BRIEFWECHSEL
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DER LIEBHABERBIBLIOTHEK
ZWEIUNDZWANZIGSTER BAND
DRUCK VON E. GUNDLACH A.-G. IN BIELEFELD
GUSTAVE FLAUBERT
BRIEFE AN GEORGE SAND
MIT EINEM ESSAY
VON HEINRICH MANN
ERSTES BIS FÜNFTES TAUSEND
GUSTAV KIEPENHEUER / VERLAG / POTSDAM
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PQ
DEUTSCH VON ELSE VON HOLLANDER
FLAUBERT
UND DIE KRITIK
VON
HEINRICH MANN
Flaubert ist aus seinem Werk allein nicht zu er-
kennen. Er hat sich, sobald er an die Nachwelt dachte
— und er dachte an die Ewigkeit — versteckt; er
hat über sich getäuscht. Man muß ihn aufsuchen,
wo er sich gehen ließ, nicht unter Verantwortung
schrieb. Dort wird man erfahren, daß der fühllose
Beobachter einen Zärtlichen birgt, der Verächter
einen Leidenden; daß dem stummen, strengen Bildner
das Herz voll formloser Sehnsucht ist; daß es ihm
voll Forderungen und unterdrückter Schreie ist;
daß der wach umherblickende Arbeiter lieber in sich
hinabschauen und seine Tiefen durchspüren würde;
— ja, daß hier ein Plastiker auf der Stelle den Meißel
schwingt, wo er einen Analytiker lebendig begraben
hat. Das mußte geschehen. Ein Lyriker und Zerteiler
der eigenen Seele war für die Zeit nicht mehr zu ge-
brauchen. Auf Mussets Behauptung, das Herz allein
sei Dichter, mußte endlich geantwortet werden:
„Nicht die Dichter sind die Bleibenden, sondern die,
die schreiben können". Gefühle hat jeder; und
Beranger und Onkel Tom hatten sie kompromittiert.
Es hieß nun männlich werden : keusch und der Wirk-
lichkeit ergeben, der Außenwelt. ,, Leidenschaft
III
zeugt keine Verse, und je persönlicher man ist, um
so schwächer ist man." Wem nur daran gelegen ist,
mit seinem Ich ansteckend zu wirken, lachen oder
weinen zu machen, der weiß noch nicht, was Kunst
ist. Die Gefühlssucht haßt das Vollkommene: aber
man muß es lieben. Man muß nur eins lieben:
die Schönheit, die absolute Schönheit, die vom Per-
sönlichen unabhängig, vom Stoff, ja vielleicht vom
Sinn der Worte unabhängig, in Sätzen, die wie
kabbalistische Formeln sind, ein ihrem Priester
selbst unbegreifliches Dasein hat. Ihr Priester sein!
Den Stolz derer, die sich selbst vergöttlichen, weit
von sich weisen; nur der Priester einer viel höheren,
der höchsten Gottheit sein und zu ihren Füßen ein
Leben des Darbens und der Kasteiungen, ein strenges
und demütiges, aber auch ein vornehmes und allem
Menschlichen entronnenes Leben führen.
Manchmal bricht das Gefühl des Heiligen, das
einem anvertraut ist, berauschend aus einem hervor,
wie ein fremder, wilder Weiheduft, der einer Wunde
im eigenen Fleisch zu entschlüpfen scheint. Aber
das sind Sonntagsstunden; an unabsehbar vielen
Alltagen fühlt man dafür den Leib vom Stachelring
zerkratzt, sinkt abgemattet und immer unbefriedigt
— denn das Ziel ist das Vollkommene I — zurück in
einen Sumpf innerer Öde. Dann zieht man wohl alte
IV
Manuskripte hervor und betrachtet den lockigen,
selbstsicheren jungen Menschen, der damals, unbe-
sorgt, ob in guten oder schlechten Sätzen, ob nebelig
oder klar, sein Herz preisgab und seine Meinungen
verfocht; der Geschmacklosigkeiten beging und Be-
geisterungen austobte. Und man sehnt sich. Man
erleidet Versuchungen. Die Erinnerungen jenes
Jünglings wären zu schreiben: das wäre Erholung.
Ach nein, es wäre Rückfall; und man hat es so nötig,
sich zu behüten. Der Freundin, die einem rät, sich
selbst zu malen, das eigene Leiden zu erleichtem,
indem man es beschreibe, antwortet man fast erbittert ;
denn sie rät einem, was das nie ganz erzogene Herz
sich heimlich wünscht. „Es widerstrebt mir unsäglich,
etwas von meinem Herzen zu Papier zu bringen.
Ich finde sogar, daß ein Romancier nicht das Recht
hat, über was immer seine Meinung zu äußern.
Die große Kunst ist, glaube ich, unpersönlich, wie
die Wissenschaft.**
Meinungen äußern! Zusammenhänge zu Schlüssen
führen! Seine Persönlichkeit ans Licht lassen, um
sich schlagen, Kritik üben! Flaubert, als Lyriker
geboren und darum Kritiker, sah diese Genüsse in
der Feme schweben, wie den Lohn alles Entbehrens,
alles Geleisteten. Er hat die Kritik, den Kult des
Persönlichen und des Gefühlsmäßigen, als seine
Gefahr empfunden, als sein Laster; hat sie sich ver-
sagt, solange er sich auf der Höhe fühlen würde,
und sie sich erst für sein Alter versprochen, wenn sein
Tintenfaß trocken wäre. Er hat in schlecht bewachten
Stunden mit der Kritik geliebäugelt, wie ein arbeit-
samer, strenger Bürger mit den Dämchen, die er sich
vielleicht gönnen wird, wenn er Rentner ist. In seinen
Briefen nimmt er sich einen Vorgeschmack der künf-
tigen Instinktbefreiung; sagt sein Wort zu Zeit und
Welt und feiert mit einem trübsinnigen alten Mädchen,
das er nie sieht, kleine, leise Gefühlsorgien: „Ich habe,
wie Sie, die durchdringende Schwermut gekannt,
die das Avemaria an Sommerabenden uns gibt . . .
Seinen ganzen Lebenslauf entlang tauchen da und
dort kritische Vorsätze auf: ein Band Vorreden,
eine Geschichte des poetischen Empfindens in Frank-
reich, sein berühmtes Wörterbuch der überkommenen
Ideen, dessen Wirkung sein sollte, daß niemand mehr
zu sprechen wagte, aus Furcht, seine Worte könnten
darin, ernsthaft und mit Knirschen, als Muster auf-
gestellt sein. Denn alle gangbaren Dummheiten,
die ganze ewige Mittelmäßigkeit sollte dort heim-
tückisch verteidigt, alles Große und Freie im Sinne
der Zahmen und Kleinen verhöhnt werden. Und
das war dann endlich die Rache eines, den seine
hinabgewürgten Meinungen erstickten: seine Rache
VI
an Bürgern und Kritik. Denn die Kritik, wie sie
geübt ward, war spießbürgerlich und dem Großen
mißgesinnt. Sie verkleinerte, was groß war, und
förderte das Belanglose. Sie war die- Zuflucht der
Nichtskönner; sie stand der Form und dem geistigen
Wert nach unter den gereimten Gesellschaftsscherzen.
Seine alte Geliebte machte ihn in einem Roman
schlecht. Welche traurigen Werke kämen dabei
heraus, wenn man die Literatur in den Dienst der
eigenen Persönlichkeit stellte ! . . . Dann werde die
Kritik also verschwinden? 0 nein: sie steht erst am
Anfang, und ihre großen Männer kommen erst.
Große Phantasie und große Güte sind nötig, was so
viel heißt als eine stets bereite Begeisterungsfähigkeit,
— und Geschmack obendrein.
Das bedeutet: Flaubert hat jetzt Werke zu be-
haupten; Werke, deren er nicht immer sicher war,
die er manchmal verleugnet hat. ,,Ich hasse die bürger-
liche Poesie, die Familienkunst, obwohl ich selbst
welche schreibe.** Um so weniger durften andere
daran rühren. Das Werk konnte seinem Meister
Zweifel und Qual machen, so blieb es doch das Werk
seines Schicksals. Mochte er es unvollkommen aus
dem Marmor geschlagen haben, so hatte es doch,
schon vor ihm, darin gesteckt. Die göttliche Folge-
richtigkeit des Schaffens machte in diesem, wie in
VII
jedem wahren Künstlerbewußtsein, die Kritik zu
einem Popanz. Da das Werk nun geschehen ist
und dasteht: was soll Reden? Redet man gegen das
Weltall und seinen Schöpfer? Schreibt Artikel gegen
eine Pflanze? Worte über den Sternenhimmel hin
und ein wenig gesprochene Luft auf einen Halm
oder einen Wald gehaucht: das ist Kritik. Vielleicht
konnte sie einmal von innen kommen und das stumme
Werk redend machen ; konnte ein Kritiker alles schon
gewesen sein, was der Dichter selbst einst war: Nil-
schiffer, griechischer Rhetor, Pirat und Mönch,
Seiltänzer und byzantinischer Kaiser, und konnte auch
das hier entstandene schon erlebt haben. Aber es
war unwahrscheinlich, daß diese ideale Kritik einem
andern zu Gebote stand, als dem Autor. Und es
blieb schwer begreiflich, wie jemand sich einbilden
konnte, er habe Macht über das Werk eines andern.
War*s ein Eigener, der Kritik trieb, wie Sainte-Beuve,
dann staunte Flaubert, daß er nicht lieber Bücher
schrieb. Wo es ging, sah er in Kritiken Haß; und wo
es nicht möglich war, staunte er. Unergründlich muß
er die verachtet haben, die Herz von ihm forderten.
Sie fehlten ihm nicht und fehlen keinem. Sie grassieren
in den großen Revuen, überall dort, wo die Literatur
zum Gebrauch der Familien hergerichtet wird und
das Schreiben nichts, aber alles das Gemüt gilt.
VIII
Die Keuschheit und das göttliche Gemisch aus Ver-
achtung und Verstehen in einem Meister, der ver-
hüllten Hauptes hinter seiner Welt bleibt, dulden
diese Herzlichen nicht. Sie fordern, daß er hervor-
trete, jedes Ding mit dem erklärenden Stöckchen
betupfe und auf jedes eine gerührte Träne fallen
lasse. Er soll ihnen sein Herz auf offener Hand ent-
gegentragen. Verschmäht er*s, geraten die Herz-
lichen vor Bosheit außer sich. Seine große Kunst
erbittert sie nur noch mehr. Ein malender, tönender
Stil, weise Kadenzen, Vergleiche aus unbürgerlichen
Gebieten machen ihn kalter Virtuosität höchst ver-
dächtig. Sie fassen es nicht, daß man, um gelitten
zu haben, nicht ihre häßlichen Sätze schreiben muß.
Sie sind nicht streng genug, sich in ein künstliches
Getriebe zu versenken, das grausam ist wie das der
Natur. Sie sind nicht tief genug, zu wissen, daß
Schönheit niemals kalt war; daß hinter jeder Schön-
heit der Schmerz steht, den Meißel noch in der Hand.
Sie sind die Herzlichen — und waren noch immer
auf dem Posten, wenn es hieß, eine Bovary
kreuzigen.
Was ist mit Leuten anzufangen, die ihm, vom
Herzen zu schweigen, nicht einmal die nötigste
Erregbarkeit der Nerven zugestehen wollen. Ihm,
der tagelang den Geschmack des Giftes nicht los ward,
IX
das Emma Bovary genommen hatte. Der mit Herz-
klopfen ans Fenster treten mußte, weil der Rausch
der Liebenden und ihres Kusses, der Rausch ihres
Waldes, ihrer Sonne, ihres Windes ihn, der es für sie
erlebte, überwältigt hatte. Was schuldet man diesen
Leuten? Den anderen? Mögen sie, im Haufen,
einander lieb haben: wir sind allein, und wir lehnen
ab, was sie bewegt.
Flaubert war niemals versöhnlich, wo Kunst auf
dem Spiel stand. Er wird nun abweisend gegen
alle, die nicht ihm folgen, sich seinen Gesetzen
nicht unterwerfen. Früher hatte er von Stendhal
nichts wissen wollen; jetzt schränkt er Zola ein.
Der Absolutist, der in jedem Künstler keimt, ist reif
und bricht aus. Wer an uns rührt, ist unser Feind :
unser Feind, wer anders ist. Schlagt ihn tot! Ganz
verstehen konnte Flaubert nur sich; und jetzt versteht
er nur noch sich. Seine Sympathie haben einzig die
Fanatiker, die Genossen im Tyrannenpurpur; und die
Asketen, die heilig und in Wüsten sind. Die Einsam-
keit erstreckt sich allmählich bis an die äußersten
Grenzen seines Lebens. Jedes Übergreifen auf andere
scheint nun unmöglich. Mit niemandem läßt sich noch
reden. Überall springen feindliche Meinungen auf,
nicht zu duldende; überall müßte man zuschlagen.
Man geht nicht in Gesellschaft, ohne angegriffen zu
werden: denn der mißtrauische Tyrann fühlt in jeder
Majestät sich selbst beleidigt. Immer gab der Glaube
an die Großen ihm Glaube an sich. Welch Schauer,
wenn er sich vorstellte, er werde'Shakespeare schauen
und daran sterben! Diese aber würden den Größten,
trete er leibhaftig ein, antasten mit ihren feinen Zungen.
Und er kann nicht erwidern, kann die Aufrührer mit
Worten nicht zerstören.
Die Kunst des Sicheinschleichens und Unter-
grabens durch Analyse ist ihm die fremdeste ge-
worden, das Wesen des Kritikers das feindlichste
auf Erden. Er ward alt und steif und ist nur
noch ein stummer, dummer Bildner. „Die
Meisterwerke sind dumm", erkannte er einst; und
sein Ich ist nun eins mit einem Meisterwerk. Das
steht für ihn. Jene aber tun, als sähen sie es nicht.
Sein Werk schlägt durch bloßes Dasein alles, was
sie vorbringen. Aber sie tun, als sähen sie es nicht.
Was ist da zu machen? Er hebt, krank vor ohnmächti-
gem Zorn, die Arme, er stößt Beschimpfungen aus.
Zu Hause schwingt er, ächzend unter ungerächten
Demütigungen, seinen Hammer. Dies Werk wird ihn
rächen; es wird glänzen, wenn jene modern.
. . . Ach nein, es geht über Menschenkraft, es wird
stürzen, alles wird stürzen. Einsame Triumphe,
einsame Niederlagen, — und dann sinkt ihm der
XI
Arm; zu den Füßen cles unfertigen Werkes briclit
er nieder ... Ein Meister ist tot, ein Kämpfer und
ein Herr: jetzt mögen sie lästern.
XII
... i866
Teure, gnädige Frau!
Ich kann Ihnen nicht genug dafür danken, daß Sie
getan haben, was Sie eine Pflicht nennen. Die Güte
Ihres Herzens hat mich gerührt und Ihre Sympathie
hat mich stolz gemacht. Das ist alles.
Ihr Brief, den ich soeben bekomme, ergänzt Ihren
Artikel noch und übertrifft ihn, und ich kann Ihnen
nur das eine sagen, daß ich Sie sehr aufrichtig liebe.
Nicht i c h habe Ihnen im September eine kleine
Blume in einem Briefumschlag geschickt. Sonderbar
ist aber, daß mir zur gleichen Zeit auf dieselbe Art
ein grünes Blatt übersandt wurde.
Was Ihre so herzliche Einladung betrifft, so sage
ich nicht ja und nicht nein darauf, als echter Nor-
manne. Ich werde Sie vielleicht eines Tages in diesem
Sommer überraschen. Denn ich habe große Lust,
Sie zu sehen und mit Ihnen zu plaudern.
Es würde mir sehr lieb sein, Ihr Bild zu haben,
um es in meinem Zimmer an die Wand hängen zu
können, hier auf dem Lande, wo ich oft lange Monate
ganz allein verbringe. Ist die Bitte unbescheiden?
Wenn nicht, so im voraus tausend D£mk! Zusammen
mit dem obigen, den ich wiederhole.
1
Croisset, Freitag (1866)
Teurer Meister!
Wenn Sie aus Saint-Valery um dreiviertel neun Uhr
abfahren, sind Sie in einer Stunde in Rouen. Dort
werden Sie mich an der Tür Ihres Kupees finden
und brauchen sich dann um nichts mehr zu kümmern.
Wenn Sie nicht morgens aus Saint-Valery abfahren,
bleibt Ihnen nur noch der Zug um vier Uhr nach-
mittags.
Sie werden telegraphisch ein paar Worte empfemgen
haben, die Ihnen sagen, daß Ihr Zimmer Sie erwartet.
Sie werden also hier übernachten.
Wenn Ihr Katarrh hartnäckig ist, (siehe die Epistel
Casimir Delavignes an Lamartine)
— und keuchend der Atem stoßweis*
und pfeifend dem Munde entfleucht,
Nur unbesorgt:
Will man die Lunge gebührend erfrischen,
muß man den Chalardschen Heiltrunk sich
mischen.
Ich küsse Ihnen beide Hände.
... 1866
Aber sicher rechne ich auf Ihren Besuch in meiner
Wohnung. Was die Störungen betrifft, die das schöne
Geschlecht herbeiführen kann, so werden Sie sie nicht
bemerken (seien Sie dessen sicher), nicht mehr als
die andern. Aber da es von meiner Wohnung zu
der Ihren weit ist und Sie den Weg vergeblich machen
könnten, so bestimmen Sie bitte, sobald Sie in Paris
sind, eine Zusammenkunft. Und wir werden uns
dann noch ein zweites Mal treffen, um in aller
Gemütlichkeit zusammen zu speisen.
Bouilhet habe ich Ihre herzlichen Zeilen geschickt.
Augenblicklich bin ich angeekelt von der Menschen-
masse, die sich unter meinen Fenstern hinter dem
Faschingsochsen herwälzt! Und dabei sagt man,
daß der Witz auf der Straße zu Hause ist.
Croisset, Dienstag, 1866
Sie sind allein und traurig dort unten, — ich bin
in gleicher Verfassung hier. Woher kommt das,
diese Anfälle düsterer Stimmung, die einen bisweilen
überkommen? Es wächst wie ein Alp, mcm fühlt
sich ertrinken, man muß fliehen. Ich lege mich
dann lang auf den Rücken, tue gar nichts, und die
Welle geht vorüber.
Mein Roman will augenblicklich sehr schlecht
vorwärts. Hinzu kommen noch die verschiedenen
Todesnachrichten: der Tod Cormenins (eines fünf-
undzwanzigjährigen Freundes), der Gavarois' und
dann alles übrige; nun, es wird vorübergehen. Sie
wissen nicht, was es heißt, einen ganzen Tag den Kopf
in seine beiden Hände graben und sein unglück-
seliges Hirn zermartern, um ein einziges Wort zu
finden. Bei Ihnen strömt der Gedanke üppig, unauf-
hörlich, wie ein Fluß. Bei mir ist es ein winziges
Rinnsal. Bei mir ist große künstlerische Arbeit nötig,
bevor ich einen Wasserfall erziele. Ja, ich kenne
die Schrecknisse des Stils!
Kurz, ich verbringe mein Leben damit, mir Herz
und Hirn zu zerfleischen, das ist der wirkliche Kern
Ihres Freundes.
Sie fragen ihn, ob er manchmal an seinen alten
Troubadour denkt, — das will ich meinen! Und er
vermißt ihn. Unsere nächtlichen Plaudereien waren
sehr fein (es gab Augenblicke, wo ich an mich halten
mußte, um Sie nicht zu hätscheln wie ein großes
Kind). Ihnen mögen gestern abend die Ohren ge-
klungen haben. Ich aß mit der ganzen Familie bei
meinem Bruder. Es ist fast nur von Ihnen die Rede
gewesen, und alle Leute sangen Ihr Lob, außer mir
natürlich, der Sie möglichst schlecht gemacht hat,
mein geliebter, teurer Meister.
Ich habe anläßlich Ihres letzten Briefes (und in
einer ganz natürlichen Ideenverbindung) das Kapitel
im Montaigne gelesen, das betitelt ist: „Einige Verse
von Virgil". Was er von der Keuschheit sagt, ist
genau auch meine Auffassung. Das Bestreben ist
schön, nicht die Enthaltsamkeit an sich. Sonst müßte
man das Fleisch verfluchen gleich den Katholiken.
Gott weiß, wohin das führen würde. Also auf die
Gefahr hin, wiederzukäuen und als ein Spießbürger
zu erscheinen, wiederhole ich, daß Ihr junger Freund
unrecht hat. Wenn er mit zwanzig Jahren enthaltsam
ist, wird er mit fünfzig ein gemeiner Wüstling sein.
Alles rächt sich! Die großen Naturen, zugleich die
guten, sind vor allem verschwenderisch und nehmen
es nicht so genau mit ihrer Hingabe. Man muß lachen
und weinen, lieben, arbeiten, genießen und leiden,
und überhaupt soviel wie möglich nach dem Maße
seiner Fähigkeiten in Schwingung sein. Das ist,
glaube ich, das wahrhaft Menschliche.
Croisset, Sonnabend
Ich habe auf meiner kurzen Pariser Reise kein Glück
gehabt, teurer Meister. Als ich Ihnen am Mittwoch
Ihren Schal und die Tulpenblätter brachte, gedachte
ich mich, falls ich Sie nicht träfe, am andern Morgen
vor Ihrer Tür einzufinden. Am andern Morgen aber
hatte ich eine Zusammenkunft mit Dumaine, der
uns zweimal am selben Tage im Stich gelassen hat.
Kurz, die Vorlesung hat nicht stattgefunden. Man
hat Angst gehabt, uns anzuhören. Das Spiel ist also
noch unentschieden, und ich mache mich in tiefster
Seele darüber lustig.
Ich bin voll Ungeduld, all Ihre Bücher auf einem
Brett aufgestellt zu sehen. Das ist doch noch ein
Geschenk, — ein königliches Geschenk, das mich
tief gerührt hat.
Vergessen Sie auch das Porträt nicht, damit ich
Ihren lieben, schönen Kopf immer vor Augen habe.
Wo sind Sie jetzt? Ich werde erst Ende Oktober
in den zivilisierten Gegenden auftauchen, zur Premiere
meines Freundes Bouilhet.
Croisset, Samstag abend, . . . iS60
Nun habe ich also das schöne, liebe und berühmte
Antlitz bei mir. Ich werde einen großen Rahmen dafür
machen lassen und es an meine Wand hängen, und
könnte dann wie Talleyrand zu Louis-Philipp sagen :
„Das ist die größte Ehre, die meinem Hause wider-
fahren ist,** ein schlechtes Wort, denn wir beide
sind mehr wert als diese beiden Biedermänner.
Von den beiden Porträten ziehe ich die Zeichnung
Coutures vor. Was Marchai betrifft, so hat er in Ihnen
nur die „brave Frau*' gesehen; ich aber bin ein alter
Romantiker, ich finde in dem andern Bilde den Kopf
des Dichters wieder, der mir in meiner Jugend sovielc
Träume geschenkt hat . . .
... i866
Ich, ein geheimnisvolles Wesen? aber, teurer Meister!
Ich finde mich von widerlicher Plattheit und bin oft
sehr angeekelt von dem Spießbürger, den ich unter
der Haut habe. Unter uns: Sainte-Beuve kannte
mich gar nicht, obwohl er es behauptet. Ich schwöre
Ihnen sogar (bei dem Lächeln Ihrer Enkelin), daß
ich wenige Menschen kenne, die weniger „lasterhaft"
sind als ich. Ich habe viel geplant und sehr wenig
ausgeführt. Was den oberflächlichen Beobachter
täuscht, das ist die Disharmonie, die zwischen meinen
Gefühlen und meinen Gedanken besteht. Wenn Sie
sie hören wollen, will ich Ihnen eine rückhaltlose
Beichte ablegen.
Der Sinn fürs Groteske hat mich in der Liederlich-
keit festgehalten. Ich behaupte, daß der Zynismus
an die Keuschheit angrenzt. Wir werden uns viel
darüber zu sagen haben (falls Sie es wünschen), wenn
wir uns das nächste Mal sehen.
Ich schlage Ihnen folgendes Programm vor. Mein
Haus wird für einen Monat un wohnlich und un-
bequem sein. Aber Ende Oktober oder Anfang No-
vember (nach Bouilhets Stück) wird nichts Sie hindern,
hoffe ich, mit mir hierher zurückzukehren, nicht für
einen Tag, wie Sie sagten, sondern wenigstens für
eine Woche. Sie bekommen Ihr Zimmer „mit einem
Schreibtisch und allem, was man zum Schreiben
braucht'*. Einverstanden? Was die Zauberposse
betrifft, so danke ich Ihnen für Ihre guten Dienste.
Ich werde Ihnen die Sache vordeklamieren, (sie ist
mit Bouilhet zusammen gemacht), aber ich halte sie
für eine schwache Bagatelle, und ich schwanke zwi-
schen dem Wunsch, ein paar Piaster zu verdienen
und dem Schamgefühl, eine Albernheit aufzutischen.
Ich finde Sie ein wenig streng gegen die Bretagne,
nicht gegen die Bretagner, die mir als abstoßende
Tiere erschienen sind. Was übrigens keltische Archäo-
logie betrifft, so habe ich im „Artiste** 1858 einen
recht guten Sermon über die Wackelsteine veröffent-
licht, aber ich habe die Nummer nicht und erinnere
mich sogar nicht mehr des Monats.
Ich habe in einem Zuge die zehn Bände der „Ge-
schichte meines Lebens" gelesen, von der ich ungefähr
zwei Drittel kannte, aber in Bruchstücken. Ich habe
Ihnen zu all dem eine Unmenge von Bemerkungen
zu unterbreiten, die mir wieder einfallen werden.
Croisset, Samstag abend, . . . 1866
Die Übersendung der beiden Porträte hatte mich in den
Glauben versetzt, Sie seien in Paris, teurer Meister,
und ich habe Ihnen einen Brief geschrieben, der
Sie in der Rue des Feulllantines erwartet.
8
Ich habe meinen Artikel über die Druidensteine
nicht wiedergefunden, aber ich habe das ganze Manu-
skript meiner Bretagnereise unter meinen „Unver-
öffentlichten Werken". Wir werden darüber zu
schwatzen haben, wenn Sie hier sind, nur Mut!
Ich habe nicht, wie Sie, dies Gefühl, als wollte das
Leben soeben beginnen, habe nicht dies Staunen
über das frisch erblühte Dasein. Mir ist im Gegen-
teil, als hätte ich immer existiert! Und ich habe
Erinnerungen, die bis zu den Pharaonen zurück-
reichen. Ich sehe mich ganz deutlich in den ver-
schiedenen Zeitaltern, wie ich verschiedene Gewerbe
betreibe, in mannigfachen Lebensumständen. Mein
gegenwärtiges Individuum ist das Ergebnis meiner
entschwundenen Individualitäten. Ich war Kahn-
schiffer auf dem Nil, leno in Rom zur Zeit der puni-
schen Kriege, später griechischer Rhetor in Suburre,
wo ich von Wanzen zernagt wurde. Ich bin während
der Kreuzzüge gestorben, weil ich an den Gestaden
Syriens zuviele Weintrauben gegessen habe. Ich bin
Seeräuber und Mönch gewesen, Seiltänzer und Kut-
scher. Vielleicht auch Kaiser des Morgenlandes?
Sehr viele Dinge würden sich erklären, wenn wir
unsere wirkliche Genealogie kennten. Denn da die
Elemente, die einen Menschen bilden, beschränkt
sind, müssen sich die gleichen Kombinationen wieder-
holen. Daher ist die Lehre von der Vererbung im
Prinzip richtig, ist aber falsch angewendet worden.
Es ist mit diesem Wort wie mit sehr vielen andern.
Jeder faßt es an einem Ende an, und man versteht
sich nicht. Die psychologischen Wissenschaften
werden bleiben, wo sie sind, das heißt in Finsternis
und Torheit, solange sie nicht eine genaue Nomen-
klatur haben und solange es erlaubt ist, den gleichen
Ausdruck zur Bezeichnung der verschiedensten Be-
griffe anzuwenden. Wenn man die Kategorien durch-
einanderbringt, dann lebwohl Moral!
Finden Sie im Grunde nicht, daß man seit 89
Stroh drischt? Statt auf der großen Landstraße weiter-
zugehen, die breit und schön war wie eine Via trium-
phalis, ist man auf Seitenpfade abgebogen und watet
im Morast. Es wäre vielleicht weise, spontan zu
Holbach zurückzukehren? Wenn man, bevor man
Proudhon bewundert, Turgot kennte?
Aber was würde aus dem ,,Chic'* werden, dieser
modernen Religion?
Chic ist : für den Katholizismus sein (ohne ein Wort
davon zu glauben), für die Sklaverei sein, für das Haus
Osterreich sein, Trauer um die Königin Amelic
tragen, „Orpheus in der Unterwelt** bewundern, sich
mit landwirtschaftlichen Vereinen beschäftigen, über
Sport reden, kühl erscheinen, so idiotisch sein, daß
10
man sogar die Verträge von 1815 bedauert. Das ist
das Neueste.
0, Sie denken, weil ich mein Leben mit den
Versuchen hinbringe, unter Vermeidung von Asso-
nanzen harmonische Phrasen zu drechseln, ich hätte
deshalb nicht auch meine kleinen Urteile über die
Dinge dieser Welt? Leider doch, und ich krepiere,
wenn ich sie nicht ausspreche. Aber genug ge-
schwatzt, ich möchte Sie sonst langweilen.
Bouilhets Stück wird in den ersten Tagen des
November gespielt werden. Wir werden uns also
in einem Monat sehen.
Ich umarme Sie herzlich, teurer Meister.
Montag nacht, . . . 1866
Sie sind traurig, armer Freund, teurer Meister,
an Sie habe ich gedacht, als ich den Tod Duveyriers
erfuhr. Da Sie ihn gehebt haben, beklage ich Sie.
Dieser Verlust gesellt sich den andern bei. Wie wir
diese Toten im Herzen haben! Jeder von uns trägt
seine Totenstadt in sich.
Ich bin seit Ihrer Abreise vöUig abgeschraubt
und habe das Gefühl, als hätte ich Sie seit zehn Jahren
nicht gesehen! Mein einziges Gesprächsthema mit
meiner Mutter ist, von Ihnen zu reden, alle Leute
hier vergöttern Sie.
11
Unter welcher Konstellation sind Sie eigentlich
geboren, daß Sie in Ihrer Person so verschieden-
artige, so mannigfache und so seltene Eigenschaften
vereinen?
Ich v^eiß nicht, welche Art Gefühl ich Ihnen ent-
gegenbringe, — aber ich empfinde für Sie eine be-
sondere Zärtlichkeit, wie ich sie bis jetzt für niemanden
gefühlt habe. Wir haben uns gut verstanden, nicht
wahr, es war schön.
Ich habe Sie besonders gestern abend um zehn Uhr
vermißt. Es war Feuer bei meinem Holzhändler.
Der Himmel war rot, und die Seine hatte eine Farbe
wie Johannisbeergelee. Ich habe drei Stunden lang
an der Pumpe gearbeitet und bin höchst erschöpft
nach Hause gekommen.
Eine Zeitung in Rouen, le Nouvelliste, hat von Ihrem
Besuch in Rouen erzählt, so gut, daß ich am Sonn-
abend, nachdem ich Sie verlassen hatte, mehrere
Bürger traf, die wütend auf mich waren, weil ich Sie
nicht vorgeführt hatte. Das schönste Wort ist mir
von einem ehemaligen Unterpräfekten gesagt worden :
,,Ah, wenn wir gewußt hätten, daß sie da war . .
so würden wir ihr. . . so würden wir ihr,** wohl fünf
Minuten lang suchte er nach dem Wort: „würden
wir ihr . . . zugelächelt haben.** Das wäre sehr wenig
gewesen, nicht wahr?
12
Sie „mehr** zu lieben, ist mir unmöglich, aber ich
umarme Sie zärtlich. Ihr melancholischer Brief von
heute früh trifft den Nagel auf den Kopf. Wir haben
uns in dem Augenblick getrennt, wo uns sehr viele
Dinge auf die Lippen kommen wollten. Zwischen
uns beiden sind noch nicht alle Tore geöffnet. Sie
flößen mir große Achtung ein und ich wage keine
Fragen an Sie zu stellen.
Mittwoch nacht, . . . iS66
Oh, wie schön ist der Brief von Marengol'hirondelle!
Wirklich, ich finde, das ist ein Meisterwerk! Kein
Wort, das nicht genial wäre. Ich habe wiederholt
ganz laut gelacht. Ich danke Ihnen sehr, teurer
Meister, Sie sind reizend wie stets.
Sie erzählen mir nie, was Sie tun. Wie ist es mit
dem Drama?
Ich bin durchaus nicht überrascht, daß Sie meine
literarischen Nöte nicht verstehen ! Ich verstehe mich
selber darin nicht. Aber sie sind trotzdem vorhanden
und zwar heftig. Ich weiß nicht mehr, wie ich es an-
fangen soll zu schreiben, und nach unendlichem
Umhertasten glückt es mir kaum den hundertsten
Teil meiner Gedanken auszudrücken. Nicht der
ersten Eingebung folgt Ihr Freund, nein, durchaus
nicht ! Zwei ganze Tage drehe und wende ich einen
13
Passus hin und her, ohne zum Ziel zu kommen.
Manchmal möchte ich weinen! Ich kann Ihnen leid
tun, und mir auch.
Was unser Diskussionsthema betrifft (hinsichtlich
Ihres jungen Freundes), so ist das, was Sie mir in
Ihrem letzten Brief schreiben, so völlig meine Art
zu sehen, daß ich es nicht nur in die Praxis umgesetzt,
sondern auch verkündet habe. Fragen Sie Theo.
Wir wollen uns aber einigen. Die Künstler (die
Priester sind) riskieren nichts, wenn sie keusch sind,
im Gegenteil I Aber die Spießbürger, wozu denn?
Gewisse Leute müssen doch menschlich bleiben.
Glücklich sind die, die nicht daran rühren. —
Ich glaube nicht (im Gegensatz zu Ihnen), daß es
den Charakter des idealen Künstlers zum Guten
beeinflussen könnte, er würde ein Ungeheuer. Die
Kunst ist nicht dazu da, Ausnahmen zu schildern;
daher empfinde ich einen unbesieglichen Widerwillen
dagegen, irgend etwas aus meinem Herzen zu Papier
zu bringen. Ich finde sogar, daß ein Dichter nicht
das Recht hat, seine Ansicht über irgend etwas, was
es auch sei, auszudrücken. Hat der liebe Gott jemals
seine Meinung gesagt? Deshalb sind in mir nicht
wenige Dinge, die mich ersticken, die ich heraus-
sprudeln möchte und die ich doch hinunterschlucke.
Wozu soll ich sie denn auch sagen? Der erste Be«te
14
ist interessanter als Herr Gustave Flaubert, weil er
«Jlgemeiner und infolgedessen typischer ist.
Es gibt gleichwohl Tage, wo ich mich als Kretin
fühle. Ich habe jetzt ein Bassin mit Goldfischen, und
das macht mir Spaß. Sie leisten mir Gesellschaft,
wenn ich esse. Ist es dumm, sich für so einfältige
Dinge zu interessieren? Leben Sie wohl, es ist spät,
mir brennt der Kopf.
Ich umarme Sie.
Samstag morgen, . . . 1866
Beunruhigen Sie sich nicht wegen der Auskünfte
über die Zeitschriften. Das wird wenig Platz in mei-
nem Buch einnehmen, und ich habe Zeit zu warten.
Aber wenn Sie nichts zu tun haben, so skizzieren
Sie mir irgend etwas, was Ihnen von 48 in Erinnerung
ist. Dann können Sie es mir mündlich genauer er-
zählen. Ich will keine Abhandlung von Ihnen, wohl-
verstanden, sondern bitte Sie, Ihre persönlichen
Erinnerungen ein wenig zu sammeln.
Kennen Sie eine Schauspielerin vom Odeon, die
Macdulf im Macbeth gespielt hat, namens Dugu^ret:
Sie möchte in Mont-Revcche gern die Rolle der
Nathalie haben. Sie wird Ihnen von Girardin, Dumas
und mir empfohlen werden. Ich habe sie gestern in
Faustine gesehen, wo sie viel Verve zeigte. Sie wissen
15
also Bescheid, an Ihnen ist es. Ihre Maßnahmen zu
treffen. Meine Meinung ist, daß sie Intelligenz hat
und daß man Nutzen daraus ziehen kann.
.Wenn Ihr kleiner Ingenieur ein Gelübde abgelegt
hat und dies Gelübde ihm nicht schwer fällt, so hat
er recht, es zu halten; wenn nicht, so ist es eine reine
Albernheit, unter uns gesagt. Wo gibt es Freiheit,
wenn nicht in der Leidenschaft?
Also nein. Zu meiner Zeit legten wir nicht solche
Gelübde ab; man war verliebt! Und wie! Aber alles
vereinigte sich in einem großen Eklektizismus, und
wenn man sich von den „Damen" entfernte, geschah
es aus Stolz, aus Mißtrauen gegen sich selbst, als
Kraftprobe. Aber wir waren auch rote Romantiker,
von vollendeter Lächerlichkeit, doch in höchster
Blüte. Das wenige Gute, das mir geblieben ist, stammt
aus jener Zeit.
... j866
Da ich Sie nicht bei mir habe, lese ich Sie, oder
vielmehr lese Sie wieder. Ich habe mir „Consuelo"
vorgenommen, die ich früher in der Revue Indepen-
dante verschlungen habe.
Ich bin von neuem bezaubert. Ist das ein Talent,
großer Gott! ist das ein Talent! Diesen Ruf stoße
ich in Zwischenräumen „im stillen Kämmerlein
16
I
aus. Ich habe vorhin tatsächlich geweint über den
Kuß, den Porpora auf Consuelos Stirn drückt . . .
Ich kann Sie nur mit einem großen Strome Amerikas
vergleichen. Riesenhaftigkeit und Sanftheit.
Ich habe die „Odeurs" des großen Mannes namens
Veuillot noch nicht gelesen. Wenn keine Beleidi-
gungen gegen uns darin stehen, ist es unvollständig.
Und Leute von Geist bewundem das alles doch!
0 heiliger Polykarpl
... 1866
Ich bin gestern, Samstag abend, hier angekommen;
all meine Studien sind erledigt, und ich mache mich
heute nachmittag wieder an die Arbeit.
Sainte-Beuve scheint mir sehr krank zu sein. Ich
glaube, daß er es nicht mehr lange macht.
Ich habe vorgestern und gestern mit Turgenjeff
gespeist. Dieser Mann hat eine so schöne Bildhaftig-
keit, sogar in der Unterhaltung, daß er mir George
Sand gezeigt hat, wie sie im Schloß der Frau
Viardot in Rosay auf einem Balkon lehnte. Unterhalb
des Türmchens war ein Wassergraben, auf dem
Graben ein Boot, und Turgenjeff, der auf der Bank
dieses Kahns saß, betrachtete Sie von unten, und die
untergehende Sonne glitt über Ihr schwarzes Haar.
17
Mittwoch, . . . iS66
Ich habe gestern das Buch Ihres Sohnes bekommen.
Ich werde mich daran machen, wenn ich etliche
wahrscheinlich weniger erbauliche Lektüre hinter
mir habe. Sagen Sie ihm trotzdem inzwischen meinen
Dank, teurer Meister.
Sprechen wir zunächst von Ihnen, vom Arsenik.
Ich glaube gar! Sie müssen Eisen trinken, spa-
zieren gehen und schlafen und in den Süden fahren,
was es auch koste, basta! Sonst wird die Frau aus
Eisen zerbrechen. Was das Geld betrifft, so findet
man es; und die Zeit nimmt man sich. Sie werden
natürlich nichts von dem tun, was ich Ihnen rate.
Das ist unrecht von Ihnen, und Sie betrüben mich.
Nein, ich habe nicht, was man Geldsorgen nennt;
meine Einnahmen sind sehr beschränkt, aber sicher.
Nur da es in der Gewohnheit Ihres Freundes liegt,
dieselben vorher zu verausgaben, ist er bisweilen
in Verlegenheit und klagt im „stillen Kämmerlein",
aber nicht anderswo. Falls nicht außergewöhnliche
Ereignisse eintreten, werde ich bis ans Ende meiner
Tage immer mein Essen und eine warme Stube
haben. Meine Erben sind oder werden reich sein
(denn ich bin der arme Mann von der Familie), also
still I
18
Was das Geldverdienen durch meine Feder betrifft,
so ist das eine Anmaßung, die ich niemals gehabt
habe, da ich mich dafür vollständig unfähig fühle.
Man muß also als kleiner Rentner auf dem Lande
leben, was nicht besonders possierlich ist. Aber da
soviele andere, die mehr wert sind als ich, keinen
Grund und Boden ihr eigen nennen, wäre es un-
gerecht, sich zu beklagen. Die Vorsehung anschul-
digen ist übrigens eine so allgemeine Gewohnheit,
daß man sich schon einfach aus gutem Ton dessen
enthalten muß.
Noch ein Wort über die Geldfrage, das unter uns
bleiben wird. Ich kann Ihnen, ohne daß es mich
irgendwie in Verlegenheit brächte, sobald ich in Paris
bin, das heißt am zwanzigsten oder dreiundzwanzigsten
dieses Monats, tausend Franken leihen, wenn Sie sie
brauchen, um nach Cannes zu gehen. Ich mache
Ihnen diesen Vorschlag frei heraus, wie ich ihn Bouil-
het machen würde oder jedem andern vertrauten
Freunde. Keine Zeremonie! Vorwärts!
Unter Gesellschaftsmenschen wäre das nicht
passend, das weiß ich, aber unter Troubadouren sind
sehr viele Dinge möglich.
Ihre Einladung, nach Nohant zu kommen, ist sehr
liebenswürdig. Ich werde kommen, denn ich möchte
gern Ihr Haus sehen. Wenn ich an Sie denke, stört
2*
19
es mich, daß ich es nicht kenne. Aber ich muß dies
Vergnügen bis zum nächsten Sommer aufschieben.
Ich muß jetzt einige Zeit in Paris bleiben. Drei
Monate sind nicht zuviel für alles, was ich dort tun
will.
Ich schicke Ihnen den Artikel von dem guten
Barbes zurück, dessen wirkliche Biographie ich sehr
unvollkommen kenne. Ich weiß nur von ihm, daß
er ehrlich und heldenhaft ist. Drücken Sie ihm in
meinem Namen die Hand, um ihm für seine Sympathie
zu danken. Unter uns: ist er ebenso klug wie bieder?
Mir wäre es jetzt nötig, daß Männer aus jener Welt
sich offenherzig mir gegenüber aussprächen. Denn
ich gehe eben daran, die Revolution von 48 zu stu-
dieren. Sie haben mir versprochen, mir in Ihrer
Bibliothek in Nohant herauszusuchen : 1 . einen Artikel
von Ihnen über die Fayencen; 2. einen Roman von
Pater X .... Jesuit, über die Heilige Jungfrau.
Aber welche Strenge gegen Vater Beuve, der weder
Jesuit noch Jungfrau ist! Er bedauert, sagen Sie,
„was gar nicht bedauernswert ist, in seinem Sinne
wenigstens". Warum das? Alles hängt von der
Intensität ab, die man auf eine Sache verwendet.
Die Menschen werden immer finden, daß die
ernsthafteste Sache in ihrem Dasein das Genießen ist.
20
Die Frau ist für uns alle der Spitzbogen der Un-
endlichkeit. Das ist nicht edel, aber es ist der wahre
Kern des Männchens. Man macht von dem ganzen
unmäßig viel Aufhebens. Gott sei Dank für die
Literatur und auch für das individuelle Glück.
0, ich habe Sie vorhin so sehr vermißt. Die Bran-
dung ist wundervoll, der Wind tost, der Fluß schäumt
und tritt über die Ufer. Er trägt Meerluft herüber,
die gut tut.
I. November 1866
Teurer Meister!
Ich bin gestern abend ebenso beschämt wie gerührt
gewesen, als ich Ihre „so zierliche" Epistel bekam.
Ich bin ein Schuft, daß ich auf die erste nicht geant-
wortet habe. Wie kommt das? Denn für gewöhnlich
fehlt es mir nicht an Pünktlichkeit.
Mit der Arbeit geht es nicht sonderlich schlecht.
Ich hoffe meinen zweiten Teil [Schule der Empfind-
samkeit] im Februar beendigt zu haben. Aber wenn
ich in zwei Jahren fertig sein will, darf sich Ihr alter
Freund von jetzt an nicht mehr vom Stuhl rühren.
Das ist der Grund, daß ich nicht nach Nohant komme.
Acht Tage Ferien sind für mich drei Monate Träume-
rei. Ich würde nur noch an Sie denken, an die Ihren,
an Berry, an alles, was ich gesehen hätte.' Mein
21
unglücklicher Geist würde in fremden Gewässern
schiffen. Ich habe so wenig Kraft.
Ich verhehle nicht, wieviel Vergnügen mir Ihre
kurzen Worte über Salammbo bereitet haben.
Dieser Schmöker müßte von gewissen Inversio-
nen befreit werden; es sind zuviele „dann", „aber**
und „und" darin. Man spürt die Mühe.
Was meine augenblickliche Arbeit betrifft, so
fürchte ich, daß der Entwurf fehlerhaft ist, und das
ist irreparabel. Und , werden so reale Charaktere
interessieren? Man erkielt große Wirkungen nur
durch einfache Dinge, durch sezierte Leidenschaften.
Aber ich sehe in der modernen Welt nirgends Einfach-
heit.
Traurige Welt! Sind diese italienischen Affären
nicht wirklich beklagenswert und bedauerlich grotesk?
All diese Befehle, Gegenbefehle zu Gegenbefehlen
von Gegenbefehlen ! Die Erde ist entschieden ein sehr
untergeordneter Planet.
Sie haben mir nicht gesagt, ob Sie mit den Auf-
führungen im Odeon zufrieden gewesen sind. Wann
werden Sie in den Süden gehen? Und wohin?
Heute in acht Tagen, das heißt am siebenten oder
zehnten November werde ich in Paris sein, da ich
durch Auteuil bummeln muß, um kleine Winkel
zu entdecken. Reizend wäre es, wenn wir zusammen
22
nach Croisset zurückkehren könnten. Sie wissen
wohl, daß ich Ihnen wegen Ihrer beiden letzten Reisen
in die Normandie sehr böse bin.
Auf bald, nicht wahr? Ohne Gefasel! Ich um-
arme Sie, wie ich Sie liebe, teurer Meister, das heißt
sehr zärtlich.
Croisset, Samstag nacht, . . . i86y
Nein, teurer Meister, Sie sind nicht Ihrem Ende
nahe. Um so schlimmer für Sie vielleicht. Aber
Sie werden alt werden, sehr alt, wie die Riesen, da
Sie ja von dieser Rasse sind : nur Sie müssen sich
Ruhe gönnen. Eins erstaunt mich, daß Sie nicht
schon zwanzigmal gestorben sind, da Sie soviel ge-
dacht, soviel geschrieben und soviel gelitten haben.
Gehen Sie doch, da Sie Lust dazu haben, für eine
Weile ans Mittelländische Meer. Der Azur beruhigt
und stählt. Es gibt Verjüngungsländer, zum Beispiel
der Golf von Neapel. In gewissen Momenten machen
sie vielleicht trauriger? Ich weiß es nicht.
