur der Drgel gehört ed, daß 
ie Töne ununterbrochen fortflingen können; abgebrochene kurze Töne paffen weniger für biefes 
Inftrument. Der Drganift muß fich alfo die Fertigkeit erwerben, im gebundenen Stile zu ſpie⸗ 
en. Die den Orgeltönen an fich fehlenden Grade der Stärke und Schwäche konnen in ganzen 
Sägen erfegt werden durch den Gebrauch verfchiebener Regifter. Jedes diefer Regifter aber hat 
einen befondern Charakter, ift gleichſam ein befonderes Blasinftrument. Der gute Organift 
nuß baher die Negifter nach diefem Charakter einzeln ober verbunden anwenden und dabei 
auptſächlich auf den Umfang ber Töne, welchen das befondere Regifter hat, genaue Rüdficht 
ehmen, um keine Misverhältniffe hervorzubringen. Was die Anwendung des Orgelſpiels 
eim Gottes dienſte betrifft, ſo kann der Organift feine Kunft in Fugen, Variationen und Phane 
afien nur zeigen bei der Ginleitung und dem Ausgange des Gottesdienſtes + großen Zwi⸗ 


46 Orgelgeſchütz Dribaſius 


ſchenſpielen, welche Hauptabſchnitte der Liturgie geſtatten. Einfach aber und ohne alle küuft: 
fie Berzierungen muß das Orgelſpiel beim Choralgeſang fein; denn es hat den Zweck, ben 
Geſang der Gemeinde zu tragen, zu leiten und auszufüllen und darf baher mit bem Geſang der 
Gemeinde weder in Hinficht der Bewegung noch in Hinficht der Mobulation in Swiefpalt fie- 
hen. Auch die Zwiſchenſpiele tm Choral müffen dem Charakter bes einfachen Ghoralgefangt 
mb der Stimmung, welche der Choral ausfpricht, angemeſſen fein. Ste bürfen nicht zu viel, zu 
überzafchend und! unnatürlich moduliren und nicht zu weitlich fich bewegen. Endlich wird bis 
Drzelfpiel auch bei Mufilaufführungen bald begleitend, bald ald Concertinſtrument angewen 
‚det. Bei der Begleitung wird dem Drganiften gewöhnlich bie fogenannte Generalbaßſtimme 
vorgelegt, in welcher nur ber Grundbaß des Muſikſtücks nebft den durch Bahlen chneten 
AMccorden angegeben iſt, und fo ſagt man, er ſpiele den Genetalbaß. In der Regel tft aber die 
Begleitung der Drgel bei vollftändig befegten Muſikſtücken überfiüffig und nur zur Werflär- 
ung einzelner Stellen anzuwenden. Nächſt Knecht's, Rink's und Werner's Orgelfchulen Ik zu 
vergleichen Güntersberg's „Fertiger Orgelfpieler, oder Safualmagazin für alle vorfemmenben 
Fälle im Orgelfpiel” (2 Bbe., Meiß. 1824). Die vorzüglichſten Gomponiften für die Orgel 
find Türk, Kittel, Knecht, I. S. Bach, Häfler, A. E. Müller, Umbreit, Vierling, Krebs, Welf, 
Wink, Beder, Heſſe, Köhler u. A. Zu den berühmteften deutſchen Orgelfpieleen gehören Job. 
Sehneider in Dresden, Beder in Leipzig, Heffe in Breslau, Ritter in Merfeburg, Haupt in 
Berlin und Herzog in München. | 

Drgelgeichüg nannte man eine Verbindung mehrer Schießröhren auf einem Geſtell, mit 
einer Borrichtung, fie gemeinfchaftlich abzufeuern. Die Röhren waren meift Flintenlaͤufe; bed 
kommen auch bronzene von geößerm Kaliber vor. Sie lagen theild neben-, theils übereinander, 
und in ben Zeughäufern findet man noch gegenwärtig dergleihen Maſchinen von ben verſchie⸗ 
benften Formen aufbewahrt. Diefelben follten ben Kartätfchenfchuß des Geſchutzes erſeſen; 

-wie wenig fie aber ihrem Zwecke entfprechen konnten, geht ſchon aus dem Zeitverluſt hervor, den 
das Laden der verfchiebenen Käufe hervorbrachte. Nur da, imo ein einziger der Foderung 
genügte, konnten dieſe und ähnliche Eonftructionen mit einiger Hoffnung bes 8 angewen- 
bet werden. Pol. auch Hoͤllenmaſchine. | 

Orgien bezeichnen bie geheimen und religiöfen Gebräuche und überhaupt ben geheimen 
Gottes dienſt ber Demeter (f. Ceres), vorzugsweife aber bie mit muflifchen Gebräuchen umd 
trunkener Wilbheit gefeierten Feſte des Bacchus (f. d.) und dann alle andern Fefte und Myſte⸗ 
zien, die mit Lärm begangen murben. Daher heißen noch jegt nächtliche Trinfgelage, bie mit 
andern Ausfchweifungen verbunden find, Orgien. 

Driäni (Barnabe), einer der berühmteften ital. Aſtronomen, geb. zu Garignano bei Mai- 
land 1752, erlangte fchon frühzeitig feiner aftronomifchen Forſchungen megen einen bebeuten- 
ben Ruf. Im I. 1786 von der Regierung nach London gefendet, um bafelbft aftronomifche 
Inftrumente für die mailänder Sternwarte verfertigen zu laffen, machte er dort die perfönliche 
Bekanntſchaft Herſchel's, mit dem er nachher in fletem Briefwechfel blieb. Nach feiner Rüd- 
kehr nahm er in Italien an der Meffung eines Meridianbogens Theil und leitete nebft Reggio 
und de Cefaris die Triangulirung zum Behuf einer Karte der Lombardei. Bei der Errichtung 
bes Inſtituts von Italien wurde er zu einem der erften 30 Mitglieder deffelben und in der Folge 
von Napoleon zum Grafen und zum Senator bes Königreich Italien ernannt. Er war einer 
der Erſten, welche die Bahn ded Uranus beftimmten, und ald Piazzi 1801 die Ceres entdeckte, 
die er anfangs für einen Kometen hielt, war es D., ber durch die Berechnung ber Elemente ih ⸗ 
rer Bahn die Entdedung machte, daß fie ein Planet ſei. Von feinen Werken find zu nennen: 
die „Tafeln des Uranus“ (1783), die „Theoria planetae Mercurii“ (4798) und feine claſſiſche 
„Trigonometria sphaerica” (Bologna 1806). Seine Abhandlungen enthalten treffliche Bei- 
fpiele, Regeln und Bemerkungen für praktifche Aftronomie. Er ſtarb zu Mailand 12.Nov. 1832. 

Dribafius, berühmter Arzt aus Pergamum oder Sardes, lebte in ber erften Hälfte bes 
5. Jahrh. n. Chr. und genoß das befondere Vertrauen des Kaiſers Julianus, der ihn zu feinem 
Leibarzte und zugleich zum Quaſtor von Konftantinopel ernannte. Seine Schriften galten Tange 
Beit als Quelle und Richtſchnur für die Arzneitunde, obwol er felbft nur wenige neue Ent⸗ 

. bedungen machte und mehr ein geſchickter Compilator war. Aus den frühern medicinifchen Wer⸗ 

fen machte er nämlich nach einer foftematifchen Ordnung ziemlich vollftändige Auszüge in 70 

" Büchern und ftellte dann das Ganze wieder in eine kürzere Überficht in neun Büchern zuſam⸗ 
men. Nur einzelne Bücher haben fich in griech. Sprache erhalten, von denen unter bem Titel 

„Medicinalia collecta” die zwei erften Bücher von Gruner (2 Bde., Sena 1782), Buch 1—15 


Drient | 437 


thät in „Veterum et clarorum medicorum Graecorum varia opuscula” (Most. 1808), 
I—45 und 48—50 von Mai in den „Classici auctores e vaticanis codicibus edili” 
Rom 1851) aus Handfchriften zuerft bekannt gemacht worden find. Einzelnes war 
iher, freilich nur in Bruchſtücken, erfchienen ; die meiften Bücher des D. kannte man 
einer lat. Überfegung, die von Rofarius unter dem Titel „Oribasii opera omnia” 
‚Baf. 1557) erichien und von H. Stephanus in „Medicae artis principes” (2 Bde., 
67) wieder abgebrudt wurde. Vgl. Hecker, „D. der Leibarzt” in beffen „Xiterarifche 
ı der gefanımten Heiltunde” (Bd. 1, Berl. 1825). 
nt, Morgen oder Dften ift im Gegenfage zu Occident (f. d.) die Himmelögegend, wo 
ne fcheinbar aufgeht. Drientalifches Kaiſerthum nennt man das Byzantinifche Reich 
Drientaliſche Ebriften find die Anhänger ber griech. Kirche (f.d.). Mit dem Namen 
ber Morgenland und Decident oder Abendland bezeichnet man auch gern im Allge⸗ 
die beiden Welttheile Aften und Europa, ſowol in ihrem tiefen innern Gegenfage als in 
uflöslichen Verknüpfung. Denn beide Verhältniffe gehen durch die ganze Weltgefchichte 
. Während Aften der Schauplag der älteften gefchichtlichen Entwidelung des Men- 
hlechts gemefen, von dem bie Anfänge der Eultur und der Religion wie die großen hifto- 
Zzölker ausgegangen, find biefe befruchtenden Keime in Europa zu einer eigenthümlichen 
flandigen Ausſaat gediehen, deren beherrſchender Einfluß wieder feit Sahrtaufenden 
Orient zurüdgewirkt hat. Schon geographifch Fällt der Gegenfag in die Augen, worin 
it feinen mächtigen Gebirgsftöden und feinen großen blühenden und fruchtbaren Thal⸗ 
u Europa fteht; die Natur hat es dort den Menfchen unendlich viel leichter gemacht, 
Genuß bes Lebens zu fichern, der auf dem kargern Boben des weftlichen Welttheile 
ngen werden will. Unter der Einwirkung fo verfchiedener Verhältniffe find benn auch 
er, die, an Wefen und Abflammung einem großen Theil der orientalifchen innig ver» 
ach Europa wanderten, dort anders geartet und haben jene nordifche Zähigfeit und 
:aft angenommen, welche die Bevölkerung unferd Welttheils von der Aſiens unter 
Die paffive und contemplative Art bed Orientalen ift im Abendlande in jene Rührig⸗ 
thatenvolle Unruhe umgefchlagen, die zu der majeftätifchen Trägheit des Morgenlandes 
seichnenden Begenfag bilder. Völker und Individuen haben fich dort bunt und man- 
3 entwidelt, während fie hier noch große, aber unbeweglichere Maffen bilden. Der mehr 
n Geiftesthätigkeit morgenländifcher Völker gegenüber tritt bei den abendländifchen 
‚pferifche und unermüdete Thatentrieb hervor, welcher den Glanz und die Mannichfal- 
ve Geſchichte ausmacht. Im Oriente haben fi) aus eben diefen Gründen bie patriate 
ı Kormen des Regiments dauernd erhalten und find entweber in der Geftalt des mo- 
en Despotismus oder ber priefterlichen Theokratie herrfchend geblieben; im Abendlande 
yiefe Formen nur einen von den zahlreichen Übergängen, durch welche die ftetige und 
ıde Entwidelung bes europäifchen Welttheild hinburchgegangen ift. Im Oriente ha⸗ 
roße umfangreiche Staaten auf mächtige Völkermaſſen gegründet und erhalten; im 
wollten ähnliche Staatenbildungen nie dauernden Befland gewinnen, fonbern die 
‚faltigkeit und Verfchiedenartigkeit dee Stammesarten, Sprachen, Bildungen u. f. w. 
ier eine befondere Exiſtenz errungen. Die Gefchichte des Orients wechſelt daher zwi⸗ 
ßen Maffenbewegungen, deren erobernde und zerftörende Bewalt.einzelne Perioden 
zichte ausfüllt, und zwifchen dem Zurückſinken in jene lethargifche Ruhe, die von Natur, 
: und Regierungsweife gleichmäßig begünftige wird. Im Abendlande dagegen ift die 
te reicher und vielfältiger, ihr Charakter und ihre Localität vielfeitiger, bunter und an 
alität ergiebiger: das Sonberleben hat fich hier auf allen Gebieten menſchlicher THä- 
1e größere Geltung erfämpft als jemals im Orient. Ahnliche Gegenfäge haben ſich 
en Gebieten der Dichtung und Kunft ausgeprägt ; während der Orient an Bilderreid- 
b Farbenpracht das Abendland überragt, hat es ihm nicht gelingen wollen, der uber- 
n Macht feiner Phantafie die orbnenden Zügel anzulegen und die Harmonie ber Kunſt 
‚ welche bie dichterifchen Werke der begabteften Nationen bes Abendlandes auszeichnet. 
haben alle diefe Gegenfäge auch wiederum nirgends die innere Verwandtſchaft völlig 
können, welche beide Welttheile miteinander verfnüpft. Beides, der Gegenfag wie die 
ıgöfraft, geht auch ald Grundzug durch die ganze Weltgefchichte hindurch. Die groß- 
ütterungen der Befchichte, von den Perſerkriegen und Alerander’s orientalifchen Cul⸗ 
bis zu ben Römerzeiten und ben Kreuzzügen im Mittelalter, ſtellen die ftete Wechfel- 
zwifchen beiden Welttheilen, den Kampf und den gegenfeitigen geiftigen Austauſch 


88 - Drientalifche Literatur und Sprachen 


Europas und Afiens bar. In der gegenwärtigen Seit verbreiten ſich bie Wurzeln ber großen 
eutopälfchen Politik bis tief in den Orient, und von dem Ausgange des unentfchiedenen Ringes 
um die Herrſchaft in jenem öftligen Welttheil hängt ein guter Theil der europäifchen Geſchite 
ab. — Orientaltfche Frage wird in der neuern Zeit vorzugsweiſe das politifche Problem ũber bie 
Verhaltniſſe, die Entwickelung der Krifis und das Beftehen bes Domaniſchen Reiche (f. b.) uuh 
der Damit verbundenen ober verbunden geweſenen Länder, alfo der DonaufürftentHümer, Bew 
tenegros, Ägyptens und ber Barbaresten, Griechenlands und ber Kaukafusländer, genannt 
Am Allgemeinen kann aber auch jedes ben Orient, insbefondere Perſien, Afghaniftan, das Pen 
ſchab und Ehina betreffende politifche Problem, vorzüglich wenn es von allgemein europ. Beben 
ur fo genannt werden. 

rientalifche Literatur und Spraden iſt gegenwärtig die gemeinfame Bezeichnung 
für die Sprachen und Kiteraturen aller Völker Afiens, ſowie des moslemifchen Afrika und Eu 
ropas. Solange das wiffenfchaftliche Studium derfelben in Europa fich nur auf die Sprachen 
und Literaturen ber femitifchen Völker (Juden, Syrer, Chaldäer, Araber) befchräntte und höch⸗ 
ſtens die der chriftlichen Armenier und Kopten in fein Bereich zog, verfiand man unter orient 
Literatur auch nur die der eben genannten Völker. Seit jedoch einerfeitd Europa durch Hanbel 
und Golonifation in einen lebhaftern Verkehr mit dem Orient getreten und mit faft allen 
Völkern Afiens und Afrikas in unmittelbare Berührung gelommen ift, anderntheils fich in 
unferer Zeit immer mehr das Beftreben fund gibt, die Entwidelungsgefchichte des merifchlichen 
Geiſtes bis zu feinen in Afien liegenden Uranfängen zu verfolgen unb die Keime unfers me- 
dernen Seins dort aufzufuchen, find auch die Sprachen und Literaturen bes chriftlichen, jübb 
fen und moslemifchen Orients nicht nur genauer und grünblicher durchforfcht, ſondern auch 
die Geiſteswerke ber Bewohner Hochafiens, der Völker des chineſ. und ind. Culturkreiſes in ben 
Bereich wilfenfchaftlichen Stubiums und praßtifcher Kenntnißnahme gezogen worden. Bereits 
iſt es für einen Einzigen unmöglich, ſich auf allen Gebieten zu gleicher Zeit mit Sicherheit zu 
bewegen; weshalb fich von den Orientaliſten einige ausfchließlich der Erfchliefung Oftäfiens, 
der Literatur und Sprachen ber Völker des chinef. Eulturkreifes (Ginologen), andere ber Durch⸗ 
forſchung der ind. Welt (Indianiften), noch andere der wiflenfchaftlichen Bearbeitung und praf- 
tifchen Erlernung der Sprachen des moslem. Orients (Arabifch, Perfifch, Türfifch, nach Bde 
genheit und Bedürfniß au Malayifch, Hinduſtaniſch, Armenifch und Berberifch) zugewendei 
haben, während hinwieberun Viele mit der Bibelforſchung, namentlich der hebräiſchen Alter⸗ 
thumswiſſenſchaft, das Studium der ältern ganz oder beinahe ausgeftorbenen Sprachen Por: 
derafiens (Phönizifch, Syrifch, Chaldäiſch, Athiopifch, affprifches und babylonifches Altertum 
u. f. m.) verbinden. Cine kleinere Anzahl von Korfchern (die Agyptiologen) haben ſich der 
Aufhellung der altägypt. Verhältniffe gewibmet. 

Die Aufmerkſamkeit der europ. Gelehrten wendefe fich ſchon im Mittelalter den orient. Spra⸗ 
chen, indbefondere dem Arabifchen zu, und zwar aus zwei Hauptbeweggründen. Der erſte Be 
weggrund war der Bekehrungseifer, welcher durch die Kenntniß bes Arabifchen die Mohamme- 
daner widerlegen und zum Chriftenthume führen wollte. Schon um die Mitte bed 15. Jahrh. 
befahl Papft Innocenz IV., in Paris Lehrftühle für das Arabifche zu errichten, für die auch Cle⸗ 
mens IV. und Honorius IV. fich intereffirten. Unter Clemens V. wurde 1314 auf ber Synode 
zu Vienne befchloffen, daß zu Rom, Paris, Orford, Bologna und Salamanca Lehrer bes Ara- 
biſchen und Ehaldäifchen angeftellt fein follten, damit man im Stande fei, die Mohammebdaner 
und die Juden eines Beffern zu belehren. Namentlich fehärfte auch Johann XXU. dem Bifchof 
von Paris ein, daß er bei der Sorbonne auf bie Erlernung diefer Sprachen fche. Der zweite 
Beweggrund zur Befchäftigung mit der orient. Literatur war wiffenfchaftliher Eifer, welcher 
die medicinifchen, afteonomifchen und philofopifchen Schriften der Araber und bie in arab. Über 
fegungen enthaltenen Werke des Ariftoteled dem Abendlande zugänglich machen wollte. Auch 
regten hierzu unftreitig der Aufenthalt ber Araber in Spanien und bie Kreuzzüge ebenfalls an. 
Schon in der legten Hälfte des 12. Jahrhunderts erfchienen lat. Überfegungen, namentlich aus 
dem Arabifchen, die fi im Mittelalter fehr mehrten und feit dem 15. Jahrh. auch im Drud 
erfchienen. Die Reformation belebte das Studium ber orient. Sprachen durch bie Anwendung 
deffelben auf bie biblifche Eregefe. Zur genauern Erforfchung bes hebr. Tertes und ber alten 
morgenländ. Überfegungen des Alten und Neun Teftaments fubirten nun fowol Proteftanten 
wie Katholiten dad Rabbinifche, Arabifche, Syrifche, Chaldäifche, Samaritanifche und Athio⸗ 
piſche. Bei den Katholiten kam auch noch die Sorge für ihre morgenländ. Miffionen hinzu 
Papft Urban VIII. ftiftete 1627 für die kath. Miffionen zu Rom das Collegium pro fide pro- 










r\ 


Drientalifce Literatur und Sprachen 438: 


paganda, in welchem bie morgenfänd. Sprachen gelehet wurden. (&. Propaganda.) Die Je 
fuitenmiffionare in Ehina und Japan machten Europa auch mit den öftlichen Sprachen Afiens 
und ihrer Literatur bekannt. Eine mehr rein wiſſenſchaftliche Richtung erhielt das orient. Sprach⸗ 
ſtubium feit ber Mitte des 18. Jahrh. Man wollte num diefe Spradgen nicht mehr blos wegen 
bibliſcher und miffionarifcher Zwecke kennen lernen, fonbern auch um bie barin erhaltene Lite⸗ 
ratur und aus biefer die Bildung und die Befchichte ber morgenländ. Völker zu erforfchen. Der 
Engländer Will. Jones (f. d.) in Dftindien machte 1780—90 auf den Reichthum der ind. Li⸗ 
teratur aufmerffam und fliftete zu Kalkutta 1784 die Aſiatiſche Geſellſchaft, welche ihre Wir⸗ 
fung für die morgenländ. Studien weit umber verbreitet hat. In Paris veranlafte feit 1790 
befonbers Silveftre de Sacy (f. d.) eine umfaffendere Benugung ber arab. Schriftfieller und 
ein gründficheres Studium ber arab. Sprache. Während bis dahin die orient. Stubien ben 
übrigen Wiffenfchaften gegenüber nur eine untergeordnete Stellung einnahmen, erhoben fie ſich 
gegen Ende de vorigen Jahrhunderts zu einem ganz eigenen felbftänbigen Gebiet, fchufen fich 
in ben verfchiebenen Afiatifchen Geſellſchaften (ſ. d. einflußreiche Organe und find feit einigen 
Jahrzehnden als ein unabweisbares Moment in unfern modernen Bildungsgang eingetreten. 
Haben auch bisher England, dann Rufland und Frankreich der Kenntniß des Drients durch 
Beſchaffung des Materials den meiften Borfchub geleiftet, fo find es beſonders bie Deutfchen, 
welche fich um die rein wiffenfchaftliche Bearbeitung und Hiftorifche Durchdringung bie meiften 
Berbienfte erwarben. Namentlich wurde hier auf Grund orient. Forfchung bem gefammten. 
Sprachſtudium ein ganz neues Reben eingehaucht, Durch ZB. von Humboldt und Bopp erft bie. 
Sprachwiſſenſchaft und vergleichende Sprachkunde gefhaffen. Bon nicht geringerer Wichtigkeit 
ift der Einfluß, welchen die genauere Kenntnis orient. Geiſteslebens auf andere Wiſſenſchaften, 
wie Religions- und Eulturgefchichte, Beographie, Ethnographie u. |. w., gewährt hat. 

Die Haupttheite ber orient. Literatur bilden: 1) die chineſiſche Ateratur. (&. Chineſtfche 
Sprachhe, Särift und Literatur.) 2) Die japanifche Literatur, die ſich ganz an die chinefifche 
anlehnt und mit ihr an Reichthum und Umfang wetteifert, aber noch fehr wenig bekannt iſt. 
In find beſonders Siebold umd Pfizmeier für diefelbe thätig. 3) Die anamitifche % 
teratur, worunter wir die Werke der Tunkineſen, Cochinchineſen, Stamefen und Birmanen um⸗ 
faffen. Einen Haupttheil derfelben bilden theologiſche Bücher, welche die Lehren und Sagen 
ber buddhiſtiſchen Religion enthalten. NRächftvem find viele Hiftorifche, botanifche und andere . 
naturwiſſenſchaftliche Werke, ingleichen Romane und Schaufpiele vorhanden. 4) Die mongo- 
liſche Literatur, welche im Mittelalter entſtand, als die durch Dſchingis⸗Khan vereinigten Mon⸗ 
golen die bubbhiflifche Religion und das gegenwärtige mongol. Alphabet annahmen. Zahlreiche 
Werke über die Sagen und Lehren der buddhiftifchen Religion wurden feit dieſer Zeit aus dem 
Tibetaniſchen in das Mongolifche überfept. Auch finden ſich in mongol. Sprache hiftsrifche 
Werke, epiſche Dichtungen, Romane und Märchen, theils Driginal, theils ind. Muftern nach⸗ 
gebildet, in großer Auzahl. Ahnliche Charaktere dee die weniger bedeutende Literatur ber 
flammverwandten Kalmüden. 5) Die mandfeguifche Literatur, bie erſt feit der Zeit, in welcher 
bie Mandſchu zum zweiten male China eroberten (1644), entfland. Die mandfihuifche Dyna⸗ 
fie, welche ſich feitdem auf dem chineſ. Throne behauptet bat, übertrug allmälig auf ihr Volk 
bie chineſ. Cultur; daher wurden num bie e der alten chineſ. Literatur, beſonders bie heill⸗ 
gen Bücher und biftorifchen Schriften, in die mandfchuifche Sprache überſetzt, auch neue Schrife 
ten in dieſer Sprache gefchrieben, fowie Sprachlehren und Wörterbücher berfelben verfaßt. Deu 
europ. Gelehrten empfiehlt ſich daher die mandfchutfche Literatur auch als Hülfsmittel zum Ber : 
ſtaͤndniß der alten chinef. Werke, ba die manbfchuifche Sprache niche ſchwer if. (S. Mandſchu.) 
6) Die tatarifge Literatur, zu ber a) die niguriſche Literatur, bie feit dem 8. Jahrh. unter den 
weſtlichen Wiguren, bie im mittlern Aſien wohnten, ſich verbreitete; b) die dſchagataiſche Lite 
ratur des tatar. Stamms gleiche® Namens in ber Bucharei, der diefen Namen feit ber Regie⸗ 
zung Dſchagatal's, eines Sohnes des Dſchingis⸗Khan, führte; c) die kaptſchakiſche Ateratur, 
gefchrieben in ber Mundart ber zu Kafan und Aftrachan angefiebelten Tataren, und d) bie &- 
teratur der Dsmanli gehören, bie wir vorzugsweiſe die Türfifche Literatur (ſ. d.) nennen. 7) 
Die tibetaniſche Literatur, entftanden, feirdem Zibet im 7. Jahrh. die bubbhiflifche Religion an⸗ 
nahm. Sie enthält zahlreiche theologifche, ascetiſche, kosmogoniſche Werte ber Bubdhiften, bie 
zum Theil aus dem Sanskrit überfegt find; ferner hiftorifche Werke, Romane, Wörterbücher -. 
und Sprachlehren. 8) Die malapifche Literatur, und zwar a) bie eigentlich malayifche, ent» - 
ftanben bei bem malayifchen Stamme, welcher die Halbinfel Malakka und bie Infel Sumatra bes 
wohnt, und beſtehend in Bearbeitungen theils ind., theils moßlemifcher,-theils einheimifcher Sa⸗ 


17° 5 Drientiren Drigenes 
gen, in Erzählungen und Gebichten; und b) Die javaniſche Literatur, die in eine Ältere und in eine 
neuere zerfällt; die erſtere in der Kawiſprache, einer Mundart des Sanskrit, die fie aus Indien er- 
halten haben; die andere In der javaniſchen Sprache, enthaltend befonders Erzählungen und Ger. 
Dichte. 9) Die indiſche Literatur (f.d.). Aus der indifchen entwickelte ſich die Pali- und Praͤkrit⸗ 
literatur, ſowie die reichen Literaturen in ben neuern Indiſchen Sprachen (f.b.) und Dialekten 
10) Die perſiſche Literatur (f.b.), welche in die altperfifche ([- Send und Vehlewi) und die nem 
che zerfällt. Daran fchließt fich die dürftige Riteratur der Ufghanen. 14) Die chaldaiſche 
Literatur. (S. Chaldaͤer.) 12) Die hebraͤiſche Literatur (ſ. Hebraifge Sprache und Literatur) 
und bie fpätere jüdifche Literatur (ſ. d.). 13) Die famaritanifche Kiteratur, ein Zweig der jübi- 
ſchen, von geringem Umfange und hauptfächlich aus einer Überfegung des Pentateuch, liturgi⸗ 
(hen Vorſchriften für den jüd.-famaritan. Gottesbienft und religiöfen Hymnen beſtehend. 44) bie 
pbönizifche Riteratur, in der aber nur Infchriften auf Brabfteinen und Münzen erhalten finb. 
(&. Yhönizier.) 15) Die ſyriſche Kiteratur. (5, Syriſche Sprache und Literatur.) 146) bie 
äthiopifce Literatur (f. d.). 17) Die arabifche Kiteratur (f. d.). 18) Die koptiſche Literatur 
(f. d.). 19) Die armeniſche Riteratur (ſ. d.). 20) Die georgifche ober geufifcge Literatur, weiche 
feit der Belehrung von Georgien zum Chriftenthume im 4. und 5. Jahrh. entſtand, noch wenig 
bekannt ift und erft in neuefter Zeit durch den Franzoſen Broſſet bearbeitet wurde. Sie enchält 
theologifhe, Hiftorifche, geographifche, philologifche, Legislatorifche und poetiſche Werke. Aus 
dem epifchen Gedichte „Tariel” hat Broffet einige Proben mitgetheilt, deren Charakter au bie 
epifche Poeſie der Perfer erinnert. Bei den übrigen Völkern Aſiens kann von Literatur zur 
Zeit nicht die Rebe fein; denn obgleich Bücher in faft allen Sprachen bes Drients egifliren, 
fo fehlt ihnen doch jede Originalität bes Gedankens, ber Empfindung und bes Ausbrude. 

Drientiren. Sich orientiven Heißt urfprünglich feine Stellung gegen die Weltgegenden be» 
ſtimmen, fobaß man weiß, wo Dften, Süden u. ſ. w. zu fuchen find, wozu e8 nur der Beſtim⸗ 
mung einer einzigen Weltgegend bebarf ; ftellt man fich z. B. mit dem Gefichte nach Süden, fo 
bat man links ‚ rechts Heften, im Rüden Norden. Einen Himmelsglobus u. |. w. orien 
Wen t, bemfelben feine richtige Lage gegen die ÜBeltgegenden geben. Im weitern Siune 
bei orientiren fo viel als fich zurechtfinden. " 

Driflamme (Aurea flammula), die ehemalige Kriegsfahne ber Könige von Frankreich, war 
urſprünglich die Kirchenfahne der Abtei St.-Denis, die fie ald Schirmvoigte des Klofters führ- 
ten. Diefelbe beftand aus dem angeblichen Keichentuch des heil. Dionyfius, einem Stüd rothen 
Tuchs (woher der Name ftammt), in Form eines Paniers, unten fünfzipfelig, an den Spigen 
mit grünfeidenen Quaſten geziert, und war an einer goldenen Lanze befeftigt. Die erften 
Schirmvoigte waren die Grafen von Verin und Pontoife. ALS in der Folge König Philipp I. 
Berin mit der Krone vereinigte, ging die Schirmvoigtei des Klofterd auf ihn über. Seitdem 
wurde die Oriflamme bei den Heeren geführt und nach und nach zur Hauptfahne der franz. 
Truppen, feit Karl VII. aber nicht mehr in den Krieg mitgenommen. 

Drigenes, wegen feines eifernen Fleißes Adamantios genannt, der gelehrtefte Kirchen- 
ſchriftſteller der alten Zeit, geb. zu Alerandria 185 n. Chr., murde von feinem Vater Leonidas 
im Chriſtenthum und in den Wiffenfchaften unterrichtet und hatte nachher Clemens Aleran- 
drinus und den Neuplatoniter Ammonius Sakkas zu Lehrern. ALS fein Vater unter Kaifer 
Severus der Religion wegen ind Gefängniß geworfen worden war, ermahnte er ihn, eher den 
Märtyrertod, zu leiden als dem Chriſtenthume zu entfagen. Nach dem Tode des Waters erhielt 
er Mutter und Schwefter durch Unterricht, den er in der Grammatik gab. Bereits in feinem 
19. 3. wurde er Katechet in Alerandria, wo er allgemeines Auffehen erregte. Aus falfchem 
ascetifchen Eifer entmannte er fi. Auch in Rom, wohin er nach) dem Tode des Kaiſers Septi- 
mius Severus 211 ging, erwarb er fich viele Gönner. Nach feiner Rückkehr ſetzte er in Alexan⸗ 
dria, auf des Biſchofs Demetrius Verlangen, feinen Unterricht fort, bis ein Volksaufruhr ihn 
bemog, nach Palaftina zu flüchten, wo er fih bei den Bifchöfen in ſolche Gunſt fegte, daß fie 
ihm erlaubten, in ihren VBerfammlungen Vorträge zu halten. Dadurch eiferfüchtig gemacht, 
rief ihn der Bifchof von Alerandria zurück; doch bald darauf ging er nach Achaja, wo damals 
mehre Kegereien eingeriffen waren. Auf feiner Meife nach Cäfarea in Paläftina 228 wurde er 
von den bafelbft verfammelten Bifchöfen zum Presbyter geweiht. Dies gab bie erfte Veran⸗ 
laffung zu den Verfolgungen, die fein eben verbitterten, indem der Biſchof von Alerandria, 
Demetrius, behauptete, daß ed nur ihm zukomme, D. zu weihen, und nachdem er deshalb zwei 
Concilien verfammelt, ihn 232 des Priefterames entfegte und ihn egcommunicirte. Diefe Ver» 
urtheilung wurde in Rom wie von den meiften andern Biſchöfen gebilligt; allein die Kirchen 


Originalität Drinoco A0. 


n Paläſtina, Arabien, Phönizien und Achaja blieben mit O. in Verbindung, ber bie 
ner, die man ihm Schuld gab, leugnete und ſich nach Cäſarea zurückzog, wo der Biſchof 
Theoktiſt ihm geflattete, die Heilige Schrift auszulegen. Gregor der Thaumaturg und fein 
Bruder Athenodor ließen fich von ihm unterrichten. Die Verfolgung der Ehriften unter Kaifer: 
Naximinus nöthigte ihn, fich zwei Jahre in Kappadocien verborgen zu halten. Als Gorbian 
237 der Kirche den Frieden wiebergegeben hatte, machte D. eine Reife nach Atchen und dann 
ach Arabien, wohin bie Biſchöfe ihn berufen hatten, um den Biſchof Beryll von-Boftra zu 
viderlegen, welcher leugnete, daß die göttliche Natur Chrifti vor feiner Menfchwerbung eriftirt 
abe. O. ſprach mit fo hoher Beredtfamteit, daß Beryll widerrief und ihm für feine Belehrung 
Bei einer neuen Berfolgung unter bem Kaifer Decius wurde er eingekerkert und hatte 
arte Martern zu erdulden. Erfchöpft durch diefe Mishandlungen, ftarb er zu Tyrus 254, 
Benige Menichen find fo bewundert und geachtet und doch fo hart angegriffen und verfolgt 
vorben als D., ſowol bei feinem Leben wie im Tode. Namentlich befchuldigt man ihn, daß er 
ne Wahrheiten der hriftlichen Religion durch Platonifche Ideen verfälfcht habe. Allerdings 
‚at er, befonders in feinem an bie Keger gerichteten, nur noch in einer Überfegung bes Rufın in 
Brucdftüden vorhandenen Buche „De principiis” (beraußgegeben von Redepenning, \ 
1836, und von Schniger, Stuttg. 1856) ein auf die Philofophie des Plato gegründetes Syſtem 
ufgeſtellt; allein er gibt feine Meinungen nur als Möglichkeit; überdies hatten, wie er ſelbſt 
agt, die Keger feiner Zeit feine Schriften verfälicht. Bon feinen Werken, angeblich 6000 an 
ver Zahl, find außerdem noch vorhanden eine „Ermahnung zum Märtyrerthbume” (beraudge 
jeben von ZBetftein, Baf. 1674), bie „Philosophumena” (zuerft herausgeg. von Miller, Opf. 
1851), Gommentare, Homilien und Scholien über die Heilige Schrift, die er vielleicht 
uerſt ganz zu erflären unternahm. Wir haben deren noch eine große Menge, aber die meb⸗ 
ten find fehr freie Überfegungen. Durch fie machte D. die bildliche oder allegorifche Erklä⸗ 
ungsart der Juden allgemeiner und verwarf den buchfläblichen Sinn, ben er bios als Kür 
‚ee der erſtern anfah. Außer diefen eregetifchen Werken machte er fi) um bie Kritik ver- 
ent durch feine „Derapla”. Seine Schrift gegen Gelfus (deutich von Mosheim, Hamb. 1745) 
fl die vollfländigfte und bündigſte Vertheidigung des Chriftenthums, welche das Alt 
wfgumeifen hat. Beine ſämmtlichen Werke bat de la Rue (4 Be, Par. 1735—59) und 
ommatzſch (Wd.1—25, Berl. 1831 —48) herausgegeben. Über feine Rechtgläubigkeit haben 
ich viele Streitigkeiten erhoben. Im 4. Jahrh. beriefen fich die Arianer auf ihn, um bie 
eit ihrer Lehrfäge zu beweifen. Sowol unter feinen Bertheidigern als unter feinen Gegnern 
inden fich die gelehrteften und berühmteften Kirchenväter, wie denn z. B. Hieronymus fich gegen 
hr erflärte. Vgl. Thomafius, „D. Ein Beitrag zur Dogmengefchichte des 3. Jahrh.“ (Nürnb. 
837); Rebepenning, „D. Eine Darftellung feines Lebens und feiner Lehre” (Bonn 1841). 
Driginalität ift abgeleitet vom lat. origo, Urfprung; Driginalität heißt alfo Urſprüng⸗ 
ichkeit. Original heißt das Urbild, die Urfchrift; ber Begenfag dazu ift die Gopie, das nachge- 
ildete Bild, die Abfchrift. Deshalb fagen wir von einem Künftler: er hat Originalität, wenn 
r frei au der Urfprünglichkeit feines eigenen Genius fchafft, wenn fich Fein anderer Kuͤnſtler 
achweiſen läßt, deſſen Eigenthümlichkeiten ee bewußt oder unbewußt nachahmt. Das wirk⸗ 
iche Genie ift immer originell. Dies ift der Grund, warum ſich in neuerer Zeit mit diefem Be⸗ 
riff des Driginellen eine verächtliche Nebenbebeutung verfnüpft hat. Weil nämlich das Genie 
mmer originell, d. 5. urfprünglich und eigenthümlich ift, fo glaubten num Manche [yon darum 
in Genie zu fein, wenn fie in ihrem Behaben, Denken und Wirken von andern Menſchen mög* 
ichſt abwichen. Das ift dann aber nicht die gemiale, fondern bie affectirte Originalität, bie 
loße Seltfamkeit und Abfonderlichkeit. Zr 
Drindco oder Drenoeo, der Größe nad) ein Strom zweiten Rangs unter allen Blüffen ber 
Erbe, ber fünfte Amerikas, der dritte Suͤdamerikas und ber erſte der Republit Venezuela, 
belcher er ganz angehört, hat feine noch von keinem Europäer befuchte Quelle auf der Sierra 
Darime, einer der Hauptketten des Hochlandes von Guiana, wahrſcheinlich in einer Höhe von 
twa 5000 &. und in der Nachbarſchaft des Parima, eines Quellſtroms des Rio Brance, ber 
n den Amazonenfirom fließt. Er durchſtrömt in feinem obern Laufe dieſes Hochland, das er 
ıach feinem Austritt aus demfelben umfäumt, indem er eine große Spirale um feine Duelle 
efchreibt. Bei Esmeralda verläßt er fein Quelland und tritt in feinen mittlern Lauf. Er ent- 
endet fodann in einer merkwürdigen Gabeltheilung oder Bifurcation einen Theil feiner Ge 
väffer in den Eaffiguiare, der in ben Rio Negro mündet und fo eine ununterbrochene Waſſer⸗ 
erbindung zwifchen dem Amazonenflcom, in den der Rio Negro ſich ergieft, und dem Drinsre 


442 Drion Mötholog.) Driffa 


vermittelt. Hierauf verfolgt er eine nördliche Richtung, indem er die Gebirgsäfte, welche bie 
Sierra Parime nach Weften vorſchiebt, mit Stromfehnellen und Mafferfällen, unter denen bie 
vonMaipures und Atures die berühnuteften find, durchbricht und von der linken Seite die Flüffe 
Guaviare, Vichada, Meta, der an Waffermenge der Donau gleichtommt und bis auf if 
Ad M. Entfernung von Santa-Fede-Bogata in Neugranada [hiffbar ift, ben Arauca und 
ben 141 M. weit ſchiffbaren Apure aufnimmt. Bei der Mündung diefes letztern Fluſſes ber 
ginnt der untere Lauf des Drinoco, in welchem er, oſtwätte gewandt, rechts den Caroni auf · 
> nimmt und zwiſchen dichten Waldungen langſam die Ebenen durchfließt, welche hier am feinen 
Ufern beginnen und zwiſchen dem Hochlande von Guiana und dem Küftengebiete von Vene 
zuela bis zur Mündung des Drinoco in den Atlantifchen Dcean fi) Hin erftreden. Der Drie 
noco, deffen directer Abftand von Quelle zu Mündung 92, beffen ganze Stromentridelung 
aber 358 DM. beträgt und der ein Steomgebiet von 17500 UM. befigt, ſchwillt während ber 
Regenzeit bedeutend an und überſchwemmt vorzüglich die Ebenen feines untern Laufs, nicht 
felten bis zu einer Breite von 25 M. Bei Anguflura (ſ. d.) wird der Fluß in einen Engpaf 
eingefchnürt, der die obere Grenze der oceaniſchen Ebbe und Blut bildet und durch welchen der 
Strom in jeder Secumde 24000 Kubikfuß oder mehr denn 15 mal mehr Waſſer ergiefit, als der 
Rhein durch feine verfehiedenen Mündungen in die See führt. Etwa 33M. unterhalb Anger 
ſtura dehnt ſich der Strom zu einer Breite von FM. aus, und hier beginnt fein gegen AH QNM, 
geoßes, periodiſch überſchwemmtes Delta, durch welches er fich auf einer Küftenausdehnung 
don 374M. in i7 Mündungsarmen ergieft. Won biefen ift der füblichfte, die Boca del Navioe, 
bei weiten der bedeutendfte umd derjenige, welchen bie großen Schiffe wählen. Er iſt gegen . M 
breit und erweitert fi zwifchen Punta Barima und der Infel Nuia zu beinahe M. Die 
Sciffbarkeit des Drinoco beträgt vom Meere aufwärts bis zu den AWafferfällen von Atures 
gegen 200 M.; oberhalb Maypures iſt fie aber ebenfalls wieder auf 127 M. frei und unumter- 
brochen bis zu dem Waſſerfall von Guaharibos oder gegen 51 M. oberhalb Esmeralda. 
Drion var nad) ber älteften Sage ein großer Jäger, ber feine Befchäftigung auch nach dem 
Tode in der Unterwelt noch fortjegte, und der ſchönſte Mann feiner Zeit. Seine Abftammung 
wird verfchieben angegeben. Der gewöhnlichen Sage nad) war er der Sohn des Hyrieus, nach 
Andern ein Sohn des Pofeidon umd der Euryale oder ein Erdgeborener. Er war bon fo unge 
heuerer Größe, daß, wenn er im tiefften Meere ging, Haupt und Schultern über das TMaffer 
emporragten, bie, wenn er auf der Erde girig, bis indie Wolken reichten. Als er einft nach 
Chios Fam, welches er von wilden Thieren reinigte, verliebte er fic) in die Tochter des Önopion, 
Aro oder Merope, Da diefer die Vermählung immer aufjchob, wollte er die Jungfrau mit Ge- 
malt entführen. Onopion rief deshalb den Dionyfos zu Dülfe, der den D. blendete. Das Dra- 
kel, welches er num befragte, rieth ihm, gegen Morgen zu gehen und feine Augen den Sonnen- 
ſtrahlen auszufegen: auf diefe Weife werde er fein Augenlicht wieder bekommen. Diefes geſchah 
auch. Run kehrte er, um Rache an Unopion zu nehmen, nad) Chios zurüd, fand diefen aber 
nicht. Hierauf begab er ſich nad) Kreta, wo er mit der Artemis jagte. Die Veranlaffung zu feir 
nem Tode wird verfchieden erzählt. Nach Einigen erlegte ihn Artemis mit ihren Pfeilen, weil 
ihn Eos feiner Schönheit wegen geraubt hatte und die Götter darüber zürnten. Rad) Andern 
hatte fich Artemis in ihn fo verliebt, daß feihn zum Gemahl begehrte. Äpollo, Darüber erzürnt, 
behauptete gegen feine Schweſter, fie vermöge einen fernen dunkein Punkt auf dem Meere nicht 
guteffen. Sie ſchoß, traf aber das Haupt des Geliebten, das fie vorher nicht erkannt hatte. 
ach einer dritten Sage fand er feinen Tod durch den Stich eines Storpions. Asklepios wollte 
ihn von den Todten erwecen, wurde aber von Zeus durch einen Bligftrahl getödtet. Nach feir 
nem Tode ivard D. nebft feinem Hunde an den Himmel verfegt, wo das glängendfte Sternbild 
des Hitnmels überhaupt jegt feinen Namen führt. Daffelbe ift auch in Europa in den Win- 
termonaten bei Nacht fihtbar und leicht fenntlic an drei Sternen zweiter Größe, die am Gür- 
tel im gerader Linie nahe beifgmmen ſtehen und unter dem Namen des Jakobeſtabs bekannt find. 
Drion aus“ Theben in Ägypten, daher Thebanus genannt, ein griech. Grammatiker und 
Lerikograph im 5. Jahrh. n. Chr., verfaßte umter dem Namen „Etymologicon“ in lexikaliſcher 
Form ein Werk über griech. Etymologien, welches befonders wegen der Genauigkeit, womit bie 
Beweisftellen aus den alten Glaffitern angeführt werden, fhägenswerth ift. Dafielbe wurde mit 
den Berbefferungen von Larcher und ®. A. Wolf aus einer parifer Handfchrift zuerft durch Sturz 
bekannt gemacht (2pz. 1820). Bol. Ritſchl, „De Oro et Orione commentatio” (Brest. 1834). 
-Drifla, eine engl.-oftind., zur Präfidentfchaft Kalkutta gehörige Provinz in Borderindien, 
an. ber Rorbiweftfeite. bes Bengalifchen Meerbufens, füblich von der Provinz Bengaten gelegen, 


Orkadiſche Infeln Driemände - 43 


bat einen Flaͤcheninhalt von 1547MLMR. und 2—3 IN. Bewohner, die meiſt zum Stamme ber 
gehören; body finden fidh in den Gebirgen bes Junern auch mehre Halbwilde, bie dem 
mme ber Ureinwohner ber vorberind. Halbinfel angehören umb mit den eigentlichen Hmdu 
nicht verwandt find. Die Provinz zerfällt in die acht Diſtricte Midnapur, Hibſchelli, Singbum, 
—— Moharbundſche, Balaſore, Kuttak und Khurdahgur. Die bedeutendſten Stadte 
find Kuttak oder Kattak am Mahanaddy, ber Hauptort der Provinz, mit 100000 E.; Dſcha⸗ 
garnat (f.d.) und Balafore mit 10000 E, einft bedeutend, jegt aber fehr herabgefommen, doch 
noch immer w eines Hafens, ſeiner Werfte und Salzwerke wichtig. 

Detebifehe ein en ober Orkney, ber fübliche Theil ber ſhetland -orfnegfchen Stewartry 
ober Voigtei, die auf 62, AM. 62313 € zählt und gegenwärtig der fchott. Familie Dun- 
das mit ber Erbrichterwürbe gene gehört, find durch die 10 engl. M. breite Mee⸗ 
resſtrõmung Yentland-Frith von der Rorbfpige Schottlands ‚getrennt. Die Infeln, 67 an 
der Zahl, haben Ben einen Flaͤcheninhalt von 207, QM.; doch find nur 30 davon bevöl- 

kert, mit ungefähr 32000 E. Die übrigen, Holme genannt, werden zu WBeideplägen, zur Jagb 
und —ã benutzt. Hierzu kommen noch die bei hohem Waſſer überfluteten Skerries oder 
Scheeren, nackte Felſen auf denen in ben Sommermonaten Zeute, welche aus den Meerpflangen 
Soda bereiten, fi Wohnhůtten Karten banen. Im Winter haben diefe Infeln häufig ſtarke Nordlich⸗ 
ter, viele Stürme, heftige Gewitter und fletd Rebel; dagegen hält ſich Froſt und Schnee nie 
fange. Auf ber Höhe tft der Boden moraflig und im Thale Torfmoor. Man gräbt allerbings 
Eihflämme aus dem Moor ; doch jept finden fih Bäume nur in gefehügten Gärten. Der Strand 
liefert Bernflein, angeſchwemmtes Holz —— bie, ee aus Weſtinbien 
hierher geſchwemmt, zu kleiner Drechslerarbeit benugt werben. Die Infeln find reich an See⸗ 
unb Lanbvögeln, auch niften in den Felfen Raubvögel, befonders Adler. Wichtig ift namentlich 
ber Robbenfa beufang. Die Bogeljagb liefert zur Ausfuhr Schnepfen, Rebhühner und Kibige. Yuch 
führt man viel Wolle und Kelpaus, auch Vieh, Butter, Talg, Häute, Febern, Dunen, Eier, Thrau 
und Bummer, bie nach London gehen, gebörtte und gefalzene Fifche. Es fehlt nicht an en, 
Silber, Sinn und Bleiftufen, obfchon die Bewohner feinen Bergbau treiben. Getreibe 
nicht ausreichend geerntet. Das Dich weiber frei, ohne Hüter, indem es blos vom —— 
gezeichnet wird. Norweger und Picten haden die Inſeln bevölkert und die Erſtern auch dem 
Ghrtfienglauben dahin verpflanzt. Früher, namentlich im 12. Jahrh. waren bie Inſeln weit 
ftärfer bevoͤlkert und Bonnten 7000 Steeiter nach fremden Küften ſchicken. Norwegen trat feine 
Anfprüde auf bie Orkney an Schottland ab, als Jakob VI. von Schottland ſich 1590 mit. ber - 
van. Prinzeffin Anna vermählte Die Hanpeinfel il Pomona ober Mainfand, d. h. Haupt 
land, deren anfang fo groß wie ber aller übrigen. Auf ihr llegt Kirkwall, die Reſidenz ber ehe 
maligen fouveränen Grafen von Orkney, jegt Bifchoffig, mit 3331 E., einer großen maffiven 
Kathedrale und alten merfwürdigen Ruinen. Auch findet man auf Diefer Inſel in der Nähe 
von Steommneh, bem Haupthafen der Orkadiſchen Infeln, Boloffale Überrefte kreis formiger Dr 
dentempel. Die — — Inſeln — | find Hoy, North⸗Ronalbshay, SouthRon 
hay, Weſtray, Shapinshay, Burray, Walls und Sanday, wo man 1s18, 0 als 
ber Wind den 2 7 "hoben Sand weggeführt hatte, Gebäude und Brabmäler von hohem Alter⸗ 
thume, die von einer Steinmauer von einer Biertelftunbe im Umfange umgeben waren, entbedite. 

Drkan (ouragan, burricane) {ft urfprünglich bie auf den Antillen ımd in Hindoſtau ee 
—— Bezeichnung für Gewitter, welche von ſehr heftigen Stürmen begleitet ſind. D 

rkane entſtehen innerhalb ber Wendekreiſe, beſonders um bie naſſe Jahreszeit; ihre Dauer iſt 
23 wie bei unſern Gewittern, nicht lang, ihre — nicht groß. Eigenthümlich iſt die 
während derſelben eintretende raſche Anderung ber Windrichtung, ſodaß der Wind in kurzer 
Zeit bie ganze Windroſe durchläuft. Das Entſtehen ber Orkane iſt gewöhnlich ſehr ploͤglich; 
öfter gibt fich ihre Ankunft durch eine eigenthumliche ZBoltenbilbung am Himmel zu 
Unmittelbar vor ihrem Ausbruche ift die Luft gar nicht oder nur [ehr wenig bewegt. Bon der 
Heftigkeit, mit welcher ber Sturm bei diefen Orkanen bisweilen auftritt, können wir und nad 
den Berhältniffen ber biefigen Gewitter kaum einen Begriff machen. Abweichend von ber an⸗ 
gegebenen urfprünglichen Bedeutung werden bei und heftige und längere Zeit anhaltende 
Stürme, wie fie befonders zur Seit der Rachtgleichen und während ber kalten Jahreszeit auf- 
treten, als Orkane bezeichnet. 

Drlamünde, eine Stadt von 1300 E. im Herzogthume Gacfen-Aitenburg, auf einem 
fleilen Berge au der Saale, hatte ehemals eigene Grafen, die bis ins frühefte Altertum bin. 
aufreichen und namentlich in Thüringen, fowie im Oberlande und Franken bedeutende Beſigun⸗ 





wa - Orlando furioso Orlẽans (Haus) 


gen hatten. Die ältere Linie ber Grafen von D., ber Wilpeln-IM., Markgraf in Meißen (1046) 
md Landgraf von Thüringen, angehörte, erlofd 1112. Dbſchon damals der Kaifer Hein · 
rich V, die driamundiſchen Güter als erledigte Lehen einziehen wollte, fo wußte ſich doch Graf 
Siegfried von Ballenftäbt, ein Nachtomme der Grafen von D. aus weiblicher Linie, in den 
Befig derfelben zu fegen und fid) zu behaupten. Nach Siegfried's IL. Tode 1125 mag Albrecht 
der Bär die Grafſchaft D. für feinen Sohn Hermann in Anfpruc genommen haben, deffen 
Nachkommen ſich nahmals in mehre Linien theilten. Nachdem die Grafen von O. in der Fehde 
gegen bie Randgrafen von Thüringen 1345 gänzlich unterlegen, wurden fie des bei weitem 
größten Theils ihrer Beſihungen verluflig, die an Thüringen famen, und ihnen nur noch auf 
Lebenszeit einige Güter in Thüringen überlaffen. Ihr Geſchlecht erlofch erſt mit Graf Sigie 
mund von D. 1447. 

Orlando furioso (Rafender Roland), ein berühmtes romantiſches Epos des Ariofto (f.d.). 

Drlean oder Roucou heißt der rothe Barbftoff, welchet aus der rothen breiüigen Oberhaut 
der Samen beö Drleanbaums (Bixa orellana) Durd) Waſchen, Maceriren, Gaͤhren und ſpäteres 
Abdanıpfen in Südamerika und MWeftindien gewonnen wird. Zu und kommt er in2—4 Pf. 
ſchweren, außen braunen, innen hellblutrothen odergelbrothen Kuchen oder Kugeln, welche einen 
eigenthümlichen thieriſchen Geruch und einen zufammenziehenden Geſchmack befigen. Selten 
kommt ber durch blofes Abreiben der rothen Samenoberhaut und Trodnen gewonnene, fehr 
reine Otlean in Fleinen, runden oder edigen Zeltchen in den Handel. Mit diefer Farbe reiben 
fich die Indianer den ganzen Körper ein, was ihnen theils ald vermeintliche Zierde dient, theils 
ein Schugmittel gegen die Stiche der Mosquitos abgeben fol. Bei uns dient der Orlean in der 
Arznei zum Färben von Pflaftern, Salben u. ſ. w. Auch wirb er.in der Bärberei zum Bärben 
verwendet, obfchon er feine dauerhafte Farbe gibt. In Alkalien Löft er fich mit brauner Farbe 
auf und wird daraus durch Säuren gelb gefällt ; die alkoholiſchen Röfungen werben durch Älaun 
und Bleizuder ziegeltoth gefällt. 

Drleans, die Hauptftabt des franz. Depart. Loiret, in dem ehemaligen Drldanals, 154 M. 
von Paris, am rechten Ufer der Loire, über welche die 1759 im beendigte fchöne fteinerne 
Brüde von 16 Bogen führt, in einer freundlichen, durch ihre Spargelcultur berühmten Ebene 
gelegen, der Sig eines Bifchofs, eines Handelsgerichts und einer Handels kammer, einer Akade - 
mie und einer Gefellfchaft der Wiſſenſchaften und Künfte, iſt von alter Bauart und Hat mit 
Ausnahme der ſchönen langen Strafe in der parifer Vorftadt, welche zur Brüde führt, enge 
und krumme Gaffen, dagegen mehre anfehnliche freie P läge und zwei auf den ehemaligen Ber 
flungswällen angelegte ſchͤne Boulevards. Die Zahl der Einwohner beläuft fich auf 47400. 
Merkivürdig find unter den öffentlichen Gebäuden die im goth. Stile gebaute Domkirche und 
die alte Kirche St.-Wignan mit unterirdifcher Kapelle, ferner die 30000 Bände enthaltende öf · 
fentliche Bibliothe, das Rathaus mit Naturaliencabinet und reicher Sammlung von Alter- 
thümern, der bifchöfliche Palaft und die 1826 erbaute Getreidehalle. Seit 1825 befigt die 
Stadt auch eine Gemäldegalerie. Das einft ber Jungfrau von Orleans zum Andenken an bie 
8. Mai 1429 durch fie bewirkte Befreiung der Stadt auf der Loirebrüde errichtete metal · 
lene Denkmal, welches Jeanne d’Arc und König Karl VI. vor dem Kreuze Chrifti knieend 
darftellte, wurde in ber Mevolution 4793 gerftörtz doch ift in neuerer Zeit auf dem Place 
bu Nartroy deren Statue wieber aufgeftellt worden. An die Stelle ber vormals fehr blühenden 
juriſtiſchen Akademie, welche 1312 von Philipp IV. gegründet wurde, iſt ein Lyceum getreten. 
Die Einwohner treiben mit Getreide, Hein und Branntwein einen audgebreiteten Handel, ber 
durch die Loire, durch bie drei Kanäle d'Drleans, de Briare und du entre, welche D. mit dem 
Dean, dem Mittelländifchen Meere und dem Kanal in Verbindung fegen, ſowie durch die mit 
Paris, Nantes, Bordeaur und Mittelfrankreich in Verbindung ſtehenden Eifenbahnen fehr ge- 
fordert wird. Es gibt Fabriken in Strumpfwaaren, Seide, Wollenzeug, Yapiertapeten, Stahl- 
waaren und Bayence, viele Zuckerraffinerien und eine Porzellanfabrik. 

Drleans (Jungfrau von), f. Jeanne dare. 

Drleans (Haus). Die Stadt D. war früher mit ihrem Gebiet ein Lehn der Krone von 
Frankreich, dab unter den Valois und Bourbon mehren Geitenzweigen des konigl. Haufes un« 
ter dem Titel eines Herzogthums ald Apanagegut verliehen wurde. Dabei galt unter den Bour- 
bons Chartres (f.b.) ald Dependenz von D. und fiel gewöhnlich bem älteften Sohne der Her · 
zoge vonD. als Unterapanage mit dem Herzogstitel zu. — Philipp, geb. 1356, der vierte Sohn 
König Philipp's aus dem Haufe Balois (f.d.) und der Bruder König Johann’s, erhielt D. 
1343 zum erften mal als Apanagegut mit dem Herzogstitel, und weil nach ber Feudaltegel ein 


Drikans (Haus) 45 


Herzogthum wenigſtent zehn Herrſchaften umfaſſen mußte, ſo wurde noch die Grafſchaft Beau⸗ 
gency nebſt mehren andern Befigungen hinzugeſchlagen. Der Herzog Philipp war zwar mit 
Blanche, der Tochter Philipp's des Schönen, verheirathet, ſtarb aber 1375 ohne legitime Er⸗ 
ben, worauf das Herzogthum an bie Krone heimfiel. — König Karl VI. gab daſſelbe 1392 fei- 
nem Bruder Louis, Grafen von Valois, geb.1371. Derfelbe trat nad) dem Tode feiner Dheime 
an bie Spige der Staatögefchäfte und riß, als der König dem Wahnſinn unterlag, im Verein 
mit der Königin Jfabelle die Regentſchaft an fi. Seine fchlechte Verwaltung erweckte 
aber den Volkshaß, ſodaß der Derzog Philipp von Burgund, den er verbrängt hatte, eine mäch- 
tige Begenpartei erhielt. Nach Philipp's Tode ließ ſich der Derzog von D. fogar zum Lieute⸗ 
nant bed Königs erheben, fand ſedoch in des Burgunders Sohne, bem Herzog Johann ohne 
Furcht, einen gefährlichen Nebenbuhler. Nach kurzer Verſöhnung, weiche der Krieg gegen bie 
Engländer zu Stande brachte, brach der Streit zwifchen Beiben auf das heftigfte hervor. Weil 
fich ber Herzog von D. überdies rühmte, er habe die Gemahlin Johann's verführt, Tieß ihn der 
felbe enbli 23. Nov. 1407 in ber Strafe Barbette zu Paris nieberhauen. Diefer Mord 
führte den wüthenden Parteikampf der Armagnacs (f.d.) und Bourguignons herbei, welcher 
Frankreich zulegt den Waffen Deine V.(f.d.) von England preisgab. Der Herzog Louis 
von D. hinterließ außer einem Nachkommen aus ber Ehe mit Valentine von Mailand einen na- 
türlihen Sohn, den Grafen oder Baftarb Jean dD., welcher der Stifter bes Haufes Dumois 
und Longueville (.d.) wurde. — Eharles, Graf von Angouleme, als ber Sohn und Erbe des 
Borigen Herzog von D., geb. zu Paris 26. Mai 1391, heirathete erft die Witwe Richard's IL. 
von England, dann die Tochter des Grafen von Armagnac. Er galt ald das Haupt der gegen 
Burgund und England gerichteten Partei, fiel aber ſchwer verwundet in ber Schlacht von Azin⸗ 
court in die Hände der Engländer und erhielt erft 1459 feine Freiheit. Nach feiner Heimkehr 
verföhnte ex fich mit dem Herzog von Burgund, heirathete defien Nichte, Maria von Kleve ımd 
308 ſich auf fein Schloß zu Biois zurück, wo er in dichterifcher Muße lebte. Er ftarb 4. Ian. 
1465 aus Arger über die Brutalität, mit der ihn König LubwigXI. behandelte. Die befte Aus- 
gabe feiner trefflichen Gedichte beforgten neuerdings Guichard und Ehampollion (Par. 1842). 
— Sein Sohn Louis, aus der dritten Ehe, erbte Güter und Würden und beftieg 1498 als 
Ludwig XI. den Thron von Frankreich, fobaf das Herzogthum D. wieder an die Krone zurüd- 
fiel. — König Franz J. aus bem Haufe Balois-Angouleme, verlieh hierauf das Herzogthum 
D. feinem zweiten Sohn Henri, der als Heinrich IL. zur Krone gelangte. Derfelbe trat Befig 
und Titel 1556 an feinen jüngern Bruder Charles ab, welcher 1547 unvermählt flarb. Das 
—— gelangte num nacheinander an die jüngern Söhne König Heinrich's II., nämlich 
an Lois, der 1550 als Kind farb, an Charles Marimilien, ber als Karl IX. den Thron be- 
flieg; an Henri, der erft König von Polen, dann ımter dem Namen Heinrich II. König von 
Frankreich wurde und das Geſchlecht der Valois überhaupt befchlof. 

Heinrich IV., ber erſte franz. König aus dem Haufe Bourbon, erhob ebenfalls feinen zweiten 
Sohn 1607 zum Herzog von D.; derfelbe flarb aber ſchon in früher Jugend. Sein Nachfolger 
wurde 1626 ein dritter Sohn — IV, Jean Baptifſie Gaſton, Herzog von Orleans 
(f.d.), der 2. Febr. 1660 ohne männliche Erben ftarb. — Der König Ludwig XIV. verlieh Hier- 
auf das Herzogthum D. feinem einzigen Bruder Bhilipp, Früher Herzog von Anfou, geb. 21. 
Sept. 1640, deffen Nachkommen das heutige Haus D. bilden. Philipp erhielt außerdem bie 
Herzogthümer Valois und Chartres, die Herrfchaft Montargis, 1672 das Herzogthum Re 
mours, 1693 durch den Tod feiner Tante, Anne Marie Louife, das Herzogthum Montpenſier 
(f.d.). Während ſich Ludwig XIV. zeitig die Herrſcherrolle aneignete, wurde der junge Philipp 
barniebergehalten. Ex bekam zwar den gelehrten Ramothe fe Bayer zum Lehrer; allein are 
machte demfelben Vorwürfe, als er fah, Daß der Prinz Kenntniffe erlangte. Die Mutter, Inne 
von ‚ ftedte den Knaben In Frauenkleider und ließ ihn fo unter bem Hofvolke erſcheinen. 
Bald war auch der Herzog von O. unter Tanz, Spiel und Luſtbarkeiten zum Schwächling ent- 
artet. Er Heirathete 1661 die fchöne Henriette (f.d.) von England, mit der er in fletem Zer⸗ 
würfniffe lebte. Deffenungeachtet zeigte er ſich wegen der zweideutigen Freundſchaft, die feine 
Gemahlin mit Ludwig XIV. unterhielt, fehr eiferfüchtig. Als dieſelbe 4670 plöglich ſtarb, be 
ſchuldigte man ihn in Gemeinfchaft mit dem Chevalier von Lothringen, aber ohne wirklichen 
Grund, des Gifimords. Der König vermaͤhlte ihn 16. Nov. 1671 mit der Prinzeffin Elife- 
beth Charlotte (f. d.) von der Pfalz, deren männfiches Weſen umd firenge Sitte zu feinem 
Charakter den feltenften Begenfag bildeten. Ungeachtet feiner Weichlichkeit zeigte er in ben nie» 
derländ. Feldzůgen viel Tapferkeit. Er befehligte 167% die Armee in Holland unh Khlsqten 





446 Orlians (Dans) 


Prinzen von Oranien 11. April 1677 in ber Schlacht bei Kaſtel. Über feine kindiſchen Ser 
firenumgen geben die Briefe feiner zweiten Gemahlin mancherlei Nachrichten. Philipp flach 9. 
mi 1701 zu St.» Cloud am Schlagfluffe. Mit feiner erfien Gemahlin zeugte er zwei Kid 
ter, Marie Louife, Mademoiſelle D’D., geb. 1662, verheirathet mit Karl Il. von Spanien uab 
geft. 1689 (vgl. den Roman von Sophle Bay, „Madame Louise d'O.“, 2 Bbe., Par. 1842), 
und Anne Marie, Mademoifelle de Valois, geb. 1669, verheirathet mit Bictor Amadeus wen 
Savoyen und geft. 1728. Aus zmeiter Ehe gingen brei Kinder hervor: Aler. Louis, Herzog 
von Valois, geb. 1673, geft. 1676; Philipp, Herzog von D.; Eitfabeth Charlotte, Mademsi- 
felle de Chartres, geb. 1676, verbeirathet mit dem Herzog Karl Leopold von Lothringen und 
geft. 1744. — Philipp IL, als bes Vorigen Sohn und Erbe Herzog von Orleans (f.d.), geb. 
1674, ausgezeichnet durch große Zalente und Laſter, übernahm während ber Minberjährigkeit 
König Ludwig's XV. die Regentihaft und ſtarb 1723. Aus feiner Ehe mit einer natürlichen, 
aber legitimirten Tochter Lubwig’6 XIV. und der Montespan, Srangoife Marie be Bourben, 
Mademoiſelle de Blois, geft. 1749, entfprangen fieben Kinder: Marie Louife Eliſabeth dD., 
geb. 1695, vermählt mit bem Herzog von Berry, fpäter indgeheim mit bem Oberfl Riom, bie 
Benoffin der Ausichweifungen bes Vaters, geft. 1719; Louiſe Adelaide, Mabemoifelle be Ehar- 
tres, geb. 1698, Übtiffin von Chelles und eifrige Sanfeniftin, geft. 1743; Charlotte Aglaz, 
Mademotfelle de Valois geb. 1700, verheirathet mit bem Prinzen Brangoit Efte von Modena 
geft. 1761; Louis, Herzog von D.; Louiſe Elifaberh, Mademoiſelle de Montpenfier, geb. 1709, 
verheirathet mit dem Prinzen Ludwig von Afturien, fpäterm Rönig von Spanien, geft. zu Yarts 
4742; Philippine Elifabeth, Mademoifelle de Beaufolais, geb. 1744, gef. 1734; Bonife‘ Diem, 
geb. 1716, verheirathet mit dem Prinzen Louis von Bourbon-Gonti, geft. 1756. Außerdem 
jeugte ber Herzog von D..mit der Gräfin von Argenton drei natürliche Kinder, von benen nur 
Sean Bhilippe als Chevalier d D., geb. 1702, geft. als Großprior von Frankreich, aner- 
kannt wurde. — Louis, Herzog von D., bed Vorigen Sohn und Erbe, geb. 4. Aug. 1708, 
zeigte fich von früher Jugend als beſchränkter Frömmler. Er verheirathete fich 1724 mit einer 
Prinzeſſin von Baden, und als diefelbe 1726 farb, zog er ſich in die Abtel St.⸗Genevieve 
zurück wo er A. Sebr. 1752 ftarb. — Lonis Philippe, Herzog von D., des Vorigen ein 
Sohn und Erbe, geb. 12. Mai 1725, widmete fih dem Kriegebienfte und wohnte ben 
zügen von 1742—57 bei. Hierauf erhielt er den Brad eines Generallieutenants und das Gou⸗ 
vernement in ber Dauphind. Er heirathete 1745 Louiſe Henriette von’ Bourbon-Eonti, nad 
deren Tode, 9. Febr. 1759, ex fich auf fein Landhaus zu Bagnolet zurückzog, mo er feine Zeit 
im Umgange, mit Künftleen umd dramatifchen Zerftreuungen hinbrachte. Gegen Ende ber Re- 
gierung Ludwig's XV. bewog man ihn, fich in den Yarlamentshändeln an die Spige des Adels 
zu ftellen; allein der Hof brachte ihn zur Ruhe und gab ihm dafür die Erlaubnif, eine Mar- 
quife von Monteffon zu heirathen. Er ftarb 18. Nov. 1785 und hinterließ aus erfter Che, 
außer einem Sohne, die Tochter Louife Marie Therefe Batilde, geb. 1750, die in der Ehe mit 
dem Herzog Bourbon-Eonbe den burd Napoleon bingerichteten Herzog von Enghien (f. b.) 
zeugte und 10. Jan. 1822 zu Paris während einer Proceffion farb. — Louis Philippe Joſeph, 
Herzog von Orleans (f.d.), des Vorigen Sohn, geb. 1747, machte ſich berüchtigt Durch feine 
Theilnähme an der Franzoͤſiſchen Revolution und ſtarb 1793 als Bürger Egalite unter ber 
Guillotine. Auch feine ungeheuern Güter wurden nun gleich den Befigthümern ber übrigen 
Bourbond eingezogen. Er war feit dem 25. April 1769 mit Kouife Marie Adelaide von Bour⸗ 
bon, der tugendhaften Tochter des Herzogs von Penthievre, verheirathet, die fi) aber 1792 
von ihn trennte. Diefelbe wurde 1794 ebenfalls Ins Gefängniß gebracht, erlangte aber 1795 
ihre Freiheit und zwei Jahre fpäter den Genuß ihres Vermögens zurüd. Nach bem 18. Fruc⸗ 
tidor (f.d.) mußte fie nach Spanien auswandern, wohin man ihr ein Jahrgeld verabfolgen Tief. 
Sie kehrte mit der Reſtauration nach Frankreich zurück und ſtarb zu Paris 23. Juni 1821. 
Aus ihrer Ehe entſprangen Ludwig Philipp (f. d.), der fpätere König der Franzoſen, der nach 
des Vaters Tode im der Verbannung ben Titel eines Herzogs von D. annahm; Antoine Phi- 
lippe, Herzog von Montpenfier, geb. 1775, geft. zu London 1807; Alphonfe Leodgar, Graf 
von Beaujolais, geb. 1779, geft. zu Malta 1808; Adelaide (f. d.), geit. 1847. 

Der König Ludwig Philipp, welcher durch die Februarrevolution ben Thron verlor und 1850 
in England flarb, vermählte fi) 1809 mit der Prinzeffin Amalie (f.d.) von Sicilien und zeugte 
in biefer Ehe acht Kinder: 1) Ferdinand Philippe Ipfeph Louis Eharles, früher Herzog von 
Ghartres, nach der Thronbefteigung feines Vaters Berzog von ©. und Kronprinz, wurde 
3. Sept. 1810 zu Palermo geboren. Gr erhielt feine Bildung, gleich feinen Brüdern, in öffent- 


\ 


ODrléans (Haus) 447 


lichen Anftalten, feit 1819 im Eollege Henri IV., dann in ber Polytechniſchen Schule zu Paris 
und that fich ebenfo durch vielfeitiges Wiffen und militärifche Ausbildung wie Humanität und 
Adel der Sefinnung hervor. In den 3. 1831 und 1852 wohnte er den franz. Erpeditionen in 
Belgien bei, und 1836, 1839, forwie 1840 betheiligte er fich rühmlich und mit Erfolg an ben 
Feldzügen in Algier. Nach feiner Rückkehr mit der Organifation der nach ihm benannten Chas- 
seurs d’Orleans befcyäftigt, endete ex 13. Juli 1842 auf dem Wege von Paris nad Neuilly 
durch einen Sprung aus feinem Cabriolet, deſſen Pferde durchgingen. Mit ihm fliegen große 
Hoffnungen ine Grab, und vielleicht nur fein Tod hat den Sturz der Dynaſtie 1848 möglich 
gemadt. In Folge einer Reife, die der Prinz 1856 mit feinem Bruder, dem Herzoge von Ne⸗ 
mours, nach Wien und Berlin unternahm, vermäblte er fi 30. Mai 1837 mit Helene Luife 
Eliſabeth, Herzogin von D., geb. 24. Jan. 1814, Tochter des 1819 verfiorbenen Erbgroßher⸗ 
3098 Friedrich Ludwig von Medienburg-Schwerin. Aus diefer Ehe gingen zwei Söhne her⸗ 
vor: Prinz Louis Philippe Albert von D., Graf von Paris, geb. 24. Aug. 1838, der bie 
Rechte feines Haufes auf den Thron von Frankreich repräfentirt, und Prinz Robert Phi⸗ 
"ippe Eugene Louis Ferdinand von O., Herzog von Ehartres,geb.I. Nov. 1840. Die Herzogin 
Helene, eine durch Geift, Bildung und feltene Tugend ausgezeichnete Prinzeffin, lebte nach dem 
Tode ihres Gemahls gänzlich der Erziehung ihrer Kinder und wurde vom Könige Ludwig Phi 
lipp bei defjen Abdankung 2A. Febr. 1848 zur VBormünderin des Kronpringen, ihres Sohnes, 
und zur Negentin ernannt. Während der Aufftand in den Strafen tobte, begab fich bie Herzo⸗ 
gin zu Fuß, ihre Söhne an der Hand und von ihrem Schwager, bem Herzog von Nemours, bes 
gleitet, aus den Tuilerien in die Deputirtentammer, um bier jene Rechte geltend zu machen. 
Wahrfcheinlich wäre ihr muthiger Schritt von Erfolg geweſen, hätten die Verhandlungen einen 
geordneten Lauf nehmen konnen. Unter dem Lärm der Parteien und bem Anbdrange ber her⸗ 
einftürmenden Menge fah fich jedoch die Herzogin endlich genöthigt, fich zurückzuziehen, wobei 
fie im Gedränge ihren füngften Sohn verlor. Sie wandte ſich mit einigen Begleitern und dem 
Grafen von Paris nach dem Invalidenhätel, von da nach dem einige Stunden von Paris ent 
fernten Schloffe Ligny. Nachdem ihr auch der jüngfte Sohn wieder zugeführt worden, reifte fie 
28. Febr. über Lille unangefochten nach Deutfchland, wo fie mit ihren Sohnen anfangs zu Kos 
blenz, fpäter zu Eiſenach ihren Aufenthalt nahm. Von hieraus begab fie ſich mehrmals auf 
längere Zeit zu ihrer Familie nach England, kehrte aber im Herbfte 1853 nad) Eiſenach zurüd. 
Einzig mit der tüchtigen Heranbildung ihrer Kinder befchäftigt, hielt fich Die Herzogin von einem 
nuglofen politifchen Parteitreiben gänzlich fern. — 2) Prinz Louis Charles Philippe Rafael 
von O. Herzog von Remours, geb. 25. Dct. 1814, machte tüchtige Studien in den eracten 
Wiſſenſchaften und betrat nad) ber Thronerhebung feines Vaters mit feinem Altern Bruder, 
dem Herzog von Orleans, die mifitärifche Kaufbahn. Im J. 1831 wurde ihm von dem belg. 
Nationalcongre die Krone Belgiens angetragen, was jedoch fein Vater in Rüdficht auf poll» 
tifche Berwidelungen ablehnte. Dagegen wohnte er mit feinem Bruder den beiden franz. Ep 
peditionen nach Belgien bei und betheiligte fi 1836 in Algier an dem verunglüdten Zuge ge 
gen Konftantine. Im folgenden Jahre befehligte er ald Brigadegeneral tapfer das Belage- 
rungscorps vor Konftantine und wurde hierauf zum Generaflieutenant erhoben. Bon Charak⸗ 
ter ſtreng und kalt, wußte er ſich nur in geringerm Maße die Neigung ber Franzoſen zu 
erwerben. Nach dem Tode des Herzogs von Orleans erhielt er die Anwartſchaft auf die Re⸗ 
gentfchaft, im Falle fein Neffe, der Graf von Paris, minderjährig den Thron befteigen würde. 
Auch Ludwig Philipp wollte ihm bei der Abdankung 24. Febr. 1848 die Regentfchaft über- 
tragen, bie er jedoch der Herzogin von D. überwiefen wiffen wollte. Er begleitete Letztere auch 
auf ihrem Gange nach ber Deputirtentammer und flüchtete ſich dann mit feiner Familie über 
Boulogne nach England, von wo aus er im Mai gegen das wider die Orleans erlaffene Ver» 
bannungsdecret der franz. Nationalverfammlmg proteftirte. Seit 1840 ift er mit. der Prin- 
zeffin Victoire Auguſte Antoinette, geb. 14. Febr. 1822, der Tochter des verftorbenen Herzogs 
Berdinand von Sachſen⸗ Koburg-Gotha, vermählt. Aus diefer Ehe entfprangen : Prinz Louis 
Philippe Marie Ferdinand Gaſton von O. Graf von Eu, geb. 28. April 1842; Prinz Ferdi⸗ 
nand Philippe Marie von D., Herzog von Alencon, geb. 12. Juli 1844; Prinzeffin Margue⸗ 
rite Adelaide Maria von D., geb. 16. Febr. 1846, — 35) Prinz Frangois Ferdinand Philippe 
kouis Marie von O., Prinz von Joinville, geb. 14. Aug. 1818, widmete ſich ſeit 1854 mit 
großer Vorliebe dem Seeweſen, obgleich ihm feine anfangs fchwächlicde Geſundheit und Schwer⸗ 
hörigkeit hinderlich zu fein fchien, und wurde 1846 Schiffslieutenant. Als folcher wohnte er 
raft allen damaligen franz. &eeegpeditionen bei und ward 1839 Commandant ber Fregatte 


:448 Drldans (Haus) 


Belle⸗Poule. Auf biefem Schiffe brachte er 1840 bie Aſche Napoleon’ nach Frankreich. Us 
Contreabdmiral befehligte er 1844 bie Seeerpebition nach Marokko (f.d.). Ein offener, aber 
ftürmifcher Charakter, veröffentlichte er damals eine „Note sur l’&tat des forces navales dela 
France”, worin er bie großen Mängel der franz. Marine beſprach. Dies, fowie überhaupt fi 
freimütbigen urtheile über die Regierumgspolitif und fein Verlangen nad) Reformen 5 

ihn mit feinem Bater in Disharmonie, vermehrten dagegen feine Popularität. Im J. 1846 
wurde er Viceadmiral. Beim Ausbruche der Revolution von 1848 befand er ſich mit feiner 
Gemahlin in Algier, wohin er feinen Bruder, ben Herzog von Aumale, ber dort den Werbefchl 
übernehmen follte, begleitet hatte. Die beiden Prinzen benahmen fich den Ereigniſſen gegen 
über äußerft loyal. Sie ließen die Republik proclamiren und gingen bann über Gibraltar nad 
England zu ihrer Familie. Soinville proteftirte von Claremont aus ebenfalls gegen das Ber- 
-bannungddecret der Nationalverfammlung. Obgleich daffelbe nicht aufgehoben warb, wollte 
. die Drleaniftenpartei diefen allerdings fehr populären Prinzen zum Präfibenten ber 
vorſchlagen. Der Prinz vermählte fih 1.Mai 1843 mit Donna Francisca, geb. 2. Aug. 1824, 
der Tochter bes verftorberien Kaiſers Dom Pedro 1. von Brafilien, bie ihm ein fehr bedeutendes 
Vermögen, befonders ausgedehnten Grundbeſiß zubrachte. Aus der Ehe entfprangen: Prim 
zeffin Srangoife Marie Amelie von D., geb. 14. Aug. 1844, und Prinz Pierre Philippe Jean 
Marie von D., Herzog von Penthievre, geb. 4. Nov. 1845. — 4) Prinz Henri Eugene Wi⸗ 
fippe Louis von D., Herzog von Aumale, geb. 16. Jan. 1822, widmete ſich ee 
trat 1840 in die Armee und war ſchon im folgenden Jahre in Algier thätig. Als er 15. Sept. 
41841 an ber Spige bes 17. Regiments mit feinen Brüdern Drleans und Nemours nad Pa⸗ 
ris zurückkehrte, geſchah das Attentat Queniſſet's auf die Prinzen. Im J. 1843 eroberte er 
in Algier die Smala Abd⸗el⸗Kader's, und nachdem er 1. Sept. 1847 zum Generalgouverntur 
‚biefer Golonie ernannt worden, lieferte fich der hartbedrängte Emir felbft in feine Hände. (S 
Algier.) Als gemäßigter und befonnener Charakter machte ber Prinz bei den Kebruarereignif 
fen von 1848 von feiner ſehr vortheilhaften Stellung in Algier keinen Gebrauch, fonbern ver⸗ 
Tieß, die Republik anerkennen, fofort den franz. Boden. Durch das freilich Hart angefochten: 
Teſtament des 1850 geftorbenen Prinzen von Eonde (f. d.) erhielt Aumale deſſen reiche Hin- 
terlaſſenſchaft. Der Prinz ift vermählt mit ber ficl. Prinzeſſin Maria Carolina Auguſte von 
Bourbdn, geb. 26. April 1822, Tochter des verftorbenen Prinzen Leopold von Salerno, aus 
welcher Ehe ein Sohn, Prinz Louis Yhilippe Marie Leopold von D., Prinz von Condé, geb 
15. Nov. 1845, entfprang. — 5) Prinz Antoine Marie Philippe Louis von O. Herzog von 
Montpenfier, geb. 31. Juli 1824, war beim Ausbruche der Revolution von 1848 General: 
major in der Artillerie. Seine Vermählung 10. Det. 1846 mit der Infantin Maria Luiſa 
Ferdinanda von Spanien, geb. 30. Jan. 1832 (Schwefter der Königin Zfabella I.), wurde von 
den Anhängern ber Politit König Ludwig Philipp's als ein diplomatifcher Sieg Frankreichs 
(ſ. d.) angefehen. Aus diefer Ehe, die den Prinzen nad) Spanien führte, entfprangen: Maria 
Ifabella Srancisca d'Aſſis, Infantin von Spanien, geb. zu Sevilla 21. Sept. 1848; Maria 
Amalia, Infantin von Spanien, geb. 28. Aug. 1851 ; Maria Ehriftina Francisca de Yaula, 
Infantin von Spanien, geb. 29. Det. 1852. — 6) Prinzeflin Louiſe von D., geb. 3. April 
1812, vermählt 9. Aug. 1832 mit dem Könige ber Belgier Leopold I. (f.d.), ward Mutter 
zweier Söhne und einer Tochter und ſtarb tief betrauert 11. Oct. 1850. — 7) Prinzeffin Me- 
tie von D., geb. 13. April 1813, entwickelte ausgezeichnete Talente für Kunft und wenbete fi 
endlich förmlich dem Stubiun der Plaſtik zu. Das bebeutendfte, durch zahlreiche Kupferfliche 
befannte Werk von ihr ift die Statue der Jeanne d'Arc, welche fie im Auftrage ihres Waters 
für das Hiftorifche Mufeum zu Verfailles arbeitete. Am 17. Oct. 1837 vermählte fie ſich mit 
dem Herzoge Friedrich Wilhelm Alerander von Würtemberg, dem fie nach Deutfchland folgte. 
Der Brand ihrer Wohnung in Gotha 1838, wobei fie im Nachtgewande flüchten mußte, 
mochte nachtheilig auf ihre Gefundheit wirken. Sie kehrte nach Paris zurüd und gebar bier 
50. Juli 1858 einen Sohn, Philipp Alerander Maria Ernft. Von einer Entzündung befallen, 
ging fie nach der Genefung nach Stalien, wo fie zu Pifa 2. San. 1839 ftarb. — 8) Prinzeffin 
Elementine von D., geb. 3. Juni 1817, vermählte fich 20. April 1843 mit dem Prinzen Au⸗ 
guft Ludwig Victor von Sachfen-Koburg-Botha, aus welcher Ehe zwei Söhne und zwei Töch⸗ 
ter hervorgingen. Qgl. „Precis historique de la maison d’O.” (Par. 1850); Laurente, „Hi- 
stoire de ducs d’0.” (3 Bde, Par. 1852— 34); Marchal, „Histoire de la maison d'O. de- 
puis son origine jusqu’a nos jours” (Par. 1845). 

Nach der Weftauration der Bourbon erhielt auch Ludwig Philipp, der damalige Herzog von 


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Drldans (Baus) 7 


D., die immer noch anfehnlihen Trümmer feiner Bamitiengüter zurüd. Diefelben beftanden : 
4) aus Apanagegütern, bie Ludwig XIV. zu Bunften feines Bruders, des Stifters ber Familie, 
ausgeworfen hatte und bie von einem {au ber Familie zum andern übergegangen waren; 
3) in Privatgütern, die durch Heirat, Erbtheil von weiblicher Seite und Kauf reines Eigen- 
thum der Familie geworden. Die Befigfhümer ber erflern Art, bie Apanagegüter, fielen 1830, 
als Ludwig Philipp den Thron beflieg, an bie Krone zurück und wurben durch das Gefeg vom 
2. Maärz 1832 zur Immobillardotation der Giviffifte, nach ber Februarrevolution von 1848 
aber durch bie Nationalverfammlung zum Staatseigenthum gefchlagen. Die Befigthümer ber 
zweiten Urt, die Privatgüter ber Familie, Meß Ludwig Philipp 7. Aug. 1830, zwei Tage vor 
feiner förmlichen Thronerhebung, durch eine gerichtliche Schenkungsacte auf feine Kinder über- 
tragen. Ex wollte hiermit, im Angefichte feiner immerhin unfichern Lage, fein Privateigenthum 
der Familie erhalten, und es fand ihm dies allerdings mit ebenfo vollem Rechte zu, wie dies 
jedem Privatmanne zugeflanden haben würde. Wiewol bie Nationalverfammlung nach ber 
evolution von 1848 diefes und anderes fpäter erworbenes Privateigenthum der Familie mit 
Sequefter belegte, um bie anfehnlichen Schulden der Eivilfifte Ludwig Philipp's zu decken, fo 
verwarf fie doch (25. Det. 1848) die burdy ben Deputirten Jules Favre beantragte Eonfidca» 
tion jener in der Schentungsacte von 1830 inbegriffenen Güter als einen Eingriff in Privat. 
enthum und nahm auch fpäter ein von bem Finangminifter des Präſidenten Ludwig Bona- 
parte eingebrachtes Gefeg vom A. Febr. 1850 an, wonach die Orleans eine Anleihe von 20 MIN. 
Fres. gegen Berpfändung jener Donationsgüter aufnehmen burften. Ja, als die Kammer- 
eommiffion in Folge deſſen die Aufhebung bes Sequefters in Bezug auf bie eigenen Güter bes 
Prinzen von Soinville und des Herzogs von Aumale vorſchlug, ging der Finanzminifter (Foulb) 
noch weiter und erflärte im Namen bes Präfibenten ber Republik, daß man gerechter- und bilfi« 
gerweife bie Aufhebung bes Sequeſters auch auf die unter ber Donation vom 7. Aug. 1830 
begriffenen Güter ausbehnen folle. Riemand zweifelte demnach an ber Rechtsbeſtändigkeit 
jener Schenkung. Indeſſen erließ der Präfident Ludwig Bonaparte 22. San. 1852 zwei vom 
Staatsminifter Caſabianca unterzeichnete Decrete, von denen das erftere beflimmte, daß bie 
Mitglieder der Familie D. beren Gatten, Sattinnen und Nachkommen kein Mobiliar- ober 
Immobiliareigenthum in Frankreich befigen bürften, fondern gehalten wären, ihr freies Eigen⸗ 
thum binnen Sahresfrift, das mit Schulden belaftete aber ebenfalls ein Jahr nach Auseinan- 
berfegung der Schuldverhälmiffe zu veräußern. Zu Rechtfertigung dieſer Unordnung berief 
ſich das Decret auf bie * e Verfügung Ludwig's XVIIL in Bezug auf die Güter Napo⸗ 
leon’s I., auf daB Decret Ludwig Philipp's vom 10. April 1832 rücfichtlich der Güter ber 
ältern Beurbons, endlich auf Gründe des Staatd- und Gemeinwohls. Das zweite Decret ba- 
gegen ſprach bie Einziehung des in ber Schenkungsurkunde vom 7. Yug. 1830 begriffenen Ber- 
mögens ber Familie D. als Staatsgut aus. Doc follte der Staat für die Schulden ber Civil⸗ 
liſte Ludwig Philipp's aufkommen, fowie die Staatskaſſe das Witthum der Derzogin von D. 
von jährlich 300000 Fres. fortzahlen. Diefe verzichtete jedoch unter folchen Umftänden auf ihr 
Witthum zum Beften ber Bertheilung an Arme und Arbeitslofe. Schließlich follten die einge 
zogenen Güter verkauft unb der Erlos nach Maßgabe zur Dotation der Gefellfchaften für ger 
genfeitige Unterflügung, zur Errichtung für Arbeiterwohnungen, zur Errichtung von Grund⸗ 
creditanftalten, zum Penſionskaſſe für Hülfspfarrer, zur Dotation der Ehrenlegion u. ſ. w. ver⸗ 
wendet werden. Begründet wurbe biefe Gonfiscation auf das altfranz. Staatsrecht, nach wel 
chem jeder König bei feiner Thronbefteigung alle feine Güter ber Krondomäne einzuverleiben 
Babe; und es fei eine Beeinträchtigung des Staats gewefen, daß fich Ludwig Philipp dem durch 
jene Schenkung entzogen. Diefes Herbeizichen ber Inftitutionen ber alten Moharchie war in. 
deffen gänzlich ungerechtfertigt. Denn mit der Aufftellung einer Civiftifte Hatte ſich dieſes Ver⸗ 
häftniß ſchon feit 1790 geändert, ebenfo unter Rapoleon I., fowie unter ben reflaurirten Bour- 
bone. Außerdem war Ludwig Philipp nicht der Rechts⸗ und Erbnachfolger Karl X 
geiochen, fondern hatte durch einen freien Yact eine neue Dynaftie mit neuen flaatsrechtlichen 
eftimmungen begründet. Wiewol das Derret vom 22. Jan. 1852 alle Stände an bem 
Genuſſe der Gonfiscation theilnehmen ließ, ward dieſer Act doch in Frankreich wie im Auslande 
emisbilfigt. Die Minifter Magne, Fould und Rouher traten aus dem Gabinet; Dupin ber 
tere, als Teſtaments vollſtrecker Ludwig Philipp’s, legte feine Stelle ald Generalprocurater 
am Caffationshofe nieder. Mit Ausnahme des Herzogs von D., der ald Kronprinz an jener 
Schenkung vom 7. Aug. 1830 nicht theilnehmen follte, waren ſaͤmmtliche Ehenerträge der fie» 
Gone.ster. Zehnte Aufl. XI. | 29 


1%) Drldand ( Jean Baptifte Gaſton, Herzog von) 


ben Übrigen Kinder Ludwig Philipp's auf die Schenkung durch diplomatiſch gefchloffene Ber 
träge gegrümbet worden. Außerdem wurben bie einzelnen Familienglieder fehr ungleich von ber 
Gonfiscation betroffen, da das Zeftament ber Prinzeffin Adelaide, der Schwefter Ludwig Pb 
lipp's, mit der Schenkung combinirt worden, ſodaß das eine mehr aus ber Schenkung, bad 
andere mehr aus ber Hinterlaffenfchaft jener Prinzeffin erhalten Hatte. Das Eonfiscations- 
Decret gab endlich ben ZBerth des Vermögens ber Orleans auf 300 Mill. Fres. an, wovon 200 
Mill. der Sonfiscation unterliegen follten, während die actenmäßige Aufftelung darthat, baf 
bie Einkünfte aus dem gefammten Familienvermögen ber Orleans etwas über 3 Mill., der 
Werth bed Capitals fonady etwa 103 Mill. Fres. betrage. Die von der Eonfiscation Betroffe 
nen proteftirten nım und brachten ihre Angelegenheiten als Eigenthumsfache an bie Tribunale; 
allein biefer Weg führte im Ganzen zu feinem Refultate. Die Regierung erklärte nämlich im 
Juni 1852, daß die Gerichte zwar über Eigenthumsangelegenheiten, aber nicht über bie Zu 
ſtändigkeit von politifchen und Regierungsacten zu entſcheiden haben. Es warb hiermit offen 
ausgeſprochen, daß die Güterconfiscation keine Rechtsangelegenheit, fondern eine politifche 
Mofrenel gewefen fei. — Am 16. Nov. 1853 fand in einer Zuſammenkunft deö Herzogs von 
Nemours mit dem Grafen Chambord (f. b.) zu Frohsdorf bei Wien die von ben Parteihäup- 
tern ber fogenannten Kegitimiften (f. Zegitim) und Orleaniften ſchon Längft angeftrebte Ber 
ſchmelzung (&uflon) der politiſchen Nechte des Altern Zweigs der Bourbons (f. d.) mit denen 
des Haufes Orleans ftatt. 

Drldans (Sean Baptifte Gaſton, Herzog von), der dritte Sohn Heinrich's IV. von Frankreich 
umd der Maria von Medici (f. b.), wurde 25. April 1608 zu Fontainebleau geboren. Wiewol 
er mehr von dem Geifte feines Waters befaß als fein älterer Bruder, der König Ludwig XII, 
verhinderte doch eine harte und abfichtlich vernachläffigte Erziehung bie Ausbildung und Befe⸗ 
fligung feines Charakters. Bei Gelegenheit feiner Bermählung mit Marie von Bourbon, Her- 
pen von Montpenfier, erhielt er 1626 dad Herzogthum Drleans zur Ausfteuer. Eifer- 
ucht, welche ihm der König bei der langen Unfruchtbarkeit der Königin, Anna von OÄſtreich, 
als muthmaßlichem Thronerben bemies, gab zwiſchen Beiden fortwährenden Anlaß zu Hader, 
Derfolgung und Intriguen. Nach dem bald erfolgten Tode feiner Gemahlin, die ihm eine Toch⸗ 
ter, die berühmte Mademoifelle de Montpenfier (f. d.), hinterließ, fuchte ihn Richelieu im Ein⸗ 
verftändniffe mit dem Könige in Ausſchweifungen zu flürzen und befonders feine Neigung für 
Sammlung von Kunftihägen zu befchäftigen. Der Herzog nahm indeffen die gänzliche Ent- 
fernung von den Geſchäften befonders durch die Einflüfterungen feiner Mutter übel auf und 
verband fich endlich mit derfelben, um den verhaßten und allmächtigen Minifter zu ſtürzen. Er 
entwich im Febr. 1654 mit mehren Großen vom Hofe, fuchte Unterftügung beim Herzoge Karl 
von Rothringen, deffen Schwefter Margarethe er heirathete, und floh, als er durch Richelieu 
vertrieben wurde, nach den fpan. Niederlanden, wo er ein Corps von 2000 Mann zufammen- 
brachte. An der Spige biefer Streitmacht legte er ſich den Titel eines Generallieutenant6 des 
Königs bei und brach über die franz. Grenze, wurde jedoch fogleich 1. Sept. 1632 in der Nähe 
von Caſtelnaudary vom Marſchall Schomberg vollſtändig geſchlagen. Er unterwarf ſich zwar 
demüthig, floh aber nach der Hinrichtung ſeines Genoſſen, des Herzogs von Montmorency, 
wieder zu Karl von Lothringen und führte dadurch beffen Vernichtung herbei. Erſt im Oct. 
1654 ließ er fic) durch feinen beſtochenen Günftling Puylaurens, zur Rückkehr an den franz. 
Hof bewegen. Weil das Parlament aufRichelieu’s Betrieb feine Ehe mit Margarethe für umgül- 
tig erflärt hatte, entftand jegt ein heftiger Streit zwifchen Theologen und Zuriften über die Gül⸗ 
tigkeit ded Bündniſſes, in welchem jedoch der Herzog von D. zum erften male in feinem Leben 
eine ehrenhafte Standhaftigkeit bewies. Der Hof mußte endlich nachgeben und die Ehe im Febr. 
1637 beftätigen. Der Herzog aber nahm immer wieder an den Verſchwörungen gegen Nicher 
lieu Theil und fah fich Darum genöthigt, noch mehrmals ins Ausland zu entweichen. Nach dem 
Tode des Miniflers fühnten ihn Mazarin und Chavigny, die durch feine Beihülfe regieren woll 
ten, völlig mit Ludwig XIII. aus, der ihn kurz vor feinem Tode zum Generalftatthalter während 
der Minderjährigkeit Ludwig's XIV. ernannte. Da jedoch die Königin-Mutter und Mazarin 
bie Staats gewalt an ſich riffen, Tief er fich beim Ausbruche der Unruhen der Fronde (f. d.) ſehr 
leicht bewegen, auf die Seite ber Unzufriebenen zu treten. Er ſchloß fi dem Carbinal Meg an, 
zeigte fi) aber auch hier wankelmüthig und verfohnte fich wiederholt mit bem Hofe. Als Maza- 
rin 1652 aus der Verbannung zurückkehrte, fammelte er Truppen für den Prinzen Conde, wes⸗ 
halb er nad) Beendigung der Unruhen auf fein Schloß zu Blois verwiefen wurde. Hier flarb 
ber Herzog 2. Febr. 1660; aus feiner zweiten Ehe hinterließ ex drei Töchter. 


Drleans (Philipp IL, Herzog von) 451 


Orleéans (Philipp I. Herzog von), Regent von Frankreich während der Minderfährigkeit 
Zudwig's XV., der Sohn Philipp's I. von Orleans und der Eliſabeth Charlotte (f. d.) von der 
Pfalz, wurde 4. Aug. 1674 zu St.Cloud geboren und erhielt den Zitel eines Herzogs von 
EhHartres. Bon Ratur mit großen Fähigkeiten ausgefiattet, erivarb er ſich Kenntmiffe in Ma- 
thematik, Chemie und den ſchönen Wiffenfchaften. Später gewann Dubois (f. d.) ald Lehrer 
und Erzieher auf den Züngling einen traurigen Einfluß, indem erihm die Hand zur Befriebi- 
gung mächtig erwachender Xeidenfchaften bot. Bereits in Alter von 17 3. wohnte der Prinz 
der Belagerung von Mons, hierauf den Schlachten von Steinfirchen und Neermwinden bei. Er 
entwidelte Muth, Geſchicklichkeit und populäres Weſen, ſodaß der König die in ber Thronnähe 
emporfteigende Größe niederzuhalten befchloß. Der Prinz überließ fi) Damit dem zügellofeften 
Leben und fchien jede politifche Rolle zu vergeffen. Ludwig XIV. drang ihm zugleich eine feiner 
natürlichen Tochter, Fräulein de Blois, zur Gemahlin auf. Nachdem er nach dem Tode feines 
Vaters 1701 Herzog von D. geworden, gerieth er vollends in ein wüftes Treiben. Erft als er 
erfuhr, daß ihn Ludwig XIV. im Teftamente Karl's II. von Spanien von jeder Anwartfchaft 
auf den fpan. Thron formlich ausgefchloffen, erwachte fein verlegtes Ehrgefühl. Er proteftirte 
gegen dad Zeftament, befchäftigte ſich plöglich mit dem Kriegsweſen und fegte durch Kenntniffe 
und Urtheile den Hof in Furcht und Erftaunen. Die Niederlagen im Spanifchen Erbfolgekriege 
bewogen endlich Ludwig XIV., dem Neffen für den Feldzug von 1706 den Oberbefehl in Italien 
anzuvertrauen. Der Herzog von D. erhielt jedoch den Marfchall Marfin zur Seite, ſodaß er 
die Niederlage der Franzoſen vor Zurin (1706) nicht verhindern konnte. Im folgenden Jahre 
übernahm er den Oberbefehl in Spanien, gelangte aber erft zum Heere, ald Berwid ben ent- 
fheidenden Sieg bei Almanza ſchon errungen hatte. Er unterwarf die Provinzen Valencia und 
Aragonien, drang in Catalonien ein und erftürmte Lerida. Im Feldzuge von 1708 eroberte er 
Denia und Alicante, zwang Tortofa zur Capitulation und ging dann nad) Madrid, wo er bald 
den Argwohn Philipp’s V. und Ludwig's XIV. erweckte. Nicht nur Zeuge von der gänzlichen 
Unfähigkeit Philipp’s, fondern aud) unterrichtet, da Ludwig XIV. im Begriff ftehe, die An- 
ſprüche der Bourbon auf Spanien fallen zu laffen, faßte der Herzog von D. den Entfchluß, 
nach Umftänden den fpan. Thron für fich zu gewinnen. Seine Schritte wurben jedoch fogleich 
zu Verfailles wie zu Madrid verrathen. Ludwig XIV. zeigte fich nicht abgeneigt, den Neffen ale 
Hochverräther zu behandeln ; allein der edle Herzog von Bourgogne verhinderte diefen Skandal. 
Vom bigotten Hofe verachtet und gefürchtet, lebte der Herzog von D. nun in gänzlicher Entfer- 
nung und theilte feine Zeit zwiſchen Ausfchweifungen, Muſik, Malerei, Rupferftecherei und 
Chemie. Die legtere Beichäftigung diente jedoch dem Hofe zum Vorwande, ihn aufs neue zu 
verfolgen. Im April 1711 ftarb plöglich der Dauphin, binnen kurzer Zeit auch die Herzogin 
und der Herzog von Bourgogne und deren ältefter Sohn, der Herzog von Bretagne; fogar der 
nunmehrige Thronfolger, der zweijährige Ludwig XV., erkrankte. Zwar fand der Wundarzt 
Marechal die Urſache diefer plöglichen Todesfälle in einem bösartigen Frieſel, welches überhaupt 
den Hof heimfuchte; doch gefälligere Arzte fprachen von Vergiftung, und die Maintenon (f.d.) 
mit ihrem Anhange fäumte nicht, den Herzog von D. ale Giftmifcher und Thronräuber zu be 
zeichnen. Der Herzog ertrug anfangs die Schmady mit der Gleichgültigkeit eines Wüſtlings, 
bat aber zulegt den König um eine firenge Unterfuchung, .die diefer aber verweigerte. Da der 
Herzog von D. nım dem Throne fehr nahe gerüct war, bewog man ben König, auch den Ba- 
ftarden, dem Herzog von Maine (f.d.) und dem Grafen von Zouloufe, Thronfähigkeit zugufpre 
chen. Desgleichen mußte der hinfällige Monarch ein Teftament auffegen, nach welchem der 
Herzog von D. während der Minderjährigkeit Ludwig's XV. nicht die volle Regentſchaft, ſon⸗ 
bern nur die Rolle eines Präfidenten des Negentfchaftsraths, der Herzog von Maine aber bie 
Vormunbſchaft über das königl. Kind und das Commando der Haustruppen erhalten follte. 
Die Hofleute, welche die Zukunft vor Augen hatten, verriethen jedoch dad Teflament an ben 
Herzog, der nun feine Maßregeln traf, und Alle, die unter dem Joche des alten Hofs feufzten, 
verſprachen ihm ihren Beiftand. Als Ludwig XIV. 15. Sept. 1715 ftarb, war der Herzog ſei⸗ 
nes Siege bereits gewiß. Er erfchien ſchon am folgenden Tage im Parlament, mo das Tefla- 
ment ohne Wiberfpruch umgeftoßen und ihm als rechtmäßigen Regenten die Staatsgewalt zu 
gefprochen wurde. Man Fannte den neuen Machthaber als fähig, zugänglich, aufgeklärt, für 
die brit. Verfaffung eingenommen und hoffte von ihm gründliche Reformen. Die erften Schritte 
des Regenten ſchienen auch diefe Erwartung zu rechtfertigen. Er öffnete den politif und kirch⸗ 
lich Verfolgten die Kerker, entließ einen Theil des Heeres, zog die maßloſen Fa onen ein, ver⸗ 


“3 Drllans (Philipp IL, Herzog von) 


lieh den Parlamenten das Recht zu Vorſtellungen, verſprach einen genauen Stan 
und verabfchiebete die verhaßten Minifter, an deren Stelle collegialiich eingerichtete | 
traten. Die Hebung der zerrütteten Finanzen und bie Verbefferung ber materiellen Zage bes 
Volkes nahmen anfangs. die ganze Aufmerkjamkeit des Regenten in Anſpruch; allein feine um 
geſchikten nnd übereilten Maßregeln vermehrten nur die Entblößung und Creditlofigkeit des 
Staats wie die &todımg des Verkehrs. Der Regent warf fo endlich feine Hugen auf den Schet 
ten Raw (f. b.), ber unter dem Widerſtande des Parlaments und der alten Kinanzmänner feine 
Sinanzerperimente mit ber Einführung bes Papiercredits begann. Auf Argenfon’s (f.b.) umb 
Duboiß’ Betrieb hielt der Regent 26. Aug. 1718 das berühmte Lit de justice, in welchem bem 
Parlamente die Einmifhung in Finanz» und Staatsſachen verboten, die legitimirten Prim 
zen aber des Throne unfähig erlärt und zu einfachen Pairs herabgefegt wurden. Alsbald bob 
er auch die Conſeils auf, damit Dubois als erfler Minifter and Staatsruder treten Eonnte. 
end nun Lam durch feine Ereditoperation bie Nation in höchſten Schwindel, ben Hef 
in Überfluß verfegte, brach fih der Regent an der Hand Dubois’ auch in ben auswärtigen 
Berhaͤltniſſen eine neue Bahn. Wiewol er keineswegs ufurpatorifche Plane hegte, fo Tag ihm 
Doch bei der auferordentlihen Schwächlichkeit bes jungen Ludwig XV. und dem vertragsmd 
Figen Ausschluß der fpan. Bourbons vom franz. Throne ber Gedanke an eine mögliche Gelan- 
gung zur Krone fehr nahe. Um fich gegen die Prätenfionen des fpan. Hofs und Die Umtriche 
ber legitimirten Baſtarde ficherzuftellen, hatte fich ber Herzog von D. noch bei Lebzeiten Zub 
wig's XIV. um bie Sreundfchaft Georg's L von Großbritannien beworben. So wenig eine Ber 
bindung mit England und die Vereinzelung Spaniens im Intereffe der Dynaftie und ber Na⸗ 
tion ſelbſt lagen, verfolgte doch Dubois eifrig diefe Politik und brachte 4. San. 1717 die Triple⸗ 
allianz zwiſchen Srankreich, England und Holland zu Stande. In Folge der Eroberungsplane 
bes fpan. Miniſters Alberoni (f. d.) trat 2. Aug. auch ber Kaifer hinzu, und bas Bündriß ge 
flaltete fich unter dem Namen der Duadruplealliang für Spanien furchtbar. Alberoni fegte fich 
dagegen burch den fpan. Befandten zu Paris, den Fürften Gellamare (f. d.), mit dem Adel der 
Bretagne und der alten Hofe und Sefuitenpartei in Verbindung und brachte gegen ben Stegen 
ten eine Verſchwörung zu Stande, an der auch ber von feiner Gemahlin aufgeftacheite eryeg 
von Maine Antheil nahm. Man wollte fid) des Regenten bemächtigen, die Reicheftände ver- 
fammeln und Philipp V. die Regentſchaft Frankreichs übertragen. Dubois vereitelte dieſen 
Anſchlag, den er durch eine Luſidirne entbedite, und bewog den Negenten, im San. 4719 in 
Semeinfhaft mit England an Spanien den Krieg zu erflären. Im April fiel Berwid mit 
50000 Mann in Biscaya ein, befegte Fuenterabia und San-Sebaftian und zerftörte die fpan. 
Schiffe und Häfen, ſodaß Philipp V. feinen Minifter opfern und endlich der Allianz beitreten 
mußte. Nach diefem Siege erwartete den Regenten eine um fo drohendere Krifi6 im Innern. 
Bereitö gegen das Ende des 3. 1719 begann die fühne Schöpfung Law's zu wanken, und wie 
wol der Regent im Jan. 1720 den Schotten zum Generalcontroleur erhob und felbft zu den 
leichtfertigften Operationen feine Hand bot, war der Sturz diefes fogenannten Syſtems nicht 
mehr aufzuhalten. Durch Ausfchmweifungen flumpf, gleichgültig und Teichtfinnig geworben, 
überließ der Regent Ichon gegen Ende des 3.1720 die Anftalten Law's der Rache der altın 
Finanzkünſtler, die nun mit Wuth auch die legte Spur des öffentlichen Credits zerftörten. Auch 
während diefer furchtbaren Epoche ließ fich der Negent feinem wilden Leben nicht entreifen. 
Allnaͤchtlich ſchloß er ſich mit feinen Genoffen, den fogenannten Roues (f.d.), in feinen Palaft 
und feierte Orgien, die felbft die Ausfchweifungen des Alterthums übertrafen. Seine ältefte 
Tochter, die Herzogin von Berry, die durch ihre Zügellofigkeit einen frühen Tod fand, ftellte 
ſich ebenfalls bei diefen Feſten ein. Unter diefen Umfländen wurde es Dubois, der an Geiſi weit 
unter feinem Zöglinge ftand, möglich, ſich gänzlich der Gefchäfte zu bemächtigen. Beil derfelbe 
Cardinal werden wollte, mußte der Negent bie anfeniften aufgeben und das Parlament noch 
1722 zur Anerkennung der Bulle Unigenitus zwingen. Um fi der Regierungsbürde gänzlich 
zu entlebigen, beeilte fich der Regent, den König ſchon 15. Febr. 1723 krönen zu laſſen, wobei 
er feine Würde niederlegte. Als jedoch Dubois 10. Aug. flarb, ließ er fich bewegen, an deffen 
Stelle als erfier Minifter einzutreten. Diefes Amt bekleidete er aber nur kurze Zeit; er farb 
2. Dec. 1723 in den Armen feiner neuen Geliebten, der Herzogin von Phalaris. Zufolge der 
Binanzoperation Law's ging unter feiner Regierung eine vollftändige Veränderung des Beſiztz 
ftandes vor, zugleich aber geftaltete ſich die Finanzzerrüttung unheilbar. Die Freiheit, welche 
er den Geiftern in Politik und Religion geftattete, iegte den Grund zum geiftigen Auffchwunge 
ber Nation am Ende bed Jahrhunderts; doch wirkte das Beifpiel feiner Sittenlofigkeit höchſt 


Drldans (Louis Phil. Joſ- Herzog von) 458 


gefährlich. Außer feinen rechtmäßigen Kindern Binterließ ber Herzog zwei anerkannte natür⸗ 
liche Söhne, den Ehevalierd’Orldans, Großprior bes Malteferordend, und den Abbe St.⸗Alban 
ſpätern Bifchofvon Eambrai. Vgl. &t.-Simon, „Memoires” (15 Bde. Par. 1829); Pioffens, 
„Mömoires de la rögence” (5 Bde., Par. 1749); „Vie du duc d’O.”, angeblich vom Zefuiten 
Zamotte (2 Bbde., Par. 1737) ; Lemontey, „Histoire de la regence etc.” (2 Bde., Par. 1832). 

Orléans (Louis Phil. Joſ. Herzog von), bekannt in der Franzöfifchen Revolution als Bür⸗ 
ger Egalitd, der Urenkel des Vorigen und ber Vater des Königs Ludwig Philipp (f.d.), wurde 
43. April 1747 geboren ımd erhielt zuerft dem Titel eines Herzogs von Montpenfier und 1752 
den eines Herzogs von Ehartred. Mit ſchönem Außern, einem beweglichen Gemüth, viel Ver⸗ 
ſtand, aber wenig Willenskraft ausgeftattet, verſank er an dem verdorbenen Hofe Ludwig's XV. 
ſeit früher Jugend in grobe Ausfchmweifungen. Won jeher war in der Familie Orleans die Op- 
pofition gegen den Hof gewiffermagen Grundfag gewefen. Auch der Prinz verfäumte nicht, 
biefe Richtung bereitö unter Ludwig XV. einzufchlagen, wiewol ihm für eine politifhe Rolle die 
Eigenfchaften fehlten. Ludwig XVI. verabfcheute ihn als einen Wüſtling, die Königin angeblich 
feiner Zudringlichleiten wegen. Don vagem Ehrgeiz und Gefchäftigkeit getrieben, verlangte er 
beim Ausbruche bed Kriegs mit England die Würde des Großadmirals; der Hof gab ihm je 
boch auf der Flotte im Kanal nur ein Ehrencommando und fuchte dann fein Betragen in dem 
Gefechte bei Dueffant (27. Zuli 1778) berabzufegen. Als fich hierauf der Prinz im Verein 
mit der dem Hofe feindlichen Volkspartei als verfannten Helden darftellen ließ, erhielt er aus 
ber Hand der Königin felbft feine Entlaffung aus dem Seedienft und zugleich, um ihn dem 
Spotte preißzugeben, bad Patent eines Generaloberft der Hufaren. Seit diefer Beleidigung ent⸗ 
feente fidh der Herzog von D., wie er feit dem Tode feines Waters hieß, immer mehr vom Hofe, 
ohne doch gänzlich zu brechen. Er erwarb fich die Stelle eines Großmeiſters fammtlicher Frei⸗ 
maurerlogen in Frankreich, zeigte fich als eifrigen Anhänger der norbamerif. Freiheitsideen und 
machte fi) in ausfchweifender Weiſe mit Allem zu ſchaffen, was der Tag Neues bot. So ftieg 
er, als Montgolfter die Luftfchiffahrt erfand, zum Ergögen des Volkes felbft in einem Ballon 
empor. Inder Notabelnverfammlung von 1787 erklärte er fich heftig gegen die minifterielen 
Borfchläge, und als der König im November ben Widerftand der Parlamente durch ein Lit de 
justice brechen wollte, erhob er fi in der Verfammlung und proteftirte gegen das Verfahren. 
kudwig XVI. verbannte den Prinzen nad) Villers⸗Cotterets, mo er ſich jedoch fo langweilte, daß 
er um Verzeihung nachfuchte. Der Ausbruch der Sranzöfifchen Revolution gewährte ihm end» 
lich ein weites Feld für feine unklaren Beftrebungen. Beim Zufammentritt der Generalftaaten 
betrieb er ſogleich die Conſtituirung zur Nationalverfammlung und flimmte mit ber äußerften Lin⸗ 
fen. Während er ſich das Volt durch Spenden geneigt zu machen fuchte, ging feine Abſicht beider 
Rationalverfammlung dahin, fi) den Weg zum Generallieutenant bes Reichs, vielleicht gar zum 
Throne zu bahnen. Als im Juli 1789 die Aufftände zu Paris begannen, unterflügte er dieſel⸗ 
ben durch geheime Agenten und Geld. Deutlicher noch trat feine Mitwirkung bei den Ereignif 
fen vom 5. und 6. Det. hervor. Der Hof befchuldigte ihn und Mirabeau (ſ. d.), der einen Au⸗ 
genblid fein Verbündeter war, der Anftiftung und verwies ihn in Form einer diplomatifchen 
Sendung nad England. Er entfernte fich auch in diefem entfcheidenden Yugenblide muthlos 
und kehrte erft, nachdem er freigeſprochen, im Juli 1790 zurüd, um feine Umtriebe wieder zu be 
Binnen. Richt ohne feine Veranlaffung reichten Laclos und Briffot nach der verunglüdten Flucht 
bes Könige bei ber Verſammlung eine Petition um beffen Abfegung ein, und auch die darauf 
folgenden Vorfälle auf dem Marsfelde (f.d.) wurden ihm zugefchrieben. Indeffen ſtimmte die 
Einſicht, daß er felbft nur das Werkzeug einer Partei fei, die feine Stellung und Reichthümer 
benugte, jegt plöglich feinen Revolutionseifer herab. Er zog fich aus dem Sakobinerclub, defien 
Mitglied er war, zurüd, unternahm zur Herftellung feines Vermögens Speculationen in Zuder 
und Getreide und ließ fich durch die Minifter fogar zur Ausföhnung und perfönlicden Zuſam⸗ 
menkunft mit dem Könige im San. 1792 bewegen, der ihm dafür die früher erwünfchte Würde 
eines Großadmirals ertheilte. Als er darauf bei Hofe erfchien, überhäuften' ihn jeboch die Höfe 
linge mit folder Verachtung, baf er fortan in blinder Keindfchaft dem Strome der Revolution 
folgte. Ex warf fich der Partei Danton in die Arme und beteiligte ſich auch bei den Aufftän- 
ben vom 20. Juni und 10. Aug. 1792, aber ohne nur ein einziges mal mit feiner Perfon ein- 
suftehen. Diefe Unthätigkeit und die Verachtung, bie er ſchon Darum von allen Parteien erfuhr, 
verhinderten ihn, die Ereigniffe nur im geringfien auszubeuten; nach bem Sturze des Throne 
erklärte er fogar öffentlich, daß er auf das argeomfolgeresit verzichte. Nachdem er von der pari« 
fee Gemeinde den Namen Philippe Egalite erhalten, trat er als Abgeordneter bed Depart 


454 Drley Orlow 


Seine · Marne in den Nationalconvent, nahm ſeinen Sig unter ber Bergpartei, ſprach aber 
hochſtens nur in perſonlichen Angelegenheiten. Von den Jakobinern, wie behauptet wird, 
mit dem Tode bedroht, wenn er nicht für bie Hinrichtung des Königs ſtimmen würde, gab er 
fein Urtheif in folgender Weiſe ab: „Indem ich einzig meiner Pflicht folge und überzeugt bin, 
daß Alle, welche die Souveränetät des Volkes antaften, den Zod verdienen, ftimme ich für den 
Tod Ludwig's.“ Bei diefem Votum brach auf den Tribunen und zugleich auf den Bänken der 
verfehiedenen Parteien, felbft in den Reihen feiner Genoffen ein Schrei des Unwillens und der 
Empörung 108, und er follte bald erfahren, daß er hiermit Feineswegs feine Sicherheit erfauft. 
Während ihn die Girondiften anklagten, daf er die Herſtellung des Throns zu feinen Gunften 
beab ſichtige, wurde er für die Bergpartei ein Gegenftand der Verlegenheit und des Argwohns, 
zumal er ſich nicht entſchließen mochte, fein unermefliches Vermögen den Parteizwecken gänzlich 
zwopfern. Nach dem Abfalle Dumouriez’3 und feines Sohnes, des Herzogs von Chartres, gab 
deshalb der Berg leicht bie Einwilligung, daß das Decret, welches bie Verhaftung fämmttlicher 
Bourbons befahl, auch auf den Bürger Egalite Anwendung erhielt. Er wurde mit feiner Fa 
milie nach Marfeille ins Gefängniß gebracht, wo er ſich ber Völlerei ergab. Erſt nad) dem 
Sturze der Gironde fuchten ſich die Schredensmänner feiner vollends zu entledigen, indem fie 
ihn vor dem Tribunal bed Depart. ber Rhoͤnemündungen als Hochverräther anflagten. Man 
ſprach ihn zwar frei, aber der Wohlfahrtsausſchuß ließ ihn Hierauf vor das Nevolutiond- 
tribunal zu Paris fielen. Wiewol er hier große Faſſung bewies und feine Vertheidigung mit 
Geſchick und Nuhe führte, wurde ihm doch 6. Now, 1795 das Todesurtheil gefprochen. Unter 
den Verwünſchungen der Menge, die ihm fo.oft Beifall geklatſcht, Iegte er noch an bemfelben 
Tage fein Haupt unter die Guillotine. Vgl. Montjoie, „Conjuration d’O.* (5 Bde, Par. 1795), 
und Tournois, „Histoire de Louis Philippe Joseph d’O. et du parti d’O., dans ses rapports 
avec la revolution frangaise” (2 Bde., Par. 1842—45); erftere iſt eine Anklage», leptere 
eine Vertheidigungsfchrift. 

Orley (Bernhard van), auch Barent von Brüffel genannt, ein Maler, der ſich in Rafaels 
Schule gebildet, wurde 1490 zu Brüffel geboren und früh in der, Kunſt, man weiß nicht von 
wem, unterrichtet, ſodaß er ſchon Tüchtiges Teiftete, ald er nah Nom in die Schufe Rafael's z0g. 
Seine Bilder aus der ital. Zeit unterſcheiden fich von den noch in ber Heimat gemalten duͤrch 
den unverfennbaren Einfluß deö großen Meifters, an beffen Arbeiten er helfend Theil nahm. 
So leitete er unter Anderm bie Ausführung ber erflen Folge der Zapeten. Daher erhielt er auch, 
als er ins Vaterland zurückgekehrt und von Karl V. in die Zahl der Hofmaler aufgenommen 
mar, ähnliche Aufträge. Er mußte mehre große Jagdſtücke malen, nach denen der Kaifer Foft- 
bare Teppiche in Brüffel weben lief. Die Gegenden um Brüffel, die Fürften und Fürftinnen 
des Haufes waren ald Jagdgenoſſen mit treuer Ähnlichfeit darauf dargeftellt.. Auch Marga- 
vethe von Parma, in deren Dienft der Maler fpäter trat, zeichnete ihn aus und ließ viele große 
Cartons zu Tapeten von ihm ausführen. Daneben ſchmückte er viele Gotteshäufer und öffent 
liche Gebäude in feinem Vaterlande mit bedeutenden Gemälden. Aus feiner frühen Zeit befigt 
das Mufeum zu Brüffel ein Bild des Erlöfers, der von feinen Sreunden und den Frauen be 
weint wird. Italienifhen Einfluß verräch dagegen fein Jüngftes Gericht in St.-Jakob zu Ant- 
werpen. Sein umfangreichſtes Werk ift ein Altarfchrein in der Marienkirche zu Lübeck, deffen 
Mittelbild die Dreieinigkeit vorftellt. Eines feiner [hönften Bilder ift eine Heilige Familie in der 
Liverpoolinstitution, nad) einem Motive Leonardo’s. Außerdem finden ſich viele Bilder von 
ihm in den Galerien zerftreut. Sehr fchöne hat das Belvedere zu Wien, ferner die Pinakothek 
du Münden, die Mufeen in Brüffel, Paris, Berlin u. ſ. w. . 20 

DOrlow, ruſſ. Familie, wird ſchon im 16. Jahrh. und zur Zeit der falſchen Demetrier er 
wähnt, flieg aber erſt feit der Regierung Peter'6-d. Gr. zu gefchichtlicher Bedeutung empor. 
Iwan D. war, ber Sage nach, ein gemeiner Gtrelige und zeigte, ald er in Gegenwart Peters 
1689 zu Moskau hingerichtet werden follte, eine fo ungewöhnliche Kaltblütigkeit und Todes · 
verachtung, daf fie dem Zaren imponicte, der ihn nicht bios begnabigte, fondern ihm auch zum 
Dffigier bei feiner neugebildeten Garde erhob. Deffen Sohn, Grigorij, wurde Generalmajor 
und Gouverneur von Nomgorob,und hinterließ fünf Söhne, von weichen der zweite und dritte, 
Grigorij und Alerej, wichtige Rollen fpielten. — Drlow (Grigorij), geb. 1734, trat mit feinen 
Brüdern in die Armee, lebte ausſchweifend und mußte, al fein Vermögen aufgezehrt war, ſich 
durch Spiel und andere Kunftgriffe Helfen. Im Siebenjährigen Kriege mit dem gefangen ger 
nommenen Grafen Schwerin nad Petersburg gefchidt, lernte ihn dort zufällig Die Groffür- 
ſtin Katharina. kennen, die damals in Poniatowſti ihren Liebling verloren hatte. Der Anblick 


Orlow 455 


bes fchönen Mannes feffelte ihr Herz, umd feine glähende Leidenfchaft wußte fie lange Zeit zu 
befriedigen. Als die Kaiferin ihm die Jdee einer Thronumwaͤlzung mittheilte, ergriff er dieſe 
mit Feuer, zog feine Brüder ind Geheimniß und übernahm es nebft diefen, die Barden zu ge 
winnen. Rachbem die Revolution 9. Juli 1762 vor ſich gegangen undder unglüdtiche Gemahl 
Katharina's, Peter III. befeitigt war, wurbe D. als erflärter Liebling der Kaiferin mit Ehren 
und Würden überhäuft und endlich zum Generalfeldzeugmeiftee ernannt. Bereits 22. Sept. 
4762 war er nebft feinen vier Brüdern in den ruff. Srafenftand erhoben worden; Kaifer Jos 
ſeph IL. ernannte ihn A. Dct. 1772 zum deutfhen Reichsfürſten. Seiner Macht fehlte nichts 
als der Kaifertitel, und auch biefen hätte er vielleicht mit der Hand Katharina's erhalten, wenn 
die Anftrengungen des Kanzlers Grafen Panin, eine bei ber hohen Ariſtokratie fehr angeſe⸗ 
benen Mannes, und bes Feldmarſchalls Grafen Tichernitfchern, der als Präfident des Kriegs- 
collegiums einen großen Einfluß auf die Armee ausübte, den Plan nicht vereitelt. Ds rohes 
und rüdfichtölofes Betragen war indeſſen auch nicht geeignet, bie Kaiferin dauernd zu reflein. 
Daher überredete ihn Katharina, als feine Nähe ihr läftig zu werben anfing, 1774 nah Mo& 
Tau zu gehen, um perfönlich Anftalten gegen bie dort ausgebrochene Peſt zu treffen. Als er von 
dort gluͤcklich zurückgekehrt, mußte er ſich ale Bevollmächtigter nach Fokſchani begeben, wo fin 
Congreß zur Beendigung des Türkenkriegs eröffnet werben follte. D. erſchien hier mit kaiſer⸗ 
licher Pracht, benahm ſich aber mit einer fo empörenden Anmafung gegen die Türken, daf der 
Zweck durchaus verfehlt wurde. Noch in Fokſchani erfuhr er, daß die Kaiferin ſich einen andern 
Sünftling gewählt Habe. Wüthend machte er fich fogleich auf den Weg nach Peteröburg, be» 
kam aber unterwegs die Weiſung, fich einftweilen auf fein Schloß Gatſchina zu begeben. Da 
es ber Kaiferin weder durch Unterhbandlungen nody durch Drohungen gelingen wollte, ihn zur 
Ruhe zu bringen, ſchrieb fie endlich felbft an ihn und bat ihn, eines ihrer Luftfchlöffer zu feinem 
Aufenthalte zu wählen. D. ging nach Zarskofe-Selo umd lebte hier mit orienitalifchem Prunk 
umgeben. Schon im Dec. 1772 föhnte fi die Kaiferin vollftändig mit ihm aus, und er trat 
nun in feine vorigen Verhältniſſe zurüd. Die Kaiferin machte ihm unter Anderm ben prächti⸗ 
gen Marmorpalaft zum Geſchenk; D. Dagegen fchenkte ihr den berühmten großen Brillanten 
und ließ auf feine Koften das Arfenal in Petersburg baum. Indeſſen fand er auch jege Feine 
Ruhe und plöglih kam er auf den Einfall, fi in Reval niederzulaffen. Dann ging er auf 
Reiſen und befuchte Frankreich. Bei feiner Rückkehr fand er Potemkin bereits in der Gunft 
ber Kaiſerin, und gleichfam, um ſich an feiner ungetreuen Geliebten zu rächen, verheirathere er 
fi in Petersburg und befuchte nur höchſt felten den Hof. &chon fing er an, wahren Geſchmack 
an dem flillern Privatleben zu finden, da ſtarb feine Gemahlin plöglich auf einer Reife im Aus- 
land, und O. wurde wieber von feiner frühern Unruhe ergriffen, bie zulegt in völligen Wahn⸗ 
finn ausartete. Sm April 1783 befchloß er in Petersburg unter den fchredlichften Qualen fein 
Leben, während es ihm wirklich in der legten Zeit gelungen war, ſich mehre Freunde und Vereh⸗ 
rer zu erwerben, da er doch anfangs nur gehaßt und gefürchtet wurde. D. hatte mehr Verfland 
als Kenntniffe, war mehr leichtfinnig als boshaft, mehr verſchwenderiſch als gutthätig, babei 
enttötoflen und muthig und bewies in den legten Lebensjahren ſtrenge Nechtfchaffenheit. Aus 
feiner Verbindung mit Katharina entfprang die noch blühende Familie der Grafen Bobrinskij. 
— Drlow (Ulerei), Bruder des Vorigen, geb. 1735, bewies bei der Revolution von 1762 unter 
Allen die meifte Kühnbeit, wie er denn auch durch eine Riefenftärke fich auszeichnete. Ex holte 
bie Kaiferin Katharina aus Peterhof ab, ließ ihr von den Barden in Petersburg den Huldi⸗ 
gungseid leiften und verlas darauf in der Kaſanſchen Kirche, wohin er bie Kaiferin begleitete, 
das untergefchobene Manifeft ihrer Thronbefteigung. Man beſchuldigt ihn wol nicht mit Un- 
recht, daß er auf dem Landfige des Grafen Raſumowſti, Ropfcha, wo ber unglüdliche Peter IIL 
gefangen faß, diefen eigenhäyhig erdroffelt habe. Reichlich für feine Blutthat belohnt, meihte 
er fich, wie fein Bruder, d ienfte feiner Gebieterin und warb ihr nüglich durch feine Siege 
im ruff.-fürl. Kriege. Er entwarf den Operationsplan für eine Flotte in den Gewäſſern bes 
Archipelagus, der die Genehmigung der Kaiferin fand, und wurde nun vom Generallieutenant 
und Generaladjutant ber Kaiferin 1768 zum Generaladmiral der ganzen ruff. Flotte im Archl⸗ 
pelagus mit unumfchräntter Vollmacht befördert. Als ſolcher erfocht ex 1770 den glänzenden 
Seeſieg bei Tfchesme, der bie Verbrennung der ganzen tür. Flotte zur Folge hatte. Er erhielt 
dafür den Beinamen Tſchesſsmenskij und viele Ehrenbegeugungen, barunter eine prächtige 
Dentfäule in Zarskoje⸗Selo. Als fein Bruder Grigorij farb, überfendete ihm die Kaiferin ihr 
Porträt, welches derſelbe getragen hatte, ein Ehrenzeichen, welches bamals nur Potemfin trug, - 
Als Kaifer Paul fpäter ben Thron beflieg, vief ihn diefer aus Moskau, wohin fih O. zurüßs 


456 Drlow 


gezogen hatte, nach Petetsburg und nahm an ihm und Barjatinfti, den einzig noch überleben 
den unter ben Mördern Peter's III, dadurch Rache, daß er fie beider feierlichen Abholung der 
Reiche Perer’s IN. aus dem Alexander · Newftitloſter über das Winterpalais gu ae 
drale bas Bahrtuch fragen ließ. Darauf ward D. vom Hofe und aud) aus Mosfau vi 
Nach einem Furzen Aufenthalte in Deutfchland, wozu D. mit Mühe die Erlaubniß erhalten 
hatte, Eehrte er nach Kaifer Paul's Ermordung 1801 nad; Rußland zurie und farb zu Mos 
Hau in feinem dortigen en Palaft 5. Jan. 1808. Seine ungeheuern Reid) 
erbte feine Tochter, die Gräfin Anna Alerejewna, Hofdante der Kaiferin Alerandra, geb. 1785, 
Ein natürlicher Sohn, dem er feinen Beinamen Zfchesmenftij gab, ftarb als ruff. General 
major 1820. — Orlow (Iwan) der ältefte der Familie, geb. 1755, geft. 1791, wurde zwar mit 
feinen Brüdern in den Grafenftand erhoben und zum Kammerheren ernannt, lebte aber 
‚gezogen und ward von Katharina als ber „Philofoph” bezeichnet. ae zeichnete ſich der 
vierte Bruder, Febor D., geb, 1741, im Zürkenkriege 1770 durch die ahme von ii 
und bei andern Gelegenheiten aus, erhielt den Rang eines General en Chef und ftarb 1796 ze 
Moskau, Der jüngfte Bruder, Wladimir D., war Präfident der Petersburger Akademie der 
Wiſſenſchaften und Geh. Rath und flarb erft 1832. Aus feiner Che mit einer Baroneffe von 
Stadelberg Hatte er vier Töchter und einen einzigen Sohn, Graf Grigorij Wladimirs witſch 
D., geb. 1777, welcher 1812 Geh. Rath und Senator wurde, aber fid) vorzugsweife mit den 
MWiffenfchaften befchäftigte und meiftens in Paris und Stalien Iebte. Er fehrieb mehre gefchägte 
Werke in franz. Sprache, wie die ins Deutfche, Engl. und Ital. überfegten „Memoires histo- 
riques, politiques et lill6raires sur le royaume de Naples” (2, Aufl., 5 Bde., Par. 18%) 
und „Voyages dans une partie de la France” (3 Bbe., Par. 1824), und ftarb Einderlos 
zu Petersburg 4. Juli 1826, N 
Das Haus der Grafen O. war fomit in legitimer männlicher Linie erlofchen. Der Graf 
Bedor Grigorjewitfch hatte indeß vier natürliche Söhne hinterlaffen, welche den Namen fort- 
Kam und von denen die beiben ältern ſich im uff. Militärbienft hervorgethan haben. — 
chael D., geb. 1785, machte als Flügeladjutant des Kaifers Alerander die Feldzüge gegen 
oleon mit und ſchloß 1814 die Eapitulation von Paris ab, worauf er zum Generalmajor 
befördert wurde. Er nahm an den geheimen Gefellfchaften Theil, die ſich in den fegten 
tungsjahren Alerander’s in der ruff. Armee bildeten, zog fich aber noch vor Ausbruch der 
ſchwörung zurück. Trotzdem ward er nach dem Aufftande vom 26. Dec. 1825 verhaftet, zwat 
bald darauf freigegeben, aber aus ber Armee entfernt und ihm verboten, fich in den beiden Haupt · 
ftädten aufzuhalten. Er lebte auf feinen Gütern und ftarb 1841. Von feinen fehr intereffanten 
Memoiren find Bruchſtücke in ruff. Zeitfchriften veröffentlicht worden. — Orlow (Alerd), 
Bruder des Vorigen, geb. 1787, zeichnete ſich gleichfalls in den franz. Kriegen aus, ward Ad- 
ſutant des Großfürften Konftantin, dann Oberft und Commandeur des Regiments der Garde 
zu Pferde. Am 26. Dec. 1825 trug er duch Muth und Geiftesgegenmatt viel zur Dämpfung 
des Aufftandes der Garden bei und gewann ſich dadurch das dauernde Wohlmollen des Kai- 
fers Nikolaus. Er wurde in den Grafenftand erhoben, zum Generaladjutanten ernannt umd 
erhielt das Commando einer Cavaleriedivifion, an deren Spige er in dem türk. Feldzuge von 
4828 gute Dienfte leiftete. Nicht geringeres diplomatifches Talent entwickelte er bei den Frie- 
densunterhandlungen in Adrianopel, wo er ald Bevollmächtigter fungirte und 14. Sept. 1829 
den für Rußland fo vortheilhaften Tractat abſchloß, worauf er als außerorbentlicher Botſchaf · 
ter nad) Konftantinopel ging. Von num an fah er ſich ſtets zu den wichtigften Aufträgen ver- 
wendet. So wurde er im Juni 1851 in das Hauptquartier des Feldmarſchalls Diebitfch ge 
fit, um ben Zuftand der gegen bie Polen kãmpfenden Armee zu unterfuchen. Der plögliche 
Tod von Diebitfc) gab zu dem Gerüchte Anlaf, daß ihn D. vergiftet Habe. Eine neue auferor- 
dentliche Miffion führte ihn 1852 nad) London, wo er jedoch ohne Erfolg verfuchte, den belgi« 
ſchen Streit zu Gunften Hollands zu ſchlichten. Dann erfehien er 1833 als Oberbefehlshaber 
„der am Bosporus gelandeten tuff. Truppen von neuem in Konftantinopel und bewog den 
Sultan, den Vertrag von Hunkiar- Skelefft zu unterzeichnen, der Rußland den Schlüffel der 
Dardanellen geben follte. Seine Dienfte wurden durch die Ernennung zum General der Ca- 
dalerie und Mitglied des Reichsraths, ſowie fpäter durch den Andreasorden nebft reichen Ge- 
ſchenken an Gütern belohnt. Nach dem Tode Benkendorff's 1844 erhielt D. aud) das Ober 
commando deö Gendarmencorps und die Leitung ber geheimen Polizei, die unter ihm nichts 
von ihrer Wachfamfeit verloren hat. Als vertrausefter Freund bed Kaifers begleitet er ihn auf 
allen feinen Reifen, fo zulegt 1855 nad; Olmüt und Berlin. Sein einziger Sohn, der Graf 


Driowftif Drne 451 


Aieolai D., iſt Garderittmeiſter und kaiſerlicher Flügelabſutant. — Richt verwandt mit dleſen 
Orlows iſt bie Doniſche Koſackenfamilie gleichen Ramens, die ſich feit 1799, in Folge einer 
rath mit der Erbtochter des Grafen Denifſow, D.-Deniffow nennt. Graf Waſſilji D.- 
niſſow, Sohn des Hetmans der Doniſchen Koſacken Waffılfi O., geb. 1777, trat noch als Kind 
in Kriegsdienſte ward 1807 Generalmajor und machte fich im Feldzuge von 1812 durch feine 
unermübliche Verfolgung der Franzoſen bekannt, wobei er unter Anderm eine ganze franz. Bri⸗ 
gabe von der Divifion Baraguay d Hilliers gefangen nahm. In ber Schlacht von Leipzig be» 
fehligte er die Gardekoſacken und führte mit ihnen den glänzenden Angriff auf die feindliche 
Keiterei aus, die zur Entfcheibung des erſten Schlachtentags beitrug. Er wurbe dafür zum 
Generallieutenant, 1826 aber zum General ber Cavalerie befördert, und ftarb 1843. Er hin⸗ 
terließ mehre Söhne, die im rufj. Militärdienſt flehen. 

Orlowſtij (Boris Iwanowitſch), —— *— geb. 1793, war ber Sohn eines Bauern 
umb arbeitete zuerft als Lehrling in ber Werkftätte bes Bildhauers Trescorni in Petersburg. 
Hierauf trat er in die Akademie der Künfte, in ber ex bald fo bedeutende Fortfchritte machte, 
daß ihn 1822 die Regierung nach Italien zur weitern Ausbildung reifen ließ. Bier bildete er 
fi Hauptfächlich umter ber Leitung Thorwaldſen's aus, welcher ſeinen Werken felbft vollen 
Beifall ſchenkte. Seine befannteften Arbeiten find die Gtandbilder Kutufow’s und Barclay 
de Zolly’6 vor der Kafanfchen Kirche in Petersburg; die koloſſale Marmorbüfte des Kaiſers 
Alexander I. im dirigirenden Senat; die Statue bes Engels auf ber Aleranderfäule vor dem 
Winterpalais; die Gruppe des Fauns und ber Bacchantin; eine Statue des Paris mit bem 
Apfel. Während er eine Skizze bes Helden Iwan Uſtimowitſch, wie er einen wüthenden Stier 
aufhält, arbeitete, ftarb er in der Fülle feiner Kraft 16. Dec. 1837. 

Drmmzd ift in dem Religionsſyſtem bes Zoroaſter (f. b.) ber gütige Bott, welcher dem bö« 
fen Gotte Ahriman entgegenfteht. In ber Zendſprache lautet fein Rame Ahura mazda, b. i. 
hochweiſer Herrfcher. Dargeftellt wirb er auf alten Bildwerken, In der Hand einen Ring, als 
das Zeichen der Herrfchaft, haltend. (S. Parfisnıus.) | 

Drnament, Wie in ber Natur, gibt es auch in ber Kunſt Übergangsflufen, Eine ſolche 
von ber Baukunft zur Bildhauerei iſt das Ornament, gleichwie das Relief den Übergang zur 
Malerei bildet. Das Ornament ift das Beftreben der Baukunſt, ihr firenges Geſet und ihre 
einfachen Linien durch das Spiel freierer und mannichfaltigerer Formenbildungen zu zieren: es 
iſt das anmuthige Hineinragen ber einen Kunft In die andere, das Anklingen an die Schweſter⸗ 
kunſt, das größern Reichthum ahnen läßt. Die Anwendung ſolcher Mittelftufen Kunft 
muß vor allem ſtets vom Maße beherrfcht fein, weil ein Zuviel unfehlbar Ausartung 
lichkeit zur Folge hat. So überwuchert das Ornament freilich durch oft an fich keineswegs un⸗ 
ſchöne Formen in dem Rococoftil. Seine Formen entnimmt das Ornament meift der Pflan⸗ 
zennatur, feltener der Thierwelt, noch feltener kommen menſchliche Formen zur Anwendung, 
imd dann meiften® nur aus dem unentwidelten Alter, der Kindheit. Eine fehr reine und ſchön 
ausgebildete Drnamentik, wie man ben ganzen Compiler der Ornamente, bie Lehre und bie 
Anwendung berfelben nennt, hatten bie Griechen, denen darin bie Natur Vorbild und Le» 
rerin war. In der romanifchen Kunſt entwidelte fi auf der Grundlage antiker Formen 
eine ıumgemein_reiche, jedoch mehr phantaftifche als naturaliſtiſche Ornamentik, während 
dagegen bie gotbifche Kunft wieder einen eigenthümlich fhönen Stil ausbilbete, den ſie 
mmittelbar aus ber Blumen- und Pflanzenwelt ſchöpfte. Über die antike Ornamentik hat man 
ein Werk von Bulliamy ; auch Stuart, Snmmoob u. A. handeln in ihren Architekturwerken da» 
von. Bekannt ift Zahn's „Pompeſi“ und andere Werke deffelben Berfaffers. Deibeloff ven 
dankt man eine Ornamentik des Mittelalters. Bötticher, ſelbſt ein Meifter in der Ornamentif 
und der Decoration (f. d.), hat Manches barüber herausgegeben ; feine ganze Architekturauſ⸗ 
faffung beruht darauf. Gruner's ausgezeichnetes Werk: „Specimens of ornamental art“ 
(Xond. 1850) gibt Orngmente aller Urt, ber frühern, mittleren und fpätern, bis zur Bitte bet 
16. Jahrh. Mesger in feinen „Ornämenten aus deutfhen Gewächſen u. f.w.” (Münd. 1849) 
verfucht die vaterländifchen Pflanzen zur ausgebehntern Anwendung zu bringen umd in ber 
Drnamentit einen eigenthümlichen Kunſtſtil zu begründen. 

Drnat (Iat.), d. h. Schmuck, wirb vorzugẽweiſe die Kleidung der Geiſtlichen gemarmt, weiche 
fie bei Amtöverrichtungen tragen müffen. Der Ornat bed röm.» und griech.-tath. Klerus iſt 
nach ben Graben verfchieben; einfacher und für ale Grade gleich bagegen ift die Amtößfeibing 
der proteft. und ref. Geiſtlichkeit. 

Drne, ein 19 M. Tanger Fluß im nördlichen Frankreich, entficht etwa eine M. oberhalb Gas. 





458 Drnitbologie „Drofius 


in dem nad) ihm benannten Departement, burchflieft. biefes und Ealvabos, wird bei Caen | 

Heine Fahrzeuge fhiffbar und mündet, nachdem er links bie Rouvre, den Noireau und N 
aufgenommen, in ben Kanal, Das Depart. Drne, welches einen Theil der Normandie, nament- 
Tich das ehemalige Herzogthum Alengon und einen großen Theil von der —F alten Provinz Maine 
gehörigen Landfchaft Perche umfaßt, zählt auf 1117, AM. 439884 €. und zerfällt in bie bier 
teondiffemments Alencon, Argentan, Domfront und Mortagne. Die wellenformige Ob: 
durchzieht von D.gegen W. ein Landrücken, der die —— dem Kanal und dem 
Baffin der Loire bildet. In jenen fließen die Toucques, Dive und Orne, in dieſe die Huine, Sur 
the, Varenne und Mayenne. Nur ein Heiner Theil im Nordoften gehört zum Gebiet der Seine, 
in ihm entftehen die Eure und die Rille mit dem Charenton, Der Boden ift zum Theil ſteinig 
ober fandig und mit Haiben bededt; ſtrichweiſe aber, befonders in den Thalgründen, von Wiefen 
und feuchtbarem Ackerland eingenommen. Das Klima ift gemäßigt; die Luft bei Weft- und Nord- 
weſtwind feucht und nebelig. Die Haupterpengnäffe find Getreide, befonders Hafer, Kartoffeln, 
Hanf und Flachs, Nunkelrüben zur Zuderfabrifation, Apfel und Birnen zur Bereitung von 
Gider und Poird, der hier den Wein erfegen muß. Dan sieht hier die ſchönſte Race der norman · 
niſchen Pferde, mäftet viel Schweine, eigene und eingeführte Ochſen, die hauptſächlich nach Pa- 
ris verkauft werden. Auch die Bienen- und Gänfezucht ift, legtere beſonders um Argentan, von 
Wichtigkeit, wie die Butter- und Käfebereitung. Das Mineralreich liefert hauptſächlich viel Eifen, 
auch guten Granit, Quarzkryſtalle oder fogenannte Diamants d’Alengon, Porzellanerbe u. [.iw.; 
unter ben Mineralquellen ift der Sauerbrunnen von Bagnoles (f.d.) bie nambaftefte. Die Un 
terhaltung zahlreicher Eifenwerke, die Fabrikaton von ihm und Quincaillerieiwaaren, Spigen, 
Reinwand, Baumwollen- und Wollenwaaren, Leder, Papier, Glas und Bayence find die Haupt 
zweige ber Induſtrie, deren Erzeugniffe nebft Pferden, Maftvieh, Gänfefedern, Eider und Ha- 
fer die wefentlichften Gegenftände der Ausfuhr bilden. Außer der Hauptftadt Alenton (f.d.) 
find noch bemerfenswerth die Städte Argentan an der Drne, mit 5700 E.; Domfront an ber 
Barenne, mit 2500 E, der Mittelpunft einer Iebhaften Fabrikation von Kattun, Bändern, Ei- 
ſenwaaren u. f, w.; Mortagne, die ehemalige Hauptfladt von La Perche, mit 5000 E.;, Sec 
ander Orne, Biſchofſitz, mit A500, einer alten Kathebrale,Prierfterfeminar undlebhaftem Ge- 
werbebetrieb; 2’Aigle ander Nille, mit einem Schlof, 5500 E. und berühmten Nadel-, Draht 
und andern Eifenfabrifen; Vimoutiers mit 4200 E. und fehr bedeutender Weberei von Lein- 
wand, die unter. dem Namen Cretonne befannt ift-und 5000 Arbeiter in den 80— 100 Ge 
meinden Yerlimpegenb befchäftigt; endlich das Klofter La Trappe (f. Trappiften) bei dem Dorfe 
Saligny hd das Dorf Le Pin au Haras, zwei M. von Mortagne, mit einem Schlof und einem 
berühmten Geftüte und Hippodrom für 10 Departements. 

Drnithologie (gried).) ift die Wiffenfhaft von der Natur der Vögel (f.d.). Sie bildet 
einen Theil der Zoologie (f. d.). * 

Drogräphie, Gebirgsbefchreibung, nennt man denjenigen Theil der phyſikaliſchen Geo 
‚graphie, welcher die Darftellung der äußern Formen und Gruppirungen der Gebirge und Thä - 
ler gibt; fie ift mit der Hydrographie innig zufammenhängend und die Grundlage für geogno · 
ſtiſche und geologifche Unterfuchungen einer Gegend. Die Höhenbeftimmungen der wichtigften 
Berg · und Thalpunkte, die fogenannten hypfometrifchen Beftimmungen, bilden einen wefent 
lichen Beftandtheil ber Drographie. 

Drontes, ein Fluß in Syrien, jegt Nahr:el-Aft, d. h. der Stürmifche, genannt, emtfpringt 
auf dem Scheitelpunfte ber Thalebene von Cöleſhrien bei Baalbek, fließt dann in diefem Thale 
zwiſchen dem Libanon und Antilibanon nad) Norden und wendet fi) hierauf in Die Gegend 
von Antafin nad) Werten, um, das ſyriſche Küftengebirge in einem Querthal durchbrechend, 
unter dem Parallel von 56° n. Br. ſich in das Mittelländifche Meer zu ergießen. 

Dröpus, Grenzftadt zwifchen Attika und Böotien, jegt Dropo, lag am füdlichen Ufer dei 
Afopus, Eretria gegenüber, und war mit. einem guten Hafen verfehen. Der Befig derfelben, 
als einer wichtigen Feftung, war frühzeitig zwiſchen den Atheuern und Böotiern ftreitig. Die 
Athene hatten fie fchon zur Zeit der Perferkriege befeffen, ſpäter wurde fie von Antigonus von 
Meacedonien den Böotiern zurückgegeben, zulegt aber wieder attifch. Dropia hieß das Gebiet der 
Stabt. ‚In demfelben befand ſich ein Tempel des Amphiaraus mit berühmten Traumoraktl. 

Droſius (Paulus), ein fpäterer rom. Gefchichtfchreiber, aus Spanien gebürtig, Tebte zu 
Anfange bes 5. Jahrh. n. Chr. und hielt fich einige Zeit als chriſtlicher Presbyter bei dem heil. 
Dieronymus in Paläftina, zufegt bei dem heil. Auguſtinus in Afrika auf, wo er auch flarb. 
Außer mehren Schriften theologifchen Inhalts befigen wir yon ihm namentlich.ein Geſchichts · 


Drpbens _ Drfeille AR 


wert in fieben Büchern: „Historiarum libri VI adversus paganos”, das auch den räthfelhaften 
Jitel „Hormesta” führt und worin er ben Damals gangbaren Vorwurf, daß in der Einführung 
bes Chriſtenthums der Grund zu dem Unglüde des rom. Reichs und der Menfchheit überhaupt 
Tiege, zu entkräften fucht. Diefes Werk, welches uns die Ereigniffe von dem Anfange hiſtori⸗ 
ſcher Kenntniß in Kürze, meift nach dem Vorgange bes Juflinus vorführt, wurde bei allem 
Mangel an Eorrectheit und chronologiſcher Genauigkeit Doch im Mittelalter als Leitfaden beim 
Unterrichte in der Univerfalgefchichte benugt. Nach der erften Ausgabe von Schüßler (Augsb. 
4471) lieferte Haverfamp (Leyd. 1738; 2. Aufl, 1767) die befte Bearbeitung.” Vgl. von 
Mörmer, „De Orosii vita ejusque historiarum libris VII adversus paganos” (Berl. 1844). 
Orpheus, ein berühmter Weiſſager und Sänger im mythifchen Zeitalter Griechenlands, 
den man zugleich für den Nepräfentanten einer eigenen, nach Thrazien eingewanderten Dichter 
ſchule hält, war der gewöhnlichen Sage nach ein Sohn der Mufe Kalliope und des thrazifchen 
Stromgottes Dagrus. Er wurde nebft Thamyris und Hercules von Linos (f. d.) im Gefange 
unterrichtet und begleitete noch im fpäten Alter die Argonauten (f. d.) auf ber Fahrt nach Kol⸗ 
bis. Sein Gefang, den er mit ber fiebentönigen Lyra ımterftügte, feste Zelfen und Bäume in 
Bewegung, bezähmte die wildeften Thiere der Bergwälder und brachte Ungewitter und Meeres» 
flürme zum Schweigen. Troſtlos über den Verluft feiner Gattin Eurydice (ſ. d.) oder Agriopa, 
wie fie von Andern genannt wird, flieg er in bie den Sterblichen unzugängliche Unterwelt hinab, 
und es gelang ihm durch die Macht feiner Töne und des Leierfpiels, diefelbe von den unterirdi⸗ 
ſchen Böttern zurückzuerflehen. Da er aber ber ausbrüdlichen Bedingung zumider beim Der 
auffteigen nach ihr ſich umfah, wurde fie ihm wiederum entrückt und er felbft auf Veranlaffung 
ber Götter von rafenden Weibern oder Bacchantinnen graufam zerriffen. Die Priefter, Wahre 
fager und Philofophen der fpätern Zeit fchrieben dem D. außerdem viele Kenntniffe, Anordnun- 
gen und heilige Gedichte zu, um gewiffen Mythen oder zeitgemäßen Dogmen durch das Hinaufe 
rüden in ein höheres Altertyum Beglaubigung zu verfchaffen. Die ganze Claſſe von Dichtern 
und Philofophen, welche diefe myſtiſch⸗religiöſe Richtung für ihre Zwecke verfolgten, bezeichnete 
man mit dem allgemeinen Namen der Orphiker, wohin z. B. Mufäus, Onomafritus, Epime 
nides u. X. gehören. Von D. felbft ſchweigt Homer ; aber Pindar und Aſchylus gedenken ſei⸗ 
ner aus ältern Quellen. Ebenfo früh finden ſich Drpbifche Myfterien und eine Menge Orphi⸗ 
ſcher Lieder. Diefe erklärte fchon Ariftoteles für untergefehoben und behauptete, ein ſolcher D., 
wie damals gepriefen wurde, habe niemals gelebt. Was wir bavon noch haben, läßt fi) unge» 
fähr auf die Zeiten der Perferkriege zurüdführen, wie ſich aus den aufgeftellten Lehrfägen und 
der darin enthaltenen Welt⸗ und Völkerkunde ergibt, ſodaß bie orphifchen „Argonautika” felbft 
eine der älteften und glaubwürdigften Zeugniffe Davon find, welcherlei Thaten und Worte man 
damals ihm andichtete. Anderes ift weit fpätern Urfprungs. Zu den unter feinem Namen noch 
vorhandenen Dichtungen rechnet man außer den erwähnten „Argonautika‘, einem epifchen Ge⸗ 
dichte, welches von Schneider (Jena 1803) und in deutſcher Überfegung von 3. H. Voß (Heibelb. 
1806) befonders herausgegeben wurbe, 88 Weihungslieder ober „Hymnen“, von denen Dietſch 
eine deutfche Überfegung lieferte (Ex. 1822), und die „Lithika”, ein didaktifches Gedicht über 
die Kräfte der Steine, welches wahrfcheinlich aus dem A. Jahrh. n. Chr. ſtammt und von Tyr⸗ 
whitt (Zond. 1781) einzeln bearbeitet worden ift. Die befte Ausgabe fämmtlicher Werke be 
forgte &. Hermann in den „Orphica” (%pz. 1805), die forgfältigfte Sammlung ber zerfireuten 
Überrefte der orphifchen Dichter Xobed im „Aglaophamus” (2 Bbde., Königsb. 1829). 
Drfeille oder Kolumbinfarbe ift ein rother, troden teigartiger Barbftoff, welcher aus eini« 
gen Flechten gewonnen wird. Man umterfcheidet zwei Arten derfelben. 1) Die Erborfeille 
(Parelle d’Auvergne) ftammt von der ſchmutzigen Schüffelflehte (Parmelia sordida), und 
zwar von den unausgebildeten unfrucdhtbaren Formen, nämlich der pulverartigen Form, welche 
Drfeilien-Bodenflechte (Variolaria orcina) genannt wird, und der korallenartig ausgewachſe⸗ 
nen Form, welche ald echte Korallenflechte (Isidium corallinum) bezeichnet wird; denn die aus⸗ 
gebildete fruchtbare Form, welche ein Pruftenartiges, ſchmutzig⸗weißes oder feegrün-tweißliches 
Lager bildet, gibt diefe Farbe nicht. Sie wächſt an Steinen, auf Felſen, befonders Granit, in 
Südeuropa in bergigen Gegenden und gegen Norden fehr reichlich in der Ebene ; befonders find 
die beiden erwähnten Formen in Schweden fehr häufig, von wo fie in Menge nach Holland aus⸗ 
geführt werden. 2) Die Krauterorfeille ift diejenige Flechte, welche im Syſteme den Namen 
wahre Lackmusflechte (Roccella linctoria) führt, Inorpelig-lederig und gabelig veräftelt ift und 
raſenartig am felfigen Meeresufer im ſüdlichen Europa, an den Sanarifchen Infeln und ame 
Gap wählt. In Alkalien löſt ſich der Farbftoff mit violetter Farbe auf und wird daraus durch 


460 Orfini Hrſted (Anders Sandöe) 


Säuren als karminrothes Pulver gefällt. Es erzeugt ſich dieſes Pigment erſt aus einer in jener 
Flechten enthaltenen gelblich · weißen, kryſtalliniſchen Subftanz von ſüßem Geſchmack (Drein) 
ober einen roͤthlich · weißen, auch kryſtalliſirbaren Körper (Erythrin) durch Einwirkung von 
Ammoniak und Sauerſtoff. Werden aber dieſe Flechten mit alkaliſchen Subftangen, mit Part- 
afche und Kreide oder gebranntem Gyps behandelt, fo erhält man aus ihnen das Lackmus (f-b.) 
oder Zournefol. Man benugt in Holland des wohlfeilern Preifes halber befonders die wein 
fteinartige Schüffelflechte (P. Tartarea) und die forallenartige Form ber ſchmutzigen Shüf- 
feiſtechte (P. sordida) zur Gewinnung des Ladınus, anftatt der theiterern Sndmusflechte. 

Drfini oder Nrfini, in Frankreich Urſins genannt, eins der berühmteften Fürſtenhäuſer 
Staliens, foll von Orſus D., Herrn von Petigliano, abftammen, der am Ende deö 12. Jahrh 
Senator von Nom war. Daffelbe behauptete ſich in feinem Anfehen, obſchon das mächtige Gr 
ſchlecht Colonna ihm feindlich entgegenftand. Durch die drei Söhne bed Matthäus NubeusD. 
theifte es ſich in drei Rinien, von denen die üngſte, Drfini-Gravina, gefliftet von Napoleon D,, 
noch gegenwärtig fortblüht. — Francesco D. wurde 1417 zum erften Grafen von Gravina, 
einer Stadt in der neapofitan. Landſchaft Bari, ernannt. — Sein Sohn, Jacopo D., erlangte 
4463 den Titel als Herzog von Gravina. — Andere berühmte Glieder diefes Geſchlechts waren 
Nieolo D., Graf von Petigliano, geb. 1442, geft. 1510, der ſich als venefian. Feldhetr gegen 
bie Ligue von Cambray durch Eroberung und Vertheibigung von Padua gegen Kaifer Marie 
milian 1509 großen Ruhm erwarb. Sein Vetter, Lorenzo D., Herr von Eeri, geft. 1556, er 
richtete in venetian. Dienften im Kriege gegen die Ligue zuerft eine Abtheilung ital. Fußvolte 
im damit den gefürchteten Haufen der Spanier und Schweizer Widerſiand Leiften zu können; 
fpäter trat er in die Dienfte Leo's X. und dann des Königs Franz I. von Ftankteich. — Der 
Herzog Pietro Francesco D. trat 1667 das Herzogthum Gravina an feinen Bruder Dome 
nieo D. ab und beftieg 1724 den päpftlichen Stuhl. Er regierte unter dem Namen Bene 
dict XIIL, (f.b.) bis 1750 und hatte abermals einen Drfini, Lorenzo D., unter dem Namen Ele 
mens XI. (f.d.) zum Nachfolger, der 1740 ftarb. — Letzterer erhob den Brudersfohn Bene 
die'8 XII, den Fürften Beroald D., zum Fürften des päpftlichen Stuhls, dem bereits auch 
Kaifer Karl VI. 1724 die deutfche Reichsfürftenwürde ertheilt Hatte. — Ihren Wohnfig hat bie 
Familie in Rom, meift aber in Neapel. Bon den Drfini leitet auch das deutſche Fürftenhaus 
Nofenberg in Kärnten, Steiermark und Niederöftreich feinen Urfprung Her und nennt ſich Dr- 
fint von Nofenberg. 

Orſova oder Srſchowa ift der Name zweier Orte an dem Eifernen Thor (f. d.) oder ber 
legten Strompforte ber Donau. Alt · Orſova oder Nufhava, ein Marktflecken in dem roman.- 
banater Negimentöbezirk ber öffr. Militärgrenge, auf einer Donauinfel, an der Mündung der 
Gferna, 20 M. füdörtlich von Temesvar gelegen, Hauptftation ber Donaudampfichiffahrt, Sitz 
eines Dreifigzollamts, hat eine Duarantäneanftalt und zählt 1000 E., welche von Korduan- 
gerberei und dem Donauverkehr Ieben. Der Ort ift für den Verkehr zwiſchen Deutfchland, Un- 
garn und den Donaufürftenthümern von großer Wichtigkeit. — Reu. Drfova eine Feftung im 
ferb. Diftricte Paſſarowicz, liegt Alt-Drfova gegenüber, zum Theil auf einer Infel der Donau. 
Sie wurde 1746 bon den Oftreichern genommen, denen fie die Türken im Frieden zu Paffaro- 
wicz 1718 abtreten mußten, und von diefen fehr verftärkt. Im 3. 1738 von den Türken wieder 
‚genommen, ift fie feitdem in deren Befig geblieben. 

Orſted (Anders Sandöe), dän. Geh. Eonferenzrath und Minifterpräfident, einer ber 
außgezeihnetften dãn. Juriften, geb. 21. Dec. 1778, genoß mit feinem Bruder, Hans Chri« 
ſtian Orfted (ſ. d.), gleiche Erziehung und Bildung und wurde auf der Univerfirät ein eifriger 
Anhänger des Kant’fchen Syſtems, das er mit jugendlicher Wärme, mit Umſicht und Scharfe 
finn verfocht; doch zeigen feine fpätern Schriften, daß er von der unbedingten Anhänglicgkeit 
an baffelbe zurückkam. Neben der Philoſophie trieb er mit Eifer das Studium der Medhee, 
wurde 1801 Affeffor des Hofe und Stadtgerichts in Kopenhagen, 1810 Affeffor des höchften 
Landes gerichts, trat 1813 als vierter Deputirter in bie dän. Kanzlei und wurde fpäter erfter 
Deputirter und Generalprocureur. Seit Errichtung des Inftituts der Provinzialftände 1831 
fungirte er als königl. Commiſſar bei den Ständeverfammlungen für die Infeln und für das 
nördliche Jütland. In diefer Function verblieb er auch, nachdem er 1841 zum Minifter berus 
fen worden. ALS folcher Hat D,, wie ſchon vorher feit feiner Ernennung zum Kanzleideputirten, 
auf mehre der wichtigſten Staatsangelegenheiten einen bedeutenden Einfluß gehabt. Bevor er 
im März 1848 fein Portefeuille niederlegte, ward er vom König im Januar mit Bang und dem 
Stafen Moltke zum Mitglied der Commiſſion für die Entwerfung des Verfaffungsgefeges ew 


Drfted (Dans Chriſtian) 41 


nannt. Am 21. April 1855 berief ihn der König zum Minifter des Innern, des Cultus und 
des öffentlichen Unterrichts und zum Premierminifter für das Fönigeih Dänemark. Als Ge 
neralprocureur beforgte er feit 1825 die Rebaction aller wichtigen Verordnungen. Erſt durch 
ibn gevann feit 1815 die „Collegial-Zibende” (Collegialzeitung) B eigentliche Bedeutung 
und Wichtigkeit. Zahlreiche vechtöwifienfchaftliche Abhandlungen O.'s finden fich in den von 
m feit 1802 herausgegebenen juriflifchen Zeitfchriften, befonders in feinem „Zuridift Ar⸗ 
in” (30 Bbe., 1804— 11), „Not juridiſt Archiv” (30 Bde, 1812—20) und, Juridiſt Tide- 
ferift” (16 Bde., 1820— 30); ferner in feiner „Eunemia, eller Samling af Afhandlinger, 
börende til Moralphilofophien, Statöphilofophien og ben danſt⸗norſke Lovkyndighed“ (A Bde. 
1815—22) und in den deutſch erfchienenen, aber auch däniſch Herausgegebenen „Abhandlun⸗ 
en aus bem Gebiete ber Moral» und Gefeggebungdphilofophie” (3 Bde. Kopenh. 1818 —26). 
n feinen Schriften aber find zu erwähnen: „Over Sammenhängen mellem Dyds⸗ og Stats⸗ 
lärens Prindip” (2 Bde, 1798), „Syftematift Udvikling af Begrebet om Tyverie“ (1809 
und „Handbuch ber bän. und norweg. Rechtswiſſenſchaft“ (3 Bde, 1821), welches neb 
feinen übrigen Werken in dieſem Fache die Grundlage bes Studiums ber vaterländifchen Rechts⸗ 
kunde in Dänemark und Norwegen bildet. Als —A charakteriſirt ihn vor allem 
das Beſtreben, eine jede Rechtswahrheit in allen ihren Verhaͤltniſſen und Folgen darzulegen, 
umd bie bamit ungertrennbar verbundene Behauptung, e6 laſſe ſich das Wahre nicht ausmitteln 
durch eine bloße Subſumtion bed gegebenen Falls unter ben allgemeinen Begriff, und kein ab- 
foluter Grundfag koͤnne durchfchlagen, wo die betreffende Erfcheinung eigentlich durch drei Fac⸗ 
toren: Bitte, Recht und Gefchichte, bedingt fei. So wurde für O. bie Rechtswiſſenſchaft immer 
mehr eine comparative; er prüfte unbefangen bie Befege und Rechtsanftalten anderer Länder, 
fowie die Mittel, die man dort gewählt, um diefelben Zwecke zu erreichen. Als Dbllofopden 
zeichnet ihn ein eminenter Scharffinn aus, den er nicht nur in allgemein philofophifcher Ber 
gründung und Entwidelung bes Rechtsbegriffs, fondern auch in mehren Streitichriften gegen 
den von Prof. Howig (1823 — 24) vertheibigten Determinismus an ben Tag legte. Als 
hänger der fogenannten Heelſtatsmänner (Männer des Geſammtſtaats) ſchrieb er „Bor den 
Stats Opretholdelfe i dens Heilheb”. Auch hat er die Herausgabe feiner Memoiren 
„UL mit Lind og min Tids Hiftorie” (Bd. A und 2, Kopenh. 1851 —52) begonnen. 
refteb (Hans Chriſtian), einer der außgezeichnetfien Naturforfcher ber neuern Zeit, Bruber 
bed Borigen, war 14. Aug. 1777 zu Rudkjsbing auf ber Infel Langeland geboren, wo fein Bater 
Apotheker war. Er zeigte früh große Lernbegierbe, die aber bei der bamaligen Unzulanglichkeit 
ber Bildimgsanftalten feiner Vaterſtadt faſt nur in der wohlmollenden Umgebung Befriedigung 
finden konnte. Nachdem er bei feinem Vater gelernt, befuchte er zu Kopenhagen feit 1794 Die 
rleſungen an ber Univerfität, erwarb fi 1799 nach Vertheibigung feiner Abhandlung 
„Über bie Architektonik ber Naturmeraphfil” (herausgegeben von Mendel, Berl. 1802) bie 
philoſophiſche Doctorwürde und wurde 1800 Adjunct der mediciniſchen Facultät. Zugleich 
übernahm er die altung einer Apotheke und hielt Borlefungen über Chemie und Natur⸗ 
metaphyſik. Mit Ohlenfchläger befreundet, gewann er im Umgange mit diefem ein lebhaftes 
Interefie für Poefie und ſchöne Wiffenfhaften, das ihn auch fpäter nie wieder verließ. Bon 
41801 —3 bereifte er mit königl. Unterflügung Holland, den größten Theil Deutfchlands und 
hielt fih ein Jahre in Paris auf. Nach feiner Rückkehr wurde er 1806 zum Profeſſor ber 
Phyſik ernannt. In den 3.1812 und 4813 machte er abermals eine größere Reife in Deutſch⸗ 
Iand. In Berlin fchrieb er feine „Anſichten der hemifchen Naturgefege” (Wert. 1812), die er 
mit Marcel de Serres in Paris unter dem Zitel „Recherches sur l'identit6 des forces &lec- 
triques et chimiques” franzöfifch herausgab. Später ließ er das „Tentamen nomenclalurae 
chemicae omnibus linguis Scandinavico-Germanicis communis” (4815) erſcheinen, worin 
er durchgehends auf die gemeinſchaftlichen Wurzelwörter zurüdging. Don d, ing bie Stif⸗ 
tung ber Geſellſchaft für die Verbreitung ber Naturlehre aus, welche in den verfchiebenen Städ- 
ten Dänemarks Vorlefungen halten Läßt. Im 3. 1829 wurde er Director ber Polytechnifchen 
Säule in Kopenhagen, die nammtlich auf feinen Betrieb errichtet wurbe. Seit 1859 bethei⸗ 
Tigte er fich Lebhaft an den Verſammlungen ſtandinaviſcher Naturforfcher. Im J. 1840 zum 
a und 1850 bei Gelegenheit feines Jubiläums zum Geh. Eonferenzrath ernannt, 
ftarb O. 9. März 1851. Bereits in den erften Jahren biefes Jahrhunderts hatte fi D. durch 
feine Theilnahme an ben Unterſuchungen über die Volta'ſche Säule, dann durch mehre Ent⸗ 
beckungen über die Klangfiguren, das Licht, das Mariotte'ſche Geſet u. f. w. unter den Phyſikern 
einen geachteten Ramen erworben. Am meiften jedoch zur Begründung feines Weltrufs trug die 


483 Det 7 Drthoepie 
Entdeckung der Grundthatfachen bes Elektromagnetismus (f. d.) bei, die er 1819 machte um 
in ben „Experimenta circa efficaciam conflictus electrici in acum magnelicam” (Kopeih 
4820) veröffentlichte. Über die meiften feiner übrigen phyfitalifchen und chemiſchen Arbeit 
berichtete er in Poggendorf’8 Annalen. Daneben war es von jeher D.’6 Beftreben, bie Früchte 
feines Nachdenkens in allen Kreifen zu verbreiten, mündlich durch gehaltvolle Vorträge, fhrife 
lich durch eine Reihe von gebiegenen und dennoch populären Werken, die innerhalb und aufer 
bald ihres Baterlandes den allgemeinften Beifall gefunden haben. Dahin gehören „Ratum 
lätens mechaniſte Deel” (Kopenh. 1844 ; „Tilläg“, 1847; beutfch, Braunfchw. 1851), „Le 
Capitler af det Skjönnes Naturläre” (Kopenh. 1845; beutfch von Zeife, Hanıb. 1845) umb 
vor allem „Yanden i Naturen” (Kopenh. 1850, deutfch von Kannegießer, 1. — 3. Aufl, 2pz 
1850; 4. Aufl., 1852). Un letzteres Werk, in welchem er nicht eine fubfective WBeltanfchauung 
darlegt, fondern eine auf die factifchen Erkenntniſſe ber realen Wiffenfchaften gegründete Er» 
örterung der wichtigen Fragen bes geiftigen Lebens verfucht, ſchließen fi an: „Die Raturiwif- 
ſenſchaft in ihrem Verhältniſſe zur Dichtkunſt und Religion” (deutſch von Kannegießer, Lyy- 
1850); „Die Naturwiffenfchaft und die Geiftesbildung” (beutfch von Kannegießer, &pz. 1850); 
„Neust Beiträge zu dent Geift in ber Natur” (deutfch von Kannegießer, 2 Bde, Lpz.. 1851). 
Aus feinem Nachlaſſe wurben noch „Schriften über allgemeine menfchliche Verhältnifſe“ (deutſch 
von Kannegießer, Lpz. 1851) und „Charaktere und Reben“ (Xpz. 1851) herausgegeben. In 
allen dieſen Schriften Ore, die unter dem Titel „Samlede ogefterladte Skrifter” in einer Pracht» 
ausgabe (9 Bde, Kopenh. 1850— 51) vereinigt wurben, herrfcht ein eigenthümlich feſſelnder, 
gemütblich belehrender Ton mit ſchön gewählter und zart benugter poetifcher Färbung; neben 
logiſcher Schärfe und gewanbter bialogifcher und polemifcher Beredtſamkeit bekunden fie reil- 
glöfe edle Wärme, eine anregende Friſche und friebfiebende Anfpruchslofigkeit, Eigenichaften, 
welche denfelben namentlich in Deutſchland den ungemöhnlichften Beifall gewonnen Haben. 

Dirt bezeichnet nach Sprache bes Mittelalters den vierten Theil und daher auch in ber Au 
mismatik den vierten Theil einer Münze. Stabil wurde diefer Ausdruck für die Viertelthaler 
oder bie Sechsgroſchenſtücke. Iſt von dem Reichöthaler die Rede, fo bezeichnet man den vierten 

Theil (halben Gulden) mit dem Namen Meichsort. Den halben Ort nannte man Drtgen. 
Der Ort hatte das Gepräge des Buldens. Viertelsorte famen in Lübeck und Bremen vor. 
Auch ging der Name Ort in feiner urfprünglichen Bedeutung auf viele Münzen über; fo der 
Drtögulden, die Ortskrone in Dänemark u. ſ. w. In mehren Ländern, z. B. in Holland, 
DOftfriesland u. |. w., dehnte man die Bezeichnung auf die Scheidemüngen aus, daher die Be- 
nennungen Ortje, Drtgen, Ort! u. f. w., welche insgefammt den vierten Theil einer andern 
Münze bezeichnen. — In der Geometrie verficht man unter einem geometriſchen Drt eine Linie 
oder Bläche, welche alle Diejenigen Punkte enthält, die einer gewiffen Bedingung Genüge lei⸗ 
fin. Die alten Geometer teilten die Orter der erften Gattung, welche ſämmtlich Linien find, 
wieder in ebene, körperliche und Linearifche und befchäftigten fich ſchon viel mit ihnen. N“ 
mentlich hat Apollonius ein Werk über die ebenen Örter gefchrieben, das zwar verloren gegen. 
gen, aber nad feinem von Pappus aufbewahrten Inhalte von Rob. Simfon u. X. wiederher- 
geftellt worden ift. — In der Aftronomie verfteht man unter dem heliocentrifchen Ort eines 
Sterne denjenigen fcheinbaren Ort, wo diefer Stern, vom Mittelpunkt der Sonne aus gefehen, 
erfcheinen würde. Dagegen bezieht fich der gencentrifche Ort auf den Mittelpuntt der Erbe, 
der jovicentriſche auf den des Jupiter u. f. w. 

‚Drthödorie (griech.) oder Rechtglaͤubigkeit heißt, im Gegenfage zur Heterodorie (f. d.), in 
Hinficht auf religiöfe Überzeugung das frenge Felthalten an dem Lehrbegriffe der Kirche. Weſ⸗ 
fen Glaubensüberzeugung ftreng dem Lehrbegriffe der Belennmißfchriften feiner Kirche ent 
fpricht, der Heißt ortbodor. Die ruff.-griech. Kirche legt fich namentlich das Prädicat orthoder 
im Gegenfag zu den andern hriftlichen Kirchen bei. 

Orthoepie (griech.) heißt in der Grammatik derjenige Theil, welcher die Lehre von der rich 
tigen Ausſprache der einzelnen Buchftaben, Silben und Wörter enthält und theils auf genaue 
Bekanntſchaft mit den Sprachwerfzeugen und der Tätigkeit derfelben bei Hervorbringung ein- 
zelner Laute und Töne, theild auf den Mechanismus des Sprechens ſich gründet. Bei ausge 
ftorbenen Sprachen hat die Ermittelung der richtigen Ausfprache große Schwierigkeiten und 
wird in vielen Fällen immer problematifch bleiben, wie in Bezug auf die altgriech. Sprache der 
Streit zwiſchen Erasmus und Reuchlin beftätigt. Schon die Alten, unter den Griechen na- 
mentlich der Sophift Protagoras, befchäftigten fi in befondern Schriften mit der Aufftellung 
beflimmter Regeln darüber; doch verdanken wir die fcharffinnigften und gründlichften Kor 


Drthographie 463 


ſchungen erft der neuern Zeit. Dahin geboren vorzüglich: Kempelen's „Mechaniemus der 
menſchlichen Sprache“ (Wien 1791); Ferd. Olivier's „Verſuch einer vollftändigen Analyfe der 
Zonfprache” indeffen „Orthoepographiichen Elementarwerke”; ferner Ludw. Olivier's Schrift: 
„Die Urftoffe der menfchlichen Sprache und die allgemeinen Gefege ihrer Verbindungen“ 
(Wien 1821) ; zum Theil auch die von Liscovius in ber „Theorie der menſchlichen Stimme“, 
von Ehladni in feiner „Akuſtik“ und von A. F. Bernhardi in feiner „Sprachlehre“ mitgetheil- 
ten Unterfuchungen. Für den Unterricht in der Schule bearbeiteten dieſen Gegenftand befonders 
Krug in der „Anweiſung, die hochdeutſche Sprache recht ausfprechen, leſen und fchreiben zu 
lehren’ (2p;. 1805) und Schulze in feiner „Rogographologie” (2. Aufl., Lpz. 1850). 
Orthographie (griech.) oder Rechtſchreibung heißt der Inbegriff der allgemeinen und be 
fondern Regeln, durch welche die richtige Schreibung der einzelnen Wörter in einer Sprache be 
ftimmt wird. Faſt alle neuern abendländ. Sprachen werben mit einer ihnen urfprünglich frem- 
den Schrift gefchrieben, die ſchon zu der Zeit, als diefelbe zuerſt auf die ſchriftliche Darftellung 
einer Sprache angemenbet wurde, nicht alle Raute derfelben genau iwiedergab, weshalb ſchon da- 
mals gewiffe Laute und Worte von Verfchiedenen verfchieden gefchrieben wurden. Hatte fich auch 
nunim Lauf der Zeit mit ber Entwidelung der Literatur unter dem Einfluß eines richtigen Sprach⸗ 
gefühls, befonders aber der Grammatik und bes Unterrichts ein gewiffer Gebrauch herausgebil⸗ 
det und die Orthographie, wie 3. B. bes Lateinifchen zur rom. Kaiferzeit, bes Althochdeutfchen 
durch Notker, des Mittelhochbeutfchen in der zweiten Haͤlfte des 12. und der erften bes 13. Jahrh, 
eine gewiffe Feſtigkeit gewonnen, fo blieben doch in der lebendigen Sprache noch große Verſchie⸗ 
denheiten nach Dit (Dialekten) und nach Zeit (Sprachniederfegungen) ; die Aussprache derWorte 
ändertefich im Kaufe der Jahrhunderte, wie 3. B. im Franzofifchen und Englifchen, während die 
Schreibung derfelben im Allgemeinen fich erhielt und nur wenige Abänderungen erfuhr. So ent. 
ſtand der große Widerfpruch zwifchen Ausſprache und Schreibung der Worte, befonders im Fran⸗ 
zöfifchen und in noch höherm Grade im Englifchen. Sn Deutfchland riß feit Ende des 13. Jahrh., 
nachdem bie feingebildete Hoflprache verfallen und die verfchiedenen Mundarten wieder das 
Übergewicht erlangt, wie in ber Sprache, fo auch in der Nechtfchreibung eine allgemeine Ver⸗ 
wirrung ein, die zulegt in eine vollkommene Zügellofigkeit ausartete. Erſt Luther, der Schöpfer 
der neudeutfchen Schriftfprache, ließ es fich in feinen Schriften mit Erfolg angelegen fein, auch 
bie Orthographie auf Einfachheit, Sparfamkeit und Gefegmäßigkeit zurüdzuführen; doch vere 
mochte er mit feinen Zeitgenoffen und Nachfolgern nicht eine durchdringende feſte Norm zu ge 
winnen. Daher gab fich jchon feit bem 16. Jahrh. das Bemühen fund, die beutfche Schreibweife 
zu regeln. Bei dem Mangel an biftorifher Sprachkenntniß konnte jedoch das Unternehmen nicht 
gelingen; im Begentheil wurden durch die verfchiedenen tonangebenden Grammatifer einestheild 
erfi mandye von Grund aus irrthümliche Schreibweifen (mie 3. B. der Gebraud) des h als 
Dehnungszeichen, namentlich hinter t) zu allgemeiner Anerkennung gebracht, anderntheile mut» 
den Derfchiedenheiten hervorgerufen und ſcheinbar begründet (3. B. deutfch und teutfch), über 
welche jegt nur ſchwer eine Einigung getroffen werben fann. Das fo entſtandene Unfihere und 
Schwankende in unferer deutſchen Nechtfchreibung, verbunden mit bem Beifpiel anderer Nationen, 
welche für die Orthographie ihrer Schriftfprache durch Akademien (wie Frankreich, Spanien, 
Stalien, Dänemark, Schweden, Rußland) oder durch officielle Annahme eines beflimmten Sy⸗ 
ftems (Niederlande) eine fefte Norm gewonnen haben, hat feit Ende des vorigen Jahrhunderts 
vielfach Veranlaſſung geboten zu Verfuchen, die neuhochbeutfche Rechtſchreibung troß der ty» 
ranniſchen Gewalt der Gewohnheit ebenfalls auf einen Normalzuftand zurüdzuführen. Ade⸗ 
lung („Bollftändige Anmweifung zur deutfchen Orthographie”, 2 Bbe., 2pz. 1788; 3. Aufl, 
1812) ftellte den bekannten Sag auf: „Schreibe wie du fprichft”‘, welchen Spätere auf „Schreibe 
wie du richtig fprichfl” modificirten. Das Vage und Unfichere deffelben einfehend, ſuchten Heyfe 
(f. d.) und Beder (f. d.) namentlich den Grundfag geltend zu machen, daß man chreiben muffe, 
wie es die Abftammung des Worts verlange, wo diefeaber nicht deutlich fei, ſolle man fich nach dem 
herrfchenden Sprachgebrauche feiner Zeit richten. Diefen Anfichten gegenüber hat ſich feit dem 
Auftreten 3. Srimm’s in neuefter Zeit, abgefehen von einer großen Anzahl Unberufener und 
zur Entfcheidung folder Fragen Unfähiger, eine andere Gruppe erhoben, welche, der hiſtoriſchen 
Schule der deutſchen Sprachforſchung angehörig, auf die altdeutſche Schreibung zurückgeht und 
dieſelbe in größerer oder geringerer Ausdehnung auf das Neuhochdeutſche anwenden will. Dies 
felbe dringt auf die Entfernung der großen Buchſtaben, Auswerfung aller Dehnungs zeichen 
(wie e und h)u. ſ. w. Mit mehr Mäfigung verfährt Weinhold in feiner Schrift „Uber deutſche 
Rechtſchreibung“ (Wien 1851), welcher eine Orthographie aufftelit, die zwar auf den alten 


464 Dripopäbie 


Grundfägen umferer Sprache ruht, aber zugleich die Fortentwickelung ber lehtern treu berkd» 
— Cine ünſichten, obgleich fie für uns, bie wir unter dem Einfluffe des 

und der Gewohnheit ſtehen, vieles Harte und Ungewöhnliche bieten, Haben namentlich in 

vielen Anklang gefunden und find hier z. B. durch Vernaleken bereits in mehre officiell ane» 
Tannıte Schulbücher eingeführt worden. 

Drtbopäbdie ift ein von Andry in feinem Werke „L’orthopsdie” (2 Bbe, Par. 1741) 
erfi für die Kumft, die Verkrümmungen am findlichen Körper zu verhindern und zu heilen, 46 
brauchter Ausdrud, ber fpäter zu allgemeinerer Bedeutung erhoben wurde und —e — 
wiſſenſchaftliche Kermtmig und Behandlung der Verunftaltungen, Berfrüppelungen umb 

krümmungen bes Rumpfes und ber Gliedmaßen bezeichnet, denen der menfchliche Körper jedes 
ters unterworfen iſt. Die Verkrümmungen (curvaturae) haben ihren Gig im 
Insbefondere im Knochenſyſteme umd Eönnen doppelter Axt fein: entweder fichen zwei ober mehr 
Knochen nit in dem richtigen Verhältniffe zueinander, oder ein einzelner Knochen hat eine 
von ber Regelmäßigkeit abweichende Form erhalten. Dft findet man jedoch auch beide Hirten 
vereinigt. Die erfte Claſſe würde alfo eigentlich die Abweichungen der Gelenke, mit Aueh 
ber rafcher entftehenden Verrenkungen (f. d.), in fich faffen, je theils durch unmittelbare 
lenkkrankheiten, theil& mittelbar durch abnorme Sufammenziehung einiger die Knochen verbin- 
dender Muskeln oder Bänder entftchen innen. Sie finden fi) am häufigften an der Wirbd 
fäule, befonders als Geitwärtsfrimmung (skoliosis), außerdem an den Hand · und Füfgelen 
Een, befonders oft als Klumpfuß (ſ. d.). In ber zweiten Glaffe der Berfrümmumgen find die 
jenigen Kormveränderungen ber Knochen felbft enthalten, bei denen nicht, wie bei Brüi 
Knochenftaß u. f. w, eine Trennung ihres organifchen Zufammenhangs flattfindet, 4. B. Die 
gungen, Krümmungen, Knickungen. Die Knochen find diefen um fo mehr ausgefegt, fe länge 
und dünner fie find, am meiften alfo die langen Röhrenknochen der Eptremitäten. Die 
oder geringere Bedeutung einer Verfrämmung für das Leben und Wohlbefinden ik von den 
Störungen abhängig, welche fie in den Functionen anderer Drgane verurfacht. Während ik 
Verkrũmmung eine Fußes nur beim Gehen Beſchwerde verurfacht, iſt bie der Wirbelfäuk, 
der Bruftfnochen, des Beckens u. ſ. w. von viel fchlimmerer Wirkung auf bie Verrichtungen ber 
nahe liegenden Drgane, der Lungen, bes Herzens, des Darmlanals u. ſ. w. Die Verkrimmm 
gen find entweder angeborene ober erworbene. Die Urfachen ber letztern find fehr verſchleden 
Befonders oft find örtliche Krankheitsproceſſe der betreffenden Knochen oder Gelenke Schuß, 
z. B. Entzündung, Vereiterung, Berwachfungen berfelben. Bon allgemeinern Urfachen find am 
häufigften, befonders bei Wirbelfäulenträmmungen, allgemeine Mudkelſchwäche, falfche Körper 
haltung (wodurch gewiſſe Muskeln ſchwach und unansgebilbet bleiben, zumal durch fchledhtet 
Eigen in den Schulftuben); ferner Knochenerweichung (f. Engliſche Krankpeit) und Mohr 
tuberkulofe. Da im Kindesalter theils die Knochen felbft noch nicht die Feſtigkeit wie bei Er 
wachfenen erlangt haben, theils die angeführten allgemeinen Krankheiten fid am leichteften aus 
bilden, theils auch die örtlichen Urſachen Hier am wenigſten vermieden werben, und eine geringe 
Abweichung von der Norm bier leicht bei dem rafchen Wachs thum das Ebenmaß der Gefammt- 
entwidelung nachhaltig ftört, fo ift dieſe Lebenszeit der Entftehung von Verkrümmımgen am 
günftigften. Bei den orthopaͤdiſchen Behandlungen ift gewöhnlich das nächfte Biel, eine allge 
meine Verbefferung der Gefundheit zu bewirken, weil ohne diefe eine hauernde Bi des 
örtlichen Übel6 nicht hervorgebracht werden kann; dies gefehieht durch eine zwecmaßige Diät, 
paffende Nahrung, Aufenthalt in gefunden Gegenden, Bervegung in freier Luft und eineim 
Berhältnig zu dem Körperfräften ftehende Befchäftigung. Verſchiedene diefer Bedingungm 
werden durch bie Gymnaſtit (f.d.) erfüllt, welche durch vernünftig geregelte Bewegung in freier 
Site den Blutumlauf und die Blutbereitung befördert, das Muskel. und Knochenſhfiem durch 

bung und Anftrengung ftärkt und die fommetrifche Ausbildung aller dem Körper feine Ge 

ftaft gebenden Organe befördert. Befondere groß ift ber Nugen ber Gymnaftif, namentlich der \ 
aetiven (de6 Turnene) und hier insbefondere der von Spieß fo volltommen ausgebildeten Frei 
übungen ald Vorbauungsmittel gegen orthopäbifche Gebredhen. Bei wirffich ausgebildeten Ber 
krũmmungen tritt eine mobificirte Gymnaftik ein, welche neuerbings befonder8 Durch die ſchwe · 
diſche Gymnaſtit (f. Ling) an wirkſamen Übungsweifen (vornehmlich ben paffiven und dupiicir · 
ten Bewegungen) ſehr bereichert und deshalb fhon von mehren deutſchen Orthopäden dennſt 
worden iſt. Die übrigen örtlichen orthopädifchen Heilmittel find dynamifcher, mechaniſcher oder 
operativer Natur. Zu den bynamifchen gehören ſolche Mittel, weiche durch Erſchlaffung ober 
Reizung, durch vorgugsweiſe Begünftigung einer örtlichen Ernährung u. f. w. den Rormalzu 


Drthopteren Ortlesalpen 665 


ſtand der verkrümmten Glieder wiederherzuſtellen geeignet find, alſo die verſchiedenarügſten 
Bäder, Einreibungen, Pflaſter und andere Medicamente. Mechaniſch wirken Manipulationen, 
Bandagen, Binden und Mafchinen der mannichfaltigften Art, welche ein allmäliges Zurück 
führen der Abweichungen zur Regelmäßigkeit durch Zug, Drud oder Stügung bezwecken. Un« 
ter ben operativen Mitteln ift das hauptfächlichfte Die Schnendurchfchneidung (ſ. d.). Der ger 
fammte Apparat von Heilmitteln und die bazu nöthigen Gehülfen, Rocalitäten, Bade- und an⸗ 
ben Vorrichtungen find fo vielfältig, auch die Eur fo langwierig und einer fo fletigen Aufficht 
des Arztes bebürftig, daß eine glüdliche Heilung folder Gebrechen (die übrigens nur bei geitiger 
Anmeldung möglich ift) faſt nur in größern Orthopaͤdiſchen Inftituten ausführbar ift, wie wir 
deren in und außer Deutfchland jegt viele befigen (3. B. von Bouvier in Paris, Deine in Cann⸗ 
flatt, Behrend, Eulenburg und Bühring in Berlin, Lorinfer und Melicher in Wien, Schreber 
in Leipzig u. ſ. w.). Neben ihnen machten ſich neuerdings die (ſchwediſch) Heilgymnaſtiſchen 
Inftitute (befonders von Neumann in Berlin) um Heilung orthopädifcher Gebrechen verbient. 
Die Geſchichte der wiffenfchaftlichen Orthopädie beginnt erſt in der Mitte bes 18. Jahrh. mit 
dem obengenannten Schriftfteller, da vorher bie ihr angehörigen Übel faft nur von Pfufchern 
behandelt worden waren. Nachher waren ed Sheldrafe, Jörg, Delpeh, Dupuytren, Mais 
fonabe, Dieffenbach, Guerin, Duval, Stromeyer u. A, welche weſentlichen Einfluß auf den 
Entwidelungsgang ber jungen eifenfhaft ausübten und duch ihye Bemühungen gegrünbete 
Boffnungen auf Befreiung vieler Menfchen von ben traurigften Übeln gegeben haben. Vgl. 
Siebenhaar, „Die orthopädifchen Gebrechen des menfchlichen Körpers” (Dresd. 1833); Del 
pe, „Orthomorphie” (deutfch, Weim. 1830); Schreber, „Die Verhütung ber Rüdgrate- 
verfrümmungen” (2pz. 1846); Werner, „Grundzüge einer wifienfchaftlichen Orthopädie” 
(2 Thle. Berl. 1852 —53). 

Orthopteren oder Geradflügler, auch Helmkerfe genannt, bilden eine Ordnung ber In⸗ 
fetten und enthalten alle diejenigen Kerfe, welche eine unvolllommene Verwandelung zu befteben 
und vier negaberige und paarweife verfchiebene Flügel haben, indem das vordere Paar fchmäler 
unb pergamentartig und das hintere Paar breiter, häutig und längsgefaltet ift. Nur einige we⸗ 
nige find ungeflügelt, wie mehre Gefpenftheufchreden. Die Orthopteren find Landinfekten, 
welche fich meiftens von Pflanzen nähren, beshalb am liebften auf Wiefen und offenen Gefilden 
leben und fich fehr gefräfig erweifen, ſodaß fie, wenn fie fich periodifch fehr ftark vermehrt haben, 
außerordentliche Verwüſtungen anrichten und zur Landplage werden fonnen, wie die Zugheu- 
ſchrecke (Acridium migratorium). Sie befigen flarfe beißende Freßwerkzeuge, und mehre Gat- 
tumgen leben vom Infektenraube, wie die Fangheuſchrecken. Die meiften gehören zu den größern 
Inſekten, und es gibt fogar Gefpenftheufchreden von mehr ald Spannenlänge. Manche unter 
ihnen haben fehr abenteuerliche Geftalten, beſonders unter den Fang⸗ und Gefpenftheufchreden. 
Unter allen Inſekten erregen fie das meifte Geräufch, einen [genannten Geſang, der durch Strei⸗ 
chen und Reiben der Flügeldecken und Beine hervorgebracht wird. Einige find durch ſchöne Fär- 
bung, befonders der Hinterflügel, ausgezeichnet, wie die über ganz Europa verbreitete rothflü⸗ 
gelige Schnarrheufchrede (A. stridulum). Man theilt die Orthopteren in zwei Unterordnungen: 
in Springer, beren Hinterbeine verlängert, mit fehr verdickten Schenteln verfehen und zum 
Springen eingerichtet find, und in Läufer, welche wol ſchnell laufen, aber nicht ſpringen konnen. 

Drtlesalpen oder Ortleralpen heißt der’ weftlihe Theil der füdlichen Gebirgsgruppe 
Zirols, welcher im N. durch das obere Längenthal der Etſch oder das Vintſchgau von ber 
Ozthaler · oder Centralkette der Tiroler Alpen, im D. durch das saittlere Querthal der Etſch 
von den Zrientiner Alpen gefchieden wird, im S. zu dem Garda⸗ und Sfeofee fich verzweigt, 
im IB. durch das Thal des Oglio von ben Veltliner Alpen und durch das Thal der obern Adda 
von der Berninakette der Rhätifchen Alpen getrennt ift, mit welcher er indeß an feinem ‚Nord 
weftende, in dem Wormfer Joche in Verbindung ſteht. Es enthält diefe Gruppe die höchften 
Berge Tirols und zwar von Süden gegen Norden: den Tonal, 10290, bie Drei Herren (Corno 
dei tre Signori), den Monte Gavio, 11000 8. hoch, nahe der Oglioquelle, und nördlich von biefem 
den ODrtles ober die Ortlesſpitze, die fi) in einer öden, das Ende ber Welt genannten Gegend 
in Geſtalt einer dreifpigigen, mit ewigem Schnee bebediten Pyramide erhebt und wegen ber 
großen Schwierigkeiten felten beftiegen wird, was dann von dem Dorfe Trofoi aus geſchieht 
und drei Tage erfodert. Zum erften mal warb fie 1804 von dem paffeier Gemfenjäger Job. 
Pichler erftiegen. Der Ortles galt einft nad) bem Montblanc für den höchſten Berg Europas 
und wurde auf 1400014500 $. angegeben. Später wurbe er wenigſtens für den höchften 

Gonv.ster. Behnte Aufl. XL 30 


466 Drtolan Ds 


Berg Deutſchlands und des öffr. Kaiſerſtaats gehalten, da die trigonometrifche den 

Generals von Ballon eine Höhe von 120208, eine fpätere barometrifche von 12062 F. ergebm 

Be Als höchfter Berg Deutſchlands und Öftreicht gilt aber jegt nad} neuefter Meſſung der 
Fglodner. (S. Glodner.) 

Drtöfan ift der Name einer zur Gattung Ammer (f. d.) gehörenden Vogelart, melde im 
Softerne den Namen Gartenammer oder Fettammet (Emberiza hortulana) führt und Cüh 
europa, Nordafrita und das nıittlere und fübliche Aften zahlreich bervohnt. Aud) im ehrigen Gr 

enden Deutfchlands, wie in ber Laufig und in Schlefien, kommt diefer Vogel in etwas gröfiere 

hi Hor; doc) ift er fonft bei und felten. Das Männchen iſt unterfeits roſtroth, an Kopf umb 
Hals Hellgrau, an ber Kehle gelblich und am Bürzel braungran. Der Drtolan gift feit den älte- | 
fien Zeiten als feiner Lederbiffen und twird auf befonbern Wogelherben gefangen. In Güde | 

topa wird er in eigenthümlichen Behältern gemäftet, wo er ımgemein fett wird, und aus Süb 
franfreich und Griechenland faft nad) Art der Seefifche mariniet verfchit. Vorzüglich treibt | 


diefen Handel. 

Dedieto, eine Stabt von 7000 E. im Kirchenſtaate, unweit Bolfena, feittwärts der Strafe 
don Kloten nach Rom, auf einem ſteilen Tufffteinfelfen, an der Paglia, der Hauptort einer Der 
Tegation von 14%, AM, mit 26000 €. und Sig eines Bifchofs, ift befonderd berühmt I 
ihres Weind und ihrer Kathedrale, einer der ſchoͤnſten Kirchen Italiens aus dem Anfange 
44. Jahrh. Die Kirche ift reich an Mofaiten und mit einer originellen Fagade gegiert, 

fiche Bildhauerarbeiten von Nicofa Pifano und im Innern mehre Gemälde großer 

ſonbers merfwürbig ift bie von Luca Signorelli gemalte Kapelle. Auch der bifchöfliche Pa 
Laft md der Palaft Monti bewahren fhöne Gemälde und der Palaft Gualtieri ausgezeichnet 
Fresten. Der Wein von D. ift der, Lieblingswein der heutigen Römer. 

Dryktog nofie ift gleichbedeutend mit Mineralogie (f.d.) im engften Sinne, wonach diefelbe 
bie Glaffificirung und Befchreibung der einfachen Mineralien enthält. — Dryktologie ode 
Vetrogtaphie hat man denjenigen Theil ber Geogriofie genannt, welcher Die mineralogifche Br 
ſchreibung der Fels · oder Gebirgsarten enthält. = 

D8 (van), Name mehrer hol. Maler von Bedeutung. Ian van D., der 1744 zu Middd 
harnis geboren wurde und 1808 ftatb, iſt beſonders als Brucht- und Blumenmaler berühmt 
Seine beften Studien machte er im Cabinete von H. Verſchuring, deffen Freund er wurde. ein 
Bilder ftiegen bald im Nuf und im Preife und gelangten in die bedeutendften Galerien. Mar 
erkennt in ihnen den glüctichen Nachahmer Huyfum's. „Der Dichter Sper befingt nicht bit 
die Blumenftüce diefes Künftlers, fondern auch feine Marinen ımd Strandanfichten. D. | 
iſt felbft auch mit einem Bändchen „Gebichte" (Haag 1787) aufgetreten. — Ds (Pie 
Gerardus van), des Vorigen Sohn, wurde 1776 zu Haag geboren und anfänglich vom 
Vater unterrichtet. Dann aber wählte er ſich, da er ſich zur Thiermalerei neigte, Paul Potter 
und Karel Dujardin zum Vorbilde und zwar mit ſolchem Glüde, daß feine Copien neben dm 
Werken der Meifter in der Galerie aufgeftellt wurden. Seine Lieblingsgegenftände wart 
Randfchaften mit Vieh aller Art, bie er mit fo großer Gorrectheit in der Zeihnung und mit fo 
gefunder Farbengebung ausführte, daß er bald europ. Nuf erlangte. Die I. 1815 und 1814, 
die er ald Hauptmann ber Freimilligen verlebte, brachten ihn auf die Darftellung von Kriegk 
feenen, dergleichen im Fönigl, Mufeum von Amfterdam von feiner Hand aufbewahrt werben. 
Nach dem Frieden kehrte der Künftler in fein Atelier zurück und führte eine Menge von Bildern 
aus, die fehr hoch bezahlt wurden. Er ftarb im Haag 1859, nachdem er zuvor eine Zeit lang in 
Graveland und Hilverfum gelebt hatte. Man hat auch von feiner Hand radirte Blätter, Vic 
füde, die in Hohen Werthe ftehen. — Os (Georg Jakob Johannes van), des Worigen jüngerer 
Bruder, 1782 im Haag geboren, erhielt ebenfalls den erften Unterricht vom Water und biie 
auch bei dem befondern Fache deffelben, der Blumenmalerei. Ex zeichnete die meiften Pflanzen 
zu ber „Flora Batava” von 3. Kops, gewann 1809 einen Preis in Anıfterdam, ließ fich dort im 
folgenden Jahre nieder und begann nun erft in Ol zu malen. In überrafchend kurzer Zeit 
brachte er es darin zu glänzenden Erfolgen, den großen Meifter Huyſum ebenfalls zum Mufter 
nehmend. Im 3.1812 ging er nach Paris, gewann dort den Preis in ber Malerei umd malte 
auch Vieles für die Porzellanfabrit in Stores. Nur auf kurze Zeit Lehrte er 1816 nach Am 
flerdam zurüd, die dortigen Ausftellungen mit prachtvollen Blumenſtücken ſchmückend. Schon 
1817 trat er zur erwähnten Manufactur zu Stores in ein neues Verhältnif. Er malte dert 
Prachtgefäße, ohne indef dabei die Ofmalerei zu vernachläffigen. Die Bewunderung der Fran 
‚3ofen gab ihm den Beinamen eines Rubens in der Blumenmalerei. Auf einer Yuction in Am 


Dfagen Dfann ($riebr. Gotthilf) 461 


ſterdam 1850 wurbe ein Blumenflüd von ihm mit 4500 Bldn. bezahlt. Er hat 
Erfolg in der Landſchaft verfucht. hat ſich auch m 

Dfägen oder Wawſoſch, engl. Osages, ein indian. Volksſtamm in den Vereinigten Staa 
ten von Nordamerika, zur Sprachfamilte ber Siour gehörig, wohnen jegt in dem Indian-Ter- 
ritory (f. d.) und in Nebraska (f. b.), ſũdlich vom Plattefluß und nördlich von ben Cherokeſen, 
aachdem ihr früherhin weit größeres Gebiet, ber Oſagediſtriet genannt, nun zum großen Theil 
andern Bölkern angewieſen worden ift. Alle Bemühungen der Regierung, fievon ihrem unftäten 
Leben zu entwöhnen, wollten bisher noch wenig fruchten. Man hat fie mit Ackerbaugeraͤthen, 
Bich, Mühlen, Schmieden u. ſ. w. verfehen, hat ihnen Handwerker, Biehzüchter und Ackerbauer 
als Lehrmeifter ins Land geſchickt; allein fie zogen und ziehen noch das Herumſchweiſen in ben 
Pralrien, obgleich die Jagd von Jahr zu Jahr fpärlichere Ausbeute gibt, allen Befchäftigungen 
eines geregelten Lebens vor. Früher hatten fie Gebiete in ben Staaten Arkanfas und Miffouri 
inne. In legterm fließt, aus bem Indianerterriterium kommend, gegen Often und Norboften der 
Dfagefuß, ein wenig bedeutendes Waſſer, unterhalb Sefferfon in den Miffouri. Unter dem 
Miffonri- oder Dſagekohlenfeld verſteht man ein Steintohlengebiet, welches erft als ein bloßer 
Streifen von ber Mündung des Miſſouri weftlich längs bes ſüdlichen Ufers diefes Fluſſes hin⸗ 
sieht, dann aber, nachdem ber Streifen bie Mündung des Dfage überfchritten, zu einem großen 
Roblenbaffin fich erweitert, das fich ſüdweſtlich Hinter der Oyarkformation herumzieht, ben drit⸗ 
ten Theil des Miffouri einnimmt und ſich wahrfcheinlich ſehr weit nach Weſten erſtreckt. 

Dfaun (Emil), mebicinifcher, namentlich balneologiſcher Schriftfteller, geb. 25. Mai 1787 
zu Weimar, befuchte das dafige Symnafium und wibmete fich nach dem Vorbilde feines großen 
Dheims, Hufeland, bem Stubium der Heilkunde, welche erin Sena begann und in Göttingen 
fortfegte. Nachdem er in Jena 1809 die Doctorwürbe erlangt, ging er ale praktifcher Arzt 
nach Berlin und wurbe bier 4810 Affiftengarzt an dem polikfinifchen Inftitute, 1814 auferor- 
bentlicher Profeffor an der Militärakademie, 1815 Privatbocent und 1818 auferordentlicher 
Profeſſor der Mebicin an ber Univerfität, 1824 ordentlicher Profeſſor an der Militärakademie 
und 1826 an ber Univerfität, 1838 aber Geh. Mebicinalrath. Durch feine Verheirathung mit 
Hufeland’s Tochter war er mit biefem in eine noch engere Verbindung getreten. Er ftarb 11. 
San. 1842. Außer ben Jahresberichten über bie Leiftungen des poliktinifchen Inftituts lieferte 
ex befonders werthvolle Schriften über Mineralquellen, wie: „Die Mineralquellen zu Kaifer 
Srangensbab” (2. Aufl, Berl. 1828) und bie berühmte „Phyſikaliſch⸗mediciniſche Darſtel⸗ 
Iung der befannten Heilquellen der vorzüglichften Länder Europas” (Bd. 1 ımb 2,2. Aufl, 
Berl. 1839— 41; Bd. 3, von Zarbel bearbeitet, 1842 — 43). Außerdem machte er fich um ver» 
ſchiedene Zeitfchriften, wie 3.8. Hufeland’s „Bibliothek“ und „Journal der praftifchen Heil 
Funde”, theils als Redacteur, theils als Mitarbeiter verbient. 

Oſaun (Friedr. Gotthilf), deutſcher Philolog, geb. 22. Aug. 1794 zu Weimar, ſtudirte, 
auf dem Gymnaſium feiner Vaterſtadt vorgebilbet, ſeit 1815 zu Jena unter Eichftädt, ſeit 1814 
zu Berlin unter Wolf und Boch, ging dann 1817 der Kunſtſammlungen wegen nach Dreöden 
und unternahm von bier aus eine zweijährige wiffenfchaftliche Reife durch Deutfchland, Ita⸗ 
lien, Frankreich und England. Nach feiner Rückkehr hielt er einige Zeit Borlefungen in Ber⸗ 
lin, ging dann 1821 als außerordentlicher Profeſſor nach Jena und folgte 1825 dem Rufe 
als ordentlicher Profeffor der alten Literatur nach Gießen, wo er fortan mit Erfolg durch feine 
Vorleſungen wie durch die Leitung des philologifhen Seminars auf dem Gebiete ber Alter 
thumswiſſenſchaft wirkte. Auch In feinen Schriften hat er die Kenntnif der alten Sprachen 
und mehre Fächer ber alten Riteratur gefördert und namentlich das Tprachliche Element mit dem 
fachlichen zu verbinden gefucht. Eine befondere Vorliebe für die Erklärung alter Infchriften 
zeigte er in der „Sylioge inscriplionum aoliquarum Graecarum et Latinarum“ (10 
Darmſt. 1822—34) und in dem „Midas“ (Darmfl. 1850), einem Verſuche, die ältefte griech. 
Inſchrift zu erläutern. Unter feinen Bearbeitungen alter Schriftfteller find zu ermahnen: ber 
griech. Grammatiker Philemon (Berl. 1824), des Lykurgus „Oratio in Leocratem” (Jena 
1821), der dem Tacitus zugefchriebene „Dialogus de oratoribus” (Gieß. 1829), die Fragmente 
bes Appulejus „Deorthographia” (Darmſt. 1826), bed Cornutus „De natura deorum” (Gott. 
1844) umb bes Gicero Schrift „De republica” (Bött. 1847). Huch gab er eine kritiſche Aus⸗ 
jabe eines Stücks aus den Pandekten („Pomponius de origine iuris“, Gieß. 1848) und eine 
isher ungedrudte Schrift „De notis velerum eriticis“ (Gieß. 1851) heraus. Zur Lexikogra 
pie gehört fein „Auctarium lexioorum Graecorum” (Darmft. 1824). Dir Kririt und Ge⸗ 


468 Dſchatz Oſer 


ſchichte der Literatur des Alterthums betreffen feine „Analecta erities po&sisRomanae scenieaa 
reliquias illustrantia” (Berl. 1816) und beſonders feine „Beiträge zur Geſchichte ber griech. und 
zöm. Biteratur” (2 Bde, Darmft. 185539), welche gereifte und gründliche Unterfuchungen 
über die griech. Elegie u. f. w. enthalten. Wichtig find auch die erläuternden Abhandlungen 
im zweiten Theile der deuiſchen Ausgabe von Stuart’& und Mevett'$ „Alterthümer von Athen" 
(Darmft. 1831) und die reichhaltigen afademifchen Schriften, von denen wir „De caelibun 
eonditione apud veteres” (Gief. 1827), „De tabula patronatus Latina“ (Gief. 1859), „De 
peste Libyca” (Gief. 1855), „Pelagonius“ (Gief. 1843), „De columna Maenia” (Gieß 1849) 
und „De Flavio Capro et Agroecio grammaticis” (Gieß. 1849) hervorheben. Eine grünbfide 
grammatifche Unterfuchung enthält die „Commentatio grammatica de pronominis tertiae per- 
sonae is, ea, id formis“ (Gött. 1845). Nicht unbedeutend für Kunde der mittelalterlichen Lite 
ratur iſt feine Ausgabe von des Vitalis Bleſenſis „Amphitryon et Aulularia” (Darmft. 1836), 

Dſchatz, eine alte Stadt des Königreichs Sachſen von 5500 E,, Stationsort ber Reipgig- 
Dresdener Eiſenbahn, die in der Nähe auf einem 754 Ellen langen, auf 26 Pfeilern den 
Viaduet über das Döllnigthal führt, ift befonders feiner Tuchfabrikate wegen befannt. 3 
4842 brannte die Stadt nebft der fehr anſehnlichen Kirche zum großen Theile ab; doch iſt fie 
fegt viel fehöner wiederhergeftellt. Die MWiederaufführung der Kirche im goth. Stile begann un« 
ter Heideloff s aus Nürnberg Leitung erſt 1846. 

Dscillation, f. Schwingung. 

Dfel, eine A7AM. große, zum tuff. Gonvernement Livland gehörige, fehr fruchtbare Juſel 
vor dem Eingange de Nigaer Meerbufens, der Infel Dagö gegenüber, hat 40000 E., bie, mit 
Ausnahme des Adels, der Geiftlichkeit und ber Bürger, welche Deutfche find, zu der efihni- 
fen Nation gehören. Die Infel, eine von wenigen Hügeln unrerbrochene Oberfläche, hat hobe 
Ufer, vine Menge Bäche unb Zeiche und nicht unbedeutende Waldftreden. Getreide gedeiht 
vortrefflich. Die Einwohner nähren ſich Hauptfächlic von Ackerbau und Viehzucht, ferner von 

andei, Fiſchfang und Jagd. Namentlich werden im Krühlinge hier viele Schwäne gefchoffen. 

ie einzige Stadt der Infel ift Arensburg, an der Südküfte, mit einem Heinen Hafen mb 
2600 €. Im I. 1839 wurde daſelbſt eine adelige Penfionsanftalt mit den Nechten eine 
Gymnaſiums errichtet. Auch hat fie eine Gefellfchaft für efthländifche Literatur. Nahe dr 
Stadt liegt das vormalige bifhöfliche Schloß, eine herrlich erhaltene Ruine aus der Zeit dr 
Tivfändifchen Schwertritter. Die Infel ward zuerft durch den dän. König Woldemar in de 
Geſchichte bekannt, welcher fie, nad) einem frühern Verfuche, 1221 eroberte. Der legte Bir 
hof, Johann von Münchhauſen, verfaufte fie an Dänemark 1559; feitdem blieb fie dän. Pro 
vinz bis 1645, wo fie an Schweben abgetreten ward. Im J. 1721 kam fie mit Livland an 
Nufland. Sie bildet mit der Infel Moon (3% AM.) und einigen viel kleinern Eilanden, wit 
Rund u. a., den livländifchen Kreis Arensburg; während die Infeln Dagö (20%, AM.), Worms 
( OM) und Rudd (1% AM.) zu Eſthiand gehören. 

Dfer (Adam Friedr.), Brescomaler, geb. 1717 zu Presburg in Ungarn von evangeliſhen 
Altern füchf. Nation, widmete ſich in Wien den bilbenden Künften und hatte im Bofftren Ro 
fael Donner zum Lehver. Später entſchied er fi für Die Malerei und ging 1759 X Dies 
ben, 100 ſich damals Dietrich und Mengs ausgebildet Hatten. Hier wurbe er auch mit 
mann befannt und vertraut, und es gebührt ihm ber Ruhm, deffen erfte Schritte im Studium 
der alten Kunft geleitet zu haben. Zür D, felbft, der fich hauptfächlich auf Brescomalerei legt, 
war die Bekanntſchaft mit Ludw. Sylveſtre fehr förderlich. Während des Siebenjährigen 
Kriege hielt er ſich meiſt zu Dahlen bei dem Grafen von Bünau auf. Gegen das Ende dieſen 
Kriege ging er nad) Reipzig und wurde hier Director der neuen Zeichen-, Malerei- und Ardi 
tekturafabemie, nachdem er fchon vorher den Titel als Profeffor der dresdener KunftaBademis 
und turfähf. Hofmaler erhalten Hatte. Große Verbienfte erwarb er fich in Leipzig durch bie 
Bildung vieler Zöglinge, zu welchen auch Goethe einige Zeit gehörte, der mit höchſter Achtung 
von D. fpricht. Auch finden ſich daſelbſi mehre feiner beften Arbeilen; fo z. B. die Srescoge 
malde in ber Nicolaitirche. Sein Hauptverbienft iſt indeſſen negativer Art, nämlich : der ber 
flänbige Kampf gegen die Manier und die Unwahrheit der bamaligen Kunſt. Höhere Energie 
bat D. nicht entwidelt; bafür find verftänbige Erfindung und Gedankenreichthum ausdrudt- 
volle Wahrheit und Haltung, Natürlichkeit in der Compoſition, ftizgenhafte Leichtigkeit und 
Richtigkei in den Formen die harakteriftifchen Eigenfchaften feiner Gemälde, unter denen bie 
allegorifchen den Vorzug verdienen. Bon feiner Geſchicklichteit in der Bildhauerkunſt gibt feine 
marmorne Etatue des Königs Friedrich Auguft auf dem Königeplage in Leipzig, das Denkmal 


Oſerow Ofinſti 468 


der Königin Mathilde von Dänemark zu Celle und das von Gellert auf dem Schnedienberge 
Im Leipzig keinen befondern Begriff. Das Alter hatte feinen Geiſt umd feine Tätigkeit nicht 
geſchwächt, und noch wenige Tage vor feinem Tode, ber 18. März 1799 erfolgte, hatte ex ei⸗ 
nen Chriſtuskopf vollendet. Viele feiner Werke find geftochen. 

Dferow (Wladiſlaw Alexandrowitſch), ruff. Trauerfpieldichter und Generalmajor, warb 
im Gouvernement Twer 29. Sept. 1770 geboren. In feinem 7. 3. kam er in das Randcadet- 
tencorps, mo er zwölf 3. blieb und große Fähigkeiten bewies. Nach feinem Austritt ging er als 
Lieutenant in die Armee über. Er blieb mehre Jahre im Kriegsdienft, trat dann in Eivildienfte 
unb wurbe Mitglied im Forfldepartement. Im 3.1808 verließ er das Amt und flarb 1816. 
Folgende in Derfen gefchriebene Trauerfpiele gehören zu feinen beften Exrzeugniffen: „Olga's 
Tod”; „Odip in Achen”; „Bingal”; „Dmitri Donskoi“; „Polixena“. Außerdem fchrieb er 
mehre Igrifche Gedichte und überfegte einige „Sendſchreiben der Heloife an Abälard” von Co» 
lardeau. Eine vollftändige Sammlung feiner Werke nebft Biographie gab Fürft Wäſemfti 
(2Bde., Petersb. 1818) heraus. In ber Literatur wird er als ber Neformator des ruff. Trauer» 
ſpiels bezeichnet. Ungeachtet mancher profaifchen und rauhen Berfe find feine Poeſien im Gan- 
zen wohllautend und vollkommen. 

Dfiander (Andr.), eigentlich Hofemann, einer der gelehrteften Männer feiner Zeit und ber 
eifrigften Anhänger Luther's, geb. 1498 zu Gunzenhaufen bei Nürnberg, bildete fich zu In⸗ 
golftadt und Wittenberg. WIE erfter evang. Prediger zu Nürnberg war er hier befonders thä⸗ 
tig für die Einführung der Reformation (1522), und feinen Eifer für das Lutherthum zeigte 
er durch die Theilnahme an bem Kampfe gegen die Abendmahlslehre Zwingli’s. Er nahm aud) 
Theil an dem Geſpräche zu Marburg (1529) und war auf dem Reichsſtage zu Augsburg 1550 
gegenwärtig. Weil er jedoch dem Augsburger Interim ſich nicht fügen wollte (1548), mußte 
er fein Amt in Nürnberg aufgeben. Vom Herzoge Albrecht von Preußen, auf den er früher 
burch eine Predigt großen Eindrud gemacht, wurde er nun als Prediger und erfter Profeſſor 
Ber Theologie an bie neugeftiftete Univerfität zu Königsberg berufen, fpäter auch zum Vicepräſi⸗ 
denten des famlänbifchen Bisthums ernannt. Indeß gerieth er hier ſchon 1549 in einen theo- 
logifchen Streit, ben fein Hochmuth noch erbitterter machte. D. behauptete nämlich in einer 
Disputation „De lege et evangelio”, die Rechtfertigung fei nicht als ein gerichtlicher Act, in 
Gott, fondern als etwas Subjectives, als Mittheilung einer innern Gerechtigkeit aufzufaffen, 
welche aus einer Bereinigung Ehrifti mit dem Menfchen auf muftifche Weiſe bervorgehe. Zu 
feinen Gegnern gehörte vornehmlich Martin Chenmig. Schon war duch bie Bemühungen bes 
Herzogs Albrecht von Preußen der Frieden zwifchen ben Parteien vermittelt (1551), als D. 
durch die Herausgabe neuer Schriften die Spaltung wieder erneuerte, wobei er fogar Melanch⸗ 
thon als den Mann bezeichnete, durch welchen allein bie reine Lehre verderbt worden. Obgleich 
feine Anficht dem kath. Lehrbegriffe ſich annäherte und durch mehre Gutachten widerlegt wurde, 
fo beharrte D. dennoch bei ihr bis an feinen Tod, ber 1552 erfolgte. Auch nach feinem Tode 
fpann fich der Streit fort, bis 1566 alle Oftandriften entfegt wurden. Das Corpus doctrinae 
Prutenicum (1567) verbannte den Ofiandrismus auf ewige Zeiten aus Preußen, und noch die 
GSoncordienformel fprach fich gegen ihn aus. Vgl. Wilken, „Andr.D.’5 Leben, Lehre und Schrif- 
ten" ( Stralſ. 1844). — Dftander (Lucas), der Altere, ein Sohn des Vorigen, geb. 1534 zu 
Rürmberg, bier und in Königsberg gebildet, warb 1555 Diakonus zu Göppingen, 1567 Hofe 
prebiger des Herzogs Friedrich von Würtemberg, fiel aber fpäterhin in Ungnabde, wurde Paftor 
in E$lingen und fam dann nach Stuttgart, wo er 1604 ftarb. Er betheiligte ſich an mehren 
Golloquien, namentlich zu Maulbronn (1564) umd zu Mömpelgard (1586), verfaßte mit Bal⸗ 
thaſar Bindembach den erften Auffag zur Maulbronnfchen Friedensformel und hinterließ mehre 
polemifche Schriften, — Ofiander (Lucas), ber Jüngere, der Sohn des Vorigen, geb. 1562 zu 
Stuttgart, ſtudirte in Tübingen, ward 1587 Pfarrer zu Göppingen, fpäter Abt zu Maulbronn 
unb ftarb ale Propſt und Kanzler zu Tübingen. Er war ein heftiger Polemiter, wie aus feinem 
Kampfe mit den giefiener Theologen über bie communicatio idiomatum und aus feinen „Be 
denken gegen (Arnd's) wahres Chriftenthum” (Züb. 1623) erhellt. Erſt gegen das Ende ſei⸗ 
nes Lebens, das 1638 erfolgte, widerrief ex mehre feiner hyperorthodoxen Behauptungen. 

Dfinffi (Ludw.), einer der ausgezeichnetften unter ben neuern Dichtern und Rednern Po- 
Iens, geb. 1775 in Podlachien, erhielt feinen erften Unterricht auf der von den Piariften geleite» 
ten Schule zu Lomza und ftand im Begriff, in den geiftlichen Orden der Piariften zu treten, als 
bie Ereigniffe im legten Jahrzehnd des vorigen Jahrhunderts ihn von dieſem Entſchluß abwen⸗ 
deten und feiner urſprünglichen Neigung zu den ſchönen Wiſſenſchaften folgen ließen. Nudie 


470 Dfiris ; 


dem er 1799 mit einigen zum Theil abenteuerlichen poetifchen Verſuchen aufgetreten, nahm 
feine Mufe einen fehr ſchnellen Aufſchwung, und ſchon 1801—4 erſchienen im Ver&mahedes 
Driginalß feine meifterhaften Überfegungen von Eorneille'6 Tragüödien. Er hatte fich babei für 
Geift und Form die ſtrengſten Regeln auferlegt, und. die technifche Vollendung bes Veräbans, 
ſowie der bisher im Polnifchen nicht gefannte Zauber der Diction erregten allgemeine Dur 
flerung und übten auch Einfluß auf die rheatrafifche Darftelfung. Im diefe Zeit fiel aud Ds 
Freundfihaftsbundmit Franz Raver Dmochowſti (ſ. d), dem Überfeger der „Ilias“, ber fehr 

flig auf deffen fernere Geiftesrichtung einwirfte. Bei Errichtung des Hergogthund DB: 

in ben Staatödienft berufen, bekleidete er den Poften eines Generalfecretär in ber Juflizcom- 
miſſion und, fpäter den eines Greffier im Gaffationsgerichte. Ungeachtet feiner umfarfenden 
Antsgefchäfte bereicherte er in biefer Zeit bie pofn. Literatur durch Überfegungen aus dem Fran 
aöftfchen und viele treffliche Gedichte, in denen die Sprache in den — Farben ſpielt 
Dahin gehören bie [htwungvolle Ode an Kopernicus, ſowie verfehiedene Reden, namentlich die 
berühmte VertHeidigung des vor ein Kriegögericht geftellten Oberften Siemianowfti, deren Be» 
redtſamteit die Richter zur Breifprechung des auf den Tod Angeflagten bewog. Nach dem Tode 
feines Schwiegervaterd, des um die poln. Bühne zu Warſchau verdienten U, Boguslanffi 
(f.d.), übernahm er deren Verwaltung. Das Theater ald ein öffentliches Bildungs mittel be- 
trachtend, ſuchte er bie Anſtalt auf das uneigennügigfte zu heben. Er trat darum auch ebenfo 
arm aus ber Verwaltung, als er. diefelbe angetreten. Nach der Errichtung ber Univerfität zu 
Warſchau hielt er Vorlefungen über allgemeine Literatur dor einem gewählten Kreije. Wie 
wol D. in den Anfichten Laharpe's befangen war, trugen doch diefe Vorträge viel dazu bei, die 
Jugend für geiftige Bildung zu ermuntern. Im den legten Jahren feines Lebens bekleidete D. 
noch das Amt eines Neferendars im Staatsrath für die Abtheilung des öffentlichen Unterrichts 
und das eines Naths im Erziehungsconfeil, Er ftarb 27. Nov. 1858. 

Dfiris war in ber ägypt. Mythologie ber ältefte Sohn des Sch (Kronos) und der Nut (Mbeo); 
er war der Gemahl feiner Schwefter Ifis, der Bruder des ältern Horus (Haroeris), bei Exı 
(Zyphon) und der Nephthys und zeugte mit ber Ifis den (füngern) Horus. Er war urfprüng 
lic) der Kocalgott in der Stadt This in Dberägppten, der älteften Reſidenz der ägypt. Königs, 
und als folcher eine Form des jederzeit in Agppten am höchften verehrten Sonnengotted Nr 
Bon This aus wurde fein Dienft am früheften und allgemeinften über ganz Aghpien verbreir 
tet. Bei der Feftftellung ber verfchiebenen ägypt. Götterreihen wurde er mit Vater und Got 
in bie erfte Goͤtterdynaſtie gefegt. So erſcheint er beiManethön und auf den ägypt. Monumen- 
ten, obgleich er von Herodot der dritten und legten Götterorbnung zugezählt wird. Der My 
thus von D. ift der einzige größere, ber ſich in Ägypten feit alter Zeit ausgebildet hat umd vie 
fach auch zu den Griechen gebracht und bier umgebildet worben ift. Plutarch erzähle den Mr 
thus alfo: Als D. zur Regierung kam, führte.er in Agypten den Feldbau, Gefege und Götter- 
verehrung ein. Darauf durchzog er, wie Dionyfos, auch andere Länder und entwilderte fir. 
Sein Bruder Typhon war Statthalter. Diefer verſchwor fich mit 72 Männernund einer äthie 
piſchen Königin Aſo, und als D. zurückgekehrt, brachte Typhon beim Gaftmahl eine kunſtreiche 
Lade, die er Dem zum Gefchent verfprach, ber fie genau ausfüllen würde. Dies gefchab, als 
ſich D. hineinlegte. Die Verfchworenen. verfchloffen dann die Lade mit Nägeln und warfen fir 
in den Fluß, der fie durch die Tanitiſche Mündung ins Meer trug. Iſis irrte nun umber, um 
die Lade zu fuchen. Sie erfuhr endlich, daß dieſe in Byblos ans Land getrieben fei. Dort war 
eine Erika um bie Lade oder den Sarg gewachfen, und diefen Stamm hatte der König des Lan- 
bes ald Stüge unter fein Dach gefegt. Die Göttin erhält nun den Sarg zurüd, führt ihn wie 
der nad) Agypten unb nimmt auch ben Sohn des Königs von Byblos, den fie geſäugt, mit ſich 
Diefer hieß Palaiſtinos oder Pelufios und flirbt durch einen zornigen Blick der Jfis, als er ihre 
Klagen belauſchte. Die Göttin geht nach Buto, wo ihr Sohn Horus erzogen ward. Indeffes 
findet Typhon auf der Jagd den Sarg des D., zerflüdelt feinen Körper in 14 Theile und freut 
fie umher. Iſis fucht fie wieder zuſammen und begräbt jeden Theil da, wo fie ihn findet: Daher 
bie vielen Dfiriögräber in Agypten. Nur das Echamglied findet fie nicht; die Fiſche hatten eb 
verzehrt. Nun kehrt D. aus der Unterwelt (devem Fuͤrſt er geworben) zurüd und rüftet fer 
nen Sohn Horus zum Streite gegen Typhon aus. Diefer wird von Horus, dem Rächer fei- 
nes Vaters, befiegt und der Iſis übergeben. Diefe Läft ihm aber wieder frei. Horus erzürnt 
weißt ihr die Krone vom Haupte, und Typhon wird in zwei neuen Schlachten befiegt. Dieſer 
Mythus hat noch verfchiedene andere Variationen und zahlreiche Auslegungen von den Witen 
ſelbſt erhalten. Die Vielfeitigkeit liegt im Wefen des Mythus felbft. Die beiden wefentlichften 


% 


Dokar (König von Schweben) Osker 41 


Seiten des Oſirismythus find ber Naturmythus, der fich auf bie wechſelnden Erſcheinungen bes 
ãagypt. Jahres bezieht, und der hiſtoriſche Mythus, der ſich auf die Unterjochung Agyptens durch 
die. Hykſos und deren Vertreibung nach Palaflina bezieht. Auf den ägypt. Dentmälern erfcheint 
D. als Fürſt und Richter in ber Unterwelt. Gewöhnlich figt er ald Mumie eingewidelt, doch 
mit Krummflab und Geifel, auf dem Daupte eine Müge, mit Straußfedern zu beiden Seiten. 
Die Griechen verglichen ihn mit ihrem Dionyfos ober Bacchus. 

Oskar (Jof. Franz), König von Schweden und Norwegen feit 1844, Sohn und Nachfol⸗ 
ger Karl's XIV. Johann (f. b.), wurde in Paris 4. Juli 1799 geboren. Als fein Vater, der 
Tran Bernadotte, welchen Napoleon 1806 zum Prinzen von Pontecorvo ernannte, 
1810 zum Thronfolger König Karl's XIII. (f.d.) von Schweben erwählt worden mar, folgte ex 
bemfelben nach dem neuen Vaterlande und erhielt ben Titel eined Herzogs von Södermanland. 
Der Graf Cederſtröõm wurde zu feinem Gouverneur und ber damalige Privatdocent an ber Uni. 
verfität zu Lund, Tannſtröm, zu feinem Lehrer ernannt. Die wiffenfchaftliche Bildung bes 
Prinzen war unter biefer Leitung mit bem fchönften Erfolge gekrönt. Als fein Water 1818 den 
Thron beftieg und bie Kanzlerwürde ber Univerfität zu Upfala niederlegte, wurde biefelbe auf 
ben Prinzen übertragen, der im nächften Jahre bie Univerfität felbft bezog. Später übernahm 
er auch das Kanzleramt der beiben andern Univerfitäten der vereinigten Reiche. Unter Anlei⸗ 
tung bes Dichters Atterbom (1819—21) erlernte ex in großer Vollkommenheit das Schwe 
bifche, und neben wifjenfchaftlichen Stubien trieb er auch mit Erfolg bie Kriegswiffenfchaften. 
Für die Muſik mit ausgezeichneten Anlagen ausgeftattet, hat ex felbft mehre größere Compo 
tionen geflefert, 3. B. eine Oper, außerdem Lieber, Walzer und Märfche. Seine militärifche 
LZaufbahn begann 1811, wo er als Oberfllieutenant in bie Svea⸗Leibgarde eintrat. Nachmals 
wurde er ſchwed. und norweg. Großadmiral, auch Generallieutenant und Chef der erfien Cava⸗ 
leriebrigade und 1835 Generalbefehlshaber im vierten Artilleriediſtrict. In vielen Ausſchüſſen 
zur Beforgung von Berwaltungsgefchäften führte er den Vorfig. Im J. 1824 mar er Vice 
Eonig von Roriwegen, und während der Krankheit feines Vaters 1828 führte er die Regentfchaft. 
Um 19. Juh 18253 vermählte er fi mit Joſephine Marimiliane Auguſte Engenie, geb. 
44. März 1807, einer Tochter bes Herzogs Cugen von Leuchtenberg (f. d.). Der Name ihres 
berühmten Vaters, der untabelig durch alle Stürme der Revolution gegangen war, flimmte bie 
ſchwed. Ration günflig für fie, und eine noch innigere Liebe erwarb fie ſich bald durch ihre per⸗ 
önliche Anmuth und die Einfachheit und Sanftmuth ihres Betragens. Erſt 3. Mai 1826 ge 
Bar fie ihrem Gemahl einen Erben, den jegigen Kronprinzen Karl Ludwig Eugen, Herzog vom 
Schenen, feit Juni 1850 mit der Prinzeffin Luife von Oranien (geb. 1828) vermählt, bem fp&- 
ter er drei Prinzen unb eine Prinzeſſin folgten: Guftav Franz Oskar, Herzog von Uplanb, 
geb. 18. Juli 1827, geft. 24. Sept. 1852; Oskar Frederik, Herzog von Oſtgothland, geb. 21. 
Jan. 1829; Auguſt Nitolaus, geb. 24. Aug. 1831; Charlotte Eugenie Auguſte Amalle, 
geb. 24. April 1830. Wie daheim, wo er flet mit würdevollem Anftand und ernfter Hoheit 
auftrat, ihm —— die allgemeine Liebe des Volkes ſich zuwendete, ſo erwarb er ſich auch auf 
feinen Reifen in Dänemark, Deutſchland, ber Schweiz, Italien (1822 und 1852) und inRuß 
land (1830) überall Achtung und Zuneigung. Er verfaßte nicht nur felbft die Reglements für 
mebre Regimenter, fondern trat auch öffentlich als Schriftfteller auf. So fchrieb ex eine Ab⸗ 
handlung gie Volkserziehung, die 1839 in ber ſchwed. Staatszeitung abgedruckt wurde, und 
nachher „Uber Strafe und Strafanftalten” (Stodh. 18415 deutfch von U. von Treskow, mit 
Einleitung und Anmerkungen von NR. H. Julius, Lpz. 1841). Als der Tod feines Vaters 
4. März 1844 ihn auf ben Thron berief, ließ er fofort theild aus. Reigung, theils aus Politik 
mehre zeitgemäße Reformen in liberalem Sinne den verfammelten Ständen zur Berathung 
und Beſchlußnahme vorlegen ; boch ging er hierbei vorfühtiger zu Werke, ald man früher ge 
glaubt Hatte. Er ergriff die Initiative in der Verfaffungsreform (feit 1846), befeitigte auch 
manche Keffel, die auf bem Zunft- und Gewerbweſen laftete; aber bie Ergebniſſe ber durch i 
veranlaßten Berathungen über bie Revifion ber Berfaffung entfprachen den Erwartungen nicht. 
Im 3. 1852 unternahm er eine größere Reife nach dem Feſtlande. Nach ber Rückkehr erkrankte 
erft fein zweiter Sohn, Prinz Guſtav, und ftarb raſch hinweg; bann wurde auch ber König felbfl 
von einem lebensgefährlichen Leiden heimgefucht, von dem er erft Anfang 1855 wieder genas. 

Osker, bei ven Römern Osei oder Dpsei, von den Griechen Dpiker genannt, ift ber Rame 
eines ital. Volkes, welches in Sampanien feinen Gig hatte und mit ben Aufonern nahe verwandt 
ober ein und baffelbe war. Als fpäter von Norden her die Samniter fit 425 v.Chr. in Campa⸗ 
nien eindrangen, ward der Name auf bie Cinwanderer übertragen. Da dieſe campaniſchen Sam⸗ 


a 


472 Dsmanifches Reich 


filter biejerige ſamnitiſche Vöͤlkerſchaft bildeten, mit ber ſowol Hellenen als Nömer zı zuſam · 
menftießen, wurde der Rame Oster und osfifche Sprache ſpäter auch auf alle übrigen ähnlichen 
oder gleichftammigen Völker und Dialekte ausgedehnt. Das Gebiet der obkiſchen Sprache um- 
faßt in mehren, nur wenig verſchiedenen Mundarten die Samniter, Brentaner, die nördlichen 
Apuler, die Hirpiner, Campantr, Zucaner, Bruttier und Mamertiner, alfo fammtliche fammitie 
The Stämme, weshalb die Sprache wol richtiger die famnitifche oberfafinifche genannt wird. Die 
nördlich von der Silarusmündung gelegenen Stämme waten rein ſanmitiſch, ber fü und 
ebenfo die Gegend um den Golf don Neapel war griechiſch · ſamnitiſch gemiſcht; auch ränti 
ſich der Gebrauch des nationalen ſamnitiſchen Alphabets, welches zugleich mit dem umbriſchen 
dom ſabelliniſchen und mit dieſem dom aͤltern etrusfifchen abftamımt, auf jene nördliche Halfte, 
Durch) bie Siege ber Nömer über bie Samniter und bie Ertheilung der Eivität an alle Italiker 
wurde um 88 v. Chr. bem officiellen Gebrauche der oskiſchen Sprache ein Ende gemacht; doch 
wurde fie zur Zeit Varro's noch auf dem Rande, zur Zeit des Untergangs von Herculanum und 
Pormpei aber nur noch von Einzelnen gefprochen. Zur Zeit ihrer Blüte, feit Mitte bes 4. Jahrh 
d. Chr., war die osfifche Sprache weit mehr ald ein gewöhnlicher Jargon; auch befaßen die di · 
tiſchen Völker eine Kumft und Literatur, welche der römifchen, wie fie um 100 v. Chr, war, je 
denfalls nicht nachſtand und wahrſcheinlich auf die calabriſchen Dichter Ennius und Pacırius, 
ſowie den Campaner Rucilius nicht ohne Einfluß gemefen ift. Sichere Kunde haben wir von 
einer den Campanern eigenthlimlichen poetifchen Schöpfung, einer Gattung ungeſchriebener, re 
gelmäfig wohl improvifirter Poffenfpiele mit feften Rollen und wechfeinden Situationen, welde 
um 504 nach Rom verpflangt, hier aber nicht in os kiſcher, fondern in fat. Sprache nachgebiſdet 
wurden. In Rom hießen diefelben von der Stadt Atella, dem Schilda der Römer, Atellanen 
(1.d.). Außer einer ziemlichen Anzahl von Münzen mit oskiſchen Kegenden iſt noch eine 
Reihe von Infchriften in osfifcher Sprache vorhanden, unter denen der Stein von Abella und 
die fogenannte Bantinifche Tafel auch für Cultur · und Rechts geſchichte von Wichtigkeit find. 
Mit der Erflärung derfelben haben ſich früher Grotefend, Peter Lepfius, in neuerer Zeit aufer 
Auftecht, Kirchhoff, Avellino, Minervini u. U. befonders Th. Mommfen mit günftigftem Ev 
folge befchäftigt, deſſen „Oskifche Studien“ (Berl. 1845) feinem größern Werke über „Diem 
teritalifchen Dialekte” (Rpz. 1850) vorangingen. Gute Arbeiten lieferten noch Briebländer (,,Die 
sstifhen Münzen“, Lpz. 1850) und Kirchhoff („Das Stadtrecht von Bantia“, Berl. 1855). 
Dsmanifches Reich, Diefes Neich, aud) das Türkifche Meich genannt, begreift ein Iedig- 
lich durch Eroberung zufammengebrachtes Aggregat von Rändern in Südofteuropa, Weſtaſien 
und Nordoftafrika, die ziwar Fein geographifches Ganges ausmachen, allein zu ben ſchönſten der 
Alten Welt gehören und durch ihre Lage von ber höchften politiſchen und commerciellen Wid- 
tigkeit find. Es befteht in Europa aus der Illyriſchen Halbinſel, befannter unter dem Namen ber 
europäifchen Türkei, mit einem Flächeninhalt von 9555 AM. ; in Aften aus ber HalbinfelN«- 
tolien oder Kleinafien (f. d.) der Plateaulandſchaft Armenien (f.b.), den Euphratländern Kur- 
diftan (f. d.), Mefopotamien (f. d) und Irat-Arabi (f.b.), Syrien (ſ. d) und den zweifelhaften 
efigungen der heiligen Städte in Arabien (f. d.), mit ungefähr 25000 OM.; in Afrika aus 
iypten (f. d.) mit den davon abhängigen nubifchen Ländern (f. Mubien) und den Küftenlän- 
bern Tripolis (f.b.) und Tımis (f. d.), zufammen mit ungefähr 30000 AM., ſodaß das gan 
Neich ungefähr 64335 AM. zählt. Man ſieht aus diefer Aufzählung, daß beim Osmanifden 
Reihe von einer einheitlichen Schilderung feiner Geftalt und Befhaffenheit nach Grenzen, Um- 
fang, Bodengeftaltung, phyſiſchen, ethnographiſchen und Hiftorifhen Verhältniffen nicht die 
Rede fein Bann. Rur im Allgemeinen läßt ſich ftatiftifch fagen, daß es Im N. von Oftreich und 
Rußland, im D. von Perfien, im &. von Arabien, Abyffinien und dem innern Afrika, im ®. 
von Algier begrenzt wird, während das Abriatifche, Mittelländifhe und Schwarze Meer, das 
Meer von Marmara mit feinen beiden Strafen, das Königreich Griechenland, die Syrifche und 
Arabiſche Wüſte, der Arabifche Meerbufen und die Sahara jene politiſchen Grenzen vielfach 
gerreißen und dazwiſchentretend biefe Ränder von ben verfhiedenften Seiten umgeben und um- 
fpülen. Wir verweifen deshalb in Betreff der geographiſchen, klimatiſchen, naturhiftorifchen, 
ethnographiſchen und Hiftorifchen Befchaffenheit der einzelnen, das Dsmanifche Reich bildenden 
Theile auf die einzelnen angeführten Ränder und fügen hier nur folgendes, das Reich als Gan- 
de6 Betreffende hinzu. Die Angaben über die Bevölkerung deſſelben find fehr ſchwankend und 
unficher. Mit Wahrfcheinlichkeit veranfchlagt man die ganze Einwohnerzahl auf 35%, Mil 
Seelen, wovon auf bie europ. Türkei 15'/, auf die afiatifche 16 und auf die afrikaniſche 4 DRIE. 
tommen. Am beſten bevölkert find die Küftenländer des Hellespont und des Meeres von Mar- 


Domaniſches Reich y 48 


mara, fowie das Nilthal. Die ftädtifche Bevölkerung ift größer als man bei ber Unbedeutenb» 
beit des Gewerbfleißes vermuthen follte. Die Bevölkerung bildet nichts weniger als eine Ne 
tion ; fondern fowie das ganze Reich aus einem Aggregat von Ländern, fo befteht fie aus einem 
Aggregat von den verfchiedenften Völkerſchaften, die durch Einwanderung und Eroberung neben« 
und übereinander fi) gelagert Haben. Zuvoͤrderſt find die osmaniſchen Türken (f.d.) zu nennen: 
fie find das herrſchende Bolt, bilden aber deshalb keines wegs die Hauptmaffe der Bevoöl 

Man kann ihre Zahl höchſtens auf 11% MIN. Köpfe anfchlagen. Sie find als herrfchendes 
Volk über alle Länder bes Reichs verbreitet, doch nicht gleichmäßig; am bichteften iſt ihre Bendt- 
kerung in Kleinafien, Armenien und bem füböflfichen Theile der europ. Türkei. Als Eroberer 
find fie die Befiger des größten Theil des Grundeigenthums, die Inhaber aller Eivil- und Mi- 
Kitärftellen und leben meift in ben Städten, wo fie fi) außerdem auch mit mehren Gewerben be 
ſchäftigen. Als Aderbauer findet man fie nur, wo fie fich in größerer Anzahl niedergelaffen ha⸗ 
ben, namentlich in Armenien und Kleinafien. Im Ganzen haben bie osman. Türken durch ihre 
Häufige Mifhung mit Weibern andern Stamms und mit einer Unzahl Renegaten, die mit 
ihrem Übertritt zum Mohammedanismus auch zur herrfchenden Nation übertraten, ihren alten 
Stammescharakter in Pörperlicher mie geiftiger Hinficht fehr verwifcht, obfchon fich bie Maffe 
derfelben noch immer durch Fanatismus, Roheit und aftat. Indolenz, wie durch eine gewiſſe 
Sutmüthigkeit, durch Offenheit, Treue und Gaſtfreundlichkeit auszeichnet. Zum Stamme der 
Zürten gehören auch die Turkomanen, bie in ber Mitte Kleinaſiens und in Armenien als Ro- 
maben haufen und mit den osman. Türken oder Osmanlis biefelbe Sprache, nur bialel- 
tiſch verſchieden, fprechen. Neben biefen beiden Völkerſchaften hochaſiat. Stamms leben 
im Osmanifhen Reiche zahlreiche Bölkerfhaften ſemitiſchen Stammes. Bor allen find 
die Araber zu nennen, weiche auch außer Arabien ein bedeutendes Bevölterungselement 
in Syrien, den Euphratländern und ben nordafrik. Befigungen der Türken bilden und in 
Agypten die Maffe der Bevölkerung ausmachen. Sie fprechen die arab. Sprache, mit 
Ausnahme einiger Stämme in Mefopotamien, welche eine türf.-perf. Mundart angenom- 
men haben. Rächſt ihnen find die for. Völkerſchaften ber Maroniten (f. d.) und Dru- 
fen (f. d.) auf dem Libanon und bem Dfchebel-Hauran, die Motualis in Eölefyrien, die Auſa⸗ 
rieh oder Noſſairi im nördlichen Syrien und bie Reftorianer (ſ. d.) ober Chaldäer im kurdiſtani⸗ 
ſchen Hochlande und Mefopotamien zu erwähnen, von denen die Erſtern arab. Dialekte, bie Res 
florianer aber einen Dialekt bes Altfgrifchen reden. Hierher gehören endlich auch die Juden, die 
über daB ganze Reich in einer Gefammtzahl von ungefähr einer Million verbreitet find und von 
denen 70000 Köpfe in der europ. Türkei leben. Der größte Theil der Legtern, ſowie bie Juben 
auf der Heinafiat. Küfte find meift im 15. Jahrh. aus Spanien eingewandert und fprechen noch 
ein verborbenes Spanifh. In den übrigen Theilen der Türkei bedienen fie ſich der Randesfpra- 
hen. In Paläflina bilden fie noch anfehnliche, auch aderbautreibenbe Gemeinden. Bon Kaum 
Lafusvöltern wohnen im Dömanifchen die Armenier, gegen 2,400000 Seelen, welche in 
ihrer Heimat Armenien (f.d.) ein ſtarkes Drittel ber Bevölkerung bilden und außerdem als 
Hanbelsleute faft durch alle Städte des Reiche verbreitet find. Ferner die Laſen (f. d.) in den 
Gebirgen an den Küften bes Schwarzen Meeres, von Zrapezunt bis an bie ruff. Befigungen, 
welche zur georgifchen Sprachfamilie gehören. Zum perf. Stamme gehören bie mohammed. Kur⸗ 
ben in Kurdiſtan (f. d.), welche jedoch fehr gemifchten Urfprungs zu fein fcheinen, was auch ihre 
Sprache beweift. Zu ihnen muß man audh bie Jefidier rechnen, die in den Sindfcharbergen 
im nördlichen Mefopotamien ihren Hauptfig haben. Bedeutender an Zahl als die vorigen BSR 
fer find tm Dsmanifchen Reiche’ die zur griech.» Tat. Völkerfamilie gehörigen Völkerſchaften, 
nämlich: die Griechen, gegen 2 Mill. Seelen, die die Hauptmaffe der Bevölkerung Kleinafient, 
Macedoniens, Theſſaliens und ber Infeln bilden, hier, insbefondere in allen Küftenlandfchaften, 
fehr zahlreich und die fleifigften, häufig auch die wohlhabendſten Bebauer bed Landes find, in 
Kleinafien indeß auf dem Lande faft ganz ihre Rationalität und Sprache aufgegeben und ſich, 
foweit es bie Religionsverfchiedenheit geftattete, möglichft den Türken affimilict Haben, außer⸗ 
bem aber mehr oder weniger vereinzelt fich faft in allen größern, beſonders Hanbelsftädten des 
Reichs vorfinden ; ferner die Albanefer (Arnanten), gegen 1,600000 Köpfe, welche bie Lande 
ſchaft Albanien (f. d.) am Adriatiſchen Meere bewohnen; endlich bie Wlachen oder Walachen 
(f. Walser), gegen 4 Mill, die nicht nur die Moldau und Walachei bevölkern, fondern auch 
unter verfchiedenen Benennungen in allen übrigen Provinzen der europ. Türkei vorlommen. 
Um zahlreichften aber find jedenfalls die Einwohner flaw. Stamms, die jedoch nur in ber europ, 
Türkei fi) vorfinden. Sie bilden die Mehrzahl, ja fat die ausſchließliche Bevölterung ber Peo⸗ 


474 Dsmanifches Reich 


vinzen-gioifchen dem Hãmus und der Donau und zerfallen.in bie bulgar. Slawen, A Mill. Röpfe, 
in der Bulgarei (f.d.) und in den nördlichen Theilen Macedoniens und Thraziens, und. in die 
Serben, über J Mill Seelen, zu deren Stanıme nicht nur die Bewohner Serbiens (f. b.), fon 
dern auch die nur dialektiſch von ihnen verfchiedenen Bewohner Montenegros (1.b.), Boßniens 
(fd), ber Herzegowina (f.d-) und der. angrenzenden alban. Diftricte gehören. Berner find auch 
noch) Zigeuner zu erwähnen, bie befonders in der Moldau und Walachei, wo fie im Zuftanbe 
völliger Sklaverei leben, häufig, aber auch als herumſchweifende Trupps über alle übrigen Pro« 
vinzen des Reichs verbreitet find. Was endlich die Völker afrit. Stamıms im Ddmanifcen 
Neiche betrifft, fo, gehören zu ihnen ſowol die nördlichen Berbern in Tripolis und Tunis und 
bie jüdöftlichen in Nubien und verfchiedenen afrik. Dafen, ald auch die Negerftämme in Kordo · 
fan, Sennaar ımd Darfur. 

Was die religiöfen Verhältniffe betrifft, fo ift ber Iölamı (f. Mobammedanismus), zu dem 
ſich ungefähr 20 Dill, Seelen bekennen mögen, in politifcher wie focialer und religiöfer Bezie- 
hung die herrfchende Religion des Reichs. Überwiegend ift die funnitifche Sekte, au der ſich 
außer den Türken, Zurfomanen und Arabern auch die Mehrzahl der Kurden und Laſen, ber 
Völker afrit, Stamms und aud) der Albanefer, fowie ein ehr erheblicher Theil ber. ſlaw. Be- 
wohner ber Bulgarei, Bosniens und der Herzegowina befennen. Zu den Schliten gehören mebre 
turdiſche und andere Stämme öftlid vom Zigris, während die Jsmaeliten und die arab. We- 
habiten, die for. Motualis und Anfarieh eigenthümliche mohanımed, Sekten bilden. Eigen- 
thünliche Religionen haben die Drufen (f. d.) und die Jeſibier. Minder zahlreich ald bie 
Mohammedaner find im Osmanifchen Reiche die. Chriften. Die Mehrzahl derfelben, ma- 
mentlich die, bei weitem größte Mehrzahl der Griechen, Walachen, Bulgaren, Serbier 
und ber chriſtlichen Bosnier, ſowie auch ein Theil der hriftlichen Albanefer gehören der griech. 
Kirche. an, deren Oberhaupt der Patriarch von Konftantinopel if. Ein anderer bedeutender 
Theil ber chriſtlichen Albanefer und ein geringerer der Bosnier und Bulgaren, ferner die Ma- 
roniten, ein Theil der Armenier und wenige Griechen befennen ſich zur röm.-Fath. Kirche. Chrir 
Ren monophofitifchen Glaubens find die Armenier (f. Armeniſche Kirche), die Jakobiten(f.d.) 
und. bie Kopten (f. d.). Die Neftorianer (f. d.) bilden eine eigene orient.«chriftliche Sekte, von 
der in neuerer Zeit ein Theil fich mit ber kath. Kirche verbunden hat. Die Zahl der Ehriften 
(griechifche, armenifche u. f. w-, ufammen etwa 13,730000, katholiſche 900000) beträgt in 
der eutop. Türkei mehr ald drei Viertel, in der afiatifhen mehr als ein Fünftel, in den afrif. 
Befigungen aber nur ein Funfzigftel der Bevölkerung. Bemerkenswerth ift der Umftand, baf 
die mohammed. Bevölkerung des Reichs, vorzüglich die der Türken, fortwährend im Abnehmen, 
die ber Ehriften dagegen im Zunehmen iſt. Es ift dies die natürliche Folge nicht nur des Um- 
ſtandes, daß der Kriegsdienft allein auf den Mohammedanern Laftet, fondern noch mehr der 
Vielweiberei und der unnatürlichen Lafter, die unter ihnen vorzugsmeife im Schwange find. 

Der Stand der Bildung und Gefittung biefer Völker if je mad) ihrer Individualität ein fehr 
verfhiebener. Im Ganzen kann man aber fagen, daß fie unter dem geiftigen und materiellen 
Drud des Islam und der barbarifchen Herrſchaft der Türken fammt und fonders in der Eultur 
aurüd und zum großen Theil auf der Stufe ber Barbarei geblieben find, trog der unendlichen 
Anregung und Vortheile, welche Land und Klima bieten, und trog der vorzüglichen Anlagen, 
welcher ſich mehre Diefer Völker erfreuen. Wie in politifcher, fo befindet ſich aud) in fittlicher, 
focialer und gewerblicher Hinficht das ganze Osmanifche Reich im Zuftande des Verfalls; und 
wo ſich ja ein Aufſchwung zum Beffern zeigt, wie unter einem Theile der ieh: und flaw. Be · 
völferung, fo fommt er nicht dem Reiche, fondern nur den betreffenden Völferindividualitäten 
u gute. Hinſichtlich ihrer Lebensweiſe find die chriſtlichen Bewohner des Reichs fämmtlich an 
fälfig, der Mehrzahl nad Aderbauer und feßhafte Viehzüchter; nur ein Theil der griedh. Be- 
völferung widmet fi dem Seeleben. Auch ein großer Theil der Mohammebaner befindet ſich 
in demfelben Zuftande: fo ein Theil der Türken, die mohammed. Bulgaren, Bosnier und Alba 
nefer, bie arab. Fellahs in Agypten und Syrien, die Drufen, Motualis, Anfarieh in Syrien, 
die Berbern in Nordafrika. Dagegen Iebt die Mehrzahl ber Araber, die Bebuinen, und der 
berberiſchen Bewohner der afrit. Wüften, ferner die meiften Kurden und Turkomanen ald No- 
maben ober Halbnomaden. Der Aderbau befindet fich faft überall in dem Zuftande der größten 
Vernachlãſſigung. Die Unfierheit alles Befiges, die den Drientalen angeborene Trägheit und 
fein Feſthalten an alten Gewohnheiten, ber Mangel an Verbindungsmwegen, der Mangel ober 
die Vernachläffigung der Bewäfferungsanftalten, befonders im Innern Kleinafiens, in Syrien 
und den Euphratländern, Alles hauptſächlich Folgen der barbarifchen Herrſchaft der Türken, 





Domanifches Reid 475 


fegen der Bodencultur Hinbernifie entgegen. Trogbem gehören die Ränder des Osm 
Reichs in Folge ihres gefegneten Bodens und ihres milden Himmelſtrichs zu den probucten- 
reichſten der Erbe. So werden ungeachtet des verfallenen Gulturzuftandes noch immer unge 
heuere Mengen von Baummolle, Tabad, Diiven, Sefam, Reis, Mais, Weizen und andern 
Getreibearten gewonnen. Der in großer Ausdehnung hauptfächlich von ben Chriften betriebene 
Weinbau liefert bie edeilften Weine, meift Secte. Obſt und Ghelfrüchte werben faft überall ger 
wonnen, wenn auch nicht in einer Menge, wie ber Ratur deö Landes gemäß zu erwarten wäre. 
Außerdem ift der Anbau des Mohns zur Dpiumbereitung, der Hofe zur Gewinnung des Re 
fenöls, des Indigos und verfchiedener anderer Farbepflanzen und Specereien zu erwähnen. 
Auch ber Seidenbau liefert einen reichen Ertrag, wenn auch nur binfichtlich der Menge bed Pro⸗ 
ducts. Die Pferdes, Kameel⸗ und Schafzucht blüht Bauptfächlich bei den nomabifchen Völkern. 
Die Rinderzucht blüht in ben Ebenen an der niedern Donau, und Die Gegend von Angota (f.b.) 
ift wegen ber nach ihr benannten Ziegen mit feibenartiger Wolle berühmt. ‘Der Gewerhfie 
der lebiglich in den Städten fich vorfindet, ſteht im ganzen Reiche nicht nur auf einer fehr nie 
bern Stufe, ſondern ift auch gegen früher noch geſunken. igentliche Fabriken kennt man gar 
sicht. Zwar Haben einige Gewerbe eine gewifie Stufe ber Vollkommenheit erreicht, wie einige 
Biweige ber Zeberbereitung, ber Geiden- und Teppichweberei, ferner bie Bereitung des Rofenöls; 
allein fie find im Ganzen zu unerheblich, um eine bedeutende Induſtrie und einen anfehnlicken 
Handel damit zu begründen. Zwar nehmen alle Religionsparteien und alle ſeßhaften Völker 
haften bes Reichs an ber Betreibung ber Gewerbe Theil; doch pflegen gewiſſe Gewerbe vor» 
zugsweiſe, mitunter gar ausfchließlich, von dev einen oder ber andern getrieben zu werben. Der 
Handel ift vorzugsweiſe in ben Händen ber Armenier, Griechen und Juden, von denen ſich bie 
Letztern jeboch mehr nur mit bem Kleinhandel und bie Erſtern mit Geldgeſchäften befaffen. Die 
Fülle der Producte, die glückliche commercielle Lage ber Länder des Neichs an fünf verfchiebenen 
Meeredbecken und ber Beſitz ber wichtigfien von ber Natur gegebenen Handelsſtraßen, Hä⸗ 
fen und Stapelpläge machen ben Handel der Türkei trog aller Dinberniffe, welche die öffentliche 
Unfidecheit, ber Mangel an Credit und gebahnten Wegen ihm bereiten, noch immer zu einem 
bedeutenden, obfchon er lange Das nicht mehr ift, was er war, und noch weniger Das, was er 
unter günftigern Umſtänden fein Bönnte. | . 
An Betreff feiner politiſchen Einrichtung träge das Osmaniſche Reich durchaus den Cha 
rakter einer afiat. Despotie, in welcher die unumfchränfte Willkür des Herrſchers das abfolute 
Gefeg bildet, das nur durch die Vorſchriften ber Religion, alte Überlieferungen und Gebräuche, 
fowie durch Rationalvorurtheile, die gefchont werben müſſen, wenn nicht Aufflände entftehen fol- 
Ien, in gewiſſen Dinfichten befchräntt wird. Von einem Staate nach unfern Begriffen faun 
nicht die Rede fein. Der Herrſcher, von den Euxopäern gewöhnlich Kaifer, auch Broßhert ge 
nannt, fühet den Titel Sultan, Khakan, Khan und Pablichab, erhält von den europ. Mächten 
den Titel Mafeftät, ehemals Hoheit, im Franzöſiſchen Hautesse (nicht Altesse) und wird von 
den Sumiten zugleich als das geiftliche Haupt bes Islam, als Khalif (f.d.) betrachtet. Er iſt 
ber unumfchränfte Herr über Leib and Leben, But und Blut feiner Untertbanen ; fein Wille ifl 
Gefeg und er allein über demfelben erhaben. Seine Decrete heißen Hattifcherif6 (ſ. d.), und 
feine Regierung iſt unter dem Namen der Hohen Pforte bekannt. In ber neueften Zeit wurde 
durch den Hattifcherif von Gülhane der Verſuch zu einer Art den abfoluten Willen des Sul⸗ 
tans befchräntenden Grundgefeg gemacht doch ift dieſes Gefeg bisher eine leere Form geblie- 
ben, da es über den Givilifationsftandpuntt der Megierten wie der Regierenden hinausgreift. 
Bol aber ift nicht zu Ieugnen, daß die Regierungsmweife ber Hohen Pforte im Ganzen milder 
geroorben iſt, weniger durch die Kraft humanerer Geſete als durch den Einfluß ber europ. 6 
vilifation, obſchon im Einzelnen, befonder& nach unten Bin, noch immer der alttürk. Barboreien 
genug vortommen. Die Sultanswürde ift erblich in ber Familie Doman's. Das ältefte auf 
dem Throne geborene Mitglied der Dynaftie ift in ber Megel Thronfolger. Die Weiber find 
vom Throne ausgefchloffen. Der Sultan wird nicht gekrönt, fondern flatt deffen mit bem Saͤ⸗ 
bei Dsman’s in ber Moſchee Ejub bei Konftantinopel umgürtet, nachdem er geſchworen, den 
Islam zu vertheidigen. Der Hofftaat des Sultans, der fich früher auf 12000 Köpfe belief, ift 
buch Mahmubd Il. bedeutend verringert worden. Der Sultan bat keine eigentlichen Semahlin- 
nen, fondern nimmt blos Sklavinnen in feinen Harem, aus dem Grunde, weil feine Perſon als 
viel zu erhaben gilt, um in eine nähere Verbindung mit irgend einem feiner Unterthanen zu 
treten. Se nachdem diefe Sflavinnen dem Sultan Knaben gebören, treten fie in einen 5 
Rang. Vier bis fieben führen den Titel Kadin und find als die eigentlichen Frauen bes 


476 Dsmanifches Reich 


tans anzufehen. Die Mutter bes Thronfolgers Heißt Sultan Khaſeki und, wenn ihr Sohn den 
Thron beftiegen hat, Sultan-Valide. Die öffentliche Verwaltung beruht trog aller Reformen, 
die man in der neueflen Zeit vorgenommen, noch immer auf den alten Principien der Willkür, 
Die vom oben Bis nach unten unter den Beamten herrfcht. Die Beamten, welche bie öffentlichen 
Angelegenheiten beforgen, zerfallen in drei Elaffen. Die erfte Claſſe ift die der Männer des 
Gefeges, welche, da bei den Mohammedanern geiftliches und weltliches Gefeg und Recht zur 
fanımenfallen und beide im Koran enthalten find, alle Mitglieder des geiftlichenund richterlichen 
Standes, die Mollas, Kadis, Imams und Ulemas begreift und an deren Spige ber Scheich-al- 
Slam, gewöhnlich Mufti (f.d.) genannt, ſteht. Die zweite Claſſe bilden die Beamten der Fer 
ber ober die eigentlichen Verwaltungsbeamten. An ihrer Spige fteht ber Großvegier (ſ. Vezier) 
ober Sadr-azam, das Haupt der gefammten Reichsverwaltung in allen ihren Zweigen der in« 
nern und äußern Potitif. Nach ihm folgen fein Stellvertreter, der Kaimakan (f. d.), daun der 
Reis · Efendi (f. d.) oder Minifter der auswärtigen Angelegenheiten, der Präfident des Staatd- 
raths, der Großmeifter der Artillerie, der Poligeiminifter, der Minifter ded Handels, Ackerbaus 
und der öffentlichen Arbeiten, ber Muftefchar des Großveziers (welcher die Functionen eines 
Minifterd der innern Angelegenheiten hat), der Binanzminifter, der Intendant der Eivillifte, 
der Infpector der Zünfte, der Minifter der frommen Stiftungen. Sie alle bilden mit dem Ka- 
pudan · Paſcha (Marineminifter und Grofabmiral) und dem Seriasker oder Kriegsminifter den 
Divan oder Miniftertath, die Höchfte berathende Behörde des Reichs. Die dritte Claffe bilden 
die Beamten des Schwertes, db. h. der Flotte und des Heeres. An der Spige der erftern ficht 
der Kapudan-Pafcha (f. d.), an der des legtern der Seriasker oder Kriegsminiſter. Die Ein- 
künfte des Neichs belaufen fich jährlich auf 751 Mil. türk. Piafter,d. i. auf etwa 45 Mill. 
Thlr., die aus dem Charadfch oder der Kopffteuer, der von ben Gemeinden aufzubringenden 
Grundſteuer, aus den Zehnten, den Zöllen und verfchiedenen andern indirecten Steuern , ben 
Tributen der Vaſallen, den Monopolen und verfchiebenen zufälligen Einfünften gezogen wer» 
ben. Abgefehen von den auferorbentlichen Anftrengungen, welche die Pforte feit 4855 wegen 
des Streitö mit Rußland gemacht hat, befteht die auf europ. Fuß organifirte regelmäßige Land · 
macht, in die nur Mohammedaner aufgenommen werden, zunächſt aus ſechs Ördus oder Ar 
meecorps, nämlich: das Corps ber Garde, das Eorps von Konftantinopel, von Numelien, von 
Anatolien, von Arabiftan, von Irak. Von jedem Corps ift die Hälfte in activem Dienft (Ni- 
zamie), bie andere Hälfte bildet die Meferve (Medif). Jede der beiden Hälften zerfällt wiedet in 
zivei Abtheilungen, wovon bei den activen Truppen jede unter einem Generallieutenant ( Ferik), 
bei der Neferve jede unter einem Brigabier (Liva) fteht. Das ganze Armeecorps befehligt ein 
Feldmarſchall (Mufchir). In jeder der beiden Hälften des gefanmten Armeecorps find drei 
Regimenter Infanterie, zwei Regimenter Eavalerie und ein Regiment Artillerie mit 52 Kano · 
nen. Diefe zwölf Regimenter (active Truppen und Referve) follenim Kriege 30000, in Brie- 
dens zeiten nur 25000 Mann zählen. Doc) war diefer Beftand vor 1853 rückſichtlich der Re- 
ferve keineswegs vorhanden, ba das Rekrutirungsfyftem in einigen Provinzen fogar erft einge 
führt werben follte. Den genannten ſechs Corps ſchließen ſich noch drei andere regelmäßige 
active Corps an: das Corps von Kreta; das von Tripolis ; die Gentralartillerie in den Küſten · 
feftungen. Außer ber activen Armee und der Referve beſtehen noch irreguläre Truppen : 1) Mor 
hammedaniſche Freiwillige 50000; 2) Polizeifoldaten (Kavaffen, Seimen, Zabtie) 6000; 
3) Dobrodfhatataren und Koſacken in Kleinafien 5500, zufammen alfo 61500 Mann. Die 
allerdings nur muthmaßfichen Gontingente der tributären Provinzen find: Serbien 20000, 
Bosnien und Herzegowina 30000, Oberalbanien 10000, Xgypten 40000, Tripolis und Tunis 
10000, zufammen alfo 110000 Mann. Die Stärke der regulären activen Armee betrug vor 
1853: 138680 Mann (darunter 100800 Mann Infanterie, 17280 Mann Gavalerie). Rech 
net man hierzu bie ordnungsmäßig gleich ſtarken Neferven, die irregulären und die Hülfstrup- 
‚pen ber tributären Provinzen, fo würde die Gefammtftärke des o8manifchen Landheeres 418860 
Mann ausgemacht haben. Die Marine beftand vor 1853 in 16 Linienſchiffen, 14 Segelfre- 
gatten, 6 Dampfern, 12 Corvetten, 4 Briggs und über 20 Heinern Fahrzeugen mit 4000 Ka- 
nonen und einer Bemannung von 25000 Köpfen, davon freilich die Mehrzahl unſichere Grie- 
hen. Das Wappen bes Reichs befteht aus dem filbernen Halbmond in grünem Felde, bie 
Handels flagge ift roth, mit einem weißen Stern in einer Durch zwei weiße Linien abgetheilten 
Ede. Der von Selim II. 1799 geftiftete Orden des Halbmonds und der von Mahmud II. ger 
fliftete Orden des Nifchan-i-Jftichar (Zeichen des Ruhms) find eingegangen und dafür ein 
neuer Orden, Mebfchidie, 1852 geftiftet worden. 


wı 


Dömanifches Reis «7 


Die Länder bes Domaniſchen Reichs zerfallen in mittelbare und unmittelbare. Jene 
ben in Europa aus den Bafallenfürftenthümern Moldau (f. d.), Walachei (f. d.) und Serbien 
(f. d.), fowie aus der Infel Samos im Archipel, und in Afrika aus dem Vicefönigreich Agypten 
(f.d.) und den Barbarestenftaaten Tripolis (ſ. d.) und Tunis (f.d.). Die unmittelbaren Länder 
werben in Statthalterfchaften ober Ejalets, gewöhnlich auch Paſchaliks genannt, und bie Eja⸗ 
lets wieder in Liva eingetheilt. Die Statthalter in den Ejalets heißen Mufchire und haben 
den Rang eines Veziers ober Paſchas mit brei Roßſchweifen; die in den Liva find Kaimakans 
oder Paſchas mit zwei Roßſchweifen. Die europ. Provinzen werben in 16, bie afiat. in 21 und 
die afrik. in drei Cjalets eingetheilt. Neben biefer Eintheilung befteht in Europa aber auch noch 
bie alte Hiftorifch-geographifche in die Provinzen Thrazien, Bulgarei, Serbien, Bosnien, Alba⸗ 
nien, Theffalien und Macebonien. Reben und zwifchen jenen mittelbaren und diefen unmittel- 
baren Ländern gibt es aber auch mehre, die ein ähnliches, wenn auch rechtlich nicht beſtimmt be» 
grenztes Vaſallenverhältniß, das in manchen zur factifhen Unabhängigkeit wird, behaupten. 
Dahin gehören unter andern in Europa Montenegro (f. d.), in Afien die urdifchen Fürften- 
thümer, mehre Araberſtämme am Euphrat ımd in ber Syrifchen Wüſte und die Befigungen in 
Arabien. Die Provinzialvermaltumg liegt ganz in ben Händen ber Statthalter, welche die ihnen 
übergebenen Länder wie Lehen, baher faft völlig nach willtürlichem Ermeffen verwalten. So 
werden fie innerhalb ihres Bezirks faft zu unbefchränkten Despoten, beren willtürliche Gewalt 
fi nicht felten gegen ihren Souverän wendet, beſonders im ben entferntern Yrovinzen. 
die Rechte der Unterthanen im Dömanifchen Reich betrifft, fo haben fie, dem Sultan gegenüber, 
beren gar Beine, fondern find nur deſſen Sklaven; benn eine ſtändiſche Schichtung fehlt, mit 
wenigen localen Ausnahmen, faft ganz. Dagegen befteht ein fchneidender Unterfchied in ben 
Rechten der Einwohner untereinander und ihrem politifchen Verhaͤltniß. Die Religion ift es, 
die biefen Unterſchied macht. Das ganze Volk zerfällt nämlich nach ber zeitherigen osman. 
Staatspraxis in zwei Theile, in den berechtigten und herrſchenden ber Moslems ohne Unter 
ſchied, an deren Spige die fiegreichen Eroberer bes Landes, bie Türken, flehen, welche die eigent⸗ 
lichen Herren und Grundeigenthümer des Bodens bilden ımb den Koran zum bürgerlichen 
Geſetzbuch Haben; und in den beherrfchten unberechtigten der Rajabs (f.d.), worunter bie große 
Maffe der unterjochten hriftlichen, jüdifchen und heibnifchen Völker verftanden wirb, bie 
zu Staatsämtern befähigt find, nach eigenem althergebrachten Rechte unter ſich leben und von 
jeher bem größten Druck und ber ärgſten Tyrannei unterworfen waren. Zwar ift durch ben er⸗ 
wähnten Hattifcherif von Gülhane der Unterfchieb von Moslems und Rajahs vor dem GBeftg 
aufgehoben; allein diefe Emancipation ber Rajahs befteht nicht in der Wirklichkeit. In Folge 
jener Abgefchiedenheit der Rajahs von mohammeb. echt unb der Bewahrung ihres al 
mifchen Rechts, ſowie in Folge der hochmüthigen Trägbeit der Türken, bie auf ihre Eigenthüm⸗ 
lichkeiten mit nachläffiger Verachtung herabfehen, haben fie bisher je nach Ort und Umflän- 
den mehr ober weniger ihre felbfländige Bemeindeverfaffung bewahrt. Die Verwaltung ihrer 
Angelegenheiten ruht in den Händen ber Angefehenften ihrer Gemeinden, die zum Theil aus 
deren Mitte frei erwählt, theild von der osman. Regierung ernannt werden und hin und wieber 
ſelbſt die Erblichkeit ihrer Würden erlangt haben. Die höchfte richterliche Inftanz, fowie ber 
Verwalter der Gefammtangelegenheiten, weltlicher mie geiftlicher Art, jeder Nation oder viel- 
mehr Slaubenspartei ber Rajahs (demn mehr noch als die Rationalität bildet der Glaube ein 
gemeinfames Bindemittel derfelben) ift das religiofe Oberhaupt einer jeben berfelben, das auch 
ihre Gefammtinterefien der Hohen Pforte gegenüber vertritt. Außerdem beftcht noch eine legte 
Appellationsinftanz aller gegen Urtheilöfprüche reclamirenden Perfonen, bie höchftes Gericht 
(Arz-Dtaffi) Heißt und zu Konftantinopel ihren Sig hat. Zu den Mohammedanern gehören 
auch die SHaven, deren Ankauf und Befig nur ben Mohammebanern geſtattet if. Sie werben 
jegt aus dem Innern Afrikas und zum Theil ans Tſcherkeſſien eingeführt. Obgleich ihre Her⸗ 
ven über ihr Leben willfürlich verfügen können, fo werben fie doch meiſtens mit Milde und ohne 
Herabwürdigung behandelt, und es ift nicht felten, daß ehemalige Sklaven zu den höchſten 
Staatdämtern emporfleigen. Charakteriftifch genug iſt fogar ber Beamte, welcher im türk. 
Staatökalender den erften Plag einninmt, der Chef der Berfchnittenen, ein Sklave. 

