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Full text of "Die deutschen frauen in dem mittelalter"

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3  -i-^    3/3  5>i,0^ 


t^a^)ar^  (EoUege  librarig 


FROM  THE 

ICHABOD  TUCKER 
FUND 

ESTABLISHED  IN  187S  BV  THE 
BEQUEST  OF  ICHABOD  TUCKER, 
CLASS  OF  1791,  AND  THE  GIFT  OF 
MRS.  NANCY  DAVIS  COLE,  OF 
SALEM 


G 

Die 


deutschen  Frauen 


ill  dom 


Mittelalter, 


Ein  Beitrag 


Hausalterthiimern  der  Gerraanen, 


Von 


KARL  WEINHOLD. 


'WIE  N. 
Verlag  von  Carl  Gerold. 

185). 


V<i^  ZH'^^ 


Druck  von  Carl  Gerold  &  Sohn.  .  '     V 

b    C 
7 


Vorr  ede. 


Ich  tibergebe  hiermit  der  Oeffentlichkeit  ein  Werk 
das  einen  Theil  der  deutschen  Hausalterthtimer  behandelt 
Es  will  die  Zustande  darstellen,  welche  die  Frauen  der 
Germanen  und  namentlich  der  Deutschen  im  Hause,  in 
der  Familie,  in  der  Gremeine,  in  der  Gesellschaft  umga- 
ben.  MSehten  der  nicht  kleinen  Aufgabe  meine  Krafte 
einigermafzen  entsprochen  haben. 

Alles  hat  seine  Entstehungsgeschichte ,  so  auch  diefz 
Buch.  Mancher  seiner  Mangel  wird  seine  Erklarung  in 
dem  bewegten  Geschicke  finden,  unter  dem  ich  es  schrieb. 
Von  jener  Ruhe  der  Arbeitsstube,  in  welcher  gelehrte 
Werke  am  besten  gedeihen,  habe  ich  in  den  Jahren  wenig 
genofzen,  wo  es  in  mir  entstund.  Den  Entschlufz  zu  die- 
sem  Werke  fafzte  ich  im  Spatherbste  1847  als  Privat- 
docent  an  der  Universitat  Halle;  ich  schritt  rasch  zu  der 
Durchforschung  der  Quellen,  aber  mitten  darin  hemmte 
mich  eine  schwere  Krankheit  und  den  genesenden  um- 
brauste  der  Frtihling  von  1848.  Kaum  war  die  nStige 
Starke  und  Sammlung  wieder  gewonnen,  so  gebot  meine 
Versetzung  nach  Breslau  einen  neuen  Stillstand.  Der  Som- 
mer  1849  vergieng  unter  mancherlei  inneren  und  aufzeren 
StSrungen.  Zum  Winter  griff  ich  um  so  rtistiger  das 
Werk  an  und  so  wuchs  es  rasch  empor,  dafz  ich  bereits 
seinen  Abschlufz  zu  finden  meinte.  Ich  muste  aber  erst 
neue  Bewegungen  erfaren.  Ostern  1850  folgte  ich  einem 
Rule  an  die  Jagellonen-Universitat  zu  Krakau.   Die  Ueb- 


II 

gewordene  Arbeit  solte  raich  tiber  das  Gefiihl  der  Fremde 
erheben;  anderes  aber,  was  schleuniger  Hand  bedurfte, 
schied  mich  auf  einige  Zeit  von  ihr.  Und  als  ich  nun  die 
Bogen  meiner  „Frauen''  auf  den  Schreibtisch  legte,  stiirzte 
meine  Hauslichkeit  mit  einem  grofzen  Theile  des  armen 
Krakau  in  die  Flammen.  Nur  einenl..  Zufalle  verdanke  ich 
die  Rettung  dieser  Handschrift.  —  Elirende  Tlieilname,  die 
Heimat  und  die  Liebe  richteten  mich  von  dem  harten 
Schlage  auf  und  als  inir  die  Fremde  an  dem  neu  begrtin- 
deten  Herde  durch  liebende  Sorgfalt  heimischer  ward,  kam 
auch  diesem  Werke  sein  Ende.  Der  Handschrift,  welche 
ich  nach  Wien  unter  die  Prefse  schickte,  folgte  ich  bald 
nach  um  jenseits  der  Donau  in  den  steirischen  Bergen 
diefe  Vorwort  zu  schreiben.  So  wird  was  ich  an  der  Sale 
begonnen,  an  der  Oder  fortgesetzt,  an  der  Weichsel  geen- 
det,  an  der  Mur  mit  dem  letzten  Worte  versehen. 

Wenn  zu  der  gleichmafzigen  Durchftirung  eines 
Werkes  Statigkeit  der  inneren  Stimmung  und  Gleichheit  der 
Hilfsmittel  gehSrt,  so  wird  es  um  mein  Buch  in  dieser 
Hinsicht  schlecht  bestellt  sein.  Der  Ramen  meines  aufzeren 
Lebens  in  diesen  Jahren  wird  sich  dem  theilnemenden 
leicht  mit  dem  Gewoge  der  inneren  Erlebnifse  ausfttUen. 
Und  solte  ich  von  der  Ungleichheit  meiner  wifzenschaft- 
lichen  Hilfsmittel  reden,  wie  mir  namenthch  beim  Ab- 
schlufze  und  bei  der  Ueberarbeitung  des  abgeschlofzenen 
oft  das  notwendigste  abgieng,  so  kOnnte  ich  allerlei  er- 
getzliches  und  manches  bittere  erz^len. 

Ueber  die  Art  wie  ich*  arbeitete  habe  ich  wenig  zu 
sagen.  Aus  dem  was  mir  meine  Quellen  gaben  suchte 
ich  mir  jeden  Gegenstand  erst  im  Geiste  fertig  zu  machen 
ehe  ich  verglich  wie  ihn  andere  behandelt  hatten.  Oefters 


in 

fiel  diese  Vergleichung  aus  den  gegebenen  Grftnden  ganz 
weg.  Bei  den  rechtswifzenschaftlichen  Theilen  habe  ich 
die  skandinavischen  Gesetze  nach  besten  Kraften  vergli- 
chen,  wie  ich  tiberhaupt  der  festen  Ueberzeugung  bin 
dafz  wir  in  dem  nordgermanischen  Alterthum  stets  die 
ftirende  Leuchte  ftlr  unsere  deutschen  Zustande  anziinden 
mtifzen.  Grimms,  Dahhnanns  und  Wildas  Arbeiten  haben 
diefz  bereits  auf  das  schlagendste  bewiesen. 

Mir  lag  vor  allem  daran  den  weiten  Stoff,  welcher 
unter  mein  Werk  falit,  einmal  zusammenzuraffen^  Im  ein- 
zelnen  wird  sich  vieles  genauer  ausfuren  lafzen,  manches 
sich  befzer  begrtinden,  manches  auch  vielleicht  als  falsch 
hervorgehen.  Wenn  mir  Gott  Gesundheit  erhalt  und  Le- 
ben  schenkt  und  ich  ktinftig  Umgebungen  habe,  welche 
wifzenschafflicher  Thatigkeit  gtinstig  sind,  so  gedenke  ich 
liber  diefz  und  jenes  noch  einmal  und  mit  reiferem  Geiste 
zu  sprechen.  Anderes  soil  sich  diesem  anschliefzen,  was 
von  dem  grofzen  Felde  deutscher  Geschichte  genommen 
zur  Erkenntnifs  der  Vergangenheit,  zum  Trost  der  Ge- 
genwart,  zur  Hoffnung  ftir  die  Zukunft  beisteure. 

Die  Mtihsal  der  Forschung  habe  ich  mOglichst  zu 
verhtillen  gesucht;  es  ist  mir  aber  nicht  so  gelungen  als 
ich  wtinschte.  Die  Begrtindung  der  Einzelheiten  und  die 
Notwendigkeit  die  ganze  Untersuchung  zu  geben,  haben 
der  DarsteUung  an  mehr  als  einer  Stelle  geschadet  Die 
Leser  die  ich  mir  wttnsche  werden  sich  aber  hierdurch  nicht 
abschrecken  lafzen.  Es  ist  leichter  iq  der  Weise  des  Herrn 
G.  Jung  aus  Tagesgerede  tiber  Emancipation  der  Weiber 
eine  Geschichte  der  Frauen  zusammenzuschreiben ,  als 
sich  besonnen  dem  geschichtlichen  Stoffe  hinzugeben  und 
diesen  auf  sich  wirken  zu  la[zen. 


Aus  Verehrung  gegen  deutsche  Frauen  habe  ich 
diefz  Buch  in  meinen  Gedanken  beschlofzen,  mit  Hoch- 
achtung  vor  einem  Geschlechte  habe  ich  ea  geendet,  aus 
dem  mich  treffliche  auferzogen,  geleiteten,  fbrderten,  lieb- 
ten  und  erhoben.  Deutsche  Frauen  werden  die  deutschen 
Manner  befzern  und  unsere  Geschichte  retten  mtifzen, 
nicht  durch  Amazonenzuge,  aber  durch  die  Macht  edler 
Herzen  und  gewaltiger  Weiblichkeit  In  dem  Leben  der 
Familie,  in  der  Ehe  liegt  unsere  Hoffiiung,  welche  wahn- 
sinnige  zerstSren  mOchten. 

Meine  Ansichten  tiber  diese  oder  jene  Frage  hier 
noch  einmal  zu  begrtinden ,  halte  ich  fur  unnOtig.  Mag 
sich  rechtfertigen  was  zur  Rechtfertigung  stark  ist. 

Einzelne  Freunde  haben  mich  mit  literarischen  Nach- 
weisungen  warend  dieser  Arbeit  unterstiitzt;  ich  sage 
ihnen  meinen  aufinchtigen  Dank  dafiir.  Von  anderen  Man- 
nern  erhielt  ich  trotz  Anfragen  und  Bitten  nicht  einmal 
eine  Antwort. 

Vor  dem  Gebrauche  bitte  ich  die  Druckfeler  zu  ver- 
befzem,  die  als  unvermeidliches  Uebel  sich  gezeigt  haben. 
Jch  habe  nur  die  zweite  Durchsicht  besorgt  und  so  ist 
manches  stehen  geblieben,  manches  auch  nachtraglich  hin- 
eingekommen,  was  nicht  hineingehort 

Das  Buch  wird  nun  hinausgehen  von  der  gewaltigen 
Donau  und  ich  rufe  ihm,  das  ich  lange  in  Liebe  gehegt, 
tiber  die  Berge  einen  Scheidegruli  nach.  Es  grtlfze  die 
Freunde  „draufzen  in  Deutschland"  und  zeige  sich  als 
deutsch  von  Anfang  bis  zu  Ende. 

Gratz  in  Steiermark,  den  12.  August  1851. 

Karl  Weinhold. 


I  n  h  a  1 1. 


( 


Selte. 

.   ^  Ersier  AbschniiL    Die  Naineii i —  24 

\  Die  aUgemeineu  Beueuuungen  des  Weibes  und  die  Eigennamen. 

J^weiier  Ahschniii.    Die  Gftttinneu 25^    51 

M^ritier  Abschniii,    Die    Priest erinnen ,    weisen    Franen 

nnd  Uexen. 52—  73 

Vierter  Abschniii.    Das  Al&dchen 74—136 

*-■  Erziehung.  des  Weibes.  'T^ie    rechtliche  Stellung  namentlich  der 
imyerheiraiteteii  Fran. 

FAnfter  AhMchnUt.    FriiueiidjQitgit ., 137—189 

Die  Liebe  vor  der  ritterlichen  Zeit.  ^er  hoiische  Miunedienst 

Sechster  Absehniii.    Die  Verm  Ah  lung 190—274 

Die  rechtlichen   Bestimmungeu  Uber  die  Vermablung.    Die  Ge- 

br&uche  bei  Verlobung  mid  Brautlauf.  *  ^,y'^ 

Siebenier  Absehniii.    Die  Ehefrau  und  die  Wit  we.  275—340 

^Die  Ehe  in  rechtlicher  und  sittlicher  Hinsicht.  Die  Witwenschaft. 
Das  Hauswesen.   Die  hausliche  Einrichtnng. 

Aekier  Absehniii.    Das  gesellschaflliehe  Leben.  34i.~403 

Die  Unterhaltungen  des  Tages.  Spielleute.    Tanz.   Festlichkeiten. 
Gkutfrenndschaft.  —  Die  Sittlichkeit  der  Gesellschaft. 

"^^JVeunier  Abschnitt    Die  Tracht 404 — 469 

/  Kleidnng.    Gewandstoffe.    Kopftracht.    Schmuck. 

Zeknier  Abschniii.    Rttekblick 470—^86 

ELarakterziige  der  germanischen  Frauen. 


Erster  Abschnitt 


Die  JVameii. 

• 

Jjie  gesdiichtliche  Betrachtung  der  Sprache  ergibt  fiir  die 
Volkergeschichte  nach  alien  Seiten  die  rcichsten  und  o|i:  die  uber- 
raschendsten  Aufschliisse,  denn  wo  die  Kroniken  und  Urkunden 
noch  schweigen,  da  redet  das  einzelne  Wort.  Weit  iiber  die  geschicht- 
lichfesten  Zustande  hinaus  leitet  es  uns  in  die  ersten  Zeiten  der 
Volker,  wo  sie  in  Gegenden  und  in  Gemeinschaften  lebten,  dieihnen 
nacbher  fem  wurden,  wo  sie  nicht  nur  in  politischer  sondem  auch 
in  geistiger  Kindheit  s<;unden  und  sich  Worte,  BegrifFe  und  Zu- 
stande erst  schaffen  musten.  Jene  ersten  Zeiten  sind  filr  den  For- 
scher  so  anziebend,  wie  fiir  Eltem  und  Kinderfreunde  die  Jahre, 
wo  sicb  das  Kind  in  die  Menschheit  hineinlebt«  Die  tagtaglich 
neu  zustromenden  Eindrucke  werden  in  dem  jungen  Geiste  ver- 
arbeitet  und  mit  eigenthiimlich  schopferischer  Kraft  durch  Laute 
bezeicbnety  welche  zum  Worte  geschlofzen,  sinnliches  und  gei- 
stiges  in  sich  vereinen.  Diese  Vorgange  beobachten,  dem  Gange 
und  den  Griinden  dieser  Entwicklung  nachspiiren,  gehort  zu  den 
anziehendsten  Aufgaben  der- Wifzenschaf t.  Da  fiihlt  man  in  einen 
jeden  einzelnentLaut  Leben  und  geistige  Bedeutung  stromen,  und 
hort  in  den  verbundenen  Lauten  die  Gedanken  sich  erzeugen 
und  ordnen.  Jedes  Wort  leitet  auf  einen  Keim^  aus  dem  eine 
mehr  oder  minder  stark  sinnliche  Wahmemung  spricbt.  Jedes 
alte  Wort  spiegelte  urppriinglich  einen  sinnlichen  Eindruck  ab  und 
die  abstracte  Bedeutung,  die  es  spater  etwa  erhielt,  ist  eine  abge- 

1 


/ 


leitete*  Mag  das  Etymologi  siren  oft  auch  trocken  und  vielfach  ab- 
schreckend  sem,  es  ist  doch  eine  ungemein  bedeutende  und 
lonende  Arbeit. 

Was  jemand  nennt,  das  kennt  er  auch  irgendwie;  der  Wort- 
vorrat  eines  Volkes  bezeichnet  also  den  Umfang  seiner  geistigen 
und  leiblichen  Habe.  1st  ein  Wort  entlehnt,  so  war  auch  der  Ge- 
genstand,  den  es  ausdriickt,  dem  Volke  nicht  ureigen.  Diese  ein- 
fachen  Wahrheiten  machen  dem  Geschichtsforscher  die  Sprach- 
kunde  unentberlich ,  denn  durch  die  Sprache  vermag  er  allein  das 
Bild  von  den  Urzustanden  der  VSlker  zu  entwerfen.  So  ist  denn 
auch  uns,  die  wir  dar^i  gehen,  die  Verhaltnisse  deutlich  zu  ma- 
.chen,  in  denen  das  Weib  bei  den  Germanen  in  der  alteren  Zeit 
sjtond,  eine  Durchmusterung  des  Sprachschatzes  hochwichtig.  Die 
allgemeinen  Benennungen  des  Weibes,  so  wie  die  Eigennamen 
germanischer  Frauen  sind  dabei  gleich  bedeutend;  denn  aus  bei- 
den  ergibt  sich  die  Anschauung,  welche  unser  Yolk  in  altester 
Zeit  von  dem  weiblichen  Geschlechte  hatte :  aus  den  allgemeineren 
Worten  die  allgemeinere  Idee,  aus  den  Einzehiamen  der  Gattungs^ 
begrift  in  seine  verschiedenen  Abtheilungen  zerlegt. 


Im  Gothischen  treten  uns  ?5wei  nahe  verwandte  Worte  ent- 
gegen,  quino  als  allgemeine  Bezeichnung  des  Weibes,  quens  als 
Benennung  der  verheirateten  Frau*  Sie  weisen  beide  in  ihrer  Grund- 
bedeutung  auf  die  mutterliche  Bestimmung  hin  und  lafzen  sich 
durch  „Gebarerin"  iibersetzen  \  Dabei  bew'art  sich  Wilh.  Wa- 
ckemagels  scharfsinnige  Bemerkung  iiber  die  Bedeutung  der  durch 
Laut  verschiedenen  9  aber  aus  einer  Wurzel  gebildeten  Worte^ 
Quinoy  das  den  Laut  des  Pr'asens  zeigt,  gibt  die  Bestimmung  kund: 
es  ist  das  zum  Gebaren  bestimmte  Wesen;  quena  im  Vokal  des 
Plurals  der  Vergangenheit,  weist  auf  den  Erfolg :  es  ist  das  durch 
Gebaren  vollig  zur  Gattin  gewordene  Weib.  Diese  letztere  Bedeu- 
tung hat  auch  das  mittelhochdeutsche  kone.  Das  Wort  ist  iibri- 
gens  alien  germanischen  Sprachen  bekannt,  und  findet  sich  im  Alt- 

')  Als  Wurzel  ist  qinan,  qan,  qenum  aufzustellen,  urverwandt  dem  \&U  gignere,   • 
griech.  ysvvdv. 


Dordlschen  mit  gleicher  Zweitheilung  durch  Laut  und  Bedeutung 
wie  im  Gothischen  *).  Ebenso  kennen  es  das  urverwandte  Grie- 
chlsche   und  das   Slavische,  {yvvri,  fhenuj  zona,) 

Aufzer  diesen  Worten  finden  wir  in  den  meisten  germanischen 
Sprachen  zwei  andere  Namen:  imp  Weib  (altn.  vif)  und  frouwa 
Fran  (altn.  freyjd).  Das  Wort  Weib  zu  erklaren  ist  schwierig,  und 
die  mittelalterliche  Ableitung  von  einem  sagenhaften  Konig  Wippeo 
von  Frankreich  ^  frommt  eben  so  wenig  wie  neuere  Deutungen. 
Auffallend  ist  auch,  dal'z  das  Wort  sachlichen  Geschlechtes  ist; 
wir  mogen  daraus  auf  einen  allgemeineren  Begriff  schliefzen ,  der 
erst  spater  sich  auf  die  Bezeichnung  des  Weibes  einschrankte* 
Halten  wir  die  zunachst  anklingenden  Worte  hinzu'),  so  ergibt 
sich  fur  die  anzusetzende  Wurzel  WB,  die  sich  nach  der  „I  und  A" 
Klasse  entfaltet,  der  BegrifF  der  Bewegung»  Weib  bezeichnete  also 
allgemein  das  Bewegliche,  das  Gewandte. 

Frau  heifzt  zunachst  die  Herrin ,  ursprfinglich  aber  die  frohe^ 
erfreuende  *).  Das  Verhaltniss  des  Germanen  zu  seinem  Herrn,  die 
Stellung  des  freien  Mannes  zu  dem  Fiirer,  der  durch  Tiichtig- 
keit  ausgezeichnet  9  den  treuen  Gefarten  mit  milder  Hand  und 
freundlichem  Sinne  fefzelte,  war  ein  schones  und  heiteres;  darum 
hiefz  der  Herr  auch  der  liebe  und  erfreuende.  Lange  hat  das 
Wort  Frau  den  alten  Sinn  „Herrin"  bewart;  es  war  noch  im 
13.  Jh.  ausschliefzliche  Bezeichnung  der  vornemen  Weiber,  ohne 
Unterschied  ob  sie  verheiratet*  waren  oder  nicht.  Wenn  also 
Walther  von  der  Vogelweide  in  seinem  schonen  Lobliede  auf  die 
deutschen  Frauen  (Lachmann.  S.  56  f.  Simrock  1,  31)  sagt,  dafz 
in  Deutschland  die  Weiber  befzer  seien  als  anderwarts  die  Frauen, 


')  kona  (jquinna  Hyndlul.  15):  qudn,  2)  Frauenlob.  MS  Hag.  3,  115. 
Dieser  Wippeo  erinnert  an  den  Admiral  in  Flore  and  Blanscheflur.  ')  i£;t&t7, 
der  K&fer;  wibeln  sich  rasch  bewegen  von  einem  Haufen  gebraacht;  weibdn  sich 
bewegen,  schwanken,  fliessen.  we'ban  weben. —  wShan  und  wip  unmittelbar  verwandt 
zu  nennen,  kommt  mir  nicht  in  den  Sinn,  aber  die  mittelbare  Verwandtschaft  ist 
nicht  abzaieugnen.  ^)  dax  vr6uiven  an  in  ist  bekant,  des  Jint  si  vrouwen  genant. 
Slrick.  Frauenehre  1081.  diu  vrouwe  vrdUwet  wide  unvrouwet  maneger  muoter  kint- 
MSH  3,  71  die  mit  tugenden  vrdUwent  dne  we,  die  hei^e  ich  vrouwen,  MSH  3, 
105  vgl  Freid.  106,  J.  Tit.  16,  46. 

1* 


5D  erhebt  er  dadurch  die  Biedrigen  Weiber  deutscher  Lan(le  liber 
die  vornemen  Damen  der  Fremde.  Iwein,  der  Ritter  mit  dem 
Lowen,  entgegnet  auf  den  Antrag,  der  ihm  gemacht  wird,  e?n 
edles  Madchen  zu  heiraten,  bescheiden  und  in  verstellter  Niedrig- 
keU,  er  sei  an  Stand  der  Juns^fi^u  nicht  gleich,  eine  Fraii 
inufzte  einen  Herren  haben  (Iw.  6622)  ^).  Auch  im  Norden  hie- 
fzen  nur  die  vornemeren  freyjw^  warend  mf  zu  den  Benennnngen 
der  geringeren  Frauen  gehorte,  wie  sich  ira  Rigsmal  zeigt,  wo 
6ine  der  Tochter  des  Gemeinfreien  (Karl)  vif  faeifzt.  Neben  dem 
allgemeinen  GeschlechtsbegrifFe  bezeichnete  demnach  wrp  (mf)  ein 
Rangverhaltniss ,  aufzerdem  aber  bedeutete  ee  wie  kone  das  Ehe- 
weib.  Es  steht  also  der  Jungfrau  (maget)  gegeniiber  ^),  warend  sich 
frou  nnd  maget  wol  vertragen.  {vrou  maget  MSH.  2,  172.  Vgl.  Nib. 
303,  4  Parz.  550,  25.  Flore  1106).  In  vrouw  lag  im  13.  Jahr- 
hundert  wenigstens  noch  nichts,  was  auf  dasVermahltsein  hinwies- 
Wo  es  gleichbedeutend  mit  wtp  (Eheweib)  erscheint,  da  iet  diefe  eben 
nur  Schein  ^) ,  und  es  ist  entweder  der  vomeme  Stand  der  Frau, 
oder  das  hofisch  untergeordnete  Verhaltnise  des  Mannee  4u  dem 
Weibe  stark  hervorgehoben.  Zuweilen  wird,  um  anzudeuten  dafz 
eine  fchone  vornem  und  verheiratet  sei ,  frou  und  wtp  yerbun- 
den  *).  Welches  Wort,  Frau  oder  Weib,  vorzuglicher  sei,  dariiber 
wird  in  der  hofisohen  Minne-Poesie  vielfach  gestritten.  Wahher  von 
der  Vogelweide  entscheidet  sich  fur  Weib  (48,  38  Lachm^)  Der 
Meisner,  Regenboge,  Raumeslant  sprechen  ebenfalls  dafiir,  und 
heben  hervor,  dafz  das  weibliche  namlich  die  Scheu  vor  unziemlichen 
Dingen  sich  in  diesem  Namen  ausfpreche*  Heinrich  von  Meissen  dage- 
gen  trat  iibermutig  fiir  das  Wort  Frau  in  die  Schranken  und  erhielt 
dadurch  wie  es  scheint,  seinen  Zunamen  Fraunlob*).     In  neuerer 


')  Vgl.  auch  Frauendienst  546,  l5.  565,  1.  *)  diu  S  hiez  maget,  diu  wtis 
nu  wip.  Parz.  43,  24.  fi  was  ein  maget,  niht  ein  wtp.  Parz.  60,  16.  84,  6.  wd 
ze  wibe  wirt  ein  ma^et,  H.  Trist.  288.  do  wart  diu  maget  vil  gemeit  ein  aU6  schoene 
wip.  MSB  2,  172.  •)  vgl.  Hanpt  sn  Engelh.  652.  ^)  edele  frouwt  liehe^  wip* 
Pafsion.  42,  1.  Parz.  302,  7.  Trift,  9294.  H.  Trifi.  1076.  »)  Dafz  er  in  dem 
Namen  Frau  die  Ehefrau  verherrliche ,  also  der  Poesie  der  Liebe  die  Poesic  der 
KUe  entgegen  stelle,  l&fzt  sich  aus  dem  Sprachgebrnuche  der  Zeit  nicht  begriinden. 
S.  Zacher  in  Ersch  und  Grubers  Encyklop.  I.  Sect.  XLVIII.  878. 


Zeit  hat  matl  sidi  auf  seine  Seite  geschlagen  und  das  Wort  Weib 
beschrankt  und  herabgedruckt*  Es  wird  jetzt  auch  fiir  Eheweib 
in  den  boheren  Standen  nur  selten  gebraucht  und  Frau  hat  deiti- 
nach  seine  Bedeutung  ausgedent* 

^^^Fur  das  ihm  abgehende  Wort  frou  b^sitzt  das  Altsach* 
sische  ^)  ein  anderes,  namlich  femea,  zugleich  gemeiiisam  mit  dem 
Angelsachsischen  (faemne),  dem  Friesischen  (fdmne)  und  dein  Altnor- 
dischen  (feima).  Das  Wort  erinnert  auffallend  an  das  lat,  fefrmna; 
indefzea  ist  Entlehnung  oder  selbst  Yerwandtschaft  abzuweisen. 
Auf  das  Altnordische  gestutzt ,  wo  fdma  die  schaniige  Jungfrau, 
das  Zeitwort  feima  sich  schamen  bedeutet ,  fafzen  wir  auoh  diefz 
Wort  als  Beiwort  und  iibersetzen  es  ,,die  schamhafte,  ziichtige." 
Im  Friesischen  hat  auch  fdmne  iiberwiegend  die  Bedeutung  Jung* 
frau  und  steht  dem  vlf  gegeniiber*).  , 

Ein  anderes  Wort  fiir  Frau  hat  das  Altsach  sische  aufzer 
mit  dem  Angelsachs.  und  Altnord.  mit  dem  Althochdeutschen  ge- 
mein,  namlich  idia  (ags*  ides^  altn.  dhf  ahd.  itis),  Obschon  diefz 
Wort  im  Althochdeutschen  und  dem  S'achsischen  namentlich  aber 
im  Angelsachsischen  allgemein  fiir  jede  Frau  jeden  Alters,  gleich 
ob  verheiratet  oder  nicht,  verwandt  wird,  so  hat  es  doch  dabei 
eine  mythische  Bedeutung  und  bezeichnet  gottliche  Jungfrauen,  na* 
mcntlich  Gottinnen  des  Geschickes.  Im  Altnord*  hat  dis  allein  diesen 
mythischen  Sinn  ').  Wir  miifzen  in  der  Grundbedeutung  des  Wor- 
tes  etwas  vermuten ,  das  zu  dieser  Verwendung  verleitete  und  ich 
glaube  nicht  fehl  zu  gehen,  wenn  ich  die  Gottin  Idun  herbeiziehe 
und  idia  9  wie  das  mit  jenem  Namen  geschehen,  zu  den  Begriffen 
id  Arbeit,  idia  arbei!en,  halte*  Idia  hiefze  also  die  schaffende 
und  ware  fiir  das  riirige  Weib  wie  fiir  die  Schicksalsfchafiferin  ein 
bequemer  Ausdruck. 

Ein  altes  Wort  ist  ferner  brut^  Braut*    Allerdings  ist  es  fiir 
die  Verlobte   oder   die   kiirzlich  Vermahlte  am  brauchlichsten ,  im 


1)  Dm  Wort  frua  in  der  Essoner  Handschr.  Ist  wie  das  mittelniederl.  vrouwe 
em  hochdeutocher  Eindringling.  *)  Richthofen  Altfriesischs  WOrtcrbach  726.  Jac. 
Grimm  Geschichte  der  deutschen  Sprache.  (Leipz.  1848)  B52.  lOOl.  ')  Ucber 
die  Glcichheit  von  dis  uiid  idis  s.  J.  Grimm  deutschc  Mythologie  373. 


6 

Angelsachs.  (br^d)  fiir  Ehefrau  iiberhaupt;  alldn  die  einfachere 
Form  brdy  briu  mufz  fiir  Weib  im  allgemeinen  genommen  werden* 
Was  ist  nun  die  Bedeutung  hievon  ^)?  Das  Zeitwort  briuten  kann 
una  nicht  aufhelfen,  da  es  erst  von  brut  abgeleitet  ist,  wol  aber 
ist  an  briuwen  zu  denken*  Die  Bedeutung  „Bier  kochen,  brauen" 
ist  schon  fruhe  von  der  iibertragenen  „etwas  anstiften^  bereiten" 
begleitet^  Wie  nun  wenn  diese  die  urspriingliche  und  wie  das  bei 
gerben  (garawan)  der  Fall  ist,  die  besondere  eine  spatere  ware*)? 
br^t  hiefze  also,  dem  goth.  quino  oder  quens  gleich,  die  geba- 
rende  oder  zum  gebaren  bestimmte. 

Das  Altsachsische  hat  noch  das  Wort  frt  (ein  neutr.  gleich  fmp)^ 
das  nut  frouwa  im  Grunde  iibereinstimmt  und  die  freie,  die  schone 
bezeichnet  (vgl.  Myth.  279),  AUein  diefz  Wort,  wie  eine  Anzahl 
altno;'discher  Benennungen  sind  nicht  weiter  verbreitet.  Die  Kiin- 
stelei  und  Begriffsfpalterei,  welche  sich  in  dem  Altnordischen  viel- 
fach  ausfpricht,  riefen  fiir  die  verschiedenen  Verh'altnisse  und  die 
aufzeren  und  inneren  Erscheinungen  des  Weibes  eine  grofze  Menge 
Worte  hervor.  Dazu  kam  die  Skaldenregel,  dafz  alle  Benennungen 
weiblicher  Tracht  und  weibHchen  Schmuckes  als  dichterische  Bezeich- 
nungen  der  Frauen  gebraucht  werden  konnten.  Ich  ubergehe  diese  letz- 
teren  ohne  weiteres  ')  und  hebe  von  den  anderen  altnordischen  Be- 
nennungen nur  einige  heraus.  Das  vermahlte  Weib  hiefz  brddr,  vtf 
und  fliod  (neutr.),  eine  kluge  Frauywo^,  eine  sanfte  und  ruhige 
droSf  eine  pralerische  und  hochmiitige  yt?am  und  Jvarkr,  eine  mann- 
liche  riftilly  eine  Strohwitwe  faetay  die  Wit  we  eines  gewnltsam 
getodteten  haelly  die  Witwe  eines  siechtodten  eciya,  die  einen  Mann 
gehabt  batten  hiefzen  eljur,  die  alten  Weiber  kerlingar,  die  Jung- 
frau  maer,  (Sn.  £.  201.  f.)  Dem  altnordischen  maer  entspricht  das 
gothische  mam  und  magaths,  das  althochdeutsche  magaty  altsach- 
sische magathy  angelsachs.  mdgdh.  Die  Grundbedeutung  scheint  mir : 


*)  Alte  seltsame  Etymologien  des  Wortes  brut  verzeichnet  Grnpen  de  nxore 
tbeodsca  38  ff.  *)  Dem  Worte  brauen  entspricht  walsch  berwi,  gaL  bearbctdh^  woher 
Leo  Ferienschriften  1 ,  B4  unser  Bier  erklftrt.  Eonnen  nicht  anch  diese  kelt.  Worte 
auf  den  Begriff  ,,heryordringen  und  hervorbringen"  gebracht  werden  ?  ^)  Vgl.  auch 
J.  Grimm  deatscbe  Mythologie  839.  f. 


die  erzeugte,  das  Madchen;  wie  maguSy  altnord.  mdgr  der  erzeugte, 
der  Sohn  heifzt.  Friih  ergriflp  indefzen  der  BegrifF  Jungfrau  das 
Wort  allein  iind  erst  allmalich  drang  der  allgemeinere  „Madchen" 
wieder  hervor,  der  heute  dem  Deminutiv  iiberlafzen  ist*). 

Anziehender  als  die  eben  verhandelten  Worte,  welche  das 
ganze  weibliche  Geschlecht  angehen,  sind  die  Eigennamen*  Die 
Gredankenlosigkeity  mit  der  fast  die  ganze  Sprache  jetzt  angeschauet 
wird,  sieht  auch  in  den  Namen  nur  einen  leren  Zierrat,  eine  an 
sich  bedeutungslose  Zuthat,  welche  dazu  diene,  die  einzelnen 
Menschen  von  einander  zu  unterscheiden ,  kaum  befzer  als  durch 
Zalen*  Selbst  die  noch  verstandenen  Namen ,  wie  die  zallosen 
Schmidt,  Schneider,  Miiller,  Schulze,  fafzt  die  Menge  als  blofze 
Klange  auf,  was  am  besten  der  sprachliche  Unsinn  beweist,  dafz 
man  Herm  von  Miiller,  Schmidt  u.  s*  w.  zu  ernennen  sich  er- 
laubt.  —  Der  Gedanke,  dafz  niemandem  ohne  Grund  eine  bestimmte 
Benennung  gegeben  werden  konne,  ftirt  von  selbst  darauf,  dafz 
alle  Eigennamen  eine  feste  Bedeutung  haben  miifzen,  und  anfangs 
fiir  eine  bestimmte  Personlichkeit  geschaffen ,  erst  nach  und  nach 
AUgemeingut  wurden.  In  den  Frauennamen  mufz  sich  der  Ge- 
sammtvorrat  der  BegriflPe  wiederspiegeln ,  welche  die  Germanen 
von  dem  Weibe  in  sich  trugen.  Sie  sind  also  eine  wichtige 
Quelle  fiir  uns  *). 

Die  Eigennamen  miifzen  entstanden  sein,  als  die  Sprache  zu 
einiger  Ausbildung  gelangt  war  und  den  Schritt  that,  das  an  der 
Natur  erschaflPene  Wort  geistig  zu  durchdringen.  Die  Worte  wur- 
den damals  auf  Gegenstande  iibertragen,  in  denen  eine  Aenlich- 
keit  mit  den  ursprunglichen  Wortmiittern  zu  entdecken  wan   Diefz 


' )  Anderer  Ansicht  ist  Jak.  Grimm  fiber  Diphthonge  nach  weggefal- 
lenen  Consonanten ,  s.  Abhandl.  der  Berlin.  Akademie  von  1845.  ss*  185  fit. 
'}  Ich  habe  nicht  damach  getrachtet,  die  Gesammtmasse  dor  germanischen  Frauen- 
namen zn  sammeln  and  hier  aufzufuren.  Fiir  meinen  Zweck  (^endgte  eine  nicht 
ganz  geringe  Menge,  welche  ich  vorzAglich  den  Urkundensammlungen  von  Schannat, 
Dronke,  Meichclbeck  und  Lacomblet,  den  Monum.  boicis,  dera  polyptichum  Ir- 
minonia,  den  Pertzischen  Monumenten  und  den  islandischen  Sagen  cntnommcn 
habe.  Bei  jedem  Namen  die  Belege  anzufuren,  wird  man  mir  gem  erlafzen.  Die 
Ueberaetznng  mehrerer  Namen  ist  der  nicht  sprachgelehrten  Lcser  wegen  zugegeben* 


8 

machte  den  Uebergang  zu  den  abstrakten  Wortschopfiingen,  die 
sich  auf  rein  geistige  und  ethische  Warn eraun gen  griindeten. 
Die  einfachsten  Naraen  sind  natiirlich  die  altesten ;  unter  ihnen 
aber  entstunden  diejenigen  am  friihesten,  welche  dem  Begriffeder 
Gattungsnamen  verwandt  sind  und  die  aufzerliche  Erscheinung 
bezeicfanen.  Auszeichnung  der  Frauen  ist  die  anmutige  Gewand- 
heit  und  die  Schonheit.  Liba  die  lebendige,  Swinda  die  fitarke, 
rasche,  Sconea  die  echone,  Berhta  die  glanzende,  Heidr  die  heitere, 
strahlende,  halte  ich  fiir  die  altesten  der  Frauennamen  ^).  Die 
zahlreichen  Zusammensetzungen  mit  den  Worten  des  Glanzes  zei- 
gen  wie  die  Schonheit  als  Erbtheil  des  weiblichen  Geschlechtes  aner- 
kannt  wurde.  Berta  zeigt  sich  namentlich  unter  den  Franken  als 
haufiger  Bestandtheil  der  Frauennamen.     Ich  fiire  auf: 

Bertila,  Bertwina  Glanzfreundin,  Berihilt,  Bertffildis,  Bertcunda 
Strahlenkampf,  Bertramna  Glanzrabe,  Bertfrida,  Bertrdda^  Bert' 
landis,  Bertlindis,  Bertswindis,  Bertlds,  Bertnia,  Bertfiedis  *),  Bertlipi 
Bertwii^,  Bertcartf  Bertwih,  Bertwara.  Isinspirht  die  eisenglanzende, 
Madalberta  die  redeglanzende,  Lotherta  die  ruhmglanzende. 