Das Leben ist nicht leicht! Eine komplizierte und
kostspielige Sache! Ich weiß nur eins. Man braucht
zu allem Geld, so sehr, daß man bei einem geringen
Einkommen und einem wenig einträglichen Beruf
auf vieles verzichten muß. Das tue ich! Das ist nun
einmal nicht anders, aber die Tage, an denen die Arbeit
23
nicht gehen will, sind nicht amüsant. 0 ja, o ja, ich
will Ihnen gern auf einen andern Planeten folgen.
Und was das Geld betrifft, so wird eben das den unsem
in einer nahen Zukunft unbewohnbar machen, denn
es wird selbst für den Reichsten unmöglich sein,
hier zu leben, ohne sich mit seinem Hab und Gut
zu beschäftigen; alle Leute werden mehrere Stunden
täglich damit hinbringen müssen, sich über ihr
Kapital den Kopf zu zerbrechen. Reizend! Ich für
mein Teil zerbreche mir weiter den Kopf über
meinen Roman und gehe nach Paris, sobald ich
mein Kapitel beendet habe, — gegen Mitte des
nächsten Monats.
Obwohl Sie es vermuten, besucht mich „keine
schöne Dame". Die schönen Damen haben meinen
Geist sehr beschäftigt, haben mich aber sehr wenig
Zeit gekostet. Mich Einsiedler zu nennen, ist vielleicht
ein richtigerer Vergleich als Sie glauben.
Ich bringe ganze Wochen hin, ohne em Wort mit
einem menschlichen Wesen zu wechseln, und am
Ende einer Woche ist es mir unmöglich, mich auf
einen einzigen Tag oder auf irgendein Ereignis zu
besinnen. Ich sehe Sonntags meine Mutter und
meine Nichte, das ist alles. Meine einzige Gesell-
schaft besteht in einer Bande Ratten, die auf dem
Boden, über meinem Kopf, einen Höllenspektakel
24
macht, wenn das Wasser nicht braust und der Wind
nicht weht. Die Nächte sind schwarz wie Tinte, und
mich umgibt eine Stille wie in der Wüste. Die Reiz-
barkeit steigert sich in einem solchen Milieu un-
geheuer. Ich habe Herzklopfen um nichts.
Das alles ist die Folge unserer hübschen Beschäfti-
gung. Das kommt dabei heraus, wenn man sich
Seele und Körper zermartert. Aber ob diese Marter
nicht das einzig mögliche auf dieser Erde ist?
Ich habe Ihnen gesagt, nicht wahr, daß ich Consuelo
und die Herzogin von Rudolstadt noch einmal gelesen
habe; das hat mich vier Tage gekostet. Wir werden
sehr eingehend darüber sprechen, sobald Sie wollen.
Warum bin ich in Si verain verliebt? Vielleicht bin
ich zweigeschlechtig.
... I86^
Teurer Meister!
oie müßten wirklich irgendwo die Sonne aufsuchen;
es ist töricht, immer leidend zu sein; reisen Sie^doch;
ruhen Sie sich; die Resignation ist die schlimmste der
Tugenden.
Ich habe ein gutes Maß davon nötig, um alle Dumm-
heiten zu ertragen, die ich mitanhören muß! Sie
machen sich keine Vorstellung, wie weit man ge-
kommen ist. Frankreich, das bisweilen vom Veits-
25
tanz ergriffen gewesen ist (wie unter Karl VI.), scheint
mir jetzt an einer Gehirnparalyse zu leiden. Man ist
aus Angst idiotisch. Aus Angst vor Preußen, Angst
vor Streiken, Angst vor der Ausstellung, die „nicht
geht," Angst vor allem. Man muß bis 1849 zurück-
gehen, um einen solchen Grad von Kretinismus zu
finden.
Man hat das letzte Mal bei Magny derartige Portiers-
unterhaltungen geführt, daß ich mir innerlich ge-
schworen habe, keinen Fuß mehr dahinzusetzen.
Es ist die ganze Zeit nur von Herrn von Bismarck
und Luxemburg die Rede gewesen. Ich bin noch
damit vollgestopft! Es fällt mir übrigens nicht leicht
zu leben! Statt sich abzustumpfen, spitzt sich meine
Reizbarkeit zu; ein Haufen wichtiger Dinge quält
mich. Verzeihen Sie diese Schwäche, Sie, die so stark
und so duldsam sind!
Der Roman kommt gar nicht vorwärts. Ich bin in
die Lektüre der Zeitungen von 48 versunken und habe
verschiedene Ausflüge nach Sevres, Creil usw. machen
müssen (und ich bin noch nicht damit fertig).
Der alte Sainte-Beuve arbeitet eine Rede über
Gedankenfreiheit aus, die er im Senat halten will,
gelegentlich des Preßgesetzes. Er ist sehr verwegen,
wissen Sie.
26
Sagen Sie Ihrem Sohn Maurice, daß ich ihn sehr
liebe, erstens weil er Ihr Sohn ist und zweitens, weil
er er selbst ist. Ich finde ihn gut, geistreich, gebildet,
nicht Poseur, durchaus bezaubernd und „talentvoll".
... 1867
Ich bin in Unruhe, weil ich keine Nachricht von
Ihnen habe, teurer Meister. Was machen Sie? Wann
sehe ich Sie?
Aus meiner Reise nach Nohant ist nichts geworden.
Der Grund: meine Mutter hat vor acht Tagen einen
kleinen Anfall gehabt. Es ist nichts zurückgeblieben,
aber es kann wiederkommen. Sie sehnt sich nach
mir, und ich will meine Rückkehr nach Croisset be-
schleunigen. Wenn es ihr im August gut geht und ich
unbesorgt sein kann, brauche ich Ihnen wohl nicht
zu sagen, daß ich Ihren Penaten zueilen werde.
An Neuigkeiten dieses, daß Sainte-Beuve mir
ernstlich krank zu sein scheint und daß Bouilhet
soeben zum Bibliothekar in Rouen ernannt worden ist.
Seit die Kriegsgerüchte wieder verstummt sind,
scheint man mir etwas weniger idiotisch zu sein.
Der Ekel, den die allgemeine Feigheit mir einflößte,
schwindet.
Ich bin zweimal in der Ausstellung gewesen; das
ist vernichtend. Es gibt prachtvolle und ganz kuriose
27
Sachen. Aber der Mensch ist nicht geschaffen, das
Unendliche zu verdauen; er müßte alle Wissen-
schaften und alle Künste beherrschen, um sich für
alles das interessieren zu können, was man auf dem
Marsfelde sieht. Gleichviel: einer, der drei ganze
Monate Zeit hätte und jeden Morgen hinginge, um
sich Notizen zu machen, würde dadurch viel Lektüre
und sehr viele Reisen sparen.
Man fühlt sich dort sehr fern von Paris, in einer
neuen und häßUchen Welt, einer ungeheuren Welt,
die vielleicht die Welt der Zukunft ist. Als ich das
erste Mal dort gefrühstückt habe, habe ich immer-
fort an Amerika gedacht, und ich hätte am liebsten
wie ein Neger gesprochen.
... i86y
Ich bin zu Anfang dieser Woche für sechsunddreißig
Stunden in Paris gewesen, um dem Ball in den Tuile-
rien beizuwohnen. Es war, ohne jede Übertreibung,
prachtvoll. Paris wächst übrigens ins Riesenhafte.
Es wird närrisch und ungeheuer. Wir kehren vielleicht
zum alten Orient zurück. Es scheint mir. als wüchsen
Idole aus dem Boden. Man ist von einem Babylon
bedroht.
Warum nicht? Das Individuum wird derartig ab-
geleugnet von der Demokratie, daß es sich zu voll-
28
ständiger Erschlaffung erniedrigen wird, wie unter
den großen theokratlschen Despotismen.
Mein Roman geht piano. In dem Maße, wie ich
vorwärtskomme, tauchen die Schwierigkeiten auf.
Es ist ein schwerer Karren mit Steinen zu ziehen!
Und S i e klagen über eine Arbeit, die sechs Monate
dauert I
Ich habe noch wenigstens zwei Jahre zu tun (mit
meiner). Wie, zum Teufel, machen Sie es, um die
Verbindung zwischen Ihren Gedanken zu finden?
Das hält mich auf. Übrigens erfordert dies Buch
[Die Schule der Empfindsamkeit] weitgehende For-
schungen. So bin ich am Montag hintereinander im
Jockey-Klub, im Cafe Anglais und bei einem Rechts-
anwalt gewesen.
Schätzen Sie das Vorwort Victos Hugos zu Paris-
Guide? Nicht besonders, nicht wahr? Die Philosophie
Hugos erscheint mir immer etwas unklar.
Ich habe mich vor acht Tagen an einem Zigeuner-
lager in Rouen ergötzt. Es ist das dritte Mal, daß ich
so etwas sehe und stets mit neuem Vergnügen. Das
Wunderbare war, daß sie den Haß der Bürger erregten,
obwohl sie harmlos sind wie Schafe.
Ich habe bei der Menge einen schlechten Eindruck
gemacht, weil ich ihnen ein paar Sous gegeben habe,
und ich habe hübsche Worte gehört k la Prudhomme.
29
Dieser Haß geht auf etwas sehr Tiefes und Ver-
wickeltes zurück. Man findet ihn bei allen Ordnungs-
menschen.
Es ist der Haß, den man gegen den Beduinen hegt,
gegen den Ketzer, den Philosophen, den Einsiedler,
den Dichter, und es ist Furcht in diesem Haß. Mich,
der ich immer für die Minorität bin, erbittert er.
Allerdings erbittern mich viele Dinge. An dem Tage,
da ich nicht mehr empört sein werde, werde ich
machtlos hinfallen wie eine Puppe, die man von ihrem
Draht abschneidet.
Der Draht, der mich diesen Winter gehalten hat,
war die Empörung, die ich gegen unsem großen
nationalen Historiker Thiers empfand, der in die
Kategorie der Halbgötter übergegangen war, femer
gegen die Broschüre Trochu und den ewigen Chan-
garnier, der über den Wassern schwebt. Gott sei
Dank hat das Ausstellungsdelirium uns momentan
von diesen „großen Männern" befreit.
Sonnabend, . . . 1867
Jenes Wort muß korrigiert werden, teurer Meister;
ich war nicht so sehr in die Arbeit versunken, daß ich
nicht Lust gehabt hätte, Sie zu sehen. Ich habe der
Literatur bis jetzt genügend Opfer gebracht, ohne
noch dies letzte hinzuzufügen. Der Grund war:
30
man hat meine Wohnung neu gestrichen. So gründ-
lich, daß ich vierzehn Tage in Rouen bei meiner
Mutter gewohnt habe und dann noch eine Woche
in dem kleinen Pavillon hinten im Garten. Deshalb
hat man seinen Alten nicht gebeten, zu kommen.
Aber wer kann uns hindern, uns vom September
ab zu sehen? Ich werde den ganzen August abwesend
sein. Adressieren Sie Ihre Briefe an mich nach dem
Boulevard du Temple, 42.
Und die Arbeit? Was macht Cadio?
Ich fühle mich alt wie eine Pyramide und erschöpft
wie ein Esel. Meine Mutter trägt nicht dazu bei,
mich froh zu machen. Sie wird immer schwächer,
immer bitterer, ist traurig und macht mich .traurig.
Um sie ein wenig zu zerstreuen, führe ich sie auf die
Ausstellung.
Trotzdem verrichte ich mein Tagewerk und
hoffe Ende dieses Jahres meinen zweiten Teil beendigt
zu haben. Das Ganze wird nicht vor zwei Jahren fertig
sein! Und dann ade für immer, Spießbürger I Nichts
ist so anstrengend, wie die menschliche Dummheit
zu ergründen.
Was die Dummheit betrifft: es scheint, daß die
offizielle Welt wütend auf den alten Sainte-Beuve
ist. Das Unglück Camille Doucets grenzt ans Er-
habene.
31
Vom Standpunkt der zukünftigen Freiheit muß
man vielleicht diese religiöse Heuchelei der GeselU
Schaftsmenschen segnen, die uns so sehr empört!
Je später die Frage entschieden wird, desto besser
wird sie entschieden werden. Die andern können
nur schwächer werden, wir aber werden uns festigen.
Teurer Meister I
Wie! Keine Nachricht?
Aber jetzt werden Sie mir antworten, da ich Sie
ja um eine Gefälligkeit bitte. Ich lese in meinen
Notizen das folgende : „»National* von 1841. Schlechte
Behandlung Barbes, Fußtritte gegen die Brust, man
zerrt ihn an Bart und Haaren, um ihn ins Gewahrsam
zu bringen. Das Protokoll, worin gegen diese Gewalt-
taten Beschwerde erhoben wird, ist unterzeichnet:
E. Arago, Favre, Berryer."
Informieren Sie sich bei ihm, ob das alles stimmt,
ich bin Ihnen dankbar dafür.
Croisset, Samstag nacht
Nur gut, daß Sie mit dem Odeon zufrieden sind,
teurer Meister.
Ich mache mich auf einen neuen „Villemer" gefaßt
und werde natürlich bei der Premiere sein. Sie ist
32
im April, nichc wahr? Übrigens ist es gleich, ob ich
hier oder dort unten bin, ich gehe hin.
Fräulein Bosquet (die Verfasserin von Normandie
merveilleuse) hat einen Roman veröffentlicht unter
dem Titel „Eine gebildete Frau". Es steckt sicher
etwas darin. Ich habe mir erlaubt, ihr zu raten, Ihnen
ein Exemplar anzubieten. Ist das ein Stil! Wenn Sie
von Mario Proth oder irgendeinem Ihrer Freunde
eine Kritik darüber schreiben lassen könnten, würden
Sie eine gute Tat tun.
Croisset, Samstag nacht, . . . i86y
Ich habe den Bürger Bouilhet gesehen, der in seinem
schönen Vaterlande einen wahren Triumph gehabt
hat. Seine Landsleute, die ihn bisher radikal ver- •
leugneten, brüllen vor Begeisterung seit dem Augen-
blick, da Paris ihm zugejubelt hat. — Er wird am
nächsten Sonnabend zurückkommen wegen eines
Festessens, das man ihm zu Ehren veranstaltet. —
Achtzig Gedecke mindestens usw.!
Was „Marengo l'hirondelle** betrifft, so hat er das
Geheimnis so gut bewahrt, daß er den fraglichen
Brief mit einem Erstaunen gelesen hat, das mich
irre machte.
Armer Marengo I das ist eine Figur ! — Die müßten
Sie irgendwo gestalten. Ich frage mich, was seine
3 33
Memoiren sein würden, wenn sie in einem solchen
Stil geschrieben wären? — Meiner (der Stil) macht
mir weiter Kopfzerbrechen, und zwar nicht geringes.
— Ich hoffe, in einem Monat die ödeste Stelle über-
wunden zu haben. Aber augenblicklich habe ich
mich in eine Wüste verrannt; das ist ja eben das
schlimme ! — Mit welchem Vergnügen werde ich dies
Genre verlassen, um nie in meinem Leben dazu
zurückzukehren .
Moderne französische Spießbürger schildern ekelt
mich merkwürdig an. Und es wäre auch vielleicht
Zeit, sich etwas am Dasein zu freuen und dem Autor
angenehme Stoffe zu wählen.
Ich habe mich schlecht ausgedrückt, als ich Ihnen
sagte, man dürfe nicht mit seinem Herzen schreiben;
ich habe sagen wollen: nicht seine Persönlichkeit
in Szene setzen. Ich glaube, daß die große Kunst
wissenschaftlich und unpersönlich ist. Man muß
durch geistige Anstrengung sich in die Persönlich-
keiten hineinversetzen, nicht sie an sich ziehen.
Das ist wenigstens die Methode; was so viel heißt
wie: Versucht viel Talent und sogar Genie zu haben,
wenn ihr könnt. Wie eitel sind all diese Dichter und
Kritiker I — Und das Aufhebens, das diese Herren
davon machen, verblüfft mich. Ol diese Pracht-
kerle haben keine Hemmungen.
34
Ist Ihnen aufgefallen, wie allgemeine Gedanken
bisweilen in der Luft liegen? So habe ich eben
den neuen Roman meines Freundes Du Camp gelesen :
„Die verlorenen Kräfte". Er erinnert in sehr vielen
Richtungen an den, den ich schreibe. Es (seins)
ist ein sehr naives Buch, das einen richtigen Begriff
von den Menschen unserer Generation gibt, die für
die jungen Leute von heute wahre Fossilien geworden
sind. Die Reaktion von 48 hat zwischen den beiden
Frankreichs einen Abgrund aufgerissen.
Bouilhet hat mir gesagt, Sie seien das letzte Mal
bei Magny ernstlich unpäßlich gewesen, Sie
„Frau aus Eisen", die Sie zu sein behaupten.
0 nein, Sie sind nicht aus Eisen, Sie liebes, gutes,
großes Herz! „Alter, geliebter Troubadour", es wäre
vielleicht angebracht, Almansor im Theater wieder
zu Ehren zu bringen? Ich sehe ihn mit seinem Tur-
ban, seiner Gitarre und seiner aprikosenfarbenen
Tunika, wie er hoch von einem Felsen herunter die
Spekulanten im schwarzen Rock beschimpft. Die
Rede könnte fein sein. Aber jetzt gute Nacht, ich küsse
Sie zärtlich auf beide Wangen.
Mittwoch nacht, . . . i86y
Ich bin Ihrem I^t gefolgt, teurer Meister, ich habe
mir Bewegung gemacht!!!
y 35
Bin ich lieb, ja?
Sonntag abend, um elf Uhr, war eine solche Mond-
helle auf dem Fluß und auf dem Schnee, daß ich
von einer Sucht nach Bewegung erfaßt wurde; ich
bin zwei und eine halbe Stunde lang spazieren ge-
gangen, habe den Hügel erstiegen und mir vorgestellt,
ich wanderte in Rußland oder Norwegen. Wenn die
Flut kam und die Eisschollen der Seine und die zu-
gefrorenen Bäche krachten, war es unstreitig wunder-
voll. Da habe ich an Sie gedacht und habe Sie ver-
mißt.
Ich mag nicht allein essen. Ich muß den Gedanken
an irgend jemanden mit den Dingen verbinden, die
mir Freude machen. Aber dieser Jemand ist selten.
Ich frage mich auch, warum ich Sie liebe. Deshalb,
weil Sie ein großer Mensch, oder weil Sie ein ent-
zückendes Geschöpf sind? Ich weiß es nicht. Sicher
ist aber, daß ich ein besonderes Gefühl für Sic habe,
das ich nicht definieren kann.
Und bei dieser Gelegenheit: glauben Sie (Sie,
die Sie ein Meister der Psychologie sind), daß man
zwei Menschen auf dieselbe Art liebt, daß man jemals
zwei übereinstimmende Gefühle empfindet? Ich
glaube es nicht, weil unser Ich sich in allen Momenten
seines Daseins wandelt.
36
Sie schreiben mir herrliche Dinge über die „selbst-
lose Zärtlichkeit'*. Das ist wahr, aber das Gegenteil
ist auch wahr. Wir machen immer Gott zu unserm
Bilde. Im Kern aller unserer Sympathie und aller
unserer Bewunderungen finden wir uns selbst wieder,
uns oder irgend etwas Verwandtes. Was schadet
das, wenn dies „uns" gut ist?
Mein Ich langweilt mich augenblicklich tödlich.
Wie lästig mir dieser Kerl bisweilen ist! Er schreibt
zu langsam und posiert nicht im mindesten, wenn er
über seine Arbeit klagt. Ist das ein Pensum! Und
was für eine teuflische Idee ist es gewesen, einen
solchen Stoff zu wählen. Sie könnten mir wohl ein
Rezept geben, wie ich schneller vorwärts komme.
Ich habe von Sainte-Beuve ein Briefchen bekom-
men, das mich über seine Gesundheit beruhigt, das
aber traurig ist. Er scheint mir verzweifelt zu sein,
daß er nicht in die Zyprischen Wälder kann! Er
hat schließlich recht, oder wenigstens von sich aus
recht, was auf das gleiche herauskommt. Ich werde
ihm vielleicht ähnlich sein, wenn ich sein Alter er-
reicht habe? Aber ich glaube es doch nicht. Da
ich nicht die gleiche Jugend gehabt habe, wird mein
Alter anders sein.
Das erinnert mich daran, daß ich früher ein Buch
über die Heilige Perine geplant habe. Champfleury
37
hat diesen Stoff mißhandelt. Denn ich sehe nichts
Komisches darin; ich würde ihn wild und schauerlich
gestaltet haben. Ich glaube, daß das Herz nicht altert.
Es gibt sogar Leute, bei denen es im Alter wächst.
Ich war vor zwanzig Jahren trockener und rauher
als heute. Ich habe mich durch die Abnutzung
verweiblicht und erweicht, wie andere hart und zäh
werden, und das empört mich. Ich fühle, daß ich
ein Waschlappen werde; ein Nichts genügt, um mich
zu erschüttern, alles stört mich und erregt mich,
ich bin ein schwank|ndes Rohr im Winde.
Ein Wort von Ihnen, das mir eingefallen ist, veran-
laßt mich, das Schöne Mädchen von Perth noch
einmal zu lesen. Es ist hübsch, was man auch sagen
mag. Dieser gute Mann hatte schon Phantasie, ganz
entschieden.
Aber jetzt leben Sie wohl. Denken Sie an mich.
Ich sende Ihnen meine besten Grüße.
Mittwoch nacht
Lieber Meister, teure Freundin des lieben Gottes,
„sprechen wir ein wenig von Dozenval," brüllen
wir gegen Herrn Thiers! Kann man sich' einen
triumphlerenderen Dummkopf, einen verächtlicheren
Zopfmenschen, einen waschlappigeren Spießbürger
vorstellen?! Nein, nichts kann einen Begriff von
38
dem Ekel geben, den dieser alte diplomatische Ein-
faltspinsel mir einllößt, der seine Dummheit auf
dem Misthaufen der Bourgeoisie mästet! Ist es
möglich, Philosophie, Religion, Völker, Freiheit,
Vergangenheit und Zukunft, Geschichte und Natur-
geschichte, und alles übrige mit naiverer und alber-
nerer Ungeniertheit zu behandeln? Er erscheint
mir ewig wie die Mittelmäßigkeit! Er zermalmt
mich!
Nett sind aber die wackeren Nationalgarden, die
er 1848 angeführt hat, und die wieder anfangen,
ihm Beifall zu spenden ! Welch ein unendlicher Wahn-
sinn! Was beweist, daß alles Temperamentsache ist.
Die Prostituierten — wie Frankreich — haben stets
eine Schwäche für die alten Hanswürste.
Ich werde übrigens versuchen, im dritten Teil
meines Romans (wenn ich zu der Reaktion komme,
die den Junitagen gefolgt ist) ein Hühnchen mit ihm
zu pflücken, anläßlich seines Buches „Vom Eigentum'*,
und ich hoffe, er wird zufrieden mit mir sein.
Welche Form muß man wählen, um bisweilen
seine Meinung über die Dinge dieser Welt zu sagen,
ohne Gefahr zu laufen, später für einen Dummkopf
zu gelten? Das ist ein schweres Problem. Mir scheint
es das Beste, diese Dinge, die einen erbittern, ganz
schlicht zu schildern. Sezieren ist eine Rache.
39
Nun, ich zürne weder ihm, noch den andern; wohl
aber unsem Leuten. Wenn man sich mehr mit der
Belehrung der oberen Klassen befaßt und die land-
wirtschaftlichen Vereine auf später vertagt, wenn
man endlich den Kopf über den Bauch erhoben hätte,
würden wir jetzt wahrscheinlich nicht so dastehen.
Ich habe in dieser Woche die Einleitung Buchez*
zu seiner Geschichte des Parlamentarismus gelesen.
Aus dieser Zeit rühren unter anderm viele Dumm-
heiten her, deren Last wir heute tragen.
Und dann ist es nicht recht, wenn Sie sagen, ich
denke nicht „an meinen alten Troubadour'*. An wen
soll ich sonst denken? An meinen Schmöker etwa?
Aber das ist viel schwieriger und weniger angenehm.
Bis wann bleiben Sie in Cannes?
Wird man nach Cannes nicht wieder nach Paris
kommen? Ich werde gegen Ende Januar dort sein.
Wenn ich mein Buch im Frühling 1869 fertig
haben will, darf ich von jetzt an mir nicht mehr acht
Tage Ruhe gönnen. Deshalb komme ich nicht nach
Nohant. Es ist immer wieder die Geschichte mit
den Amazonen. Um besser Bogen schießen zu können,
drücken sie sich die Brust ein. Ist das wirklich ein
so gutes Mittel?
Leben Sie wohl, teurer Meister, schreiben Sie mir,
Ja? Ich umarme Sie zärtlich.
40
I. Januar 1868
Es ist nicht hübsch von Ihnen, mich mit der Schilde-
rung der Freuden Nohants zu betrüben, da ich ja
nicht daran teilnehmen kann. Ich brauche soviel
Zeit, um so wenig fertig zu machen, daß ich keine
Minute zu verlieren (oder zu gewinnen) habe, wenn
ich meinen dicken Schmöker im Sommer 1869 vollen-
den will.
Ich habe nicht gesagt, daß man das Herz unter-
drücken müsse, aber man muß es leider Gottes be-
zähmen.
Was meine Lebensweise betrifft, die allen Regeln
der Hygiene widerspricht, so bin ich nicht erst seit
gestern daran gewöhnt. Ich habe trotzdem eine ziem-
lich scharfe Kritik, und es ist Zeit, daß mein zweiter
Teil fertig wird, worauf ich nach Paris gehen werde.
Das wird gegen Ende des Monats geschehen. Sie
sagen mir nicht, wann Sie aus Cannes zurückkehren.
Meine Wut gegen Herrn Thiers hat sich nicht
gelegt, im Gegenteil! Sie idealisiert sich und wächst!
... 1868
Endlich, endlich hat man Nachricht von Ihnen,
teurer Meister, und gute, was doppelt angenehm ist.
Ich rechne darauf, mit Frau Sand in mein ein-
sames Haus zurückzukehren, und meine Mutter
41
hofft es auch. Was meinen Sie dazu? Denn man sieht
sich ja sonst überhaupt nicht mehr!
Was das Reisen betrifft, so fehlt mir nicht die Lust
dazu. Aber ich wäre verloren, wenn ich das Ende
meines Romans von hier verlegte. Ihr Freund ist ein
Mann aus Wachs; alles drückt sich ihm auf, prägt
sich ihm ein, durchdringt ihn. Wenn ich von Ihnen
zurückkäme, würde ich nur noch an Sie und die Ihren
denken, an Ihr Haus, Ihre Gegend, die Gesichter
der Leute, denen ich begegnet wäre usw. Es
kostet mich große Anstrengung, mich zu sammeln;
jeden Augenblick fließe ich über. Aus diesem Grunde,
lieber, guter, angebeteter Meister, versage ich es mir,
mich in Ihrem Hause anzusiedeln und dort zu träu-
men. Aber im Sommer oder Herbst 1869 werden
Sie sehen, was für einen guten Handlungsreisenden
ich abgebe, wenn ich einmal losgelassen werde. Ich
bin gemein, das sage ich Ihnen.
In Punkte Neuigkeiten ist wieder Ruhe, seit der
Fall Kerveguen eines natürlichen Todes gestorben
ist. War es ein dummer Streich?
Sainte-Beuve arbeite eine Rede über das Freß-
gesetz aus. Es geht ihm entschieden besser. Ich habe
Dienstag mit Renan gespeist. Er sprühte von Geist,
Beredsamkeit und Künstlertum, wie ich ihn noch nie
42
gesehen hatte. Haben Sie sein neues Buch gelesen?
Sein Vorwort macht Aufsehen.
Mein armer Theo beunruhigt mich. Ich finde ihn
nicht widerstandsfähig.
... 1868
Mein teurer Meister!
In Ihrem letzten Brief loben Sie mich, unter andern
reizenden Dingen, die Sie mir sagen, daß ich nicht
hochmütig sei; man ist nicht hochmütig dem Hohen
gegenüber. Also können Sie mich in dieser Beziehung
nicht kennen, ich muß Sie für inkompetent erklären.
Obwohl ich mich für einen guten Menschen halte,
bin ich nicht immer ein angenehmer Mann; Beweis:
was mir letzten Donnerstag passiert ist. Nach einem
Frühstück bei einer Dame, die ich „Gans" tituliert
hatte, machte ich einen Besuch bei einer andern, die
ich als dumme Pute behandelt habe; das ist meine
alte französische Galanterie. Die eine hatte mich
mit ihren spiritualistischen Auseinandersetzungen
und ihrer angemaßten Vorbildlichkeit gelangweilt;
die andere erregte meine Empörung, weil sie sagte,
Renan sei ein Lump. Beachten Sie, daß sie mir
gestanden hat, seine Bücher nicht gelesen zu haben.
Eis gibt Dinge, bei denen ich die Geduld verliere,
und wenn man einen Freund vor mir verleumdet,
43
kommt mein Blut in Wallung, ich sehe rot. Es gibt
nichts Dümmeres! Denn es nützt nichts und es tut
mir sehr weh.
Übrigens scheint mir dieses Laster, das Herab-
setzen von Freunden in der Gesellschaft, riesenhaften
Umfang anzunehmen.
Freitag abend, . . . 1868
Ich habe Ihre beiden Briefe bekommen, teurer
Meister. Sie raten mir, das Wort Wasserjungfer
durch das Wort Eisvogel zu ersetzen. Georges Souchet
gibt mir das Wort Gerre des lacs (Familie der Gerris).
Nun, mir paßt weder das eine noch das andere, weil
sie dem unwissenden Leser nicht sofort das Bild
geben.
Man müßte also das besagte Tierchen beschreiben ?
Aber das würde die Bewegung hemmen! das würde
die ganze Landschaft anfüllen! Ich werde sagen:
„Insekten mit langen Beinen" oder , .lange Insekten",
das ist klar und kurz.
Wenige Bücher haben mich mehr gepackt als Cadio
und ich teile Maximes Bewunderung durchaus.
Ich hätte Ihnen schon früher davon gesprochen,
wenn mir meine Mutter und meine Nichte nicht mein
Exemplar weggenommen hätten. Heute abend endlich
hat man es mir wiedergegeben; es liegt auf meinem
44
Tisch und ich blättere darin, während ich Ihnen
schreibe.
Zunächst habe ich das Gefühl, es muß so gewesen
sein! Man sieht es, mein ist mitten darin und man
glüht. Wieviele Menschen mögen dem Saint- Gueltas,
dem Grafen Sauvieres, der Rebekka ähnlich gewesen
sein! und sogar dem Henri, obwohl die Modelle für
ihn seltener sind. Was Cadios Persönlichkeit betrifft»
der mehr Erfindung ist als die andern, so liebe ich
an ihm besonders die tolle Wut. Darin liegt die lokale
Wahrheit des Charakters. Die Menschlichkeit in
Wut gewandelt, die Guillotine mystisch geworden,
das Dasein nur noch eine Art blutiger Traum, —
so muß es in solchen Köpfen aussehen. Ich finde eine
Szene shakespearisch : die des Abgeordneten der Natio-
nalversammlung mit seinen beiden Sekretären ist von
unerhörter Kraft. Man könnte weinen! Noch eine
andere Szene hat mich beim ersten Lesen stark er-
griffen, die Szene, wo Saint Gueltas und Henri beide
ihre Pistolen in der Tasche haben; und noch viele
andere.
Wie prachtvoll (ich schlage ganz zufällig auQ ist
Seite 161!
Müßte man in diesem Stück der legitimen Frau
des guten Saint-Gueltas nicht eine längere Rolle
geben? Das Drama kann nicht schwer zu überarbeiten
45
sein. Es handelt sich nur darum, es zu kondensieren
und zu kürzen. Wenn man es zur Aufführung bringt,
garantiere ich Ihnen einen Riesenerfolg. Aber die
Zensur?
JedenfcJls haben Sie ein meisterliches Buch ge-
schrieben, das außerdem sehr amüsant ist. Meine
Mutter behauptet, es erinnere sie an Geschichten, die
sie als Kind gehört hat.
Meine Mutter begibt sich in einigen Tagen nach
Dieppe zu ihrer Enkelin. Ich werde für einen guten
Teil des Sommers allein sein und nehme mir vor,
furchtbar zu schuften.
Ich arbeite viel und fürchte die Geselligkeit,
Nicht auf den Bällen wird die Zukunft uns bereitet.
(Camille Doucet.)
Aber mein ewiger Roman langweilt mich bisweilen
unglaublich Es fällt mir schwer, diese winzigen
Einzelheiten von der Stelle zu bringen. Warum
quält man sich auf einer so erbärmlichen Basis?
Ich wollte Ihnen sehr viel über Cadio schreiben;
aber es ist spät, und die Augen brennen mir.
Deshalb nur einen ganz schlichten Dank, mein
teurer Meister.
46
Croisset, Sonntag, 5. Juli 1868
Ich habe seit sechs Wochen furchtbar geschuftet-
Die Patrioten werden mir dies Buch nicht verzeihen,
und die Reaktionäre auch nicht. Um so schlimmer;
ich schreibe die Dinge, wie ich sie fühle, das heißt
wie ich glaube, daß sie sind. Ist das meinerseits eine
Dummheit? Aber mir scheint, daß unser Unglück
ausschließlich von den Leuten unserer Partei her-
rührt. Was ich an Christentum im Sozialismus finde,
ist ungeheuer. Nachstehend zwei kleine Notizen,
die auf meinem Tisch liegen.
,,Dies System (das seine) ist kein System der Ord-
nungslosigkeit, denn es hat seine Quelle im Evan-
gelium, und aus dieser göttlichen Quelle kann kein
Haß, können keine Kriege, kann keine Reibung aller
Interessen fließen, denn die vom Evangelium auf-
gestellte Lehre ist eine Lehre des Friedens, der Einig-
keit, der Liebe.** (L. Blanc.)
„Ich wage sogar zu behaupten, daß mit der Heili-
gung des Sonntags in der Seele unserer Verseschmiede
auch der letzte Funke des poetischen Feuers erloschen
ist. Es gibt ein altes Wort: Ohne Religion keine
Poesie.** (Proudhon.)
Was diesen Mann betrifft, so flehe ich Sie an, teurer
Meister, lesen Sie nach seinem Buch über die Heili-
gung des Sonntags eine Liebesgeschichte, die glaube
47
ich „Marie und Maxime** betitelt ist. Man muß sie
kennen, um einen Begriff vom Stil dieser Denker zu
haben. Das ist ein Gegenstück zu der Bretagnereise
des großen Veuillot, in „Hier und Dort". Was nicht
hindert, daß wir Freunde haben, die diese beiden
Herren sehr bewundern.
Wenn ich alt bin, werde ich zur Kritik übergehen;
das wird mich erleichtem, denn oft ersticke ich an
zurückgehaltenen Ansichten. Niemand versteht besser
als ich die Entrüstung des braven Boileau gegen den
schlechten Geschmack: „Die Dummheiten, die ich
in der Akademie hören muß, beschleunigen mein
Ende.** Das ist ein Mensch.
So oft ich jetzt die Ankerkette der Dampfer höre,
denke ich an Sie, und dies Geräusch reizt mich weniger,
wenn ich mir sage, daß Sie es lieben. War das ein
Mondschein heute nacht auf dem Flußl
Dieppe, Montag, . . . 1868
Ja gewiß, teurer Meister, ich war in Paris bei dieser
„krankhaften" Hitze, (wie Herr X. sagt, der Gouver-
neur des Schlosses in Versailles) und ich habe furcht-
bar geschwitzt. Ich bin zweimal in Fontainebleau
gewesen und habe mir das zweite Mal auf Ihren Rat
die Gruppen von Arbonne angesehen. Es ist so schön,
daß mir ganz schwindlig geworden ist.
48
Ich bin auch in Saint-Gratien gewesen. Jetzt bin
ich in Dieppe, und Mittwoch werde ich in Croisset
sein, um mich dann lange nicht mehr von der Stelle
zu rühren; ich muß den Roman weiterbringen.
Gestern habe ich Dumas gesehen; wir haben natür-
lich von Ihnen gesprochen, und da ich ihn morgen
wiedersehe, werden wir wieder von Ihnen sprechen.
Ich habe mich schlecht ausgedrückt, wenn ich
gesagt habe, mein Buch „lege den Patrioten alles
Unheil zur Last". Ich maße mir nicht das Recht an,
jemandem etwas zur Last zu legen. Ich glaube sogar
nicht, daß der Schriftsteller seine Meinung über
die Dinge dieser Welt ausdrücken darf. (Das ist
ein Teil meiner Dichtung und meiner selbst.) Ich
beschränke mich also darauf, die Dinge so darzustellen,
wie ich sie sehe, auszudrücken, was mir als das Wahre
erscheint. Die Folgen kann ich nicht abwenden.
Reiche oder Arme, Sieger oder Besiegte, ich lasse
nichts von all dem gelten. Ich will weder Liebe,
noch Haß, noch Mitleid, noch Zorn. Mit der Sympa-
thie ist es etwas anderes: davon kann man nie genug
haben. Die Reaktionäre werden übrigens noch
weniger geschont werden als die andern, denn sie
erscheinen mir schuldiger.
\ 49
Ist es nicht Zeit, die Gerechtigkeit in die Kunst
einzuführen? Die Unparteilichkeit der Schilderung
würde dann der Majestät des Gesetzes gleichkommen
— und der Exaktheit der Wissenschaft!
Da ich aber zu Ihrem großen Geist absolutes Ver-
trauen habe, werde ich Ihnen meinen dritten Teil
vorlesen, wenn er fertig ist, und falls in meiner Arbeit
irgend etwas ist, was Ihnen böse erscheint, so werde
ich es ausmerzen.
Aber ich bin von vornherein überzeugt, daß Sie
nichts einzuwenden haben werden.
Von Anspielungen auf Personen ist keine Spur
vorhanden.
Prinz Napoleon, den ich Donnerstag bei seiner
Schwester gesehen habe, hat mich nach Ihnen gefragt
und sagte mir eine Schmeichelei über Maurice.
Prinzessin Mathilde erklärte mir, sie fände Sie reizend,
weshalb ich sie noch ein wenig mehr liebe als bisher.
Wie können die Proben zu Cadio Sie hindern,
Ihren armen Alten in diesem Herbst zu besuchen?
Nicht möglich, nicht möglich 1 Ich kenne Freville.
Es ist ein ausgezeichneter und sehr belesener Mann.
50
Croisset, Mittwoch abend, g. September 1868
Ist das ein Benehmen, teurer Meister? Fast zwei
Monate haben Sie Ihrem alten Troubadour nicht
geschrieben. Sind Sie in Paris, in Nohant, oder
wo sonst?
Man sagt, Gidio werde gegenwärtig in der Porte
Saint Martin einstudiert. (Sie und Chilly haben sich
also überworfen?) Man sagt, die Thuillier werde
in Ihrer Arbeit zuerst wiederauftreten, und ich dachte,
sie läge im Sterben, die Thuillier, nicht Ihre Arbeit.
Und wann wird man denn den Cadio spielen? Sind
Sie zufrieden? Usw. usw.
Ich lebe vollkommen wie eine Auster. Mein Roman
ist der Fels, an den ich mich anklammere, und ich
weiß nichts von dem, was in der Welt vorgeht.
Ich lese sogar nicht mehr die Laterne, oder vielmehr
habe sie nicht gelesen. Rochefort langweilt mich,
unter uns gesagt. Es gehört Mut dazu, wenn man
schüchtern zu sagen wagt, er sei vielleicht doch nicht
der erste Schriftsteller des Jahrhunderts. 0 Barbaren!
o Barbaren! wie Voltaire seufzen (oder brüllen)
würde.
Und Sainte-Beuve? Sehen Sie ihn? Ich für mein
Teil arbeite rasend. Ich habe soeben eine Schilderung
des Waldes von Fontainebleau geschrieben, die mir
Lust gemacht hat, mich an einem seiner Bäume aufzu-
<• 51
hängen. Da ich mich drei Wochen lang unterbrochen
hatte, ist es mir entsetzlich schwer gefallen, wieder
in Zug zu kommen. Ich bin vom Gelichter der Ka-
mele, die man rieht anhalten kann, wenn sie laufen
und nicht von der Stelle bringt, wenn sie rasten. Ich
habe noch ein Jahr zu tun. Worauf ich dann die Spieß-
bürger endgültig verabschiede. Es ist zu schwierig
und im ganzen zu häßlich. Es wäre Zeit, etwas
Schönes zu schreiben, was mir gefällt.
Es wäre mir im Augenblick sehr angenehm, Sie
zu umarmen. Wann wird das sein? Bis dahin tausend
herzliche Grüße!
... 1868
Das wundert Sie, teurer Meister? Nun, mich nicht I
Ich hatte es Ihnen ja gesagt, aber Sie wollten mir
nicht glauben.
Ich beklage Sie. Denn es ist traurig, die Menschen,
die man liebt, sich verändern zu sehen. Dies Ver-
drängtwerden einer Seele durch eine andere in einem
Körper, der dem, was er war, identisch bleibt, ist ein
herzzerreißendes Schauspiel. Man fühlt sich ver-
raten! Ich habe das durchgemacht, und mehr als
einmal.
Aber was für einen Begriff haben Sie denn von
Frauen, Sie, die Sic vom dritten Geschlecht sind?
52
Sind sie nicht, wie Proudhon gesagt hat, „die Ver-
zweiflung des Gerechten**? Seit wann können sie
auf Hirngespinste verzichten? Nach der Liebe die
Frömmigkeit; das ist ganz in Ordnung. Dorine hat
keine Männer mehr, sie nimmt den lieben Gott. Das
ist alles.
Die Menschen sind selten, die das Übernatürliche
nicht nötig haben. Die Philosophie wird immer
Sache der Aristokraten sein. Man mag das mensch-
liche Vieh noch so gut mästen, ihm Streu bis unter
den Bauch geben und sogar seinen Stall vergolden,
es wird Tier bleiben, was man auch sagen mag. Der
ganze Fortschritt, den man erhoffen kann, ist, das
Tier etwas weniger böse zu machen. Aber in bezug
auf die Veredelung der Ideen der Masse, auf die
Möglichkeit, ihr eine größere und damit weniger
menschliche Auffassung von Gott zu geben, bin ich
skeptisch, sehr skeptisch.
Ich lese jetzt ein ehrliches Ding von einem Buch
(geschrieben von einem meiner Freunde, einem Be-
amten) über die Revolution im Eure-Departement.
Es ist voll von Artikeln, die die Bürger jener Zeit
geschrieben haben, einfache Privatleute in kleinen
Städten. Nun, ich versichere Ihnen, es gibt heute
wenige von gleicher Kraft! Sie waren gebildet und
53
wacker, voll gesundem Menschenverstand, voller
Ideen und Großmut!
Der Neokatholizismus einerseits und der Sozialismus
anderseits haben Frankreich verdummt. Alles dreht
sich um die unbefleckte Empfängnis und die
Arbeiterschüsseln .
Ich sagte Ihnen schon, daß ich in meinem Schmöker
den Demokraten nicht schmeichle! Aber ich stehe
Ihnen dafür, daß auch die Konservativen nicht ge-
schont werden. Ich schreibe jetzt drei Seiten über die
Greueltaten der Nationalgarde im Juni 48, die mich
bei den Bürgern sehr in Ansehen bringen werden. Ich
schlage ihnen in ihrer Schändlichkeit, so gut ich kann,
die Nase ein.
Bei all dem erzählen Sie mir nichts Genaues über
Cadio. Welches sind die Schauspieler usw.?
Ich mißtraue Ihrem Roman über das Theater.
Sie lieben diese Leute zu sehr! Haben Sie viele ge-
kannt, die ihre Kunst lieben? Künstler sind nur
verirrte Bürger!
Wir werden uns also spätestens in drei Wochen
sehen. Ich freue mich sehr darauf und umarme Sie.
Und die Zensur? Ich hoffe sehr für Sie, daß sie
Dummheiten machen wird. Abgesehen davon würde
es mich betrüben, wenn sie ihrer Gewohnheit untreu
würde.
54
Haben Sie in der Zeitung den Ausspruch gelesen:
„Victor Hugo und Rochefort, die größten Schrift-
steller der Zeit!" Wenn Badinguet sich jetzt nicht
gerächt fühlt, so liegt es daran, daß er in Punkto
Martern schwer zu befriedigen ist.
Dienstag, 1868
Teurer Meister!
Sie können sich nicht vorstellen, welchen Kummer
Sie mir bereiten. Obwohl ich große Lust habe,
antworte ich „nein". Aber mich zerreißt das Ver-
langen, ja zu sagen. Das gibt mir das Ansehn eines
Herrn, der sich durch nichts stören läßt, was sehr
lächerlich ist. Aber ich kenne mich : wenn ich zu
Ihnen nach Nohant ginge, würde ich nachher einen
Monat lang von meiner Reise zu träumen haben.
WirkHche Bilder würden in meinem armen Hirn
die erdichteten Bilder verdrängen, die ich mühselig
aufbaue. Mein ganzes Kartenhaus würde zusammen-
stürzen.
Vor drei Wochen habe ich für die Dummheit, eine
Dinereinladung in der Nachbarschaft anzunehmen,
vier Tage verloren (sie!). Was sollte werden, wenn
ich aus Nohant zurückkäme? Sie verstehen das
nicht, Sie starkes Wesen!
55
Mir scheint, man grollt seinem alten Troubadour
ein wenig (ich bitte tausendmal um Verzeihung,
wenn ich mich täusche), weil er nicht zur Taufe der
beiden Engelchen von Freund Maurice gekommen
ist? Der teure Meister muß mir schreiben, ob ich
unrecht habe, und um mir Nachricht von sich zu
geben.
Lassen Sie sich von mir erzählen : Ich arbeite maß-
los und bin im Grunde froh über die Aussicht auf das
Ende, das sich zu zeigen beginnt.
Damit es schneller kommt, habe ich den Entschluß
gefaßt, den ganzen Winter über hier zu bleiben,
wahrscheinlich bis Ende März. Angenommen, daß
alles gut geht, werde ich das Ganze doch nicht vor
Ende Mai fertig haben. Ich weiß nicht, was passiert,
und ich lese nichts, außer etwas französischer Revo-
lution nach den Mahlzeiten, um zu verdauen. Ich
bin der guten Gewohnheit, die ich früher hatte, alle
Tage Latein zu lesen, untreu geworden. Daher kann
ich kein Wort mehr! Ich werde mich wieder dem
Schönen widmen, wenn ich erst von meinen ver-
haßten Bürgern befreit bin, und ich werde sobald
nicht wieder mit ihnen anfangen.
Meine einzige Störung besteht darin, daß ich jeden
Sonntag in Rouen bei meiner Mutter zu Tisch bin.
56
Ich fahre um sechs Uhr ab und bin um zehn Uhr
wieder hier. Das ist mein Dasein.
Habe ich Ihnen gesagt, daß ich Turgenjeff hier
gehabt habe? Wie würden Sie ihn lieben!
Sainte-Beuve hält sich aufrecht. Übrigens werde
ich ihn nächste Woche sehen, denn ich werde auf
zwei Tage in Paris sein, um mir dort Auskünfte zu
holen, die ich brauche. Auskünfte worüber? Über
die Nationalgarde!!!