Die Osmanen, ein oghuſiſch⸗türk. Stamm, haben ihre ältefte Gefchichte mit den Geſammt⸗ 
volke der Türken (f.d.) gemein. Erft mit dem I. 1224, wo Soliman⸗Schah mit 50000 feiner 
Stammgenofien vor ben Mongolen flüchtig aus Khoraffan nach Weſten auswanderte, treten 
fie in der Gefchichte abgefondert auf. Nach Soliman's Tode wanderten fie theils in ihre Hei 
mat zurück, theils zerſtreuten fie fich in Kleinafien, Armunien und Strien, wo bie jekt hart Karen 


48 Dsmanifches Neih ; 


fenden nomadifchen Turkomanen von ihnen abflammen. Gegen 400 Familien diefer Leg: 
ſchloſſen ſich Soliman’s jüngftem Sohne, Ertoghrul an, welder in die Dienfte Aladdin’, bed 
ſeid ſchukifchen Sultans von Konieh, trat. Ihre trefflihen Dienfte, Die fie gegen die Mongolen 
wie gegen die byzant. Griechen Teifteten, bewirkten, daf fie von Lepterm die ben Byjantinern 
abgenonmenen Landftriche Phrygiens zum erblichen Lchnöbefige erhielten, bie nun die eigent- 
liche Wiege der osman. Macht wurden. Gegen Ende des 15. Jahrh. yerfiel das er 
Seldſchuken von Konich und ihre bisherigen osman. Lehnsträger wurden unabhängige 

fien. Osman, b. i. junge Trappe, von dem fein Stamm den Namen der Osmanen erhielt, ver 
geöferte 1289 fein Gebiet durch bie Eroberung von Karahiſſar, vertheilte die Verwaltung der 
Landſchaft um den Olympus unter feine Krieger und befämpfte noch ferner die Griechen mit 
glängendem Erfolge. Den eigentlichen Grundftein zur Macht der Osmanen legte aber Di 
man’d Sohn und Nachfolger Orhan. Kriegerifch und gerecht wie fein Vater, dabei aber noch 
politiſch geſchickter, eroberte er 1326 Brufa, wo er feine Nefidenz aufſchlug, 1327 Nitomedien 
und 1330 Nicäa, die wichtigfte byyant. Grenzfeftung, und hatte fo bald Rleinafien bis zum 
‚Hellespont unterworfen. Ebenfo fehr wie durch feine Eroberungen hob Orchan durch Organi« 
firung des Heeres, indem er der erfte Begründer der Janitfcharen (f. d.), der Spahis (f. d.) und 
Zaimẽ wurde, die Macht der Ddmanen. Er nahm den Titel Padiſchah an und nannte das 
Thor feines Palaftes die „Hohe Pforte”, welche Bezeichnung nach bygant. Weife auf feinen 
Hof und feine Negierung übergetragen wurde. Überhaupt fing ber Hof der oöman. Fürſten 
von biefer Zeit an, nach dem Mufter der byzant. eingerichtet zu werden. Viel trug hierzu bie 
Verbindung bei, in die Drchan mit demfelben durch feine Verheirathung mit ber Tochter des 
griech. Kaiferd Kantakuzenos trat. Dies und die Verbindung mit den Genuefern, welche bald 
dem Hofe von Konftantinopel, bald dem Sultan fchmeichelten und den Türken ihre Schiffe zur 
Überfahrt lichen, machte Orhan und feine Nachfolger mit der Schwäche bes byyant. Reichs 
und den Spaltungen im Abendlande bekannt. Ratütlich war es daher, daß ber Plan, jenes 
Reich, ja das ganze weftliche Europa zu unterwerfen, in feinem Geifte Wurzel faffen und auch 
feine Nachfolger längere Zeit gu großartigen Unternehmungen veranlaffen konnte. Orchan’s 
Sohn, ber tapfere Soliman, der bald farb, betrat zuerft 1357 erobernd Europa, befeftigte 
Gailipoli und Seftos und behauptete dadurch die Meerenge ber Darbanellen. Nun breiteten 
ſich die Waffen der Osmanen gleichzeitig in Afien und Europa aus. Drchan's zweiter Sohn 
und Nachfolger, Murad I, eroberte 1562 Adrianopel, machte e8 zum Sig bes Osmaniſchen 
Reichs in Europa, bildete die Janitfcharenmiliz weiter aus, unterwarf Macedonien und ſtieß 
nun auf die Albanefer und Slawen jenfeit de Hämus. Ein harter langer Kampf war die 
Folge dieſes Zufammentreffens, das mit der entſcheidenden Niederlage ber Eoalition der Alba- 
nefer und der flaw. Donauvölker in der welthiftorifchen Schlacht auf dem Amfelfelde oder 
Koffowapolje 1389 endigte, die die Unabhängigkeit biefer Ränder brach, zum Theil fie völlig 
unterwarf, zugleich aber auch dem Sultan das Zehen koſtete, indem ein ferb. Jüngling, der ver« 
wundet auf dem Schlachtfelde lag, den Sultan erbolchte. Nach ihm drang fein Nachfolger, der 
wilde Bajazet (T d.) oder Bajafid in Theffalien ein und bi6 Konftantinopel vor, ſchlug 1396 
das Heer der abendländ. Chriften unter König Sigismund bei Nikopolis in ber Bulgarei und 
legte bem griech. Kaifer einen Tribut auf. Aber Timur's (f. b.) Nahen rief ihn nad} Afien, wo 
er in ber Schlacht von Angora 1402 der Übermacht des tatariſchen Eroberers erlag und von 
diefem gefangen wurde. Timur vertheifte num die Provinzen des osmaniſchen Reichs unter 
Bajazet's Söhne, und daffelbe blieb getheilt, bis der ſtaatskluge, milde umd gerechte Mobam- 
meb L 1413 baffelbe wieder vereinigte, ber nicht großer Eroberer, aber Wiederaufbauer und 
kräftiger Exhalter war. Ihm folgte 1421 fein Sohn, der edle, gerechte, weife und tapfere Mu- 
tab IL Ihm miderftand nur der heldenmüthige Johann Hunyad, Fürft von Siebenbürgen, 
und bie Feſtung Belgrad. Gr mußte deshalb den nachtheiligen Frieden von Szegedin eingehen 
und entfagte fogar 1440 dem Throne zu Gunften feines Sohnes Mohammed. Aber der Frie · 
densbruch ber Ungarn riefihn wieder auf den Thron zurück und ms Feld. Bei Varna vernich · 
@te er 1444 das gegen ihn ausgezogene ungar. Heer und entfagte darauf dem Throne zum 
‚reiten male. Allein ein Janitſcharenaufſtand rief ihn aufs neue auf den Thron zurüd. Er 
nahm nun ben byzant. Griechen mehre ber ihnen gebliebenen Befigungen, flug Hunyad 1448 
von neuem bei Koffowa, vermochte aber nicht, aller Anſtrengungen ungeachtet, ben tapfern 
Standerbeg (f. d.) in feinen alban. Gebirgen zu bezwingen, der bis zu feinem Tode die Unab- 
haͤngigkeit feines Landes bewahrte. Schon war das byzant. Reich auf diefe Weiſe völlig von 
"er o6man. Macht umringt und vom Abendlande abgefänitten, ba vollendete Murad's Sohn 


’ Domaniſches Rei «5 


und Racıfolger, ber große Mohammed IL (f. d.), von 1451 —81 das Werk der Unterwerfung 
bes ehemaligen byzant. Reiche durch die Eroberung Konftantinopeld 26. Mai 1453, Morens 
1456, des Kaiſerthums Trapezunt 1460, Epirus 1465 und der verfchiedenen Infeln des 
griech. Archipelagus. Außerdem unterwarf er 1470 den Reſt von Bosnien und machte 1475 
den Khan ber krimſchen Tataren zu feinem Bafallen. Nach ihm drängte fein Enkel Selim L. 
(1. 8.) die Macht der Perfer bis an den Tigris zurück, ſchlug die Mamluken und eroberte 1516 
und 1517 Agypten, Syrien und Paläftina, worauf ſich ihm auch Mekka unterwarf. Funfzig 
Jahre lang waren num bie Waffen ber Obmanen zu Lande ımb zur See ber Schredien Europas 
wie Afiens, am furchtbarſten unter Soliman IL (f.d.) von 1519—66, bem größten osman. 
Sultan, unter dem das Reich auf dem Gipfel feiner Macht ftand, der 1522 Rhodus eroberte 
1526 halb Ungarn, deffen König Zapolya ſich unter feinen Schug ftellte, ſich unterwarf, zwei 
mal bis nach Deutfchland vorbrang, dem bie Moldau Tribut zahlte, ber die Perſer fchlug und 
Mefopotamien und Georgien eroberte und unter befien Aufpicien der kühne Geeräuber Khaiv 
ed-din Barbaroffa das Mitteländifche Meer beherrfchte, einen Theil Nordafrikas unterwarf 
und bie riftlichen Infeln und Küften bes Mittelmeers verheerte. Doch feine Plane auf bie 
Unterwerfung des ganzen Abenblandes fcheiterten an ber Staatsklugheit umb dem jähen 
PWiderftande Kaifer Karl’s V., an ber Tapferkeit ber Venetianer, Genuefer und Maltefer 
ritter, fowie an den Mauern von Siigeth, beffen heldenmüchige Vertheidigung durch Zrinyi 
(f. d.) berühmt ift. 

Zehn Sultane, alle muthvoll und kriegeriſch, Hatten bis jegt im Lauf von dritthalb Jahrhun⸗ 
derten die Macht der Osmanen durch faft ununterbrochene Siege gehoben. Über die innere 
Kraft des Reichs blieb umentwidelt. Zwar vollendete Soliman II. durch feine Geſetzbücher bie 
von Mohammed IL gegründete Staats⸗ und Hoforbnung, vereinigte auch die geiftliche Würde 
des Khalifats 1558 mit den weltlichen Würden feiner Dynaftie; allein als Türke und Mos- 
lem verftand er es nicht, die überwimbenen Völker zu einem Ganzen zu verbinden, und verfchloß 
feine Nachfolger in das Serail, wo fie moraliſch und geiflig entnerot wurden. Von dieſer Zeit 
an artete das osman. Berrfchergefchlecht aus, und bie Macht der Pforte, die ganz auf bie Per 
fOnlichkeit bed Herrfchers begründet war, ſank mehr und mehr. Unter den Sultanen, welche felt 
Soliman's Tode 1566 bis auf bie gegenwärtige Zeit regierten, gab es nur fehr wenige von 
Energie und Einficht und noch wenigere von kriegeriſchem Muth. Gie alle fliegen aus halber 
Gefangenfchaft auf den Thron und lebten im Serail, bis fie ben Thron nicht felten wieder mit 
dem Gefängniß oder einem gewaltfamen Tode vertauſchten. Nur einzelne große Veziere, wie 
die Köprili (f. d.) u. A., hielten den Fall bes Staats auf. Aber im Innern verfant Bolt und 
Reich unter dem gräuelvollſten Despotismus in Schlaffheit und Barbarei. Nach außen murbe 
die Norte das Spiel ber europ. Politik, und während Europa in Befittung und in allen Kün- 
fien des Kriegs wie bes Friedens vorwärts ſchritt, hingen die Osmanen, alles Fremde verach⸗ 
tend, aus Dünkel umd träger Gleichgültigkeit unveränderlich am überlebten Alten. Ohne feften 
Plan, nur von fanatifchem Religionshaß und wilder Eroberungsfucht geftachelt, fegten fie ihre 
Kriege mit ihren Nachbarn fort, meift zu ihrem eigenen Schaden. Gefährlicher noch waren 
die fortbauernden Empörungen der Santtfcharen und Pafchas im Innern. Aus diefen Zuſtän⸗ 
ben entwidelte fi) ein Syſtem feigen Argwohns, bespotifcher Intrigue unb Graäuel, welches 
gegen eigenes Fleifch und Blut wüthete und die tüchtigfien Männer des Volkes hinopferte. Ge⸗ 
wöhnlich ließ der Thronfolger feine Brüber und die ſchwangern Frauen bes Vorgängers morben. 
Soliman II., befien Regierung als die Blüte bes osman. Lebens gilt, folgte 1566 fein Sohn 
Selim IL, der aus Liebe zum Eyperwein biefe Infel im Aug. 1571 unter ımerhörten Gräueln 
ben Venetianern entreißen ließ, bafür aber 7. Oct. deſſelben Jahres bie furchtbare Niederlage bei 
Lepanto (f. d.) durch die vereinigte hriftliche Flotte unter Don Juan diAuſtria (f. Johann 
von Oftreich) erlitt. Hiermit ſchwand zum erfien mal der Rimbus der odman. Waffen. Se⸗ 
lim, durch Ausſchweifungen entnervt, hinterließ 1574 das Reich feinem Sohne Murab IEL, ber 
bie Regierung mit der. Ermordung feiner fünf Brüder begann. Er ergab fih dem Wohlleben, 
ließ die Veziere für fich fchalten, die aufreibende Kriege in Perſien, Georgien und an ber Donau 
führten, und hatte 1595 feinen Sohn Mohammed IE zum Nachfolger, ber fofort auch feine 10° 
Brüder erwürgen und deren Weiber erfäufen ließ. im Jahre feines Regierungsantritt® 
eröffneten bie durch den Sieg von Lepanto ermunterten icher an der Donau abermals deu 
Kampf und trieben bie oöman. Truppen aus ben wichtigen Ylägen zurück, ſodaß in Konflanti» 
nopel Wuth und Schrecken herrſchte. Die Bevölkerung und die Janitſcharen zwangen ben fe 
zen Sultan im Sommer 1596 in Perſon mit einem großen Heere nach Ungarn vorzurüden, wa 


430 Dömanifpes Reich u 


ſie auch Erlau eroberten und in deffen Nähe dem Erzherzog Mapimilian, dem Generaliffimusdes 
Kaifers RubolfIL,, eine Niederlage beibrachten. Dennod) war die Eroberungeperiode der Dome · 
nen für inmer vorüber, und der Sultan erbat fogar, unter Heinrich'& IV. von Frankreich Wer- 
mittelung, vom Kaifer ben Frieden, ber aber nicht zu Stande kam. Im J. 1603 nahmen fodann 
die Perfer Tauris und Bagdad und vernichteten das Heer des Sultan. Mohammed flarh 
während diefer Unfälle, von Ausſchweifungen erſchöpft, und hinterließ das zerrüttete Reich 
feinem15jägrigen Sohne Achmed L, der ebenfo unrühmlich regierte und 1617 ftarb. Achmed Hin- 
terfieh fieben Söhne im Kindesalter, fodaf man vorerft feinen Bruder Muftapha zum Sultan 
erhob. Diefer war durch das Seraitleben zum völligen Idioten geworden, und die Großen fahen 
ſich nad} drei Monaten genöthigt, den Herrfcher wieder ins Serail zu verſchließen und den 
4Yährigen Osman IE, den älteften Sohn Achmed's I, zum Sultan zu erheben. Nachdem 
" Dömanim Alter von 149. felbft die Zügel der Regierung ergriffen, ließ er feinen Bruder fofort 
erwürgen und begann 1621, von kriegeriſchem Geifte befeelt, einen fehr unglücklichen Krieg 
mit Polen, der eine Empörung der Janitſcharen veranlafte, die nochmals deſſen Oheim, ben 
Idioten Muftapha, auf den Thron (1622) fegten und Os man ermordeten. Es begann ein 
grauenhaftes Regiment der Soldatesfa, ſodaß die angefchenften Beamten des Reichs den Mur 
ſtapha abermals einfperrten und dafür den 12jährigen AmuradTV., ben Bruder Dsman’s IL, 
auf den Thron festen. Diefer junge kriegerifche Herrſcher ergriff im Alter von 15 J. die Ne 
gierung und erwarb fic) durch feine Brutalität und Graufamfeit den Namen bed türk Nero. 
Er eröffnete feit 1635 den Krieg gegen Perfien, nahm unter furchtbaren Verheerungen 1658 
Eriwan und Bagdad, ftarb aber [don 1640 in Folge wilder Ausfchweifungen. Die Zahl De 
zer, welche er hinrichten lie, beläuft ſich auf 100000, darunter ſeine drei Brüder und fein 
Deim Muftapha. Ihrabim L, der einzige noch übrige Spröfling von Osman's Stamme, 
folgte nım ais Sultan. Er führte eine fo tolle und blutige Serailwirthſchaft, daf mar ihn 1648 
abfegte und hinrichtete. Sein ältefter Sohn, der fiebenfährige Mohammed IV. ward auf ben 
Thron gehoben, deffen Jugend unter blutigen Palaftintriguen verlief. Ein großer Seefieg ber 
venetianiſchen Flotie 6. Juli 1656 über die tůrk. am Eingange der Dardanellen verfegte die 
Hauptftabt und das ganze Reich in Zittern, brachte aber auch zugleich den erften Grofvezier aus 
dem Gefchlechte der Köprili (f. d.) and Staatsruder, der die Ordnung im Innern herftellte und 
4661 feinen gleich berühmten und fähigen Sohn Achmed Köprili zum Nachfolger im Wezirat 
hatte. Regterer erlitt zwar im Kriege gegen Kaifer Leopold 1, durch deffen Feldherrn Mon 
tecuculi (ſ. d.) 4. Aug. 1664 die furchtbare Niederlage bei St.-Gotthard, entrif aber dafür 
unter langen und großen Anſtrengungen 1669 Candia (f. d.) den VBenetianern. Diefer Eieg 
entflammte das Kriegäfeuer der Türken, aber nur um ihre Macht um fo eher aufzureiben. Kö 
priii mifchte ſich zuvoͤrderſt in die Streitigkeiten der Kofaden mit den Polen, drang 1672 zum 
erften mal über den Dnieſtr ins poln. Gebiet, fand indeffen in den folgenden Jahren an Johann 
GSobiefli einen gewaltigen Gegner. Er ſchloß 1676 mit Polen einen Frieden, welcher der 
Pforte nur Podolien und für ihren Schügling, den Kofadenhetman Dorozensko, einen Theil 
der Utraine einbrachte. Köprili ftarh Hierauf und der unfähige Mohammed IV. nahm nun Kara- 
Wuſtapha (ſ. d.) zum Großvezier, der fich alsbald mit dem Zar Beodorlil. in Bezug auf die An- 
gelegenheiten der Koſacken in einen Kampf (1677—79) verwickelte, weldher mit Vertreibung 
der Türken aus ben Ländern jenfeit des Dnieſtt endigte und den-Ruffen da6 Schwarze Meer 
öffnete. Zu diefem neuen Feinde, ber fortan beharrlich und faft immer fiegreich eine der Provin- 
zen nach der andern übergog, kamen noch vernichtende Kriege gegen ftreich (f.d.). Moham- 
med IV. ernannte 1683 Emmerich Töfely zum Bafallenkönig von Mittelungarn, wodurch er 
den mit Reopold I. 1664 abgefchloffenen Frieden verlegte. Kara-Muflapha, anftatt ben Re 
damationen des Kaiſers zu genügen, faßte fogar den Plan, an der Donau herauf in das Her 
des Deutfchen Reichs zu dringen, Wien zu erobern und diefe Stadt zum Mittelpunkt einer neuen 
obmaniſchen Herrſchaft zu machen. Mit einem Heere von 200000 Mann eröffnete er im Juli 
1683 bie Belagerung von Bien, erlitt aber aus Ungeſchicklichteit und Nadläffigkeit 12. Gept. 
durch das unter Sobieſki vereinigte Heer der Polen, Balern, Sachſen und Oftreicher eine 
entfpeidende Niederlage, bie Deutfchland vor dem Einbruche der Türken rettete: Du 
ſtapha wurde auf feinem Rüdzuge durch Ungarn (f.d.) von Gobiefti noch zwei mal (9. Dt. 
und 11. Nov.) geſchlagen und dafür 25. Roy. zu Belgrad, inmitten der Trümmer feines Hee · 
zes, auf Befehl des Sultans erwürgt. Diefe Siege führten zu einer Allianz zwiſchen Oſtreich, 
Polen und Venedig, fobaf nun die Pforte von drei Seiten zugleich, In Ungarn von Oftreih, 
in Dobolien und ber Moldau von den Polen, in Dalmatfen umb dem Peloponnes von den 


Dimanifces Reich 481 


Benetianern angegriffen ward. Während ber Herzog von Lothringen einen feflen Plat mach 
bem andern in Ungarn nahm, 18. Aug. 1686 fogar Dfen, das Hauptbollwerk der Türken, 
eroberte und biefelben endlich in ber furchtbaren Schlacht bei Mohacz 12. Aug. 1687 ver 
wichtete, war zwar ber an Gtreitmitteln ſchwache Sobiefli in der Moldau weniger glücklich, 
aber die Benetianer und Maltefer unter dem Admiral Morofini vertrieben die Türken 
aus den Sonifchen Infeln und eroberten Morea. Im Angeſichte diefer Unglüdsfälle, welche 
dem Osmanifchen Neihe im Europa ein Ende zu machen fchienen, warb der unfähige 
Sultan Mohammed IV. 1687 abgefegt und eingefperrt und dafür fein Bruder Soliman M. 
auf den Thron gehoben. Während bie Oftreicher unter bem Markgrafen Ludwig von Baden 
an ber Donau vordrangen und 1688 fogar Belgrad nahmen, ſodaß ihnen der Weg nach Kon- 
ftantinopel frei fland, ernannte der unfähige Sultan einen dritten großen Dann aus dem Ge 
ſchlechte der Köprill, Muſtafa, zum Vezier, der mit Talent und Kraft die innere Ordnung her⸗ 
ſtellte aber 19. Aug. 1691 in der großen Schlacht bei Szalankemen den Öftreichern unter dem 
Markgrafen von Baden vollig unterlag und dabei feinen Tod fand. Soliman I. war inzwifchen, 
einige Monate vor biefer Niederlage, geftorben, und fein noch unbebeutenderer Bruder A5mebIL 
war ihm in der Herrfchaft gefolgt. England und Holland, welche das Glück der öſtr. Waffen 
zu fürchten begannen, fuchten nun den Frieden mit der Pforte zu vermitteln. Achmed U. ſtarb 
jeboch während der Verhandlung, und fein Nachfolger Ruſtapha IL, ein Sohn Mohammed's IV., 
wies den Frieden zurüd und begann die Kämpfe gegen alle chriftlichen Mächte von neuem. Die 
Türken ſchlugen die venet. Flotte im Archipel, warfen Peter L von Rußland (Det. 1695) von 
Aſow zurüd und traten auch in Ungarn fiegreich auf. Hier aber fhlug ber Prinz Eugen (f. d.) 
11. Sept. 1697 das osman. Heer in der Ebene von Zentha fo enticheidend, daß der Sultan felbft 
kaum mit bem Leben davon fam. Diefer Sieg führte endlich 1699 zu dem wichtigen Frieden 
von Carlovicz (f. d.), der ben vollftändigen Verfall der osman. Macht bezeichnete und gewiffer- 
maßen fchon eine Theilung ber Türkei in fich ſchloß. Siebenbürgen und Ungarn fielen —* 
zu; Rußland erhielt das Gebiet von Aſow; Polen nahm Podolien und die Ukraine zurück; Ve⸗ 
nedig behielt Morea. 

Muſtapha U. wurde hierauf abgefegt und an feiner Stelle von den Janitſcharen 1703 fein 
Bruder Achmed IEL auf den Thron erhoben, der gleichgültig und träge den Streitigkeiten der 
chriſtlichen Mächte Europas zufah. Endlich gelang es Karl XII. (f. d.) von Schweden, der nady 
ber Niederlage bei Pultawa feinen Aufenthalt in der Türkei genommen hatte, ben Sultan zum 
Kriege gegen Rußland zu beivegen ; aber leicht erlaufte der am Pruth eingefchloffene Peter I. 
(f. d.) 1711 den Frieden durch die Rückgabe von Aſow. Indeffen griffen die Türken mit Glück 
Morea an, nahmen e6 1715 den Benetianern, riefen aber hiermit wieder bie ſtreicher unter 
Eugen auf den Kampfplatz, der das Heer des Sultans bei Peterwardein und Belgrad ſchlug 
und 1718 den Frieden zu Paſſarowicz herbeiführte, welcher der Pforte noch Belgrad, Temes⸗ 
var und Theile von Serbien und ber Walachei koſtete. Ebenfo unglüdli waren Achmed’s 
Waffen gegen Perfien, ſodaß er das Schickſal feiner Vorgänger theilte und 1730 abgefegt und 
eingefpertt wurde. Ihm folgte in der Regierung Mahmud L, ein Sohn Muſtapha's II., ein 
geiftvoller und gebildeter Charakter, deffen Waffen aber 1756 abermals den Ruffen unter Mün- 
nich (f. d.) unterlagen, während die mit Rußland verbimdeten Öftreicher diesmal nicht glücklich 
waren. Frankreich bewirkte 1739 den Abfchluß des Friedens zu Belgrad, durch welchen die 
Pforte Belgrad mit Serbien und der Walachei wiebererbielt. Mahmud 1. ftarb 1754 und hatte 
feinen Bruder Dsman IIL zum Nachfolger, ber indeffen fon 1757 unrühmlich endete. Als 
fein Nachfolger Muſtapha IIL, ein Bruder Achmed's II, Rußlands fteigende Größe wahr 
nahm und deshalb von Katharina II. verlangte, daß fie Polen räumen follte, entfchieben im 
Kriege von 1768— 74 Rumjanzow's Triumphe aufs vollftändigfte das politifche Übergewicht 
Rußlands (f. d.) über die osman. Macht. Schon damals, 1770, vernichtete eine ruff. Flotte die 
türkifche bei Tſchesme (f. d.) und Aleris Orlow rief die Griechen zur Freiheit auf. So mußte 
endlich Ahd-ul-Samid, ber Bruder und feit 1774 Nachfolger Muſtapha's III. 24. Juli 1774 
den Frieden von Kutſchuk⸗Kainardſchi (einem Flecken unweit Siliſtria in Bulgarien) fchließen, 
deffen Beftimmungen fpäter mehrfach von den Ruffen angerufen wurden. Die Pfortergab ihr 
Hoheits recht über die Tataren der Krim, Beffarabiens und des Kuban auf, erklärte diefelben für 
politifch unabhängig, behielt jedoch das illuforifche Recht der Protection rückſichtlich der Reli- 
gion diefer Volker. Rußland nahm im Taurifhen Cherfones vor ber Hand eine Menge bedeu- 
tende Pläge (Taganrog, Aſow, Yenikale, Kertſch u.f.w.) an den Mündungen bes Don, Dniepr 

Gonv.ser. Zehute Aufl. XL | | 31 





408 Diiichiiies Mail 


und bee Donau und behielt 14 die face Bdifiaer im Eufwarıen unb Mittellãndiſchen Reue 
vor, ſowie bie nina Protettion ber Bekinner ber griech. Kirche im 28*— 
Keiche:. Die Pforte erhielt zwar die Nolbau und Malachei £, verpfuchtete ſich aber, bie 

bertigen Ghriften mit Milbe por Bettihtigkeit zu behandeln. : nei gebeten — met 
fi außerdem die Pforte anheiſchig, ber Katferin Katharina & 






—— — —ã und der ehe * Rußlands, den es auch fortan mit gleidhene 
Geſchick und mit aller Conſequenz zu benutzen wußte. Rußland verleibte ſich zwörderſt den po⸗ 
litiſch für unabhängig erflärten tauriſchen Cherſones ein, und wiewol ber Sultan dieſen Act 
förmlich beftätigte, zwang ihn doch endlich die zurückgehaltene Erbitterung (namentlich über Die 
triumphirenbe Reife der Zarin in ber Krim), 1787 an Katharina abermals ben Mrikg zu erfiä- 
. „zen; ber aber fo unglädiid, geführt wınbe, daß Rußland im Frieden su Jaſſy, 1792, Taurien 
behauptete, ba6 Land zwiſchen bem Bug und Dniefte nebfk nebft Digafos erhielt ımd auch am Kam 
kaſue ſich noch vergrößerte. Auch ‚ dem bie Pforte 1777 die Bukowina zugeſtanden 
batte, war auf dem Kampfplage für Rußland aufgetreten, ſedoch im Ganzen mit wenigem 
. Gtüd, und Hatte, von Preufe bedroht, das eroberte Belgrad im Frieden —— 1701, 
zurückzgeben müſſen. Um * Zeit ſeßg im Sanentt die Zerrüttum und ierung immer 
mehr, und bie öffentliche Meinung Europas war ſchon damals überzeugt, daß das Dimanifche 
Reich, gegenüber der Gultur und * Andringen bes chriſtlichen Weſten, wentgftens in Eu⸗ 
ropa ſich ausgelebt Habe. Bereits 1770 hatte die Zarin dem Kaifer Joſeph IL. die Theilung ber 
Zürkei vorgeſchlagen, wobei Rußland freilich der Wwenantheil zufallen ſollte. Die enrop. 
Mächte begriffen indeſſen ſehr wohl, daß Rußland mit dan Befige Konſtantinopels vnd ber 
ae der Europ. Türkei eine ganz veränderte, ben Weſten erbrüdende Weltſtellimg ew» 
halten müffe. Seit dem Frieden von Kainarbſchi war men daher ſtets beforgt, wenn Ruß⸗ 
land beohte ober feine Waffen gegen ben ohnmärhtigen Nachbar erhob. Die Beſchaͤftigung 
mit dem endlichen Schickſale ber Shrfei oder die fogenannte Drientalifche Frage warb eine fie 
hende Aufgabe der europ. Diplomatie. Frankreich und England namentlich fuchten fortan bie die 
Pforte zu flügen und zu berathen, während Oſtreich, mehr feinem Intereffe gemäß, darüber 
- wachen mußte, daß im Falle einer Entfcheidung die untern Donauländer nicht in Ruflande, 
“ fondern in feine Hände fielen. Der Sultan Selim IIL. (f.d.) hatte wol Geiſt und Kennmiß, aber 
nicht Kraft, durchgreifende Reformen in feinem zerrütteten Reiche durchzuführen. Gewiß wäre 
die® auch damals, gegenüber der noch Träftigern osman. Nationalität und Tradition, weniger 
ausführbar geweſen als im 19. Jahrh. Die Herftellung eines andern Zufammenhangs in ber 
weitichichtigen Ländermaffe als nächft dem gemeinfamen Glauben die Furcht vor der Macht des 
Großherrn erſchien unmoͤglich. Diefe Macht aber war nach und nach gefunten. Mehre fühne 
Statthalter in den Provinzen machten ſich gänzlich frei und regierten wie bie Sultane ſelbſt. 
So Paßwan⸗Oglu in Widdin (ſ. d.), ſpäter Juſſuff in Bagdad, Ali (f. d.) Paſcha von Jar 
nina, mehre Paſchas i in Anadoli u. A. Das Volk ſelbſt brütete, bis auf einzelne Ausbrüche ſei⸗ 
ner aſiat. Wildheit, in dem alten Stumpfſinn fort. Dagegen regte ſich die Sehnſucht nach Be⸗ 
freiung bei den Griechen, kräftiger noch bei den Serbiern. Hierzu traten endlich noch die Ereig⸗ 
niſſe im Gefolge der Franzöſiſchen Revolution, durch welche die Pforte tiefer in die europ. 
Verhältniffe und Schickſale hineingezogen wurde. 

Die Pforte Hatte in den Kämpfen mit Frankreich, ihrem älteften Verbündeten, anfangs eine 
firenge Neutralität zu bewahren geſucht. Endlich reiste Bonaparte's Zug nach Agupten ihren 
Unmillen fo, daß ſie 1: Sept. 1798 Frankreich den Krieg erklärte. Durch ihr Bündniß mit 
Rufland, im Dec. 1798, und mit England und Neapel, im Jan, 1799, kam fie nun umter bie 
Zeitung des ruſſ. und engl. Cabinets. Im 3.1801 gelangte Aghpten aus den Händen der 
Franzoſen zwar wieder an die Pforte zurüd, und der neue Statthalter Mehemed · Ali (ſ. d.) ſtellte 
auch bald die Ordnung wieder her; aber im Divan gab es ſeitdem zwei Parteien, eine ruſfiſch· 
britiſche und eine franzöft fhe. Rußlands Übergewicht drückte auf Die Pforte, namentlich in den 
Joniſchen Infeln und in Serbien, und darum neigte fie fich wieder zu Frankreich‘ hin. Als nun 
Ausland 1806 fogar die Moldau und Walachei befegte, brach der alte Haß los und bie Pforte 
erklärte, auch noch von Frankreich dazu gereizt, Mußland 30. Dec. 1806 den Krieg, indirect 
damit zugleich ber europ. Koalition gegen Frankreich. Cine engl. Flotte drang feindlich durch 
die Dardanellen und erfhien 20. Febr. 1807 vor Könftantinopel, während ber franz. General 
Sebaftiani (ſ. d.) mit Erfolg den Widerftand des Divans und des erbitterten Volkes ftachelte 


4 





Osmaniſches Reich Ä 483 


und fogar militärifch leitete, ſodaß die engl. Flotte die Dardanellen verlaffen mußte. Dennoch 
machten die Ruffen große Fortfchrirte. Das Volk, das die von Selim IH. betriebenen Neuerun⸗ 
gen al& die Quelle der übeln politifchen Lage anfah, gerieth in Aufregung, und der Sultan wurde 
in einer Revolte der Janitfcharen 29. Mai 1807 von den Mufti abgefegt. Muſtapha IV., ein 
Sohn Abd-uleHamid’s, mußte die verhaßten Reuerungen aufheben. Aber nachdem die türf. 
Flotte von der ruffifchen bei Lemnos 1. Juli 1807 gänzlich gefchlagen worden war, benugte Se⸗ 
lim's Freund, der kühne Paſcha von Ruſtſchuk, Muftapha Bairaktar, den Schrecken der Haupt« 
ftadt, um fich derfelben zu bemächtigen. Der unglüdlihe Selim verlor darüber im Ge 
fängniffe das Leben (28. Juli 1808), und Bairaftar erhob an des abgelegten Muftapha IV.. 
Stelle Mahmud IL (f. d.) auf den Thron. Als Mahmud's Großvezier ftellte er das neue Sy⸗ 
ftem des Heerweſens wieder her und ſchloß mit ben Ruſſen einen Waffenftillftand; aber die 
Huth der Sanitfcharen brad) aufs neue los und vernichtete 16. Nov. 1808 ihn und fein Wert. 
Mahmubd blieb auf dem Throne, denn er war nach Muftapha’6IV. Hinrichtung der einzige Fürſt 
aus Osman's Geflecht. Er zeigte bald ungewöhnliche Kraft und Klugheit, verfohnte ſich 5. Jan. 
41809 mit Großbritannien und fegte den Krieg gegen die Ruffen (f. Rußland) mit doppelter 
Anftrengung fort. Dennod) gelang es der ruff. Diplomatie, im Divan die franz. Partei zu be⸗ 
fiegen und Die Pforte im Augenblicke, wo ihr der Krieg Napoleon's mit Rußland die glänzend- 
fien Ausfihten gab, zu dem nadıtheiligen Frieden von Bukareſcht (ſ. d.) 1812 zu bewegen, in 
welchem fie den Ruffen einen Theil der Moldau und einige Landftriche am Kaukaſus abtrat. 
Die fich felbft überlaffenen Serbier (ſ. Serbien) wurden aufs nee den Türken unterthan ; doc) 
behielten fie in dem Vertrage, den fie im Nov. 1815 mit der Pforte ſchloſſen, die eigene Verwal⸗ 
tung ihres Landes. Seit dem Frieden von Bukareſcht ftand Rußland drohender als je der Pforte 
gegenüber, in Afien wie in Europa; feine Flagge herrfchte im Schwarzen Meere und fein Ein- 
fluß im Divan. Mahmud mußte fogar 1817 die Hauptmündungen der Donau an Rußland 
überlaffen. Der Aufftand der Griechen 1821 verwidelte die Verhältniffe der beiden Nachbar- 
ftaaten noch mehr und verfegte der wantenden Macht des Reichs neue Schläge. Die Pforte fah 
wohl, dag Rußland insgeheim den Aufftand der Griecdyen begünftige, und befegte nicht nur die 
Moldau und Walachei, fondern befchräntte auch die ruff. Handelsſchiffahrt. Beides war aber 
dem Bufarefchter Frieden entgegen. Nach einem lebhaften Notenwechſel verließ der ruff. Geſandte 
Stroganow Konftantinopel, Die Vermittelung des engl. und des öfte. Hofs, fowie des Kaiſers 
Alerander Liebe zum Frieden verhinderten zwar den Ausbruch eines Kriegs ; allem der Divan 
verweigerte dem ruff. Cabinet die verlangte Genugthuung. Der Kaifer Ritolaus erzwang end» 
lich durch ein Ultimatum die Zugeftehung aller ruff. Foderungen, und 6. Dct. 1826 nahm ber 
Divan ſämmtliche 82 Punkte des ruſſ Ultimatums in den Conferenzen zu Akjerman an. Die 
forte überließ in dem Vertrage von Akſerman (f.d.) den Ruſſen alle Feflungen in Afien, melche 
fie bisher zurückverlangt, und erkannte den von Rußland beftimmten Rechtszuftand in Serbien, 
der Moldau und Walachei an. Doc) zog fie ihre Truppen aus den Fürftentbümern erft 1827 
zurüd. Unterdeffen hatte Mahmud in der That große Reformen im Innern begonnen. Gin 
Heer ward auf europ. Fuß etrichtet und das Janitſcharencorps nach einem mörderifchen Kampfe 
im Juni 1826 gänzlicy aufgehoben. An die Stelle der Janitſcharenherrſchaft trat indeſſen jegt 
ein rückſichtsloſer militäriſcher Despotismus, welcher. felbft die Ulemas nicht verfchonte. Zur 
gleich wies die Pforte, zulept im Suni 1827, jede von Rufland, England und Frankreich an⸗ 
gebotene Vermittelung des Kriegs mit den Griechen übermüthig zurüd. Als nun auch nad) 
dem Falle ber Akropolis von Athen (3. Zuni 1827) Oft und Weſthellas aufs neue der Pforte 
unterworfen waren, vermied es Mahmud nicht mehr, Rußland zum Kriege zu reizen. Aber 
auch diefer Kanıpf wandte fi) bald zum größten Nachtheile der Pforte. Der ruſſ. Feldherr 
Diebitſch⸗Sabalkanſti (f. d.) ftand 6. Aug. 1829 bereits zu Kirkkiliſſa, 20 M. von Komflanti- 
nopel, und ein ruff. Corps war zu Iniada gelandet. In Afien eroberte Yaskewitich (f. d.) Erze⸗ 
rum, und in Guropa fah fich der Großvezier in Schumla eingefchloffen. In Europa und Afien 
mweigerten ſich außerdem die hart mitgenommenen Volker des Reiche, auf Mahmud's Gebot die 
Waffen zu ergreifen, und die Stimmung in der Hauptftadt bedrohte fogar das Keben des Sul- 
tand. Erſt in folcher Lage nahm Mahmud den Londoner Pacificationsvertrag Griechenlands 
vom 6. Juli 1827 und das Protokoll vom 22. März 1829 an, erffärte auf'der Grundlage des 
Tractats von Mljerman mit Rußland unterhandeln zu wollen umd unterzeichnete den Frieden 
zu Adrianopel (f. d.) 14. Sept. 1829. Die Pforte zahlte an die ruff. Unterthanen eine Ent 
ſchädigungsſnmme von 1, Mill. Dukaten und übernahm bie Abzahlung einer Summe von 


% 


Dsmaniſches Reid; 485 

Maßregeln zur Hebung der öffentlichen Wohlfahrt begann, fa fogar Abgeorbnete aus den Pro⸗ 
vinzen zur Berathung über die einzuführenden Verbefferungen nad Konftantinopel kommen 
ließ, fo blieben doch alle dieſe Mafregeln ohne Refultate, da fie dem nationalen und religiöfen 
. Charakter des alten afiat. Türkenthums widerfprachen und auch an dem Widerwillen der Bes 
amten in der Detailausführung fcheiterten. Dies bewiefen nur zu deutlich die fortdauernden 
Misftände im Innern des Reiche. So die Aufftände in den Paſchaliks Eimas und Bosnien 
1840; der elende Zuftand, in den Syrien (f. d.) feit ber Rückkehr unter die unmittelbare Herr⸗ 
{haft der Pforte verfiel; die Grauſamkeiten und Plünderungen, die ſich aufrübrerifche Albane- 
ferbanden in Albanien, Macedonien und Thrazien erlaubten, fowie die Gräuel, welche 1846 
gegen die kath. Albanefer von dem Statthalter von Skodras u. A. geübt wurden. Dies be- 
wies ferner die fortwährende Unbotmäßigkeit Kurbiflans trog ber beiden Feldzüge gegen Die 
fe Land in den 3. 1847 und 1852; der durch Omer⸗Paſcha's Gemaltmittel unterdrüdte und 
immer wieder aufgeftachelte Auffland in Bosnien und der Herzegowina; der Aufſtand in 
Aleppo 1850; die wiederholten Aufftände auf Samos; endlich Die ungeminderte Tyrannei der 
Paſchas in den Provinzen überhaupt. Auch in Konftantinopel, um Hofe des Sultans felbft, 
verlor bie Reformpartei fehr bald ihre Wirkſamkeit durch den allmächtigen Einfluß der Sultan- 
Balide (geft. 18355) und ihres Günſtlings, des Hofmarfchalls Riſa⸗Paſcha. Erſt mit dem 
Sturze des Letztern, am Ende des I. 1845, und der Erhebung Redſchid⸗Paſcha's zum Mini⸗ 
fier des Auswärtigen und im Sept. 1846 zum Großvezier erhielt die Reformpartei aber- 
mals neuen Einfluß, der auch in mancher Hinficht einigen Erfolg Hatte. Dennoch konnten fi 
diefe Beftrebungen weder in die Breite noch in die Tiefe geltenb machen, da fie zu fehr dem 
Geiſte des immer noch allmächtigen Alttürkenthums widerftrebten. Die Eonceffionen und Ge 
genconceffionen, welche ſich einige Zeit beide Parteien machten, endigten damit, daß im Herbſt 
1852 Redſchid⸗Paſcha und feine Anhänger wieder geftürzt und die Reformen fiftirt wurden. 
Die allgemeine Lage des Reichs und namentlich der Umftand, daß die Staats männer der Pforte 
die Verträge mit ben europäifchen Staaten als ein aufgelegtes Joch betrachteten, führten auch 
fortgefegt auswärtige Verwidelungen herbei. So 1846 den Conflict mit Griechenland (f. d.) 
in Bezug auf den türk. Gefandten Muffurus, mit Frankreich 1846 rüdfitlich der Zuſtände 
im Libanon und 1852 wegen der heiligen Orte in und um Serufalem, mit Sſtreich und Ruß⸗ 
land 1849 in Bezug auf die öſtr. Flüchtlinge. Der diplomatiſche Sieg, den die Pforte in letzte⸗ 
rer Angelegenheit durch Englands Unterflügung gewann, verlieh ihr bie Zuverficht, Rußland 
und Öftreich entfchiedener als biöher, ja dem Gabinet von Wien gerabezu feindfelig entgegen- 
zufreten. Die alttürk. Partei, die im Divan bas Übergewicht batte, fegte fogar den Beſchluß 
durch, angefichts der Vorgänge in Montenegro (f.d.), die man dem Einfluffe Rußlands zu- 
fhrieb, jenes Rand mit Waffengewalt unter die Bormäßigkeit der Pforte zurüdzuführen. 
Dmer-Pafha (f.d.) unternahm Anfang 1853 an ber Spige eines ſtarken Armeecorps bie 
Unterwerfung Montenegro, gelangte aber in Folge auferordentliher Naturhinderniſſe und 
eines tapfern Widerftandes von Seiten der Montenegriner nicht zum Ziele. Inzwifchen übergab 
der öfte. Gefchäftsträger 7. Jan. der Pforte eine Note, in welcher die Gewähr für fchonendere 
Behandlung der bosnifhen Ehriften, Mafregeln gegen bie ungar. Flüchtlinge, ungerheilte Be⸗ 
nugung der Sechäfen Sutorina und Kle im Adriatiſchen Meere durch Oſireich, die Auszah⸗ 
lung mehrer Schuldfoderungen öſtr. Unterthanen u. |. w. verlangt wurden. Noch hatte die 
Dforte auf die Note nicht geantwortet, ald der Graf von Leiningen als außerordentlicher Ge⸗ 
fandter in Konftantinopel erfchien und 3. Febr. 1853 von der Pforte eine beftimmte Erklärung 
über jene Foderungen, eine Eategorifche Antwortüber Zweck und Ausdehnung des Kriegs gegen 
Montenegro und die unmittelbare Entfernung ber ungar. Flüchtlinge aus dem türf. Heere ver- 
langte. Schon 14. Febr. fagte die eingefchüchterte Pforte die Erfüllung aller öftr. Foderungen 
zu und fiftirte ben Kampf gegen Montenegro. Kaum ſchien diefe Angelegenheit geordnet, als 
"von Seiten Rußlands ein Conflict heraufbeſchworen warb, ber Die orientalifche Frage überhaupt 
alsbald zum Gegenftande der Verhandlung aller Mächte und ber öffentlichen Meinung von 
Europa machte. Um die fortdauernden, theilweife ſtandalöſen Streitigkeiten der griech. und 
lat. Chriſten in Bezug auf ihre Rechte an den heiligen Orten Jeruſalems zu ſchlichten und al⸗ 
len, namentlich Frankreichs Foderungen zu genügen, hatte die Pforte in einer Verordnung vom 
Febr. 1852 die Entfcheidung getroffen, daß alle chriftlichen Gonfeffionen bafelbft gleiche Befug- 
niffe genießen follten, wodurch allerdings die behaupteten Prärogative der Griechen einiger 
maßen beeinträchtigt fein mochten. Am 16. März 1853 überreichte hierauf ein außerorbent- 
licher ruff. Bevollmächtigter, Fürſt Menfchitow (f. d.), unter rauhen, faft feindfeligen Formen 





As u Disbenitceh Bekh | 

wver Pforte eine Note, welche erklärte, daß bie Minifter deß Bultans har — 
fiptlich der Heiligen Drte nicht nachgekommen, ja foger zuwiderlaufende Gntieeibungen ge 

:tusffen Hätten. Dies fei eine Verlegung der religisfen Überzeugungen bes Kaifers von Ruf 
land und der Rüdfichten, die man dem Baren ſchuldig. Der Botfchafter fei daher beauftragt, 
fünftigen Berhinderung folcher Rechtsverſtöße, ſowie zur Beſchwichtigung ber eh 

Chriſtenheit einen förmlichen Bertrag von ber ‘Pforte zu verlangen, der eine unnerlegliche 
rantie für bie Zukunft enthalte. Am 19. April überreichte hierauf Menſchikow zur Finde 
zung feiner Foderungen eine zweite Rote, in welcher ausgeſprochen ward: der Bar verlange 
jene —— für die Zukunft in dee Weiſe, daß die Unverletzlichkeit des Cultus, zu Dem er 
ſelbſt fich mit der Mehrzahl feiner und der chriſtlichen Untertanen des Sultans beienne, gefi- 
Gert ericheine; er verlange bie förmliche Gontrabirung einer Acte von folcher Kraft und Natur, 
daß biefe Durch die Auslegungen übelmollenber oder gewiſſenloſer Beamten nicht alterirt werben 
‚könne. Es handelte ſich alfo hiernach nicht mehr um die Rechte der Griechen an den heiligen Dr- 

ten, fondern Rußland begehrte von der Pforte, kraft einer feierlichen Verbürgung der b 





u ben Bechte der griech. Kirche im Demaniſchen Reiche, indirect dad Recht, vorfommenden Falls 


GBunften der osman. Griechen einfchreiten zu fönnen. Es war dies nicht nur eine Auffriſchung 
ondern eine beſtimmte Formulirung des Protectorats, welches Rußland in jenem Bertrage von 
Kainardſchi zugeflanden erhalten Hatte. Die Pforte begriff die Tragweite der Foderung ſehr 
wohl. Sie theilte zuvörderſt 5. Mai dem Fürften Menſchikow den Erlaß zweier Fermans mit, 
wonach bie Kuppel der Heiligen Grabkapelle wiederhergeſtellt werben follte und bie Streitig 
keiten ber Griechen und Lateiner über gewiſſe Deiligehümer in Jeruſalem in eher 
Weiſe erledigt * Menfchitom Hingegen erwiderte, daß dies nur dem einen Theile feiner 
Boderungen äche; bie Hauptſache, die vertragemäßige Garantie ber Rechte ber griech. 
Kir fei noch nicht erledigt und er fege hierfür der forte eine Frift bis zum 10. Mai. Bu- 
eich lag biefer Rote ein Gontractgentiourf bei, in dem ber Hauptartikel dahin ging: baf Beine 
| gen an den Rechten, Privilegien und Immunitäten vorgenommen werben bistften, 
in deren Wefige fich die griech. Kirchen, die religiöfen Inflitute und der Klerus feit alten Zeiten 
innerhalb ber Grenzen des ganzen Dsmaniichen Reiche hefünden. Die Pforte entgegnete biefem 
Anſinnen 10. Mai, wie fie foldhe Foderungen, bie mit ihrer Ehre und Unabhängigkeit verträglich, 
gern bewilligen wolle ; wie fie hingegen feinen Vertrag mit einer fremden Macht —— kön⸗ 
ne, der in die innern Angelegenheiten des Reichs eingreife, weil fie hiermit ihre Souveränetärs- 
rechte preisgeben würde. Zugleich gab der Sultan die beftimmte Erklärung, daß er aus freiem 
Antriebe die Freiheiten und Privilegien aller hriftlichen Confeſſionen und namentlich bie der 
Griechen im ganzen Umfange feines Reichs aufrecht erhalten werbe. Mit dieſer allen Mächten 
und allen Confeſſionen gemachten Zufiherung glaubte die Pforte Rußland den Grund für jede 
fpecielle Foderung genommen zu haben. Allein Menſchikow beftand fortgefegt auf dem Ber- 
trage, verlängerte aber fein Ultimatum bis zum 14. Mai. Inzwiſchen fand 13. Mai ein Wech⸗ 
fel des Pfortenminifteriums ftart, anfcheinend zu Gunften Rußlande, wol aber nur, um ben 
Sultan mit Männern zu umgeben, die ber fchwierigen Lage gewachſener wären. Muftapha- 
Paſcha ward Großvegier, Mehemeb-Hli- Paſcha Kriegsminifter, Redſchid⸗Paſcha Miniſter des 
Auswäartigen, und man erbat ſich in Rückſicht dieſer Veränderungen von Menſchikow einen 
Aufſchub von ſechs Tagen. Schon am 19. zeigte darauf Redſchid⸗Paſcha den ruſſ. Bevol- 
mädtigten an: die Proclamirung eines bem griech. Patriarchen zu Konftantinopel bewilligten 
Fermans müſſe fortan jede Befürchtung dei ruff. Kaifers rückſichtlich einer Beeinträchtigung 
des griech. Cultus befeitigen ; Veränderungen binfichtlich der heiligen Orte follten künftig nicht 
ohne bie Kenntnifnahme Nußlands und Frankreichs vorgenommen werden; den Ruſſen fei 
ferner die Errichtung einer Kirche und eines Hospitals zu Serufalen geftattet; auch wolle die 
Pforte einen feierlichen Act ſowol hierüber wie über die befondern Privilegien des ruſſ. Klerus 
dafelbft unterzeichnen. Da die Pforte aber trog diefer Zugeftändniffe, welche dem erſten Auf- 
treten Menſchikow's wol entfprachen, ben verlangten Bertrag ablehnte, brach der uff. Botſchaf⸗ 
ter die Unterhandlungab und verließ 21. Mai mit feinem Gefandtf chaftsperſ onal Konſtantinopel. 
Die Pforte erließ nun (26. Mai) ein Memorandum an die vier Mächte, in welchem ſie die 
Gründe ihres Verfehrens darlegte und in Rückficht der Rüſtungen Rußlands auch ihrerſeits 
Vertheidigungsmaßregeln in Ausſicht ſtellte; ein Circular des ruſſ. Hofs an feine auswaͤrti⸗ 
gen diplomatiſchen Agenten erklärte dagegen, daß der Zar bei ſeinen Maßregeln für die Er⸗ 
langung neuer Bürgſchaften im Intereſſe der griech. Kirche keineswegs die Integrität und Un- 
abhängigkeit der Pforte zu verlegen gebente. Zugleich eroͤffnete eine Note des Grafen Neſſel⸗ 


Dömanifches Reich :487 


rode vom 51. Mai Redſchid⸗ Paſcha, daß ber Bar die abfchlägige Antwort als perfönliche 
Beleidigung nehme. Es fei der Pforte noch eine Friſt von acht Zagen seftattet, nach deren Ver⸗ 
lauf uff. Truppen in die Donaufürfienthigmer einrücken würden, nicht um Krieg zu führen, 
fondern nur, um vom Sultan jene Zugefländniffe zu erlangen. Die europ. Diplomatie war mit 
den weitgeeifenden Foderungen Ruflands fogleich in Bewegung gerathen, und die Pforte hatıe 
in ihrer XBeigerung wie in ihren Zugefländniffen nicht ohne den Beirath Englands und Frank: 
reichs gehandelt. Da keine Thatſachen bie Beforgnifie in Betreff der Rechte der griech. Kirche 
rechtfertigten, fo war man der Anficht, daß ber Zar, gemäß den Traditionen der ruff. Politik, 
gegen die Zürfei langgehegte Plane ins Werk fegen oder wenigſtens deren Ausführung vorbe⸗ 
reiten wolle, trog feiner Verſicherung, die Integrität des Osmaniſchen Reichs nicht antaſten zu 
wollen. In der That erfchien auch die Lage Europas hierfür geeignet. Oftreich und Preußen, 
namentlich erſteres in Folge der ruſſ. Hülfsleiftung in Ungarn, hatten ſich nach dem Nieder« 
gange der europ. Revolution wieder enger an Rußland gefchloffen; England, durch feine mer- 
cantilen und induftriellen Intereffen mehr als je auf den Frieden angewiefen, mußte, wie ed 
ſchien, Anſtand nehmen, fi mit dem neuerrichteten Napoleon’fchen Kaiferreich in eine Allianz 
einzulaffen, und fland fomit vorausfichtlich bei einem Conflict mit Rußland vereinzelt; Frank⸗ 
reich& innere Zuftände aber erlaubten dem neuen Kaifer kaum, feinen erft errungenen Thron 
durch einen unfichern Krieg nach außen zu gefährden. Außerdem mochte ein bewarfnetes Ein⸗ 
{reiten der beiden weſtlichen Mächte leicht einen Weltkampf hervorrufen, defien Ende und 
Verwüſtung nit abzufehen und in dem auch die kaum gebändigten Elemente der europ. Re- 
volution wieberauferftehen und auf ben Schauplag treten Bonnten. Alle diefe Vorausfegungen 
mochten gegründet fein; aber das Anterefie, das Frankreich und England hatten, den Status quo 
rückſichtlich des Osmaniſchen Reichs aufrecht zu erhalten, war doch ftärfer als alle andern Rück⸗ 
fihten und führte fie zu bem Entfchluffe, nöthigenfalls vereint und mit den Waffen in der Hand 
der Pforte gegen Rußland beizuftehen. Man begriff, wie eine weitere Schwächung, Theilung 
oder gar Eroberung der europ. Türkei von Seiten Rußlands die Beziehungen der europ. Welt 
zu Aſien abfchneiden, das Mitteländifche Meer zu einem ruff. Binnenmeer machen und die 
weftlichen Reiche bem übermächtigen Einfluffe Rußlands unterwerfen würde. Schon Anfang 
Smi ſchickten England und Frankreich eine große vereinigte Flotte in die türk. Gewäſſer, bie 
fortan in der Beſikabai ihre Stellung nahm und als drohende Demonftration gegen Rußlands 
Vorgehen gelten follte. Die Pforte ihrerfeitd veröffentlichte zugleich (6. Juni) einen Ferman 
an bie Dberhäupter aller chriftlichen Gonfeffionen ihres Reichs, im welchem diefe ihre Rechte 
feierlich beftätigt und das Verfprechen der Abftellung aller Misbräuche erhielten. Wad Ruß⸗ 
land begehrte, war fomit im Allgemeinen gewährt und die Aufrechtbaltung der Glaubens- 
zechte allen Mächten zugefichert worden. Alle biefe Schritte vermochten indeffen Nuß⸗ 
land nicht aufzuhalten. Zwar mar noch ein rufl. Wtimatiffimum in Konftantinopel eingetrof- 
fen, wonach die Pforte die Aufrechtbaltung aller Rechte und Privilegien ber griech. Kirche 
garantiren und verfprechen follte, diefen Chriften, ſowie den Mitgliedern der rufſ. Botſchaft alle 
die Mechte einräumen zu wollen, die ben Chriften anderer Confeſſionen und den Geſandtſchaften 
anderer Souveräne zugefianden worden oder in Zukunft zugeftanden würden. Allein bie Pforte 
ſah fich gebrungen, auch diefen Antrag zu verwerfen, da in demfelben für ihre griech. Untertha- 
nen die erceptionelle firchlidye Stellung verlangt ward, melche die fremden Ghriften und die Ge⸗ 
ſandtſchaften der auswärtigen chriſtlichen Mächte im Osmanifchen Reiche einnehmen. Nachdem 
der Kaifer von Rußland in einem Manifefte vom 26. Juni feinen Völkern verfündigt, daß es 
ſich im Conflicte mit der Türkei überhaupt um Schug und Bewahrung ber orthodoren Kirche 
handle, rüdten feit dem 2. Zuli ruff. Occupationstruppen in den Donaufürftenthümern ein. Die 
Pforte begann nım mit Eifer im größten Maßftabe zu rüften und ward darin vonihrer moham⸗ 
mebdanifchen Bevölkerung mit Enthufiasmus und ungemeiner Opferbereitwilligkeit unterflügt. 
Auch die chriſtliche Bevölkerung, mit Einfchluß der Griechen, legte dem Sultan wiederholt ihre 
Ergebenheit an den Tag und äußerte nirgends Sympathien für die Ruffen. Inzwiſchen mad- 
ten die Regierungen und Diplomaten der vier Großmächte die Außerften Anfirengungen, um 
den Gonflict gütlich auszugleichen und den Weltfrieden zu erhälten. Bon den verſchiedenſten 
Seiten wurden Vermittelungsvorfchläge geboten, aber von den beiden Parteien als unzuläſſig 
verworfen. Endlich Fam 31. Juni zu Wien eine von den Miniftern der vier Mächte verein- 
barte Conferenznote zu Stande, weiche buch) ſtreich als Vermittelungs vorſchlag dem peterd- 
burger Cabinet übergeben und von dieſem unter der Bedingung acceptirt wurde, daß auch bie 
Pforte ohne weitere Verhandlung und Abänderung darauf eingebe. Gemäß biefem Vorichlage, 





Ausgleigungsen unter Sem Barbefai ——e— — 
* die aufgeführten drei Mn an, en Sie farid bie Faſſung des erflen Punkte 

Sultans u eine fen mb oki Im zweiten ben Vertrag von Udrianopel nur 
er —* von —— end angeführt wiſſen. Rüdfichtlich bed dritten Punktes er⸗ 


| —— 
| nal er biefen 





Härte fie, daß derſelbe indirect bie ——5 ‘einer — der einheimiſchen Griechen mit 
den fh zeitiweilig im Domaniſchen Heiche aufhaltenden und durch befonbere Br ——— 


„Bye frember Deäte in fi [ße maß {m Beyug auf Untethunen gängi 


ſel und die Gonveränetät des Sultans verlegen: Doch wolle die Pforte gern bie Grie⸗ 
spe Im Oinfihe 9 ihrer Behr allen ihren Pre nen Unterthanen gleichftellen. Mußer- 
dem verlangte bie Pforte, gegenüber ber Annahme des modificirten Entwurfs, von den vier 
*28 noch eine ſichere —5— gegen jebe —— Einmifhung Ruflande in ihre 
— ſowie gegen jebe unrechtmaͤßige Occupation ber Donaufürftenchii 
Nußland wies aber biefe Mobificationen beſtinmnt zärüd, und bie vier Mächte a fih 
gleiägfalis eine Collectivgarantie wie fie die Pforte verlangte, zu leiſten. Dagegen bramgen bie 
a 
men, fanden a 0 wei an 
nebenbei mehrfach auftanchten.. Die Kürten —— 





ungebeuere 
um: bie gene Donaulinie in Vertheibigungezuftend un in Kteinafien, in ber 
Erzerum, warb eine bedeutende Aare * TH Beer an det Donau erhielt 


über das in Aften Gelim-Pafcha den Oberbefehl. Der Enthuſiasmus und bie 
Fit der türf. Bevölkerung drohte felbft bie ee kr im freien Handeln zu beeintraͤch⸗ 
tigen, und in Folge einer Demonftration der Ulemas am Beiramöfefte (13. Sept.), die beim 
Sultan um Krieg petitionirten, brangen fogar die fremden Geſandten in Letztern, bas Einfaufen 
einer Abtheilung der Beftkaflotte in die Dardanellen zur Aufrechthaltung der Dehnung zu ge» 
ſtatten. Sechs Kriegsfregatten der engl.⸗franz. Flotte nahmen demnach 14. und 15. Sept. 
Station unweit der Hauptftadt; doch blieb es unentſchieden, ob dieſes Anrücken den Türken 
oder ald Demonftration gegen Rußland gelte. Nach einer Iangen Rathefigung des Divan am 
236. warb endlich der Krieg gegen Rußland vom Sultan befchloffen, und ſchon 19. Det. erhielt 
 Dmer$afcha den Befehl, ben General Gortſchakow zur Räumung ber Sürftenthümer binnen 
15 Tagen aufzufodern, widrigenfalls bie Eröffnung der Feindfeligkeiten erfolgen würde. Zır 
gleich veröffentlichte die Pforte ein Kriegsmanifeft, welches die Gründe ihre® Schrittes um- 
faffend auseinanderfegte. Wiewol die Befandten der vier Mächte in Rüdficht auf die eigen- 
mliche Uuffaffung des wiener Vermittelungsvorſchlags von Seiten des uf Cabinets ber. 
Pforte bereits erflärt hatten, auch fie könnten ihr nicht mehr zur umveränderten Annahme jenes 
Entwurfs rachen, fuchte doch der engl. Gefandte Lord Stratford de Medeliffe noch nachträg- 
Tich die Pforte zu einer Suspenfion der Feindſeligkeiten bis zum 1. Nov. zu bewegen. Er that 
dies auf Weifung feiner Regierung, deren Premier Lorb Aberdeen im Verein mit der engl. 
Induftriepartei den Frieden bis aufs äußerſte fefthielt, und erhielt auch die Zufage der XBaffen- 
faspenfion, infoweit die Operationen nicht fhon begonnen. Im Ganzen änderte jeboch dieſer 
Zwiſchenfall auf dem Kriegsſchauplatze nichts. Seit bem 16. Det. begann bie ganze engl.-franz. 
Flotte aus der Befikabai ihren Durchgang durch die Dardanelien und nahm ihren Standpunkt 
bei Gallipoli, ohne daß dabei eine beftimmte Erflärung verlautete, ob died aus Witterungs- 
rüdficgten oder zur activen Unterftügung der Pforte gegen Rußland gefchehe. Während die 
vier Großmächte bisher in ihrem Bermittelungsgefchäft in in Übereinftimmung gehandelt, nahm 
ri m Detober, ‚in Bolge einer Zuſammenkunft des Zaren mit dem Kaifer von 
dann beider Kaifer mit dem Könige von Preußen zu Warſchau, den 
ur —** ſtreich und Pr in ein —F Verhaͤltniß zu Rußland und fomit - 
ächten und der Pforte gegenü Bald folgten jedoch von verfhiedenen Gel» 





Osmazom Osmium 488 


ren Erflärungen, daß fich Preußen feine Unabhängigkeit in dieſem Streite bewahre, und Oſtreich 
erklärte zugleich durch feine öffentlichen Organe, ſowie ſpäter am Deutſchen Bundestage, daß ed 
durchaus neutral bleiben wolle, und ordnete fogar zur Bekräftigung eine Reduction feines 
Heeres an. Außerdem bemühte ſich fein Gefandter zu Konftantinopel, Freiherr von Brud, une 
ausgefegt um die Derfiellung des Friedens, den es in feiner eigenthümlichen Lage auch um jeden 
Preis wünfchen mußte. Dennoch, vermochten dieſe Anftrengumgen, fowie das Zögern der Weſt⸗ 
mächte nicht, die Pforte in ihrer felbfländig eingefchlagenen Kriegsbahn aufzuhalten, zumal 
die erften Ereigniffe auf dem Kriegöfchauplage für fie nicht ungünftig waren. In Aſien hatte 
gegen Ende Oct. Selim-Pafcha die Offenftve ergriffen, 27. Oct. das Fort Shefkatil (Nikolaus) 
unweit Batum am Schwarzen Meere erflürmt und außerdem mehre andere Vortheile auf ruff. 
Gebiet errungen. Omer-Pafcha eröffnete die Feindfeligkeiten, indem er 23. Dct. vom Fort Iſa⸗ 
fifcha aus eine ruff. Donauflottille beſchoß und fodann mit Erfolg den Übergang über die Do⸗ 
nau (feit dem 27. Oct.) an verfchiebenen Punkten zwiſchen Widdin und Giliftria unternahm. 
Während er fich bei Olteniga und Kalafat, in der Stärke von etwa AO— 50000 Wann, feftzu- 
fegen fuchte, griff ihn der ruff. General Dannenberg A. Nov. am erftern Orte an, doch ohne 
Erfolg. Inzwifhen hatte Gortfhatom, der Bukareſcht bereits ernftlich bedroht fah, feine Streit. 
kräfte, die im Ganzen in ben Fürftenthümern nicht über 60— 70000 Mann betragen mochten, 
aufammengezogen. Er unternahm feit dem 9. Nov. wiederholte Angriffe gegen Omer⸗Paſcha 
bei Olteniga, welcher endlich, von den Ruffen unbehindert und nachdem er feine Befeftigungen 
zerftort, am 13. Rov. wieder über bie Donau zurüdging, während das türk. Corps bei Kala- 
fat, in der Stärke von 20—25000 Mann, ftchen blieb. Es fchien, als wären es mehr andere 
Gründe denn bie feindlichen Waffen gewefen, welche Dmer-Pafcha zu diefem Rückzuge bewogen. 
Unterdeffen war audy ein vom 1.Nov. datirtes ruff. Kriegemanifeft erfchienen, in welchen Ruß⸗ 
land erflärte, daß e& durch feine Behauptung der DonaufürftentHümer nurden Verträgen Ach⸗ 
tung verfchaffen wolle, nachdem es die übrigen Mächte vergeblich verfucht, dieſes Ziel auf friedli⸗ 
hem Wege bei der Pforte zu erlangen. Vgl. Hammer, „Des Osmanifchen Reichs Staats ver⸗ 
faffung und Staatöverwaltung” (2Bbe., Wien 1815); Derfelbe, „Geſchichte des Osmaniſchen 
Reichs” (10 Bde. Pefth 1827— 34 ; 2. Aufl., 1834 fg.); Derfelbe, „Zopographifche Anfichten, 
gefammelt auf einer Reife durch die Levante” (Wien 1811) ; Derfelbe, „Konftantinopel und der 
Bosporus” (2 Bde., Peſth 1822); Pallas, „Histoire abregee de FEmpire ottoman” (Par. 
1825); Poufoulat, „Histoire de Constantinople, comprenant le Bas-Empire et l’Empire 
ottoman” (2 Bbe., Par. 1853). Marfigli hat die militärifche Verfaffung und Murabgen 
d' DOhſſon die kirchliche dargeſtellt. Des Legtern „Tableau general de l'Empire ottoman“ wurde 
erft nady feinem Zode beendet (7 Bde., Par. 1788, 1824). Wichtig find ferner A. Bouds 
„La Turquie d’Europe” (4 Bbe., Par. 1840), White's „Haͤusliches Leben und Sitten der 
Türken“ (deutfch von Reumont, 2 Bde., Berl. 1844—45) und Ubicini's „Letiressur la Tur- 
quie” (2. Aufl., 2Bde., Par. 1853). Unter den Karten des Osmanischen Reiche find außer der 
zu Münden 1828 erfchtenenen In neun Blättern und ber vom kaiſerl. königl. Generalquartier« 
meifterftab (Mail. 1829) herausgegebenen und vom Oberftlieutenant von Weiß gezeichneten in 
21 Blättern beſonders Kiepert's „Karte von Kleinafien‘ (6 Blätter, Berl. 1844— 45), „Karte 
des Türkiſchen Reichs in Afien“ (2 Blätter, Berl. 1844) und „Karte von der europ. Türkei“ 
(Weim. 1852) hervorzuheben. Außerdem vgl. von Tott's, der Lady Montague, Olivier's, 
Eton’s und Thornton’s Schriften über das Türkifche Reich mit denen neuerer Reifenden, wie 
Hammer’s, Stürmer’s, Melling’s, Forbin's, Choifeul-Gouffier's, Pouqueville's, I. Carne's, 
Beaujour's, Stabes, Urquhart's, von Moltke's, Blanqui's, Eyp. Robert's, von Prokeſch's, 
Hamilton's, Hagemeiſter's, Griſebach's, Fallmerayer's, Fellow's, Spratt's und Forbes', 
Koch's, Ainsworth's, Texier's, Layard's u. A. 

Dömäzom iſt ber jegt veraltete Name, welchen die franz. Chemiker dem Inbegriffe ber in 
Weingeiſt und Waſſer Iöslichen Subſtanzen ertheilten, der als fleiſchbrühähnlich ſchmeckendes 
und riechendes Ertract erhalten wird, wenn man thierifche Subſtanzen, befonders Fleiſch, mit 
Waſſer auskocht, aus dem Decoct den Leim durch Weingeiſt niederfchlägt und die Flüffigkeit 
abdampft. Es befteht aus Salzen und verfchiedenen Subſtanzen, wie Kreatin, Kreatinin, Ino⸗ 
Anfäure, Milchſäure u. ſ. w., zum Theil Zerfegumgsproducten in geringer Menge. 

Dsmium, eins der fimf Metalle, welche das Platin begleiten, ‚bildet meift in Verbindung 
mit Iridium (f. d.), als Osmtumtridium, die fehr harten ſchwarzen Körner, bie bei Behand» 
lung des Platinfandes mit Königsmaffer ungelöft zurüdbleiben. Es wurde 1803 von Tennant 
entdeckt, und in neuerer Zeit hat die@hensie ſihr volltommene Methoden zur Abicheibung beffel- 





a & 


wi Dlnabeään..i: . 


dem Diwmimsiribiun heynen gelchet. Es iſt von Hläulichweißer Barbe, in binnen Blätt- 
fan, läßt ſich leicht pulse umb erwai ſich über- sehn mal [hiwerer ald Waffe. Für 
unfegmelgbar, in keiner Säure löslich und bei oſchluß nicht Rüchtig. Anı der 
en opydirt es ſich Leicht, zunb beim Erhiten verbrennt edzu einer flüchtigen, jehr gifti» 
der Däminwfänge, welche bie Eigenichaft hat, die Weingeiftflamme leuchtend zu 
ne Anwendung dat ob noch nicht. i . F 
, einſt Buthum, ſeit 1803 una, iſt der ſüdweſtlichſte Theil des Köni · 
Hernover und bildet mit der Niedergrafſchaft Lingen, dem Derzogthun Atemberg · Me⸗ 
Staffchaſt Bentheim und der Herrlichkeit Papenhurg bie Randbroftei Dänabrüd, melde 
3 im Der. 1852 262000 @., Darunter 144000 Katholiken, zählte. Die Lanbdro- 
st zum weitaus größten Theile dem flachen, einförmigen nordiveftdeutichen Zieflandt 
if nur in ihtem füblichften e gebirgig. Hier finden ih, Dusch das breite anmushige 
gefegisben, die weſtlich ſten — eenlld ta ke Westphalica 
elche 


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Ei. 


3 


325* 
18 
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erſtreichenden Büntels. Das osnabrückiſche d zeigt, namentlich im MReppenfchen, ſeht 
jehnte Haide · und Moorſtrecen weiche aber immer mehr. der Gultur unterzogen werben. 
1 und Meppen wird diefer Boden mit dee Aſche gedüngt, die durch bad —2 
daidebrennen —** wird. Auf dem ſo vorbereiteten gebeiht vortrefflich das Halde- 
Sara ober ber Buchroeigen, doch Haben ſich nenerbings auch Verſuche mit Roggen, Hafer, Kar 
toffgin recht lohnend erwiefen. Unter den fleifigen ynb genügfamen Moorcoloniften findet fi 
oft eine ganz unerwartete Wohlhabenheit, zu der in den He auch die Bienenzucht ſeht erheb · 
Ach beiträgt. Sehr ergiebig find ferner bie an und zwiſchen ben genannten Gebirgen gelegenen 
Begieke, der Norden des Fürftentgums D., das ft inte Wetlanb, umd, die Ufer der Blüfe, 
Imtbefonbeze die Cusmarſchen. Die Ausfuhr von n und anbern Getreibearten nach Weſi · 
jelen und dem Rhein hat ſich in neuerer Zeit bedeutend gehoben, ebenfo die von Butter mach den 
fünöftligen Theilen des Königreichs, von Schinken, Spech Schweinen, Bon befonderer Mic. 
tigkeit iſi auch der Flacht · und Hanfbau. Für deinwand, Segel « und Schiertuch, fotweit es auf 
ben | zum Verkauf gehracht wird, Sommen jährlich gegen 600000 Thlr. ins Sand, 
welche fi) unter Die Landleute überhaupt vertgeilen, die bie Weberei als Nebengeiverbe betrei- 
ben. Außerdem wird Garn, roher Flacht und Werg in Menge ausgeführt. Soch hat diefer 
Erwerb durch das engl. Mafchinenleinen einen fehr bedeutenden Sintrag erlitten. Im Fürſten · 
thume D. fommen viel Steinfohlen, Gifenerze, Sand · und Kalkſtein, Töpfer- und Ziegeltfen, 
Bolus, Oder, ſchwarze Kreide, Schwerfpath vor. Cine bedeutende königl. Saline befleht zu 
" Mothenfelde in Verbindung mit einem ftar? frequentisten Soolbabe. Ale Gegenden, ind- 
befondere die nördlichen, befigen viel Torf. Holz ifk in genügender Menge vorhanden. Die 
Landdroſtei D. gehört faſt ganz dem Gebiete der ſchiffbaren Ems an, deren Nugbarkeit noch 
durch den fünf M. langen Emskanal zwiſchen Lingen und Meppen erhöht wird. Andere 
Flüfſe find die Haſe, die Hunte, welche den flachen Dümmerfee bildet, die ſchiffbare Vechte. 
Unter den vielen ſch ffbaren Entwäfferungs- ober Veenkanälen in den Mooren verdient der für 
Seefchiffe gangbare von Papenburg Erwähnung. Die Bewohner find fühl. Stamms. Fleiß 
Rechtlichteit und Treue finden unter ihnen noch eine ſichere Stätte. Geicloffene Dörfer tom- 
men weniger vor als aus zerſtreut liegenden Behöften ober Golomaten beftehende Bauerſchaf · 
ten, deren dann mehre zufammen ein Kirchfpiel ausmachen. Der eigentliche Bauernſtand zer- 
fällt in der Hauptſache in zwei geſchiedene Stände: die Tolonen oder Grundbefiger und die 
Yeuerlinge. Markentheilung und Ablöfung haben neuerdings den Golonen zu einem früher 
nie gefannten Wohlftande verholfen. 
a6 Bisthum Osnabrüd, vielleicht das älteſte in Weftfalen, wurde von Karl d. Gr. bald 
nad) der gänzlichen Befiegung des Sachſenherzogs Witteind 783 geftiftet. Im MBeftfü- 
lifchen Frieden wurde ausgemacht, daß D. abwechfelnd einen evang. Fürſibiſchof, und zwar aus 
dem Haufe Braumfchtweigefüneburg, haben follte. Unter den drei evang. Bilhöfen war Ernft 
Auguſt II. nachmals erfter Kurfürft von Hannover; der legte, Friedrich von York, trat 4805 
das Land an Hannover ab. Damals warb aud das Domcapitel ganz aufgehoben. Die jegige 
Dideefe Obnabrůck, welche die ganze Landdroſiei und Oſtfriesland umfaßt, ſieht unter dem Wir 
fehofe von Hildesheim, ber insgemein den odnabrüdfchen Weihbiſchof zu feinem Generalvicar 
beftelit. Das jepige Fürftentfum Osnabrüd zählt auf 2 AM. etwa 160000 E., von denen 
etwa bie Hälfte Katholiken. — Die Provinzialhauptfadt Osnabräd liegt in einem weiten, an- 
muthigen Thale an der Haſe und zähle 14000 zu zwei Drittheilen evang. C. Hier Haben ihren 
Sig die Landdroſiei, ein Obergericht, eine Gteuerdirection, ein enang. und ein fath. Gonfiftorium, 


Döchoenifches Reich Dffeten 491 


desgleichen zwei Gymnaſien und zwei Schullehrerfeminare. Nachdem der einft fehr bedeutende 
Handel der Stadt durch die preuß. Zolleinrichtungen beträchtlich gelitten, hat man fich mit Glück 
auf verfchiedene Induftriezweige geworfen, ſodaß die Stadt und nächfte Unigegend in diefer Hin» 
ſicht die dritte Stelle im Königreiche einnehmen. Blühend ift vor allem die Kabrikation von 
Zabad und Gigarren, ferner von Papier und Tapeten, die Baummollenweberei, Färberei und 
Brennerei. In gutem Gange find ferner Wollenweberei, Gerberei, Mineralfarbefabriken, eine 
Cementfabrik, eine Zuderfiederei, Ciſenwerke, Maſchinenbau, Kutfchenbau. Unter den vier gro- 
Ben fchönen Pfarrlicchen zeichnen fich der Dom und die Marienkirche aus. Jener, ein byzant. 
Bau aus dem Anfange des 12. Jahrh., enthält außer vielen fonftigen Reliquien die Gebeine der 
Märtyrer Crispinus und Grispinianus, dad Schachſpiel, den Kamm und eifernen Krückſtock 
Karl's d. Gr. Die St.-Marienkicche, ein prachtvoller goth. Bau, ift entftanden im 14. Jahrh., 
in den Zeiten der heftigen Kämpfe zwifchen der übermächtigen Geiftlichteit und dem Eräftig em- 
porftrebenden Bürgerthum, und felbft ein fchönes Denkmal bürgerlicher Energie. In ihr findet 
fi Möfer’s Grab, beffen ehernes Standbild feit 1856 den Domplag ziert. Auf dem Rath⸗ 
Haufe verdient Beachtung der Friebensfaal mit den Porträts der Gefandten zum Weftfälifchen 
Frieden. Viele ältere Privarhäufer zeichnen fich durch ihre reichverzierten Holzgiebel aus. D. 
iſt noch vorherrfchend eine Aderbauftadt, und darauf beruht vorzugsweiſe feine Wohlhabenheit. 
Vgl. Möfer’s „Osnabrückiſche Geſchichte“ in beffen „Sämmtlihen Werten” (terausgeg. von 
B. R. Abeken, Bd.6—8; 1842 — 43; Friederici und Stüve, „Geſchichte der Stadt O.“, 
(5 Bde, Dsnabr. 1816— 26); Stüve's „Sefchichte des Landes O.“ war 1855 im Erfchei- 
nen begriffen. 

Dörhvenifches Reich, ſ. Edefla. 

Diie, ein Gebirge an der Oftfeite Theffaliens, jegt Kiffavo, lag in der Nähe des Pelion, 
dem Olymp (f. d.) gegenüber, und war auf feiner kegelförmig zulaufenden Spige faft Dad ganze 
Jahr bindur mit Schnee bededt. Zwiſchen ihm und dem Olympus hat fi der Peneus eine 
Bahn gebrochen und bildet das gefeierte Thal Tempe (f.d.). In die Umgegend des Pelion 
und D. verfegten die Alten den Sig der Centauren und Giganten. 

Oſſegk, Städtchen in der Bezirkshauptmannſchaft Teplitz des Egerer Kreiſes im Konig- 
reich Böhmen, am Fuße des Erzgebirgs, mit 900 E., Sig eines Bezirkögerichts, iſt beſonders 
bekannt durch die gleichnamige reiche Ciſtercienſerabtei, deren erſte Stiftung 1193 durch den 
Wladiken Milgoſt erfolgte und die durch Slawko, Grafen von Bilin, um 1207 reich dotirt wurde. 
Durch Kauf und Schenkung vermehrten ſich die Befigungen, unter denen die Herrſchaften Dſ⸗ 
ſegk mit der Bergftadt Kloftergrab und Skyrl die bedeutendften find. Die Reformen Joſeph's IT. 
führten 1785 beinahe den Untergang bed Klofter& herbei, Doch wurden die von dieſem aufgeleg- 
ten Befchräntungen 1802 aurüdgenommen. Außerhalb des Klofters liegt eine auf Rechnung 
deffelben betriebene Wollenzeugmanufactur, welche während ihrer Blütezeit von 1700 — 80 
über 300 Menfchen befchäftigte. Die ſchöne Kloſterkirche und der Gurten find fehenswerth. 
Don den ftattlichen Kioftergebäuden, befonders von der Prälatur aus, hat man eine fehr ange 
nehme Ausficht. D. ift fünf Stunden von Teplig entfernt und wird von den Babegäften häufig 
zu Ausflügen benugt. Unmeit bed Ortes befinden ſich Die Trümmer der Rieſenburg. 

Dffenbeet (Ian oderZoffe), ein berühmter Landſchafts⸗, Thier-, auch Bambocciadenmaler, 
geb. zu Rotterdam um 1627, bildete fich in Italien, befonders in Nom aus, wurde dann kai⸗ 
ferlicher Hofmaler in Wien und lebte in der legten Zeit zu Regensburg, wo er 1678 ftarb. Er 
ftellte beſonders Jahrmaärkte, Volksfeſte und ähnliche Gegenftände mit zahlreichen Figurengrup- 
pen bar und vereinigte in feinen Darftellungen hol. Fleiß mit ital. Freiheit und Leichtigkeit. 
Seine Arbeiten haben zum Theil Ahnlichkeit mit denen des Peter de Laar, find aber edler ge- 
halten und in der Compoſition angenehmer. Wie als Maler, fo zeichnete fih D. auch als 
Kupferäger und Radirer aus. 

Dfieten, ein in den Weftgehängen bes Kaukaſus wohnendes, gegen 40000 Seelen zählendes 
Bergvolk, dad eigentlich noch unabhängig von Rußland ift und fi früher zum Chriſtenthum 
betannte. Gegenwärtig befennen ſich die Offeten zum Islam, doc) haben fie noch manche Ge 
bräuche, bie an das Chriftenthum erinnern. Sie find minder tapfer al$ die übrigen Bergvölker 
und meiden deshalb auch fehr forgfam die Nähe der Lesghier und Zfcherkeffen, bei denen fie 
fehr verachtet find. Eie zerfallen in die beiden Hauptftämme Takaur und Ahmet. Die Män- 
ner find wohlgebaut, behend, Liflig, zum Rauben und Stehlen geneigt, nachläffig im Arbeiten, 
Bielredner und große Zänker ; die Weiber Mein, unanfehnlich und [hmugig. Die Blutrache ift 
bei ihnen ſehr gewöhnlich. Das Land bietet eine Fülle lieblicher umd pittoresker Anfichten bar. 


By 5 Dffien En 
Der Hauptort ift Dariel, eine Feſtung am Terek. Das Bor If ein Zweig ded iraniſchen 
Fb wie aus ihrer Sprache, von welcher Sjögren Grammafit und Wörterbuch (Peterkk. 
4844) lieferte, hervorgeht. Vgl. Bopp, „Uber die kaukaſtſchen Blicber bes indogermranifchen 
.Spradftamms” (Berl. 1847). Bu 
Dſſian (Oisian) war nach alten Sagen ber ſchott. Hodhländer, deren ſchon Syraldud Com 
brenfis im 12. Jahrh. gedenkt, ein berühmter Barde bes 5. Jahrk., blind mie Homer und ein 
Sohn Fingal’s (Finn des Fremden, d. h. aus Irland), eines Helden. Erſt um die Mite bes 
418. Jahrh. wurde es bekannt, daß noch viele alte Lieder und Balladen im Munde der Hochläm 
ber feien ; einzelne Bruchſtũcke wurden bereits 1755 von Stone und Pope herausgegeben. Bier 
Sabre foäter überfegte Macpherfon (f. d.) auf Homes Berlangen Bruchſtũcke g Lieber, 
bie ee 1760 als „Remains of ancient poetry collected in the Highlands of Scotland and 
translated from the Galic or Erse language” herausgab. Der große Beifall, ben biefe Dich⸗ 
tungen fanden, und bie Unterflügung Home's und Robertſon's veranlaßten Macpherfon, eine 
neue Reife durch das Hochland zu unternehmen, die fo ergiebig war, daß 1762 das ‚Heidenge 
bieht „Fingal” nebft 16 Hleinern Gedichten und 1763 „Temora’ nebft fünf Meinern erfcheinen 
konnten, die barauf 1765 als D.’5 Werke herausgegeben wurden. Kaum waren biefe Bebidhte 
erſchienen, fo erhob fich auch der Streit über bie Echtheit berfelben, der erſt in ber neueften Zeit 
einigermaßen zur Entfheidung gebracht ifl. Männer wie Johnſon, Sharm, Malcolm, Leing 
traten entfchieden ald Gegner auf, indem fie theild Macpherfon für ben alleinigen Berfaffer hlel⸗ 
ten, theils wenigſtens das hohe Alter derfelben bezweifelten. Ex fanb zwar an 
Blair, Braham, Sinclair, Home, Young u. A. die aber mit al ihrem Eifer für bie it die 
Zweifel an denfelben nicht überwältigen konnten. Man verlangte vom Macpherſon, duß ex bie 
Urſchrift vorzeige; aber dieſer war nicht zu bewegen, fie aum Borfchein zu bringen. | 
ließ fi) zwar von der hochländ. Gefellichaft 1200 Pf. &t. bezahlen, um die Xieder in ber M 
fprache zu fammeln, die er doch, ba er fie überfepte, ſchon befigen müßte, kam aber bamlt wicht 
zu Stande. Erſt nach feinem Tode erfchten bie angebliche Urſchrift (Edinb. 1807), vote fie fi 
unter feinen Papieren vorgefunben hatte, mit einer wörtlichen Iat. Überfegung, und nach biefer 
iſt die Ahlwardt'ſche Uberfegung (3 Bde., Lpz. 1814) gearbeitet: Jegt ruhte der Serckii eine 
Zeit lang, bis die Irländer ihn von neuem erhoben. Die trifche Akademie in Dublin fegte-1839 
einen Preis auf bie befle Unterfuchung über bie Echtheit des Macpherfon’fchen Oſfian. Zwei 
Abhandlungen gingen ein, die eine von Dreilly, die andere von Drummond, welche Beide der 
gälifchen Sprache vollkommen fundig waren. Beide wiefen nad, daß Macpherſon's angebliche 
Urfchrift nichts weiter ift als eine Überfegung bes engl. Oſſian, in neugälifcher Sprache gefchrie- 
ben und voller Fehler. Die Ergebniffe ihrer Unterfuchungen hat Frau Robinfon (f.d.) inihrem 
Buche „Die Unechtheit ber Lieder Offian’d und des Macpherfon’fchen Dffian insbefondere” 
(2pz. 1840) mitgetheilt. Danach ift der Stand der Sache nun folgender. Allerdings gab es 
und gibt ed im Munde ber Hochlänber gälifche Kieder aus alter Zeit, aber diefe Lieder find meift 
wifhen Urfprungs, auch finden fie fih zum Theil noch in Irland. Segen nun zwar die iriſchen 
Jahrbücher ihren Finn auch in das 3. Jahrh., fo ift es eine andere Frage, ob die Kieder, die von 
ihm handeln, auch fo hohes Alter Haben, und diefe Frage ift entfchieden au verneinen. Die Lieder 
famen aus Irland und e6 treten in ihnen bereits iriſche chriftliche Deilige, wie St.Patrick, auf. 
Die Form ift Höchft vermidelt und ſchwierig, eine Verbindung von Alliteration und Affonanz. 
Jedenfalls darf man ihnen kein höheres Alter als das 6. Jahrh. zufchreiben, obwol fie leicht 
mehre Jahrhunderte fpäter entftanden fein dürften. Dieſe alten Lieder, feien fie aus welcher Zeit 
fie wollen, verhalten fich zu der Macpherfon’fchen Überfegung mie der Tag zur Nacht. Es if 
merkwürdig, wie namentlich die Deurfchen, die fo viel für Erforfchung der Volksdichtung gethan 
haben, ja wie felbft Herder, ber große Kenner der Volksdichtung, fich fo täufchen laffen konnten, 
Macpherfon’s Oſſian für echt zu nehmen. Die erzählende Volksdichtung ftellt die Begebenhei- 
ten ftet6 mit größter Klarheit hin. Das Erzählte ift ftet einfach und ſcharf gezeichnet, ift und 
bleibt überall die Hauptfache; auf empfindfame Naturfchilderungen und auf ausführliche Echil- 
derungen irgend einer Art läßt fie fich nie ein: fie hat es mit Perfonen zu thun, dieſe aber find 
Weſen von Fleifch und Blut. Bon dem Allem findet fih in Macpherfon’s Oſſian keine Spur. 
Der Faden der Erzählung geht dem Leſer unter den Händen verloren; es ift in ihm weder Ge⸗ 
ſchichte noch Geographie, noch eine greifbare Mythologie. Die Perfonen find wenig mehr alt 
bloße Namen, Alles ift in Nebel gehüllt; dagegen finden wir weitläufige Raturfeilderungen 
und unendlichen Schmud, den? der Befchichtsfaden nur zur Verbindung dient. Solche Did 
tung ift num und nimmermehr Volksdichtung. Man kann demnach als entfchieden annehmen, 


Dffolinfti Offuũa 488 


daß Macpherfon ein Betrüger war. Daß er alte Lieber benutt hat, ift ficher; aber duch bie 
Art der Benugung bat er fie völlig zu feinem Eigenthum gemacht, fodaß fie feine Apnlichkeit 
mehr mit den alten Liedern haben. Freilich find die alten Lieder oft nichts weniger als dichtes 
riſch, und Macpherfon wußte wohl, daß er mit einer treuen Überfegung wenig Auffehen machen 
würde ; aber fie tragen wenigſtens alle Zeichen ber alten Volksbichtung an fih. Der Macpher- 
ſon'ſche Oſſian ift vielfach in die meiften europ. Sprachen überfegt, ind Deutſche von Denis 
(1768), von Harold (1775), von Peterfen (1782), von Rhode (1801), von Stolberg (1806), 
von Jung (1808) und von Böttger (1847). 

Dffolinfti, eine angefehene poln. Familie, deren Mitglieder häufig die höchften Würden im 
Staate befleideten. — Oſſolinſti (Jerzy), geb. 1595, der Sohn des Wojewoden Zbigniew D., 
trat, nachdem er ſich auf Reifen gebildet, 1617 während bed Kriegs mit Rußland ins poln. 
Heer und wurde fpäter vom Könige Wladiſlaw IV. zu mehren biplomatifchen Sendungen nad 
England, Deutfchland und Stalien verwendet. Mehre feiner feierlichen Reben erregten hierbei 
ſelbſt in London und Rom allgememe Bewunderung. Während feines Aufenthalts in Wien 
wurbe er von Ferbinand II. zum deutfchen Reichöfürften erhoben. Als Großkanzler des poln. 
Reichs präfidirte er bei dem Religionsgeſpräche zu Thorn (f. d.), durch welches Wladifiaw bie 
Katholiken und Proteftanten zu vereinigen verfuchte. Er ftarb 1650. — Offolinfki (Jozef Ma⸗ 
zimilian), Graf von Tenczyn, geb. 1748 in Wola Mielecha in der Wojewodſchaft Sandomir, 
wibmete ſich früh der poln. Literatur und Gefchichte und trat noch fehr jung in den literarifchen 
Kreis, den Staniflam Auguſt in Warfchau um fich verfammelte. Als Mitglied der galizifchen 
Ständedeputation fam er 1789 nach Wien und fuchte an dem Hofe Leopold's II. aufs eiftigfte 
für da6 Wohl feiner Landeögenoffen zu wirken. Gr wählte Wien zu feinem fteten Aufenthalte» 
orte, widmete fich hier ganz der Literatur und fein Haus war ein Sammelplag der flaw. Gelehr⸗ 
ten. Bon Kaifer Franz I. zum wirflihen Geh. Rath und zum Vorfteher ber kaiſerl. Bibliothek 
ernannt, brachte er überaus reichhaltige und höchſt wichtige Sammlungen flaw. Alterthüner, 
imöbefondere Denkmäler altpoln. Schriftweiens zufammen, die er den galizifhen Ständen ver- 
machte und, mit bedeutenden Einkünften verfehen, in Lemberg (dad Offolinfti'fche Inftitut) 
aufftellen ließ. Er ftarb erblindet 17. Mär, 1826. D. gehörte zu den gründlichften ſlaw. Kite- 
rarhiſtorikern. Sein bebeutendftes Werk ift „Wiadomosci historyczno krytyczne do dziejöw 
literatury polskiej” (3Bde., Kraf. 1819). Während feiner Erblindung verfaßteer „Rozmys- 
lania Slepego” („Betrachtungen eined Erblindeten‘). Erft 1852 erſchienen in Krakau feine 
„Wieczory badenskie” („Badener Abende”), allerlei Erzählungen und bumoriftifche Schrif⸗ 
ten, nach Art des Decanıerone von Boccaccio, die dadurch merfwürdig find, daß der fireng wife 
ſenſchaftliche Forſcher und Kritiker auch in diefer Gattung der Literatur Ausgezeichnete nach 
Inhalt und ſprachlicher Form lieferte. | 

ſſuña (Don Pedro Tellez y Giron, Herzog von), Vicelönig von Sicilien, dann von Nea⸗ 
pel, geb. 1579 zu Valladolid, fam als zweifähriger Knabe mit feinem Großvater nach Neapel, 
als diefer hier Wicefönig wurde. In feinem 10. 3. kehrte er nach Spanien zurüd und ging auf 
die Univerfität zu Salamanca, wo er ſich zu einem trefflichen Lateiner bildete und eine umfaf- 
fende Kenntnif der Gefchichte erwarb. Als er an Philipp's II. Hof erfchien, fand er Anlaß ge 
nug, feinen beißenden Witz zu beigen, lud aber damit fehr_bald den Haß der Höflinge und die 
Ungnade bes Königs auf fi. Wegen einer anftogigen Außerung gegen ben König aus ber 
Hauptſtadt verwiefen, begab er fih nach Saragoffa, wo auch Philipp's Secretär, Antonio Pe 
tes, Zuflucht gefucht Hatte. Giren fchügte ihn und erleichtertc ihm die Flucht. Ex felbft begab 
fi) nad) Frankreich und darauf nad) Portugal, wo er bid zum Tode Philipp's II. blieb. Nach 
feiner Rückkehr an den Hof hielt er fi) befonders an den Herzog von Lerma, den Günſtling bes 
neuen Königs, Philipp's III. heirathete die Tochter des Herzogs von Alcala und nahm den Fitel 
eines Herzogs von D. an. Doch bie Höflinge fanden Mittel, auch Philipp III. den D. öffentlich 
ben Dbertambour des Reichs nannte, gegen ihn aufzubringen. Vom Hofe verwieſen, begab ſich 
D. nach Flandern, wo er in ſechs Feldzügen diente und fich ebenfo fehr durch Umficht wie durch 
Muth auszeichnete. In diefer Zeit bereifte er auch Frankreich und England. Heinrich IV. von 
Frankreich, der viel Gefallen an feinem Witze fand, nahm in fehr gut auf, und König Jakob J. 
von England ımterhielt fi) gern mit ihm in lat. Sprache. Durch die Bemühungen des Herzogs 
von Lerma wurde ihm 1607 geftattet, an den Hof zurückzukehren, und ber König gab ihm Be⸗ 
weife feines Dertrauend. Durch feinen Einfluß bewog D. die Minifter zur Anerkennung der 
Unabhängigkeit Hollands, was in dem Vertrage von 1609 geſchah, und ald im folgenden Jahre 
die Vertreibung der Moriscos (Mauren) beſchloſſen wurde, fprady er fich in zwei Denkſchriften 


h 3 


ar — Dit Ofteude 
üßer die Verderblichkeit dieſer Maßregel aus. Die Inquiſition beſchuldigte ihn Daher, daß er auf 
ſeinen KReiſen Kegereien eingefogen habe. Die gegen Ihn verhängte inte fung gab jeboch keine 
Gründe zu feiner Berurtheilung an bie Hand. Gleich nachher, 1611, ging D. ale Virekönig 
nach Sicillen, mo er eiftig betnüht mar, öffentliche Sicherheit und Wohlfahrt herzuftellen. Rad 
feiner Burüdberufung 1615 blieb er nur kurze Beit in Spanien, ba er im folgenden Jahre Wire 
önig von Neapel wurde. Auch Hier war feine Sorgfalt babin gerichtet, den Druck zu erleichtern, 
bet auf dem Volke laftete, wodurch er ſich aber freilich dem Abel umb den Geiſtlichen verhaßt 
machte. Den Anfprüchen Denebige auf die aus ſchließende Herrfchaft Über das Adtiatiſche Meer, 
bie dem Handel von Neapel und Sicillen großen Schaben brachte, wiberfegte er ſich mit fiegrei- 
dem Nachdruck. Als Philipp IE. die Inguifitten in Reapel einfühten wollte, erflärte fi D. 
mit folcher Beharrlichkeit dagegen, daß man Ihn bed Trotzes gegen den König anklagte. Um ben 
Sturm zu befehwören, vermäßlte er feine Tochter mit dem Sohne des koͤnigl. Gimfllings, des - 
Ä von Lerma. Sein Widerſtand gegen die Einführung der Inquiſition hatte ihn aber 
der Geiſtlichkeit nur um fo verhaßter gemacht, und ba et vorausfah, daß die Hofränfe ihm end» 
lich Doch bie Gewalt entreißen.mwürben, machte er den Unfchlag, ſich felber der Herrſchaft zu ber 
mähtigen. In biefer Abficht erforfchte er feit 1617 die Befinnungen von Savoyen, 
umb Frankreich, auch knüpfte er Verbindungen mit Holland und felbft mit den Türken an, ob» 
ſchon er unter bem Vorwande eined Kriegszugs gegen bie Türken, ben Abfichten feines Hofs 
entgegen, gerüſtet blieb. Wiewol fein Anfchlag zum Theil ruchbar wurde, fo fürchtete man in 
Spanien doch, ihn abzuberufen. Endlich wurde 1620 der Cardinal Borgia zu feinem Nachfol⸗ 
. ger ernannt. Wie im Triumphzuge kehrte er nach Madrid zurück; doch gleich nach Phillpp's IV. 
befteigung wurde 1621 eine lange Unterſuchung gegen ihn t. Obſchon diefelbe 
ihn nicht firafbar zeigte, fo wurde ex doch als Befangener im Gchloffe Miamede feftgehalten und 
farb bafelbft 1624, wie Einige behaupten, an Gift, das Ihm feine Frau gegeben haben fol. 
Die Race des Hofs erlofch mit feinem Tode, und bed Herzogs Sohn, Don Inan Tellez y 
irn, Gero von D., geft. 1656 als Vicekönig zu Palermo, kam in ben ungeflörten Sechs 
des väterlichen Erbes. | 
OR oder Dften, ſ. Morgen und Drient. 

e (Adrian van), berühmter niedert. Maler und Kupferſtecher, wurde zu Lübeck 1610 
geboren. Obgleich er ein Deutſcher war, fo wird er doch zur niederl. Schule gerechnet, indem er 
fein Talent in Holland bildete. Er hatte Franz Hald zum Lehrer und empfing auch Unter 
richt von Rembrandt. Bei dem Erften machte er die Bekanntfchaft Brauwer's, der jein 
Sreund und Rathgeber wurde. Er arbeitete in Harlem bis zu der Zeit, wo Ludwig's XIV. Heere 
bie Niederlande bedrohten. Dann ging er nach Amfterdbam, wo er durch anhaltenden Fleiß ein 
anfehnliches Vermögen zufammenbrachte und 1685 ftarb. Ländliche Tanzpläge, Bauerhöfe 
ımd Ställe, fowie das Innere von Bauerhütten und Schenken find die Orte, wohin O. feine . 
Derfonen verfegt hat, die größtentheilß derbe Bauerkerle, betrunfene Tabacksraucher oder mit 
ländlichen Arbeiten befchäftigte Bäuerinnen find. An Originalität und ſtillem Humor hat er 
zwar Teniers nicht erreicht, auch iſt er nicht frei von Trivialität und Wiederholungen; aber 
feine Ausführung ift forgfältiger, obfchon er es mit der Zeichnung nicht genau nahm, und feine 
Komik in der Erfindung übt oft einen unwiberftehlichen Reiz. Selten verließ er in feinen Dar⸗ 
ftellungen jene niedern Kreife des Lebens. Beifpiel einer Ausnahme ift indeß ein kleines, in der 
Anordnung etwas fleifes, im Louvre befindliches Gemälde, worin ſich der Künſtler neben feiner 
Frau, die er bei ber Hand hält, und von acht Kindern umringt, gemalt hat. Seine zahlreichen 
Bilder find weit verbreitet und faft in allen Mufeen und Sammlungen der Niederlande, von 
Deutichland, Frankreich und England zu finden. Ex ift auch vielfach, und zwar am beften von 
Viſcher und Suyderoef, geftochen worden und hat felbft eine bedeutende Anzahl von geiftreich 
in Kupfer radirten Blättern geliefert. — Iſaak von O. fein Bruder, 1612 geb., ebenfalls fehr 
bedeutend, dem Adrian freilich in ber Feinheit des Helldunkels und an Weiſe des Vortrags 
nachftehend, dagegen ihn öfters in der Zeichnumg übertteffend, malte befonders Dorfanfichten 
und Wirthshausfcenen. Mit Unrecht werden ihm aber folche Bilder zugefchrieben, die in des 
Bruders Art gemalt find, für diefen jedoch zu fehlecht erfcheinen. Iſaak ift im Gegentheil ein 
origineller Meifter, dem auch Thiere vorzüglich gelangen. 

ſtende, eine gutgebaute, von Wilhelm von Oranien im 16. Jahrh. befeſtigte Stadt in 
belg. Provinz ZBeftflandern, mit einem Hafen an ber Nordfee, in welchen aber größere Schiffe 
nur mit Hülfe der Blut einlaufen können, ift durch Kanäle mit Brügge, Gent, Nieuport und 
Dünkirchen und durch Gifenbahnen mit Brüffel und fämmtlihen Hauptpunkten des Könige 


Dfteologie Dfterley 185 


bunden. Sie ift der Sig einer Handeldfammer und eines Handelsgerichts, hat 
'„, befigt eine Seefchufe, Leinen, Segeltuch ⸗ und Tabacks fabriken, treibt Schiffbau, 
und einen ziemlich lebhaften Handel und ift wichtig ald Endpunkt einer Dampf 
linie zwifchen London, Dover und dem Continent. Einen herrlihen Spaziergang 
e bietet der in neuerer Zeit angelegte Steindamm. Sehr befucht iſt das gut eingerich⸗ 
ad. D.ift merkwürdig wegen der Belagerung von 1601 —4, die mit der Übergabe der 
ıgung an den fpan. General Spinola endigte. Die dafelbit 1722 mit einem Capital 
il. Glidn. errichtete Indifhe Compagnie mußte bereits 1751 in Folge ber von der 
efucht hervorgerufenen politifchen Verwickelungen aufgeloft werden. . 
Lögie oder Knochenlehre, ein Theil der Anatomie, behandelt zuerft die Knochen i 
ıen in Hinficht auf die chemiſchen Verhältniffe, die Tertur, die Ernährung, die Ent- 
derfelben u. ſ. w, ımd dann im Einzelnen nad) ihrer Beftalt, Lage und Beftimmung. 
nodfen das Gerüft des menſchlichen Körpers find, fo gibt auch die Ofteologie bie Bafıs 
ymie ab und wird als folche beim Beginn ded anatomifchen Studiums vorgenommen. 
yindungen ber Knochen untereinander machen die Behandlung ber Ehondrologie 
:pellehre (Knorpel) und der Synbesmologie oder Bänderlehre (f. Bänder) ald Un- 
ungen der Öfteologie nöthig. (S. Knochen). 

infel oder Wathu, engl. Easter-Island, franz. Ile de Päques, bie öftlichfte aller 
uftraliens , einfam im Stillen Ocean, 500 M. weſtnordweſtlich von Valparaiſo in 
ter 27° |. Br. und 93° w. 2. gelegen, angeblich ſchon 1688 vom engl. Kapitän Davis 
icher aber von Roggeween am Öftertage des 3. 1722 entbedt, hat etwa AM. im Um⸗ 
ift, wie die Ichroffen Kraterberge, deren höchſter 11288. fi erhebt, und die Lava, aus 
r Strand befteht, bemweifen, vulkaniſchen Urfprungs. Sie leidet großen Holz- und Waſ⸗ 
(, denn fie hat weder Quellen noch viele hochſtämmige Bäume; doch liefert der höchft 
? Boden ihren Bewohnern, einem fchönen malayifhen Volksſtamm, reichlihe Nah⸗ 
zen. Außer ber Ratte hat man urfprünglich fein Säugethier hier einheimifch gefun- 
rfwürdig find auf diefer Infel die bis 350 F. Iangen, aber nur 10%. breiten Häufer, 
keinen, Stangen und Binfen erbaut und von einem ganzen Tribus bewohnt. Räthfel- 
einen die koloffalen fteinernen Büften, die 14 F. hoch, auf einer 80%. langen Grund⸗ 
hen, welche Grabgewölbe enthalten. Der Kandungsplag heißt Cookshaven. Gegen 
ı biegt das von den Epaniern 1795 entdedte Eiland Sala y Gomez, wahrſcheinlich 
vulkaniſchen Urfprungs, eine öde graue Felfenmaffe, ber Aufenthaltsort vieler Waſſer⸗ 
in der Literatur befannt durch Chamiſſo's Gedicht „Sala y Gomez“. 

(and, eigentlich jedes nach Oſten zu gelegene Land, folglich fo viel als Drient oder 
nd, hieß im Mittelalter zunächſt und vorzugsweiſe alles von der Saale an gegen 
gene Rand. Später, als in diefem Ofterlande die Mark Meißen und das Pleifnerland 
yere Theile fich abgrenzten, andere Theile an die neugebildeten Hochſtifter Merfeburg 
mburg-Zeig und zum Voigtlande famen, wurde der Nanıe Ofterland, in engerer Bes 
er eigentlichen Oftmarf gegeben, von der fic) wieder Landsberg abfonderte. Als end- 
fimarf oder das nunmehrige Ofterland den Namen Sachien erhielt, ging der Name 
auf denjenigen Theil des frühern Ofterlandes über, ber jegt als Pleifnerland (f. d.) 
adere Herrfchaft gebildet hatte und deffen Hauptort Altenburg war. Falſch ift die 
:, daß das ganze Ofterland ein eigenes Markgrafenthum gebildet. Vgl. Limmer, 
f einer urkundlich pragmatifchen Befchichte des D.” (2 Bde., Ronneb. 1834). 

[ey (Karl), ausgezeichneter Maler und Kunfttheoretiter, geb. zu Göttingen 1805, ver 
ie Schule feiner Vaterftabt, an der Fiorillo fein Lehrer war, 1819 mit Holzminden, von 
e gern das nahe gelegene Klofter Korvei befuchte, defjen Aitarbilder feine Phantafie auf 
e und biblifche Malerei hinlenkten. Auf Anrathen des Klofterbaumeifters Müller, der 
nt bed Knaben erkannt hatte, gab denn quch der Vater feine Einwilligung, daß fich der 
nz der Kunft widme. Gleichwol mußte 5 1821 die Univerfität befuchen, um Theorie 
dichte der Kunft zu fludiren, und erft nach Beendigung diefer Studien und der Er- 
der Doctorwürde ging er 1824 nach Dresden, wo er Matthäy's Schüler wurde. 
827 reifte er nach Italien und widmete bort hauptfächlich den ältern Meiftern, wie 
Siefole u. A., feine Aufmerffamfeit, während unter den Mitftrebenden Zofeph Führich 
e Einfluß auf ihn blieb. Als er 1829 in feine Vaterftadt zurückkehrte, ließ er ſich dert 
atdocent an der Univerfität nieder und las bie Befchichte der neuern Kunft, wobei jedoch 
el ruhte. Nachdem er 1831 zum auferordentlichen Profeffor ernannt worden, qab ex 


486 Dſterluzei Ddſtern 


mit DO. Müller die „Denkmäler der alten Kunſt“ heraus. Als er ſich dann mit Ernſt der 
Hiftorienmalerei wieder zumenden wollte, ging er, um fi) nod in ber Behandlung der Farbe 
zu ſtärken, nach Düffeldorf und ftellte fi unter W. Schadow's Leitung. Ebenfo beſuchte 
er ſpäter München der Frescotechnik wegen, da er den Auftrag erhalten hatte, eine Him⸗ 
melfahrt Chriſti für die Schloßkirche in Hannover zu malen. Nach Beendigung dieſer 
Aufgabe und nach einem Beſuche von Paris kehrte er, während er inzwiſchen orbent- 
licher Profeffor geworden, 1844 nochmals nad Düffelborf zurüd, um eine ältere Com 
pofition: Chriftus und Ahasver, zu vollenden. Diefes Werk wird in Anordnung unb 
malerifher Ausführung für des Künftlers gelungenftes Werk gehalten. Nach Ausftellung 
deffelben in Hannover wurde DO. zum Hofmaler ernannt, mit ber Beftimmung, zwei Monate 
des Sahres feine Vorlefungen in Göttingen zu halten. Bon feinen zahlreichen Werken feien 
bier nur hervorgehoben: Götz von Berlichingen zu Heilbronn im Kerker (1826), Abfchied des 
jungen Tobias (1829), Wittefind’6 Belehrung (1833), die Tochter Jephtha's (1835), Cartons 
zu Glasgemälden in der Schloßkirche zu Hannover (1839), Xenore, nah Bürger's Ballade, 
Chriſtus, die Kinder fegnend (zwei mal), Lenore mit der Mutter, den Zug auf und ab fragend 
(1847), Samuel, dem Tempeldienfte übergeben (1850). In neuefter Zeit malte der Künflier 
hauptſächlich Altarbilder. In O.'s Arbeiten ift ein tiefer fittlicher Ernft und ein unermũd⸗ 
liches Ringen nach Wahrheit zu rühmen. Was die Ausführung anlangt, fo find die Werke 
nach bem büffeldorfer Studium den frühern an Wirkung und harmonifcher Durchführung 
vorzuziehen. Auch ald Bildnigmaler ift D. fehr geſchätzt. 

Diterluzei, ſ. Ariſtolochia. 

Dftermann (Heinx. Joh. Friedr, Graf Andrei Iwanowitſch), ausgezeichneter Diplomat 
und Günftling Peter's d. Gr., war der Sohn eines Predigers zu Bodum in Weſtfalen und 
30. Mai 1686 geboren. Er ftudirte in Jena und trat 1704 in ruff. Seedienfte. Im J. 1711 
wirkte er weſentlich mit bei dem Unternehmen ber fpätern Kaiferin Katharina I., Peter d. Gr. 
aus feiner gefährlichen Lage am Pruth zu befreien. Unter andern wichtigen Verträgen ſchloß er 
den für Rußland fo denfwürdigen Frieden von Nyſtadt (f.d.) 31. Aug. 1721. Peter d. Gr. 
erhob ihn zum Geh. Rath und in den Freiherrenftand, die Kaiferin Katharina I. aber zum 
Reichs⸗Vicekanzler und Wirklichen Geh. Rath und auf dem Sterbebette zum Oberhofmeifter 
ihres Sohnes und Yegierungsnachfolgers Peter und zum Mitgliede des Negentfchaftsratht 
während der Minderfährigkeit ihres Sohnes. Peter II. emannte DO. 1750 zum Grafen, die 
Kaiferin Anna zum Generaladmiral. Die Kaiferin Elifabeth ließ ihn 1741 nad) ihrer Thron- 
befteigung verhaften usd zum Tode verurtheilen und begnabdigte ihn erft auf dem Blutgerüfte 
mit Verbannung nad) Sibirien. Hier ftarb er zu Berefom 20. Mai 1747. D. hatte einen 
Tharfen Verſtand, viel Menfchentenntniß und in allem feinem Thun ein feines Zartgefühl. 
Seine Zmwede verfolgte er trog aller Dinderniffe. Er war untadelhaft in feinem Lebensmwandel, 
fehr geſchäftsgewandt, unbeftechlich und treu, in den Wiffenfchaften nicht unerfahren, befondere 
mit feltenen Spracdhtalenten ausgerüftet, ein Befchüger des Verdienftes und der Gelehrfamkeit 
und als Staatsmann faft unübertroffen in der Kenntniß der Verhältniffe der europ. Höfe. 
Seine beiden Söhne, welche finderlos ftarben, adoptirten die Söhne ihrer an den General Tol- 
ftoi verheiratheten Schmwefter, die feitdem Oftermann-Zolftoi hießen. — Unter denfelben zeich⸗ 
nete fich befonderd aus der Graf Aler. Imanowitfch Oftermann-Zolftoi, Generallieutenan: 
im ruſſ.franz. Kriege, der, 1775 geboren, vorher fchon an ben Feldzügen gegen die Türfei und 
Polen rühmlichen Antheil genommen hatte. Als unerfchrodener Heerführer kämpfte er 1806 
und 1807 und befonderd 1812 und 1813 gegen Frankreich, und die Schlachten von Oſtrowna, 
Borodino, Zarutino, Baugen und beſonders Kulm, wo er an der Spige des Gardecorps einen 
fünf mal ſtärkern Feind überwand und diefen glorreihen Sieg durch den Verluft des rechten 
Arms befiegelte, waren Zeugen feiner Tapferkeit. Vereinigt mit Klenau bewirkte er die 
Übergabe Dresdens; dann war er 1815 kurze Zeit Gefandter in Paris, bisihn Pezzo di Borge 
ablöſte. Er ftarb in Dresden im Dec. 1816. Bei Kulm wurde ihm 1835 ein Denkmal errichtet. 

Dftern, bad Feft der Auferftehung Jeſu, hat wahrſcheinlich “ine deutfche Benennung ver 
dem Feſte der Göttin Oſtara, welches die alten Sachfen zu deretsen Zeit au feiern pflegten, in 
welche das chriftliche Dfterfeft fällt. Jene Göttin war unfern Vorfahren die Schöpferin 
ded Wiederauflebens der Natur im Frühling. Mit dem Cultus, ber ihr vor Cinfüh- 
tung ded Chriſtenthums gewidmet wurde, hängen die Namen der Dfterwälber, Liter: 
berge und die Gebräuche des Ofterfeuers, der Dftereier u. f. m. zuſammen. Ofiern 
wurde in der alten Kirche acht Zage lang bis zum Sonntage Quafimodogeniti feftlich ge: 


Dfterode | 497 


feiert, feit bem 11. Jahrh. aber beſchränkte man bie Feier auf drei, in fpäterer Zeit meifl nur 
auf zwei Tage. Das Belt galt ehedem als die beliebtefte Taufzeit. Man fchloß die Ge 
richtähöfe, ſpendete Almofen an Arme und Dürftige, denen man fogar große Mahlzeiten in den 
Kirchen gab, ein Gebrauch, ber zu großem Unfuge führte. Man fchenkte ferner Sklaven bie 
Freiheit und überließ ſich, ba die Strenge der Duabragefimalfaften aufgehoben war, dem Ge 
nuffe ber Freude. Dies nannte man die Dfterfreube (Dominica gaudii), die aber in Ausſchwei-⸗ 
fungen ausartete, ſodaß man das Volk, das fih am Öfterfefte mit Spielm und Tänzen belu- 
fligte, auch durch Poſſen aller Art zu ergögen fuchte. Dies gefchah dann felbft durch Geiftliche 
von der Kanzel herab durch Erzählung von Märchen, welche die Zuhörer zum Lachen reizen 
konnten. Gegen diefen Unfug, das Oftergeläcter (risus paschalis) genannt, erhoben fich vor⸗ 
nehmlich bie kirchlichen Reformatoren bed 16. Jahrh. mit Nachdrud und Erfolg. Außerdem 
wurde während der ganzen Oſterwoche, d. i. in der Zeit vom Sonntage Yalmarum bis zum 
Eintritt des Dfterfeftes, täglich Gottesdienft gehalten; befonders aber galten ber Gründonners⸗ 
tag (feria quinta), Charfreitag (feria sexta) und der-Ofterabend ober große Sabbath (feria 
septima) als wichtige Fefl- und Fafttage. Die Kirchen wurden geſchmückt, durch die große 
Dfterferje (cereus paschalis) und viele andere Richter erleuchtet; man begrüßte fich an dem 
Oftertage felbft mit dem Ofterkuffe und bem Zurufe: Surrexit ! worauf der Begrüßte antwor⸗ 
tete: Vere surrexiti Die Hauptfeier beftand immer in ber Vollziehung des Abendmahle. Man 
begann auch das Kirchenjahr mit dem Ofterfefte und nannte die bemfelben vorangehende Woche 
zur Erinnerung an Jeſu Leiden die Marterwoche (hebdomas nigra). In der Nacht vor dem 
Eintritte bes Öfterfeftes feierte man mit großer Pracht die Oſtervigilien, bie aber auch balb zu 
Ungebübrlichkeiten Beranlaffung gaben, meshalb ſchon burch die Süiberitanifche Synode (305) 
Frauen die Theilnahme an den Pigilien unterfagt ward. Dem Feſte folgte dann noch Die Oſter⸗ 
octave, eine firchliche Nachfeier, welche in ber kath. Kirche mit der Oftervigilie noch jegt beibe⸗ 
halten iſt. In Betreff der Zeit der Feier des Ofterfeftes wurde fet ber Mitte des 2. Jahrh. 
zwifchen ber orientalifchen und occidentalifchen Kirche der heftige Oſterſtreit geführt. Die mor⸗ 
genländifchen Ehriften wollten nämlich dieſes Feft am 15. Nifan zugleich mit den Juben feiern 
(f. Baflap), die Abendländer dagegen ohne Paffahmahl und nur an einem Sonntage, als bem 
Auferfichungstage Jeſu, begehen. Erſt auf der Kirchenverfammlung zu Nicäa wurde diefer 
Streit nach der Meinung der Letztern entfchieden und jenen der Kepername Quartodecimaner 
ober Teſſaresſkaidekaſiten beigelegt. Die Beſtimmung bes Ofterfeftes ift für die ganze Feſt⸗ 
rechnung der Kirche fehr wichtig, da ſich alle andern beweglichen Fefttage nach demfelben richten, 
und die Vorfchrift, nach welcher es berechnet werben fol, ift folgende. Das Oſterfeſt wird im⸗ 
mer an dem Sonntage gefeiert, der zunächft auf den Frühlingsvollmond folgt, und wenn diefer 
Bollmond felbft auf einen Sonntag fällt, an dem nächfifolgenden Sonntage. Unter dem Früh 
lingsvollmond aber verficht man denjenigen, welcher entweber 21. März, an welchem Tage man 
den Anfang des kirchlichen Frühlings ſetzt, oder zunächft nach demfelben eintritt. Der zur Be 
flimmung bes Ofterfeftes dienende Vollmond ift aber nicht ber aftronomifche oder wahre, fon« 
dern ber mittels der Epafte (f. d.) berechnete oder mittlere Vollmond, ber immer 14 Tage nad 
bem Neumonde, den Tag des Neumonds für den erften gezählt, gefegt wird. Diefe alexandri⸗ 
nifche Berechnungsweife ging durch Dionyfius Eriguus (525) auch in die röm. Kirche über 
und wurde dann allmälig allgemein. Übrigens foll man bamit bezweckt haben, daß das chriſt⸗ 
liche Ofterfeft nie mit jenem der Juden auf benfelben Tag bes Jahres fallen könne. Allein dafe 
ſelbe fiel wirklich 1805 (14. April) und 1825 (3. April) mit dem füdifchen Ofterfefte auf den- 
felben Tag und wird auch 1903 (12. April), 1923 (1. April), 1927 (17. April) und 1981 
(19. April) mit jenem zuſammenfallen. Das jüdifche Ofterfeft fällt gewöhnlich in die Char⸗ 
woche und nie vor dem 26. März und nach dem 25. April Gregorianifhen Stils. Das chriſt⸗ 
liche Oſterfeſt hingegen kann nie vor bem 22. März und nie nach dem 25. April Gregoriant- 
(hen Stils fallen. Auf den 22. März fiel Oftern 1761 und 1819; aber weder im gegenwaͤrti⸗ 
gen noch im folgenden Jahrhundert wird ſich dieſer Fall wiederholen; auf den 23. Maͤrz, wie 
1845, wird Oſtern nur in den J. 1856 und 1913 fallen. Die ſpäteſten Oſtern in dem gegen⸗ 
wärtigen und fommenden Jahrhundert ereignen fi 1859 am 24. April, 1886 und 1945 am 
25. April. Im J. 1848 fiel es auf ben 23. April. 

Dfterode, bie wichtigfte Fabrikſtadt von ganz Hannover, liegt in ber Landdroſtei Hildesheim, 
im Fürftenthume Grubenhagen, am ſüdlichem Abhange bes Harzes im Söfethale, hat 5400 
(mit der nächſten Umgebung 7000) E., ein Obergericht, ein Progymnafium und ein großes 

Gonv.Ler. Behate Xufl. XL 32 


498 Dftfalen Dſtheim 


Kornmagazin, woraus bei höhern Kornpreiſen dev verheirathete Bergmann monatlich zwei, der 
umverheirathete einen Himiten (zu circa 50 Pf.) Roggen —* etwa 25 Sgr. erhält. Die Wel. 
Leinen» und Baumwollenfabriten befchäftigen über 2000 Menfchen. „Bebeutend ift Die Blei 
weiße, Rolfblei- und Schrotfabrit zum Scheerenberge. Mehre Säge, Diumd Kaltmühlen, eine 
Papiernrühle, Rupferhammer und Blechſchmieden Lohgerberei und die Verfertigung von Ei- 
mern find in blühendem Zuftande, Außerordentlich reich find die hiefigen Gypsbrüche. 

Dftfalen war der feit der zweiten Hälfte des 8. Jahrh. vorfommende Name ber öftlichen 
Adtheilung des fächf. Völkerbundes, welche oͤſtlich von Engern (f. d.), vom Harz bis zur Elbe 
in dem heutigen Braunſchweig und den hannov. Landdrofteien Hildesheim und Sündon 
wohnte, Der Name erhielt ſich auch fpäter noch für dieſen Theil des Herzogthums Sachſen 
bis zu deffen Auflöfung unter Heinrich dem Löwen, der hier in Oſtfalen den größten Theil 
feiner Stammgüter hatte, 

Dflflandern, ſ. Flandern. 

Dfffriesland, früher ein deutſches Fürſtenthum, gegenwärtig nebft dem Darlinger Land 
(fd) die Hannov. Landdroftei Aurich (f. d.) bildend, Kiegt im nordweftlichen Winkel Deutfh- 
lands, wird von der Nordfee, Holland, Meppen und Oldenburg begrenzt und zählte 2, Dec. 
1852 auf einem Areal von 545 NM. 185129 meift proteft. E. Bon den Nachkommen ber alten 
Briefen (f. d.) bewohnt, war das Land im Mittelalter in viele Herrfcaften getheilt: Edzard 
Eirkfena von Greetfiel vereinigte mit Zuſtimmung des Volkes um 1430 den größten Theil 
von D. Sein Bruder wurde 1454 Reichs graf, ein anderer Nachfolger 1654 Reichs fürſt. Br 
deutend unter den Cirkſenas fteht zu Anfang des 16, Jahrh. ein anderer Edzard da, dem bie‘ 
Dftfriefen den Großen nannten. Der legte Eirkſena ftarb 4744, und in Folge kaiferl. Anwart- 
ſchaft ergriff Preufen von Emden aus Befig, bevor Hannover und andere Prätendenten den 
Tod jenes Fürften erfuhren. Im J. 1806 wurde O. Holland, 1810 dem franz. Kaiferreiche 
einverleibt, 1815 aber von Preußen an Hannover abgetreten. D.ift flach und meiſt tiefer ald 
die See zur Zeit der Blut, gegen welche es durch fünftliche Anlagen gefchügt wird. Schiffbare 
Flüſſe find Ems und Reda ; jene bildet den Dollart (f.d.). Im Innern find mehrg ſiſchreiche 
Seen. Der Boden ift Moor, Sand und Marfch ; dad Moor wirb nugbar zunt B Buch · 
weizen und anderm Korn durch das Moorbrennen, hauptſächlich aber durch Abgraben des 
Torfes bis auf den Sandboden, ben man mit Moorerde ftark mifcht und fruchtbar macht. Zur 
Entwwäfferung des Hochmoores und zum Verfahren des Torfes u. f. wo. dienen Kanäle, die zur 
See führen, Fängs denen Moorcoloniften fich anbauen. Die größte diefer an Kanälen belegenen 
Moorcolonien (Behne) ift Papenburg; naͤchſtdem find bedeutend Rhauderfehn und Großefehn. 
Üppig fruchtbar ift ander See, Ems und Leba die Marfch, ſowol die alte als die neue, eimgebeichte 
(Polder). Waldung ift wenig; an Wild finden ſich Hafen, einige Rehe, Nebhühner, Schnepfen, 
Enten, aud Adler und auf den Infeln Kaninchen. Der Oftfriefe Hat aus der Urzeit und dem 
Mittelalter viel Germanifches feftgehalten, namentlich, die Selbftändigkeit des Gemeindelebene. 
Der Gegenfag gegen das Binnendeutſche nährt fein Gelbftgefühl, auch einen gewiſſen Son 
derfinn. Die frief. Sprache ift längſt durch das Plattdeutfche verdrängt; nur noch auf den Im 
feln (WBangeroge) wird eine alterthüimliche frief. Mundart gefprochen. Hauptzweigedes Eriwerbt 
find Aderbau, Viehzucht, Seefahrt. Der Aderbau der Bauern unterſcheidet fich vortheil- 
haft von dem in Oldenburg, Meppen und weiterhin ; fehr blühen iſt er in der üppigen Marfd, 
viele Bauerhöfe gleichen Edelſihen. Die Viehzucht fördert der üppige Graswuchẽ, diefen das 
feuchte Klima. Hauptproducte find Pferde, ſchweres Rindvieh, Fettgänfe, Getreide, Raps, 
Torf. Die Oftfriefen find, wie alle Friefen, geborene Seeleute; fie bauen und befigen viele Ses⸗ 
ſchiffe, die aber meift fremdem Handel dienen müffen. Bebeutend ift der eigene Fiſchfang, be · 
ſonders der Heringsfang bei Schottland. Der Fabrikfleif ift gering; bie vielen Ziegeleien (an 
200) werben faft nur durd; Arbeiter aus dem Lippe'fchen betrieben. Überhaupt bilden große 
Strebfamkeit und vieler Wohlſtand ſtarke Gegenfäge zu vieler, träger, nadter Armuth. Die 
Oftfriefen find meift evangeiifch und zwar etwa 125500 lutheriſch, etwa 52700 veformitt, 
die Zegtern meift nach Holland Hin, deſſen Sprache aud; noch in Kirche und Volksſchule fih 
behauptet. Daneben gibt es Mennoniten, Hertnhuter, Katholiten und Buben, zuſammen 
etwa 6000. Seeftäte find Emden (ſ. d.), Leer mit 7000, Norden mit 6000 €. An der Küfle 
hin ziehen ſich [hügend mehre Infeln, unter ihnen Borkum mit einem Leuchtturm, Nordernei 
mit einem Seebade. Vgl. Arends, „Dftfriesland und Jever” (5 Bde, Emden 1820). 

Dftgothen, f. Bothen. \ 

Oftbeim oder Oſtheim vor der Mön, eine Stadt des weimaz. Fürſtenthumt Ciſenach, an 


Dftie Dfindien 408 


ber Streu und am Rhöngebirge, ift der Hauptort und Amtsfig des nad) dem in der Nähe lie» 
enden, größtentHeil® zerftörten und durch einen über 200 F. hoben Thurm ausgezeichneten 
ergichloffe benannten Amtes Lichtenberg, welches von dem Haupttheil des Fürſtenthums ger 
trennt liegt und ganz von bair. Gebiete umfchloffen iſt. Die Stadt hat 2700 E., zahlreiche 
Mühlen, Gerbereien und Webereien, ift aber befonders bekannt durch den Bau der Zwergkir⸗ 
ſchen, deren erſte Stämme der dortige Arzt Klinghammer 1714 aus ber Sierra-Morena in 
Spanien mitbrachte und anpflanzte. Die Oftheimer Kirſchen ober Dſtheimer Weichſeln find 
mittelgroß, ſchwarzroth, haben zartes, gewürzhaftes, etwas fäuerliches Fleifch, reifen Ende Juli 
und laffen ſich gut trodinen. 

Ditia, eine Stadt in Latium, die ältefte Colonie Roms, von Ancus Mardus am Ausfluffe 
ber Tiber gegründet, war für die etwa 15 Miglien entfernte Hauptſtadt wichtig, theild wegen 
ber in der Näbe befindlichen Salzwerke, weit mehr aber als Landungsort für die ſeewärts kom⸗ 
menden Schiffe, welche die Einfuhr, namentlich auch das ſicil. und afrik. Getreide für Rom 
brachten. Daher wurde auch die eine der vier quäftorifchen Provinzen, in welche fpäter Stalien 
aus flaat&wirthfchaftlichen Gründen getheilt wurde, von D. als ihrem Sig Provincia Oftienfis 
genannt. Ein eigentlicher Hafen war nicht vorhanden, und die Berfandung der Einfahrt bewog 
ben Kaifer Claudius, an bem Ausgange eines rechten Arme der Ziber, nördlich von D., einen 
ſolchen groß und prächtig zu erbauen, der ben Namen Portus Romanus oder auch Portus Au⸗ 
gufli erhielt und bei welchem ein Drt, ebenfalls Portus genannt, entftand, deſſen Aufblühen 
das Herabkommen von D. zur Folge hatte. Im Mittelalter find auch diefe Anlagen fchon früh 
verſchwunden. Die Ruinen bes alten D., in denen mehrmals intereffante Ausgrabungen ge» 
macht worden find, liegen durch angeſchwemmten Sand jegt zwei Miglien vom Ufer. Rabe bei 
ihnen liegt in ungefunder Gegend dad neue Dftia, ein Städtchen mit etwa 250 E., einem bi 
ſchöflichen Palaſt und einer Kirche, in früherer Zeit gegen die Landungen der Araber befeftigt. 

Dftindien im mweiteften Sinne des Worts werben alle bie Länder Afiens genannt, welche 
Im Süboften des Hochlandes von Iran und im Süden des Hochlandes von Tibet und weftlich 
von China liegen, ſowie die Infeln, welche diefe Länder im Indifchen Deean umgeben, gemeinhin 
ber öftliche oder Indifche Archipelagus geheifen. Von den Alten Indien (f. d.) ſchlechthin ges 
nannt, erhielten diefe Länder feit der Benennung der amerik. Infeln mit dem Namen Weſtin⸗ 
bien (f. d.) durch Eolumbus im Gegenfage zu diefem den Namen Oſtindien. Diefes zerfällt 
demnach in drei Hauptglieder, in Vorderindien, Hinterinbdien und die oftind. Infeln. 

Vorderindien oder Oftindien im engeren Sinne, auch Indien bieffeit des Ganges genannt, 
weil das Delta des Ganges und Brahmaputra im Dften ed von Hinterindien oder ber Halb- 
inſel jenfeit des Ganges ſcheidet, bildet ein unregelmäßiges Viereck, deffen Ecken nach den vier 
Himmelsgegenden gerichtet find, während die Seiten deffelben im NO. vom Himalafagebirge, 
im NW. vom Indus, hinter bem glei das Hochland von Khoraffan fteil emporfteigt, im SO. 
vom Bengalifchen Meerbufen ımd im SW. vom Indifhen oder Perfifchen Meere begrenzt 
werden. Diefes Viered, von etwa 67000 AM. Flächenraum, zerfällt feiner natürlichen Bes 
ſchaffenheit nach wieder in zwei Haupttheile, die ungleich große Dreiecke bilden und durch eine 
Linie getrennt werben, bie fid) von Often nach Welten, in gleicher Richtung mit dem Vindhya⸗ 
gebirge laufend, von der Mündung des Ganges zu der des Indus in ziemlich gerader Richtung 
erſtreckt, nämlich in Hindoſtan und in Dekan. Hindoſtan, d. h. Land der Hindu, das nörbliche 
fener beiden Dreiecke, ift dem größten Theile feines faft 40000 AM. betragenden Flächenraums 
nach ein Ziefland, das nur an feiner Rorboftfeite, dem ſüdweſtlichen Abfall des Himalafa (1. b.), 
und, jedoch in geringerm Grabe, auf ber Sübdfeite, dem Nordabhange des vom Dekan es tren- 
enden Vindhyagebitgs, zum Gebirgsland wird, fo aber eine einzige Ebene bildet, die vom Aus⸗ 
fluffe des Ganges bis zu dem des Indus und längs deſſelben auf feiner linken Seite hinauf bis 
zum Nordweſtlande des Himalaja reicht. Hindoftan befteht daher aus dem gefampıten Strom⸗ 
gebiete des Ganges (ſ. d.) und dem linken Stromgebiete des Indus (f. d.), welche beide durch 
Peine bemerkbare Waſſerſcheide getrennt find, ſodaß die untern Stufenländer des Indus und 
des Ganges eine ununterbrochene Ebene, ein zufammenhängendes Ziefland bilden, deſſen Oft- 
fpige der Brahmaputra (f. d.), nachdem er das Himalajagebirge durchbrochen, begrenzt. Da⸗ 
gegen find in Bezug auf die Natur ihres Bodens beide Stromlanbfchaften fehr voneinander ver» 
ſchieden. Denn während die Ebene bes Ganges oder die Hindebene eine fruchtbare, wafferreiche 
Culturfläche bildet, findet fich in der Flaͤche, welche der Indus und feine Zuflüffe des linken 
ufers durchſtrömen, der Sindebene, im Ganzen ein weit magerer Boden, ber nur im Pendſchab 


500 Dftindien “ 


fd.) theilweiſe gut angebaut, fonft aber auch von vielen müften Streden durchzogen iſt. Die 
bedeutenbfte diefer lehtern ift die große ſalzige Sandwüſte Thurt, bie im Often des Überfehtwenn: 
mungebezirk des Indus in einer Breite von 20— 40 und in einer Länge von 100 M. im Nor 
den des Runn, einer Moraftniederung von: 2000 deutſchen AM. fübötlich vom Ausfluſſe des 
Indus, parallel mit diefem Fluſſe nordwärts füch ausdehnt. 

Das Dekan, d. h. das Land zur Rechten, die eigentliche Yorberind. Halbinfel, bie, an ihrer 
Nordfeite mit Dindoftan zufanmmenhängend, fich von hier aus in Geftalt eines Dreieds zwiſchen 
dem Bengalifchen Meerbufen und dem Perfifhen Meere Hin erſtreckt bis fie im Süden mit einer 
fumpfen Spige endigt, nimmt mit ber zu ihr zu rechnenden Infel Ceylon (f. d) einen Flächen · 
raum don etwa 27000 AM. ein und iſi ein Hochland, deffen Scheitel von Nandgebirgen ein- 
gefchfoffen und begrenzt wird. Den Nordrand längs der Grenze Hindoſtans, die Bafis des 
Dreieds von Dekan, bildet das ziemlich unzugängliche und darum noch nicht genau bekannte 
Bindhyagebirge, das von ber füdöftlich von ber Indusmündung gelegenen Halbinfel Guzur 
rate (f. d.) in der Richtung von Weften nad) Dften bis zum uelllande des, Nerbudda ſich et ⸗- 
ffredt und von da aus niedrige Bortfegungen bid zum untern Ganges entfendet. Es befteht aus 
mehren parallelen Bergketten, welche nur im Often, an den Quellen des Nerbubda, wit dem 
Innern des Dekan durch plateauartige, 2000 8. Hohe Berge zufammenhängen, im Weften aber 
feht ſteil gegen das untere, tief eingefchnittene Thal des Nerbudda, der, in der Richtung von Dften 
nach Weten fließend, in den Meerbufen von Cambay mündet, abfallen. Am Rande des weftli« 
hen und des füdöftlichen Schenkels bes Dreiecks, welches das Dekan bildet, erheben fich dagegen 
die Weſt · und die Oftgbat, fo genannt nach den Engpäffen oder Gangfteigen (Chat), bie über 
dieſe Gebirge führen. Die Weltghat beginnen, im Norden durch eine Lücke von dem Weſtende 
des Vindhyagebirgs getrennt, füdlich von den gerade in jener Lücke befindlichen Mündumgen des 
Nerbudda und des Tapty; dicht bewaldet ziehen fie ſich dann in einer Rammhöhe von 2000— 
3600 $., über der fich Gipfel bis zu 6000 8, erheben, längs der Küfte von Malabar (f.d.), nur 
durch eine wenig breite Ebene vom Meere getrennt, bis zu I1° n. Br, Der Abfall zur Kuͤſte ift 
ſteil und wandartig, oſtwärts dagegen fanft und allmälig. Die Erhebung des innern Plateau» 
iandes kann zu 2000— 2400 %. angenommen werden, Das Innere des Dekan ift übrigens keine 
eigentliche Hochebene, fondern auf der hochliegenden Bafis find niedrige Bergzüge in verſchiede · 
nen Richtungen aufgefegt, die fich bis zu 5000 B.abfoluter Höhe erheben follen. So fteil und plög« 
lich daher dad Auffteigen von ber Küfte Malabar:ift, fo fanft und allmälig gelangt man nad) Offen 
zu abwärts, bis man die Oftghat erreicht, deren öfklicher Abfall in die Küftenebene von Cholo · 
mandel, gemeinhin Koromandel (ſ. d.), hinabführt. Diefelben beftehen nur aus niedrigen, mehr» 
fach durchbrochenen Bergreihen, welche am rechten Ufer des Mahanaddi beginnen und die ganze 
Küfte von Koromandel in einer mittlern Entfernung von 15 M.vom Meere begleiten. Obwol fie 
ſich in ihrem Höchften Punkte bis zu 3200 8. erheben, ftellen fie fich im Ganzen doch nur von der 
Kuͤſte aus wie ein Gebirge dar, ba fie weniger eine felbftändige Erhebung, vielmehr nur den öft- 
lichen Abfall des Gefammtplateaus bilden Unter 12° n. Br. find die Südenden der Dfl- 
und Weftghat durch das Gebirge der Meil-Giri oder Blauen Berge, bie fich bis zur Höhe von 
8000 8. erheben, verbunden. Sũdwarts ſtürzt dieſes Gebirge ungemeln ſteil zu einer Vertie- 
fung hinab, dem Gap, welches, als ein tiefer Querfpalt im Gebirge, thalartig die Südfpige ber 
Halbinfel von Weſten nach Dften von einem Meere zum andern quer durchzieht und fo die Kür 
fen Koromandel und Malabars miteinander verbindet. Im Süden des Gap erhebt fich das 
Gebirge fleil wieder zu einer Gebirgsmaſſe mit 7400 8. hohen und noch höhern Gipfeln, welche 
den ganzen Welten der Südfpige der Halbinfel bis zum Gap Komorin, dem ſüdlichſten Vorge - 
birge berfelben, fült. Die größern Flüſſe des Dekan entfpringen, mit Ausnahmeber oben erwaͤhn · 
ten Nerbubda und Tapty, alle am Oſtfuße der Weftghat, durchlaufen in einer gemeinfamen 
Richtung von Nordiveft nach Südoft.die ganze Breite bes Plateaus, durchbrechen dann die Oft« 
— und bilden an ihren Mündungen in den Bengaliſchen Meerbuſen bedeutende Niederungen ; 
fo Mahanaddi, Godavery, Kiſtna und Cavery. Die fleile Felswand ber Weftghat wird dagegen 
nur von kleinern Gerwäffern, meift mit großartigen Waſſerfällen, durchbrochen. Die Bewäſſe · 
rung des ganzen Plateau ift überhaupt fehr reichlich, weshalb e8 auch bei feiner günftigen Bor 
denbeſchaffenheit eine ungemein üppige und mannichfaltige Vegetation zeigt und nirgends Step 
pen · ober YBüftenboden bietet. “ 

Was die Naturbeſchaffenheit D.6 wie überhaupt gang Südaſiens betrifft, fo muß man die 
heißen und feuchten Zieflande und Küftenftriche von den fühlern Berglanden unterſcheiden. &o 
ift vor allem das Klima der hindoſtan. Ebenen, ebenfo der untern egweiterten Stromthaͤler Hine 


Dftinbien 501 


terindiens, fowie ber fämnıtlichen niedern Küftenftriche des gefammten D. ein ganz anderes afs 
das der höhern Berglandfchaften, ſowol der der beiden Halbinfeln und der Infeln wie der des 
Dimalaja. Jene niedern Gegenden find ausgezeichnet durch alle phyſikaliſchen Erſcheinungen 
ber Tropenmwelt, durch ſchwuͤle Hige und heftige Regengüffe: fteigt man aber auß biefen tiefen 
Landfchaften auf die Gebirge hinauf, fo wird die Luft kuͤhler und trodener und das eigent- 
liche tropifhe Klima hört auf. Befonders gilt dies. vom Plateau von Dekan, das, ähnlich 
dem von Merico, das glüdlichfte Klima befigt. Weder von tropifcher Blut noch von Schnee 
und Eis wird man dafelbft beläftigt, und nur die höchſten Spigen der Gebirge bebedien 
Ach im Winter auf kurze Zeit mit Schnee; Thau und Regen erfrifchen die Luft, und es 
herrſcht, fo zu fagen, ein ewiger Frühling. Die Jahreszeiten und Klimate des füblichen, 
innerhalb der Wendekreife gelegenen D. werden auf eine merkwürdige Art durch die Mouf 
fons bedingt. Der Südweſtmouſſon bringt Nebel und Schmwüle und tropifche Regengüffe 
für die Weſtküſte Vorderindiens, wo die Weflghat die Wetterfcheide bilden, die ſich dem 
MWeiterrüden der buch den Mouſſon vom Meere herbeigeführten Wolken entgegenfegt. 
Während diefe daher an ber Kuüfte von Malabar fich niederfchlagen und hier zwiſchen 
Mai und September die Regenzeit herrfcht, hat die entgegengefegte Küfte von Koromandel 
ihre trocene, heitere Jahreszeit. Nur langfam fchieben ſich nach und nach die Wolkenmaſſen 
über die Wetterfcheide der Weſtghat weg, und dann beginnen die Regen auf dem Plateau von 
Dekan. Endlich am Ende des Südweſtmouſſon, nad den furchtbaren Stürmen, welche das 
Umfegen diefes Paffatwindes in den Norboftmouffon, die nun beginmt und bie Wolken nach der 
Oſtküſte der vorberind. Halbinſel treibt, begleiten, fängt Die Regenzeit auf der Küfte von Koro⸗ 
mandel an und berrfcht zwifchen den Monaten October und Januar, während die von Malabar 
ihre trockene Jahreszeit hat und das Plateau, das keine beftimmte Negenzeit befigt, von einzel. 
nen Regenfchauern erfrifcht wird. Ahnliche Verhältniffe in Betreff des Eintretens der Jahres- 
zeiten finden auch in Hinterindien und auf den oftind. Infeln ftatt. Wie hinfichtlich des Klimas, 
To zeigt ſich auch hinfichtlich des vegetativen und animalifchen Xebens ein burchgehender Unter⸗ 
ſchied zwifchen dem Tieflande und Hochlande D.8. 

Steigt man ben Südabhang des Himalafa herab, fo ift man plöglich in eine andere Natur 
verfegt. Aus der Kälte und reinen Luft eines Alpenlandes gelangt man in die tropifche Hige 
und die feuchten Dünfte des wafferreichen Bengalen, aus Wäldern von gefellichaftlichen Bäu⸗ 
men, von Birken, Fichten u.f.w. in die tropifchen Waldungen am Fuße bes Gebirgs und in bie 
Palmen- und Rofenhaine Hindoftans. Doch wo die Bewaͤſſerung fehlt, entftehen auch in dem 
Tieflande Hindoftans Wüften, die von trodenen und fengenden Winden ausgebörrt werben; 
fo in den Ebenen längs des Indus und feiner linken Nebenflüffe. Dagegen erreicht ber Pflan⸗ 
zenwuchs Bengalens und der fruchtbaren Niederungen und Küftengegenben ber beiden oftind. 
Halbinfeln, ſowie der hierher gehörigen ind. Infeln unter dem Einfluß der tropifchen Sonne 
und der oceanifchen Feuchtigkeit die Großartigkeit des brafilifchen. Hier finden fi) Bäume von 
mehr als 100%. Höhe, Farenkräuter von der Größe unferer Waldbäume, Gräfer, wie der 
Bambus, deren Halme hohlen Baumflämmen gleichen ; hier trifft man bie ebenfo üppigen als 
mannichfaltigen Waldungen von Sandel⸗, Eben⸗, Teatholz, von Drachenbäumen und verfchie- 
denen Palmenarten, die wie bie Schirm«, Kohl- und Sagopalme biefer Erdgegend eigenthünnlich 
find, von denen die legtern beiden, ſowie die ebenfalls hier einheimifche Eocospalme, ald Nah: 
rungspflanzen dienen. Als ſolche find hier auch die Banane und die Brotfrucht von befonderer 
Wichtigkeit. Was aber ganz D. vor allem auszeichnet, ift die Mannichfaltigkeit von Gewürz: 
bäumen und Gewürzpflangen, welche es ungepflegt in großer Menge hervorbringt. Dahin ge- 
hören namentlich der Muskat-, Zimmet- und Gewürzneltenbaum, während zugleich auch Ing- 
wer und mehre Pfefferarten hier einheimifch find. Ähnliches fpricht ſich auch in der Thierwelt 
Ds aus. Die Sumpfmaldungen am Fuße des Himalafa, am Ausfluffe des Ganges und am 
Fuße des Hochlandes von Dekan, die Didichte der Urwälder Hinterindiens und ber oflind. In⸗ 
fein, beſonders Ceylons, ebenfo die ungeheuern Reispflanzungen Bengalens u. f. w. find bie 
Heimat des Elefanten, der hier zu größerer Schönheit und bebeutenderer Größe gelangt als in 
Afrika und durch feine Zähmbarkeit ein für D. höchft nügliches Hausthier geworben ift. In 
jenen Wäldern find nächft einer Menge ber verfchiedenartigften Affen zugleich Königstiger, 
Löwe, Panther, Nashorn, ungeheuere Eher und Büffel und andere wilde Thiere heimifch, welche 
die entfprechenden Arten Amerikas an Kraft und Wildheit, die Afrikas an Größe übertreffen, 
während die Schlangen, Krokodile und ander? Amphibien denen ber amerik. Tropenländer an 
Kraft und Giftigkeit gleichtommen. Im den angebauten Gegenden Hindoſtans gedeihen europ. 


502 _ Dftinbien 


neben tropifchen Getreibearten und Eulturpflanzen (Baummolle, Zucker, Kaffee, Indigo u. ſ. w) 
deren Anbau, je mehr. nach Süden, defto ausſchließlicher in ben niedern Gegenden wird und die 
oftind. Inſein zu den Daupterzeugungsländern der fogenannten Golonialwaaren gemacht 
hat. Doch iſt ber Reis das verbreitetfie Nahrungsmittel durch ganz D,, die Haupteulturpflange 
aller niedern ‚Gegenden. In diefen Eufturgegenden find zugleich die in Europa -verbreiteten 
Hausthiere, mit Ausnahme des nur ſpärlich vorhandenen Pferdes, ſeit lange neben dem Büffel 
und Kameel heimifch. Im Gegenfag zu den bisher harakterifirten niedern Landen verlieren die 
Vegetation und mit ihr. auch das Tierreich ihr vorherefchendes tropifches Gepräge,ie mehr man 
in die Gebirge hinauffteigt. Hier vermißt man die Mangfe- und die Zimmetwälder, den Muss 
fat, den Gewürznelken · und den Brotfruchtbaum. Die Cocospalme hört bei 1000 — 1500, 
bie Banane bei 5000 F. auf, und. die harakteriftifche Form der Palmbäume fleigt wenig höher, 
Dagegen erblickt man dichte Waldungen von hochſiämmigen, meift immergrünen Bäumen, und 
die Naturverhältniffe find hier ungemein reich und mannichfaltig. Aber auch für Eufturpflan- 
zen haben diefe höhern Gegenden, namentlich das Dekan, die glüclichfte Naturbejchaffenheit. 
‚Hier gedeihen nebft dem Kaffee und der Baummolle die europ. Getreidearten und neben bem 
Südfrüchten alle feinen Obftarten. 

Hinſichtlich feiner Einwohnerzahl gehört Worderindien zu den beftbevölkerten Ländern Afiens, 
indem feine geſammte Bevölkerung auf wenigſtens 152 Mill, Seelen angenonımen werden 
Tann, Die Haupt» und Grundmaſſe derſelben bilden die eigentlichen Hindu (f; d.), die vom 
zugs weiſe in der Gangesebene, außerdem aber befonders in allen Küftenfäumen der Halbinfel 
einheimifch find, aber in den verfchiedenen: Landſchaften in höchſt verſchiedenen ſtammlichen, 
ſprachlichen und religiöfen Parteien auftreten. Neben ihnen gibt es jedoch eine Menge Wölker- 
haften, die in Sitte, Neligion, Sprache und Körpergeftalt gänzlich, verfehieden find; mahr- 
ſcheinlich bie Überrefie der frühern Ureinwohner, die ſich noch nicht, mit den eingedrungenen 
Eroberern vermischt haben. In der Negel bilden die unzugänglichern Berg» und Waldgegen- 
den ihre MWohnfige, während die Thalgründe und Ebenen, namentlich Dinboftans, von den 
eigentlichen Hindu bemohnt find. Überall find auch jene von den Hindu verfhiebenen Berg 
und Waldvölfer wilder und roher als diefe, welche in den Ebenen und Küftengegenden eine 
eigenthümliche Eultur begründet haben und dadurch das eigentliche Culturvolk Sübafiens ge- 
worden find. Zu den merfroürdigften der erwähnten, dem Hinduffamnte im engern Sinne mebt 
ober weniger fremden Völferfchaften gehören die Ramufis in den Ghat um Punab; die Puhar- 
ri6, die in den Mildniffen an der Grenze von Bengalen, Behar und Gondwana als Jäger und 
Ackerbauer leben; die ganz negerartigen Pulindas an den Quellen des Nerbudda ; bie räube- 
tiſchen Pindaries in den Wildniffen des Vindhyagebirgs, welche den Islam angenommen 
haben; die Bhils, eine verachtete Kafte, die in zerftreuten Scharen größtentheild al Räuber in 
den Gebirgen Malwas, im Radſchputenlande und in Guzurate leben; die Chond (f. d.) oder 
Sonde, welche die Urbevölferung im nördlichen Maharattenlande, vorzüglich aber in bem von 
ihnen bewohnten Gondwana bilden; die den Kegtern ähnlichen und wahrfcheinlich verwandten 
Koles, Kande und Sur in den Grenzgebirgen von Driffa; bie Kulis (f.d.) am Norbufer des 
Godavery ;- die mohanımed. Mianad, die jegt in’der Gegend von Kutſch friedlich leben ; die 
Waddas und Gingalefen auf Ceylon (f. d.); endlich viele im Himalaja wohnende Völkerfchafe 
ten, fo die buddhiſtiſchen Nirwaris in Nepaul (f. d.), die Bhotijas in Bhotan, die negerartigen 
Doms im Gebirgslande Kamaun, die in Vielmännerei lebenden Bewohner von Biffahir, die 
Landbau treibenden Kanawaris am obern Seiledſch, die Leptfchas, Murmis, Limbus u. f. w. 
in der Waldregion des Himalaja. Nächft allen diefen in Indien ureinheimifhen Völkern, die 
Häufig unter dem Gefammtnamen Hindu im weitern Sinne begriffen werden, gibt es noch 
mehre in Hiftorifcher Zeit eingervanderte Völker in O. Obenan ftehen unter ihnen die fogenann« 
ten Mongolen (f. d.), die Nachkommen der mohammed. fogenannten tatar. Eroberer Indiens, 
meift perf.-türk. Urfprungs und auch bis heute das Perſiſche zur Mutterfprache Habend. Stär- 
ter, größer und friegerifcher als die Hindu, waren fie zu Deren bes Landes geworben und 
haben den Islam auch unter der Urbevölferung ausgebreitet und ſich mannichfach mit derfelben 
gemifcht. Nach ihren folgen die ebenfalls durch Eroberung eingedrungenen Afghanen (f. Afgbe 
aiftan), in D. Rohillas genannt, ſowie bie Araber, die, Mohammebaner wie jene, in ben Städ- 
ten Malabars, in Galicut, Goa, Guzurate und Multan gefunden und deren mit Hindu er 
aeugte Rachkommen Mapuler oder Moplas genannt werben. Außerdem find bie Parfen (f. Ge 
Seen) zu nennen, ſowie bie Juden (f. d.), die zur Beit der Babylonifchen Gefangenfhaft einge 
wandert fein wollen, in verfepiedenen Gegenden Malabars als Yaeıbauer, Handwerker und 


. 


Dfiabien 503 


Kaufleute gefunden und weiße Juden genannt werben, zum Unterfchiebe von ben ſchwarzen 
Juden, bie wol von befehrten Eingeborenen abſtammend, über bie ganze Halbinfel verbreitet 
find. Ferner find die Chriſten anzufüpren, bie fich in Borberindien aufhalten; fie beftehen theüs 
aus den fogenannten Thomaschriften (f. d.) auf Makabar, ind. und Bath. Profelyten in ben 
franz. und portug. ehemaligen wie jegigen Golonialgebieten, und proteftantifchen, meift auf 
Malabar, und machen mit Einfchluß der Im Lande ald Kaufleute lebenden Urmenier (f. Le 
menien) und wenigen Abyſſinier (f. Abyſſinien), fowie der in bemfelben weilenden Europäer 
aufammen wol faum mehr als die Zahl 1,100000 Seelen aus 


Was die Bildungsftufe betrifft, auf der Borderindien ficht, fo ift es bei der Menge und Ber | 


ſchiedenheit der daſſelbe bemohnenben Völkerſchaften ganz natürlich, baf fie je nad Ort und 
Bevolkerung eine ſeht verfchiebene fein muß. Inſofern diefe Bildung aber auf dem am meiſſen 
verbreiteten Volke der Hindu, bem ureinheimifchen Culturvolke, beruht, läßt fi im 

nen Folgendes von ihr fagen. Die gefammte Gultur ber Hindu, ihr ganzer gefellfchaftficger 
wie fittlicher Zuftand, ihre hochſt bedeutende Literatur (ſ. Indiſche Sprache und Judiſche Lite 
ratur) und ihre bildende Kunft (f. Indiſche Kunft) beruhen auf ihrer Religion und find weit 
diefer eng verwachfen. (S. Judiſche Meligion.) Der Brahmadienſt iſt indeß keineswegs bie 
Religion aller Dinduvolfer im weitern Sinne, von benen viele ihre alturfprünglicgen Religie 
nen, fänımtlich polgeheiftifcher Natur, behalten haben. Gr ift vielmehr nur bei der Benölke 
zung ber zugänglichern Gegenden, insbeſondere der Städte, heimifch, aber auch hier mit den 
manmichfaltigſten Verfchiedenheiten, ſodaß bie Zahl ber Sekten aufererbentlih groß ifl. 
Audere ölter auf Ceylon und im Himalaja Huldigen dem Buddhismus. (&. Budhhe.) 


Außerdem find auch viele einzelne Hindu unter der Herrfchaft der tatar. Eroberer zum Islam 


gezwungen worben, ber nach dem Brahmathum die verbreitetfte Religion in Vorberinbien if; 
ein Achtel der ganzen Bevölkerung foll ſich hierzu bekennen. &o Lebt denn der fanfte, mäßige, 
feine Hindu nad einer faft taufendjährigen Knechtſchaft unter fremben Eroberern, die ihn 
zwar ſchlaff, indolent und Eriechend gemacht, aber ihm nicht das Gefühl feiner geifligen Wäürde 
geraubt bat, auf den Trümmern uralter Bildung und gefunfener ichkeit, feinen altem 


Blauben mit einer Zähigkeit fefthaltend, die in Verwunderung fegt, ein beſchauliches, phan- 


taftereiches Pflanzenleben, das ihn groß im Dulden und Barren gemacht bat, aber ihm auch 
jede Ausſicht auf ein felbfithätige® Herausreißen aus dieſem Zuftande bed Leidens raubt. Dem 
wenn auch wenige über ihrer Nation flehende Geiſter neuerdings eine höhere europ. Bildung 
zu gewinnen fireben und auf eine Wiedergeburt ihres Volksthums binarbeiten, fo bleibt doch 
die Maſſe immer in der alten Unfreigeit, in dem alten Aberglauben unb Bögenbienfl. 

darf man fi auch nicht wundern, daß das Chriftenthum bis jegt wenig Eingang bei ihnen ge 
funden hat und wahrſcheinlich bei ber zeitherigen Art ber Miffionsthätigkeit nie finden wire. 
Eher ſteht zu hoffen, daß die allgemeine rein menſchliche Macht chriſtlicher Bildung und europ. 
Gefittung überhaupt nach und nach einen auflöfenden Einfluß auf das flarre Syſtem des Ka- 
ſtenweſent, der altind. Religion und Givilifation äußern werde. 

Wie die geiftige, fo ift auch die gewerbliche Gultur Vorderindiens uralt, obſchon auch an ihr 
wie an jener nicht alle Völker Theil nehmen. Diele derſelben, befonders die wilder gebliebenen 
inben Gebirgen, leben im reinen Raturzuftande oder als Hirten, Jäger und Räuber, ohne Acker⸗ 
bau und manche fogar ohne Viehzucht. Die eigentlichen Hindu Haben dagegen in ben alten Cultur⸗ 
landſchaften am Ganges, im Pendſchab, in Kaſchmir, an ben Küften ber Halbinfel,in Ceylon nicht 
alleinden Anbau bes Bodens, fondern auch bie technifchen Gewerbe zu einem Grad der Vollkom⸗ 
menheit gebracht, der in vielen en den füngern Gulturvöltern ber Alten Welt zum Mu⸗ 
fter gebient bat. Der unübertroffene Productenreichthum des Landes wie feine Induſtrie machten 
ed baber einft zu einem der reichſten der Erbe. Die verheerendeninnern und äußern Kriege jeboch, 
die Vorderindien feit faft taufend Jahren beinahe ununterbrochen verwuftet und z 
haben feinen Aderbau und befonders feine Induftrie nach und nach von Ihrer ehemaligen Bluͤte 
herabgebracht; zuletzt gab ihnen noch das Mafchinenwefen und die übermäcdhtige Fabrikcon⸗ 
currenz der Engländer den legten Stoß, wenn ſchon biefe in neuefter Zeit aus ihrem eigenen 
Intereſſe mächtig barauf hinarheitet, ben Ackerbau wieder zu heben. Deffenungeachtet bewahr 
das Band, wie unter Anderm auch die allgemeine Induftrisausftellung gu London zeigte, noch 
glänzende Reſte feiner alten Gewerbsthaͤtigkeit und liefert, in neuefter Zeit in fleigendem Maße, 
noch eine unermeßliche Menge Ratusproducte, deren Ausfuhr’ von Tag zu Tage bedeutender 
wird. Unter den wichtigften Naturproducten find zu nennen Reis und andere Getreidearten, 
Baummolle, Indigo, Opium, Zuder, Zabad, Kaffee, Thee in Affam, Pfeffer, Zimmer auf 


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504 DOftindien 


Ceylon und andere Gewürze und Spetereien, Eoftbare Hölzer, Seide, Eifen in Kutſch, Die- 
manten in Goltonda und Bundelkund, Kameele, Elefanten und die übrigen Hausthiere, von 
denen befonders die Kaſchmirziege von großer Wichtigkeit iſt. Natürlich überfleigt bei diefem 
Productenreichthum der Ausfuhrhandel immer noch die Einfuhr. Die Geſammtausfuhrt nad 
England und den andern Rändern der Erde betrug 1849-—50, nach der amtlichen Angabe bes 
Indifhen Haufes, 219 Mil. Gidn., während die Einfuhr ſich blos auf 164 Mill. belaufen bat. 
Bon Kunftproducten find anzuführen die Webereien in Baumwolle zu Dacca, Mabras,Surate, 
Lahote, Amritfir u. f. i., die in Seide zu Murfchebabad, Benares, Surate, Multan u. |. w. 
und die in Wolle zu Lahore und Kaſchmir, deren Muffeline, feidene Tücher, Shawls und Tep 
piche an Güte, Feinheit und Farbenpracht, wenn auch nicht an billigem Preis und ſchönem Ge⸗ 
mach, 2. immer ihren alten Ruf behaupten; ferner die Waffenfchmieden, die Hier Durch den 
fig des MWuzftahls und eine eigenthümliche Bearbeitung des Eifens die vorzüglichften Waa- 
zen liefern, u. fi. Das Land wird jegt nad) allen Richtungen erforfeht, um neue Hülfsquellen, 
neue Ausfuhren zu entdecken und bie alten zu vermehren. Dies Ift namentlich mit Baum · und 
Schafwolle der Ball. 

Seinen politiſchen Zuftänden nach zerfällt Vorderindien in bie unmittelbar unter eutop. Herr- 
ſchaft ftehenden Ränder, die mittelbaten und die einheimiſchen Schug- und Lehns ſtaaten. Die 
unmittelbaren Befigungen der Engländer, das Angloindifche Mei, zerfallen in vier Negie- 
zungen, gemeinhin Präfibentfhaften genannt, nämlich 1) Bengalen mit der Hauptſtadt Kal 
futta; 2) die nordweſtlichen Provinzen unter einem Vicegonverneur, der vom Dberftarthalter 
eingefegt wird, mit der Hauptftadt Agra; 5) Madras und 4) Bombay mit den gleichnamigen 
Haupeftädten. Einige Länder, wie das Pendſchab und die Niederlaffungen in den öſtlichen Ge- 
wäffern (Eastern straits setllements), Pinang, die Provinz MWellesley, Singapore und Mar 
lakta ſtehen unmittelbar unter dem Oberftatthalter. Die mittelbaren Ränder find verfehieben je 
nach den gegenfeitigen Verpflichtungen und Verträgen. Bald find die Lehnsſtaaten blos der · 
pflichter, ohne Zuftimmung des Oberhertn feine Europäer und Amerianer in ihre Dienfte zu 
nehmen und engl. Nefidenten Zutritt zu geftatten; bald haben fie auch brit. Truppen aufzunch · 
men und beflimmte Lehnsgefälle zu entrichten; bald müffen fie jebe Einmifchung in die innere 
Verwaltung zulaffen und fih dem Gebote des Oberftatthalterd unbedingt fügen. Aber auch 
100 Tractate diefer Art nicht ftattfinden, verfügen die brit. Behörden im Nothfalle doch unbe 
dingt über alle Hülfsquellen der mittelbaren Befigungen; ja fie fönnen ſämmtlich was früher 
ober fpäter ohne Zweifel gefchehen wird, aufgehoben und mit den Präfidentfchaften vereinigt 
werden. Hingegen hat es Großbritannien übernommen, feine Lehnsleute gegen innere und Äußere 
Beinde zu fügen, ſowie die zugeſtandenen Rechte zu wahren. Die Präfidentfhaft Bengalen mit 
Ygra wird auf 17897 deutſche AM. mit 74 Mil. E, Madras auf 6848 AM. mir 16 Mil. 
€., Bombay auf 5651 AM. mit 10%. Mill. E. angegeben. Hierzu kommen in Hinterindien 
Affam (857 AM. mit 602500 E.), Jynteah mit Cachar (487 UM. mit 340000 E.), Ara 
fan (765AM. mit 230000 E.), die Küfte von Tenafferim, Martaban, Tavoyu. ſ.w. (15530 AM 
mit 85000 €.) und feit 20. Dec. 1852 Pegu (mit 1 Mil. E.). Die Niederlaffungen an der 
Malakkaſtraße enthalten auf 74 AM. ungefähr 200000 E. Unmittelbare Befigung der engl. 
Krone iſt Ceylon (f.d.) mit 1151 IM. und 1,500000 €. Von den Staaten und Lehnsfürften- 
thümern, welche 1853 die Oberhertlickeit der Oftindifchen Gompagnie anerfannten, flanden 
(mit einem Gefammtareal von 543830 engl. AM. mit 43,767159 E. und 10,279000 Pf. St 
Einkünften) unter dem Oberftatthalter : Nepal (54500 engl. AM. mit4,940000 E.und 320000 
Hf. Gt. Einkünften); Audh (23738 OM., 5,000000 ©., 1,500000 Pf. St. Einkünfte); 
Nizam von Hyderabad (95357 UM., 10,666000 E. 2 Mill. Einkünfte); Ragpore oder Berar 
(76432 AM.,4,650000 €., „ MiU.Pf. St. Einkünfte); Scindiah oder Gwalior (3Z11IMAM, 
3,2285 12 €., 800000 Pf. St. Einkünfte); Holkar (3318 QM. 815164 €., 220000 Pf.Et. 
Einkünfte); Bopal (6764 AM., 663656 E., 220000 Pf. St. Einkünfte); Golab⸗Singh 
(25123 AM, 750000 €., 400000 Pf. St. Einfünfte); Bhawalpur (20005L.M., 600000 
€., 140000 Pf. St. Einkünfte); Myfore (30886 UM., 3 Mil. E., 800000 Pf. St. Em 
tänfte); die 34 Fürftenthümer in Bundelfund (10938 AM., 1,082600 E. 500000 Pf. &t 
Einkünfte); die ſechs Fürftenthümer im Saugor- und Nerbubdabegtrt (12144 QM., 1,560000 
@., 300000 Pf. St. Einkünfte); die elf Fürftenthüümer unter dem Nefidenten zu Indete 
(86 AM., 751738 €., 200000 Pf. St. Einkünfte); die neun Bürftenthümer weftlich der 
Dſchamna, wie Bhurtpore, Bikanit, Juffulmeer u. f. w. (41571 AM., 2,525774 6, 
800000 Pf. &t. Einkünfte); die zehn Fürftenehümer der Radſchputen und ihre Wfterlehnt- 


Dfkindien 505 
träger (78288 DM., 6,259024 E., 1,680000 Pf. &t. Einkünfte); endlich bie neum Lehe. 
fürftenthümer der Sikhe (6746 AM., 1,005154 €., 350000 Pf. &t. Einkünfte). Der ie 
gierung von Bengalen waren zugeordnet die 20 Grafſchaften an der Sübweftgrenze (25431 .M., 
1,245655 €., 400000 Pf. &t. Einfünfte) und die 31 Grafſchaften an der Norbofigrenze 
Bengalens (42360 AM., 1,086054 €, 500000 Pf. St. Einkünfte); ferner der Regierung 
von Agra: Rampore (720 AM.,320400 &., 140000 Pf. &t. Einkünfte) und die fieben Graf 
ſchaften bei Delhi (18E5AM., 217550 E., 80000 Pf. St. Einkünfte); ber Regierung von 
Madras: Travancore (4722 AM., 1,011824 E., 300000 Pf. &t. Einkünfte), Cochin 
(1988 AM., 288176 E., 70000 Pf. St. Einkünfte) und die Semindars im Gebirge (13041 
DAM., 591250 €. und 100000 Pf. St. Einkünfte); endlich der Regierung von Bombay: 
Suicowar (4399 AM, 325526 €.) nebft beffen Achnsleuten (33829 OM., 2,114846 ©.), 
zufammen mit 800000 Pf. St. Einkünften; andere Beine Graffchaften (3308 QM., 244792 
E. 100000 Pf. St. Einfünfte); Cutch (6764 QM., 500536 E., 160000 Pf. St. Einkünfte); 
Kolapore (3445 QM., Mill. E. 160000 Pf. &t. Einkünfte); Samwantwarri (800 OM., 
4120000 €., 30000 Pf. St. Einfünfte) und mehre andere Lehnsbeſitzer oder Jagirdars (3775 
AM. 419025 E., 150000 Pf. St. Einkünfte). Es zählen alfo alle diefe mittelbaren Reiche, 
Fürftenthümer und größern Lehen auf 690247 engl. AM. 52,941263 E.; die Befammtein- 
nahme berfelben beträgt 15 Mil. Hf. &t., doch fließen faum 600000 Pf. an Lehnsgebühren 
und für bas Heer in die Kaffe bed Angloindifchen Reichs. Andere ber Herrfchaft entfegte Für 
ſtenfamilien erhalten jährlich Penfionen in einem Betrage von 1,406284 Bf. St. 

Die Dräfidentfchaften zerfallen in Bezirke von 3—6000 engl. UM. mit einer Bev 

von halben zu ganzen Millionen, bie unter Beamten fiehen, welche die mannichfachen Gef, 

ber Polizeibirectoren und Einnehmer in fi vereinigen. Die Handhabung ded Rechts gebührt 
eigenen Gerichtshoͤfen; doch ift hier und da den Einnehmern auch die untere Gerichtsbarkeit 
übertragen. Eine Anzahl Gehülfen, theils im ordentlichen Dienfte mit pragmatifchen Rechten, 
theils gewöhnliche Diener (covenanted und uncovenanted service), ift den Beamten unb 
Richtern beigegeben. Die Legtern find gewöhnlich Eingeborene ober Eurafier, welche nach Be 
lieben ihrer Stellen entfegt werben. Die untern Glaffen biefer Diener erhalten eine geringe 
Belolbung von 10—300 Pf. St. jährlich und bie unterften kaum mehr als die gewöhnlichen 
Arbeiter. Bei diefen auf Ruf und Widerruf Aufgenonmenen, beren an 2000 gerechnet wer- 
den, gibt es zwar auch Stellen von 800— 1000 Pf. &t., die jeboch felten ben Eingeborenen zu 
Theil werden. Offiziers ſohne, engl. Abenteurer, bankrotte Kaufleute unb andere Perſonen ber 
Urt werben den fähigen und umbefcholtenen Eingebornen vorgezogen. Und doch find biefe 
Beamten von größerm Ginfluffe ald die mit pragmatifchen Rechten. In ihren Händen liegt bie 
ganze bürgerliche Gerichtsbarkeit ; fie allein, fo bie ehrenwerthe Claſſe der Tahfıldar, verkehren 
in Betreff des Steuer- und Polizeiweſens unmittelbar mit ber Bevölkerung ; fie allein erheben 
die Zölle und beforgen alle Befchäfte bei dem Salz- und Opiummonopole. Die Befoldungen 
der Beamten erfter Claſſe, wozu nur Engländer zugelaffen werben, find die höchften, welche 
jemals bezahlt wurben. So erhält ber Oberftatthalter jährlih 25000 Pf. &t., bie Statthalter 
zu Madras und zu Bombay je 12000, ber Viceftatthalter zu Agra 8400, jeder ber Ra 

zu Kalkutta 10000, zu Mabras und Bombay 6200 Pf. St. Lord W. Bentind (f. d.) erhielt 
41828 die Oberftatthalterfchaft unter der Bedingung, den finanziellen Wirren abzuhelfen 
und ein Gleichgewicht zwifchen Ausgaben und Einnahmen berzuftellen. Diefe Aufgabe wurde 
nicht blos gelöft, fondern bei feinem Abgange von Indien (1835) zeigte Die Staatsrechnung einen 
bedeutenden Überfchuß und fo auch in den zwei folgenden Jahren. Waͤhrend der Vorbereitungen 
zum afghanifchen Kriege (1838—39 )begann wieder ein Deficit, welches bis zum Rechnungs- 
jahre 1849—50 fortdauerte. Im letztern Sabre betrug (ohne das Pendſchab, beffen Budget von 
der übrigen Staatsrechnung getrennt gehalten wird) - die Bruttoeinnahme 27,757853,.bas 
reine Eintommen 21,686173, bie Ausgaben 20,621326, ber Überfchuf 1,064846 Pf. &t. Bon 
183650 betrug der reine Überfchuß 2,093388, das reine Deficit 13,171096 Yf. St. Für 
das Pendbſchab betrugen 1850—51 die Einnahmen 1,849455, die Ausgaben 490013 Pfd. St, 
ſodaß alfo ein überſchuß von 1,359440 Pf. St. für das Heer und als Beiſteuer für das 
Angloindifche Reich blieb. Die ind. Staateſchuld ward im legten Jahre des Überfchuffes (1857 
— 38) auf 30,446249 Pf. &t. angegeben. Sie ift feit der Zeit, da das Angloindiſche Reich bie 
Koften feiner Eroberung und Erweiterung ſelbſt bezahlen muß, immerbar geftiegen und belief fic 
1850 auf 51,0747109f. St. deren Intereſſen 2,410535 Pf. &t. erheifchen. Die Grund⸗ und 
Berbrauchöfteuern tragen nahe an zwei bes Einkonnnens; ein Siebentel kommt vom 


506 Dftindien 


Opium, deffen Erträgniſſe aber gar fehr dem Mechfel unterworfen find, und eim Meume 
vom Salymonopol. Die Ausgaben für die Landmacht, welche wach amtlicher Angabe 1851 eine 
Zruppenzahl von 289529 M. aller Maffengattungen ausmacht, wovon 49408 Europäer, 
verfhlingen 56 Proc. des ganzen Einkommens; die Marine, 56 Schiffe, wovon 27 Danıpfer, | 
‚mit einem Gehalte von ungefähr 18000 Tonnen, koſtet 61062 Proc. Die Bedürfniffe für die 
Regierung, für die bürgerliche und gerichtliche Verwaltung, für Strafen- und Waſſerbau, Poſt 
amd Münze, feloft die Unkoften für Sindh und andere außerordentliche mitgerechnet, fteigen 
blos auf 24% Proc., alfo auf viel weniger als die Hälfte für die bewaffnete Macht. Die Inter 
reffen der Staats ſchuld, die Dividende der Aetien, dann die Ausgaben für die ind. Negierung 
und die auf Indien berechneten Inftitute in England betragen an 17 Proc, Man erficht Hier 
aus, welche geringe Summe auf die Wohlfahrt und Bildung der Völker des Angloindiſchen 
Reichs verwendet wird und wie fie unfer folchen Umftänden bei allen Miffionen und Miffiont- 
ſchulen immer mehr verwildern müſſen. 

Die alte Geſchichte Vorderindiens ift durchaus mythiſch und dunkel, da die Sanskrit - 
literatut höchft arm in Hiftorifcher Hinficht iſt, ja mehr als dies, da im Grunde gar feine 
biftorifche Literatur im Sanskrit exiſtirt, indem alle chronifenartigen Schriften u. [. m. 
durchaus den mythenartigen Charakter tragen umd mehr Dichtung find als Geſchichte. Was 
wit alfo von der älteften Geſchichte wiffen, befchräntt ſich auf Zuftände und Refultate, zu denen 
wir zum Theil nur durch Rückfchlüſſe gelangen. Vor allem ſtellt ſich ung als faft unumftöß« 
liche Thatfache der Umſtand dar, dab bie äftefte ind. Cultur ein Erzeugnif der Eroberung iſt 
Bon ben Zinnen der Gebirgsländer, die Indien im Norden umgeben, ftiegen nämlich im der äl- 
teften Zeit, vielleicht gegen das 3. 2000 v. Ehr., Eroberer kaukaſ. Stamms von ‚höherer Bül- 
dung in die niederen Gegenden hinab, unterwarfen ſich die daſelbſt als Ureinwohner hauſenden 
Stämme und brachten ihnen ihre höhere Bildung bei. Aus ber wenn auch nicht vollftändigen 
Vermiſchung diefer verfchiedenen Völker entftand das heutige Vol der Hindu mit feiner 
Kafteneintheilung, ſowie aus der höhern Bildung jener Eroberer die Religion, Gefittung und 
ganze Gultur der Hindu entfprang, die jedenfalls im Anfang reinerer und ideellerer Art war 
als fpäter, nachdem fie im Laufe der Zeiten, unter fehärferer Ausbildung des Gegenfages der 
begabtern höhern und der minder von der Natur ausgeftatteten niedern Kaften, jenes Gepräge 
toben Aberglaubens, unheimlich fanatifcher Neligiofität, materiellften Gögendienftes und des · 
potifcher Abgefchloffenheit entwickelt hatte. In jener erfien mpthifchen Periode war Vorder» 
indien, inöbefondere Hindoftan, da fid) im innern unzugänglicden Dekan bie ind. Cultur nie fo 
entwidelte wie in den Gangesebenen, dem eigentlichen Eulturlande Indiens, in eine große An 
zehl einzelner Staaten getheilt, wie Ajodhja, Mithila in Oberindien, Magadha im mittlern, 
Radſchas, d.i. Könige, Fürften, ſtanden an ber Spige biefer Staaten, von denen oft mehre zu- 
fammen einem Groß-, d. i. Oberfönige, Maharadſcha, gehorchten. Die Brahmanen oder Prie- 
flex, als Abfaſſer und Bewahrer der Gefege, hatten großen Einfluß auf die Leitung der öffent» 
lichen Angelegenheiten. Erftaunenswerthe Bauwerke, befonders in Felſen gehauene Tempel, 
wurden ausgeführt. Religionsneuerungen, wie z. B. die Begründung und Ausbreitung bes 
Buddhismus (f. Buddha), veranlaßten von Zeit zu Zeit große Bewegungen. Ind. Religion 
und Cultur wurden auch in andere Ränder verpflangt, fo z. B. nad) den Infeln Java und Bali. 
Als großer Eroberer erſcheint befonders der in dem Epos „Ramayana“ gefeierte Held Rama, 
der feine Waffen nad; Geylon trug. Aber erſt mit Alexander's d. Gr. Eroberungen, der bit zu 
dem Hyphaſis/ dem heutigen Setledſch im Pendſchab, vordrang, und den von den Griechen über 
Indien gegebenen Nachrichten beginnt die Geſchichte, beginnen die Zuftände deffelben Heiler zu 
werben. Bekannt find aus Alexander's (f. d.) Zeit die ind. Fürſten Taxiles und Poros, von 
denen er den Reptern, nachdem er ihn befiegt, zum Könige über bie begwungenen ind. Ränder 
einfegte. Seit diefer Zeit und wol ſchon früher hat ein umunterbrocdhener Handel zur See und 
vermittelft Karavanen, ber vom Schwarzen Meer und Vorderaſien, ſowie von Ygypten aus mit 
Indien betrieben wurde, ftattgefunden, und viele Griechen wanderten des Handels halber nach 
Indien und ließen fidh dort nieder. Nach Alerander'6 d. Er. Tode erhob ſich der ind. König San 
drakottus, der die ganze Gegend vom Indus bis zum Ganges beherrfchte. Einer von Alezam 
der’6 Nachfolgern, Seleukus Nicanor, drang bis an den Ganges vor, um den Sandrakottus zu 
demüthigen, machte aber gegen Geſchenke Frieden mit bemfelben und gab ihm feine Tochter zur 
Gemahlin. Seitdem dauerte die Verbindung Indiens mit den Griechen ununterbrochen fort, ja 
ber baktrifch-grich. König Eykratides eroberte fogar, bald nachdem Antiochus d. Gr. feinen Zug 
gegen den ind. König Sophragafenus unternommen, einen Theil des nördlichen Vorberindien, 


Dfindien 507 


der freilich mit bem Verfall des baktrifch-griech. Reichs bald wieber verloren ging. Später wur- 
ben die Safer (Indoſcythen) in Indien mächtig. Auch die Römer waren mit Indien in Verbin 
dung und mehre ind. Gefandtfchaften an rom. Kaifer werben erwähnt. Erſt mit der Eroberung 
Verſiens durch die mohammed. Araber und ihre Verbreitung durch Aſien im 8. Jahrh., wo 
zur Zeit des Khalifen Walid fogar ein Theil Vorderindiens erobert wurde, hörte die unmittel- 
bare Verbindung Europas mit Indien auf, zwifchen denen nun die Araber die Vermittler wur⸗ 
ben. Mit ihnen beginnt aud) die für ganz Indien fo verderbliche Einwirkung des Mohamme⸗ 
danismus auf diefes Land, der burch Aufregung der fanatifchen Kriegsluft in allen ihm zuge⸗ 
thanen Völkern eine Reihe Eroberer nach Indien warf, die feine Entwidelung und Blüte zer⸗ 
flörten, indem fie in ihrem religiöfen Fanatismus furchtbar hauften, die Unabhängigkeit der 
nördlichen ind. Staaten vernichteten umd ganz heterogene politifche wie religiofe und fociale Ele» 
mente ind Land brachten. Nur im Süben, im umzugänglichern Dekan, erhielten fich unabhän- 
gige ind. Dynaſtien, während das eigentliche Hindoflan feitbem, einzelne Theile ausgenommen, 
nie wieder zur Unabhängigkeit gelangt ift. So berrfchten nach und nad) mohammeb. Reiche, 
gründend die Dynaftien der Ghasnewiden (f. d.), der Ghuriden und mehrer afghanifcher Er⸗ 
oberer, Zimur’s (ſ. d.), bis endlidy der Nachkomme des Legtern, Babur (f.d.), 1526 das Reich 
der fogenannten Großmoguls (f. d.) gründete, das in der Zeit feiner Blüte unter Akbar (f. d.) 
ganz Hindoflan und den größten Theil von Dekan umfaßte. Die Refidenzen der Moguls waren 
Delhi und Agra. Es gab unmittelbare, von fogenannten Nabobs regierte, und mittelbare, eige- 
nen Radſchas erblich unterwmorfene Provinzen, die, nach den eigenen Gefegen beherrfcht, dem 
Mogul nur tributär waren. | | 

Während diefer Zeit hatten fich die Portugiefen nach Entdedung des Seewegs ums Vorge 
birge der guten Hoffnung auf den Küften Indiens durch Anlegung von Forts und Factoreien, 
ſowie durch die Talente ihrer Anführer, eines Almeida und Albuquerque, im Anfange bes 
16. Jahrh. bedeutende Befigungen (ſ. Goa) erworben, die fie faft 100 3. und mit ihnen aus⸗ 
ſchließlich den wichtigen oftind. Handel behaupteten, bis nach dem Verfall ihrer Macht und 
ihres Unternehmungsgeiftes im Mutterlande gegen Ende des 16.Jahrh. die Holländer, die die 
meiften ihrer Befigungen eroberten, an ihre Stelle traten und fich den Alleinhandel mit Ofb 
indien für längere Zeit aneigneten, was um fo leichter gefchehen konnte, als die Portugiefen 
durch ihre Tyrannei und ihre religiöfe Belchrungsmuth ſich alle Eingeborenen zu Feinden ge⸗ 
macht hatten. Bald traten auch die Engländer in die Reihe der nach D. handelnden Euro 
päer, namentlich feit Die 1600 gefliftete Engliſch-Oſtindiſche Compagnie (f. Oftindifche Eom- 
pagnie) den Alleinhandel erhielt. Aber aud) den Franzoſen mar es gelungen, fi in O. 
einige Xerritorialbefigungen zu erwerben, als deren Bauptort fhon früh Pondichery fich 
emporhob. Die alte Rivalität beider Nationen kam auch hier zur Erfcheinung, und ihre 
Kriege in Europa pflanzten ſich über das Weltmeer fort. So entftand der lange Kampf 
beider Rationen in D. Mit ebenfo großer Gewandtheit und DBeharrlichkeit ale Glück 
verfolgte anfangs der franz. Gouverneur Dupleir feinen Plan zur Vertreibung ber Eng⸗ 
länder; allein als er von ber franz. Regierung nicht nur nicht unterftügt, fondern abbe 
rufen wurde, al& die ihm folgenden Gouverneure weder feine Kenntniß der oftind. Ver⸗ 
Hältniffe noch fein Zalent, fie zu benugen, befaßen, gingen für die Sranzofen im Frie⸗ 
ben zu Paris (1765) alle die Früchte verloren, welche jener im Süden der Halbinfel zu 
erringen gewußt hatte. Zu gleicher Zeit war auch ein Umſchwung der Dinge in Bengalen (f.d.) 
erfolgt. Müde der nie aufhörenden Pladereien und Beeinträchtigungen aller Art, welche ſich 
Die halb unabhängigen Nabohs des im Verfall begriffenen Reiche des Großmoguls dort erlaub« 
ten, und gereizt Durch einen Überfall, bei welchem Kalkutta erobert wurde, griffen die Englan- 
ber zu ben Waffen und befiegten in mehren Feldzügen den Feind fo vollig, daß ſich ihre Herr- 
ſchaft am untern Laufe des Ganges ebenfo fehr erweiterte als ficherftellte. Eo wurde Lord Elive 
(f. d.) der Begründer der engl. Madıt in D. Wie viel Mühe ſich auch die Compagnie gab, ein 
politifches Friedensſyſtem ind. zu befolgen, fo war e# ihr doch unmöglich. Das Mei, des 
Großmoguls war nämlich in den ärgften Verfall gerathen. Nach dem Tode des mächtigen Au- 
reng-geyb 1707 folgten ihm binnen 50 $. nicht weniger ald 12 Herrfcher, von denen die mei⸗ 
ften ganz unbedeutend waren. Bei ſolchem fortwährenden Thronmechfel war Anardie und 
Empörung an der Tagesordnung, und mehre der das Reich de Moguls bildenden Völkerſchaf⸗ 
ten machten fich mit ihren Statthaltern oder tributären Zürften unabhängig; fo der Subah von 
Dekan, der Nabob von Audh u. f. m. Die Sikhs (f. d.) aber bildeten das Reich von Lahore 
und die Maharatten (ſ. d.) riſſen große Stücke vom Reiche des Moguls ab. Noch furchtbarer für 


508 Dftindien 


daffelbe war der Eroberungszug Nabir’6, Schahs von Perfien, 1739, bie Eroberungen ber A: 
ghanen, namentlich die Züge des Schah Achmed-Abballah feit 4747. Durch diefen Verfall des 
mongol. Reichs Hatte ſich in Vorberindien eine Menge Heiner felbftändiger Staaten gebildet, 
deren Fürſten fein anderes Intereffe kannten, als ihre Herrſchaft zu erweitern. Ein allgemeiner 
Kriegẽ guſiand tar die natürliche Folge, und das Übergewicht, welches irgend einer biefer Stan- 
ten über Die andern errang, konnte nicht anders ald den Englänbern gefährlich werden, da 

die Franzoſen keineswegs ihre alten Plane aufgaben und ftets bereit waren, ihren Rivalen 

au erregen und fich allen folchen Beftrebungen als Anhalter oderMittelpunft darzubieten. Sie 
fuchten daher in-Hindoftan bei den Maharatten, in Dekan bei den Sultanen von Myſore und dem 
Nizam von Hyderabad Einfluß zu gewinnen. Hyder · Ali (f. b.) aber, der Sultan von 5— 
Hatte feine Herrſchaft zum Theil durch franz. Muterftügung erworben. Nachdem er ſchon 170 
—69 mit den Engländern im Kriege gewefen war, projectitte er, al& der Kampf biefer mit ben 
Branzofen in Folge der norbanterif, Revolufion wiederum auch in D. ausbrach, ben Umſtutz 
ber engl. Herrfchaft. Der Nizam aber war mit den Maharatten im Bunde. Nur der Umficht, 
Klugheit und Energie des engl. Generalgouverneurs Warren Haftings verdanfte die Compag- 
nie ihre Rettung. Die Maharatten wufte er gu einem Separatfrieden zu bewegen, und Zippo 
Saib, der Sohn und Nachfolger Hyder- Ali’, mußte, von den Branzofen verlaffen, 1784 mit 
der Compagnie Frieden ſchließen, welche, aus ſolch gefährlihem Kampfe ald Sieger hervorge 
hend, dadurch ihr Anfehen und ihre Macht in D. erweitert hatte. 

So friedlich auch die Inſtruciionen des Lord Cornwallis', zweiten Nachfolgers von Wars 
ren Haftings (12. Sept. 1786 — 10. Det. 1793), waren, fo fah er ſich doch durch Die umruhir 
gen Eroberungsplane Tippo ·Saib's genöthigt, gegen diefen die Waffen zu ergreifen. Der 
‚Krieg von 1789— 92 koſtete dem Sultan von Myſore die Hälfte feiner Befigungen, welche 

il an die Engländer, theils an deren Verbündete, die Maharatten und den Riga, kam. Sir 

hn Shore,bes Lord Cornwallis Nachfolger im Generalgouvernement (28. Det. 1795 — 12. 
März 1798) befolgte eine friedliche Politik, fchabete dadurd) aber ungemein. Dazu Bam, baf 
die Franzoſen in Folge der Revolution alle Feinde Englands in O. in Bewegung zu fepen fih 
bemühten. Eine Maffe franz. Emiffäre und Dffixiere fam nad) O., und bie legtern discipfir 
nirten nicht ohne Glüd die Truppen der ihnen befreundeten Fürften. Unter Raymond's Em 
mando ftand in Golfonda ein Heer von 14000 Mann, im Gebiet von Delhi waren unter Der- 
ron 40000 Mann fchlagfertig, wohlverſehen mit einer zahlreichen Artillerie, von franz. Off 
sieren commanbdirt. Alle alten Kreunde der Franzoſen waren zu einem Angriffe vorbereitet; 
die Erpedition Napoleon’s nach Agypten ftand mit diefen Planen Frankreichs in Verbindung. 
Marquis Wellestey (ſ. d.) der neue Generalgouyerneur (17. Mai 1798 — 50. Juli 1805), 
ſah den nahenden Sturm. Eine feine diplomatische Unterhandlung gewann zuerft den Nizam, 
welcher einen für bie Compagnie höchft vorcheilhaften Vertrag mit derfelben ſchloß. Zu früh 
brad) darauf Tippo-Saib 108; er verlor Thron und Xeben bei der Erftürmung von Seringe 
patam, 4. Mai 1799, und ald num auch die franz. Erpedition in Agypten durch die Seefchlact 
von Abukir vereitelt war, fahen ſich die übrigen Parteigänger Frankreichs in D. auf ihre eig 
nen Kräfte verwiefen. Keiner wagte den Angriff, ſodaß Wellesley in aller Ruhe über das 
Schickſal von Myfore verfügen konnte. Durch den Fall Tippo · Saib's wuchs Englands Madt 
im Dekan fehr bedeutend an Territorien wie an Einfluß. Während diefer Operationen ftanden 
den Engländern noch immer dieMaharatten drohend entgegen, als innere Parteiung unter ihmen 
auch für fie die entfcheidende Ratafirophe herbeiführte. Am Ende des vorigen Iahrhumderts 
brachen die langwierigen Kriege mit ihnen aus, die 1818 mit ihrem völligen Ruin enbdigten, 
ſodaß die Engländer feitdem ihre Herrfchaft über Indien gegründet fahen. 

In dem langen Kampfe mit den Maharatten, in den faft alle andern noch unabhängigen Stau 
ten Vorderindiens verwickelt wurden, verloren fie fämmtlich, ſowie auch der Schattentönig, der 
unter dem Titel bes Großmoguls noch in Delhi (f. d.) regierte, meiſt mit Abtretung großer 
Gebietsſtrecken, ihre Unabhängigkeit, bis auf den Maharadfcha von Seindiah, der fie noch für 
kurze Zeit wahrte. Der Rabſcha von Nepal, die Emire von Sindh (ſ. d.) und der Maharadfde 
von Lahore blieben noch bie einzigen wahrhaft unabhängigen und den Briten einige Achtung 
gebietenden ind. Fürſten. Der 1824 zwiſchen der Compagnie und den Birmanen ausgebre 
chene Krieg endigte 1826 ebenfalls zum Nachtheile der Birmanen mit der Abtretung Affams 
(f.d.) und eines großen Landſtrichs von Hinterindien an bie Compagnie. Doch ie mehr diefe 
ihr Gebiet ausgedehnt und fi im Innern befefligt hatte, in eine defto ſchwierigere Stellung 
kam fie nach außen, da fie nun auf Feinde traf, bie zu befiegen größere Schwierigkeiten hatte, 


Dfindien 509 


s fie bisher erfahren, und in politifche Verwickelungen gezogen wurde, die fie wider Willen zu 
führliden Kämpfen nöthigten. Der erſte diefer Kämpfe war der mit den Afghanen, zu dem 
e Intriguen Rußlands in Perfien und Afghaniflan führten, ba es die Fürften beider Länder 
irch alle Mittel gegen England aufzuregen und ſich dadurch einen Weg zu bahnen fuchte, auf 
m es früher oder fpäter die engl. Macht in D. bedrohen oder gar angreifen könnte. Der Krieg. 
urde im Dct. 1838 auf Befehl des ind. Minifteriums vom damaligen Generalgouverneur 
n D., Lord Auckland, begonnen, nahm anfangs einen günftigen Fortgang, endigte aber im 
rec. 1841 und Jan. 1842 mit dem furchtbaren Rückzuge der Briten aus Kabul. (S. Afgha⸗ 
ftan und Kabul.) Da die Engländer wohl einfahen, daß fie fich in Afghaniftan nicht behaup⸗ 
a Eonnten, befchloffen fie e6 ganz aufzugeben, Doch nicht ohne vorher Durch einen Rachezug ihr 
fehr gefährdetes Anfehen wieberhergeftellt zu haben. Dieſer wurde ſogleich, nachdem Lord 
llenborough den Lord Auckland 28. Febr. 1842 im Generalgouvernement abgelöft hatte, 
ternommen. General Rott, der fid mit 10000 Mann in Kandahar bis dahin gehalten, 
ang von bier aus gegen Ghasna, mo auch die engl. Garniſon vertrieben worben war, und Ge⸗ 
ral Pollod mit einem andern Corps von Dfchellalabad, das General Sale fo tapfer gegen 
Afghanen verheidigt hatte, gegen Kabul vor. LXegterer nahm nach mehren günftigen Ge⸗ 
Hten gegen Akbar⸗Khan 16. Sept. 1842 diefe Stadt ein, nachdem General Nott bereits 

Sept. Ghasna erobert hatte. Nachdem fo die Ehre der brit. Waffen wieberhergeftellt war, 
aten die brit. Truppen den Rückzug zur volligen Räumung Afghaniftans an, nachdem fie bie 
täbte Iſtalif und Kabul zerftört hatten. Auch auf dem Wege ihres Rückzugs verheeten fie 
lles plündernd und zerftörend. Im San. 1843 waren alle engl. Truppen auf dem linken 
adusufer. Während diefed Kampfes mit den Afghanen war eine große Bewegung burch allein- 
[chen den Engländern untermorfenen Fürften gegangen. Verſchwörungen gegen die Engländer 
ren zu Stande gelommen, und ohne den rechtzeitigen Rückzug der Engländer aus Afghanie - 
mn würben fie es mit einem boppelten Zeinde zu thun gehabt haben. So aber, ba bie Einglän- 
e im Innern auf alle Fälle vorbereitet waren, kamen diefe Verfehmörungen nicht zum Aus⸗ 
uch. Nur in Scindiah war man zu weit gegangen, um wieber zurüd zu können, auch war ber 
aß gegen bie Engländer zu groß, um ohne einen Krieg gedämpft werben zu können. So kam 

zu dem kurzen, aber höchft gefährlichen Kriege mit dem Maharadſcha von Scindiah, der zu 
nde 1843 mit deſſen volliger Unterwerfung endete. (&. Maharatten.) Während berfelben 
it waren die durch) den Kampf mit ben Afghanen ebenfalls aufgeregten Belubfchen und bie 
mire von Sindh gegen die Engländer aufgeftanden. Indeß Napier (f.d.) zähmte die Erftern 
id vernichtete Durch die Schlacht von Miani 17. Febr. 1843 das Reich der Xegtern, das nach 

r Einnahme von Hyderabad zur engl. Provinz gemacht wurde. (&. Sindh.) 

Alle diefe Eroberungen waren ben Directoren bee Gompagnie nicht angenehm, welche 
:e Schuld davon ber Kriegsluſt Lord Ellenborough's zufchrieben. Derfelbe wurbe daher 
öglih 1845 zurüdgerufen und an feiner Stelle Sie W. Hardinge mit den frieblich- 
an Inftructionen als Generalgouverneur nah D. gefhidt. Allein kaum angelangt, wurde 

wiber feinen Willen in einen Krieg mit den Sikhs verwidelt, die 12. und 13. Dec. 1845 
ıter Anführung von Tedſch⸗Sing über den Setlebfch gingen und bie Engländer, bie darauf 
ir nicht gefaßt waren, angriffen. Ein Purzer, aber gefährlicher Krieg war die Folge davon, in 
elchem die ausgezeichnete Tapferkeit und Kriegsgeübtheit dee Sikhs auf der einen Seite, wie 
if der andern die Mangelhaftigkeit und anfängliche Zufammenhangslofigkeit der vom Gene 
lgouverneur felbft und dem Oberbefehlshaber Sir Hugh Gough geleiteten Operationen der 
ngländer nahe daran waren, ben brit. Waffen eine Niederlage zu bereiten. Nur der Umftand, 
iß die Sikhs ihre Vortheile nicht zu verfolgen verflanden, und die überlegene Taktik der Eng⸗ 
nder retteten bie Legtern. So kam es, daß diefe nach den zmweideutigen Schlachten von Mudki, 
n 18., und Firozſchah, 21. und 22. Dec. 1845, die beiden entfcheidenden Schlachten bei Alli- 
al, 28. San., und Sobraon, 19. Febr. 1846, gewannen und dadurch bie Macht der Sikhs 
achen. Die Legtern baten um Frieden, der in Lahore 9. März zu Stande kam, auf Bebin- 
ıngen, welche bie Selbftändigkeit des Reichs Lahore fo gut wie vernichteten, indem fie eine 
heilung deffelben feftfegten, nach welcher Gholab-Sing, der heimliche Anhänger der Englän- 
r, den nördlichen Theil längs bes Himalaja nebft Kafhmir und Hafara als förmlicher Vaſall 
r Compagnie mit dem Titel eines Maharadſcha erhielt, während der übrige Theil dem Maha⸗ 
dſcha Dholip-Sing blieb, welcher fich anheifchigmachte, nur eine gewiſſe Anzahl von Truppen 
halten und den Engländern den Durchgang durch fein Gebiet zu geftatten. Beide mußten uber 
m bie Compagnie als Schiebsrichterin in ihren Streitigkeiten anerkennen und verfprechen, 


510 Dftindien 


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mweber.einen Ametikaner noch einen Europäer ohne Erlaubniß der Compagnie it ihre Dienfle zu | 
nehmen. Außerdem wurde das fruchtbare Land zwiſchen Beas und Setledſch der Compagnie 
als ummittelbares Eigentyum abgetreten und bedeutende Kriegöfteuern geleiftet. 

Lord Hardinge hielt jept den Frieden fo ficher, daß erim angloind. Deere bedeutende Ber» 
minderumgen- eintreten ließ. LÜbrigens Hatte er ſchon einige Zeit vorher um Enthebung don fei- 
nem Amte gebeten. Sein Nachfolger, Lord Dalh ouſie, traf 12. Jan. 1848 ein; Gough blieb 
Oberbefehlshaber der Armee. Obgleich man auch im Indifchen Haufe ſicher auf Frieden rech · 
nete, hatten fich inde ſſen die Sikhs und Moslems trog ihrer herkömmlichen Feindſchaft gegenihte 
gemeinfchaftlichen Unterdrücker verſchworen ; bereitd zu Anfange 1848 war, ohne dag die Eng 
länder es ahnten, eine allgemeine Erhebung vorbereitet. Doft-Mohammed und andere Häuptlinge 
hatten Zuzug zum heiligen Kriege verfprochen. Den Aufftand begann Malradſch, Häuptling von 
Multan, mit feinem Abfall von den Sikhe. Zwei engl. Offiziere, die zur Abfegung des Statt- 
halter und Ordnung des Landes abgefendet waren, wurden im April 1848 ermordet. Als 
man nun fah, daf der Kampf unvermeidlich war, wurden unter Anführung des Ob 
ſchnell hintereinander die drei blutigen Schlachten zu Namnagar, auf dem öſtlichen Ufer des 
Tſchenab, 22. Nov. 1848, bei einer Furt des Fluffes felbft zu Sadalapore, 25. Der. 1848, und 
im Moorgebüfch von Tſchilanoliwalah, 13. Jan. 1849, geſchlagen, in denen die Angloindier zwar 
das Schlachtfeld behaupteten, bie aber in ber That, wie namentlic) die von Tſchilanoliwalah ald 
furchtbare Niederlagen gelten mußten. Die Entſcheidungs ſchlacht wurde 21. Febr. 1849 kei 
Gujerat, 40 engl. M. öftlich vom Tſchenab, gefhlagen. Die Sikhs zählten 60000, die Briten 
25000 Mann; fänmtliche Gefangene wurden niedergemadht; Doft-Mohammed entfam mit 
feinem Sohne und 16000 Reitern über den Indus; felbft durch große Summen Fonnten die 
moslemifchen Stämme um bie Kheiberpäffe nicht beivogen werben, ihren Glaubens genoſſen 
den Dutchgang zu verwehren. Um neuen Kriegen vorzubeugen, wurbe 29. März 1849 bie Ver 
einigung bes Reichs der Sikhs mit Britifch-Indien verfündet. Haben feitdem auch abermals 
die Engländer wiederholt ausgefprochen, daß fie Feine Kriege und Feine neuen Eroberungen tvol- 
Ten, fo wurden fie doch 1852 wiederum genöthigt, die Waffen nad) einer andern Seite, gegen 
Birma, zu ergreifen. Die nächfte Veranlaffung dazu boten die Klagen mehrer engl. Kauffab- 
rer zu Nangım, die in Folge der zerrütteten Zuftände des Reichs von Ava mehrfache Bedräng- 
niffe erfahren Hatten. Bei diefem birmanifchen Kriege durch eine ftarke Flotte von Danıpfern 
begünftigt, nahmen die Briten im Laufe des Frühjahrs 1852 ſchnell nacheinander, felbft ohne 
namhaften Widerftand, die Städte Martaban, Rangun, Bafiin, Pegu und Prome und traten 
bald mit den des birmanifchen Druds überdrüffigen Talien und Karin, die vier Fünftheile der 
Bevölkerung Pegus bilden, in den freundfchaftlichften Verkehr. Der birman. Krieg hatte kaum 
ernftlich begonnen, ſo war er auch ſchon feinem Weſen nad) zu Ende. Am 20. Dec. 1852 ver- 
kündigte Lord Dalhoufie, daß dem Reiche von Ava der Verluft Pegus auferlegt fei, daß die 
Birmanen biefes Land verlaffen und um Frieden nachfuchen müffen. Da jedoch der durch eine 
Revolution erhobene neue Gebieter von Ava die Abtretung Pegus um Mitte 1855 verfagte, 
dürften die Briten wol bis Ava felbft vordringen und dann ganz Birma inmittelbarer oder un 
mittelbarer Weiſe mit dem Angloindifchen Reiche vereinigen. 

Die Alten haben alle von Perfien öftlich gelegenen Länder Indien genannt, ein Brauch, rock 
her fich ber Art noch bis auf den Heutigen Tag erhalten hat, daß man unter Oftindien wol au 
1) Sinterindien, b.i. die Ränder öftlich des Ganges bis zum Meerbufen von —A begreift 
und 2) die oftind. Infeln, gemeinhin aud) der Indiſche Archipelagus (f.d.) oder Oftliche Ar- 
Hipelagus genannt. Der Name jener weitgeſtreckten Gauen, welche auf drei Seiten vom Meere 
und im Norden von Alpen umgeben find, die theils zum Mittelreiche, theils zu Hindoſtan gehẽ · 
zen, fteht ſchwankend ba in ber Weltgeſchichte. Sie werben bald Hinterindien, bald bie Hall 
infel jenfeit des Ganges genannt, bald auch, der beiderfeitigen Einwirkung wegen, indochint · 
ſiſche Länder und deren Bewohner indochinefiſche Völkerſchaften. Daffelbe gilt von ben einzel- 
nen Ländern und Städten; fie heißen nicht felten verfchieben in Siam und Birma, in Kam- 
bedfcha und Anam und führen wol überdies eigene Namen bei den benachbarten Malayen und 
Ehinefen. Die Halbinfel ift durdy ſechs Meridianketten in ebenfo viele Rängenthäler gefpalten, 
jedes von einem Strome durchfloſſen, welche die ftaatlichen Verhältniſſe und gefhichtlichen Er- 
eigniffe beſtimmen. Sie zerfiel, dieſer natürlichen Befchaffenheit gemäß, bald In ſechẽ, bald auch 
im weniger Reiche; es hat ſich in diefem und jenem Thale bald diefer und jener Stamm, biefe 
und jene Familie zur Herrſchaft emporgefchwungen. Man findet jedoch in den meiften Jaht · 
hunderten vermöge der drei Hauptrinnfale der, gieichwie die Gultur, außerhalb des Landes ent- 


Dftindien 511 


fpringenden Flüſſe: des Iramabdi, des Menam und Makhaum oder Melon, drei größere Reiche: 
Anam (f.d.), Schan (f.2ao8) und Pegu (ſ. d.), oder unter andern Nanıen: Cochin⸗China, Siam 
und Birma. Alle diefe Reiche find jegt bereits von der meergebietenben europ. Macht unıgeben. 
England beherrfcht im Süden die Geftabelandfchaften Malakkas, Tenafferim, Ye, Tavoy 
und Arakan, fowie auch Pegu; im Norden die Gebirgslandfchaften Cachar, Munipur ımb 
Affam. Schnell naht die Zeit heran, wo bie Engländer bie unmittelbare Herrſchaft auch 
über die innere Halbinfel erringen werden umd müffen, welche die ergiebigften Ränder des afiat. 
Feſtlandes enthält. Hier herrfcht eine große mannichfaltige Fruchtbarkeit des Bodens und ein 
Reichthum an den verfchiedenften mineraliſchen Stoffen. Die ſchönen ſchiffbaren Klüffe gewäh- 
ren nach allen Richtungen einen ungehinderten Binnenverfehr, und die Anzahl und Vortrefflich⸗ 
feit der Häfen bietet eine bequeme Lage für den ganzen Weltverkehr nach Indien und China, 
nach Auftralien und Afrika. Die Bewohner der Halbinfel find, gleichwie die Tibeter, nach kör⸗ 
perlicher Geſtalt und Sprache ben Völkern bes Mittelreichs verwandt; je näher ihre Gige diefer 
Culturheimat bes öftlichen Aſien, defto inniger ift auch diefe VBerwandtfchaft. Mit Ausnahme 
ber Anamefen haben fie aber fämmtlich ihre Religion und Bildung einzig und allein aus In⸗ 
dien erhalten. Die Literaturen find auf bem Grunde der über Ceylon eingeführten Religiond- 
bücher und Legenden bes Brahmanismus und Bubdhismus aufgewachfen; felbft die Sprachen 
ber weftlichen Indochinefen Haben durch Aufnahme einer großen Anzahl ind. Wörter ihren ein- 
fildigen hinefifchen Charakter zum Theil verändert. In den Ländern des oberen Laos und Tong⸗ 
Ting, zu Cochin⸗China, Yampa und Kambobfcha konnte der in den erften Jahrhunderten unferer 
Zeit eindringende Buddhismus fo wenig wie in China felbft die einheimifchen Sprachen⸗ und 
GBlaubensformen verbrängen. Die altchinefifhe Raturreligion hat fi hier immer noch 
als herrfchende erhalten. 

Die phyſiſche Beſchaffenheit der oftind. Infeln, bie Körperform, die Sprache und bie 
Sagen der Eingeborenen weifen auf eine innige Verwandtſchaft mit dem Feſtlande von 
Aſien. Die riefige Maffe des Erdtheils hat gegen Süboften eine Strede Ränder hinaus⸗ 
gefhoben, welche unter dem Gewäſſer des Indifchen und Stillen Ocean fortlaufend, durch 
Waſſer⸗ und Feuerkraft fich bald mehr, bald weniger erhebt und ausbreitet. Eine Anzahl Ins 
feln bezeichnet diefe Bahn. Würde bei den fleigenden und finfenden Bewegungen, benen die 
Gegenden noch jegt ausgefegt find, das Rand nur um ein Geringes fich erheben, die feichten Seen 
würden vertrocknen, die Bergketten von Sumatra, Borneo und Java würben, gleich benen ber 
Malayiſchen Halbinfel, ſich ans Feſtland anfchliefen und große Ströme durch bie weite Niede⸗ 
rung bes Chinefifchen Meeres, ſowie durch bie tiefen und ſchmalen Päffe von Sumda in ben 
Indiſchen Ocean fließen. Die Halbinfel Afiens würde in den dichten Infel- und Felfenketten 
fortgefegt, welche fi von Singapore nach Banka erfireden und Sumatra berühren. Borneo 
und Celebes bilden den breiten öftlichen Theil des füdafiatifchen, inbochinefifchen Landes, wovon 
fie durch ben Einbruch des Chineſiſchen Meeres getrennt wurden. Diefer Archipelagus ift end» 
lich von einem großen vulkanifchen Kranze umgeben, welcher durch feine unterirbifche Verbin⸗ 
bung beweift, daß die Infeln und der gegenüber liegende Theil des Continents auch geologifch 
zu einem Ganzen gehören. 

Wie die Infelwelt eine Fortfegung bes Feſtlandes bildet, fo ift auch ihre Bevölkerung nur 
eine Fortfegung ber fübafiatifchen; die Richtung, welche die unterirdifche Kraft in der Bildung 
ber Infeln nahm, bezeichnet auch den ZBeg der Wanderung. Einzelne Perfonen oder Familien, 
die zufällig diefe oder jene Straße einfchlugen, wurden die Gründer ganzer Stämme. Die Be 
völkerung, durch das Meer von den großen Ebenen und langen Thälern des Feftlanbes abge» 
ſchnitten, durch Hohe Berge und dichte Wälder eingefchloffen, konnte fich nur wenig vermehren. 
Ebenſo beſchraͤnkt und zufällig waren auch die Wanderungen von einer Infel zur andern. Wir 
können in der Gefchichte diefer Infelwelt zwei große Perioden unterfcheiden : bie erfte, in wel⸗ 
cher die Bewohner des afiat. Tafellands durch die füdoftlichen Thäler und Berge wandernd, 
an ben Grenzen bes Archipelagus erfchienen, wo fie unter dem Einfluffe ihrer neuen Heimat 
Nomaden wurden ; bie zweite, in ber fie ſich an den Ufern und über bas Innere der zahlreichen 
Infeln ausbreiteten, dort eine Menge Heiner Stämme bildeten, die trog der Familienähnlichkeit 
zu befonderer Sprache und Sitte emporwuchfen. In diefem Zuftande der Einſamkeit und Ver⸗ 
laffenheit wurden fie von den Reiſenden civilifirter Völker aufgefunden, bie hier ihre befondere 
Bildungsweiſe zu verbreiten fuchten umd verbreiteten. Dieſe große Infelwelt zerfällt in die zu 
Vorberindien gehörenden Lakediven und Malediven (f. Malediven) und Ceylon (f. d.) einer 
ſeits und in den Hinterindien umgebenden Indifchen Archipelagus (f. d.) andererfeits, beffen 


5m Dftindienfahrer Dftindifhe Compagnien 


einzelne phofifche, ethnographiſche, ftatiftifche umd Hiftorifche Verhältniſſe aus ber Beſchreibung 
der ihn gehörigen Infeln Hervorgehen. Vgl. Ritter, „Erbfunde” (Bb.5—6); G. F. Müller, 
„Dftindien u. f. w. (Stuttg. 1841); Montgomerg- Martin, „The British colonies’* Eond. 
1835); Björnfterna, „Das brit. Reid und D.” (aus dem Schwediſchen, Stod5.1839); Jones, 
‚„Dissertations relating to the history andantiquities, the arts, sciences and literature of Asia” 
(4 Bde., Lond. 1792—98; deutfch von Fi und Kleuker, 4 Bde, Riga 1795— 98) ; Soltau, 
Beſchichte der Entdeckungen und Erobetungen der Portugiefen in Indien u. ſ. m.” (5 Bde, 
Braunfhiw. 1821); Crawford, „History of the Indian Archipelago" (3. Bbe., Edinb. 1820; 
deutſch im Auszuge, Jena 1821); Malcolm, „Political history of India, from 1784 101825* 
(2 Bde., Rond. 1826); Mill, „History of British India” (9 Bde. 4. Aufl, mit Anmerfungen 
und Bortfegung von Wilfon, Kond. 1842 fg.). In Deutfchland fteht eine Geſchichte des engl. 
Reichs in Afien von Neumann gu erwarten, von welcher einige Bruchftüdein Raumer’s „Dir 
ſtoriſchem Taſchenbuch“ (feit 4848) erſchienen find. 

Dftindienfahrer heißen die großen Handels ſchiffe, welche vorzüglich von den nach Dflin- 
bien handelnden europ. Compagnien auögerüftet werden, 4—700 Kaften tragen, gewöhnlich 
ſtark bemannt und mit 20, in Kriegözeiten zuweilen mit 40 Kanonen befegt find. Ebenfo hat 
man Weftindienfahrer. 

Dftindifche Compagnien nennt man im Allgemeinen Compagnien, welche ſich behufs 
des Handels nad) Dftindien bei den vorzüglichern eutop. Seemächten gebildet Haben. Die wich · 
tigfte und mächtigfte berfelben ift die Englifch · Dſtindiſche Compagnie. Mehre reiche Kaufe 
leute von London, an ihrer Spige der Earl von Eumberland, wandten fich gegen Ende des 3. 
1600 andie Königin Elifaberh mit der Bitte, ihnen für den Handel nach Dftindien bie Bildung 
einer privilegirten Corporation zu erlauben. Ihrem Gefuc wurde durch Acte vom 31. Dec, 
4600 gewillfahrt; die neue Gefellfchaft, welche den Namen Governors and Company ofmer- 
ehants of London trading to the East Indies annahm, erhielt auf 15 3. das ausfchlieflihe 
Privilegium für den Handel nach allen Plägen in Afien, Aftika und Amerika, welche zwifchen 
dem Cap der guten Hoffnung und der Magellansftrafe Tiegen. "Zugleich" ward ihr neben 
Anderm ein eigenes Siegel, die Wahl eines Gouverneurs und von 20 Directoren bewilligt, for 
wie die Erlaubniß gegeben, Gorporationdgefege (Bye-Laws) zu entwerfen. Mit dem fogleid 
gezeichneten Capital von 72000 Pf. St. wurden zuerft fünf Schiffe aus gerüſtet und befrachtet, 
die unter dem Commando des Capitäns James Lancafter 5. Juni 1602 zu Atchin auf Sumatra 
landeten. Die Erpedition machte fo vortheilhafteHandelsgefchäfte, daß 1604 eine zweite, 1610 
eine dritte abging, welche fegtere unter Capitän Keeling den meiften Gewinn brachte. Sollten die 
Verbindungen an Feftigkeit gewinnen, fo mußte man fich, gleich den übrigen bereits nach Indien 
handelnden und neidifch auf ben neuen Rivalen blickenden europ. Nationen, das Recht der Nie» 
derlaſſung und des Handels an beftimmten Orten erwerben. Eine Gefandtfchaft an den Groß · 
mogul 1608 hatte bie gewünfchten Rechte bereit erlangt, doch gelang es den Intriguen ber 
Portugiefen, den Engländern die Ausübung derfelben unmöglich zu machen. Erf als ber muth · 
volle Gapitän Thomas Beft 1612 bei Surate die Geſchwader der Portugiefen in zwei Treffen 
befiege hatte, vermochte die Compagnie an diefem Drte ihre Privilegien auszuüben und fomit 
bie erfte Niederlaffung auf dem Continente Oſtindiens zu begründen. Trotz mancher neuerrun- 
gener Bortheile gerieth jedoch bei der fortwährenden Giferfuht der Portugiefen und Holländer, 
welche Leptere 1622 die Feſtſe hung der Engländer auf Amboina durch ein Blutbad verhinder- 
ten, bie Compagnie immer mehr in einen unheilbaren Verfal. Obgleich Cromwell, der 1657 
das Privilegium erneuerte, die Intereffen des indifchen Handels ben Holländern gegenüber faft 
ganz preißgab, fanden die Engländer dod in biefer bebrängten Zeit Gelegenheit, den Grund 

u zwei der wichtigſten ihrer fpätern Befigungen, Mabras und Hooghly (1640), zu legen. 

m 3. April beftätigte Karl II. nicht nur bie früheren Privilegien, fondern verlich der Com- 
pagnie auch die Eivilgerichtöbarkeit, Militärgerwalt und das Recht, mit den Ungläubigen in 
Indien Krieg zu führen und Frieden zu fehließen. Auch ſchenkie er ihr Bombay als Lehr, 
fowie einige Jahre nachher auch die Infel St.» Helena. Durch Jakob II. erhielt dieſelbe, um 
fie der Holt. Compagnie gleichzuftellen, noch das Recht, Feſtungen zu bauen, Truppen aus 
zuheben, Kriegsgerichte zu halten und Münzen zu ſchlagen. &o begünftigt, hob ſich der Han- 
dei bergeftalt, daß 1680 der Preis der India · Stocks 360 Proc. mit angemeffenen Dividen- 
den war. Allein der Drud, den die Compagnie in Indien übte, verbunden mit dem Neide über 
bie immer wachſende Blüte des Compagnichandels regte die londoner Kaufleute dermaßen auf, 
daß. man die Angelegenheiten ber Compagnie 1691 vor bad Parlament brachte. Die Beſtre⸗ 


Dſtindiſche Eompagnien 513 


bungen der Gegner blieben zwar ohne Erfolg, ja 26 wurden der Compagnie 1694 fogar ihre 
Privilegien erneuert; allein fie ließen fich nicht abſchrecken. Als die Iondoner Kaufleute 
der Regierung 1698 einen Vorſchuß von 2,000000 Pf. St. machten, erhielten fie endlich das 
Recht zur Bildung einer neuem Compagnie für den Handel nach Oftindien. Da nun natür- 
licherweife ſich beide Gompagien gegenfeitig zu ſtürzen fuchten, dabei aber an eine Erweiterung 
ihres Handels nicht denken konnten, brachte fie endlich bie Einficht ihres beiderſeitigen Schadens 
bahin, daß beide Gompagnien 1708 ihre Fonds zu einer einzigen Compagnie unter dem Nanıen 
der United East India Compagny vereinigten. Die Actien wurden auf 500 Pf. St. fefigefegt 
und jebem Inhaber einer folchen eine Stimme in der Generalverfannmlung (Ihe general court) 
bewilligt, während die 24 Directoren nur ımter den Befigern von vier folchen Actien gewählt 
werben durften. Die Blüte des auswärtigen Handels hob fi) bald zu noch nie dageweſener 
Höhe, wozu die ruhigen Zeiten nach dem UÜtrechter Frieden (1713) nicht wenig beitrugen ; die in 
den fich immer erweiternden Colonien immer felbftändiger auftretende Compagnie gewann ficht- 
lich an Einfluß auf die politifchen WVerhältnifie Indiens. (&. Oftindien.) Bereits 1767, wo 
die ind. Angelegenheiten zum erften male vor da8 Parlament gebracht wurden, war bie allge 
meine Überzeugung des Landes, die Selbftändigkeit ber Compagnie müffe gebrochen und ihre 
Berfaffung von Grund aus verändert werden. Regierung und Parläment follten einen Einfluf 
auf die Verwaltung der aftat. Befigungen, fie follten eine vollftändige Oberaufficht über alle 
ftaatlihen Anordnungen des Indiſchen Daufes erhalten. Lord North legte (18. Mai 1773) 
dem Unterhaufe eine Bill vor, wodurch die Angelegenheiten ber Oftindifchen Compagnie ſowol 
in Indien wie in der Heimat georbnet und verbeffert würden. Die weientlichen Bedingungen 
diefes Geſetzes, gemeinhin die Ordnende Acte genannt, haben ſich trefflich bewährt: fie liegen 
allen fpätern Anordnungen zu Grunde. In England ward unter dem Namen Oberaufſichts⸗ 
behörde (Board of control) an ind. Minifterium errichtet. An der Spige der Regierung von 
Dengalen, Bihar und Oriſſa ftand von 1773 ein Oberftatthalter, dem ein gleichberechtigter 
Rath von vier Perfonen beigegeben war. Dem Öberftatthalter im Mathe war die ganze bür- 
gerliche und militärifihe Verwaltung übertragen. Die Präfidentfchaft von Bengalen führte 
überdies eine Oberaufficht und Überwachung der Regierungen zu Madras und Bombay in ber 
Weiſe, daß diefe, außer im Falle der Nothivehr, keinen Krieg beginnen und keinen Vertrag mit 
den ind. Fürften fchliefen durften. In diefen Einrichtungen, gemeinhin die Bill des Pitt genannt 
(1784), lagen die Geſchicke ber ind. und der nachbarlichen Völker begründet. Mit derfelben war 
die unabhängige Stellung der Compagnie, der Staat im Staate aufgehoben. Der Hof der 
Directoren war von jegt an blos eine untergeorbnete Behörde zur Ausführung der Beichlüffe 
des Borfigenden in der Oberauffichtsbehorde, mit andern Worten bes Minifters der ind. An- 
gelegenpeiten, infoweit fie nämlich die bürgerlichen und militärifchen Verhältniffe des Angloindi⸗ 
fchen Reiche und das Budget betreffen. Die gewinnreichſten Erträgniffe und wichtigſten Befug- 
nifje ber Actieninhaber beftehen feitdem hauptfächlich in der Amtervertheilung. Da die Beamten- 
ftellen in ben Präfidentfchaften zum größten Theil vom Hofe der Directoren, den Statt- 
baltern und Räthen ber ind. Regierung verliehen werben, fo finden die Mitglieder der Com» 
pagnie Gelegenheit, ihren Angehörigen eine gute und lebenslängliche Verforgung zu verfchaf 
fen. Um die nöthigfte Vorbildung für bie ind. Laufbahn zu gewähren, wurbe (1806) die Schule 
zu Hailegbury für den Civildienft, die zu Woolwich und Addiscombe für den Militärdienft er» 
richtet. Nach Ablauf der gewöhnlich auf 20 3. verliehenen Freibriefe (1794, 1813, 1833) 
ſuchte die Compagnie ungeachtet der wiederholten Beſchränkungen jedesmal mieder um Er- 
neuerung deffelben nach. Mit dem Breibriefe von 1833 verlor fie alle Sonderrechte in Betreff 
des Handelt, namentlich des chineſiſchen (den indifchen hatte fie bereits 1813 verloren); bie 
Compagnie blieb nur, eine politifche Corporation und behielt die Regierung Indiens und das 
damit zufammenhängende Patronatsweſen mit geringen Veränderungen. Die oberfie Gewalt 
in allen bürgerlichen uud militärifchen Angelegenheiten der ind. Regierung beruht gegenwärtig 
in dem Oberftatthalter mit feinen vier Räthen; er befigt feit 1833 auch bie gefepgebende Ge⸗ 
walt. Da der legte Freibrief A. April 1854 zu Ende geht, wurde bereits 19. April 1852 ein 
Ausſchuß zur Anftellung von Unterfuchungen über die beftehende ind. Verfaffung ernannt, von 
deffen Berichten auch Ende 18553 bereits mehre Bände, nach ihrem Einbande Blue books ger 
nannt, erfchienen. Die Frage über die abermalige Erneuerung war noch ſchwebend. Nach An 
ſicht einer großen Partei, der Freihändler und Mandyefterleute, müffe Die Compagnie ganz aufe 
gehoben werben. In dem 3. Zuni 1853 im Unterhaufe eingebrachten Gefegvorihlage hat das 
Gonv.⸗Lex. Zehute Aufl, XL 33 


54 Dſtindiſche Gompngaius 

Miniferium des Lord Überbeen einen Mittelweg betreten; doch Eonnte ein enbgültiger 

megen Bertagung des Parlaments nicht gefaßt werben. 

| Ben den Dftindifcden Eontpagnien anderer Völker find befonder6 vier zu erwähnen: 
4) Die Bollaͤndiſch - Dftinbifge Co beren erfler Begründer Gorneilus Doutmen 

4f. d.) wurde. Sie couflituizte ſich mittel inigung mehrer kleinerer nad) Oflindien 

treibender Gefelifchaften 20. März 1602, fodaf nun jeder Bürger der Republik ber 

nigten Provinzen Theil nehmen Eonnte, erhielt von vornherein das Benopol für allen heil 

Janbe! jenfeit der Magellansſtraße und des Vargebirgs der guten Hoffnung, das Recht, im 

ber Generalſtaaten Bünbniffe und Verträge zu fchließen, Feſtungen anzulegen, Bew 

verneure, Kriegsvolk und andere Beamte anzuftellen urid ihre innere Organiſation felbft einge 

sichten. Man theilte Die Compagnie in mehre Kammern, für bie Leitung der allgemeinen Som» 

pagnieverhältniffe aber wurden aus ben 60 Directoren ber einzelnen Kammern 17 Directoren 

ober Bewindhebber gewählt, beren Anordnungen zu folgen man bie einzelnen Kammera au- 

wies. Auf glänzende Weiſe wurde der ber neuen Gommpagnie erreicht. In kurzer Zeit 
erlangten die Holländer das Übergewicht über Portugieſen, Spanier und felbft über die Eng 
länder auf den bflind. Inſeln; ihr Handel flieg auf eine vorher nie gefaunte Dipe Indem fe 

ſich größtentheils auf die Infeln beſchränkten, entgingen fie den mannichfachen 

im welche die Engländer und Franzoſen durch die allmälige Uuflöfung des mongol. Reichs meit 


8 
hen Inſeln ihren Einfluß, Unfehen und Handel. Unempfindlich gegen alle Beleidigungen, wenn 
ingendb Handels vortheile Durch folches Betragen gewonnen werden konnten, opferten fie alle 
andern Rückſichten biefem Zwecke. Daneben hielt man auf firenge Behauptung des Mlons- 
pols, beauffichtigte anfänglich fireng die Beamten und zahlte auf6 pünktlichſte. Durch feidhe 
Mittel befand fich Die Sompagnie bereits 1605 im MWefig der Molukken, erwarb 1607 Zer- 
wate und Banda und 1637 den außfchließenden Bandel auf Japan (f. d.), wodurch iiber ein 
Jahrhundert große Reichthümer nach Holland floffen. In fortwährenden Meinen Kämpfen mit 
den Eingeborenen ber Infeln ſtellte ſich dann im Laufe des 47. Jahrh. die Herrſchaft ber Hal 
länder feſt, zu deren Mittelpunkt das 1618 erbaute Batavia (f. d.) auf Java erwählt wurde. 
Den Yortugiefen entriffen die Holländer 1641 Malakka, 1658 Ceylon, 1663 Celebes und feit 
1665 die wichtigften Punkte auf der Küfte von Malabar. Im Anfange des 18. Jahrh. zählte 
man fieben holl.-ind. Gouvernements, vier Directorialniederlaffungen, vier Gommanderien und 
drei Contors. Ohne Schulden hielt fi die Compagnie bis 1697, feitdem aber mehrte ſich 
daß Deftcit in Folge der verkehrten und Loftfpieligen Verwaltung, der immer wachſenden De⸗ 
moralifation der Beamten, befonders aber in Folge ber politifchen und Handelsconcurrenz der 
Engländer fo fehr, daß es 1794 auf 118,265447 Gldn. angewachſen war. Diele Finangver- 
wirrung ber Compagnie zog zulegt die Aufmerkſamkeit der Staaten von Holland auf fich. Sie 
ernannten 1791 eine Unterfuchungscommiffion, die indeß ihre Arbeiten noch nicht beendet hatte, 
als die Compagnie in Folge des Revolutionskriegs gegen Frankreich und ber Errichtung einer 
Batavifchen Republik, 15. Sept. 1795, von ben neuen proviforifchen Volksrepräſentanten auf- 
" gehoben wurde. Ihre Befigungen wurden Eigenthum der Nation, ihr Monopol vernichtet und 
die Schulden für Nationalſchulden erklärt. Im J. 1824 wurde eine neue oftind. Compagnie 
errichtet, wweldyer unter gewiffen Bedingungen die alten Monopole im hol.» aftiatifchen Colo⸗ 
niglreiche übertragen wurben. Während Alles fortfchreitet, bleiben die Holländer bei ber ver- 
‚ alteten Golonialverwaltung, was zu unvermeidlichen Krifen führen muß. 2) Die Sranzd- 
Kid: DOftindifhe Compagnie wurde im Yug. 1664 gefliftet, hat ed aber, da fie niemals 
eine freie Danbelögefellichaft, fondern eine Staatsanftalt geweſen ift, in einer Zeit zu ei 
ner großen Bedeutung gebracht. Anfangs verfuchte fie in Madagaskar, dann in Ceylon ſich 
feftzufegen und errichtete darauf 1675 ein Eontor zu Surate. Vier Jahre nachher gelang 
es ihr, auf der Küfte Koromanbel eine Heine Territorialbefigung zu erwerben, wofelbft Pondi⸗ 
chery (f. d. erbaut und zum Dauptort erwählt wurbe. Es wurden mit China, Siam u. ſ. m. 
Handelöverbindungen angefnupft, deren Vortheile jedoch indgefammt wieder in dem von Lud⸗ 
wig XIV. begonnenen Kriege mit den Holländern verloren gingen. Wenige Jahre darauf ſtürz⸗ 
ten bie Speculationen des Financierd Lam diefelbe in neue DVerlufte, ſodaß fie nur mit großer 
Mühe ſich wieder erholte. Zulegt führten die Verluſte, welche die Compagnie um die Mitte des 
vorigen Jahrhunderts in Folge der großen Kriege der Engländer mit den Franzoſen erlitt, deren 
Auflöfung 13. Aug. 1769 herbei, bei welcher die Krone ihr Eigenthum an fi) nahm und den 
Handel nad Oftindien frei gab. Nefte diefer ind. Befigungen find Pondicherg und Chander⸗ 


Ditjafen Dfipreußen 515 
nagore, welche wur koſten ud nichts eintragen. 5) Die Dänifd - Oftindifche Compagnie, 
1618 errichtet, trieb einen ziemlich bedeutenden Handel in Oftindien bis zu ber Zeit, als Hol⸗ 
länder und Engländer bafelbft übermächtig wurben. Schon 1634 mußte fie ſich auflöfen, wurde 
aber 1670 neu conflituirt. Doch auch dieſe Reftitution bauerte nicht lange ; denn ſchon 1729 
fah die Sompagnie ſich genöthigt, alle ihre Rechte und Befigungen, Trankebar (f. d.) auf der 
Kuüfte Koromandel, an den Staat abzutreten. Im J. 1732 errichtete diefer eine neue Geſell⸗ 
ſchaft unter dem Namen der dän. aſiat. Sompagnie, deren Handel während des vorigen Jahr⸗ 
bunberts nicht ohne Gewinn war, feitdem aber auf Null gefunten ift. Im J. 1845 hat Däne 
marf feine Befigungen Trankebar und Serampore für eine beflimmte Geldfumme an England 
überlaffen. 4) Die Schwediſch⸗Oftiudiſche Compagnie wurde 1741 zu Gothenburg errichtet, 
bat fi ſtets nur auf den Handel befchränkt umb babei fo gute Befchäfte gemacht, daß fie in 
günfligen Zeiten eine Dividende von 26 Proc. auszahlen Eonnte; feit 1806 wurde fie neu or» 
ganiſirt, Bonnte ſich aber niemals zur Bedeutung erheben. 

Oſtjaken, eine finnifche Völkerſchaft, welche fich befonders in den fibir. Gounernements To- 
bols? und Tomsk bes afıat. Rußland, an den Flüffen Tom, Tſchulim und Ket, fowie in dem 
Münbungsgegenden bed Jenifei, Ob und Irtiſch bei Surgut, Tobolsk und Bereſow aufhält 
und eigentlich in drei durch Sitten und Sprache vollig voneinander gefchiedene Völker, bie obi⸗ 
fchen, pumpokoiſchen und kondiſchen Oſtjaken, zerfällt. Im 3. 1784 zählten fie 35262 feuer 
bare Männer; doch Bat ihre Zahl ſeitbem eher ab- als zugenommen. Gegenwärtig dürfte i 
Sefammtzahl auf etwa 100000 Seelen anzunehmen fein. Bon ungewiffer Abkunft und m 
lichermweife mongol. Stamms find die fibtrifch-jenifeifhen Oftjaten am Jeniſei, zwifchen ber 
obern und untern Tunguska, welche eine von der oftjakifchen in allen Theilen durchaus abwei⸗ 
ende Sprache reden und ſich feit langer Zeit ganz den mongol. Sitten bequemt haben. Eine 
Grammatik der oſtjakiſchen Sprache lieferte Caſtren (Petersb. 1849). 

Dftpreußen heißt der am öftlichften gelegene Theil der preuß. Monarchie, der in Verbin⸗ 
dung mit Weſtpreußen (f. d.) die Provinz Preußen oder das eigentliche fogenannte Königreich 
Preußen bildet. Vom ruff. Lithauen, dem Königreiche Polen, Weſtpreußen und der Oftfee um- 
grenzt, zählte es Ende 1852 auf 700 QM. 1,5351272 €. (69692 mehr al6 1849), die aus ein" 
geroanderten Deutfchen, Abtömmlingen der alten Lithauer und Mafuren gemiſcht, größtentheils 
der evang. Gonfeflion angehören. Die Landſchaft bildet ihrer phyſiſchen Beichaffenheit nach 
einen Theil bes von Weſten nach Often fich ziehenden großen fübbaltifchen Küftenplatenus, ein 
Blachland, welches, von einzelnen Sandbergen und Anhöhen überragt und von zahlreichen grö- 
fern und Heinen Seen bededit, neben vielen umfangreichen Flächen fterilen Sand - und Felsbo⸗ 
dens auch große Streden Weideland, Getreide» und Holzboden enthält. Die größten ber fehr 
zahlreichen Landſeen find, abgefehen von ben Haffs (f. b.), der Löventin⸗ oder Lögnerfee, der 
Spirdingfer, der Warfchaufee und der Mauerſee. Die Hauptflüffe find: die Memel nebſt der 
Jura, Dinge und Dange, der Szezuppe, ber Remonin, die Paflarge und ber Pregel mit der 
Infter und Alle. Außerdem gibt es mehre bedeutende Kanäle, z. B. den großen und Heinen Frieb- 
richBgraben, Die Neue Bilge, die Neue Deime, ben Johannisburgifchen und andere Kanäle, bie zur 
Verbindung der größern Seen untereinander dienen ; wie denn 5. B. der Kanal von Lögen den 
Mauerfee mit dem Löventinerfee verbindet. Die Bewohner befchäftigen fich weniger mit Fabrif- 
mduftrie ald mit Production der Urfloffe des Pflanzen und Thierreichs. Neben ergiebigem 
Flachs· und Betreide-, namentlich Weizenbau trägt das Land Hülfenfrüchte, etwas Tabad und 
Dbft, befonders aber in reichlicher Menge Holz und Torf, und außer der Fifcherei ift vorzüglich 
die Bänfe-, Bienen- und Rindviehzucht fehr bedeutend. Die Pferdezucht wird mit befonderer 
Vorliebe in dem lithauifchen Theile von DO. behandelt und durch das Hauptgeftüt zu Trakehnen 
und die Marftälle zu Infterburg und Gudwallen wefentlich gefördert. In der Nähe ber Oftfer, 
befonders am Kurifhen Haff, findet man Bernftein. Die Hauptfabritationsgegenftände find 
Leinengarn und Leinwand, welche legtere namentlich in den vier ermlänbifchen Kreifen des Re⸗ 
gierungsbezirks Königsberg gefertigt wird. Sie und das Holz bilden die für bie Provinz wich⸗ 
tigſten Ausfuhrartitel. Der Handelsverkehr wirb nad) außen durch bie Lage an der Oftfee 
und mehre gute Häfen und Rheben, im Innern durch bie ſchiffbaren Flüſſe und Kanäle begim- 
fligt. In politiſcher Hinficht ift die Landfchaft in die zwei Regierungsbezirke Königsberg mit 
889067 E. auf 408 AM. und Gumbinnen mit 642205 €. auf 298 DM. getheilt. Für die 
Bath. Kirche befteht das Bisthum Ermeland (f. b.), deffen Sprengel fih zugleich uber Weſt⸗ 
preußen erſtreckt und deſſen Biſchof zu Frauenburg feinen Sig hat. Die Drovinpialftände, bie 


ſtreich (Erzherzogthum) 817 


den fie gemeinfchaftlich viele Werlängerungen, die theil® längs der Leitha (f. d.) hinab⸗ 
ziehen und bier an der ungar. Grenze ſich als Leithagebirge erheben, theils allmälig fich gegen 
die ungar. Ebene abflachen. In den nördlich der Donau gelegenen Landestheil endet der Boh- 
merwald viele niedrige Bergzüge bis gegen die March und Donau. Man bemerkt hier ben 
3200 $. hohen Weinsberg bei Gutenbrunn, ben 3300 F. hohen Peilftein und das Manharts- 
gebirge, defjen höchſter Theil jedoch, der Große Manhartsberg, nur 1680 F. hoch auffteigt. 
Das größte Thal ift das der Donau. Unter den Alpenthälern find die vorzüglichſten das Ips-, 
das Erlaf⸗, das Lilienfelder⸗ oder Trafenthal, das Schwarzathal mit dem romantifchen Höllen- 
thale, das Zriefling- und Pieſtingthal; Im nördlichen Theile das Kamp, Krems» und Thaya⸗ 
thal. Bon den Ebenen ift die größte an ber Oftfeite der Alpen und erſtreckt ſich unter dem 
allgemeinen Namen ber „Fläche von Wien” von Nußdorf fübwärts bis Hinter Neunkirchen und 
das Leithagebirge. Bon großer Ausdehnung ift am linken Ufer der Donau das Marchfeib 
(f. d.); eine dritte Ebene bei Zuln und am rechten Ufer des Stroms ift das zehn Stunden lange 
Zulnerfeld.. Der fruchtbarfte Theil liegt in der Mitte des Landes, längs ber Donau; im Ban- 
zen gehört auch der norböftliche Theil des Landes zu ben lohnenden Landſtrichen. Weniger, 
bier und da gar nicht zur einträglichen Landwirthfchaft geeignet ift der füdliche und nordweſt⸗ 
liche Theil, wiewol es felbft da viele, jedoch immer nur einzelne fruchtbare Thaͤler gibt. Die un- 
fruchtbarften Streden find außer den rauhen Alpengegenden bie Reuftäbter Haide, in min- 
derm Mafe das Steinfeld, ein Heiner Theil des Marchfeldes und die Umgegend von Weitra. 
Der Hauprfirom ift Die Donau (f. d.); NRebenflüffe derfelben find rechts die Ens, Ips, Erlaf, 
die Zrafen oder Traifen, die Wien, die Schwechat mit ber Zriefting, die Piefting und die Lei⸗ 
tha (f. d.); links die Krems, die Kamp und die March, der Grenzfluß gegen Ungarn, mit ber 
Thaya. Unter den wenigen Beinen Alpenfeen find ber Erlaffer an der ſteiermärk. Grenze und 
der Lunzerſee in ber Nähe bes Otſcherbergs bemerfenswerth. Das Klima ift im Allgemeinen 
gemäßigt und gefund, befonders im Donauthale und im Hügellande, obwol, namentlich im er» 
ftern, großen Zemperaturwechfeln ausgefegt. In ber Mitte des Landes, zumal auf den Ebenen, 
auf den der Sonne ausgefegten Hügeln und Bergabhängen gedeiht die Weinrebe, während im 
Gebirge, ſowol im Süden als auch im Rordweften, auch das Obft nur fpärlich fortlommt. Die 
Bewohner, deren Zahl 1850 fi auf 1,538047 belief, find in 55 Städten, 240 Marktfleden- 
und 4310 Dörfern vertheilt. Sie find größtentheils Deutſche; nur an der Geite gegen Ungarn 
und Mähren wohnen Slawen und in Wien ift die Bevölkerung eine fehr gemifchte. Bei weitem 
die größte Zahl beficht aus Katholiken. Die bemerkenswertheſten Städte find außer ber 
Haupt: und Reſidenzſtadt Wien (f. d.) noch Wiener-Reuftadt (f. Reuftadt), Baden (f. d.) 
Korneuburg, Klofter- Neuburg (ſ. d.), Brud (ſ. d.) an der Leitha, Hainburg (f. d.) und 
Krems (f.d.). Der Productenreichthum des Landes ift zwar groß, genügt aber bem Bedürfniß 
der ſtarken Benölkerung nicht. Von befonderer Wichtigkeit ift der Weinbau, deffen Erträgnif 
fih 1850 auf 1,977000 Eimer belief. Unter die Oftteicher Gebirgsweine zählt man bie von 
Weidling, Brinzing, Brunn am Gebirge, Gumpoldskirchen, Mauer, Klofterneuburg, Bifam- 
berg, Nußdorf u. a.; unter die beiten Landweine die von Stintenbrunn, Mailberg, Jungsborf, 
Ken, Jetzels dorf, Faltenftein. Die Metallgewinnung befchräntt fich hauptſächlich auf Eifen ; 
doch gewinnt man auch Steinfohlen, Alaun und Graphit. Dagegen wird großer Gewinn aus 
Steinen ımd Erben erhalten. Unter den Mineralquellen find die warmen Schmwefelquellen von 
Baben die berühmteften; auch die Bäder zu Pirawart auf bem Marchfelde und von Deutfch- 
Altenburg (f. d.) find befannt. Übrigens ift dieſes Kronland eines der gewerbfamfien Län- 
der des Kaiferfiaats. Nach der Landedverfaffung vom 30. Dec. 1849 befteht der niederoflr. 
Zandtag, der fich in der Regel in Wien, jährlich im November und auf die Dauer von ſechs 
Wochen verfammelt, aus 68 auf vier Jahre gewählten Abgeorbneren und zwar aus 25 Höchfl- 
befteuerten des Landes, 25 Abgeordneten der Städte und Marktfleden und 20 ber übrigen 
Gemeinden. Durch kaiſerl. Befchluß vom A. Aug. 1849 wurbe das Kronland anſtatt ber frü- 
bern vier Kreife in 17 Bezirkshauptmannfchaften getheilt; ganz neuerlich (1853) iſt aber eine 
vereinfachtere Eintheilung vorgenommen worben. . 
D. ob der End (Dberöftreich) hat ein Areal von 217,7 AM. Mit Ausnahme des frü- 
bern Hausrud- und Innvierteld und bes nordweftlichen Theils vom Traunviertel ift dad Gebirgs⸗ 
land vorherrfchend, das fich befonders im füdlichen Theile des Traunviertels am meiteften aus⸗ 
breitet, bis zu unwirthlichen Belfenmaffen, ewigem Schnee und Gletſchern auffleigt und in ein- 
ſamen Ianggeftredten Thälern oft nur eine fpärliche Bevölkerung auf weitem Flächenraum naher, 
Die nördliche Kette der Rorifchen Alpen, auch Oberöftreichifhe Alpen gerlannt, bucchgicht 


sis Ofrreich 

in vielen Zweigen das ganze Land im Süden der Donau. Hierher gehört das Höllengebirge, das 
Traungebirge mit dem Dachftein oder Thorflein, einem 9222 $. hohen Gletſcherberge an ber 
Grenze gegen Salzburg und Steiermark, der Große Priel, 7700 &., u. ſ. w. Im Rorben der 
Donau zieht das Böhmerwalbgebirge bis an das Thal dieſes Stroms herab, breitet fich dann 
gegen Often aus, bildet aber nur Meinere Gebirgömaffen und Hügel. Ebenen bat das Land nur 
wenige, 3. B. die Welſer Haide, die Linzer Ebene. Es hat, wie Nieder-D., im Donauthale mit 
ben einmündenden Nebenthälern feinen fruchtbarften Boden. Am linken Ufer nimmt nord» 
wärts die Fruchtbarkeit ab. Im wefllichen Theile der größern Südhälfte ift in den höhern Ge⸗ 
genden ber Boden fleinig, aber durch den Fleiß der Bewohner faft durchgängig fruchtbar ger 
macht. Begen die Traun hin wird ber Boden noch ergiebiger, wiewol e6 auch ba mehre minder 
einträgliche Landſtriche gibt, namentlich die Moofe, von denen indeß einige nugbar gemacht 
wurden. Der fübliche Theil zwiſchen Traun und Ens tft Alpenland. Die höhern Gegenden 
der Gebirge find größtentheils kahl, die mittlern mit Waldungen bebedit, welche in ber Regel, 
von Wiefen und Weiden ftellenmeife unterbrochen, bis in die Thäler binabreihen, Das Land 
iſt im Ganzen fehr wafferreich und gehört, mit Ausnahme eines ımbeträchtlichen Landſtrichs an 
ber böhm. Grenze, zu dem Gebiete der Donau, die unterhalb Paffau aus Baiern eintritt. In 
biefelbe münden rechts der Inn mit der Salzach, bie Traun, die End mit der Gteier. An der 
böhm. Grenze liegt der Schwarzenbergifche Holzſchwemmkanal, welcher aus Böhmen herüber- 
tommt und in die Große Mühl einmünbet, ſodaß hier eine unmittelbare Verbindung mit ber 
Moldau befteht. Zahlreich find die Alpenfeen, wie der Traun- oder Gmundnerſee, ber Hall⸗ 
ſtädter⸗, der Atter- oder Kammerfee, der Mondſee, ber Aber- oder Wolfgangfee u. a. Das 
Klima ift im Ganzen gemäßigt, doch ber vielen Schnee- und Eisgebirge und ber höhern Lage 
wegen fälter als in NRieder-D., am mildeften aber im Donauthale. Die bi auf wenige Prote- 
flanten kath. Einwohner, beren Zahl 1850 fi auf 706316 beitef, find in 14 Städte, 97 Markt⸗ 
fleden, 6026 Dörfer vertheilt. Sie find größtentheils bair. Abflammung; nur an der Ens 
und Traun haben fich einige Gemeinden law. Abkunft erhalten, bie aber ebenfalls deutſch fpre- 
hen. Hauptftabtift Linz (f.d.). Die Landwirthfchaft fteht hier auf einer noch höhern Stufe 
als im Lande unter der Ent. Der Bartenbau wird in manchen Gegenden mit Sorgfalt 
"betrieben und der Obftbau ift überall, wo ihn das Klima geftattet, verbreitet. Won gro 
Ger Wichtigkeit ift die Waldeultur, die faft ein Drittel des urbaren Bodens einnimntt. 
Aus dem Mineralreich gewinnt das Land, außer etwas Gold und Silber, Kupfer und 
Eifen, Vitriol, Kobalt, Arfenit und Schwefel, vornehmlich, Kochſalz und zwar in den bei⸗ 
den großen Salzwerken zu Iſchl und Hallſtadt im oberöfte. Salzkammergute ([.d.), welche 
nahe an 800000 Ctr. Sudfalz liefern. Die Kohlenflöge enthalten einen gewinnbaren Stein- 
kohlenvorrath von 1445 Mill. Ctrn.; die Gruben lieferten aber in ber legten Zeit wenig 
über /; Mill. Str. An Steinen und Erden ift das Land reih. Erwähnenswert find die 
Gypsbrüche bei Iſchl und Goifern, die Mühlfteinbrüche zu Perg und Dachsberg, der Schleif- 
fteinbruch in der Goſau, die Granitbrüche bei Mauthaufen, welche Wien mit den berühmten 
Pflafterfteinen verfehen. Die Induftrie fteht im Ganzen nicht auf gleicher Höhe mit jener in Nie- 
deröftreich. Somol mit Natur- ald Erwerbserzeugniffen treibt indeffen dad Land einen einträg- 
lichen Handel, woran die Städte Linz, Steier und Braunau den meiften Antheilnehmen. Haupt 
gegenftände der Ausfuhr find Kochfalz, Brenn- und Bauholz, Holzwaaren, Zwirn, Reinwand-, 
Boll, Baummoll«, Leder⸗, Töpfer-, viele Eifen- und mancherlei Befchmeidewaaren. Nach ber 
Landesverfaſſung vom 50. Dec. 1849 befteht der Randtag, der ſich in der Negel zu Linz ver- 
fammelt, aus 48 auf vier I. gewählten Abgeordneten und zwar aus 15 Höchftbefteuerten des 
Landes, 17 Abgeordneten der Städte, Märkte und Induftrialorte und 16 der übrigen Gemein- 
den. Statt der frühern vier Kreife wurde das Land 1849 in zwölf Bezirtshauptmannfchaften 
getheilt, in gerichtlicher Beziehung aber in die Landesgerichte zu Linz und Steier, die jege dem 
Oberlandesgericht zu Wien untergeordnet find. 

Oftreich oder Oſterreich. Das Kaiſerthum D. ift ein Gontinentafftaat, der ein zufammen- 
hängendet, abgerundetes Ganzes bildet, nur an einer Seite an ein Binnenmeer grenzt und mit 
dem größten Theile feines Gebiets tief in das europ. Feſtland hineindringt. Über neun Grabe 
der Breite (42—51°) und 18 der Länge (26—44°) ausgebreitet, grenzt es an Sachſen, Pren- 
gen, Rußland, Moldau, Walachei, Serbien, die Türkei, Montenegro, dad Adriatifche Meer, den 
Kirchenſtaat, Modena, Parma, Sardinien, bie Schweiz und Baiern und hat einen Umfang von 
1165 M., wovon 905 auf die Land-, 258 auf die Meeresgrenze kommen. Seit der Einver- 
leibung des Gebiets ber Republit Krakau (22,3 AM.) umfaßt das Reich ein Areal von 


Die Jr) 


12120, AM, und nad ber Zählung von 1850 und 4851 (mit Ginfhluf von 758634 
Mann Militär) eine effective Bevölkerung von 36,514466 E. Das Kaifertbum zerfällt 
nach der neuen Organifation von 1849 — 51 in 20 Kronländer und ein Verwaltungs 
gebiet, deffen Vereinigung mit einem andern Kronlande erft noch fefigeftellt werben fol. 
Diefe Länder find: 1) das Erzherzogthum Oſtreich unter der Ens oder Niederöftreich 
(361,30 QM. mit 1,558047 E.); 2) das Erzherzogthum eich ob der Ens oder Ober 
öftreih (217,7 AM. mit 706316 €.); 3) das Herzogtum Salzburg (130,» AM. mit 
146007 €.) ; &) das Herzogthum Steiermart (408,1 AM. mit 1,006971 €.); 5) das Her- 
zogthum Kärnten (187, AM. mit 319324 E.); 6) das Herzogthum Krain (181, AM. 
mit 465956 €.) ; 7) die gefürftete Grafſchaft Görz und Gradiska mit der Markgrafſchaft 
Iſtrien und der Freien Stadt Trieft nebft Gebiet (144,51 AM. mit 508016 E.), zufammen auch 
das Küftenland genannt (die drei legtern Kronländer bilden zufammen das Königreich Illyrien); 
8) die gefürftete Grafſchaft Tirol und Vorarlberg (582,7 AM. mit 859700 €.) ; 9) Die Mark: 
graffhaft Mähren (403, AM. mit 1,799838 E.); 10)da8 Königreich Böhmen (943, QM. 
mit 4,409900 €.) ; 14) das Hergogthum Öber- und Niederfchlefien (93,7 AM. mit 458586 
E.); 12) das Königreich Galizien mit Zator, Aufchwig und Krakau (1420, AM. mit 
4,555477 €.); 13) das Herzogthum Bukowina (189,9 DM. mit 380826 E.); 14) das K- 
nigreih Dalmatien (23241 AM. mit 393715 E.); 15) das Königreich Lombardei (392,15 
AM. mit 2,725740 E.); 16) das Königreich Venedig (435,87 AM. mit 2,281732 E.); 
17) das Königreich Ungarn (3265,65 AM. mit 7,864262 €.); 148) die Königreiche Kroatien 
und Slamonien mit dem kroatiſchen Küftenlande und Fiume nebft Gebiet (352, AM. mit 
868456 E.); 19) das Großfürftentbum Siebenbürgen (1102, QM. mit 2,037737 @.); 
20) die Militärgrenze (609,2 AM. mit 1,009109 E.); 21) das Verwaltungsgebiet Woje⸗ 
wodſchaft Serbien und Temeſer Banat (544,51 QM. mit 1,426221 E.). Bon diefen Kron⸗ 
Ländern gehören bie elf erfien (5596,18 AM. mit 12,196567 €.) zum Deutfchen Bunde; je 
doch vom Küftenlande nur 85,% AM. (nämlich Stadt und Gebiet Trieft, 1,0 AM. mit 
82596 E. der Kreis Görz, 55,11 AM. mit 192511 E., und vom Kreife Iſtrien, der auf 80,0 
DOM. 252909 €. zählt, nur 50,6 AM. nit etwa 80000 €.) ; dagegen von Galizien die Her⸗ 
zogthümer Zator und Aufhwig mit 7,H AM. Zufammen alfo betragen die deutfchen Bundes- 
Länder 3545, AM. (nach älterer Angabe 3580) mit etwas mehr als 12 Mil. €. 

Die meiften öfte. Länder, über drei Viertel der gefammten Bodenfläche, find Gebirgs⸗ und 
Bergländer und werden von drei großen Gebirgsketten, den Alpen (f. d.), Karpaten (f. b.) und 
Subeten (f. d.), durchzogen, deren Dauptrüden aus Urgebirgsarten beftehen. Die Alpen ziehen 
fi vom Bernhardin bis zur Donau, haben in Tirol die höchſten Punkte der Monarchie, den 
Ortles und den 12158 $. hohen Großglockner (f. d.), verlieren aber gegen Oſten allmälig au 
Döhe. Die Leithahügel, welche kaum 3000 F. Höhe erreichen, verbinden diefelben mit ben Kar 
paten, die unmittelbar vom linken Donauufer emporfteigen, in ben Granitkoloſſen der Tatra« 
kette in der Lomniger Spige zu 8135 5. und im Bucſecs bei Kronftadt zu 8100 F. auffleigen. 
Die Alpen find nördlich und füdlich von parallel laufenden Kalkketten begleitet, von denen jeme 
im Dachftein an der Grenze von Salzburg, Steiermark und Oſtreich 9222 %., die füblichen, 
welche fafl ganz Illyrien und Dalmatien mit ihren Verzweigungen erfüllen, im Zerglou 8794 8. 
erreichen. Die Karpaten find in ihrem bogenformigen Zuge nörbdlidy von großen Sandfteinge 
bilden mantelformig umgeben, welche auch faft ganz Siebenbürgen erfüllen. An die Karpaten 
ſchließen fi) das Jablunkagebirge und die Sudeten, über deren höchſten Gipfel, die Schneekoppe, 
4955 F. die Landesgrenze gebt. Die Sudeten ftehen mit dem Erzgebirge und dieſes mit dem 
Böhmerwalde in Verbindung, ſodaß fie mit beiden einen faft ununterbrochenen Zug von Bra 
nit- und Gneißgebirgen bilden. Die größten Ebenen find die große ungarifche, welche von R. 
nah &. 75, von D. nah W. 50 M. lang ift, die lombardiſche und die galizifche. Der nörblichfte 
Theil bes Adriatifhen Meeres gehört D. von der Mündung des Po bis zur Südſpitze vom 
Dalmatien, in einer Küftenlänge von 248 M., an, ungerechnet die Hüften der zahlreichen Inſeln 
(etwa 310 M.), deren größte, Veglia, SM. lang und 5M. breit ift. Die bedeutendften Seen 
find der Plattenſee (f. d.), Gardaſee (f.d.), Neufiedlerfee (7 AM.) und Comerſee (f. d.). Der 
Lago⸗Maggiore (f. d.) und der Bodenſee (ſ. d.) gehören nur zum Theil ve . Die Alpen. und 
Karpatenländer find reich an Bergfeen, von denen der Lange See in ber Tatrakette in einer Höhe 
von 6000 $. liegt. Der Czirknitzerſee (f. d.) iſt Durch fein periodifches Ablaufen merkwürdig. 
Moräfte finden ſich Hauptfächlich in Ungarn und am Po. Der Hanfäg in Ungarn ſteht mit dem 
Neuſiedlerſee in Verbindung und bedeckt noch über 5, der Ecſederſumpf AOM. Auch die De- 


| . 
nanfünpfe bei Bellye find zum Theil trocken gelegt. Der Beibarherfenpf, der eiufl, 5 DER. 
Sekt, if feit 1828 ganz aus getrocknet und ber Kunımerfee in Böhmen feit 1834. Auch Die Bat 
dee Teiche, deren es in Böhmen ſehr viele gibt, hat man fortwähren hebeutend verminbent. 
Hauptſtromſyſteme mit ſchiffbaren Rebenflüffen bilden die Deuau (f. d.), 183 MR. lang von 
au bis Drfowa die Monarchie durchſtrömend, mit dem Sun, ber Zraım, Ent, Leitha, 
, Drau, Save, Mar, Wang, Reitra, Gran, Theiß und Bega; bie Weichſel (f. b.) mit. 
dem Dunaſec, ber Wisloka, dem San und Bug; bie Elbe (f. d.) mit der Dioldau und Eger; ber 
Po (ſ. d.) mit dem Teſſin, Oglio, der Abba und dem Mincio. Dene ſchiffbare Rebenflisffe find 
fir und die Ctſch. Lettere allein gehört unter ben europ. Dauptfläfien aus ſhließlich bem 
Roiferftaste an. Der Rhein befpült OD; nur auf einer Strecke von 3%, M. Küftenfläffe des Hprie- 
tifchen Meeres von Weſten nad) Often find : Brenta, Backhiglione, Piave, Tagliamento, Ifonze, 
Bermagna, Kerka und Rarenta und barımter mehre ſchiffbare. Das Kanalweſen ficht im Kaifer- 
flaate nicht aufder Stufe ber Entwickelung, welche von ben Bebürfniffen beanfprucht wirb. Rur 
im Bembardifch-Venetianifchen Königreiche ift frühzeitig, zum Theil ſchon im Mittelalter, große 
Sorgfalt auf Durchführung eines guten Kanalſyſtems verwendet werben; in ben übrigen Kreu⸗ 
-  ländern gehören die Kanalbauten bauptfächlich der neuern Seit au. In der Lombarbei finb bie 
bemerkenswertheſten Schiffahrtötanäle: der Naviglio grande ober Kanal von Gaftellete, ber 
Raviglio della Martefana, di Pavia, di Bereguarbo, di Paderno, di Treviglio u. [. w.; in Bene» 
dig: ber Kanal Bianco mit dem Adigetto, Scortico, dem Naviglio Cavanello di Po und beur 
"Kanal di Zoreo ; ferner die drei Kanäle des Backhiglione, der Taglio nuoviffime, der Tartaro, 
der Kanal von Legnago u. |. w. ; in Niederöſtreich: der Wien⸗Neuſtädter Kanal (EM. — 
in der Woſewodſchaft der Bacſer⸗ oder Franzenskanal zwiſchen der Donau und Theiß (15 M. 
lang) und ber Begakanal zwifchen der Bega und Temes (16 M. lang). Im Ganzen werben 
mehr als 1555 M. auf den Binnengewäflern mit Ruder⸗ und Dampfichiffen befahren. Alein 
noch bedeutende Strecken könnten der Schiffahrt eröffnet und dadurch in manchen Thellen ber 
Monarchie zugleich die einzig möglichen Berbindungsftraßen gegeben, Überſchwemmungen vor- 

gebeugt und große Flächen für bie Landwirthfchaft gewonnen werben. 