Nicht  minder  zeigen  die  Zusammensetzungen  mit  wi:^  weifz, 
hdt  stralend  9  heiter,  hrUn  glanzend,  hell,  und  mit  louc  Lohe, 
Flamme,  wie  sich  der  verschiedenstralende  weibliche  Glanz  in  den 
Eigennamen  auspragt. 


3)  Mit  herht  scheint  pleon  gleichbedeutcnd  gewescn  zn  sein,  das  in  kompon. 
Weibernamen  begegnet  (Hanpt  Zeitschr.  7,  459).  Leos  kelt.  Deutung  von  herht  in 
scinen  Ferienschr.  1,  108.  ')  tJeber  die  h&ufigen  Compositionsthcile  nia  (niu 
fdwi,  Rt,  altn.  ny)  nnd  Jldt  {Jledis,  JUdis,  JUdd)  etwas  sicheres  zu  sagen,  ist 
schwer.  Fflr  niu  fdre  ich  aiif:  Adcdnia^  Paudonivia,  Perhtnia,  Cunnia^  Deotniy 
Eigilniu^  Fastny^  Kisalni^  Cotaniwi,  Cdzni^  Gerni,  Uilttni,  Hrddni,  Hohni,  Liutni, 
Mahalni,  *Otni,  Rdtni,  Reginni,  Ruomniu^  Sigini^  Tagani,  Waldni,  Werdni,  Willini^ 
Wuldamiu,  VSny,  Zawuni,  Zeiziniu.  Das  altn.  ny  ahd.  niwi  lei  ten  anf  niuun. 
norms*  Es  mag  also  ein  Abkunfts-  und  Verwandtschafts-Verhftltniss  darin  ausge- 
druckt  sein.  Vvlt  flat  seicn  Belege:  Alhofledis^  Andefleda,  Bertftedis^  Hercanfledis, 
Famero/ledis,  K€rfldt,  Urodfldt,  Ingalflidis,  Mahtflet^  Merofledis,  Moaffldt,  Zeizfldt, 
Wackernagel  deutet  mit  Riicksicht  auf  vlaetec,  schOn  zierlich/  das  einfache  ^a< 
ScbOnheit.  — ^  Schwieriger  ist  his,  Gehort  es  zu  der  Wurzel  lis  die  in  den  goth. 
Worten  leisan,  erfaren,  lemen  (prt.  /aw,  ich  weifz)  bcraustritt?  lets  hiefze  also 
kundlg.  Der  Mnk.  Mannsnamc  Witleis  ware  darnnch  aus  zwei  Synonymen  korapo- 
lurt.    Bertleis  stimmte  zu  Bertrdt^   Wulfleis  zu  Wolfrun, 


0 

wz!^f  Reffinwi!^^   Svanhmt 

Adalheit  (Oadalheit),  Deoihdt^  Hrddhaida^  Tjiflidt^  TomaheiU 
Ulfheidr,  Kolbriin. 

AdallouCy  AlblouCf  ErcanlotiCf  Herlouc,  Hiltilouc^  HruadUmcj 
MuoihuCf  Oddlaugy  Sigilccug,  Sncelauffy  Svanlaug^  Velaug^  Guideloga^ 
WtclouCy  Thraslaug. 

Der  Glanz.,  den  die  Abstatnmung  gibt  (Zusaromensetzungen 
mil  adely  oadalj  deot^  lanty  vielleicht  anch  mit  burc  und  tum)^  die 
stralende  Schonheit ,  die  eich  den  Gottern ,  den  Elben ,  dem 
Schwane,  dem  Schnee  vergleichen  lafzt,  die  Auszeichnung,  wekhe 
der  Kampf  gibt,  drficken  sich  hier  aus  und  schaffen  eine  Menge 
bedeotsamer  und  wolklingender  Namen* 

Femer  sind  hier  aufzufliren  Naraen ,  die  von  der  Sonne  ent- 
lehnt  Bind:  SSlveiff,  Solvdry  SdlsSfna^  Sonnoveifa^  SunnihUt ;  vom 
Tage :  Toffani,  Tagalinty  Dagrdriy  Liobtaga;  vom  Osten  und  dem  leuch^ 
tenden  Fruhlingsfeste;  ^Ostbirc,  ^Ostoffin^  ^Osterhilt;  vom  Schnee: 
Sneoburc  y  Sniofridry  &ncehug  y  SnSuritken  y  auch  der  island.  Name 
Mioll;  vom  Eise:  ^Isgerdry  ^IsgildiSy  ^Isila;  vom  Eisen :  ^Isinpirhty 
^Imnpurcy  ^IsantrHty  Jamgedvy  vom  Erz  Mdhifridr,  Im  Gegeneatze 
zu  detn  glanzenden  und  fchonen^  das  sich  hier  uberall  ausfpricht, 
steht  Erpha  die  dunkle. 

Unser  Alterthum  war  frisch  und  die  Natur  in  jeder  Richtung 
war  ihm  voll  Leben.  Das  Stubenleben  und  die  Stadte  batten  unsere 
Vater  noch  nicht  aus  der  geschaffenen  Welt  in  eine  gemaehte  ver- 
setzt  und  die  Blumen  und  Thiere  stunden  ihnen  y  die  mit  und  unter 
denselben  lebten,  unendlioh  naher  als  uns.  Wir  vergleichen  ein  scho- 
nes  anmutiges  Madchen  wol  auch  noch  einer  Rose,  nemen  auch 
Lilien,  Tulpen  und  Veilchen  zu  bildlichen  Benennungen,  allcin  es  ist 
doch  kein  rechtesLeben  in  diesen  Gleichnissen,  sie  sind  fiir  uns  schon 
abgeniifzt.  Im  13.  Jahrhundert  hatte  es  noch  mehr  Bedeurung, 
wenn  der  Dichter  die  Herrin  seines  Herzens  eine  thauige  Rose 
nannte.  In  viel  friiherer  Zeit  war  aber  voile  Wahrheit  in  den  Blu- 
mennamen  der  Frauen,  denn  die  Blumen  galten  nicht  als  verwel- 
kendes  Gras,   sondern   ab  entsprungen  aus  gottlicber  Nahe,   als 


10 


Spuren  der  Pfade  und  Lagerstatten  der  Unsterblichen.  Sie  manten 
an  den  schaffenden  Geist,  ihre  Bliite  schaute  wie  ein  Menschen- 
auge  auf,  mit  den  Zweigen  und  Aesten  lockten  und  umfiengen  sie 
gleich  wie  mit  Armen;  und  wie  das  Weib  des  menschlichen  Le- 
bens  Schmuck  dauchte,  so  schienen  sie  die  Zier  des  Erdenlebens. 
Solche  Blumennamen  9  wie  sie  Griechen  und  Slaven  fiir  Frauen 
verwandten,  scheinen  sich  unter  den  Germanen  friih  verloren  zu 
haben;  dafz  sie  aber  ehemals  yorfaanden  waren,  kann  noch  die 
Personifikadon  der  Pflanzen  im  spateren  Mittelalter  und  ihre  altc 
Besiehung  auf  Gotter  und  Thiere  beweisen.  Mit  Sicherheit  niag 
man  auch  in  den  Kobold-  und  Teufelsnamen,  welche  von  Krau- 
tem  und  Blumen  entlehnt  sind,  alte  Frauennamen  yermuten  '). 
Befzer  steht  es  um  die  Thiemamen*  Wie  das  Thier  in  der  Vorzeit 
hoher  und  poetischer  betrachtet  wurde,  als  yon  uns,  dayon  redef 
die  mytfaische  Bedeutung  der  Thiere  und  die  Thiersage.  Ihre  Ge- 
wandtheit,  Starke  und  Schonheit  liefz  sie  Gottern  und  Helden  ver- 
gleichen  und  auch  Frauennamen  sind  uns  in  ziemlicher  Zahl  uber- 
liefert,  welche  yon  Thieren  entlehnt,  bezeugen,  dafz  das  Weib 
ebenso  durch  Schonheit  und  liebliche  Gewandheit,  als  durch  Starke, 
Mut  und  kriegerische  Tugenden  sich  auszeichnete.  Alle  diese  Be- 
nennungen,  die  uns  yielfach  naiy  erscheinen  wollen,  sind  ubrigenfi 
durchaus  emst  und  edel  gemeint. 

Auf  das  Thier  im  Allgemeinen  beziehen  sich  die  Namen 
Tear/wind  9  Teorpurcy  Tiurhilty  Deorowara.  Zunachst  treten  zwei 
Thiere  als  yorzugsweise  weiblich  hervor:  der  Schwan  und  die 
Schlange*  Der  poetische  schone  Wafzervogel  muste  unwiUkiir- 
lich  zur  Vergleichung  mit  den  schlanken  weisen  Frauen  auf- 
fordern ,  und  in  der  That  sehen  wir  auch  bei  andern  Volkem,  wie 
den  Lithauern,  die  Schwane  und  die  Frauen  sich  in  der  Lieder- 
sprache  vollig  vertreten.  Diese  Vergleichung  ist  in  den  Schwanjung- 
frauen  durch  unsere  Sagen  auf  liebliche  Weise  durchgefurt  und  di( 
Eigennamen  bliebcn  nicht  zuriick.  Alpit^  und  Svana,  jenes  hochdeutsch 
diefz  aitnordisch,  zeigen  das  einfach  an.  Swanburc^  Swanagart,  Svan- 


*)  Vgl.  J,  Grimm  deutsche  Mythologie  10l5. 


11 

kUtj  Svanhvit^  Svanlaitg  weisen  theils  auf  die  Scbonheit  desSch wans, 
theils  auf  das  kriegerische  Amt  der  Schwanjungfrauen* 

Schwieriger  wird  uns  die  Vergleichung  mit  der  Schlange 
(tint).  Unser  Alterthum  dachte  indefzen  anders  von  diesem  Thiere 
als  wir;  denn  ihm  daucbte  es  nicht  nur  schon,  sondem  durch  ihr 
anschmiegendeB  und  fest  umklammemdes  war  die  Schlange  ein 
Bild  des  liebenden  Weibes  ^).  Auch  erinnerte  das  geheimnissreiche 
und  zauberkraftige,  das  ihr  zugeschrieben  wird,  an  den  Besitz  der 
geheimen  Kunden  und  Krafte  des  Weibes ,  und  so  klang  aus  dem 
Namen  Linda  (Schlange  LacombL  i,  52.  a*  941)  nicht  das  schlimme 
herausy  das  unser  y^Schlange"  horen  lafzt,  sondem  alles  schmei- 
chelnde  und  verbindliche ,  was  man  in  ein  Wort  legen  kann. 
Darum  gibt  es  auch  der  mit  lint  zusammengesqtzten  Frauennamen 
dne  Menge.  Mythischer  Bedeutung  sind  Alflint^  Akilint,  Egillintj 
GautUntf  Reginlint^  vielleicht  auch  NddaUint  und  ^Onlint  Akilini 
(Meichelb.  1,  12.  a.  763)  die  Meerschlange,  erinnert  an  den  Mid-- 
gardsorm,  defzen  Grofzmutter  Ndl  (Nddala)  in  Nddallint  an- 
klmgen  konnte*  ErmanUnt  (Meichelb.  1,  428.  a.  823)  die  grofze 
Schlange,  mag  dafzelbe  Wesen  bezeichnen  und  zugleich  beweisen, 
dafz  der  Mythus  von  dem  Weltwurm  auch  den  hochdeutschen 
St&mmen  bekannt  war.  Wdclint,  die  Wogenschlange,  gehort  genau 
zu  diesen  Namen*  Aljlint  (Elbenschlange)  und  die  Gotterschlan- 
gen  (ReginUnt  GautL)  rufen  uns  sodann  jene  Sagen  wach,  nach  denen 
verzauberte  Frauen ,  die  auf  Elbinnen  und  alte  Gottinnen  zuriick- 
leiten,  meist  in  Schlangengestalt  zu  erlosen  sind.  Die  auf  den 
Schatzen  ruhenden  geringelten  Schlangen  sprechen  sich  in  £(mc' 
Unt  und  ^OtUnt  aus. 

Mit  den  Namen  anderer  Thiere  verbunden  sind  Aralint  (Eri- 
lini)^  BerUnt  (wohl  JBirin  oder  Bemlint?)  ^  Eburlint;  auf  Krieg  und 
Frieden  gehen  CundMnt^  Herlint,  Asclinty  Gerlint^  Fridelint;  das 
heilkraftige  kann  durch  Ferahtlint  (Lebensschlange)  ausgedriickt 
sein,  das  kluge  deutet  Rdtlint  und  Frotlint  (vielleicht  auch  FanU 
Unt)    an,  das  schone  Berhtlinty   Tagalint,   vielleicht  auch  Fagalint, 


')  Armlinnr  Armschlange  war  skaldische  Umschreibnng  f&r  Weib.  Egilss.  c.  75, 


12 

das  freundliche  Winilint   Der  altnord.  Name  Ormhildr  (WurmWi) 
ist  derselben  Bedeutung  wie  Gundlint '). 

Die  beiden  bedeutendsten  Thiere  unsefer  Thiersage,  Bar  und 
Wolf  (der  Fuchs  wurde  meines  Wifstens  nicht  in  alien  Eigen-^ 
namen  gebraucht)  schauen  una  auch  aus  den  Weibernamen  ati; 
Mit  Bar  (biriny  bemhiknn)  zusammengeeetzt  sind:  Adcdbiniy  EUan^ 
bim,  JSngiUnm,  Gerbem,  Hroatpirin,  Hirizpirin,  lAntpirin^  Leobbirinf 
Meinbirin^  ^Ospirin,.  Sigib^f  Widtb,,  Wolfspirin;  Bemfwind  (Berlint^ 
BereffaH).  Mit  Wolf:  Wolf  a,  Woljila,  Wolfpirc,  Wolfpunt,  Widf^ 
fUlt  (Ulfhildr),  Ulfheidr,  .  Wtdjleis,  Wolflint,  WolfHki,  Wolffiknd, 
Wtdjintrild,   Wolfwiha  ^). 

Der  Eber,  den  Germanen  daa  Bild  grosster  Tapferkeit,  er* 
scheint  in  Eberhilt,  EberUnt^  Epurfwint;  Aer  Avlqv  (Wifunt)  in  Wu- 
find/mga;  das  Sofz  (tor,  eAw,  equus)  in  den  altnordischen  Namen  Jorun^ 
JodiSy  Jofrid/Tj  Joreidr;  der  Hirsch  in  Hirizpirin;  die  Geifz  in 
JEbbecei^  (1180.  Schann.  640).  Unter  den  Vogeln  wurden  aufzer 
dem  Schwan  noch  Adler  nn<J  Babe  zu  Frauennamen  benutzt: 
Aregundis,  Arehili,  Aralirvty  besonders  haufig  in  altnordischen  Ei- 
gennamen:  Ambidrg,  -^is,  -eidr^  -fridr^  -gerdr^  ^^unnry  ^katiUf  ^^laug, 
-leify  "Hd/r^  -fridr,  Berhtra/mna  *).  Aar  und  Babe  durften.  in  dem 
poetischen  Bilde  der  Schlacht  nicht  fehlen.  Die  mit  ihnen  kom- 
ponirten  Namen  gehoren  also  zu  den  zahlreichen  Frauennamen  der 
kriegerischen  Abtheilung. 

V  Die  Frommigkeit  unseres  Alterthums  driickt  sich  in  verschie- 
dener  Richtung  auf  das  deutlichste  aus.  In  unserem  Heidenthume 
lag  eine  tiefe  Deutung  der  Welt,  eine  sinuige  und  geistvoUe  Er- 
fafzung  der  Natur  und  eine  kindliche  Anschauung  der  Gottheit. 
Der  Mensch  sah  sich  und  seinen  Stamm  als  das  Gefolge  und  Haus- 
gesinde  des  Gottes  an  und  hielt  mit  Festigkeit  an  dem  Dienste, 
der  seinen  Vatern  heilig  gewesen  war.    Das  germanische  Heiden- 


*)  Was  bedeuton  IdelindU  Pblypt.  Irm,  10.  Vumilint  Schannat.  77.  a.  786. 
vgl.  Vmina  Schann.  280.  Liegt  in  Helinlint  der  BegrifF  dcs  Grcheimen?  ^j  j^i© 
m&nnlichen  mit  Wolf  zusammengcsetzten  Namen  haben  diefz  Wort  als  zweiten 
Theil  der  Komposition,  was  bei  den  weiblichen  nicht  gestattet  scheint.  •)  Sind 
Cramana  und  Crapucha  &u{  Hraban  zuriickznfuren  ?  Crapucha  etwn  Hrabanatvihaf 


IS 


tHnm  hal  auch  seine  grofzen  Sohattenseiten,  denn  es  ist  heidnische 
Beligion,  es  ist  iiberdiefz  schon  morsch  und  augefrefzen ,  da  wir 
68  kennen  lernen,  und  sein  Verfall  zeigt  jenen  Unglauben  und 
Selbstglauben,  der  eine  bedauerliche  Krankheit  auch  unserer  Tage 
ist.  Zu  seinem  schon  en  gehbrt  aber  das  trauliche  und  kindliche, 
das  eich  auch  in  den  Eigennamen  ausfpricht ,  deren  viele  von  der 
Gottheit  entlehnt  sind  und  den  Trager  des  Namens  als  ihr  ge- 
weiht,  als  einen  Theil  von  ihr  oder  in  irgend  welcher  naher  Be^ 
ziehung  zu  ihr  darstellen. 

Den  Namen  eines  der  grofzeren  Gotter  selbst  2u  tragen,  er- 
laubte  sich.  wol  niemand.  Dagegen  sehen  wir  Gottemanien  mit- 
telfit  vokalischer  Ableitung  zu  Frauennamen  gewandclt^  wie  Thora 
Inga..  Beach tenswert  ist  auch  ^A/a,  das  unmittelbar  von  as  (Gott) 
gebildet  ist^  warend  die  Gottin  durch  weitere  Ableitung  gebildet 
^Afynja  hiefz.  Dem  Nam  en  ^A/a  entspricht  im  hoohdeutschen  Cot^a 
usd  Gcmdaf  womit  mehrfache  Zusammensetzungen  aufzuweisen 
sind:  Adodgo^^a^  Wuldargo^a^  EfnaengaudayFrainiein^awdia^  Teutgaudia; 
ff%At&,  Coi^Unt^  Got^niy  Got^winL  Ebenso  gehoren  Gotafrit,  Coianiy 
Gotelinty  wenn  auch  erst  in  zweiter  Keihe  hieher.  In  Got^a  und 
seinen  Zusammensetzungen  haben  wir  jedenfalls  blofz  die  Bedeu- 
tung  des  geweflit-  oder  abgeleitetseins  von  der  Gottheit  zu  suchen, 
nicht  dafz  uns  Wuldargo^^a  die  glanzende  Gottin  selbst  (etwa  jPna, 
Berhia),  Adah-  und  Teutgaudia  die  grofze  Volks-  und  Stammgottin 
darstellten.  —  Zusammensetzungen  mit  den  allgemeinen  Benen- 
nungen  der  Gottheit  (a/w,  dsy  dsy  regin)  zeigen  sich  viele :  Ansbert, 
AnidrUt,  Anshilt,  ^Ospirinj  ^Ospurc,  ^Osperc,  ^O/geofy'^Osfvul,  ''Asbera^ 
"toy,  .rft»,  ^gerdr^  ^laug,  ^vdr.  - —  JReginbirc,  burc,  '-truty  -gunt,  "mot, 
"*»««>  'Swintf  "Wiii^y  ^unL  Regirdeif^  Ragnheidry  -Mldr,  Auf  das  gott- 
licke  Wanengeschlecht  weasen  Wanburcj  Wimhilt,  Wenila,  Wuona; 
iufdieElben  Alpdrui,  Albofiidisy  Alpgunt^  -heit^  Mlty  -louc,  */wint^ 
^>  'Vnt^,  Alfimty  Alfeidvy  -jgeiry  gerdr. 

Die  Idise  und  Disen  treteh  uns  auch  in  den  Eigennamen 
entgegen.  Wir  finden  ItisburCy  Itislant  und  zahlreiche  Zusammen- 
aetzuDgen  im  nordischen:  ''Asdis ,  Alfdts ,  Freydia,  Thordts,  Jodts, 
BergdU.  Eydi8  —  Herdisy   Valdis,  Hiordis.    In  den  ersten  vier  Na- 


14 

men  driickt  sich  ein  priesterliches  Verhaltniss  aus,  auch  wol  in 
Jodts,  da  das  Pferd  (tor)  in  den  heiligen  Statten  gepflegt  ward. 
In  Serg^  und  Eydis  konnen  sich  Untergottinnen  der  Berge  und 
Inseln  verraten;  die  Heer-  Wal-  und  Schwertidise  faren  auf  die 
Walktirien.  Ueberhaupt  konnen  wir  aus  Frauennamen ,  die  uns 
auf  die  Schildmadchen  WuotanSj  die  Gottinnen  der  Luft  und  des 
Waldes  leiten,  einen  reichen  Kranz  binden.  Die  Nome  des  Ge- 
wordenen,  die  Vyrd  der  Angelsachsen,  die  Urd  der  Skandinavier 
vergegenwartigt  sich  uns  in  dem  althochd*  Frauennamen  Wwrta 
(Schann*  289.  a.  817).  Die  Walkiirien  ThrMhr  erscheint  in  dem 
althochd.  Truda  (Thrudila)  und  in  den  zahlreichen  Zusammen- 
setzungen  mit  drat  Denn  wenn  diefz  Wort  auch  in  die  allgemei- 
nere  Bedeutung  von  Frau  libertrat,  so  hatte  es  doch  auch,  und 
namentlich  in  Deutschland  die  besondere  von  Unholdin,  Hexe  (vgL 
MythoK  394).  Die  Zusammensetzungen  damit  weisen  genugsom 
auf  iibersinnliche  Wesen,  welche  diese  Namen  ursprunglich  fiirtem 

Alpdrviy  Regindruty  Ansdrut  Irmmdr4t  Mirmdriit  AlahdriU. 

Adaldrut  Amaldrut,  Diettrut  Lanidrut.  MarcadHiU  WalMrCA, 
Himildrut    Wolcandrut 

BUctrut  Branttrut  Berhttrut  Hrodd/rut, 

Ahldrut.  ElUndrut^Jfantriit  GirtruU  Sigidrdt  WtcdrAt  THdMU. 

Bilidrut  Bliddrdt  Madald/rdt  MaJialdrut  EdUrut.  WiUidriU. 
Wieldrut, 

Autirut.  RtchdrUt  Uodaldrut. 

Fiir  gottliche  Wesen  der  Luft,  des  Waldes  und  der  Schlacht 
eignen  sich  auch  die  alten  Frauennamen,  Sunnihilt  Sonnenkampf, 
*^Ojterhilt  Osterkampf,  Winterhilt  Winterkampf,  DemarMU  Dam- 
merungskampf  ^),  ScohJiUt  Waldkampf,  ebenso  Windbirc  und  Win^ 
diga*  Der  Name  Mistila  (Schannat.  445)  bringt  uns  vielleicht  die 
Walkiirie  Mist  (Nebel)  nach  Deutschland  heriiber;  Enzawtp 
(Meichelb.  1,  1232.  Mon.  boic.  3,  270)  kann  Riesenweib  bedeuten 
(Myth.  491);  Alarun  (Meichelb.  1,  495.  a.  826.  Mon.  boic.  2,  321. 


')  ^%^'   queldrida   und   myrkrida  Abend-    und  Dunkelreiterin ,    als  altnord. 
Benennuug  von  Zauberfrauen. 


15 


Ci  a.  1127)  erinnert  an  die  weisen  Frauen.  EIn  Wesen  das  zu 
dem  alten  Waldgotte  Mimi  gehort ,  verrat  der  Frauenname  Mima 
(795.  Schann.  108).  Auch  das  Gstterfaaus  der  Wanen  hat  den 
Frauen  Beisteuer  zu  ihren  Namen  gegeben.  —  Ing ,  der  Ahn  des 
Geschlechts  zeigt  sich  in  Inga^  Ingberta,  Ingbolda,  Ingoberga,  Ing- 
gundis,  Ingigerdr,  -Z^j/*,  -rid/r;  mit  weiterer  Ableitung  Ingalberga, 
'burgiSf  JUdis^  "hildis^  -rdda,  -trudie  ^),  An  Nerthus  werden  wir  er- 
innert durch  Narthiltf  Nortwip,  Nerihilt,  Nerifwint,  wo  zum  Theil 
der  Stamm  des  Wortes  ziemlich  rein  heraustritt.  Fro  zeigt  sich 
in  Frogart  *),  altn.  FreT/gerdr,  welches  Wort  zugleich  an  das  Lie- 
besverhaltniss  zwischen  Fret/r  und  Gerdr  erinnert  und  den  Namen 
Lopthoena  (lalend,  s.  t,  66)  auf  ein  anliches  Verhaltniss  zwischen 
Jjyptr  und  einer  mutmafzlichen  Gottin  Hoena  deuten  lafzt.  Gleich 
den  Wanen  erscheint  Thor  vielfach  in  Eigennamen ,  ein  Beweis 
wie  vertraut  und  heimlich  diese  Gottheit  den  Menschen  war. 
Aufzer  dem  einfachen  Thora  fare  ich  diese  Zusammensetzungen 
anf:  Thorama^  -dis,  -elfr,  -et/y  -gerdr^  -gnma^  -^hildr,  -katla,  -laug, 
-fei/,  'liot,  -w^,  -vor.  In  manchen  norweg.  Familien  war  der  Thor- 
kultus  formKch  Dienst  des  Geschlechts  und  die  Eigennamen  kiin- 
deten  diefz  schon  aufzerlich  an.  Auf  ein  gottesdienstliches  oder 
irgend  wie  religioses  Verhaltniss  deuten  alle  mit  wiha  {sacra)  zu- 
sammengesetzten  Namen:  Cotanwiha^  DrUdwihy  EngUwih,  Reginwihy 
I^eottoihf    Wolfmhay  Paldwihay  Perhtwih 

Wir  werden  im  nachsten  Abschnitte  davon  zu  reden  Gele- 
genheit  haben,  dafz  warend  der  kriegerischen  Wanderjahre  der 
Gennanen  auch  ihre  Frauen  sich  gegen  die  Eindrucke  der  Schlacht 
abharteten  und  nicht  selten  thatigen  Antheil  am  Kampfe  namen* 
Ke  Walkurien  sind  diese  verklarten  Heldinnen.  Auch  in  den  Ei- 
gennamen driickt  sich  diese  Kampfesfreude  unserer  Aninnen  auf 
"W  entschiedenste  aus ,  wie  die  folgende  Zusammenstellung  zei- 
gen  soil. 

Balda  die  kiine  und  &wind  die  starke,   bekunden  die  Befa- 

0  Vgl.  auch  Engila,  Engelburc,  -pirn,  -frid,  mdt,  fwint.  Leo  Ferienschriften 
h  110  deutet  diefz  Ingal,  Engtl,  Angil  aus  gal.  eingeal  Feuer,  Licht,  walisch 
o-^hl  helL       2)   Urougart.  Mon.  boic.  3,  43.  c.  a.  1160. 


higung  des  Weibes,   die  Namen  Ilelida,   die  Heldin  unfl   VeledUf 
Jungfrau  der  Walstatt,  zu  fiiren.      Der  Zusammensetzungen  mit 
fwind  und  bcdt  sind  yiele :  BaUfwint^  Hugi/wint,  JEUanfwint^  Chtmni- 
Jwinty  Folqfvrinty  Lant/wint,  Irminfwint,  Gof^wint,  lAntfwint,  JEbwr^ 
fwinty  Gundfwintf    Eggifwinty  Francjwint,  ^)    Gerfwinty    Hehnfwini. 
Zu  Balda  gehoren :  Baldinay  Baldfledisy  Baldgardisy  Baidrimay  Bcdd- 
truty  Herhaldy  Sigibcddy  Frdibaldy  BaLtfrit.      In  Frotbald  sehen  wir 
Kiinheit  mit   Ueberlegung  gepaart,   in  Baltfrida  die  Friedfertig- 
keit  unterstutzt   durch   Heidensinn;    Hugifwint,    Folmot^   MuothUt, 
Muotgunty  NanthiU  sind  wcitere  Ausdriicke  des  Mutes,  welcher  in 
den  Frauen  pulst.   Hilta,  Wtga^  Hiltgunty  GwmhUdr^  BaduMtt  sind 
die  Greister  der  Schlacht,    welche    durch   Gebahilt  gegeben  wird 
Vorher  wird  der  Kriegsrat  durch   Rdtgunt  und  Herrdty  mit  GW- 
truth  und  Runhilt  gehalten.     Daranf  ziehen  GomahUt  auf  und  H^ 
lidguntf  Druhtfdlt,  Adalhilt,  Amalgunt,  Chumgunt,  ChunikUt,  Theodf 
gunt^  Diethilty  Hergunty  HerhiUy    Ealhilt,   Irmingunt  und  IrminkUt; 
Manner  und  Geschlechter ,    Schaaren  und  Volker  verwickeln  sich 
in  die  Schlacht,  in  die  sich  die  Gotter  selbst  stiirzen.  AnahUty  Co^- 
hilty  Regingunty    Wanhilty  Albgunt,  Alphilt  erscheinen,    da  AlahhUi 
der  Kampf  um   die   Tempel,    beginnt.    Die  Etlstungen  sind  gut, 
die  Waffen  sind  scharf  und  werden  trefflich  gefiirt.    Grvmay  Kviwr 
hilt  und  Helmburc  sind   durch   den  Helm   gewart,    Brumhilt  und 
Bryngerdr  durch    die  Briinne;    JEekihUty  Ortiluy    Oddlaugy    GerhUty 
GSrmuoty  GerwiSy  Frammldisy  Framhertay  Franc/winday  wiiten   mit 
dem  Schwert,  dem  G^er,  dem  Speer.  Es  ist  ein  starker  und  bar- 
ter Kampf.    Abarhilty  Ellanhilty  MahthiUy  Mahtgunty  Hertgunt  kam-* 
pfen;  und  Hiltiloucy    Wicloucy  Hiliimoty  Ntthilty    die  Kampfealohe 
und  der  Kampf esdrang  sind  eine  Lust  der  Kampfer;  PMhUt^  Zei%* 
hUt,  Liubgtmty  lAitbhilt  sind  mit  ihnen.  Es  ist  als  ob  die  edekten 
und  mut^sten   Thiere  auf  einander  stiirzten.    Da  kampfen    Tiur-^ 
hilt,  Bemhilty   Wulfhilty    Wulfgunty    EhirhiUy    Ormhildr,   Aregundiag 
ArhUtj  SwanMU.  Mann  tritt  gegen  Mann,  wo   Smndarhilt  (Sonder- 


1)  A.   825»  Schann.   n.  384«    vgl.   Haupt   Zeitschrift  fur   deutsches  Alter* 
thuni  7,  470. 


:'- 


17 

lampf  gcbietet;  sie  wechseln  die  Kampfesrede  (Madalhilt)  undhin- 
ter  den  einen  tritt  Bilihilt^  hinter  den  andem  BcdhUt  Da  kommen 
Foife,  Valgerdr^  Walburc,  Walejlndoy  Wakmtrudia  und  der  Wal- 
platZj^wird  mit  Leichensaat  bestreut*  Der  einen  Seite  neigen  eich 
nun  die  Jungfrauen  des  Sieges  zu:  Sigini,  Sigburc^  Siffihilt,  Sigi^ 
fowc,  Stgibintf  Siffirdt,  Sigridr  ^  Sigvdr*  Der  Eounpf  wird  matt 
(Zamhilt)y  er  ruht  ganz  (EimihUt)  und  Frida  und  Friderdt  Ziehen 
herauf  mit  Fredegunt^  Fridihilty  Guntfrit^  Liutfrity  FrideUntj  Fride^ 
mat  und  Frideburc  ^).  Mit  den  Siegem  sind  nun  die  Geister  des 
Euhms :  Hruoday  HraodbirCy  Hruodhiriny  HruodjiMy  Hrotheity  Chr6U 
hildisy  Hruoiharty  Shnuytkunnay  Hruotlinty  Hruoiliupf  Hruothucy  HruoU 
mu,  Chrotjinty  Hruotfwint,  HruottHlty  Hruotwavy  und  die  schiitzen- 
den,  bergenden  Gewalten :  Burclinty  Burcfwintj  Burcraty  Burcwina^ 
Bwcm%a'y  Adalburcy  Chuniburcy  DieibirCy  FngilburCy  JEllanburCf 
Fastb.y  Fridehy  Freib.y  Farab.y  Helmb.y  Heilb.y  Hqfab.y  Herhy 
Eohp.,  IKltb.  y  Jtisb.  y ''Jlb.y  ^Jfanb.y  Layitp.y  Liuib,,  Meginb.  y  N6tb.y 
£mnb.y  Rdtb.y  SalabirCy  Sigb*^  Sneohy  Steinb.y  Swanab.y  S&b* 
Swidb.y  Sindh.y  Snelb.y  Walb.y  Wanhy  Warb.y  Wasab^  Weniilb*, 
Wtmb.y  Zitburo. 

In  der  Zeit,  da  die  meisten  der  aufgefiirten  Eigennamen  ent- 
fitunden,  war  man  iiberhaupt  dahin  gekommen,  sittliche  Momente 
in  Bolcher  Kraft  aufzufafzen,  dafz  sie  sich  aus  der  Abstraction 
zu  konkreten  Gestalten  erfaoben.  In  den  Eigennamen  spiegelt  sich 
diefz  auf  merkwCirdige  Weise  ab ,  indem  wir  voUig  abstracte  Be- 
griffe  als  Frauennamen  verwandt  sehen :  Audr  Reichtbum,  Biorg 
Schutz,  Bot  Bufze,  HUfy  Schutz;  im  Althochd.  Minna  Liebe, 
Uuo^a  Mufze,  Wunna  Wonne^),  Gepa  Gabe;  auch  Magada^  Ma- 
gona  und  JDauwila  (dau  die  Sitte)  scheinen  hieher  zu  gehoren. 
Nihe-atehen  die  Namen  die  aus  einfachen  Adjectiven  gebildet 
and:  Adda  die  edle,  Balda  die  kune,  BlitJia  die  heitere,  ■  i>oZ%a 
diegednldige,  jErcAona  die  treffliche,  Fruoma  die  fOrdemde,  Geila 

')  Eine  schone  angelsftchs.  Benennung  des  Weibes  wb.t  freduvebbej  Friede- 
weberin.  vgl.  J.  Ghrimm,  Andreas  und  Elene  S.  144.  Geschichte  der  deutschen 
Sprache  655*  *)  VrGude,  Wunne,  Mime,  Liebe,  Namen  von  Bauerinnen  beim 
6»fen  V.  Kilchberg.  MSH.  1,  26. 

2 


18 

die  frohe,  Grama  die  feindliche,  Helga  die  heilige,  geweihte,  Holda 
die  holde,  freundliche,  Irmina  die  grofze,  lAot  die  leidige,  Lmfoj 
lAehtty  Leuha  die  liebe^  SdUga  die  selige,  Wiela  die  kunstreiche, 
Wetta  die  werte,    Willa  die  gewillte,  Zei^a  die  heitere. 