Eins müssen Sie hören : der Figaro, der nicht weiß,
womit er seine Spalten füllen soll, ist auf den Einfall
gekommen, zu erzählen, mein Roman behandle das
Leben des Kanzlers Pasquier! Daraufhin Angst
besagter Familie; sie hat an einen andern in Rouen
wohnhaften Zweig der Familie geschrieben. Diese
hat sich einen Advokaten genommen, der meinem
Bruder einen Besuch gemacht hat, damit . . . Kurz,
ich bin blöd genug gewesen, mir die „Gelegenheit
nicht zunutze zu machen". Das ist herrlich als Dumm-
heit, nicht wahr?
Samstag abend, . . . 1868
Ich habe Gewissensbisse, weil ich so lange auf Ihren
letzten Brief nicht geantwortet habe, mein teurer
Meister. Sie sprachen mir von , Ärgernissen", die
man Ihnen bereitet habe. Glauben Sie. daß ich das
57
nicht wußte? Ich will Ihnen sogar (unter uns) ge-
stehen, daß ich in Ihrem Namen gekränkt gewesen
bin, mehr noch in meinem guten Geschmack als in
meiner Liebe zu Ihnen. Ich habe mehrere Ihrer
Intimen nicht warm genug gefunden. „Mein Gott,
mein Gott, wie sind diese Schriftsteller dumm!"
Bruchstück aus der Korrespondenz Napoleons I.
Das ist ein reizender Ausspruch, nicht wahr? Haben
Sie nicht den Eindruck, daß man ihn zu sehr ver-
leumdet?
Die unendliche Stupidität der Massen macht mich
nachsichtig gegen die Individualitäten, so widerwärtig
sie auch sein mögen. Ich habe soeben die ersten
sechs Bände von Buchez und Roux verschlungen.
Der Effekt ist ein ungeheurer Widerwille gegen die
Franzosen. Herr des Himmels! wie albern ist man
zu allen Zeiten in unserm schönen Vaterlande ge-
wesen! Kein liberaler Gedanke, der nicht unpopulär
gewesen ist, keine gerechte Sache, die nicht Ärgernis
erregt hätte, kein großer Mann, der nicht mit faulen
Äpfeln beworfen oder mit Messerstichen traktiert
worden wäre!! „Geschichte des menschlichen Geistes,
Geschichte der menschlichen Dummheit!" wie Vol-
taire sagt.
Und ich überzeuge mich immer mehr von der
einen Wahrheit: die Doktrin der Gnade hat uns so
58
völlig durdidningen, daß der Sinn für Gerechtigkeit
verloren gegangen ist. Was mich in der Geschichte
des Jahres 48 erschreckt, hat seinen ganz natürlichen
Ursprung in der Revolution, die sich, was man auch
sage, nicht vom Mittelalter. frei gemacht hat. Ich habe
in Marat ganze Bruchstücke von Proudhon (sie!)
wiedergefunden, und ich wette, daß man sie auch in
den Rednern der Liga wiederfinden würde.
Welche Maßnahmen brachten die Fortgeschritten-
sten nach Varennes in Vorschlag? Die Diktatur und
die Militärdiktatur. Man schließt die Kirchen, aber
man errichtet Tempel usw.
Ich kann Ihnen sagen, daß ich von der Revolution
blödsinnig werde. Dieser Abgrund wird mich ver-
schlingen.
Aber ich arbeite an meinem Roman wie mehrere
Ochsen. Ich hoffe, ich werde Neujahr nur noch
hundert Seiten zu schreiben haben, das heißt noch
sechs gute Arbeitsmonate. Ich werde so spät wie
möglich nach Paris gehen. Mein Winter wird in voll-
ständiger Einsamkeit verfließen, ein gutes Mittel,
um das Leben schnell entschwinden zu lassen.
Silvesternacht, i Uhr, i86g
Warum sollte ich nicht das Jahr 1869 damit beginnen,
Ihnen und den Ihren „eine Reihe von guten und
59
glücklichen Jahren** zu wünschen. Das ist Rokoko,
aber es gefällt mir. Jetzt wollen wir plaudern.
Nein, „ich verbrenne mir nicht das Blut", denn
ich bin nie gesünder gewesen. Man hat mich in
Paris „frisch wie ein junges Mädchen" gefunden,
und die Leute, die meine Lebensgeschichte nicht
kennen, haben dies gesunde Aussehen der Landluft
zugeschrieben. Das sind übernommene Begriffe.
Jeder hat seine Hygiene. Das einzige, was ich, wenn
ich keinen Hunger habe, essen kann, ist trocknes
Brot. Und die unverdaulichsten Speisen, wie zum
Beispiel unreife Apfel und Speck, helfen mir gegen
einen verdorbenen Magen. So in allem. EÜn Mensch,
der keinen gesunden Menschenverstand hat, kann
nicht nach den Regeln des gesunden Menschen-
verstandes leben.
Was meine Arbeitswut betrifft, möchte ich sie
einer Flechte vergleichen. Ich kratze mich weinend.
Es ist Lust und Marter zugleich. Und ich tue nichts
von dem, was ich tun möchte. Denn man wählt seine
Stoffe nicht, sie drängen sich einem auf. Werde ich
je meinen Stoff finden? Wird mir eine Idee vom
Himmel fallen, die in vollkommenem Einklang mit
meinem Temperament steht? Werde ich ein Buch
schreiben können, in dem ich mich ganz gebe? In
meinen eitlen Momenten habe ich das Gefühl, daß
60
ich zu ahnen beginne, was ein Roman sein muß.
Aber vor jenem (der übrigens noch sehr undeutlich
ist) habe ich noch drei oder vier andere zu schreiben,
und bei dem Tempo, das ich habe, werde ich höchstens
noch diese drei oder vier schreiben. Ich bin wie
Prudhomme, der findet, daß die schönste Kirche die
sein würde, die den Turm des Straßburger Mün-
sters, die Säulen der Peterskirche, den Portikus des
Parthenons usw. vereinigte. Ich habe widersprechende
Ideale. Daraus entspringen Verlegenheiten, Hem-
mungen, Unfähigkeit.
„Die Klausur, zu der ich mich verdamme, sei ein
Zustand der Wonne", nein. Aber was tun? Sich in
Tinte berauschen ist besser, als sich in Schnaps be-
rauschen. Die Muse, so herb sie auch ist, schafft
weniger Kümmernisse als die Frau. Ich kann die
beiden nicht in Einklang bringen. Man muß wählen.
Meine Wahl ist getroffen und seit langem. Bleibt
die Geschichte mit den Sinnen. Sie sind stets meine
Diener gewesen. Selbst in der Zeit meiner grünsten
Jugend habe ich mit ihnen absolut das getan, was
ich wollte. Ich bin den Fünfzig nahe und habe nicht
eben unter ihrem Ungestüm zu leiden.
Diese Lebensweise ist nicht amüsant, das gebe ich
zu. Man hat Augenblicke der Leere und furchtbarer
Langeweile. Aber sie werden immer seltener, je älter
61
man wird. Jedenfalls erscheint mir leben als ein Be-
ruf, für den ich nicht geschaffen bin, — und dennoch.
Ich bin drei Tage in Paris geblieben und habe sie
zu Studien und Laufereien für meinen Schmöker
benutzt. Ich war am letzten Freitag so erschöpft,
daß ich um sieben Uhr abends zu Bett gegangen bin.
Das sind meine tollen Orgien in der Hauptstadt.
Ich fand die Goncourts voll wahnsinniger Bewunde-
rung (sie!) eines Werkes, das den Titel führt:
„Geschichte meines Lebens**, von George Sand.
Was von ihrer Seite mehr guten Geschmack als
Belesenheit beweist. Sie wollten Ihnen sogar schrei-
ben, um Ihnen ihre ganze Bewunderung auszu-
drücken. Dagegen habe ich *** stupid gefunden.
Er vergleicht Feydeau mit Chateaubriand, bewundert
den Aussätzigen von Aosta sehr, findet den Don
Quixote langweilig usw.
Erkennen Sie, wie selten das literarische Gefühl
ist? Die Kenntnis der Sprachen, die Archäologie.
die Geschichte usw., das alles müßte doch helfen
Aber nein! Die angeblich aufgeklärten Leute werden
in Kunstdingen immer unfähiger. Was Kunst ist.
entgeht ihnen. Die Anmerkungen sind für sie wich
tiger als der Text. Sie legen mehr Wert auf die
Krücken als auf die Beine.
62
Donnerstag abend, . . . i86g
Wissen Sie, teurer Meister, daß es sehr hübsch (ür
uns beide ist, daß wir uns gleichzeitig während der
Silvesternacht geschrieben haben? Es ist entschieden
ein starker Zusammenhang.
Ich sehe niemanden, ich weiß nichts, ich lebe wie
ein ausgestopfter Bär. In der letzten Woche bin ich
aber in Rouen gewesen, in der Präfektur! Jawohl I
um den Heiratskontrakt der Tochter des Präfekten
mit zu unterschreiben. Meine Landsleute haben
riesenhafte Perücken und ich habe mich sehr amüsiert.
Warum fühlt man das Komische nicht, wenn man
jung ist?
Ich habe Ihren Brief natürlich sofort den Gon-
courts geschickt. Ich versichere Ihnen (von neuem),
daß sie sehr reizend sind, und es gibt soviele Lumpen I
Wissen Sie Näheres über den Fall Sainte-Beuve?
Ich nicht. Hat er endgültig das Kaiserreich auf-
gegeben? Er hat sich also von dem Reich des Zorns
überwältigen lassen? Verzeihung!
Dienstag nacht, . . . i86g
Was ich dazu sage, teurer Meister! Ob man die
Empfindsamkeit der Kinder anspornen oder unter-
drücken soll? Mir scheint, daß man darüber keine
vorgefaßte Meinung haben darf. Es muß sich danach
63
richten, ob sie dem Zuviel oder dem Zuwenig zu-
neigen. Den Kern kann man doch nicht ändern.
Es gibt zärtliche Naturen und trockene Naturen,
unabänderlich. Und daher können die gleichen Ein-
drücke, die gleiche Erziehung entgegengesetzte Wir-
kungen hervorrufen. Nichts hätte mich mehr abhärten
müssen, als der Umstand, daß ich in einem Kranken-
haus aufgewachsen bin und als Kind in einem Sezier-
saal gespielt habe. Niemand ist aber mitfühlender
als ich in bezug auf körperliche Schmerzen. Aller-
dings bin ich der Sohn eines Mannes, der außer-
ordentlich menschlich war, sensibel im guten Sinne
des Worts. Der Anblick eines leidenden Hundes
feuchtete ihm die Lider. Deswegen führte er seine
chirurgischen Operationen nicht weniger gut aus,
und er hat etliche furchtbare dazu erfunden.
„Den Kindern nur das Schöne und Gute vom Leben
zeigen bis zu dem Augenblick, da der Verstand ihnen
helfen kann, das Schlechte hinzunehmen oder zu
bekämpfen.'* Das ist nicht meine Ansicht. Denn es
muß dann in ihren Herzen etwas Furchtbares vor sich
gehen, eine unendliche Entzauberung. Und wie
sollte der Verstand sich bilden können, wenn er nicht
dazu verwendet wird (oder wenn man ihn nicht täglich
dazu verwendet), das Gute vom Schlechten zu unter-
scheiden? Das Leben muß eine unaufhörliche Er-
64
Ziehung sein, man muß alles lernen, vom Sprechen
bis zum Sterben.
Sie sagen sehr richtige Dinge über die Unwissen-
heit der Kinder. Wer deutlich in diesen kleinen
Gehirnen lesen könnte, würde darin die Wurzeln
menschlichen Wesens finden, den Ursprung der
Götter, die Kraft, die später die Taten veranlaßt
usw. Ein Neger, der mit seinem Götzen, und ein
Kind, das mit seiner Puppe spricht, erscheinen mir
sehr nahe verwandt.
Das Kind und der Barbar (der primitive) unter-
scheiden das Wirkliche nicht vom Phantastischen.
Ich erinnere mich sehr deutlich, daß ich mit fünf
oder sechs Jahren „mein Herz" einem kleinen Mäd-
chen „schicken** wollte, in das ich verliebt war (ich
sage mein materielles Herz). Ich sah es in Heu ver-
packt, in einem Korb, einem Austernkorb.
Aber niemand ist in diesen Analysen so weit ge-
kommen wie Sie. In der ,, Geschichte meines Lebens'*
sind Stellen darüber, die von ungeheurer Tiefe sind.
Was ich sage, ist wahr, da die Ihnen fernsten Geister
darüber in Staunen geraten sind. Beweis die Gon-
courts.
Der gute Turgenjeff wird Ende März in Paris sein.
Entzückend wäre, wenn wir drei zusammen speisen
könnten.
' 65
Ich denke wieder an Sainte-Beuve. Zweifellos
kann man mit einer Rente von dreißigtausend Franken
auskommen. Aber es gibt noch etwas Leichteres:
nämlich, wenn man diese Rente hat, nicht jede Woche
in den Zeitschriften zu schwatzen. Warum schreibt
er keine Bücher, da er reich ist und Talent hat?
Ich lese augenblicklich den Don Quixote noch
einmal. Welch ein ungeheures Buch! Gibt es ein
schöneres?
Croisset, Dienstag, den 2. Februar i86g
Mein teurer Meister!
Sie sehen in Ihrem alten Troubadour einen tod-
müden Menschen. Ich bin acht Tage in Paris gewesen,
auf der Suche nach langweiligen Einzelheiten (sieben
bis neun Stunden Wagenfahrt alle Tage, was ein gutes
Mittel ist, mit der Literatur Geld zu verdienen)
Basta!
Ich überlege soeben mein Programm. Was ich
noch zu schreiben habe, ist mir lästig oder vielmehr
ekelt mich an bis zum Erbrechen. So ist es immer,
wenn ich mich wieder an die Arbeit mache. Dann
langweile ich mich, langweile ich mich, langweile ich
mich. Aber diesmal ist es schlimmer als sonst! Des-
halb fürchte ich die Unterbrechungen im Schuften
so. Ich konnte es aber nicht anders machen. Ich habe
66
mich in die Pompes fun^bres geschleppt, auf den
Pere Lachaise, in das Tal von Montmorency, durch
Läden mit religiösen Gegenständen usw.
Kurz, ich habe noch vier oder fünf Monate zu tun.
Welch ein erlöstes „Uff** werde ich ausstoßen, wenn
es fertig ist, und ich werde mich nicht noch einmal
mit den Bürgern abgeben! Es ist Zeit, daß ich mich
amüsiere.
Ich habe Sainte-Beuve und die Prinzessin
Mathilde gesehen und kenne die Geschichte ihres
Bruches, der mir unwiderruflich erscheint, gründlich.
Sainte-Beuve ist auf Dalloz wütend gewesen und ist
zum Temps gegangen. Die Prinzessin hat ihn an-
gefleht, es nicht zu tun. Er hat nicht auf sie gehört.
Das ist das ganze. Mein Urteil darüber, wenn Sie es
gern vrissen wollen, ist dieses: das erste Unrecht
war auf Seite der Prinzessin, die heftig gewesen ist;
aber das zweite und schwerere liegt bei dem alten
Beuve, der sich nicht als galanter Mann benommen
hat. Wenn man einen so guten Kerl zum Freund
hat, und dieser Freund einem eine Rente von
dreißigtausend Franken gewährt, schuldet man ihm
Rücksichten. Ich habe das Gefühl, ich hätte an
Sainte-Beuves Stelle gesagt: „Das mißfällt Ihnen,
sprechen wir nicht mehr darüber!" Er hat es an
Manieren und Haltung fehlen lassen. Was mich,
67
unter uns, ein wenig angewidert hat, ist das Loblied,
das er mir gegenüber auf den Kaiser gesungen hat.
Jawohl, mir gegenüber das Lob Badinguets! —
Und wir waren allein!
Die Prinzessin hat von Anfang an die Sache zu
ernst genommen. Ich habe es ihr geschrieben und
habe Sainte-Beuve recht gegeben, der, davon bin
ich überzeugt, mich sehr kühl gefunden hat. Darauf-
hin, um sich mir gegenüber zu rechtfertigen, hat er
mir diese isidorianischen Liebesbeteuerungen ge-
macht, die mich etwas gedemütigt haben; denn es
hieß mich für einen offenbaren Schafskopf halten.
Ich glaube, daß er sich auf einen Tod k la Beranger
vorbereitet und daß die Popularität Hugos ihn eifer-
süchtig macht. Warum in den Zeitungen schreiben,
wenn man Bücher schreiben kann und nicht Hungers
stirbt? Er ist alles andere als ein Weiser; er ist nicht
wie Sie!
Ihre Kraft bezaubert und verblüfft mich. Ich
meine die Kraft der ganzen Person, nicht nur die des
Gehirns.
Sie sprechen in Ihrem letzten Brief von der Kritik
und sagen, daß sie demnächst erlöschen wird. Ich
glaube im Gegenteil, daß sie höchstens im Erwachen
ist. Man tut das Gegenteil von dem, was die frühere
getan hat, aber nicht mehr. Zur Zeit La Harpes war
68
man Grammatiker, zur Zeit Sainte-Beuves und Taines
ist man Historiker. Wann wird man Künstler sein,
nur Künstler, aber wirklich Künstler? Wo kennen
Sie eine Kritik, die sich mit dem Werk an sich be-
schäftigt, in intensiver Art? Man analysiert sehr
scharfsinnig das Milieu, in dem es entstanden ist
und die Ursachen, die es herbeigeführt haben; aber
die unbewußte Dichtung? Woraus sie entspringt?
Ihre Komposition, ihren Stil, den Standpunkt des
Verfassers ? Nirgends I
Für diese Kritik wäre eine starke Phantasie und eine
große Güte erforderlich, ich meine eine stets bereite
Begeisterungsfähigkeit, und außerdem Geschmack,
eine seltene Eigenschaft, selbst in den Besten, so
selten, daß man überhaupt nicht mehr davon spricht.
Was mich täglich empört, ist, mitanzusehen, wie ein
Meisterwerk und eine Scheußlichkeit auf eine Stufe
gestellt werden. Man regt die Kleinen auf und er-
niedrigt die Großen, nichts ist dummer und un-
moralischer.
Auf dem Pere Lachaise bin ich von einem tiefen
und schmerzlichen Widerwillen vor der Menschheit
erfaßt worden. Wir machen uns keine Vorstellung
von dem Fetischismus der Gräber. Der echte Pariser
ist ein größerer Götzendiener als der Neger. Ich hätte
mich am liebsten in eins der Gräber hineingelegt.
69
Und die vorgescKrittenen Leute glauben, daß es
nichts besseres zu tun gibt als Robespierre rehabili-
tieren. Man sehe das Buch Hamels.
Wann wird man sich sehen? Ich gedenke von
Ostern bis Ende Mai in Paris zu sein. In diesem
Sommer werde ich Sie in Nohant besuchen. Ich
schwöre es.
. . . i86g
Meine Prophezeiung hat sich bewahrheitet, mein
Freund X. hat bei seiner Kandidatur nur Gelächter
geemtet. Das ist wohl getan. Wenn ein Mensch
von Stil sich zur Aktion erniedrigt, sinkt er und muß
bestraft werden. Und außerdem, handelt es sich jetzt
um Politik? Die Bürger, die sich für oder gegen
Kaiserreich oder Republik erregen, erscheinen mir
ebenso nützlich wie diejenigen, die über die wirkende
Gnade diskutierten. Die Politik ist tot wie die Theolo-
gie. Sie hat drei Jahrhunderte lang gelebt, das ist
doch genug.
Ich bin gegenwärtig in die Kirchenväter versunken .
An meinen Roman „Die Schule der Empfindsamkeit '
denke ich nicht mehr. Gott sei Dank. Er ist ab-
geschrieben. Andere Hände haben ihn berührt.
Also ist er nicht mehr mein. Er existiert nicht mehr,
gute Nacht. Ich habe meine alte Idee des Heiligen
70
Antonius wieder aufgenommen. Ich habe meine
Aufzeichnungen durchgelesen, mache einen
neuen Plan und zerreiße die kirchlichen Memoiren
Nain de Tillemonts. Ich hoffe zwischen den ver-
schiedenen Halluzinationen des Heiligen ein logisches
Band (und damit ein dramatisches Interesse) finden
zu können. Dieses außergewöhnliche Milieu gefällt
mir und ich stürze mich hinein.
Um meinen armen Bouilhet sorge ich mich. Er ist in
so nervöser Verfassung, daß man ihm geraten hat, eine
kleine Reise in den Süden Frankreichs zu machen.
Er ist von einer unbesieglichen Hypochondrie be-
fallen. Wie sonderbar! er, der früher so fröhlich
war!
Mein Gott, wie schön und lustig war das Leben
der Anachoreten. Aber sie waren zweifellos alle
Buddhisten. Hier liegt ein Problem, das zum Be-
arbeiten lockt, und seine Lösung wäre v^chtiger
als die Wahl eines Akademikers. Ol Männer von
wenig Glauben! Es lebe der heilige Polycarp!
Fangeat, der jetzt in diesen Tagen wiederauf-
getaucht ist, ist der Bürger, der am 25. Februar 1848
den Tod Louis Philippes „ohne Verhör" verlangt
hat. Auf diese Weise dient man der Sache des Fort-
schritts.
71
. . . i86g
Wie gut und reizend war Ihr Brief, angebeteter
Meister! Es gibt also nur noch Sie, mein Ehrenwort!
Ich sterbe mit diesem Glauben. Ein Wind der Dumm-
heit und Torheit weht jetzt auf der Welt. Die fest
und aufrecht stehen bleiben, sind selten.
Das habe ich damit sagen wollen, als ich schrieb,
die Zeit der Politik sei vorbei. Im achtzehnten Jahr-
hundert war die Diplomatie die Hauptsache. Das
Geheimnis der Kabinette existierte tatsächlich. Die
Völker ließen sich noch genügend leiten, so daß man
sie trennen" und verschmelzen konnte. Diese Ordnung
der Dinge scheint mit 1 81 5 ihr letztes Wort gesprochen
zu haben. Seit der Zeit hat man kaum etwas anderes
getan, als über die äußere Form diskutiert, die man dem
phantastischen und v^derwärtigen Wesen, Staat
genannt, am passendsten geben könne.
Die Erfahrung lehrt (scheint mir), daß keine Form das
Gute an sich ist. Orleanismus, Republik, Kaiserreich
sagen einem nichts mehr, da ja die widersprechendsten
Ideen in jedem dieser Fächer liegen können. Alle
Fahnen sind so mit Blut und M . . . besudelt worden,
daß es Zeit ist, überhaupt keine mehr zu haben.
Nieder mit den Worten! Keine Symbole und keine
Fetische mehr! Die große Moral der jetzigen Regie-
rung wird sein, zu beweisen, daß das allgemeine
72
Wahlrecht ebenso dumm ist wie das göttliche Recht,
wenn auch etwas weniger widerlich!
Die Frage ist also deplaziert. Es handelt sich nicht
mehr darum, die beste Form der Regierung zu er-
sinnen, da ja alle gleich viel taugen, sondern die
Wissenschaft zur Vorherrschaft zu bringen. Das ist
das Nötigste. Das übrige wird sich natumotwendig
daraus ergeben. Die rein intellektuellen Menschen
haben der menschlichen Rasse größere Dienste ge-
leistet als alle Saint Vincent de Pauls der Welt ! Und
die Politik wird ewig eine Bagatelle sein, wenn sie nicht
eine Unterabteilung der Gesamtakademie wird, und
zwar die letzte von allen.
Bevor Sie sich mit Hilfskassen und sogar mit Land-
wirtschaft beschäftigen, schicken Sie in alle Dörfer
Frankreichs Robert Houdins, um Wunder zu tun!
Das größte Verbrechen Isidores ist der Schmutz,
in dem er unser schönes Vaterland liegen läßt. Dixi!
Ich bewundere die Tätigkeit Maurices und sein
so gesundes Leben. Aber ich bin nicht imstande, es
ihm nachzumachen. Die Natur greift mich an, statt
mich zu kräftigen. Wenn ich mich ins Gras lege,
habe ich das Gefühl, als wenn ich schon unter der
Erde bin und die Wurzeln des Salats in meinem Bauch
zu sprießen beginnen. Ihr Troubadour ist ein von
Natur ungesunder Mensch. Ich liebe das Land nur
73
auf Reisen, weil dann die Unabhängigkeit meines
Individuums mich über das Bewußtsein meines
Nichts hinausträgt.
... i86g
Lieber, guter, angebeteter Meister!
Ich will Ihnen seit mehreren Tagen einen langen Brief
schreiben, in welchem ich Ihnen alles sagen wollte,
was ich seit einem Monat empfunden habe. Es ist
komisch. Ich habe seltsame und wunderliche Zu-
stände durchgemacht. Aber ich habe nicht die Zeit
und die Geistesruhe, mich genügend zu sammeln.
Machen Sie sich keine Sorgen um Ihren Trouba-
dour. Er wird stets „seine Unabhängigkeit und seine
Freiheit*' haben, weil er leben wird, wie er stets
gelebt hat. Er hat lieber alles fahren lassen, als sich
irgendeiner Verpflichtung zu unterwerfen, und dann
werden mit dem Alter auch die Bedürfnisse kleiner.
Ich leide nicht mehr darunter, nicht in der Alhambra
zu leben.
Was mir jetzt gut täte, wäre, mich wütend in den
Heiligen Antonius zu stürzen, aber ich habe nicht
einmal die Zeit zu lesen.
Hören Sie zu: Ihr Stück sollte ursprünglich nach
Aisse gespielt werden, dann ist verabredet worden,
daß es vorher aufgeführt wird. Jetzt wollen Chilly
74
und Duquesnel aber, daß es hinterher aufgeführt
wird, einzig aus dem Grunde, um „die Konjunktur
auszunutzen", um aus dem Tode meines armen
Bouilhet Nutzen zu ziehen. Man wird Ihnen „irgend
eine Entschädigung" geben. Ich aber, der ich Besitzer
und Herr der Aisse bin, als wenn ich ihr Verfasser
wäre, will das nicht. Ich will nicht, verstehen Sie,
daß Sie irgend welche Opfer bringen.
Sie meinen, daß ich .sanft wie ein Schaf bin? Er-
kennen Sie Ihren Irrtum und tun Sie ganz, als wenn
Aisse überhaupt nicht existierte, und vor allem kein
Zartgefühl, nein? Das würde mich beleidigen. Unter
einfachen Freunden schuldet man sich Rücksichten
und Höflichkeiten, aber zwischen Ihnen und mir
würde mir das wenig passend erscheinen; wir sind
ans nichts schuldig als Liebe.
Ich glaube, daß die Direktoren des Odeon Bouilhet
in jeder Weise vermissen werden. Ich werde bei
den Proben weniger bequem sein als er. Ich möchte
Ihnen Aisse wohl vorlesen, damit wir ein wenig dar-
über plaudern könnten; einige der Schauspieler,
die man vorschlägt, sind nach meiner Meinung un-
möglich. Es ist hart, mit Analphabeten zu tun zu
haben.
75
... iSÖQ
Nein, teurer Meister! Ich bin nicht krank, aber ich
war durch meinen Fortzug aus Paris und meine
Wiedereinrichtung in Croisset in Anspruch genommen.
Dann ist meine Mutter sehr leidend gewesen. Es geht
ihr jetzt wieder gut; außerdem habe ich den Nachlaß
meines armen Bouilhet entwirren müssen und habe
den Nekrolog zu schreiben begonnen. Ich habe in
dieser Woche fast sechs Seiten geschrieben, was für
mich recht schön ist; diese Arbeit ist mir in jeder
Weise peinlich. Die Schwierigkeit ist, zu wissen,
was man nicht sagen soll. Ich werde mich etwas
schadlos halten, indem ich zwei oder drei Dogmen
über die Kunst des Schreibens einstreue. Das wird
mir Gelegenheit geben, auszudrücken, was ich denke;
eine wunderschöne Sache, die ich mir immer versagt
habe.
Sie sagen mir auch sehr schöne und gute Dinge,
um mir meinen Mut wiederzugeben. Ich habe wenig
Mut, aber ich tue, als hätte ich welchen, was vielleicht
auf eins herauskommt.
Ich fühle nicht mehr das Bedürfnis zu schreiben,
weil ich eigentlich für ein einziges Wesen schrieb,
das nicht mehr ist. Das ist Tatsache! Und dennoch
werde ich weiterschreiben. Aber die Freude ist nicht
mehr da, die Begeisterung ist fort. Es gibt so wenige
76
Menschen, die lieben, was ich liebe, die sich um das
kümmern, was mich beschäftigt. Kennen Sie in Paris,
das so groß ist, ein einziges Haus, wo man von Lite-
ratur spricht? Und wenn sie beiläufig erörtert wird,
so sind es immer ihre untergeordneten und äußeren
Seiten, die Frage des Erfolgs, der Moral, der Nützlich-
keit, der Aktualität usw. Ich habe das Gefühl, ein
Fossil, ein Geschöpf ohne Beziehung zur umgebenden
Schöpfung zu sein.
Ich wünsche mir nichts besseres, als mich in eine
neue Liebe zu stürzen. Aber wie? Fast all meine alten
Freunde sind verheiratet, Beamte, denken das ganze
Jahr hindurch an ihr kleines Metier, während der
Ferien an die Jagd und nach Tisch an den Whist.
Ich kenne nicht einen, der imstande wäre, einen Nach-
mittag mit mir bei der Lektüre eines Dichters zu
verbringen. Sie haben ihre Geschäfte; ich habe keine
Geschäfte. Bedenken Sie, daß ich in der gleichen
sozialen Lage bin, in der ich mich mit achtzehn Jahren
befand. Meine Nichte, die ich wie meine Tochter
liebe, wohnt nicht bei mir, und meine arme gute Mutter
wird so alt, daß jede Unterhaltung mit ihr (außer
über ihr Befinden) unmöglich ist. Das alles ergibt
ein wenig erbauliches Dasein.
Was die Damen betrifft, so hat mein kleines Nest
keine, und wenn auch! Ich habe niemals Venus mit
77
Apollo unter einen Hut bringen können. Eins oder
das andere, da ich ein Mensch der Extreme bin, ein
Mensch, der das, was er tut, ganz tut.
Ich wiederhole das Wort Goethes : Über die Gräber
hin vorwärts! Und ich hoffe mich. an meine Leere zu
gewöhnen, aber nichts weiter.
Je mehr ich Sie kenne, desto mehr bewundere ich
Sie; wie stark Sie sind!
Aber Sie sind zu gut, daß Sie abermals an das Kind
Israels geschrieben haben. Mag er sein Gold
behalten!!! Er glaubte wohl sehr großmütig zu sein,
als er mir vorschlug, mir zinsfrei Geld zu leihen,
aber unter der Bedingung, daß ich mich durch einen
neuen Vertrag bände. Ich zürne ihm durchaus nicht,
denn er hat mich nicht verletzt; er hat die empfind-
liche Stelle nicht gefunden.
Außer etwa» Spinoza und Plutarch habe ich seit
meiner Rückkehr nichts gelesen, da ich von meiner
gegenwärtigen Arbeit vollkommen in Anspruch ge-
nommen bin. Diese Arbeit wird mich bis Ende
Juli festhalten. Ich möchte sie gern bald los sein, um
mich wieder in die Überschwenglichkeiten des guten
Heiligen Antonius stürzen zu können, aber ich
fürchte, ich bin nicht recht in Stimmung.
Das ist eine schöne Geschichte, nicht wahr, die des
Fräulein d* Hauterive. Dieser Selbstmord der Lieben-
78
den, um dem Elend zu entgehen, wird Prudhomme zu
schönen moralischen Redensarten begeistern. Ich
verstehe ihn. Amerikanisch ist es nicht, was sie getan
haben, aber wie römisch und antik ist es! Sie waren
nicht stark, aber vielleicht sehr zart.
Teurer Meister!
Nein! Keine Opfer! Bitte nicht! Wenn ich nicht die
Angelegenheiten Bouilhets durchaus als die meinen
betrachtete, würde ich Ihren Vorschlag sofort an-
genommen haben. Aber erstens ist es meine An-
gelegenheit, zweitens dürfen die Toten den Lebenden
nicht schaden.
Aber ich bin den Herren sehr böse, das will ich
Ihnen nicht verhehlen, daß sie uns von Latour Saint
Ybars nichts gesagt haben. Denn der besagte Latour
ist längst angenommen. Warum wissen wir nichts
davon ?
Kurz: Chilly soll mir den Brief schreiben, den wir
Mittwoch verabredet haben und es soll nicht mehr die
Rede davon sein.
Ich glaube, daß Sie am 15. Dezember aufgeführt
sein können, wenn „Affranchie** etwa am 20. No-
vember herauskommt. Zweieinhalb Monate geben
ungefähr fünfzig Vorstellungen; wenn Sie mehr
79
haben, wird Aisse erst im nächsten Jahr gespielt
werden.
Also das ist abgemacht, da man ja Latour Saint
Ybars nicht unterdrücken kann; Sie kommen hinter
ihm und dann Aisse, meiner Meinung nach.
Wir werden uns Sonnabend sehen bei der Beerdi-
gung des armen Sainte-Beuve. Wie der kleine Kreis
sich vermindert! Wie die wenigen Geretteten vom
Floß der Medusa verschwinden!
Tausend Grüße!
. . . 1870
Lieber, guter Meister!
Ihr alter Troubadour wird von den Zeitungen stark
angeschwärzt. Lesen Sie den Constitutione! vom
letzten Montag, den Gaulois von heute, früh, es ist
klar und deutlich. Man behandelt mich als Kretin
und Kanaille. Der Artikel von Barbey d'Aurevilly
(im Constitutione!) ist in dieser Art ein Muster, und der
des guten Sarcey gibt ihm nichts nach, obwohl er
weniger heftig ist. Diese Herren protestieren im
Namen der Moral und des Ideals. Ich bin auch im
„Figaro** und „Paris" heruntergerissen worden von
Cesena und Duranty. Ich mache mir nicht das gering-
ste daraus! Was nicht hindert, daß ich über soviel
Haß und Treulosigkeit erstaunt bin.
80
„Tribüne", „Pays" und „Opinion nationale"
haben mich dagegen sehr gerühmt . . . Was die
Freunde betrifft, die Leute, die ein mit meiner Klaue
verziertes Exemplar bekommen haben, so fürchten
sie sich zu kompromittieren, und man spricht von allen
möglichen andern Dingen. Die Tapferen sind selten.
Das Buch geht gleichwohl trotz der Politik sehr gut
und Levy scheint zufrieden zu sein.
Ich weiß, daß die Bürger von Ronen wütend auf
mich sind, wegen des alten Roque und des Tuilerien-
kankan. Sie finden, daß man die Veröffentlichung
solcher Bücher verhindern müßte (wörtlich), daß ich
den Roten die Hand reiche, daß ich imstande bin,
die revolutionären Leidenschaften zu schüren usw.
usw. Kurz, ich sammle bis jetzt sehr wenig Lorbeeren,
und kein Rosendorn verwundet mich.
Ich habe Ihnen erzählt, nicht wahr, daß ich die
Zauberposse umgearbeitet habe? (Ich habe alles,
was mir schablonenhaft schien, gestrichen.) Raphael
Felix scheint es nicht eilig zu haben, sie kennen zu
lernen. Problem!
Alle Zeitungen zitieren als Beweis meiner Gemein-
heit die Episode der Türkin, die man natürHch fälscht,
und Sarcey vergleicht mich mit dem Marquis de
Sade, den er — wie er selbst zugibt — nie gelesen
hat! ...
6 81
Das alles schraubt mich keineswegs auseinander.
Aber ich frage mich, wozu etwas drucken lassen?
Dienstag, 4 Öhr, i8yo
Teurer Meister!
Ihr alter Troubadour wird mit Füßen getreten und
zwar auf ganz unerhörte Art. Die Leute, die meinen
Roman gelesen haben, fürchten sich, mir davon zu
sprechen, aus Angst, sich zu kompromittieren oder
aus Mitleid mit mir. Die Nachsichtigsten finden,
daß ich nur Bilder geschaffen habe, und daß Kompo-
sition und Planmäßigkeit vollständig fehlen.
Saint-Victor, der die Bücher Arsene Houssayes
in den Himmel hebt, will über meins keinen Artikel
schreiben, da er es zu schlecht findet. So liegt die
Sache. Theo ist nicht da, und niemand, absolut
niemand übernimmt meine Verteidigung.
Eine weitere Geschichte: Raphael und Michel
Levy haben gestern die Vorlesung der Zauberposse
angehört. Beifall, Begeisterung. Ich sah den Moment
vor Augen, in dem der Vertrag stehenden Fußes
unterzeichnet werden würde. Raphael hat das Stück
so gut verstanden, daß er zwei oder drei ausgezeichnete
kritische Bemerkungen gemacht hat. Ich fand übri-
gens, daß er ein reizender Kerl ist. Er bat mich,
bis Sonnabend zu warten, dann wolle er mir die end-
82
gültige Antwort geben. Jetzt soeben ein (sehr höf-
licher) Brief des besagten Raphael, in welchem er mir
erklärt, daß die Zauberposse ihn in zu erhebliche
Ausgaben stürzen würde. Wiedereinmal reingefallen.
Ich muß mich anderswohin wenden. Im Odeon nichts
Neues,
Sarcey hat einen zweiten Artikel gegen mich ver-
öffentlicht. Barbey d'Aurevilly behauptet, ich
beschmutze den Bach, wenn ich mich darin wasche
(siel). Das alles wirft mich durchaus nicht aus dem
Sattel.
Freitag, lo Uhr abends, i8yo
Teurer Meister, Sie sind gut wie gutes Brot.
Ich habe Ihnen sofort telegraphisch das eine Wort
übermittelt. ,,Girardin". Die Liberte wird Ihren
Artikel sofort abdrucken. Was sagen Sie zu meinem
Freunde Saint-Victor, der abgelehnt hat, eine Kritik
zu schreiben, da er „das Buch schlecht'* findet?
S i e haben nicht soviel Gewissen !
Ich werde weiter mit Kot beworfen. Die „Gi-
ronde" nennt mich einen Prudhomme. Das erscheint
mir neu.
Wie soll ich Ihnen danken. Ich fühle das Bedürf-
nis, Ihnen Zärtlichkeiten zu sagen. Ich habe soviele
in meinem Herzen, daß mir nicht eine in die Feder
6*
83
fließen will. Was für eine wackere Frau sind Sie und
was für ein wackerer Mensch! Von dem übrigen gar
nicht zu reden!
Mittwoch nachmittag, . . . i8yo
Teurer Meister!
Ihr Auftrag war gestern in einer Stunde erledigt.
Die Prinzessin hat vor meinen Augen sich eine Notiz
über Ihre Angelegenheit gemacht, um sich sofort damit
zu beschäftigen. Sie schien sehr zufrieden zu sein,
Ihnen einen Dienst erweisen zu können.
Man spricht nur vom Tode Noirs! Das allgemeine
Gefühl ist Furcht, nichts anderes!
In was für trübselige Sitten sind wir hineingetaucht!
Es liegt soviel Dummheit in der Luft, daß man wild
wird. Ich bin weniger empört als abgestoßen. Was
sagen Sie von diesen Herren, die als Parlamentäre
kamen und mit Pistolen und Stockflinten ausgerüstet
waren? Und von dem andern, diesem Fürsten, der
mitten in einem Arsenal lebt und es benutzt? Rei-
zend! Reizend!
Was für einen prächtigen Brief haben Sie mir vor-
gestern geschrieben! Aber Ihre Freundschaft macht
Sie blind, lieber, guter Meister. Ich gehöre nicht
zu der Familie derer, von denen Sie sprechen. Ich»
84
der ich mich kenne, weiß, was mir fehlt! Und mir
fehlt ungeheuer viel!
Als ich meinen armen Bouilhet verlor, habe ich
meinen Geburtshelfer verloren, den Menschen, der
klarer als ich selbst in meinen Gedanken las. Sein
Tod hat eine Leere hinterlassen, die mir mit jedem
Tage fühlbarer wird.
Wozu eigentlich Zugeständnisse machen? Warum
sich zwingen? Ich bin im Gegenteil fest entschlossen,
künftig zu meinem persönlichen Vergnügen zu schrei-
ben und ohne jeden Zwang. Komme was da wolle!
i^. März i8yo
Teurer Meister!
Ich habe gestern abend ein Telegramm von Frau
Comu bekommen, das die folgenden Worte enthielt:
„Kommen Sie zu mir, eilige Angelegenheit." Ich
habe mich also heute zu ihr begeben und nun hören
Sie die Geschichte.
Die Kaiserin behauptet, Sie hätten in der letzten
Nummer der „Revue" sehr ungezogene Anspielungen
auf ihre Person gemacht! „Wie? Auf mich, die jetzt
von aller Welt angegriffen wird! Das hätte ich nicht
geglaubt. Und ich wollte sie zum Mitglied der Akade-
mie ernennen lassen! Aber was habe ich ihr denn
getan? usw. usw." Kurz, sie ist verzweifelt und der
85
Kaiser ebenfalls! Er war nicht entrüstet, aber ent-
kräftet (sie).
Frau Comu bat ihr vergebens vorgestellt, daß sie
sich täusche und daß Sie keinerlei Anspielung hätten
machen wollen.
,,Gut, dann soll sie also in den Zeitungen schreiben,
daß sie mich nicht hat kränken wollen.'*
,,Das wird sie nicht tun, dafür verbürge ich mich."
, .Schreiben Sie ihr, daß sie es Ihnen sagen soll."
„Ich wage diesen Schritt nicht."
„Aber ich möchte doch die Wahrheit wissen ! Ken-
nen Sie irgend jemanden, der ..." Da hat Frau Comu
mich genannt.
„0, sagen Sie nicht, daß ich mit Ihnen darüber
gesprochen habe!"
Das ist das Gespräch, das Frau Comu mir geschildert
hat. Sie wünscht, daß Sie mir einen Brief schreiben,
in dem Sie mir sagen, daß die Kaiserin Ihnen nicht
als Modell gedient hat. Ich schicke diesen Brief an
Frau Comu, die ihn der Kaiserin übergeben wird.
Ich finde diese Geschichte blöd; die Leute sind
sehr zartfühlend; uns sagt man ganz andere Dingt
Jetzt, geliebter Meister, werden Sie ganz tun, was
Ihnen paßt.
Die Kaiserin ist stets sehr liebenswürdig gegen
mich gewesen und es wäre mir nicht unangenehm,
86
ihr gefällig zu sein. Ich habe die berühmte Stelle
gelesen. Ich sehe nichts Kränkendes darin. Aber die
Frauengehime sind so komisch!
Ich bin von meinem (meinem Gehirn) sehr an-
gewidert, oder vielmehr es hat augenblicklich einen
großen Tiefstand. Ich bemühe mich vergebens, zu
arbeiten, es geht nicht, es geht nicht ! Alles reizt mich
und verletzt mich; und da ich mich vor der Welt zu-
sammennehme, werde ich von Zeit zu Zeit von Wein-
anfällen übermannt, an denen ich zu sterben glaube.
Ich fühle etwas ganz Neues: das Nahen des Alters.
Der Schatten überwuchert mich, wie Victor Hugo
sagen würde.
Frau Cornu hat mir voll Begeisterung von einem
Brief erzählt, den Sie ihr über eine Unterrichtsmethode
geschrieben haben.
... iS^o
Teurer Meister!
Ich habe soeben Ihren Brief (für den ich Ihnen danke)
an Frau Cornu geschickt, begleitet von einem Schreiben
Ihres Troubadours, in dem ich mir erlaube, offen
meine Ansicht darzulegen.
Die beiden Schriftstücke werden der Dame vorgelegt
werden und ihr etwas Ästhetik beibringen.
87
Gestern habe ich „l'Autre** gesehen und verschie-
dentlich geweint. Das hat mir gut getan. Ach ja!
Wie zart und begeisternd ist das! Wie schön ist das
Werk und wie liebt man den Autor. Sie haben mir
sehr gefehlt. Ich hätte Sie streicheln mögen wie ein
kleines Kind. Mein bedrücktes Herz hat sich be-
ruhigt, ich danke Ihnen. Ich glaube, daß es jetzt besser
gehen wird. Es waren viele Leute da. Berton und
sein Sohn sind zweimal gerufen worden.
Montag früh, ii Uhr, 1870
Ich fühlte, daß Ihnen etwas Schlimmes zugestoßen
war, ich hatte Ihnen schon geschrieben, um Sie nach
Ihrem Ergehen zu fragen, als man mir Ihren Brief
von heute früh brachte. Ich habe mir den meinen
beim Portier wieder herausgefischt; hier ist also ein
zweiter.
Armer, lieber Meister! Wie besorgt mögen Sie
gewesen sein! Und auch Frau Maurice! Sie sagen
mir nicht, was ihm gefehlt hat (Maurice)? Schreiben
Sie mir in einigen Tagen (vor Ende der Woche),
um mir zu erzählen, daß alles gut überstanden ist.
Die Schuld liegt, glaube ich, an dem fürchterlichen
Winter, den wir gehabt haben. Man hört nur von
Krankheiten und Beerdigungen sprechen! Mein
armer Diener ist noch immer bei Dubois, und mir
88
zerreißt das Herz, wenn ich ihn besuche. Er Hegt
seit zwei Monaten zu Bett und hat gräßliche Schmerzen,
Mir geht es besser. Ich habe ungeheuer viel gelesen.
Ich habe mich erholt und stehe beinahe wieder auf
den Füßen. Der Klumpen Schwarz, den ich im
Grunde des Herzens habe, ist ein wenig größer ge-
worden, das ist alles. Aber in einiger Zeit, hoffe ich,
wird man das nicht mehr bemerken. Ich verbringe
meine Tage in der Bibliothek der Akademie. Aus
der Arsenalbibliothek bekomme ich Bücher, die ich
abends lese, und am andern Morgen fange ich von
neuem an. Anfang Mai werde ich mich wieder nach
Croisset begeben. Aber ich werde Sie bald sehen.
Alles wird mit der Sonne wieder gut werden.
Die betreffende Dame hat sich bei mir, Sie be-
treffend, passend entschuldigt und mir versichert,
daß sie , »niemals die Absicht gehabt habe, das Genie
zu beleidigen".
F. möchte ich wirklich gern kennen lernen; da er
einer der Ihren ist, werde ich ihn lieben.
Dienstag früh, . . . i8yo
Teurer Meister!
Nicht der Aufenthalt in Paris greift mich an, sondern
die Reihe von Kümmernissen, die ich seit acht Mo-
naten gehabt habe. Ich arbeite nicht zuviel, denn
was wäre ohne die Arbeit aus mir geworden? Eis fällt
mir aber sehr schwer, vernünftig zu sein. Ich bin
von einer schwarzen Melancholie überspült, die sich
bei allem und jedem einstellt, mehrmals täglich. Sie
geht vorbei, und sie kommt wieder. Vielleicht habe
ich zu lange nicht geschrieben? Der nervöse Abfluß
fehlt.
Sobald ich in Croisset bin, werde ich den Nekrolog
über meinen armen Bouilhet schreiben, eine schmerz-
liche und mühselige Arbeit, die ich gern hinter mir
haben möchte, um mich an den Heihgen Antonius
zu machen. Da es ein extravaganter Stoff ist, hoffe
ich, daß er mich ablenken wird.
Ich habe Ihren Arzt gesehen, Herrn F..., der
mir, unter uns gesagt, sehr sonderbar und etwas
närrisch vorgekommen ist. Er muß mit mir zufrieden
sein, denn ich habe ihn die ganze Zeit sprechen lassen.