Das Klima iſt in den öfter. Ländern im Allgemeinen fehr günftig, aber wegen ber großen 
Ausdehnung bes Staats und bei der erheblichen Abwechfelung in Form und Befchaffenheit der 
Oberfläche fehr verfchieden. In der füdlichen oder wärmften Region, von 42—46° n.Br., rei» 
fen in befiern Gegenden der Neis, die Dlive und Süpdfrüchte und kommen überall Mais und 
Hein vor; in der mittlern oder gemäßigten Region, von 46 — 49”, welche die größte Ausdeh⸗ 
nung-und die abmechfelndfte Bodenbefchaffenheit hat, gedeihen Wein und Mais vortrefflich, aber 
die mittlere Wärme nimmt gegen Oſten etwas ab; in ber nördlichen oder Fühlen Region, über 
49° n. Br. hinaus, fommen, mit Ausnahme einzelner günftiger Ragen, weder Mais noch Wein 
fort, wogegen Getreide, Obft, Flachs und Hanf beftens gedeihen. Die mittlere Jahretempera- 
tur iſt in Trieſt 11," R., in Wien 8,35', in Lemberg 55" R. Raturerzeugniffe hat D. in der 
größten Fülle und Verfchiebenartigkeit aufzumeifen, ſodaß es eines der gefegnetfien Länder Eu- 
ropas genannt werden kann. Was dem einen Kronlande fehlt, iſt dafür dem andern eigen. An 
Mannichfaltigkeit der Producte des Mineralreiche, worin Böhmen, Ungarn, Steiermark, Kärn- 
ten, Salzburg und Tirol dig oberften Stellen einnehmen, wird D. von feinem europ. Staate, an 
Menge von Gold und Silber erft in neuefter Zeit von Rußland übertroffen. Daher wurde auch 
ſchon feit mehren Jahrhunderten der Bergbau mit befonderer Vorliebe betrieben und durch 
die Fürforge der Regierung unterftügt. Außer Platina fehlt D. eins der nugbaren Metalle. 
Die Bergwerke find theild Staats«, theild Privateigenthum. Der Geldwerth ihrer jährlichen 
Erzeugniffe wird auf 119,664781 Gldn. berechnet: darunter der des Kochſalzes auf 
55,194942 Gldn. der Steine und Erden auf 40 Mill., der Metalle und übrigen Producte auf 
26,469859 Stdn. Gold liefern Hauptfächlic Ungarn und Siebenbürgen, in weit geringerer 
Menge Salzburg und Tirol; Silber jene beiden Länder und Böhmen. Der Bergbau auf 
Duedfilber gewann in O. erft mit der Entbedung dieſes Metalld zu Idria (f. d.) einen Auf 
ſchwung; auch in Ungarn, Siebenbürgen, Kärnten, Steiermark wird ſolches gefunden. Kupfer 
wird namentlich in Ungarn, Venedig, Tirol, ber Bukowina, Siebenbürgen, Steiermark und Salz. 
burg gefunden, weniger in Böhmen, welches Land dagegen ausfchließlich Zinn liefert. Zink ger 
winnt man am meiften in Krakau, dann in Tirol, Kärnten, Ungarn und Venedig, Blei am vor⸗ 
züglichften in Kärnten, dann auch in Krain, Böhmen, Ungarn, der Militärgrenze und Tirol. Der 
wichtigfte Zweig des Hftr. Bergbaus iſt aber der auf Eifen, an welchem, außer Venedig, Dalma- 
sien.und dem Küftenlande, wo ſich ebenfalls Ciſenerze vorfinden, alle übrigen Kronländer Theil 


1 





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Oftreich ya 
nehmen, vorzüglich aber Steiermark, Kärnten und Krain, dann Ungarn, Böhmen, Schlefien, 
Lombardei, Tirol. Die Befammtausbeute an Roheifen 1847 betrug 3,124555 Etr. (1850 
aber 3,217064 Gtr.), bie von Bußeifen 498704 Etr. (1850 nur 445871 Ctr.). Gleid- 
wol entſpricht die Eifenprebuction dem Bedürfniſſe noch immer nicht. Weder genügen die Er⸗ 
zeugungsmengen, noch find bie Preife denen des Auslandes gegenüber geeignet, eine außgie 
bige Entfaltung der Eifenmanufactur zu befördern. Antimon wird nur in Ungarn, Arfenit in 
Salzburg und Böhmen, Kobalt in Ungarn, Steiermark und Böhnen, Schwefel hauptſächlich 
in Galizien, Böhmen und Ungarn, auch in Venedig, Salzburg u. f. w., legterer jedoch nicht in 
einer ben innern Bedarf deddenden Dienge, bagegen viel Graphit, namentlich in Böhmen und 
Mähren, auch) in Kärnten, Niederöftreich und Steiermark gewonnen. An nugbaren Exden, an 
Bau und Bruchſteinen u. ſ. w. ift der größte Überfluß. So an allen Gattungen von Thon bis 
zur ebein Porzellanerde (in Mähren, Böhmen, Ungarn und Venedig), desgleichen an Marmor, 
Gyps, Kreide u.f.m. Erwahnenswerth find auch der Lepidolith Tirols und beſonders Maͤh⸗ 
rens als eines der fchönften der Erde, ber Asbeſt in Oberöſtreich und Tirol (Zillerthal), Un- 
garn und Lombardei, Talkſchiefer, Feld⸗ Fluß⸗ und Schwerfpath, der Bergkryſtall in Ungarn 
(von befonderer Reinheit als Marmarofer Diamanten und Dragomitn bekannt), in Sie⸗ 
benbürgen (als Osdolaer Diamant). Bon andern Edel⸗ und Halbebelfteinen finden fich vor der 
edle ungar. Opal, der als orientalifcher in den Handel kommt, Granaten, unter denen bie böh- 
mifchen die fchönften in Europa find, Karneole, Achate, Berylle, Chalcedone, Chryſolithe, Ame- 
thyſte, Dyacinthe, Jaspis, Rubin, Supphir, Smaragd, Spinell, Topas u. f. w. Überragend vor 
allen übrigen europ. Staaten ift D.s Reichtum an Salz. Steinfalz findet fih in umermeßli- 
chen Lagern zu beiden Seiten der Karpaten, namentlich In Wieliczka (f. d.) und Bochnia (f. d.) 
in Galizien, auc im ungar. Comitat Marmaros und in Siebenbürgen. Der Ertrag belief 
fi 1850 auf 3,224756 Cr. Sudſalz wird in eigenen Staatsfiebereien aus künſtlich gewon⸗ 
nener Soole im öftr., falgburg. und ftelermärk. Salzkammergut (f. d.) und in Tirol, ſowie aus 
natürlichen Salzquellen an der Norbfeite ber Karpaten und in Soovaͤr in Ungarn gewonnen. 
Unter den erftern find die de6 gmündener Bezirke, zu Hallſtadt, Iſchl, Ebenſee, Auffee, Hallein 
am Dürnberge, fowie bie zu Hall in Tirol, bei welchen ſich meift zugleich auch Salzberge fin- 
den, die bedeutendflen. Der Sefammtertrag belief ſich 1850 auf 2,540874 Ctr. Seeſalz wird 
im der Staatsfaline zu Stagno in Dalmatien und an der übrigen Küfte bes Adriatifhen Meeres 
in Srivarfalinen, zu Pirano und Capo d’Iftria in Iftrien, fowie auf den dalmatifchen Infeln 
Arche und Pago gewonnen (1850: 434776 Ctr.). Bon andern Salzen find vorzüglich noch 
Alaun, Eifenvitriol und Kupfervitriol bemerfenswerth. Die ſchwächſte Seite des öſtr. Berg- 
baus ift der geringe Belang der Ausbeute von Braun: Iınd Steinkohlen. Die Monarchie befigt 
unerfchöpfliche Kohlenlager; aber fie find noch nicht einmal genau durchforſcht, und von den be- 
kannten ift ein höchſt bedeutender Theil noch nicht in Anbau gefegt. Sie vertheilen ſich auf 
fämmtlihe Kronländer; die reichften jedoch finden ſich im böhm.mähr. Gebirgsſyſtem. Die 
öfte. Alpen, wiewol ärmer an foffilen Kohlen, enthaften dennoch in den Mulden, welche Ter- 
tiärgebilde ausfüllen, mächtige Ablagerungen von Braun- und Echwarzkohlen. Die Kohlen⸗ 
gewinnung hat ſich feit 1838— 48 auf den 4/, fachen Betrag erhöht und beträgt jest 20— 25 
Mil. Str. Mineralquellen und Gefundbrunnen befigt die Monarchie über 1600, darunter 
mebre von europ. Rufe. Zu den bemerkenswertheften gehören die einfachen Thermalquellen zu 
Gaſtein, die Säuerlinge zu Königswart in Böhmen umd Hohenems in Tirol, die Schmwefelbäder 
zu Mehabia, zu Baden in Niederöftreich, zu Abano und Caldiero in Stalien, zu Spalato in 
Dalmatien, die eifenhaltigen Quellen zu Eger und au Mödling in Niederöftreich, die alkalifchen 
zu Bilin, Sranzensbad und Teplig, die Bitterfalzwaffer zu Püllna, Saidfhüg und Seblig in 
Böhmen, die Slauberfalzwaffer zu Karlsbad, Marienbad und zu Ofen, die Soolen zu Iſchl, 
zu Hall in Oberöftreih, zu Hall in Tirol, zu Wieliczka in Galizien u. ſ. w. Vgl. Haldinger, 
„Geognoſtiſche Überfichtökarte der öfte. Monarchie” (mit Tert, Wien 1845— 47). 

Die Erzeugniffe des Pflanzenreichs ſind bei der Verfchiedenheit ber Lage und Bobenbe- 
ſchaffenheit der einzelnen Kronlande überaus mannichfaltig. Ungeachtet Yı der Bodenfläche 
dem Gebirgs- und Plateaulande angehören, find doch weit über ?/ derfelben productiv, zu 
Adler, Barten- und Wiefenbau, Vieh- und Forftzucht benugt. Der Aderbau umfaßt Ge⸗ 
treide aller Art, am reichhaltigften in Ungarn, in der Wojewodſchaft fammt Banat, Kroatien 
und Slawonien, in Rombardei-Venedig, in Böhmen, Mähren, Echlefien und Galizien. Im 
Allgemeinen iſt die Dreifelderwirtbfchaft am gemöhnlichften. Eine Ausnahme machen hierin 
fat ganz Zirol, Steiermark, Krain, Lombardei-VBenedig und ein großer Theil des Küktenlannd 





au bat ſich {ch 
ah m fir * Lombardei⸗Venedig und mehren Theilen 
—* mung man Giber, in Slawonien Pflaumenbranntwein * 

ae u Stalien, Sübtirol, Dalmatien und ben warmen Begenben des Küſtenlaudes ge 
winnt man Südfrüchte. Doch entfpricht der Gewinn an Sũdfrüchten nicht dem } bes 
Geſammtſtaats und Dlivenöl wird doppelt fo viel eingeführt ald gewonnen. —— Bon babe‘ 
eigteit if ber Tbeinban, morin ‚nur Sranfreich nachſteht. Derſelbe wird in allen P 
aufer Galizien, Shlefen u und Oberöffreich betrieben; auch in biefem Bio Zweig ber 
Cultur tft Ungarn nd, welches nicht nur die ebelften Weine erzeugt, fonbern 
auch ac it die Silke ve amm meproduction liefert. Unter den Manufactur- und > Den 
— ſen, die in reichlicher Fülle werben, nehmen Flache und Hanf bie erſte 

ein. Flachs wird am beſten in Böhmen, Mähren, ferner in Galizien —— 
Dberoſtreich, Tirol, Steiermark, Ungarn, Siebenbürgen u. |. onnen. 
baut Galizien, dann Lombardei⸗Venedig, die Milltärgrenze, —2 ng Zabad 
wich in Ungarn jenfelt ber Doyan fo viel (etwa 300000 Gtr.) erzeugt, dab daß bes 
— ben übrigen Kto überlaffen werben fönnen. Bon Ulgewädhfen wird 









ausgezeichneter liefert öftreich, den gefchägteft r Ungarn. — verbreiet 
iſt der Anbau von Waid, Scharte, Wau und Krapp, ber a en in Mähren und 
Steiermark. In neuefter Zeit ift auch die Indigopflange in Dalmatien mit Erfolg acclimarifirt 
worben. Bon Medicinalpflanzen wird Rhabarber in Mähren, Kärnten, Ungarn und Oſtreich, 
Süßholz in Ungarn, Slawonien und Mähren, Speit (Valeriana Celtica) in den Alpen gewon⸗ 

nen. Die Waldungen nehmen 3573 AM., weit mehr als ein Drittel der benugten Oberfläche, 
ein und bieten außer dem Holze, einem der bebeutendflen Handelsartikel, das Material gu man- 

cherlei Nebenproducten wie Pech, Pottaſche, Holzkohlen, eerberiohe, Kork (in Iſtrien), Knop⸗ 

pern (befonders in Mähren und Ungarn), Gallapfeln, Schmad u. f. w. 

Bas das Thierreih anbelangt, fo finden fih an wilden Thieren Bären in den Karpa- 
ven und Alpen, auch in Dalmatien und im Küftenlande, Wölfe und. Luchſe in demfelben 
ändern, ſowie im Banat, Kroatien, Slawonien und in der Militärgrenze. Der Stand de 
Wildprets bat fich in neuerer Zeit merklich verringert. Der Steinbod lebt in den höchſten, 
die Gemſe und der Heine weiße Alpenhafe in den mittlern Regionen der Alpen und Karpaten. 
Ergiebiger als die Jagd ift der Fifchfang, namentlich in der Donau, der Theif, den Bächen und 
Teichen. Die Seeftfcherei ift am bedeutendften an der Oftküfte des Adriatiſchen Meeres, befon- 
ders in Dalmatien, obgleich nicht mehr in dem Maße wie vor hundert Jahren. Die Auftern 
von Venedig find berühmt. Die Bäche von Ungarn, Nieder- und Oberöftreidh und Böhmen 
führen Perlenmuſcheln; Korallen bricht man an der Küfte Dalmatiend. Die Blutegel, von 
denen Ungarn und Mähren die meiften liefern, bilden einen wichtigen Dandelözweig diefer Län⸗ 
der. Die Bienenzucht dedit nicht ben Bedarf an Honig und Wade. Für den Verkehr mit dem 
Auslande ift die —* landwirthſchaftliche Induſtrie die Seidencultur. Die Oft. Monardie 
erzeugt unter allen europ. Staaten bie meiften Seidencocons, jährlich mindeftens ',. Mil. Etr., 
wovon 252000 Ger. auf bie Lombardei, 19500 auf De edig, 32000 auf Zirol fommen. Fe 
dervieh zieht man in größter Menge hauptfächlic in ſtreich, Ungarn, Böhmen, Mähren 
und Steiermark. Im Allgemeinen hat ſich bie Viehzucht in O. noch nicht auf den Stand⸗ 
punkt emporgeſchwungen der auch nur für den innern Bedarf als genügend anerkannt wer ⸗ 
den Eönnte. In einigen Kronländern ift die Viehzucht vortrefflich, in andern gänzlich vernach 
— Die Pferdezucht, über alle Kronländer verbreitet, wird in Böhmen, Mähren, Oſtreich 

und Steiermark hauptſächlich durch ſogenannte Militärgeſtüte gepflegt ; von größerer Erheb⸗ 


Öftreith 583 


(tigkeit ift fie in der Woſewodſchaft, in Kroatien, Slawonien, Galizien, Ungarn und in ber 
Milttäargrenze. Gegenwärtig wird fie befördert durch die fünf Laiferl. Militärgefüte Me 
zöhegyes (im Gomitat Cſanad) und Bäbelna (bei Raab) in Ungarn, Radaug in ber Buke⸗ 
wine, Biber oder Piber in Steiermark, Offiach in Kärnten, durch die zwei Hofgeftüte zu Lipizza 
am Karfl im Kuüftenlande und zu Kladrub und Sellnig in Böhmen, dann durch mehr ad 
350 Privatgeftüte, vornehmlich in Ungarn und Siebenbürgen. Bon wichtigem Belang, obwel 
ben innern Bedarf nicht deckend, ift die in allen Kronländern betriebene Rindviehzucht. Tirol, 
Steiermark und Mähren liefern das befle Zug- und Maftvieh, Öftreich und Steiermark bie 
meiften Kälber, Ungarn und Galizien die meiften Schlachtochfen, die aber bisher größtentheils 
aus ben Donaufürftenthümern eingetrieben wurden. Behr ausgedehnt und einträglich iſt bie 
23 welche wie die Pferdezucht einer beſondern Fürſorge der Regierung ſich erfreut. Fei⸗ 
nere liefern Mähren, Böhmen, Schleſien, Nieberöftreich, zum größern Theil auch Ungarn 
und Galizien, minder die übrigen Kronländer, namentlich Siebenbürgen, die Militärgrenze 
und Dalmatien. Die Hauptmaſſe bilden die mittlere und bie geringere Sorte. Die Ziegenzucht 
ift am bebeutendften in Dalmatien, die Schweinezucht in Ungarn. Im J. 1851 zählte man 
3,339884 Pferde (ohne die 75000 Stüd bei der Armee), 10,410484 Stud Rindvieh, 
416,801545 Schafe (nad) anderer Schäpung 25.402000 oder gar 34, Mil. Stud), 
2,275900 Ziegen und 7,401300 Schweine. Bei weitem der größte Theil der Bevölkerung, 
29 Mill. (faſt /. derfelben), if gegenwärtig mit dem landwirthſchaftlichen Betriebe beſchäf⸗ 
tigt. Die oͤſtr. Monarchie iſt alfo vorwiegend ein Agriculturflaat. Sie ift durch die Ausdehnung 
ihres Ländercompleres, durch deffen ungemein günflige Rage und unermeßlichen Bodenreich⸗ 
tum vorzugsweife auf Betrieb der Landwirthſchaft angewiefen, obwol derfelbe in feiner Ge 
fammtheit noch in keinem Theile des Staats in Vollkommenheit gepflegt wird. 

Die Bevölkerung, welche 1850 fi auf 36,514466 Seelen belief, ift fehr ungleich 
vertheilt. Der Sübmwelten der Monarchie (Lombardei und Venedig) und der Nordweflen 
(Schlefien, Böhmen, Mähren und Niederöftreidh) find am dichteften bevölkert; die Alpenländer 
mit Hochgebirgen (Tirol, Salzburg, Kärnten, Nordſteiermark nebft den nördlichen Strichen 
der Lombardei und Venedig) und der Oſten (Siebenbürgen, Bukowina, Militärgrenze und 
einige Karpatenfiriche in Ungarn) nebft Dalmatien zeigen die geringfte Volksdichtigkeit. Die 
übrigen Kronländer ſtehen zwiſchen diefen, jedoch fo, daß die Volksdichtigkeit von Welten gegen 
Dften zunimmt. Die Exrtreme finden fi) in der Lombardei mit 6950 und in Salzburg mit 
1120 E. auf I AM. Im. 1851 zählte man 864 Städte, 2355 Marktfleden, 64885 Dör⸗ 
fer, 5,297946 Wohngebäude und 8,218597 Familien. Wie an Volksmenge, fo ſteht ©. unter 
den europ. Staaten auch an Mannichfaltigkeit der Bevölkerung hinſichtlich der Abſtam⸗ 
mung und Sprache nur Rußland nad. Die Zahlenverhältniſſe auf diefem Gebiet können nur 
nach den officiellen Aufftellungen des 3. 1846 gegeben werben. Die Slawen, 15,282196 Köpfe 
ober 40°% Proc. der Geſammtbevölkerung, bilden, im Befig eines freilich durchaus nicht überall 
zufammenhängenden Gebietes von etwa 4850 AM., den zahlreihften aller Stämme ber 
Monarchie und die Hauptmaffe der Bevölkerung in Böhmen, Mähren, Krain, Dalmatien, 
Kroatien, Slawonien, der Rilitärgrenge, Wojewodichaft, Rordungarn (Slowakei) und Galizien 
(Ruthenen). Sie haben aber nur fcheinbar das Übergewicht im Kaiferftaate, ba Feiner der übri- 
gen Hauptflämme in eine fo große Anzahl von Völkerfhaften, die an Sprache, Religion, Bil 
dung und Geſittung voneinander fo verfchieden, zerfplittert iſt. Die wichtigften derfelben find 
die norbflawifchen Ezechen (5,897970), Ruthenen (3,150598), Polen (2,183380), die füd- 
flawifchen Slowenen (1,153382), Kroaten (1,288632), Serben (1,584134) und Bulgaren 
(24100). Die Deutfhen, 7,917195 Individuen (24 Proc.), am meiften verbreitet in der 
Monarchie und im Beſitz von etwa 2024 QM. find befonders im Welten zahlreich, in Nieber- 
und Oberöftreih, Salzburg, Tirol, Steiermark und Kärnten, aud in Wellungarn, Sieben⸗ 
bürgen, Böhmen und Mähren. Die Romanen, 8,102463 Köpfe (über 21‘ Pror.), find im 
Befig von etwa 227I AM. Sie zerfallen in weftliche Romanen oder Welſche (auf 1039 QM.), 
nämlich Italiener (5,042235) in Lombardei⸗Venedig, Südtirol, Sftrien und Dalmatien, La- 
biner (8642) in einigen Thälern Zirols, Friauler oder Furlaner (401094) in Friaul, Görz 
u. ſ. w., und in öftliche oder eigentliche Romanen (Rumuni), auch Walachen genannt (2,640492), 
in Siebenbürgen, Ungarn, ber Wojewodſchaft, Bukowina, Militärgrenge, zufammen auf 
1252 AM.; Magyaren oder Ungarn und Szekler gab es 1846: 5,418773 Individuen 
(14’ı10 Proc.), im Befis von 2162 AM, in Ungarn und Siebenbürgen, audy ın der Woje⸗ 
webdfchaft, weniger in Kroatien und Slawonien. Im 3: 1850 ermittelte man indeffen in bielen 


594 Oftreich 

Ländern nur 4,557753 Individuen dieſes Stamms. Rebenflämme find die Albaneſen (2293) 
in Dalmatien und ber Militärgrengez Armenier (17384) in Siebenbürgen, zerflreut auch in Ga- 
zien, Ungarn und der Wojewodſchaft; Juben(746851), befonders in Galizien und Ungarn, auch 
zahlreich in der Wojewodſchaft, der Bukowina, in Böhmen und Mähren, nicht aber in Ober- 
ofireich, Steiermark, Kärnten und Krain; die Zigeuner (93600) in Siebenbürgen, Ungara 
und der Wojewodſchaft. Vgl. Häufler, „Sprachenkarte deröftr. Monarchie” (Pefih 1846). Rüch 
ſichtlich der Confeffionen umfaßt die kath. Kirche, welche tharfächlich herrſchende des Staats 
iſt umd der auch das regierende Haus angehört, den bei weitem größern Theil ber Bevölke⸗ 
rung. Nach der Zählung von 1846 gehören unter 37,443033 E. mit Ausfchluß von Krakau 
30,052068 Seelen (oder 804 Proc.) der kath. Kirche an, und zwar 26,357172 Seelen 
(oder nahe 70°, Proc.) der röm.tath. Kirche, Die in den meiften Provinzen, mit Ausnahme 
von Galizien, Siebenbürgen und der Militärgrenzge, die entfchiedene Majorität befigt, und 
5,694896 Seelen (oder über 9%, Proc.) der griech.» umd armen.- kath. oder griech.-unirten 
und armen.-unirten Kirche, welche in Galizien der röm.kath. Zahl der Bekenner faft gleich 
kommt (2%, Mil), dann in Ungarn (über Yı Mill.) und Siebenbürgen (/ Mil.) fehr ſtark 
vertreten ift. Ende 1851 befaß die röm.kath. Kirche 13 Ergbisthümer (Wien, Salzburg, Görz, 
Prag, Olmütz, Lemberg, Mailand, Venedig, Zara, Gran, Kolocfa, Erlau und Ygram), 
61 Bischümer (das zu Udine ift ein Titularerzbisthum), 15118 Pfarreien und Locallaplaneien 
und 40516 Weltgeiftliche; die armen. -unirte Kirche aber ein Erzbisthum (Lenıberg), die 
griech. - unirte Kirche ein Erzbisthum (Lemberg) mit neun Bisthümern, beide zufammen 4285 
Pfarreien und Localkaplaneien mit 5098 Weltgeiftlihen. Die nichtunirte griech. Kirche 
zählte 3,160805 Belenner (über 8%, Proc.), hauptſächlich in Ungarn (1', Mil.), Sieben⸗ 
bürgen (faſt , Mill.), der Militärgrenze (gegen 4 Dil.) und Bukowina (gegen A Mil.), 
mit einem Erzbistum oder Patriarchat zu Earlovicz, zehn Bisthümern, 3201 Pfarreien 
und Localkaplaneien und 4036 Weltgeiftlihen. Die Klöfter, deren Anzahl bei dem Regie 
rımgsantritt Joſeph's II. ſich auf 2024 belief, waren theild durch deffen Reformen, theils 
in e der franz. Invafion fo vermindert worden, baf 1816 nur noch gegen 800 gezählt 
wurden. Seitdem ift ihre Zahl wieder im Zunehmen. Im J. 1849 beftanden bereits wieber 
959 und awar, außer 4A Mannsklöſtern (mit 271 Mitgliedern) der gried.-nichtunirten Kir- 
che, 759 Möndye- und 176 Nonnentlöfter der kath. Kirche. Die evang. Kirche hat für ihre bei- 
den Hauptconfelfionen nur in Ungarn und Siebenbürgen, wo beide fchon feit alter Zeit zu den 
recipirten Kirchen gehören, eine numerifche Bedeutung. Im Ganzen zählte fie 1846: 3,448264 
Bekenner (9/ Proc. ber Geſammtbevölkerung), von welchen 2,161465 zur ref., 1,286799 
zur luth. Kirche gehörten. Sie haben 3162 Pfarreien und ihre oberften Verwaltungsbehor- 
den in den beiden Confiftorien zu Wien, denen zehn luth. und acht ref. Superintendenturen un- 
tergeordnet find. Won andern Akatholiten zählte man (1846) 50541 Unitarier oder Soci⸗ 
nianer, bauptfächlic) in Siebenbürgen, mo fie unter einem Superintendenten zu Klauſenburg 
ftehen; Mennoniten, nichtunirte Armenier, Philipponen oder Lipowaner, zufammen nur 
2350, dagegen 729005 Juden (ohne Krakau, wo man 1850 17611 zählte). An der Spitze 
der Militärgeiftlichfeit fteht ein apoftolifcher Keldvicar, welchem neun Feldfuperiorate unter- 
geordnet find. 

Das Unterrichtöwefen, deffen oberfte Zeitung jegt das feit 1848 gebildete Minifterium des 
Cultus und Unterrichts führt und deffen Neugeftaltung feit 1849 begann, hat im Vergleich mit 
andern deutfchen Staaten viele Eigenthümlichkeiten. Zunächſt die engere Verbindimg der Er- 
ziehung mit dem Unterricht durch das Beftehen von Convicten, Seminarien, Atademien, welde 
zugleich Erziehumgsanftaften find. Am wichtigften ift diefe Verbindung in den Klöftern, nament: 
lich in denen für dad weibliche Unterrichtd- und Erziehungswefen. Sodann eine große Menge 
von befontern Berufsanftalten, welche in O. früher als in andern Staaten errichtet wurden. 
Berner der aroßentheild unentgeltliche oder doch nur gering bezahlte Unterricht in den niedern 
und höhern Lehranftalten, deffen Koften theild die Central⸗, theild die Provinzialvermaltung 
(durch Beiträge von Ständen und Gemeinden) und namentlich der aus dem Vermögen einge 
zogener Klöfter und Stifter gebildete Religions-, Studien- und Educationsfonds aufbringt. 
Endlich die große Berheiligung des geiftlichen Standes an den Univerfitäten. Überhaupt ift die 
Stellung der kath. Kirche zur Schule befonderd gewichtig. Der Kirche ift der Religionsunter: 
richt in den Volksſchulen, die Leitung des Unterrichts in den Diöcefanfeminarien und das c:: 
fanımte theologifche Studium auf den Univerfitäten untergeben. Den Jeſuiten, welche 1818 
das eich verlaffen mußten, wurde die Rückkehr in die italifchen Kronländer 1850, in die übri- 


Oſtreich ss 


gen Länder 1852 geftattet und ihnen ihre Erziehungshäufer wieder eingeräumt. In neuerer Zeit 
bat ſich die Zahl der Elementar- ober Trivialfehulen außerordentlich vermehrt und nur Ungarn 
ift Hierin zurüdigeblieben. Das niebere Schulweſen ift am beften in den deutfchen Kronlänbern 
ausgebildet, Denen Siebenbürgen, bie Lombardei und Venedig nahe ſtehen; am menigften voll» 
kommen ift daffelbein Dalmatien, im Küftenlande und befonders in Galizien. Unter den öffent 
lichen Mittelfchulen ift die Zahl der Realfchulen, von benen 1850 nur zwei, zu Rakonig und 
Reichenberg, vorhanden waren, neuerdings in bedeutender Zunahme begriffen, fodaß im Stu⸗ 
dienfahr 1851 deren bereits 38 beftanden (mit Einfchluß der nautifhen). Auch die Zahl ber 
Symnafien iſt, da die vordem an eigenen philofophifchen Lehranftalten, Lyceen und Univerfitä- 
ten beftandenen zwei philofophifchen Lehrgänge mit ihnen gereinigt wurden, 1852 auf 262 ge 
fliegen; darunter waren 51 proteflantifche in Schlefien, Ungam und Siebenbürgen. Von hö⸗ 
bern Lehranftalten zahlt man zehn Univerfitäten: zu Bien, Prag, Olmütz, Grät, Innsbrud, 
Yavia, Padua, Peſth, Lemberg und Krakau, ſowie fünf Rechtsakademien: zu Presburg, Kar 
fhau, Großwardein, Agram und Hermannſtadt; ferner acht technifche Inftitute (die großartige 
Baiferl. Polgtechnifche Schule zu Wien, die technifchen Schulen zu Lemberg, Prag, Mallaub, 
Benedig u. f. w.), fünf höhere montaniftifche, forft« und landwirthſchaftliche Inftitute und 
neun dhirurgifche Lehranftaltenz außerdem 26 fogenannte befondere Lehranftalten, d. h. ſolche, 
deren Schüler nicht in Mittelfchulen die vorbereitende allgemeine Bildung erhalten, fondern um» 
mittelbar aus den Volks ſchulen in diefe Anftalten übergehen, nämlich zwolf niedere Landwirt» 
ſchaftliche, drei niedere Bergſchulen und elf Hebammenſchulen. As Höhere Militärlehranſtal⸗ 
ten beflehen für Infanterie und Gavalerie die Militärakademie zu Wiener⸗Neuſtadt, die Artil⸗ 
lerieakademie zu Olmüg, die Genieakademie zu Znaim, die Marineafabemie zu Trieft. Ferner 
zählte man bereits 1849 in der Monarchie 588 Erziehungsanftalten und 75 höhere Bildungs⸗ 
anftalten, wie wiffenfchaftliche und Kunftvereine und andere Sorporationen. Unter biefen find 
hervorzuheben bie kaiſerl. Akademie der Wiſſenſchaften, bie Akademie der bildenden Künfte und 
viele andere Geſellſchaften und Vereine zu Wien, das fländifche Johanneum zu @räg, bie böhm. 
Geſellſchaft der Wiffenichaften und andere Iriftitute zu Prag, bie Inftitute, Athenien und Aka⸗ 
demien zu Mailand, Venedig, Brescia, Bergamo, Verona, Vicenza, Pavia u. ſ. w. Bebeutenb 
find die Hof⸗ und die Univerfitätsbibliothet zu Wien, die Ambrofanifche zu Mailand, die &t.- 
Marcus · Bibliothek zu Venedig, die reichhaltigen Bücherfammlungen mehrer Univerfitäten, 
Akademien und Klöfter; das Raturalienkabinet zu Wien, der botanifche Garten dafelbft, zu Par 
dua u. |. w.; die Sternwarten zu Wien, Prag, Peſth, Padua, Mailand und Kremsmünſter. 
Wie an literarifchen, fo fteht auch an Kunftfhägen Bien mit der kaiſerl. Gemäldegalerie im: 
Belvedere, Mailand mit der Brera und Benedig oben an. Den öffentlichen Anftalten diefer 
Art reiben fich einzelne überaus reiche Privatfammlungen an, wie bie der Fürſten Liechtenftein, 
Efterhazy u.a. zu Wien. Diebedeutendften numismatifchen Sammlungen befindenfich zu Wien, 
in der Brera zu Mailand und im Stifte St.-Florian in Oberöftreih. Was das Zeitungsweſen 
. betrifft, fo erfchienen im Anfang bes 3. 1853 in der ganzen Monarchie 249 Zeitungen, Tage 
blätter und anbere periodifhe Drudichriften, Darunter 77 politifche und 4 72 nicht polittfche, und 
zwar 126 deutfche, 75 italienifche, 15 magyarifche, 9 bohmifche, 8 polnifche, 14 andere flamifche, 
4 romanifche und 1 armenifche; die meiften in Niederöftreich mit Wien (50), Lombarbei-Venebig 
(58), Ungarn (25), Böhmen (18). Sanitätswefen und Wohlthätigkeitsanftalten anlangend, gab 
es 1849 mit Ausichluß von Ungarn 5350 Krantenhäufer, 159 Militärhospitäler, AO Irrenhäu⸗ 

fer, 40 Bebärhäufer, 33 Findelhäuſer, 1554 Verforgungshäufer und 7173 Armenanftalten. 
Die Induftrie hat im öfte. Kaiferftaat, wenigftens in feiner weſtlichen Hälfte, den deutfchen 
und ital. Kronländern, bereits einen bedeutenden Aufſchwung genommen. Wiewol die Manufac⸗ 
turen in Glas», Leinen-, Seiden- und einigen Metallwaarenfchon frühzeitig einen achtenswerthen 
Standpunkt in mehren Teilen der Monarchie einmahmen, ward doch erft unter der Kaiferin 
Maria Therefia eine Vielfeitigkeit der Gewerbsthätigkeit durch Aufhebung vieler Monopole an⸗ 
gebahnt. Unter dem Schugedes Prohibitivſyſtems, einem unermeßlichen Reichthum an Rohpro⸗ 
ducten und billigen Arbeitskräften erfolgte nun allmälig die induftrielle Entwidelung trog der ties 
fen Wunden, welche ihr die vielen Kriege und Geldkrifen in empfindlicher Weiſe fchlugen, ſodaß 
man in neuefter Zeit das Prohibitivfgften zu mäßigen, theilmeife aufzugeben wagte. Beſon⸗ 
ders find es die weſtlichen Kronländer , wo fich Die Induftrie bereits zu einer Macht und in ein⸗ 
zeinen GErzeugniffen zu hoher Vollkommenheit erhoben hat und in fletem Fortſchritt begriffen 
ift, obfchon Hierdurch nur mehr dem innern Bedarf genügt als Ausfuhrproducte gemonnen 
Es kann der Geldwerth der Induftrieproduction, mit Ausſchluß der Fleinen Gewerke, 


526 Dfiteid 


gegenwärtig erft auf 1000— 1200 Mil. Gidn. veranfchlagt werden, während jener der Land 
wirthſchaft mit Einſchluß des Viehſtands und der animaliſchen Producte die Höhe von nahe 
3000 Mil. Stön. erreichen dürfte. Die ftärkfteInduftrie Hat Böhmen, dann folgen Rombarbei, 
Oſtreich mit Wien, Mähren und Schleſien, Venedig, Ungarn, Baligien, Oberöftreich, Sieben⸗ 
bürgen, Tirol, Steiermark, Kärnten und Krain, Küftenland, Mifitärgrenze und zulept Dalma⸗ 
tien. Es concentrirt fi) die Manufactureninduftrie auf folgende vier Hauptdiftricte: Wien für 
alle Arten Luxusartikel; Mailand und Venedig nebft einigen benachbarten lombard. Stäbten 
für verfchiedene Arten von Seidenfloffen; Mähren, Schlefien und Böhmen für Leinen⸗, Wol⸗ 
Ien- und Glaswaaren; Steiermarf und Kärnten für Metall-, namentlich Eifen- und Stahl⸗ 
waaren. Im Ausfuhrhandel find jehoch außer den wollenen und feibenen Waaren, von welchen 
beiden in neuefter Zeit für mehr ald 25 Mill. Gldn. jährlich im Auslande abgefept wurden, 
nur noch Leinwand, Zwirn umd andere Waaren aus Flachs, Glaswaaren und baummollene 
Waaren von höherer Bedeutung. " 

Unter den Induftriegweigen, welche Producte des Bergbau verarbeiten, fteht die Eiſenindu⸗ 
firte oben an; man berechnet ben Werth der Eifenraffinate, ber Eifen- und Stablarbeiten auf 
etwa 54 Mill. Sion. Die Erzeugung von Gold-, Silber⸗ und Juwelierarbeiten ift nur in Bien 
und Mailand, Venedig und Prag von Bedeutung, weniger zu Peſth, Brünn und Trieft. Sehr 
bebeutend ift die Erzeugung von chemifchen Producten (55MIN. Eldn.), von Glaswaaren und 
Spiegeln, die zu den Glanzpunkten der öfter. Manufacte gehören (18 Mil. Gldn). Es wer» 
den Porzellan für 1, Mill., Steingut und Fayence für 2’ Mill., Topfwaaren für 6 Mill, 
Steinwaaren für 2", Mil. fabricirt. Einen nicht unmwichtigen Zweig ber öfter. Induſtrie bildet 
die Fabrikation von Inſtrumenten aller Art, namentlich auch von muſtkaliſchen. Unter biefen 
fliehen die Pianofortes in erfter Reihe, die vorzüglich zu Wien, dann auch ii Prog und Galz- 
burg gebaut werden, jährlich für 2 Mil. Gldn. Die Uhrmacherei iſt nur in Wien, Prag, Hat- 
(and und Gräg von Bedeutung. Unter den Induſtriezweigen, welche die Robftoffe ber Land⸗ 
wirtbfchaft verarbeiten, fteht bie Hanf» und Flachsinduſtrie oben an. Sie tft eine der älteften in 
D. und befchäftige, obgleich fie gegen früher merklich gefunten, noch immer ungemein viel 
Menſchen. Das Rohprobuct wird zu 52, das durch bie Bearbeitung veredelte a zu 
130% Mill. Gldn. Herechnet, wovon 60 Mil. in den Handel kommen. Faft mit berfelben 
Großartigkeit tritt die Wollinduſtrie auf, deren IBaarenprobuction ben Werth von 106 4 DRIN. 
Gldn. darftellt, wovon allein auf Tuche A5 Mill. kommen. Wenige Zweige der öſtr. Induſtrie 
haben aber in kurzer Zeit einen fo bedeutenden Aufſchwung genommen mie die Baummollen- 
induftrie, die 1850 in 208 Spinnereien 29153, nebft der Färberei, Druderei, Appretur u. ſ. w. 
aber gegen 400000 Menfchen befchäftigte. Der Gefammtwerth der Baummollenmaaren be- 
trägt 80 Mill. Gldn., davon 20; Mill. für eingeführte Baummolle und Garne. Es wurde 
1836 doppelt, 1840 dreimal, 1845 viermal und 1850 fünfmal fo viel Baummolle verarbeitet 
als 1851. Von der größten Wichtigkeit ift endlich die Seideninduftrie, deren Production fammt 
derfenigen der inländifchen Seidenzucht felbft den Werth von 60 Mil. darftellt. Nicht unbe 
deutend find ferner die Fabrifationen von Leder, Papier, Tapeten, Spielkarten, Filz- und Sei⸗ 
denhüten, in Wache, Talg, Stearin, Ol u. ſ. w. Die Eolonialzuderraffinerie und Runkelrü⸗ 
benzuderfabrifation gewinnen mit jedem Jahre an Wichtigkeit. Die Tabacksfabrikation ift ein 
Monopol des Staats und wird in den Ararialfabriten zu Wien, Hainburg, Linz, Fürftenfeld 
in Steiermark, zu Trient und Schwag in Tirol, zu Sebleg in Böhmen, zu Göding in Mähren, 
zu Winniky, Zagielnita, Monafterzysta in Galizien, zu Pefth in Ungarn, zu Temeswar im 
Banat, zu Mailand und Venedig betrieben. Diefe Fabriken brachten fonft einen jährlichen Ge⸗ 
winn von 14 Mill. Gldn., welcher fich durch Ausdehnung des Monopols auf Ungarn (1850) wel 
. auf 20 Mill. gefteigert hat. Wichtig iſt endlich die Erzeugung von Holzwaaren, Möbeln (Bien 

und ——— Wagen u. f. w, ſowie der Bau von See⸗ und Flußſchiffen. Gefördert wird bie 
Induftrie D.3 jegt mehr ald früher durch neugegründete Gewerbſchulen (Ober- und Unter 
realfhulen), durch die polgtechnifchen Schulen und Inftitute, durch viele Gemwerbvereine, durch 
die erft in neuefter Zeit ins Leben gerufenen fehr zahlreichen Gewerbe» und Handelöfammern, 
die öffentlichen Induftrieausftellungen, durch den nach einem Gefeg vom 15. Det. 1852 erwei⸗ 
terten Privilegiumsſchutz für neue Erfindungen u. |. w. 

Der Handel D.8 fteht, obgleich er feit 1816 einen bedeutenden Aufſchwung genommen, doch 
noch nicht in Übereinftimmung mit Lage, Größe und Reihthum des Staats. Die Hinderniffe 
für die volle Entwidelung des Verkehrs find theils phyſiſcher und localer, theils ſtaatswirth⸗ 
Ihaftlicher Art. Dochgebirge erfchweren vielfach die Communication und trennen die Haupt: 


Oßreich 597 
productenländer des Monarchie von dem einzigen Meere, von bem fie berührt wird. Ferner 
münden die größten ſchiffbaren Zlüffe, mit Ausnahme bes Po, im Auslande, während zugleich 
die Donau dem Verkehr, namentlid, der Bergfahrt, bedeutende Schwierigkeiten entgegenfegt. 
Die Regierung hat in neuerer Zeit allerdings an der Befeitigung eines großen Theils der loca⸗ 
len Dinderniffe gearbeitet. Geit 1809 wurben. zahlreiche Kunſtſtraßen angelegt, die jept eine 
Länge von 3700 M. haben. Die neuen Aipenftraßen über das Stilfſer Joch (f. d.), den Splü- 
gen (f.d.), den Semmering ([.d.), ſowie die Erweiterungen der lombard. Strafen in die Alpen⸗ 
thäler gehören fogar zu ben bemerfenswertheften Bauten unferer Zeit. Das Eiſenbahnweſen 
bat, feit man fich (1841) zum Bau von Staatsbahnen entfchloß, eine erfolgreiche Entwidelung 
erfahren. In raſcher Folge ſchloſſen fih an die 1856— 47 ausgeführte Kaifer-Kerdinandee 
Nordbahn (von Wien nad Oberberg) die füdlihe Staatsbahn, die zuerfi von Wien nad 
Sloggnig am Semmering, dann von Mürzzuſchlag über Gräg nach Laibachgeführt wurde und 
nach Ausführung der fchwierigen Bahnftreden über den Semmering (am 21. Dct. 1855 
jmar vollendet, aber noch nicht vollftändig eröffnet) und über den Karft Wien mit Trieft direct 
verbinden wird; ferner die nördliche Staatsbahn von Olmügnad) Prag; die fogenannte ungar. 
Centralbahn oder die füdöflliche Staatsbahn, von Marchegg nach Peſth und Szolnok (projectirt 
bis Debreczin und Arad); die frafauer odernorböftliche Staatsbahn, von Krakau bis Lemberg 
profectirt und zum Theil vollendet ; ſodann in Stalien die Serdinandsbahn von Venedig nach Mai⸗ 
land, die Mailand-Comoer Bahn und andere. An diefe Bahnen fchließt fich ein großartiges Neg 
eleftrifcher Telegraphen, das fich bereits aus dem Eentralpuntte Wien nad) allen Kronländern 
bin ausbreitet. Wiewol zur Erweiterung des Kanalſyſtems wenig gefchah, ward Doch durch Fluß⸗ 
regulirungen und andere Wafferbauten dem Flußverkehr Vorfchub geleiftet, der fi befonders 
feit Benugung der Dampfkraft ungemein gehoben hat. Auf der Donau und deren Nebenflüffen 
beſteht feit 1850 die Donaudampfſchiffahrtsgeſellſchaft, feit 1852 zugleich eine zweite, welche 
ſich ausfchließlich mit der Schleppfchiffahrt befchäftigt. Güter- und Perfonenverkehr wird hier⸗ 
durch aufwärts bis Ulm und abwärts in die Donaufürftenthümer über Orfova nad) Galacz und 
bis nach Konftantinopelgeförbert. Diefe Vermittelung mit der Levanteleiftet dem Tranfitohandel 
D.8 bedeutenden Borfhub und dürfte eine noch bedeutendere Entwidelung erfahren, wenn bie 
Länder ber untern Donau Rußland und deffen Abſchließungsſyſtem nicht anheimfallen. Auch 
auf der Drau, Save, Kulpa, Theiß, Elbe, Weichſel, auf dem Bodenſee, den lombard. und une 
gar. Seen geminnt bie Dampfſchiffahrt immer mehr an Xebendigkeit, und auf dem Po wird Die 
ſelbe durch Vertrag von 1852 vom Lloyd mit 10 Dampfern und 30 Schleppfchiffen betrieben. 

Die ftaatsrechtlichen und ftaatsmirthichaftlichen Hinderniffe des Verkehrs find in neuerer Zeit 
theils befeitigt, theild gemindert worden. So hat der Waſſerverkehr Erleichterungen erfahren 
durch Aufhebung der Schiffahrtszölle, mie auf der Elbe (für inländiſche Schiffe 1850, für aus» 
ländiſche 1852), durch Herftellung der Schiffahrtöfreiheit auf dem Po mitteld Vertrags mit 
deſſen Uferftaaten (1850), ſowie auf der Donan und deren Rebenflüffen mittel Vertrags mit 
Baiern (1852) u. ſ. w. Die frühere Zmifchenzolliinie, welche Ungarn mit feinen ehemaligen 
Nebenländern von ben übrigen Ländern der Monarchie ſchied, ift feit I. Juli 1851 gänzlich 
aufgehoben, ſodaß feitbem im ganzen Reiche nur noch zwei Zoll« und Handelsgebiete befteben, 
das Peine von Dalmatien und das große, welches die übrige Monarchie umfaßt. Ein 6. Nov. 
4851 publicirter Zolltarif, der an die Stelle des Tarife vom 1. März; 1839 trat, wurde 
zwar feit dem 1. Febr. 1852 in Wirkfamkeit gelegt, aber megen der fchmebenden Unter» 
handlungen mit dem Deutfchen Zollvereine (f. d.) vorerft nur in befchränkter Weiſe. Der 
neue Tarif, durch den D. von dem Prohibitiv- zu einem Schugzollfgftem überging, fegt 
bie Zölle auf die meiften und wichtigften Ginfuhrgegenftände, befonder6 auf Rohprobucte, 
Urſtoffe und Colonialwaaren bedeutend herab, während er fie auf menige andere, z. B. 
Sprit, erhöht. Die Einfuhrverbote find auf die Staatsmonopole (Salz, Schiefpulver, 
Taback) befchräntt. Kein Gegenftand "wird zollfrei eingelaffen; doch find vom Durch⸗ 
fuhrzoll alle Waaren befreit, die durch D. gehen, um entweder zur See außgeführt zu werben, 
oder bie in einem öftr. Hafen ausgefchifft wurden. Durch diefe und andere Veränderungen hat 
D. fi dem Zollverein zu nähern gefucht, mit dem auch endlich 1853 ein Hanbelstractat zum 
Abſchluß gekommen ift. Vollftändige Zoll- und Handelseinigung beſteht feit 5. Juni 1852 zwi⸗ 
[hen O. und Liechtenftein; eine Zolleinigung mit Parma und Modena wurde 9. Aug. 1852 auf 
vier Fahre und neun Monate abgefchloffen, die mit dem 1. Febr. 1853 in Kraft trat. Handels⸗ 
verträge, meift auf Gleichftellung der beiderfeitigen Slaggen und Meere gegründet, beftehen mit 
ſehr vielen Staaten: mit den Vereinigten Staaten (18239 und 1850), Merlco (1842)y. Aue 


528 Dftreich 
fand (1846), Neapel (1846), Toscana (1847), Chile (1851), Sardinien (1852), Türkd 
) uf. w. Mit Preußen wurde 19: Febr. 1853 ein els · und Schiffahrtsvertrag gu 
der 1. Jan. 1854 in Kraft treten und bis zum 31. Dee. 1865 witkſam bfeiben ſol 
Deinfelben traten 4, April unter Yufnahme des Steuervereind fämmtliche Staaten des Deut 
ſchen Handels- und Zollvereind bei. Das öftr. Conſulatweſen iſt in neuerer Zeit-fehr verbefint 
und eriveitert worden. Gegenwärtig befichen 31 Generalconfulate, 40 Eonfulate, 2 ralagem 
tie, 61 Biceconfulate, 178 Confulatagentien und 47 Staroſtien. Nicht minder iſt das Pofi 
weſen durch zahlreiche Verträge mit fremden Staaten, wie England, Frankreich, Rußland, dm 
Nordamerike, Spanien (30. April 1852), mit den ital, Staaten, ſowie durch den 
Deutfd-öftzeichtfchen Poftverein (1850) fehr gefördert worden. Namentlich Hat die. Herabfegung 
des Porto hinfichtlich bes Briefverkchrs und der Staatseinnahmen glänzende Reſultate gehabt, 
Sehr wichtige Beförderungsmittel des Handels find bie Nationalbank zu Wien nebft ihren Bi 
llalen, die Affecuranggefellichaften zu Wien, Prag, Brünn, Gräg, Trieſt u. ſ. w, das großartige 
Inſtitut des LloydAustriaco(f.b.) zuXrieft, die Börfen zu Wien, Triefl, Mailand und Venedig. 

Der innere oder Binnenhandel in und gwifchen den einzelnen Kronländern ift unter allm 
Zweigen des Verkehrs nicht nur der umfangreichfte, fondern wegen feiner Rüdwirfung auf 
den Nafionalwohlftand aud) ber wichtigfte. Der Antheil, den jebes Kronland-an demfelben hat, 
Täßt ſich indeß, ſeitdem die innern Bolllinien weggefallen, nichtnachweifen. Die wichtigſten Dan- 
delöpläge des Binnenverkehrs find Wien, der Mittelpunkt des gefammten öſtt. rs und 

im Befig der größten Geldfräfte durch Staatsinftitute und die anfehnlichfien Dandeld- | 
Häufer; ferner Linz, Salyburg, Prag, Reichenberg, Pilſen, Brünn, Dimüg, Troppau, Lemberg, 
Brody (wo ein immerwährender Markt gehalten wird, auf dem der Austaufch der ‚öfte. 
duete:gegen ruſſiſche und aſiatiſche ftattfindet), Peſth, Presburg, Debreagin, Kafdyau, — 
Semlin Agram, Katlſtadt, Hermannſtadt, Kronftadt, Gräg, Innshrud, Bogen, Mailand, Ver · 
gamo, Brescia, Mantua, Verona und Padua. Der auslänbifche Verkehr beider Zollgebiete 
und der Zollaus ſchüſſe zuſammengefaßt ergab 1831 einen Gefantmtiverth von 148% Mill 
Gldn. (Einfuhr 6I Mill, Ausfuhr 79.4 Mil.) und einen Zollertrag von 14 Mill; 1847 8 
gegen betrug erfterer 250,585000 (Einfuhr 133,700000, Ausfuhr 116,685000), Teptent 
48,424000 Gldn. Nachdem in den ftürmifchen Jahren 1848 und 1849 die Handelsverhäfmife 
fehr gelitten, belief fi 1850 der Geſammtverkehr bereit wieder auf 274,455000 Gldn. (Ein- 
fuht 163,417000, Ausfuhr 111,038000 Glön.), der Zoll auf 19,797000 Glon. Indeffen 
gewähren dieſe aus den Zolltegiftern gezogenen Ziffern Feine genaue Beurtheilung der öſtt. 
Handelsbilang, zunächft fhon darum nicht, weil der auf mehr denn 50 Mill. Gidn. veran- 
ſGlagte Schleichhandel den zollamtlihen Nachweifungen entgeht. Der Verkehr mit dem Deut- 
fen Zollverein 1850 betrug 84,107000 Gldn. (Einfuhr daher 51,898000, Ausfuhe dahin 
32,209000); mit Italien 31% Mil. (Einfuhr 19%, Ausfuhr 12 Mil.); mit der Türkei 
30,742000 (Einfuhr 18,843000, Ausfuhr 11,699000) ; mit der Schweiz 22 913000 (Ein 
fuhr 3,126000, Ausfuhr 19,787000); mit Rußland und Polen 8,360000 Gfdn. (Einfuße 
4606000, Ausfuhr 3,754000) ober, den bedeutenden Verkehr zwiſchen Trieft und 
mitgerechnet, 13,558000 Gldn. (Einfuhr 6,783700, Ausfuhr 6,774700). Der Durchgangk 
handel hat 1850 gegen frühere Jahre im Ganzen abgenommen. &6 belief ſich der Sranfit durch 
daß große Zollgebiet auf 70,613000 Gidn. (1847 auf 77,343000); durch Dalmatien war et 
auf 2,976000 Gldn. geftiegen (1847 nur 2,305000 Glon.). 

Der Seehandel ann, folange er in feinem jegigen Umfang verbleibt, verhäfmnigmäßig für 
D. nicht die Bedeutung erlangen, wie für die andern Grofmächte Europas. Er bleibt anf 
die 248 M. länge Küfte des Adriatiſchen Meeres von der Pomündung bis Cattars be 
ſchränkt, und diefe Küfte iſt von den wichtigſten Provinzen des Kaiſerſtaats zu weit ent 
fernt und durch Gebirge fo getrennt, daß nur eine koftfpielige Verbindung durch Kunf- 
ftraßen möglich ift. Häfen hat D.121 und zwar £8 im venetian. Küftengebiet, darunter 
Venedig und Chioggia; 36 im iftrian. Küftenlande, darunter Trieſt, Rovigno, minder be 
deutend Pirano, Cittanuova, Parenzo, Pola, Albona, Fianona u. ſ. w.; 7 im Proat. Ri 
flenfande, wie Fiume, Buccari, Porto RE, Zurcova, Selcze, Novi; 5in der Militärgreng, 
mie engg, Garlopago, St.-Giorgio, Jablanacz; 55 in Dalmatien, wie Zara, Gebenke, 
Spalato, Ragufa, tato, Portorofe, Refina, Tutzola u. ſ. w. Bis zum J. 1851 gab ec 
nur 13 Ararial« oder Staatöhäfen nebft fünf Meinern Küftenhäfen der Miltärgrenge; feit 
dem 1. Febt. 1852 aber murben auch fammtliche dem Verkehr offenftehende, ſeht zahlreiche Ger 
meinbehäfen ber Monarcjie ald Gtaatshäfen erflärt und verwaltet. Die oͤſtt Handelsmarine 


Oftreich 539 
zerfällt in Schiffe erften Range oder weiter Fahrt (di lungo corso), auch Hochfeefchiffe genannt, 
die zu Fahrten nach allen Häfen des In- und Auslandes berechtigt find; in Schiffe weiter Kü⸗ 
ftenfabrt (di grande eabottagio), die alle Häfen bes Mittelmeers befuchen und erft bei Gibral⸗ 
tar ihre Grenzen finden; in Schiffe Feiner Küftenfahrt (di piccolo cabottagio), die für ſämmt- 
liche öfter. Häfen beftimmt find, aber in zwei Claffen zerfallen, von denen die der erften alle öſtr. 
Häfen beſuchen dürfen, die der zweiten aber nur auf den Verkehr der Küftenprovinz, welcher fie 
ſelbſt angehören, beſchränkt find, und endlich in Fifcherbarfen, deren Zahl fehr groß iſt. Im J. 
1849 zählte die Handeldmarine 6083 Schiffe von 259583 Tonnen Gehalt und 27386 Mann 
Belagung, Ende 1851 aber,ohne bie Militärgrenze, bereits 9746 Schiffe (darunter einige dreißig 
Dampfer des Lloyd) von 269427 Tonnen und 34108 Mann Befapung. Bon den Sechan- 
deißplägen haben die Freihäfen Trieft, Venedig und Fiume die meiften großen Schiffe und bei 
weitem ben bedeutendften Schiffahrts⸗ und Handelsverkehr. Trieſt, zugleich der Sig der felt 
1850 beftehenden.Sentralbehörbe des ganzen öfter. Seeweſens, ſowie der Akademie der Nautif, 
neben welcher noch nautifhe Schulen zu Zara, Spalato, Ragufa und Cattaro beftehen, ift ber 
michtigfte Hafenplag, deffen Waarenumfag ſich feit 1814 fortwährend gehoben, beſonders in 
neuerer Zeit durch die Thätigkeit des Oſtreichiſchen Lloyd. 

Gemäß der Pragmatiſchen Sanction und der öfte. Hausordnung ift die öſtr. Monarchie ein 
untheilbared, nad) der agnatifchen gemifchten Linearfolge im Haufe Habsburg-Rothringen erb⸗ 
liches Kaiferthum, in welchem nad dem Ansfterben der regierenden Familie die Stände von 
Ungam und Böhmen das Recht haben, einen neuen König zu wählen, während In den übrigen 
Ländern der legte Herrfcher feinen Nachfolger beftimmt. Die nachgeborenen Prinzen führen 
den Zitel kaiſeri. Prinzen von D., Lonigl. Prinzen von Ungarn und Böhmen, Eraherzoge zu 
D. Das regierende Haus bekennt fi zur kath. Religion; doch wird dies nicht von den Gemah⸗ 
Iinnen der Erzherzoge gefodert. Der kaiſerl. Hofflaat beftcht aus vier oberften Hofämtern 
(Oberfthofmeifter, Oberfitämmerer, Oberſthofmarſchall, Oberftftalfmeifter) und acht Hofdien- 
ften, fämmtlich unter dem Oberfthofmeifter, und wird bei befondern. Belegenheiten durch den 
außerorbentlichen Hofftaat vermehrt. Zu diefem gehören die Erz- und Erbämter ber einzelnen 
Kronländer, die Kämmerer und Geh. Räthe, welche aber als folche keinen Gehalt beziehen. Die 
Kaiferin und Sämmtliche Erzherzoge und Erzherzoginnen haben einen eigenen Hofhalt. Die 
acht Ritterorben find theils Geburtö- oder Hausorden, wie der des Goldenen Vließes, ben D. 
feit dem Ubfterben der habsburger Linie in Spanien vergibt, und der Sternfreuzorden für 
fürftliche und hochadelige Damen, geftiftet 18. Sept. 1668 von der Kaiferin Eleonore, Ge 
mahlin Leopold's I., theils Verdienſtorden. Zu ber Iegtern Art gehören der militärifche Maria⸗ 
Therefienorben, am Tage des Siegs von Kollin, 18. Juni 1757 geftiftet; ber königlich ungar. 
Stephandorden, am Tage der Kaiferfrönung Joſeph's IL., 5. Mai 1764 für Civil und Militär 
geftiftet; der kaiſerl. Leopoldsorden, von Kaifer Franz I. 7. Jan. 1808 geftifter; der Orden der 
Eifernen Krone, für Staatsbürger ohne Unterfchied des Standes, geftiftet 7. Juni 1805 von 
Napoleon als König von Ftalien, erneuert 12. Febr. 1816 von Kaifer Franz I.; das militäri⸗ 
ſche Eliſabeth⸗Thereſien⸗Stiftskreuz, 1750 von der Witwe Karl's VI. geftifter und von ber Kai» 
ferin Maria Therefia für verdiente Generale und Oberfien erneuert; endlich der Franz⸗Joſephs⸗ 
orben, von dem jegigen Kaifer 2. Dec. 1849, am erften Jahrestag feiner Thronbefteigung ge» 
ftiftet zur Belohnung ausgezeichneter Berdienfte jeder Art ohne Unterfchieb des Standes; er 
zerfällt indrei Grade: Groß⸗, Eomthur- und Ritterkreuze. Zu diefem Orden iſt feit dem 16. Febr. 
1850 das Verdienſtkreuz, anflatt der bisherigen Goldenen und Sitbernen Eivilverdienftmedail- 
(en, in vier Abftufungen gefommen. Außer diefen Orden beftchen noch mehre Militärehren- 
kreuze und Ehrenmebaillen. An geiftlihen Orden beftehen die Deutſchen Ritter, die feit dem 
28. Juni 1840 als felbftändiges Inſtitut wieder anerkannt find und deren Großmeifter ſtets 
ein kaiſerl. Prinz ift; der Johanniter- oder Malteferorden, der erft feit wenigen Jahren mit Be 
willigung des Kaifers in D. wieder Gandidaten aufzunehmen begann; die Kreuzherren vom 
rothen Stern, mit einem Stift in Prag. 

Die Landesverfaffung war bis 1848 in Ungarn und Siebenbürgen befchräntt, in ben 
übrigen Kronländern unumfchränkt monardifh. Doch hatten diefelben ſämmtlich bera- 
thende Kındflände, welche aus der Geiftlichkeit, dem Adel und den Bürgern (in Zirol 
auch aus Bauern) zufammengefegt waren. Durch die Umwälzung von 1848 und die fi 
daran nüpfenden Ereigniffe verloren die einzelnen Kronländer an Selbſtändigkeit und D. 
bildet jetzt einen Befammtftaat. Die oetroyirte conſtitutionelle Verfaſſung vom 4. März 

Gonv.⸗Lex. Bebnte Aufl, XI. 34 


530 Hſtreich 


1849, die eigentlich nie ins Leben trat, ſowie die in Folge derſelben erlaffenen Lande» 
verfaffungen der einzelnen Kronländer wurden aufgehoben und überhaupt die Verfaffungsm ! 


gelegenheiten neu organifirt burch die Sabinetsfchreiben vom 20. Aug. 1851 und durch de 
Patente vom 31. Dec. 1851. Wiewol Q. damit wieder bie conftitutionelle Bahn verließ, fiab 


doch mehre wefentliche Errungenfchaften beibehalten worden. Das Patent gemährleiftet jeder : 
gefeglich anerkannten Kirche und Religionsgefellichaft den Schug in dem Rechte der gemei«- 


famen öffentlichen Religionsübungen, in der felbftändigen Verwaltung ihrer Angelegenheiten, 
im Befige und Genuffe der für ihre Eultus-, Unterrichte- und Wohlthätigkeitszwecke beftimm- 
ten Anftalten, Stiftungen und Fonds. Diefem Grundfag gemäß ift denn auch das Verhältniß 
der Bath. Kirche zum Staate neu geftaltet. Diefelbe ift von der landesherrlichen Beauffichtigung 
befreit, das Placetum regium und das Kirchenpatronat aufgehoben, die kirchliche Disciplinar- 


jurisdiction und die unabhängige Güteradminiftration des Klerus gewährt, der Verkehr der | 


Bifchöfe und aller Katholiten mit Rom freigegeben. Die Geiftlihen brauchen keine Staatt- 
prüfung mehr zu beftehen, fie werben zwar von der Regierung ernannt, doch nur im Einver- 
nehmen mit den Bifchöfen, ohne welches fie auch nicht ihres Amts entfegt werben Tonnen. 
Endlich ift dem Klerus der entfchiedenfte Einfluß auf das Unterrichtsweſen, felbft auf ben Uni 
verfitäten eingeräumt. Ferner ift gewährleiftet die Gleichftellung aller Staatsbürger vor dem 
Geſetze ohne Rückſicht auf Nationalität, Stand und Religion, ſowie die Befreiung des Grund 
und Bodens von feudaler Zufammengehörigkeit und dinglichen Laſten mittel Ablofung. 
Schon durch die Gefege vom 7. Sept. 1848 und 4. Mär, 1849 warb die gänzliche Aufhebung 
des Robotenwefens garantirt, und neuere Patente orbneten die Durchführung ber Urbarial⸗ 
entfehädigungen, die Grundentlaftung und Regelung der zwifchen den ehemaligen Grundherren 
und gewefenen Unterthanen vermöge des Urbarialverbandes obwaltenden Nechtöverhälmifie 
an, 3. B. die Patente vom 2. Mär; 1855 für die Kronländer Ungarn, Wojewodſchaft Serbien 
nebit Banat, Kroatien und Slamonien. 

Was die Staatöverwaltung anbelangt, fo ift von den bis 1848 für bie oberſte Lei⸗ 
tung derfelben beftehenden neun Hofſtellen, nämlich der vereinigten Hofkanzlei, ber königl. ungar. 
Hoflanzlei, der fiebenbürg. Hofkanzlei, der Allgemeinen Hoflammer, der Hoflammer für Mimy- 


und Bergweſen, der Oberften Zuftizftelle, der Oberften Polizei» und Eenfurhofftelle, dem Ho ⸗ 


kriegsrath und dem General-Rechnungsdirectorium, nur die legte unter demfelben Namen 
übriggeblicben. An die Stelle der acht übrigen traten feitdem acht Minifterien, und zwar 
für den gefammten Staatstorper, während früher nur ber Hofkriegsrath eine Centralverwal⸗ 
tungsbehörde für die gefammte Monarchie vor, da für Ungarn und Siebenbürgen die zwei ge- 
nannten Hofftellen und befondere Randescentralbehörden (die königl. Statthalterei, die königl. 
Hofkammer, die königl. Septemviraltafel u. ſ. w.) beftanden. Bon den feit 1848 und 1849 or- 
ganifirten acht Minifterien ift aber durch ein Faiferl. Handfchreiben vom 17. Febr. 1853 dat 
Minifterium für Landescultur und Bergweſen aufgelöft und dem Minifterium des Innern un? 
der Finanzen überwieſen, aud) durch eine Entfchliefung vom 10. Febr. und 12. Mai 1855 bie 
Militaradminiftration des Kriegsmwefens einem Armeeobercommando übertragen worden, ind: 
ches Tegtere aus der Militärcenrraltanzlei bes Kaifers und vier Sectionen beſteht. Sonach gibt 
es gegenwärtig nur ſechs Minifterien, nämlich : das Minifterium des k. k. Haufes und des Ku 
Bern ; das Minifterium des Innern mit einem Directorium der (15. Nov. 1849) gegründeten 
geologifchen Reichsanſtalt; dad Minifterium des Eultus und des Unterrichtd; dad Minifterium 
der Finanzen mit fünf Sectionen; das Minifterium der Juſtiz; dad Minifterium für Handel, Gr 
werbe und öffentliche Bauten mit Sectionen für Handel und Gewerbe, für Rechnungsweſen 
und adminiftrative Statiftik, einer Generaldirection der Communicationen u.f.w. Sn dem Mi⸗ 
nifterrathe führt ein vom Kaifer befonders dazu ernannter Minifterpräfident den Vorfig. Da! 
Minifterium ift blos Vollziehungsorgan des Kaifers, nur diefem zur Treue verpflichtet und ver 
antwortlid) ; ihm fteht die Berathung der Gefege, Verordnungen und Verwaltungsgrundfük 
und die Gegenzeichnung der kaiſerl. Gefege und Verordnungen zu. Außerdem befteht feit dem 
1. Zuni 1852 eine Oberfte Polizeibehorde, unabhängig von dem Minifteriunm des Sinner. 
unmittelbar unter dem Kaifer. Dem Minifterium nebengeordnet ift der Reichsrath (errichtet 
durch das Geſetz vom 14. April 1851 und feiner Stellung nach geregelt durch das Cabinet⸗ 
fhreiben vom 20. Aug. 1851), welcher, mit dem Minifterium in feinem Verkehr ſtehend, alt 
Rath der Krone nur an den Kaifer gewiefen ift und unter dem Vorfige feines Präſidenten oder 
des Kaiſers diejenigen Fragen der Gefeggebung berathet, die ber legtere ihm vorzulegen für gut 


findet. Er beſteht aus Notabilitäten von unabhängiger Stellung (gegenwärtig aus dem Pr 





Oſtreich 531 


fidenten und elf Reichsräthen mit dem Titel Wirklicher Geh. Käthe), welche der Kaifer ernennt. 
Für einzelne Falle konnen als Sachverſtändige und Vertrauensmänner Männer aus allen 
Ständen und Kronländern zur Berathung der Vorarbeiten zugezogen werden. - 
Durch ein Patent vom 51. Dec. 1851 wurden die Grundfäge für die organifchen Einrich 
tungen der Kronländer beftimmt, die indeß zum Theil noch der Ausführung entgegenfehen. An 
ber Spige eines jeden Kronlandes fteht die Politifche Landes ſtelle, d.i. in der Regel ein Statthal- 
ter. Nach der Minifterialverordnung vom 19. Jan. 1853 hat die Politifche, Landesftelle in 
Salzburg, Kärnten, Krain, Schlefien und der Bukowina den Titel Kandespräfident; im König. 
reihe Kroatien und Slawonien fteht als Statthalter der Banus mit der Banalregierung 
an der Spige; in Böhmen, Galizien und der Woiewodfchaft fteht dem Statthalter ein 
Bicepräfident zur Seite; in Ungarn fleht nach der Verordnung vom 10. San. 1855 an 
ber Spige der Statthalterei- und Gentralverwaltung ein Civil- und Militärgouverneur, 
dem die Vicepräfidenten der fünf Statthaltereiabtheilungen Pefth, Presburg, Kaſchau, Obden- - 
burg und Großwardeien beigeordnet find; im Küftenlande ift Statthalter der Civil- und Mil» 
tärgouverneur von Triefl; das Lombardifch-Benetianifche Königreich flieht umter einem Gene 
ralgouverneur zu Derona (Radetzky), der einen Verwalter der Civilangelegenheiten (Rechberg) 
zur Seite hat, während jedes Kronland, Mailand und Venedig, einen eigenen Statthalter hat. 
Unter der Politifhen Landesftelle fteht, wo eine Eintheilung in Kreife oder Regierungsbezirke 
vorhanden, wie in Steiermark, Zirol, Böhmen, Mähren und Küftenland, eine Kreisbehörbe 
and an deren Spige ein Kreißpräfident, bem wieder Kreisräthe beigeorbnet find. Diefelbe Stel- 
Iung haben in Stalien die Delegaten, in Ungarn, Kroatien, Slawonien die Obergefpane, in der 
Wojewodſchaft die Diftrietsobercommiffare. Diefe Kreisbehörden haben theils einen über- 
wachenden, theild einen ausübenden und adminiftrativen Wirkungskreis. Unter ihnen ſtehen die 
landesfürſtlichen Bezirksämter und an ihrer Spige der Bezirtshauptmann (in Dalmatien der 
Dräfect, in Kroatien und Slawonien der Vicegefpan, in der Wojewodſchaft der Bezirkscommiſ⸗ 
far, in Ungarn an der Spige eines Comitats ber Comitatsvorftand, an ber Spige bes Stuhl. 
bezirks der adminiftrative Stuhlrichter), dem Bezirkscommiſſare zur Seite ftehen. Dieſer Ver⸗ 
waltungsbehörbe liegt die Sorge ob für Kundmahung und Vollziehung der Gefege, für Sicher- 
heits· und Preßpolizei ihres Gebiets, ferner die Erhebung ftatiftifcher Angaben, Mitwirkung 
ur Ergänzung und Verpflegung des Heeres, bei Bemeffung und Erhebung der Steuern, das 
fe, Heimats« und Fremdenweſen, Gewerbe: und Handelsfachen, Sanitätswelen, Gemeinde 
angelegenheiten, Kirchen-, Schul«, Stiftungs-, Landesculturfachen, Oberauffiht über Wohlchä- 
tigkeitsanftalten und alle öffentlichen Inftitute, Inflandhaltung der Land- und Waſſerſtra⸗ 
ſßen u. ſ. w. Den Statthaltereien, Kreisbehörden und Bezirksamtern find zur Wahrung der 
Intereſſen der Bevölkerung noch Landes⸗, Kreis- und Bezirksausfchüffe aus der Bevölkerung 
des betreffenden Gebiets beigegeben, die aber blos berathende Stimme haben. Die Bezirksaus⸗ 
ſchüſſe beftehen aus den Vorſtänden der einbezirkten Gemeinden und den Eigenthümern des au- 
Ber dem Bemeindeverbande ftehenden großen Grundbeſitzes oder deren Stellvertretern, die Kreis. 
umd Landes ausſchüſſe uber aus dem befigenden Erbadel, dem großen und Fleinen Grundbeſitze 
und der Inbuftrie. Die durch das Patent vom 31. Dec. 1851 angeordnete Organifation der 
Gemeinden (nad) Aufhebung der Gemeindeordnung vom 17. März 1849) hält den Unterfchied 
zwiſchen Zand- ımd Stadtgemeinden feft. In Anfehung der letztern ift namentlich die frühere 
Tigenſchaft und befondere Stellung der königl. und Iandesfürftlihen Städte beachtenswetth. 
Bei den Landgemeinden kann der herrichaftliche große Grimdbefig von dem Verbande auißge- 
ſchloſſen und unmittelbar den Bezirfsämtern unterftellt werben. Die Gemeindebehörden find 
Borftand und Ausfchuf, diefer von der Bevölkerung, jener in der Regel von diefem aus ſich 
gewählt. Die Gemeindevorftände werben von der Regierung beftätigt, nad) Umftänden ſelbſt 
‚ernannt. Den überwiegenden Intereffen wird ein übermwiegender Einfluß zugeflanden und fo- 
wol bei den Activ- als Paſſivwahlen für die Gemeindebehörden als in den Gemeindeangelegen- 
heiten dem Srundbefige nad) Maßgabe feiner Ausdehnung und feines Steuerwerths, dem Ge⸗ 
werböbetriebe aber im Verhälmiffe zu dem Gefammtgrundbefige, in ben Städten insbefondere 
dem Hausbefiger, dann fo viel mie möglich den Eorporationen für geiftige und materielle Zwecke 
das emtfcheidende Übergewicht gefichert. Auch in’den eigenen Gemeindeangelegenheiten find 
wichtigere Befchlüffe der Prüfung und Beflätigung der Iandesfürftlichen Behörden vorbehal« 
ten. Die Gemeindeverhandlungen find nicht öffentlich. Die Gemeinden find in der Regel den 
Berirksämtern ımtergeortnet. Wien und Trieft find reichsunmittelbar und Moden unter bem 


532 Oſtreich | | 
Statthalter; ebenfo bilden Prag, Temeswar, Neufag, Therefiopol, Zombor und Groß-Bech- 
kerek in ber Wofewodfchaft befondere Verwaltungsbezirke unter den Kreisbehörden. Die Mil 
tärgrenge (f.d.) ift als Militärkörper der vollziehenden Reichsgewalt unmittelbar untergeordnet. 
Die Veröffentlichung der Gefege gefchieht durch das Reichögefegblatt, welches 1848 gegründet, 
1850 weſentlich umgeftaltet und neuerdings durch ein Patent vom 27. Dec. 1852, gleich den 
. Randesgefegblättern der einzelnen Kronländer, Veränderungen unterzogen wurde. Es erfchien 
bis zum Sept. 1852 in zehn Sprachen, und zmar jede Ausgabe, außer der deutfchen, in doppel⸗ 
tem Texte, in der beutfchen und in der Provinziallandesfpracdhe; ſeitdem erfchien ed nur in deut⸗ 
fcher und ital. Sprache. 

Auch bei der jüngften großartigen Reform und Organifation der Jufligverwaltung ift 
das Princip der Staatseinheit feftgehalten. Die Grundzüge derfelben wurden durch bie 
Verordnung vom 14. Juli 1849 aufgeftellt, dur das Patent vom 31. Dec. 1851 aber 
weſentlich umgeftaltet und zum Theil vereinfacht. Als Grundfäge derfelben gelten: Gleid- 
ftellung aller Staatsbürger vor dem Geſetze, daher Aufhebung der privilegirten Gerichte 
(welche ſchon 17. Sept. 1848 erfolgte), mit Ausnahme des Gerichtöftandes für die Glieder 
des kaiſerl. Hauſes; Ausübung des Richteramts im Namen des Kaiſers durch unabhängige, 
vom Staate ausgehende Organe; Trennung ber Rechtspflege von der Verwaltung, außer im 
Allgemeinen bei den Eingelgerichten als erften Inftanzen; endlich ein dreifacher Inſtanzenzug. 
Was die Drganifation der Civilgerichts behörden betrifft, deren innere Einrichtung und Ge 
(chäftsordnung neuerdings wieder burch die Patente vom 20. Nov. 1852, vom 16. Febr. und 
samentlich vom 3. Mai 1853 ihre jegige Norm erhalten hat, fo find als Gerichte beftellt: 1) die 
Bezirkögerichte oder Einzelgerichte, beftehend aus einem .Einzelrichter, der meift Verwaltungs⸗ 
beamter ift, und 1—3 Adfuncten: fie entfcheiden in erfter Inftanz über die Givilangelegenbeiten 
Bis zu einer beflimmten Summe und über alle nicht der Gemeindepoligei zugewielenen Übertre 
tungen; 2) die Bezirfscollegialgerichte, für die mehre Bezirke umfaſſenden und meift mit ber 
politifchen Einiheilung zufammenfallenden Diftricte errichtet und aus einem Landesgerichtb⸗ 
rath und 3— 5 Affefforen beftehend : fie entfcheiden in erfter Inftanz über alle weber den Ein⸗ 
zelgerichten noch ben Randeögerichten zugemiefenen Rechtsangelegenheiten, Vergehen und Ver⸗ 
brechen, befonders über Preßvergehen, und haben die Vorunterſuchung für die Landesgerichte 
zu führen; 5) die Zandesgerichte, deren Sprengel eine den befondern Verhältniffen angemeſ⸗ 
jene Anzahl von Bezirkscollegialgerichten umfaßt und die aus fünf Richtern und einem Vor⸗ 
figenden beftehen: fie entfcheiden zufolge des Patents vom 11. San. 1852, durch welches auch 
die Offentlichkeit bei ftrafgerichtlichen Verhandlungen eingefchräntt wird, faft über diefelben 
Verbrechen wie die feit 1848 eingeführten, aber durdy das Patent aufgehobenen Schwurgerichte 
(an benen fie bis dahin betheiligt waren), über Aufruhr, Fälſchung, Mord, Todtfchlag, Brand- 
ftiftung, Raub, Diebftahl u. f. w., wenn die Strafe 5—10 J. Kerker beträgt; 4) die Oberlan- 
deögerichte, deren es gegenwärtig 19 gibt, nämlich je eins für jedes Kronland (mie auch eins 
für den Verwaltungsbezirk ber Wojewodſchaft nebft Banat, aber keins für die Militärgrenze) 
oder für mehre vereinigte Kronländer (wie das zu Wien für Ober- und Nieberöftreicy und Salz 
burg, das zu Brünn für Mähren und Schlefien, das zu Gräg für Steiermark, Kärnten und 
Krain), mit Ausnahme von Ungarn, welches deren fünf hat (zu Pefth, Presburg, Odenburg, 
Eperied und Großwardein) und von Galizien, deſſen öftlicher Theil nebft der Bukowina eins 
(zu Xemberg) und der meftliche Theil ein zweites (zu Krakau) hat: fie entfcheiden, von einem 
Präfidenten dirigirt, in Eivil- und Criminalangelegenheiten als zweite Inſtanz; 5) der Oberfle 
Gerichts und Caſſationshof zu Wien, die oberfte Juſtizbehörde der Monarchie, der die dritte 
Inftanz bildet und gegenwärtig aus einem oberften Präfidenten, fünf Senatspräfidenten und 48 
Räthen zufammengefegt ift. Außerdem beftehen noch 6) die Caufalgerichte, d. i. Handels-, 
Wechſel⸗, See- und Berggerichte, getrennt für fih. Das Militär hat befondere Militärgerichte, 
deren zwei höchſte Inftanzen das Allgemeine Militärappellationsgericht und der Oberfte Milie 
tärgerichtöhof find, umd denen auch die Militärgrenge unterworfen ift. 

Rückſichtlich des Gerichtöverfahrens findet bei den Bezirfsämtern das inquifitorifche Ver» 

«fahren in möglichft einfacher Form ftatt; bei den Collegialgerichten gilt der Grundfag der 
Anklage, der Beftellung eines Vertheidigers für den Angellagten und der Mündlichkeit im 
Schlufverfahren. Offentlichkeit ift ausgefchloffen; doch wird bei der mündlichen Verhandlung 
in erfter Inflanz dem Angeklagten, mit Bewilligung des Vorfigenden, fowie dem Kegtern eim 
geräumt, Zuhörer Bis auf eine beftimmte Zahl (in Wien nicht über 30, bei den andern Landes⸗ 
gerichten bis auf 20 Perfonen) zugufaffen, und zwar nur folche, die ein wiffenfchaftliches In« 


| Ofreich 533; 
tereffe daran haben. Drei Bertrauensmännern ber Parteien, den juridifhen Magiſtraten, den 
höhern Polizeibeamten und den Profefjoren der Rechtswiſſenſchaft ift der Zutritt zu jeder Zeit 
freigeftelle. Die Anklage wird durch die Staatsanwaltichaft vermitteit, deren Wirkungskreis 
auf den Staatsproceß beſchränkt iſt. Gegen das Urtheil des Gerichts kann hier feine Appella⸗ 
tion ergriffen, ſondern nur eine Nichtigkeitsbeſchwerde bei dem Caſſationshofe eingereicht wer⸗ 
ben. Die Oberlandeögerichte und der Oberſte Gerichtshof entfcheiden in nichtöffentlichen 
Sigungen ohne Zulaſſung eines Vertheidigers oder Staatsanwalts (die Generalprocuratur 
am Kaffationshofe wurde 17. Jan. 1852 aufgelöft) und das Verfahren ift nur fchriftlih. Am 
7. Mai 1852 wurde die Prügelfirafe als Disciplinarftrafe in der Vorunterſuchung, jedoch 
nur bei Beleidigungen der Richter ober boshaften Zerftörungen von Arrefteinrichtungsftüden 
und Comploten der Gefangenen, wenn ein anderes Mittel nicht ausreicht und dad Bericht 
durch einen Beſchluß feine Zuftinnmung gibt, wieder eingeführt. 

Die Rechtöpflege gründete ſich früher auf das Allgemeine bürgerliche Gefegbuch von 1811 
und das Strafgefegbuc, von 1804. Das erftere erfuhr durch das Patent vom 29. Nov. 1852 
eine Beſchrankung in feiner Anwendung auf Ungarn, Kroatien, Slawonien und die Wojewod⸗ 
Schaft nebft dem Banat, welche vom 1. Mai 1853 an in Kraft trat. Yon dem Strafgefegbuch 
wurde Durch das Patent vom 27. Mai 1852 eine durch fpätere Befege ergängte und durch die 
Aufnahme ded Vereins und Preßgefeges vermehrte Ausgabe eingeführt. Daſſelbe ift das 
alleinige Steafgefeg über Verbrechen und ſchwere Polizeiübertretungen für den ganzen Um⸗ 
fang der Monarchie mit einziger Ausnahme der Militärgrenge. Es ift mit dem 1. Sept. 1852 
in Kraft getreten, womit denn zugleich die particularen Geſetze der einzelnen Kronländer erlo⸗ 
fhen. Nach der neuen Preßverordnung, durch welche dad Prefgefeg von 1849 befeitigt warb, 
ift die Cenfur aufgehoben ; vor der Ausgabe muß aber ein Abdrud der Polizeibehörde über- 
liefert werben. Die Aufficht über die Preffe wird von der Verwaltung geführt. Zur Heraus. 
gabe von Zeitungen bedarf e8 außer einer Cautionsleiſtung bis zu 1000 Gldn. Conv.M. der 
Gonceffion der Oberften Polizeibehorde, welche nad, zweimaliger Verwarnung jedes Blatt 
auf immer, wie der Statthalter auf eine beftimmte Zeit, unterbrüden, ſowie auch ausländiſche 
Dreferzeugniffe verbieten kann. Die Befchlagnahme von Drudichriften durch die Polizei kann 
nur im Verwaltungswege aufgehoben werden. Der Recurs dabei geht an die Oberfie —**— 
behörde. Über Vergehen und Verbrechen der Preſſe entſcheiden die Bezirkscollegialgerichte nach 
dem Strafgeſetzbuch. 

Die Finanzverwaltung ift feit 1848 neu organifirt worden. Die Gefchäfte des Fi- 
nanzminiſteriums verwaltete früher die allgemeine Hofkammer in Wien. Unter biefer flan- 
den in den deutſchen und flawifchen Kronländern acht vereinigte Gentralgefälleverwaltun- 
gen. An deren Stelle ftehen jegt, feit 4. Juni 1850, die allgemeinen Finanzlandesbehör ⸗ 
den unter Oberleitung der Statthalter. Sie find für mehre Verwaltungsgegenftände zu⸗ 
gleich beſtimmt, haben ihren Sig in den Hauptſtädten der Kronländer und zerfallen in zwei 
Claſſen: Finanzlandesdirectionen, welche fämmtlihe Finanzangelegenheiten, und Steuerdirer- 
tionen, welde insbefondere die directen Steuern verwalten. Zeptere find beftellt in Oberöſtreich, 
Salzburg, Dalmatien, Kärnten, Krain, Schlefien und der Bukowina, erftere in Nieberöftreich 
(zugleich für die Finanzſachen mit Ausschluß der Directen Steuern in Oberöftrei und Salzburg), 
in Steiermark (zugleich für Kärnten und Krain), Tirol, Küftenland (mit für Dalmatien), Böh⸗ 
men, Mähren (mit für Schlefien), Galizien (mit für die Bukowina), Ungarn (mo indeß nicht 
der Statthalter, fondern ein eigener Präfident an der Spitze fteht), Kroatien und Slawonien, 
Wojewodſchaft, Siebenbürgen, Lombarbei. Diefen beiden Mittelbehörben find untergeordnet bie 
Bezirkshauptmannſchaften für die Verwaltung der directen Steuern und den Landesfinangbi- 
rectionen die Kameralbezirksverwaltungen für die übrigen Binanzgefchäfte. Die Iegtere Stelle 
vertreten in Kroatien, Stawonien, der Wofewodfchaft, Ungarnund Siebenbürgen bie Finanzbe⸗ 
zirksdirectorien, in ber Lombardei und Venedig die Finanzintendanzen. Die unterften Finanz» 
behörden find nad) der Mannichfultigkeit der Cinnahmezweige verfchieden und zahlreich, wie 
Bezirköfteuerämter, Zoll«, Stempel- Zarämter u. ſ. w. Dagegen fteht unmittelbar unter bem 
Finanzminifterium feldft eine Reihe für einzelne Verwaltungszweige beflimmter Behörden, wie 
die Direction des Tilgungsfonds zu Wien, die Präfectur des Monte des Lombarbifch-Benetiani- 
ſchen Königreichs zu Mailand, die Dikafterialgebäude-, die Tabacksfabriken⸗, die Rotteriegefälle- 
und die Direction der Porzellanfabrit zu Wien, das Generaltagamt, die Staatsdruckerei, die Ge» 
neraldirection des Grundfteuerkatafters, das Hauptmünzamt, das General- Land- und Haupt 
münzprobieramt, da6 Punzirungsamt zu Wien. Für das Kaffenwefen ift die Staatscentralkaſſe 


N . . . 1 


das oberfte Organ bes Sinangminifteriums. Ihr zur Geite ſtehen neun Staatthauptkafſen: das 
Hofzahlamt, das Univerſalkrlegs zahlamt, die Staatsichufdentilgungsfonbdshauptkaffe di. ſ. w. 
Regelmäßige Mittelkaflen find Die Landeshauptlaflen in den einzelnen Kronlänbdern, bie Sam 
melkaſſen (meift zugleich örtliche Erhebungskaſſen), die Einnahmeelementartaffen (Steuer 
änıter) u. ſ. f. Für die Controle des Rechnumgswefens des Staatöhaushalte iſt das General 
rechnungẽdirectorium bie Gentralbehörbe, dem elf Centralſtaatsbuchhaltereien für Die einzelnen 

Hauptzweige der ſtaatswirthſchaftlichen Verwaltung und bie Statthaltereibudhhaltungen in den 
einzelnen Kronländern untergeordnet find. Ä 

Der Staatscredit D.6 mar durch die erfchöpfenden Kriege der erften 15 I. des law 
fenden Jahrhunderts fo ſtark erfchüttert, daß bie bereits zwei mtal rebucirten großen Maf 
fen bes Papiergeldes und ber Anticipationsfcheine wieder bis auf 25 Proc. Nominalwerth 
gefunken waren. Selbſt fünfprocentige Anleihen konnten nur mit den größten Opfern zu 
Stande gebracht werden und gewährten felten mehr als 45— 60 Proc. baaren Geldes. 
Mit den vier Patenten. vom 1, Juni 1816 begann eine neue Epoche für die Wefefligung 
bes Staatscredits, die bereits nah 30 J. ein fo günſtiges Ziel erreicht Hatte, daß au 
bie vierprocentigen öftr. Staatspapiere höher als zum Paricurs angelauft wurden. Die 
vier Patente bezwedten die allmälige Tilgung des vorhandenen Papiergeldes durch freiwillige 
Einlöfung, die Zurüdführung des Geldumlaufs auf edles Metall, die Errichtung einer Ratte 
nalbank auf Actien als Geldſtaatsinſtitut und bie Bildung eines unabhängigen und unangreif- 
baren Tilgungsfonds. Die damals vorhandenen 450 Mill. Gldn. Papiergeld waren nah 303. 
eingelõſt, und der Tilgungsfonds, ber 1817 ein Stammvermögen von 50,1355627 Son, enthielt, 
hatte nun einen Dermögenöftand von mehr als 200 Mil. Gldn. Inzwiſchen hatten bie man 
nichfachen finanziellen und politifchen Verwickelungen, namentlich in den Beziehungen zu den 
ital. Staaten, fehr häufig neue verzinsliche, auf Metallgeld erhobene (Metalliques) Anleiten 
nöthig gemacht, fobaf die gefammten Staatsfchulden Ende Juni 1848, auf fünfprecentigen 
Binsfuß reducirt, auf 831,706654 Gihn. berechnet wurden, während fie 1818 nur auf 500 
Mill. Gldn. veranfchlagt wurden. Die hauptſaͤchlichſte Aufgabe des neuen D. war num, eine 
beſſere Organiſation des Staatshaushalts eus buch Bildung eines neuen Steuerfy⸗ 
fteıns, Gleichverpfüchtung fämmtlicher Kronländer und aller Stände, Durdführımg von Er- 
fparniffen in den Ausgaben, Verbefferung des Zollweſens (insbefondere Aufhebung der Zwi⸗ 
ſchenzolllinie), Ordnung des Schuldenwefens u. f. m. Durch die zu diefem Behuf getroffenen 
Maßregeln flieg nach 1848 und 1849 auch die Staatdeinnahme fehr bedeutend. Sie beiief ſich 
1846 noch auf 164,236758, 1847 auf 161,738151, 1848 freilich auf 121,819615, 1849 
auf 144,013758, dagegen 1850 bereits auf 191,296457, 1851 auf 223,252038 und 1852 
auf 226,365108 Glon. Bon ber legtern Summe famen auf die directen Steuern (Grund⸗, 
Häufer-, Erwerb⸗, Eintommenfteuer u. f. w.) 79,537902 Gidn, auf bie indirecten Abgaben 
: (Berzehrungsfteuer, Zoll«, Salz«, Tabadögefälle, Stempel, Zaren, Lotto⸗, Poft:, Mauthgefälle 
u. f. w.), 122,367910 Glon., auf die Einnahmen vom Staatseigentyum, Münz- und Berg- 
weſen 5,011788, auf die Überfchüffe im Tilgungsfonds 11,959317, auf verfchiebene ordent- 
liche Cinnahmen 5,929351, auf außerordentliche Einnahmen 1,558840 Gldn. Die Ausga- 
ben wurden durch zweckmäßige Verwaltungseinrichtungen befchräntt, andererfeits freilich in 
Folge des durch die Zeitverhältniffe,. beſonders wieder 1850 gebotenen größern Aufmandes für 
das Militär bedeutend erhöht, jedoch in legterer Beziehung neuerdings durch zum Theil fchon 
durchgeführte Erfparniffe ermäßigt. Es beliefen fich die Ausgaben 1846 auf 180,113385, 
1847 auf 209,141501, 1848 auf 186,679486, 1849 auf 289,468048 Gldn. (für das 
Minifterium des Kriegs 157,887369), 1850 auf 268,458060 (Krieg: 126,262936 Gibn.) 
1851 auf 278,420470 (Krieg: 114,999292) und 1852 auf 279, 812439 Gldn. (Krieg: 
110,843321). Das Deftcit belief fich alfo 1846 auf 15,877127 Glön., 1847 auf 47,403350, 
1848 auf 65,859861, 1849 vollends auf 139,850916, 1850 auf 77,161625, 1851 auf 
55.168452 und 1852 auf 53,447531 Gldn., ift mithin neuerdings in Abnahme begriffen. 
Die Staatsgebarung von 1852 ftellt als „Einnahme an befondern Zuflüffen” die Sum- 
me von 191,860896 Glon. auf. Davon fei verwendet zur Dedimg des Deficits, Ver⸗ 
minderung der Staatsfchuld, Einlöfung des Staatspapiergelds u. f. w. die Summe von 
169,561077 Gldn., woraus fi eine Mehreinnahme von 22,499819 Gldn. Conv.⸗M. ergebe. 
Die effective Staatsſchuld von 831,706654 Glon. am Ende Juni 1848 wurde durch die in 
Folge der Revolution und des Kriegs nöthig gewordenen Anleihen bedeutend gefteigert, ſodaß 
fie Anfang 1851 anmähernd auf 1023,200000 Sihn. Eonv.-M. berechnet ward. Solche 


Ä Oſtreich 306 

Anleihen waren: die vom I. 1848 bei der Nationalbank zu Wien, welche mit ber Finanz⸗ 
lage des Staats in engerm Zuſammenhang fteht (f. Banken), im Betrage von 30 Mul. 
Glön. gegen 5 Proc. ; eine dergleichen bei der Bank, vom Reichstag bis zu SOMIU. genehmigt; 
1849 eine vierprocentige von 71,217800 Gldn. vom In- und Auslande; 1850 die lombatb⸗ 
venet. Zmangsanleihe von 100 Mil. Lire, die fpäter in eine Zandesfchuld umgewandelt wurde; 
im Sept. 1851 eine Subfcriptioneanleihe von 85,569800 Gldn. zur Verbefferung der Valuta⸗ 
verhältniffe eröffnet und meift im Inlande aufgebracht; im Mai 1852 eine fünfprocentige Sil⸗ 
beranleihe von 55 Mil. Gldn. (5% MIN. Pf. &t.) vom Auslande ; im Sept. 1852 eine neue 
fünfprocentige inländifhe Staatsanleihe von 80 Mil. Gldn., durch freiwillige Einzeichnung 
contrahirt, wovon 25 Mill. für Papiereinziehung beftimmt und feitdem auch bereits verwendet 
wurden. Als eine verbedte Anleihe ift die Übernahme der Wailen- und Deprfitengelder, im 
Betrage von wenigſtens 950 Mil. Gldn., durch den Staat (1852) zu betrachten. Nach Berüd- 
fichtigung der Rückzahlungen haste ſich die oftr. Staatsſchuld, Papiergeld, Bankſchuld und alle 
Berbindlichkeiten, welche aus der Grundentlaſtung hervorgehen, bis Juni 1852 eingerechnet, 
auf etwa 1200 Mill. Gldn. zu 5 Proc. verzinslich erhöht. Dies beträgt auf den Kopf der Be⸗ 
zölferung 32 Glön., während die Staatsichuld, wenn bie verzinslihe auf 5 Proc. reducirt 
wird, in Holland 200, in Großbritannien 180, in Frankreich 90, in Belgien 60, in Preußen 
14 Stdn. für den Kopf beträgt, wobei freilich nicht zu überfehen ift, Daß die Thätigkeit der Be⸗ 
oölkerung in jenen Staaten größer und fruchtbarer ale in O. ift. 

as die Vertheidigungskräfte betrifft, fo hat D. ein felbftändiges ſtehendes Heer eigentlich 
erfi feit dem Weſtfäliſchen Frieden (1648) unterhalten, da die fortwährende Verbindung des 
Erbſtaats mit der rom. Kaiſerwürde e8 möglich machte, die deutfche Reichshülfe für die im In⸗ 
ereſſe feiner Länder zu führenden Kriege in Anſpruch zu nehmen. Als aber die Reichsfürſten 
uch den gendnnten Frieden eine unabhängige Stellung gewonnen hatten und nun haufig eine 
yon der öftreichifchen verfchiedene, ja diefer oft entgegengefeste Poritit befolgten, fahen ſich bie 
Raifer genöthigt, eine für fich beftehende permanente Kriegsmacht zuunterhalten. Diefe fand in 
yen befländigen Kriegen mit den Türken und mit Frankreich unter Leopold I., Joſeph I. und 
Karl VI. Hinlängliche Ubung, beftand aber Damals noch vorzugsweife aus Fremden. Erft als 
Maria Therefia mit zahlreichen Feinden zugleich in Kampf gerieth und geübte Söldner nir⸗ 
jends in größern Maffen zu gewinnen waren, bildete ſich eine ber großen Mehrzahl nach aus 
Singeborenen beftehende Kriegsmacht, die während bes Siebenjährigen Kriege und wieder in 
en neuern Kriegen mit Frankreich fortwährend vermehrt wurde. In der neueften Zeit hat das 
Rriegöwefen mehre wefentliche Reformen erfahren. Der Grundfag der Gleichheit aller Staats⸗ 
yürger vor bem Gefege ift durch dad proviforifche Rekrutirungsgefeg vom 5. Dec. 1849 aud 
n Bezug auf die Militarpflichtigkeit durchgeführt worden, indem bie im Nefrutirungspatente 
von 1827 ausgefprochene Befreiung des Adels von der Militärpflichtigkeit aufgehoben wurde. 
Der Eintritt in das Heer wird durch das Roos beftimmt; die Stellvertretung ift nur in fehr be- 
chränkter Weiſe geftattet. Die Dienftzeit dauert vom 1. San. 1850 an ſechs Jahre, vom voll- 
:ndeten 20. biß zum vollendeten 26. Lebensjahre. Darauf tritt der Soldat in die Reſervearmee, 
velche Durch das Patent vom 31. Juli 1852, nach Aufhebung der feit 1805 beftehenden Land⸗ 
vehr (f. d.) und der Ungarifchen Infurrection (f. d.), für bie ganze Monarchie mit Ausnahme 
er Militärgrenze eingeführt worden ift und in welcher eine zweijährige Dienftzeit und keine re⸗ 
jelmäßige Waffenübung aufer bei den in activen Dienfte ftehendben Mannfchaften ftattfindet. 
Die 1848 errichteten Nationalgarden wurden 1851 aufgehoben, wogegen an beflimmten Or⸗ 
en die mit befonderer Bewilligung entflandenen Bürger- und Schügencorps fortbeftchen. 
Der Oberbefehlöhaber der gefammten Armee ift ber Kaifer, der zugleich Chef des oben erwähn⸗ 
en, feit dem Mai 1853 die Stelle des Kriegeminifteriums erfegenden Armeeobercommandos 
ft. In Folge der Organifation vom 1. Nov. 1849 ift das Heer ſelbſt in vier große Armeecome 
nandos mit 14 Armeecorps und das Militär- und Civilgouvernement ber vereinigten kroatiſch⸗ 
Tamwonifch-banatifhen Militärgrenzländer unter den Banus (zu Agram) eingetheilt. Letzteres 
‚Ahle vier Divifionen oder zehn Brigaden. Nach der neueften Organifation follen aber im Ba⸗ 
nat und der Wojewodſchaft, ſowie in Kroatien, Slawonien und Dalmatien eigene Militär und 
Sivilgouvernements gebildet werden. Die Chefs der vier Armeecommandos find die oberflen 
Bandesmilitärbehörden. Das erſte Armeecommando umfaßt Böhmen, Mähren, Schlefien, Nie» 
yer« und Oberöftreih, Salzburg, Steiermark und Tirol, hat feinen Sig in Wien, wie feine 
fünf Armeecorp& (1.,2,5., 4. und 9.) ben ihrigen in Prag, Brünn, Gräg, Bien und Bre⸗ 
zenz; das zweite zu Deroma umfaßt die Bombarbei, Benchig, Kärnten, Krain und das Küſten⸗ 


186 Hfitreich 


land, mit vier Arneecorps (5., 6., 7., 8.) zu Mailand, Görz, Verona, Bologna; das dritte | 


Peſtih umfaßt Ungarn und Siebenbürgen, mit vier Armeecorp6 (10., 11., 15. und 12) zu Grob 
woardem, Presburg, Pefth und Hermannftndi; das vierte zu Lemberg umfaßt Galizien und dx 


Bukowina und zählt ein Armeecorps (zu Lemberg). In abminifirativer Dinfiche find die Ar ' 


meecommandos in 16 Militärcommmandos eingeteilt. Das Heer zählte 1853 eine Generalitü 
von ſechs Feldmarfchälen (Erzherzog Johann, Radetzky, Windifhgräg, Nugent, Wimpffer 
und Paskewitſch von Eriwan), von 22 Feldzeugmeiftern und Generalen ber Savalerie, 10: 
Feldmarfhallieutenants und 139 Generalmajord. Der Beftand der Truppen war 1852 fe 
gender: 1) Kaiferl. Garden, beftehend aus der Arzierenleibgarde von 75 Offizieren; be 
Ionıbard..venet. Keibgarde (die ungarifche wurde 1849 aufgelöft); der Trabantenleibgarde 
von 92 Mann; der Keibgardegendarmerie von 100 Mann (ohne Offiziere) und der Hef- 
burgwache von 500 Mann. 2) Infanterie: 20 Grenabierbatailone, 65 Infanterieregimen- 
ter (33 deutſche und galizifche zu 5 Bataillonen, 20 ungarifhe und 8 italienische zu je 4 DB 
taillonen); 14 Grenzinfanterieregimenter zu 3 Bataillonen, ein Zichaitiftenbataillon, ein 
tiroler Jägerreginient von 7 Bataillonen und 25 andere Jägerbataillone, endlich 2 Grenzcor⸗ 
bon#bataillone in der Bukowina, im Ganzen 384 Bataillone; außerdem drei Sanitäts«, 6 Gar: 
nifonsbataillone und 5 Disciplinarcompagnien. 3) Cavalerie: 8 Regimenter Küraffiere in 
46 Schwadronen, 7 Dragonerregimmenter in 44, 42 Hufarenregimenter m 96 und 11 Ulanen- 
regimenter in 88 Schmadronen; außerdem eine Schwadron Stabsdragoner. A) Yrtillerie: 
5 Negimenter $eldartillerie mit 125 Batterien zu 8 Gefhügen und 10 Nefervecompagnien; 
ein Seuerwerfercorps von 16 Batterien und 3 Nefervecorps ; 8 Bataillone Feftungsartillerie; 
die techniſche Artillerie, und zwar 12 Compagnien Zeugartillerie, 3 Raketenzeugcompagnien, 
dazu eine Feuergewehrdirection, die Artilleriegeugverwaltung in 14 Diftricten, 2 felbftändige 
Artilleriebildungsanftalten und eine Armeewaffeninfpection. 5) Extracorps: 2 Negimen- 
ter Genietruppen, jebes zu 3 Feld- und 1 Xehrbataillon, zufammen 8 Bataillone oder 49 Kom- 
pagnien; ber Generalquartiermeifterjtab von 145 Offizieren ; das Militäringenieurgeographen- 
torps von AA Offizieren; dad Pionniercorps von A Bataillonen oder 25 Compagnien; das Fie- 
tillencorp& von 4 Compagnien, das Kuhrmweiencorps u. f. w. 6) 16 Gendarmerieregimen- 
ter. Nach der neueften Armeeorganifation durch das kaiſerl. Befehlöfchreiben vom 1. Aug. 
41852, weldye mit bem 1. Nov. ind Xeben trat, zählt die Armee: 1) 62 Infanterieregimenter, 
jedes zu A Feldbataillonen mitje einer Grenadier- und 5Fuüfeliercompagnien, dann eines Depdt- 
bataillons mit A Compagnien: der complete Stand diefer 4 Grenadier⸗, 20 Füfelier- und 4 De: 
pötcompagnien ift 5964 Mann und die Grenadiere bilden integrirende Theile der Feldbataillone 
und eine Elite. 2) Die Jäger werden durch Depötcompagnien vervollftändigt; jedes Bataillon 
zu 6 Compagnien und je 2 Bataillone zu 4 Compagnien erhalten eine Depötcompagnie. Je 
des der erſtern Baraillone zählt 1414 Mann, jedes der legtern mit der Depötcompagnie 1000, 
ohne biefelbe 860 Mann. Das tiroler Kaiferregiment erhält 3 Depötcompagnien und zählt 
63864 Dann. 5) Sarnifonsbataillone gibt es fortan nur 4, daß erfte zu 6 Compagnien a 10 
Mann, das zweite und dritte zu A Compagnien a 60 Mann; daß vierte bleibt auf dem bisheri⸗ 
gen Stand. 4) Die Cavalerie wird durch ein achtes Dragoner- und durch ein zwölftes Ulanen- 
regiment vermehrt. Jedes Regiment erhält eine Depstescadron, wonach ein ſchweres Cavale⸗ 
tieregiment 1549 Mann und 1158 Pferde, ein leichtes aber 2038 Mann und 1749 Pferde im 
completen Stande zählt. Chef der geſammten Armee iſt der Kaifer. 

Die Kriegsmarine, welche erſt feit der dauernden Wereinigung des venet. Gebiets unt 
Dalmatiend mit D. zum Schuge der inländifhen Schiffahrt gebildet worden ift, beſteht 


feit 1852, nach Aufhebung ber Admiralitätögefchwader , aus zwei Schiffs abtheilungen. 


deren eine für den Dienft im Adriatifhen Meere, die andere für die Levante beftimmt 
ift. Ende 1852 zählte fie 6 Fregutten mit 215 Kanonen, 5 Corvetten mit 92, 7 Briggs mit 
412, 6 Goeletten mit 58, 2 Prame mit 20, ein Bombardierfchiff mit 10, 34 Penichen mi: 
102, 18 Kanonierboote mit 60, 5 Schoonerbriggs mit 12, 11 Dampfer mit 61 Kanonen un? 
9 Zrabakel, zufammen 104 Schiffe mit 742 Kanonen. Den Perfonalbeftand der Marine bil: 
deten ein Viceadmiral, A Corvertenadmirale, A Rinien-, 11 Sregatten-, 14 Corvettenjchiffscarr 
täne, 36 Zinien- und 42 Fregattenfchiffslieutenants, A7 Linienfchiffs:, 34 Fregattenfähnriche 
und 127 Corpscadetten. Außerdem befigt D. auf der untern Donau und Eave eine fogenannte 
Donauflotille, befichend aus einer Anzahl Kriegsdampfer, deren Bemannung das Flotillen⸗ 
corps in vier Compagnien bildet; ferner eine Flotille auf dem Gardaſee niit dem befeftigten Ha⸗ 
fen Riva und ein Kriegedampfboot auf dem Rago-Maggiore. Eine Lagunenflotille und ein &x 





Dieb 8 
gumencorps beabfichtigt man in den Lagunen Venedigs zu errichten. Die Kriegsmarine ſteht 
unter dem Marineobercommanbo zu Trieft, wo auch die Centralfeebehörde ihren Eig hat und 
das Marinecadettencollegium bie Ausbildung zum Seedienft beforgt. Die vorzuglichften Kriegb- 
häfen find Venedig, Zrieft, Porto-Quieto, Pola, Zara, Cattaro und Liffe. Die Werften für 
Kriegsfchiffe befinden fich zu Venedig, Trieft und Pola. Vgl. Blumenbach, „Neueſtes Gemälde 
der oftr. Monarchie” (3 Bde, Wien 1831 — 33) ; Zimmermann, „Das Kaiſerthum 9. (2p3. 
1837); Sommer, „Das Kaiferthum Hu (Prag 1839); Derfelde, „DO. im 3. 1840” 
(2 Bde., 2pz. 1840); Springer, „Statiſtik des öfter. Kaiſerſtaats“ (Wien 1840); Turnbull, 
„Reife darch bie öfter. Etaaten” (Rpz. 1841 —42); Kohl, „Hundert Tage auf Reifen in den 
öftr. Staaten” (5 Bde, Dresd. und Rpz. 1842); Schmidl, „Das Kaiferthum D.” (10 Abth., 
Wien 1857 — 45); Derfelbe, „Handbuch für Reijende im Kaiferthum 9. (Wien 1844); 
von Czörnig, „Tafeln zur Statiftil der öſtr. Monarchie für das & 1842” (Wien 1846); 
Derſelbe, „Tafeln für das I. 1846” (Wien 1847); Schwarzer, „DO. Rand» und Eeehanbdel” 
(Trieft 1846); Meynert, „Neuefte Geographie und Staatenkunde des Kaiferthume D.” (Wien 
1852); Derfelbe, „Oftr. Vaterlandstunde” (Wien 1852); Hain, „Handbuch der Stati⸗ 
ſtik des oftr. Kaiferftaats” (2 Bde, Wien 1852—53); „Mittheilungen über Handel, Gewerbe 
und Berkehrömittel, ſowie aus dem Gebiete ber Statifti überhaupt, herausgegeben von der 
Direction der adnıiniftrativen Statiftif” (1. und 2. Jahrg, Wien 1850— 51); „Ausweife über 
den Handel von Oftreih u. f. m.” (Jahrg. 1 — 11, Wien 1842 — 53) ; „Mittheilungen 
aus dem Gebiete ber Statiſtik, herausgegeben von der Direction der adminiftrativen Statiftif” 
(Bien 1852); Hauer, „Uberſicht der Beränderungen in der Adminiftration und dem Haushalte 
der öftr. Monarchie (Wien 1852); Kotelmann, „Vergleichende ftatiftifche Uberſicht über Bie 
landwirthſchaftlichen und induftriellen fe D.8 und des Deutfchen Zollvereins“ (Berl. 
1852); von Pillersdorf, „Beleuchtung der öftr. Finanznoth“ (Wien 1851; 2. Aufl., 1852). 

Geſchichte. Gleichſam den Grundſtein ber öſtr. Monarchie bilder das Rand unter der 
Ens. Hier entftand unter ber Vertheidigung der füdöftlihen Grenze Deutfchlands gegen 
afiat. Hordenſchwärme im Zeitalter Karls d. Gr. um das 3. 800 das Markgrafentbum DR - 
reich, das, 1156 mit bem Lande ob der End vereinigt, zu einem Herzogthum erhoben wurbe. 
Inbdeß erft feitdem das Herzogthum 1282 an das Haus Habsburg (ſ. b.) gekommen war, ber 
gann deſſen ſchnelle Ausbildung zu einem mächtigen Staate. Die Haböburger verbanden da⸗ 
mit nicht nur den nachmals fogenannten Oftreichifehen Kreis und andere Ränder, fordern er- 
warben ſich feit 1458 auch faft ununterbrochen die beutfche Kaiſerkrone. Durch die Erwer- 
bung der Kronen Böhmen (f. d.) und Ungarns (f. d.) von 1526 und 1527 flieg das Haus D. 
zu dem Runge einer europ. Monarchie, in welchem es fi im Aachener Frieden von 1748 be- 
bauptete. Die Einheit feiner Staatenniaffe befeftigte es 1804 durch Die Erhebung der Monar- 
hie zu einem Erbkaiſerthum, ſodaß es feit 1814 in die Reihe der Großmächte eintreten konnte. 

Die Gegend bes heutigen Etzherzogthums DO. bewohnten in ben früheften Zeiten die Tau- 
risker, Die zu den Eelten gehörten; doch wurde biefer Name fpäter durch den der Noriker gänz⸗ 
lich verdrängt. Seit die Nomer 14 v. Chr. die Noriker bezwungen und bie Donau befegt hat- 
ten; gehörte dad Land nördlich von der Donau, nach der bohm. und mähr. Grenze hin, zu dem 
Reiche der Markomannen (f.d.) und Quaden (f.d.). Ein Theil von Nieberöftreich und von - 
Steiermark gehörte nebft der rom. Municipalftabt Vindobona (Wien) zu Yannonien (1. d.). 
Das Übrige von Niederöftreihh und Steiermark nebft Kärnten und einem Theile von Krain 
bildete einen Beftandtheil von Noricum (f. d.). Görz gehörte zur rom. Provinz Illyricum und 
Zirol war ein Theil Rhätiens. Die Völkerwanderung vernichtete diefe Grenzen. Bojer, Van⸗ 
dalen, Heruler, Rugier, Gothen, Hunnen, Longobarden und Avaren wechfelten hier im Kaufe 
des 5. und 6. Jahrh. ihre ZBohnpläge, bis feit 568, als die Kongobarden in Oberitalien ihr 
Reich aufgerichter Hatten, der Ensfluß die Grenze bildete zwiſchen dem deutfchen Volksſtamme 
der Bafuvarier, welchen das Land ob der Ens gehörte, und den von Often her an biefen Strom 
nachgerũckten Avaren. An der Mur, Save und Drau erichienen aber bereits feit 641 die Sla⸗ 
wen. Als nach der Auflöfung der herzoglichen Würde in Baiern 788 die Avaren über die En 
gegangen und in die frank. Graffchaften im Buierland eingefallen waren, fchlug fie Karl d. Gr. 
791 bis an bie Raab zurüd und vereinigte das Rand von der Ens bis an den Einfluß der Raab 
in die Donau (das Land unter der Ens) mit Deutfchland unter dem Namen Avarien ober öft- 
liche Mar, Marchia orientalis oder Austria. Karl d. Gr. ſchickte Eofoniften, meift Baiern, in 
die neue Provinz, über bie er einen Markgrafen fegte, während der Erzbifchof von Salzburg 
die Aufficht über das Kirchenweſen erhielt. Avarien bildete feit dem Theilungsvertrage von 


538 Dfiteih 


Derdun 843 die öftliche Grenzprovinz bed Deutſchen Reiche. In Folge des Einfall6 der Us- 
garn in Deutfchland kam ed 900 in deren Befig. Erſt Kaifer Otto I. gelang es nach dem Siege 
bei Augsburg 955, einen großen Theil diefer Provinz wieder zu erobern, die dann bald, vol 
ftändig genommen, in ihrem urfprünglichen Umfange mit Deutſchland wieder vereinigt wurde 

Zum Markgrafen über die neugewonnene Provinz beftellte der Kaifer 985 den Grafen Le» 
pold I. von Babenberg (f.d.), ber Durch feine Unternehmungen gegen die Ungarn, deren Grenzfe 
ftung Mölk er eroberte, ſich auszeichnete und 994 ftarb. Unter Leopold’ Sohne Deinrich I. (bi 
1018) erſcheint der nach dem lat. Austria gebildete Rame Ostirrichi, b. i Oſtreich, zum erſten mal 
in einer Schenkungsurkunde Kaiſer Otto's II. von 996. Heinrich 1. hatte feinen Bruder Adal- 
bert (bis 1050) und diefer feinen Sohn Ernſt (bis 1075) zum Nachfolger. Bon Kaifer Hein 
rich IV. erhielt Ernft einen Freiheitsbrief, das erfte unter den oftr. Hausprivilegien. In dem- 
felben wird der Markgraf des Reichs vorderfler und getreuefter Fürſt und fein Land die Vor: 
mauer des Reichs genannt und ihn dad Recht verliehen, fi die Landesfahne und das Schwert 
vortragen zu laſſen. Ernſt blieb wider die Sachfen in ber Schlacht an der Unftrut 1075. 
Ihm folgte in der Regierung erft Leopold II. (bis 1096), dann Leopold III. (bi6 14136) und 
endlich Leopold IV. (bi8 1441). Unter ihm wurde endlich der Streit zwifchen Kaifer Kom 
rad II. und Heinrich dem Stolzen, dem Herzoge von Sachſen und Baiern, entſchieden 
und Sachfen an Albrecht den Bären, Baiern dagegen an Markgraf Leopold verliehen. Xen 
pold's Nachfolger und Bruder, Heinri II. Jafomirgott, gerieth zwar wegen Baiern mit 
Heinrich dem Löwen in Streit, ging aber doch mit Ehren aus demfelben hervor. Die Ausglei⸗ 
hung geſchah 17. Sept. 1156 zu Regensburg in des Kaifers Friedrih Barbaroffa Zelt. 
Heinrich Safomirgott übergab das Herzogthum Baiern und alle dazu gehörigen Reichslehen 
mit fieben Fahnen dem Kaifer. Diefelden empfing Heinrich der Löwe, der aber zwei Fahnen 
nebft der Baierfchen Mark ob der End und den dazu gehörigen Grafſchaften dem Kaifer zurück⸗ 
gab, worauf diefer Heinrich Jafomirgott mit der Mark ob der Ens belehnte, beide Marten ob 
und unter End zum Derzogthum erhob und auferbem auch dem neuernannten Heryoge für ihn 
und feine Erben, ſowie auch dem Herzogthume wichtige Vorrechte und Freiheiten verlieh. So 
wurde unter Anderm bier fefigejegt, daß da6 Herzogthum D. untheilbar fein, die Herrfchaft 
fich in der Linie nach ber Erftgeburt vererben, dad Reich in D. Beine Lehen befigen, ber Herzog 
feinem Gerichte des Reichs unterworfen fein folle. Ja es wurde fogar bier feftgefegt, daß diefe 
Freiheiten und Vorrechte aud) für alle übrigen Länder gelten follten, welche die Herzoge noch 
in Zußunft erwerben würden. Außerdem aber ift Heinrich Jaſomirgott noch bemerkenswerth 
durch feine Theilnahme an den: zweiten Kreuzzuge, ſowie dadurch, daß er die fürftliche Reſidenz 
von Leopoldsberg nach Wien verlegte, das unter ihm zum erften male Stadt genannt wird; 
dann auch dadurch, daß er den Bau der Stephanskirche begann. Er ftarb 15. Jan. 1477 und 
ihm folgte in der Herrfchaft fein Sohn Leopold V. (bi 1194), unter welchem Steiermark mit 
D. vereinigt wurde. Auf Xeopold V. folgte fein Sohn Friedrich der Katholifche (bis 14198) und 
diefem fein Bruder Leopold VI., der zahlreiche Züge gegen die Ungarn und gegen die Ungläubi- 
gen in wie außerhalb Europa niachte und unter den Babenbergern Derjenige ift, unter dem 
HD. am glüdtichften fühlte. Sein Sohn Friedrich, dem er das Land nicht nur im Wohlftande, 

‚ fondern auch fehr vergrößert hinterließ und der felbft wieder die vom Vater geerbten Lehen in 
Krain dergeftalt vermehrte, daß er fich bereits Herr von Krain nannte, war der legte feines 
Stammes. In ihm erloſch das Gefchlecht der Babenberger. Noch in den legten Zahren feines 
Lebens gedachte er alle feine Lande in ein Königreich zu vereinen und ſich durch den Kaifer zum 
König ernennen zu laffen ; allein an der Ausführung diefes Plans hinderteihn fein früher Tod 
(12. Juli 1246), ben erim Kampfe gegen die Magyaren fand. 

Die folgende Zeit von 1246 — 82 heißt das Oftreichtfche Interregnum. Kaifer Friedrich UI. 
erklärte nämlich D. und Steiermarf als erledigtes Reichslehen für ein Erbgut der deutfchen 
Kaifer, fegte einen Statthalter nach Wien und erneuerte die reichsftädtifchen Rechte der Stadt. 
Aber des verftorbenen Herzogs Friedrich Schwefter Margarethe, die Witwe Kaifer Hein- 
rich's VI, und feine Nichte Gertraud, die mit dem Markgrafen Hermann von Baden, dem 
Statthalter bed Kaifers in D., vermählt war, erhoben, vom Papfte Innocenz IV. aufgeregt, 
1248 Anſprüche auf das Erbe Friedrich's. Markgraf Hermann, vom Papfte und einer ftar- 
ten Partei unterftügt, bemächtigte ſich Wiens und mehrer öftr. Städte, während in Steiermarf 
ihm der Statthalter, Graf Meinhard von Gorz, Widerftand leiftete. Hermann ftarb indeß fchon 
1250, undfein Sohn Friedrich, der fpäter 1268 mit Konradinvon Schwaben in Neapel enthauptet 
wurde, war erft ein Jahr alt. Da nun verfchiedene Parteien dad Land verwirrten und Kaifer 

Konrad IV. durch den Kampf mit feinem Gegenkinig abgehalten war, an D. zu denken, fo faf- 


Dfiteich 539 


ten bie Stände von D., deren bereits 1096 urkundlich gedacht wird, und von Steiermark 1254 
den Entſchluß, einen von den Söhnen der zweiten Schwefter Friedrich’s, Konftantia, der Ge 
mahlin des Markgrafen Deinrid) des Exrlauchten in Meißen, zum Derzoge zu ernennen. Schon 
waren ihre Abgeordneten nad; Meißen auf dem Wege, als fie bei ihrer Einkehr zu Prag vom 
Könige Wenzeflaw überredet wurden, defien Sohn Ottokar (f. d.) zum Derzoge von D. und 
Steiermark zu wählen, der auch durdy Waffen, Geld und die Bermählung. mit der verwitweten 
Kaiferin Margarethe feine Ernennung zu unterftügen wußte. Nachdem er 1260 Steiermark 
dem Könige Bela von Ungarn durch den Sieg auf dem Marchfelde entriffen, ließ er ſich 1262 
von dem rom. Könige Richard mit beiden Herzogthümern belehnen. Durch das Teftament ſei⸗ 
ne6 Vetters Ulrich, des legten Herzogs von Kärnten und Friaul, fielen ihn 1269 das Herzog. 
thum Kärnten, der damit vereinigte Theil von Krain, das Hifterreih und ein Theil von Friaul 
zu. Übermuth flürzte den ftolgen Ottokar von der Höhe, die er erreicht hatte, herab. Er wollte 
Kaifer Rudolf von Habsburg (f. d.) nicht anerkennen, unterlag aber im Nov. 1276 und 
mußte die gefammten öftr. Befigungen abtreten. Entfchloffen, fie wieder zu erobern, verlor er 
in der Schlacht auf dem Marchfelde 26. Aug. 1278 das Leben, und fein Sohn Wenzeſlaw 
mußte, um feine Erblande zu behalten, allen Anſprüchen auf jene Länder entfagen. Kaifer 
Rudolf blieb drei Jahre lang in Wien, dann ernannte er feinen älteften Sohn zum Stattüalter. 
Als es ihm aber gelungen mar, die Einwilligung der Kurfürften von Sachſen und von Bran- 
denburg, ſowie die der drei geiftlichen Kurfürften und der Pfalzgrafen am Nhein zu erhalten, 
fo belieh er 27. Dec. 1282 feine Söhne Albrecht und Rudolf mit den Herzogthümern O., 
Steiermark und Kärnten. Ä | 
Albrecht I. (f. d.) und Rudolf überliefen Kämten den Grafen Deinhard von Tirol, AU 
brecht's Schwiegervater, und ſchloſſen 1285 einen Vergleich, zufolge deffen Albrecht allein in 
den Befig von O., Steiermark und Krain kam, Wien, dad feinen reichöftädtifchen Rechten ent» 
fagte, zu feiner Reſidenz wählte, Oftreich aber von nun an ber Geſchlechtsname der Nachkom⸗ 
men Rudolf's und feiner Söhne wurde. Mit dem Eintritte ber habs burgiſchen Dynaftie wurde 
gleichfam der Grundftein zu O.s nachmaliger Größe gelegt. Der deöpotifche Albrecht wurde 
von Ungarn und Baiern befehdet; gegen Adolf von Raffau erfämpfte er 1298 die rom. Kö- 
nigskrone. Als er aber die Schweizer unterwerfen wollte, ermorbete ihn bei Rheinfelden 1. Mai 
1308 fein Neffe, Johann von Schwaben (f. Johannes Parricida), dem er feine Erbgüter 
vorenthalten. Albrecht's fünf Söhne, Friedrich, Leopold, Heinrich, Albrecht und Dtto, denen 
auch das Erbe Johann's von Schwaben zufiel, mußten dem Kaifer Heinrich VII. die Belehnung 
über die väterlichen Ränder, welche unter ihm 1501 durch die ſchwäb. Markgraffchaft vermehrt 
worden waren und bei feinem Tode einen Umfang von 1254 AM. hatten, mit 20000 Mark Sit 
ber ablaufen. Durch die Fehden mit Baiern erwarben fie Neuburg; dagegen fcheiterte der 
Verſuch des Herzogs Leopold, die unter Albrecht verlorenen helvet. Walditädte wieder zu er» 
Langen, an der Tapferkeit der Eidgenoffen in der Schlacht bei Mergarten, 15. Nov. 1315. 
Auch fein 1514 von einigen Kurfürften zum deutfchen König erwählter Bruder Friedrich uns 
terlag feinem Gegner, Ludwig bem Baier, bei Mühldorf 22. Sept. 1522 und wurbe deſſen 
Gefangener. Als der Kaifer bei dem Kampfe mit dem Haufe Luxemburg in Böhmen und mit 
dem Papſte Johann XXII. 4525 fich veranlaft fand, ihm die Freiheit zu geben, mußte er aller 
Theilnahme an der Regierung entfagen und alle Reichsgüter, die noch in öſtr. Gewalt waren, 
herauszugeben verfprechen. een Bruder Leopold verwarf aber die Übereinkunft als unrühm- 
ih und fegte den Kampf gegen Ludwig fort; daher ftellte fich Friedrich wieder als Gefangener 
in München ein. Bon diefer Treue gegen das gegebene Wort gerührt, fchloß Kaifer Ludwig 
mit Friedrich den Bund der Freundfchaft und 7. Sept. 1525 einen Vergleich zur gemeinſchaft⸗ 
lichen Regierung des Reichs, ber aber, weil er ohne Zuftimmung der Kurfürften verabredet 
worden war, feine Folgen hatte. Inzwifchen waren Leopold 1526 und Heinrich von 9.1527 
geftorben, aud) Friedrich flarb kinderlos 13. San. 1350, worauf fich deſſen Brüder Albrecht II. 
(f. d.) und Dtto mit dem Kaifer Ludwig verglichen. Nach dem Tode ihres Vetter Heinrich, bed 
Markgrafen von Zirol und Herzogs von Kärnten, des Vaters der Margaretha Maultafch, 
ließen fie fih vom Kaifer mit Tirol und Kärnten im Mai 1355 belehnen, traten jedoch durch 
einen Bergleih nom 9. Oct. 1356 Zirol an den König Johann von Böhmen für deſſen Sohn 
Johann Seine: oder vielmehr für deffen Braut, Margaretha Maultafch, wieder ab. Ald Dtto 
‚und feine Söhne 1344 verftorben, vereinigte Wibrecht IL.die gefammten öfte. Lande, welche noch 
durch feine Gemahlin, die Tochter des legten Grafen von Pfirt, 1524 mit deffen Befigungen, 
fowie 1326 durch die burgund.-Tgburgifchen Güter vergrößert worden waren. Unter Al⸗ 


N 


540  Dftteid 
hbrecht's II. (geft. 1358) vier Söhnen, Rubolf, Albrecht, Leopold und Friedrich, zeichnete ſich 
Rudolf li. (IV.) aus. Er vollendete die Stephanskirche, errichtete das Collegiatſtift und begrum- 


dete 1356 die hohe Schule zu Wien. Kinderlos farb er zu Mailand 1365; vor ihm war auf : 


ſchon der jüngfte Bruder Friedrich,geftorben. Hierauf theilten die beiden hinterbliebenen Brü- | 


der 1379 alfo, daß Albrecht ll. Ö. nahm und alle übrigen Ränder feinem Bruber Leopold I. 
überließ. Als Leopold bei den wiederholten Verſuche auf die habsburgiſchen Beſitzungen in ber 
Schweiz bei Sempach, mo Winkelried's unfterbliche That ihm den Sieg entriß, das Xeben ver 
Toren hatte, führte Albrecht die vormundſchaftliche Regierung über die Länder der unmündigen 
Söhne feined Bruders. An ihn trat Margaretha Maultafch Tirol ab, nachdem ihr einziger 
Sohn Meinhard, vermählt mit Albrecht's Schmefter; geftorben war; auch kamen bis zu U 
brecht's III. Tode 1395 noch mehre Gebiete nd Albrecht IN. und Leopold Mil. ftifteten zwe 
Linien, bie öſtreichiſche und die fteiermärkifche, die 78 3. lang fortbauerten. Albrecht's III. eim 
ziger Sohn, Albrecht IV., war, als ber Vater ftarb, in Paläftina. Nach feiner Nückkehr wol 
er fi) an dem Markgrafen Prokop von Mähren für deſſen verübte Feindfeligkeiten rächen 
ftarb aber an Gift vor Inaim 1404. Sein minderjähriger Sohn, Albrecht V., wurbe 1410 für 
mündig erklärt und vereinigte, ald Schwiegerfohn des Kaifers Sigismund, 1458 die Krone 
von Ungarn und Böhnten mit der beutfchen Kaiferkrone, ftarb aber fhon 1459. Sein Sohr 
Ladiflam (Poſthumus) beſchloß 1457 die öftr. Linie, Deren Zander der fleiermärfifchen zufielen 
Bon.jegt an blieb die deutſche Kaiſerwürde ununterbrochen bei dem Haufe O. Nur Ungarn ml 
Böhmen gingen durch Albrecht's V. Tod auf einige Zeit verloren, fowie nach blutigen Steeitig- 
feiten mit den Echweizern unter dem beutfchen Könige Friedrich IV. (f. d.), nachherigem Kaiſer 
Friedrich III., auch die legten habsburgiſchen Stammgüter in Helvetien. Dagegen wurden aber 
auch andere Orte wieder erworben, und um den Glanz feines Hauſes zu erhöhen, ertheilte bie 
fen der Kaifer Friedrich III. die eräherzogliche Würde. Den zwiſchen Kaifer Friedrich II. und 
feinen Brüdern, Albrecht und Sigismund, ausgebrochenen Erbftreit, während beffen der Kaifer 
in ber wiener Hofburg von ben Bürgern, die Albrecht ergeben waren, belagert wurde, enbigte 
bes Legtern Tod im Dec. 1464. Nachdem hierauf auch Sigismund feinen Antheil am Erbe det 
verftorbenen Ladiſlaw abgetreten hatte, war Friedrich alleiniger Herr über Ö. Sein Sohn 
Marimilian I. (f. d.) erwarb für D. durd) die Vermählung mitMaria, der hinterlaffenen Tod; 
ter Karl's des Kühnen, 1477 die Niederlande. Doch foftete es Marimilian viel Mühe, fich in 
der Regierung berfelben, die er ald Vormund feines Sohnes Philipp führte, zu erhalten. 
Seine Sefangenfhaft zu Brügge endigte 1489 ein Vergleich zu feinem Vortheil; doch verler 
er das Herzogthum Geldern. Als er nad) feines Vaterd Tode 1493 deutfcher Kaifer geworden 
war, trat er feinem Eohne Philipp die Regierung der Niederlande ab. Maximilian I. erwei- 
terte bie Grenzen feiner Erbländer durch ganz Tirol und andere, befonders bair. Gebiete; aud 
erwarb er feinem Haufe erneuerte Anfprüce auf Ungarn und Böhmen. Unter ihm begann der 
wiener Hof der Sig der Künfte und Wiffenfchaften in Deutfchland zu werben. Die Verheira- 
thung feines Sohnes Philipp mit Johanna von Spanien führte dad Haus Habsburg auf den 
Thron von Spanien und Indien; da aber Philipp Thon 1506 geftorben war, fo erfolgte die 
Vereinigung Spaniens und O.s erft nad) Maximilian's Tode 12. San. 1519, indem fein En- 
tel, Philipp's ältefter Sohn, Karl I., König von Spanien, unter dem Namen Karl V. (f. d.)zum 
deutfchen Kaifer erwählt wurde. Diefer überließ durch die Theilungsverträge von Worm? 
28. April 1521 und zu Gent 17. Mai 1540 alle deutichen Erbländer, mit Ausnahme der Nie 
derlande, die er für fich behielt, an feinen Bruder Ferdinand 1. (f. d.). 
Ferdinand I. erwarb durd feine Vermählung mit Anna, der Schwefter des ungar. Könige 
Ludwig II, nach deffen Tode in der Schlacht bei Mohacz 1526 die Köntgreihe Ungarn und 
Bohnen nebft den zu Böhmen gehörenden Ländern Mähren, Schlefien und Lauſitz. Böhmer 
erkannte Ferdinand willig als feinen König an. Auch in Ungarn wurde er, ungeachtet der ge 
theilten Stimmung der Magnaten und des anfänglichen Glücks feines Gegners, Johann ror 
Zapolya, 1526 zum Könige gemählt und 1527 gekront. Doc, Zapolya trat mit dem Sultar 
Soliman I. in Verbindung, und fhon 1529 ftand diefer vor den Mauern Wiens. Nur die fir 
gen Maßregeln des öſtr. Feldheren, Grafen von Salm, retteten damals die Hauptſtadt, und be 
Reichsarmee nöthigte Soliman zum Rückzuge. Dierauf kam 1555 ein Vergleich zu Stante, 
nach welchem Johann von Zapolya den Königstitel und die Hälfte von Ungarn erbielt, feine 
Nachkommen aber nur Siebenbürgen behalten follten. Als Johann geftorben, entftanden neut 
Unruhen, in die auch wieder der Sultan Soliman ſich einmifchte, von dem Ferdinand 1562 den 
Def von Niederungarn durch das Verfprechen eines jährlichen Tributs von 50000 Dukater 


| Dſjtreich 541 
erkaufen mußte. Nicht glücklicher war Ferdinand mit dem Derzogthume Würteniberg, weiches 
ber Schwäbifche Bund dem ımrubigen Herzog Ulrih abgenommen und dem Kaifer Karl V. 
verkauft hatte, durch den es bei der Theilung an Ferdinand gekommen war. Derzog Ulrich“s 
Freund, der Landgraf Philipp von Heffen, benugte nämlich Ferdinand's Verlegenheit im Kriege 
wegen Ungern und eroberte durch Unterftügung Frankreichs Würtemberg, melches Ferdinand 
im Vergleiche zu Cadan in Böhmen, 29. Juni 1534, mit der Beftimmung, daf es öſtr. After» 
lehn fein und nach dem Abgange des würtemb. Mannsſtamms an D. fallen folle, an Ulrich 
wieder abtrat. Dieſe Verluſte wurden durch die Erwerbung der andern Hälfte von Bregenz, 
ber Grafſchaft Thengen und der Stadt Konſtanz nicht ganz erfegt; dennoch betrugen in dieſer 
Zeit die Befigungen des öſtr. Haufes deutfcher Kinie bereitd 5402 AM. Ferdinand empfing 
auch noch die Kaiferkrone, als fein Bruder Karl 1556 das Scepter mit der Mönch6kutte ver⸗ 
taufcht hatte, und ftarb 25. Juli 1564 mit dem Ruhme eines trefflichen Regenten, der jedoch 
da6 Feſtſtehende im Staate, in der Kirche und im Lehnmefen vorherrfchen ließ und die Sefuiten 
aufgenommen hatte. Nach feinem Willen teilten feine drei Söhne bie väterliche Erbſchaft alfo, 
Daß der ältefte, Marimilian 11. (f.d.), der Kaifer wurde, 5, Ungarn und Böhmen, der zweite, 
Ferdinand, Zirol und Vorderöftreih und der dritte, Karl, Steiermark, Kärnten, Krain und 
Sörz erhielt. Kaifer Marimilian mar in Ungarn glüdlicher als fein Vater; der Tod Soliman's 
vor Szigeth 1566 hatte einen Waffenftillftand zur Folge. Er ließ 1572 feinen älteften Sohn 
Rudolf als König von Ungarn krönen, der 1575 auch zum Könige von Böhmen gekrönt und 
zum rom. Konige ermählt wurde. Dagegen gelangen ihm die Verſuche, die poln. Krone an fein 
Haus zu bringen, fo wenig wie 1587 feinem vierten Sohne, Marimilian, nah Stephan Ba- 
thori’8 Tode. Marimilian I. war friedliebend, in Religionsfachen duldfam und als Regent ges 
recht. Er flarb 12. Dct. 1576; von feinen fünf Sohnen wurde ber ältefte, Rudolf II. (ſ. d.), 
Kaifer. Unter ihm fielen die Befigumgen des Erzherzogs Ferdinand, der ſich mit ber ſchönen 
Bürgers tochter von Augsburg, Philippine Welfer (f. d.), vermählt hatte, nach deffen Tode 1595 
an bie beiden überlebenden Linien zurüd, da man die mit ihr erzeugten Kinder nicht für eben- 
bürtig anerfannte. Rudolf Il. beharrte bei dem hergebrachten ariftofratifchen Feudalismus und 
zegierte höchſt nachläſſig; ſchwach als Kaifer, überließ er Alles feinen Miniftern und den Jeſui⸗ 
ten. Der Krieg mit der Pforte und Siebenbürgen brachte wenig Ruhm; die Proteftanten, de 
ren Lehre die Jefuiten unterdrüden mwollten, nothigten ihn zur Ausftellung bes Majeftätsbriefes. 
Er mußte 1608 Ungarn und 1611 Böhmen und die öfter. Erblande an feinen Bruder Matthias 
(ſ. d.) abtreten. Letzterer, der ihm 1612 in der Kaiferwürde folgte, ſchloß einen 20jährigen Frie⸗ 
den mit den Türken und überließ 1617 Böhmen und 1618 Ungarn an feinen Vetter Ferdinand, 
ben Sobn des 1590 verftorbenen Erzherzogs Karl, des dritten Sohnes Kaifer Marimilian’s U. 
Nachdem Matthias noch den Ausbruch des Dreifigiährigen Kriege (ſ. d.) erlebt hatte, flarb er 
20. März 1619. Die Böhmen weigerten fi, gleich den öfte. Ständen und den Ungarn, feinen 
Nachfolger, Kaifer Ferdinand IL (f.d.), den nunmehrigen Befiser aller oftr. Länder, anzuerken⸗ 
nen und wählten dad Haupt der evangelifchen Union, den Kurfürften Friedrich V. (f. d.) von der 
Dfalz, zu ihrem Könige. Doch nach der Schlacht bei Prag 1620 wurde Böhmen Ferdinand 
unterworfen, der nım im eigentlihen Böhmen und Mähren eine förmliche Ausrottung der 
protefl. Religion begann, bie freie Königewahl der Böhmen und den Majeftätsbrief vernichtete 
und ein kath. Reformationdgericht einfegte, wodurdy Taufende zur Auswanderung veranlaßt 
wurden. Auch gelang es bem Kaifer, die öſtr, meift proteft. Stände zur Duldigung zu zwin⸗ 
gen, der ein ſtrenges Verbot des Proteflantismus in D. folgte. Zulegt wurde Ungarn bezwun⸗ 
gen, das unter Bethlen Gabor (f.d.), dem Fürften von Siebenbürgen, ſich empört hatte. Doch 
biefer Religionskrieg koſtete dem öftr. Haufe den Flor feiner Länder. So hatte 3. B. Böhmen 
von 752 Städten nur noch 150, von 30700 Dörfern nur noch 6000 und von 3 Mil. €. nur 
noch 780000. Unter Ferdinand's Nachfolger, Kaifer Ferdinand MI. (f.d.), 1637—57, wurden 
bie öfter. Länder nur noch mehr der Schauplag deö Kriege. Wie Ferdinand I. im Prager Frie⸗ 
den 1655 die Laufig an Sachſen, fo mußte Ferdinand III. im Weftfälifchen Frieden 1648 den 
Elſaß an Franfrei abtreten. Ferdinand's III. Sohn und Nachfolger, Kaifer Xeopold I. (ſ. d.), 
reizte die Ungarn durch unduldfane Härte. Tökely (f. d.) fand Unterftügung von Seiten der 
Pforte, und Kara-Muftapha belagerte 1683 Wien, dad nur den zur Hülfe herbeieilenden Po» 
len und Deutfchen, unter der Anführung des Königs Johann Sobieſti, feine Rettung zu 
banken hatte. Nachdem hierauf die Siege feiner Feldherren dem Kaifer ganz Ungarn unterwor⸗ 


fen hatten, verwandelte er daffelbe 1687 in ein Erbreich und vereinigte damit Siebenbürgen, 


obwol unter eigenen Fürften. Auch mufte die vom Prinzen Eugen bezwungene Pforte 


- 


Yu Oſtreich 
ine Bariencaer Zereten von 1699 das Land zwiſchen der Donau und Theiß an Ungarn zurüc 
rn Peffarowiczer Frieden von 1718 andere wichtige Provinzen an Ungarn abtreten. 
teiserte Leopold's Plan, feinem zweiten Sohne Karl die Erbfolge in der fpan. Men 
wege 1ea Nm finderlofen König Karl II. von Spanien zuſichern zu laffen; Frankreichs feiner 
Yrünz zermechte den Regtern, den Enkel Ludwig's XIV., Philipp von Anjou, zum Erben feine 
Sue einzufegen. Die Folge davon war der Spanifche Erbfolgekrieg (f. d.). Während dei. 
aan farb Leopold 5. Mai 1705, der, von trägem, phlegmatifchem Weſen, vollig unter der Le⸗ 
ag der Sefuiten ſtand. Leopold's ältefter Sohn und Nachfolger, der aufgeflärte Kaifer Je 
ſeph 1. (f.d.), ſette den Krieg fort. Er farb kinderlos 17. April 1711, und ihm folgte fein Bra 
der Karl in den Erbſtaaten wie auch ald Karl VI. (f.d.) auf dem Kaiferthrone. Karl VI. mufte 
dem von feinen Bundesgenoſſen zu Utrecht abgefchloffenen Frieden 1714 in den Friedens 
ſchlüſſen zu Raftadt und Baden nothgedrungen beitreten, die ihm den Befig der Niederlande, 
Mailands, Mantuas, Neapeld und Sardiniens (feit 1720 Siciliens für Sardinien) ficherten. 
Das Herzogthum Mantua, das Kaifer Joſeph I. 1708 in Befchlag genommen, da der Herzeg 
fich gegen ihn, das deutfche Reichsoberhaupt, mit Frankreich verbündet hatte, wurbe als einge 
zogenes Zehn mit der öfte. Monarchie vereinigt. Diefelbe umfaßte nun 9043 AM. mit fell 
29 Mill. E. fie hatte zwiſchen 13 — 14Mill. Gldn. Einkünfte und ein Heer von 150000 Mam. 
Ihre Macht wurde nur zu bald durch neue Kriege mit Spanien und Frankreich fehr geſchwächt 
Karl VI. mußte im Wiener Frieden von 1735 und 1758 Neapel und Sicifien an ben Infanten 
von Spanien, Don Carlos, und an den König von Sardinien einen Theil von Mailand ab- 
treten, wofür er blo8 Parma und Piacenza erhielt. Ebenfo verlor er im Belgrader Frieden von 
1739 faft alle Früchte ber Siege Eugen’3, indem er Belgrad, Serbien, den oftr. Antheil an der 
Walachei, DOrfova und Bosnien an die Pforte zurüdigeben mußte. In dies Alles willigte 
Karl VI., um feiner Tochter Maria Therefia die Erbfolge in der Monarchie durch die Pragma- 
tiſche Sanction (|. d.) zuzufichern, die nach und nach von allen europ Mächten anerfannt wurde. 
Als mit Karl’6 VI. Tode 20. Dct. 1740 der habsburger Mannsſtamm erlofch, übernahm 
deſſen Tochter Maria Thereſia (f. d.) die mit dem Herzoge Kranz Stephan von Lothrin 
gen vermählt war, die Regierung fämmtlicher öſtr. Erblande. Doch von allen Seiten erhoben 
ſich Anſprüche gegen fie. Ein heftiger Krieg begann, in welchem blos England auf ihrer Exit: 
war. Friedrich I. von Preußen eroberte Schleftien; der Kurfürft von Baiern nahm ben Titel 
als Erzherzog von D. an, wurde als König von Böhmen in Linz und Prag gekrönt und als 
Kart VII. (ſ. d.) 1742 zum Kaifer ermählt. Nur allein die Ungarn ftanden ihrer heldenmüthi- 
gen Königin bei, die im Frieden zu Breslau 4. Juni 1742 an Preußen Schlefien nebft Glatz, 
mit Ausnahme von Zefchen, Jägerndorf und Troppau, abtreten mußte. Friedrich II. erneuerte 
den Krieg, indem er dem Kaiſer Karl VII. zu Hülfe eilte; allein diejer ftarb 20. San. 1745 un? 
Therefien’d Gemahl wurde ald Franz I. deutfcher Kaifer. Ein zweiter Friedensſchluß mit Ü. 
25. Dec. 1745 fiherte Friedrich II. den Befig von Schlefien aufs neue zu; auch mufte DO. im 
Frieden zu Aachen 18. Oct. 1748 die Herzogthümer Parma, Piacenza und Guaftalla an ber 
Infanten Don Philipp von Spanien und einige Bezirke von Mailand an Sardinien abtreter. 
So war die Fortdauer der öſtr. Monarchie gefichert; allein Maria Therefia wollte Schlefier 
zurücdhaben. In diefer Abficht verband fie fi mit Frankreich, Rußland, Sachſen und Scher- 
den. Nach fieben blutigen Jahren behielt Preußen im Hubertusburger Frieden von 1765 Edle: 
fien und O. hatte Gut und Blut vergebens aufgeopfert. (S. Siebenjähriger Krieg.) In bie: 
fer Zeit fanı in D. das erfte Papiergeld auf, Staatsobligationen genannt, au deren Umfegum: 
Kaifer Franz eine Bank errichtete. Nach feinem Tode, 18. Aug. 1765, wurde Joſeph I. (ſ. d.. 
fein ältefter Sohn, Mitregent feiner Mutter in den Erbftanten und deutfher Kaifer. Neben 
Iinien des Haufes D. entftanden durch Maria Therefia’s jüngere Söhne, den Erzherzog Pete: 
Leopold in Toscana 1765 und den Erzherzog Ferdinand, der die Erbtochter von Efte (ſ. d. 
heirathete. (S. Modena.) Gleihfam eine Entfchädigung des Staatskörpers für Die Abtrerme 
Toscanas, ald einer Secundogenitur des öftr. Hauſes, fuchte die Kaiferin in der Einziehur; 
mehrer von Ungarn an Polen einft verpfändeter Städte. Haft nothgedrungen milligte fie 177: 
in die erfte Theilung Polens, durch die fte Balizien und Xodomerien gewann. Die Bu 
fomina mußte die Pforte 1777 an fie abtreten ; das Amt Burghaufen im Innviertel, 
die Grafſchaft Falkenftein und andere Befigungen erhielt fie im Tefchener Frieden von 1779, 


ſodaß bei ihrem Zode, 28. Nov. 1780, D. 11070AM. umfaßte. Wenn auch 772M. hatten | 


abgetreten werben müffen, fo waren dagegen 1618 gewonnen worden; die Zahl der Bevölke⸗ 
zung war auf 24 Mill. geftiegen; die Staatsfchulden betrugen gegen 160 Mill. Glidn. DieRe 


Oftreich 543 
gierung ber Kaiferin Maria Thereſia zeichnete ſich aus burch treffliche Einrichtungen in ber 
Staats verwaltung überhaupt, burch Umgeftaftung ber innern Verwaltung, die mehr im einheit- 
Küchen Sinne centralifiet ward, durch Sorge für dad Heerweien, für Aderbau, Handel, Volks⸗ 
erziehung, Unterricht, Religion, Wiſſenſchaft und Kunft, fomie durch die von Kaunig (f.d.) mit 
großer Umficht und Kraft geführte Keitung ber auswärtigen Verhältniffe, felbft in Anwendung 
auf den rom. Hof. Der Kaiferin Nachfolger, Joſeph II., handelte mit raftlofer Thätigkeit im 
Geiſte des aufgeflärten Despotismus jener Zeit, doch oft zu rafch und zu gewaltſam. Schon 
als Mitregent hatte er bedeutende Erfparungen in der Hofvermaltung, im Penfionsetat und im 
Befoldungswefen gemacht. Doch erfi nach dem Tode feiner Mutter entwickelte fich feine ganze 
Wegententhätigkeit. Streng gegen den Soldaten wie gegen ben Civilbeamten, veränderte er die 
ganze bisherige Geftalt des Reiche. Er geftaltete dad Cenſurweſen um, reorganifirte die Ver- 
waltung, Rechtöpflege, Gefepgebung, ertheilte den Proteftanten Freiheiten und bürgerliche 
Rechte, behandelte die Juden mit vieler Duldfamteit, hob 900 Klöſter und Stifter auf und un- 
terwarf das Schulmwefen einer Revifion und Verbefferung. Selbft der Beſuch Papft Pius’ VI. 
in Wien änderte nichts im Reformationsfufteme des Kaiferd. Durch das Zollpatent von 1788 
erhielt das von Maria Therefia eingeführte öſtr. Zollfyftem, welches die Urproduction und den 
Gewerbfleiß O.s gegen den nachtheiligen Einfluß ded Auslandes ſchützen follte, feine vollftän- 
dige Entwidelung und fchnell hob fich das inländifche Fabrikweſen. Allein des Kaifers Refor- 
mationdeifer reiste nad und nach den Widerftand ſowol der Anhänger des Alten als den na- 
tionalen Widerwillen gegen die von ihm angeftrebte Uniformität. Die Niederländer empörten 
fi, und fein Verdruß darüber war vielleicht ein Hauptgrund zu dem Gedanken, die Nieber- 
lande unter dem Titel eines Königreichs Auftrafien oder Burgund an den Kırfürften von Pfalz. 
baiern gegen dieſes Land zu vertauſchen, welcher Plan aber an ber Feftigkeit des nächften Agna⸗ 
ten, bed Derzogs von Zmeibrüden, und an dem beutfchen Fürftenbunde Friedrich’ II. fcheiterte. 
Nicht glücklicher war der Kaifer im Kriege von 1788 gegen die Pforte. Perſönliche Anftren- 
gungen im Felde und der Bram über die in feinen Erbflaaten ausgebrochenen Unruhen befchleu- 
nigten feinen Tod (20. Febr. 1790). 

Auf Sofeph IL. folgte in der Regierung deffen ältefter Bruder, der bisherige Großherzog von 
Toscana, als Kaifer Keopold II. (f.d.). Es gelang bemfelben, durch Nachgeben und Feſtigkeit 
die Niederlande zu beruhigen und bie Ungarn zu befriedigen. Der Vertrag von Reichenbach 
mit Preußen (27. Juli 1790) und der von Sziftowe (4. Aug. 1791) verfchaffte ihm den Frie- 
den mit der Pforte. Das Schifal feiner Schwefter Marie Antoinette und ihres Gemahls, 
Ludwig's XVI. von Frankreich, veranlaßte ihn zum Bündniſſe mit Preußen ; doc) noch ehe der 
Revolutionskrieg losbrach, ftarb er 1.März 1792. Kurz nach ber Thronbefteigung feines Soh⸗ 
nes Franz, noch ehe derfelbe (14. Juli 1792) als Franz I. zum deutfchen Kaifer erwählt wor- 
den, erflärte Frankreich an diefen, ald König von Ungarn und Böhmen, den Krieg. (S. Kraut: 
rei.) D. verlor in dem erflen Friedensfchluffe von Campo-Formio (f. d.), 17. Oct. 1797, 
die Lombardei nebft den Niederlanden, wofür e8 den größten Theil des venetian. Gebiets er- 
hielt; zwei Jahre früher war es bei der dritten Theilung Polens durch Weſtgalizien vergrößert 
worden. Im Anfange des 3. 1799 begann der Kaiſer Franz, mit Rußland verbunden, ben 
Krieg gegen Frankreich aufs neue; doch Bonaparte erzwang ben Frieden von Luneville (f. d.), 
9. Febr. 1804, den der Kaifer ohne Englands Beitritt abſchloß und worin er die Grafſchaft 
Falkenſtein und das Frickthal abtreten mußte, während zugleich der Großherzog Ferdinand von 
Tobcana diefem Lande entfagte, wofür ihm Salzburg nebft Berchtesgaden und einem Theile 
des paffauifchen Gebiets und in der Folge auch der größte Theil von Eichſtädt nebft der Kur- 
würde zugeflanden murbe. D. erhielt die beiden tiroler Erzftifte Trient und Brixen, ſodaß eb, 
mit Einfluß der legten Ermerbungen in Polen, imgeachtet jener Abtretungen an Frankreich 
noch 452 IM. gewonnen hatte und über 12000 AM. umfaßte. Aber die Maſſe der Staats- 
ſchulden war auf 1220 Mill. Sion. geftiegen. Da trat ber Zeitpunkt ein, mo Franz II., als 
Frankreichs Erſter Conſul fi zum Kaifer ausrufen ließ, in richtiger Ahnung der Zukunft ſich 

Abt (11. Aug. 1804) zum Erbkaifer von O. erflärte, indem er unter dem Namen Kaiſerthum 
frei alle feine Staaten zu einem Ganzen vereinigte. Noch ein mal griff 1805 der Kaifer, 
im Bunde mit Rußland und Großbritannien, zu ben Waffen gegen bie Anmaßungen des franz. 
Stautsoberhaupts. Der Krieg endigte mit dem Frieden von Presburg (ſ. d.), 26. Dee. 1805, 
in welchem Franz II. die noch übrigen Provinzen in Italien an Frankreich, Burgau, Eichſtädt, 
den Antheil an aſſau, ganz Tirol, Vorarlberg, Hohenems, Rothenfels, Tettnang, Argen 
und Lindau an ben König von Baiern, die fünf Donauſtädte, die Grafſchaft Hohenberg, bie 


EN Di 
Lanbgraffcjaft Relenburg, bie Landvoigtel Widorf und einen Theil vom Breisgau am ben 
—ã— den. übrigen Breisgau, bie Ortenau, Konſtanz und Die 
an ben Wrofherzog von Baben abtreten mußte. Dafür erhtelt D, Salıburg und Ber 

teßgaben; der Kurfürft von Salzburg aber wurde durch Mürgburg entfhädigt,. Airperbem 
wurde bie Würde eines Hod- und Deurfgmeifters einem äftt. Prinzen erblich augefpre- 
Gen. So endigte ein. Krieg, weldyer, abgefehen von dieſen Ränberabttetungen, der öffr. Mona 
le noch 90 Mi. an Dem, was bie Franzoſen aus Wien und fonft mit fortgenommen Hatten, 
und 800 Mil. an anderm Kriegsaufiwande koſtete. Nach der Errichtung bes Nheinbunds, 
12. Juti 4806, entfagte Kaifer Franz II. 6. Hug. 1806 der beutfchen Kaiferiwürde, welche feine 
Sarıllie faft 500 3. beffeibet- hatte, umb nannte fid) num Franz I. (f.d.), Kaifer bon Oftreid 
Us folder beſchloß er 1809 einen neuen Krieg gegen Frantreich, allein ohme RR 
außer Großbritannien, deſſen Beiftand in — und einem zu fpäten Angriff auf 
deren beſtand. Die Dinger tämpften mit Muth und Anftrengung; allein fie uni 
auch diesmal. Der Friede zu Bien (14. Dct.1809) koftete ber Monarchie 2000 DM. wir 3% 
DIL. &. und über 11 Mil. Gldn. Cinkom Die Staatſchuld betrug 1200 Mill, Gin 
und die Maffe des Papiergeldes 950 Min. O. verlor feine (hönften Provinzen; das — 
Ayım Bahöung mit Berdpteßgaben, das Innviertel, dad weltliche Dausrudviertel, Krain m 

iatz, Trieſt, den villacher Kreis, Kroatien zum größten Theil, Iftrien, Näzung in Graubind 
ten, Die böhm. Enclaven im Sächfifchen, ganz Beltgalixien, den zamoßfer Kreis von Dftgalr 
zien und Krakau nebſt der gätte der Salzbergwerfe von Mieliczka und ben tarnopoler Kreiß, 
mweldyen Rußland befam. Dennoch erfolgte 1840 bie Verbindung Napoleon’s mit der 
zogin Marie Louife (f.d.), und 14. März 1812 einigten ſich fogar Napoleon und Franz I. un 
einem Bündnif gegen Rußland. Als aber Rapolern’s Macht in Rußland gebrochen, als 3 
sen ihn aufgeftanden, als ber Eongref in Prag ohne Refultat geblieben ivar, ba erflätte 
Kalle Fra 10. Aug. 1813 an Frankreich den Krieg und verbünbdete fich 9. Sept. 1815 iu 
Zeplig mit England, Rußland, Preußen und Schweden gegen feinen Schiiegerfohn. Die 
Sqhlacht bei Leipzig (f.d.), an ber bie öfte. Truppen ruhmpollen Antheil nahmen, bes Kate 
ſeri Franz Aushärten im Kampfe, feine Einwilligung in die Berweifung Napoleon’& nad; lbs 
unb bie Cntfernung der Tochter und des Enkels von bemfelben, die Standhaftigkeit, mit ine 

er ex die Achtöerflärung gegen den Eidam unterzeichnete und dag Schicfal der Tochter ımb 
33. Sohnes beftimmte, die Kraft endlich, mit welcher er Murat's Angriff auf Italien zurück 
flug und zur abermafigen Bezwingung Napoleon’s mitwirkte: dies Alles konnte nur dazu 
beitragen, ihm bie volle Entſchädigung für bie erlittenen Verlufte zu erwerben. In dem Friedea 
zu Paris von 1814 erhielt er nun den zu einem Lombardiſch · Venetianiſchen Königreihe (f. d.) 
erhobenen Theil Italiens und die früher abgetretenen Theile feiner Exbländer nebft Dalmatien 
zurück, während der bisherige Großherzog von Würzburg, Ferdinand TIL, fein Land an Baiern 
abtrat und Toscana wieberbefam. 

Durch die neue Geftaltung Europas auf dem Wiener Congreß 1815 und durch den mit 
Baiern zu München 14. April 1846 abgeſchloſſenen Vertrag erhielt die öftz. Monarchie, ab 
gefehen von Toscana, Modena und Parma, im Vergleich mit ihrem Zuftande nach ber Tegten 

lung Polens, nicht nur einen Zuwacht von etwa 150 DM., fondern gewann auch wefem · 
lich in Hinſicht auf Lage, Abrundung und Handel, befonders durch die Wiedererlangung ven 
Venedig und Dalmatien. Die einflufreiche Stelung D.8 iſt feitdem in bem europ. Staaten 
foftem immer fihtbarer geworden. Unter ben auswärtigen Angelegenheiten des Staats, welche 
der 1821 zur Würde eines kaiſerl. Haus«, Hof und Siaats kanzlers erhobene Fürft von Me 
ternich (f.d.) fortan feitere, warb das DVerhälmiß D.& zu dem Deutfchen Bunde, in deſſen Ber 
fanımlung es den Vorſitz erhielt, von befonberer Wichtigkeit. Durch die Vorträge be Präfidiak 
‚gefandten am Bundestage, Grafen von Buol-Schauenftein, an deffen Stelle feit 1825 ber Fre» 
herr von Münd-Bellinghaufen trat, mußte bas kaiſerl. Cabinet die Berathungen fo zu leiten, 
baß bie Karlsbader Beichlüffe gt d.) einmüthig angenommen unb 20. Sept. 1819 befannt 
macht wurden. Ebenfo Hatte D. bedeutenden Einfluß auf den 1819 zu Wien gehaltenen * 
niſterialtongreß aller Mitglieder des Deutſchen Bundes, der die Schlußacte des deutſchen Sta 
tenbundes entwarf, welche 8. Juni 1820 als ein allgemeines Gefeg der deutſchen Bunbes ſtaaten 
anerkannt wurde. Auf den Congreſſen zu Troppau (f. d.) 1820, Lalbach (ſ. d.) 1821, Verom 
(f. 6.) 1822 war es dem Range nach die erſte Machtz auch führte es durch Geng bie Protokole 
der Sitzungen. In ũbereinſtimmung mit ber Heiligen Alianz(f.d.) ſtellten oſtt Heere 1822die 
alten Zuftände in Neapel und Piemont wieder her. Der Erhebung des griech. Volkes als einer 


Dfieei 565 
Hevolution vom Unfange an abgeneigt, trat es dem Bunde Rußlands, Großbritanniens und 
Frankreichs zur Pacification Griecheniands nicht bei, mar jeboch ben Bemühungen deffelben in 
keiner Beziehung Hinderlich. Bei bem Souveränetätsfireite Portugals mit Brafilien war bas 
mit dem Kaifer von Brafilien durch Familienbande verfnüpfte D. der von Großbritannien ver 
mittelten Unabhängigkeit des neuen Kaiſerthums nicht entgegen, und Dom Miguel befchwor in 
Wien die portug. Sonftitution von 1826. Auch nahm O. diplomatiſch Theil an der franz. 
Intervention in Spanien 1823. Durch feine territoriale Lage an ber Donan auf die Abwehr 
der’ ruff. Eroberungsplane in ber Türkei angewiefen, fuchte O. durch feine Politik die Pforte zu 
flügen und beförberte als vermittelnde Macht die Bemühungen des brit. Cabinets zur Aus⸗ 
gleihung zwiſchen Rußland und der Pforte, bewirkte auch mdlich die Räumung der Fürften- 
thümer von tür. Zruppen, dadurch aber 1826 den Abſchluß der Conversion zu Akjerman 
(f. d.), die dann dem Frieden zu Adrianopel 1829 zu Grunde gelegt wurde. Die 1828 mit 
Marokko entfiandenen Irtungen wurden durch den Präliminarvertrag vom 2. Febr. 1830 bei» 
gelegt. Die Julirevolution von 1830 in Frankreich veranlaßte D. zu bedeutenden Rüftungen ; 
doch erfannte ed nach dem Vorgange Englands fofort die neue Dynaftie in Frankreich an. Mit 
geringer Mühe umterbrüdte es die Aufftände, welche 1831 in Modena, Parma und im Kir- 
chenſtaate ausbrachen und 1852 fich ermeuerten. Wegen der beig. Angelegenheiten nahm es 
thätigen Antheil an ber Londoner Conferenz (f. d.) und ſchloß fich, ald Frankreich und England 
ſich enger verbanden, fefter an Rußland und Preußen an. Der poln. Revolution gegenüber 
(dien D. anfangs eine firenge Neutralität behaupten zu wollen. Als aber der poln. General 
Dwernicki mit feinem Gorp& ſich auf öfte. Gebiet gedrängt fah, ward daffelbe ehtwaffnet und 
nach Ungarn gelegt, während man eine ruff. Deeredabtheilung, welche fich vorher auf öfte. Bo⸗ 
den geflüchtet hatte, fpäter entließ und mit den poln. Waffen ausrüftete. Nach Befiegung der 
Holen trat D. mit Rußland und Preußen wegen der Freien Stadt Krakau in Unterhandlungen, 
die ſich 1832 einige Abänderungen ihrer Gonftitution gefallen laffen mußte. Die Unruhen in 
mehren deutfchen Staaten feit 1850 gaben D. Veranlaffung, fein Gewicht zu benugen, um auf 
Die einzelnen beutfchen Regierungen einzuwirten. Dieſes gefchah namentlich in den Bundes⸗ 
befchlüffen von 1832 und bei den Minifterialconferenzen von 1854. Der Zob des Kaiſers 
Franz I. (2. März 1835) änderte fehr wenig in dem Regierungsfyfteme D.6, welches dahin ging, 
durch eine friedliche Politik dem Vordringen der revolutionären Einflüffe, forwie der Entfaltung 
des conflitutionellen Princips entgegenzuwirken. Franz’ ältefter Sohn und Nachfolger, Kaifer 
Ferdinand L (f. b.), erflärte bei feiner Thronbefteigung, im Geifte feines Vaters fortregieren zu 
wollen. Alle oberften Staatsämter blieben befegt wie zuvor; nur im Einzelnen, namentlid) in 
ber Rechtöpflege, traten einige mildernde Beftimmungen ein. Mit Preußen und Rußland be 
fefligte ter Kaifer den politifchen Bund bei einer perfönlichen Zuſammenkunft mit Friedrich 
Wilhelm I. und Nikolaus zu Teplig im Det. 1835. ine feiner erften Verfügungen war, daß 
er das 2008 der zahlreichen, wegen politifcher Vergehen zu Kerkerftrafen verurtheilten Italiener 
milderte, welche humane Mafregel fich fpäter zu einer faft allgemeinen Amneſtie erweiterte. 
Die gewohnte Ruhe unterbrachen nur die orientalifchen Wirren unb der Kampf 1840 gegen 
Ibrahim⸗ Paſcha in Syrien, an welchem ſich D. in Verbindung mit England betbeiligte, fowie 
die Rüftungen gegen Frankreich. Ein 1844 in Stalien unternommener Infurrectionsverfuch 
midglüdte gänzlich. 

Ungeachtet der langen Friebensperiode, der einflußreichen Stellung in Deutfchland und ber 
innern Ruhe im Kaiferflaat maren indeffen die Zuftände im Innern allmälig_ zu einer bedenk 
lichen Krifis gediehen. Das träge und erfchlaffende Syſtem, polizeiliche Uberwachung und 
ein geiftfofer bureaukratifcher Mechanismus hatten weder den materiellen noch den politifchen 
Berhälmiffen der Monarchie genügen können. Der Regierungsorganismuß felbft gerieth immer 
mehr int en, umd alle polizeiliche Überwachung hatte weder den Gährungsſtoff im Innern 
erſticken noch die Einflüffe von aufen abhalten können. Dreifig Friedensjahre hatten auch die 
finanziellen Verlegenheiten nicht befeitigt, fondern erhöht. In den einzelnen Nationalitäten war 
eine mächtige Oppofition groß geworden, und die alte Taktik, einen Völkerſtamm durd den 
andern im Schach zu halten, wollte nicht mehr gelingen. Der poln. Aufftand von 1846, der 
Krakau zum Mittelpunkt auserfehen und deſſen Unterbrüdung die Einverleibung diefer Re⸗ 
publi? in bie öfte. Monarchie im Nov. 1846 berbeiführte, fchlug in Galizien in einen furcht⸗ 
karen Aufruhr der Bauern gegen die Ebdelleute um. Mit Hülfe deffelben übermwältigte „war 
D. die politifche Erhebung, aber diefer Ausgang erhöhte die gefährliche Sorgloſigkeit des herr 

Gonn.sEes. Zehnte Aufl. XL 35 


546 Oſtreich 


ſchenden Soſtems. In Italien (f. d.) war indeſſen die Dppofition gegen D. mächtiger als ke 
aufgeflammt;; fie nährte fich an den Reformbeftrebungen Pius’ IX. und an den Gonceffione, 
zu Denen auch die meiften andern Regierungen der Halbinfel fortgerifien wurden. In Ungem 
war die alte fländifche Oppofition immer entfchiebener in einen nationalen Gegenfag gegen be 
öfte. Regierung umgefchlagen, und der große Adel blieb endlich außer Stande, dem wachfenben 
Einfluß begabter Agitatoren, wie Koffuth, zu widerftehen, zumal feit bem Tode des erfahrenen 
undgeſchmeidigen Erzherzogs Palatinus Joſeph (1847). In den ſlawiſchen Gebieten, namentäd 
in Böhmen, regte ſich die nationale Abneigung gegen die öſtr. Herrfchaft und gab fich im des 
böhm. Ständen mit unerwartetem Erfolge kund, während auch bie Stände Niederöftreichd eines 
Antheil an der Eontrole über ben Staats haushalt erfirebten. In Italien war die revolutionän 
Bewegung bereits in vollem Gange, al$ der Sturz König Ludwig Philipp's und die Revolntisn 
vom 24. Febr. 1848 das alte Europa in feinen Grundfeſten erfegütterten. Den Petitionen um 


en 


Adreſſen, die feit den erſten Märztagen auch in D. auftauchten, folgte dann eine Wolköberwegum | 


in Wien am 13. März, ber gegenüber Regierung und Militärmacht alle Haltung verloren us) 
nach geringem Widerftand ſich fügten. Metternich wurde gezwungen, feine Entlaffung zu ner 
men. Bürgerbewaffnung und freie Preſſe wurden vom Kaifer gewährt und 15. März die Cim 
berufung einer berathenden Berfammlung aus allen Theilen ber Monarchie verheißen. Blei 
zeitig hatte in Ungarn die Oppofition ihre Foderung eines felbftändigen Minifteriums, das dem 
Landtage verantwortlich fei, burchgefegt und der Kaifer konnte die Sanction nicht verweigern 
In Italien hatte der Vicekönig Mailand bereits verlaffen, als wenige Tage fpäter (22. Män) 
dort der Aufftand ausbrach, was den commandirenden General Grafen Radetzky nöthigte, bi 
Hauptfladt zu räumen und fi nach Verona zurüdzuziehen. Venedig hatte ſich zu gleicher Zeit 
erhoben und die Öftreicher um Abzug gezwungen. 

Während fo faft in allen Theilen der Monarchie die Revolution ihre Siege erfocht, war 
auch der Mittelpuntt des Staats in voller Auflöfung. Das Minifterium, das nach Metternich 
Blucht gebildet worden (Kicquelmont, Pillersdorf, Sommaruga, Kübel, Dobihoff u. f. w.) 
vermochte keine Wutorität zu erlangen. Sein Preßgefeg mie fein Verfaffungsentwur 
‚verunglüdten und bie Gewalt ging völlig an die aufgeregten Volksmaſſen, an bie Ratie 
nalgarde und die Studentenlegion (Aula) über. Vergebene fuchte die Regierung dem Cr 
tealausfchuß, der aus der Nationalgarde hervorgegangen, aufzulöfen; eine Maffenberwegun 
(15. Mai) erzwang ſowol deffen Fortdauer ald die Mevifion des Wahlgeſetzes, nach wel⸗ 
hem der neue Reichstag als ein conflituirender berufen werben follte. Diefe Vorgänge 
und die Abneigung bes Kaifers gegen gewaltfames Einfchreiten bewogen die kaiferl. Kami- 
lie, die Flucht nad) Innsbruck einzuleiten, die der Hof 17. Mai antrat und glüdfidy voll- 
führte. Ein Verfuh des Minifteriums, die Macht der Aula zu brechen (25. Mai), mit- 
lang völlig, es entſtand ein Sicherheitdausfchuß, deffen Einfluß die Regierung fich fügen 
mußte. Während fo der Kaifer in Innsbruck verweilte, Wien der Volksherrfchaft überlieker: 
ward, die Ungarn felbftändig ihren Weg gingen, zu Prag in den Pfingfitagen ein ſlawiſche 
Aufftand ausbrach, den Fürſt Windiſchgrätz mit blutiger Strenge unterdrüdte, ermannte id 
die öſtr. Staatsmacht zuerft wieder in Stalien. Dort hatte Radetzky (f. d.) gegen die Madı 
Karl Albert's von Sardinien (f.d.), der gleichzeitig mit dem Ausbruch der Revolution den Krin 
an D. erklärte, fomwie gegen ben Zuzug aus Toscana, Rom und Neapel, anfangs nur geſtüß 
auf Verona, die Defenftve behaupten können. Auch war die auswärtige Politik D.8 fo ent 
mutbigt, da es in Unterhandlungen, die unter brit. Vermittelung gepflogen wurden, fogar der. 
Lombarden unter mäßigen Bedingungen die Unabhängigkeit anbot. Seit Juni ergriff abe 
Radetzky die Dffenfive, nahm Vicenza, Padua und andere Städte und wandte fi) dann gega 
die fardin. Hauptmacht, die nad, einer Reihe blutiger Gefechte durch den Sieg bei Cuſtozu 
(25. Zuli) vollig aus dem Felde gefchlagen ward. Die Flucht Karl Albert’s, die Auflöſung fer 


nes Heeres und ein Waffenftillftand, der die Lombardei D. wieder unterwarf, waren bie Frude 


dieſes Siegs. Indeſſen zeigte fich in Wien die Regierung ohnmachtiger wie bisher. Das Mi 
nifterium warb (8. Juli) durch die Nationalgarden und die alademifche Legion zum Rüdtrk 
gezwungen und durch ein neues (Meffenberg, Bach, Kraus, Latour, Hornboftl, Dobfhefl 
Schwarzer) erfegt. Der Kaifer blieb in Innsbrud und ließ den conftituirenden Reichstag in 
Wien durch feinen Stellvertreter, den Erzherzog Johann, 22. Juli eröffnen. In Ungarn abe 
bereitete fich eine neue Krifi$ vor. Die Kroaten unter ihrem Banus Jellachich (f. d.) lehnten 
ſich gegen das magyariſche Übergewicht auf und weigerten ſich, der ungar. Regierung, die unter 
dem Minifterium Batthyanyi-Koffuth ſchon faft ganz unabhängig vom der öſtr. Politik auftrat, 


Oſtreich 547 


Gehorſam zu leiſten. Zwar misbilligte der Kaiſer officiell dieſen Widerſtand und verhängte ſogar 
die Abfetzung über Jellachich; aber die Aufnahme, bie derſelbe in Innsbruck fand (Juni), ſowie 
feine folgenden Schritte bewiefen, daß ber Baiferl. Hof fein Verhalten insgeheim guthieß. Indeffen 
rüfteten die Ungarn, ſchufen Papiergeld, bemühten fich aber vergebens, die kroatiſche Bewegung 
durch Unterhandfungen zu befchwichtigen. Während fidy Jellachich in Bewegung gegen Ungarn 
fegte, verließ der Erzherzog Palatinus Stephan nad) einem legten vergeblichen Verſuch der Vermit⸗ 
telumg das Land und ging nach Deutfchland (September). Kaiſer Ferdinand, der endlich nach wie- 
berholten Einlabungen im Auguft nad Wien zurückgekehrt war, ernannte nun den Grafen Lam⸗ 
berg zum Commiſſar und Obercommanbanten in Ungam; derfelbe wurbe aber auf der peſther 
Brüde (28. Sept.) ermordet. Es folgte die Ernennung des General Recfey zum Minifterpräfi- 
benten in Ungarn. Dem Banus wurde zugleich das Obercommando übertragen und der ungar. 
Landtag aufgeloft. Auf eine friedliche Durchführung dieſer Befchlüffe war freilich nicht mehr 
ju rechnen; denn die ungar. Revolution zeigte ſich bereits in vollem Gange. Der Landtag löfte 
fich nicht auf, fondern wählte Koffuth zum Prafidenten des Sanbednertheibigungeautfauffes. 
Zugleich brach aus Anlaß des Abmarfches kaiferl. Truppen nach Ungarn in Wien felbft 6. Det. 
nicht ohne ungar. Mitwirkung ein furchtbarer Aufftand aus. Das Zeughaus wurde geftürnt, 
bie Maffen bewaffnet, der Kriegsminiſter Latour ermordet. Der conflitutionelle Reichstag gab 
ber revolutionären Strömung nach, erffärte fich für permanent unb richtete an den Kaiſer eine 
Adreſſe, worin die Bildung eines neuen Minifteriums, die Abfegung von Jellachich und Ahn⸗ 
liches verlangt wurde. Die kaiſerl. Familie verließ indeffen Schönbrunn und floh nad Olmug. 
Während in Wien ein Sicherheitsausfhuß an die Spige trat, die Volksbewaffnung organi- 
firte und der poln. General Bem (f. d.) die Leitung der militärifchen Angelegenheiten über⸗ 
nahm, der Reichötag aber, bedeutend zufammengefchmolzen, zwiſchen Koyalität und Zuftim- 
mung zur Revolution hin und her ſchwankte, hatte fich die bewaffnete Macht unter Auersperg 
erft auf das Belvedere zurückgezogen, dann mit Zellachich vereinigt, um etwaige Verfuche der 
Ungarn zur Unterflügung Wiens abzufchlagen. Zugleich näherte ſich Fürft Windifchgräg mit 
einer Armee und erflärte Wien in Belagerungtzuftand. Als ſich die Stadt feiner Auffoberung 
ur Unterwerfung unter ſtrengen Bedingungen nicht fügte (23. Dct.), begann ber vereinigte 
Angriff auf die Stadt. Die Wegnahme eines Theils der Vorftädte bewog bie Leiter des Kam⸗ 
pfe® (29. Dct.) fi) zur Übergabe der Stadt zu entfchliefen; aber die Nachricht von einem Entfag 
durch Die Ungarn, die jeboch bei Schwechat zurüdgefchlagen wurden (30. Dct.), rief den Kampf 
von neuem hervor, der dann am folgenden Zage mit der Unterwerfung der Hauptftadt endigte. 
E6 wurden nun die firengften militärifchen Maßregeln genommen, eine Anzahl Führer und 
Theilnehmer, unter ihnen auch Robert Blum (f.d.) 9. Nov. kriegsgerichtlich verurtheilt und er⸗ 
[choffen. Schon vor dem Beginn bed Kampfes hatte ein kaiſerliches Manifeft den Reichstag ver- 
tagt und ihn auf den 15. Nov. nach Kremfier berufen. Jetzt folgte 22. Nov. die Bildung eines 
neuen Minifteriumd, in welches Zürft Selig Schwarzenberg, Graf Stadion, Bach, Brud, 
Kraus, Gordon, Thinnfeld eintraten. Die energifche Politik der Reftauration, die nun beginnen 
ſollte, hatte biöher nur in einzelnen Perfönlichkeiten am Hofe, namentlich ber Etzherzogin &o- 
pbie, eine kräftige Vertretung gefunden, bie milde und nachgiebige Natur Ferdinand's I. wider⸗ 
firebte ihr. So erfolgte2. Dec. die Abdantung des Kaifers und des Erzherzogs Franz Karl und 
bie Erhebung von deffen Sohn, Franz Joſeph (f. d.), auf den Kaifertbron. Im Winter über- 
ſchritt dann Windifchgräg die Leitha und begann den Krieg in Ungatn. Nach den Gefechten 
bei Raab und Babolna ward (Yan. 1849) Dfen befegt und die ungar. Armee zog fich auf das 
Iinfe Ufer der Theiß. Indeffen fich bier der heftige Kampf des Sommers vorbereitete, ben Un 
garn Zeit blieb, ihre Streitkräfte zu organifiren, und eine Reihe begabter Führer, namentlich 
Börgei und Klapka aus ihnen hervorgingen, erfolgten auch auf andern Stellen entfcheidende Er- 
eigniffe. Der Waffenftillftand mit Sardinien war im März gekündigt worben. Radetzky machte 
jegt feinen beivunderten Feldzug von wenig Tagen, flug (21.— 23. März) die ſardin. Armee 
bei Mortara und Rovara, zwang dadurch ben König Albert zur Abdankung und erhielt einen 
Waffenſtillſtand, dem der Friebe folgte, in welchem die alten Grenzen blieben, aber Sardinien 
45 Mil Lire Kriegskoſten bezahlte. Mit der Übergabe von Venedig, bie fich bis in den’ Augufl 
hinauszog, war dann die Unterwerfung Italient vollendet. In Kremfier vermochte ſich indeffen 
die Regierung mit dem Reichstag nicht zu verfländigen. Sie löfte benfelben auf und octroyirte 
4. März 1849 eine conflitutionelle Verfaffung, in welcher ein Reichstag mit zwei gemählten 
Kammern, Provinziallandtage, Trennung der Juſtiz und Adminiſtration, Verantwortlichkeit 
der Minifter, Offentlichkeit des Bevichtöverfahrene u. ſ. w. zugeſagt war. ans 








In eine eigenthũmliche Verwicelung waren wärenh biefer Zeit bie zu 
land gerathen. In ber Rationalverfammäng zu Brankfurt hatte ee 
die Richtung gensmmen, einen Bumbeöftant mit peeuf. Leitung undeine lmion milk 
Dbmwel nun das Minikeriumin feinem Programm vom 27. Nov. davon 
WER, neun Das verjänfte D. und dab verlängte Deufifand zu neuen und feien N 
langt feien, ihre gegenfeltigen Beziehungen Maus ‚ya beftimmen”, erklãrte es doch (Ende 
= cember), daß es bieß nicht fo verflanden, als wolle D.aufben Eintritt in den Bunbegftaat 
ten. US bann aus ben franffurter Berathungen immer beftimmter ein Bumdesftaat 
erklarte ſich D. (Bebr. 1849) entſchleden Dagegen und verwahrte ſich gegen bie u 
— vr osniren Befofungpgm 4 Miry de au D dr Ginfekfeu maß, 
1 mem 4 aus O. einen fat 
infranbfurt der Antrag —S fofort dem. ‚von Preußen die beutfche Kaife 
zu Übertragen, und als die unter Mitwirkung D.s verhindert ward, wurde 
verfaffang gleichwol 28. März zu berathen und dem König von Preußen bie 
würbe übertragen. Die Weigerung des König die Krone anzunehmen, und bie gefchis 
tie des Erzherzogs · Neichsverweſerẽ, der bie öfte. Jntereſſen unermübet und mit Erfolg 
lam ber öfte. Politit zu Hülfe; aber fie konnte nice hindern, daf Preußen durch De MER 
drũckung ber Aufftände in Mittel und Weſtdeutſchland dort das Übergewicht gemannumdk 
dem Dreifönigebümbniß ben Blut einen Bunbesflaat zu gründen erneuerte. nbeffen es 
bie ganze Tpätigkeit und Kraft D.& burd) den Kampf in Ungarn in Auſpruch genommen. Db 
wel bie Magyaren im Lande felbft deutſche und flaw. Stämme gegen fich hatten, imaren j# 
doch feit Anfang des Jahres burhaus im ewicht. Bem eroberte Siebenbürgen, 
man dert bie Ruffen zu Hülfe rief. Die Übrigen ungar. Heereömaffen drangen im 
nad) Weſten vor, überfidlen bie Kalferlichen bei Szolnok, fochten glüdlich bei Datvan und 
„gen fie bei Waigen (Uprif). Winbifeggräg ward nun durch Weiden im Oberbefehlerfegt, aber 
auch jept wollte fich die Rage nicht günftiger geftalten. Bielmehr überhob ſich Koffurh.in ie 
.fo fehr, baß er bie Entfegung des Hauſes Habsburg-Rothringen ausfprad, umd 
factiſch in eine Repubfit umfhuf. Eeit Ende April drangen die er — 
ein, und im folgenden Monat erlag ihnen au Dfen. Obwol aud) Weiden abberufen 
Haynau erfegt warb, fo hätte doch ohne Si der Krieg gegen die Magyaren noch nict 
fo bald fein Ende gefunden, wenn nicht inzwiſchen O. mit Rußland ein Bündniß gefhloffen 
und in Folge deffen ruſſ. Hülfe unter di Fübrung von Paskewitfch erlangt hätte. Seit Juni 
nahm, ungeachtet einzelner Unfälle der Greifer amd trog glängender Waffenthaten ber Un 
garn, wie Görgei's Treffen bei Waigen und Klapka's Ausfall aus dem belagerten Romorn, der 
Krieg doch eine beffere dung für O. Haynau und Jeilachich führten ben Krieg mit Aut 
zeichnumg und die Mitwirkung ber Ruffen, auch wenn fie von ihnen felbft in ihren Leiftunge 
feht überfchägt worden, gab doch ein numerifches Übergewicht, dem bie Magyaren, unter id 
felbft ſchon uneinig, nicht mehr widerſtehen konnten. Seit Ende Juni, wo der Kaifer felbft Rad 
Hatte erftürmen Helfen, war das weflfihe Ungarn zum großen Theil überwunden und in de 
nãchſten Wochen nahm auch der Krieg im Innern und im Süden eine beffere Wendung. Di 
Gefeqhte bei Syegebin und Debrechin, Haynau's Kämpfe an der Theif, der Entfag von Temt 
war befchleunigten den Ausgang. Vergebens übertrug Koffuth die Dictatur an Görgei. Dir 
fer felbft, an einem beffern Ausgang verzweifelnd und ſchon längft mit Koffuth zerfallen, firrdr 
(13. Aug.) vor den Ruffen bei Vilagos die Waffen. Mit der Übergabe von Komorn (Septer 
ber) war die Unterwerfung Ungarns vollendet. Das Land ward wie ein erobertes behande 
und bie in Arab gefangenen Offiziere von Haynau mit biutiger Strenge geftraft. (S. ungen) 
Durch die Beendigung des Kampfes in Ungarn und den Frieden mit Sardinien hatteD. mir 
der freie Hand, den innern Zuſtänden und dem Verhältniß zu Deutfchlandfeine Aufmerkſamla 
zuzuwenden. Es ſchloß zunächft mit Preußen den Vertrag vom 30. Sept. über bie interimiftildt 
Bundescommiffion ab, nahm die frühere feindfelige Haltung gegen die bundesftaatlichen Ber | 
ſuche an, die Preußen jegt betrieb, Iegte gegen den von Preußen nad; Erfurt ausgefcpriebes 
Reichstag Proteft ein und förberte bie Aufftellung eines Gegenentiourfs, wie er (Bebr. 18 
von ben vier. Königreichen ausging. Beſonders thätig war die Regierung im Innern. Hier ms 
eine ganz neue Verwaltung und Rechtspflege zu organifiren, der bürgerliche und materielle * 
ſtand völlig umzugeftalten. Bon ben Früchten der Revolution war eine fehr weſentliche geretik : 
worden, Die Entlaftung des Grund und Bodens. Die übrigen freifinnigen Gonceffionen map ; 
ten allmälig ber Reflaurationspolitit weichen. Zwar wurde noch eine Zeit.lang im Giune be 


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53 


2 


OHftreich 340 


Bewegung von 1848 gehandelt, bie Rechtspflege und das Proceßverfahren im freiſinnigen 
Geiſte umgeftaltet, Geſchworene eingeführt, Blaubensfreiheit verheißen, Bemeindeordnungen 
eingeführt, bie Einrichtung des Studienweſens dem beutfchen angenähert, die Berfaffungen der 
einzelnen Kronlande, wie fie die Verfaffung vom 4. März 1849 vorfegrieb, feit San. 1850 pu- 
blicirt. Allein es zeigte ſich bald, daß in der Regierumg felbft die Oppofition dagegen bereits 
vorhanden war. Eine beſondere Fürſorge erfoderte der fehr Eritifche Zuftand der Finanzen und 
bes Staats credits. Schon vor der Revolution untergraben, erhielten die Finanzen durch die Er- 
eigniffe feit März 1848 einen furchtbaren Stoß, und bei der Nothwendigkeit ber großen Aus⸗ 
gaben, die der Krieg verurfachte, war eine Heilung fo bald nicht abzufehen. Gleichwol entfaltete 
die Regierung eine außerordentliche Thätigkeit auf allen Gebieten deö materiellen Lebens. Sie 
baute Eifenbahnen, fuchte Die Ströme frei zu machen, den Verkehr zu erleichtern, hob die Zoll- 
ſchranken im Innern des Reihe auf und trat ſchon feit Anfang 1850 mit dem Ge 
banken eines Zollanfchluffes an Deurfchland hervor. Namentlich Ungarn, wo nach dem Ende 
des Kriegs ein Zuftand furchtbarer Unordnung und Gewaltthätigkeit einriß, ward aus feiner 
frühern Sonderftellung in eine Provinz des Geſammtſtaats umgeftaltet. Es wird die Zoll- 
linie aufgehoben, dad Tabacksmonopol eingeführt und ungeachtet der Oppofition ded alt⸗ 
confernativen Adels eine neue Organifation des Landes gefhaffen. Inzwifchen drängten 
bie deutfhen Verhältniſſe zu einer Krifis. D. Hatte durch feine rührige und energifche 
Bolitit Preußen den Vorſprung abgewonnen, zumal nad der Fruchtlofigkeit des Erfur- 
ter Reichstags und des Berliner Fürftencongreffes. Es hatte (April 1850) das Plenum bes 
Bundestags nad) Frankfurt berufen und operirte mit Erfolg auf die Auflöfung der von Preu- 
Ben lau betriebenen Union. Nachdem die Verhandlungen awifchen beiden Mächten im Eommer 
1850 zu keinem Ergebniß geführt, berief D. im Seviember den Engern Rath nach Frankfurt, 
rüftete Truppen in Böhmen umd verftändigte fi (October) zu Bregenz mit Baiern und Wür- 
temberg über bie im Namen des Engern Raths zu vollziehende Erecution in Kurheffen und Hol⸗ 
flein. Preußen ſchien anfangs entfchloffen, zu widerftehen, fuchte dann aber durch ruff. Vermit⸗ 
telung bie Sache auszugleichen und fügte ſich im legten Augenblide den öftr. Foberungen in ber 
Berabrebung zu Dimüg (29.Nov.). Die Union ward aufgegeben, die Erecution in Heffen und 
Holſtein bewilligt, die Revifion der Bundesverfaffung auf die Dresdener Eonferenzen (feit Ende 
December) verſchoben. Die Zwecke, die Schwarzenberg's kühne ımd entfchloffene Politik vere 
folgte, wurben freilich zu Dresden nicht erreicht. Die Bundesverfaffung blieb unverändert. Auch 
der Eintritt Befammtöftreich# in den Deutfchen Bund warb allmälig aufgegeben, und feit Mai 
41851 beftand wieder der alte Bundestag, von allen Seiten befchidt. (S. Deutſchland.) 

In den innern Angelegenheiten O.s trat mit 1851 bie entfcheidende Wendung ein. Daß fich 
die Politik mehr der Reftauration zuneige als den liberalen Gedanken ber Berfaflung vom Mär; 
4849, war lange zu erkennen. Daß ftrenge militärifche Regiment, die Überwachung der Preſſe 
u. ſ. w. bewies dies. Die Verfaffung warb vorzugsweife im- Sinne der Eentralifation und zur 
Derftellung eines Einheitsſtaats benugt ; ihre Grundrechte famen nur ber kath. Kirche zu gute, 
die fhon 1850 vom placetum regium befreit worden war. Run traten im Jan. 1851 Echmer- 
fing, im Mai Bruck, der geniale Schöpfer ber materiellen Reformen, aus dem Rinifterium aus: 
fie wurben ald das freifinnigere Element ber Regierung betrachtet. Am 20. Aug. erfchienen 
dann eine Anzahl kaiſerl. Verordnungen, wonach die Minifter nur dem Kaifer verantwortlich 
gemacht wurden, der im vorigen Jahre gefhaffene Reichsrath zum Rath; der Krone erflärt und 
die Minifter zum Bericht über die Verfaffung vom 4. März aufgefobert wurden. Es folgte 
dann bie Aufhebung der Nationalgarden, die Zurüdnahme des Preßgefeges von 1849, und 
41. Ian. 1852 erfchten eine Kundmachung, wonach bie Verfaffung von 1849 und die Grund⸗ 
rechte aufgehoben, die Schwurgerichte befeitigt, die Gemeindeverfaffung umgeftaltet und an die 
Stelle der Provinzialftände berathende Ausſchüſſe aus dem Erbadel und den Grundbefigern 
gefegt wurden. Daran fchloß fich fpäter die immer fichtbarere Begünftigung des Klerus, na- 
mentlich ber Jefuiten, und Veränderungen im Studienwefen, namentlich auch im claffifchen Un- 
terricht. Der Kaifer verbarg feine Vorliebe für die militärifch-abfolute Regierung nicht. Mit 
großer Thätigkeit widmete er fich perfönlich den Regierungsgefchäften, befuchte die verfchiebenen 
Theile der Monarchie, im Herbft 1851 auch Stalien, wo noch fortbauernde Verſchwörungen 
und bfutige Strafen die innere Gährung anzeigten, ımd 1852 Ungarn, dem durch bie Ernen⸗ 
nung bes Erzherzogs Albrecht zum Statthalter eine Eonceffion gemacht worden, ohne daß darum 
das Land zu einer gründlichen Beruhigung zurüdehrte. Die finanzielle Noth dauerte indefien 
fort. Man mußte wiederholt daB laufende Deflcit mit Anleihen decken, deren Bedingungen 







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begründeten die Einigung der mit D. einverftandenen Staaten, Biel 

he eine Zeit lang bie @yiflen, des Zollvereins (f.b.) bedrohte: 

igen mittel» und noxbbetfhen ©taasen zu ifoliren ſchien Während diefer® 

. 1852) Fürft Schwarzenberg, der fühne Reiter der au 

6. Sein Racfolger war Graf Busl-Bhauenftein ([.d.). Es fnüpfte 
fern eine Beränderung des Eigfiems, al jegt ein mildered und v 


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umter Fürft Schwarzenberg überwiegend zu Rußland geneigt, auch fi Framkrı 
hert hatte, mit England aber wegen Palmerfton’s Sympathien für Ungarn und Srallen 
entzweit war, firebte namentlich feit der Herſtellung des franz. Kaiſerthums fichtbar baniufl 
wieder in das alte Verhältmiß zu Preußen zu kommen. Es gelang dies auch vollfommen. 
Unterhandlung Brud's führte zum Siele, und der 19. Febr. 1853 abgeſchlo ſſene 5— 
trag räumte einen großen Theil der disherigen Schranken zwiſchen Deutſchland und D. wg 
ohne doch die Eriftenz des Zollvereins zu gefährden. Cs war dies für D. und feine Künftig 
Entwickelung ein fehr bedeutender Wendepunkt; der Fall des Prohibitivfgftems vollendete Mi 
Revolution, die durch die Gentralifation der Verwaltung, durch Ablöfung der Grumblafin 
u. f. w. mit der alten öfte. Monarchie vorgegangen mar. 

Der Zuftand der Finanzen hatte indeffen angefangen ſich zu beffern, zumal feit erufilik 
Schritte zur Reduction des Heeres erfolgten. Gleihwol erfchienen die innern Zuftände b 
Samen immer noch nicht recht befriedigend. Außer dem Misvergnügen, welches bie Tende 
des Tinheitsſtaats und die Herſtellung einer bureaufratifch-militärifchen Verwaltung nd 
fach wedte, waren in Ungarn und Stalin die Stimmungen revolutionärer md 
keineswegs übermältigt. Im der Lombardei dauerte das firengfte militärifche Woalten, di 
Aoärigtelt der Kriegsgerichte noch immer fort, als 6. Febr. 1853 in Mailand ein m 

jazzini amgeflifteter Tumult losbrach, in dem Soldaten und Offiziere meuchlerifch übe 
fallen wurden, ohne daß freilich die Maffe der Bevölkerung ſich dabei betheiligte. Zul 
Tage fpäter (18. Febr.) ward Kaifer Franz Jofeph, ald er auf der Baſtei fpazieren ging 
von einem Unger, Namens Libeny, meuchleriſch überfallen und mit einem Meffer nik | 
unbedeutend am Halſe verwundet. Jene Vorgänge in Mailand führten auch ausmärdet 
Verwickelungen herbei. Schon vorher war D. mit der Schweiz in Differenzen geratkn 
wegen ber Auötreibung von Rapuzinern im Canton Teſſin, die öftr. Unterthanen waren. Rah 
den Vorgängen vom 6. Febr. lie es gegen Teſſin die firengfte Grenzfperre eintreten und tiid 
alle in der Lombardei anfäffigen Zeffiner in die Heimat zurüd. Zugleich wurden Die @ürer Is 
aus gewanderten Zombarben, auch foldyer, bie ed mit Erlaubniß gethan und in Sardinien se 
ralifirt waren, mit Sequefter belegt. Die erften Zerwürfnifie führten zu Zerwürfniffen mit da 
Scqhweiz, zufolge deren der öfte. Geſandte Bern verlief bie Sequeſtration ber Güter rief Be 

Buda Beraidelmgen 


damationen von Sardinien hervor. harrten noch Ende 1855 auf de 


Öftreiifcher Erbfolgekrieg Oſtrolenka 551 


Wedigung. Unterdeffen war aber auch eine noch viel wichtigere Angelegenheit aufgetaucht: 
e Drientaliſche Frage. (&. Dsmanifes Mei.) D. hatte bei dem Gtreite zwifchen bee 
forte und Montenegro ſich der Montenegriner angenommen, zugleich aber auch Befchwerbe 
hoben wegen Verkürzung ber ihm zuftehenden Rechte an der abriatifchen Küfte und wegen 
kis handlung der riftlichen Unterthanen in der Türkei. Cine drohende Sendung bed Grafen 
iningen (Febr. 1855) hatte die Abhülfe der Beſchwerden zur Folge; allein es reihte fi an 
fe Differenz eine andere, die bald das Intereſſe der gefanmnten europ. Politik in Anſpruch 
Hm. Rußland ftellte rücfichtlich der firchlichen Protection ber odman. Griechen Foberungen 
bie Türkei, deren Form und Inhalt die Pforte für unverträglich mit ihren Hoheitsrechten 
It Das meitere Vorgehen Rußlands in diefer Sache bedrohte Europa mit einem Kriege, 
2 2). einerfeitd wegen feiner freundfchaftlichen Beziehung zu Rußland, andererfeits wegen ſei⸗ 
5 Intereffes, in Verein mit den Weſtmächten den Status quo bed Dsmanifchen Reichs aufrecht 
erhalten, fo viel als möglich verhindern mußte. Nachdem es alle Berfuche, in Verbindung 
t Preußen, England und Frankreich eine gütliche Ausgleichung des Gonflicts zu bewirken, 
ch õpft und die Pforte den Krieg gegen Rußland begonnen hatte, erflärte D. im Det. 1853, 
dem bevorftehenden Kampfe neutral blieben zu wollen. Vgl. Generſich, „Geſchichte der öſtr. 
onarchie von ben älteften Zeiten bis zum Frieden von Paris” (8 Bde, Wien 1815—17); 
oxe, „Geſchichte des Haufes Öftreich” (deutſch von Dippoldt und Wagner, 4 Bbe., 2£p,.1810 
-17); Mailath, „Geſchichte des öſtr. Kaiferftaats” (5 Bde., Hamb. 1834 — 50) ; Lichnowſky, 
Beichichte des Haufes Habsburg” (8 Bde, Wien 1836 — 44); Vehſe, „Geſchichte bes oflr. 
ofö und Adels ımd der öfter. Diplomatie” (11 Bde, Hamb.1850—52). In neuefter Zeit 
6 fich um bie öſtr. Geſchichtsforſchung namentlih J. Chmel (f. d.) verdient gemacht. Zur 
flege der vaterländifehen Geſchichte wurde 22. Dec. 1847 eine permanente Sommiffion der 
iſerl. Akademie der Wiffenfhaften zu Wien ernannt, welche bereitd die Derausgabe ber 
’ontes rerum Austriacarım” (Xbth.1: „Diplemataria et acta”, Bd.1— 5, Wien 1849 
-52) und eines „Archiv für Kunde öfte. Geſchichtsquellen“ (1848 fg.) begonnen hat. Als 

ilage zu lepterm erfcheint feit 1851 ein „Notizenblatt“. 

Dftreihifcher Erbfolgekrieg, ſ. Erbfolgekriege. 

Dftrog (Konftantin, Fürft von), aus einem mächtigen fouveränen Geſchlechte, das früher 
ine Refidenz in der jegt verfallenen Stadt Dfteog (mit 10000 €.) in Bolbynien hatte, 
eftegte ald berühmter Heerführer zu Anfange des 16. Jahıh. die Zataren und Moske⸗ 
ter in mehr als 30 Schlachten. Seine Enkelin war die unglüdlicde Helſszka (Elife- 
sth), Fürſtin von D. Obgleich ausgezeichnet durch Schönheit, follte fie nach dem Willen 
‚rer Hutter unverheirathet bleiben. Doc, 1554 raubte fie der Fürſt Sanguszko, deſſen Gattin 
e wurde. Nach feiner Ermordung verlobte fie der poln. König Sigismund Auguſt dem Gra⸗ 
m Gorfa; allein au diesmal fonnte fie nur mit Gewalt den Händen der Mutter entriffen 
yerden. Nach dem Tode ihres zweiten Gemahls wahnfinnig geworden, farb fie in frühen Jah⸗ 
en. — Dſtrog (Konftantin Baflli von), einer der mächtigften Fürften feiner Zeit, fiel in bem 
kampfe der Polen gegen die Ruffen in die Gefangenfchaft des Zaren Iwan Wafiljewitſch, der 
hn vergebens in feine Dienfte zu Ioden fuchte. Nachdem es ihm gelungen, zu entfliehen, wurde 
e vom poln. Könige Sigismund zum Großhetman von Lithauen und, nachdem er 8: Sept. 
‚514 über die Ruffen den glänzenden Sieg bei Ors za bavongetragen hatte, zum Woſewoden 
on Wilna erhoben. — Dſtrog (Konflantin, Herzog von), ein eifriger Anhänger des griech. 
hriſtlichen Glaubens, war ein heftiger Gegner der Jefuiten und der Union dex griech. und 
om. Kirche und fuchte auf der Synobe au Thorn eine Vereinigung mit den Reformirten im 
Polen herbeizuführen. In der von ihm gehobenen Refidenz D. legte er eine hohe Schule, 
n der hauptfächlich die griech. und lat. Sprache getrieben wurde, und eine Druderei an, aus 
velcher auf feine Veranftaltung 1581 die berühmte oftroger (altſlaw.) Bibelüberfegung her⸗ 
vorging. Er ftarb 1608. Bald nad) feinem Tode fanden die Jefuiten durch die Fürſtin Inne 
Aloiza won D. Eingang in D. und gründeten bier 1629 ein jehr anjehnliches Collegium. — 
Die männliche Linie der Kürften von D. erloſch 1673 mit dem Fürften Ulegander ; die großen 
Büter gingen an die Fürften Sanguszko über. 

Oſtrolenka, eine Stadt in der Wojewodſchaft Plock im Königreihe Polen, an der Rarew, 
mit 2000 E., ift bekannt durch das Treffen, welches Hier 16. Sehr. 1807 zwifchen dem franz. 
General Savary und den Ruffen unter Eſſen flattfand, noch denkwürdiger aber durch bie 
Schlacht vom 26. Mai 18351, in welcher Diebitfch einen vollftändigen Sieg über ben yoln. Ge- - 
neral Skrzynecki davontrug umd in der Die poln. Generale Kicki und Kamienſti fielen. 






u. | —EE Raifentpaiip!;is :8 deut | 
a . . ‚1. DiichtinifgesMnifpntguie: en ö . EP 
Dane, a au: —— —— 8 5; 


bemerkens ein 1852 von Dr | vr. 
MAMauches Lehre m — Weidet im — auf —— —* 7 


Ute —— — an und Inſpectoren und 1365 Schäfer In acht 


gef Geſchlecht in Pelen. Criſtiuus D.; 
* Caſtellan von Krakau, befand ſich im der Schlacht bei Tannenberg 1410 
| Jagelo'. — OftrowfEi (Komafı, Graf), geb. 1738, war. einer ber | 
männer feiner Seit: Zuerſt Landbote end — IT. Negierung, zus 
an in den Senat. Als eifriger Beförberer der Conflitmtten vom 3. ui M 
MOB ex fi jedoch buns bie Mnbringer ber Gonfüberatioh Don Bargernie ge gt feine‘ 
Isufgageben und fich auf feine Güter in der Ukraine uziehen. Sur 
Marſchau wurbe er 1809 zum — und nachher tm Sräfpenten bb 

























erheben. Diefeibe Würde bekleidete er nach Errichtung des Königreich® er 
5 —— en £ Bee ke *78* der ſie 5c5* 
er er 
ſtarb 1817. — ——ãe— (Antoni), bes Borigen geb. zu — 1782, Fe 


A800 auf ber Univerfität zu Leipzig und trat 1808, sieh nach dem Binzuge ber Franzepah 
Werſchau, in bie from. — Nach Grũndung des Herzogthumt —— Xä 
Landðbote, und während des Kriegs mit Oftreich 1809 war er ie 
. Im 3. 1812 folgte er Rapoleon nach Dresden und focht in ber Schlacht bei 
Polen durch Alerander-eine Verfaffung erhalten, hatte ex als Abgeordneter 
fer ben nd poln. in He überbringen ‚und wurde — ber Unöchus 
Derfegung zwiſchen den Höfen von , Petersburg Wien zum ; 
— Rah ven BE Beh da Bau a af fen, | 
sen Konfl tet arpt | 
eine Reife durch England, Frankreich und land. ‚Bei —— 
ſtande 1850 eilte er nach Warſchau. Er wurde zum Oberbefehlstzaber ber 2 
namit und wußte geſchickt Die Maſſen in Saum zu halten. Ihm warb von dem Peer de 
Auftrag, den General Skrzynecki (f. d.) in Bolimow feiner Würde zu entfegen. Als Kru- 
wiecki zur Gewalt gelangte, fchieb er aus der Reichöverfammlung und focht dann als gemeiner 
Soldat auf den Wällen von Warfchau. Nachdem er zuvor ald Senatöpräfident Krukewie’t 
Entfegung ausgefprochen, folgte er dem poln. Heere nach Modlin und entwarf beim Übertritt 
nach Preußen (4. Oct. 1831) das Manifeft an bie Könige und Volker Europas. D. fand ein 
Aſyl in Frankreich. Sein Bruder, Wladiflaw D., war während ber Revolution von 1850 
Landtagsmarfchall und fland als folcher in allgemeiner Achtung. — Oſtrowſti (Xeober), in 
Piariſt und Profeſſor im warfchauer Gonvicte, geft. 1802 in Lemberg, ift der Verfafler einet 
gefhägten „Civilrechts des poln. Volkes” (deutſch, 2 Bde. Berl. 1797). Er gab auch heram 
„Geſchichte und Rechte der poln. Kirche” (2 Bde., —R 1793), desgleichen eine Bearbe 
des „Engliſchen Strafrechts“ nach Bladfione mit Anwendung auf Polen. 
ler oder Baltifches Meer heißt der große, mit ber Norbfee und dem Kattegat mittel 
der Meerengen des Sunbes, des Großen und Kleinen Belts zufammenhängende Meerbufen, de 
durch die Küften von Dänemark, Deutfchland, Preußen, Rußland und Schweben begrenz 
wird, 190—200 deutfche Meilen lang, 24—48 breit ift, und deſſen Blächeninhalt, mit 
griff des Finniſchen und Bottniſchen Meerbuſens, 7500 AM. beträgt. Ihre geringe Breit, 
forte die im Durchſchnitt nur 15—20 Klafter und an fehr vielen Stellen kaum halb fo viel, im 
Allgemeinen aber nicht über 40— 50 umd nirgends über 167 Klafter betragende Tiefe dei 
Waſſers, die flachen preuß. und bie meift felfigen fchweb. Küften, vor allem aber ber häufy 
eintretende, von heftigen Stürmen begleitete Wechfel der Winde machen dieſes Meer für den 
Seefahrer gefahrvoll, obwol feine Wellen an und für ſich minder furchtbar find als die da 
Rorbfee. Die Gruppe der Alandsinſeln (f. d.) ſcheidet den füdlichen Theil ber Oftfee vomnörb 
lichen oder dem Bottnifchen Meerbufen (ſ. d.). Der Finniſche Meerbufen (f. d.) fcheiber ah 
öſtliche Sinbuchtung in den ruf. Continent Finnland von Eſthland. Ein dritter Meerbufent 
ber Rigaifche oder Livländiſche. Das Kurifche, das Frifche und das Pommerſche Haff (f. Gef) 
find nicht ſowol Seebuchten als Süßwaſſer⸗ oder Mündungsgolfe der Flüſſe Riemen, Pregd, 
Weichſel und Der. Das Waſſer der Oftfee ift kälter und Harer als das ded Dceans. Es eut- 
Hält fünf mal weniger Salztheile als ber Ktlantifche Ocean, und das Eis hindert jährlich S—A, 


Oſtſeeprovinzen Ofymandyas 853 


zumeilen 5 Monate lang bie Schiffahrt. Ebbe und Flut find, wie in allen fo enge verfehloffenen 
Binnenmeeren, wenig bemerkbar; doch fleigt und fällt da8 Waſſer zu Zeiten, wiewol aus an⸗ 
dern Urfachen, in&befondere vermöge der verfchiedenen Waſſermenge, welche je nach der Zahres- 
eit von den Flüffen zugeführt wird. Bei flürmifchen Better findet man an den Küften 
ßens und Kurlands Bernftein, den Die Wellen an das Ufer fpülen. Es ergießen fich wer 
nigftend 250 Flüſſe in die Oftfee, Darunter aus Deurfchland: Trave, Warnow, Der, Rega, 
Perſante u. f. w.; aus Preußen Weichſel, Pregel und Niemen; aus Rußland Windau, Düna, 
Rarwa, Newa ımd Ulea und aus Schweden Torned, Luleaͤ, Pitei, Umei, Angermanna- und 
Dal-Eif, fowie der Abfluß des Mälarfees und der Wafferzug der Motala. Ihr Beden mißt 
wenigftens 42000 AM. ; nur ungefähr ein Viertel von deſſen Grenze ift gebirgig. Unter den 
Inſeln der Oftfee find die bebeutenbdften: Seeland, Fünen, Bornholm, Samfse, Möen, Lan⸗ 
geland und Laaland, bie zu Dänemark gehören ; bie ſchwed. Sottland, Diand, Hveenim Sunde; 
bie zu Rußland gehörenden Alandeinfeln am Eingange bes Bottnifchen Meerbufens und Dagö 
nebft Defel an der livländ. Küfte; die preuß. Infel Rügen. Die Zahl der Schiffe, welche jährlich 
aus der Oftfee in die Nordfee und aus biefer in jenes einlaufen, beläuft fich auf mehre Tauſende. 
Durch den Eider- oder Schleswig-Holfteinifchen Kanal, welcher in der Oftfee bei Friedrichs⸗ 
ort feine Einfahrt und in der Nordfee feine Mündung bei Tönningen hat, hängen biefe beiden 
Meere zufammen, und es wirb durch dieſe Berbindung vorzüglich in milden Wintern die Ge 
treideausfuhr nach Holland und Frankreich erleichtert. Auch der Göthakanal, welcher die Flüffe 
und Seen Südſchwedens verbindet, fegt die Dftfee mit der Nordfee iu Verbindung. Die wid. 
tigften Handelshäfen an der Oftfee find in Dänemark Kopenhagen, Flensburg, Schleswig und 
Kid; in Deurfchland Travemünde (Lübel), Wismar, Roftod, Stralfund, Stettin und Swi⸗ 
nemünbe und einige pommerfche Häfen; in Preußen Danzig nnd Weichfelmünde, Eibing, Kö- 
nigeberg mit Pillau und Memel; in Rußland Riga, Reval, Narwa, Kronftadt (Petersburg) 
und Sweaborg und in Schweden Stodholm, Karlskrona und Yftad. Ein äußerſt wichtiges 
Phänomen ift die Hebung ber baltifchen Küften; fie war gegen die Mitte des vorigen Jahrh. 
ein Gegenftand vielfacher Verhandlungen unter den Phyſikern. Vgl. Willlomm, „Banderun- 
gen an der Nord» und Oſtſee“ (2p;. 1850). 

Dftfeeprowinzen heißen im weitern Sinne des Worts die fünf länge ber Oftfee gelegenen 
ruſſ. Gouvernements Kurland (f. d.), Livland (f.d.), Efthland (f.d.), Ingermanland oder Pe 
teröburg (f.d.) und Finnland (ſ. d.); im engern Sinne bezeichnet man nur die brei zuerfl ge 
nannten Provinzen mit diefem Namen. Die Oftfeeprovinzen waren einft, bi6 auf Kurland, 
weiches feine eigenen, jedoch von Polen abhängigen Herzoge hatte, Befigungen Schwedens, bie 
zum Theil feit dem Beginn- des 18. Sahrb. durch die Kämpfe Peter's d. Gr., zum Theil erſt 
1809 unter Kaifer Alerander mit Rußland vereinigt wurben und noch gegenwärtig fehr ver⸗ 
ſchiedene Berfaffungen haben, obgleich im Allgemeinen die gewöhnliche Bouvernementöverfaf 
fung eingeführt ift und das Streben barauf hingeht, diefe Provinzen vollig zu ruffificiren. Der 
Flächeninhalt der gefammten Öftfeeprovinzen beträgt etwa 9340 AM., wovon auf Kurland 
gegen 496, auf Livland 854, auf Eftyland 376, auf Petersburg 970, aufFinnland 6844 kom- 
men. Doch leben barauf gegenwärtig, Petersburg inbegriffen, nur etwa 4 Mill. Seelen. 

Döwego, Grafſchaft in dem nordamerik. Freiftaat Neuyort (43% AM. mit 62150 E.), 
wird in nordweftlicher Richtung vom Dswego durchfloſſen, der aus der Bereinigung des Se⸗ 
neca und Oneibafluffes entfteht und, ſeitdem feine Fälle durch ein Syſtem von Schleufen befel- 
tigt find, einen Theil des wichtigen Dswegofanals bildet, der den Eriefanal mit dem Ontario 
verbindet. An feiner Mündung in ben Ontariofee liegt die Hauptftabt der Grafſchaft, Däwege, 
mit einem durch einen fünftlihen Damm gebildeten Hafen, welcher naͤchſt Sackett's Harbour 
der befte an der Sübdfeite des Ontario iſt und wegen feiner Verbindung mit dem Eriekanal ge 
genwärtig einen großen Theil des Handels zwifchen Neuyork und dem Weſten vermittelt. Die 
Stadt ift regelmäßig gebaut, hat fieben Kirchen, zwei höhere Schulen und zählt 12200 €, 
welche lebhaften, Durch die Waſſerkraft im Kanalwerke unterftügten Fabrikbetrieb, namentlich 
auch Säge und Mahlmühlen unterhalten und eine bedeutende Rheberei befigen. Mit den be 
deutendften Hafenörtern am Ontariofee fleht D. durch Dampfboote in regelmäßigem Ber- 
Lehr. Auf der Oftfeite des Dswegofluffes, in der Nähe bes Sees, liegt das der Union gehörige 
Fort Oswego. 

Dfymandijas Heißt nad) Diodor ein alter ägypt. König, befien Grabmal in Theben be 
ſchrieben wird. Diefe Befchreibung tft michtig und merkwürdig, weil fie ein in feinen Ruinen 
noch vorhandenes Gebäude betrifft, welches von Ramſes IL, dem Gefoftris der Griechen. uk 





Einwohnern fonft andichtete, ſowie burch 
tdeckungen fpielte. Zuerft befuchte fie 

engl. Capitãn Wallis, der fie König-Georg’s I.-Infel nannte, und 1769 Goof, der fie zeit 
fler zuerfi genauer unterfuchte und ihr ben urfprünglicden Ramen D⸗Taiti wiebergab. 
Begtern fanden ein harmlofes, im Naturzuftande befindliches, auf 100000 Seelen 
Bolt, welches unter einem König fland, der zugleich oberfter Yriefter war. Die Berüßeung mit 
der europ. Civilifation verwandelte indeffen bald das unbefangene Sinnenleben diefes Belkes zu 
einer gemeinen und verworfenen Sittenlofigkeit und die angeborenen Fehler zu eigentlichen La⸗ 
Kern. Bor allem richteten die Anſteckung mit der Luftfeuche und der Gebraud, des Brannmtweins 
ungeheuere Berwüftungen an. Um diefen Zuftand zu beffern, wurden bereits 1797 Mifftenare 
von England nach D. ausgefendet. Aber erft 1803 nad) dem Tode des Könige Pomare I. be 
gann das Chriſtenthum Ausbreitung und Einfluß zu erhalten. Im 3. 1812 erklärte fih Pe 
mare 11. für das Chriſtenthum, und neue Miffionare, die 1817 anlamen, gaben dem Beck 
rungsgefchäft größern Schwung. Auch Pomare III. der 1824 den Bater folgte, behielt das 
Chriſtenthum bei und ordnete auch das Gemeinweſen durch eine formliche Berfaffung. Allen 
diefe plögliche Givilifirung drang keines wegs ind Volk, das vielmehr verfümmerte und zufam- 
menſchmolz. Seit 1829 traten zu diefer innern Auflofung noch die Zänkereien mit dem franz. 
Conſul Moerenhout, die 1835 zur Einführung auch franz.-tath. Miffionare führten, welche 
1856 von der englifch gefinnten Königin Pomare, die 1832 ihrem Bruder gefolgt war, wieder 
vertrieben wurden. Rachbem eine ebenfo ruhmlofe als ungerechte Erpedition der Franzoſen zwei 
Jahre fpäter die kath. Miffionare zurüdigeführt, fiel das Eivilifationswerk in gänzliche Zerrüt 
tung. Moerenhout brachte es dahin, daß fünf Häuptlinge im Sept. 1842 eine Urkunde unter 
zeichneten, die in zweideutigen Worten D. unter Frankreichs Schug ftellte. Die Königin Po⸗ 
mare proteftirte jedoch dagegen, und al6 1843 die Erklärung des Königs der Franzofen, daß er 
das Protectorat von D. annehme, ankam, fo ließ fie die franz. Flagge abnehmen. Der franz. 
Admiral Dupetit-Thouars, der das franz. Protectorat ins Werk fegen follte, erBlärte fie Daher 
der Regierung für verluftig, was den Widerſpruch Englands und den nun zu offenen Feindfe 
ligleiten übergehenden Miderftand der von den engl. Miffionaren, befonders vom engl. Conſu 
Pritchard aufgeregten Eingeborenen zur Folge hatte. Endlich kam es dahin, baf Frankreich 
fi mit dem leeren Protectorat begnügte und 1844 den Admiral Dupetit-Thouars, England 
aber den Conſul Pritchard zurüdtief. Die Infel felbft war inde dadurch nicht beruhigt. Be 
Bingeborenen hatten fich gegen bie Franzoſen erklaͤrt, und mehre für bie Legtern zum Theil höchſt 


Ge» 
Di 








Dtfried Dtranto 556 


nachtheilige Gefechte, bei Maharea 17. April und bei Rapapa 30. Juni, waren die Folge des 
Aufflandes. Auch vermochte der neue nad) D. gefendete franz. Gouverneur Bruat kein beſſeres 
Bernehmen berzuftellen. Die Königin Pomare, die fi) nach Borabora oder Bolabola, einer der 
benachbarten Infeln, zurückzog, verharrte ebenfalls im Widerftande. Am 7.San. 1845 pflange 
ten die Sranzofen die Protectoratsflagge zu Papaiti auf und Bruat erflärte die Infel Raiatea 
in Belagerungszuftand. Während die franz. Regierung fich mit der englifchen ausföhnte, in- 
bem dem gemishandelten Pritchard, unter ſtarker Oppofition der Deputirtenfammer, eine Ent 
ſchädigung zugeflanden ward, fegten die Eingeborenen ben Guerrillaskrieg gegen die Franzoſen 
fort. Endlich erlangten Legtere 17. Dec. 1846 durch Beſtechung das Fort Fatahua, welches 
bisher wiberfianden hatte, und Dadurch die Unterwerfung ber Bevölkerung. Unter folchen Um⸗ 
Bänden bequemte ſich auch 6. Febr. 1847 bie Königin Pomare zur Annahme des franz. Pro- 
tectorats. Indeffen kam nad) langen Verhandlungen zwilchen Frankreich, England und der 
Königin Yomare 19. Juni 1847 ein Vertrag zu Stande, wonach die Infeln Huaheine, Raia⸗ 
tea und Bolabola von jeden Schugverhältniffe ausgenommen und die Rechte der Königin an- 
erkannt wurden. Obfchon die franz. Miffionare feitdem auf D. verharrten, blieb doch bei dem 
neutralen Standpunkte ber franz. Regierung beren Thätigkeit erfolglos, während fich die brit. 
Miſſion auf O. und den Nachbarinfeln in Geltung erhielt. In neuefter Zeit brach auf den 
Infeln eine Revolution aus, in welcher 1852 die Königin Pomare vertrieben und die Republik 
ausgerufen wurde. Durch franz. Vermittelung erhielt fie zwar ben Thron zurüd, dankte aber 
im Mai 1852 zu Gunſten ihrer Kinder ab, von denen ihr ältefter Sohn König von Raiaten, 
der jüngere König von Duaheine, ihre Tochter Königin von Bolabola werden und Legtere den 
Prinzen Kamehamen heirathen follte. 

Dtfried, vermuthlid aus Franken gebürtig und ein Schüler des Hrabanus Maurus, ver- 
faßte ld Mönch im Benedictinerkloſter Weißenburg im Elſaß eine poetifche Evangelimbarıne- 
nie oder Bearbeitung der Geſchichte Chriſti nach den Evangelien in fünf Büchern, die er nad - 
ihrer Bollendung um bad J. 868 mit einer Zufchrift in deutfchen Verſen König Ludwig dem 
Deutfchen und zugleich mit einer lat. Borrede dem Erzbiſchof Kiutbert von Mainz widmete. 
Er hatte bei Abfafjung feines Werks die Abſicht, der Liebe feiner Landsleute zu weltlichen 
Volksgeſang dadurch, daf er ihnen ein Gedicht von chriftlichem erbaulichen Inhalt gäbe, ent 
gegenzuwirken und zugleich ein Epos nach dem Borbilde lat. Epiker aus der claſſiſchen und 
riftlichen Zeit in deutfcher Sprache aufzuftellen. Sein Gedicht ift das ältefte deutſche, in wel⸗ 
chem der Endreim herrſcht; die Strophen, in denen es gedichtet ift, beftehen aus zwei acht mal 
gehobenen Langzeilen, deren jebe in zwei aufeinander ſtumpf reimende Halbzeilen zerfällt. Un- 
fchägbar als Quelle für die Kenntniß ber althochdeutfchen Sprache und Metrik, zeigt es doch 
mehr von dem frommen Sinn und dem reblichen lehrhaften Streben bes Dichters als von dich⸗ 
terifcher Befähigung und urfprünglicher Kraft und ſteht an poetifchem Werthe dem altfächf. 
alliterirenden Heliand (f. d.), in welchem derfelbe Stoff behandelt ift, weit nach. Herausgegeben 
wurde es zuerft von Matth. Flaciud (Baf. 1571), dann in Schiiter’6 „Thesaurus“ (Bd. 1) 
und mit kritiſcher Sorgfalt unter dem Titel „Kriſt“ von Graff (Königsb. 1831). 

Othman, Eidam Mohammeb’s und dritter Khalif (f. d.). 

Otho (Marcus Salvius), rom. Kaifer vom Jan. — April 69, geb. 32 n. Chr. aus angeſehe⸗ 
nem Geſchlecht, war anfangs Nero's Vertrauter und Genoffe feiner Schwelgereien, wurde aber 
von diefem, weil der Kaifer in dem ungeftorten Genuffe von D.'s Gemahlin, Poppäa Sabina, 
fein wollte, 59 als Statthalter nach Lufitanien entfernt, wo er ſich durch Mäßigung und Ge 
rechtigkeit auszeichnete. Als Galba (f. d.) fich gegen Nero 68 empörte, ſchloß ſich D. fogleich an 
Galba an, begleitete ihn nach Rom und wurde nach defien Thronbefteigung Gonful. Da aber 
Galba nicht ihn, fondern den Pife zum Nachfolger ernannte, fo erregte er bie Prätorianer zum 
Aufftand. Galba wurde 15. San. 69 getödtet, D. zum Kaifer ausgerufen. Indeſſen aber hat⸗ 
ten die Legionen in Germanien ihren Anführer Aulus Bitelius (f. d.) zum Kaifer ausgerufen. 
Seine Unterfeldherren führten das Heer nach Italien und D., ber vergebens einen Vergleich 
gefucht Hatte, zog ihnen entgegen. In einigen Bleinern Treffen blieben D.’6 Truppen Sieger ; in 
der Schlacht bei Eremona aber wurden fie gefehlagen, und D. befchloß num, obwol feine Lage 
noch keineswegs eine verzweifelte war, ſich felbft zu tödten. Am 20. April führte er diefen Ent- 
ſchluß mit fefter Ruhe aus, indem er ſich mit bem Dolch durchbohrte. 

Dtranto, das alte Hydruntum, eine Stadt und erzbifchöflicher Sig in ber neapolit. Pro⸗ 
vinz Otranto oder Terra di Lecce (128 AM. mit 400000 E.), liegt auf einem in das Adria» 
tifche Meer hineinreichenden Felſen. Sie iſt eine alte, ſchlecht gebaute Stadt mit ungefähr AQUA. 


|| Be Ottsva rn 
don werfalienen Feſtungewerken umgeben und bios merfiwürbig tweg ale, ira 
Ola Alter Thierkreit — fi) findet. Ein Heiner | 
wer, der hauptfächlich mit DI getrieben wirb. Nach diefer Stadt wird Die-10 ER. breite Bien 
enge, weiche das Adriatiſche mit dem Sonifchen Meer verbinbet, Strafe von Divanie 
nannte. Rapoleon ernannte Fouché (f. d.) zum Derzog von D. 
—— * a kart ne von acht Peer een ber cbeiften uud non 
tungsformen, e dem gen allener g verbanktꝛ 
et 
; i ven nie zu ge allgemein angenommenen 
Dichtungen gebracht haben. Sle haben Stan von acht Berfen in allen möglichen BR 
gengebichtet, aberden Stalienern war es varbehalten, die ſchönſte, Beweglichkeit und Buche nerkin 
dende Form der aus acht alternirend gereimten Werfen beflehenden unb mit zwei ummittelbaranf 
einander reimenden Berfen (la chiave oder la chiusa) ſchließenden gu erfinden, 
eben wegen biefed dem Gedanken binreichenden Raum zur Entfaltung gem | 
der beruhigend abfchließenden Schlußverfe fich wie ber Hexameter mit beweglichen mb 
nen feftftehenden Schlußgliedern für bie epiſche Darftellung eignet. Der Erſte, der biefe Bis 
güge der Detave erkannt zu Haben fcheint, ift Boccaccio, welcher fie gu feiner „Teseide” gewäßk 
md beöhalb oft fälfchlich als der Erfinder biefer Form genannt wird, ba es vielmehr entfchlehe 
ift, daß fich mehre ältere, ungedruckt gebliebene Dichtungen biefer Urt vorfinden. Seitbem aber 
find alle Meiſterwerke der epifchen Poeſie der Italiener, ſowol ernften als ſcherzhaften Suite, 
. In diefer Form gebichtet worben. Die regelmäßige Detave befteht aus acht endecasillakl piemi, 
d. h. elffilbigen Verfen mit weiblihem Ausgange. Nur felten und ſtets um einen befenbem 









Li 


















u 





F 














der adracoioli und tronchi, Einmiſchung von sottonarj ober Verſen von fieben Silben ie. dei. 
Die Stcilianer harten bi6 auf Meli (f. d.) die ältefte, aus acht alternirendb gebeintien 
Berien beftehende Strophe beibehalten. Es liegt in der Natur diefer Form, daß ber km mit 
der Stange abfchließe, und nur felten, dann aber auch mit Bewußtfein und Abficht, erlauben 
ſich gute Dichter von diefem Gefege abzumeichen. ZBenn von Hammer behauptet, bie Uire- 
ber hätten lange vor ben Stalienern vollkommene Octaven gebichtet, welche fie Esdschalat ober 
Esdschal genannt, fo ift dabei zu bedenken, daß ſich auch nicht bie entferntefte hiſtoriſche Uber- 
lieferung jener arab. Form nachweifen läßt, da felbft die Spanier, welche doch noch am erften 
dergleichen von den Arabern hätten entlehnen können, erweislich die Ottava rima erft im 16. 
Jahrh. mit den übrigen Formen der ital. Poeſie unmittelbar aus Stalien erhielten. 
ttenfen, ein großes und fchones Dorf im Derzogthum Holftein, nahe bei Aitona, mit 
2100 €., ift befonders feines Kirchhofs wegen berühmt, wo ſich die Gräber Klopſtock's, feiner 
Meta und feiner 1821 verftorbenen Witwe, ferner des Herzogs Karl Wilkelm Ferbinand von 
Braunfchmeig, der 1806 in dem dortigen Wirthöhaufe Karlörube flarb, fowie der 1813 ver- 
‚teiebenen und in D. verftorbenen 14100 Hamburger befinden. “ 
Dtter, Giftotter oder Viper (Vipera) heißt eine Schlangengattung, welche einen hinten 
fehr breiten und ſtark abgefegten Kopf, der mit Schuppen oder Fleinen unregelmäßigen Schil⸗ 
dern bedeckt ift, eine längliche, ſenkrechte Yupille, im Oberkiefer Giftzähne, einen kurzen, rund 
lihen Schwanz und keine Grube zwifchen Auge und Naſenloch befist. Zu ihr gehört die ein 
zige Giftichlange Deutfchlands, die Kreuzotter oder gemeine Viper (V. Berus), welche felten 
länger als 2 F. und 4 Zoll did wird und vom mittlern Schweden bis nach Oberitalien, vom 
Ural bis nach Spanien verbreitet if. Sie bewohnt nur trodien und höher gelegene Waͤlder und 
offene, fandige, mit niedrigem Geftrüpp bewachfene Abhänge. Im Ganzen ift fie grau und den 
Rüden entlang mit einem ſchwarzen Zickzackbande gezeichnet, welches aus unregelmäßigen, 
durch gleichbreite Streifen verbundenen Sieden befteht, und zwifchen den Augen ſtehen drei Heine 
Sternſchilder. Es gibt auch einige, doch nicht gerade fehr auffällige Varietäten. Die Kupfer: 
otter tft ein noch nicht ausgewachſenes Weibchen und die Höllennatter eine ſchwärzliche Ub- 
. art. Obwol fie fehr gefürchtet wird, fo iſt doch ihre Gefährlichkeit nicht fo bedeutend ; denn nur 
felten flirbt ein Menfch an ihrem Biffe, da ihr Giftzahn bei feiner Kürze kaum eine Kinie tief 
. dnbringt und bei der Kleinheit der Giftdrüfen die Menge des ausfliegenden Gifts, gering ifl. 
AMeine wormblütige Wirbelthiere ſterben aber ſchnell nach dem Biffe einer Diter. Die 12 20 





 Dkingen -  Ditingen-Ballerftein 587 


Eier reifen ſchon im Leibe der Mutter, ſodaß bie Jungen völlig ausgebildet, —5 Zoll lang und 
bereits mit Spuren der Giftzähne verfehen zur Welt fommen. Gin alter Aberglaube legte den 
Dttern wichtige Heilkräfte bei und man glaubte, daß bie aus Ottern gefochte Fleiſchbruͤhe die 
UAnszehrung heile. Auch machten bie Otternköpfe einen wichtigen Beftanbtheil des Theriak 
(f.d.) aus. Die italienifge Dtter (V. Redi) ift weit giftiger als die Kreuzotter. Diejenigen 
Ottern, welche oberhalb ber Augen ein Paar Peine fpige Hörner tragen, find zu einer befondern 
Gattung Hornſchlange ober Hornviper (Corastes) erhoben worben. 

Ottingen, eine Graffchaft im ehemaligen Schwäbifchen Kreife, iftein fehr fruchtbares Länd- 
hen von 157, AM. mit 60000 E. Einen Theil deffelben bildet das fogenannte Ries oder der 
Niedgau, ein für Aderbau und Viehzucht fehr günftiger Landftrih. Die Graffchaft wurbe 
1806 mebiatifirt und als Standeöherrfchaft der Krone Baiern umterworfen. Zufolge Vertrags 
zwiſchen Baiern und Würtemberg fam 1810 ein Theil davon unter würtemb. Hoheit. Die 
Dauptorte der Grafſchaft find im bair. Kreife Schwaben und Neuburg die Stadt Ditingen 
an der Werrit, mit 3600 €. und zwei Schlöffern, das Bergfchlof Spielberg und der Flecken 
Wallerftein mit 1700 E. und einem Schloffe, das eine Bibliothe? von 100000 Bänden, eine 
Gemälbegalerie und eine Sammlung von Altertpümern bewahrt, und im würtemb. Jaxtkreiſe 
die Stadt Nereöheim (f. d.) und das Dorf Baldern mit einem Echloffe. Das alte Geſchlecht 
der D. war ſchon in den frübeften Zeiten in dem Riesgau anfälfig, wo es im 13. Jahrh. im 
erblicden Befig der Grafſchaft D. erfcheint. Im Anfange des 14. Jahrb. erwarb es durch Hei⸗ 
tath einen Theil vom Unterelfaß, der aber fehr bald wieder an das Hochflift Straßburg veräu- 
Bert und an den Kaifer abgetreten wurde. Graf Ludwig XV. trat der Reformation bei. Sein äl⸗ 
tefter Sohn Ludwig XVI. fliftete die Ottingiſche Linie, welche 1674 bie reichsfürſtliche Würde 
erhielt, 1751 aber erlofch; Briebrich die Wallerſteiniſche, welche als Hauptlinie noch in zwei 
Unterlinien blüht, während bie dritte,die Einie D.-Balbern, bie wieder in Baldern und Kagen- 
flein fich fpaltete, 1798 erloſchen ift. Die beiden noch blühenden Linien find D.-&pielberg, 
gefliftet von Wilhelm bem Züngern, die 1734 nad) dem Rechte der Erfigeburt, 1765 mit Aus- 
dehnung auf alle Nachkommen in ben Fürftenfland erhoben wurde und feit 1781 ſich au D. 
Ö. und D.-Spielberg nannte, und D.-Wallerftein, auch D.-D. und D.-Wallerftein genannt, 
die g7 bie Reichſsfürſtenwürde erhielt, 1798 die Befigungen der erlofchenen gräflichen Linie 
zu O.Katzenſtein⸗Baldern erbte und 1808 ale Throniehn das Oberfthofmeifteramt des König» 
reicht Baier bekam. Die Befigungen ber LinieD.-&pielberg beſtehen in den Herrichaftögerich- 
ten Öttingen und Mönchsroth (A AM. mit 15000 E.) unter bairifcher und der Herrfchaft 
Walxheim (7, AM. mit 250 €.) unter würtemb. Hoheit; bie ber Linie O.⸗Wallerſtein in den 
Herrfchaftsgerichten Wallerftein, Biffingen und Harburg (8 AM. mit 29000 E.) in Baiern 
und einem Theil ber Grafihaft DO. (3% AM. mit 14000 E.) im Würtembergifchen. Beide 
bekennen fich zur Bath. Kirche. Der gegenwärtige Fürft von Ö.-Gpielberg, Karl Otto, erblicher 
Reichsrath, geb. 14. Jan. 1815, übernahm 29. Sept. 1843 die Standesherrfchaft durch Ceſſion 
feines Vaters, Joh, Ant. Aloys, bair. Kronoberflfämmerers, geb. 9. Mai 1788. Der gegen- 
wärtige Fürft von O.-Wallerftein, Karl Friebe. Kraft Ernſt Notger, geb. 17. Sept. 1840, 
folgte 3. Rov. 1842 feinem Vater, Friedr. Kraft Heinr., bem fein älterer Bruder, Lubw. Kraft 
Eryſt, Fürſt von D.-Ballerftein(f.d.),ducch Ceſſion 1825 die Standesherrfchaft überlaffen Hatte. 

Dttingen-Ballerftein (Ludw. Kraft Exrnft, Fürft von), bair. Staatsmann, wurde 31.Jan. 
41791 auf dem Stammfchloffe feines Haufed geboren. Sein Vater, Kraft Exnft, ein Mann 
von altritterlicher Biederkeit, hervorragenden Geifteßgaben und ausgebreitetem Wiſſen, fuchte 
feine durch einen längern Aufenthalt in England gewonnenen nationalökonomiſchen Grund» 
fäge und feine.Anfichten von einer freien Entwidelung ber Regierungsformen bei der Ver⸗ 
waltung eines Meinen Staats in Anwendung zu bringen. Die Mutter, eine Tochter bed Der 
3096 Ludwig von Würtemberg, war eine Frau von ausgezeichneter: Bildung des Geiſtes und Cha⸗ 
rakters. Nach dem Tode feines Waters, 6.Dct. 1802, übernahm Legtere die vormundſchaftliche 
Regierung. Durch ausgezeichnete Lehrer vorgebildet, befuchte 8.1806 mit feiner Mutter Paris, 
wo er dem Kaifer vorgeftellt wurde. Die Anträge des Marſchalls Duroc, in frang. Dienfte zu 
treten, lehnte er ab, was zur Folge hatte, daß fein Fürſtenthum mediatifirt und dem bair. Kö⸗ 
nigehaufe unterworfen wurde. Von 1807—10 befuchte er die Univerfität zu Landshut, wo er 
namentlich Savigny's bildenden Umgang genoß. Der Fürſt wurbe mit bem erfien Kronamte 
Baiernd und zugleich mit Sig und Stimme im Staatsrathe befeibet und erhielt 1812 einen 
geheimen Auftrag nach Paris. Nach der Rückkehr übernahm er bie Verwaltung feiner Be⸗ 
figungen. In diefer Zeit begann er jene mittelalterliche Sammlung von Waffen, Münzen und 













und 
Nachdem er auf dem tb, Lanbtage von 1818 Bd ceſ⸗ 
Conmiſſar zuerſt auf dem polltiſchen Geblete aufgetreten, lebte er eine Zeit lang af 
feinen Gütern und widmete ſich dem Studium der Literatur unb Kunſt der Worzeit. Die von 
tutionelle Umgeftaltung Baierns führte ihn auf das polltiſche Gebiet zuruͤck. Er nahm auf. 
Lanbtagen von 1849 und 1822 feinen Siß in der Kammer der Weichöräte ei 
mit großer Freimüthigkeit bie Mängel des Beamtenwefens, fobaß bie Regierung 
ergriff, um ihm fowol fein Kronamt mie feinen Sig In ber Kanımer gu en 
—* vermäblte fich nämlich 1823 mit Marie Crestentia Bourgin (geb. 1806, geſt. 188 
ber Tochter ſeines Gärtner, bie er zu feiner — — eblidet hatte, und 
dethalb feine Standesherrſchaft an feinen jüngern Bruder Friedrich, was dann vom 
rium denutzt ward, auch feine Stellung als Neichsrath anzufechten. Indeſſen wurde er ua 
‚ dem Begierumgbanteitt König Lubwig's in fein ches Amt wieber eingefegt. Er erſchia 
wieder auf bem Landtage von 1828, trat dann in das Amt eines Begierungspräfibengen I 
Augsburg und nahm auf dem Landtag von 1831 eine fo Hervorragende, zwiſchen den Beibm 
Exrtremen geſchickt vermittelnbe Scellung ein, baf er zum Miniſter bes Innern berufen war 
Seine Verwaltung entſprach indeſſen ben freifinnigen Erwartungen, die man von ihm aehäg, 
nicht. Der Zwiefpalt, in ben er auf dem Landtage von 1837 mit bem Mintfier ber F 
wegen Berwendung ber finanziellen Erfparniffe gerieth, gab die nächfte Veranlaffung, daß er 
Fine Eiche ale Stnarbeatd, Genemakammiffr une Bgieamobyräfben yenläten, ale Oben 
Stelle als Staats ar pe 
zurũckſendete nd nur Dat ———— nebfl ber BE the Kehle. Bieruuf 











- —35 mit Conſequenz verfolgt, ließ er fich 
1840 für die Stände das Recht der freien Dis poſitio 3 
zu nehmen, wodurch er mit dem Miniſter von Abel (ſ. d.) In einen Höchft mangenehmen Gel 
verwickelt wurde, ber ein Duell zwifchen Beiden zur Folge hatte, das aber ken fie 


ferte. Gegen Ende 1843 und im folgenden Jahre wurde der Fürfl zu wichtigen Sendungen in 
Betreff der griech. Angelegenheiten in London imd Paris verwendet. Nachdem er auf bem 
Landtag von 1845—46 der herrfchenben ulttamontanen Partei lebhafte Oppofition gemacht, 
. ward er im Sommer 1846 ald außerorbentliher Gefandter nach Paris gefchidt, aber bald 
darauf durch den Umſchwung der Berhältniffe in Baiern Ins Minifterium felbft berufen. Rad 
dem nämlich Abel dur, die Vorgänge im Frühling 1847 geſtürzt worden, deffen Nachfolger 
aber dem König nicht genügten, warb von O., ber dad Auswärtige übernahm, und Berks Ende 
November eine neue Verwaltung gebildet, welche die Gegner nach dem damals gebietenden 
Einfluffe das „Lola-Minifterium” nannten. Die Erfchütterungen des Mär, 1848 madhten 
indeffen auch diefem Minifterium ein baldige Ende. Fürft D., der in ben ftürmifchen Tagen 
des 4.— 6. März nach beiden Seiten hin kein Vertrauen gewinnen Eonnte, ward ſchon 12. März 
feines Minifteriums enthoben. Er fegte nun feine politifche Wirkſamkeit in den Reihen ber 
Oppofition fort, näherte fich der freifinnigern Partei und trat feitdem auf den bair. Landtagen 
als hegabter und rühriger Leiter ber oppofitionellen Linken auf. 

Ottinger (Eduard Maria), beletriftifcher Schriftfteller und Bibliograph, geb. 19. Rev. 
1808 3u Breslau von früher reichen, aber durch den Krieg verarmten ifrael. Altern, befuchte eine 
Privatlehranftalt und das Gymnafium zu Maria Magdalena bis Prima, ging aber wegen Ma 
gel an Mitteln zur Fortiegung feiner Studien nach Wien, wo er der journaliftifchen Thätigkeit 
zugeführt wurde, die er unter Bäuerle's Anleitung begann. Mit April 1829 unternahm er in 
Berlin die Herausgabe des humoriftifch-fatirifchen Blattes „Eulenfpiegel”. Prefbefchränkm- 
gen trieben ihn jedoch nad) München, wo er „Das ſchwarze Gefpenft“, ein farkaflifches Tage 
blatt, begann, aber bald wieder ausgewieſen wurbe. Auch der 1830 in Berlin von neuem auf 
genommene „Eulenfpiegel” hielt ſich blos bis 1831, worauf O. an beffen Stelle, ohne ſich als 
Herausgeber zu nennen, ben „Kigaro” fegte, der bi6 1835 beftand. Den 1836 zu Bamburg 
begründeten „Argus“ verkaufte er 1838 an feinen Druder ımd ging nach Wien. Hier wie 
auch bald darauf in München ausgewiefen, Iebte er zuerft in der Schweiz, dann in Stuttgart 
und Mainz, bis er feit Juli 1839 zu Manheim den „Deutfchen Poftillon” mit der „Stafette” 
tebigirte und 1. Aug. 1839 die „Allgemeine Bafthofszeitung” begann. Hierauf wandte ſich ©. 
nach Leipzig, wo er 18441 —51 den „Gherivari” und 1845 — 49 den „Narrenalmanach“ 
herausgab. Seit 1852 lebte er in Paris, von wo er 1853 nach Brüffel überzufiedeln fich ver- 


Dttmer Dtto 1. (töm.deutfcher Kaifer) 559 


anlaft fa. Neben feinen periobifchen Unternehmungen fchrieb D. zahlreiche Romane, unter de 
nen „Der Ring bed Noſtradamus“ (3 Bde., Ey. 1838; 3. Aufl., 1853), „Onkel Zebra” 
(7 Bde. Lpz. 1842— 45), „Sophie Arnould“ (2 Bde. Lpz. 1847), „Potsdam und Sans⸗ 
fouci” (3 Bde., &pz. 1848), „Jerome Rapoleon und fein Gapri” (3 Bde, Dresd. 1853) be» 
fondere Erwähnung verdienen. Außer vielen Novellen, z. B. im, Narrenalmanach“, und Witze⸗ 
leien aller Art gab er unter dem Zitel „Dramatifche Defferts” (2 Bde, Hamb. 183637) 
auch eine Sammlung von Luftfpielen heraus. In allen diefen Schriften, wie auch in feinen four- 
naliftifchen Arbeiten bekundet DO. ein unverfennbares Talent für fatirifche Darftellungen, fowie 
eine feltene Geſchicklichkeit, ſich der Tagesereigniffe zu bemächtigen und diefelben einem gemifch- 
ten Leferfreife in entiprechendem Gewande vorzuführen. Jedoch wie fich diefelben auf der einen 
Seite durch franzöſiſch gewandten Wig auszeichnen, fo laffen fie auch nicht felten eine wahrhaft 
franzöfifche Frivolität erfennen. Bon feinen Gedichten, die er im „Buche der Liebe‘ (Berl. 1852; 
5. Aufl, Lpz. 1850) und bem „Reuen Buche der Liebe” (Dresd. 1852) fammelte, find einige 
ziemlich populär geworden. Eine Sammlung von Zrinkliedern gab er unter dem Titel „Bar 
Aus. Buch des Weine” (2py. 1855) heraus. Seine frivole Dentweife fpricht ſich unter An- 
derm befonders in der anonymen „Eheſtandsgrammatik“ (ps. 1844) und der „Kunft, in 24 
Stunden ein Gentleman zu werden” (2p3.1852) aus. Eine umfaſſende Belefenheit, die er auch 
in feinen belletriftifchen Schriften zur Schau trägt, führte ihn zur Abfaſſung einiger bibliogra- 
pbifcher Arbeiten, wie der „Archives historiques” (Karler. 1841), der „Bibliotheca Schabhi- 
ladii” (2pz. 1844), ber „Iconographia Mariana” (2%93.1852) und der „Bibliographie biogra- 
phique” (pʒ. 1850; „Suppl&öment”, Brüff. 1853), von denen namentlich letztere bei viel 
Mangelhaftem ungewöhnlichen Fleiß bekundet. 

Ditmer (Karl Theod.), verdienter Architekt, geb. 19. Fan. 1800 zu Braunfchweig, der Sohn 
eines Arztes, befuchte von 1816—19 das Carolinum zu Braunihweig, während er zugleich 
praftifch inder Baukunſt ſich übte. Mitguten Kenntniffen ausgerüftet, ging er 1822 nach Berlin, 
wo er Borlefungen bei der Univerfität Horte und die Vorträge in der Bau- und Kunftalabemie 
benugte. In Berlin wurde ihm 1823 der Bau des tonigftäbtifchen Theaters übertragen und 
bald nachher die Ausführung des Gebäudes der Singakademie, das im Frühjahre 1827 vollen 
bet wurbe. Im Frühjahre 1827 ging er über Paris nach Stalien, wo er neben den Studien der 
Denkmäler des Alterthums zugleich feiner Neigung zur Malerei ſich hingab, bis er 1829 eine 
Einladung nach Dresden erhielt, um bier den Plan zu einem neuen Theater zu entwerfen, ber 
aber nicht zur Ausführung fam. Gleichzeitig erhielt er von bem Herzoge zu Sachſen⸗Mei⸗ 
ningen ben Auftrag, Plane zu einem neuen Theater⸗ und Gaftinogebäude zu verfertigen, deren 
Ausführung bereit im Aug. 1829 begann. Nach Braunfchweig zurüdgelehrt, wo er feine 
„Architektoniſchen Mittheilungen” (2 Abtheil, Braunfhw. 1850—38) herausgab, lebte er 
nun feinen Amtögefchäften als braunfchweig. Hofbaumeifter, bis er nad) der Zerftorung des 
fürſtlichen Reſidenzſchloſſes von Seiten des Herzogs Wilhelm den Auftrag erhielt, ben neuen 
Schloßbau zu übernehmen. Am 26. März 1833 wurde der Srundftein zu biefer Reſidenz 
Wilhelmsburg gelegt, und bald nachher ernannte ihn der Herzog zum Hofbaurath. Er vollen- 
bete den Bau, das größte und prachtvolifte feiner Werke, 1836. . die von ihm herausgege⸗ 
bene „Anficht des Refidenzfchloffes zu Braunfchweig” (Braunfhw. 1837). D. ftarb 22. Aug. 
1843 zu Berlin. In feinen Werken zeigt er eine große Vorliebe für claffifche Grundformen, 
die er aber durch einen lebendigen Sinn für malerifche Mannichfaltigkeit, für Pracht und An- 
muth der Decoration für den verebelten modernen Geſchmack zu modificiren ftrebte. 

Otto I. ober der Große, rom.» beutfcher Kaifer, 956—973,- geb. 912, der Sohn Katfer 
Heinrich’ 1. (f. d.), wurde, obgleich ein nachgeborener Sohn, ſchon frühzeitig von feinem Vater 
zum deutfchen König beflimmt und nad) beflen Tode, trog einer ihm entgegenftehenden Partei, 
936 zu Aachen aud) gewählt und gekrönt. Seine 36jährige Regierung war eine fat ununter- 
brochene Reihe von Kriegen, welche theils in den gährenben Elementen des Feudalweſens und 
der Abneigung der deutſchen Völkerſtämme gegeneinander, theils in ber feindfeligen Stellung 
der Deutfchland umgebenden Nachbarvölker ihren Urfprung hatten. Gleich anfangs fah er fi 
genöthigt, gegen ben böhm. Herzog Boleflaw einen Feldzug zu unternehmen, ber nad, einem 
4 Ajäbrigen blutigen Kampfe 950 damit endigte, daß Boleflam die Oberlehnsherrlichkeit des 
Reichs anerkannte und fich taufen ließ. O.'s treuer Feldhauptmann, Hermann Billung, erhielt 
zum Lohn für die in diefem Kriege bewiefene Tapferkeit die Belehnung mit bem Herzogthum 
Sachſen. Auch gegen die Söhne des verſtorbenen Herzogs Arnulf von Baiern, fowie gegen dem 
Herzog Eberhard von Franken, der fich durch einen königl. NRichterfpruch beleidigt glaubte, muftte 




















sw tr: DERL (cu.deatſcher Ralf) 5. 
D. feine Waffen richten. Der Regtexe verbünbere (ii; uit.Di6 Rnigt- — 
— — anbrten Ba n wufen ‚ber ur} 
1 guet nad Ki Unfug, m Bun 
Bruder Heinrich, el Gifelberi non Bothringen 
en DD. gegen — 930. ne 
en e ver 

| —— m Mein unp unb Buttnig wurde vom Kaifer —— 
folgt, bis D.’S Schwefter, Berberge, welche Ludwig inbeß geheirathet 
vermittelte. Die hierdurch entflandene Erledigung mehrer bebeutenber een bei. 
um durch Verleihung berfelben an feine. Verwandten feine Haubmacht zu ten. Gew 
Bader Bag Bingen dem Grafen Sanzab von Zeit, Dame nn 


ade vermäblte; Baiern übergab er 947 her borangeg 
t Heinrich, Schwab en nach Hermann's Tode feinem Sohne —R 
als gegen die aufrührerifchen Beahen bed eh Bader ſtritt der Katfer gegen die Außen 
abe, Gy unremanf De Olden ia Den Dier« umb Gpreelänbern, trieb bie Dänen - über ik 
(Bider aurüch ſchlug ihren König Harald in einer geofen Schlacht umb zwang Ihn, bie ride 
u nehmen und Dänemark als Reichtlehn zu empfangen. Auch unternahm er BUG 
ben feruf feines Schwagers, des Königs Ludwig von Frankreich, einen Felb 
und andere aufruͤhreriſche Bafallen, ber ihm ſelbſt alle — 
06 in franz. Händen waren, als Preis feines Siegs einbrachte. Er befiegte-bie 
ber Lauſiß nad) Iangem blutigen Kampfe und gab dieſes Land umter dem Namen —— 
ter —— ——— Ehup. ne * u ee unter den TE Bu 
ten und dam l t zu befeſtigen, gründete er a 
inne, Eine Einladung ver EA ben Webeäkfimgen bes Uſurpators 


re 











Soh 

willig, verband ſich gegen ihn mit Konrad, der ſich vom Kaifer beleidigt glaubte, ſowie mıit dem 
Pfalggrafen Arnulf von Baiern und dem Erzbifhof von Mainz. Sie riefen fogat bie Ungarn 
zu Hulfe, wurben aber endlich 954 nad) langem verheerenden Kampfe bezwungen. Dögleich 
begnabdigt, verloren doch Konrad und Rudolf ihre Derzogtbümer. Schwaben erhielt Burkhard, 
bes Herzogs Heinrich von Baiern Schwiegerfohn; Lothringen wurde In zwei Herzogthümer ge 
theilt und Oberlothringen dem Bruber des Bifchofs von Mes, Friedrich, Niederlothringen bem 
Grafen Gottfried zugetheilt. Beide aber flanden unter ber Oberherrſchaft des Grabifceft 
Bruno von Köln, der O.'s Bruder war. Kaum waren dieſe Angelegenheiten georbnet, als die 
Ungarn 955 den Raubzug des vorigen Jahres erneuerten. Doch O. ſchlug fie 10. Aug.955 auf 
bem Lechfelde bei Augsburg bergeftalt, daß fie feit der Zeit feinen Angriff auf Deutſchland 

mehr wagten. Um bie Auflehnung Berengar's (f. d.), der ihm den Vafalleneid gefchworen, zu 
unterdrüden, zog DO. 961, nachdem er vorber die Erwählung feines Sohnes Otto zum rom. 8% 
nig bewirkt hatte, abermals nach Italien, wurde in demfelben Jahre vom Erzbiſchof von Mer 
land zum König von Stalien und bald darauf, 2. Febr. 962, vom Papft Johann XII. in Rom 
zum Kaiſer gekrönt. Um feinen Einfluß in Italien ficherzuftellen, ließ er fih vom Papfte ſchw 
ren, daß er nie mit Berengar oder beffen Partei fich gegen ihn verbinden wolle. Als aber nad 
feinem Abzuge der Papft das Gelübde brach und ſich mit einem der Empörer, Adalbert, we 

der den Kaifer verband, eilte D. nach Rom zurüd, ließ durch ein Concil den auch ſittlich tief ge 
fallenen Papft Johann XI. abfegen und flatt feiner 963 Zeo VIII. wählen, deſſen Anſehen a 
fpäter gegen den von der feindlichen Partei gewählten Benebict V. mit Bräftiger Hand fchügee 
Neue Unruhen, die fich nach Leo's VIIL Tode 965 gegen ben unter des Kaiſers Einfluß gemwähr 
ten Papft Johann XIII. erhoben, veranlaften den Kaifer im nächſten Jahre noch ein mal nad . 
Italien zu ziehen. Er hielt auf den Ebenen der Lombardei firenges Gericht über ben mit Uber 
bert verbunden gewefenen lombard. Abel, beftrafte bie aufrührerifchen Römer und vertheilte ie 
Lönder Staliens, um Drdnung und Nube zu befefligen, unter eine Menge kleiner Markgraf. 
Sein Lieblingsplan, feinen Sohn und Nachfolger mit der griech. Prinzeffin Theophania wer 
mähle zu fehen, fcheiterte anfangs an ber Verachtung, mit der man feinen Antrag, und an be 
Treuloſigkeit, mit welcher man feine Gefandten behandelte. Da aber D. bie Griechen in Unter 


Dito IL (töm.-deutfcher Kaiſer) 561 


fen fiegreich angriff und ganz Apulien und Galabrien eroberte, eilte ber neue morgenlänb. 
fer Johann Tzimiskes, mit D. Frieden zu fchließen, und gab die Theophania mit der Anwart⸗ 
aft auf Ealabrien und Apulien dem jungen Otto zur Gemahlin. Bald darauf fegte der Tod 
raſtloſen Tätigkeit DS ein Ziel. Ex ftarb zu Memieben in Thüringen 7. Mai 975 und 
rde zu Magdeburg in der von ihm erbauten Kirche, an beren Stelle dann der Dom trat, be» 
ıben. Ein Eräftiger Regent, Eriegerifch und einſichtsvoll, hat er das Verdienft, Deutfchland 
Innern georbnet und befefligt, von auswärtigen Feinden befreit, feine Grenzen erweitert und 
ıe Macht dem Auslande gegenüber zu hohem Anfehen gebracht zu haben. Ein neues Her- 
thum blühte in Kärnten auf, zwei neue Marken, Oftfachfen und Nordſachſen, Oſtreich umd 
'er- und Mittelitalien waren gewonnen und die Erwerbung Unteritaliens in Ausficht geftellt. 
ı Innern wurde durch die Vergebung ber wichtigften Herzogthümer an Verwandte umd dur 
Einfegung von Pfalzgrafen, fowie burch die Gründung von Städten die Macht des Kaifers 
efligt und durch die Errichtung von Bisthümern in den eroberten Ländern die Verbreitung 
ShriftentHums und german. Verfaffung und Sitte weſentlich gefördert. Während O.'s Re 
rumgdzeit entdedte man auch 938 die Silberbergmerfe des Harzes. Sein Nachfolger war 
to 11. (f. d.). Vgl. Vehſe, „Xeben Kaifer D.'s bes Großen” (Dresd. 1827). 
Dtto H., rõm.deutſcher Kaifer, 973—983, geb. 955, Kaifer Otto’s I. (f. d.) und der fchö- 
ı Adelheid Sohn, ſchon bei Lebzeiten feines Vaters 961 zum röm. König gekrönt, ein Fürft 
a feiner und gelehrter Bildung, worin ihn feine Mutter Adelheid auferzogen, aber zugleich 
yendlich kühn und unbefonnen, regierte eine Zeit lang unter der Vormundſchaft feiner Mutter. 
8 dieſe jedoch, von ihres Sohnes Eigenwilligkeit beleidigt, fich von der Regierung zurückgezo⸗ 
ı batte, erhob fein Vetter, Herzog Heinrich IL. von Baiern, mit Harald von Dänemark, Bo⸗ 
am von Böhmen und Miziflam von Polen heimlich verbünbet, die Waffen der Emporung 
ven ihn, wurde jedoch, da O. ben in der Stille entworfenen Plan noch zeitig genug erfuhr, mit 
t gefangen und, als er aus der Haft entlam und den Krieg fortfegte, nach lange zweifel- 
ftem Kampfe 977 zur Unterwerfung genöthigt, worauf D. das dem Empörer Heinrich abge» 
:othene Herzogthum Baiern feinem Neffen Dtto von Schwaben verlieh. Auch ber Dänen- 
ig Harald, der unterdeß zwei Jahre hintereinander in Sachen eingefallen war, wurde von 
n tapfern Herzog Bernhard fiegreich bekämpft. Diefe Verwirrniß hielt König Lothar von 
ankreich für günftig, des einft an Deutfchland abgetretenen Lothringens fich wieder zu be 
ichtigen. Er brach 978 in Oberlothringen ein, überfiel Aachen und hätte bort den Kaifer felbft 
mahe gefangen genommen; boch diefer fammelte in größter Eile ein Beer, vertrieb Kothar, 
:heerte die Champagne und drang bis Paris vor, defien eine Vorſtadt er verbrannge. In dem 
ei Jahre darauf erfolgten Frieden blieb Lothringen bei Deutfchland. Kaum war diefer Kampf 
mdigt, als die in Mailand und Rom entftandenen Unruhen, die vorzüglich ein gewiſſer Cres⸗ 
wins erregte, den Kaifer nach Italien riefen. Bei dem Erfcheinen feines waffenmächtigen 
eres hörten bie Parteilämpfe auf. Nachdem er die Empörer beftraft, eilte er nach Unterita» 
n, um Apulien und Salabrien den Griechen zu entreißen, und brachte auch bie Städte Neapel 
d &alerno, ja endlich fogar 982 Tarent in feine Gewalt. Als aber der griech. Kaifer die Ara» 
e von Sicilien zu Hülfe rief, wurde D. durch bie vereinigte Macht dberfelben bei Bafantello in 
ilabrien 13. Juli 982 vollig gefchlagen. Er felbft floh vor den ihn verfolgenden Arabern nach 
m Meere, warf fich mit feinem Roſſe in daffelbe und wurde von einem vorbeifegelnden griech. 
hiffe nur deshalb aufgenommen, weil er mit verftellter Furchtloſigkeit den Führer deffelben 
ingend um Überfehiffung nach Konftantinopel bat. Als das Schiff Roſſano fich näherte, wo 
ne Gemahlin war, ließ er halten und fenbete einen Boten ans Land, um, wie er vorgab, Gelb 
d Koftbarkeiten zu Gefchenten mitzunehmen. Bald näherten fi) mehre Fleine belabene Fahr» 
age dem griech. Schiffe. Als er nun in denfelben feine Freunde erfannte, fprang er in die Flu⸗ 
n, aus benen er aldbald von den Seinigen in eins ber Fahrzeuge aufgenommen mwurbe. So 
tkam D. der Gefahr; aber feine Gefundheit war zerrüttet. Zwar wurde auf dem Reichstage 
Verona, zu bem die deutfchen Großen zahlreich herbeiftrömten, ein neuer Feldzug gegen bie 
riechen und Araber und fogar die Eroberung von Sicilien befchloffen, aber ehe berfelbe zu 
tande kam, ftarb DO. 7. Dec. 983 zu Rom, nachdem kurz vor feinem Tode noch der Durch bie 
nvorfichtigkeit des Markgrafen Dietrich veranlafte furchtbare Aufftand der Slawen im Nor» 
n und Often Deutfchlande entbrannt war. Ihm folgte fein ſchon auf dem Reichstage zu De 
na zu feinem Thronerben ermählter Sohn Otto III. (f.d.). Vgl. Giefebrecht, „Jahrbücher des 
Yeutfchen Reichs ımter der Herrfchaft Kaifer O.'s II.” (Berl. 1840). 
Genv.ster. Zehnte Aufl. XT. . 


-, U Dits m. (ci deniſhet Leid) MEHR Tchinteneiger Ralf) 
AS TEL, König der Deutfcren und ben. Kutter, 9851002, wär brei Jahre alt, ald try 
f wurde. Die de$ neuen Königs benupte fogleich fein näöfe 
r, Herzog Heinrich von um unter dem Vorwande det Berechti im 
Wocmindfihaft über den Knaben, beffen Perfon er ſich bemächtigt hatte, bie Krone des Nei 
feibft an fh zu reißen. Da er aber mit biefem Plane von ben meiften Seiten het imter dm 
Hürfien Widerfprud) fand, begnfgte er ſich, gegen Müdgabe des Herzogthuums Baiern, meldet 
er unter bem vorigen Ratfer verloren, ben jungen D. wieder außzuliefern und als feinen Oben 
anzuerkennen.: Während nım ber mit herrlichen Talenten außgeftattete Knabe umter Det 
' jöfs Bernward und fpäter unter des perühmten Gerbert'8 Hand bie forgfamfte Erin 
leiteten feine Butter Theophania, feine Grogmurter Adelheid und die ftaatökluge 
—88 a n —ãꝛ8 Me Bir u une % je et 
6 von mit Einficht und Gfüd die Regierunge, 
genheiten des — Der König Lothar ve da einen neuen Verſuch zur Erobe 
tung Bothringens machte, wurde in fein Land zurüdigetrieben. Die unter D.' Water begonne 
noch immer mit Heftigkeit fortbauernden verheerenden Wufftände der Wenden wurde, 
nicht ftet$ mit glüdtichem Cxfolg, doch überall mit heidenmärhiger Tapferkeit Be 
md D. ſelbſt nahm an den Begligen von 986 und 994 perfönlich Theil. Kaum mir 
. alt, ald er vom Papft Johati XV. eingeladen, 996 nad Italien zog, wo das il 
Sebaren des Erescentintd aufs neue Unruhen erregt Hatte. D. flellte an ber Spige 
mächtigen Heeres bie Ordnung ber, ließ, ba indeß Sohann XV. geſtorben mar, einen 
feines Haufes, Bruno, unter dem Ramen Gregor V. zum Papfte wählen, ver; 
tiu8 und wurde von dem neuen Papfte 21. Mai 996 in Mom zum Kalfer gefrönt. 
fobald Italien verlaffen, ald Crescentius fih aufs neue empörte, ben 
', an feine Stelle Johan XVI. einfegte umb überhaupt willtürliche Derrie 
. Da eilte D., der gerade mit Bezwingung der aufrührerifhen Wenden befch, 
998 zum zweiten male nad) Italien. Der neue @egenpapfl, ber ſich — wollte, 
und verflünmelt, tius, der ſich in Die Engelöburg geworfen hatte, vom. 
von Meißen zur Übergabe genärhige umb dann mit zwölf feiner Unhänger en 
, Gregor V. wieder auf den päpfifichen Stuhl zurüdgeführt und, als er im nähen 
+ Jahre flach, durch O's Lehrer, den zeitherigen Erzbiſchof von Ravenna, Berbert, der ben Ra- 
men Gylvefter II. annahm, erfegt. Der Kaifer blieb nun.in Rom, nahm röm. Sitten und Ge 
bräuche an, ließ neue Gebäude aufführen und fchien trog der offenen und geheimen Feindſelig 
teiten, Die ez fortgefegt von den Jtalienern erfuhr, Rom zur Hauptftadt des deutfch-röm. Reicht 
erheben zu wollen. Bei feiner Rücktehr nach Deutfchland bewog ihn die Annäperung be 
3. 4000, in welchem man Prophezeiungen zufolge mit banger Sorge den Untergang der Wet 
erwartete, eine fromme Wallfahrt nach Gnefen zum Grabe des heil. Adalbert zu unternehmen. 
Er gründete hier ein Erzbisthum, befuchte in demfelben Jahre auch das Grab Karls d. Gr. zu 
Aachen, ließ es öffnen und nahm das goldene, an Karl's Halfe hängende Kreuz zu ſich. Im 
3.1001 ging er aufs neue nad) Stalien, in der Abſicht, feinen Plan der Errichtung eines rom. 
Kaiſerreichs in voller Herrlichkeit zu verwirklichen. Aber die Empörungen der Roͤmer began- 
nen auf6 neue und brachten fogar fein Leben in Gefahr. D. verließ Rom, um in Ravenna de 
Ankunft eines deutfchen Heeres abzumarten, ftarb aber fhon 21. Fan. 1002 zu Paterno un- 
weit Biterbo wahrſcheinlich am Friefel, nach Andern von der Witwe des Erescentius, die fein: 
Neigumg gewonnen, vergiftet. Mit ihm erlofc der Manneſtamm bes fächf. Kaiferhaufes. Ipm | 
folgte Heinrich IL. (f.d.), Heinrich's I. Urenkel. Vgl. Wilmans, „Jahrbücher des Deutſchen 
Reichs unter Kaifer D. 111.” (Berl. 1840). 

Dtto IV., deutfcher König und röm. Kaifer, 1198— 1218, geb. 1174, war der zweite Sohn 
Heinrich's des Löwen (f. d.), Herzogs von Sachſen und Baiern aus dem Welſtſchen Haufe, und 
Mathilde s von England und führte nach der Achtung feines Vaters 1480 von denden Welfen 
gehörigen Allodialgütern, bie er 1195 nad) Heinrich's des Löwen Tode mit feinen Brüdern 
fheilte, ben Namen Otto von Braunſchweig. Am Hofe feines Oheims Richard Löwenherz er 
sogen, kämpfte er anfangs mit großer Tapferkeit in ben Kriegen, die biefer mit Philipp Auguß 
von Frankreich führte, und wurde von dem engl. Könige für feine geleifteten Dienfte zum Gro 
fen von Poitou ernannt. Als nach Heinrich's VI. Tode 1197 die hohenſtaufiſch gefihnten Für- 
fien ohne Rückſicht auf bie frühere Erwählung Friedrichs IL, der erft Drei Jahre alt mar, Phi 
üpp von Schwaben zum beutfchen König ernannten, wählte die Welfiſche Gegenpartei auf 
Anftiften Innocenz’ UI. D. zum Begenkaifer, der auch in Wachen gekrönt wurde. Die Folge 


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ODtto der Reiche Dtto von Bittelsbach j 563 


dieſer unglüdlichen Spaltung war ein zehnjähriger Bürgerkrieg, in welchem die Könige von 
England ımd Dänemark auf O“'s, der größte Theil der Reichsfürften nebft dem Könige von 
Frankreich auf Philipp’s Seite ftanden. Beide Könige ſchickten Gefandte an den Papft Imno⸗ 
cenz, um von ihm die Kaiſerkrone zu erlangen. Innocenz verhielt fich eine Zeit lang ſchwan⸗ 
kend. Alb aber D. ihm die Abtretung der von dem ron. Stuhle in Anfpruch genommenen 
Reichslehen zugefichert hatte, entichied er fich für den Welfen und führte ihm zugleich den Böh⸗ 
menfönig Ottofar als Bundesgenoſſen zu. Dennoch gewann Philipp dur) das Glück der 
Waffen und verfchwenderifche Freigebigkeit 1204 fo fehr die Oberhand, dag D., von den deut» 
fhen Fürften verlaffen und bei Köln 1206 befiegt, ſich nach England flüchten mußte. Nach der 
Ermordung Philipp's durch Otto von Wittelsbach (f. d.) aber wurde er allgemein ald Kaifer 
anerkannt. Er ſprach über Philipp’ Mörder die Reichs acht aus, begab fi) 1209 nach Italien 
und erlangte durch neue größere Zugeftändniffe, worunter nanımtlich das Inveftiturrecht und 
die Berufung in allen geiftlichen Dingen auf Rem mar, daß der Papft 27. Sept. 1209 ihn 
feierlich krönte. Als indeß D. die mit dem päpftlichen Gebiet vereinigten Landſchaften Ancona 
und Spoleto fich wieder zueignete, ſprach Innocenz in dem Augentlide, ale der Kaifer, der 
Apulien ſchon erobert hatte, nad) Sicilien überfegen wollte, den Bann gegen ihn aus, entband 
die deutfchen Fürften ihres Eides und erflärte Friedrich II. für den rechtmäßigen König, der 
hierauf aud in Deutfchland auf Betrieb des Erzbiſchofs Siegfried von Mainz von mehren 
Fürſten anerfannt wurde. D. eilte im Jan. 1212 nach Deutſchland zurüd, verwüſtete Das Ge 
bier des Randgrafen von Thüringen, feste feinen Gegner Dttofar von Böhmen ab und würde 
fich vielleicht behauptet Haben, wenn nicht Friedrich plöglich in Deutfchland erfchienen wäre und 
durch feine freigebigen Schenfungen von den Gütern des Reichs ſich auch die Gunft der übrigen 
Fürſten zugewender hätte. Als jedoch D. felbft vom König von Frankreich, gegen den er mit 
dem engl. König Johann ohne Land einen Kriegszug unternommen hatte, bei Bovines 27. Jul 
1214 gefchlagen wurde, war fein Anfehen vollends vernichtet. Er zog ſich nach Braunſchweig 
zurüd und kämpfte auch dort noch mit dem Dänenkönig Waldemar, welchem Friedrich auf 
Koften des Reichs Nordalbingien und Slawien geſchenkt hatte, Dann, mit dem Erzbiſchof von 
Magdeburg, und ftarb auf der Harzburg 19. Mai 1218 mit dem Ruhme, einer der tapferften 
Kaifer geweſen zu fein. Ihm folgte der Dohenftaufe Friedrich H. (f. d.). 

Dtto der Keiche, Markgraf zu Meigen, 1156—90, aus dem Haufe Wertin (f.d.), geb. 
1416, war des Markgrafen Konrad d. Gr. (f. d.) und der Liutgard, Gräfin von Ravenftein, 
ältefter Sohn. Als Markgraf machte er fi) 14162 durch die Stiftung des Kloſters Altenzelle 
(f. d.) um ben Anbau der Gegend und das höhere Schulwefen in Meißen verbimt. Der reichen 
Ausbeute des unter feiner Regierung um 116979 durch Bergleute vom Harz gegründeten 
meifner Bergbaus, mit defien Regal ihn der Kaifer belehnte, verdankte er den Beina- 
men bed Reichen. Für das Rand ſelbſt aber war diefed Ereigniß von hoher Wichtigkeit in 
Beziehung auf fteigende Cultur, Bevölkerung, Induftrie und beginnenden Handel, weshalb 
auch Leipzig damals des Rechts theilhaftig wurde, jährlich zwei Märkte zu halten. O. brachte 
durch Kauf Weißenfels und andere Güter in Thüringen an fich, gerieth aber darüber in eine 
Fehde mit dem Landgrafen Ludwig Ill. Im 5. 1182 gefangen genommen und auf die Bart» 
burg gebracht, wurde er erſt im folgenden Sahre durch kaiſerl. Vermittelung wieder in Freiheit 
gefegt, worauf er die erfauften Schlöffer gegen Erftattinıg des Preifes zurückgab. Durd) feine 
Gemahlin Hedwig, die Tochter Albrecht's des Bären von Brandenburg, und durch Mönche, 
welche viel Einfluß auf ihn hatten, ließ ex fich bewegen, die bereits früher befchloffene Theilung 
feiner Zänder unter feine beiden Söhne, Albrecht und Dietrich, fo abzuändern, daß er dem von 
der Mutter begünfligten jüngern Sohne Dietrich die Mark Meifen ımd dem ältern die Graf 
ſchaft Weißenfels geben wollte. Albrecht empörte fich deshalb gegen den Vater, nahm Ihn 
41188 gefangen und ließ ihn auf dem Schloffe Döben bei Grimma verwahren, bis er ihn auf 
Befehl Kaifer Friedrich's 1. in Freiheit fegen mußte. D. warb hierauf böhmifche Völker 
gegen den Sohn und von neuem kam es zwifchen Beiden zum Kampfe, der für den Marfgra- 
fen fehr unglücklich ausfiel und in welchem das meißner Land fehr verwüftet wurde. Endlich 
gelang es dem Könige Heinrich VI., Vater und Sohn auf einem Hoftage zu Würzburg im Aug. 
4189 zu verföhnen. Bald darauf flarb D. 18. Febr. 1190 und wurde in der Familiengruft zu 
Altenzelle begraben. Ihm folgten Albrecht der Stolge (f.d.) in Meißen und Dietrich der Bes 
drängte (ſ. d.) in Weißenfels. 