Die  Vorstellungen  dee  lieben,  frohen,  willigen  sind  in  einer 
Keihe  von  zusammengesetzten  Eigennamen  auf  verschiedene  Weiee 
liaher  bestimmt.  (L  i  e  b)  ^JEoliup,  FiUiob,  Mirluib,  Nttliup,  Rdtliwpy 
Zei^liup^  Leobbirin,  Liobgart,  Liobgunt,  XAupheity  ZAitbMU,  lAob^ 
mSt,  Jjioborta,  Lioprdt,  lAuptrilt,  Leobtaga,  Leobwina^  lAobwt^, 
Liubucha. 

Wina  (die  Freundin)  Wineberc,  Wineburc,  Winelif,  Winelmt. 

(Mild,  freundlich)  Biligart '),  Biliheit,  Bilihilt^  BUimuotf 

BilitrUt — BUdtr4t.  Blidhilt. —  Zd^ila,  Zdt^birc,  Zei^purcy  Zeif^Jldty 

Zeit^hUt,  Zdf^iniuy  Zei^warz.  —  WilUburc  ( Vtlborg)  WiUidrilt,  Vilgerdr* 

WilUhilty     WilUmuot  (Wilnwdis),     WilUniu,     WilUquemay     WUlirdtf 

Willifwint 

Eine  andere  Eeihe  Frauennamen  zeigt ,  wie  hoch  schon  in 
dieser  namenschafFenden  Zeit  das  germanische  Weib  trotz  seiner 
reehtlich  niedrigen  Stellung  in  Wahrheit  stund,  wie  das  geistige 
und  sittliche  Leben  von  ihm  ausgieng  und  von  den  bevorzugteren 
Frauen  geleitet  ward.  Rat  und  Kede  und  die  Seelenstimmungen, 
welche  beide  fruchtbar  machen,  scheinen  fast  ausfchliefzlich  Ei- 
genthum  der  Frauen  ;  so  zahlreicb  sind  ibre  Namen,  welche  mit 
r6ty  mahal  und  modal  und  muot  zusainmengesetzt  sind. 

AdalmSt,  Bilimoty  Diemuoty  ElismSt,  Eggimuot,  EngilmSty  Fr6' 
muoty  Folmot,  Germitot,  Gerlinmiceda,  Glismuoty  Hadumuoty  lUmoty 
Itmuoty  Memuoty  Swidmot,  StilUm,  Wichm,  Weniilm.  —  Muoipurc, 
Moatfidty  Muotgunty  Muothilt,  "liupy  -louc,  -J wind,. 

Mahalbiricy  Mahalniuy  Mahaltrdt  —  Madalberty  ^^arty  "fftidisy 
"hilty  "trdt 

Anstrdty  Alfrdday  Angilrdt,  Boucr,  Berhtr,  Burcr,  Dietr.  EUanT' 
Frauwirdty  Fastr,  Folr,  Folcr,  Guotr,  Gebar,  Gundr,  Geilr.  Herrdts 
Irminr.  lAutr,    Lantr,   lAupr,   Mar  or.  Niuwir.  ^Otr,  Sigir.  Sniumit* 


')  Ueber  6i7,  bili  vergl.  J.  Grimm  deutsche  Myth.  247, 


19 

Sndr.  Wif^f^ir.  Wielr.  Waltr.  Wtbrdt;  Ratburc,  Rdtfrit,  Rdtgunt, 
Batheitf  R&thilt,  JRdtlint,  Rdtliupy  Rdtniuy  Rdttrdt. 

Das  rurige  und  schaffende  des  Weibes  liegt  in  den  Eigen- 
namen  mit  wiel  ausgedriickt:  Wieldy  Wielrdt^  Wieltrdt,  wozu  wir 
noch  Zawurd  stellen.  Unter  der  Hand  des  Weibes  quillt  und 
wichst  der  Relchthum  des  Hauses ;  darum  so  viel  Namen,  die  mit 
ot  (audr  Reichthum),  uodal  Besitz  und  mit  rich  komponirt  sind^ 

Audr^  Autbolda^  Audefleda^  Autgild^  Autlindis^  Auttntty  ^Otbirc, 
-gart,  -lint,  -lohy  -^dty  -^chy  ^trut, 

Vodeldrutj  -garty  hdty  -hilty  "lint  Oadaljmt 

Richbaky  "burCy  -gart,  -guntj  ^heitf  -hiltj   -linty   "inuoty   -fwinty 

Aus  allem  ergibt  sich  aber  die  Wichtigkeit  des  Weibes  ftLr 
dag  engere  Geschlecht ,  wie  fiir  Volk  und  Land ;  daher  die  mit 
ojMy  amalf  kum,  liuty  diet,  druht,  fara,  marca  und  lant  zusammen- 
gesetzten  Weibemamen: 

Adalburcy  ^bimj  -firity  -^arty  -^^;^a,  "grimay  -gudisy  -hUty  -lanty 
-fe^,  -nta,  -rt2n,  -Jwindy  'toich. 

AmcdbirCy  -friday  -gunty  -fwint  (funthajy  -trUt* 

Ghunipurcy  ^gunty  'kilty  -niay  -fencu  Chuniza, 

LiutOy  Zdutbirriy  JJiutburCy  lAutfrity  Uutcunty  lAutheity  Liutniy 
Liufyrdt,  Liuljwinday  Leudxyvera. 

Theoda  (Deota)  DeotUa  (Diedela)  Deozzay  Dietbercy  Diettrdty 
Teutgaudiay  Thiotgerdry  Dieiheity  Diethilt  (^Theudechildisy  Thiodhild/r)y 
IHetUnt  (Theudelinda)y  Deotniy  Dietrdty  Deotfwinty  Dietwihy  Dietwtf^. 

DruetkUdisy  Farabv/rc. 

MarcoUdisy  Marcrdty  Marcatrudisy  Marcovefa. 

Lantpurcy  ^druty  Landechinay  Lantrdty  Lantfwinty  Lantwt!^. 

Auch  die  Namen  einzelner  VOlker  sehen  wir  als  bestimmte 
Franennamen  gefGrt:  Pegiriuy  Frenchiny  ^Oftrogothay  Sah/vjiy  Swd- 
H  Sudvigotha,  Hiezu  lafzt  sich  vergleichen,  dafz  auch  Verwandt- 
Bchaftabezeichnungen  als  Eigennamen  erscheinen :  UotUy  Gnannay 
Swester  (Meichelb.  1 ,  294) ;  nicht  minder  die  allgemeine  Ge- 
schlechtsbenennung  Wibay  Wtvekin  und  Zusammensetzungen  mit 
^:    Gnanempy    Helwify  Hiziwipy   Houuawtby   ZAuzevnby   Jiiziwtb, 

2  * 


20 

Thiadwilf,  Auf  das  Leben  uberhaupt  beiziehen  sicli  Ferahlintj  Mdr^ 
Idf;  auf  die  Zeit  Ztitburc^  Ziticuma;  auf  das  Alter  AltUy  Ahbwre^- 
AMedrHdiSy  Altgunt^  AlthUty  Altafwint 

Fafzen  wir  alles  zusammen  was  sich  in  diesen  Napaenreihen 
ausspricht)  so  ist  es  diefz:  das  Weib  gait  den  Germanen  als  ein 
Wesen,  das  an  Geist  und  Leib  reich  begabt  ist.     An    Sch5nheit 
wetteifert  es  mit  den  Gottem  und  Gestimen,  an  Starke  und  Ge- 
wandheit  mit  den  Thieren  des  Waldes  und  den  VOgeIn  der  Luft. 
Lieblich  und  freundlich ,    voll  Geist  und  Herz ,  tiichtigen  Sinnc? 
und  kunstreich,  ist  es  fiir  den  Mann  die  Quelle  der  Freude  und 
des  Lebens.     Selbst  im  Schwerterkampfe  steht  es  ihra  zur  Seite, 
und   sein    weiser  Rat    und   seine   kluge  Rede    machen  das  Weib 
auch  dem  ganzen  Volke  bedeutend.  yWir  gewinnen  also  aus  den 
Eigennamen  einen  wertvollen  Beitl'ag   zur  Erkenntniss    der  Stel- 
lung  der  germanischen  Frauen.     Der  Sinn  aller  dieser  Namen  ist 
edel  und  hoch ,    und  nicht  das  mindeste  weist  auf  unsittlich  nie- 
drige  Lage.     Durch  alle  haucht  die  Freiheit,  ein  Beweis,  dass  es 
ursprunglich  keine  Unfreien  uiiter  den  Germanen    gab.     (Vgl.  J. 
Grimm  Rechtsalterth.  341.)     Wir  dtirfen  uns  nicht  daran  stofzen, 
dafz  die  herrlichen,  zahlreichen  Helden-  und  Fiirstennamen  auch 
von  unfreien  getragen  werden ,  fiir  welche  sie  nicht  passen,    und 
diirfen    den   deutschen  Sinn  nicht   zu   welschen   trachten  0«     B^r 
Name,  wenn  einmal  geschaiFen,  war  Gemeingut  und  nicht  Standes- 
gut,  und  die  Magd  so  gut  wie  die  Konigin  trug   ihn,    der   von 
den  Vatern  ererbt  war.     Die  Germanen  verwerten   auch  den  un- 
terworfenen  Romanen   und   Kelten  die    Entlehnung   ihrer  Namen 
nicht,  und  duldeten  es  leichten  Herzens,  dafz  der  Ueberwundene 
den  stolzen  Namen  des  Siegers  fiirte.     Die  Fnicht  dieser  Zusam- 
I  menstellungen  wird  dazu  dienen ,  den  Schattenseiten  in  der  Stel- 
lung  der  germanischen  Frauen  eine  helle  Lichtseite  zuzufiigen  '). 


/ 


')  Versuche  dieser  Art  machte  Leo  in  dem  Aufsatze:  Einige  Bemerknngen 
zn  altdentschcn  Eigennamen,  in  seinen  FerienschriUen.  Erstee  Heft«  Ualle  l847» 
SS.  88 — llB*  *)  Ich  will  hi er  eine  Anzahl  Frauennamen  zusammenstellen,  deren 
Dentung  mir  entweder  gar  nicht  oder  nnr  nnsicher  gelingen  will.  Abldrtti,  Jgem* 
trudisy  Aclis^  AcUhildis^  Anza,  Apela^  Ata^  mit  dem  Deminutiv  Atuim,  AUa^  £UQf 


21 

Die  Eigennamen  waren  in   unserm   Alterthum  dadurch  von 
hoherer  Bedeutung  als  heute,    dafz    die  Familiennamen  entweder 
ganz  abgiengen  oder  wenigstens  nicht  geffirt  wurden.  Die  Frische 
der  Sprache  vermochte  aber  das   verwandschaftliche  auch  in  die- 
sen  einen  Namen  auszudriicken   und    bediente  sich  dazu  des  Ab- 
lautes.    Die  Abstammung  im  Geschlechte  ward  der  Lautabstam- 
muDg  gleichgesetzt;   wenn   also  der  Vater  einen  Namen  mit  ein- 
fiichem  Laute  hatte,    erhielt  der  Sohn   denselben  Namen  mit  ge- 
Bteigertem  Vokale.   Die  Germanen  theilen  diese  Eigenthiimlichkeit 
mit  den  Indern.    (Grimms  Geschichte  der  deutschen  Sprache  441 .) 
Hiefz  also  eine  germanische  Mutter  Ada,  so  konnte  ihre  Tochter 
Ih  heifzen ;   die  Mutter  Baba ,    die    Tochter  Buoba ;   die  Mutter 
Tatay  die  Tochter  Tuota;  die  Mutter  Wada^   die  Tochter   Wida. 
Andere   zu  belegende   Reihen  sind:   Nana^    Nona.    —  Haz(ich)ay 
Bz(il)ay  Huza.  —   Wa8a{hilt)y     Wisa(gunt).  —    Wan(hilt)y    Wuona. 
—  Adcdheity    Uodcdheit  —  Diese  Weise  ist  in  der  Zeit,    die  uns 
deutlicher  wird,    bereits  mit  einer  andem  vertauscht.     Wie  noch 
heute  in  vielen  adeligen  und  biirgerlichen  Geschlechtem  vom  Vater 
zum  Sone  ein  und  derselbe  Vorname  erbt,  so  gieng  auch  im  Alter- 
thum eine  solche    Nameniiberlieferung    durch   die  Familien,    und 
zwar  auf  die  Weise,   dafz  des  Grofzvaters  Name  gern  beim  Enkel 
wiederkerte,    dafz    aber   der   Sohn  und  die  Tochter  einen  Namen 
fiirten,   der  zu   dem  des  Vaters  oder  der  Mutter  in  einem  Theile 
der  Zusammensetzung  stimmte.  Ebenso  wurden  den  Geschwistem 
ahnliche  Namen  gegeben,  und  auch  die  Neffen  und  Nichten  zeig- 


■4<^«,  Eda,  Ida,  Idelindis^  Itmuot,  Ana,  Abba,  Abfendis,  Ava,  Aza,  Azila,  Ecca* 
^"/o,  AUa,  JElismdtj  Elisba,  Paba,  Puopa,  Bobila,  Buobila,  Basina,  Bezzela^ 
^^echa,  Bieza,  Betta,  Picca,  Clauza,  Crigilwihc,  Crapucha,  Cramana,  Dapariz^ 
^ona,  Doda,  Tota,  Tuta,  Tuota,  Tata,  Tetta,  Titbirg,  Deinca,  Ebba,  Evekin, 
^za,  Egina,  Enifa,  Emhilt,  Emgundis,  Faileuba,  Focca,  Ganna,  Gaugia,  Gimiza, 
^wo,  Hidda,  Beta,  Hettila,  Mecca,  Hazecha,  Hizeca,  Hizila,  Hizhcip,  Huza, 
**w,  Immina,  Immichin,  Imiza,  Icha,  Lehfwind,  Lihruge,  Lira,  Lisa,  Mohha,  Mu' 
^"rma,  Milq,,  Milisindis,  Milizza,  Mas  a,  Mistila,  Memuot,  Momma,  Manatuom, 
^icha,  Mezkunt,  Nana,  Nona,  Oza,  Ruza,  Ruzila,  Rosmdt,  Rohgunt,  Tulgild, 
^a,  Undna,   Umilint,   Wafaburc,   Wafahilt,   Wada,    Wida,     Mcrore  davon  sind 


22 

ten  sich  hierin  den  Vettem  and  Basen  gem  verwandt.  Aus  der 
Heldensage  konnen  wir  dae  Haus  der  Welsungen  anfuren,  indem 
des  Ahnen  Sigi  Name  in  alien  Abkommlingen  sich  wiederholt. 
Ebenso  ist  der  Amalungen  zu  gedenken^  in  deren  Namen  der 
Ahne  Ainala  mehrfach  hervorklingt.  Andere  Beispiele  eind:  ein 
Vater  Unfrity  der  Sohn  Deotfrit  (M^ichelb.  1,  493);  der  Vater 
Saluramy  der  Sohn  Sigiram  (Schannat  260);  der  Ysitev  Bidrgo^rf 
der  Sohn  Brynjolfr  (Egilss,  c.  7.);  der  Vater  Helgiy  die  Tochter 
Helga;  der  Vater  Sumarlidiy  der  Sohn  Vetrlidi  (Egilss.  c.  23); 
der  Vater  ''Bpranty  die  Tochter  ^Upurc  (Meichelb^  1,  482);  der 
Vater  Ethelbert^  die  Tochter  Ethelberg  (Beda  hist.  eccL  11.  9); 
die  Mutter  EUanpurc,  die  Tochter  Engilpurc  (Meichelb.  1,  836); 
die  Mutter  Deotwih^  die  Tochter  Deotswind  (Meichelb.  1,  647). 
Der  miitterliche  Grofzvater  f/Z/r,  der  Enkel  Vlfr  (Egilse.  c.  1) ;  der 
miitterliche  Grofzvater  Ketill  Haengvy  der  Enkel  Ketill  Haengr ;  der 
Vatersvater  Eyvindr,  der  Enkel  Eyvindr.  Zwei  Briider  WiUibald 
und  Wunnibald;  zwei  andere  Ellanmh  und  Engilnh  erinnem  an 
die  Vatersbruder  Alprth  und  Askrih  (Meichelb.  1,  557).  Ein  Ge- 
schwisterpaar  heifzt  Thorir  und  Thora^  Thoris  Tochter  Tkora,  ihr 
Sohn  Thorsteinn  (Egilss.  c.  65).  Ein  anderes  Geschwisterpaar  heisst 
ThSrulfr  und  Sceun,  sie  nannten  beide  ihre  Tochter  Thordis  (Egilss. 
c.  56).  Ein  paar  Schwestern  Liutswind  und  Ellanswind  (Meichelb, 
1,  493);  ein  Bruder  Weltiluriy  dieSchwester  Weltila  (Schannat  111.), 
zwei  Schwestern  Aregundis  und  Ingundis  (Greg.  Tur.  4,  3). 

Der  Geschmack  der  Zeiten  ist  auch  in  den  Namen  verschie- 
den.  Ein  Name,  der  in  diesem  Jahrhunderte  schon  und  vomem 
tout,  diinkt  das  nachste  altvaterisch  oder  garstig  und  gemein; 
der  eine  wird  unzalig  oft  gefiirt,  ein  anderer  grundlos  ver-  ' 
schm'aht.  Von  Interesse  ist  es  immer,  Frauengesellschaften  aua 
fruheren  Jahrhunderten  namentlich  aufgefiirt  zu  lesen,  indem  man 
dadurch  auf  die  beliebten  Namen  der  Zeit  schliefzen  kann.  Die 
Nonnen  eines  Klosters  um  das  Jahr  800  hiefzen  also:  EmhUi^ 
JLeobwina,  Gltsmot,  Trudhilt,  Masa^  Werinburcy  Tumwit^y  Imminop 
WUlifwindy  Waltrdt,  Gotaswind^  Leobhilty  Folqfmndy  Blidrdt,  MaM^ 
hiltf  Ikotrdt,  Eowic,  BUihiUj  Deotburcy  Engilwit^f  Tota,  HeUaewih^  '■ 


23 


Seginwih,  Elena,  (Schannat  140.)  Die  Klosterfrauen  zu  Hohen- 
bui^,  welche  una  ihre  gelehrte  und  kunstreiche  Aebtissin  Herrat 
Ton  Landsberg  ahkonterfeit,  hiefzen  also :  Gruta^  Adelheit,  Mahthilt^ 
EdeUmt,  RicMnzay  OdiUay  Liutgarty  Hedewtc  y  Heilwtcy  Gerdnty 
Kumgtmty  Margareihay  Berfinty  Agnes  y  Eufemiay  Richlinty  Wille- 
hwrcy  AnnOy  Uotichoy  Clementiay  Herrdty  BerhtUy  Haztchay  ItUy  lutUy 
Chmtinay  Diemuoty  Sibiliay  Aba^  Juntay  Hiltgunty  Hemma  !)•  Diefz 
war  also  ein  Klosterconvent  des  12.  Jahrhunderts.  Bauerinnen 
des  13.  Jahrhunderts  nennen  uns  in  gesellschaftlicher  Menge  die 
hofischen  Dorfdichter  jener  Zeit  mehrfach  bei  Namen ;  Neithart  nennt 
Gnsdy  Jiutely  Berhtely  Irmengarty  Matzey  Wentely  JHiltpurcy  Erme- 
i'n<,  Trutey  Bride,  Wicrdty  ""Avey  Hildey  Diemuoty  Kiinzey  IleiUcey 
FriderHriy  EUey  Kunegunty  Uodelhilt,  Wendelmuoty  Hiltrdty  Liutgarty 
Gepuy  Gttntrdty  Helene  ^),  Der  Graf  von  Kilchberg :  Rosey  Gepe, 
HUdegarty  Geriy  Quote  y  Vroude ,  Anne  y  Ellin  y  Igely  Nese,  EngeU 
JJedelMlty  Beatey  Gtsely  Uote^  Diemuot,  Wilhy  Gozze,  Irmeliny  Kldrey 
Wwmey  Ite,  Minney  Tilije  y  Hezzey  Mezze,  Salmey  Katriny  Kristiny 
Berhtey  Liebe,  Adelgunty  Vitey  Guote,  Mijcy  Sufftey  Else,  Uedelsinty 
Sidraty  Kunegunty  Pridey  HeilwiCy  Hiltey  Luggey  Edellinty  HerburCy 
GfeUf  Salvety  Elidcy  HiUey  Juzzey  Hemmey  Fide.  (MSHag.  1,  25.) 
Im  16.  Jahrhunderte  tauchten  eine  Menge  alter  einheimi- 
scher  Namen  als  etwas  neues  und  gan^z  besonderes  wieder  auf, 
z.  B.  Rosemundy  Gotthulduy  TrutgartUy  Wisartay  Liebwarta  y  Frid- 
hrg,  Adellindtty  Adeltruty  Adelgundy  Mathildey  Gemtrut,  Ehrentruty 
Engeltrut  ^).  Heute  sind  die  meisten  der  alten  Namen  vergefzen 
oder  unverstandlich  geworden,  und  jene  unerschopfliche  Fiille  ist 
einer  sehr  grofzen  Diirre  gewichen.  Dem  Wolklange  der  alten 
Namen  konnen  sich  auch  die  entlehnten  nicht  vergleichen.  Auf 
die  Einfiirung  fremder  Frauennamen  wirkte  naturlich  zuerst  das 
Kristenthum  ein,  indem  fromme  und  angstliche  Gemiiter  die 
Benennungen  heiliger  Weiber  in  Bibel  und  Legenden  den  einheimi- 
schen  und  heidnischen  vorzogen.     Sp'ater  aufzerte   sich   die  Be- 


')  Engelhardt  Herrat  von  Landsberg  Hortus  deliciarum  p.  60.  vgl.  Taf.  1 2. 
*)  Benecke  385,  387,  395,  401,  452  ff.  MSH.  3,  2l8.  ')  Fischart  Gargantua 
cap.  10.  (Ausg.  von  1590.  S.  204). 


kaDntBchaft  mit  romanischer  und  keltischer  Poesie  auch  nach  die- 
ser  Bichtung  und  die  HeldiDnen  auslandischer  Sagen  und  Romane 
musten  ihre  Namen  deutschen  Tochtem  leihen.  So  konnen  die 
Eigennamen  ein  Hilfsmittel  auch  zur  Literaturgeschichte  werden. 
Ich  habe  mir  von  fremden  Frauennamen  angemerkt  aus  dem 
8.  Jahrhundert:  Adsonia^  Beata,  Elisabeth,  Eugenia,  Juliana,  Salvia, 
Sibylla;  aus  dem  9.:  Anna,  Benedicta,  Christina  und  Kristana, 
Elena,  Galilea,  Judith,  MarcelUna,  Osanna,  Regina,  Secundina,  /Si«- 
sanna;  aus  dem  10.:  Genia,  Leonora,  PetroniUa,  Regina,  Theuphanu; 
aus  dem  11.:  Jvdith  und  Regina;  aus  dem  12.:  Agatha,  Agnes^ 
Anastasia,  Benedicta,  Clementia,  Cristina,  Elena,  Elisabeth,  Eufemia, 
Judith  (sehr  haujSg),  Johanna,  Leticia,  Margaretha,  Maria,  OdHia, 
Sibilia,  Sophia,  Tiberia;  aus  dem  13.:  Ave  (vgL  Ohanna),  Benedicta^ 
Benigna,  Beata,  Beatrids,  Brigitta,  Catharina,  Clara,  Clenientia, 
Cristina,  Elide,  Elise,  Eufemia,  Fides,  Helene,  Isalda,  Imagina, 
Juliana,  Luday  Mabilia,  Margaretha,  Odilia,  Pelagia,  Petrissa,  Pe- 
tronilla,  Philippa,  Salome,  Salvet,  Sophia,  Stephanie,  Ursula,  Vita; 
aus  dem  14.:  Agnes,  Anna,  Brigita,  Caterin,  Christina,  Cecilia^ 
Elisabeth,  Sophia ^  Ursula;  aus  dem  IS.:  unter  andern  AmaJlia 
und  Barbara, 


Zweiter  Abschnitt 


Die  GSttlimen. 

-Llie  Namen  der  germanischen  Frauen  haben  una  manche 
Aafschliifze  liber  die  vorgeschichtlichen  Zustande  gegeben.  Wir 
wenden  una  nun  zu  einer  andem  Quelle,  der  Mythologie. 

Der  Unterschied  des  Lebens  von  Mannern  und  Frauen  tritt 
aach  in  den  Mythen  heraus.  Das  Leben  des  Glottes  ist  vielbe- 
wegt  und  vielumfafzend  und  kaum  dauert  einer  in  ungeschwach- 
ter  Bedeutung  alle  Zeitraume  der  theologischen  Entwickelung  durch. 
Die  Gottin  hat  etwas  ruhiges  und  bestandiges  in  sich;  sie  steht 
wie  eine  Ahnfrau  hinter  der  wogenden  Reihe  der  GK)tter  und  fast 
diirfen  wir,  wenigstens  fiir  eine  gewisse  Zeit,  nur  von  einer  ein- 
zigen  grofzen  GOttin  sprechen,  die  freilich  verschiedene  Namen 
trftgt.  Diefz  schliefzt  indefzen  die  reiche  Entwickelung  und  die 
Fortbildung  des  weiblichen  Gottergeschlechtes  nicht  aus.  Neben 
der  grofzen  Mutter  tauchen  eine  Menge  Tochter  auf  und  gerade 
die  zalreichen  abstracten  Bildungen  lieben  es  weibliche  Gestalt 
anzunemen. 

Wir  haben  zwei  germanische  Weltentstehungssagen.  Die 
eine  Jbiiipft  sich  an  den  Eiesen  Fmzr,  die  andere  an  den  Riesen 
Ndrvi  und  sie  geht  uns  naher  an.  Ndrvi^  wie  YnUr  eine  Meer- 
gottheit'),   hatte   eine  Tochter ,    die  Nacht  (Nott),  welche  ihrem 


0  Vgl.  Hanpts  Zeitachr.  fUr  deutsches  Alterthum  7»  29. 


26 

GemahleJlnar  die  Erde  (Jordh)  gebar,  Diese  ist  die  eigentliche 
aljumfafzende  Gottin  der  Germanen,  welche  von  der  Periode 
der  Riesendynastie  bis  zum  heutigen  Tage  unter  verschiedenen 
Namen  und  vielfach  gewandelt,  gelebt  hat.  Wie  konnte  das  auch 
anders  eein?  Vereinigt  doch  die  Erde  alles  eigenthamliche  des 
Weibes;  sie  ist  die  empfangende  und  gebarende  Kraft  der  Welt; 
Schutz  und  Narung  suchend  lehnt  sich  alles  lebende  an  sie  an ; 
8ch5n  und  anmutig  legt  sie  wie  das  Weib  Schniuck  an  sich  in 
Halmen,  Laub  und  Blumen  und  den  Silberbandern  der  Bache.  Die 
Jordh  ist  nach  der  jiingeren  Edda  die  Tochter  und  Gemahlin  des 
AUvaters  *^Odhin  und  dadurch  Mutter  des  Thorr,  Sobald  wir  unter 
^Odhin  die  Personifikation  der  durchdringenden  Weltkraft  verste- 
hen,  lafzt  sich  diese  Angabe  des  Mythenbuches  retten,  denn  die- 
sem  ^Odhin  kann  die  Erde  als  Gattin  verbunden  und  Thorr  ihm 
als  Sohn  zugeordnet  sein,  warend  der  ""Odhin  der  jiingeren  Zeit 
weder  zu  der  Erde  Gemahl  noch  zu  des  Donners  Vater  sich  eignet 
pie  Jordh  fiirt  auch  als  Tlwrs  Mutter  den  Namen  Fiurgyn.  In  die- 
ger  Gestalt  mochte  ihr  riesischer  Ursprung  mehr  hervortreten,  denn 
die  Gebirgsgottin  (fairguni)  mufste  rauher  und  Uberkraftiger  ge- 
bildet  sein,  als  die  Gottin  des  Fruchtlandes.  Wir  sehen  in  ^Odhins 
Gemahlin  auf  diese  Weise  eine  gleiche  Zweitheilung,  wie  in  Thors 
Gattin,  die  als  Jamfaxa  auf  die  riesische  Zeit,  als  S^f  auf  die 
spat  ere  Periode  der  geistigeren  Entwickelung  hinweist  0. 

Friihzeitig  erhoben  sich  neben  der  grofzen  Urgottin  Scharei 
untergeordneter  gottlicher  Weiber,  welche  die  wusten  Theile  de: 
Welt  belebten  und  das  poetische  Element  der  Mythen  fliifzig  er 
hielten.  Sie  dienten  tiberdiefz  dazu,  Krafte  und  Gedanken  darzu- 
stellen,  welche  ftir  eine  grofze  Gottin  theils  zu  fremd,  theils  zi 
gering  waren.  So  mochten  Iriih  die  Haufen  der  Eiesen weiber  dei 
Gebirges  sich  gebildet  haben,  die  noch  hier  und  da  in  der  Volks- 


*)  "Wie  Fiurgyn  an  die  lithauische  Mythologie  erinnert,  so  Sif  an  die  sla 
vische.  Der  slar.  Stamm'lyti?,  aus  dem  die  Begriffe  lehen^  naren,  sich  entwickeln 
ist  mit  dem  Namen  der  Si/  eng  verwandt ;  Sif  ist  Gretreide  —  gottin :  poln,  %yto 
bohm.  ^Vo,  bedeutet  Getreide,  altslav.  ItVa  allgemein  ysvvijfiata..  Die  slavisch* 
Gottbeit  Siva,  Zywie  oder  Ziwiena  regt  die  Vergleichung  mit  Sif  von   selbst  an 


sage  leben.  Sie  werden  gewonlich  iiberkraftig  und  ranh  geschil- 
dert  wie  die  Felsen,  die  sie  bauen ;  nicht  selten  aber  aucfa  schon 
und  mild.  Eine  besondere  Abtheilung  von  ihnen  scheinen  die 
Frauen  des  Eisenwaldes,  die  Jamvidhjur  zu  sein.  Der  Eiaenwald 
lag  ost warts  von  der  Gotterwonung ,  also  in  der  Riesen welt,  und 
seine  Bewonerinnen  galten  wenigstens  sp'ater  als  Feinde  der  Get- 
ter. Sie  zogen  die  Wolfe  auf,  welche  die  Sonne  verfolgen.  Mehr 
erfaren.  wir  iiber  sie  nicht.  Moglicherweise  lafzt  sich  eine  Sage 
aus  dem  schlesischen  Eulengebirge  hierher  beziehen,  welche  ich 
mittheilen  will, 

Es  war  einmal  ein  Junge,  der  hatete  auf  der  Eule  seine 
Etihe  und  da  kam  ein  Weib  zu  ihm,  das  ganz  hiibsch  und  vor- 
nem  gewcsen  ware,  wenn  es  nur  nicht  eine  Grasehocke  auf  dem 
Riicken  gehabt  hatte.  Das  Weib  war  zu  dem  Jungen  sehr  freund- 
lich  und  bat  ihn,  dafz  er  mit  ihr  gehe.  Aber  er  fiirch tete  sich  vor 
der  Frau  und  da  sie  gar  nicht  fortgiekg,  rifz  er  zuletzt  aus  und 
lief  was  er  konnte  hinunter  ins  Dorf.  Sein  Herr  war  aber  sehr 
bose  dafz  er  die  Eiihe  allein  gelafzen  hatte,  und  jagte  ihn  wieder 
fort.  Er  solle  zu  dem  Vieh  zuriick  und  wenn  das  Weib  noch  da 
sei,  moge  er  es  mit  der  Peitsche  forthauen.  Der  Junge  muste 
also  wieder  auf  die  Eule  hinauf  und  gliicklich  fand  er  seine  Eiihe 
wieder  und  das  Weib  war  fort.  Aber  etwas  anderes  sah  er  dort, 
was  er  noch  nicht  gesehen,  so  oft  er  auf  dem  Berge  gewesen  war. 
Da  war  ein  grofzer  Haufe  von  Steinen  aufgebaut,  die  dunkel 
wie  Eisen  aussahen;  und  als  er  hinein  in  die  Mauem  kam,  sah  er 
einen  Brunnen  und  eine  Laube.  Und  als  er  in  den  Brunnen  hin- 
absah,  kam  es  ihm  vor,  als  schwebe  ein  dunkles  Ding  iiber  dem 
Wafzer ,  das  einen  Kopf  von  Eisen  hatte ,  mit  blofzen  Lochem 
statt  der  Augen.  Und  wie  der  Junge  in  dem  Wafzer  mit  einem 
Stecken  riirte,  versank  das  Ding.  Da  gieng  er  in  die  Laube  und 
sah  hinunter  in  das  Land.  Aber  er  sollte  nicht  lange  ruhig  sitzen* 
Auf  einmal  fiihlt  er  etwas  hinter  sich  und  wie  er  sich  umdreht, 
guckt  ihm  das  Ding  mit  dem  eisernen  Eopfe  in  die  Augen  und 
rufl:  Wart  I  nun  habe  ich  dich  doch  noch  I    Und  da  nam  es  den 


28 

JuHgen  und  warf  ihn  den  Berg  hinuntery  dafz  er  sich  in  tausend 
Stiicke  zerschlug.    Das  Ding  war  aber  das  Buschweib  0* 

.Wir  mogen  uns  also  den  Eisenwald  wie  einen  Busch'mit 
eisemer  Umz9,unung  denken;  sind  doch  derartige  Umh^ungen 
gerade  den  Wonungen  dei*  Riesen  recht  eigenthtinilich.  Moglicher- 
weise  dachte  man  sich  die  Jamvidhjur  ahnlich  wie  diefz  Busch- 
weib, wie  Bertha,  wie  die  Roggenmdhme  ^),  mit  irgendeinem  Korper- 
theil  and  Eisen.  TMra  Gattin  Jarmaxa^  die  Eisenfelsige,  gehort 
iai  di0  Verwju^tschaft. 

Unter  den  Riesinnen  der  Berge  ist  Skadhi  die  bedeatendste, 
des  Thiassi  Tochter.     Ihr  Vater,  der  als  Gewitterriese  in  Thrym- 
Jieim  wpnte,   war   von  den  Gottem   erschlagen   und  der  Tochter 
kam   die  Blutrache    zu.     Gewaffiiet  gieng  sie   nach  Asgard  iund 
verlangte  Bufze,    die  ihr .  geleistet  ward.     Fiir   den  Vater  erhielt 
sie  eiiien  Gatten^     Allein    schon  iiber   die  Wal   des    Nidrdh   un- 
glucklich,   vermochte   sie  die  Ehe  nicht  gliicklicher   zu   machen* 
Skadhi  sente  sich  nach  ihren  Bergen  und  Nidrdh  wollte  nicht  vom 
Gestade  seines  Meeres  lafzen.     Endlich  einigten  sie  sich^  dafs  si^ 
drei  Monate  am  Meere,  neun  Monate  im  Gebirge  wonten.  -^  Wir 
haben  in  Skadhi  eine  Gottheit  der  Gebirgsbewoner  und  das  Bild 
einer  riistigen  nprdischen  Jungfrau,  wie  sie  gewandt  mit  Schlitt-*- 
Bchuh  und  Bogen  durch  die  Berge  und  iiber  die  Eisdecken  streift; 
Wie   ihr  eigentlicher  Name   war,   lafzt    sich   nicht  mehr  erraten, 
ebenso  ist  der  Kern  ihres  Wesens  etwas  dunkel  ').    In  der  r&stigen 
Jagerin,  als  die  sie  geschildert  wird,  erkennen  wir  die  GSttin  der 
Luft  Oder  des  Sturmes.     Jagd  und  Sturm  wurden  in  der  mythi- 
schen  Welt  fur  eins  gesetzt,  wie  die  Sage  vom  wilden  Jager  be- 
weist;   und   trotz  des  mannlichen,    das  in  dem  Sturme  sich  aus- 
driickt,  finden  wir  doch  eine  Anzahl  weiblicher  Wesen  der  Luft 


*)  Ich  habe  die  Sage  getreu  wieder  gegeben  wie  sie  mir  erzalt  wnrde,  ob- 
schon  ich  an  manchen  Stellen  der  Ueberlieferung  nicht  traue,  die  iibrigens  ana 
dem  Volke  selbst  ist.  *)  Vgl.  Grimm  d.  Myth.  255.  f.  445.  »)  Wir  diirften 
nicht  falsch  raien,  wenn  wir  Skadhi  sammt  ihrem  Vater  Thiassi  fur  Grottheitei 
haltcn,  welche  aus  den  benachbarten  tinnischen  Volkem  (namentlich  den  Skridafinnen] 
von  den  Norwegem  und  Schweden  aufgenommen  wurden. 


29 


Neben  Wodah  tritt  Fricke  als  SturmgOttin  auf,  neben  dem  WincT 
eine  Wiiidsbraut  oder  eine  Frau  Windin,  welche  die  schle-^ 
sische  Volksuberlieferung  hef tiger  als  den  Gemahl  nennt.  Daa 
Schneewetter  ist  in  den  T5chtem  Konigs  Schnee,  Fdnn^  Drifa 
und  MiSU  versinnlicht ,  welche  durch  ihren  Grofzvater  Jdkull 
(Gletscher)  zum  Geschlechte  dee  alten  Luftriesen  Kari  gehCren. 