Es sind große Blitze in seiner Konversation, Dinge,
die einen Augenblick blenden, dann versteht man
nicht das geringste mehr.
Paris, Donnerstag
Herr X. hat mir am Sonnabend von Ihnen berichtet:
also weiß ich wenigstens, daß bei Ihnen alles gut geht
und Sie keine Sorge mehr haben, teurer Meister.
Aber wie geht es Ihnen persönlich? Der fünfzehnte
90
ist da, und ich sehe Sie noch immer nicht kommen.
Meine Stimmung ist noch immer nicht sehr heiter.
Ich stecke wie stets furchtbar in der Lektüre, aber
es ist Zeit, daß ich aufhöre, denn mein Stoff beginnt
mich anzuwidern.
Lesen Sie den dicken Schmöker von Taine? Ich
habe den ersten Band mit unendlichem Vergnügen
verschlungen. In fünfzig Jahren wird das vielleicht
die Philosophie sein, die in den Schulen gelehrt
wird.
Und das Vorwort der „Ideen** von Aubray?
Wie gern würde ich Sie sehen und mit Ihnen
schwatzen !
Freitag, g Uhr abends, iSyo
Lieber, guter Meister!
Michel Levy ist vorhin zu mir gekommen, um sechs
Uhr, und nachdem er von diesem und jenem ge-
sprochen hatte, sagte er: ,,Frau Sand hat mir ge-
schrieben, daß Sie in Verlegenheit sind."
Das stimmt, das bin ich immer!
Gut, daraufhin hat er sich in eine Flut von Phrasen
gestürzt, die mir beweisen sollten, daß er mit seinem
Geschäft kein Geld verdiene, daß er sogar gezwungen
sei, für sein Haus neben der Oper eine Anleihe aufzu-
nehmen und daß er seine Unkosten bei der , .Schule
91
der Empfindsamkeit" noch nicht gedeckt habe. Kurz,
wissen Sie, was er mir vorschlägt? Mir ohne Zinsen
drei- bis viertausend Franken zu leihen, unter der
Bedingung, daß mein nächster Roman ihm zu den
gleichen Bedingungen gehört, das heißt etwa acht-
tausend Franken für den Band. Wenn er nicht dreißig-
mal gesagt hat: „Ich möchte Ihnen einen Gefallen
tun, mein Ehrenwort," so will ich gehängt werden.
Es fehlt mir nicht an Freunden, bei Ihnen an-
gefangen, die mir Geld zinsfrei leihen würden. Aber
Gott sei Dank bin ich noch nicht so weit. Wenn
nicht ein dringendes Bedürfnis vorliegt, verstehe ich
nicht, daß man Schulden macht, denn man muß das
Geld früher oder später zurückgeben, und ist dadurch
nicht weitergekommen.
Psychologisches Problem : warum bin ich seit dem
Besuch Michel Levys sehr vergnügt? Mein armer
Bouilhet sagte oft: „Es gibt keinen moralischeren
Menschen als dich und keinen, der die Unmoral
mehr liebt als du: eine Gemeinheit entzückt dich."
Daran ist etwas Wahres. Ist mein Stolz schuld daran?
Oder eine gewisse Perversität?
Jetzt aber gute Nacht ! Nicht diese Dinge bewegen
mich. Ich begnüge mich damit, mit Athalie zu sagen :
Gott der Juden, du nimmst ihn hinweg I
Und ich denke nicht mehr daran.
92
Ich bitte Sie sogar, mit Levy nicht mehr darüber
zu sprechen, wenn Sie ihm schreiben oder ihn sehen.
Er wird von mir das Vorwort des Gedichtbandes von
Bouilhet bekommen. In bezug auf alles übrige will
ich künftig vollkommen frei sein.
Z U, zu, mach's Buch zu!
Ich habe den Doktor *** gestern bei Dumas wieder-
gesehen. Sonderbarer Biedermann. Ich müßte ein
Lexikon haben, um ihn zu verstehen.
Sie machen sich keine Vorstellung, in welch einen
Grad von Dummheit die Volksabstimmung die
Pariser stürzt. Man könnte vor Langeweile sterben.
Daher mache ich mich aus dem Staube.
Haben Sie die beiden Bände von Taine gelesen?
Ich kzmnte Spinozas Ethik, aber nicht den Tractatus
Theologico-politicus, der mich verblüfft, mich blendet,
mich in Bewunderung versetzt! Ist das ein Mensch!
Ist das ein Kopf! Dieses Wissen und dieser Geist!
Er war entschieden stärker als Caro.
Wann sieht man sich? Kann ich nicht auf einen
kleinen Besuch in Croisset rechnen? Nicht einen
kleinen, sondern einen richtigen! Ich habe über
zwei Pläne ausführlich mit Ihnen zu sprechen.
93
Sonntag, 26. Juni i8yo
Man vergißt seinen Troubadour, der soeben wieder
einen Freund begraben hat. Von den sieben, die
beim ersten Magny-Diner waren, sind nur noch
drei übrig! Ich bin voll von Särgen wie ein alter
Kirchhof! Ich habe genug davon, wirklich!
Und bei all dem arbeite ich weiter! Ich habe
gestern so gut es ging, den Nekrolog über meinen
armen Bouilhet beendet. Ich will sehen, ob es nicht
möglich ist, eine Komödie (Das schwache Geschlecht)
von ihm, in Prosa, zurechtzustutzen. Worauf ich
mich an den Heiligen Antonius machen werde.
Und Sie, lieber Meister, was machen Sie und die
Ihren? Meine Nichte ist in den Pyrenäen und ich
lebe allein mit meiner Mutter, die immer tauber
wird, so daß mein Dasein jeder Aufheiterung er-
mangelt.,^ Ich müßte an einem wärmeren Gestade
liegen und schlafen. Aber dafür fehlt es mir an Zeit
und Geld. Also muß man seine Streicharbeit fort-
führen und soviel wie möglich schuften.
Ich werde Anfang August nach Paris gehen. Dann
werde ich den ganzen Oktober wegen der Aisseproben
dort bleiben. Meine Ferien werden sich auf etwa
acht Tage beschränken, die ich Ende August in
Dieppe verbringen will. Das sind meine Pläne.
94
Das Begräbnis Jules de Goncourts war jammervoll.
Theo weinte Ströme.
Samstag abend, 2. Juli i8yo
Lieber, guter Meister!
Der Tod Barbes hat mich um Ihretwillen sehr betrübt.
Wir haben beide unsere Trauer. Ist das eine Pro-
zession von Toten seit einem Jahr! Ich bin betäubt
davon, als hätte man mir Stockschläge auf den Kopf
gegeben. Was mich verzweifelt macht (denn wir be-
ziehen alles auf uns), ist die furchtbare Einsamkeit, in
der ich lebe. Ich habe niemanden mehr, ich meine:
niemanden, mit dem ich plaudern kann, ,,der sich
heute mit Stil und Beredsamkeit befaßt".
Außer Ihnen und Turgenjeff kenne ich keinen
Sterblichen, dem gegenüber ich mich über alle Dinge,
die mir am meisten am Herzen liegen, aussprechen
kann, und Sie beide wohnen weit von mir!
Ich fahre aber mit meiner Arbeit fort. Ich habe
mich entschlossen, mich morgen oder übermorgen
an meinen Heiligen Antonius zu machen. Aber wenn
man eine Arbeit von langem Atem anfangen soll,
muß man eine gewisse Freudigkeit haben, die mir
fehlt. Ich hoffe jedoch, daß diese extravagante Arbeit
mich packen wird. Ol Wie gern möchte ich nicht
mehr an mein armes Ich, an meinen elenden Körper
95
(lenken! Es geht dem Körper sehr gut. Ich schlafe
ungeheuer viel! „Der Leib ist gut/* wie die Spieß-
bürger sagen.
Ich habe in dieser letzten Zeit langweilige theo-
logische Sachen gelesen, die ich mit etwas Plutarch
und Spinoza untermischt habe. Ich habe Ihnen weiter
nichts zu sagen.
Der arme Edmond de Goncourt ist bei seinen Eltern
in der Champagne. Er hat mir versprochen, Ende
des Monats zu kommen. Ich glaube nicht, daß die
Hoffnung, seinen Bruder in einer besseren Welt
wiederzusehen, ihn darüber tröstet, daß er ihn in dieser
verloren hat.
Man betrügt sich in dieser Unsterblichkeitsfrage
mit Worten, denn die Frage ist, zu wissen, ob das
Ich fortbesteht. Die Bejahung erscheint mir als ein
Übermut unseres Stolzes, ein Protest unserer Schwäche
gegen die ewige Ordnung. Der Tod hat uns vielleicht
nicht mehr Geheimnisse zu enthüllen als das Leben.
Welch ein Jahr des Unheils ! Ich habe das Gefühl,
als wenn ich in der Wüste verirrt bin, und ich versichere
Ihnen, teurer Meister, daß ich trotzdem tapfer bin und
große Anstrengungen mache, gleichmütig zu sein.
Aber das arme Gehirn ist zuweilen geschwächt. Ich
habe nur eines nötig (und das kann man sich nicht
geben), nämlich irgendeine Begeisterung zu haben!
96
Ihr vorletzter Brief war sehr traurig. Auch Sie
heroisches Wesen fühlen sich müde! Was soll nur
aus uns werden!
Ich habe eben wieder die Gespräche Goethes mit
Eckermann gelesen. Das ist ein Mensch, dieser
Goethe! Aber er hatte den andern ganz, ganz für
sich.
Croisset, Mittwoch abend, . . . iSyo
Was machen Sie, teurer Meister, Sie und die
Ihren?
Die Dummheit meiner Landsleute widert mich
an, zerreißt mich. Die unheilbare Barbarei der Mensch-
heit erfüllt mich mit düsterer Traurigkeit. Diese
Begeisterung, die nicht durch eine Idee angefacht
wird, erzeugt in mir den Wunsch zu sterben, um sie
nicht mehr zu sehen.
Der gute Franzose will sich schlagen: 1. weil er
sich von Preußen herausgefordert glaubt; 2. weil
der natürliche Zustand des Menschen die Wildheit
ist; 3. weil der Krieg ein mystisches Element birgt,
das die Massen hinreißt.
Sind wir wieder bei den Rassenkriegen angelangt?
Ich fürchte es. Das schreckliche Gemetzel, das sich
vorbereitet, hat nicht einmal einen Vorwand. Es
ist das Gelüst zu kämpfen, um zu kämpfen.
' 97
Ich beweine die gesprengten Brücken, die zerstörten
Tunnel, all diese verlorene menschliche Arbeit, und
überhaupt eine so radikale Verneinung.
Der Friedenskongreß hat augenblicklich unrecht.
Die Zivilisation erscheint mir fern. Hobbes hatte
recht. Homo homini lupus.
Ich habe den Heiligen Antonius angefangen, und es
würde vielleicht recht gut gehen, wenn ich nicht
an den Krieg dächte. Und Sie?
Der Bürger kann es nicht mehr aushalten. Er
findet, daß Preußen zu unverschämt war und will
„sich rächen". Sie haben gehört, daß ein Herr der
Kammer die Plünderung des Großherzogtums Baden
vorgeschlagen hat. Ah! Warum kann ich nicht bei
den Beduinen leben!
Croisset, Mittwoch, 3. August i8yo
Wie, teurer Meister, auch Sie sind mutlos, betrübt?
Was soll da mit den Schwachen werden?
Mir ist das Herz in einem Maße bedrückt, daß ich
darüber erstaunt bin und ich wälze mich in einer
bodenlosen Melancholie, trotz der Arbeit, trotz dem
guten Heiligen Antonius, der mich zerstreuen sollte.
Ist das die Folge meiner vielen Kümmernisse? Es
ist möglich. Aber der Krieg tut auch sein Teil. Ich
98
habe das Gefühl, daß uns die Finsternis verschlingen
will.
Das ist also der natürliche Mensch. Jetzt können
Sie Theorien aufstellen. Rühmen Sie den Fortschritt,
die Einsicht und den gesunden Menschenverstand
der Massen und die Sanftheit des französischen
Volkes. Ich versichere Ihnen, daß man halb tot-
geschlagen würde, wenn man sich einfallen ließe, den
Frieden zu predigen. Was auch geschehen mag, wir
sind ein großes Stück zurückgeschleudert.
Vielleicht fangen jetzt die Rassenkriege wieder an.
Man wird, ehe ein Jahrhundert um ist, sehen, wie
mehrere Millionen Menschen sich gegenseitig töten.
Der ganze Orient gegen ganz Europa, die alte Welt
gegen die neue! Warum nicht? Die großen gemein-
samen Arbeiten wie der Suezkanal sind vielleicht,
in anderer Form, Pläne und Vorbereitungen zu diesen
ungeheuren Konflikten, von denen wir uns keinen
Begriff machen können.
Vielleicht bekommt auch Preußen eine tüchtige
Tracht Prügel, weil es in den Absichten der Vorsehung
liegt, das europäische Gleichgewicht wiederherzu-
stellen. Dies Land neigt zu einer Vergrößerungs-
sucht, wie Frankreich unter Ludwig XIV. und Na-
poleon. Die andern Organe fühlen sich dadurch
behindert. Daraus schreibt sich eine allgemeine
7* 99
Verwirrung her. Würde ein furchtbarer Aderlaß von
Nutzen sein?
Ach, wir gebildeten Menschen! Die Menschheit
ist weit von ihrem Ideal! Und unser ungeheurer
Irrtum, unser trauriger Irrtum ist, daß wir sie uns
ähnlich glauben und sie dementsprechend behandeln
wollen.
Der Respekt, der Fetischismus, den man dem all-
gemeinen Wahlrecht entgegenbringt, empört mich
mehr als die Unfehlbarkeit des Papstes, (die, in Paren-
these, soeben sehr versagt hat). Glauben Sie, daß wir,
wenn Frankreich, statt von der Masse im ganzen
beherrscht zu werden, in der Macht von Mandarinen
wäre, auf diesem Punkte ständen? Hätte man sich,
statt die Aufklärung der niederen Klassen zu er-
streben, mit der Unterweisung der oberen Klassen
befaßt, so hätte man den Vorschlag Keratrys nicht
erlebt, das Großherzogtum Baden zu plündern,
eine Maßnahme, die das Volk sehr gerecht findet.
Studieren Sie Prudhomme in diesen Zeiten? Er
ist gigantisch! Er bewundert Mussets Rhein und
fragt, ob Musset sonst noch etwas geschrieben hat?
Musset als Nationaldichter, der Beranger verdrängt!
Welch eine ungeheure Komödie ist das ganze! Aber
eine wenig heitere Komödie.
100
Das Elend kündigt sich schon an. Jeder Mensch
ist in Geldverlegenheiten, bei mir angefangen! Aber
wir waren vielleicht zu sehr an die BequcTilichkeit
und die Ruhe gewöhnt. Wir waren tief In das Materi-
elle versunken. Man muß zur großen Tradition zurück-
kehren, nicht mehr am Leben, am Glück, am Geld,
an nichts mehr hängen; sein, was unsere Großväter
waren, leichte, sprühende Menschen.
Ehedem verbrachte man sein Dasein mit Ver-
hungern. Die gleiche Perspektive droht am Horizont.
Was Sie mir über das arme Nohant erzählen, ist
fürchterlich. Hier hat das Land weniger gelitten als
bei Ihnen.
Croisset, Mittwoch, i8yo
Ich bin am Montag in Paris angekommen und Mitt-
woch wieder abgereist. Ich kenne jetzt die Seele des
Parisers und habe in meinem Herzen den wildesten
Politikern von 1793 abgebeten. Jetzt verstehe ich
sie. Welche Dummheit, welche Unwissenheit, welche
Vorurteile! Meine Landsleute erregen mir Übelkeit.
Man muß sie mit Isidor in einen Sack tun.
Dies Volk verdient vielleicht, gezüchtigt zu werden,
und ich fürchte, daß es geschieht.
Es ist mir unmöglich, irgend etwas zu lesen, und
noch viel weniger zu schreiben. Ich verbringe meine
101
Zeit wie alle Leute mit dem Warten auf Nachrichten.
Ach, wenn ich meine Mutter nicht hätte, wäre ich
schon längst abgereist.
Sonnabend, . . . 1870
Teurer Meister!
Nun sind wir also in der Tiefe des Abgrundes an-
gelangt! Ein schmachvoller Friede wird vielleicht
nicht angenommen werden! Die Preußen wollen
Paris zerstören! Das ist ihr Traum.
Ich glaube nicht, daß die Belagerung von Paris
sehr nahe bevorsteht. Aber um Paris zum Nachgeben
zu zwingen, wird man es 1 . durch den Anblick von
Kanonen erschrecken und 2. die umliegenden Pro-
vinzen verheeren.
In Ronen machen wir uns auf den Besuch dieser
Herren gefaßt und da ich (seit Sonnabend) Leutnant
meiner Kompanie bin, exerziere ich meine Leute
ein und werde in Ronen strategischen Unterricht
nehmen.
Das Bedauerliche ist, daß die Meinungen geteilt
sind, daß die einen für die Verteidigung bis zum
äußersten sind, die andern für den Frieden um
jeden Preis.
Ich sterbe vor Kummer. Was habe ich für ein
Haus! Vierzehn Personen, die seufzen und einen
102
nervös machen. Ich verwünsche die Frauen I Durch
sie gehen wir zugrunde.
Ich mache mich darauf gefaßt, daß Paris das Schick-
sal Warschaus haben wird, und Sie mit Ihrer Be-
geisterung für die Republik stimmen mich traurig.
Wie können Sie in dem Augenblick, wo wir durch den
unumwundensten Positivismus besiegt sind, noch
an Phantome glauben? Was auch komme, die Per-
sonen, die jetzt die Macht haben, werden geopfert
werden und die Republik wird ihrem Schicksal ent-
gegengehen. Beachten Sie, daß ich die arme Republik
verteidige; aber ich glaube nicht an sie.
Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Jetzt
hätte ich sehr viele andere Dinge zu tun, aber ich
habe den Kopf nicht frei. Es bricht wie Wasserfälle,
wie Ströme, wie Ozeane von Betrübnis über mich
herein. Es ist nicht möglich, noch mehr zu leiden.
Bisweilen fürchte ich, verrückt zu werden. Das
Gesicht meiner Mutter nimmt mir, wenn ich es
ansehe, alle Energie.
Dahin hat uns die Leidenschaft geführt, die Wahr-
heit nicht sehen zu wollen. Die Liebe zum Un-
natürlichen und zur Prahlerei. Wir werden ein Polen
werden und dann ein Spanien. Dann wird Preußen
an die Reihe kommen, das von Rußland gefressen
werden wird.
103
Was mich betrifft, so betrachte ich mich als einen
erledigten Menschen. Mein Gehirn wird sich nicht
wieder erholen. Man kann nicht mehr schreiben,
wenn man sich nicht mehr achtet. Ich wünsche nur
eins: nämHch zu sterben, um ruhig zu werden.
Mittwoch, . . . tSjo
Ich bin nicht traurig. Ich habe gestern meinen
Heiligen Antonius wieder aufgenommen. Leider
Gittes muß man sich damit abfinden! Man muß
sich an das gewöhnen, was der natürliche Zustand
des Menschen ist, das heißt ans Übel.
Die Griechen zur Zeit des Perikles schufen Kunst,
ohne zu wissen, ob sie am andern Tage zu essen haben
würden. Seien wir Griechen. Ich gestehe Ihnen aber,
teurer Meister, daß ich mich viel eher als Wilder
fühle. Das Blut meiner Ahnen, der Natchez oder
der Huronen, kocht in meinen Gelehrten -Adern, und
ich habe ernsthaft, dummdreist, tierisch, Lust, mich
zu schlagen.
Erklären Sie mir das! Der Gedanke, jetzt Frieden
zu schließen, erbittert mich, und ich sähe lieber,
daß man Paris in Brand steckte (wie Moskau), als daß
die Preußen einziehen. Aber soweit sind wir noch
nicht; ich glaube, der Wind dreht sich.
104
Ich habe ein paar Soldatenbriefe gelesen, die Muster
sind. Man verschlingt ein Land nicht, in welchem
solche Dinge geschrieben werden. Frankreich ist
eine Mähre, die etwas zuzusetzen hat und sich wieder
erheben wird.
Was auch immer geschieht, jedenfalls beginnt eine
neue Welt, und ich fühle mich zu alt, um mich in
neue Sitten zu schicken.
0 wie Sie mir fehlen, wie großes Verlangen ich
habe, Sie zu sehen.
Wir sind hier alle entschlossen, auf Paris zu mar-
schieren, wenn die Landsleute Hegels es belagern.
Versuchen Sie, Ihren Berryanem Mut zu machen.
Rufen Sie ihnen zu: ,, Kommen Sie zu mir, um zu
verhindern, daß der Feind in einem Lande ißt und
trinkt, das ihm fremd ist."
Der Krieg (hoffe ich) wird den „Autoritäten**
einen starken Schlag versetzen. Wird das von der
modernen Welt geleugnete, vernichtete Individuum
noch einmal wieder zur Geltung kommen? Wir
wollen es wünschen.
Dienstag, ii. Oktober i8yo
Teurer Meister!
Leben Sie noch? Wo sind Sie, Maurice und die
andern ?
105
Ich begreife nicht, daß ich noch nicht tot bin, wo ich
seit sechs Wochen so furchtbar leide.
Meine Mutter ist nach Rouen geflüchtet. Meine
Nichte ist in London. Mein Bruder befaßt sich mit
Stadtgeschäften und ich bin hier allein und verzehre
mich vor Ungeduld und Kummer! Ich versichere
Ihnen, daß ich das Gute habe tun wollen; unmöglich!
Welch ein Unglück! Ich habe heute zweihundert-
einundsiebzig Arme vor meiner Tür gehabt, und
sie haben alle etwas bekommen! Was wird diesen
Winter werden?
Die Preußen sind jetzt zwölf Stunden von Rouen
und wir haben keine Befehle, keine Order, keine
Disziplin, nichts, nichts. Man vertröstet uns immer
mit der Loirearmee. Wo ist sie? Wissen Sie etwas
darüber? Was tut man im Herzen Frankreichs?
Paris wird schließlich ausgehungert werden, und
man bringt ihm keine Hilfe!
Die Dummheiten der Republik übertreffen die des
Kaiserreiches. Spielt man insgeheim irgendeine
furchtbare Komödie? Warum soviel Untätigkeit?
0, wie traurig ich bin! Ich fühle, daß es mit der
romanischen Welt zu Ende ist!
106
Sonntag abend, . . . i8yo
Ich lebe noch, teurer Meister, aber ich lege kaum
noch Werl darauf, so iraurig bin ich ! Wenn ich Ihnen
nicht eher geschrieben habe, liegt es daran, daß ich
von Ihnen Nachricht erwartete. Ich wußte nicht,
wo Sie waren.
Seit sechs Wochen erwarten wir von Tag zu Tag
den Besuch der Preußen. Man spitzt die Ohren und
glaubt in der Ferne das Getöse der Kanonen zu
hören. Sie umgeben die untere Seine in einem Um-
kreis von vierzehn bis zwanzig Meilen. Sie sind sogar
noch näher, da sie das vollständig zerstörte Vexin
besetzt haben. Welch ein Entsetzen! Man muß
erröten, Mensch zu sein.
Falls wir einen Erfolg an der Loire haben, wird
ihr Vordringen verzögert werden. Aber werden wir
ihn haben? So oft ich Hoffnung bekomme, versuche
ich sie zurückzustoßen, und doch kann ich tief in mir
trotz allem mich nicht eines ganz kleinen Restes von
Hoffnung erwehren.
Ich glaube nicht, daß es in Frankreich einen be-
trübteren Menschen gibt als mich! (Alles hängt von
der Empfindsamkeit der Leute ab.) Ich sterbe vor
Kummer. Das ist die Wahrheit und jeder Trost
reizt mich. Was mich betrübt, ist I. die Wildheit
der Menschen; 2. die Überzeugung, daß wir in eine
107
stupide Ära eintreten. Man wird utilitaristisch, mili-
taristisch, amerikanisch und katholisch sein! Sehr
katholisch! Sie werden es sehen! Der Krieg mit
Preußen beendet die französische Revolution und
zerstört sie.
Aber wenn wir S sger wären, sagen Sie? Diese
Hypothese steht im Gegensatz zu allen Erfahrungen
der Geschichte. Wo haben Sie gesehen, daß der
Süden den Norden schlägt und die Katholiken über
die Protestanten herrschen? Die romanische Rasse
liegt im Sterben. Frankreich wird Spanien und
Italien folgen, und die Zeit der Bauernlümmel kommt.
Welch ein Zusammensturz! Welch eine Kata-
strophe ! Welch ein Elend ! Welche Scheußlichkeiten !
Kann man angesichts all dessen, was geschieht,
an den Fortschritt und an die Zivilisation glauben?
Was nützt die Wissenschaft, wenn dies Volk, das von
Gelehrten wimmelt, Greueltaten begeht, die der
Hunnen würdig, ja noch schlimmer sind, denn sie
sind systematisch, kalt, gewollt, und haben weder
die Leidenschaft noch den Hunger als Entschuldigung.
Warum verabscheuen sie uns so sehr? Fühlen
Sie sich nicht zermalmt von dem Haß von vierzig
Millionen Menschen? Dieser ungeheure Höllen-
schlund macht mich schwindelig.
108
Es fehlt nicht an abgedroschenen Redensarten:
Frankreich wird sich wieder aufrichten! Man muß
nicht verzweifeln! Es ist eine heilsame Züchtigung!
Wir waren wirklich zu unmoralisch! usw. 0 ewiges
Geschwätz! Nein, man richtet sich nach einem
solchen Schlage nicht wieder auf! Ich fühle mich
ins Mark getroffen!
Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, würde ich
vielleicht an dies alles nicht denken, und wenn ich
zwanzig Jahre älter wäre, würde ich mich damit
abfinden.
Armes Paris! Ich finde es heroisch. Aber wenn
wir es wiedersehen, wird es nicht mehr unser Paris
sein! Alle Freunde, die ich dort hatte, sind tot oder
verschwunden. Ich habe kein Zentrum mehr. Die
Literatur erscheint mir als eine vergebliche und un-
nütze Sache I Werde ich jemals imstande sein, wieder
zu schaffen?
0, wenn ich in ein Land fliehen könnte, wo man
keine Uniformen mehr sieht, wo man keine Trommel
hört und wo man nicht von Metzeleien spricht, wo
man nicht verpflichtet ist, Staatsbürger zu sein!
Aber die Erde ist für die armen Mandarinen nicht
mehr bewohnbar.
109
Dieppe, ii. März i8ji
Teurer Meister!
Wann wird man sich wiedersehen? Paris scheint
mir nicht sehr lustig zu sein. 0, in was für eine Welt
werden wir eintreten? Heidentum, Christentum,
Dummkopftum, das sind die drei großen Evolutionen
der Menschheit! Es ist traurig, sich am Anfang der
dritten zu finden.
Ich will Ihnen nicht sagen, was ich seit dem Sep-
tember gelitten habe. Wie kommt es, daß ich nicht
daran gestorben bin? Das ist es, was mich in Er-
staunen setzt ! Kein Mensch ist verzweifelter gewesen
als ich. Warum das? Ich habe schlimme Augenblicke
in meinem Leben gehabt, ich habe große Verluste
erlitten, ich haf)e viel geweint, ich habe manche
Bangigkeit hinuntergeschluckt. Nun, all diese ge-
sammelten Schmerzen sind nichts im Vergleich
mit diesem. Und ich erhole mich nicht davon! Ich
tröste mich nicht! Ich habe keine Hoffnung!
Ich hielt mich nicht für einen Fortschrittler und
Verfechter der Menschheitsinteressen. Und doch
hatte ich Illusionen! Welche Barbarei! Welch ein
Rückschritt! Ich zürne meinen Zeitgenossen, daß
sie mir die Gefühle eines Wilden aus dem zwölften
Jahrhundert gegeben haben. Die Galle erstickt mich!
Diese Offiziere, die Fensterscheiben einschlagen in
110
weißen Handschuhen, die Sanskrit können und über
den Champagner herfallen, die einem die Taschen-
uhr stehlen und dann die Visitenkarte schicken, dieser
Krieg um des Geldes willen, diese zivilisierten Wilden
sind mir entsetzlicher als die Kannibalen. Und die
ganze Welt wird sie imitieren, wird Soldat werden!
Rußland hat jetzt vier Millionen. Ganz Europa wird
Uniform tragen. Wenn wir Revanche nehmen, wird
sie an Wildheit unerhört sein, und bedenken Sie,
daß man nur diesen einen Gedanken haben wird,
sich an Deutschland zu rächen! Die Regierung, wie
immer sie auch sei, wird sich nur halten können, wenn
sie mit dieser Leidenschaft rechnet. Der Mord im
großen wird das Ziel aller unserer Anstrengungen
sein, das Ideal Frankreichs.
Ich spiele mit dem einen Traum: in einem ruhigen
Lande in der Sonne leben!
Machen wir uns auf neue Heucheleien gefaßt:
Lobpreisung der Tugend, Schmähschriften auf die
Korruption, Strenge der Sitten usw. Vollständige
Pedanterie.
Ich habe augenblicklich in Croisset zwölf Preußen.
Sobald meine arme Wohnung (vor der ich jetzt ein
Grauen habe), wieder leer und rein ist, werde ich dort-
hin zurückkehren; dann werde ich sicher nach Paris
gellen, trotz der UngesundKeit ! Aber das ist mir
in tiefster Seele gleichgültig.
Neuville bei Dieppe, Freitag 31. März 1871
Teurer Meister!
Morgen endlich will ich es auf mich nehmen, nach
Croisset zurückzukehren! Es ist hart! Aber es muß
sein! Ich will versuchen, meinen armen Heiligen
Antonius wiederaufzunehmen und Frankreich zu
vergessen.
Meine Mutter bleibt hier bei ihrer Enkelin, bis man
weiß, wo man hingehen kann, ohne vor Preußen und
Aufstand Angst haben zu müssen.
Vor einigen Tagen bin ich mit Dumas von hier
nach Brüssel gefahren, von wo ich direkt nach Paris
zurückzukehren gedachte. Aber „das neue Athen**
scheint mir die Dahome an Wildheit und Roheit zu
übertreffen.
Ist dies das Ende des Geschwätzes? Macht man
nun Schluß mit der hohlen Metaphysik und den über-
nommenen Ideen? Alles Unheil rührt aus unserer
riesenhaften Unwissenheit her. Was man studieren
müßte, wird ohne Diskussion geglaubt. Statt zu
erwägen, bestätigt man!
Die französische Revolution muß aufhören ein
Dogma zu sein und muß wie alle übrigen menschlichen
112
Dinge zur Wissenschaft zurückkehren. Wenn man
weiser gewesen wäre, hätte man nicht geglaubt, daß
eine mystische Formel imstande ist, Armeen zu bilden,
und daß das Wort Republik genügt, eine Million
gut disziplinierter Männer zu besiegen. Wenn man
weiser gewesen wäre, hätte man gewußt, was die
Freiwilligen von 92 gewesen sind und der braun-
schweigische Rückzug, der von Danton und Wester-
mann durch Geld erzielt wurde. Aber nein! Immer
das alte Lied, immer Gerede! Zum Beispiel jetzt
die Pariser Kommune, die zum reinen Mittelalter
zurückkehrt! Das ist starrköpfig! Die Frage der
Mieten beispielsweise ist prachtvoll! Die Regierung
mischt sich jetzt in das natürliche Recht; sie redet
in Verträge zwischen Privatleuten hinein. Die Kom-
mune behauptet, daß man nicht schuldig ist, was man
schuldig ist, und daß ein Dienst nicht durch einen
andern Dienst bezahlt wird. Das ist eine ungeheure
Albernheit und Ungerechtigkeit.
Viele von den Konservativen, die aus Liebe zur
Ordnung die Republik erhalten wollten, werden sich
nach Badinguet sehnen und rufen in ihrem Herzen
nach den Preußen. Die Leute im Rathause haben den
Haß abgelenkt. Deshalb grolle ich ihnen. Ich habe
das Empfinden, daß man niemals tiefer gestanden hat.
» 113
Wir werden zwischen der Gesellschaft Saint Vincent
de Pauls und der Internationale hin und hergeschleu-
dert. Aber die letztere macht zuviele Dummheiten,
um ein langes Leben zu haben. Angenommen, daß
sie die Truppen in Versailles schlägt und die Regie-
rung wieder einsetzt, so werden die Preußen in Paris
einziehen und „es wird Ordnung in Warschau"
herrschen. Wenn sie aber besiegt wird, so wird die
Reaktion furchtbar sein und jede Freiheit erdrosselt
werden.
Was soll man von den Sozialisten sagen, die die
Methode Badinguets und Wilhelms nachmachen,
Requisitionen, Verbot von Zeitungen, Hinrichtungen
ohne Prozeß usw.? 0, welch ein unmoralisches Tier
ist die Massel Und wie demütigend ist es, Mensch
zu sein!
Ich umarme Sie.
Croisset, Montag abend, 2 Uhr, i8yj
Teurer Meister!
Warum keine Briefe? Sie haben also die meinen
aus Dieppe nicht bekommen? Sind Sie krank?
Leben Sie noch? Was soll das bedeuten? Ich hoffe
sehr, daß Sie (und die Ihren) nicht in Paris sind,
dem Sitz der Künste, dem Herd der Zivilisation,
dem Zentrum der guten Manieren und der Höflichkeit?
114
Wissen Sie, was das schlimmste von all dem ist?
Daß man sich daran gewöhnt. Ja, man findet sich
damit ab. Es wird einem zur Gewohnheit, Paris zu
entbehren, sich nicht mehr darum zu sorgen und fast
zu glauben, daß es nicht mehr existiert.
Ich für mein Teil bin nicht wie die Spießbürger;
ich finde, daß es nach der Eroberung kein Unglück
mehr gibt. Der preußische Krieg hat auf mich den
Eindruck einer großen Umwälzung in der Natur
gemacht, einer dieser Umwälzungen, wie sie alle
sechstausend Jahre einmal vorkommen; aber der
Pariser Aufstand ist in meinen Augen eine sehr klare
und eigentlich ganz einfache Sache.
Welche Rückschritte! Welche Bosheiten! Wie
sie den Leuten von der Liga und den Maillotins
ähneln! Armes Frankreich, das sich niemals vom
Mittelalter frei machen wird! Das noch immer an
dem gotischen Begriff von der Kommune schleppt,
die nichts anderes ist als die römische Stadt.
Ach, mir ist das Herz schwer, das versichere ich
Ihnen!
Und die kleine Reaktion, die nachher kommen wird?
Wie die guten Geistlichen aufblühen werden!
Ich habe mich wieder an den Heiligen Antonius
gemacht, und ich arbeite heftig.
115
... I8^I
Ich antworte sofort auf Ihre Fragen, soweit sie mich
persönlich betreffen. Nein! Die Preußen haben
meine Wohnung nicht verwüstet. Sie haben ein paar
kleine unwichtige Dinge stibitzt, ein Toiletten-
necessaire, einen Karton, Pfeifen, aber alles in allem
haben sie kein Unheil angerichtet. Was mein Arbeits-
zimmer betrifft, so ist es respektiert worden. Ich
hatte einen großen Kasten voller Briefe eingegraben
und meine umfänglichen Notizen für den Heiligen
Antonius versteckt. Ich habe das alles unversehrt
wiedergefunden.
Das schlimmste an dieser Invasion ist für mich,
daß sie meine arme gute Mutter um zehn Jahre
gealtert hat I Ist das eine Veränderung ! Sie kann nicht
mehr allein gehen und ist von erschütternder Schwäche.
Wie traurig ist es, die Wesen, die man liebt, allmählich
hinschwinden zu sehen.
Um nicht mehr an das allgemeine und an mein
eigenes Elend zu denken, habe ich mich wieder mit
Wut auf den Heiligen Antonius gestürzt, und wenn
mich nichts stört und ich in diesem Tempo fortfahre,
so werde ich ihn im nächsten Winter vollenden. Ich
hätte rechte Lust, Ihnen die sechzig Seiten vorzulesen,
die fertig sind. Besuchen Sie mich doch für eine
Weile, wenn man erst wieder die Elisenbahnen benutzen
116
kann. Ihr alter Troubadour wartet schon so lange
auf Sie. Ihr Brief von heute früh hat mich gerührt.
Was sind Sie für ein stolzer Kerl, und was haben Sie
für ein ungeheures Herz!
Ich bin nicht wie viele Leute, die ich über die
Kämpfe in Paris jammern höre. Ich finde sie er-
träglicher als die Invasion. Denn nach der Invasion
gibt es keine Verzweiflung mehr, und das beweist
wieder einmal unsere Erniedrigung. ,,Ah, Gott sei
Dank, die Preußen sind da," ist der allgemeine Schrei
der Bürger. Ich stecke die Herren Arbeiter in den-
selben Sack und dann soll man das ganze Gesindel
in den Fluß schm ! Dann wird die Ruhe wieder-
kehren. Wir werden ein großes flaches Industrie-
land werden wie Belgien. Das Verschwinden von
Paris (als Sitz der Regierung) wird Frankreich farblos
und schwerfällig machen. Es wird kein Herz, keinen
Mittelpunkt und, glaube ich, keinen Geist mehr
haben.
Was die Kommune betrifft, die im Verröcheln
ist, so ist sie die letzte Manifestation des Mittelalters.
Die letzte, wollen wir hoffen!
Ich hasse die Demokratie (wenigstens wie man sie
in Frankreich auffaßt), das heißt die Erhöhung der
Gnade über die Gerechtigkeit, die Ableugnung des
Rechtes, mit einem Wort die Anti-Gesellschaftlichkeit.
117
Die Kommune rehabilitiert die Meuchelmörcler,
gleich wie Jesus den Schachern am Kreuz verzieh,
und man plündert die Häuser der Reichen, weil man
gelernt hat, Lazarus zu verfluchen, nicht weil er ein
böser Reicher, nur weil er überhaupt ein reicher Mann
war. „Die Republik ist über jede Diskussion
erhaben** entspricht dem Glauben „Der Papst ist
unfehlbar!** Immer Formeln! Immer Götter!
Der verletzte Gott, das allgemeine Wahlrecht,
hat soeben seinen Anbetern einen furchtbaren Streich
gespielt, indem er die „Mörder von Versailles** er-
nannte. Woran soll man also glauben? An nichts!
Das ist der Anfang der Weisheit. Es wäre Zeit, sich
von „Prinzipien** loszumachen und sich der Wissen-
schaft, der Prüfung zu v/idmen. Das einzig Ver-
nünftige (ich komme immer wieder darauf zurück)
ist eine Regierung von Mandarinen, vorausgesetzt,
daß die Mandarinen etwas können und sogar, daß
sie viel können. Das Volk ist unmündig und es wird
(in der Rangordnung der sozialen Elemente) an
letzter Stelle stehen, weil es die Zahl, die Masse,
das unbeschränkte ist. Es ist sehr unbeträchtlich,
ob viele Bauern lesen können und ihrem Pfarrer nicht
mehr gehorchen, aber es ist von unendlicher Bedeu-
tung, daß viele Männer wie Renan oder Littre leben
können und gehört werden. Unser Heil liegt jetzt
118
einzig in einer legitimen Aristokratie, ich verstehe
darunter eine Mehrheit, die sich anders als aus Zahlen
zusammensetzt.
Wenn man aufgeklärter gewesen wäre, wenn es in
Paris mehr Leute gegeben hätte, die die Geschichte
kennen, so hätten wir weder Gambetta, noch Preußen,
noch die Kommune erlebt. Was taten die Katholiken,
um eine große Gefahr abzuwenden? Sie bekreuzigten
sich und empfahlen sich Gott und den Heiligen.
Wir Vorgeschrittenen aber rufen: „Es lebe die
Republik!** Und beschwören die Erinnerung an 92
herauf; und man verzweifelte nicht an der Wirksam-
keit, bedenken Sie das! Der Preuße war nicht mehr
vorhanden, man umarmte sich vor Freude und mußte
sich Zwang antun, um nicht in die Hohlwege der
Argonnen zu laufen, wo es keine Hohlwege mehr
gibt; einerlei, es ist Tradition. Ich habe einen Freund
in Rouen, der einem Klub die Fabrikation von Piken
vorgeschlagen hat, um gegen Chassepots zu kämpfen!
0, wieviel praktischer wäre es gewesen, Badinguet
festzuhalten, um ihn gleich nach Friedensschluß
ins Gefängnis zu stecken. Österreich hat nach König-
grätz keine Revolution gemacht, Italien nicht nach
Novara und Rußland nicht nach Sebastopol. Aber
die guten Franzosen beeilen sich, ihr Haus zu zer-
stören, sobald ihr Schornstein Feuer fängt.
119
Nun muß ich Ihnen aber einen entsetzlichen Ge-
danken anvertrauen: ich fürchte, daß die Zerstörung
der Vendomesäule den Keim zu einem dritten Kaiser-
reich legt! Wer weiß, ob in zwanzig oder in vierzig
Jahren nicht ein Enkel Jeromes unser Herr ist?
Augenblicklich ist Paris vollkommen epileptisch.
Das ist das Ergebnis des Blutandrangs infolge der
Belagerung. Frankreich lebte übrigens seit einigen
Jahren in einem außergewöhnlichen Geisteszustand.
Der Erfolg der Laterne und Troppman sind sehr
deutliche Symptome dessen gewesen. Dieser Wahn-
sinn ist die Folge zu großer Dummheit, und diese
Dummheit rührt aus einem Übermaß von Prahlsucht
her, denn durch das Lügen war man idiotisch ge-
worden. Man hatte jedes Gefühl für Gut und Böse,
für Schön und Häßlich verloren. Erinnern Sie sich
der Kritik in diesen letzten Jahren. Was für einen
Unterschied machte sie zwischen dem Erhabenen
und dem Lächerlichen? Welche Rechtlosigkeit!
Welche Unwissenheit! Welch ein Durcheinander!
„Gekocht oder gebraten war ganz einerlei" und zu
gleicher Zeit diese Unterwürfigkeit gegenüber der
Meinung des Tags.
Alles war falsch! Falscher Realismus, falsche
Armee, falscher Kredit und sogar falsche Dirnen.
Man nannte sie „Marquisen", so wie die vornehmen
120
Damen sich unter sich „Schweinchen** schimpften.
Die Mädchen, die in der Tradition der Sophie Arnould
blieben, wie die Lagier, erregten Entsetzen. Sie
haben die Respektsbezeigungen Saint-Viktors vor der
Paiva nicht gesehen. Und diese Falschheit (die vielleicht
eine Folge der Romantik ist, der Herrschaft der Lei-
denschaft über die Form und der Inspiration über die
Regel) zeigte sich besonders in der Art des Urteilens.
Man rühmte eine Schauspielerin nicht als Schau-
spielerin, sondern als gute Mutter! Man verlangte
von der Kunst, daß sie moralisch, von der Philo-
sophie, daß sie klar, vom Laster, daß es anständig sei
und von der Wissenschaft, daß sie sich dem Auf-
fassungsvermögen des Volkes anpasse.
Aber das ist ein sehr langer Brief geworden. Wenn
ich auf meine Zeitgenossen zu schimpfen anfange,
finde ich kein Ende mehr.
Croisset, Sonntag abend, lo. Juni 1871
Teurer Meister!
Nie habe ich heftiger das Bedürfnis und stärkeres
Verlangen gehabt. Sie zu sehen als jetzt. Ich komme
aus Paris, und ich weiß nicht, mit wem ich sprechen
soll. Ich ersticke. Ich bin überwältigt oder vielmehr
angewidert.
121
Der Gestank der Kadaver ekelt mich weniger als
die Miasmen des Egoismus, die jedem Munde ent-
strömen. Der Anblick der Trümmerhaufen ist nichts
neben der ungeheuren Pariser Dummheit. Von sehr
wenigen Ausnahmen abgesehen scheint mir die ganze
Welt reif fürs Irrenhaus.
Die eine Hälfte der Bevölkerung möchte die andere,
die ihr die gleichen Gefühle entgegenbringt, am
liebsten erwürgen. Das liest man deutlich in den
Augen der Leute.
Und die Preußen sind nicht mehr vorhanden!
Man entschuldigt und bewundert sie! Die „ver-
nünftigen Leute" wollen deutsche Staatsangehörigkeit
erwerben. Ich kann Ihnen sagen, es ist, um an der
menschlichen Rasse zu verzweifeln.
Ich war Donnerstag in Versailles. Die Rechte ist
beängstigend durch ihre Übergriffe. Die Abstimmung
über die Orleans ist ein Zugeständnis, das man ihr
gemacht hat, um sie nicht zu reizen und Zeit zu haben.
sich gegen sie zu wappnen.
Ich nehme Renan von der allgemeinen Torheit aus,
er ist mir im Gegenteil sehr philosophisch erschienen,
und ebenso den guten Soulier, der mich beauftragt
hat, Ihnen tausend zärtliche Dinge zu sagen.
122
Ich habe eine Menge entsetzlicher und nicht öffent-
lich bekannter Einzelheiten gesammelt, mit denen ich
Sie verschone.
Meine kleine Reise nach Paris hat mich sehr gestört,
und es wird mir schwer fallen, mich wieder ans
Schuften zu machen . . .
Wenn die Geschichte die Feuersbrunst von Paris
entwirren wird, wird sie sehr viele Elemente darin
finden, unter denen ohne jeden Zweifel Preußen an
erster Stelle steht und an zweiter Badinguets Leute;
man hat keinen geschriebenen Beweis mehr gegen das
Kaiserreich, und Haußmann wird sich kühn bei den
Wahlen in Paris präsentieren.
Haben Sie unter den Dokumenten, die im letzten
September in den Tullerien gefunden wurden, einen
Entwurf zu einem Roman von Isidore gelesen? Ist
das ein Aufbau I
25. Juli 1871
Ich finde Paris etwas weniger närrisch als im Juni,
wenigstens an der Oberfläche. Man beginnt Preußen
auf eine natürliche Art zu hassen, das heißt, man
kehrt zur französischen Tradition zurück. Man macht
keine Redensarten mehr zum Lobe seiner Zivilisation.
Was die Kommune betrifft, so macht man sich darauf
gefaßt, sie später wiedererstehen zu sehen, und die
123
Leute der Ordnung tun absolut nichts, um ihre Rück-
kehr zu verhindern. Gegen neue Leiden wendet man
alte Mittel an, die noch nie das kleinste Leiden geheilt
(oder verhindert) haben.
Ich glaube wie Sie, daß die bürgerliche Republik
festen Fuß fassen kann. Ihr Mangel an Erhabenheit
ist vielleicht eine Gewähr für ihre Dauerhaftigkeit.
Es ist das erste Mal, daß wir unter einer Regierung
leben, die keine Prinzipien hat. Die Ära des Positi-
vismus in der Politik will beginnen.
Der ungeheure Widerwille, den mir meine Zeit-
genossen einflößen, verweist mich in die Vergangen-
heit, und ich arbeite mit aller Kraft an meinem guten
Heiligen Antonius. Ich bin einzig seinetwegen nach
Paris gekommen, denn es ist mir unmöglich, mir in
Rouen die Bücher zu beschaffen, die ich augenblicklich
brauche; ich bin in die Religionen Persiens unter-
getaucht. Ich versuche mir eine deutliche Vor-
stellung von dem Gotte Hom zu machen, was nicht
leicht ist. Ich habe den ganzen Juni mit dem Studium
des Buddhismus verbracht, über den ich schon viele
Notizen hatte. Aber ich wollte den Stoff möglichst
erschöpfen. Ich habe danach einen kleinen Buddha
gemacht, den ich reizend finde. Wie gern würde ich
Ihnen diesen (meinen I) Schmöker vorlesen.