Dtto von Witteldbach, der Mörder König Philipp's von Schwaben, war ein Bruders⸗ 


⸗ 


. Dtte.L- (Rünig von Gricpeufanb) Die von Vedfing 
ſohn bes Walzgrafen Dito d. Gr. von Wirtäsbach, feit 1180 Herzog in Baiern und Gramm 
water des jegt regierenden hair. Bürftenhaufes. Philipp von Schwaben, für welchen ex gegen 
Ealſer Dito IV. tapfer kämpfte, hatte Ihm eine feiner Töchter zur Gemahlin «ie 
nachher fein Wort nicht gehalten. Als ſich nun D. nachher mit der Tochter eines poln. 
vermählen wollte, gab ihm Philipp flatt des verfprochenen Empfehlungsfchreibens einen 
wit; worin ber Herzog vor ihm als einem Unrubeflifter gewarnt und gebeten wurde, ihn feiner 
eigenen Gicherheit wegen zu verhaften. D. ahnte Betrug, erbrach ben Brief, eilte voll Zorn und 
Bade nad) Bamberg, wo Philipp feinen Hof hielt, drang 21. Juni 1208 mit bloßem Schwerte 
in deffen Gemad und verfegte ihm eine tödtliche Wunde am Kopfe, an welcher jener fee 
bald . In der erſten Beſtürzung ber Hofleute entkam D. aus dem Schloſſe. Allein Kalfer 
Hito IV. erklärte den Mörder auf dem Reichttage zu Frankfurt a. M. und bald nachher anf 
denm zu Augsburg.für vogelfrei. Der Marſchall von Pappenheim traf 1209 den 

auf der Flucht an der Donau und ermordete ihn, worauf auch DE Schoß, Wittelsbach ia 

Oberbaiern, zerflört wurbe. 2 u | 

Dtto I. (Briedrich Ludwig), König von Griechenland, ber zweite Sohn König Ludwig's von 
Baiern, geb. 1. Juni 1815 zu Salzburg, erhielt im München unter der bes nachberiges 
Dechanten des Hochſtifts zu Freifingen, Det, durch Schelling, Thierfhn. U. eine grünblide- 
Bildung und machte ſodann mehre Reifen in Deutſchland und Stalien. "Kraft der durch bie 
griech. Nation ben vermittelnden Mächten Frankreich, Großbritannien und Rußland übertze- 
gmen Gewalt durch ten zu London 7. Mai 1832 gefchloffenen Vertrag zum Könige von Grie⸗ 
dehland erwählt, nahm er, nachdem ihn die griech. Rationalverfammlung als ſolchen 8. Ung. 
.n4832 anerfannt, 5. Det. die königl. Würde an, reifte num nach Griechenland und beflieg ben 
Ahron 25. San. (6. Febr.) 1833. Bis zum vollendeten 20. Lebensjahre wurde ihm für bie 
Uusübung der oberften Staatögewalt eine Regentfchaft beigeordnet, bie aus drei Mitgliebern 
heſtand. Huch hatte ihn das Megentfchaftsmitglieb von Maurer (f.d.) in bie Megierungs- und 

Gefeggehungspolitit einzumeihen. Nach ‚ den Eis der Regierung gegen Ende 1834 

von Nauplia nach Athen verlegt, trat er 1. Juni 1855 mittels Proclamation die Megierumg 
ſelbſt an. Er erhob an bemfelben Tage den Grafen Armansperg (f.d.) zum 
und löfte das bisherige Minifterium auf, fegte Kolokotronis, den Bater, und Plaputas in Fre 
heit, erließ, ein Decret wegen Vertheilung von Ländereien an die Palikaren und ratificitte ben 
mit Öftzelt abgefchloffenen Hanbelövertrag. In Folge einer Reife nach Deutfchland ver 
mäblte er fih 22. Nov. 1836 mit Amalie (geb. 21. Dec. 1818), einer Tochter des Großher⸗ 
3096 Auguft von’ Oldenburg. Bei den Geldverlegenheiten, in bie fi) die Regierung durch eigene 
wie der drei Großmächte Maßregeln oft geftürzt fah, in der Zeit der heftigſten Regungen des 
nationalen griech. Lebens gegen das aufgedrungene Baiern- und ˖ Deutſchthum, ſowie nach bem 
Ausbruche der Revolution im Sept. 1843 benahm ſich der König unter fehr ſchwierigen Um⸗ 
fländen mit größter Ruhe und Umficht. Im März 1844 befchwor er die neue Gonftitution, ob- 
ſchon er damit dem Lande noch feine Beruhigung gegeben. (S. Griechenland.) Nachdem bat 
Zerwürfniß mit der Türkei, welches König Otto 1847 perfönlich veranlaft, gefchlichtet war, 
drohte die Differenz mit England den ganzen Beſtand des jungen Staats zu gefährden. Kö— 
nig Dtto bemahrte während dieſer Erfchütterungen feine Popularität im Volke, wenngleich 
feine Regierung weder im Innern noch nad) aufen das Land zu erwünfchtem Gedeihen zu 
führen vermochte. In den legten Jahren hat der König wiederholt längere Reifen nach Deutfd- 
land unternommen, bauptfählih um die Erbfolge zu ordnen, die auf feinen füngften Bruber, 
den Prinzen Adalbert von Baiern, übergeben foll. 

Kite von Freifing, ein beutfcher Quellenfchriftfteller, war der Sohn des Markgrafen 
von Oſtreich, Leopold's IV., und Agnes, der Tochter Kaifer Heinrich’ IV. Nah dem Willen 
bes Vaters mußte er fich dem geiftlihen Stande widmen. Er ftudirte in Paris und wurde noch 
fehr jung von feinem Vater zum Propfte des Klofters zu Neuburg ernannt. Seiner Talente, 
Gelehrſamkeit und edeln Geburt halber hatte D. die Ausſicht auf die höchften geiftlichen Wir 
ben; allein fern von allem Ehrgeize trat er bei feiner Ruückkehr von Paris zu Morimont in 
Burgund in den Giftercienferorden und wurbe in kurzer Zeit Abt diefes Kloftere. Sein Stief⸗ 
bruder, Kaifer Konrad IIT., veranlafte ihn, 1137 das Bisthum Freifingen anzunehmen, das er 
bis an feinen Tod, 22. Sept. 1158, verwaltete. Durch eine allgemeine Gefchichte bie 11575, 
die von Dtto von St.-Blafius bis 1209 fortgefegt wurde, ſowie durch eine Gefchichte Kaifer 
Friedrich's 1., die Nadewic fortfegte, erwarb fih D. unter den deutfchen Hiſtorikern des Mittd- 
alters einen ehrenvollen Rang. Seine Verwandtſchaft mit bem Kaiferhaufe verfchaffte ihm die 





Dtto (Zriedr. Jul.) Dttotar 1. (König von Böhmen) | '565 


genaueften Nachrichten und wichtige Urkunden, die er zum Theil vollftändig mittheilte. Der 
befte Abdruck feiner allgemeinen Geſchichte findet ſich in Urftifius, „Germaniae histeriei il- 
lustres‘ (Bd. 2); die befte Ausgabe feiner Gefchichte Friedrich's I. (deutfch von Schiller ne 
nen „Memoiren“, Abth. 2, Bd. 2) beforgte Muratori in den „Scriptores” (Bb. 6). Vgl. 
demann, „D. von Freifing, fein Leben und Wirken” (Yaffau 1849). 

Dtto ( Friedx. Jul.) Medicinalrath und Profeffor der Chemie zu Braunfchweig, geb. 8. 
San. 1809 zu Großenhain in Sachen, kam nad) vollendetem Schulunterrichte als Lehrling in 
die Apotheke feines Geburtsortd und bezog hierauf wohlvorbereitet 1829 die Univerfität Jena, 
wo er als Alfiftent in Wadenroder’6 pharmaceutifhem Inftitute die erwünſchte Gelegenheit 
fand, fich mit demifchen Unterfuchungen zu befchäftigen. Im J. 1831 wurde er auf Waden- 
roder’6 Empfehlung in Althaldensfeben in Nathuſius' Gewerbeanftalt und Porzellanfabrit 
als Chemiker angeftellt. Hierauf folgte er 1853 dem Nufe nach Braunfchweig als Xehrer der 
praktiſchen Chemie an ber zu errichtenden landwirthichaftlichen Lehranſtalt. Da dieſe jeboch 
nicht zu Stande fam, ward D. 1834 für hemifche und pharmaceutifche Angelegenheiten pro- 
viforifch am herzoglichen Oberfanitätscollegium placirt, dann 1855 bei ber Reorganifation 
des Sollegium Carolinum als außerordentlicher Profeffor der Chemie und 1836 aud als 
Aſſeſſor estraordinarius am Oberfanitätscollegium angeftellt. Nachdem er-fih 1838 be 
hufs wiffenfchaftlicher Forſchungen längere Zeit in Liebig's Laboratorium zu Gießen auf 
gehalten hatte, erhielt er 1841 den Charakter eines wirklichen Mebicinalaffeffors, 1842 den 
eines ordentlichen Profefford am Carolinum, 1846 das Patent eines Mebicinalrathe. Im J. 
1844 wurbe er zum Mitgliede der Prüfungscommiffion für bie berliner Gewerbeaus ſtellung 
erwählt. O.'s amtlicher Wirkſamkeit als Mitglied ded Oberfanitätscollegiums wirb allgemein 
der gut geordnete Zuftand des Apothekerweſens im Braunſchweigiſchen beigemeffen. Als Pro- 
fefior am Earolinum liegt ihm außer dem Unterricht in der allgemeinen Chemie, der chemi- 
fhen Technologie, Pharmacie, Pharmakognofie und ben Iandwirthfchaftlichen Bewerben auh 
die Leitung des Kaboratoriums ob. Wie in feinen zahlreich befuchten Vorträgen, fo verbindet 
D. auch in feinen Schriften Popularität mit wiffenfchaftlicher Sründlichkeit. Von legtern find 
befonbders Hervorzuheben das „Lehrbuch der rationellen Praxis der landwirthſchaftlichen Ge⸗ 
werbe” (4. Aufl., Braunfchw. 1852), das in feiner lihtvollen und anfprecyenden Darftelungs- 
weife ald Mufter für ähnliche Arbeiten gedient hat, und die Bearbeitung von Graham's „Ele- 
ments of chemistry“ (3 Bbe., Braunſchw. 1840— 45), welche in der dritten Auflage (Bb. 1 
und 2., Braunfchw. 1852—53) ale ein felbfländiges Werk anzufehen ift, das unter den Lehr⸗ 
büchern der Chemie einen ehrenvollen Rang einnimmt. Mit einem „Lehrbuch der Effigfabri- 
kation“ (Braunſchw. 1840) hat D. die Bearbeitung ber einzelnen Iandwirthfchaftlichen Ge- 
werbe begonnen. 

Dittofar 1I., Przemyſſ, König von Böhmen, 1255 — 78, der Sohn Wenzel's 1. oder des 
GEinäugigen, war ein unruhiger, friegerifcher Fürſt, der begierig feine Macht auf alle Weiſe zu 
erweitern firebte. Schon in früher Jugend, als der bohm. Abel fich gegen feinen Bater empörte, 
ftellte er fi) an die Spige ber Misvergnügten, vertrieb feinen Vater, ließ fi zum Könige aus- 
rufen, wurbe aber dafür, als plöglich das Glück fich wendete, eine Zeit lang auf der Burg 
Przimda gefangen gefegt. Aus feiner Haft befreit, eilte er, al& Damals gerade das Herzogthum 
Oſtreich erledige wurde, mittel6 eines Heeres fich in deffen Befis zu fegen und vermählte fich, 
um auch Steiermark zu gewinnen, erft 233. alt, mit der A6jährigen Margarethe, der Schwefter 
des verfiorbenen Herzogs Friedrich von Öftreich. Obgleich ihn der Papſt ald Herzog von Oſt⸗ 
zei und Steiermark beftätigte, fo mußte er ſich body den Befig beider Länder erft durch harte 
Kämpfe gegen die Ungarn und Baiern fihern. Nach feinem Regierungsantritt unternahm er 
41254 in Verbindung mit den Deutfchen Rittern und dem Markgrafen Otto von Brandenburg 
einen Kreuzzug gegen bie heidnifchen Preußen, der mit völliger Unterwerfung derfelben 1255 
emdigte. Zur Sicherung der wichtigen Eroberungen, die man gemacht hatte, wurde eine fefle 
Stadt am Pregelfluffe gegründet, der man D. zu Ehren ben Namen Königsberg gab. Bald 
darauf ſah D. ſich gemöthigt, wegen des Befiges von Steiermark gegen die Ungarn zu Felde zu 
ziehen; fie wurden 1260 in der Schlacht auf dem Marchfelde (f. d.) vollig befiegt und mußten 
ihre Anfprüche für immer aufgeben. Manderlei Kämpfe hatte D. auch mit dem Adel feines 
Landes zu beftehen, ber, über die Ausdehnung ber königl. Derrfchergewalt ımb die Begünſtigung 
der Deutfchen umwillig, mehrmals Empörungen verfuchte. Da feine Gemahlin fortdauernd 
unfruchtbar blieb, fuchte er anfangs für feine mit einem Hoffräulein erzeugten Kinder dad Rad 
folgerecht beim Papſte auszuwirken, ließ ſich aber dann, als fein Bemühen vergeblich war, ven 


41 mit ber unger. Primeſſin Kuniguube: 
u m wen bes Herzogo Urich von Kärten: 
* boch Sonne er —— er 
a Kärapfen gegen Ulrich's Bruder, Philipp, der jegt unerwartet feine früßere Wergichiih 
ng auf die Erbfolge wibderrief, und gegen bie mit ihm verbünbeten Ungam in Folge einst 
ent{feibenben Siegs auf dem Marchfelde 1273 ſich in den Beſiß von Kärnten und Krain fegen 
‚Die Ihm bereits früher angetragene Kaiſerkrone lehnte er auch bei einer neuen 
Nichard's Tode ab ; Dagegen wiberfpradh ex auch mit Entſchiebenheit der Wahl Mubeift 
beburg und verweigerte ihm die Huldigung. In Folge deffen nahm Rubdolf Dfire, 
—2* Kämten und Krain als eröffnete Reichslehen in Anſpruch, erklärte auf dem Reicht⸗ 
tage zu Augsburg D. in die Reichtdacht, zog mit einem ſtarken Beichöheer heran und med, 
von O.⁊ treulofen Vaſallen und Freunden t, fo fegreiche — daf der Böhmer 
Sinig entmuthigt um Frieden bat. Er mußte Oſtrei rnten, Krain umb 
an ben Kaifer abtreten, Böhmen und Mähren 1276 aufs neue in 5* nehmen und die 
lung noch anderer laͤſtiger Friedensartikel verſprechen. Heftiger Unmuth über des Kaiſers haue 
Federungen und wol auch Anreizungen feiner Gemahlin Kunigunde drängten ihn vereiiig zu 
einem neuen Kriege gegen Rudolf, in welchem er in ber Schlacht bei Sedenipeug an ber Dia 
4278, obwol tapfer kampfend, vorzüglich durch Verrätherei feiner Barone Sieg und Leben 
verlor. Sein aufgefundener Leichnam wurde auf Nudolf's Befehl zuerfi nach Wien gebradt, 
Fpäter aber zu Prag im Dome St.Veit beigefegt. D. war treg der Beifpiele von Bewalthe 
tigkelt die man gegen. ihn anführt, eine große Herrſcherperſonlichkeit. Er begnügte ſich wicht be 
. die Macht des Adels, der ihm deshalb grolite, einzufchränten und niederzuhalten, 
ſanbern erwarb ſich bucch Erhebung bes Bürgerftandes zu politifcher Selbſt Grin 
dung neuer Städte, Aufnahme beutfier Soloniften, Emancipation der Bauern, 
des Serichtöwelend und Verbreitung angemeffener Communaleinrichtungen im ganzen Lande 
„gehe Verdienſte. Obgleich) ber Prachtliebe umd' dem Lupus vieleicht mit zu großer Neigumg 
‚ergeben, war er be für die Landwirthſchaft. Handel, Kunft und —— unabiäflig GB 
1 Ihm folgte in Bo Den ua Däheen fein Bohn Wenzel IL, mit welchen 1305 der Ctamm 
er Prgempfl erlofh. DE Schickſal gab Grillparzer den Stoff zu dem Trauerfpiele „Rünig 
* »s Glück und Ende” (Wien 1825). 

Dtway (Thom.), engl. dramatiſcher Dichter, geb. 1651 zu Trotting in Suſſer, erhielt feine 
erfte Bildung zu Winchefter und bezog 1669 die Ur.iverfität zu Oxford, die er aber vor Been⸗ 
bigung feiner Studien verließ, um die Bühne zu betreten, wo er jedoch keinen Beifall fand. 
Glücklicher war er als Theaterdichter. Sein erſtes Trauerfpiel war „Alcibiades” (1673); 1676 
wurde fein „Don Carlos’ mit großem Beifall aufgenommen. Im 3.1677 erhielt er auf Gm: 
pfehlung des Grafen von Plymouth eine Anftellung als Comet der Dragoner und ging mit 
feinem Regimente nach Blandern. Doch fehr bald mußte er feiner Ausfchweifungen halber den 
Anfchied nehmen und kam in Dürftigfeit nach London zurüd, wo er von nun an feine Thätig⸗ 
keit ausichließlich der Bühne zumendete. Seine beiden wichtigften Trauerfpiele find „The or- 
phan” (1680) und „Venice preserved‘ (1682), von denen das legtere gegenwärtig noch gern 
gefehen wird. Dürftigkeit, mit Ausſchweifungen wechſelnd, machte feinem Leben ſchon 1685 
ein Ende. Seine Trauerſpiele ſind durch rührende Situationen, treffliche Schilderungen der 
Leidenſchaften und feurige Sprache ausgezeichnet; feine Luſtſpiele aber, fo kräftig auch fein Zip 
ift, waren felbft feinen Zeitgenoffen zu zügellos. Seine fämmtlihen Werke gab Thornten 

. (3 Bde, Zond. 1812) heraus. 

Dudenaarde (franz. Audenaerde), eine Stadt von 6000 E., an der Schelde in der belg 
Provinz Oftflandern gelegen, ift befeftigt, befigt ein fchones goth. Rathhaus, ſowie nicht unbe 
deutende Zeinen- und Baummollenfabrifen und ift durch die 14. Juli 1708 gelieferte Schlacht, 
in welcher Prinz Eugen und Marlborough die Franzofen unter den Herzogen von Bourgogne 
und von Vendoͤme ſchlugen, hiſtoriſch berühmt. 

Dudendorp (Franz von), einer der vorzüglichſten holl. Philologen, geb. zu Leyd 31. Juli 
1696, erhielt auf der daſigen Univerfität unter Perizonius, Jak. Gronov und Pet. urmann 
feine daffifche Bildung, fam 1724 ald Rector ber Schule nach Nimmegen, 1726 in gleicher Gi 
genſchaft nach Harlem und wurde 1740 zugleich mit Hemfterhuis nach feiner Vaterſtadt berm 

‚ fen, wo er bis zu feinem Tode 1761 die Profeffur der Beredtſamkeit und Geſchichte bekleidete. 
Eine große Belefenheit und Gelehrfamteit entwidelte er in femen noch immer wertbvollen Auf 
gaben des Julius Obfequens (Leyd. 1720), Rucanus (Sepp. 1728), Frontinus (Xeyd. 1751; 







71 



















Dubinot 567 


2. Uusg., 1779), Gäfar (Zeyd. 1757), Sueton (2 Bde., Leyd. 1751) und in der Bearbeitung 
des Appulejus, weiche Bosfcha nad) feinem Tode beforgte (3 Bde., Leyd. 17851823). U 
Berdem verdienen feine Schrift „De veteruminscriptionum usu“ (2eyd. 1745) und feine grund» 
lichen Anmerkungen zu den „Eclogae vocum Alticarum” des Thomas Magifter in der Ausgabe 
von Bernard (Leyd. 1757) eine ehrenvolle Erwähnung. 

Dudinot (Charles Nicolas), Herzog von Neggio, Pair und Marfhal von Frankreich, 
war ber Sohn eines angefehenen Kaufmanns und wurde 26. April 1767 zu Bar-le-Duc ge 
boren. Im Ulter von 16 3. trater als Freiwilliger in das Regiment Medoc, doch mußte 
er baffelbe 1787 auf den Wunſch feiner Familie verlaffen. Die Revolution, der er mit Enthu- 
ſiasmus anhing, verſchaffte ihm indeffen bald Gelegenheit, feine Priegerifche Neigung zu befeie- 
digen. Er wurde 1791 zum Kommandanten eines Freiwilligenbataillons erwählt und zeichnete 
fi fogleich durch Tapferkeit aus. Durch feine kühne Vertheidigung des Schloffes Birfch gegen 
“ die Preußen, im Gept. 1792, flieg er zum Öberft des Regiments Picardie. An der Spige 

deffelben behauptete er fi im Juni 1793, von der übrigen Armee getrennt, bei Moorlautern 
vier Stunden gegen ein 10000 Mann ftarkes feindliches Corps und wurde dafür zum Brigade» 
general befördert. Als folder kämpfte er am Rhein, empfing viele ſchwere Wunden und erhielt 
im Da. 1799 den Grad eines Divifiondgenerals. Maſſena wählte ihn nun zum Chef des Ge⸗ 
neralſtabs und errang durch feine Beihülfe den Sieg bei Zurich. D. begleitete denfelben in 
gleiger Eigenſchaft na dem 18. Brumaire nady Italien, wo er fich während der Belagerung 
von Genua durch mehre fühne Ausfälle großen Ruhm erwarb. Auch entfhied er durdy einen 
tapfern Streich die Schlacht am Mincio, indem er plöglich mit einigen Soldaten über die furcht⸗ 
bare Batterie der Oftreicher bei Monzembano herfiel und diefelbe nahm. Bei Zufammenziehung 
der großen Armee 1804 gab ihm Napoleon den Befehl über ein 10000 Dann ſtarkes Grena⸗ 
diercorps, das fortan die Avantgarde der Hauptmacht bilden follte. An der Spige diefer Trup⸗ 
pen, die feinen Namen führten, eröffnete er den Feldzug von 1805. Er warf ein ſtarkes öſtr 
Corps bei Bertingen und trug überhaupt durch eine Reihe kühner und glücklicher Manoeuvres 
zu den Erfolgen bei Ulm bei. Nachdem er mit feinem Corps Bien erreicht, befahl ihm der 
Kaifer, unvermeilt über die Donau zu gehen. D. eilte der von den Öftreichern befegten Tabor⸗ 
brüde zu und warf den Feind. Er bemädtigte fich Hierauf des Artillerieparts bei Spigen mit 
18V Stud Geſchũt und nahm mehre Bataillone gefangen. Im Treffen bei Hollabrunn vers 
wundet, ſchickte ihn Napoleon im Febr. 1806 zur Befigergreifung von Neufchätel ab, das von 
Dreußer ıbgerreten worden war. Im Feldzuge von 1806 bildete er mit jeinen Grenadieren 
die Meferve; größere Thätigkeit vermochte er 1807 zu entwideln. So widerftand er 14. Smi 
der ruff. Armee bei Friedland fo lange, bis Napoleon mit der Hauptmacht anfanı, um den Sieg 
zu vollenden. Nach dem Frieden von Zilftt verlieh ihm der Kaifer den Grafentitel und eine 
Dotation. Während des Gongreffes zu Erfurt war D. Commandant des Ylages. An ber 
Spige feines bis zu 18 Bataillonen verftärkten Corps eröffnete er ſodann den Feldzug von 
1809. Er flug die O ſtreicher 49. April bei Pfaffenhofen, 1. Mai bei Ried, 3. Mai bei Ebers⸗ 
berg und zog 13. Mai in Wien ein. An Lannes' Stelle übernahm er in der Schlacht bei Es⸗ 
ling den Befehl über das zweite Armeecorps, an deſſen Spitze er die Schlacht bei Wagram ge⸗ 
winnen half. Napoleon ernannte ihn nun zum Marſchall und Herzog von Reggio mit einer 
Dotation von 200000 Fres. Rente. Im 3.1810 mußte D. mit feinem Corps Holland ber 
fegen, welchen fchwierigen Auftrag er mit Umficht und Mäßigung vollzog. Bei Eroffnung det 
ruff. Feldzugs von 1812 mar er kurze Zeit Gouverneur von Berlin. Er überfchritt fodann mit dem 
zweiten Armeecorps den Niemen und warf die Ruffen aus der verfchangten Stellung bei Poloczk. 
Nachdem er in einer Reihe blutiger Gefechte diefen für die ganze Operation wichtigen Punkt 
gegen Wittgenftein behauptet, mußte er, 17. Aug. ſchwer verwundet, da8 Commando an St.-Gyr 
abgeben. Derfelbe erlitt jedoch gleiches Schidfal, ſodaß D. ſchon in den erften Tagen des Ro- 
vember wieder an die Spige feiner zurücdweichenden Truppen trat. Als er den Rüdzug des 
Heeres von Moskau erfuhr, furchte er den Übergang über die Bereszina frei zu erhalten. Zu 
dem Zwecke warf er den ruſſ. General Lambert aus der Stellung bei Boriffow, vermochte aber 
deffenungeachtet die Zerftörung der Bereszinabrüde nicht zu verhindern. Er behauptete Hierauf 
eine feichte Stelle des Fluffes unweit Studzianka, mo 26. Nov. in Napoleon's Gegenwart in der 
That zwei leichte Brücken hergeftellt wurden. Nachdem D. mit feinen Truppen zuerft überge 
gangen, warf er fi mit Ungeflüm ten vom jenfeitigen Ufer andringenden Ruſſen entgegen, 
während fich wenigſtens ein Theil der Heerestrümmer über den Fluß rettete. Im Feldzuge von 
1815 führte er das zwölfte Armeecorps. Nach dem Waffenſtillſtand von Plaäswitz gab ihm 













[ — —* 

Dez Ralfer den Oberbefchl über drei verciaigte Corps. Cr folltemiit"bicfer/ lache täfd = 
* Berlin verbringen, wurde aber mit Bertrand und Neynier 24 Aug. bei 

dem Kreupringen von Schweden und mußte deshalb den Dberbefehl an Ne: 
deffen Niederlage 6. Sept. bei eroig er ebenfalls theilte. Bei Beipjig 
zwei Divifionen ber jungen Garde, die im Verein mit bem Herzog don 
bei Wachau zurũckwarfen. Rachdem er mit gleicher Tapferkeit 18. und 19,£ 
übertrug ihm der Katfer beim Rüdguge den Befehl über die Nachhut. Won Wurke 
ſchöpft, verfiel D. jedoch in eine ſchwere Krankheit, ſodaß er fich von der Arme 
e. Deffenungeacitet trat er im Beldzuge von 1814 wieder an die Spige int 
Garden, focht mit großer Aufopferung und wurde bei Arcis zum 25. malte 
nad) der Abdankung Napoleon’ wendete er fich den Bourbond zu, die ihm ie 
6 Pairs und GStaatsminifters nebft dem Befehl über die 25. Militärbivifion ie || 
l er —— Sonde ruhig auf feinen Gütern verharrte 
Zubiwig XVII. mit der zweiten zum Generalmajor der fönigl. Garden ib 
nten ber Rationalgarde von Paris, die aber 1827 aufgelöft wurde. Im fpan. 

wuge von 1823 übernahm D. den Befehl Über das erfte Armeecorps, weshalb er fich von it 
fiberalen Partei den heftigften Kabel zuzog. Als Anhänger der Julirevolution erhob ihn ib 
„wig Philipp 1839 zum Großkangler ber Ehrenlegion, und 22. Dct. 1842 murde er an 
Stelle Gouverneur des Invalidenhaufes. Er ſtarb ald folder 15. Sept. 1847. — Dubin 
eolas Charles Victor, Marquis), fein ältefter Sohn, geb. zu Barsle-Duc 5. Nov71791, Fran, 
wohnte feit 1809 den Feldzũgen des Kaiſerreichs bei. Napoleom — 
aete ihm noch nad) der Abdankung zu Fontainebleau das Patent als Oberſt, das von den 
bons auch beftätigt wurde. Beil er ſich während der Hundert Kage vom Kaifer fern gehalt, 
wurde er nach der zweiten Reſtauration zum Matcchal-de-:Gamp erhoben. In diefer Eigenfchelt 
dbefchligte ex ein Garderegiment ; fpäter organifirte er die Militärfcule zu Saumur Um de 
feines jüngern Bruders zu räden, ber alt Oberſt eines Eavalerieregiments bei Matı 
28. Juli 1835 gefallen war, eilte er nach Algier und erwarb ſich in demfelben Weldzuge ber 
Grad eines Generallieutenants. Im I. 1842 trat er als Abgeordneter des Di Main: 
Loire in die Deputirtenfammer und flimmte bier mit dem uͤnken Centrum. Far 188 
erhielt D. das Obercommando über das Eypeditionscorps, welches nach dem Kirchenftaate ge: 
fit wurde, und leitete die Belagerung von Rom. Er war aud Mitglied der Con ftituirenden 
wie der Regislativen Nationalverfammlung, ſtimmte mit der gemäßigten Partei, Lonnte aber 
wegen feiner militärifchen Wirkfamkeit nur wenig Antheil nehmen. Beim Staatsftreide vom 
2. Dec. 1851 von etwa 150 Mitgliedern der Legislativen, die fi nach der Mufhebung ber 
Kammer in der Mairie des 10. Arrondiffements verfammelt und den Prafidenten-der Republe 
in Anklagezuſtand decretirt hatten, zum Commandanten der parifer Nationalgarde ernannt, 
wurde er mit feinen Collegen verhaftet, jedoch bald wieder freigelaffen. Seitdem ftand er bei 
Ludwig Napoleon in Ungnade. Als militärifcher und nationalötonsmifcher Schriftfteller iftD. 
wieberholt aufgetreten. 

Dudry (Jean Baptifte), franz. Thiermaler, geb. zu Paris 17. März 1686, wurde vor 
feinem Vater, einem Maler und Bilderhändfer, in den Anfangsgründen der Zeichenkunft um 
terrichtet und kam hierauf in die Lehre zu de Serre, endlich ins Atelier des berühmten Porträt: 
malers Largillitre. Nachdem er bei diefem Meifter fünf Jahre gearbeitet, trat er mit einiger 
Bildniſſen und hiſtoriſchen Stücken hervor, die feine Aufnahme in die parifer Malergilde (Ac- 
d6mie de St,-Lue) zur Folge hatten. Auf eine Anbetung der Könige, welche er für das Capitd 
von St.Martin · des · Champs malte, wurde er 1717 auch in die fönigl. Malerafademie aufge 
nommen. Diefe erften Werke des Künſtlers nahmen inbeffen keineswegs dem erften Rang ein, 
fondern er erwarb fi) vielmehr fpäter feinen Ruf als Thiermaler. In biefem Genre ftand e 
bei feinen Lebzeiten in fo allgemeinem Anfehen, ba$ der König von Dänemark ihn nach Kuper - 
Hagen berufen und der Herzog von Mecklenburg · Schwerin eine eigene Galerie für D.’ Bihe 
bauen ließ. Auch Ludwig XV. fühlte fih von D.’6 Talent fehr angezogen. Diefer gab bem Mein 

Venfion nebft freier Wohnung im Louvre, wo der. König manche Stunde bei ihm verweiit: 
rigens hatte ſich D. nicht blos durch feine Thier- und Jagdftüde einen berühmten Roms 
gemacht, auch feine Landſchaften und Stillleben waren ſehr gefucht. Seine Wilder find durh 
gängig etwas kalt in der Farbe; er malte mit großer Leichtigkeit und Sicherheit, aber fen 
Kouge artete bisweilen in Manier aus. So grofe Geſchiclichkeit er auch als Thiermake ie 
wieſen, muß man doch geftehen, daß er alle Arten von Tieren nicht gleich gut kannte und iyen 


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Duverture Dval 300 


wahren Charakter und Habitus nicht immer treffend erfaßte. Bunde, Füchſe, Hirſche, Rebe, 
auch Affen, überhaupt die Thiere, welche bei den Jagddramen bie Dauptrollen fpielen, hat er 
wortrefflich gegeben ; dagegen ift er minder glüdlich gewefen in Darftellung von Bären, Wol⸗ 
fen, Löwen, Zigern u. ſ. w. Für die berühmte Prachtausgabe von Rafontaine's „Fabeln“, welche 
Montevault 1755 veranflaltete, lieferte D. über 150 Zeichnungen, die unter Cochin’s Leitung 
geftochen wurden. Immer fleißig und unerfchöpflich, wurde er in feinen Arbeiten durch einen 
Schlagfluß gehindert, der ihn 1755 traf und bald darauf (50. April) fein Ende herbeiführte. 
Biele feiner Werke find von Aveline, Le Bas, Bafan, Beauvarlet, Daulle, Duflos, Eifen u. U. 
geftochen. D. felbft hat mit leichter und geiftreicher Nadel 75 Blätter radirt, die im „Peintre- 
graveur frangais” von Robert Dumesnil befchrieben find. 

-  ZDuverture bedeutet urfprünglich ein größeres Inftrumentaltonftüd, welches einer Gegen- 
fland einleitet. Vorzugsweiſe aber findet fie Anwendung bei einem großern mufitalifchen Gan⸗ 
zen, 3. B. Oper, Oratorium u. f. w, wo fie den Eindrud des Ganzen vorbereiten fol. Auch 
Werken der Poefie, 3.8. dem Schaufpiel, dient die Duverture zur Vorbereitung, wobei wir nur 
an Beethoven’6 Duverturen zu Goethe's „Egmont“ und Collin's „Coriolan” erinnern. Die 
Duverture fann, im Fall fie ein aus mehren Tonftüden beftehendes Ganzes, wie die Oper iſt, 
einleitet, entweder ein den Charakter diefed Ganzen im Allgemeinen ausfprechendes Inftrumen- 
taltonftüd fein und daher auch im Stile mit dbemfelben in Übereinflimmung ftehen, oder dieſen 
Charakter dur) Zufammenfaffung und Verbindung ber bedeutfamften mufitalifchen Gedanken, 
welche in der Oper vorfommen, ausſprechen und gleichſam nady feinen Hauptzügen entwerfen, 
welche Anfoderung zuerft von den Franzoſen geftellt und von den franz. und deutfchen Opern» 
componiften allgemein änerfannt wurde. Doch ift Die Duverture zu einer Oper wefentlich nicht 
nothmwendig, und es fann eine ſolche auch mit einem kurzen Inftrumentaltonftüde (Inftrumen- 
talintroduction) anfangen, welches nur in die erfte Situation einleitet, wie 3.3. in Spohr’s 
Dper „Zemire und Azor” und Meyerbeer’s „Prophet“, oder mit der eigentlichen Introduction 
(f.d.) felbft, d. 5. mir dem erften Gefangftüd, welchem ein Ritornell des Orcheſters voraudgeht, 
wie dies bei einigen Opern Gluck's und Roſſini's der Fall ift. In früherer Zeit wurden Sym⸗ 
phonie (f.d.) und Duverture gleichbedeutend gebraucht, und noch immer nennen Franzoſen und 
Staliener auch die Duverture Symphonie. Gegenwärtig macht man zwiſchen Duverture und 
Symphonie den Unterfchied, daß jene aus einem großen Mufitftüde befteht, in welhem indeß 
mehre in ununterbrochener Folge verbundene Muſikſätze enthalten fein können, während bie 
Symphonie ein aus mehren durch eine mufitalifche Sdee zufammenhängenden Muſikſtücken ge 
bildetes Werk der Tonkunſt ift. Die älteften Duverturen hatten eine Fuge zum Hauptfag, dem 
ein nicht weitläufig ausgeführtes Grave im Viervierteltakte voranzugehen pflegte, welches In 
der Dominante ſchloß. Dft wurde auch das Grave nad) der Zuge wiederholt. Jene ältere Form 
baben die meiften Duverturen zu Händel’ 3 Dratorien. Später fam eine andere Form der Du⸗ 
verturen auf, die auch Mozart noch in feiner „Entführumg aus dem Serail” beobachtete. Man 
verband nämlich in den Duverturen drei Mufikfäge von verfchiedener Bewegung, wovon ber 
erfte ein Allegro, der zweite ein Andante und der dritte wieder ein Allegro oder Presto war. 
Ein glänzendes, leidenfchaftliches Allegro, welchem ein kurzer Sag von langfamer Bewegung 
und feierlichem Charakter vorhergeht, ift die jegt gemöhnlichfte Form der Duverture, zu ber 

Gluck in feiner Ouverture zur „Iphigenia in Aulis“ das Vorbild lieferte. 

Dval Heißt eine einförmige frummlinige Figur, die im Allgemeinen mit einer Ellipfe Ahn⸗ 
lichkeit hat, ſich aber von derſelben dadurch unterſcheidet, daß fie aus (gewöhnlich vier) Kreib⸗ 
bogen zuſammengeſetzt iſt, was bei der Ellipſe nicht der Fall iſt. Die leichteſte Conſtruction if 
folgende. Aus den beiden Endpunften einer geraden Linie befchreibt man zwei Kreife mit be» 
fiebigen Halbmeffern, errichtet dann in der Mitte jener Linie eine Senkrechte und nimmt auf 
diefer zwei von jener Mitte gleich weit entfernte Punkte. Aus bdiefen zieht man gerade Linien 
durch die Mittelpuntte der beiden Kreife, bis fie die Peripherien derfelben zum zweiten male 
ſchneiden, und befchreibt dann mit diefen Linien als Halbmeffern aus jenen Punkten zwei 
Kreisbogen, welche die Kinien und zugleich die beiden Kreife verbinden und mit denfelben das ge 
fuchte Dval geben. Auf diefe Weiſe kann man bei gegebener Länge unzählige Dvale von ver⸗ 
fchiedener Breite erhalten; die Iegtere fällt defto Heiner aus und das Oval iſt von einem Kreife 
defto mehr verfchieden, je entfernter die beiden Punkte auf ber Senkrechten voneinander genom⸗ 
men werden. Indeß hat die angegebene Conftruction ben Übelftand, daß man eine beftimmte 
Breite des Dvals nur nach wiederholten Verſuchen herausbringt, weshalb eine andere vorzu⸗ 
ziehen ift, die beliebig viele Dvale von gegebener Länge und Breite aus vier Kreisbogen aulamer 


" penffen gehulbigt haben, weshalb feine MWerke die —ã ù — mais 


» ‚aber feeitich fehr verwickelt if; der Dale kommen umter Adern 

te —AA— — — Die Dvale des Dein 

db find einfärnıige Eurven, welche die Eigenſchaft Haben, baf fe die aus einem Punkte Km 

. — Sr Bande 1 a madeitina deren ig 
wmentzeffen. Mare ann af fe In ber angemanbten Dyai gofen‘Pupen haben in 

—— 

n, 1 . 

riebr. NE) Aner der abenden deutſhen Baier, geb. zu Lübed b. a 

Fi —R — ae aa ln Gras Die 

bie fpätere Richtung feines Geiges talentvollen Fram Pferd 


—— M. ging er —*— hat. 53 
donng, bie er 1811 ausftellte, verſchaffte ipm allgem 


feine Genoffen vollendete ſich in diejer Zeit am unter Dem ber ud 
— und dee nationalen Auffhwungs die Bildung der remantiſchen Meaierfhute. 
Behörte zu Denen, welde der Einfachheit der frühern ital und deutfchen Malerei am eufhe 


I 
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Rom lebenden deutſchen Malern Cornelius, Koch, 8. Bogel, Be 
Eggers, fpäter Schnott u. X, den Mitftifteen der neuen Schule in ihrer nationalen, 
romantiſchen Eigentpümticheit, am Hlarften darthun. Das erfie beheutendere Werk 
ſich dieſe Schule bemerklich mashte, waren die Fresken aus der Geſchichte Jo 
preuß. Generalconful Bartholdy feine Billa auf Trinitk de’ Mond ausfhmüden ließ 
dafelbft 1816 den Verkauf Jofeph's und die fieben magern Jahre. Ia den 
machte bie Schule noch größeres Auffehen push du Die Freoken weiche Marchefe 
Billa ferti, en ließ, D. lieferte dazu fünf ee — für bie er 
3 Befrelten Serufalem” entnahm. . 


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auf dem Dlberge, eine Bermählung der Dar, mehre Heilige Familien, ber Jed 
Joſeph, endlich, das große Wild im Sẽãdel ſchen Inſtitut zu Brankfurt, den Einfuf 

eligion auf bie Künfte darftellend. Cine Grablegung vollendete er 1846 für feine Veserfiaht, 
und ein für England beftimmtes Altargemälbde, die Belehrung des heil. Thomas, wurde 1851 

fertig. Schon mehre Jahre befchäftigt ihn ein großes Altarbild, das er für den ri 
Kunftverein malt, eine Himmelfahrt der Maria. Cine nicht minder bedeutende Wirkfamkeit 
übt D. als Zeichner aus, wie viele feiner ausongeläneten Arbeiten diefer Art bezeugen. 
Anderm zeichnete er für eine Kapelle in der Billa Carlo Torlonia's zu Gaftel- Gandeifo di 
Apoftel und Evangeliften, die dort in Fresco ausgeführt wurden; fie find von Keller geſtochen 
Derfelbe ſtach mit feinem Bruder, mit Bartoccini u. A. aud die 40 Darftellungen D.’S au 
den Evangelien. An den Zeichnungen find befonders die merfwürdigen und neuen FRotive 
tühmen, die ber Künftier babeigur Anwendung bringt. Im 3. 1853 war D. mit Zeichnung der 
44 Stationen beſchäftigt, die für die Derausgabe in Kupferftich und Farbendruck beftimmt find. 
Das erſte Blatt erfchien bereits 1853 von Bartoccini meifterhaft geflohen. Stiche nach feine 
Bildern gaben F. Ruſcheweyh, Schäfer, Steifenſand, Speckier un A. Von dem Triumph de 
Religion lieferte S. Amsler einen großen und bemunderungswürdigen Stich. Die gelungenfis 
Lithographien lieferte 3. K. Koch in München. D. ift der Einzige von den Gtiftern der roman 
tiſchen Schule, welcher der anfänglichen Richtung derfelden ganz treu blieb und dieſe bis zu vo 
ger Einfeitigfeit ausbildete, womit auch fein Verbleiben in Rom und fein Übertritt zum Kate 
ũcismus zufammenhängt. Sein Hauptprincip, daß bie Kunft zum Dienfte der Religion vorkar 
den fei, umfaßt zugleich das Beſte und das Bedenklichſte was ſich über D. fagen läßt. Tiefe se 
nigkeit des teligiofen Gefühle, Mäßigung und Harmonie in der ompofition, Einfachheit der ger 
men und rührende Schönheit des Ausdruds kann man ihm nicht abſprechen. Danchen zeigt 1b 
Gleichgültigkeit gegen das große Gebiet derjenigen Formen, welde nicht unmittelbar dem uch 
glöfen Ausdrud dienen, z. B. eine Verachtung des Nadten und zugleich der antiken Scuipta 
welche ſich an dem Maler felbft durch AUntichtigkeit und Lebloſigkeit der Zeichnung oft.gar des 
us gerät Hat. Seine Stellung inmitten der gegenwärtigen Kunft wird durch biefe einfeing 

Richtung immer einfamer, da die frühern Genoffen theild weggeftorben, theil6 zu einem 


1 


Standpunkte fortgeſchritten find, wie z. B. Cornelius. Bon feinen Nachfolgern ift wol & ' 


©teinte ber bedeutendſte. 


Dverfton Doidius Ä 371 


Overſkou (Thomas), dan. dramatifcher Dichter, geb. 11. Det. 1798 in Chriſtianshafen, 
einem Stadtrheil Kopenhagene, wo fein Bater Werkmeifter in einer Zuderfiederei war, erhielt 
nur bürftigen Unterricht und trat, 143. alt, bei einem Zifchler in die Lehre. Durch die Lectüre 
Holberg's und Ohlenſchläger's war bereits feine Neigung für Poeſie, befonders aber für dra- 
matifche Kunft geweckt worden. Als er wegen Krankheit, die er fich in Folge übermäßiger An« 
firengung zugezogen, nach einem Jahre Gelegenheit fand, den von ihm wider feine Neigung ge 
wählten Beruf zu verlaffen, war ed von nun an fein eifriged Streben, eine Anftellung am . 
Theater zu erhalten. Nachdem er unter den drückendſten Sorgen für feine Eriftenz ſich die nö⸗ 
thige Borbildung erworben, gelang es ihm 1818 zum erften male die Bühne zu betreten. Er 
wurde als Eleve am königlichen Theater angenommıen, anfangs jedoch ohne Gage zu beziehen; 
erft 1823 erfolgte feine Anftelung als Hofichaufpieler. Sein eigentliches Fach waren ver 
ſchmitzte Diener und Charafterrollen, vorzüglich alte Männer. Um diefelbe Zeit brachte er fein 
erſtes Stüd, eine Überfegung von „Peter und Paul” auf die Bühne; feine erfte Original⸗ 
arbeit, da Drama „Farens Dage“ kam 1826 zur Aufführung. Um fich ganz der drama» 
tifchen Dichtkunſt, der Scenik und der Gefchichte des dan. Theaters widmen zu können, fuchte 
er um feinen Abfchied als Schaufpieler nah, der ihn auch 1842 mit Penſion bewilligt wurde. 
Im 3.1849 ward er wiederum umter Heiberg's Direction ald Oberregiffeur am Hoftheater 
angeftellt und 1852 auch zum Profefjor ernannt. O. gehört zu den fruchtbarften dän. Drama- 
titern der Gegenwart; feine Arbeiten im Fach des Luſtſpiels und Vaudevilles haben meift 
allgemeinen Beifall gefunden. Unter feinen Driginalarbeiten verdienen die Luſtſpiele „Mis⸗ 
forftanelfe paa Misforftanelfe” (1828), „Dftergade og DVeftergade” (1828), „Bor Tide Men- 
nesfer” (1830), „En Bryllupsdags Fataliteter” (1840) und „Pat!“ (1845) befondere Der- 
vorhebung; ferner die Volkskomödie „Kapriciofa” und die, Vaudevilles „„Kunftnerliv” und 
„Ein Geburtstag im Schuldgefängnig”. Außer zahlreichen Überfegungen und Bearbeitungen 
ausländifcher Luftfpiele für die dan. Bühne lieferte er auch einige Opernterte, eine große Menge 
von Gedichten und Auffägen für Zeitfchriften, eine kunſttheoretiſche Schrift: „Folketheatret“, 
(Kopenh. 1846), manche Beiträge zur Gefchichte des dan. Theaters u. f. w. 

Dvidius (Publius), mir dem Beinamen Nafo, einer der gefeiertfien rom. Dichter aus dem 
Zeitalter des Auguftus, geb. 20. März 43 v. Chr. zu Sulmo im Lande der Peligner, entwidelte 
ſchon frühzeitig eine vorzügliche Anlage zur Poeſie, bildete fi dann, von einem bedeutenden 
Dermögen unterftügt, auf Reifen in Griechenland und Kleinafien weiter aus und lebte nad) 
feiner Rückkehr bis in fein 50. 3. faft einzig dem Dienfte der Mufen und dem heitern Lebens⸗ 
genuffe. Er war ebenfo gern in den frohen Kreifen feiner Verwandten und Freunde ald am 
Hofe des Auguftus gefehen. Ganz unerwartet aber änderte fich dieſes überaus glückliche Ver⸗ 
hältniß, indem er aus und unbelannten Gründen auf Befehl des Auguftus plöglich aus Rom 
nad Tomi, einer Stadt in Möſien an den Ufern des Schwarzen Meeres, vermiefen wurde, wo ° 
er endlich im achten Jahre der Verbannung, 17 n. Chr., aus Gram und Kummer fein 2eben 
befchloß. Seine Gedichte, denen er bei feinem Hange zur Gemächlichkeit nicht die legte Vollen⸗ 
dung gegeben hat, zeichnen fich im Allgemeinen durch Anmuch, Leichtigkeit und Gewandtheit 
aus, leiden aber freilich auch hier und da an leerer Geſchwätzigkeit, wigelnder Antithejenischt 
und frofliger Spielerei. Unter denfelben wurden ſchon von den Alten viel gepriefen und werden 
noch jept häufig gelefen die „Metamorphoses” oder Verwandelungen in 15 Büchern, welche zur 
erzäblenden Gattung gehören und bie ganze Reihe von Mythen, foweit fie fi auf Verwande⸗ 
ung der Körper beziehen, von der Entwidelung des Weltalls aus dem Chaos bis auf Cäſar's 
Tod, möglichft nad) der Zeitfolge geordnet und in eine fortlaufende Erzählung eingefleidet, ent 
halten. Mit großer Kunft hat D. hier die Schwierigkeit überwunden, fo ungleichartige Stoffe 
und Gegenftände von Fabeln in ein Ganzes zu verfchmelsen. Dem Inhalte nach ähnlich, ob⸗ 
gleich fonft mehr didaktifcher Art, find die „Fasti” oder ber Feſtkalender in ſechs Büchern, worin 
an die merfwürdigften Tage und Fefte des rom. Kalenders Erzählungen aus der rom. Mytho- 
logie und aus der ältern rom. und ital. Gefchichte geknüpft find. Auch als Dichter der Liebe, 
aber nicht der himmlischen, fondern mehr der finnlichen und beraufchenden, erfcheint DO. in den 
„Amores” oder Liebeselegien in drei Büchern ; ferner in der „Ars amaudi“ oder Kunft zu lie 
ben in drei Büchern und in ben „Reinedia amoris’ oder den Mitteln gegen die Xiebe, die zu⸗ 
gleich als Beitrag zur genauern Kennmiß des fittlic) verderbten Zuftandes der damaligen röm. 
Belt dienen können. Eine ganz eigenthümliche Gattung der elegifch-didaktifchen Poefte ſchuf 
D. in den „Heroides” oder Riebesbriefen, welche von Heroinen des mythifchen oder heroifchen 
Zeitalters an ihre abweienden Geliebten gerichtet find. Won den 24 noch vorhandenen hat ie- 


; 29.1652), von Ric. Heinfius (3 Bde, Cmft. 1658—61), von Pet. Burmann (AB, 


fe 
| rach dichtung von Adler (Bpr. Fr 


1672 ° Dviedo Dwen (Robert) — 
{Die gaut einige für uneche etlisci. Endiich ſhrier er auch Cegegin nn 
= feines ann der Verbannung, nämlld, —— ——— ‚ober Tram 

e in fünf Büchern, und „Epistolas ex Ponto“ in vier Büchern. Außerdem — 

der Sammlung feiner Gedichte unter dem Zitel „Ibis” ein fatirifches ober Schuu a 
‚degifägen Berömafe gegen einen Ungenannten; fein Stauerfpiel ‚Medea” aber iſt verlorenp 
gangen. Eivige andere leinere Gedichte, wie die „Elegia ad Liviam Augustam” umb iR 

nannten „Catalecta Ovidi“ werben ihm mit Unrecht beigelegt. Die [ämmtlichen Werke 
wurben nach ber erften Ausgabe (Rom 1474) am beften bearbeitet von Dan. Heinſtus 


Laaft. 1727), von Amar (9 Bde, Par. 1820), Jahn (Bd. 1 und 2, Rpz. — 
Merkel (3 Bbe., Lpz. 1850—52). Unter den jaben einzelner Gedichte erwähnen wir 
de ven bie der „Metamorphofen” von Gierig (2 Bde, ps. 1804— 7 ; 5. Aufl in 
Jehn 1821— 23), von Bad) (2 Bde, Dannov. 1831-36) und von Lörs (Rpz. ISA); m 
ter den zahlreichen Überfegungen berfeiben die von Rode (2 Bde, Berl. — u 
Bbe., Stuttg. 1833) und die ausgewählten „Berwandelungen” von I. H. Voß (28 
ſchw. 17985 2. Aufl, 1829), ſowie die Nachbildung von Abrah. Boß 
1844). Kricifce Ausgaben ber „Tristia” gaben Jahn (Ryz. 1829) und Merkel (Werl, 1851) 
eine beutfche Überfegung Strombeck (Braunfhw. 1855) ; die „Heroiden“ wurden vom 
(2b. 41829) und Lörd (2 Bde, Köln 1829— 30), die „Fasti” von Gonrab (Epz. 180 
und Merkel (Berl, 1841) herandgegeben und lehtere von Geib (Exl. 1828) umb von Mit 
ger (5 Bde., Stuttg. 1838) überfegt. Von der „Ars-amandi“ befigen wir gute 
gen von Strombeck (2. Aufl., Braunfſchw. 1831), Torney (Gött. 1854) und in einer gı 






Dido, die Hauptfladt der fpam. Provinz Dviebo oder des ehemaligen Bürftenmhums 
Aſturien (f.d.), Sig eines Biſchofs, in einer ſchönen Ebene zwifhen ben Blüffen Nora un) 
Ralon und am Buße des Bergs Naranco, iſt regelmäfig gebaut, hat eine Waffexleitung ven 
AA Bogen, eine [höne goth. Kathedrale mit einem durch feine "Höhe und Architektur auögegeid- 
‚neten Thurme, den Gräbern von 14 Königen und Königinnen, einer reihen Reliquienfamm 
tung und andern Merkwürdigkeiten, vier Pfartkirchen, mehre Kloftergebäube und Spit ein 
Findelyaus, eine 1580 gegründete Univerfität, mehre Gollegien, Seminarien und andere Schu 
Iem, eine tönigl. Waffenfabrit, Stahl-, Hut- und Leinwandfabrifen und Gerbereien. Die Stadt 
zaͤhlt mit ihrem Diftrict 16950 E. und treibt mit dem Hafen der Stadt Gijon lebhaften Pro- 
ductenhandel. D. ift eine der älteften Städte Spaniens, hieß im Altertum und fpäter Afturum 
Lucus oder Ovetum, ward neu erbaut und anftatt Gijon 792 von König Alfons IL. zur Refir 
denz erhoben, deſſen Enkel Gatcias aber im 10. Jahrh die Refidenz nad) Xeon verlegte. Im 
3. 901 wurde in D. ein Eoncil gehalten. 

Dwaibi,f. Sanbwiginfeln. 

Dwen (John), lat. Audoenus genannt, einer der befannteften unter dem neuern lat. Did: 
tern, geb. zu Armon in Wales, fludirte zu Drforb die Rechte, nahm aber wegen Armuth 1591 
eine Schullehrerftelle zu Eryleigh und 1594 zu Warwick an und ftarb 1622 in fehr dürftige 
Umftänden zu London. Vorzugsweiſe wurde von ihm das Epigramm mit vielem Glüde be 
handelt, und er entwidelt darin in lebendiger und fehr correcter Sprache fomol einen treffende 
und beifenden Big als auch eine tiefe Menfchentenntnif, obgleich hier und da froftige pie 
lereien und Verftöße gegen den Unftand den guten Eindruck ftören. Seine zahlreichen, frühe 
vielgelefenen Epigramme erſchienen zuerft unter dem Titel „Epigrammatum libri X’ (Lon 
1612) und wurden feitdem fehr Häufig wieder gedrudt, am beften unter Renouard's Beer 
gung (Par. 1794). Jördens gab O.'s „Epigrammata selecta” (Rpz. 1813) mit den vorgüg 
lichften vorhandenen beutfchen Überfegungen und Nachahmungen verfchiedener Merfaffer un | 
Ebert ein „Libellus epigrammatum” (2pz. 1825) heraus. — Ein anderer John Owen, gt 
4616, geft. 1683, war unter Grommell Vicefanzler der Univerfität Drford, welchen Poften 6 
jedoch nach der Reflauration Karl’ II. wegen feines Anfchluffes an die Independenten verke. 
Er gehörte zu den fruchtbarften theologiſchen Schriftftellern feiner Zeit, indem feine gefamms 
ten Werke nicht weniger als 50 Bände enthalten. 

Dwen (Robert), ein als Socialreformer berühmter Engländer, wurde 1771 zu Newtona 
der Graffhaft Montgomery von armen Altern geboren. Gr widmete fi der handlung, 95h 
durch Beharrlichkeit feine mangelhafte Jugendbildung aus und erwarb ſich Durch Thätigint 
und Rechtſchaffenheit die Achtung feines Principals. Im Alter von 30 I. heiratheie erde 


Dwen (Robert) j 578 


Tochter des reihen Manufackuriften Dale zu Manchefter, der ihn als Affocie an die Spige 
einer großen Baummwollenfpinnerei zu New⸗Lanark in Schottland ftellte. Um bie Waſſer⸗ 
Eraft zu benugen, hatte Dale 1784 diefes Manufacturdorf gegründet, obſchon die übrigen 
Zocalverhältniffe dem Unternehmen nicht günflig waren. Bein Schwiegerfohn fand weder 
ein glückliches Dorf noch eine blühende Fabrik Die geringe Bevölkerung, der Abfchaum 
ber drei Reiche, litt Mangel unb war in Faulheit, Unwiffenheit, WVöllerei und religiofe 
Streitigkeiten verfunten. DO. nahm fich vor, zuvorderft die Arbeiter ihrer elenden Lage zu 
entreißen. Don bem Gedanken ausgehend, daß ber Menſch von Natur weber gut noch fchlecht, 
daß er das Eine oder Andere erft durch die umgebenden Verhältniffe werde, verwarf er jeden 
Zwang und fuchte blos durch gutes Beifpiel, gegenfeitige Aufmunterung, freundliche geregelte 
Umgebung, befonders durch ein unerfchopfliches perſönliches Wohlwollen zu wirken. Batb 
zeigten fich die Früchte diefer praftifchen Erziehung. Unter den Arbeitern ſchwanden Eitten- 
Lofigkeit, Armuth, Bank, und auch das Gefchäft bob fi und brachte den Unternehmern bald un« 
gewöhnlichen Gewinn. Außer ber Spinnerei wurden nun auch große Werkſtätten für eine 
Menge technifcher Gewerbe angelegt. Desgleichen gründete D. aus eigenen Mitteln eine Schule 
für 600 Kinder, wo das nämliche Verfahren noch überrafchendere Refultate lieferte. Echon 
nad) vier 3. zeichnete fich bie Colonie durch Wohlhabenheit und fittliche wie intellectuelle Bil⸗ 
dung beifpiello6 aus. Zaufende von Reifenden befuchten jährlich das glückliche Dorf und bewun⸗ 
derten die Schöpfung und deren Ürheber. Durch ſolchen Erfolg ermuntert, gerieth D. auf bie 
Idee, als theoretifcher und praftifcher Reformator des gefellfchaftlihen Elends überhaupt auf- 
zutreten. Zuvörderſt veröffentlichte ex feit 1812 feine Anfichten in der Geſtalt eines Syſtems 
durch bie Slugfchrift „New views of society, or essays upon the formation of human cha- 
racter”. Um Elend und Entartung auszurotten, foll nach ihm eine gänzliche Veränderung der 
äußern Verhaltniſſe des Menichen oder vielmehr eine neue foftematifche Erziehung des Einzel» 
nen vorgenommeri werden. Dad Princip, welches diefer Neform zu Grunde liegt, ift die Unzu⸗ 
rechnungsfähigkeit, d. h. die vollige moralifche Nichtverantwortlichkeit des Individuums rüd- 
fichtlich feiner Rage wie feiner Handlungen. Demzufolge müffen nicht nur Lob und Tadel, 
Strafe und Belohnung wegfallen und das Wohlmwollen an deren Stelle treten, fondern auch 
eine ablolute Gleichheit in allen Nechten und Pflichten eingeführt, jebe Superiorität aber, felbft 
die des Capitals und ber Intelligenz abgefchafft werden. Trotz dieſer Ohnmacht der Theorie, 
bie einzig dem findlich guten Gemüthe D.’6 entfprang, und der Aufftellung des ftarrften Com⸗ 
munidmus, der freilih damals noch nicht ald Schredbild galt, erwedte der Meformator große 
Theilnahme, weil man den Erfolg zu New⸗Lanark vor Augen hatte. Don einem Dermögen vor 
mehr als Y, Mil. Pf. St. unterftügt, freute D. im Intereffe feiner Lehre zahllofe Tractätchen 
aus, hielt allenthalben große Volksverſammlungen und betheiligte ſich mit Aufopferung an je 
dem Unternehmen, das die Hebung der vernacdhläffigten Volksclaſſen bezwedte. Bald zählte er 
unter allen Ständen enthufiaftifhe Anhänger, und unter feinem Vortritt wurbe endlich eine 
Subfeription zur Gründung einer VBerfuchscolonie in Schottland eröffnet. Seit 1816—18 zog 
ihn das Parlament bei der Gefeggebung über die in den Fabriken arbeitenden Kinder zu Rathe. 
Zu gleicher Zeit führte er in England die Kleinkinderfchulen ein, deren Fortbildung fich jedoch 
Andere bemädhtigten. Mit großen Summen unterftügte er die Verſuche Bell's wie Lancafter’s. 
Er bewog auch die niederl. Regierung zur Gründung von Armencolonien und überſchickte dem 
Könige von Preußen einen Entwurf zur Nationalerziehung, der ihm dafür eigenhändig dankte. 
Um bem ber Gefellfchaft drohenden Ruin vorzubeugen, empfahl er die Auflöfung der großen 
Manufacturcentra und die Errichtung von zerftreuten Induftriedörfern, in denen jeder Arbeiter 
in den Stand gefegt werben fol, fich Durch Anbau eines Stüd Landes die dringendften Bebürf- 
niffe zu fihern. Wiewol diefer Vorfchlag in England mit Enthufiasmus aufgenommen wurde, 
erwarteten doch bereitö den Apoftel der Kiebe und Barmherzigkeit die härteften Anfeindungen. 
Die Lehre von der Unzurechnungsfähigkeit brachte allmälig die gefammte Geiſtlichkeit in Har- 
niſch, zumal als D., endlich gereizt, alle beflehenden Religionen der Ohnmacht, der Verlegung 
der Naturgefege, fubverfiver Tendenzen befchuldigte und feine Behauptung durch Beifpiele aus 
Vergangenheit und Gegenwart zu rechtfertigen fuchte. Noch ärger geftaltete fi der Skandal, 
als er auch den politifchen Nadicalismus angriff, dem er Willen und Fähigkeit abſprach, die 
Noth des Volkes zu lindern. 

Mit Shmähung und Verdächtigung überhäuft, feines Beſchüters, des Herzogs von Kent, 
durch den Zod beraubt, wendete fich D. 1823 nad) den Vereinigten Staaten Nordamerikas, mo 
er ungehindert von Vorurtheilen nach feinen Brundfägen und auf feine Koften eine abfolute, 


















% meinde errichten woßlte. Gr Baufte von dem Wärte Rap 
Pr an den Ufern des Wabaſh. im Staate Indiana, mit 500003 a 
vorımb Wohnung für 2000 Menfchen, und foderte Talent, Capital und Eräftige Arbeiterfan 
* en zum Eintritt auf. Allein der mnismus hielt die Gapitaliften ab, und von dem Se 
deten überhaupt erſchienen nur wenige phantafifäje Geifter. Dagegen brängten jidh Die 
men, alle geächteten Subjecte ; felbft die Abenteurer der Wälder in die € 
Gen 1826 trat bei dem Mangel an baarem Capltal ein unaustilgbares Deficit ein, datt 
Misnergnügen, dann Unordnung, bald bie völfige Muflöfung aller Bande nach fich dog. DEF 
fich endlich in tiefer Erfchütterung genöthigt, das ganze Befigthum preiszugeben umb fr 
ber Wegierung von Merico um De Galo von Texas in Unterhandlung. Zwar fAtite 
dieſer Plan ; aber der Präfident Wictoria bot ihm ben Landftrich zwifchen dem Stillen D 
und dem Mexicaniſchen Meerbufen an, worauf D. nicht einging, weil man Die arme 
im Hinficht der Religion veriveigerte. Gegen 1827 kehrte er nad) England zurück, um 
eimig der Vorbereitung der Bemüthet zur künftigen Gründung der abfoluten Gen 
wihmen. Nachdem er die Trümmer feines Vermögens bis auf Weniges feinen 
teten, begann er mit unglaublicher Ausdauer und Anftrengung fein lehtendes um. 
Leben. Abgefehen von den Wochenverfanmmlungen zu London, hielt er feit 18275" 
1000 öffentliche Reden, entwarf gegen 500 fen an alle Volksclaſſen. ſchrieb 20003 
nalartifel und unternahm 2—300 Reifen, barımter zwei nach Frankreich. Unter feinen je 
zeichen Sqhriften, Die er in der Borm von Tractätdhen ausfireute, gewähgen am meiften & 
in fine Ideen die „Lectures on a new state of society“, „Essays on the formälion 0 
character‘, „Outline of the rational system” und ſein Hauptwerk „The book öflhen 
ral world“, in welchem er ſich als Erfinder und Begründer eines vernumftgentäßen Me 
und Gefellfhaftsfpftems bezeichnet. Reben biefen theoretiſchen a 
auch Zeit für eine mehr praktifche Thätigkeit, bie ihn micderholt in die gefäht Genf 
trieb und ihm neue Verfolgungen berpitete. Mit feinen Schülern, den fogenannten D 
wurde ex feit 1827 ſchon die Seele bet zahlreichen Mrbeitervereine, aus denen der Chart 
ww enporftieg. Befonders aber compromittirte er fich bei einem Unternehmen, bag 
jen National labour equitable exchange bie Mustocchfelung induftrieller Bebürfniffe ag 
Arbeitsftunden, mithin die Abſchaffung des Geldes bezweikte, Man gründete einen gropm® 
gar und eine Bank, deren Zettel den Werth von Arbeitsſtunden hatten, die fich aber nad ri 
gen Monaten (1832) banfrott erflären mußte. Alt 1834 die Arbeitervereine durch Eifilung 
der Arbeit einen höhern Lohn erzwingen wollten, ließ ſich D. wiederum die Rolle des Parın 
aufzwingen und machte ſich durch fein Vermittleramt ſowol feinen Committenten wie der Re 
gierung verbächtig. Er verlegte nad} diefen harten Schlägen feinen Aufenthalt von Barden 
nad) Mandhefter, wo er an die Spige des Mutuelliftenvereind Community friendly sociey 
trat, der unter dem Namen Association of all classes or all nalions einen auferordentlicher 
Aufſchwung nahm, aber fich gleichfalls nicht erhalten konnte. Im Jan. 1840 erhielt D. durd 
Lord Melbourne bei der Königin Victoria eine Audienz, worüber der Klerus im Di 
namentlich der Biſchof Henry Phillpotts von Epeter, in fafi rohe Schmähungen ausbrad. 2 
antwortete durch ein Manifeft, in weldyem er die Grundzüge feines Syftems nebft feinen wit 
tigften Zebensereigniffen mittheilte. Doc; verlor fich feitdem allmälig der Einfluß, den era 
das Volk ausübte, und ald er bei den Parlamentiwahlen von 1847 als Candidat für Mat 
lebone auftrat, erhielt er nur eine einzige Stimme. Die Ungunft der Verhältniffe machte dt 
indeffen nicht an feinem Syſtem irre, welches er in ber Schrift „Revolutio: the mind an) 
practice of the human race“ (Rond. 1850) aufs neue entwidelt hat. — Sein ältefter Suks 
Mobert Dale D., geb. in Nerv-Ranark, der ihn nach Amerika begleitete und dort zur 
machte ſich als Politiker im Einne der demofratifchen Partei befannt und wurde im Mai Il 
vom Präfidenten Pierce zum Gefäftsträger der Vereinigten Staaten in Neapel ernannt. — 
Ein zweiter Sohn, Bavid Dale D., unternahm im Auftrage der amerit. Regierung eine mE 
ſenſchaftliche Reife nach dem nordweſtlichen Theile der Nepublit, deren Reſultate er in „Geole 
‚gical survey ol Wisconsin, Iowa and Minnesota and incidentally ofa portioa of Niebrada 
Territory” (Neuyort 1852) niederlegte. 

Dwen (Ridard), berühmter engl. Naturforfcher, geb. um 1800 zu Zancafter, Aus 
auf der Univerfität Edinburg und ließ ſich Hierauf als Wundarzt in London nieder, md - 
mete ſich aber zugleich mit Eifer naturwiſſenſchaftlichen und namentlich anatomifchen & 
bien, wobei ihm das Muſeum bes College of Surgeons trefflich zu flatten kam, zu MP 


5 








Drenflierna 315 


er 1835 ernannt wurde. Der von ihm mit ebenſo viel Fleiß als Umficht zuſam⸗ 
Katalog beffelben machte feinen Ramen in weiten Kreifen bekannt. BDerfelbe 
ünf Bänden eine erfhöpfende Beſchreibung der phyfiologifchen und anatgmifchen 
dann ein Verzeichniß der naturhiſtoriſchen Gegenftände und endlich eine Überficht 
I. Neben diefer anftrengenden Arbeit ließ O. noch eine Reihe von Werken erfchei- 
Förderung der Wiſſenſchaft mächtig beitrugen. Er ſchrieb: „Memoir on the Pearly 
Lond. 1852); „Memoir on a giganlie extinct sloth” (Xond. 1842); „Odonto- 
a treatise on the comparative anatomy of the teeth and microscopical structure 
:brate animals” (2 Bde., Lond. 1840); „History of British fossil mammals and 
ıd. 1846); „History of British fossil reptiles” (1.—5. Abtb., Zend. 184951); 
»n tbe comparative anatomy of the invertebrate animals” (Xond. 1843); „Lec- 
ıe comparalive analomy of !he verltebrate animals” (Lond. 1846); „On the 
and homologies of the verlebrate skeleton” (Xond. 1848); „On Ihe nature of 
ıd. 1849); „On parthenogenesis, or the successive production of procrea- 
uals from a single ovum” (Lond. 1849). Außerdem veröffentlichte er zahlreiche 
gen in den Memoiren der Royal-Society und anderer gelehrten Vereine, wie ber 
tion, zu deren thätigften Mitgliedern er gehört, und ber Microfcopical-&Society, deren 
dent er war. Doch befchränfte D. feine Wirkſamkeit nicht auf literarifche Befchäfe 
r nahm felbft hervorragenden Antheil an allen Zagesfragen, die mit feinen phyfiolo⸗ 
dien in Verbindung ftanden. So wurde er wiederholentlicd) zu den vom Parlament 
en fanitarifhen Unterfuchungscommiffionen zugezogen und war bei der Melt 
Wftelung 1851 als Comitemitglied und nachher ald Vorfigender der Abtheilung 
Fabrikation gebrauchten thierifchen und vegetabiliſchen Subftanzen thätig. Eeine 
351 vor ber onigl. Society ot Arts gehaltene „Lecture on the raw materials from 
kingdom, displaged in the great exhibition of the works of industry of all na- 
itdem (Lond. 1852) im Druck erfhienen. D. ift gegenwärtig Profeffor der Ana⸗ 
Phyfiologie am College of Surgeons, Ritter ded preuß. Ordens pour le merite und 
352 Doctor der Univerfität Orford. Als Zeichen der Anerkennung verlieh ihm die 
ictoria Ende 1851 das von dem verfiorbenen Könige von Hannover bewohnte Haus 
een zum lebenslänglichen Aufenthalt. 
ierna (Arel, Graf von), berühmter ſchwed. Staatsmann, geb. zu Käno in Upland 
de nach dem frühen Tode feines Vaters mit Eorgfalt ımter den Augen feiner Mut- 
Er ſtudirte zu Roſtock, Wittenberg und Jena Theologie, und obgleich er fich fpäter 
geihäften widmete, fo blieb ihm body eine große Liebe zur Theologie und ein lebhaf- 
ir die Ausbreitung der evang. Lehre. Nach Vollendung feiner Stubien befuchte er 
beutfchen Höfe, und ald er 1602, wie alle im Auslande lebenden Schweden, zurückbe⸗ 
e, um Karl IX. den Eid der Treue zu ſchwören, trat er bald darauf in die Dienfte 
archen, der ihn 1606 als Geſandten an den mecklenburg. Hof fendete. Im I. 1608 
n den Senat aufgenommen, in welchem in ununterbrocdhener Reihe 13 feiner Vor⸗ 
fen hatten. Sein erftes öffentliches Gefchäft war die Beilegung gewiffer Streitig- 
ben dem livländ. Adel und der Stadt Reval, wobei er feine Talente in einem fo gün⸗ 
e zeigte, daß der altersſchwache König ihn zum Auffeher der fonigl. Familie machte 
Spige der Regentfchaft ftellte. Als Guſtav Adolf den Thron beftieg, wurde er zum 
tannt, und 1613 war er bei den Friedensunterhandlungen zwifchen Schweden und 
Bevollmächtigter. Im J. 1614 begleitete er den König nad) Livland und hatte bald 
Benugthuung, die Feindfeligkeiten zwifchen Rußland und Schweden durch den ehren. 
yen von Stolboma beendigt zu fehen. Beim Feldzuge bes Könige gegen Polen er- 
denfelben 1622 in Livland; fpäter wurde er mit verfchiebenen Regimentern nadı 
ſchickt und zum Generalgouverneur aller dafelbft den ſchwed. Waffen untermorfenen 
nannt. Als die Kaiferlichen nad) Pommern gingen, um ſich zu Derren der Oſtſee⸗ 
tachen, unterhandelte er mit dem Herzog von Ponmern wegen der Belegung Stral« 
h ſchwed. Truppen ftatt der bänifchen, die den Plag in Beftg hatten, und ging fodann 
mark, um die Genehmigung des Königs dazu auszumirfen. Auch gelang es ihm, 
. und engl. Vermittelung 1629 mit Polen einen fechtjährigen Waffenftillftand ab- 
Als der Krieg in das Herz von Deutfchland verfegt worden, rief Guſtav Adolf 
zler zu fich, um ſich feiner Einficht zu bedienen. Er wurde mit unbefchränfter Voll⸗ 
Ten Staats: und Militärangelegenheiten am Rhein verfehen und nahm fein Hauxt 


1 EEE 7. © 77°” 
ngetier in Mainz, während Guſtav &polf in Balern und Franken vorbrang. D. war mitte 


gelemmien Truppen vom Rhein aufgebroden, um zu ben Könige zu floßen, und fiaab 
Yberbeutichland, als diefer 16352 bei Zügen fe. Die Nadel yon der re aim 
ihn nicht. Er fammelte zahlreichere Heere und ging-nad Dresden und Merlin, ui 

aßregeln wegen Fortſezung bes Kriegs zu verabreden. Die ſchwed. Regierung ertheilte ha 
wmun Vollmacht, Alles anzuordnen, was er für des Vaterlandes Wohlfahrt am bienlichfieug 
achten würde. Demgemäß trat er mit verfchledenen Fürften in Unterhandlungen, verfammds 
‚einen Songreß zu Heilbronn und wurde hier als Director des enang. Bundes anerkannt. & 
ging nach Frankreich und Holland, um beide Mächte zur Theilnahme an ber Sache der Ex 
gelifchen zu gewinnen. Doch bei feiner Rückkehr nach Sachſen fand er Alles in ber größten de 
erbnumg, die Bımbesgenoffen ſchwankend, die Soldaten misvergnügt und ber Bucht entiwäße 
und faft alle muthlos durch ben unglüdlichen Ausgang ber Schlacht bei Rörblingen, waͤheh 
Ver. Kurfürft von Sachſen offen der Sache des Feindes beigetreten war. Sein an Hülfsqudie 
zeicher Geiſt mußte jedoch auch unter diefen Umfländen die Angelegenheiten feiner Partei vs 
Untergange zu retten. Nachdem er fie gefichert fah, Lehrte er 1636 nad) Schweden zurüd, m 
wo er zehn Jahre abweſend geweien. (5. Dreißigjäbriger Krieg.) Er ſehnte fich nad > 
zubigen Wirkungsfreife, legte bie ihm anvertraute Gewalt nieber ımb nahm feinen Sig m 
nate als Kanzler des Reiche und einer ber fünf Vormünder der Königin Chrifline. Ode 
Hauptſorge war jegt, die Königin mit Allem, was auf die Regierungstunft Beziehung kalk, 
bekannt zu machen. Da es ihm fehr am Bergen lag, den Krieg in Deutſchland zu einem dib 
lichen Ende-zu bringen, fo fendete er feinen Sohn Johann als Bevollmächtigten nach 
Iand. Im J. 1645 wohnte er ben Unterhandlungen mit Dänemark zu Brömfebrö bei, 
ber Rückkehr ertheilte ihm bie Königin Chriftine die Brafenwürbe. In derfelben Zeit wurdes 
zum Kanzler der Univerfität Upfgla ermählt. Als Chrifline ihren Entſchluß bekannt med, 
einen Nachfolger zu ernennen, wiberfepte ſich D. aus allen Kräften. Noch dringender we 
ſprach er ihrem Vorfage, die Krone niederzulegen, und als bie Königin unerfchütterfich heil 
rem Entſchluſſe beharrte, fchügte er eine Krankheit vor, um an ben Verhandlungen über dee 
Maßregel nicht Antheil nehmen zu dürfen, die er ald den Anfang großer übel anfah. Erfah 
feitbem Leine Freude mehr an ben Staatögefchäften, wiewol er fortfuhr, dem DBaterlande 
wiflenhaft und eifrig zu dienen, und ftarb im Aug. 1654. D. darf den berühmteften Mänaeı 
beigezählt werden, die auf ber Bühne der Welt eine ausgezeichnete Rolle gefpielt und ſich durch 
eine für die Menfchheit wohlthätige Wirkfamkeit verewigt haben. Seinem Hußern nad war 
er von hoher, ftattlicher Geftalt. Erziehung und Studium hatten feine großen Anlagen ent- 
widelt und dem Guten, Großen und Edeln zugewendet. Mit großer Geläufigkeit ſprach eria 
teiniſch. Sein politifcher Scharfblid erregte ebenfo fehr Achtung als Bewunderung, und be 
Umftände, unter welchen er Iebte, gaben ihm Gelegenheit, den ganzen Umfang feiner Einfiht a 
ben Zag zulegen. Die Regierungsform, die er auf höhern Befehl entwarf und die 1634 ven 
den ſchwed. Ständen angenommen wurde, galt für ein Meifterwerk der Staatskunſt. Gem 
Rechtſchaffenheit nothigte felbft feinen Gegnern Bewunderung und Vertrauen ab. Allen Em 
men und Unfällen widerftand er mit Feftigfeit, Klugheit und Hochherzigkeit. Die Ehre und Ur 
abhängigkeit feines Vaterlandes gegen das Ausland aufrecht zu erhalten und durch Belebuy 
des Handels und Kunftfleißes, verbunden mit weifer —8 die innere Wohlfahrt zu ver 
mehren, waren feine großen Beftrebungen„Bon feinen Schriften find.nur einige im Druder 
fhienen. Vgl. Lundblad, „Svensk Plutarch” (Bd. 2, Stockh. 1824; deutſch, 2 Bi 
Stuttg. 1826— 27). 

Drford, bie erfte von den mittlern Grafichaften Englanbs, zwiſchen Warwid, Northampter 
Bucks, Berkſhire und Glocefter gelegen, mit 170286 E. auf31Y. AM., bildet eine wellenfie 
mige, mit Hügeln, einigen Waldungen und Fruchtädern abwechfelnde Ebene, die zum Theillch 
migen und fruchtbaren, zum Theil fandigen oder fleinigen Boden hat, mit feuchtem, meift kaltes 
Klima und wird von der Iſis und dem Chermell und ber aus ihrer Vereinigung entftandent 
Themfe, fowie von einigen Kanälen, unter denen der Orfnrdkanal der wichtigfte ift, durchichn 
ten. Die Hauptproducte find Getreide, Garten» und Hülfenfrüchte, Hopfen, Flache und Hr 
fenthon ; die Hauptnahrungsaweige Viehzucht, Fiſcherei und Fabrikate in Mole und Lee 
Bemerkenswerthe Orte außer der gleichnamigen Hauptftadt find Woodftod, eine in engl. Dih 
tungen und Geſchichtswerken oft erwähnte Stadt, und das Schloß Blenheimhoufe, das des 
Herzog von Marlborough zum Danke für feinen Sieg bei Blenheim 1704 von ber Ê 
ion gefchentt wurde. — Die Hauptſtadt Drford, auf einer Anhöhe an der aus dem Zufan ' 












Drford (Rob. Harley, Graf von) 577 


menfluffe des Cherwell und der Iſis bier entftehenden Themfe, über welche die 500 F. lange 
teinerne Magdalenenbrüde führt, ift vorzüglich ber Univerfität wegen berühmt und hat 
28000 E., die zum großen Theil von diefer leben. Die beiden Hauptfitaßen, die Highftreet und 
Broadſtreet, find zu beiden Seiten mit zahlreichen fhonen Gebäuden im Stile bed Mittelalters 
befegt. Die Univerfität, dem Range nad) die erfle in Großbritannien, mit 24 Collegien und 
Dallen, befteht aus 30 Profefloren, 542 Fellows oder Collegiaten, ben 24 Vorftehern der Eol- 
legien und andern Beamten, bie zufammen ein jährliches Einkommen von 312000 Pf. St. 
haben. Da die Verwaltung ber Finanzen ber Univerfität und der Collegien unter feiner öffent- 
lichen Controle ftehen, ift es ſchwer, die Einkünfte genau anzugeben. Die Zahl der Studirenden 
Jeläuft fih auf 1300, von denen drei Viertel das Cxamen machen und dadurch ben Grad als 
Baccalaureus, fpäter als Magister artium erhalten, wodurch fie zeitlebens ein Votum in 
allen Angelegenheiten der Univerfität haben. Die Anzahl diefer Masters of arts beträgt gegen 
&000, von denen etwa 300 in Orford refidiren. Das Chrift-Church-Collegium, mit einem über. 
zus freundlichen Bibliothekſaal, ift das größte und befuchtefte ; das All-Souls- (Aller Seelen.) 
Collegium und das Magdalenen-Collegiun aber find die fhonften. Die Univerfitäts- oder Bob» 
‚eyanifche Bibliothek, eine ber größten Bibliothelen Europas, zählt 300000 Bände gedrudter 
Bücher und 30000 Handfcriften. Das Bibliothekgebäude enthält auch eine Gemäldegalerie, 
eine Sammlung antiter Statuen und die Arumdel’fche Infchriftenfammlung. Eine zweite Bi⸗ 
bliothet, die Radcliffe’fche, aus der Erbfchaft des 1718 verftorbenen Dr. Radcliffe, in einem 
ſchönen Gebäube, welches eine Rotunde bildet, mit einer 60 F. hohen Kuppel, enthält faft aus⸗ 
ſchließlich Bücher aus dem Gebiete der Arzneikunde und Naturwiflenfchaft. Jedes College hat 
eine Bibliothek ; ein Geſammtkatalog der Handſchriften derfelben ift von Coxe herausgegeben. 
Merkwürdig find ferner das Sheldon’fche Theater, welches fich durch feine Halbcirkelrunde Fronte 
auszeichnet (die Aula der Univerfität) ; das Aſhmole'ſche Mufeum, welches eine Sammlung 
von Raturalien und Kunfterzeugniffen enthält; die Univerfitätsdruderei oder das Clarendon- 
Printinghouſe, ein fhones, in Form eines Tempels erbautes Gebäude, melches jegt zu Hörſä⸗ 
Im benugt wird, da für die Univerfitätsbruckerei feit 1850 ein neues Gebäude auferhalb der 
Stadt errichtet iſt; Eir R. Taylor's Inftitution ; die Bildergalerie mit einer großen Sammlung 
Handzeihnungen M. Angelo’s und Rafael's; die Sternwarte mit den herrlichften Inftrumem 
ten und ber botanifche Sarten. In das Parlament fenden die Univerfität und die Stadt jebe 
zwei Abgeorbnete. Vgl. „History of the university of O., its colleges, halls and public buil- 
dings” (2 Bde. Lond., mit 82 Kpfrn.). 

Drford (Rob. Harley, Graf von), brit. Staatsmann unter der Königin Anna, wurbe 1661 
zu London geboren. Sein Vater, Edward Harley, ein reicher und angefehener Mann, gehörte 
während der Revolution der Parlamentöpartei an und bekannte fich mit feiner Familie zum 
Presbyterianismus. Der junge Harley kehrte jedoch zur bifchoflichen Kirche zurüd und erhielt 
einen Sig im Parlament. Unter der Regierung Wilhelm's III. zeigte er ſich als Whig und. 
wurde 1702 fogar zum Sprecher des Unterhaufes erwählt. Die Talente und Kenntniffe, welche 
er entwidelte, beftimmten bie Königin Anna, ihn zum Staatöfecretär zu ernennen, worauf er 
fih ber Torypartei näherte. Wiewol ihm die Königin großes Vertrauen ſchenkte, mußte er doch 
1708, des Einverftändniffes mit dem Prätendenten (f. Jakob ILL) verbächtig, auf Marlbo- 
rough's Betrieb fein Amt aufgeben. Fortan handelte er als entichiebener Zory und erklärte ſich 
auch 1710, während des Proceſſes gegen ben Prediger Sacheverel, für die Lehre des leidenden 
Gehorfams und der abfoluten Staatögewalt. Auch die Königin fand an jener Lehre viel Ge⸗ 
ſchmack, ſodaß Harley um fo leichter durch feine Verwandte, bie Lady Mafham, welche zugleich) 
die Coufine und Nebenbuhlerin der Herzogin von Marlborough (f. d.) war, geheimen Zutritt 
bei der Königin erhielt. Beide bearbeiteten die ſchwache Monarchin eifrig, der Familie Marl⸗ 
borough die Gunft zu entziehen und die Tories ans Staatöruder zu berufen. Nachdem die Her« 
zogin von Marlborough und deren Schwiegerfohn, der Graf Sunderland, im Juni 1710 ge- 
ſtürzt waren, kam endlich im Auguft die Negierungsveränderung zu Stande. Harley erhielt in 
dem Torycabinet an Godolphin’s Stelle das Großfchagmeifteramt, wurde einige Monate fpa- 
ter aum Grafen von D. erhoben und riß im Verein mit dem nachherigen Viscount Boling- 
brofe (f. d.) die Staatögefchäfte an fih. Die Königin mußte noch im Dec. 1710 ein neues 
Parlament zufammenberufen, in welchem die Tories die Oberhand hatten, und zugleich eröffne⸗ 
ten beide Minifter mit Frankreich die von den Tories erfehnten Friedensverhandlungen. Um das 
mãchtigſte Hinderniß wegzuräumen, Flagte D. außerdem im Jan. 1712 den deos von Marie 

Gonv.s£er. Zehnte Aufl XL 3 


dr Det 7" Dym 
mgh der Unterfihlagung Öffentlicher Gelder an und gab dem gefällig von Drau 
—— in —— — Nach dem — zu —— ai en 1715 @ 
jedoch D. mit feiner Partei und dem Hofe aus verfchiedenen Gründen. Zurbrderſt wie 
er ih der Königin, die zu Gunſten des Prätendenten gern das Haus Sannover vente 
nfelge ausgefchloffen hätte. Auch verumeinigte er fich. mit Bolingbrofe. DR 
6 mit Mößigung behandeln wollte, ſuchte fein Rebenbubler dieſelben zu beb Bi 
hatten ihre Partei, arbeiteten einander öffentlich I umd fich in 


beleldigten 
ber Königin. Bolingbroke brachte es endlich mit Hülfe der Laby Raſham | 
‚im Juli 1744 feiner Amter entfegt wurde, unter dem Borgeben, er habe mit —* 














Hannover eine geheime Correſpondenz geführt. Deffenungeachtet wurde nach ber 
gung Georg’s 1. D. nebft feinem Neffen, Thom. Harley, im April 1715 von einem 
bes Unterbaufed wegen feines geheimen Einveritänbniffes mit Frankreich dei den 
unterhandlungen des Hochverraths befehulbigt und in den Tower geworfen. Erſt im Aug 
erhleli er mit feiner Freiſprechung bie Freiheit zurũck. Auf feinen Gütern widmete er num 
Befk feines Lebens der Vermehrung feiner Uterariſchen Schäge. Auch erhielten viele 5*1 
lehrten Zeitgeno ſſen, beſonders Swift und Pope, Beweiſe feiner Gunſt. O. ſtarb 21. M 
1724. — Sein Sohn, Edward Graf von D., vermehrte eifrig die näterliche Bibliochek, vn 
weicher Oldys und Sohnfon einen Katalog (4 Bbe, Zond. 1743) heraußgaben. Wach dem ice 
ben wurden bie Bücher verkauft, bie Handfchriften aber kamen ins ſche » 
bie Bibliotheca Harleiana bilden. Das legte @fied diefer Familie, Alfred, ſechſter | 
„ſtarb 19. Jan. 1855. Mit ihm erlofch auch ber Titel. 
Drboft (engl. hogshead, franz. barrique), ein größeres Maß für Wein umb | 
in verfchlebenen Ländern von abmweichenbem Anbatte der meift zwiſchen circa 200 umb 2502 
Fan Litres ſchwankt. In Deutfchlandb begreift das Drhoft 17% Ohm, 3 Eimer oder 6 nk. 
xyd Heißt im Allgemeinen jede Verbindung eines Metalle oder Metalloids mir Sauer 
, tm engern Sinne aber nur, wenn fie nicht fauere ECigenſchaften hat. Bibt ein Metall mehr 
de, bie nicht Säuren find, fo nennt man von biefen da ber Berbindung mit Säuren fähige 
Dryd, daß, welches zu wenig Sauerſtoff enthält, um mit einer Säure ein Salz bilden zu Edunen, 
Suboxyd, diejenige Drydationsſtufe aber, die zu viel Sauerftoff enthält, um mit einer Eäure 
ein Salz zu bilden, Superoryb oder Hyperoxyd. Sind zwei Oxyde fähig, Salze zu bilden, fo 
heißt das niedrigere Dxydul, das höhere Oxyd. Sonft nannte man bie Metallorygde Metallkalſe; 
daher ift denn auch verkalken gleichbedeutend mit orybiren, d. h. verbinden mit Sauerſtoff. 
(&. Ealeination.) Die Franzoſen bezeichnen häufig die Oxyde eines Metall blos der Zahl 
er haben fich indeffen neuerdings meift der allgemein üblichen Bezeichnungsweiſe angefchloffen. 
Afßen ſ. Sauerſtoff. 
Dybin, ein Bergfelſen im ſüdlichſten Theile der ſächſ. Oberlaufig, bei dem gleichnamigen 
Dorfe, eine Meile fübweftlih von Zittau, zu deffen Stadtgebiet er gehört, ift als Naturwunder 
einzig und überdies, durch ſchöne Ruinen gefhmüdt, ein anmuthiger Ausfichtspuntt 
In einem amphitheatralifch von höhern felfigen Bergen eingefchloffenen Thale erhebt fid 
von drei Seiten ganz freiftehend, auf der vierten nur durch einen ſchmalen Rüden mit dem 
nahen Gebirge verbunden, biefer Felſen in glodenartiger oder kolbiger Kegelgeftalt 41697 $. 
über bie Meeresfläche, zufammengethürmt aus ungeheuern Eandfteinmaffen, theils zadig 
theil6 abgerundet und mit Nadelholz ſchattirt. Südweſtlich find die verfchiedenen Zar 
taffen der Felfen durch Treppen in mancherlei Biegungen zugänglich, und von der Gipfelebem, 
zu welcher zulegt eine Zreppe von 37 Stufen führt, genießt man eine angenehme Ausfidt a 
das romantifche Thal und über Zittau hin in die Gegend von Gorlig, während nach den ar 
dern Seiten hin der Umblid durch rings umher fich ziehende Berge und Bergketten verfchloffe 
ift. Maleriſch find bie weitläufigen Ruinen des hier 1384 von Karl IV. geftifteten Cöfeftiner 
kloſters, welches bis ins 16. Jahrh. beftand, ſowie bie eines zwifchen 1349—57 von demſd 
ben Kaiſer zerftörten Raubſchloſſes. Vgl. Peſcheck, „Der D. bei Zittau, Raubfchloß, Kloſte 
und Naturwunder” (Zitt. 1804) ; Derfelbe, „Geſchichte der Eöleftiner des Oybins” (Zirt.1840)' 
Dion, Dzon-Sauerftoff, activer Sauerftoff ift Sauerfloffgas in einem eigenthümliche 
Zuftande. Es ift bekannt, daf ſich in einem Zimmer, in welchem eine kräftige Elektriſtrmaſchi⸗ 
thätig ift, ein eigenthümlicher Geruch verbreitet, den man gemöhnlich als einen phos phoriſche 
bezeichnet, umd daß derfelbe Geruch in Räumen wahrgenommen wird, durch welche der DM 
ging. Schönbein machte 1840 zuerft darauf aufmerkfam, daß unter gewiſſen Umftänden der 
felbe Beruch bei der Zerlegung des Waſſers durch die galvanifche Batterie zum Worfchen 













9 Ä 579 
md er nannte ben Stoff, vom weichen: biefer Geruch herrührt, Dzon (griech, von We 
. Später gelang es bemfelben Chemiker, diefen Geruch und alfo den Etoff, dem ber» 
hört, das Dzon, durch Cinwirkung von Phosphor auf feuchte atmefphärifche Luft her- 
gen. Man Hat bis jegt das Dyom noch nicht ifolirt dargeſtellt. Die bisher über das 
nittelten Thatſachen find folgende. Es befigt ein ausgezeichnetes Bleichvermögen; 
man ozonifirte Luft mit Lackmustinctur, Blauholzabkochung, Cochenille auszug zu⸗ 
ja ſelbſt mit Indiglofung, fo werden biefelben gebleicht wie durch Chlor. In der at⸗ 
fchen Luft befindet ſich der Sauerfloff in dem inactiven Zuftande; eine fehr geringe 
Sauerftoff der Luft ſcheint indefjen immer ozonifirt zu fein, und bisweilen erhöht ſich 
ige. Man will die Erfahrung gemacht haben, daß in diefem Falle fi) gewöhnlich Kar 
gen. Iſt dem fo, fo gleicht das Dzon auch in feiner Wirkung auf den Organismus 
ze. Man hält es für mahrfcheinlich, daß die langſamen Ogydationen, welche in der at» 
ſchen Luft vor ſich gehen, ſelbſt das Bleichen der Zeuge auf Rechnung des vorhande⸗ 
is in der Luft zu ftellen feien. Schönbein hat neuerlichft gefunden, daß Duedfilber 
‚Be Berührung den gewöhnlichen Sauerfloff in Dzon zu verwandeln vermag; ebenfo 
ther und Weingeiſt, hauptſächlich aber Terpentinol und Eitronenöl. Wenn man eine 
velche zu einem Viertheil mit Terpentinsi angefüllt iſt, Tängere Zeit hindurch der Gin 
des Sonnenlichts außfept und das DI häufig mit ber Luft in der Flaſche ſchüttelt, fo 
das DI eine bedeutende Menge Sauerſtoff und diefer Gauerftoff befindet ſich in dem 
ftalt von Ozon. Man kann auf diefe Weiſe ozonifirtes Terpentinöl barftellen, beffen 
ft Doppelt ſo groß als die von gemöhnlichem Chlorkalk if. Es ift ſchon mit Erfolg das 
nol im Großen zum Waſchen der Wälche angewendet worden. Es herrſcht über dab 
ch viel Unklarheit, fo viel fleht aber feft, daß das Dyon ein höchſt Intereffanter Stoff iſt, 
aitdeckung fich vielleicht als eine der wichtigften in der Chemie herausſtellen wirb. 


P. 


16. Buchſtabe der griech. und lat. wie auch der neuern abendländ. Alphabete, führte 
zriechen den Namen Pi, bei den Hebräern Pe, d. i. Mund, und erhielt denſelben jeden⸗ 
y der urfprünglichen, doch in den bekannten phöniz. Alphabeten nicht mehr erfennbaren 
B Schriftzeichens, welches in bem rohen Bilde eines Mundes beftand. Der P-Laut be- 
Tenuis die Reihe der Labialen (p, b, f, v, w). Die Worte, welche im Sanskrit ein p 
ehalten dies auch im Griechifchen und Lateinifchen, während im Gothiſchen fdafür ein 
B. ſanékrit paqu, lat. pecu-s, goth. fihu, neuhochdeutſch vieh; ſanskrit pitar, gried. 
at. pater, goth.fudar). Innerhalb der german. Sprachen nun findet fich kein echt deut⸗ 
ort, das mit p anlautet; alle mit diefem Buchſtaben im Gothiſchen und ben übrigen 
ı Mumdarten beginnenden Worte, jowie alle diegenigen hochdeutfchen, in denen 1, pf 
durd) Lautverfchiebung aus urfprünglichem p entftand, find Fremdworte, die früher 
ter, befonder& aus dem Slawiſchen, Geltifhen und Lateinifchen in das Germanifche 
en. &o ſtammt Pein, althochbeutfch pina, aus lat. poena; Pilgrim aus lat. peregrinus; 
althochdeutfch phlanza, aus lat. planta; Pfalz aus lat. palatium ; Pforte aus lat. porta ; 
althochdeutfch puzzo, engl. put) aus lat. puteus; Pfund auß lat. pondus; Pflug aus 
wifchen; Pferd aus dem mittellat. paraveridus u. f. w. Ph, welches wir im Neuhoch⸗ 
ınur noch in gried. Sremdworten fchreiben, wofür jedoch mehre Orthographen nach 
roman. Sprachen ein f fepen (3. B. Filosofie), ift im Althochdeutfchen nur andere 
veife für f; pfifl ein verfchärfter F-Raut, der Häufig dem niederdeutfchen pp entſpricht. 
siechifche und Rateinifche dulden die Iabiale Tenuis im Anlaut und Inlaut, nicht aber 
‚aut, in den german. Sprachen kann fie auch im Auslaut auftreten. Steht im Lateini- 
‚p im Anlaut, fo bleibt dieſes im Romanifchen meift unverändert (3.3. pater, franz. 
il. padre u. f. w.), während es im Inlaut häufig zu b, im Branzofifchen auch zu v, aus⸗ 
im Franzöſiſchen auch zu f geworden ift. Im Lateinifchen fürzte man unter Anderm 
den Bornamen Publius ab. In Eitaten bedeutet p. fo viel als pagina 0 1. Seite), in 





u ee -—.-.. vu yv’y “.. wo. prime, — 


ee Be — — —_—n. gr. — - 
biefefben, wenn fie verwundet find, heilt. Nach Homer und Heſiod wirb der Name als 
gebraucht und bezeichnet erſtlich den Deilgott, den Asculap, dann im mweitern Sinne 
freier von jedem Ungemach, fo den Apollo und den Thanatos. | 
Haan hieß eine im Alterthume, zunächſt bei ben Griechen, mweitverbreitete Igrifche 3 
die urfprünglich mit dem Cultus des Apollo (f. d.) auf das engfte zufammenbing. Di 
Paanen, wie wir fie bereits bei Homer erwähnt finden, waren nämlidy feierliche viel 
Gefänge, welche fi theild auf die Verföhnung des Apollo bezogen, um ihn zur Abı 
einer von ihm verhängten Seuche zu bewegen, theils nach überftandenem Unglück in fr 
den Lchgefängen auf diefen Gott beftanden. Doc, trat der Haan ſchon frühzeitig « 
Verbindung mit dem Dienfte des Apollo heraus und wurde auf bie Verherrlichung 
Gottheiten außgebehnt oder auch bei wichtigen Ereigniffen angewendet. So wurde | 
des Pofeidon oder Neptun nach bem Aufhören eines Erdbebens ein Päan angeftimmt 
mentlich geftaltete fich derfelbe fehr bald.zum begeifternden Siegsgefang ber Dellene 
Schlacht, fowie zum feftlichen Dankliede nach berfelben oder nad) Eroberung einer St: 
tere Auszeichnung wurde fogar einigen rom. Feldherren zu Theil, wie dem Amilius 
nad) Beftegung des Perfeus und dem Marcellus beim Triumphe über die Galater un 
deren Thaten von dem rom. Heere in Päanen gepriefen wurden. So entwidelte fich de 
‚legt der allgemeine Jubelpäan, ben man bei allen fröhlichen Begebenheiten, befonder 
‚lagen und Gaftmählern zu fingen pflegte, und in gleicher Weile wurde der frühere 
Berföhnung bes Apollo beftimmte Paan nad und nach zur allgemeinen Todtenklag 
bie Sühnung des Bades überhaupt angewendet. Auch bei dem bei den Griechen und 
bis in die fpäteften Zeiten üblichen Ausrufe „Jo Päan 1”, deffen man fi} ebenfo bei b 
Überrafchung wie bei der Beftürzung, bei der Freude wie bei der Trauer bediente, bliel 
griff der Freude und Rettung vorherrfchend. Unter den zahlreichen Dichtern von Päa 
benen wir zum Theil noch größere Bruchftüde befigen, zeichneten fi) Terpander (f. d 
lochus (f.d.) und Pindar (f. d.) aus. Auch rechnet man hierher den fhon von ben 4 
gepriefenen, trefflichen Robgefang des Ariftoteles an bie Tugend, welcher und erhalten 
Pabſt (Heine. Wilh.), audgezeichneter beutfcher Okonom, geb. 1798 in Oberheſſe 
als Okonom auf den Gütern des Freiherrn von Niebefel im Heffiichen und YBeimarif 
er dann auch als Wirthſchafts inſpector angeftelle war. Behufs feiner weitern Ausbil 
ließ er 1821 diefen Wirkungskreis, unternahm zunachft eine Neife durch Deutſchland 


aien und manhfs ſich Hann narh Anhonhsim mn or ARIT sins Nnttslliuna ala Rahroe u 


Barca Baccanariften | 581 


‚ namentlich in Berreff der —— ſehr verbeſſerte. Im J. 1839 folgte er dem Nufe als 
Rrector der landwirthſchaftlichen Akademie zu Eldena, die unter feiner Leitung einen hohen 
lufſchwung nahm. Während feines Aufenthalts dafelbft erhielt er von der Univerfität - 
Jiefen die philofophifche Doctorwürde. Im J. 1843 wurde er ald vortragender Rath (Geh. 
inanzrath) in das Eönigl Hausminifterium berufen, auch zum Mitglied des königl. Landes⸗ 
tonomiecollegium® ernannt. Zwei Jahre lang entwidelte ex in Organifation großer Domänen, 
ı Planen für auszuführende große Meliorationen auf folyen, ferner in Errihtung neuer land» 
irthfchaftlicher Lehranſtalten und in andern Landesculturangelegenheiten eine ausgebreitete 
‚hätigkeit, bis er 1845 auf dringende Auffoderung die Direction der landwirthſchaftlichen 
ſkademie zu Hohenheim übernahm, weldye fi unter feiner Leitumg einer ungewöhnlichen Fre⸗ 
uenz erfreute. Im J. 1850 folgte er einem Rufe nad Bftreid, wo er als Sectionschef für 
andescultur im Minifterium eingetreten if. Als ſolcher übernahm er die Errichtung einer hö⸗ 
ern landwirthfckaftlichen Reichslehranftalt zu Ungarifdy Altenburg, welche im Herbft 1850 
öffnet wurbe und unter feiner befondern Leitung fo rafch gebieh, daß fie 1853 ſchon über 100 
Studirende zählte. Außer den bereits erwähnten find von den Schriften P.'s, der übrigens als 
ner der Hauptftifter der Verfammlungen deutfcher Land- und Forftwirthe zu betrachten ift, 
och befonders hervorzuheben: „Lehrbuch der Landwirthſchaft“ (2 Bde., Darmft. 1833; 4. Aufl, 
853); „Landwirthſchaftliche Zarationslehre” (Wien 1853); „Neue Anleitung zur Rindvieh- 
ucht“ (Stuttg. 1850). Auch gab er Schwerz’ „Kiterarifchen Nachlaß“ (Stuttg. 1845) und 
Landwirthfchaftliche Erfahrungen von Hohenheim“ (Sturtg. 1850) heraus. 

Pacca (Bartholomäus), rom. Cardinal, Biſchof von Oftia und Velletri, geb. zu Benevent 
5. Dec. 1756, wurde 1801 vom Papfte Pius VII. zum Cardinal ermählt und zeigte für die⸗ 
m in bem Streite mit Napoleon die treuefte Anhänglichkeit. Er gehörte zu den fogenannten 
hwarzen Sardinälen, die, weil fie fich geweigert, bei Napoleon’s Vermählung anmefend zu 
in, den rõöm. Purpur nicht anlegen durften. Als Prodatar hatte er Häufige Fehden mit dem 
canz. General Miollis zu beftehen. In Verdacht, einen Aufruhr gegen die Franzoſen angeſtif⸗ 
t zu haben, wurde er 1808 verhaftet und follte nad) Benevent abgeführt werben; allein 
Rus VIL wußte ed dahin zu vermitteln, daß P. als Gefangener bei ihm blieb. Er folgte 1809 
em Papſte in die Verbannung nad) Frankreich, wurde aber in Grenoble von ihm getrennt und 
23. auf die Seftung San-Carlo bei Feneftrelles gebracht. Im 3.1814 in feine Würden 
rieder eingefegt, verließ er 1815 bei Murat’ MWiederfunft in Begleitung des Papftes Rom 
ufs neue. Nach feiner zweiten Rückkehr wurde er Mitglied der Eongregation für die Miffions- 
ngelegenheiten Chinas, und 1816 ging er mit einer außerordentlihen Sendung nach Wien. 
(uch nahm er Theil an den Arbeiten der Eongregation, weldye beauftragt war, ein Syflem für 
ie akademiſchen Studien aufzuftellen, und war fpäter Mitglied der Commiffton zur Unter: 
schung des Zuftandes der Finanzen im Kirchenftaate. Die Standhaftigkeit feines Charakters 
n Unglüd und feine aufopfernde Treue erwarben ihm allgemeine Achtung ; nad) der Reſtaura⸗ 
on aber fam er in wohlbegründeten Verdacht, Pius VII. zu vielen intoleranten Maßregeln 
erleiter zu haben. Auch die nachfolgenden Päpfte ſchenkten ihm Vertrauen und Freundſchaft; 
efienungeachtet legte er bereit6 unter Leo XII. 1824 fein Amt ald Camerlengo nieder. Er ftarb 
u Rom 19. April 1844. Literarifch hat fih P. bekannt gemacht durch die „Memorie istoriche 
el ministerio di due viagpi in Prancia e della calivita nel castro diSan-Carlo in Fenestrel- 
57 (3 Bde., 2. Aufl, Rom 1830; deutſch, 3 Bde., 2. Aufl., Augsb. 1855); „Notizie sul 
'ortogallo” (Rom 1835); „Relazione del viaggio di pape Pio VII. etc.” (Rom 1836). Deutſch 
efchienen feine „Werke zu Augsburg (6 Bde., 1851— 34). 

Daccanariften, auch regulirte Geiftlihe oder Wäter des Glaubens Jeſu genannt, 
ieß ein Verein von frühern Jefuiten und andern Geiftlichen, welcher den Zweck hatte, den vom 
dYapfte Siemens XIV. aufgelöften Orden der Jefuiten wiebereinzuführen. Der Verein entftand 
n Belgien 1794 durch die frühern Sefuiten Charles de Broglie, de Tournely und Pey; er 
rannte ſich Songregation vom heiligen Herzen (du sacr6-coeur). Da der aufgelöfte Orden 
iberall feine geheimen Anhänger hatte, verbreitete fich die Stiftung bald nach allen Seiten hin. 
In Deutfchland gewann fie Durch die Bemühung bed Abtes Bed und des Kanonikers Binder 
n Zautershofen bei Augsburg und in Böggingen feften Fuß ; doch nöthigte der Einfall der Fran⸗ 
ofen in Deutfchland die neuen Zefuiten ihren Sig nach Paſſau umd Neudorf bei Wien zu ver- 
egen (1796). Begünftigt vom Cardinal Migazzi und von der Erzherzogin Marianne, erhielten 
ie bald darauf einen neuen Sig in Dagenbrunn und in Prag (1798). Papft Pius VI, welder 
‚er Stiftung feine befondere Gunſt zumenbete, vereinigte fe mit der von Ritalanh Yarrsnatı IS 


Pache Vachomius 
üinde tt beiti 1799, der auch die Damen des 
ee Be 1 Deufaunı md 
ani 


& 


d, Holland, Frankreich und Itallen, wo fie auch 1800 einen Sig in Moni erhielten. 

" Nupland aber, wo Pius VII. die Epjefuiten 100 1 wieber artctionirte, in —— 
a Denon 
u der el t ent > 
Pache (Sean Nicolas), franz. a ‚minifter, darin Maire bon Paris le ber Reslir 
„tion, war anfänglich Ctzieher im Haufe des Marfchals von Gaftties. ter ließ er fich mit 
feiner Familie in der Schweiz nieder, kehrie aber beim Ausbruche der Revolution nach Frank 
. Sein früherer Principal ai 
die er jedoch ausfehlug. Dagegen arbeitete er, als Roland (f.6.) das Miniftertim bed Innen 
übernahm, imtenegeltfich in sc Departement und fepte fid) durch Uneigenniügigfeit umd Ei 
enftrenge in grope Achtung bei den ien. Die Girondiften, denen er bisher angehange, 

ihm 3, Det. 179% das Mintfterium des Kriegs. Fortan zeigte er ſich als 

8 Republitaner und verwaltete fein Amt in diefen Sinne mit — r 

ie Gironbiften beſchuldigten ihn indeß fehr bald bes Gewalmiisbraude 5 

Ein in Marat und ber Berg dertheibigten, im Gonvent einen Aus ſchuß zu Stande, ber 
rung umterfuchte und 2. Sebr. 1795 feine fepte. » nahm nun alt 
Abgeordneter der Hauptfladt Sig in der Bergpartei, e aber ſchon am 15. von betfelben 
zum Daire von Paris befördert. Im biefer Cigenfchaft ertüiberte er die —— 
der Gironde, beſchuldigte mehre Generale des Ehrgeizes und der Verrätherel und 
dor dem Gonvent an der Spige einer Gtmeinbedeputation, welche bie Ausftogung 2 
I I foderte. — er die Volksaufſtaͤnde und Umtriebe (f. Oeutioth melde 
51. Mai den Sturz der Girondiften (ſ. b.) nach ſich gogen. Sein Einfluß als erfte 
der revolutionären Gemeinde, Die ben Convent beherrfchte, war grengenlos 
achtete ihn deshafb mit eiferfhhtigen Augen, zumal ſich P. von der Fattiort —— 
zut Einführung bes Vernunficuitue verleiten Tief. Inde ſſen mußte 7* Geradheit 
‚aufrichtigen Nepubfifänismus fo zu imponiren, daß er feinen Kopf wie fein Amt rettere; erft 
einige Monate fpäter erhielt er Fleuriot zum Nachfolger. Nach dent Sturze Nobespterre'8 Mlagte 
man 9. Dec. 1794, auch P. als Theilnehmer der Schreensherrfchaft an; das Derret kam je 
doch in ben Wirren nicht zur Ausführung. Als Befoͤrderet der Umtriebe, die den Consent am 
12. Germinal und 4. Prairial des J. IM (April und Mai 1795) bedrohten, wurde ex im Depatt. 
Eure vor Gericht geftellt, jedoch aus Mangel am Beweis ebenfalls ohme Folgen. Auch die Dir 
tectorialtegierung befhuldigte ihn anarchiſchet Veftrebungen, P. veröffentlichte dagegen im 
April und Mai 1797 zwei Denkfchriften, in denen er Überhaupt feine revolutionäre Balkan 
teit rechtfertigte, und zog ſich dann auf ein Meines Landgut Thym· le · Moutiers bei Charkerilt 
zurück. Hier lebte er ohne Umgang, ohne felbft die Zeitungen zu Iefen, unangefochten in gän« 
Ticher Abgeſchiedenheit und ftarb gegen Ende des 3.1825. Wol ohne Grund wird behaupte, 
dab P. während der Revolution im Intereffe der Bourbons gehandelt habe. 

Pachydermen, Dikbäuter oder Vielhufer if der Name derjertigen Gruppe von 
fäugetieren, bei welcher die 5—5 Zehen kaum äuferlic) noch zu erkennen ſind und di 
Zahl der obermärts eingehefteten Hufe angedeutet werden, bie Haut die‘, dünnbehaart ober mit 
Borften befegt und die Zahnbildung mannichfalrig ift, die Backenzähne groß, ſchmelzfaltig oder 
azufammengefegt und mit breiter Kaufläche verfehen find und bie Schlüffelbeine fehlen. Di 
Nahrung befteht aus Pflanzen. Faft alle hierher gehörenden Thiere find von bebeutembe 
Größe und einige die größten Landfäugethiere. Die äußere Geftalt ift meift plummp, unbehelfee 
und mafenhaft. Die männlichen Individuen befigen meift Stoßzähne, bald nur in einer, bald 
in beiden Kinnladen. Bei allen ift das Riechorgan votzugsweiſe entiwidelt und bei einigen zum 
Rüſſel verlängert, der feine größte Ausbildung beim Siefanten etreiht. Zum Wohnorte äh 
len fie meift dichte und feuchte Wälder und verbringen bie heißeften Stunden im Waffer ode 
Sumpfe. Die Gruppe der Pachydermen enthält nicht zahlreiche Arten, welche faft mur auf br 
wärmern Ränder beichränft find; Europa befigt im natürlich wilden Zuftande nur eine einpig 
Art, das Wilbſchwein. In frühern Perioden unferer Erde iſt aber biefe Gruppe von Thierm 
an Gattungen und Arten welt reicher gewefen, role bie erſtaunliche Menge von Pachynbermms 
beweift, welche foffil gefunden worben find. 

Pachomius, Schüler des heil. Antonius (f.b.), war ber Erſte, ber ſtatt des Freien Einf 
Iziehens das regelmäßige Zufammenwohnen ber e In Köfteen (f. 6.) einflährte, Iabene 


Pacht Paderborn 83 | 


6 um 340 auf der Nilinfel Tabenna gründete und zugleich eine obfchon keines⸗ 
firenge Regel gab. Auch wurde erder Stifter des erfien Nonnenkloſters und wirkte 
t mit fo großem Erfolge, daß er bei feinem Tode (348) uber 7000 Mönche und Nom 
feiner Aufficht hatte. 
heißt ber Vertrag, durch welchen Jemandem gegen das Verfprechen eines Pacht⸗ 
Bezug von Früchten oder analogen Einkünften eines Gegenftandes eingeräumt wird. 
tvertrag, der fich hiernach in der Regel auf Gebraud und Nugung eines Landgutt 
gewiſſen Art von Wirthfchaft bezieht, ift im Miethvertrag (f.b.) im weitern Sinne 
riffen. 
jeation bezeichnet die Zurüdführung eines im Kriege oder Aufruhr befindlichen Lan⸗ 
. Sriedensftand, fei es burch Gewalt oder durch andere Mittel, wobei vorausgefegt 
die pacificirende Macht nicht eine fremde und feindliche, fondern eine foldye fei, welder 
fiche Autorität über das zu pacificirende Land zuſtehe. &o 3. B. fpricht man wol von 
ification Holfteins durch bie deutfchen Bunbesmächte. 
tboot nennt man ein Schiff, welches beſtimmt ift, den Poftdienft für Paffagiere, Gü- 
jriefe über See zu verfehen und in regelvechter Fahrt zwifchen dem ihm angemiefenen 
yalten wird. Man wählt zu diefem Ende fchnellfegeinde Schiffe, die auch häufig armirt 
jenwärtig find die Padetboote ſchon vielfach durd) Dampffchiffe verdrängt. Unge⸗ 
F und elegant eingerichtet find bie Dampfſchiffe der Engländer, Franzoſen und Ameri⸗ 
Ihe den transatlantifchen Dienft verfehen. 
ong, auch Zutenag, ift bei ben Ehinefen eine weiße Metalllegirung, welche von ihnen 
i Geräthen verarbeitet wird und deren Zufammenfegung von verfchiedenen Schrift 
br verfchieden angegeben wurde; nach Einigen follte e8 aus Kupfer, Zink und Eifen, 
ern aus Eifen, Blei und Wismuth, ober aus Kupfer, Zink, Nilel und Eiſen, oder 
ı6 Kupfer, Zink und Nidel beftehen. Die legte Angabe hat am meiften Wahrſchein⸗ 
e fich ; und da das in europ. Fabriken bereitete Argentan ober Neufilber (f. Argentan) 
ähnliche Miſchung ift, fo benennt man auch diefes oft Padfong. 
f. Bertrag. 
bins, einer der älteften rom. Trauerfpieldichter, der Schwefterfohn des Ennius, wurde 
v. Ehr. zu Brundufium geboren und fol in dem hohen Ulter von 90 3. zu Tarent ge 
in, fobaß feine Blüte in die Zeiten des zweiten Punifchen Kriegs fallt. Seine Trauer» 
er griech. Muftern, befonders dem Sophokles und Euripides, jedoch in freierer Be- 
ils feine Vorgänger nachbildete, zeichneten fich bei allen Mängeln einer noch ungebil- 
rache durch Kraft bes Ausdrucks, Erhabenheit der Gedanken und glüdliche Wahl der 
re aus, daher man fie mit Begierde lad und bei der Darftellung auf dem Theater mit 
egrüßte. Den größten Ruhm erlangte die unter dem Namen „Dulorestes“ befannte 
ıng der Euripideifchen „Sphigenia auf Tauris“. Außerdem ſchrieb ihm das Alter 
h „Saturae” ober poetifhe Auodlibets zu. Die noch vorhandenen Bruchftüde find 
t von Bothe in „Fragmenta poetarum Latinorum scenicorum‘ (Bd. 1, Halberfl. 
1823) und Ribbed in „Reliquiae poetarum Latinorum tragicorum” (Berl. 1852). 
'glig, „De Pacuvii Duloreste” (Ipʒ. 1826). 
gog, d. 1. Kinderführer, hieß bei den Griechen und Römern der Sklav oder Diener, 
peciele Aufficht über die Knaben übertragen war, indem er diefelben nicht blos in das 
um oder die Schule bringen und von borther wieder abholen, fondern auch bis zum 
ilter überall bin begleiten mußte. Doc blieb dad Geſchäft eines folchen Pädagogen, ba _ 
t gebildete Sklaven dazu wählte, in ber Regel nicht ohne Einfluß auf die wiffenfchaft- 
fittliche Entwidelung der anvertrauten Knaben, daher man fpäter mit dieſem Begriffe 
vollftändigen Erzieher verband und ben Inbegriff der ganzen Erziehungslehre Paͤ⸗ 
nannte. (S. Erziehung.) 
rborn, ehemals ein reichſsunmittelbares Hochflift in Weftfälifchen Kreife, von unge 
AM. mit 93000 E., grenzte gegen D. an Heffen, das Stift Korvei und das Fürften- 
‚enberg, von welchem es durch die Wefer gefchieden war, gegen &. an die Graffchaft 
zen W. an die Grafſchaften Rietberg und Lippe und das Herzogthum Weſtfalen, ge 
1 legteres und an die Grafſchaft Walde! und war durch die Enge, einen Theil des Teu⸗ 
valdes (f. d.), in zwei Hauptdiftricte, den unterwaldifchen und den obermaldifchen ger 
b iſt im Banzen ein fehr fruchtbares Bändchen von ausgezeichnetem Boden, befonders 
annten Gendvelt und in der Warburger Börde, reich an Eifen, Steinkohlen, Salz und 


⸗ 


A ’ Yabille . 
Weldungen, und die Ein! treiben mit Gefeig Pfehe, Cineine- — — 
A ſqannig find dagegen die Dörfer in ben Gebirgege Gele sa em unb da 
Wischums If Kari d. Gr, der in P. mehemals wichtige ut an Oben Me 
Dort auch den Papſt und die Gefandten des Maurenkonigs aus | empf 
Aa war eine ber erften, Die Karl d. Gr. fliftete; feinen exften Bifiiof erhielt * Ein Da 
Güßgezeichnetite Biſchof und gleicfam ber zweite Begründer des ms war Meiamwert, 
gr 1055, dee begünfligte Preumb Malfer Heinrii$’6 IL, der bie Gtadt v vergräfen, 
ie neuen Dom und nen BiIgen Palat Sant, Hinbe, Generbe und Käufe bee, 
Domſchule zu hohem lange hob, bie Binangen des Gtifts in blühenden Zuflanb brachte ud 
die Gremgen beffelben bedeutend erieiterte. dont ven 18. Jahıh. finden ſich in Dem Cie 
regelmäßig abgehaltener Landtage, auf denen das Domkapitel, die Ritterfchaft unbe 
——— lan Big um Orlam bat und Alles zur Berhandlung 
—— 
t im von 
a Bass a Coffee Preufen gegeben, das bereits Ion vorher 


J 


ıd Die land [&e 3. 1806 ie 
Ba a par 5 en 
wer Kreiſe des zur Weſtfalen gehörigen Regierungsbezizks — Die ke 
Ban dr ne na en Sa rd 
, i an 
ver Strafen, einen Mi ne u Ei — — 


J 
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th und Viehzucht ihre Hauptnahrungs: 

tend iſt ihr Productenhandel, da das korn · holz» und ölteiche Land jährlich zwei Drittel 
— ffe ins Bergifche und Lippeſche abfegt. Die Stadt war unter den Hanſeſtadten ** 
die 


ir 


und wurbe auch mit ben benachbarten Städten Lemgo, Brakel und 


des heil. Liborius befanden, — der Herzog Chriſtian von Braunſchweig 1622 weg 
nahm. Aus den Apofteln ließ er die Thaler [lagen mit der Umfchrift: „Gottes Fr 
unbber Pfaffen Feind.” Der erfle von Karl d. Gr. erbaute Dom brannte 1000 ab, und 
von dem Dome, den der Biſchof Meinwerk aufführte, ſteht nur noch die Bartholemäus- 

kapelle. Der gegenwärtige Dom flammt aus dem 14. Jahrh. und wurbe zulegt im 17. 
Jahrh. erneuert. Vgl. Brand, „Hiftorifch-artiftifche Darftelung des Doms zu P." 
1827). Unter dem Dome entfpringt aus vielen Quellen bie Paber i in einer folhen Stärke, daf 
fie ſogleich Kühne träge und Mühlen treibt. Die Stabt hat ein fach. Gymnaſium, ein Pre 
gerfeminar, drei Frauenklöſter, ein MöndjsEfofter, ein Jefultenhaus, eine neugegründete Bün- 
denanftalt und eine Normalfchule. Auch befteht dafelbft ein Verein für die Gefchichte und UL 
terthums kunde Weftfalens. Die aus dem 1592 von dem Bifchof Theodor von Fürftenberg ge 
flifteten Sefuitencolegium 1614 entfiandene Univerfität mit einer theologifchen und philcie 
phiſchen Facultät wurde 1819 aufgehoben, dagegen 1843 eine theologifhe Lehranſtali (Se- 
minarium Theodorianum) otganifirt, die aus einem philoſophiſchen und theologiſchen Lehram 
ſus befteht. In P. befinden ſich auch die Hauptflation und die MWerkhäufer für die eb 
faliſche Staatseifenbahn, durch welche die Stadt einerſeits mit dem Rhein, anbdererfeits mit 
Hannover und Kaffel verbunden ift. 

Padilla (Zuan de) ift der Name eines der volksthümlichſten Helden der fpan. Geſchicht 
Er ftammte aus einem edeln tolebanifhen Geſchlechte und war kurz vor dem Ausbruche des 


"Aufftandes der caſtiliſchen Städte (der fogenannten Communidades) von Karll.(V.) zum Geb 


hauptmann in Saragoffaernannt worden (1518). Als die Empörung fich bewaffnete, übertrug 
ihm bie Santa Junta den Oberbefehl über das Heer der Gommuneros. Nach einigen glüd 
hen Unternehmungen ließ er fich Hinreißen, die ihm vom königl. Deere angebotene Echlachewes 
Bilalar zu wagen (23. April 1521), deren Verluſt über das Geſchick Caftiliens ſowie übe 
fein eigenes entfchied. Nach heldenmüthigem Widerſtand wurde er verwundet, gefangen u 
flarb einige Tage danach auf dem Schaffot. Die beiden Briefe, in welchen er furz vor feine 
Hintichtung von ber Stadt Toledo und von feiner Gattin Maria Pacheco Abſchied genomma 


Jaben fol, find als Mufter großattiger Geſinnung umd rühtender Ginfochheit berühmt gewer . 


Vadiſchah Yaelind 585 


den. Nicht minder iſt er felbft und feine Witwe, die noch nach feinem Zode einige Zeit Toledo 
vertheibdigte und nach deſſen Falle nach Portugal flüchtete, der Gegenftand vieler Dramen und 
Gedichte geworben, ſodaß ihre Namen noch bis auf den heutigen Tag als der Schwanengefang 
der altcaftilifchen Freiheit gefeiert werben. — Gin gleihnamiger Dichter Padilla, bekannter um» 
ter dem Namen El Eartujano (dev Karthäufer), welchem Orden er angehörte, geb. zu Sevilla 
1468, geft. 1518, ift als einer der früheften Nachahmer Dante’s in Spanien merkwürdig, wenn 
aud fein Gedicht „Los doce Triunfos de los doce apostoles” (neu herausgegeben zu London 
1843) in jeber Rückſicht weit hinter ber „Divina commedia”zurüdbleibt. — Berühmter ift ein 
anderer Pedro de Padilla, ein Zeitgenoffe und Freund des Cervantes, geft. 1599. Er ſchrieb fehr 
volksthümliche Gedichte in allen Beftaltungen und war auch als Stegreifdichter fehr beliebt. 
Seine Gedichte gab er gefammelt heraus als „Eglogas, sonetos etc.” (Sevilla 1582), „Te- 
soro de varias poesias”(Madr. 1580 und 1587) und „Romancero” (Mabr. 1585). 

Padiſchah, ein perfifhes Wort, mit der allgemeinen Bedeutung König ober Fürſt, ift der 
Zitel, welchen ber türk. Sultan ſich felbft beilegt. Vormals ertheilten denfelben die Sultane 
nur den Königen von Frankreich; jegt aber geben fie ihn auch dem öftr. und ruff. Kaifer. 

Padna, ital. Padöva, das alte Patavium, die Hauptſtadt ber gleichnamigen Provinz des öflr. 
Kronlandes Venedig, liegt in einer ſchönen, gartenähnlichen Ebene am Bacdhiglione und an der 
Benedig-Veronefer Eifenbahn und ift durch Kanäle mit der Etſch und den Lagunen verbunden, 
Jat über anderthalb Stunden im Umkreiſe und wird durch den Fluß, über den eine Kettenbrüde, 
die erfte Italiens, führt, in die Altftadt und Neuftabt getheilt. Die Stadt ift eine der älteften in 
Italien, fchlecht gepflaftert und bat enge, unreinliche Straßen, welche durch Arcaden noch mehr 
verbüftert werben. Der größte Play ift der Freisformige, von fhonen Gebäuden umgebene 
Prato della valle, welcher als Corſo dient. In feiner Mitte bildet ein Kanal, an deſſen Ufer 
74 Bildfäulen berühmter Paduaner und um P. verdienter Männer fliehen, eine 528 F. lange 
Snfel mit Parkanlagen. Die ſchöne, aber unvollendete Domkirche aus dem 13. Jahrh. ent- 
hält das Denkmal Petrarca’d. Die berühmte Kirche bes heil. Antonius hat ſechs Spigthür- 
me, fieben mit Blei gededte Kuppeln und Galerien und ift reich an Gilbergerärhe und 
Kunftwerten. Vor berfelben ſteht Donatello's bronzene Neiterfiatue des venetian. Gene 
rals Gattamelata. Die Kirche Sta.-Biuftina hat 7 Kuppeln, 18 Seitenkapellen, 25 Al⸗ 
täre, die fehr reich an Marmor und feinen Moſaiken aus Halbebdelfteinen find ; das daneben ſte⸗ 
bende ungeheuere Klofter ift jegt ein Baiferl. Invalidenhaus. Das Stadthaus mit einem 256%. 
langen, 86 F. breiten und 75 F. hohen Gerichtsfaal wurde 1172 zu bauen angefangen und 
enthält das Denkmal des zu P. geborenen rom. Gefchichtfchreibers Titus Livius. Das Kaffee- 
haus Pedrocchi gehört zu den fchönften in Europa. P. ift der Sig eines Bisthums, eines Land» 
gerichts, einer Collegialprätur, einer Handels» und Gewerbekammer und hat 54421 E. Die im 
Mittelalter hochberũhmte Univerfität, angeblich ſchon 1222 vom Kaifer Friedrich II. nad) Andern 
aber erft 1260 geftiftet und 1263 vom Papſt Urban IV. beflätigt, zählt (1853) 32 Profefjoren, 
28 andere Lehrer und 1574 Studenten und ift im Befig einer Bibliothef von mehr als 100000 
Bänden, eines botanifchen Gartens, des älteften aller botanifchen Gärten, einer Sternwarte auf 
dem 130 F. hohen Thurme bes alten Schloffes (dem Befängniffe Ezelin’6). Außerdem hat P. 
zwei Gymnaſien, eine Dauptfchule, acht Collegien, eine Rabbinerfchule, eine Akademie der 
Wiſſenſchaften und Künfte, ein Infchriftenmufeum, eine Geſellſchaft des literarifchen Cabinets 
und zwei Theater; ferner ein allgemeines Krankenhaus, ein Militärfpital, Invalidenhaus, Ver 
forgungs- und Arbeitshaus, ein Findel- und Waifenhaus. Die Induftrie ift nicht bedeutend, 
mit Ausnahme der Seidenzeuge und Darmfaiten. Wichtiger ift der Handel mit Vieh, Bein, 

Lund Getreide. Zur Zeit der Antoniusmeffe, im Juni, welche auf bem Prato mit Volksfeſten 
abgehalten wird, ift die Stadt außerordentlich lebhaft. Karl d. Gr. entrif P. den Longobar- 
den; im 13. Jahrh. fand e8 unter der Herrfchaft des Tyrannen Ezelin; hierauf wurde es Re⸗ 
publik und 1405 von Venedig unterworfen. Mit diefem kam es an Oftreich; 1805 wurde e6 
an Napoleon abgetreten und 1814 an Oftreich zurüdigegeben. In Folge eines Aufftandes ge- 
gen bie öftr. Negierungsbehörde 9. Febr. 1848, den das Militär unterbrüdkte, wurde bie Uni- 
verfität gefchloffen. Im März nöthigten neue Unruhen das Militär zur Räumung ber Stadt, 
die jeboch bereit 14. Juni wieder befegt wurde. Die Univerfität wurbe 1850 wieder eröffnet. 
Vgl. Gennari, „Annali della citta di P.” (3 Bde. Baffano 1804). 

adua (Herzog von), |. Arrighi. 
aelind (Joſ), ein berühmter beig. Maler, geb. 1781 zu Doſtakker bei Gent, befuchte die 

Akademie in Gent und ging dann nach Paris, wo er David zum Lehrer hatte und ku ter "Sine 


“ Pag Nasanal, 
Bei uw Gent mi feinem Hedi dep Par ben eftn Tora —X Nach ſeiner = 
arte 


— a u Te a ne 

MBilpen 1. von ben Rieberlanden ernannte Ihn 1815 zum Hofmaler. Unter feinen yarıaı 

willen peichnet ſich beſonders aus daß überaus media: bie Tollette Par we 

ee 
0), ‚mal r’ * 

— unweit 1a, it von zum he 


tetn und brachte feine —— a ! ‚m. Baızzn « 
wutbe et voneinem reichen he a ffeher he Dereben angel un bet 
mit der Bi it. Als aber Garacad 1810 fü fir meh pängig elle, trat V. une 
Be hane der u onen Betch un der dab Schrecken der Spin 
- werde. Die Beftelung von Barinas gründete feinen Ruf, toorauf ihn Bolibar int Seere an 
Kr. Bige Pie teen er befondere 4815 und 4814, wo er fich bei Dalmetito, Mid 
Wanteral, beim jange Über den bei Achaluas und an andern Punkten in ber Pre 
uiny Eafanare auszeichnete. Doſchon nur Oberfifieutenant, wählte ihn doch 1816 die Megierung 
gumı Befehlshaber bes Heeres mit bem Range eines Wrigadegenerals. P, tiachte rim indie 
San Beiden folgenden Johren die Provinz Apure zur Wafis feiner Operationen. In Der Oi 
A Dreig 1818 verdankie bie Infanterie ipm Iper Rettung auf dem Ridjuge. Im S. 1819 
Flug er den ſpan. Feldheren Don Pablo Morillo, ber die Ebenen von Dierecare fich unter 
worfen Hatte. In der Schlacht bei Garabobo 1821 entfchleb er den &Xeg, iveldher Die Unaßhän 
alafelt der neuen Mepublif ficherte, die ſich Columbia (ſ. d.) nannte, AI die Vermaltung det 
men Staats georbnet wurde kam P. ald Übgeorbneter bed Depart. Bentzuela in Den Senat, 
⸗N erhielt er das Commando in dieſem Departement. In ber ruhlgen Zeit, melche auf bir 
Werteeibung ber Spanier folgte, machte er ſchnelle Jortſchritte in den Kenntmiffen, bie er kai 
den Mangel an früherer Erziehung nicht hatte erwerben koͤnnen. Zu gleicher Zeit nahm ex aber 
arch den lebhafteften Ancheil an den Partelungen im Staate, und auf Bollvar 
war er zugleich eines ber Häupter der Böberafivpartei ımd ſuchte 1826 fogar einen Muffend 
‚zu erregen. Zwar wurde damals bie Ruhe wiederhergeftellt, allein im Dec. 1829 ſtellte ſih P 
an bie Spige der Bewegung gegen bie Gentralregierung, und nad) ber Trennung f 
von Golumbia (1830) wurde er Präfident der neuen Republit. Während feiner Wermaltung 
. war er eifrig bemüht, Landbau und Induſtrie zu beleben. Nach dem Ablauf der verfafengt 
mäßigen vierjährigen Dauer feiner Amtögervalt legte er 1835 feine Würde nieder und ging auf 
feine Güter, um fi dem Landbau zu widmen, unterließ Jedoch nicht, als bald barauf eine 
Partei den neuen Präfidenten Vargas verjägte, bie Empörung zu unterdrüden, dem Geſche 
Rraft zu verfchaffen und den Präfidenten wieder zurüdzuführen. Im J. 1839 wurde er von 
neuem zum Präfidenten von Venezuela gewählt, in welcher Stellung ex ſich die größten Ber 
dienſte um den Staat erwarb, weöhalb er aud vom Congreß den Titel des „berühmten Bür 
gersꝰ (esclarecido ciudadano) erhielt. Im J.1842 folgte ihm Soublette. Bei dem Ausbrud 
des Kriegs zwiſchen den Barbigen und Greofen 1846 wurde P. zum Dictator ernannt und Bd 
nach der Dämpfung des Kriegs Monagas zum Präfidenten wählen. Vor beffen Gewaltth 
tigkeiten mußte er 1848 fliehen; er ging erſt nach Maracaibo, dann nad) Guragao, von wo er zun 
Sturze des Monagas nad) Venezuela zurückkehtte. Hier traf er 2. Jull zu Coro ein, muße 
fid) aber, da er feine hinlängfiche Unterftügung fand, 14. Aug. mit feinen zwei Göhnen des 
General Sylva ergeben. Nach Caracas gebracht, wurde er erſt 24. Mat 1849 durd) die Ener 
gie des Senators Rendon freigegeben, mit der Bebingung, das Rand zu verlaffen. Gr begh 
fi) nad} den Vereinigten Staaten von Nordamerika. (5. Venezuela.) 

Paganini (Nicolo), einer der ausgezeichnetften Biolinfpieler der neuern Zeit, geb. 18. Geh. 
1784 zu Genua, wo fein Vater Kaufmann war, hatte Gofta zum Lehrer und fpielte bereits is 
feinem neunten Jahre Biofinconcerte. In feinem zwölften Jahre kam er nad) Parma, we e 
vom Rolle und Paer im Gontrapumkte unterrichtet wurde. Schon bier componitte er mt 
Anderm zwei Violinconcerte und wurde dann 4805 in Lucca als erſter Biolinift angeftelit. Di 
Pringeffin Elife, Napoleon’s Schwefter, die ihn in Rucca feftzuhalten wünſchte, ernannte h 
um Ehrencapitän und machte ihn hoffähig. Erſt ſeit 1816 wurde 9.’ Ruf in Italien, wer 
‚aller Orten Goncerte gab, ein außergewöhnlicher. Mit bem berühmten Biolinfpieler Pipaf 
(f. d.), der eigentlich nur P.’6 wegen Stalien befuchte, gab er 1817 in Piatenza einige Der⸗ 


\ 


Paganismus | Vagoden 887 


eoncerte, in denen Jeder in feiner eigenthüwlicgen Weiſe die höchſte Anerkennung fand. End⸗ 
id 1828 kam P. nach Deutfchland, zuerft nah Wien, und von jegt an wurde fein Ruf ein 
Weltruhm, den er, wenn auch nicht eigentlich geizig, wohl zu benugen verftand. Nicht allein 
dad Zauberifche feines Vortrags und feiner auferorbentlichen Fertigkeit fand Bewunderung, 
fondern auch feine äußere Erfcheinung, in welcher man etwas Dämonifches erblidden wollte. 
Snabefondere fanden fein Flageoletfpiel ımd fein Spiel ganzer Säge auf der G-Saite großen 
Beifall, dab ſchon vor ihm Mancher verfucht, nur nicht fo oft und nicht fo abſichtlich als Bra⸗ 
vour behandelt hatte. Der Kalfer von ODſtreich ernannte ihn zu feinem Kammervirtuofen, ber 
König von Preußen zu feinem Muſikdirector. Nachdem er faft alle größern Städte Deutfch- 
lands befucht hatte, ging er nach Frankreich und England, wo er namentlich in Paris ein bei» 
fpiellofes Auffehen erregte und, wie in Deutfchland, bedeutende Gefchäfte machte. Erſt 1834 
kehrte er in fein Vaterland zurüd, wo er in Parma die Villa Bajona kaufte, und ftarb nach 
einer Iangwierigen Krankheit zu Nizza 27. Mai 1840. Bon feinen Gompofitienen find im 
Laufe der Zeit mehre und noch neuerdings der berühmte „Sarneval von Venedig”, welchen ber 
Biolinift Jules Ghys nad) dem Gehoͤr aufgezeichnet und herausgegeben hat, im Druck erſchie⸗ 
nen. Bol. Schottky, „Leben und Treiben be (Brag 1830). Eine Violinfhule in P.'6 
Manier, worin die ihm abgelaufchten Handgriffe erlärt werben, gab der Mufikdirector Guhr 
in Frankfurt a. M. heraus. 

Paganismus Heißt als religiöfe Denkart der Glaube und die Verehrung mehrer, entweber 
unter fich gleicher ober einander untergeorbneter göttlicher Weſen und bezeichnet alfo in diefer 
Beziehung die ganze Geſammtheit der polytheiftifchen Religion. In concretem Sinne beißt 
Paganismus aber die Gefammtheit Derer, welche zu einer ſolchen Religion fich befennen. So— 
mit ſchließt das Wort Paganismus den Begriff des Beidenthums in fich. 

Pages (Jean Pierrt), franz. Publicift, geb. zu Seix im Arriegedepartement 9. Sept. 1784, 
widmete fich, nachdem er auf der Gentralfchule zu Touloufe den Grund gu feiner wiſſenſchaft⸗ 
lichen Bilbumg gelegt hatte, dem Studium der Mechte, Geſchichte und Naturwiſſenſchaften mit 
ſolchem Erfolge, daß er bereits in feinem 20. 3. Advocat und im 25. in die Akademie von Tou⸗ 
louſe aufgenommen wurde. Mehre geichägte geognoftifche Arbeiten von ihm befinden fich in 
ben „M&moirea” biefer Akademie. Im 3.1814 wurde er zum Baiferlichen Procurator ernannt; 
doch verlor er dieſe Stelle bei ber Rückkehr der Bourbons und wurde erſt während der Hum 
dert Tage mit berfelben wieder bekleidet. Nach der zweiten Reftauration verzichtete er. frei- 
willig auf ben Staatsdienft und fah ſich fogar politifhen Verfolgungen ausgefegt. Seit 1816 
nahm er feinen Aufenthalt in Paris, wo er ſich bald als oppofitioneller Journalift hervorthat. 
Er war Rebacteur ber „Minerve“, die in beſtändiger Oppofition gegen die Bourbons verharrte, 
Mitarbeiser am „Constitutionnel” und einer der Begründer und NRedacteur der „Renommee“ 
und de „Courrier frangais”. Unter feinen Flugſchriften find zu erwähnen: „Principes gend- 
raux du droit public” (Par. 1817), woran auch Beni. Conftant und St.⸗Aubin Antheil hat 
ten; „De la responsabilit& ministerielle” (Par. 4818); „De la censure, leitre à Mr. 
Lourdoneiz” (Par. 1827). Rächſtdem ſchrieb er „Annales de la session de 4817 a 1819”, 
einen „Manuel des notaires” und eine „Histoire de l'assemblée constituante” (Par. 1822), 
Die den zweiten Theil der „Fastes civils de la France” bildet; auch gab er Benj. Conſtant's 
„Cours de politique constitutionnelle” in einer neuen Auflage heraus (4 Bde., Par. 1836). 
Sm 3. 1851 trat er als Deputirter von St.-Biron in die Kammer. Obgleih er anfangs der 
Idee der Julirevolution huldigte, ſchien ihm doch bald das Syſtem derfelben fo beſchränkt und 
umgenügend, daß er ed zum Theil fehr lebhaft angriff. Er ftarb 7. Det. 1856 zu Touloufe. 

nen heißen die freiftehenden Tempel ber Hindu und anderer fübafiat. Volker im Ge 

ag gegen die Grottentempel. (&. Indifche Kunft.) Der Name ift entflanden aus bem ind., 

— —** d. h. heiliges Haus. Die Pagoden gehören insgeſammt den jüngern Epochen der 
ind. Kunſtübung an, zum Theil ſelbſt der neuern Zeit. Sie ſtehen auf freien, mit Obelisken, 
Säulen u. ſ. w. geſchmückten Plägen, find aus Steinen und Holz erbaut, fehr groß und hoch 
und mit ungeheuerer Pracht ausgeftattet. Siehaben gewöhnlich die Beftalt eines Kreuzes, beffen 
vier Enden von gleicher Länge find, und ein hohes, thurmähnliches Dach mit mehren Abfägen. 
Am merkwürbigften find die Pagoden in Benares, Siam, Pegu und zu Dfchagarnat in ber 
vorderind. Provinz Driffe. Die Statuen der Götter, welche ebenfalls Pagoden heißen ımb in 
großer Anzahl in jeder Pagode ſich finden, find meift von gebrannter Erde, unförmlich, ohne 
allen Ausdruck gebilbet und reich vergoldet, entweder nadt oder bekleidet, ftehend ober mit ge- 
kreuzten Beinen figend ımb nicht felten riefig groß. Nach diefen Bögenbilbern har wan wu, 


us + Gallen aupeled: . 

ud Heinen ungeflalteten Figuren mit — — 

ker) man zur Zeit des Kamine:n. f. w. verzierte. 

— Wohlen (vom ber), ein in den uff Dtfeepranin —— — S Tan m 
aus Pommern, nach Andern aber von einem ber eingeborenen Unlänı, 
Kofchtußl, der im 13. Jahrh. den Ramen P. ehe —— non der 9. id 

446 ware: Den Bafalen beb rigaez Gib gene nt. Ein Rachtomme von ihm, Geo 

on’ber P. wurde 1602 ſchwed. Reicherath und Zohenu von der 9. 1679 in ben fhne. 

Frelherrenſiand erhoben. Seit ber (Eroberung ber Herzogthũmer Livland und Efehland durd 
Veter d. Gr. haben ſich mehre Däitglieder der Familie in uff. Dienften ausgezeichnet. Belt 

"aan der P. geb. 1746, focht im Kürkenfriege von 17769 unter Rumfanzomw, warb Oberfi, fpä 

Beieralmajor und commanbirte 1788 beim Sturm von Oczakow eine Golonne. m 3. 1700 

du ben Briedensverhandlungen mit Shhweden verwendet, ging er nach Abſchluß des Frieden 

— als Geſandter nach Stockholm und wurde, als Kuzlar 1795 an Rußland fiel, zum 
Segler es Dinfes enden gan c a Da Dad, Dr Gun ie —— 

des affen, g es ihm doch bald, die biefes Mon 

abe Grabe zu geroinnen, daf er In den Grafenftand erhoben, eh 

Fhedert und zum Militärgouverneur von Peteröburg ernannt ward. Nach ber —— 

Roßenfein fing die Macht Pro aufs höchſte, indem ihm auch die Zeitung,ber auswärtige 

jenheiten übertragen wurde. Da der launiſche Gharakter Paul’s Feine lange 

Dauer feiner Gunſt verſprach, fo ftellte fidh der von ihm mit und Mürden überhäufte 

een Be Bvipe ber Berfgmärung, weite dem mgllüchen en in ber, Nacht zum 

36 März 1801 das Leben koflete. Seine Erwartung, unter dem Ramen des jungen Alegandt 
EL 

;m toi in eg. ein Lanl 

auchd, wo er den feiner Kage verehte und bon ber Beh Ge har alla 

(Graf Peter von der), Sohn bes Vorigen, geb. um 1775, trat früh 8 in die Gurt 

mb ward bald Genetal. Den Bebnägen yon KBTA ad 1B1E erwarb er fich als 

:eimer Cavaleriediviſion großen Ruhm, wurde aber 17. Febr. 4814 durch die feine 
‚Dberfeldheren Witgenfein bei Nangis gefchlagen. Im J. 1823 nahm er den Abfchieb, mat 
ſedoch nach der Thtonbeſteigung des Kaifers Nikolaus wieder in Dienft, ward 1827 General 
ber Gavalerie und befehligte im Türkenkriege ein eigenes Corps, mit weichem er zum Siege bi 
Kulewtſcha viel beitrug. Auch im poln. Feldzuge von 1831 bewährte er feinen alten Ruf aa⸗ 
mentli im Sturme von Warſchau durch die Eroberung des flart verſchanzten Wola. Ben 
4835—41 fungirte er als Botſchafter in Paris und erhielt nady dem Tode des Fürfien 
Waſſiltſchikow 4847 die hohe Charge eines Generalinfpectors fämmtliger Cavalerie. eis 
Bruder, Graf Paul von der B., focht gleichfals im franz. Kriege, ward 1828 General de 
Gavalerie, befehligte 1831 eine Zeit lang das zweite Infanteriecorps, mit welchem er ben Ir 
geiff Skrzynectis auf Siedlce zutückwies, und ftarb 1836. Er war der Vater ber in den parifer 
Salons mwohlbefannten Julie, vermählten Gräfin Samoilow. Ein dritter Bruder, Geef 
Friedrich von der P., mählte die biplomatifche Laufbahn und war ruff. Gefandter in 
Waſhington und Münden. Im J. 1829 ſchloß er mit dem Grafen Orlow den Frieden von 
Adrianopel ab und wurde 1834 zum wirklichen Geh. Rath ernannt. — Einer Nebenlinie der 
Familie gehört der Baron Magnus von der P.an,der fi 1813 als Oberft in dem Treffen ven 
Lüneburg hervorthat und von 1830—45 GBeneralgouverneur von Liv-, Efih- und Kurlan 
mar. Er ift jegt General der Eavalerie, Senator und Mitglied des Reichsraths in Petersburg 

jaine (Thomas), f. Payne. 

. airs, engl. Peerb, lat. Pares, d. i. Gleiche, hießen ſchon in den Anfängen des Lehnsſtaau 
die aus den Gefolgefchaften hervorgegangenen Vaſallen, infofern biefelben, nach dem Prince 
der altgerman. Volfsgerichte, in allen die Rehmöverhäftniffe betreffenden Sachen von ihr 
gleichen (Pares curiae) gerichtet wurden. Dieſes Vaſallenthum war anfangs ein untergeon» 
neter Stand, weil ſich der Vaſall bereits durch den Eintritt in die Gefolgefchaft ber den alter 
Vollbürger harakterificenden Unabhängigkeit begab. Mit der völligen Ausbildung bes Ferd⸗ 
ſtaats und dem Verſchwinden der Gemeinfreien Behrte ſich jedoch das Verhältniß um. Beger 
über dem emporwachſenden Königthum entwidelte fid) aus den kriegeriſchen Vaſallen einge 
waltiger unmittelbarer Lehnsadel, der den Staat auf feinen Zerritorien wiederholte und Far 
fam als Rechtönachfolger bes alten Vollbürgerthums die urfprünglihe Gemeinfreiheit wenig 
fiens als Standesrecht (Pares regni) fefthielt. Diefer unmittelbare Meice- oder Pairired 


Pairs 588 


konnte aber feine Macht um fo leichter ſtaatsrechtlich begründen, als bei bem Abgange der Dy⸗ 
naftien die Monarchen von ihm felbft und aus feiner Mitte gewählt wurden. Der geſchichtliche 
Beclauf, den die Pairie in ben einzelnen Feubalftaaten nahm, war nun je nach der Entwicke⸗ 
lung bes Adelsſyſtems und der fländifchen Repräfentation fehr verfchieden. In Deutichland, 
wo man die Pairie dem Namen nach nicht kannte, trat aus den großen Vaſallen die Reichs⸗ 
ſtandſchaft hervor, die ihren weſentlichen Charakter eigentlich bis zur Auflofung bes Reichs be= 
bauptete, obſchon die mädhtigften Zerritorialherren, die Kurfürften, durch die Goldene Bulle 
mit der Wahl des Kaiſers bevorzugt und damit eigentlich auch rechtlich über ihresgleichen ge- 
hoben wurden. 
In Frankreich erweiterte ſich das Pairsgericht (cour des pairs) ebenfalls zu einem fländigen 
Reichsrathe, der als Erbe der alten Rationalfreiheit nicht nur die Händel der Pairs fchlichtete, 
fondern mit dem Könige überhaupt die öffentlichen Angelegenheiten berieth. Das Wachſen der 
königl. Macht fcheint jedoch in Frankreich die Pairie, nachdem fie zur Landeshoheit gelangt, 
plöglich darniebergehalten zu haben. Als Hugo Capet, Herzog von Francien, 987 den franz. 
Thron beflieg, gab es außer ihm noch ſechs unmittelbare Lehnsfürften oder Pairs, nämlich bie 
Herzoge von Burgund, Aquitanien und Normandie und die Grafen von Klandern, Touloufe 
und Ghampagne. Dielen Pairs fügte Capet den Erzbiſchof von Rheims als erften Kirchen 
fürften, beögleichen bie im Krongebiet liegenden Suffraganbifchöfe von Laon, Beauvais, Noyon, 
Ludwig VII. aber noch den Bifchof von Ehälons hinzu. Die alte Pairie war zwar oft als Ge⸗ 
richtshof in Lehnsirrungen, Verbrechen der Großen und Streitigkeiten mit der Krone thätig, 
übte aber fchon damals nur wenig Einfluß auf die Reichsangelegenheiten und erlofch bi6 auf 
die geifllichen Pairs allmälig burch die Vereinigung der großen Lehen mit der Krone. Gegen 
Ende des 15. Jahrh. fchuf man deshalb neue Pairien erft zu Gunſten der königl. Prinzen, 
dann auch Anderer. So wurden 1296 das Herzogthum Bretagne, die Grafſchaften Artois 
und Anjou und 1361 ein neues Herzogthum Burgund gegründet. Allein auch diefe Pairie 
verlor bald gänzlich ihre ehemalige Bedeutung, befonders durch eine große politifche Verände⸗ 
rung. Schon längft nämlich waren zu den Reihöverfammlungen neben den Pairs auch bie 
übrigen mächtigen Barone und geiftlichen Prälaten gezogen worden. Philipp IV. berief endlich 
feit 1502, von dem Streite mit dem Papfte gedrängt, auch die Abgeordneten der Städte in bie 
Reichs verſammlung, die nun ald Dritter Stand ebenfalls Antheil am Staateleben nahmen und 
fortan mit den beiden andern Ständen die Beneralftaaten (f. Etats gönsdraux) bildeten. 
Man trennte bei diefer Gelegenheit den Pairshof von der Reihöverfammlung und verfchmelz 
denfelben mit dem königl. Obergericht, dem Parlamente (ſ. d.) von Paris, in welchem aber bie 
Pairs durch das Übergewicht der kõönigl. Räthe bald in den Hintergrund traten und nichts als 
eine leere Repräfentation ihrer alten Würde behaupteten. Nach dem Abfterben dieſer zweiten 
Pairie begannen die Könige, meift aus ihren Günftlingen und Hofleuten, eine dritte zu bilden, 
die gleich bei ihrer Entftehung ohne alle Bedeutung war, zumal da die politifhe Wirkſamkeit 
Der Generalflaaten auf die Parlamente der Notabeln (f.d.)übertragen wurde. Die Privilegien 
der höchften Adelskaſte beftanden jegt nur noch darin, daß fie in der Grande chambre des Par⸗ 
Iaments &ig und Stimme befaß, ihren Gerichtsſtand bei diefem GBerichtöhofe hatte und fich 
mehrer leeren Ehren- und Hofrechte erfreute. Zwar ſchwuren die Pairs, den Könige in allen 
wichtigen Angelegenheiten mit Rath beiguftehen; aber Ludwig XIV., der felbft dieſes fürchtete, 
erließ 1665 eine Verordnung, nad) welcher die Pairs nur kraft königl. Berufung Sig im 
Staatsrathe haben follten. Die ältefte. Pairie Kolcher Art war die der Montmorency vom J. 
4551. Beim Ausbruche der Revolution, die auch diefen Schattenkörper mit einem Gchlage 
vernichtete, gab es 38 weltliche Pairs, die fämmtlich den Herzogstitel führten. 
‚In England entwidelte fi) mit den normann. Eroberern durch die Einführung des Feuda⸗ 
lismus ebenfalls ein hoher reichsſtändiſcher, ein Pairieadel (Feerage), deffen allmälige Aus⸗ 
bildung im conftitutionellen Leben Großbritanniens zu einer der Staatsgewalten von großem 
Intereſſe ift. Zwar vermochte diefer Adel der Lords oder Herren, ber ſpäter in bie fünf Glaffen 
der Herzöge, Marquis oder Markgrafen, Earls oder Grafen, Viscounts und Barone zerfiel, 
nicht zur Randeshoheit emporzufteigen, indem Esnard I. ſchon 1290 alle Afterbelichenen für 
unmittelbare Lehnsträger ber Krone und alle Zehen für käuflich und theilbar erklärte. Dage⸗ 
gen gelang e& der engl. Pairie, ihren großen Grundbefig mittels des nationalen Privatrechts, 
- welches die Primogenitur oder die Vererbung auf dee äktern Sohn begünfligt, nicht nur durch 
alle Jahrhunderte zufammenzuhalten, fondern ihm fogsr eine umerhörte Ausdehnung zu geben, 
Unter der normann. Dynaſtie berechtigt und verpflichtet waren neben den geiftlichen Tara, 













welche bie Intelligen, und den Brundbeflg 
der Neichsverſammluug oder bern Parlamente zu 
relche Weränderung ein, indem der König Did Paire dur 
man allmälig nicht nur als bie Zeichen der wirklichen, auf Die 
erbenden Pairswürde anfab, fondern womit ſich auch bie Krone bad 
nach Befallen zu ernennen. Als gegen bie Mitie des 13. Jahrh. auch die Ritterſchaſt 
ſchaſten und das Bürgerthum ber Städte als Dritter Stand zu ben Beichöverfammiungen 
zogen wurden, theilte fich das fogenannte Parlament in das Unterhaus, weiches bie 
und in das Dberhaus, weldyes die Pairs aufnahm. Bei dem Emporfireben ber: 
dem Neichthum und der Bildung der Städte und ber Finauznoth ber Krone erwuchs Der Pak 
fortan im Unterhaufe ein Nebenbuhler, ber thre poütiſche Siellung gänzlich ämbexte. Eis 
Veecrxre, Die bisher mit dem Könige das Privliegiuu ber 
Is in die Vertreter ihres perfüntichen, rein ariftoßratifchen Jutereſſes 
— — Faetor im Staatsleben, ein Mittelglied zwiſchen 
dii | beiber verhindern und bie polltiſche Stabilitaͤt 
Dis engl. Pairie, wie mächtig fie auch durch ihren Grunbbefis 
nicht Immer zu rechtfertigen. Das Dberhaus verhinderte Die 
Desyeriönns zu üben, und zur Zeit Karl’ I. verfant Die Palrie ebenfalls unter 
der Deniofratie, fobaß dad Oberhaus von dem Rumpfparlamente fogar ohne 
ben werben konnte. Cromwell verſuchte hierauf eine neue Pairte mit einem Doerhauſe 
ſtellen, dad jedoch einem Miltäirfenate ähnlicher ſah unb mit ber Reftauration ber 
geich dem alten Inſtitute wieder Play machte. Die Privilegien, welche die eugl. 
bie Gegenwart gerettet hat, find weientlich folgende: bis Peers nehmen Fraft 
uf den Alteften Sohn erbenden Würde Sig Im Dberhaufe, bie 
ſcheinen jedoch nur durch Wahl als Abgeordnete ihres Standes ; bie 
walfällen ihren Gerichtöftend vor ben Dberhauſe; fie bürfen in Givilfadden 
‚werden; Injurien gegen fie (scandrla magnata) werben fchärfer beſtraft; 
Gpienz beim König erbitten, um bemfelben Vorſtelungen rückſichtlich bes 
machen; fie beftätigen die Wahrheit nicht durch Gib, fondern durch Ihr 
ußer ber Pairie, welche in ber Perfon forterbt, belegten bie Könige früher auch dinige 
große Güter mit der Würde, die deshalb auch auf die Exrbtöchter überging. Desglelchen war 
den und werden noch jegt ausnahmöweife Frauen überhaupt mit der Palrswürbe ausgeflattet, 
mit dem Rechte, biefelbe zu vererben. Der mäßige Gebrauch, den die Könige im Banzen von 
dem echte der Pairdernennung machten, und der Umſtand, daß man fich nicht ſcheut, auch dab 
perfönliche Verdienft im Bürgerftande mit der Pairswürde zu belohnen, Haben gewiß ebeufe 
viel beigetragen, die engl. Pairie in Achtung und Anfehenzu erhalten, wie ihr ehrwuͤrdiger 800 
jähriger Beftand. Im 3.1738 belief ſich die Zahl der weltlichen engl. Lords auf 193, darum 
tee 28 Herzoge, 2 Marquis, 83 Grafen, 15 Biscounts und 65 Barone; 1852 auf 375, 
nämlich 22 Herzoge, 21 Marquis, 113 Grafen, 22 Viscounts ımd 197 Barone. Gchen dies 
beweift, Daß die engl. Pairsgefchlechter, ungeachtet bes langen Beftandes des Inftiturs, Beine 
wegs fehr alten Urfprungs find. Die alten Familien gingen meift in den Kämpfen ber Häufe 
York und Lancafter unter; fehr wenige der jegigen Titel gehen ins 15. und 16. unb nur wie 
bis ins 13. Jahrh. zurück. 

Die Anficht, daß die engl. Pairie das Interefie des Mittelalters mit den Anſprüchen be 
neuern Zeit vereinigt, hat bei ben Verfaſſungswerken der Gegenwart nicht felten Einfluß ge 
habt. Als beim Ausbruche der Revolution von 1789 die alte Verfaffung Srantreichs ze 
Grunde ging, wirkte ſchon eine Partei der franz. Nationalverfimmlung für He Einführung 
einer Pairfchaft mit politifcher Vertretung nach dem Muſter der englifchen. Die Idee ſcheitert 
‘aber an dem Widerwillen des Hofs, der Ariftofratie, wie am Radicaliamus der Maffen. Erf 
mit der Reftauration der Bourbons und der Charte Ludwig's XVIH. kam der Verſuch p 
Stande, in Frankreich das Wefentliche der engl. Pairie einzuführen. Durch die Artikel 4 
34 der Charte wurde eine neue erbliche Pairte mit einer Pairskammer eingeführt, Die neben der 
Theilnahme an der Gefepgebung auch der Gerichtshof für die Minifter und Staatbverbrechs 
fein follte. Der König ernannte 200 Pairs; allein die Elemente zu einer Würbe nach des 
Muſter der englifchen fehlten. Die Ariftokratie der alten Zeit war verarmt, von Volke gehe 
unfähig und von den Helden der Kaiferzeit weit überſtrahlt. Die Regierung ſah fich deshefl 
genöthigt, mit der Yairbwürde Penſionen zu verbinden und bie Erblichkeit der Würde an hi 









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Bedingung einer Majoratöfliftung zu Mnüpfen, mas aber nur zum Theil ausgeführt wurde. 
Napoleon behielt während der Hımdert Tage das Inftitut bei, reinigte es aber von feinen Fein⸗ 
den, und bie Bourbond thaten mit der zweiten Reftauration von 1815 ein Gleiches. So konnte 
bie neue Pairie kein wirkliches politifches Leben gewinnen. Obſchon die Pairekammer in ihren 
erften Verhandlungen gründlicher und mäßiger al6 bie corrumpirte Volkskammer verfuhr, 
wurde fie doch, beſonders feit dem Procefie des Marſchalls Ney (f.d.), von der Nation für ein 
Werkzeug des Hofs zur Unterdrüdung und Reaction gehalten, was fie auch ihrer Ernennung 
nach war. Unter ber Regierung Karl’$ X. creitte daͤs Minifterium Villele fogar zur Unter» 
flügung feiner Politik auf einmal 70 Pairs, barunter die unbebeutendften Namen, womit bie 
Öffentfiche Achtung vor der Würde vollends verſchwand. Beim Ausbruche ber Julirevolution 
von 1850 zeigte fi fogleich Die ganze Ohnmacht einer Ehöpfung, die Thron und Altar zu 
fehüigen beflimmt war. Die Deputirtentammer bemächtigte ſich ohne Widerſtand der Gtaatt- 
gewalt, und die Pairskammer mußte felbft dulden, daß die Ernennungen Karl's X. annaliiet 
wurden. Nach der Julirevolution verfuchte man der Pairie, als dem Princip der Stabilität, 
ein neues Leben einzuhauchen. Die Doctrinaires ſuchten die Erblichkeit der Pairswürde zus ret⸗ 
ten. Die Deputirtenfammer bingegen erflärte fi mit großer Maforttät für die Pairie auf 
Rebenszeit, ertbeilte jedoch, gegen den Antrag einer andern Partei, dem Könige das ausfchließ 
liche Hecht, die Iebenslänglichen Pairs zu ernennen. Außerdem machte man bie Sitzungen ber 
Pairskammer öffentlich und flellte eine Menge Kategorien von Berdienften auf, nad) weichen 
die neue Würde verliehen werden follte. Alle diefe Einrichtungen verwandelten bie Pairie, bei 
weicher man vom Mufter der englifchen ausgegangen war, in einen Senat bes Königs, in wel⸗ 
chem fich Die Regierung jeden Augenblid die Majorität durch neue Creirungen verfchaffen und 
hiermit den Befchlüffen der Deputirtenkammer entgegentreten konnte. Auch die öffentliche Viei- 
nung täufchte fi über die wahre Ratur des reformirten Inflituts nicht. In der Pairs kammer 
ſaßen zwar oge, Marquis, Grafen, Vicomtes und Barone, aber auch eine große Anzahl 
Pairs ohne Üdelötitel. Vor der Julirevolution belief fi) die Befammtzahl der Pairs auf 359 
weltliche umb 24 geiftliche, die jedoch durch freimillige oder geziwungene Ausfcheidung auf 194 
berabfant. Rod) ehe das Geſetz vom 29. Dec. 1831, welches die Reform beſtimmte, in bie ge» 
lichtete Pairskammer gebracht wurde, ernannte Ludwig Philipp 36 neue Pairs, wodurch bie 
Annahme bes Geſetzes erſt gefichert werden konnte. Häufige Ernennungen fleigerten feitbem 
bis zum J. 1848 die Zahl ber Mitglieder auf 300. Die Februarrevolution von 1848, im der 
ſich bie Pairsfanımer gänzlich ohnmächtig erwies, befeitigte auch dieſes Inſtitut. In dem Ge- 
nnate, welchen die Berfaffung Ludwig Napoleon’8 vom 14. Jan. 1852 creirte (f. Frankreich), 
ward gewiflermaßen eine Art von Paitskammer wieberhergeftellt. 

Paifiello (Biovanni), einer der berühmteften Operncomponiften, geb. 9. Mai 1741 m 
Tatent, befuchte das dortige Sefuitencollegium und fam 1755 nad) Neapel in das Eonfervatorio 
di San-Onofrio. In Folge des Beifalls, den mehre von ihm componirte Opern fanden, erhielt 
er Sinlabungen nad Rom und wettelferte num mit ben größten Componiften Neapels. Er war 
feit 1776 in Petersburg und ging 1785 nad) Reapel, wo er von Ferdinand IV. als Kapellmei⸗ 
fler angeftelle wurde. Da er 1799, als ber Hof nach Sicilien flüchtete, von der neuen Re 
gierung die Ernennung zum Mufttmeifter der Nation angenommen hatte, wurde er bei der 
bald darauf erfolgten Rückkehr der Lönigl. Familie eingezogen, feines Amts entfept und erft 
nach zwei Sahren in den vorigen Verhältniffen wieder angeftellt. Durch den Erften Conſul 
Bonaparte erhielt er 1804 den Auftrag, ein Te Deum zur Friedensfeier in Parid zu compo- 
niren, welches 1802 in der Kirche Notre⸗Dame aufgeführt wurde. Bald nachher ging er wit 
Bewilligung feines Königs nach Paris, wo er Director der kaiſerl. Kapelle wurde, die er ans 
Den worzüglichiten Künfttern bildete. Abgefehen von mehren Meffen, Motetten u. f. w. und 
der Oper „Proserpina”, componirte er bier namentlich eine große Meffe für ziel Ghöre, ein 
Te Deum und einige Gebete zur Katferfronung. Im 3.1804 erbat er fi vom Kaiſer feine 
Entlaffung, um nach Neapel in feine frühere Stellung zurüdzutehren; doch unterließ er nicht, 
. dem Kaffer jährlich zum 15. Aug. eine Kirchenmuſik einzufhiden. Als Joſeph Bonaparte 
König von Neapel wurde, beftätigte ihn Diefer in feinen Amtern. Auch wurde er Mitglied der 
königl. Geſellſchaft von Neapel und Präfident der Direetion bes königl. Gonfervatoriume. 
Diefelben Amter und Etellen befleidete er bis zur Rückkehr der vertriebenen Dynaftie. Gr 
ftarb 5. Jan. 1816. Die berühmteften unter feinen zahlreichen Operncompofitionen find „La 
molinara” („Die [höne Müllerin”) und „Il barbiere di Seviglia”. eine vielen Kirhenmufl- 
ten, die er beſonders In den legten Jahren fchrieb, find weniger bekannt. P. hat das Be&. 





m Bailey nu... Palacky 
bie heatrallſche IR fiß feiner Landsleute mepigfiend in ber opera buffa enger mit ber Daublung 












— Auch 8* er bie Wirkung bei 


b angemeffene Benugung ber Gomponiften Haben 
ch u ame Interefie erwedt wie P. 3 body fand er an Cimaroſa einen Reben 
bachler, ber ihn an Feuer und Leben übertraf. 

Paisley, nach Glasgow, Edinburgh und Aberdeen bie größte und volkreichſte Exakt 
— — in dee Grafſchaft Renfrew, am Fluſſe White Cart gelegen und durch Kanäle uud 





it und Neufladt, von welchen letztere ſehr gu geb gebaut if, und zaͤhlt 47951, mit ben Vorſic 
ten wel 60000 E. Das hemerkenswertbefte Gebäude ift bie alte befinde, bie größtentheils 
in Ruinen liegt, aber auch in diefen noch Bewunderung verbient. Die Stadt 

Vreöbyterianer, mehre andere der Diffenters, ein Rachhaus mit einem 1308 
I ag drei [one Brüden, ein Urbeitöhaus, ein neues — u. ſ. w. P. iſt ein⸗ 
—— Fabrikſtãdte Schottlands. Die Manufacturen liefern Modeiwaare 


mit Glasgow, Greenock, ben Hafen Arbroffan.u. ſ. w. verbunden, befteht aut der 


Geiden-, Halbfeiden- und Baumwollenzeugen, befonbers auch —2 und Shauu; 


dazu kommen noch Zwirn⸗, Twifl- und abriten; außerdem arbeitet man in Sie 
wanb und Leber, verferigt Lichter und Seife, unterhält Branntweinhrennereien, Bleichen ab 
Eifengiefiereien. In und um P. find über 80000 Menfchen mit Fabrikarbeiten befchäftigt; fe 
Kiefern jährlich wol für * Mill. Pf. St. Waaren. Auch ber Handel iſt ſehr lebhaft und mat 
durth ben kleinen Flußhafen, den ſchiffbar gemachten Cart, die Kanäle und Eiſenbahn bebenten 
gefördert. In der Nähe ber Stadt liegt das große Alaunwerk Hurlett und das Dorf Marnu 
a aichans (Heat Sf), fa Ingenieur, geb. zu Dep 22. Jan. 1783, feine Bi 
an , Tranz. L, zu Meß N eine 
der, auf ber be: Velgtehnligen Schule, trat dann zur Marineartillerie über und ift gegenwärtig 
Als Schriftfteller ift ex bekannt durch * „Considerstions sur l’artillerie oto·“ (Per. 
Ä *5 „Nouvelle force maritime” (Par. 1821); „Foroe et faiblesse de la Franoe“ (Ber. 
4850). Sein fcharfer, richtiger Blick Gef ipn mancherlei Werbefferungen erkennen, welche in-ber 
Ginrihtung der Seeartillerie getroffen werben können. Namentlich brang er darauf, Reh 
gefhüge von —2*— großem Kaliber einzuführen, welche gegenwärtig theils nach feinem Ra⸗ 
mien (canons & la Paixhans), theils Bombenkanonen genannt, nicht allein für bie Marime, 
fondern auch zur Küftenvertheidigung und theilweife fogar zum Belagerungsfriege beflimmt, 
Thon vielfache Anmendung finden. Sowol das mehr geſi cherte Treffen mit dem grõßern, ſchwe⸗ 
rern Geſchoß, als die gewaltigen Zerſtörungen, die ein ſolches in den Schiffswänden ae 
kann, begründen den Nugen folder großen Gefhüge um fo mehr, ba es dem Erfinder zugleich 








gelungen ift, ihnen durch verfländige Einrichtung des Rohre und der Laffete die nöthige Be- 


weglichkeit zu geben. 
Palazzo, 1. Bajazzo. 


Palacky GGranz), ein ausgezeichneter böhm. Geſchichts und Sprachforſcher, ward 14. Juni 


1798 zu Hodslawitz in Mähren geboren, wo ſein Vater, der ſich gleich ihm zur ref. Kirche be⸗ 
kannte, Schulrector war. Seine wiſſenſchaftliche Vorbildung erhielt er in Presburg und Wim 


Er trat frühzeitig als Schriftfteller auf, und fchon fein erſter literariſcher Verfuch, die 1818 ge · 


meinſchaftlich mit Schafarif (f. d.) in böhm. Sprade herausgegebenen „Elemente der bohm. 
Dichtkunſt“, dann die Bruchftüde feiner „Theorie bes Schönen” (1821) und die „Allgemeine 
Geſchichte der Aftherie“ (18253) betundeten bei gediegener Auffaffunge- und Darftellungsiweik 
eine genaue Bekanntſchaft mit den Claſſikern faft aller europ. Sprachen, während fie zugleid 
feine warme Neigung für die Sprache und Geſchichte feines Volkes an ben Tag legten. Um di 
Quellen diefer beiden gründlicher zu fludiren, befuchte er 1823 Prag, wo ihn bie Brafen Ster® 
berg zu ihrem Archivar machten und ihm Gelegenheit verfchafften, die Bibliotheken und Ir 
chive der älteften Familien Böhmens, bie öffentlichen Archive Oſtreichs und die Archive in Min- 
hen, fowie fpäter auch die Handfchriften im Vatican zu durchforſchen und fo eine höchſt um 
fänglidye Documentenfammlung anzulegen. Nachdem er durch wiederholte literarifche Arber 
ten fich noch größeres Anſehen erworben, erhielt er 1828 die Redaction der deutſchen mie de 


böhm. „Zeitſchrift des Nationalmufeums“, die beide von ihm mit vielen hoͤchſt wichtigen Anß 


ſätzen verſchiedenen Inhalts ausgeſtattet wurden. Als erſtere 1831 einging, führte er Die letzter 
mit ebenfo beharrlichem Eifer als günſtigem Erfolge fort, bis er die Redaction 1838 beim Ur 
tritte feiner zweiten Reife nach Italien an Schafarik übergab. P. ward bereits 1829 von den 
:böpm. Ständen zum Hiſtoriographen ernannt. An der Stelle der ihm früher von den Ständer 


TarUNRG . ini... 


uam 8: |, 88 


Paladin Palais⸗Noyal 583 


aufgetragenen Fortfegung von Pubitſchka's „Shronologifcher Geſchichte Böhmens“ gench⸗ 
migten dieſe feinen Plan zu feiner Geſchichte Böhmens“, und es wurde bie Herausgabe ber» 
felben auf Koften der Stände (Bd. 1—3, Prag 1856 — 45) begonnen. Das Werk fand 
vom Geſichtspunkte der hiftorifchen Kritit wie in Bezieyung auf Inhalt und Form gro» 
Gen Beifall; nicht fo von nationaler und -von kirchlicher Seite. In erfterer Hinſicht zog 
ihm fein entſchiedenes Hervortretenlaſſen bes flam. Elements in Böhmens älteſter Pod 


ſchichte die Feindſchaft mit manchen beutfchen Hiftoritern zu. In legterer Hinſicht hatte er be» 


reits früher mit Kopitar (f. d.) einen heftigen Streit über den byzant. Urfprung der flaw. Litur⸗ 
gie, in welchem er bie hiftorifche Wahrheit und die Gelehrten, fein Gegner dagegen pofitifche 
umb religiöfe Zwecke auf feiner Seite hatte. Diefer Kampf drohte von neuem auszub 

als P. 1845 im dritten Bande feiner „Befchichte” ben Charakter bes Huß nicht fo, wie man 
ihn von gewiffen Seiten verlangte, barftellte. Aber der Tod Kopitar's und der gute Takt einiger 
ſlaw. Stimmführer wenbeten die Frage auf das rein Hiftorifche Gebiet, auf das fie P. ohnehin 


in feinem Werke verfept Hatte. Seit 1840 erſchien von ihm heftweife eine Sammlung von Um 


kunden zur böhm. Geſchichte ımter dem Titel „Archiv cesky“, die jegt in einer feltenen Voll⸗ 
ſtändigkeit vollendet ift. Als Monographien find zu erwähnen: „Würdigung der alten böhm. 
Geſchichtſchreiber“, eine Preisfchrift (Prag 1830); „Synchroniſtiſche UÜberficht der höchſten 
Würdenträger, Landes» und Hofbeamten in Böhmen“ (Prag 1832); „Dobrowſty's Leben 
und gelehrtes Wirken” (Prag 1835); „Kiterarifche Reife nach Stalien im 3. 1837 zur Auf⸗ 
ſuchung der Quellen der böhm. und mähr. Geſchichte“ (Prag 1838); „Die älteften Denkmäler 
der böhm. Sprache” (mit Schafarit, Prag 1840); „Uber Formelbücher, zunächſt in Bezug auf 
böhm. Befchichte” (Prag 1842). Auch gab er 1829 den dritten Band der „Scriptores rerum 
Bohemicarum“ heraus. Während ber politifchen Bewegung von 1848 war P. Mitglied des 
böhm. Gouvernementstaths, dann einer der Leiter des ſiaw. Congreſſes, zulegt das Haupt ber 
flaw. Partei auf dem Reichstage zu Kremfier. Nach deffen Auflöfung trat er in feine frühere 
Stellung zurüd, vornehmlich mit der Kortfegung der Geſchichte Böhmens beſchäftigt. 

Paladin, vom lat. palatinus (f. d.), heißen in den franz. und fpan., paladino in ben ital. 
Romanen und Gedichten des fpätern Mittelalters zuerft die dem Kaifer näher ftehenden Helden 
der Karlöfage, dann auch die Helden anderer Sagenkreife, endlich abenteuernde Ritter über» 
haupt, befonder& folche, welche durch ritterliche Balanterie ſich auszeichnen. 

Palafor y Melzi (Don Zofe de), Herzog von Saragoffa, wurde 1780 geboren und ſtammte 
aus einer vornehmen aragonifchen Familie. Eine forgfältige Erziehung und eine ernſte Zeit 
entwidelten feine feltenen Anlagen. Als er Ferdinand VIL., den er nah Bayonne begleitet hatte, 
gefangen fab, entfloh er nad) Saragoffa, wo er Alles aufbot, um einen Einfall der Sranzofen 
in Aragonien zu verhindern. Unterm 51. Mai 1808 erflärte er Napoleon, deſſen Familie und 
jeden franz. General und Offizier für bie Sicherheit Ferdinand’s VIL, deffen Bruders und Oheims 
perfönlich verantwortlich. Unfterblihen Ruhm erwarb er ſich bei den bald baraufvon ben Fran⸗ 
zofen unternommenen Belagerungen von Saragoffa (f. d.). Kran? wurde er kriegsgefangen 
abgeführt und mit Härte behandelt, bis er nach dem Abſchluſſe des Vertrags von Valençay 
11. Dee. 1813 nad) Spanien zurückkehren durfte. Hierauf erhielt er von Ferdinand VII. eine 
Sendung an bie Regentfchaft in Spanien, um ihr feine baldige Ankunft zu melden. Bei der 
Auflöfung der Eortes erflärte ſich P. für die unumfchräntte königl. Gewalt. Bon Ferdinand VII. 
1814 zum Generalcapitän von Aragonien ernannt, that er den in Saragoffa und an andern 
Orten von ber Bürgermiliz erregten anarchifchen Unordnumgen mit Kraft Einhalt. Von 1820 
— 25 blieb er ohne Anftellung. Dann lebte er ald General in Madrid, mo er ſich für die junge 
Königin und das Estatuto real erffärte, dabei aber in den Verdacht gerieth, an den Entwürfen 
der" ultraliberalen Partei Theil genommen zu haben, und deshalb verhaftet wurde. Erſt nad 
längerer Zeit erhielt er als vollig unfchuldig feine Freiheit, worauf er im Aug. 18355 Mabrid 
verließ und nach Saragoffa ging. Im folgenden Jahre ernannte ihn die Königin zum Derzoge 
von Saragoſſa und 1857 wurde er Mitglied des immermährenden Ausfchuffes der Branden und 
Generalcapitän der Barden; doch legte er 1841 Iegtere Würde nieder. Er ftarb zu Paris 1847. 

Palais-Royal, ein in feiner Art einziges Conglomerat von Palaft, Garten, Kaufhallen 
und Zheatern in Paris, entftand durch Vereinigung bes Höteld Rambouillet und anderer Der» 
renhäufer mit ausgefüllten Stadtgräben und angefauften Bärten. Im 3. 1629 ließ der Care 
dinal Richelteu hier einen Palaft bauen, der 1636 vollendet und Palais Cardinal genannt 
wurde. Er vermachte biefes Palais an Ludwig XI. Nach defien Tode bezog ed Anna von 

Gonv.ster. Zchnte Aufl. XL 38 


6B u 0. Malamedes . 


Oftreich als Regentin von Frankreich und nım bekam es feinen jegigen Namen. Ludwig XIV. 
(entre es feinem Bruder, dem Herzoge von Orleans, bei deſſen Bamilte es blieb, bis die erſe 
evolution auch diefe reiche Erbfchaft an fich rif. Kurz vorher hatte Philippe Egalite den alten 
VPalaſt beinahe ganz abbrechen und umbauen laſſen und durch bie Errichtung der Kaufhallen 
um den verieinerten Garten für die Pariſer einen Vereinigungsort im Mittelpunfte der Etat 

‚wo man, vor Wind und Wetter gefhügt, politificen konnte, und ber die Entwidelung 


j Bar befchleumigte, während der Bewohner des baranfloßenden Palaftes auf feine Weiſe 





chätig mitwirkte. Während der tollſten Revolutionszeit war ber Palaſt ein Zummelplag ber 
Uutgelaſſenheit aller Art und hatte ben dazu paſſenden Namen Palais Egalitl. Später wurde 
er dem Tribunat zum Sitze angewielen und hieß daher auch einige Zeit Palais du Tribunat. 
Im 3.1816 erhielt er mit feinem alten Namen audh feinen alten Herrn wieder, und von jener 
Beit an bis 1830 bewohnte ihn Ludwig Philipp, bei deſſen Thronbeſteigung er als Staatl 
bomäne ber Nation anheimfiel und leer fiehen blieb. Nach der, Februäsrevolution vor 1848 
wutbe er Palais Rational getauft und zu allerlei proviſoriſchen Dingen gebraucht. Jegt haft 
er wieder Palais-Royal und ift feit Fruhiahr 1853 die Nefidenz ded ehemaligen Königs von 
Weſtfalen, Ieröme Bonaparte. Die Hauptfacade bes Palaſtes, nach der Rune &t.-Denore ge 
legen, wurde in den achtziger Jahren nach den Riffen von Moreau gebaut, als die darauftoßendt 
Dper abbrannte. Am Dauptgebäube ftehen zwei Pavillons, welche den erften Hof einfchlichen 


und nach der Strafe durch eine mit drei großen Einfahrtsthoren durchbrochene er 


den find. Durch die Vorhalle des Hauptgebäudes gelangt man inden zweiten Hof (Cour royale). 
Dier hat man links bad Theätre frangais und gerabe vor ſich die berühmte Glasgalerie (Gale- 
vie vitröe), welche die berüchtigte hölzerne Budenreihe, Galerie de bois genannt, erjegt hat md 
ſehr fchön iſt. Geht man durch die Glasgalerie hindurch, fo kommt man in den Garten, ber 
zingeum von Gebäuden eingefchloffen ift. Diefe Gebäude und det Garten, in bem bie Bewei- 
fer des Durcqkanals einen Springbrunnen bilden, machen das eigentliche, im Auslande fo be 
rühmte und fo berufene Palais-Royal aus. Rund um den Garten laufen zu ebener Erden 
deckte Dallen, mo man an der einen Seite bie Ausficht in den Garten burch die offenen Bogen 
umb an ber andern bie Anficht der Kaufläben durch die blanken Spiegelfenfter hat, hiuter denen 
aufs fchönfte außgelegt ift, was der Lurus und Reichthum, der Kunfl- und Gewerbfleiß mr 
bervorbringen kann. Unter dem Erdgefchofje finden ſich Garküchen, Werkſtätten, Keller u. ſ. w. 
Im zweiten und dritten Stod wohnen Fabritanten, Künftler und Privatleute. Das gemerb- 
liche Leben ift jegt hier weder fo glänzend noch fo ausſchließlich auf diefe Ortlichkeit befchräntt, 
als es früher der Fall war. Das Hauptquartier des Luxus und der Mode von Paris hat ich 
in neuefter Zeit mehr nad) den Boulevards hingezogen; jedoch find noch manche der gekannt: 
ften Namen in ihrem Fache unter den Miethsleuten der Buden des Palais⸗Royal, die fih noch 
immer im Glanz und Anfehen erhalten. Die Cafes und Reftaurants find noch die alten und 
weltbefannten : Cafe be Foi, Cafe de Ia Rotonde, Very, Vefour, Les trois Frered Provencaur. 
Jeder Laden und Salon ftrahlt Nachts in einem Feuermeer und die Gänge und Alleen fin 
überdied durch Bas erhellt. Alles glänzt und flimmert und gewährt im Ganzen einen feenart: 
gen Anblid. Doc, find die Abende ungleich weniger glänzend und lebendig als ehemals, fer 
dem bie griechifch drapirten Sirenen mit ihren Locktönen und feilgebotenen Reizen verfcheudt 
worden. Die von Ludwig Philipp angelegte Bildergalerie, welche die gefhichtlichen Vorfalk 
des Palufted und des vielbewegten Lebens feines damaligen Beſitzers in einer Reihe von Ge 
mälden darftellte und befonder& ausgezeichnete Werke der neuern franz. Malerfchule aufzuimer 
fen hatte, ift nicht mehr vorhanden. Sie wurde 24. Febr. 1848 bei der Einnahme des Palaſtei 
vom Pöbel zerftort, bis auf einige Überrefte, die feitdem verfteigert worden. Lithographiſch 
Abbildungen davon liefert das Prachtwerk „Galerie du Palais-Royal” (mit erläuterndem Ter 
von Batout, 2 Bbe., Par. 1824— 30). - 

Palamedes, der Sohn des Nauplios und der Klymene, folglich mit ben Atriden verwandt 
309 mit Agamemnon gegen Zlios. Entweder weil er den verftellten Wahnfınn des Dppffent 
(ſ. d) entdeckt und diefen fomit zum Zuge gegen Ilios gezwungen hatte, ober weil er bei einen 
Raubzuge nad) Thrazien viel, Odyffeus dagegen nichts erbeutet hatte, wurde er von biefem ge 
haßt und in Folge diefes Haffes gefteinigt. Odyſſeus nämlich ließ eine große Summe Gold 
im Belte des 9. vergraben, einen angeblich von Priamos an ihn gefchriebenen Brief, in melden 

‚von Verrath die Rede war, auffangen und Magte ihn dann der Verrätherei an. PP. wunde. 
fheinbar überführt, vom Heere gefteinigt. Standhaft ertrug er den Tod. Von Homer wird. 
gar nicht erwähnt, ſondern die Sage von ihm kommt erſt in den kypriſchen Gedichten vor zn) 


Palankin | Pulaphatus 585 


ift dann von den Tragikern, namentlicd) von Euripides, und den Eophiften, die ihn als ihr Vor⸗ 
bild darftellen, ausgebildet worden. Außerdem gilt P. noch als ein erfindungsreicher Weiſer. 
Man fchrieb ihm nämlich die Erfindung des Würfelfpield, der Rechnung und des Mafes und 
Gewichts zu; zu dem alten griech. von Kadmus eingeführten Alphabet, das aus 16 Buchſta⸗ 
ben beftand, foll er vier neue (I, & @, X) hinzugefügt haben. Auch zum Dichter ift er gemacht 
worden. Ja Homer, fo erzählt man, fol ihn aus Eiferfucht nicht erwähnt haben. Vgl. Jahn, 
„Palamedes“ (Hamb. 1836). 

Palankin, eine in Oſtindien gebräuchliche Art Tragſeſſel mit vier Füßen, einem ziemlich 
hohen Geländer rings herum und einer gewölbten Decke von Bambusſtäben, inwendig mit 
einer Matrage und einigen Kiffen belegt, überdies noch mit einem Vorhange verſehen, den 
man, um in dem Palantin zu ſchlafen, berunterlaffen kann, wird von vier Trägern, Kulis (ſ. d.), 
auf den Schultern getragen, denen vier andere zum Abwechfeln beigefellt find. Dian reift in die» 
fen Palankins ziemlich fchnell, bequem und ſicher und die Träger find ehrliche, dienftfertige Leute, 

Paläographie (griech) ift die Wiffenfchaft, dureh deren Hülfe das Verftändniß der alten 
Handſchriften und gefchriebenen ober gezeichneten Denkmäler überhaupt eröffnet wird. Sie be» 
ſchäftigt fich daher mit dem Material, der Echrift, dem Alter und Gebrauch der gefchriebenen 
Denkmäler und fol Anleitung geben, wie man alte Schriften leſen lernen, die Beftandtheile 
derfelben auseinanderfegen, ſoweit ald möglich aufwärts die Quelle einer jeden aufjuchen und 
abwärts theild die Veränderungen, welche eine und diefelbe Schrift erlitten, darftellen, theile 
diejenigen Abweichungen, welche mehre verwandte Schriftarten nach ber Trennung vom ge 
meinſchaftlichen Sprachſtamme erfahren haben, nachweifen fonne. Früher war dad Gebiet der 
Palaͤographie, da fie eigehtlich auf alles Gefchriebene ſich erftredit, von dem der Diplomatik(ſ. d.) 
nicht gefchieden, daher in den ältern diplomatifchen Werken von Mabillon, Maffei, Gatterer 
u. A. Vieles davon enthalten ift. Erſt fpäter hat man der Diplomatif die fehriftlichen, mit hö⸗ 
herer Autorifation verfehenen Urkunden der neuern Staatengefchichte, feit dem 5. Jahrh., vor 
zugsweiſe zugetheilt. Für die Kenntniß der griech. Dandfchriften ift zuerft von Montfaucon in 
defien „Palaeugraphia Graeca” (Par. 1708), dann von Baft in der trefflichen „Commentatio 
palaeographica” mit mehren Kupfertafeln und Erläuterungen, welche der Ausgabe des „Gre- 
gorius Gorinthius” von Schäfer (Xpz. 1811) beigegeben ift, Vorzüigliches geleiftet worden. In 
neuefter Zeit bat man fodann die Paläographie in theoretifcher und technifcher Hinficht immer 
weiter auszubilden gefucht. Die umfaffendften Studien darin verdanken wir dem erſten Pa⸗ 
läographen Deutfchlands, Fr. Kopp (1. d.), fowie dem Franzofen Champollion-Figeac in ben 
„Chartes et manuscrits sur papyrus de la biblietheque royale, ou collection de facsimiles, . 
accompagne6s de notices historiques et pal&ograpbiques” (Par. 1842) und I. B. Silveſtre 
in der „Pal&ographie universelle, ou collection de facsimiles d’&criture de tous les peuples 
et tous les temps” (2 Bde., Bar. 1839 — 41, mit Kpfrtfin.). 

PDaläologen beißen die Berrfcher der legten Dynaftie des Byzantinifchen Reiche (f. d.). 
Stifter der Dynaftie war Michael Paläologos, der 1260 Kaifer von Nicäa (. d.), 1261 des 
Byzantinifchen ReichE wurde. Ihm folgten Andronikos IL. und III. Johann V., Andronikos IV., 
Emanuel UI., Johann VI. und Konftantin XI, der 1453 heldenmüthig bei der Eroberung Kon- 
flantinopels durch Mohammed II. fiel. Ein Zweig der Paläologen herrfchte auch von 1306 — 
4533 in Montferrat; ein anderer in Morea von 1580— 1460. Nach der Eroberung Griechen- 
lands durch die Türken wandten ſich die Paläologen nad Italien. Ein Nachkomme Konftan- 
tin’6 XL, Andreas Paläologos, trat feine Rechte auf das Byzantinifche Reich Karl VIIL von 
Frankreich ab. In Frankreich leben noch jegt Nachkommen der Paläologen. 

ie (griech.), fo viel als Petrefactentunde, f. Petrefacten. 

aläphätuß heißt der Verfaffer oder Sammler einer Reihe griech. Mythen, die er unter 
dem Titel „Bon unglaublichen Dingen” in 53 meift fürzern Abfchnitten zufanımenftellte und 
theils auf hiftorifchem, theils auf etymologiſchem, theils aufallegorifchem Wege zu deuten fischte. 
Doch ift die Schrift ſelbſt, die in der Literaturgefchichte gewöhnlich unter dem lat. Ramen „De 
incredibilibus” angeführt wird, in fehr auffälligen Abweichungen der Handfchriften auf und 
gefommen und weder dad Vaterland noch das Zeitalter des Verfaffere uns irgendwie bekannt, 
obgleich man gewöhnlich Paros oder Priene als feine Geburtöftadt und das 3. ober 4. Jahrh. 
n. Chr. als das Zeitalter annimmt, in welchem er gelebt haben foll. Vielleicht ift eine beftimmte 
Perfonlichkeit hier gar nicht zu fuchen, fondern der Name Paläphatus, d. i. Erzähler alter 5% 
bein, zur Bezeichnung bes Inhalts der Schrift dem Ganzen vorgefegt morben, Inter den vie» 

J 


. 


‚IS Palaprat Yaläfine 


ten Ausgaben erwähnen wir bie mit einem reichhaltigen Gommentar verfchene von Fiſcher (ky 
1764 5 6. Aufl., 1789), die zunächft für die Schulen bearbeitete von J. H. Di. Exrnefli (pp 
1816) und die in kritiſcher Hinficht vorzüglichfte Bearbeitung von Weſtermann in den „My- 
thographi Graeci“ (Braunfhw. 1843). Eine deutfche iberfegung befigen wir von Büchlic 
(2. Aufl, verbeffert von Groſſe, Halle 1821). “ 
alaprat (Sean), Geigneur de Bigot, franz. Lufifpielbichter, geb. zu Toulouſe 1650. 
gehörte einer Kamilie an, welche ſich in ber juriſtiſchen Carriere ausgezeichnet hatte. Er fe 
widmete ſich anfangs ebenfalls der Rechtöwifienfchaft, wendete ſich aber dann der Titerartfdhen 
 Shätigkeit zu und verfuchte ſich im Luſtſpiel, ſowie in der Lyrik nicht ohne Erfolg. Sein Ram 
iſt mit dem feines ihm geiftig überlegenen Freundes Dav. Aug. be Brueys aus Alz (geb. 1648, 
geft. 1723 zu Montpellier) innig verbunden. Brueys war Proteftant und fchrieb als feld 
gegen Bofſuet's „Exposition de la doctrine catholique” ; auch nach feinem Übertritt zur 
Kirche verfaßte er noch einige theolegifche Werke, ., B. „Trait& de Teucharistie” u. ſ. w., im 
kath. Sinne. Seine beften Luflfpiele hat er in Gemeinſchaft mit P. verfaßt. Diefer wurde ia 
feinem 25.3. Eapitular und bald nachher Vorſtand des Conſiſtoriums feiner Ba t; 
vermochte dieſe Auszeichnung nicht, ihn an Toulouſe zu feſſeln. Er begab ſich auf Reiſen vd 
lebte 1686 eine Zeit lang in Rom, wo ihm die Königin Chriſtine eine See in ihrem GBefsige 
anbot. Nach Frankreich zurückgekehrt, fand er in dem Herzog von Benböme einen Bonner, bu 
ihn zu feinem Gecretär machte. Faſt alle Stüde, welche er zum Theil in Gefellfchaft- mit 
Brueys ausgearbeitet hat, z3. B. „Le concert ridicule“, „Le ballet extravagant”, „La prude 
du temps”, „L'important de cour“ u. ſ. w., find wegen ber veränberten Bitten vom Theare 
verſchwunden, nur „Le grondeur” (1694) iſt ſelbſt für die Gegenwart von Intereffe. P. fach 
zu Paris 23. Oct. 1721. Seine Werke erfchienen zuerft 1711 und dann gefammelt mit benen 
von Brueys in fünf Bänden (Par. 1756). Das Andenken an beide Dichter Hat Erienme in 
einem L2uftfpiele (1807) erneuert. " 
Baläftina, jegt Faleſtin, ift eine niedrigere Stufe des for. Hochlandes und bildet, ſelbſt im 
Allgemeinen noch Bebirgsland, nach Süden und Dften Hin den Übergang an die 
ber Wuͤſte. Es begreift die Landſchaften, welche im N. vom Antilibanos und beffen Yeortfegem 
gen, dem Gebirge Naphtali und dem öftlichern, jegt Dfehebel«-Heifch genannten Höhenzuge, im 
&. und D. von der Arabifchen und Syrifchen Wüfte und im W. vom Mittelmeere begrenzt wer 
den. Zunächſt an das Meer ftößt ein niedriger, heißer, großentheild fruchtbarer Uferfaum, ber 
nordmwärts durch ben Karmel unterbrochen und durch das tyrifche Treppengebirge begrenzt ifl; 
zwifchen diefen legtern beiden Höhen in ber Mitte liegt die Bucht von Akko oder Ptolemais. Im 
Süden zieht fich diefer Uferfaum durch Die ehemalige philiftäifche Landſchaft, in welcher das jegt 
müfte Askalon Tag und noch gegemmärtig Gaza (f. d.) liegt, bi8 an die Wüſte. Einen zweiten 
Streifen bildet eine mannichfaltiger geftaltete Landſchaft, welche felbft in ihren niedrigften Thei⸗ 
len fich noch bedeutend über ben Meeresfaum erhebt, durchgängig Kalk⸗ und Kreibeboden hat 
und deshalb in ihren gebirgigen Gegenden voller Höhlen und fchroffer Formen iſt. Nördlich 
enthält diefer Streifen das Hügelland Baliläa (f. d.), welches mit einem Rande gegen Süden 
in die niedriger liegende Ebene Jesreel fällt und auf diefem Rande noch den Berg Tabor trägt 
Die Ebene Jesreel ift tim W. durch den Gebirgszug des Karmel (f. d.) und im D. durch bad 
Gebirge Bilboa umgrenzt. Die Gewäſſer Jesreels fammeln fi im Kifon und ſtrömen burd 
einen Engpaf nad) der Bai von Ptolemais. Südlich ftößt an Zesreel dad Bergland Samarit 
(1. d.), voll milder, fruchtbarer Thäler, die aber weiter nach Süden fchroffere, ödere Bildung ar 
nehmen und in da8 Gebirge Judäas und Idumäas übergehen, welches bis an die Wüſte reicht 
Einen dritten Streifen bildet dad Ghor oder das Thal des Jordan (f. d.), welches ſüdlich bi 
zum Todten Meere (f. d.) fich erftreddiend, weil e& gegen Norden durch die Grenzgebirge bei 
Landes, gegen Oſten und Weſten durch die angrenzenden höhern Landſchaften gefchügt ift, eis 
durchaus tropifches Klima hat. Der vierte und mannichfaltigft gebildete Streifen enthält be 
Landſchaft öftlich des Jordan bis zur Wüfte. Sie ift im Norden breiter, im Süden fchmäle 
und befteht in ihren norbweftlichen Theilen aus Kreide- und Kalkboden, in den norböftlichen auf 
Bafalt, im Süden zum Theil aus Sand. Zunachſt am Fuße des Dſchebel- Heiſch iff dieſe oftfer 
daniſche Landfchaft eine fruchtbare Hochebene, die zwei Stunden unterhalb des Sees Genezarch 
ber Hieromaz, jept Scheriat-el-Mandhür, durchſtroͤmt, der feine Gemwäfler dem Jordan zuführ 
Vier Stunden unter feiner Mündung fchlieft fi) an die Dochebene da6 Gebirge Gilead wi 
ſchönen Eichenwäldern. Eine zwar baumlofe, doch an Getreide fruchtbare Hochebene liegt dam 
weiter füdlich zwifchen dem Gebirge Gilead und dem Sandgebirge Seir, einer wilden, abe 


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Baläftra Palatiniſcher Berg 597 


fruchtbaren Landichaft. Die Grenze zwifchen dem Gebirge Seir und der nördlich daran ftoßen- 
den Hochebene läuft in einiger Entfernung füblih vom Arnon, jegt Waͤdy⸗Modſchib, hin, ber 
feine Gewäffer zum Jordan führt, gleich dem Jabbok, jegt Zerkä, der das Gebirge Bilead durch» 
ſtrömt. Die Gegend zwifchen Zerkaͤ und Waͤdy⸗Modſchib heißt jegt Belkä, die zwiſchen Wäbn- 
Modſchib und dem Gebirge von Seit Kerek. 

P. hat dur Klima und Boden die Anlagen zu größter Fruchtbarkeit, wie es denn audy in 
der Bibel als fruchtbares Land gefchildert wird. Sept freilich haben die gefellihaftlichen Ver⸗ 
hältniffe, wie fie feit Jahrhunderten in dieſem Lande find, es öde gemacht. Beſonders jenfeit des 
Jordan find die Berge meift kahl, die Thäfer wüſt; dieffeit gibt es noch viel bebautes Land und 
auch die Berge find bier zum Theil befchattet. Es hieß nad dem Stammvater feiner Bewohner 
Kanaan, ald Abraham in feine füdlihen Gegenden einwanderte und durch den Ankauf eines 
Begräbniforts für feine Familie das Recht begründete, auf welches geftügt die Hebräer dab 
Land unter Joſua 4450 v. Chr. eroberten und nad) den Stämmen ihres Volkes in zwölf Bun» 
desftaaten theilten. Saul vereinigte diefelben in ein Königreich, da8 David burd, Eroberungen 
oft und ſüdwärts erweiterte ; doch blieb Phönizien (f. d.), der nördliche Streifen der Weſtküſte, 
in dem die verbrängten Kanaaniter fich behaupteten, unabhängig von den Debräern. Im J. 975 
v. Chr. zerfiel das Land in die beiden Reiche Ephraim (f. d.) und Juda. (S. Juden.) Nah 
dem Falle derfelben, 720 und 588 v. Chr., wurde es theil6 dem aſſyr., theild dem babylon. Reich 
einverleibt und mit dem Untergange biefes eine per. Satrapie. Die politifche und religiöfe Tren⸗ 
nung der unter Cyrus und Darius I. aus der Gefangenfchaft nach P. zurückkehrenden hebr. 
Colonien von den im Lande fich vorfindenden Mifchlingen aus Hebräern und Heiden, den Sa⸗ 
maritanern, begründete die Eintheilung, die zu den Zeiten Chrifti wie fhon unter ben Hasmo⸗ 
ndern galt. Das Land bieffeit bes Jordan wurde Judäa im mweitern Sinne genannt und um⸗ 
faßte die Provinzen Judäa oder das größere füdliche Gebiet, worin Serufalem (f. d.), Bethle 
hem (f. d.), Hebron und Zericho (ſ. d.) am Gebirge Juda, die Häfen Cäſarea und Joppe, jet 
Jaffa (f.d.),an der Küfte des Mittelmeers liegend, und ein Theil von Sdumda (f. Idumder) mit 
einbegriffen waren ; Samaria (f. Samariter) oder das Heinfte mittlere Gebiet, mit ben Städten 
Samaria und Sichem, jept Nablus, und dem Gebirge Ephraim oder Sfrael, auf dem der Berg 
Sarigim (f.d.) liegt, und Galiläa (f.d.), das nördliche und fruchtbarfte Gebiet, mit den Städten 
Tiberias (f. d.), Kapernaum (f. d.) und Bethfaida am See Genezareth, Megidbo, Nain, Naza⸗ 
reth (f. d.) und dem Flecken Kana (f. d.). Zu dem Lande jenfeit bes Jordan gehörten die Pro⸗ 
vinzen Peräa, die größte, füdliche, mit dem Gebirge Gilead, Baulonitis, öftlid vom See Bene 
zareth, Batanda, Auranitis (Hauran) und Trachonitis, die Heinfte im Norden. (&. Jeruſa⸗ 
lem.) Bol. K. von Raumer, „Paläftina” (3. Aufl., Lpz. 1850), befonders aber Robinfon, „P. 
umd die füdlich angrenzenden Länder“ (3 Bde, Halle 1841); Ritter, „Erblunde” (2. Aufl, 
Th. 15 und 16, Berl. 1851 — 52). \ 

aläftra, f. Oymnafium. 

alatinifcher Berg (mons Palatinus), nächſt dem Gapitolinifchen Berge der berühm⸗ 
tefte und hiſtoriſch merkwürdigſte unter den Hügeln Roms, erreichte ungefähr eine Höhe von 
160 F. über dem Meere und bildete ein unregelmäßiges Viereck, deſſen nordweſtlicher Abhang, 
Germalus oder Cermalus genannt, nach dem Eapitolin und der Tiber zu, ber norboftliche nad) 
dem Forum, ber füdöftliche nach dem Cälifchen Berg gerichtet, der fübweftliche durch das Thal 
des Circus vom Aventinus gefchieben war. Schon Evander (f. d.) follte hier fich niedergelafien 
und dem Pan die Grotte des Lupercal geweiht haben ; von feinem Sohn oder Enkel Pallas oder 
von dem arkadifchen Pallantium, woher er gekommen, leiteten Einige den Namen des Bergs 
ab, Andere von ber Pales oder von dem Namen einer alten Stadt der Aboriginer, Pa⸗ 
latium. Auf ihm hatte nad) der rom. Sage Romulus das ältefte Rom. gegründet, die Roma 
quanrata, nach der Form des Berge, und ed mit dem älteften Pomörium (f. d.) umzogen; an 
dem Germalus zeigte man den heiligen Feigenbaum (fcus ruminalis), unter welchem die an 
der Wölfin faugenden Zwillinge gefunden wurden, und die ſtroygedeckte Hütte (casa) des Ro- 
mulus; an dem nordöftlichen Abhange, in der Nähe der porta Mugionis, ftanden die alten Ver⸗ 
fammlungshäufer der Eurien (curine veteres) und der Tempel des Jupiter Stator, von Ro- 
mulus im Sabinerkriege gelobt. Auf dem Berge war ber aufgemauerte vieredige heilige Play, 
der felbft auch den Namen Roma quadrata trug, undein uraltes Heiligehum der Victoria ; 192 
v. Chr. wurde der Zempel der Cybele, der großen idäifchen Mutter, dort gebaut. Auf dem 
Palatinifchen Berge ftand das Haus Cicero's und das des Catilina, das prächtige des Marcus 
Scaurus und anderer angefehener Römer. Das des Hortenfins kaufte Auguſtus, erbaute es 


\ 


5.8 Melt —  . :  Valsıme 


wen zu feinem Wohnſit und in der Nähe ben Tempel bes Apollo 28v. Shr., mit ber berüger 
ten griech. und lat. Bibliothek. Auch Ziberius baute dort fich ein Haus ; aber erſt burch Ners 
ungebeuere Anlagen wurde der Privatbefig vom Palatinifchen Berge ausgefchloffen; feim 
domus aurea umfaßte nicht blos ihn, fonbern auch weithin die öftlichen Umgebungen ; Bespe 
fion befchränkte den Palaft wieder auf den Berg. Seit Ulerander Geverus hörte er au 
dauernde Refidenz ber Kaifer zu fein; aber fo mächtig war ber Rame Palatium, daß er ſich im 
Mittelalter fort al die Benennung Baiferlicher und fürftlicher Hofflätten erhielt, wie bemn das 
deutfche Pfalz (ſ. d.) daraus hervorging. 

Palatinus bezeichnet im Allgemeinen eigentlich Jeden, ber zum palatium, d. h. zum Laiferl, 
Hoflager, gehört, als Hof- oder Staatsbeamter. Im Beſondern aber verftand man barunte 
im byzant.röm. Reiche das gefammte unter dem comes sacrarum largilionum ftehende Per 
fonal, etwa entfprechend dem heutigen Reffort des Finanzminiſters; ferner auch wol die dem 
comes rerum privatarum ımtergebenen Beamten, welche die Verwaltung bed Ghateull- um 
Kronvermögens beforgten. Das Mittelalter begriff unter palatini ober paladini bie Vornch 
men des Reiche, die fich zunächft am Hofe des Königs aufhielten, alfo den höhern Adel und dk 
Verwalter ber oberften Staatdämter, unter denen ber conıes palatinus oder Pfalzgraf (f. d) 
eine beſonders einflußreihe Stellung einnahm. Die höchſte Bedeutung aber hatte biefer Jits 
in Ungarn, folange biefes feine alte eigenthümliche Verfaffung als felbftändiges Königreich be 
faß. Er bezeichnete hier den durch die Stände aus vier vom Könige vorgelhlagenen Gandibaten 
umd zwar feit König Matthias Corvinus auf Lebenszeit erwählten oberften Würdenträger bei 
Deich, ber zu gleicher Beit als gefeglicher Stellvertreter ded Könige und ald Mittler zwifdyen 
König und Reid) galt und faft alle die weitreichenden Befugnifie befaß, welche. fich aus dieſer 
Doppelftellung ableiten laffen. Die Würde erlofch ſtaatsrechtlich, als duch Kaifer Franz Je 
ferh's Octroyirung einer Reichöverfaffung für fümmtlihe Kronländer Ungarn zum BRange 
einer bloßen Provinz des centralifirten Hfireich herabſank (4. März 1849), und thatſächlich 
in Folge der Verordnung vom 10. Jan. 1853, welche die Behörden in Ungarn in gleicher Maik 
wie in ben übrigen Kronländern ordnete und dem Minifterium des Innern untergab. Seitden 
iſt die oberfte Berwaltungsbehörbe im Königreiche Ungarn wie in den übrigen Kronlaͤndern die 
Statthalterei und an ihrer Spige (ftatt des ehemaligen Palatinus) der Statthalter als Cini: 
und Wilitärgouverneur. 

Balembang, ein ehemaliges Königreich in dem füdlichen Teile der Nordoftfeite von-Eu 
matra (f. d.), war früher einer der mächtigften unter den unabhängigen Staaten diefer Infel. 
Im J. 1821 aber wurde der Sultan in Folge von Streitigkeiten, in die er mit den Holländerr 
gerierh, von diefen befiege und abgefegt. Seine Staaten wurden zu einer holl. Mefidentiszaft 
erflärt, bie zum Gouvernement Sumatra gehört und einen Flächeninhalt von etwa 520 UM. 
hat. Der intereffante Gebirgsdiftrict von Paffumah, der von Menfchen mit athletifchem Kor: 
perbau bewohnt wird, und das Rand der Redfchangs ftehen unter mehren Häuptlingen, die fru- 
ber die Oberherrfchaft des Sultans von P. anerkannten, jegt aber Vafallen der Holländer find, 
die ihrer Reſidentſchaft P. ein Areal von 2556, AM. mit 272000 E. geben, was freilich 
größtentheil6 nur ald nomineller Befig angefehen werden kann. Hauptftadt des Kandes ift Ya: 
lembang am Fluſſe Mufi oder Palembang, der unterhalb derfelben, nahdem er das Lan) 
ducchftrömt, in das Chinefifche Meer mündet. Sie ift auf Pfählen gebaut, hat 25000 — 
30000 ©. und treibt beträchtlichen Handel. Die merfwürdigften Gebäude find der Dalanı oder 
Dalaft des ehemaligen Sultans und die fteinerne Hauptmofcee. 

Palencia, im Alterthume Pallantia, die Hauptftadt der zum Königreich Leon gehörigen 
Provinz gleiches Namens in Spanien (81, AM. mit 180000 E.), am Carrion, der unmeit 
der Stadt mit bem großen Caftilifhen Kanal verbunden ift, gelegen, ift eine ummauerte, ziem- 
lich ſchöne, aber herabgefommene Stadt von goth. Bauart, ber Sig der Provinzialbehorden und 
eines Biſchofs, hat eine prachtvolle Kathedrale (San-Antolin), fünf Pfarrkirchen, eif Ktofter, 
einen bifchöflichen Palaft, zwei Hospitäler, 21 Armenhäufer, ein Collegium, ein bifchöftiches 
&eminar und zahlt 10550 E., welche Manufacturen in Zuc und andern Wollenzeugen, Hut 
machereien, Gerbereien und Waffenfabriten unterhalten, Weinbau und einigen Handel treiben 

Palermo, die Hauptftadt ded Königreichs Gicilien und der Intendanz gleiches Ne 
mens, an der Nordküfte, an einem einen Meerbufen amphitheatraliſch gelegen, der Sij 
bes Statthalterd und eines Erzbifchofs, ift fehr regelmäßig und zum Theil ſchön gebaut und 
wohlbefeftigt. Beſenders bemerkensiverth find der Schloßplap und der Plag Della Marins 
am Hafen, fowie die beiden Hauptftraßen Gaffaro oder Toledo und Macqueda, die fich in der 


- Baleftrina Yalekrina (Giovanni Pietro Misifio) 599 


Mitte der Stadt kreuzen ımb ein regelmäßiges Achteck, die Piazza Villena, bildert. Dabei fehle 
ed aber nicht an engen, frummen und dunkeln Gaffen, und viele Häufer haben noch ein gang 
maurifches Anfehen. Der fhone Hafen, in welchem jährlich über 500 fremde Schiffe einlaufen, 
wird durch zwei fefte Schlöffer befchügt und fteht in Dampfſchiffahrtsverbindung mit Meffina, 
Neapel, Malta, Marfeille. Die Zahlder Bewohner, ehedem 200000, beträgt jegt etma 180000. 
Zu den vorzüglichften Gebauben.gehören der königl. Palaſt, beftehend aus einem Compler von 
Bauwerken verfchiedener Jahrhunderte, ber Palaft des Erzbifchofs, das St.Clarenkloſter, das 
ehemalige Profeßhaus ber Zefuiten, die Domkirche Sta.⸗Roſalia, auch Madre-Chiefa genannt, 
in der die beiden Kaifer Heinrich VI. und Friedrich IL beigefegt find, das Rathhaus und das 
außerhalb der Stadt gelegene große Kapuzinerflofter, in deſſen unterirdifchen Bängen Mumien, 
die fich in diefen Räumen ohne Kunft conferviren, aufgeftellt find. Vortrefflich eingerichtet ift 
die Srrenanftalt. Die in P. 1594 geftiftete Univerfität hat eine Bibliochet von 30000 Bänden 
und zählte 1845 38 Lehrftühle und 865 Studirende. Zu ihr gehören eine Sternwarte, Müng 
ſammlung, ein botanifcher Garten u. ſ. w. Auch ifE P. der Sig einer Akademie der Wiſſen⸗ 
fhaften. Die Stadt unterhält Fabriken in Seidenzeug, Gold- und Silberwaaren, Eifengeräth- 
fchaften u. f. m. mehre Gerbereien und Wachsbleichen, Tiefert vortrefflihe Tiſchlerarbeiten, 
berühmte candirte Früchte und prachtvolle Producte der Steinfchleiferei, namentlich ſchöne, auß 
den verfchiedenartigften Marmorarten und Achaten zufammengefegte Zifchplatten. Auch ber 
Schiffbau wird gut betrieben. Der Handel ift größtentheils in den Händen ber Engländer, Ge⸗ 
nuejer und ber Kaufleute von Livorno und wird dur eine Bank und ein Hanbelögericht er⸗ 
leichtert. Auch wird hier jährlich eine Meffe, die Ehriftinenmeffe, gehalten. P. fendet die mei⸗ 
ften ſicil. Erzeugniffe, wie Weizen, Wein, DI, Südfrüchte, Manna u. f. w., an das Ausland 
und verforgt die Infel mit Specereien und Manufacrturwaaren. Die palermifche Seide wird in 
der Umgegend gewonnen und gewöhnlich roh verfendet. Unter ben zahlreichen intereffanten 
Punkten der Umgegend ift befonder6 bemerfenswerth ber am Norbweftende bes Golfs ſich erhe- 
bende Monte:-Pellegrino (Ercta bei ben Alten), ein 1960 8. hoher Feldberg aus grauem Kalte 
ftein ohne Baum und Straud. Ein mit großen Koften erbauter Weg führt über Bogen unb 
Pfeiler im Zickzack hinauf zu Kirche und Kloſter der heil. Rofalie, der Echugpatronin der Stadt, 
mit deren liegender Statue, welche am Fefte ber Heiligen, bem größten ber Palermitaner, von 
der Geiftlichkeit und dem Volke in einem domähnlichen, 70 F. langen, 30 F. breiten und 80 F. 
hohen Zriumphmagen durch die Stadt gezogen wird. Nachts ift dann Jllumination und Feuer⸗ 
werf und den Dom erhellen 20000 Wachskerzen. Am Fuße des Berge liegt das königl Luſtſchloß 
La Favorita. — P., das Panormus ber Alten, wurde von den Phöniziern angelegt und gehörte, 
Dann den Karthagern. Im erften Punifchen Kriege war hier die Hauptſtation der Flotte Kar» 
thagos, defferr Armee bafelbft auch ihr Winterlager hielt. Die Römer eroberten die Stadt und 
machten fie zur Colonie (Colonia Augusta Panormitanorun:). Später fiel fie an die Oftgothen, 
tam dann duch Belifar in die Hände ber Byzantiner, ward 835 von den Sarazenen erobert 
und nun der Sig ihres Oberftarthalters von BSicilien. Im 3.1072 eroberte der Normanne 
Robert Guiscard die Stadt; die fpätern Könige von Sicilien wurben ſtets in ihr gefalbt. Sie 
var deren Refiden, und die Hauptftadt ber Infel, beren Schidfale fie unter den Hohenftaufen, 
Tranzofen, Spaniern u. f. w. theilte. (S. Sieilien.) Die Stadt wurde wiederholt durch Erb- 
beben bedeutend erfhüttert und beſchädigt; fo 1693, 1. Sept. 1726 und 5. Mär; 1823. Im 
3.1799 mußte Ferdinand IV. vor den Franzofen von Neapel aus hierher fliehen und refidirte 
hier mit kurzer Unterbrechimg bis 1815. Im 3.1820 brach dafelbft ein Aufftand gegen bie 
Conſtitution von Neapel aus, warb aber durch die Neapolitaner unterdrüdt, wie aud) die wegen 
der furchtbaren Verheerungen der Cholera 1836 erfolgte Erhebung des Volkes. Im Sept. 1847 
begannen zu P. die Unruhen und Demonftrationen gegen bie bisherigen politifchen Zuftände. 
Am 12. Fan. 1848 brach der offene Aufftand gegen die Regierung los. Die königl. Truppen 
begannen am 13. das Bombardement vom Fort St.-Elmo aus. Bereits Anfang Februar 
mußten fie jedoch die Forts räumen, welche nun vom Volke demolirt wurden. Am 25. März 
ward zu P. das ſicil. Parlament eröffnet. Am 7. Mat 1849 erhob fi) das Volk gegen die ge» 
mäßigte Partei, welche im Begriff mar, die Stadt an die königl. Xruppen zu übergeben, welche 
15. Mai einrückten. Am 19. Dec. 1850 wurde die Univerfität wieder eröffnet, die während 
der Unruben geichloffen worden war. 
aleſtrina, ſ. Praͤneſte. 

—A (Giovanni Pietro Aloiſio oder Pierluigi da), der berühmteſte Meiſter der alten 

rõm. Muſikſchule, geb. 1524 zu Paleſtrina, dem alten Präneſte, daher auch il Prenestino ge» 


h- 


nannt, werde in früher Jugend nach Rom geſchickt, wo. ex bis 1540 als Chorknabe angefich 
war, und ſtudirte fpäter Die Muſik unter Glaube Goudimel Sein Gehie erhob ihn in kurze 
Zeit zu dem Range eines der erfien Tonfeger, und durch ihn wurde eine Hauptreform in ber Kir- 
chenmuſik hervorgebracht. Es war damals die Mufik in Künftelei und bergeflalt ausgeartet, baf 
einige Bäter des Tridentinifchen Concils fie aus der Kirche verbannt ober grünblich verbeffert 
verlangten. P. erhielt 1565 von den dazu berufenen Gardinälen den Auftrag, componirte dra 
worunter bieMissa papae Maroelli die berühmtefte iſt, und die Muſik blieb in der Kirche. 
. Gr murde 1555 Sänger an ber päpfllichen Kapelle, als verebelicht aber wieder entlaflen und 
hierauf an San- Giovanni in Laterano angeftellt. Im 3. 1564 wurde. er Kapellmeifter von 
Sta.⸗Maria Maggiore und. 1571 bei San-Pierro. Diefer Periode haben wir ben größten Zeil 
feiner Meifterwerke zu verbanten. Sein Stil, alla Palestrina genannt, fiegte über bie vlämkfike 
Schule, vie damals durch ganz Europa in Anſehen fand. Er ſtarb 2. Sehr. 1594 und wurd 
» in ber Peterskirche beerdigt. Noch jegt werben feine Werke in Italien oft vorgetragen, jo ne 
mentlich zu Rom alljährlich in der Siptinifchen Kapelle fein achtflimmiger Geſang „Fratres 
ego enim accepi” nebft dem „Stabat mater” und den „Improperien“. “Die meiften feiner 
Werke liegen als Manufcript im Archiv ber Peterskirche, nur einige find gebrudt, doch hat 
Baini eine Geſammtausgabe berfelben vorbereitet. Vgl. Baini, „Memorie storiche della via 
e delle opere di Giov. Pierluigi da P.” (2 Bde. Rom 1828; deutfch von Kiefewetter, Ep 
41854, und im Auszuge von Winterfeld, Brest. 1832). 
Balette oder Palette heißt die dünne, ovale Scheibe von Holz, Elfenbein, Porzellan u. [.m- 
worauf die Farben gefept und nach dem jedesmaligen Bedürfniffe fogleich vom Maler während 
der Arbeit gemifcht werden. Man fagt, ein Gemälde verrathe bie —* um bie Wahl ober 
Miſchung der Farben zu tadeln, al6 ob der Künſtler dabei mehr feine Palette als Die barzufel- 
leiden Gegenflände 7 Rathe gezogen... | 
‚Yalfly von Erdöd, ein weitverzweigtes fürfliches umd gräflich ungar. Udelögefchleit, 
welches feinen Urfprung auf den Grafen Konrad von Altenburg zurüdführt, ber 1028 als Ge⸗ 
ſandter des Kaiſers Konad II. nad) Ungarn gefommen fein fol.. Schon im 12. Jahrh. theilte 
ſich fein Stamm in die Gefchlechter Konth und Herbervar; Paul IL, ber Sohn von Paulus 
Konth, nahm zuerfi den Namen Palffy (d.i. Paulsfohn) an, umd deffen Urenkel, Paul TIL, fügte 
nach feiner Verheirathung mit Clara von Eferna, der Erbtochter des Geſchlechts Erdöd, den 
Namen des legtern noch dem feinigen bei. Der eigentliche Begründer der Größe Des Hauſes 
wurbe Nikolaus IL, geb. 1552, der jüngfte Enkel Paul's III., welcher fid) in den Kriegen gegen 
bie Türken auszeichnete und 1600 ftarb. Sein Sohn Stephan IL, welcher fich ben Beinamen 
des Türkenſchreckers erwarb, fämpfte tapfer und feinem Könige treu gegen Bethlen Gabor und 
wurde 1654 in den Grafenftand erhoben. — Nikolaus IIL, Sohn des Vorigen, geb. 1654, 
geft. 1679, hinterließ zwei Söhne, Nikolaus IV. und Sohann IV., durch welche das Geſchlecht 
in zwei Hauptlinien zerfiel. Der ältere, nitolaitifche Aft fpaltete ſich 1720 bei dem Tode Lec- 
pold's I. abermals in drei Zweige. 1) Der ältere derfelben, geftiftet von Nikolaus VIII, wurde 
1807 unter Joſeph Franz P., geb. 1764, geft. 1827, in den Reichsfürſtenſtand erhoben. Ge- 
genwärtiges Haupt dieſes Zweige ift der Sohn des Kegtgenannten, Fürſt Anton Karl P. geb- 
26. Bebr. 1795, von 1821 —28 öſtr. Gefandter an den königl. großherzogl. und herzogl. ſächſ 
Söten. 2) Der mittlere Zweig wurde geftiftet von Graf Leopold P. geb. 1716, feit 1760 
exalfeldmarſchall, feit 1765 commandirenber General in Ungarn, geft. 9. April 1773. Ge 
genwärtiges Haupt diefes Aftes ift Graf Ferdinand Leopold P., geb. 2. Dec. 1807. 5) Der 
jüngere Zweig wurde von Graf Rudolf P. geft. 1. April 1768, begründet, zerfiel aber durch 
beffen Söhne Johann (geft. 22. Febr. 1794) und Rudolf (geft. 29. März 1802) in zwei Ab⸗ 
tbeilungen. Haupt ber erftern, fowie Senior des Haufes ift Graf Johann Karl P., geb. 27. 
Juli 1776; Haupt der zweiten Graf Joſeph P., geb. 15. Nov. 1810. Bon den Obheimen bei 
Leptgenannten ift Graf Johann Karl P., geb. 7. Zuni 1797, Feldmarfchallieutenant; Graf 
Aloys P., geb. 26. Juni 1801, war bis 1848 Gouverneur von Venedig. An ber Spige det 
jungern oder Johann'ſchen Hauptlinie des Hauſes fieht Graf Iohann Franz P. geb. 12. Aug. 
1829, Sohn des Grafen Franz Aloys Meinhard P., geb. 22. Juni 1780, geft. 44. Nov. 
1852. De Ahnherr derfelben, Graf Johann IV. P., geb. 1659, kämpfte ald Parteigänger 
im kurpfälz. Exrbfolgekriege, wohnte dann dem Feldzuge am Rheine bei, beftand 1695 gegen 
Billard bei Mainz ein heftiges Gefecht, nahm 1701 —2 unter Prinz Eugen an den Felbzügen 
in Stalien Theil und focht dann in Deutfchland. Im 3.1704 ward er-Banus von Kroatien, 
Dalmatien und Slawonien, commandicte hierauf gegen die Dalcontenten in Ungarn, gewann 


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Palffy Bali , 01 


1709 das Treffen bei Schemnig und eroberte 1710 Neuhäufel. Zum Feldmarſchall ernannt,. 
bewirkte er 1711 die vollftändige Pacification Ungarns. Später fampfte er unter Prinz Eugen 
mit Auszeichnung gegen bie Türken. An dem Türkenkriege von 1757 Eonnte er ſeines vorge 
rücten Alters wegen nicht mehr Theil nehmen. Im 3.1741 zum Generalcemmandanten in 
Ungarn ernannt, unterftügte er kräftig Maria Therefia, der er mit Begeifterung zugethan blieb. 
Er ftarb 1751. Sein Sohn, Graf Paul Karl M. P., war ebenfalls ein ausgezeichneter Mili- 
tär, wurde 1754 Generalfeldmarſchall und flarb 1774. 

Palffy (Albert), geiftvoller ungar. Publicifi, geb. 1813 zu Großwardein im biharer Eomi- 
tate, machte feine juridiichen Studien in feinem Geburtsorte und in Debreczin und kam 1842 
zur Erlangung des Advocatenbiploms nad) Pefth, befaßte ſich aber hier faſt ausfchlieflich mit 
franz. Xiteraturftudien und Schriftftellerei. Sein erfter Roman „Egy magyar millionair” 
(2 Bde., Peſth 1845) fand zwar nur geringen Anklang ; ein zweiter Roman, „Fekete könyo” 
(2 Bbde., Peſth 1847), zeigte jedoch von bedeutendem Fortfchritt, ebenfo die Novellen, welche P 
im „Divatlop‘ und in ben „Eletk&pek” veröffentlichte und die durch elegante Sprache, treffliche 
Erfindungsgabe und mufterhafte Eharakterzeichnung zu den beften derartigen Erzeugnifien ber 
ungar. kiteratur gehören. Seit 1847 beim „Pesti Hirlap” angeftellt und dadurch der politifchen 
ZTageöpreffe näher gebraucht, gründete P. zwei Tage nach dem Ausbruche der Märgbewegung 
von 1848 ein eigenes Tageblatt unter dem Titel „Marczius lizenötödike” („Der 15. März’), 
das raſch zum Evangelium ber radicalen Jugend, bald auch im Lande allgemein verbreitet und 
auf den Verlauf der ungar. Revolution von fehr bedeutendem Einfluffe wurde. Strenge Kritik 
gegen alle Halbheit und Nachläffigkeit, ſchonungsloſes Angreifen misliebiger Perfönlichkeiten, 
eine populäre und dabei doch elegante Sprache, franz. Leichtigkeit des Ausdrucks, gepaart mit 
engl. Humor und magyar. Derbheit, bildeten die Hauptelemense diefes vom Anfang an zum 
offenen Bruche mit Oftreich und den monarchiſchen Inftitutionen dDrängenden Blattes. Als bie 
Regierung im Winter 1848— 49 aud auf diefem Punkte angelangt war, fand fie an P. 
einen umermüdlichen Vertheidiger und Förderer ihrer Beftrebungen und befleibete denſelben 
auch mit einem Amte. Da jebod nach der Einnahme DOfens die Thätigkeit der Negierung er⸗ 
ſchlaffte, nahm P. feine alte Oppofition mit erneuerter Heftigkeit auf, in Folge beffen Szemere 
Ende Juli 1849 das Blatt confisciren und den Redacteur verhaften ließ. Exft in Szegebin 
wurde derfelbe wieder freigelaffen, ift jedoch feitdem verſchollen. Seine Freunde haben die von 
ihm in Peſth zurücdgelaffenen Arbeiten unter dem Zitel „Egy földörfutö tätrahagyott novel- 
lai’ (2 Bde., Peſth 1850) herausgegeben. 

Dali ift der Name der heiligen Sprache der Buddhiften, der fo viel als Mafftab, maßge⸗ 
bende Sprache bedeutet. Das Pali ift mit dem Sanskrit in grammiatifchen Bildungen und 
Wortvorrath am nächften verwandt, nur viel weicher und marflofer; es verhält fich zu diefem 
wie Niederdeutfch zu Hochdeutſch. Die urfprünglihe Heimat diefer Sprache ift die Provinz 
Magadha im nördlichen Indien, wo der Sage nad) Buddha geboren wurde. Frübzeitig wurde 
das Pali als Schriftfprache gebraucht und die älteften bis jegt bekannten Infchriften aus Indien 
find in Pali abgefaßt; durch die buddhiſtiſchen Miffionare wurde fie weit nach dem weſtlichen 
Aſien hin verbreitet, daher wir fie auch auf den indobaktriſchen Münzen und verwandten Dent- 
mälern der griech. Derrichaft im Innern Afiens finden. Durch die gewaltfame Vernichtung des 
Buddhismus in Indien erlofch das Pali als lebende Sprache; nur die in ihm zahlreich abgefaß« 
ten Bücher wurden von ben fliehenden Prieftern gerettet nach Eeylon, Birma und Siam Hin, 
wo nun durch Jahrhunderte die Kenntniß dieſer Sprache traditionell erhalten wurde. Vgl. Laſ⸗ 
fen und Bournouf, „Essai sur le Pali, ou langue sacr&e de la presqu’ile au-delä du Gange” 
(Par.1826); Clough, „A compendious Pali grammar with acopious vocabulary” (Colombo 
1824). Die Paliliteratur umfaßt alle Zweige des ind. Wiffens ; hauptſächlich aber ift es die 
Religion und Philofophie des Buddhismus, ſowie das Leben der budbhiftifchen Heiligen, die in 
biefer Sprache vielfach, bearbeitet worden find. Der fehr voluminofe Kanon ber heiligen Schrife 
ten zerfällt in drei Theile (pittaka), von denen der erſte die Werke über Liturgie, religiofen 
Gultus u. f. w., der zweite die Werke über Moral, Dogmatik, Gefegkunde u. ſ. w, ber britte 
vermifchte Abhandlungen über Metaphyſik, Heilige Legenden u. f. w. unfaßt. Im Ganzen ift 
davon bi jegt wenig herausgegeben worden; bahin gehören „Kammaväkya, liber de officiis 
sacerdotum Buddhicorum” (herausgeg. von Spiegel, Bonn 1841) und „Anecdota Palica” 
(ebenfalls von Spiegel, Lpz. 1845), einzelne Legenden und eine Beine metaphyſiſche Abhand« 
lung enthaltend. Außerdem befigt die Paliliteratur einige hiſtoriſche Schriften von nicht unbe 
beutendem Werthe. Die wichtigfte derfelben iſt der „Mahävansa” von Mahändına thera, eine 


08 Palikaren | Palinodie 
Gronik von Ceylon von den früheſten Zeiten bis zur Zeit des Verfaſſers (452 n. Chr.) herab; 
von verfchtebenen Verfaſſern ift dann das Berk fortgefegt worden bie 1756. Die Herausgabe 
deſſelben mit engl. Überfegimg begann Turnour (Bb.1, Candy 1837). Die reichften Sammlm- 
gen von Palihandfchriften finden fich in London, Paris und Kopenhagen. Bgl. Meftergaard, 
„‚Catalogus codicum manuscriptorum Indicorum bibliothecae Havniensis” (Kopenh. 1846). 

Palikaren hießen in der Türkei die griech. oder albanefifchen Söldner, die in albanefifcher 
Tracht ‚mit einer langen türk. Flinte, zwei Piftolen und einem Handſchar oder fangen Dolch 
bewaffnet, unter eigenen Kapitanys bald ben türk. Paſchas dienten, bald auf eigene Fauſt ein 
täuberifches Kriegerieben führten und identiſch mit den Urmatolen (ſ. d.) find." Sept belegt man 
bie unregelmäßigen Truppen im Königreich Griechenland, welche bie obenerwähnte Tracht und 
Uusrüftung beibehalten haben, mit diefem Namen. | 

alillðgie (griech.) heißt in ber Rhetorik bie nachdrucksvolle Wiederholung eines Wortes 

zu Unfang bes Satzes. (S. audy Epizeuris.) | 

Balimpfeften, codices rescripti, d. h. wieder überfchriebene Handſchriften, Haben in ber 
neueften Zeit durch bie glücklichen Erfolge der Beftrebumgen Angelo Mai’ (f. d.), den Intheit 
der unfprünglichen Schrift zu erforfchen, die Aufmerffamteit der Gelehrten fehr lebhaft auf fid 


"gezogen, und man barf hoffen, Daß noch mandje Trümmer ber alten Literatur fich finden werden, 


die fo dem großen Schiffbruche entgangen find.. Bei der Theuerung bes Schreibmaterials muf- 
ten die Alten ſehr bald darauf kommen, bereits gebrauchtes Pergament oder Ägypt. Papier noch 
- ein mal brauchbar zu machen. Der auswifhende Schwamm war ſchon zu des Auguftus Zeiten 
nicht unbekannt. Pergament konnte man abkratzen ımb ein eigeries —8 (rasorium) 
gehörte‘ zu dem Apparate ber Übfchreiber. Das fo abgelchabte Pergament wurde dann mit 
Bimsftein abgerieben, um bequemer darauf fehreiben zu können. Glücklicherweiſe iſt bie ur 
ſpruͤngliche Schrift oft fo leſerlich geblieben, daß fie dem bloßen Auge noch fichtbar erfcheint 
ober wenigſtens Durch Nachhũlfe chemifcher Mittel wieder deutlich hervortritt. Da die Abſchrei⸗ 
bet des Mittelalters, wo der Bedarf des Schreibmaterials, megen der häufigen Nachfrage nad 
EChorbüchern, Miffalen u. ſ. w., fühlbar wurde, das urfprünglich große Pergament oftmals um- 
brachen, fo findet ſich bie neuere Schrift zumellen über bie alte-quer hinweglaufend, Tobaf Die 
“ Alten und neuen Zeilen ſich kreuzen, oder daß man bie alte Schrift auf den Kopf ftellre. Doc 
bie auf diefe Weiſe erhaltenen Fragmente der claffifchen Literatur chienen die Mühe der Gewin⸗ 
nung nicht zu lohnen, bis Angelo Mai die Gelehrten eined Beffern überzeugte. Wenn diefer 
ı Gelehrte in Auffindung von Palimpfeften amı glüdlichften war, fo erflärt fich die aus dem 
Umftande, daß in Stalien am meiften unter allen Ländern referibirt wurde, mas in Deutfhland 
am wenigften gefchah, daher auch deutfche Palimpfeften unter die großern Seltenheiten gehö⸗ 
ren. (S. Manuferipte.) Unter die feltenern Fälle fcheint e& gerechnet werden zu müffen, baf 
man auf ehemals befchriebened und gereinigtes Pergament auch drudte. Einen foldyen Pa- 
limpſeſtendruck befigt die wolfenbütteler Bibliothek in der Jenfon’fchen Ausgabe ber „Consti- 
tutiones Clementinae‘ von 1476. 

Balindrömon (griedh.), im fpätern Katein versus cancrinus, nennt man einen rückwärts⸗ 
Laufenden oder folchen Vers, welcher vorwärts und rückwärts gelefen diefelben Worte und mit: 
bin auch denfelben Sinn zuläßt, wie den bekannten Hegameter, den man dem Teufel in den 
Mund legt: Signa te, signa, temere me tangis et angis, d. h.: Kreuze dich, kreuze Dich nur, du 
berührſt und quälft mich vergebens. Palindrom hingegen heißt ein Räthfel über ein Wort, roel- 
ches vor⸗ und rüdwärts gelefen eine zerfchiedene Bedeutung hat, wie „Negen” und „Neger“, 
„Gras“ und „Sarg“. . 

Palingenẽſie (griech.), d. i. Wiedergeburt, nennt man vornehmlich die Übergänge, die im 
Reich der Infekten wahrgenommen werden, indem ein Infekt, z. B. bie Raupe, liege u. ſ. m, 
in einer vollig veränderten Geſtalt wiedererfcheint. Diejenigen, welche ein periodiiches Entftehen 
und Wiedervergehen ber Welt annahmen, verftanden unter Palingenefie ebenfalls das letztere. 
Die Theologen bezeichnen damit häufig theild die Auferftehung der Menfchen, theils die foge 
nannte Apofataftafe oder die Wiederbringung eine® urfprünglichen, durch den Fall verloren ge 
gangenen Zuftandes der Dinge. Die Moraltheologen insbefondere verftehen unter Palingeneftt 
die geiftige Wiedergeburt oder Beflerung des Menſchen. 

Palinodie (lat. palinodia) nannten die Alten den Widerruf eine® Gefangs oder Gedicht, 
in welchem man gegen Jemanden Schimpfliches ımd Entehrendes geäußert hatte. Berühmt 
war bie „Palinodie auf die Helena” des griech. Dichters Stefichorus (f. d.), der, nachdem er we 
gen feiner Schmähungen gegen die Helena in einem frühern Gedichte mit Erblindung beftraft 


Palinurus Paliſſot de Montenoy 603 


worden war, durch diefen Widerruf, der Sage nach, fein Augenlicht wiedererhielt. In fpäterer 
Zeit gebrauchte man, felbft in der Rechtöfpracdhe, den Ausdrud Palinodie überhaupt für den 
Widerruf von Beleidigungen und Kränkungen, die man gegen Jemanden gefprochen oder ge» 
fchrieben hatte, und „eine Palinodie fingen” heißt daher ſcherzweiſe fo viel ale „widerrufen“. 

Palinũrus, der Steuermann des Aneas auf feiner Fahrt nad) Italien, ein Zchn des Ja⸗ 
fus, wurde, der Sage nach, von dem Bott des Schlafs mit täufchender Gewalt eingefchläfert unb 
in das Meer geftürzt. Äneas fah den verlorenen Gefährten wieder, als die Schatten der Unter 
welt vor feiner Angen vorübergingen, und P. erzählte ihm, wie er fid) zwar aus dem Waſſer 
gereftet habe, aber an der Küfte des unteen Stalien von den Lucanern erfchlagen worden fei. 
As die Lucaner fpäter von einer Peft heimgefucht wurden, errichteten fie dem P., einem Orakel 
zufolge, ein Ehrenbegräbniß, um feine Manen zu verfühnen, und weihten ihm einen heiligen 
Hain. Nach ihm erhielt das Balinurifche Worgebirge den Namen. 

Paliſſaden heißen behauene oder unbehauene, 8-12 Zoll ftarte Hölzer, welche einige Fuß 
tief in die Erde gegraben, meift 6—8 $. über den Boden hervorragend, beftimmt find, dem 
Vordringen des Feindes ein Hinderniß entgegenzufegen. Um nicht von weiten durch Geſchütz⸗ 
feuer zerftört zu werden, müffen fie fo angelegt fein, daß fie nicht von außen gefehen werben 
konnen, daher gewöhnlich hinter der Bruſtwehr des Glacis, auf ber Grabenfohle oder auf ber 
Berme. Ihre Befeitigung kann feitend des Feindes durch Sprengen mit Pulver, durch Aus⸗ 
wuchten oder Umhauen gefhehen. Um dies zu verhindern, müffen fie von der Seite beftrichen 
fein. Häufig werben fie felbft in ihren Zwifchenräumen mit Scharten für das Feine Gewehr 
verfehen, beſonders wenn fie hinten offene Werke verfchließen, Abfchnitte bilden oder Zugänge 
vertheidigen follen. Bilden fiedabei einen vollig gefchloffenen Raum, fonennt man fie Tonnbaue. 
Werden fie in horizontaler oder ſtark geneigter Rage auf ber Berme oder an der Gontrescarpe 
eingegraben, fo erhalten fie den Namen Sturmpfähle. 

Paliſſanderholz heißt das Holy eines brafilianifchen Baumes, welches in Scheiten und 
Klögen zu und gebracht wird und frifch eine graubraune Farbe mit dunklern Adern hat, an ber 
Luft aber allmälig dunkler, braunroth-violett wird und einen eigenthüimlichen Geruch, befigt. 
Es ift wegen feiner Härte und Dichtigkeit fehr gefhägt und wird von Inftrumentenmahern 
und Zifchlern zu feinern Arbeiten verwendet. 

Paliſſot de Montenoy (Charles), franz. Dichter und Literat, geb. zu Nancy 3. Jun. 
1750, trat nad) vollendeten Studien und nachdem er fich bereits in feinem 16. 3. einen akade⸗ 
mifchen Grad in der theologifchen Facultät erworben hatte, in die Congregation ber Näter bes 
Dratoriums, verließ aber den Orden wieder noch vor feiner Weihung und befchloß, fich ber Kite» 
teratur zu widmen. Er fehrieb zwei Tragödien, von denen jedoch nur bie eine, „Ninus“, mit 
einigem Beifall aufgeführt wurde. Jetzt wählte er das Luſtſpiel, und feine Stüde „Les tu- 
teurs“ und „Le barbier de Bagdad” fanden günftige Aufnahme. Allgemeiner wurbe fein 
Name feit 1755 bekannt, wo König Staniflam zu Nancy ihm das bei ber Einweihung ber 
Denkfäule Ludwig's XV. aufzuführende Theaterftüc übertrug. P. fchrieb zu diefem Behufe 
nächſt einem allegorifchen Vorfpiel ein fatirifhes Schubladenftüd (piece ä tiroir) „Le cercla”, 
worin er das Innere ber literarifchen Goterien, das Treiben überfchägter Poeten, anmaßender 
Gönner, gelehrter Frauen u. |. w. höchſt ergöglich ſchilderte. Das Ganze war eine Garicatur, 
und höchſt unangemeffen mußte ed erfcheinen, daß er den damals aufgetretenen J. J. Rouffeau 
in dem Stüde mit auf die Bühne brachte und von ihm ein wahres Fragenbild entwarf. Die 
Sache hatte für P. die unangenehniften Folgen, da die ganze Gefellfhaft der Encyklopädiften 
ſich von nun an gegen ihn wendete und König Staniſlaw ihm feine Gunft entzog. Unter der 
Maſſe Derer, die nun die pobelhafteften Schmähſchriften gegen P. erfcheinen ließen, zeichnete 
ſich namentlich Morellet (f.d.) aus; auch P. blieb feinerfeits nicht müßig. Zuerft ſchrieb er feine 
„Petites lettres contre de grands philosophes“, dann ließ er feine Komödie „Les philoso- 
phes“ (4769) aufführen. Die Wuth der Philofophen gegen P., die in diefer Komödie hart mit- 
genommen und nad) Voltaire's Ausdrud als Leute dargeftellt werden, die im Tafchenbiebftahl 
unterrichten, erreichte nun den höchften Grad; merkwürdig genug bewies Voltaire in feinen 
Briefen an den verwegenen Satiriker eine ſonſt ungewohnte Mäßigung. Einen dritten Angriff 
gegen die falfche Aufklärung ber Zeit, über die übrigens P. keineswegs hinaus war, machte er 
in dem faririfchen Epos „La Dunciade” (2Bde., Par. 1764), dem es weder an treffendem Wig 
noch an beifender Satire, wol aber an ausdauerndem Intereffe fehlt. Sprache, Verſification 
und Diction find bei P. untadelhaft ; aber die Erfindung und die Gedanken bleiben in Bereiche 
des Mittelmäßigen. Werth haben jegt nur noch feine „Memoires pour servir a Ühistoire de la 


ur vali valiadi⸗ 
Uu⸗roaturo frangaise” @ Bde. Dar. 1769; zulegt 18135), obgleich fie in ihrer 
dem Standpunkte der gegenwärtigen Kririk keineswegs genügen. Geichägt iſt gr Uutgahe 
ber Werke Boltaire's (1789). Die Revolution raubte ihm den größten Theil feine Vermögens. 
er eine Zeit lang im Rathe ber Alten geſeſſen lebte er auf einem Gütchen zu Pautia 
und im Palais de Mazarin, wo er al6 Vorficher der Mazarin ſchen Bibliothek eine 
gun Din Mit ungelbwächten Geiftesfräften erreichte er ein hohes Alter und ftarb 15. Juni 1814 
Werke erfchienen in ſechs Bänden (War. 1809). 
aliffy (Bernard de), einer ber vielfeitigften Klnfter des 16. Jahrh, war zu Ynfange 
ben in Saintonge ober in. Agen als Sohn eines Landmanns geboren und lernte das Te 
pferhandwerk. Allmälig eignete er fi ſchöne mechaniſche und chemiſche Kenntnifje an mb 
trat num als einer der vorzüglichften Thonbilbner und Glasſmaler auf. Nach 20jähriger Un 
firengung errang er ſich den Titel eines fabricateur des rusliques fgulines du roi et de la 
reine möre. Als ftandhafter Hugenott erlitt er er Ipäter ſchwere Verfolgungen unb fol aud 
1589 im Gefängniffe geflorben fein. Seine berühmteften Sfasgemälde (früher im Schloſſe 
Ecouen bei Paris) enthalten bie Babel der Pſyche nach Rafael; feine Heinen Thonarbeiten fie 
ben außer allem Preife. Die Ornamente und Arabesken an allen feinen Werken gehören zu 
dem Bierlichften, was die Renaiffance gefchaffen hat, Seine wenigen Schriften beziehen fich auf 
Duellen und Brunnengrabung. 
alitzſch (Ich. Georg), ein durch feine aftronomifhen Kenntniffe berühmter Bauer, ber 
in feinen Nebenftunden ſich als Autodidakt ‚erfolgreich mit den ‚Naturwiffenfchaften, namentlid 
mit Aſtronomie, Phyſik und Botanik befchäftigte, aber dabei ein fchlichter Ranbmanırblizb, war 
14. Juni 1732 zu Prohlis bei Dresden geboren. Bekannt wurde er dadurch, daf er 25. Dir. 
1758 ben erwarteten Halley’fchen Kometen zuerft und faft einen Monat früher als irgend einer 
der ängftlich wartenden Aftronomen gefehen hatte. Geitdem erhielt er Häufig Befuche von frem- 
den Gelehrten und hohen Perfonen.. Auch bemerkte er um 1782, gleichzeitig mit Goodrick, be 
periodiſche Veränderlichkeit des Sterns Algol im, Perfeus. Gt ftarb 1786. 
Palla hieß bei den Römern bas gewöhnlich wollene, in ber fpätern Zeit wol auch feidene, 
fe, bisweilen geſtickte, bei Leichentrauer ſchwarze, weite Obergemanb der Frauen, das beim 
—* über die untere Tunica (f. d.) und Stola (f. d.) geworfen wurde. Die Palla war 
für die Frauen Das, was für die Männer die Toga (f. d.), und wurde in ähnlicher Weiſe wie 
diefe umgeworfen, bald kürzer, bald länger herabhängend, doch fo, daß fie nicht ſchleppte. Mit 
. dem von Palla abgeleiteten Worte Pallium (f. d.) bezeichneten bie Nömer jeden weiten Um- 
twurf, namentlich auch die griech. Chläna, und da die Schaufpieler in Stüden, die aus dem Grie- 
chiſchen entlehnt waren, ſolche trugen, entftand für derartige Stüde, zu benen die des Plautus 
und Terenz gehören, der Name fabula oder comoedia palliata, im Gegenfag derer von echt rom. 
Inhalt, der fabulae togatae. 

Palladio (Andrea), ein berühmter Baumeifter, geb. 30.Nov. 1518 zu Vicenza von armen 
Altern, befchäftigte fich anfangs mit Bildhauerei, bis der berühmte Zriffino, der feine Neigung 
zur Mathematik wahrgenommen hatte, ihn niit. fih nach Nom nahm. Hier fludirte und zeich⸗ 
nete er die alten Denkmäler, und fein Werk über die Alterthümer Roms, wie unvolltommen «6 
auch ift, beweift doch, daß er den Geift der Alten wohl ergründet hatte. Vorzüglich fchägt man 
fein Werk über die Architektur (befte Ausg., 4 Bde, Vicenza 1776— 83). Er ftarb 19. Ang. 
41580 ald Baumeifter der Nepublit Venedig. P. gehörte zu den Meiftern, die im 16. Jahrh. 
durch das Studium der Werke der rom. Baukunft eine neuere Periode der Baukunſt hervor- 
braten. Unter mehren Prachtgebäuben, die nach feinen Zeichnungen und unter feiner Leitung 
aufgeführt wurden, ift das Theater degli Dlimpici, womit er feine Vaterſtadt zierte, einer der 
glängendften Beweiſe feines großen Talents. Auch verdankt ihm Venedig mehre feiner ſchönſten 
Gebäude, 5. B. das Refectorium von San-Giorgio Maggiore und die durch das Ebenmaß aller 
ihrer Theile und die Einfachheit ihrer Verzierungen mit Recht berühmte Kirche gleiches Namens. 
Zu Meſtre in der treviſaniſchen Mark ſieht man von ihm den prächtigen Palaſt Barbaro. Ebenſo 
haben Udine, Feltre, Padua und die umliegende Gegend mehre Denkmale feiner Kunſt aufzu⸗ 
- weifen. Die meiften feiner Werke befi it Vicenza felbft, wo Jedermann, der e6 irgend aufwenden 
fonnte, einen Palaft oder wenigftens ein Haus von feiner Erfindung befigen wollte. Die ausge 
zeichnetſten dieſer Bauten ſind die Paläſte Tiane, de Porti, Valmarana und die von ihm mit einer 
prächtigen Doppelordnung umbaute Baſilica (ein großer öffentlicher Saal), nebſt zahlloſen 
Häuſern, Villen u. ſ. w. Dasjenige Privatgebäude, worin er am freieſten feiner Infpiration 
folgen konnte, ift die berühmte Billa Capra bei Padua. P. iſt vermöge der reihen und graw 


\ 


= 


Palladium (Bi) Pallas (Pet. Simon) B08 


diofen Eonception feiner Formen und der originellen Anordnung des Raums einer ber erfien 
Architekten, die je gelebt haben. Immer ſchwebte ihm die eble und majeftätifche Einfalt bes Al⸗ 
terthbums vor Augen, weshalb auch Algarotti ihn den Rafael unter den Baumeiftern nennt. 
Im Einzelnen find jedoch feine Werke keineswegs muftergültig, obfchon fie die fpätern Epochen 
der Baukunſt faft vollig beherrfcht haben. Man tabelt beſonders bie übermäßige Anwendung 
gekuppelter Halbfäulen, die unreine Korn feiner borifhen Ordnung u. bgl. Jedenfalls aber iſt 
fein Stil noch claffifch und rein im Vergleich mit ber fpätern allgemeinen Vermwilderung der 
Architektur. Eine neue Ausgabe feiner Werke beforgten Chapuy und Beugnot (Par. 1827). 
Bol. Temanza, „Vita di A. P.” (Vened. 1763) ; Magrint, „Memorie intorno la vita e le opere 
di A.P.” (Padua 1846). 

Palladium nannte man im Alterthume ein Bild der Pallas, das als Unterpfand ber öf⸗ 
fentlichen Wohlfahrt im Verborgenen aufbewahrt wurde. Befonders berühmt war das troifche 
Palladium, von dem Apollodor Folgendes erzählt. Athene kämpfte einft mit Pallas, der Todh- . 
ter des Triton. In dem Augenblid, wo Erftere verwundet worben wäre, mifchte fich Zeus in den 
Kampf und hielt ihr die Agis vor. Pallas erfchraf darüber, wurde babei von Athene verwun⸗ 
det und ſtarb. Aus Trauer hierüber ließ Athene ein Bild derfelben verfertigen, legte dieſem bie 
Agis um und ftellte es neben das Bild des Zeus. Als zu demfelben fpäter die von Zeus ente 
ehrte Elektra ihre Zuflucht nahm, warf e8 Athene auf die Erde nach Ilion, wo ihm Ilos ein 
Heiligehum errichtete. Das Bild war drei Ellen hoch, hatte in ber Rechten eine Banze, in der 
Linken Spindel und Roden. Bon ihm war der Sage nach Ilion's Fall abhängig. Deshalb 
entwendeten es Odyſſeus und Diomebes. Mehre Städte behaupteten fpäter baffelbe zu befigen, 
fo Athen und Argos. In Rom glaubte man, daß es ſich im Tempel der Vefta befinde, wo es 
fo Heilig bewahrt wurbe, daß es nicht einmal der Pontifer Marimus fehen durfte. Heliogabalus 
fol es in feinen Sonnentempel verfegt haben. Alle Palladien, die e8 gab, waren aus Holz ge 
ſchnitzt und von alterthümlichem Anſehen. Die Füße waren nicht getrennt, die Augen durch 
Striche bezeichnet; fpäter gab man ihnen eine ſchreitende Stellung mit wenig geöffneten Augen. 

Palladium ift ein 1803 von Wollafton im gediegenen Platin entdecktes Metall, in welchem 
es von „—1 Proc. enthalten ift. Faſt rein findet es fich in Beinen Körnern im brafil. Platin 
fande vor. Es gleicht in feinen Eigenfchaften fehr dem Platin; es ift faft ebenfo ftrengflüffig 
als diefes, läßt fich aber leichter fchweißen. Die Farbe ift Der des Platins ähnlich, aber etwas 
weißer ; es ift auch etwas weicher und gefchmeidiger. Sein fpec. Gewicht iſt 11,23 11,0. Beim 
Erhigen läuft es bläulich an. Es löſt ſich in Salpeterfäure und in Königswaſſer. Trodnet 
man Sobtinctur auf Palladium ein, fo entfteht ein ſchwarzer Fleck; Platin Hingegen wird nicht 
angegriffen, ſodaß die Jodtinctur ein einfaches Mittel abgibt, um Palladium vom Platin zu 
unterfcheiden. Den Palladiumbdraht hat man zum Befeftigen künſtlicher Zähne benugt; eine 
Löfung von Palladiumfalz benugt man in der analgtifchen Chemie als Reagens auf Job. 

Palladius (Rutilius Taurus Amilianus), ein fpäterer rom. Schriftfteller, der wahrfchein- 
lich im 4. Jahrh..n. Chr. unter Valentinianus und Theodoſius lebte, ſchrieb ein Werk „De re 
rustica” oder „Über den Landbau” in 14 Büchern, wovon daß legte Buch in Diſtichen verfaßt 
ift. Daſſelbe Hat zwar in fprachlicher Binficht manche Mängel, war ader feines Inhalte wegen, 
da es einen ziemlich vollftändigen Wirthſchafts kalender enthält, für feine Zeit fehr brauchbar 
und wurde daher noch im Mittelalter häufig gelefen und vielfady benugt. Die befte Bearbeitung 
tieferte 3. G. Schneider in den „Scriptores rei rusticae veteres Latini” (Bd. 3, Xpz. 1795). 
— Bekannt find außerdem aus der fpätern griech. Ziteraturgefchichte Paladins, Bilchof von, 
Helenopolis in Bithynien, ein Freund des Ehryfoftomus, geb. 367 n. Chr. in Galatien, geſt. 
um 430 n. Chr., Verfaffer einer Gefchichte der Einfiedler, die den Titel „Historia Lausiaca” 
führt, weil fie auf Befehl des Laufus, Statthalter von Kappadocien, von ihm gefchrieben 
wurde, herausgegeben von Meurfius (Xeyb. 1616); und Palladius, ein berühmter Behrer ber 
Arzneitunde zu Antiochia, wahrfcheinlich im 7. Jahrh. n. Ehr., welcher außer einem Commen⸗ 
tar zu ben Werken des Hippokrates eine Schrift „De febribus“ ober „Über die Fieber” verfaßt 
hat, die von Bernard am beften bearbeitet worden ift (Zeyb. 1745). 

alla ift ber griech. Name der Minerva (f. d.). 

alas (Pet. Simon), ruff. Reifender und Naturforfcher, geb. zu Berlin 1741, Sohn 
eines Arztes, ftudirte Arzneitunde, Naturwiffenfchaften und Naturgefchichte und ging dann nach 
Leyden, wo er ſich burch Ordnung ber prächtigen Naturalienfammlung des Erbftatthalters große 
Kenntniffe in der naturhiftorifchen Mufeographie erwarb. Nachdem er auch England befudht 
hatte, wurde er zur Anordnung ähnlicher Sammlungen vielfach gebraucht und dadurch in den 





"Pu 
„Blenchus zoophytorum" (‚Haag 1766; beutfch von 











. 
u Se „scellanea zoologica” 1766) kerauszugeben. Dan 
h — fing hier an, fine — uf Sehe f fortgefegten 


Bert. 1767— 1804) zu veröffentlichen. Inzwifdendem gan 
i Gelehrten 


ung wiffenfihaftlche 
ine Sirung. P.trat diefe Reife 21. Juni 1768 im Begleitung von Efete 
an, Er burchforfchte zuerft das uralifche Gebirge, die Gegend cm 
Se Steppe der Kirgifen, dann öftfich vom Ural das Altaiſche Bebirge und 
ie Wacıta. Hierauf wendete er ſich zurũck über Kranojart, Tomst, Tara 
oe die Steppe zwifchen dem Jaik und der. Molga und die Gegend zu beiden 
en Belga, worauf: er nach einer fech6jährigen Abweſenheit 30. Juli 1774 nah 
kehrte. Den außerordentlich reihen Schat feiner Beobachtungen Tegte an 
⸗ iedene Provinzen bes rufſ. Reich in ben 3.1768— 73 (3 Bde, Veterid. 
Fey nieder. Hieram reihen fich „Sammlung hiſtoriſcher Rachtichten über die mongel. 
(2 Bde., Veteröb. 1776— 1802) und „Reue nordiſche Leine zur phufilalie 
a rgraphifhen Erd · und Völkerbefchreibung, Naturgefchichte und: mie” (6 Bir, 
1781— 95). Die großartigen Sammlungen, bie P. außerdem mitbrachte, bilden den 
Sb alademifhen Mufeums zu Petersburg. P. war bereits 1777 Mitglied eines top 
Ausihuffes zur Ausmeffung und volftändigen Topographie des ruff. Meichs und 
* Eollegienrath geworben. Er hatte die Botanik inzwiſchen meht und mehr zu feinem Lieb 
gemacht, für Die er raſtlos dis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts bie verfchiebenen | 
jen des ungeheuern Reichs durchforſchte. Die prächtige „Flora Rossica” (Petertb. | 
AT84— 88), Deren Fortſehung aber unterbrochen wurde, war bie erfle Ftucht dieſer botaniſchen 
Monderungen. Nebenbei blieb kein Theil der Natur · und Menſchenkunde von ihm umbenditet. 
Dieb beweiſen unter Anberm feine trefflichen „Icones insectorum praecipue Rossiae Sibi- 
Baacus peculiarium“ (2 Abth., Er. 1781—83), bie er 1806 fortfegte, und feine Beiträge zu 
dem Vloſſarium aller Sprachen im ruff. Reiche, das er unter dem Titel „Linguarum tofius or- 
bis vocabularia Augustissimae (Catharinae Il.) cura collecta” (2 Bde. Peterob. 1786—89; 
2. Aufl, A Bde, 1790—91) herausgab. Er wurde 1785 ordentliches Mitglied der kaiferl. 
Atademie der Wiffenfhaften und 1787 Hiftoriograph des Admiralitätscollegiums. Da er in 
Taurien zu leben wünfchte, fo fchenkte ihm die Kaiferin mehre Güter in bem fruchtbarften füd- 
lichen Theile der Halbinfel, und feit 1796 lebte nun’P. zu Simferopol mit einem reichlichen 
Auslommen. Als eine Frucht feiner legten Reife, die er mit Geisler aus Leipzig 1793 nach dem 
ſüdlichen Rußland, befonders Taurien unternahm, find bie vortrefflichen „Bemerfungen auf ci« 
ner Reife durch die füdlichen Statthalterfchaften des ruff. Reichs in den 3.1795— 94” (2 Bde. 
29.1799, mit Atlas) zu betrachten. Der Aufenthalt in Taurien aber war P. durch bie Geic- 
loſigkeit der Tataren verleidet worden. Rad) bem Tode feiner Gattin reifte er mit feiner Tod- 
ter zu feinem ältern Bruder, welcher Doctor der Medicin war, nad) Berlin, mo er 8. ept. 
1811 ſtarb und einen Theil feiner koſtbaren Sammlungen der dafigen Univerfität vermadhte. 
Aus der großen Zahl feiner Schriften find noch hervorzuheben „Species astragalorum” 
(14 Hefte, Rpz. 18004). 
Palliativ, abgeleitet von pallium, d. i. Mantel oder Hülle, nennt man vorzugs weiſe Das, 
womit man irgend ein Übel in feinen zunächft in die Augen fallenden Außerungen zu mildern 
Jucht, ohne die Grundurſache deſſelben zu heben. Beſonders häufig wird dieſes Wort in der 
ärztlichen Sprache angewendet. Palliatinmittel, b. . Linderungsmittel, dienen in unzähligen 
Fällen, wo der Arzt entweder bie Krankheit gar nicht erfennen oder in ihrem (zum Heil ober 
Unheil des Patienten gereichenden) Verlaufe durch feine Kunft doch nichts Weſentliches abän- 
been kann. Als Yalliativa benugt man hauptfächlich die narkotifchen Mittel (f. d.), namentlich 
Opium und fogenannte Präparate (Morphium u. f. w.), Belladonna, Bilfenfraut, Schier- 
ling u. ſ. w., nächftbem die Anäfthetica (f. d.), nämlich Chloroform, Ather und andere mehr; 
außerdem nad Umftänden Kälte (Eis), Wärme, Drud und eine Menge anderer theils körner- 
lich, theild auf den Geift wirfender Mittel. 

Pallium, abgeleitet von Palla (f. d.), hieß der wollene Mantel, den feit dem 4. Jahrh. im 
Driente alle Bifchöfe bei ihrer Weihe empfingen. Erſt um das 3. 500 fingen die Päpfte an. 
daſſelbe abenbländ. Biſchöfen zu ertheilen, um die Verbindung: derfelben mit dem röm. Stuble 
da verfinnbilden. Häufiger wurde diefe Grtheilung unter Gregor I. und zivar nicht blos an Me 


Palm (Mah) | Palm (Joh. Phil.) 697 


txopoliten, fondern auch an einfache Bifchofe; auch fchlich ſich dabei ſchon früh eine Taxe ein, 
die jedoch Gregor misbilligte. Mit dem Auftauchen der Pfeudo-Ffidorifchen Fdeen fing man in 
Kom auch an, die Metropolitengewalt von dem Enıpfange bes Palliums abzuleiten und an 
ihn die Foderung zu fnüpfen, bem päpftlihen Stuhle Gehorſam zu geloben. Kraft eines Be 
fchluffes der vierten Synode im Lateran unter Innocenz Ill. (1215) ift der Empfang des Pal 
ums zur Ausübung des erzbifgöflihen Amts abfolut nothiwendig. Obſchon noch Papfl 
Zacharias es für cine Verleumdung erklärte, daß fih der parftliche Stuhl die Ertheilung des 
Yalliums als einer Gabe, die ihm von der Gnade des Heiligen Geiſtes verliehen fei, bezahlen 
laſſe, bildete fich die Praris doc) dahin aus, daß das Pallium nur gegen eine Taze, die oft bis 
zu 50000 Gldn. ftieg, verliehen wurde. Das Eoncil von Bafel fchaffte zwar die Palliengelder 
ab, aber der päpftliche Stuhl führte fie wieder ein. Seit dem 12. Jahrh. befteht das Pallium 
in einem drei bis vier Finger breiten weißwollenen Kragen, der über ben priefterlichen Ornat 
um die Schultern getragen wird. Ein Streifen hängt über ben Rüden, ber andere etwas län⸗ 
gere über die Bruft; beide find mit einem rothen Kreuze bezeichnet. Diefer ebenfo einfache als 
koftbare Schmud wird durch Die Ronnen im Klofter St.-Agnes zu Rom aus der Wolle jährlich 
21. Sau. gemweihter Schafe gefertigt und mit Dem, ber ihn erhalten, begraben. Vgl. Pertfch, 
„De origine, usu et auctoritale pallii archiepiscopalis” (Helmft. 1754). 

Palm, ein Rängenmaß in verfchiedenen Ländern von fehr abweichender Größe. Zum Theil 
dient der Palm zum Meffen des Umfangs der Schiffömaften und anderer runder Hölzer, wie in 
Hamburg, wo er — '/, $. oder 4 hamb. Zoll, und jn Amfterdam, wo ber Rund-Palm== '/s al- 
ter F, der Diameter-Palm (für den Durchmefler der Maften) — 0,04 Metre. In den Nie- 
berlanden und dem Rombardifch - Venetianifchen Königreiche ift Palmo ber Name des Deci⸗ 
metre (— "in Wette). In mehren ifal. Staaten und einigen Gegenden Spaniens ift, wie vor» 
mals im füdlihen Frankreich, der Palmo (franz. Pan) eine Unterabtheilung des Ellenmaßes 
und meift = '/ Canna, wie bie Elle felbft aber von verfchiedener Größe. In Spanien ift.ber 
Palmo mayor (große Palm) = / caftilian. Vara oder 9 Zoll, der Palmo menor (Heiner Palm) 
oder Palmo de Ribeira —= 4 Palmo mayor oder 3 Zoll. In Portugal ift ber Palmo de Cra- 
veiro (die Spanne Maß) die Einheit der Längenmaße und 8 Zoll — 0,» Mitre, ber Palmo de 
Craveiro avantejado (gute Maß) — 8"), Zoll, der Palmo da Junta = 0,91 Palmo de Cra- 
veiro — 0,00 Metre. — Im alten Rom war die Palma ober ber Palmus minor (fleiner 
Palm) = A $., da8 Palmum oder der Palmus (Spithama, Dodrans) — . Fu. 