Wir  konnen  zweifeln,  ob  die  Herrschaft  der  Fricke  fiber  die 
Luft  ihr  steta  zugehOrte^  oder  ob  sie  ihr  nicht  erst  durch  ihre 
Verbindung  mit  Wodan  zugetheilt  ward.  Ich  mochte  mich  ftir 
letzteres  entscheiden,  da  ich  sie  und  Jdrdh  fur  eins  hake.  —  Sehen 
wir  die  Erdgottin  sich  hier  in  die  Hohe  strecken,  so  finden  wir 
sie  in  Hel  sich  in  die  Tiefe  versenken.  ffel,  die  helende  bergende 
GOttin,  ist  halb  schwarz,  halb  weifz;  ihre  weiten  Hallen  liegen 
nordwarts  der  bewonten  Welt  hinter  tiefen  und  dunkeln  Thalem. 
Mit  ^Odhin^  Thor,  Freya  und  jRaw  theilt  sie  sich  in  die  Sterben-* 
den  und  zwar  fallen  ihr  alle  siechtoten  zu.  Sie  fallt  urspriinglich 
gewiss  mit  der  Erdgottin  zusammen,  welche  als  Unterweltsgott- 
heit,  als  die  helende,  den  Namen  Hel  empfieng.  So  erklart  sich 
auch  die  Zweifarbigkeit,  da  die  Erde  die  lichte  Oberwelt  und  die 
schwarze  Unterwelt  zugleich  umfafzt.  Die  durch  Hel  bezeichnete 
Eigenschaft  der  Jdrdh  loste  sich  nun  allgemach  von  ihr  ab  und 
die  neue  Gestalt  kam  an  das  Geschlecht  LohUy  der  als  Todesgott 
for  sie  der  beste  Vater  ward.  TodesgOttin  kOnnen  wir  Hel  nicht 
nennen,  so  fern  wir  darin  etwas  actives,  das  Amt  des  Totens, 
begreifen;  sie  ist  passiv,  sie  ist  Totengottin,  in  ihren  Schoofz 
kert  das  Leben  zur&ck.  Wie  die  Jdrdh  in  spaterer  Zeit  aus- 
schliefzlich  das  grune  heitre  Erdenleben  vertrat,  so  Hel  das  bleiche 
and  traurige. 

Der  Karakter  des  Landes  bestimmt  den  Karakter  der  Lan- 
desgotter.  Der  Gebirgsbewoner,  der  Kfistenlandler  bildet  seine 
Gottheiten  anders,  als  der  im  Binnenlande  sitzt.  Nur  bei  diesem 
i8t  die  Erdgottin  rein  als  solche  gefafzt;  im  Gebirge  wird  sie  zur 
Fcdrguniy  am  Meere  zu  Nerthus.  Der  Name  schon  beweist, 
dafz  Nerthvs   von  den  Stammen,    welche  sie    vererteu,    als  eine 


80 

Meiergotthelt  erfafzt  ward  ') ;  die  Eigenschaften,  die  ihr  als  solcfter 
zugeschrieben  wurden,  stellten  sie  aber  als  die  gebarende  Welt- 
kraft  gleich  der  Gottin  dee  Fruchtlandes  dar  und  Tacitus  konnte 
sie  daher  eine  Terra  mater  nennen  (germ.  c.  40),  Nerthics  hat 
einen  gleichnamigen  Bruder,  der  bei  den  Ingdvonen  freilich  nicht 
mehr  aufzuspiiren  ist,  dafQr  aber  in  Schweden  als  Nidrdhr  anf- 
tritt,  neben  dem  die  Sch wester  bis  zur  Namenlosigkeit  in  den 
Schatten  trat  *).  Die  Kinder  aus  ihrer  Geschwisterehe  sind  Freyr 
und  Freya^  mit  hochdeutschen  Namen  Fro  und  Frouwa^  die  nichts 
aJs  Wiedergeburten  des  allmalich  verdunkelten  Nerthuspaares 
scheinen  3).  Das  gottliche  Geschlecht  der  Wanen  hat  sich  also 
in  diefz  Paar  zusammengedrangt,  defzen  Ahnen  bis  auf  Ing  v5llig 
verschwunden  sind.  Wir  k5nnen  sie  kurz  auf  diese  Weise  schil- 
dern.  Als  leuchtende  Gottheiten  (d.  i.  als  Warien)  steigen  sie 
von  Osten  her  aus  dem  vaterlichen  Hause  des  Meeres  und  sen- 
den  die  Gestirne  den  Himmel  hinauf*  Sonnenschein  und  Regen 
sind  ihnen  unterthan ,  und  wo  sie  nahen ,  trieft  auf  Land  und 
Menschen  Segen.  Freundlich  und  schon,  zeugend  und  zeitigend, 
flind  sie  die  Gutter  der  Liebe  und  Ehe.  Frauas  Name  gieng  auf 
das  ganze  Geschlecht  der  Weiber  uber.  Der  WafzergOtter  Weis- 
heit  ist  auch  bei  ihnen  ausgebildet  und  der  Weisheit  ist  die  Macht 
verbunden.  Die  Grausamkeit,  welche  den  unteren  Wafzergeistem 
beigelegt  wird,  erscheint  bei  ihnen  veredelt  als  Tapferkeit.  Da- 
rum  sehen  wir  Fro  (Fred  Freyr)  als  Schlachtenfftrer  ffolkvaldi),  und 
auch  Freya  reitet  auf  das  WaKeld.  Beider  heiliges  Ebenbild  glanzt 
aber  auf  den  Helmen  der  Helden.  Dafz  Freya  auch  Totengottin  ist, 
erklart  sich  aus  ihrem  allumfafzenden  Wesen,  denn  Nerthus  ist 
Meer-  und  Erdgottheit.  Es  ist  diefz  ein  Beweis  fur  unsere  An- 
name  der  ursprunglichen  Einheit  von  Jdrdh  und  HeL  Das  Ueberwie- 
gen  des  weiblichen  Theils  in  den  Wanen  ist  Cibrigens  beachtenswert. 
Freya,  welche  ftberhaupt  die  bedeutendste  GOttin  des  skandinav. 
Glaubens  ist,  iiberragt  den  Freyr  unbedingt;  neben  Nerthus  tritt 
nicht  einmal  der  Bruder  hervor. 


')  Haupts  Zeitschr.  6,  460.       «)  Saem.  65."       •)  Vgl.  Mullenhoff  bei  Schmidt 
Zeitschr.  f.  Gesch.  8,  225—240. 


81 

Das  freundliche  und  milde,  das  sich  in  dieser  Meergoftheit 
aussprichty   ist   andem  Wafzergottinnen  fern.    In   ihnen   ist  das 
kalte,  rauberische   und   vemichtende  des  Elementes   ausgedr&ckt 
und  sie  werden  darum  dem  IKesengeschlechte  zugetheilt.     Merk- 
wiirdig  ist,    dafz  die   mannlichen  Meergeister  im  Ganzen   milder 
erscheinen,     Warend  der  alte  Aegir^  der   Meerriese,  zu  dem  Got- 
tergeschlechte  in  freundliche  Beziehungen  getreten  ist,   steht    sein 
Weib  Ran.  fremder  und  unheimlicher  da.     Eauberisch   fischt  sie 
mit  ihrem  Netze  die  ertrinkenden  Menschen  zu   sich.     Eine  ihrer 
Tochter,  BlSdtighadda,  die  blutig  beschleierte ,  scheint  die  Portbil- 
dung    der    Mutter     in    dieser    morderischen    Eigenschaft.      Die 
Zahl  dieser  Tochter  Aeffis  und   Hans  ist   die  heilige  Neun;    sie 
heifz^i  Himinglcefay   Dufa^  Blodhughadda^  Hefring^   Vdhr^  Hrdnn^ 
Sylgjay   Bdra  *)  und  Kolga.    Verschieden   von  ihnen   sind  neun 
andere  riesische   Meermadchen,    die   Mutter  Heimdhalls:     Gicdp^ 
Greipy  Elgjoy  Angeyja,  Ulfrun^  Orgiafa^  SindhVy  Ada  und  Jamfaxa^ 
deren  Namen  uns  zum  Theil  an  Rdns  Wesen  erinnern  und  zeigen 
wie  die  germanischen  Nereiden   nicht   als  lieblich  scherzende   und 
kosende  Madchen ,   sondem  wie  rauberische,   gierige  und  angsti- 
gende  Weiber  gefafzt  wurden.     Die  neun  TOchter  Nidrdha   wer- 
den uns  nicht  bei  Namen  genannt. 

Ebenfalls  Meergottinnen  riesischer  Abkunft,  aber  durch  eine 
eigenthOmliche  Fortbildung  von  den  eben  erwahnten  verschieden, 
rind  die  Norn  en  ^).  Die  dunkle  Tiefe  des  Meeres  erschien  dem 
Mjthen  bildenden  Sinne  als  die  Schatzgrube  aller  korperlichen 
undgeistigen  Kraft;  darum  wurden  die  Wafzergottheiten  als  reich 
und  zeugungskraftig,  aber  auch  als  weise  gedacht.  Vor  allem 
muste  sich  jedoch  die  Weisheit  und  Weifzagung  in  den  weiblichen 
Meergeistem  herausbilden,  bei  welchen  die  prophetische  Begabung 
des  weibUchen  Geschlechtes  noch  steigemd  hinzutrat.  Die  Vertre- 
tung  dieser  Seite  war  den  Nomen  Qbertragen,  in  denen  der  alte  ele- 
mentare  Grund  vollig  ins  Vergefzen  geriet.  Der  beste  Beweis  dafur 
sind  ihre  (spateren)  Namen,   Urdhr  (WurtL   Vyrd)   Verdandi  und 

')  Ffir  sie  wird  anch  Drdfn  genannt         ')  Ueber  den  Stamm  des  Namens 
▼gL  meine  Ansicht  bei  Haupt  Z.  f.  d.  A.  6,  460. 


88 

Skuld^  wonach  sie  VerkOrperungen  des  Gewordenen  oder  Gesche-. 
henen,  des  Werdenden  oder  Seienden  und  des  SeinsoUenden  oder 
Zuktoftigen  sind*  Das  Wifzen  und  Konnen  ward  in  ihnen  ver- 
eint  gedacht  und  indem  sie  als  die  wifzenden  der  dreifach  ge- 
theilten  Zeit  genommen  wurden,  erschienen  sie  als  die  Machte  der 
Zeity  als  das  Schicksal. 

Man  mufz  die  riesische  Herkunft  der  Nomen  hervorheben. 
Einestheils  steigert  dieselbe  noch  ihr  reiches  Wifzen,  denn  die 
Kiesen  als  die  vielerfarenen  und  alten  galten  wenn  nicht  ftir  weise, 
so  doch  far  wifzend;  andemtheils  treten  sie  hierdurch  in  eine 
heilige  dunkle  Feme  und  ragen  bedeutend  hinter  dem  jtingeren 
Gottergeschlechte  hervor.  Gedankenlose  Abweichung  der  jiingeren 
Zeit  jst  es,  diesen  TJrsprung  nicht  nur  zu  vergefzen,  sondem  nun- 
mehr  Nomen  aus  den  Arisen^  JElben  und  Zwergen  aiizunemen.  Da- 
mit  trat  auch  eine  Menge  von  Nomen  an  die  Stelle  jener  bedeu- 
tungsvollen  drei;  die  hohe  Gottlichkeit  der  Schicksaisjungfrauen 
ward  gefardet  und  der  Uebergang  zu  den  weisen  Frauen  und 
Weifzagerinnen  vorbereitet. 

Die  Nomen  wonten  nach  der  Erzalung  der  Edda  unter  dei^ 
dritten  Wurzel  des  Weltbaumes.  Dort  ist  ein  Brunnen  mit 
Schwanen,  und  taglich  begiefzen  die  Jungfrauen  die  Esche  mit  der 
heiligen  Flut,  damit  sie  nicht  faule.  Dort  halten  die  GOtter  taglich 
Gericht,  und  der  Nomen  Amt  mufz  sie  dabei  f&rdem,  das  auch 
ein  richtendes  ist,  wenn  gleich  ein  vorausrichtendes.  Die  Jimg- 
frauen  setzen  die  Gesetze,  weisen  Recht  und  schafien  Leben  und 
Tod.  Entweder  sitzen  sie  dabei  auf  richterlichem  und  propheti- 
schem  Stuhle  und  schreiben  und  ritzen  die  Runen,  oder  sie  weben 
und  kniipfen  die  Schicksalsfaden  (drldgthdttir).  Ist  ein  Mensch 
geboren,  dann  nahen  die  Nomen  und  bestimmen  dem  Kinde  Gliick 
oder  Ungliick  ') ,  je  nachdem  sie  die  Faden  nach  Ost  und  West 
oder  nach  Nord    spaunen.      Die    Verschiedenheit  des    Geschicks 


')  Thoer  lif  kuru  alda  bSmum.  —  Baierische  und  Tyroler  Volkssagen  er- 
innem  noch  heute  an  diefz  Seilspannen  der  Noinen.  Vgl.  Panzer  Beitrag  zur  deut- 
schen  Mythologie.  Miinchen  1848.  S.  1.  ff.  Diese  und  andere  Volkssagen  biirgcn 
daTur,  dafz  die  Nornen  nicht  blofs  skandinavische  Gestalten  waren. 


33 


liefz  denn  bald  einen  Dualismus  unter  den  Nomen  hervortreten, 
und  zwar  ward  eeltsamer  Weise  die  jiingste,  die  Nome  der  Zu- 
kuoft,  als  die  bose  gedacht.  Die  Volkssage  deutet  eehon  dutch 
ihr  schwarzes  oder  schwarzweifzes  Aeufzere  diesen  schlimmen 
Sinn  an.  Indem  sich  das  Geschick  im  Kriege  am  gewaltigsten 
offenbart,  wurden  die  Nomen  auch  zur  Schlacht  in  Beziehung  ge- 
bracht  (Saeea.  164)  und  ihnen  Hunde,  die  Thiere  des  Walfeldes, 
zur  Begleitung  gegeben  ^Saem,  273).  Sie  beriiren  sich  hier  niit 
den  Walkurien^  an  welche  schon  die  Schwane  in  ihrem  Brunnen 
erinnerten. 

Wir  stehen  hier  bereits  bei  dem  bedeutenden  Wendepunkte,  wo 
das  ethische  Element  im  Glauben  der  Germanen  iiber  da»  phy- 
eische  den  Sieg  gewinnt.  Der  Mensch  machte  sich  jetzt  von  der 
Uebergewalt  'der  Natur  freier  und  erkannte  sein  Inneres  als  eine 
wesentliche  Macht;  er  stellte  den  Mut,  die  Liebe,  die  Klugheit 
und  Schlauheit,  die.Giite  und  die  Vemichtimgssucht  neben  das 
immerwache  Meer,  neben  das  Gewitter,  das  zermalmt  und  be- 
fhichtet,  neben  die  unermudliche  Erdkraft.  Soil  ten  jedoch  diese 
Begriflfe,  die  jetzt  in  gottliche  Gestalt  gebracht  wurden,  nicht 
blofze  Begriffe  bleiben,  sondem  poetisch  und  markig  auftreten, 
80  durften  sie  von  den  Gottern  friiherer  Zeit  sich  nicht  vollig 
ficheideuy  sondern  musten  sich  mit  ihnen  verbinden  und  moglichst 
verschmelzen.  Die  alten  elementaren  Gottheiten  musten  zu  Tra- 
gem  der  ethischen  Begriffe  gemacht  werden. 

Das  geistig  und  gemiitlich  rege  der  weiblichen  Art,  das  in 
den  alten  Frauennamen  friih  bezeugt  ist,  machte  die  Gottinnen 
namentlich  befahigt,  die  geistigere  Richtung  der  Welt-  und  Gottes- 
anschauung  auszudriicken.  Sobald  sich  also  der  Gedanke  des 
Schicksals  fest  bildete,  musten  Gottinnen  vor  den  Mannern  zur 
Hut  und  Pflege  desselben  geeignet  erscheinen,  denn  zu  dem  wei- 
8en  kam  noch  das  mutterlich  fursagende,  das  im  Bestimmen  des 
Lebens  liegt.  Wie  batten  Manner  mit  solchem  Amte  betraut  wer- 
den konnen,  wie  darf  man  an  mannliche  Noi'nen  den  ken  ? 

Es  ist  ein  schoner  und  freundlicher  Zug  der  deutschen 
Mythen,  daiz  die  groi'zen  Gottinnen  zugieich  als  Mutter  der  Men* 

3 


fichen  gedacht  werden.  Schon  in  Tacitus  Bericht  von  Nerthuff 
Bteht  ihre  sorgende  Theilname  an  den  Angelegenheiten  der  Men- 
8chen  hell  im  Vordergrunde,  und  die  deutschen  Volkssagen  Hefem 
bis  heute  fortlaufende  Belege  zu  den  Worten  des  Romers.  Die 
deutschen  Stamme  sind  dabei  vor  den  naheverwandten  skandina- 
vischen  ofFenbar  im  Vorzug,  wie  denn  ihre  Gottheiten  ini  Ganzen 
milder  scheinen  als  die  der  Nordgermanen.  Frigg  und  Freya  sorgen 
wol  auch  fiir  die  Menschen  und  nemen  Theil  an  ihrem  Leid  und 
Freud,  allein  die  deutschen  Gottinnen  greifen  noch  naher  in  das 
hausliche  Treiben ;  sie  sind  heimliche  Herdgottinnen,  warend  jene 
in  den  Wolken,  in  Wald  und  Feld  bleiben. 

Diefz  miitterliche  Wesen  muste  vor  allem  in  der  uralten  gro- 
fzen  Erd-  oder  Weltgottin  sich  ausbilden,  deren  riesische  Art  da- 
durch  vollig  zuriickgedrangt  ward.  Sie  drang  hiemit  so  tief  in 
das  liebste  Heiligthum  des  Volkes,  dafz  diefz  auch  dann  nicht  von 
ihr  liefz,  als  es  dem  Kristengotte  die  Kirchen  gebaut  hatte,  ja 
dafz  es  jetzt  nach  mehr  als  tausend  Jahren  der  Bekerung  noch 
an  der  alten  heidnischen  Erdmutter  hangt.  Die  Volkssage  quillt 
hier  so  rein  und  voU,  dafz  wir  ihre  Erzalung  zur  Zeichnung  der 
Gottin  in  alter  Zeit  benutzen  konnen.  Die  Erdgottin  fiirte  in 
Deutschland  bei  den  verschiedenen  Stammen  verschiedene  Na- 
men,  deren  Eeihe  in  der  heutigen  Vertheilung  also  von  Norden 
nach  SUd  lautet  *) :  In  Meklenburg,  in  Pommerschen  Landstrichen, 
in  der  Priegnitz  und  nordlichen  Altmark  und  an  der  Mittel-Elbe  bis 
an  den  Harz  heifzt  sie  Frau  Gode^  in  der  nordl.  Uckermark  und 
in  einzelnen  Orten  am  Oberharz  Frau  Frick,  in  der  siidl.  Ucker- 
mark, im  Havellande  und  der  Grafschaft  Ruppin  Frau  Herksy  in 
Thiiringen  und  Hefzen,  in  einzelnen  Gegenden  Westfalens,  Fran- 
kens  und  Schlesiens  Frau  HoUe^  sudlicher  Frau  Berchta.  Von  die- 
sen  Namen  sind  Frick ,  Holle  und  Berchta  (Fruxy  Holda^  Berhta) 
blofze  Zunamen,  die  jedoch  zur  Selbststandigkeit  als  Eigennamen 
gelangten;    sie  bezeichnen  das  freie,  freuudliche  und  heitere  der 


*)  Wir  verdanken  die  genanen  Angaben  iiber  die  norddeutsche  mytholog. 
Geografie  dem  unermudlicheh  und  gliicklichen  Sagenforscher  Dr.  Adalbert  Kuhn. 
Vgh  Kuhn  und  Schwarz,  Norddeutsche  Sagen.  Leipzig  1848.  S.  412  ff. 


S5 


tofitterlichen  Gottheit.  Grade  und  Herhe  sind  dagegen  fester.  Das 
eretere  Wort  deiitet  auf  Wodan  (Gwodan^  Wode)  und  zeigt  dem- 
nach  die  ErdgOttin  als  Frau  des  durchdringenden  HImmelsgottes. 
Herke  lafzt  sich  schwerer  deuten.  Die  Form  .Hera,  welche  dane- 
ben  erscheint,  zeigt,  dafz  Herke  diminutiv  ist  *).  Das  einfache 
Wort  mSchte  mit  ero,  Erde,  verwandt  sein  und  uns  den  alten 
echtdeutschen  Namen  unserer  grofzen  Gottin  bieten.  Doch  ist  diese 
Deutung  nicht  sicher. 

Was  die  Sage  in  anmutiger  Art  und  mit  kleiner  Abwechse- 
lung  von  diesem  heiligem  Wesen  durch  das  ganze  deutsche  Land 
erzahit,  lafzt  sich  in  folgendes  zusammenfafzen : 

Die  GSttin  ist  eine  hohe  hehre  Frau ,  eine  sorgsame  und 
strenge  Lenkerin  grofzen  Haus-  und  Hofwesens.  Sie  zeigt  sich 
dem  Menschen  am  uftersten  um  die  zwolf  Nachte  zwischen  Weih- 
nachten  und  Dreikonigstag  (Berchtentag).  Da  halt  sie  ihren 
Umzug  durch  das  Land,  und  wo  sie  naht,  ist  den  Feldern  Se- 
gen  ftir  das  kfinftige  Jahr  gewifz.  Darum  wird  ihr  auch  bei  der 
Ernte  ein  Dankopfer  gebracht;  ein  Halmbtischel  wird  nicht  abge- 
m'aht,  sondern  geschmiickt  nnd  unter  Gebrauchen  der  Frau  Gode 
geweiht.  Bei  dem  Zwolftenumzuge  sieht  sie  nach,  ob  das  Acker- 
ger'at  an  gehoriger  Stelle  sich  befinde,  und  wehe  dem  Knechte 
der  nachlafzig  wan  Am  aufmerksamsten  ist  sie  aber  fiir  Flachs- 
bau  und  das  Spinnen.  Sie  tritt  in  die  Spinnstuben  oder  schaut 
durch  das  Fenster  und  wirft  eine  Zahl  Spulen  hinein,  die  rasch  ab- 
gesponnen  werden  sollen.  Fleifzige  Spinnerinnen  beschenkt  sie 
mit  schonem  Flachse,  faulen  verdirbt  sie  den  Eocken.  Zu  Fas- 
nacht  mufz  alles  abgesponnen  sein,  und  dann  ruht  sie  von  ihren 
Wanderungen.  Ihren  Umzug  halt  sie  auf  einem  Wagen  oder  mit 
einem  Pfluge.  Jener  bezeichnet  sie  als  Gottheit  ersten  Ranges, 
dieser  zeigt  sie  als  Feldgottin.  Bei  ihren  Festen  ward  der  Umzug 
mit  dem  Pfluge  dargestellt  (Myth.  242)  oder  es  trat,  seltsam 
genug  fiir  Binnenlander ,    an    seine  Stelle  ein  Schifl;     Wir  sehen 


')  Herka  lafzt  sich  daher  nicht  mit  der  Riesin  Eerkja  (Sn.  210,  ein  Riese 
^«*it>  Sn.  2u9)  zusammenstellen.  Herkja  scheint  Personifikation  der  H&rte. 

3* 


36 


hier  das  allumfafzende  Wesen  dieser  hohen  Gottin  hell  heraue- 
leuchten;  Wagen,  Pflug  und  ScbifF  sind  Symbole  der  einen  gro- 
fzen  miitterlichen  Weltgottheit.  Unverheiratete  Madchen  wurden 
bei  jener  Feier  gezwungen,  den  Pflug  der  Gottin  zu  Ziehen,  eine 
Strafe  fiir  die  Ehelosigkeit,  denn  die  mi\tterliche  Gottin  begiinstigt 
die  Ehe.  So  war  auch  Freya  Gottin  der  Liebe  und  Ehe,  und 
eie  und  Frigg  stun  den  Gebarenden  bei.  HoUe  und  Berchte  er- 
scheinen  gleicherweise  als  Hegerinnen  des  Kindersegens.  Hoik 
birgt  in  ihrem  Teiche  die  ungebomen  Kinder.  Die  schlesische 
Spillaholle  nimmt  die  faulen  Kinder  mit  sich  in  ihren  Brunnen 
und  bringt  sie  neugeboren  kinderlosen  El  tern  zu.  Von  Berchta 
mag  ahnliches  erzalt  worden  sein;  wenigstens  ziehen  in  ihrem 
Gefolge  die  Seelen  der  ungetauft  verstorbenen  Kinder.  Nach  an- 
dern  Sagen  umgeben  sie  die  Heiinchen  oder  Elben,  die  wir  we- 
nigstens zum  Theil  als  die  Seelen  der  Toten  (marutds)  zu  den- 
ken  haben.  In  Frau  Herkes  Berge  wohnen  die  Unterirdischen 
und  auch  die  schwedische  Hulda  oder  Iluldre  erscheint  in  elbi- 
ficher  Umgebung. 

Die  Gotter,  um  welche  sich  dje  Elben  scharen,  jagen  in 
nachtlicher  Weile  mit  Weidruf  iiber  die  Lander.  Das  ist  die 
wilde  Jagd,  die  Nachtjagd,  an  deren  Spitze  Wodan  auf  achtfufzi- 
gem  Grauschimmel  sprengt.  Die  Sage  erzalt  aber  auch  von  einer 
wilden  Jagerin  und  abermals  treten  uns  Gode^  Frick  und  HoUe 
entgegen.  In  romanischen  Landschaften  erz'alte  das  Volk  gleiches 
von  Herodiaa  (Pharcdldis)  und  Diana^  welche  beide  nach  Deutsch- 
land  hinuberspielen,  aber  keine  recht  volksthiimliche  Stellung  ge- 
wonnen  zu  haben  scheinen. 

Die  grofze  Gottin,  welche  in  Erde,  Wafzer  und  Luft  ihr 
Keich  hatte,  war  damit  zur  Jahrzeitgottheit  berufen.  Der  Umzug 
der  vielnamigen  in  den  zwolf  Nachten  weist  darauf  hin,  dafz  ihr 
zur  Zeit  der  Wintersonnenwende,  gleich  dem  Wodan  und  FrOf  ein 
grofzes  Fest  gefeiert  worden  ist.  Solche  Feste  waren  ein  Zeug- 
niss  des  lebendigen  Natursinnes  unseres  Alterthumes  und  brach- 
ten  eine  schone  poetische  Eintheilung  in  den  Kreislauf  der  Zeit. 
Noch  heute  in  den  dQrren  Tagen  zucken  einige  Stralen  der  hei- 


S7 


ligen  Gebrauche  nach,  welche  zur  Zeit  des  Mitwintere  und  Mit-. 
sommers ,  zum  Lenz  und  zum  Herbst  begangen  wurden.  —  Ftir 
den  Aufgang  der  Sommerzeit  batten  wenigstens  die  sachsischen 
und  die  oberdeutschen  Stamme  eine  besondere  Gottin,  die  ^Ostara 
(angels.  Edstre),  deren  Name  noch  heute  in  dem  Feste  der  Auf- 
erstehung  Kristi  erhalten  ist,  zum  Zeugniss,  wie  tief  diese  Gott- 
heit  in  das  Gemut  des  deutschen  Volkes  eingedrungen  war,  Ihi^ 
Tag  wurde  mit  Freudenfeuem ,  Spiel  und  Tanz  begangen  und 
ihr  Blumenstraufze  zum  Opfer  gebracht.  Auch  Quellen  scheinen 
ihr  heilig  gewesen  zu  sein  ').  In  welcher  Beziehung  sie  zu  der 
grofzen  Erdgottin  stund,  lafzt  sich  nicht  deutlich  erkennen. 

Unser  Streben  gieng  bisher  darauf,  die  mannichfachen  Er- 
scheinungen  weiblicher  Gottheiten  so  viel  als  thunlich  in  eine 
einzige  Gestalt  zusammenzudrangen.  AUein  dieser  Versuch  mufz 
seine  Grenzen  haben,  wie  uberhaupt  bei  mythologischen  Unter- 
Buchungen  das  starre  Festhalten  an  einer  Richtung  verderblich 
wird.  Wir  darfen  durchaus  nicht  verkennen,  dafz  sich  zwei 
Schichten,  hohere  und  untere  Gottheiten,  streng  unterscheiden, 
und  dafs  bei  den  niederen  die  Vielheit  der  Gestalten  notwendig 
ist.  Sobald  die  Nomen  nicht  mehr  als  Macht  gefafzt  wurden, 
welche  iiber  den  Gottem  steht,  nicht  mehr  als  das  Schicksal  in 
voller  Grofze,  sondern  als  Wesen,  welche  fast  aufzer  gottlicher 
Verbindung,  nur  auf  die  Menschen  Einflufz  tiben,  so  war  der  enge 
teilige  Kreis  gesprengt  und  eine  Fiille  von  Gestalten  besetzte  not- 
wendig den  Raum.  Ueber  die  Elemente  herrschte  eine  Zahl  ho* 
her  Gottheiten ;  in  Luft,  Wafzer,  Feuer,  in  Wald,  Berg  und  Erde 
lebte  aber  aufzerdem  eine  zahllose  Schar  gottlicher  Wesen,  welche 
jenen  hohen  als  dienende  und  helfende  Geister  zur  Seite  stunden 
und  den  Gotterstat  voUendeten.  Grade  in  diesen  Untergotthei* 
ten  liegt  die  Poesie  des  Polytheismus  und  das  trauliche,  zum  Ge- 
miit  sprechende,  gegen  welches  das  Kristenthum  selbst  in  seiner 
polytheisirenden  Gestalt  einen  schweren  Kampf  schlug.  Hier  war 
nun  auch  eine  neue  Gelegenheit   zur  Verherrlichung   der  Frauen 


0  J.  Grimm  Myth.  52.  552. 


38 

gegeben.  In  den  hohen  Guttinnen  iiberwog  das  gewaltige  tiber 
das  liebliche,  das  strenge  uber  das  milde.  Jetzt  trat  aber  die 
zarte  Macht  jugendlichen  Liebreizes  mit  dem  Verlangen  der  Ver- 
gottlichung  auf,  und  es  ward  ihm  mit  Schonheitssinn  und  Ge- 
mlitestiefe  Geniige  geleistet. 

Vorhin  ward  erwahnt,  dafz  in  dem  Brunnen  der  Nomen 
Schwane  lebten.  Diese  VCgel  erschienen  der  germanischen  Phan-» 
tasie  bedeutend  und  poetisch,  so  dafz  sie  tief  in  die  Sagenwelt 
eingefiirt  wurden.  Wenn  der  Schwan  mit  dem  schlanken  weifzen 
Leibe  langsam  und  stolz  und  stumm  durch  die  dunkeln  Wald- 
wafzer  schwebte,  wenn  er  dann  plotzlich  sich  zur  blauen  Luft 
aufschwang  und  dem  verwunderten  Auge  rasch  verschwand,  so 
erschien  er  einem  verkorperten  Geheimnisse  gleich.  Es  lag  fiir 
eine  poetische  Naturbetrachtung  so  nahe,  schone  Jungfrauen  und 
die  Schwane  zu  vergleichen,  dafz  wir  nicht  blofz  in  der  germani- 
schen Welt  diefz  vollzogen  finden.  Es  bildeten  sich  Sagen  von 
den  Schwan  jungfrauen  aus,  von  gOttlichen  Luft-  und  Wafzer- 
m3;dchen,  welche  zeitweilig  in  Schwanenleiber  schliipfen  und  Luft 
und  Waldseen  anmutig  beleben.  Sie  beriiren  sich  mehrfach  mit 
den  Nomen^  von  denen  wir  auch  sagen  diirfen,  ohne  dafz  es  be- 
Bonders  bezeugt  wiirde,  dafz  sie  zuweilen  die  Gestalt  der  ihnen 
heiligen  Schwane  annamen.  Bei  den  Nomen  war  ihre  alte  ele- 
mentare  Bedeutung  fast  ganz  verschwunden ,  bei  den  Schwan- 
jungfrauen  ist  dieselbe  wenigstens  im  Norden  durch  ihre  ethische 
sehr  zuruckgeschoben.  Die  Namen,  die  sie  hier  fiiren,  Valki/riur, 
(Walkieserinnen),  Valmeyiar  (Schlachtm^dchen),  heben  diese  iiber* 
wiegend  gewordene  Richtung  ihres  Wesens  auf  Schlachten,  Tod 
und  Schicksal  bestimmt  hervor.  Lidessen  ist  die  altere  Natur- 
bedeutung  dieser  Wesen  nicht  ganz  verhiillt.  Wenn  geschildert 
wird ,  wie  sie  von  Blitzen  umzuckt  durch  die  Ltlfte  jagen ,  wie 
von  den  Manen  ihrer  Rosse  Thau  in  die  Thaler  traufelt,  und  uin 
die  Schildburgen ,  in  denen  sie  ruhen,  Loderfeuer  kreist;  wer 
mochte  da  nicht  das  Bild  der  sturmgetriebenen ,  blitzumspielten 
weifzen  Wolken  sehen?  Die  Walktirien  waren  zunachst  LuftgOt-* 
tinen ,    worauf  auch  die  Namen  zweier  von  ihnen ,    Mist  (Nebel) 


S9 

ond  Kara^)  hindeuten*  Auf  Grund  dieses  elementaren  Wesens 
erhielten  sie  bald  die  weitere  Ausstattung;  denn  der  Sturm  er- 
scfaien  wie  eine  Jagd,  Jagd  und  Krieg  fielen  aber  zusammen.  So 
erbalten  die  Schwanjungfrauen  die  Aufgabe  in  den  Schlachten 
liber  Tod  und  Leben  der  Kampfenden  zu  walten  und  die  blutige 
Emte  dee  Walfeldes  zu  kiesen;  sie  treten,  wie  vielleicht  schon 
firuher  in  Verbindung  mit  dem  luftdurchdringenden  Wodan,  nun 
vollig  in  das  Gefolge  des  Schlacht-  und  Heergottes*  Ehe  die 
Schlaeht  beginnt,  gibt  ^OdJdn  den  Schildmadchen  den  Auftrag, 
diesen  zu  fallen,  jenem  den  Sieg  zu  geben;  dann  reiten- sie  auf 
das  Walfeld  und  wenn  die  Helden  in  das  Blut  sinken,  rafFen  sie 
die  Sterbenden  an  sich  und  fiiren  sie  nach  Valholl,  wo  ihnqn 
das  Kampfesleben  an  jedem  Morgen  neu  wird.  Dort  haben  die 
Walkiirien  das  Amt  wirtlicher  Tochter  des  Hauses,  und  wie  die 
Frauen  auf  Erden  durch  die  Banke  der  trinkenden  Gaste  mit  dem 
Home  gehen,  so  kredenzen  ^  Odhins  Helm-  und  Schildmadchen  den 
zechenden  Einherjar  den  Met  und  legen  ihnen  das  Fleisch  des 
immer  wieder  neuen  und  lebendigen  Ebers  vor.  Die  iiberliefer- 
ten  Namen  der  meisten  Walkiirien  zeigen  die  Personifikation  des 
Eampfes  (Hildr.  Gunnr)  und  seiner  einzelnen  Vorfalle.  Wir  se- 
hen  durch  sie  in  das  Gewiil,  wo  die  Geere  geschleudert  und  mit 
Blut  genart  werden  (Geidrifuly  Geirdlul),  wo  Helme  und  Schwer- 
ter  erklingen  (Hialmthrimuly  Hidrihrimul)^  wo  Schild  an  Schild  im 
dsemen  Knauel  prasselt  (Gondul,  Hrund^  Randgndh).  Der  Name 
der  kettenden  und  das  Heer  f efzelnden  deutet  endlich  auf  die  Nie- 
derlage,  welche  dem  einen  Theile  der  Kampfenden  gewifz  ist. 
(Blocks  Herjidtur).  Nach  diesem  Schlachtenleben  und  dem  Aus- 
theilen  des  Geschicks  (urlag^  orldg)  verlangen  die  Walkurien  mit 
Sehnsucht  (thrd).  So  streifen  sie  denn  hier  abermals  an  die  Nor- 
nen  und  werden  wie  diese  auch  als  spinnende  Frauen  gedacht. 
Jangere  Sage  weifz  sie  zur  Zeit  einer  Schlacht  an  grausig  bezo- 
genem  Webestuhle,  wo  sie  unter  bedeutungsvoUem  Liede  das 
Gewebe  fertigen.  (Nidlsf  c,  158.)   Im  Kriege  fallen  die  Loose  des 


')  Kari,  der  alto  Sturmriese. 