124
Ich komme nicht nach Nohant, weil ich mich jetzt
nicht mehr von meiner Mutter zu entfernen wage.
Ihre Gesellschaft betrübt und entnervt mich, meine
Nichte Karoline hilft mir diese teure und schwere
Last tragen.
In vierzehn Tagen werde ich wieder in Croisset
sein. Vom 15. bis 20. August erwarte ich dort den
guten Turgenjeff . Es wäre sehr reizend, wenn Sie dann
nach ihm kämen, teure Meisterin. Ich sage nach
ihm, denn wir haben seit der Anwesenheit der Preußen
nur ein Zimmer in Ordnung. Das wäre eine gute
Abwechselung. Kommen Sie im September.
Haben Sie vom Odeon etwas gehört? Es ist mir
unmöglich, von Herrn von Chilly irgendeine Antwort
zu bekommen. Ich bin mehrmals bei ihm gewesen
und habe ihm drei Briefe geschrieben: kein Wort!
Diese Leute haben Grandseigneurmanieren, die ent-
zückend sind. Ich weiß nicht, ob er noch Direktor
ist oder ob die Direktion der Gesellschaft Berton,
Laurent, Bernhard übertragen ist.
Berton hat mir geschrieben, ich solle ihn (und
sie alle) d'Osmey empfehlen, dem Präsidenten der
dramatischen Kommission, aber seitdem habe ich
überhaupt nichts mehr gehört.
125
Croisset, Mittwoch abend, 6. September
Nun, teurer Meister, mir scheint, man vergißt seinen
Troubadour? Sie sind also sehr mit Arbeit überhäuft!
Wie lange ist es her, daß ich Ihre liebe, große Schrift
nicht gesehen habe! Wie lange ist es her, daß wir
nicht zusammen geplaudert haben! Wie schade, daß
wir so fern voneinander wohnen. Ich habe großes
Verlangen nach Ihnen.
Ich wage meine arme Mutter nicht mehr zu ver-
lassen ! Wenn ich fortzugehen gezwungen bin, nimmt
Karoline meine Stelle ein. Sonst würde ich nach
Nohant kommen. Werden Sie auf unbestimmte Zeit
dort bleiben? Müssen wir bis Mitte des Winters war-
ten, bevor man sich umarmen kann?
Ich möchte Ihnen gern den Heiligen Antonius vor-
lesen, der in seiner ersten Hälfte fertig ist, dann
Ihnen mein Herz ausschütten und schimpfen. Jemand,
der weiß, daß ich Sie liebe, und der Sie bewundert,
hat mir eine Nummer des Gaulois gebracht, in der
Bruchstücke Ihres Artikels über die Arbeiter stehen,
den Sie im Temps veröffentlicht hatten. Wie das
stimmt! Wie richtig und gut das gesagt ist! Traurig!
Traurig! Armes Frankreich! Und man beschuldigt
mich, skeptisch zu sein.
Was sagen Sie zu Fräulein Papavoine, einer Mord-
brennerin, die auf einer Barrikade den Ansturm von
126
achtzehn Bürgern ausgehalten hat? Das stellt den
Schluß der Schule der Empfindsamkeit in den Schatten,
wo man sich darauf beschränkt, Blumen anzubieten.
Aber was jetzt alles übersteigt, das ist die konser-
vative Partei, die nicht einmal mehr wählen will und
und die nicht aufhört zu zittern! Sie machen sich
keine Vorstellung von der Angst der Pariser. „In
sechs Monaten, mein Herr, wird überall die Kommune
errichtet sein", ist die allgemeine Antwort, oder viel-
mehr das allgemeine Zittern.
Ich glaube nicht an eine nahe Umwälzung, weil
nichts von dem Vorausgesagten eintrifft. Die Inter-
nationale wird vielleicht schließlich triumphieren,
aber nicht so, wie sie es hofft, nicht, wie man es
fürchtet. 0! Wie überdrüssig bin ich des unvor-
nehmen Arbeiters, des albernen Bürgers, des stumpf-
sinnigen Bauern und des verhaßten Geistlichen.
Deshalb vergrabe ich mich, soviel ich kann, ins
Altertum. Augenblicklich lasse ich alle Götter im
Moment des Todeskampfes reden. Der Untertitel
meines Schmökers könnte sein: „Der Gipfel des
Wahnsinns." Und die Veröffentlichung tritt in meinem
Geist immer weiter zurück. Wozu etwas veröffent-
lichen? Wer kümmert sich denn jetzt um Kunst?
Ich mache für mich Literatur, wie ein Bürger in seiner
Bude mit dem Serviettenring spielt. Sie werden mir
127
sagen, daß es besser sei, sich nützlich zu machen.
Aber auf welche Weise? Wie soll man sich Gehör
verschaffen ?
Turgenjeff hat mir geschrieben, daß er sich vom
Oktober ab den ganzen Winter in Paris festsetzen
werde. Das ist ein Mensch, mit dem man sprechen
kann. Denn ich kann absolut nichts mit absolut
niemandem mehr reden.
Ich bin heute am Grabe meines armen Bouilhet
gewesen; daher bin ich heute abend doppelt bitter.
Croissei, 8. September 1871
O wie reizend sie sind! Diese Engelchen! Was
für liebe, ernste und sanfte Köpfchen ! Meine Mutter
ist ganz gerührt darüber und ich auch. Das nennt
man eine zarte Aufmerksamkeit, teurer Meister, und
ich danke Ihnen sehr. Ich beneide Maurice, sein
Leben ist nicht leer wie meins.
Unsere beiden Briefe haben sich wieder einmal
gekreuzt. Das beweist zweifellos, daß wir die gleichen
Dinge zu gleicher Zeit und im gleichen Maße fühlen.
Warum sind Sie so traurig? Die Menschheit bietet
nichts Neues. Ihr unheilbares Elend hat mich seit
meiner Jugend mit Bitterkeit erfüllt. Daher erlebe
ich jetzt auch keine Enttäuschung. Ich glaube, daß
die Masse, der Haufe stets hassenswert sein wird.
128
Es gibt nichts Wichtiges außer einer kleinen Gruppe
von geistvollen Köpfen, die immer die gleichen sind.
Solange man sich nicht vor den Mandarinen beugt,
solange die Akademie der Wissenschaften nicht
an die Stelle des Papstes tritt, wird die gesamte Politik
und die Gesellschaft bis in ihre Wurzeln nur ein
Haufen von widerlichem Geschwätz sein. Wir leben
in den Nachwehen der Revolution, die eine Fehl-
geburt gewesen ist, eine tote Sache, ein Mißerfolg,
was man auch sage. Und zwar deshalb, weil sie dem
Mittelalter und dem Christentum entsprang. Der
Gedanke der Gleichheit (der die ganze moderne
Demokratie ist), ist eine im wesentlichen christliche
Idee, die im Gegensatz zu dem Gedanken der Gerech-
tigkeit steht. Beachten Sie, wie die Gnade jetzt das
Übergewicht hat. Das Gefühl ist alles, das Recht
nichts. Man ist nicht einmal mehr über die Mörder
entrüstet; die Leute, die Paris in Brand gesteckt haben,
sind weniger bestraft worden als der Verleumder
Favres.
Wenn Frankreich sich wieder erheben soll, muß es
von der Inspiration zur Wissenschaft übergehen, muß
es alles Metaphysische hinter sich lassen und mit der
Kritik beginnen, das heißt mit der Prüfung der Dinge.
Ich bin überzeugt, daß wir der Nachwelt äußerst
dumm erscheinen werden. Die Worte Republik
' 129
und Monarchie werden sie zum Lachen bringen,
wie wir über den Realismus und den Nominalismus
lachen. Denn ich wette, daß man mir keinen wesent-
lichen Unterschied zwischen diesen beiden Aus-
drücken zeigen kann. Eine moderne Republik und
eine konstitutionelle Monarchie sind identisch, man
prügelt sich darum, man schreit, man haut sich!
Was das gute Volk betrifft, so wird die obligatorische
Freischule der letzte Schritt sein. Wenn alle Leute
das Kleine Journal und den Figaro lesen können,
wird man nichts anderes mehr lesen, da ja der Spieß-
bürger, der reiche Mann, auch nichts weiter liest.
Die Presse ist eine Schule der Verdummung, weil
sie vom Denken entbindet. Sprechen Sie das aus,
das wäre eine mutige Tat, und wenn Sie mit Ihrer
Meinung durchdringen, so haben Sie etwas Großes
geleistet.
Das erste Heilmittel wäre, mit dem allgemeinen
Wahlrecht ein Ende zu machen, dieser Schande des
menschlichen Geistes. Wie es aufgebaut ist, überwiegt
ein einzelnes Element zum Schaden aller andern:
die Zahl beherrscht den Geist, die Bildung, die Rasse
und sogar das Geld, das mehr gilt als die Zahl.
Aber eine Gesellschaft (die stets einen guten Gott,
einen Heiland nötig hat) ist vielleicht nicht imstande,
sich zu verteidigen? Die konservative Partei hat nicht
130
einmal den Instinkt des Tieres (denn das Tier kann
wenigstens für seine Höhle und seine Lebensbedin-
gungen kämpfen). Sie wird von den Internationalen
gesprengt werden, den Jesuiten der Zukunft. Aber
die Jesuiten der Vergangenheit, die auch kein Vater-
land und keine Gerechtigkeit hatten, sind nicht durch-
gedrungen, und die Internationale wird scheitern, weil
sie auf falschem Wege ist. Keine Ideen, nichts als
Begehrlichkeit!
Ach, lieber, guter Meister, wenn Sie hassen könnten !
Das hat Ihnen gefehlt, der Haß! Trotz Ihren großen
Sphinxaugen haben Sie die Welt in goldenem Licht
gesehen. Dies Licht floß aus der Sonne ihres Herzens;
aber es sind soviele Finsternisse hervorgequollen,
daß Sie jetzt die Dinge nicht mehr erkennen. Vor-
wärts doch! schreien Sie! donnern Sie! Nehmen Sie
Ihre große Leier und schlagen Sie die erzenen Saiten :
die Ungeheuer werden entfliehen! Besprengen Sie
uns mit den Blutstropfen der verwundeten Themis.
Unsere Unkenntnis der Geschichte bringt uns
dazu, unsere Zeit zu verleumden. Man ist immer
genau so gewesen. Einige Jahre der Ruhe haben uns
getäuscht. Das ist alles. Ich habe ebenfalls an die
Besänftigung der Sitten geglaubt. Man muß diesen
Irrtum tilgen und sich nicht für mehr halten, als
wofür man sich zur Zeit Shakespeares oder Perikles
'• 131
hielt, grausamen Zeiten, wo man wundervolle Dinge
geschaffen hat. Sagen Sie mir, daß Sie den Kopf
wieder hochheben und daß Sie an Ihren alten Trouba-
dour denken, der Sie lieb hat.
j^. November
Ah! Ich habe soeben meine Götter fertig, das heißt
den mythologischen Teil meines Heiligen Antonius,
an dem ich seit Anfang Juni sitze. Wie gern würde
ich Ihnen das vorlesen, teurer Meister.
Warum haben Sie Ihrer guten Regung widerstan-
den ? Warum sind Sie diesen Herbst nicht gekommen ?
Man darf nicht solange ohne Paris sein. Ich werde
übermorgen dort sein und habe außer mit Aisse mit
der Drucklegung eines Versbandes zu tun, (ich möchte
Ihnen wohl das Vorwort zeigen), und was sonst noch
alles. Eine Masse wenig amüsanter Dinge.
Ich habe das angekündigte zweite Feuilleton nicht
bekommen. Ihrem alten Troubadour brummt der
Schädel. Meine längsten Nächte haben seit drei
Monaten nicht länger als fünf Stunden gedauert.
Ich habe geradezu rasend geschuftet. Ich glaube
meinen Schmöker aber auch auf einen schönen Grad
von Wahnsinn gebracht zu haben. Der Gedanke an
die dummen Aussprüche, zu denen er den Bürger
veranlassen wird, hält mich aufrecht, oder eigentlich
132
brauche ich nicht aufrecht gehalten zu werden, da
ein solches Milieu mir natürlich gefällt.
Der gute Bürger wird immer stumpfsinniger!
Er will nicht einmal wählen!
Das dumme Vieh hat mehr Selbsterhaltungstrieb
als er. Armes Frankreich! Wir Armen!
Wissen Sie, was ich jetzt lese, um mich zu zer-
streuen? Bichat und Cabanis, und sie machen mir
ungeheuren Spaß. Damals konnte man Bücher
schreiben. 0, wie weit sind unsere heutigen Gelehrten
von diesen Männern entfernt!
Wir leiden nur an einem: an Dummheit. Aber
sie ist furchtbar und allgemein. Wenn man von der
Verdummung des gemeinen Volkes spricht, so ist
das eine Ungerechtigkeit, eine Unvollständigkeit !
Schlußfolgerung: man muß den gebildeten Klassen
Bildung geben. Man fange mit dem Kopf an, das ist
der kränkste Teil, das übrige kommt später.
Sie sind nicht wie ich! Sie sind voll Sanftmut.
Mich aber erstickt an manchen Tagen der Zorn.
Ich möchte meine Zeitgenossen in den Latrinen er-
tränken oder wenigstens Ströme von Beleidigungen,
Sturzbäche von Beschimpfungen auf ihre Köpfe
regnen lassen. Wozu? Das frage ich mich selbst.
Welche Art Archäologie beschäftigtMaurice? Umarmen
Sie Ihre Enkelchen in meinem Namen. Ihr Alter.
133
. . . iS'ji
Teurer Meister!
Ich habe gestern Ihr Feuilleton bekommen und ich
würde mit einem langen Brief darauf antworten,
wenn ich nicht mitten in den Vorbereitungen für
meine Reise nach Paris wäre. Ich will versuchen,
mit Aisse zum Ende zu kommen.
Ihr Brief hat mich eine Träne vergießen lassen,
ohne mich aber zu bekehren. Ich bin gerührt ge-
wesen, das ist alles, aber nicht überzeugt.
Ich suche bei Ihnenf ein Wort, das ich nirgends
finde : Gerechtigkeit, und unser ganzes Leiden kommt
daher, daß wir diese erste Forderung der Moral,
aus der sich nach meiner Ansicht die ganze Moral
zusammensetzt, vollkommen vergessen haben.
Gnade, Humanität, Gefühl, Ideal haben uns
soviele häßliche Streiche gespielt, daß man es
mit dem Recht und der Wissenschaft versuchen
sollte.
Wenn Frankreich nicht in einiger Zeit in die kri-
tische Phase eintritt, halte ich es für unrettbar verloren.
Der kostenlose und obligatorische Schulunter-
richt wird nur die Zahl der Dummköpfe vermehren.
Renan hat das glänzend in der Einleitung zu seinen
„Zeitgenössischen Fragen" gesagt. Was uns vor allem
not tut, ist eine natürliche Aristokratie, das heißt
134
eine legitime. Man kann nichts ohne Kopf tun, und
das allgemeine Wahlrecht, so wie es jetzt ist, ist stupider
als das göttliche Recht. Sie werden schöne Dinge
erleben, wenn man es bestehen läßt. Die Masse,
die Zahl ist immer idiotisch. Ich habe nicht viele
Überzeugungen, aber diese eine ist sehr stark. Man
muß aber die Masse respektieren, so dumm sie auch
ist, weil sie Keime einer unberechenbaren Frucht-
barkeit enthält. Man gebe ihr die Freiheit, aber nicht
die Macht.
Ich glaube ebensowenig wie Sic an den Klassen-
unterschied. Die Kasten gehören der Archäologie an.
Aber ich glaube, daß die Armen die Reichen hassen
und daß die Reichen vor den Armen Angst haben.
Das wird ewig so sein. Den einen wie den andern
Liebe predigen, ist unnütz. Das Wichtigste ist, die
Reichen heranzubilden, die insgesamt die stärksten
sind. Man muß zuerst den Bürger aufklären, denn
er weiß nichts, absolut nichts. Der ganze Traum der
Demokratie ist, den Proletarier zum Niveau der Dumm-
heit des Bürgers zu erheben. Der Traum ist zum Teil
erfüllt. Er liest die gleichen Zeitungen und hat die
gleichen Passionen.
Die drei Grade der Bildung haben seit einem Jahre
ihre Wirkung gezeigt: 1. die höhere Bildung hat
Preußen siegreich sein lassen ; 2. die mittlere Bildung,
135
die bürgerliche, hat die Männer des 4. September
hervorgebracht; 3. die Elementarbildung hat uns die
Kommune gegeben. Ihr Unterrichtsminister war der
große Valles, der sich rühmte, Homer zu verachten!
In drei Jahren werden alle Franzosen lesen können.
Glauben Sie, daß wir damit weiter sein werden?
Stellen Sie sich stattdessen vor, daß in jeder Stadt
ein Bürger wäre, ein einziger, der Ba^tiat gelesen
hätte, und daß dieser Bürger respektiert würde;
dann erst würden die Dinge anders werden.
Dennoch b:n ich nicht entmutigt wie Sie, und die
gegenwärtige Regierung gefällt mir, weil sie keine
Prinzipien hat, keine Metaphysik, keinen hohlen
Schwindel treibt. Ich drücke mich sehr schlecht aus.
Sie verdienen wohl eine andere Antwort, aber ich habe
es sehr eilig.
Ich hörte heute, daß die Masse der Pariser nach
Badinguet verlangt. Eine Volksabstimmung würde
sich für ihn aussprechen, daran zweifle ich nicht,
insofern ist das allgemeine Wahlrecht eine gute
Sache.
. . . 1S71
Nie in Ihrem Leben, lieber, teurer Meister, haben Sie
einen solchen Beweis Ihrer unbegreiflichen Offen -
36
Herzigkeit gegcb.-n! Wie, im Ernst, Sie glauben,
mich b.leicllgt zu h ben! Die erste Seite sieht fast
aus wie eine Entschuldigung. Darüber habe ich sehr
lachen müssen! Sie können mir übngens alles sagen,
alles! Ihre Seh äge werden mir Liebkosungen sein.
Also plaudern wir welter! Ich fange wieder von der
Gerechtigkeit an! Sjhen Sie ein, daß man dazu ge-
kommen ist, sie vollkommen zu leugnen? Hat die
moderne Kritik nicht die Kunst um der Geschichte
willen aufgegeben? Der innere Wert eines Buches
bedeutet nichts in der Schule Sainte-Beuve, Taine.
Man zieht dort alles in Betracht außer dem Talent.
Daher kommt in den kleinen Zeitungen der Mißbrauch
der Persönlichkeit, die Biographien, die Schmäh-
schriften. Folge: Unehrerbietigkeit des Publikums.
Beim Theater die gleiche Geschichte. Man küm-
mert sich nicht um das Stück, sondern um die vor-
getragene Idee. Unser Freund Dumas träumt von
dem Ruhm Lacordaires oder vielmehr Ravignans!
Wir müssen noch wenig fortgeschritten sein, da die
ganze Moral für die Frauen darin besteht, sich
des Ehebruchs zu enthalten, und für die Männer,
nicht zu stehlen. Das erste Unrecht hat die
Literatur begangen, als sie sich nicht um die Ästhetik
kümmerte, die nur eine höhere Gerechtigkeit ist.
Die Romantiker mit ihrer unmoralischen Senti-
137
mentalitgt tragen die Verantwortung. Erinnern Sie
sich eines Stückes von Victor Hugo in der Legende
des Siecles, wo ein Sultan die ewige Seligkeit gewinnt,
weil er Mitleid mit einem Schwein gehabt hat. Es
ist immer die Geschichte von dem guten Schacher,
der gesegnet wird, weil er bereut. Bereuen ist gut,
aber nichts Böses tun, ist besser. Die Schule der
Vergebung hat uns dahin geführt, zwischen einem
Schurken und einem ehrenhaften Menschen keinen
Unterschied zu sehen. Ich habe mich einmal vor Zeu-
gen gegen Sainte-Beuve ereifert, und habe ihn gebeten,
ebensoviel Nachsicht für Balzac zu haben, wie er für
Jules Lecomte hat. Seine Antwort war, daß er mich
als Dummkopf behandelte! Dahin führt die Weit-
herzigkeit !
Man hat so gänzlich jedes Gefühl für Proportionen
verloren, daß der Kriegsrat in Versailles Maroteau
zum Tode verurteilte ebenso wie Rössel ! Das ist Schwin-
del. Diese Herren interessieren mich übrigens sehr
wenig. Ich finde, man hätte die ganze Kommune
zu Zwangsarbeit verurteilen und diese blutigen Dumm-
köpfe zwingen müssen, als Galeerensklaven mit der
Kette um den Hals die Trümmer von Paris aufzu-
räumen. Aber das hätte die Menschlichkeit verletzt.
Man hat Mitgefühl mit den tollen Hunden und nicht
das geringste mit den Gebissenen.
138
Das wird sich nicht ändern, solange das allgemeine
Wahlrecht bleibt, wie es ist. Jeder Mensch (meiner
Ansicht nach), so niedrig er auch sei, hat Recht auf
eine Stimme, die seine, steht aber seinem Nachbar
nicht gleich, der hundertmal soviel wert sein kann.
In einer industriellen Unternehmung (Aktiengesell-
schaft) stimmt jeder Aktionär im Verhältnis seiner
Beteiligung. In der Regierung einer Nation müßte
es ebenso sein. Ich bin wohl soviel wert wie zwanzig
Wähler von Croisset. Geld, Geist und Rasse sogar
müssen gezählt werden, kurz, alle Kräfte. Nun sehe
ich aber bis jetzt nur eins: die Zahl ! 0 teurer Meister!
Sie, die Sie soviel Autorität haben, Sie müßten ins
Feuer! Man liest Ihre Artikel im Temps, die einen
großen Erfolg haben, und wer weiß? Sie würden
vielleicht Frankreich einen ungeheuren Dienst leisten.
Alsse beschäftigt mich ungeheuer oder vielmehr
greift mich an. Ich habe Chllly nicht gesehen und
habe also mit Duquesnel zu tun. Man nimmt mir
positiv den alten Berton und schlägt mir seinen Sohn
vor. Er ist sehr reizend, aber gar nicht der Typ, den
der Verfasser gewollt hat. Lieber als darauf warten,
daß ein literarischer Wind sich erhebt, wie er sich zu
meinen Lebzeiten nicht erheben wird, will ich die
Sache sofort wagen.
139
Diese Thiiteraffären stören mich sehr, denn ich
war gut im Zuge. Sjit einem Monat war Ich sogar in
einer Erregung, die an Wahnsinn grenzte.
Ich h hi den unvermeidlichen Harrisse getroffen,
einen Mjnschen, der die ganze Welt kennt und sich
auf alles versteht, auf Theater, Romane, Finanzen,
Politik usw. Was ist doch der aufgeklärte Mensch
für eine Rasse!!! Ich habe die Plessy gesehen, reizend
und schön wie immer. Sie hat mich beauftragt, Ihnen
tausend Empfehlungen zu übermitteln.
Ich für meinen Teil sende Ihnen hunderttausend
Grüße!
Ihr Alter.
/. Dezember.
Teurer Meister!
Ihr Brief, der mir wieder in die Hand fällt, verursacht
mir Gewissensbisse, denn ich habe Ihre Bestellung
an die Prinzessin noch nicht ausgerichtet.
Ich habe mehrere Tage lang nicht gewußt, wo die
Prinzessin war. Sie mußte erst in Paris ein Unter-
kommen suchen und mich von ihrer Ankunft benach-
richtigen. Heute endlich erfahre ich, daß sie in Saint-
Gratien wohnt, und ich werde wahrscheinlich Sonntag
abend hingehen. Auf jeden Fall wird Ihre Bestellung
in der nächsten Woche ausgerichtet werden.
140
Ich muß mich entschuldigen, denn ich habe seit
vierzehn Tagen keine freien zehn Minuten gehabt.
Ich habe mich gegen die Wiederaufnahme von Ruy
Blas wehren müssen, das vor Aisse kommen wollte
(die Arbeit war hart). Nun endlich fangen die Proben
am nächsten Montag an. Ich habe heute das Stück
den Schauspielern vorgelesen und morgen werden die
Rollen verteilt. Ich glaube, daß es gut gehen wird.
Ich lasse den Versband von Bouilhet drucken, zu dem
ich das Vorwort umgearbeitet habe. Kurz, ich bin
außer Atem! Und traurig! Traurig zum Sterben!
Wenn ich mich in eine Tat hineinstürzen muß,
tue ich es mit geschlossenen Augen. Aber das Herz
zerspringt mir vor Widerwillen. Das ist die Wahrheit.
Ich habe noch keinen von unsern Freunden gesehen,
außer Turgenjeff, den ich entzückender gefunden
habe als je.
Umarmen Sie Aurore herzlich um ihres reizenden
Wortes willen, und sie soll Ihnen in meinem Namen
das gleiche tun,
Ihr Alter.
Montag abend, 3. Februar
Teurer Meister!
Es sieht aus, als vergäße ich Sie und wolle die Reise
nach Nohant nicht machen? Es ist nicht so! Aber
141
seit einem Monat werde ich jedesmal, wenn ich Luft
schöpfe, wieder von der Grippe gepackt, die bei
jedem Rückfall stärker wird. Ich huste furchtbar
und verbrauche unzählige Taschentücher. Wann
wird das ein Ende nehmen?
Ich habe den Entschluß gefaßt, bis zur vollständigen
Wiederherstellung meine Schwelle nicht mehr zu
überschreiten, und ich warte immer noch auf den
guten Willen der Mitglieder der Kommission für das
Bouilhetdenkmal. Seit bald zwei Monaten ist es mir
nicht möglich, in Ronen sechs Einwohner von Ronen
zusammenzubringen. Das sind die Freunde!
Alles ist schwierig, die kleinste Unternehmung er-
fordert große Anstrengungen.
Ich studiere jetzt Chemie (von der ich keinen Deut
verstehe), und den Mediziner Raspail, außerdem den
Modernen Küchengarten von Gressent und Gasparins
Ackerbau. Es wäre übrigens sehr reizend von Mau-
rice, wenn er seine landwirtschaftlichen Erinnerungen
für mich sammelte, damit ich weiß, welche Fehler
er gemacht hat und aus welchen Gründen er sie ge-
macht hat.
Welche Auskünfte habe ich für das Buch, das ich
schreibe, nicht nötig? Ich bin in diesem Winter nach
Paris gegangen in der Absicht, dort Material zu
sammeln; aber wenn mein entsetzlicher Katarrh
142
nocK lange anhält, wird mein Aufenthalt hier unnütz
sein. Werde ich wie jener Kanonikus Poitiers werden,
von dem Montaigne spricht, der seit dreißig Jahren
sein Zimmer nicht verlassen hat wegen der ,,Last
seiner Melancholie", und der sich trotzdem sehr wohl
befand, „abgesehen von einer Erkältung, die ihm auf
den Magen geschlagen war". Ich will damit sagen,
daß ich sehr wenige Leute sehe. Wen soll ich übrigens
besuchen? Der Krieg hat Abgründe aufgerissen.
Ich habe mir Ihren Artikel über Badinguet nicht
verschaffen können. Ich gedenke ihn bei Ihnen zu
lesen.
Was die Lektüre betrifft, so habe ich soeben den
ganzen widerwärtigen Joseph de Maistre verschlungen.
Hat man uns genug mit diesem Mann gegeißelt?
Und die modernen Sozialisten haben ihn in den
Himmel gehoben, angefangen bei den Saint-Simo-
nisten, bis zu A. Comte. Frankreich ist autoritäts-
trunken, was man auch sage. Einen guten Gedanken
finde ich bei Raspail. Die Ärzte müßten Beamte
sein, damit sie die Leute zwingen können usw.
Ihr alter romantischer und liberaler Esel umarmt
Sie zärtlich.
Sonntag
Endlich habe ich einen Tag Ruhe, und ich kann
Ihnen schreiben. Aber ich habe Ihnen soviele Dinge
143
zu erzählen, daß ich mich nicht mehr zurechtfinde.
1. Ihr Briefchen vom 4. Januar, das ich gerade
am Morgen der Aissepremiere bekam, hat mich zu
Tränen gerührt, teurer, gehebter Meister. Nur Sie
können solches Feingefühl haben.
Die Premiere ist wundervoll gewesen, und das war
alles. Am andern Tage war das Theater fast leer.
Die Presse hat sich im allgemeinen stupid und un-
nobel gezeigt. Man hat mich beschuldigt, ich hätte
Reklame machen wollen durch Einschaltung einer
Brandrede. Ich gelte als Roter (sie!). Sie sehen,
wie weit man gekommen ist.
Die Direktion des Odeon hat nichts für das Stück
getan! Im Gegenteil. Am Tage der Premiere habe
ich mit eigenen Händen die Requisiten des ersten
Aktes herbeiholen müssen ! Und bei der dritten Auf-
führung habe ich die Statisten geführt.
Während der ganzen Zeit der Proben haben sie in
den Zeitungen die Wiederaufnahme von Ruy Blas
angekündigt usw. usw. Sie haben mich gezwungen,
„La Baronne" totzumachen, genau wie Ruy Blas
Aisse totmachen wird. Kurz, der Erbe Bouilhets
wird wenig Geld verdienen. Die Ehre ist gerettet,
das ist alles.
Die „Letzten Lieder** sind gedruckt. Sie be-
kommen diesen Band gleichzeitig mit Aisse und
144
einem Brief von mir an den Stadtrat von Rouen.
Diese kleine Ausgeburt ist dem Nouvelliste in Rouen
so kräftig erschienen, daß er sie nicht zu drucken
gewagt hat, aber sie wird Mittwoch im Temps er-
scheinen und dann in Rouen als Broschüre.
Was für ein närrisches Leben habe ich seit zwei-
einhalb Monaten geführt! Daß ich daran nicht
zugrunde gegangen bin! Meine längsten Nächte
haben nicht länger als fünf Stunden gedauert. Was
für Laufereien! Was für Briefe! Und wieviel Wut —
zurückgedrängte, unglücklicherweise. Endlich seit
drei Tagen schlafe ich mich satt, und ich bin ganz
stumpfsinnig davon!
Ich habe mit Dumas der Premiere von Roi Carotte
beigewohnt. Man kann sich einen solchen Dreck nicht
vorstellen! Es ist dummer und hohler als die schlech-
teste von Clairvilles Zauberpossen. Das Publikum
ist vollkommen meiner Meinung gewesen.
Der gute Offenbach hat in der komischen Oper
mit Phantasie ein zweites Fiasko gehabt. Sollte man
anfangen, das Geschwätz zu hassen? Das wäre ein
hübscher Fortschritt auf dem Wege des Guten!
Turgenjeff ist seit Anfang Dezember in Paris. Jede
Woche verabreden wir ein Zusammensein, um den
Heiligen Antonius zu lesen und zusammen zu essen.
Aber es kommt immer etwas dazwischen und wir
10
145
sehen uns nicht. Mich macht das Dasein mehr als je
marode und ich bin angewidert von allem, was nicht
ausschließt, daß ich mich niemals gesunder gefühlt
habe. Erklären Sie mir das.
Sie bekommen sehr bald: Letzte Lieder, Aiss6 und
meinen Brief an den Stadtrat von Rouen, der morgen
im Temps erscheinen wird, bevor er als Broschüre
herauskommt.
Ich habe vergessen, Sie von etwas in Kenntnis
zu setzen, teurer Meister. Daß ich nämlich Ihren
Namen mißbraucht habe. Ich habe Sie kompro-
mittiert, indem ich Sie unter den Berühmtheiten
genannt habe, die für das Bouilhetdenkmal subskri-
biert haben. Ich fand, es machte sich gut. Da eine
stilistische Wirkung etwas Heiliges ist, werden Sie
es nicht dementieren.
Heute habe ich mich wieder an meine metaphy-
sische Lektüre für den Heiligen Antonius gemacht.
Am nächsten Sonnabend lese ich dreihundert Seiten,
alles was fertig ist, Turgenjeff vor. Warum sind Sie
nicht da!
Ich umarme Sie. Ihr Alter.
146
Lieber, teurer Meister!
Können Sie für den Temps einen Artikel über Letzte
Lieder schreiben? Ich würde Ihnen sehr dankbar
sein.
Ich bin die ganze letzte Woche krank gewesen.
Mein Hak war in einem schauerlichen Zustand.
Aber ich habe viel geschlafen und bin jetzt wieder
in Ordnung. Ich habe meine Studien für den Heiligen
Antonius wieder aufgenommen.
Mir scheint, daß die Letzten Lieder Stoff zu einem
feinen Artikel geben können, zu einer Leichenrede
der Poesie. Sie wird nicht zugrunde gehen, aber
die Verfinsterung wird lang sein und Dunkelheit
umgibt uns.
Fragen Sie Ihr Herz und antworten Sie mir mit
einer Zeile.
... i8y2
Nein! Teurer Meister, das ist nicht wahr. Bouilhet
hat niemals die Bürger von Rouen verletzt; kein
Mensch war sanfter gegen sie, ich sage sogar zaghafter,
um die ganze Wahrheit auszudrücken. Was mich
betrifft, so habe ich mich isoliert. Das ist mein ganzes
Verbrechen.
Ich finde gerade heute zufällig in den „Memoiren
des Riesen" von Nadar einen Absatz über mich und
10*
147
die Leute von Rouen, der äußerst richtig ist. Da Sie
dies Buch ja besitzen, schlagen Sie bitte Seite 100
nach.
Wenn ich geschwiegen hätte, so hätte man mich
einen Feigling genannt. Ich habe unumwunden, das
heißt brutal, protestiert. Und ich habe recht getan.
Ich glaube, man darf nie den Angriff eröffnen,
pariert man aber, so muß man versuchen, seinen
Gegner glatt zu töten. Das ist mein System. Die
Ehrlichkeit ist ein Teil der Rechtschaffenheit; weshalb
sollte sie im Tadel weniger absolut sein als im Lob?
Wir gehen zugrunde durch die Nachsicht, die Milde,
die Schlappheit und (ich komme auf meinen ewigen
Refrain zurück) durch den Mangel an Gerechtigkeit.
Ich habe übrigens niemanden beleidigt, ich habe
mich an Allgemeinheiten gehalten, — was Herrn
Decorde betrifft, so kämpfe ich mit ehrlichen Mitteln ;
aber genug hiervon!
Ich habe gestern einen hübschen Tag mit Tur-
genjeff verbracht, dem ich die 1 1 5 Seiten vom Heiligen
Antonius, die geschrieben sind, vorgelesen habe. Dar-
auf habe ich ihm fast die Hälfte von den Letzten
Liedern vorgelesen. Welch ein Zuhörer! Und welch
ein Kritiker! Er hat mich durch die Tiefe und Klar-
heit seines Urteils geblendet. O, wenn doch alle, die
sich damit befassen, über Bücher zu urteilen, ihn
148
hätten hören können, das wäre eine Lehre gewesen!
Nichts entgeht ihm. Am Ende eines Gedichtes
von hundert Zeilen erinnert er sich eines schwachen
Beiworts! Er hat mir für den Heiligen Antonius
zwei oder drei ausgezeichnete Ratschläge in bezug
auf Einzelheiten gegeben.
Sie halten mich also für sehr dumm, da Sie glauben,
daß ich Sie wegen Ihres ABC-Buchs tadeln werde.
Main Geist ist philosophisch genug, um zu wissen,
daß eine solche Sache ein sehr ernsthaftes Werk ist.
Die Methode ist das Höchste in der Kritik, da sie
das Mittel zum Schaffen gibt.
. . . i8jz
Wie lange ist es her, daß ich Ihnen nicht geschrieben
habe, teurer Meister? Ich habe Ihnen soviel zu er-
zählen, daß ich nicht weiß, wo anfangen. Aber wie
töricht ist es, so getrennt zu leben, wenn man sich
liebt.
Haben Sie Paris auf ewig Lebewohl gesagt? Werde
ich Sie nie mehr da sehen? Werden Sie diesen Som-
mer nach Croisset kommen, um den Heiligen Antonius
zu hören?
Ich kann nicht nach Nohant kommen, weil meine
Zeit, in Anbetracht der Kleinheit meines Geldbeutels,
bemessen ist: ich habe aber noch gut einen Monat
149
in Paris zu lesen und zu studieren. Dann gehe ich mit
meiner Mutter fort. Wir sind auf der Suche nach
einer Gesellschaftsdame. Sie ist nicht leicht zu
finden. Ich werde also gegen Ostern wieder in Croisset
sein und werde mich wieder ans Manuskript setzen.
Ich bekomme allmählich Lust zum Schreiben.
Augenblicklich lese ich abends die Kritik der
reinen Vernunft von Kant in Barnis Übersetzung,
und ich gehe meinen Spinoza wieder durch. Am
Tage unterhalte ich mich damit, Schriften über Tier-
bändigungen im Mittelalter durchzublättern; in den
„Autoren" das Barockste zu suchen, was es an Tieren
gab. Ich lebe mitten unter phantastischen Ungeheuern.
Wenn ich den Stoff annähernd erschöpft habe,
werde ich ins Museum gehen, um vor den wirklichen
Ungeheuern zu verweilen, und dann sind die Studien
für den guten Heiligen Antonius abgeschlossen.
Sie haben in Ihrem vorletzten Brief mir Ihre Be-
sorgnis wegen meiner Gesundheit ausgesprochen
beruhigen Sie sich! Ich bin niemals überzeugter
gewesen, daß sie robust I^t. Das Leben, das ich diesen
Winter geführt habe, war angetan, drei Rhinozerosse
zu töten, was nicht ausschließt, daß es mir gut geht
Die Scheide muß gut sein, denn die Klinge ist sein
scharf; aber alles verkehrt sich in Traurigkeit. Jedes
Handeln macht mir das Dasein unerträglich ! Ich habe
150
Ihren Rat befolgt, ich habe mich zerstreut! Aber
das amüsiert mich nur mittelmäßig. Entschieden
interessiert mich lediglich die hochheilige Literatur.
Mein Vorwort zu den Letzten Liedern hat bei
Frau Colet eine pindarische Wut erregt. Ich habe
einen anonymen Brief in Versen von ihr bekommen,
in welchem sie mich als einen Scharlatan hinstellt,
der auf dem Grabe seines Freundes die große Trommel
schlägt, als einen Plattfuß, der sich der Kritik gegen-
über schändlich benimmt, nachdem er „Cäsar ge-
schmeichelt" hat. Trauriges Beispiel der Leiden-
schaften, wie Prudhomme sagen würde.
Bei Cäsar fällt mir ein: ich kann nicht an seine
bevorstehende Rückkehr glauben, was man auch
sagen mag. Soweit sind wir noch nicht, trotz meinem
Pessimismus! Freilich, wenn man den Gott, genannt
Allgemeines Wahlrecht, befragte, wer weiß? . . . Ach,
wir sind sehr herabgekommen, sehr!
Ich habe Ruy Blas in elender Darstellung gesehen,
abgesehen von Sarah. Melingue ist ein somnambuler
Latrinenkehrer und die andern sind auch langweilig.
Da Victor Hugo sich freundschaftlich darüber beklagt
hat, daß ich ihm keinen Besuch gemacht habe, so habe
ich geglaubt, ihm einen machen zu müssen, und ich
habe ihn . . . reizend gefunden ! Ich wiederhole das
Wort, ganz und gar nicht der große Mann, ganz und
151
gar nicht Papst! Diese Entdeckung, die mich sehr
überrascht, hat mir sehr wohl getan. Denn ich neige
zur Verehrung und ich liebe gern, was ich bewundere.
Das ist eine persönliche Anspielung auf Sie, lieber,
teurer Meister!
Ich habe Frau Viardots Bekanntschaft gemacht;
ich finde, sie ist eine merkwürdige Natur. Turgenjeff
hat mich bei ihr eingeführt.
Umarmen Sie Ihre Enkelinnen in meinem Namen;
Ihnen selbst meine besten, meine innigsten Grüße.
Teurer Meister!
Ich habe die phantastischen Zeichnungen bekommen,
die mich belustigt haben. Vielleicht ist in der Zeich-
nung von Maurice ein tiefes Symbol verborgen?
Aber ich habe es nicht herausgefunden . . . Träume-
rei I
Zwei der Ungeheuer sind sehr hübsch: 1. ein
Fötus in Ballonform und mit vier Beinen; 2. ein
Totenkopf auf einem Bandwurm.
Wir haben noch keine Gesellschaftsdame gefunden.
Es erscheint mir schwierig. Wir brauchen eine Dame,
die vorlesen kann und sehr sanft ist; sie müßte sich
auch etwas um den Haushalt kümmern. Diese Dame
hätte mit der körperlichen Pflege meiner Mutter nicht
152
viel zu tun, da meine Mutter ihre Kammerfrau be-
halten würde.
Wir brauchen vor allem einen sehr liebenswürdigen
und vollkommen rechtschaffenen Menschen. Religiöse
Grundsätze sind nicht erforderlich! Das übrige
sei Ihrem Scharfblick überlassen, teurer Meister.
Das wäre alles.
Ich bin um Theo besorgt. Ich finde, daß er merk-
würdig alt wird.
Er muß sehr krank sein, zweifellos ein Herzleiden?
Wieder einer, der sich anschickt, mich zu verlassen.
Nein! Die Literatur ist nicht dasjenige, was ich
in der Welt am meisten liebe, ich habe mich schlecht
ausgedrückt (in meinem letzten Brief). Ich sprach
von Zerstreuungen und von nichts weiter. Ich bin
kein solcher Pedant, daß ich Worte lebenden Wesen
vorziehe. Je älter ich werde, desto größer wird meine
Empfindsamkeit. Aber der Kern ist solid und die
Maschine bleibt im Gang. Und dann gibt es nach
dem preußischen Krieg ja kaum noch etwas Auf-
regendes.
Und die Kritik der reinen Vernunft von dem be-
sagten Kant, die von Bami übersetzt ist, ist eine
schwerere Lektüre als das ,, Pariser Leben" von
Marcelin: gleichviel! Ich werde sie schließlich doch
verstehen !
153
Ich habe den Entwurf des letzten Teils vom Heiligen
Antonius fast fertig. Ich habe es eilig, wieder ans
Schreiben zu kommen. Ich habe zu lange nicht
geschrieben. Der Stil langweilt mich jetzt.
Und Sie, lieber, teurer Meister! Geben Sie mir
sofort Nachricht über Maurice und sagen Sie mir,
ob Sie denken, daß die Ihnen bekannte Dame für uns
paßt.
Und sonst umarme ich Sie alle von ganzem Herzen.
Ihr alter Troubadour, der stets in Aufregung, stets
in Empörung ist wie der Heilige Polycarp.
... 1872
Ich bin gestern hier angekommen, lieber, teurer
Meister, und wenig fröhlich; meine Mutter macht
mir Sorge. Ihr Verfall schreitet von Tag zu Tag
und fast von Stunde zu Stunde fort. Sie wollte wieder
nach Hause, obwohl die Maler noch bei der Arbeit
waren, und wir sind sehr schlecht untergebracht.
Ende der nächsten Woche wird sie eine Gesell-
schafterin bekommen, die mir meine dummen haus-
lichen Beschäftigungen erleichtern v^rd.
Ich habe vor zehn Tagen eine heftige Auseinander-
setzung mit meinem Verleger gehabt.
Es war gelegentlich der Letzten Lieder. Wissen
Sie, was Aisse und die Letzten Lieder dem Erben
154
Bouilhets eingebracht haben? Nun die Abrechnung
vorHegt, hat er vierhundert Franken zu zahlen. Ich
will Sie mit den Einzelheiten verschonen, aber es ist
so. So belohnt sich die Tugend. Wenn sie belohnt
würde, wäre sie nicht die Tugend.
Jedenfalls hat mich diese letzte Geschichte mit-
genommen wie ein zu starker Aderlaß. Es ist demüti-
gend zu sehen, daß man keinen Erfolg hat, und wenn
man sein ganzes Herz, seinen Geist, seine Nerven,
seine Muskeln und seine Zeit eingesetzt hat, fällt man
zerschmettert zu Boden.
Mein armer Bouilhet hat gut daran getan, zu sterben,
die Zeit ist nicht hold.
Ich meinerseits bin entschlossen, von jetzt an
jahrelang die Pressen nicht mehr in Bewegung zu
setzen, einzig aus dem Grunde, um nicht solche
„Affären** zu haben, um jede Beziehung zu Buch-
druckern, Verlegern und Zeitungen zu vermeiden,
und besonders, um nichts von Geld zu hören.
Meine Unfähigkeit in dieser Richtung nimmt
erschreckende Dimensionen an. Warum versetzt
mich der Anblick einer Rechnung in Wut? Das grenzt
an Wahnsinn. Aisse hat kein Geld gebracht. Die
Letzten Lieder hätten mir beinah einen Prozeß an
den Hals geschafft. Die Geschichte mit dem Denkmal
155
ist nicht zu Ende. Ich bin müde, in tiefster Seele
müde all dieser Dinge.
Vorausgesetzt, daß ich nicht auch den Heiligen
Antonius vernichte, will ich mich in etwa acht Tagen
wieder daran machen, wenn ich mit Kant und Hegel
fertig bin. Diese beiden großen Männer tragen dazu
bei, mich zu verdummen, und wenn ich ihre Gesell-
schaft verlasse, stürze ich mich mit Heißhunger auf
meinen alten und dreimal großen Spinoza. Welch
ein Genie, welch ein Werk ist die Ethik!
Dienstag, i6. April i8j2
Lieber, guter Meister!
Ich hätte sofort auf Ihren ersten so lieben Brief ant-
worten müssen! Aber ich war zu traurig. Mir fehlte
die physische Kraft. [Die Mutter war am 6. April
gestorben.]
Heute endlich höre ich wieder die Vögel singen
und sehe die Blätter grün werden. Die Sonne stört
mich nicht mehr, was ein gutes Zeichen ist. Wenn
ich wieder Geschmack an der Arbeit finden könnte,
wäre ich gerettet.
Ihr zweiter Brief (der von gestern), hat mich zu
Tränen gerührt! Wie sind Sie gut! Was für ein
wundervolles Geschöpf sind Sie! Ich habe augen-
blicklich kein Geld nötig, danke. Aber wenn ich
156
welches brauchte, würde ich es wohl von Ihnen er-
bitten.
Meine Mutter hat Croisset Caroline vermacht,
unter der Bedingung, daß ich meine Wohnung dort
behalte. Also bleibe ich bis zur völligen Regelung
des Nachlasses hier. Bevor ich mich wegen der
Zukunft entscheide, muß ich wissen, was ich zu leben
haben werde, dann werden wir sehen.
Werde ich die Kraft haben, so ganz allein in der
Einsamkeit zu leben? Ich bezweifle es. Ich werde
alt. Caroline kann jetzt nicht hier wohnen. Sie hat
schon zwei Wohnungen, und das Haus in Croisset
ist kostspielig.
Ich glaube, daß ich die Wohnung in Paris aufgeben
werde. Nichts zieht mich mehr nach Paris. Alle
meine Freunde sind tot, und der letzte, der arme
Th^o, macht es nicht mehr lange, fürchte ich. Ach,
es ist hart, mit fünfzig Jahren eine neue Haut anziehen
zu müssen!