Palm (Joh. Phil.), Buchhändler zu Nürnberg, ein Opfer ber franz. Juſtiz in Deutſch⸗ 
land, war zu Schombdorf 1766 geboren. Er hatte in Erlangen bei feinem Dheim, Job. Jak. 
Palm, den Buchhandel gelernt, nachher die Tochter des Buchhändlers Stein zu Nürnberg ge- 
heirathet und war fo Inhaber der Stein’ihen Buchhandlung dafelbft geworben, deren Firma 
er beibehielt. Im Frühjahre 1806 verfendete dieſe Handlung die Flugſchrift „Deutfchland in 
feiner tiefften Erniedrigung”, welche, im Ganzen gehaltlos, bittere Wahrheiten über Napoleon 
und das Betragen der franz. Truppen in Baiern in einer berben Sprache enthielt, an die Sta⸗ 
ge'ſche Buchhandlung in Augsburg, jedoch, wie P. bis zum legten Augenblick feines Lebens 
behauptete, blos ald einen dem Inhalte nady ihm ganz unbekannten Speditionsartitel. Don der 
augsburger Handlung erhielt fie als Neuigkeit ein Geiftlicher, bei welchem franz. Offiziere im 
Duartier waren, welche Deutich verftanden und über den Inhalt der Schrift ihren Unwillen 
äußerten. Napoleon’6 auswärtige Polizei hatte es fehr bald ausgelundfchaftet, daß die Flug⸗ 
ſchrift durch die Stein’fhe Buchhandlung nad) Augsburg verfendet worden fei. P. verlangte 
unter diefen Umftänden felbft bei der nürnbergifchen Buchhandlungsbehörde eine gerichtliche 
Unterfuchung; doch ging man auf feinen Antrag nicht ein. Dagegen dauerten die Nachforſchun⸗ 
gen von München aus, 100 ſich der franz. Gefandte Otto befand, fort. P. war in München, als 
ihm feine Gattin meldete, daß vier Fremde in feinem Gefchäfte nad) jener Slugfchrift gefragt, 
Alles durchſucht und, ba fie nichts gefunden, fich entfernt hätten. P. beruhigte fie und fam nad) 
Nürnberg zurüd. Wahrfcheinlich war er der Verhaftung in München dadurch entgangen, daf 
fein Name nicht mit der Firma feiner Buchhandlung zufammenftinmte. Er hätte Zeit genug 
gehabt, ſich zu flüchten, allein er that es nicht. Als er jeboch hörte, daß der augsburger Buch⸗ 
händler verhaftet fei, begab er fih von Nümberg, das noch von franz. Truppen befept war, 
nach der damals preuß. Stadt Erlangen. Nach wenig Tagen jedoch trieb ihn die Sorge für 
feine Familie nach Nürnberg zurüd, wo er ſich indeß nicht öffentlich fehen ließ. Da erſchien ein 
armer Knabe im Buchladen mit einem Zeugniß angefehener Männer und verlangte Almofen 
für eine Soldatenwitwe. Er drang darauf, P. felbft zu ſprechen. Der arglofe P. lieh ihn zu 


BB. . Yale (Exakt) - Ä 
fiıh Tommen und chellte ihen eine Gabe mit. Kaum Hatte ſich ber junge Bettler entfernt, fo-me 
ten zwei franz. Sendarmen, die durch biefen Kunſigriff P. Überrafchten, in den Buchladen 
drangen in 9.5 Zimmer und führten ihn mit ſich zum franz» General. Er wurde über bie Ping 
ſchrift befragt und fagte aus, was er noch in ber Stunde feines Todes betheuerte, daß fie m 
von einer fremden Buchhandlung ohne Benennung zur weitern Spedition nach Buchhaͤndien 
gebrauch in verfchloffenen Packeten zugefenbet werben fei. Da er nicht angeben wollte, weher. 
er fle erhalten, fo wurbe er fefigenommen und Tags barauf nach Ansbach zum Marſchall Berne 
dotte gebracht. pie ſchlug man ihm das verlangte Gehör ab. Der Adjutant des Warfgai 
erflärte, P.'s Berbaftung gründe fich auf einen unmittelbaren Befehl von Paris, unbes 
wurde derfelbe nun nach Braunau gebracht, welches die Franzofen noch nicht an 
egeben hatten. Auf eine Vorfiellung feiner Gattin bei dem Marſchall Berthier erfolgte ber 
cheid, daß nichts mehr zu thun ſei. Der Proceß wurbe fo beeift, daf das auferorpentfide 
Eriegsgericht ſchon 26. Aug., nachdem P. in zwei Berhören feine Unſchuld bargethan zu Haben 
glaubte und feine Loslaffung erwartete, das Tobesurthell ausſprach. Für P. hatte, ungeachtet 
das Urtheil Dies behauptete, Bein Bertheidiger gefprochen, da ber von ihm erbetene nidht erfähle 
nen war umd das Kriegsgericht ihm einen zu geben nicht für nöthig gefunden. Ein Dolmetſcha 
leitete Die Verhöre. P. war bei feiner erfien Behauptung ſtandhaft geblieben; auch fand fi ia 
der ihm zur Laſt gelegten Schrift Fein Aufruf zum Aufruhr oder Meuchelmorde. Er glaubte 
baber, ald man 26. Aug. Halb 11 Uhr Mittags feinen Kerker öffnete, man werbe ibm fein 
Freilaſſung anfündigen. Statt deffen murbe ihm das Todesurtheil vorgelefen, welches ned 
benfelben Tag um 2 Uhr vollzogen werden follte. Bergebens wurde ber General &t.- Hllake 
von ben braumauer Frauen und Kindern um Auffchub angefleht. Der Kaifer allein, hieß eb, 
konne begnabigen, wenn er zugegen wäre. Diefer habe das Todesurtheil ausgefprochen und bie 
wnauffchiebbare Vollziehung anbefohlen. Indeß haben angefehene franz. Offtziere erklärt, baf 
nicht Rapoleon, fondern daß Berthier der Urheber dieſes Juſtizmordes geweien ſei. So Rech 
P. als Märtyrer. Engländer fleuerten für die Familie des Gemordeten; in Petersburg trugen 
ſelbſt der Kaifer und die Katferin-MRutter zu einer Sammlung bei und e Städte, wie Be» 
lin, Leipzig, Dresden, Hamburg und Dorpat, thaten Daffelbe. Vgl. „Biographie Joh. Pu 

2. (Münd. 1842). 

Palma oder Ciudad de los Palmas, die Hauptſtadt der fpan. Infel Mallorca (f.d.), hat 
einer Provinz den Namen gegeben, welche bie Balearen (ſ. d.) und Pityufen (Iviza und For 
mentera) umfaßt und auf 82’; AM. 240000 ©. zählt. — Palma, eine der zu Spanien ge 
börigen Ganarifchen Infeln (f. d.), hat ein Areal von 15, AM. und 38000 E, ift fehr bergig 
und enthält im Innern nächſt Teneriffa die höchften Bergfpisen ber Infelgruppe, den Pico de 
los Muchachos, 7082 F., den Pico be la Cruz, 7082, und den Pico bel Cedro, 6805 &. Hoch, welche 
bie Caldiera be Taburiente umgeben, einen ungeheuern erlofchenen Krater von etwa zwei Stum- 
den Durchmeſſer und einer Tiefe von beinahe 1000 Klafter, einen ber für das Studium der vul 
kaniſchen Phänomene merfwürdigften Punkte der Erde. Nach allen Richtungen ziehen ſich enge, 
4—500 $. tief eingefchnittene Schluchten oder Barrancos gegen die Küftenränder, die fteil und 
wenig zugänglich find. Die Infel ifl, außer in Süden, gut bemwäffert, hat audy mehre warme 
mineralifche Heilquellen, einen durchweg aus zerfegtem vulfanifchen Geftein gebildeten und be 
ſonders im Norden außerordentlich fruchtbaren Boden. Derfelbe ift befonders für den Weinbau 
günftig ; doch wird Agricultur nur ſchwach betrieben. P. befigt vor den übrigen Canarien 
Reichthum an ftarfen, für ben Schiffbau geeigneten Waldbäumen. Die Einwohner produciren 
außer vielem zu Branntwein deftillirten Bein nur etwas Zuder und einige Seidenfloffe. Die 
Nindviehzucht ift vernachläffigt, während Ziegen im Übermaf gehalten werden. Die Haupt 
ftadt Santa-Eruz de Palma, mit 5—6000 E., hat eine geräumige fihere Rhede und Schifft⸗ 
werfte und trieb einft blühenden Handel nach Amerika. Die Stabt Los Llanos mit 7000 &, 
in fehr fruchtbarer Gegend, treibt anfehnliche Seidenmweberei und Töpferei. — Balmanuove, 
ein Städtchen in der. venetian. Provinz Udine ober Friaul, am Kanal La Noja, mit einer nad 
Bauban’s Plan erbauten Feftung, Sig einer Prätur und eines Feftungscommanbos, bat eine 
ſchöne Haupt- und drei andere Kirchen, ein Hoßpital, ein Lazareth, eine ſtarke Kaferne, große 
Kafematten, ein Feines Theater, eine ſchöne Wafferleitung und ein Seidenftlatorium. Die Fe 
ſtung P.s wurde 1595 von ber Republit Venedig gegen die würten und den Kaifer gebaut, 
aber bis in die neuefte Zeit nie belagert. Im I. 1797 wurde fie den Oftreichern freiwillig über 
geben, die fie 1805 ohne Vertheidigumg liefen; im März 1848 erklärte fie fi) für die ital. Be 












t 






Yalma (Biacomo) Balmblad 608 


wegung, wies 18. April Nugent's Auffoderung zur Übergabe zuxück, warb hiernach vom Be 
neral Schwarzenberg blodirt und ergab fi 25. Juni 1848 den Oftreidjern. 

Palma (Siacomo), il vecchio, einer der berlihmteften Maler des 16. Jahrh., wurde wahr» 
Kheinlich ummeit Bergamo nady 1510 geboren und ftarb nach 1560. Anfangs folgte er dem 
Stile des Giovanni Bellini, fpäter jedoch ſchloß er fi der folgenden größerh Generation der 
venet. Maler an. Den Tizian ahmte er vorzüglich in der Milde, den Biorgione in der Leb⸗ 
baftigkeit der Farben nad, ohne jedoch feine Vorbilder an Kraft der Erfindung und des Aus⸗ 
brucks zu erreichen, während er an Lieblichkeit und Süßigkeit, zumal feiner Frauen- und Kim 
berföpfe, unter den Denetianern feinesgleichen fucht. Sein Colorit ift überaus wahr und flat 
umb feine Zeichnung fehr forgfältig, dabei aber doch fcheinbar leicht ausgeführt. Eins feiner 
berühmteften Gemälde, bie heil. Barbara, findet fidy neben andern in Venedig; außerdem be 
figen Gemälde von ihm die Galerien zu Wien, Münden, Berlinu.f.w. Auch in Bildniffen 
war er höchſt ausgezeichnet. Seine Tochter Violanta, welche eine außgezeichnete Schönheit 
war, wurde von ihm und andern Häuptern der venet. Schule öfter portraitirt und als Modell 
benugt. — Palma (Giacomo), Palmelta oder il giovane genannt, nach Einigen des Vorigen 
Neffe, geft. 1628, der unter Anberm das Weltgericht in dem Saale bed Scrutiniums zu 
aedig malte und ein Nachfolger Zintoretto’8 war, ſank früh zum handwerksmäßigen Schnell» 
maler herab und ift als Chorführer der Kumftentartung in Venedig übel berüchtigt, obwol ſich 
n feinen Werken noch Spuren großen Talents und zahlreiche ſchöne Einzelheiten finden. 

almarum, f. Palmfonntag. 

almblad (Wilhelm Fredrik), einer der verdienteften ſchwed. Schriftfteller, geb. 16. Der. 
1788 zu Liljeſted unmwelt Söderköping in Oftgothland, ber Sohn eines Steuereinnehmers, ber 
‚og 1806 die Univerfität zu Upfala, wo er bald ein fehr thätiges Mitglieb der Gefellichaft der 
Freunde der ſchönen Wiffenfchaften wurbe, aus der 1807 der Aurorabund hervorging. Na» 
nentlich war es die Lectüre Schiller's geweſen, welche eine Ahnung von Poefie in feiner Seele 
rweckt hatte. Im J. 1810 kaufte er die atademifhe Buchdruderei und ließ fogleich den „Phos- 
»horos“, ber bi6 1813 fortgefegt wurde, dann feit 1812 den „Poetisk Kalender”, der bis 1822 
Yauerte, und feit 1813 die „Svensk Literaturtidende” erfcheinen, die 1824 gefchlofien wurde 
Diefe Blätter, an benen außer P. namentlich Hammarſtiöld und Atterbom thätig maren, haben 
inen entſcheidenden Einfluß auf die Entwidelung der ſchwed. Riteratur gehabt und weſentlich zu 
yem rafchen Siege der Romantik über die claffiiche Richtung beigetragen. Im 3. 1822 trat 9. 
ils Docent der vaterländifchen Geſchichte auf, worauf er 1827 als Adjunct für das Lehrfach der 
Beographie und Geſchichte an der upfalaer Univerfität angeftellt ward und 1855 eine ordent⸗ 
iche Profeffur der griech. Sprache und Literatur erhielt. Er farb 2. Sept. 1852. P. gehört 
‚u den fruchtbarſten Schriftftellern Schwedens. Eins feiner Hauptwerke ift dad unvollendete 
‚Handbok i physiska och politiska Geographien” (Bd. 1—5, Upf. 1826— 37), welches ſich 
urch große Sorgfalt und Gründlichkeit auszeichnet und in Schweden noch unübertroffen dar 

teht. Einen Theil deffelben bildet „Palästina (Stockh. 1823 ; 3. Aufl., 1842). Von geogra » 
ohiſchen und Hiftorifchen Schriften find noch das -„Lärobok i geographien” (6. Aufl, Drebro 
1847), die „Minnestafla öfver Sveriges Regenter” (1831 ; 2.Aufl., 1840) und das „Lärobok 
nyare bistorien” (Üpf. 1832; 4. Aufl., 1843) in ihrem Vaterlande fehr geihägt und allge» 
nein verbreitet. Auch feine Hiftorifch-ftatiftifhe Beſchreibung des „Konungarikes Norrige” 
Upf. 1846 ; „Bihang”, 1847) hat allfeitige Anerkennung gefunden. Als Früchte feiner clafe 
ifchen Studien iſt außer den Überfegungen bes Äſchylus (Upf. 1845) und Sophokles (Upf. 
1841) noch die „Grekisk Formkunskab” (2 Bde., Upf. 1843 — 45) mit Auszeichnung zu 
nennen. Schon aus früherer Zeit hatten ſich P.s Novellen „Amala” und „Die Infel im 
See Dali” dauernden Beifall erworben; feine novelliftifchen Hauptarbeiten, wie „Familjen- 
Falkensvärd“ (2 Bde, Drebro 1844—45; deutſch von Metternich, 7 Thle., Stuttg. 1845— 
46) und vor allem „Aurora Königsmark” (6 Bde., Hrebro 1846— 51; deutfch, 6 Bbe., Rpz. 
1848 — 53), welche in feine fpätere Lebenszeit fallen, gehören zu den beften Erzeugniſſen diefer 
Gattung in der ſchwed. Literatur. Außerdem war ®. feit 1835 Redacteur des höchſt ſchätba⸗ 
ren „Biographiskt Lexicon öfver namnkunnige Swenska Män” (Bd. 1—20, Stockh. 1835 
— 52) und nahm erft ald Vicepräfes, dann, nad) Afzelius’ Tode, als Vorſteher des 1830 zu- 
fammengetretenen Literaturvereins den thätigften Antheil an den von legterm herausgegebe⸗ 
nen Seitfchriften „Swenska Litteratur-föreningens Tidning” (1833 — 38), „Skandia” (1833 
— 57) und „Mimer” (1839). Auch bearbeitete er viele Artikel für deutſche Werke, wie Erſch 

Sonn.ster. Zehnte Aufl. XI. . 39 


w. 
de Gonfüst xtug. Mit jeb. in 
ET a en ai 


die! 
Bayenne: „Rum, Ihr Portugiefen, woRt Spanier fein?” ein flolaes „Nein, 
5 Autwort gab. Er wohnte als —— a dem —— in Wien 
ven In Saris 1845 bei, unterzeichnete die Achtung urkunde genen Mapoleon md gig 
als Botſchafter nach London, werde aber fhon 4816 zum Etaatöfecretär für bie au 
jen Angelt In Braſilien ernannt. Im I. 1818 berhandelte er in Paris mit ie 
mbten bie Irrungen wegen der Räumung von Montevideo. Zur Zeit des Auzbrudl | 


olution in Portugal ftand der Braf P. als Hanpt an der Spipe der Regentichaft mi 
ala ſolches von der Junta den Auftrag, den König in Ntio-Saneito von Dem, mas we 
in Kenntuiß zu fegen. Rad) Aufhebung der Gonftitution von 1822 wurde er IB 
ifter der auswärtigen Angelegenheiten und Minlfterpräfibent, ſowie gieieyeite m 
‚Metquis von P. ernannt. Auf bes Könige Befehl entwarf eine Junta unter PS Vorfipar 
eohftitutionelle Eharte, die wegen Ihrer Breifinnigfeit vom Könige bei Seite gelegt menz | 
anufte und P. den Daß der en m des Generalifflmus ber Truppen, des Infanten Dem | 
foröie der apoſtoliſchen Funta und der fpan. Abfolutiften zuzog. Durch den 
welchen der frany. Minifter, Baron Hyde de Reuville, ind ber britiihe, Sir Ediw, Thom, 
jeder für die Zwecke ſeines Hofb, auf da6 politiſche Syſtem bes Tiffaboner Gabinets übten, Tim 
D. in eine ſchwierige Lage, weiche durch die Trennung Brafiliene von Portugal mod 
fer wurde. Auf Befehl Dom-Miguel's wurde er 50. April 1824 verhaftet. Johann VI. 
‚La inieber Infreibeit, verlich ihm aber nur das Dinifterlim des Auswärtigen, während 
erpräfident wurde. Seitbem ſchwankte das Gabinet wifchen dem Brit. 
San Piste un dem Frankreichs, bis 15. Jan. 1825 die Auflöfung des Minifteriums erfolgte 
Der Märqußs P. behielt Titel und Rang eines Ctaatöninifters umd ging ald Botfcyafter ns 
endon. Wis nad) dem Tode Johann‘ VN. eine Miniffrrialveränderung im Sinne der Gonb 
tutioneligefinmten eintrat, wurde 9. im Juni 1827 wieder ale Minifter berufen, zog eh ale 
-vor, auf feinem Befandtfchaftspoften zu bleiben. Erſt als Dom Miguel die Conftitutien ab 
«hob, legte auch P. fein Amt nieder und begab ſich 1828 zur Regentſchaft nach Dporte, nit ie 
er nad) England flüchten mußte. Hier tat er wieder, vom KaiferDom Pedro, dem Bermank 
der Königin Donna Maria da Gloria, dazu, ernannt, als deren Gefandter bei dem brit. hoh 
auf. Dom Miguel hatte ihn zwar 1829 als Hochverräther zum Zode verurtheilen umd fr] 
Bermögen einziehen laffen; um fo größeres Vertrauen erwarb er fich bei ben NWhige. Dee! 
Pedro ftellte ihn ſodann an die Spige der Regentfchaft auf Terceira, mo P. 15. März 1 
Iandete und mit Villaflor raſtlos für die Intereffen der jungen Königin wirkte. Au De) 
Pedro im März 1832 auf Terceira die Regierung im Namen feiner Tochter übernahm, e| 
nannte er P. zum Minifter des Auswärtigen und fendete ihn im Sept. 1832 als Borfäeie] 
nad) London, wo er mit vielem Erfolg der Migueliftifchen Partei entgegenarbeitete. Zwar] 
er im Anfange des 3. 1853 bei Dom Pedro in Ungnabde; doch fah diefer fehr bald feinen 
geiff ein. Im Frühling 1833 begab er fi nach Dporto und im Juni begleitete er die dp} 
dition unter dem Biceadmiral Napier nad) Algarbien, wo er an die Eipige der in Faro amk) 
teten Regentfchaft trat. In Folge des Siege am Gap &t.-Bincent über Dom Miguel’ Fe) 
30g er 24. Juli 1835 mit Billaflor in Liffabon ein, wo nun Dom Pedro die Regierung i 
Ramen feiner Tochter übernahm. P. trat nun von feinem hohen Poften ab und wurde p 
Pa von P. erhoben. Nach dem Tode Dom Pedro's beauftragte Ihn die Königin mit K 
ſidung eines neuen Minifteriums, deffen Präfident er wurde. Ais foldher fegte er ſehe mb 
tige Beichlüffe bei den Cortes von 1834 und 18355 durch, ungeachtet einer heftigen 
welche fein Gegner Saldanha leitete. Verleumdet und bedroht vermochte er dem Einfluß 
Camarilla gegenüber nicht zu hindern, daß 27. Mai 1835 eine Deränderung des Minifierie 
erfolgte, in melden er zwar das Auswärtige behielt, Saldanha aber Präfident wurde. $ 
Folge der Revolution vom 4. Nov. 1856 mußte P. in England ein Afgl ſuchen doch I 
er fehr bald wieder zurückkehren. Nach dem Sturze des Minifteriums Joſe Cabral im 8 
1846 trat ber Herzog von P. auf kurze Zeit ald Präftdent an die Cpige des Minifteriumih 
übernahm das Portefeuille der Finanzen, während die auswärtigen —— —— 
Marquis da Saldanha übertragen wurden. (S. Portugal). P. farb zuiffabon i2 De. Ik 


1 










Balmen 11 


Palmen bilden eine natürliche Familie von monofotylebonifchen Pflanzen, welche ſchlanke 
Bäume, feltener Sträucher barftellen, mit einem walzigen, gewöhnlid, aſtloſen und anfchnlichen 
Btamme, der nur felten ganz niedrig iſt, wie bei ber Zwergpalme, oder äftig wird, wie bei der 
Dumpalme, flet6 nur mit einer Zaſerwurzel verfehen ift, und welche eine endfländige prächtige 
Blätterfrone und Meine, unanfehnliche, aber äußerft zahlreiche Blüten tragen. Diefe großartige 
Bamilie verleiht der Vegetation ber Tropenländer fenen eigenthümlicyen Charakter, der jedes 
Reifenden Gemüth wunderbar ergreift, umd nicht mit Unrecht nannte Rinne die Palmen Fürften 
des Pflanzenreichs. Der Stamm der Palmen iſt im Innern weich, markig und nur im Umfange 
hart, holzig und entbehrt, da er aus zerftreuten "Befäßbündeln befteht, der Jahrringe. Die zer 
freuten Gefäßbündel erkennt man recht deutich auf dem Durchfchnitte verfleinerter Palmen- 
Rämme (der fogenannten Staarfteine). Außerlich zeigt ber Stamm die Spuren ber abgefalle 
en Blattſtiele in verfchiebenen Zeichnungen oder ift durch deren ftehen bleibenden Grund ſchup⸗ 


pig oder dornig. Bisweilen ift der Stamm rübenförmig, bei manchen Palmen in der Mitte 


yerdidt, und erreicht nicht felten eine bedeutende Hohe, wie bei ber Wadspalme (Ceroxylon 
ındicola), wo er 160-180 &. hoch wird, bei der wahren Dlpalme und bei den Draden- 
eottaug (Calamus Draco), bei welchem Legtern er gar 300 F. und darüber lang, aber nur etwa 
einen Zoll im Durchmeſſer did wird. Die Blätter find entweder gefiedert oder fächerformig 
und erreichen zum Theil eine riefenhafte Größe. Sie find an der Eocospalme 412—16 F. bei 
der Zuckerpalme 15—20 F. bei ber echten Sagopalme gar 20—24 F. lang, und bei der ges 
wöhnlichen Fächerpalme ift die Blattfläche allein 18 F. lang und 14%. breit. Die Blüten figen 
auf großen äftigen Stielen oder in Rispen, Sträußen u. f. w. in kaum glaublicher Menge. So 
trägt nach Humboldt der Stamm einer einzigen Ölpalme an 600000 Bfüten. Gemöhnlich ber 
Reben fie aus einem dreifpaltigen Kelche und einer dreiblätterigen Blume mit meiftens ſechs 
Staubgefäßen. Gemeiniglich find fie dikliniſch, ein oder zweihaͤuſig und oft auch polygamifch, 
ſodaß die Befruchtung hier hauptſächlich durch Wind und Infekten bewirkt wird. Die Früchte 
ind bald nur fo groß wie Erbfen oder Kirſchen, bald aber auch), ungeachtet der Kleinheit ber 
Blüten, von außerordentlichem Umfange, 3. B. an der echten Cocospalme von der Größe eines 
Menfchentopfs und bei der Gechellenpalme (Lodoicea Sechellarum) bis zu 1'% %. lang umd 
gegen 20 Pf. ſchwer. Botaniſch genommen ftellen die Früchte gewöhnlich dreifächerige oder durch 


Fehlſchlagen einfächerige Stemfrüchte, felten Beeren dar, bie im erftern Kalle öfters faftige, , 


— und genießbare Hüllen haben, wie die Dattel, die dattelartige Tannenpalme, die 
einbeerpalme, bie Baktris, die Dumpalme u. a., ſonſt aber mit einer holzigen oder baſt⸗ 
artigen Rinde überzogen find, wie bei der Eocospalme. Bis jegt kennt man gegen 300 Species 
von Palmen, die mit Ausnahme von etlichen vierzig nur awifchen den Wendekreiſen vorfommen; 
am zablreichiten finden fie fich in Südamerifa und im tropifchen Aſien und deffen Infeln. Eu- 
ropa befigt nur eine einzige wirklich wilde Palme, bie gemeine Swergpalme (Chamaerops hu- 
milis), bie in Dürren Gegenden um das Mittelmeer wachft und nur 5—6 F. hoch wird, baher 
Beinen Begriff von der impofanten Schönheit tropifcher Palmen geben kann. Die im füblichfteh 
Europe, wie in Spanien u. ſ. w., wachfende Battelpalme ift erft aus Afrita dahin ver 
pflanzt worden und alfo in unferm Welttheile nicht heimiſch. Manche Palmen bilden gefchlof- 
ſene Wälder, wie die fübamerit. Morichipalme (Mauritia flexuosa), andere wachfen vereinzelt, 
tinige in Sümpfen, andere auf dürrem, fandigem Wüftenboden. Wenige fleigen bis auf 8— 
BO00 $. Hohe Gebirge empor, wie bie von Humboldt entdedte Andenpalme. In der Geftalt 
bat die Palme meiftens etwas Mafeftätifches und bilder im Gemälde der Landſchaft einen fehr 
eigenthümlichen Zug, der dem im Norden Beborenen um fo mehr auffällt, je weniger bie Pflan- 
enwelt tälterer Klimate etwas den Palmen Vergleichbares aufzumweifen hat. Für biefenigen 
— * die noch auf niedrigerer Bildungsſtufe ſtehen und wenig Pflanzen anbauen, ſind die 
Palmen darum von fo großer Wichtigkeit, weil fie Die Mittel zur Befriedigung mehrfacher Be⸗ 
bürfniffe darbieten. Die Stämme liefern Material zum Bau ber Wohnung und zu verfchiebe- 
nen Gerätbfchaften; die gewaltigen Blätter liefern eine treffliche, dem Regen unb der Gorfne 
Lange widerftehende Bedachung, und auch die langen Dornen mancher Arten find zu benugen. 
Durch Abfchneiben der jungen Blütenkolben oder durch Einfchnitte in den Stamm erhält man 
einen moflartig fchmedenden Saft, ber ebenfo wie ber kalte Aufguß einiger beerentragenden 
Palmen mittels Gährung ein weinartiges Getränf gibt, ben Palmenwein. Aus der Frucht 
Hülle der in Guinea wachfenden Olpalme (Elais Guineensis) und ans ben Samenkernen meh⸗ 
zer anderer Palmen gewinnt man das in großen Mengen in den Handel fommenbe Palmendl, 


viel benugt mind. Yus bem 








am häufigfien vorfommende Drachenblut gewonnen, und ber Eaft ve Bude 
nga saccharifers), der Brenunpalme (Caryota), ber gemeinen me (Bo 
eingelocht. Die Stengel und Ufte de 





theils, wenn fie älter werben, befondere, fehr hohe und koſtſpielige Häuſer erfodern, übrig 
Husnahme ber niedrig bleibenden Arten Baum jemals blühen. Selbſt im wilden Zuftani 
fen fie ausgewachſen fein und daher 20 und mehre Jahre erreicht haben, bevor fie zum 
male Blüten treiben. Eine vollftändige Monographie dieſer Familie lieferte von Mar 
dem Prachtwerke „Genera et species palmarum” (3 Bde, Mund. 1825—45, mit 
lor. Tafeln, gr. Fol.). 

almenorden, |. Fruchtbringende Geſellſchaft. 

almerfton (Henry John Temple, Viscount), bekannter brit. Staatsmann, ift 2 
1784 geboren und ftammt aus der Familie bes berühmten Sir Will. Temple (f. d.), die 
17. Jahrh. in Irland niederließ. In Edinburg und Cambridge gebildet, trat P. fehr fı 
öffentliche Leben, machte fih [don 1805 im Unterhaufe bemerkli und ward bald in db 
waltung hereingezogen, an ber er als Staatsfecretär im Kriegsdepartement unter den I 
rien Perceval, Caftlereagh, Liverpool und Canning Theil nahm. Der Partei der Torie 
zähle und auch in ihrem Sinne thätig, neigte er erſt feit 1828 zu ben Reformern Hin, ſch 
enger an die Canning'ſche Richtung an, erklärte fih für die Katholitenemancipation ur 
allmälig, nachdem es ihm mislungen, fich zwiſchen ben ftreitenden Parteien zu halten, vı 
den Whigs über. Mic ihrer Gefchichte ift fortan P.'s Wirkfamkeit aufs innigfte verf 
Als im Nov. 1830 die Tories fielen, übernahm er in bem neuen Whigminifterium das a 
tige Departement, half die Reformbill durchfegen und veranlaßte in der auswärtigen 
Englands jene Wendung zu den conftitutionellen Staaten des Weftens, die fidy in der O 
pleallianz (ſ. d.), in der Unterflügung bes Nepräfentativfoftems auf der Pyrenäifchen Hi 
und ber Schlichtung der belg. Angelegenheiten fundgab. Die Thätigkeit der brit. Pol 
Drient, erft die Gegenwirkung gegen den ruff. Einfluß, dann der Julivertrag von 1840 ; 
terwerfung Mehemed ⸗ Ali's, mar ebenfalls zum großen Theil fein Werk. In allen dieft 
bältniffen, wie aud in den Streitigkeiten in Canada, dem Kriege mit China u. f. w. fta 
auswärtige Politik Durch ihre zugreifende Raſchheit, aber auch ihren Trotz unb ihre oft 
ſchaftliche Unftetigkeit ſichtbar ab von ben bedächtigen Überlieferungen feiner toryſtiſche 
gänger. Als im Herbſt 1841 die Whigs ben Tories weichen mußten, ward auch P.’8 pı 


Balmfonutag Yalnyra 68 


Thätigkeit auf fein Wirken im Unterhaufe beſchränkt, mo er als ſchlagfertiger Redner, durch bie 
kũhne Gewandtheit des Angriffs und eine geſchickte Benugung ber populären Tagesmeinungen 
fi als ein nicht zu verachtender Gegner bewies. Die Rückkehr ber Whigs ins Minifterinm 
(Juli 1846) gab ihm von neuem die Leitung des Auswärtigen in die Hand, und der ehemalige 
Tory ſchlug nun einen Weg ein, beffen Nachwirkungen in der politifchen Stellung Englands 
noch lange fühlbar fein werben. Erſt überwarf er fich wegen der fpan. Heirathen mit Ludwig 
Philipp und trat doch gleichzeitig in der krakauer Angelegenheit den öftlihen Mächten entgegen; 
dann vereitelte er in der Schweiz durch eine geſchickte Taktik alle Bemühungen der Sroßmächte 


zu Gunſten des Sonderbunds und nahm in Italien die vorgefchrittene Neformpartei unter feine - 


Protection. Als dann in Stalien und Ungarn die Bewegungen von 1848 losbrachen, that er 
zwar nichts, um fie kräftig zu unterftügen, aber Doch genug, um die brit. Politik mit Oftreich, 
Nußland u. f. m. dauernd zu entzweien. Die Art, wie er 1850 gegen Griechenland verfuhr, 
fleigerte die Verſtimmung der Diplomatie auf dem Gontinent, wo bie Reftauration eben ihren 
Sieg erfochten, auf den höchſten Gipfel, zumal da er fortfuhr, mit einer gewiffen Oftentation feine 
Sympathie für die überwundenen Träger der Revolution an ben Tag zu legen. Daß in diefen 
Dingen oft mehr Leidenfchaft und angeborene Etourderie ihn fortriß, als ruhige ſtaats männi⸗ 
ſche Befonnenheit leitete, bewies fein Verhalten in ber dän.-deutfchen Frage, wo er, allen feinen 
übrigen Dandlımgen wiberfprechend, ber ruf. Politik den Sieg verfchaffen half. Schon längft 
dem Hofe und feinen whigiſtiſchen Gollegen läftig geworden, ward er (Dec. 1851) aus Anlaß 
bes bonapartiftifchen Staats ſtreichs, den er vorlaut billigte, in ungewöhnlicher Weife aus dem 
Minifterium entfernt, rächte fich aber bald, indem er durch einen gefchidten Oppofitionsantrag 
(Bebr. 1852) das ſchwankende Ruſſell ſche Miniflerium fprengte. Die Tories, die folgten, be» 
mühten ſich nun, ihn zu gewinnen, was er ablehnte, ohne doch eine befonders ſchroffe Stellung 
gegen fie einzunehmen. Als im Dec. 1852 das Ergebniß der neuen Parlamentswahlen das 
Zorgminifterlum zum Rüdtritt nöthigte, trat ex indeffen ald Staats ſecretär bes Innern in die 
aus Whigs und Peeliten neugebilbete Verwaltung ein. Seine auswärtige Politik, die England 
ziemlich ifolirt und ihn felbft bei den Großmächten des Feftlandes fehr unbeliebt gemacht hat, 
erwarb ihmin England namentlich bei ber radicalen Partei eine unleugbare Popularität, und fein 
öffentliches Auftreten bewies, daß er dafür nichte weniger als unempfänglich if. Der ehemalige 
Zory verficht es trefflich, fich als ben Träger bes liberalen Fortſchritts und als ben gehaßten Geg⸗ 
ner des continentalen Abfolutismus hinzuftellen, und die Bewerbung beider Parteien um ihn legt 
dar, daß fein Talent wie feine Popularität noch immer für gleich ſchäßbar und gefährlich gelten. 

Balmfonntag oder Palmarum ift der Sonntag vor Oftern, fo genannt von dem Einzuge 
Chriſti in Serufalem, bei welchem demfelben Palmen auf den Weg geftreut wurden. Ehedem 
bieß er auch der Blumentag, Blumenfonntag, Grüner Sonntag. In der griech. Kirche wurbe 
er ſchon im 4. Jahrh. gefeiert, während diefe Beier bis in das 7. Jahrh. in der rom. Kirche ganz 
unbekannt war; body feit dieſer Zeit verbreitete fie fich fchnell. Jetzt findet am Palmfonntage 
in der rom. Kirche die Palmweihe flatt, indem eine Anzahl Zweige, am Hauptaltar niedergelegt, 
mit Weihwaſſer, Räucherungen und Segensformeln geweiht und dann unter die Anweſenden 
vertheilt wird Die proteft. Kirche benugt Matth. 21, 1 fg. und Job. 12, 13 als Perikopen für 
Diefen Sonntag und vollzieht an bemfelben in manchen Ländern die Eonfirmation. 

Yalmüdra, urfprünglid) Thamar oder Thadmor genannt, hieß die einfl große und prächtige 
Dauptfladt von Palmyrene, einer Landſchaft in Oberforien, die fi) von der Gegend um Da» 
mascus norböftlich bis an ben Euphrat erfiredte. Sie wurde bereits von Salomo in einer 
fruchtbaren und palmenreichen, ringsum aber von Sandwüſten und rauhen Bebirgen umgebe- 
nen und nur nach Süden zu offenen Gegend gegründet, war theils als Vormauer des jüd. Lan- 
des gegen berumftreifende Horden, theil6 nad) dem Falle von Seleucia als Stapelplag für ben 
Zwiſchenhandel aus dem öftlichen und weftlichen Afien von hoher Wichtigkeit und gelangte in 
Folge dieſes lebhaften Verkehrs, befonders feit den Zeiten Trajan's, der die ganze Provinz unter 
röm. Oberherrfchaft brachte, zu Macht und Reichthum. Bon hier aus gründete im 3. Jahrh. 
n. Chr. der Syrer Dbenathus einen eigenen Staat, das Palmyreniſche Neid, welches nad) 
defien Ermordimg unter feiner Battin Zenobia (f. d.) die höchfte Blüte erreichte. Die Haupt⸗ 
ſtadt felbft war mit den prachtvollften Tempeln und Paläften geziert. Aber nur furze Zeit 
dauerte Diefe Blüte; denn ber rom. Kaifer Aurelianus eroberte das Reich 275 n. Chr., und bie 
Stadt wurde, weil die Einwohner nach feinem Abzuge die rom. Befagung ermordet hatten, faft 
gänzlich zerftört. Zwar verfuchte man nachher ihre Wiederherſtellung, und Juſtinianus befeſtigte 
fie von neuem ; allein fie vermochte fich nicht wieder zu erheben umb die Sarazenen verwüſteten 


Si VPalemino de Belaico  -Yainbamikäller. 

Tin. a De Ihre Ruinen, ein jegt unter bem Ramen Tadmor ve 

* sah. Baal lien bemahunes Del ‚ erregen noch immer. Erflaunen und wurden zuerf 

De ug, Kai Haleb ana befucht, dann in der Witte, des 18. Jahrh. von dei 
länbern —— näher afertn umb abgebildet, fpäter auch von andern Blei 
wie D. von Michter, — hr befscht und beſchrieben. Unter ihnen zeichuet | 
allen ein Tempel bei Baal Die Sprache der Palmyrener, wie fie noch im einig 
fhriften vorliegt, ſchließt ſich dem aramägen Zweige des femitifchen Eiprachflamms as 
Wood, „The ruins of P.“ (Lonb. 1753); &t.-Martin, „Histoire de P.” (Par. 1825) 
und Mangles, „Travels in Egypt, Nubia, Syria and Asia minor” (omd. 1823) ; Ritter, 
tunde” (3%. 14, Berl. 1851). 

Balomino de Belaſsco (Don Antemio), einer der audgezeichnetfien Maler Sp 
wurbe 1653 zu Bajalanca, unweit Gorbeva, geboren. Er ſtudirte zu Cordova; da ihn ab 
Neigung mehr zur Kunft Hinzog, fo nahm ex bei Waldes Unterricht und bildete fidy zum 

aus. Im 3. 1678 ging er nach Madeid, wo ex durch den berühmten Maler Goello dem. 
— IV. vorgeſtellt wurde, der ihn mit der Ausführung der Fresken in der Hirſchgal 
Prado beauftragte. P. wählte zu feinen Darftellungen bie Babel ber Pſyche und gewa 
damit bie volltommene Zufriedenheit bed Könige, der ihn bald nachher zu feinem Hofm 
nannte und ihm 1690 einen anſehnlichen Jahresgehalt gab. Mit feinem Rufe flieg die 8 
Ihm über enen Arbeiten ; namentlich hatte er für Valencia, Salamanca, Granada und € 
Nach dem Tode feiner Frau trat er in ben geiſtlichen Stand und flarb | 
porn 15. April 1726. Er iſt audgegeichnet In. ber Perfpective, fowie im Golorit; dageı 
man ihm nicht mit Unrecht den Vorwurf gemacht, daß er die Figuren, felbft in feinen grı 
häufig mit zu großer Treue aus der gemeinen Wirklichkeit entlehnt habe. 
„Bi museo pictorico y escala oplica ete.“ (3 Bbe., Madr. 1715— 24), bas eim 
tung zur Malerei und die Kebensbefchreibinngen ber berähmteften ſpan. Künftler enthält, 
son Duilliet, tctog mancher barin fich vorſindenden Unrichtigkeit, als Grundlage zu feinen 
Vonneire des peintres espagnols” (Bar. 1816) benugt. Auch, P.’6 Sohn widmete 
Malerkunſt und unterftügte den Water Häufig bei feinen Arbeiten. 

Palnden-Mäüller (Breberif), einer der bedeutendften dän. Dichter, geb. 7. Bebr. 1 
Kierteminbe in Fünen, ws fein Vater Joh. P., ſpäter Biſchof von Aarhuus und literar 
ter Anderm durch eine Schrift „Om Martenſens chriftelige Dogmatik“ (Kopenh. 18: 
kannt, Damals Geiftlicher war, bezog, auf ber Schule zu Odenſe vorgebilbet, 1828 die üı 
gener Univerfität, wo er bereits durch einige Romanzen, zu denen ihn eine Preisaufgabt 
laßt hatte, das Gediht „Raab til Polen“ (1831), befonders aber durch das t 
Schaufpiel „Kjärlighed ved Hoffet” (1832) die Aufmerkſamkeit des Publicums auf f 
Seinen Dichterruf begründete er jedoch durch „Dandferinden” (1833), ein Gedicht in d 
fangen, voll von Wig und Laune bei Phantafie und gedantenreihem Ernft, mit dem e 
Zeit den raufchendften Beifall erntete. Richt minder gilt dies von „Amor og Pſyche“ 
reizenden, idyllifch-Igrifchen Drama (1834), welchem, außer der minder bedeutenden po 
Erzählung „Zuleimas Flugt“ (1855), dem bitter polemifchen Gedicht „Zrochäer og Je 
(1837) und „Cola de Rienzi” (1838), die „Poeſier“ (2 Bde., 1836— 38) folgten. 
enthalten neben „Poetiſke Fortällinger“ (worunter „Beftalinden‘‘ und „Donna Rofe 
„Blandede Digte“ die bramatifchen Poeſien „Eventyr i Stoven“, „Wf og Roſe“ und 
ſchönen Partien reihe Schaufpiel „Fyrſte og Page”. Ein Fortfchritt in des Dichtert 
ger Entwidelung zeigte ſich nach feiner Rückkehr von einer Reife durch Deutfchland, Fra: 
bie Niederlande, Schweiz und Stalien, die er nad) feiner Verheirathung 1858 — AO unt 
men hatte, zuerft in dem dramatifhen Gedicht „Venus“ (1841), das ſich zwar wenige 
Tief: der Gedanken, als vielmehr durch Glanz der Form und Darftellung auszeichne 
andern dramatifchen Dichtungen der Folgezeit find „Dryadens Bryllup“ (1844) un 
thon“ (1344) zu nennen; beſonders ift legteres eine höchſt inhaltsreiche Compoſition 
ag jedoch, fowie zugleich die bedeutendfte Schöpfung ber neueften dan. Poeſie ift, 

omo“ (Bd. 1—3, Kopenh. 1841—49; 2. Aufl., 2 Bde., 1851), ein didaktiſch⸗hur 
ſches Wert, welches ſchon mehrfach mit dem „Don Juan⸗ Lord Byron’ & verglichen wor 
P. verfucht in bemfelben ein Bild des Menſchen zu entwerfen, wie er fi für feine Beftin 
in des Lebens Schule gegenüber den Zweifeln und Anfechtungen entwidelt und geftal 
Seine neuefte Arbeit ift das Gedicht „Ruftftipperen .og Atheiſten“ (Kopenh. 1853). 
frühern Dichtungen hat er in den „Ungbomsarbeider” (Kopenh. 1847) vereinigt. 


Pampas t Yamplona 615 


Yampas. Das Wort Yampa gehört der Quichua⸗Sprache an und bedeutet in biefer fo 
viel als Thal oder Ebene, weshalb es aud auf waldige Flächen fireng genommen nicht ange 
wendet wird. Die Geographen haben aber diefem Worte eine viel zu ausgedehnte Anwendung 
gegeben, indem fie ben ganzen ebenen Theil Südamerikas zwifchen bem Fuße der Anden und 
dem der brafilianifchen und guianifchen Gebirge damit belegen. In Peru werben kleinere ebene 
Bodenſtrecken theild auf der Küſte, theils auf der Höhe des Gebirgt mit dem Namen Pampa 
— wie z. B. die Hochebene von Bombon (Pampa de Bombon); auch kommt das 

ort in einer Menge von Namenzuſammenſetzungen vor, in denen bie Spanier zum Theil das 
p in b verwandelt haben, wie in den Fluß und Ortönamen Moyobamba, Urubamba, Micui⸗ 
pampa, Pampamayu u. f. w. Mit dichtem Urwalde bededte Ebenen ftellen im öftlichen Peru 
ie Pampas del Sacramento zwiſchen den Flüffen Huallaga und Ucayali dar. Im fpeciellen 
Sinne verfteht man unter Pampas die großen, theils wellenförmigen Ebenen, die vom Rio 
negro in Patagonien bis an den Plata und weftlich bis faft an den Fuß der Corbillera reichen, 
vo fie fruchtbarer find, reiche Beiden barbieten, im hohen Sommer aber, ausgenommen die 
Afer der Flüſſe, verdorren, feine Bäume als verwilderte Pfirfchen enthalten und vor den ver- 
vüftenden Bürgerfriegen mit zahllofen Heerden von wilden Pferden und Rindvich bededit 
varen. Ihr Boden ift thonfandiges Diluvium und rei an foffilen Säugethierfnochen, 3.9. 
om Megatherium. Streifenweife find fie Durch eigentliche waſſerloſe Wüften (Traveſias) un⸗ 
erbrochen, die, von anderer geognoftifcher Befchaffenheit, nur einige dornige Büſche nähren 
und ganz unbewohnbar find. Die halbweißen Anfiedler der Pampas beißen Baudh-& (f. d.). 
Schilderungen ber Pampas haben Miers, Schmidtmeyer, Haighs und andere Reifende gege 
zen; wiffenfchaftlich wurden fie bon Daruin und d'Orbigny unterfucht. 

Pampblet, von zweifelhafter, jedenfalls griech. Ableitung, ift ziemlich gleichbedeutend mit 
Brofchüre (f.d.) und Flugſchrift, infofern es Schriften von Meinerm Umfange bezeichnet, welche 
urch Ereigniffe und Intereffen der Gegenwart veranlaßt nur diefe zu ihrem Gegenſtande ha 
ven. Der Name Pamphlet wird indeffen für Flugfchriften über politifche, religiöfe und per» 
õnliche Angelegenheiten befonder& vorzüglidh dann gebraucht, wenn biefelben den Charafter 
von Streitfchriften annehmen, fodaf Pamphlet mitunter auch wol faft gleichbedeutend mit 
Schmähfchrift, Kibell if. Die früheften Pamphlete im engern Sinn entflanden in England, 
zeſonders während der Kämpfe bes 17. Jahrh.; das Britifche Mufeum befigt ihrer 40000. In 
Sranfrei und bald auch in Deutfchland wuchs ihre Zahl feit 1789 ins Unendliche, und ebenfo 
fruchtbar erwiefen fich die Jahre 184850. 

Pamphylien, ein urſprünglich ſchmaler Küſtenſtrich zwiſchen Cilicien und Lycien in 
Kleinaſien, landeinwärts vom Taurus umſchloſſen, wurde von Alexander d. Gr. erobert und 
aach deſſen Tode bei der Vertheilung der Satrapien zu einer bedeutenden Provinz erhoben, 
welche nebſt Phrygien und Lycien dem Antigonus (f. d.) zufiel und in ihrer erweiterten Geſtalt 
udlich vom Mittelmeere, nördlich von Phrygien, weftlich von Karien, oftlich won Gilicien be 
jrenzt wurde. Später kam es um 78 v. Chr. unter die Herrfchaft der Römer, und der Kaifer 
Slaudius fügte noch Lycien hinzu. 

Banıplöna, Pampelona oder Pampeluna, eine fpan. Provinz, welche faft das ganze Kö⸗ 
nigreich Navarra (f.d.) und cine Peine Enclave der basfifchen Provinz Alava umfaßt, hat ein 
Areal von 115’, AM. und zähle 280000 E. Die Hauptfladt Bamplona, in einer Ebene am 
Buße der Pyrenäen und am Ufer der Arga gelegen, Eig des Generalcapitäns, eines Bifchoft, 
bed Raths, des königl. Berichtähofs und der Rechnungskammer von Navarra, zähle 11675 €. 
amd ift eine gute Feſtung, welche wichtig ald Schlüffel Navarras und als Beherrfcherin des dor» 
tigen Straßenknotens. Die Stadt bat breite und regelmäßige Straßen, eine Kathedrale, vier 
andere Kirchen, 13 Kloftergebäude, ein Collegium, A Hospitäler, viele Springbrunnen, eine 
Bank, Fabriken in Leder Pergament, Tuch, Fayence, Stahl- und Eifenplatten, Eifenhämmer, 
ine Kanonenkugelgießerei; auch wird hier Weinhandel getrieben. P. tft das Pompelon der 
Hiten, im Lande der VBasconen. Im 3. 755 wurde bie empörte Stadt von den Arabern bela⸗ 
gert, welche dann Alfons I. von Oviedo fhlug. Im J. 778 entriß fie Karl d. Or. ben Ara⸗ 
bern, wurde aber auf dem Rückzuge im Pyrenäenthale Roncesvalles (f. d.) gefchlagen. Dann 
belagerten fie 907 die Araber von Saragoffa, fahen fich aber von Sanyo von Navarra befiegt. 
$m 3.1521 erlitten die Einwohner unter dem Grafen von Foix eine Niederlage burch die Spa- 
vier. Auf Befehl Karl's IV. ward die Stadt 1808 den Franzofen übergeben, die fie nun ſtärker 
sefeftigten und bis zur Capitulation 31. Oct. 1813 nach 1 Amonatlicher Blockade behaupteten. 
Um 18. Sept. 4823 nahmen fie die Franzofen unter Lauriſton nad) 1 Atägiger Belagerung und 


Kr: . 


* ft F ii. Capit fatioh 8 * 
den ber Chriflinos. er 184 fe * General 50 | 
- bemächtigen; doch teat fie 1843, wie Die Übrigen Beflungen Spanlent, auf die Seite de 


\ 


835-4060 P. In d 
onnel vergebene ſich i 


gin Chriſtine. — Pamplong, die Hauptſtadt ber gleichnamigen Provinz im Depart. 


der ſũbamerik. Nepublik Reugranada, 7800 $. über dem zwiſchen ſehr Hohen 


gelegen, ber &ig eines Biſchofe, iſt regelmaͤßig gebaut und gewährt durch ihre mit den 
verbundenen Gärten einen guten Anblick, ſowie durch ihr köſtliches Klima einen ange 


Aufenthalt. Sie Hat eine prachtvolle Hauptkirche, mehre —— e ein Collegium m 


10500 E. In der Umgegend befinden ſich Gold⸗ und Silberg 
Yan, der Sohn des Hermes und der Tochter des Dryops, oder bed Zeus und ber 
bis, oder auch des Hermes und der Penelope, wurde gleich in der ihm eigenthümlichen 


. gehörnt, boksbärtig krummnaſig, mit fpigen Ohren, geſchwänzt und geißfüßig geber 


feine Geburtöftätten werden genannt die Gebirge Mönalos und Lykäos in Arkadien, 
ſich erft in nachhomerifcher Zeit fein Dienſt weitet verbreitete; in Athen z. B. murbe 
feit der maratbonifchen Schlacht göttlich verehrt. Er mar Weide, Wald- nnb Dirteng 
als ſolcher Borftcher und BWefchüger der Heerden, der Jäger, der Bienenzucht, auch de 
fangs, desgleichen Erfinder ber Syrinx (ſ d.) ober Hirtenpfeife, bie er felbft meifterhe 
und worin er Andere unterrichtete, und Freund bes Geſangs und Tanzes. Als Wald 
ex auch, wie alle Waldgötter, Dämon eines dunkeln Grauns und panifgen Schrecke 
infofern ein fiegreicher Feindebezwinger. In diefer Beziehung wird ihm eine furchtbare 
beigelegt und erzählt, er Habe das Blaſen auf der Seemuſchel erfunden und durch den 

hervorgebrachten Lärm beim Kampf der Götter mit ben Titanen Regtere in ben ärgften € 
verfegt umd zur Flucht bewogen. Geopfert wurben ihm, oft mit bem Dionyſos und de 


yyen gemeinfchaftlich, Kühe, Böde, Lämmer, Mich, Honig und Roſt. Deilig war 


Bichte, baher er Häufig mit Fichtenzweigen befrängt erfcheint. Die Römer identifidirten 
iprem Inuus, dem zu Ehren auf dem Palatinifchen Berge bie Lupercalien gefeiert wurl 


zum Theil auch mit dem Faunus. Über die Pane in der Mehrzahl und bie Panisken f. 
jr in der fpätern Zelt wurde ber alte Weibegott (gried. paon, lat. pastor) durdy um 


dige Erklärung in einen Aldaͤmon verwandelt. Auf Münzen imd Bafengemälden de 


Zeit erfcheint P. in ganz menſchlicher Bildung mit Dirtenpfeife, Hirtenftab, gefträubte 
und etwa auch keimenden Hörnchen ; hernady aber, wahrfcheinlich Durch die Praxiteliſche 
wurbe bie ziegenfüßige, gehornte und krummnaſige Bildung Regel, und in biefer erfi 
als Springer und Tänzer, als poffirlicher Luftigmacher im Kreife des Dionyfos und a 
flümer Liebhaber der Nymphen. 

Panacka, ein griech. Wort, die Allesheilende bezeichnend, war der Name der Gö 
Geneſung, einer Tochter des Asculap, welche in den fpätern Zeiten von Dichtern und K 
gefeiert wurbe. Mit demfelben Namen benannte man nachher ein jedes Mittel, melde 
alle Krankheiten helfen follte, eine Univerfalmedicin, und mehre der von den Alchymi 
Mittelalters erfundenen derartigen Mittel, z. B. die Panacea mercurialis, Panacea du 
Panacea Glauberi u. f. w., welche fi in vielen Fällen als wirklich heilfräftig auswieſen 
man auch gegenwärtig noch zum Theil unter diefer zu viel verfprechenden Benennung auf 

Panama, eine berühmte, 1513 von Nuñez de Balboa als ſolche auerft entdedh 
enge, bie Mittel- und Südamerika verbindet, zur Provinz Iſtmo ber Republik Neu; 
gehört und auch Iſthmus von Darien (f. d.) genannt wird, ift an ber ſchmalſten St 
6 M. breit, bildet zugleich eine Unterbrehung der Cordilleras (ſ. d.) und hat dahı 
feit dem 16. Jahrh. die Aufmerkſamkeit der feefahrenden Völker auf fich gezogen und in 
Zeit, befonders feit der Ausbreitung des Handels mit der Weſtküſte Amerikas und mi 
und feit der Golonifation von Galifornien und Oregon, eine Menge von Planen zur 
ftehung hervorgerufen, die im Fall des Gelingens mindeftens einem Theile des in 
dels neue Richtungen geben würde. Der Boden befteht aus Porphyr- und Trappform 
Grauwacke ımd Kalkftein. Die Oberfläche ift wellenformig, die höchften Hügelketten mı 
mehr als 1000 F. über dem Meere, und da von ihnen nad) beiden Meeren Flüſſe be 
men, deren Waſſerſcheide zum Theil nur 258 und 370—490 F. hoch liegt und Die weit 
für größere Fahrzeuge ſchiffbar und leicht breiter zu machen oder auszutiefen fein wir 
ſcheint die Herftellung eines großen Kanals quer durch die Randenge gerade Beine vol 
möglichkeit. Lloyd, ein engl. Ingenieur, der im Auftrage Bolivar's 1828 und 1829! 
ments vornahm und fpätere franz. und nordamerik. Commiffionen ftimmen hierin über 


Yanamd (Stadt) | | 617 


ſcheint indeffen, als ob dieſes wichtige Unternehmen an zwei Hinderniffen fcheitern müffe, ein 
mal an dem ungeordnneten politifchen Zuftande und der Uncultur des Landes und der Bevöl⸗ 
ferung, und dann an dem ungewöhnlich großartigen Mafftabe des Kanals felbft, der nur dann 
von Nugen und allgemeiner Brauchbarkeit fein fan, wenn er mehren an beiden Küften ankom⸗ 
menden Schiffen gleichzeitiges Einlaufen und Durchgang bis an das andere Meer ohne Au⸗ 
fenthalt, Ausladen u. |. w. geftattet. Da nun ein folder Kanal mindeftens 24 $. mittlerer 
Waſſertiefe bei 80 F. Bodenbreite Haben müßte, Schleufenbaue von angemeffener Größe nicht 
zu umgehen wären und bie Ränge diefer künſtlichen Ausgrabungen im beften Kalle an ſechs 
Meilen betragen würde, fo ergibt fi), daB das ganze Unternehmen fehr große Mittel erheifchen 
und über die Kräfte des Staats Neugranada ober einer der vielen projectirten Compagnien 
bes Iſthmus hinausgehen müßte. Ein Kanal im kleinern Maßftabe oder die leichter herzu⸗ 
ftellenden ebenfall3 projectirten Eifenbahnen würden ganz unnüg fein, indem der Vortheit eines 
folchen Kanals allein in der Möglichkeit liegt, ihn als große Fahrſtraße für ein und baffelbe 
Schiff zu benugen, und der Zwifchentransport fowie die Umladung durch Zeitverluft, Koften, 
Gefahr u. f. w. die Vortheile der Zeiterfparniß der fürgern Reife aufheben müßten. Ungeachtet 
vieler Vorbereitungen und Ankündigungen aus Nordamerika, England, Frankreich und ſelbſt 
Belgien ift Daher in jener Sache noch fein entfcheidender Schritt gefchehen. Dagegen iſt gegen- 
wärtig eine ebenfalls feit Jahren ſchon projectirte Yanama-Eifenbahn endlich zur Ausfüh- 
sung gekommen, die von ber rafch aufblühenden Stadt Aspinwall-Eity auf der Infel Manza- 
nilla, 1 M. norböftlich von der Limon- oder Navybai beginnt, den Iſthmus in ſüdlicher Rich- 
tung durchſchneidet und bei der Stadt Panama ausläuft. Schon 10. Juli 1848 hatten bie 
Vereinigten Staaten von Nordamerika mit Neugranaba einen Freundfchafts- und Handels⸗ 
vertrag abgefchloffen, der unter Anderm den Schug einer etwa zu bauenden Eifenbahn aus⸗ 
ſprach. Sodann ſchloß im Der. 1848 eine neuyorker Gefellfchaft, die im April 1849 dur 
ein Gefeg des Staats Neuyork autorifirt ward, einen Vertrag mitReugranaba ab, der 4. Juni 
41850 vom Congreß beftätigt wurde. Nach demfelben erhält die Gefellfchaft das Privilegium 
zum Bau einer Eifenbahn und das Recht der Dampffhiffahrt auf dem im Welten der Navy⸗ 
bai mündenden Rio Chagred auf 49 I. Nachdem unter Leitung des Oberingenieurs Colonel 
Hughes der Iſthmus unterfucht war, begannen die Bahnarbeiten unter Eolonel Settow 15. Der. 
4850 bei Aspinwall⸗City. Bereit 15. März 1852 wurde die Bahn bis Bayo⸗Soldado für 
Reifende eröffnet, und Ende Juli 1852 war fte bis Barbacoas fahrbar. Seitdem ift fie ganz 
vollendet. Ihre ganze Länge beträgt nahe an 10 M., die in 2— 5 St. zurüdgelegt werben, wäh. 
rend man früher zur Überfchreitung des Iſthmus vom Stillen Dcean aus zwei, vom Atlarti- 
ſchen drei bie vier Tage brauchte. Die Bahn bucchfchneidet die Infel Manzanilla, überfchreie 
tet den fhmalen Meeresarm zwifchen ihr und dem Feftland, durchläuft die fumpfige Gegend 
bis Gatun, geht über den Rio Batun, einen öſtlichen Nebenfluß des Rio Chagres, überfchrei- 
tet legtern felbft bei San-Pablo, erreicht dann Gorgona, überfteigt bie Waſſerſcheide beider 
Deeane in einem Sattel von 258 F. Höhe und endet bei Panama. — Unter Iftimnd von 
Panama im weitern Sinne verftehen neuere Beographen die ganze 190 M. lange, aber in ih⸗ 
rer Breite bedeutend wechſelnde Verengung des Landes zwifchen Norb- und Südamerika, 
von dem Meerbufen von Darien bis zum Iſthmus von Tehuantepec in Merico. Auch in dies 
fen Gebieten find Durchſtiche und Eifenbahnen zur Berbindung beider Dreane im Werke. 
(&. Ricaragun und Zehuanteper.) 

anama, bie Dauptftabt des Depart. Iſtmo der Republit Neugranadba, und zwar 
der Provinz Panama, liegt auf einer in die Südſee vorſpringenden Landzunge, hat regelmäßige 
Straßen, Häufer meift von Stein und folider Bauart, Alles noch im alten großartigen fpan. 
Stile, eine große Kathedrale, vier Mönchs⸗ und ein Nonnenklofter, die jegt alle verlaffen find, 
und zählt 30000 €. Der Hafen, feit 1849 zum Freihafen erklärt, hat eine flache Küſte, 
fodaß die Schiffe nur /, M. vor der Stadt ankern fonnen. Dagegen ift die Rhede durch eine 
Anzahl Infeln gefhügt, von denen die größern, Taboga und Taboguilla, vollfländig cultivirt 
find und fihern Ankergrund fowie vortreffliches Trinkwaſſer bieten: Die nächfteUmgebung der 
Stadt ift nad) Often und Norboften längs der Küfte durchaus niedrig, Dagegen nach Welten 
und Nordweſten treten die Berge außen heran, und von dem gegen 600 $. hohen Gerro Ancon, 
Y, DM. weſtlich von P., hat man ein vollftändiges Panorama von den ſchönſten und reichften 
Landfchaften der Erde. P., deffen Namen im Indianifchen „viele Fiſche“ bebeutet, lag 1515 
ale Indianerdorf ?/; M. öftlich von der jegigen Stadt. Die erfte hier erbaute fpan. Stadt, bie 
4521 von Kaifer Karl V. die Stadtgerechtigkeit erlangte, wurde 1670 vom Boucanier Mor 


618 Panard Panckoucke 


gan erobert und zerſtört und nachher erſt an der jegigen Stelle wieder aufgebaut. Sie war jur 
Zeit ber fpan. Herrfchaft fehr reich, und Stapelort des Dandeld mit Peru und den Philippinen. 
Nachher verfallen, hob fie ſich wieder feit 1833, wo eine Dampfbootverbintumg mit Peru und 
Chile und von der Oftküfte mit Jamaica errichtet wurde; noch mehr aber feit ben legten Jah 
ren in Folge der Verbindung mit der Navybai durch die neue Eifenbahn. Sie verfpricht meh 
und mehr der Verbindungspuntt zwiſchen Europa, Californien, Oftafien und Auftralien zu 
werben. Bereits haben indeffen die Nordamerikaner, die hier die Mehrzahl ber Bevölkerung 
bilden, den ganzen Handel an fid) geriffen und fich fait gänzlich dem Einfluß der Behörden von 
Neugranada entzogen. Die Provinz Panama, welche mit der Provinz Veraguas das Depar 
tement Iſtmo bildet, zerfällt in die Diftricte Panama, Chorrera, Los Santos, Nata, Portobelo 
und Darien und zählt im Ganzen 70000 E, eine Bevölkerung, welcher einft bie ber Stadı 
allein gleihgelommen fein foll. 


Panard (Charles Frangois), ein heiterer franz. Volksdichter, geb. 1690 zu Courville bi 


Shartres, Fi fi durch eine überaus große Zahl trefflicher Chanfons, fowie durch eine Anzahl 
komiſcher Opern berühmt gemacht. Außerdem fchrieb er mehre Komödien, die nicht minder 
reich an mwigigen Zügen find. Seine Werke erfchienen als „Theätre ei oeuvres diverses“ 
(4 Dde., Par. 1763); Armand Gouffe veranftaltete eine Auswahl derfelben (3 Bde. Par. 
1805). Er bichtete feine Couplets meift beim Weine; man konnte ihn aus dem Schlafe weden 
und einen Vers von ihm verlangen, er hatte ftet# ein Impromptu bereit. Marnıontel nannte 
ihn „le pere de la chanson morale et le Lafontaine du vaudeville”. Die Leichtigkeit, mit da 
er fchrieb, Hat aber auch Nachläfligkeiten aller Art und felbft Sprachfehler in feinen Werken 
veranlaßt. Er war das volllommene Mufter eines Gefellichaftsdichter® unter den: ancien re- 
gime, lebte ganz von der Gunft vornehmer Gönner und ftarb zu Paris 15. Juni 1765. 


anathenäen oder Panathenia heißen die berühmten Fefte, weiche in Athen der Enge | 


nach fchon von dem Könige Erichthonius um 1506 oder 1521 v. Chr. zu Ehren der Schup 
patronin Athene oder Minerva geftiftet und zur Erinnerung an die Vereinigung des Volkes ze 
einem Ganzen gefeiert wurden. Vorzüglich find die größern und die Bleinern Yanathenäen hie 


auszuzeichnen, von denen erftere alle fünf Jahre, legtere jedes Jahr wiederkehrten. Die Daupt 


fcenen derfelben beftanden in dreierlei Wettkämpfen, und zwar anfangs, wahricheinlich erft fait 
dem 3.566 v. Chr., in gymniſchen, fpäter in mufifchen oder geiftigen, wie Muſik, Declams 
tion und dramatifchen Vorftelungen, und in einem großen Fadellauf am Abend. Ein allge 


meines Stieropfer befchloß die Feftlichkeit. Der Siegespreis war ein Krug mit DI vom beiligen 


(baum auf der Akropolis. Die größern Panathenäen unterfchieden fih von den Pleinem - 
durch größere Pracht und längere Dauer. Alddann fangen Nhapfoden die Homerifchen Ge - 
dichte, und es fand die große Proceffion der gefammten arhenienfer Bürgerfchaft mit den Shup | 


verwandten oder Metofen ftatt, wobei viele Perfonen nach verfchiedenen Abftufungen die feit- 
lichen und zum Opfern erforderlichen Geräthe zur Burg hinauftrugen. Den Zug begleiteten 
Waffentänge und mimifche Darftellungen aus dem Gigantenkriege. Eine befondere Erwäh⸗ 
nung verdient der große Feftaufzug der Matronen, welche der Athene auf der Akropolis ein 
prachtvoll und kunftreich geftichtes Gewand, das die Griechen vorzugsweife Peplos nannten, 
überbrachten. Unter dem Namen Panathenaitos befigen mir noch vor Iſokrates (f. d.) eine 
ſchon im Alterthume vielgepriefene Kobrede auf Athen. Vgl. Hoffmann, „Panathenaikor“ 
(Kaff. 1835); Müller, „Panathenaica” (Bonn 1857). 

Dandoude (Andre Zof.), der Stammvater einer berühmten und gelehrten franz. Buch⸗ 
händlerfamilie, geb. au Lille 1700, geft. dafelbft 17. Zuli 1753, war Buchhändler und Schrift⸗ 
fteller zugleih. Da er zu frei fchrieb, machte ihm fein Beichtvater namentlich wegen feine 
Schrift „Usage de la raison‘ (Lille 1753) ein hriftliches Begräbniß flreitig. — Sein Sohn 
Charles Zof. P., geb. zu Lille 26. Nov. 1736, ein lebhafter, geiftreiher Kopf, fühlte fic ir. 
feiner Vaterftadt für feine großen Entwürfe zu beengt und ging in feinem 28. I. nach Parit. 
wo in feinen Haufe ſich bald die ausgezeichnetften Schriftfteller verfammelten. Er fchrieb Gi. 
niges und erhielt dann den Verlag des „Mercure de France”, der ſich durch feine Bemühungen, 
fowie dadurch, daß er mehre Zeitfchriften nach und und nad) darin aufnahm, in dem Grade het, 
daß er an 15000 Abonnenten zählte. In feinem Verlage erfchienen Buffon's Werke, die groft 
Sammlung von Reifen und das große franz. „Vocabulaire”. Auch unternahm er, nachdem a 
bie Herausgabe von Voltaire's Werten Beaumarchais überlaffen, 1782 die Bortfegung de 
noch nicht beendigten „Eucyclopedie methodique”, eines Rieſenwerks, das die Dideror'ſche 
Enchklopädie erfepen folte und woran die ausgezeichnetften franz. Schriftfteller arbeiteten. Er 


Bancratins Pandemos 619 


ſchrieb die „Grammaire raisonnde” (Par. 1795), und die erfle Idee zum „Moniteur“, beffen 
Berlag noch gegenwärtig Eigenthum feiner Familie iſt, ging ebenfalls von ihm aus. Er ftarb 
19. Dec. 1799. — Sein Sohn Eharles Louis Fleury P., geb. zu Paris 26. Der. 1780, war 
gleichfalls Schriftfteller und Verleger mehrer grofartiger Werke, unter denen wir nur das 
„Dictionnaire des sciences me&dicales”, die „Vicloires et conquôtes des armees frangaises”, 
die „Description de I'Egypte” und bie „Bibliothöque frangaise-laline” nennen, eine Samms 
lung rom. Slaffiter mit franz. Überfegung, die aber bei aller ihrer Koftbarkeit kein günftiges 
Zeichen für ben Zuftand ber franz. Philologie ablegt. Bon feinen eigenen Schriften find zu 
erwähnen: „Essai sur l’exposilion, la prison et la peine de mort“, eine beredte Schrift gegen 
bie Ausftelungen am Pranger und die Todesſtrafe; die Überfegung der ſämmtlichen Werke 
des Tacitus für feine „„Bibliothöque” und die „Voyage pilloresque aux lles Hebrides etc,” 
(mit 25 von ihm felbft gezeichneten Kupfern). Ex ftarb zu Paris 11. Zuli 1844. — Gein 
Sohn Erneſte P. hat die Horazifchen Werke für die „Bibliotheque” überfegt, und deſſen Gattin 
überfegte mehre Gedichte Goethe's (1825). ' 

Paneratiuß, ein chriftlicher Märtyrer, wurde während der Chriftenverfolgung unter Kai⸗ 
fer Diocletian gefinglich eingezogen und enthauptet. Sein Todestag fällt auf den 12. Mai, der 
noch darum merfwürbig ifl, weil man annimmt, daß an dieſem Tage und am 13. Mai, dem Ge 
dächtnißtage des Servatius, ſtarke Nachtfröfte fallen, weshalb man aud P. und Servatius bie 
Weinmörbder zu nennen pflegt. 

‚Pangldva (fprih Pautſchowa), Stadt oder Militärcommunität in der banater Militär» 
grenze Dftreih6 und zwar Stabsort des deutfch-banater Grenz-Infanterieregiments, an der 
Temes, unweit der Donau gelegen, bat 11043 E., eine katholiſche und eine griech. nichtunirte 
Dfarre, eine Haupt und Mädchenfchule, eine Contumazanftalt, ein Salz, ein Dreifigftzollamg, 
ein Poftamt, eine Dampffchiffahrtsftation, eine Seidenfpinnerei, eine Runkelrübenzuckerfabrik 
und flarten Dandel mit der Türkei. Zu den vorzüglichiten Gebäuden gehören die griech. und bie 
zwei kath. Kirchen. Bei P. erfocht der öfter. Feldmarſchall Graf Wallis 30. Zuli 1739 einen 
Sieg über die Türken; 1788 wurde es von den Oftreichern auf dem Rüdzuge verbrannt. Am 
2. San. 1849 fiegten bafelbft die Oftreicher unter Meyerhofer über die Ungarn unter Kiß. 

Handamonium (griech.) nannte man in fpäterer Zeit ſowol den allgemeinen Tempel für 
die Halbgötter oder Damonen ([.d.), als auch den Inbegriff aller übermenſchlichen Weſen, be 
ſonders der bofen Geifter und vorzugsweiſe das Reich des Satan. 

Pandekten ober Digeften ift der Titel der Gompilation aus den ältern Werken rom. juris 
ſtiſcher Schriftfteller, welche den wichtigften Theil der gefeggebenden Reform Juſtinian's aus- 
macht und einen Hauptbeftandtheil des Corpus juris civilis (f. d.) bildet. Es liegt derfelben die 
Abſicht zu Grunde, daß aus diefen ältern Schriftftellern alles Brauchbare ausgezogen, in eine 
gewiſſe Ordnung gebracht, dabei jede abweichende Meinung entfernt und nun keine andere Au⸗ 
torität als bie in dieſer Sammlung enthaltene mehr in den Gerichten anerkannt werben ſollte. 
Zu diefer großen Arbeit hatte Zuftinian 17 Männer auserlefen, unter denen Tribonianus (f.b.) 
den Vorfig führte. Ihr Werk wurde 16. Dec. 5355 mit gefeglicher Autorität bekannt gemacht. 
Sie hatten 39 verfchiedene Schriftfteller benugt, wovon der Ältefte noch in das Zeitalter Cicero’6 
fällt, die meiften andern vor Alegander Severus gelebt hatten. Aus diefen haben fie 9000 und 
mehr Stellen ausgezogen und nach Rubriken in 50 Büchern zufammengeftellt, welche in Titel 
und biefe wieder in einzelne Excerpte (Gefege oder Fragmente genannt) zerfallen. Da über diefe 
Juſtinianeiſchen Pandekten namentlich feit dem 17. Jahrh. auf den hol. und deutfchen Uni⸗ 
verfitäten in der Art Vorträge gehalten wurden, daß man nad) ber Reihenfolge der Abfchnitte 
(Xitel) derfelben das gefammte geltende rom. Civilrecht darftellte, fo ging die Bezeichnung Pan⸗ 
dekten auch auf Vorlefungen und Schriften dieſes Inhalts über, wobei man jedoch in neuerer 
Zeit von der Reihenfolge der Zuftinianeifchen Pandekten mehr und mehr abfah und den Stoff in 
freierer wiſſenſchaftlicher Form darftellte. Namhafte Lehrbücher diefes fogenannten Pandekten⸗ 
rechts find die von Thibaut, Mühlenbruch, Seuffert u. A., insbefondere aber von Puchta 
(6. Aufl, beforgt von Rudorff, Lpz. 1852) und von Vangerow (1. Bd., 6. Aufl., 1851; 
2. Bd. 2. Aufl., 1842; 3. Bd., 1847). Als umfaffender Commentar zu ben Juſtinianeiſchen 
Pandekten ift das große von Glück 1790 begonnene Werk „Erläuterung der Pandekten” zu 
nennen, welches, von Mühlenbruch und Kein fortgefegt, bermalen AA Theile umfaßt, weiche bis 
zum 29. Buch der Pandekten gehen. 

Pandẽmos ift Beiname der Aphrodite in einem doppelten Sinne, nämlich 1) der gemeinen 
oder gemeinfinnlichen (vulgivaga oder popularis), die auf einem Bode figend zu Elis neben 


I} ' 
Do‘ Urania des Yhinias von Otepas in Erz bargefickit war, uud 2) der nofkvereium 
m, mit der Peltho Theſens in Achen eingeführt Haben fell, din 
Die verſhiedenen der Landſchaft zu einem fläbtifchen’Gangen verband. Wuch:in Speten 
—— in Wrfobien wurde Die P. verehrt. ü 

BPandora, d. b.die iſt in ber griech. Gage ber Rame bes erſten Welbes auf S⸗ 
ven. Us nämlich Prometheus (f.d.) den Zeus Hinter und 


Dychos fo gewvendet, Haß das Gefäß der V. Gegensgaben der Götter enthalten habe, bie | 
 Döenfchen gebfieben fein würben, wenn nicht jenes geffn fü. Jedenfalls eg biefen 
Mythos bie oriental. Gage von ber Entfiehung bes‘ durch Die erfie Begattung bed fen 

Yandüren die Ableitung des Wortes iſt ungewiß) waren ein leichtes, orientalifch beiwafh : 
netes Jußvolt aus ſũdſlawiſchen und andern Stämmen der türk. Grenzlande, welches zuef 
. Dekan Balfert. Heere im Spaniſchen Exhfolgefrieg und fpäter in den Kriegen Dftreiche gegm 
IL unter berühmten Parteigängern, 3. B. Trend, gute Dienfte geleiftet hat. Sie führ 
ven den kleinen Krieg auf ihre Weiſe umd thaten dem Feinde, ben fie fortwährend umfchwärm 
ten und beunzuhigten, viel Abbruch. In zerſtreuter Fechtari machten fie ſich als gute Schügen, 


Witecet, ihre ganze Erfcheinung hoͤchſt originell; ein gleichmüthiges Lächeln im Kampf me 
beiden entfeglichfien Gewalithaten war ihnen eigenthümlich. Der Name verſchwand, ale ft 
Später In die Drganifation der Grenzer aufgenommen wurden. b . B 
Banegyricns Heißt in ber Kedekunſt eine Lobrede oder Lobfehrift, die den Zweck Hat, einm 
Gegenfland oder eine Perfon durch veredelnde Darftellung ber wirklichen Vorzüge zu verhem 
lichen. Obgleich, nun hierbei die Hifkorifche Wahrheit mehr al untergeordnet erfcheint, infofers 
ber Gegenftand höher geftelle und eine allgemeine Liebe und Begeifterung für denfelben erweit 
werben fol, fo barf doch der Panegyrift, d. h. ber Lobredner, nicht in Übertreibungen fir 
gehen und nod) weniger Lob erdichten. Ebenfo muß die Darftellung felbft der Bedeurfamtet 
bed Gegenftandes angemeffen und würdig und bei allem Schmuck und aller Fülle entfernt von 
Gemeinheit und leerem Wortgepränge fein. Urſprünglich war eine panegyrifhe Rede im 
freien Athen ein Vortrag, der in einer Panegyris, d. h. in einer Verfammlung des ganzem 
Volkes, befonders bei einer allgemeinen Feſtlichkeit, von einem ber vorzüglichften Redner pr 
Berherrlichung des Rationalruhms und zur Begründung einer großartigen gemeinfamen U» 
ternehmung gehalten wurde. Als Mufter in Hinficht der Kunftform kann hierin der „Pan 
gyrikos des Iſokrates (f.d.)-gelten, worin die Griechen zur Einigkeit gegen die Perfer ermahet 
werben. Sehr bald aber verlor diefe fehöne Bitte ihre höhere Beftimmung, indem man anfıng, 
den Panegyricus auf freigebige und mächtige Herrſcher auszubehnen, bei denen man mit Be 
fangenheit des Urtheils und gefliffentlicher Übergehung ber Mängel in der Regel nur Preis 
würdiges fand, wo es häufig nicht zu finden war. Daher ging biefer panegyrifche Ton nicht 
felten mit in die Lebensbefchreibung und Charakteriſtik berühmter Männer über und läft ums 
dann eine treue, Darftellung aller Auferungen und Tätigkeiten berfelben faft gänzlich vermif 
fen, wie dies z. B. in dem „Mgefilaus” des Zenophon der Fall ift. Überhaupt hatte ſich zuglch 
mit bem Panegyricus in Griechenland eine befondere Gattung von Prunfreden, das En 
mium ober bie eigentliche Lobrede ausgebildet, wohin außer vielen andern Erſcheinungen bei 
„Entomium des Euagoras” von Iſokrates gehört. Allein auch diefe Gattung artete zul 
gänzlich aus und wurde von den fpätern Sophiften und Rhetoren in fader Weife auf gam w 
würdige Gegenſtãnde und nichts fagende Perſonlichkeiten übertragen oder zu bloßen Schulüber 
gen gemisbraucht. So ging der Panegyricus in feiner ſchon verderbten Baffung auf die Röme 
iber, bei denen der „Panegyricus“ de# jüngern Plinius (f. d.) auf den Kaifer Trajan bei alle 
bietung und äußern Verzierung noch eine ehrenvolle Ausnahme bildet, ba der 
des Lobes ein wirklich Iobensiwerther genannt werben muß. Unter den fpätern röm. Kaiſern aber, 


Panin Panizzi 021 


befonder& des 3. und 4. Jahrh., finden wir eine große Reihe von Lobrebnern, die als Wortfüh- 
rer bei Beglückwünſchungen und andern Beranlaffungen in Kriecherei und Erniedrigung alles 
Maß überfchritten imd fich dabei einer Sprache bedienten, welche bie völlige Gmtartung ber 
röm. Nationalität und Bildung beurkundet. Diefe Prunfreden, die wir noch von Claudius 
Mamertinus, Eumenius, Nazarius, Mamertinus, Corippus, Ennodius u. U. befigen, find un 
ter dem Titel „Panegyrici veteres Latini“ am beften von Jäger (2 Bbde., Nürnb. 1779) und 
Arntzen (2 Bde, Ute. 1790—97) gefammelt und erläutert worden. Unter ben Neuern haben 
die Franzoſen etwas bem Panegyricus Ahnliches in ihren Eloges (f. d.), und auch die Engländer 
und Deutfchen haben einzelne treffliche Lobreden geliefert. 

Panin (Nikita Iwanowitſch, Graf von), ruff. Staatsminifter, geb. 1718 in Rußland, we 
fein Vater, Iwan P., ımter Peter d. Gr. Generallieutenant war, ftammte aus einer adell⸗ 
gen Familie. Sehr jung trat er bei der Garde der Kaiferin Elifabeth ein, wurde Kammer 
berr und ging 1747 als bevollmädhtigter Minifter nach Kopenhagen und 1749 nad Stock⸗ 
bolm. Bei feiner Rückkunft erhielt er die Gouverneurftelle beim Großfürften Paul Petrowitſch, 
und als Katharina II. 1762 den Thron beftieg, ernannte fie ihn zum Staatsminifter. Der 
Krieg gegen die Türken, welchen die poln. Unruhen veranlaßten, bie Bertaufchung bes Herzog⸗ 
thums Holftein gegen die Grafſchaften Oldenburg und Delmenhorft zum Vortheil der jüngern 
Linie des Haufes Holftein-Bottorp, der Friede mit der Pforte 1774, die Bermittelung Ruf- 
Lands beim Frieden von Zeichen und endlich die bewaffnete Reutralität waren zumeift fein 
Merk. Alle Inftructionen für die Keldherren und auswärtigen Minifter, ſowie alle Correſpon⸗ 
benzen mit den fremden Höfen wurden von ihm felbft entworfen. Er galt ale die Hauprflüge 
des preuß. Syſtems in dem ruff. Cabinet. Mit der Zahl feiner Gegner minderte ſich indeffen 
allmälig fein Einfluß auf Katharina, von ber er 1767 in den Brafenftand erhoben worben war. 
Er behandelte die Gefchäfte mit Würde und Leichtigkeit und bewies dabei große Feftigkeit. Nie 
rieth er zu etwas, wovon er nicht überzeugt war, daß es das Befte fei, und widerfprach im ent» 
gegengefepten Falle felbft ber Kaiferin. Mit einem hellen Berftande verband er eine ſcharfe Ur⸗ 
theilskraft und tiefe Menfchentennmiß. Er ftarb 1783. 

Banisbrief, d. i. Brotbrief, nannte man die fchriftliche Empfehlung des Kaifers an ein 
Stift oder Klofter, Jemanden auf eine beflimmte Zeit ober auch lebenslänglich zu verforgen. 
Diefe Panis briefe waren, da fie immer feltener ertheilt wurden, jederzeit geehrt worden. Als 
aber Kaifer Joſeph II. anfing, fie häufiger zu ertheilen und felbft auf proteft. Stifter auszu 
ftellen, fo veranlafte dies vielfache Klagen und Befchwerden. Die Panisbriefe wurden fogar 
mit unter den Beweggründen zur Stiftung des deutſchen Fürſtenbundes aufgeführt. Daher 
verſprach Kaifer Leopold II. in der Wahlcapitulation, fie nur auf Stifter zu ertheilen, wo ein 
ſolches Recht erwieſen fei. 

anifcher Schreden, f. Yan. 

anizzi (Antonio), Bibliothekar am Britifchen Mufeum, ift 16. Sept. 1797 zu Brescelloim 
Herzogthum Modena geboren, welches Damals einen Theil der Cisalpinifchen Republit bildete. 
Er begann feine Studien im Lyceum zu Reggio, bezog dann die Univerfität Parma, melde er 
4818 als Doctor der Rechte verließ, und widmete ſich hierauf dem Advocatenſtande. Das tiefe 
Intereſſe, weiches er an dem Schickſale feines Vaterlandes empfand, veranlafte ihn jedoch, ſich 
an der piemont. Revolution von 1821 zu betbeiligen. Bon einem Freunde denuncirt, wurbe er 
in Gremona verhaftet. Er rettete ſich durch die Flucht, ward aber in contumaciam zum Tode 
verurtheilt und fein ganzes Vermögen confiscirt. Da er in Lugano, wo er zuerft eine Zuflucht 
fuchte, fich vor den Nachſtellungen der Oftreicher nicht ficher hielt, begab er fih nach Genf. Doc 
wurde er bald auf Anfuchen des öfter. und fardin. Gefandten nebft den andern ital. Flüchtlingen 
aus der Schweiz gewielen, und weil man ihm die Durchreife durch Frankreich nicht geftattete, 
mußte er den Weg nach England, wohin er ſich jegt zu wenden entfchloffen hatte, überden Rhein 
und bie Niederlande einfchlagen. Nachdem P. einige Monate in London zugebracht, wandte er 
ſich nach Liverpool, wo er von Ugo Koscolo dem berühmten Gefchichtfchreiber Roscoe vorgeftellt 
wurbe, der ihn gafifrei aufnahm und fortan wie einen Eohn behandelte. P. lebte feitdem In Li⸗ 
verpool als Lehrer der ital. Sprache in angenehmen Verhältniſſen, bie ihm 1828 der Lehrſtuhl 
der ital. Sprache und Literatur an ber neuerrichteten Iondoner Univerfität angetragen wurde. 
Nach einigem Bedenken folgte er auf Anrathen feines Freundes Brougham diefem Rufe, beflei- 
bete aber fein neues Amt nur etwas über zwei Jahre. Im März 1851 wurbenämlid) ber Poſten 
eines Hülfsbibliothefare am British Museum erledigt. P. bewarb ſich ſogleich um dieſe für einen 
Büdyerliebhaber fo erwuͤnſchte Stellung und erhielt fie durch den Einfluß bes unterdeſſen zum 






)  Yanlei °  Yanaonia 


[1 a a TS 
‚Sh-Maseum ——— nee — fe wer unweliflänbig, ſchlecht gesiiunt 
Peering ften Katalogen verfehen. Un den Berath die zur‘ 

fhsitfanden, nahen P. hervorragenden Anthell und machte fich noch mehr 


geſegten Barlamentscomiite ertheilte. ds baber der Cuſtos der gebrudten Bücher (Koeper d 

pristed books), Denty Baber, im Juni 1837 von feinem Poſten fihied, wurde P. mit Üben 
gehung der älten Beamten dazu ernannt. Un ber Spige der Bibliothek ſtehend, mwibmet: e 
jegt ale feine Kräfte der Aufgabe, fie ihrer Beſtimmung als (iterartfger Bkittelpumt der Be 

Sabt Landen würdig zu machen, und trog mandyer Anfeindungen wurden feine Weflrebumgen 
- Im: @angen von Erfolg gekrönt. Er bewog bie Regierung, vermehrte Zufı equb b 
—— der Bücher 185785 ven 225000 auf 510000, traf 
anbgabe vollftändiger Kataloge und führte überhaupt ein fireng geordnetes 
Miekfanrteit fich durch die Erfahrung bewährt Hat. In den 1836 — 50 —* 
vlhten der parlamentariſchen Gomnzlffionen zur Unterſuchung des British Museum —** er ſc 
Nechenſchaft über feine Thätigkeit —** Außerdem bat man von ihm „A short guide i 
that poriuon of Ihe printed books now open to the public” (Bond. 1851 und öfter). Bombe 
übeigen Arbeiten P.’6 find zu nennen: feine Ausgabe des „Orlando innamorato* und „Orlande 
fariogo‘ In neun Bänden (Lamb. 1850—54), in der er zuerſt den Tert deb Bofarde In fm 
urfprünglichen Reinheit wieberberftellte, und eime Ausgabe der „Soneni 6 esnzone” beffeäke 
Dirpters (Zond. 1855). | 

MPankration, d. i. Geſammtkampf, hieß bei den Griechen derjenige Wettkampf, bei mb 
dem die Kämpfer, die man Paukrutiaſten nannte, ben Fauſtkampf mit dem Ringen in be 
Ust verbanden, daß fie nur mit der geballten und umbewaffneten Hand borten, wie mod ie 
die beit. Bauftfchläger thun, und fo ben Gegner zu überwinden ſuchten. 

* f. Dan gtpeige vente. 

).. Duck Adolf's von Raffau Erflürmmg von Mainz im —**— 
vom 97. zum ma u hise wurde nicht nur die Thätigkeit der dortigen 
















Befiger ohnehin zu bem Gegner des Siegers, dem Erzbifchof Diether von Iſenburg, fich her 


ten und ihm fogar ein Manifeft gegen feinen Feind gebrudt hatten, auf einige Zeit gebhenmt, 
fondern die Gehülfen Fuſt's und Schöffer's fahen ſich auch zur Flucht genöthigt und derbreite 
ten fo das Geheimniß der Buchdruckerkunſt in alle Ränder, obgleich fie einen Eid auf die Be 
wahrung deffelben hatten ablegen müffen. Unter ihnen waren auch zwei Deutfche, Kor. 
Sweynheym und Arnold P., die nad) Stalien gingen und in dem nahe bei Rom gelegenen It» 
ſter Subiaco unter dem Schuge des Papftes Paul II. gemeinfchaftlich die erſte Druckerei in It« 
lien errichteten, welche von 1464—67 befland. Sie drudten den Donat (ohne Ort umd Jahr) 
von bem aber kein Blatt auf unfere Zeit gekommen ift, den Ractantius von 1465 und in demief 
ben Jahre Cicero’ Schrift „De officiis”, in der ſich auerft griech. Schrift findet, ſowie 1466 dei 
Auguftinus Schrift „De civitate Dei”. Noch in demſelben Jahre wurben fie von den Marchefen 
Pietro und Francesco be Marimis nach Rom berufen, wo ihnen diefe Befchüger der neuen und 
dewunderten Kunft in ihrem eigenen Haufe ein Aſyl eröffneten, was freilich etwas zu fpät ge 
ſchah, um fih den Ruhm der erften Druder in Rom felbft erwerben zu können; denn diefer ge 
bübrt dem Urih Han, aus Wien oder Ingolftadt gebürtig. Mit diefem metteiferten num P. 
und Sweynheym, und auß ihren Preffen gingen, für jene Zeit ſchön gedruckt, Eicero’& „‚Episto- 
lae’ (1467), ſowie nach und nach die Werke von Livius, Cäfar, Virgil, Strabo, Duinctiäen, 
Appulejus u. f. w. hervor, überhaupt aber lieferten fie in einem Zeitraume von fieben Jahren 
412460 Bände. Nichtödeftomeniger ſcheinen Beide doch in Armuth verfallen zu fein, wie an 
einem noch erhaltenen Briefe hervorgeht, in welchem fie ben Papft Sirtus IV. um Unter 
flügung erfuhen. Sweynheym trennte fih um 1473 von P., vielleicht um fich der Kupfe: 
ftecher- und Gravirkunſt ausfchließend zu wibmen. Er wurde der Erſte, der Landkarten type 
grapbifch druckte, wie die nach feinem Tode erfchienene erfte Ausgabe des Ptolomäus zeigt. F. 
druckte bis 1476 allein fort. 

Sannonia hieß als rom. Yrovinz dad Land, das im N. und D. durch die Donau, im ®. 
durch die Gebirge von Roricum begrenzt wurbe, im S. mit einem ſchmalen Streif über bie Gew 
(Savus) reichte und das heutige Ungarn jenfeit der Donau, Slawonien, einen Gtreif von Bob 
wien, das norböftliche Kroatien und bie öftficgen Striche von Krain, Steiermark und Rieder 


N 


Bauofla 633 


Sftreich umfaßte. einen Ramen hatte es von den Bannoniern, bei den Griechen auch Päoner, 
wie die thrazifche Bölkerſchaft am Strymon genamt, einem Volke illyr. Stamms, das ur 
fprünglich in dem Lande zwifchen den dalmatifchen Bergen und ber Save, im heutigen Bosnien, 
und weiter ſüdöſtlich bis zu den Dardaniern in Möfien (Serbien) wohnte. Gegen fie und ihre 
weftlichen Nachbarn, die Japyden, richtete zuerſt Auguftus 35 v. Chr. die rom. Waffen und 
beswang fie nach der Eroberung von Segeftica oder Siscia (Siszek) an dem Einfluß des Co: 
lapis (Kulpa) indie Save. Eine Empörung, die 129. Chr. ausbrach, wurde durch Tiberius nad 
längerm Kriege unterdrückt; weit gefährlicher aber war ber durch die Bebrüdtungen der Römer 
veranlafte Aufftand 6 n. Ehr., an dem auch die Dalmatier Theil nahmen und an deſſen Spige 
ein Dalmatier und ein Pannonier vom Stamme der Breufer, Beide Bato genannt, flanden. 
Ihn zu unterdrüden, gab Tiberius feine Unternehmung gegen Marbod auf, und nach einem 
blutigen Kriege, zu dem 15 Legionen verfammelt wurden und der bis 9 n. Chr. dauerte, 
unterwarfen er und Germanicus die Parmonier, die 200000 waffenfähige Männer zählten. 
Hierauf wurde bas Volk in die nördlichen Gegenden übergefiebelt, die nun von demfelben ben 
Namen erhielten. Bon ben frühern Bewohnern diefes Landes, den celtifchen Bojern, die gu 
Caͤſar's Zeit durch Börebiftes, den König des getifch-dacifhen Reiche, faft vernichtet worden 
waren, hatte ſich nur ein Meiner Theil im norweſtlichen Theile, der noch zu Noricum gerechnet 
wurde, erhalten, ihre mweitern Wohnplätze nörblid und weftlich vom See Pelfo (dem Platten⸗ 
fee) wurden Damals ald die Wüſte der Bojer-bezeichnet. Wahrfcheinlich unter bes Tiberius Re⸗ 
gierung, bei deren Anfang fein Sohn Drufus die Empörung der drei in P. liegenden Legionen 
flillte, erhielt das Land Provinzialeinrichtung, unter der die Pannonier allmälig zu Römern 
wurden. Das oftlihe Noricum (f. d.), von celtifhen Tauriskern bewohnt, wurde mit zu ber 
Provinz gefchlagen, ebenfo der größte Theil des Landes der celtifchen Carni (in Krain), das 
aber ſpäter zu Italien fam ; im ſüdöſtlichſten Theile der Provinz zwifchen der untern Save und 
Donau wohnten die celtifchen Skordisker, bie früher dem Borebiftes, fpäter dem Tiberius bei- 
geftanden hatten. Zange beftand die Eintheilung der Provinz, die an der Donau gegen die nörd⸗ 
lihen Marfomannen und Duaden und die öfllichen Jazygen durch eine Reihe von feften Plägen 
gefichert wurde, in das obere (weftliche) und das niedere (öftliche) P., zwiſchen denen eine Linie 
von der Mündung des Fluffes Raab (Arrabo) in die Donau bis zur Mündung des bosnifchen 
Fluſſes Berbas (Urpanus) in die Save die Grenze bildete. Den größern Theil Niederpanno- 
niens zwifchen dem Plattenfee und der Donau cultivirte erft im A. Jahrh. Galerius und nannte 
ihn als eigene Provinz zu Ehren feiner Gemahlin Valeria. Unter Konftantin, der ſechs Legio⸗ 
nen in P. hatte, fam die Eintheilung in die zu den illgr. gerechneten Provinzen Pannonial. und 
fl., Valeria und Savia (zwiſchen der Drau und Save) auf. Namentlich Oberpannonien mar ber 
Schauplatz des marfomannifchen Kriegs im 2. Jahrh. gemefen ; von ben Markomannen, Ina 
den und Jazygen wurde das Land auch fpäter beunruhigt, in welchem befreundete Vandalen 
von den Römern angefiebelt wurden. Im 5. Jahrh. wurde es auf Veranlaffung bes Aëtius 
von dem weftrom. Valentinian III. an den oflröm. Theodoſius II. und von diefem an die Hum- 
nen (f. d.) abgetreten. Nach Attila's Tode 453 nahmen es die Dftgothen ein (f. Gothen) ; ne- 
ben ihnen wohnten in dem füdöftlichen Theile Bepiden (f.d.), im norbweftlichen Rugier ; Theo- 
dorich führte 488 die Gothen heraus, doch gehörte P. auch ferner zu feinem Reiche. Im 3.527 
befegten unter Auboin die Kongobarben (f. d.) das Land, das fie 568 beim Abzug nad) Italien 
den tatar. Avaren (f. d.) überließen, neben denen im Süden audy flaw. Stämme damals fi) 
niederließen. Die Avaren unterlagen Karl d. Br., deffen Herrfchaft auch über P. ſich erſtreckte. 
Unter feinen Nachfolgern verbreiteten fi) auch vom Norden her Slawen über das Land, dab 
ein Theil des großen Mährifchen Reichs wurde, bis 893 Amulf die Magyaren oder Ungarn 
(f.d.) gegen das letztere aufrief, Die fich des Randes bemächtigten. Unter den Städten P.s waren 
in der Römerzeit außer Siscia die wichtigften an ber Donau Vindobona (Wien), Carnuntum 
(bei Haimburg),Arrabo (Raab), Bregaetium (Komorn), Crumerum (Gran), Acincum (Bude); 
im Lande an der Save md Drau Mursa (Effet), Acimincum (der Theifmimbung gegenüber), 
Taurunun (Semiin), Sirmium (Mitrovic,), von dem ber Landſtrich noch jegt Sirmien heißt, 
Cibalae (Binfovcze), Noviodanum (Novigrad an ber Kulpa) ; im camifchen, fpäter zu Italien 
gezogenen Lande Nauportus (Oberlaibach), Aemona (Zaibach); im Innern Sopianae (Fünf 
firden), Cimbriana (Gtuhlweißenburg), Sabaria (Stein am Anger) ; Scarbantia (Odenburg). 

Danofla (Theod.), einer der thätigften Archäologen Deutſchlande, geb. 25. Febr. 1801. gu 
Breslau, erhielt auf dem Friedrichsgymnaſium feiner Vaterſtadt und ſeit 1819 auf der Univer- 
Aität zu Berlin feine claffifche Bildung. Kaum hatte er feine Studien vollendet und durch die Ab⸗ 


624 Panorama 


handlung „De rebus Samiorum“ (Berl. 1822) einen Ruf ſich begründet, ſo unternahm er 1822 
feine erfte Reife nach Rom, wo er durch einen Cyklus von Vorträgen über Sophokles, die er auf 
bem Gapitol vor einem Vereine von Alterthumskennern hielt, die Beranlaffung zur [pätern Grm 
dung des Archäologiſchen Inftituts gab. Hierauf bereifte er 1824 zugleich mit Dem Baron ven 
Stadelberg Sicilien, ging dann wieder nad) Rom zurüd und von bier aus nad) Paris. Rad 
dem er zu Anfang 1827 auf kurze Zeit fein Vaterland befucht und in Berlin ſich Habilitirt hatt, 
wendete er fich abermals nad) Paris, um in Kolge einer ehrenvollen Auffoderung des Derzegl 
von Blacas die Kunftfchäge des demfelben gehörigen Mufeums befannt zu machen. Auch ie 
gleitete er 1828 den Herzog nach Neapel und leitete im darauf folgenden Winter bie Andge 
bungen zu Nola, deren Nefultate damals im „Kunftblatt” von ihm mitgetheilt murden. Bd 
der Gründung bed Archäologifchen Inftituts zu Rom 1829 fuchte er, durch feine Stellung be 
günſtigt, in Paris einen zweiten Vereinigungspunft für das Inftitut zu gewinnen, ber vor dem 
römifchen außer mehren andern Vortheilen namentlich den engern Verkehr mit Deurfchlan 
voraus hatte, und rettete dieſe Zweiganſtalt, als ihr nach ber Julirevolution die Auflofung droht, 
durch bedeutende Opfer vom Untergange. Er felbft kam 1824 in feine Heimat zurück, wer 
4835 bie ‚Annali dell’ Instituto” herausgab, und nachdem er das fieben Jahre geführte Amt eind 
dirigirenden Secretärs des Inftituts niedergelegt, 1836 ordentliches Mitglied der Akaden 
der Wiſſenſchaften wurde. Zu gleicher Zeit begann er feine Vorlefungen an der Univerftä 
wofür er 1844 zum auferordentlichen Profeffor ernannt warb. Unter feinen zahlreide 
Schriften erwähnen wir die „Lettera sopra una inscrizione del teatro Siracusano” ($i 
4825); „Vasi di premio” (Heft 1, Zlor. 1826, mit Kpfrn.); „Museo Bartoldiano” (Bei 
4827); ‚„Neapels Antiten” (Stuttg. 1828); „Recherches sur les noms des vases Grec 
(Par. 1829); „Musse Blacas” (A Lief., Par. 1850 — 35); das nur in 100 Mbzügen er 
bandene Hauptwerk „Cabinet du comte de Pourtalis” (Par. 1834); „Xerracotten bei } 
tönigl. Muſeums“ (Berl. 1842); „Der Tod des Skiron und bes Patroflus‘ (Berl. 1846); 
„Bilder antiten Lebens” (Berl. 1843 fg.); „Briechinnen und Griehen nach Antiken fkizzut" 
(Berl. 1844); „Antitenfchau zur Anregung erfolgreichen Muſeenbeſuchs“ (Berl. 1850). Und 
hatte ex einen befondern Antheil an Gerhard’ „Hyperboreiſch⸗röm. Studien für Archäolsge 
(Bb. 1, Berl. 1833). In die „Abhandlungen“ der königl. Akademie zu Berlin lieferte er, Jan 
und Agina” (1835); „Argos Panoptes” (18537); „Von einer Anzahl antiter Weibgefchenk 
und den Beziehungen ihrer Geber zu bem Orte ihrer Beftimmung” (1858); „Don dem Cr 
fluffe der Gottheiten auf die Ortsnamen” (1840—41); „Über verlegene Mythen in Bew 
auf die Antiten des königl Mufeums” (1830); „Die Heilgotter der Griechen” (1843); „U 
klepios und die Asklepiaden“ (1845); „Don den Namen der Vafenbilder in Beziehung u 
ihren bildlichen Darftellungen” (1848); „Die griedy. Eigennamen mit Kalos, im Zuſammen 
bang mit dem Bilderfehmud auf bemalten Gefäßen‘ (1849); „Die griech. Trinkhörner un? 
ihre Verzierungen” (1850); „Parodien und Garicaturen auf Werken der claffıfchen Kunt 
(1851); „Gemmen mit Infchriften in dem königl. Mufeum zu Berlin u.f. m.” (1851); „Div 
nyfos und die Thyaden” (1852); „Proben eines archäologischen Commentars zu Paufaniat’ 
(1853). In der in Gemeinfchaft mit Ed. Gerhard 1845 gegründeten und feitdem geleitette 
Archäologiſchen Geſellſchaft zu Berlin gab er zur Windelmannsfeier (9. Dec.) mehre Pre 
gramme heraus. 

Panoräma (griech.) nennt man die bildliche Darſtellung aller der Gegenftände, meld 
man von einem gewiffen Punkte aus überfehen kann. Diefer Punkt kann nun entweder feftite 
hend oder beweglich angenommen werben. Im erften Falle erhalten wir ein Rundgemälte, d.h. 
dad Bild einer Gegend, wie fich diefelbe von der Höhe eines Berge, ber Spige eines Thurwi 
u. f. w. darftellt, im zweiten Kalle aber entfteht das Längenbild einer Gegend, wie ſich dieſelde 
etwa dem Reifenden zeigt; dahin gehören 3. B. bie Panoramen bed Rhein, der Donau u. ſ. E- 
Das Nungemälde wird in dem dazu beftinnmten Raume an der Wand ringsherum aufgelick 
während der Befchauer ſich in der Mitte befindet. Die Beleuchtung fällt von oben herein, ehrt 
daß ber Beichauer die Lichtquelle fieht, und durch vollkommene richtige perfpectivifche Zeichnurs- 
naturgetreue Barbengebung und Abftufung der Fernen ift ein Effect möglich, welcher bis u 
einer wirklihen Täuſchung führen fann. Der Erfinder der Panoramen war ';rofeffor Breit: 
in Danzig, und daß erfte in großem Maßſtabe aufgeftellte war das ded Schotten Nob. Barker 
welches 1795 in Edinburg gezeigt wurde. Gegenwärtig hat man in den größern Städten Fr 
bäube, welche eigens dazu errichtet find, foldhe Panoramen aufzunehmen, und in denen bie vr 
ſchiedenen Anfichten wechſeln und eine Zeit lang audgeftellt bleiben. Einen weitverbreitee 


Banflawismus ⸗ —* 


wohlverdienten Ruf Haben bie Panoramen von Enslen in Berlin. Der Amerikaner Rob. Fal⸗ 
ton brachte das erfle Panorama nach Frankreich. Man ift bemüht geweſen, durch merhanifche 
Apparate die Zeichnung der Panoramen zu erleichtern. Unter dieſen Apparaten nennen wir den 
Panoramagraphen von Gavard in Paris und den Scenograpfen vom Mechanikus 8. Hofe 
mann in Leipzig, die beide durch Zweckmaͤßigkeit ſich auszeichnen. Die Erfindung der Panora⸗ 
men 309 die einer Menge von Dramen nad fi. Dahin gehören außer dem Diorama (f.d.) und 
Reorama (f. d.) das Myriorama von Bres in Paris, verbeffert von Clark in London, eine 
Borrigtung, durch welche landſchaftliche Darflellungen zu immer neuen Bildern zufammen- 
gelegt werben fönnen; das Rosmorame, zuerft 1808 in Paris aufgeftellt, eine Vereinigung von 
Bildern einzelner Gegenden, welche unter fünftliher Beleuchtung durch Vergrößerungsglasta- 
feln angefehen in ihrer natürlichen Größe erfcheinen. Auch gefchichtliche Begebenheiten u. ſ. w. 
werden, obwol unpaffend, auf dieſe Weiſe bargeftellt. Das Europorama von Suhr in Hamburg 
ift eine Unterabtheilung ber Koßmoramen. Bei den Georumen von Delanglard fieht man im 
Innern einer hohlen, 40 F. im Durchmeffer Haltenden Kugel, an deren Umfange man die Glo⸗ 
bustarte bargeftellt fieht. Auch die Reliefmodelle ganzer Gegenden nennt man Georamen, ob» 
{don dafür die eigenthümliche Benennung Stereoramen vorhanden ift. Sie werden aus Pa⸗ 
piermafle oder Steinpappe gefertigt, und Kummer in Berlin, fowie Meinhold in Dresben lie 
fern darin fehr gute Arbeiten. Pleoramen find von Langhans, nach Andern von Kopifch in 
Breslau 1851 erfunden und ftellen Waſſergegenden fo bar, wie fie bem Vorüberſchiffenden er- 
fcheinen. Der Zuſchauer befindet fi in einer Barke und das Bild der Gegend wird an ihm 
vorübergeführt und durch optifche Taäuſchung möglichft naturgetreu gemacht. Das erfte Pleo⸗ 
rama war eine Darfiellung bes Golfs von Neapel. Ahnlich find bie in neuerer Zeit aufgelom 
menen Cykloramen, welche gewöhnlich große Flüffe mit ihrem nähern oder entferntern Ufer 
von der Quelle bis zum Ausfluffe, mit gelegentlicher Abanderung der Beleuchtung zu verfchieder 
nen Tageszeiten vorübergleiten laffen, wobei Muſik und Erflärung der Scenerie abzumechfeln 
pflege. Der Amerikaner Lewis vereinigte mit einer folhen Darftellung des Miſſiſſippiſtrems 
auch bie Veranſchaulichung transatlantiiher Sitten und Gebräuche. Kahleis, ein anderer be 
kannter Cyeloramiſt, verfuchte (1853) 3000 3. Weltgeſchichte auf diefe Weiſe vorzuführen. 
Panflawismus, d. i. das gemeinfame Beftreben aller flaw. Völkerfchaften nach einem 
Ziele, nennt man zuvörderſt das in der politifchen Literatur, wie man fagt, durch ruff. Einfluß 
bervorgerufene Beftreben, alle ſlaw. Volterfchaften unter ruff. Oberhoheit zu vereinigen. Die 
anonyme Schrift „Die europäiſche Pentarchie” (2pz. 1839) und die Schriften des Adam Gu⸗ 
rowſti (f.d.) machten in diefer Hinficht die meifte Senfation. Auch zeigte man überall auf das 
Borhandenfein ruff. Spione, ruff. Emiffare in Deutſchland und Frankreich, befonder6 aber in 
den von Slawen bewohnten Rändern bin und rechnete fogar die literarifchen Verbindungen 
einzelner ſlaw. Gelchrten mit ruff. Gelehrten dahin. Ferner verfteht man auch unter Panflar 
wismmuß das vermeintliche felbftändige Beftreben der flaw. Völkerfchaften, einen einzigen Staat 
zu bilden. Eine confoderirte Republik oder Monarchie, oder was fonft, läßt fich nicht beſtim⸗ 
men, weil der ganze Plan, wenn er vorhanden wäre, bei der biftorifchen, religiöfen, ſocialen, 
politiſchen und induftriellen Verfchtedenheit der einzelnen ſlaw. Völkerſchaften geradezu unaus- 
führbar wäre. Unter den öfter. Slawen bemühte man fid) längere Zeit, dem Panſlawismus die 
Bedeutumg einer geiftigen Vereinigung, eines literarifchen Zuſammenwirkens der verfchiedenen 
flaw. Bölkerfchaften untereinander zu geben. Diefer Gedanke ift namentlich in der Schrift Kol⸗ 
lar'6 (f. d.) „Über Iiterarifche Wechfel ſeitigkeit der Stawen“ (Pefth 1837) näher entmidelt. So 
groß auch hier die Dinderniffe find, die ſich der Realiſirung diefes Gedankens entgegenftellen 
müſſen, bat er doch nicht verfehlt, auf die Förderung des gemeinfamen Bewußtfeins der Slawen 
feinen Einfluß au äußern. Der Ausbruch der europ. Bewegung von 1848 ließ indeſſen auch), 
namentlich in der ofte. Monarchie, die politifchen Ideen zu Tage treten, die in ber ſlaw. Natio⸗ 
nalität gaͤhren und ſich an ben vagen Begriff des Panflawismus anlehnen. Gegenüber den 
deutfchen Einheitöbeftrebungen und befonders der Auffoderung an die Böhmen, gleich den übri« 
gen deutfchen Bundesländern die Wahl von Abgeorbneten in das deutfche Parlament zu Franf- 
furt zu vollziehen, bereiteten die Slawenclubs im Mai 1848 einen Congreß aller Slawen ber 
öftr. Monarchie vor, der auf die künftige Geftaltung der legtern einwirken follte. Unter dem 
Zufteomen einer großen Anzahl Slawen aller Länder, meift mit ihren Nationalcoſtüms ange» 
than, ward der (zum 31. Mai berufene) Congreß 2. Juni zu Prag in einem Saale der Sophien⸗ 
infel eröffnet. Man hatte die ſämmtlichen Slawen in drei Abtheilungen getheilt: 1) Böhmen, 
Gonv.sLer. Zebnte Aufl. XI. 40 


8 | Panther : PYantomime 
Logen find. Auf einer ſchlanken Wenbeitreppe aus Quadern mit freier Spinbel fleigt me 
aufs Dach. Hier geht eine gerade Treppe über da6 Dach bis unter den offenen Gäulengam 
von 52 korinth. Säulen, die ungefähr 40 $. hoch fein mögen und die Attika tragen, auf weihe 
der obere abgerundete Theil der äußern Kuppel ruht. Bier mit Halbfäulen gezierte Pfeiler af 
den Eden des Doms fügen unten die Kuppel, welche aus brei übereinander aufgeführten map 
fiven Gewölben befteht und fich wie ein Luftigeö Zelt von Dluadern über einer Tiefe von 260 E 
ausfpannt. Durch vier runde Pfeiler, welche innerhalb der Kuppelcolonnade ftehen, laufen sin 
Wendeltreppen binauf, welche ben Beichauer auf das Dach der Kuppel bringen. Hier fichtis 
ber Mitte noch eine kleine Thurmkuppel, die fogenannte Laterne, um welche eine Galerie mi 
einem eifernen Geländer —— von wo man ganz Paris und bie Umgegend mieilemwei 
wie auf einer großen Nelieflarte überfieht. Die Hohe des Gebäudes vom Boden bis an ik 
Thurmkuppel beträgt 282 F. Der ganze Bau, fowol im Innern als im Außern, iſt von re» 
figen Quadern des bei Paris brechenden vortrefflicyen Kalkſteins aufgeführte. Das Gebänk 
war noch nicht ganz beendigt, als die Revolution von 1789 ihm den Namen Pantheon francai 
und bie Beftimmung eines Ehrentempels ertheilte, wo bie Standbilder großer Männer axfp 
ſtellt werden Sollten. In den Gemwölben, die fi) unter dem ganzen Gebäude befinden, erhidks 
Die Bürger, die fi) um das Vaterland verdient gemacht, ein Ehrengrab. Anſtatt einer Begw | 
benheiligen hatte man al&bald eine ganze Berfammlung von neuen Revolutionsheiligen, bie mm n 
aber gu voreilig kanoniſirte oder, nach der bamaligen Sprache bed Tags, pantheonifirte, feld | 
mehre wieder herausgeivorfen wurden. Bei ber Ummanbdelung des Gebäudes zum Pantkes 
wurden allenthalben die Basreliefs mit Begenftänden aus ber Bibel und Legenden weggenen 
men und durch andere mit Allegorien und Sinnbildern des Pattiotismus, ber Philoſophie, be 
Wiſſenſchaften, Künfte und Gewerbe und Apotheofen herotfcher oder gefellichaftlicher Kugenba 
und Berbienfte erfegt und im Frieſe über der großen Vorhalle Die Infchrift: Aux grands bom- 
mes la palrie reconnaissante, angebracht. Napoleon ließ bie revolutionären Ornamente m 
Jufchriften wegräumen und das Gebäude an bie kath. Geiſtlichkeit zurückſtellen, reſervirte air 
die Grüfte als Ehrenbegräbniß für die Notabilitäten bes Kaiſerrelchs, von welchen Bier meet, 
iD. ber Marſchall Lannes, beigefegt find. Die Reftauration. ſuchte den profanen 
bes Gebäudes vollends zu tilgen umd ihm Burcch neuen kirchlichen Schmud ein heiliges Unfea 
zu geben. Es wurde von Ludwig XVII. aufs neue als Kirche der heil. Genoveva eingeweiht, w 
im Auftrage Karl's X. malte Gros an dem oberften Kuppelgemwolbe das große Fres cobild, nd 
ches jene Heilige als Beichügerin des alten franz. Königihrons barftellt. Die Julirevolutie 
son 1830 machte aus der Kirche wieder ein Pantheon. Der Bildhauer David D’Angei 
ſchmückte das Biebelfeld der Vorhalle mit einem großen Dautrelief und im Friefe wurde die fr* 
here Infhrife erneuert. Am Innern wurden in die vier Pfeiler, welche Die Kuppel ſtüßen 
Dronzetafeln mit den Namen der in den Julitagen gefallenen Kämpfer eingelaffen und bie Ge 
wölbbogen der unterften Kuppel mit $redcomalereien decorirt, welche nach Gerard's Gompef 
tionen ausgeführt find und den Tod, das Vaterland, die Gerechtigkeit und den Nachruhm obs 
politiſche Nebenbeziehungen vorftellen, ſodaß fie auch in einer chriftlichen Kirche nicht allzu fe 
auffallen. Nach der Februarrevolution von 1848 wurde der Maler Chenevard beauftragt, di 
nadten weißen Wände ded Innern mit einem Cyklus allegorifcher Fresken zu ſchmücken; abe 
bie Ausführung unterblieb in Folge ber Decemberereigniffe von 1851, welche den Path. Klersi 
wieder zum Herm des Pantheon gemacht haben. Das Hautrelief des Giebelfeldes und br 
Bronzetafeln mit den Namen der Zulihelden find mit Breterverfchlägen zugedeckt worden, I 
Malereien Gerard's jedoch frei gelaffen. Die beiden Sargfiften, welche Voltaire's und Re 

feau’6 Gebeine einfchließen, ftehen noch in den unterirdifchen Gewölben. 

Panther oder Parder ift der Name verfchiedener theils im Rauchwaarenhandel, theild ww 
unmwiffenfchaftlichen Neifenden vermechfelten Arten großer gefledter Kagen. Der Panther (fe 
lis Pardus) der Zoologen ift ein ſchönes, befonders auf Java und Sumatra lebendes Thier, # 
doch bedeutend Meiner ald der echte Keopard, hat einen dem Rumpfe (mit Einfluß des Koml' 
gleihlangen Schwanz, lebhaftere gelbe Färbung und größere, weniger zahlreiche und im Innen 
des Nings viel dunflere Flecken. Diefe Art ift überaus felten und wol faum lebend in Eurer 
gefehen worden. Gewöhnlich aber wird der Panther mit dem afrik. Leoparden (f. d.) vermeb 
felt, von dem er auch wol faum fpecififch verfchieden fein mag. Der in einem großen Te 
Amerikas einheimifche Dzelot (F. Pardalis) wird gleichfalls häufig ald Panther bezeichnet, m 
in Nordamerika nennen Jäger den Euguar oder Puma, obfchon er ungefleckt ift, auch Pamde 

Pantomime, eine Ausartung der urfprünglihen Mimen (ſ. d.), nannten bie Alten bie Dr 


Yanvini Banyafis OB - 


ftellung der Bedanten, Empfindungen und Handlungen durch künſiliche Bewegung des Körpers 
in Verbindung mit Tanz und Muſik. Der Künftler, welcher eine Charafterrolle oder ein ganzes 
Stück auf diefe Weife ohne Worte verfinnlichte, hieß ebenfalls Pantomime oder Pantomimiſt, 
bie Kunft ſelbſt Pantomimik. Schon den Griechen war die Trennung der Mimik (f. d.) umb 
Declamation (f. d.), auf. welcher das Weſen der Pantomime beruht, nicht unbekannt, obgleich 
fie einen befondern Namen dafür nody nicht hatten. Go finden wir, daß bei ihnen eine Perfon 
Charaktere pantomimiſch darftellte, während ein Anderer dazu declamirte oder fang und ein Blö« 
tenbläfer dad Ganze mit der entſprechenden Muſik begleitete. Ebenfo wurden Myıhen und Sce⸗ 
nen aus dem gewöhnlichen Leben, beſonders lächerlicher Art, bei Feſtlichkeiten pantomimiſch 
ausgeführt. Doc) theatralifche Vorftellungen diefer Art, die fogenannte sallatio pantomimo- 
zum, wurden erft unter den Römern ausgebildet, namentlich zur Zeit der erften Kaifer, als mit 
dem Berfchwinden der Volksfreiheit auch die theatralifche Poeſie zu verftummen anfıng. Dabei 
liegen fich die Pantomimen im Eifer ihres Epield häufig zu ganz willfürlichen Geberden hin⸗ 
reißen, daher man den Inhalt der Vorftellung durch Ankündigung dem Volke vorher befanmt 
machte, wofür man fich in neuerer Zeit der Theaterzettel bedient. Mimenfpiel konnte bei dieſen 
Darſtellungen ebenfo wenig als bei dem Schaufpiele der Alten überhaupt ftattfinden, weil die 
Pantomimen wie bie Schaufpieler der Masten ſich bedienten. Mit Auszeichnung werben unter 
Auguflus als zwei große Nebenbuhler in dieſer Kunſt Bathylles und Pylades genannt; fpäter 
unter Domitiänus Paris. Bereits feit dem 2. Jahrh. n. Chr. äußerten diefe Darftellungen, an 
denen das rom. Publicum einen wahrhaft leidenfchaftlichen Antheil nahm, durch Verlegung 
bes Anftandes und fittlidhen Gefühls einen verderblihen Einfluß auf das Volksleben, befonders 
feitdem auch Frauen mit auftraten, fodaß die Pantomimen wiederholt aus der Hauptfladt und 
Italien vertrieben werden mußten. Mit dem Verfchwinden des rom. Theaters im 5. Jahrh. er 
reichte auch diefe Kunft ine Ende; doch kam fie bei den von Natur in den Geberden lebhaften 
Stalienern in fpätern Zeiten wieder in Aufnahme. Bei vielen orient. Völkern, namentlich den 
Perſern und Chinefen, gehört noch jegt die Aufführung pantomimifcher Scenen mit muſika⸗ 
liſcher Begleitung zu den Hauptbeluftigungen. Die Pantomime im firengften Sinne, ald Dar- 
flelung einer Handlung durch mehre Pantomimen mittels der bloßen Geberden, ohne tanzmü⸗ 
Gige Bewegung, hat man ebenfall® zu verfchiedenen Zeiten wieder einzuführen verfucht, noch 
Häufiger aber, beſonders unter den Stalienern und Franzoſen, mit dem höhern Tanz in Verbin- 
dung gefegt und ausgebildet. So machte Noverre (f.d.), der Begründer der neuern franz. Zanz- 
Zunft, aus Voltaite’6 „Semiramis” eine Pantomime. Gegenwärtig hat fich ber Antheil, den 
man fonft der Pantomime fchenkte, theils dem Ballet (f. d.), theild den QTableaur (f. d.) oder den 
pantomimifchen Darftellungen einzelner Situationen nad) Gemälden zugemwendet. über die 
Dantomime der Alten, von der fchon Lucian in feiner Echrift „Über den Tanz” ein treues Bild 
entwirft, findet fich eine hiftorifche und ritifche Beleuchtung in dem Werke „Uber die Pantomi- 
men” (Hamb. 1749). Vgl. VBörtiger’s Abhandlung „Ariadne und Bacchus, eine Pantomime 
nach Zenophon” in deffen „Kleinen Echriften” (Bd. 3, Dresd. und Lpz. 1858). 

anvini (Onofrio), lat. gewöhnlich Onuphrius Panvinius genannt, ein ital. Alterthums- 
forkher und Geſchichtſchreiber, geb. 1529 zur Verona, widmete fi) anfangs dem geiftlichen 
Stande und erhielt 1554 eine Profeffur der Theologie zu Florenz, zog ſich aber bald von dem 
öffentlichen Xeben zurücd und lebte zu Palermo bis an feinen Tod, welcher 25. März 1568 er⸗ 
folgte, nur den Wiffenfchaften. Von feinen wegen ihrer gründlichen Gelehrſamkeit früher fehr 
geſchätten Schriften erwähnen wir die „Pasti et triumphi Romanorunı“ (Ben. 1588), da6 
„Chronicon ecclesiasticum” (Köln 1568; Pad. 1681), die „Pontificum Romanorum elo- 
gia et imagines” (Antw. 1572; Köln 1624), das Wert „De ritu sepeliendi mortuos 
apud veteres christianus” (Rom 1581); ferner „De antiquitate et viris illustribus Veronae” 
(Bad. 1648) und „De comitiis imperatoriis” (Strasb. 1613), worin das Entſtehen der Kur⸗ 
fürftenwürde in das Zeitalter des Kaiſers Friedrich IE. verfegt wird. Außerdem finden fi von 
‚ ihm viele Abhandlungen in „Thesaurus antiquitatum Romanorum” von Grävius. 
: Banyäfis, ein berühmter griech. Dichter aus Halikarnaſſus um 464 v. Ehr., ein Zeit- 
genoſſe des Herodot, Aſchylus und Pindar, verfaßte unter dem Titel „Heraklea“ ein großes 
epiſches Gedicht in 14 Gefängen, welches die Sage vom Hercules ihrem ganzen Umfange nach 
behandelte und fi) in fprachlicher und metrifcher Hinficht ebenfo wie durch feine Darftellung 
auszeichnete. Auch wird ihm ein anderes Gedicht im elegifchen Versmaße, „Jonika“ genannt, 
zugefchrieben. Nur von dem erftern find noch mehre Bruchſtücke vorhanden, welche Tzſchir⸗ 
ner In „Panyasidis fragmenta” (Brest. 1842) gefammelt hat. 


= Ä un vasl 
r heißt eine Bedeckung des Korpers gegen äußere gewaltſame Beriegungen. Der 
milch (f.d.) ziemlich gleichbedeutend, aus verſchiedenen Studen für. Bru * 
* Schenkel zufammengefegt, gehört zu den Schugwaffen und kommt on ** 
fi 











terthume vor. Er wurde anfangs aus Thierhäuten, rohem Erz, Horn ober Holz 
et, Pi — bei den Griechen und Nõmern aus geſchmiedetem Ciſen ober rn 

trug ihn, auch die Reiterei, Iegtere mehr in Form von Banzerbemben oder Schuppen 
peaujern, wilde fi) bequem anſchmiegten. Auch die Pferde, befonders bei den Scythen, warn 
mit Banzerbeden bekleidet. Solche Reiter, Mann und Pferb -gepanzert (Kataphrakten), em 
ſcheinen noch in den Kreugzügen bei ben Seldſchuken unter dem Namen Agulanen. Im Mir 
telalter wurde der Panzer bei ber abendländifchen Ritterfejaft bis zum Übermaße verflärkt mb 
wit neuen Nüftftüden auch für die Streithengfte vermehrt, ſodaß eine Berwundung fafl u» 
möglich wurde. In der Schlacht von Grecy Eonnten z.B. die Seſtürzten von den Ballifers 
nur nach mühfamem Auffprengen.der Panzer getöbtet werben. Dafür erſtickte jeboch Wander 
. 4a Harniſch, im Morgenlande fowol, wie auch z. B. bei Sempad). Das Feuergewehr, dem ber 

" er nicht widerfiand, fegte ihn allmälig uber Gebrauch. (&. Küraf.) 






ch, wurde 1751 Landprediger zu Etelwang, 1760 Diakonus an ber 
* 173 Schaffer oder Hauptpaſtor in Rürnberg. Er war Aufſeher der Stadtbibliothek uub 
von 1789 an Vorfteher bed Pegniger Blumenorbens. Zunãchſt beichäftigte er ſich mit ber Ge 
fepichte der Bibelaubgaben, zu welchem Behufe er auch eine ausgezeichnete Bibelfammlung > 
. fammenbradhte, bie er 1780 an ben og Karl Eugen von Würtemberg überlief. Gen 
uptwerk in diefer Beziehung iſt der „ urf einer vollftändigen Gefeicte ber beutfchen 
berfegung Zuther’6 von 151781“ (Rürnb. 1783; mit neuem’ Titel und Zufägen 
1791). Daneben fammelte er Portraits berühmter Perfonen, von denen er aud) ein Berzeide 
niß berausgab (Nümb. 1790 ; Supplemente, 1804). Endlich kam er auf eine Idee, durch 
deren gelungene —— er der Pfleger eines ber wichtigſten Zweige ber Bibliegre 
phie geworden iſt. Da nämlih Maittaire in feinen Iypographiſchen Annalen“ bie ältefien 
deutſchen Drucke fo gut wie ganz übergangen hatte, fo veranlaßte dies P. zu den „Mımalen der 
älteren deutfchen Literatur” (Nürnb. 1788), denen er Zufäge (Rpz. 1802) und einen zweiten 
Band (Nürnd. 1805) folgen ließ. Den weiten Plan einer allgemeinen Regiſtratur aller be: 
kannten Drude feit Erfindung der Buchdruckerkunſt bis 1556 fuchte er in den „Annales typo- 
graphici” (14 Bde., 1795— 1803) auszuführen. Die alten Drude aller Länder und Spra 
hen find darin, zum großen Theil nady eigener Anficht, in alphabetifcher Folge der Drudorte 
chronologiſch verzeichnet, kurz und genau charakterifirt, und Angaben der Bibliotheken, in ben 
fie verwahrt, und der Werke, in denen fie befchrieben werden, beigefügt. Außer den zahlreichen 
Bibliothefen feines Wohnorts unterftügte feine Arbeiten eine ebenfo koſtbare und an Selten 
beiten aller Art reiche, wie an Zahl ftarke Privarbibliothet. In feinem Amte machte er fi 
durch verftändige Verbefferungen des öffentlichen Gottesdienſtes und eines neuen Geſangbucht 
verdient. Er ftarb 9. Juli 1804. — P. hatte zwei Söhne, Georg Wolfg. Franz P. und 
Joh. Frieder. Bein. P. Der Erfte, geb. 1755 zu Egelmang, geft. als Landgerichts phyſſtui 
zu Hersbruck 1829, war auf dem Gebiete der Inſektenkunde und Botanif literariſch thätig 
Beſonders gefchägt find feine „Faunae insectorum Germaniae initia“ (Heft 1— 110, Rüml. 
1796— 1830, mit illum. Kpfrn.), die nach feinem Tode von Herrich⸗Schäffer fortgefege wurden 
Der Zweite, geb. 25. März 1764, geft. 15. Nov. 4815 als Pfarrer zu Elterdorf und Zar 
nenlohe, befaß eine vielfeitige gelehrte Bildung und lieferte gute Beiträge zur Kirchen» um) 
Reformationsgefchichte. 

Panzerthier oder Gürtelmaus (Chlamyphörus) ift ein Meines, merfrwürdiges, aut 
Samilie der ifolirt fiehenden Gürtelthiere gehörendes Säugethier, welches durch einen eig 
thümlichen Danzer von ziemlicher Dicke ausgezeichnet ift, der vom Kopfe anfangend den ganzes 
Körper bedeckt und nur feine Mittellinie entlang angewachfen, übrigens aber überall frei um 
etwas abflaffend iſt. Die ganze Unterfeite des Panzers und die Oberfläche des Körpers ift mit 
feidenartigen, hellblonden Haaren bededi. Dieſes Thier findet ſich, jedoch ſelten, auf den far 
digen Ebenen ſüdlich von Mendoza, wo es wie der Maulwurf lange Gänge unter der Erde gräbt 
und fich von Infekten, deren Larven und Würmern nährt. Die Länge bed Körpers beträgl 
fünf Zoll und der Schwanz ift ein Zoll lang. 

Paðdli (Pascal), Gefeggeber und kühner Vertheibiger Corſicas, ſtammte aus einer angefche 
nen corfifchen Familie und war 1726 geboren. Sein Vater, HOyacinth P. ein verdienter Ge 


* 







an (Georg Wolfgang), einer ber erften deutfchen Bibfiographen, geb. 16. März 1729 


Paols Paonie 68 
neral; der, von der gemuef. Regierung verfolgt, 1739 nach Neapel geflüchtet war, fendete ihn 
1755 nad Eorfica, wo man ihn zum Generalcapitän der Infel erwählte. Als folcher ſtand ex 
an der Spige einer demokratiſchen Regierung mit königl. Unfehen ; doch verfchmähte er dem 
Zitel eines Könige. Mit Energie und Kraft wirkte er, den Zuftand des verwilderten Volkes 
nach einem durcchgreifenden Plane zu verbeffern. Er ordnete die Verwaltung, errichtete ein regel» 
mäßiges Heer und gründete zu Corte eine Univerfität. Die barbarifche Sitte der Blutrache hob 
er auf und führte eine gefegmäßige Mechtöpflege ein. Nachdem er im Innern Ordnung umd 
Einigkeit hergeftellt, trieb er die Genuefer bis an die Küfte zurüd, wo ihnen nur noch vier Pläge 
übrigblieben, fodaß fie zu Frankreich ihre Zuflucht zu nehmen fich genöthige fahen. Seit 1764 
befegten die Franzoſen dieſe Pläge, während Genua den Krieg gegen den übrigen Theil Gorficas 
fortfegte. Aber P. und fein Bruder widerftanden der Macht Genuas, fodaß legteres die Infel 
endlich 1768 an Frankreich abtrat. Wie P. alle Verſuche Genuas, den Gehorfam der Infu- 
laner zu erfaufen, au Schanden gemacht, fo wies er auch jegt ſtandhaft die glänzendften Aner⸗ 
bietungen zurüd, die der franz. Minifter Choifeul ihm felbft machte, und ermuthigte, trog der 
geſchehenen Abtretung der Infel an Frankreich, die Corfen zum Widerftande. Doch nur ein 
Jahr vermochte er fich gegen die Franzoſen zu behaupten. Im 3.1769 begab er ſich nach Eng 
land, wo man ihn mit großer Achtung behandelte. Zwanzig Jahre nachher rief ihn die Fran- 
aöfifche Mevolution in fein Vaterland zurüd und als eifriger Republikaner gewann er bald das 
Bertrauen der Revolutionspartei. Im April 1790 begab er ſich nad) Paris, um der National» 
verfammlung, Die Gorfica in den Rang der franz. Provinzen aufgenommen hatte, den Eid der 
Treue zu leiften. Lafayette ftellte ihn dem Könige vor, der ihn zum Commandanten von Baſtia 
ernannte. Rad feiner Rückkehr auf die Infel wurde er zum Befehlshaber der National. 
garden und zum Präſidenten bes. Departements erwählt. Als folder befolgte er 1791 und 
1792 die Srundfäge der Revolution. Doch bei der in Frankreich zunehmenden Anardie faßte 
er den Vorſat, Corfica zu einem unabhängigen Staate zu erheben, und eine Confulta, die er im 
Mai 1793 zufanmenrief, ernannte ihn zum Präfidenten und Generaliffimus der Corſen. Der 
Nationalconvent Iud ihn fofort vor feine Schranfn. Da er nicht erfchien, wurde er 17. Mai 
für einen Staatsverräther erlärt. Bis zu diefem Zeitpunkte hatte P. mit der Familie Bona- 
parte im beften Ginverftändniß gelebt ; als ſich aber diefe entfchieden für bie jakobiniſche Partei 
erflärte, waren beide Familien auf immer getrennt. P. verband fi) nun mit England und be 
günftigte im Febr. 3794 die Landung engl. Truppen, welche mit ihm vereinigt Die Franzoſen 
von der Inſel vertrieben. Allein England betrachtete die Infel als eine Eroberung, und ber ehr» 
geizige P. war mit dem Theile der Macht, den man ihm gelaffen, nicht zufrieden ; auch verlor 
er burch feine Verbindung mit den Engländern bei einem großen Theile feiner Landsleute Ver⸗ 
trauen und Achtung. Dazu kam f:ine Feindfchaft mit dem engl. Vicefönige Elliot, der ihm 
nur wenigen Einfluß geftattete. Unter diefen Umftänden hielt er es für beffer, ganz auf die Re 
gierung Verzicht zu leiften, und auf eine erhaltene Einladung ging er 1796 nady Xonden, im 
deſſen Nähe er zurüdigegogen lebte. Er ftarb 5. Febr. 1807. Vgl. Boswell, „Account of 
Corsica” (Glasgow 1768; deutſch von Klaufing, Lpz. 1768 unböfter) ; Arrighi, „Histoire de 
Pascal P.” (2 Bde, Par. 1843); Kiofe, „Leben Pascal P.s“ (Braunſchw. 1853). 

Hadlo, von den Deutfchen gewöhnlich Paul oder Pauliner genannt, auch Giulio oder Ju- 
lier, ift eine rom. Silbermünze, welche durch Die Päpſte eingeführt wurde. Das urfprüngliche 
Bepräge zeigte im Avers das päpftlihe Wappen. Der Paolo hat 10 Bajocchi oder", &xudo; 
viele tragen auch bie Ziffer 10 im Gepräge. 964 Paoli gehen auf die köln. Mark fein Eilber. 
Der Werth des Paolo ift 4 Sgr. 4Yı Pf. preuß. = 15'/; Kreuzer füddeutfche Währung. 

Paon ift zumächft gleichbedeutend mit Päan (f. d.); auch heißt fo ber Sohn des Poſeidon 
und der Helle, ferner der Sohn des Endymion, ein Bruder des Epeios und Atolos, der, nach⸗ 
dem er von diefem in einem Wettlauf um die Oberherrſchaft befiegt worden war, nad) Mare 
donien ging, wo ein Landftridy am Axios nach ihm Paͤonien genannt wurde. 

aonie oder Pfingftrofe (Paeonia) iſi der Name einer zur Familie der Ranunkelgewächſe 
gehörenden Pflanzengattung mit fünf ımgleichen, blattartig-lederigen, bleibenden Kelchblättern, 
fünf bis gehn Blumenblättern, zahlreichen Staubgefäßen und zwei bie fünf Fruchtknoten, welche 
mit einer hahnekammartigen, fihelig oder faft fpiralig gebogenen Narbe befrönt find. Die zu 
diefer Battung gehörenden Pflanzen find ausdauernde Kräuter, feltener Halbſträucher niit oft 
tnollenartig verdeckten Wurzelfafern. Wegen ihrer fehr großen fchonen Blüten werden fie in 
Gärten gern als Zierpflangen gezogen. Beſonders gilt dies von der gebräuchlichen P. (P. of- 
ficinalis), welche, in den Bergmälbern bes füdlihern Europa einheimifch, in den Gärten allge 


‚au. gefülten Mläten cuithirt wir; Ihre Blätter find unterfeits blaͤſſer mit einigen | 

die Srüchte aufrecht und die Blumen karmin oder blutroth. Nunienttich gefchäge mich 
die haloſtrauchige chiueſiſche Yäonie (P, arkorea), deren Stempel mit einer bedgerfäruigen, 
aberwärts jerfhligten purpurbraunen Haut umgeben find. Ihre herrlichen, ſehr großen mb 
‚ sagenehm riechenden zofenrothen und weißen Blüten machen fie zu einer [ehr gefchäpten 
Berde unferer Gärten. Außerdem werben die in Sibirien einheimifche weipblumige Bir Bir 
nie (P. albillora), die feinblätterige Päonie (P. tenuffolia) u. a. bei und häufig cultivirt 

im Preiſe ſieht vor allen aber noch bie P. Wiltmanniana, welche blaßgelbe Blumen trägt. 

lefugeligen, glatten und glänzenden ſchwarzen Samen der Päonienarten merden an Scheer 
ren gereiht und unter dem Ramen Anodyne necklace Meinen Kindern umgehängt, "bei denen fx 

das Zahnen erleichterh follen. 

Papa, das griech. pappas, d. i. Vater, war In der griech. Kirche die Bezeichnung für alle, ne 
mentlich höhere Geiftliche, und im Jolcher Weiſe wurbe es auch dereits im 2. Jahrh. in der abendl 
Kirche gebraucht. Gegen Ende des 5. Jahrh. fing die leztere an, dem Biſchof von Rom wer 
augsweife den Titel papa beizulegen ; indeß blieb derſelbe noch bis ins 10. Jahrh. ein allgeme 
wer Ehrenname jedes Biſchofs. Erſt Gregor VIL machte 1075 papa oder Papſt (f. d.) zum 
ausbſfchlleßenden Titel des rom. Bifchoft. 

Papa, ein großer Markefleden und Hauptort eines Stublgerichtsbezirks im Gomitar Be 
prim des Odenburger Diſtricts in Ungarn, ſũdweſtlich von Raab, an der Tapoleza in ſchört 
Gegend gelegen, bat ein großes Schloß nebft Garten, .eine prachtoole fach. Marrfirde 
weiche 1778 auf des Fürſten von Eſterhazy Koften ganz aus großen Quaderſteinen erbaut ud 
im Innern mit rothem Marmor beBleibet wurde, eine griech. Kathedralkirche und Pfarre, ci 
Kisfter der Sranciscaner und eins der Barmberzigen Brüder, ein kath. Gymnaſium, ein uf 
Gellegium, ein allgemeines und bürgerliches Hospital und 12597 @, welche von 
und Tuchfabrikation, Weberei, Wiefencultur und Weinbau leben. P. war im 16.und 17. Jabeh 
bänfig ein Streitpunkt zwiſchen den Kaiferlichen und Türken. Am 12. Suni 1809 fand bafelhf 
ain Gefecht zwifchen ben Franzoſen und Oftreichern ſtatt. \ 

Papagai (Psittaous) eine in viele Gattungen zerfallende.artenreiche Gruppe ber ‚Kicker 
vögel, bie durch manche Eigenthümlichkeit ſich von allen verwandten ſcharf fondert, z. B. dw 
ungemein fleiſchige, dicke, für einen feinen Geſchmack eingerichtete Zunge und einen mit ie 
Stirn elaftifch verbundenen Oberkiefer befigt, den Fuß als Werkzeug des Greifens verwende, 
übrigens in Geftalt und Größe fehr wechſelt, wie die Vergleichung eines Kakadu mit dem Sper 
lingspapagai oder dem fogenannten Infeparabie (f. d.) beweifen fann. Der Schnabel ift di, 
kurz, fehr ſtark und fein Oberkiefer in langem Hafen über den Unterkiefer herabgefrümmt. Be 
den Rüflelpapagaien bildet die Zunge einen dünnen fleifchfarbenen Cylinder, ber am vorden 
Ende einen Knopf von ver Geſtalt einer Eichel trägt, und bei den Lorikets (Trichoglossus), 
welche fi vom Biumenhonig der auftralifchen Eukulypten nähren, ift die Zunge am vorden 
Ende in ein Büfchel Halbhorniger Fäden geiheilt. Die Papagaien find ebenfo wie bie Affen der 
Mehrzahl nach auf tropifche Klimate hingewiefen, doch kommen einige wenige Arten in Ra 
feeland, Paragonien und Nordamerika vor. Sie leben in Monngamie, find gefellig, eigentlid 
Waldvögel, nähren fi faft nur von faftigen Früchten oder unreifen zuderhaltigen Samen m 
werden deshalb, da fie oft in Schwärmen zufammenhalten, wie die Heinen grünen Sperlingepr 
pagaien und die Haldbandpapagaien, Maisfeldern und Gärten fehr verberblih. Dabei find fe 
liſtig, gefräßig und gubdringlich, und in der Gefangenschaft gemöhnen fie fi leicht auch an DE 
ihnen unangemeffenften Dinge, wie Fleiſch, Thee, Kaffee und Wein. Eieniften in den Erie 
men hohler Bäume oder in Höhlen von Felswänden und legen weiße, glänzende Eier. E& 
vertragen zum Theil unfer Klima, vorzüglich die amerifanifchen, namentlich die brafilianiide 
Umazonenpapagaien, können in der Gefangenfchaft ein hohes Alter erreichen, ſodaß eingeht 
drei Generationen derfelben Familie erlebt haben, welcher fie angehörten, pflanzen ſich aber # 
ber Sefangenfchaft felten fort, wie es noch am leichteften beiden blauen Araras gefchieht. Jude 
Jugend gutmüthig und gelehrig, werden fie im Alter ſtörriſch und bösartig. Sie find, feit durh 
Ulerander’t Bug die erften aus Indien nach Europa famen, ald Stubenvögel beliebt und, fewe 
fie zu den grünen brafilianifchen Arten gehören, jept fehr gemein. Ihre Fähigkeit, unmelodii 
Töne, aber auch die menfchlihe Sprache nachzuahmen, ift befannt und fcheint mandmal mi 
einem gewiffen Verftändniß verbunden. Wird auch ihre Intelligenz manchmal überfchägt fi 
gehören fie doch jedenfalls zu den intelligenteften aller Vögel. Sie zeigen viele Zärtlichkeit fr 
Ihren Piege, tönnen aber auch hämiſch und heimtüdifch fein. Die Lebhaftigkeit ihrer Pye 


Fi 


Papebroek Papias 633 


tafie, welche ihre Abrichtung fehr erleichtert, bewirkt bei zahmen Papagaien, daf fie träumen 
und im Schlaufe Wörter und Phrafen wiederholen, die fie auswendig wiffen. Die Gruppen ber 
verfehiedenen Welttheile haben etwas Charakteriftifches ; fo gehören die Kakadus allein den 
Molukken und Auftralien, die Araras Südamerika, die Lorikets Indien, die Erdpapagaien 
Neubolland. Die brafilianifhen Papagaien find meift grasgrün, die füdafiatifchen roch, 
blau oder ſehr bunt. Ä Ä 

Papebrödek (Dan.), einer der Hauptarbeiter unter den Bollandiften (f. d.), geb. zu Ant 
werpen 17. März 1628, ftudirte in Douai und trat im 18.93. in den Sefuitenorden. Für das 
großartige Unternehmen der Herausgabe ber „Acta sanctorum”(f.d.) gewonnen, wurde er 1660 
zur Sammlung des nöthigen Materiald auf einige Jahre nach Italien gefendet. Nach Bolland’s 
Tode nahm er Theil an der Medaction des Werks. Erblindet ftarb er 28. Juni 1714. Mit 
dem Karmeliterorden gerieth P. deshalb in einen fehr ergoglichen Streit, weil er deſſen Entfte 
bung erft ind 12. Jahch.fegte. Die Karmeliter rächten fi an ihm, daß fiein den „Acta sancto- 
rum“ 2000 Kegereien nachwieſen. In Rom begnügte man fich, die Chronologie der Päpfte zu 
verurtheilen, während die fpan. Inquifition die erfchienenen 14 Bände der „Acta” verdammte 
und 9. zu einer gelehrten Vertbeidigung zwang (3 Bde, 1690). Innocenz XII. legte bei Strafe 
des Bann beiden Parteien Stillſchweigen auf; P. aber war im Vortheile, weil er die Karme⸗ 
liter lächerlich zu machen gewußt hatte. | 

Papenburg, ein Marktfleden in der zur hannov. Landdroftei Osnabrüd gehörigen befon- 
dern Derrlichkeit (mit 5—6000 €.) des Freiheren von Landsberg⸗Velen, verdankt feine Be» 
gründung einer gegen Ende des 18. Jahrh. durch Zorfgräberei in den Fehnen oder Moorftrie 
chen allmälig entftandenen Schiffer- und Handelecolonie. Mitten in Mooren, zwifchen ber 
oftfriefifchen Stadt Leer und dem Huimling auf dem rechten Ufer der Ems und weit vom Meere 
gelegen, ift P. nächſt Emden der widhtigfte Seehandelsplag in Dannover. Es hat fehr lebhafte 
Schiffahrt, über 150 Seefchiffe, ſechs Schiffswerfte, Segeltuchweberei und bedeutenden Torf⸗ 
handel. Der fchöne, ganz in holländ. Geſchmack gebaute Marktflecken mit 4000 E. ift von meh» 
ren Kanälen durchfchnitten, die durch einen 1% M. langen Hauptlanal, welcher durch das 
drofter Syhl geht, mit der Ems in Verbindung ftehen. Übrigens werden gewöhnlich alle Schife 
fer von Friesland bis zur Wefermündung Papenburger Schiffer genannt. 

Bapblagonien, eine ziemlich gebirgige und rauhe Landfchaft in Kleinafien, mit der Haupte 
ftadt Sinope, wurde öſtlich vom Halys, weftlich vom Yarthenius, nördlich vom Meere und füb- 
lich von Phrygien begrenzt; doch erlitt Diefe Grenze bei dem mehrfachen Wechfel der Herrfchaft 
bald eine Erweiterung, bald eine Schmälerung. Zuerft wurde nämlich P. durch Kröfus dem 
Indifchen, bald darauf durch den Altern Cyrus dem perf. Reiche einverleibt. Nach Alerander’s 
Zode fam es nebft Kappadocien an Eumenes (f. d.), wurde dann, als das neue Königreich 
Pontus (ſ. d.) von bier aus entfland, zum großen Theil mit bemfelben vereinigt und im 1. 
Jahrh. v. Chr. von den Römern zur Provinz Galatia gefchlagen, bis es im A. Jahrh. n. Chr. 
unter Konftantin, freilich in fehr befchränkter Ausdehnung, den Namen einer eigenen Provinz 
wieder erbielt. Übrigens waren die Paphlagenier im Alterthume übel berüchtigt wegen ihres 
beichräntten Verftandes ımd ihrer bäurifchen Sitten, daher Ariftophanes ‘den Demagogen 
Kleon, um ihn ale einen Polterer zu harakterifiren, einen Paphlagonier nennt, wie man benn 
überhaupt ſprüchwörilich mit ihnen nichtswürdige und geſchwätzige Menfchen bezeichnete. 

Paphos war der Name zweier Städte auf der Infel Eypern. Das alte Paphos, von den 
Ulten auch Palaipaphos genannt, wahrfcheinlicy eine Gründung der Phonizier, lag auf einem 
Hügel der weſtlichen Küfte der Inſel und war berühmt Durch einen Tempel der Aphrodite, bie 
bier zuerft aus dem Meere and Land geftiegen fein follte und vorzugsweife unter dem Namen 
der Paphifchen Böttin lange Zeit hindurch die größte Verehrung genoß. Vgl. Lenz, „Die Göttin 
von P. aus alten Bildwerken” (Gotha 1808); Münter, „Der Xempel der Göttin zu P.“ 
(Kopenh. 1824). — Das neue Paphos oder Neapaphos, in geringer Entfernung von der 
alten Stadt, früher Sig eines eigenen Königs, fpäter der Hauptort der Weſtſeite der Infel, 
blühte duch) Schiffahrt und Handel, der durch einen guten Hafen unterftügt wurbe, erlitt aber 
zur Zeit des Auguftus durch ein Erdbeben eine faft gänzlihe Zerftsrumg. Auf Befehl des 
Auguftus wurde es wieder aufgebaut, und bier war ed, wo der Apoftel Paulus dem Proconful 
Sergius das Evangelium predigte. Auf feinen Trümmern entftand in neuerer Zeit da6 Städte 
hen Baffo. Vgl. Engel, „Kypros” (2 Bde., Berl. 1841). 

apias, Bischof von Hierapolis in Phrygien, nach Irenäus und nach der Chronik bes 
Euſebius ein Schüler des Apofteld Johannes, daher auch einer der Apoftolifchen Väter, lebte 


634 Papier b 
in der erften Hälfte des 2. Jahth. ale ein Zeitgenoffe des Polykarp. Eufebius, der ihn einen fehr 
und der Schrift fundigen Mann nennt, urtheitte body ſeht Hart über P-, teil derfelbe 
dem ſtrengen Chilias mus (ſ. d.) Huldigte. P. ſchtieb „Aoyloy xupLomdv E&xy ‚eine Ertls 
zung oder Darftellung der Jeſus betreffenden Gefchichten nad) mündlichen ungen Der 
zer, die mit.den Apofteln umgegangen waren. Mit Unrecht hat man feine Relationen für Bar 
bein halten wollen. Won feiner Schrift find nur noch Fragmente bei Irenäus und Eufebius 
vorhanden. Im 3. 165 fol er unter Marc Aurel als Märtyrer in Pergamus geftorben fein. 
Papier. Das gegenwärtige europ. Papier ift eigentlich) ein inner Fi aus Faſern, beſon · 
ders vegetabiliſcher Art, welcher dadurch entſteht, daß man den Faſerſtoff mechaniſch im viele 
feine und zarte Fäferchen zertheilt, diefe in Waſſer fuspendirt, auf diefe Art in dünnen Schich · | 
ten gleichmäßig ausbreitet, dann aber das Waſſer durch Ablaufen, Auspreſſen und ſchließliches 
Trocknen dergeſtalt entfernt, daß eine gleichmäßig dünne Lage der filzartig angeordneten und 
dicht zuſammenſchließenden Fäferchen zurückbleibt Die verſchiedenen Stadien der Papierfabrir 
Bation, welche in den fogenannten Papiermühlen ftattfindet, ergeben fich hiernach von ſelbſt 
Als vorzüglichfted Material erweiſt fich ſtets der Faſerſtoff ober die Hoizfaſer der Pflangen; 
der ſchwerer zu zermalmende, andererfeit® aber der Fäulniß und fonftigen Verderbnif mehr 
augefegte thierifche Baferftoff der Wolle und Seide geftatter nur Anwendung auf grobe Par 
‚piere von minderer Feftigkeit. Haut · und Lederabgänge werden der Maffe für Packpapiere öf- 
ter zugefegt und ertheilen ihr große Dichtigkeit und in gewiſſem Grade fogar Waſſerdichte. An 
ſich i die Holgfafer in jeder Form zur Papierfabrifarion tauglich, und e8 gibt jegt im der That | 
fañ keine Art von Stroh, Gräfern, Holz, Ninden u. ſ. w, aus der man micht ſchon verſucht | 
weife Papier gemacht hätte. Es find aber in diefen verfchiedenen Stoffen die Fafern von ver | 
fehtedener Härte und zum Theil mit verfchiedenen, ſchwer zu entfernenden färbenden und andern 
Subftanzen verbunden, und es handelt ſich darum, den am leichteften zu weißen Papieren zu 
verarbeitenden Stoff zu finden. Diefen gewähren bie Faſern von Blade, Hanf und Baum 
wolle und zwar nachdem fie bereits alle Verarbeitungen ded Spinnend, Webens u. ſ. w. erlitten 
und durch den Gebrauch eine gewiſſe Mürbheit erlangt haben. Unfer Papier ift Daher vorzuge 
weife noch Lumpenpapier. Am vorzüglichften find leinene und hänfene Lumpen, welche bas fer 
flefte Papier geben; haummollene liefern ein mehr loderes und fchwammiges Papier, indeß fept 
man fie doch bereits in ziemlich großen Mengen felbft der Maffe für Schreibpapier zu. Bloße 
Baummolle gibt ordinäre Druck · und Löfchpapiere, Wolle und Seide nur Loͤſch ımd Padpar 
piere, Flachs werg wird gu Galquirpapier verarbeitet, grobe Hanflumpen, Tauenden u. f. m. zu 
feften Padpapieren, weldye dann wafferdicht find, wie z. B. das braune Papier für engl. Stable 
waaren, wenn die Taue getheert waren u. ſ. w. Dabei hängt natürlich die Farbe des Papiers 
von der Farbe ber Lumpen ab; weißes Papier kann nur aus gebleichten ober foldhen Lumpen 
gemacht werben, deren Farbe ſich volfftändig ausleihen läßt; aus lauter rothen, blauen u. dgL 
Zumpen macht man rothe, blaue, braune Pad- und Löfchpapiere, verfchiedenfarbige geben ein 
raues oder melirte Product. Yon andern Materialien, haben ſich bis jept nur unverfponnener 
Flags und Hanf oder Werg und Stroh, letzteres namentlich durch Pieite in Dillingen, Eim 
gang verfchafft; diefelben Laffen ſich weit ſchwieriger zu feirier Maffe verarbeiten, geben aber 
fehr dichte und fefte, zwar ſtets etwas gelbliche, aber mit einem natürlichen Leim verfehene, da» 
her ohne weiteres ald &chreibpapiere, halbgeleimte Drudpapiere, z. B. für Kaſſenbillets, und 
Packpapiere verwendbare Papiere. Bei der immer größern Koftbarkeit der leinenen Lumpen 
iſt es fehr wichtig, ein ſolches Surrogat gewonnen zu haben. 

B Das erfte Gefchäft des Papiermachers ift das Sortiren der Lumpen nad) Stoff, Barbe, 
Grad ber Beinheit, der Abgetragenheit u. f. mw. Je abgetragener, deſto leichter die Wer 
arbeitung und defto feiner das Papier. Rach der Farbe fcheidet man meift nur weiße, 
d. h. gebleichte, und ſchwarze, d. h. ungebleichte, und alle gefärbten Lumpen. Bon legtern 
trennt man dann die, welche entweder ſich gar nicht bleichen laffen würben oder weiche zu 
natürlich gefärbtem Papier tauglich find. Bei den Sortiren werden fo viel wie möglid 
alle Nähte, Smirnfäden, Knoten u. f. w. entfernt, wenigſtens für Schreib- und Drud 
papiere. Darauf werben die Lumpen durch Sieben von Staub u. ſ. w. und durch Waldes 
in einer Wafchtrommel von andern Unreinigkeiten gereinigt und endlich mittels der Hand, 
indem man fie über eine ſenktecht aufgeftellte Klinge wegzieht, ober mitteld des Lumpen ⸗ 
ſchneiders, einer meiſt nad) dem Princip der Hädfel- und Tabadsladen tonftruirten Mafchine, 
zerſchnitten. Hierauf laffen nun manche Fabriken das Bleichen mit Chlor folgen, mas bei den 
meiften jedoch erft mit dem Halbzeug vorgenommen wird. Dagegen ift nur wenig mehr übllch 


Papier 633 


das ſegenannte Faulen der Lumpen. Man legt die Lumpen erſt auf Haufen, bis fie einen ge 
wiſſen Grad der Zerfegung erreicht haben. Dadurch werben zwar die Faſern mürber und die 
fpätere Verarbeitung bedeutend leichter, aber die Haltbarkeit leidet etwas und es findet Verluſt 
flatt. Diefem beugt man jegt dadurch vor, daß man das Faulen wegläßt, aber die Lumpen, zu⸗ 
gleich als zweckmäßige Vorbereitung für die Bleiche, mit ägendem Alkali oder Kalk kocht Werg 
und Stroh werden nur zerfchnitten und ebenfalls, aber länger, mit Kalt und alkaliſchen Laugen 
behanbelt. Hierauf folgt die mechaniſche Zerfaferung, welche in awei Stadien zerfällt; man 
macht nämlich zuerft Dalbzeug und aus diefem dann Ganzzeug. Für das erſte Etadium iſt jegt 
nur noch felten und in Beinen Fabriken das früher ausfchliegend angewendete Stampfwerk ge⸗ 
bräuchlich, welches die Lumpen unter Waſſerzufluß in Trögen mit hölzernen Stampfen oder 
Hämmern bearbeitet. Schneller, aber die Faſer leicht zu ſehr verkürzend (das Zeug todt arbei« 
tend) und mit größerm Kraftaufwande wird die Operation durch den in allen größern Fabriken 
ohne Ausnahme üblihen Sollander aufgeführt. Dies ift ein durch eine Scheidewand der 
geftalt getheilter Trog, daß eine Art eines in fich felbft zurückkehrenden Kanals entfteht ; in der 
einen Abtheilung befindet ſich eine ſchiefe Ebene, in deren Boden parallele Meſſerklingen ein⸗ 
geſetzt ſind, und über dieſen eine ringsum mit Klingen beſ etzte Walze. Bringt man die Lumpen 
mit Waſſer in den Holländer und fegt die Walze durch ein Waſſerrad u. ſ. w. in ſchnelle dre⸗ 
hende Bewegung, fo wird aller Inhalt des Holländers zwifchen der Walze und den Klingen 
am Boden in ftetem Kreislauf durchbewegt und es werben dabei die Lumpen zerriffen. Durch 
Zufluß frifchen Waſſers und Abfluß des alten wird dabei das Zeug auch ausgewafchen. Iſt 
das Halbzeug fertig, fo wird das Waſſer abgelaffen und der feuchte Brei in beſondern Käften 
der Chlorbleiche, d. b. der Behandlung mit Chlorkalkbaͤdern, Chlorwaſſer oder Chlorgas unter- 
worfen. Es kommt dabei für die fpätere Haltbarkeit des Papiers Alles darauf an, den Chlor» 
und Salzfäuregehalt vollig wieder herauszumafchen; dies ift in neuerer Zeit durch Anwendung 
des fogenannten Antichlors, d. h. eines Gemenges von unterfchwefligfauern Salzen und Schwer 
felverAndungen, weldye Chlor und Salzfäure zerftören und neutralificen, mwünfchenswerth er» 
leichtert worden. Unvollftändig entchlorte Papiere zerfallen fpäter von felbft und zerftören bie 
Tinte. Das gebleichte und gewaſchene Halbzeug wird in einem zweiten, feinem und ſchneller 
bewegten Banzholländer zu Ganzzeug fertig gemahlen. Dabei fegt man dann auch weißen Pa⸗ 
pieren etwas Smalte, Berlinerblau, Indigolöfung u. f. w. zu, um den gelblichen Stich zu ver- 
deden; auch andere Karben, um in der Maſſe gefärbte Papier zu erzeugen, können bier zuge 
fegt werden. Das Ganzzeug gleicht einer völlig gleihförmigen Milch. Man bringt ed in eine 
große Bütte und bildet nun daraus die Papierbogen.. Hier fcheider fich nun die ältere Methode 
von der neuern. Nach der ältern wird jeder einzelne Bogen durch den Schöpfer mitteld einer 
flachen aus Drath geflochtenen Form aus der Bütte gefchopft, wsbei fich die Dicke des Papiers 
durd die Höhe des die Korm begrenzenden Rahmens beftimmt; das Waſſer läuft durch bie 
Mafchen bes Drathgeflehts ab, der fogenannte Kautfcher überträgt die ſchwammige Papier 
ſchicht auf ein Stud Filz und ſchichtet fo abwechfelnd Filzplatten und Papierbogen zu Paufch- 
tem auf. Die Paufchte werden rafch und ſtark gepreßt, um das Waſſer auszuquetichen, dann 
die Bogen von den Filzen abgenommen, noch ein- oder mehrmals für fich gepreßt und bann auf 
Schnüren hängend in Lagen von fünf bis fech6 Bogen getrocknet. Alle ungeleimten Papiere find 
dann bis auf das Zählen, Ausfhießen und Zufammenlegen in Büder fertig. Schreibpapiere 
und auch viele Yad- und Drudpapiere werden aber noch in eine mit Alaun verfegte Leimauf⸗ 
löfung getaucht, gepreßt und wieder gerrodnet. Ein Pauſcht hat meift 381 Bogen, drei Paufcht 
oder 543 Bogen geben ein Ries, dad Nies aber hat, da man 43 Bogen Ausſchuß rechnet, für 
ungeleimte Papiere 500, für geleimte, da beim Leimen '/: verloren geht, nur 480 Bogen, im 
jedem Falle aber 20 Bud). Zehn Nies bilden einen Ballen. Diefe Methode, welche offenbar 
langfam fördert, denn ein Schöpfer und ein Kautſcher können täglich höchſtens zehn Nies fcho- 
pfen, hat den Vortheil, eine weit unmittelbarere Einwirkung auf die Bildung jedes einzelnen Bo⸗ 
gend zu geftatten; durch Die Art der Tiefe des Eintauchens und die Bewegung der Form hat ber 
Schöpfer fehr die Qualität in feiner Gewalt; der Kautfcher kann durch forgfältiges Vermeiden 
von Luftblafen u. f. w. auch viele Fehler vermeiden. Das Büttenpapier ift meift dicker und 
etwas ſchlammiger, es zeigt ferner, da die Form beim Herausziehen etwas geneigt mwird, eine 
vorwaltende Richtung der Faſern nad) einer Seite, daher es in einer Nichtung fich beffer reißen 
läßt als in der andern. Es ift ferner, wenn es nicht dur Preffen zwifchen Prebfpänen oder 
in Glättpreſſen geglättet wird, weniger glatt als Mafchinenpapier. Alle diefe Dinge bedingen 
noch eine gewifie Vorliebe für dieſes Yapier, befonders zu Schreibpapier, die auch infoweit ge 


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b) ® 
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gründet if, als man jene Eigenfchaften durchaus für weſentliche eines guten Schreibpapiert 
gelten laſſen will; dies iſt aber Sache der Gewöhnung. Das Büttenpapier ift.enrweber Bew 
oder Pofipapier. 'Legtered zeigt parallelle Streifen und in größerer Entfernung burchfichtige & 
nien, erſteres ift ganz eben und von mehr körniger Fläche. Der Unterfchied liege in der Com 
Airuetion der. Drathformen. Die fogenannten Waflerzeichen find dadurch erzeugt, Daß man auf 
die Drathformen das aus dünnem Blech oder feinem Drath gebildete Zeichen aufgeheftet, ale 
an diefer Stelle eine. Verdünnung des Bogens bewirkt hat. | Ä 
Nach der neuem Methode läßt man das PYapierzeug durch eine Reihe von Borridhtungen, 
welche theils alle Knoten u. ſ. w. entfernen, theils die völlig gleichmäßige Bertheilung des Zeugt 
bewirken, in einem fortbauernden, nach Breite und Dicke beflimmt regulirten Strome auf ein 
Drathneßtz audtreten, welches in fich felbft zurückkehrt und eine continuirliche Bewegung hat. 
Diefeb Neg gebt frei über Walzen hin und befindet fi), um Leine gleihförmige Richtung ber 
Bafern nad dem Strome zu geftatten, fowie um das Ablaufen des Waſſers zu befördern, in 
ſteter gitternder Bewegung. Am Ende gebt das Drathnneg dicht über einen Kaften weg, aut 


u dem die Luft ausgepumpt wird, und der Drud der Luft wirkt fo als erfte fanfte Preſſe. De 


durch wird die Papierlage feft genug, um nun vom Drathnege weg durch eine Reihe von Wal 
zenpaaren geführt zu werden, deren erfle, die fogenannten Kaltpreffen, aus mafliven Eiſenwab⸗ 
ven, die legten, Die fogenannten Heißpreſſen, aus hohlen, mit Dampf geheizten Walzen beftchen; 
auf biefem ganzen Wege faft wird das Papier von endlofen Filztüchern getragen und begleitet. 
Nus dei letzten Heißpreſſe gelangt das Papier auf den Haspel, der ed aufwindet. Von biefem 
wird ed num entweder auf Rollen gewunden unb fo nach bem Gewichte verkauft, oder loßge 
ſchnitten und in einzelne Bogen zertheilt, Die man dann wie Büttenpapier zufammenlegt und in 
den Handel bringt. Diefed Zerfchneiden kann glei auf der Papiermaſchine felbft gefchehen. 
Bei diefer durch große Schnelligkeit ſich auszeichnenden und daher für große Etabliffements, 
weiche über große Mengen ganz gleichartiger Lumpen bisponiren und daher große Maffen def 
felben Zeugs zu Papier gleichen Kormats hintereinander verarbeiten önnen, allein paffenden 
Babrikation des fogenannten endloſen oder Maſchinenpapiers pflegt man das Keimen in ber 
Negel fchon im Holländer vorzunehmen, wozu dann aber kein thierifcher Leim, ſondern eine Auf- 
lõöſung von Wachs oder Harz in Alkallen, welcher ein Zufag von Alaun folgt, paffend iſt. Um 
ter den angegebenen Umftänden hat die neuere Methode nicht blos ökonomiſche, fondern aud 
die technifchen Vorzüge der größten Bleichformigkeit des Products. Mafchinenpapier ift glatt, 
meift auf einer Seite mehr ald auf der andern, reift in feiner Richtung beſſer und ift Daher im 
Allgemeinen haltbarer. Wenn es oft noch hlorhaltig, oft ſchlecht geleimt oder durch zu flarke 
Heizung der Walze fpröde ift, fo find das nicht Kehler der Methode an ſich, fondern der fchled- 
ten Anwendung, wie fie fich bei großer, fabritmäßiger Erzeugung billiger Producte fo leicht ein- 
ftellt. Für gewiſſe mit ganz fpecieller Sorgfalt zu arbeitende Papiere, namentlich Zeichenpr 
piere, wird die Methode des Schöpfens immer nody ben Vorzug behalten. 

Man unterfheidet im Papierbandel, welcher gegenwärtig faft ganz ale felbftändiger Han⸗ 
dels zweig von einer bedeutenden Anzahl Großhandeldhäufer betrieben wird, die zum Theil felbft 
Fabrikanten find, und trog der häufigen Sitte der Buchdruder und Buchhändler, ihre Papiere 
direct aus den Fabriken zu beziehen, viele Capitalien befchäftigt, die Papiere theild nach der 
Dualität, theild nach dem Format. In jener Beziehung find die Hauptforten: Löſch⸗ oder Flief- 
papier, ungeleimt, ſchwammig, aus wollenen und gefärbten Lumpen, grau, roth u. ſ. w.; weißes 
Fließpapier aus weißen baummollenen Lumpen, die feinfte Sorte als Zofephpapier, Seiden- 
papier u. f. w.; Packpapiere, halbgeleimt, aus umgebleichten oder einfarbigen leinenen Xumpen, 
Tauen u. f. w., grau, braun, blau, roth; Drudpapiere, Concept, Kanzlei» und Poftdrud mit 
gerippten, Belindrud mit Velinformen gefchöpft, gar nicht oder halb geleimt, von leinenen Lum⸗ 
pen mit baummollenen, die geringen Sorten nur-Baummolle, jegt zum größten Theil Maſchi 
nenpapier; Notendrudpapiere, dicker als vorige; Kupferdrudpapiere, ſchwammig, meift von 
gefaulten Zumpen, ftet6 Velin; Schreibpapiere, in denfelben Hauptforten wie Druckpapiere, 
aber geleimt (die Meinen Bormate der dünnen Sorten nennt man befonders Briefpapiere); Ro 
tenpapiere, befonders did; Zeichenpapiere, von der feinften weißen, nicht gebläuten Maffe, ftets 
Belin und geleimt; Zapetenpapiere, wie vorige, Aber gröber. In Bezug auf Formate weiches 
die engl., franz. und deutfchen Benennungen fehr ab, und audy bei ung ift feine abfolute Über 
einftimmung; die Hauptformate von oben nach unten find Elefant (42300 breit, 28 Zoll hoch). 
Golombier, Imperial, Royal (ungefähr 30 Zoll breit und 20 Zoll hoch), Lexikon, Median, Re 
gifter, Propatria (18 Zoll breit, 15 Bol hoch), Hein Format. Diefe Formate gibt es num in fa 


Papiergeld 7 
allen Qualitäten. Die Dice ift fehr verſchieden, ergibt fich aber aus dem Gewichte eines Rießes 
Papier. Zu einer genauen Papierbeftellung gehört daher bie Angabe der Kormargröße, bez 
Sorte und Feinheit und des Gewichts, welches ein Nies haben fol. Man hat ſich Dabei zu * 
ten, daß die Schwere des Papiers nicht durch Gyps, feinen Thon u. f. w., welche auch zur 
jeugung einer gewiffen Weiße benugt werden, betrüglich erhöht wird. Der Ufo beftimmt im 
Papierhandel, wie viel Ausſchuß auf eine gewiffe Quantität Papier gerechnet werden barf. 
Ausgezeichnet in der Papierfabrikation find jegt vorzüglich, nachdem Holland feine frühere 
Superiorität verloren hat, England, befonder& in Zeichen-, Kupferbrud-, dickem Drud« und fei⸗ 
nem Briefpapiere, einige Fabriken Frankreichs, die Schweiz und Sübddeutfchland, befonbers 
Baden; doch haben auch die übrigen deutfchen Staaten fehr tüchtige Fabriken aufzumweifen und 
die Mafchinen vermehren fi Immer mehr. Der Staat [hügt diefe Fabrikation theils durch 
Zölle, heil durch einen hohen Ausfuhrzoll auf Lumpen, welche bafür zollfrei eingehen. Die 
früher beftandenen Bannrechte der Papiermühlen auf dad Lumpenſammeln in gewiffen Be 
zirten fangen an, richtigern Anfichten zu weichen. Der Zollverein deckt gegenwärtig feinen Par 
pierbedarf vollftändig; es gingen 1851 nur noch 2876 Ger. aller Gattungen ein, dagegen 
39637 Ctr. aus. Der Zollverein befaß Ende 1846 857. Papierfabrilten mit 1079 Bütten 
zu Dandpapier und 142 Papiermafchinen; feitdem dürfte fi) die Zahl der Bütten auf etwa 
4000 vermindert, jene ber Mafchinen auf 160 vermehrt haben. Die Gefammtproduction kann 
nahezu auf I Mil. Etr. angefchlagen werden, wovon etwa drei FünftelMafchinenpapier. Dem 
Dapier verwandt find Papier mäche (f. d.) und die Pappe (f. d.). 

Die ältefte bekannte Art Papier iſt das ägypt. Papier, denn das Baumbaftpapier, welches 
aus den zarten innern Däuten mancher Bäume bereitet worben fein fol, ift mol weder fo alt 
nod in fo allgemeinen Gebraud) gelommen. Das ägypt. Papier wurde aus der ägypt. Papy⸗ 
rusſtaude (f.d.) befonders zu Alexandria bereitet. Durch ſtarken Verbrauch wurde es jedoch 
feit dem 5. Jahrh. immer theurer und fing im 8. Jahrh. an, durch Baummollenpapier ver⸗ 
drängt zu werden; in Stalien erhielt es ſich indeß bi6 zum 14. Jahrh. Auch die Einge 
borenen von Mexico bereiteten vor der fpan. Eroberung ihre Papier auf ähnliche Art wie 
die Ägypter; fie entfernten aus den Blättern der Agave durch Ausmwäflern das Fleiſch, 
legten die übriggebliebenen Nege aufeinander und überzogen fie mit einem erdigen Zeige, 
der dem Ganzen Feftigkeit und Elaſticität gab. Nächſt dem Papier fchrieb man im 11. und 
42. Jahrh. auf Thierhäute oder Membrane. (S. Manuferipte.) Die Araber lernten 704 
das Baummwollenpapier in der Bucharei kennen, bereiteten e8 nachher felbft aus roher Baum⸗ 
wolle und brachten dieſe Kunft im 11. Jahrh. nach Spanien. Hier, wo man die Waſſermühlen 
kannte, entflanden auch bie erften Papiermühlen, die um 1500 nach Stalien, Frankreich und 
Deutfchland verpflanzt wurden und ſchon anfingen, baumwollene Lumpen zu verarbeiten. Die 
ſes baummwollene Papier war unter Dem Namen der Charta serica, collonea, gossypina, zy- 
lina oder Damascena, auch Pergamena Graeca und des Tuchpergaments befannt und unter- 
fcheidet fih von dem leinenen Papier durch geringern Zufammenhalt und größere Brüchigkeit. 
Nach dem Anfehen mehrer ſpan. Papierrefte aus dem 12. Jahrh. zu urtheilen, hat man ſchon 
damals verfucht, der Baumwolle leinene Lumpen beizumengen, was fpäter wol zur Erfindung 
des leinenen Papiers führte. Nach, Caſiri find die Araber die Erfinder des Papiers aus ein 
oder Hanf. Das ältefte Papier von Leinwand oder Hanf in Frankreich iſt ein Brief von Join» 
ville an den heil. Ludwig aus dem 3. 1270. In Spanien find der Friedensvergleich zwiſchen 
Alfone II. von Aragonien und Alfons IX. von Caſtilien in den Archiven von Barcelona vom 
3.1178 und die der Stadt Valencia yon Johann dem Eroberer bewilligten Fueros vom: J. 
4251 die älteften Documente auf Papier, das bie Araber in Spanien aus Lein und Hanf fer» 
- tigten. Ihre erfien Fabriken errichteten fie in Zativa, jegt San⸗Felix. In Deutichland kommt 
leinenes Papier vor 1318 fchwerlich vor; von biefem Jahre aber hat da6 Archiv des Hospitals 
Kaufbeuern Urkunden auf leinenem Papier aufzuzeigen; auch finden fi) im dortigen Stadt⸗ 
archive mehre von 1324, 1326 und 1331, daher die erfte Bereitung diefer Papierart wahre 
ſcheinlich nad) Deutfchland gehört. Vgl. Wehrs, „Vom Papier und den vor der Erfindung def 
felben üblich gewefenen Schreibmaffen” (Halle 1789). Neuerdings verfuchte Gutermann im 
„Serapeum” (1845), der Stadt Ravensburg in Würtemberg die Ehre der Erfindung des Lei» 
nenpapiers zuzuwenden; body feine Öypothefe wurde von Sogmann an berfelben Stelle (1846) 
in fo gründficher Weiſe widerlegt, daß fie als befeitigt betrachtet werben darf. 

Papiergeld unterfcheidet fi von Banknoten (f. d.) hauptſächlich nur dadurch, daß nicht 
Banken, fondern die Staatsregierungen es ausgeben, unter beren Aufſicht ed wie das geprägte 


_ zu Papiermäche _ 7 Yapinianus J 
on Die Berpffichtumgen derfelben, beſonders in Hinſicht der Höhe der Ausgabe unb 
de en Einloſung find dieſelben, welche den Banken (ſ. d.) wegen Ausgabe ber Bau 
seien obliegen. Doch find fie Hier och viel oͤſter übertreten worden. Auch beim Papiergeld läßt 
nie im voraus Die Summe beflimmen, welche zum Verkehr eines Landes erfoberlich ifl. Das 
Merkmal’ einer Zuvielausgabe tft, wie bei den Banknoten, wenn das Tapiergelb den 
Unsiwechfelungstaffen zuftrömt oder unter Part flieht, was nur gefchehen kann, wenn legtere 
n Berpflichtungen nicht nachkommen. Als Finanzmaßregel betrachtet, ift die Ausgabe vom 
eld wol nie eigentlich zu loben. Man könnte fich in ruhigen Zeiten über die ırwerzint- 





. Age Anleihe freuen, die in einer ſolchen Mafregel liegt; allein dieſer Vortheil wird gewiß aufge 


wegen durch die Gefahr eines theilweiſen oder gänzlichen Einſturzes, welche dies kuͤnſtliche Eir- 
enlationsgerüfte in jedem Kriege, jedem Aufftande Läuft. Wird aber gar in einer ohnehin be 
drängten Zeit Papiergelb ausgegeben, wie gewöhnlich ohne Baareinlofung und in zu großer 
Maſſe, fo würden ſelbſt bie drückendſten Anlelhebedingungen und Rüdftände vorzuziehen fein. 
Denn bie Beamten, Staatögläubiger u. f/w., bie in geſunkenen Papieren bezahlt werben, Id» 
den nur fcheinbar feinen Verluft, und es wird zugleich, wovon der Fiscus doch nicht den min 
beften Gewinn hat, der ganze Privatverkehr mit in den Strudel gezogen, alle Privarfchulbuer 
In Stand gefept, ihre Gläubiger theilweife zu betrligen, u. dgl. m. 

Paplor mäch&nennt man bie plaftifche Maffe aus grobem Papierzeug, Gyps, Kreide u.f.w., 
weiche in Formen gepreßt zu Dofen, Figuren, Heinen Möbeln, Drnamenten, Reliefs u. f. w., 
neuerdings beſonders zu geograpifchen und naturhiftorifchen Lehrmitteln verwendet wirb, und 
auf: ber ſich alle Arten Malerei und Ladirung anbringen laffen. Die befte und haltbarſte Urt 
dieſes Stoffe wird aus übereinandergeflebten Bapierblättern gebildet und namentlich in Eng 
land (Birmingham) vorzüglich gut verfertigt. 

Bapin (Dionys), der Erfinder des nach ihm benannten Papinifchen Topfes oder Dige 
ford, wurde in der legten Hälfte des 17. Jahrh. in Blois geboren, widmete fi) anfangs ber 
Urzneikunde, prakticirte dann als Arzt in Paris, machte aber endlich unter der Leitung van 
—5 — Phyſik und Mathematik zu ſeinem Hauptſtudium. Nach Aufhebung des —8 
von Nantes verlieh er als Calviniſt Frankreich, hielt ſich längere Zeit in England auf, wo er 
mit Bayle in Verbindung ftand, und wurde 1687 Profeffor der Mathematik an det Univerfität 
zu Marburg. Er ftarb 1710. Er ift der Erfinder mehrer auf phyſikaliſchen Grundfägen befte 
hender Mafchinen, welche zum Theil in Bayle's „Nouvelles de la r&publique des lettres” 
(1685 — 87) befchrieben find. Die wichtigften darunter find eine (freilich noch jehr rohe) Dampf. 
mafchine, ein Dampffhiff und der Papinifhe Zopf oder Digeftor. Derfelbe ift ein cylindri- 
ſches kupfernes, innen verzinntes Gefäß, welches man mittels eines aufgefchraubten, mit Pappe 
geliderten Dedels Iuft- und dampfdicht [chließen kann, das aber auch zugleidy mit einem Sicher- 
heitöventil verfehen ift, um ed gegen das Springen zu [hügen. In diefem Digeftor kann man 
das Waſſer zu einem fehr hohen Grabe erhigen, ohne daß die Dämpfe deffelben fich verflüchti- 
gen und auf diefe Weiſe Körper, welche bei der gewöhnlichen Siedehige noch gar nicht angegrif- 
fen werben, z. B. Knochen oder Elfenbein, in wenigen Minuten zu Gallerte fohen. Durch 
Wilke wurde diefe Mafchine bedeutend verbeffert. (S. Dampflochnpparate.) 

Dapineau (Louis Jofephe), canadifcher Agitator, geb. in Untercanada 1787 aus fram. 
Familie, der Sohn eines Advocaten, welcher fich ebenfalls als eifriger Vollsrepräfentant au 
zeichnete, widmete fich dem Stande feines Vaters und wurde noch fehr jung zum Mitglied des 
Repräfentantenhaufes in Untercanada gewählt, wo er feit 1814 die Stadt Montreal vertrat und 
1815 die Stelle des Sprechers erhielt. Neich, unabhängig und ein tüchtiger Redner, trat er be 
fonder& feit 1822, mo bie brit. Regierung zuerft Ober» umd Untercanada wieder vereinigen 
wollte, als Haupt der Dppofition auf und machte fi zum Mittelpunfte aller Beftrebungen, 
welche auf bie Losreißung der Golonie von England ausgingen. P. ftand mit Madenzie und 
den andern Unzufriedenen Obercanadas in genauer Verbindung, wollte aber nicht, wie Diefe, feine 
Zuflucht au voreiligen Aufftänden nehmen, fondern dem Gouvernement durch paffıven Wider 
fland, Steuerverweigerung u. f. w. das Negieren unmöglich machen. Als demnach 1837 der 
Aufftand in Montreal (f. Canada) ausbrach, mußte P. in die Vereinigten Staaten flüchten, 
während das brit. Gouvernement 1000 Pf. St. auf feinen Kopf fegte. Sodann wandte er ſich 
nad) Paris, ging aber, nachdem er amneftirt worden, nad) Canada zurüd, wo er fich wieder an 
die Spige der republitanifchen Partei ftellte. 

Bapinianns (Amiliuß), der größte rom. Rechtögelehrte feiner Zeit, geb. um 140 n. Chr, 
flammte nad) Einigen aus Benevent in Stalin, nad; Andern aus Eyrien. Er widmete fih 
dem Studium der griech. und röm. Literatur, der Philofophie und Rechtswiſſenſchaft. Durd 





t 


Yapirius 638 


gründliche Gelehrſamkeit wie durch unerfchütterliche Rechtſchaffenheit erlangte ex mächtigen 
Einfluß; er bekleidete die erſten Staatsämter und war zulegt praefectus praetorio. Der Kaiſer 
Severus empfahl ihm fterbend feine Söhne Caracalla und Beta. P. wendete Alles an, zwiſchen 
beiden Brüdern die Einigkeit zu erhalten ; allein fehr bald wurden feine VBorftellungen dem Ca- 
racalla fo läftig, daB bdieler ihn von feinem Amte entfernte, wiewol er fortfubr, ihn äußerlich 
als einen Freund und Vertrauten zu behandeln. Ale Caracalla endlich feinen Bruder hatte er» 
morden laſſen, foderte er P. auf, diefe That zu rechtfertigen, empfing aber von ihm die Antwort, 
daß eb leichter fei, einen Brudermord zu begehen al& zu vertheidigen, und daß es ein zweiter 
Mord fein würde, das Andenken des Unfchuldigen zu befchimpfen. Garacalla verbarg feinen 
Ingrimm; als aber bald darauf, wahrfcheinlich auf feine Anreizumg, die Prätorianer den Kopf 
des P. foderten, gab er ihn ihrer Wuth prei und ließ ihn 212 n. Chr. hinrichten. P. hat mehre 
Werke gefchrieben und ausgezeichnete Schüler gebildet. Sein juriftifches Anfehen ftieg fo hoch, 
daß Valentin III. verordnete, P. follte in Fällen, wo die Meinungen ber Richter getheilt wären, 
den Ausſchlag geben. 

Papirius oder, wie in der frühern Zeit gefprochen wurde, Papifius ift der Name eines 
rom. Geſchlechts, deſſen patricifche Bamilien, bezeichnet durdy die Zunamen Craſſus, Curfor, 
Mafo und Mugillanus, befonders im A. und 5. Jahrh. der Stadt blühten, während die plebefi« 
fchen Familien der Carbo und Turdus erſt in der fpätern Zeit hervortraten. — Einem Papi⸗ 
rius, deffen Vorname verſchieden angegeben wird, wurde eine Sammlung konigl. Gefege (leges 
regiae), wahrfcheinfic nur ber Sacralgefege des Ruma, zugefchrieben, die er zu Anfang der 
Republik als Ponsifer Marimus zu Hffentlihem Gebrauche abgefaßt; über fie, die als erfte 
Geſetzſammlung betrachtet und Jus Papirianum genannt wurde, ſchrieb zu Ende der Republik 
Granius Flaccus einen Commentar. — In den Faſti der Magiftrate erfcheint aus dem Ge 
ſchlechte der P. zuerft Lucius Papirius Mugillanus, der in den 3. 444 und 427 v.Chr. Con- 
ul war und 443 mit Lucius Sempronius Atratinud die Cenſur zum erften male als ein vom 
Conſulat abgefondertes Amt verwaltete. — Den größten ?riegerifchen Ruhm erwarb fi Lu» 
cius Papirius Eurfor, einer der Helden, die im Samnitifchen Kriege Stügen des Staats wa⸗ 
ren, von den Nachkommen wegen feiner Kraft und Kriegskunft ebenfo wie wegen feines firengen 
Sinnes bewundert, den 324, mo er feinen Magifter Equitum Quintus Fabius Rullianus we- 
gen des Ungehorfams, mit dem er ſich gegen fein Gebot in eine Schlacht eingelaffen, mit dem 
Zode firafen wollte, faum die vereinten Bitten des Senats und Volkes zu beugen vermochten. 
Fünf mal war er Eonfus, zwei mal Dictator und drei mal feierte er Triumphe nach den Siegen, 
die er 324 als Dictator, 520, da er als Eonful mit Quintus Publilius Philo das Unglüd, das 
die Ronier in den Saudinifchen Paffen (f. d.) das Jahr zuvor erlitten hatten, rächte, und 309 
bei Zongula als Dictator über die Samniter erfodht. — Auch fein Sohn, Yueius Papirius 
Eurfor, zeichnete ſich in den beiden Confulaten, die er mit Spurius Carvilius Maximus 293 
und 272 bekleidete, als Feldherr aus; nach bem erften triumphirte er über die Samniter wegen 
des Siegs bei Aquilonia, nad) dem zweiten über Tarent, das er eingenommen, und über Sam⸗ 
niter, Lucaner und Bruttier, deren legte Anftrengungen für ihre Unabhängigkeit er mit feinem 
Amtsgenoſſen gebrochen hatte. — Cajus Papirius Carbo, ein Freund des Tiberius Grac⸗ 
chus, durch Beredtſamkeit ausgezeichnet, fepte im Dienfte der Volkspartei als Volkstribun 131 
ein Beleg (Lex tabellaria) durch, welches für alle Beſchlüſſe des Volkes, namentlich auch für 
Geſetzgebung die ſchriftliche Abftimmung anordnete; ein anderer Vorfchlag, daß ein Volkstri⸗ 
bun für da6 nächſte Jahr wieder wählbar fein folle, wurde durch den Widerfpruch des Cajus 
Lälius und des jüngern Publius Cornelius Scipio Africanus bintertrieben. Als der Leptere 
4124 plöglich ftarb, fiel auch auf Carbo der Verdacht, Schuld an feinem Tode gehabt zu haben, 
Ws Conſul 120 vertheidigte er den Opimins, obwol einen Widerfacher feiner Partei. Im 3. 
149 felbft von Lucius Licinius angeklagt, entzog er fich dem Urtheil durch freiwilligen Tod. — 
Bon feinem Sohne, Cajus Papirius Earbo Arvina, einem Anhänger der optimatiſchen Par⸗ 
tei, der 82 auf Befehl des jüngern Marius mit Duintus Mucius Scävola, dem Pontifer, durch 
ben Prätor Damafippus in der Curie getödtet wurde, und feinem Genoſſen im Volkstribunat, 
Marend Plautius Silvanus, ging im Bundesgenoffenkriege 89 das Gefeg (Lex Plautia Papi- 
ria) aus, das den Bundesgenoffen, welche die Waffen niederlegten, das Bürgerrecht gab. — 
Cnejus Papirius Earbo, ein Anhänger des Marius, war mit Cinna (ſ. d.) 85 umd 84, mit 
dem jungen Marius 82 Conful und Haupt der Partei. Bon Quintus Cäcilius Metellus und 
Pompejus gefhlagen, entfloh er nad) Afrika und ging dann nad) Gicilien ; auf der Infel Co⸗ 
ſyra murde er von Pompejus ergsiffen und getödtet. 


Pape VDewenbeim (Geſhlech 


iſt ein ſehr dickes Papier, indem dieſelbe in gleicher Weiſe wie bad Papler, ame uns 
wi gi Maſſe bereitet und in Rahmen gefchöpft wird, weihe ſich blos durch ihre Höhe 
wen ben Papierrahmen umterfcheiden. Nach ber Güte ber Maffe gibt ed meiße, halbweiße usb 
graue Pappe und nad) der nachherigen Behandlung rauhe und geglättete Pappe. Zu lepterer 
gehören die Preffpäne (f. d.) Außer den gefchöpften Pappen hat man auch gelebte, weide. 
man erhält, indem man mehre Bogen ſtarkes Papier zufammenklebt (cachirt). Dieſelbe 
ſich vorzüglich zu feinen Papparbeiten. Die Papparbeiterei, auch Pappkunſt, wurde 
nur behufs der Anfertigung von Modellen und Beinen Etuis u. ſ. w. angewendet, bat ſich aber 
durch bie Induftrie der Franzoſen gegenwärtig zu einem eigenen Fabrikzweige erhoben, Imbem 
in ben Gartonnagefabriten Arbeiten fabritmäßig angefertigt werben, welche ſich ebenfe ſch 
durch ihre Eleganz wie durch ihre künſtlichen Formen und ihre Wohlfeilheit auszeichnen. Ye 
nicht allein zu gewerblichen Zwecken dient die Pappkunſt; durch Blafche ift fie auch als cm 
. nüglicje Rebenbefchäftigung für Kinder und funge Leute dargeftellt und in den Kreis ber % 
Dagogif gezogen worden. _ . 
— (Populus) heißt eine Pflanzengattung, welche zuſammen mit ben Weiden bie Fr 
der Weidengewãächſe bildet und fich durch ziweihäufige Blüten auszeichnet, bie in Käyde 
fliehen und von denen ſowol bie männfichen, als auch bie weiblichen mit einer becherförmigs : 
Biütenhülle verfehen find. Es find fchnellwüchfige große Bäume mit weichem Holze und 2 | 
geftielten, breiten, hergförmigen, eirunden, breiedigen oder rautenförmigen Blättern. Die Bis | 
tenkägchen entwideln fich ange vor den Blättern aus eigenen feltlichen Knospen. Die. Bitte 
pappel oder Espe (f. d.) ift als Forſtbaum gering gefchägt und wirb nur im feuchten Wöäiten 
angepflanzt. Die italtenifhe Pappel (P. pyramidalis) ift aus dem Driente nach Itallen wo 
pflanzt und von da erſt im Anfange des 18. Jahrh. nach Deutfchland gebracht worben, jeheh 
nur in- männlichen Individuen, daher fie bei uns keinen Samen trägt und fidy nur durch Eh 
zelfer vermehrt. Sie wird gewöhnlich an Ehauffeen und in engl. Anlagen angepflanzt, wi 
fie neben ihrer fchönen Pyramidenform auch durch fehr fchnelles Wahsthum fich ausyeicde 
Eie erreicht in 25 bis 30 3. eine Höhe von 70-100 F. Als Kopfholz kann fie aller 54] 
ihrer Afte beraubt werben, doch iſt ihr Holz von äußerft geringem Werthe. Auch die nordem 
riten. Perlſchnurpappel (P. monilifera), deren weibliche Kägchen perlſchnurförmig find, uhh 
bei uns angepflanzt. Die Balfampappel (P. balsamifera), welche ſich durch unterfeits weh 
liche und negig-geaderte Blätter auszeichnet, verbreitet bei warmen Better einen balſamiſcha 
Geruch, der ſich im Frühlinge befonders an ihren Pleberigen Zweigknospen bemerken läßt. And 
die graue Pappel (P. canescens) und die @ilberpappel (P. alba) erreichen in Zeit von H— 
50 3. eine Höhe von 8O—100 F. und haben einen prächtigen ausgebreiteten Wipfel, weshalb 
fie, und zwar beſonders die legten wegen ihrer fchönen, unterfeitd ſchneeweiß⸗filzigen Blätıe, 
häufig in Gartenanlagen angepflanzt werden. 

Pappenheim, ein fehr altes ſchwäb. Adelsgefchlecht, welches bereits im 12. Jahrh. mit der 
Benennung Marfchälle von Pappenheim vorkommt. Die älteſten Spuren von der Erblichfet 
des Reichsmarſchallamts in der Familie finden fich in Urkunden von 1197 und 1298; beftänigt 
wurde dafjelbe Rudolph V. von P. 1354 dur Kaifer Ludwig IV. Das Haus theilte fich 1439 
in vier Linien, die Gräfenthalfche, Algöwſche, Treutlingifche und Algheimifche Kinie. Die dr 
erſtern find erlofchen, der legtern gehören die nody jegt lebenden Glieder der Familie an. U 
ber Treutlingifchen Linie wurde namentlid) Graf Gottfried Heint. von P. (f.d.) berühmt, wer 
cher auch nebft feinem Better Philipp von P. 1628 in ben Reihsgrafenftand erhoben wurde 
Mit feinem Sohne, Wolfgang Adam von P., welcher 1647 im Zweikampf fiel, erloſch de 
Zreutlingifche Rinie. Die Algheimer Linie zerfiel früher in die fatholifche, von Wolfgang M 
lipp flammende und mit defien viertem Sohne 1690 erlofchene Kinie und in die proteſtantiſch 
aus welcher durch Graf Joh. Friedr. Ferd. von P., geft. 13. Aug. 1792, abermals eine kath⸗ 
liſche entftand, die jedoch ſchon mit deffen zweiten Sohne, Grafen Dieron. Friedr. Ant. I 
von P., geft. 20. Aug. 1808, wieder erloſch, fodaß von der Algheimifchen Linie gegenwärtigmm 
noch der proteft. Zweig foreblüht. Haupt deffelben ift Graf Karl Theod. Friedr. bon P. ga 
417. März 1771. Derfelbe trat frühzeitig in oftr. Dienfte, kämpfte als Wurmſer's und Beh 
garde's Adjutant im Türkenkriege, wohnte ben drei Beldzügen der erften Coalition gegen Frart 
reich bei, focht 1795 bei Chaͤteau⸗Cambreſis, 1794 bei Charleroiund Fleurus, ward bei Randren 
verwundet und nahm hierauf feine Entlaffung. Nach feiner Mediatifirung nahm er bi 
Dienfte, vertheidigte mit einer Infanteriebrigade 30. Det. 1815 die Kinzigbrücke während X 
Schlacht bei Hanau und war 1814 unter Wrede bei der Belagerung von Düningen und Edle 





Bappenheim (Bottfr. Deinr., Graf von) 641 


ſtadt thätig. Nachdem er auf dem Congreß zu Wien geweſen, ward er 1815 bei ber Reorgani⸗ 
fation der bair. Armee, fpäter zu mehren diplomatifchen Sendungen verwendet. Gegenwärtig 
ift er bair. Reichsrath, Generalfeldzeugmeifter und Generalabjutant des Königs und Inhaber 
des bair. erften Chevauplegeröregiments. Da feine Ehe mit einer Tochter des Fürften von 
Hardenberg kinderlos geblieben ift, fo wird die Rachfolge auf feinen Bruder, Graf Friedr. Al⸗ 
dert von P., geb. 18. Juli 1777, bair. General der Cavalerie, übergehen, welcher ſechs Söhne 
befigt. Der ältefte derfelben ift Graf Ludwig Ferdinand Frieder. Haupt von P. geb. 5. Dec. 
1815. Die Familie befigt noch gegenwärtig die Grafſchaft Pappenheim (5,5 AM. nıit 7150 
&.) im bair. Kreife Mittelfranken, welche früher reih8unmittelbor war und zu dem ſchwäb. 
reichs ritterſchaftlichen Canton Kocher gehörte. Als Die Herrfchaft bei der Auflofung des Deut⸗ 
(hen Reichs unter bair. Hoheit fam, unter der fie auch 1815 verblieb, bewilligte der König von 
Baiern 1807 der Familie P. in Betracht ihrer frühern wichtigen Stellung ımd ihres Alters 
die Reichsſtandſchaft in Baiern. Für den Verluft des Reichsmarſchallamts follte fie zufolge 
Beſchluſſes des Wiener Congreſſes durch einen Landbezirk mie 9000 E. im ehemaligen Saarde- 
partement unter preuß. Hoheit entichäbigt werben; der König von Preußen übernahm im Pari- 
fer Srieden von 1815 diefe Entſchädigung, die aber nachher in eine Summe Geldes verwandelt 
wurde. Der König von Baiern bewilligte 1818 dem jedesmaligen Senior der Familie ald erb- 
lihem Reicherarhe Sig und Stimme in der Verſammlung der Reichsräthe, und 1825 erfolgte 
die königl. Erklärung, daß die Familie zum hohen Adel gehöre. Im 3.1831 verlieh der König 
von Baiern bem jedesmaligen Stammhaupte das Prädicat Erlaucht. 

Pappenheim (GBottfr. Heint., Graf von), kaiferlicher Feldherr im Dreißigiährigen Kriege, 
geb. 29. Mai 1594, erhielt feine Bildung auf den Hochfchulen zu Altdorf und Tübingen. Nach⸗ 
dem er in feinem 20.59. zur kath. Kirche übergetreten, fuchte er zunächſt unter König Sigis« 
mund in Polen und dann in Deutfchland im Dienft der Ligue und ihres raftlofen Oberhauptes, 
des Kurfürften Mapimilian I. von Baiern, Gelegenheit zur Bethätigung feines feurigen Kriege» 
muthes und feines flanımenden Eifers für den Bath. Glauben. Die prager Schlacht 1620, 
welcher er ald Oberft beimohnte, eröffnete hier feine Heldenbahn. Mit ungeftümem Muthe 
warf er fich der fchon fliehenden öfte. Cavalerie entgegen, brachte fie wieder zum &tehen, drang 
mit der bair. Reiterei in die fchon ſiegestrunkenen böhm. Scharen ein und trieb fie und die Un⸗ 
garn bis zur Moldau hinab. Hier aber im dichteften Gemegel ſank er ſchwer verwundet vom 
Pferde und lag, für todt geachtet, viele Stunden lang unter der Kaft feines Pferdes, bis ihn die 
GSeinigen bei Plünderung des Schlachtfeldes entdedten. Im 3. 1623 vom Kaifer zum Chef 
eined Regiments Küraffiere, ber berühmten Yappenheimer, ernannt, kämpfte er von 1623 — 
25 an der Spige dee Spanier in ber Lombardei, biß er von Mapimilian zurüdgerufen wurde, 
um den 1626 in Oberöftreicd um der Glaubensfreiheit willen entftandenen Bauernaufftand 
zudämpfen. In der kurzen Frift eines Monats (Nov. 1626) endigte er durch die Schlachten 
bei Efferdingen, Völklabruck, Schloß Wolfseck und Peuerbach diefen Krieg, in welchem 40000 
Bauern umkamen und deffen Geſchichte er felbft eigenhändig auffchrieb. Hierauf durchzog er 
das nördliche Deutfchland und half Tilly den Dänenkönig Chriftian IV. befiegen. Er hatte den 
vorzüglichften Antheil an der Erftürmung Magdeburgs, bei welcher Gelegenheit er und feine 
Truppen mit der wildeften Graufamteit gegen die Einwohner wütheten. Dann folgte er Tilly 
nach Leipzig (f.d.), um unter ihm die vereinigten Schweden und Sachſen zu befämpfen. Das 
wilde ftürmifche Feuer feines Muthes verleitete ihn hier in der Schlacht bei Breitenfeld, wider 
Tilly's ausdrüdtichen Befehl, der vorfichtig erft die heranrüdenden Verftärfungen erwarten 
wollte, fich mit den die Lober paffirenden Schweden fo heftig ind Gefecht einzulaffen, daß Tilly 

ur Dermeidung größerer Nachtheile fich genöthigt fah, die Schlacht anzunehmen, welche trog 
—* kühner Tapferkeit verloren wurde. P. deckte den Nückzug, ſammelte die Fliehenden, ent⸗ 
fegte hierauf das von Baner belagerte Magdeburg und focht auch ſpäter mit Glück am Nieder⸗ 
rhein und in Weſtfalen. Nach Tilly's Tode mit Wallenſtein vereinigt, half er ihm Leipzig und 
Sachſen erobern, und mit dieſem der feften Überzeugung, daß der Schwedenkönig Guſtav Adolf 
mit Beziehung der Winterquartiere bei Naumburg den Feldzug des Jahres befchloffen, war er 
mit einem zahlreichen Corps fchon auf dem Wege nach dem Niederrhein, um ben bedrängten 
Spaniern zu Hülfe zu eilen, als er, faum in Halle angelangt, von Wallenftein nach Lügen (ſ. d.) 
zur Theilnahme an der bevorftehenden Schlacht gerufen wurde. P. erfchien mit feiner Reiteret 
gerade in dem Augenblicke auf dem Schlachtfelde, ald der Sieg ſich ſchon enticheidend dem 
Schweden zuneigte. Voll Begierde, Guſtav Adolf felbft im Kampfe zu begegnen, flürzte er ſich 
‘ Gonn.«tez. Behnte Aufl. XL 4 


— ee in Srieden ;ven, weil diefer Kodfeind des kath. Glaubens nod 
vor mic hat flerben müffen.” Er verfchied am Kage nad) der Schlacht zu Leipzig, ergo 
bracht worden war, 7. Nov 1652. P. war ein Belöhere voll rafttofer Thatkraft, voi 
ſchen unternehmenden Geiftes, dem kath. Glauben wie dem Kaifer Be innigfte —— von 
feinen Soldaten, die ihn wegen feiner unzähligen Wunden nur den 
uns ebenfo geliebt als gefürchtet. Obgleich wegen feiner tollen Vertvegenheit yum Dheranfühe 
‚eines, Heeres untüchtig, machte gerade biefe Eigenfhaft ihn zum fürdhtbarften fen Arm an 
und Gufio Adolf felbft bezeugte ehrenvoll feine Tapferkeit und feinen Muth, indem er 
vor zugsweiſe den „Soldaten“ nannte. 
ſſt ober Pabſt, entſtanden aus dem lat. Papa (f.b.), hieß uefprängtich und nodie 
jeder Bifcjof. Indeffen galt ſhon feit Ende det 4. Iahrh. der röm. Bifchof ld be 
* unter den fünf Patriarchen (f. d.) der Chriſtenheit denn der ümſtand, daß Mom die alte 
Hauptftadt des Reichs umd nach der Sage auch der legte Aufenthaltsort des Apoftels Petrnt 
war, hatte ihm ſchon längft ein überwiegendes Anfehen, wenn auch noch keine eigentliche Oben 
—— für fremde Sprengel gegeben. DiefeObergemalt erlangte er aber Durch bie Meichthlümer 
zöm. Kirche, welche in den meiften andern Sprengeln Güter befaß, durch fchied6richterliche 
ice in kirchlichen Streitigkeiten und durch kiuge Benugung günfliger — 
zur Erweiterung feines Wirkungskreiſes. Eine Provinzialſynode zu Sardica * und ein 
Baiferl, Deere Valentinian's UN. vom J. 45 Hatten den Biſchof von Rom zwar als Primas 
und legte Inftanz der Bifchöfe anerkannt; doch felbft im Decident, für den allein Hein fe Befim 


arten Widerſpruch. Um diefe Zeit trafen aber mehte Umftände zufammen, die dem Bifähofe | 
au Nom den Weg zur allgemeinen Kirchenherrſchaft bahnten. (©. "ierarie) Dahin gehör 
tem die Entftehung neuer Kirchen in Deutfchland, welche, wie früher die britanmifchen, durd 
feine Miffionare, nantentlich Bonifaz (f. de), gegründet, ihm gleich anfangs unterworfen mn 
ben; ferner die politifche Verwirrung und der Wechfel der Regierungen in Stalien und Frank 
reich; die zwifchen 829— 857 zum Vorfchein kommenden Dectetalen (f. d.) des falfchen Iſde ⸗ 
zus; der Zwieſpalt der orient. und oceident. Kirche, der die legtere immer fefter an ihre Bort- 
führer und Geichäftsträger, die Päpfte, band, und endlich bie perfönliche Überlegenheit mehrer 
Vaͤpſte über ihre Zeitgenoſſen. So hatte ſchon im 5. Jahrh. Leo d. Gr., im 6. Gregor d. Gr. 
und im 8. Leo IL, der Karl d. Gr. krönte, dem päpftlichen Ramen ein Anfehen verfhafft, gegen 
welches die Patriarchen des Orients nichts mehr und die Fürften nur wenig vermochten. Papft 
Nitolaus l. der ſich zuerft förmlich Frönen ließ, vermochte es bereits, den König Lothar IK von 
Rothringen 865 mit Buße zu belegen und die Bifchöfe von Trier und Köm abzufegen, und noch 
weiter ging Johann VIH,, der über die Kaiferkrone verfügte, die er 875 Karl dem Kahlen reichte. 
Die dann eintretende mehr als Hundertjährige Entweihung des Heiligen Stuhls, welche unter 
dem Einfluffe des markgräffichen Haufes Toscana 904 mit Sergius I. begann umd durch rud- 
loſe Günſtlinge und Verwandte der berüchtigten Markgräfinnen Theodora und Marozia (f.d.), 
wie Johann XII. und Benebdict IX., fortgepflangt wurde, ja felbft das Ärgernig, daß 1045 dri | 
Päpfte zugleich herrfchten, dermochten dem Einfluffe der röm. Eurie feinen wefentlihen Eintrag 
mehr zu thun. Die Roheit des Zeitafters bededte dieſe Schaͤndlichkeiten, ans deren Dunfel die 
Negierung Sylveſter's II. (geft. 1003) ehrwürdig Hervorleuchtet. Die mit dem Verfalle der 
Tarolingifchen Dynaftie in Frankreich und Deutfchland einreißende Verwirrung gab den Pär- 
fen immer größern Spielraum. Selbft feine während der Zerrüttungen und Parteiungen Roms 
fhwer verlegte Würde und Unabhängigkeit von dem röm. Adel und Volke erhielt der Heilige 
Stuhl durch die Gonftitution wieder, mit welcher Nikolaus IL. (1059) die Papſtwahl im die 
Hände des Gardinalcollegiums Iegte und aller Einwirkung der Laien entzog. 

“Bon jegt an fah man eine Reihe thatkräftiger Kirchenregenten auf bem päpftlihen Sruhk. 
So namentlich Gregor VII. (1073—85), der den Plan einer kirchlichen Univerfalmomardik 
durchtufũhren begann; Urban II. (108899), ber, obſchon wiederheit durch ben GBegenpapt 

> Gemens II. aus Rom vertrieben, dennoch mit vielfeitigena Einfinffe und feltenem Hadhtend 
Ko — Alexander 1U.(1159—81), der zwei Begenpäpfte überlebte umd.den dritten fhizate, DE 


\ 


| Yart ses 
Könige von England und Schottland zum unbedingten Gehorſam in kirchlichen Sachen brachte, 
ſich von Kaifer Friedrich I. die Steigbügel halten ließ und die Verfaffung der Papſtwahl feft ber 
ſtimmte; Sunscenz Ill. (1198— 1216), ber das Papſtthum auf den höchſten Gipfel der Macht 
und Würde brachte. Was die Yäpfte früherer Jahrhunderte nur in einzelnen Fällen verfucht, 
machten bdiefe großen, ihrer Zeit weit überlegenen Männer durch beharrliches Kortfchreiten in 
Einem Geifle zur Regel. Sie knüpften die Geiftlichkeit des weftfichen und mittlern Europa 
durch die Einführung einer neuen Eidesformel, des fogenannten Blaubenseides, durch die Nö⸗ 
thigung zum Gölibat, durch die Inveſtitur, welche den Lehnsverband der Bifchöfe mit ihren 
Fürſten trennen mußte, gleich VBafallen und eigenen Beamten mit unauflöslichen Banden an 
ihren Stuhl. Sie brachten mittels ihrer Legaten (f. d.) und Runtien (ſ. d.) das bifhöfliche Recht 
ber Entfcheidung in kirchlichen und Ehefachen und das ausſchließende Heiligiprechungsrecht in 
ihre Gewalt und gaben der päpftlichen Würde dadurch das Gewicht der einzigen Weihebehörde 
in der Welt, von welcher alle geiftliche Gewalt und Amtsbefugnißausgehe. Die gefammte Kirche 
ſelbſt unterorbneten fie fich endlich als VBorfiger ber Eoncilien und Nationalſynoden, deren Be⸗ 
fhlüffe nur durch papftliche Beftätigung gültig werden follten, und durch Die nach und nach be» 
hauptete Untrüglichkeit oder Infallibilität ihrer Ausfprüde. Auch ſchufen fie fich durch den 
Augen Gebrauch der Moͤnchsorden, befonders der Bettelmönche, eine geiftliche Miliz, die, weil 
diefen Drden die Inguifition, das Beicht- und Predigtweſen und der öffentliche Unterricht auf 
Schulen und Univerfitäten in die. Hände fielen, eine der ſtärkſten Stügen ihrer Macht geworben iſt. 

Die geiflliche Oberherrfihaft führte auch die weltlihe Eouveränetät, Die Gründung des Kir- 
henftaats (f. d.) mit fih. Doch find die weltlichen Hoheitsrechte des Papftes viel fpätern Ur» 
ſprungs, al& man behauptet bat. Die Schenkung Konftantin’s d. Gr. ift eine anerfannte Er⸗ 
dichtung. Durch Pipin's Schenkung dagegen erhielt ber Papft allerdings das Dominium ulile, 
d. h. die Rugung der ihm unvertrauten Ländereien, wurde aber dadurch Bafall der fränk. Ki» 
nige und dann ber dbeutfchen Kaifer, welche die landesherrlichen Rechte über das päpftliche Ge⸗ 
biet ohne Widerſpruch ausübten und bis in das 12. Jahrh. feine Papſtwahl ohne ihre Befkätt- 
gung gelten ließen. Erſt Innocenz I. fegte es durch, daß Nom, die Marken und die Mathildi- 
chen Erbgüter (f. Mathilde) ihm als fouveränem Landesheren 1198 huldigten, womit auch 
der legte Schatten kaiſerl. Gewalt über Rom und ben Papft verfhwand. Günſtige Gelegenhei- 
ten hatten dem päpftlichen Stuhle fchon früher mehre Königreiche zinsbar gemacht. In biefer 
Abhängigkeit befanden ſich England, feit es fich zum Ehriftenthume befehrt hatte, Polen und 
Ungarn feit dem 11. Jahrh., die Bulgarei und Aragonien feit dem Anfange des 43. Jahrh., 
das Königreich beider Sicilien, deffen normann. Beherrfcher bereits Lehnsträger des Papftes 
waren, feit 1265, wo Clemens IV. daffelbe dem Haufe Anjou gab. Ya felbft der Orient würde 
unter die rom. Hertfchaft gefommen fein, wenn der Erfolg der Kreuzzüge, die ohnehin im Abend- 
ande den Bäpften manche Vortheile gewährten, weniger vorübergehend gewefen wäre. Inno⸗ 
ceny III. konnte Könige, wie 4.3. Johann von England, ab» und einftgen und Alles mit feinen 
Bannftrablen bedrohen; Kaifer Otto IV. nannte fi) von Gottes und des Papſtes Gnaden; die 
Könige hießen des Papſtes Söhne. Die Furcht vor den Folgen des Interdicts (f. d.), das ber 
Papſt ale Statthalter Chrifti über ungehorfame Fürſten und ihre Reiche ausſprach, die Empö⸗ 
rungsluft der Vaſallen gegen die Fürften, die fchlechtgeorbnete Verfaffung der Staaten und die 
großen Mängel der Gefeggebung unterwarfen die Regenten jener Zeit von felbft der Vormund⸗ 
ſchaft eines Herrn, beffen Hof die Wiege ber neuen Staatsklugheit und deffen Macht und An⸗ 
ſehen durdy die Waffen bes Geiftes unter dem Gchupe der öffentlichen Meinung und des Zeit- 
glaubens unwiderftcehli waren. Nicht mit Unrecht wurde daher feitdem das Papftchum eine 
Univerfalmonarchie genannt. 

An der That wirkte auch dieſes geiftliche Herrſcherthum zur Gewöhnung nody roher Fürften 
und Volker an Gefeglichkeit und chriftliche Sitten wohlthätig genug. Frankreich war es indef- 
fen bereits im 14. Jahrh. dad mit Erfolg gegen den Papſt in die Schranken trat. An Philipp 
dem Schönen fand Bonifaz VIIL, ein fehr übermüthiger Papft, feinen Meifter, und von Cle 
mens V. an mußten feine Nachfolger ihre Reſidenz in Avignon nehmen (1307— 77), we fi 
nun ganz unter franz. Einfluffe fanden. Schon hierdurch mußte nothmendigermeife die Selb 
ftändigkeit der Päpfte bedeutend leiden, obfchon fie die Vorrechte ihres Stuhls noch fortwährens 
in allen Gegenden der abendländ. Chriftenheit ausübten. Doch tiefer ſank ihr Anfehen, als 
1378 neben dem ital. Papſt Urban VI. von den frang. Eardinälen Clemens VII. zum Papſte 
gewählt wurde und jeder nicht nur feinen eigenen Einfluß auf bie feiner Partei ergebene 









| —2* der ſeit F zugleich in Rom, Avignon und Piſa reglerenden 
aber ber 1417 an ihre Stelle gewählte alleinige Papſt Martin V. trat in ben 


umb ber Macht feiner Borgänger ohne nur im entfernteften bie eingeriffenen IRIEbE p 
ſtellen, und felbft die nachdrũcklichſien Neformationsdecrete ber ammiung au Bei 
¶ 8.) wurden durch die Beharrli bed ſich gegen ben Willen dieſes Conciliums behaupin 


chkeit 

den es Eugen IV. (1451—47) größtentheils unfräftig gemacht. Frankreich 
' 3488 durch die Pragmatiſche Sanction (f. d.) gewonnen, welche bie Freiheiten der 
ſchen Kirche (f.d.) begründete, und durch Unterhanblungen mit Eugen IV. und beffen 9 
ger, dem al6 Freund der alten Riteratur und Beichliger ber gelchtten Flüchtlinge aus 
chenland verdienten Nikolaus V. brachte Aneas Sylvius, als Geſandter Kalſer Friedrid's 
1448 dab Wiener Concordat zu Stande. Weshalb aber darin den Beſchwerden ber derchhe 

Ration fo wenig abgeholfen und das päpftfiche Intereffe fo ſorgfaͤltig wahrgenommen war, id 
werkten die von dem fchlauen Unterhänbler zur Annahme überrebeteri deu deutfchen Furften ef ; 
dann, als diefer Cardinal und 1458 unter dem Ramen Pius IL. ſelbſt Papſt wurde. Sa dene 
Fontordate wurden den Papſte die Annaten (f. d.) beflätigt, das echt, —— 


A 





den verlieh. Durch allmälige Ausdehnung dieſer Vortheile, bie — andere chriſtliche a 
mnter andern Titeln gewähren mußten, hatten die Päpfte es im 15. Jahrh. wieber fo weit 
bracht, daß Ihnen unter mancherlel Ramen bie volle Hälfte der geiftlichen Einkünfte des Dub 
baute zufloß. Hülfe gegen die Türken war ber gewöhnliche Borwand, unter bem man Ge ſo 
derte. Doch wurde von den ungebeuern Summen, bie zu biefem Zwecke nd ande 
felten für den angegebenen Zwed etwas verwendet ; denn theils mußte bie Gunſt der 

in Rom, unter welchen die alten Geichlechter der Colonna und Drfini feit lange her wetteifer 
ten, erfauft werden, theild nahmen die Bebürfniffe der Derwandten (f. Nepotismus), fo vd 
weg, daß für das allgemeine Befte der Ehriftenheit nichts übrig blieb. Auf den höchſten Punkt 
teieb die Begünftigung feiner Familie Alerander VI. (1492— 1503), deffen Staatskunſt de 
Religion und Moral ebenfo fremd war mie fein Leben. Sein Nachfolger Julius 11. (1505— 
13) aber wendete alle feine Kräfte auf den Krieg mit Frankreich, in welchen: er felbft fein Dee 
ritterlich anführte. Zum Glück für ihn und feinen Nachfolger Leo X. wurde Kaiſer Maximilianl 
durch äußere Umſtände und endlich durch den Tod gehindert an der Ausführung feines Projectt, 
die päpftliche und kaiſerl. Krone auf feinem Daupte zu vereinigen. - 

Durch den Umftand, daß Oſtreich, Frankreich und Spanien um die Lombardei und Neapel 
kämpften und fich daher wechfelfeitig um die Freundſchaft des Papftes bewarben, hatte deffer 
politifche Bedeutung gegen das Ende des 15. Jahrh. von neuem fi) bedeutend gehoben, als der 
nicht mehr niederzubaltende Zeitgeift ein Ereigniß herbeiführte, an welchem Leo's X. Staut« 
kunſt fcheiterte. (5. Neformation.) Luther, Zwingli und Calvin traten als Derolde einer Dyp 
pofition hervor, die faft die Hälfte des Decidents vom Papfte losriß, während ihn zugleich bie 
Politik Karl's V. mehr und mehr in den Hintergrund ftellte. Was frühere Jahrhunderte den 
Dapfte zugeftanden hatten, beftätigte das Zridentinifche Concil (f. d.), und um den päpftlice 
Stuhl trat als eine Schutzwache die Gefellfchaft Jeſu (f. Iefuiten), die die Spuren der Refer 
mation in den katholifch gebliebenen Staaten zu vertilgen und, was in Europa verloren morber 
war, durch Miffionen (f. d.) unter den Heiden zu erfegen ftrebte. Das frühere Anſehen di 
väpftlichen Stuhls konnte indeffen bei den bereits vollig veränderten Zeitverhältniffen im Gr 
zen nicht mehr hergeftellt werdan. Es folgten auf dem päpftlichen Stuhle Clemens VII. (153 
— 34), Paul III. (geft. 1549), Paul IV. (geft. 1559), der möndifch-kirchliche Pius IV. (gef 
1565), der den huſſitiſchen Böhmen den Kelch bewilligte; Pius V. (geft. 1572), der die Bulk 
Ia coena domini (f.d.) erließ; Gregor XIU. (geft. 1585), dem wir den verbefferten (Gregorian 
fen) Kalender verdanken; der ald Regent große Sixtus V. (geft. 1590); Clemens VIIL, de 
4598 Ferrara zum Kirchenftaate ſchlug; der gelehrte Urban VIll. (geft. 1644), der Urbino e 


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Papft 645 


warb und Galilei bie Behauptung, daß die Sonne fi um die Erde bewege, abfchmworen lief. 
Sie Alle vermochten nicht das alte Anſehen wiederherzuftellen, zumal im 16. Zahrh. auf dem 
päpftlicgen Stuhle oft die Schwäche und Beſchränktheit regierte. Vergebens erneuerte man in 
Rom die Sprache Gregor's VII. und Innocenz’ II. Auch in kath. Staaten wurde der Unterfchied 
der kirchlichen Angelegenheiten von ben politifchen [yon deutlich genug begriffen, um die Ein- 
ſchränkungen des päpftlichen Einfluffes auf die erflern in der Ordnung zu finden. Seit der 
Mitte des 16. Jahrh. wurbe kein deutfcher Kaifer mehr vom Papſte gekrönt; die Fürſten ent⸗ 
zogen fich feiner Bormundfchaft; die Nationalkirchen gewannen ihre Freiheiten, und der Weſt⸗ 
falifche Friede (1. d.), den der Papft zwar nicht anerkannte, gewährte in kirchlichen Verhältnifien 
eine Duldung, die eine öffentliche, von allen europ. Mächten verbürgte Geltung erhielt und bie 
frübern päpftlihen Machtſprüche fortan unmöglicy machte. Der Janfenismus (f. Janfen) ent- 
zog überdies dem Papfte einen bedeutenden Theil der Niederlande. Seine Bullen galten außer 
dem Kirchenſtaate nur mit Genehmigung der Fürften und die Abgaben aus fremden Reichen 
gingen immer fparfamer ein. Selbſt die ausgezeichneten Männer, die, wie z. B. Benedict XIV. 
und Glemens XIV., im Laufe des 18. Jahrh. den päpftlicden Stuhl einnahmen, hatten ihr An⸗ 
feben und ihren Einfluß nur ihrer Perfönlichkeit zu verdanken. Das Zeitalter der Aufllärumg 
untergrub den päpftlichen Einfluß noch mehr, und die darauf folgende Revolutionsepoche berei- 
tete fogar zeitweilig der weltlichen Herrfchaft des Kicchenfürften das Ende. Pius VI. (1775— 
98) wurde, als der Tod Joſeph's II. ihm neue Hoffnungen gab, Zeuge von der Revolution, 
welche die franz. Kirche von ihm losriß und ihn feiner Staaten beraubte. Pius VII. (1800— 
23) mußte feine perfönliche Freiheit und den Befig des verfleinerten Kirchenftaats 1801 durch 
ein Concordat mit Bonaparte ertaufen, um 1809 Beides zu verlieren. Er verdankte feine Wie 
derherſtellung 1814 nicht feinem gegen Napoleon gerichteten Bunnftrahle, fondern der Verbin» 
dung der weltlichen Großmächte, unter welchen zwei kegerifche (England und Preußen) und eine 
ſchismatiſche (Rußland) fich befanden. Gleichwol trat er mit Foderungen und Grundfagen auf, 
die den liberalen Ideen und den Befchlüffen feiner Befreier durchaus nicht entfprachen. Durch 
den Cardinal Conſalvi proteftirte er 14. Juni 1815 gegen die Wiener Congreßbeſchlüſſe, welche 
Avignon, Ferrara und die fäcularifirten Befigungen der kath. Kirche in Deutfchland betrafen. 
In gleichen Geifte regierten feine Nachfolger, Leo XII. (1823— 29), Pius VIN. (1829 - 30) 
und insbefondere Gregor XVI. (1830—46). Die Härte, womit Legterer namentlich jede zeit⸗ 
gemäße Reform in den weltlichen Berhältniffen des Kirhenftaats zurückwies und niederdrückte, 
trug wefentli zum Ausbruche der Revolution von 1848 bei, die jeinen Nachfolger Pius IX. 
(f. d) zur Flucht nöthigte und zur Errichtung einer rom. Republik führte. Nur die Waf- 
fen Öftreich® und Frankreichs vermochten die weltliche Macht des päpftlichen Stuhls 1849 wie- 
der herzuftellen. (Über die einzelnen Päpfte f. die berreffenden Artikel). 

In den früheften Zeiten der chriftlichen Kirche hatte wie anderwärts, fo au in Rom das 
Volt an der Wahl des Bifchofs großen Antheil. Seit dem 10. Jahrh. ftand die Yapftwaßl 
ganz unter dem Einfluffe des rom. Adels, bis 1059 Nikolaus II. den Carbdinälen allein das 
Recht zuſprach, den Papſt zu ermählen, der nad, einer fpätern Beflimmung dem Garbdinals- 
collegium angehören mußte. Dabei behaupteten die deutfchen Kaifer bis ins 12. Zahrh. ſich in 
dem Rechte, den gefeglich ermählten Papſt zu beftätigen. Erft Papſt Alerander IN. gab 1179 
die genauern Beflimmungen der Papftwahl, die von Gregor X., Julius IL., Pius IV., Gre 
gor XV., Urban VII. und Clemens XII. vervollftändigt, im Wefentlichen noch gegenwärtig gel⸗ 
ten. Sofort nach dem Tode eines Papftes begibt fi der Kardinal Gamerlengo in Amtstracht 
und Geremonie in den päpftlichen Palaſt, um über den Todesfall und die Identität der Perſon 
ein Inftrument aufzunehmen; zugleih nimmt er von dem Maeftro di Camera ben päpftlichen 
Siegelring (Fifcherring), ſowie alle übrigen Siegel in Empfang. Vom Gardinalcollsgium wer 
den hierauf für den Cardinal Samerlengo drei Beiftände, ein Cardinalbifchof, ein Cardinal⸗ 
priefter und ein Cardinaldiakon, gewählt, die aller drei Tage wechfeln und mit denen er bis zur 
Wahl des neuen Papſtes die oberfte Gewalt ausübt. Am dritten Tage nach dem Ableben des 
Papſtes und nachdem die feierliche Aufftellung deffelben in der Sacramentskapelle erfolgt, be- 
ginnen die gehn Congregationen der Cardinäle, die fich mit den zur Wahl nöthigen Vorrichtun- 
gen zu beſchäftigen haben. In der erften werden nach Vorlefung der Bullen hinſichtlich ber 
Papſtwahl durch den Gardinal Eamerlengo der Fifcherring fowie die übrigen Siegel des Pap- 
ſtes zerbrochen. Die folgenden befchäftigen fich mit den Anordnungen in Betreff des Baus des 
Gonclave, dem Berzeichniß der in daffelbe einzufchließenden Perſonen u. ſ. w. In der neunten 
werden drei Sardinäle erwählt, un das Verfchliegen und die Führumg der materiellen Geſchäfte 


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Schornflein 
bp die Wahl noch zu keinem Leeſultate geführt habe. Da &, Branfreich 
dub früher Bett das Recht Haben, gegen einen Cardinal, auf welchen bie Wahl au 
fein Yat, zu peotefiren, —— weißer von biefem 
zu nındgen bevollmächtigt if, einen ber Cardindle mit dem vorum exclusivum, welches, 
En Sal eetolalon Fin fol, Dann abgegeben Werben muf, wenn ber autınThlicfenbe 
bereitd fo viel Stimmen hat, daß ihm zur gefegfichen Zahl mir noch eine fett, ia 
chem Falle fofort die weitere aufhört unb die Zettel verbrannt werden. A. 
bar TE gegemvärtig nur ein geborener Italiener, ber von feinem autwä 


: SR bie Wahl erfolge, fo wird er mit dem päpfllichen Drnat beBleibet uub ertheife Bann tan 
den erflen Segen. Hierauf empfängt er bie Huldigung von Tämmıtlichen Ger 
"Uinäten und durch den Carbinal Camerlengo ben Fiſch . Der erfte Sarbinafbiaten, war 
den er den Eib des Gehorfams geleiftet, eilt auf bie Gran ia der Peterokirche ober, wem 
die Wahl im Duirinal gehalten wird, auf deſſen Balcon, um dem Volke die Wahl zu verkie 
digen. Hierauf wird unter Begleitung fämmtlicher Garbinäle der Papſt nach der Peterskirthe 
getragen, wo er vor dem Altar umter Abfingung des Te Deum laudamus die Adoration de 
Gardinäle empfängt. Am Schluffe ertheilt er dem Volke den erften Segen, dann wird er, na 
dem er ben päpftlichen Ornat abgelegt, nach dem von ihm zu feiner Refidenz gewählten Palaſt 
getragen, während gleichzeitig auch alle Bardinäle in ihre Wohnungen zurückkehren. Bel 
Spittler, „Geſchichte des Papſtthums“, vervollftändigt von Paulus (Deidelb. 1826); Rank 
„Die com. Päpfte, ihre Kirche und ihr Staat im 16. ımd 47. Jahrh.“ (3 Bde,2. Aufl, Bal 
1837 — 39); Zaffe, „Regesta Pontificum Romanorum usque ad a. 14198” (Bert. 1851). 
Papuas oder Papus, auch Negritos und Auftralneger nennt man den Menfchenftamn. 
welcher, wie die Hanaforas (f.d.) oder Alfuren, ein Mittelglied zroifchen der malagifchen und de 
Regerrace bildend, hauptſächlich das Feſtland von Anftralien (f. b.) und bie ganze Meihe der weh 
auftral. Infeln von Neuguinea (auch wol Bapnafien genannt) bis Neucaledonien bewohnt, bam 
aber auch zerftreut und meift ins Innere der Gebirge zurüdigedrängt aufden Infeln Südaſient 
auch in einigen Gegenden Vorder⸗ und Hinterindiens, insbefondere auf den Andamaninſch 
in Malakka, den fiamefifhen Malayenlanden und vielen Infeln des binterind. Archipelt ver 
tommt, wo er wahrfcheinlich als die Urbedölkerung anzufehen ift, Die nach und nach ven anden 
höher fiehenden Stämmen vertilgt oder in unzugängliche Gegenden zurüdigebrängt wurde, zu⸗ 
Theil ſich wol auch mit ihnen vermifchte, um Zwitterſtämme zu bilden. Obwol hinſichtſich de 
Schaädelbildung von ben eigentlichen Negern verfchieden, ähneln die Papuas ihnen doch ir 
ſichtlich der Hautfarbe und zum Theil auch Hinfichtlich des wolligen Haare, und daher derfisme | 
Papuas, der im Malayifchen Kraushaarige bedeutet. Was die Stufe der Bildung betrifft, er 
ber die Papuas fich befinden, fo kann man wol fagen, daß fie zu den am tiefften ſtehenden 4 
tern gehören, obfchon fich unter ihnen in körperlicher wie geiftiger Beziehung mandhe Abſc⸗ 
tungen geltend machen. Die meiften von ihnen leben noch im Zuftande der Roheit und BR 
heit. Weder Aderbauer noch Hirten, kaum eigentliche Jäger und Fifcher, erhalten fie ſich mei 
nur von Dem, was ihnen der Zufall bietet, und leben in einzelnen Familien oder Horden gas 
außer aller Gemeinſchaft und Verbindung umter ſich und mit andern Stämmen, weshalb e⸗ 
ihre Sprache in die verſchiedenartigften Mundarten gefpalten iſt. Rieibungöftüdde Haben fies 


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Papyrus Par 47 


wenig; bi6 auf einen Gürtel, ber ihnen felten fehlt, gehen fie meift nadı ; Diäntel von Xiler- 
fellen oder ein Schurz von Baumrinde gehören bei vielen von ihnen zu den Zurusgegenfländen. 
Nur jene groteske Körpermalerei, mit der fie fih zu ſchmücken glauben, obſchon fie durch fie 
nur noch abfchredender werden, als fie fon von Natur find, wird felten bei ihnen vermißt. 
Kriege oder vielmehr einzelne Kämpfe find Häufig unter ihnen. Wie alle Wilde lieben fie Ge 
fang und Tanz. Gie find nicht ganz ohne religiofe Vorftellungen. Die Vielmeiberei ift bei den 
meiften ihrer Horden erlaubt, jedoch ihrer Armuth wegen nur bei Einzelnen in Gebrauch. 
yrus iſt noch gegenwärtig der botanifche Ramıe einer Pflanzengattung aus der natür 
lichen Familie der Eypergräfer. Die wichtigfte der fünf bekannten Arten ift unftreitig Die aͤgyp⸗ 
tifche Papyrusſtaude (P. antiquorum), ein acht bis gehn Fuß hohes Eypergras mit fehr ſtarker, 
Holziger, aromatifcher, kriechender Wurzel und nadten, blattlofen, dreifantigen, unterhalb, we 
fie am ſtärkſten find, armdicken Dalmen, welche an ihrem obern Ende eine zufammengefegte Blü⸗ 
tendolde mit achtblätteriger allgemeiner Doldenhülle tragen. Die Staude wächſt an verfchiebe- 
nen Orten, befonderd häufig fcheint biefelbe aber von den älteſten Zeiten her in Agypten geweſen 
au fein, wo fie jedoch in neuerer Zeit nur noch fehr felten angetroffen wird. Obſchon die alten 
ypter einen fehr ausgedehnten Gebrauch von derfelben machten, zu Flechtwerk, Schuhen, 
Zauen, Segeln, Kleidern u. ſ. w. fo mar doch ihre wichtigfte Anwendung die zur Bereitung bes 
Schreibmaterials ober des nad) ihr benannten Papiers. Den auf uns gelommenen Nachrichten 
zufolge löfte man vom Halme die Hänte oder Fäferchen in feinen Schichten ab, breitete diefe auf 
einer mit Nilwaſſer befeuchteten Tafel aus und überftrich fie mit heißem, kleberigem Nilwaffer. 
Auf die erfte Rage wurde eine zweite gelegt, zufammengepreßt, an der Sonne getrodnet und mit 
einem Zahne geglättet. In fpätern Zeiten wendeten die Romer vielen Fleiß auf die Bereitung 
diefes Papiers; fie hatten dazu ihre glutinatores, d. i. Xeimer, malleatores, d. i. Hämmerer 
oder Klopfer, u. f. w. und bereiteten mehre Sorten. Zur Zeit der rom. Kaiferherrfchaft war ber 
Gebrauch des aus der Papyrusftaude gewonnenen Papiers ganz allgemein verbreitet ;doch immer 
mehr vom Baummellenpapier verdrängt, war es bereits im 9. Jahrh. etwas Seltenes und im 
12. Jahrh. hatte die Fabrikation deffelben bereits ganz aufgehört. Aus wiffenfchaftlihem Im 
tereſſe haben in neuerer Zeit Landolina, Seyffarth u. U. Verfuche in der Bereitung des Papy- 
rus gemacht. Vgl. Seyffarch im „Serapeum” (1842). Handfchriften alter Schriftfteller auf 
diefem aus Papyrus gefertigten Material gehören zu ben älteften und feltenften. Davon zu 
unterfcheiden find die fogenannten Bapyrusrollen, deren eine ziemliche Anzahl aus dem Alter⸗ 
thum auf und gekommen ift. Zu den älteften derfelben gehören unftreitig die bei den Ausgra⸗ 
bungen zu Herculanum und Pompeſi aufgefundenen, beren Kopie und Beſchreibung Blanca 
Variela ne’ volumi Ercolani“, Neap. 1847) begonnen hat. Zahlreiche Papyrusrollen wur 
ben feit Unfang diefes Jahrhunderts in Agypten, befonders bei den Mumien aufgefunden. 
Vgl. Schmidt, „Borfhungen auf dem Gebiete des Altertbums” (Bd. 1, Berl. 1842); Kraufe 
in Erf und Gruber's „Allgemeiner Encyklopädie“ (Sect. 3, Bd. 11); Peyron, „Papyri 
Graeci musei Taurinensis” (2 Bde., Zurin 1826). Ä 
Paͤr (Bernando), Operncomponift, geb. 1771 zu Parma, ein Echüler des Neapolitan 
Ghiretti, brachte bereits in feinem elften Jahre zu Venedig feine erſte Oper „Circe” und zwar 
mit vielem Beifall zur Aufführung und befuchte hierauf die Hauptſtädte Staliens. Der Herzog 
von Parma, fein Pathe, gab ihm einen Jahresgehalt und erlaubte ihm, 1795 wegen ber 
Kriegsunruhen nach Wien zu gehen, mo 9. 1798 als Komponift beim Nationaltheater, feine 
Gattin aber als erfte Sängerin bei der ital. Dper angefiellt wurde. Zur weitern Verbreitung 
feines Ruhms trug befonders bei feine Oper „Camilla“ (1799), die auf allen deutfchen Bühnen 
gegeben wurde. Im 3. 1802 wurde er bei der Hoflapelle in Dresden als Kapellmeifter und 
feine Gattin als erfte Sängerin bei der Oper angeftellt. Nach der Schlacht bei Jena veranlafte 
ihn Napoleon, nebft feiner Gattin ihm nach Pofen und Warfchau zu folgen. Nach dem Frieden 
von Tilfit traten Beide in des Kaifers Dienfte. P. wurde Director der ital. Oper, fpäter unter 
Karl X. Generaldirector der Kapelle, endlich Infpector und Profeſſor am Conſervatorium in 
Paris. Er ftarb dafelbft 3. Mai 1839. Alle feine Compoſitionen find reich an Melodien, ge 
fangvoll, lebhaft und mit Effect inftrumentirt, aber ohne tiefen innern Zufammenhang und 
gründliche Charakteriftit, fodaß man ihn ald Vorläufer Roſſini's anfehen kann, den er jedoch 
im gründlichen Sage übertraf. Seine beften Dpern, nächft ber „Caanilla”, find „Sargino‘, 
„Griselda”, „Leonora“, „Achille“, „I fuorusciti” („Die Begelagerer”), „Sofonisbe”, „Dido“, 
„Agnese” und „Olinte e Sofronia”. Außerdem hat er mehre Romanzen, Ganzonen und Duetten 
mit Klavierbegleitung componirt. 


648 Para (Minze) Parabel (mathema:.) 


Barä, eine türf. und ägypt. Kupfermünge, auf beiden Seiten türk. Schrift zeigend. De 
Para wird in 3 Asper getheilt, und AO Para machen einen türk. Piafter (Grufch) aus. Der 
ſebige Werth des Para ift etwa )ı Pfennig preußiſch. Es gibt auch türk. 5 Paraſtũcke aus Kupfer 

Hara, die nörblichfte und größte Provinz des Kaiſerthums Brafilien, zu beiden Seiten bei 

uators und des riefigen Amazonenſtroms (f. d.), von der Grenze gegen Ecuador oflwärt 
bis zu feiner Mündung gelegen, grenzt in ihrem bisherigen feit 1829 feftgefegten Umfang 
nördlich an das franz., holländ., brit. und das zu Venezuela gehörige oder columbifche Guiau⸗ 
weftlih an Ecuador und Peru, ſüdlich an Bolivia und die brafil. Provinzen Matto-Groffe un 
Goyaz, öftlich an Maranhao und den Atlantiſchen Ocean und hat in diefer Begrenzung, jedoch ober 
das von den Engländern beanfpruchte und zu ihrem Guiana gerechnete Gebiet (1677 AM, 
und mit Einfchluß der von den Mündungsarmen des Amazonenftroms befpülten Infel Johan 
ned oder Marajo (585 AM.), ein Areal von 52830 AM. Die Provinz zerfiel bisher in drei 
Comarcas oder Regierungsbezirke; neuerbings ift aber aus einem Theile der Provinz P. in 
äußerfien Weſten eine neunzehnte brafil. Provinz, Amazonas oder Alto-Amazonas, gebilte 
worden, deren Umfang noch nicht genau beftimmbar if. Die Bevölkerung für die bre 
alten Comarcas ward auf 250000, von Andern mit Einrehnung der Sklaven und Ir 
dianerftännme auf mehr als eine halbe Mill. E. angegeben. Jedenfalls aber ift fie uberam 
dünn, und ungeheuere Strecken Landes find geradezu menfchenleere Wüften. In der Ce 
marca Pard liegt, 15 M. vom Meere, die ſchwach befeftigte Hauptftadt der ganzen Provim, 
nämlid Para ober Sta. Maria de Belem, au fhlehthin Belem genannt, am rechten 
Ufer des Rio Para oder Paraſtroms, ber aus der Vereinigung bes Amazonas, Tocantin und 
vieler Heinerer Nebenflüffe entfteht und felbft den größten Kriegsfchiffen bis vor die Stadt au- 
gänglich ift. Die Stadt wurde 1615 gegründet, ift Sig der Provinzialbehörden und eines Bi. 
ſchofs, regelmäßig gebaut und hat 32000 E., eine Menge Klöfter und zum Theil prachtvole 
Kirchen, wie die große Kathedrale und die Kirche der Mercenarier, mehre anfehnliche Paläſte, 
ein theologifches Seminar, eine Gelehrtenfchule und einen botanifhen Garten. Als Regie 
rungsſitz und einziger Seehafen der Provinz ift fie auch deren lebhaftefter Handelsplag. 

Barabäfe oder Parabajis, d. h. Abtreten von einer Stelle an eine andere, hieß in der alten 
griech. Komödie der ohne Rüdficht auf den Zufammenhang der Handlung felbft eingefchaltere 
Theil, den der Chorführer im Namen des Dichter an die Zufchauer ſprach, gewöhnlich nad 
dem erften Chorgefange, wobei der Chor eine eigene Stellung gegen das Publicum einnahm. 

Paräbel, griech. Paraböle, eigentlich Nebeneinanderftellung, heißt in der Nhetorik ur: 
ſprünglich ein Beifpiel oder Gleichnif, das als folches angewendet und gedeutet wird, Daher pa- 
raboliſch fo viel ald vergleichsweiſe. Weit häufiger aber bezeichnet man bamit eine felbftändige 
erdichtete Erzählung oder eine formliche Gleichnißrede, die in einem durchgeführten Gleichniſſe 
befteht und dadurch von der Fabel (f.d.) im engern Einne ſich unterfcheidet, daß fie jich mehr der 
Wirklichkeit nähert, indem fie einen wahrfcheinlichen Fa darftellt. Der Kunſtwerth derieiker. 
liegt in der Einfachheit, Kürze und Bedeutung, woraus fich von felbft ergibt, daß fie, ebenfe mic 
die Fabel, weder gefucht, ſchwer zu verfichen und dunfel im Sinne, nod) im Ausdrudt geſchmückt 
und gedehnt fein darf. Da fie den Zweck hat, eine allgemeine Behauptung an einer einzelner 
Handlung auf eine finnlichranfhauliche (ſymboliſch⸗allegoriſche) Weiſe darzuftellen, fo verlangt 
fie einen folchen Zuftand des Gemüths, der und bei der Betrachtung eined Gegenftandes ruhig 
verweilen läßt, und eignet fich bei dem Scheine der Popularität, den fie annimnıt, auch befonder? 
für folhe Darftellungen, die eine Verfammlung von gemiſchten Bildungsftufen vorausfegen. 
Sie wird alfo beſonders im Lehrvortrage und in den dahin einfchlagenden Dichtgattungen ihre 
Stelle finden. Die trefflichiten Gleichnigreden finden wir im Alten Zeftament und mehr nod 
im Neuen Teflament, wie überhaupt die Parabel in dem zulegt angegebenen Einne dem Orient 
ihren Urfprung verdankt. So find z. B. Nathan's Bußpredigt an David, die Eraählung vom 
verlorenen Sohne, von den Arbeitern im Weinberge, von dem ungetreuen Haushalter aufge 
führte, überaus anfprechende Parabeln, welche, von dem Befondern ausgehend, auf einen he- 
bern überfinnlichen Standpuntt erheben. Unter den Deutfchen haben fich Herder und Krum: 
macher in diefer Darftellungsart ausgezeichnet. 

Paräbel, in der Mathematik, heißt eine der drei krummen Linien, welche Kegelfchnitte (ſ. 2.) 
genannt werden, und zwar diejenige, welche entfteht, wenn man einen Kegel mit einer Ebene 
durchfchneidet, die einer Seitenlinie deffelben parallel iſt; oder auch diejenige ebene krumme Linie, 
welche die Eigenfchaft hat, daß jeder ihrer Punkte von einen gewiffen feften Punkte (dem Brenn 
punkt) ebenjo weit entfernt ift, als von einer feften geraden Linie (der Directrir). Cine durd 


Baracelfus de Hohenbeim 649 


den Brennpunkt gehende, auf der Directrig fenkrecht ſtehende Gerade Heißt die Achſe; fie theilt 
die Parabel in zwei einander vollig gleiche, fich ind Unendliche erſtreckende Zweige oder Schen⸗ 
Tel, welche fich allmälig immer mehr einer mit der Achfe parallelen Richtung nähern. Derjenige 
Punkt der Parabel, in welchem fie die Achfe fehneidet, heißt Scheitel; er liegt in der Mitte zwi⸗ 
fchen der Directrig und dem Brennpunkte. Die Geftalt und Größe der Parabel hängt von dem 
Parameter (f. d.) ab. Die Benennung des Brennpunfts bat ihren Grund in der wichtigen 
phyſikaliſchen Eigenfchaft der Parabel, daß bei einem parabolifch gefrümmten Spiegel, beffen 
Durchſchnitt mit einer Ebene eine Parabel gibt, alle der Achſe parallelen Lichtftrahlen (3. B. 
Sonnenftrablen) an den Wänden des Spiegels in den Brennpunkt zurüdgemorfen werben, 
wodurch in demfelben nicht nur große Helligkeit, fondern auch große Hitze erzeugt wird, welche 
leicht anbrennliche Gegenflände zu entzunden vermag. (S. Brennfpiegel.) Noch ift die Pa⸗ 
rabel für die Phyſik deshalb wichtig, weil fie die Wurflinie, d. h. diejenige krumme Linie iſt, 
welche jeder in fchräger Richtung geworfene oder gefchoffene Körper befchreibt oder vielmehr be- 
fchreiben würde, wenn er fid) im Iuftleeren Raume bewegte und keinen Widerſtand der Luft zu 
erleiden hätte. In diefem Falle würde der höchſte von dem Körper erreichte Punkt der Scheitel 
der Parabel fein; bei einem horizontalen Wurfe oder Echuffe fällt derfelbe mit dem Anfangs⸗ 
punkte zuſammen. Die größte Wurfweite oder Entfernung des herabfallenden Körpers von ſei⸗ 
nem Ausgangspunfte würde dann ftattfinden, wenn die Richtung des Wurfs oder Schuffes 
mit dem Horizont einen Winkel von 45 Graden machte. Der Widerftand der Luft macht bie 
außerdem leichte Beftinmung des von dem geworfenen Körper zu befchreibenden Wegs fehr 
verwidelt und ſchwierig. — Die biöher befprochene Parabel heißt zum Unterfchiede von andern 
ähnlichen parabolifchen Linien, in denen allen eine gewiſſe Potenz der Ordinate einer niebrigern 
Potenz der Abſciſſe proportional ift, wie bei der gewöhnlichen das Quadrat ber Orbinate der 
(erften Potenz der) Abfciffe, die Apolloniſche Parabel. Unter den Parabeln höherer Art, welche 
durch eine höhere Gleichung als eine des zweiten Grades dargeftellt werden, ift die einfachfte 
und zugleich merfwürbigfte die femikubifche oder Reil’fche, in welcher die dritte Potenz der Dr- 
dinate dem Quadrat der Abfciffe proportional ift. Sie ift biefenige krumme Linie, die unter 
allen zuerft von mehren Mathematitern gleichzeitig rectificirt, d. b. ihrer Ränge nach zwiſchen 
gewiffen Grenzen beftimmt wurbe, zugleich aber auch diejenige, auf welcher ein ſchwerer beweg⸗ 
licher Punkt in gleichem Zeitraume gleich tief fällt, ſodaß der zurückgelegte Raum immer der Zelt 
felbft und nicht, wie beim freien Fall, ihrem Quadrate proportional iſt. — Von anderer Art als 
die im Vorigen erklärten höhern Parabeln find die Eartefifcge Parabel und die divergirenden 
Barabeln, beide von Newton fo genannt. — Paraboloid oder Parabolifches Konoid heißt ein 
Körper, der durch die Umdrehung einer Parabel um ihre Achſe entftcht. " 
Baracelfus de Hohenheim (Philippus Aureolus Theophraftus), genannt Bombaſtus, 
war, wie man glaubt, 1493 zu Marien-Einfiedeln im Canton Schwyz geboren. Nach Andern 
fol er aus Gaiß im Canton Appenzell gebürtig geweſen fein und zu der noch bafelbit beftehen- 
den Samilie Hochener gehört haben. Sein Vater, ein Arzt und Chemiker, ertheilte dem Sohne 
den erften Unterricht in diefen Wiffenfchaften und übergab ihn dann dem gelehrten Chemiker 
Zrithemius, Abt von Sponheim. Bon diefem und von Sigismund Fugger, einem großen La⸗ 
boranten, wurde er in die Alchymie eingeweiht. Unbefriedigt Durch bie Schulgelehrfamteit, wan- 
derte er aus, ducchreifte einen großen Thell Europas und erwarb ſich auf diefen Reifen eine nicht 
geringe Kenntnif in der Chemie. Sein Hauptzwed war auf die Erfindung des Steins der Wei⸗ 
fen oder einer Univerfalmedicin gerichtet, dabei entdedte er aber aud) mandyes ſchätzbare Heil⸗ 
mittel. Auf feinen Zügen prafticirte er als Arzt und Wundarzt, und in beiden Eigenfchaften 
wohnte er mehren Schlachten und Belagerungen bei. Einige glüdliche, mit den gewöhnlichen 
Übertreibungen erzählte Euren machten feinen Namen in meitern Kreifen berühmt, und bie Lin⸗ 
derung, die er dem Buchdruder Froben, der an der Gicht litt, auf einige Zeit durch fein Lauda⸗ 
num verfchaffte, bewogen den Magiftrat von Bafel, ihm den dortigen Zehrftuhl der Medicin zu 
übertragen. In den 3. 1527 und 1528 hielt er nun in Bafel Vorträge, oft in barbarifchem 
Latein, gewöhnlich aber deutfch, wobei er hHauptfächlich feine eigenen dunkeln Werke erläuterte. 
Offenilich verbrannte er die Werke des Galen und Avicenna, die er für die Verderber der Phyſik 
erklärte, während er dem Hippokrates die ſchuldige Ehrfurcht zu erweiſen ſchien. Mit einem 
wahrhaft lächerlichen Stolze ſuchte er ſich die Alleinherrſchaft in der Medicin anzumaßen. Er 
erwarb ſich fehr bald eine Anzahl eifriger Anhänger (Paracelfiften); doch Viele fchredite der 
Barbarismus feiner Borlefungen zurüd. Ein Streit mit dem Magiftrate wegen einer zu feinem 
Nachtheile gegebenen Eutſcheidung bewog ihn, 1528 plötzlich Baſel zu verlaffen. Darauf wan⸗ 


—* Parad⸗ ba⸗adjesvogel 
an —— Tag und Racht 
pe bioweilen in der — Geſellſchaft im Scheuken. Doch wußte er durch einige ew 
Nerordeutliche, mittels traſtiger Mittel bewirte Curen ſich ſteta im Rufe zu erhalten. Er ſtar⸗ 
dw. Salzburg 25. Sept. 1541, wahrfcheinlich ermordet, und wurde im ©t.-Gebaflianshospital 
—* dem er fein mäßiges Vermögen vermacht hatte. Die Ugregelmäfigkeit feiner Leben 
waiſe, ein marktichreierifcher ——— von don ex nicht freigufprechen if, und bie maß⸗ 
he mit welcher er bie Arzte feiner Beit angriff, Fehler, welche ältere Biographen, 
WB. Adelung in der „Gefhicte d — 7— Rarcheit" ¶ Bd. 7), faſt ausſchließend herve 
—* haben, haben lange Zeit cher gerechte Würdigung feines Strebens verhindert. Blei 






rieben, doch laffen 
ben feiner Schriften erfchienen — (10 Bde. 1589), —— 
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3 Bar, ” @ on 
4. 1849); Einbner, „Aheosphraftus als Belämpfer bes Papfipems“ (2p3.3845). 








‚, Weiadeanzuge, der auch wel beſonders decorirt if, und nehmen Die vorgefisrichene Yaze 
deanfſtellung, kleinere Abtheilungen in Linie, größere Corps in Colennen, Sefanterie im exfien, 
Gavalerie und Artillerie im ziweiten Treffen. Bann 6 bie höchſte Perſon oder ber Befehlähaber, 
der die Parade abnimmt, erfcheint, werben Honneurs gemacht mit küngendem Spiel und Salı- 
tiren der Fahnen, und diefer bewegt fich mit feiner Suite die Fronte entlang, um die Truppen 
in Augenſchein zu nehmen. Dann defiliren letztere im Parademarſch unter Feldmuſik vorbei, 
oft zwei mal, zuletzt in geſchloſſenen Maſſen, die Cavalerie im Trabe oder Galopp. — Parade 
und Pariren heißt in der Fechtkunſt die Abwehr der Stöße oder Diebe des Gegners, in der 
Reitkunſt das Anhalten des Pferdes (ganze Parade) oder nur das Verhalten deſſelben (halbe 
Parade) zu gemäßigter Gangart und befferm Verſammeln. 





Paradies, ein aus dem Perfifchen i in dad Briechifche übergegangenes Wort, das dem hebt. 
Eden entſpricht, bedeutet eigentlich einen großen fhonen Garten. Die Bibel erwähnt eine 
zweifachen Paradiefes, eines irdiſchen, als des Aufenthaltsorts der erſten Menfchen, und eines 


himmliſchen, des Aufenthalts der Seligen nach dem Tode. Die Vorftellungen von einem künf- 


tigen glüdlihern Dafein mußten fich bei den verfchiedenen Völkern nach dem Zuftande ihrer 


geiftigen Ausbildung richten. Das heitere Gemüth der griech. Dichter malte das Leben der Ex 
ligen als einen heitern Naturgenuß auf den Gefilden Elyſiums (f. d.); der kriegerifche German 


Hoffte in Walhalla (ſ. d.) abwechſelnd zu kämpfen und zu ſchmauſen; ber finnlihe Mobanıme 
daner rechnet auf die Umarmungen ber [&hönen Huris (f. d.); die zur religiofen Befchauuy 


fich fo fehr Hinneigenden Hindu hoffen auf eine Rückkehr in das Weſen Gottes felbfi. Das 
Chriſtenthum gab alle irdifchen Vorftellungen auf und fand den paradiefifchen Zuftand der Ge 


echten nach dem Tode darin, daß fie, zur Gemeinſchaft des Erlöfers und aller Edeln gelangt, 
fähiger werden, immer höhere fittliche Vollendung anzuftreben. Wie aber die Bekenner dd 
Chriſtenthums nicht alle in bie Tiefen feines ſittlichen Geiſtes eingedrungen find, fo haben ſihh 


namentlich durch wöortliche® Auffaffen biblifcher Bilder, auch unter den Ghriften gar fehr fu 
Ude Erwartungen von der Ewigkeit erhalten. 

Paradiesapfel heiße die auch unter dem Namen Liebesapfel bekannte Frucht des Sols- 

num Iycopersicum, welche in Öftreih und dem Süden vielfach als Nahrungsmittel benaf 
wird. Sonſt iſt Paradiesapfel auch eine andere Benennung des Adamsapfels (ſ. d.) oda 
Judenapfels, einer Abart der Citrone 

Paradiesvogel (Paradisẽea) iſt der Name einer zur Gruppe ber Rabenvögel gehörende 
Gattung von enger, auf Neuguinea und die zumächft gelegenen Pleinen Inſeln beſchraͤnkter Ber 


Paradigma Paraguay 651 


breitung, die gegenwärtig etwa zwoͤlf Arten begreift, welche ſich durch prachtvollen Metallglanz 
oder ganz ungewöhnliche Bildung der theils zerfchliffenen, theils in lange Borften auslaufenden 
oder in Federbüfche zufanımengeftellten Federn des Rückens, des Schwanzes oder der Seiten 
auszeichnen. Seit alten Zeiten waren ihre Bälge in Indien als Zierrath gefucht, die man auf 
Ummegen taufchweife erhielt. Durch Pigafetta, welcher von Magellan’d Weltumſegelung 
1522 in Sevilla wieder einlief, kamen die erften Paradiesvogel nach Europa und erweckten die 
größte Bewunderung. Da man die Bälge von den Eingeborenen gewöhnlich nur mit abge- 
f&nittenen Füßen erhielt, fo entftand die Fabel, daß die Paradiesvögel fußlos feien, ihr Leben 
fliegend verbrächten, nur während einiger flüchtigen Augenblicke ruhten, indem fie ſich mit den 
langen fadenförmigen Schwanzfedern an Baumäften aufbingen, daß das Weibchen die Eier 
dem Männchen auf den Rüden lege ımd dort ausbrüte u. ſ. w. Nach den Beobachtungen Leſ- 
ſon's find die Paradiesvogel Bewohner der dichteften Wälder, leben gewöhnlich polygamiſch 
und nähren fich von weichen Infeften und Früchten. An bie Gefangenfchaft gewöhnen fie ſich 
und zeigen fi) dann heiter, gutmüthig und zutraulich; doch ift ihre Stimme rabenartig, nur 
etwas mehr mobdulirt. In Sammlungen find fie jegt nicht felten. Die am meiften bekannte 
braune Urt, der gewöhnliche Paradiesvogel (P. apoda), welche an den Seiten Büfchel von 
ſehr Langen, zerzaferten, gelblh-meißen Federn trägt und einen theuern Putz abgibt, ift jet fo- 
gar fehr Häufig geworden, feitdem die Holländer auf Reuguinea Niederlaffimgen verficcht und 
Handel zu treiben begonnen haben. Die Heinfte Art, der Königsparadiesſsvogel (P. regia), iſt 
wenig größer als ein Sperling und befigt unter den Schultern jeberfeitö einen Buſch von ſechs 
bis fieben graulichen Federn, die am Ende breit abgeftupt und fmaragdgrün gefärbt find. Zwei 
von den Schwanzfedern verlängern ſich in fehr lange, nadte, am Ende zu einer platten Spirale 
eng aufammengedrehte Schäfte. | 

Paradigma (griech.), d. i. Beifpiel oder Vorbild, Heißt in der Grammatif ein zur Beran- 
ſchaulichung und Einübung beim Erlernen einer Sprache beiſpielsweiſe declinirte® oder conſu⸗ 
girtes Wort, wie mensa, amo u. f. w. in der lat. Grammatif. 

Barädor nennt man Dasjenige, was gegen die allgemeine Meinung und Erwartung ver- 
ftößt, daher das Unglaubliche und Unvermuthete, und Paradoxie die Sonderbarkeit in Mei⸗ 
nungen. Im Gebiete der Wiſſenſchaft verfteht man unter paradox Das, was gegen die bert- 
chende, für wahr angenommene Anſicht verftößt, eine Behauptung oder einen Sag, welcher 
durch eine ſcharfſinnige, keck und ohne weiteres hingeftellte Folgerung aus weggelaffenen vor- 
bergebenden Sägen entfteht, wie z. B. das Paradoron der Stoiker: „Der Weiſe ift allein 
König.” Es erhellt von felbft, daß an ſich der Sinn dieſes Wortes blos relativ ift, und daf eine 
Schule die Behauptungen der andern parabor finden kann, weil fie voneinander abweichen, daß 
aber darum noch nicht entſchieden ift, ob die fo benannte auch verwerflich fei. 

— ſ. Apanage. 

aragdge (griech.) hieß in der ältern Grammatik die Verlängerung eines Wortes durch 
Anbängung eines oder mehrer Buchſtaben, z. B. „dorten“ ſtatt „dort“, „dahero“ ſtatt „daher“. 

Parägraph, auch die Paragräphe (griech.), eigentlich jedes Dancben- oder Beigeſchrie⸗ 
bene, hieß bei den Alten ein Zeichen, defien fich die Grammatiker und Krititer zur Interpunction 
oder auch zur Andeutung unechter Worte und Stellen in den Schriften der Claſſiker bedienten. 
Auch nannte man fo in den griech. Tragodien und Komödien den mit einem Punkte verfehenen 
Stridy am Rande, um die fi entfprechenden Theile des Chors bemerklich zu machen. Später 
bezeichnete man damit, wie noch gegenwärtig gefchieht, die in den Geſetzeswerken, 3. B. in den 
Pandekten, und überhaupt in wiffenfhaftlihen Schriften der bequemern Überficht und leichtern 
Auffindung wegen gemachten, meift kleinern Abfchnitte, denen man das mit fortlaufenden Zif- 
fern numerirte Paragrapbzeichen ($) vorfegte. Aus demfelben Grunde hat man auch in neuefter 
Zeit viele Werke der alten Schriftfteller, 3. B. des Demofthenes, Cicero u. |. w., auf diefe Weiſe 
abgetheilt, ohne jedoch das Paragraphzeichen felbft der fortlaufenden Zahl mit beizufegen. 

aranuay, ein völliges Binnenland und der Heinfte der Freiftaaten Südamerikas, begrenzt 
im ©. durch den Parana, im O. und N. durch Brafilien, im W. durch den Paraguayfirom, 
hat einen Flächeninhalt von 4475 AM. Im 16. Jahrb. begriff man unter biefem Namen das 
ganze Land, welches gegenwärtig die Staaten des La⸗Plata und der Banba-oriental behaupten, 
und die Wildniffe bis Oberperu ; die jegt geltende Begrenzung beruht auf Beflimmungen ber 
fpan. Regierung vom 93. 1620 und Berträgen mit Portugal, deren legter 1776 gefchloffen 
wurde. Das ganze Land ftellt eine nach Süden und Weſten abhängende Ebene dar, wo menige 
Hũgelreihen verlaufen, die nur in feltenen Fällen 1000 8. Höhe erreichen. Es gehört faſt nme 


ve Einfalle der Indianer des Gran-Ghace (f. Share) im Weſten iſt eine Reihe von Mlodhän- 


. varaguavr 


Binwgn Dieter feine en immerer wullanifiher Tpdeigeit, I che 
enthält aufer mu, Ha * eine Menge von Nebenflüſſen und 28 
große, aus ben periobifchen chwennmungen entfiandene Sümpfe. Die 
find fo groß, daß in der Regenzeit ungeheuere Strecken unter dem Waſſer verfchwin 
Klima iſt Halb tropijch und der Pflanzenwelt auferordentl ich günflig, ünflig, bie Jemype 
inters gegen Erwartung niedrig (Im Auguſt Nachts oft — O’R.) und im Gommmer 
. Ein großer Theil des Landes ift mit hochſtämmigem Urwald bedeckt, 
weite Grasebenen aus. Der Aderbau bezieht fi nur auf Erzeugung des Inldn 
edarfs an Lebensmitteln, Baumwolle, Zucker und Taback. Der Handel mis dem die 
ichtigen Paraguaythee oder Yerba Mate (den Blättern eines Strauchs, Dex Male) 
bie Revolution und fpätere Abſperrung bes Landes zerſtört und wird fich nie wie | 
ehemalige Höhe erheben. Die Menge roher Producte und die Fruchtbarkeit id 
Tr groß, daf hr durch feine herrlichen Waſſerwege unterflügt, ſich leicht zu commer 
fe erheben könnte. Die Viehzucht wird betrieben wie auf ben Pampas und iſt ſehe 
hedeutend. Die Bewohner find theils Indianer, hauptfächlich vom Buaranifiamme, von meiden 
But: * Stämme in urſprünglicher Wildheit fortleben, die meiſten vielmehr ſchon von des 
ten ciollifirt wurden, theils Miſchlinge, bie ein Bünfthell der ganzen Bewälterung 
Seelen) ausmachen, theild weiße Greoim. Die Guaraniſprache ift Die berzfgene. . 
und Induſtrie fiehen auf niedriger Stufe. Das Land zerfällt in 85 Parties mit 
‚em baber an ber , welches Amt zuweilen mit dem bes Friedensrichters vereinigt 
in. Die einzige bedeutende und Hauptflabt ift ARueſtra Selora de la Aſuncion oder Hfunchen 
hr Bee bie Ale Stadt im La-Platagebiete, links am Paraguay vertheilhaft gelegen. Meier 
nörblich liegt Wille real de Eonreption mit etwa 4000 €., ſũdlich Wie Pilar de Mermebuen 
RN E, ein Zollyafen an demfelben Strom. Am Yaranı liegt der Zollhafen Itayına, im 
Innern Billarien, der Hauptfig des Marehandels, mit 5000, unb Curugnaty, mit 3000 €. 
Die Zahl der aus der Zeit der Jeſuiten noch beibehaltenen Miffionen (Yueblos) von Indianern 
i 19 mit 400— 5000 Köpfen; die Zahl der Sklaven⸗ Pueblos etwa fieben. Zum Schug gegen 









| 





In Bi f 











fern erbaut. An ber Spige des Staats ſteht ein Präfident. Der Congreß verfammelt ſich ge 
feglich alle fünf Jahre; inzwifchen regiert der Praſident allein ohne Sabine. In beiondern 
Ballen jedoch hat derfelbe einen Staatsrath zufammen zu berufen, beſtehend aus zwei Oberrich⸗ 
tern, dem Biſchof von Affuncion und drei angefehenen Bürgern. Außer dem. Grundgefege des 
Staats von 1844 find feit 1845 noch mehre wichtige Gefege erlaffen, z.B. über die Miliz. 
Die Staatseinkünfte, im Betrag von etwa 1,550000 Doll, fließen, außer einigen Einfuhr: 
und Ausfuhrabgaben, hauptfächlih aus den Zehnten von faft allen Bodenerzeugniffen, dem 
Zheemonopol (Yerbales) und dem Ertrag von etwa AO großen Eſtancias und ebenfo vielen 
ſtädtiſchen Srundbeftigungen. Dazu kommt noch die Einnahme von den Staatsverkaufsläden 
ausländifcher Erzeugniffe, der Arbeitsertrag von etwa 1000 Sklaven (einer Erbſchaft der Je⸗ 
fuiten) und '4 desjenigen der angefiedelten Indianer. Letztere leben ziemlich zahlreich beifanımen 
in befondern Colonien und arbeiten unter Regierungsaufficht ; Alles was fie bifigen und ermer- 
ben, ift gemieinfam. Eine Staatsfchuld ift nicht vorhanden, wol aber ein Staatsſchat. 