40 

Geschickes  am  entechiedensten  und  raschesten;  die  Schlachtjung- 
frauen  mtifzen  auch  Schicksalsgottinnen  sein,  Diese  enge  Be- 
riirung  von  Nomen  und  Walkiirien  epricht  sich  in  Skuld  au8, 
der  jungsten  Nomey  welche  zngleich  unter  den  Madchen  des 
Walfeldes  erscheint. 

Wir  werden  der  Schlachtjungfrauen  zwar  am  meisten  in  der 
nordischen  Sage  habhaft,  allein  auch  fiir  die  andem  germanischen 
Stamme  ist  ihre  Existenz  verbiirgt ;  die  angel sachsischen  Sprach- 
denkmale  Gberliefern  sogar  den  Namen  Vdlcyrigean;  in  Deutsch- 
land  hiefzen  sie  Idisi  (Frauen).  Wenn  wir  schon  hohere  Gott- 
heiten  in  die  Menschensage  verflochten  sehen,  so  mufz  diefz  bei 
niederen  noch  weit  mehr  statt  haben ;  bei  den  Walkttrien  ist  es 
aber  gradezu  Forderung  ihres  Wesens.  Das  GewGl  der  Manner 
ist  ihnen  ja  zum  Lebenselement  angewiesen,  und  die  Sage  von 
Helden  mufz,  so  lange  sie  sich  irgend  mythisch  halt,  von  diesen 
gottlichen  Weibern  erzalen,  Welch  ein  lockender  Gegenstand 
der  Dichtung  sind  nicht  diese  Schlacht-  und  Schildmadchen,  die 
vom  Kriegsgotte  entsandt,  auf  weifzem  Rosse  im  leuchtenden 
Waffenschmucke  durch  Luft  und  Meer  fliegen,  die  den  dunkeln 
Waldseen  die  glanzende  Schonheit  vertrauen,  und  wenn  der 
Schwanring  oder  das  Schwanenhemd  verloren  geht,  schwach  und 
werlos  in  die  Gewalt  der  Manner  kommen.  Wir  horen  da  von 
einem  Heldenjiinglinge,  den  die  Schildjungfrau  schirmt,  und  wie 
aus  dem  Schutzverhaltnisse  rasch  eine  Liebe  aufgeht,  die  kaum 
zarter  und  inniger  von  der  Dichtkunst  zu  schildem  ist.  Die  Wal- 
kiirien sind  jungfrauliche  Weiber  und  ihre  Starke  und  Unsterb- 
lichkeit  ist  an  ihre  Jungfrauschaft  geknupft.  Allein  fiir  ihre  Liebe, 
fiir  die  Seligkeit  mit  dem  Geliebten  leben  und  sterben  zu  dCirfen, 
opfert  das  Schildmadchen  die  gottliche  Unsterblichkeit  und  wird 
ein  schwaches  irdisches  Weib.  Das  schildert  die  nordische  Sage 
am  schonsten  in  den  Liedern  von  Helgi;  wir  Deutschen  haben 
einen  Abglanz  solcher  Gestalten  in  Brunhild  und  Krimhild. 

Besonderen  Umfang  und  eigenthiimliche  Gestaltung  erhielten 
die  Sagen  von  diesen  Schlachtenmadchen  dadurch,  dafz  man  glaubte, 
auch  menschliche  Weiber  konnten  Walkiirien   werden,    wenn    sie 


41 


jungfraulich  blieberi  und  sich   dem  Kriegswerke    ergaben.      Das 
germanische  Alterthum  kannte  in  der  Wirklichkeit   den  Mut  und 
die  Waffentuchtigkeit  vieler  Frauen,  wozu  diese  durch  das  herum- 
Btreifende ,   kriegerische  Leben  des  Volkes  angeregt  werden  mus- 
ten.     Bei  Schlachten  stunden  die  Weiber  mit  den  Kindem  hinter 
den  Reihen  der  ihren,  mischten  ihren  Zaubersang  in  den  Schlacht- 
nif  der  Manner,  labten  die  ermatteten,  verbanden  die  verwundeten, 
trieben    die    weichenden   znrack    (Tacit.  Germ.  7.  8.   hist*  4,  18). 
Der  Anblick  der  Gattinnen  und  Kinder,  die  im  Falle  der  Nieder- 
lage    Gefangenschaft    und    Schinach    erwartete,     muste    auf    die 
Kampfer  begeistemd  wirken,  und  noch  Gelimer  glaubte  das  ver- 
weichlichte  Volk  seiner  Vandalen  in  der  entscheidenden  Schlacht 
gegen  Belisar  dadurch  anzufeuem  und   zu    erharten,   dafz   er  die 
Frauen  und  Kinder  in   das  Lager  bringen  liefz   (Procop.  de  belL 
Tandal.  2,  2).     Die  feigen    ziichtigte  bittre  Schmahrede  der  Wei- 
ber.    Als  die  Gothen  den  Ostromem  Ravenna  libergeben  batten, 
wurden   sie   von  ihren  Frauen  angespieen    (Proc.  b.  goth.  2,  29). 
Der  Germane  gieng  darum   lieber  in   den    sichem  Tod,   als   dafz 
er  solchen   Schimpf   ertrug  (vgl.  Eggenl.  136).      Konig    Wehung 
war  mit  seinen  Sohnen  zu  seinem  Schwiegersohne  Siggeir   zu  ei- 
nem  Feste  gekommen,  aber  Verrat  empfangt  ihn.     Da   beschwort 
ihn  seine  Tochter  Sign]^    eilends   zuriickzukeren    und   mit    einem 
He«»re  wiederzukommen ;  aber  Welsung  entgegnet,    er  habe  nim- 
mer  Feuer  noch  Eisen  gescheut  und  im  Alter  wolle  er  nicht  an- 
ders  werden.     Seine  Sohne  wurden  ja  von  den  Madchen  verspottet 
werden,   wenn    sie  den  Tod   fiirchteten    (Vols.    s.  c.  8).     Herwig, 
KOnig  von  Seeland,    wird   vom  alten  Normannenfursten  Ludewig 
im  Kampfe  niedergeschlagen ;    da  denkt  er  an  seine  geliebte  Gu- 
drun  und    dafz   sie  ihm   seine  jetzige  Schande   vorwerfen    werde, 
wenn  er  sie  als  Braut  umarmen  woUte,  und  rasch  rafft  er  sich  zu 
Dcuem  Streite  auf  (Gudr.  1441).     Von  solchem  Geiste    war   auch 
das  ritterliche  Mittelalter  voll.     Wo  die  Frauen  dem  Kampfe  zu- 
tchauen,  da  wird  mit  doppelter  Hitze  und  Hartnackigkeit  gestrit- 
ten  und  der  wankende  schopft  aus  dem  Auge  der  Geliebten  oder 


42 


dem  Gedanken  an  sie  neue  Kraft  *).  Ewig  unvergefzen  sei  jene 
Vaterlandsliebe  und  jener  Freiheitsmut  der  dietmarslschen  Frauen, 
mit  denen  sie  die  verzagenden  Manner  zu  dem  ungleichen  Kampfe 
gegen  die  Danen  im  J.  1500  anregten.  Was  die  deutschen  Frauen 
Holsteins  und  Schleswigs  in  der  neuesten  Zeit  ffir  das  Vaterland 
thaten  und  Htten,  moge  eine  Leuchte  in  der  Nacht  sein,  Deut- 
scher  Frauen  Herrlichkeit  wird  nicht  erleschen. 

Bei  der  Freude  der  germanischen  Weiber  an  tapferem  Kampfe 
iiberrascht  es  nicht,  dafz  etarke  und  mannliche  Frauen  selbst  zu 
den  Waffen  griffen.  Unter  den  Longobarden  kam  es  5fter  vor, 
dafz  sie  ihre  Weiber  und  Magde  bewaffneten,  um  durch  sie  Rau- 
bereien  ausfiiren  zu  lafzen  2).  Prokop  (b.  goth.  4,  20)  erzalt  von 
einer  anglischen  Konigstochter ,  welche  dem  Eadiger  Hermigisils 
Sohn,  dem  Konige  der  Vamer  verlobt,  aber  aus  politischen  Riick- 
sichten  von  ihm  verschmaht  war.  Ueber  die  Schmach  erbittert, 
landet  sie  mit  einem  Heere  an  der  Miindung  des  Rheins  und 
ftchlagt  die  Vamer  voUstandig*  Radger  wird  gefangen  und  die 
Anglin  ist  gutmiitig  genug  ihm  zu  verzeihen  und  sein  Erbieten, 
sie  jetzt  zu  heiraten,  anzunemen.  Aus  Jomandes  wifzen  wir  von 
gothischen  Frauen,  welche  in  Abwesenheit  der  Manner  von  Nach- 
baren  tiberfallen,  eich  tapfer  vertheidigten  und  die  Feinde  zuruck- 
schlugen  ').  Solche  heldenmutige  Gothinnen  soUen  nach  der  Sage 
des  Mittelalters  das  kriegerische  Reich  der  Amazonen  am  Flusse 
Thermodon  bis  auf  Julius  Casar  fortgesetzt  haben.  (Eckehardi 
chron.  univers.  bei  Pertz  8,  120.  vgl.  dazU  Procop.  b.  goth.  4,  3.) 


•)  Erec.  9l67.  Lanzel.  5275.  Ath»  E.  52.  Gudr.  644.  Biter.  11347.  Troj. 
Krieg  4157.  Vgl.  d.  Myth.  370.  *)  Liutprand.  1.  l4l.  vgl.  ed.  Rothar.  26,  6. 
Bajuv.  III.  13,  3.  *)  Spate  schwedische  Sage  erzalt  von  der  Heldenthat  sma- 
landischer  Weiber,  die  warend  die  Manner  in  auswartigen  Kriegen  waren,  von 
danischen  Raubscharen  iiberfallen  warden.  Einzclne  Rauber  waren  schon  von 
Frauen  erschlagen,  da  fafzte  Blanda,  ein  kiihnes  Weib  im  Kungaharad,  den  Plan, 
die  Feinde  ganz  zu  vemichten  und  mit  Hilfe  einer  List  gelang  den  verbiindeten 
Frauen  von  fiinf  Harads  die  That.  Die  Weiber  dieser  Landschaften  erhielten 
aufzer  andem  Vorrechten  die  Freiheit ,  in  Helm  und  Briinne  auf  der  Brautbank 
zu  sitzen  und  sich  Kriegsmusik  spielen  zu  lassen.  Pet.  Rudbeck  smaliindska  anti- 
quiteter  c.  17.  s.  Dybecks  Runa  l842.  4,   16—22. 


48 

Bald  vereetzte  aber  die  Sage  die  Amazonen  aus  diesen  heller 
werdenden  Gegenden  welter  nach  Norden  an  die  Grenzen  Ger- 
maniens  *).  Dort  tratien  sie  der  Sage  nach  den  Longobarden  ent- 
gegen,  als  dieee  unter  Agilmund  nach  Siidosten  zogen,  und  nur 
durch  Lamkkios  Zweikampf  mit  einer  Amazone  ward  derUeber- 
gang  iiber  den  Strom  erzwungen  (Paul.  diac.  1 ,  15).  Dort  so 
horte  Paul  Wamefrieds  Sohn  sei  noch  ihr  Reich.  Die  Be- 
richte  iiber  sie  wurden  nun  ijnmer  fabelhafter.  Adam  von 
Bremen  (IV.  19.  Pertz  9,  375)  setzt  sie  an  die  Gestade  des  bal- 
tischen  Meeres  und  berichtet  glaubig  das  Geriicht,  sie  lebten  in 
Gemeinschaft  mit  allerlei  Ungeheuem;  die  Tochter  seien  schon, 
ihre  Sobne  aber  waren  Hundskopfe.  Er  weifz  auch  von  bartigen 
Frauenin  den  norwegischen  Gebirgen  (IV.,  31).  In  das  nordostliche 
Skandinavien  gehort  auch  das  Frauenland,  welches  bereits  Tacitus 
(Germ.  45)  als  Nachbarland  Germaniens  erwahnt,  indem  er  von 
der  Frauenherrschaft  der  Sitonen  berichtet  ^).  Die  Fabel  von  die- 
sem  Reiche  entstund  durch  die  germanische  Deutung  von  Kainu" 
hisei,  dem  alten  Namen  Finnlands.  Der  Germane  glaubte  in  der 
ersten  Halfte  des  Wortes  sein  quino  (Weib)  zu  huren  und  uber- 
setzte  es  sich  als  Kvenaland,  Frauenland  ^).  Durch  diese  Deutung 
lebte  auch  die  Amazonensage  wieder  auf,  welche  dem  Hange  des 
Mittelalters  zu  geographischen  und  naturgeschichtlichen  Seltsam- 
keiten  vielen  Stoff  gewarte. 

Die  Sage  hatte  nicht  Unrecht  die  Amazonen  noch  in  jiin- 
gerer  Zeit  unter  den  Nordgermanen  zu  suchen,  denn  hier  in  dem 
Leben  voll  Kampf,  das  ein  Verspotten  des  Todes  schien,  musten 
kraftige  und  mutige  Weiber  oft  zu  einer  Wette  mit  den  Mannern 


')  Aeschylus  setzt  die  Amazonen  (Prom.  desm.  722)  an  den  kimmerischen 
Bosporus,  lafzt  aber  den»  Prometheus  ihre  Sitze  am  Thermodon  vorhersagen.  — • 
Man  hat  bekanntlich  den  historisehen  Grund  der  Amazonensage  in  syrischen  und 
^Itgriechischen  Tempelstaaten  gefunden  ,  welche  von  jungfraulichen  Priesterinnen 
geleitet  wurden  und  in  denen  die  Manner  nur  Knechtesdienste  thaten.  *)  Ueber 
^  Frauenland  im  weibl.  Libyen  Diod.  Sicul.  3,  53.  — •  Ueber  neuere  Frauen- 
lander  und  die  afrikan,  und  amierikan.  Amazonen  Nagel  Geschichte  der  Amazonen. 
Stuttg.  1838  s.  I6l  ff»  ^)  Vgl.  auch  Zenss  die  deutschen  und  die  Nachbarstamme 
8*  687,  J.  Grimm  Geschichte  der  deutschen  Sprache  744. 


44 

angeregt  werden.  Die  nordischen  Lieder  und  Geschichten  nennen 
auch  eine  Menge  Frauen,  welche  Helm  und  Schild  namen.  In 
der  Bravallaschlacht  (ungefahr  780  n.  Chr.)  kampften  der  Sage 
nach  auf  Seite  Konig  Harold  Hilditonna  von  Danemark  die  Schild- 
madchen  Webi6rg^  Wisma  und  Heidr^  deren  Thaten  gegen  die 
fitarksten  Manner  geriihmt  werden.  Thomhiorg,  die  TochterKS- 
nig  Eiriks  von  Schweden,  liebte  die  Waffeniibungen  fiber  die 
Frauenkttnste ,  in  denen  sie  gleichwol  erfaren  war.  Ihr  Vater 
tritt  ihr,  seinem  einzigen  Kinde,  noch  bei  seinen  Lebzeiten  den 
dritten  Theil  des  Reichs  ab,  und  sie  herrscht  dartiber  unter  an- 
genommenem  mannlichem  Namen.  (Fornald.  s.  3,  67  —  69).  Wie 
oft  erzalen  nicht  die  nordischen  Geschichten  von  Tochtem  des 
Hauses,  die  beim  Gelage  in  des  Vaters  Halle  durch  die  Reihen 
der  Manner  prtifend  schreiten  und  nur  zu  dem  sich  setzen  wol- 
len,  der  auf  den  Seeziigen  und  in  anderm  Kampfe  der  ruhm- 
reichste  war.  Ueberall  treten  uns  in  unserm  Alterthum  Beispiele 
kampflustiger  und  auch  waflFengeiibter  Frauen  entgegen  ^)  und 
durch  sie  ward  der  Glaube  an  gottliche  Jungfrauen  der  Schlach- 
ten  theils  mit  dem  wirklichen  Leben  verflochten,  theils  weiter 
ausgebildet.  So  werden  die  Schwanjungfrauen  zu  den  leben- 
digsten  und  schonsten  Schopfungen  der  religiosen  Phantasie. 
Gottliche  Hoheit  und  menschlicher  Liebreiz  vermahlen  sich  in 
ihnen  und  die  entstandenen  Gestalten  finden  selbst  nicht  in  der 
hellenischen  Gotterwelt  etwas  das  ihnen  sich  vergleichen  diirfte. 
Der  Lieblingsaufenthalt  der  Schwanjungfrauen  ist  aufzer  dem 
Schlachtfelde  der  dunkle  wafzerreiche  Wald.  Sie  beriiren  sich 
hier  mit  den  Wald  frauen  und  es  halt  schwer  beide  zu  schei- 
den.     Auch  diese  gottlichen  Bewonerinnen  des  W  aides  und  seiner 


')  Nach  dem  Ueberfall  der  Seinen  auf  dem  Ruckzuge  nach  Spanien  sam- 
melt  Karl  d.  Gr.  der  mittelalterlichen  Sage  nach  auf  Gebot  eines  Engcls  ein  Heer 
von  53000  Jungfrauen  ,  (die  gehieten  musten  daheim  bleiben)  mit  dem  er  gegen 
die  Heiden  zieht.  Der  K<>nig  unterwirft  sich  durch  den  blofzen  Anblick  des  kiih- 
nen  Volkes  erschreckt.  Kaiserkronik  14946— I5o30.  Ans  der  Geschichte  sind  die 
dietraarsischen  Frauen  aus  dem  Danenkriege  von  1500,  die  Fanentr&gerin  Meta  von 
Hohenwohrden  an  der  Spitze ,  die  herrlichsten  Beispiele  von  Frauenmut  und  edler 
Vaterlandsliebe. 


45 

Holen  Bind  voraussichtig  und  das  Schicksal  des  Krieges  Uegt 
ihrer  Macht  nicht  fern.  (D.  Myth.  402).  Unsre  Sagen  erzalen 
viel  von  ihnen,  den  weisen  Frauen,  welche  in  den  Wald  oder 
ein  altes  Waldschlofz  verbannt,  nach  ErlOsung  schmachten.  Bei 
manchen  erinnert  ein  seltsamer  Schuh  oder  Fufz  an  den  Schwa- 
nen-  oder  Ganseiufz  der  Ber elite  (reine  Pedauque),  Die  Scihlange 
und  die  Krute,  deren  Gestalt  sie  gewonlich  zeitweise  tragen 
miifzen,  erinnern  zugleich  an  ihr  Urelement,  das  Wafzer').  Die 
Schlange  i&t  uberdiefz  im  Besitze  heilender  Krafte,  welche  vor- 
zugsweise  den  Wafzergottheiten  zugeschrieben  warden.  —  Neben 
diesen  hOheren  Waldfrauen  erscheint  noeh  ein  Volk  kleinerer,  das 
niedere  Heidekraut  neben  den  hohen  Eichen  und  Buchen.  Es 
sind  die  Wald-,  Holz-  oder  Moosweibchen  oder  Lohjungfem, 
eine  Schar  winziger  diirf tiger  Wesen,  die  miihsam  ihr  Leben 
fristen  und  von  der  wilden  Jagd  in  stetem  Todesschrecken  ge- 
halten  werden:  es  sind  die  Zweige  des  Waldes,  welche  vom 
Sturm  getrieben  und  scharenweise  gebrochen  werden. 

Von  Weibem,  die  in  Baiimen  wonen  und  deren  Leben  mit 
dem  Baume  abstirbt,  weifz  unsre  Sage  wie  die  griechische. 

Mit  den  Waldfrauen  beriiren  sich,  wie  schon  angedeutet 
ward,  vieKach  die  Wafzer frauen  (Meerminnen,  Meerfeien),  in 
denen  wir  ebenfalls  ofters  den  Niederschlag  der  Schwanjungfrauen 
finden.  Der  rauhe  Leib  dieser  wilden  Weiber  mant  an  das  Fe- 
dergewand  und  in  dem  schaufelformigen  Fufze  (Wolfdieter,  180) 
erkennen  wir  den  JSchwanenfufz.  Sie  hausen  in  den  Waldteichen, 
den  Flufzen  und  dem  Meere ;  als  Meerweiber  gehen  sie  natiirlich 
in  die  Riesinnen  tiber.  —  Die  Gottheiten  jeder  Ordnung  sind  von 
den  Menschen  und  daher  fiir  die  Menschen  geschaffen.  Bezuglich 
der  oberen  Gotter  drtickt  sich  das  in  dem  Verlangen  der  Men- 
schen nach  ihnen  aus,  bei  den  unteren  offenbart  sich  diefz  als  das 
Bediirfhiss  des  menschlichen  Umganges,  menschlicher  Hilfe  und 
Narung.     So    verlafzen   auch   die   Wafzergeister,    so  sprode   und 


')  Die  indischen  Apsarasen,  welche  sehr  haufig  als  Schwane  und  En  ten  er- 
Bcheinen,  nemen  auch  Froschgestalt  an.  Ihr  Schleier  vergleicht  sich  dem  Feen- 
schleier  und  dem  Schwanenhemde. 


46 

abgeschlofzen  sie  in  Vergleichung  zu  den  andem  sind,  das  feuchte 
Haus.  Das  Wafzer  rauscht  und  tont,  seine  Gottheiten  miifzen  also 
Musik  pflegen  und  Heben;  schwankend  und  kreisend  schlagt  die 
Welle  an  Welle,  die  Wogengeister  miifzen  den  Tanz  hegen.  Mu- 
sik und  Tanz  ziehen  die  Nixen  an  und  sie  steigen  aus  den 
Flufzen  auf  die  Hiigel,  um  einen  Reihen  zu  treten  und  zu  singen, 
oder  sie  eilen  bin  wo  Menschen  tanzen  und  die  weifz  und  blau 
gekleideten,  schilfgekranzten  schonen  Madchen  fliegen  leicht  durch 
die  Arme  und  in  die  Herzen  der  menschlichen  Jiinglinge.  Wehe 
aber  der  armen,  welche  die  gesetzte  Frist  versaumt  Die  Wafzer- 
geister  sind  unerbittlich  und  ein  Blutstral,  der  aus  der  feuchten 
Tiefe  aufsteigt,  hat  manchem  Burschen,  der  seiner  Tanzerin  bis 
zum  Ufer  nacheilte,  ihren  Tod  verkundet.  Eine  merkwiirdige 
Uebereinstimmung  von  Nixen  und  Walkiirien  ist,  wie  schlesische 
Sagen  lehren,  dafz  auch  menschliche  Madchen  zu  Nixen  werden 
konnen,  ja  eine  schlesische  Sage  weifz,  dafz  ein  Knabe  zu  einer 
„Wafzerlisse"  wurde  ^). 


^)Ich  will  beide  Sagen  kurz  mittheilen;  die  Ungunst  der  buchhandlerischenVer- 
haltnisse  hatte  meine  Sammlung  schlesischer  Sagen  nnd  Marchen  der  Oetfentlich- 
keit  Yorentlialten ,  jetzt  ist  sie  durch  den  Krakaner  Brand  vom  18.  Juli  1850 
vernichtet. 

Eine  Magd  zu  Neudorf  (bei  Reichenbach)  war  einmal  in  den  grofzen  Teich 
Schilf  sicbeln  gegangen.  Da  hiirt  sie  in  der  Nabe  wie  sie  meint  ein  ELind  schreien 
und  wie  sie  dem  nachgeht,  findet  sie  eine  grofze  Krote.  Die  ruft  ihr  zu,  sie  solle 
nur  naher  kommen,  sie  werde  ihr  nichts  thun  und  sie  bittet  sie  den  nUchsten  Mor- 
gen  zur  selben  Stelle  zu  kommen.  Da  kam  die  Magd  und  die  KrOte  war  zur  Wa- 
fzerlisse  geworden,  oben  war  sie  ein  Madchen  und  unten  hatte  sie  einen  Fisch- 
schwanz.  Da  schlug  die  Wafzerlisse  mit  einer  Rute  in  das  Wafzer  und  bat  die 
Magd  mit  ihr  zu  kommen  und  sie  konntc  iibcrall  ganz  trocken  gehen.  Und  sie 
kamen  in  eine  schune  Stube,  da  bekam  die  Magd  gut  Efzen  und  Trinken  und 
beim  Fortgehen  sagte  ihr  die  Wafzerlisse,  sie  solle  noch  dreimal  kommen.  Das 
that  sie  auch  und  beim  drittcn  Male  stund  statt  der  Wafzerlisse  ein  schOnes  Madel 
da,  das  dankte  der  Magd  gar  sehr,  dafz  sie  es  erlOst  habe  und  erzahlte  dafz  es 
die  vcrwUnschte  Tochter  vom  herrschaftlichen  Hofe  sei.  Da  schiittete  es  der  Magd  die 
Schiirze  voll  frischen  Schilfes  und  nam  Abschied  und  gieng  zu  seiuen  Eltem  und 
hat  noch  ein  paar  Jahre  gelebt.  Die  Magd  hatte  aber  statt  des  Schilfes  lauter 
Gold  in  dor  Schiirze  und  da  hat  sie  glcich  ihren  Dieust  autgesagt. 

Da  kam  einmal  ein  Junge  aus  Langseifersdorf  (bei  Reichenbach)  an  den 
ncuen  Teich  und  da  war  eine  Wafzerlisse,  die  sagte  er  solle  mit  ihr  kommen.  Und 


47 

Wie  8ich  neben  den  Schwanjungfrauen,  welche  die  Vereini- 
gung  von  Wafzer-  und  Luftgottheiten  zeigen,  bfesondere  Wa- 
fzergeister  darstellen,  so  auch  besondere  Luftgotter*  Es  sind  das 
die  El  ben:  ein  Geschlecht  glanzender  Wesen ,  schSn  wie  die 
Sonnenstralen  und  leicht  und  zart  wie  die  Liifte.  Besonders  die 
Elbinnen  sind  von  leuchtender  SchOnheit  und  mancher  armer  Men-^- 
schenknabe  ist  durch  sie  ftir  immer  verloren  gegangen.  Wenn  sie 
zur  Nacht  auf  den  Hiigeln  und  den  Waldwiesen  ihre  Eeihen  tan- 
zen  und  die  verfiirerischen  Weisen  sin  gen,  dann  kann  das  Man- 
nerherz  nicht  widerstehen.  Das  Elben-Tanzlied  (Albleich,  eljvelek) 
ist  die  germanische  Orpheusmusik. 

Die  Elbinnen  scharen  sich  um  Holda  oder  JBerchta  als  ihre 
Konigin  (Myth.  421.  424)  und  ziehen  in  ihrem  Gefolge,  wie  die 
Elben  Wodan  begleiten.  Wie  das  Nahen  der  grofzen  Gottin  se- 
gensreich  ist ,  so  scheint  auch  die  Nahe  der  Elben  auf  Feldfruchte 
und  die  Thiere  des.Landbaues,  die  Kiihe,  von  giinstigem  Ein- 
flufze.  Auch  das  Spinnen  und  Weben  beschaftigt  die  Elbinnen 
(Myth.  440)  und  daran  kniipft  sich  tiberhaupt  Gewandheit  und 
Weisheit.  Genug,  auch  in  dies^a  weiblichen  Geistern  leuchten  die 
GrundzQge  der  germanischen  Frauenbildung  hervor.  —  Eine  eigene 
Abtheilung  der  Elbinnen  war  mit  dem  Feldbau  im  besondern  be- 
traut  und  wonte  in  den  Saatfeldern.  Es  sind  die  Bilweisse, 
welche  spater  ganz  entstellt  wurden  und  mit  den  Hexen  zusam- 
menfallen*  Aus  ihnen  ragt  das  Kornweib  (Myth.  445)  heraus, 
das  zum  Schreckgespenste  der  satenschadigenden  Kinder  ward  und 
eine  Entstellung  der  grofzen  ErdgOttin  zu  sein  scheint. 


sic  giengen  ins  Wafzer  und  kamen  in  ein  schones  grofzes  Haas  und  die  Wafzer- 
lisse  sagte  dem  Jungen  er  soUe  in  einer  Stube  warten  und  ihr  bei  Leibe  nicht 
oachkommen.  Aber  der  Junge  war  neugierig  und  lief  ihr  in  die  Kammer  nach; 
da  badete  sich  die  Wafzerlisse  in  einer  Wanne  nnd  sie  war  halb  Mensch  halb 
Fiscb.  Da  schrie  sie  laut  und  klagte  sie  konne  nun  nie  mehr  erlost  werden. 
Aber  da  kam  eine  andere  Wafzerlisse  und  fiihrte  den  Jungen  auf  den  Boden  und 
hiefz  ihn  warten.  Sie  stieg  aber  noch  eine  Stiege  hijher  und  verbot  ihm  nachzu- 
kommen.  Und  der  Junge  gieug  ihr  doch  nach»  Da  schrie  aber  die  Wafzerlisse 
vor  Freude  und  gab  dem  Jungen  drei  Ohrfeigen  und  er  ward  augenblicklich  eine 
Wafzerlisse.    Sie  aber  war  erlost. 


48 

In  alien  diesen  unteren  weiblichen  Gottheiten  finden  wir 
hohere  gottliclie  Ziige  und  wie  im  geselligen  Leben  die  Frauen 
etwas  bildsames  und  flUfziges  haben,  das  den  Standesunterschied 
bei  ihnen  leichter  als  bei  den  Mannern  verschwimmen  lafzi,  so 
fliefzen  auch  obere  und  untere  Gottinnen  fast  zusammen.  Weniger 
tritt  das  bei  den  Erd-  und  Berggeistern ,  den  Zwergen,  hervor. 
Der  schwere  Stoff,  in  dem  die  Zwerge  leben,  hat  auf  ihr  Wesen 
beschwerend  eingewirkt:  sie  sind  gruber,  so  zu  sagen  menschlicher 
gebildet ,  die  Weisheit  der  andern  elbischen  Geister  geht  bei  ihnen 
in  Verschlagenheit  tiber  und  mehr  als  die  andern  bediirfen  sie  der 
inenschlichen  Hiife  und  Erlosung.  Die  allgemeine  Neigung  unserer 
unteren  Gottheiten  zu  Spiel  und  Tanz  findet  sich  auch  bei  ihnen 
und  neben  boser  List  bricht  ein  Zug  freundlicher  und  milder  Art 
durch,  der  an  jene  edleren  Gestalten  erinnert.  Die  Zwerginnen 
scheinen  sich  auch  in  ihrer  aufzeren  Erscheinung  vor  den  Zwer- 
gen auszuzeichnen ;  bei  der  Mischung  von  Elben  und  Zwergen 
ist  indessen  hier  eine  sichere  Ansicht  kaum  zu  gewinnen*  Bei  den 
Hausgeistem  (Kobolden)  horen  wir  nur  von  mannlichen  Wesen, 
und  selbst  wenn  die  Sage  von  ihren  Reihen  und  Ges'angen  er- 
zahlt,  weifz  sie  nur  von  kleinen  Mannern,  nicht  auch  von  Wei- 
bern.  Das  mlinnliche  des  Feuers,  dessen  Untergottheiten  die  Ko- 
bolde  sind ,  scheint  der  Grund  dieser  Ausschliefzung  der  Frauen. 
Nur  eine  Art  der  Hauswichte,  die  Hausottem,  erscheinen  gepaart 
als  M'annchen  und  Weibchen.  Dafz  es  Schlangen  sind,  zeigt  Cibri- 
gens  auf  das  Wafzer  als  ihr  Element  und  trennt  sie  von  den  an- 
dern Hausgeistem. 

Die  Zwerge  werfen  sich  ofters  zu  Schutzgeistern  einzelner 
Menschengeschlechter  auf,  die  Scliwan-  und  Schlachtjungfrauen 
erfOllen  durch  die  Theilname  am  Mannergeschicke  eine  wesent- 
liche  Aufgabe.  Es  verdient  wol  bemerkt  zu  werden,  dafz  der 
kraftige  todverachtende  Germane  vor  der  weiblichen  Anmut  und 
Sorgsamkeit  sein  stolzes  Haupt  beugte  und  sich  die  Macht,  welche 
ihn  fallen  oder  halten ,  die  ihm  Tod  oder  siifzestes  Leben  schen- 
ken  konnte,  in  Frauengestalt  vorstellte.  Diese  Vorstellung  ward 
welter    ausgebildet    und   der  Skandinavier   wenigstens  gab  jedem 


49 


Menschen  einen  weiblichen  Schutzgeist  (fylgja)  der  mit  der  Geburt 
zu  ihm  trat  und  vor  dem  Tode  prophetisch  sich  ihm  zeigte.  Oft 
nimmt  dieser  Genius  die  Gestalt  eines  Thieres  an,  welches  dem 
Wesen  des  Menschen  entsprieht;  so  zeigen  sich  die  Fylgjen  ta- 
pferer  Manner  als  Eber  oder  Eisbaren  (Fomald.  s.  3,  77.  96)  und 
80  erscfaeinen  sie  auch  andern  im  Traume,  indem  sie  ein  bedeu- 
tendes  Ereigniss  fiir  ihren  Schutzling  damit  anzeigen.  Auch  ganzen 
Landem  stunden  solche  weibliche  Schutzgeister  {landvaettir)  vor, 
die  von  den  oberen  Gottern  getrennt  iiberhaupt  dem  Kreise  streng 
personlicher  Gottheiten  fern  stehen  und  in  den  abstracten  BegrifF 
des  Schicksals  hiniiberstreifen. 

Hier  Bind  wir  nun  zu  einer  neuen  Wendung  in  unserer  Got- 
terbildung  gekommen.  Auch  die  Anftlnge  der  Mythen  wiesen  auf 
Personifikationen  allgemeiner  Begriffe  hin;  allein  diese  Begriffe 
etiitzten  sich  auf  sinnliche  Wahmemungen  und  die  entstehenden 
Gottheiten  waren  Belebungen  elementarer  Machte*  Hier  am  Aus- 
gange  der  Mythen  sind  die  vergottlichten  Begriffe  durchaus  ab- 
strakter  Art  und  derFortschritt  der  religiosen  Vorstellungen  vomrein 
sinnlichen  zum  rein  geistigen  erreicht  in  ihnen  sein  Ende.  Erschei- 
Dungen  des  innem  Lebens,  ethische  und  physische  Eigeuschaften, 
alles  wird  zu  einzehien  gottlichen  Gestalten  erhoben ,  die  in  ihrer 
Kleinheit  und  Einseitigkeit  grell  von  den  allumfafzenden  alten 
Gottheiten  abstechen.  Bemerkenswerth  ist  hierbei ,  dafz  viele  dieser 
jflngsten  Geburten  dem  Biesengeschlechte  eingereiht  werden;  aber 
auch  die  Zwerge  miifzen  viele  dieser  Epigonen  aufnemen.  Jenen 
fallen  die  grofzen,  furchtbaren  und  qualenden  Machte  zu,  wie 
Ifiy  der  Zweifel;  diesen  die  kleineren  und  feineren.  Die  Zahl 
der  weiblichen  Wesen  ist  auch  hier  nicht  gering  und  sie  finden 
rich  unter  alle  Ordnungen  der  Gotter  verstreut.  Das  Weib,  mit 
dem  Loki  die  drei  furchtbaren  Kinder,  den  Fenriswolf,  die 
Weltschlange  und  die  Hel  erzeugte,  war  eine  Riesin  mit  dem 
Namen  Angstbotin  {Angurbodha) ;  jene  Riesin ,  welche  die  Riick- 
kehr  Baldurs  aus  dem  Totenreiche  verhinderte  und  die  Got- 
ter der  Rache  des  Geschickes  ftberlieferte ,  hiefz  TUOch  (die  Ver- 
geltung) ;    eine   Reihe    ahnlicher   Gestalten    verschwiiidet    in    der 

4 


50 

Menge  0.  Andere  Abstractionen  sind  sogar  von  junger  Hand  unte 

die  Asynnen  versetzt  wordeii  (Sn.  36.  fF.).  Da  finden  wir  Sagay  di< 

Poeeie,  in  deren  Sale  unter  dem  murmelnden  Wafzer  Odhin  kost 

lichen    Met   schliirft;    £iV,  die  Gottin  der  Heilkunst;   PulUzy  d£« 

jungfrauliche  Gottin  der  Fiille  und  des  jugendlichen  Reichthuma 

Siofn  und  Lofn^    die  Vorsteherinnen  der  Liebe  und  Verlobung* 

For,  die  Gottin  der  gewarten  Treue;  Syuj  die  der  Verneinung  un^ 

des  Zurtickweisens;  HliUy  in  der  wir  den  weiblichen  Schutz  aber 

male  vergottlicht  sehen,   und  Snotra,    die  Personifikation  weibli 

cher  Klugheit  und  Feinheit.    Von  diesen  Gottinnen  ist  nur  FulU 

auch  fur  Deutschland  verbGrgt ;  die  tibrigen  treten  unter  verschie- 

denen  Namen  erst  in  nachmythischer  Zeit  auf ,  als  sich  die  deutschc 

Poesie  der  Abstraction  zuwandte  und  dadurch  verfiel.   Zuht,  ^Ere 

Md^e,  Triuwey    Staete  und  noch  mehrere  dieser  ethischen  Eigen- 

schaften  erscheinen  da  personlich  mit  dem  Titel  „Frau '  und  merk- 

wiirdig  ist  nur,    dafz    sie  sogar   in   das  Volksleben  iibergiengen. 