Ich habe in diesen vierzehn Tagen gemerkt, daß
meine arme gute Mama das Wesen war, das ich am
meisten geliebt habe. Mir ist, als hätte man mir
einen Teil der EÜngeweide ausgerissen.
157
Welch eine gute Nachricht, teurer Meister! In
einem Monat und sogar noch früher werde ich Sie
endlich sehen!
Richten Sie es so ein, daß Sie in Paris nicht gar
zu beschäftigt sind, damit wir Zeit zum Plaudern
haben. Sehr reizend wäre es, wenn Sie auf einige
Tage mit mir hierher kämen. Wir würden hier mehr
Ruhe haben als dort. Meine arme alte Dame hat Sie
sehr geliebt. Wie gern hätte ich Sie zusammen ge-
sehen, und sie ist erst so kurze Zeit fort. |
Ich habe mich wieder an die Arbeit gemacht, denn
das Dasein ist nur erträglich, wenn man seine elende
Persönlichkeit vergißt.
Es wird noch lange dauern, bis ich weiß, was ich
zum Leben haben werde. Das ganze Vermögen, das
wir erben, steckt in Grundstücken, und um die Teilung
vornehmen zu können, muß man alles verkaufen.
Wie es auch kommt, meine Behausung in Croisset
werde ich behalten. Das wird meine Zuflucht sein,
und vielleicht sogar meine einzige Wohnung. Paris
lockt mich kaum noch. In einiger Zeit werde ich dort
keine Freunde mehr haben. Die menschliche Kreatur
(einbegriffen das ewig Weibliche), amüsiert mich
immer weniger und weniger.
Wissen Sie, daß mein armer Theo sehr krank ist?
Er stirbt vor Langeweile und Elend! Niemand spricht
158
mehr seine Sprache I Wir sind wie ein paar Fossilien,
die sich in eine neue Welt verirrt haben und ihr Leben
fristen.
Teurer Meister!
Strohkopf hätte Ihnen eher für die Übersendung
Ihres letzten Buches danken müssen, aber der Ehr-
würdige arbeitet wie 18 000 Neger, das ist seine Ent-
schuldigung. Was ihn nicht hindert, „Eindrücke und
Erinnerungen** gelesen zu haben. Ich kannte einen
Teil davon, den ich im Temps gelesen hatte.
Das folgende war für mich neu und hat mich er-
staunt: 1. das erste Fragment; 2. das zweite, worin
ein entzückender und richtiger Abschnitt über die
Kaiserin ist. Wie wahr ist das, was Sie über den
Proletarier sagen! Hoffen wir, daß seine Herrschaft
vorübergehen wird wie die des Bürgers und aus den
gleichen Gründen, zur Strafe für die gleiche Dummheit
und einen ähnlichen Egoismus.
Die , .Antwort an einen Freund" ist mir bekannt,
da sie ja an mich gerichtet war.
Das „Gespräch mit Delacroix" ist lehrreich; zwei
merkwürdige Abschnitte über das, was er über den
alten Ingres dachte.
Über die Interpunktion bin ich nicht ganz Ihrer
Meinung; das heißt ich huldige darin der Über-
159
treibung, die Sie ärgert; und es fehlt mir natürlich
nicht an guten Gründen, sie zu verteidigen.
„Ich zünde den Reisighaufen an" usw., dies ganze
lange Stück hat mich bezaubert.
In den „Gedanken eines Schulmeisters" bewundere
ich Ihren pädagogischen Geist, teurer Meister, es
stehen sehr hübsche Fibelsätze drin.
Haben Sie Dank für das, was Sie über meinen armen
Bouilhet sagen.
Ihren „Peter Bonin" finde ich anbetungswürdig.
Ich habe solche Menschen gekannt, und da diese
Abschnitte ja Turgenjeff gewidmet sind, so will ich
Sie bei dieser Gelegenheit fragen: Haben Sie „Die
Verlassene" gelesen. Ich finde das einfach erhaben.
Dieser Scythe ist ein ungeheurer Mensch.
Ich lebe augenblicklich nicht in so hoher Literatur.
Weit gefehlt ! Ich behaue und bearbeite das Schwache
Geschlecht. In acht Tagen habe ich den ersten Akt
geschrieben. Meine Tage sind allerdings lang. Ich
habe in der letzten Woche einen achtzehnstündigen
gehabt.und Strohkopf ist frisch wie ein jungesMädchen,
gar nicht müde, ohne Kopfschmerz. Kurz, ich glaube,
daß ich in drei Wochen diese Arbeit hinter mir haben
werde! Dann wie Gott will!
Es wäre amüsant, wenn Carvalhos Bizarrerie von
Erfolg gekrönt wäre.
160
Ich fürchte, Maurice wird die getrüffelte Pute
verlieren, denn ich habe Lust, die drei christlichen
Kardinaltugenden durch das Antlitz Christi zu er-
setzen, das in der Sonne erscheint. Was meinen Sie
dazu? Wenn diese Verbesserung gemacht ist und ich
das Blutbad von Alexandria verstärkt und den Symbo-
lismus der phantastischen Tiere deutlicher gemacht
habe, ist der Heilige Antonius unwiderruflich fertig
und ich werde mich an meine beiden Biedermänner
[Bouvard und Pecuchet] machen, die ich wegen der
Komödie beiseite geschoben habe.
Wie häßlich ist die bühnenmäßige Schreibart.
An Ellipsen, Gedankenstrichen, Fragen und Wieder-
holungen darf man nicht sparen, wenn man will,
daß Bewegung hineinkommt, und das ist an sich alles
sehr häßlich.
Ich täusche mich vielleicht, aber ich glaube jetzt
etwas sehr Rasches und leicht Spielbares zu machen.
Wir werden sehen!
Leben Sie wohl, teurer Meister, umarmen Sie die
Ihren in meinem Namen.
Ihr alter Strohkopf- Invalide, Dudelsacks Freund.
Beachten Sie den Namen. Das ist eine gigantische
Geschichte, bei der man sich aber, wenn man sie
ordentlich erzählen will, rekeln muß.
161
. . . IH-J2
Könnte ich Ihnen viele Stunden schenken, teurer
Meister! All meine Stunden, jetzt, bald und immer
Ich wollte Ende der nächsten Woche nach Paris
gehen, am 14. oder 16. Werden Sie dann noch dort
sein? Wenn nicht, werde ich meine Abreise beschleu-
nigen.
Aber ich möchte viel lieber, daß Sie hierher kämen.
Wir würden mehr Ruhe haben, ohne Besuche und
Störungen ! Mehr als je möchte ich Sie jetzt in meinem
armen Croisset haben.
Ich habe das Gefühl, daß wir mindestens vicrund-
zwanzig Stunden lang ununterbrochen zu reden haben
werden. Dann würde ich Ihnen den Heiligen An-
tonius vorlesen, an dem nur noch etwa fünfzehn Seiten
fehlen, dann ist er fertig. Kommen Sie aber nicht,
wenn Ihr Husten noch anhält, ich fürchte, daß Ihnen
die Feuchtigkeit schaden könnte.
Der Bürgermeister von Vendome hat mich eingela-
den, die Enthüllung der Statue Ronsards, die am
23. dieses Monats stattfinden wird, mit „meiner
Gegenwart zu beehren"; ich werde hinfahren. Und
ich möchte dort sogar eine Rede halten, die ein Protest
gegen dies moderne allgemeine Dummkopftum wäre
Der Vorwand ist gut. Aber um einen wirklich guten
Artikel zu schreiben, fehlen mir Kraft und Stimmung
162
Auf bald, teurer Meister. Ihr alter Troubadour
umarmt Sie.
Bagneres-de-Luchon, 12. Juli
Nun bin ich seit Sonntag abend hier, teurer Meiste^,
und bin nicht heiterer als in Croisset, etwas weniger
sogar, denn ich bin sehr untätig. Man macht soviel
Lärm in dem Hause, in dem wir wohnen, daß es un-
möglich ist, da zu arbeiten. Der Anblick der Spieß-
bürger, die uns umgeben, ist mir übrigens uner-
träglich. Ich bin nicht zum Reisen geschaffen. Die
geringste Störung ist mir lästig. Ihr alter Troubadour
ist entschieden recht alt geworden ! Doktor Lambron,
der hiesige Arzt, schiebt meine nervöse Reizbarkeit
auf übermäßigen Tabakgenuß. Aus Folgsamkeit
will ich weniger rauchen; aber ich bezweifle sehr,
daß meine Vernunft mich heilen wird.
Ich habe soeben Dickens Pickwickier gelesen. Ken-
nen Sie die? Das Buch hat prachtvolle Stellen; aber
was für eine mangelhafte Komposition! Das ist bei
allen englischen Schriftstellern so. Walter Scott aus-
genommen, fehlt es ihnen an Planmäßigkeit. Das ist
unerträglich für uns Romanen.
Herr *** ist, wie es scheint, tatsächlich ernannt.
Alle Leute, die mit dem Odeon zu tun haben, bei
Ihnen angefangen, teurer Meister, werden bereuen.
IV
163
ihn unterstützt zu haben. Ich, der ich Gott sei Dank
nichts mehr mit diesem Institut zu tun habe, schere
mich den Teufel darum.
Da ich einen Schmöker (Bouvard und Pecuchet)
beginnen will, der umfangreiche Vorstudien erfordert
und ich mich nicht durch Bücher ruinieren will, so
frage ich Sie, ob Sie in Paris irgendeinen Buchhändler
Jcennen, der mir alle Bücher, die ich ihm bezeichne,
leihweise überlassen würde?
Was machen Sie jetzt? Wir haben uns das letzte
Mal wenig und flüchtig gesehen.
Dieser Brief ist stumpfsinnig. Aber man macht
soviel Lärm über meinem Kopf, daß er mir brummt
(der Kopf).
Trotz meiner Betäubung umarme ich Sie, ebenso
die Ihren. Ihr alter Esel, der Sie liebt.
Croisset, Donnerstag
Teurer Meister!
In dem Brief, den ich vor einem Monat in Luchon
von Ihnen bekommen habe, sagten Sie mir, daß Sie
Ihr Bündel schnürten, und das war alles. Keine
Nachrichten weiter! „Ich habe mir erzählen lassen",
wie der gute Brantome sagen würde, daß Sie in Ca-
bourg waren! Wann kommen Sie von dort zurück?
164
Wo werden Sie dann hingehen? Nach Paris oder
nach Nohant? Problem!
Was mich betrifft, so verlasse ich Croisset nicht
vor dem 20. oder 25. September. Ich muß in meinen
Angelegenheiten einige Streif züge machen. Ich
komme auch durch Paris. Schreiben Sie mir also
nach der Rue Murillo.
Ich möchte Sie so gern sehen : I . um Sie zu sehen;
2. um Ihnen den Heiligen Antonius vorzulesen, dann
um Ihnen von einem anderen wichtigeren Buche zu
sprechen usw. usw. und um über tausend andere
Dinge eingehend unter vier Augen zu plaudern.
Montag nacht, Oktober i8y2
Sie haben erraten, teurer Meister, daß mein Kummer
sich verdoppelt hat, und Sie haben mir einen guten,
zärtlichen Brief geschrieben, ich danke Ihnen, und
ich umarme Sie noch inniger als gewöhnlich.
Obgleich ich den Tod des armen Theo voraus-
gesehen habe, hat er mich erschüttert. Nun ist der
letzte von meinen intimen Freunden dahingegangen.
Er schließt die Liste. Wen werde ich jetzt sehen,
wenn ich nach Paris komme? Mit wem über die
Dinge plaudern, die mich interessieren? Ich kenne
Denker (wenigstens Leute, die man so nennt), aber
wo ist ein Künstler?
«65
Ich sage Ihnen, daß er an der ,, modernen Aas-
wirtschaft" gestorben ist. Das war sein Wort, und er
hat es mir diesen Winter mehrmals wiederholt:
,,Ich krepiere an der Kommune usw.*'
Der 4. September hat eine Ordnung der Dinge
eingeführt, nach der Menschen wie er nichts mehr
in der Welt zu tun haben. Man darf von Orangen-
bäumen keine Äpfel verlangen. Die Luxusarbeiter
sind überflüssig in einer Gesellschaft, wo die Plebs
die Oberherrschaft hat. Wie sehr ich ihn vermisse!
Er und Bouilhet fehlen mir furchtbar und nichts
kann sie ersetzen. Er war außerdem so gut und was
man auch sage, so einfach. Man wird später erkennen
(wenn man sich jemals wieder mit Literatur
beschäftigen wird), daß er ein großer Dichter war.
Einstweilen ist er ein völlig unbekannter Schrift-
steller.
Er hat zwei Antipathien gehabt: den Haß auf die
Philister in seiner Jugend, der hat ihm Talent ge-
geben ; den Haß auf den Pöbel in seinem reifen Alter,
der hat ihn getötet. Er ist an unterdrücktem Zorn
gestorben und an der Wut darüber, nicht sagen zu
können, was er dachte. Er ist von Girardin, Fould,
Dalloz und der gegenwärtigen Republik zu Boden
gedrückt worden. Ich sage Ihnen das, weil ich grauen-
volle Dinge gesehen habe und weil ich vielleicht der
166
einzige Mensch bin, dem er sich ganz anvertraut hat.
Daß er ohne die Akademie sein mußte, ist ihm ein
schrecklicher Kummer gewesen. Welche Schwäche!
Und wie wenig muß er sich achten ! Das Jagen nach
irgendeiner Ehrung erscheint mir, nebenbei bemerkt,
als ein Akt unbegreiflicher Bescheidenheit.
Ich war durch die Schuld Catulle Mendes, der mir
zu spät ein Telegramm geschickt hat, nicht bei seiner
Beerdigung. Es sind eine Masse Leute dagewesen.
Ein Haufe von Schuften und Hanswürsten ist hin-
gekommen, um Reklame für sich zu machen, wie
gewöhnlich. Alles in allem beklage ich ihn nicht,
ich beneide ihn. Denn offen gesagt, das Leben ist
nicht amüsant.
Nein, ich halte das Glück nicht für möglich, wohl
aber die Ruhe. Deshalb bleibe ich allem fern, was mich
aufregt. Eine Reise nach Paris ist für mich jetzt eine
große Sache. Sobald ich das Gefäß bewege, steigt die
Hefe empor und stört alles. Das kleinste Gespräch
mit irgendeinem BeHebigen greift mich an, weil ich
alle Menschen idiotisch finde. Mein Gerechtigkeits-
gefühl ist ständig in Aufruhr. Man spricht nur von
Politik, und in welcher Weise! Wo gibt es eine Spur
von Ideen? Woran soll man sich klammem? Wofür
sich begeistern?
167
Ich halte mich dennoch nicht für ein Ungeheuer
an Egoismus. Mein Ich verzettelt sich so in den
Büchern, daß ich ganze Tage verbringe, ohne es zu
fühlen. Ich habe allerdings schlimme Augenblicke,
aber ich richte mich an der Erwägung v^eder auf:
„Mich kann wenigstens niemand dumm machen."
Worauf ich mein Gleichgewicht wiederfinde. Ich
habe durchaus das Gefühl, daß ich meinen natürlichen
Weg gehe, bin ich aber auf dem richtigen?
Das Leben mit einer Frau, mich zu verheiraten,
wie Sie mir raten, ist ein Horizont, den ich phanta-
stisch finde. Warum? Das weiß ich nicht. Aber
CS ist so. Erklären Sie dies Problem! Das weibliche
Wesen ist niemals in mein Dasein eingefügt gewesen,
und dann bin ich auch nicht reich genug, und dann
und dann . . . ich bin zu alt, . . . und dann zu an-
ständig, um meine Person auf immer einer andern zur
Last zu legen. Ich habe einen religiösen Kern in mir,
den man nicht kennt. Wir werden über all das besser
mündlich reden als in Briefen.
Ich werde Sie im Dezember in Paris sehen, aber
in Paris wird man von den andern gestört. Ich wünsche
Ihnen dreihundert Aufführungen für Mademoiselle
de la Quintinie. Aber Sie werden viele Argemisse
mit dem Odeon haben. Das ist ein Institut, durch das
ich im vorigen Winter sehr gelitten habe.
168
Sooft ich aktiv geworden bin, hat man mir es ver-
leidet. Aber genug, genug! , .Verbirg dein Leben!"
Maxime des Epiktet. Mein ganzer Ehrgeiz ist jetzt,
die Widerwärtigkeiten zu fliehen; dadurch bin ich
davor sicher, anderen welche zu verursachen, und das
ist viel.
Ich arbeite wie ein Wilder, ich studiere Medizin,
Metaphysik, Politik, alles. Denn ich habe ein sehr
umfassendes Werk unternommen, das viel Zeit er-
fordern wird, eine Aussicht, die mir angenehm ist.
Seit einem Monat warte ich von Woche zu Woche
auf Turgenjeff. Die Gicht hält ihn immer zurück.
. . . i8y2
Der Briefträger hat mir um fünf Uhr Ihre beiden
Bücher gebracht. Ich will Manon sofort anfangen,
denn ich bin sehr neugierig darauf.
Beunruhigen Sie sich nicht mehr um Ihren Trou-
badour (der einfach ein dummes Tier wird), aber ich
hoffe mich wieder zu erholen. Ich habe schon häufiger
düstere Zeiten gehabt und habe sie überwunden.
Man wird alles gewohnt, die Langeweile und alles
übrige.
Ich hatte mich schlecht ausgedrückt: Ich habe
nicht gesagt, daß ich das „weibliche Gefühl** ver-
achte. Sondern daß die Frau, materiell ausgedrückt,
169
nie zu meinen Gewohnheiten gehört hat, was etwas
ganz anderes ist. Ich habe mehr als sonst jemand
geliebt, eine anmaßende Redensart, die bedeutet:
„soviel wie ein anderer" und vielleicht sogar mehr als
der erste beste. Alle Zärtlichkeiten sind mir bekannt,
die „Gewitter des Herzens" haben mich mit „ihrem
Regen getränkt". Und dann hat sich durch Zufall,
durch die Gewalt der Tatsachen, die Einsamkeit
um mich allmählich vergrößert, und jetzt bin ich allein,
ganz allein.
Mein Einkommen ist nicht groß genug, als daß ich
mir eine Frau nehmen könnte, nicht einmal groß genug,
um sechs Monate des Jahres in Paris zu leben: es ist
mir also unmöglich, mein Leben anders einzurichten.
Wie, ich hätte Ihnen nicht gesagt, daß der Heilige
Antonius seit dem vorigen Juni fertig ist? Was mir
augenblicklich vorschwebt, ist eine beträchtlichere
Sache, die den Ehrgeiz hat, komisch zu sein. Es würde
zu lang sein, Ihnen das brieflich zu erklären. Wir
werden Aug in Aug darüber sprechen.
Leben Sie wohl, Sie lieber, guter, anbetungswürdiger
Meister, nehmen Sie die besten Grüße
Ihres Alten,
der noch immer empört ist wie der Heilige Pol>
carp.
170
Kennen Sie in der Weltgeschichte einschließlich
der Geschichte der Botokuden, etwas Alberneres als
die Rechte in der Nationalversammlung? Diese
Herren, die das einfache und nichtssagende Wort
Republik nicht schätzen, die Thiers zu fortschrittlich
finden!!! 0 Tiefe! Rätsel! Träume!
Montag abend, ii Uhr
Teurer Meister!
Diese Nacht und diesen Tag habe ich mit Ihnen ver-
bracht. Ich hatte Nanon um vier Uhr morgens aus-
gelesen und Francia um drei Uhr nachmittags. Das
tanzt noch alles in meinem Kopf herum. Ich will
versuchen, meine Gedanken zu sammeln, um mit
Ihnen über diese beiden ausgezeichneten Bücher zu
sprechen. Sie haben mir wohl getan. Also Dank,
lieber, guter Meister. Ja, das ist wie ein starker
Windstoß und nach meiner Bevvegtheit fühle ich mich
neu belebt.
In Nanon hat mich zunächst der Stil bezaubert,
durch tausend einfache und starke Dinge, die in das
Gewebe des Werkes verflochten sind. Und dann
habe ich auf nichts mehr geachtet, ich bin gepackt
gewesen wie der gewöhnliche Leser. (Ich glaube
aber nicht, daß der Gewöhnliche so bewundem kann
wie ich.) Das Leben der Mönche, die ersten Be-
171
Ziehungen zwischen Emilien und Nanon, die Furcht
vor den Briganten und die Verhaftung Fructueux,
die kitschig sein könnte und es doch nicht ist. Und
dann Seite 113! Und wie schwierig es war,
im Rhythmus zu bleiben! „Von diesem Tage an
empfand ich Glück in allen Dingen und es war mir
Freude, auf der Welt zu sein!"
,,La Roche aux Fades" ist eine ausgezeichnete
Idylle. Man möchte das Leben dieser drei wackeren
Leute teilen.
Ich finde, daß das Interesse etwas nachläßt, als
Nanon sich in den Kopf setzt, reich zu werden. Sie
wird zu stark, zu intelligent ! Ich mag auch die Diebes-
episode nicht. Die Rückkehr Emiliens mit seinem
amputierten Arm hat mich wieder erschüttert, und
ich habe auf der letzten Seite eine Träne vergossen,
bei dem Porträt der Marquise de Franqueville, der
Greisin.
Ich möchte die folgenden Zweifel äußern: Emilien
scheint in politischer Philosophie sehr stark zu sein.
Gab es zu jener Zeit Menschen, die von so hohen
Standpunkten herabsahen? Der gleiche Einwand
gegen den Prior, den ich im übrigen bezaubernd finde,
besonders in der Mitte des Buches. Aber wie ist
das alles gut komponiert, gepackt, packend, bezau'
172
bernd! Was sind Sie für ein Mensch!!! Welch eine
Wucht!
Ich tätschele Ihnen die Wangen und gehe zu Fran-
cia über. Ein anderer Stil, aber nicht weniger gut.
Und im Anfange bewundere ich Ihren Dodore un-
geheuer. Es ist das erste Mal, daß man einen echten
Pariser Strolch gestaltet hat; er ist weder zu großmütig,
noch zu wüst, noch zu operettenhaft. Das Gespräch
mit seiner Schwester, als er einwilligt, daß sie eine
ausgehaltene Frau wird, ist eine schöne Kraftprobe.
Ihre Frau de Thievre mit ihrem Kaschmirschal, den
sie um ihre fetten Schultern legt, ist ganz Restau-
rationszeit 1 Und der Onkel, der dem Neffen sein
Verhältnis wegschnappen will ! Und Antoine, der gute
dicke Klempnermeister, diese feine Bühnenfigur!
Der Russe ist ein einfacher, ein natürlicher Mensch,
was nicht leicht zu erzielen ist.
Als ich sah, wie Francia ihm den Dolch ins Herz
stieß, runzelte ich anfangs die Stirn und fürchtete,
es sei eine klassische Rache, die den entzückenden
Charakter dieses wackeren Mädchens unnatürlich
machte. Aber durchaus nicht! Ich täuschte mich,
dieser unbewußte Mord rundet das Bild Ihrer Heldin ab.
Was mir an diesem Buch besonders auffällt, ist,
daß es sehr geistreich und sehr gerecht ist. Man steht
vollkommen in der damaligen Zeit.
173
Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen für diese
doppelte Lektüre. Sie hat mich erfrischt. Es ist also
noch nicht alles tot! Es gibt noch Schönes und Gutes
in der Welt.
Mittwoch, Dezember i8y2
Teurer Meister!
Ich beanstande einen Satz Ihres letzten Briefes:
„Der Verleger würde Geschmack haben, wenn das
Publikum Geschmack hätte, oder wenn das Publikum
ihn zwänge, Geschmack zu haben." Aber das heißt
das Unmögliche verlangen. Sie haben literarische
Ideen, glauben Sie mir, genau wie die Herren Theater-
direktoren. Die einen wie die andern behaupten,
sich darauf zu verstehen, und da ihre Ästhetik sich
mit ihrem Merkantilismus mischt, so ergibt es ein
hübsches Resultat.
Nach den Verlegern ist Ihr letztes Buch stets
minderwertiger als das vorhergehende! Ich lasse
mich hängen, wenn das nicht wahr ist! Warum be-
wundert Levy wohl Ponsard und Octave Feuillet
mehr als den alten Dumas und Sie? Levy ist aka-
demisch. An mir hat er mehr Geld verdient als an
Cuvillier-Fleury, nicht wahr? Nun ziehen Sie einmal
eine Parallele zwischen uns beiden, was die Auf-
nahme betrifft. Sie wissen ja, daß er von den Letzten
174
Liedern nicht mehr als zwölfhundert Exemplare
hat verkaufen wollen, die übrigen achthundert liegen
bei meiner Nichte in der Rue de Clichy auf dem
Heuboden! Es ist sehr engherzig von mir, das gebe
ich zu. Aber ich gestehe, daß dies Vorgehen mich
einfach rasend gemacht hat. Mir deucht, meine
Prosa könnte von einem Mann, der durch mich
etliche Sou verdient hat, mehr respektiert werden.
Da ich mit besagtem Michel nicht wieder reden
will, so wird mein Neffe an meiner Stelle mit ihm
abrechnen. Ich werde ihm den Druck der Letzten
Lieder bezahlen, und dann werde ich jede Beziehung
zu ihm lösen.
Warum gibt man in dieser abscheulichen Zeit
etwas heraus? Um Geld zu verdienen? Welch ein
Hohn! Als wenn Geld ein Lohn für Arbeit wäre
und sein könnte! Das kann es erst sein, wenn man die
Spekulation zerstört hat. Vorher nicht. Und wie soll
man die Arbeit messen, wie die Anstrengung ab-
schätzen? Bleibt also der kommerzielle Wert des
Werkes. Dafür müßte man jeden Zwischenhändler
zwischen Erzeuger und Käufer ausschalten, und wenn
das geschähe, so wäre diese Frage doch an sich un-
löslich. Denn ich schreibe (ich spreche von einem
Autor, der Selbstachtung hat) nicht für den Leser von
heute, sondern für alle Leser, die kommen können
>
175
so lange die Sprache lebt. Meine Ware kann also nicht
jetzt aufgebraucht werden, denn sie ist nicht aus-
schließlich für meine Zeitgenossen hergestellt. Meine
Leistung ist mithin unbestimmt und infolgedessen nicht
bezahlbar.
Warum also veröffentlicht man etwas? Um ver-
standen, umjubalt zu werden? Aber selbst Sie,
Sie große George Sand, geben Ihre Einsamkeit zu.
Gibt es heute, ich sage nicht Bewunderung oder
Sympathie, sondern eine Spur von etwas Aufmerk-
samkeit für Kunstwerke? Welcher Kritiker liest
das Buch, das er zu rezensieren hat?
In zehn Jahren wird man vielleicht kein Paar Schuhe
mehr machen können, so entsetzlich borniert wird
man. Mit dem allen will ich Ihnen nur sagen, daß
ich bis auf bessere Zeiten (an die ich nicht glaube)
den Heiligen Antonius im Schrank behalte.
Wenn ich ihn erscheinen lasse, möchte ich, daß er
gleichzeitig mit einem ganz andersartigen Buch heraus-
kommt. Ich arbeite jetzt an einem, das als Gegen-
stück dienen könnte. Schlußfolgerung: das klügste
ist, sich ruhig zu verhalten.
Warum sucht Duquesnel nicht den General Ladmi-
rault, Jules Simon, Thiers auf? Mir scheint, diese
Maßnahme geht ihn an. Was ist die Zensur für eine
schöne Sache! Beruhigen wir uns, sie wird stets
176
existieren, weil sie stets existiert hat! Hat nicht
unser Freund Alexandre Dumas Sohn, um ein nettes
Paradoxon aufzustellen, in dem Vorwort zur Kamelien-
dame ihre Wohltaten gerühmt?
Und Sie wollen, ich soll nicht traurig sein! Ich
glaube, daß wir bald wieder schauerliche Dinge er-
leben werden, dank dem albernen Eigensinn der
Rechten. Die guten Normannen, die konservativsten
Leute der Welt, neigen sehr stark zur Linken.
Wenn man jetzt die Bourgeoisie fragte, so würde
sie den alten Thiers zum König von Frankreich
machen. Würde Thiers beseitigt, so würde sie sich
Gambetta in die Arme werfen, und ich fürchte, sie
wirft sich bald hinein.
Ich tröste mich mit dem Gedanken, daß ich nächsten
Donnerstag 51 Jahre alt werde.
Wenn Sie im Februar nicht nach Paris kommen
sollten, werde ich Sie Ende Januar besuchen, bevor
ich nach Monceau zurückkehre; ich nehme es mir fest
vor.
Die Prinzessin hat mir geschrieben und mich
gefragt, ob Sie in Nohant seien. Sie will Ihnen
schreiben.
Meine Nichte Caroline, der ich Nanon zu lesen
gegeben habe, ist entzückt davon. Überrascht hat sie
che „Jugend" des Buches. Das Urteil erscheint mir
177
richtig. Es ist ein großes Werk, ebenso wie Francia,
das, obwohl es einfacher ist, vielleicht als Buch noch
gelungener, noch unantastbarer ist.
Ich habe in dieser Woche den „Berühmten Doktor
Mattheus'* von Erckmann-Chatrian gelesen. Das ist
eine Lümmelei ! Das sind zwei Kerle mit recht plebe-
jischer Seele.
Leben Sie wohl, lieber, guter Meister. Ihr alter
Troubadour umarmt Sie.
Ich denke immer an Theo, über diesen Verlust
kann ich mich nicht trösten.
Mittwoch, 13. Dezember i8y2
Werden Sie mir mein langes Zögern verzeihen, teurer
Meister? Aber ich habe das Gefühl, meine ewigen
Jeremiaden müssen Sie langweilen. Ich käue wied^
wie ein Scheik! Ich werde zu albern. Ich langweile
alle Leute. Kurz, Ihr Strohkopf ist ein unerträglicher
Kerl geworden, weil er alles unerträglich findet. Und
da ich nichts dabei tun kann, muß ich aus Rücksicht
auf die andern ihnen die Ausflüsse meiner Galle er-
sparen.
Seit sechs Monaten besonders weiß ich nicht, was mir
ist. Aber ich fühle mich ernstlich krank, ohne etwas
genaues sagen zu können, und ich kenne viele Leute,
die in dem gleichen Zustande sind. Warum? Wir
178
leiden vielleicht an der Frankreichkrankheit; hier in
Paris, wo Frankreichs Herz schlägt, fühlt man es besser
als in den andern Teilen, in der Provinz.
Ich versichere Ihnen, daß augenblicklich alle Leute
in Unruhe und Erregung sind. Unser Freund Renan
ist einer der Verzweifeltsten und der Prinz Napoleon
denkt genau wie er. Die haben aber doch solide
Nerven. Ich dagegen bin von einer ausgeprägten
Hypochondrie befallen. Man müßte sich abfinden,
und ich finde mich nicht ab.
Ich arbeite soviel ich kann, um nicht an mich
denken zu müssen. Aber da ich ein Buch plane,
das durch die Schwierigkeiten der Ausführung absurd
ist, so kommt das Gefühl meiner Unfähigkeit zu mei-
nem Kummer hinzu.
Sagen Sie mir nicht mehr, daß „die Torheit heilig
ist wie alle Kindereien", denn die Torheit birgt keinen
Keim. Lassen Sie mich glauben, daß die Toten
, .nicht mehr forschen" und daß sie Ruhe haben.
Man wird auf der Erde soviel gequält, daß man Ruhe
finden müßte, wenn man darunter ist. Ach, wie ich
Sie beneide, wie gern ich Ihre Heiterkeit besäße. Ganz
abgesehen von allem übrigen, und von Ihren beiden
lieben Kleinen, die ich zärtlich umarme, ebenso wie
Sie.
12«
179
Dienstag, 12. März i8y3
Teurer Meister!
Wenn ich nicht bei Ihnen bin, hat der große Turgenjeff
die Schuld. Ich rüstete mich, nach Nohant zu fahren,
als er mir sagte: „Warten Sie, Anfang April komme
ich mit." Das war vor vierzehn Tagen. Morgen
werde ich ihn bei Frau Viardot sehen, und ich werde
ihn bitten, einen früheren Zeitpunkt emzusetzcn,
denn ich beginne ungeduldig zu werden. Ich empfinde
das Bedürfnis, Sie zu sehen, Sie zu umarmen, und mit
Ihnen zu plaudern. Das ist die Wahrheit.
Ich komme allmählich wieder ins Gleichgewicht.
Was ist seit vier Monaten mit mir gewesen? Welche
Verwirrung ging in den Tiefen meines Ichs vor sich?
Ich weiß es nicht. Sicher ist nur, daß ich sehr krank
gewesen bin. Aber jetzt geht es mir besser. Seit dem
1 . Januar gehören mir Madame Bovary und Salammbo
und ich könnte sie verkaufen. Ich tue nichts in der
Sache, denn ich will lieber Geld entbehren, als meine
Nerven zerstören. Das ist Ihr alter Troubadour.
Ich lese alle möglichen Bücher und mache mir
Notizen für meinen großen Schmöker, der fünf oder
sechs Jahre erfordern wird, und ich plane noch zwei
oder drei andere. Das sind Ideen auf lange hinaus,
was die Hauptsache ist.
180
Die Kunst leidet weiter „an der Auszehrung**,
wie Prudhomme sagt, und für Leute von Geschmack
ist kein Platz mehr in der Welt. Man muß sich wie das
Rhinozeros in die Einsamkeit zurückziehen und seinen
Tod erwarten.
Donnerstag, 20. März 18^3
Teurer Meister!
Der große Turgenjeff verläßt mich soeben und wir
haben einen feierlichen Schwur getan. Am 12. April,
Ostersonnabend, werden Sie uns zum Mittagessen
bei sich sehen.
Es ist keine Kleinigkeit, so weit zu kommen. Da
er schwer zu irgend etwas zu bringen ist.
Was mich betrifft, so hätte mich nichts gehindert,
schon morgen abzureisen. Aber unser Freund scheint
mir wenig Freiheit zu genießen, und ich selbst bin in
der ersten Woche des April verhindert.
Ich gehe heute abend auf zwei Kostümbälle. Nun
sagen Sie noch, daß ich nicht jung bin.
Tausend Grüße von Ihrem alten Troubadour, der
Sie umarmt.
Lesen Sie als Beispiel des modernen Gestanks in
der letzten Nummer des Vie Parisienne den Artikel
über Marion Delorme. Das könnte man einrahmen,
wenn man überhaupt etwas Stinkendes einrahmen
will. Aber augenblicklich achtet man nicht darauf.
181
... i873
EU sind erst fünf Tage seit unserer Trennung und ich
sehne mich wie ein Tier nach Ihnen. Ich sehne mich
nach Aurora und dem ganzen Hause, bis zu Fadet
hinab. Ja wirklich, man hat es so gut bei Ihnen!
Sie sind so gut und so geistvoll!
Warum kann man nicht zusammen leben? Warum
ist das Leben immer schlecht eingerichtet? Maurice
scheint mir der Typ des menschlichen Glücks zu sein.
Was mangelt ihm? Sicher hat er keinen größeren
Neider als mich.
Ihre beiden Freunde, Turgenjeff und der Stroh-
kopf, haben hierüber philosophiert, von Nohant
bis Chateau-roux, sehr bequem in Ihrem Wagen
mit den zwei guten Pferden sitzend. Es leben die
Postillone von La Chatre! Aber der Rest der Reise
ist sehr unerfreulich gewesen, wegen der Gesellschaft
in unserm Kupee. Ich habe mich durch starke
Schnäpse darüber getröstet, denn der gute Moskowit
hatte eine Flasche aasgezeichneten Schnaps mit.
Uns war beiden das Herz etwas schwer. Wir sprachen
nicht, wir schliefen nicht.
Wir haben hier Blödsinn in voller Blüte vorgefunden .
0 mein Gott, mein Gott, wie angreifend ist es, in einer
solchen Zeit zu leben! Sie machen sich keine Vor-
stellung von der Flut des Wahnsinns, in der man sich
182
befindet. Wie gut tun Sie daran, fern von Paris
zu leben!
Ich habe mich wieder an meine Lektüre gemacht,
und in etwa acht Tagen werde ich meine Ausflüge
in die Umgegend beginnen, um eine Gegend zu ent-
decken, die meinen beiden Helden als Rahmen dienen
kann. Darauf, gegen den 12. oder 15. werde ich in
mein Haus am Wasser zurückkehren. Ich habe große
Lust, diesen Sommer endlich nach Saint Gervais
zu gehen, um mich zu erholen und meine Nerven
auf zukräuseln. Seit zehn Jahren finde ich immer
einen Vorwand, mich dem zu entziehen. Es wäre aber
Zeit, sich zu enthäßlichen, nicht weil ich den Ehrgeiz
hätte, durch meine physischen Reize zu gefallen und
zu verführen, sondern weil ich mir selber zu sehr
mißfalle, wenn ich mich im Spiegel betrachte. Je
älter man wird, desto mehr muß man sich pflegen.
Heute abend werde ich Frau Viardot sehen, ich
werde rechtzeitig hingehen, und wir werden von
Ihnen plaudern.
Wann werden wir uns jetzt wiedersehen? Da No-
hant weit von Croisset ist?
Ihnen, lieber, teurer Meister, meine herzlichsten
Grüße! Gustave Flaubert,
alias genannt der Strohkopf der Barnabiten,
Beichtvater der enttäuschten Frauen.
183
Croisset, Freitag, 5. September iSyj
Bei meiner Ankunft gestern habe ich Ihren Brief
vorgefunden, lieber, guter Meister. Bei Ihnen geht
also alles gut, Gott sei Dank.
Ich habe den ganzen Mai mit Umherstreifen ver-
bracht, denn ich war in Dieppe, in Paris, in Saint
Gratien, in la Brie und la Beauce, um eine bestimmte
Landschaft zu finden, die ich im Kopf habe und die
ich endlich in der Umgebung von Houdan gefunden
zu 'haben glaube. Aber bevor ich mich an meinen
erschreckenden Schmöker mache, werde ich auf dem
Wege, der von La Loupe nach Laigle führt, noch
eine letzte Nachforschung anstellen. Dann aber ade!
Das Vaudevilletheater führt sich gut ein. Carvalho
ist bisher entzückend. Seine Begeisterung ist sogar
so stark, daß ich nicht ohne Besorgnis bin. Man muß
an die guten Franzosen denken, die „Nach Berlin**
riefen! und die so nette Prügel bekommen haben.
Besagter Carvalho ist nicht nur von dem Schwachen
Geschlecht befriedigt, sondern er will, daß ich sofort
eine andere Komödie schreibe, deren Entwurf ich ihm
gezeigt habe und die er nächsten Winter spielen möchte.
Ich finde die Sache nicht reif genug, um sie schon
gestalten zu können. Andrerseits möchte ich sie wohl
von der Seele haben, bevor ich die Geschichte von
meinen beiden Biedermännern anfange. Inzwischen
184
lese ich weiter und mache mir Notizen.
Sie wissen sicher nicht, daß man das Stück von
Coetlogon ausdrücklich verboten hat, weil es das
Kaiserreich kritisiert. Das ist die Antwort der Zensur.
Da ich im Schwachen Geschlecht einen alten, etwas
lächerlichen General habe, bin ich nicht ohne Be-
sorgnis. Was für eine schöne Sache ist die Zensur!
Grundsatz : alle Regierungen verabscheuen die Literatur,
die Macht liebt keine andere Macht.
Wenn man verboten hat, Mademoiselle de la
Quintinie zu spielen, so sind Sie zu stoisch gewesen,
Heber Meister, oder zu gleichgültig. Man muß immer
gegen die Ungerechtigkeit und die Dumrnheit prote-
stieren, schreien, toben und schäumen, wenn man es
kann. Ich an Ihrer Stelle und mit Ihrer Autorität
hätte einen Höllenlärm gemacht. Ich finde auch,
der alte Hugo hat unrecht, daß er wegen des Roi
s'amuse schweigt. Er setzt seine Persönlichkeit oft
bei weniger passenden Gelegenheiten ein.
In Rouen hat man Umzüge veranstaltet, aber die
Wirkung war völlig verfehlt, und das Ergebnis ist
bedauerlich für die Verschmelzung. Welch ein
Unglück! Unter den Torheiten unserer Zeit ist diese
(die Verschmelzung) vielleicht die größte. Ich würde
nicht erstaunt sein, wenn wir den kleinen Thiers
wiedersähen. Anderseits sind viele Rote aus Furcht
185
vor der klerikalen Reaktion zum Bonapartismus über-
gegangen. Man muß eine gute Dosis Naivität haben,
um irgendeine politische Überzeugung zu behalten.
Haben Sie den Antichrist gelesen? Ich finde, es
ist ein schönes Buch, abgesehen von einigen Ge-
•chmacksfehlern, modernen Ausdrücken, die auf
antike Dinge angewendet sind. Renan scheint
übrigens Fortschritte zu machen. Ich habe kürzlich
einen ganzen Abend mit ihm verbracht und habe ihn
anbetungswürdig gefunden.
Sonntag, Juli iSys.
Ich bin nicht wie Herr von Vigny, ich liebe nicht
„den Klang des Hornes in den Wäldern". Seit zwei
Stunden mordet mich ein Esel, der auf der Insel
mir gegenüber steht, mit seinem Instrument. Dieser
Elende verdirbt mir die Sonne und raubt mir die
Freude, den Sommer zu genießen. Denn es ist jetzt
herrliches Wetter, ich aber platze vor Zorn. Ich
möchte aber doch ein wenig mit Ihnen plaudern,
lieber Meister.
Zunächst meinen Glückwunsch zu Ihren siebzig
Jahren, die mir kraftvoller erscheinen, als die zwanzig
Jahre sehr vieler anderer. Was haben Sie für ein
herkulisches Temperament! In einem gefrorenen
Fluß baden ist eine Kraftprobe, die mich verblüfft
186
und das Zeichen eines Fonds von Gesundheit, der für
Ihre Freunde beruhigend ist. Leben Sie lange!
Pflegen Sie sich für Ihre lieben Enkelkinder, für
den guten Maurice, auch für mich, für die ganze
Welt, und ich würde hinzufügen: für die Literatur,
wenn ich nicht Ihre stolze Verachtung fürchtete.
Mein Gott, noch immer das Waldhorn! Es ist
zum Wahnsinnigwerden! Ich möchte den Flur-
schützen rufen.
Ich teile Ihre Verachtung nicht, und ich kenne
„das Vergnügen, nichts zu tun", wie Sie es nennen,
ganz und gar nicht. Sobald ich kein Buch mehr
unter der Feder habe oder davon träume, eins zu
schreiben, fühle ich eine Langeweile, daß ich weinen
könnte. Das Leben erscheint mir wirklich nur er-
träglich, wenn man es beiseiteschiebt. Oder man
müßte sich ausschweifenden Genüssen hingeben . . .
und dennoch!
Ich habs also das Schwache Geschlecht fertig, das
gespielt werden wird. Und zwar, wie Carvalho ver-
sprochen hat, im Januar, wenn die Zensur Sardous
Oncle Sam freigibt. Im entgegengesetzten Falle im
November.
Da ich mich in den sechs Wochen daran gewöhnt
habe, die Dinge theatralisch zu sehen, im Dialog
zu denken, so habe ich mich wahrhaftig daran gemacht,
187
den Entwurf zu einem neuen Stück aufzubauen, das
den Titel hat: „Der Kandidat'*. Mein geschriebener
Plan umfaßt zwanzig Seiten. Aber ich habe niemanden,
dem ich ihn zeigen kann. Ich muß ihn also leider
Gottes in einer Schublade liegen lassen und mich wie-
der an meinen Scbmöker machen. Ich lese die Ge-
schichte der Medizin, von Daremberg, die mir viel
Spaß macht, und habe den Essay über die Verstandes-
fähigkeiten von Garnier, den ich sehr albern finde,
zu Ende gelesen. Das ist meine Beschäftigung.
Es scheint sich zu beruhigen. Ich atme auf.
Ich weiß nicht, ob man in Nohant soviel vom
Schah spricht wie in unserer Gegend. Die Begeiste-
rung war groß. Es fehlte nicht viel, so hätte man ihn
zum Kaiser ausgerufen. Sein Aufenthalt in Paris
hat auf die handeltreibende, die kaufmännische und die
Arbeiterklasse einen monarchischen Einfluß ausgeübt,
von dem Sie sich keinen Begriff machen, und den
Herren Geistlichen geht es gut, sehr gut sogar.
Auf der andern Seite des Horizonts die Greuel,
die in Spanien begangen werden. So daß das Gesamt-
bild der Menschheit weiter sehr reizend ist.
Croisset, Donnerstag, . . . 1872
W^as auch geschehe, der Katholizismus wird einen
furchtbaren Schlag bekommen, und wenn ich fromm
188
wäre, würde ich meine Zeit damit hinbringen, vor
einem Kruzifix unablässig zu wiederholen: „Erhalte
uns die Republik, o mein Gott!**
Aber man hat Angst vor der Monarchie. Um ihrer
selbst willen und wegen der Reaktion, die darauf
folgen würde. Die öffentliche Meinung ist durchaus
gegen sie. Die Berichte der Herren Präfekten sind
beunruhigend; die Armee ist in Republikaner und
Bonapartisten geteilt; die Handelswelt von Paris hat
sich gegen Heinrich V. ausgesprochen. Das sind die
Nachrichten, die ich aus Paris mitbringe, wo ich zehn
Tage gewesen bin. Kurz, teurer Meister, ich glaube,
jetzt werden sie den kürzeren ziehen! Amen!
Ich rate Ihnen, die Broschüre von Cathelineau und
Segur zu lesen. Das ist sonderbar! Man sieht deutlich
die Basis. Diese Leute glauben sich im 12. Jahrhun-
dert.
Was Strohkopf betrifft, so hat Carvalho ihm Ände-
rungen vorgeschlagen, die er abgelehnt hat (Sie wissen,
Strohkopf ist zuweilen nicht sehr bequem). Besagter
Carvalho hat schließlich eingesehen, daß es unmöglich
ist, ein dem Schwachen Geschlecht etwas zu ändern,
ohne die ganze Idee des Stückes zu verpfuschen.
Aber er möchte zuerst den Kandidaten spielen, der
noch nicht geschrieben ist und der ihn begeistert —
189
natürlich. Wenn die Sache fertig, durchgesehen und
korrigiert ist, will er ihn vielleicht nicht mehr. Kurz,
nach Onkel Sam wird der Kandidat gespielt werden,
wenn er fertig ist. Wenn nicht, das Schwache
Geschlecht.
Übrigens lache ich darüber, da ich Lust habe, mich
an meinen Roman zu machen, der mich mehrere
Jahre beschäftigen wird. Und dann fällt mir der Theater-
stil allmählich auf die Nerven. Diese kurzen Sätze,
dies dauernde Sprühen reizt mich wie Selterwasser,
das anfangs gut schmeckt und einem schließlich doch
faulig vorkommt. Bis zum Januar werde ich also
möglichst guten Dialog schreiben, dann aber adel
Ich kehre zu ernsten Dingen zurück.
Ich freue mich, daß ich Sie mit Strohkopfs Bio-
graphie etwas belustigt habe. Aber ich finde sie
hybrid, und Strohkopfs Charakter hält nicht Stich.