Die Spanier verfuchten von 1515 an, mo Solis den Plataftrom entdecke, bi6 1537 in P. Zuf 
zu faffen, erlitten aber viele Niederlagen. Später gelang es ihnen, Niederlaffungen zu begründen; 
aber Bürgerkriege und ein lange dauernder Kampf zwifchen Kirche und weltlichen Behörden 
binderten dief’, bi6 die 1608 eingewanderten Jefuiten gradmeife die Macht fo an ſich riffen, daß 
endlich ſelbſt die madrider Negierung ohne ſie nichts zu verfügen wagte. Der Orden begrünbete 
bafelbft ein Reich, welches, bis Dberperu reichend, das höchft merkwürdige Beifpiel einer mäb- 
tigen und wohlgeordneten Theokratie darbot, mit größter Umficht und Erfolg regiert wurde, 
aber allein den Zwecken des Ordens diente und deshalb die Eiferfucht ber fpan. Regierung rege 
machte. Die Einrichtungen jenes Sefuitenftaats find oft befchrieben worden, 3. B. von Dobriy. 
bofer, Azara u. A. Erſt als die Jefuiten fi dem 1750 gefchloffenen Vertrage, welcher einen 
Theil P.s an Braſilien überwies, widerfegten, ihre Übergriffe auch in andern Gegenden von 
Südamerika zu groß wurden und Pombal den Kampf mit ihnen begonnen hatte, entſchloß ſich 
auch Spanien zu ernftern Mafregeln. Beiden Mächten leifteten die Jefuiten von 1754—58 
‚gewaffneten Widerftand, unterlagen aber endlich.den gegen fie gefendeten Heeren und wurden 
zulegt 1768 in allen fpan.-amerit. Befigungen an einem und demfelben Tage feſtgenommer 
mad des Landes verwiefen, ihre Miffionen aber den Givilbehorden übergeben. Die 1810 in 


Parabyba 658 


Buenos Ayres ausgebrochene Revolution ergriff im nächften Jahre auch P., mo Joſe Gasyar 
Rodriguez Francia (f. d.) ſich an die Spige ftellte und es dahin brachte, 181A zum Dictater 
und 1817 zum Dictator auf Lebenszeit ernannt zu werden. Er regierte, im Einne des frühern 
Syſtems der Zefuiten-Miffionen, mit eiferner Hand, behielt auch nach gelungener Befeſtigung 
feiner Macht das Schreckensſyſtem bei und ſchloß das Land bermetifch ab. Der Tod des Dicta- 
tor 1840 bewirkte ein Schwanken der öffentlichen Verhältniffe und mehre Ufurpationsver- 
ſuche. Unter dem zunächſt erwählten Gouverneur Vidal behielt das Land feine gänzliche Ab- 
fperrung gegen alle Nachbarftaaten bei. Im J. 1842 verfammelte fich nach langer Unterbre= 
Kung abermals ein Rationalcongreß, welcher Don Alonfo und Don Carlos Antonio Lopez, Ref⸗ 
fen des Dr. Srancia, zu Confuln wählte. Ein fernerer Nationalcongreß befchloß 13. März 
1844 ein Staatögrundgefeg und ernannte in Gemäßheit deffelben 14. März Don Carlos Un- 
tonio Lopez zum Präfidenten auf zehn Jahre. Diefer zeigte bem Gouverneur der La⸗Plataſtaa⸗ 
ten, Rofas, die Neugeftaltung an und eröffnete fofort durch ein Decret vom 20. Mai 1845 
(dem 2. Jan. 1846 eine wefentlihe Anderung des Zollweſens im Sinne des Freihandels folgte) 
das Rand den Fremden und dem auswärtigen Verkehr, unter der Bedingumg, daß die Fahrzeuge 
unter argentinifcher Flagge fahren mußten. Rofas aber, der P. als eine Provinz der argen- 
tinifhen Republit anfah, beharrte bei feinem Verlangen der Unterordnung von P. und ber 
alleinigen Beftimmung über die Paranaſchiffahrt. Als die Regierung von P. ſich dem nicht 
fügte, verbot Rofas durch Decret vom Jan. 1845 und gleichzeitig auch Dribe bei Strafe des 
Landes verraths jeden Verkehr mit P. Nunmehr erflärte in einem Manifefte vom 4. Dec. 1845 
die Regierung diefes Staats dem Gouverneur Rofas den Krieg, ſchloß 11. Nov. 1845 ein 
Bündniß mit der Regierung von Corrientes, welcher Staat fehon einige Jahre früher vom ar- 
gentinifchen Bunde ſich losgeſagt hatte, und fandte bemfelben ein Hülfsheer von 6000 Mann 
unter Anführung des Sohnes des Präfidenten, Don Paucho Solez Lopez. Diefer Schug- und 
Trugvertrug mit Corrientes wurde 1847 erneuert, und 1851 fehloffen beide Staaten ein ähm 
liches Bündniß gegen Rofas mit Brafilien, Uruguay und dem gleichfalld aus dem argentinifchen 
Bunde getretenen Staate Gntre-Rios. Nachdem Roſas geftürzt war, erfolgte 15. Juli 1852. 
die Unabhängigkeitsanerkennung P.s durch den proviforifcgen Director der argentinifchen Con⸗ 
füderation, General Urquiza, und von Großbritannien durch den Tractat von Affuncion vom 
4. Jan. 1853, nachdem [yon feit 1845 die Regierung von P. die formelle Anerkennung ihrer 
Selbftändigkeit zuerft von ben Vereinigten Staaten von Nordamerika, Brafilien, Uruguay, 
dann von Großbritannien, fpäter von den Niederlanden, Portugal und Rom erlangt hatte 
Bol. Azara, „Voyage dans l’Amerique möridionale I781—1801” (4 Bde, Par. 1809, 
mit Karten und Kupfern) ; Denis, „Buenos Ayres ei le P.” (2 Bde., Par. 1825); Rengger, 
„Reife nach P. 1818— 26” (Aarau 1835); Pauke, „Reife in die Miffionen nach P.“ (Wien 
1829); $. de Caftelnau, „Expedition dans les parties centrales de l’Amerique du Sud 1843 
— 47" (63be., Par. 1850—51); Page, „Le P. ei les r&publiques de la Plata” (Par. 1851). 
Parahyba, Parahiba oder Paraiba, eine der öftlichften Küftenprovinzen des Kaiſerthums 
Brafilien, hat ein Areal von 952 (nach Andern von 1138) AM., aber nur 100150000, 
mit Einrechnung ber Indianerftämme angeblich 312000 E. Das Land ift an der Küfte flach, 
tiefer einwärts hügelig, ja gebirgig, vom Maranguapo und vom Parahyba durchftrömt, ber auf 
der Serra Cayricis entfteht und eine nicht unbeträdhtliche, von Manglefünpfen eingefaßte Mün- 
dungs bai bildet, in feiner breiten Mündung größere Fahrzeuge aufninimt, in den höhern Gegenden 
aber der Katarakte und des Waſſermangels wegen ſelbſi für Boote nicht fahrbar ift. Der Bo⸗ 
den ift in der innern Hügelgegend fandig, meiftens kahl oder nur mit der eigenthümlichen Ve⸗ 
getation der Caringawaldungen bedeckt, welche aus dichtgedrangten, aber fehr niedrigen, in der 
trodenen Jahreszeit entblätterten Stämmen befteht. Hochftämmige Urwaldungen und frucht⸗ 
barer Boden finden fi nur längs den Flüffen, Grastriften und auf den weftlichen Bergen. 
Diefe Ungunft des Bodens, verbunden mit der des Klimas, namentlid) dem periodifch wieder» 
Eehrenden Ausbleiben der Regenzeit, welches DVerfiegen der Gewäſſer, Miswachs und Vich- 
fterben zur Folge hat und nur die Küſtenlandſchaft weniger hart trifft, hat den Aufſchwung des 
Aderbaus verhindert. Doch baut man gegen die Küfte hin die gewöhnlichen Feldfrüchte Bra 
filiens und ald Handelöproducte Zuder und Baummolle, für welche der leichte Boden fo gün⸗ 
ftig ift, daß fie felhft die von Para und Maranhao übertrifft und daher auch auf engl. Märkten 
ſtets höher im Preife fieht. Andere Ausfuhrproducte find Farbe, Bau- und Gummiholz. 
Viehzucht wird wenig und ohne fonderlihen Erfolg, Bergbau gar nicht betrieben, und die Ins 
duſtrie ift unbedeutend. Kebhafter ift der Handel. Diefer concentrirt ſich im der Hauptſtabt 


Paraftet — varallare 
die rechts am gleichnamigen Juuſſe, 2 M. vom Neere, in me 
150 Tennen iſ waͤhrend größere 
33 —— ———— ⏑⏑— 
—ã— — ——— * Jan 
und Beratber der Seinen war und Fürſprecher Aller bei Gert if, heile 
ſtein uerheißene Geift der Wahrheit (f. Seiliger Greif) genmmt. Darauf, 
Im Goangelium Johannis heiße, er werde bie Belichtung Chriſti yallenden, 
men bie Behauptung, daß entweber in ihnen ſelbſt der Parallet exfihienen ſei und 
gepeenz Offenbarung durch eine neue zu vernoßifommnen, oder af Dereinfl, In der | 
ten bed Geifses, biefe Vollendung eintzeten werde. Jenes behauxerten 















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Flarie geſt. 1202, umb andere Apoltalyptiber; and kann man bie Swedenbergance 
_ mena, eigentlich Übergangenes uber Wubgelafiened, wurden von ben Febungig 
vorzugsweiſe die Bücher der. hronik in der Bibel genannt, In fpäterer Zeit be 
5* men mit dieſem Namen überhaupt Nachträge ober Grein punelärifen zu 
| elchjen ober palihen Snhaltt, wu betman Tin and der Finafien Bat 4 .Lebeht 
„Barslipomena meticae Grascae”. .. ’ 

—— (geieh.), lat. prasteritio, d. i. Übergefung, heißt im dar Rheteit eine ige, 

bie. beſteht, Daß man unter dem Scheine, etwas übergehen zu wollen, baffelbe geralı a» 

ober auch nur kurz anbeutet, wodurch bie Aufmerkſamleit des Leſers oben oruus auf 
dab Tiheinbar Unbedeutenbere hingelenkt wird, damit das darauf Belgende in ſeiner zanım 
Giehrde bervortrete; 5. B.: „Uneerwähnt will ich laſſen, wie dieſer Fürſt nie Burda eutfehuibenbe 
Lapferkeit im offenen Kampfe, fondern durch Treuloſigkeit · und SIR den Sieg fich venfabafpe: 
aber das möge in den Annalen für die Nachwelt niedergeſchrieben fichen, da «x bie Befibarın 
— [inet Derend durch träge Wolluſt und Schwelgerei vergeubete.“ 

Bar e beißt bie ber füeknbanen Dritr einch und deffcihen von sefhie 
denen Stanbpuntten aus gefehenen Gegenſtandes sder, beflimmter erklärt, der Winkel, ben 
ori nad) einem und bemfelben Gegenftande gehende Gefichtslinien miteinander büben. In der 

fttonomie dient die Barallare der Himmelskörper zur Beſtimmung ihres Abftandes; fieik 
unter übrigens gleichen Umftänden deſto Bleiner, je ensfernter der betreffende Himmelskörper 
oder Gegenftand ift. Man bat aber die tägliche (geocentrifche) und bie jährliche Parallaxe za 
unterfcheiden. Die erftere ift der Winkel zweier Gefichtslimien, die vom Mittelpunfte der Erbe 
und von einem Punkte ihrer Oberfläche aus nad einem und dbemfelben Sterne gehen. Der 
Aſtronom denkt fi) nämlich einen Beobachter im Mittelpunkte ber Erde und nennt bie Huer, 
an welchen dieſer die Sterne am Himmel erblicken würde, die wahren (geocentriſchen), die von 
der Erdoberfläche aus wirklich beobachteten aber bie ſcheinbaren. Je nachdem nun ein Beobad- 
ter auf der Erbe einen Stern im Horizonte oder in irgend einer Höhe über bemfelben erblidt, 
beißt die Parallare Horigontalparallare oder Höhenparallare. In erſterm Falle bilden bie 
beiden Gefichtslinien mit dem Erdhalbmeſſer, welcher dem Beobachtungsorte entfpricht, ein 


rechtwinkeliges Dreied, in welchem die Entfernung des Geſtirns vom Erdmittelpunkte die 
Hypotenufe bildet und leicht berechnet werden fann, fobald außer dem Erdhalbmeſſer die Heri- 


zontalparallaxe (dev bem Halbmeſſer gegenüberliegenbe fpige Winkel) bekannt ift, indem man umn 


jenen durch den Sinus der legtern zu divibiren braucht. Die Beflimmung der Dorizontalpe 
talare felbft ift nicht leicht und fegt voraus, daß der Stern, für welchen fie gefucht wird, gleid- 
zeitig an zwei entfernten Punkten ber Erde beobachtet wird, die wo möglich unter demfelben 
Meridiane liegen müffen. Bei der Sonne beträgt fie 8'% Secunde, beim Mond bagegen ber 
nahe einen Grad. Bei den Firfternen ift ihrer großen Entfernung wegen die tägliche Parallae 


4 (-Menteniken), Mani (f.D) und mohre mauiipäifcre Gichten, biefed Der She Send \ 


jo ausnehmend klein, daß fie ſich unferer Beobachtung völlig entzieht. Man muß deshalb fie 


Zuflucht zur fogenannten jährlichen Parallape nehmen, indem man denjelben Stern von ver 
ſchiedenen möglichft weit voneinander entfernten Punkten der Erbbahn aus, alfo zu werfchiede 
nen Zeitpunkten des Jahres beobachtet, am beſten an zwei Tagen, die gerade um ein halbe 
Jahr auseinander liegen, weil dann die beiden entfprechenden Orter der Erde im Weltraun 
um ben ganzen Durchmeſſer der Erdbahn oder über 41 Mil. Meilen voneinander entfernt find. 
Denkt man ſich nun einen Beobachter in der Sonne, der gleichzeitig mit einem auf ber Erde 
men Stern beobachtet, fo heift der Winkel ihrer beiden Befichtslinien die jährliche oder helie 


Parallel Parallelogramm 655 


eentrifche Parallare des Sterns. Daß die große Mehrzahl der Firfterne auch von einer jäheli- 
hen Parallaze keine Spur zeigt, Ift nur aus ihrer ungeheuern Entfernung zu erflären, da eine 
Parallaxre von einer Secunde, die bei keinem Stern vorkommt, unferer Beobachtung gar nicht 
entgehen könnte und aus diefer eine Entfernung von mehr als vier Billionen geograpbifcher 
Meilen folgen würbe. Bisher ift nur bei zwei oder drei Fixſternen eine jährliche Parallape mit 
Sicherheit aufgefunden worden, aber auch bei diefen beträgt fie noch Beine Secunde, und aller 
Wahrſcheinlichkeit nach ift fie bei ben meiften andern Sternen noch viel Feiner. 

Barallel, eigentlich nebeneinander ſtehend oder befinblich, heißen in ber Mathematik zwei 
gerade Linien in einer Ebene, bie, ins Unenbliche verlängert, niemals zufammentreffen und 
überall gleichen Abſtand voneinander haben. Ebenſo ifteine gerade Linie einer Ebene ober eine 
Ebene einer andern parallel, wenn beibe niemald zufammentreffen. — In der Rhetorik. be 
zeichnet man mit parallel Dasjenige, was eine fortgefegte Vergleichung zuläßt oder überhaupt 
in mehren Theilen fich ähnlich ift, daher Parallele ein foldyes Gleichniß, in welchem die Theil⸗ 
vorftellungen des Hauptbildes in einzelnen Theilvorftellungen des Gegenbildes bargeftellt wer- 
den. Befonders aber verfieht man unter Parallele in hiſtoriſcher Hinficht die Zufammenftek 
lung und Bergleichung verfchiedener Zeiten mit ihren Greigniffen oder berühmter Männer. 
Am befannteften find aus dem Alterthume die biographifchen Parallelen des Plutarch (f. b.), 
in denen gewöhnlich ein Grieche und ein Römer verglichen werben, obgleich fehr häufig bie ei- 
gentlihen Vergleichungspunkte fehlen. Das Verhältniß ähnlicher Dinge zueinander wird 
Parallelismus genannt. Doch bezeichnet man vorzugsmeile damit in den hebr. Schriften des 
Alten Teftaments das einfache Ebenmaß oder die Symmetrie zweier Redeglieder in Hinfiche 
ber ſich entfprechenden Bilder und Töne, wodurch der Verſtand finnlich angeregt wird, bi 
ders die Ähnlichkeit der Bersglieder in den Pſalmen und den übrigen poetifchen Büchern. 
zelne Stellen, die in Hinficht ihres Inhalts gleich oder ähnlich lauten, heißen Barallelftellen, 
dergleichen ebenfalls die Bibel in reihem Maße barbietet. 

Barallelen nennt man in ber Belagerungstunft vorzugsweife die mit der angegriffenten 
Fronte im Allgemeinen gleichlaufenden Graben. Sie dienen zu Stügpuntten für die Ann 
herungswege ımd gewähren nicht allein ben Batterien eine größere Sicherung, fondern geſtat⸗ 
ten auch, eine hinlänglihe Anzahl Infanterie aufftellen zu können, um den feindlichen Aus⸗ 
fällen zu begegnen. 

Barallelkreife oder Breitenkreife der Erbe heißen diejmigen gedachten Kreife auf der 
Erdoberfläche, die dem Aquator parallel find, oder die entfiehen, wenn man fi die Erdkugel 
mit ſolchen Ebenen durchſchnitten denkt, auf denen die Erdachſe fenkrecht ſteht. Der größte die⸗ 
fer Kreife ift der Aquator, ber mit ber Erdkugel felbft gleichen Mittelpunft bat; je mehr fie ſich 
den Polen nähern, defto Heiner werden fie. Alle ımter demfelben Parallelkreife liegenden Orte 
der Erdoberfläche haben gleiche geographifche Breite. Diejenigen beiden Parallelkreife, weiche 
vom Yauator nah Norden und Süden 23° 28° abftehen, beißen die beiden Wendekreiſe und 
zwar der nördliche der Wendekreis des Krebfes, der fübliche der Wendekreis des Steinbocks. 
Zwei andere Parallelkreife, welche von den beiden Polen um 23° 28° abftehen, heißen die beiden 
Polarkreiſe. In der Aſtronomie verfteht man unter Parallelfreifen diejenigen Kreife der Him⸗ 
melskugel, welche dem binimlifchen Aquator parallel find und von den Sternen bei der täglichen 
Umdrehung des Himmels befchrieben werden. 

Parallelogramm heißt ein Viereck, defien gegenüberfichende Seiten paarweife parallet 
find, wodurch dann auch die Gleichheit der gegenüberliegenden Seiten ſowol ale Winkel bedingt 
iſt. Se zwei nebeneinanderliegende Winkel des Parallelogramms machen zufanımen 180° oder 
zwei rechte Winkel aus ; ift daher ein Winkel ein rechter, fo find alle Winkel rechte; das Viereck 
Heißt dann ein Rechteck oder Nectangel, kann aber wieder ein Quadrat oder ein Oblongum fein, 
je nachdem alle Seiten deſſelben gleich oder zwei Seiten länger al6 die andern beiden find. Sind 
die Winkel feine rechten, fo müffen zwei davon fpige und zwei ftumpfe Winkel fein; das Pa⸗ 
tallelogramm heißt dann ein Rhombus oder ein Rhomboid, je nachdem alle Seiten deſſelben 
gleich find oder nicht. In der Mechanik ift das Parallelogramm der Kräfte wichtig, durch 
welches man die Richtung und Gefchwindigfeit eines beweglichen Körpers beftimmt, auf wel- 
chen zu gleicher Zeit zwei Kräfte unter verfchiedenen Richtungen, die jedoch einander nicht direct 
entgegengefegt find, einwirken. Stellt man nämlich die Kräfte ihrer Richtung und Größe nad 
durch zwei gerade Kinien vor, die in einem Punkt zufammentreffen, und conftruirt aus denſelben 
durch Hinzufügung ber beiden andern parallelen Seiten ein Parallelogramm, fo ftellt diejenige 
Diagonale deffeiben, weiche vom Vereinigumgspunfte der bie Kräfte darſtellenden beiden Linien 


anne" Beh 


‚die Richtung dar, In welcher der Körper ſich in Wolge ber vereinigten WEteBing: Selber 
"bewegen muß, und zugleich die Geſchwindigkeit dieſer Bewegung ober mit anden 
h Richtung und Größe einer Kraft, welche alleinwirkend ganz dieſelbe Wirkung Gere» 
—— als jene beiden Kräfte ur ihre vereinte Wirkung. Diefer wichtige Gag beißt 
vom Parallelogramm der Kräfte. 
VParalyſis, fo viel wie Lähmung (f. d.). " 
aranıdter heißt in jeder ber drei Kegelſchnittslinien die beftändige, d. i. imveränderfige 
abe Linie, die fich auf einen Durchmeſſer des Kegelſchnitte bezieht. Do nennt man ben 
den Uchfen der Kegelfchnitte gehörigen Parameter auch ſchlechthin den Paramere des Kegib 
fgmitts, und dann iſt er diejenige ſenkrechte Ordinate, die in dem Brennpunkte ber Curveerrich⸗ 
et werden kann. Im Allgemeinen nennt man Parameter bie Conſtante, bie in ber Bieithung 
der krummen Anie vorkommt. a m iR eine durch 
\ eigentlich Ermimterung ober nun e See 
Mr in ——— Diktat die m Form einer I Ad oder an irgenb einer 
‚ ‚alten Nythus fich anfehließenden Erzählung eine Wahrheit zur Unfhauung bringt umd fe ber 
Swee der Belehrung erfüllt. Die [hönften Paramythien find biefenigen, bie zum Behufe kenr 
hung eine tunftgemäße Fortbildung bes urfpränglichen Mythus enthalten, dergieiden 
wir mehre von Herder befigen. - 
Barana, f. 2a-Plata-Strom. | 
arändie, d.t. Ermahnung ober rmunterung, nennt men nicht nur ben Shin a⸗ | 
Rblgt ober Rede üb upt, welcher die Anwendung des vorgefengenen Gegenſtandes auf ten Ä 
x dder Zuhörer enthält’ und ben Willen deffelben zu bem vorgeftellten Biele beſtimmes fell, 
die ſogenannte Nutzanwendung, fonbern auch eine felbftändige Gattung von Reben ermahre 
den und ermumternden Inhalts. Berühmt find Bricbemanm’ „Daräneien für ftubirenbe Jhng 
(6 ** — — Giniredee daclenige Bermögis 
ernalvermögen beißt im und gemeinen techte batienige ve 
‚ woran Ihr ein nbefdränttes igentbumsredt sufteht, Im GBegenfage zur den. 


Bilergen einſchaft.) 
" S$araphräfe, griech. Paraphräfis, nennt man bie erweiternde oder verdeutlichende Über 
tragung einer ganzen Schrift oder einzelnen Stelle in andere Worte berfelben oder auch eine 
andern Sprache. Bon der Metaphrafe (f. d.) oder wortgetreuen Überfegung unterfcheidet fe 
ne mithin dadurch, daß fie den Text durch Umfchreibung erflärt, ohne doc) eigentti ich Comm 
zu fein. Das Überfegen in diefer Weiſe heißt paraphrafiten und der Verfafler einer folchen 
erfegung ein Paraphraſt. Bekannt ift aus früherer Zeit die poetifche Paraphrafe des Evan 
geliums des Johannes von Nonnus. 

Paräfit, eigentlich Parafıtos, d. h. Miteſſer ober in verächtlichem Sinne Tellerlecker, hie 
beiden Griechen und fpäter bei den Römern eine befondere Claſſe von Schmarogern, die ſich 
bei den Reihen und Vornehmen, meift ungeladen, zur Zifchzeit einftellten und für den Ge 
nuß einer freien Mahlzeit vondem Gaftgeber ebenfo mie von deſſen Gäften bie erniedrigendfte Be 
Handlımg und gemeinften Späße gefallen ließen. Die Parafiten wurden daher ein ftehendei 
Charakterbild der neuern griech. Komödie und find von Lucian in einem eigenen Dialog umte 
dem Zitel „Der Parafıt“ treffend gefchildbert worden. — Parafiten oder Schmaroger nennt 
man ſolche Organismen, welche auf andern lebenden organifchen Körpern nicht allein wohne, 
fondern auch ihre Nahrung aus ihnen ziehen. Sowol im Thierreiche ald auch im Pflanzenreide 
gibt es dergleichen Schmaroger, wie im erftern die Läufe, die Schmarogerfrebfe, die Eingeiver 
dewürmer u.a., und in bem legtern die Miftel, die Flachsſeide und befonders viele Gewächſe der 
Zropenländer. Davon find aber die Pfeudoparafiten oder Scheinfchmaroger wohl zu unter 
fcheiden, welche zwar auch auf andern lebenden Organismen ihren Wohnſit haben, ohne jebof 
ihre Nahrung aus ihnen zu entnehmen. Dahin gehören 3.3. unter den Pflanzen die Mooſe, be 
auf der Rinde der Bäume wachen, unter den Thieren der Mufchelmächter (Pinotheres) u.t | 

PDarcelle (vom lat. pars), Theil eines Ganzen, befondert der vom Körper eines Grundſtüks 
getrennte Adertheil, daher auch fo viel wie Enclave (f. d.). Parcelliren heißt das Zerſtücch 
der Grundftüde. (S. Disinembration.) 

Parchim, die Vorderſtadt des Kreifed Schwerin im Großherzogthum Mediendburg-Ehwe 
rin, d. 5. diejenige, welche auf den Landtagen dus Directorium des zweiten Standes oder da 
Landfchaft dieſes Kreifes führt, an der Elde, die ſich hier in zwei die Etadt nach verſchiedens 
Seiten durchfließende Arme theilt, iſt der Sig des für beide Großherzogthümer gemeinſchaft 


ws 

















Yardefins Parentalien 617 


lichen DOberappellationsgerichts und hat ein Gymnaſium und 6700 E., bie vorzugsmeife Acker 
bau, nächſtdem aber auch Wollenweberei treiben und Taback, Tuch, Leder, Branntwein, 

hüte und Gichorien fabriciren und überhaupt fehr gewerbfleifig find. Nur /ıM. von ber Etabe 
fiegt in romantifcher Gegend ein ftablhal:iger Gefundbrunnen nebft Bab. 

Bardeflus (Jean Marie), ein berühmter franz. Juriſt, geb. 11. Aug. 1772 zu Blois, wid» 

mete ſich, nachdem er in feiner Barerfladt den Grund zu einer tüchtigen Bildung gelegt, felt 
4795 dem Wbvocatenftande und wurde 1805 Maire von Blois. Seiner Anhänglichfeit an 
Napoleon Hatte er es zu danken, baf er 1807 Mitglieb des Befeggebenden Corps wurde. Nach» 
haltiger war fein Einfluß, den er feit 1810 als Profeſſor des Handelsrechts an der parifer Fa 
eultät erwarb. In Bezug auf feine literarifchen Reiftungen, unter denen ber „Traitö des ser- 
vitudes suivant les principes du code civil” (Par. 1806 und öfter), „Trait& du oontrat et 
des leitres de change” (2 Bde., Par. 1809), die „Elöments de jurisprudence commercisle* 
(Bar. 1811) und der „Cours de droit commukcial” (4 Bde, Par. 1814-16; 7. 
6 Bde., 1840— 44) hervorzuheben, ift zu bemerken, daß P. anfangs mehr die proceffualifche 
Praxis im Auge behielt. Erſt in fpäterer Zeit fuchte er feinen juriftifchen Studien mehr eine 
hiſtoriſche Grundlage zu geben umd ficherte ihnen dadurch, 3. B. feiner „Collection des lois ma- 
ritimes antörieures au XVIIIme giöcle” (Bd.1—6, Par. 1828—45), einen wiffenfchaftlichen 
Werth. In feiner Eigenfchaft ald Deputirter (1815—16 und 1824 — 27) ift ihm vielfach der 
Vorwurf der Servilität gemacht worden ; indeſſen darf man nicht verfennen, daß es ihm um bie 
Sache, weiche er von der Tribune herab verfocht, wirklich Exrnft war. Nach der Julirevolu⸗ 
tion legte er feine Profeſſur und feine Stelle als Rath am Eaffationshofe, welche ihm feine treue 
Anhänglichkeit an die ältere bourbonifche Linie verfchafft hatte, nieder und widmete feine Thaͤ⸗ 
tigkeit vorzugöweife dem „Journal des savants“ und der Herausgabe ber weitfchichtigen „‚Col- 
lection des ordonnances des rois de France”, wozu er durch die Akademie der Infchriften, 
deren Mitglied er 1829 ward, beauftragt wurde. Auch begann er eine neue Ausgabe und Be⸗ 
arbeitung von Brequigny's und La Porte du Theil's „Diplomata, chartae, epistolae, leges 
aliaque instrumenta ad res gallo - francicas spectantia” (Bd. 1 und 2, Par. 1846—49). 
Richt ohne Werth ift feine Ausgabe ber „Loi Saligne” (Par. 1843) mit reihen Erläuterum 
gen ımd Excurſen. Außerdem hat man von ihm noch einige rechtshiſtoriſche Werke und eine 
Ausgabe der Schriften von d’Agueffeau (13 Bde., Par. 1819). 

Pardon (franz.) heißt die Begnadigung eine im Kampfe überwundenen Gegners. Der 
Befiegte bittet um fein Leben, indem er Pardon ! ruft. Im erbitterten Handgemenge, bei Stür- 
men und in Vertilgungsfämpfen wirb oft gar fein Parbon gegeben. Sonſt ſuchten einzelne 
Scharen ſich dadurch, daß fie Parbon weder gaben noch nahmen, gefürchtet zu machen; auch 
wurbe zuweilen vor dem Gefecht das Parbongeben geradezu verboten. 

Paré (Ambroife), lat. Paraeus, der Vater der franz. Wundarzneitunft, wurde 1509 zu 
Laval im Depart. Mayenne geboren. Nachdem er einige Zeit bei einem Wundarzte in 
Laval im ber Lehre geweſen, beſtimmte ihn ein Steinfchnitt, der in feiner Gegenwart verrichtet 
wurde, fi der höheren Wundarzneikunſt zu widmen. In Paris, wohin er ſich deshalb begab, 
nahm ſich feiner befonders der Profeffor Goupil am Collöge de France an. Er machte 1536 
den Feldzug in Italien mit und erhielt nady feiner Rückkehr die hirurgifche Doctormürde, murbe 
1552 Heinrich's 11. Leibwundarzt und diente in gleicher Eigenfchaft Franz II, Karl IX. und 
Heinrich IT. Als Karl V. Meg belagerte, erlaubte ihm der König auf ben Wunſch der Be 
fagung, fi dahin zu begeben, da faft alle Verwundete ftarben, und P. rechtfertigte das Ber- 
trauen, Das die Belagerten auf ihn gefegt hatten. So viel Freunde er aber am Hofe hatte, fo 
bitter haften ihn die Ärzte. Man befchuldigte ihn fogar, Franz II. vergiftet zu haben. Aber 
Katharina von Medici wies diefe Anklage unwillig ab, und als er Karl IX. von einem gefähr- 
lichen Zufalle geheilt hatte, befeftigte ſich P. ſo in der Gunſt des Hofs, daß der König in ber 
Bartholomäusnadt ihm, dem Proteftanten, eine Zuflucht in feinen Zimmern gewährte. Gr 
farb zu Paris 22. Dec. 1590. Hauptfächlich verdankt man ihm eine beffere Behandlung ber 
Schußwunden. Auch verbefferte er die Operation bes Trepanirens, führte die Unterbindung 
der Urterien wieder ein, operirte Gelentverhärtungen u. f. w. Geine Werke (Par. 1561 und 
öfter) wurden ins Lateiniſche und Deutfche überfegt. MW 

Parentalien iſt der allgemeine Ausdruck für alles Das, was zu Ehren der verſtorbenen 
Anverwandten oder Altern geſchieht. Die Anwendung gewiſſer Feierlichkeiten bei oder nach 
der Beſtattung Verſtorbener, die zu den Überlebenden in engen verwandtſchaftlichen Verhält⸗ 

Gonv.s&er. Zehnte Aufl. XL 42 










Rn Pareatel Yalfıtad:: 
pur lege «lien Beten: uud hei allen Bälle alt sine stiften DB: Bei 

K Mhen baden An Gehen und Slönseus her Fall, —— Dar 
nicht blos ein felerliches —* zu verauſtal ſondern auch Diem 






dei Sack und in der Aſche zu geben; bie Chriſten verbanben — Anlegen einer Some 
— Der ftieutichen Derkaftung das ihfingen von Piedern und Palmen ; die. Paz 
aaa md au bel ben Sen gebrannt Fand bis mb biß In dab & Jahrh. fofk ſtets um m 

Ä tentatienen haben wir noch von Gufehial 
Rayıng u D Auch in Gebeten und in der fir 
u nad) Die — 
des Berfiorbenen, eine Yazentadent 



















eingeſchoben sder am an Shlufe d ‚Yinzugefügt il. 
beforen galt cheſe auch als Mebefigur, die mit Ubficht gur 

537 der enzer durch Unterbrechung des ruhigen Gangs ber Rebe angewendet win 
In der fchriftliden Darftellung pflegt man ſolche Einſchaltungen gewöhnlich durch das Eir 
ſchaltungszeichen, ( ) oder ], auch Klammer oder Parentheie genannt, zur &rileichteng 
beim Lefen anzudeuten. Bisweilen, befonder& mo die Einfchaltung eine rhetorifche Bedeutus; 
bat, bedient man fich fiatt der Klammern auch der Gedankenſtriche (— —). — Parentheſen ne 
Klammern werben in der Mathematik gebraucht, um anzubeuten, daß die eingefchleffem 
Größen ald ein Ganzes betrachtet werben follen und die vor oder hinter den Klammern ehr 
den Rechnungs zeichen fi) auf diefes Ganze beziehen. So bedeutet z. B. (a +b — o):d, W 
das Polynom a + b — co durch d dividirt werben foll. Nicht felten flieht eine Parentheſe ine 
wer andern, 3. B.[a — (b + c)J: d. 

Parkre nennt man ein ſchriftlich abgefaßtes Gutachten von unparteliſchen und unterride 
ten Kaufleuten ober aud) von Handelqkammern über eine ſtreitige Dandelsſ⸗ ache. 

Parforcejagd, ſ. Jagd. | 

Parfums, Parfumerien ober Deuts nennt man alle biefenigen Stoffe und Mifchunge 
mitteld deren Anwendung man üble Gerüche zu verbeffern oder überhaupt dem menfhüde 
Einne angenehme Gerüche zu verbreiten fucht. Die Parfums werden mit jehr wenigen Au 
nahmen, wie 3. B. Mofchus, Bernftein, Ambra, bem Pflangenreihe entnammen. In legten 
Falle find fie Blüten, Früchte, Wurzeln oder Ninden und werben entweber im natürlichen 3 
flande, oder gepulvert, geſchnitten, oder endlich als weingeiſtige Auszüge oder Deſtillate un 
ätheriſche Ole verwendet. Nur in wenigen Fällen wird ein Stoff unvermifcht angewendet. © 
wöhnlich mifcht man deren mehre in trodenem Zuſtande, z. B. Räucherpulver, Niechkifien, Fr 
made u. |. w., oder in feuchtem Zuftande als Riechwäfler. Die flüffigen Parfums kann ww 
entweber durch unmittelbare Digeftion und Deftillation der trockenen einfacher oder gemifäte 
Riechſtoffe, oder dadurch erhalten, daß man die aus den einzelnen Subſtanzen gewonnene 
ätheriſchen Ole mit reinem Fett oder DI, wie die Pomaden, Seifen und Haaröle, miſcht ode 
biefelben mit reinem Franzbranntwein oder Weingeiſt digerirt und dann filtrirt. Den meife 
uf Hat fi ch die Kau de Cologne (f. d.) erworben. In der neuern Zeit hat man auch Cini 
Dargeftellte äberifche Die in der Parfumerie angewendet, fo eine Löſung von effigfauerm Zufels 


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Parga Paris 659 


¶ Fuſel) unter dem Namen Birnöl u. f.w. Über die Anwendung der Parfums läßt fich in 
mebicinifcher Hinſicht viel für und wider die Sache fagen; in jeden Falle aber ift ein übermäfi- 
ger Gebrauch derfelben der Gefundheit und namentlich dem Nervenſyſteme ſchädlich. Schwäch⸗ 
lichen Perfonen kann der Gebrauch der Parfums, weiche, felten angewendet, treffliche Reizmit- 
tel fein fonnen, Andrang des Blutes nach dem Kopfe und Kopfſchmerzen zuziehen. Der flart 
Parfumirte wird leicht feinen Umgebungen unangenehm, unb namentlid) find hyfterifche Frauen 
Dagegen fo empfindlidy, daß fie, 100 es ſich um die durchdringenbern Berüche, wie Moſchus, Am- 
bra, Zibeth, Nelken. und Zimmtol, handelt, ihre bufterifchen Zufälle bekommen oder doch min- 
deftend eine Erankhafte Empfindlichkeit ſpüren, welche fich bis zur peinlichften Beklemmung 
fleigern kann. Übrigens irrt man, wenn man durch Yarfums die Luft zu reinigen denkt; man 
kann nur ihre ſchlechte Beſchaffenheit verfteden, im Grunde aber verdirbt man fie noch vielmehr. 

Parga, eine fefte Stadt mit einem boppelten Hafen, an der Küfte der türk. Provinz Alba- 
nien, am Fanar, dem Acheron ber Alten, der füblichen Spige Korfus gegenüber, liegt auf einem 
Felſen, der an drei Seiten vom Meer umfpült ift und im Nücken fi an eine fteile Klippe lehnt, 
auf deren Spige eine faft unbezwingliche Citadelle fidh befindet. Die Stadt wurde zur Zeit des 
Verfalls des rom. Neichs gegründet und ſtand feit 41401 bis zum Untergang der Republik Ve⸗ 
nedig 1797 mit diefer-im Bündniffe. In Unabhängigkeit von Ali⸗Paſcha von Janina ſich be 
bauptend, wurde fie in diefer Zeit das Aſyl aller von diefem Tyrannen Verfolgten, der deöhalb 
Alles aufbot, die Stadt in feine Gemalt zu befommen, die im Vertrage zwiſchen Rußland und 
der Pforte 1800 an legtere überlaffen wurde. Als Napoleon im Zfiter Frieden darauf nicht 
einging, den Paſcha BY. und die Sonifchen Infeln zu überlaffen, befreundete ſich derfelbe mit 
den Eingländern, die nun dad unter franz. Schug geftellte P. der Pforte, eigentlid aber dem 
Paſcha zuſprachen. Allein die Pargioten ſchlugen alle Angriffe des Paſcha fiegreich zurud, bis 
fie 1815 genöthigt waren, ſich unter engl. Schut zu ftellen und die Einverleibung in die Re⸗ 
publik der Joniſchen Infeln nachzuſuchen. Die Engländer legten Befagung nad) P., ohne jedoch 
die Bitte der Einverleibung eigentlic) zu gewähren. Es wurden dagegen von ihnen Unterhand- 
kungen mit dem Paſcha von Janina eingeleitet und diefem, nachdem er allen Bewohnern, damals 
5000 chriſtlichen Albanefern, wenn fie auswandern wollten, eine Geldentſchaͤdigung verſpro⸗ 
hen hatte, die Stadt 1819 übergeben. Die Einwohner wandten ſich, nachdem fie dic Gebeine 
ihrer Vorfahren ausgegraben und verbrannt, faft alle nady den Zonifchen Infeln. Vgl. Mu⸗ 
floridis, „Precis des &vönements qui ont pröced6 et suivi la cession de P.” (Par. 1820). 

Parl, ſ. Al pari. 

Parias (vom tamul. pareyer) heißt in Oftindien eine an Zahl fehr bedeutende Menfchen- 
claſſe, welche zu keiner. der vier Kaſten des brahmanifchen Staats gehören und jedenfall als die 
verkommenen Überrefte der nichtarifchen, von den brahmanifchen Indiern unterjochten Urbewoh⸗ 
ner anzufehen find. Sie leben, beſonders im ſüdlichen und meftlichen Dekan, in der tiefften Ver⸗ 
achtung, fliehen ganz außer dem brahmanifchen Geſetze; in den meiften Provinzen Indiens ift 
ihnen nicht verflattet, Rand für ihre eigene Rechnung zu bebauen, fondern fie find verpflichtet, 
fi) den Mitgliedern der übrigen Kaften zu geringen und niedrigen Handarbeiten zu verdin- 
gen. Wer einen Paria berührt, mit ihm oder von ihm bereitete Speifen ißt oder in feine küm 
merlihe Wohnung tritt, wird. untein. 

Parini (Biufeppe), ital. Dichter, geb. 22. Mai 1729 in dem mailänd. Dorfe Boſiſio, 

wurde für die geiftliche Laufbahn gebildet, lebte aber feit 1752 als Hauslehrer in mehren Fa⸗ 
milien und widmete fi der Dichtlunft. Unter dem Einfluß franz. Mufter fchrieb er die Satire 
„U mattino, il ınezzogiorno, il vespro e la notte“ (Prachtausgabe, Mail. 1811; außerdem 
Flor. 1818 und 1822; auch Pad. 1822), worin er das Leben und die Sitten der fogenannten 
guten Gefellfchaft geifelte und durch die er feinen Ruhm begründete. Durch den öflr. Mi. 
nifter Firmian erhielt er eine Profeffur in Mailand und die Redaction der „Gazetta milauese”“. 
Während der franz. Occupation war er einer von Denen, welche ſich für die republikaniſchen 
Ideen begeiftert hatten, und Mitglied der Municipalität von Mailand. In legterer Stellung 
ftarb er 15. Aug. 1799. Seine gefammelten Werke, von Reina herausgegeben (6 Bde., Mail. 
1801—4), enthalten, außer der erwähnten Satire, eine zur Wermählumg bes Erzherzogs Fer⸗ 
dinand gedichtete Oper „Ascanio in Alba’, Gantaten, Igrifche Dichtungen und Auffäge in Profa. 
Die Poeſien erfchienen auch befonders gefammelt ( Flor. 1823) und ebenfo die profaifchen Ar⸗ 
beiten (Mail. 1821), welche in einigen atademifchen Reden, Briefen, Programmen, einer Ro- 
velle und der Abhandlung „Principj delle belle lettere” beftehen. 

Päris, auch Alexandros genannt, der zweite Sohn des Priamos und be Hekabe, iſt be» 


2 | nf daris (Eid) a1. | 
"Sika: als Beranlaſſer des Trojaniſchen Srlägs durch bie Eitfäärung der Hclena. 
der erſchaft traͤumte feine Rutter, fie habe einen Feuerbraͤnd gebsren, ber 
Seadt in Feuer fegte. Dieſer Traum wände von den € bafln anögelegt, 










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| I 5 w⸗ 
als Jũngling durch Vertheidigung der Heerden und Hirten auszeichnete. Vor ihm, als 
erſchlenen Here, Aphrodite und Athene, um von ihm entſcheiden zu laſſen, welche unter 
Die Schönfte ſei. Zur Hochzeit des Peleus und der Thetis nämlich waren alle Götter 
uur'@rts (f. d.) nicht. Gleichwol erfchien fie, wurde aber nicht zugelaffen und warf 
en goldenen Apfel mit der Aufſchrift „Der Schönften I“ umter die Gäſte. Sofort 
fene drei Göttinnen biefen Preis fireitig. Zuerſt baten fie den Zeus um Enufi 
dieſer ließ fie durch Hermes zu dem P. aufden Ida führen. Here verſprach ih 
über Afien und Reichthum, Athene Kriegeruhm und Weitheit, Aphrodite 
Meib, die Delena, zur Ehe. P. entfchied fich für die Aphrodite. Obgleich ek 
der Tochter bes Flußgottes Kebren, vermäßlt war und dieſe, alt der ZBeiffagung 
vor der Helena gewarnt hatte, befchäftigte ihn doch nür jenes Werfprechen der Aphrodite 
biefer Zeit entdeckte er auch feine Abkunft bei folgender Beranlaffung. Priames ſtellte eine 
| er des todtgeglaußten P. an und ließ als Kanpfpreis einen: Stier von der 
Hg ergriff man den Lieblingsſtier bes P. Er ging daher mit, nahm an 

theil und befiegte feine Brüder. Deiphobes ober r zog deshalb dad Schwert 
aber er entfloh an den Altar des Zeus Herkeios. erkannte ihn Kaffandre, unb 
nahm ihn als Sohn auf. Hierauf fegelte er unter dem Gchuge ber Aphtodite nach 
etfũhrte die Helena (f. d.), während Mentlaes in Kreta abweiend war, felerte feine 
lung auf der Infel Kranad, Gytheion geg ‚ und kehrte mit wielen Schägen, bie er 

‚ben dem Menelaos treuloferweife geraubt, über Aghpten und Phärnizien in feine 

Us Wrenelaos feine Gemahlin vergebene zurückverlangt hatte, erhob ſich fat ganz Geier 
land zu feinem Beiflande und ed kam zu dem Trojanifchen Kriege. (©. Troja.) In biefm 
ſchildert Homer den P. als nicht unerfahren im Kriege, aber als ſäumig und feig. Als Urhebe 
bes Kriegs wurde er von den Seinigen gehaßt. Nachdem er im Tempel des Thymbräifge 
Apollo den Achilles hinterliftig getödtet, wurde er beim Kalle von Ilios von einem vergifteten 
Dfeil des Philoktetes verwundet. Jetzt gedachte er der treulos verlaffenen Dnone, welche ihe 
einft veriprochen, ihn zu heilen, werm er verwundet werden follte, und begab fich zu ihr auf des 
Ida. Diefe aber, eingeden? der erlittenen Beleidigung, ſchlug ihm die Deilung ab. Er kehrt 
nad Troja zurüd und flarb. Dargeftellt wird P. als jugendlich ſchöne, aber weichliche Geſtak 
unbärtig, in phrygiſchem Coſtüm, mit dem Apfel in der Hand, den er der Aphrodite reiche. 

Paris, die Daupt- und NRefidenzftadt von Frankreich, etwa 210 $. über ber Meeresfläck, 
liegt in einer Ebene, die von der Seine durchfloffen wird. Auf dem rechten Ufer des Fluffel 
überragt ber Montmartre die Stadt, die linke Seite beftcht aus angeſchwemmtem Boden. Dir 
Berfleinerungen, welche fi) in bem Gypsmergel, den Kalkfteinbildungen und den bedeutender 
Steinbrüchen der Umgegend finden, geben Stoff zu intereffanten Schlüjfen über die frühen 
Berhältniffe. Die Seine, welche bei den Barrieren de la Gare und de la Rapee in die Exadı 
eintritt, durchſchneidet die legtere ziemlich in ihrer Mitte von Often nach Welten, in der Läng 
bon etiwa zwei Stunden bis zum Pont de Jena. Die Zahl der von ihr gebildeten Infeln iſt durd 
Ausfüllungen von fünf auf zwei reducirt. Diefe find die Isle du Palais (auch la Eire genau) 
und die Isle St.-Louis. Außer der Seine, welche felten ihr Bett überfchreitee und die, fit 
dem man angefangen hat, die auf den Brüden befindlichen Häufer abzutragen, fehr zur & 
haltung eines vortheilhaften Gefundheitözuftandes beiträgt, hat die Stadt noch das Beine Fla} 
hen Bievre. Die Stade hat jegt einen Umfang von etwa drei M. Seit 1798 if ex 
zwolf Municipalitäten, Mairien oder Arrondiffements getheilt, von denen jede wieder in we 
Polizeifectionen oder Quartiere zerfäll. Die Leitung der ftädtifchen Angelegenheiten beforg 
der Seinepräfect mit einem beigegebenen Municipalrath. An der Spige des Kirchenweſer 
ſteht ein Erzbiſchof. Die Univerfirät (Acadömie de Paris) befteht aus einer theologifchen, eis 
philofophifchen Facultãt (Faculi& des lettres und Faculis des sciences), einer Nechtsfaadtä 
und einer medicinifhen. (8. Sorbonne.) Unter ber Univerfität jtehen das College Louis k 
Grand (feit 1582), da6 Collöge Henri IV, während des Kaiſerreichs und jegt wieder LyodedeNa- 


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Yaris (&tabt) 081 


poldon genannt; das College Bourbon (feit 1781), dad Colläge Charlemagne, das Collöge 
Sı.-Louis (feit 1280), da6 College Ste.-Barbe, da6 College Stanislas und das College des Ir- 
landais. Außerdem gibt es noch folgende Unterrichtsanftalten, welche aber in keinem Abhän- 
gigkeitöverhältmiß zur Univerfität ftehen: das College de France (feit 1520), dem höhern wife 
fenfchaftlihen Unterricyte gewidmet; die Ecole speciale des langues orientales vivantes ; die 
Ecole des chartes, welcher die Pflege der Diplomatik zugewieſen ift; die Polgtechnifche Schule 
(feit 1795), die Ecole des ponts et chaussees (feit 1784), die Echule für Mufit und Decla⸗ 
mation (feit 1784), die Ecole normale und noch verſchiedene Specialfchulen. Auch die Zahl 
der wiffenfchaftlichen und Fünftlerifchen Anftalten und Geſellſchaften anderer Art ift fehr groß. 
Am bedeutendften ift das Inftitut (|. d.) von Frankreich auf dem Quai Conti. Das für bie 
Aftronomie fo wichtige Bureau des longitudes bildet feit 1795 einen Vereinigungsvunkt aller 
Gternwarten. Die Acad&mie de medecine befteht. aus den Sectionen der Medicin, Chirurgie 
und Pharmaceutit. Die große Bibliothek, zu welcher eine Heine Bücherfammlung Karl's V. 
den erften Grund legte, befindet ſich jegt in der Rue Richelieu. Außer den Druckwerken, die, 
da es feinen Katalog gibt, von Einigen auf 1,500000, von Andern auf 900000 angegeben 
werden, umfaßt die Bibliothek eine höchſt beträchtliche Sammlung von Handſchriften (über 
80009), ein Münzcabinet (über 140000 Stüd: 80000 alte, 60000 neue) und eine reichhaltige 
Sammlung von Kupferflichen, Landkarten und Planen. Die für ſich beſtehende Bibliothek des 
Arfenald wurde vorzüglich durch eine Vereinigung der Sammlungen des Marquis Paulmy 
d’Argenfon und bed Herzogs Lavalliere gebildet und enthält gegen 200000 Bände. Außerdem 
find zu erwähnen die Mazarin’fche Bibliothek und die Bibliothek von Ste.-Genevitve.-Unter ben 
übrigen Anftalten für wiffenfchaftliche Zwecke verdient befonders der botanifche Garten (Jar- 
din des plantes) auf dem linken Seineufer mit feinen reichhaltigen naturhiſtoriſchen Samm⸗ 
lungen hervorgehoben zu werdeg. Er enthält außer einem bedeutenden Herbarium, einem mi« 
neralogifchen und zoologifchen Gabinet eine fehr beträchtliche Anzahl lebender Thiere aus allen 
Erbrheilen. Was die bedeutenden Kunftfhäge anlangt, welche die Stadt aufzumeifen hat, fo 
ftehen die verfchiedenen Mufeen des Louvre (ſ. d.) allen andern Sammlungen voran. Auch das 
Palais Lurembourg und das Hötel Eluny enthalten intereffante Kunſtſammlungen. Schau⸗ 
fpielhäufer (f. Franzöfifches Theater) find zahlreich vorhanden. 

Die Stadt ift, fo ſehr auch an andern Orten die Gewerbthätigkeit einen mächtigen Auf 
ſchwung genommen hat, doch immer noch, wenigfiens für einige Zweige der Kunftfertig- 
keit und der Gewerbe, Mufter und Mittelpunkt. Für die Anregung und Belebung ber 
zahllofen Arbeiter, welche P. zu ihrem Aufenthalt gewählt: haben, wirkt außer der Con⸗ 
eurrenz, dieſer mächtigften aller Xriebfedern, das trefflihe Conservatoire des arts et 
metiers. Die koͤnigl., jept Paiferl. Teppich» oder Gobelinfabrif fleht in der Geſchichte 
der Manufacturen mit ihren ausgezeichneten Grzeugnifien faft einzig da. &o groß auch 
in P. die Gewerbthätigkeit ift und fo reichlihe Quellen aud für Jeden fließen, dem es 
ernftlich baran liegt, füch Unterhalt zu erringen, fo Bann es doch bei dem Hinzuſtrömen Solcher, 
welche in dem Mittelpunfte der civilifirten Belt, wie der Franzoſe feine Hauptftadt nennt, ſich 
ſchnell zu bereichern trachten, nicht fehlen, daß Mancher feine Hoffnungen getäufcht fieht und 
mit Roth und Elend zu fämpfen hat. Die Sorgfalt der ftädtifchen Behörden und die Mildthä⸗ 
tigkeit Einzelner haben indeß eine Menge Anftalten und Einrichtungen ind Leben gerufen, 
welche beftimmt find, den traurigen Folgen der Armuth zu fteuern. Dahin gehören außer den 
fogenannten Bureaux de bienfaisance, von benen jedes der zwölf Arrondiffements eins aufzu⸗ 
weifen bat, eine Société de la charit6 maternelle, eine Sociôté philanthropique, eine Socioto 
pour le soulagement et la delivrance des prisonniers und viele andere Gefellfchaften und 
Bereine ähnlicher Tendenz. Auch für Armen- und Krankenhäuſer ift reichliche Sorge getragen, 
und einige diefer Anftalten, wie 3. B. das berühmte Hötel-Dieu, können mit Recht ähnlichen 
Einrichtungen ald Mufter dienen. Nicht minder trefflich find das 1779 von Madame Reder 
gegründete und nad) ihr benannte Krankenhaus, das Höpital Cochin und das Höpital Beaujon. 
Ein großes Findelhaus wurde ſchon 1640 von Vincent de Paul geftiftet. Die Salpetriere iſt 
ein großartige® Gebäude, welches dazu beſtimmt ift, gebrechlichen alten Frauen eine Zuflucht zu 
geroähren, während in der Nähe von P., zu Bicktre, ein ähnliches Etabliffement für alte Män- 
ner befteht. Diefe legtere Anſtalt enthält zugleich ein Irrenhaus. Ein befonderes Aſyl für 
Geiſtes kranke beftcht in Charenton; auch find in einigen Krantenhäufern einzelne Abtheilungen 
zur Pflege von Geiſteskranken eingerichtet. Die Blindenanftalt ; da6 Hopital des Quinze- 
vingts, und die Taubſtummenanſtalt find in vieler Beziehung fo vortrefflih, daß man fie bei " 


66% Paris (Stadt) 


äßnlichen Einrichtungen nicht felten zum Mufter genommen hat. Zur Aufbetvahrung von Be» 
brechern dienen die Gefängnifje de la Roquette, Ste.-Pelagie, das Zellengefängnif Mazas, bee 
Gonciergerie und mehre andere Zwangshäuſer. Das eigentliche Schuldgefängniß ift in ber 
Straße Elichy. 

: Die Bevölferung von P. betrug 1788 599569, 1821765000, 1856 899515 und nad 
der Zählung von 1852 über eine Mil. Seelen, während die Stadt 1315 kaum 100000 G. hatıe. 
Die Einkünfte der Stadt, zum Theil aus dem bedeutenden ftädtifchen Detroi gefchöpft, beiak- 
fen fich Jährlich im Durdfchnitt auf 45—50,000000 Franten. Die ſtärkſten Confumtionsarti 
kel find Brot, 200,000000 Rilogrammes, Wein, 1,000000 Bectolitres, 180000 Dcdhyfen, Küke 
und Kälber, 450000 Hammel, 90000 Schweine, 2,000000 Hühner, Kapaunen und welfde 
Hähne, 1,000000 Zauben u. f. w. Die Zahl der Straßen ift feit bem 3. 1716 von 300 af 
mehr als 1800 geftiegen, worunter fich vorzüglich folgende auszeichnen: die Rue Rivoli, die 
Rue de la Paip, die Rue Richelieu, die Rue Royale, die Rue St.-Honore, die Rue Montmar 
tre, die Rue Rambuteau, die Rue Bonaparte. Dazu kommen noch fogenannte Paflages, is 
denen fi) der äußerfte Luxus koſtbarer Handeldgegenftände entfaltet. Unter den zahlreichen öf 
fentlichen Plägen zeichnet fich die Place de la Concorde (früher Place Louis XV., auch Place de 
fa Revolution genannt) aus, deren neuere Anordnung vom beutfchen Architekten Dittorff her 
rührt. Diefer Pag grenzt im D. an den Zuileriengarten, im W. an die Champs⸗Elyſees, im 
S. an die Seine und im N. liegen die großartigen Gebäude des ehemaligen Barbe-Meuble. 
In der Mitte befindet fich der Obelisk von Lukſor. Außerdem find noch anzuführen der Carrıw 


felplag, der nach der Vollendung der im Werk begriffenen Neubauten zwiſchen den Zuilerin - 


und dem Louvre einen überaus ftartlichen Anblick bieten wird, und der Bendömeplag, der nad 
Manſard's Entwurf 1699 begonnen wurde und früher eine Reiterftatue in feiner Mitte hatte 


wetche 1792 zertrümmert und fpäter durch die vielbefprochene VBendömefäule erfegt wurbe. Die . 


Pace royale, im Marais gelegen, trägt in ihrem ganzen Ausdruck dad Gepräge bes 17. Jabrh. 
Die Place des Victoires, von ovaler Form, enthält eine von Ludwig XVII. errichtete Reiter 
ſtatue Ludwig's XIV. Die Stelle, wo fich früher die Baftille mit ihren Wällen und Gräben be 
fand, bezeichnet jegt die den Opfern vom 3. 1830 gewibmete fogenannte Julifäule und ein free 
Platz (Place de la Baftille). Das große rechtwintelige Champ-de-Mars ift ein weitausgebehe 
ter Plag, der zu allerlei Feftlichkeiten dient und der in der Gefchichte Frankreichs eine nicht m- 


bedeutende Rolle pielt. (S. Marsfeld.) Eine Huuptzierde der Stadt find die Boulevards, 


welche in einer Ausdehnung von drei Stunden eine an den mannidfaltigften Abwechſelungen 
reiche Promenade im Innern der Stadt bilden. Der Theil derfelben, welcher ſich von der Rue 
de Ia Ehauffee D’Antin bis zur Rue Ricyelteu erſtreckt (Boulevard des Italiens), ift der falbie 


nabelfte. Won den öffentlihen Gärten ermähnen wir den der Zuilerien, des Luxrembourg und : 
vom Palais-Royal. Großartiger noch find die Champs-Elyfees, weldye noch innerhulo der par⸗ 


jer Umfriedigung liegen. Über die Seine führen 25 Brüden, unter denen fich befonders der 
Pont⸗neuf und Pontsroyal bemerklich machen. Die nach dem Fiuffe zu gelegenen, mit Bruſt⸗ 
wehren .verfehenen Straßen heißen Quais und bieten zum Theil, befonders die neuerbauten, 


eine feltene Eleganz. Von den vier Triumphbogen find die Ludwig XIV. zu Ehren errichteten : 


von St.⸗Denis und St.-Martin die älteften. Die beiden andern heißen Arc du carrousel und 
Arc de triomphe de la Barriere de l’etoile, von’ denen der legtere zum Andenken der Grof- 
thaten der Revolutions- und Kaiferzeit errichtet und 29. Juli 1856 eingeweiht wurde. Dat hr 
würdigfte und großartigfte von allen Gebäuden ift die Kirche Notre-Dame, welhe mit Ned 
als ein Prachtſtück der goth. Baukunſt gepriefen wird. Sie liegt auf der Isle de la Eite und 
zwar an einer Stelle, wo fchon früher mehre Tempel ftanden. Derjenige, welcher als der eigent- 
liche Gründer betrachtet wird (1164), war der Bifchof Maurice de Sully. Wie es heißt, fol 
der Papft Alerander III. den erften Stein dazu eingefegt haben. Nächſt diefer herrlichen Kirche 
find zu nennen die Kirche St.-Germain-ded-Pres, welche das Ältefte dem Cultus geweihte Bar 
werk der Stadt ift; fie wurde 1165 vollendet. Die Kirche St.-Etienne-du-Mont wurde in ihre 
urfprünglichen Form im 15. Jahrh. erbaut; aber die in architeftonifcher Beziehung intereffante 
Hauptfacade entftand erft auf Veranftaltung der Margarethe von Valois. Et.- Germain: 
"Aurerrois foll eine von Childebert errichtete Kirche fein; fie wurde aber von den Normunnır 
zerſtört und erft von König Nobert wieder aufgebaut. Auch der Urfprung der Kirche St.-Eir 
ftache fteigt in ein hohes Alterthum hinauf, indeß fo, mie fie jegt fteht, wurde fie erfi 1552 errichtet 
Louis und St.-Paul find Kirchen, welche erft in 18. Jahrh. entflanden, während St.-&ulric, 
obſchon erft 1646 ausgebaut, hoch wenigſtens aus einer viel ältern Kapelle hervorgegangen if 


— 


Paris, ¶Stadt) - 008 
Der prunkhafte Porticus dieſer Kirche wurde erſt 1745 vollendet und iſt nach dem Eutwenfs 
von Servandoni aufgeführt. Unter den neueflen Kirchen find zu erwähnen: RotreDame-ber 
Lorette, 1825 nach dem Niß von Lebas mit Übertriebener und faft unkirchlicher Eleganz errich⸗ 
tet ; die Madeleine, ein impofantes Gebäude, von Napoleon 1. eigentlich zu einem Tempel det 
Nuhms beftimmt; St.Vincent⸗de⸗Paul, nad dem Plane von Hittorf mit Nachahmung def 
alten Baſilikaſtils eebaut; Ste⸗Clotilde, noch unvollendet und im goth. Geſchmack nach dem 
Eutwurfe Gau's errichtet. Die bedeutendften proteft. Kirchen find das Dratoire, welches den 
Heformirten, und die Gglife des Billettes, welche den Zutheranern zugewieſen ift. 

Unter den weltlichen Gebäuden flehen die Tuilerien (f.d.), das Louvre (f.d.) und das Palaise 
Royal (f. d.) oben an. Das Palais du Lurembourg, in dem jept der Senat feine Sigungen hält, 
war urfprünglich ein Rob. du Harlay gehöriges Privathaus und wurde erfivon Maria von Mes 
dici nach dem Mufler des Palaftes Pieti in Florenz von Grund aus umgewandelt. In dem dane⸗ 
ben befindlichen Petit-Rugembourg hat der Großkanzler von Frankreich feine Wohnung und das 
Amtslocal. Der Palaſt des Gefeggebenden Körpers liegt auf dem Duai d’Orfay und ſteht mis 
dem ehemaligen Palais Bourbon, das 1722 begonnen wurde, in Verbindung. Der Periftit, 
weicher nad) dem Eoncordeplage zu gelegen ifl, wurde 1804— 7 nach den Zeichnungen von 
Poyet ausgeführt. Das Palais de Juſtice war die Refidenz der alten Frankenkönige, wie dem 
die Dazu gehörige intereffante Ste.-Chapelle aus der Mitte des 15. Jahrh. dem Privatgotted- 
dienfte derfelben gerwibmet war. Der Brand von 1630 richtete in biefem wichtigen Bauwerke 
bedeutende Verwüſtungen an, die durch die rohe Gewalt der Revolution zum Theil noch über» 
boten wurden, nachdem bie Folgen einer Feuersbrunſt 1776 auch im Innern weſentliche Ver⸗ 
änderungen veranlaft hatten. Sept dient das vielfach umgeflaltete Gebäude verfchiedenen Ge⸗ 
richtshöfen und umfaßt außerdem noch Die Poligeipräfectur mit der Conciergerie und verfchiede» 
nen Depoͤts. Das Hoͤtel de Ville wurde, nachdem es ſchon 1535 angefangen war, nach einem 
neuen Plane umgeändert und 1606 vollendet. In neuerer Zeit hat das dringende Bedürfniß 
beträchtliche Erweiterungen nothwendig gemacht, welche durch den von Lefueur und Godde 18356 
entworfenen Berfhönerungsplan an Einheit und Bedeutung gewannen. Der Palaſt Eiyfee 
Bourbon, 1718 für den Grafen Evreur gebaut und fpäter Eigenthum der Marquife Pompa⸗ 
dour, ift feit dem Kaiferreihe Krondomäne. Das Palais du Quai d’Drfay wurde von Nape⸗ 
(eon 1. begonnen, blieb dann liegen undrift erſt nach der Julirevolution ausgeführt und vollendet 
worden. In feiner gegenwärtigen Beflimmung bildet es den Verſammlungsort des Staats⸗ 
raths und ben Gig der Cour be Comptes. Da, wo früher ber berüchtigte Tour de Nesle fland, 
echebt fich jest dad Palais de ’Inflitut, dem Louvre gegenüber. Hier hält das für alle wiſſen 
ſchaftlichen Beftrebungen fo wichtige Inſtitut de France feine Sizungen. In der Nähe dieſes 
Gebäudes befindet ſich das Hötel des Monnaies, welches die Stelle einnimmt, mo früher das 
Hotel Conti ftand. Das Gebäude der königl. Bank wurde 1620 auf Anordnung Manfard's 
für den Herzog von Vrilliere erbaur ; aber die Börfe, welche für die Dandelöwelt von ber uner⸗ 
meflichften Bedeutung ift, gehört der Gegenwart an und ift eine architektoniſche Schöpfung der 
Kaiferzeit und Reftaurationsepoche. Unter ben zahlreichen Beerdigungsplägen nimmt der be 
rühmte Pere⸗Lachaiſe in pittores ker, fowie in hiftorifcher Beziehung bei weitem den Vorrang 
an. Don hier aus hat man einen höchſt malerifhen Blick auf die Stadt, indem fich diefelbe hier 
auf eine fehr überſichtliche Weiſe gruppirt. Ahnliche Anfichten genießt man vom Thurme der 
Kathedrale Notre Dame und von der Kuppel des Pantheon (f. d.). Bon diefen Hohen herab 
erblidt man die Stadt mit ihrem vielverfchlungenen Straßengewirr wie eine bunte Welt. Das 
.volle Leben, weiches auf allen Plägen wogt, bringt nur in vereinzelten Tönen an das Obr, aber 
ed entgeht dem Auge nicht, dad diefes raftlofe Drängen und Treiben das erfchöpfendfte Bild der 
Gegenwart ifl. Alle Richtungen, welche der menfchliche Geift ber Thätigkeit eröffnet hat, find 
vertreten ; jede neue Erfindung finder hier ihre Würdigung; unfichtbare Fäden laufen von bier 
aus nach allen Gegenden der Erde. Schon Montaigne nennt 9. den Ruhm Frankreichs und 
eine der edeiften Zierden der Welt. Wenn ihm nım auch in manchen Bereichen der Wiffenichaft 
und des Lebens nicht mehr die auvsnahmsweiſe Stellung gebührt, welche es beſonders zu der Zeit 
einnahm, wo franz. Sitte dad Gefeg bes guten Tons war, fo ift doch das Verhältniß der Haupt 
ſtadt von Frankreich für Europa noch immer in mehr als einer Beziehung äußerſt einflußreich 
und bedeutend zu nennen. Kür Frankreich aber bleibt fie bei dem eigenthümlichen Syfteme ber 
Gentralifation, welches die Stärke und bie Schwäche jened Landes zugleich ausmacht, noch im⸗ 
nıer das vollpulfirende Herz, von den alle Anregung, alle Thätigkeit ausftromt. 

Die erfien hiſtoriſchen Erinnerungen, welche fih an P. knüpfen, reichen bid auf Julius GE 

















u < ab fand Die Rarisil an der Belrn (Sequsna)feßyeft.. Dicfer-Ptzuei Titan 
| Age re — ihn Bulanır son seltifchen Motte bar, bi. Bu E 
Die Hauptſtadt dieſes Stammes [od ie 





( IhLatelia'Partsiorum) entfanb; gewefen fein.. Die Rüer "trade 

| la Ö telia' m) en ; 

- Ofen Ramen en d.L Korh, in Werbindieng und Iegten biefer Bezeidhurrung Die Beben E. 
Kan von Schmugflabt bei, welche in dem ſumpfigen oben, auf welchem bie Gtabt erhalt um 
ie Beflätigung zu finden ſchlen. Caſar veranflaltete.d4 hier eine Berfanımiung ber galiike 

Bölter und ließ in der Folge Die Stadt von- feinem Keldherrn-Babienus in Befig uchmen. Mi 
Safe; auf welchet fie gelegen war, erhielt nun erft formliche Befefligumgswerfe. Uster benain 
—*5 welche nach P. kamen und zum wei fi daſelbſt längere Zeit: aufbielten, muß bie 

ber Apoſtat Julian genannt werden. Derfelbe wurde bier om Affen ausgerufen. de 

"leige'acc vorhandene Überreft der töm. Herrichaft find bie eu det -palatinm Utuen- 

‚Duin in der Rue be la Darpe, defien Gründung wol nicht, wie gewöhnlich gefihleht, Dem Zul 

bethetegt werden kann, indem fein Urſprung höher binaufreicht. Um 880 fing ber Rame lat 

‚ah; Dash die Bezeichnung civitas Parisiorum, auch blos Parisil unb:Parisie 
bes. Bar grofen Einfluß für die Erweiterung der Scadt war ed, daß Ehlobrwig fie 508: 
Oig-feiner Regierung machte. Seit dieſer Zeit blieb P. ſelbſt — 



















Bintelgb, immer der Mittelpunkt der geiſtlichen und weltlichen 
Bi etalten hatte, baute neben der zur Zeit Balentinian’s errichteten Kirche J 
otxe · Dame und gründete mehre Abtelen. Die Stadt war allmälig fo Gebe : " 
Wesben,; daß bei ber Theilung, welche 570 nad) dem Tode Eharibert‘s  vorgenoutmems uunls : 
dar Beũber Buntram, Siegbert und Chilperich befchloffen, fie als eine gemeinfchaftliche Mieiigen 
zu deirachten. Karl d. Gr. hielt ſich zwar nur verlibergehenb in P. aufs aber er vernudkiiifp 
doqh dethalb diefe Stadt nicht, die er mit einer einſtußreichen Rermalſchuu verſah 
gierungszeit feiner Rachfolger hatte die Stadt von ben Dean hen Wie gs Lake 
Bi figienen 845: zuerſt vor-ihren Drauern unb wiederholten 857. und 878: ihre 
oo 9. während biefer Reit mehrfach von ihnen verheert und. vertwäflet worben uuu, ul 
AU RE EBE eine-neue Iwaſſon. ber diesmal hielt ſich die Stadt, und nachdem Die Mori 
Mabre vergebens vor berfelben gelegen hatten, zogen fie umverrichteter Sache wind 
fOdo, welcher fich bei diefer Vertheidigung wefentliche Verdienſte erworben Hatte, erhu 
dafür die königl. Würde. Die Nachkonmen deffelben wählten 9. zur bleibenden Refidenz m 
987 erHlärte Hugo Capet ed zur fornılihen Hauptſtadt des Fränkiſchen Reichs. Num erhele id 
. die Stadt von den frühern Vermüftungen, und Gapet felbft trug noch zu ihrer Erweiterung ki 
Er regelte die Verwaltung der ftädtifchen Intereffen, deren Leitung er dem Prevöt der Sub 
- mannfchaft übertrug. Befondere Anziehungskraft übte der Glanz der parifer Schulen ul 
welche fich Durch den Zufammenfluß Studirender aus allen Rändern fo jehr erweiterten, bafik 
befiehenden Anftalten nicht mehr genügten. Diefelben wurden daher nach dem linken Geineue 
verlegt, und bier entfland nun das fogenannte Gelehrtenviertel (Quartier latin) mit feinen Dir 
fülen und zahlreichen Eollegien. Auch die Zahl und der Umfang der Vorſtädte erweiterte fi 
fortwährend. Bemerkenswerth ift die Feuersbrunft von 1034, in Folge deren die Stadt an Ir 
‚gelmäßigkeit und Schönheit nicht unberrächtlich gewann. Erft auf ausdrüdliche Veranflaltun 
Philipp Auguſt's wurde P. mit einer vollftändigen Mauer verfehen. Diefelbe Hatte 5 
Thürme. Das Pflaftern der Hauprftadt begann 1184 auf Befehl des Königs und mit Use 
flügung eines gewiffen Gerard de Poiſſy, der zu diefem Zwecke 8000 Mark Silber auöfugk 
Ludwig der Heilige, welcher dem Gerichts weſen feine befondere Aufmerkſamkeit widmete, eb 
nete die flädtifchen Verhälmiffe auf eine durchgreifende Weife und legte bedeutende Bauten 
unter denen die Ste.-Shapelle, welche die Doflapelle wurde, erwähnt werben muß. Seit 1318 
100 das Parlament feinen bauerndenSig nah P. verlegte, wurde diefe Stadt der Bereiniguup 
punkt der höhern Staatsanftalten. In der ältern Gefchichte von P. ift der Aufftand, weis 
Etienne Marcel auf Antrieb Karl's des Böfen von Navarra erregte, hervorzuheben. In bes} 
1567 —83 wurden die Mauern und Wälle, welche längft ſchon überfprungen und gefpeaf 
waren, erweitert. Karl V. überließ das von den Frankenkönigen und deren Nachfolgern bewies 
Palais in der Cite dem Parlament und wählte ein bei der Kirche &t.-Paul gelegenes up 
Mefideng. Die Baftille, welche urfprünglich zur Aufbewahrung des königl. Schages und B 
Vertheidigung der Stadt beftimmt war, wurde 1370 erbaut. Die Unruhen der Burgunder 
Armagnace, ſowie bie frang.-engl. Kriege blieben für P. nicht ohne fühlbare Folgen. Use 
Ludwig XI. hatte, ungeachtet der aufteddenden Krankheiten, welche 1412, 144 9, 14138 



























Paris (Stade) 085: 


41466 große Verwüſtungen anrichteten, die Hauptſtadt fi bereit fo ausgebehnt, daß man es 
für nöthig fand, fie in 17 Viertel zu theilen. . Zur Zeit des Königs Franz I. war fie ſchon ber 
Bereinigungspuntt alles Deffen, mas Frankreich Großes und Schönes aufzumeifen hatte, ſodaß 
der deutfche Kaifer Karl V. fagen konnte, er habe in Frankreich eine Welt (Paris), eine Stade 
(Drleans) und ein Dorf (Poitiers) gefehen. Unter Heinrich il. und Katharina von Mebict, 
welche großartige Bauten, 3. B. die Schlöffer des Louvre und ber Zuilerien, unternahmen, 
wurde ber ital. Geſchmack bei öffentlichen Anlagen heimifch. Heinrich IV. vollendete ben Pont⸗ 
neuf, erbaute mehre neue Straßen, vereinigte zwei Heine Infeln mit der Isle du Palais, erwei- 
terte die Tuilerien und legte die Place royale an. Von Ludwig XII. wurde P. vorzüglich mit 
geiftlichen Stiftungen reichlich bedacht, jedoch that er audy für andere Anlagen viel. So ließ er 
durch Hugues Cosnier bedeutende Wafferleitungen errichten, die bei dem fortwährenden Stei⸗ 
gen der Bevölkerung ein dringendes Bedürfniß gemorben waren. Maria von Mebici legte 1615 
ben Grund zum Palais Lurembourg. Der Bau der Sorbonne (1627), die Stiftung bes Eol- 
lögeLouis le Grand (1628), die Anlage des botanifchen Gartens (1634) und die Errichtung 
der Academie frangaise (1635) waren befonder& für wiffenfchaftliche Beftrebungen von bedeu- 
tendem Einfluß. Richelieu, von dem ein Theil diefer Einrichtungen und Unftalten ausging, be- 
gann auch 1629 das fpater fo benannte Palais-⸗Royal. Das parifer Kirchenweſen erhielt Durch 
die Erhebung des Bifchofs zum Erzbiſchof (1622) eine mefentliche Umwandelung. Wichtiger 
noch für die parifer Zuftände als die Zeit Ludwig's XIII. war die lange Regierungsperiode 
Zudwig's XIV. Diefer prachtliebende König legte 80 neue Straßen an und erweiterte bie ſchon 
vorhandenen läge und Räumlichkeiten, obſchon er zu gleicher Zeit die großartigen Anlagen in 
Berfailles betrieb. Beſonders bervorleuchtend unter Dem, was Ludwig XIV. für die Hauptftabt 
gethan, ift die Vermandelung der ehemaligen Wälle in öffentliche Promenaden (Boulevards), die 
Gründung des Invalidenhaufes und die Ausmauerung der Duais. Im I. 1726 wurde bie 
Stadt, welche immer unaufhaltfamer über die vorhandenen Grenzen hinausgegangen war, mit 
neuen Ringmauern verfehen. Zugleich fuhr man fort in der Gründung neuer Gebäude nnd ber 
Ausführung, Erweiterung und Berfchönerung Deffen, was frühere Jahrhunderte ins Leben 
gerufen hatten. Ludwig XVI. wurde an der Ausführung einiger zum Theil bereitö begonnener 
Plane durch den Ausbruch der Revolution gehindert, welche mit ihrem Ungeftüm Diele jer» 
trümmerte und die hiftorifchen Erinnerungen der verfloffenen Zeiten verwifchen wollte. Die Er⸗ 
ftürmung der Baftille gab das Signal zu einer Reihe von Berwüflumgen, denen erft dad Diree⸗ 
torium Sinhalt thun konnte. Napoleon, der überall mit kräftiger Hand eingriff, räumte bie 
Trümmer der Revolution hinweg und rief in erſtaunlicher Schnelligkeit eine Reihe der großar⸗ 
tigften Schöpfungen ind Leben. Ganze Stadttheile entftanden in erneuter Pracht, und was er 
auf feinen Siegeszügen an Schägen der Kunft und Wiffenfchaft erbeutete, kam der Hauptfladt 
feines Reichs zu gute. Diefelbe würde bei ber zweismaligen Invafion unter der gerechten Wie⸗ 
bervergeltung der Ausländer ficher gelitten Haben, wenn Alexander von Rußland nicht die Rolle 
eines ſchonenden Bermittlerd übernommen hätte. Seitdem die alte Königsdynaſtie in Frankreich 
wiederhergeftellt war, wurde mit unerhörtem Eifer gebaut, fobaß von 1817—25 über 2500 
neue Häufer errichtet wurden. Damals entftanden die erften Paffagen und Bazars. Der Epe 
eulationsgeift der Bauunternehmer fteigerte ſich bis zum Schwindel und begann neue Quartiere 
anzulegen, wie dad Quartier Franz' I., Quartier Beaufon u. f.w., die jegt noch nicht ganz aus⸗ 
ebaut find. Eine ähnliche Thätigkeit entwidelte ſich im öffentlichen Baumefen während der 

uliregierung unter dem Antriebe Ludwig Philipp's, der ſchon ale Herzog von Orleans für 
Bauliche Unternehmungen ein befonderes Intereffe an den Tag gelegt hatte. P. verbankt feiner. 
Begierung die Vollendung der Magdalenenkirche umd des großen Triumphbogens der Stern⸗ 
Barriere, die Vergrößerungen bes Stadthaufes und des Rurembourgpalaftes, Die Aufrichtung de6 
Dbelisten von Luffor, die Verfchönerung des Eintrachtplages und der Elyfeifchen Felder, bie 
Verlängerung der Quais, die Errichtung der Julifäule auf dem Baftilleplage, die Ausführung 
der neuen Kirchen Notre⸗Dame⸗de⸗Lorette und St.-Bincent-de-Paul u. ſ. w. Angeblih zur 
Sicherung der Stadt gegen Invafion von außen, im Grunde aber zur beffern Zügelung revolu- 
tionärer Ausbrüche wurde die politifche Kriſis von 1840 von Ludwig Philipp benugt, um P. 
mit einem Gürtel detachirter Forts, fowic mit einer entfprechenden neuen Ringmauer zu umge 
ben. Gleichzeitig bildeten fich neue Straßen, Pläge, Märkte, Brüden und Springbrunnen im 
verfchiedenen Gegenden der Stadt, und fehr Bebeutendes wurde auch von 1830—48 für Ver⸗ 
breiterung der ©traßen, Vervollkommnung des Pflafters und Verallgemeinerung der Beleuch⸗ 
tung, ber Trottoirs, Cloaken und Wafferleitungen geleiflet. Die Kebruarrevolution vor184%, 





voten: bie Stabt ſelbſt verbältniämäßig zu leiden Hau, Genmupe: Sie Merit Die 
naht nemet Gewalt hervorbrach, ſeitdem in —* GSeaate ſtuiche yonı 3. Dec. IB 
Qevchtung ——V — ——————⏑—⏑——— die Autſicht auf NAuhe eintrat. Ye: 
aldcgibei Jahren wurden Bunderte von Hänfern a um neue Straßeri, Wäge 
frelare Durchzüge zu gewinnen. Das uewe Kuiĩſerreich fogir das frühere zu 
Ingeoßartigen Bauunternehmungen, zu benen vor allem ber Hunöbau des Eauune. uub 
binbiong Diejea Palafic mit ben Sulerien gu reinen iſt. Ferner find: zu ertwährien: : 

mewen Gentralhalle, der. Kirche Ste.-Giottide, der feftungsartigen Ruferne in ber Net 
—— — der CTites· Ouvrieres, des Templehotels, des Spitais im Faubourg 
n:fiw. Die vorgefionnnene Verlängerung ber Rivoliſtraße tft bereits ins Werk gefegk WM 
biefe:fchäne Straße erſtreckt fich num vom Concordeplatze his an den Play des St 
ehten Ränge von 3500 Metres und 22 Metres Breite). Auch Die beiden neuen Gerdien; 
.. Due des Ecoles und bie Rue de Strasbourg, die im Quartier latin und im Baubourg Se⸗ODch 

. nach dem größten Maßſtabe durchgebrochen worden, gehen ſchnell Ihrer Bollendung ep 
| —* P. großartiger und prachwoller als je zu geſtalten (dent. 

die Sefchichte der Stadt vgl. Corrozet, La Beur des antiquites, siügularitde & 
«ljenoes de la ville de P.“ (1552); Dibreakt „Ihöltre des antiquiids de Pi” { 
Germain-Brice, „Desoriplion de la ville do P.” (2 Ade., 1685); Sarwval, „Histuire.esre 
- elfeiches sur les.anliquils de P.“ (3 Bde, 1724); Felibien und Röbkrenu, „‚Histoive dal 
viäesde:P.” (5 Bbe., Par. 1755); Bebonıf, „Histoire de ie ville et du dioodse da Pe 
Be, 1754); Kaillet, „Recherohes coritigues, sur P.”.(1785); Bufaure, ‚Histoire 
physique et morale de: P.” (7 Bbe,, 1821; 6. Aufl. 1840); Lafoffe, „Histoire de 
64 Bbe., 1833); Bein und Pudel, „Histoire oivile, momle et —— dee 
(48453. Die ſtatiſtiſchen Angaben befinden Ach Pelammangeftek ie: Shabrei de ind 
„Bucherches statistiques sur ia ville de P.” (4 Bde, Bar. 1821-20), wäpgend ui 
rohes sur les oonsommalions de P.” von Benoiſton de Ghatenumenf (2 Mse., HOUR 
BE), ta Ladgaife'® „Topographie medicale de P.“ (4822) und in einer zahllofen Menge wi 
Bionsgraphien fperielle Punbte behandelt werben: Das „Annunire de ’6oonomie puiiigit 
et.de da statistique” (Paris) enthält jährlich intere ſſante ftariftifche Racırichten über ®. au 
die eigentliche Befchreibung von P. alfo mehr die pittoreöfe Partie, hat einen unerfcdho 
Stoff zu Schilderungen gegeben. Wir ermähnen nur Piganiol de Laforee, „Descriplion deh 
ville de P, et de ses environs” (10 Bde., 1765); Et.-Bictor, „Tableau historique et pie 
resque de P.” (3 Bde., 1808); Legrand und Landon, „Description de P. et de ses 6difee | 
(2. Aufl, 2 Bde. 1818); Xurine, „Les rues deP.” (1843); Ch. V. D. S.J., „Guide pa- 
toresque de l’&tranger dans P. et ses environs“ (neue Aufl., Par. 1855). Noch mannidfeb 
tiger find Diejenigen Werke, welche einer Tebendigen Abfpiegelung des täglichen Lebens gem 
met find. Bon ältern Schriften gehören hierher: Mercier, „Tableau de P.“ (12 Bde., 1782); 
neuere Schriften der Art lieferten: Janin, Balzac, Dumas, Paul deKod und viele Anden. 
Borzüglichere deutfche Erfcheinungen diefer Art find die-von Schulz, Kal, Raunıer, Devrient, 
Ierrmann, O. L. B. Wolf, Koloff, Gutzkow, Ball u. ſ. w. 

P., als das Herz des Landes, hat an den ihnern Kämpfen Frankreichs ſters weſentlich The 
genommen und iſt namentlich feit der Revolution von 1789 bis in Die Gegenwart der eigentliche 
Head und Schauplag für die Ereigniffe geweſen, welche das Schickſal des Staats beftimmten 
und einen fo großen Einfluß auf die europälfchen Verhältniffe äußerten. (ES. Frantreiä) 
Seit den Krigen mit England im 14. und 15. Jahrh. hatte es jedoch keinen äußern Feind mehr 
vor feinen Thoren gefehen, bis endlich die Invafionen von 1814 und 1815 die Stadt zum Zeugen 
zweier biutiger Schlachten und, nachdem fie vom Feinde befegt worben, zweier Friedens ſchlaͤſſe 
machten, die von ihr den Namen enıpfingen. Während Napoleon (f. d.) nad) den Niederlagen 
bei Laon und Arcis-fur-Aube (f. Nuffiich-deutfcher Krieg) ben ercentrifchen Rüdzug nod 
St.Dizier gegen die rechte Flanke und den Rüden der feindlichen Hauptmacht ausführte, tr» . 
fen die Verbünderen 24 März 1814 auf ben Höhen von Sommepuis die Anftalten, unmitte- 
bar gegen P. aufzubredh n. Am 29. März erfehien das Heer der Verbündeten im Norden und 
Oſten von P., nur ungetähr 800009 Mann ftark, weil man das bair. und ein ruff. Corps umtm 
Saden bei Meaur zur Dedung zurüdgelaffen hatte. Der eine Theil unter Blücher, beſtehend 
aus den vereinigten Corps York und Kieift, dem ruff. Corps Rangeron und der Infanterie Wi» 
zingerode's unter Woronzow, nahm feine Stellung im Norben von P., zwiſchen der Strafe 
von Soiſſons und dem Durcqkanal, mit dem Bauptquartier in Aunay. Der andere Theil une 


ia x | 


















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Paris (Stadt) | 667 


Schwarzenberg, beftehend aus dem meift aus Barden aufammengefegten ruff.-öftr.-preuf. 
Refervecorps unter Barclay de Tolly, dem ruff. Corps unter Wittgenſtein, dem öſtr. unter 
Byulay und dem würtemb. unter dem Kronpringen, bildete auf der öſtlichen Seite von P. den 
nfen Flügel ber Verbündeten, mit bem Hauptquartier in Claye. Zur Vertheidigung von 9. 
ar durch Zufall und Nachläſſigkeit wenig gethan worden. Die hier vou Napoleon zurüdge 
iſſenen Streitkräfte von Marmont, Mortier und Compans beliefen fih mit Einfluß einiger 
‚aufend Depdtmannicdaften auf 30 — 32000 Mann. Zu ihrer Unterftügung dienten 10000 
Rann Nationalgarden, die in Eile organifirt, ungeübt und nicht vom beften Geiſte befeelt wa⸗ 
ar. Joſeph Bonaparte, inder Eigenſchaft als Lieutenant- General des Kaifers, aber feiner Stel⸗ 
ıng keineswegs gewachfen, übernahm den Oberbefehl und die Keitung der Bertheidigung. 
‚rog ber Übermacht ber Verbündeten waren die Franzoſen nicht ohne Hoffnung, weil ihnen bie 
Zefchaffenheit des Terrains große Vortheile darbot. Die Zugänge von P. waren kurz vorher 
uf Napoleon’s Befehl befeflige worden. Nach Joſeph's Anordnung follte die ganze einen 
roßen Halbkreis bildende Höhenlinie, die P. von Eharenton bis Neuilly einfchließt und in 
yelcher im Dften die Hohen von Belleville, im Norden die von Montmartre (f. d.) natürliche 
Baftionen bilden, befegt und vertheidigt werben. Marmont und Compans erhielten Befehl, 
‚ie oftliche Linie mit den Höhen von Belleville und Montreuil zu befegen; Mortier mußte die 
Bertheidigung der nördlichen Linie mit dem Montmartre übernehmen. Die Nationalgarben 
purden theil an dert Barrieren der Stadt, theild in der Nähe des Montmartre zur Unterftügung 
ufgeſtellt. Mit Einfchluß von 52 in ben Depots vorgefundenen Kanonen befaßen die Franyo- 
en 150 Stud Geſchütz, von denen man 30 auf die Befeftigung des Montmartre verwendete. 
Bon Seiten der Verbündeten erhielt Blücher den Auftrag, die nördliche Linie mit dem Mont⸗ 
nartre anzugreifen; die Armee Schwargenberg's follte die ofllihe Linie mit den Höhen Belle 
ille, Bagnolet und Montreuil nehmen. Bei Rosny, hinter dem linken Flügel Echwarzen- 
yerg’s, wurden die Corps Gyulay's und des Kronprinzen von Würtemberg „aufgeftellt, um in 
Verbindung mit den in Meaur zurüdgelaffenen Corps dem Kaifer den Übergang über bie 
Marne au wehren, falls er zum Entfag Herbeieilen follte. Schon am 50.März früh zwiſchen 
> und 6 Uhr begann das Corps Barclay de Tolly'd von Pantin und Romainville aus den An« 
griff in der Richtung nach den vorliegenden Höhen, als faum noch Marnıont feine Stellung 
genonmen hatte. Die Ruffen behaupteten fi anfangs in der Ebene, wurden aber durch bis 
Anftrengungen Compans', der den linken, und Boyer's, der den rechten Flügel Marmont's bil 

dete, hinter Pantin aurüdgetrieben, das die Franzoſen nun, forwie den Wald bei Romainville, 
befesten und mit Heftigkeit vertheidigten. Gegen 10 Uhr nahm jedoch Wittgenftein das auf dem 
rechten Slügel Marmont's gelegene Montreuil; Barclay de Tolly aber eroberte Pantin und 
drang fogar, die preuß. Garden an der Spige, unter heftigen Angriffen bis an die Barriere 
Pantin von P. vor. Unterdeß hatte auch der Kampf Blücher's gegen Mortier begonnen. Als 
Mortier am frühen Morgen den Gefchügdonner von ber Oſtſeite vernahm, brady er von St. 
Mande auf und befegte mit feinem Corps, nach einem Marfche von zwei Stunden, die norblidye 
Linie mit dem Montmartre. Gegen 10 Uhr begann die preuf. Avantgarde den Angriff unweit 
des Durcqkanals, wo die Franzofen eine wirffame Batterie errichtet hatten ; erfl gegen 11 Uhr 
aber vermochte Blücher feine vollen Streitkräfte den Höhen des Montmartre gegenüber zu 
entwideln. Bei diefem Anblicke und der Nachricht vom Eindringen des Feindes in bie öftliche 
Bertheidigungslinie verzweifelte Joſeph Bonaparte an der Rettung der Hauptftadt, verließ 
nach gehaltenem Kriegsrathe den Montmartre und eilte der Kaiferin und dem von Napoleon 
eingefegten NRegentichaftsrathe nach Tours nad), ben beiden Marfchällen bie Ermächtigung 
zurüdlaffend, für ihre Truppen und P. zu capituliren. Deffenungeachtet entbrannte die Schlacht 
jet erft im Norden und Oſten um fo heftiger. Nah 3 Uhr Nachmittags fahen fih Marmont 
und Compans mit ihren zur Hälfte gefchmolzenen Truppen ganz auf die Höhe von Belleville 
befchräntt. Marmont entſchloß fi nun, von der Ermäditigung Joſeph Bonaparte’d Gebrauch 
zu machen; er trug auf einen Waffenſtillſtand an, den er fogleich auf zwei Stunden erhielt, 
mit der Bedingung, ſich hinter die Barrieren von P. zurüdzuziehen. Auch Mortier befand 
ſich auf der Nordfeire gegen Blücher in verzweifelter Lage. Bier griff gegen Mittag das Corp 
Kleift und York die vor dem Montmartre befindlihen Dörfer Lavillette und Lachapelle an, 
die lange tapfer bertheidigt wurden. Endlich drang aber die ruff. Infanteriereferve unter 
Woronzow, in Verbindung mit den an der Barriere Pantin angelommenen preuß. Garden von 
der Armee Schwarzenberg's, uber den Durcqkanal in Lavillette ein, während eine preuß. 
Brigade unter Horn Lachapelle nahm, fodaß die Vertheidiger hinter die Barrieren von P. wei⸗ 


n atten die gehn rüff. Anfanterleregiwientee Langeron’s bie 
Be ET et 
en. In diefer bedrohten Sage erft erhielt Mottier bie abfichtlich oder zufällig ver 
mächtigung Joſeph's zur Capitulation. Auch traf bei ihm Die Nachricht vom 
armont’$ und eine Auffoderung des Kaifers Alerander ein, daß er fich ergebe 
. wieß Iepteres yurüd, trug aber al eine ehtenvolle Kapitulation an. Während d 
thandlungen fogleich auf dem Montmarfte begannen, wurde Die s des Kamp) 
allen Punkten befohlen; allein die ſtürmenden Ruſſen tehrten Mb mit daran und nahme 
nn mit 29 Kanonen. Dies gefchah gegen AUhr. Um 6 Uhr Abende begaben 
afen Neffelrode, Drlow und Paar nad) P., wo endlich bie Capitufarion 31. März 
- Führe mie den Marſchällen zu Stande kam. Die Napoleon 
biernad bis 7 Uhr ‚gend freien Abzug aus P., — t 
wieber beginmen; die Stadt wurde ber Groß muth der Monarchen empfohlen. Die Rey 
0 — — und ka die are Ei 6000. —— 
jüig mehr jen, nahmen ihren \ von fonne, um 
un DMarfcätte — he überhaupt 110 Kanonm, 
0 Todte, die Verbündeten dagegen I—10000 Todte verloren. Am 51. März 
en der Kaifer von Rußland und der König von Preufeit an der © 7 
m Einzug in P, wo fie vom Pöbel mit Breibeng efchrei empfangen wurden. Die 
{ferung far wie die von ganz Frankreich ber Kalferreplerung müde und verhielt ſich ru 
Um fo größere Thätigkeit entfaltete die von Talleyrand (f, d.) geleitete, im Intereſſe dert 
Bons handelnde Partei. Unter Talleyrand trat eine Provi Regierung zufammen, 
m mit dem Senate und dem ——— Körper Napoleon des Kehrens 
erde nnd D ni nee af ft, med 19 nid, mie fine Bene 
x Weg nach P. nicht mehr nd, entfchied | ii t ed 
ans vum otfye de Dupıahr Beben. DU gab Befhe ahnen, ang = 







neitbe aus, 18 DR. von P., mit Rurienpferden voraus, um ſich — die 
iger ju ſtellen, begegnete aber am Morgen des 31. März in der Nähe von 
mern der abziehenden Corps. Er begab ſich nad) Bontainebleau, wo 2. April aud 

fegt mehr als 60000 Mann ftarkes Heer eintraf, mit dem er fiegen oder fterben wollte. Bib 
mußte er jedoch erfahren, daß mit der Einnahme der Hauptftadt auch fein Kaiferthron vollen 
eingeſtürzt fei. Nachdem Napoleon 11. April die Kaiferkrone niedergelegt, ſchloß die Proxe 
riſche Regierung am 23. mit den Verbündeten einen Präliminarvertrag, dem 50. Mai die Ur 
tergeichnung des Friedens (erfter Parifer Friede) mit den einzelnen Mächten folgte. Mit den 
1. Juni ſchon verliefen die fremden Truppen P. und im Laufe des Monats das auf die Grene 
von 1792 befchräntte Frankreich. 

Als die Heere der Verbündeten nad) der Schlacht von Waterloo (f. d.) 18. Juni 1815 ade 
mals den franz. Boden betraten, fanden fie im Morden und Often von P. die mächtigften Br 
theidigungsanftalten vor. Nicht nur der Montmartre und die Höhen von Belleville, ſenden 
auch die in die Ebene vorgefchobenen Dörfer waren mit Schanzen und ſtark bewaffnete Bar 
terien umgürtet. Die politiſche Lage der Nation und Napoleon’s, mal nad) deffen überein 
Abdankung vom 22. Juni, machte freilich diefe weitläufigen Anftalten unnüg. Indeß übernahe 
Divouft (j. d.) an der Spige der noch 60000 Mann zählenden Armee aus den Händen in 
Proviſoriſchen Regierung den Befehl zur Wertheidigung der Hauptſtadt. Am 30. Juni trafen 
die Streitkräfte Blücher'8 vor den Pinien, hinter ihnen die Mellington’s ein. Da die Erflir 
mung der Schangen mindeftens mit großem Blutvergiefen verbunden fein mußte, befchloffen dt 
beiden Feldherren, daf die brit. Armee vor den Linien ftehen bleiben, die preußifche aber P. im 
Norden umgehen, über die Seine fegen und von der weftlichen Seite aus operiren follte. Dr 
Stadt wurde hiernach an ihrem fhmwächften Punkte angegriffen oder auch durch Apfchneidug 
ihrer Zufuhr aus der Normandie zur Übergabe genöthigt. Während Wellington feine Stellung 
im Norden und Often nahm, marſchirte Blücher noch am Abend des 30. Juni nad E&t.Ge 
main, überfchritt die Seine und concentrirte fein Corps in der Gegend von Berfailles. Bone 
aus griff er 2. Juli mit großem Ungeftüm den die Höhen von Meudon und Sevres vertheibiger 
den Feind an, warf denfelden über Baugirard und Montrouge und nahm nad) einen hefrign 
Gefechte Iify. In einem zu P. gehaltenen Kriegsrarh erflärten die franz. Generale fa er 
fimmig, daß bie Stadt —28 biefer Operation nicht zu halten fei. Vandamme machte J. Id 
noch einen Iepten Verſuch, indem er mit 10000 Mann gegen Iſſy vordrang; nach einem mörde 


Paris (Graf von) Barker (Zamilie) 068 


ER rifchen Gefechte wurde er aber zurüdgeworfen. Noch denfelben Abend kam zwiſchen Davenft 
2 und Blücher und Wellington zu St.-Cioud eine Miltärconvention gu Stande, nach weicher bie 
franz. Truppen binnen drei Tagen ihren Abzug aus P.und den Rückzug über die Loire bewirkt 


2} Haben mußten. Nachdem 5. Juli der Montmartre, am 6. alle Barrieren übergeben worden‘ 


22 waren, zog am 7. das erſte Corps Blücher's durch die Barriere der Militärſchule, ein Theil 
Sir von Weilington's Armee durch die von &t.- Denis, ein. Am folgenden Tage kehrte Aud- 
Ab wig XVIll. nach 9. zurüd, dem am 10. der Kaifer von Rußland und der König von Preußen 
zu folgten. Rach langen Verhandlungen wurde endlich zu P. 20. Rov. der Friede (zweiter Bari. 
> fer Friede) unterzeichnet. 
X ris (Graf von), |. Orleans (Haus). ' 
* rifienne oder Pariſer Hymne heißt das von Eafimir Delavigne zur Verherrlichung der 
es Julirevolution gedichtete und in Frankreich fehr popular gewordene Freiheitslied, Das gleich der 
kt} Marfeillaife in den Auffländen der folgenden Jahre oft angeflimmt wurbe und mit den Worten 
;= anhbebt: „Peuple frangais, peuple des braves etc.” j 

Paritätifch nennt man einen Zuftand ober ein Verhältniß, woran zwei verfchiebene Reli⸗ 
gionsparteien gleichberechtigt Theil nehmen. So gibt es paritätifche Univerfitäten, d. h. ſolche, 
welche für Katholiken und Proreftanten zugleich bie entfprechenden Lehrmittel und Anftalten (alſo 
in&befondere eine kath. und eine proteft. theologtfche Facultät) Darbieten. Paritätiſche Staaten 
nennt man die mit ungefähr gleich flarker und gleichen Rechtsfchuges fich erfreuender kath. und 
proteft. Bevölkerung. In früherer Zeit gab es auch paritätifche Regierungen in manchen Reichs⸗ 
ftädten, z. B. Augeburg, entweder fo, daß der Magiftrat aut Katholiken und Proteflanten zu 
faramengeiege war, ober daß beide Religionstheile im Regimente wechfelten. 

Park nennt man im engern Sinne einen großen, mit Anlagen und Wald abwechfelnden, 
eingefriedigten und zum Hegen bes Wildes beftimmten Rafenplag. Derartige Parks hatten 
ſchon die alten Römer an ihren Villen, um das Vergnügen der Jagd deſto ungeftörter genießen 
zu formen. Am berühmteften waren ber Hark des Pompejus und der des Hortenfins. Als im 
47. Jahrh. in Frankreich die Gartenkunſt mehr cultivirt wurde, fanden die fireng fommetrifchen 
Bartenanlagen im Geſchmacke Lenotre's von Frankreich aus faft auf den ganzen Continente 
Berbreitung. Nur in England ging man auf diefe Mode nicht ein, und es hat auch noch gegen- 
wärtig diefes Land bie ſchönſten Parks aufzuweiſen. Auch auf dem Continente kehrte man feit 
dem Jegten Viertel des 18. Jahrh. wieber in verfüngtem Maßftabe zu den eigentlichen Parks 
zurüd, die man nım auch Englifche Anlagen nannte. Die ſchönſten Parks in Deutfchland find 
die zu Wörlig, Schwegingen, Laxenburg, Muskau, Branig, Babertöberg, Reinhardobrunn 
und Rymphenburg. 

art bezeichnet in der Militärfprache denjenigen Mag, wo eine größere Menge von Ge 
ſchützen oder Artilleriewagen, zu einer Belagerung u. ſ. w. vereinigt, aufgeftellt ifl. Man hat 
daher im Ullgemeinen Belagerungs-, Gefhug-, Mimitions- und andere Parks. Dem Park 
ſteht ber Train (f.d.) entgegen. | 
j Barker, eine in den Annalen der brit. Marine berühmte Familie, ftammte von Hugh P., 
„ Wlderman in London, der 1681 zum Baronet erhoben wurde und 1697 farb. Deffen Grof- 

. neffe, Sir Hyde P., widmete ſich bem Seedienfte, kämpfte tapfer gegen Franzoſen und Spa⸗ 
nier, ward Viceadmiral der Blauen Flagge und lleferte 5. ug. 1781 dem hol. Admiral Zout- 
„ man die blutige Schlacht bei Doggerbant, in ber zwar beide Theile ſich den Sieg zufchrieben, 
3 die aber mit der Vernichtung breier hol. Schiffe und dem Rückzuge der übrigen in ihre Hafen 
y endete. Im 3.1783 wurbe P. zum Oberbefehlöhaber der brit. Flotte in Oſtindien ernannt, 
. verunglückte jedoch auf der Hinreiſe zur übernahme ſeines Commandos, indem das Schiff, auf 
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welchem er ſich befand, mit Mann und Maus unterging. Sein zweiter Sohn, Sir Hyde $;, 
zeichnete fich im amerif. Kriege aus, mard von Georg I. zum Ritter gefchlagen und blockirte 
1782 mit einem Meinen Gefchwaber die holl. Häfen. Im 3. 1795 commanbdirte er die brit. 
Seemacht in Weftindien und erhielt im März 1801 den Oberbefehl über bie Flotte, DIE nach 
der Dftfee gefandt wurde, um der von Paul I. gebildeten nordifchen Coalition entgegenzutreten. 
An dem Erfolge der Schlacht von Kopenhagen hatte er keinen Antheil, da fie von Nelfon gegen 
feinen Willen geliefert wurde. Durdy fein Erfcheinen vor Karlskrona erzwang er ſedoch bie 
Neutralität Schwedens und ftand im Begriff, nach Kronftabt zu fegeln, als die Nachricht von 
dem Tode Paul's den Feindfeligkeiten ein Ende machte. P. kehrte nad) England zurüd und 
ftarb als Admiral der Weißen Flagge. Sein Vetter, ber. Biceadmiral Sir William P., trug 
zum Siege über die franz. Flotte 1. Juni 1794, noch mehr zum glüdlichen Ausgange der 


 . ; Yu en: di — 
QAbi von St· VBun⸗t 14. Behr. 1797 bei und 
er 31. Dec. 1802 auf feinem Landfige zu 
‚geb. 17716, chei ſich in dem ‚tigen und Amerikaniſchen 
avh brachte 1783 den gefangenen —S— de — —— —— 
meheleel erhielt. Er war zulegt Mdical der Flotte (Admiral ol ihe Meet): mit Bi 
ee . beit. Marine hochverehtt, 24. Dex. 18411 im-feinem 96.3 
memoir of Ihe late Sir Peier P.” (ond. 1845). ‚Sein 
Vena eo. Peter B., geb. 1785, wurde bei. Grftürmung des amerif, 
Baltimore im Aug. 1814 getödtet. — Parker (Sir George), Neffe Sir Peters, 
n 3. als ini die Marine und. diente mit Auszeichnung ſowel ind 
kn Iubien. Im 3.1807 erhielt er das Commando einer Escadre in der Dfkfer, 
6 bän. Dr Prinz Chriftian Frederik von 74 — toben 
— Romana in den Stand ſehte, mit feinem Corps 












4 
& 
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Jugend 

Kapitän. Ws Befchlehabe —— Kr nahm er 15. März 1806 — 
*2 55 bes fi. —— 9 örige Bre 

ab vemöcpäigte fid) 1809 ber Gitabelle von Berrol. Er erhielt das —— 
— — 1832 daß engl. 
Img 1885 wunder — ralität ernannt, welchen Poſien er IB44. verlieh 

r der zu den Operationen gegen *8 beſtimmten 
‚übernehmen. ——— mit ‚dem -Zruppencorp® unter Gough sroberte ex 
Hingpe, Tihapu, erzwang den Eingang in den Yangetferang und erſchien englich vor 
Uing, wo bie akenfe ber am &rieden bittenden chineſ Bevollmächtigten feinen weitern im 





-  fheitten ein Biel fepte P. ward im Mon. 1844 zum Baronet erhoben und 


An Dierhefehl der Biotteim Mitteländifchen Meere, wo der Ausbruch der ital. 

As ihm Gelegenheit gab, auch in die politiſchen Verhältniffe vielfach einzugreifen. Doch, 

er ſich vergeblich, zwiſchen der neapolit. Regierung und den infurgirten Sicilianern zu wermirtle 
Im derbſie 1849 ſegelte er auf Einladung Sir Stratford Canning's nach den Dardanda 
um die in der Slüchtlingefrage von Oſtreich und Rufland bedrohte Pforte durch die Ausfik | 
auf brit. Unterftügung zu ermuthigen. Alsdann wandte er fich im Jan. 1850 nach Arhen m! 
nöthigte durch eine Blodade der griedh. Häfen die dortige Regierung, ſich den Boberungen&y | 
lands zu fügen, worauf er nach Malta zurückkehrte. Nachdem er noch im April 1851 jm 
Admiral der Blauen Flagge befördert worden, legte er dad Commando der Flotte int 
Hände des zu feinem Nachfolger ernannten Dundas nieder, — Nicht mit ihm zu m 
wechfeln ift I Viceadmiral Hyde P., der feit März 1852 den Poften eines älteften Marie 
lorde der Admicalität bekleidet. 

Barker (Theodor), amerit. Geiftlicyer, wurde ald der Sohn eined unbemittelten Randımam) 
gegen das 3.1810 in Maffachufetts geboren. Die Rüge feiner Altern erlaubte nicht, ihm en 
befjere @iementarbilbung zu geben al8 die, welche der Staat in einer Kreisfhufe bot. Um fein 

ſſensdrang durch den Beſuch höherer Lehranftalten zu befriedigen, mußte er felbft Untenis 
in Dem ertheilen, was ex bereitd gelernt Hatte. So machte er zuerft die Gymnaſial · und bee 
die Univerfitätöftudien zu Gambridge und promovirte mit großer Auszeichnung, worauf er in 
Anftelung ald Prediger bei einer Gongregationaliftenticche i in Bofton erhielt. Die freifinnipe 
Anfichten, die er ſowol von der Kanzel herab als in ber feit 1840 von ihm in Verbindung # 
Gmerfon, Brownſon und Margaret Fuller herausgegebenen Zeitfchrift „Dial“ entmickelte, # 
zegten jedoch im firenggläubigen Neuengland fo viel Anftoß, daß P., der unterdeffen eine mid 
Heirath gethan hatte, fich genöthigt fah, fein Amt niederzulegen. Er begab ſich nad) Eur 
wo er zwei Jahre lang England, Deutſchland, Frankreich und Italien bereifte und fich mit | 
Riteratur diefer Länder vertraut machte. Namentlich erwarb er ſich eine feltene, bis ini « 
naueſte Detail gehende Kenntniß der deutſchen Sprache und machte fich überhaupt mit deusfäs 
Wiſſenſchaft bekannt. Als er 1844 nad) feinem Vaterlande zurüdfehrte, fand er feine War ' 
ſachet verſtummt. Man foderte ihn auf, die Kanzel von neuem zu betreten, und bald wur 
feine Borträge fo befucht, daß Feine Kirche Boftons an Räumlichkeit genügte und er diefelbenis 
Melodeon, dem größten Concertſaale der Stabt, alten mußte. Dem europ. Publicum weurdet 


Parlament | 7 


durch die 1849 in London erſchienene Sammlung feiner „Critical and miscellaneous works“ 
befannt, in welcher ſich beſonders die Abhandlungen über das Chriſtenthum Chriſti, über das 
Vergängliche und Dauernde im Chriftentbume und über die deutſche rationaliftifche Echule 
durch Gedankentiefe und Originalität der Darſtellung auszeichnen. Den nachhaltigſten Ein- 
drud aber brachten feine „Ten sermons on religion” (Boſt. 1852; beutfch, 2p3.1855) hervor, 
weldye den Gegenfag zwifchen Theologie und Religion in fcharfer und einfchneidender Weiſe 
beleuchten und den überlegenen Geift des Verfaflers in feiner ganzen Fülle zeigen. Obwol noch 
immer von orthodorer Seite manchen Anfeindumgen außgefegt, gehört och P. zu den geachtet- 
fien Perfönlichkeiten in ben Vereinigten Staaten, da bie hohe Reinheit feines Charakters auch 
non feinen Gegnern nicht geleugnet wird und fein hirweißendes Rednertalent und tiefes Wiſſen 
ihm in ben weiteften Kreifen Einfluß erworben haben. 
Parlament (parlement, von parler, d. i. fprechen) hieß in Frankreich vor Alters jede zu 
emeinfamer Berathung veranftaltete Verſammlung, die einen öffentlichen Charakter trug. 
&befondere führte den Namen ber alte Pairshof (f. Pairs), der die Streitigkeiten der Reiche» 
unmittelbaren entfchied, ben Reichsrath vorftellte, fich aber mit der Zeit zur Reicheverfammlung 
des Adels und der Geiftlichkeit überhaupt erweiterte. Aus der Reichsverſammlung trat ſchon 
gegen die Mitte des 12. Jahrh. ein vom König ernannter Ausſchuß hervor, der bie Proceffe 
ber Großen verhandelte und die Beftalt eines Reichögerichts annahm. Die Barone und Prä- 
Laten, die in diefer Commiſſion das Richteramt als Lehnsdienſt verfahen.und oft dazu weber 
Luſt noch Geſchick befaßen, liefen fich es gern gefallen, daß ihnen der König feine Hofbeamten 
und rechtskundigen Räthe beiordnete. Allmälig bemädhtigten fich aber diefe Juriſten der Ge⸗ 
Ihäfte und drüdten dem Parlamente, wie man die Berichtscommiffion des Reichstags vor 
zugsweiſe nannte, den Charakter eines königl Obertribumals auf. Unter Ludwig IX. wurden 
die Gerichte im Krongebiet angehalten, an das Parlament zu appelliren, und auch bie Par 
teien aus den Territorien ber Großen thaten bied gern, weil das Parlament die Rechtspflege 
gründlich übte, fatt der Zweikämpfe den Zeugenbeweiß annahm umd als die rechte Hand be# 
Könige dem Richterſpruche Nachdruck zu verfchaffen wußte. Immer nody aber war dad Par⸗ 
lament eine zwar vom Konige berufene, jedocy vom Reichötage abhängige Commiffion, die nach 
bem altgerman. Rechtögrundfage, daß das Recht an Ort und Stelle gepflogen werden muß, im 
Lande herumzog. Erſt als Philipp IV. 1302 die Reichs ſtände oder Beneralftaaten (f. Htats- 
gendraux) ind Leben rief, wurden vom Reichstage die richterlichen Functionen formlich ge» 
trermt. Das Parlament, in feiner doppelten Eigenſchaft als Pairsgericht und Eönigl. Obertri⸗ 
bunal, nahm feinen feſten Sig zu Paris. In der Hauptfiudt eröffnete es nun jährlich zwei 
große Gerichtöfigungen und fandte von hier aus regelmäßig Commiffionen zur Abhaltung ber 
Lehnsgerichtstage (scaccaria, Schiquiers) nad) Rouen und Troyes. Kraft ihres Privilegiums 
erhielten fümmtlihe Pairs Sig und Stimme im neuen Parlamente, wovon fie aber felten Ge _ 
brauch machten. Unter Philipp V. wurde 1319 den Prälaten der Eintritt ind Parlament ent 
zogen. Weil fi) die Gefchäfte fehr Häuften, mußte ber König 1520 die Gerihtöfigungen per 
manent erflären und ben Räthen jährliche Befoldung bewilligen. Um den großen Zudrang der 
Juriſten zu hindern, die beim Gintritt Ritter (milites literati, chevaliers-ds-lettres oder en 
loix) wurben, beſchränkte Philipp VI. 1344 die Zahl der Räthe auf 78 und die der Präfibenten 
auf drei und erteilte dem Parlament zugleich das Recht, den Könige bei Erlebigungen neue Mit- 
—— zu praͤſentiren, was aber ſchon Karl VII. 1439 für immer abſchaffte. In dem erſten 
ahrhundert wurden die Vollmachten der Räthe jährlich erneuert. Ludwig XI. benutzte dies, 
um beſonders die Präfidenten beliebig abzuſetzen, ſah ſich aber 1468 zu einem Geſetz genöthigt, 
nach welchem fortan die Parlamentöglieder nur durch richterliches Urtheil ihre Stellen verlieren 
Eonnten. Mit Einziehung der Kronlehen und dem Erwerb fremder Länder errichteten die Kor 
nige audy in den neuen Gebietötheilen Parlamente; die mit dem parifer zufammen eine Corpo⸗ 
ration bildeten. Schon 1302 wurde das Parlament zu Zouloufe, 1451 zu Grenoble, 1462 
zu Borbeaus, 1476 zu Dion, 1499 zu Rouen, 1501 zu Aix, 1553 zu Rennes, 1620 zu Pau, 
1633 zu Mes, 1686 zu Douai, 1422 und 1676 zu Döle und Befancon, 1538 und 1762 zu 
Zrevoup und 1775 dad zu Nancy gegründet. Das Parlament der Hauptftadt wußte jedoch 
duch fein Alter und feine Verbindung mit dem Hofe, die Größe feines Gerichts ſprengels, ber 
das ganze alte Krongebiet umfaßte, durch befondere Privilegien, endlich durch den Grundfag, 
Daß es der Rechtönachfolger des alten Pairshofes fei, befonderes Anfehen zu behaupten. Kraft 
biefer Rechtönachfolgerfchaft ſprach fi) auch die Befammtcorporation die Theilnahme an der 
Staatogewalt zu und fuchte diefelbe durch eine gewiffe, freilich nur auf Obſervanz beruhende 


-„ Als der 


MA E 177: 
. Überwachung der Gefepgebung geltend gu machen. Gen früheſter Zeit nämkich m 
brauch geweſen, daß dad Parlament von Parie den königl. Ordonnanzen und Edle 
Eintragung derſelben in feine Protskolle (onregistrement) öffentlihe Wirkſamkei 
Geſetzeskraft verlich. Mit der Bernachläffigung der Generalſtaaten, ſchon ſeit Kä 
durften die Könige eine Urt Bekräftigeng Ihrer willkürlichen ohne alle Mitwirkung 
en und beflärkten dad Parlament In feiner politiichen Prätenfion, inden 
n nicht nur Die Fivil ⸗ und Criminalerlaffe, fondern auch bie wichtigſten Staat: 
bensfchlüffe, Verträge, Maforennitäts: und Regentfchaftebeflimmungen, jur Ein 
und Yubtication vorlegen. In ber Überzeugung, daß die Befugnif zu beſtätigen aı 
verwerfen.in fich fchließe, tweigerten fich BIP Parlamente nichrfelten, gemeiniſchãdliche Be 
gen zu beftätigen, ja fie wagten fogar, dem Hofe Borflellungen zu machen (remontr: 
Die erfte Remonftrang ernftlicher Urt unternahmen bie Parlamente, als Franz 1.1 
. mafifche Sanction (f. Karl VIEL), dad Palladium der Gallitanifchen Kirche, ohne 
durch ein Goncorbat mit dem Papfte vernichtete. Gegen feinen Willen verftärkte 1 
Getbfländigkeit der Gorporation, indem er alt Finanzmittel auch die Käuflichkeit di 
mentsämter einführte; dies geſchah umter ber Form einer Hohen Gaution, bie er dem 9 
dem Thürſteher abprefite.: Da der Staat nie mehr die Kauffummen, die nun feber N 
feinem "Borgänger zurückzahlte, wiebererftatten konnte, fo wurben bie Parlamentsgi 
möge ihres Gigentbumsrechts geiwiffermaßen mantafivar. Heinrich IV. erlaubte e 
Einführung der fogenannten Panlerte die Bererbung der Ämter, womit nicht nur der 
‚preis flieg, ſondern auch viele junge, unwiffende und kühne Männer in die Corporati 
of in den Religionswirren Partei ergriff, erhielten die Parlamente die Proc 
bie Keger. (©. Chambre ardente.) So furchtbar fie aber auch gegen bie Hugenot 
theten, vermochten fie doch nicht, Hecht und Geſeß ganz zu umgehen, und zogen fid 
die gung von Geiten des Hofe, der Guifen und ber fanatifchen Sriefterfchaft 
Darlamente umterflügten Heinrich IV. gegen bie Ligue (f. d.) ımd gelangten dafür nı 
Thronbeſteigung zu einem Einfluffe, ber dem Könige alsbald fehr Läftig fiel. Unter Zub 
erheben ſich die Parlamente gegen den Druck und die abfeheuliche Willkür des Hofi 
Nichelieu, um auch biefe legte Schranke gegen den abfoluten Thron niederzutreten, v 
den König in dem Lit de justice (f. d.) von 1640 den Parlamenten jede politifche G 
für allemal abzufprechen. Die Parlamente rächten fidh, indem fie das Teftament Ludn 
vernichteten und ber Königin Anna die ungetheilte Regentfchaft überließen. Weil 
Regentin an Mazarin’® (f.d.) Hand den Despotismus der vorigen Regierung fort 
bie Corporation beeinträdytigte, verbanden ſich die Parlamente unter dem Scheine des 
wohls mit den Großen und veranlaßten dadurch die Unruhen der Fronde (f. d.), aus 
. königl. Gewalt nur um fo ſtärker hervorging. Ludwig XIV. brüdte bie Parlamente zu 
lichen Gerichtshöfen herab, die fogar nach feinen Abfichten nicht felten das Necht n 
traten. Selbft der Aufhebung des Edicts von Nantes wagte man fich nicht zu wi 
Deffenungeachtet hatte die Corporation, als der König 1715 ftarb, ihre frühere 8 
nicht vergeffen. Das Parlament von Paris vernichtete fogleich die teftamentarifchen 
mungen des Königs, degradirte deffen legitimirte Söhne, ſprach dem Herzog Philipp 
léans (f.d.) die abfolute Regentſchaft zu und erhielt dagegen ausdrücklich das Nemonfl 
zurück. Sein Widerſtand gegen die gefährlichen Finanzprojecte Law's (f. d.) erweckt 
den Zwieſpalt mit dem Hofe aufs neue. Das Parlament hielt eigenmächtige Plenarı 
(ungen (unions), faßte und veröffentlichte Beichlüffe (arr&is), die denen des Staatsra 
genliefen, ftellte endlich die Juſtizpflege ein und wurbe darin von ben Parlamenten 
vinzen unterftügt. Der Regent nahm hingegen, auf Dubois' und Argenſon's Rath, 
poration bie politifchen Befugniffe und verbannte das Parlament von Paris nad ' 
Kaum mwar dieſer Skandal beigelegt, als auch der Krieg mit der Mündigkeit Ludn 
wieder ausbrach, um eigentlich nie mehr zu enden. Vergebene ftellten fih die Parlan 
heillofen Politif des Hofs im Innern wie im Auswärtigen entgegen. Durch Beil 
Miniſters Choifeul (f.d.) und der Pompadour (f. d.) gelang es ihnen endlich, ihren a 
tifchen und kirchlichen Feind, den Jefuitenorden, zu Boden zu werfen, ımb diefer große 
ihnen Muth, nun auch der Finanzpolitik des Hofd entgegenzutreten. Nachdem ve 
Seiten die gewöhnlichen Mittel erfchöpft, wagte ber Kanzler Maupenn (f. d.), unterft 
die Dubarri (f. d.), bie Parlamente im San. 1771 aufzulöfen und an deren Stelle eir 
Gerichtshof zu organifiren. Wiewol die Parlamente Tängft ſchon mehr für ihre mit di 








Parlament 673 


kratie verwachfenen Sonderintereffen als fuͤr das öffentliche Wohl ftritten, erregte diefer Streich 
Doch die tieffte Empörung der öffentlichen Meinung. Eine der erften Regentenhandlungen 
Zudwig's XVI. war darum die Herftellung der alten Corporation. Bald zeigte es fich jedoch, 
daß die Parlamente die Lage des Staats und die Bedürfniffe der Nation weder begriffen, noch 
in Rückſicht auf ihre eigenen Vortheile begreifen wollten. Sie verhinderten dic Refornibeftre- 
bungen des Könige, Malesherbes', Turgot's, Neder’s und ftellten ſich fogar in Verbindung 
mit dem hohen Adel der durch die Rotabeln bewilligten Einführung der allgemeinen Grund- 
fleuer und Stempeltape entgegen. Der Minifter Lomenie de Brienne (ſ. d.) erzwang endlich 
durch das Lit de justice von 1787 die Einregiftrirung der Finanzedicte, verbannte das wider⸗ 
fpenflige Parlament von Paris nach Troyes und wagte 1788, nad) furzer Verföhnung, bie 
Auflöfung der Corporation, die vor ber Hand ein Hofrath (cour pleniere) erfegen follte. Recker 
ftellte zwar die Parlamente wieder her; allem die Zufammenberufung der Generalftaaten ent- 
fefielte den Strom der Revolution, ber die alte Monarchie mit ihren Inſtituten (f. Rational. 
verfammlung) verfchlang. Die Parlamente wurden durch ein Decret vom März 1790 auf- 
gehoben. Vgl. Voltaire, „Histoire du parlement de Paris” (Par. 1769); Dufey, „Histoire 
des actes et remontrances des parlements” (2 Bbde., Par. 1826) ; Warnfönig und Stein, 
„Franz. Rechts und Staatsgeſchichte“ (3 Bde, Baſel 1843 — 47); Schäffner, „Geſchichte der 
Rechtsverfaſſung Frankreichs“ (Bd. 1, Fkf. 1845). 

Die Eroberung Englands im 11. Zahrh. durch die Normannen zog hier die Einführung 
des Lehnſtaats fowie franz. Sitten und Sprache im öffentlichen Leben nach fich und hatte auch 


- zur Folge, daß an die Stelle des angelſächſ. Volksraths die Reichsverſammlung ber Barone, 
VPrälaten und königl. Bannerherren trat. Diele Reihsverfammlung, in ihrer Eigenfchaft ale 
Reichsrath und Pairsgericht, erhielt ebenfalls den Namen Parlament (parliament), und zwar 
‚ gebraucht ein Statut Eduard’s I. vom J. 1272 zum erften mal den Ausdrud. Indeſſen ver- 
- mochten die engl. Könige nicht, das alte Parlament, mie es in Frankreich gefchah, zum Ponigl. 
DObergericht herabzufegen, vielmehr wurde daffelbe die Grundlage zur Entwidelung einer voll- 
. fländigen Nationafrepräfentation. Als nämlich unter Eduard IN. (1527 — 37) die Abgeordne⸗ 
: ten der Städte und Graffchaften als Dritter Stand in die Reichsverſammlung eintraten, ſchied 


fi zwar der alte Pairshof in eine befondere Corporation ab, behielt aber ald Dberhaus (house 
of peers) nebft der oberften Gerichtöbarkeit auch die volle Theilnahme an der politiihen Ge⸗ 


‚ alt und bildete fortan mit dem Unterhaufe (house of commons) zufanmen die ftändifche Ver- 


tretung der Nation oder das Parlament. (&. England.) Auch in Schottland verwandelte 


fich mit der Entfaltung des Lehnweſens aus dem Volksrathe der großen Eigenthümer ein 


Neichsrath der unmittelbaren Kronvafallen, der geiſtlichen und weltlihen Barone, der feit 
Malcolm I. den Namen Parlament geführt haben foll. Vielleicht ſchon feit Robert I. traten 
auch Abgeordnete ber Städte in dieſes Parlament; doch kam es zu keiner Trennung, weil das 
bürgerliche Element ſowol an Zahl wie an Einfluß äußerft ſchwach blieb. Die politifch” Ge⸗ 
walt des Parlaments war fo groß, daß die Könige, die aus der Ariftofratie hervorgingen ei⸗ 
gentlih nur das Amt eines Parlamentspräftdenten verwalteten. Zwar bemühten ſich die Kö⸗ 
nige feit Jakob I., die Macht der unbändigen Ariftofratie durch Verleihung von Privilegien an 
bie Städte zu brechen ; allein ihre Bemühungen blieben ziemlich fruchtlos. Der republitanifche 
Geiſt, der fich mit der Verbreitung der Kirchenreformation im ſchott. Volke überhaupt Bahn 
brach, verlieh auch dem Parlament der Krone gegenüber einen noch felbftändigern und hatte 
nädigern Charakter. Das ſchott. Parlament war das erfte. welches gegen den Despotismus 
Karl's 1. zu den Waffen griff und hiermit die Revolution und die Bermandelung der drei Reiche 
in die Republik einleitete. Wiewol das fchott. Parlament mit der Reftauration der Stuarts 
feine Selbftändigfeit wiedererhielt, zeigte e& fich doch gegen die Krone weniggefügig imd fonnte 
unter Karl II. wie unter Jakob II. nur durch engl. Streitkräfte in Untermürfigfeit gehalten 
werden. Erſt nach der zweiten Revolution von 1688 gelang ed Wilhelm III., unterflügt von 
dem Einfluſſe und der großen Gewalt des engl. Parlaments, die ſchott. Starrheit zu brechen 
und dem bürgerlichen Element im Parlament das Übergewicht zu verfchaffen. Die Leichtigkeit, 
womit fich jegt der Hof die Maforität im Parlament ficherte, der Drud engl. Minifter und 
Beamten, die Koftfpicligkeit des eigenen Staatshaushalts brachten endlich, trog der Eiferfucht 
beider Nationen, 1707, unter der Königin Anna, die Vereinigung Schottlands und Englands 
zum Reiche von Großbritannien (f d.) zu Stande. Das ſchott. Parlament wurde mit dem engl. 
verfchmolgen; 46 gewählte fchott. Pairs traten ind Oberhaus, und 45 fchott. Abgeordnete der 
Gonv.⸗Lex. Zehnte Aufl XL 43 


514 ‚Parlament 

übte, lecken und Grafſchaften erhielten Sig und Stimme ım Unterpaufe. (S. 
— Grkang San mg ider bildete ſich ebenfalls aus den 
Baronen und den Prälaten ein irländ. Parlament, das allmälig aud) Die unterworfenen 
Baronen erhobenen itifchen Häuptlinge, ſowie die Abgeordneten der Städte aufnahm und 

‚abefheinfich Thon unter Eduard ILL. in ein Ober» und Unterhaus fonderte. Jakob I. mei 
40 Bleden das Abgeordnete ins Parlament zu ſchicken, ſodaß 1615 das Unterhaus 2 
Mitglieder, das Oberhaus 122 Peers zählte; aber er that dies nach feiner eigenen Verſi 
nur, um das Parlament durch die Maffe der rohen und ärmlichen Mitglieder zur ſch 
Karl I. verfammelte in Irland lange Fein Parlament; erft 1654 durfte es zufamme 
wurde jedoch von dem Statthalter Strafford, nachdem es Subfibien bewilligt, ſogleich 

fen. Die Unterdrückung, welche Irland zur Zeit Crommell's erfuhr, vermichtete fall 
lich bie Selbftändigkeit des Parlaments, aus dem man die Katholiten, folglich die Iren jd 
vertrieb. Nach der Reftauration der Stuarts 1661 befand ſich mur,ein Katholik im il 
Unterhaufe, und dieſes Misverhältnig blieb, obgleich die Parlamentsglieber in Irland 
nad) der eftftellung ber ptoteft. Thronfolge weder den Suptemat- noch den Zefteid ſe 
durften. Erft mehre Jahre fpäter brachte es das brit. Parlament, welches die Erkraſ 
Irlands aus dem kirchlichen und politifchen Gefihtöpunfte mit Strenge übermachte, zur‘ 
führung diefer beiden Eide, womit den kath. Eingeborenen jede Theiln ‚am öffent 
eben aͤbgeſchnitten wurde. Zugleich wurden bie Beſchlüſſe des itiänd. Parlaments der d 
malt des engl. unterftellt, was jedoch feit 1779 gefeplich nicht mehr der Fall fein follte. 

litifhhe Vereinigung Irlands mit Großbritannien, welche das Minifterium Pitt 1800 

e der Parlamentsglieder durchfegte, D endlich die Auflöfung und Werfd 
des irländ. mit dem brit. Parlamente nach fi. Das beit. Parlament ; hiermit den 
men Imperial parliament an; 52 gewählte irländ. Lords und Peers nebft vier Bifhöfns 

Sig und Stimme im Oberhaufe und 100 Abgeordnete der Graffchaften, Sräl 
im Unterhaufe. Die Abſchaffung des Teſteldes 1829 durch die Em— 0 
ſchaffte den Irländerndie Möglichkeit, auch Katholiten in das Parlament zu fenden. (S. Je 
‘ Parlament von Großbritannien zählt im Haufeder Gemeinen feit der Reformart 
1832 658 Abgeordnete, nämlich 471 für England, 29 für Wales, 55 für Schottlanded 
405 für Irland. Die Zahl der Peers oder Mitglieder des Dberhaufes iſt Beine feftfichenk 
weil die Krone das Recht hat, neue Peers zu ernennen: 1847. betrug diefelbe 455. Alle fin] 
Jahre wird das Unterhaus durch Wahlen vollftändig erneuert; daffelbe gefchieht bei me 
Auflöfung durch die Krone. Das Parlament hält jährlich Sigungen gewöhnlich vom Nom 
beroder December an, die etwa ein halbes Jahr dauern. Es befigt bedeutende Privilegien in 
zug auf feine Selbftändigkeit und die Rechte feiner Mitglieder. Seine Sigungen find öffentidi 
doch if der Raum für die Zuhörer nicht groß ; die Verhandlungen werden von den verfdide 
nen Zeitungen aufs vollftändigfte mitgetheilt; eine officielle Herausgabe derfelben, wie .S 
feiner Zeit in Frankreich durch den „Moniteur“, findet nicht ftatt, wol aber eine der eigentlde 
Arten des Parlaments, d. h. aller im Parlamente zum Nortrag oder zur Vorlage fommends 
Actenſtücke, Berichte u. dgl., und zwar durch das Parlament felbfi. Den Vorfig im Unterhask 
führt ein von biefem gewählter „Sprecher (speaker), in Oberhaufe der Kordfanzler. Di 
Peers Fönnen durch Vollmachten abftimmen. Da nad) den gefeglihen Herfommen kein 
geordneter fein Mandat niederlegen darf, fo befteht die Fiction, daf ein folcher die Chiltre- 
hundreds, ein faft nur zu diefem Zwecke beftehendes Scheinamt, von der Krone annimmt, me 
durch eine Neuwahl nothwendig wird. Die Minifter können nur in demjenigen Haufe 
Parlaments erfcheinen, deffen Mitglieder fie ald Peers oder durch Wahl find. Uber bie Pre 
legien fowie die Gefhäftsordnung des Parlaments vgl. Erskine, „A treatise upon them 
privileges, proceedings and usage of parlament“ (Xonb. 1844). 

Nach dem Mufter Englands hat man wol auch anderwärts der Nationalrepräfentation die 
nennung Parlament gegeben, wenngleich der eigentliche amtliheNameanders Iautete. So d 
wurde die Deutfche Nationalverfammlung zu Frankfurt a. M. 1848—49 im gewöhnlichen ® 
ben beinahe häufiger das Frankfurter Parlament genannt, ebenfo die Vertretung der zur pred 
Union gehörenden Staaten 1850 nach dem Orte, mo fie tagte, bas Erfurter Parfament. Ale 
meiner noch ift ber Gebrauch der abgeleiteten Worte: parlamentarifh und Parlamentariimd 
Parlamentarifch pflegt man alles Das zu nennen, was ſich auf die Thätigkeit folcher beraten 
den Berfammlungen überhaupt bezieht. Daher fpricht man von einer parfamentarifchen Bert 
famteit, von parlamentarifchen Ausdrücken (folchen, welche in den Verhandlungen einer ber 














Yarlamentär Yarma (Herzogthum) 675 


tigen Verſammlung ſchicklicherweiſe gebraucht werben tonnen). In einem weitern und höhern 
Sinne bezeichnet man mıt dem Worte parlamentarifch diefenigen Einrichtungen, melde in 
ähnlicher Reife, wie dies in England durch da6 Parlament gefchieht, den in einer Nationalre⸗ 
präfentation gefeglic, dargeftellten Volf&willen zum ausichlaggebenden Momente in ber Lei⸗ 
tung aller öffentlichen Angelegenheiten machen. Befonders gebräuchlich ift der Ausdrud par⸗ 
Iamentarifhe Regierung, womit eine foldye Regierungsweife bezeichnet wirb, bei welcher 
die formell höchſte Autorität im Staate, der Monarch, feinen Willen der Sache nad) in- 
fofern dem Nationafwillen unterordnet ober Doch mit diefem in Einklang zu fegen fucht, ald er 
feine Minifter aus der parlamentarifhen Majorität, db. h. der Mehrheit der Nationalvertre- 
tung, nimmt, folglich im Einvernehmen mit diefer Mehrheit, als der vorausfeglichen Vertrete⸗ 
rin der Majorität ber Wähler, regiert. Parlamentarisinus aber heit dasjenige politiſche 
Syſtem, welches die Nothwendigkeit einer parlamentarifchen Regierung und der bazu gehöri« 
gen Einrichtungen behauptet. (S. Eonftitutionelled Syſtem.) 

Parlamentär heißt in der Kriegöfprache ein Abgefandter an den Feind, um Unterband- 
lungen anzufnüpfen, Mittheilungen und Yuffoberungen zur Capitulation u. |. w. zu über 
bringen. Gewöhnlich wird ein Offizier dagu gewählt. Derfelbe ift nach dem Kriegögebraud 
unverleglich; doch muß er ſich als Parlamentär dur Schwenten eined Tuchs oder Trom- 
meln, Blafen eines ihn begleitenden Zambours oder Trompeterd anfündigen. Antommenbe 
Darlamentärs find mit großer Vorficht zu behandeln, da fie oft mit geringfügigen Aufträgen 
geſchickt werden, um zugleic) zu recognosciren. Sie werden von den Vorpoften angehalten und 
fo viel als möglich gehindert, etwas zu fehen, bis der Offizier der Feldwache herbeilommt und 
ihnen entweder die Depefchen gegen Empfangfchein abnimmt oder fie, wenn fie mündliche Auf⸗ 
träge an einen höhern Befehlöhaber bringen, mit verbundenen Augen auf Ummegen zu biefem 
führen läßt. Im Seekriege fünden fih Parlamentärs durch cine befondere Barlamentärflagge 
ihres Bootes an. 

Parma, Herzogthum im obern Italien, am rechten Ufer des Po gelegen, im N. von dem 
Lonibardifch-Venetimifchen Königreich, im W. von Sardinien, im D. von Modena und im ©. 
bon den Apenninen begrenzt, die es vom ehemaligen genuef. Gebiete und von Toscana trennen, 
befteht aus den Herzogthümern Parma und Piacenza (f. d.) und hat nad) der 1847 erfolgten 
Abtretung des Herzogthums Guaftalla (|. d.) an Modena (f. d.) und der Einverleibung mehrer 
SBrenzdiftricte von Modena und Toscana ein Areal vn 113 QM. mit 502841 €. (1851). 
Sm Süden wird ed von den Apenninen durchzogen, bie im Monte-Penna und Monte-Drfaro 
bis über 5000 $., im Monte-Alpe di Euccifio bis zu 6590 $. auffteigen. Nach dem Po zu 
flacht fich der nördliche Theil des Landes zur lombard. Ebene ab; die mittlern Vorgebirge jedoch 
find mit Eichen- und Kaftanienwäldern bedeckt. Der Hauptfluß ift der Po, welcher die nördliche 
Grenze bildet und die Heinen Flüſſe Bardinezza, Tidone, Trebbia, den Zaro und die Parma 
bier aufnimmt. Das Klima ift zwar gefund, aber weniger mild als in dem ſüdlich von den 
Apenninen gelegenen Italien, der Boden befonders in den nad, dem Po fi hinz iehenden 
Ebenen fruchtbar an Getreide, Hülſenfrüchten, Dliven, Reis, Obſt und Wein. Naͤchſt dem 
EAckerbau befchäftigen ſich die Einwohner vorzüglich mit Seidenbau, Rindviehzucht, Käſeberei⸗ 
tung, Geflügelzucht, Bergbau auf Marmor und Alabaſter, Salzbereitung und Bergölgewinn. 
Die Induſtrie iſt unbedeutend und beſchränkt ſich faſt nur auf Bearbeitung der Seide, der Han⸗ 
del mit den Nachbarſtaaten aber ziemlich lebhaft. Die Regierungsform iſt monarchiſch. Po- 
aͤtiſch iſt das Herzogthum ſeit 4. Nov. 1849 in die fünf Provinzen Parma, Val di Taro 
oder Borgo San-Donnino, Piacenza, Borgotaro und die Lunigiana mit dem Hauptorte Pon⸗ 
seemoli eingetheilt. Die Verwaltungsvorftände der zwei erftern heißen Gouverneure, bie ber 
drei legtern Präfecten. Die herrfchende Religion des Landes ift die Patholifche, unter den vier 
Bifchöfen von Borgo San⸗Donnino, Parma, Piacenza und Pontremoli; boch gibt es auch 
einige Juden. Das Unterrichtswefen, obgleich in neuerer Zeit etwas verbefjert, ift immer noch 
ſehr vernachläſſigt. Die Nechtöpflege wird nach ben Beflimmungen de6 Code Napoleon in erfter 
Inſtanz durch die Präturen, in zweiter durch die Civif- und Criminaltribunale zu Parma und 
Piacenʒa verwaltet, von welchen die Appellation weiter an das Revifionstribunal zu Parnıa 
geht. Die höchſte Centralbehörde ift ber Staatsrath in zwei Abtheilungen, beren eine mit ben 
innern Angelegenheiten und der Juſtiz, die andere mit den Finanzen, dem Militärwefen und 
den auswärtigen Angelegenheiten fich befchäftigt. Die Staatseinfünfte Betragen 9,571685 Kire 
(nämlich 9,292585 Lire regelmäßige Einnahme und 279100 Lire außerorbentiüher Erfag ber 


ers Poatrna (Bergeghum) _ . u 

‚dem Staatsfchage gemachten Vorſchüſſe), die Gefammtausgaben 9,556900 Lire 

"34785 Lire), das 56 MIN. Lirc, die Schulden 6,700000 Lire (1 
AMU. als Neft der Confolidatos vom J. 1827 und 2,700000 Rire gezwungene Anleihe vom 
3.1849). Das Militär, nad) öftr. Weife organifict, beftcht aus 6113 Mann mit 612 Pferte 
Im activen Dienfte und einer Neferve von 2482 Mann mit 100 Pferden, Iularamen auf 
Rriegöfuß 8597 Mann mit 742 Pferden. Außer der Feftung Piacenza, in welcher die £ 
teicher nad) einem Vertrage das Befagungsredht ausüben, hat P. noch ein Gaftell in feine 
£ fabt und die beiden Forts Bardi und Gaftello di Compiano. Das herzogl. Haus ha 

en Nitterorden, den Konftantinorden, den die griech. Kaifer aus der Familie der Kommene 

4190 geftiftet Haben. Einer ihrer Iegten Abkömmlinge überfich das Großmeiſterthum des Dr- 
dens 1699 an den Herzog von P. Im J. 1816 wurde der Orden erneuert. Das Großmeifter 
thum deſſelben behauptet auch ber König von Neapel, Die Landesfarben find feit Aug, 1851 
roth blau und gelb; die Farbe der Fahnen weiß, von ben Randesfarben umfäumt. 

Die Städte Parma und Piacenza gehörten zur Zeit der Römer zum cisalpin, Gallien, the. 
ten nach dem Untergange des weltröm. Reiche das Schickſal der Lombardei, kamen zugleich mit 
dieſet unter die Hertſchaft der röm.-deutfchen Kaiſet und wurden, unaufhörlich nach Unabhän- 
gigkeit firebend, während des Mittelalters in die blutigen Kämpfe der Guelfen und Gpibelline 
verwidelt. Die innern Streitigkeiten und Parteifämpfe, durch welche diefe Städte auferden 
noch zertüttet wurben, benupten verfchtedene Gewalthaber, befonders aber die Häufer Efte un) 
Visconti, um fie unter ihre Botmäfigkeit zu bringen. Im Anfange des 16, Jahrh.-bemädhtige 
ſich Ludwig XII. von Frankreich und, nachdem fich die Ligue von Cambray aufgelöft.hatte, da 
Mriegerifche Papft Julius II. 1514 beider Städte. Papft Paul III, aus dem Haufe Farnd, 
erhob fie 1545 zu einem Herzogthume und belehnte damit feinen natürlihen Sohn Pierre Luigi 

\ fe, deffen Enkel der berühmte Kriegsheld Aleffandro Farnefe, der Statthalter der Nieder 
ie, war. Als der Mannsſtamm des Haufes Farneſe (ſ. d) mit dem Herzoge Antonio erlofd, 
wußte es Elifabeth, die Gemahlin Philipp's V. von Spanien, eine Tochter des älteften Bruden 
des Herzogs Antonio, durchzuſetzen, daß ihr Sohn Don Carlos die Herzogthümer P. um 
—— erhielt, die er aber bald darauf an Kaiſer Karl VI. als Entihädigung für das in 
jener Frieden 1755 ihm zugefalfene Königreich beider Sicilien überlies. Auch bei Oftris 
blieb P. und Piacenza nicht lange. Im Aachener Frieden von 1748 trat Maria Therefia bee 
Herzogthümer nebft Guaftalla an den fpan.Infanten Don Philipp ab, mit der Bedingung de 
NRüdgabe an Oftreich, falls der Mannsſtamm diefes Infanten erlöfchen oder einer feiner Nad 
tonımen ben ficil. oder fpan. Thron befteigen ſollte. Auf Philipp folgte 1765 deffen Sohn Fer: 
dinand, der beim Eindringen der Frangofen in Jtalien durch einen Frieden mit der Nepubld 
1796 fich den Befig feines kleinen Staats auf Bedingungen erhielt, welche er zumächfi fein 
ſpan. Abftammung und dem damals erneuerten Bündniffe Frankreichs mit Spanien verdankt. 
Doc zufolge einer Übereinkunft ziwifchen Frankreich und Spanien zu Madrid 1801 wurde 
dem Erbpringen Ludwig die Befigungen des Waters, das Großherzogthum Toscana, ımter dem 
Titel eined Königreichẽ Etrurien (f.d.) zugetheilt. Als daher 1802 der Herzog Ferdinand 
ftarb, nahm Frankreich ohne weiteres Befig von P., Piacenza und Guaftalla; doch murder 
erſt 1805 die Herzogthümer ald Depart. Taro dem franz. Reiche förmlich einverleibt. Dure 
den Parifer Frieden von 1814 und die Wiener Gongrefacte von 1815 Eamen die Herzogrhüme 
P., Piacenza und Guaftalla ald fouveränes Eigenthum an die bisherige Kaiferin von Frank 
reich, die Etzherzogin Maria Luife (f. d.), die den Titel Kaiferin und Majeftät behielt. Diee 
Verfügung wiberfprach ſedoch der König von Spanien, der die Herzogthümer für die chemalig 
Königin von Etrurien, die Infantin Marie Luife von Spanien, verlangte, deren verftorhen 
Gemahl 1801 feine Rechte an diefe Herzogthümer nur gegen den ihm zugeflandenen Befig sm 
Etrurien aufgegeben hatte und deshalb feinen Beitritt zur Miener Congrefacte verweigert 
Im Folge davon wurde nun durch einen befondern zu Paris 10. Juni 1817 abgefchloffenn 
Vertrag feftgefegt, daß die Öerzogthümer, mit Ausnahme des am lin en Poufer Fiegenden The 
der mit dem Beſatzungs rechte in der Feftung Piacenza dem Haufe Sſireich verbleibt, mach des 
Tode der Kaiferin Maria Luife an das von, der Königin von Etrurien abftammende Haus kLuca 
(1. d.) fallen, nach deffen Erlöfchen P. an Oftreich, Piacenya an Sardinien fällt, Die Herzogs 
tegierte im Ganzen das Land mild und gemäßigt, im Geifte des öftr. Regierungsfoftems, ate 
ohne alles Beftreben für fortfchreitende Cultur. Von den 1846 in Italien ausgebrochenen m 
dolutionären Unruhen blieb auch P. nicht ganz verfchont; doch bewies die Herzogin auch biete 
äpren milden Regierungsfinn durch das Erlaffen einer allgemeinen Amneftie. Als die Bemoher 


hr 


Parma (Derzogtäum) 677 


der Hauztftabt ven 16. Juni 1847, den Erwählungstag bes Papſtes Pius IX., durch Beleuch- 
tung ihrer Häufer feierten, wurden die durch die Strafen ziehenden Zufchauer plöglich dürch 
Gapaleriepatrouillen angegriffen, wobei über 80 Perſonen ſchwer verwundert wurden. Die 
Herzogin befand fi) zwar damals auf einer Reife in Deutfchland abmwefend ; gleichwol glaubte 
nıan, daß der Befehl, gegen jede liberale Kundgebung jogleich ſtreng einzufchreiten, unmit⸗ 
telbar von ihr ausgegangen. Daher zeigte fi) von nun an bie allgemeine Stimmung im Lande 
ſchwieriger, wenn auch vor der Hand der Unmille fi) nur gegen das Militär wendete. Anders 
geflalteten fich die Verhältniffe, als 17. Dec. 1847 die Herzogin farb und nun vertragsmäßig 
da6 Herzogthum P. an den ehemaligen Herzog von Lucca, Karl II. (f.d.) von Bourbon, 
fel, in deffen Namen die Mitglieder des bisherigen Conferenzraths fofort von dem Lande Befig 
ergriffen und 27. Dec. die Verwaltung übernahmen. Nach den mweitern Beſtimmungen bes 
Vertrags vom 10. Zuni 1817 und eines Tractats mit Toscana vom 28. Nov. 1844 mußte 
zugleih P. an Modena das Herzogthum Guaftalla nebft bem am rechten Ufer der Enza 
gelegenen Diftricte (zufammen 37; AM.), andererfeits aber Modena an P. die Diftricte von 
Villafranca, Treschietto, Gaftevoli und Malazzo in Maffa-Earrara (zufammen 1,5 AM.) ımb 
endlich Toscana an P. die Diftricre von Pontremoli, Bagnone, Filatierra, Groppoli und Lu⸗ 
ſuoli (aufammen 6,5 AM.) abtreten. Diefer vielfach verwidelte Gebietöaustaufch wurde von 
der Bevölkerung diefer Kandestheile um fo weniger freundlich aufgenommen, als durch denfelben 
hinfichtlich der Staatseinkünfte ein bedeutender Verluſt in Ausficht ftand. Überdies glaubte 
man auch in der Perfonlichkeit des neuen Negenten nur geringe Bürgichaft für ein gedeihliches 
Kortfchreiten des Staatslebens in P. zu erfennen. Sogleich nad) feinem Regierungsantritt 
hatte man ihm in einer Gefammtadreffe bie Gebrechen des Staats vorgetragen und die Bitte 
um Reformen ausgefprochen, wie fie foeben (Febr. 1848) Toscana von feinem Großherzoge 
erhalten hatte. Als Antwort auf diefe Petition erfolgte von Seiten des Herzogs ein noch enge- 
res Anfchliegen an Oftreich und 9. Febr. die Herbeiziehung eined Corps ungar. Truppen in das 
Land. Vergeblich begehrte man Entfernung der Truppen und freie Inftitutionen. Das Mis- 
vergnügen brady 20. März in eine volle Revolution aus, welche nicht ohne Blutvergießen ablief 
und den Herzog zu einer Capitulation zwang. Das bisherige Minifterium wurde entlaffen und 
Alles, was gefodert worden, bewilligt. Dagegen verlieh der Herzog das Rand nach Einfegung 
einer Regentfchaft, an deren Spige der Graf San-Vital ftand. Diefe machte 50. März die 
Grumdzüge einer Conftitution bekannt, nebft einem Handfchreiben des Herzogs, worin er unter 
Anderm das beantragte Grundgeſetz billigte und das Schickſal feines Landes und das feinige dem 
Sciedsrichterfprud, des Papftes, Karl Albert's von Sardinien und Leopold's von Toscana 
anbeimftellte. Durch eine andere Proclamation vom 9. April ftellte indeß ber Herzog die Ein- 
fegung einer proviforifchen Regierung anheim, die denn auch von dem aus 100 Mitglieden 
beftehenden Rath der Alten ernannt wurde, mit den Grafen Ferdinand von Caſtagnola an der 
Epige. Gleichzeitig fanden andere Vorgänge von noch größerer Wichtigkeit flatt. An den Re 
gierungsmwechfel fnüpfte fich zunächft ein Streit über die Landſchaft Runigiana, deren Bewohner 
fih, fobald der Herzog Karl fein Land verlaffen, fofort wieder mit Toscana vereinigten, fpäter 
aber doch die Vereinigung mit P. dulden mußten. Dann ſchloß fih, ald Karl Albert gegen 
Dftreich den Krieg begann, neben der Lombardei und Mobena auch P. durch Proclamation vom 
10. Mai an Sardinien an. So wurde P. in den öſtr. Krieg verwidelt, der indeß für das Land 
weiter feine wejentliche Folge hatte, ald daß ed von farb. Truppen befegt wurde, die gemäß des 
Waffenftillftandes vom 9. Aug. 1848 wieder abziehen mußten. Am 12. Aug. nahm der oflr. 
General d'Aspre Beſitz von P., umd 18. Aug. erließ der General Thurn eine Proclamation, 
Durch welche ein proviforifches Militärgouvernement und Graf Degenfeld-Schomberg als Gou⸗ 
verneur des Herzogthums eingefegt wurde. Als bein Wiederbeginn des Kriegs mit Sardinien bie 
öfter. Truppen ſich aus P. zogen, erflärte fi der Magiftrat der Hauptftadt 16. März 1849 aber- 
mals fiir Einverleibung in Sardinien und es rückten fard. Truppen ein, die nach der Schlacht 
von Novara den Öftreihern wieder Plag machten. Inzmifchen hatte 4. Mär, 1849 Herzog 
Karl IL. zu Gunften feines Sohnes Karl I. die Regierung niedergelegt. Da diefer fi in Lon⸗ 
don befand, ward nun zur Verwaltung des Landes eine Eentraljunta eingefegt, bis Ludwig IH. 
27. Aug. 1849 die Regierung in Perfon antrat. Nebft der Reftitution des alten Regierungd- 
ſyſtems erfolgte Beftrafung des Volkes für fein Benehmen während der Revolution. Schwer 
Gravirte wurden nad) einem furzen Verfahren hingerichtet, Andere außgepeiticht ; dem Rande 
verblieben eine firenge Polizei und öfte. Befagung. Im Sept. 1852 wurde ein Zollvertrag mit 
Oſtreich abgefchlofien, der mit dem 1. Febr. 1853 in Kraft trat. Die ganze Gunft des Herzas 


678 Parma (Stadt) Parmentier 


befigt fein Minifter, der Engländer Ward, dem aber die Stimmung des Landes Beinedwegt 
— Vol. Roffi, „Ristralto di stcria patria etc.“ (Piatenza 1829— 53). 
a, die befefligte Haupt und Nefidenzftabt des gleichnamigen Herzogthums, am ber 
Yarma, mit 40556 E,, in einer ſchönen Ebene, hat gerade, breite Straßen, angenehme Pre 
menaben, wenig größere Pläge, aber gut gebaute Häufer. Im ben Kirchen, deren es 55 gikt 
findet man Meifterwerfe von Gorreggio, Lanfranco und-Mazzola. Die Domkirche befigt is 
fhönen Kuppel das berühmte, aber ſchadhaft gewordene Frescoſtück der Himmelfah 
wi von Correggio und die Kirche des Deiligen Grabe deffen Madonna della scudelh, 
Die Kirche der-Madonna della steccata iſt wegen ihrer Schönheit, bie Kapuginerkirche als Exh- 
begräbniß des Daufes Barnefe merfwürdig. Zu den Merkwürdigkeiten der Stabt gehört, aufe 
mehren andern Paläften, das herzogl. Nefidenzfchloß mit einer Gemälde und Kunftfanmlung 
‚woraus jedoch ſchon 1754 die [hönften Stücke nad; Neapel gebracht wurden; ferner bas 1618 
erbaute Farnefe ſche Opernhaus, welches 10000 Zufcauer zu faffen vermag, feit langer Zi 
aber nicht mehr benugt wird; das Gebäude derr1482 gegründeten und einft berühmten, 1851 
aber aufgehobenen Univerfität; die Akademie der ſchönen Künfte mit einer Gemäldegalerie und 
mit einer Bildungsanftalt für 150 Zöglinge in der Malerei, Bildhauet · ¶ Bau- und Kupfe- 
ſtechtunſt; das Ospizio delle arti (für Gefang); die trefflich ausgsftattete Bibliothek von 
Bänden; das antiquarifce Mufeum; die Schule für den Adel; die Bodoni’fche Bud- 
druckerei. Vor der Stadt liegt aufer einer Menge von Gärten und Landhäuſern das herzogl 
Luſtſchloß Giardino mit ſchönen Gärten und fehenswerthen Malereien, ſowie der ammuchige 
lang, Stradone genannt; etwas nördlicher das herrliche Luſtſchloß Colorno, der ge 
liche Sommeraufenthalt der verfiorbenen Herzogin Marie Luife. Die Induftrie Ps de 
ſchrankt ſich hauptſächlich auf die Fabrikation von Strümpfen, Porzellan, Zuder, Wachs un 
"Glaswaaren, Seiden-, Hanf- und Barchentweberei; der Handel auf Seide und Käfe. Im 
Juni findet eine Art Meſſe für den Seidenhandel ftatt. Vgl. Affo, „Storia della citta di“ 
(4 Bde, Parma 1792— 95). - : 
arma (Herzog von), |. Cambaceres. 
‚megiano, lombard. Maler, ſ. Magola. 
armenides, ein griech. Philofoph aus Elea, der eigentliche Mittelpunkt der Eleatiſche 
Schule, blühte um die Mitte des 5. Jahrh. v. Chr., indem er 460 mit feinem Schüler Jen 
nad Athen am, mo er mit Sokrates verkehrte. Er ftand in hohem Anfehen, und Plato ſprich 
von ihm nicht blos ald Denker, fondern auch als fittlihem Charakter mit der größten Hod« 
achtung. In einem philoſophiſchen Lehrgedicht, welches nur noch in Fragmenten erhalten ik, 
fprach er den Grundgedanten der Eleatifhen Schule, daß Alles Eins fei, im firengfien Gegen 
fage zu der Deraklitifchen Lehre vom ewigen Werben dahin aus, daf nur das Sein fei: aufer 
ihm, dem einen Sein, ift nichts; es ift weder entftanden noch vergänglid, untheilbar, in fi6 
abgefchloffen, keines Andern bedürftig. Indem er ſich hütete, ben Begriff des reinen Seins, mie 
noch) Zenophanes gethan, mit dem ber Gottheit für identiſch zu erflären, fam er zu dem Saft, 
daß das einzige pofitive Prädicat, durch welches das Sein gebacht werden könne, das Denten 
fei.. Die Fragmente feines Lehrgedichts haben Fülleborn (Züllihau 1795), Brandis („Com- 
mentationes Eleaticae‘, Altona 1813) und Karften in den „Philosophorum Graecorum vete- 
rum reliquiae” (Bd. 1, Th. 2, Brüff. 1855) gefammelt und erläutert. 

„ Parmentier (Antoine Auguftin), ein ausgereichneter franz. Pharmaceut und Agrouem, 
geb. zu Montdidier 1757, kam ald armer Apothekerlehrling mit wenigen Kenntniffen nad 
Paris, brach ſich aber dafelbft durch fein Genie freie Bahn. Als die allgemeine Hungersnen 
1769 die Akademie veranlaßte, einen Preis auf die befte Abhandlung über diejenigen Vegetabe 
lien auszufegen, welche das Brot erfegen Fönnten, erhielt P. den Preis, indem er die Kartoffel 
empfahl und alle Vorurtheile beftritt, welche zwei Jahrhunderte hindurch den Anbau derfelben 
verhindert hatten. Von Ludwig XVI. mit einem bedeutenden Stüd Landes zur Anpflanzung 
der Kartoffeln beſchenkt, machte er durch fein Beifpiel den Anbau derfelben in Frankreich ol 
gemein. Als er während der Nevolution zum Municipalbeamten vorgefhlugen wurde, wien 
fegte fi einer der Wähler, indem er gornig rief: „Er wird uns nichts als Kartoffeln zu effer 
geben! Er ift's, der fie erfunden hat!” Auch der Ackerbau überhaupt und die Fabriken verdan 
ten feinen Beobachtungen und Unterſuchungen fehr viel. Während der Eontinentalfperre br 
ſGaftigte er ſich auf Napoleon’6 Befehl mit der Fabrikation des Traubenzuckers, die er zu hoher 
BVolltommenheit brachte. Die Armeelazarethe, bei denen er fhon im Giebenjährigen Kriege, 
wäprend deffen er fünf mal gefangen wurde, angeftellt war, erhielten durch ihn manche zwei 


Barmefantäfe Parochie 679 


mäßige Einrichtung. Er ftarb ald Generalinfpector des Medicinalweſens und Mitglied des In» 
ſtituts von Frankreich 17. Dec. 1815. Bon feinen zahlreichen, durch praßtifchen Werth audges 
zeichneten Schriften find zu erwähnen: „Abhandlung über die Eultur und öfenomifchen Eigen⸗ 
fchaften der Kartoffeln” (Augsb. 1797); „Die Kunft, Brot aus Kartoffela zu baden” (Augsb. 
1799); „Neuefte Unterfuchungen und Bemerkungen über die verfchiedenen Arten der Milch” 
Gena 1800); „Über die Vortheile, welche man aus dem Getreide in Beziehung auf Aderbau 
und Handel ziehen kann” (2 Bde., Hannov. 1806); „Uber die Bereitung der Eyrupe und 
Salze aus Nunkelrüben zur Erfparung des ind. Rohzuders” (Wien 1811). Seine Vaterftadt 
ehrte fein Andenken durch Errichtung einer Bildſäule. 

Barmefantäfe, f. Käfe. 

Parnaß oder Parnaffus, ein bedeutendes, befonders im Altertum berühmtes Gebirge in 
der griech. Landſchaft Phocis, von den Griechen als der Nabel der Erde und der Mittel 
punkt ihres Landes betrachtet, erreicht mit feinen drei ſchroff auffteigenden Gipfeln, die faft 
immer mit Schnee bededit und weithin fichtbar find, -eine Hohe von 5000 F. Die Alten erwäh- 
nen nur zwei Spigen, daher der Parnaß auch der Smweigipfelige genannt wirb, weil man von 
Delphi aus nur zwei fehen konnte. Am füdlichen Abhange lag der gefeierte Drakelfig Del- 
pbi (f.d.) und entſprang die Quelle Kaftalia (f. d.). Die nördliche Seite ift mehr bewaldet als 
die füdliche, mit fleilen Felswaͤnden und Waſſergrotten, unter denen ſich die einft den Nymphen 
und dem Pan heilige Höhle Korgkion befand. Übrigens war ber höchfte Gipfel der Schauplag 
der bacchifchen Orgien, das ganze übrige Gebirge dem Apollo umd den Mufen geweiht, daher 
man fpäter bildlid) von den Dichtern fagte, daf fie, um fich zu begeiftern, den Parnaß beftiegen, 
umd den poetifhen Börterbüchern den Zitel Gradus ad Parnassum (ſ. d.) gab. 

Parny (Evarifte Defird Desforges, Vicomte de), berühmter franz. erotifcher Dichter, geb. 
6. Febr. 1753 auf der Infel Bourbon, kam ſchon als Kind nad) Frankreich, fludirte in Rennes 
und trat dann in der Abficht, Trappift zu werden, in da6 Seminar von &t.-Firmin zu Paris. 
Sein Entfchluß reute ihn fedocd, bald und er widmete fih nun dem Militärftande. Nachdem er 
feinen Curſus auf der Militärfchule beendet, befuchte er 1773 feine Heimat und lernte dort eine 
13jährige Ereolin, Eſther de Baif, kennen, die er unter dem Namen Eleonore befang. Im J. 
1777 Lehrte er nach Frankreich zurüd und fchrieb feine „Epftre aux insurges de Boston“, 
welche nicht ohne Eindrud blieb. Dann machte er wiederholt Seereiſen nach Indien. Seit 1782 
aber lebte er in der Nähe von Paris zwiſchen St.-Germain und Marly in der Zurückgezogen⸗ 
heit. Sein geringes Vermögen ging ihm in der Revolutionszeit verloren, ſodaß er ſich auf bie 
geringen Einkünfte eined untergeordneten Poftens beim Unterrichtöminifterium beſchränkt ſah, 
bis ſich der Finanzmann Francois de Nantes feiner annahm und ihm eine Sinecure in feiner 
Adminiftration verfchaffte. Die Gunft Bonaparte's, die fi ihm zumendete, verfcherzte P. 
durch fein ſchmutziges komiſches Epos „La guerre des dieux anciens et modernes” (Par. 
1799 und öfter). Als daher Zucian Bonaparte ihn bei ber Bibliothek der Invaliden anftellen 
wollte, geflattete dies der Erſte Conſul nicht, und auch erſt nach zweimaliger Wahl kam P. 
1805 in das Inſtitut. Bon ähnlichem Inhalt wie das zulegt erwähnte Gedicht, nur poetiſch ger 
Haltlofer, find feine Dichtungen „Le paradis perdu” und „Les galanteries de la bible”, welche 
mit den „Döguisements de Vénus“ al6 „Portefeuille volé“ (4805) zufammengedrudt, aber 
von der kaiſerl. Polizei verboten wurden. Die „„Galanteries des reines de France”, die er für 
feine werthvollſte Arbeit hielt, vernichtete er wol aus politifhen Rüdfihten beim Ausbruche 
der Revolution. Sein wahrer Ruhm befteht in feinen erotifchen Dichtungen (3. B. „Po&sies 
&rotiques”, 1780— 81), welche ihm wegen ihrer Zartheit den Namen des franz. Tibull ermar« 
ben. Andere weniger ausgezeichnete Producte feiner Mufe find „Les Rosecroix” (1807), 
„Goddam !” (2. Aufl., 1804) und „Isnel et Asiega”. Er ftarb zu Paris 5. Dec. 1814. Die 
beften Ausgaben feiner Werke find von Tiffot (3 Bde., Par. 1827) und Beranger (4 Bde., 
Dar. 1831). Die „Poesies insdites” (Yar. 1826), welche Tiffot zum Drud beförberte, bieten 
wenig Werthvolles. | 

Parochie bezeichnet noch bis in das 3. Jahrh. die Gefammtheit der unter einem Bifchof 
ftehenden Gemeinden, alfo fo viel ald Diöces (f.d.) oder Kirchenfprengel. Nach Irenäus betrach⸗ 
teten fich die Chriften mit Beziehung auf 1. Pet. 1, 17; 2, 14 als Fremde (Katporxor) auf dies 
fer Erde, daher bezeichneten fich auch die Gemeinden al6 Benoffenfchaften von Fremdlingen, auf 
deren unter einem Biſchof ftehende Gefammtheit der Name Parochie (napowela, Fremde) 
überging, deren einzelne Glieder aber Parochianen genannt wurden. Die Gemeinden auf dem 
Lande, die in der Nähe von Mutterfirchen entflanden, von biefen Geiftliche erhielten und ab- 


6 ‚Parodie Paropamifus 
waren, hiefen parochiae rurales, Im 4. und 5. Jahrh gab es faft keinen bedeutenden 
mehr, in dem nicht die Einwohner eine Gemeinde bildeten und eine eigene Kirche mit ein 
n Geifttichen befaßen. Man bezeichnete aber Damalg-die Gemeinde mit dern Worte plebs 
und.nannte daher deu Geiſtlichen plebanus, doch feit dem 5. Jahrh. wurde es gewöhnlich, jet 
einzelne Kirchengemeinde eine parvchia und, den Geiſtlichen parochns zu nennen. Beide bit 
ben in Abhängigkeit von denn Bifchofe oder Erzbiſchofe, welcher aud den parochus ermählt 
und deffen Einkünfte beſtimmte. Seit dem 6. Jahrh. bezog: zwar der Parochus die Einkünfte 
don Dem, was in den Gemeinden einkam, doch mußte: er- eine beſtimmte Abgabe an die Ratke 
bralficcye oder den Bifchof abgeben. Seine Functionen waren anfangs. auch befchräntt, na 
mentlich blieb ihm bis in das 5. Jahrh. die Verwaltung der Sacramente entzogen. Seit den 
Anfange des 6. Jahth. entftanden auch Schulen bei den Pfarreien, die man Parochialfchule 
nannte. Sept heißt jede felbftändige Kirchengemeinde, der auch die Pflicht obliegt, Die Parodiek 
Taften zu tragen, d. h. alle zur Erhaltung der Kirchen und. zur Befoldung.ded Geiſtlichen näthr 
ungen! zu befchaffen, eine Parochie oder. Parochialkirche, zu der aber,auch eine eingepfasmt 
ober Bilialticche gehören kann. ? 

Parodie, eigentlich Nebengefang, heißt in.ber Rhetorik die finnreiche und ſcherzhafte Neplt 
oder Eriiberung auf. die ernftlich gemeinte Rede eines Andern mit theilmeifer ) 
berfelben Worte, Weit häufiger aber. verfteht man darunter eine befondere Dichtungsart, in 
welchet ein ernftes poetiſches Exzeugniß in ein anderes felbftändiges , meift-Fomifches Gedidt 

umgebildet wird, jedoch ohne Veränderung der-urfprünglihen Korm ‚wodurch fich Die Paredi 
weten von der Traveftie (ſ. d.) unterſcheidet. Die Erfindung derſelben gehört dem frühen 
griech. Aiterthume an, indem fie von Ariftoteles ‚dem Hegemon aus Thafos, ı welcher zur Aut 
des Peloponnefifcen Kriegs Iebte, von Andern dem Hipponar (f: d) zugeſchrieben mird. Aut 
ben noch vorhandenen Bruchjftücen ergibt.fich, daß man vorzüglich die Homerifchen Gefänze 
für diefen Zwec anfangs .benute, wie dies. aud) von Dipponar geſchah, der. B. in der Shik 

eines Schlemmers, weicher ſich durch übermäßige EFluft ebenfo ſehr auszeichnete, wie 

L durch Mordluft, mit Homerifcher Nachahmung fo beginnt: 

Sing’ mit, o göttliche Muſe, Eurymedon, jene Charybdis 

Mit j&arffejneidigem Magen, der fraß wie, Keiner auf Erden, 
Auch die dem Homer felbft früher fälfchlich beigelegte Batrachomyomachia (ſ. d.) gehört bier 
her. Diefe epifche, ihrem Weſen nach heitere und völlig harmloſe Parodie nahm fehr bald einen 
bittern und beißenden. Charakter an, wie zahlreiche Beifpiele-in den Luftfpielen des Arifir 


phanes zeigen, und der Philofoph Timon aus. Phlius fhuf unter, dem Namen Sillen 


(.d.) eine eigene Gattung der fatirifchen Parodie, Bei den Nömern finden ſich erſt zu ben Zur 
ten des Verfalls der Sprache und Riteratur ähnliche Erfcheinungen. Unter den neuern Ratio 
nen erhielten fie bei den Sranzofen grofien Beifall. Doc) befigen auch die Deurfchen mehre ger 
lungene Parodien, unter denen wir aus neuerer Zeit mehre auf Schiller's „Glode‘‘, z. B. von 
Röller u. A. erwähnen, während die zum Theil mit hierher gehörigen Pocfien der frühern Zeit, 
d. B. „Der Froſchmeuſeler“ von Rollenhagen (1.d.), im Ganzen doch mehr dem eigentlichen fati- 
rifchen Heldengedichte fich nähern. Das Gefhichtliche der Parodie hat Mofer in Daub’s und 
Greuzer’s „Studien“ (Bd. 6) entwidelt. Vgl. Mofer, „Parodiarum esempla’ (Ulm 1819); 
Weland, „De praecipuis parodiarum Homericarum seriptoribus” (Gött: 1835). 

Parole, f. Beldgefchrei. 

Parömie (griech.) heißt fo viel, als Sprüchwort, Sinnſpruch, auch Babel. Parömiogrepben 
nennt man daher in der fpätern griech. Riteratur die Sammler der alten griech. Sprüchmörte, 
unter denen befonders Zenobius oder Zenobotus und Diogenianus aus dem 5. Jahrh. n. Chr, 
ferner Gregorius aus Cypern, um 1285 Patriarch von Konftantinopel und, Michael Apofim 
ilus aus Bozanz, der 1450 aus Griechenland nad) Italien flüchtete, zu erwähnen find. Aus 
foll ſchon Plutarch zwei Bücher Sprüchwörter verfaßt haben; doch ik Das, was wir unter 
biefem Namen jegt noch von ihm befigen, ein fpätered Machwerk. Eine Zufammenftekung und 
Etiãuterung diefer Schriften enthalten Gaisford's „Paroemiographi Graeoi” (Drf. 1856) un 
Leutſch's und Schneidewin’s,, Corpus paroemiographorum Graecorum” (Bd. I, Gõtt. 1839). 

Paronomafie, ſ. Aunomination. 

Paronijma nennt man in der Grammatik die von einem Worte abgeleiteten oder gebide 
ten, mithin ſtammverwandten Wörter und Perpnpmie die Ableitung eines Wortes aus einem 
andern, 3. B. xeden, Rede, Redner. 
varxopamiſus iſ der alte Name des Gehirgt Hindukuh (1. d) in Sübafien 


Paros | Yarr 681 


Paros, eine der wichtigften Cykladen (f. d.) im Agäifchen Meere, jezt Paro genannt, umb 
zur Eparchie Naxos in der Nomarchie der Cykladen des Königreichs Griechenland gehörig, hat 
ein Areal von kaum 3’ AM. und zählt etma8000E. Die Infel wurde zuerft von Phöniziern 
colonifirt, die aber fehr bald den eindringenden Kretern und Arfadiern wieder weichen mußten, 
und erlangte fchon frühzeitig durch Handel und Schiffahrt Wohlftand und Anfehen. Da die 
Bernohner der Infel den Perfern Beiftand geleifter hatten, follten fie von Miltiades beftraft 
werden; allein der Angriff mißlang und erft nach den Perferkriegen erkannten fie Athens Ober- 
berrfchaft an. Nach Alerander kam P. unter den ägypt. König Ptolemäus Ragi, dann wieder 
an Athen und zuletzt an die Römer. Seine Berühmtheit verdankte es im Alterthume nament- 
lich dem feinen und glänıend hellen Marnıor, welcher aus den Steinbrüchen von Marpeffa, d.i. 
an und um den jegigen St.-Eliasberg, der ſich in dem füdlichen Theile erhebt, aber auch an 
andern Stellen gewonnen wurde. Die Snfel ift vorherrfchend gebirgig, nur fünf Achtel der Bo⸗ 
denfläche find ertragsfähig; doch reicht die Production an Weizen, Gerfte, Wein, Sefam, Baum- 
wolle und Käfe für die Bevölkerung aus. Die fegige Hauptſtadt Parchia ober Parikia, daß alte 
Daroß, ein freundlicher Ort, liegt nördlich an der Weſtküſte auf einem Berge, hat eine der an- 
fehnlichften Kirchen des Archipels, die fogenannte hundertthorige Himmelfahrtskirche, zählt mit 
ihren Vorftätten Nareffa und Marpifi 6800 E. umd befigt AU eigene Küftenfahrzeuge. Mehr 
ale 150 Brüche finden fich in ihrer Umgegenb, bie einft fämmtlidy ausgebeutet wurden. Diefe- 
nigen aber, welche den feinften Bildhauermarmor lieferten, befanden ſich an drei Stellen in der 
Bergfchlucht eines GiefbachE, der unweit der Stadt Nauffa an der Norbfüfte mündet. In 
neuefter Zeit hat man die Ausbeutung der Brüche wieder in Angriff genommen. Merkwürdig 
iſt die Inſel auch als der murhmaßliche Fundort der Parifchen Chronik. (E. Marmorchronik.) 
— Bei P. Tiegt die Felfeninfel Antipäros, von den Alten Diearo® oder Dliaros genannt, be 
rühmt durch die 250 F. tiefe und 80 F. hohe Stalaktitenhöhle voll der feltfamften Gebilde und 
merfwürdig durch die hier fichtbare Kryftallifation des Alabafters. Eine genaue Befchreibung 
mit Abbildimgen gibt Roß in den „Reifen auf den griech. Infeln des Agäifchen Meeres” (2 Bde., 
Stuttg. und Tüb. 1841 — 43). 

Paroxys mus (von d&ug, ſcharf, alfo eigentlich Verſchärfung) bezeichnet gegenmärtig in 
ber Mebicin den Anfall eines MWechfelfiebers oder einer andern periodifchen (intermittirenden), 
d. h. in einzelnen Anfällen mit freier Zwiſchenzeit (Intermiffion, Apyrerie, Iucidum interval- 
Ium) verlaufenden Krankheit. Daher fpriht man von epileptifchen und andern Krampfparo- 
xyſmen, von Paroxys men der Neuralgien (f.d.), des Wahnſinns u. dgl. Diefe Eigenfchaft, an- 
fallsweiſe aufzutreten (die Periodicität oder Intermittenz), ift Hauptfächlich reinen Nervenübeln 
und außerdem den durch Sumpfmiasma bedingten Krankheiten eigen. Vgl. Baumgarten-Eru- 
fius, „Periodologie” (Halle 1836). In der Fieberlehre unterfcheidet man davon die nachlaſſen⸗ 
den (temittirenden) Fieber, wo von Zeit zu Zeit eine Steigerung der Symptome (exacerbatio, 
Berfhärfung im engern Einne) eintritt und mit einem Nachlaſſe (remissio) abwechfelt, ohne 
daß jedoch die Fieberſymptome in legterer ganz ſchweigen. ' 

Parquet oder Tafelwerk nennt man diejenige Art der Fußböden, wo ftatt der gerade durch⸗ 
laufenden Dielen Holztafeln, welche in Rahmen gefaßt find, verwendet werben. Die Parquets 
find oft von “ehr koſtbaren Hölzern und fehr künftlich in Muftern aufammengefegt, und nament- 
lich gefchieht für die Kunft des Parquetirens in der neuern Zeit fehr viel, wo man zum Schnei⸗ 
den, Fugen und Abgleichen der Parquettafeln eigene Mafchinen erfunden hat. Außer der grö⸗ 
fern Mannichfaltigkeit und der Eleganz haben die Parquets noch den Vortheil der Dauerhaf- 
tigkeit und der Reinlichkeit für fich. Früher pflegte man auch Decken und Wände ber Zimmer 
fo zu räfeln, und es hat das Mittelalter darin wahrhaft Bewundernswürdiges geleiftet, wie noch . 
mandje Überrefte zeigen. Man ſchmückte dieſe Täfelungen mit reichem Echnigwert und allerlei 
architektonifchen Bliedern und Drnamenten, doch nannte man fie nicht Parquets, fondern Boi⸗ 
ferien. Außerdem verfteht man unter Parquet in den Gerichtshöfen den Plag der Richter und 
im Theater ben vordern, beffer gelegenen Theil des Parterre. 

Parr (Samuel), ein berühmter engl. Schulmann und Philolog, geb. 15. Jan. 1747 au, 
Harrow in Middiefer, ftudirte feit 1765 au Cambridge und erhielt fchon zwei Fahre fpäter eine 
Unterlehrerftelle an einer Schule, die er aber 1771 wieder aufgab. Hierauf errichtete er 
eine Erziehungsanftalt, trat jedoch, als auch diefe fich nicht länger zu halten vermochte, 
4777 wieder in den Schulftand zurüd. In Cambridge zum Doctor der Rechte promo⸗ 
pirt, erregte er durch feine juriflifchen und clafftfchen Kenntniffe wie durch feine Dialektik und 
lat. Beredtſamkeit großes Auffehen, erhielt darauf eine Domberrenftelle an der Paulskirche im 


682 Parrhafius Parey 


London umd nahm 1786 eine Pfarrſtelle zu Hatton in W an, 
ein Erzieyungsinftitut für junge anlegte. Dier feine 
beinahe den Verluſt feiner Bibliothek veranlaft, welche der aufg 
nichten wollte. Auch nahm man Anftoß an feiner Anhängligkeit an For und Die 
man behauptete, daß fich dies für einen Jugendfehrer nicht zieme, weshalb er 1801 
fionäre entließ und von jegt an bis an feinen Tod, der 26. März 1825 in 
heit zu Hatton den Wiſſenſchaften allein lebte. Bon feinen philologifchen Leiſtungen ift, 
Ehrllmit in Folge feiner ganz unleferlichen Handfehrift, nur Weniges gedruckt worden; 
unferflügte er mit dem Reichthume feines gründlichen Wiffens feinen Freund Barker 
neuen Bearbeitung des Stephan’fchen griech. Thefaurus in mehrfacher Hinſicht, und feine 
echte Glafficität ausgezeichneten lat. Grabſchriften wurden allgemein gefhägt. Zu feinen fonbo 
ı baren Bieblingsneigungen gehörte auch das Glockenläuten. Unter feinen Schriften, die er feitil 
‚herausgegeben, find hinſichtlich feiner politifchen Anfichten feine Rede gegen Godwin (1800) 
feine „Characters of Charles James Fox” (1806) charatteriſtiſch· Vgl. Barker, „Parriaus, 
sketches of the late Sam. P,” (Lond. 1828); Johnftone, „The works of Sam. P (8 
Lond. 1828) ; Field, „Memoirs and correspondence of the lateSam.P,” (2 Bde., Lond. 
Parrhaſius, ein griech. Maler, geb. zu Ephefus, der Sohn des Euenor, der ebenfalls 
Maler um 420 v. Chr. ſich auszeichnete, war ein Zeitgenoffe und Nebenbuhler des Zeurie 
ſodaß feine Blütezeit etwa um 400—580 v. Chr. zu fegen fein dürfte. Nach Plinius bradiee 
zuerſt Ebenmaß in die Malerei und lebhaften Ausdrud und Anmuth in die Gefie 
umd Geberbe; er übertraf alle Maler im Umeiß; auch erweiterte er den Kreis der malerifdn 
Darftellungen durch größere Vielfeitigkeit. Sein hoher Ruf machte ihn ſtolz und anmafıt 
Wie Ahenäus verfichert, ging er in Purpur gefleidet, mit einem goldenen Krane auf bs 
Haupte, und wie Plinius angibt, wollte er von Apollo abftammen, der den Beinamen Pareo | 
fins führt. Cr wetteiferte mit dem Timanthes aus Samos in einem Gemälde, das dene] | 
vorflellte, wie er mit dem Odyffeus um die Waffen des Achilles kämpft. Als feinem Gegners 
Preis zuerkannt wurde, fagte er fpöttifch: es fei ihm um ben Helden leid, daß er abermaltm! | 
einem Nichtswürdigen überwunden worden. Noch bekannter ift fein Wettftreit mit Zeupie, 6] | 
! 
' 














fen. gemalte Trauben die Vögel herbeilodten, während P.'S gemalter Vorhang felbft den du 
täufchte, worin man ein Zeugniß für die bedeutende finnliche Iluſion finden mag, melde mm 
den bamaligen Künſtlern erftrebt und erreicht wurde. 

Parrhefie (griech.) bezeichnet fo viel als Freimüthigkeit im Neden, fowie natürliche Une 
zwungenheit in der forperlichen Haltung. I 

Parrieidium oder Paricidium nannten die Mömer früher jedes fehiwere todeswürdige Bo 
brechen gegen den rom. Staat oder einen röm. Bürger; fpäter bepeichnete es ſpeciell den Ber | 
mandtenmord. Vgl. Ofenbrüggen, „Das altröm. Parricidium“ (Kiel 1841). 

Parrot (Joh. Zak. Friedr. Wilh.) einer der ausgezeichnetften Gelehrten Nuflands inte) 
Gebieten der Naturwiffenfhaft, Sohn des berühmten Phyſikers und Mitglieds der perershw 
ger Akademie, Staatsraths Georg Friedr. P. wurde 14. Det. 1792 zu Karlsruhe geborm 
Schon 1811 bereifte der junge P. im Verein mit Mor. von Engelhardt die Krim, befuchte I 
man, den Kuban, Mosdot, Wladikawkas, den Terek bis zu feinen Ausfluffe, den Kasbek mb 
kehrte 1812 nach Dorpat zurüd, wo er die Schrift „Reife in die Krim und den Kaukafus ve 
Mor. von Engelhardt und Friede. P.“ (2 Bbde., Berl. 1815—18) herausgab. Inymwilde 
zum Profeffor der Phyfiologie und Pathologie an der Univerfität zu Dorpat, nachher der Pi? 
und zum Staatsrath ernannt, führte er 1829 eine große Neife zur Erforfchung des nod ſo 

nig unterfuchten Ararat aus. Über ſechs Wochen wurde er durch die in Eriwan umd der img 
gend des Ararat herrfchende Peft in Tiflis aufgehalten. Nach kurzem Aufenthalt im Kieler 
Etſchmiadzin wählte er das Klofter St.-Jakob, am Fuße des Ararat felbft und 5240 $. übe 
der großen Ebene des Arares gelegen, ald Ausgangspunkt zu feinen Excurſionen und vorip 
lich zu feinen Erfteigungsverfuchen. Vol. feine „Reife zum Ararat” (2 Bde, Bert. 1850 
Auf feiner Rückreiſe ftellte er ein barometrifches Nivellement am Manatſch, an der Wolgı mi 
"am Don an, deffen große Verfchiedenheit von dem im Verein mit Engelhardt gewonnme 
Nefultate 1856 zu einer geodätifchen Erpedition von Seiten der Akademie Anlaf gab, in Felz 
deren die Wafferfläche des Kaspifchen Meeres niedriger als die des Schwarzen Meeres, jrtrd 
nur um 94,9 F. tiefer gelegen befunden wurde. Bon ben fonftigen Reifen P.’s ift no ue 
wähnen die 1857 unternommene Erpebition nad) den Nordcap. P. ftarb 15. San. 1841. 
Parry (Sir William Edward), brit, Seemann, geb. zu Bath 19. Der. 1790, der Erle 


Parfen und Parfismus Partei 683 


s als Arzt und mediciniſcher Schriftfteller bekannten Caleb Hillier P. erwarb fich ſchon als 
ıdet auf dem Schiffe Ville de Paris, das 1805—6 zur Blockade der franz. Flotte in Breft 
braucht wurbe, die Achtung aller Seemänner, insbefondere des Admirals Cornwallis. Er 
nte fodann als Lieutenant auf der Fregatte Zribune, mit welcher er 1808 in die Oftfee ging, 
‚ er fi in den Gefechten mit den dän. Kanonenbooten auszeichnete. Eifrigft befchäftigte er 
y mit Aftronomie, Nautit und Aufnahme von Seekarten; doch erhielt er auch als praktiſcher 
:emann mehre wichtige und gefahrvolle Aufträge. So drang er 1811, um den Walfifchfang 
[hügen, bis zu 76’ n. Br. hinauf. Auch ftellte er Regeln zur Beſtimmung der Polhöhe 
ch Beobachtung der Fisfterne auf. Bon 1813 an kreuzte er anı Bord des Schiffs la Hogue 
:hre Sabre in den amerik. Gewäffern und kam erft 1817 nad) England zurüd, wo er 1818 
des Sapitän Roß Nordmweftpolarfahrt die Führung des zweiten Entdedungsfhiffs Aleran- 
: erhielt. Mit dem nächſten Sabre begann unter feiner Oberleitung eine Reihe von Ente 
Eungsreifen nach dem hoben Norben, durch welche Außerordentliches geleifter wurde. (S. 
yebpolerpeditionen.) 9. ift nicht blos ein kühner Seefahrer, fondern zugleich ein fehr geiſt⸗ 
ler Mann und dabei von großer Umficht. Dies hat er namentlich durd die finnreichen Der» 
altungen bewieſen, durch welche er feine Mannfchaft wahrend der langen Winternacdht im 
je frob, gefund und munfer zu erhalten wußte. Im Juni 1829 begab er fih als Commiſſar 
auſtral. Aderbaugefellfchaft nad) Port-Stephens und kehrte erft 1832nach England zurück. 
ben feinen Berufsgeichäften nahm er mit Eifer an den Beftrebungen der Bibel- und ande 
religiöfen Gefellfchaften Theil und fchrieb felbft mehre zum Theil auch ins Deurfche über 
te Erbauungsfchriften. Im 3.1852 wurde er zum Gontreadmiral befördert und im Dec. 
55 zum Vicegouverneur des Marinehospitals in Greenwich ernannt. Don feinen Reife 
rken erfchien eine Tafchenausgabe unter dem Zitel „Four voyages te the North Pole” 
Bde, Lond. 1833). Sein Bruder, Charles Henry P., Arzt zu Bath, hat ſich als Verfafe 
mehrer ärztlichen und flaatswirthichaftlichen Schriften bekannt gemacht. . 
Darfen und Parfſiſsmus. Parfen nennt man, int Gegenfage zu dem allgemeinern ethno⸗ 
iphiſchen Namen der Perfer, diejenigen Perfer, welche nad) der Zerftorung des Saffanidifchen 
ichs durch die Araber treue Anhänger der alten Religionslehre des Zoroafter blieben. Von 
ı Mohammedanern fanatifch verfolgt, flüchteten fich die Parſen theild in einzelne, wenig zu⸗ 
agliche Theile Perfiens, 3. B. nach Jesd, theild an die nordweſtliche Küfte von Indien, wo fie 
mentlih in Bombay und Eurute bis auf den heutigen Tag herab in nationaler Eigenthüm 
keit fih erhalten haben. Unter Parfisnus verfteht man vorzugsweife den Eultus der An- 
nger des Zoroafter, weil derfelbe und hauptſächlich nur in feiner modernen Geftaltung durch 
Parfen in Indien bekannt geworden ift. Vor allen: fucht der Parfe den Grundzug der Zo⸗ 
ıfterfchen Sittenlehre: Reinheit im Denten, Sprechen und. Handeln, durch ſeinen Qultus 
:zuftellm; daher wird jede religiofe Ceremonie von dem Refen der die Seele reinigenden Worte 
Zendaveſta begleitet. Der heiligfte Gegenftand der Verehrung ift das reinigende Feuer in 
sen verfchiedenen Geftalten, ald Opferfeuer, häusliches Feuer, das Feuer im Innern der Erde 
.w. Das heilige Feuer wird in befondern Feuertempeln (ateschkade) verehrt, und eine Ver⸗ 
reinigung deffelben, wenn 5. B. der Priefter ed nur mit feinem Hauche berührt, ift ein todes⸗ 
rdiges Verbrechen ; big Priefter nahen fid) Daher dem Opferfeuer auch nur mit faſt ganz ver⸗ 
tem Gefichte. Die mwichtigften Opfer find die Sühnopfer, durch welche man nicht nur die 
Seele verunreinigenden Verbrechen, fondern auch die Heinften Übertretungen der Ritualgefege 
d die unbebeutendften Verunreinigungen des Körpers, die durch Berührung irgmd eined 
Geſetzbuche niit größter Sorgfalt aufgeführten unreinen Dinges hervorgebracht werden, 
nt. Die wichtigften Fefte find die ſechstägigen Gahanbars, zur Erinnerung an die fech6 Per 
den, in denen Ormuzd die Welt ſchuf. Die Priefter find in mehre Glaffen getheilt und tragen 
: als Zeichen ihrer Würde über der Hüfte den heiligen Gürtel. Über die Religionslehre der 
fen, wie fie in dem Zendavefta (ſ. d.) uns überliefert worden ift, |. Zoroafter. 
Partei nennt man eine Vereinigung von Menfchen zur gemeinfamen Verfolgung eines be» 
nmten Zwedes auf dem Gebiete des öffentlichen, politifchen, kirchlichen, volkswirthſchaft⸗ 
ven oder gefellfchaftlihen Lebens. Streng genommen kann von einer Partei erft dann bie Rebe 
a, wenn diefelbe unter irgend einer Form organifirt, d. h. mit bewußter Abficht ihres Zweckt 
d ihres Verbundenfeind durch diefen und zu diefem auftritt. Doc, ſpricht man wol auch 
on da von Parteien, wo nur erft die innerliche Üibereinflimmung in gewiffen Anſichten und 
ünſchen Annäherungen gefchaffen hat, die noch nicht die Geftalt wirklicher Parteiorganifa- 
n angenommen haben. In frühen Zeiten fcharten ſich die Parteien. meiſt um Perfonen, 


651 parteigauger vparterre 
jegt um Grumdfäge, Se entwickeltet das politiſche Bewußt ſein der Bitter ift, deſto mehr wit 
33 —— in den politifch reifften Staaten ſehen wir die ganze Nation bei dl 
< jen Fragen des öffentlichen Lebens fich in große, fcharf gefhtedene und tmohlorganifin 
arteien fpalten. So in England, wo fich gegenwärtig bie Parteien am emtfehiedenfien a 
"wichtigen Gebiete der volfsiwirthfchaftlichen Intereffen tettioniften und Rreihi 
(änmer) gegenüberftehen, nachdem bie großen Prineipienfimpfe auf dem politifchen ıl 
lichen Gebiete mit der Neformbill und der Emancipation der Karhofifen ihre Lofung = 
ber Hauptfache gefunden haben und nur in ihren Eonfequenzen (größere —— Rat 
rechts und Jubenemansipation) noch immer fortflingen. In Ftankreich war die Parteigefis 
tung zu allen Zeiten eine vorwiegend perſonliche, und wie man unter dem Julifönigrhum dis 
figer von einem parüi Thiers, Odilon-Barrot, Mauguin u, f. w. reden hörte, ald von fine 
finten Gentrum, einer gemäßigten und einer entſchiedenen Linken, fo ftehen ſich auch iegt Boss 
partiften, Regitimiften, Orleaniften gegenüber, und felbft die gemäßigten und Lie ertremen Ir 
Yublifaner unterfdjeiden fid) faft mehr nach ben Namen ihrer Bührer Cavaignac, ei 
Blanc u. f. ww, als nad) beftimmt Formulirten Parteiprincipien oder Programmen. In Dente“ 
fand wollte man früher von gerviffen Seiten her in dem politiſchen Patteiweſen überhaupt 
was Unnatürliches und Vedenktiches fehen, meinte wenigftens, die Regierung eines Sand 
- müffe über ben Parteien flehen. Das würde fo viel heißen, al bie Negierung miffe eis 
Eng handeln. Englands Beifpiel beweift, daf gerade ein recht ausgebilb: 
weien Frucht und Förderumgsmittel eines entwickelten, gebeihlich fortf&hreitenden Staatt-w 
Ei} eng, und daf in einem foldhen Staate die Negierung felbft nur das Organ mb 
in einer der großen Parteien ift, in welche die ganze Nation fich rheilt. Mit der gemud 
„ fernen politifchen Einſicht und Praris Hat ſich baher auch in Deutfchland (namentlich ſeit 184) 
tin tegeres und bewußteres Parteileben auf dem politiſchen Gebiete ſowol ald auf dem fitd 
‚en und voltswirthfchaftlichen entwickelt. 
Parteigãnger oder Partifan nennt man den Anführer eines Streiftorp®, das getrum 
don der Armee dem Feinde auf feinen Verbindungslinien Abbruch tut; are) 
Segeichnet die Unternehmungen folcher Corps und bie Ausführung derfelben. Ihr Wirkt 
Freis Tiegt außerhalb der Operationslinien der eigenen Armee, im Rücken und in der Blantetd 
Feindes. Den Raum, welchen deffen Verbindungslinien zur feinen Hülfs quellen Durchfchneiten 
machen die Parteigänger umficher, heben Transporte auf, ſchneiden Zufuhr ab, nehmen Krieg 
faffen, fangen Kuriere mit Depefchen auf, befreien Gefangene und fuchen fich unermüdls | 
neue Unternehmungen, durch welche fie dem Feinde empfindlichen Schaden thun und in Behr 
Beziehung, weil ed auf feinen Communicationen gefchieht, auch firategifch einwirken füme 
Der Parreigänger muß alle perfönlichen Eigenfchaften befigen, welche die Natur feiner eig | 
thümlichen Kriegführung fodert, denn er iſt gang auf ſich ſelbſt gewieſen; feine Truppen mäfe 
gewanbr, verwegen, im Felddienſte wohl erfahren, allen Beſchwerden gewadjfen fein. Kleinm 
Streifcorps beftehen gewöhnlich nur aus Eavalerie; im Gebirge umd ftarf bedeckten Terrain f 
allerdings Infanterie vortheilhafter ; größere Parteien haben alle Waffen. Die Bewegungn 
und Märfche gefchehen ſchnell und heimlich. Das Element des Parteigängers ift überhaupt dr 
wegung/ in ihr findet er zugleich feine Sicherheit. Selten vermeilt er lange auf einem Edar 
plage, noch jeltener nimmt er feine Raſten wiederholt an derfelben Stelle, auch wenn fie gan 
ſichet ſcheint. Im befreundeten Lande, wo ihn die Einwohner mit Nachrichten verfehen und e 
Gefahr warnen, kann er mol in abgelegenen Orten Quartier nehmen; in Feindesland aber mt 
er heimliche Schlupfwinkel ſuchen und ſich durch Poften und Schleichpatrouillen (f. Patronile) 
been. Seine Gefechte find meift Überrafhungsgefechte und immer für einen beftimmmten Zme? 
Parterre heißt in einem nach altfranz. Geſchmack angelegten Garten der offene Theil, de 
vor dem Haufe hinläuft und mit Raſen · und Blumenbeeren nach einem regelmäfigen Plant ge 
ſchmückt ift. In einem Schaufpielpaufe ift das Parterre der Plag zwifchen dem Ampbirkene 
und Orcyefter, wo früher nach hergebrachter franz. Sitte die Zuſchauer ſtanden, jetzt aber ühnd 
auch Sige angebracht find. Im weitern Sinne verficht man unter Parterre auch die biefen Pa 
einnehmenden Zufchauer, welche fonft in Franfreih und an andern Orten bei Aufführung new 
Bühnenftüce die höchſte fchiedsrichterlihe Inftanz bildeten. Daher gab noh Karl X., alt ite 
1829 fieben Dichter der claſſiſchen Schule eine Birtfehrift überreichten, worin fie unterhänigt 
baten, wenigſtens das Theätre frangais dem genre classique zu erhalten und die Werte ie 
neuen romantiſchen Schule davon zu verbannen, dem höchft verftändigen Befcheid, daf rk 
Sachen der-Porfie feinen Plag nur im Parterre habe. 


Parthenius Yarthenopeifche Republik 086 


Parthenius, einer der fpätern griech. Erotiker, aus Nicäa in Bithynien gebürtig, lebte im 
Zeitalter des Käfar und Auguftus und verfaßte in einer noch ziemlich reinen und gefälligen 
Sprache eine Schrift „Über die Leiden der Liebe”, die gewöhnlich unter dem lat. Titel „Narra- 
tiones amatoriae” angeführt wird und in 36 fürzern Abfchnitten eine Gefchichte von unglück 
lichen Liebenden enthält. Da diefe Erzählungen ſämmtlich aus der Mythologie entlehnt find, 
kann P. mit demfelben Rechte auch zu den Mythographen (f. d.) gerechnet werden. Die beften 
Ausgaben feiner Werke befigen wir von Legrand und Heyne (Bott. 1798), Paſſow (2pz. 1824) 
und Weftermann in den „Mythographi Graeci” (Braunfhw. 1845). 

Parthenon Heißt der prachtvolle Tempel, in welchem auf der Akropolis zu Achen die Göt⸗ 
tin Athene unter dem Namen der Parthenos, d. h. der JZungfräulichen, verehrt wurde. Er warb 
im Glanzzeitalter des Perikles unter der Leitung des Kallikrates und Iktinos erbaut und muß 
unftreitig als das vollendetfie Mufter des griech. Zenıpelbaus gelten. Er ift ein Peripteros, d.h. 
den Kern ber Gella oder des eigentlichen Tempelhaufes umgibt auf allen vier Seiten ein rings⸗ 
umlaufender Säulengang. Die Vorder- und Dinterhalle werden durch je acht dorifche Säulen 
gebildet, Die beiden Rangjfeiten, wenn wir die den Frontefeiten angehörigen Eckſäulen nicht mitzähe 
len, durch je funfzehn. Die Ränge beträgt 227 F., die Breite 101 F. Im Innern des Tempels 
ftand in der Gella die von Phidias (ſ. d.) dem großten Bildhauer Griechenlands, gearbeitete ko⸗ 
Lofjale Statue der Göttin aus Gold und Elfenbein. In einem Hintergemach lag ber Staats⸗ 
fhag Athens. Die Gicbelfelder ſchmückten koloffale Marmorgruppen, die, ebenfalls unter Phi⸗ 
Dias’ Leitung gearbeitet, die Geburt der Athene und den Sieg derfelben über Pofeidon darftell- 
ten. Der Fries enthielt das Neliefbild des großen Panathenäenzugs, die Metopey die Dar» 
ftellung der Giganten» und Centaurenkämpfe. Der Parthenon hatte ſich, in eine chriftliche Kirche 
verwandelt, im Mittelalter recht gut erhalten, bis ihn zum Theil eine venetian. Bombe bei der 
Belagerung Athens 1687 zerftörte. Jedoch ift er auch jegt noch immer von bezaubernder Schön⸗ 
beit, beſonders feitdem die jegige griech. Regierung fehr viel zur Wieberaufrichtung der zer 
trümmerten und geftürzten Säulen gethan hat. Die Bildwerke find zu Anfang diefes Jahr⸗ 
gunderie durch Lord Eigin (f. Elgin Marbles) nad) London getommen ; jedoch find noch einzelne 

etopen und Biebelftatuen und noch ein Theil des Frieſes an Ort und Stelle felbft. Befchrei- 
bungen des Parthenongab Leake in der „Topographie von Athen“ (deutfch von Sauppe und Bai⸗ 
ter, Zurih 1844); Brondfted, „Voyages en Grèce“ (Par. 1830) ; Prokeſch von Often, „Denke 
würdigfeiten und Erinnerungen” (Stuttg. 1856); E. Curtius, „Die Akropolis von Athen” 
(Berl. 1844); H. Hettner, „Griechiſche Reiſeſtizzen“ (Braunfhm. 1853). Plane finden ſich in 
Stuart's und Revett's „Alterthiimer von Athen” und in K. Böttiger's „Tektonik der Hellenen”. 

Parthendpe Hieß die Tochter de6 Ankäos und der Samia, die von Apollo Mutter bes Ly⸗ 
komedes wurde; ferner die Gemahlin bes Okeanos, die ihm Europa und Thrafe gebar; dann 
eine der Sirenen, welche ihr Grabmal bei Neapolis hatte, und endlic die Tochter des Stym⸗ 
phalos, die durch Herakles Mutter des Eueres wurde. 

He Rate he Republik hieß der bemokratifche Staat, in welchen 1799 das König. 
reich Neapel durch die franz. Republilaner umgewandelt wurde. Man wählte diefen Namen, 
weil bie Stadt Neapel in den älteften Zeiten Parthenope hieß. Da ſich der Konig beider Sici⸗ 
lien, Ferdinand 1. (f.d.), 1798 von neuem ber Coalition gegen Frankreich anſchloß, drang ber 
franz. General Championnet, nachdem er das neapolit. Heer unter Mad aus Rom getrieben 
und den Kirchenſtaat al Republik proclamirt hatte, ind Neapolitanifche ein und machte ſich un- 
ter blutigem Widerftande der Lazzaroni 23. San. 1799 zum Herrn von Neapel. Schon einige 
Tage fpäter vertündigte Championnet nad) der Inftruction des franz. Directoriumd die Er⸗ 
richtung der Republik und fegte vorläufig eine Regierung von 21 Mitgliedern ein. Eine zahl« 
reihe Partei der höhern Stände hing diefer Umwälzung aus Gefinnung an, unb aud) ber zahl» 
loſe Pöbel, der vorher gegen die Sranzofen gemüthet, gerieth in jakobiniſchen Schwindel, zumal 
der Erzbifchof Zurlo Capace erflärte, daß Chriftus Demofrat gemefen und daf das Flüffig- 
werben bes Blutes des heil. Januarius ungmeifelhaft bie Zuftimmung des Himmels zur Revo» 
Iution bekunde. Indeffen wollte der neue Staat bei dem Widerſtande ber Provinzen, ber Roh⸗ 
heit und der Verworfenheit der Maffe, den Bedrüdungen der Befreier und den Maßregeln des 
nad Sicilien geflüchteten Hofs keine fefte Geftalt gewinnen. Championnet entfernte 6. Febr. 
die blutfaugerifchen Commiffare des franz. Directoriums und mußte deshalb den Befehl nieder- 
Legen. Segt erſt hielten fich die Neapolitaner für frei und entwarfen eine Verfaffung, welche die 
reine Demokratie befeftigen follte. Zwar übernahm Macdonald 27. Febr. den Oberbefehl über 
das aus den franz. Streitkräften und neapolit. Truppen zufammengefegte Nationalbeer, dem 


686 Parthien Partifane e . 

such eine Nationalgarde zur Seite ftand, aber der Ausbruch des Kriege mit Oſtreich undtr 

Unfälle Scherer's in Oberitalien zwangen die Franzoſen bald, Neapel mit Zurückta fans 
jet Befagungen zu räumen. In diefen Wirren landeten in Galabrien, mit Dülfe einer bek 

unter Nelfon, fardin., brit., ruff. und felbft türf, Truppen, die der Cardinal Ruffo = 

befehligte. Diefes Noyaliftenheer eroberte bie feften läge und zog auch endlich 20. Jun 

im Neapel ein. Unter Ausfchweifungen, bie felbft in der Gefchichte barbarifcher Wölfer beifpis 

108 find, wurde num der Thron der Bourbons wieder aufgerichter. Vol. Pahl, „Gefcichte ie 

Parthenopeifcjen Nepubtif” (Bf. 1801). N 

Parthien nannten die Alten im meitern Sinne das Land zwiſchen dem Euphrat, Drus, de 
Kabpiſchen und dem Indifchen Meere, im engern Sinne bie eigentlichen Wohnfige der Wartber 
welche anifhen Hyrkanien, Aria, Raramanien und Medien rings von Gebirgen 
waren, in dem nordweſtlichen Theile des heutigen Khoraffan. Die Parther felbft waren inte 

heften Zeiten als Abfömmlinge oder Stammvermandte der Scythen roh umd wild, abe 

‚eraus tapfer und befonderd wegen ihrer Neiterei gefürchtet, welche im Bogenfchiefien grek 
—— beſaß und den Feind gewöhnlich durch verftellte Flucht und plögliches Umwenden 

wg zu bringen und fo zu vernichten fürchte. Sie wurden zuerft von dem Perfern, dem 
‚von den Macedoniern und Syrern unterſocht. Den Syrern blieben fie bis auf die Zeit Anis 
us’ II. unterworfen, wo Arfaces nach Vertreibung derfelben feine Eroberungen bis über ie 
benachbarten Länder ausdehnte und das Parkbifche Reich gründete, welches feit 156 v. Er 
‚don den Arfaciben (f. b-) beherrfcht wurde, mit der Nefibenzftadt Hefatompylos. Bro dermir 
derholten Angriffe der Nömer, wobei namentlich Craffus 55 v. Chr. eine bedeutende Nieder 
Tage erlitt, blieben fie dennoch unbefiegt. Zwar eroberte Trafan einen Theil diefes Landes, dit 
mußte ſchon von ihm felbft und fpäter von Hadrian die Eroberung wieder aufgegeben werden 
Endlich) erregte Artarerres, ein Perfer, Sohn des Saffan, 214. n. Chr. einen Aufftand, flirt 
Benin vom Throne und unterwarf 229 n. Chr. ganz Mittelafien ſich und der Fami 
ber miden (f. b.). s 

Particip oder Participium, auch Mittelwort heift in der Grammatik derjenige Theil bet 
Beitwworts, welcher ben Inhalt deffelben in ber Form eines Adjectivs (f. b.) angibt und dehe 
auch zur Bildung zufammengefegter Zeitformen dient. Von der Theilmapme an dem Wefe 
jener beiden Nedetyeile hat das Particip feinen Namen erhalten. Viele Sprachen haben beiem 
dere Formen defelben zum Ausbruc der Thätigkeit und des leidenden Zuftandes, ebenfo für dir 
Gegenwart, Vergangenheit und Zufumft. Am ausgebildetften erſcheint die Conftruction mi 
dem Particip in der griech. und Tat. Sprache, fehr befchränft dagegen in der beutfchen Sprad«, 
obmwol neuere Schriftfteller, wie Luden, berfelben einen freiern Gebrauch und eine weitere Aut 
dehnung zu verfchaffen gefucht haben. 

Partieular (vom lat. pars, d. i. Theil), was einen Theil betrifft, fteht dem Univerfalm 
ald Dem, was von einem Ganzen gilt, gegenüber. Partieularrechte heifen die in dem deutſcha 
Eingelftaaten geltenden Rechte im Gegenfage zu dem fogenannten gemeinen beutfchen Recht 
Partieulargefhichte ift die Gefchichte einzelner Staaten im Gegenfage zur Univerfalgefchichtt, 
im Befondern auch die Gefchichte der deutſchen Einzelftanten, im Gegenfage zur allgemeinm 
deutſchen Geſchichte. Particularismus oder particulariftifch nennt man diejenige politißdt 
Anficht, welche eine Beſchränkung der Macht und der Rechte der deutfchen Tpeilftaaten zu Gum 
ſten einer kraftvollern Einheit des Ganzen nicht-augeben will. 

Partikeln, lat. particulae, eigentlich Theilchen, heifen in der Grammatif die unbiegfamen, 
mithin weder der Declination noch Conjugation fähigen Wörter, wohin das Adverbium (f.d.) 
bie Präpofition (f. d.) und Gonfunction (f.d.) gehören. Man nennt fie fo, weit fie dem äufem 
Umfange nach in der Negel die Heinften Mebetheile find, indem fie meift aus Stammmir 
tern befichen. Die größte Feinheit und Nüancirung im Gebtauch berfelben finder fich in de 
‚griech. und lat. Sprache. 

Partirerei, die firafbere Begünftigung des Diebftahls durch wiffentliche Ertwerbung ode 
Vertreibung geftohlenen Gutes, fteht in der Negel mit der Hehlerei, der wiffentlichen Werber 
gung geftohlenen Gutes, im Zufammenhange. 

Zuſen f. Parteigänger. $ 


artiſaue, ein Spieß, durch Verkürzung der Pike (ſ. d.) im 17. Jahrh. entftanden, hatte 


einen 6—8 F. langen Schaft von Holz mit eiferner Spige und war breiter als die germöhnlidt 
Lanze, nicht felten auch mit Widerhaken u, f.w. verfehen. Ein beilartiger Anfag an der Kante 
der Spige machte die Waffe zur Hellebarde (f. d.). Die Iegten Spuren der Partifanen beim 


Partitur Parzival 087 


Militär finden fi) 1806 in der preuß. Armer, wo die Offiziere und Unteroffiziere der Infante 
tie mit fogmannten Eſspontons bewaffnet waren; noch länger erhielten fie fi bei den Schwei⸗ 
zergarden und Stabdtfoldaten. 

Partitur nennt man in der Muſik die fchriftliche Zufammenftellung aller zu einem viel- 
Rimmigen Tonftüde gehörigen Stimmen. Die Partitur ift zunächft das Werk des Comp 
niften, wodurch derfelbe die im Geiſte ſchon entworfene oder ſich waͤhrend des Schreibens aus⸗ 
bildende Somppfition äußerlich fefthält, indem er zugleich den Antheil jeder Sing- und Inſtru⸗ 
mentalpartie an derfelben verzeichnet. Hauptlächlich gefchieht dies dadurch, daß die einzelnen 
Partien auf befondern Rinienfyftemen Takt für Takt untereinander gefchrieben werden, ſodaß 
man, was in jedem Takte von irgend einer Sing- oder Inftrumentalpartie zu leiften ift, vollkom⸗ 
men überfehen fann. Das Entwerfen der Partitur hängt mit dem Componiren unmittelbar 
jufammen. Die Anordnung der Partien in derfelben muß, obwol im Übrigen viel Berfchieden- 
yeit darin flattfinden kann und jeder Componiſt die ihm bequemfte Methode befolgt, im Allge- 
meinen doch eine leichte Überficht des vielflimmigen Ganzen gewähren. Gewöhnlich gefchieht 
dies, indem man die Sopraninftrumente über die Mittelftimmen ımd Baßinftrumente, bie 
Blasinftrumente über die Streihinftrumente, die Singftimmen unter die Inftrumentalpartien 
der Biolinpartie zunächſt ftellt, den obligatern und bedeutendern Partien aber die mittlern 
ſteme in der Partitur einräumt. Nach der Vielftimmigkeit der Sompofition faßt die Partitur 
mehr oder weniger Notenfofteme. Aus ihr werden dann, wenn das Tonſtück von dem dazu ge 
Jörigen Perfonale ausgeführt werden foll, vorher die einzelnen Partien befonders ausgefchrie- 
ben. Nach ihr pflegt endlich auch die Aufführung der Compofition geleitet zu werben, ſowie 
rach ihr auch die Compofition felbft, namentlich in Hinficht ihrer harmoniſchen Verhältniffe, 
yeusrtheilt werden kann. ' 

Darzen, im Griechiſchen Moiren, heißen im Allgemeinen die Schidfalsgöttinnen, die Je⸗ 
vem das Seinige oder fein Geſchick zutheilen. Namen und Zahl derfelben fommen bei Homer 
richt vor. Gewöhnlich braucht er die Einzahl, die Mehrzahl nur ein mal. Bei ihm ift die Moira 
och das perfonificirte Verhängniß, ohne Geftalt, Namen und Abftammung, weldyes den Men⸗ 
chen von feiner Geburt an nad) dem Rathſchluſſe der Götter lenkt. Es ift noch nicht das ſpaͤ⸗ 
ere Fatum, dem felbft die Götter unterthan find, ja felbft der Menſch hat in feiner Freiheit Ein- 
luß auf daffelbe. Won Hefiod an find der Moiren drei: Klotho (die Spinnerin), Lacheſis (bie 
as Lebensloos Beftimmende) und Atropos (die Unabmwendbare). Ihre Abſtammung ift nach 
emſelben Schriftfteller eine doppelte ; ein mal find fie mit den Keren Töchter der Nacht, das 
indere mal Töchter des Zeus und der Themis und als ſolche vom Zeus abhängig. Das Weſen 
ie ſer Böttinnen ift zu verfchiedenen Zeiten verfchieden aufgefaßt worden. Gewöhnlich erfcheie 
zen fie als eigentliche Schickſalsgöttinnen, welche barüber wachen, daß das jedem Weſen nad 
»wigem Geſezt zugetheilte Geſchick ungehindert fich entwidele. Ihnen als folchen find felbft 
Zeus und alle Götter unterworfen. Diefe allgemaltigen Schickſalsgottheiten werden auch in ber 
iltern Zeit nicht mit Spindeln, fondern als Matronen mit Eceptern, dem Zeichen der Herr- 
haft, dargeftellt, 3. B. am Borghefe'hen Altar. Als Gottheiten menfchlicher Lebensdauer tre⸗ 
en fie entweder als Geburtö- oder als Zodesgottheiten auf; daher fie auch zumeilen in der Zwei⸗ 
ahl erfcheinen. Als Geburtsgöttinnen fpinnen fie den Lebensfaden, weiffagen das Geſchick der 
Reugeborenen und werden mit der Eileithyia (Ilithyia) zufammengeftelit; als Todesgöttinnen 
sefcheinen fie mit den Keren und werden mit den Erinnyen in Verbindung gefegt oder vermengt. 


Bon der Kımft werben fie ald ernſte Jungfrauen dargeftellt, Klotho als Spinnerin, Lachefis 


als das Geſchick am Globus bezeichnend, Atropos mit einem Schneideinflrument. 

Parzival heißt das große, 827 breißigzeilige Abfchnitte zärlende, zwifchen 1205 und 1215 
ıbgefafte Kunftepos Wolfram von Eſchenbach's (f. d.), de& tiefften unter ben mittelhochdeut⸗ 
[chen höftfchen Dichtern. Aus arab., jüdifchen und chriftlichen Elementen war in Epanien bie 
Sage vom heil. Sraal (f.d.) ermachfen und bei ihrem Übergange nad) Frankreich im 12. Jahrh. 
auf füdfranz. Sagenftoffe von den alten Fürften in Anjou und auf den großen bretoniſchen Sa⸗ 
gentreiß von König Artus (f.d.) und der Zafelrunde geftoßen;. aus diefem Zufammen- 
treffen fo reicher und fo verfchiebenartiger poetifcher Ideen und Seftaltungen war dann die Dich» 
gung von Perceval entfprofien, einem fowol mit Artus als den Graalfönigen verwandten Fürs 
ftenfohne von Anjou, der zuerft am Hofe des Königs Artus und mit deffen Rittern, namentlich 
mit Gawein, dem vollendeten Mufter des weltlichen Ritterthums, verfchiedene Abenteuer bes 
fteht, zulegt aber das Königthum des Graal erwirbt und fo in Seligkeit feine Tage befchließt. 
Noch vor dem Ablaufe des 12. Jahrh. hatten bereits mehre nordfrang. Dichter diefe Geſchich⸗ 


188 *  Parzival .> 


ten. von-Parzival und dem Graal ausführlich behandelt. Wolftam nennt 
fruchtbaren und berühmten Chreftiens von Troies in der Champagne (g 
am Hofe Philipp's von Elſaß, Grafen von Flandern und Vermandois (111 
haben ſcheint, und von deffen noch ‚erhaltenem Gedichte nur erſt wenige 2 
find, und ferner einen nicht weiter befannten Gutor, in welchem man den Ly 
Guiot von Pronias, einen Landemann und Zeitgenoffen jenes Chreftiens, x 
ſen Gedicht verloren iſt. Diefe Quellen aber boten Wolfram nur einen. 
überladenen Stoff, aus welchem er, obſchon er weder leſen noch fehreiben | 
‚Hand nur fo viel herausnahm, als er für awei Geſchichten bedurfte, für di 
für die verwandte des Schionatulander. Von legterer hat er (nad) Vollent 
wol ſchwerlich mehr-ausgeführt als die 170 Mangreihen Strophen der beit 
unter dem Namen des (alten) „Ziturel” bekannten Bruchſtücke, welche felbft.i 
riſchen Geftalt als das ſchönſie und feinfte Erzeugniß der mittelhochdeutfcher 
dürfen. Die volle Kraft von Wolfram’s Geifte aber erfennen wir aus dem 
den Parzival, aus welchem wir mit Bewunderung erfehen, wie Wolfram t 
und Seele einzuhauchen verfucht, wie er allein unter allen gleichzeitigen Ku 
und. vermocht hat, Durch einen Grundgedanken von gleicher Tiefe als der des G 
Ordnung und, bewußten Bortfchritt in die bumte Fülle der Abenteuer zu bri 
die hohe Aufgabe ftellte, den Heiden kampf der Seele im Bildungs« und Ent 
ned höherbegabten Menſchen zu ſchildern. In der Einfalt des Kindes, in ju 
nenheit und Unbeholfenheit, in „tumpbheit‘, wie die alte Sprache das nennt 
exfte Jahre dahin. Bald jedody gefellt ſich zum ftillen Heimatsgefühl das tir 
Sehnen nad) ber Berne und Fremde, und er zieht hinaus in bie Welt; aber 
feinem Mangel an Welterfahrung, verfchergt er das dargebotene Glüd, d 
Graal. Nun ift zwar freilich die Lumpheit, die Jugendeinfalt überwunden, 
tritt der Haber mit fich, mit Gott und der Welt, die Verzweiflung („der zwi‘ 
in ſich verbiffen und trogig irrt darauf der Jüngling über vier I. umher, un 
Prüfung, nachdem er unbewußt ſelbſi den beften Freund, den eigenen Brudi 
ihm Erleuchtung und Verföhnung, kehrt ihm dad Vertrauen zu Gott und 
Jegt endlich, nach Befiegung des. Hochmuths und des Zweifeld, zur bewußte 
lichen Klarheit und Reife gediehen, ift er auch des einft verfcherzten Glür 
und erlangt zu der wiedergefundenen Gattin mit den Söhnen auc die 
nach der tumpheit und dem zwivel die „saelde”. Freilich vermochte Wolft 
Plan nicht zu einer im Ganzen wie im Einzelnen vollendeten fünftlerif 
runden; denn es gebrady feinem eigenen fühnen Geifte die Ruhe der DI 
gelte ihm alle gelehrte Kenntniß und jegliches Vorbild ; dennoch aber e 
über Alles, was nicht nur die deutfche, fondern die geſammte Kunſtdi 
derts gefchaffen hat.” Gedrudt ward Wolfram's Parzival zuerft 1 
Sammlung (Berl. 1784), zulegt in Lachmann's meifterhafter Ausg 
fehr ſchwierigen, die Grundidee enthaltenden Eingang erläuterte gleich 
den „Abhandlungen der berliner Akademie” (1855) und danach K 
„Germania“ (Bd. 5, Berl. 1843). Eine neuhochdeutfche Über 
(Magdeb. 1836) mit [hägenswerthen, aber vorfichtig zu gebrauchen 
tungen; dann mit tieferm Verftändniffe des Originals, aber faft z 
ſelbe Simrod (Stuttg. und Tübing. 1842). Die rohe, einfeitige u 
tifche $, ſſung der Parzivaldichtung, wie fie im „Peredur” des „I 
im 14. Jahrh. und offenbar unter nordfranz. Einfluffe niedergefch 
echt und altceltiſch fein mag, hat nur eine rein ftofliche Bedeutun 
durch die Verbindung mit den andern Sagenftoffen, aus welcher 
Dichtung hervorging; und diefe Verknüpfung, ſowie überhaupt 
das unbeftreitbare Verdienſt der franz. Dichter, während Wolfte 
erwedte und adelte. — Ein altenglifcher „Parcevell“, in 145 
gen Strophen, erhalten in einer um 1440 durch Robert Thorn 
Handfchrift (gedrudt in Hallimell’$ „The Thoruton romancı 
beruht bei aller Einfeitigkeit und Dürftigkeit feines Inhalts, 
ben ift, doch entfchieden ebenfalls auf nordfrang. Quelle, und 
wicht. näher befannten isländifchen Bearbeitung gelten, die ‘ 


Yasde-Ealais Pascal 689 


zedicht des Chreſtiens von Troies und feiner unmittelbaren Fortſetzer fcheint ziemlich treu 
gegeben zu fein in dem franz. Profaromane, welcher 1550 zu Paris gedruckt wurde. 
s⸗de⸗Culais heißt bei den Sranzofen, Strait of Dover bei den Engländern die Meer- 
welche als der engfte Theil des Kanals (ſ. d.) oder La Manche Frankreich von England 
und die Nordſee mir dem Atlantiſchen Dcean verbindet. Sie ift zwifchen den Städten 
und Dover 5, M. breit, an der ſchmalſten Stelle zwifchen Dover und dem Gap Grisnez 
hmaler. Beide Punkte find feit 1851 durch einen fubmarinen eleftromagnetifchen Tele- 
n verbunden. — Pas-de-Calais heißt ferner ein Departement im nordöftlihen Frank⸗ 
von dem Kanal und dem Nord- und Sommedepartenent umgrenzt und aus Der che 
n Grafſchaft Artois und den Landſchaften Boulonnais, Ponthieu und Galaifis der 
ie zufammengefest. Es umfaßt 119% AM. mit 692994 E. Das Klima des De- 
vente ift fehr veränderlich und unbeftändig. Der Boden, meift eben und gegen das Meer 
oßentheils fandig, wird nad) verfchiedenen Seiten von zwei Hauptreihen kleinerer und 
er Hügel, darunter der Mont-Hulin und der Mont-Rambert, durchzogen und von zahl- 
Flüffen, namentlich der Authie, Aa, Lys, Scarpe, Canche, Cenſee und Deule bewäffert 
im Allgemeinen ſehr ergiebig. Aderbau, der in hoher Blüte fteht und namentlich au 
Irüben und Gichorien im Großen probucirt, Gärtnerei, Vieh⸗, befonders Geflügelzucht, 
ınd Flußfiſcherei, Bergbau, namentlih auf Steinfohlen, und Torfgräberei bilden nebft 
Ihaftem AÄnduftriebetrieb, namentlich der Fabrikation von Wollenzeugen, Kattunen, DI 
opferwaaren, die Hauptmahrungszweige der Bewohner. Der fehr bedeutende Dandel 
men und außen wird noch befonders durch zahlreiche Kanäle, z. B. den Kanal von Ca⸗ 
ich St.-Dmer, der 95426 F. lang und 48%. breit ift, den Kanal von St.-Dmer nad) 
velcher, 61560 F. Lang, die Lys mit der Aa verbindet, den Kanal der obern Deule und 
Kanäle, ſowie durch Die Sechäfen von Boulogne, Calais, Wiſſant, Ambleteufe, Vime 
nd Etaples unterflügt. Das Departement hat von allen die größte Anzahl von Gemein» 
imfich 905, und zerfällt in die fech6 Arrondiffements Arras mit der gleichnamigen Haupt- 
es Departements, Bethune, St.-Dmer, Montreuil, Et.-Pol und Boulogne. 
Scal (Blaife), einer der größten Geifter und verehrungswürdigften Menfchen, wurde 
i 1625 zu Clermont in Auvergne geboren. Sein Bater, Etienne P., der erfter Präfi- 
ꝛi der Steuerkammer war, legte bald nachher, um fich ganz der Erziehung und dem Unter- 
)e6 Sohnes zu widmen, feine Stelle nieder umd ging mit ihm 1651 nach Paris, wo er 
38 blieb. Der junge P. wurde anfangs ausfchließend zum Studium der Humaniora 
Iten; erft fpäter follte ex die Mathematik fennen lernen. Aber ein Geiſt wie P. eilte aller 
eifung voraus; der Vater mußte nachgeben, und fon in feinem 13. 3. befchäftigte ſich 
Mathematik. Dhne die Sprachen und andere Wiffenfchaften zu vernachläſſigen, machte 
er Mathematik ſolche Kortichritte, daß er im 16.2. eine Abhandlung über die Kegel« 
fchreiben konnte, welche die ausgezeichnetften Mathematiker in Staunen fegte. Ja 
ra feinem 15. 5. hatte er in einem Briefe an Fermat Anfichten über die Schwere der 
aufgeftellt, welche die Keime jener Entdedungen enthalten, die Newton zum größten 
* feiner Zeit machten. Einige Jahre ſpäter erfand er zu Rouen eine fehr künſtliche Re⸗ 
ſchine, wie denn auch die Brouette und der Haquet, zwei Transportmafchinen, P.'s 
angen find. Als Züngling von 25 3. entdeckte und bewies er, daß die Erfcheinungen, 
Bisher aus dem horror vacui erflärt worden waren, durch die Schwere der Luft bedingt 
Auch war er, wenn nicht der Erſte, doch einer der Erften, der Höhenmeffungen mit dem 
:eter anftellen ließ. Unter dem Nanıen d'A.... b’Ettenville gab er 1649 feine Abhand- 
ser die Cykloide heraus. Mit Fermat arbeitete er gemeinfchaftlih an Beftimmung der 
Ffenheit der figurirten Zahlen und an der Summation verſchiedener Zahlenreihen. Seit 
Jahnte er durch fein arithmetifche® Dreied den analytifchen Korfchungen einen neuen 
amd begründete die Wahrfcheinlichkeitsrechnung; während der ärgften Leiden löſte er oft 
gen Minuten mathematifche Probleme, an denen Andere Monate lang gearbeitet hat- 
Sicht minder ausgezeichnete Verbienfte erwarb ſich P. um die franz. Nationalliteratur; 
bn begann die franz. Profa beftimmter fich zu geftalten. In einem Alter von noch nit 
wo andere Menfchen kaum zu denken anfangen, hatte er bereit6 den ganzen Kreis des 
‚lichen Wiffens durchlaufen. Auf einmal ergriff ihn mit ganzer Gewalt der Gedanke, 
ı Chrift Gott über Alles lieben müffe, und führte ihn bei feiner unheilbaren Krankheit 
etifcher Strenge und völliger Verlaffung der Welt. Was man über P.s Gemüthszer⸗ 
».⸗ex. Zehnte Aufl. XI. 4 


0 | Yale Ä Paſchafius Nabbertus " 
ruttung gefagt hat, z. B. daß fie durch den Schreck entfianden fel, den er 1654. auf ber 
von Aeunilly gehabt, als feine Wagenpferde wild wurben und ſich in die Seine ſtürzten, 
anf derſelben fchlechten Bafis, worauf auch das Märchen von Rewton’s Ge 
zubt. Dan wollte die chriſtlichen Befinnumgen des Einen wie bes Andern, da man fie a 
nicht leugnen konnte, aus Geiſtesverwirrung erflären. Die Widerlegung gibt bie 
an die Hand. P. hatte ſchon einige Zeit im väterlichen Haufe fein befchauliches Leben 
und feinen Bater, fowie eine feiner Schweftern für feine Gefinnungen gewonnen, als er 1 
eine Wohnung bei der Abtei Port⸗Royal, in der Nähe feiner Fremde Arnauld, Nicole, 
lot und anderer Janfeniften, bezog. Doch hatte er hier noch immer Augenblicke, we er 
mathematiſchen Genie ven fhuldigen Tribut zollen mußte. So entdeckte er einfl in einer 
loſen Racht eine Menge wichtiger Eigenfchaften ber Cykloide. Vom Jan. 1656 Bis zum 
41657 erfchienen feine berühmten Briefe gegendie Sefniten: „Les Provinciales, ou letires 
tos par Louis de Montalte (Pascal) à un provincial de ses amis avec les notes de 
Wendrock” (Ricole), die feitbem ‚mehr als 60 Auflagen erlebt Haben. Diefelben 
fhenungslo® die Iare Moral der Jeſuiten, benen fie unendlich geſchadet Haben, und 
vollendetes Meifterftück einer reinen und geiftvollen Proſa, gebrängt, hellfaflich, zur 

g fortreifend und überflrömend von kauſtiſchem Spotte. Ein nicht weniger | 
, das nach P.'s Tode aus defien Papieren zufammengeftellt wurde, find Die „Ponsdes 

la religion” (Amft. 1692), Fragmente einer großartig angelegten Apologie bes Dffenbarup 
glaubens, der allein die Gebrechlichkeit bes menfchlichen Wiſſens ergänzen fonne. Rammil! 
ſucht P. zu zeigen, daß die Borausfegumgen des Dffenbarungsglaubens nicht Fühner bw! 
haitbarer find als die der Wiſſenſchaft. Die Natur, fagt ex, macht den Zweifler zu Shee 
umb die Vernunft den Dogmatiker; denn das Unvermögen biefer Bann kein Dogmatik, ik 
Anſchauung der Wahrheit kein Zweifler je befiegen. Auch warf er geiftreihe Wticke auf dies 
ſchichte, doch in einem andern Sinne als fpäter Montesquien. Seit 1658 fat in beffändige 
Lodestampfe, fand er Troſt in der Heiligen Schrift, bie er nicht aus den Händen lief mb ab 

wenbig lernte. Er farb 29. Aug. 1662. Außer dem Leben P.’6, das feine Schweſter Jarys 
fine, geb. 1626, die auch als Dichterin bekannt ift, und dem „Rloge”, weldhes feine ande 
Schweſter, Bilberte, verfaßte, hat Boffut eine treffliche Abhandlung über P.gefchrieben, wei 

' der von ihm beforgten Ausgabe der Werke P.s (Haag und Par. 1779; neue Aufl., 5 Bi. 
1819) vorangeftellt ift. Auch fchrieb Raimond ein „„Eloge de P.” (Par. 1816). Vgl. Nut 
Iin, „P.'s Leben und der Geift feiner Schriften” (Stuttg. und Zub. 1841); Saugere, „Leer! 
nie et les ecrits de P.“ (Par. 1847); inet, „Etudes sur P.“ (Yar. 1848). Die erfte mirie! 
urfprünglichen Handfchrift verglichene Ausgabe feiner „Pensdes” hat Prosp. Faugere beſez 





















(„Pensees, fragments et lettres de Bl. P.“ 2Bbde., Par. 1844 ; deutich von Schwarz, 2Br 


&pz. 1844). Unter den verfchiedenen Ausgaben feiner Werke ift die von ®emercier bee; 
(2 Bde., Par. 1830) hervorzuheben. 
afcha, ein oriental. Titel, der von den perf. Wörtern pa, d. i. Fuß, und schah, d.i. mi, 

berfommen und fo viel als Fußſtütze des Königs bedeuten foll, wurde von den Türken urfprum 
lich nur den Prinzen von Geblüt ertheilt, wird aber jegt allen hohen politifchen und militis 
ſchen Beamten, ſowie dem Großvezier felbft, den Mitgliedern des Divans, dem Seriaster, da 
Kapudan · Paſcha u. f. w., vorzüglich aber den Beglerbegs und andern Verwaltungsvorflände 
beigelegt, weshalb auch die Statthalterfchaften und Unterftatthalterfchaften gewöhnlich de 
ſchaliks heißen. Das charakteriftifche Zeichen der Paſchawürde ift der Roßſchweif, der wallet 
auf einer Stange, an deren Spige eine vergoldete Kugel fich befindet, im Kriege ihnen vom 
tragen und vor ihrem Zelte aufgepflanzt wird. Nach ihrem Rang unterfcheidet man Yalıı 
von einem, zwei und drei Roßſchweifen, welche Leptere den Rang und Titel eines Veziert has 

Pafchälis ift ber Name dreier Päpfte, von denen jedoch der dritte in der röm. Kirche sit 
mitgezählt wird. — Paſchalis L, 817—824, mußte fich einer faiferlichen Unterfuchung use 
werfen, weil er zwei rom. Geiftliche, die es mit Lothar hielten, hatte blenden und köpfen Kfe 
Daß ihm Ludwig der Bromnte die weltlichen Herrfcherrechte über Rom gefchentt habe, if 
Erdichtung des 11. Jahrh. — Paſchalis IL, 1099 — 1118, war gegen Philipp von Frankreich 
Heinrich von England nachfichtiger als gegen Kaiſer Heinrich IV., wurde aber don deffen Bein 
Heinrich V., den er zuvor gegen den Vater aufgehegt hatte, genöthigt, dem Kaifer die Imeb 
tus zu geftatten und im Epile zu enden. — Paſchalis IIL, der von den kaiſerlich gefinnten 6x 
dinälen 1164 gewählte Gegenpapft Alexander's IIT., fanonifirte Karl d. Er. 

Paſchaſius Radbertus, der Exfte, welcher die Brotverwandelungslehre im Abendmaht 


on ee rm er 1 BB CH BO Aa D3A [m — 


Pafigraphie | Paskewitſch 691 


(f. d.) entfchieden aufftellte, war im Gebiete von Soiffons um 800 geboren, trat fpäter in das 
Kloſter zu Corbie ein, deſſen Abt er von 8BAA— 851 war, und flarb 865. In feiner Schrift 


„De corpore et sanguine Domini‘ vom J. 851 erflärte er, bei der Confecration werde dur . 


Ye Allmacht des Heiligen Geiftes jedesmal derfelbe Körper Ehrifti erfchaffen, der einft von Ma- 
ria geboren worden und nach dem Kreuzestobe auferftanden ſei; ohne diefes wirkliche Vorhan⸗ 
denſein könne jener Körper feine Kraft nicht äußern. Bei alle Dem ſchrieb er dem Genuſſe nur 
tine geiftige Wirkung zu und hielt den Glauben für die nothwendige Bedingung der Wirkung, 
in welchen zwei Punkten er mit feinen Gegnern, dem Mond) Frudegard, dem Abte Hrabanus 
Maurus und dem gelehrten Propfte Ratramnus übereinflimmte. Übrigens gerieth er mit dem 
Regtern auch deshalb in Streit, weil er in der Schrift „De partu virginis” eine wunderbare 
Entbindung der Maria behauptet hatte. Unter feinen Werken ift nod) ein Commentar zum 
Evangelium des Matthäus zu erwähnen. 

: Bafigrapbie, d. h. Allgemeinfchrift, nennt man eine allen Nationen der Erde verftändliche 
Zeichen. oder Schriftfprache, die man aber ebenjo wie die Pafilalie oder Pafilogie, d. h. eine 
Ullgemeinfprache durch Laute, bis jegt vergebens gewünscht und verfucht hat. Die erften An⸗ 
deutungen zu einer Pafigraphie gab 1668 der Engländer Wilkins, dem fpäter Andere 
folgten, namentlih Chr. G. Berger in dem „Plan zu einer allgemeinen Rede- und Schrift« 
Sprache für alle Nationen” (Berl. 1779), Wolke in der „Erklärung, wie die Paſigraphie mög⸗ 
ich und ausüblich fei” (Deffau und Lpz. 1797), Fry in der „Pautographia” (Xond. 1799), 
J. M. Schmidt in den „Pafigraphiichen Verſuchen“ (Wien 1815) und im „Magazin für all⸗ 
gemeine Sprache” (Dillingen 1816). Die erfte Idee zu einer Pafilalie gab Leibniz in der 


Schrift „De arte combinateria” (2pz. 1666), die dann von Lambert im „Neuen Organon” - 


(2 Bde., Lpz. 1764), von Condorcet in feiner „Esquisse d’un tableau historique des progrès 
de l’esprit humain“ (Par. 1794), von Ab. Bürja in der „Pafilalie” (Berl. 1808) und Anbr. 
Stethy in der „Lingua universalis” (Wien 1825) weiter ausgebildet wurde. Vgl. Bater, 
„Paſigraphie, oder über die neueften Erfindungen einer allgemeinen Schriftfprache für alle 
Völker“ (Weißenf. 1795); Niethammer, „Über Pafigraphie und Ideographie“ (Nürnb. 
1808) ; Riem, „Uber Schriftfprache und Pafigraphie” (Manh. 1809). 

: Hafiphäf, die Tochter des Helios und der Perfeis, Schwefter des Aëtes und ber Girce, Ge⸗ 
mablin des Minos, die Mutter des Undrogeos, Deukalion, Glaukos, Katreus, der Akalle, 


ERenodike, Ariadne und Phadra, entbrannte, von der Aphrodite, welche dem ganzen Gefchlechte 


des Helios Rache geſchworen hatte, verblendet, in umnatürlicher Xiebe zu einem Stier. Däda- 
08 verfertigte künſtlich eine hölzerne Kuh; in diefe verbarg fie ſich, genoß fo mit jenem Stier 
ie Freuden der Liebe und zeugte von ihm den Minotaurus. — Pafiphad hieß auch eine Dra- 
elgöttin zu Thalamä in Lakonien, welche für eine Tochter des Atlas, oder für ibentifch mit der 
Paffandra, oder ber Daphne, der Tochter des Amyklas, gehalten wird. In ihrem Tempel 
‚flegte man zu fchlafen, um im Traume Offenbarungen zu erhalten. 

Paskewitſch (Iwan Fedorowitſch), Graf von Eriwan, Fürft von Warfchau, uff. Feldherr 
nd Statthalter im Königreich Polen, ift aus einer Familie entfproffen, bie, urfprünglich im 
eutigen Bouvernement Minsk anfällig, durch die von ben Sefuiten gegen die Bekenner der 
riech.⸗kath. Religion verübten Verfolgungen um die Mitte des 17. Jahrh. veranlaßt wurde, 
ach Kleinrußland auszumandern und ſich dort niedergulafien. Der Großvater P.'s, Grigorji, 
ewirthſchaftete felbft ein kleines Gut in der Nähe von Pultawa; fein Vater, Fedor, war 
Jeamter und ftarb 1832 als Collegienrath außer Dienften zu Charkow. P. wurde am 
. (19.) Mai 1782 zu Pultama geboren. Er befuchte zuerft ein öffentliches Lehrinſtitut in Pe- 
rsburg, ward von Paul I. zu feinem Leibpagen ernannt und trat 1800 als Lieutenant und 
riſerl. Flügeladiutant in das Preobraſchenskiſche Regiment.. Nachdem er bei Aufterlig gefoch- 
m, ward er 1806 zur Donauarmee verfeßt und machte bie Feldzüge gegen die Türken bis 
812 mit, wo er fich die genaue Kenntniß von ber Eigenthümlichkeit dieſes Gegners erwarb, 
ke ihm in feinen fpätern afiat. Feldzügen fo nüglid war. Im I. 1807 ward er mit einem 
tplomatifchen Auftrage nad) Konftantinopel gefchidt und entging hier bei einem Volksauflauf 
ur dadurch dem Tode, daß er ſich in ein Meines Boor warf und die Schiffer zwang, nach der 
uff. Küfte hinüber zu fteuern. Bei der Einnahme von Brailow verwundet, erfämpfte er fi 
zald darauf als Oberſt und Commandeur des Regiments Witebsk beim Sturm von Baſardſchik 
a6 Georgenkreuz, erhielt auch für feine Theilnahme an der Schlacht von Batyn, 7. Sept. 
1810, den Rang ald Generalmajor. An der Spige der 26. Infanteriedivifion zeichnete er ſich 
1812 bei Smolenst, Borodino, Malo⸗Jaroslawez und Krasnoi aus. Mit ige Tapferkeit 


- 
























692 , , Pasquier (Etienne) Pasquier — — 


— re en Jahre in Deutjchland. Nach der Schlacht von 
at, zum Generallieutenant befördert und half 1814 Paris, — 
hielt er das Commando einer Gardedivifion, begleitete den Großfürſten Michael 1817 
feinen Neifen durd) Europa und ward 1825 Generalabjutant des Kaifers. Die Bahng 
höherm Ruhm eröffnete fich ihm in den Kriegen gegen Perfien und die Pforte. Am 25. 
4826 ſchlug er bad perf. ‚Heer bei Elifawetpol, eroberte im Feldzuge des nächften Jahres ie 
verf. Armenien und ſchloß nachdem er die Hauptfladt Eriwan mit Sturm — und 
Tauris beſetzt hatte, 22. Febt. 1828 den für Rußland ſehr vortheilhaften: Frieden 
Turk mantſchai ab, worauf er vom Kaiſer zum Grafen von Eriwan erhoben und mit IM 
Rubel beſchenkt wurde. Die Türken ſchlug er bei Kars, nahm Achaltſiche und andere Fefluny 
vernichtete ein ziweites türf. Heer an den Quellen des Euphrat und z0g 9. Zuli — b 
jerum ein. Als Lohn erhielt er den Feldmarſchallsſtab und die erfie Claffe des Georgenen 
nY.1850befäätigte ihn die Unterwerfung der aufrührerifchen Gebirgenölfer um Kaulapl 
und in der — ‚gelang es ihm nach mehren fiegreichen Treffen gegen die Les ghier und 
fier und nad) der Unteriwerfung Dagheftans, eine Berbindung zwiſchen ben tis · und trandt 
Provinzen zu erzielen. Nach dem Tode des Grafen Diebitfh-Sabaltanfti ü 
26. Juni 1831 zu Pultusk den Oberbefehl der Armee in Polen und wurde auch Sie 
nem gewöhnlichen Glücke begleitet. Nach dem Falle Warſchaus vom Kaifer in den Fürfie 
erhoben und zum Vicefönig von Polen ernannt, * er in dem unglücklichen, vom Kı 
rütteten Bande die Verwaltung wieder zu ordnen und das befiegte Volk zu beruhigen, 
fo ſchwerer, je tiefer die neuen Einrichtungen das Narionalgefühl der Polen verlegten. 
309 26. Febt. 1852 das organifche Statut, welches Polen mit Rufland vereinigte, umd nt 
hierauf zum Präfidenten des für daffelbenenorganifirten Adminiftrationsrathe ernannt. Be 
derholte Berfuche zu Aufftänden und Unruhen wurden durch feine Umficht und Energie‘ 
das 3.1848 ohne Störung an Polen vorüberging. Als 1849 die ruff. I 
in Ungarn (f. d.) befcjloffen ward, erſchien P. trog feines vorgerüchten Alters, vom 
Feide und Fonnte bereits 13. Aug. feinem Monarchen die Gapitulation der ungar. Ar: 
die Unterwerfung des Bandes melden. Im Det. 4850 wurde fein 50jähriges Dien 
in Warſchau mit großem Gepränge gefeiert, bei welcher Gelegenheit er fowwoL won 
Dfireich als vom König von Preußen zum Feldmarfchall ihrer Armeen ernannt wurde: I 
feiner Ehe mit einer Verwandten bes Dichters Gribojedom find vier Kinder entfproffen, daranıt 
‚ ein Sohn, Fedor, Garbeoberft und Flügeladjutant des Kaifers, feit 1852 vermählt mit rm 
Tochter des Oberceremonienmeifters Grafen Woronzow - Daſchkow. Vgl. Tolftoy, „Es 
biograpbique et historique sur le feld-mar&chal prince de Yarsovie ete.” (War. 1855). 
Pasquier (Etienne), berühmter franz. Juriſt und Diftorifer, geb. 1529, wurde in jene 
20.3. ald Advocat aufgenommen und führte 1549 feine exfte Nechtsfache. Nachdem er fihn] 
Tat. ımd franz. Sprache als Dichter verfucht hatte, trat er mit feinen „Recherches wi 
France“ (Par. 1665) auf, welche zu den hervorragendſten Erſcheinungen der ältern biftoni 
Literatur gehören. Als Anwalt der Univerfität in dem Streite diefer gelehrten Corporation 
den Jeſuiten erhielt fein Name eine große Verbreitung. Im J. 1605 Iegte er feinen Pofter 
Lönigl. Advocat zu Gunften feines Sohnes Theodore nieder und farb 31. Aug. 1615. Sei 
gefammelten Werke (am volftändigften 2 Bde, Amft. 1725) enthalten außer fehr gehalt 
hen hiſtoriſchen und ſprachlichen Unterfuchungen auch einige poetiſche Sachen. 
Pasquier (Etienne Denis, Herzog von), Kanzler von Frankreich, wurde 1767 zu Pad] 
geboren. Sein Vater war, wie mehre feiner Vorfahren, Parlamentsrath und ftarb 1794 mie) 
der Guillotine. Auch der junge P. ſtudirte die Rechte und erhielt eine Rathöftelle im Parlamm 
zu Paris. Erſt nach Errichtung des Kaiſerthrons trat er als Requötenmeifter in den Stat 
rath ein.. Er wurde 1810 zum Staatsrath befördert, flieg Fury darauf zum Generalprorumit 
und empfing zugleich den Baronstitel. Nach Verabfchiedung des Polizeipräfecten von Pak 
Dubois, erhielt er deffen Stelle. Er verwaltete diefes Amt mit Auszeihnung und traf bein 
ders die großartigen Anftalten, welche noch gegenwärtig zur hinlänglichen Werforgung be 
Hauptftadt mit Lebensmitteln gelten. Während des ruſſ. Feldzugs von 1812 ließ er fih jet 
von der Verſchwörung Mallet's (f. d.) überrafchen und empfand dafür den Born des Rain 
Er wurde auf Befehl Napoleon’ vor den Staatsrath geftellt, der ihn aber in Diefer Angeleg> 
* ſo ‚gänzlich ſchuldlos fand, daß er fein Amt behalten konnte. Als die Verbündeten 814% 
Paris eingogen, bot er Alles auf, um die Bevölkerung in Nuhe und Sicherheit zu erhallm 
Nach der efeurarion der Bourbon legte er die Poligeivertvaltung nieder und-fbernahm dr 


-- 2. - ou. seramaz mom SS JwERSBremannS—.. 


! Basquil Paſſah 683 


egen die Generaldirection der Brüden und Wege, welches Amt er mit der Rückkehr Napo— 
eon's abgab. Bei der zweiten Reftaurution vertraute nıan ihm in dem kurzen Minifterium 
‚Ballenrand’s (f. d.) die Siegel, ſowie interimiftifch das Portefeuille des Innern. Nach Auflö- 


ung diejes Cabinetd wurde er Präfident der Commiſſion zur Liquidirung der Schuld an die 


'erbündeten Mächte. Nachdem er 1816 als Abgeordneter des Seinedepartements in die Kam⸗ 
3er getreten, in welcher er die Präſidentſchaft erhielt, berief ihn der Herzog von Richelieu als 
inen gemäßigten Charakter aufs neue ind Minifterium und übergab ihm im San. 1817 die 
Siegel. Treu feinen leidenfchaftslofen Anjichten, verfhmähte er, in das Minifterium Deſſoles 
u treten, und nahm augleich mit Richelieu ben Abichied. Er fuhr indek fort, den Bourbons 
urch Überreihung von Denkſchriften jeine Dienfte und Ergebenheit zu bezeugen, und dies be» 
303 Decazes, ihm bei der Bildung des Cabinets vom 19. Nov. 1819 das Portefeuille des Aus- 
»ärtigen zu verleihen. In diefer Stellung entfaltete P. alle Hülfsmittel feines tätigen und 
ewandten Beiftes. Er kämpfte gegen die Häupter der äußerſten Linken wie der äußerfien Rech⸗ 
en. Deffenungeachtet erlag er in den Discuffionen der Adreſſe von 1821 den vereinten Angrif- 
en der Ultras und Liberalen und mußte jein Portefeuille an ben Herzog von Montmorency ab» 
:eten. Ludwig XVIII. hatte ihm kurz vorher die Pairswürde verliehen, die ihm nun Gelegenheit 
ab, feine gemäßigten Anfichten in der erſten Kammer geltend zu madyen. Ludwig Philipp er- 
annte ihn nach der Revolution von 1850 zum Präfidenten der Pairskammer, in melcher Ei⸗ 
enſchaft er eifrigft zur Herftellung der Nuhe wie zur Befeftigung der neuen Dynaftie wirkte. 
Jer König belohnte feine Dienfte, welche er auch dem Hofe als geheimer Rathgeber leiftete, in« 
em erihn 1857 zum Kanzler von Frankreich, 1844 aber zum Herzog erhob. Seine offentliche 
Stellung endete erft mit der Februarrevolution von 1848. 

Pasquill nennt man eine anonyme oder pfeudonyme Schmäh- oder Läfterfchrift, die durch 
en Drud oder durch bloße Abfchrift zu dem Zwecke veröffentlicht wird, um dem guten Rufe 
nes Andern dadurch zu fchaden oder wenigftens die Periönlichkeit, ben Charakter und die Wirk⸗ 
amkeit deffelben dem Gelächter preiszugeben. Den Nanıen erhielt dieſes Wort von einem 
Schuhflider Pasquino, welcher zu Anfang des 16. Jahrh. zu Rom lebte und dur) Wig und 
eüßenden Spott ſtets eine große Menſchenmenge in feine Werkftatt lodte. Als man fpäter in 
er Ede des Palaftes Orſini, wo ehemals die Bude jenes Schuhflickers ftand, eine Bildfäule 
us grub und dort wieder aufftellte, bezeichnete das Volk diefe Bildfäule ebenfalls mit dem Na- 
ven Pasquino und behing fie von jegt an mit wigigen Einfällen und Satiren über die Tages- 
egebenheiten, die im Geifte jenes Schuhfliders verfaßt waren. (S. Marforio.) Schon die 
dömer kannten das Pasquill, befonders feit der Kaijerzeit, unter der Benennung famosus li- 
ellus, und Auguftus ließ daher namentlich gegen pſeudonyme Verfaſſer folcher die ftrengften 
nıterfuchungen einleiten und da3 Gefeg des Hochverraths in Anwendung bringen, ſodaß Ehr- 
figkeit, Schläge, felbft der Tod als Strafe erfolgten. Die deutfche Reichögefeggebung bedroht 
henſo wie die meiften neueren deutfchen Randesgefeggebungen das Anfertigen und Verbreiten 
on Pasquillen mit einer ſchwerern Strafe ald die gemohnlichen Injurien. 

Paſſagen nennt man in der neuern Muſik umd vorzüglich im Geſange eine Reihe melobi» 
Her Töne, wodurch die Melodie mannichfaltiger gemacht und mittel& der fogenannten Dimi⸗ 
uition oder Verkleinerung eine Hauptnote in mehre verwandelt wird. Diefe aus allerlei Figu⸗ 
en zufanımengefegten Läufer müffen fo befchaffen fein, daß alle Töne leicht und im Zufam- 
aennhange vorgetragen werden können, weshalb fie auch beim Gefange nur auf eine Eilbe fal- 
m. Sie find entweder vom Somponiften felbft vorgefchrieben, oder werben vom Sänger oder 
Spieler an der paffenden Stelle angebracht. 

Paſſah oder Paſchah (hebr.), d. i. Verſchonung, heißt das Feſt, welches die Juden zum 
Andenken an die Berfchonung ihres Volkes bei der lage des Würgengels in Agypten und an 
en Auszug aus diefem Lande im erfien Vollmonde des Frühlings vom Abende des 14. bis 
um 21. des Monats Nifan feiern. (S. Dſtern.) Zu diefer fiebentägigen Feier verfammelten 
ich alljährlich die Iſraeliten bei der Stiftshütte und feit Salomo’8 Zeiten bei dem Xempel zu 
Jeruſalem. Während derjelben burfte nur ungeläuertes Brot (Trübfaldbrot genannt) gegeffen 
roerden, weil bei dem eiligen Auszuge aus Agypten der Zeig ungefäuert hatte mitgenommen 
werden müffen, daher das Paffah auch das Feft der ungefüuerten Brote heißt. Jeder Haute 
vater verzehrte mit feiner Familie am erften Abend ein von Priefter gefchlachtetes einjährige® 
Lamm (da8 Paffahlamm), welches ganz und ohne Zerbrechung ber Knochen aufgetragen und 
genoffen wurde. Dankgebete und Erzählungen aus ber Gefchichte des Auszugs gaben dieſem 
Maple feine religiöfe Bedeutung. Dazu wurden auch Opfer an Erftlingen der Heerden und 


4. 


















69 Paflarowig Pafavant ö 
Früchte im Tempel dargebracht. Das Paffah mar das größte unter den jũd. Feſten 
derte durch — — Barerlandeliebe, Gemeinfinn und, 
Gegenwärtig wird es von den Juden jedes Orts durd) den Genuß ungefäuerter Brote um 
Kanten Gebeten begangen. — Die Frage, ob Jeſus, als er das Abendmahl einſedte, das 
— mit Bezug auf die Erzählung 
vernei = 


Paſſarowitz, eine Heine freundliche Stadt in Serbien mit 2000 E., öfttich von ber’ 
rawe, unweit ihres Einfluffes in Die Donau gelegen, das Margum der Alten in 
ift gefehichtlich merkwürdig durch den dafelbft 21. Juli 1718 von Venedig umd Karl 
der Pforte, unter Vermittelung Hollands und Englands, abgefchloffenen Frieden, 
Krieg endigte, den die Pforte 1714 gegen Benebig unternommen hatte, um Morea zu 

jatwinde oder Mouſſons, ſ. Winde. 2 
‚Palau, Stadt in Niederbaiern, der Sig eines Biſchofs, iſt höchſt romantiſch am 
menfluß von Donau, Ilz und Inn gelegen. Sie hat zwei Vorftäbte, die Innſtadt und bie‘ 
ftadt, und 11500 E. Die eigentliche Stadt liegt auf einer von der Donau umd dem 
deten Halbinfel. Über die Donau führt eine 1818—25 erbaute, auf fieben Granitpfellern, 

hende Brüde. Die Innſtadt am rechten Ufer des. Inn iſt durch eine auf acht 

zuhende Brüde mit P. verbunden. Senfeit der Donau, am linken Ufer der Ilz, liegt die 
ſtadt. Auf dem in dem Winkel zwiſchen der Donau und dem rechten Ufer der 
400 8. hohen Berge befindet fich die Feftung Oberbauß, die mit dem tiefer Tiegenden 
Niederhaus verbunden if. Die eigentliche Stadt ift ziemlich gut gebaut, Dagegen 
Vorftädte um fo mehr zu wünfchen übrig. Unter den ‚zeichnen fich aus. 
derfteinen gegen Ende des 17. Jahrh. neu hergeftellte prächtige Domtirche mit vielen. 
und Denkmalen auf dem Domplage, wo ſich auch das dem Könige Mar Jofeph 1: 4: 
tete Denfmal befindet; ferner das ehemalige biſchöfliche lo und das 
fuitencolegium mit einer Bibliothek. Die Stadt ift Sig eines königl. i 
hat außer der.fönigl. Studienanftalt noch ein ausgedehntes biſchoͤſliches Seminar, 
malige Abtei St.-Nikola iſt in eine Kaferne umgetvandelt. Das vormalige Kloſter 
burg ward den Englifchen Fräulein eingeräumt, die darin ein Penfionar unterhalten. Sehr: 
ſind die wohlthätigen Anftalten in P. ausgeftattet, die einen Fonds von 2 Mill. Gldn. beige 
Der Gewerbfleif ift, abgefehen von einigen Fabriken in Zabad, Leder und Porzellan md b 
beutenden Bierbrauereien, nicht bedeutend, wichtiger der Handel und die Schiffahrt. Bahn 
find die Paſſauer Ziegel, die in Obernzell (f. d.) bei P. gefertigt werden. In der Mäbe line 
der Berg Mariahilf, ein Walfahrtsort, und das Luſtſchloß Freundenhain. P. iſt eine ſcht e 
Stadt und hiſtoriſch merkwürdig durch den dafelbft 31. Juli 1552 gefehloffenen Vertrag, ( 
Meligionsfriede.) Das Bisthum zu P. entftand im 8. Jahrh. in Folge der Überfiedelung ] 
Kirche zu Lorch. Durch den Neichsdeputationshauptfchluß wurde es fäcularifirt. Stabtw) 
Beftung nebft dem weftlichen Theile kamen an Baiern, der größere öftliche Theil am den 
herzog von Toscana, nachherigen Kurfürften von Salzburg. Erft 1805 gelangte Baiern inie] 
Beſitz des ganzen Fürftenthums, das bei der Säcularifation 18 AM. umfaßte, über 52000 
zählte und über 430000 Gidn. veine Einkünfte gewährte. 

Paſſavant (Job. Dav.), einer der bedeutendften unter den lebenden Kunfkfchril 
auch als Künftler fehr gefhägt, wurde 1787 zu Frankfurt a. M. geboren und war eigen 
für den Dandelsftand beftimmt. Dod) eine angeborene Kunftliebe und der Anblick der Km] 
fhäge von Paris in den I.1810—15 beftimmten ihn, nachdem er im Befreiungstrieg ala 
wilfiger gedient, für die Künftlerlaufbahn, die er zunächft in Paris unter David, dann] 
Gros verfolgte. Später ſchloß er fi in Nom der dortigen deutfch-romantifchen Schule 
Den vielfachen Anfechtungen gegen diefelbe fuchte er in feinen „Unftchten über die bildende 
Künfte u. ſ. w.“ (Heidelb. 4820) entgegenzuwirken. Unter feinen fünftlerifchen Beiftung 
find namentlich die „Entwürfe au Grabdentmälern‘ und die ausgezeichnete Darftellung Kat 
Heinrich s U. im Kaiferfaal des Nömers zu Frankfurt zu erwähnen. Am meiften trug? 
doch zu feinem Ruhme feine Schriften bei, vornehmlich, die „Runftreife durch England = 
Belgien“ (Ftf. 1855), worin die bedeutendften Forfhungen und mufterbafte Prüfungen up 
tofer Kunſtwerke niedergelegt find. Noch höher, den Gegenftand erfchöpfend und abfchlieien 
ſteht fein Werk „Nafael von Urbino und fein Vater Giov. Santi’‘ (2 Bde, Rpy. 1859), W 
auf einer vollfommenen Kenntniß der Werke Rafael's und der ganzen unıbrifchen Schule 
tuht und ein Meiſterwerk der Kritik ift. Auch durch feine im „Runftblatt“ mitgetheilten Nadrid 


’ 


Pafſeyr Paſſionsbluu.e 086 


ten über die ältern Malerſchulen Deutfchlands, der Niederlande und Italien erweiterte und bes 
gründete er fehr die Kenntniß diefed Theils der Kunftgefchichte. Seine Schrift „Die hrif® 
liche Kunft in Spanien” (2pz. 1855) gibt zum erfien mal eine auf Selbſtanſchauung ge 
ſtützte Darftellung diefes Gegenftandes in feinem Zufammenhang mit den alten gleichzeitigen 
Kunftfchulen anderer Länder und der daraus entfpringenden richtigen Würdigung. P. lebt 
zegenwärtig in feiner Vaterftadt als Infpector der Galerie des Städel’fchen Inſtituts, welche 
sr durch pertodifche Ankäufe ſchon um manche vorzügliche Werk bereichert hat. 

Paſſeyr oder Paſſeier, ein romantifches Alpenthal im Brirener Kreife der Grafſchaft Tirol, 
wird von dem Flüßchen Paſſeyr oder Paffer meift in füdlicher Richtung durchſtrömt und läuft 
bei Meran in das Etſchthal aus. Es hat zum Hauptort das Pfarrdorf St.-Leonhard und iſt 
als Heimat Andreas Hofer's (f. d.), des Sandwirth6 von Paſſeyr, berühmt. Vgl. Weber, 
„Das Thal von P. und feine Bewohner“ (Inhsbr. 1852). 

Baffion nennt man die legten Leiden Chriſti. Die gefhichtliche Darftellung derfelben bei 
Matth. 26 fg., Mare. 14 fg., Luc. 22 fg. und oh. 18 fg. heißt die Paſſionsgeſchichte, ihre 
Behandlung durch kirchliche Vorträge während der Faftenzeit, die auch die Paffionszeit genannt 
wird, Saffionspredigt. Die Charwoche (f. d.) wird fpeciell die Paſſionswoche, der Gefang 
wie die Mufik, die gewöhnlich am Charfreitag mit Beziehung auf das Leiden und Sterben Jeſu 
in kath. und proteft. Kirchen aufgeführt wird, Paffionsmufit genannt, und das religiöfe, in 
Seenen gefegte, auf die Leidensgefchichte Jeſu fich beziehende, im Mittelalter fehr verbreitete, 
jegt aber nur noch an einigen Orten gebräuchliche Schaufpiel heißt Paſſionsſchauſpiel 
oder Baffionsfpiel. Belonders berühmt ift das umter Aufficht und Leitung eines Geifili⸗ 
hen noch jetzt fLattfindende Paffionsfpiel zu Oberammergau, das 1633 bei einer Seuche 
entftand, für deren Verfchwinden die Gemeinde ein Gelübde ablegte. In lebenden Bildern wird 
die ganze Paffion auf einem Theater dargeftellt, das man auf einer Wieſe errichtet und das gegen 
6000 Zufchauer faßt. Das Spiel beginnt mit der Darftellung einzelner auf Ehriftus fich bezie⸗ 
hender altteftamentlicher Ereigniffe und endigt mit Ehrifti Auferfichung. Es wird ſtets nad 
zehn Jahren wiederholt und in den Monaten Mai bis September in zwölf Vorftellungen aus⸗ 
geführt. Die kath. Kirche hat auch Drden von der Paffion. Hierher gehört zunächft der jegt 
nicht mehr beftehende, von den Königen Richard II. von England (1580) und Karl VI. von 
Frankreich (1400) für den Kampf gegen die Ungläubigen geftiftete Rittercrden vom Leiden 
Shrifti, dann der in Italien noch vorhandene, von Maria Laurentia Louga 1538 in Neupel ge 
ftiftete Ronnenorden von der Paffion. Diefe Frau gründete 1534 auch einen Sig in Jerufa 
lem und nahm die dritte Regel des heil. Franciscus und die Kapuzinertracht an. Die Schwe 
ftern lebten ald Kapuzinerinnen und ftanden, von Paul III. beftätigt, unter dem Schuge ihrer 
Drdnsbrüder. Späterhin vertaufchten die Nonnen ihr Ordensſtatut mit der erfien und ur 
fprünglicyen ftrengen Regel des heil. Sranciscus. Clemens VIII. (1600) billigte und Gregor XV. 
(1622) beftätigte ihre Klöſter und Stiftungen. Der nod) jegt in Italien weit verbreitete, durch 
feinen Miffionseifer befannte Orden der Paffioniften, aud) Leidensbrüder oder regulirte Geiſt⸗ 
liche vom heil. Kreuz und der Keiden Chriſti (Clerici excalceati seu crucis et passionis Domini ’ 
nostri Jesu Christi) genannte Drden wurde von Paul Franz von Danni oder Paolo della Eroce 
(geb. 1684 zu Ovado in Piemont, geft. 1775 zu Rom) genannt, 1720 in deffen Geburtsorte 
zum Zwecke der kath. Miffion geftiftet und der Stifter 1. Mai 1853 von Pius IX. beatificirt. 

BDaffionsblume (Passiflora) heißt eine faft ausfchließlich in Amerika einheimifche Pflan- 
zengattung, welche durch den am Schlunde der Blüte flehenden, mehrreihigen und oft ſchön ge 
färbten Fadenkranz ausgezeichnet ift und ihren Namen daher erhalten hat, daß fromme Gemü- 
eher in ihren Blütentheilen Beziehungen auf das Leiden Ehrifti fanden, indem fie den Faden⸗ 
franz auf die Dornenkrone, die drei feulig-nagelförmigen Griffel auf die Kreugesnägel und bie 
fünf Staubbeutel auf die Wundenmale deuteten. Die hierher gehörigen Gewächſe find Fletternde 
umd ranfende, immergrüne Sträucher, fehr felten Kräuter, mit ganzen oder in zwei bis fieben 
Lappen handförmig gefpaltenen Blättern und höchftens einen Tag dauernden Blüten. Mehre 
haben prachtoolle Blumen und werden deshalb in Gewähhshäufern cultivirt, was hauptſächlich 
von der fchönen vierfantigen Paſſtonsblume (P. quadrangularis) gilt, deren Fadenkranz län 
ger ale die Blüte und zierlich weiß, purpurroth und violett gefchedt ift. Auch die Farminrothe 
Paſſionsblume, die traubige Paſſionsblume (P. racenıosa) und mehre andere find in unfern 
Sewähshäufern als Zierpflangen oft anzutreffen. Für den Blumentopf wird vorzugsweiſe bie 
blaue Pafftonsblume (P. caerulea) gezogen, welche in Südamerika einheimifch und im fd» 
lichen Europa ſchon faft verwildert ift. Die Beeren mehrer Arten geben in ihrer Heimat cin 


= VPafſirgewicht Delle 
belichtes Bühlendes Obſt ab, wie bie Frũchte der Iocherblätterigen Paffierobliume (P.lanrilie), 


ber enben Vaffionsblume (P. maliformis), der fleifchfarbigen Paffionöbtame (P-inen-H 


neta) in Sũdamerika und Weſtindien. Die einjährige finkende Paſſtonsblume (P. fockde 
Sat eine ähnliche Hülle um die Blüten, wie die Braut in Haaren. 

Paſſirgewicht Heißt biefenige Schwere einer Golbmünze, weiche man wenigfient bu 
foencht, um fie noch zu ihrem vollen Sreife in Zahlung anzunehmen. Wiege fie —— 
wird fie im Geldhandel al nıarco verkauft, während man ſich im gemeinen Berfehe einen 
Abzug für dad Mindergewicht (in Da gewöhnlich nach für je 1 holl. As 25 
fallen laſſen muß, der nach der Feinheit der Minzſorte abweicht und bei ben Dukaten eiweiin 
crrachtlicher ift als bei den nicht fo hochhaltigen Siftoten, Die Bezeichnungen Yefficpifeie; 
Paſſirdukaten erflären fich hieraus von ſelbſt. Die Goldwagen enthalten. für diefe Mans 
befondere Gewichtsſtücke oder fogenannte Steine. Das Gewicht des Paſſirdukatens why 
65 Dufatenas (deren 4422 = 1 föln. Mark) angenonmen, während ein vollwidtiger Das 
seh 66 folcher Dukatenas wiegt. In Leipzig hat man ferner einen zwiſchen bem Palfırbuius 
fein und dem vollwichtigen Dukatenſtein in der Mitte fichenden Stein, der fogenännten bus 
‚von 65% Dukatenas und notirt einen befondern Curs für Dukaten biefer 
findet der Paſſirdukaten hier und da unter den Geldcurſen eine eigene Resirumg. 

„ſ. Activ; Paſſiva, f. Aetiva. 

ei ($ranz. Budın. Karl Friedr.), ein berühmter deuticher Philolog, geb. zu Ludwig 
fl Im Mecklenburgiſchen 20. Sept. 1786, befuchte das Gymnafim zu Gotha, wo er np 
* ein begeiſterndes Vorbild fand, und feit 1804 die Univerfität zu Leipzig, wo ex Gem 
feine-philologifche und methodifche Richtung verdantte. Schon 1807 kam er an das Gyeunafıs 
zu Weimar, das ihm und feinem geiftesvermandten Gollegen Sohannes Schulze feinen bw 
Ugen Flor verdanfte. Bon 1810 an leitete er das Gonradinum zu Jenkau bei Danzig, bis I 
Beitverhältniffe 1814 die Auflöfung der Anflalt herbeiführten. Hierauf lebte er theils auf 
fen, theils in Berlin, wo er eine Zeitlang noch F. A. Wolf hörte. Im 3.1815 wurde a 9er 
feſſor der alten Literatur an der Univerfität zu Breslau, wo er im Verein mit Karl Sche⸗ 
derch feine Borträge wie burch die Leitung des 1815 erneuten Seminars bie phlsloghte 
Seudien mit dem glücklichſten Erfolge anbaute. Die Irrumgen und Hemnmiffe, bie burh M 
auch in einer eigenen Schrift „Zurnziel” (Brest. 1818) bethätigte Theilnahme an den dam 
figen Zurnübungen und Zurnbeftrebungen hervorgerufen wurden, waren nur vorübergefab 
Er farb 11. März 1855. Als Schriftfteller wirkte er vorzüglich nach zwei Seiten bin fraie 
bringend. Er wußte nämlich nicht nur durch großartige Auffaffung und geſchmackvolle Behr : 
fung der Alterthumswiſſenſchaft i in F. A. Wolf's Geifte Anerkennung und Liebe für die phir: 
logifhen Studien in weitern Kreifen zu verbreiten, fondern hat fi ſi ch auch durch ſtreng wife: ı 
ſchaftliche Bearbeitung der Philologie in der Geſchichte derſelben eine ehrenvolle Stelle geſiche 
Als welentlich fortbildendes Glied in ihrem Entmwidelungsgange müffen feine Leiftungen für 
griech. Lexikographie gelten, die durch ihn eine durchgreifende Umgeflaltung und planmähg 
Begründung erfuhr. Worbereitend dazu war die Schrift „Uber Zwed, Anlage und Erganım 
griech. Wörterbücher” (Bert. 1812); die Ausführung gab er in feinem „"Dandwörterbud de 
griech. Sprache”, welches er zuerft (2 Bde, Lpz. 1819 — 24; 3. Aufl., 1828) ale cm 
neue Bearbeitung von Schneider's „Griech.⸗ deutſchem Wörterbuch“, dann aber unter ſe 
nem eigenen Namen (A. Aufl, 2 Bde., 2ps. 1851) veröffentlichte. Naͤchſtdem find beſonden 
hervorzuheben feine „Grundzüge der griech. und rom. Riteratur und Kunftgefchichte” (Bei 
1829). In kritiſcher und eregetifcher Hinſicht werthvoll find Teine mit deutfchen übe 
fegungen verfehenen Ausgaben der „Küſſe“ des Sohannes Secundus (2pz. 1807), des Verfei 
(Bd. 1, 2pz. 1809), des Mufäus (%pz. 1810), des Longes (2pz. 1811); ferner die Beate 
tungen der „Germania” des Tacitus (2p2.1817), des „Corpus scriptorum eroticorum Gre 
oorum‘' (2 Bde, Lpz. 1824— 355), freilich nur den Parthenius und Zenophon aus Gpheist 
enthaltend ; dann des Dionyſius Periegetes (£p3. 1825) und der „Paraphrasis“ des Row 
(2pz3. 1854). Mit dem Director Jachmann in Jenkau gab er heraus das „Archiv demſae 
Rationalbildung” (A Hefte, Berl. 1812) und mit Schneider da® „Museum criticum Vratisi- 
viense” (Bd. I, Brest. 1820). Eine Sammlung feiner akademischen Gelegenheitsfchrifte 
gab NE. Bach unter dem Titel „Opuscula academica” (2pz. 1835), feine „Vermifchten Schi 
ten” fein Sohn Wilh. Arthur P.(Rpz. 1843) heraus. Ein ſchönes Bild ſeines Lebens und Bir 
tens entwirft Linge in der Schrift „De Passovii vita et scriptis” (Hirfehberg 1839). Wer. „Pt 
Leben und Briefe” von Wachler (Bresl. 1839). — Sein ältefter Sohn, Wilpelm Artur 7 























en sie A ee Am DB u ————— 


Paſſy Paſtellmalerei 008 


geb. in Jenkau bei Danzig 20. März 1814, gebildet in Schulpforte, fiudirte Philologie in Bres⸗ 
lau und Berlin und ift feit 1855 Lehrer, feit 1846 Profeffor am Gymnaſium in Meiningen. In 
perfchiedenen Zeitjchriften und mehren Schulprogrammen veröffentlichte er Hiftorifche, kritiſche 
und äſthetiſche Forſchungen, welche fich größtentheild auf die ältere und neuere Gefchichte der 
deutſchen Nationalliteratur beziehen. 