Frau    Zucht    wenigstens   spielt  bei    Vermalungen  noch  heute  hie 

und  da  eine  Rolle^).   Die  Dichtkunst,  Saga,    mag  wol  lebendigei 

als  die    andem   gestaltet  gewesen  sein;  noch  aus  Frau  Aventiure 

blickt  eine  lebendige  Gottin.    Eben   so  glanzen  aus  Frau  Saelde, 

der  Personifikation  des  Geschickes,  helle  Stralen  heraus,    die  eicli 

allerdings  nicht  mehr  zum  Heiligenschein  um  ein  gottliches  Antlit2 

zu  sammeln  vermogen,  aber  den  Namen  noch  anmutig  beleuchten. 

Hierher  wollen  wir  auch  IdhuUy    die  Gottin  der    Jugend  stellen, 

deren  Sinnbilder  Aepfel  imd   Nafze,    als  die  Hiillen  der  Lebens- 

keime  sind.  Die  lieblichste  Erscheinung    dieser  Gattung   aber  is! 

NannQy  JBaldurs  Gemahl.  Die  Kiihnheit,   welche  Liebe  und  Sorg- 

falt  fiir  den  theuem  entziindet,  das  edle  Band  das  Herz  an  Herz 

untrennbar  kniipft,    wie  mag   es    sich  schoner  aussprechen  aJs  in 

der  liebenden  Frau,    deren  Herz   am   Scheiterhaufen   des  Gattes 

springt.   Wir  konnen  diese  Uebersicht  der  germanischen  Gottinnen 

mit   keiner   schonem   Schopfung    schliefzen.     Hier  tritt  uns  noch 

einmal  die  sinnige  Auffafzung  der  Frau  bei   den  Germanen  ent- 

')  Vgl.  die  TroUquennaheiti  Snorra  E.  210.  *)  Haupt    Zeitschr.    f.  d. 

A.  6,  464. 


51 


gegen,  die  Darstellung  der  edlen  Hingabe  des  Weibes  an  den  ge- 

liebten  Mann,  die  verklarend  und  erhebend  wirkt.  Welche  Bilder 

haben  sich  nicht  entroUen  lafzen  1    Die  ernste  miitterliche  Gottin, 

welche  Erde  und  Meer  als  grofzen  Hausraum  verwaltet   und  fur 

die  Menschenkinder  ein  wachsames  theilnemendes  Auge  hat,  steht 

inmitten    einer   reizenden    Schar  gottlicher  Madchen  und  Frauen, 

welche  festen  Sinnes  und  treuen  Herzens,  lieblich  und  vertraulich 

wie  das  Weib  erscheinen,  das  ein  gliicklicher  mit  Stolz  das  seine 

nennt.   Finstere  unheimliche  Gestalten  drangen  sich  wol  auch  in 

die  Schar ,  allein  ihrer  sind  wenige  und  die  jiingere  Zeit,  der  die 

F'ahigkeit  wie  der  Wille  zum  Verstandnifse  der  mythischen  Scho- 

pfungen  verloren   war,    tr'agt  die    Schuld   der  Entstellung  vieler. 

Vor  allem  mag  aber  hervorgehoben  werden,  dafz  die  sittliche  Rein- 

heit  der  Germanen  sich  auch  in  ihren  Gottheiten,    namentlich  in 

denGottinnen  ausfpricht.  Mythen,  die  dagegen  sprechen  konnten, 

sind  nicht  alten  Ursprungs.    Erst  nach  langer  Beriirung  mit  den 

siidlichen  und  westlichen  Volkem  befleckte  sich  die  germanische 

Phantasie;  das  geschah  aber,  als  die  Mythen  langst  im  Absterben 

waren.    Noch  in  den  Volkssagen  lebte  die  alte  Eeinheit  fort. 


y. 


Dritter  Abschnitt 


Die   Priesterinneii  9    i^eiseii  Frauen 

und  Hexeii* 

±Jie  Vielgotterei  baut  eine  goldene  Briicke  zwiscben  den^ 
Hirrimel  und  der  Erde.  Dem  Menscben  stellt  sicb  dte  Grottbeit 
nicbt  in  unvermittelte  feme  Hobe,  sondem  rGckt  ibm  durch  die 
reiche  Menge  der  untem  und  Halbgotter  bis  in  sein  Haus  und 
seinen  Hof ;  er  beugt  eicb  demiitig  vor  der  Gewalt  des  grofzen 
Go  ties  und  ftilt  in  dem  Verkebr  mit  den  geringen  gottlicben 
Wesen,  dafz  die  Gottbeit  seiner  bedarf.  Er  wagt  sicb  in  den 
beiligen  Kreifz  mit  keckem  Fufze  selbst  binein,  und  versetzt  seine 
Helden  und  seine  Frauen  in  den  Himmel. 

Die  kraftige  Friscbe  des  Lebens  liefz  das  sinnliche  und  das 
geistige  gleicbmafzig  entfalten;  man  gieng  nicbt  mit  scbai-fem 
Geiste  und  scbwacbem  Gemiite  und  Leibe,  iiberreizt  und  verlebt 
durcb  die  Welt;  man  nam  alles,  wie  es  sicb  grade  dem  Sinne 
bot.  Kindlicb^fafzte  man  es  von  zwei  verscbiedenen  Sciten,  obne 
nacb  ibrer  Vereinigung  und  Vermittlung  zu  sucben;  man  erbob 
und  stiirzte  eines  und  dafzelbe.  Das  zeigt  sicb  uns  am  scbarf- 
sten  an  dem  Weibe.  Die  Germanen  glaubten,  wie  Tacitus  be- 
ricbtet ,  an  etwas  beiliges  und  weifzagendes  in  den  Frauen ;  sie 
veracbteten  ibren  Rat  in  den  bocbsten  Dingen  nicbt  und  merkten 
streng  auf  die  Antworten,    welcbe    sie  gaben.     Und  daneben  bat 


58 

dafzelbe  Weib  kein  Recfat  und  keine  Stimme  in  den  ^leinsten 
Dingen,  dafzelbe  Weib  ist  eine  erkaufte  Sache,  die  verscheiikt 
und  verhandelt  und  verbrannt  werden  kann,  wie  es  dem  Manne 
beliebt.  Dort  gottergleich,  hier  Sklavin,  dort  angebetet,  hier  ge- 
misshandelt,  tmgt  es  das  Zeichen  der  menschlichen  Art,  jene 
Zweigetheiltheit  zwischen  Licht  und  Nacht,  die  durch  alles  seiende 
hindurchgebt,  Wir  suchep  sie  zu  verhiillen  und  die  feindlichen 
Machte  in  einem  Waffenstlllstande  an  einander  zu  bringen;  das 
Alterthum  war  unbefangener  und  schliff  die  Ecken  nicht  rundlich, 
welche  nieihals  rund  werden  k5nnen.  Das  Weib  ist  dem  Mai  me 
ein  Mittel  sinnlichen  Bedtlrfnif&eQ  und  ajs  Mittel  und  Werkzcug 
wird  es  ihm  zur  S^'Che ;  scheu  fart  er  aber  ip  einzelnen  Stuuden 
zuriick  und  beugt  sich  vor  ihm,  denn  ein  gSttlicher  Glanz  spruht 
au8  dem  Wejbe,  der  ihn  entsetzt  und  zur  Ehrfurcht  zwingt.  Er 
kann  diese  Gegensatze  nicht  vereinen  und  bemuht  sich  nicht 
darum:  ihm  geniigt,  dafz  sie  besteben,  und  nach  Bedurfnifs  und 
tielegenheit  zieht  ihn  der  eine  oder  der  and^re  an. 

Wir  treten  jiunachst  ap  das  geheimnifsvolle  und  gotterahn- 
liche,  was  unsre  Voraltem  in  den  Frauen  fulten  upd  ahnten,  und 
durch  das  sie  die  Menschlichkeit  mit  der  Gottheit  zu  verbin- 
den  suchten. 

Durch  die  Einrichtungen  uusres  Volkes  in  der  altesten  hi- 
storischen  Zeit  geht  unleugbar  ein  demokratischer  Zug,  Die  Ge- 
sammtheit  der  freien  Manner  ist  der  Inhab^r  aller  Rechte,  deren 
Handhabung  den  Aeltesten  der  Gemeinden  (ibergeben  ist.  Feld- 
herrnamt,  Richteramt,  Pries teramt,  sind  nicht  an  Einzelne, 
wie  Erb-  und  HausgGter  vertheilt,  sondern  eq  sind  gemeine  Giiter. 
Mit  dem  Glaub^n  an  die  Gottheit  trug  jeder  die  Berechtigung  zu 
ihrem  Diensta  m  sich;  die  Germapen  hatten  also  keine  abge- 
schlofzene  Pries terki^ste,  sondern  jeder  Freie  war  der  Priester  sei- 
nes Hauses,  jeder  Aelteste  d^r  Priester  seiner  Gemeine.  Mit  dem 
Priesteramte  war  die  richterliche  Wurde  genau  verbunden,  denn 
der  Zustand  des  erfiillten  Gesetzes  und  der  Friede  wird  als  gottliche 
Einrichtung  genommen,  jede  Gesetzesstorung  und  der  Friedens- 
bruch  aber  als  Frevel  gegen   die  Gottheit,    welchen  der  Priester 


54 

richtend  zu  ahnden  hatte.  Gerichtsbann  und  Heerbahn  lagen  also 
in  der  Hand  des  Aeltesten,  warend  die  andere  Seite  der  richterlichen 
Thatigkeit,  das  Finden  des  Urtheils,  ihm  nicht  zukam.  Vertreter 
der  Gottheit  war  der  Priester  in  dieser  friedensrichterlichen  Thatig- 
keit und  zugleich  das  Mittel,  durch  welches  sie  den  Fragen  nach  dem 
Geschicke  antwortete.  Die  Gebrauche  dabei  waren  ein  Theil  des 
Gottesdienstes,  defsen  Verwaltung  er  leitete,  Waren  es  hausliche 
Sorgen,  welche  ein  gottlicher  Ausfpruch  heben  solte,  muste  fiir 
die  Angelegenheiten  der  Familie  ein  Opfer  gebracht  werden,  so 
trat  jeder  Hausvater  als  Priester  auf» 

Neben    dem    Hausvater  konnte   aber    auch   die    Hausmutter 
priesterliche  Geschafte  voUziehen,  neben  den  Gemeine^prieetem  er- 
scheinen  auch  Priesterinnen    der    Gesammtheit.     Jene    religiose 
Scheu  vor  dem  weiblichen    und   die   prophetische   Begabung    die 
man   ihm  zuschrieb,    muste    die  Frauen   vorzuglich  zum  heiligen 
Amte  befahigen  und  ihnen  mit  Ausname  der  friedensrichterlichen 
Thdtigkeit  dafzelbe  Gebiet  wie  den  priesterlichen  Mannem  freigeben. 
Ob  alle  germanischen  Stamme  die  Frauen  mit  dem  Priesterthum  be- 
kleideten,  wifzen  wir  freilich  nicht ;  fiir  mehre  ist  es  bezeugt,  fur 
die  andern  dtirfen  wir  es  wenigstens  ziemlich    sicher  mutmafzen. 
Frauen  (matres  familicB),  die  heilige  Verrichtungen  von  Staatswegen 
vornamen,    kennen  wir  bei  den  Volkem  um  Ariovist  (Caesar  bel. 
gall.  1 ,    SO) ;   kimbrische  und  gothische  Priesterinnen  sind  sicher 
verburgt  (Strabo  7,  2.  Eunap.  excerpt,  c.  46),    fiir  die  Brukterer 
spricht  Velsda,  jene  Jungfrau,  die  fast  gottlich  verehrt  wurde  und 
auf  die  Unternemungen  des  Volkes  den  hochsten  Einflufz  hatte; 
fiir  andere  frankische  Stamme  zeugen    die  Namen  ElectrudUy  das 
ist  die  here  Frau  des  Heiligthums  (alah),  Anstrudis  (Polyp t.  73) 
das  ist  die  Gotterpriesterin,     so    wie  andere  Zusammensetzungen 
mit  trittf    die  auch   bei   den  oberdeutschen  Stammen  vorkommen 
und  auch  bei  ihnen  Priesterinnen  voraussetzen  lafzen.     Bei    dem 
lygischen    Volke    der  Naharnavalen    verrichteten  die    Priester   in 
Weiberkleidern  ihr  Amt;  fiir  die  Skandinavier  sind  uns  Prieste- 
rinnen  sicher   verbiirgt.     Frei/s    Tempeldienst    ward    durch    eine 
Jungfrau  versehen ;  in  Bcddurs  Tempel  finden  wir  Frauen  in  heiligen 


55 


Geschafte  und  in  einem  Tempel  in  Biarmaland,  der  dem  Thor^ 
Odhin,  Frey  und  der  Freya  geweiht  war,  wird  eine  Schar  von 
sechzig  Priesterinnen  erwahnt,  (Fornalds.  3,  627.)  Auch  der  oftere 
Zimame  der  nordischen  Frauen  Gydja  (Priesterin)  ist  Beweis,  dafz 
sie  an  den  gottesdienetlichen  Geschaften  wirklichen  Antheil  namen* 

Einen  abgeschlofzenen  Stand  der  Priesterinnen  werden  wir 
leugnen  miifzeny  aber  zugeben  darfen,  dafz  die  Frauen,  welche 
sichzum  gdttlichen  Dienste  und  derWeifzagung  besonders  befahig- 
ten,  ihr  Leben  meistens  auschllefzlieh  den  heiligen  Geschaften 
widmeten,  warend  die  Manner  durch  andere  Obliegenheiten  eine 
vielseitigere  Thatigkeit  fanden.  Wie  wenig  die  Priesterinnen  einen 
zum  Gottesdienst  bevorrechtigten  Stand  ausmachten,  beWeisen 
unter  andem  die  Hausmiitter  bei  Ariovists  Vdlkern  und  die  Frauen 
im  Baldurs  Tempel. . 

Die  Hauptthatigkeit  der  priesterlichen  Frauen  war  die  Wei- 
fzagung ,  durch  die  sie  zugleich  auf  die  politischen  Verhaltnisse 
bedeutenden  Einflufz  tibten.  Veleda  war  durch  gluckliche  Vor- 
hersagungen  auf  ihre  wichtige  Stellung  gelangt.  Im  Frieden  und 
im  Kriege  ward  die  geheime  Kunde  dieser  Frauen  gesucht,  und 
was  sie  aus  dem  Lose,  aus  dem  rinnenden  Opferblute  oder  andem 
Zeichen  erschauten,  bestimmte  oft  mehr  als  der  Rat  erfarener 
Manner  die  Untememungen.  Die  Kimbem  liefzen  ihre  Prie- 
sterinnen aus  dem  Blute  der  geopferten  Kriegsgefangenen  das 
Geschick  deuten;  Ariovist  machte  seine  Untememungen  von  dem 
Spruche  der  weisen  Mfitter  abh'angig..  Besonders  beliebt  war  bei 
diesem  Schicksalserforschen  das  Lofz:  Buchenstabe,  in  welche 
Zeichen  geritzt  waren,  wurden  auf  ein  weifzes  Tuch  geworfen  und 
mit  Gebet  und  Blick  zum  Himmel  hub  der  Priester  oder  die 
Priesterin  drei  Stabe  auf,  aus  denen  sie  den  Willen  der  Gotter 
lasen.  (Germ.  10.)  Es  setzt  diefz  die  Kunde  von  lesen  und  schrei- 
oen  bei  den  Frauen  voraus,  was  an  und  fur  sich  nichts  geheim- 
nwsvolies  war,  denn  die  Runen  sind  keine  Geheim- oder  Priester- 
schrift,  aber  durch  die  Unwifzenheit  der  Menge  es  wurde.  Dazu 
tain,  dafz  die  Runen  vielfach  bei  heiligen  Geschaften  und  an 
gottlichen  Sinnbildem  oder  Geraten  gebraucht  wurden ,  und  dafz 


5g 

das  Ritzen  dieser  Zeichen  ofters  eine  Art  Gottesdienst  war.  Der 
Name  der  Gottheit,  welcher  auf  das  bevorstehende  Unternemen 
oder  die  gewiinschte  Sache  besonders  einflufzreich  war,  wurde 
beim  Einschneiden  der  Zeichen  genannt  oder  ein  langeres  Geb^ 
gesprochen  ^).  Die  Bunen  wurden  auf  den  zu  sch&tzenden  Ge^ 
genstand  oder  auf  eine  Sache,  welche  zum  Zwecke  irgend  in  Be- 
zug  stund,  gerizt*  Oft  konnte  eine  eihzige  Bune  hinreichen,  da 
dieselben  alle  eine  sinnliche  oder  geistige  Bedeutung  haben,  z.  B. 
N=Not,  F  =  Vermogen,  H  =  Hagel,  T=T^r,  der  ScUachten- 
und  Siegesgott  ^), 

Die  Weifzagung  und  dasGebet,  das  sich  ihr  beim  Bunenge- 
brauche  verbindet,  waren  nicht  die  einzigen  gottesdienstlichenPflich- 
ten  der  Priesterinnen.  Auch  Gesang  und  Tanz,  die  eng  verbun- 
den  sind,  gehorten  zum  Kultus.  Zwar  konnen  wir  aus  dem  Alter- 
thum  selbst  kein  ausdriickliches  Zeugniss  daftir  angeben,  allein  spatere 
und  Volksgebrauche  sprechen  entscheidend  genug.  Namentlich  ist 
jene  feierliche  Schiffsumfiirung  am  Niederrhein  von  Bedeutung,  die 
wir  aus  der  Kronik  des  Abts  Eudolf  von  S.  Tron,  kennen.  Um 
das  J.  1133  wurde  ein  grofzes  Schifif  auf  Badern  von  Inda  nach 
Achen,  Mastricht  und  andern  niederrheiniscben  Orten  gefurt, 
tiberall  jubelnd  empfangen  und  namentlich  von  den  Frauen  unter 
Gesang  die  Naohto  hindurch  umianzt.  Es  war  das  jedenfalls  eine 
plotzlich  durch  irgend  welchen  Zufall  erwachte  altgermanische 
Gottesfeier,  wahrscheinlich  urspriinglich  der  Nerthud^Frouwa  ge- 
weiht;  brechen  doch  oft  wunderbar,  lang  ruhendem  Saatkorn  gleich, 
alt  erhaltene  Sagen  und  Lieder  im  Volke  hervor.  Die  Statuten 
des  Bonifaz  lafzen  uns  dem  achten  Jahrhunderte  ahnliche  feier- 
liche  Gebrauche  zuweisen,    wobei   sich  namentlich  die  Madchen 


')  Dafzelbe  war  gemafz  dem  Geiste  der  altesten  Poesie  episch.  Wir 
habcn  oine  solche  alte  Beschworung,  welche  an  die  noch  hente  get)rauchten  Be- 
sprechungsformeln  aoffallend  erinnert,  im  ersten  Brynhildliede  Str,  l4 — 20  (Rask. 
195^  —  196*  'A  hiargi  ftCdh  —  unz  riufafk  regin).  Das  gauze  Gedicht  ist  fiir 
diese  Sachcn  von  grijfter  Bedeutung  und  von  dieser  Seite  kann  man  seinen  son- 
st'gcu  Fchler,  den  Mangel  an  epischcm  Inhalte,  ubeisehen.  *)  Wh.  Grimm 
(ibcr  deutschc  Runen  S.  316.  Anm.  theilt  aus  eiuer  Wener  Handschrift  des  12. 
Jabrhunderts  eine  Auslegung  der  Buchstaboo  unserch  Alphabetes  mit. 


57 

tanzend  und  singend  betheiligten.  Noch  heute  ist  manche  Spur 
des  alten  Eitus  im  Volksleben  zu  entdecken.  Wenn  die  Hausfrau 
zur  Wintersonnenwende  oder  zur  Fasnacht,  damit  der  Flachs  ge- 
deihe,  tanzen  und  springen  mufz,  wobei  sie  bestimmte  Worte  zu 
sprechen  hat,  so  hat  das  iiir  den  Rest  eines  Kultus  der  Erdgottin 
zu  gelten,  welchen  die  Hausmutter  als  Priesterin  zu  verwaltea 
hatte.  Der  Tanz  und  Gesang  der  Schnitter  zu  Ehren  des  Wode 
oder  der  Frau  Gode  ist  ein  Theil  des  Wodan-  und  Friakultus; 
der  Pfingsttajiz  ^)  gait  urspriingKch  der  Friihlingsgottheit,  und  so 
lafzen  sich  noch  mehreren  der  Volkstanze  ihre  alt  rituelle  Bedeu- 
tungen  zuspreidien.  Wie  nahe  lag  es  doch,  Gesang  und  Tanz  im 
Dienste  der  G^ttheit  zu  braucheni  liebten  doch  die  Gotter  selbst 
Musik  und  Keihen.  Bei  den  Umziigen,  welche  die  Gottheit  im 
Bildeoder  Symbole  auf  heiligemWagen  alljahrlich  durch  das  Land 
hielt,  namen  die  Priesterinnen,  sobald  sie  den  eigentlichen  Dienst 
des  Gottes  versafaen,  naturlich  Theil  (Fornmannas.  2,  73.  ff.)  Da 
bei  diesen  Bundfahrten  allerlei  Weifzagung  aus  den  heiligen  Thie- 
ren  gesucht  ward,  diirfen  wir  die  weisen  Frauen  vielleicht  stets 
dabei  gegenwartig  denken. 

Zu  der  priesterlichen  Thatigkeit  der  Frauen  kommt  noch 
das  Opfem.  Aus  J.  Grimms  unsch^tzbarer  deutscher  Mythologie, 
deren  reiche  Quellensammlungen  bier  fast  allein  zu  Grunde  lie- 
gen,  wifzen  wir,  dafz  die  Germanen  Menschen-,  Thier-  und 
Fruchtopfer  brachten*  Bei  alien  drei  Arten  waren  die  Prieste- 
rinnen  gesclutftig,  denn  sie  verriohteten  auch  Menschenopfer,  wie 
das  die  kimbrischen  Priesterinnen  beweisen.  Das  Sieden  der 
Opferthiere  gehort  recht  eigentlich  dem  Amte  der  Frauen,  ebenso 
das  Backen  der  Opferkuchen,  die  nicht  selten  die  Gestalt  der  Gotter 
oder  der  geheiligten  Tbiere  batten.  Spuren  hiervou  haben  sich  in 
den  Backwerken  mancher  deutschen  Gegenden  noch  heute  erhalten* 

Frey  ward  von  einem  Madchen  bedient ;  in  Baldurs  Tempel 
Bind  Frauen  mit  heiligem  Dienst  beschaftigt;  Priesterinnen  erscheinen 
in  OdhitiSy  Tkora  und  Freys  Tempel  in  Biarmaland.    Man  mochte 


')  Vgl.  besonders  J.    Grimm  deutsche  Mythologie  51. 


58 

also  belnahe  annemen,  dafz  die  Gutter  vorzugsweise  von  Frauen, 
die  Gottinnen  dagegen  von  Mannern  bedient  wiirden.    Bestimmtes 
lafzt  sich  jedoch  hieruber  nicht  festsetzen,  ebenso  nicht  dariiber, 
ob  die  Jungfrauen   vor  den  verheirateten   Frauen  einen  Vorzug 
im  Gottesdienste  batten.    Der  Germane  kniipfte  allerdings  an  die 
Jungfraulichkeit  besondere  Gaben  und  Krafte,  allein  Erfanmg  und 
Lebensweisheit    war  dagegen  Ausstattung  der  Mtitter.     So  sehen 
wir  neben  den  Jungfrauen   Veledaj  AlirunOj  Garma  und  der  Prie- 
8terin  Freys^  verheiratete  Frauen  das  priesterliche  Amt  verrichten  *). 
Es  mag  noch  nach  der  aufzeren  Erscheinung   der  Prieste- 
rinnen  gefragt    werden.      Strabo   beschreibt  die  kimbrischen  alfi 
alte  grauharige  Weiber,  barfUfzig,   in  weifzen  Linnenkleidem  mi^ 
ehemen   Giirteln.     (Strabo  7,  2.)     Allgemein  mag  das   fli^ende 
Har    gewesen    sein;     wenigstens    erscheint   auch    eine   nordisclie 
Zauberin  mit  Locken,  die  frei  um  die  Schultem  fallen  ^)  und  aucb 
die  niederrheinischen  Weiber,   die  um  jenes  SchiflF  sich  scharten^ 
werden  geschildert  mit  flattemdem  Hare  und  in  leichten  Gewftn- 
dem.  Die  Kronisten  deuten  diefz  freilich  als  Folgen  der  plotzlich 
unterbrochenen  Nachtruhe.  Zu  erwahnen  ist  auch  die  Frauentracht 
der  nahamavalischen  Priester  (germ.  43).    Bekannt  ist,   dafz  bei 
antiken  Kulten  ein  ahnlicher  Kleiderwechsel   haufig  vorkam  und 
dafz    im   Mittelalter    (modifizirt    auch  noch  heute),    der    Glaube 
herrschte,  Weiberkleidung  begabe  den  Mann   mit  der  Macht  der 
Weifzagung,  die  Frau  umgekehrt  Mannertracht ').    Bei  dem  ge- 
ringen  Unterschiede,  der  in  altester  Zeit  zwischen   der  Eleidung 
der  Geschlechter  waltete,  miifzen  doch  die  besonders  langen  und 
tief  verhiillenden  Gewander  die  vorzugsweise  weiblichen  imd  prie- 


^)  Ich  bemerke  anch ,  dafz  zwei  Islanderinnen ,  JMrlaug  and  Thuridhr^ 
die  beide  den  Znnamen  gydhja  fiihren,  yerheiratet  sind.  Islend*  figur,  l848 
I,  64.  17B. —  Aus  der  freilich  Jungen  Erzahlnng  von  Frey  und  seiner  jnngen 
schonen  Friestcrin  (Fommanna  s.  2,  73)  mochte  man  schliefzen,  dafz  zwischen 
dem  Gotte  nnd  seiner  jtingfranlichen  Dienerin  uberhaupt  ein  enges  Verhaltniss 
angeuommen  ward.  Von  den  Hexen  wenigstens,  die  yielfach  Nachfolgerinnen  der 
Pries terinnen  sind,  gieng  die  Sage  der  fleischlichen  Verbindung  mit  dem  Teufel. 
*)  Ebenso  die  nordischen  Hexen.  Vestgotalag  1.  Retlos.  b.  6,  6.  •)Herrad8Von 
Landsberg  Hortus  deliciaram,  heransg.  yon  Engelhardt  S»  64. 


59 

eterlichen  gewesen  sein;  auch   in  der  d;ufzeren  Erscheinung  solte 

der  Diener  der  Gottheit  auf  das  Geheime,  das  er  hiitete,  hindeuten* 

Bei  den  HOrdischen  Priesterinnen,  wenn  wir  die  Tracht  der  weisen 

Frauen  hier  anschlagen  dtirfen,  waren  im  Gregensatz  zu  den  deut- 

schen,  Hande,  Fiifze  und  Haupt  nicht  bar,  sondem  bedeckt  und 

das  Gewand  ist  dunkeL 

Je  ausgezeichneter  die  Gaben  der  Frauen  waren,  welche  die 
gottesdienstlichen  Geschafte  iibten,  um  so  ausfchliefzlicher  mogen 
sie  sich  diesen  hingegeben  haben,  so  dafz,  wie  erwahnt^  wenn 
auch  von  keiner  Kaste,  so  doch  von  eigentlichen  Priesterinnen 
gesprocfaen  werden  kann*  Neben  ihnen  fand  sich  schon  friih  eine 
Menge  Weiber,  welche  sich  vorzugsweise  der  Weifzagung  wid- 
meten  and  die  in  Deutschland  unter  dem  Namen  der  weisen  oder 
klugen  Frauen,  im  Norden  als  vOlur^  spdkonur^  /pddmr  bekannt 
sind,  anderer  Namen  zu  geschweigen.  Sie  haben  ein  langes  Leben, 
in  dem  sich  der  Fluch  alles  Seienden,  nur  kurze  Zeit  im  Gliick 
und  auf  der  Hohe  zu  stehen,  schneidend  ausspricht.  Hochgeachtet, 
gottlich  verehrt  in  alter  Zeit,  werden  sie  friih  genug  erst  von 
einzelnen,  dann  von  immer  mehren  iibersehen,  verspottet,  ver- 
folgt.  Der  Armut  blofzgestellt ,  vor  dem  Gesetze  strafwurdig, 
fcen  sie  dann  das  Leben  des  gehetzten  Wildes^  Furchtbare  Un- 
wetter  ziehen  uber  ihnen  auf,  die  Folterkammer  und  der  Schei- 
terhaufen  wiiten  gegen  sie,  aber  sie  iiberstehen  alles.  Wenn  auch 
Dur  Schatten,  so  leben  sie  doch  als  Schatten  noch  heute. 

Die  weisen  Frauen  haben  ihren  gottlichen  Hintergrund  an 
den  Nomeriy  welche  durch  die  Vermerung  ihrer  Zahl  allgemach 
ihre  hochheilige  Bedeutung  einbiifzten  und  derStellungweifzagender 
Menschenfrauen  sich  naherten.  Dieser  Uebergang  der  Nomen  in  die 
ydlur  zeigt  sich  ganz  deutlich  in  den  nordischen  Ueberlieferungen. 
Das  Lied  von  Helgi  dem  Hundingtoeter  erzahlt,  wie  drei  Nomen 
"1  der  Nacht  da  Helgi  geboren  ward ,  zu  ihm  kamen  und  die 
Faden  seines  Geschickes  drehten.  Ebenso  wird  erzahlt,  dafz  drei 
^olur  oder  fpdkonur  der  Wiege  Nomagefts  nahten  und  sein  Leben 
bestimmten.  Der  nordische  Text  setzt  sogar  einmal  nam  fiir  v6lva, 
^uch  der  Name  Nonageftr  zeigt,  wie  hier  vdlur  und  nomir  tau- 


m 

Bchen.     Ebenso   werde  die  Angabe  des  Hyndlaliedes  (32.  Saem* 
118*)  liber  der  Walen  Abstammung  erwahnt.  Sie  kamen  alle  von 
Vidholfr  her,  zu  dem  wir  den  deutsoheu  Witojt,  Konig  Sotheis 
rieslBchen  Gesellen,  halten,    der   s^inem  Namen  naoh   ein  Wald- 
schrafz  war.   Da  Wald-  und  Wafzergei$ter  verwandt  sind ,  so  ist 
hiermit  den  Walen  ein  anlicher  Ursprung  mit  den  meerentstamm- 
ten  Nomen   gegeben    upd   ebenso   mit   den  Wald-   und  Wafzer- 
liebenden '  Walktirien.    Valkuna  und   vdhja  wird  in  jtlngeTer  Zrit 
sogar   gleichbedeutend  gebraucht,    wqzu  die  Yerwandtschaft  der 
Namen  mitwirkqn  jnoohte.   Genug,  Nornen  vfie  WalkUrieu,,  beides 
Wesen  voU  gottlicher  Weifzaguqg  ujid  dner  Macht,  welohe  tiel 
in  das  Mensch^nleben  eingriff,  sind  die  gottlicjben  Vorliiuferinneii^ 
der  mensqhlich  gebildeten  weisen  Frauea.    Die  zahlrdchen   nor-- 
dischen  Quellen  lebren  uns  dieselben  naber  kenuen.  JSines  der  be* 
deutendsten  Eddalieder,    der   Wala  Weifzagung  (Vdlufpd),    leg^ 
einer  Seherin ,    Heidry    die  Verkiindigung  des  Weltgeschickes  il 
den  Mund.    Es  wird   geschildert,    wie  sie  im  Lande  herumzieht 
weifzagend,  mit  Zauberspriichen  ^)  vertraut ,   und  auf  Zauberwert 
(Jeidhr)  geiibt.      Andere  Stellen  zeigen  uns  diese  Weiber  ebenso. 
wie  sie  umherwandern  und  von  den  glaubigen  eingeladen  werden. 
ihnen    iiber   das  Leben,    uber   das   Gedeih^n   der  Feldfrilphte  ino 
nachsten  Jahre  (arferdh)  und  iiber  anderes  zu  weifzagen*  Die  Er- 
zahlung   von   der  Wala  Thorberg  macht   diefz  Treiben  recht  an- 
schaulich  ^).  Thorbiorg  hiefz  die  kleine  volva  und  hatte  neun  Schwe- 
stern  gehabt,  die  sammtlich  gleich  ihr  weise  Frauen  gewesen  wa- 
ren.    Im  Winter   fur  sie  im  Lande  umher  uud  die  Leute  luder 
fiie  zu  ihren  Festschmausen ,  wo  sie  weifzagte.   So  ladet  sie  aucl 
der  reiche  Bauer    Thorkell  ein.     Am  Abend   kommt   sie  an,  voi 
-einem  entgegengesohickten    Manne  geleitet.    Sie   tragt  einen  dun- 
keln  Mantel,   der  von  oben  bis  unten  rait  Steinen  besetzt  ist,  an 
Halse  Glasperlen  und  auf  dem  Kopfe  eine  Miitze  von  schwarzen 


')  Gandr,  einfach  gan ,  incantamentum  (Jhrq  lex  sueogoth.  1,  63^)  m\t  fpi 
zusammengcset/t  Saem.  4/  Gondul,  Name  ciner  Walkiirie,  gehort  hierher  unc 
zcigt  wiederum  die  Verwaadtschaft  der  Walen  und  Walkiirien  an.  *)  Saga  Thor 
finns  Karlfefnis  c  3,  Antiqait.  americ.    104  —  113* 


61 


Lammfelle  und  mit  weifzem  Katzenpelz  gefuttert;  in  der  Hand 
halt  8ie  einen  Stab  mit  st^inbesetztem  Messingknopf.  Die  Hande 
stecken  in  Katzenf ellbandschuhen ;  an  den  Fufzen  hat  sie  rauhe 
KalbfeUschuhe  mit  langen  Riemen  und  grofzen  Knopfen  auf  den 
Spitzen*  Ihren  Leib  umschliefzt  ein  Korkgiirtel,  an  dem  ein  Le- 
derbeutel  mit  den  Zaub^rgeraten  hangt*  Da  sie  hereintritt,  wird 
sie  von  alien  ehrerbietig  gegnifzt  und  der  Wirt  fQhrt  sie  auf  den 
Ehrenplatz,  den  Hochsitz,  der  fiir  diefz  Mai  mit  einem  Polster 
aae  Hiinerfedem  bedeckt  ist.  Die  Malzeit  fiir  die  Seherin  besteht 
aae  Zicgenmilchbrei  und  einer  Speise  von  allerlei  Thierherzen. 
Thorbidrg  ist  diesen  Abend  schweigsam  und  zum  Weifzagen  nicht 
aufgelegt,  indefsen  verheifzt  sie  den  an  dem  Morgen  den  Wiin- 
schen  zu  willfaren*  Da  ist  alles  bereit  was  sie  zum  Zaubersieden 
bedarf;  allein  es  fehlen  Frauen,  welche  solche  geisterbannende 
Spriiche  (vardhlokur)  verstiinden  wie  sie  die  Seherin  will.  End- 
lich  findet  sich  eine,  Namens  Gudhridhr  y  die  auf  Island  solche 
Spriiche  lemte;  weil  sie  aber  Kristin  ist,  entschliefzt  sie  sich  erst 
Bach  langem  Bitten  sie  zu  sagen.  Da  schliefzen  die  Frauen  um 
die  Wahrsagerin  auf  dem  vierbeinigen  Zauberschemmel  einen  Kreis 
und  Ghihdridhr  beginnt  mit  schoner  Stimme  einen  so  schonen 
Sprach  zu  sprechen,  dafz  alle  entziickt  sind  und  die  Wcda  selbst 
gesteht,  es  sei  ihr  vieles  dadurch  deutlich  geworden,  was  ihr  zuvor 
iierborgen  war.  Darauf  weifzagt  sie  alien  von  dem  was  sie  zu 
wifzen  wiinschen  und  zieht  dann  auf  den  nachsten  Hof,  von  dem 
kereits  ein  Bote  nach  ihr  ankam. 