Ein im geistlichen Rat so feiner Mann hat nicht
soviele literarische Vorurteile. Die Archäologie ist
überzählig. Sie gehört zu einer andern Art von Geist-
lichkeit. Vielleicht fehlt ein Übergang. Das ist meine
demütige Kritik.
In einem Theaterblatt stand. Sie seien in Paris;
es war eine vergebliche Freude, lieber, guter Meister ;
ich bete Sie an und umarme Sie.
190
12, Dezember 1872
Lieber, guter Meister!
Beunruhigen Sie sich nicht über Levy ! und sprechen
wir nicht mehr davon! Er ist nicht wert, unsere
Gedanken eine Minute zu beschäftigen. Er hat mich
tief verletzt an einer empfindlichen Stelle, dem An-
denken meines armen Bouilhet! Das ist nicht wieder
gutzumachen. Ich bin kein Christ, und die Heuchelei
der Verzeihung ist mir unmöglich. Ich habe nur
keinen Grund mehr, ihn aufzusuchen. Das ist alles.
Ich möchte ihn sogar nie wiedersehen. Amen!
Nehmen Sie die Übertreibungen meines Grimms
nicht zu ernst. Glauben Sie nicht, daß ich „auf die
Nachwelt rechne, um mich für die Gleichgültigkeit
meiner Zeitgenossen zu rächen'*. Ich habe nur das
eine sagen wollen: Wenn man sich nicht an die
Menge wendet, ist es gerecht, daß die Menge einen
nicht bezahlt. Das ist politische Ökonomie. Nun
behaupte ich, man kann ein Kunstwerk (das dieses
Namens würdig und nach bestem Gewissen ge-
geschaffen worden ist), nicht abschätzen, es hat
keinen Handelswert, es kann sich nicht bezahlt
machen. Schlußfolgerung: wenn der Künstler keine
Renten hat, muß er Hungers sterben! Man findet^
daß der Schriftsteller, weil er kein Jahresgehalt mehr
von den Großen bekommt, viel freier, viel vornehmer
191
sei. Seine ganze gesellschaftliche Vornehmheit besteht
jetzt darin, daß er einem Spießbürger gleichsteht.
Welch ein Fortschritt. Was mich betrifft, so sagen
Sie: „Seien wir logisch!'* Aber das ist eben die
Schwierigkeit.
Ich bin durchaus nicht überzeugt» gute Sachen zu
schreiben, bin auch nicht überzeugt, daß das Buch, das
mir jetzt vorschwebt, gelingt, was mich nicht hindertt
es zu schreiben. Ich glaube, daß der Gedanke originell
ist, nichts weiter. Und da ich außerdem die Galle,
die mich erstickt, hineinspritze, das heißt, einige
Wahrheiten verzapfen will, so hoffe ich, durch dies
Mittel mich zu reinigen und dann mehr Olympier
zu sein, eine Eigenschaft, die mir vollkommen fehlt.
0, wie gern möchte ich mich bewundern!
Wieder ein Todesfall, ich habe vorigen Montag
der Beerdigung des alten Pouchet beigewohnt. Das
Leben dieses Mannes ist sehr schön gewesen, und ich
habe ihn beweint.
Ich trete heute in mein zweiundfünfzigstes Jahr;
ich möchte Sie heute umarmen, und das tue ich
zärtlich, da Sie mich so sehr lieben.
Dezember 1873
Da ich einen Augenblick Ruhe habe, benutze ich
ihn, um ein wenig mit Ihnen zu plaudern, lieber,
192
guter Meister. Umarmen Sie vor allem in meinem
Namen all die Ihren und nehmen Sie meine besten
Wünsche für ein gutes neues Jahr.
Hören Sie also, wie es Ihrem Strohkopf geht.
Strohkopf ist sehr beschäftigt, aber heiter und sehr
ruhig, was jeden Menschen in Erstaunen setzt. Ja,
so ist es. Keine Empörung! Kein Aufschäumen!
Die Proben zum Kandidaten haben begonnen, und
die Sache wird Anfang Februar auf den Brettern er-
scheinen. Carvalho macht einen sehr befriedigten
Eindruck. Trotzdem hat er veranlaßt, zwei Akte
in einen zusammenzuziehen, wodurch der erste Akt
unermeßlich lang wird.
Ich habe diese Arbeit in zwei Tagen ausgeführt
und Strohkopf war auf der Höhe. Er hat im ganzen
seit Donnerstag früh (Weihnachtsabend) bis Sonn-
abend sieben Stunden geschlafen, und es geht ihm gut.
Wissen Sie, was ich tun will, um meinen religiösen
Charakter zu vervollständigen? Ich will Pate werden.
Frau Charpentier ist in ihrer Begeisterung für den
Heiligen Antonius zu mir gekommen und hat mich
gebeten, das Kind, das sie zur Welt bringt, Antonius
nennen zu dürfen. Ich lehnte es ab, diesem jungen
Christen den Namen eines so vielgeprüften Mannes
aufzuerlegen, aber ich habe die Ehre, die man mir
antun wollte, annehmen müssen.
13 193
Stellen Sie sich meinen alten Zylinder bei dem
Taufbecken, neben dem Popen, der Amme und den
Eltern vor! 0 Zivilisation, das sind deine Schläge!
Gute Manieren, das sind eure Erfordernisse!
Ich bin am Sonntag zum Zivil-Begräbnis von
Francois- Victor Hugo gewesen, welche Menschen-
masse! Und nicht ein Schrei, nicht die kleinste
Unordnung ! Tage wie jener sind bös für den Katholi-
zismus. Der arme alte Hugo (ich konnte mir nicht
versagen, ihn zu umarmen) war sehr gebrochen,
aber stoisch.
Was sagen Sie zum Figaro, der ihm den Vorvmrf
macht, er habe bei der Beerdigung seines Sohnes einen
weichen Hut aufgehabt!
Was die Politik betrifft, so wird es ruhig. Der Prozeß
Bazaine gehört zur alten Geschichte. Nichts kann
die zeitgenössische Demoralisation besser kenn-
zeichnen als die Gnade, die diesem Schuft zuteil
wird. Übrigens ist das Recht der Gnade ( wenn man
von der Theologie ausgeht) eine Ableugnung der
Gerechtigkeit. Mit welchem Recht kann ein Mensch
die Vollziehung des Gesetzes verhindern?
Die Bonapartisten hätten ihn laufen lassen sollen;
aber weit gefehlt: sie haben ihn erbittert verteidigt,
voll Haß gegen den 4. September. Warum betrachten
sich alle Parteien als Spießgesellen der Spitzbuben,
194
von denen sie gerupft werden? Weil alle Parteien
verrucht, dumm, ungerecht, blind sind!
Was übrigens die Kirche betrifft: Ich habe, was
ich nie getan habe, den Essai über die Gleichgültigkeit
von Lamennais ganz gelesen. Ich kenne jetzt, und
zwar aus dem Grunde, all die ungeheuren Schwätzer,
die auf das 19. Jahrhundert einen unheilvollen Ein-
fluß gehabt haben. Behaupten, daß das Kriterium
des Richtigen im gesunden Menschenverstand liegt,
anders ausgedrückt: in der Mode und der Gewohnheit,
hieß das nicht dem allgemeinen Wahlrecht den Weg
bereiten, das nach meiner Ansicht die Schande des
menschlichen Geistes ist?
Ich habe soeben auch die Christin von Abbe Bautain
gelesen. Sonderbares Buch für einen Romantiker.
Man spürt seine Zeit, sein modernes Paris. Um mich
zu säubern, habe ich ein Buch Garcin de Tassys über
die hindostanische Literatur verschlungen. Darin
wenigstens konnte ich aufatmen.
Sie sehen, daß Ihr alter Strohkopf nicht völlig vom
Theater verdummt ist. Übrigens kann ich mich über
das Vaudevilletheater nicht beklagen. Alle Leute
sind höflich und pünktlich ! Wie anders als beim Odeon !
Unser Freund Chennevieres ist jetzt unser Ober-
herr, da ja die Theater zu seinem Ressort gehören.
Die Artisten sind bezaubert.
195
Ich sehe den Moskowiter jeden Sonntag. Es geht
ihm sehr gut, und ich liebe ihn immer mehr.
Der Heilige Antonius wird Ende Januar in Fahnen
gesetzt werden.
Leben Sie wohl, teurer Meister! Wann werden
wir uns wiedersehen? Nohant ist sehr fem, und ich
werde diesen ganzen Winter sehr beschäftigt sein.
Sonntag abend, 7. Februar 1874
Ich habe endlich einen Augenblick für mich, teurer
Meister; also plaudern wir ein wenig.
Ich habe von Turgenjeff erfahren, daß es Ihnen
jetzt sehr gut geht. Das ist das Wichtigste. Nun will ich
Ihnen von dem ausgezeichneten Strohkopf erzählen.
Ich habe gestern das letzte Imprimatur für den
Heiligen Antonius gegeben. Aber besagter Schmöker
wird nicht vor dem 1. April erscheinen (als April-
scherz?) wegen der Übersetzungen. Es ist fertig,
ich denke nicht mehr daran. Der Heilige Antonius
gehört für mein Teil der Erinnerung an. Aber ich
verhehle Ihnen durchaus nicht, daß ich eine Viertel-
stunde lang sehr traurig gewesen bin, als ich die erste
Korrektur betrachtet habe. Es fällt doch schwer,
sich von einem alten Gefährten zu trennen!
Was den Kandidaten betrifft, so wird er, denke ich,
zwischen dem 20. und 25. dieses Monats gespielt
werden. Da dieses Stück mich sehr geringe An-
196
strengungen gekostet hat und ich ihm keine große
Bedeutung beilege, bin ich wegen des Ergebnisses
ziemlich ruhig.
Carvalhos Abschied ist mir einige Tage lang sehr
unangenehm und aufregend gewesen. Aber sein
Nachfolger Cormon ist voll Eifer. Ich kann ihn bis
jetzt nur rühmen, wie übrigens auch alle andern.
Die Leute vom Vaudevilletheater sind reizend. Ihr
alter Troubadour, den Sie sich aufgeregt und in
ständiger Wut vorstellen, ist sanft wie ein Lamm und
sogar gutmütig! Ich habe zuerst alle Änderungen
gemacht, die man verlangt hat, dann hat man den
ursprünglichen Text wiederhergestellt. Aber ich
habe dann von selbst gestrichen, was mir zu lang
erschien, und es geht gut, sehr gut. Delannoy und
Saint Germain haben ausgezeichnete Gesichter und
spielen wie Götter. Ich glaube, es wird gehen.
Eines ärgert mich. Die Zensur hat die Rolle des
kleinen Legitimisten gestrichen, so daß das Stück,
das in einem Geist völliger Unparteilichkeit gehalten
war, jetzt den Reaktionären zu Munde redet: eine
Wirkung, die mich kränkt. Denn ich will den politi-
schen Leidenschaften keines Menschen dienen, wer
es auch sei, da ich ja, wie Sie wissen, jeden Dogmatis-
mus, jedes Parteiwesen hasse.
197
Der gute Alexandre Dumas hat also den Sprung
gemacht. Er gehört nunmehr zur Akademie. Ich
finde ihn sehr bescheiden. Man muß es sein, wenn
man sich durch diese Ehrungen geehrt fühlt.
Sonntag abend, März i8y4
Lieber Meister!
Die Premiere des Kandidaten ist auf nächsten Freitag
festgesetzt, falls es nicht Sonnabend oder Montag
der 9. wird. Sie ist durch die Erkrankung Delannoys
und durch den Onkel Säm verzögert worden, denn man
mußte warten, bis der Onkel Sam weniger als fünfzehn-
hundert Franken einbrachte.
Ich glaube, daß mein Stück sehr gut gespielt werden
wird, das ist alles, denn über alles andere mache ich
mir keine Gedanken, und wegen des Ergebnisses bin
ich sehr ruhig, eine Gleichgültigkeit, die mich sehr
erstaunt. Wenn ich nicht von Leuten belästigt würde,
die mich um Billette bitten, würde ich vollkommen
vergessen, daß ich bald auf den Brettern erscheinen
und mich trotz meinem Alter dem Hohngelächter der
Menge aussetzen werde. Ist es Stoizismus oder
Müdigkeit?
Ich habe einen Katarrh gehabt und habe ihn noch,
er hat bei Ihrem Strohkopf eine allgemeine Ab-
spannung hervorgerufen, begleitet von einer heftigen
198
(oder vielmehr tiefen) Melancholie. Ich huste und
spucke hinter meinem Ofen und brüte über meiner
Jugend. Ich denke an all meine Toten, ich wälze
mich im Dunkel. Ist das die Folge von zuviel Ge-
schäftigkeit seit acht Monaten, oder das völlige Fehlen
des weiblichen Elements in meinem Leben? Aber
ich habe mich nie verlassener, leerer und zerschlagener
gefühlt. Was Sie mir in Ihrem letzten Brief von Ihren
lieben Kleinen erzählen, hat mich bis in den Grund
meiner Seelegerührt. Warum ist mir das nicht vergönnt?
Ich war doch mit allen Zärtlichkeiten geboren! Aber
mein schafft sein Schicksal nicht, man erliegt ihm.
Ich bin in meiner Jugend feige gewesen, ich habe
Angst vor dem Leben gehabt. Alles rächt sich.
Reden wir von etwas anderem, das wird erbaulicher
sein.
Se. Majestät der Zar aller Russen liebt die Musen
nicht. Die Zensur der „Autokratie des Nordens**
hat die Übersetzung des Heiligen Antonius offiziell
verboten, und am letzten Sonntag habe ich die Druck-
bogen aus Petersburg zurückbekommen ; ebenfalls wird
die französische Ausgabe dort verboten werden. Das
ist für mich ein ziemlich schwerer pekuniärer Verlust.
Es hätte wenig gefehlt, so hätte die französische
Zensur mein Stück verboten, Freund Chennevieres
hat mir kräftig unter die Arme gegriffen. Ohne ihn
199
würde ich nicht gespielt. Strohkopf mißfällt der
Obrigkeit. Wie amüsant ist dieser naive Haß der
Autorität, jeder Regierung, welche es auch sei, gegen
die Kunst!
Ich lese jetzt hygienische Bücher. 0, wie komisch
ist das ! Was geben sich diese Ärzte für einen Anstrich !
Diese Aufmachung! Was für Esel die meisten sind.
Ich habe soeben das „Dichterische Gallien" von
Marchangy (dem Feinde Berangers) zu Ende gelesen.
Dieser Schmöker hat mir Lachanfälle verursacht.
Um mich an irgend etwas Starkem zu erquicken,
habe ich wieder einmal den ungeheuren, den sakro-
sankten, den unvergleichlichen Aristophanes gelesen!
Das ist ein Mensch ! War das eine Welt, in der solche
Werke geschaffen wurden.
Donnerstag, i Uhr, März 1874
JJas war doch wenigstens ein Durchfall! die mir
schmeicheln wollen, behaupten, daß das Stück bei
dem wahren Publikum sich durchsetzen wird, aber
ich glaube es nicht. Besser als irgend jemand kenne
ich die Fehler meines Stücks. Wenn mir Carvalho
nicht einen Monat lang mit Änderungen in den Ohren
gelegen hätte, hätte ich wohl Korrekturen vorgenom-
men, die den Ausgang vielleicht anders gestaltet
hätten. Aber ich war so angewidert, daß ich nicht
200 '
um eine Million noch eine Zeile geändert hätte. Kurz,
ich bin durchgefallen.
Man muß freilich sagen, daß das Publikum abscheu-
lich war, lauter Gecken und Börsianer, die den wirk-
Hchen Sinn der Worte nicht verstanden. Man hat
poetische Dinge als Witz genommen.
Und dann habe ich das Publikum durch den Titel
irregeführt. Es erwartete einen neuen Rabagas. Die
Konservativen sind wütend gewesen, daß ich die
Republikaner nicht angegriffen habe. Ebenso hätten
die Kommunisten einige Schmähungen der Legiti-
misten gewünscht.
Meine Schauspieler haben vollendet gespielt, unter
anderm Saint-Germain. Delannoy, der das ganze Stück
trägt, ist verzweifelt, und ich weiß nicht, was ich
machen soll, um seinen Schmerz zu lindem. Stroh-
kopf selbst ist ruhig, sehr ruhig! Er hat vor der
Aufführung sehr gut zu Mittag gegessen und hinter-
her noch besser zu Abend ; Menü : zwei Dutzend Ost-
ender, eine Flasche eisgekühlten Sekt, drei Scheiben
Roastbeef, Trüffelsalat, Kaffee und Likör. Die
Religion und der Magen halten Strohkopf aufrecht.
Ich gestehe, daß es mir angenehm gewesen wäre,
etwas Geld zu verdienen, aber da mein Durchfall
weder eine Kunst- noch eine Gefühlsangelegenheit
jst, läßt er mich kalt.
201
Ich sage mir : Endlich ist das vorbei und ich empfinde
etwas wie Befreiung.
Das schlimmste von allem ist der Ärger über die
Billette. Bedenken Sie, daß ich zwölf Parkettplätze
und eine Loge gehabt habe! (Der Figaro hatte acht-
zehn Parkettplätze und drei Logen). Ich habe den
Chef der Claque nicht einmal gesehen. Man könnte
meinen, die Verwaltung des Vaudevilles habe sich
verabredet, mich zu Fall zu bringen. Dieser Traum
ist erfüllt.
Ich habe nicht ein Viertel von den Plätzen vergeben,
die ich brauchte, und ich habe viele Plätze gekauft für
Leute, die mich in den Gängen beredt heruntermach-
ten. Die Bravorufe einiger Getreuen wurden sofort
durch Zischen erstickt. Als man am Schluß meinen
Namen rief, gab es Beifall (für den Menschen, aber
nicht für das Werk), begleitet von zwei hübschen
Zischorgien, die vom Olymp kamen. Das ist die
Wahrheit.
Die „Kleine Presse** heute früh ist höflich. Ich kann
nicht mehr von ihr verlangen.
Leben Sie wohl, lieber, teurer Meister, bedauern
Sie mich nicht, denn ich finde mich nicht bedauerns-
wert.
PS. Ein hübsches Wort meines Dieners, als er mir
heute früh Ihren Brief brachte. Da er Ihre Schrift
202
kennt, sagte er seufzend: Ach, die beste ist gestern
abend nicht dagewesen!" Was durchaus meine
Meinung ist.
Mittwoch, . . . April 1874
Vielen Dank für Ihren langen Brief über den Kandi-
daten. Nachstehend die Kritiken, die ich den Ihren
hinzufüge. 1. den Vorhang fallen lassen nach der
Wahlversammlung und die ganze Hälfte des dritten
an den Anfang des vierten Aktes stellen; 2. den ano-
nymen Brief streichen, der eine unnütze Wieder-
holung ist, da ja Arabelle Rousselin mitteilt, daß seine
Frau einen Liebhaber hat; 3. die Szenenfolge im vier-
ten Akt ändern, das heißt, mit der Ankündigung des
Rendezvous von Frau Rousselin mit Julien anfangen
und Rousselin etwas eifersüchtiger machen. Seine
Wahlsorgen lenken ihn von dem Wunsch ab, seine
Frau abzufassen. Die Aussauger sind nicht charakte-
ristisch genug. Es müßten zehn statt der drei da sein.
Dann gibt er seine Tochter. Das ist der Schluß,
und in dem Augenblick, wo er die Schurkerei bemerkt,
wird er gewählt. Nun ist sein Traum erfüllt, aber er
empfindet keine Freude. Auf diese Weise wäre eine
Entv/icklung dagewesen.
Ich glaube, was Sie auch sagen mögen, daß der Stoff
gut war, daß ich ihn aber verpfuscht habe. Keiner
203
der Kritiker hat mir gezeigt, wodurch. Ich selber
weiß es, und das tröstet mich. Was sagen Sie zu
La Rounat, der mich in seinem Feuilleton im Namen
unserer alten Freundschaft beschwört, mein Stück
nicht drucken zu lassen, da er es dumm und schlecht
geschrieben findet. Folgt ein Vergleich zwischen
mir und Gondinet.
Eins der komischsten Dinge dieser Zeit ist das
Geheimnis des Theaters. Man könnte meinen, daß
die Bühnenkunst die Grenzen menschlichen Ver-
standes übersteigt und daß sie ein Mysterium ist,
denen vorbehalten, die wie Droschkenkutscher schrei-
ben. Die Frage des unmittelbaren Erfolgs steht allen
andern voran. Das ist die Schule der Demoralisation.
Wenn mein Stück von der Direktion gehalten worden
wäre, hätte es Geld machen können so gut wie ein
anderes. Wäre es damit besser gewesen?
Die Versuchung geht nicht schlecht. Die erste Auf-
lage von zweitausend Exemplaren ist vergriffen.
Morgen wird die zweite Auflage erscheinen. Ich bin
von den kleinen Zeitungen heruntergerissen worden
und von zwei oder drei Leuten in den Himmel gehoben.
Alles in allem ist noch nichts Ernsthaftes erschienen
und wird, glaube ich, auch nicht erscheinen. Renan
schreibt nicht mehr (sagt er) in den Debats, und
Taine ist mit seiner Ansiedelung in Annecy beschäftigt.
204
Von den Herren Villemessant und Buloz werde
ich verflucht, sie tun ihr möglichstes, um sich mir
unangenehm zu machen. Villemessant macht mir
einen Vorwurf daraus, daß ich mich nicht von den
Preußen habe töten lassen. Das alles ist zum Übel-
werden !
Und Sie wollen, daß ich die menschliche Albern-
heit nicht bemerke, und daß ich mir das Vergnügen
versage, sie zu schildern! Die Komik ist der einzige
Trost für die Tugend. Es gibt übrigens eine sehr
vornehme Art der Darstellung; die will ich bei meinen
beiden Biedermännern versuchen. Fürchten Sie
nicht, daß es zu realistisch wird ! Ich habe im Gegen-
teil die Befürchtung, daß es unmöglich erscheinen
wird, da ich den Gedanken bis zum äußersten durch-
führen werde. Diese kleine ^Arbeit, die ich in sechs
Wochen zu beginnen gedenke, wird mich vier oder
fünf Jahre in Anspruch nehmen.
. . . April 1874
Da man hätte kämpfen müssen und Strohkopf das
Handeln verabscheut, so habe ich mein Stück gegen
5000 Franken Konventionalstrafe zurückgezogen; ich
will nicht, daß man meine Schauspieler auspfeift!
Als ich am Abend der zweiten Aufführung Delannoy
mit feuchten Augen in die Kulisse zurücktreten sah,
205
kam ich mir wie ein Verbrecher vor und sagte mir:
„Genug!" (Drei Personen rühren mich: Delannoy,
Turgenjeff und mein Diener!) Kurz, es ist zu Ende.
Ich lasse mein Stück drucken, Sie werden es Ende
der Woche bekommen ,
Alle Parteien reißen mich herunter! Der „Figaro**
und der „Rappel", keiner fehlt! Leute, die ich
mir durch meine Börse oder meine Dienstleistungen
verpflichtet habe, behandeln mich als Kretin. Niemals
habe ich weniger Nerven gehabt. Mein Stoizismus
(oder Stolz) setzt mich selber in Erstaunen, und wenn
ich nach der Ursache suche, so frage ich mich, ob Sie,
teurer Meister, nicht mit daran schuld sind.
Ich erinnere mich der Premiere von Villemer,
die ein Triumph wurde, und der Premiere des Don
Juan vom Dorf, die eine Niederlage war. Sie v^ssen
nicht, wie ich Sie diese beiden Male bewundert habe !
Die Größe Ihres Charakters (etwas noch Selteneres
als das Genie) entzückte mich, und ich formulierte
in mir das eine Gebet: „0 könnte ich bei solchen
Gelegenheiten sein wie sie." Wer weiß, vielleicht
hat Ihr Beispiel mich aufrechterhalten? Verzeihen
Sie den Vergleich! Jedenfalls schere ich mich den
Teufel darum. So liegen die Dinge.
Aber ich gestehe, daß es mir um die „Tausende"
von Franken leid tut, die ich hätte verdienen können.
20*6
Mein kleiner Milchtopf ist zerbrochen. Ich wollte
das Mobiliar in Croisset erneuem, Essig!
Meine Generalprobe war trübselig. Alle Reporter
von Paris. Man hat alles als Witz genommen! Ich
werde Ihnen in Ihrem Exemplar die Stellen anstreichen,
die man angegriffen hat, vorgestern und gestern hat
man sie nicht mehr angegriffen. Um so schlimmer!
Es ist zu spät. Vielleicht hat Strohkopf sich von
seinem Stolz hinreißen lassen.
Und man schreibt Artikel über meine Wohnungen,
über meine Pantoffel und über meinen Hund. Die
Chronisten haben mein Zimmer beschrieben, wo sie
an den Wänden Bilder und Bronzen gesehen haben.
An meinen Wänden hängt überhaupt nichts. Ich weiß,
daß ein Kritiker empört gewesen ist, weil ich ihm
keinen Besuch gemacht habe; und ein Zwischen-
träger ist heute früh zu mir gekommen, um mir das
zu sagen, und hat hinzugefügt: Was soll ich ihm
bestellen ? — ... Aber die Herren Dumas, Sardou
und sogar Victor Hugo sind nicht wie Sie." — „0, das
weiß ich wohl!" — „Dann müssen Sie sich nicht
wundem usw.**
Leben Sie wohl, lieber, guter, angebeteter Meister,
viele Grüße den Ihren. Einen Kuß den lieben Kleinen
und Ihnen alle meine herzlichsten Grüße.
207
PS. Könnten Sie mir eine Abschrift oder das
Original der Biographie Strohkopfs geben; ich habe
keine Abschrift und ich möchte sie wieder einmal
lesen, um mich an meinem Ideal zu erquicken.
Freitag abend, i. Mai 1874
t-s geht gut, teurer Meister, die Schmähungen häufen
sich ! Es ist ein Konzert, eine Symphonie, in der alle
begeistert ihre Instrumente spielen. Ich bin herunter-
gerissen worden vom ,, Figaro" bis zur „Revue
des Deux Mondes", über die „Gazette de France**
bis zum „Constitutionnel". Und sie hören nicht auf.
Barbey d'Aurevilly hat mich persönlich beschimpft,
und der gute Saint-Rene Taillandier, der mich für
„unlesbar'* erklärt, schmäht mich mit lächerlichen
Worten. Das ist das Gedruckte. Was geredet wird,
entspricht dem. Saint-Victor (ist das Unterwürfig-
keit gegen Michel Levy?) macht mich herunter auf
dem Diner bei Brebant, ebenso dieser ausgezeichnete
Charles Edmond usw. usw. Dafür werde ich von den
Professoren der theologischen Fakultät in Straßburg,
von Renan und von der Kassiererin meines Schlächters
und noch ein paar Leuten bewundert. So liegen
die Dinge.
Was mich erstaunt, ist die Tatsache, daß bei meh-
reren dieser Kritiken ein Haß gegen mich durch-
208
schimmert, gegen meine Persönlichkeit, ein Wille
zur Verleumdung, dessen Ursache ich nicht finden
kann. Ich fühle mich nicht verletzt, aber diese Lawine
von Albernheiten betrübt mich. Man möchte lieber
gute Gefühle einflößen als schlechte. Übrigens denke
ich nicht mehr an den Heiligen Antonius. Ade!
Ich will mich diesen Sommer an ein anderes Buch
von gleicher Art machen, darauf werde ich zum reinen
und einfachen Roman zurückkehren. Ich habe zwei
oder drei im Kopf, die ich gern schreiben möchte,
bevor ich sterbe. Gegenwärtig verbringe ich meine
Tage in der Bibliothek, wo ich mir Notizen mache.
In vierzehn Tagen kehre ich in mein Landhaus zu-
rück. Im Juli gehe ich ins Gebirge, in die Schweiz,
um mich von meinem Blutandrang zu heilen, gemäß
dem Rat des Doktor Hardy, der mich „eine hysterische
Frau" nennt, ein Wort, das ich tief finde.
Der gute Turgenjeff reist nächste Woche nach
Rußland, die Reise wird seine Bilderwut gezwungener-
maßen unterbrechen, denn unser Freund kommt
aus dem Auktionssaal nicht mehr heraus. Er ist em
leidenschaftlicher Mensch, um so besser für ihn.
Ich habe Sie bei Frau Viardot vor vierzehn Tagen
sehr vermißt. Sie hat aus der Iphigenie in Aulis
gesungen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie schön,
wie hinreißend, kurz, wie erhaben es war. Was ist
209
diese Frau für eine Künstlerin ' W -^ (ür ♦ ine Kün^tl^-
rln! Derartige Erregungen versöhnen mit dem Da-
sein.
Nun, und Sie, lieber, guter Meister, ist das Stück,
von dem man spricht, fertig? Sie werden wieder
ins Theater hineingeraten ! Ich beklage Sie! Nachdem
man Hunde auf die Bühne des Odeon gebracht hat.
wird man von Ihnen vielleicht verlangen, daß Sie
Pferde bringen. So weit sind wir gekommen!
Und wie geht es dem ganzen Hause, von Maurice
bis Fadct?
Umarmen Sie in meinem Namen die lieben Kleinen
und lassen Sie sich von ihnen wieder umarmen.
Ihr Alter.
Croisset, Dienstag, 26. Mai 1874
Lieber, guter Meister!
Ich bin also wieder in meiner Einsamkeit! Aber ich
werde nicht lange hier bleiben, denn in einem kurzen
Monat gehe ich für etwa drei Wochen auf den Rigi,
um etwas aufzuatmen, mich zu erholen, mich zu
entneurologisieren ! Ich habe zu lange nicht frische
Luft geschnappt, ich fühle mich müde. Ich habe das
Bedürfnis nach etwas Ruhe. Worauf ich mich an
meinen großen Schmöker machen werde, der mich
21.0
mindestens vier Jahre in Anspruch nehmen wird.
Das Gute hat er.
Das Schwache Geschlecht, das von Carvalho fürs
Vaudevllle angenommen worden war, ist mir von eben
diesem Vaudevllle zurückgegeben, und zwar durch
Perrin. der das Stück anstößig und unpassend findet.
„Eine Wiege und eine Amme auf eine französische
Bühne zu bringen!" Denken Sie! Also habe ich
Duquesnel die Sache gebracht, der mir (natürlich!)
noch nicht geantwortet hat. Wie sich die Demorali-
sation, die das Theater verursacht, ausbreitet! Die
Bürger von Rouen, einschließlich meines Bruders,
haben über den Durchfall des Kandidaten im Flüster-
ton (sie!) und mit zerknirschter Miene mit mir ge-
sprochen, als hätte ich wegen Betrugs vor Gericht
gestanden. Keinen Erfolg haben ist ein Verbrechen,
und der Erfolg ist der Prüfstein des Guten. Ich
finde das im höchsten Grade grotesk.
Erklären Sie mir auch, warum m£Ui gewisse Durch-
fälle mit Kissen und andere mit Domen auspolstert?
0 die Welt ist komisch und sich nach ihrer Meinung
richten zu wollen, erscheint mir phantastisch.
Der gute Turgenjeff muß jetzt in Petersburg sein;
er hat mir aus Berlin eine günstige Kritik über den
Heiligen Antonius geschickt, ich habe mich nicht
über den Artikel gefreut, sondern über ihn. Ich habe
14*
211
ihn in diesem Winter oft gesehen, und ich liebe ihn
immer mehr.
Ich habe auch mit dem alten Hugo verkehrt, der
(ohne die politische Galerie) ein reizender Mensch ist.
Ist Ihnen der Sturz des Ministeriums Broglie nicht
angenehm gewesen? Mir außerordentlich! Aber
jetzt? Ich bin noch jung genug, um zu hoffen, daß
die nächste Kammer uns eine Wendung zum Besseren
bringen wird. Aber?
Teufel auch, wie gern möchte ich Sie sehen und
ausführlich mit Ihnen plaudern. In dieser Welt ist
alles schlecht eingerichtet. Warum lebt man nicht mit
denen, die man liebt ? Die Abtei von Theleme ist ein
schöner Traum, aber nichts als ein Traum.
Umarmen Sie in meinem Namen Ihre lieben Kleinen
sehr herzlich. Ganz der Ihre.
Strohkopf.
Mehr Strohkopf als je. Ich fühle mich dienst-
untauglich, schlaff, marode, Scheich, zerfließend,
kurz ruhig und gemäßigt, was der letzte Grad der
Dekadenz ist.
Kaltbad- Righi, Freitag, 3. Juli 1874
Ist es wahr, teurer Meister, daß Sie in der letzten
Woche in Paris gewesen sind? Ich war dort, um nach
der Schweiz zu fahren und habe in einem Blatt gelesen,
212
daß Sie Les deux Orphelines sich angesehen, einen
Spaziergang im Bois de Boulogne gemacht, bei Magny
gespeist haben usw. usw., was beweist, daß man
dank der Freiheit der Presse nicht Herr seiner Hand-
lungen ist. Die Folge ist, daß Strohkopf Ihnen grollt,
weil Sie ihn nicht von I^rer Anwesenheit im „neuen
Athen * benachrichtigt haben. Ich hatte das Gefühl,
daß man dort dummer und flacher war als gewöhnlich.
Man hat mir mit der Wiederkehr des Kaiserreichs
die Ohren vollgeblasen. Ich glaube nicht daran!
Indes! ... Dann müßte man außer Landes gehen.
Aber wohin und wie?
Eines Stückes wegen sind Sie gekommen? Ich
bedaure Sie, daß Sie mit D . . . zu tun haben! Er
hat mir das Manuskript vom Schwachen Geschlecht
durch Vermittlung der Theaterdirektion zurückgegeben
ohne ein Wort der Erklärung, und in dem Kuwert
befand sich ein Brief eines Unterdirektors, der ein
Unikum ist! Ich werde Ihnen den Brief zeigen. Ein
Meisterwerk der Unverschämtheit. So schreibt man
nicht an einen Laufjungen, der ein Vaudeville ins
Theater Beaumarchais bringt.
Dieses selbe Schwache Geschlecht war es, das im
vorigen Jahre Carvalho begeisterte. Jetzt will es nie-
mand mehr, denn Perrin findet, daß es unschicklich
ist, „eine Amme und eine Wiege" auf eine französische
213
Bühne zu bringen. Da ich nicht weiß, was ich damit
machen soll, habe ich es dem Clunytheater gegeben.
Ach, wie richtig war es von meinem armen Bouilbet,
zu sterben. Aber ich finde, das Odeon könnte für
seine nachgelassenen Werke mehr Interesse bezeigen.
Ohne an eine Holbachische Verschwörung zu
glauben, finde ich auch, daß man seit einiger Zeit
etwas zu sehr auf mir herumtrampelt, und gegen
gewisse andere ist man so nachsichtig.
Der Amerikaner H. hat neulich mir gegenüber
behauptet, Saint-Simon schreibe schlecht. Da habe
ich ihn angefahren und ihn so behandelt, daß er in
meiner Gegenwart nicht wieder mit dem Erbrechen
seiner Dummheit anfangen wird. Es war bei der
Prinzessin bei Tisch, meine Heftigkeit schuf eine
gewisse Kühle.
Sie sehen, daß Ihr Strohkopf noch immer keinen
Spaß in der Religion versteht! Er wird nicht ruhiger!
Im Gegenteil!
Ich habe soeben die „Natürliche Schöpfungs-
geschichte" von Haeckel gelesen, ein schönes Buch,
ein wunderschönes Buch! Der Darwinismus ist
klarer darin ausgedrückt als in Darwins Büchern
selbst.
Der gute Turgenjeff hat tief aus den skythischen
Wäldern von sich hören lassen. Er hat die Details
214
gefunden, die er für ein Buch, das er schreiben will,
suchte. Der Ton seines Briefes ist ausgelassen,
woraus ich schließe, daß es ihm gut geht. Er wird
in einem Monat nach Paris zurückkehren.
Vor vierzehn Tagen habe ich eine kleine Reise
nach der nördlichen Normandie gemacht, wo ich
endlich einen Ort gefunden habe, der für meine beiden
Biedermänner (Bouvard und Pecuchet) paßt. Er liegt
zwischen Orne und Auge. Ich werde häufiger dorthin
fahren müssen.
Im September werde ich also diese große Arbeit
beginnen ! sie flößt mir Furcht ein, und ich bin schon
jetzt erschöpft davon.
Da Sie die Schweiz kennen, ist es unnötig, daß
ich Ihnen davon spreche, und Sie würden mich zu
sehr verachten, wenn ich Ihnen sagte, daß sie mich
zum Sterben langweilt. Ich bin aus Gehorsanv hierher-
gekommen, weil man mich hergeschickt hat, um mein
Gesicht zu entröten und meine Nerven zu beruhigen!
Ich zweifle, daß das Mittel wirkt, jedenfalls werde ich
mich sterblich gelangweilt haben. Ich bin kein Natur-
mensch und verstehe Länder nicht, die keine Ge-
schichte haben. Ich würde alle Gletscher der Schweiz
für das vatikanische Museum geben. Dort kann man
träumen. Nun, in drei Wochen werde ich wieder an
215
meinem grünen Tisch kleben in einem bescheidenen
Asyl, das Sie anscheinend nicht mehr besuchen wollen.
Righi, 14. Juli 1874
Wie? Krank! Armer, lieber Meister! Wenn es
Rheumatismus ist, tun Sie doch, was mein Bruder
tat, der in seiner Eigenschaft als Arzt kaum noch
an die Medizin glaubt. Er ist im letzten Jahr in Aix
in Savoyen gewesen und in vierzehn Tagen von
Schmerzen geheilt worden, die ihn seit sechs Jahren
gequält hatten. Aber dazu müßten Sie reisen, Ihre
Gewohnheiten aufgeben, Nohant und die lieben Klei-
nen verlassen. Sie werden zu Hause bleiben und das
ist unrecht von Ihnen. Man muß sich pflegen, für die,
die einen lieben.
Und bei dieser Gelegenheit sagen Sie mir in Ihrem
letzten Brief ein böses Wort. Ich hätte Sie im Ver-
dacht, Sie vergäßen Strohkopf! Aber nein! Ich bin
erstens zu eitel, und zweitens glaube ich zu sehr an Sie.
Sie erzählen mir nicht, was es mit Ihrem Stück am
Odeon ist.
Was die Stücke betrifft, so will ich mich von neuem
den Beschimpfungen des Publikums und der Zeitungs-
schreiber aussetzen. Der Direktor des Clunytheatcrs,
dem ich das Schwache Geschlecht gebracht habe,
hat mir einen bewundernden Brief geschrieben und
216
erklärt sich bereit, das Stück im Oktober zu spielen.
Er rechnet auf einen großen Kassenerfolg. Also sei
es! Aber ich denke an Carvalhos Begeisterung, die
in völlige Kühle umschlug. Und das alles vergrößert
meine Verachtung für die Halunken, die behaupten,
sich auf die Sache zu verstehen. Denn dies ist nun
ein dramatisches Werk, das von den Direktoren
des Vaudeville- und des Clunytheaters für vollendet
erklärt wird; der Direktor des Französischen sagt,
es sei „unspielbar** und der des Odeon: es müsse von
A bis Z umgearbeitet werden. Ziehen Sie daraus
einen Schluß und handeln Sie danach! Gleichviel,
da diese vier Herren die Herren unseres Schicksals
sind, weil sie Geld haben und weil sie mehr Geist
haben als wir, denn sie haben nie eine Zeile ge-
schrieben, muß man ihnen glauben und sich ihnen
unterwerfen.
Es ist sonderbar, was für eine Freude es diesen
Dummköpfen macht, in dem Stück eines andern
herumzuwaten ! zu kürzen, zu verbessern, den Inspizi-
enten zu spielen. Habe ich Ihnen erzählt, daß ich die-
serhalb mit dem besagten *** sehr kühl stand? Er
hat einen Roman umarbeiten wollen, den ich ihm
empfohlen hatte und der nicht sehr gut war, dennoch aber
war er unfähig, auch nur das kleinste Wort daran zu
ändern. Ich habe ihm meine Meinung auch nicht
217
vorenthalten; inde irae. Es ist mir aber unmöglich,
bescheiden genug zu sein, zu glauben, daß dieser
brave Polacke in französischer Prosa stärker ist als
ich. Und Sie wollen, ich soll ruhig bleiben, teurer
Meister? Ich habe nicht Ihr Temperament. Ich
schwebe nicht wie Sie stets über dem Elend dieser
Welt. Ihr Strohkopf ist empfindlich, als hätte er
keine Haut. Und die Dummheit, die Bosheit, die
Ungerechtigkeit greifen ihn immer mehr an. So
verdirbt mir die Häßlichkeit der Deutschen, die mich
umgeben, den Anblick des Righi. Herr des Himmels!
Was für Mäuler!
Gott sei Dank „verschone ich ihren Staat mit mei-
nem furchtbaren Anblick'*.
Sonnabend, 26. September 1874
Nachdem ich mich auf dem Righi wie ein Esel
gclangweilt habe, bin ich Anfang August nach Hause
zurückgekehrt und habe mich an meinen Schmöker
gemacht. Der Anfang ist nicht leicht gewesen, er
war sogar furchtbar, und ich bin fast vor Verzweiflung
umgekommen, aber jetzt geht es, jetzt bin ich durch,
komme was wolle. Übrigens muß man komplett
verrückt sein, wenn man ein solches Buch unter-
nimmt. Ich fürchte, daß es in seiner ganzen Idee
218
vollkommen unmöglich ist. Wir werden sehen. 0,
wenn ich es gut durchführte ... welch ein Traum!
Sie wissen sicher, daß ich mich wieder einmal
den Ungewittern der Rampe aussetzen will (hüb-
sches Bild), und daß ich. der Theaterwelt Trotz
bietend, auf der Bühne des Clunytheaters erscheinen
werde, wahrscheinlich Ende Dezember. Der Direktor
dieser Schmiere ist vom Schwachen Geschlecht ent-
zückt. Aber Carvalho war es auch, und das hat
nicht verhindert ... Sie wissen das übrige.
Es versteht sich von selbst, daß alle Leute mich
tadeln, daß ich mich in einer solchen Schmiere auf-
führen lasse. Aber da die andern dies Stück nicht
wollen und mir daran liegt, daß es aufgeführt wird.
damit Bouilhets Erbe ein paar Sou verdient, bin ich
gezwungen, es dort aufführen zu lassen. Ich werde
Ihnen, wenn wir uns sehen, zwei oder drei hübsche
Anekdoten hierüber erzählen. Warum ist das Theater
8o eine wahnsinnige Sache? Wenn man einmal diesen
Boden betreten hat, sind die gewöhnUchen Lebens-
bedingungen verändert. Wenn man das (kleme)
Unglück gehabt hat, keinen Erfolg zu haben, wenden sich
die Freunde von einem ab. Man ist sehr mißachtet.
Man wird nicht mehr gegrüßt! Ich schwöre Ihnen
auf mein Ehrenwort, daß mir das wegen des Kandi-
daten geschehen ist. Ich glaube nicht an Holbachische
219
Verschwörungen, aber all das, was man mir seit dem
März angetan hat, setzt mich in Erstaunen. Übrigens
mache ich mir gar nichts daraus, und das Schicksal
des Schwachen Geschlechts beunruhigt mich weniger
als der kleinste Satz in meinem Roman.
Der allgemeine Geist scheint mir immer niedriger
zu sinken. In welchen Abgrund der Dummheit werden
wir hinuntersteigen? Das letzte Buch Belots ist in
vierzehn Tagen in achttausend Exemplaren verkauft
worden, die „Eroberung von Plassans" von Zola
in sechs Monaten in siebzehnhundert, und er hat
nicht eine Besprechung gehabt. Alle Montagsidioten
fallen über Scribes „Eine Kette'* in Ohnmacht! ...
Frankreich ist krank, sehr krank, was man auch sagen
mag, und meine Gedanken werden immer ebenholz-
farbener.
Es gibt aber reizende komische Züge: 1 . die Flucht
Bazaines mit der Schildwachenepisode; 2. die Ge-
schichte eines Diamanten von Herrn Paul de Musset
(siehe Revue des deux Mondes vom 1. September);
3. das Vestibül des alten Etablissements Nadar, near
old England, wo man die lebensgroße Photographie
Alexander Dumas betrachten kann.
Ich bin überzeugt, daß Sie mich bissig finden und
mir antworten werden: Was tut das alles? Aber es
tut alles etwas und wir gehen zugrunde durch die
220
Prahlsucht, durch die Ungewißheit, durch den Eigen-
dünkel, durch die Verachtung der Größe, durch die
Liebe zum Banalen und die dumme Geschwätzigkeit.
„Europa, das uns haßt, betrachtet uns lachend,**
sagt Ruy Blas. Weiß Gott, es hat recht zu lachen.
Mittwoch, 2. Dezember 1874
Ich habe Gewissensbisse in bezug auf Sie. Einen Brief
wie Ihren letzten so lange ohne Antwort lassen ist ein
Verbrechen. Ich wartete mit dem Schreiben, weil
ich Ihnen etwas Gewisses über das Schwache Geschecht
mitteilen wollte. Das Gewisse ist nun, daß ich es vor
acht Tagen vom Clunytheater zurückgezogen habe.
Die Besetzung, die Weinschenk mir vorschlug, war
widerlich blöd, und die Engagements, die er mir ver-
sprochen hatte, hat er nicht verwirklicht. Aber Gott
sei Dank habe ich mich rechtzeitig zurückgezogen.
Augenblicklich ist mein Stück beim Gymnase ein-
gereicht. Von Herrn Montigny bis jetzt keine Nach-
richt.
Ich bin von fünfhundert Teufeln besessen wegen
meines Schmökers und frage mich zuweilen, ob ich
nicht verrückt bin, daß ich ihn angefangen habe. Aber
wie Thomas Diafoirus härte ich mich gegen die
Schwierigkeiten ab, und ich. komme vorwärts, aller-
dings auf Umwegen. Außer den Schwierigkeiten der
221
Ausführung, die entsetzlich sind, muß ich einen Haufen
Dinge lernen, die ich nicht weiß. In einem Monat
hoffe ich mit dem Ackerbau und dem Gartenbau
fertig zu werden, aber mein erstes Kapitel werde ich
erst zu zwei Dritteln geschrieben haben,
WdS Bücher betrifft, so lesen Sie doch von meinem
Freunde Daudet Fromont und Risler, und die „Teuf-
lischen von meinem Feinde Barbey d'Aurevilly.
Man kann sich vor Lachen krümmen. Es liegt vielleicht
an der Perversität meines Geistes, der die ungesunden
Dinge Hebt, aber dies Buch ist mir außer-
ordentlich amüsant erschienen; im unfreiwillig
Grotesken kann man nicht weiter gehen.
Sonst ruhige See, Frankreich sinkt langsam wie
ein morsches Schiff, und die Hoffnung auf Rettung
erscheint als ein Fantesiegebilde. Man muß hier in
Paris sein, um einen Begriff von dem allgemeinen
Tiefstand zu bekommen, von der Dummheit, dem
Schmutz, in dem wir herumwaten.
Das Gefühl von diesem Todeskampf durchdringt
mich und ich bin zum Sterben traurig. Wenn ich
mich nicht mit meiner Arbelt zermartere, dann stöhne
ich über mich selbst. So liegen die Dinge. In meinen
Mußestunden denke ich nur immer an die,
die tot sind, und ich will Ihnen ein sehr
anmaßendes Wort sagen. Niemand versteht mich;
222
ich gehöre einer andern Welt an. Die Leute meines
Fachs sind so wenig von meinem Fach. Ich kann
eigentlich nur mit Victor Hugo über das plaudern,
was mich interessiert. Vorgestern hat er mir aus
Boileau und Tacitus auswendig vorgesprochen. Das
hat auf mich wie ein Geschenk gewirkt, etwas so
Seltenes ist es. Im übrigen ist er an den Tagen, wo
keine Politiker bei ihm sind, ein anbetungswürdiger
Mensch.