Paſſy (Bippotyte), franz. Staatömann, geb. 1793 im Depart. Eure⸗Loir, war in den leg» 
ten Jahren unter der Reftauration bei der Redaction eines Dppofitionsjoumale betheiligt. Erſt 
nach der Julirevolution begann er ald Abgeordneter von Zouviers in der Kammer eine politifche 
Laufbahn. Er zeichnete fich alöbald durch große Sachtennmiß in den Verhandlungen über das 
Budget von1831 und 1852 aus und wurde in den wichtigften Binanzfragen zu Rathe gezogen. 
In feiner Politik gemäßigten Grundfägen huldigend, gefellte er fid) dem Tiersparti gu. Neben 
Etienne, Tefte, Sauzet und Dupin dem Altern galt er als der befte Redner diefer Mittelpartei. 
Als diefelde 1834 zur Oppofition überging, näherte fi P. mehr dem Hofe und ſtimmte in der 
Sitzung von 1855 für die fogenannten Septembergefege. Er wurde Handelsminifter in dem 
Gabinet vom 22. Febr. 1856, hielt fich nach der Auflöfung ‚defielden 25. Aug. eine Zeit lang 
zu der Coalition Thiers, zog ſich jedoch 1839 im entfcheidenden Augenblicke davon zurüd und 
bemühte ſich, nad) dem Wunſche des Königs, um die Zufammenfegung eines Minifteriums aus 
feinen Freunden, was indeffen fehlfchlug. Dagegen übernahm er in dem Gabinet vom 15. Mai 
das Portefeuille der Finanzen, welches er niederlegte, ald 1840 Thiers ans minifterielle Ruder 
kam. Seitdem blieb er Deputirter, bis er 1844 zum Pair erhoben wurde. Im J. 1849 vom 
Euredepartement zum Abgeordneten in der gefeggebenden Nationalverfammlung gewählt, war 
er längere Zeit Finanzminifter des Präfidenten der Republik und fchloß ſich ganz an Obdilon- 
Barrot's Politit an. Er behielt noch fein Portefeuille in dem Cabinet vom 2. Juni 1849; feit 
dem aber befehränfte fich feine politifche Wirkſamkeit auf die Legislative und endigte mit der 
Aufhebung diefer Berfammlung im Dec. 1851. 

Paſta (Giuditta), eine der außgezeichnetften dramatifchen Sängerinnen ihrer Zeit, geb. zu 
Saronno bei Mailand 1798, erhielt theils zu Como durch den Kapellmeifter am Dom, Barto« 
lomeo Leotti, theil im Confervatorium zu Mailand ihre mufilalifche Ausbildung. Seit 1811 
trat fie in Oberitalien auf den Theatern zweiten Range auf; fie fang mit Beifall in Brescia, 
Parma und Livorno, keineswegs aber gab fie Damals Hoffnung zu ihrer nachmaligen Große. 
Erft 1822, während des Congreſſes zu Verona, fing fie an, Auffehen zu erregen. Im nächften 
Sahre erhielt fie einen Ruf nach Paris, wo fie Alles in Staunen verfegte. Erſt jegt ſchien es 
ihr Har zu werden, was fie zu leiften berufen fei, und mit unabläffiger Anftrengung rang fie da- 
nach, dieſes höchſte Ziel, das fie fich felbft geſteckt hatte, zu erreichen. Bereits als erfte Sängerin 
gefeiert, lebte fie in Paris doch faft nur dem Studium und gemann fi fo jene äußere Vollkom⸗ 
menbeit, welche die höchften Leiſtungen nicht entbehren konnen. Auf dem hochften Gipfel ihrer 
Kunft befand fie jih 1825 —30, ihren legten Triumph feierte fie 1852 in Wien, wohin 
fie berufen wurde. Später hatte fie ihren Aufenthalt abwechjelnd in Mailand und auf ihrer 
Villa am Eomerfee. In ihrer Blütezeit befaß fie bei dem klangvollſten Organ einen Umfang 
von zwei und einer halben Dctave, vom ungeftrichenen g bis zum drei mal geftrichenen d, ſodaß 
fie allen Foderungen an den Contraalt und an den hohen Sopran aufs vollftändigfte genügen 
Zonnte. Noch höher fiand der intenfive Werth ihrer Stimme, wodurch jeder ihrer Tone zu 
einem vollen reinen Glockenlaut wurde. Außerordentlich wie ihre Stimme war die Geſtalt der 
Sängerin. Ihre Erfcheinung auf der Bühne hatte Die Majeftät der beherrfchenden Ruhe, und 
bei allem Feuer und aller Kühnheit blieb ihr plaftifches Spiel doch immer edel und begrenzt. 
Ihre vorzüglichften Rollen waren Medea in der gleichnamigen Oper von Eim. Mayr, Desde⸗ 
mona in Roſſini's „Othello“, Semiramide in deſſen Oper gleiches Namens und Giulia in Zin⸗ 
garelli's Oper „Romeo und Giulia”. 

Hate nennt man eine Art Arzneimittel, welche man durch Auflöfung von Pflangenfchleim 
und Zuder in reinem Waſſer oder einem Decoct und darauf folgendes Abbämpfen bis zu einer 
weichen, zähen, aber nicht klebenden Maffe gewinnt. Am bekannteften find die Sußholzpafte 
(Pasta Liquiritiae) aus Süßholzabkochung, Mimofengummi und Zuder bereitet und die Gum- 
mipafte (P. gummosa), eine Löfung von Mimofengummi und Zuder mit Zufag von Ei- 
weiß und aromatischen: IBaffer, unter den Namen braune und weiße Reglife befannt. Beide 
find bei leichten entzündlichen Reizungen der Kehlkopf- und Luftröhrenſchleimhaut zu empfehlen. 

‚pafetmalerei heißt diejenige Art zu malen, für welche man fich trodener, aus verſchie⸗ 
denen Farbenteigen gebildeter Stifte bedient. Mit einem Wiſcher werden die Striche verwiſcht, 


6 Vale Paftinafe 
die Tinten, Halbſchat ber dadurch hervorgebracht, daß man die Farbe an dem Dit, 
1 Reben ven: — Nur die hellfien Lichter — nicht derrieben 


Hier oder auch Pergament. Die Paftellgemätde eine Anmuch und Brifhpe, welche datı 
Auge befticht; wegen des Wolligen, das ſich in der Paftellmalerei ausdrücen läßt, iſt fie gefhid 
ter als eine andere, Zeugftoffe, ſowie das Markige und Natürliche der Bleifchfarben auszudrüden, 
weshalb Me ſich auch befonders für das eignet, Man kann die Arbeit nach Gefalm 
verfaffen, wieder vornehmen, nachhelfen, das Misfällige auslöfchen und in befiebiger Zeit vor 
Tenden, da dad Unterbrechen nicht, wie bei andern Arten der Maletei, auf ihre Barben — 
Miſchung Einfluß hat. Weil aber die Farben nur mag nike an 
find Paftellgemälde auch die vergänglichften. Namentlich müffen fie vor Eimvirkung ber 
und aller Feuchtigkeit, fowie vor Staub und Erſchütterungen möglichft verwahrt werden. ” 
Paftellmalerei leitet ihren —* aus dem 16. Jahrh. her. Leonardo da Vinci ſoll ſich hra 
oft bedient Haben, um Apoftel- und Chriſtustöpfe auf Papier zu bringen. Fiorillo nenn Ji 
Vivien, geb. 1657, geft. 1755, einem Schüler von Charles Lebrun, als einen der Erften, meld 
in Paftell malten. Unter den fpätern 
Unter den Italienern iſt in dieſem Fache gefhägt Roſalba Carriera, unter den Engländen 
Date jel und unter den Deutfchen Rafael Mengs. Eine ſchöne Samınlung von Paftellgemäle 
u Ark Gemäldegalerie in Dresden. 

, vom ital. pasta, d. h. Teig, heißen im eigentlichen Sinne die aus Glas geferrigin 
am (eu) Miẽbräuchlich werden auch die Nachbildimgen von gefchnittns 
Steinen, Münzen und Medaillen in verfchiedenen Maffen fo genannt, Schon im Wicertkum 
finden wir Glaßpaften, da die Alten aus einer ſchwarzen Glasart, dem ſogenannten Virrum ub- 
sidianum, Gemmen verfertigten. Auch noch im Mittelalter und in der fpätern Zeit der Mes 
ceer kannie man diefe Kunft, die dann zu Anfang des 48. Jahrh. von Philipp, Herzog von ds 
leans in Paris und von einem Arzte Quin in Dublin immer ————— 

— fie zugleich die fach 
der alten Gemmen nachgeahmt werden Fonnte, daher fie aud) Lippert (f.d.) anfangs anne» 
dete, der fpäter aber eine befondere Maffe erfand, aus einer mit Haufenblafe verfegten Zalterk, 
die den Einflüffen der Luft und Witterung widerſteht. Aus einer neuen, ſehr hartem und m 
Formen ebenfo wie zum Poliren vorzüglich geeigneten Gompofition verfertigte faſt um Diefelh 
Zeit Jam. Taſſie in London eine große Menge von Paften, die von Naspe indem „Cataloge 
raisonne d’une collection generale de pierres grav&es antiques el modernes” (2 Bi. 
Bond. 1791) geordnet und befehrieben worden find. Taſſie brachte eine Auswahl von me 
24000 Gemmen in Glas zufammen. Sie waren damals eim fehr beliebter Mobdeartifel m | 
wurden wie die Gemmen felbfi zum Siegen, als eingefaßter Schmuck u. |. w. verwendet S 
genwärtig zeichnet fi) nur Nom in bedeutendem Grabe durch vorzüglidye und mannichfaltig 
Herftellung der Paften aus. 

Paſtete, eine Lederfpeife von verfchiedenartigen, meift fehr nahrhaften und pikant zubereür 
ten Fleiſchſpeiſen und andern Stoffen, in einer Hülle oder Schale von Backwerk, fogenanmer 
Blätterteig. Nach den Hauptbeftandtheilen unterſcheidet man Gänfeleber-, Trüffel, Falın 
Nebhühner-, Wildpret-, Aal-, Aufternpafteten u. ſ. w. Frankreich, bie Heimat der verfeinenm 
Kochkunſt, liefert die ſchmackhafteſten Pafteten, die hier durch eigene Paftetenbädter geferis 
werden. Am berühmteften find. die firasburger Pafteten, bie fehr weit verführt werden 

Particcio (ital.), d. h. etwas Zufammengeftoppeltes, ein Miſchmaſch, nennt man in 
Kunftfprache ein Gemälde oder Mufikftüd, welches in der Manier irgend eines großen Kür 
lers gemacht und für deffen Arbeit ausgegeben wird. Einer der größten Verfertiger folder" 
ſticci war Dav. Teniers der Jüngere, deffen Arbeiten oft felbft erfahrene Kenner tãuſchten 

Paftinafe (Pastinäca) ift der Name einer zu den Doldengewächfen gehörenden Pflame 
gattung mit goldgelben Blüten, deren Blätter eingetollt Ind und mit vom Rüden her flade 
fammengedrüdten Früchten. Die hierher gehörenden Pflanzen find zweis oder mehrjäbr 
Kräuter mit möhrenartiger, oft fleifchiger Wurzel und unpaarigrgefiederten Blättern. Wert 
nen wird die auf Wiefen, Grasplägen und an Aderrändern gemein in ganz Euröpa unbr 
nördlichen Afien wachfende gemeine Vaſtinake (P. sativa) fehr häufig ald Gemüfepflanit® 
tivirt, wodurch die Wurzel größer und fleifchiger wird. Man umterfcheidet bei der culksir) 
Pflanze zwei Formen, die Tangwurzelige und die rundiwurzelige oder Königspaſtinake I 
füße und zugleich gervürghafte Wurzel dient theils dazu, den Suppen Geſchmack zugeben, 4 


Paſtorale Paßoret 698 


wird fie ald Gemüfe gegefien und ift als ſolches in vielen Ländern fehr beliebt. Als Viehfut- 
ter ift die Pflanze ebenfalls geſchätzt. Auch läßt fi) aus der Wurzel ein Syrup und Brannt⸗ 
wein bereiten; die Engländer verwenden fie fogar zur Darftellung einer Art von Madeira 
und Canarienſect. Die fchligblatterige Paſtinake (P. Sekakul) wird im Driente wegen 
ihrer fehr wohlfchmedenden Wurzel haufig angebaut, welche ald Gemüfe benugt und auch für 
ein Aphrodifiacum gehalten wirb. 

Paſtorale ift zunächſt der lat. Ausdruck für Schäferfpiel (f.d.). In der Tonkunſt ver» 
fieht man darunter ein Muſikſtück idylliſchen Charakters, von einfacher Melodie und Harmonie 
und von langfamem Takte; auch gebraucht man es in firchlichen Zonftüden, die in diefem Ty⸗ 
pus zuſammengeſetzt find, daher auch Paſtoralſymphonien und Paſtoralmeſſen heißen. — 
In der kath. Kirche bezeichnet das Paftorale die authentifche Darftellung gller vom Priefter zu 
vollziehenden Ceremonien. Es entfpricht dem röm. Rituale, fteht aber unter demſelben, weil es nur 
nad) diefem aufgeftellt werden und von diefen nur in unbedeutenden Dingen abweichen kann. 

Paſtoraltheologie oder Paſtoralwiſſenſchaft tft im meitern Sinne die Gefammtheit der 
Wiſſenſchaft, weldye der Geiftliche für die Ausübung feines Amts im Dienfte der Kirche nö⸗ 
thig hat. Sie umfaßt den ganzen praßtifchen Theil der Theologie, fegt Die Kenntniß der Beiligen 
Schrift, deren gelehrte Auslegung, der Kirchen- und Dogmengefchichte und der übrigen Theile 
der theoretifchen Theologie voraus, gibt die wiſſenſchaftliche Anweiſung zur Anwendung diefer 
Kenntniß, ſchließt ald Haupttheile in fich die Katechetik, Homiletit, Liturgik, die Lehre von der 
tirhlihen Disciplin, die Wiffenfchaft der Seelforge für die einzelnen Glieder der Gemeinde 
wie für die ganze Geſammtheit derfelben und behandelt ald Anhang noch bie Pfarramtsver- 
waltungsfunde. Mit Unrecht wird fie Predigerwiflenfchaft genannt, da diefe etwas Anderes 
ift als die Paftoraltheologie im genannten Einne; im engern Sinne aber heißt diefe Paſtoral⸗ 
klugbeit oder Baftoralweisheit (prudentia pastoralis), die ald Wiffenfchaft die VBorfchriften 
und Grundfäge, Rechte und Pflichten behandelt, melche der Geiftliche auf eine dem chriftlichen 
Lehr und Seelſorgeramte angemeffene und gedeihliche Weiſe zu beobachten hat. Sie erftredt 
ſich nicht blos auf die gefammte Leitung des Sottesdienftes, fondern auch auf das Verhalten bed 
- Geiftlihen als Sittenauffeher der Gemeinde, am Krantenkette, bei Eibesleiftungen, in Che⸗ 
fadhen, zur Schule und deren Kehrer, zum Staate und beffen Beanten u. |. w. Die Paſtoral⸗ 
theologie im weiteren und engern Sinne heißt auch die Wiffenfchaft des geiftlihen Berufs. 

Paſtoret (Claude Emmanuel Joſeph Pierre, Marquis de), aupgezeichneter Gelehrter und 
Kanzler von Frankreich, wurde 1756 zu Marfeille geboren. Sein Vater, der aus einer angefe- 
henen Zurifienfamilie ftammte, war Generallieutenant und Marinebeamter. Der junge P. ſtu⸗ 
dirte die Nechte bei den Dratoriern zu Zouloufe, vollendete feine Bildung durch Reifen und er» 
hielt 1780 die Stelle eines Raths am Cour des aides zu Paris. Durch mehre Preisfchriften, 
in denen er Kenntnif der Gefepgebung des Alterthums bewies, erwarb er ſich 1785 eine Stelle 
in der Akademie. Nachdem er 1788 Nequctenmeifter geworden, ernannte man ihn zum Gene- 
raldirector der gefhichtlichen Arbeiten rudfichtlich der Pelitit und Gefeggebung. Während der 
Pevolution trat er ald Abgeordneter von Paris in die Gefepgebende Verſanmlung, in der er fi 
als gemäßigten Royalifien erwies. Nach den Unruhen vom 20. Juni 1791 verließ er die Ver⸗ 
fammlung, tehrte aber nad) den Ereigniffen vom 10. Aug. auf feinen Platz zurück, um wo mög. 
lich den Thron wieder aufrichten zu helfen. Als Royaliſt verdächtigt und verfolgt, flüchtete er 
ins Ausland, wo er ſich bis nach dem Sturze der Schreckensherrſchaft aufhielt. Unter 
der Directorialtegierung in den Nath der Fünfhundert gemäbhlt, geſellte ex fich der royaliſti⸗ 
ſchen Oppofition zu und fah fid) deshalb nach dem 18. Fructidor abermals genöthigt, ind Aus⸗ 
Iand zu gehen, kehrte aber nad) dem 18. Brumaire nach Frankreich zurück. Man terief ihn jegt 
in das Inftitut und gab ihm die Profefjur des Natur- und Völkerrechts am College de France. 
Wiewol ihn Napoleon als Anhänger der Bourbons fürchtete, nahm er ihn 1809 doch in den 
Senat auf. P. zeigte ſich indeffen feiner Stellung treu und verweigerte fogar 1814 als Secre⸗ 
tär des Senats feine Mitwirkung bei der Abfegung des Kaiſers. Deffenungeachtet erhob ihn 
Zudwig XVII. zum Pair, welche Würde er nach der zweiten Reftauration behielt. Nachdem er 
bei der Xhronbefteigung Karl's X. zum Staatöminifter ohne Portefeuille erhoben worden, erhielt 
er 1829 an Dambray’s Stelle das Kanzleramt, das er nach der Revolution von 1830 nieder 
legte. Seitdem widmete er ſich in Zurüdigezogenheit lediglich feinen wiffenfchaftlichen Arbeiten, 
bis er 1834 zum Vormund ber Kinder des Herzogs von Berri ernannt murde, deren Güter in 
Frankreich er bewahren follte. Er ftarb 29. Sept. 1840. Außer den Preisfchriften hinterließ 
er eine „Theorie des lois penales” (2 Bde., Par. 1790) und eine ausgezeichnete „Histoire de 


700° Paſtum Paßwan · Oglu 
1a lögislation des ancients” (11 Bde. Par. 1830 37). Auch na ern nern 
Bd.15—19 der ee: des rois de France“. — Sein Sohn, Uı Dav., Mer 
‚qui de P., geb. 2. Jan. 1791, trat hod) während des Kaiferreichs in die Verwaltung und cw 
vu der Reftauration die Stelle eines Rammerheren und Requetenmeifters im Staatsten 
ichteriſchen Talente verfchafften ihm 1825. den Eintritt in die Akademie. Seit der Jul 
revolution zog er ſich gänzlich aus dem öffentlichen Leben zurück und widmete ſich nicht ohne Er 
‚ber Biteratur. Zum Theil anonym erſchienen von ihm „Les troubadours”, ein Gedide 
eo „La politigue de Henri 1V“ (1815); „Les Normans en Halie“, ein Gedicht (Par 
818); „Elögies“ (1825); „La chute de l'empire grec” (1828); „Raoul de Pellewe” (1854); 
„Erard du Chätelet” (1836) u. f. w. Aud).er war Anhänger der ältern Bourbons, vermalteir 
die Güter des Grafen CHambord und genoß deffen Vertrauen in hohem Grade. P. befaf wid 
tige Papiere von den ältern Bourbons in Verwahrung, die er in der Julirevolution einer Freun 
din, Madame Manfutg, anvertraute, welche die ſelbe dem Polizeipräfidenten für Geld auslio 
ferte. Die Papiere gelangten fo an Ludwig Philipp, der fie ſedoch uneröffnet an P.zurüdicidte 
Diefe Angelegenheit, die 1852 zur Sprache kam, koftete P. die Gunft des Grafen Chambor. 
Er wandie ſich hierauf der Sache Ludwig Napoleon’s zu und mard 1852 zum Präfidenten des 
eben errichteteten linguiſtiſchen Comite ernannt 
Paſtum, eine griech. Stadt in Lucanien, in der heutigen neapolitan. Provinz Principate 
eiteriore, füdlich vom Fluſſe Silarus (Sele), unweit bes Berge Alburnus, nahe an dem Mer 
buſen, der von ihr sinus Paestanus (jegt'golfo di Salerno) hieß, gelegen, war eine 
von Zrözeniern und Sybariten, vermuthlic um 520 v. Chr. gegründet und von ihnen Pofei- 
donia zu Ehren bes Pofeidon genannt. Als ſich der lucaniſche Staat durch die Sammitr 
bildete, kam die Stadt unter ihre Herrſchaft und der Name wandelte ſich um; aber Lange beftand 
die wehmüthige Sitte, daß die alten Bürger an einem feierlichen Lage im Jahre fih in griech 
Sprache an den alten Namen und die alte Freiheit erinnerten. ‚Unter der Herrſchaft der Römer 
ſant die Blüte der Stadt, obwol fie 275 eine Eolonie Hinfendeten, aber der Blumenreichthum, 
namentlich die jährlich zwei mal blühenden Roſen von P. wurden von den rom. Dichter for 
während gefeiert. Der Reſt der Stadt wurde im 10. Jahrh. durch die Araber verbrannt, und 
in der ungefunden, verſumpften und faft verödeten Gegend Tiegt jept ein fleines Dorf Pelle 
oder Pefti. Praͤchtige Ruinen aber Haben das Andenken an bie alfe Stadt erhalten ; berühmt 
find wegen der fchönen Säulen der größere Tempel des Pofeidon, ein Mufter altdorifcher Baur 
art, ein jüngerer Tempel der Demeter und eine Stoa oder Säulenhalle, gewöhnlich Baftlica ge 


nannt; die Nefte der Stadtmauer zeigen einen Umfang von einer halben Meile; auch antite | 


Gräber mit Grabgemälden und Gefäßen, ſowie Münzen wurden hier aufgefunden. 

Paß nennt man eine enge, ſchwer zu paffirende Terrainftelle. Namentlich) fpricht man von 
Gebirgspäffen. (S. Gebirge.) Doch braucht man auch das Wort von dur) Waffer oder Sumpf 
gebildeten Engwegen, von langen Dämmen u. ſ. w. 

Paß. Die Paffe, al ein Zeugnif der Obrigkeit über Perfonlichkeit und Werhäktniffe 
eines Reifenden find alt und zunächft zum Schuge und aur Empfehlung der Reifenden aufge 
kommen. In ältern Päffen wurde dem Reifenden gewöhnlich bezeugt, daß er aus feiner Gegend 
Fäme, wo anſteckende Seuchen herrſchten, und die fremden Obrigfeiten wurden erfucht, ihn um 
gehindert hin · und herreifen zu laffen und wo nöthig Beiftand zur leiften. Die allgemeine Var 
fehrift des Gebrauchs der Päffe, die Benugung diefes Inftituts zur Controle der Reifenden, 
die · Aufnahme dejfelben in die Mittel der politifhen und Sicherheitöpoligei rührt haupt 
ſächlich aus Frankreich und von dem Zerrorismus der franz. Polizei her. In England kennt 
man daffelbe nicht. Im Folge des durch die Eifenbahnen auferordentlic; vermehrten Neife 
verkehrs find neuerlich in den meiften deutichen Ländern die Päffe durch Paßkarten, die auf 
ein ganzes Jahr gegeben werden, erfegt worden. Die betreffenden Ränder find in einen fürm- 
lichen Pafkartenverein zufammengetreten. Vgl. Kamp, „Sammlung der Pafgejege der 
europ. Staaten” (Berl. 1817). 

aßkugeln nennt man zumeilen die Kanonenkugeln, zum Unterfchied von den Granaten. 

aßwan · Oglu, geb. zu Widdin 1758, der Sohn des Bafchi Paßwan-Omar zu Middin, 
der 1791 wegen feiner Reichthümer hingerichtet wurde, empörte fih, um den Tod feines Ba- 
ter zu rächen, gegen die Pforte, fammelte eine Schar von 5000 Infurgenten, bemächtigte ſich 
damit 1797 der Stadg MWiddin und ftelfte ſich dafelbft an die Spige der miövergnügten Janit- 
ſcharen, mit deren Dülfe er einen fo furchtbaren Aufftand erregte, daß das türf. Meich eine Zeit 





Batagouien Patent 701 


Lang davon erſchüttert wurde. Die glũcklichen Erfolge, welche Paßwan⸗Oglu errang, zwangen 
die Pforte, ihm 1798 Begnadigung zu gewähren und das Paſchalik von Widdin zu verleihen. 
Er ftarb 1807. 

Patagonien, das füdliche Ende Südamerikas, zwiſchen dem Cuſu ⸗Leuwu ımd der Magel- 
lansſtraße, ift 240 M. lang von N. nah S, 120 M. breit und hat ungefähr 18000 AM, 
Flächeninhalt. Der Bodenbildung nach zerfällt e8 in zwei ungleiche Theile, ein langfam und in 
parallelen Stufen von der Oftküfte bi6 zu den Anden auffteigendes, der jüngſten Eandfteinfor- 
mation angehörendes fleiniges, zum Theil mit Felsblöcken überſchüttetes Wüſtenland, ohne 
Duellen und daher meift ohne Vegetation, und bie nirgends über 7000 F. fich erhebende Kette 
der Andes, die nach dem Stillen Meere hin fchroff abfallend, durch tiefe Buchten eingefchnitten 
oder am Fuße in Infeln aufgelöft, an die norweg. Küftenbildung erinnert. Sie gehört zum Theil 
der Branit- und Porphyrformation an, befteht zum Theil aus dem größten aller Baſaltbildun⸗ 
gen, ift oft weit hinab mit Gletfcyern beladen, aber reich an Waſſer und theilweife gut bewaldet. 
Das Klima ift veränderlich, zeigt mitunter rafchen Wechſel von arger Hige und enıpfindlicher 
Kälte, befonders wenn die [chneidenden Winde über die Wüſte hinfaufen, überaus trocken in der 
Dfinälfte, fehr regnig in den weftlichen Bebirgen. Die Thierwelt ſcheint derjenigen der Pampas 
zu gleichen, mag ſich aber in den trodenen Monaten aus der ganz unbemohnbaren oftlichen 
Wüſte füb- und weſtwärts ziehen. Die Pflanzenwelt ift nur an der Magellansſtraße formen- 
reicher; Bäume fehlen in der Dfthälfte ganz. Verkrüppeltes Dorngebüfch bildet die einzige 
Vegetation ber fchauerlichen Steinflächen ; an ben Gebirgsthälern im fernen Süden finden fi 
die Wintersrinde (Drimys Winteri, eine Magnoliacee), der Erbbeerbaum (Arbutus), eigene 
Species von Buchen, verfümmerte Berberigen und das Mifodendron, eine merfwürbdige Art 
von Schmarogerpflanze. Bewohnbar ift das Land für Europäer nur an der Straße, am Cuſu⸗ 
Zeumu und vielleicht an einigen Küftenpimtten ; indeß werden Aderbaucolonien fi dort nie bil- 
den können und felbft die Viehzucht nach Art der Gauchos (f. d.) wird große Schwierigkeiten 
haben. Die Batagonier bilden einen befondern Stamm der amerik. Race, zerfallen in die drei 
Hauptvölter Aucas, Puelches und Tehuelches und find von den Bewohnern des Feuerlandes 
(Peſcherähs) wohl zu unterfcheiden. Ihre Zahl ift nicht groß. Die feit dem 16. Jahrh. berühm⸗ 
ten, für Riefen ausgegebenen Patagonier find die je nach der Jahreszeit vom Eufu-Reumu bie zur 
ſüdlichen Meerenge ftreifenden Tehuelches, die, in Bleine sparen verfplittert, mild, tapfer, bie 
Sreiheit allen andern Gütern vorziehend, niemals fefte Wohnungen bauend und, nur wenige 
Meine Künfte treibend, theild vom Raube, theild von der nomadiſch betriebenen Viehzucht leben 
und mit den Niederlaffungen von Buenos-Ayres faft immer im Kriege waren. Man fchrieb 
ihnen ehedem 9—10 5. Höhe zu und hat diefe alte Fabel fogar mit Heftigkeit verfochten. Aus 
den Unterfuchungen der zahlreichen neuen Seereifenden, die in der Meerenge oder an der Oft» 
küſte mit jenem Wolle zuſammengekommen find, ergibt fich mit Sicherheit, daf die Statur 
(6 F. 1—3 Zoll engl.) des Patagoniers im Allgemeinen zwar meit über die Mittelgröße hin⸗ 
ausgeht, daß aber nirgends höhere Individuen gefunden worden find. Vgl. Falkner, „Beſchrei⸗ 
bung von P.“ (deutich, Gotha 1785); King, Figroy und Daruin, „Voyage of the Beagle etc.” 
(4 Bde. Lond. 1839); d'Orbigny, „Voyage dans l’Amerique meridionale” (Bd.2, Par.1858). 

Patate, f. Batate. 

Patent, eigentlich ein offener Brief, Daher in manchen Ländern die publicirten Cabinets⸗ 
ordres königl. Patente heißen; die Beftallungen ber Beamten, Offiziere u. |. mw. Dienftpatente; 
die Konceffionen zum Gewerböbetriebe Gewerböpatente, hier und da fogar die Gewerbeftener . 
Patentfteuer. Vornehmlich gedenken wir aber ber fogenannten Erfindungspatente ; dieje find 
Specialacte der Gefeggebung, wodurch dem Erfinder einer neuen Waare ober eines neuen Ber» 
fahrens für eine gewiſſe Zeit das ausfchließliche Recht verliehen wird, bie betreffenden Producte 
zu verkaufen. In England und Rorbamerika werben ſolche Patente gewöhnlich auf 14 I. ge- 
geben, in Preußen, Oftreich und Frankreich auf höchſtens 15 3. Ein Monopol diefer Art bes 
einträchtigt Niemand, weil es keinen bereitö vorhandenen Genuß des Publicume ſchmaälert, und 
ift doch ein gerechter Lohn und eben darum höchſt wirffamer Sporn bes Erfindungsgeiftes, oft 
nur eine angemeffene Entſchädigung für zahllofe mislungene Berfuche, bevor endlich einer ge- 
Lang. Man könnte nun glauben, daß ein Patent für immer noch mehr belohnen und fpornen 
müßte. Dann wären jedoch die Landsleute des Erfinder fiir alle Zeit beſchränkter in ihren Ge⸗ 
nüffen als die Ausländer. Die Nation, welche die meiften erfinderifcyen Köpfe zählt, würde 
ſelbſt in gewiſſer Hinficht am übelften daran fein. Es kommt noch hinzu, daß bedeutende Erfin« 
Dungen gewöhnlich von Mehren zu gleicher Zeit verfolgt werben. Einer gelangt freilich zuerft 


702 Patera  Pathen 
an das Biel; BEE ——— ——— —— 
— — eine zu große Bevorzugung fein würde. Späteftend beim Ablaufe der Patent 
nee Werfußren Senttc befannt gemdt werden, in England fogar gleich hd 
Ertheifung des Patents, was für Prioritätsfkteitigfeiten fehr nügli. Glaubt der Erfinder 
feine Reiftung noch Tange als —— jeimniß bewahren zu können, ſonach dus 
— — aufzuopfern, ſo mag er die Pateninahme unterlaffen. De 
die Erfindung auch wirklich eines Patents werth fei, Abetäft die Regierung am beften dem» 
folge. Wollten die Beamten darüber entfcheiden, wie z. B:in Nufland, fo würden gerade dir 
genalſten und neueften dungen am wenigften Chancen haben. —— —— 

tentnehmen ſichert eine 9, Die dein begehrten Ab; ‚gend muf 

Iedermann den Beweis führen dürfen, daß die patentirte Erfin ee —— 
eines ſolchen Beweiſes, fo iſt es billig, gegen etwaige fernere unbegründete Anfechter 

nehmer durch Androhung von Geldbußen zu ſchüten. 

———— hieß bei den Römern eine flache, runde, ine mit Griff oder Henkel verſche⸗ 
Scale aus Thon, auch aus Metall, häufig durch Bildnerei und Malerei verziert, deren mar 
ſich beim Opfer, befonders zur Lihation, dem Spenden des Trankopfers, bediente, Das mm 
wandte Wort Patina bezeichnet eine Eßſchüſſel, das deminutive Patella ein dergleichen Men 
res Gefäß, ein Tellerchen, auch ein folches, in welchem vor die Götter des Haufes und der fo 
milie, die Penaten und Raren, die daher auch wol Patellarit benannt werden, Speife gefekt ze 
werben pflegte. — Patena Heißtinder hriftfichen Kirche das Feine goldene ober filberne Tellerhn, 

welchem bei der Beier des Abendmahls die Oblaten liegen. 

Paternoſter ift zunächſt der fat. Ausdrud für das Baterumfer. Dann bezeichnet mar 
it jede zehnte größere Kugel in dem Roſenkranze (f. * bei der das Vaterunſet geban 
wird, während man die kleinern dazwiſchen gereihten Kugeln nur mit ———— 

die Finger gehen läßt. Endlich heißt auch der’ Roſenkrang ſelbſt Paternofter. 

Paternofterwert Heißt eine hydrauiiſche Maſchine, deren man ſich Fame 
um Waffer auf geringe Höhen zu heben, die aber jegt, wo man zweckmaͤtigere Schöpfwerh 

conſtruiri, der dabei fattfindenden Reibung umd ihtes großen Rraftverluftes wegen faft gut, 
außer Anwendung gekommen ifi. Die Holländer ſollen die Gonftruction derfelben von dr 
Chineſen erlernt haben, und ſchon 1565 war im Nammelöberge bei Goslar ein Paternoftermet 
im Gange. Haupttheil dieſes Apparate ift ein Seil oder noch beffer eine Kette, an welcher in gl 
hen Entfernungen voneinander Kugeln aufgereiht und befeftigt find, ſodaß das Ganze einem Pr 
ternofter oder Nofenkranz im Großen gleihfieht, woher ber Apparat auch feinen Namen bat 

Pater patriae, d. h. Vater des Vaterlandes, war bei den Römern ein Ehrentitel, dem man 
einen fehr hohen Werth) beilegte, da er nur ſolchen Männern zugefprohen wurde, die ſich um 
das Wohl und die Rettung des Vaterlandes zur Zeit der größten Gefahr außerordentlich am 
dient gemacht hatten. Der Erfte, dem diefe Auszeichnung zu Theil wurde, war Cicero, nad 
dem er 62 v. Chr. durch die von ihm durchgefegte Hinrichtung eines Theild der Werfchworenm 
des Eatilina die Stadt Rom vom Untergange gerettet hatte. Später erhielt Cäfar nach Unter 
drüdung der Pompejaner 45 v. Chr. diefen Titel ald förmlichen Zunamen, ein Umftand, ber 
feinen Unmillen erregte. Überhaupt bezeichneten dieRömer in der früheften Zeit mit dem Plurd 
Patred die der Sage nad) ſchon von Nomulus als Väter des Volkes erwählten Senatoren 
mit Rückſicht auf ihr Alter und ihre größere Erfahrung. 

en wurden fchon feit dem 2. und 3. Jahrh. jedem Täuflinge beigegeben, theils um für 
denfelben die bei der Taufe vorzulegenden Fragen zu beantworten, theild um die Taufe eind 
Chriſten zu bezeugen (daher Taufzeugen), theils um die religiöfe Bildung deffelben vor um 
nach der Taufe zu überwachen." Der röm. Biſchof Hygin fol (140) die Pathen eingeführt de 
ben, deren bei Kindern wie bei Erwachſenen anfangs nur einer (nach Eph. 4, A—6) mar, ii 
diefen gewöhnlich ein Diakon oder eine Diakoniffin, bei jenen gewöhnlid; der Vater. Mus 
wählte gern Mönche und Nonnen als Pathen, denen es aber feit bem Ende des 6. Kahrb. se 
boten wurde, Pathenftelle zu vertreten. Dft, Doch nicht nothwendig war der Pathe vom Er 
ſchlechte des Täuflings. Das Eoncil von Mainz (813) unterfagte den Hitern die Übermabet 
der Pathenftelle bei dem eigenen Rinde. Im 12. Jahrh. hatte man gewöhnlich zwei bis sin 
Pathen; im 13. Jahrh. beftimmte man die Zahl auf drei. Bei dieſer Zahl blieb man aud d 
der proteft. Kirche. «Früher geftattete man nur dem Adel eine größere Anzahl von Parker 
Bürgerliche mußten, wenn fie mehr ald drei zuziehen wollten, Dispenfation löfen. Indem mar 
aber ſchon früh mit der Taufe auch die Idee des Bruderverhälmiffes und der Micdergehur 


Pathognomik Pathologie 703 


verband, ward man dadurch veranlaft, das Berhältniß des Pathen und des Täuflings mit 
leiblichen Verwandtſchaftsverhältniſſen zu vergleichen und das Pathenamt gewiffermaßen ale 
eine geiftige Zeugung anzufehen. Daher entftand auch für den Pathen der fonft fehr ger@bhn- 


liche Name Gevatter (propater), und daraus ging auch die ſchon von Juftinian gegebene Ber- - -· 


ordnung hervor, welche auf die geiftige Verwandtſchaft (cognatio spiritualis) die bürgerlichen 
Wirkungen eines leiblichen Verwandtſchaftsverhältniſſes übertrug; die röm. Kirche fanctionirte 
die Verordnung und fand in der Annahme jener geifligen Zeugung ein Dindernif, daß Täuf⸗ 
ling und Pathe in eine leibliche Verwandtſchaft treten konnten. Aus diefem Grunde wurde 
auch das ſchon frühzeitig gebräuchliche Eintragen der Yathen in die Kirchenbücher nachmals 
vom Concil zu Tribent wieder eingeſchärft. Die früher fehr gewöhnlichen Patbenbriefe, welche 
einen frommen Wunſch des Taufzeugen enthielten, kommen nur noch in Heinen Städten und 
auf dem Lande vor, ebenfo das fogenannte Pathengeld. Gebräuchlicher ift ein beliebiges Pa⸗ 
tbengefen® bei der Zaufe, bei der erften Wiederkehr des Geburtstages oder bei der Confir⸗ 
mation des Täuflings. 

Datbognomik bedeutet eigentlich die Kunft, eine Krankheit zu erkennen. Diefe Erfennmiß 
ann aber nur aus der Betrachtung der durch bie Sinne wahrnehmbaren Veränderungen des er- 
krankten Organismus, der Symptome, gefchöpft werden und erfobert Daher, da diefe Symptome 
an Werth fehr verfchieden find, fowol genaue theoretifche Bekanntfchaft mit den regelmäßigen 
und unregelmäßigen Vorgängen im Körper al auch praktiſche Übung in der Unterfcheibung 
und Beurtheilung der Krankheitözeichen. Obgleich man keine Krankheit findet, welche fi in 
iedem Falle in allen ihren Symptomen volltommen conftant zeigte, fo hat man doc, bei vielen 
Krankheiten gewiffe, ihnen faft immer und ausfchließend zutommende Erfcheinungen wahrge⸗ 
nommen, 3.8. den eigenthümlichen Ton des Huftens bei Keuchhuften, und diefe pathognomifche 
Zeichen genannt. Im engern Sinne gebraucht man auch Pathognomik für die Kunft, den in⸗ 
nern körperlichen und geiftigen Zuftand eines Menſchen aus den Veränderungen in ben Ge- 
ſichts zügen deffelben zu erfennen. 

Pathologie, Krankheitslehre Heißt die Lehre von den bas Befinden und Die geregelte 
Entwidelung lebender Wefen ftörenden Abnormitäten in Bau, Mifchung oder Verrichtung 
ihrer Organe. Es gibt alfo eine Pathologie der Pflanzen, der Thiere und des Menfchen. Nach 
ber Auffafjung des Begriffs Krankheit im abftracten oder concreten Sinne zerfällt die Patholo⸗ 
gie indie allgemeine und die befondere. Die allgemeine Pathologie verfucht eine Definition von 
Krankheit feftzuftellen und die Krankheits anlagen (phyfiologifche Pathologie), die entferntern 
oder allgemeinen und die nähern Krankheitsurfachen (Bathogenie) und die Krankheitszeichen 
(Symptomatologie), foweit fich dieſes Alles allgemein (ohne einzelne Krantheitsarten zu un« 
terſcheiden) auffaffen läßt, zu beleuchten. Die fpeeielle Pathologie handelt von den einzelnen 
Arten oder Formen des Krankfeins (den Krankheitöfpecies), welche von den Arzten, beſonders 
ale häufiger vorkommende, unterfchieden werben. Lehrbücher über fpecielle Pathologie pflegen 
ſtets auch die fpecielle Therapie (ſ. d.) zu enthalten. — Das Adjectivum patbologifch wird im 
Doppeltem Sinne, objectiv und fubjectiv, gebraucht und bezeichnet entmeber einen Begenftand, 
der feinem Weſen nad krankhaft, b. h. normwidrig und lebenftörend ift, oder eine Beſchäf⸗ 
tigung mit derartigen Gegenftänden. In erfterm Sinne nennt man. foldye Zuftände, Erichei- 
nungen, Zeichen u. ſ. w. pathologifch, welche nicht in der normalen Beſchaffenheit eines Orga⸗ 
nismus, fondern in beffen Abweichung von derfelben begründet find; in legterm bedient man 
fich oft der Ausdrüde pathologifhe Wiſſenſchaften, pathologifche Vorleſungen, pathologifche 
Sammlungen u.ſ. w. Bon den pathologifchen Wiffenfchaften find in ber neuern Zeit befonders 

wei, als am ficherften zur Erkenntniß der Krankheiten führende Gegenftand des eifrigften 

leißes geworden, nämlich die yathologifge Anatomie und die pathologifche Chemie. Er⸗ 
ftere ſucht die durch Krankheit bewirkten Veränderungen im Bau der Theile zu erforfchen, letz⸗ 
tere die während einer Krankheit ſich zeigenden Abweichungen ber Zufammenfegung und Mi- 
(hung zu ermitteln. Beide müffen (unter Mithülfe der Mikroſkopie) eng Hand In Hand mit- 
einander gehen. Um die pathologifche Anatomie Haben fich befonders verdient gemacht Morgagni, 
Baillie, Bichat, Dtto, Medel, Andral, Froriep, Lobſtein, Rokitansky, Haſſe, Bol, Vo 
gel, Dirchow, Dittricdy u. A., während von den Bearbeitern der pathologifhen Chemie befon- 
ders Hünefeld, Simon, Andral, Lehmann, Borup-Befanez, Heinz zu nennen find. Die Litera⸗ 
tur der Pathologie ift außerordentlich groß. Dan findet fie betreff6 der allgemeinen Pathologie 
ziemlich vollſtändig in Stark’6 „Allgemeiner Pathologie oder Naturlehre der Krankheit (2. Aufl, 
2pz. 1844—45) und in Choulant's und Richter's „Grundriß der innern Klinik” (5. Aufl, 


704 Pathos pPatkul 


2pz. 1852). Die geſuchteſten neuern Lehrbücher, welche zum Theil allgemeine und fpecdk 
Pathologie miteinander verbinden, find die von Canftatt (neue Aufl. von Henoch. Eu 
4185Ff5.), Wunderlich, Nichter, Valleix, Grifolle u. A. 

Pathos (griech.), eigentlic, das Leiden oder das Ergriffenfein von etwas, bezeichnet bie 
ders den ftarfen Eindruck auf das Gemüth, die heftige Gemüthsbewegung ober den Affın 
Pathetiſch ift Daher, was eine ſtarke Gemüthsbewegung ausdrüdt. In der Kunft wird Fark 
dem Ethos ſchon von den alten Kunſtrichtern und Nhetoren gegenübergeſtellt. Ctbos, t.} 
Charakter, ift das bleibende ſittliche Gepräge des Menſchen; Pathos die vorübergehende Amer 
gung, dad Ergriffenwerben von den Gegenftänden und Ereigniffen. Das Ethos iſt die Grub 
lage der objectiven Darftellung eines Charakters ; das Yathos der Zuftand, der auf dieſem Ce 
rakter ruht. Wird die Darftellung des Pathos ald Hauptaufgabe ber Kunſt angefehen, fo m 
ein ſolches Haften auf einer Einzelheit der Haren Anfchaulichkeit und Gegenftändlichkeit, weile 
die Kunft als Darftellung der Idee fodert, notwendig Eintrag thbun. Das Pathos muf inte 
Darftellung aus der innern Natur der Sache, der Fühlenden oder Handelnden hervorgehen mi 
deren Verhältniffen angemeffen fein. Wo dies nicht der Fall ift, da ift das Pathetiſche mia 
als geihmadlofer Schwulſt. 

Patkul (Joh. Reinhold oder Reginald von), ein Livländer, merfwürdig durch fen Shi 
fal, geb. um 1660, war ſchwed. Sapitän, als er fi) 1689 der Deputation der livländ. Ritie 
ſchaft anfchloß, welche Karl XI. megen ber Härte, mit der bie Nebuction dort berverfficig 
wurbe, Rorftellungen machen follte. Als ein junger, feuriger und tenntnifreiher Mann fer : 
cr mit patriotifchem Eifer, ſelbſt als er fich von feinen Mitdeputirten verlaffen fah, für Livlanii | 
Gerechtfame, und in der That gelang es ihm, dad Intereffe des Königs dafür zu erregen. Dı 
aber hierdurch in der DHauptfache nichts geändert wurde, fo ftellte er 1692 als Livländ. Deus 
ter bei dem ſchwed. Generalgouverneur in Riga die Belchwerden feines Baterlandes nechuu 
in einem Schreiben an ben König dar. Don diefem Augenblide an begann die Werwideim 
feines Schickſals. Die ſchwed. Negierung foderte 1695 alle Kandräthe Livlands, den Landa⸗ 
ſchall und befonders P. zum Verhör nah Stodholm, um ihnen ald Rebellen den Siroafp 
machen. P. hielt ſich damals in Kurland auf, wohin er wegen eines unangenehmen Hau 
mit einem feiner Vorgefegten geflüchtet war; da man ihm aber 1694 ſicheres Geleit verfprah 
ging er nad) Stodholm. Doc ſchon im October beffelben Jahres fand er für gut, ſich wiete 
nad) Kurland zurüdzuzichen, und bald darauf wurbe er wegen feiner thätigen Mitwirkung be 

der Angelegenheit der livland. Ritterfchaft, wegen des Streits bei feinem Negimente und weze 
der Flucht ins Ausland verurtheilt, infam erflärt zu werden und dann die rechte Hand und de 
Kopf zu verlieren. Auch follten feine Guter eingezogen und feine Schriften durch den Edir 
richter verbrannt werden. Da er fich jegt auch in Kurland nicht ficher genug glaubte, begabe 
fi zunächſt ins ſchweiz. Waadtland, wo er unter bem Namen Fifchering den Wiſſenſchefr 
lebte, und ging dann nad) Srarfreih. Im I. 1698 wurde er durdy Vermittelung dee Burj 
Generallieutenants Flemming Geh. Rath in ſächſ. Dienften, nachdem er bei dem neuen Re FH 
ten in Schweden, Karl XIl., vergebens um Begnadigung gebeten hatte. In diefer Zeit hezr "re 
Auguft II. von Sachſen und Polen den Plan, in Verbindung mit Dänemark und Ruf 
Schweden zu befriegen und Livland wieder mit Polen zu vereinigen. P., von Vaterlandiikt 
und Rachegefühl befeelt, bot hierzu feine Unterftügung an. Er ging 1702 nad) Peterdbun 
und das Bündniß mit Rußland wurde gefchloffen ; weniger glückte ed ihm in Livland. Alta 
am Hofe in Stodholm das Nähere über feine Abfichten erfuhr, und welchen Antheil er an I 
guſt's Manifeft gegen Schweden gehabt hatte, war fein Urtheil unwiderruflich gefprochen. Ei 
nochmalige Vertheidigungsfchrift, die er einfendete, wurde von Henker Hand verbrannt. , 
rächte fich dadurch, daß er den Zar Peter, in deffen Dienfte er getreten war, vermochte, ei 
Stockholm erjchienene Widerlegung des Manifeftd in Moskau 1702 auf dem Markte geb 
falls verbrennen zu laffen. Nachdem er als ruff. Generalkriegscommiſſar zu verfchiedtmn® 
plomatifchen Gefhäften gebraucht worden, folgte er 1704 Auguft II. ald Gefandter dende 
nad) Dresden. Da es ihm aber hier nicht gefallen wollte, erhielt er auf fein Nachſuche 8 
Oberbefehl über die für Auguft beftimmten ruf]. Hülfstruppen mit dem Nange eines 
fieutenants. In diefer Zeit begannen die Sriedensunterhandlungen zwifchen Augufill. = 
Karl XII. P.'s Bemühen, den preuf. Hof gegen Schweden zu gewinnen, feheiterte; burd fi 
neue Schrift („Echo“) ſchärfte er nur den Haf der ſchwed. Regierung gegen feine Perfon Ir 
nig Auguft hatte im Dec. 1705 mit dem Zar eine perfonliche Zufammentunft, woranfem 
Zage nachber P. nebft 18 feiner Vertrauten verhaftet und auf die Feftung Sonnenften, A 





Patmos Patras 705 


ftein gebracht wurde. Als Urfachen führte der ſächſ.poln. Hofan: 1) P. Habe mitdem 
dten unterhandelt, 4000 Dann ruff. Truppen, bie bisher in ſächſ. Dienften geftan- 
eichiſche zu bringen; 2) er habe den Zar Peter au bewegen verfucht, Staniſlaw Zefz- 
serkennen ; habe 5) den Zar und Auguft entzweien wollen; 4) hinter dem Rüden bes 
guft ſich ſchändlich über ihn ausgedrüdt; 5) mit Schweden correfpondirt und zum 
er Begnadigumg ſich anheifchig gemacht, zwifchen Rußland und Schweden Frieden 
P. ſelbſt ſchrieb feine Verhaftung Iediglich der gereizten Empfindlichkeit Augufl’s 
Minifter zu. Als bald darauf König Auguſt UI. zum Frieden von Altranftädt ſich 
ah, mußte ex in demfelben P.'s Auslieferung verfprechen. Diefe erfolgte auch, ba 
ches Entkommen, welches Auguftll. angeordnet hatte, wie man fagt, durch die. dab» 
zefehlshabers der Feftung, der zu lange über dad Löfegeld unterhanbelte, vereitelt 
rgebens foderte Peter feinen Sefandten von dem ſchwed. Hofe zurüd. P. mußteden 
bei ihrem Abzuge aus Sachfen folgen. Auf dem Marſche (beim Klofter Kafimir, 
‚von Pofen) wurde er durch ein Kriegägericht ald Landesverräther zum Tode verur- 
10. Oct. 1707 von unten auf lebendig gerädert, dann dem Halbtodten der Kopf ab« 
der Körper in vier Theile gehauen und aufs Rad gelegt. Als König Auguſt IL wie- 
fig der poln. Krone gelangt, wurben P.'s Bebeine 1713 gefammelt und nach War⸗ 
ht. Mehre Dichter, darımter in neuerer Zeit auch Gutzkow, haben das Schidfal 
Begenſtande von Tragödien gemadıt. 

8, eine Meine, zu den Sporaden gehörige Felfeninfel im Agälfchen Meere, von un 
N. im Umfange, füdli) von Samos, jegt Patino, ift ald Verbannungsort des. Evan» 
yannes (f. d.) denfwürdig, der hier unter einem Baume feine Offenbarung gefchrie- 
ſoll. Noch jegt findet fich auf dem Gipfel eines Berge ein Klofter des heil. Johannes, 
ve Bibliothet und Münzſammlung befigt. Eine Beichreibung von P. gibt Roß in 
ifen auf den griech. Infeln des Agäifchen Meeres“ (Bd. 2, Etuttg. und Tüb. 1845). 
‚ fonft audy Padmavadi und Srinagari, d. i. Heilige Stadt, genannt, die Haupt⸗ 
Provinz Bahar oder Behar (f. d.) in der indobrit. Präſidentſchaft Bengalen, 
dweſtlich von Kalkutta, am füdlichen Ufer des bier zur Regenzeit zwei Stunden 
nges, vor deffen überſchwemmungen fie durch ihre Lage auf einer Anhöhe gefchügt 
reiche Paläfte, Dindutempel, Mofcheen und Prachtgebäude der Großen und Reichen, 
der langen Hauptftraße enge, ftaubige und ſchmutige Baffen und zählt gegenmärtig 
350000 €;, von denen zwei Drittel Hindu, ein Drittel ſchiitiſche Mohammedaner 
günftigen Lage zwifchen den nördlichen und füdlihen Gangesprovinzen verdankt die 
ı ungemein lebhaften Verkehr, die hohe Stufe ihres Handels und Fabrikweſens. Sie 
Werfte, ernährt viele Menſchen durch Schiffbau und Schiffahrt umd ſieht oft Flotten 
0 Fahrzeugen. Zu den Fabritaten 9.8 gehören feit langer Zeit ungemein feine Tö⸗ 
\, die ihres angenehmen Geruchs wegen in ben Paläften der Grofen fehr gefucht 
peter, Indigo und namentlid) Opium, deſſen Cultur und Handelsvertrieb in P. ihren 
mb einer Menge von ihren Kaufleuten ungeheuere Reichthümer verfchafft haben. 
ift die Baummwollmfabritation. Die Shamlwebereien fiehen jedoch jenen von Kaſch⸗ 
ach, wogegen bie Fabrikation von Tiſchzeugen und Wachskerzen einen hohen Grad 
dung erreicht hat. Auch die Hakims oder Apotheken machen bedeutende Geichäfte, 
efondere Liebhaberei der Einwohner an Bären und bunten Vögeln hat den Handel 
Thieren zu einem eigenen Induftriezweige erhoben. Gewiſſermaßen als Vorſtädte 
Difteiet 39 AM. umfaßt, können betrachtet werden: das ſchöne Baukipur mit ſei⸗ 
ı und herrlichen Pflanzungen und der Meßort Hadſchipur und Dinadſchapur mit 
Farm, einer der großartigften Fabrikanſtalten. 

ı nennen bie Franzoſen die Dialekte ihrer Sprache, namentlich in ber Geflalt, wie fie 
n und ungebildeten Leuten gefprochen werben, weshalb fie auch Provinzialiämen 
t diefem Namen bezeichnen. 

5, türk. Baliabadra, das alte Paträ, bie Hauptfiadt der griech. Nomarchie 
Elis, am Golf von Patras und fühweltlich von den Kleinen Dardanellen, der Ein- 
n Golf von Lepanto, war vor dem Ausbruche der griech. Revolution, welche mit dem 
a 9,12. Febr. 1821 begann, eine bedeutende Handelsftadt von mehr als 22000 €. 
Ütärifcher Punkt, der die Verbindung Moreas mit Lepanto, Albanien und Rumelim 
urde fie während des Freiheitokriegs der Schauplag des Kampfs zwifchen Türken und 
r Sehnte Aal. XL | —8* 


Yatrik 707 . 


ver das Imperium (ſ. d.) den Genturiatcomitien zu, welche Patricier, Plebeſer, ja auch Clien⸗ 
n in fich umfaßten; neben den yatricifchen Rittercenturien ftellte Servius auch plebejifche auf. 
er Kampf zwifchen beiden Ständen erhob ſich bald nady Gründung des Freiſtaats und ent- 
ried fich 366 v. Chr. zum Siege der Plebeier, die in ben Tribunen (f. d.) ihre Führer hatten. 
ewiß hatten fchon vorher bie Patricier den Auſpruch, allein Gentilitätsrechte zu haben, auf. 
ben müffen, zumal feitdem das Befeg des Ganulefus vom 3. 445 ein Eherecht (conmubium) 
difchen beiden Ständen geftatter und fo eine fchroffe Scheidung im Privatleben befeitigt hatte; 
enſo war gewiß ſchon vorher die Glientel don Mächtigen unter den Plebejern über Solche, 
e fih ihnen anfchloffen, geübt worden; auch in den Senat waren allmälig einzelne Piebejer 
Ngetreten. In jenem Fahre aber entriffen die Tribunen Cajus Licinius (f. d.) Stolo und Lu⸗ 
is Sertius den Patricieen das gewaltige Vorrecht auf ausfchließliche Bekleidung des Confu⸗ 
8, und ebenfo wie mit diefem höchften Magiſtratus des Staats erging es auch mit den übrl- 
Sogar die Theilung der Stellen zwifchen Patricietn und Plebejern, die anfangs bei den 
(ten beliebt vourde, hörte allmälig, im Conſulat erft 172 v. Chr., auf, eine nothwendige zu 
. amb durch das Entfiehen eines neuen Adel, der Nobiles (f. d.), der plebefifche wie patrici« 
MS amilien in fich faßte, trat das Patriciat in den Schatten. Die wenigen Vorrechte, die den 
ãciern geblieben waren, erfchienen, feitdem 302 v. Chr. das Ogntnifche Gefep den Plebeiern 
Ben Eintritt in die bie dahin nur patricifchen Collegien der Pontifices und Augurn geöff⸗ 
»Atte, und feitdem die Euriatcomitien zur bloßen Formalität herabſanken, al& ganz unbe» 
= md. Sie beftanden darin, daß der Magiftrat des Anterrer fowie die Prieſterwürde des 
= -zfonige (rex sacrorum) und einiger Flamines nur von Patriciern bekleidet werben konn⸗ 
VBVenſo wie das Collegium der Salier ein patricifches blieb. Vornehmlich um dem alten Der« 
Euen, das hier Patricier verlangte, genügen zu können, machten, da bie Zahl der patricifchen 
gegen dad Ende ber Republik fehr abgenonımen hatte, Julius Cäſar und Auguftus, 
Elaudius, plebefifche Gefchlechter zu patricifchen, und fpätere Kaifer erhoben ſelbſt ohne 
= Gründe Einzelne zu Patriciern. So fam ed, daß unter Diocletian der Patriciatus als 
we=rfönlicher hoher Adel, deſſen Ertheilung von der Gnade des Kaiferd abhing, über dem 
wer Nobiliffimar, der Stand der kaiſerl. Bamilienglieder, als höherer Adel ftend, förmlich 
> richtet und mit eigenen Infignien, 3. B. mit einer purpumen-Zoga, ausgefturtet wurde. 
«erhielten namentlich hohe Beamte nach Verwaltung ihres Amts als Auszeichnung, auch 
We Fürſten, wie z. B. Chlodwig vom Kaifer Anaftafius und Theoborich von Zeno. — In 
neuen Bedeutung erfcheint dad Wort Patrieins, ald Papſt Stephan 754 den König Pi⸗ 
nter diefem Titel zum Statthalter Roms und bes Landes der rom. Republik und zugleich 
Schirmvoigt der Kirche erhob. Diefen Titel nahm Karl d. Gr. an, ehe er zum Kaijer aus⸗ 
Ten wurde, und auf ihn berief ſich Heinrich IV., als er die Abfegung Gregor's VII. aus- 
=. — Ein eigenes Patricierthum entftand im 42. und 13. Jahrh. in den deurfchen Reichs⸗ 
Een und in der Schweiz aus den angefehenften Familien, die zu gemiffen obrigkeitlichen Am: 
eine ausſchließende Berechtigung gemannen und behaupteten. Im gewöhnlichen Sprady- 
Tauch nennt man wol jegt noch die vornehmen, einflußreihen und mit der Gefchichte einer 
ade verwachfenen Familien Patricier. 
Matrick (Patricius), ein kath. Kirchenheiliger umd der Apoftel Irlands, wurde 372 zu Ba⸗ 
ven Tabernä in Schottland, im heutigen Flecken Kirt-Patrid von vornehmen Altern geboren, 
> angeblich aus der Bretagne ftammten und ihn im Chriftenthum erzogen. Im Alter von 
5 I. entführten ihn mit einigen Knechten feines Vaters milde Seeräuber nach Irland, wo er 
18 Vieh hüten mußte. Erſt nach ſechs Jahren gelang es ihm, ſich durch die Flucht in feine Hei⸗ 
at zu retten. Hier lebte er mehre Jahre im Haufe feiner Altern und faßte, von Vifionen ge 
Ieben, den Entſchluß, als Apoftel der Kirche aufzutreten. Nachdem er die Weihen als Priefter 
ıd Bifchof erhalten, ging er nach Irland zurüd und begann mit außerordentlicher Beharrlich⸗ 
it unter großen Gefahren und Hinderniffen die Verfündigung des Evangeliums. Bon dem 
johne eines befehrten Häuptlings, Benen oder Benignus, unterftügt, gründete er viele Ge⸗ 
enden, Kirchen und Klöſter und richtete ein volliges Kirchenſyſtem ein, deffen erzbiſchöflichen 
Sig er fpäter nach Armagh verlegte. Auch verbreitete er unter den rohen Iren die Schreibekunſt 
nd wiſſenſchaftliche Bildung. In den Kloſterſchulen, bie er ftiftete, blühte bald die Gelehrſam⸗ 
it empor, und aus allen Rändern Europas ftrömten Schüler herbei, die ſich Hier für das chriſt⸗ 
che Apoſtelamt bildeten. Im hoben Alter überließ er die Berwaltung feinem Coadjutor Be 
ignus und befegäftigte fich mit der Abfaffung eines frommen Werké ee RR ui 


Patrize Patronus 70% 


lichen Lehre und Verfaffung verdient die Patriſtik ganz die Aufmerkſamkeit, die man ihr in neue 
ter Zeit zumendet. Vgl. Engelhardt, „Leitfaden zu patriftifchen Vorlefungen” (Erlang. 1822); 
Möhler, „Batrologie” (Herausgeg. von Reithmayr, Bd. 1, Abth.1 umd 2, Regensb. 1839 — 40). 

Patrize heißt in der Stempelſchneidekunſt derjenige Stempel, welchen man als Grundlage 

"&neidet, um mit bemfelben eine oder mehre Formen zum Letternguffe au erzeugen. Diefer 
Btempel muß genau die Form der nachmaligen Lettern haben, alfo links gefchnitten und fehr 
yut gehärtet fein. Die Form oder die Matrize (f. d.) wird nun erzeugt, indem man diefe Stem- 
el in ein Stückchen Kupfer einfchlägt und dies dann fo bearbeitet, daß e& in richtiger Lage ins 
Biehinftrument gebracht werden kann. Außerdem nennt man auch diejenige Schraube, deren 
nan fich bedient, um eine Schraubenmutter, Mater oder Matrize zu fehneiden und zu reguliren, 
ine Baterfchraube oder Patrize. Ebenfo wendet man oft bei galvanoplaftifchen Arbeiten bie 
Benennung Patrize für das Original an, auf welchem eine galvanoplaftifche Mater niederge⸗ 
ichlagen werben foll. 
Pattroklus, der Waffengenoffe des Achilles, war der Sohn des Argonauten Menötios und 
ser Sthenele oder Polymele. Ohne allen Vorbedacht tödtere er zu Opus beim JBürfelfpiel des 
Amphidamat Sohn, Klyſonymos. Sein Vater entzog ihn der Nache durch die Flucht und 
dradhte ihn nad) Phthia zum Peleus, der ben Knaben freundlich aufnahnı und als feines Soh⸗ 
nes Genoſſen erzog. P. folgte dem Achilles (ſ. d.) vor Troja und blieb lange Zeit thatenlos wie 
diefer, der zürnend feinen Antheil am Kampfe nahm. Endlich aber zog er doch aus, in des Achil⸗ 
les Rüftung gekleidet. Der Kampf, den er begann, war glänzend. Allein nachden Apollo ihn 
jetäubt und wehrlos gemacht hatte, wurde er von Euphorbo6 durchbohrt und von Hector vol. 
ends getödtet. Die Griechen retteten ben Leichnam, beftatteten ihn mit vieler Pracht und 
tellten feierliche Xeichenfpiele an; Achilles aber befchloß, den Freund zu rächen und ihm 
n den Tod zu folgen. 

Patrone beißt im Allgemeinen ein Vorbild oder Mufter, nach welchem irgend eine Sache 
us geſchnitten oder verfertigt werben foll, und bei mehren Handwerkern das Modell, nach mel. 
hem die Arbeit verfertigt wird. Nicht zu verwechfeln ift die Patrone mit der Schablone (f. b.). 
— Pulverpatronen oder einfach Patronen nennt man auch den Körper, in welchem bie 
Duiverladung mit dem Gefchof verbunden iſt, um in irgend ein Feuerrohr geladen zu werden. 
Richtiger ſcheint es, mit Patrone nur die Ladung nebft Geſchoß des Heinen Gewehre zu bereich» 
en, ba die Ladungen für Gefchüge weit beffer mit dem Namen Cartouche (f.d.) bezeichnet wer- 
en. Die Patronen müffen auf eine Art verfchloffen fein, daß fie auf dem Transport, nament- 
ich in den Patrontafchen der Leute, kein Pulver verftreuen und doch leicht geöffnet werden kon- 
en, um die Ladung in den Lauf zu ſchütten und die Kugel darauf zu fegen. Dieſes Dffnen ge 
chieht gewöhnlich durch Zerreißen des zufammengefalteten obern Theils der Patrone, indem 
affelbe mit den Zahnen abgebiffen wird. , 

Patronus hieß bei den Römern urfprünglich der Schugherr über die Clienten. Das Ver⸗ 
ältniß, in welchem er zu biefen fland, ber Batronatus, war ein dem väterlichen analoges und 
aber der Name. (&. Elientel.) Auch der Freigelaffene erkannte in feinen frühern Herrn ſei⸗ 
en Patronus. Als die Macht Roms ſich ausbreitete und die alte firenge Form der Clientel 
ion ſich erweitert Hatte, fuchten ganze Gemeinden und Völkerſchaften den Patronatus ange: 
ehener Römer, in deren Familien derfelbe forterbte, um durch fie in Rom vertreten zu werden. 
Ramentlich wurde es üblich, daß Derjenige, der die Unterwerfung eines Orts, einer Landſchaft 
ollbracdht hatte, von diefer mit feiner Familie als Patronus anerkannt wurde. So waren die 
Narceller durch den Claudius Marcelus, der Syrakus und Sicilien unterwarf, die Patrone 
er Sicilier. Das Wort Patronus wurde, da in ber alten Zeit der Patronus feinen Glienten 
‚or Gericht vertrat, auch im weitern Sinne auf den Proceß angewendet, und Patroni oder Dra- 
ores hießen hier Diejenigen, welche für die Parteien ald Fürſprecher auftraten, die Anträge 
tell.en oder in judiciv die Sache verfochten, während mit bem Worte Abdvocati Die bezeichnet 
wurden, welche durch rechtlichen Rath und, indem fie die Parteien vor Bericht begleiteten, durch 
ihr Anſehen oder fonft in den Proceß einzugreifen ihnen behülflich waren. In der fpätern Kai- 
ferzeit fiel dies legtere weg. Die Rechtsgelehrten ertheilten ihr Gutachten fchriftlich umd der 
Name Advocatus wurde nun gleichbedeutend mit Patronus für den Anwalt vor Gericht ge- 
braucht. Im weitern Sinne ald Befchüger oder Vertheidiger überhaupt, wie wir wol ben Gön⸗ 
ner Patron nennen, fommt das Wort auch ſchon bei den Römern vor. Im Mittelalter wurde 
Patron der gemeinfame Name für alle Schugheilige. — —— NEAR 
wärtig unter Patren, Patronatsberr oder Kirgenyaten den Beſhet sort Krrmärt tucl 


N Petrouile ..;,,:,m 


, ga dem eine Kirche gehört, über, welche jener: bad Patron j 
—— nad Be ee trond als die P 
—35 wo viele Reiche urn ae irchen oder 
felben reich auefkatteten mit liegenden Grünt lt 
baarem Bermägen, behielten fie fid) und ihren Erben einen U an ben 
nvermögens und ber befondern Xı ———— dor. Die, 
foßches, infofern dadurch die Bife jen Rechte nicht beeinträchtig ırden, m 
ch) Andere zu ähnlichen Wohlthaten für die Kirche zu ermuntern. den dall 
on Bag yucndhen, und auß DL Bamike un Bi Bf Be Bat 
1 jen zu ern. , und e uml en Da 
# — an das Kirchen ven, doch ohne Gefährde für,bas: Beflehen 
R hatte die Patronatsfamilie, Ming: fie dem Pätronare, nicht entfagte, 
die Verpflichtung, für Ausbefferung und Wiederherftellung der Kirche mit zu I 
wurde eb inbeffen nöthig, dem Mechte der Patrone über das Kird nbermögen 
engen zu fegen, die Größe des Aufwande zu beftimmen, ben fie eigenmächtig aus de ice 
„mgdyen durften, umd die Kirche felbft und Die gefepliche geiftliche Gewalt gegen deren An 
wabspdapren. Es waren diefe Beftimiungen um fo wichtiger, da mandye Patrone nid 
der frömmmften Übficht, fondern aus Eigennup Kirchen. erbauten, indem fie fich einen ur 
don pet der zeichen Sichenfungen und Bermächife, wele nrch Kirthen yu fielen, on 
Dagegen erlangten gleichzeitig wieder bie Darencdat t, bei Bejepum 
ter. an den von ihnen gegründetert ag ausgeftatteten Kirchen für fi 
Erben eine entſcheidende Stimme zu haben, doch Fein, — eigentfi tu 
598 Reit, die Geiſtlichen zu wählen und zu berufen, fand nur der ‚ganzen € 
bemm biefe vertretenden Preöbptercollegium ober dem Bifchofe zu. Doc) ermeiterte fi h 
Epeil des Vatronatsrechts ſchon im Mittelalter, wo die mächtigen Großen umd adeligen 
den Bürften bie Degünfigung erhisten, ſich eigene Kapfane zu wählen u 
US die Kapellen fich allmälig zu Dorffirchen erweiterten, verblieb Li) 
Guttherrn das Wahlrecht, und felbft Iediglich vom Bifchof zu befehende Par 
bisweilen, wenn der Butöherr etwa bie Wiederherftellung der Kirche oder die B . 
Parochen, für deffen Unterhalt fonft die Domkirche zu forgen hatte, übernahm, in das Ba 
niß von Dorflichen über, die aus Hoflapellen entftanden waren. Doc) zu feiner Zeit u) 
Bath. Kirche den Patronatsherren ein eigentliches Befegungsrecht zugeftanden, umd bie Bed] | 
nungen proteft. Gonfiftorien bezeugen, daß auch die evang. Kirche ein ſolches Recht nicht | 
kennt. Daffelbe Recht, was dem einzelnen Patronatsherrn zufteht, fteht übrigens den Meg 
ftraten und andern Gemeinfchaften zu, die ein Patronatsrecht haben. Das MWefentlice 
Patronatsrechts iſt das Präfenfationsrecht, nach welchem der Patron für eine erledigte gib 
liche Stelle der geiftlichen Behörde einen Candidaten vorftellen darf, und das Berufungsrehl 
das er aber nicht eher auszuüben befugt ift, bis die Genehmigung und Beftätigung des nen 
ſtellten Gandidaten von Seiten ber höhern Behörde erfolgt ift. Außer diefen Haupteheilen 
Patronats rechts fichert daffelbe dem Patron auch noch einige andere Auszeichnungen und ® 
rechte. Er muß in das Kirchengebet eingeſchloſſen werben, darf in der Kirche feine befor 
Kapelle (vorbem auch fein Erbbegräbniß) haben, und bei feinem und feiner nächften Werra) 
tem Tode wird eine Zeit lang mit allen Gloden geläutet. Das Patronatsrecht ift in der I 
an ben Grundbefig gebunden und feht den Bamilien nur zu, folange fie die Befiger find. 
allyu lang verpögerter Präfentation eines Candidaten für die erledigte Stelle, oder mem 
Güter des Yatrond mit Sequefter belegt find, oder wenn das Necht unter Mebren firetig 
tritt für die Perfon des Pattons, doch nicht für den künfti gen Erben, dafern diefer die U 
abſtellt, eine Euspenfion ein, und es übt inzwiſchen das Patronatsrecht Die geiftliche Baba 
Völlig verloren geht daffelbe, wenn der Patron der Simonie (f. d.) überführr wird ode 
Kirche, auf die fein Mecht gegründet ift, verfallen Täßt und nicht wieberherftellt. 

Patrouille nennt man in der Militärſprache einen Trupp, der ausgefandt wird, um Ruh 
richten einzuziehen, ſowol zur Sicherung der eigenen Truppen (f. Worpoften), als zur Bach 
teitung von Unternehmungen gegen den Beind. Die Patrouillen werden im offenen Zara 
durch Gavalerie, im durchſchnittenen durch Infanterie gebildet und beftehen oft nur aus wa 

- drei Mann, um defto leichter unentdedt zu bleiben. Haben fie nur allein den Ziwved:, die Bo 
poſtenkette aufmerkfam zu erhalten, fo heißen fie Sicherheit s« oder Bifiticpatronillen. Gehak 
aber über jene Linie hinaus gegen den Feind, fo heifen fie Schleich-, aud wol Manfepatrouile 











1 


8 


8 
Bis 


F 
F 


f 



















Batus Ä Yale ° 711 


orzüglich wichtig find die während des Marſches einer Truppencolonne entſendeten Seiten⸗ 
atrouillen, welche auch gewöhnlich in größerer Stärke zufanmengefegt werben, theils um von 
am Feinde minder leicht zurückgewieſen zu werden, theils um Schleichpatrouillen zu entfenden. 
zößere oder felbfländige Patrouillen werden von Offizieren geführt. Sie heißen Necognos« 
Eunngöpotrouillen, wenn fie zur Erkundung des Terrains oder bes Keindes entfendet werben; 
erfolgungspatrouillen, wenn fie einem abziehenden Feinde vorfichtig folgen follen, um fein 
eiteres Verhalten zu beobachten; Berbindungspatrouillen, wenn fie getrennt fteber.de, mar» 
pirende oder fechtende Truppen in Verbindung halten ; $lantenpatrouillen, wenn fie, hier 
ũrker, auf weitere Entfernung als die Seitenpatrouillen gehen, um die Flanke des Corps zu 
Hern oder Gelegenheit zu Unternehmungen gegen des Feindes Flanke zu erfpähen. 

Pätns if der Zuname mehrer rom. Bamilien. Unter Denen, die ihn führten, find vor⸗ 
hmnlich zwei Römer der Kaiferzeit berühmt. Eäeina Paͤtus wurde ald Theilnehmer an dem 
Kolglofen Aufftande bes Statthalters von Dalmatien, Scribonianus, gefangen und 42 

Chr. zum Tode verurtheilt. Als er zögerte, fich die Bruft mit dem Dolche zu durchbohren, 
nb ihm feine Gattin Arria (f. d.) das Beifpiel des Muthes, dem er folgte. Sein Schwieger- 
Ya, der rom. Senator Publius Thrafen Pätus aus Patavium, wird von Tacitus als einer 
er wenigen Männer, bie in ber Reronifchen Zeit Tugend, Charattergröße und Freimüthigkeit 
»faßen, gefeiert. Da diefe Eigenichaften in Nero Furcht und Haß erregten, wurde P.67 n. Chr. 
egen Maojeftätöverlegung angeklagt und verurtheilt, unter Anderm, weil er, als der feile Se⸗ 
at fi zu Glückwünſchen gegen Nero wegen bed Todes feiner Mutter Agrippina erniedrigte, 
e Curie, ohne an dem Beſchluß Theil zu nehmen, verlaffen hatte. Die Wahl bes Todes, im 
elchem ihm zu folgen er feine ihrer Mutter gleichgefinnte Gattin, die jüngere Arria, hinderte, 
urde ihm freigeftellt. Wie eine Libation für den befreienden Jupiter ließ er fein Blut aus den 
öffneten Adern firömen. 

Hau, die Hauptftadt des franz. Depart. Niederpyrenien am Gave de Pau, über wel- 
en eine fehr hohe Brüde von fieben Bogen führt, von der man eine herrliche Ausficht in 
e romantischen Umgebungen der Stadt genießt, ift der Eig eines Appellationshofs, eines 
andelegerichts, hat gegen 13840 E., gute Manufacturen in Leinwand und Hüten, trefflichen 
einbau (Jurangonmein) in der Umgegend, nicht unbebeutenden Handel mit geräucherten 
änfeleulen und Schinken , welche legtere von dem Plage ber Ausfuhr gewöhnlich Bayonner 
ch inken heißen, und jährlich eine Meffe. Die Stadt befigt, nachdem die 1724 gegründete 
siverfität in der Revolution aufgehoben worben ift, noch eine Univerſitätsakademie, eine 1721 
fkiftete Akademie der Wiſſenſchaften, ein Lyeeum, eine Zeichen und Handels ſchule, eine öko⸗ 
miſche Gefellfchaft, ein Muſeum, ein Theater und eine öffentliche Bibliothek. Sie war ſonſt 
e Mefidenz der Könige von Niedernavarra, und noch gegenwärtig zeigt man hier das Königs⸗ 
ms oder Schloß, wo Heinrich IV. das Licht der Welt erblickte und feine Kinderjahre verlebte. 

aufe (tympanum) nannte man im Altertbume jedes mit einer Haut befpannte hohle 
nftrument, weldyes mit ber Band ober einem andern Inſtrument gefchlagen wurbe. Gegen⸗ 
ärtig verfteht man darunter die urfprüngliche Priegerifche Keſſelpauke, die aus einem kupfer⸗ 
a3 Keffel beſteht, über welchen an einem eifernen Reif eine gegerbte Efeldhaut ausgefpannt ifl, 
e mittels einiger eiferner Schrauben höher und tiefer geflimmt werden kann und mit einem 
Izernen Klöppel, der gewöhnlich mit Flanell oder Leder überzogen ift, gefchlagen wird. Die 
aufe war eigentlich beflimmt, die Grundſtimme zu einem Trompetenchore abzugeben, wird 
‚er jest in jedem Orcheſter bei vollftändiger Muſik angewendet. Um nun die beiden Haupttöne 
z Tonart, in welcher ein Tonſtück gefegt ift, nämlich die Zonica und Dominante, zu erhalten, 
Dient man ſich gewöhnlich zweier Pauken von verfchiedener Große, von welchen die fleinere in 
an Hauptton, bie größere aber in die tiefere Dctave der Dominante deffelben geſtimmt wirb. 
ie Heinere Pauke wird nicht höher als f, nicht tiefer als B, die größere nicht leicht höher ald c 
ad tiefer als F geſtimmt. Die Noten werden im Baßſchlüſſel meift ohne Bezeichnung gefchrie- 
en, dabei aber angegeben, in welchen Ton geflimmt werden fol. Echon Beethoven aber ließ 
ie Bauten auch anders, 3. B. in Detaven, flimmen, ebenfo auch Abt Vogler. In neuefter Zeit 
at Berliog eine noch viel erweiterte Anwendung und Behandlung derfelben gelehrt. IRenn 
ie Stimmung der Pauken in ein und demfelben Sage mechfeln foll, fo muß der Componiſt die 
um Umflimmen nöthigen Yaufen geben. Ehemals hatten die Cavalerieregimenter Pauken, 
ie bei den Barden zur Auszeichnung filbern waren und den Bahnen gleich gefchägt wurden. 
Später behielten fie blos die Kürafliere, bei denen fie aber ebenfalls meift in Wegfall gekommen 
ind. Vgl. Pfunde, „Die Pauken“ (2pz. 1850). 



















is - Yaul(Pi) Pasul I. ( Xxuiſir von Rußland) 

VMamnl if der Name von fünf Yäpften. — YaulL, 757—767, ber Bruber Geryhumf 
ke Grichen Das kun Keine unser Do de zu Gencliy gi 
Synode behauptete gegen die Griechen das Ausgehen bes Heiligen Geiſtes vom Gegner. 
Ya find noch Biiefe —2 er iſt kanoniſirt und der W. Juni —— — a ed . 
27 ein geborener Venetianer, vorhei Pietro Barbe, Archibdiakonud 
ef w dann apoftolifcher Pretonstar und Gardinal, ein bes *. 
Eagen IV. (f. —* war ned und nd umd ließ gleich im Unfange 
gierung bie Furp bocher tulation vernichten. Er that Georg P 
in den Bann, ließ gegen ni bat nn Arm prebigen unb hatte — 
Des Parlament die fürntide Bufpebung der —*— — 
des aments en zu 
P. fepte die Beier des Jubeljahres auf das je 25.3. feſt — Paul ILL, 13a, 
Ulerander Yarnefe, ein Römer von Geburt, Biſchof von Oſtia und Dekan | 

‚ beftätigte den Orden der Jeſuiten, eröffnete das — —— i 
an den Geſprächen in Worme und Regensburg zu Ieihung mit ben hr 
ken, aröneck aufden Rath bed Cardinals Garaf in —— \ 
: bed Proteſtantismus an und begann damit den ra gr Kampf 
—— Ditens —*8* —— — — Di 
des Drbens ber er , pro den 
ger Religionsfrieden und gegen bie Übertragung der Kaiſerkrene auf erdinand 1. 2* 
habte die Inquifition mit Nachdruck gegen jede Begünfligung ber protel. Bichts | 
er einen Index libroram prohibitorum aufftellen, mit ‚größter Strenge ketzeriſche 8 
füchen und verbrennen und fuchte nicht nur die Gorberungen der Zeit zu | 
auch die alte Herrlichkeit des päpftlichen Stuhls wieberherzuftellen. Durch feine Sere 


En . Todeöfirafe 
In Rom das Wappen des Haufes Garaffa führen würden. — Paul V. 16054, wi 
Tamillo Borghefe, ein ftarrer Kanonift, mußte im Kampfe mit der im Geifte des Paul Eu 
(f. d.) handelnden Republik Venedig nachgeben, obfchon er von den Iefuiten, namentld m 
Bellarmin kräftig unterftügt wurde. Die Streitigkeiten über die Gnade fowie über die we 
fledte Empfängnis Mariä ſuchte er vergeblich dadurch zu dämpfen, daß er Still ſchweigen wel. 
die Streitfragen gebot. 

Paul 1. (Petrowitſch), Kaifer von Rußland, 1796 — 1801, geb. 1. Det. 1754, were 
Sohn des unglüdlihen Kaifers Peter III. (f. d.) und der Kaiferin Katharina U. (f. 0) Du 
tragifche Tod feines Vaters und die kalte Strenge feiner Mutter drüdten früh auf die J 
des Großfürften, dem es weder an Zalent noch an guten Eigenſchaften des Gemüche fi 
Zwar leiteten ausgezeichnete Männer, namentlich) Graf Panin (f. d.) feine Erziehung, abe 
fehlte doch der artere Einfluß, welcher ben ohne Zweifel angeborenen Zug feines Daukt, = 
trauiſche Verfhloffenheit und einen bis zur Gemüthöftörung getriebenen krankhaften G 
hätte mildern können. Don feiner Mutter in ſtrenger Abhängigkeit gehalten und eine ! 
nahme an ben Staatögefchäften, been Leitung Katharina mit Günſtlingen teilte, war 
(feit 1773 vermählt) auf fein Familienleben beſchränkt und untemahm auch größere R 
durch Deutfchland, Frankreich und Stalien; aber dad Gefühl der Zurüdfegung und Unt i 
keit laſtete doch auf ihm und trug nicht wenig dazu bei, feine Verbitterung und Keidenfhefät 
Seit zu fteigern. Als er 17. Nov. 1796 zur Regierung gelangte, begann er zunächſt mit Abe 
der Milde und Abftellung mancher Misbräuche, aber audy mit Handlungen der Sühne für P 
nen ermordeten Bater und der Strafe gegen deffen Mörder und die Günſtlinge der Rex 
Reben allen Beweifen großherziger Gefinnung, z. B. gegen die Polen, begann aber ei 
jegt fchon fein mistrauifcher Despotismus fich in firengen Maßregeln der Abfperrung gr 
das Ausland, in Überwachung und geheimer Polizei, auch einzelnen Ausbrüchen gewalth: 
ger Verfolgung Pundzugeben. Die nämlihe Mifhung von Großmuth und Didtraun, u 
hochherzigen Anwandelungen und afiatifhen Sultanslaunen, bie feine innere Regierung W 
bald unberechenbar machte, prägte ſich auch in feiner auswärtigen Politit aus. Trſt mare} 
1798 und 1799 mit allem dem monarchiſchen Eifer gegen bie Mevolution, der ihn befecz, ? 
ben Bund der Mächte gegen Frankreich ein und machte ohne Gigennug die größten Une: 























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em‘, 


Natnhınmia digen. 


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EL Lues Ber 7 Bu Fe | Bu 


- Paul (Herzog von Würtemberg) 713 


gungen zu dem Kriege von 1799, bis er ſich durch Oſtreichs und Englands Egoismus gekrankt 
glaubte und nun ebenfo rafch ind Gegentheil umfchlug. Daß feine Verbündeten nıanche Heine 

ufmerkſamkeit gegen ihn verfäumt und feiner feltfamen ritterlichen Grille, Großmeifter bes 
Malteſerordens zu werben, fich nicht geneigt bewiefen, hatte an dieſem Wechſel den allergrößten 
Antheil. Bonaparte, damals Erfter Conſul, wußte diefe perfonliche Stimmung geſchickt zu 
nügen, durch zarte Aufmerkfamteiten das Gemüth bes Kaifers fich zu geminnen und fo (1800) 
jenen großen Wechſel in der europäifchen Politik vorzubereiten, der Frankreich und Ruß⸗ 
land plöglich eng verband und in Folge deffen Rußland bemüht war, die mittlern und Heinern 
Geemächte zu einem großen Bunde gegen das brit. Übergewicht zu vereinigen. Noch greller ale 
in der äußern Politik trat des Kaifers unglückliches Naturell in den innern Angelegenheiten 
zu Zage. Ein Despotismuß, der nur hier und da noch Durch Außerungen der Milde und Groß⸗ 
muth unterbrochen ward, Verfolgungen und Verbannungen, die fich bis zu den höchſten Krei⸗ 
fen ausbehnten, dazu der Einfluß unwürdiger Menfchen, wie des Kammerdieners Kutaifow und 
ber Franzöſin Chevalier, machten die längere Dauer einer folhen Regierung zu einer morali⸗ 
{hen Unmöglichkeit. So bildete fich eine Verſchwörung, die wol bie inden Kreis der kaiſerlichen 
Familie nit unbekannt war, aud) wenn die Urheber zunäcft nur von der unvermeidlichen 
Entthronung P.'s, nicht von feinem Tode fprachen. Graf Peter Yahlen, damals der einfluß- 
reichte Mann in des Kaiferd Umgebimg, war das Haupt der Verſchwörung, die Subow, Ge 
neral Bennigfen, Umarom und eine Anzahl Adeliger und Offiziere die bedeutendfien Theil. 
nehmer. In der Nacht vom 23. März 1801 drangen fie in den Michailow’fchen Palaft, wo der 
Kaifer refidirte, überrafchten ihn in feinem Schlafgemach, fchienen aber erſt nur entſchloſſen, 
Ihn zur Abdanfung au zwingen, bis entweder der Widerfiand P.'s oder die Furcht und der per- 
ſönliche Haß einzelner Verfchworenen die tragifche Kataſtrophe bereitete, über deren Einzeln⸗ 
heiten fehr verfchiedene Verfionen eriftiren. Doc) kam es zu einem formlichen Handgemenge, 
an welchem Nikolai Subow und nach Andern auch Bennigfen den thätigften Antheilhatten, und 
wobei der Kaifer nach heftiger Gegenwehr gräßlich mishandelt und zulegt durch eine Degen« 
fhärpe erdroffelt ward. Der Leichnam war fo verflümmelt, daß man felbfl der Gemahlin 9.8 
und der Großfürftin nicht geftattete, ihn zu fehen. Alegander, den man nun zum Kaifer ausrief, 
war in die Verſchwörung nur fo weit verflochten, ald man ihm die Abdication feines Vaters 
wie eine Nothmwendigkeit auch im Intereſſe feiner eigenen bedrohten Sicherheit darzuſtellen ge⸗ 
wußt hatte. Im 3.1773 wurde P. von feiner Mutter mit der Prinzeffin Wilhelmine von Heffen- 
Darnıftadt vermählt. Nach deren kinderlofem Tode, 26. Aprit 1776, ward ihm die Prinzeffin 
Dorothea Augufte Sophie von Würtemberg (Maria Feodoromna) zur Gattin beflimmt, mit 
der er fich 18. Oct. 1776 vermählte. Aus biefer Ehe entfprangen die Großfürften: Alerander 
(f. d.), der nachmalige Kaiſer: Konftantin (f. d.); Nikolaus (f. d.), der jegt regierende Kaifer; 
Michael, geb. 8. Febr..1798, geft. 9. Sept. 1849, vermählt 19. Febr. 1824 mit der Tochter 
des Prinzen Paul von Würtemberg, Friederike Charlorte Marie, jegigen Großfürftin Helena 
Pawlowna; ferner die Großfürſtinnen: Alerandra, Braut des Könige Guſtav IV. Adolf 
von Schweben, dann 1799 Gemahlin des Erzherzogs Joſeph, Palatinus, geft. 1801; Maria, 
Die verwitwete Großherzogin von Sachſen⸗Weiniar; Helena, geft. als Erbprinzeſſin zu Med- 
Imbirg- Schwerin 1803 ; Katharina, geft. ald Königin von Würtemberg 1819; Anna, geb. 
48. San. 1795, feit 17. Mär, 1849 Witwe des Königs der Niederlande, Wilhelm 11. 

Paul (Friedrich Wilhelm), Herzog von Würtemberg, befannt durch feine wiſſenſchaftlichen 
Reiſen, ift zu Karlsruhe in Schlefin 25. Juni 1797 geboren. Sein Vater, ein Bruder bes 
verftorbenen Könige Friedrich 1., war der Herzog Eugen von Würtemberg, ber bis 1806 in 
preuß. Militärdienften ftand und 1822 in Meiningen ftarb ; feine Mutter, eine geborene Prin- 
zeſſin von Stolberg-Bedern, ftarb 1834. Der Herzog wurde am Hofe zu Stuttgart erzogen, 
wo er hauptſächlich eine militärifche Erziehung genoß. Er zeigte nicht gerade Hervorragende 
Talente, die zu großen Hoffnungen berechtigt hätten. Bereits 1806 wurde er Hauptmann der 
Sarde zu Fuß; in gleihem Munge trat er 1815 in preuß. Dienfte. Im I. 1822 machte er 
eine erfie Reife nach Amerika, auf der ex bei der Rückkehr 1824, nachdem er ſchon viele Fähr⸗ 
lichkeiten und unfagliche Anftrengungen erbuldet, zulegt noch Schiffbruch erlitt. Er nahm nım 
feine Entlaffung aus preuß. Dienften, hielt ſich cheils in Würtemberg, theild in Echlefien auf 
und vermählte ſich 1827 mit der Prinzeffin Sophie von Thurn und Taxis (geb. 4. März 1800), 
worauf er die ehemalige Nefidenz des Hoch- und Deutfchmeifters zu Mergentheim zu feinem 
bleibenden Aufenthalte fi) erwählte. Doch fehr bald trennten fi, die Neuvermählten wieder. 
Die Herzogin ging wieder nach dem Schioſſe Tapis, wo fie 3. Sept. 1828 einen Gohn, ber 


u‘ 


m Paul Beroneſe Payline Menti ur Eippe) 
Warimilian gebor, und hierauf erfolgte Die gerichtliche Gheibumg. Ceirbem made 
* wieberhoite Reifen in Europa, namentlich di er Italjen umd Sicilien, ai 
Eyanien. Im J. 1829 machte er eine zweite Beife nach Umerilu, auf der er noch 
gahfere Gefahren zw beftchen hatte und von ber er in der Mitte 1850 zurũckkehrte. 
wateraapen er 1839 eine Reife nad) Ägypten, wo er in-feinen Planen, bis gum neunten dig 
ecpen Breitegrad vorzubringen, von Mehemied- Ali unterftügt. wurde. Gr hat vortreffühem 
tschäftscifche Sammlungen zufanmengebracht, die in Mergentheim aufgeftellt find. 
jaul Berouefe, berühmter vener. Maler, [. Eägliari. 
ding (James Kirke), amerit. Scpriftfieler, ift aus einer im Staate Neuyork unyh 
Wenon Familie 22. Aug. 1779 zu Pawling an den Ufern deb Hudſen geboren. Hadhdem ade 
tueffüche Erziehung erhalten, Leß-er fich, vermögend, in der Stadt re nieder, wo ga 
Berbinbung mit feinem Schwager William Irving und deffen Bruder, dem nachher fo berührt 
semosbenen Waſhington Irving (f. d:), ſeit 1807 die ſatlriſche Zeitſchrift „Salınagundi" ie 
[! Der große Beifall, mit weichem das Publicum bie darin enthaltenen —R 
jen aufnahm, veranlaßte Waſhington Irving ſowol als P., ſich det ſch 
SYanfhabn zu wibmen. Lehterer, ber in feinen polltiſchen Gefinnungen zur bemoPratifchen Seo 
tak meigte, übernahm mit befonderm Cifer die Vertheidigung fei Batrdandes gegen bei» 
giffe der engl. Preſſe und ſchrieb zu diefem Bwedle 1813 das ſatiriſche Gedicht „Lay ofascoth 
Ude". Im folgenden Jahre erfchien dad gegen die „Ouarierly review” gerichtete Yamızlla 
. „ThaUnited States and Eogland” und 1816 die glüdlichfte-feiner Satiren. „The divering 
histery df Jobn Bull and Brother Jonatlian”. Ein mehrmonatlidier Aufenthalt in 
u feinen intereffanten „Leiters from Ihe South” Veranlaffung. Ws Dichter im 

une bes Worts zeigte er ſich in bem „Backwoodsman” (1818), in welchem er Dad ram 
tfche, aber gefahr» und mũhebolle Leben eines Auswanderers im fernen Weſten barftet. CP 
eneinexe Bekanntheit, auch in Europa, erwarb er fich durch feine Romane. Auf „Koning- 
Danrke" (3 Bde. Neuyork 1823), welches bie Geſchichte der ſchwed Niederlaffung am Die 
wone in humoriſtiſcher Weiſe behandelt, folgte „The Dutohman's fireside” (Beupork 18H; 
anifch, &pı, 1837), vieleicht die gelumgenfte feiner Schriften; dann „Westward, Ho!“ (5%, 
Resort 1832), eine Schilderung des Lebens in Kentudy, „The old contineutal” und „Th 
purilan and his daughter” (3 Bde, Neuyorf 1849; deutfch, 2 Bde. Grimma 1850). Ber 
feinen andern während biefer Zeit veröffentlichten Werken verdienen Ermähnung:: „John Bula 
America” (1824), „Merry tales of the three wise men of Gotham” (1826), eine gegen da 
Dwen'ſchen Philanthropismus, die Phrenologie und das Protectionsſyſtem gerichtete Gatin; 
ferner die „Letters on slavery” (1835) und eine Biographie Wafhington’s für die Jugad | 
(1835). Von feinen zerſtreuten Gedichten zeichnen ſich einzelne durch liebenswürdige und naix : 
Gemüchlichkeit aus. Doch ift P. durch und durch Anıerifaner und konnte daher in Europame 
der als Satiriker fo allgemein verflanden werben wie Irving, noch ald Dichter einen fo time 
politifchen Ruf erlangen wie Longfellom. Als Polititer genießt er bei der amerif. Demohax 
eines hohen Anfehene, bekleidete längere Jahre hindurch das Amt eines Marinecommiffars in 

jafen von Neuyork und mar von 1837 —41 unter der Präfidentfchaft van Buren's Chef m 
jarinedepartements der Vereinigten Staaten. 

Pauliciäner hießen feit dem 7. Jahrh. die unter dem Schuge der Bergketten des Kaulafı 
und Taurus in Armenien erhaltenen Überrefte einer gnoftifchen Partei, deren Grundfäge wer 
zugsweiſe denen bes Marcion ſich näherten. Daher ihre Vorliebe für Paulus. nach deffen Be 
gleitern ihre Vorſteher ſich nannten; auch legten fie ihren Gemeinden bie Ramen Pauüniſae 
Gemeinden bei. Sie verwarfen die Briefe Petri, vielleicht auch die beiden erfien Guangeis, 
und erfläzten ſich gegen das ganze äuferliche Kirchenweſen. Als Vilderflürmer wurden fiemes 
den griech. Kaifern verfolgt oder gebuldet, je nachdem biefe dem Bilderdienfte ungünffig eder 
günftig waren. Im 9. Jahrh. mußten fie wegen ihrer Kegerei harte Bedrückungen leiden, uns 
denen Viele umkamen, Andere in das Gebiet der Mohammedaner flüchteten, welchen fie inde 
Kämpfen gegen die Griechen beiftanden. Die im 10. Jahr. verſuchte Belehrung wieder ang 
wanderter paulicianifcher Gemeinden, die der griech. Kaiſer Johannes Tzimistes nach Thraya 
verfegte, gelang weniger als die Verfuche, welche im 14. und 12. Jahrh. Alerius Komme 
madıte. Vgl. Schmid, „Historia Paulicianorum orientalium” (Xopenh. 1826). 

Pauline (Chriftine Wilpelmine), Fürſtin zur Rippe, geb. zu Ballenſtedt 23. Febr. 1764 
war eine Tochter des Fürſten Friedrich Albert von Anhalt- Bernburg und deffen Gemakis 
Auiſe, geborenen Herzogin von Holftein-Plön. Cie zeigte viele Anlagen und erhielt eine gar 


Paulinermoͤnche Paullini 715 


wiffenfchaftliche Bildung. Die Stunden ber Muße verlebte fie an der Seite ihres Vaters. ie 
erhielt ihr Charakter eine männliche Richtung, die fich felbft in Bräftigen Geſichtszügen ause 
ſprach. Sie war ber lat. Sprache mächtig und ziemlich vertraut mit der bän. Literatur. ME 
dem Dichter Gleim, der ihren dichteriſchen Berfuchen feinen Beifall fchenkte, ftand fie in Briefe 
wechfel. Dabei ftudirte fie die Politik, unterhielt fi mit Staatsmännern über alle Theile der 
Berwaltung, arbeitete Befege aus und verfertigte Gutachten aus Acten. Rad) der Wahl ihres 
Derzens vermählte fie ſich 1796 mit dem regierenden Fürſten Leopold von Lippe- Detmold. Als 
diefer ſchon 1802 ftarb, übernahm fie für ihren alteften Sohn Leopold (f. d.) die vormund- 
ſchaftliche Regierung, die fie in der That mufterhaft führte. Gleich im Anfange hob fie die Leib⸗ 
eigenſchaft auf und traf treffliche Einrichtungen in Dinficht der Erziehungsanftalten. Auch 
gründete fie unter Anderm eine Kleinkinderfchule, die eine der erften in Deutfchland war. Ve⸗ 
ſonders fyägte fie den Generalfuperintendenten von Con, an deffen „Beiträgen zur Beförde⸗ 
rung der Volksbildung“ (A Hefte, Lemgo, dann Fkf. 1800—4) fie fleifigen Antheil nahm und 
deffen hinterlaffene Werke fie herausgab. Cine geiſtvolle Dichtung von ihre, „Die Theeftunde 
einer deutfchen Fürſtin“, worin fie den Geſammtberuf ihres Geſchlechts darfiellt, findet fich in 
der „Iduna“ (1805). Mit kluger Umficht benahm fie ſich gegen Napoleon, ſodaß derfelbe das ' 
Fürftenthum Lippe ald eines jener Länder bezeichnete, welche von Kriegerequifitionen verfchont 
bleiben follten. Zum Beften ihres Landes unternahm fie felbft eine Reife nach Paris, wo fie 
durch Einficht und Beiftesgegenwart dem Kaifer Achtung einflößte und die Sreundfchaft Joſe⸗ 
phinens gewann. &ie war im wahren Sinne des Worts Selbftregentin. Sie felbft las, prüfte, 
erwog, verorbnete Alles ; fie mufterte fogar ihr Truppencorps und entwarf die Stats zu deſſen 
Verpflegung. Der Ausführung einer von der Kürftin felbft 1817 entworfenen Verfaſſungs⸗ 
urkunde widerfegten fich die Randflände; dagegen erhielt fie eihen Beweis allgemeiner Vereh⸗ 
rung durch den ſeltſamen Antrag der Stadt Kenıgo, das bürgermeifterliche Amt zu überneh⸗ 
men, was fie auch that. - Durch Einfchreiten bewaffnerer Macht wußte fie in ben 3. 1812 und 
1818 ihr Anfehen in den Streitigkeiten mit Zippe - Schaumburg (f. Lippe) aufrecht zu erhal, 
ten. Nachdem fie A. Juni 1820 die Regierung ihrem Sohne übergeben, ftarb fie noch in dem 
felben Sahre, 29. Der. 
—— ſ. Minimen. 
aulinzelle, ein Kammergut in ber ſchwarzburg · rudolſtädtiſchen Oberherrſchaft, zei 
Meilen von Rubdolſtadt, eine Meile von Schwarzburg, iſt geſchichtlich merkwürdig durch dat 
daſelbſt 1106 von Pauline, der Tochter des thüring. Grafen Moricho, und ihrem mit Udalrich 
gezeugten Sohne Werner geſtiftete Ciftercimfer Romen⸗und Mönchskloſter, die ſich beide bI® 
in das Zeitalter der Reformation erhielten. Daſſelbe hatte ſchon im Bauernkriege viel zu lei⸗ 
den und wurde 1534 durch die Grafen von Schwarzburg aufgehoben, die in den Beſit feiner 
Süter gelangten. Durch den Blig wurden nachmals die Gebäude zerftört; doch gehören die 
noch fehr anfehnfichen Ruinen, namentlich der Kirdye, welche in einem waldumgrenzten Thale 
höchſt romantifch liegen, au den fchonften des Thüringerwaldes. Vgl. Heſſe, „Geſchichte des 
Kloſters P.“ (Nudolſt. 1815); Puttrich, „Die Kirchen und fonftigen Alterthümer der ſchwarz⸗ 
burg. Länder” (%pz. 1843). | 
Paullini (Chriftian Franz), ein Polyhiſtor feiner Zeit, geb. zu Eiſenach 25. Febr. 1643, 
verlor frühzeitig feine Altern und ftudirte mit Unterftügung der Derzogin-Witwe Theologie, 
vorzugsweiſe aber Mebicin auf mehren Univerfitäten, namentlich auch in Kopenhagen unter 
dem berühmten Battholin. Hierauf lebte er in Hamburg, von mo aus er. Holland und England, 
Norwegen, Schweden, Lappland und Island bereifte. Won der Univerfität Wittenberg erhielt 
er das Magifterdiplom, von der zu Leyden die medicinifche Doctormwürde, auch wurbe er zum 
gefrönten Dichter ernannt, kaiſerl. Notar und 1675 Pfalzgraf. Die ihm vom Großherzoge 
von Toscana angetragene Profeffur in Piſa mußte er Krankheit halber ablehnen. Inzwiſchen 
als Leibarzt des Biſchofs von Münfter, Bernhard von Balen, in Korvei angeftellt, ernannte ihn 
diefer 16,7 zum Hiftoriographen von Korvei, mit dem Auftrage, die Befchichte diefes Stifts 
zu ſchreiben. Nach dem Tode des Bifhofs Bernhard 1678 überwarf fih P. bei der Derbheit 
und Bemeinheit feines Weſens mit allen Eapitularen, fodaß diefe ihn 1681 förmlich austrieben. 
Mit den Materialien zur Gefchichte von Korvei wendete er fih nach Braunfchmweig, mo man 
ebenfalls fein Erbieten, eine korveiſche Geſchichte zu fchreiben, annahm. Doc auch Braum 
ſchweig verließ er 1686, um ſich nach feiner Vaterſtadt zu wenden, mo er 10. Juni 1712 ſtarb. 
P. mar ein eitler, ehrgeiziger, veränderlicher, aber Dabei unabläffig fleißiger Mann, befaß auf 
gebreitete Kenntniffe, aber feine eigentliche wiffenfchaftliche Bildung. Gr compilirte die ges 





und da6 röm. Bürgerrecht auf ihn vererbten, geboren und zu Jerufalem durch I 
maliel’6 als Jüngling in das Studium ber jüb. Schriftauslegumg und 
thume eingeweiht, erwarb fi, tie feine Briefe beweiſen, Bekanntſchaft mit 
tern und Ppilofophen und trieb daneben, nad} ber Sitte jüd. Lehrer, ein Hant 
id) Zeltweberei, wodurch er ſich in der Bolge feinen Unterhalt verſchaffte. A 
* dem Tode Jefu trat er ald Verfolger der Chriftengemeinde öffentlich auf, zu de 
der Hohe Rath ihn in und außer Jerufalem gebrauchte. Die Apoſtelgeſchich 
der Heftigkeit feines Eifers in dieſem Geſchäft aufbewahrt, das er aus Anho 
alte Geſeh betrieb. Er mar mit Vollmachten des. Hohen Raths zur Verhaftun 
dem Wege nad) Damascus, als er durch eine wol nur auf pfychologifche E 
Uärende Erfcheinung (Apoftelgefh. Cap. 9 und 22) bewogen wurde, fi di 
CErkenntniß von der Vortrefflichkeit der chriſtlichen Religion zu verſchaffen. 
zung des Ananias, mit bem er in Damascus zufammentraf, ließ er ſich tauf 
hiermit vom Pharifäerthume los. Beine Belehrung bezeichnete er durch Abãn 
mens Saulin Paulus. Nun widmete er fid) dem Berufe zum Apoftel mit ei 
welche die größten Schwierigkeiten überwand. Auf feinen drei Miffionsreifen 
5iund 54 zu fegen find, machteer ſich um die Gemeinden zu Antiochien, Ephefi 
durch Lehren, Anordnen der Gebraͤuche und Almofenfammeln für die ärmern D 
Nachdem er wiederholt in Jerufalem und Antiochien gewefen war, erhielt er ı 
Weihe als Vertündiger des Evangeliums unter den Heiden, unternahm danı 
Johannes Marcus die erfte Miffionsreife nach Cypern, Pamphylien, Pifidi 
tehrtedann nad) Antiochien zuruck, wo er ſich num längere Zeit aufbielt, für I 
Differenzen thätig war, darauf aber mit Silas die zweite Miffionsreife antra 
kam er durch Balatien nad) Philippi, wo er mit Silas verhaftet und gegeifelt 
Theſſalonich, Berda, Athen und Korinth, woer über einund ein halbes Jahr ver! 
er über Ephefus, Gäfarca und Jerufalem nach Antiochien zurüd. Bon hier ı 
feine deitte Miffionsreife wieder nach Galatien, dann nad) Phrygien, traf de 
Epheſus ein, wo er nun zwei Jahre und drei Monate verweilte, ging dann i 
nach Griechenland und beabfichtigte, nad) einer noch zuvor unternommenen 9 
lem, nach Rom und Spanien zu gehen. Doc, Nachftelungen nöthigten ihn, 
zurũckzukehten, worauf er ſich in Philippi einfhiffte und über Mitylene, D 
nach Jerufalem ging. Dadurch daß er auch Heiden, ohne fie zuvor zur Beo 
Gefeges zu verpflichten, in die Chriftengemeinde aufnahm, gab er dem Fortge 
thums einen Umfang, zu dem die befchränktere Anficht der übrigen Apoftel, Die 
den taufen wollten, es nie hätte kommen laffen. Gerade dies aber zog ihm de 
au, die ihn als einen Abtrünnigen verfolgten, und eben war zu Jerufalem U 


Yanins (Upefied) 17 


febius nicht geradezu bezweifeln. Um das I. 67 fo er unter Rero ben Märtgrertob erlitten ha⸗ 
ben. Die Sage von feiner Verheirathung fhügt fi auf die falfche Auffaffung von 1. Kor. 9, 5. 
Das Leben keines Apoftels if fo reich an merkwürdigen Auftritten, rühmlichen Thaten und 
auferordentlichen, traurigen Schickſalen, als die Geſchichte diefed großen Mannes, bem auch bie 
Gegner der Religion, für bie er lebte und flarb, feltene Geiflesgaben, gründliche Kenntniſſe, tie 
fes Eindringen in das Weſen ber Religion, Fülle und Schärfe der Ideen und eine Lehrgefchid- 
Sichkeit, die mit ſyſtematiſcher Anordnung der Materien Faflichkeit und Wärme verband, nicht 
abfprechen konnten. Die höchſte leitende Idee, die ihn erfüllte, war ber Gedanke, baf das Chri⸗ 
ftenthum allgemeine Menfchenreligion ift, baf ans bem Glauben an Jefus, ben Chriſtus, die Er» 
töfung hervorgeht. Mit biefem Gedanken ftand die große Idee vom Gottesreiche in ihm in eng» 
Verbindung. Die Hauptbegriffe, die in feiner Lehre bervortreten, find die Begriffe Geiſt 
Teveüna) und Glauben (rlorıg), im Gegenfage zum Fleiſche (cioẽ) und Geſet (vopoc), das 
ihn auf Chriftus führte. Seelengröße, echte Frömmigkeit und Glaubenskraft feuchten aus allen 
feinen Worten und Thaten hervor. Vgl. Hemſen, „Der Apoſtel P., fein Leben, Wirken und 
feine Schriften” (Gött. 1830); Ufteri, „Entwidelung des Pauliniſchen Lehrbegriffs” (Zür. 
1832); Schrader, „Der Apoftel 9. (Bd. 1—5, 2pz. 1830—36); Dähne, „Der Lehr 
begriff des 9.” (Halle 1835). 

Die im Kanon bes Reuen Teftaments enthaltenen Briefe des P. zeigen, in welchem Ver⸗ 
Hälmiffe väterlicher Sorgfalt und Liebe der Apoſtel zu Denen ftand, an dieer ſchrieb. Eine voll⸗ 
ftändige Sanrmlung feiner Briefe haben wir nicht, da mehre derfelben, z. B. ein dritter Brief 
an die Korinther, ein Brief an bie Laodicener und andere verloren gegangen find. Unfer Kanon 
bat 13 Briefe des P., deren Echtheit in der alten Kirche faft burdyweg anerkannt war, jedoch 
vorzugsweife in neuerer Zeit zum Theil beftritten worden iſt. Diefe Beftreitung traf vornehmlich 
den Brief an die Römer und den andie Ephefer, den zweiten Brief an bie Theffalonicher und bie 
Paftoraldriefe. Der Chronologie nach find die Briefe des P. im Neuen Teſtament folgende: 
1) Die zwei Briefe an die Theſſalonicher, von P. von Korinth aus in den J. 52—55 gefhrie 
ben. Im erſten Briefe lobt er bie Gemeinde wegen ihrer Treue und Stanbhaftigkeit im Glau⸗ 
ben, warnt fie vor fittlichen Fehlern, ermahnt fie zur gegenfeitigen Liebe, Genügſamkeit und Thä⸗ 
tigfelt, beruhigt fie über ihre Sorge in Betreff ihres Schickſals bei der Paruſie Chrifti und be- 
fehrt fie über ihr Verhalten gegen ihre Vorſteher. Im zweiten Briefe behandelt er ähnliche 
Punkte; insbefondere berichtigt er die Erwartung von ber Parufie Ehrifti und warnt vor Irr 
lehren und ihm untergefchobenen Briefen. Die Echtheit beider Briefe ift anerkannt, in neuerer 
Zeit aber von Baur in Tübingen beftritten worden. 2) Der Brief an die Balater, von P. 
wahrſcheinlich von Epheſus aus 55 ober 56 gefchrieben, Im ernſten Tone gehalten, enthält eine 
Rechtfertigung feines apoftolifhen Anſehens und eine Vertheidigung feiner Lehre gegen die An⸗ 
griffe von Irrlehrern mit der Hinweiſung, bie hriftliche Freiheit recht zu verftehen und zu ge» 
brauchen. Un der Echtheit des Briefs Hat man nie gezweifelt. 3) Die zwei Briefe an die Ko⸗ 
sinther find von P. in bem 3.57 oder 58 gefchrieben. Den erften Brief verfaßte erin Ephefuß, 
für den zweiten ift eine fichere Angabe des Orts ber Abfaffung aus Mangel an einem fihern 
Haltpunkte nicht möglich. Der erfte Brief ift gegen den Factionsgeiſt und eingeriffenes Sitten- 
verderbniß gerichtet, erörtert die rechte chriftliche Freiheit, warnt vor Ärgerniß, vor einer unwür⸗ 
digen Abenbmahlsfeier, erörtert den Werth und die Bedeutung des Zungenredens (YAascaız 
Aadslv) und behandelt die Lehre von ber Auferftehung der Todten. Im ameiten Briefe lobt P. 
Die, welche die Lehren feines erften Briefs beachtet Haben, greift aber auch mit großem Ernſte 
feine Gegner an, warnt vor ihren Verführungen, fpricht ſich über die Herrlichkeit des Chriften- 
thums aus und fügt praktiſche Ermunterungen bei. Die Echtheit beider Briefe ift anerkannt. 
4) Der Brief an die Römer. Die hriftliche Gemeinde zu Nom war nicht von Vetrus, aber 
auch nicht unmittelbar von P., ſondern wahrfcheinlich durch Schüler des P. geftiftet worden, 
und infofern fonnte P. die Gemeinde zu Rom als die feinige betrachten. Er fchrieb den Brief 
von Korinth aus, als er fi) während feiner dritten Miffionsreife Hier aufhielt, 57 oder 58. 
Dem Inhalte nad ift der Brief theild dogmatiſch, theild apologetifch gegen das Judenthum: 
das Chriſtenthum iſt die allgemeine, durch den Glauben bargebotene und rechtfertigende Ver⸗ 
fohnungsanftaft. Der Schluß enthält Ermahnungen zu einem riftlichen Verhalten. Die Echt⸗ 
heit des Briefe fleht feft, wennfchon fie von dem 15. und 16. Gapitel in neuerer Zeit mehrfach 
bezweifelt worden ift. 5) Der Brief an die Epbefer, von einigen neuern Theologen mit Un⸗ 
recht für einen Wrief an die Laodicener erfläzt, iſt ein enchkliſcher Brief für Pauliniſche Chriſten, 
befonders in Ephefus, daher auch hierher urfprünglich gerichtet umd in Laobicäe, höchſt waßr- 


4 

















— * —— —— 

QUrern und ermahnt zu einem chriftfichen Beben im 

Bft mit Dem Brick an bie Qokefer Ik ——— 

3%. ya berüdfichtigen hatte. 2) Die Bieief an Willenen, von. au —— 

Heben, ent ine — Einefimns weib ift in felnes 
als: begweifelt worden. 8) Der Brief an bie Philipper, von Y. zu Rom um: 65: 

ws 0 —— — iſt ein herzliches Daukſazuungoſcheeccen wit 












De 
fobert diefen zur nachbrädtichen Bekämpfung reiehret auf und gibt 
tungsmaßregeln; ber zweite Brief fpricht bie Grmehnung jur Treue in ber 
‚vor die yır Siem 
6 e 





Palit Die Meinung gu fein, weldhe Die —— — qh Beishönlanb 
bet Brief in der Zeit geſchrieden fein laͤßt, auf De 19, 29 um 10, * 
Die Echtheit des Briefs iſt nicht zu bezweifein. 14) Der Brief an die Sebraͤer 
einen theoretiſchen (Cap. 1—10) und praktiſch⸗ moraliſchen Theil (Gap. 10—12), an 
Anhange fpeciell moralifdger Ermunterungen. Der Hauptinhalt bezieht fich auf die De 
ftellung der Erhabenheit des Chriſtenthums über das Judenthum, der hohen Würde Eeiß 
als des voll kommenſten Hohen Priefters. Sedenfalls war der Brief für Jubenchriften unter ba 
Hebräern, höchſt wahrſcheinlich in Paläſtina, beſtimmt. Die Anſichten über die Echcheit ie 
Briefs find in der alten Zeit bis auf Die Gegenwart herab ſehr getheilt geweſen. Doch fprega 
gerade viele innere Gründe für die Unechtheit. Wol hat man einen alerandrin. Judewchrife, 
der ein Schüler des P. war umb die alerandrin. Philoſophie Pannte, für ben Berfaffer zu Hakım. 
ber den Brief kurz nad) dem Tode des P. und noch vor der Zerſtörung Jeruſalems, wahrfähde 
lich außerhalb Judäa fhrieb. Dem P. jedenfalls untergefchobene Schriften find em Eve 
lium, Acta Pauli et Theclae, ein Brief an die Laodicener, ein Briefmechfel mit dem 
Geneca und ein dritter von Rink (Heidelb. 1823) aus dem Armeniſchen überfegter Brief u 
die Korinther. — Über den Paulstag f. Petrus. 

Paulus Diakonus (alfo, oder auch Levita, benannt von feinem geiflichen AUmte), ii 
Warnefrid Sohn, der bedeutendfte longobard. Geſchichtſchreiber und einer ber 
Männer feiner Zeit, war geboren um 750 in Forojuli und flammte aus einem ebein Longebei 
Geſchlechte in Friaul. Er genoß eine trefflihe Erziehung in Pavia am Hofe des longoben 
Königs Ratchis und ſcheint auch unter deſſen Nachfolgern Aiftulf und Defiberius am var 
bofe verblieben zu fein. Wahrfcheinlich hat er auch Adelperga, bed Defiderius Xochter, km 
Studien er leitete und der er ſtets mit treuer Anhänglichkeit ergeben blieb, an ben Hof ihres & 
mahls, des Herzogs Arichis von Benevent, begleitet. Für fie fchrieb er, fehon in den geifficde 
Stand getreten, vor 781 eines feiner Hauptwerke, die „Historia Romana”, indem er den Gute 
aus andern Quellen erweiterte und in ſechs Büchern vorläufig bi6 auf ben Fau der 
ſchaft fortfegte, mit der Abſicht, ſpäter noch bis auf feine eigene Zeit herabzugehen. Als a 
reine Kompilation aus noch befannten Schriften hat dies Wert zwar für und keinen Ducde 
werth, ward aber für das ganze Mittelalter von Hoher Bedeutung, wie feine zahlreichen Han> 
fesriften, Überarbeitungen, Fortfegungen und Benugungen bezeugen. Eine Ausgabe dei abtn ' 
Lertes gebricht noch, vu IR ein großer Alk been abend, nebfi den Überarbeitungen, su 





Yaulns von Samofate Paulus (Heine. Eberh. Gottlob) 719 


Denen eine umter bem Xitel „Historia miscella” befannt ift, am beflen bei Muratori „Rerum 
Italicarum scriptores” (Bd. 1, Mail. 1728). Im J. 781 war P. bereits Monch in Monte 
Gafino, bem berühmteften Klofter feiner Zeit, und wandte fich bald darauf von dort nach Frank 
reich, vielleicht aus eigenem Untriebe, um bie Freilaffung feines bei dem Aufſtande vom I. 776 
gefangenen Bruders zu erbitten, die er etwas ſpäter auch erreichte, vieleicht auch von Karl ſelbß 
wegen feiner Gelchrfamteit aus Monte⸗Caſino berufen. Bei Karl d. Gr. ftand er In vorzüglicher 
und bauernder Gunft und trug weſentlich bei zur Forderung von deſſen wiffenfchaftlichen Be 
ſtrebungen. Er verpflanzte das Stubium der griech. Sprache nach Frankreich, beforgte um 783 
in Karl's Auftrage eine aus den beften Schriftftellern gezogene Homilienfammlung („Omilia- 
rius”, von 1482—1569 oft gedruckt, auch ind Deutfche umnd Spanifche überfegt), welche durch 
viele Jahrhunderte im Gebrauch blieb, und fchrieb bald darauf auf Bitten des meger Biſchoft 
Angilram eine Gefchichte der Bifchöfe von Reg (‚‚Gesta episcoporum Mettensium”, am beften 
gedrudt in ®erg’ „Monumenta Germaniae historica”, Bd. 2), das ältefte Werk der Urt 
dieſſeit ber Alpen, welches faft in allen Bisthümern und Klöftern Nachfolge fand. Doc) Hatte er 
fih nur ſchwer zum Verweilen im Frankenreiche entfchloffen umb fhon 787 mar er, der Sehn⸗ 
ſucht nach der Heimat und feinem Klofter nachgebend, wieder in Monte-Safino eingetroffen, wo 
er nun im Genufſe allgemeinfter Achtung und Liebe bis an feinen im vorgerüdten Alter erfolg» 
ten Zob (angeblich 13. April 797) verblieb. Hier nahm er jegt den Plan feines frühern Ge⸗ 
ſchichtswerks wieder auf, führte ihn aber in veränderter Geftalt aus, als Geſchichte feines Vol⸗ 
Bes, in welche er die griechifche und fränkifche gelegentlich verwob (‚Historia Langoburdorum”, 
sehn mal gedruckt und ſtets nach überarbeitetem Texte, zuerft Paris 1514, zulegt und am beften 
bei Muratori ; deutſch nad einer überarbeiteten Handfchrift von K. von Epruner, Hamb. 1838, 
nach dem echten Terte von D. Abel, Bert. 1849). Als er damit bis zu Liutprant's Zobe 
(744) gediehen war, überrafchte ihn der Tod vor der Vollendung. Die bedeutende Wirkung 
des Buchs bezeugen 115 bekannte Handfchriften, zehn Fortfegungen,-über 15 Auszüge und 
eine ununterbrochene Benugung durch die fpätern Geſchichtſchreiber bis tief ind 15. Jahrh. 
hinein. Außerdem find noch von P. vorhanden eine Anzahl Gedichte und Briefe und einige 
theologifche Schriften vorherrfchend praktiſcher Bebeutung, barımter eine Erläuterung der Be⸗ 
nedictinerregel und ein aus bekannten Quellen zufammengeftelltes Leben Gregor's d. Er. Lau⸗ 
tere TWahrheitsliebe, firenge Unparteilichkeit, verftändige Auswahl und Benugung feiner Quel⸗ 
len und eine ſchlichte Darftellung in einem für feine Zeit fehr reinen Stile zeichnen P. als Ge- 
fchichtfchreiber vortheilhaft aus. In der Iongobard. Geſchichte hat er überdies einen reichen 
Schatz jener blühenden Sage erhalten, welche tie ganze Geſchichte feines Volkes bis zu deffen 
politifhem Untergange umkränzt. Eine Eritifche Ausgabe feiner Werke ſteht zu erwarten in den 
„Monumenta Germaniae historica” von Bethmann, ber auch bereits über feine ſchon fehr 
früh (feit dem Salernitaner Ehroniftn um 978) fagenhaft ausgefhmüdte Lebensgeichichte, 
wie über feine Schriften und die Gefchichtfchreibung ber Longobarden überhaupt eine meifter» 
hafte Unterfuhung geliefert hat im „Archiv der Gefellichaft für ältere deutfche Befchichre- 
Eunde” (Bd. 10, Hamov. 1851). 

Baulus von Samofäta, ein Antitrinitarier der alten Kirche, war ſeit 260 Biſchof von 
Antiochia und wurde theild wegen feines weltlichen Lebens, theild deshalb, weil er den Logos 
nur für die in dem Menſchen Jeſus wirkende Vernunftkraft Gottes, alfo nicht für eine Hypo 
ftafe erflärte, auf den antiochenifchen Synoden 264 und 269 angeflagt und endlich feines Amts 
entfegt. Der Schug, den ihm die Königin Zenobia von Palmyra gewährte, mar nur vorüber 
gehend, benn Kaiſer Aurelianus befiegte .diefe 272. Dennoch kamen noch einzelne Samofate 
nianer bis in das A. Jahrh. vor. 

Paulus (Heinr.Eberh. Gottlob), verbienter deutfcher Theolog, geb. 1. Sept. 1761 zu Leon- 
berg bei Stuttgart, befuchte die Schule und das Stift zu Tübingen und widmete fich hierauf zu 
Göttingen dem Studium der oriental. Sprachen, bad er in London und Paris fortfegte, worauf 
er 1789 einen Ruf als Profeſſor der oriental. Sprachen nach Jena erhielt. Hier befhäftigte ihn 
vorzugsweiſe die vom Drientalismus abhängige Erklärung des Alten und Neuen Teftaments 
in pſychologiſch⸗hiſtoriſcher Weiſe, wie fie erkennbar ift in feinem „Philologifch-Pritifchen und 
hiſtoriſchen Gommentar über das Neue Teftament” (4 Bbe., Lũb. 1800 — 4; 2. Aufl., 2pz. 
1804—8) und in andern Schriften. Nach derfelben Methode fuchte er das Alte Teſtament zu 
erflären, z. B. in der „Clavis über die Palmen” (Yena 1791; 2. Aufl, 1815) und in ber 
„Clavis über den Jeſaias“ (Jena 1795). Rad) Döpderlein’s Tode wurde er 1793 Profeſſor der 
Theologie. Aus Rüdficht auf feine Gefundheit ging er 1803 in gleicher Cigenchaft nad Beve 

















m BEE J Romwperiomus. SAL Y- TEA FIT, ; 


burg, wo ex zugleich —** Banbesbinertinnt: und Conſiſtorialrach niucbe.: Bass :hier 2 
HRPR:a15 Lanbebdirertionsrath in Kirchen. uhd —** nach Bamberg 1800 im 
Gigenfigaft nach Nürnberg und 181 1 nad Ansbach. Noch in: damfelben Jahre munde c e 
fee Berufung als Drofeffor der Eregefe und Kirchengefchichte aa de Hebelberg bem 
fügen Leben und hiermit der literariſchen Thaͤtigkeit zurückgegeben. Seit 1814 ı 
' vie Berfaffunigtangelsgenheiten feines Baterlandes Würtemberg, nach biefer Ecke bi 
ei“ zu wirken. So entſtand bie hiſtoriſch⸗ publiciſtiſche Zeitfehrift „ 
29), weiche durch Darflelungen allgemein michtiger ftände fich auf vieken 

„Belfel erwarb. Seiner Beleuchtung ber in dem Praceffe gegen Fonk (f. 8) begamgenen dp 
 ugrlegungen verbankte er die jmiflifche Doctortsiirde von Geiten der Univerfität zu | 
Ws: tueplogifcher Schriftfteller warnte er. ebenſo fehr vor einfeitigem-Rationaliänus' uubız 
‚foesulativen Abweichungen von ber uranfänglichen Ghrifiuslehre, als vor Diyfickömus 2* 
"iin, und in dieſem Sinne begann er bie allgemeine th Sahresfchrift „; 
glhübige (Heibelb. 182529) und die Zeitfehrift „Rirchenbeleuchtungen” (1837. * 
wen Übrigen zahlreichen Schriften erwähnen wir noch feine „Memerabilien” (8 Seud, 8 
4791-96); „Sammlung der merfmwürbigften Reifen in den Orient” (7 Bbe., Jena 17% 
1803); „Leben Jeſu, als Grundlage einer reinen Geſchichte des Urdriftentpuemd“ 2* 
delb. 1828); „Auftlãrende Beiträge zur Dogmen-, Kirchen- und Religionögefchichte” ¶ 
1830; 2. ‚Aufl 1834); „Eregetifhes Handbuch über bie brei eıfien Evangelien“ J 
Heibelb. 1830 333 neue Uufl., 1841—42) und bie von ihm mit Kritike | 
„Berlefungen Schelling’6 über die Dffendarung” (Darmfl. 1845), woburd er —* 
Nechteſtreit verwickelt ſah. Seit 1844 Auerse halber in Ruheſtand 75 ſtarb er 10. 
4651. Seine Battin, Karoline P., bie Tochter feines. Dheims, des würtemeb 
*— Gottlieb Friedrich P. geb. 14. Der. 1767 Schornberf, — **— 
4844 zu Heidelberg, war eine Frau von hoher bildung und bat ſich auch als Neue 

















llerin bekannt gemacht. Auch ihre Ihre Tochter, Emilie P. ee am 1791 zu 
auf kurze Zeit mit Aug. Wilh. von ne vermählt, hat ſich euf Uterariſchen Gebiet 
BE. Paulus, „Skizzen aus meiner Bildungs» und Lebensgefchichte zum Andenken an mb 








SOrähriges Jubiläum” (Heidelb. 1839); Reichlin⸗Meldegg, ‚„Beinr. Gberb. Gottlob Pd 
feine Zeit” (2Bde., Stuttg. 1853). 

Pauperismus pflegt man mit einem für eine neue Sache erfunbenen neuen Ramen ie 
jenigen Zuftand au nennen, wo ſich eine weitverbreitete Verarmung (Maflenarmuth) unter me 
Bevölkerung zeigt, nicht vorübergehend-in Folge politifcher, phyfifcder oder elementare i 
ſachen (Krieg, epidemifche Krankheiten, weiche zur Arbeit unfähig machen, Misernten, übe 
ſchwemmungen u. f. w.), auch nicht in Folge abminiftrativer oder vie latiner Belchrünteg 
ber Arbeitögelegenheit oder Minderung bed Arbeitöverbienfte (3. B. durch Keudallafe 
Frohnden, Zunftzwang, Mangel an Freizügigkeit), ſondern lediglich in Folge des anfchenm 
unabmwendbaren, durch bie Fortfchritte der Eultur und die freie Entwidelung bes gewerblihen® 
bens vielmehr geförderten als geheilten Misverhältniffes zwiſchen der täglich maffenbafter v 
wachfenden Bevölkerung und den nicht in gleichem Maße vermehrten Mitteln des Girmwerd 
und Unterhalts für diefe Bevölkerung. Diefe Bevölkerung ſelbſt, welche fih im Zuſtande ie 
Pauperismus befindet, nennt man ebenfalls mit einem neuaufgenommenen Ausdruck Pub 
tarier oder Proletariat (ſ. d.). Eine ausführliche Entwidelung des Weſens und ber Urfade 
des Pauperismus findet man in Biedermann's „Worlefungen über Socialismus und forak 
Fragen“ (Epz. 1847). Statiſtiſche Angaben über Umfang und Erſcheinungsformen ie 
ſes Übels, nebft Unterfuchungen über die Mittel zu feiner Abhülfe teilen mit: Moragur, „Di 
pauperisme et de la mendicit6” (Yar. 1834) ; Villeneuse-Bargemont, „Economie poliiget 
chreötienne” (Par. 1834) ; Degerando, „De la bienfaisance publique” (Par.1840 ; deutfhw 
Bus, Etuttg. 1843); Buret, „De la mistre des classes labourieuses en France et # 
Angleterre (2 Bde., Par. 1841); Pregier, „Des classes dangereuses etc.” (Bar. 188); 
Bodz ⸗Raymond, „Gtaatöwefen und Menfchenbildung” (4 Bde, Berl. 1837 — 39); & 
Schmidt, „Unterfuchungen über Bevölkerung, Arbeitslohn und Yauperiömus“ (Lpz. 186 
Derfelbe, „Über die Zuftände der Derarmung in Deutfchland” (2py.1837); Engels, „Dit ap 
der arbeitenden Glaffe in England“ (Epz. 1845); Kleinfchrod, „Der Pauperismus in Englon’‘ 
(Üegensb. 1845). Außerdem finden ſich Angaben faft in allen Werken, bie den Eocialiium 

f. d.) behandeln. Zufammenftellungen der einzelnen praktifchen Verſuche zur Beſeitigung ode 

9 des Pauperismus enthalten bie „Deutiche Vierteljahrsſchrift“ (Rp; 183 


Pauſanias (Kong) Pauſanias (Geſchichtſchreiber) 121 


und 1855), „Unfere Gegenwart und Zukunft” (Heft 2, 2pz. 1846), fowie die „Mit 
ungen” des Localvereins zum Wohl der arbeitnden Claſſen zu Berlin (Bert. 1850 fg.). Ob 
virklich die Noth der untern Glaffen, estenfiv und intenfiv, gegenwärtig größer als in frühern 
Zeiten, ob alfo der Pauperismus eine der Jeptzeit und ihren Qulturfortfchritten eigenthümliche 
Srfcheinung fei oder nicht, ift eine keineswegs zweifellofe, vielmehr von Manchen auf Grund 
Latiftifcher Shatfachen geradezu verneinte Frage. Vgl. „Die materiellen Zuftände der untern 
Tlaſſen in Deutfchland fonft und jegt”, in der „Germania“ (Bd. 2, Lpz. 1852). Die, melde 
Yiefe Frage bejahen, Teiten daraus nicht felten bie Folgerung ab, daß unfer ganzer materieller 
Tulturfortſchritt an einer innern Verbildung kranke, welche befeitigt werden müffe, entweder, 
wie die Einen fagen, durch Rückkehr zu den frühern gebundenern Zuftänden bes Gewerbwefens 
"Aufhebung der Gewerbfreibeit, der unbefchränkten Bodenzertheilung, wo möglich aud des 
Fabrik⸗ und Mafchinenwefens), oder, nach der Meinung der Andern, durch Aufhebung der aus 
der freien Concurrenz entfprungenen Übelftände mitteld einer Organifation ber Geſellſchaft, 
mittels des Socialismus (f. d.). Das erfiere fcheint unmöglich, ohne unfern ganzen Eultur- 
fortfchritt zu gefährden; das andere ift ein bisher nur in Phrafen, aber noch nicht in der Praxis 
gelöftes Problem. Das Mittel der Abhülfe gegen den Pauperismus, deſſen VBorhandenfein, 
abgefehen davon, ob früher auch ſchon Ahnliches dageweſen, nicht geleugnet werben kann, muf 
nothwendig auf demfelben Wege liegen, auf dem unfere ganze Civilifation entftanden ift, auf 
dem Wege der freien Entwidelung, und darf dieſem Grundgefege der Civilifation nicht wider⸗ 
[prechen. Gewerbfreiheit, Sreihandel, Freizügigkeit, Theilbarkeit des Bodens, Befeitigung aller 
noch vorhandenen Monopole, Erleichterung jeber Art der werbenden Thätigkeit, dazu endlich 
Förderung der geiftigen und fittlihen Bildung. aller Claſſen, Verminderung ber unprobuctiven 
Ausgaben des Staats und badurch der Kaften des Volkes: dies, nebft ben natürlihen Hülfs- 
quellen leichtern Erwerbs und Unterhalte, welche die verbefferten Communicationd- und Trans⸗ 
portmittel (durch Befchleunigung ber Mittheilungen über Angebot von Arbeit, Verwohlfei⸗ 
lerung der Überfiebelung in ſolchen Fällen oder auch der Auswanderung in weitere Fernen, 
bilfigere und reichlichere Befchaffung von Kebensmitteln aus fernen Gegenden u. f. w.) den ar 
beitenden Slaffen gewähren, dürfte am ſicherſten zur allmäligen Befeitigung oder doch Vermin⸗ 
derung ded Pauperismus führen, wahrend für den Augenblid zur Linderung feiner einzelnen 
Ericheinungen die Armenpflege das Ihrige thun muf. 
—— ein bekannter ſpartan. König und Feldherr, der Sohn des Kleombrotus und 
e des Leonidas, führte zugleich mit Ariſtides (f.d.) die Griechen in der erfolgreichen Schlacht 
bei Plataͤã (ſ. d.), 479 v. Chr., an und zog hierauf vor das verrätheriſche Theben, welches ihm 
die Häupter der perf. Partei zur Beſtrafung ausliefeen mußte. Diefe glüdlichen Ereigniffe 
aber und namentlid, die unter feiner Zeitung erfolgte Befreiung Griechenlands von der Herr- 
ſchaft der Perfer verwandelte feine frühere Mäfigung und Befcheidenheit fo fehr in Annıafung 
und Übermutb, daß er fich fogar dem Sieg bei Platää allein zufchrieb. Während daher Arifli- 
des und Cimon, bie unter ihm befehligten, durch Herablaffung Alle für fich gewannen, nıishan- 
beite er die Bundesgenoſſen und betrachtete die Spartaner ald die Gebieter der übrigen Grie⸗ 
hen. Endlich trat er fogar mit Zerxes in geheime Unterhandlung, um fi) zum Deren von ganz 
Griechenland zu machen, entfagte felbft äußerlich den fpartan. Sitten, indem er perf. Kleidung 
und Gewohnheit annahm, und erregte fo bie allgemeine Unzufriedenheit ber griech. Bundes- 
genoffen, weshalb ihn die Spartaner zurüdriefen. Kaum aber hatte man ihn in Berüdfichti- 
gung feiner frühern Verdienſte freigefprochen, als er abermals mit Griechenlands Feinden in, 
Unterhandlungen trat und, ald man ihn auch diesmal noch der Strafe überhoben, däAflelbe 
Spiel von neuem begann. Endlich wurbe er von den Ephoren vor Gericht gefodert, um dieganze 
Strenge des Geſetzes gegen ihn anzuwenden. Als er in Sparta angefommen war und fein be» 
vorſtehendes Schickſal ahnte, flüchtete er fich in den Tempel der Athene Chalkioikos. Das Volk 
verfchloß Hierauf die Pforten des Tempels durch Anhäufen von Steinmaffen, wobei feine eigene 
Mutter zuerft mit Hand anlegte, und P. mußte auf diefe Weife vor Hunger verſchmachten. Mit 
Recht fagt Cornelius Nepos in feinem Abrif von des P. Leben, daß biefer große Mann den Glanz 
feiner Thaten durch einen ſchimpflichen Tod befleckt habe. 

Pauſanias, einer derwichtigften griech. Sefhichtfchreiber und Geographen, um 170n.Chr., 
aus Käfaren in Kappadocien, ein Schüler des Herodes Atticus, bereifte nicht nur ganz Griechen» 
Land, Macedonien und Italien, fondern auch einen großen Theil von Afien und Afrika und ver» 
faßte als eine Frucht feiner Beobachtungen und Forfchungen unter bem Titel „Periegesis“ 

Gonv.ster. Zehnte Aufl. XL 46 


722 Paufe Pavia 


eine Beſchreibung oder eigentlich einen Neifebericht über Gtiechenland im gehn Bücher 
nach den verfchiedenen Landſchaften benannt find. Diefes Merk, in weichem er ſich 
weife mir der Darſtellung und Erklärung der damals noch vorhandenen Kunfidenfmäleı 
tigt, wobei er fehr oft in Details eingeht, hat noch gegenwärtig einen hohen Werth für de 
kenner und Alterthumsforfcher ımd muß in vielen Stüden als die einzig fichere Quelle 
tet werden. Repteres ift namentlich da der Fall, mo P. ald Augenzeuge fpricht, da er al 
auf der andern Seite auch eine Reihe von mythiſchen Erzählungen mit eingeflochten bat 
den befchriebenen Gegenftänden gerade in Verbindung ftehen. Sein Ausdruck ift ofen 
umd leidet an Weitfchweifigkeit und affectirter Alterthuͤmlichkeit. Nach der erften Aus, 
Mufurus (Ben. 1516) Haben Facius (4 Bde, %p3. 1794), Clavier (6 Bde, Par. 181 
Siebelis (5 Bde., pa. 1822 — 28), Imm. Better (2 Bde., Berl. 1826), Schub 
Balz (3 Bve., Lpz. 1858—59) und Dindorf (Par, 1845) die beften Bearbeitungen 
Bramchbare deutſche Überfegungen befigen wir von Goldhagen (2. Aufl, 2 Bde. Berl. 
99), Wiedafch, 5 Bde., Münd. 1826—35) und Siebelis (Tüb. 1827). 

Panfe, d. b. Nude, nennt man vorzugsiweife in der Mufit das Schweigen der Stin 
gewiſſen Stellen eines Tonftüds, ſowie auch das Zeichen, das diefen Stillſtand und feit 
anzeigt. Generalpaufe heißt die algemeine Pause fänmtlicher Inftrumente. Ganz fu 
fen nennt man, weil fie nur des Athem oder Kraftſchöpfens wegen-da find, Sofpiren. 
den Paufen, ald Ruhepunkten, gibt es auch Gefühlspaufen. ' 

Paufilippp, ein Berg auf der nordiveftlihen Seite Neapels, dicht bei der Stadt, | 
ders wegen bes Felſenwegẽ, der fogenannten Grotte von P. merkwürdig, der 30 — HM 
24—50 F. breit und ungefähr 1000 Schritte Tang, in gerader Linie durch den Berg ı 
pel nad) Puzzuoli führt umd eine der belebteften Landſtraßen bildet, In den früheſt 
ein Steinbruch, wurde fie in der Folge durch den ganzen Berg getrieben, König Alfo 
fie in der Mitte des 15. Jahrh. erweitern, und auch noch ſpäter wurde fie breiter umd 1 
macht, gepflaftert und mit Quftlöchern verfehen. Der Fels ift überaus feft und nie | 
Erdbeben erfchüttert worben. In der Mitte der Grotte ſteht eine Kapelle der Jungfrau 
über der Grotte finden ſich Nefte einer Wafferleitung und das fogenannte Grabmal 
Um ben Weg durch die Grotte zu umgehen, wurde 1822 eine Kunfiftraße über den 
Puzzuoli angelegt. Bei diefer Gelegenheit entdedte man an der Spike des P. ein 
welche wahrſcheinlich die Crypta Pausilypona der Alten ift, da die jegt fogenannte 
Seneca Crypta Neapolitana heißt. 

Pavia, das alteTicinum, fpäter Papia genannt, eine der älteften Städte Italiens, di 
ſtadt der gleichnamigen Provinz (19 QM. mit 171622 €.) im öftr. Kronlande Lo 
&ig eines Bischums, eines Landgerichts, einer Collegialpräfectur, einer Dandels- und 
kammer, liegt am Ticino, aus weldhem von hier ein durch feine Schleußen merfwürt 
4819 vollendeter Kanal, der Näviglio di Pavia, nad) Mailand führt ımd den eine 340 
lange bededte marmorne Brücke, ein 13541 errichtetes Meifterwerf, überfpannt. Die 
von alten Feſtungswerken umgeben, hat 25750 E, breite Straßen mit Trottoirs, eini 
P läge, aber wenig ausgezeichnete Paläfte. Unter den Kirchen zeichnen fich aus die D 
mit dem Grabmale des heil. Auguftinus, namentlich; aber die ſchöne Kirche Sta.-Maı 
nata. Die befonders im Dlittelalter fo berühmte Univerfität, in einem prachtvollen ( 
fol Karl d. Gr. ihre Entftehüng verdanken. Neu geftiftet wurde fie 1361 von Gales 
conti und fpäter erneuert; fo in neuerer Zeit 1770 auf Veranlaffung de Grafen Fir 
Maria Therefia und 1817 von Franz I. Sie zählt 49 Profefforen und über 1600 S 
meift Mediciner, und hat fünf Kliniken, eine Bibliochet von 50000 Bänden, einen bo 
und landwirthſchaftlichen Garten, Gabinete der Phyſik und Anatomie und reiche nat 
Thaftliche Sammlungen. Von den dafelbft beftehenden Collegien find das Borromeifche 
Yapft Pius’ V. die ſchönſten. Außerdem hat P. ein Gymnafium, eine Haupt, eine Adeı 
Thierarzneiſchule, eine Schule der Civilbaukunſt, ein biſchöfliches Seminar und das gräl 
burifche hemifche Laboratorium und Minetaliencabinet. Es hat ferner zwei große Epit. 
Waifenhäufer, zwei Verforgungsinftitute. P. treibt bedeutenden Handel mit Randesp 
namentlich den in Oberitalien beliebten fehr ftarfen paduaner Weinen, DI und Garteng 
Ein befonderer Handelsartikel find die Vipern, die hier gefangen und zur Theriakbereit 
Venedig verkauft werden. In der Nähe der Etadt liegt das berühmte Karthäuferklofte 
di Pavia (f.d.). Nahe bei denfelben wurde 774 ber legte Rongobardenfönig Defid 
Karld. Gr. und 1525 Franz lim Kriege gegen Karl V. gefangen genommen. Die Sta 


Bavian Parton | "793 


jeit Alboin 568 Hauptſtadt des Longobardiſchen Reichs, dis Karl d. Gr. 774 dajfelbe eroberte. 


Kaifer Otto 1. ließ fich Hier 951 zum lombard. Könige krönen. Mit Mailand hatte P. mehr 


: mals, namentlih 1059, heftige Kämpfe zu beftehen; in den ghibellinifch-guelfiichen Streitig- 
. feiten fchloß es fich meift an die Partei der deutſchen Kaifer an. Epäter herrſchte in P. die Fa⸗ 
milie Beccaria ; dann fam es unter Mailand, mit diefem 1756 anOftreih. Im 3. 1796 brach 
. bier ein Aufftand aus, in Folge deſſen Die Stadt von den Franzoſen erftürmt und geplündert wurde. 
Auch 1848 war P. mehrmals der Echauplag von Unruhen. Am 8. und 9. Jan. fanden hier 
. wegen ded Tabakrauchens blutige Reibungen zwifchen den Studenten und Kroaten ftatt, ſowie 


9. und 10. Febr. eine Erhebung gegen das Militär, welche blutig unterdrüdt wurde und 15. Febr. 
die Schließung der Univerfität, zur Folge hatte. Am 20. März erhob ſich zu P. ein blutiger 
Aufruhr, worauf am 21. die Oftreicher die Stadt verliefen und am 25. die farbin. Freifcharen 


. einzogen. Im 3. 1849 kehrten bie Oftreicher wieder zurüd, und 5. Nov. 1851 murde die Uni- 


; verfität wieder eröffnet. 


Pavian (Cynocephälus), eine narürfihe und ſehr harakteriftifche Affengattung der Alten 


; Welt, ift durch die fehr verlängerte Schnauze, ihre hundsähnliche Phyſiognomie, großen Gefäß: 
ſchwielen, ihr fürdhterliches Gebiß mit fehr großen und ftarten Eckzähnen und ihre Wildheit 
‚ ausgezeichnet. Die Paviane find ſtark, grimmig, unzähmbar, die wildeften und brutalften une 
‚ ter allen Affen; in ihren Handlungen legen fie Wildheit, Bosheit und urfachelofen Haß gegen 
Alles an ben Tag, was ihnen in den Meg kommt. Sie nähren fi) von Früchten, Körnern, 
, Burzeln und Inſekten unb pflegen ihre Nahrung in den geräumigen Badentafchen fortzutra- 
gen. Mit Ausnahme des ſchwarzen Pavian auf Eelebes gehören fie jämmtlich Afrika an. Zu 


.. 'n “ - 


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ihnen gehört der Mandrill (f. d.); der Drill (C. leucophacus), welcher den Mandrill ziemlich 


“ ähnlich iſt, aber ein glänzend ſchwarzes Geficht hats der Bärenpavian (C. porcarius), von den 


Hottentotten Tſchacamma genannt, u. |. w. 
Pavillon, der franz. Name für Flagge (f. d.). 
Pawlowsk, ein vier Meilen von Peteröburg an der Slawjänka gelegenes, 1780 nad) bem 


Plane des Engländer Brown im edeln Stil erbautes und 1805 nach einem Brande erneuer- 
“ te& kaiſerl. Luſtſchloß, zeichnet fich befonders durch feinen reizenten Park aus und feinen erft 
“ neuerdings angelegten Baurhall, der in Sommer einen Hauptvergnügungsort ber Petersbur- 
ger bildet. Der Park felbft ift eine Schöpfung der Kaiferin Maria Feodorowna, der Gemahlin 


Paul's I., die an diefem von der Natur wie von der Kunft gleich ſchön ausgeftatteten Orte be 


ſonders gern verweilte. Die lieblichften Anlagen des Parks find die fogenannte Zauberinfel, 


von der Slawjänka umfloffen, der Rofenpavillon, die Eremitage, die einft dem perf. Prinzen 
Mirza zur Wohnung diente, der Stern mit ber bronzenen Niobegruppe, der Mufenplag, der 
Tempel der Grazien, die überaus reigend gelegene kaiſerl. Ferme mit dem buntfenfterigen 
Zarenfaal und die mit den Arbeiten des rufſ. Plaſtikers Martos verzierten Maufoleen und 
Srabtempel. In der Mitte des im Halbkreis gebauten Schloffes befindet fich eine Bibliothek, 
ferner eine ausgezeichnete Gemälbefammlung mit vielen Werken alter Meifter und das foge: 
nannte Cabinet de r&union, defjen Beräthe und Verzierungen insgefammt von den Prinzeffin- 
nen des kaiſerl. Daufes gearbeitet find. Auch das Münz- und Mineraliencabinet wie der Saal 
mit den herculaniſchen Denkwürdigkeiten verdienen Erwähnung. Im J. 1828, nad) dem 
Tode der Raiferin Maria, nahm der Großfürſt Michael laut teftamentliher Verfügung Belig- 
von dieſen Schloffe. Im Umfange der Parkanlagen Tiegt die Stadt Pawlowsk mit 4000 E., 
die durch eine 1858 eröffnete Eifenbahn mit der Refidenz in Verbindung gefest iſt. 

Darton (Eir Joſeph), engl. Landſchaftsgärtner und Architekt. wurde 1804 in Berwidihire 
von armen Altern geboren. In feiner Jugend hatte er mit manchem Ungemac zu fämpfen, bis 
es ihm glückte, eine Anftellumg in den Gärten des Herzogs von Devonfhire zu Chatsworth zu er⸗ 
halten, wo er fich bald fo auszeichnete, daß ihn Der Herzog zu feinem Obergärtner ernannte. Unter 
feiner Zeitung erlangten die Anlagen in Chatsworth einen europ. Ruf, und P. ward als einer der 
erften Gartenkünſtler neuerer Zeit anerkannt. Durch feine „Treatise on Ihe culture ofthe 
Dahlia” (Xond. 1858) führte er fi vortheilhaft in die botanifche Xiteratur ein. Ihr folgte das 
in Verbindung mit Lindley heraudgegebene „Pocket botanical dictionary” (2ond. 1840), dem 
fich mehre in dem von ihm redigirten „Horticultural register” umd andern botanifchen Journa⸗ 
len veröffentlichte Arbeiten anfchloffen. Die 1850 im London befchloffene Weltinduftrieausftel« 
tung gab ihm Gelegenheit, fein praktiſches Talent in einem neuen Lichte zu zeigen. Es handelte 
fich un die Zweckmäßigkeit bes für diefelbe zu errichtenden Gebäubes, über meine viele wider- 








tes Journal unter dem Titel „Paston’s lower garden“ (feit 1850) erfcheinen wis 
‚an dem ſich Lindley und andere namhafte Botaniker betheiligen. 
vobiscum, d.i. Friede fei mit euch, eine Segensformel, welche der Geiftliche zur & 


imeinbe fpricht und die fepon im der alten Kirche gebräuchlic war. —— 
ben Apoſteln her und prägte ihr dadurch den echt apoftolifchen Shar 

ne (Thomas), ein durch feine Einwirkung auf die nordameräf. und frans. 
Lution berühmter hriftfteller, war 29. Jan. 1757 zu Thetford in der engl. 


Bollbeam auferbem die 
einer Zabadsfabrik. Beide Ämter näprten ihn jedoch mit feiner Familie nur *— fohfe 
in Schulden gerieth und 1774 abgefegt wurde. Hierauf ging er nach Nordamerita 


4776 eine im Volkstone gehaltene Schrift „Common sense” heraus, die das 
Tonien vertheibigte und auf die Bewegung beifpiellos wirkte. Die angefehenften 
ı Bafhington und Franklin, ſchenkten dem kühnen en —* Freundſchaft und ernamis 
ihn beim Congreſſe der Vereinigten Staaten zum Secretär im Depattement des Auswärie 
Diefe Stelle mußte P. aber wegen Verlegung des Amtögeheimniffes aufgeben, worauf 
Ftantreich und von da nad) England zurüdging. Hier ließ er 1791 fein in alle Spraden üie 
feptes Buch „The rights of man“ („Die Rechte des Menfchen”) erfcheinen, das die Idern be 
Ftangöſiſchen Revolution gegenüber den Angriffen Burke's (f.d.) und dem Gefchrei der nf 
Ariftofratie vertrat. Seine fühne, revolutionäre Sprache, die ben Bau des brit. Staatögo 
des in feinen Wurzeln angriff, erbitterte nicht nur die Regierung und den Adel, fondern verieft 
auch den Patriotismus. Während man gegen P. einen Staatsprocef einleitete, der fpär 
feinem Nachtheile ausſchlug, ging er nad) Frankreich, wo ihm mehre Städte das Bürgert 
verliehen, das Depart. Pas:de-Calais ihn aber noch 1792 in den Nationalconvent abornt 
Er warf ſich jegt in den vollen Strudel der Revolution und veröffentlichte unter dem Nımz 
Achille Ducatelet ein Flugblatt, das verfchiedene ftreitige Tageöfragen, unter Anderm a 
Flucht des Königs und die Nothwendigkeit einer neuen Staatöverfaffung behandelte. Im fr 
ceffe des Königs erflärte er fich für deſſen Einfperrung und Deportation nach dem Frieeb 
ſchiuſſe, was der Partei des Bergs misfällig war. Marat warf ihm die Grumdfäge einet Ds 
ters vor; Nobespierre aber ließ ihn 1795 unter dem Vormwande, daß er Ausländer fei, aus de 
Convent ſtoßen und verhaften. In der Gefangenfchaft fehrieb P. fein gegen den Atheismus 
tichtetes Buch „Iheageof reason“. Nach einer Haft von 14 Monaten erhielt er endlich imD« 
1794 auf Verwenden ber norbamerif. Regierung die Freiheit zurüd und feinen Sig im Em 
vent. Als fich Tegterer 1795 aufföfte, trat er ins Privatleben und befchäftigte ſich mit fit®' 
ſchen und finanziellen Unterfuhungen. Die Frucht diefer Mufe war 1796 eine ſcharfe L® 
der brit. Finanzverwaltung feit den legten 12 J, die großes Auffehen machte. Weil ind? 
beim Ditectorium nicht die gewünſchte Berücfichtigung fand, fo kehrte er 1802 auf Jefferim) 
Veranlaffung nad) den Vereinigten Staaten zurüd, wo er 8. Jumi 1809 ſtarb. 

Pazii, eins der vornehmften und reichften Geſchlechtet der Republik Florenz, das durh E 
Verſchwoͤrung von 1478 feinen Untergang herbeiführte. Eiferfucht der Liebe und auf die 
walt des Mediceifchen Haufes entflanımte den Urheber jener Verfhwörung, Francesco ®, it 
Wuth gegen feinen Nebenbuhler, Giuliano de’ Mebdich, welcher fich heimlich mit Camillı Cıfr 
relli vermählt hatte. Francesco P. ebenfo Fühn und vermegen als rachfüchtig, zog Bernau 
Bandini, der ſich ebenfalld von den Medici beleidigt glaubte, in fein Vertrauen, mußte von de 
Papfte Siptus IV., der die fleigende Macht des Haufes Medici ſchon lange mit Mitguif b 


Yuadıdlki. nenne 


Pech 725 


trachtete, das Verſprechen feiner Unterftügung zu erlangen und gewann auch ben Erzbiſchof von 
Piſa, Francesco Salviati, ſowie ſeinen Dheim, Jacopo P. einen ſehr verſtändigen Mann, für 
den Plan zum Sturze der Medici. Nachdem die Verſchworenen während einer Krankheit des 
Sarlo Manfredi, Grafen von Faenza, ohne Verdacht zu erregen, Truppen zufanınıengezogen 
hatten, beichloffen fie, als Sirtus IV. feinen Neffen, den jungen Cardinal Rafael Eanfoni, nach 
Florenz fendete, bei den zu Ehren deffelben angeftellten Feften die beiden Medici umzubringen. 
Doch Biuliano de’ Medici erfchien nicht. Nun beftimmte man den 2. Mai 1478, an welchem in 
der Hauptkirche zu Sta.-Neparata großer Gotrtesdienft gehalten werben follte, zur Dollziehuug 
des Mordes. Das zweite Ertönen bes Glöckchens, wenn der Priefter die Hoftie ergreifen würde, 
follte da& Zeichen fein. Schon waren orenzo de’ Medici und viel Volk in der Kirche verfammelt, 
aber noch fehlte Giuliano. Da begaben fi Francesco P. und Bandini in deffen Haus und be- 


: redeten ihn, dem Hochamte des Cardinals beizumohnen, wußten ihn auf dem Wege dahin durch 


Schmeichelworte fiher zu machen und nahmen, in der Kirche angelommen, ihn in ihre Mitte. 
Antonio von Volterra und Steffano, zwei andere Verſchworene, ftellten fi) der Verabrebung 


x gemäß Xorenzo aur Eeite. Als nun das Glöckchen zum zweiten male ertönte, durchbohrte Fran⸗ 


NEIL. 


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cedco 9. den Giuliano mit folder Wuth, daß er ſich felbft am Schenkel verwundete. Zu gleicher 
Zeit ermordete Bandini Giuliano's Freund Nori, und Antonio und Eteffano griffen den Lo⸗ 
renzo an, fließen aber fehl und verwundeten ihn nur leicht am Halfe. Lorenzo rettete fich in die 
Sacriftei; Francesco P. und Bandini wollten ihm dahin folgen, wurden aber zurüdgeftoßen. 
In dem Gebränge, das nun entftand, verloren viele Menfchen das Leben und der Cardinal konnte 
von den Beiftlichen nur mit Mühe gegen die Wuth des Volkes gefchügt werden. Francesco P.'s 
Bemühen, dad Volt aufzumwiegeln, war bei diefer Stimmung der Florentiner vergeblich; er 
mußte, von Blutverluft erfhopft, ſich nach Haufe begeben. Ebenfo fcheiterte Salviati's und 
Jacopo P.'s Verſuch, fich des Palaftes zu bemächtigen, an ber Wachſamkeit des Gonfaloniere 
Sefare Petrucci. Der Erzbifhof und mehre Verſchworene wurden bei diefer Gelegenheit. er- 
griffen und gemordet. Francesco P. holte das Volt aus feiner Wohnung, fchleppte ihn 
nadt durch die Gaſſen und hing ihn nebft 70 Andern an den Fenftern bes Palaftes auf. Jacopo 
P. rettete fich durch die Flucht, wurde aber in den Apenninen von einem Bauer erkannt, nad 
Florenz ausgeliefert und nebft Renato 9. gehangen. Bandini, der fid) nach Konftantinopel ge 
flüchtet hatte, wırrde vom Sultan Bajazet ausgeliefert und nebft Antonio von Volterra und 
Steffano, die in einem Klofter Echug gefunden, hingerichtet. Nur Napoleon Francefi und Gui⸗ 
lielmo P., der unfchuldig und ein Schwager Lorenzo's de’ Medici war, entgingen ber Rache des 
Volkes. Guilielmo wurbe, ungeachtet der Bitten feiner Gemahlin Bianca, zeitlebens auf feine 
Billa verbanntz den Francefi fah man nicht mehr. Die übrigen Pazzi wurden fämmtlid in die 
Gefängniffe von Volterra fire imnıer eingefperrt, und den Eardinal Rafael Sanfoni fendete Lo⸗ 
renzo de’ Medici nah Rom zurüd. 

Pech nennt man im Allgemeinen das gefochte und erhärtete Harz vieler Nadelhölzer, befon- 
ders ber Kiefern und Fichten, wie auch der Tannen und Lärchenbäume. Man hat davon mehre 
Sorten, was von ber verfchiedenen Bereitungsart und von ber Art ded dazu genommenen Har⸗ 
zes abhängt. Gewinnt man nämlich das Harz diefer Hölzer durch Einhauen in den untern Xheil 
bes Stamms, fo ift e8 mit dem Xerpentinöl verbunden und bildet eine halbflüffige Maffe, welche 
Terpentin (ſ. d.) heißt. Es tritt aber das Harz auch theild von felbft aus der Rinde, theild ſam⸗ 
melt es fi) an den nad) der Gewinnung des Terpentind offen gebliebenen Stellen bes Stamms, 
trocknet bereits am Stamme ein, wobei es fein ätherifches DI verliert, und wird zu einer gelblich⸗ 
weißen oder gelben feften Maffe, die unter dem Namen gemeines Fichtenharz ober Galipot 
befannt if. Scheidet man nun durch Deftillation das Terpentinöl von dem Terpentin ab, fo 
heißt der nad) der Deftillation verbleibende harzige Rüdftand gekochter Terpentin, und wird 
er nochmal gefchmolzen, fo bildet er dad bekannte Beigenbarz oder Kolophonium. Das ge- 
meine Fichtenharz aber gibt, wenn es gefchmolgen worden ift, das [probe gelbe Pech umd, wenn 
es mit Waffer gekocht und durch Stroh gefeiht ober Durch einen groben Leinwandfad gepreßt und 
von dem Unrath gereinigt wird, das weiße burgundiſche Pech. Aus den auf dem Strohe blei- 
benden Bechgrieben oder Pechgriefen wird noch Kienruß gebrannt. Durch eine Art trockener 
Deſtillation (Theerſchwelen) des Harzes der genannten Gewächſe in verſchloſſenen Gefäßen 

oder im Theerofen erhält man ein dickflüſſiges ſchwarzes Harz, welches noch Holzſäure und em⸗ 
pyreumatiſches DI enthält und den Namen Theer führt. Wird diefer Theer abgedampft, fo 
entfteht Daraus das ſchwarze Pech oder Schiffspech. Das bei bem Einkochen des Theers ab- 
deſtillirte Ol wird Yechöl genannt, mit welchem Namen öfters auch dad Kienol oder gemeine 


Pedro (Dom) 737- 


‚Uftändigften zulegt in der Gefammtausgabe der Werke des Cicero von Drelli (Zür. 1833). 
gi. Madvig, „De Q. Asconii Pediani in Ciceronis orationes commentariis” (Kopenh. 1828). 

Dedro (Dom) d’Alcantara, Herzog von Braganza, Exkaiſer von Brafilien, geb. zu Liſſa⸗ 
n 12. Oct. 1798, der zweite Sohn des Königs von Portugal und Kaifers von Brafilien, 
ohann's VI. (1.d.), und der Infantin von Spanien, Carlota Joaquima, wurbe durch ben Tod 
nes ältern Bruders, Dom Antonio, 1801 Prinz von Beira und nach demmirklichen Regie: - 
ngsantritte feines Vaters 1816 Prinz von Brafilien. Noch nicht zehn Jahre alt, fam er mit 
r königl. Familie nad) Rio de Janeiro. Wiewol mit trefflichen Anlagen des Geiſtes und Her- 
nis, fowie mit ungewöhnlicher Körperfiärke begabt, aber von ftürmifchen Leidenfchaften be⸗ 
rrfcht, wuchs der Prinz unter nachtheiligen Einflüffen des Hofs auf. Zum Erzieher erhielt 

einen gebildeten, reblihen Mann, Job. von Rademaker, der jedoch an Gift flarb. Sein wei⸗ 
rer Unterricht war planlos. Nur durch eigene Neigung erwarb er ſich vielerlei Kenntnifje, be- 
nders in der lat. und engl. Sprache, in Politif und in Kriegswiſſenſchaften, auch mande Fer⸗ 
geeiten in Muſik, Mechanik und korperlihen Übungen. Im 3. 1817 vermäßlte er ſich mit der 
rzherzogin Xeopoldine, der Tochter des Kaiferd Franz I. von Oftreich, die 11. Dec. 1826 
arb. Als 1820 die conftitutionelle Bewegung Portugals auch Brafilien ergriff, beſtimmte P. 
inen Vater für die Anficht, daß die Reform vom Throne ausgehen müffe, und machte in deffen 
tamen 26. Febr. 1821 die Einführung des conftitutionellen Syſtems bekannt. Er wurde 
uch, als der Vater nad) Liſſabon zurüdging, 22. April 1821 als Regent an die Epige der 
zafil. Regierung geftellt und 12. Dct. 1822 vom Volke ald Kaifer ausgerufen. (S. Brafilien.) 
der junge Fürft handelte mit Kraft, aber leidenſchaftlich. Er verbefferte viel, richtete noch mehr 
nz aber er fonnte die Brafilier nicht mit den Portugieſen ausfühnen. Auch gab er fih Blößen 
(8 Menſch und Fürft; fo namentlich durch feine Verbindung mit der Marquife de Santos. 
dach dem Tode feines Vaters, 10. März 1826, trat er auch die Negierung von Portugal an, 
m dem Lande eine Conftitution zu geben, worauf er 2. Mai die Krone Portugals feiner Tochter 
Yonna Maria abtrat und feinen Bruder Dom Miguel (f.d.) unter der Bedingung, daß er daß 
Srundgefeg annehme und ſich mit Donna Maria verlobe, zum Negenten ernannte. Indeſſen 
ah ſich P. rückſichtlich diefer Anordnung bald enttäufcht, indem Dom Miguel 1828 den portug. 
hron ohne weiteres ufurpirte. (S. Portugal.) Dazu fam, daß ſich P. auch durch einen un- 
Iudlichen Feldzug gegen Montevideo, ſowie durch die Verwidelung in den portug. Thron. 
reit, durch feine Heftigkeit und Laune und Vorliebe für Vertraute, feine Etreitigkeiten mit den 
jortes das brafil. Volk fehr raſch entfremdete. Die Umtriebe der Zoderaliften, der Republi- 
aner und der Anarchiften bewirkten endlich einen Soldatenaufruhr, dem 6. April 1831} einen 
Jolksaufftand folgte, ſodaß der Kaifer 7. April zu Gunften feines Sohnes Dom Pedro II. ab: 
ante, feinem Freunde Joſe Bonifacio d' Andrada (f. d.) die Vormundſchaft feiner Kinder 
bertrug und mit feiner Gemablin, feiner Zochter Donna Maria, feiner Schwefter, der Mar- 
wife von Loule, und einigen Getreuen 13. April nad) Frankreich unter Segel ging, mo er den 
‚itel eines Derzogs von Braganza annahm. Er widmete jegt feine ganze Thätigkeit der Wie⸗ 
reinfegung feiner Tochter Donna Maria auf den Thron Portugals und führte 20. Febr. 
332 eine Erpedition zunächft nach den Azoren und von da nad) Porto, wo er mit geringen 
ulfsmitteln den Kampf gegen den Ufurpator Dom Miguel eröffnete. Endlich zog fein Feld⸗ 
rr Billaflor 28. Juli 1855 in Kiffabon ein. Im Namen feiner unmündigen Tochter, welche er 
ın 25. Sept. 1833 wieder auf den Thron fepte, ordnete er den zerrütteten Staat, hob 15. Aug. 
333 die meiften öfter auf und zwang feinen Bruder durch die Gapitulation zu Evora, 
5. Mai 1834, allen Anſprüchen auf Portugal zu entfagen. Als er hierauf 15. Aug. 1854 
e Sigung der Cortes eröffnete, legte er in einer Rede fein Verhalten umfländlich dar. Die 
ortes wählten ihn 23. Aug. förmlich zum Negenten. So viele Anftrengungen hatten aber ſei⸗ 
en Korper erſchöpft. Bereits 18. Sept. .erflärte er den verfammelten Corte, daß er außer 
stand fei, die Regierung zu verwalten, worauf die Kammern die funge Königin für volljährig 
Härten. P. ſtarb 24. Sept. 1854 an der Bruſtwaſſerſucht. Aus feiner erften Ehe mit der 
Fraherzogin Xeopoldine entfprangen: Donna Maria IL. da Gloria, Königin von Portugal, 
eb. 4. April 1819, geft. 15. Nov. 1853; Donna Januaria, geb. 14. März 1822, vermäßlt 
eit 1844 mit dem neapolit. Prinzen Ludwig, Grafen von Aquila; Donna Franeisca Carolina, 
‚eb. 2. Aug. 1824, vermählt 1843 mit dem Prinzen von Zoinville (Drleans) ; Dom Pedro IL 
"Alcantara, geb. 2. Dec. 1825, Kaifer von Brafilien (f. d.) durch die Entfagungsacte feines 
Baters vom 7. April 1831. Derfelbe übernahm in Perfon bieRegierung 23. Juli 1840, wurde 
8. Juli 1841 gekrönt und vermäblte ſich 4. Sept. 1843 mit Thereſe, geb. 14. März 1822, 


| 18 QM. nur 10682 E, befteht faft ganz aus MWBerg- und Hügelland und. erhebt 


ber Kodhter des verſtorbenen Könige beider Sicilien, Brang' 1. Aut Diefer he singe 
die Prinzeſſinnen Ifabel, geb. 29. Juli 1846, unb Beopelbine, geb. 13. 
Jedro L vermählte fi) 17. Det. 1829 zum zweiten male mit Amalia, bes verfische 
8 Eugen von Leuchtenberg (f. d.) Tochter, die ihm eine Tochter, Warte Umelie, ch 
—* 2. Dec. 1831, gebar. | ; 
bles oder Tweeddale, eine Grafſchaft im füdfichen Schottland, zählte ION 





















fin im Süben, wo der Hartfell, 2735 F., der Broadiaw, 2637 F. und ir 
burn, 2664 $. hoch, als die bedeutendften Wergfpigen von ganz Sũüdſchottland 
Das Bügelland zeichnet fi durch gute Weiden aus, und bie Thäler, unter bene 
Vweed, mit ben Seitenthälern des Lyne, Mannor, Leithan und Eddleſtone, Durch feine had 
tiſchen Scenerien berühmt ift, find fruchtbar und bei den bedeutenden Fortſchritten bei 
baus auch ergiebig an Betreide, Kartoffeln, Futterfräutern und Flache. Doch iſt bei ber 
bergigen Beichaffenheit bes Bodens der Aderbau nur ein untergeorbueter Rahrungigs 
deſto wichtiger ift die Rindviehzucht. Die Milchwirthſchaft bilder demnach eine Haupt 
quelle. Auch bie Schafzucht wird ſtark betrieben und gibt einen anfehnlichen Ertrag, 
wol hinſichtlich der Tolle, die grob und hartift, als des Bleifches, indem Hammel umd üße 
Schlachtvieh einen: guten Abfag in Edinburg finden. Dorthin werden auch Butter, M 
viel Geflügel, ſowie Eifen, Blei, Kotsen, Schiefer und Walkererde ausgeführt. Unbedentuk 
die Gaben des Mineralreichs, ift auch die Induftrie, die fich auf einige Leinwanb-, Wa 
und Wollenmanufactur befchräntt. Die Hauptftabt Peebles, am Tweeb und Ebbieftonein 
tiefen Thale gelegen, beffen malerifche Reize durch die Ruinen zweier fchönen Kirchen wi 
nes Schlofies, fowie durch die Bogenbrüde über den Tweed erhöht werden, war bie 
mehrer fchott. Könige und zahle 2982 E., die Strümpfe und Wollenzeuge, Teppiche, € 
Kattun und Leinwand verfertigen, Bier- und Alebrauereien, Vieh⸗ und Kornmärkte une 
Peel (Ste Robert) hervorragender engl. Staatsmann, wurde 5. Behr: 1788 m Te 
in der Grafſchaft Stafford geboren. Sein Vater, Robert P. (geb. 1750, geft. 1830), € 
der Fabrikant, hinterließ ein Vermögen von faſt 2 MIN. Pf. St, die größtenrheits az 
fein ältefter Sohn, erbte. P. erhielt eine audgezeichnete Bildung, trat Durch den Einf 
Baters früh ins öffentliche Leben, und amar ſchloß er fich, ben väterlichen Traditionen feige 
an die Tories an. Seit 1809 Mitglied bed Unterhaufes, fam er ſchon im folgenden Jah # 
Unterftaatöfecretär für die Colonien ind Minifterium, in welchem er 1812 —18 als erftea 6 
cretär für Irland blieb. Der ärgerliche Proceß gegen die Königin Karoline, den er nicht bir 
vermochte ihn zum Rüdtritt. Schon 1822 trat er aber von neuem in die Verwaltung eins 
diesmal zwar ald Minifter ded Innern. In diefer Stellung blieb er bi 1827, wo Ganz} 
Übergewicht im Minifterium die Tories zum Rücktritt bewog. Ale nach Canning's Tote: 
San. 1828 die Tories das Staatsruder von neuem ergriffen, übernahm P. wieder das A 
flerium des Innern. Wenngleich diefe ganze Zeit mit den Tories eng verflochten, bereiten 
jegt zum erften male feinen Parteigenoffen eine jener Enttäufhungen, die ihm vom Far 
geift als Abfall gedeutet ward, obwol fie nur das Ergebniß verftändiger ſtaatsmänmiſcher € 
ſicht und patriotiicher Selbftverleugnung war. Durch Geburt und Erziehung in die Reihen 
Zories geführt, war er doch eine durchaus vermittelnde und moderate Natur, die ſich dem & 
fern, von welcher Seite ed kommen konnte, nicht verfchloß, gemeffenn Reformen imma» 
gänglich blieb und mit jener Nüchternheit und Verftändigkeit, die 9.’ Weſen charakteriir 
felbft die eigenen Irrthümer bereitwillig fallen ließ. Schon in der erften Zeit feiner Bermal 
batte er eine Reihe einzelner Verbefferungen eingeleitet, boch Beine von allgemein politifher & 
deutung, die ihn mit feiner Partei entzweit hätte. Jet wich er, obwol früher felbft ein enıfer 
dener Gegner der Maßregel, der Nothwendigkeit, fich für die Katholitenemancipation zu al 
ren, und führte 1828— 29, unter ber heftigften Anfeindung feiner Partei und felbft von kim 
Bamilie feindfelig angegriffen, die inhaltfchwere Veränderung durch. Nicht fo willig fand ek 
Reform des Wahlrechts. Er trat daher (Nov. 1830) mit dem Minifterium zurud un ® 
kämpfte dann dieneue Whigverwaltung und ihre Neformbill mit der größten Entſchiedene 
umd der ganzen Kraft feines Rednertalents. Dadurch mit den Toried wieder ausgeföhnt, # 
ganifirte und leitete ex feit 1833 die confervative Oppofition, die aus den Trümmern der} 
ten Zorypartei und dem weniger progreffiv gefinnten Theile der Whigs gebildet war : eine Lyw 
fition, welche zwar bie großen Umänderumgen, wie fie namentlich die Wahlreform brachte d 
vollendete Thatſache hinnahm, aber dem rafchen Vorgehen auf der Bahn des Kiberalismms Mi 





Ppeel 720 


widerfegte. Noch wollte es ihm nicht gelingen, nad dem Rücktritt des Cabinets Melboume 
(Nov. 1834) eine aus diefen Elementen gebildete Verwaltung zu behaupten, und obmol er 
felbft manche freifinnige Reform im Sinne der gemäßigten Whigs einbrachte, fah er ſich doch 
ſchon 1835 zum Rücktritt genöthigt. Er blieb nun Jahre lang das Haupt der confervativen 
Dppofition, trat dem Whigminifterium, wenn aud) ohne die frühere Schroffheit und Ausfchließ- 
lichkeit, als gefährlichfter Gegner gegenüber und abforbirte immer mehr in ſich alle Elemente der 
alten Torypartei, von der nur ein Heiner Bruchtheil gegen feine Leitung ſich fträubte. Schon 
1839 war bie Verwaltung der Whigs in Auflöfung. Doc gelang es diesmal P. noch nicht, 
ein Minifterium in feinen Sinne zu bilden, bis im Frühjahr 1841 die Whigs einem von ihm 
geftellten Mistrauensantrag erlagen und die neuen Wahlen, zu denen das Minifterium fchritt, 
eine confervative Mehrheit ergaben. Im Herbft 1841 bildete er dann mit Wellington, Lynd⸗ 
hurſt, Aberdeen, Graham, Stanley u. ſ. w. das neue Minifterium, das fi) bid zum Eommer 
1846 behauptete und eine der denkwürdigſten Epifoden der brit. Geſchichte bildet. Obwol mit 
bem Intereſſe der Grundbefiger und der großen Handelsariftofratie bisher verknüpft, über 
zeugte fich P. doch, daß angefichtE der wachſenden Roth der arbeitenden Elaffen und der allge: 
meinen materiellen Krifis das bisherige öfonomifche Syſtem, deſſen eifriger Vertheidiger er ger 
wefen, nit mehr zu behaupten fei. Wieder griff er zu den Maßregeln feiner politifhen Geg- 
ner, mobiftcirte im Krübjahr 1842 durch die wechſelnde Zollfcala die Getreidegefepgebung, 
führte die Einfommenfteuer durd) und fing an, in dem herrfchenden Schutzzollweſen überhaupt 
zu reformiren. Aber theild der fihtbare Erfolg diefer fhüchtemen Reformen, theils die fort- 
dauernde materielle Kriſis zwangen ihn weiter zu gehen. So trat er 1845 fchon mit einer um⸗ 
faffenden Zollzeform vor das Parlament und näherte fich zugleich feinen politifchen Gegnern 
auch darin, daf er im Kirchen und Erziehungsmelen Billd einbrachte, die den toryflifchen 
Überlieferungen widerfprachen. Er drängte dadurch erft Sladftone, dann Stanley aus dem 
Gabinet und verlor die Unterftügung feiner bisherigen Partei, gewann aber bie Hülfe eines 
großen Theil feiner frühern Gegner. Noch vermochte er zwar (Dec. 1845) fein durch die Ent- 
zweiung der eigenen Freunde erfchüttertes Minifterium zu reconftituiren, aber die Confequenz 
der einmal betretenen Politit und noch mehr die durch die Misernte gefteigerte Noth zwangen 
ihn, vollends mit dem alten Syſtem zu brecyen. P. eröffnete die Seffion von 1846 mit der of- 
fenen Erflärung, daß er feine Meinung geändert, und fchlug eine Reihe von tiefeingreifenden 
Reformen vor, welche bie Getreidezölle faft ganz befeitigten und auch die Aufhebung der übri⸗ 
gen Schugzölle vorbereiteten. Damit in Zufammenhang ftand bie irifhe Zwangsbill, welche 
zu Gunſten der Grundeigenthünmer eine Reihe von Ausnahmemaßregeln vorfchlug. Zwar fegte 
er die freihändlerifhen Vorſchläge mit Hülfe der Whigs gegen feine alten Freunde durch, doch 
die Zwangsbill fcheiterte (Juni 1846) an der vereinigten Oppofition beider Seiten. Weniger 
diefe Niederlage als das Bewußtſein, daß feine eigene Partei in Auflöfung begriffen und ihm 
eine bauernde Leitung des Minifteriums dadurch unmöglich fet, bewog ihn (29. Juni) feinen 
Rücktritt zu nehmen: ein Entſchluß, den er vor den Unterhaufe in ebenfo befcheidener wie loya- 
ler Weiſe motivirte. Wol verließen ihn jegt die Tories und ihr Anhang unter den Grunbbefigern 
der Ariftofratie, um fich an Stanley und D'Israeli neue Führer zu fuchen, aber feine Popula- 
rität im Rande war größer als je; namentlich fahen die arbeitenden Slaffen in ihm ihren Wohl⸗ 
thäter. Dem neuen Whigminiſterium gegenüber bildete er feine Dppoſition mehr, unterftügte 
vielmehr deſſen wichtigfte Mafiregeln, namentlich die nur allmälig vollendete ofonomifche Re⸗ 
form. Es vereinigte ſich unter ihm eine Mittelpartei, dieden gemäßigten Whigs fortan näher 
ftand als den Tories, aus denen fie hervorgegangen. In der gefahrvollen Zeit von 1847—48 
ward P. eine der wefentlichiten Stügen ber Regierung, deren Freihandelögrimdfäge er nun 
rückhaltslos adoptirt hatte. Auch war, je weiter das Minifterium auf der betretenen Bahn 
ging, er felbft defto inniger mit ihm verflochten, und die Angriffe der Protectioniften, die feit 
der Seffton von 1849 wieder lebhafter auftraten, waren gegen ihn nicht minder als gegen die 
Whigs gerichtet. P. hatte den Einfluß als Führer einer zahlreichen und wohldisciplinirten Par- 
tei verloren, dafür indeffen die Kiebe des großen Theil der Nation und bie Achtung feiner ehe⸗ 
maligen Gegner gewonnen. In diefer Stellung bewahrte er fih dem Minifterium gegenüber 
feine volle Freiheit. Als m Juni 1850 die Palmerfton’fche Politik gegen Griechenland zur 
Debatte kam, erklärte er fich gleich den ehemaligen Tories dagegen, unterftügte aber Die innere 
Verwaltung der Whigs, namentlich ihre ẽkonomiſchen Reformen gegenüber den Angriffen der 
Protectioniften (Juni 1850). Eine unerwartete Kataftrophe unterbrach dieſe fegensreiche und 
ehrenvolle Wirkſamkeit. Noch am 28. Juni hatte er an der Debatte über Palmerfton’s Politik 


730 Peene Pegafus 


Fi in ener-ausgezeichneten Mede berheiligt, den Tag naher ward er bei einem Epyj 
von feinem Pferde abgeworfen und fo ſchwert — daß er ſchon am Abend des 2.Jun 
Die Theilnahme aller Parteien über feinem Grabe und namentlich die Anhänglichkeitd 
tern Bolksclaffen hatte kaum ein brit. Staatsmann in fo reihem Maße erfahren. 9 
flets eine der bedentfanften Perfönlichkeiten der engl. Geſchichte bleiben ; er repräfent 
großen Umfchwung, den Großbritannien in den legten 543. durchgemacht hat. Dhne gen 
‚sriginell zu fein, war er mit einem eminenten praftifchen Geifte, einer ungemeinen 
gewandtheit und jener nüchteruen, eingehenden und überzeugenden Beredtſam keit begabt, 
‚praktifchen Dingen der Erfolg gehört. Obiwol er die Tories aufgelöft und fein öffentlich, 
ben eine Reihe von Wandelungen zeigt, iſt er doch einer ber patriotifchften und confernat 
Staatömännerfeines Heimatlandes gewefen, Seiner Redlichkeit und Ehrenfeftigfeit haben) 
nach feinem Tode auch die Gegner Die verbiente Anerkennung nicht verfagt. Sein Leber 
feine Neden hat Küngel (2 Zhle., Braunfhw. 1851) zufammengeftellt. Unter feinen S 
iſt der ältefte, Sir Nobert P. früher Geihäftsträger in der Schweiz gewefen und mit 
ber jüngere, Frederic P., gegenwärtig Mitglied des Unterhaufes. Beide Huldigen im & 
den Grundfägen, zu denen fich zulegt der Water bekannte. 

Peene, ein Küftenfluß der preuf. Proving Pommern, entfpringt im Großherug 
Medienburg-Schwerin bei dem Dorfe Hinrichöhagen, fließt durch den Kummerowſee und 
inter Demmin, nad Einmündung ber Zollenfe und Trebe, für größere Schiffe fahrbar. 
verbindet ſich unterhalb Anklam mit einem Zweige bed Haffs, um gemeinfchaftlich einens 
Strandfee, das Achterwaſſer, zu bilden, und ergieft fih unmeit vom Dorfe Peenemünde 
einem Raufe von 14 M. in die Oftfee. Die Peene bildet anfangs die Grenze zwiſchen Mu 
burg und Ponmern und trennt fpäter ben flertiner Regierungsbezirk vom bem firalfunde, 
dem vormaligen ſchwed. Pommern 

eer, Peerage, |. Paird. 

eerik amp (Dofman Peter), ausgezeichneter hol. Philolog und Kritiker, geb. 174 
Gröningen, erpielt feine Bildung aufdem Gynmaftum und der Univerfität feiner Waterfiskt 
mollte ſich anfangs dem Zaubftummenunterricht widmen, folgte aber aus Neigung für bu 
Biteratur 1805 einem Rufe als Präceptor an das Gymnafium zu Harlem und 1804 alt} 
tot an das Gymnafium zu Dokkum in Friesland. Don hier Lehrte er 1816 nad Harlem a 
um das Nectorat des Gymnafiums zu übernehmen. Im J. 1822 erhielt P. eine Profefe 
der literarifchen Facultät der Univerfität zu Leyden und wirkte an derfelben bis 1849, met 
genöthigt fah, wegen anhaltender Kränklichkeit feine Entlaffung zu nehmen. Seitdem mein 
du Hilverzum, einen: hübſchen Dorfe im Gooiland. Außer einer wertvollen „Dissertils 
surdorum mutoruinque institutione” (Leyd. 1806) hat P. mehre vortreffliche literathiſii 
Arbeiten geliefert, wie die „Vitae excellentium Batavorun“ (Leyd. 1806), die „Epistolat‘ 
cellentium Batavorum” (2eyd. 1808), eine „Vita C. Hugenii” (Hart. 1817) und beſonden. 
vita, doctrina et facultate Nederlandorum, qui carmina Latina composuerunt” (2. % 
Harl. 1838). Einen noch größern Ruf im Auslande erwarb er ſich durch die gelehrten Ind 
ben des „Zenophon von Epheſus“ (Harl. 1818), des „Agricola“ des Tacitus (Leyd 18 
‚vor allem aber durch feine Bearbeitungen der „Oden“ und des „Brief an die Pifonen“ Dil 
ray (Harl. 1834) und der „Aneide” Virgil's (2 Bde., Leyd. 1845). Seine Anfıcht, die @ 
der Kritik der Horaziſchen Oben verfolgte, daß die Anordnung derfelben von den Freunde! 
Abfchreibern des Dichters willtüclich vorgenomnien worden fei, und daß manches Unchte! 
mit eingeſchlichen habe, fand bei den deutfchen Gelchrten, 5. 3. bei Bernhardy, Eicyflädte! 
ſcharfen Widerfpruc. NRühmend muß noch erwähnt werden, daß P. im Verein mit md 
Gelehrten, namentlich mit Bake (f. d.), zur Wiederbelebung der altelaſſiſchen Studien u} 
land bie „Bibliotheca.critica nova” gründete. 

Venäfus wurde dad Roß genannt, weldes nebft Chryfaor aus dem Blute der son 
feidon ſchwangern GorgoneMedufa (f. Gorgo), als ihr Perfeus das Haupt abfchlug, enıfpt 
Gleich nach der Geburt ſchwang fich der Pegafus zu den Unfterblihen empor und trag! 
Donner und Blig des Zeus. Bei Spätern iſt er dad. Roß der Eos. In den Mythos wel 
iſt auch die Befümpfung der Chimära durch Bellerophon (f. d.) eingeflochten. Als diefrd 
lich Alles vergebens verſucht hatte, um zum Kanıpfe gegen jenes Ungeheuer den gefügl 
Pegafus einzufangen, fragte er deshalb den Seher Polyidos in Korinth. Kepterer vie 1 
im Tempel der Athene zu ſchlafen. Im Echlafe erſchien ihm die Göttin, befahl ihm, den 
feidon zu opfern und gab ihm einen goldenen Zügel. Nach dem Erwachen opferte er bb 


Pegel Pegu 731 


nit dem erhaltenen Zügel den Pegaſus und beftand mit diefen: glücklich den Kampf gegen 
Shimära, die Amazonen und Eelymer. Am berühmteſten aber ift der Pegafus bei den 
‚ern ale Muſenroß, wozu er wahrfcheinlich Durch eine Bermengung der Sagen von der Dip 
ene und vom Bellerophon geworden ift. Als nämlich die neun pieriihen Mufen mit dem 
ı Töchtern des Pieros auf dem Helikon einen Wettgefang hielten, hörte beim Gefange der 
len Alles unbeweglid, zu, nur der Deliton hob ſich fo lange immer hoher empor, bis ihn 
afus durch feinen Hufſchlag daran hinderte. Bon diefem Hufichlag entitand der Mufenquell 
dem Helikon, der nach ihm Hippokrene, d. i. Roßquell, genannt wurde. Nur hierdurch aber 
Pegaſus im Alterthum mit den Mufen in Verbindung ; ald eigentliche Muſenroß erfcheint 
fl bei den Neuern, zuerft bei Bojardo im „Orlando innamorato“, nie bei den Alten. 
Segel heißt in See- und Flußſtädten der Waſſerſtandsmeſſer, deffen Nullpunkt in einer be- 
mten Tiefe unter den: mittleen Waſſerſtande befindlich ift und an deffen getheilter Scala 
Schwimmer die Veränderungen diefes Standes angibt und oft, wie namentlid) in den 
gshäfen Englands und Frankreichs, felbft notirt. Die älteftien Pegel find wol die Nil« 
jer in Agypten. 
Degnigorden, eine der im 17. Jahrh. entftandenen Sprachgenoffenfchaften, erhielt den 
nen von der durch Nürnberg fließenden Pegnig. Ex hieß auch Pegniger Hirtengeſellſchaft, 
licher Hirten und. Blumenorden an der Pegnig, Gekrönter Blumenorden und wurde von 
rg Phil. Harsdorfer (ſ. d.) und Joh. Klai 1644 zu Nürnberg zur Beförderung der Rein- 
der deutfchen Sprache, vorzüglich in der Reimkunſt, nicht ohne einige Oppofition gegen bie 
Iternheit der erften ſchleſ. Dichterfchule geftiftet. Aber bald ließ fich bie Geſellſchaft von der 
ichtung zu füßelnden Zändeleien verleiten, bis endlich ihre ganze Belchäftigung in leere 
lereien mit Sinnbildern, Devifen und Schäferwefen ausartete. Bei der Feier ihrer hun⸗ 
ihrigen Stiftung verfuchte man der Gefellfchaft eine ernftere Richtung au geben, und fie 
)t noch gegenwärtig in freierer Form als eine literariſche Gefellfchaft fort, von der auch 
? Drudichriften ausgegangen find. Die Zufammentünfte wurden anfangs in Privatgär- 
ebalten. In der Zolge räumte der Rath; zu Nürnberg der Gefellichaft ein Stück Wald, 
Meile von Nürnberg bei Kraftshof, ein, welcher nach damaliger Art fehr kunſtreich ange- 
ind der Irrhain genannt wurde. Doc wegen der Entfernung wurden nachher die Ver- 
lungen in Nürnberg felbft gehalten. Jedes Mitglied befam einen Drdensnamen und das 
Bild einer Blume; das Sinnbild des Ordens felbft war eine Paffionsblume. Vgl. Ama⸗ 
B (Herdegen), „Diftorifhe Nachricht von des löblichen Dirten- und Blumenordens an 
degnig Anfang und Fortgang” (Nürnb. 1744). 
Begu oder Mone, ein früher unabhängiges, dis 1852 zum Birmanifchen Reiche 
'üged, feitbem aber den brit. Befigungen in Oftindien einverleibtes Königreich auf der 
:zindifchen Halbinfel, liegt zroifchen den Provinzen Arakan, Ava, Martaban und den Meere 
vegreift bei einem Flädheninhalt von 1127 AM. das untere Stromgebiet bed Irawaddi, 
aus ein Niederungsland, das wol zur Hälfte vom Delta diefed Stroms gebildet wird, welches 
ron der Südfpige des Gebirgs von Arakan längs des Golf von Martaban faft bis zum 
ende diefed Meerbufens erftredt und auf diefer mehr ald AO M. langen Küſtenſtrecke ſich 
ne von unzähligen Wafferläufen und ſtehenden Lachen durchſchnittene, mit Waldgeftrupp 
Rohrdickichten bededte fumpfige Niederung ausbreitet. Den Hauprreichthum des Landes 
das Tekholz. Die Einwohner ded Landes, etwa I Mill. an der Zahl, die fi) felbft Dion 
en, von den eigentlihen Birmanen oder Maramıas aber Zalain genannt werden, unter 
en fi von diefen ihren Unterdrüdern zwar durch hellere Hautfarbe und mildere Sitten, 
"en aber zu einer Volkerfamilie mit ihnen und haben fich bereits ziemlidy mit ihnen ver- 
> Izen, felbft in Betreff ihrer Sprache, in der fie übrigens eine verhältnißmäßig reiche Zitera- 
eſitzen; auch find fie Buddhiften wie die Birmanen. Die Stadt Pegu, am Küftenfluffe 
es Namens, der mit einem oftlihen Arme des Itawaddi in Verbindung fteht und umweit 
Yun mündet, einft die Hauptftadt des Neich8 und damals 150000 E. zählend, 1757 von 
cıpra vollig zerftort, 1790 wieder aufgebaut, hat jegt ungefähr 7000 E., meift Priefter 
Arme, und ift gegen früher fehr heruntergelommen. Zwar war P. ſtets Eig eines birman. 
Yerneurs, doch befteht es, mit Ausnahme der wenigen aus Ziegeln gebauten Regierungs⸗ 
ude, nur aus elenden Bambusrohrhäufern. Das Merkwürdigfte in P. iſt der Tempel des 
tdama, Schomabu, d. i. goldenes Heiligthum, genannt, der bei der Zerſtörung der Etadt ver- 
at wurde. Die Priefter geben das Alter des Echomadu, der einer der verehrtelten Buddha 
yel in Indien iſt, auf 2300 3. an. Die wichtigfte Stade bes Landes iſt aber Rangun (ſ. d.). 


233 Pehlewi Peking 


Das Neich P. war in frühen Zeiten fehr blühend, verfiel aber feit dem 15. Jahrh 
der Kämpfe mit dem Reiche Siam immer mehr, Die Portugiefen, die von der 
nern in diefen Kriegen zu Hilfe gerufen worden waren, verſuchten darauf dieſe ihn 
linge zu beherefhen, wurden aber von ihren vertrieben. Um die Mitte bes 18 
wurde P. von dem birman. Herrſcher Alompra erobert. Seitdem flcht das La 
der furchtbarſten Despotie des Birmanenkaifers, was bie allgemeine Unzufriee 
Peguaner und deren Bereitwilligkeit erklärt, mit welcher fie die Unternehmungen de 
unterftägten, in denen fie ihre Befreier und Befchüger erblidten. Die Veranlaffung; 
Kriege gab im Juni 1851 der birman. Gouverneur von Nangun durch ungerechte Be 
aweier dort anfäffigen Kaufleute, dann durch die Verweigerung der verlangten Gem 
und fogar’ Befhimpfung und —— des brit. Unterhändfers. Die Feindfeligh 
gannen mit dem 4. April 1852 unter dem Admiral Auftin (der 8. Det. der Chofera el 
auf Commodore Lambert deffen Commando übernahm) und General Godwin. Nah! 
nahme von Martaban (f.d.) 5. April eroberten die Briten Nangum 14. April, bald ds 
Hafenſtadt Baffein am weftlihen Mündungsarm des Iramaddi, 3. Juni die Stadt} 
wo die Birmanen ihre Hauptmagazine angelegt hatten, und 7. Juli, ſowie nochmal 
10, Det. die norbnorbweftlic von Nangun am Iramaddi gelegene Stadt Prome füm 
goldenen Pagode. Die Stadt P. wurde vorläufig aufgegeben und von den Birmanen 
befept, aber 21. Nov. abermals erftürmt und 20. Der. 1852 nebft der ganzen Provin 
indobrit. Neiche einverleibt. 

jeblewi, ſ. Verfifche Sprache und Literatur. 

eilen heißt in der Seemannsfprache ſowol die Richtung, in der man einen Gegen 
Niet, durch den Compaß beftimmen, als auch eine Waffertiefe mittels des Lorhes a 
Man peilt j.B. die Sonne, d.h. man beftimmt ihr Azimuth; man peilt eine Landfı 
einen Leuchithurm, d. h. man beftimmt den Winkel, den eine vom Compaß aus dorthin 
Linie mir dem magnetifchen Norden macht. Kann man gleichzeitig zwei dergleichen Geg 
deren Lage durch die Seekarte gegeben ift, peilen, fo erhält man die fogenannte Krem 
und dad Schiff befindet ſich im Durchſchnittspunkte der beiden Nichtungen, fobaf 
durch Allignement direct gefunden wird. Mit der Peilftange werden nurgeringe Tiefen: 
mit dem Peilftode, einem eifernen, erwa 1, F. langen, in Zolle getheilten Stabe, de 
einer Reine in die Pumpen fallen läßt, befiimmt man den Wafferftand im Innern de 

Peipusſee oder Tſchudskoje · Dſero, d. h. See der Fremden oder Tſchuden, mit 
Namen früher die Binnen von den Ruſſen belegt wurden, heißt der 114 M. lange, 9 
tiefe, filchreiche See im europ. Rußland, zwiſchen den Gouvernements Livland, Eſthla 
und Petersburg, welcher im Süden mit dem Pſkow'ſchen See durch eine Seeenge z 
hängt und im Weſten durch den Fluß Embach mit dem in Livland gelegenen Wirz 
Derbindung ſteht. Gegen Norden ergieft er fein Waffer mittels der Narwa (f.d.) in 
Then Meerbufen. Der Peipusſee hat flache, fandige, größtentheils mit Tannen bermad 
Einft diente diefer See ald der Hauptwaſſerweg zwifchen den Hanjeftädten der Oſtſ 
innern Städten des ruff. Reiche, und ein namentlich Iebhafter Handel wurde zmifd 
und den Städten Pſtow und Nowgorod auf diefer Waſſerſtraße betrieben. 

Peking, die Hauptftadt des chineſ. Reichs und Reſidenzſtadt des Kaifers, liegt n 
vinz Petſcheli, in einer | hönen Ebene, 20 St. ſüdlich von der großen Mauer, 1201 
von Ranking, am Flüßchen Ju · ho, der in den Peho fließt. In früherer Zeit hieß 
tien-fu. Der Name Pe-fing bezeichnet Reſidenz des Norden, im Gegenfage zu Naı 
Refidenz des Süden, wo dis zum Anfang des 15. Jahrh. die chineſ. Kaifer refidi 
Umfang P.6 beträgt 6 M. Es befteht aus zwei voneinander geſchiedenen und mit bei 
hen Mauern umgebenen Haupttheilen, Lao-tſching oder Altftadt im Süden, wohin fi 
nefen feit der Eroberung der Stadt durch die Mandſchu zurückgezogen haben, und € 
oder Thronftadt, auch die Tatarenfladt genannt, weil fie von Mandfchu bewohnt wir 
den. In der Mitte der ſchöner als die Altftade gebauten Tatarenfiadt, die wieder ar 
befondern Mauern, eine in der andern, umfchloffenen Theilen befteht, befindet ſich 
Palaſt, ein unermeßliches, mit einer wohlbewachten Mauer umgebenes Viereck. In 
befinden ſich außer ungeheuern Gärten viele von Offizieren und Hofbeamten, ſow 
Kaufleuten und Handwerkern bewohnte Gaffen. Inmitten derfelben liegt die eigentli 
Refidenz, die ein eigeneb, eine Stunde im Umfange haltendes, von befondern Mauerr 
ben umgebenes Viereck bildet, in welchem ſich viele, durch verfchiedene Höfe und ( 


Pelagianer Belargonie 133 


ante Gebäude, Paläfie und Tempel befinden, bie, meift mit Galerien und Säulengängen um 
en, eine Unzahl weitläufiger Gemächer enthalten, weldye zum Theil prächtig geſchmuͤckt find 
» die pomphafteften Namen führen. Hier befindet ſich auch die kaiſerl. Druderei, aus der Die 
Ech6zeitung hervorgeht, eine zahlreiche Bibliothek und eine naturhiftorifche Samnılung. Die 
Earenftadt befigt viele anfehnliche Gebäude, befonders Tempel und buddhiftifche Kiöfter, auch 
ge Mofcheen. In der chinef. Stadt gibt es viele glänzende Kaufläden. Hier befindet ſich 
5 ber runde Tempel des Himmels, der mit einem Dache von drei Stockwerken bededt und im 
ern mit vergoldeten und azurblauen Säulen geſchmückt ift. Außerdem gibt e& viele andere 
zmpel, Theater, Safthäufer, offentlihe Bader u. ſ. w. Die Straßen von P. find meift ſchnur⸗ 
de und fehr breit, aber von einer Menge enger Gäßchen durchſchnitten; die Häufer niedrig, _ 
nur ein Stodwerk hoch. Beide Theile der Stadt find von zwölf fehr beträchtlichen Vor⸗ 
»ten umgeben. Die Bevölkerung beläuft ſich nach einer genauern Angabe vom 3. 1853 nur 
1,148811 €. P. ift der Sig aller Reichsbehörden und einer Menge hoher und niedriger 
Serrichts⸗ und anderer wiflenfchaftlicher oder politifcher Anftalten. Zu erwähnen ift auch, daß 
„Blond das Recht befigt, ein griech. Klofter mit einem Archimandriten und acht Mönchen, die 
»r vier Jahre gewechjelt werdet, in P. zu unterhalten. Der Verkehr, ſowol der auf ben 
waßen al& der commercielle und induftrielle, ift fehr bedeutend. Derfelbe wird fehr durch) ben . 
ßen chinel. Kanal befördert, mit dem auch P. in Verbindung fteht. P. ift daher der Mittel- 
uret des politifchen wie des focialen, geiftigen und materiellen Lebens des ganzen Reichs. Übri⸗ 
ms ift es eine fehr alte Stadt, die fchon einige Jahrhunderte v. Chr. Geb. die Hauptſtadt bes 
ichs Yan war. Im 10. Jahrh. machten fie die Kitan zu ihrer füdlichen Hauptftadt; dann 
-wanbelten fie die Kine, die Vorfahren der jepigen Mandfchu, zu ihrer weltlichen Hauptftabt. 
Thingis⸗Khan bemächtigte ſich ihrer 1215 und Kublai-Khan machte fie zu feiner Hauptrefi- 
Im J. 1644 eroberten fie die Mandſchu und machten fie zur Hauptſtadt ihres Reiche. 
elagianer nennt man die Anhänger einer Lehre, welche die Verderbniß der menfchlichen 
atur durch die Kolgen der Sunde Adam's (Erbfünde) leugnet und die natürlichen Anlagen 
WB Kräfte des Menſchen für hinreichend zur Erlangung der Eeligkeit erklärt. Sie fchließt den 
auben er, einen göttlichen Beiftand zur Befferung nicht aus, macht aber die Wirkfamkeis 
ſes Beiftandes von dem eigenen Befferungsftreben des Menſchen abhängig. Diefe Anfichten 
stheidigte Pelagius, ein brit. Mönch, der fich im Anfange des 5. Jahrh. au Rom aufhielt 
d 409 bei einem Einfalle der Gothen mit feinem Freunde Coöleftius nach Sicilien und dann 
ch Afrika flüchtete. Hier von Auguftinus (f. d.) befämpft und auf mehren afrifan. Synoden 
rurtheilt, wendete er fi) nach Jeruſalem und ftarb dafeibft 420 ineinem Alter von 90 Jahren. 
ie Derwandtichaft feiner Lehren mit denen des Drigenes und feine perfönliche, in einer Zeit 
3 allgemeinen Sittenverderbniffes bewunderte Zugend verichafften ihm viele helldenkende An⸗ 
nnger, und ohne jemals eine eigene Begerifche Kirche gebildet zu haben, nehmen die Pelagianer, 
ren Anficht auf der Kirchenverfamminng zu Ephefus 431 formlich verdammt wurde, und die 
a orthodoxen Lehrſatz von der gänzlichen Untüchtigkeit des Menfchen zum Guten nur mildern- 
a Senipelagianer (f. d.) eine bedeutende Stelle in der Kirchengeſchichte ein. Vgl. Wiggers, 
)ragmatiſche Darftellung des Auguftinismus und Pelagianienus” (2 Bde., 2.Aufl,, Hamb. 
35); Zengen, „De Pelagianorum doctrinae principiis” (Köln 1833). 
Pelargonie oder Kranichſchnabel (Pelargonium), eine an Arten ungemein reiche Pflan« 
igattung in der Familie der Geraniaceen oder Storchſchnabelgewächſe, welche faft ſämmt⸗ 
, am Cap der guten Hoffnung und nur zum geringen Theile in Neuholland einheimifch find. 
e find Kräuter, Halbfträucher oder Sträucher von fehr verfchiedenem Ausfehen, von den ver» 
indten Gattungen aber durch die auf der Oberfeite des Blütenſtiels verlaufende Honigröhre, 
Iche durch den angewachſenen Sporn des oberſten Kelchblatts bewirkt wird, leicht zu unters» 
eiden. Den Gattungsnamen Kranichſchnabel haben fie von der dem langen Schnabel ber 
ampfvögel ähnlichen Form ihrer Früchte. Wegen der Mannichfaltigkeit und Schönheit ihrer 
füten, wegen ihrer oft zierlihen Tracht und der haufig ftarf und angenehm riechenden Blät⸗ 
e gehören fie zu den beliebteften Zierpflanzen der Gewähhshäufer und Zimmer. Wegen bes 
ıgenehmen Geruchs der Blätter find befonders beliebt das tofenduftende Pelargonium (P. 
‚seum) und das ſcharfblätterige Belargonium (P.Radula), meiftens unter dem Namen Nor 
ngeranium begriffen, mit handförmig getheilten, angenehn: rofenartig riehenden Blättern, 
eiche durch Deftillation ein den Nofenöle fehr ähnliches ätheriſches dl geben, was auch von 
en Blättern des kopfblütigen Pelargonium (P. eapitatum) gilt. Ferner wird faft überal! in 
a Zimmern da6 wohlriechendſte Pelargonium (P.odoratissimum) unter dem Namen Mus« 


Peleus Peiikan 135 


wuration und der Hundert Zuge behielt. Nachdem er feit der zweiten Reftauration längere 
ußer Thätigkeit gewefen, trat er in den königl. Generalftab und verfaßte als ecretär dee 
chuſſes der Reichsvertheidigung die 25 Memoires, welche die Sanınılung der Arbeiten die- 
usſchuſſes bilden. In den legten Jahren der Reftauration erhielt er den Baronstitel. Die 
nonarchie verlieh ihm den Grad eines Generallieutenants und ftellte ihn an die Spitze des 
36depöts. Unter feiner Direction wurde das Unternehnien der neuen fandfarte von Frant- 
angefangen, welche die Arbeiten Caſſini's und anderer Gelehrten weit übertrifft. Trog 
5 hohen Alters betreibt er noch mit Eifer die Ausführung diefes großartigen Werts. Er 
n der Deputirtenfanımer feit 1850, als er 5. Oct. 1857 die Pairswürde erhielt; auch 
Großoffizier der Ehrenlegion feit 1851. Im I. 1850 murde er im Depart. Arriege 
e Rationalverfanımlung gewählt, und nad) den Decemberereigniffen von 1851 ernannte 
er Prinz. Prafident zum Mitgliede des neuen Senats. P. ift auch ald Mitarbeiter am 
ctateur militaire“ und als Merfaffer mehrer militärifher Echriften, unter andern ber 
noires sur la guerre de 1809 en Allemagne” (4 Bde., Par. 1826 ; deutſch vom General 
bald, Stuttg. 1824— 25) rühmlichft bekannt. 
eleus, der Sohn des Aakos und der Enders, Bruder des Telamon und Halbbruder des 
kos, Beherricher der Myrmidonen in Phthia in Theffalien, mußte mit feinem Bruder we- 
yer Ermordung des Photos Agina verlaffen und ging nach Phrhia zu Eurytion (oder Eu- 
3), der ihn fühnte und ihm feine Tochter Antigone zur Gattin und als Mitgift den dritten 
I des Landes gab. Mit Eurytion ging er zur kalydoniſchen Eberjagd, mo er diefen unver: 
is mit einem Wurfſpeer tödtete. Deshalb floh er nach Jolkos zu Akaftos, der ihn ebenfalls 
te und bei fich behielt. Während feines Aufenthalts dafelbit faßte des Akaſtos Gemahlin, 
dameia, Neigung zu ihm, ohne dag P. felbige erwiderte. Aus Rache ließ diefe feiner Ge- 
in melden, er werbe des Akaſtos Tochter, Sterope, heirathen. Aus Schmerz erhängte fich 
Auch verleumbete fie ihn bei Akaſtos und dichtete ihm ihre eigene Keidenfchaft an. Die- 
us Achtung gegen das Gaftrecht, wollte den P. nicht eigenhändig felbft beftrafen, fondern 
: auf dem Pelion eine Jagd an, mo P. den Tod finden follte. Nachdem er nämlich vor Er- 
ıng eingefchlafen, nahm ihm Akaftos fein Echwert und ließ ihn liegen, damit er fo eine 
e der wilden Thiere würde. Allein ald er erwachte, brachte ihm Cheiron das Echwert zu- 
Zum Lohne für feine Keufchheit gaben ihm die Götter die Nereide Thetis zur Gemahlin, 
ver er den Achilles (ſ. d.) zeugte. An der Hochzeit, welche auf dem Pelion gefeiert wurde, 
ven aufer der Eris (ſ. d.) alle Götter Theil. Hierauf befagerte er mit Jaſon und den Dios- 
ı den Akaftos in Jolkos, vertrieb diefen und tödtete die Aſtydameia. Seinen Sohn, den er 
% halber aufdem Zuge gegen Ilios nicht begleiten fonnte, überlebte er. Nach Pindar wurde 
ch feinem Zodemit Kronos, Kadmos und Achilles Richter in der Unterwelt. Übrigens weicht 
age über feine Schickſale, namentlich über feinen Streit mit Akaſtos, mannichfad) ab. 
elewinfeln oder Balaosinfeln, eine Gruppe von 26 Heinen Infeln im weſtlichſten Theile 
Südfee, 130 M. öftlich von den Philippinen unter 8° n. Br. und 1520 6. L., gehören zu der 
ung der niedrigen, von Korallenriffen umgebenen Infeln der Südfee, find fruchtbar und 
ngebaut und werden von einer zahlreichen zum malayifchen Stamme gehörigen Bevölke⸗ 
bewohnt, bie in ftetem Kriege miteinander lebt. Die Einwohner, ein kräftiger Menſchen 
, find wegen ihrer Seeräuberei berüchtigt. Die größte der Infeln heißt Babelthup. 
elias, der Sohn des Kretheus oder eigentlicd) des Pofeidon und der Tyro, Zwillingebru- 
es Neleus (f.d.), wurde mit diefem von feiner Mutter ausgefegt. Nach den Tode des Kre- 
vertrieb er feinen Bruder und machte ſich zum Herrfcher von Jolkos, nachdem er auch fei- 
dalbbruder Afon, dem die Herrichaft eigentlic, gehörte, entfernt hatte. Hierauf vermählte 
’ mit Anaribia, der Tochter des Bias, nach Andern mit Philomadhe, ber Tochter des Am⸗ 
ı, und zeugte mit ihr den Akaſtos, die Pifidife, Pelopeia, Hippothod und Alkeſtis. Den 
1 (ſ. d.), der fpäter Anſprüche auf die Herrfchaft machte, fendete er nach dem Goldener: 
, in der Hoffnung, daß er nicht zurückkehren werde; den Afon aber und beffen Sohn Pre: 
08 räumte er aus dem Wege. Allein Zafon kehrte mit Medea (f.d.) zurüd, auf deren An: 
AP. unter den Vorwande, ihn verjüngen zu wollen, von feinen eigenen Töchtern zerſtückt 
n einen fiedenden Keffel geworfen wurde. Jaſon aber erhielt dennoch die Herrichaft nicht, 
en mußte fie dent Akaſtos überlaffen, der feinem unglücklichen Vater zu Ehren feierliche 
enfpiele, welche am Kaften des Kypfelos dargeftellt find, veranftaltete. 
elikan oder Pelekan (Pelecänus), eine Gattung von Ehmwimmvögeln aus der Familie 
Ruderfüßler, bei denen auch die Hinterzehe durch die Schwimmhaut verbunden iſt, unter» 




























— — 


786 Pelion YPelifon-Fontanier 
t ſich von den verwandten Gattungen durch den langen, geraden, fe 
rlidten Schnabel mit rigenförmigen Nafenlähern und durch bie aus ni 
weißen Sad darftellende Kehihaut. Alle Pelitane find große, dem 
je Vögel, welche indeffen mit vieler Ausdauer und Schnei —— 

e fich aus bedeutender öhe herabfallen Be tief unter den — fi 
in ihrem Kehlfade ein. Sie halten fid) ſtets an den Ufern großer Gerwäffer zu 
hen dem Meere und dem Süßmwaffer oft gar feinen nterfchied, Fehren aber amt 
auf das Kand zurüc, um auf Bäumen oder höhern Felsfpigen bes Ufers zu fehl, 
bung ift meift gang einfach. und felten durch Abzeichnungen febhafterer Art = 

ng beficht in Fifchen, die Durch Tauchen gefangen und, wenn — — Ernährumg der } 

t find, im Kehlfade nach dem aus Holzftüden, Nohr und Schilfblättern — 

ten Nefte getragen werden. Von dieſer weitverbreiteten Gattung kennt man etwa elf % 
denen aber Beine ganz kalte Känder bewohnt. Der gemeine Pelikan oder Die Kropfge: 
— iſt von der Gröfe eines Schwans, weiß mit ſchwargen Schwumgfedern 
Bruft und Nücen rofenroth angeflogen und Hat rothe Büfe. Er bewohnt vorzugem 
fübliche Europa und auch Afien, lebt an Mecren und Sern, verhält fi, außer beim 
träge und fehläfrig und ſchreit faft fo laut wie ein Efel. Er bildet mit andern Peine Gei 
ten, legt 2—3 weiße, mit einer beföndern-abreibbaren Kalkfrufte bedecte Eier und hat I 
rt, wie er aus dem Kehlface feine Jungen füttert, indem er Dabei den Schnabel auf 
ſtemmt, um die Fifche bequemer auswürgen zu — der uralten Babel B 
geben, daf er ſich die Bruſt aufreifie und mit feinem e bie Jungen nähre, 
als Symbol der fich felbft aufopfernden Mutterliebe. In D wirb er, wie bie 
um diſchfange abgerichtet. Aus feinem Kehlfade werden Kabadsbeutel verfertigt. 
‚Fer ift der in Dalmatien häufig vortommende Prausköpfige Pelikan (P. crispus). — 
iſt auch der Name eines ſchon feit mehren Zahrhunderten gebrauchten vente 
ziehen der Zähne, welches fegt noch, obgleich viele andere Inftrumente zu dieſem Behn 
den worden find, in manchen Fällen feine Zweckmäßigkeit behauptet, F . 

Pelion, ein hohes Waldgebirge in Theffalien, breitet ſich Länge ber Dj von 
dis zur Mündung bes Peneus aus, woran fid dann weiter nördlich die fteile Ka 
des Dffa (f.d.) anfchlicht, und war im Alterthume berühmt durch feine Heilkräuter umd I 
einen Tempel des Zeus, in deffen Näheman bie Grotte bes Gentauren Ehiron zeigte. Auch hen 
ten einft der Mythe und dichterifchen Erzählung zufolge die Titanen in einerz Kampfe gegerb 
Götter den Offa auf den Pelion, um dadurch) die Wohnungen der Legtern zu erklimmen 

gun on-Fontanier (Paul), der-Hiftoriograph Rubwig'6 XIV. von Frankreich, wurde I 
zu Begiers von proteft. Ältern geboren. Er fiudirte die Rechte, ließ fid zu Caftres als 
nieder und ſchrieb in Briefform die „Histoire de l'academie frangaise jusqu’en 1652" (®] 
1653), wobei er ſich als mittelmäfiger Schriftfteller und unverfhämter Schmeichler ig 
Der Akademie gefiel feine Lobrede fo außerordentlich, daß fie ihm fogleich die Ehrenmitgli 
nebſt den Anrecht auf den zunächft erfedigten Plag ertheilte. P. trat bald in die Afademic@} 
verlegte feinen Wohrfig nach Paris. Nach einiger Zeit kaufte er ſich das Amt eines Exmi 
des Königs und machte die Bekanntſchaft des Finanzintendanten Bouquet, derihn aum Ver 
ten und erften Commis erhob und ihm 1660 fogar den Titel eines Staats raths verfhafte. 
Fouquet in Ungnade fiel, kam auch P. ins Gefängniß. Hier verfaßte er für feinen Gönre! 
Vertheidigungsfcpriften und benachrichtigte denfelben bei einer onfrontation durd Ki 
der Vernichtung gewiffer Papiere, mas ihm noch engern Gewahrfam zuzog. Nach fünf IH 
endlich gelang es ihm, durch die Fürſprache angefehener Freunde die Freiheit und auch die@ 
Ludwigs XIV. wiederzuerhalten. Er mußte ben König auf dem kurzen Feldzuge im ber Kraff 
Comte begleiten, um die Ereigniffe der Erpedition aufzuzeichnen, und entledigte fich diejet 
trags fo geſchickt, daß ihn Ludwig XIV. zum Geſchichtſchreiber feiner Regierungscpoche em] 
AUS P. vollends zum Katholicismus übertrat, Üüberhäufte ihn der König mit Pfrünten 
Gnaden. Er erhielt die Abtei Gimont und die reiche Priorie St-Drens und wurde Ofen 
Klerus von St.-Germain und St.-Denis. In diefer Eigenfchaft verwaltere er auch die de 
welche der Hof. zur Bekehrung der Proteftanten angelegt hatte, und der Eifer, womit det 
vertit die Werke der Propaganda unterftügte, zog ihm die befondere Gunſt bes Hofe, akır 3 
den Haß feiner frühern Glaubensgenoffen zu. Im 3. 1670 hielt P. bei Aufnahme des En 
ſchofs von Paris in die Afademie die bekannte Lobrede auf Ludwig XIV. und wurde dafür 
maltre des requetes erhoben. Er trieb nun feine Schmeichelei fo weit, daß er mit andern 






Delle Pellico 737 


demikern alle zwei Jahre einen Preis von 500 Listes für Den ausfegte, der die Thaten des Ki» 
:ulg6 am beften loben würbe. Als Gefchichtfchreiber begleitete er Ludwig XIV. auch auf den Feld» 
zügen in ben Niederlanden ; doch fah er ſich plöglich durch die Montespan, der er einen Proceß 
verloren, von feinem Poften verdrängt, den Boileau und Racine erhielten. P. ftarb 7. Febr. 
1693. Seine „Leitres bistoriques et opuscules” (3 Bde., Par. 1729) enthalten unter An⸗ 
derm Notizen über bie Reifen bed Königs von 1670 und 1688. Lemacrier veröffentlichte P.’s 
Hauptwerk, die „Histoire de Louis XIV“ (5 Bbe., Par. 1749), die vom Pyrenäifchen Frieden 
Ns 1672 reicht ; das zehnte Buch, welches die Ereigniffe His zum Frieden von Nimwegen er- 
yäbhlt, wird Racine zugefchrieben. Außerdem veröffentlichte P. viele andere Schriften, die ſich 
iamımtlich durch Leichtigkeit des Stils auszeichnen, aber ohne Bedeutung find. 

Pella, die alte Haupt» und NRefidenzfladt Macedoniens, in welcher Philipp und Alerander 
). Gr. geboren wurden, war während ber Blütezeit der macedon. Herrfchaft reich und mächtig, 
erlor aber unter den Römern, obgleich diefe eine Colonie dahin ſchickten, alle Bebeutung. Im 
Mittelalter tannte man noch das feſte Schloß von P. unter dem Namen Bodena. — Eine an» 
ere Stadt Belle, jegt Bellue, bildete den füdlichften Punkt der Landſchaft Dekapolis im Nord» 
ten von Paläflina, an der Grenze von Peräa. 

Pellägra oder Mailändifhe Rofe, der lombard. Ausfag (pellagra, lepra Lombardica ober 
Mediolanensis, auch Italica), ift eine endemifche Krankheit, welche fih hauptſächlich im oſtr. 
Sberitalien, außerdem in Südfrankreich und anderwärts, namentlich in Gegenden, wo Reisbau 
setrieben wird, findet und faft nur bei Erwachſenen in mittlerm Alter, die im Freien viel an⸗ 
krengende Arbeiten verrichten und ſich dabei den Sonnenftrahlen auslegen, ohne Unterſchied 
es Geſchlechts vorfommt. Die Dauptzufälle find allerlei Störungen in der Verbauung mit 
Rervenleiden, Schwäche und geiftiger Niedergefchlagenheit, zu denen fich eine eigenthümliche 
ofenartige Hautkrankheit an den der Einwirkung der Sonne ausgefegten Hautſtellen gefellt. 
Das Übel erfcheint anfänglich nur mit dem Frühjahre, verfchwindet während des Winters wie- 
er gänzlich, Lehrt jedoch mit dem nächften Jahre (in manchen Fällen audy erft einige Jahre 
sachher) zurüd, worauf die im Winter wiederkehrende Gefundheit nur fürzere Zeit anbauert, 
ind bleibt endlich anhaltend, bis, felten vor dem dritten und faft ftet$ vor dem fiebenten Jahre, 
inter Verftärkung aller Symptome und fehr oft unter Hinzutritt von Melancholie, Wahnſinn 
md Blodfinn der Tod eintritt. Wenig Auffchluß über die eigenthümtliche Natur der Krankheit 
‚eben bie Keihenöffnungen. Auch die Behandlung hat bis jegt nur infoweit zu einem fichern 
Refultate geführt, daß, wenn ein Kranker zu Anfang der Krankheit in eine von dem Übel freie 
Begend gebracht wird, dieſes an und für ſich fchon ein hinreichendes Heilmittel ift. Vgl. Naxdi, 
‚Delle cause e cura della pellagra e delmodo d’estirparla da queste consrade” (Mail. 1856); 
Rouffell, „De la pellagra, de son origine etc.” (Par. 1846). 

Pellico (Silvio), ein berühmter ital. Dichter, wurde 1789 zu Saluzzo in Piemont von bür⸗ 
jerlichen Altern geboren und in Pignerole erzogen, wo fein Vater, Onorato P. der ebenfalls 
ils lyriſcher Dichter fich bekannt gemacht hat, eine Seidenfpinnerei befaß. In feinem 16.9. 
olgte er einem nahen Verwandten nach Lyon und hatte Stalien beinahe vergeflen, als Foscolo's 
Bedicht „Isepoleri‘ die Liebe zum Vaterlande mit ſolcher Macht in ihm erwedkte, daß er fofort 
ıach Italien zurüdtehrte. In Mailand von Ugo Foscolo und Vincenzo Monti freundlich aufe 
‚ennommen, ſchloß er fi) dem Regtern bald ganz an. Später wurde er Erzieher der Söhne bes 
Brafen Luigi Porro Lanıbertenghi, deffen Haus der Sammelplag der vorzüglichften Männer 
Mailands und der ausgezeichnetften Fremden war. Durch die Xrauerfpiele „Laodamia’ und 
Francesca Ja Rimini” erwarb er fi) einen Ehrenplag unter den ital. Dichtern. Auch lieferte 
e eine gute Üiberfegung von Byron's „Manfred“. Ex lebte in freundfchaftlicher Verbindung 
mie mehren patriotifchen Gelehrten und andern freifinnigen Schriftftellern, welche feinen Pan, 
mrch Beförderung wiſſenſchaftlicher Bildung zu Italiens Wiedergeburt mitzuwirken, eifrig 
nterflügten. So entftand die Zeitfchrift „Il conciliatore‘‘, in welcher unter Anderm Manzoni’s 
‚Gonte di Carmagnola” und P.'s „Eufemio diMesstna” zuerſt abgedrudt wurden. Wegen des 
reimüthigen Geiſtes, der fichin diefen Mittheilungen regte, wurde, gleich mehren feiner Freunde, 
auch P. 1820 auf den ſpäter erwieſen irrthümlichen Verdacht hin, dem Carbonaribunde anzugehö- 
ren, verhaftet und nach Sta.-Margherita gebracht, wo fein Freund, der Dichter Maroncelli, eben- 
Falls gefangen faß. Zu Anfange des folgenden Jahres nach Venedig in die Bleikammern verfegt 
und peinlicher Unterfuchung unterworfen, wurde erim Jan. 1822 nad} dem Befängniffe auf der 
Inſel San-Richele bei Venedig abgeführt, wohin fchon vorher auch Maroncelli gebracht worden 

Gonv.-Eer. Behate Kal. XI. 47 


138 | Pelopidas | Pelopennes | 


war. Hffentlich auf dem Schaffot zu Venebdig verkündeten den beiden Freunden bie Richter 
Todeburtheil, das aber der Kaiſer für Maroncelli in 20jähriges, für P. in 4 Sjähriges 
niß auf dem Spielberge verwanbelt hatte. Im März 1822 dahin abgeführt, wurden Beike 
trennt in unterirdifchen Kerkern untergebracht. Echon erfchöpft von einer faft zmeifähriges 
fangenichaft, ward P. bei ſchlechter, kärglich zugemeſſener Nahrumg, die im erften Jahre uw 
ter nichts als Brot und Waſſer beftand, auf einem Lager ohne alle Unterläge, von Zag ıu ta 
ſchwächer umd verfiel, obfchon man ihm einige Erleichterungen gewährte, im Jan. 1823 iz 
efährsiche Krankheit, ſodaß er fpitalmäßig verpflege werben mußte. Unter Der thei 
Dfiege des Kerkermeiſters genas er nach einiger Zeit, und als er wieder erfranfte, wurde 
celli fein Kerkergenoffe und Wärter. Seit 1824 aber wurbe bie Haft immer ftrenger. fi 
Feder ımd fein Buch, was früher geichehen war, wurde den Gefangenen mehr verabreidt. 
Maroncelli erkrankte endlich an einer Kniegefhwulft, die fo gefährlich ward, daS nach 
natlichen Xeiden das Bein abgenommen werben mußte. Endli 4. Aug. 1830 erhielten 
Freunde ihre Freiheit zurück. Die Geſchichte feiner zehnjährigen Leiden hat P. in der 
„Le mie prigieni” (Yar. 1833; deutfch, Aps. 1853) anziehend erzählt. P. verfiel währen 
Sefangenfchaft in Myſticismus, keineswegs aber, wie man behauptet, in Bigoterie. ein 
Jugend an ſchwache Gefundheit war gänzlich untergraben worden. Die Marquiſe ven 
in Turin bot ihm in ihrem Haufe einen Zufluchtsort, den er als Secretär Diefer Dame 
Seine „Francesca da Rimini“ (Mail. 1818; deutfch von Schäbelin, Zür. 1835) iſt eine 
glücklichſten Verfuche, vaterländifche Stoffe für das Drama zu benugen. Seine „Oper 
ſchienen in Pabua (2 Bde., 1831) und in Einem Bande in Leipzig (1854). In den „Tre 
tragedie” (Turin 1832) fmd „Gismonda da Mendrisio“, „Leoniero da Dertona“ unb 
diade” enthalten. Im 3.1855 erfchien in Turin 9.6 ZTrauerfpil „Tommaso Moro" d 
1837 ebendafelbft eine Sammlung feiner „Opere ınedite” (2 Bde.). Außerdem verfaßt 
neuerer Zeit eine Art moralifchen Katechismus von den Pflichten des Mannes : „Dei dom 
degli vomini”. Vgl. Chiala, „Vita di Silvio P.” (Xurin 1852). 

Pelopidas, einer der ausgezeichnetften theban. Feldherren, Freund und Zeitgensfi U 
Spaminondas (f. d.), rettete fein Vaterland’ theild von den Mishandlungen einer tyrensäls 
Partei, theild von dem Drude der Epartaner. Mit mehren Yatrioten aus Theben vertriie 
hatte er fich nämlich nad Athen gewendet, kehrte aber mit einigen Verſchworenen heimlihe 
der nad) Theben zurüd, ermorbete die dafelbft bei einem feftlichen Gelage verfammelten 2x2! 
nen und gab das Zeichen zur Vertreibung der Spartaner, die fi mitten im Frieden det * 
Schloſſes zu Theben bemächtigt hatten. Hierauf trug er, zugleich mit Epaminondas, ad: 
dem enticheidenden Siege über die Spartaner bei Zeufera (f. d.), 371 v. Chr., durch die ven 
befchligte Heilige Schar bei, fiel bald nachher in den Peloponnes ein und vereinigte fih mie 
Arkadiern, Argivern und Eleern zu einem Angriff auf Sparta, mußte aber in Folge une 
teter Hinderniffe wieder zurückkehren. Als gleich nach diefer Unternehmung die Thebane 3 
einem dreimaligen Zuge gegen den graufamen Zyrannen Alerander von Pherä (f. d.) fid m 
anlaft fahen, geriech P. auf dem erften Zuge in die Gefangenfhaft des Tyrannen, wurk f 
dem zweiten Zuge durch Epaminonda® wieder befreit und fiel beim dritten Zuge 364r.&, 
fiegend in der Schlacht bei Kynoskephalä. 

Delopium, ein in der neuern Zeit entdecktes Metall, das fich mit Sauerftoff verbundens 
Pelopfäure neben Riobium (ſ. d.) und Tantal in dem Mineral Tantalit finde. Es hat ſex 
Kamen von Pelops, dem Sohne des Tantalus. 

Peloponnes (die, nicht der), eigentlich Peloponnefoß, d. h. Infel des Pelops (f.d., €, 
dem Mittelalter Morea genannt, ift die große füdliche Halbinfel Griechenlands, welche mit’e; 
eigentlichen Hellas oder Mittel- und Nordgriechenland nur durch den flachen Rüden bet‘ 
mus von Korinth zufammenhängt, an ſich aber ein vollig abgefchloffenes Gebirgsfuften FM 
in welchem fich die eigenthümliche Geftaltung Griechenlands aufs volltommenfte darftelt. 13 
Gebirgsſyſtem der P. hat feinen Kern und Wurzelpuntt in dem Alpenlande Arkadent, 
welches fid) nad) allen Seiten auslaufende Bergzüge und nad) den Meere hin offene Ki 
länder anlehnen. Hierdurch erhält die P. ſchon durch die geographifche Befchaffenheit Im ®: 
rafter der Zeftigkeit und des Selbftgenügfamen, welcher ihren bedeutendften &tamm, dent“ 
fen, auszeichnet; zugleich ift aber die Halbinfel, indem Gebirge und Meer au einer mit 
faltigen Formation zufammenmirten, jodaß zahlreiche Buchten des Meeres überall tief r 
Land hineingreifen und ein verhältnißmäßig äuferft bedeutendes Küftenland bilden, aun® 
Verkehr nad) außen in Handel und Colonien beftimmt. Von den Gebirgen ift am ker 


























Pelops 720 


nd machtigſten der etwa ſieben Meilen lange Rordrand Arkadiens, das Gebirge Kyllene (dit 
300%. hoch), von dem ſich nördlich das Gebirge Krothis und das Panachäiſche Gebirge, ſowie an 
er norbdöftlichen Ede das Gebirge Thelydarna abzweigt, während ſüdweſtlich das Pholoegebirge 
lrkadien von Elis, ſüdöſtlich eine Kette mit verfchicdenen Namen Arkadim von Argos trennt, 
38 im Norden vom Arachnäongebirge durchzogen wird. Bon den vielfach durchbrochenen Süd⸗ 
inde Arkadiens, das felbft ein über 2000 F. hohes Plateau bildet, zweigen ſich der Agaläos 
nd der Taygetos, jener endend im Cap Akritas, diefer in dem Cap Tänaron, endlich das Par⸗ 
yargebirge, endend in dem befannten Gap Malea, nad) Süden ab und verleihen ber P. die eigen- 
samliche Geftalt, die ſchon im Alterthume mit einem Platanen- oder Weinblatte verglichen 
orben ift. Der gefammte Flächeninhalt der P. ift 402 AM. bei etwa 150 M. Küftenlänge 
rd hatte in Griechenlands Blütezeit über 2 Mill. Bewohner. Die Hauptflüffe find der @uro- 
8, der nach Süden, und der Alpheus, ber nach TReften in das Sikeliſche Meer füeßt. Die 
ausptmaffe der Gebirge ift Kalkftein, der fich mehrfach zum Marmor verebelt ; jedoch find mehr» 
che Spuren der Vulkanität nicht ausgefehloffen. Der Boden war im Ulterthume ſehr frucht⸗ 
ir und bietet noch jegt bei nur einigermaßen forgfältiger Eultur reihe Ernten fowol an Ge 
eide wie an Baumfrüdten und Bein. Die Landfchaften der P. find im Rorden von Urs 
dien: Achaja, weftlich Elis, wo in der heroiſchen Zeit Neftor (f. d.) feinen alten Königöfig 
9108 (f. d.) hatte, füblich Meſſenien (f. d.) und Lakonien (f. b.), wo in heroiſcher Zeit Mene⸗ 
98 (f. d.), in biflorifcher das mächtige Sparta (f. d.) gebot, weftlih endlich Argolis (f. d.), im 
ꝛroiſcher Zeit mit Mycenä, dem Herrfcherfige des Agamemnon, in hifterifcher mit Argos ale 
auptftadt. Die Ede nach Rorboften und dem Iſthmus hin beherrfchte Korinth als bie beden⸗ 
ndfle Handelsſtadt des alten Griechenland. Ihre größte hiſtoriſche Bedeutung erhielt die P. 
arch die fogenannte boriſche Wanderung, durch welche der in ber Urzeit in Theſſalien ſeßhafte 
riſche Stamm fi im Verlaufe von etwa anderthalb Jahrhunderten zum mächtigfien in der 
). erhob, aus der er die alte Bevölkerung pertrieh. Der bebeutendfte Staat borifcher Gründung 
urde Sparta, welches fein entfchiedenes Übergewicht durch Die Meffenifchen Kriege erwarb, bie 
az Meſſene unterwarfen. An der Spige ber peloponnef. Etaaten rang fpäter Sparta (451 — 
DA v. Chr.) mit Athen um die Euprematie in jenem großen, faft 5Ojährigen Kriege, der unter 
»m Namen des Peloponneſiſchen Kriegs (f. Griechenland) bekannt ift und mit der Grobe. 
ıng und Demüthigung Athens endete. Diefer Bürgerkrieg Griechenlands auf ber Höhe feiner 
nıtwidelung bildet den Inhalt bed größten Geſchichtswerks, welches Griechenland befigt und 
16 Thucydides (f.d.) zum Verfaſſer hat. Durch die Eroberung der Römer wurde die P. zugleich 
‚ie Mittelgriechenland 146 v. Ehr. rom. Provinz unter dem Namen Achaja. Später bildete 
ie Halbinſel einen Theil des byzant. Kaiferflaats, dann einen fränk. Lehnsſtaat und eine venet. 
Xxovinz unter dem Namen Morea (f.d.). Allmälig ward fie aber von den Türken erobert (1718 
us Frieden von Paſſarowitz ganz türkifch), aus deren Herrfchaft fih 1821—25 Moren mit 
nem Theile von Mittelgriechenland befreite, welches jegt mit einem Theile ber Infeln das Ko» 
igreich Griechenland (f. d.) bildet. In geographifcher, topographifcher, hiſtoriſcher und anti» 
uariſch⸗archaͤologiſcher Hinficht iſt die P. namentlich von Engländern und Franzoſen bereift, 
wechforfcht und befchrieben worden. Die bedeutendern Werke find Gell's „Itinerary ofthe 
‚orea” (Xond. 1817) und defien „Narrative of a journey in the Morea” (Lond. 1823); ferner 
eafe's „Travels in the Morea” (3 Bde., Lond. 1830) und deſſen „Peloponnesiaca” (Lond. 
846); fodann das Werk „Expedition scientiique de la Morde” (Par. 1855). Aber auch 
ie Deutfchen haben das Ihrige auf diefem Gebiete getban; ihnen gehört, abgefehen von An⸗ 
gm, das neuefle und alle frühern weit überflügelnde Werk an von E. Curtius: „Peloponrie 
8’ (Bd. 1—2, Gotha 1851 —53). 

Pelopð, der Enkel des Zeus und Sohn bes Tantalos und der Dione, der Tochter des Atlas, 
her der Euryanaffa oder der Kiytia, wurde von feinem Vater, als bei diefem einft die Götter 
mkehrten, geichlachtet und den Göttern vorgefegt, um ihre Allwiffenheit zu prüfen. Die Göt- 
er ließen ſich aber nicht täufchen; nur Demeter, in Trauer um ihre verlorene Tochter verfunten, 
erzehrte die eine Schulter. Sie befahlen, bie zerſtückten Glieder in einen Keffel zu werfen, aus 
em dann Klotho den Knaben neubelebt hervorzog; die fehlende Schulter aber wurde durch 
ine elfenbeinerne ergänzt. Nach Pindar entführte Pofeidon den ſchönen P., damit er wie Ga⸗ 
kymetes die Göttertafel bebiene. Nach der gewöhnlichen Sage war P. ein Phrygier und wurde 
Aurch Ilos von Sipylos vertrieben, worauf er mit großen Schägen nach ber Halbinfel wanderte, 
welche nach ihm Yeloponnefus genannt wurde. Hier wurbe er Gemahl der Sipgobami (f.d.), 
B * 


Pembroke (Grafſchaft) Pembroke (Grafentitel) 741 


den Bänden ber Hudſonsbai⸗Pelzgeſellſchaft, deren Centraldirection ſich in London befindet 
umb die im brit. Nordamerika ein großes Ländergebiet befigt. Man unterfcheibet das Pelzwerk 
zuerſt nach der Jahreszeit in Sommer» ober Winterpelz, und legterer wird vorgezogen, weil 
Die meiften Thiere im Winter mehr und längere Haare haben al6 im Sommer. Der Werth 
bes Pelzes hängt außer von feiner Schönheit und Güte hauptſächlich von örtlichen Verhält⸗ 
niffen ab; daher ift manches Pelzwerk in einer oder der andern Gegend, wo es felten, fehr ge» 
hast und hoch im Preife, während es anderer Orten kaum gekauft wird. Der Pelzhandel er» 
fobert viel Sachkenntniß und Erfahrung. Zu den feltenen ober werthvollen Pelzen rechnet man 
in Deutfchland Zobel, Hermelin, blauen Fuchs, Fifchotter, Biber, Baummarder, Ehin- 
Billa u. |. w.; zu den Pelzwerken zweiten Range die Fuchs⸗ und Wolfsbälge, die Bären-, Tis 
ger- und Pantherfelle, von denen legtere jedoch felten in den Handel tommen, dann Steinmar 
ber-, Luchs⸗, wilde Kagen«, ſchwarze und graue Lammfelle und das fogenannte Grauwerk, Ba» 
rauken, Krimmer und dergl.; zur dritten Claſſe die Dachs-, Schafe, Kaninchen-, Hamfters, 
Dafen-, Eichhörnchen⸗, Ziegen«, Schafe und rauchgaren Kalbfelle, Seehundsfelle u. ſ. w. Ein 
befonderer Zweig der Pelzwaarenbereitung ift das Faäͤrben des Pelzes, welches, nachdem das 
Haar durch befondere Beizen getödtet worden, in einem mehrmaligen Anftrich des Pelzwerks 
mit einer echten Farbe befteht, deren Grundlage ein Galläpfelabfud ift und die oft bis auf die 
Wurzel (durchgefärbt), bisweilen aber nur bis über die Spitze reicht (geblenbet). Eine vor- 
zügliche Fürſorge erheifcht da6 Aufbewahren des Pelzwerks, da letteres viele Feinde unter 
ben Inſekten hat, die namentlich im Sommer demfelben nachftellen und es zerftöoren. Man 
pflegt für diefe Zeit das Pelzwerk feſt zufammenzupaden, es an fühlen und luftigen Stellen 
aufzubewahren, während des Sommers mehrmals zu lüften und auszuflopfen und ftarfrie 
chende Subſtanzen, z. B. fetten Kien, Papier, welches mit Terpentinöl oder Zimmtol angefeuch⸗ 
tet ift, Papierchen mit Kampher und Flarem Pfeffer und dergl., dazwiſchen zu legen. 
Pembroke, die fübmeftlichfte Grafſchaft des engl. Fürſtenthums Wales, öſtlich von Gar- 
digan und Caermarthen begrenzt und zwifchen dem &t.-Georgs- und Briftolfanal zu einer viel 
fach eingebuchteten Halbinfel abgermeigt, zählt auf 2I AM. 84456 E. Sie hat wegen ber hier 
abfchließenden und ineinerMenge von Landfpigen auslaufenden Gebirge von Wales eine theils 
wellenförmige, theil& von Hügelketten durchgogene Oberfläche; am bedeutendften ift die Per⸗ 
cellykette mit dem 1646 F. hohen Percelly-Top. Die wichtigften Flüſſe find der Tivy, Nevern, 
Douledge, Divgleddy und Cleby. Auch gibt es mehre Heilquellen, und eine befondere Natur 
merkwürdigkeit ift das Bofherftonmere, ein großer, angeblich unergründlid tiefer Sumpf. 
Der Aderbau wird vernachläffigt, die Viehzucht, verbunden mit Milchwirthſchaft, Viehmä- 
flung und Geflügelzucht, mit Fleiß betrieben. Auch die Küftenfifcherei ernährt viele Bewoh⸗ 
ner. Die Ausbeutung von Metallen ift gering, und auch die Kobhlengruben find nur wenig aus⸗ 
giebig. Die Graffchaft ift von zwei röm. Straßen durchſchnitten und reich an Druidendentmä- 
lern und Burgruinen, gehört aber weder zu den induftriellen, noch wird der Handel ſchwung⸗ 
haft betrieben, obgleich fie eine Menge von Häfen und fihern Buchten bat. Unter den legtern 
iſt namentlich der Milfordhaven ald einer der ſchönſten und größten Großbritanniens her- 
vorzubeben. An einer füdlichen Bucht deffelben liegt Pembroke, die Hauptftadt der Grafſchaft 
und früher von ganz Wales, auf einer faft abgefchnittenen Landenge, mit einer alten Kirche, 
einem Rathhaufe und der Ruine einer ehemaligen Burg, eines der prächtigften Bauwerke diefer 
Urt in ganz Wales und England. Diefe Burg wurde 1092 von Arnulf von Montgomery auf 
den Trümmern eines altbritifchen Caſtells errichtet, galt für uneinnehmbar und blieb auch 
Sumgfrau, bis Erommell fie nach hartnädiger Gegenwehr eroberte. Die Stadt treibt lebhaften 
Dandel mit eigenen Schiffen, fteht mit Waterford in Irland in Dampfbootverbindung und 
-sählt 9000 E. (mit ihrem Diftricte 22954). Sie hat ein Arfenal und Werfte für die konigl. 
arine und ift eine Station für Kriegefchiffe. Nur’ M. nordweftlic gegenüber liegt der 
Hafenort Milford, erft 1790 gegründet, aber ſchnell emporgewachſen, im Befig eines Arſenals 
amd ebenfalls Handel mit eigenen Schiffen treibend. Der Handelshafen Haferfordweft, ro- 
‚ mantifch an der Mündung des Lleddare in die St.-Bridesbucht gelegen, zählt 5000 E. (im 
Diſtricte 39382) ; St. Davib's, die geiftliche Hauptftadt von ganz Südwales und als Biſchof⸗ 
fig eine City, in Wirklichkeit aber ein großes ſchmutziges Dorf, erinnert nur durch die Trüm⸗ 
„ mer des bifchöflichen Palaſtes, der Gurien der Stiftsherren des St.-Mary - Collegium, ber 
« Stadtinauern und der Kathedrale an feine Vergangenheit. Der Handelshafen Tenby hat ein 
‚ beliebtes Seebad und eine merfwürdige Felſenhöhle, Calherme's Gave. 
Pembroke, ein engl. Grafentitel, welchen verſchiedene Gefchlechter führten und der dem 


202 N peiibrofe(Grafentitel) „r 


Schloſſe und Flecen gleiches Namens an der Küfte von Südwales entlehnt iſt. Ar 
dem normann Daufe Montgomery, baute das Schloß Pembroke gegen Ende des h 
Sein Erbe, Gilbert von Clare, erhielt 1158 dom Könige Stephan die Würde eine 
von P. Deffen Sohn, Richard, genannt Strongbow, heirathete die Tochter Derr 
Murtongb's, Könige von Leinſter, und unternahm 1470 die Erpedition nach! Irland 
Eroberung dieſer Infel durch bie Engländer führte. Ex ftarb 1176. Seine Tochter b 
Güter an Wiliam von Hampftend, Neichemarfchall von England, der 1202 auch 
fen von P. erhoben wurde. Im der legten Zeit König Johann's befehligte er gegen bi 
Volkspartei Herbeigerufenen Franzoſen und Tief nach dem Tode des Königs, 19. Di 
fogleich deffen neunjährigen Sohn, — m feönen, um einer Thronufurpation d 
Prinzen Ludwig zuvorzulommen. Nachdem P. auf einer Verſammlung der treugel 
Großen die Vormundſchaft mit der Proͤtectorwürde erhalten, erneuerte er Die Magnı 
nahm ſedoch den Geiſtlichen die Wahlfreiheit und den Ständen das unbedingte Stu 
ligungsrecht. Dierauf wendete er ſich gegen die Franzofen, fehlug diefelben 20. Mai 
Kincoln, während 24. Aug. Philipp von Albiney eine mächtige franz Flotte an der S 
Kent zerftörte, und ſchloß 11. Sept. mir dem Pringen Ludwig den Frieden zu Lambeth, 
deffen die Franzoſen England räumten. Durch Klugheit und Mäfigung fuchte er r 
die Abtrünnigen unter den Baronen mit der Krone auszuföhnen. P. ftarb zum Un 
das Neich 16. Mai 1219. Seine männlichen Nachkommen, denen der König das Gute 
m der Vater gechan, mir Böſem vergalt, erlofchen 1245. — Heinrich IN. erhob nu 
jalbbruder, William von Valence, aus dem Hauft Rufignan, zum Grafen von P 
Sohn und Erbe deffelben, Almerich, ſchlug 1506 den König Robert Bruce von © 
bei Methiven, wurde dafür um Hüter ber fhott. Grenze ernannt, erlitt aber fehen it 
den Jahre von Bruce die Niederlage bei Loudonhill. In der Schlacht bei Banned 
König Eduatd U. 25. Aug. 4314 gegen Bruce verlor, dämpfte er mit verzweifelte 7 
und rettete dem Könige Leben und Freiheit. Auf einer Wallfahrt, die er 1516 nach? 
ternahm, griff ihn der Kaiſer auf und erprefite von ihm ein ſtarkes Röfegeld. P. ftarb! 
1325 durch Mord; mit ihm erlofch das Gefchlecht und die Familiengüter fielen durch 
den Haftings zu.— König Eduard NT. erneuerte 1559 dem Lanrence von Saſtings di 
eines Grafen von P. Deffen Sohn und Erbe, John, verheerte 1569 auf Befehl des S 
Prinzen Poitou, erhielt hierauf die Statthalterfchaft von Guyenne, wurde aber 25. Ju 
an dei Spige der engl. Flotte vor Rarochelle, das er entfegen wollte, von der vereinigte 
caſtil. Seemacht gefchlagen. Er ſtarb 1375 und hinterließ Güter und Würde feinem 
Ehe mit Margarethe von England geborenen Sohne John, der 1589 auf einem Tu 
Woodftod umkam und feine Nachkommen harte. — König Heinrich VI. verlieh die Gi 
Titel der Grafen von P. nacheinander feinen Dheimen, den Herzogen von Bedford 
Glocefter. Nach der Ermordung des Reptefn (f. Plantagenet) riß der Günſtling der 
Margarethe, der zum Herzog von Suffolt (f.d.) emporgeftiegene William de Ia Pole, d 
mit dem Titel eined Marquis von P. an fi. Nachdem derfelbe aber 1450 um 
worben, gab Heinrich VI. die Befigthüimer und die Würde eines Grafen von P. feine 
bruder von mütterlicher Seite, bem Jasper Tudor, einem der Söhne von Owen Tud 
und der Königin Katharine. Derfelbe vertrat im Kriege der beiden Roſen das Inte 
Haufes Lancafter, wurde deshalb, ald mit Eduard IV. da6 Haus York den Thron 
geächtet und rettere ſich nach Schottland. Als jedoch fein Neffe, der Tudor Deinric | 
Könige Richard III. die Krone entriffen, erhielt er den Titel eines Herzogs von Bedfi 
der Warſchallswürde und ging als Vicefönig nad) Irland. Im 3. 1492 ſchickte ihn dr 
mit einem Deere nad) Frankreich, wo er im October die Belagerung von Boulogne beg 
ſchon nad einigen Wochen den Frieden von Eftaples ſchloß. Er ftarh kinderlos 1495.- 
Eduard IV. hatte mit der Achtung Jasper Tudor's das Erbe und den Zitel der 
von P. an William Herbert, den Abkömmling eines Baftards von Heinrich l., verliehen, 
4469 an der Spige der mwälifchen Sofdtruppen bei Banbury von dem aufgeftandene 
von Warwick gefangen genommen und hingerichtet wurde. Defien Sohn William m 
Titel mit dem eines Grafen von Huntingdon vertaufchen und farb ohne männliche E 
König Heinrich) VII. legte 1532 feiner Geliebten, Anna Boleyn, den Titel einer Mari 
P. bei, die ihn bis zu ihrer Vermählung führte. — William ert hatte jedoch einn 
lichen Sohn, Richard, hinterlaffen, deffen Sohn William von Educrd VI. 1551 die 
eines Lorb Herber: und Girafen von D erhielt und deſſen Nachkommen noch gegen 


Pemmikan Penaten 143 


Beſitz des Titels find. Derfelbe hatte Anna Par, die Schweſter von Katharme Par, der tepten 
Bemahlin Heinrich’6 VIIL, zur Frau, erlangte bei Hofe großes Anſehen und wurbe fogar zu 
inem der Vormünder Eduard's VI. ernannt. Unter des Lestern Regierung half er ald Ans 
‚Anger des Herzogs von Northumberland (f. d.) den Herzog von Eomerfet aufs Schaffot brin 
en unb erklärte fi auch nach des Königs Tode für die Thronerhebung der Lady Gray. In 
iner Verfammlung des Staatsraths lenkte er jedoch bei Zeiten ein, erfannte das Recht ber 
Yrinzeffin Maria an ımd erfreute fih darum, nachdem dieſelbe den Thron beftiegen, einer be- 
ımdern Bunft. Er erhielt bei Eröffnung bed Kriege mit Frankreich 1557 den Befehl über bie 
agl. Streitmadht, eroberte im Verein mit den Spaniern St.-Duuentin, vermochte aber den Ver⸗ 
eft von Calais nicht zu verhindern. Auch die Gunſt der Königin Eliſabeth wußte er ſich zu er- 
erben. Diefelbe behielt ihn im Geh. Rathe und bediente fich feiner beſonders zur Orbnumg der 
rchlichen Angelegenheiten. Weil er aber für die gefangene Maria Stuart fprach, mufte er 
569 nad Frankreich auswandern, wo er hald ſtarb. Sein jüngerer Sohn ftiftete das Hans 
er Grafen von Powis. — Sein älterer Sohn, Henry, Graf von ®., beerbte außerdem bie 
familie Par von Kendal und hinterließ aus der Ehe mit der ſchönen und geiftreihen Maria 
Sidney den Sohn und Erben William, dritten Grafen von P. Derfelbe colonifirte die Ber⸗ 
audas inſeln und war ein Günſtling Jakob's J. fowie nad) dem Tode Buckinghams's auch 
karl’ J. Er ftarb 1630 kinderlos. — Sein Bruder, Philipp, Graf von Montgomery, übers 
amı nun die Güter und die Brafenwürbe des Haufes P. Obfchon ebenfalls ein Günſtling 
hakob's und Karl’, verließ er jedoch Leptern beim Ausbruche der Unruhen, trat in das foge- 
lannte lange Parlament und flürzte ſich in die Strudel der Revolution. Er farb 1650. — 
Ebomas, achter Graf von P., des Vorigen Enkel, half unter Jakob II. die Emporung bed Her» 
ogs von Monmouth dämpfen und wurde nad) der Thronbefteigung Wilhelms III. 1691 Sie⸗ 
elbewahrer und einer der vornehmften Rathgeber ded Königs. Unter der Königin Anna, die 
hn bei der Krönung zum Großadmiral erhob und zum Präfidenten des Geh. Raths wählte, 
eg fein Anfehen nody mehr. Im J. 1707 mußte er als Lordlieutenant nad) Irland geben, 
ehrte aber bald zurud und ftarb 1733 zu London. — Deffen Urenkel, George Auguſtus, 
Braf von P. war General in ber brit. Armee und ftarb 1827. Das jegige Haupt der Fa⸗ 
nilie iſt der Sohn deſſelben erfter Ehe, Henry, zwölfter Graf von P. und neunter Graf von 
Montgomery, geb. 19. Sept. 1791, der vor dem Tode feines Waters Lord, Herbert hieß und 
I814 mit einer Prinzeſſin Spmelli-Rubari ſich vermählte. — Aus feiner zweiten Ehe mit 
iner Gräfin Woronzow ward dem Grafen George Auguftus 16. Sept. 1810 zu Richmond 
in zweiter Sohn, Sidney Berbert, ber präfumtive Erbe der Familie, geboren, der ſich in 
zeuerer Zeit ald Staatsmann bekannt gemacht hat. Im J. 1832 zum Parlamentsmitglied für 
Wiltſhire erwählt, fchloß er fich der Partei Sir Robert Peel's an, welcher ihn 1841 sum Se⸗ 
:retär ber Admiralität und im Febr. 1845 zum Kriegsfecretär ernannte. Nach dem Sturz des 
Miniſteriums Peel gehörte er zu den Häuptern der liberal-confervativen Freihändler im Unter 
baue, legte aber zugleich pufeyitifche Tendenzen in noch höherm Grabe an den Tag als fein 
Freund Gladſtone. Bei der Bildung des Minifteriums Aberbeen-Ruffell im Dec. 1852 trat 
er wieber in feinen frühern Poften als Kriegsſecretär mit einem Sig im Gabinetörath ein. 

Pemmikan, f. Büffel. 

Benäten (Penates) heißen bei den Nomern bie Gottheiten, welche den Hausvorrath (penus) 
ſchützten. Ihre Bilder fanden am Herd, auf welchem ihnen, befonder& feierlich im Januar, 
geopfert wurde, und der ihnen, ſowie die Vorrathskammer (cella penaria), die Küche, der Tiſch 
mit dem Salzfaß darauf, vornehmlich geweiht war. Da fie fo über die materielle Subfiftenz 
der Familie walteten, in der fie mit dem Penus felbft forterbten, wurden fie ebenfo wie bie ver» 
götterten Ahnen, die Karen (f. d.), ald Götter der Familie betrachtet, Häufig mit ihnen verbun⸗ 
ben, in fpäterer Zeit, wo man fich des urfprünglichen Unterfchied& nicht mehr Mar bewußt 
war, auch vermwechfelt und ihr Name ebenfo wie der der Karen unendlich oft zur Bezeichnung 
des Haufes gebraucht. Eine befondere Art göttliher Weſen maren fie wenigſtens fpäter wol 
nicht, fondern aus der Zahl der Götter von Alters ber in ber Familie erforene Schüger. Wie 
der Staat felbft der Familie analog gefaßt wurde, fo gab es, ebenfo mie bei den Zaren, neben 
jenen Penates privati auch Penaten des Staats (Penates publici), deren Tempel in Rom auf 
der Velia ftand, in welchem ihre Bilder aufgeftellt waren, zwei figende, mit Ranzen bewaffnete 
Zünglinge, wahrfcheinlich eine Beziehung auf die urfprünglicde Doppelheit ded aus lat. und 
tabin. Stamme erwachfenen Roms. für Ronı galten aber auch die altlatin. Penaten, bie in 
Lavinium, dem Deiligthum des alten lat. Bundes, zugleich mit der Veſta verehrt wurden und 


744 Penez Pendel 


von denen man, da der Glaube an trojan. Abſtammung der Lateiner feſtſtand, glaubt, I 
Aneas fie von Troja dahin gebracht Habe. Ihnen, die man ald Stammpenaten Roms ber 
tete, brachten denn auch von dba aus Gonfuln und Prätoren beim Antritt, vielleicht au r 
Riederlegung ihres Amts, mit den Pontifices alljährlich feierliche Opfer. Wie es fcheint, we 
ihre Darftellung eine fombolifche, Deroibeftäbe ober Lanzen und thonerne Gefäße. Die, 
angenommene Herkunft und die Dunkelheit ihres uralten Cultus begünftigten in der fpä 
Zeit das Entſtehen fehr verfchiedener Deutungen ihres Weſens. Auch bei andern altital. 
fern verehrte man Penaten, bei den Etrustern als ſolche die Fortuna, Ceres, den Genint 
Dales. Vgl. Klaufen, „Aneas und die Penaten“ (2 Bde., Hamb. 1839— 40). 

Bene) Be), Maler und Kupferftecher, der fi in Dürer's und Rafael’ Schule bite! 
umb das Eigenthümliche Beider zu einer glüdlichen Mifchung von Kraft und Anmuth aux 
ſchmelzen wußte. Er wurde 1500, nach Andern 1510 zu Nürnberg geboren. Weitere Ra 
richten über fein Reben hat man nicht; auch die Zeit feines ital. Aufenthalts ift unbelannt Ta 
unterfcheiden fich die Werke aus und nach diefer Periode wefentlich von den frühen. Zu ii 
legtern gehört eine Kreuzigung Chrifti, ein Altarbild, jegt in der Galerie zu Augsburg. 
felben Gegenftand behandelt ein kleineres Gemälde in der wiener Galerie, welches fe 
nürnberger Manier mit Anmuth mildert. Aus der ital. Zeit find unter andern einige 
in der münchener Pinakothek: eine Judith, halbnadt, und eine Venus mit Amor. Als 
maler nimmt P. eine fehr ausgezeichnete Stelle ein. Nürnberg nnd das berliner Muſen 
fien davon höchft vortreffliche Zeugniffe. Als Kupferftecher vereinigte er ebenfalls Kraf 
Eleganz und übertraf Dürer in Correctheit der Zeichnung. Dazu war er erfindungsreid, 
eine Menge feiner Blätter find Driginalwerfe. Unter ihnen zeichnet fich die Geſchichte va * 
bias, eine Folge von fieben Blättern, durch ein liebenswürdiges Gefühl aus. Bartſch bei 
126 Blätter von des Künſtlers Hand. 

Pendel. Wenn man fid) an dem untern Ende einer geraden Linie, welche um ihren im 
Endpunkt als Drehpunkt beweglich ift, einen einzigen fchweren Punkt befeftigt denkt, fe il 
diefe Vorrichtung ein fogenanntes einfaches oder mathematifches Pendel vor und bie fa 
der Linie oder die Entfernung des ſchweren Punktes vom Drehpunkte heißt Die Ränge dei ja 
dels. Ein folches einfaches Pendel läßt fich in aller Strenge nicht conftruiren; man kam“ 
aber demfelben nähern, wenn man eine Meine Metalltugel an einem Coconfaden oder an ma! 
fehr feinen Drathe aufhängt. Wenn ein ſolches Pendel aus der verticalen Lage, in welde: 
unter dem Einfluffe der Schwere allein in Ruhe fein ann, zur Seite herausgehoben mir. - 
fällt e6 in Folge der Schwere wieder zurück, bleibt aber nicht etwa in der verticalen Rage fr: 
fondern geht über dieje verticale Lage hinaus und wird, wenn feine Hinderniffe vorhanten 
auf der andern Seite bis zu derfelben Höhe fteigen, von welcher es auf der eriten Seite har: 
fallen ift. Hat es diefe erreicht, fo fallt es wieder zurück, feige auf der erften Seite auf ditit 
Höhe u. |. w. Die Bewegung des Pendeld von dem hochften Punkte auf der einen Eex: 
zum höchſten Punkte auf der andern heißt eine Schwingung oder Oscillation; der amifdır‘: 
jen beiden Punkten liegende von dem untern Ende des Pendels beſchriebene Boger. kt’ 
Schwingungsbogen oder Amplitude; der Winkel; welchen dad Pendel, wenn es ſich aufte: 
nen oder der andern Seite in dem höchſten Punkte befindet, mit der Verticalen macht, beiti: 
ſchlagswinkel oder Elongation; Die Zeit, welche da6 Pendel gebraucht, um feinen Echwinge:: 
bogen ein mal au durchlaufen, die ed alfo gebraudyt, um von dem höchften Punkte auftere 
Seite zu dem höchften Punkte der andern Seite zu fommen, heißt Schwingungsdauer. Fr 
man ein Pendel nur in fehr Heinen Bogen ſchwingen läßt, fodaß der Augfchlagsminte:? 
nur bid 1° beträgt, fo erfolgen alle Schwingungen in berfelben Zeit; wird der Schwirget⸗ 
bogen groß, fo bedarf das Pendel au einer Schwingung eine etwas längere Zeit. Wenr 
Schwingungsdauer fchlechtbin die Rede ift, fo ift damit flet6 die Dauer einer Schminsur?; 
fehr kleinen Bogen verftanden. Die Schwingungsdauer eines einfahen Pendels kira”: 
von feiner Länge und von der Größe der Schwere (Anziehung der Erde) ab. Es verhäte” 
nämlich die Echwingungsdauern zweier Pendel wie die Quadratwurzeln aus ihren Ringer 
umgekehrt wie die Duadratwurzeln aus der Schwere. Gejegt, nıan habe ein Pendel van 'e 
Länge, daß ed gerade eine Secunde zu einer Schwingung gebrauchte (Secundenpendel ar.” 
deffen Ränge z. B. für Königsberg von Beffel zu 440,8197 parifer Linien beſtimmt wert’ 
müßte ein Pendel, defien Schwingungsdauer an demfelben Orte, mo alfo die Schwert Kit: 

‚zwei Secunden betragen follte, vier mal fo lang fein als das erfte. Wenn man ein imd dñ 
Pendel vom Meeresufer auf hohe Berge, oder von den Polen nad) den Äquator trägt, :⁊ 











Pendſchaͤb 745 


feine Schwingungsdauer etwas länger, weil auf hohen Bergen und an dem Hquator die Schwer- 
kraft etmas geringer ift ald an dem Ufer des Meeres und an dem Pole. Nimmt man ald Yen 
del einen Stab mit einer ſchweren Linfe, fo hat man fein einfaches Pendel mehr, fondern ein 
zuſammengeſetztes Pendel. Nämlich nicht blos die Linfe, fondern auch der Stab beftcht aus 
unzählig vielen ſchweren Punkten, von welchen jeder ein einfaches Pendel, deffen Länge feine. 
Untfernung vom Drehpunkte ift, darftellt. Nun find die obern Punkte näher an dem Dreh- 
punkte als die untern, ftellen alfo kürzere Pendel dar als letztere und wollen daher auch fchneller 
ſchwingen als die untern. Da aber alle Punkte ein feftes Syſtem bilden, fo können die obern 
Punkte nicht voreilen, fondern nur die Bewegung der untern in einem gewiflen Berhältniffe be 
&leunigen. Ein ſolches zufammengefeptes Pendel wird daher nicht eine Schwingungsédauer 
aben wie ein einfaches Pendel, deſſen Ränge gleich ift der Entfernung des von dem Drehpunkte 
is zu dem unterften Punkte des zufammengefegten, fondern wie ein etwas kürzeres Pendel. 
Der Yunkt in dem zufammengefegten Pendel, welcher um die Ränge eines einfachen Pendels, 
as mit ihm gleiche Schwingungsdauer hat, von dem Drehpunkte abfteht, heißt der Schwin- 
ungsmittelpuntt. Diefer hat die merfwürbige Eigenfchaft, daß, wenn man in ihm eine Achſe 
nbringt und das Pendel um diefe ſchwingen läßt, dann der frühere Drebpuntt zum Schwin⸗ 
ungsmittelpunft wird; die Schwingungsbauer iſt daher genau biefelbe wie zuvor. Ein Pendel, 
velches mit zwei Drehachſen, von denen jede den Schmingungsmittelpunft für die andern bil. 
et, verſehen ift, heißt ein Reverfionspendel. Man kann daffelbe benugen, um die Länge des 
nrfahen Secundenpendels zu beftimmen, indem man an einem Pendel zwei Achſen in folcher 
ntfernung anbringt, daß auf jeder ſchwingend die Schwingungsdauer genau eine Secunde be- 
:ägt; dann ift die Entfernung der beiden Achfen die Länge des einfachen Pendels, das ebenfalls 
zecunden fchlägt. Die genaue Kenntniß der Ränge des einfachen Secundenpendels ift deshalb fo 
ichtig, weil fie ein Maß für die Schwere an den verfchiedenen Orten der Exde ift. — Die wich. 
gſten Gefege der Pendelbewegung-entdedte fchon Galilei auf erperimentalem Wege; Huyghens 
itete dieſelben aus den Principien der Mechanik ab ımd wandte das Pendel zugleich zur Regu⸗ 
rung der Ühren an. Da die Wärme alle Körper ausdehnt, alfo auch die Pendelftangen ver- 
ingert, fo wird ein und daffelbe Pendel im Sommer eine längere Echwingungsdauer haben als 
nr Winter und die mit ihm verbundene Uhr im Sommer langfamer gehen als im Winter. Um 
ei aftronomifchen Uhren eine Anderung in ihrem Gange durch die Temperaturänderungen zu 
ermeiden, benugt man bie verfchiedene Ausdehnung der Metalle durch die Wärme zur Eon» 
zusction fogenannter Eompenfationspendel, bei welchen, während einige ihrer Theile in Folge 
er Ausdehnung durch die Wärme fih von der Drehachſe entfernen, andere in foldher Anzahl 
nd Weite derfelben wieder genähert werben, daß der Gang der Uhr genau derfelbe bleibt. , 
Pendſchaͤb (d. i. perſiſch: Fünfwaffer), auch Pandſchaͤb und Punjäb gefchrieben, bei den 
Iten Indiern Pantfchanada (d. i. Fünfſtrom) genannt, früher der Hauptbeftanbtheil des 
Staats der Sikhs (f. d.) oder von Rahore (f.d.), feit 1849 aber eine dem indobrit. Reiche einver- 
sibte Provinz, der nordweſtlichſte Theil von Hinboftan, wird in feiner Dreiedsgeftalt vom In⸗ 
us im W., feinem uf Sutledfh im D., dem Himalaya- und Hindukuhgebirge im 
RT. begrenzt. Seinen Namen Fünfftromland (Pentapotamien) hat es von den fünf Fluffen, 
yelche ſämmtlich in dem Himalaya entfpringen und zulegt zu einem Strome vereinigt ihre 
Va ſſermaſſe in den Indus oder Sindhu ergießen. Es find von Welten gegen Often folgende: 
er Dſchelam oder Behat, auch Bedſcha genannt (Hydaspes bei den Alten), welcher aus Kaſch⸗ 
sir kommt, der Tſchinab (Acesines), der Rawi oder Jravati oder Jroti (Hyarolis oder Hy- 
raotes), der Vjaſa oder Bejas (Hyphasis) und ber Sutledſch oder Ghara (Hesidrus oder Za- 
adres). Der legtere gibt jegt gewöhnlich der Vereinigung aller fünf Ströme feinen Namen, 
selche jedoch auch Pandſchnad (Punjnad) Heißt und als ein mächtiger ſchiffbarer Strom 
ei Mithun-Köta in der Provinz Multan in den Indus mündet, nachdem die drei erfiern ſich zu 
inem Fluffe unter dem Namen Tſchinab vereinigt und ber Vjaſa fich rechts in den Sutledſch er 
‚offen hat. Das Land wird durch diefe Flüſſe in vier größere Abfchnitte, Duabe (Zwei 
keomländer), getheilt, nämlid) Duab »i-Gindhu -Gagara zwiſchen Indus und Dſchelam, 
Duab⸗i⸗Dſchetſch zwiſchen Dſchelam und Ifchinab, Duab-i-Mitfchna zwifchen Tſchinab und 
Ravi und Duab-i-Bari zwiſchen Rawi und Sutledſch, leßteres mit der Hauptſtadt Lahore und 
yen Städten Amritſir und Multan (ſ.d.). Das fünfte oder Duabi⸗Dſchalandhar zwiſchen 
sen Bjafa und Sutledſch ift fhon vor 1849 in den Befig der Briten gelommen. Der nord» 
'iche Theil des P. beſteht aus fruchtbaren, forgfam angebauten Terraffen und Thälern am 
Buße des vom Himalaya gebildeten Berglandes ober Kohiftan, welches reich an Baldunaes, 


Juyspiwvunen. zw yawınan Vissusuystay woptuy Wuwju un alu any. 
und Schwefel in den Salzbergen, Salpeter in den Ebenen, Rohrzuder und Ini 

geräth die Baummollenftaude nicht und die Geidencultur ift unbekannt. Don J 

ſich Leoparden, Panther, Tigerkahen, Bären, Wölfe, Füchſe, Hirſche, Rehe umd an 

Lande; in dem ſuͤdlichen Theile kommen noch einige ind. Thieratten hinzu. Wähn 

Sutledſch die Sikhs ausſchließlich dem Aderbau obliegen, befchäftigen fie ſich im 

Lieber mit Viehzucht. Das Dunnipferd zwiſchen dem Indus und Dſchelam ift t 

Race und diente der Reiterei der Sikhs. Die Maufthiere am Dſchelam find fehr f 

‚gen große Raften, ebenfo die Kamerle im Süden des Landes. Rindviehheerden fi 

Schafpeerden fehlen. Die Wollenwaaren gehören zu den vollendetfien Manufac 

des. Handel mit diefen und mit Salz, fowie der Zranfit zwiſchen Indien und Afg 

ſchäftigt einen großen Theil der Bevölkerung ; nicht felten aber wurden biöher dir 

durch die Raubfucht der Heinen Häuptlinge gefährdet. Die in neuefter Zeit belel 

ſchiffahrt dürfte auch dem P. eine neue Epoche der Blüte bereiten. Zum Reiche d 

hörten außer dem P. noch Kaſchmir, Multan, Peſchawer (f. d.). Mit diefen Pro 

ihr Reich einen Umfang von 8000AM. mit 5 Mil. E. und einem Einkommen ı 

Glön. Rach dem Kriege mit Dhulip-Singh wurde laut Proclamation des Geners 

von Oftindien aus Ferozpur vom 29. März 1849 das P, mit Ausnahme des G 

lab · Singh's von Kaſchmit und Dſchamu, dem indobrit. Reiche einverleibt. Der d 

des neuen Gebiets wird auf 4720 QM. feine Einwohnerzahl auf Z3 Mill. feine? 

auf ungefähr 4 MiU. Pf. St. gefhägt. Das P. bildet fünf Provinzen: Lahore mi 

tan mit drei, Ledſchah mit vier, Dſchelam mit vier Bezirken, dann Peſchawer mit 

" feit des Indus. Für das indobrit. Reich if diefe neue Erwerbung von unfhägbarer 

Es gemann niit ihr natürliche Grenzen durch den unüberfteiglihen Hindukud uni 

der nur an wenigen leicht zu vertheidigenden Stellen einen Durchgang darbietet 

gleich als große Handelöftraße det nördlichen und meftlihen Indien vom P. aı 

wird. Seit den Tagen Alepander's d. Gr., unter welchem das P. die Oberindifche 

dete, war das Fünfſtromland allezeit die erfie Beute der von Weften kommenden 

diene. Jegt bildet es für die Briten eine vortreffliche Pofition für den Angriff, z 

ſchawer damit vereinigt iſt, von mo aus die nächfte und bequemfte Straße nach dı 

! von Afghaniftan führt. Überdies haben die Engländer bereits eine Menge landw 
Hülfsquellen des P. entdeckt und gefunden, daf die Duabs größtentheils der umfa 

befferungen fähig find, daß durch Anlegung von Kanälen das ganze Land bewä 

A einer Wüfte in einen Garten verwandelt werden kann. 

r — 


Monat nn a N AR tn N man ren 


Denn 747 


ven dem Olympus und Ota in den Thermäifchen Meerbufen oder den jegigen Golf von Sa— 
nihi. Das in feinem gewöhnlichen Zuftande feichte Waſſer dieſes Stroms ſchwillt gewöhn⸗ 
5 bei dem Schmelzen des Schnee in ben Gebirgen außerordentlich an und überflutet dann 
thin die umgebenden Flächen. 
Denn (Billiam), ein als Gründer umd Gefepgeber der Colonie Pennſylvanien berühmter 
uäfer, wurde 14. Dct. 1644 zu London geboren. Sein Vater war ber ausgegeichnete engl. 
dmiral William P. der 1670 farb. Schon als Knabe verrieth der junge P. Hang zum re- 
töfen Separatiömus. Als er fpäter auf die Univerfität zu Orford kam, vereinigte er ſich mit 
dern Studirenden zu befondern Andachtsübungen, hörte die Predigten des Duäters Thomas 
k und mußte darum, befonder& aber, weil er den vom Hofe anbefohlenen geiftlihen Rock 
Ht tragen wollte, die Anftalt meiden. Um ihn zu zerftreuen, ſchickte ihn fein Bater nach Paris 
D ben Niederlanden, was aber nicht half. Er ging fodann zur Bewirthichaftung der väter- 
ven Güter nach Irland, wo er mit Rod wieder zufammentraf und fi nun ganz für die Sekte 
Quãker (ſ. d.) entfchied. Unbefugten Predigens halber wurde er jedoch ind Gefängniß ge- 
efen, dann aus Irland getrieben, fodaß er um 1666 nad) London zurückkehren mußte. Aber 
h fein Vater wollte nichts mehr von ihm wiffen, als er hörte, baß er Duäker geworden. In 
Straßen von London trat P. nun als Prediger auf und erwarb ſich durch feinen Wandel und 
e Beredtfamteit aud) die großte Achtung unter den Quäkern. Wiewol von Überfpannung 
£ nicht frei, mäßigte er die trübfinnigen Echwärmereien For (f. d.), des Etifter der 
ce, und erhob in der Gemeinde die chriftliche Duldung zu einer Hauptlehre. Im 3. 1668 
De er wegen feiner Schrift „The sandy foundation shaken“ in den Tower gefegt. Dier 
e B er das berühmte Buch „No cross, no crown” (‚Kein Kreuz, keine Krone‘) und die 
» £ fertigungsfchrift „Innocency with her open face“, die ihm zur Freiheit verhalf. Hierauf 
er nach Irland, predigte unter außerorbentlichem Zulauf zu Dublin, fah ſich aber wieder 
Eoceß verwickelt, weil er vor bem Lordmajor, der ihn vor ſich befchied, den Hut nicht abneh⸗ 
znodte. Die Jury ſprach ihn zwar frei; man hielt ihn jedoch der Koften wegen fo lange 
5 efängniffe, bis fein Vater heimlich das Geld erlegte. Mit For und Rot. Barclay unter 
® ernun zur Ausbreitung der Lehre eine Reife nad) Holland und Deutſchland. Beſonders 
‚amfterdam predigte er, fowie feine Genoſſen, mitgroßem Erfolg; weniger gelang ihm dies ir 
E Tchland, obfhon ihn die Pfalzgräfin Elifabeth, die Enkelin Jakob's J. fehr begünftigte. 
> feiner Rückkehr verföhnte fih P. mit feinem fierbenden Vater, der ihm ein jährliches 
=ommen von 1500 Pf. St. und eine Echuldfoderung an die Regierung von 16000 Pf. 
e Tließ. Er heirathete hierauf ein ſchöͤnes Mädchen, nahm aber deshalb in feinen Eitten und 
Ex ziemlich pedantifchen Lebensweiſe feine Veränderungen vor. Die Strenge, welche endlich 
arlament gegen eine Sekte anwenden zu müffen glaubte, die Glaubens- und Gewiſſens⸗ 
beit felbft für die Katholiken foderte und die ſich beftehenden Verhältniſſen und Sitten wi- 
Teste, 309 P. im Kaufe von zehn Jahren mehrfache Unterſuchungen, Verfolgung und Ge: 
agenſchaft zu. Bon allen Seiten bedroht, faßte P. den Entſchluß, einen Staat in Amerika 
ich den Grundſätzen riftliher Duldung und Bruderliebe zu gründen. Zu diefem Zmede 
verließ ihm die Regierung gegen bie Schuldfoderumg feines Vaters einen großen Landſtrich am 
elaware ald Privateigenthum, mit dem Rechte, dafelbft unter brit. Oberhoheit eine beliebige 
fentliche Ordnung einzuführen. Auf feinen Ruf firomten nit nur Quäker, fondern bie 
erfolgten aller Länder und Religionen in die Colonie, Lie nad ihm den Namen Pennſylva⸗ 
nn (f.d.) erhielt. Nachdem ihm zwei Schiffe mit Anfiedlern und Geräthfchaften vorangegan- 
1, reiſte er mit Zurücklaſſung feiner Familie 1682 felbft nad; Amerika. Mit feiner Ankunft 
f er die Coloniften am 25. April zu einer Generalverfammlung, in welcher er dem jungen 
aate eine Verfafiung in 24 Artikeln verlieh, die 1776 bei Conftituirung der Vereinigten 
aaten zu Grunde gelegt wurde. Außerdem trat er mit ben Indianern in Verbindung, faufte 
vfelben große Landftriche ab, ohne fie daraus zu vertreiben, und gründete die Stadt Phila- 
phia. Bald wuchs aus den verfchiedenartigften Elementen unter feiner Zeitung eine kräftige, 
ie Gemeinfchaft zufammen, in der felbft die Quäker ihre frommelnden Grillen vergaßen und 
von freiern Sinn annahmen. Gegen Ende der Regierung Jakob's II. kehrte P. nad) England 
rüd, um für feine vom Parlanıente hart verfolgten Glaubensgenoffen zu wirken, bie aber 
ft nach dem Sturze der Stuarts durch die allen Nonconformiften Duldung gemwährende Xcte 
n 1689 zur Ruhe gelangten. Seine Feinde befchuldigten ihn nad Wilhelm's III. Zhronbe- 
siaung eines hochverrätherifchen Einverftändniffes mit den Etuarts, ſodaß ihm die Regierung 
ne hohe Caution abfoderte und die Colonie wegnahm, weil er die Summe nicht erlegen fonnte. 