Ebenso  mag  eine  Geschichte  von  einer  Wala,  Namens  Heidhrj 
emhlt  werden  (Orvarodds  s.  cl  2.).  Sie  war  Seherin  und  Zau- 
berin  (seidhkond)  und  besuchte  die  Grastgebote,  um  den  Menscheri 
Ibcr  Leb^i  und  Witterung  Auskunft  zu  geben ;  im  Gefolge  fiihrte 
■c  fiinfzehn  Jiinglinge  und  fiinfzehn  Jungfrauen.  Einmal  hatte 
■e  ein  gewifser  Inglaldr  zu  Bernriodhr  in  der  norwegischen  Land- 
scliaft  Vik  zu  sich  geladen,  und  wie  einem  hohen  Gaste  geht  er 
ir  mit  vielem  Geleite  entgegen  und  bittet  sie  nochmals  in  aller 
Formlichkeit  in  eein  Haus  zu  treten.  Als  gegefzen  ist,  lafzt  Hddhr 
4c  andern    schlalen    gehen ,    sie    selbst  bleibt  mit  ihrem  Gesindd 


g2 

wach  um  in  der  Nacht  den  Zauber  zu  sieden.  Am  Morgen  er— 
klart  sie  sich  im  Stande  zu  weifzagen  und  heifzt  die  Manner  ihre 
Sitze  einnemeny  und  einer  nach  dem  andem  tritt  zu  ihr,  mn  zu 
horen,  wie  sich  sein  Leben  fiigen  werde.  Dann  verkiindet  sie  noch 
wie  der  Winter  verlaufen  werde  und  andres  mehr.  EJin  unange* 
nehmer  Auftritt  mit  einem  unglaubigen  Zuhorer,  Oddar  genannt, 
beschliefzt  die  Sitzung.  Trotz  seiner  bestimmten  Droliung  jede 
Verkiindigung,  die  ihn  betreffe,  zu  strafen,  sagt  sie  ihm  doch  in 
Versen  sein  Geschick  voraus  und  der  trotzige  wirft  ihr  dafiir  einen 
Stock  derb  an  den  Kopf.  Hddhr  I'afzt  sogleich  ihre  Sachen  zosam- 
menpacken  und  obschon  sie  IngiaWrr  durch  reiche  Geschenke  zu 
versohnen  sucht,  obschon  sie  dieselben  annimmt,  lafzt  sie  aich 
nicht  mehr  halten  und  zieht  weiter. 

Noch  manche  nordische  Geschichten  erzahlenvon  den  TFo&n; 
alle  berichten  wie  die  weise  Frau,  gewohnlich  von  einem  Gefolge 
umgeben  *),  im  Lande  herumwandert ,  bei  den  Herbstgastereien 
ein  willkommener  Gast  ist,  in  der  Nacht  den  Zauber  siedet  und 
vom  vierbeinigen  Schemmel  herab  ihre  Weifzagungen  verkiindet 
Der  feidhvy  der  zur  Ausiibung  der  Seherkunst  imerlafzlich  scheint, 
mufz  ein  Sod  aus  allerlei  zauberkraftigen  Dingen  gewesen  sein, 
der  unter  hersagen  von  Spruch  und  Lied  bereitet  ward.  Aus  dem 
wallen  des  Wafzers,  dem  krauseln  der  Zutaten  in  der  Hitze,  viel- 
leicht  auch  aus  dem  Bodensatze  las  die  Frau  die  Zukunft.  Der 
Zaubersefzel  mufz  hoch  und  breit  gewesen  sein  *).  Es  wird  erzahlt, 
wie  einmal  Manner  in  ein  Haus  kamen  wo  Zauberer  ihr  Wesen 
trieben.  Sie  sehen  den  Schemmel;  einer  geht  unter  ihn  und  ritzt 
unter  schadenden  Spriichen  Runen  daran,  die  den  Seidhr  storen. 
Als  nun  die  Zauberer  auf  den  Schemmel  sich  stellen,  brechen  sie 
mit  ihm  zusammen  und  Wahnsinn  erfafzt  sie,  dafz  sie  im  Walde 
in  Sumpfe  und  Abgriinde  sich  stiirzen  (Fomald.  s,  3,  319).  Sol- 
cher   Seidhmanner   wird   haufig  gedacht  und    sie  spielen  in    den 


')  Einer  Wala  Skuldh  werden  Elben,  Nornen  and  ^andres  Gezachf  (^annat 
illthydhx)  in  junger  Sage  beigegeben.  ')  Vgl«  d.  Myth^  996.  Den  Nornen 
scheint  ein  gleicber  Sefzel  beigelegt  worden  zu  sein.  Saem.  24/  127/  Von  dem 
Sitze  der  Wala  Saem.  196.*  (Bask). 


68 

Kampfen  der  ersten  kristlichen  Konige  Skandinaviens  eine  bedeu- 

teude  Rolle.  Die  am  Heidenthume  und  der  alien  freien  Verfafeung 

kst  hielten,  glaubten  in  dem  Zauberwerke  gegen  die  Bestrebungen 

der  Bekerer  und  Usurpatoren   die  Hilfe   der  alien    Stammgoiier 

zu  findem  Als  Harold  Schonhar  Norwegen  unter  seine  Alleinherr- 

schaft  zu  bringen   sirebi  und  dabei    die  Bekerung   zum  Krisien- 

thume  als  Hilfsmitiel  benutzt,  verfolgt  er  die  Seidhm^nner  beson- 

ders  hefiig.    Er  lafzt;  seinen  eigenen  Sohn  Rognvald  Rettilbein  von 

Hadhalandf  der  solche  geheime  heidnische  Kiinste  trieb,  von  Erich 

Bluiaxt    iiberfallen    und    mii    achtzig   Seidhmannem    verbrennen. 

(Fommanna  s.  1,  10.  2,   134).    Der  anziehende  Kampf  des  Hei- 

denthums   gegen   das   Kristenihum  in    Skandinavien    gewart    der 

Verfolgungen    und     des    fortgesetzien    zah^n    Widerstandes    eine 

lange  Reihe. 

Der  Seidhy  den  Manner  und  Frauen  (Seidhmenniry  Seidhkonur) 

trieben,    gab  Macht  iiber  Menschen,    Thiere   und  Wetter.    Seine 

Wirkung  war  nach  der  Mafse,  die  in  den  Kessel  kam^  verschie- 

den.    Die   Sinnesart  des  Menschen  konnte  vemndert ,    Hafz  oder 

Liebe  ihm  eingeflofzt  werden  (Saem.  207.**  234') ;  langsames  Hin- 

siechen ,    Versetzung  aus  der  Feme  in  die  Nahe ,  zum  Theil  ur- 

plotzlieh,    zum   Theil  durch   unendliche   Sehnsucht,    welche   den* 

Fernen  trieb ;    Verzauberung  auf  hohe  unzugangliche  Orte ,    Er- 

zeugung  von  Sturm,  Unwetter  und  Mifswachs,  alles  das  schrieb 

man  dem  Seidh  zu.  Waren  doch  blofze  Spriiche  machiig  genug:  sie 

bezauberten  die  Tranke  (Saem.  194),  stumpften  oder  segneten  die 

Schwerter  und  heilten  Krankheiten.   Die  Heilung  der  Krankheiien 

furt   auf   eine  neue    Seite  der   Thatigkeit   der   Priesterinnen   und 

weisen  Frauen.     Fast  iiberall  im  Alterthume  und  im  Mitielalter 

zeigt  sich  Priester  und  Arzt  in  einem  Leibe.   Die  Auffafzung  der 

Krankheii  als  einer  Strafe   der  Gottheit  muste  den  Priester  zum 

Heiler  derselben  berufen ,  da  er  durch  Gebet  und  Opfer  die  ziir- 

Dende  Macht  versonen  konnte.      Vor   allem  erschienen    die  Prie- 

gterinnen  zur  Heilkunst  befahigi,    da   sie  besonders  mit  geheimen 

Reden  und  Liedern  und  niit  Einsieht  in  das  Geschick  ausgestaitet 

dauchren ,  und  ihre  Frauenhand  an  sich  schon  Linderung  brachte. 


Die  Hoilnng  war  also  em  Opferdieiist  *),  der  je  nach  dem  Leider 
dieser  oder  jener  Gottheit  gewidmet  war.   Die  Fraitenkrankhciten, 
besonders   die  Gebiirten    etunden  unter  Friggs  und  Freyas  Madit 
(Saem.  240^) ;    die  Wunden-  mochten  den   Schlachtgottem  anem- 
pfolen   werden.    Die  spatere  Zeit  schuf  eine  besondere  Grottin  der 
Heilkunst,    Eir,   und   weiter  abstrahirte  Gestalten  lehrt  das  Lied 
von  Fiolfvinn  kennen^  Menglddh,  eine  gottliche  Frau,  erscheint  hier 
im  Kreise  von  neun  heilkundigen  Jungfrauen,,  deren  Namen^  das 
schiitzende,  wamende,  glanzende   freundliche,  schonende  der  weib- 
lichen  Art  bezeichnen,    warend  Menglodh  selbst  eine  gewohnliche 
Umschreibung  von  „Frau"  ist  und  in  ihr  also  eigentlich  dieVer- 
gottlichung  des  Weibes  als  der  Pflegerin  und  Helferin  im  Leiden 
vollzogen  ist.  Die  neun  Jungfrauen  knieen  vor  Menglddh  und  sin- 
gen  heilkraftige  Spriiche    und   die    glaubige    Menge   bringt  ihnen 
Opfer  an  heiliger  Statte.    Der  Fels,  der  sich  dort  erhebt,  Hyfja- 
berg,    bringt    namentlich   den   kranken  Frauen,  die  ihn  besteigen, 
Genesung  (Saem.  110.  111).     Von   den   alten  unteren  Gottheiten 
werden  besonders  die  Wald-  und  Meerfrauen  {diu  wUden  wtp)  als 
erfaren  und  machtig  uber  Krankheiten  geschildert.  Sehr  nattirlich 
scheinen  daher  auch  die  Woden,  die  weisen  Frauen,  die  mit  ihneti 
so    vielfach   verbunden    sind ,    als  heilkundig  *).    Spriiche,    Segeti 
Stabe  mit  Kunen  beritzt,    waren  die  beliebtesten  Mittel  und  sin^ 
es  noch  heutie  bei  den  klugen    Weibem,  die  zu  bufzen  versteheti 
und  bei  den  Anhangem  der  sympathetischen  Heilungen.  Danebei 
finden  sich  auch  Tr'anke  aus  Krautem,  Salben  und  Pflaster.    Be 
merkenswerth  ist  auch  die  Anwendung  des  kalten  Wafzers,  welch ^ 
Friesinnen  des    9.  Jahrhunderts    an  einer  totkranken  versuchen  *) 
An  die  Einwirkung  heiliger  Orte  ward  auch  im  Heidenthume  ge- 
glaubt,  wie  jener  Fels  der  Menglddh  bezeugen  mag.  Nach  derEin- 
fiirung    des   Kiistenthums  erhielten  bald  die  Graber  der  Heiligea 


')  Vgl.  hier  iiberhaupt  Grimms  d.  Mythol.  cap.  36.  *)  Hlif.  Hlifihur'a^ 
Thiodkvarta,  Biort,  Blidh,  Blidhnr,  Fridh,  Eir  und  Orbodha,  Im  Hyndlaliede  isi 
eine  Orbodha .  Frau  des  Mccrriesen  Gymir.  Sic  und  Illifthurfa  hatten  also  ein€ 
bestimmte    mythische    Ankniipfung.  ')  Fornald.    s.    3,    6(f5.   \Mb.    Fofnmann^ 

s.    U»,  204.       ••)  Translat.  R.  Alexandri  a.  851.  Pertz  mon.  2,  (580. 


65 

■I  .  I* 

(He  Kirchen  ubeAatlpt ,  die  wunderthatSgen  Bildei^  und  Reliquieti 
eine  bedeutende  arztliche  Wirksamkeit ,  deren  sie  noch  heute  nicht 
cnthoben  sind.  Uebrigens  wax  die  Heilkunst  nicht  ein  Vorrecht 
der  weisen  Frauen ,  sondern  eine  schone  Begabung  des  ganzen 
weiblichen  Geschlechtes.  Die  Frauen  und  Tochter  der  germani- 
schen  Krieger  scheuten  sicb  nicht  vor  den  Wunden,  welche  die 
Manner  aus  der  Schlacht  zur  Behandlung  zu  ihnen  brachten 
(germ.  7.)  und  das  iat  das  ganze  Mittelalter  hirtdurch  so  geblie- 
ben  *)•  IHe  pflegende  Hand  der  Frauen  hat  den  deutschen  Man- 
Dem  nie  gefehlt. 

Die  arztliche  ThsLtigkeit  der  Walen  erinnerte  theils  an  die 
Gottinnen  theils  an  die  Priesterinnen  und  auch  das  Zaubersiedeu 
mante  an  die  let^tereti*  Wie  die  kimbrisehen  Priesterinnen  aus 
dem  Blute  der  Grefaiigenen,  das  sie  in  dem  Opferkefzel  auffangen, 
weifzagen,  so  die  weisen  Frauen  aus  anderem  Sode.  So  lange 
auch  ihr  Ansehen  bluhte,  so  ist  es  doch  friih  genug  gesunken. 
Bereits  in  dem  Eddaliede  Lokaglepsa  wird  es  dem  ^Odhin  von 
LoJd  zum  Vorwurf  gemacht,  dafz  er  den  Walen  gleich  bettelnd 
an  die  Thiiren  der  Men^chen  klopfe  und  Zauberwerk  treibe.  Der 
Glaube  an  die  Gotte^  selbst  machte  noch  vor  Einfiirung  des  Kri- 
stenthums  vielfach  einem  selbstsuchtigen  Unglauben  Raum;  um 
wie  viel  mehr  musten  diese  Mittelspersonen  zwischen  Gottem  Und 
Menschen  verlieren.  AJs  das  Kristenthum  machtiger  ward,  sanken 
die  Gottheiten  zu  Zafuberern  und  weisen  Frauen  herab,.denn  die 
kristlichen  ,  Bekerer  wagten  nicht,  ihre  Nichtexistenz  zu  behaup- 
ten,  sondern  gaben  sie  nur  fiir  bose  machtige  Gewalten  aus. 
Frei/a  ward  zur  Zauberin  gemacht  und  Nomeriy  Walkurien  und 
Rksinnen  verflofzen  in  die  grofze  Mafse  der  klugen  Weiber,  deren 
Zahl  um  so  grofzer  ward,  als  es  nachgerade  als  unehrlich  fur 
Manner  gait,  Zauberei  zu  treiben.  (Ynglingas*  c.  7.) 

Wir  haben  uns  bis  jetzt  an  den  skandinavischen  Norden  ge- 
halten,  wo  alle  diese  Verhaltnifse  ungetriibter  erscheinen.  Die  Be- 


')  Walthar.  l405.  Erec.  72 '6.  Iw.  5609.  Lanz.  2l94.  Wigam.  6286.  Roseng 
C.  1996.  Fornmannafi.  5,  9l  ff.  Fomald.  s.  3,  640.  vgU  auch  S.  Palaye  Ritter- 
wcsen  (libers,  von  Kluber)  1,  189. 

5 


66 

trachtung  der  deutschen  klugen  Weiber,  der  Hexen ,  wird  una 
nunmehr  leichter  werden  *).  Wenn  wir  durch  die  Folterbekennt- 
nisse  dieser  unglucklichen  Opfer  des  Aberglaubens  hindurchdrin- 
gen,  80  findcn  wir  eine  Reihe  kirchlich  ketzerischer  Elemente^ 
welche  die  Inquisitoren  in  die  Hexen  hinein  inquirirten ;  zum  gro- 
fzen  Theil  aber  tritt  uns  altgermanischer  Glaube  entgegen. 

So  viel  auch  in  den   germanischen  Frauen  lag,   das  sie  fiir 
das  Kristenthiun  vorziiglich  empfanglich  maehte,  so  brachten  doch 
die  kirchUchen    Satzungen   vieles  mit  sich,    was  die  Frauen  ver- 
letzen  muste.  Die  orientalische  Auffafzung  der  Frau  als  eines  tief 
unter  dem  Manne  stehenden  Wesens,  als  eines  blofzen  Mittels  zur 
Erreichung  mancber  Zwecke,  war  mehrfach  in  kirchliehe  Bestim- 
mungen   eingedrungen.     Die   Kirchenversammlung  von  Chalcedon 
setzte   fest,    dafz  sich  keine  Frau  dem  Altare  nahem  iind  keinen 
noch  so  aufzem  Dienst  an  ihm  und  fiir  ihn  besorgen  diirfe.  Pabst 
Gelasius  hatte  diefz  in  seine  Dekretalen  aufgenommen ,    und  viel- 
faehe    Uebertretunge^i   des   Gebotes  in  frankischen  und  deutscheB 
Landen  machten  seine  wiederholte  Einscharfung  fiir  hier  notig*)* 
Noch  Bruder  Berthold,  der  ehren werte  und  tiichtige  Prediger  dcfi 
dreizehnten  Jahrhunderts,  eiferte  gegen  das  Zudrangen  der  Fraud 
zum  Altare,  da  allerlei  Unfug  daraus  entstehen  konne.  Die  Herab- 
driickung  der  Weiber,  die  Ansicht  sie  seien  unreine  Wesen,  aufzert^ 
sich  sogar  darin,    dafz  sie  die  Hostie  beim  Abehdmale  nicht  wi< 
die  Manner  mit  blofzer  Hand,  sondem  nur  mit  dem  Schleier  an- 
fafzen  durften,  um  sie  in  den  Mund  zu  stecken*). —  Gegen  ein^ 
solche  Verachtung  Seiteus  der  Kirche  muste  sich  das  Gefuhl  na- 


')  Ich  habc  anf  J.  Grimms  deutsche  Mythologie  c.  34  zu  verweisen ,  wc 
Stoff  and  Schlufze  daraus  auf  das  reichlichste  zu  finden  sind.  Soldans  GkschichU 
der  Hexenprozesse  fibersieht  leider  die  deutschen  Elemente,  ebenso  ist  Wachten 
Abhandlung  „die  Hexenprozesse  in  Deutschland"  (Beitrage  zur  deutschen  Ge- 
schichtc.  Tubing.  1845]^  einseitig.  Brauchbares  Material  bietet  H.  Schreibera  Auf- 
satz :  Feen  und  Hexen"  (Taschenbuch  fur  Greschichte  und  Alterthum  in  Siiddeutsch. 
land.  5.  Freib.  1846).  Das  Wort  Hexe  (ahd.  hagazus ,  hazusj  ags.  hagtiSj  h&gtefsi 
ifit  dunkel.  *)  Hartzheim  concil,  1,  79.  2,  19.  Pertz  legg.  1.  343.  ')  Bettberg. 
Kirchcngeschichte  Deutschlands.   Gott.  l848.    2,  787. 


67 

mentlich  der  deutschen  Frauen  etnporen.  Bishei*  der  Gottheit  nahe 

"gestellt,  mit  alien  heiligen  Geschaften  betraut,  im  Rate  der  Man* 

nei*  von  Einflufz   und  dem  sorgenden   Herzen  ein  Trost  iind  eine 

Zuflucht^    solten   sie    nun  dem  alien  entsagen  und  einem  GotteS'- 

dienete,  der  ihnen  innerlich  fremd  war  und  darum  inhaltsleer  blieb, 

sich  auch   nicht   einmal   aufzerlich   nahem   durfeii*    Man  begreift 

eehr  wol,    dafz  sie  das  Gebot  zu  umgehen  suchten  >  dafz  weuig- 

etens  die  Nonnen  das  priesterliche  Amt  selbst  zu  versehen  streb- 

ten  (Hartzheim  1,    79)    und    dafz    sich    die   Weiber    gem   den 

ketzerischen  Secten  anechlofzen^  in  denen  ihre  Neigung  zur  Inner- 

lichkeit>    zutn   geheimnifsvollen  und   gottesdienstlichen    mehr  Be- 

friedigung  fand  als  in  der  herrschenden  Kirche*    Namentllch  jene 

Weiber,  welche  die  alten  heidniBchen  Gebraiiche  fortfristeten,  moch- 

ten  sich   willig  den   antikatholiscfaen   Glaubensv^einen   zuwenden 

und  diese  Ketzerinnen  gaben  der  Zeugungskraft  der  theologischen 

und  kriminalistischen  Phantasie  den  Anlafz  ^  jenen  Inbegriff  von 

Gebr&uchen  und  Meinungen  zu  ei*finden,  der  als  Hexenwesen  bis 

in  unsre  Tage  spukt. 

Diejenigen,    welche  dafl  Erbe  unserer  Vater  gem  zu  Raub 

aus  romischem  oder  romanischem  Lande  machen,  weisen  natflrlich 

zur  Laugnung  des  Deutschen  im  Hexenwesen  auf  die  Verbreitung 

defselben  in    nichtdeutschen  Lilndem  hin  und  wie  es  allenthalben 

auf  gleiche  Weise  erscheine.  Wenn  wir  aber  den  volksthiimlichen 

alten  Glauben  der  verschiedenett  Volker  nicht  blofz  in  den  Haupt- 

ziigen,   sondem    auch  in  Nebensachen  oft  iiberraschend   stimmen 

sehen,  ohne  dabei  auf  anderes  als  auf  die  gleiche  Ausstattimg  des 

menschlichen  Innem    zu    verweisen;    so  ^darf  uns  die   Verwand- 

schaft  der  Ansichten  in  jiingerer  Zeit  auch  nicht  befremden.  Ein 

guter  Theil  und  zwar  das  schandliche,  obscone  und  ganz  unsin- 

nige  ist  iiberdiefz  durch  die  Hexenrichter  erzeugt  und  darum  ge- 

meines  Gut,  das  wir  mit  Freuden  als  nicht  germanisch  bezeichnen. 

Dafz  aber  im  deutschen  Hexenthume  bedeutende  Eeste    des  ger- 

manischen  Heidenthums  vorhanden  sind,  dafz  die  deutschen  Hexen 

auf  dem  Grunde   der  Priesterinnen  und   weisen   Frauen    stehen, 

wird  eich  aus  folgender  gedrangter  Uebersicht  ergeben. 

5* 


66 

Vor  dem  edleren  und  reineren  Amte  der  Weifzagung ')  tritt 
bei  den  Hexen  das  Geschaft  des  Zaubems  hervor.  Das  Beschwo- 
ren,  Besingen ,  Bcsprechen ,  Berufen,  S^gnen  der  Hexen  ist  aber 
eins  mit  der  Einwirknng  der  weisen  Frauen  auf  lebendes  und 
totes  durch  Spruch  und  allerlei  Zeichen.  In  den  Werkzeugen 
der  Hexen  erscheint  das  alte  Opfergerat:  der  Kefzel,  in  dem  sie 
den  Zauber  sieden  ist  der  Opfer-  und  Seidkefzel;  der  Tanz  bei 
ihren  vermeintlichen  Versammlungen  mant  sowol  an  die  Tanze 
der  Elbinnen  auf  Hiigeln  und  Wiesen,  wie  an  den  Tanz  der  Prie- 
sterinnen ;  die  Verbindung  der  Gotter  mit  ihren  Dienerinnen  ward 
zum  Bunde  der  Hexen  mit  dem  Teufel.  Gleichwie  Frouwa^Freya 
liber  das  Gedeihen  der  Feldfriichte  und  das  Wetter  Macht  hat 
und  die  Herzen  der  Menschen  lenkt,  so  wird  auch  den  Hexen 
Wetter-  und  Liebeszauber  zugeschrieben.  Selbst  die  Verwand- 
lung  der  Hexen  in  Katzen  erklart  sich  daraus,  dafz  dw  Fret/a  die 
Katzen  geheiligt  waren ;  Uebergang  der  gottlichen  Wesen  in  ihre 
Thiere  ist  aber  ganz  gewonlich.  Der  Gestahenwandel  der  Hexen 
ist  uberhaupt  gottliche  Spur;  die  Verbindung  des  GottermythuB 
mit  der  Thiersage  zeigt  sich  auch  hier.  Fiir  die  Kroten,  eine 
gewonliche  Erscheinungsart  der  H6xen,  fianden  wir  sohon  bei  den 
weisen  Frauen  gottliche  Anlenung.  Noch  bedeutender  aber  ist 
ihre  Wandelung  in  Granse,  denn  die  Schwanjungfrauen,  die  Wal- 
kiirien,  zeigen  sich  hiedurch  auch  mit  den  deutschen  Hexen  vcr- 
.want.  Hiervon  kommt  ihr  Vermogen  durch  die  Luft  zu  fiaren 
her,  das  in  jiingerer  Zeit  an  allerlei  aufzere  Mittel  gekniipft  ward. 
Da  solten  sie  auf  Kalbem  oder  Bocken  reiten  (wol  ungermanisch), 
sie  solten  Menschen  einen  zauberhaften  Zaum  iiberwerfen  und  sie 
als  Lufbrofse  gebrauchen;  oder  sie  hatten  eine  Salbe,  mit  der  sie 
einen  Arm  und  ein  Bein  pder  einen  Stab  bestrichen,  wodurch  sie 


')  Das  ganze  Mittelalter  hindurch  blieb  es  freilich  Sitte  bei  irgend  wiohd- 
gen  Unternemungen  weise  Frauen  zu  befragen.  Aus  ed,  Bothar.  379.  C,  Wisig. 
YI.  2,  5  lemen  wir,  dafz  auch  die  Bichter  in  schwierigen  Fallen  bei  Wahrsagent 
und  Zauberem  Auskunft  suchten.  Ygl.  auch  cone.  Tolet  IV.  c.  29.  (a.  633).  IKe 
Friesen  behielten  das  Loswerfen  in  kritischen  polidschen  Fallen  noch  lange  bei  und 
vollzogen  es  auf  dem  Altare.  Anderwarts  ward  das  Loswerfen  fiir  verderblich  und 
gottlos  gehalten  und  die  sortiariae  (sorcihres^  wurdeo  verfolgt. 


60 

fliegen  konnten.     Es  sind  das  unzweifelhaft  jiingere  Versuche  sich 

die  alte  Schwanennatur  der  Hexen  zu  deuten«  Wenn  sie  dagegen 

auf  Eofsen  durch  die  Luft  reiten  soUen ,   ao  ist   das   echte ,    den 

Walkiirien  angehorende  Sage ;  ebenso  diefz,  dafz  sie  der  Teufel  in 

seinem  Mantel   durch    die   Luft    fiire,     Der   Teufel   ist    Wuotan^ 

der  mit  seinen  Wiinschelmadchen  durch  die  Luft  saust ;    werden 

doch  auch  im  wilden  Heere  Hexen  auf gefiirt,  was  ganz  ihrer  Ver- 

wantschaft  mit  den  Walkiirien  entspricht.     Noch   anderes  erinnert 

an  ihren  deutschen  Ursprung:  so  die  Verwandlung  in  Schmetter- 

linge  und  Fliegen,  ganz  wie  elbische  Wesen;  nicht  minder,  dafz 

sie  sich  in  Strohhalme  und  Fedem  verbergen.     Die  Feder   weist 

auf  den  Schwan ,   die  Aehre  auf  eine  Feldgottheit ;    damit  hangt 

ihre  Einwirkung  auf  die  Kiihe  zusammen.     Die  Kuh  ist  bei  den 

nieisten  indogermanischen  Volkern  Symbol  der  Fruchtbarkeit  und 

eteht    zu   den   elbischen    Geistern   im  genauesten  Bezuge  *),   die 

durch  ihre  Nahe  auf  sie  wolthatig   einwirken  und  auch  wol  ihre 

Gestalt  zuweilen  annemen.     Bei    den  Hexen  ward   das  wolthatige 

wie  immer  umgekert  und   ihnen  Krankheit   und   schlechtes  Mil- 

chen  der  Kiihe  zugeschrieben.     Der  Mittel,  die  gegen  sie  hierbei 

noch  heute  angewendet  werden,    gibt    es   eine  grofze  Zahl.     Am 

interessantesten  ist  die  Anwendung   der  ^Sommer**    in  Schlesien. 

Die  Sommer  sind  geputzte  Tannenzweige,  die  am  Sommersonntage 

(Laetare)  unter  Liedem  in  Stadten    und  Dorfern   umhergetragen 

werden  und  die  wir  auf  den  Dienst  des  Jahrzeitgottes  zu  beziehen 

haben*     Ich  denke  dabei  an  Donar;  denn  dafz  diese  Sommer  als 

Schutzmittel   gegen   die  Hexen    liber   den  Kuhstallthiiren    und  in 

Zimmern  aufbewart   werden,    weist   auf  einen    Gott,    der  gegen 

allerlei  Geziicht  schirmte.     Namentlich  war  Donar  gegen  die  £>ie- 

Binnen  ein  starker  Schutz ;  Kiesinnen  und  Zaubermneii  vermischen 

sich  aber  vieKach.     Auf  diesen  Gott  will  ich  auch  das    Kreuz- 

zeichen  beziehen,    das    ebenfalls    gegen    die  Hexen  schiitzt.    Ur- 

epriinglich  ware  es  demnach  das  Zeichen  des  Hammers,  der  WafFe 

des  Donnerersji  das   auch  in  vielen  andem  Br&uchen  durch  das 


')  Vgl.  meine  Sagen  von  Loki  S.  12.  in  Haupts  Zeitschr.  f.  d.  A.  Bd.  7. 


TO 

Kreuz  ereetzt  wurde.  Mit  anderen  heidnischen  Mftchten  theilen 
die  Hexen  den  Glockenhafz  iind  die  Sucht  Kinder  zu  stelen. 
Dafz  eie  dieselben;;  toten  und  theils  verzeren ,  theils  zur  Bereitung 
ihrer  SaJben  benutzen,  iat  spaterer  Zusatz.  Wie  die  Gotter,  wenn 
sie  andere  Gestalt  annemen,  vorziiglich  an  den  Augen  kenntlich 
bleiben,  so  verraten  sich  auch  die  Hexen  daran;  freilich  werden 
ihnen  atatt  der  leuchtenden  rStliche  und  triefende  Augen  zugelegt, 
wie  diefz  der  Umkerung  zum  schlechteren  gem&fz  ist.  Griffen 
iibrigens  die  Hexen  nicht  so  tief  in  un sere  Yolks thumlichkeit  hin-> 
ein,  so  wiirden  ihnen  nicht  die  heiligen  und  Gerichtszeiten:  Ostem 
oder  Mai ,  Mitsommer  und  Herbst  zu  ihren  Versammlungen  ein* 
geraumt  worden  sein.  Der  Vorwurf,  dafz  sie  Pferdefleisch  genie-' 
fzen,  erinnert  an  die  ^ten  Opferschmause,  wobei  das  Pferdefleisch 
sehr  beliebt  und  angesehen  war. 

Was  hier  mit  Vergleichung  der  altgermanisohen  Ansichten 
^usammengestellt  ward^  umfafzt  ziemlich  die  Hauptsachen,  die 
den  Hexen  Schuld  gegeben  sind.  Einzelnes  wurde  weiter  fortge- 
bildet  und  in  den  Mittelpunkt  der  Teufel  gestellt.  Auf  diesen  ward 
alles  bezogen,  mit  ihm  und  durch  ihn  solten  die  Hexen  alles  ver« 
iiben.  Hier  offenbarten  nun  die  Kriminalisten  und  Theologen  eine 
abscheuliche  Phantasie  und  stelten  jene  Hexenkatechesen  zusam- 
jneUf  bei  denen  man  an  dem  menschlichen  Verstande  und  allem 
Sittlichkeitsgefuhl  verzweifeln  mufz.  Wer  solche  Dinge  ersin-r 
nen  konnte  und  in  die  armen  schwachen  Weiber  hineinfoltern 
Kefz,  fiir  den  gehorte  der  Scheiterhaufen ,  wenn  dieser  iiberhaupt 
brennen  solte,  und  nicht  fiir  die  ungliicklichen  Opfer  hirnver- 
brannter  Verfolgungssucht.  Doch  lafzen  wir  diese  Jammerblatter 
der  Menschheit  unberiirt,  die  mit  Flammen,  Blut  und  Verzweiflung 
bis  an  den  Rand  geschrieben  wurden,  zur  Schmach  vieler  Jahr- 
hunderte,  zur  ewigen  Schande  jener  Priester  und  Juristen.  Schlie-» 
fzen  wir  nur  weniges  an. 

Dafz  die  Zauberer  und  die  weifzagenden  Frauen  bald  nach 
der  ersten  Beriirung  des  Kristenthums  mit  dem  skandinavischen 
Germanenthum  verfolgt  und  mit  dem  Leben  bestraft  wurden,  ha- 
ben  bereits  angefurte   Thatsachen  bewiesen.   Man  glaubte  fest  aa 


Tl 

ihren  Einflufz  und  die  kristlichen  Konige  euchten  sich  ihrer  als 
Stiitzen  des  Heidenthumes  zu  entledigen.  Spilter  ward  ein  gere-* 
gelter  Grang  des  Processes  in  Skandinavien  gegen  sie  angeordnet, 
Nur  wenn  die  Zauberin  auf  handbafter  That  ergriffen  war,  verfiel 
sie  der  Todesstrafe  des  ertrankens  oder  steinigens.  Im  entgegen* 
gesetzten  Falle  konnte  sie  sich  durch  Gottesurtheil  oder  Eides- 
heifer  von  der  Anklage  reinigen;  ward  sie  der  iibemachtigen 
That  iiberfiihrt ,  so  wurde  sie  zwar  nicht  getdtet ,  allein  sie  ver- 
fiel In  eine  bedeutende  Geldbufze  (40  Mark)  ')•  Auch  bei  den 
deutBchen  Stammen  lebte  ein  alter  Hafz  gegen  alle  Zauberei  als 
etwas  heimliches  und  hinterlistiges ;  die  Folge  waren  schwere 
Strafen,  die  gegen  diejenigen  angesetzt  wurden,  welche  durch  Gift 
oder  geheime  Kiinste  Leben  und  Gedeihen  beeintrachtigten.  Bei 
den  Sachsen  traf  solche  Verbrecher  der  Tod  (capitul.  797.  c.  10); 
bei  den  Salfranken ,  den  Ripuariern ,  Baiern  und  Westgothen  ist 
entweder  das  Wergeld  oder  fur  den  Fall,  dafz  gerade  kein  Mord 
geschehen,  hohe  Geldbufze  angesetzt,  so  dafz  wir  auf  urspriing- 
liche  Lebensstrafe  auch  hier  schliefzen  diirfen  ^).  Gregor  von  Tours 
(VI.  35)  berichtet  von  einer  Hexenverfolgung  im  grofzen,  welche 
nach  dem  Tode  eines  Sohnes  Chilperichs  in  Paris  angestellt  wurde, 
Man  w'ante  den  Konigssohn  dureh  Zauberei  getotet,  erhob  Un- 
tersuchungen  und  durch  Hiebe  und  Foltem  bekannten  sich  eine 
Menge  Pariserinnen  schuldig ,  welche  hierauf  grausam  hingerich- 
tet  wurden.  Bei  Longobarden,  Franken  und  auch  sonst  noch 
herrschte  der  Wan,  dafz  Zauberer  und  Hexen  Menschen  aufefzen 
konnten  %  Gem  liest  man,  dafz  der  longobardische  Konig  Rother 
(1*  Soth«  379)  und  auch  Kaiser  Karl  der  Grofze  (de  part.  Sax.  5) 
gegen  diesen  Abergl^uben  eifem  und  diejenigen  mit  schweren 
Strafen  bedrohen,  welche  sich  gegen  einen  solchen  vermeintlichen 
Verbrecher  vergehen,   Allein  diese  aufgeklsirten  Ansicht^  bracbea 


*)  Vgl.  Veftgdtalag  II.  Retl.  10.  Qftgdtalag  VadhamAl  3l,  1.  Borgarthing& 
^fienrett  1,  16.  3,  22.  Eidhjivathings  kri^enr.  1,  46.  2,  35.  Sverrers  kr,  c.  98^ 
*)  h.  gal.  em.  XXI.  (Der  Feuertod  ist  spaterer  Zusatz,  s.  Wilda  Strafrecht  100) 
1-  Rip.  LXXXIII.  1.  Bajuv.  XII.  8.  Wisig.  VI.,  2.^  Vgl.  im  Allgemeinen  Wilda, 
Strafrecht  der  Germanen  9ii  1—973.       »)  Vgl.  J.  Grimm  d.  Mytbol.  1034.  I 


n 

—  I,  N 

sicfa  leider  nicht   Ban  und  fanden  an  den  Gkilllicheii   et^te  Veiv 
folgung.     Zwar  hat   die  Kirche   mehrmals  eich  aof  helle  Wdse 
liber  den  Glauben  an  Hexen  ausgesprochen ,   seine  Quellen  gehr 
richtig  bezeichnet  und  ihn  als  Aberglauben  verwoFfen  (Begino  de 
eynod.  C.  n.  371) ;  allein  die  Stellung,  welche  die  Priester  in  der 
Praxis  einnamen,  war  dieser  verniinftigen  Theoiie  gan^  entgegen. 
Zum  Theil  unechte  Conoilienbeschliifze  des  vierten  Jahrhunderts, 
so  wie  eine   dem  Augustin  zugeschriebene  Schrift   (de  spiritu  et 
anima)  gaben  die  Grundlage  fur  andere  kirchliche  Bestinunufigen 
ab  9    welche  von  der  weltlichen  Macht  bestatigt  und  angenommen 
zur  Verfolgung  aller  Arten  sogenannten  Zaubers  dienten*).  Zauber, 
wirkliche  VerbrecJien   und  Unglauben   werden  hier   und  wch  im 
Sachsenspiegel  (2.  13,  7.)  als  Beschuldigungen  erhoben.  Der  Ten- 
fel  ist  noch  nicht  herbeigeruf en ,    allein  die   erfinderischen  Inqui- 
sitoren  des  13,  Jahrhundertes    wusten  ihn   den   armen  Hexen   zu 
vermahlen  und  erbauten  aus  den  ketzerischen  Meinungen  friiherer 
und    der   eigenen   Zeit  eine  vollige   Teufelslehre ,    in   der   sie  in 
den    Marterkammern   Unterricht   ertheilten   und    die  sie  auf  den 
Scheiterhaufen    zu   Ende  fiirten.      Jener  volksthumliche   Glaube, 
der  sich     an   die  klugen  Frauen  ankniipfte,   war  bei  diesen  Pro- 
zefsen    ina    Grunde    Nebensache.      Der   Aberglaube  der  richten* 
den  Theologen  selbst  war   es ,    den   sie  den    Hexen    zuschrieben 
und  gegen  den   sie    vatermorderiscb  wuteten.     Genug  der  aimen 
Weiber   mogen    an   Wettermachen ,    Verderben    der  Feldfriichte, 
Bezaubem   von  Menschen   und    Vieh    geglaubt   haben,    wie  noch 
heute  unzahlige;    allein  keine   konnte   sich   selbst   darin    machtig 
halten ,    keine  an  eine  solche  Verbindung  mit  dem  Teufel  glau* 
ben,    wie   sie   die  Bichter   ihnen  einfolterten.     Die  Bulle  Surnmis 
dedderantea  des  Pabstes   Innocens  VIH.   vom   5.  December  1484 
ziindete  in   Deutsohland    tausende  von    Scheiterhaufen   an,    und 


^)  Einen  wolth'atigen  Eindruck  macht  das  Benehmen  des  Gri^fen  Wilhelm 
von  Egolisma  (AngouUme)  defsen  Krankheit  einer  Hexe  zugeschrieben  ward.  Das 
Weib,  das  man  im  Verdacht  hatte,  wurde  daroh  Gottesurtheil  und  Zeugenanssagen 
uberfiirt;  der  Graf  gab  aber  nicht  zu,  dafz  sie  gefoltert  werde  und  schenkte  ihr 
das  Leben.  Ademari  hist.  III«  66.  (a.  1028)  Pertz  6,  l46. 