I ans, Sun. .tag bcrn: 7 ihr ...
Teurer Meister!
Ich verwünsche wieder einmal die Sensationsgier
und die Freude, die gewisse Leute empfinden, wenn
sie bedeutende Neuigkeiten verkünden können! Man
hatte mir gesagt, Sie seien sehr krank. Ihre liebe
Schrift hat mich gestern früh beruhigt, und heute
früh habe ich den Brief von Maurice bekommen,
also Gott sei gelobt!
Was soll ich Ihnen von mir sagen? Ich bin nicht
obenauf, ich habe ... ich >yeiß nicht was. Das Brom-
kalium hat mich beruhigt und mitten auf der Stirn
ein Ekzem hervorgerufen.
In meiner Person gehen anormale Dinge vor. Meine
psychische Erschlaffung muß wohl eine verborgene
Ursache haben. Ich fühle mich alt, abgenutzt, von
223
allem angeekelt. Und die andern langweilen mich, wie
ich selbst mich langweile.
Dennoch arbeite ich, freilich ohne Enthusiasmus
und wie man ein Pensum erledigt, und vielleicht
macht die Arbeit mich krank, denn ich habe ein un-
sinniges Buch angefangen.
Ich verliere mich wie ein Greis in meine Kindheits-
erinnerungen . . . ich erwarte nichts mehr vom Leben
als eine Reihe von Blättern vollzuschmieren. Ich habe
das Gefühl, daß ich durch eine endlose Einsamkeit
schreite, und ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Und
ich selber bin Wüste, Re'sender und Kamel zugleich.
Heute habe ich meinen Nachmittag bei der Beerdi-
gung Amedee Achards verbracht, einer protestanti-
schen Leichenfeier, die ebenso albern war, als wenn
sie katholisch gewesen wäre. Ganz Paris und Reporter
in Masse.
Ihr Freund Paul Meurice kam vor acht Tagen zu
mir, um mir vorzuschlagen, ich solle im Rappel den
„Salon** übernehmen. Ich habe die Ehre abgelehnt,
denn ich bin nicht dafür, eine Kunst zu kritisieren,
deren Technik man nicht kennt. Und dann, wozu
soviel Kritik?
Ich bin vernünftig. Ich gehe alle Tage aus, ich
mache mir Bewegung, und ich komme müde und noch
verblödeter wieder nach Hause, das ist mein Gewinn
224
dabei. Ihr Troubadour (der wenig troubadourhah
ist) ist ein trauriger Gesell geworden.
Ich schreibe Ihnen jetzt so sehen, um Sie nicht mit
meinen Klagen zu langweilen, denn niemand kennt
meine Unerträglichkeit besser als ich.
Schicken Sie mir Flamarande, das wird mir ein
wenig Luft schaffen.
Ich umarme Sie alle, und Sie besonders, teurer
Meister, der Sie so groß, so stark und so sanft sind.
Ihr Strohkopf, der immer zerbrochener wird, wenn
zerbrochen das richtige Wort ist, denn ich fühle den
Inhalt entströmen.
Croisset, lo. Mai 1875
Eine fliegende Gicht, Schmerzen, die überall sind,
eine unbesiegliche Melancholie, das Gefühl allgemei-
ner Nutzlosigkeit und große Zweifel an dem Buch,
das ich schreibe, das bin ich. lieber, tapfrer Meister.
Denken Sie sich Geldsorgen hinzu und melancholisches
Grübeln über die Vergangenheit, so haben Sie memen
Zustand, und ich versichere Ihnen, daß ich große
Anstrengungen mache, um aus ihm herauszukommen.
Aber mein Wille ist geschwächt. Ich kann mich zu
nichts Tatsächlichem entschließen. Ach, ich habe
meine gute Zeit hinter mir, und das Alter kündigt
sich nicht mit lustigen Schmerzen an. Seit ich aber
15 225
die Wasserkur mache, fühle ich mich etwas weniger
blöd, und heute abend werde ich mich wieder an die
Arbeit machen, ohne hinter mich zu blicken.
Ich habe meine Wohnung in der Rue Murillo auf-
gegeben und mir eine geräumigere gemietet, in der
Nähe der Wohnung, die meine Nichte am Boulevard
Reine Hortense innehat. Ich werde nächsten Winter
weniger allein sein, denn ich kann die Einsamkeit
nicht mehr ertragen.
Turgenjeff schien von den ersten beiden Kapiteln
meines furchtbaren Schmökers sehr befriedigt zu
sein. Aber Turgenjeff liebt mich vielleicht zu sehr,
um mich unparteiisch beurteilen zu können.
Ich werde jetzt lange nicht ausgehen, denn ich
will in meiner Arbeit weiterkommen, die mir wie
eine Last von fünfhunderttausend Kilogramm auf
der Brust liegt. Meine Nichte wird den ganzen Juni
hier verbringen. Wenn sie wieder fort ist, werde ich
eine kleine archäologische und geologische Exkursion
machen, und das ist alles.
Nein, ich habe mich über den Tod Michel Levys
nicht gefreut, und ich beneide ihn sogar um diesen
sanften Tod. Abgesehen davon, dieser Mann hat mir
viel Leid getan. Er hat mich tief verletzt. Ich bin
freilich mit einer absurden Empfindlichkeit begabt,
was die andern ritzt, zerreißt mich. Warum bin ich
226
für den Genuß nicht eben so organisiert, wie ich es
für den Schmerz bin?
Was Sie mir über Aurore schreiben, die Homer
liest, hat mir wohlgetan. Das fehlt mir: ein kleines
Mädchen wie sie. Aber man gestaltet sein Schicksal
nicht, man erliegt ihm. Ich habe immer für den Tag
gelebt, ohne Zukunftspläne, und habe mein Ziel
verfolgt (ein einziges, die Literatur), ohne nach rechts
und nach links zu blicken. Alles, was mich umgab,
ist verschwunden, und jetzt finde ich mich in der
Wüste. Kurz, Zerstreuung fehlt mir gänzlich.
Wenn man gute Sachen schreiben will, braucht
man eine gewisse Munterkeit! Was soll ich tun, um
sie wiederzubekommen? Welches Mittel muß man
anwenden, um nicht unaufhörlich an sein elendes
Ich zu denken? Das Kränkste in mir ist die Stimmung,
sonst würde alles übrige gut gehen. Sie sehen, lieber,
guter Meister, daß ich recht habe, Sie mit meinen
Briefen zu verschonen. Nichts ist so dumm wie ein
Jammerlappen.
Paris, 14. Dezember 1875
Es geht ein wenig besser und ich benutze das, um
Ihnen zu schreiben, lieber, guter, anbetungswürdiger
Meister.
15* 227
Sie wissen, daß ich meinen großen Roman auf-
gegeben habe, um eine kleine mittelaherliche Bagatelle
zu schreiben, die nicht mehr als dreißig Seiten haben
wird. Das bringt mich in ein netteres Milieu, als die
moderne Welt ist, und tut mir wohl; dann plane ich
einen zeitgenössischen Roman, aber ich schwanke
zwischen mehreren Ideenembryos. Ich möchte etwas
Konzentriertes und Gewaltsames machen. Der Faden
der Handlung (das heißt die Hauptsache) fehlt mir
noch.
Äußerlich hat sich mein Leben kaum verändert:
ich sehe dieselben Leute, ich empfange die gleichen
Besuche. Meine Getreuen am Sonntag sind erstens
der große Turgenjeff, der reizender ist als je, Zola,
Alphonse Daudet und Goncourt. Sie haben niemals
mit mir über die beiden ersteren gesprochen. Was
denken Sie über ihre Bücher?
Ich lese überhaupt nichts. Außer Shakespeare,
den ich wieder von A bis Z gelesen habe. Das er-
frischt einen und pumpt einem Luft in die Lungen,
als wäre man auf einem hohen Berge. Alles erscheint
mittelmäßig neben diesem gewaltigen Manne.
Da ich sehr wenig ausgehe, habe ich Victor Hugo
noch nicht gesehen. Heute abend aber werde ich mich
entschließen, Stiefel anzuziehen, um ihm meine
228
Huldigung darzubringen. Seine Persönlichkeit sagt
mir unendlich zu. aber sein Hof!... Erbarmen!
Die Senatorwahlen sind ein Gegenstand der Be-
lustigung für die Leute, zu deren Partei ich gehöre.
In den Korridoren der Assemblee müssen unerhört
groteske und gemeine Gespräche geführt worden
sein. Das neunzehnte Jahrhundert ist bestimmt, alle
Religionen untergehen zu sehen. Amen! Ich weine
keiner nach.
Im Odeon wird ein lebender Bär auf der Bühne
erscheinen. Das ist alles, was ich von der Literatur
weiß.
. . . Dezember i8js
Ihr guter, so herzlich mütterlicher Brief vom 18. hat
mich sehr nachdenklich gemacht. Ich habe ihn wohl
zehnmal gelesen, und ich bekenne Ihnen, daß ich nicht
sicher bin, ihn zu verstehen. Mit einem Wort, was soll
ich nach Ihrer Meinung tun? Formulieren Sie Ihre
Ratschläge genauer!
Ich tue dauernd alles, was ich kann, um mein Gehirn
zu weiten, und ich arbeite mit ehrlichem Herzen.
Das übrige hängt nicht von mir ab.
Ich markiere nicht aus Vergnügen „Trostlosigkeit",
glauben Sie mir. aber ich kann meine Augen nicht
ändern! Was meinen Mangel an Überzeugung be-
trifft, so kann ich Ihnen leider sagen, daß die Über-
229
Zeugungen mich ersticken. Ich berste vor Zorn und
zurückgehaltener Empörung. Aber in seinem Kunst-
ideal darf man, glaube ich, nichts davon zeigen, und
der Künstler darf in seinem Werk nicht sichtbarer
sein als Gott in der Natur. Der Mensch ist nichts,
das Werk alles! Diese Disziplin, die vielleicht von
einem falschen Standpunkt ausgeht, ist nicht leicht
zu beobachten. Für mich wenigstens ist es eine Art
dauerndes Opfer, das ich dem guten Geschmack bringe.
Es würde mir sehr angenehm sein, zu sagen, was ich
denke, und Herrn Gustave Flaubert durch Worte
Erleichterung zu verschaffen, aber was für eine Be-
deutung hat besagter Herr?
Ich denke wie Sie, mein Meister, daß die Kunst
nicht nur Kritik und Satire ist; daher habe ich auch
niemals, in voller Absicht, weder mit dem einen noch
mit dem andern einen Versuch gemacht. Ich habe
mich stets bemüht, in die Seele der Dinge einzu-
dringen und mich an die größten Allgemeinheiten
zu halten, und ich habe mich bewußt vom Zufälligen
und Dramatischen abgewendet. Keine Ungeheuer
und keine Helden!
Sie sagen; ich habe dir keine literarischen Rat-
schläge zu geben, ich habe keine Urteile über die
dir befreundeten Schriftsteller aufzustellen usw.
Ah, das wäre! Ich fordere doch einen Rat, und ich
230
erwarte Ihr Urteil. Wer sollte ihn geben, wer ein
Urteil formulieren, wenn nicht Sie?
Was meine Freunde betrifft, fügen Sie hinzu:
„Meine Schule**. Aber ich richte mein Temperament
zugrunde in dem Bestreben, keine Schule zu haben.
Ich stoße sie alle a priori zurück. All die, die ich
häufig sehe und die Sie nennen, wollen alles, was ich
verachte, und kümmern sich wenig um das, was mich
quält. Ich halte die technische Einzelheit, das lokale
Wissen, überhaupt die historische und exakte Seite
der Dinge, für sehr untergeordnet. Ich suche vor
allem die Schönheit, um die meine Gefährten sich
wenig kümmern. Ich sehe sie unempfindlich, wenn
ich vor Bewunderung oder Abscheu außer mir gerate.
Worte, die ihnen sehr gewöhnlich erscheinen, bringen
mich in Ekstase. Goncourt ist sehr glücklich, wenn
er auf der Straße ein Wort aufgefangen hat, das er
einem Buch einfügen kann, und ich sehr befriedigt,
wenn ich eine Seite ohne Assonanzen und Wieder-
holungen geschrieben habe. Ich gäbe alle Legenden
Gavamis hin für gewisse Ausdrücke und Zäsuren
der Meister wie: der Schatten war hochzeitlich,
erhaben und feierlich, von Victor Hugo, oder wie
das Wort Montesquieus „Die Laster Alexanders
waren außerordentlich wie seine Tugenden: Er war
furchtbar in seiner Wut. Sie machte ihn grausam**
231
Ich versuche, gut zu denken, um gut zu schreiben.
Aber das gute Schreiben ist mein Ziel, das verhehle
ich nicht.
Mir fehlt „ein gefestigter und weiter Blick über
das Leben". Sie haben tausendmal recht, aber das
Mittel, daß es anders wird? Ich erbitte es von Ihnen.
Sie werden meine Verdüsterungen nicht mit Metha-
physik erleuchten, meine nicht und die der andern
auch nicht. Die Worte Religion oder Katholizismus
einerseits; Fortschritt, Brüderlichkeit, Demokratie
anderseits entsprechen den geistigen Bedürfnissen
des Augenblicks nicht. Das ganze neue Dogma der
Gleichheit, das der Radikalismus predigt, ist durch
die Physiologie und durch die Geschichte widerlegt.
Ich sehe keine Möglichkeit, heute ein neues Prinzip
aufzustellen, ebensowenig die alten zu respektieren.
Also ich suche — ohne sie zu finden — die Idee,
von der alles übrige abhängen muß.
Inzwischen halte ich mich an das Wort, das Littre
mir einmal gesagt hat: Ah, mein Freund, der Mensch
ist ein unbeständiges Kompositum und die Erde ein
sehr untergeordneter Planet."
Nichts hält mich mehr aufrecht, als die Hoffnung,
jhn bald zu verlassen und nicht auf einen andern zu
kommen, der noch schlimmer sein könnte. „Lieber
232
würde ich nicht sterben/* sagte Marat. Ach nein,
genug, genug der Qual!
Ich schreibe jetzt eine kleine Bagatelle, deren
Lektüre eine Mutter ihrer Tochter erlauben kann.
Das ganze wird etwa dreißig Seiten umfassen. Ich habe
noch zwei Monate damit zu tun. Ich bin mit großer
Lust dabei. Ich schicke sie Ihnen, sobald sie er-
schienen ist (nicht die Lust, sondern die kleine Ge-
schichte).
Mittwoch, 187s
Ein ganzer Erfolg, lieber Meister. Man hat die Schau-
spieler nach allen Akten gerufen und warmen Beifall
gespendet. Man war zufrieden, und von Zeit zu Zeit
wurden Zurufe laut. All Ihre Freunde, die dem Ruf
gefolgt waren, waren betrübt, daß Sie nicht da waren.
Die Rollen Antolnes und Victorines sind wunder-
bar gespielt worden. Die kleine Baretta Ist wirklich
ein Juwel.
Wie haben Sie VIctorlne nach dem „Philosophen,
ohne es zu wissen*, schreiben können? Das fasse
ich nicht. Ihr Stück hat mich bezaubert und zum
Weinen gebracht, während das andere mich gelang-
weilt hat, tödlich gelangweilt. Mich verlangte nach
dem Ende. Welch eine Sprache! der gute Turgenjeff
233
und Frau Viardot rissen die Augen auf, daß es komisch
anzusehen war.
Was in Ihrem Werk die größte Wirkung erzielt
hat, ist im letzten Akt die Szene zwischen Antoine
und seiner Tochter. Maubant ist zu majestätisch
und der Schauspieler, der Fulgence spielt, unzu-
reichend. Aber alles ist sehr gut gegangen, und dies
Stück wird ein langes Leben haben.
Der gewaltige Harrisse hat mir gesagt, er werde
Ihnen unverzügUch schreiben. Also wird sein Brief
Sie vor dem meinen erreichen. Ich wollte heute früh
nach Pont l'Eveque und Honfleur fahren, um ein
Stück Landschaft zu sehen, an das ich mich nicht
mehr deutlich erinnere, aber die Überschwemmungen
hindern mich.
Lesen Sie doch bitte den neuen Roman Zolas,
Exzellenz Rougon: ich möchte gern wissen, wie Sie
ihn finden.
Nein, ich verachte Sedaine nicht, weil ich nichts
verachte, was ich nicht verstehe. Er hat für mich etwas
wie Pindar und Milton, die mir völlig verschlossen
sind, trotzdem fühle ich wohl, daß der Bürger Sedaine
nicht ganz von ihrem Wuchs ist.
Das Publikum vom letzten Dienstag hat übrigens
meinen Irrtum geteilt, und Victorine hat dort, unab-
hängig von ihrem wirklichen Wert, durch den Kontrast
234
gesiegt. Frau Viardot, die einen natürlich großen
Geschmack hat, sagte gestern, als wir von Ihnen
sprachen. „Wie hat sie das eine neben dem andern
schreiben können?" Das ist auch meine Meinung.
Sie machen mich etwas traurig, teurer Meister,
indem Sie mir ästhetische Ansichten zuschreiben,
die nicht die meinen sind. Ich glaube, daß die Ab-
rundung der Phrase nichts ist, daß aber gut schreiben
alles ist, weil gut schreiben zugleich gut fühlen, gut
denken und gut sagen ist (Buffon). Der endgültige
Ausdruck ist also von den beiden andern Dingen ab-
hängig, da man ja stark fühlen muß, um denken zu
können und denken muß, um etwas ausdrücken zu
können.
Alle Spießbürger können viel Herz und Zartgefühl
haben, voll der besten Gefühle und der größten
Tugenden sein, ohne deswegen Künstler zu werden.
Die Sorge um die Schönheit, die Sie mir vor-
werfen, ist für mich eine Methode. Wenn ich in
einem meiner Sätze eine schlechte Assonanz oder
eine Wiederholung entdecke, bin ich sicher, daß ich
in etwas Falsches hineingeraten bin; durch Suchen
finde ich den richtigen Ausdruck, der der einzige
war und der gleichzeitig harmonisch ist. Das Wort
fehlt niemals, wenn man die Idee hat.
235
Bedenken Sie (um wieder auf den guten Sedalne
zu kommen), daß ich all seine Meinungen und seine
Bestrebungen anerkenne. Vom archäologischen
Standpunkt ist es sonderbar und vom menschlichen
Standpunkt sehr lobenswert, das gebe ich Ihnen zu.
Aber was soll uns das heute? Ist das ewige Kunst,
ich frage Sie.
Schriftsteller seiner Zeit haben nützliche Prinzipien
aufgestellt, aber in einem unvergänglichen Stil, in
zugleich konkreterer und allgemeinerer Art.
Kurz, die Beharrlichkeit der Comedie Fran^aise,
uns das als ein „Meisterwerk" hinzustellen, hat mich
so angegriffen, daß ich, als ich wieder zu Hause war
(um den Geschmack dieser Milchsuppe auszulöschen),
vorm Schlafengehen die Medea des Euripides gelesen
habe, da ich sonst nichts Klassisches zur Hand hatte,
bis Aurora Strohkopf bei dieser Beschäftigung über-
raschte.
Ich habe Zola geschrieben, er soll Ihnen sein Buch
schicken. Ich werde auch Daudet sagen, daß er Ihnen
seinen Jack schickt, da ich sehr begierig bin, Ihre
Meinung über diese beiden Bücher zu hören, die in
Stil und Temperament sehr verschieden sind, aber
beide sehr bemerkenswert.
Die Angst, die die Wahlen den Spießbürgern ein-
gejagt haben, ist ergötzlich gewesen.
236
Montag abend, i8y6
Ich habe heute früh Ihr Buch bekommen, teurer
Meister; ich habe noch zwei oder drei andere, die man
mir vor langer Zeit gehehen hat; ich will sie weg-
schicken, und ich werde das Ihre Ende der Woche
lesen, während einer kleinen Reise von zwei Tagen,
die ich wegen meiner „Geschichte eines einfachen
Herzens", einer Bagatelle, die momentan im Bau
ist, wie Prudhomme sagen würde, nach Pont
l'Eveque und Honfleur machen muß.
Ich bin sehr froh, daß „Jack" Ihnen gefallen hat.
Es ist ein entzückendes Buch, nicht wahr? Wenn Sie
den Verfasser kennten, würden Sie ihn noch mehr
lieben als sein Werk. Ich habe ihm gesagt, er soll
Ihnen Risler und Tartarin schicken. Sie werden mir
danken, wenn Sie diese beiden Bücher gelesen haben,
dessen bin ich von vornherein sicher.
Ich teile die Strenge Targenjeffs gegen Jack und
die Grenzenlosigkeit seiner Bewunderung für Rougon
nicht. Der eine hat den Zauber, der andere die Kraft.
Aber keins von beiden befaßt sich vor allem mit dem,
was für mich das Ziel der Kunst ist, nämlich mit der
Schönheit. Ich erinnere mich, Herzklopfen gehabt,
eine heftige Freude empfunden zu haben, als ich eine
Mauer der Akropolis betrachtete, eine ganz nackte
Mauer (die Mauer an der linken Seite, wenn man zu
237
den Propyläen Hinaufsteigt). Nun frage ich mich,
ob ein Buch, unabhängig von dem, was es sagt, nicht
die gleiche Wirkung hervorrufen kann? Liegt nicht
in der Präzision der Werkzeuge, in der Seltenheit der
Grundstoffe, der Glätte der Oberfläche, der Harmonie
des Ganzen eine innere Tugend, eine Art göttliche
Kraft, etwas Ewiges wie ein Prinzip? (ich spreche
platonisch). Warum gibt es eine notwendige Beziehung
zwischen dem richtigen und dem musikalischen Wort?
Warum kommt man immer dazu, einen Vers zu
machen, wenn man seinen Gedanken zu sehr kompri-
miert? Das Gesetz der Zahlen beherrscht also die
Gefühle und die Bilder, und was äußerlich erscheint,
ist demnach ganz einfach das Innere? Wenn ich lange
in diesem Zuge fortführe, würde ich mir sehr schaden,
denn anderseits muß die Kunst rechtschaffen sein;
oder vielmehr die Kunst ist so, wie man sie machen
kann. Wir sind nicht frei. Jeder folgt seinem Wege,
seinem eigenen Willen zum Trotz. Kurz, Ihr Stroh-
kopf hat keinen vernünftigen Gedanken mehr in
seinem Schädel.
Aber wie schwer ist es, sich zu verständigen! Da
sind zwei Menschen, die ich sehr liebe und die ich
für wahre Künstler halte, Turgenjeff und Zola, was
nicht hindert, daß sie die Prosa Chat eaubri and s
und noch weniger die Gautiers keineswegs bewundem.
238
Worte, die mich entzücken, erscheinen ihnen hohl.
Wer hat unrecht? Und wie soll man dem Publikum
gefallen, wenn die Nächsten einem so fern sind?
Das alles macht mich sehr traurig. Lachen Sie nicht.
Sonntag abend, . . . i8y6
Sie müssen mich, lieber Meister, innerlich als ein
, .rechtes Schwein" ansehen, denn ich habe auf Ihren
letzten Brief nicht geantwortet, und habe Ihnen nichts
über Ihre beiden Bücher gesagt, ganz abgesehen davon,
daß ich heute früh ein drittes von Ihnen bekommen
habe. Aber ich bin seit vierzehn Tagen völlig von
meiner kleinen Erzählung in Anspruch genommen,
die bald fertig sein wird. Ich habe mehrere Gänge
zu machen, allerlei Lektüre, und, was ernsthafter ist
als all das, die Gesundheit meiner armen Nichte beun-
ruhigt mich außerordentlich und macht mir den Kopf
so wirr, daß ich nicht weiß, was ich tue. Sie sehen,
daß ich Hartes zu überstehen habe. Dies junge Wesen
ist im höchsten Grade anämisch. Sie geht zugrunde.
Sie hat die Malerei aufgeben müssen, die ihre einzige
Zerstreuung ist. Alle gewöhnlichen Stärkungsmittel
richten nichts aus. Seit drei Tagen hat sie sich auf
Anordnung eines andern Arztes, den ich für tüchtiger
halte als die übrigen, der Wasserkur zugewandt.
Wird das ihrer Verdauung und ihrem Schlaf helfen
239
und ihren ganzen Körper stärken? Ihr armer Stroh-
kopf hat immer weniger Freude am Leben, er hat
zuviel davon, unendlich zuviel. Sprechen wir von
Ihren Büchern, das ist besser.
Sie haben mich unterhalten, der Beweis ist, daß
ich Flamarande und Die beiden Brüder in einem Zuge
und hintereinander verschlungen habe. Was ist Frau
von Flamarande für eine reizende Frau und was für ein
feiner Mann ist Herr von Salcede. Die Erzählung von
dem Kindesraub, die Wagenfahrt und die Geschichte
Zamoras sind vollendete Stellen. Dauernd wird das
Interesse wachgehalten und sogar gesteigert. Was ich
vor allem an diesen beiden Romanen bewundere
(wie übrigens an allen Ihren Werken), das ist die natür-
liche Ordnung der Gedanken, das erzählerische Talent
oder vielmehr Genie. Aber was für ein greulicher
Kerl ist Ihr Herr von Flamarande! Was den Diener
betrifft, der die Geschichte erzählt, und der augen-
scheinlich in die gnädige Frau verliebt ist, so frage
ich mich, warum Sie seine persönliche Eifersucht
nicht deutlicher gezeigt haben?
Abgesehen von dem Grafen sind alle Leute in dieser
Geschichte tugendhaft und sogar außerordentlich
tugendhaft. Aber halten Sie sie für sehr echt? Gibt
es viele von ihrer Sorte? Solange man von ihnen liest.
240
glaubt man an sie, weil sie so geschickt dargestellt
sind, aber hinterher?
Endlich, teurer Meister, und das ist die Antwort
auf Ihren letzten Brief, will ich Ihnen sagen, was
uns hauptsächlich trennt. Sie fliegen in allen Dingen
mit dem ersten Sprung zum Himmel empor und steigen
von da auf die Erde nieder. Sie gehen von dem Apriori
aus, von der Theorie, vom Ideal. Daraus entspringt
Ihre Sanftmut dem Leben gegenüber, Ihre Heiterkeit
und, um das rechte Wort zu sagen, Ihre Größe. —
Ich armer Kerl hafte wie mit Bleisohlen an der Erde;
alles erregt, zerreißt, zerstört mich und ich be-
mühe mich, emporzusteigen. Wenn ich mir Ihre
Art, die ganze Welt anzusehen, zu eigen machte, würde
ich lächerlich werden, das ist alles. Denn Sie haben
gut predigen, ich kann kein anderes Temperament
haben als das meine, auch keine andere Ästhetik als
die eine, die daraus folgert. Sie beschuldigen mich,
daß ich mich nicht der Natur überlasse. Gut, und
diese Disziplin? Diese Tugend?^ Was machen wir
damit? Ich bewundere Herrn von Buffon, der, wenn
er schreiben will, Manschetten anzieht. Dieser Luxus
ist ein Symbol. Nun, ich versuche naiv möglichst ver-
ständnisvoll zu sein. Was kann man mehr verlangen?
Was das betrifft, daß ich meine persönliche Meinung
über die Leute sagen soll, die ich gestalte, nein, nein,
16 241
tausendmal nein! Ich maße mir das Recht dazu nicht
an. Wenn der Leser aus einem Buch nicht die Moral
zieht, die darin liegen muß, so ist der Leser ein Esel
oder das Buch ist in Punkto Deutlichkeit falsch. Denn
im Augenblick, wo eine Sache wahr ist, ist sie gut.
Die obszönen Bücher sind nur deshalb unmoralisch,
weil ihnen die Wahrheit fehlt. So geht es im Leben
nicht zu.
Und beachten Sie, daß ich das verabscheue, was man
Realismus zu nennen übereingekommen ist, obwohl
man mich zu einem seiner Priester macht; erklären
Sie all das!
WdS das Publikum betrifft, so vernichtet sein Ge-
schmack mich immer mehr. Gestern zum Beispiel
habe ich der Premiere des Prix Martin beigewohnt,
einer Posse, die ich für mein Teil sehr geistvoll finde.
Kein Wort des Stückes hat ein Lachen entzündet,
und der Schluß, der mir unvergleichlich erscheint,
ist unbemerkt geblieben. Also suchen, was gefallen
kann, scheint mir die phantastischste aller Unterneh-
mungen. Denn ich wette, daß niemand, wer es auch
sei, mir sagen kann, durch welche Mittel man gefällt.
Der Erfolg ist eine Folge und darf nicht ein Zweck
sein. Ich habe ihn nie gesucht (obwohl ich ihn
wünsche) und ich suche ihn immer weniger und
weniger.
242
Nach meiner kleinen. Erzählung werde ich eine
andere schreiben, — denn ich bin zu ausgepumpt,
um mich an ein großes Werk zu wagen. Ich hatte
zuerst daran gedacht, den Heiligen Julianus in einer
Zeitschrift zu veröffentlichen, aber ich habe darauf
verzichtet.
Freitag abend, ... 1S76
O, haben Sie aus Herzensgrunde Dank, lieber
Meister! Sie haben mir einen wundervollen Tag
bereitet, denn ich habe Ihr letztes Buch gelesen,
den Tour de Percemont. — Marianne. Heute nur,
da ich mehrere Sachen zu beendigen hatte, unter
anderm meine Erzählung „Der heilige Julianus'*,
habe ich besagtes Buch in eine Schublade ein-
geschlossen, um der Versuchung nicht zu erliegen.
Als meine kleine Novelle in der Nacht fertig war.
habe ich mich in der Frühe auf das Werk gestürzt
und es verschlungen.
Ich finde es vollendet, zwei Juwelen. Marianne
hat mich tief bewegt, und zwei- oder dreimal habe
ich geweint. Ich habe mich in ider Person Pierres
wiedererkannt. Gewisse Stellen erschienen mir wie
Bruchstücke aus meinen Memoiren, wenn ich das
Talent hätte, sie so zu schreiben. Wie ist das alles
entzückend, poetisch und wahr! Der Tour de Perce-
16* 243
mont hat mir außerordentlich gefallen, aber Mari-
anne hat mich literarisch begeistert. Die Engländer
sind meiner Meinung, denn in der letzten Nummer
des Athenäums hat man einen sehr schönen Artikel
über Sie veröffentHcht. Wußten Sie das? Also
diesmal bewundere ich Sie vollkommen und ohne den
geringsten Vorbehalt.
Ich bin wirklich sehr zufrieden. Sie haben mir nur
immer Gutes getan; ich liebe Sie zärtlich!
Gustave Flaubert
244
INDEX
MIT ANMERKUNGEN
Seite
Achard, Amadee, 1814 —
1874. Schriftsteller .... 225
„Aissie", Drama vonBouil-
het, 74 f.. 80. 132, 134,
139, 141. 144, 146
Arago, Emmanuel, geb.
1812. Politiker; 1848 Ge-
sandter in Berlin 32
Amould, Sophie, 1774 —
1803, berühmte Opem-
sängerin 121
Badinguet, siehe Napo-
leon III.
Balzac, Honore de, 1799—
1850, der berühmte
Schriftsteller 138
Barbis. Armand, geb. 1810.
Politiker 20. 32. 95
Barbey d'Aurevilly*, Jules,
geb. 1809, Schriftsteller,
80. 83. 208. 222
* Das S. 222 erwähnte Werk
Barbey d'Aurevillys „Die Teuf-
lischen" ist im Verlag Gustav
Kiepenheuer, Potsdam, als Band
der Liebhaberbibliothek er-
schienen.
Seite
Barni, Jules, geb. 1818,
Philosoph : als Übersetzer
bekannt 150. 153
Bastiat, Frederic. 1801 —
1850. berühmter Natio-
nalökonom 136
Bautain, Abbi. geb. 17%.
Philosoph und Theologe 195
Bazaine, Marschall, geb.
1811, bekannt aus dem
Kriege 1870/71 ... 194. 220
Belot. Adolphe, dramati-
scher Schriftsteller ohne
große Bedeutung 220
Beranger. Jean de. geb.
1780. Dichter .... 100. 200
Berryer. Antoine, geb. 1790.
berühmter Advokat und
politischer Redner 32
Berton. Montan, geb. 1820,
Schauspieler.. 88. 125, 139
Bichat. Xavier. 1771-1802.
berühmter Arzt und Ana-
tom 133
Bismarck 26
Boileau-Despreaux. 1636 —
1711. der berühmte
Dichter 223
247
Seite
Bouilhet, Louis, 1822 —
1869, Dichter und dra-
matischer Schriftsteller,
3, 6, 7 f.. 11, 19.27,33,
35, 71, 75. 76, 79. 85,
90.92, 93,94. 128, 141,
142. 144, 147, 154 f., 160,
166, 191. 214. 219
„Bouvard und Pecuchet",
satirischer Roman Flau-
berts, erschienen 1881,
161. 164, 184, 215
Buchez, Benjamin, 1796 —
1865, Philosoph und
Politiker 40. 58
Buloz, Fran?ois, geb. 1803,
Publizist 205
Cabanis. Georges, 1757 —
1808, Schriftsteller, Arzt
Philosoph 133
,,Cadio", Drama von
George Sand, 31, 44 f.,
50, 51, 54
Giro, Edme-Marie, geb.
1826, Schriftsteller. Pro-
fessor der Philosophie . 93
Carvalho, Theaterdirektor.
160, 161. 184. 187. 189.
193. 197, 200, 211, 213, 217
Champfleury, Fleury, geb.
1821, Romanschrift-
steller 37f.
Changarnier, Nicolas-
Aime-Th^odule. geb. 1793.
französischer General . . 30
Chateaubriand, Vicomte
de. 1768—1848. einer
Seite
der größten Schriftsteller
des 19. Jahrhunderts, als
PoHtiker von Bedeutung
62, 238
Chennevieres, Pointel, geb.
1820, Kunstschriftsteller
und Administrator der
Museen 195, 199
Chilly, Charles Marie de,
geb. 1807, Theaterdirek-
tor. 51. 74. 79. 125. 139
Clairville, Nicolaie, geb.
1811, dramatischer
Schriftsteller 145
Coetlogon, Jean - Baptiste -
Felicite. 1773-1827.
Schriftsteller 185
Colet. Frau, geb. 1808,
Schriftstellerin 151
„Consuelo", das bedeu-
tendste Werk George
Sands, 1842 erschienen,
16 f.. 25
Cormon, Eugine, geb.181 1 .
dramatischer Schrift-
steller 197
Cornu, Hortense Lacroix,
geb. 1812. Schriftstelle-
rin. Enkelin der Königin
Hortense und Napoleons
III 85f.
Couture. Thomas, geb.
1815. Maler 6
Cuvillier-FIeury, Alfred-
Auguste, geb. 1802,
Schriftsteller 174
Dalloz, Paul. geb. 1829.
Redakteur 67. 166
248
Seite
Danton ^^^
Daremberg.Charles-Vicfor,
geb. 1817, Mediziner und
Schriftsteller 188
Darwin. Charles Robert .214
Daudet, Alphonse, geb.
1840, der bekannte
Schriftsteller, 222, 228, 236
Delacrolx, Auguste, geb.
1 81 2, der berühmte Maler 1 59
Delannoy, Emile, geb.
1817, Schauspieler,
197, 198, 201. 205 f.
Delavigne, Gisimir. 1793—
1843, berühmter Dichter 2
Delorme. Marion» geb.
1612, berühmte Kurti-
sane ••• 181
Diafoirus, Thomas, Figur
aus Molieres „Der ein-
gebildete Kranke" 221
Dickens. Charles. 1812—
1870, der englische Ro-
manschriftsteller 163
Doucet. Camille, geb.
1812, dramatischer
Schriftsteller 31. 46
Dubois, Baron Paul. Chi-
rurg 88
Du Camp, Maxime, geb.
1822. Schriftsteller .... 35
Dumaine, Louis-Fran?ois,
geb. 1831, Schauspieler 5
Dumas. Alexandre. Sohn,
geb. 1824. der bekannte
Schriftsteller, 15, 93,
112, 137. 145. 174, 177.
198, 220
Seite
Duquesnel. Direktor dea
Odeonthcaters. 75. 139.
176. 211
Duveyrier, Charles, 1803 —
1866, Literat H
Eckermann, 1792-1894,
der Freund Goethes . . 90
Erckmann-Chatrian, geb.
1822, Romanschriftsteller 178
Favre. Jules, geb. 1809. der
berühmte Politiker 32
Feuillet, Octave, geb. 1 821 ,
Schriftsteller 174
Feydeau, Ernest. geb. 1821 ,
Schriftsteller 62
Fould,Achille. 1800—1867.
Staatsmann 166
Gambetta, L^on, geb. 1838,
Politiker 177
Garcln de Tassy. 1794 —
1878. Orientalist 195
Gasparin, Pierre. Comte de.
1783-1862 142
Gautier, Theophile, 181 1 —
1872. Schriftsteller.
43. 82. 95. 153. 157.
158 f.. 165 f., 178, 238
Gavami, Chevalier, 1801 —
1866. Maler und Schrift-
steller 231
..Geschichte meines Le-
bens". Autobiographie
von George Sand in
zwanzig Bänden 62, 65
Goncourt. die Brüder Ed-
mond und Jules de,
62, 63, 65. 95. %. 228. 231
249
Seite
Gondinet, Edmond, geb.
1829, dramatischer
r Schriftsteller 204
Goethe, Joh. Wolf gang v. 90
Gressent, geb. 1818, Land-
wirtschaftler 1 42
Haeckel, Ernst, geb. 1834,
der deutsche Natur-
wissenschaftler 214
Hamel, Emest, geb. 1826,
Publizist 70
Harrisse, Kritiker 140, 234
Haussmann, Georges-
Eugene, Baron, geb.
1809, Finanzminister .. 123
Hegel, 1770—1831, der
deutsche Philosoph 156
„Herzogin von Rudol-
stadt", Roman von
George Sand 25
Holbach, Thiry, Baron d*,
1723-1789. Philosoph
und Literat 10
Houssaye, Arsene, geb.
1815, Literat 82
Hugo, Frangois Victor,
Sohn des Dichters 194
— , Victor, 1802-1885,
berühmter Schriftsteller,
29. 55,68.87, 138, 151,
185, 194. 2 12, 223, 228 f. .231
Ingres, Dominique, 1780 —
1867, der berühmteste
französische Maler des
vorigen Jahrhunderts .. 159
250
Seite
Kandidat, der, politische«
Schauspiel von Flaubert,
184, 188. 189, 193,
l%f.. 198 ff., 203.211, 219
Kant, Immanuel, 1724 —
1804. der deutsche Philo-
soph 150, 153, 156
Keratry, Emile, Comte de,
geb. 1832, Politiker und
Publizist 100
Ladmirault, Paul de, geb.
1808, General, der sich
im Deutsch - französi -
sehen Kriege hervor-
getan hat 1 76
Lagier. Suzanne, geb. 1 833,
Schauspielerin und SSn-
gerin 121
La Harpe, Jean Fran^ois
de, 1739-1803. Schrift-
steller 68 f
Lamartine. Alphonse de.
1790-1869, berühmter
französischer Schrift-
steller 2
Lamennais. Robert de,
1 782-1 854.Schriftstcller
und Philosoph 195
La Rounat, Rouvenat de,
geb. 1819. Literat .... 204
Latour de Saint- Ybars, geb.
1808, dramatischer
Schriftsteller 79 f.
Lescure. Marquis de. 1766
bis 1793, Führer der
Vend6e-Armee 46
Seite
Levy, Michel, Begründer
der Pariser Verlagsfirma,
81.82,91 ff., 174. 191 f..
208, 226
LittnS, Emile, geb. 1801,
Philosoph und Politiker,
118.232
Louis Philipp I.. 1773—
1850 6. 71
Madame Bovary. Roman
von Flaubert, erschienen
1857 180
Maistre, Joseph, Comte de,
1754— 1821, Staatsmann,
Schriftsteller und Philo-
soph 143
Marat, Jean Paul. 1743—
1793 59.233
Marchangy, Fran?ois de,
Uterat 200
Maroteau, Gustave, geb.
1849, Journalist 138
Mathilde, Prinzessin. Toch-
ter Jerome Bonapartes,
geb. 1820 67 f.
Maubant. geb. 1821.
Schauspieler • • 234
Melingue. Etienne-Marie.
geb. 1808. Schauspieler 151
Mendes.atulle. geb. 1843,
bekannter Romanschrift-
steller 167
Meurice, Paul. geb. 1820,
dramatischer Schrift-
steller und Journalist 224
Milton. John, 1608—1674.
der berühmte englische
Dichter 234
Seite
Montaigne. 1533-1592,
Philosoph und Schrift-
steller H3
Montesquieu, 1689 — 1755,
der berühmte Publizist 231
Nadar, Tournachon, geb.
1820, Schriftsteller .... 147
Napoleon 1 58
— III.. 1808—1873. der
letzte Kaiser der Fran-
zosen. 55. 68. 113. 114.
119. 123, 136, 151
— , Prinz, zweiter Sohn
Jerome Bonapartes, geb.
1822 50. 179
Noir. Victor. 1848-1870,
Journalist, wurde von
dem Prinzen Pierre Bona-
parte durch einen Re-
volverschuß getötet ... 84
Offenbach, Jacques, 1819—
1880, der bekannte deut-
sche Komponist 145
Pasquier. Herzog. 1767—
1862. Politiker 57
Perrin. Emile. 1815-1885.
Theaterdirektor . . .21 1 , 213
Pindar. der griechische
Dichter 234
Ponsard. Fran(;ois, 1814 —
1867. Dramatiker 174
Pouchet. Archimede, 1800
bis 1879. der bekannte
Naturwissenschaftler.der
mehr als achtzig Bände
veröffentlicht hat 192
251
Seite
Proth, Maria, geb. 1832,
Publizist 33
Proudhon, Pierre-Joseph,
1809-1869. Philosoph
und Publizist, 10,48. 53,59
Raspail, FrariQois-Vincent,
geb. 1 794, Chemiker und
Politiker 142. 143
Ravignan, Delacroix de,
1795—1858. berühmter
Jesuit und Prediger ... 137
Renan. Ernest, geb. 1823,
Philologe und Philosoph,
42, 43, 118, 122. 134.
179. 186. 204. 208
Robespierre, geb. 1 758, ent-
hauptet 1794 70
Ronsard. Pierre de. 1524 —
1585. berühmter Dichter 162
Rössel. Nathaniel. Oberst,
geb. 1844. wurde 1871
in Versailles erschossen 138
Sainte-Beuve. 1804—1869.
Dichter und Kritiker,
7. 17,20,26.27,31,37,
42, 51,57. 63. 66, 67 ff.,
80, 137, 138
Saint-Germain, geb. 1833,
Schauspieler 197, 201
Saint-Simon. 1760 — 1825,
einer der originalsten
Denker des Jahrhunderts,
in dessen Schriften zuerst
die Idee des europäischen
Staatenbundes auftaucht 214
Saint- Victor. Paul de. geb.
1823, Kritiker, 82. 121, 208
Seite
Salammbo, historisch-
archäologischer Roman
von Flaubert, erschienen
1862 22. 180
Sarcey. Francisque. geb.
1827. Kritiker U.Schrift-
steller 80. 81, 83
Sardou. Victorien, der be-
rühmte dramatische
Schriftsteller 187
..Schule der Empfindsam-
keit", Roman von Flau-
bert, erschienen 1 869,
21. 29, 70, 92
,, Schwache Geschlecht,
Das", eine gemeinsam
mit Bouilhet entworfene
Komödie von Flaubert,
80.94. 160. 184 f., 187.
189. 211. 213. 216. 219. 221
Scott. Walter. 1771-1832 163
Scribe. 1791—1861. der
berühmte Dramatiker . . 220
Sedaine, Michel-Jean. 1719
bis 1 797. Dramatiker
234. 236
Simonisten, philosophische
Schule, gegründet 1825,
nach dem Tode Saint-
Simons (siehe dort) ... 143
Simon, Jules, geb. 1814,
Staatsmann 176
Spinoza, 1632—1677. der
Philosoph 93, %, 150, 156
Taillandier, Saint-Rcn^,
1817-1871, ütcrat ... 208
252
Seite
Talleyrand. Perlgord. 1754
— 1838, Staatsmann und
Politiker 6
Taine, Adolphe, geb. 1828,
Philosoph und Schrift-
steller, 69. 91, 93. 137. 204
Th^o. gemeint istTheophile
Gautier, siehe dort
Thiers, der berühmte fran-
zösische Historiker und
Staatsmann,
30. 38 f.. 41. 176. 177, 185
Tillemont, Nain de. 1637 —
1698. Historiker 30
Turgenjeff. Iwan, der be-
rühmte russische Dich-
ter. 1818-1883.
17 f.. 57. 65 f.. 95.125.
128.141, 145. 146. 148.
152. 160. 169, 180, 181,
182, 1%, 206. 21 1,214 f.,
226. 228, 234. 237, 238
Turgot, 1727-1781. be-
rübmter Nationalökonom 10
Seite
Valles. Jules, Literat, Mit-
glied der Kommune von
1871 136
Veuillot. Louis Fran(;ois,
1813—1883, Journalist.
17. 48
Viardot. Frau. Sängerin,
aus der berühmten ita-
lienischen Sängerfamilie
Garcia.
152. 180. 183. 209. 134, 235
Villemessant. Delaunay de,
1812-1879. Begründer
des Figaro 205
Voltaire 51. 58
Westermann. berühmter
französischer General,
geb. 1751, enthauptet
1794 als Helfershelfer
Dantons 113
Zola. Emile, der berühmte
Romanschriftsteller,
220, 228, 234. 237. 238.
253
Gustave FlauDert
ÄGYPTEN
Einzige autorisierte deutsche Ausgabe besorgt von
E. W. Fiscker.
Mit 16 Wiedergaben nach pbotogr. Aufnabmen von
Lhl Ciainp, dem Reisegefährten Flauberts.
Einbandentwurf von Emil Orlik.
i i»Ä8yp<en" ist der Höhepunkt im Dasein Flaubert's. In 1
I stärkstem Erleben atmet seine Natur wie nie zuvor, saug! |
I durstig alle Schönheit dieser fremden Welt ein : Die ^onnen- |
I unterg-änge auf dem Nil, die Paläste von Karnak im Mondern- |
1 schein, die Ewigkeiten der Sphinx und der Pyramiden und über |
E allem gipfelnd die sdimerzlich-süße Kegev;nung mit Kutichuk- |
I Hancm, der verbannten Geliebten Abbas-Paschas. Das Tage- I
I buch aus Ägypten, das hier im Deutschen lum ersten Male voll- |
I ständijr veröffentliot t wird, ist ein unschätzbares Dokument zur 1
I Kenntnis der Seele des Dichters der „Bovary"u.der„Salammbo". I
Geheftet M 8.—
In handkoloriertem Pappband M 10. —
Die 3 bändige Gesamtausgabe der
Tagebücher ist in Vorbereitung.
Gustav Kjepenheuer Verlag / Potsdam
254
PQ flaubert, Gustave
22^7 Briefe an George Sand
-3S3
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