18 Yennalismus — Pennfolvanien 

. längere Reit, ftellte fich 1693 aber felbft vor Gericht und wur 

Be allen —— — —— reiſtt m 
milie nad) Pennſylvanien, um Schöpfung, die önigl. 

Eee die Vollendung zu * Neue Verwicelungen und die Sorge — 

land und Deutſchland führten. —2 — nad). einigen Jahren nach 

Sier heirathete er, ba feine etſte Ftau geflorben, zum zweiten mal, zos ich gegen 

der. Königin Anna, die ihn um fich zu Haben wünfchte, in die Ginfamfeit zurüc und {An 

leptes Wert „Fruits of solitudo“ (deutfc, Tüb. 1795). Seine Vermögensverhälmift 

in ber Ii Zeit fo ungünftig geworben, daß er 1712 fein Eigenthumsrecht an 

für 2 Pf. St. der Krone abtrat. Er 30. Mai 1718 auf feinem Landgut‘ 

in der Grafſchaft Budingham. Selbft die Zeitgenoffen, welche — Freunde 

ihn nicht frei von Eigendünkel finden, Seine geſammelten Schriften * 

zu London 1726 und dann 1782 (4 Bbe.). Vgl. Marfillar, „Vie de Guill. P.#; 

ır. 1791; deutſch von Friedrich, Strasb. 1795); Clarkfon, „Memoirs of the 

publie life of Will. P.“ (2 Bbde,, Rond. 4813); Hepworth Dison, „Will. P., an bi 

‚graphy from New: Sources” (2. Aufl,, Lond. 1853). 2 “ 
Pennalismus nannte man die Unbilden, die ehedent die ältern Studenten (ober 







fon. Alles, was die Pennale hatten, mußten fie an bie Schoriften ‚geben, die 
niedi Dienſten gebrauchten, fie auf alle Weife verhöhnten und. bem 
‚preisgaben und, wo ſie nut fonnten, Eörperlih mishandelten. « Der 
Jahr. Erft nach Ablauf deffelben folgte bie Depofition, die ſchon vor ber 
war und bei der ber Pennai einer Menge fombolifcher Prüfungen unterworfen wurde, 
gefammt auf Reinigung von dem ihm bisher anhaftenden Schmuge und eine Weihung 
verftändigen Leben Hindeuteten, Alle Verfuche, dem Unweſen ein Ziel zu fegen, wer) 
Zeit ganz vergeblich, da die Pennale felbft den Pennalismus nicht abgefchafft wifenm 
und fi gemeinfchaftlich mit den Schoriften alen Anordnungen der Behörden miderfepg 
dem ihnen fonft die Hoffnung entgangen wäre, einft als Schoriften Gleiches mit Gilde 
vergelten. Schon 1613 etfchien auf der Univerfität zu Jena ein Edict gegen den Penn 
und ähmiche erliehen Frankfurt, Roſtock, Wittenberg u. ſ. w. Doch erft ipäter vereinigt 
ſich zu ftrengern Mafregeln dagegen, fo in-Giefen 1656, in Leipzig 1660, in Jena Il) 
1663. Deffenungeachtet erhielten fich noch lange die Spuren des Pennalismut. u 
Studenten nahmen auch andere Stände, namentlich die Buchdruder, das Pennalmdma 
denen bie Depofition noch länger als bei den Studenten inBraud blieb. Vgl. Schöttgn, 
florie des ehedem auf Univerfitäten gebräuchlichen Pennalwefens” (Dresd. 1747). 
Pennfolvanien, einer der Vereinigten Staaten von Nordamerifa, mit einem Blähet 
von 2171 AM., grenzt im N. an Neugork und an den Eriefee, im D.an den Fluß Dis 
der es von Neujerfey trennt, im S. an Delaware, Maryland und Virginien und im Br 
fes und den Staat Ohio. Der die Vereinigten Staaten durchziehende Höhenzug der In 
ſchen Gebirge weicht in P. von der gewöhnlichen, von Südwelten nad) Nordoften sh 
Richtung ab und läuft hier in wechfelnden Richtungen öftlich und weſilich Vom Fluht 
quehann ah erheben fih die Blauen Berge (Kittatinny) ; die große Alleghanytette aberd] 
ganzen den Staat durchziehenden Gebirge den Namen. Ungefähr ein Siebentel bei] 
Blächenraums ift gebirgig, doch erreichen die Höhen nirgends die Schneelinie und find fal 
aus bewaldet. Der übrige Theil des Staats ift theils eben, theils eine angenehme Abrad 
von Hügeln und Thälern. Die bedeutendften Ströme find der Delaware, der Eutaud 
ber Schuylltill, der Alleghany und Monongahela, die, bei Pittsburgh fich vereinigend, X 
bilden. Überhaupt ift kaum ein anderer Theil der Vereinigten Staaten fo gut bewäflet 
In den Gebirgen ift das Klima beftändig, ber Winter kalt, Der oflwärts von den Gi 
gende Theil des Staats hat plögliche Äbwechſelungen des Wetters und einen äuferl 


Bennfylvanien 149 


nicht lange anhaltenden Grad von Hige und Kälte. Auf der Weftferte fleigt und fällt Bie 
peratur nicht fo fehr und fo plöglich und die Luft ift überhaupt milder. Der Boden iſt im 
zen fruchtbar und zum Theil vortrefflich, beſonders weſtlich von den Gebirgen. Die Haupte 
gniſſe des Aderbaus find Weizen (der befte in Rordamerika), Mais, Roggen, Gerſie, Ha⸗ 
Buchweizen, Flachs und Hanf. Obft wird in Überfluß gebaut. In einigen Gegenden bat 
mit Vortheil ausländifche Neben angepflanzt. Der Zudersborn wirb in den weſtlichen 
ördlichen Theilen des Staats Häufig angebaut und liefert faft den geſammten einheimifchen 
wbebarf. Mehre Theile des Staats haben reiche Eifengruben, bie vorzügliche Erze liefern, 
war die Hälfte für den Gefammtverbrauch der Vereinigten Staaten. Auch gibt ed Kupfer 
Blei. Unerfchöpflich ift der Reichthum des Staats an Anthracit und bituminöfen Kohlen ; 
ager bed erftern nehmen 46, die der legtern über I91 DM. ein. Sie lieferten 1851 für 
Ritt. Doll. Kohlen. Kalkftein findet fich faſt überall fehr reichlich und in den ſüdöſtlichen 
nden auch Marmor. Auch der Viehftand ift beträchtlich und hat einen Werth von mehr als 
Ri. Doll.; namentlich liefert P. vortrefflicde Zugpferde. Die erſten Anfiedler waren 
veden, die 1638 einwanderten. Später fiebelten ſich auch Holländer an. Der eigentliche 
ründer der Colonie wurde Will. Penn (ſ. d.), dem fie auch den Namen verdankt. Der Staat, 
yer 13. Dec. 1787 die Eonftitution der.Union annahm, ift in 55 Graffchaften getheilt. 
&ig der Regierung wurde 1790 von Philadelphia nach Rancafter und 1812 nach Harris⸗ 
; verlegt, einer Stadt am Susquehannah, mit 8175 E., welche auch als Knotenpunkt von 
bahn » und Kanallinien, fowie ald Fabrik» und Hanbelsort von Wichtigkeit ifl. Die 
stendften Städte aber find Philadelphia (f.d.) und Pitteburg (f. d.). Außerdem find 
rtenswerth Lancafter (f. d.) mit 12382 E., Reading mit 15821 E., Eafton am Dela- 
„ mit 6000 €, und @rte an dem gleichnamigen See, ein guter Handelshafen, mit 
IE. Die Volksmenge, die 1782 nur 300000 Seelen betrug, war 1840 auf 1,724033 
1850 auf 2,311786 geftiegen. Darunter befanden ſich im legtgenannten Jahre 2,258463 
Be, 53323 freie Farbige, aber keine Stlaven mehr. Die Weißen find der Mehrzahl nach 
immlinge von Engländern, Schotten, Srländern und Deutfchen. Die Zahl der Legtern foll 
iD. betragen, die ber beutfehrebenden '/; Mill. Das deutſche Element hat dem Staate vor» 
weife feinen Charakter gegeben. Derfelbe ift, wie feiner Lage nach, fo auch moralifc und 
ifch der Vermittler zwiſchen dem Rorden und Süden und heißt deshalb aud) Keystone state, 
Schlußftein, der da Ganze zufammenhält. Die umfafiendften Religionsfekten bilden die 
Ibyterianer mit Einfluß der verbündeten Reformirten (Associate reformed), die Bap- 
, Methodiften, Deutfchreformirten, Epiftopalm und Quäker. Die Anftalten für die Bil- 
des Volkes find zahlreich. Es gibt eine Univerfität in Philadelphia, die vorzüglich für das 
ium der Arzneimwiffenfchaft mit trefflichen Lehrmitteln verfehen ift, und im Ganzen 20 
'gien: Carlisle, Canonsburg, Wafhington, Pittsburg, Meadville u. ſ. w. Die deutfchen 
edler haben vier Seminarien und die Brüdergemeine erhält blühende Schulen in Bethle⸗ 
dem Hauptorte der Gemeine, Nazareth und Litiz. Auch befigt der Staat eine Taubſtum⸗ 
inſtalt und eine große Lehranftalt für Waifentinder in Penn⸗Townſhip, unweit Philabel- 
P. zeichnet ſich vor den übrigen Staaten durch die Mannichfaltigkeit und den Umfang fei- 
Ranufacturen aus. Bedeutender als in einem andern Staate der Union find die Eifen- 
e und die Fabriken, welche Eifenwaaren verfchiedener Art und von vorzüglicher Güte lie- 
. Wollene und baummollene Zeuge liefern zahlreiche Manufacturen. Die Stapelmaaren 
Staats find, außer Weizen, Eifen in Stangen und Gußwaaren, vorzügliches Stabholz, 
ſamen und Schießpulver. Der Handel erftredt fid) bis Rußland, China und in das Mit 
ndifche Meer und wird nicht blos mit eigenen, fondern auch mit vielen Erzeugniffen ber 
gen amerik. Staaten und Weltindiens getrieben. Der Hauptfig deffelben ift Philadelphia. 
ten zählte 1852 der Staat 54 mit einem Capital von 19,125477 Doll. einem Metallvor- 
von 6'% Mill. und einem Notenumlauf von 12,072888 Doll. Die Ausfuhr belief fich 
Ende Juni 1850 bi6 Ende Juni 1851 auf 5, 356036, die Einfuhr auf 11,168761 Doll. 
Staat hat treffliche Straßen, Kanäle (217 M.) und Eifenbahnen (466 M.). Die erfte 
ſtſtraße in den Vereinigten Staaten wurde in P. gebaut; jegt bat ber Staat deren 2480M. 
gefeggebende Gewalt des Staats beſteht aus dem Senate und dem Haufe der Repräfentan« 

Dieſes darf nad) der neuen Verfaffung von 1838 nicht über 400 jährlich gewählte Ab- 
dnete enthalten; die Mitglieder des Senats aber, weiche ein Drittel der Zahl der Abgeord» 
n des Unterhaufes nicht überfteigen bürfen, werden auf drei Jahre gewählt, und fährlich tritt 
Drittel von ihnen aus, Der Gouverneur, der bie vollzichende Gewalt hat und 5000 Dell. 


750 Pennfplvanifches Syſtem Benfionnär 

Gehalt bezieht, wird auf drel Jahre vom Volke gewählt und kann in einens Zeitraume von 
Jahren fein Amt nur ſechs Jahre nacheinander behalten. Alle Wahlen geſchehen dun 
Voit mitteld Kugelung. Zum Congreß fender P. 25 Repräfentanten. Nach dem Berfafl 
amendement vom 8. Det. 1850 werden alle Richter von dem Volke gewählt: Staatlı 
thun betrug 1850 31,392756 Doll. (am Eifenbahnen und Kanälen über 29%, Mill), & 
fleuerte Privateigenthum 497. Mill, das wirkliche gegen 722" Mil. Dou. Im I. 185 
trug die Staatseinnahme 8,580000 Doll, und dedte die Ausgabe; die Schuld belief fid 
40114256 Mill, bedeutend mehr ald in jeden andern der Uniondftaaten. Diefelbe ift h 
fachlich durch die bedeutenden Kanal · und Eifenbahnbauten veranlaft. Die Miliz zählt 
276000 Mann. 

Pennſylvaniſches Syitem, f. Gefängnißwefen., 

Penny, d.h. Pfennig, in der Mehrheit Pence, ehemals eine Silber-, jegt eine ker 
Scheidemünge, ift eine Rehnungsmünge in Grofbritannien. Don derfelben gehören I 
einem Schilling und 240 zu einem Pf. St. Im J. 1852 wurde von der Gefelfchaft zur 
breitung müglicher Kenntniffe in Rondon die Derausgabe einer populären Zeitfchrift vera 
tet, welche den Namen „Penny magazine” führte, weil die Nummer für den niedrigm! 
von einem Penny verfauftiwurde: Auch in Deutſchland tauchte unter dem Namen „Pie 
Magazin” (Rpz. 1855—55) ein ähnliches Unternehmen auf, das lange großen Beifall 
Kury vor Gründung des „Penny magazine” hatte Chamber in Edinburg fein ebenfor 
volles als billiges „Edinburgh journal’ begonnen, und beide zufammen legten den Gru 
einer höchſt umfangreichen Pennyliteratur, welche viel dazu beigetragen hat, allgemeinı 
dung bis indie unterſten Sphären hinab zu verbreiten und bie grobe Unmiffenheit zunneı 
hen, die bei dem mangelhaften Unterrichrsfoftem noch in den erften Decennien diefes Jal 
derts in England herrſchte. In neuefter Zeit find die Pennyausgaben einigermaßen d 
Railway, Standard» und andern Libraries in den Hintergrund getreten, welche ganze 
zum Preife von Einem Schilling an enthalten. — Pennybanten murden ſeit 1850 inf 
errichtet, um auch den ärmften Volksclafſen Gelegenheit zu verfhaffen, ihre Erfparnifie 
legen und fo eine Lücke auszufüllen, welche in dem fo nüglihen Sparbantenfoftem ge 
mar. Diefe neue Errichtung fand viel Anklang und foll bereits nicht geringen Nugen 4 
haben. — Ferner hat man in London Pennyfefecabinete, wo man für einen Penny ( 
die renommirteften engl. Tageblärter, Wochenſchriften und Reviews durchleſen und in bei 
Räumen noch fchreiben, Gefchäfte abmachen, rauchen und die meiften Bequemlichkeiten 
ann, welche fonft in den Elub6 dargeboten werben. 

Penfion (franz, von dem lat. pensio: Abwägung) bezeichnete bei den Römern die 
gung der Steuern, der Intereffen, des Miethzinfes u. f. w. Gegenwärtig verftcht man de 
den Jahrgehalt, welchen ausgedienten oder durch Zufall bdienflunfähig gewordenen Priva 
ten vom Dienftheren, oder öffentlichen Beamten im Givil« wie im Militärftande vom 
oder ber Krone ausgezahlt wird. Auch bloße Gnadengehalte, die ſich nicht auf geleiſtete Z 
fondern vielmehr nur auf Gunft flügen, pflegt man mit dem Ausdrude zu bezeichnen 
Penfionen der Staatsbeamten und des Militärs find gegenwärtig überall durch Geſehe g 
und werden aus der Staatskaſſe geleiftet. Gewöhnlich gründet der Staat hierzu eimen 
fionsfonds, der theilweife von den Beamten oder Militärs felbft durch beftimmte peri 
Gehaltsabzüge unterhalten wird. Penfion nennt man endlich auch das Koſtgeld, weich 
Jemand erlegt wird, daher Penfonsanftalt fo viel alb Koſiſchule, Erzichungsanftalt, in 
Schüler zugleich den Unterhalt gereicht erhalten. 

Henftonnär hieß fonft in den großen ober flimmberedtigten Städten Hollande der 
dikus, mit analoger Machtvollkommenheit für jede diefer Städte, wie der Groß - oder I 
yenfionnär, der Staatöfecretär der Stände oder Staaten der Provinz Holand war us 
mals, noch zur Zeit Oidenbarneveldt's (f.d.), Beneraladvocat der Provinz Bolland g 
wurde. Der Rathepenfionnär Hatte Feine entfcheidende Stimme in der Etaatenverfam 
fondern nur den Vortrag Deffen, mas zur Berathſchlagung gezogen werden follte. E 
melte die Stimmen, faßte die Beſchlüſſe ab, eröffnete Die an die Staaten eingegangenen ( 
ben, verhandelte mit den fremden Gefandten und Miniftern, trug Eorge für die Einkün 
für die Erhaltung der Rechte und Gerechtigkeiten, fowie für Alles, was die Wohifel 
Provinz anging. Er wohnte dem Gollegium ber deputirten Räthe bei, welche Lie Souver 
in Abmefenheit der Staaten vorftellten, und war immerwährender Deputirter bei den & 

der Vereinigten Niederlande. Der Einfluß diefer erften Bagiftratsperfon war t 


? 


Pentagramm Venthievre 751 


Eh und dadurch in den ganzen Niederlanden höchſt wichtig, ſodaß man ihn als ben Premier⸗ 
mmifter der Generalflaaten betrachten konnte. Sein Amt währte fünf Jahre, nach deren Ber» 
Ef jedoch in den meiften Fällen die einmal getroffene Wahl auf neue fünf Jahre beftätigt 
:zde. Die Revolution machte diefen Stellen 1795 ein Ende. Napoleon erneuerte den Titel 
ſelben für kurze Zeit, indem er 1805 Schimmelpennind (f. d.) als Rathöpenfionnär an bie 
ige der Bataviſchen Republik ftellte. 
Mentagramm, f. Orudenfuß. 
BHentameter, eigentlich ein aus fünf Gliedern zufammengefegter Vers, gehört zur dakty⸗ 
üben Gattung und befteht aus zwei Hälften ober Hemiftichien, die durch eine unveränderliche 
«ifion gefchieden werden. Jebe Hälfte bietet einen archilochifchen Vers (- — —), nur 
we dem Unterfchiede, daß in der erſten ſtatt der Daktylen auch Spondeen eintreten können und 
legten Fuß ber zweiten Hälfte auch eine Kürze zuläffig ifl. Der Name Pentameter ift daher 

menau, da er wegen der beiden Paufen in ber Mitte und am Ende diefelbe rhythmiſche Länge 
E als der Derameter (f. d.), wie folgendes Schema und Beifpiel zeigt: 

— Seh | — — U I — vu I 

Radıt — die —55 Br un Haın. 
a der Pentameter, allein gebraucht, wegen feiner Gintsnigfeit und geringern Abwechſelung 
Ad ermüden würde, fo Hat man ihn ſtets nur mit dem Hexameter, beffen majeftätifchem Gange 

eine gewiſſe Milde gibt, in Verbindung gefegt und je zwei folcher Verſe ein Diftichon (f. d.), 
B ganze Versmaß aber das elegifche genannt. 

Dentarchie (griech), d. i. Fünfherrſchaft, dient zur Bezeichnung für die fünf Großmächte 
gland, Frankreich, Oftreich, Preußen, Rußland rüdfichtlich ihres charfächlichen Übergewicht 
ver alle andern europ. Staaten. Das Wort kam zuerft auf durch eine Schrift, welche 1859 
a einem Ruffen, wie man vermuthet, jedenfalls im ruff. Intereffe, herausgegeben (‚Die eu» 
9. Pentarchie“, Lps. 1859) und worin der Plan einer Vertheilung fämmtlicher kleinern 
taaten Europas unter die Dberherrlichkeit jener fünf großen entwidelt wurde. Preußen follte 
e nördliche Staatenaffociation oder die ſtandinaviſchen Reiche, Öftreich die weftlichen, Epa- 
en und Portugal, England die füdlichen ober Italien, Frankreich die oftlichen, nämlich Gries 
enland und die Türkei fammt den Donaufürſtenthümern und Serbien, Rußland aber die Gene 
ala ffociation oder Deutſchland fammt Holland und Belgien ald Schutzmacht überfommen. 

Pentäteuch bezeichnet urfprünglich einen aus fünf Büchern beftehenden Band, dann vor» 
gs8weiſe die im Kanon des Alten Zeftaments befindlichen, dem Mofeb (f.d.) beigelegten fünf 
nächer, welche die Namen Benefis, Erodus, Leviticus, Rumeri und Deuteronomium führen. 

BDenteliton, auch Pentelikos, ein ziemlich hohes Gebirge in Attika, auf deſſen Höhen ber 
epbiffus entfpringt, mit einer merfwürdigen Stalaktitenhöhle und wundervollen Fernſicht, war 
yon im Alterthume berühmt durch feinen trefflichen Marmor, ber fowol zu Prachtgebäudek 
ad Tempeln, wie namentlich zum Parthenon (f. d.) auf der Akropolis, als auch zu Bilbſäu⸗ 
n verwendet wurde. Vgl. „Morgenland und Abendland” (Bd. 1, Stuttg. 1841). 

Benthefilda, die Tochter des Ares und der Direra, Königin der Amazonen ([.d.), fam im 
rojanifchen Zriege den Trojanern zu Hülfe, wurde aber endlich von Achilles erlegt. Homer 
mähnt fie nicht. 

Penthens, der Sohn des Echion und der Agave, ber Tochter des Kadmos, und ald König 
n Theben des Legtern Nachfolger, hatte wegen feiner Widerfeglichkeit gegen die Einführung 
8 Diongfosdienftes dad Echidfal, auf dem Kithäron von feiner eigenen Mutter, die ihn in ih⸗ 
r bacchantifhen Wuth für ein wildes Thier hielt, und andern Mänaden, namentlich den 
ich weſtern feiner DRutter, zerriffen zu werden. 

Penthievre, eine uralte bretagn. Braffchaft, die gegenwärtig das franz. Depart. Morbihan 
ildet, gehörte in früherer Zeit mehren Verwandten des Haufes Bretagne. Später kam fie an 
ie Häufer Broffe und Luxembourg und wurde zu beren Gunften von Karl IX. 1569 in ein 
Yairieherzogthum verwandelt, dad aber in der Folge an die Krone fiel. Ludwig XIV. ſtellte das 
derzogthum 1697 her und gab es einem feiner mit der Montespan erzeugtem Baſtarde, dem 
Srafen von Zouloufe, der 1737 ftarb. — Der einzige Sohn und Erbe deffelben aus der Ehe 
nit Marie de Noailled war Louis Jean Marie de Bourbon, Herzog von P., geb. 16. Nov. 
1725 und befannt wegen feiner Sittenreinheit und großen Rechtſchaffenheit. Er erbte aud) von 
einem Vater die Würde ald Großadmiral, das Gouvernement von Bretagne und zwei Regie 
nenter, die feinen Ramen führten und an deren Spitze er in den Echlachten von Dettingen und 
fontendi tapfer kämpfte. Nach dem Oftreichifchen Erbfolgekriege zog er fich auf fein Schloß 











758 Pepe 


Sceaur zurüd und lebte hier ganz wohlthätigen Werken. Der Ted feiner Gemahlin, Bi 
Thereſe von Modena, bie 1754 ftarb, verſenkte ihn in tiefe Melancholie. Auch verlor er 1 
feinen noch jungen Sohn, den Prinzen von Bamballe, der ſich Durch Nusſchweifungen zu Er 
gerichtet hatte. Während ber Revolution flöfte feine Unbefcholtenheit ſelbſt den Schrei 
männern Achtung ein, die ihn gänzlich in Ruhe liefen. Doch wurde er hart betroffen u 
Ermordung feiner Schwiegertochter, ber Prinzeffin von Lamballe (.b.). Als den legten Ey 
ling der legitimirten Söhne Ludwig's XIV. war ihm auch bie reiche Erbſchaft feines Bene 
des Grafen von Eu (f. Maine), zugefallen. Der Herzog flarb zu Bernon 4.März 1795, & 
Monat vor dem Gonventsdecrete, welches die Verhaftung aller Bourbons befahl. Gr binte 
eine Tochter, Marie Louiſe Adelaide de Bourbon, bie den als Bürger Egalite bekannten | 
zog Louis Philipp Joſeph von Orleans geheirathet Hatte und hierdurch die Mutter des pi 
Könige der Franzoſen, Ludwig Philipp (f. d.), wurde. Diefe Verbindung brachte bie 
des Hauſes P. an die Familie Orleans. 
Pepe ift der Name dreier in ber neueften Gefchichte ihres Baterlanbes berühmt gewerden 
Reapolitaner. Gabriele P., Oberft und Mitglied bes Nationalparlamente, geb. 1781 zu! 
fano in der Provinz Molife, ftudirte die Rechte. Mit Errichtung ber Parthenopeifchen Kal 
blit (ſ. d.) 1799 trat er in das franz. neapolit. Heer und mußte deshalb mit ber Reflaui 
nach Frankreich flüchten, wo er ſich der ital. Region zugefellte. In Folge bes Friedens von! 
renz kehrte er 1801 nach Neapel zurüd und nahm 1806 in der Armee unter König Sofa? 
naparte Dienfte. Für deffen Intereffe kämpfte er feit 1808 in Spanien. Später jebod met 
in das neapolit. Heer unter Murat zurüd und wohnte den Ereignifien von 1814 und 1813 
Rad) Ferdinand’s 1. Rückkehr erhielt er ald Oberſt ein Regiment, das zu Syrakus lag. U 
4820 in Neapel die Revolution ausbrach, wirkte er eifrig für diefelbe, wurbe im October 8 
glied des Nationalparlaments und drang auf die Abſetung des Generald Floreftano Yepım 
bie Verwerfung bes Vergleiche, welchen Legterer zu Palermo gefchlofien Hatte. Ebenſo Ina 
ee ſich mit Feſtigkeit bis zum legten Augenblide für Beibehaltung der fpan. Conſtitutien ai 
Mit vielen andern Patrioten wurbe er nady ber Reftauration des abfoluten Throne den Ok 
dern übergeben, bie ihn in die Kerker von Dlmüg warfen. Rad zwei S. erhielt er jebehht 
Freiheit wieder und ging nun nad) Florenz, wo er fortan ben Wiſſenſchafen lebte. — d 
(Sloreftano), wurde 1780 zu Squillace in Calabrien geboren. Als die Franzofen 179ı 
Neapel einrüdten, war er bereits Lieutenant. Er trat unter die Fahne der neuen Nee? 
flüchtete bei der Reftauration nad) Frankreich) und diente bie zum Frieden von 1801 inter 
Legion, worauf er nach Neapel zurüdtehrte. Im J. 1806 nahm er unter Joſeph Bonayz 
Dienfte, ging mit demfelben nad) Spanien und erwarb fich als Chef des Generalſtabs ders. 
polit. Divifion in den Feldzügen von 1810 und 41811 den Grad eines Brigadegeneralt. X 
uff. Feldzuge von 1812 führte er eine neapolit. Divifion nah Danzig. Dann bedier: 
der Spige der neapolit. Neiterei den Rückzug ber Kranzofen von Ofzmiana nach Er; 
ſchloß fich, krank und verwundet, mit den Nefte feiner Truppen in Danzig ein und f.!| 
die Hände der Ruſſen. Nachdem er die Freiheit erhalten, übertrug ihm Murat die I! 
pfung eines von Palermo aus veranlaßten Aufftands in den Abruzzen. Im 3. 1815 fur“ 
er im neapolit. Heere gegen die Oftreicher in Oberitalien, erhielt no von Murat ber. E: 
eines Generallieutenants und übernahm nach deffen Flucht da8 Gouvernement in Fer. 
bis zum Einrüden der Oftreicher. Nach der Reftauration Ferdinand’ I. behielt ec 
Stelle in der Armee. Er blieb den Vorbereitungen fowie den erften Ereigniffen der na: 
Revolution von 1820 völlig fremd, an denen fich jedoch fein Bruder Guglielmo um fo le: 
betheiligte. Nach den Vorgängen zu Palermo fchidte ihn die Regierung im Septemte r 
einem Corps von 4000 Mann zur Herftellung der Ordnung nach Sicilien. Es gelan: 
nachden cr Palernıo 25. und 26.Sept. unterworfen, die Infel zu beruhigen. Doch die ser *t 
abgefchloffene Eapitulation, welche den Sicilianern Ausficht auf politifche Selbftänpdid: # 
währte, wurde von der Regierung wie vom Nationalparlament für nichtig erklärt. Er mit 
fen Commando niederlegen, trat aber bei Annäherung der DOftreicher nad) dem Wunſde? 
Parlaments an die Spige des Generalftabs. Ungeachtet er ſchon vor der Entfcheitung : 
Unterwerfung gerathen, verlor er nach der Rückkehr doch feinen Rang und lebte te: 
als Privatmann. Auch an der ital. Erhebung von 1848 und 1849 wollte P. ter: 
Theil nehmen und lehnte felbft die Ernennung zum Reichspair und zum General im 
ven Dienfte ab. Val. Carrana, „Vita del generale Florestano P.” (Genua 1851). - 
Pepe (Buglielmo), des Vorigen Bruder, geb. zu Sapllare AIOL, wat 1799 ebenfalt: 


















ah BB Bra . 


— — _ DEE EB 7) 


Pepe 753 


das republitanifche Heer, focht gegen die Noyaliſten unter Ruffo bei Portici und murbe 
nach der Einnahme von Neapel verhaftet und nach ſechsmonatlichem Gefängniß verbannt. Er 
trat in die ital. Legion, kehrte aber nach dem Frieden von Florenz zurüd und verfuchte in Cala⸗ 
brien aufs neue einen Aufftand,derihm Berurtheilung zu lebenslänglicher Gefangenfchaft brachte. 
Nach mehren Jahren gelang es ihm jedoch, feinem jcheußlichen Kerker auf einer der Agadifchen 
Inſeln au entrinnen. Im 3.1806 trat er als Major in die Dienfte des Königs Joſeph, wurde 
aber bei Diaida von den Truppen Ferdinand's gefangen und zum Zode verurtheilt. Durch Ber 
ſtechung in Freiheit gefegt, diente er hierauf ımter den franz. Truppen aufden Sonifchen In» 
fein. Nachdem ihn Murat 1809 zu feinem Ordonnanzoffizier ernannt, befehligte er 1310 in 
Garalonien unter Suchet ein neapolit. Regiment und erwarb ſich den Grad eines Brigadegene 
rals. In diefer Stellung überwarf er fich oft mit den Franzoſen und faßte gegen diefelben einen 
unverföhnlihen Haß. Murat erhob ihn zum Baron und verlieh ihm mehre Güter, was ihn je 
doch nicht abhielt, auf die Einführung einer Verfaffung zu dringen. Im 3. 1815 befehligte er 
gegen die Oftreicher und erhielt von Murat den Grad eines Generallieutenants, den er auch 
nach der Reftauration Zerdinand’s behielt. Im 3. 1818 mußte er eine Divifion Milizen bilden 
und an deren Spige die Räuberbanden in den Provinzen Avellino und Fopgia ausrotten. Als 
die Sarbonaria zu Anfange des Juli 1820 die Fahne des Aufftands erhob, gab die Regierung, 
der er Durch feine Kreifinnigfeit verhaßt geworben, den Befehl zu feiner Verhaftung. P. entzog 
fich jedoch der Verfolgung umd führte am Abend des 6. Juli die zwei von ihm befehligten Regi⸗ 
menter der Hauptftadt zu ben Infurgenten nad) Avellino, wo ihm Lorenzo de Conciliis den Ober- 
befehl über die infurgirten Truppen übergab. Der Sieg der Revolution war hiermit entfchie- 
den. Am 9. Juli hielt P. an der Spige von 20000 Mann regulärer Truppen feinen Einzug 
in Neapel und wurde an Nugent’s Stelle zum Oberbefehlshaber und Gmeralcapitän des Reichs 
ernannt. Sein unvorfichtiges Berragen, namentlicy die Begünftigung der Soldaten, welche ben - 
Auffland begonnen, trug viel zur Veruneinigung der Däupter und Parteien bei. Mit der Gr- 
öffnung des Parlaments und der feierlichen Annahme der Eonftitution von Seiten des Königs 
legte P. feinem Verfprechen gemäß 1. Det. den Oberbefehl nieder. Nach ber Abreife Ferdinand's 
auf den Congreß zu Laibach trat er in den Staatsrath, welcher den Pringregenten unterflügen 
ſollte; auch bewerkftelligte er die Drganifation der Nationalgarden. Bei Annäherung der Oft 
reicher (20. Febr. 1821) erhielt er den Befehl über das zweite Armeecorps, welches 46 Batail⸗ 
one ftarf fein und die Abruzzen vertheidigen follte. Indeſſen zählte 9.’ Macht kaum 14000 
Mann, darunter fchlecht dißciplinirte Milizen, die auf die Kunde von der Annäherung des Feindes 
haufenweiſe davonliefen. Er eilte deshalb, die Oftreicher 7. März bei Rieti unmeit Civita⸗ 
Ducale nad) einem mwohlüberlegten Plane anzugreifen, fah ſich aber bald von feinen Scharen 
verlaffen und mußte mit den Trünmern nad) Caſtel di Sangro zurückweichen. Nachdem Alles 
verloren, entfloh er auf einem fpan. Schiffe nach Barcelona, ging dann nad) Liffabon und von 
da nad London und Madrid, wo er vergeblich die Errichtung eines Corps von Ausländern ver 
fuchte. In Neapel wurde er in contumaciam zum Tode verurtheilt. Die Tage feine® Exils ver- 
lebte er in London, mo er fich mit einer engl. Dame verheirathete, und fpäter in Paris, bis die 
Ereigniffe von 1848 und die Amneſtie König Ferdinand's ihn nach Neapel zurüdriefen, mo er 
vom Hofe und vom Volfe mit Auszeichnung empfangen wurde. Der König ernannte ihn bald 
nad) feiner Rückkehr zum Oberbefehlshaber des Armeecorps, welches unter Karl Albert für 
nationale Unabhängigkeit kämpfen follte. Kaum war P. bis zum Po vorgedrungen, ald der 
König (angeblich in Folge des ſicil. Revolutionsausbruchs) feine Gefinnung änderte und ſowol 
die nach dem Adriatifchen Deere gefandte Flotte als die Landarmee zurückrief. Vergeblich ſuchte 
P. feine Soldaten zurüdguhalten. Nur der Kern des Heeres, 2000 Mann, folgte P. nach Be 
nedig, wo er den Oberbefehl des Vertheidigungsarmee während der ganzen Dauer der Belage 
zung Venedigs führte. In diefer Stellung zeichnete er fich durch große Umſicht, Muth und ım- 
ermüdliche Thätigfeit aus. Won feinen Waffenthaten ift die bemerkenswertheſte der von ihm 
perfönlich geleitete Ausfall aus der Feftung Marghera gegen Meftre (Det. 1849). Als Vene⸗ 
Dig endlich zur Übergabe gezwungen wurde, fchiffte fih P. auf dem franz. Kriegs dampfer Plu⸗ 
ton nad Korfu ein. Nach kürzerm Aufenthalte in Paris ließ er fich in Nizza nieder, wo er 
fortan lebte. Hochherzig vertheilte er den größten Theil feines bedeutenden Vermögens unter 
feine Waffen- und Unglüdögefährten. Früher veröffentlichte er: „Relation des événemeuts 
politiques et militaires qui ont eu lieu a Naples en 1820 et 1821”; fputer „Memorie” und 
„‚Coutinuazione delle memorie del generale Guglielmo P.“ (italienifch und franggttn 0 Bir 


Gonu.ster. Behnte Kufl. XL 
























7154 \ Pipinieren 7 Perceval 
Autin 1850); — ⏑ 


‚de Naples‘ (Lond. 
inidten, eigentlich Baumfehule, nennt man ärztliche Schulen, in welchen 
vollftändige Univerfitätöbildung für gewiſſe — liche Stellungen, ins be ſondere 
ober Sandprapiß gezogen wurden. gl, Reit, Pipiniiren“ ( 
‚zühmtefie 3 war — jegige — — —— 
‚Berlin, in weichem junge Leute auf Koften des Staats unter Aufficht fo v 
iffen unterrichtet wurden, daß fie nach — —— als Compag: 
in bas Heer einzutreten befähigt waren, wo fie eine gewiſſe Anzahl Jahre dienen muft 
‚Entftehung verdantt die Anftalt den Bemühungen bes (irn 
Später (1818) vertaufchte bie Pepiniere em Bene ni mar, un 
che wefentliche Theile des Inftituts, namentlich die — 
menten u. f..w., in einem Gebäude vereinigt. Vgl. Preuß, 
‚Beiedrich-Wilpelms-Inflitut” (Berl. 1819). 

Pepios heißt das große übergeworfene Gewanl 1, weiches den feierlichen m 
Anzug der griech. Weiber bezeichnet, Der Peplos eo dm m gemein. 
der vornehmen Frauen, — aber in — Zeit weſentlich den ioniſchen 
Athen an. Er erſcheint auf Vafengemälbı ————— auf dem 
Varthenon in ber feierlichen Panathendenproceffion. Seinem als Feiertle id ge 
Ben der bildenden Kunft namentlich die ältern und — ttinnen, Jung, € 

fin ift das vermeintlich verdauende Princip bes — nach — * 
iſt es nichts als ein Gemenge eimeißähnlicher Körper. Ed wird aus der Drüfe 
“ lens gewonnen und wirft nur in Verbindung mit einer Säure verbauend, 

Vera, f. Konftantinopel. 

Verceptibilität bezeichnet die Fähigkeit eined Naturweſens, Perceptionen, d-b. 
nehmungen von Gegenftänden zu erzeugen durch eine‘ Verknüpfung von Senfationen oda br 
pfindungen. Sie it daher nicht zu verwechſeln mit der bloßen Senfibilität (f.d.), ald den 
Hi welches in den fenfibeln Nervenfäden als foldhen feinen Sig hat. Der fenfible Nenn 

kann manchmal durch Neize zu einfachen Empfindungen angeregt werden, welche Bet 
in entfprechenden Bewegungsnerven veranlaffın, ohne daß diefer Vorgang zu einer ® 
mung des veranlaffenden Gegenftandes ſich fteigert. Won diefer Art find die Berwegungnk! 
Schlafenden, ihr Umherwälzen vor Hige, ihr abwehrendes Hingreifen an die Stellen, me 
fie incommobirt, ihr Schlingen, Athmen u. ſ. w. Es muf daher, damit eine Perceptien 
fiche, zur einfachen Empfindung noch ein eigenthümlicher innerer Vorgang ı binyufemme 
welcher von den ältern Pfychologen ald Apperception, von den neuern als Bemuftfein ( 
bezeichnet wird und deffen Natur man am beutlichften in ber Aufmerffamkeit beobadıtnb 
welche die Senfationen durd Verknüpfung derfelben unter Mitwirtung der Phanrafi ( 
zum Range von Wahrnehmungen erhebt. Beim niedrigften Grate des Wahrnehmens wi 
ſich die Senfationen auf unbeftimmte und verwortene Art, beim höhern Grade tretm fr 
ı Mare Unterfchiede und Verhältniffe auseinander, beim höchſten Grade articuliren fie # 
deutlichen Begriffen. Je aufmerkfamer wir find, defto mehr und deutlicher percipiren mir 
weniger aufmerkfam, defio mehr ſinken unfere Perceptionen zum Range bloßer Empfin 
herab. Über das Weſen der percipirenden Aufmerkfamteit herrfchen unter den Pfocheiogm 
ſchiedene Anfichten. ‚Einige, wie die aus der Kant ſchen Schule, halten fie für ein b 
Agens, welches als appereipirender Verftand zum Stoffe der Empfindungen Hinzu tritt, a 
wie Herbart und fein Anhang, halten fie für einen Vorgang, welcher im Weſen der Seninim 
und ihrer Verhältniffe untereinander gegründet ift und aus denfelben unter günftigen Uni 
den von felbft erfolgt. 

Perceval (Spencer), brit. Staatsminifter, geb. 1.Nov. 1762, war der zweite Cola 
irländ. Grafen John Egmont, der in England außerdem die Titel eines Baron Lovell mih 
land führte. P. ftudirte die Rechte zu Cambridge und ließ fi mit großem Erfolg au 
walter zu London nieder. Vorzüglich begründete er feinen Ruf in dem Libellprocefie Te} 
Paynes (f. d.) deffen Vertheidigung er führte, Während des Proceffes gegen Marrnh 
flinas (f. d.) veröffentlichte er eine Schrift, in welcher er zu bemeifen fuchte, daß ein ri 
Verfahren nicht eingeftellt werben dürfe, wenn auch dad Parlament, welches die Unterinks 
eingeleitet, aufgelöft worden fei. Dies gefiel dem Minifter Pitt fo, daß derfelbe den Baiık) 
an ſich zog und zu feinem Schüler madyte. Y. gelangre nun unter folder Protection ins li 


Percuſſion (pbufll) Percuſſion (medicin.) 155 


Haus, wo er mit Eifer und großer Beredtfamteit die minifterielle Politik vertheidigte und beſen⸗ 
ders in den Finanzfragen gründliche Kenntniffe an den Tag legte. Addington, ber 1801 Pitt 
im Amte folgte, eımannte den gewandten Advocaten erft zum Solicitor, dann zum Attorney- 
general. Als nach Pitt's Tode 1806 ein freifinnigered Miniſterium ans Ruder kam, über 
nahm P. im Unterhaufe die Leitung der Torgoppofition. Mit ber Veränderung aber, die das 
Minifterium alsbald durch Kor’ Tod erlitt, trat er ins Gabinet, indem man ihm das Schatz⸗ 
Banzleramt anvertraute. Bei feinen Fähigkeiten und Kenntniſſen wußte er als Vertreter der 
Ariſtokratie und der Hochkirche und heftiger Feind Frankreichs in kurzer Zeit großen Einfluß 
au gewinnen. Im J. 1808 legte er dem Parlamente einen kühnen Finanzplan vor, nach wel- 
chem die breiprocentigen Renten derjenigen Inhaber, die wenigſtens das 35. Lebensjahr erreicht, 
in Unnuitäten verwandelt werben follten. Als gegen Ende des 3.1809 der altersſchwache 
Portland zurüdtrat, übernahm endlih P. mit dem Titel als Rorbichagmeifter das Amt eines 
erften Dinifters, das er in der That fchon längft ausübte. Die Whigs hatten gehofft, daß mit 
ber Erhebung des Prinzen von Wales (f. Georg IV.) zum Negenten gemäßigtere Minifter an 
bie Verwaltung treten würden; allein die Tories behielten die Portefeuilles. P. indeß genoß 
biefen Triumph nur Burze Zeit. Er wurde 11. Mai 1812 beim Eintritt in da6 Parlaments⸗ 
haus von einem WBechfelagenten, Namens Bellingham, der ſich über die Minifter beklagen zu 
müffen glaubte, erfchoffen. Seine Familie erhielt ein Zahrgeld von 5000 Pf. &t. bewilligt. 
Percuſſion nennt man in phyſikaliſcher Hinficht im Allgemeinen die Entzündung eines 
Knallpräparats durch fchnelle Verdichtung mittel® eines Stoßes oder Schlags. Dergleichen 
Knallpräparate waren ſchon in frühern Zeiten befannt. Die Anwendung derfelben zur Ent- 
zündung der Ladung der Feuerröhre ift aber erft feit Anfang diefe® Jahrhunderts in Anregung 
gelommen. Die erfte Art der Bereuffionsfchläffer an Flinten kann in das 3.1807 gefegt wer- 
den, wo Fortſythe ein Patent barauf befam. Später hat diefe Einrichtung den mannichfachften 
Abänderungen unterlegen, deren bis jegt befanntes letztes Reſultat die Entzündung bes Knall⸗ 
präparats ift, welches, in einer Heinen kupfernen Kapfel befindlich, auf den fogenannten Piſton 
gefegt wird, deſſen Kanal mit der Ladung in Berbindung fteht und deſſen Entzündung durch 
den dazu befonders eingerichteten Hahn des Gewehrs mittels eines Schlags bewirkt wird. 
Raäachftdem hat man audy nicht ohne Vortheil die Zündung dadurch hervorgebracht, daß ein in 
der Richtung der Seelenachfe des Rohre durch eine Feder beweglicher Stift gegen eine Zündpille 
ftößt, welche an der Patrone angebracht ift. Die Percuffionszündung ber Geſchütze unterliegt 
noch mehren Bedenken, und ungeachtet der außsgebehnteften Verſuche in fo vielen Staaten kann 
man bis jegt noch nicht behaupten, das abfolut Beſte gefunden zu haben. Die Hauptſchwierig⸗ 
beiten beftehen darin, baf mit der Eicherung ber Zündung auch die Gefahr bei der Zubereitung 
und Aufbewahrung bes Knallpräparats wächſt; daß dad Knallquedfilber nicht allein unter 
Umftänden erplodirt, wo man ſich fonft ganz gefichert glauben dürfte, z. B. bei einem an ber 
Wand hängenden, nicht berührten Gewehr, fondern auch, in größerer Menge verbrannt, z. B. 
beim Bataillonsfeuer, der Gefundheit nachtheilig werden kann; und daß das kohlenfauere Kalt, 
als Erfag des Queckſilbers, alle eifernen Theile des Schloffes auf nachtheilige Weiſe angreift. 
Dagegen gibt die Percuffionszündung bei Regen und Echnee weit ficherere Refultate als dab. 
Steinſchloß. Nicht mit Unrecht bringt man auch die intenfivere Entzündung der Ladung in 
Anſchlag, durch welche der Schuß kräftiger wird, und endlich kann die Einrichtung des Percuf- 
fionsfchloffes viel einfacher als die des Steinfchloffes gemacht werden, was nicht blos für den 
Sagdliebhaber, fondern namentlich für die Waffe der Infanterie von Wichtigkeit iſt. 
Percuſſion, eigentlich das Anfchlagen oder Anklopfen, nennt man in ber Medicin diejenige 
Unterfuchungsmethode, mittel® welcher man aus den durch leichtes Anfchlagen auf die Ober- 
fläche einer der Höhlen des Körpers hervorgebrachten Zonen den Zuſtand bes unter dem An⸗ 
Tchlagungspunft gelegenen Organs genauer zu beflimmen fucht. Sie ift ein Haupttheil der 
neuern phyſikaliſchen Diagnoſtik. (&. Diagnofe.) Aus der Anatomie ift befannt, wie die in den 
Körperhöhlen eingeſchloſſenen Organe regelmäßig befchaffen find, ob feft oder oder in ihrem 
Gewebe, ob mit Luft gefüllt oder Iuftleer, ob angeſpannt oder fchlaff u. f. w., und je nach diefer . 
Berichiedenheit nıuß auch ein leichter Schlag einen verfchiedenen Ton geben, der ſich außerhalb 
des Körpers durch phyſikaliſche Erperimente nachahmen läßt. Indem man nun die Zöne, 
welche auf diefe Art hervorgebracht werden, mit den Ergebniffen der Phyfiologie in Hinficht 
auf die Lage und Befchaffenheit der betreffenden Organe und der pathologifhen Anatomie in 
Bezug auf die Structurveränderungen derfelben vergleicht und daraus Si zieht, fo erhält 


756 Pe Per 


man ein mehr oder weniger deutliches Bild von dem vorhandenen Zuſtand derfelben, alj 
von der Ausdehnung und der Beſchaffenheit der innern krankhaften Proceffe. Won tehı 
Standpunkt aus betrachtet ift die Percuffion entweder unmittelbar oder mittelbar. Bei e 
(percussio immediata) Hopft man mit den bloßen Fingerfpigen auf die gar nicht oder nu 
bebedite Stelle des Körpers, bie man unterfuchen will; bei legterer (P. mediata) legt mar 
Bwwifchentörper, meift ein Plättchen Elfenbein (Plessimeter, daher die Kunſt Pleffimet 
‚mamnt wird), feft auf die zu unterſuchende Stelle und klopft mit den Singerfpigen odı 
Wimerich ſchen Percuffionshammer auf diefed. Die zweite Art ift die vorgüglichere, bir 
legt faft aufer Gebraud). Bel beiden aber kommt viel darauf an, in welcher Art man 
“weil die Stätte und Elaftieität, mit welcher man pereutirt, die Richtung, in der man bie | 
auffallen läßt u. ſ. w., auch ftets auf den Ton Einfluß haben, Am häufigften wendet m 
Percuffion bei der Brufthöhle.an, wie fte denn auch bei Krankheiten der Brufiorgane bi 
das Meifte geleiftet hat, weniger an den Höhlen bes Unterleibs, des Kopfs u.f.m. | 
machte Auenbrugger in feiner Schrift „Inventum’novum ex percussione 1horacis hü 
ut signo, abstrusos interni pectoris morbos detegendi” (Wien 1761) auf diefe von. 
machte Entdedung aufmerffam. Ihm folgten, während in Deutfchland wenig darauf 
genommen wurde, in Frankreich NRozitre de la Chaffagne, Gorvifart und Laennec, burd 
immer dringendere Empfehlungen die Percuffion auch endlich in England und Deuti 
einen allgemeinern Eingang und weitere Ausbildung gefünden hat. Piorry erfand bie; 
bare Percuffion. Skoda hat fie, nebft feinen Schülern, aufs höchſte außsgebilder. Vgl.diet 
ten der Genannten, ſowie die von Zehetmayer, Weber, von Baal u. A. über neuere Diag 
ercy, f. Northumberland. 
cH (Pierre Francois, Baron), ein ausgezeichneter franz. Militärchtrurg, geb. u 
tagny in der Franche · Comtẽ 28. Det. 1754, erhielt durch feinen Vater, welcher ebenfall 
ithirurg war, eine fehr forgfältige Erziehung und fludirte zu Belangen Medicin um 
rurgie. Nachdem er 1775 den Doctorgrad erlangt hatte, trat er ald Aide chirargien-ı 
ur Gendarmerie und rüdte nach und nad) zum Generalinfpector und Chef des franz. Mi 
medicinalwefens auf. Nach der zweiten Neftauration wurde er —— am ber medicin 
Faeultät, gab aber 1820 wegen Kräntlichkeit feine Stelle auf und ſiarb zu Paris 18. 
4825. Er ift der Schöpfer der hirurgifchen Ambulance, die den franz. Deeren fogroße Di 
Teiftete, und der Erfinder einer befondern Art des Krankentransports (brancards), diel 
aber fpäter zum Theil wieder aufgegeben hat. Seine Schriften zeichnen ſich durch Gründ 
feit wie durch elegante und originelle Schreibart aus. Nachdem die fönigl. Akademie derd 
rurgie zu Paris vier feiner Abhandlungen mit dem Preife gekrönt hatte, ernannte fie ie) 
ihrem Assoeid regnicole, doch mußte er verfprechen, ſich ferner nicht mehr um ihre Preik) 
bewerben. Er arbeitete Viele für medicinifche Zeitfhriften und das „Dictionnaire des 
ces medicales”; außerdem hat man von ihm „Manuel du chirurgien d’armee“ (Par. 14 
„Pyrotechnie chirurgicale pratique” (2. Aufl., Par. 1810; deutſch, Loz. 1798) und # 
Lobreden auf große Arzte und verftorbene Mitglieder der Akademie. Vgl. Laurent, „Hi 
ide la vie et des ouvrages de P.“ (Verfailles 1827—28). 

Perczel (Morig), ungar. Nevolutionsgeneral, geb. 1814 zu Tolna im gleichnamige ® 
mitat, trat, nachdem er feine philofophifchen und juridifchen Studien zu Pefth beendet, Fi] } 
bett in das königl. Ingenieurcorps. Die Unthätigkeit des Garnifonfebens bewog ihn nahi@ 
Jahren den Dienft zu verlaffen, um ſich an der damals fehr lebhaften politifchen Agiratim 
feinem Vaterlande, zu betheiligen. Vom Comitat Tolna ald Deputirter auf die Ride 
von 1840, 1843 und 1847 geſchickt, bewies er fich hier als ftürmifcher Wortführer deräd 
ſten Linken. Nach den Märgereigniffen von 1848 wurde er zum Rath im Minifterum! 
Innern und von Dfen zum Reichötagöbeputirten emannt. Erſtere Stelle gab er jedohl 
auf, um befto ungehinderter der Friedens politik des Batthyanyiminiſteriums entgegentrem 
tönnen. Mit Madaras und Nyarü bildete P. bei Eröffnung der Nationalverfammlum 
Oppofitionstriumbirat, das anfangs vereinzelt daftand, aber durch die Macht der Erg 
immer größern Anhang gewann und nad) wenigen Monaten die Rihtung der Verfana 
und der Regierung beftimmte. P. mar der Erſie, der in der Nationalverfammluug and 
ſchiedenen Kampf gegen Oftreich foderte, was ihm harte parlamentariſche Gonflicte m 
Duell mit dem Grafen Chotek zuzog. Als der. Kampf offen ausbrach, bildete er eine freimilz 
Zeinyi-Schar, an deren Spige er Anfang October 1848 das dem Zuge Jellachich nachſo 
kroatiſche Corps unter Roth und Philippovith gefangen. nahm. Hierauf zum Oberft, bamı 


dd 


Derdiflas Peregrinus Proteus | 197 


eral ernannt, kämpfte P. mit Glüd an der Drau, errang namentlih 17. Det. bei Le 
a und Kotori einen Sieg, der ihm den Befig der Infel Muraköz verfchaffte, von mo ex 
tov. einen Einfall in Steiermark machte. Beim Herannahen Windifhgräg’ mit feinem 
p& nach Peſth oder zur Hauptarmee beordert, wurde er, in Bolge von Görgei's übereiltem 
kzug, auf dem Marfche dahin 29. Dec. bei Moor von Jellachich mit überlegener Streitkraft 
‚griffen und in die Flucht gefchlagen. Doch gelang es ihm einige Tage darauf in Peſth fein 
os wieder zu fammeln, mit dem er ſich nun, während die ungar. Dauptarmee in den Norden 
nad Szolnof zur Dedung des linten Theifufers wenden mußte. Der Überfall, den er hier 
—26. San. 1849 gegen die am rechten Ufer befindliche Brigade Ottinger's ausführte, ger - 
: zu den hervorragendften Waffenthaten des ungar. Kampfes. Wegen Uneinigkeit mit der 
utionären Regierung ded Commandos enthoben, ging er nach Tolna, wo er mit neugewor- 
n Freiwilligen auf eigene Hand operirte und namentlich von Földvar aus dem Feind bie 
aufahrt unmöglich machte. Im März wieder in den Süden entfendet, ergriff er 22. März 
Iffenſive und erfocht raſch hintereinander Siege bei Zombor, Sirig und Horgos, entfegte 
rwardein und nahm endlich die Echanzen von St.-Tamas. Bald darauf von Stratimiro- 
überfallen und bis Kacs zurüdgedrängt, mußte P. diefen Verluft bald gut zu machen, in⸗ 
er den Feind feit 135. April in einer Reihe von Gefechten ſchlug, Tomaſovacz und Uzdin 
n und 10. Mai in Pancfova einzog. Doc) verftand es der ftürmifche P. nicht, feine Siege 
chern, fodaß die befiegten Raigen und Serben ſich in feinem Rüden wieder erhoben, wäh- 
ihn zugleich fein barfches und willfürliches Benehmen mit feinen eigenen Offizieren und 
yer Regierung veruneinigte. Des Commandos enthoben, bad an Vetter überging, blieb P. 
e Wochen unthätig, fammelte jedoch beim Herannahen der Ruffen abermals ein Corps vor 
I0 Freiwilligen und fchloß fi der Dembinfti’fhen Theifarmee an, mit der er an den 
achten von Szöreg (3. Aug.) und Temeswar (9. Aug.) rühmlichen Antheil nahm. Nach 
unglüdlihen Ausgang der legtern flüchtete er in die Türkei, mo er erft in Widdin, dann in 
ımla interniert war. Im Yug. 1851 entlaffen und in Pefth in effixie gehängt, ging er erſt 
London und Anfang 1852 nach Jerſey, wo er noch im Nov. 1853 weilte. Im Exil 
ı er an der Spige ber Oppofition gegen Koffuth, deflen Schwäche, namentlich Görgei ge- 
ber, er den Fall Ungarns zufchrieb. An Eifer und Thätigkeit ſowol ale Agitator mie als 
erillasführer wurde P. von keinem feiner Benoffen übertroffen ; dagegen fehlte ihm befon- 
Ruhe, um die Erfolge zu fihern. 
erdikkas ift der Rame mehrer macedon. Könige, von denen der ältefte, ein Heraklide und 
tomme bes Temenos, der Sage na) um 664 v. Chr. das mäcedon. Neich gründete, ein 
ser, Perdikkas IL, Vater des Archelaus, zur Zeit des Peloponnefiihen Kriege den Thron 
ıptete und ald Gegner der Athener auftrat, weil diefe feinen aufrührerifhen Bruder Phi⸗ 
unterflügt hatten, endlich Perdikkas M. Bruder des berühmten Philipp, ald König 
v. Chr. ftarb. Noch befannter und Hiftorifch wichtiger ift aber Perdikkas, der vertraute 
nd und Feldherr Alexander's d. Gr. der auch in der legten Stunde feines Lebens ihm 
n Siegelring ald Symbol der königl. Gewalt übergeben haben fol. P. benuste daher die 
ibertragene Reichsverweſerwürde fehr bald dazu, die beiden nächften Thronerben zu ver- 
gen und die Herrfchaft fich ſelbſt anzumaßen, verfolgte aber diefen Plan mit zu großer 
und Übereilung, veranlaßte dadurch ein Bündniß mehrer Satrapen gegen ſich und wurde, 
e fein Anfehen durch Waffengewalt geltend machen wollte, auf einem Zuge in Agypten 
feinen eigenen Truppen 321 v. Chr. erfehlagen, worauf das empörte Heer dem Antipater 
) die erledigte Reichsverweſung übertrug. 
jerduellio heißt im rom. Rechte der Mord an Denen, gegen welche man befondere Pflich- 
at. Zur Perduellio gehört daher das Vergehen des Clienten gegen den Patron (f. ETientef), 
r der Hochverrath, Aufruhr, Streben nach Oberherrichaft u. ſ. w. 
jeregrinus Proteus, ein berüchtigter Schwärmer in der erften Hälfte des 2. Jahrh. 
hr., wurde zu Parium in Myſien von heidnifchen Altern geboren. Nach vielem Unfuge, 
rt verübt, mußte er, weil man ihn befchuldigte, feinen Vater ermordet zu haben, flüchtig 
rem. In Palaftina, wo er Chrift wurde, brachte ihn fein ſchwärmeriſcher Eifer eine Zeit 
ins Gefängniß. Später wegen feiner Verworfenheit von der Gemeinfchaft der Ehriften 
eſchloſſen, verfanf er in die niedrigften Ausfchweifungen. Allgemein verabfcheut, wollte er 
igſtens durch eine außerordentliche Handlung enden. Demnach machte er befannt, daß er 
yei den olympiſchen Spielen freimillig verbrennen werde: ein Entſchluß, den er 168 n. Chr. 
iner ungeheuern Menfchenmenge ausgeführt haben fol. Ein erneutes Iarrrrir NW. 
h Wieland's gleichnamigen Roman 


758, Peremtoriih Perforation s 
Peremtoriſch (tat, d. i- unverzüglich, ohne weiteres, ein für allemal) Fommt is 
Re h taſprache ee don — 9 —— und "A namentlih 
(f.d.) und Einreden gebraucht. Eine peremtorifche ‚eine folche, deren Verfäumeik 
Verluft des innerhalb derfelben geltend zu machenden Rechte nad) ſich zieht. 
riſche Einreden f. Einrede. . mn 
Perennirend oder ausdauernd nennt man diejenigen Pflanzen, deren Stengel all 
abfterben, während die Wurzel viele Jahre lebendig bleibt und im folgenden Jahre immer= 
der neue Stengel treibt, tie dei den Päonien, Eifenhut, Niesrourz, Primeln, Funk 
uses werben ſolche Pflanzen mit dem Zeichen Jupiters: 2. 
Epii 




























erez (Antonio), Minifter Ppilipp's I, von Spanien, der in eine der merkmückg 
foden der Regierung dieſes Könige aufs innigfte verflochten iſt. Er war 1539 in iz 
jien geboren. Sein Vater, der bei Karll.und Philipp II. Staatsfecretär war, Hinterfieh ib 
kn mögen, gab ihm aber eine ausgezeichnete Erziehung, die er durch längere Nefmi 
mentlich in Stalien, vollendete. Nach Spanien zurückgekehrt, ward er Rp 
Könige befannt und, obwol erft 25.3. alt, zum Staatöfecretär erhoben. In diefer S 
genoß er das volle Vertrauen ded Königs, leitete Hauptfe deffen auswärtige Poll) 
wette fich aber auch durch Stolz, Gelbgier und fürftliche ee und 
fühite ſich in feiner Macht fo ſicher, daß er mit der einflußreichen Geliebten des König 
FAr von Eholi (f.d.), ein Biebesverhältnig anknüpfte, das bald faft Niemandem dl 
Könige ein Geheimniß war. Eine unerwartete Verwickelung wurde Anlaß feines Stunt B 
Juan d Auſtria (f.d.), der Halbbruber Philipp's I., hatte feinen Vertrauten Juan 
nad) Spanien um Hülfe geihidt. Derfelbe war jedod) dem König verhaft umd der 
worden, und er befchloß, ihm aus dem Wege zu räumen. Antonio 9. war es, der den! 
im tiefften Geheimniß erhielt und den Mord 31. März 1578 vollgichen ließ. Die Ka 
covedos bezeichnete bald P. als den Mörder, und auͤch die übrigen Gegner benuptm 
Anlaß, um auf feinen Sturz zu arbeiten. Doch ſchien der König anfangs feinen Mir 
gegen die immer lauter werdenden Anklagen fügen zu wollen. Im Juli 1579 ward & 
verhaftet, in den Kerfer geworfen und Durch) die Folter zum Geftändniß gebracht. Dad) 
es ihm zu fliehen. Er begab ſich nad) Aragonien, um unter dem Schuß der Worredt 
Landes Sicherheit vor dem Könige zu finden. In Madrid zum Tode verurtheilt, wurk 
Saragoffa von den Gerichten gefchügt, bis fich der König der Inquifition bediente, um 
Auslieferung zu fodern. Der Jufticia major, der ihn bi jegt gegen alle Anmurhus 
fügt, überantwortete ihn nun (Mai 1591) an die Inquifition, aber ein Aufftand da 3 
zwang diefelbe, den Gefangenen wieder herauszugeben. Von jegt an wat die Sache 
mit den von den Aragonefen eiferfüchtig verfochtenen Fue ros eins geworben. Vergeben 
der König zum zweiten mal den Jufticia major vermocht, P. an die Inquifition aut 
ein wiederholter Aufftand machte ihn frei. Nun brach Philipp II. mit Heeresmadt 
übermöältigte Ende 1591 die Stadt und das Rand Aragonien, zerftörte die altn Be 
fungsprivilegien und ließ die angefehenften Männer hinrichten. P. aber entrann j 
und fand in Paris und London eine ehrenvolle Aufnahme, indeffen erin Spanten ad 
verurtheilt, feine Güter eingezogen und über feine Familie die” Infamie aus 
wurde. Jahre lang veriveilte er in England im Umgang mit den angefehenften Pi 
kehrte dann 1595 nad) Paris zurüc und verbrachte dort den Neft feines Lebens, ob W) 
feine Hoffnung erfüllte, durch die Amneſtie des Königs die Rückkehr in fein Vaterland 
langen. P. ftarb 1611 zu Paris. Er hat ſehr intereffante Aufzeichnungen Hinterlft 
theũs fein eigenes Leben, theild die Politik Philipp's If. beleuchten. Aus ihnen md aut 
Quellen hat Salvador Bermudez de Caſtro eine gute Biographie von ihm gefchöpft 
1842), die aud) von Mignet in feiner Schrift über Antonio P. (1846) viel beugt weit! 
Gugtom hat das Schickſal des P. zum Gegenftand eines Dramas („Philipp und Per) 
Arten heißt Vervolltommnungsfähigkeit. So freiten 5.3. die Theolog) 
die Perfectibilität des Chriftenthums, die Politiker über die gewiſſet politifcher Infkmi 
Bur Bezeichnung des Glaubens an die Perfectibilität, namentlich des Men fchengefelrdt 
ein beftändiges Fortſchreiten deffelben zum Beffern hat man das fehr unnöthige Ku 
Perfeetibilismus gebildet. 
erfectum, ſ. Präteritum. 
erforation nennt man gewöhnlich, die hirurgiiche Operation, bei der man die ® 
gen natürlicher oder wiidernatürih geailteter Höhlen und Kanäle im Körper dur Sit 


um wu mm um = EmE 


Pergament Pergamum 1759 


hrwerkzeuge öffnet, um been Inhalt zu entleeren ober fie für bie Anwendung von Heilmit⸗ 
ı zugänglich oder auch zur Ausübung Ihrer Bunctionen tauglich zu machen. Eigentlich 
zwifchen Perforation und Paracentefe Fein Unterfchied; doch gilt Iegtere Operation ber 
ders von den Fällen, wo man Blüffigkeiten (Hybropifches Waſſer, Eiter u.a.) heraus- 
jen will. Unter der geburtshülflichen Perforation verftcht man bie fünftliche Offnung und 
tleerung (Entbirnung) des noch im Körper der Mutter befindlichen Kindestopfs, welche, 
an die Größe deffelben den Durchgang durch das mütterliche Becken verhindert, vorgenome 
n wird. Außerdem nennt man bie durch Krankheiten, z. B. Geſchwüre, Brand u. ſ. w., her⸗ 
geführte Durchlöcherung der Wände von Kandlen und Höhlen eine (freiwillige, fpontane) 
tforation und fpricht Daher von perforirenden Geſchwüren, welche 3. DB. den Magen oder 
e Darmwand durdlöcdern und ben Austritt des Inhalts (3. B. des Darmkoths in die 
uchfellhöhle) nach fich ziehen. | 
Bergäment ift ungegerbte, nur gereinigte, mit Kalt gebelzte und geglättete Thierhaut, da» 
vom Leber wefentlich verfchieden. Daffelbe wird meift aus Schaf, Hammel⸗ und Kalbfel⸗ 
oft auch aus Bodt- und Ziegenfellen oder aus Eſels⸗ und Schweinshäuten verfertigt, zum 
reiben und Malen, zum Beziehen der Trommeln und Pauken und zu andern Zweden ge- 
icht. Es foll nad, der gewöhnlichen Meinung den Ramen von der Stadt Pergamum (f. d.) 
Iten haben, wo es ungefähr 300 v. Chr. erfunden worden fein foll. Doc ſchon zu David's 
en hatten die Sfraeliten aufgerollte Bücher von Thierhäuten, und Herodot erzählt, daß die 
Ler in den älteften Zeiten auf ungegerbte Hammel⸗ oder Ziegenfelle ſchrieben, von denen blos 
Daare abgefchabt waren. Übrigens erſieht man auch den Gebrauch, welchen die Alten in 
> Abficht von allerhand Zellen machten, aus dem Worte membrana, womit fie aunächft 
Haupt die Haut, dann die zum Echreiben bereitete Haut oder das Pergament bezeichneten. 
»er Folge wurden die Felle durch Schaben und Reiben mit Kalk zu Blättern verdünnt, und 
der Erzählung des Joſephus konnte Ptolemäus Philadelphus die Feinheit des Perga- 
E6 nicht genug bewundern, auf welches die Bibel abgefchrieben war, dieihm der Hohe Prie⸗ 
Zleazar zufchidte. Dies Alles beweift, daß das Pergament nicht m Pergamum erfunden, 
ern dort wahrfcheinlich nur verbeffert worden iſt. Indeß wurde es in [päterer Zeit dafelbft 
großer Menge verfertigt, daß es ben vorzüglichften Handelszweig dieſer Stadt ausmachte. 
Angs war das Pergament gelb; in Rom lernte man e8 weiß machen; nachher gab man ihm 
eine violette oder Purpurfarbe auf beiden Seiten. Sept weiß man dem Pergamente alle 
zen zu geben und auch ein gefärbtes Durchfichtiged Pergament zu bereiten. Auch wird viel 
Htes Pergament aus Papier verfertigt, indem man diefes mit einer weißen Leimfarbe über- 
- und dann mit Leinölfimiß tränft. 
Sergamentdrude. Nac der Erfindung der Buchdruckerkunſt benupte man das feit fo 
‚er Zeit als Schreibmaterial angerwendete Pergament namentlich dazu, um einzelne koftbare 
xfe in einigen Eremplaren darauf zu druden, und man forgte fomit für die Erhaltung der- 
en fchon durdy das dauerhaftere Material. Auch fpäter behielt man das Pergament wenig⸗ 
8 infofern bei, als nicht leicht ein nur einigermaßen erhebliches Werk erfchien, von welchem 
u nicht einige Eremplare auf jenem koſtbarern Material abgezogen hätte. Bon manchen 
rken wurden fogar dergleichen Abzüge in größerer Anzahl gemacht, und da fie ohnehin dem 
n der Zeit leichter widerftehen konnten, fo find von einzelnen Druden, wie z.B. von bem 
Iterium von 1457 und von ber erften Fufl-Schoffer’fhen Bibel, die Erempldre auf Papier 
größern Seltenheit geworden als die auf Pergament. Die Sitte, von einzelnen koſtbaren 
rken Pergamentabzüge zu veranftalten, hat fich bis auf die Gegenwart erhalten, und e& bil. 
diefelben eine eigene Kiteratur. Vgl. van Praet, „Catalogue des livres imprimös sur ve- 
de la bibliothöque du roi” (6 Bbde., Par. 1822— 28); Derjelbe, „Catalogue des livres 
yrimes sur velin, qui setrouvent dans les bibliothöques, tant publiques que particu- 
es, pour faire suite au pr&cödent catalogue” (4 Bde., Par. 1824—28). 
Nergämum oder Pergamus, eine bedeutende Stadt der Landfchaft Großmyfien in Klein- 
n, am Kanftros, wurde fpäter berühmt als Hauptftadt und Mittelpunkt des Pergameni⸗ 
m Reiche, wozu Philetärus, ein Statthalter des Lyſimachus, 285 v. Chr. den Grund legte. 
und fein Nachfolger Eunienes J. welcher 265—241 regierte, behaupteten ihre Unabhän- 
feit in der Burg und umliegenden Gegend gegen die Seleuciden, und Attalus I., der 241 — 
7 berrfchte, nahm zuerft den königl. Titel an. Unter diefem begann, im Kriege gegen Pb 
p II. von Macedonien, die freundfchaftliche Verbindung mit Rom, die von feinem Sohne und 
chfolger Eumenes II. welcher 158 flarb, im Kriege der Römer gegen Antiochus III. fort» 


760 Pergolefe Prien 


Ce un fee Be gutme da6 —— — 
igſten im treuer er 
BT Un — 


Vertreibung 
v. Chr. unter dem Namen Afis zur Provin machten. re 
volle Bibliothek, welche durch die Kunftliebe der Artaler geftiftet und bereichert murdr, m 
Sig einer berühmten grammatifhen Schule und vervolltommnete 
—5 Bol. Wegener, „De aula Attalica' (Kopenh, 1856). 
— je (Giambattifta), ein berühmter Gomponift, war zu Jeſi 3. Jam. 1710 a 
im Gonfervatorium dei poveri di Gesü Gristo zu i 

reco fm die Geheimmiffe feiner Kunft eingeweiht. Noch als Zögling des Eonfervatoriumt 
er fein Drama facto „San-Guglielmo d’Aquitania‘, weldes 4751 mit ſolchem Beifal 
geführt wurde, daß fich feiner mehre ital. Große annahmen. In diefer Zeit compomirte er, 
mehren Opern fein berühmtes Intermezzo „La serva padrona”, 3.1735 wurden 
Mom berufen, um dafelbft für das Theater Zardinone die Oper „Olimpiade” zu ſchreite 
aber keinen Beifall fand, während Duni’s a Dper „Nerone“, die 
Duni's eigenem Geftänbniß von weit geringerm war, allgemein gefiel. P. kehta 

nach Neapelzurüdumd componirte fein zehnftimmiges „Dixit“ und den Pfakm „Laudate 
den vollftändigften Beifall fanden. Seiner ſchwankenden Gefundheit wegen begab er fih 
nach Puzzuoli. Hier componirte er noch bie Cantate „Orfeo”, ein „Salve regina” und fü 
rühmtes „Stabat mater”, das Hiller im Klavieraus zug mit untergelegtem deutſchen Zert he 
gegeben hat. P. ftarb dafelbft 26. März 1756. Schnell verbreitete fih num fein Ruf 
Europa. Die Theater wie die Kirchen ertönten von feinen Werken; in Rom gab man 
„Olmpiade” aufs neue mit größter Pracht, und, je gleichgültiger man anfange gerefen, 
mehr bemunderte man nımmehr ihre Schönheiten. Es ift nicht zu leugnen, daß. P. fih 
Weichen mehr ald dem Kräftigen zuneigte, und felbft feinem „Stabat mater*, das Wier. 
neu inftrumentirt herausgab, macht man zu große Weichheit zum Vormurfe. 

Werborredcenz heit die Erklärung einer Partei, daf fie den Richter, welcher der! 
nach {hre Angelegenheit zu entfcheiden hätte, nicht für unparteiifch halte und daher diet 
einem andern zi übertragen bitte. Ein ſolches Gefuch kann aber nicht ohne hinreichende G 
vorgebracht werden. Dahin gehören nahe Verwandefchaft, enge Freundſchaft mit dem Gr 
Feindichaft mit dem Perhorrescenten und Alles, was auch einen Zeugen verdächtig m 
würde. Diefe Gründe müffen erwieſen oder ftatt deffen der Perborrescenzeid geleifter wı 

Periander, Tytann oder Herricher von Korinth, einer der fogenannten Eichen & 
Griechenlands, folgte feinem Vater Eypfelus 627 v. Chr. in der Regierung und bewie 
fangs große Milde und Gerechtigkeit. ließ ſich aber von der Zeit an, wo er im Jähzorm 
Gattin ermordet hatte, die härteften Bedrückungen gegen feine Unterthanen au Schulden 
men und flarb im hohen Alter 584 v. Chr. Ein Abrif feines Lebens nebft Mittheilung 
vorzüglichften Ausfprüche finder ſich bei Diogenes von Laerte. 

eriegeſis Hich bei den Griechen urfprünglich das Herumführen eines Fremden un 
damit verbundene Vorzeigen und Erklären von Mertwürbigfeiten der Kunft, und Ber 
Derjenige, derwdieh that. Vorzugsweiſe gebrauchten fie aber diefen Ausdrud im geograph 
Sinne von der Erzählung der Merkwürdigkeiten der Städte, Länder und Völker, daher ı 
Schriftfteller, wie Hekataus, Dionyfius (f. d.), der deshalb den Beinamen Periegetes a 
und Paufanias, ihren dahin einfchlagenden Werten den Zitel „Periegesjs” gaben, den 
auc die Römer Avienus und Priscianus in ihren Nachbildungen beibehielten. 

Perier (Caſimir), franz. Staatömann, geb. zu Grenoble 21.DOct. 1777, ftammte aus 
Familie, die fich auf dem induftriellen Gebiet Reichthum und politifchen Einfluß erworben 
Beim Ausbruche der Revolution befand er ſich zu Lyon im Eollege der Dratorier, wo auf 
ältern Brüder erzogen worden waren. Er kehrte nad) Paris ind väterliche Haus zurü 
ſchloß fich den Unternehmungen feines Bruders Scipion an. Im 3.1798 trat er in das € 
corp6 beim Heere in Italien und wohnte den beiden folgenden Feidzügen bei. Nach der! 
kehr gründete er mit Scipion zu Paris ein Banfierhaus, das ſchon in der Kaiferzeit au 
dentlich emporblühte, nach der Reftauration aber bie großartigften induftriellen Speculaı 
umfafte. Die öffentlihe Meinung erzeugte damals Männern, die wie P. und Laffitte 
ihre Unternehmungen die Induftrie des Landes hoben, ganz befondere Gunfi. Der He 


\ 


Berier | 761 
be alte Ariſtokratie Dagegen verfhmähten und verbächtigten diefe Männer, weil dirfelben gro⸗ 
en Einfluß auf das Bolt übten und als die natürlichen Vertreter der gefeglichen Ordnung eine 
tegierung nach der Charte wünſchten. P. unterwarf 1817 die Finanzpolitit der Minifter in 
mer Flugſchrift einer fharfen Beurtheilung und wurde dafür fogleich von der Hauptfiadt in 
le Kammer gewählt. Auf diefer neuen Laufbahn bewies er fich weſentlich conftitutionell, bee 
impfte die Reaction mit fleigender Energie und gebrauchte namentlich fein gewaltiges, uner- 
rnũdliches Rednertalent gegen die Berwaltung Villeles. Als aber die Julirevolution 1830 
ereinbradh, zeigte er ſich ſchwankend und zweibdeutig. Er hielt die Deputirten in der Hauptſtadt 
on entfchiedenen Schritten ab, riech zu Unterhandlungen mit dem Hofe und gab fich erft dem 
reigniſſe vorfichtig bin, als die vollftändige Niederlage der Truppen entfchieden war. Wiewol 
» Mitglied der am Nachmittage des 29. Juli auf dem Stadthaufe zufammentretenden bürger- 
chen Commiſſion wurde, fo war er doch nicht dafür, den Herzog von Orleans auf den Thron 
3 heben. Bon der 3. Aug. conflituirten Kammer zum Präfidenten gewählt, legte er diefe Würde 
ereits bei der Bildung bes Minifteriums vom 11. Aug. nieder, in welches er ohne Portefeuille 
trat. Nachdem Laffitte 2. Nov. das Staatsruder übernommen, fchied er aus dem Cabinet, 
eſſen Politik ihm zu revolutionär dünkte, und kehrte auf den Prafidentenftuhl zurüd. In der 
zurcht, daß die Revolution in eine Zertrümmerung aller Verhältniſſe ausarten werde, betrach⸗ 
:te er ſchweigend den Bang der Ereigniffe. Mit dem Vorfage, den Abgrund der Ummälzung 
u ſchließen, übernahm er 13. März 1831 aus den Händen Laffitte's, der ihn zu feinem Nach» 
olger empfahl, das Staatsruder mit dem Portefeuille des Innern. Fortan follte die Aufgabe 
er Regierung in der Bewahrung des äußern Friedens und in ber Niederdrückung jeber Partei» 
ußerung und jeder Demonftration des Volkswillens im Innern beftehen. In der That begann 
vie der Präſidentſchaft P.'s die Herrfchaft des fogenarmten Jufte-milieu (f.d.) und für bie Julk 
sonarchie eine neue Epoche. Das Land war der Emeuten müde, die republitanifche Preffe 
igte den ruhigen Bürgern Schreden ein, und fo fand ſich die Regierung ſtark genug, um das 
Softem des Widerftands gegen die revolutionären Doctrinen und Bewegungen energifch gel» 
md zu machen. Während man den Farliftifchen Aufftand in der Vendee und die republikani⸗ 
den Aprilunruhen mit blutiger Strenge erftidte, wurde auch die Deputirtentlammer wegen 
red Liberalismus aufgeloft. Allein die neue Kammer, welche 25. Juli 1831 zufammentrat, 
yar für das Minifteriun des Juftermilieu eben nicht fehr günftig geflimmt und entfchied ſich 
:ach dem heftigften Kampfe, in dem P. feine ganzen Kräfte aufbot, 18. Det. mit großer Ma» - 
zrität gegen bie beantragte Erblichkeit der Pairswürde. Bon diefer Niederlage ſchwer gebeugt, 
ühlte P. daß er vergebens gegen die Verhältnifle ankämpfe. Die Unruhen, weiche auf die 
Bunde von dem Falle Warfhaus auf allen Punkten des Landes ausbrachen, der Nothſchrei der 
rmern Claſſen, der Aufftand der Seidenarbeiter zu Lyon im November und die Erneuerung 
er karliſtiſchen Bewegungen im Frühjahre 1852 im Süden verriethen ihm vollends den Vulkan, 
m er mit phyſiſcher und geiftiger Erſchöpfung zu verfchließen fuchte. Seine großen Erfolge in 
er äußern Politit, die Aufrechthaltung Belgiens, die Demüthigung Dom Miguel’6 durch die 
‚bfendungder franz. Flotte in den Tajo, die Befegung Anconas verſchwanden in dent Tumulte 
T Parteim. Als im März 1832 die Cholera auch in Paris ausbrach, traf er mit raftlofer 
hätigkeit die umfaffendfien Maßregeln. Am 1. April befuchte er mit dem Kronprinzen in 
erfon das Hötel-Dieu, welches mit Cholerakranken angefüllt war. Mit diefem kühnen Gange 
tterlag feine geſchwächte Natur ebenfalls der Seuche. Auf einem langen Krankenlager bemäch⸗ 
zte fich feiner der Wahnfinn, in welchem er über Nichterfüllung von Verfprechungen und über 
in Verluſt feiner Popularität klagte, und nach einem qualvollen Kanıpfe erlöfte ihn endlich der 
od in der Nacht vom 15. zum 16. Mai 1852. Ein großer Theil der Nation, befonders der 
anbelsftand, beklagte fein Ende, und das Zragifche, womit der fämpfende Held von Schaur 
age trat, verföhnte felbft feine Feinde. Seine Leiche wurbe von einer zahlloſen Volksmenge 
sch dem weftlichen Begräbnißplage von Paris begleitet, wo ihm auch feine Freunde ein groß⸗ 
stiges Denkmal fegten. P. war jähzornig, hart und ohne philofophifche Bildung ; aber als 
Staatsmann befaß er große Eigenfchaften, namentlich fchnelle Auffaffung, fichere Anordnung 
nnd einen eifernen Willen. Er hinterließ zwei Schne: Paul P. geb. 1809, der fi dem Ban⸗ 
ergeſchäft widmete, und Caſimir P., geb. 1811, welcher die diplomatifche Laufbahn betrat, 
on 1850-46 an verfchiedenen auswärtigen Höfen Geichäftsträger der franz. Regierung, 
n Der legten Deputirtentammer Abgeordneter vom erften Arrondiffement der Seine, in der 
Befepgebenden Rationalverfammlungaber Repräfentant des Aubedepartenients war. — Perier 
Auguſtin), der ältefle Bruder des Minifters, wurde 1772 gu Grenoble geboren und trat in das 


762 Perigäum Perihelium 


Bantiergeſchäͤft feines Vaters. Er gelangte 1827 in die Deputirtenkammer,ethielt 11 
die Pairswürde und ſtarb 2, Der. 1833. — Perier (Alerandre), ein zweiter Bruder, 
1774,trat 1820 als Abgeordneter des Depart. Loitet in die Kammer, wurbe aber feit 185 
wieder gewählt. — Perier (Antoine Scipion), ber Dritte Bruder, geb.ju Grenoble 14. 
erwarb. fich ald ausgezeichneter Gefchäftsmann und Philanthrop einen Namen. Er mar‘ 
begränder der Banf von Frankreich, der Aufmunterungsgefellicaft, der exften fram 
ranzeompagnie,der Sparkaffe von Paris und vieler anderer gemeinnügiger —— 
ſide eines außerordentlichen Vermögens, das er ſich im Verein mit dem ſpätern 
ben, gab. er ſich feinen Speculationen mehr hin, unterſtühte aber die 
und Gredit und befchäftigte in feinen zahlreichen Anftalten und Fabriken aller 
Bevölkerung. Frankreich verdankt ihm unter Anderm auch bie Einf der 
in den Kohlengruben. Er flarb zu Paris 2. April 1821. — Perter der für 
der, geb: zu Grenoble um 1785, wurde 1808 Aubiteur im Staatsrathe, trat Ä 
—— ee Kammer, feitdem für das Depart. Corröje und erhielt 5.,Du. 1 
itöwürde. 3 

Perigäum oder Erdnäbe heißt derjenige Punkt ber Mondbahn, welcher ber Erbe am ni 

ften unb dem Apogäum (f. d.) ober der Erdferne entgegengefept iſt 

- Veriguon (Dominique Catherine, Marquis de), Marſchall des franz. Rai 
SZ Mai 4754 zu Grenade im Depart. Tarn ⸗Garonne, trat als fünger 
nantsrang in die Armee und jtieg bald zum Oberft und Adjutant des € 
1791 wählte ihn das Depart. der Obergaronne in die Gefegebende Ver 
fegte die militärifche Laufbahn fort und erhielt den Befehl über eine Legion 
Nachdem er Brigadechef geworden, erwarb er ſich gegen Ende 1793 den Grab des D 

‚enerals. An Dugommier's Stelle, der 1794 bei San-Sebaftian fiel, übernahm er 2 
Dberbefeht, ſchlug alsbald die Spanier aus ihren Stellungen bei Escola umd eroberte bin 
200 Kanonen. Dieſer Sieg öffnete ihm 20. Nov. 1794 die Thore von Figueras, wo ihm! 
derum 9000 Mann mit 71 Kanonen in die Hände fielen. Der ebenfalls glücPliche Fan 
folgenden Jahres führte zum Frieden, nach deffen Abſchluß er als Gefandter der.Reı 
Madrid ging. Das Dirertorium rief ihn 1798 zurück und gab ihm ein Commando in ber] 
mee von Stalien, deren Niederlage er 17. Aug. 1799 bei Novi theilte. Ungeachtet der tapfer 
Gegenwehr fiel er hierbei ſchwer verwundet in die Hände des Feindes und wurde erſt na 
gerer Gefangenschaft ausgewechfelt. Nach feiner Rückehr trat er in ben Senat und erhielt 
Septeniber 1802 vom Erften Conful den Auftrag, die Grenzangelegenheit zroifchen Franted 
und Spanien zu ordnen. Nachdem er kurz vorher die Senatorei von Bordeaur erhalten, m) 
tieh ihm Napoleon bei Errichtung des Kaiferthrond (im Mai 1804) den Marfchallefteb,. Fi 
3.1806 ernannte ihn der Kaifer zum Gouverneur von Parma und Yiacenza; 1808 aberm# 
er an Jourdan's Stelle den Oberbefehl über die neapolit. Truppen übernehmen. Erf Ill 
ald König Murat mit dem Übertritt zu den Verbündeten-umging, verließ er Meapel und ka 
nad) Frankreich zurüd. Ludwig XVII. erhob ihn A. Juni 1814 zum Pair und Marquis. © 
Napoleon zurückkehrte, ſuchte P., der ſich auf ein Landgut bei Zouloufe zurückgezogen ber 
die Royaliften im Süden zu organifiren, was ihm nicht gelang. Er verlief Frankreich und mei 
für feine Anhänglichkeit nach der zweiten Neftauration mit dem Gouvernenient der erften ©) 
fitärdivifion belohnt. Er ſtarb zu Paris 25. Dec. 1818. . 

Perigord, eine vormalige Landfchaft im ſüdweſtlichen Frankreich, die yur Provinz Gum) 
(f.d.) gehörte und gegenwärtig einen Theil des Depart. Dordogne bildet, zerfiel in Ober 
Nieder- oder in Weiß und Schwarzperigord, weil der untere Theil reih an Schwarzmäße 
ift. In Dberperigord war Perigueur die Dauptftadt, von welcher dad Land auch den Ras 
führte, in Nieberperigord Sarlat. Archimbald VI, Graf von P;, deffen Vorfahren das ie 
feit uralter Zeit befaßen, wurde 1599 unter König Karl VI. geächtet, angeblich, weil er dieiot 
ter eined Bürgers von Perigueug zu entführen verfucht hatte. Befisthum und Titel erfidte 
Feind feines Haufes, der Herzog Ludwig von Orleans, deffen Sohn feine Anfprüce 10T 
während der Gefangenſchaft zu London, an den Grafen von Penthievre, Johann von BA 
verkaufte. Die Nichte deffelben, Francisca, brachte P. dem Seigneur d'Albret zu, deſſen Er 
tochter Johanna ſich mit Anton von Bourbon vermählte, Heinrich IV., Anton’s Sohn, m) 
einigte P., nachdem er den franz. Thron beftiegen, für immer mit der Krone. 

Perihelium oder Sonnennäbe ift derjenige Punkt der Erdbahn, in welchem die Ertt 
Sonne am nädjften ift, Der entgegengefepte Punkt Heißt Aphelium (f.d.), 






























Perikles Perikopen 763 


L . 
Perikles, ausgezeichneter Staatsmann des alten Griechenland, ftammte aus einer alten an« 
sefehenen Familie, indem er ein Urenkel des Kliſthenes und Sohn des durch feinen Sieg bei My⸗ 
‚ale berühmten Zanthippus war, und erhielt, von der Natur mit ausgezeichneten Anlagen aus» 
;erüftet, namentlich durch den Unterricht des Anaragoras feine höhere Ausbildung, defe 
en Kraft der Rede, Adel der Gefinnung und erhabenen Ernſt er fich ameignete. Sein erſtes Auf 
zeten im öffentlichen Leben fällt in die Zeit, als Ariſtides bereits geftorben, Themiſtokles lan⸗ 
es flüchtig war und Cimon außerhalb Hellas ſich befand. Er leitete dann feit A69 v. Chr. nicht 
‚uch irgend eine Art außerer Gewalt unterflügt, fondern allein durch die bemundernswürdige 
Stärke feines Geiſtes die Angelegenheiten Athens, als diefer Staat den Höhepunkt feiner politi« 
chen und geiftigen Blüte erreicht hatte, eine Reihe von 40 J. mit dem fegensreichften Er⸗ 
‚olge. Über die Vorurtbeile feines Standes erhaben, widmete er feine vorzüglichfte ZT hätigkeit 
„er demokratiſchen Partei und trat als entfchiedener Gegner aller Derer auf, die noch die Uber⸗ 
‚efte der frühern Ariftoßratie vertheidigten, bis er auch die legte Stüge der Ariftokratie dadurch 
wach, daf er mit Hülfe feines Freundes Ephialtes die Dberaufficht des Areopagus über 
„He ganze Verwaltung bedeutend fchmälerte. Ebenfo verfchaffte er auch den ärmern Bürgern 
‚ie Möglichkeit, an allen Verhandlungen in der Volksverſammlung Theil zunehmen, durch Feſt⸗ 
etzung eines Soldes für jeden dort anmwefenden Bürger. Seine Politik war nicht auf Perfien 
zyerichtet von woher feine Gefahr mehr drohte, fondern gegen Sparta und den Peloponnefifchen 
Bund. Obgleich er dadurch die Veranlaffung zum Peloponneftfhen Kriege gab, fo hatte er doch 
"ie Kräfte Athens nicht überfchägt und den Staat nicht leichtfinnig einer Gefahr ausgelegt, die 
Sinen fo unglüdfichen Ausgang, wie er fpäter wirklich flattfand, erwarten ließ. (S. Griechen: 
“and.) Mit großer Klugheit und Überlegung hatte er feine Mafregeln nur auf eine vorfichtige 
"mb wirkſame Vertheidigung befchränft; allein fein Geiſt ging nicht auf Diefenigen über, die 
ach feinem Tode, 429 v. Ehr., das Staatsruber ergriffen. P. war ein Staatsmann in voll« 
ten Sinne des Worts. Nur felten und in wichtigen Angelegenheiten fprad) er vor der Volks⸗ 
serfammlung, aber feine Rede verglih man mit Donner und Blig, daher man ihn aud) den 

lympier nannte. Seine treffliche Trauerrede, worin er das Andenken an die im Kriege gegen 
Samos Gefallenen feierte, rief unter den Zuhörern eine ſolche Begeifterung hervor, daß die 
Frauen fein Haupt mit Kränzen fhmüdten. Stets zeigte er fich thätig, fchaffend und unter- 
ehmend, gleich groß im Kriege wie im Frieden, und unter allen Verhältniffen wußte er ein 
Johlmollendes Herz, bei aller Macht einen unbefledten Ruf fidy zu bewahren, fodaß alle An⸗ 
riffe des Neides und der Verleumdung, die man gegen ihn verfuchte, feine Zugenden nicht zu 
ch malern vermochten. Am Ende feines ruhmreichen Lebens galt ihm das als das fchönfte Lob, 
aß kein athenifcher Bürger um feinetwillen ein Trauerkleid angelegt habe. Griechenland ver- 
ankt ihm die fchonften Werke der Wiſſenſchaft und Kunft, Uchen befonders feine ſchönſten 
zierden, den Parthenon, das Odeum, die Propyläen umd eine große Menge von Bildfäulen 
md andern Kunftdentmälern. Sein Leben hat unter den Alten Plutarch befchrieben, ein wah⸗ 
:e6 und ſchönes Charakterbild Thucydides entworfen. Bol. Kutzen, „P. als Staatömann 
vährend der gefahrvollften Zeit feines Wirkens” (Grimma 1834); Wendt, „P. und Kleon, ein 
Beitrag zur politifchen Entwidelungsgefchichte Athens” (Pofen 1836); Oginffi, „Pericles et 
Mato’ (Brest. 1838). 

Perikopen heißen die biblifchen Abſchnitte, welche bei dem Bottesdienfte zu Vorlefungen 

yor dem Altare und ald Terte zu ben Predigten vorgefchrieben find. Die Auswahl derfelben 
seftredte ich im A. Jahrh. auf die kanoniſchen Schriften des Alten und Neuen Zeftaments; 
arfprünglich aber war die Auswahl derfelben dem Beiftlichen überlaffen. Papft Gregor d. Er. 
'tellte dann ein eigenes Kectionarium auf, aus welchem unfere auf alle Eonn- und Feſttage im 
Kirchenjahre vorgefchriebenen Perikopen aus den Evangelien ımd Epifteln entftanden find. Im 
Zeitalter der fterilen Scholaſtik wurben fie oft durch Abfchnitte aus der „Ethik“ des Ariftoteles 
erfest. Luther behielt fie bei, nicht etma wegen ihrer Vortrefflichkeit, fondern weil viele Predi⸗ 
ger neue Terte zu bearbeiten noch nicht verfianden und die Poftillen auf fie ſich bezogen. Sie 
mußten in ber lutberifchen Kirche ftetd beibehalten werden und diefer Perikopenzwang blieb 
bier, bis endlich, nach dem Vorgange von Dänemark, MWurtemberg, Baden und einigen Fleinern 
deutfchen Staaten au Ende des 18. Jahrh., neugemählte Reihefolgen biblifcher Abichnitte oder 
Texte liturgifch vorgefchrieben wurden. Auch diefer Perikopen zwang hat in neuerer Zeit man» 
nichfache Anfechtimg erlitten. Im Königreich Sachfen befteht feit 1836 die Einrichtung, daß, 
nachdem im erften Fahre über die zum Theil veränderten evangelifchen und im zweiten über 
die epiſtoliſchen Perikopen gepredigt worden ift, im dritten Jahre ein neuer hiſtoriſcher und im 


er. 


1434 





Die verſchledenen Arten der Monate durch bie Annahme einer Periode aus, 
deckung fie durch die Wahrnehmung famen, daß nad} 223 Mondivechfeln die 
in derfelben Ordnung und Größe wiedertehren. Diefe Periode, welche 223 fü 
umfaßt, die ungefähr 239 anomaliſtiſchen und 242 Dradenmonaten gleic 
Galdäifche Periode oder die Periode der Finfterniffe. Um ihr bürgerliche S 
‚gen mit dem feften oder Julianifchen von 365" Tag, deffen Kennmiß fie frül 
gleichen, flellten Lie Agypter eine Periode von 1460 I. auf, dem Zeitraume, ı 
Anfang des beweglichen Jahres, bei ihnen der Brühaufgang des Hunds ſterns 
demfelben Datum des Julianifhen Kalenders, von dem er ausgegangen (de 
rüdtehrt. Diefe Periode heißt die Hundsſternperiode oder Gothifge % 
ägppt. Benennung Sothis für den Eirius. Auf die Ausgleihung zwifchen ! 
nenſahren bezieht ſich die von dem Athener Meton 432 v. Chr. erfundene, d 
gevannre neungehnjährige Periode von 6940 Tagen, die auf die Berechnu 
daß 255 Mondmonate nahe an 19 tropifche Jahre (f. Jahr) geben. Sie wuı 
Jahre fpäter rectificirt durch die 76jährige Periode von 27559 Tagen, die K 
(die Kalippifche Periode) und in der er die Metonifche vier mal umfaßte, nun 
zen einen Tag abfchnitt, weil er fand, daß im Verhältniß zu der von ihm als ric 
nen Dauer bes Jahres zu 365' Tag Metondas Jahr um 4 Tag zulang ar 
Hipparchus (f.d.) fand durch neue Berechnung der Dauer des tropifchen Jı 
pus daffelbe um Hoo Tag zu lang angenommen habe, und ſtellte demnach ein 
vier Kalippifchen Perioden weniger einen Tag, alfo aus 111055 Tagen oder 

naten beftehende Periode, diefogenannte Hipparqhiſche, als eine ſolche auf, d 
der Sonne und des Mondes noch genauer entfpräche; und in der That komm 
unbeachtet blieb, auf das tropifche Jahr nur 6 Minuten 27 Secunden zu viel, 
ſchen Monat noch feine Secunde zu wenig. Über die 28jährige, auf das Juliar 
von 365". Tag begründete Periode des Sonneneirkels, nad} deren Berlau 
wieder auf diefelben Monatstage zurückehren, f. Cyklus, und über die funfzel 
der Indietionen, eigentlich eine rom. &teuerperiode, daher auch Römerzindzah 
dietion. Um eine Jahresrechnung zu haben, welche die ganze uns befannte 
ſchlöſſe, wie fie bei der Vergleihung der Jahranfänge und Aren wünfhenswe 
©caliger, da von den vielen Aren von Erfchaffung der Welt (f. Hra) feine de 
dienen fchien, eine Periode von 7980 3. auf, die durch Multiplication der Zal 
citkels, des Mondcirkels und des Indictionencyklus, 28, 19, 15, gebildet und 


Inam in Mehrandh if} (Fr nannte fie mail fie nach Yulinnitchen Aafren sÄhTeı 


Peripatetiſche Philoſophie Peripherie 768 


auß man die erfiern von 4714 abziehen und zu ben legtern 4713 abdiren. (&. Chronologie.) 

In der Geſchichte bezeichnen Perioden Zeiträume, beren Beginn durch Begebenheiten be 
änımt wird, welche auf die Eigenthümlichkeit des Zeitraums von entfcheidendem GEinfluffe 
aren und ihn dadurch von bem vergangenen Zeitraume abfondern, ſodaß fie den Zeitabfchnitt 
ezeichnen, die Epoche begründen. Natürlich finden Epochen wie Perioden in jeder Art von 
Befchichte, die nur überhaupt nicht blos eine einzelne Begebenheit oder That, fondern einen 
Bexlauf von ſolchen erzählt, in der Univerfalgefchichte ebenfo wie in jeder Art der Specialge- 
hichte, in der Geſchichte der Menfchheit wie in der Bölkergefchichte oder in der Gefchichte einer 
Stadt, eines Dorfs, oder in der Biographie, in der politiichen wie der Gulturgefchichte u. f. w. 
att. Damit aber die Periodifirung Leine blos willtürliche Zeitabtheilung werde, wie eine 
üche z. B. in der eine Zeit lang üblichen Eintheilung der Weltgeſchichte nach Jahrhunderten 
attfand, Damit fie der organifchen Gliederung, die ſich in der Entwidelung des vorliegenden 
zanzen darftellt, entfpreche und die Auffaffung diefer Entwidelung erleichtere, ift e8 von höch⸗ 
er Wichtigkeit, daß diejenigen Momente, welche in Hinſicht auf die Entwidelung des Inhalts 
er Geſchichte und nad) dem Standpuntte, von welchem biefe durch den Befchichtfchreiber be- 
‚achtet und gefchildert wird, auch wirflich entfcheidende und weſentlich epochemachende find, 
on demfelben richtig erfannt und nach ihnen die Perioden begrenzt werden. Die jegt gewöhn⸗ 
de, wohlbegründete Periodenfolge in der Univerfalgefchichte theilt diefelbe in die alte, mittlere, 
ewsere und neuefte Geſchichte. (S. Geſchichte.) 

In der Grammatik heißt Periode ein in mehre Glieder ausgebildeter Say (f.d.). Schon 
ach der Beflimmung des Cicero entfteht eine Periode durch Erweiterung zufammengefegter 
nd ausgebildeter Säge, indem man die zur nähern Beſtimmung erfoberlihen Neben» und 
wiſchenſaͤtze beifügt, doch ſo, daß fich alle zu einem ſchön gegliederten Ganzen aneinanderreihen 
nd verketten. Man theilt die Perioden in einfache und zufammengeicgte. Die erftern find 
olche, in welchen alle Säge fo fireng verbunden find, daß fie kein Vorder- und Nachfag hervor- 
ebt; die legtern aber folche, in welchen fidy Die Periode in Vorder- und Nachfäge oder auch in 
sehre Glieder ausbilder. Die allgemeinen logifchen Verhältniſſe der Säge kehren auch in den 
Jerioden wieber, ſodaß diefe bald ein Verhältniß der Gleichheit und Ahnlichkeit, bald ein Ver» 
ãltniß von Urfache und Wirkung u. f. w. bezeichnen. Alle aber müffen fich durch grammatifche 
nd logifche Richtigkeit den Verftande, fowie durch gefälligen Numerus (f. d.) empfehlen. Je 
chwieriger ed nun an fich ſchon ift, eine größere Anzahl ineinandergereihter Vorftellungen mit 
Inem male zu überfehen, und je häufiger die oft fo verwidelte Sneinanderbildung der lieder 
iner Periode Zweideutigkeiten und Dunkelheiten veranlaffen kann, um fo forgfältiger hat man 
ich beim Bau derfelben der Klarheit zu befleifigen. Es muß daher zuvörderſt Alles ausgeſchie⸗ 
‚en bleiben, was in feiner innern Verbindung mit dem Hauptgedanken fleht und durch Ver⸗ 
ehung der Einheit die Aufmerkfamteit ftören oder durdy zu große Ausdehnung die Theilnahne 
"es Hörers oder Leſers ſchwaͤchen würde, obwol in Hinſicht der Ränge eine fefte Beftimmung 
ich ſchwer geben läßt, da hierbei viel mit auf die Gattung und den Zweck der Rede felbft an- 
ommt. Im Allgemeinen nimmt man in der Periodologie oder der Kehre von dem Bau der 
derioben noch folgende Regeln an: 1) Die Hauptvorftellung muß fo -geftellt fein, daß fie vor 
en übrigen bervortrete, während die Nebenvorftellungen ſich nadı Maßgabe ihrer größern oder 
eringern Wichtigkeit ihr anreihen; 2) zwiſchen dem Vorder. und Nachjage muß ein gewiſſes 
benmaß ftattfinden; 3) die untergeordneten Säge, deren einer immer zur nähern Beſtim⸗ 
ung des unmittelbar vorhergehenden dient, dürfen nicht unnöthig gehäuft fein; 4) in der An- 
dnung der einzelnen Vorftellungen muß, wo nicht gerade der entgegengefegte Zweck er» 
ücht werden fol, eine gewiffe Stufenfolge fattfinden, fodaß das Stärkfie und Bedeutungs⸗ 
Uſte bis zum Schluffe gefpart wird. | 

Peripatetiſche Philoſophie heißt zunächft die Philofophie des Ariſtoteles If. d.), ent 
eder von feiner Gewohnheit, einen Theil feiner Vorträge iım Auf- und Abgehen (Repı.rareiv) 
ı Halten, oder von den Drte, wo er fie hielt, einem Schattengange des Lyceums; fodann aber 
ie Geſammtheit aller philofophifchen Richtungen, welche fidy an die Arifbotelifche Philofo« 
bie (f. d.) anfdyloffen. 

Peripherie, d. i. Umfang, wird gewöhnlic nur von dem Unifange des Kreiſes oder über» 
aupt einer durch eine krumme Linie begrenzten Fläche gebraucht. Bel Figuren, die durch ge 
ade Linien begrenzt find, z. B. bei einem Dreieck, Viered u. f.w., nennt man den Umfang häu⸗ 
‚ger Perimeter. Die Peripherie des Kreifes wird in 360 Theile, die man Grabe nennt, einge 
yeilt, der Brad wieder in 60 Minuten und die Minute in 60 Secunden. Die Branzofen theil- 


* Wirte nn Perlen 7 

















treffliche Periphrai 
w weine ſchöne — — 

Peris find nach der perf. Sage zarte ſowol männlichen: wie weiblichen 
non wunderbarer Schönheit, unffrrbli und in in allen Wonnen ded Lebens ihre Tage in Di 
‚niftan oder dem Feeniande zubringend. Seren rer er re 
Bea, en none man ‚Geifier. 

Ich, wurmförmig, nennt man diejenige Art von Bewegung, — 


ng 
——— als Kotherdrechen) ſtromaufwärts entleert werden muß; dies nennt 
Raltifche 


DI beit in in ber amiten Bautunft der Säulengang, Weller einen Sef te 

‚allen Seiten umfchließt, nicht aber die Säufenhalle um einen Tempel, welche Pte: 
wird, Die nenes Bein geheinjkpch Fprkaie Sehen er Briafknp ang LEEREN * 
Perkinismus nennt man eine Heilmethode, welche in dem 


verdanft ihren Namen dem nordamerif Arzte Eliſha Perkins, ber fie in Nord — 
in Anmendung brachte und dafelbft 1786 eine befondere Schrift darüber ſchrieb. Sa 
‚gut wie vergeffen, obgleich neuerlich Dr. Burg zu Paris wieder das Tragen von Metz 
gegen allerlei Nervenübel empfahl. Vgl. Angelftein, „Perkinismi et magnetiswi m 
historia“ (Berl. 1825); Burg, „Metallotherapie” (2pz. 1854). 
Perlen find ein Erzeugniß der Perle nmuſchel, welche in den ofl- und weftind. Ga 
und in andern Meeren der wärmern Erdſtriche an den Felſen des Meeresgrundes in pi 
Menge fich aufhält. Die berühmteften diefer fogenannten Perlenbänke find bei der Inid 
lon, auf der Küfte von Japan und im Perfifchen Meerbufen bei den Bahreininfeln. Aut 
es deren an den Küften von Java, Sumatra und an andern Orten, Die Perlen find 
fungen derfelben Subftanz, welche die Schichten der Schale (die Perlmutter) bildet und 
ihres Beſtehens aus feinen Schichten die bekannten Farbenerfcheinungen zeigt. Bei den 
Perlen, die deshalb im Innern ftets Meine Höhlchen haben, find diefe Anhäufingen ver 
durch ausgefallene Eier des Thiers. Aber es finden ſich daneben auch maffive rundlice Gi 
mente von Perlenfubftanz an der Schale. Das Geſchäft, die Perlenmufchel aus der Tier) 
aufzuholen, ift eins der gefahrvollften und wird durch Taucher betrieben, die vom Jugend 
dazu angeleitet werden. An einem Seile, das um den Leib gefchlungen ift, Laffen ſich dir 
her bei den Perlenbänken nadt in die Tiefe hinab, wobei ihnen, damit fie defto ſchnellet 
tergegogen werden, ein grofer Stein an Die Füße gebunden wird. Nafenlöcher und Ohren 
mit Baummolle verftopft und am Arme ift ein in Dt getauchter Schwamm: befeftigt, der 
dient, um an demfelben Athen zu holen. Mit einem Meffer werden die Mufcheln om 
losgebrochen und in ein Gefäß gefammelt. Ift legteres angefüllt oder Bann der Taucher 
dem Waffer nicht länger ausbauern, fo löft er den Stein von den Füßen, ſchüttelt das Sa 
wird heraufgezogen. Erleichtert wird die Perlenfifherei durch die Taucherglode (f.d., ® 
gefifchten Perlenmufcheln Schlägt man in Fäffer und läßt fie faulen, wobei fich die meifter 
von felbft öffnen. Doch nicht in allen Mufcheln finden fih Perlen; in denjenigen aber, ⸗ 
Perlen enthalten, finden ſich deren gewöhnlich acht bit zwölf. Sind fie getrodner, fo lät 
fie durch neun immer feinere Siebe gehen, ımd fo fortirt kommen fie dann in dert Handel 
Schönheit und der Preis der Perlen ift bedingt durch ihre Größe, volltommen runde Form # 
Politur and ihren hell durhfigtigen Glan. Außerfi felten erreichen fiedie Größe eine & 


u su ER BERARFPE MEET 


Perlhuhn Perm 707 


zallnuß. Die ſogenannten Kirſchperlen, von der Größe einer Kirſche, werben zwar häufiger 
funden, find aber immer noch jehr theuer. Außerdem unterfcheidet man runde, birnförmige, 
riebelförmige und Baroqueperien, d. i. übelgeformte. Die größten heißen Zahlperlen, bie klei⸗ 
en Lothperlen, die kleinſten Staubperlen. In Europa werden die Perlen von weißen Waſſer 
a meiften gefucht; die Indier und Uraber dagegen ziehen die von gelbem Waſſer vor. Einige 
ben eine Bleifarbe, andere fallen ins Schwarze, noch andere find ganz ſchwarz. Im ſächſ. 
oigtlande findet man in ber Eifer, von deren Urfprunge an bis zum Städtchen Eifterberg, in 
vem Striche von mehren Meilen, ſowie in den in die Eifter gehenden Bächen und Mühlgrä⸗ 
n, in ber Flußperlenmuſchel Perlen von verfchiedener Büte (fogenannte occibentalifche), die 
m Theil den orientalifchen an Schönheit nicht nachſtehen. Auch in Böhmen werdey im Fluffe 
zatawa und in dem Moldauftrome, von Krumau an bis Frauenberg, fowie in einigen Baͤchen 
8 bair. Waldes Perlen, bisweilen von vorzüglicher Schönheit, gefunden. 
Schon im Alterthume waren die Perlen Gegenftand des Luxus. Die größte Perle, ungefähr 
DRIN. Thlr. an Werth, fol Kleopatra bei einem Gaſtmahl in Weineſſig aufgelöft und auf die 
ſundheit des Antonius getrunken haben. Eine andere, la peregrina genannt, die Philipp IL 
Spanien überreicht wurde, war oval, hatte die Größe eined Taubeneies und wurde gegen 
OO Dukaten gefchägt. Außer den Perlen felbft werben die innern Schichten der Schalen als 
"Umutter zu feinen Zabletteriearbeiten theils für ſich, cheild zu Verzierungen und eingelegter 
it verwendet. Namentlich liefern Paris und Wien viel Fächer, Knöpfe, Spielmarken und 
radlich viele andere Gegenftände in Perlmutter. Auch die Perlmutter, womit befonders Havre 
Pen Handel treibt, ift theils echt und dann ſtets weiß, ſtark ſchillernd und befonders in dicken 
»en Schalen gefchägt, theild Baftardperlmutter und dann weiß oder ſchwarz und von fchmä- 
un Schimmer. Außerdem verarbeitet man die Exchalen der Seeohren und anderer Mufcheln, 
He irifiren, zu ähnlichen Zweden. Künftlihe Perlen werden vielfach ald Schmuck benugt 
in den verfchiedenften Arten befonders in Paris, Wien, Venedig, Florenz und Rom gefer- 
Diefelben find entweder unechte Perlen oder Wachsperlen (fogenannte rom. Perlen) oder 
Bperlen. Die unechten Perlen follen die echten nahahmen. Sie beftehen aus abfidhtlidy 
As unregelmäßig geblafenen hohlen Kügelchen von weißem Blafe, die man innerlich mit der 
nannten Perleneflenz, d. h. den in Haufenblafenlöfung fein zertheilten und mit etwas Am- 
miak verfegten Schuppen des Weißfiſches, überzieht. Gute unechte Perlen, namentlich die 
ã ſer und wiener, find nie billig. Die fogenannten rom. oder Wachsperlen befichen aus Ala⸗ 
ker, der in Wachs getränkt und mit Perleneffenz überzogen wird. Glasperlen find theils 
ſſiv, von allen Farben, rund, glatt, edig gefchliffen u. f. w, theils Hohlperlen, die man durch 
werliche Überzüge färbt oder innerlich) mit fpiegelnden Metallbelegen verfieht, welche Gold, 
Iber und Stahl nachghmen. Perlen aus Metall, meift mit geichliffenen Facetten, kommen 
Stahl, verfilbertem und vergoldetem Meffing vor. Außerdem verarbeitet man wol aud) Ko» 
den und künſtliche Maffen zu Perlenform, wie 3.8. die türk. Rofenperien. Alle Perlen, auch 
echten, wenn fie nicht gefaßt werben follen, verfieht man mit einer Durchbohrung, um fiean 
Hnüre oder Behufs der Stiderei u. |. w. an Fäden reihen zu können. | 
Perlhuhn (Numida) heißt eine aus etwa ſechs Arten beftchende Gattung von Hühnervö» 
n, die duch einen Begelförmigen Knochenhelm oder einen Federbuſch auf dem Kopfe, zwei 
eiſchlappen am Unterkiefer, die fpornenlofen Läufe und den kurzen Schwanz von andern Gat⸗ 
ıgen fich unterfcheidet. Das gemeine Perlhuhn (N. Meleagris) lebt in Heerben an fumpfi- 
ı Orten Mittelafritas, jegt auch verwildert in Weſtindien und Südamerika und ſchläft auf 
iumen. Es ift von Färbung dunkelgrau mit weißen Perlfleden und auf dem Kopfe mit einem 
‚ochenhelm verfehen. Den alten Römern und Griechen war es bereit gut bekannt, welche es 
eleagris nannten; denn nach ber alten Mythe wurden die Schweftern des Meleager, als fie 
er den Tod des Bruders untröftlich blieben, in Vögel (Meleagriden) verwanbelt, deren Federn 
e mit Thränentropfen befprengt ausfahen. In Deutfchland war diefes Huhn noch um 1550 
x felten, aber feit dem Anfange des 18. Jahrh. überall auf dem Gontinente in Hühnerhofen 
möhnlich. Es legt 12—20 dimkelgelbe, rothbraun punktirte Eier, welche ebenfo wie das 
eifch fehr mohlfchmedend find. Das gehäubte Perlhuhn (N. cristata) ift etwas Peiner und 
igt auf dem Kopfe einen Kamm haarähnlich gergaferter Federn. 
Perm, ein Gouvernement des europ. Rußland, von 6073 AM., zu beiten Seiten des mitt- 
m oder erzreichen Ural, ift von den Gouvernements Wologda, Wjätka, Orenburg und To» 
(88 begrenzt und buch feine Gold-, Silber- und Erzbergwerke aller Art eine der einträglich 
n Provinzen bes ruff. Reiche. Das Land wird in zwölf Kreife, unter denen die Kreile wen 


"168 Vermütation ‚Yernice 
Jetaterinburg und Werchoturje bie vorzüglichften find, eingeteilt, umd bie Zahl | 
Br Se wurde 1846 auf 1,637700 berechnet. Unter diefer Bevölkerung fu 
(kerfchaften finnifcher Abftammung, wie die Worjäten, Wogulen und Permjäten a 
‚mier, mit inbegriffen, welche Keptere vor etwa acht Jahrhunderten auf einer für diede 
Zeit hohen Stufe der Eultur ftanden und, wie noch viele längs dem Ural vorgefundent & 
und Bergiwerfsgänge bemeifen, mit dem iebe hinlänglic; befannt waren. Die 
abe der Provinz iſt Perm mit 15000 E. früher der Sig der Hauptbergregierung. Eich 
der Kama, dem Hanprmebenfluffe der Wolga, an der großen öftlichen Heerftrafe, meideh 
burg und Moskau mit den fibir. Provinzen verbindet, gegen 500 M. von ber erften fr 
fadt entfernt. Wichtiger als die Hauvt ſiadt ift die Bergftadt Jekaterinburg (f.d.). Ar 
find noch zunbemerkent die Srädte Irdit. wegen feiner ſeibſt aus der Türkei, der Bud! 
aus Perfien beſchickten Meffe (1849 nıit einem Waarenumfag im Werthe von 35,1 
Siberrubein), feiner Bergwerke und feines Pelghandels, und Wercoturje, wegen fr 
neuerlich entdedten reichen goldhaltigen Sanbflöge,.feines ſchon länger beftehenden Eü 
triebs, fowie auch ald Niederlagsort des fihir. Handels. Vol. Zerrenner, „Erdkunde il 

vernements P (Rpz. 1851—53). 
ermutation, [. Combination. \ 
jernambuco, eine der öftlichften Rüftenprovingen Brafiliens von 2908 AM. mil 
‚als 600000 E. zerfällt in drei Comarcas und ift berühmt durch das nad) ihr bem 
nambuß oder Pernambuthol; und das Gelbholz, die beide in ben Wäldern biefer und 

vinz Bahia vorzüglich gefunden werden. (S. Brafilienbolz.) Die Hauptftadt Berne) 
oder Fernambues, ganz von Waffer umgeben, befieht aus dem Hafen, der Unterftantd] 
auf einer Halbinfel, Boa-Bifta auf dem Feftlande und San-Antonio auf einer Infel del 
Gapibaribe. Gewöhnlich wird auch die nahe, jeßt fehr herabgefommene, nut noch 70008 
lende Stadt Dlinda, der Sig eines Bifchofs, mit zu P. gerechnet. Zepteree, Durch eine &t 
befchügt, hat 65000 E., die wichtigen Handel mit den Landes producten treiben, mamentüd 
mit Baumwolle, Zuder, Barbehols, Rum, getrockneten und gefalgenen Häuten. | 
Pernice (Ludw. Wilh. Ant.), Geh. Oberregierungsrath, Eurator und auferorded 
Regierungsbevollmädhtigter an der Univerfität zu Halle, geb. zu Dalle 14. Juni 1799, 
feit 1817 anfangs Phifologie und Gefchichte, fpäter aus ſchließend die Rechte auf den 
fitäten zu Halle, Berlin und Göttingen, auf welcher Iegtern er 1824 die philo ſophiſche un 
ftifche Doctormürde erlangte. In demfelben Jahre habilitirte er ſich in Halle und wurdel 
nachdem er einen Ruf nad) Dorpat ausgefhlagen, außerordentlicher Profeffor der Reit 
Mitglied des Spruchcollegiums. Drei Jahre fpäter rückte er in eine ordentliche Profefie 
mit der er 1833 das Viceordinariat des Sprucheollegiums verband. Im J. 1858 erbidtt 
Veranlaſſung eines an ihn von Göttingen aus an Albrecht's Stelle ergangenen Rufs da 
rakter eines Geh. Juſtizraths. Auch wurde er 1842 von Seiten des älteftregierenden de 
zu Anhalt-Köchen mit dem Vortrage in den das Fürſtenthum Pleß betreffenden Angeg 
tem betraut. Nach dem Tode des Geh. Juſtizraths Schmelzer wurde er zum Drbinans 
Juriſtenfacultät, 1844 unter Entbindung von der von ihm bisher beBleideten Profefiur ia 
gegenwärtige Stellung befördert und ihm 1845 das Directorium des Fönigl. Schörpel 
verliehen. Vier mal bekleidete er 1852—A3 das Prorectorät. Seine Rehrfächer waren 
recht, Völkerrecht, Lehnrecht, deutfche Staats und Rechtsgeſchichte und Inſtitutionen ud 
ſchichte des röm. Rechts. Dem Gebiete des legtern gehören auch feine erften fchriftfiechei 
Xeiftungen an, wie feine „Disputatio de furum nomine, quod vulgo directariorum oa 
cırcumfertur” (Gött. 1824) und „Geſchichte der Alterthümer und Inftitutionen dei 
Rechts im Grundriffe” (Halle 1821; 2. Aufl, 1823). Später wendete er ſich verun 
dem Gebiete des Staatsdechts zu, in welchem er auch vielfach praktiſch, 3. B. in den dem] 
vom 9. Det. 1835 vorangegangenen Verhandlungen des Gefammthaufes Schönburg m 
Krone Sachen, thätig geweſen ift. In feinen Hierher gehörigen Schriften: „Observatiost 
Pprincipium comitumque imperii Germanici inde ab anno 1806 subjectorum jurisdept 
nutata ratione” (Halle 1827); „Quaestiones dejure publico Germanico” (Halle 182- 
‚Commentatio, qua de jure quaeritur, quo principes Hohenloenses tanguam comäss| 
ihenses duci Saxoniae Coblrgensi et Gothano subjecti sin!” (Halle 1835) lie, e 
unmittelbar der Jurifienfhule an, welche zur Zeit des Deutſchen Reichs die öffendihen 
Hältniffe deffelben nach allen Geiten und Richtungen hin pflegte und bildete. Ws IM 
Bunctionen der außerordentlihen Regierungsbevollmädhtigten an ben preuß. Univerfitkim 


Peronae Perponcher⸗Seblnitzky 760 


ven, trat er, unter Beibehaltung feines Amts als Curator der Univerſität Halle, von neuem 
e früher bekleidete Profeffur des Staats» umd Völkerrechts ein. Im 3. 1852 wurde er 
jlied der erften preuf. Kammer. 
ronne, Hauptftadt eines Arrondiſſements und Feſtung im franz. Depart. Somme, in 
fliger Gegend an der Somme, hat 4200 E. ftarten DManufactur- und Handelsbetrieb, ein 
ge, fünf Kirchen und eine Dineralquelle. Die Stadt if fehr alt und wird ſchon zur Zeit 
Rerovinger erwähnt. rüber zu Burgund gehörig, bemächtigte ſich ihrer nach Karl's des 
ıen Tode Ludwig Xi., worauf fie im Frieden zu Madrid von Karl V. förmlich an Franf- 
ibgetreten wurbe. Die Feftung galt früher für fehr feft, wurde aber 1815 von den Eng- 
rn bein erften Sturmangriffe genonmen und ift jegt zum Thal verfallen. 
rpendikel, Lothrechte, Senkrechte. Cine gerade Linie, welche auf einer andern geraden 
ſo fteht, daß fie mit ihr zwei gleiche Nebenwinkel (rechte Winkel) bildet, heißt ein Perpen- 
Der eine perpendiculäre (ſenkrechte) Linie auf derfelben. Der Punkt, in welchem ein Per- 
'el die andere Linie trifft, heißt der Fußpunkt deffelben. Auf einer Ebene ſteht eine gerade 
>erpendiculär oder fenfrecht, wenn fie auf allen durch ihren Fußpunkt in der Ebene gezo⸗ 
geraden Linien ſenkrecht fteht, alfo mit allen rechte Winkel bilder. 
"petuum mobile heißt im Allgemeinen ein Ding, das ſich umaufhörlich bewegt. In Bezie⸗ 
uf die bewegende Urfache hat man das phyfifche und da6 mechaniſche Peorpetuum mo- 
zı unterfcheiden. Das erftere wird durch eine natürliche oder phyſiſche Kraft bewegt, und 
Vorrichtungen gibt es allerdings, 3. B. das Barometer, die Magnetnabel, die unaufhör⸗ 
Pleinen Bewegungen begriffen find, u. f. w. In der Regel verfteht man aber unter Per- 
ın mobile eine Vorrichtung, die ihre bewegende Kraft in ſich felbft Hat, oder wenigſtens 
ihre eigene Bewegung ſtets wieder erneuert, und dies würde ein mechanifcheß Perpetuum 
e fein. Ein ſolches liegt aber nicht im Gebiete der Möglichkeit, weder wenn es bie Urſache 
Bewegung aus ſich ſelbſt nehmen foll, was den erften Begriffen der Materie mwiderfpricht, 
venn ihm bie Bewegung durch irgend einen äußern Impuls mitgetheilt werben und dann 
Ine Aufhoren fortdauern foll, eine Vorausfegung, von welcher alle vermeintlichen Erfin- 
ſcher Mafchinen ausgegangen find. Allerdings müßte nach dem Gefege der Trägheit eine 
LT eingeleitete Bewegung ohne Ende fortdauern, wenn eine entgegengefepten Kräfte oder 
rniſſe ihr ein Ende machten; aber diefe Hinderniffe der Bewegung, die befonders in der 
ıng und dem Widerftande der Luft beftchen, laſſen fich niemals befeitigen. 
erpignan, die mwohlbefeftigte Hauptfiadt des franz. Depart. Oſtpyrenäen und ber 
aligen Graffchaft Rouffillon, die ſüdlichſte Stadt Frankreichs von Bebeutung und eim 
splag erften Range, eine Meile vom Meere, zum Theil auf einem Hügel, zum Theil in 
bene am Tet gelegen, der ſich hier in zwei Arme theilt, ift von hohen und dicken Mauern 
Baftionen umgeben und wird durch eine flarfe Eitadelle und ein eines Caſtell gefchügt. 
ahlt 21783 E., die ſich mit Gerberei, Tuchfabrikation, Branntweinbrennerei, Seidenbau 
Beinhandel (Rouffillonwein) befhäftigen, und hat eine ſehenswerthe Kathedrale, ein Col⸗ 
eine Kunftfcyule, ein Mufeum, eine Bibliothek, einen botanischen Garten und eine Geſell⸗ 
für Beförderimg des Aderbaus und Handels. Die 1349 von Peter von Aragonien hier 
tete Univerfität ging zur Zeit der Revolution ein. P. ift der Sig der Departements- und 
ndiffementsbehorben, eines Bisthums, zweier Friedensgerichte und eines Handelsgerichts. 
erponcher⸗Sedlnitzky (Georg Heinrich, Graf von), niederländ. Generallieutenant, 
1773, teat frühzeitig in die hol. Armee und wohnte den Feldzügen von 1795 und 1794 , 
ı bie franz. Republik als Rittmeifter umd Adjutant des Prinzen Friedrich bei, dem er 
Sept. 1793 bei Werwick das Leben rettete. In demfelben Gefechte befreite er auch den 
zen Karl von Raffau- Weilburg aus feindlichen Händen. Als ſich die Familie Dranien im 
1795 nad) England einfchiffte, ſchloß fi P. an, kehrte aber mit dem Prinzen Friedrich 
3 auf das Feftland zurüd und ließ ſich als Hauptmann in der öfter. Armee anftellen. Bald 
uf übernahm er als Major den Befehl über das im brit. Solde ftehende und meift aus 
erländern gebildete Jägerregiment Lowenſtein, das 1804 bie brit. Streitkräfte in Agypten 
ärkte. Im 3. 1804 erhielt er mit dem Range eines Oberftlieutenant® ben Befehl über 
brit. Regiment Dillon auf Malta. Seit 1807 diente er als Oberft, dann als Brigadege- 
U in ber Iufitanifchen Legion in Portugal, fpäter trat er an die Spitze des Generalſtabs. 
brit. Regierung übertrug ihm 1809 die Leitung der Eppedition gegen Antwerpen, die aber 
Zernadotte's Wachfamkeit fcheiterte. Als nach der Vereinigung Hollands mit dem Kaifer- 
‚no.stes. Zehnte Aufl. XI. 49 


von $.-@., ift königl. preuß. Rammerherr, Legationsrath und feit 1853 preuß. I 
beim herzogl. naſſauiſchen Hofe und der Breien Stadt Frankfurt. Sein jüngere 
a der preuß. Garde. 

Perrane (Sharles), fang. Dichter, geb. 12. San. 1628 zu Paris, widmet 
er feiner Beſchäftigung als Abdvocat entfagt, ausſchließend der Kiteratur. As 
die franz. Kunſtakademie ins Leben rief, zog er P. vielfach zu Rathe, machte il 
Bibliothekar bei derfelben und beförderte ihn in der Folge um Generalcontrol 
Bauten. Im 3.1674 wurde P. Mitglied der franz. Akademie. Er ftarb I 
Seine epiſchen Gedichte, wie „St-Paulin” und „Le sidcle de Louis le Gra 
noch aus Boilzau's Gatiren bekannt. Lehteres Gedicht, welches P. 1687 in 
vorlas, exwedte den kritiſchen Streit über den Vorrang der Alten und Neu 
die Wten gegen die Neuern, worunter P. die Franzoſen verftand, herabg 
fich Boileau, Racine, Huet, die gelehrte Frau Dacier zu DVertheidigern 
Tradition aufwarfen, fo fuchte er feine Meinung in einem unıfaflendı 
Werke „Parallöle des anciens et des modernes” (4 Bbe., Par. 1688— 
begründen. Eine tiefere Erfaffung des Unterfchieds ber claffifchen und mode 

inbet fich aber weder bei ihm noch bei feinen Anhängern Houdart be Lamotte, € 
fontenelle u. 9. Das Befte, was aus feiner Feder gefloffen, find die „Conte 
l’Oye“ (Par. 1697), obgleidy in denfelben die Volkserzählung durdy manche Ge 
getrübt ift. Zu erwähnen find noch „Rloges des homınes illustres du 17”® si, 
Par. 1696— 1700) und feine brauchbaren „Mömoires” (Par. 1759). Eine 
Schriften veranftaltete Gollin de Plancy (Par. 1828). P. hatte noch drei I 
denen Claude V., geb. 1613, ber berühmtefte ift. Er war erft Arzt und wurde 
fler. Nach feinen Zeichnungen ift die Bagade des Louvte und Obfervatorium er 
9. Det. 1688. Bon feinen [ägbaren Kenntniffen gab er Beweiſe in der franz. | 
Bitruvius (Par. 1675 und 1684), fowie in den „Essais de physique” a8 
bie berühmte „Möcanique des animaux” befindet. Auch er war, wie fein Brul 
der Boileau ſchen Satire ausgefegt. Die beiden andern Brüder hießen Pierre u 
Der Erſtere bekleidete die Stelle eines Generaleinnehmers der Finanzen und hat 
"vres de physique et de m&canique” (2eyd. 1721) einige wiflenfchaftliche Ve 
fen, während der Lettere, der an den erften dichterifchen Leiftungen feines B 


eininen Unshail nahm zu han TM Dastavem nahäuse Kia manın Ihnen Manauiu nt. 


Perſephone | Perſeus (König) 771 


che andere vorausgegangene Modelldruckmaſchinen weit übertraf. Die Perrotine drudt 
Ht allein Modelle mit einer Zarbe, fondern gleichzeitig drei, ja bi6 fünf Farben. Die Perro⸗ 
ten waren bie eigentliche Urfache der 1844 in Schleften und Böhmen ausgebrochenen Arbei⸗ 
funruben, da die Arbeiter fürchteten, durch die Wirkſamkeit folder Maſchinen ihren Verdienſt 
ſchmälert zu fehen, und deshalb auf deren Zerftörung beftanden. 
Dress. f. Proſerpina. 

erfepdlis, die einft umfangreiche und glänzende Hauptſtadt des altperf. Reiche, zugleich 
Begräbnißort der einheimifchen Könige, in der Nähe des Fluſſes Arares, zeichnete fich durch 
Hroßartigften Baudenkmäler aus, die fie wahrſcheinlich mehren Regenten der früheften Zeit 
Dantte, wurde aber den Macedoniern von Alegander d. ©. nach Befiegung des Darius 330 
Thr. der Plünderung und Zerflörung preisgegeben und fpäter nur theilweife wiederherge- 
z. Etwas nördlid von den Trümmern ded alten P. erhob ſich unter den niohammeban. 
»ften bie Stade Isthachar oder Istakar, aber auch diefe traf daſſelbe Echidial der Verwü⸗ 
ng. Don der Größe und Pracht der alten Stadt zeugen noch erſtaunenswerthe Ruinen, die 
. den Einwohnern Zfil-Minar genannt werden. Die Infchriften auf dieſen Denkmälern 
> in einer dreifachen Schrift, die man mit dem allgemeinen Namen Keilfchrift (f.d.) zu be⸗ 
Hnen pflegt, und auch in dreierlei Sprachen verfaßt. Die noch vorhandenen Ruinen find 

volftändigften befchrieben und abgebildet in den Reiſewerken von Niebuhr, Ker Porter, 
hu. Vol. Baus, „Ninivel and P.“ (Rond. 1851). 
MPerſeus, der Sohn des Zeus und der Danad und Enkel des Akriſius, ein argivifcher He 


„ ’tam mit feiner Mutter unter des Zeus Schug auf die Inſel Seriphos, eine der Cykladen, 


Polydektes herrfchte. Un den zum Züngling gereiften P. zu befeitigen, entfendete ihn Po⸗ 
weites zu den Sorgonen, um das Haupt der Medufa (f. Gorgo) zu holen, mas er angeblich 
Dippodanıeia ald Brautgefchent verehren wollte. P. machte ſich auf den Weg unter den 
aftande des Hermes und der Pallas, ging aber zuerft zu ben Sräen, den Schweſtern der Gor⸗ 
zen, nahm diefen ihren Zahn und ihr Auge, deren fie fich gemeinfchaftlid, abwechfelnd bedien- 
» und gab fie ihnen nicht eher zurück, als bis fie Ihn zu den Nymphen führten, weiche im Beſit 
Mittel waren, deren er zu feinem Vorhaben bedurfte. Diefe beftanden in gefliigelten Soh⸗ 
„ eihem Beutel und des Aides unfichtbarmachendem Helme ; außerdem erhielt er von Hermes 
x Hephäftos die Harpe oder Sichel und von Athene einen Spiegel. So audgerüftet fam er 
den Gorgonen, die er fchlafend fand. Abwärts gekehrt, hieb er der Medufa das Haupt ab, 
em er ihr Bild im Spiegel erblidte. Sogleich ftedte er das furchtbere Haupt in den Beutel 
D floh. Auf der Rückreiſe fam er auch nach Athiopien, wo er die Andromeba (f. d.) befreite 
d heirathete. Mit ihr kehrte er nach Seriphos zurück und befreite dafelbft feine Mutter von 
5 Polydektes Kiebesverfolgungen, indem er ihn und feine Genofjen, nach Pindar die ganze 
ſel, in Stein verwandelte. Die Slügelfohlen, den Beutel und den Helm gab er nun den Her⸗ 
6, der fie den Nymphen und dem Aides wieder zuftellte, zurüd; das Haupt der Mebufa aber 
viele Athene, die es in die Mitte ihres Schildes oder ihres Harnifches fegte. Dierauf begab er 
) mit Dana? und Andromeda nach Argos zu Akriſios, diefer aber entfloh nach Theffalien. 
ie ihm zugefallene Herrichaft über Argos vertaufchte er an Megapentbes gegen Tirynth und 
undete dann Mibeia und Mycenä. Mit Andromeda zeugte er den Perfes, den er bei Kepheus 
Äthiopien zurüdließ, Alkäos, Sthenelos, Heleios, Meſtor, Elektryon und die Gorgophone. 
ıch feinem Tode wurde er an mehren Drten als Heros verehrt, nach Herodot auch zu Chem⸗ 
6 in Agypten, und ald Gorgotödter unter die Sterne verfegt. Don Seiten der Kunft wird er 
Körperbildung und Coſtüm dem Hermes ähnlich dargeſtellt; eine fpätere aſiat. Kunft fuchte 
ı Durch eine mehr orient. Tracht für ihre Heimat zu gewinnen. . 
Perſeus, der legte König von Macedonien, ein uneheliher Bohn Philipp's IH. (f.d.), folgte 
1 v. Chr. feinem Vater in der Regierung und fegte die von bemfelben bereit begonnenen 
iftungen gegen Rom fort, um die alten Grenzen des Reichs wieder zu gewinnen. Bür diefen 
sed fuchte er auch Verbindungen mit den Griechen, Thraziern, Illyriern und andern Völkern 
zuknüpfen; allein feine Unentfchloffenheit, Habfucht und Grauſamkeit flanden einem raſchen 
d günftigen Zuſammenwirken im Wege. Als der liftige König Eumenes (f. d.) von Perga- 
am den Plan des Perfeus dem röm. Senate verrathen hatte, ſchickte Legterer ein Heer ihm 
tgegen. Die erften drei Feldzüge blieben unentſchieden, bis endlich Lucius Amilius Yaulns 
n Oberbefehl über die rom. Truppen übernahm und durch einen einftündigen Kampf bei Pydna 
db.) 168 v. Chr. die Unterwerfung Macedoniens vollendete, P. ſelbſt fiob gie bei Beginn 


in einer Breite von 60 M. die Tiefebenen Hindoftans von denen Turans 

wilde, unüberſteigliche Gebirgewälle gerade auf dem Punkte trennt, wo fie! 
nãchſten gerüdt find. Außer diefem Berbindungsgliede zwiſchen den Paten 
ter« und Vorderafien haben die Gebirge P.s fämmtlih den Charakter von 
Kettengebirgen. So befteht im Welten vom Hindukuh ber Norbrand des pe 
aus dem im Vergleich zum Hindukuh niedrigen Paropamifus oder dem kahle 
von Buriftan, welches aus drei in fübmeftlicher Hauptrichtung ftreichenden Gebirg 
bet wird, die, je mehr fie ſich nach Weſten verlängern, defto niedriger werben, fodak 
gebirge in Khoraffan mehr nur den Charakter eines fteilen Abfalls des Plateau 
Iande von Turan, als den einer eigentlichen Gebirgskette trägt. Weiter nah W 
Südoſtecke des Kaspifchen Meeres, erhebt ſich dieſes Mandgebirge wieder in der w 
dichtbewaldeten Bergkette des Albors oder Elburs, welche längs der Sũdküſte be 
Meeres ſich hingieh end, fteil gegen dieſes, fanfter aber gegen die innere Hochfläche t 
teaus abfällt, eine Menge hoher kegelförmiger Gipfel trägt, darunter ben Bulfaı 
mit 13800 F. Höhe, und an der Südweftfeite des Kaspifchen Meeres mit den Geb 
penlandſchaft Aferbeidfchan (f. d.) ſich verbindet, die dad perf. Plateau nad) Ro 
es in das armenifche übergeht, begrenzen und fchliefen. Der Oftrand des perſ. J 
vom ind.-perf. Grenzgebirge gebildet, einem aus mehren dicht nebeneinander lieg 
leltetten beftehenden Gebirgsduge, der fih vom Hindukuh aus fühmärts längs bed 
Afghaniftan (f. d.) und Beludfchiftan (f. d.) bis zum Meere zieht, oſtwärts geger 
ungemein fchroff, weſtwärts dagegen nad} der innern Scheitelfläche des Plateaut 
mit einer Menge Verzweigungen ſich abdacht und in der Hochterraffe von Kelat 
penlandſchaft von 8000 $. mittlerer Höhe mit Gipfeln, die bis zu 12000 $. anfte 
hebt. Ebenfo abgefchloffen erfcheint die Hochfläche Perfiens auf ihrer Eüdfeite; | 
birgöranb, der fie vom Meere trennt, befteht ebenfalls aus mehren parallelen, teı 
hintereinander auffteigenden Ketten, denen ein gemeinfchaftliher Name fehlt. Gi 
find die zwiſchen ihnen ebenfo terraffenartig liegenden parallelen Rängenthäler, bir 
befchwerlicher Engpäffe zugänglich find, indem auf der ganzen 200 M. langen 1 
Südrandes kein einziger Huf von Bedeutung mündet, fein einziges Querthal d 
mauern durchbricht, die gegen das Perfifche Meer umd den Perfifchen Meerbufen ' 
Ganz in demfelben Charakter bleibt dieſes Gebirgs ſyſtem, nachdem es am Perſiſch 


eine narhmoflliche Michtima aonammen unh ala Ranrnäashiras hie Tiefahonen 


Derfien 773 


idwäſte verwandelt, welche ſich oſtwärts bis in Die Nähe von Kandahar, ſüdwärts aber bis 
nördlihen Beludſchiſtan ausdehnt. Die wenigen Flüſſe oder Flüßchen diefer Scheitel- 
€, die in den umgebenden Randgebirgen entfpringen und von denen feiner von Bedeutung 
ndigen in der Wüſte in Landfeen oder Moräften; fo felbft der bedeutendfte unter ihnen, der 
nend in Afghaniſtan, der in den Zarehfee fällt. Auch In feinen übrigen Theilen har das 
eau von Iran Feine bedeutenden Flüffe aufzumweifen. Die anfehnlichften find noch ber 
ges, der auf einer Strede die Grenze zwiſchen P. und Nußland bildet und dann in den Kur 
z ferner der Kifl-Dfen oder Sefidrud, der, aus den Gebirgen Kurdiftans unt Aferbeidichans 
nend, unweit Reſcht ind Kaspiſche Meer fließt; dann ber Kerah oder Hawisd und der 
an, die, vom Zagrosgebirge kommend, in den Schat-el-Arab fich ergießen; endlid ber 
ul, der aus Afghaniftan kommt umd in den Indus fließt. Bon den Landſeen find der falzige 
Urmia (76 QM.) zwiſchen Kurdiften und Aferbeidfchan und der erwähnte Zareh- oder 
aunfee (56 AM.) die bedeutendfin. 
vinfichtlich des Klimas find in P. drei Abftufungen zu unterſcheiden: Germaſir oder das 
», Dürre Klima des Küftenfaums am Perfifchen Meerbufen und Indiſchen Meere ; Sirhad 
das fältere, ebenfalls trodene der Scheitelfläche des Plateau, und das zwiſchen beiden 
nde glüdlihe Klima der Thäler und Terraffen der Randgebirge. Das erftere ift, obwol 
sthalb der Wendekreiſe gelegen und deshalb der Tropenregen entbehrend, feiner Hige nach 
scht tropifches, das an gewiffen Punkten eine Sommerhige gleich ber des Innern Afrikas 
t, Dabei auch durch feine Ungefundheit verrufen ift. Das andere iſt merfwürdig durd bie 
adliche Trodenheit feiner Atmofphäre bei einem ſtets heitern und reinen, wolkenleeren Him⸗ 
duch die Regelmäßigkeit der Jahreszeiten, die glühende Taged- und Sommerbige und 
mäßige Nacht- und Winterkälte; denn wegen ihrer Erhebung ift die Scheitelfläche P.s 
£ ohne winterlihen Schneefall, obſchon fie im Klimagürtel der Sübdfrüchte und der inımer 
zen Bäume liegt. Diefe Boden- und Himatifche Befchaffenheit bewirkt, daß P. im Allge⸗ 
aen zu den trodenften und dürrften Gulturländern der Erbe gerechnet werden muß. Mit 
igen Ausnahmen find alle Gebirge wald«, ja faft baumlos und noch vegetationsärmer die 
nen. Die nächte Folge diefer Trockenheit ift, daß die Bewäflerung des Landes höchft dürf- 
and nur in den Gebirgen und den benachbarten Gegenden wenige Flüffe und Flüßchen ge- 
den werden. Die andere Folge ift aber die, Daß nichts ohne künſtliche Bewäſſerung gedeiht, 
nur diejenigen Theile P.s anbaufähig find, welche bewäffert werden können, während das 


ige nur Steppe und Weideland oder gar Wüfte if. Daher die Wichtigkeit der Bewäfle 


gsanlagen für ganz P., die fonft im ausgedehnteften Mafftabe in Ausführung gebracht 
sen, jegt aber mit dem politifch-focialen Verfall diefer Ränder ebenfalls immer mehr in Ver⸗ 
gerathen find. Da fich diefe Bewäflerungen nur da finden, mo es Bäche und Flüſſe gibt, 
in den Thälern und Zerraffen der Randgebirge, fowie zum Theil in dem Landſtriche, wel- 
, die innere IBüfte umgebend, den innern Fuß diefer Randgebirge umſäumt, fo ift bebautes 
id auch nur hier zu fuchen. Am meiften ift Dies in jenen Zerraffen und Thälern der Ball, 
natürliche Bewäflerung und Eultur zufammentreffen und mo deshalb die Vegetation Die 
ge Pracht des ſüdlichen Himmelſtrichs entfaltet. Steige man von den kahlen Hochflächen 
wärts hinab, fo gelangt man in den fonft kahlen Gebirgen in ifolirte fruchtreiche Paradiefe, 
yenen der Weizen nody bei 4000, die Orange noch bei 3000 F. Hohe gedeiht, mo Obfthaine 
Moyrtenwaldungen, Weingärten und Gehölzen wechfeln, in welchen Rofen und Südfrucht⸗ 
me hochſtämmig wie Waldbäume emporwachſen. Weniger ift dies fchon der Fall in dem 
Yähnten fteppenartigen, die innere Wüſte umgebenden Landſtrich, der mehr zu Weiden und 
: an den Ufern der vom Gebirge berabfommenden Zlüffe zum Aderbau benugt wird, am 
sigften aber in den in der Wüſte bei Quellen vorkommenden Dafen. Diefer NRatureigen- 
mlichkeit entfpricht auch die Thierwelt des Landes. Das Kameel und das Pferd fpielen hier 
elbe wichtige Rolle wie in Arabien. Zu den wilden Thieren, welche dort die Wüſte beleben, 
Gazelle, dem Löwen, der Hyäne, dem Schafal u. f. w., gefellen fich hier noch der die tropi⸗ 
: Hige meidende Bär und der Büffel, und wandernde Heufchreden verwandeln auch hier die 
zigen Qulturgegenden zumeilen in Wüften. Eine Ausnahme von diefem allgemeinen Cha⸗ 
ter der perf. Ratur machen die Gebirgögegenden des Hindukuh im Norboften und Xier- 
dſchans und Kurdiftans im Nordweften des Plateaus, fowie der Landſtrich, der ſich längs 
Suüdküfte des Kaspifchen Meeres zwifchen diefem und dem Kamme des Elbursgebirgs Hin 
et. Jene Gebirge tragen ganz den Charakter alpinen Klimas und alpiner Vegetation; 
befondere haben die Gebirge Aſerbeidſchans ein fehr europ. Gepräge, mit europ. Waldbäu⸗ 


Waldungen bededt, und Fuße, in überall, wo Adırkın 
wird, die Sehr, 53 zur Seibengucht, u. f. I. neben {7 
Neis, Mais und Welpen. 

Im Hifterifeh-poficifcher Oinſicht zerfällt. im zwei Daupteheile, in Dftiran der den 


\ Ime * . 
— vn Dom Inb vom Barker ns in. bon en enrauet, Same 
lands, vom Kas piſchen Meere, von dem Zieflande von Turan, im D. von Afghaniflani 


und Zigrisländern t, hat einen Flãcheninhalt von faft 25000 AM. und wird sm 
fähr 19 Mil, €. tert. Es zerfällt in elf wieder in Ballucs oder Diftricre eng 
Provinzen oder Beglerbegfchaften: Irak oder etwa in der Mitre; Aferht 
im Nordiveften; Kurdiftan im MWeften; Khufiftan mit Ruriftan; Bars oder Farflan m 
lan; Kerman oder Rarmanien im Süden; Kohiftan oder Kuhiften umd Khoraffan im 
ZTaberiftan, Mafenderan und Gilan im Norden um den Kaspifee. Die bebeutendfien| 
P.6 find Teheran (f.d.), jept*die Refidenz des Cchahe, Jopah an (f.d.) und Tarif, 
Die Bewohner des Bandes fheilen ſich in zwei Hauptmaffen, die Tadſchits und! 
Die Tadſchiks, die mit verſchiedenem fremden Blute vermifchten Rachtommen der alten | 
Meder und Baktrier, bilden, wie in und in Turan, die Hauptma ſſe der feßhaften, 
bau, Gewerbe umd Künfte treibenden ſchaft und bekennen fich zur fchüitifhn 
bensanficht der Mohammebaner. Auch hier, in ihrem Stammlande, finden wir fie, wiel 
Bändern, als Beherrfähte und in Folge diefer Fangen Mnechtung, trog der vielen Talern 
ausgeichnen, trog ihrer Klugheit, Bebhaftigkeit und Schönheit, im tiefften moralifhend 
ala ein Volk, deffen fchmeichlerifche Falfepheit, Hinterlift, Rügenhafrigkeit und Peighet 
Vordetaſien ſpruͤchwörtlich ift. Zu ihnen in ſtammlichet Beziehung find auch die feuer 
den Parfen oder Gebern (f. d.) zu rechnen, die ebenfo eine größere ſtammliche wie firrihl 
heit bewahrt haben und in den Provinzen Karmanien und Farfiftan, namentlich aber m 
leben; ferner die nomabdifirenden Ruren in Khufiftan und den angrenzenden Geged 
Kurdiſtan und Farfiftan; endlich die Kurden in Kurdiftan, Aferbeidfhan und Se 
Blats werden die zahlreichen turfoman. Stämme genannt, welche mit ihren Heerdan ı 
Gebirgsrändern des Kandes, namentlich den nördlichen, umberziehen umd am zahlreid 
Mafanderan und Aferbeidfehan find. Nur ausnahmsweife betreiben fie hier und ie 
Aderbau oder Gewerbe. Sie bilden, wenn auch nicht ihrer Anzahl nach, fo dod Mei 
ihrer Macht das herrſchende Volt, das die feßhaften Tadſchits unterworfen und ihnen # 
Herrfcherdynaftie aus türk. Blute gegeben hat, außerdem al entfchiedene Sunniten zul 
religiöfen Gegenfage ftcht. Wie ale Romadenvölter, leben die Ihlats in großer Uncbhin 
und ihre Selbftändigkeit und Eriegerifche Tapferkeit laſſen fie nur mit Verachtung ad 
nechteten feigen Tadſchiks herabbfiden. Außer diefen beiden Dauptmaffen der Bei 
gibt es in P. noch Uraber, etwa gegen 200000, die in den füblichen Provinzen ala R 
und Fifcher leben; ferner eine ziemliche Anzahl Armenier, hauptfächüch in den nor 
Provinzen, chriſtliche Neftorianer am Urmiafee, Zigeuner u. ſ. w. 
Die Eultur- und Gefittungsverhäfmiffe des Volkes anlangend, fo befinde 
faft durchgängig in demfelben Zuftande von Barbarei, wie er im Wülgemeinen 
janzen mohammeb. Aſien hertſchit. Won der frühern geiftigen Blüte Ps, die 
elalter ein Zeitalter hatte, find Baum noch ſchwache Spuren übrig ; ebenfe 1 
fie, Gewerbe und Aderbau aufs äußerfte herabgefommen. Die gräuelvohe TEA 
die wmaufhörlichen GErpreffungen eines Despotismus,; der alle Hülfsquellen ı 
um fid nur momentan in den Beſit der daraus herfließenden Erzeugniſſe zu 1 
eine Unſicherheit des Eigenthums herbeigeführt, die jede Verbefferung des Gr 
thumb, insbefondere die fo mühfame umd koſtbare Herfielung der für den UA 
Landes nöthigen Bewäflerungsanftalten unmöglich madıt. Dazu find die Verkehn 
nachlaͤſſigt unficher und durch Die Büge Der raͤuberiſchen Kriegerſcharen veröder. Defin 


Perfien 775 


gibt es noch mehre Rahrungszweige von Bedeutung, fo den Geidenbau, den Ban bed Nei⸗ 
bes Zuckerrohrs, des Weine, der Rofen zur Rofenölbereitung, der Baummelle und des Ta⸗ 
4, des Ricinusols u. f.w., die Schaf» und Ziegen-, vornehmlich aber die Pferdezucht, einigen 
egbau auf Eiſen, Kupfer, Schwefel, Türkiſſe und Salzbereitung, endlich Syawl⸗, Teppich⸗ 
Seidenweberei, ſowie Waffenverfertigung. Auch der Handel, obwol gegen früher ſehr ge⸗ 
!en, iſt vermöge der günſtigen Lage des Landes, das die hauptſächlichſte Vermittlerin des 
avanenhandels zwiſchen Europa und dem innern Aſien bildet, noch immer von Bedeutung 
wird ins beſondere in Abuſchaͤhr, Schiras, Ispahan, Teheran, Kaswin, vorzüglich aber in 
ris betrieben. Die Einfuhr von europ. Waaren hat einen Werth von mehr ald 12 Mi. 
m. jährlich. Diefer Vortheil, den P den europ. Großſtaaten durch den Abſatz auf feinen 
Eten gewährt, und die Lage des Bandes auf der Grenzſcheide zwiſchen ben brit. und ruff. Be» 
zgen in Afien find die Umflände, durch welche es für Europa fteigende Wichtigkeit gewinnt. 
ie Staatöverfaffung P.s beruht auf den gewöhnlichen afiat. patriarchalifchen Des- 
‚mus und ift eine reine Willkürherrſchaft, bie ihre Schranken nur in den heimlichen, fort- 
wend gegen fie im Schwange befindlichen Ränten oder in der gegen fie aufftehenden offenen 
alt findet. Die unumfchräntte Gewalt ift in den Händen eines Königs ober Schahs von 
aman. Stamme, der in Teheran refidirt. Die erſte Würde des Reichs iſt die des Sadri⸗ 
m oder Großveziers; neben ihm ftehen der Iiimadod⸗-⸗Dewlet oder Minifter des Außern, der 
met-Demier oder Sinanzminifter, der Niſamed⸗Dewlet oder Minifter des Innern, der Leſch⸗ 
Lıwis oder Kriegsminiſter. An der Spige der ſchiitiſchen Priefterichaft bes Landes fteht der 
Emuftehid, deſſen Amt dem des türk. Großmufti entfpricht ; unter ihm flehen ſowol die Män- 
Ses Gefeges, die Scheikh⸗ul⸗Islam, Kadis und Mollahs, wie bie eigentlichen Priefter, bie 
md. Das Recht wird theild nach dem Koran, theild nach altem Herkommen, legteres be 
ers in allen das öffentliche und Strafrecht betreffenden Fällen, gehandhabt. Die Verwal 
s ber Provinzen wird wie in der Türkei von faft unbefchräntten, ganz nach dem Mufter ihres 
en mit der äußerfien Willkür verfahrenden Statthaltern, Beglerbegs genannt, geführt, Die 
er Regel Prinzen des regierenden Hauſes, welche den Titel Mirza hinter ihrem Namen füh- 
immer aber Turfomanen find. Sie bedrüden die armen Tadſchiks auf6 Außerfte, während 
eiten Macht und Kraft genug befigen, die räuberifchen Dorden der Ihla.8, die unter eigenen 
ms ftehen, zu zügeln. Dazu kommt noch der Einfluß eines beſonders unter den Ihlats zahl⸗ 
sen und mächtigen Adels, der fich durch die Tirel Khan, Aga und Mirza (legtern Titel vor 
Namen) kenntlich macht und die Bebrüdung des Volkes vermehren hilft. Die Verſuche, 
He in neuefter Zeit in P., befonders unter dem voroorigen Shah von defien Sohne Abbat- 
3a (f.d.), gemacht wurden, durch Einführung der Ermerbungen europ. Gefittung und man⸗ 
Bei Verbeflerungen das Reich wieber zu heben und in einen gedeihlichen Zuftand zu bringen, 
en zu feinem dauernden Ergebniffe geführt. Selbſt bie bedeutenden Anftrengungen, wenig⸗ 
8 einen Theil des Heeres auf europ. Fuß zu organifiren, find an der durch alle politiichen 
:hältniffe gehenden moralifchen und materiellen Zerrüttung gefcheitert. Die regulären Trup⸗ 
„von denen jedoch nur 6000 Mann Garden diefen Namen verbienen, betragen gegen 20000 
inn; die irregulären Truppen dagegen, theild aus der Meiterei, welche die Ihlats, dann aber 
> aus der Miliz beftehend, welche bie Städte zu ftellen haben, follen auf 200000 Mann ge 
cht werden konnen. Der tapferfle, wenngleich undisciplinirtefte Theil des Heeres ift die irre⸗ 
äre Reiterei. Die Einkünfte des Reichs werden, jedenfalls zu body, auf I15— 20 Mil. Thlr. 
eſchlagen. 
Im Alterthume unterfchied man im engern Sinne die urſprüngliche Provinz Perfis, welche 
D. von Karmanien, im R. von Medien, im W. von Sufiana und im &. vom Serfifchen 
erbufen begrenzt wurde, von dem fpätern eigentlichen Perſerreiche, welches fchon unter Cy⸗ 
vom Mittelmeere bis zum Indus und vom Schwarzen ımd Kaspifchen bis zum Indiſchen 
ere fich erſtreckte und auf einige Zeit auch Agypten, Thrazien und Macebonien umfaßte. Die 
ſten Bewohner beftanden aus mehren Stämmen, unter denen die Pafargabä die wichtigften 
ren, und aus jener Anzahl von Romadenhorben, die fpäter vereint mit dem Namen Perfer 
eichnet wurden. Die edelfte Familie der Paſargaden war die der Achämeniden, welche allein 
Fönigl. Würde gelangen fonnte. Die Perſer waren um 640 v. Chr. von Phraortes, einem 
diſchen Könige, unterworfen worden, und ein Jahrhundert barauf wurben die Meder wieder 
ı Eyrus (f. d.) befiegt, einem Sohne des Achämeniden Kambyfes, mit welchem überhaupt erfl 
3 Gefchkhte aus dem Dunkel der Vorzeit tritt. Während feiner Regierung, 559 — 529 
Ehr., wurden die Perſer und Meder vereint und das berrfchende Volk in Afien; auch befiegte 


ns Perſien 
‚erden Kröfus, eroberte Babylon und a 


fien. Sein eb Rahfelge, Sa 

— ——— 
„unterläg bei Marathon und Salamis ıf Griechenlan L 
———— 


— ———⏑ ii — 
re nad) hartem Kampfe bezwungen; der griech. Krieg — 449 
Regierungswechfel erfolgten ſchnell und gewaltfam. gerne I, wurde, 
—5*— eg ee und dieſer ed € 
utiechten Bruder Ochus getöbtet, welcher Leptere unter dem Namen Darius 34 
amd mit Empörungen der Statthalter zu Fämpfen: hatte, wodurch das Reich inımer ze) 
‚verfiel. In Agypten mußten die Perfer eigene Könige anerkennen. Nur die innern Unru 
henlands, in welche die Perfer fich gefthickt einmiſchten, retteten ſie noch zur Zeit vor eir 
‚meinten Angriffe der Griechen. Artarerpes il. (.d.) ober Mnenon fand ganz u 
feiner Mutter Paryfatis. Sein Bruder Cyrus, der Jüngere genann ſuchte ihm den‘ 
ben aber Artaserpeö ſchlug und tödtete ihn. Da rg 
nen Thron durch Hinrichtung feiner zahlreichen Brüder und ee a = —* 
Nachdem er 538 uch Bagond fammt feinen Sühneitpergifietluothen ba 
rius ll.( .d.) Kodomannu, Merauberhetrec nahreigueße Ri 
its, bei Iffus und Gaugamela 
529 fidh der gangen perf. Monarchie bemächrigte.. Als nad) Alerander’s — 
— die Seleueiden (f.d.). Ihnen folgten 246 tſaci 
das Reich der Parther gründeten, das bis 229 u. Chr. beſtand. Damals. 
fh iv» Babekan (Artaperge) der Herrſchaft über — und. vererbte fie 
Nacpkommen, die Saffaniden (f. d.), weiche 407 9. Herrfchten.. Mit. —— 
waniiſche Charakter des perſ. Ritterihums. Ardfhir, Saffan's Sohn, ete von 20 
hr: Die Kriege, welche er mit den Römern führte, dauerten unter feiner Rachi 
pur ober Sapores I., der bis 271 regierte, mit Gordian und Walerian fort, welchen E 
—Se zu ſchmahlichen Mis handiungen in Shpapur's.Hände gab, und endigten erfide 
den Frieden des Königs Narfes mit Diocletian 305. Als Shapur II. oder der Große, 5M- 
"380, zur Volljährigkeit gelangt war, gemann das Reich neue Kraft. Er ftrafte die Araber 
ihre Streifereien und nahm den König von Jemen gefangen. Wie einft Ardfhir, foderte rm 
griech. Kaifer alles Land bis zum Strymon zurüd. Konftantin d. Gr., Konftantinus IL 
Julian widerftanden ihm zwar: doch Zovian mußte den Frieden durch Abtretung der fünf fir 
tigen Provinzen und der Feſtung Nifibis erfaufen. Auch machte Shapur IL. in der Tat 
und Indien Eroberungen. Ohne entiheidende Ereigniffe wechfelten nach feinem Zode Ki 
and Frieden. Unter Artarerres IL, 580—585, Shapur II, 385—588 und Wararanei li. 
388 — 599, blühte das Neich. Araber, Hunnen und Türken traten nacheinander für umd gie 
P. auf den Kampfplag. Jezdeſerd 1., 599 — 420, ein Freund ber Chriften, eroberte 412 Am 
nien. Nad) ihm Fam Vararanes V. mit Hülfe der Araber auf den Thron. Er kriegte fiegeit 
gegen Theodofius IL, ſchlug die in fein Gebiet eingefallenen Hunnen mit großem Berlufie e 
rüd und eroberte bad Königreich Jemen. Ihm folgte Bararanes VI. und Dormis das Ill. Js 
3.457 gelangte Firuz oder Pherofes durch Hülfe der Hunnen zum Throne, befriegte fie abe 
nachher und verlor 485 gegen fie Schlacht und Leben. Valens ober Balafb, 488 — 491, mafı 
fogar einen Theil feines Reichs an fie abtreten und ihnen zwei Jahre Tribut begablen. Ba 
aber erhoben ſich die Saffaniden zu neuer Größe und Macht. Kobad, der bis 551 regierte, übe 
wand die Hunnen und obgleich er Durch ihren Beiftand 498 den verlorenen Thron miedereshidt 
fo führte er doch in der Folge wie mit Athanafius, fo aud) wieder mit den Hunnen, Inden m 
Juſtinian I. gluͤcklich Krieg. Sein jüngfter Sohn und Nachfolger, Kosru-Anufhinmwan, 55l- 
579, zeichnete ſich aus durch ungemeine Weisheit und Tapferkeit. Unter ihm erſtreckte ſich hi 
perf. Reich von Mittelmeere bis zum Indus, vom Jarartes bis Arabien und an die Grm 
Ägyptens. Glücklich kriegte er mit den Indiern und Türken, fowie mit den Arabern, bie er der 
Drude vieler Heinen Tyrannen befreite. Auch unterdrüdte er bie Empörungen feines Brudet 
und feines Sohnes. Die Lazen in Kolchis, der griech. Bebrüdung müde, unterrwarfen fid ihe: 
da er fie aber in das innere P. verpflanzen wollte, kehrten fie unter bie Herrfchaft des Juflinie 
sur, defien Waffen jegt fiegreih waren. Anufhirwan farb vor Gram während der Fir 








Perfien 777 


dendunterhandlungen. Der Krieg dauerte fort unter Hormuz oder Hormisdas IV., 579—591, 
bis auf Kosru IL, unter welchem die perl. Macht den höchſten Gipfel erreichte. In glücklichen 
Kriegen dehnte er 616 feine Groberungen auf der einen Seite bis Chalcedon, auf der andern 
über Agypten bis nach Libyen und Athiopien und endlich bis nach Jemen aus. Plöglich aber 
enbigte fen Glück durch des Kaifers Heraklius fiegreiche Waffen. Er verlor alle feine Grobe 
rungen; fein cigener Sohn Sirhes nahm ihn gefangen und ermorbete ihn 628. Unter beftän- 
digen innern Unruhen ging nun da6 Land feinem Untergange entgegen. Sirhes oder Kobab- 
Shirujeh wurde noch in demfelben Jahre ermordet. Ihm folgte fein fiebenjähriger Sohn Ard· 
ſhir oder Artaxerxes IIl. ben 629 fein Feldherr Sarbas ober Sheheriar ermorbete, der aber, noch 
ehe ex ſich des Throne bemädhtigt, wieder von den Großen geftürgt wurde. Nach mehren Um- 
wälzungen, bie ſchnell aufeinander folgten, beftieg der 16jährige Jegdejerd III., ein Enkel Kosru’s, 
632 den Thron. Ihn flürzte 636 der Khalif Omar und P. wurde nun ein Raub der Araber 
und Türken. 

Bon der Eroberung P.6 durch die Khalifen beginnt bie Gefchichte des neuperfifchen Reiche. 
Die Herrfchaft der Araber (|. Khalif) dauerte 585 Jahre, von 656— 1220, murde aber fehr 
bald eine nur nominelle, da theil6 die Statthalter fi) unabhängig machten, theils perf. und türk. 
Fürften eingelne Provinzen an jich riffen und als felbftändige Staaten beherrfchten. Unter den 
berrfhenden Dynaftien find zu bemerken im nordlihen und nordöſtlichen P.: 4) Das türk. 
Haus der Thaheriden in Khoraffan, 820 — 872. 2) Die per. Dynaftie der Soffariden, 
welche jene ſtürzte und über Khyoraffan und Fars bis 902 herrfchte. 3) Die Samaniden, melde 
fih 874 unter Ahmed in der von Khoraffan abhängigen Provinz Mavaralnar erhoben und 
bi6 999 erhielten. Ahmed's Sohn, Ismael, ftürzte die Soffariden und gelangte zu Macht und 
Unfehen. 4) Die Ghasnewiden, die von Sebek⸗Tekin, einem türk. Sklaven und Statthalter ber 
Samaniden zu Ghasni und Khoraffan, abftammen, ber fi zu Ghasni im öftlihen P. un. 
abhängig machte. Sein Sohn Mahmud eroberte 999 auch Kheraffan und 1012 Fars und en⸗ 
Digte fo die Derrihaft der Samaniden. Im J. 1017 entriß er den Buiiden Irak⸗Adſchemi und 
breitete fih auch in Indien aus. Aber fein Sohn Mafub verlor Irak⸗Adſchemi und Khoraffan 
(1037 — 44), und durch die Seldſchuken und innere Unruhen entkräftet, wurben 1182 die Ghas⸗ 
newiden unter Khosru-Melif eine Beute der Ghuriden. 5) Die Sultane von Ghur wurden 1150 
durch Alaeddin Hofain mächtig, ſanken aber theild Durch die Befehdungen des Fürſten Khowa⸗ 
resmiens, theils durch innere Uneinigfeit. 6) Die khowaresmiſchen Shahs, 1097 — 1230, 
wurden durch Aziz, den Statthalter ber Seldfchuten in Khowaresmien, wo er fi) unabhängig 
machte, gegründet. Tagaſh zerſtörte 1192 das Reich der Seldfchufen und entriß den Ghuriden 
Khoraffan. Sein Sohn Mohammed eroberte Mavaralnar, bezwang die Ghuriden und Shasni 
und brachte den größten Theil P.s an ſich. Plötzlich aber erlag er 1220 den Angriffen des 
Mongolen Dfehingis-Khan (f. d.). Sein heldenmüthiger Eohn, Dfchelal-eddin-Mantberni, 
machte zwar noch zehn Jahre die äußerften Anftrengungen, fich zu behaupten, mußte aber end⸗ 
lich flüchtig werden und ftarb 1250 in einer einfamen Hütte auf dem kurdiſchen Gebirge. 7) Die 
Bujiden, von Buja abftammend, einen armen Zifcher, der fein Gefchlecht von den Saſſaniden 
herleitete, erlangten durch Tapferkeit und Klugheit die Derrfchaft über den größten Theil 9.6 
und 945 felbft über Bagdad. Sie zeichneten ſich meift durch Regententugenden und Liebe für 
wiffenfchaftliche Bildung aus und behaupteten ſich His 1056, wo Malet-Rahim ſich genöthigt 
fah, den Seldſchuken zu weichen. 8) Die Seldſchuken, eine türk. Dynaftie, erhoben fi 
zuerft in Khoraffan mit den Shasnewiden zu anfehnlicher Macht. Zogrulbeg-Mahnıud ver» 
drängte bier 1037 Sultan Mahmud's Sohn, den Ghasnewiden, verbreitete fid über Mavaral- 
ner, Aferbeidfchan, Armenien, Fars, Srat-Adfchemi und Irak⸗Arabi, wo er 1055 der Gewalt 
der Bujiden zu Bagdad ein Ende machte und yon den Khalifen an ihre Stelle zum Emir⸗al⸗ 
Dmra eingefegt wurde. Seine Nachfolger zeichneten fich zum Theil durch große Thätigkeit und 
Humanität aus. Malel-fhab, der mächtigfte unter ihnen, eroberte noch Georgien, Eyrien und 
Ratolien. Nach und nach aber ſank das Neid, indem es ſich in vier Reiche auflöfte, die cheils 
durch die Fhowaresmifchen Shahs 1162 und 1195, theild durch die Atabefen von Aleppo 
1139, theild durch die Mongolen 1194 zerſtört wurden. 

Durch Dſchingis⸗Khan wurden feit 1220 die Tataren und Mongolen in P. herrichend, die 
ſich bis 1405 behaupteten. Die durch Dſchingis⸗Khan eroberten Provinzen erhielt 1229 deſſen 
jüngfter Sohn Tauli und nach diefem deffen Sohn Hulaku. Hulakı vermehrte diefe feine Be⸗ 
fisungen mit Syrien, Natolien uud Irak⸗Arabi, machte ſich von der Oberherrichaft des Groß⸗ 
Fhand unabhängig und jbildete eine befondere Dynaſtie der Mongelen in jenen Ländern, bie 


Binlimeren —R 
den und gründete auf den Trümmern ihres Reichs nach der Eroberung von 
f | und Movaralnar ein Reich, das Sferbebihen, "Wisichefz, 








, ganzen Beiche, worauf wide Nutchie einelß. 
finnig gewordene Mahmub wurde 1725 von Afhraf geflürgt, 'defer aber von Th 
Ryan beftegt, welcher unter Mitwirkung der Ruſſen und Türken Huflein’s Sohn, 
. 1729 auf den Thron fegte. Als dieſer aber Georgien und Armenien an die Türken abtrat, fege 
ihn Kuli⸗Khan ab und erhob deffen minderjährigen Sohn, Abbas III. 1752 aufden Thron. Du 
Rufen und Türken entriß Kuli⸗Khan wieder bie abgetretenen Provinzen, und als Abbas 111.17% 
farb, beſtieg er felbft unter dem Namen Shah-Nadir (ſ. d.) den Thron. Er erhob P. dank 
Waffenglül und firenge Regierung zu feinem frühern Anfehen, eroberte 1755 Bahrein mi 
1736 Balkh vom Khan von Bokhara, dann Kandahar, fiel darauf 1759 in Hindoflan ein m) 
nötbigte ben Großmogul Mohammed, ihm nicht nur einige Provinzen am Indus au überlaſſu 
fondern ihm auch einen bedeutenden Tribut zu zahlen. 

Rah Shah Nadir's Tode 1747 trat in P. ein Zwiſchenreich ein, angefüllt von innen le 
ruhen, welche das Reich furchtbar zerrütteten und in verfchledene Theile zerfallen lichen. % 
Dfliran gründete damals Achmed, aus dem Geſchlechte der Abdallihs, bad Reich der Afzhe⸗ 
(ſ. Afghaniſtan), das feitdem für das perf. Reich verloren blieb. Weſtiran dagegen zerfiel ud 
ſeinen verfchiedenen Statthaltern, die fi) unabhängig machten, in mehre Heine Königreiche, de 

ſch unabläffig befämpften und in ihrem Innern durch bie gewöhnlichen orient. Thronfreiög 
keiten mit den fi daran fnüpfenden Gräueln zerrüttet wurden. Endlich gelang es bier ah 
langen und blutigen Kämpfen dem Kerim-Khan, einem Kurden, nad) andern Berichten einem 
vornehnien perf. Häuptling, fich der Herrſchaft nach Befiegung der einzelnen aufgetauchten Dr 
naftien zu bemächtigen, die Ruhe berzuftellen und feine Macht zu befefligen. Seine Weitket 
Gerechtigkeit und Kriegserfahrung erwarben ihm die Liebe feiner Unterthanen und die Ah 
feiner Nachbarn. Er nannte ſich übrigens felbft nie Khan, fondern nur Wekil, d. i. Regen id 
fi) 1755 zu Schiras, das er zu feiner Refidenz machte, nieder und farb 1779, als feitmd 
Beifpiel, eines natürlichen Todes. Neue Verwirrungen entfianden nach feinem Tode dur de 
Shronftreitigkeiten in feiner eigenen Familie, und endlich blieb ein Prinz von Geblũt, Un-Rr 
rad, 1784 im Befig des Throns. Nur in Mafanderan hatte fih ein Verfchnittener, UgrPr 
hammed, ein Zurfomane aus dem Stamme der Kadſcharen und ein Mann von altem Geſchich 
mb nicht gemeinen Cigenſchaften, unabhängig gemacht. Ali-Murad, der gegen ihn zog, ft 


ii 









Perfien 719 


in Kolge eines Sturzes mir dem Pferde. Die Regierung feines Nachfolger Dſchafar war ein 
innmerwährender Kampf mit Aga-Mohammed, der ihn mehrmals ſchlug und mitteld einer Bew 
fchmörung ermorben ließ. Vergebens fuchte Dſchafar's Sohn, Lutf-Ali, in mehrer verzweifeh 
ten Gefechten da6 Glück für fid) zu gewinnen; Aga-Mohammed blieb Sieger und unterwarf 
fi nach und nad faft ganz Weſtiran; nur Khoraffan und Georgien behaupteten factifch ihre 
Unabhängigkeit. Zu feinem Nachfolger ernannte er Babakhan, ſeinen Neffen, ebenfalls aus dem 
Stamme der Kadfcharen, der, 1768 geboren, 1796 nad) Aga-Mohammed’s Ermordung unter 
dem Nanıen Feth-Ali den Thron beftieg und Teheran (f. d.) zu feiner Reſidenz machte. Durch 
eine Reihe von Feldzügen befeftigte er im Innern feine Macht und eroberte fogar Khoraffan. Da» 
gegen kam er in einegefährliche Lage durch Die rivalifirenden Beftrebungen Rußlands, Englands 
und Frankreichs im Orient, die ihn mit Rußland, das an ſich [Son nach ber Eroberung ber perf. 
Grenzprovinzen trachtete, in viele Gonflicte brachten. &o verlor er an Rußland im Frieden vom 
4797 Derbend und einen Theil des Landes am Kur; 1802 wurde Georgien, das ſich ſchon 
Längft Rußland in die Arme geworfen, zur ruff. Provinz erflärt. Im Frieden von Guliſtan 
von 42. Det. 1813, der dem unglüdlichen Kriege folgte, welchen er unter Frankreichs Einfluß 
1811 den Ruffen erflärt hatte, verlor Feth⸗Ali alle feine übrigen Befigungen am Kaukafus, 
nördlich von Armenien, und mußte die ruff. Kriegsflagge auf dem Kaspifchen Meere geftatten. 
Sm 3.1826 ließ fi Ferh- Ali durch den Kronpringen Abbas⸗Mirza (f. d.) und feinen Günſp 
ling, Huffein-Kuli-Khan, welche Rußland im Innern beunruhigt glaubten, zum Kriege gegen 
daffelde bewegen. Die Perſer fielen ohne Kriegserflärung in das rufl. Gebiet ein, reizten einen 
Theil der Mohammebaner zum Aufftande und drangen bis Elifawetpol vor. Bald aber wur 
den fie von den rufl. Generalen Sermolow und Paskewitſch in mehren Gefechten gefchla 
gen und verloren mehre fefte Pläge, darunter Eriman, worauf die Ruffen 16. Det. 1827 
über ben Araxes gingen und 31. Oct. Tauris befegten. In dem darauf 22. Febr. 1828 zu 
Stande gelommenen Frieden mußte P. feinen ganzen Antheil an Armenien mit Eriman und 
dem Klofter Etſchmiadzin abtreten und 18 Mil. Kriegs koſten zahlen. Hierüber war das Volk, 
außerdem durch Erpreſſungen aufs äußerſte gebracht, erbittert; und als der ruſſ. Seſandte Gri⸗ 
bojedow in Teheran einige georgiſche Frauen, die ruſſ. Unterthanen waren, der perſ. Sklaverei 
entzog, brach 12. Febr. 1829 die Muth des Volkes los, das den ruſſ. Geſandten nebſt feiner 
Gemahlin und dem größten Theile ſeines Gefolge ermordete. Nur durch die größten Demü⸗ 
thigungen, fowie durch ftrenge Beftrafung der Theilnehmer am Aufftande, von denen z. B. 
1500 Perfonen Nafe, Ohren oder Zunge abgefchnitten wurden, vermochte der Shah Maßregeln 
der MWiedervergeltung von Seiten Rußlands abzuwenden. Einen großen Verluft erlitt 9.1833 
durch den Tod des präfumtiven Thronfolgers Abbas-Mirza, des einzigen Mannes, dem es ernfl- 
tich un die Hebung feines vermahrloften Vaterlandes zu thun und ber die Haupttriebfeber aller 
reformatorifchen Beftrebungen, die damals in P. fid) geltend machten, ins beſondere einer beffem 
Drganifation des Militär war. Bald darauf ftarb 20. Det. 1834 der Shah Ferh-Ali. im 
innerer Krieg drohte in Kolge der Thronanfprüche, die ſich unter feinen Nachkommen erhoben, 
aus zubrechen; allein die Übereinftimmung Englands mit Rußland, die dem Sohne Abbas-Mit- 
za's, Mohammed, den Thron garantirten, bewirkte, daß diefer Shah wirklich den Thron beſtei⸗ 
gen konnte. Doch vermochte er die Umtriebe feiner übrigen Verwandten nicht zu unterbrüden, 
und bald empörte ſich der eine, bald der andere. Unter diefen Berhältniffen mufte das Rei 
feinem Ruine mehr und mehr entgegengehen. Dazu kam die wachſende Eiferfucht Rußlande 
und Englands, welche P. für ihre Zwecke zu gewinnen fuchten und die Regierung demoralifit- 
ten. In diefen diplomatifchen Kämpfen trug Rußland endlich den Sieg davon, den es auch mit 
geringen Wechfelfällen behauptete. So gelang es ihm, P. au einem zmeimaligen, wiewol erfolg- 
lofen Zuge gegen Berat (f. d.) zu vermögen, um dieſes Bollwerk auf der Strafe von Border» 
afien nad) Indien dem ruff. Einfluffe zu geroinnen. Zwar bewirkte der fiegreiche Zug der Eng⸗ 
länder nach Afghaniftan, fowie die zeitweilige Befegung des Hafens von Abuſchehr (f.d.) durch 
diefelben, daß die engl. Politit um 1840 in P. wieder das Übergewicht befam. Allein dies ge⸗ 
ſchah nur für kurze Zeit ; denn die drohende Nähe, in ber die Ruſſen fortwährend ftanden, umb 
die Schwache des körperlich und geiftig zerrütteten Shahse, der ſich ganz in ben Händen feines 
von den Ruſſen gewonnenen Großveziers befand, gaben der ruff. Politik bald wieder ihren 
vormwaltenden Einfluß. Derfelbe äußerte ſich dann auch in der nach finfjährigen Verhandlun⸗ 
gen zu Ergerum durch den Vertrag vom 7.Juni1847 zu Stande gekommenen Beilegung der dro⸗ 
benden Grenzſtreitigkeiten zwiſchen ber Türkei und P. befonbers aber in dem Zuftandefommen 
eines Bertragk, den der Fürft Woronzow als ruff. Bevollmächtigter 1846 in Tiflis mit P. 





Beraubten u. [. 1 
mittelung der Diplomatie wurden die auswärtigen Gläudiger befriedigt, nur der 
nicht, weshalb der franz. Gefandte, Graf Sartiges, der feit 1845 in Teheran acc 
umb 24. Juli 1847 zwar einen Handelövertrag zwiſchen P. und Frankreich zu Stan 
den franz. Einfluß aber zu feiner Bedeutung hatte erheben können, jegt, durch die 9 
feiner Heimat vollends um alles Anfehen gebracht, feine Yäffe nahm. Die inländi 
biger gingen ebenfalls leer aus. Die Erhöhung der Abgaben, die Bernachläffigung t 
Brüden, Wafferbehälter, Raravanferais und anderer oͤffentlicher Anftalten, Die Ber 
ber @inkünfte in Prachtbauten, der Lurus und Nepotismus des Minifters, die Verfi 
ſtrafung, ja Hinrichtung Solcher, die Klage führten: alles Dies hatte mehrfache G 
in den Provinzen, in Schiras, Jöpahan, Mafanderan, Kerman, Khoraffan zu Fı 
durch Waffengewalt unterdrüdt werben konnten. Selbft in Teheran kam es im Ju 
einer Boltsbewegung, welche die Entfernung des allgemaltigen Minifter6 verlangte, 
aber nicht erreichte und die Verhaftung mehrer compromittirter Großen nach ſich z 
Taghi · Chan, der dadurch, daf er in Verdacht fam, die Zerſtörung eines ruff. Depo 
rabad durch die Turkomanen von Mafanderan veranlaft und fogar dad Volk von 3 
Erftürmung des ruſſ. Geſandtſchaftshoͤtels aufgereigt zu haben, dem guten Einverr 
mit Rußland einen Stoß verfegt hatte, mußte zwar durch Nachgiebigkeit gegen Ru 
eb die Verfegung des Statthalter von Mafanderan ald Genugthuung verlangrı 
teauen der ruff. Regierung wieder zu gewinnen, zumal da er die Kriegsluft des € 
Herat nährte; allein durch den Einfluß der Mutter des Shahs, deren Ausfchweifun, 
felben enthüllt hatte, und durch die Mitwirkung fo vieler unzufriedener Großen wı 
endlich geftürgt, im Nov. 1851 gefeffelt nach dem Städtchen Kaſchwan abgeführt 
ermordet. An feine Stelle trat der 70jährige MirgerBgha-Rhan. Kury nad Ta 
Tode trafen öftr. Gelehrte (Darunter der Montanift Czernota) und Offiziere ein, der 
fer, auf das Erfuchen der perf. Regierung, die Reife nach Teheran geftattet hatte, u 
ſenſchaftliche Anftalten zu gründen und das perf. Heer auf öſtr. Fuß zu organifiren 
Dffiziere fahen ſich in ihren Erwartungen getäufcht; ihr Vertrag blieb unerfülkt, ihr 
fländig und für die Armee geſchah fo viel wie nichts. Dagegen gelang es Gernot 
tan eine Montaniftenanftalt & errichten, die Mitte 1852 bereits 154 Schüler gä 
allen Provinzen war, feit dem egierungsantritte Nafir-Eodin’s Choraſſan bieunruf 


Perſiſcher Meerbufen Perfſiſche Sprache und Literatur 781 


engl Flotte bei Abufchehr am Perſiſchen Meerbufen landete und 2.Dc.9000 Mann ausfchiffte 
Ein Mordanfall aufden Shah, der 15. Aug. 1852 von drei Männern aus einer 1858 von Babi 
Yeflifteten und durch bie Hinrichtung ihres Stifters fanatifirten religiofen Sekte (den Babis) aub⸗ 
ping, wurde mit zahlreichen Hinrichtungen unter unmenſchlichen Martern beftraft. Beim Aus⸗ 
druch der Feindfeligkeiten zwiſchen Nußland und der Türkei im Herbſt 1853 neigte fich die perf. 
Regierung auf die Seite Rußlands, erregte aber dadurch den Unwillen der Bevölkerung in fo be 
denklicher Weife, daß man es rathſam fand, nichts gegen die Türken zu unternehmen. Bol. Mal 
olm, „History of P.“ (2 Bde., neue Aufl., Lond. 1829, mit Kpfrn. und Karten; deutſch von 
Beder, 2 Bde, Lpz. 1830); Herford Jones Bridges, „The dynasty ofthe Kajars” (Lond. 
1833); die Reiſewerke von Chardin, Niebuhr, Olivier, Kinneir, Morier, Dufely, Ker Porter, 
Will. Price, J. B. Frafer, G. Keppel, Drouville, Buckingham, Stocqueler u. A.; Struve, 
Résultats géographiques du voyage en Perse, fail par Lemm 1838 — 39“ (Petersb. 
1851); Wagner, „Reiſe nah P. und das Land ber Kurden” (2Bde. kpz. 1852). 
Perfſiſcher erbufen, ſchon bei den Alten als ein Theil des Erythräiſchen Meeres fo 
Jenannt, ein Theil bes Indiſchen Ocean, dringt in nordweſtlicher Richtung zroifchen Arabien 
and Perſitn in den Eontinent von Afien zwifchen 24° und 30" n. Br. ein, in einer Länge von 
135 M. und einer Breite von 5—45M. Er nimmt einen Flächenraum von A340 AM. ein. 
Davon fommen 75 AM. auf die zahlreichen Infeln, umter denen Ormuz oder Hormuz, nach 
deicher der Eingang bed Golfs Straße von Drmuzgenannt wird, die Infel Kſſchm (5304 QM.) 
ind die durch Perlenfiſcherei fehr wichtigen Bahreininfeln (f. d.) Die berühmteften find. Die 
Infeln beftehen theile aus eifenhaltigem Geftein, theild aus Kalkftein und zeigen häufige Spu⸗ 
en vulfanifcher Eruptionen; die meiften find öde, ohne Quellen und voll ſteiler Pics. Die Kü- 
tern gehören größtentheil& der Kalkformation an. Eie find auf der arab. Seite, mo fie vom 
Jap ober Rad Muffendom bis Khor Abdilla eine Länge von 227% M. haben, niedrig und 
andig, an einzelnen Stellen von vulkaniſchen Bergen unterbrochen. Auf der perf. Seite, wo 
yre Länge vom Ras Koli bis Deribana 167) M. beträgt, läßt das viel naher an das Meer 
erantretende Hochland oft nicht einmal einem ſchmalen Küftenfaume Raum. Außer dem 
Schat-el-Arab (Araberſtrom), b.i. dem vereinigten Euphrat und Zigris, deſſen Mündungs⸗ 
tme eine Länge von 25M. einnehmen, ergießen fih nur fehr unbedeutende Flüſſe in den 
Bolf. Die Schiffahrt ift an der perf. Küfte megen der bis dicht an das Feftland ſich erſtrecken⸗ 
en Tiefe des Meeres am ſicherſten. Im Allgemeinen findet man an ber Küfte überall Anker 
Läge, entweder in den verfchiedenen Buchten oder unter den Schuge der Infeln. Die Ordnung 
er periodifhen Strömungen des Golfs ift Die umgekehrte bed Nothen Meeres: vom Mai bit 
IActober tritt eine Strömung ein, vom October bis Mai heraus. Drientalifhe Geographen ha⸗ 
en den Golf das Grüne Meer genannt, und es gibt wirklich der arab. Küfte gegenüber einen 
‚eftimmt abgegrenzten Streifen grünen Waſſers. Bekannt wurbe ber Golferft durch Nearch's, 
es Admirald Alerander's d. Gr., Rückfahrt aus Indien nad) Babylon am Euphrat; beftimm- 
ere Angaben finden ſich erft von Eratofihenes im 3. Jahrh. v. Chr. (bei Strabo). Seine Be 
yerticher waren nacheinander die Araber, Portugiefen und Holländer, niemals aber die Perfer, 
yeren Sinn weniger auf Schiffahrt gerichtet ift. Gegenwärtig beherrfcht ihn, feine Inſeln und 
elbſt feine perf. Küfte größtentheils der arab. Sultan von Oman oder Maskat (f. d.). Genauer 
nterfucht wurde der Meerbufen erſt feit 1809. In diefem Jahre veranftaltete nämlich bie 
Dftindifhe Compagnie wegen der zunehmenden Unficherheit feiner Beſchiffung durch arab. 
Seeräuber von Bombay aus eine Erpedition zu deren Unterdrüdung. Dabei wurden zugleich 
mehre Stredien ber arab. Küfte und die ihr vorliegenden Infeln durchforſcht. Gleichen Erfolg 
auch in wiſſenſchaftlicher Hinficht hatte eine neue Erpedition 1819 gegen die inzwifchen wieder 
erflarften Piraten. Aber noch wichtiger wurde die auf Befehl der Oftindifchen Compagnie un- 
ternommene reinwiffenfchaftliche Erpedition, welche 1821 — 25 die ganze arab. Küftenlinie von 
Cap Muffendom bis zur Mündımg des Schatsel-Arab nebſt den Infeln trigonometrifch vermaß. 
Derfiihe Sprache und Literatur. Die uns näher bekannten ältern und neuern Spra⸗ 
en Perſiens, die man unter dem Namen der Sranifchen ober Weſtariſchen Sprachen zufam- 
menzufaffen pflegt, gehören insgefammt zu dem großen Stamme der Indogermanifchen Spra- 
chen (f. d.) und find, was die altern betrifft, etwa folgende: 1) Das Zend ober die Sprache, in 
welcher die Religionsbücher Zoroaſter's abgefaßt find. Diefelbewar wahrfcheinlid im nordlichen 
Perſien herrſchend, wird mit einem Alphabete femitifchen Urfprungs von ber Rechten zur Lin⸗ 
Ben geichrieben und ficht dem älteften Sanskrit der Vedas fehr nahe. Eine Überficht der gram- 
matifchen Formen gibt Bopp in feiner „Bergleihenden Grammatik (Berl.1855— 52). Der Be⸗ 


783 Perfiſche Sprache und Literatur 


gründer des wiſſenſchaftlichen Studiums dieſer Sprache wurde E. Burnouf. In ibe find mi 
zahlreiche Fragmente der alten Religionsbücher bes Zoroafter’fchen Cultus erhalten. (©. Jene 
vera.) 2) Das Pehlewi, auch Ouzvareſh genannt, oder bie alte Sprache des weſilichen Pr 
fien, bie, bis jegt noch wenig bekannt, eine Miſchung ift von perf. und ſemitiſchen Barka 
mit vorherrfchender perf. Grammatik. Die in ihr erhaltenen Denkmäler beziehen fich cbeufal 
ausfchließend auf die Religion des Zoroafter. Die wichtigſten find a) die unter ber Deriikk 
der Saffaniden verfaßten Überfegungen und Parapbrafen der alten Zendbücher, auf wehe 
allein das traditionelle Verftändniß diefer Bücher bei den jegigen Parſen berubt (bid wi 
davon blos die Überfegung des Vendidad herausgegeben worden durd) Spiegel, By; 185); 
b) das Bundeheſch (herausgegeben von Weſtergaard, Kopenh. 1851), eine Urt dogmatiide 
Handbuch über die Religion Zoroaſter's, eine ziemlich fpäte Gompilation. Andere Bike 
diefer Art find das Wiraf⸗nameh u. ſ. w. Außerdem hat mannod einige wenige Inſchtiſe 
md zahlreiche Münzlegenden auf den Münzen ber Saffaniden (am vollſtändigſten zunfanme 
geftellt von Mordtmann, 2p;. 1854). 3) Das Ultperfifche, die alte Sprache Perfient, ci 
fie zur Zeit der Achämeniden geredet wurde. Die einzigen Überrefte biefer Sprache, die a 
ben beiden genannten bedeutend abmeicht, finden ſich in den Keilfchriften (ſ. d.). Aus bei 
ältern Sprache entwidelte fih: 4) Das Paͤrſt oder Nenperfifde, urfprünglich bie Era 
des füdweftlichen Perfien. Es Hat einen mobdernern Charakter, indem es Die vielen Flai 
endumgen jener ältern perf. Mundarten verloren; body ift der Stil zu großer Unmut 
Geſchmeidigkeit gebildet. Am reinften und mit dem ältern Alphabete der Zendſprache geſho 
ben findet man es in den religiofen Abhandlungen der Parfen (vgl. „Grammatik der Path 
fprache” von E&piegel, Lpz. 1851) und im „Schahnameh“ des Firdüſi (f. d.). Seit der de 
oft tar Araber in Perfien und der Verbreitung des Islam dafelbft nahm das Reuprik 
Ade arab. Wörter in fich auf; auch ward es von da an mit arab. Schriftzeichen gefdriie 
Durch die mongol. Herrſchaft wurde es im nördlichen Indien fehr verbreitet und bilden 
auf Die neuefte Zeit die Sprache der Diplomatie, des höhern gefelligen Lebens und ber Gerikt 
höfe. Die vorzüglichften Sprachlehren find Lumsden's „Grammar of the Persian langaa 
(2 Bde., Kalkutta 1810) und die Grammatiken von Jones (9. Aufl., Lond. 1828), Paula 
(Gießen 1840), Geitlin (Helfingfors 1845), Mirga- Ibrahim (deutfch von Fleifcher, & 
1847), Chodzko (Par. 1852) u. U. ; die beften Driginalwörterbüder: das Burbäni-tari($4 
1818), Ferhengi⸗Schuuri (2 Bde., Konftant. 1746) und Heft-tulygum (7 Bde., Lucknow 182: 
ſowie Meninſki's „Lexicon Turc.- Arab.-Persicum” (neue Ausg. ABde., Wien 1780 — 1808. 
Richardſon's „Dictionary Persian, Arabic and English” (vermehrtpon Johnſon, Lond. 182 | 
und Vuller's „Lexicon Persico-Linum‘ (Heft 1, Bonn 1853). Übrigens bat die neue ; 
Sprache viele Dialekte, wie das Kurdifche an der weftlichen Grenze Perfiens, das Meſander 
u. a. m., Die noch wenig bearbeitet find. 

Die neuperfifche Literatur entwidelte ſich feit der Zeit, wo der Sölanı in Perſien Eins 
fand, und die Schriftfteller in derfelben find insgefammt Mohammedaner. Die erften nat | 
Schriften, theils poetifchen, theils hiftorifchen Inhalts, ſtammen aus der Zeit der famanidikr ! 
Fürften im 9. und 10. Jahrh. Won diefer Zeit an wurde die perf. Literatur, in Perfien fi’ 
ſowie in Indien, namentlich die Poefte und die Geſchichte, ununterbrochen gepflegt, fo viek F 
waltfame politiſche Stürme auch das Rand verheerten. Der Neihthum der perf. Literan:? 
ungemein groß; eine Überficht gewährt Hadfchi- Khalfa (f. d.). 

Die Poefie umfaßt eine Menge kleinerer Igrifcher Gedichte, in fogenannte Dimins :x 
Sammlungen vereinigt, auch größere hiftorifche, romantifche und allegoriſche Gedichte ımt ww 
Märchen und Erzählungen in Profa, mit Verfen untermiſcht. Der ältefte befannte Dieen! 
Rudegi, um 952, welcher auf Befehl des famanidifchen Fürſten Naſr-ben⸗Achmed die Ri“ 
des Bidpai in das Perfifche überfegte. Aus der Zeit der Ghasnewiden iſt zu erwähnen FE’ 
(f.d.), an deffen großartiges Nationalevos ſich viele verwandte Dichtungen anlehnen, wie: ® 
das „Barsu-nameh”, das „Sam-nameh” u.a.m.; Anwari, ein gelehrter Panegyrike = 
Ddendichter, um 1150; Nifämi (f. d.), der Begründer der romantifchen Epit und Bert 
einer Chamſſe, d. 5. einer Sammlung von fünf großern romantifhen Gedichten; Ghafin, 
1200, einer der gelehrteften Odendichter ; Ferid:ed-din-Attär, um 1270, der Verfaffer mer 
religiöfen und ascetifchen Gedichte, 4. B. des „Mantiket-ettair” oder des Vogelgeſprächt, m 
er die theofophifche Befhauung Gottes fhildert, und des „Pendnameh“ oder des Buhl e 
guten Raths (mit franz. Überfegung herausgeg. von Sacy, Par. 1819); Dicheläl-ededin.R= 
(f. d.), ein Zeitgenoffe des Vorigen, der als ber größte myſtiſche Dichter gilt; Saabi (!.}: 


Perfiſche Sprache und Literatur 783 


Emir-öhosru, ein Zeitgenoffe des Saadi, der wie Nifämi eine Chamſſe dichtete; Haͤfis (f. d.), 
ver berühmtefte Odendichter, um 1500 ; Dicyämi (f. d.), einer ber fruchtbarften und anmuthig⸗ 
ken perf. Dichter, um 1400; Haͤtifi, gleichfalls Verfaffer einer Chamſſe; Feifi, am Dofe des 
Broßmoguls Akbar, um 1540, der auch die altind. Erzählung von Nala und Damayanti in 
inem ?unftvollen Epos (Kalk. 1851) bearbeitete. Die neueften größern Gedichte der Perſer 
ind das „Schehinschah-nämeh”, da6 Buch ber Könige, welches die neuefte Gefchichte Perſiens 
n Verſen erzählt, und das „George-nAmeh”, von Firos⸗ben⸗Kaus (3 Bde., Bombay 1839), 
as die Eroberung Indiens durdy die Engländer ſchildert. Die eigentliche Volksliteratur, Beine 
tieber über die einfachften Verhältniffe des Lebens, Balladen und Cyklen hiftorifcher Gefänge, 
childert A. Chodzko in feinen „Specimens of Ihe popular poetry of Persia” (Xond. 1842); 
in Fragment daraus: „Die Abenteuer und Gefänge Körruglu's“, überfegte Wolff ins Deut- 
che (Jena 4843). Die Perfer find das einzige mohammed. Volt, welches audy die dramatiſche 
Poefie angebaut hat; die Stüde find ganz den Myſteres der ältern franz. Literatur zu verglei- 
ben und reich an natürlicher, ergreifender Lyrik. Vgl. Chodzko, „Sur la litt6rature dramatique 
les Persans” (Par. 1844), und Proben berfelben im Zerte (Bar. 1852). Die Gefdhichte der 
verf. Dichter haben befchrieben Dauletfchah in Dem Werke „Teskeret esschoara”, d. i. Be- 
hreibung der Dichter, und Lutf⸗Ali⸗Beg, deſſen Werk „Ateschkedah”, d. I. Feuertempel, her⸗ 
iwuögegeben von Bland (Lond. 1844), die Gefchichte der perf. Dichter His in die neueften Zeiten 
ortfegt. Vgl. Hammer, „Geſchichte der ſchönen Rebekünfte Perfiens” (Wien 1818). Von den 
ahlreichen Sammlungen von Novellen, Märchen, Erzählungen find nur folgende zu erwähnen: 
‚Anwäri-soheili‘, d.i. Kanopifche Lichter, eine vortreffliche, mit allem Zauber der perf. Sprache 
eſchmückte Bearbeitung der Kabeln des Bidpai (f. d.); „Behri-danisch”, b. i. Frühling ber 
Weisheit, verfaßt von Indjet- Allah in Indien, überfept von Scott unter dem Titel „Garden 
knowledge” (3 Bbe., 1799); „Tütlinämeb”, d. i. Papagaienbuch, perf. und engl. von Had⸗ 
ey herausgegeben, deutfch von Iken und Kofegarten (Stuttg. 1822), und „Baktijär-nämeh*, 
1. i. Gefchichte des Prinzen Baktijär, von Dufely herausgegeben und überfegt, unter dem Zitel 
‚Tales ofBakhtyar and the ten veziers” (Xond. 1801 ; Yar. 1839), Durch Perfien ift auch der 
roße Reichthum der ind. Literatur an Fabeln und Marchen vermittelt worben. (&. Zaufenb 
ınd Eine Radt.) " 

Der biftorifche Theil der neuperf. Literatur ift ebenfo reichhaltig als wichtig. Die perf. Ge- 
hichtichreiber behandeln theils die allgemeine Gefchichte ber mohammed. Staaten, theild insbe⸗ 
ondere die der zahlreichen arab., perf., türk. und mongol. Dynaſtien, welche in Perfien und In⸗ 
ien ihren Sig aufichlugen. Nur Weniges davon ift bis jegt gedrudt. Wir erwähnen: das 
Tarichi Tabari‘, oder die perf. Bearbeitung ber großen arab. Chronik des Tabari, verfaßt von 
H-DBalami 974 (franz. von Dubeug, Bb. 1, Lond. 1835); „Dschämi ettewärich”, d. i Samm- 
r der Chroniken, eine Gefchichte der Mongolen, vom Vezier Raſchid⸗Eddin, um 1320 (heraus- 
egeben und überfegt von Duatremere, Bd. 1, Par. 1836); die Chronik des Waſſaͤf, um 1533, 
yelche die Gefchichte der Nachkommen Dſchingis⸗Khan's enthält und in einem überaus kunſt⸗ 
eichen Stile gefehrieben ift; „Lubb ettewärich”, oder Mark der Chroniken, von Kaswini, um 
570; die Gefchichte Timur's, von Scherif⸗eddin⸗Jes di, um 1460 (franz. von Petit de Racroiz, 
Jar. 1724); „Rauset essafa”, d. i. Flur der Lauterkeit, von Mirchond, um 1520, eine große 
‚niverfalgefhichte, aus welcher mehre Abfchnitte herausgegeben worben find (3. B. „Ge 
hichte der Samaniden”, herausgeg. von Willen, Bött. I810, und von Defremery, Par. 
845; „Geſchichte der Shasnewiden”, Berl. 1832, und, Geſchichte der Bufiden“, beide heraus⸗ 
eg. von Wilken, Berl. 1835 ; „Sefchichte der Eaffaniden”, Heraudgeg. von Defremery, Par. 
844 ; franz. von Sacy, Par. 1793; „Geſchichte der Sömaeliten”, von Jourdain, Par. 1812; 
Geſchichte der Seldſchukiten“, perf. und deutfh von Vullers, Gieß. 1837; „Geſchichte bes 
Dichingis-Khan”‘, von Jaubert, Bar. 1841; „Belchichte der Eultane von Kharesm”, von 
Defremery, Bar. 1842, u. f. w.); die Geſchichte Indiens von Ferifhta, um 1640 
2 Bde., Bombay 1831; engl. von Briggs, 4 Bde. Lond. 1829); die „Tusukäti Ti- 
nur“, oder Einrichtungen Timur's (perf. und engl. von White, Oxf. 1783); die „Wakiäti 
3Aburi, oder Begebenheiten des Großmoguls Babur, von ihm felbfl aufgezeichnet (engl. 
von Erskine, Edinb. 1826 ; deutſch von Kaifer, Epz. 1828); die „Wakiäti Dschihängfri”, ober 
Begebenheiten des Broßmoguls Dſchihaͤngir (engl. von Price, Lond. 1829); das „Ajlni Ak- 
bari”, oder die Ordnung Akbar's, eine ftatiftifhe Schilderung des Mogulreichs in Indien unter 
Mfbar (engl. von@ladwin,2 Bde., Kalt. 1783); „Die Geſchichte des Nadir-Shah”, von Mahdi⸗ 
Khan (Teheran. 1842; franz. von Jones, Lond. 1770); „Die Geſchichte der Aſghanen“, von 


- al Über die altperf. Religion liefert (perf. von Dishaufen, War. 1820; be 
— 
.„ Sond.1843) ; aus der Mhetorit: „Hadlaik 
ben ber Beredtfameit, von Gciemms-Eddin (Ralf. 1814); „Nähr ulifasahei“, d. 
DR Berebefarnteit, von Birya-fatil (Rail. 1820); aus ber Geographie: „He 
Mb æumate, von Amin · ch med · Naſi und „Adschäib el@huldän”, ober bie 
ichn : dad „Tochfet 6I-mümentn“, 


* 
Derſer viele Werke ber ailind. Liter 
er mb 5* die theologiſch 


if 
jbat.:von Unquetil Duperron, 2 Bde., Strasb. 1804) u. 





f Werte find Stewarts „Catalogue of ihöOriental library ofihe 
(Gambridge 1809) und Dufely's „‚Cntalogue'of several Hi 
. 1834). Bel; Zenter, „Bibliotheca — 1846). ö 
at (Jean Victor‘ Fialin, Vicomte de), ſtan ne Pr 
han PB. von feinem Erbgute im Depart. Nachdem er 
Be Gaumur vorbereitet, trat er 1829 —— — ee 
AU Ad Unteroffizier ben Dienft und wurde Mitredatteur der „Revue de 
Zwei Jahre fpäter begab er fich zu Ludwig Napoleon, der fich damals zu "Urenenberg® 
der Schweiz aufbielt, und theilte fortan deffen Schickſale. Als Theilneßmer des Mitis 
aufftandes zu Strasburg im Oct. 1856 follte er vor den Affifen des Niederrhein eridh 
nen, entzog fich aber der Unterfuchung durch Flucht nad) England. Mit Ludwig Napolem, ie 
1838 ebenfalls zu London feinen Aufenthalt nahm, betheiligte fih P. fodann an ber Ep 
tion nad} Boulogne (1840), toobei er gefangen und vom Pairs hofe zu 20jähriger Einfperrmi 
verurtheilt ward. Die Bebruarrevolution von 1848 gab ihm bie Freiheit und die Erbe 
Ludwig Napoleon’s zum Präfidenten der Republik die Gelegenheit, eine bedeutende öffentide 
Laufbahn zu beginnen. Er ward Oberft, Adjutantdes Prinzen und Generalmajor der Nationb 
garde im Geinedepartement, auch trat er 1849 durch Wahl im Roiredepartement indie Rute 
nalverfammlung, io er ſich als Hauptvertreter bes Bonapartismus geltend machte, Im De 
4849 ging er al6 franz. Gefandter nach Berlin, kehrte aber ſchon im April 1850 zuräd m 
vollyog | fodann mehre andere biplomatifche Miffionen. Nach den Staatsftreiche vom 2, De 
1881 übernahm er 23. Jan. 1852 das Minifterium des Innern, in welcher Stellung er fern 
auf den Bang der Dinge und die Entſchließungen des Kaiferd bedeutenden Einfluß übte Es 
27. Mai 4852 vermählte fih P. als Vicomte mit Egle Napoleone Albine (geb. 18. Det. 18 
der Tochter bed Fürften von der Moskwa. 
$ (Aufus) Flaccus, einer der vorzüglichften röm. Satiriker, geb. 54 n. Chr. 
terrã In @trurien, erhielt, da er aus einer angefehenen Nitterfamilie ſtammte, eine gute 
namentlich durch den Stoiker Gornutus, dem er fich mit vieler Jnni; anfchlof, und Ida, 
wegen feiner Befcheidenheit von Allen gefhägt, mit den — Derfonlihkin 
Roms in den freundfehaftlichften Verhättniffen, ftarb aber ſchon 62n. Chr. im 28. Lebensicht. 
Seine noch erhaltenen ſecht Satiren, in denen er und ein Bild ber herrſchenden Sittenverieh 
niß feiner Zeit im Gegenfage zu dem Ideale des ftoifchen Weifen und altröm. Zucht gibt ® 
bie früh umb fpät bis in das fernfte Mittelalter gelefen und bewundert wurden, zeichnen B 
dur ch Ernft und Strenge, Kraft und Gedrungenheit aus, obgleich fie auf der andern Bits 
großer Dunfelheit leiden, die theils in den für und unerftändfichen Anfpielungen, theils inte 
abgeriffenen Schreibart und übertricbenen Kürze ihren Grund hat. Rach ber erſten zu Re 
(am 1470) erſchienenen Ausgabe wurben fie fpäter häufig zugleich mit den —S ͤ 















Perſon Perſpective 785 


venalis (f. b.), einzeln am beften von Safaubonus (Par. 1605; zulegt Lond. 1647), Paſſow 
(Bo. 1, Lpz. 1809), zugleich mit beutfcher Überfegung ; dann von Weber (Lpz. 1826), Plum 
(Kopenh. 1827), Dübner (Xpz. 1833), Orelli in den „Eclogae poetarum Latinorum“ (Zür. 
41853), Hauthal (Bd. 1, pz. 1857), D. Jahn, (mit den alten Scholien, Lpz. 1843 und 1851) 
und Heinrich (Xpz. 1844) bearbeitet. Deutfche Überfegungen lieferten Donner (Etuttg. 1822), 
Weber (Bonn 1834) und Teuffel (Stuttg. 1844). 

Perſon bezeichnet den Menfchen als freies, vernünftiges Weſen, welches Rechte zu erwer⸗ 
yen und Verbindlichkeiten zu übernehmen fähig ift, im Gegenfag der Sache, welche nur ein 
Dbject rechtlicher Verhältniſſe fein fann. Den Begriff der Perſonlichkeit drückt man aud 
„adurch aus, daß die Perfon den Zweck ihres Dafeins in frch felbft bat, fodaß fie niemals zum 
loßen Mittel für fremde Zwecke gebraucht werben kann, während Sache immer blos als Mittel 
‚efcheint. Die Perfönlichkeit und das Recht derfelben bringt der Menfch mit auf die Belt und 
ann fle meber verlieren noch freiwillig aufgeben. Sie ift der Grund aller feiner weitern Rechte 
'mb Pflichten. Ebendaher ift die Sklaverei etwas ſchlechthin MWiderrechtlihes und Unvernünf: 
iges, da fie ben Menfchen gleich einer Sache nur als Object, nicht auch als Subject von Rechten 
ehandelt. Das Necht der Perſonlichkeit haftet an der Erſcheinung ald Menſch, an der menſch⸗ 
ichen Geftalt und nad) rom. Rechte befonders. an der Bildung des Kopfs. Es beginnt mit ben 
xften Spuren des Dafeins im Leibe der Mutter und dauert fort, auch wenn das Bemußtfein 
"er Bernunft nie erwacht ober wieder unterdrückt wird, im Blödfinnigen und Irren. Aus dem 
Rechte der Perfönlichkeit folgt die Fähigkeit, weitere Rechte zu erwerben, z. B. Beſit und Ei⸗ 
enthum und Foderungen an Andere. Wenn mehre Perſonen fich zu einem vereinten Handeln 
ür gemeinſchaftliche Zwede verbinden und gegen Andere als Eine Perfon auftreten, fo nennt 
sarı dies eine Moraliſche Perfon (f. d.). 

Berfonalfteuern waren früher fehr willtürlicher Natur, haben fi aber allmälig in ben 
effer eingerichteten Staaten zu dem richtigen Begriffe heraufgebildet, daß fie auf directem 
Bege von bemjenign Eintommen erhoben werben, welches weder aus Grundbbefig noch aus 
‚gentlichen Gewerben, fondern aus perſönlichen Dienftleiftungen höherer und nieberer Art oder 
»nſtigen Quellen fließt, Die man nicht naher erforfchen kann oder mag. Es vereinigen ſich in 
er Perfonalfteuer hauptfächlic die directen Abgaben ber Beamten aller Art, der Gelehrten 
ud Künſtler, der Rentiers, wo Beine befondere Gapitalienfteuer befteht, aber auch der zahlrei« 
sen bloßen Handarbeiter und des Gefinded. Sie werden theild nach dem bekannten Einkom⸗ 
zen, theild nach allgemeiner, auf Stellumg und Aufwand begründeter Annahme angelegt. 

Perſoneunrecht (jus personarum) wird, im Gegenfage zu dem Sachen⸗ und Foderungs- 
scht, der Inbegriff derjenigen Rechte genannt, welche mit perfönlichen Eigenfchaften, ſowol na» 
ãrlichen als bürgerlichen, ſowol individuellen als ſolchen, die in einem ältnig zu Andern 


eſtehen, verbimbden find. Es begreift daffelbe daher die Lehre von dem Stande im weiteften . 


Sinne (status) und zwar dem natürlichen, Leben und Tod, Alter, Mimpdigkeit, Geſchlecht, Ger 
andheit; dem Familienftande, Ehe und VBerwanbtfchaft, und dem bürgerlichen, Freiheit, bee 
onders Standesrecht, Bemeinde- und Staatsbürgerrecht und Religion. Wohl zu unterfcheiben 
om Perſonenrecht find bie perfönlichen Rechte, worunter man bie Foberungsrechte verfieht, 
yelche blos gegen eine Perfon geltend gemacht werben können, ein Gegenfag zu den dinglichen 
dechten. (S. Eigenthum.) 

erſonification, bei den Griechen Proſopopoͤie genannt, heißt in der Rhetorik und Poetik 
ie Einkleidung abftracter Begriffe oder leblofer Dinge in lebende Wefen, um die Rebhaftigkeit 
nd Veranfhaulicyung der Rede dadurch zu fordern. Die Einkleidung gefchieht dadurch, daß 
san den ngenflane anredet oder felbfi rebend einführt, oder ihm gewifle Bebensäußerungen 
eilegt u. |. w. 
Perſpective Heißt die Kunft, Eörperliche Gegenſtände in der Natur, wie fie aus einem gege- 
enen Standpuntte nad) ihrer Geftalt und Farbe gefehen werden, auf eine Fläche richtig zu 
bertragen, daß fie dem Auge als Körper erfcheinen, fowie Die Kehre von den Grundfägen dieſer 
dunſt. Die Perfpective beruht auf der Optik, infofern man mittels Lichtftrahlen fieht, melde 
n geraden Linien von den Gegenftänben nad) dem Auge dringen; fie kann aber auch zur Geo⸗ 
netrie gerechner werden, infofern das Zeichnen der Form des Gegenftandes eine Anordnung 
‚er Linien und Mintel nach geometrifchen Grundfägen erfodert. Es unterfcheidet ſich indeß der 
Eheil der Perſpective, der die Geftalt der Gegenftände betrifft, weſentlich von dem, welcher die 
Jaltung der Barbentöne lehrt, und es gibt baher eine mathematifcge oder Linearperſp eetive und 
, Gonv.»Eer. Zehnte Aufl. XI. 50 





: ef Na eo 


file 
Vogelperfpective wird ber Gegenftand ſchief von ade | 
bei der Frofchperfpeetiwe befinber ſich Daß Auge tiefer ald der zu fehende Gegenfot; 
Militär: oder Eavalerieperfpective, 5. re fommt ed mir 
die tãuſchende Wirkung als auf das Die Lintarperfpective wurde vorzägi 
Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci — durch befondere Lehrbücher aus getee 
ra 1 hei hr th ir Bey u dem Bere 
ırtheilen ih 
Fenumg geaen be den Sehenden —— zugleich zeigt, wie dieſe en 
em Berhältniffe der Zwifdjenkuft, die diefelben vom Auge des Beſcheucn 
— Namentlich ift die Luftperſpective bei der Landfehaftömalerei merhrmentis 
nordiſchen Malerei ift Jan van Eyd ald Gründer derjelben zu betrachten, deffen Yu 
von Zimmern und Kirchen (den hohen Nuugenpunkt einmal zugegeben) perfpecrivif& 
a Re ee et nicht ‚oder mit — 
It wurde. lien fo Uetello in Floreng, zu Anfang 5. Jul 
wefen: riet ar Bafipepäe Diefenige Gattung von Mäleret, in welcher⸗ 
weiſe die Perfpectioe hervortrift, pflegt man wol Perfpectivmaleret zu nennen o& 
braucht bei Architefturftäden, namentlich wo das Junere großer Gebäude vorgefiel: mi 
rabegu ben Ausdruck Perfpeckiven. Vgl. Valencienne, „Praktifche Anleitung zur Line 
Ruftperfpective” (deutſch, Hof 1805); 3. A. Eitelwein, „Handbuch der Perfpetive 
1810); Jacobi, „Praktifche Anleitung zur Perfpective” (2pa. 1821). 

Perth, eine der größten und wichtigften Graffchaften des ſchott. HDocdhlands, die WE 
faßt, was für Schottland harakteriftifch ift. Sie wird abwechſelnd von malerifchen Hg 
reienden Thãlern durchſchnitten und hat zahlreiche Binnenſeen und Flüſſe, unter a 
Tay mit dem prächtigen Wafferfall Mones und der Forth bie größten find. Dar Mi 
zein, heiter und gefund. Auf 124%, AM, zählt fie 139216 E. die fih von Aderben 
zucht und Fabrikation von Leinwand, Tuch und Wollenwaaren nähren. Der Boden 
ſchaft hat durch Oſſian's Kieder, fein Grab, Macbeth's Schloß und alte Druidendenknil 
claſſiſchen Ruf. Die Hauptfladt Perth, am ſchiffbaren Tay, in einer großen Ebene triu 
legen, eine der älteften Städte Schottlands, defien Könige hier oft refidirten und we 
Parlamente und Nationalverfamnilungen gehalten wurden, hat 23814 E., großartige | 
und Baummwollenweberei, Twiftfpinnerei und bedeutenden Handel. Es befinden ſich 
eine Akademie für phifofophifche, mathematiſche und phyfitalifhe Studien, fowie ander! 
Lehranftalten, die eine Menge Perfonen des benachbarten Adels herbeiziehen. Eine halbe 
von P. liegt das Schloß Scone, wo die ſchott. Könige gekrönt wurden umd wo der Prit 
4745 noch Hof hielt. 


Verzeichniß 


der im elften Bande enthaltenen Artikel. 


1. 

.2. 

mung. 2. 
ud. 2. 

infeln. 3. 

[ge SHeiti. 3. 
boren, 

burt, ſ. "Geburt, 4. 
‚lag. 4. 

iel. 4, 

4. 


ılter. 5. 
ie, f. Aquinoctium. 5. 


—8R In coena do- 
6, Rat, ſ. Arriere⸗ 
hatten. 6. 

uͤcke. 6. 

ander f Mondfühhtig. 6 


. T. 

7. 

eld. 7. 

oͤlzer. 8. 

ih, f. Meupuncdur. 8. 
ſ. Zenith. 8 

(Sa von Berflen). 8. 


(Metal. d. 

(Hornplatte). 9. 

(Franz Karl — Hermann 
Sofens — Narimil). 9. 


ierr. id, 

(Karlerb. Friedr.von).11. 
Sandor (Joſe ep von). 11. 
'e (Bartolome de Torres). 


echt. ſ. Retract. 12. 
Familie — 3ob, Samuel — 
thias — Joh. Aug. — Sa⸗ 
— Joh. Aug.). 12. 


N. 


Nahrungsmittel. 13. 
an sfaft, f. Chylus. 14. 


Nahum. 14. 
Nairn. 14. 

Naivetät. 15. 
Najaden. 15. 


Rame. 15. 

Namenlofe Geſellſchaſt. 17. 
Namenstag. 17. 

Namur. 17. 

Nancy. 18. 

Nangafafi. 18. 

Naͤnie. 18. 

Ranking (Stabi). m 
Ranking (Zeug). 1 

Rannint (Agnolo). io, 
Nantes. 19. 

ee 90 20. 

Naphtha. 20. 

Napier (Sir Charles). 20. 


. Rapier (SirEharles James — Gir 


Seorge Thomas —SirWilli 

Francis Patrick). 21. 
Napier (John — Archibald — Wil⸗ 

liam John — Joſeph). 232. 
Navoleon J. (Kaiſer der Franzo⸗ 


fen). 22. 

Napolson U „1 Reichſtadt (Herzog 
von). 4 

Napoleon I. (Kaifer ber Franzo⸗ 
ſen), ſ. Bonaparte (Ludwig Ras 
poleon). 47. 

Nupoleoniden. 47, ’ 

Nuche. 47. 

Narbonne. 48. 

Nareifie. 48 

Narciſſos. 48 

Narbe. 48. 

Rarvini (Bietro). 49. 

Narkotica. 49. 

Narr. 49. 

Narrenfeſt. 50. 

Rarfes. 50. 

Rarufzewic; (Adam Stanifl.). Si. 


Narvaez (Don Rarkon, Herzog 
von Valencia). 51. 

Narwa. 592. 

Naſe. 52. 

Nashorn. 53. 

Nafiraͤer. 54. 

Naſſau (Dermatbun). 54. 

Naſſau (Stadt). 5 

Raflau » Sen (dh. Merip, 
Graf von). 59. 

NaffausStegen (Rarl Heinr. RU. 
Dtto, Ai von). 60. 

Naſſer W 

Natal. Peg 

Nathan. 61. 

Nathanael. 61. 

mathufue (Gottlob). 69. 
Nation. 62. 

Nationalconvent. 64. 

Nationalgarde, f. Volkebewaff⸗ 
nung. 65. 

Nationalliteratur. 65. 

Nationalöfonomie. 65. 

Nationaltheater. 68. 

Nationalverfammiung. 67. 

Rativität. 68. 

Natolien. 68. 

Natrium, f. Ratron. 60. 

Natron. 

Natter (Seh. Zorenz). 70. 

Nattern. 

Natur. * 

Naturalien. 74. 

Naturaliſation. 74. 

Naturalismus. 74. 

Naturdichter. 75. 

Naturforſchervereine. 15. 

Naturgeſchichte. 76. 

Naturlehre, ſ. Phyſik. 77. 

Naturphiloſophie. 78. 

Raturreit, ſ ſ. Rechtsphiloſophie. 


Naturwiſſenſchaften. 70. 
Rapmer (Ditwig Ant. Leop. von). 


50 * 


788 
Naubert(Ghriftiane Benedice@us 


genie). 
Naufrais. rn 
Naumadia, 
Naumann ion Friedt. — Joh. 
Anbr.). 8: 
Naumann Sit, Gottlieb). 83. 
Naumann (Karl — — Kon · 
ſtantin Aug.). 
Raumann (Mor, mt FEN 
Raumanı (Emil). 85. 
Naumburg. 85. 
Naunderf, ſ. a 








Naufifaa. 
Nautik, f. ifahrtöfunde. 86, 
Fans 
— Si. 
es 
— ageſet· 88. 
De ® 


—— S 

us. 93, 

Nebel. 98. 

Nebelbilder. 93. 

Nebelflede. 94. 

Mebelfterne, |. Nebelflete, 95. 
Nebenius (Karl Friedr.). 95. 
Nebenplaneten. 95. 
Rebenfonne. 9. 

Rebentöne, F} Beitöne. 96. 
Webrasta. 96. 


Rebuladasgar. 97. 

Redar, 

Redarmeine. 98. 

Neder (Jacques — Sufanne). 

Reefs (Bieter, der Ültere— Pieter, 
der Jüngere). 9 

Weer (Hart vonder Tglon den M 
drif van — m. 

Aistaon het Genbrdigpeiien® 
ees von mGotte 
fried—Lfeob. Briebr. Sudm.), A 


Regatin. 100. 

Reger. 101. 

Megritos, f. Yapuas, I 

Res Bepropone, 9 Tubea. 


Neher(® 
Een 


Neid. 103. 
Aeifar von Reuenthal. 103. 
Reigebaur(Iop.Dan.Gerd.).104. 
Reipperg(®efgleht— SrafBilg. 
von— Graf Albert Mamvon— NR 
Graf Alfred von). 105. 


Rare (Würftentg.; Stadt; Flufl. 


Pi 
— 106, 
Nefromantie, 107. 
Nefropolen. 107. 
Nektar. 108, 
Neleus. 108. 
Nelte, 108, 
Nellendurg. 108 
Nelfon (Horatio, Discount). 109. 


Nemea. 110. 
Nemeflanus ——— Aurelius 


Repl 

——— u). —— 
Nepos (Cornelius), Il 

Devotiomus. 1. 


Next. 115. 

Nerly (friebr.). 115. 

Nero (Lucius Domitius). 116. 
Nerthus. 116. 

Nertihinst. 17. 

Nerva (Marcus Gossjusl, um, 
Nerven, Rervenfokem. 117. 
Rervenicher, f. Rervöfe Bufälle, 


Nervenkranfpeiten. 119. 
R . f Rerwöfe Zufälle. 


98. Rervenfämergen, ſ. Reuralgien. 


190. 
2 fälle. 120. 
Reſfelaueſchlag· 121. 


a ee 
Pig: zul Ä :anzvon).121. 


Nefel. 192. 

Neftor (aus Pylos). 139. 
Neitor (Hronik). 123, 
Reforianer. 133. 


Rehoriue. | 124. 

Neftroy (Joh). 124. 

Repmily. 135. 

Netpe, |. Rep! 18. 
Ben — Kon 








Rantin). 
Nettelbed on 135. 
Netto, 428. . 


Rebaikne, 196. 


Verzeichniß der im elften Bande enthaltenen Artikel, 


Aeöfigfer. 190. 


— ig. 
Neubet (Balerius Wi 
Neuber(rieberifearelin 
Neubrandenburg. 128. 
Arubsauufämch, 138. 
Neubritannien. 129. 
Neuburg. 129. 
Neucaledonien(inuftralien, 
Neucalebonien (in Norbazcı 


130. 

—— 131. 
jeuenburg (Ganton; Siakt), 
Neuengland, 132. 

Neuer Bund, j. Ban. 2 
Neufhätel, |. Neuenberg. | 
Neufunbland. m 
— 0, 1 Salmm 


nung, * 
Regeedtiäe — 


PR ee ie 
Reuhannober, iR 


Neuhäufel. 147. 
Neuhebriven. 147. 
jof (Theod., Baronzceill 
olland. 148, 
Reuiliy. 143. 
Neujahrsfeit. 148. 
Neujerfen. 149. 
Neufich (Benjamin). 150. 
Neufomm (Sigismund). IH 
Neuleon. 150. 
Neumann (Karl Friede.) D 
Neumark den 152. 
Reumazk (Georg). 153. 
— — ia 
Reumen. 152. 
Reumerion 8. 
Neumond, f. Pond. IM. 
Neunauge. 154. 
Reuorleans. 154. 
Reuplatonifer. 155. 
Reuralgien. 156. 
Reurrutper (Eugen — ul 


——— 158. 
Neuropteren, {. Regflägie. B 
Reufag. 158. 
Reufottland. 159. 
Reufeeland. 159. 
Neufbirien. 161. 


Reufadt. 162, 
Neuftelig. 164. 
Neuftien. 164. 
Neufühfhetland. 164. 
Reufüdwales. 164. 
Neuß. 165. 

Reutra. 166. 
Neutralificen. 166. 


Berzeichniß der im elften Bande enthaltenen Artikel, 


Antät. 166. 
Walge. 16°. 

m. 167. 

les. 167. 

mw. 167. 

:t (Staat). 168. 
: (Stadt). 170. 

172. 


(Seite — —Ranütphde 
tatph — Richard — John 
eorge— Ralyp— Gharl.— 
jam _ Spward — George 
v Edward — George — 
iam. Graf von Aberga ⸗ 
y—NidhardR. n— 
ard Kornwallis). 1 

174. 

174. 

E upon Teent. 174. 

Ale (Stadt). 174. 

Ale Thomas Pelham · Hol ⸗ 


7 te 
———— 
og von — ham 


‚am-Glinten, — von). 


ven. 
in Henry). 177. 
ırfet. 178. 
rt. 178, 
ad-Ahbey. 179. 

a (Maaf). 179. 
Bidet. ‚Heryog von Elchin · 
Fürft von der Moefwa — 
R Napolton — Michel 

6 Belır — Graf Rayoldon 
A ag). 181. 

1 


a 18. 
(Antonio). 184. 
ngenlied. 184. 


87. 
er (Karl Aug.). 188. 
gua. 188. 

ni(GiovanniBattifte).190. 


orus (Geſchichiſchteiber — RU, 


ennius — Blemmides — 
3oras). 191. 
Acominatus. 191. 
Kai f. Rullität. 101. 


‚Mi 

— 5 — iebr.). 199. 
» (Em. Fi Grit eihert 
de — Ronard. 103. 
(Jean). 193. 

1. 198. 


je (Rarflenis). 108, 


x (Barthold Georg). 194. ' 


deusfch, j. Blattbeutih.195. 
lande ingeographifch-ftai 
er Beziehung). 195. 

lande in gefdiälißer Be 


Länkie Rund, 219, 
Tune Spraße und er 
tur, 


Niederrhein, f. Rhein. 239. 
Nıederrheinifher Kreie. 2. 
Niederfaibien. 333. 
Nieverfhlag. 333. 
Nieverjcplagende Mittel, 733. 
Nievrige Infeln. 233. 
Nielloarbeiten. 234. 

—8 von Strehlenan (Mi.). 


imma (Julian Urfin). 3835. 

Riemen. — 
iemieyer iug Herm. — 
— hon). = 

Riemojomffi (Wincentn — Bono 
ventura). 237. 


Rieren. 337. 

Nıerig (Karl Gaſtav). 239. 
Nıerfleiner. 238. 

Niefen. 238. 

Nieswurz. 2 
Nießbrauch. 239. 

Riethauıner (Friede. Iaman.). 


aim. 240. 
im. 
Niftel und —2R f. Ge⸗ 
rade. 
Niger. Er 
Aigrlim, 1. Sudan. 2. 
Nihilismus. 242. 
ar 22. 
ite. 342. 





ji 
Nifolaus (et er). 244. 
Nitolaus (Bärfte). 244. 
Rilolaus Rawlowitſch (Raiferven 
Rußland). 245. 
Nifolsburg. 247. 
Nifomebes (Könige), 347. 
Nifomedia, 247. 
Riton. 347. 





Buß, A 5 Marin 350. 
Nimes. 

Rimrod. Bi. 

Nimwegen. 251. 

Rinive. 352. 

Rinus. 352. 

Niobe. 253. 

NRiobium. 253. 






Rir. 257. 

Riga. 257. 

Niegoſch (Bamilie — Daniel Per 
trowiiſch — Beterl. — 

Per _ Dankl Petrowitſch. 256 


Aeafes Gefätedt —Aitenebe 
— Frangsis— Gilles — Louis 
Antoine de— Arme Jules, Here 
j0g von— AbrienMaurice, Herr 
409 von — Louis, Herzog von — 
Bons Frangois Paul, Herog 
vonAigen— Philivpede—Louis 
Philippe Mare Antoine, Prinz 
von Boir — Jean Charles Ar» 
thur Triftan Langüeder de— 
‚Ant. Glaube Dominique Juſte, 
Bring von Poir. Graf von — 
Sharles Philippe Henri de — 
Louis Mariede — Hlerie, Graf 
Brafvon)., 


Nobel (Ich. Chriſtian — Karl 
7 Zar. Eruarb). 38. 


—— 2. 
8 na 

Nola. 263. 

Noli me tangere. 363. 
Nomaden. 263. 





Rominafwerth. 364. 
Roneonformifen , f. Diffenters. 


None. 265. 

Ronius, ſ. Rufrz. 965. 

Ronnen und a ameaflißer. ſ. 
Rlöfter 265. 

Nonnus. 265. 

Noot (Heinr. Nifol,vander). 205. 

Norbert. 265. 

Rorbalbingie. 265. 

Rorbamı 


Aorbbeartement 209. 
Norderney. 208. 
Rordhaufen. 970. 
Nordifcher Krieg. 970. J 
Rordifhe Mythologie. 378, 
Rorblit. 373. 
Nördlingen. 979. 
Nordpol, ſ. Bol. 279. 
Norbpolerpebitionen. 279. 
Norbfee. 282. 
Nordweilgebiet. 283; 

Norfolk (Graffchaft; Stadt). 288. 
Norfolk (Familie Howard — Sof 
9.. Her; — Thomas ð. 
Herzog von — Thomasd., vier- 
ter Hergog von — Bhiliyp 9.. 
Graf von Arundel — Thoinas 
$., Grafvon Arundel — Char 
les 9., Herzog von — Bernard 
Edward H.—HenrpCharlesd... 
Herzog von — Henry Örenville 





Arumbeli R 
Se nper Be 





9. 234. * 
mathe 286. — 
Rormanby (Conſtantine — 
Vhippo Ba von): 236. — ug. — 
—— el eich neh dus . Ludı, Berb,, Graf 
Br, Be 
Rormannife Infeln. 200. — un Sändendort (Gau 
Daraha (Den Gatper Marla de  — Rath Eu ii 
Kanadier delaroe, Gone Mradamus. 304, 


Norrföving. 291. 
Dorte (RE del). 209, 
———— Lord, Graf yon 


— 
— ( Grafen » nnd 
Rorthumberlant —— 


== ‚son — — 
— nn — 
von Roloriſh 


Notre-Dame. BU, 
Nottingham. 311. 


or; a — 
— mithſon, Her; en 
— Bub Bere, Betgog bene 


Hugh, Herzogvon — Agernon Notturno, 312, 
Percy, Herzog von). MM. Novalis. 312. 
Norton (Garoline Glijabeth Sa Novara. 312. 
zah. 205. Novatianer, 312, 
Norwegen. 395. Rovation. 319. 
Rornid. 301. Novelle. 312. 
O. 
Dia in Bein 3m. 
I. ect. 
Dasöca. 338, Dbjectiv. 333, 
Ob. 398° Dblaten. = 
Dbabia. 328. Dbligat. 333 
Obduction. 329. Dbtigation. 334. 
Dbedieng. 329. . Dligo. 334 


Dblongum. 334. 
Dömanı, 5 334. 
Dioe. 34 


DObelisfen. 330, * 

Dergerichte. 330. 

Dberhaus und Unterhaus, f. Bars 
lanıent. 330. 

Dberlahnftein. 330. 8 

Dberlin Jerem. Jakob — Joh. 






milie Murrougg— 


Friebr.). 331. James — Donougb — Edward 
Dbernzell. 331. — Lucius — William Emith). 
Dberon. 331. 


335. 
Dpfeurantiomus. 336, 
Odiequium. 336. 


Dberrheinfreis. 33 
Ober ſachſen. 332. 





‚Berzeichniß der im elften Bande enthaltenen Artikel. 


Novellen. 313. 
November. 313. 





gun. Romane 315. 
315. 
Ringen: 315. 
316. 
ent (Bamitie — Gilde 


— ee 


Bee m gennterom 
— Laval, Graf N. son! 
meath). 316. 
Nufahiwa. 317. 
Nullität, 318, | 
Nume — 318. 
Numantie, A 
Numerifch. 31‘ 
Numerus. 0 
Numibien. 319. 
Numismatif. 320. 


a Red: .). 322. 
Nürnberg. 


33. 
Be 


Biken f. une 


Nux vomica, f. Brehna} 
Nyeborg. 325. 
——*8* (Rasmus). 3%. 
Nyföying. 325. 
Nymphen. 326. 
Nymphenburg. 3. 
Rymphomanie. 3° 
Noftedt. 397. . 


Dbfervanten, (.ranciscamnd 

Obfervanz. Pr 

Dbfervationsarmee. 33. 

Di fepatorium. 3386. 

Di 

Sal Er TA) 2) 
aunzucht. f. Bomel: 

Döftruetion. Y * 

Drampo Florian de). 38 

Decam (Wild. von). 38 

Duafonatiemus. 38. 

Decident. 3: 

Seunatton, 3 339. 

Dean, ſ. Meer. 334 

Dreanus. 339. 

Deellus Lucanus. 339. 
339. 


Dfher. 
Dlstratie. 339, 


Berzeichniß der im elften Bande enthaltenen Artikel. Tal 


. 340. Ofterdingen (Heinr. von). 366. 
40. g. 366. 

ein (Ulrih). 341. DOggione (Marco d’). 366. 
aufen. 341. Dowfi(Gamile —Rid,. Kaſimir 
unge. 342, nie. leophaeh. 361. 


im (Johannes). 342. vges. 36 
ell (Daniel organ — D —* an, "367. 

ice — Daniel). 342 bio (Staat). 368. 

or (Feargus — Arthur — Nenfönläger (Adam Gottlob). 
I — Don Bernardo D’E. 


Sally). 344. Offer (3of. pen). 369. 
re. 345. Ohm (Maf). 370 
346 Ohm (Martin 370. 


346. Ohmacht —ER 370. 
8 (Gefchleht —GnejusD. Ohnmacht. 370. 


8 — Enejus — Marcus — Ohr. 371. 
8 — Gajus — Cajus Jue Ohringen. 372. 
Satar Octavianus). 346. Ohrling. 372. 
. 347. Ohrenbeichte. f. Beichte. 373. 
347. Ohffon (Konſtantin, Freiherr d). 
347. 373. 
n. 347 Dife. 373 
. 348 Oka. 373. 
g, fen (Zorenz). 373. 
e. 348. ' folampabdius „(3ob. ). 374, 
18. fonomte. 
349. Dfounem ( Mlai Aleranbros 
rg. 349. witfh). 375. 
50. Dtumeniie, 375. 
ıld. 350. l. 375. 
50. af. 376. 
351. land. 377. 


. 359. lavides Don Bablo). 377. 
Barrot, f. Barrst. 353. Olbaum. 377. 
353. 


(berg. 378. 
; 38. Ofbers (Hein. Wilh. Matthäus). 
34. 

* (Familie — Karl, Graf Oldenbarneveldt (Jan van). 2 
‚von Tyrconnel — Franz. Oldenburg (Großherz 15). 378 

— Moritz. GrafO'D. von Oldenburg (Stadt). 

onnel — Maximilian Karl Divenbizger Haus. 3. 

ral, Graf O'D. von Tyr⸗ Dieandıı 383. 

»[ — Zofeph Heiar. D’D., Diearius (Mam). 383. 
vonAbispal—Keinr. Karl Dlein, ſ. DI. 384. 

opold — Karl, Graf Sir Dleron. 384. 


id Anneolen). 355. farben. 384. 

356. Olga. 394. 
3 "hoeuf. 357. A —** 384. 
(Don Rarcifo de Herebia, Diva (Marktfleden). 384. 
'von). 357. Dliva (Maeſtro Fernan Perez be). 
il (Don Gonzalo), 337. 385. 
der). 337. Dlivarez (Don Gasparo de Guz⸗ 
Stadt). 358. man, ®raf von). 385. 
ich. 359. Dliven. 385. 
rung. 359. Dlivier(BuillaumeNlntoine).386. 


rung des Johannes, |. 30» Dlivier (Louis Heinz. Ferd.).386. 
tes der Evangeliſt und Apo⸗ Dlivier (Heinz. von — Ferd. von 


ıtifer). 361. — Friedr. von). 336 
urg. 361. Olla potrida. 387. 

ve. 362. Dlmalerei. 387. 

ihe Meänung. 362. Olmũtz. 389. 

ichfeit und Zopplichteit Olonez. 389. 

Recht spfle e. 303. Stlan (Don Saluftiano). 390. 
rium. 3 [oflanen. 390. 

l. 365. ⸗ 

il. 365. 8—. (Herm.). 391. 
ıell. 366. Dlshaufen (Suftus). 391. 
r. 306. ' Dishauien (Theodor). 392. 


Dfung. 392. 


. Dlymp. 392. 


Dlonipia. 303. 

Olympiade. 393. 

DOlympias. 394. 
Olympiodorus. 394. 
Olympiſche Spiele. 594. 
Olynthus. 395 

—— 395. 

Omar 1, ſ. Khalif. 396. 
D’Weara (2 (Barrn Edward). wo 


Om 
Omer-Bafcha. 397. 
Omnibus. 398. 
Omphale. 398. 
negafee. 398. 
eus. 398. 
nologie. 399. 
Onomafritos. 399, 
Onomaftifon. 39. 
Önomatopdie. 309. 
Onoſander. 399. 
Önotrer. 399. 
Önslow (George). 400. 
OÖntariofee. 400. 
Omtologie. 400. 
Ontologifher Beweis. 401. 
Onyx. 401. 
Dort (Adam van). 401. i 
Ooſt (Jak. von = Det van O., der 
Jüngere). 40 
Opal. 401. 
Oper. 402. 
Opera supererogationis. 405. 
Operation. 405. 
Operationen. 403. 
Dyerette, f. Oper. 406. 
Dpfer. 406. 
. Ophicleyde. 407 
Ophir. 407. 
Ophiten. 407. 
Ophthalmiatrik. 407. 
Opiat, ſ. Opium. 407. 
Opitz (Martin). 407 
Dpium. 408. 
Opodeldoc. 409. 
Oporin (Joh.). 410. 
Ovporto. 410. 
Opoſſum. 410. 
Oppeln. 411. 
Oppenheim. 411. 
Oppianus. 411. 
Oppoſition. 411. 
Optativ. 413. - 
Optik. 413. 
Optimates. 413. 
Optimismus. 413, ' 
Optiſche Taͤuſchung. 414 
Opuntie. 414. 
Opus. 414. 


Opus operatum. 414. 


Opzoomer (K. W.). 415 
Orakel. 415. 

Oran. 416. 

Orange (Frucht). 416. 
Orange (Stadt). 417. 
Drangefluß. 417. 
Drangelogen. 417. 


799 Bergeichuiß der im elften Bande enthaltenen Artikel. | 


Drang-ütang. 419. 
Dranten. 49. 
Dranienbaum. 419. 
Oratorium (mufif.). 420. 


Oratorium (Prieſter vom). 420. 


Drbilius Pupillus. 421. 
Orbıs pictus. 421. 
Dreagna (Andrea). 421. 
Orcheſter. 421. 
Orcheſtik. al 

ideen. 421. 
—ãaù 422. 
Orcus. 422. 
Ordalien. 422. 
Orden (weltliche). 433. 


| 


Grafvon Baris— PrinzRobert Oſann (Friedr. Gottfülf). 61. - 
Philippe Cugene Louis Ferdi⸗ Oſchatz. 468. 

nand von O. Herzog von Thar⸗ Deciliatien, ſ. Schwingung. & 
tree — PrinzSouie arles Phi⸗ Dfel. 

lippeRafael von O. Herzog von Vier Adam Friedr.). 08. 
Nemours — Brangois Ferdie Oſerow (Blabdiſlaw Alerastır. 
nand Philippe Louis Marie von witſch). 469. 

O.. Prinz vonJoinville — Prinz Ofiander (Andr. — Bucasıch! 


Henri Eugene Philippe Louis 
von D.. Herzog von Aumale — 
Prinz Antoine Marie Philippe 
Louis vonD., Herzog von Mont⸗ 
penfier — Brinzgeffin Louiſe von 
O.. Koͤnigin von Belgien — 

Prinzeffin Marie von D., vers 


tere — Lucas ber hingen) A 


Dfinffi (2ubw.). 468 
Oſirie. 470. 
Ookar (Joſeph FEranı, Könige 


Schweben). 471. 


Ooker. 471. 
Dsmenifhes Reich. 472. 


Orden (geiſtliche). 424 
Ordinaten. 426. 
Ordination. 426. 
Ordnung. 427. 
Ordonnanz. 427. 
Drdonnangen. 471. 


mählt mitdem Herzogeriebrid Dsmazom. 489. 
Wilhelm Alerander von Bir Dsmium. 489. 
temberg — Prinzeſſin Clemen⸗ Dönahräd (Sürkenth,; Eu! 
Fr von D., vermöhlt mit dem 

einen Huguf Ludwig Victor Ditersifgee Rei, '. Mei 
* achſen⸗Koburg⸗ Gotha 


—— ſ. Nymphen. 428, ur iche Güterconfisca» om "ai. 

ebro. 428. Dfiegf. 401. | 
Dreaön. 428. —*8* (Sean Baptiſte Gaſton, Oſſenbeek (San). 491. 

Orel. 430. Herzog von). 450. Oſſeten. 491. 
Drelli(Ioh.Rasp.— Konr.). 438. Drldane (BHilippIk, Herzogvon). Oſſian. 492. 


Drenburg. . 
Drefles (mythol.). 439. 
Oreſtes (Feldherr). 432. Herzog von). 

Oreſtheus. 432 Orley Bernhard van). 434. 
Drflla (Maithieu Joſ. Bonaven- Orlow (Familie — Grigorij — Ale 


Oſſolinſti ( Familie — Jerp 
zef Maximilian). 493. 

Ofſſuña (Don Pedro Tellez? ⸗ 
ron, Herzog von — Ton Im 
Ale y Giron, Herzeg x 


Drtlans (Louis ayilip Sofeph, 


ture). 432. rei — Iwan — Fedor —Wladi⸗ 
Drgan. 433. mir — Grigorij Wladimiro⸗ DR, |. Morgen. 494. 
Drgeabe. 434. with — Michael — Alerej — Diebe (Mvrian van — Sfaalum 
Orgel. 434. Nikolai — Waſfiljcw D. Des 
Drgelgeihup. 436 niffow). 454. Ofen. 494. 
Drgien. 436. Drlonfi (Boris Iwanowitſch). Ofleologie. 495. 
Driani (Barnabe). 436. Oſterinfel. 495. 
Dribafius. 436. Demi, 497. Dfterland. 495. 


Drient. 437. 


Drientalifche Literatur und Spras 


den. 438. 
Drientiren. 440. 
Driflamme. 440. 
Drigenes. 440. 
Driginalität. 441. 
Orinoco. 441. 

Drion (Mythol.). 442. 
Drion (aus Iheben). 442. 
Driffa. 442. 

Orkadiſche Infeln. 443. 
Drfan. 443. 

Drlamünde. 443. 
Orlando furioso. 444. 
Drlean. 444. 

Orleans (Stadt). 444. 


Orléans (Iungfrauvon). f. Sean» 


ned’Arı). 444 


Drieans (Haus— BHilipp— Louis 
— Sharles — Jean Baptiſte Ga⸗ 


fon — Philipp — Philipp IL., 


Herzog von— Louis, Herzog von 
— Louis Philippe, Herzog von 
— Louis Philippe Jofeph, Her⸗ 
zog von — Adelaide — Ferdi⸗ 
nand Philippe Joſeph Louis 
Charles, Herzog von — Prinz 


Louis Philippe Albert von D., 


DÖrnament. 457. 
Drnat. 457. 


Diterley (Rarlı. 495. 
Oſterlazei. f. Ariſtolochia 8 


Örne. 457. Dftermann (Heinr. Sob. me. 
Drnithologie. 458. eo Graf Andrei Irumonud - 
Drographie. 458. Graf Aler. Iwanomitfe © 
Drontes. 458. Tolftoi). 496 
Dropus. 458. Oſtern. 496. 


Drofius (Paulus). 458. 
Orpheus. 459. 


Diterode. 497. 
Oſtfalen. 498. 
Drfeille. 459. Dfflandern. i. Wlantern. 
Drfini. 460. Oſtftieoland. 4 
Drfova. 460. Oſtgothen, ſ. Gothen. 48. 
Orſted (Andere Sandöe). 460. Ofdeim. 48. 


et gene Ghriftian). 461. 


—ã 462. 
Orthoepie. 462. 
Orthographie. 463. 
Orthopaͤdie. 464. 
Orthopteren. 465. 
Ortlesalpen. 465. 
Ortolan. 466. 
Orvieto. 466. 
Oryktognofie. 466. 


Oſtia. 499. 


Dftindien. 499. 
Dftindienfahrer. 512. 
Dflindifge Gompagnien. 51. 


Oſtjaken. 515. 
DOftpreußen. 515. 
ih (ee 316. 


Oſtreich (Eriberaegihumı. 5% 


Ft (Kaiferthum). 58. 


ſtreichiſcher Erbfolgekriez 
Erbſolgekriege. 551. 


Ds (Ian van — Pieter Gerar⸗ Oſtrog (Konftantin, Fürü vci- 


dus van — Georg Jakob Jo⸗ 


hannes van). 466. 
Oſagen. 467. 
Ofann (Gmil). 467. 


Korftantin Baflliven — Sr 
fantin, Herzog ven — Im 
Aloiza von). 551. 


Oftrolenfa. 551. 


Verzeichniß der im elften Bande enthaltenen Artikel. 


liſches Katfertfum, f. By⸗ Dtto I. (dm. s deutſcher Kaiſer). Duverlure. 969. 
55%. Oval. 569. 


niiäee Kaiferthum. 559. 


ſti (Geſchlecht — Tomafz, 
f— Anteni = — Bladiflam 
Leoder). 953 

599. 

rovinzen. 553. 

o. 

ndyas. 553. 

54. 

ti. 554. 

. 555. 


555. 
Derrus Galvius). 535. 
. 958. 


"ima. 556. 
en. 556. 
556 


en. 597.. 

en » Wallerfiein (Ludw. 
ft Ernſt, Fürſt von). 51 
er (Eduard Maria). 358 

: (Karl Theod.). 559 


19. 
w (Auguſte von). 580. 
580 


(Dictart). 5. 
(Heinz. Wilh.). 580 
(Bartholomäus). 581. 
ıariften. 581. 

(Jean Nicolas). 582. 
yermen. . 

nius. 582. 

583. 

ation. 583. 

boot. 583. 


ng. 383. 
f. Vertrag. 83. 
ins. 583. 


583. 
2... ; Stabt).583. 
a (Juan de — EI Gartufano 
Bedro de). 584. 


Jah. 585. 

(Stadt). 583. 

(Herzog von), f. Arrighi. 
@ (3of.). 985 

Joſe Antonio). 586. 

int (Ricolo). 586 


ismus. 587. 
(Jean Bierre). 587. 
587 


en. . 
(vonder. Geſchlecht — Jos 
n — Georg — Johann — 
er — Graf Peter — Graf 
il — Graf Friedrich — Ber 
— 

omas), ſ. e. 588 
‚58, u 


Dito u. (roͤm.⸗deutſcher Kaifer). 
Otto II. (röm.-beutfher Kalfer). 
Orte (köm.-beutfdjer Kaifer). 
Dtto verde Reiche (Markgrafzu Mei⸗ 


$e 
Otto von wittelsbach. 563. 
Otto I. ( Friedrich Eule König 
en Griechenland FA 
Dito von Freifing. 
Dtto (Friedr. Sul). 
Drtlst I. (König von men). 


Dwant (Thom.). 566. 

Dudenaarbe. 566. 

Dubdenborp (Fran, von). 366. 

Oudinot (Eharles Nicolas, Herzog 
von Deggıo — Nicolas Eberles 
Victor, Marquis). 567 

Dudry (Sean Baptiſte). 568 


’ 


P. 


Baiflello (Giovanni). 501. 

Baisley. 592. 

Bairhans (Henri Iof.). 5992. 

Bajazzo, ſ. Bajazzo. 592. 

Bal (Franz). 39. 

Paladin. — 

Palafor yRehilDonSoft be).593, 

BalaiesRoyal. 5 

Balamedes. rag 

Balanfın. 595. 

Baläografie, 595. 

Baläologen. 595. 

Baldontologie [ f. Betrefacten.595. 

Baläphatus. 595. 

Balaprat (Jean — Day. Aug. be 
Brueys). 596. 

Baläftina. 906. 

Baläftra, ſ. Symnaflum. 507. 

Palatiniſcher we. 597. 

Balembanz. 508, 

emban 

Palencia. 8 

Palermo. 306 

Paleſtrina, ſ. Prane ſte ſte. 598. 

Paleſtrina (Giovanni Bietro Alois 

oder Pierluigi da). 599. 

Balette. 600. 

Paͤlffy von Erdoͤd (Geflecht — 
Nikolaus II. — Stephan I. — 
Nikolaus HI. — Anton Karl — 
Leopold — Ferdinand Leopold 
— Nubdolf — Johann Karl — 
Joſepyh — Johann Karl —Aloye 
— Johann Franz — Franz 
Alone Meinhard — —* 
— Paul Karl III.). 600 

gaͤlffy (Albert). 601 


ion. f. Triumpb. 570. 
Overbeck (Friedr.). 370. 
Dverflou (Thomas). 571. 
Ovidius (Publius). 571. 
Oviebo. 572. 
Owaihi, f. Sandwichinſeln. 372. 
Dwen (John). 572. 
Dwen (Robert — Robert Dale — 
David Dale). 572. 
Owen (Rihard). 574. 
Drenfiieena (Arel, Graf von). 


Dre (Grafſchaft; Stabi). 
Orten (Rob. Sarley, & Grafvon — 
ward Ehwarb 


Har 
Bar om — Alfred). 577. 
Orhoft. 3 
Oryd. si 
FR ſ. Eanerhofl 578. 


Don. —8 


li. 601. 

—3 

e. 
Valimyſeſten. 602. 
Palindromon. 602. 
Palingeneſte. 609, 
Palinodie. 602. 
Palinurus. 603. 
Paliſſaden. 603. 


—25 603. 
Balifot de Montenoy (Charles). 


nal (Bernard de). 604. 

—28 (Joh. Georg). 604. 
alla 

Palladio indrea). GA. 

Palladium (Bild). 3 

Palladium (Metall). 605 

Palladius (Mutilins Taurue Ami⸗ 
lianus). 

Ballas (Böttin). 605. 

Ballas (Bet. Simon). 605. 

Balliativ. 606. 

Ballium. 606. 

Balm (Maß). 607. 

Balm (Joh. Bhil.). 807. 

Balma (Stadt). 608. 

Palma (Biacomo — Giac.). 608. 

Balmarum, f. Balmfonntag. 609. 

Balmblad (Wild. Fredrik). 608. 

Balmella (Don Pedro de Souſa⸗ 
Holftein, Herzog von). 610. 

Balmen. 611. 

Balmenorden. f. Fruchtbringende 
Geſellſchaft. 612. 

Palmerſton Bo Sohn Temple, 
Viscount). 613, 









Balmfonntag, 618: > Rap (Di 
Bere (Om’än Darlalauee) 
sa. ER, Bapisius 








von). 621. 
rief. 621. 
icher Schreiten, f. Ban. 621, 


— — 
————— 





a 
jarabor. 651 







Vannartz (Nrnolb), 622, Raragium, f. Apanage. 651. 

Pannonia, 622. Baragoge. 651. 

Banoffa (Theod.). 6%. Paragrayh. 651. 

Bunorama. 624. Paraguay. 651. jr B 

Banflawienus, 625. Barahpba. 653. Baroryemus. BSL. 
Pantaleone, f. Masten. 696. WBaraflet. 654. Barquet. 681. 

Bamelaria. 626. Baralivomena, 654, Barr (Samuel). 681. 
Bantheismus. 626. Baralipfis. 654, Barrhaftus. 682. 

Bantbeon. 627. Barallare. 654. Barr! 682. 

Banther. 628. Barallel. 655. Barrieibium. 682. 
Pantomime. 628. Baralelen. 655. Parrot (Ich. Iak. riet, © 
Banvini (Onofrio). 629. Barallelfreife. 655, — Gtorg Friedr.). 69. 
Banyafis. 629. Barallelogramm, 655. Parıy (Sir William iired- 


Wanzer (der). 630, Baralyfis. 656. GalebHillier —Charletdem 
Panter(Georg Wolfgang-Grorg Naramter. 656 682. : 





WoligangFran—Joh.Friedr. Paramythie. 856. Barfen und PBarfisnue, i 
Heint.). 630. Baran Plata · Strom. 656, Partei. 683. 

Banzerthier. 630. Paränefe. 656. ii 

Basli (Pascal — HYacinth). 690. Baraphernalvermögen. 656. 

Baclo, 631. Baraphrafe. 656. 685. 

®äon. 831. Rarafit. 656. Barthenon. 685. 


Bäonie, 831, Bareelle. 656. Barthenope. 685. 
Papa. 632. Barbim. 656. jarthenopeifhe Mepubiik, 6 
Pia. 632.. Pardeſſus (Jean Marıe). 657. ae Fa 





Bavagai. 632. Barbon.. 657. 

Bapebroef (Dan.). 633, Bare (Ambroife). 657. 

Bapenburg. 633. Barentalien. 657. 

Raphlagonien. 633. Barentel. 658. 

Bapbos. 633. Barenthefe. 658. 

Bapias. 633. Barere. 658. 

Bapier.. 634. Barforcejagd, |. Jagd. 658. Partitur. 687, 
Bapiergeld. 637. Barfums, Parfumerien, 658. Warzen. 687, 


Papier mäche. 638, Barga. 659. Parzival. 687. 


Berzeihni der im elften Bande entpaltenen Artuel. 


⸗Galais. 
(Blaiſe). 689 
690 


lie N on. © 690. 
ſius Rabbertus. 600. 
erie. me. 


Fe 


dor) 


—* nen Fedorowitſch 


ier (Etienne), 002. 


ier „Ltienne Denis, Herzog 


ia. 683. 


owitz 


. 693. 
. 693 


, 694. 


vinde, ſ. Winde. 04. 
69 


en t. 


ctiv; Baffiva, ſ. Ho 
"606 
(Franz Ludwig Karl 


> 


. 694. 
ang (Ich. Dav.). 084, 


69%. 


dr. — Wilh. Arthur). 696. 
(Hippolyre). 697. 
(Siudiita). 697. 

697 


malerei. 697. 
. 698. 


', 698. 
io. 698, 


afe. 698, 

ale. 699. 

altheclogie. 690. - 

et (Klaude Emmanuel Jos 
Pierre, 
bie Dan. Marq. de). 609. 


* Gebirge). 700. . 
3eugniß). 700. 
in. 700. 
n:Oglu. 700. 
ınien. 701. 
‚,. Batate. 701. 
. 701. 
. 702. 
oſter. 702. 
oiterwerf. 702. 
patriae. 702. 
702 


1. . 
jnemif. 708. 
logie. 703. 


3. 704. 
(Ich. Reinhold von). 704. 
8 705. 


. 709. 
. 709. 
3. 708. 
rchen. 706. 


Je 


ier. 706. 
I. 707. 
nonialgeriätsbarteh 708. 


10 


nlum 


tismus. 


if, 


08. 


Marquis de — 


708. 


Batrize. 709. 

Batroflus. 708. 

Patrone. 709. 

Batronus. 709. 

Patrouille. TIO. 

Bitus. 711. 

Bau. 711. 

Baufe. T11. 

Baul (Bäpfle). 712. 

Baul I. Beronitfh, Kaifer von 

p A Si im, O 
aul (Friedri elm, Dr 
von Würtemberg). 713. es 

Paul Veroneſe, ſ. Cagliari. 714. 

PBaulding (James Kirfe). 714. 

Paulicianer. 714. 

Bauline (Chriſtine Wilhelmine, 
Fürſtin zur Lippe). 714. 

Baulinermönde, [.Minimen.719. 

Baulinzelle. 715. 

Baullini (Ghriftian Sean). 715. 

Baulus (Apoflel). 7 

Paulus Diafonus,. 118, 

Paulus von Samofata. 719. 

Paulus (Heine. Eberhard Gott⸗ 
lob — Raroline — Emilie). 719. 

Bauperismus. 720. 

Paufanias (König). 721. 

Banfaniae Geſqhichiſchreiber) 


—6 722. 

Pauſilippo. 722. 

Paria. 722. 

Pavian. 723. 

Pavillon. 723. 

Pawlowsek. 723. 

Barton (Sir Joſeph). 723. 

Pax vobiscum. 724. 

Vayne (Thomas). 724. 

Bazzi — — Francesco — 
—* 


Den. 3 

Peculat. 726. 

Berulium. 726. 

Pedal. 726. 

Pedant. 726. 

Bedell. 726. 

Pedianus (Duintus Asconius). 


Pedro (Dom, d' Alcantara, Herzog 
von Braganga). 727. 

Veebles. 7 

Beel (Sir Robert — Sir Robert 

— Freberich). 728. 

Veene. 730. 

Meer, Beera Pairs. 730. 
Beerlfamp —— 730. 

Bean u6. 

Begel. 3 

Besniporben, 131. 

Pegu. 731. 


De lei Perfiſche Sprache und 


732 


eking. 732. 
— 738. 


785 


Belargonie. 733. 

Delasger. 734. 

Pelet Sean Jacque⸗ Germain, 
Baron). 734 

Beleus. 735. 

Belewinfeln. 735. 

Pelias. 735. 

Ppeliſn (Bogel — Inftrummt). 


Belion. 736. 

Be Ton antaxier (Bau. 13%. 
ella. 737. 

Bellagra. 737. 

Bellico (Silvio). 737. 

Belopidas. 738. 

Belopium. 738. 

Peloponnes. 738. 

Belops. 739. 

Beloton. 740. 

ey (Ant. Friedr. Ludw. Aug.) 


—v 740. 

Pelzwerk. 740. 

Pembroke (Grafſchafth). 741. 

Pembroke( Grafentitel — William 
von Hanıpflead — William von 
Valence — Almerich — Laurence 
vonHaſtinge — John — Jasper 
Tudor — William Herbert — 
William — Richard — William 
—Henry, Graf von — William, 
Graf von — Philipp — Thomas, 
Graf von — George Auguſtus, 
Graf von — Henry, Graf von — 
Sidney Herbert). 741. 

Pemmikan, ſ. Büffel. 743. 

Penaten. 743. 

Beng — 744. 

Pendel. 

— “a5. 

Benelope. 746. 

Beneus. 746. 

Benn (William). 747. 

Bennallemus. 748. 

Bennjvulvanien. 748. 

Pennſylvaniſches Syſtem, ſ. Ge⸗ 
faͤngnißweſen. 750. 

Denny. 750 

Benfion. 750. 

Benftonnär. 750. 

Bentagramm, f. Drudenfuß. 751. 

Bentameter. 751. 

Pentarchie. 751. 

Bentateuch. 751. 

Benteliton. 751. 

Benthefllea. 751. 
entheus. 751. 
enthievre (Grafſchaft — Leuis 
Jean Marie be Bourbon, Herr 
zog von). 751 

Dede (Babriele — 595 oreflano — 
Guglielmo).7 

Pepiniere. 754. 

Peplos. 754. 

Pepfin. 754. 

Bera, f. Konſtantinopel. 754. 

Perceptibilitaͤt. 754. 

Perceval (Spencer). 754. 


Nicolar 
Be Beine 1. Bett 
nf ine. 
765, Berjevolis, 771. 
Berjeus (anhel.} m. 
jeus (König). TIL. 
ko. 772. 
. 718. 
erfliher Meerbufen. "SI. 


 Berfiihe Sprache und Liter: 
B (Seam Gilbert Bi 


n.f.Sombination.709. Berfon. 785. 
jomalftenern. 785. 


788, fonenzeht. 785. 
jonificatiom. 785. 
1. 785, 
Grafſchaft; Sr. 1 





Drud von F. A. Brockhaus in Leipzig. 


“u. 


ER L 2