T3 

«chlug  unzalige  Folterkammern    auf,    in  denen  eine  Marter  des 

Leibes  und  eine  Verletzung  des  weiblichen  Schamg^fuhles  getrie- 

ben  ward ,  die  taueendfacher  Tod  war.  Scharen  von  Weibern  jeden 

Alters  und  Standee  (Madohen  von  wenig  Jahren  wurden  als  Hexen 

gerichtet),  hunderte  von  Mannern  und  zwar  der  edelsten  und  frei- 

sinnigsten  wurden  nun  gefoltert,  gekopft,  verbrannt.     Die  Manner 

etiirzte   grostentheils    die    Opposition   gegen    diefz    nichtswiirdige 

Treiben  in   das  Verderben,     War  doch  selbat  im  18.  Jahrhundert 

derKampf  gegen  die  Hexenprocesse  noch  nicht  ungefarlich. — Wir 

gind  jetzt  endlich  der  Hexen verfolgungen  ledig  geworden,  obschon 

8ie  mancher  in  das  Leben  zuriickwunschen  mag;    der  Glaube  an 

die  Hexen  ist  aber  geblieben.    Naohdem  die  gelehrten  und  from- 

men  Herren  ihn   nicht  mehr  iiberwachen,    ist   der  Teufel  sammt 

aller  Hareaie  fast  ganz  daraus  gewicben ;  sah  man  doch  dafz  der 

Hollenfiirst  seinen  Brauten  nicht  half  und  sie  arm  und  elend  liefz. 

Wettermachen,  Einwirkung  auf  die  Kiihe,  auf  den  FeLlbau  und  die 

Gesondheit  des  Menschen,  das  sind  die  Beschuldigungen,  die  heute 

etwa  den  Hexen  gemacht  werden   und   die   den  Inhalt    unzaliger 

Sagen    bilden ,     in   denen    nebenbei    manche    altheidnische    Erin- 

nerung  unterlauft.      Den   Ausgangspunkt   fiir   die   ganze  Hexen- 

wirtschaft  gab  der  schone   altgermanische  Glaube    an  die  Hoheit 

des  Weibes   und  seine   gebeimnifsvoUe   wunderbare  Ausstattung. 

Er  ward  erst  profanirt,  dann  entstellt  und  verzerrt  und  lafzt  nur 

noch  wenig  von  dem  3ilde  ahnen,  das  ihm  zu  Grunde  liegt 


Vierter  Abschnitt 


Das  ]IIadcheii. 

Von  den  Gottinnen  und  weisen  Frauen  treten  wir  hinein 
in  den  Hausraum  der  Wirklichkeit.  Dort  wandelten  wir  iinter 
Gestalten  der  Vorstellung,  von  hier  ab  verkeren  wir  mit  der 
Frau  unter  der  Last  desLebens,  mit  dem  Madchen ,  der  Crattin, 
der  Hausfrau.  Wir  begleiten  sie  von  der  Wiege  durch  die  Jahre 
der  Jugend  und  Liebe  in  die  Zeiten  der  Sorge  und  des  Verar-^ 
mens,  wir  winden  ihr  den  brautlichen  Blumenkranz  und  reichen 
ihr  den  Witwenschleier.  Jene  dunkele  Seite  der  Stellung  des 
Weibes,  seine  sachliche  Bedeutung,  bildet  die  Grrundlage  dieser 
Verbal tnisse.  Von  Anfang  an  erscheint  sie  jedoch  in  der  Fort- 
entwickelung  zum  Lichte  begriffen  und  wir  werden  sehen  wie 
diefz  in  den  verschiedenen  Lebensrichtungen  geschieht.  Konnten 
wir  hoher  hinauf  in  das  Alterthum  unsers  Volkes  blicken ,  so 
wiirden  der  Beweise  noch  mehr  sein,  dafz  auch  bei  den  Germa* 
nen  das  Weib  einmal  jene  Stellung  einnam,  in  der  es  bei  alien 
Volkern  auf  niedriger  Bildungsstufe  erscheint. 

In  dem  Alterthume  trat  der  einzelne  hinter  die  Gesammtheit 
zuriick.  Wie  die  Dichtkunst  selbst  nicht  als  eine  Gabe  der  Gt)tt- 
heit  an  den  einzelnen  gait,  sondem  der  Dichter  nur  das  Mittel 
schien,  durch  welches  das  Volk  seine  Poesie  ausstromen  liefz, 
so  war  auch  in  alien  iibrigen  Verhaltnissen  die  Gemeine  der  le- 
bendige  Quell,    aus  defsen    Flut   der   einzelne   bald  Leben  bald 


It) 


Tod  schopfte.  Das  Leben  deeeinzelnen  hat  natiirlich  in  solchenZu- 
staodenkeinebesondereBedeutungy  Bondem  wo  die  Gesammtheit  es 
«u  veraichten  beschKefzt  mufz  es  erleschen*  Dem  Staate,  der  auf 
der  Manner  Starke  gebaut  war ,  muste  daran  liegen ,  diese  sich 
zu  waren ;  darum  tritt  iiberall  im  Alterthume  das  Streben  h^rvor 
einen  schwachlichen  Nachwuchs  zu  unterdriicken  und  jedem  freien 
Vater  wird  das  Recht  ertheilt,  schwache  Knaben  bald  nach  der 
Geburt  auszusetzen.  Das  Leben  der  Madchen  war  vollig  dem 
Gutdiinken  des  Vaters  iiberlafzen. 

Diese  allgemeinen  Bemerkungen  sind  aueh  fiir  die  Germa- 
nen  als  richtig  anzunemen.  Wir  luumen  damit  jener  Mittheilung 
des  Tacitus  dafz  die  Zahl  der  Kinder  irgend  zu  beschranken, 
unter  ihnen  fiir  verbrecherisch  gelte  (Germ.  19) ,  nur  eine  be- 
dingte  Wahrheit  ein  und  sind  dabei  von  den  giltigsten  Zeugnissen 
unterstiitzt.  Auch  bei  den  Germanen  herrscfate  einst  allgemein  die 
alte  Sitte  die  Kinder  auszusetzen  ^),  Sie  schrankte  sich  jedoch 
fr&h  auf  einzelne  StUmme  und  auf  gewisse  Yerhaltnisse  ein. 

Als  gewSnlicher  Anlafz  erscheinen  Theuerung  und  Hun- 
gersnot  *).  Bei  den  rheinischen  Germanen,  mit  denen  die  Romer 
am  meisten  verkerten  ,  mochte  solcher  Notstand  selten  eintreten ; 
liaufiger  war  er  aber  bei  den  norddeutschen  Stammen  und  auf 
Skandinavien  und  Island.  Namentlich  die  islandischen  Zustande  sind 
unsdeatlich.  Die  Unfruchtbarkeit  der  Insel  machte  es  zur  streng- 
8ten  Pflicht  die  Entstehung  eines  Proletariates  zu  verhiiten.  Die 
Mittel,  die  man  ergriff,  waren  streng  und  hart  wie  die  Natur  und 
die  Menschen  der  Insel.  Bei  einer  Hungersnot  ward  einmal  be- 
Bchlofzen,  alle  alten  und  erwerbsunfahigen  zu  toten  (Fornmannas. 
2,  225.),  Mit  gutem  Rechte  waren  aber  die  Ehen  der  armen  der 
gesetzlichen  Piirsorge  unterworfen.  Heiraten  sich  zwei,  die  nicht 
ein  beatimmtes  Mafz  des  Vermogens  nachweisen  konhen ,  uud  die 


')  Vgl.  Gbimm  Rechtsalterthiimer  455-'-4B0.  Erich^en  de  expositione  infan- 
tum apud  veleres  septentrionales  ejusque  causis ,  in  der  Kopenhagener  Aasgab&  der 
^^^nlaugS'Ormstungufaga  104  —  220.  *)  Nach  cinera  Rechte  das  sich  lange  er- 

nielt,  (iurfte  ein  Vater  sein  Kind,    (ebenso  ein  Mann  seine  Fran)  aus  Not  in   die 
^nechUchaft  verkaufen.  Grimm  Rechtsa.  461.  Kraut  Vormundschaft  1,  297. 


if) 


£he   ist   fruchtbar,     so  miifzen  sie  sammt  den  Eindem  aus  dem 
Lande;  ja  sogar  der  gesetzHche  Verlober  der  Frau  und  der,  ia 
defsen   Hause    der  Brautkauf  vor  sich  gieng,    werden  verbannt, 
wenn  nicht  jener  die  Ernarung  der  Kinder  iibemimmt.  Dae  Paar 
darf  erst  zuriickkeren,   wenn   es  das  bestimmte  Vermogen  n«ch«' 
weisen  kann  und  die  Moglichkeit  fernerer  Vermerung  versohwun- 
den  ist.  (Gr&g^s  Festath.  12).  Ueber  die  Erhaltung  der  erwerbs- 
unfahigen  oder  verarmten  Glieder  einer  Familie  fanden  eich  eben- 
falls    genaue  Bestimmungen ,     die   alle   darauf  ausgiengen,    dem 
State   die   Last   einer   Armenernarung  zu  ersparen  und  natiirlicli 
jeden  darauf  denken  liefzen,     sich  keine  Familienarme   irgendwie 
heranzuziehen.     Auf  Island ,    diesem  Musterbilde  altgermanischer 
Zustande ,     war   das  Aussetzen  der  Kinder  vom  State   unter   ge- 
wifsen   Verhaltnifsen  geboten.     Als   nun   das  Kristenthum   durch 
Beschlufz  der  allgemeinen  Volksversammlung  angenommen  wurde^ 
war  die  Anname  von  der  Minoritat  an  die  zwei  Bedingungen  gc- 
kniipft,  nach  wie  vor  Pferdefieisch  efzen  zu  diirfen  und  die  Kin* 
der  wie  im  Heidenthum  aussetzen  zu  konnen.    Bald  jedoch  ward 
die   letztere    Forderung   beschrankt   und    nur    die     Totung  gans 
verlafzener  und  verwaister  Kinder  gestattet.  In  den  anderen  skan- 
dinavischen  L'andem  ward  bald  mit  der  statlichen  Einfhrung  des 
Kristenthums  das  Kinderaussetzen  ohne  alle  Ausnamen  bei  Frie- 
dens-  und  VermOgensverlust  verboten.  Die  Sorge  fur  die  mutter- 
losen  und  ganz  armen  Kinder  wurde  der  Landschaft  iibertrageiu 
(Frostath.  2,  2.  Biarkeyjarr.  c.  3.)    Uebrigens  ward  auch  auf  Is- 
land schon  in  vorkristlicher  Zeit  das  Gefiihl  milder  und  selbst  den 
unvermogenden  wurde  es  verargt,  wenn  sie  die  Kinder  aussetzten.   i 
(Gunnlaugs  s.  c.  3.  Fornmannas.  3,  111.) 

Neben  der  Armut  konnte  noch  anderes  zu  dem  harten  Ver-  ^ 
faren  bestimmen*  Wie  bei  andem  Volkem  waren  oft  Tmume  , 
der  Anlafz  ein  Kind ,  von  dem  sie  Unheil  verkiindeten ,  auszu-  : 
setzen.  Der  Islander  Thorstein  EgiU  Sohn ,  ein  reicher  Mann,  , 
traumte  seine  Frau  werde  ein  Madchen  gebaren,  das  viel  Un-  . 
gliick  bereiten  werde.  Als  die  Zeit  der  Niederkunft  nahet  und  er 
zui'  grofzen   Volksversammlung   reisen   mufz,    befiehit    er  seiner 


T7 

¥rau  Jofrid,  wenn  sie  ein  Madchen  gebaren  solte ,  es  auszusetzen. 
Sie  entgegnete  ibm  aber,  dafz  solcbes  fur  ihn  eine  Schande  und 
Thorheit  sei,  da  er  selbst  reich  sei  und  auch  reiche  Verwante 
habe.  Da  sie  nun  in  seiner  Abwesenheit  eines  schonen  Madchens 
genest,  braueht  sie  eine  List,  indem  sie  dem  bestimmten  Willen 
desMannes  gerade  nicht  zu  trotzen  wagt.  Sie  lafzt  den  Befehl  nur 
scheinbar  erfiillen ;  Helga  bleibt  am  Leben  und  durch  ihre  Schon- 
heit  erfiQlt  sich  des  Vaters  Traum.  Davon  erzalt  die  anziehende 
Geschichte  des  Skalden  Gunnlaug  Schlangenzunge,  —  Sehr  erklar- 
lich  ist  die  Benutzung  des  Brauches^  um  von  der  Familie  eine 
Schmach  abzuwenden,  die  ihr  durch  die  Geburt  eines  Kindes 
drohte.  Nicht  selten  war  auch  das  Kinderaussetzen  ein  Mittel  zur 
Eache,  defsen  sich  leider  selbst  die  Mutter  gegen  die  Vater  des 
Kindes  bedienten.  Eine  Jslanderin  beschlofz  aus  Wut  dariiber,  dafz 
ihr  Mann  ^Asbidm  eine  Tochter  ohne  ihr  Mitwifzen  verlobt  hatte, 
keine  Kinder  mehr  aufeuziehn  und  lafzt  ihr  nachstes  Kind  aus- 
setzen.  Sie  erklart  dem  verzweifelten  Vater  nach  der  That ,  sie 
wolle  keine  Kinder  erziehen ,  die  gegen  ihren  Willen  weggegeben 
wiirden*  (Finnbogaa.  c.  2.) 

Ohn«  weiteres  diirfen  wir  annemen,  dafz  das  Ausfetzen  vor- 
zftglich  die  Madchen  traf ,  da  es  den  Armen  immer  leichter  ward 
einen  Knaben  aufzuziehen.  Auf  den  Sohnen  ruht  das  Leben  und 
die  Hoffhung  des  Hauses,  in  ihnen  winkt  den  Eltern  die  Aus- 
sicht  auf  Erleichtemng  ihrer  Lage»  Die  Madchen,  iiber  deren 
Geburt  sich  in  den  Volksgebrauchen  weit  weniger  Freude  bekun- 
det  als  iiber  die  Knaben  ^),  konnte  das  harte  Geschick  schon 
dann  treflfen ,  wen»  in  der  Familie  keine  oder  nur  wenige  Sone 
und  viel  Tochter  geboren  wurden.  Einen  Beleg  dafiir  gibt  die 
Lebensbeschreibung  des  heiligen  Liudger.  Liafburh ,  Liudgers 
Mutter,  war  als  neugebomes  Kind  in  groster  Leben sgefahr,  denn 
ibe  Grofzmutter  war  in  Wut,  dafz  sie  lauter  Enkelinnen  und 
keinen  Enkel  erhielt^  Sie  gibt  also  den  Befehl  das  Kind  ins  Wa- 
fzer  zu  werfen  ^).  Allein  eine  mitleidige  Nachbarin  zieht  es  zeitig 

')  Grimm  deutsche  RechtsaUerthiimer  403.  *)  Die  Lex  Frijtonum  tit.  V,  I, 
6ibt  Mftttern  das  Becht  ihre  Kinder  gleicb  nach  der  Geburt  zu  toten. 


t8 

genug  heraus  und  fliichtet  es  in  ihr  Haus^  wo  de  Zeit  gewmnt 
ihm  etwas  Honig  auf  die  Lippen  zu  traufeln.  Nun  war  das  Kind 
gerettet ;  denn  sobald  ein  Kind  Speise  genofzen,  war  es  gesetz- 
widrig  dafzelbe  zu  toten  (Pertz  2,  406.).  Ebenso  dorfte  im  Norden 
kein  Kind ,  das  bereits  mit  Wafzer  benetzt  war  und  d^i  Ka* 
men  erhalten  hatte ,  airsgesetzt  werden  *)• 

Wenden  wir  una  nunmehr  zu  den  Kindem,  denen  das  Le** 
ben  geschenkt  wurde  und  sehen  wir  nach^  wie  ihre  ersten  Tage 
und  Jahre  verliefen.  Nachdem  das  Kind  vom  Vater  au%ehoben 
war,  wurde  es  gebadet,  mit  Wafzer  begofzen  und  ihm  dabei  ein 
Name  gegeben.  Es  stimmte  die  altgermanische  heidnische  Sitte 
aufzerlich  wenigstens  ganz  zu  der  Taufe.  Der  das  Wafzer  fiber 
das  Kind  gofz ,  legte  ihm  auch  den  Namen  zu ;  gewonlich  war 
es  der  vornemste  der  herbeigerufenen  oder  anwesenden  Manner  *) ; 
viel  Zeugen  zu  der  Handlung  zu  versamtneln,  war  alter  BraucL 
Wer  den  Namen  gab,  muste  auch  ein  Geschenk  geben,  das  in 
Landbesitz,  Waffen,  Kostbarkeiten  ^  nicht  selten  auch  in  ^em 
neugeborenen  unfreien  Kinde  bestund,  das  mit  dem  kleinen  auf-* 
gezogen  wurde  und  sein  Eigenthum  blieb*  Wenn  das  Kind  den 
ersten  Zahn  bekam ,  wurden  gleiche  Geschenke  (tannfii)  gegeben. 
In  kristlicher  Zeit  wurden  die  Taufhandlungen  bald  Gelegenheiten 
zur  Entwickelung  des  Luxus  und  die  Obrigkeiten  sahen  sich  ge-* 
notigt  schon  im  13  Jahrh*  dagegen  einzuschreiten«  Ebenso  musten 
zeitig  die  sogenannten  Kindbetthofe  iiberwacht  werden ,  das  sind 
die  Gastereien,  welche  bei  denBesuchen  der  Wochnerinnen  iiblich 
wurden  *).  Nicht  minder  fand  sich  die  Obrigkeit  veranlafzt  ge- 
gen  das  Geprange  einzuschreiten,  wenn  die  Mutter  das  Kind  auf 


*)  Ungetaufte  Kinder  hatten  halbes  Wergeld.  WUda  Strafr.  724.  —  Voa 
andem  Mitteln  die  Kinder  zn  beseitigen  schweige  ich.  Leider  werden  sie  bereits 
in  der  Zeit  der  Auf/.eicbnung  der  Volksrecbte  angewandt.  L.  Sal«  XXL,  2.  (4)- 
L.  Bajuv.  VII.,  18.  Wisig.  VI.  3,  1.  7.  Vgl.  Weisthumer  1,  794.  concil«  Mognnt. 
(847)  c.  21.  (Hartzb.  2,  158).  —  S.  aucb  Wilda  Strafrecht  718.'  ff.  727.  £. 
^)  Fornmannas.  1,  l4.  —  Stumme  Kinder  empfiengen  keinen  Namen.  (Saem.  l42.) 
—  Die  Naraengebang  biefz  nordisch  nafnfefti.  ')  Hflllmann  StAdtewesen  4,  l6l. 
Jager  Ulm  520.  Weist*  1,  489.  Micbelsen-Asmussen  Archiv  (Kiel)  I.  1,  95«  Le 
Grand  et  Roquefort  la  vie  privee  3,  192. 


?9 

dem  Arme  :^m  ersten  Male  nacb  der  Niederkunft  die  Kirche  be- 
Buchte.  Gewonlich  erfolgte  in  spaterer  Zeit  erst  bei  diesen  Kir- 
chen^ngen  dieTaufe  (Trist.  1953 — 67),  obschon  diefz  raannigfa- 
chen  Widersprucb  fand.  So  eifert  unter  andern  Bruder  Berthold 
gegen  die  Eltern,  welche  mit  der  Taufe  warteten  bis  dem  Kinde 
ein  schoner  Taufbut  gemacht  sei  (Predigten  herausgeg.  von  Kling 
S.  213.)  Aeltere  kristliche  Sitte  war  es,  das  Kind  bald  nacb  der 
Gebart  taufen  zu  lafzen. 

Sobald  das  Kind  das  erste  Mai  gebadet  war,  wurde  es  in 
Thierfelle,  in  spaterer  Zeit  in  Tiicber  gehiillt  oder  blieb  wie  bei 
den  armen  ganz  nackt  auf  dem  bereiteten  Lager  liegen.  Das  alt- 
nordische  Gedicht  Rigsmdly  das  von  der  Wanderung  des  Gottes 
Heimdhall  (Rigr)  auf  der  Erde  erzalt  und  wie  er  der  Vater  der 
drei  Stande  wurde ,  berichtet  von  Thraels  (des  unfreien)  Geburt 
blofz,  er  sei  mit  Wafzer  begofzen  und  Thrael  genannt  worden; 
Karl  (der  freie)  dagegen  wird  nacb  der  Namengebung  in  ein  rotes 
Tuch  gehiillt ,  Jarl  (der  edle)  in  Seide.  Eine  Art  Wiege  mag  friih 
m  Gebrauch  gewesen  sein.  So  wie  bei  den  Skridhfinnen  ^) ,  so  wird 
auch  bei  den  Germanen  das  Kind  in  Thierfellen  zwischen  zweiBau- 
men  aufgehangt  und  bin  und  her  geschaukelt  worden  sein.  Aen- 
Eches  kann  man  noch  heute  in  deutschen  und  slavischen  Gegenden 
auf  dem  Lande  sehen.  Im  13.  Jahrhundert  waren  Wiegen  von 
Holz  in  einer  Gestalt ,  die  der  heutigen  sehr  nahe  steht,  allgemein 
imBrauche.  Auf  Bildem  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  sieht  man  das 
Kind  von  Hals  bis  Fufz  in  ein  weifzes  Tuch  gewickelt ,  das  kreuz- 
weis  mit  rotem  Bande  umwunden  ist,  in  der  Wiege  liegen.  Ueber 
diese  sind  kreuzweise  Binden  geschniirt,  damit  das  Kind  nicht 
herausfalle  % 

Jede  deutsche  Mutter,  berichtet  Tacitus  (Germ.  20) ,  nart 
ihr  Kind  an  ihrer  Brust  und  iiberlafzt  es  nicht  Ammen  und  Mag- 
den.  Es  war  der  Stolz  der  Mutter ,  das  Kind  selbst  zu  saugen  und 
dem  Stolze  zu  geniigen,  werte  ihr  nicht  die  Schwache  desKorpers. 
Das  abnemen   der   Kraft  im  Volksschlage  so  wie  kirchliche  Be- 


')  Procop  de  hello  gothico  2,  15.      ')  Engelhardt  Staufenberg  S.  90.  98. 


80 

stiramungen   brachten  indefsen  bald  Ausnamen  von  der  Sitte  tmcl 
bereits  ini'  sechsten  Jahi  hundert  liebten  es  reiche  AngelsachMuieii 
ihre  Kinder  Ammen   zu  iibergeben.  (Beda  hiat.  eccl.  1.,  27.)    Im 
15.  Jahrhundert  war  das  in  der  ganzen  vomemen  Welt  Btehender 
Branch.     Aufzer  der  Amme  hielten  die   reichen  noch  eine  ganze 
Schar  von  Frauen  und  Magden  das  Kind  zu  pflegen  und  vor  allem 
Schaden  zu  hiiten  ^).  Die  Folge  war  Verzartelung.  Horen  wir  den 
trefnichen  Franziskaner  Berthold  sich   unter  andern   also  dariibeif 
aufzem :  y^Da   macht  dem  Kinde  seine  Schwester  ein  Miislein  und 
streicht  ihm  ein  wenig  ein.  So  ist  sein  Magen  kldb  und  ist  schier 
voU  worden.  Da  kommt  die  Mume  und  thut  ihm  desgleichen  und 
die   Amme   kommt    und  spricht:    O  weh   mein    Kind,    da  afzeet 
heute  noch  nichts!   und   sie   streicht   ihm   ein   wie  die  erste  and 
kert  sich  nicht   daran ,    dafz  das  Kind  weint  und  sich  straubt  ^.^ 
Eine    solche  Verzartelung  und   ebenso    die    Menga  der  be- 
soldeten  Pflegerinnen  war    natiirlich   der  alteren  Zeit  ganz  fremd. 
Unter  den  Deutschen   zu  Tacitus  Zeit^  auch  wol  noch  spater  and 
ebenso  in  Skandinavien  waren  die  Kinder,  Knaben  wie  Mddcben^ 
aufzer    der   Obhut  der  Mutter  gewonlich   in  GeaeUschaft  anfreier 
Kinder,  mit  denen  sie  gleich  behandelt,  in  gleichem  Spiel  and  glei- 
cherBeschaftigung  dieKindheit  verlebtem  (Germ.  c.  20»)  Dieselben 
wurden  ihnen  ofters,  wie  oben  schon  erwahnt  ward,  bei  der  Na- 
mengebung  zum   Eigenthume   geschenkt   und   blieben   das  gan^ 
Leben  in  ihrer  nachfiten  Umgebung,  folgten  den  Brauten  als  Theil 
der  Mitgift  und  theilten  mit  den  Witwen  den  Tod^  Ala  sich  Briiiv 
hild  nach  Siegfrids  Ermordung  selbst  ersticht,  ordnet  sie  an,  dafs 
neben   ihr  eine   Zahl   ihrer  Knechte    und   Magde,  und  aach  die 
Eigene,  welche  mit  ihr  erzogen  wurde,  verbrannt  wiirden.  (Saem. 
226.^).   Dieaer  Eraiehung8brauch>  der  sich   auch  bei  andern  Vol- 
kern  findet  und  noch  in  der  heutigen  Prinzenerziehung  etwas  an*- 
liches  hat,  beweist  ubrigens  schon  allein ,  wie  mild  in  vieler  Hin- 
sicht  das   Alterthum    gegen   die  Unfreien  gestimmt  war.    Wir  er- 


^)  Gadrun  23.  198.  Lanzel.  93.  ')  Andere  f&r  die  Sittengeschichte  des 
13.  Jahrhunderts  sehr  wichtige  Stellen  iiber  die  damalige  Kinderzucht  in  Bertholda 
Fredigten  (Kling.  S.  215»-<2U.  354). 


81 

faren  diefz  bekanntlich  auch  aus  des  Romers  Bericht  (Germ, 
c.  25).  Das  freie  oder  edle  Kind,  das  mil  einem  unfreien  unter 
denselben  Herden  und  auf  demselben  Boden  aufwuchs,  das  mit  ihm 
Speise  und  Trank,  Lust  und  Sorge  theilte,  konnte  die  Genofzen 
desselben  nicht  schmahlich  behandeln.  Zu  einer  Ausgleichung  der 
aafzeren  Verhaltnisse  und  Unterschiede  wirkte  ferner  die  im  Nor- 
den  wenigstens  allgemeine  Sitte,  dafz  die  Eltem  ihre  Kinder  Ver- 
wandten  oder  Freunden  zur  Erziehung  iibergaben ,  und  dazu  gern 
geringere  als  sie  waren  walten.  So  ubergibt  Konig  Eirik  von 
Hordaland  seine  Tochter  Gydha  einem  reichen  Bauer  (Fornm. 
8.  ly  2.)«  Dieser  Erzieher  ^)  iibemam  die  leibliche  Pflege  und  son- 
stige  Ausbildung  des  Kindes,  suchte  ihm  alles  was  er  verstund, 
zu  leren  und  seine  Erfarung  und  Gewandheit  ihm  anzueignen* 
Lebensklugheit  und»  der  Anstand,  die  Zucht,  waren  hierbei  gewifs 
Hauptsache;  bei  den  Kuaben  kam  natiirlich  die  Ausbildung  in 
korperlichen  Fertigkeiten  und  in  der  Waffenfurung,  bei  den  Mad- 
chen  der  Unterricht  in  den  Bunen  und  Uberhaupt  den  geheimen 
Eiinsten  hinzu.  Norweger  und  Schweden  schickten  deshalb  ihre 
Tochter  zuweilen  nach  Finnlapd,  dem  Lande  aller  geheimen  Kunst^). 
Wie  das  oben  angefhrte  Beispiel  zeigt,  wurden  die  Madchen  auch 
Mannem  anvertrauty  ja  Konig  Hergei/r  gab  seine  einzige  Tochter 
Ingigerd  einem  unverheirateten  Manne»  dem  Jarl  Skuli  zur  Er- 
ziehung. (Fornald.  s.  3,  521.)* 

Nach  der  grofzen  Gemeinsphaft,  d^esich  in  aller  Hinsichtzwi- 
8chen  Skandinavien  und  Deutschlapd  nachweisen  lafzt,  mfifzen 
wir  auch  bei  den  deutschen  Stammen  die  Sitte,  die  Kinder  in 
indem  Hausem  zu  erziehen,  annemen.  1st  sie  nicht  bezeugt,  wenn 
wir  im  Gedicht  von  Gudrun  lesen,  dafz  diese  jimge  Fiirsten  toch- 
ter zu  ihren  Verwandten  in  Dftnemark  wegen  der  Zucht  geschickt 
wird  und  dafz  man  ihren  Bruder  Ortwin  dem  alten  Wate  von 
Sturmiand  ubergibt  •)?   Sohne  wurden  im   Norden  gern  den  Brft- 


')  Fdftri ,  fem.  fdftra ,  fiii-  den  Erzieher'  und  die  Erzieherin ,  wie  fftr  den 
Pflegling  gebraucht.  FSftrman,  ein  oftfreies  Madchen,  das  mit  einem  freien  zu- 
lainmen  erzogen  wird.  *)  Engelstoft  QuindekiSnnets  kaar.  s.  40.  ")  Gndr.  574.  75. 
—  Das  deatsche  Wort  ftir  diesen  Erzieher  mag  fuotardri  gewcsen  sein;  die  Kro- 

6 


82 


dem  ihrer  Mutter  anvertraut  (Egilss.  c.  65).  Das  !st  die  genaue 
Verbindung,  die  bei  den  Deutschen  zu  Tacitus  Zeit  zwischen 
Neffen  und  Oheim  bestund  und  so  tief  in  das  ganze  Leben  ein- 
griiF.  Auch  in  dem  ausgebildeten  Ritterthume  war  es  Grundsatz, 
dafz  jeder  Ritter  seinen  Sohn  einem  andern  zur  Unterweisung  in 
ritterlichem  Dienste  iibergeben  miifze ').  Der  Branch  war  jeden- 
falls  vortheilhaft  und  diente  zumal  bei  vomemeren ,  die  unter  ar- 
meren  und  geringeren  aufwuchsen,  dazu ,  den  Kindem  das  Leben 
nach  vielen  Seiten  bin  vor  die  Augen  zu  bringen.  —  Das  siebente 
Jabr  war  die  Zeit,  in  der  diese  Uebergabe  in  fremde  oder  wenig- 
stens  in  mannlicbe  Hande  geschah^).  In  einer  friesischen  Land- 
schaft  war  es  gesetzlich  gestattet,  dafz  der  Sohn  einer  Witwe, 
sobald  er  sieben  Jahre  alt  wurde  und  sich  zur  Selbststandigkeit 
vor  dem  Eichter  befahigt  erkl'arte,  nicht  blcj'z  selbst  ohne  Vor- 
mund  sein  durfte,  sondern  auch  die  Mundschaft  iiber  seine  Mut- 
ter iibernemen  konnte«  Er  gab  ihr  dann  den  Schutzlon,  fud 
Schilling  fur  das  Jahr.  [Westerlaw.  ges.  420,*  25  (Richthofen).] 
Erklarte  sich  der  Knabe  mit  sieben  Jahren  noch  nicht  fur  miin- 
dig,  so  hatte'er  der  Mutter  bei  seiner  Verheiratung  den  Schuti 
Ion  fur  die  ersten  zwolf  Jahre  zu  zalen ,  dafiir  dafz  er  behtitc 
wurde  vor  dem  Zane  des  Schweines,  dem  Schnabel  des  Hune^ 
dem  Bifze  des  Hundes,  dem  Hufe  des  Hengstes,  dem  Home  d< 
Rindes,  vor  Feuer,  wallendem  Wafzer,  Brunnen,  Graben  uP 
scharfen  Waflfen.  (Richth.  389/420,  13).  Nach  einem  der  altschw^ 
dischen  Gesetze  (Gntalag  18)  war  die  Mutter  nur  die  ersten  dr< 
Jahre  zu  des  Kindes  Pflege  verpflichtet.  Da  mufz  sie  es  in  dJ 
Wiege  legen,  auf  dem  Schofze  oder  im  Bette  haben ,  und  bei  iht 


nisten  geben  es  durch  nutritor  wortlich  wieder:  Wandelinus  nutritor  regis  Child* 
berti  (Gregor.  Tur.  8,  22).  Die  Erzieherin  oder  Amme  hiefz  fuotriday  fuotirre 
fuotareidi,  ')  S.  Palaye  (Kluber)  1,  205.  —  Bei  den  Georgiem  ist  die  Sitte  di 
Kinder  in  fremde  Familien  znr  Erziehnng  zu  geben,  noch  heute  zn  finden.  Vol 
neme  schicken  die  Kinder  defshalb  znweilen  in  die  dortigen  deutschen  Colonier 
M.  Wagner  Reise  nach  Kolchis.  (Lpzg.  i860)  S.  96.  *)  Grimm  Rechtsaltertt 
410.  f.  —  Gudr.  24.  Biter.  2028.  —  S.  Palaye  (Kliiber)  1,  2.  l77.  211.  -  B- 
den  romischen  Knaben  bildete  das  siebente  Jahr  auch  einen  Abschnitt;  bishe 
infantiae  proximi  hiefzen  sie  von  nun  bis  zum  15.  pubertati  proximi. 


83 

t 

schlafen.   Kommt  es  wegen  nachlafziger  Beaufsichtigung  durch  je- 
mand  zu  Schaden,  so  hat  dieser  keine  Bufze  zu  zahlen. 

Ehe  wir  nun  genauer  auf  die  Erziehung  der  Madchen  ein- 
gehen,  wollen  wir  sehen,  was  sie  spielten.  —  Frflhzeitig  mag  die 
Tocke  auch  bei  den  deutschen  Madchen  beliebt  gewesen  sein,  wie 
816  es  bei  den  rOmischen  war,  die  sie  beim  Heranreifen  der  Venus 
opferten  ^).  Vielleicht  war  sie  durch  die  Romer  in  Deutschland 
bekannt  worden,  vielleicht  auch  nicht ;  die  Versuche  GOtterbilder 
m  Teig  oder  Lappen  zu  bilden ,  konnen  auch  die  Erfindung  dieses 
Spielzeags  veraplafzt  haben.  Genug,  im  9.  und  10.  JahAundert  war 
68  Bchon  allgemein  bekannt  und  die  Gedichte  des  13.  Jahrhunderts 
8cluldem  uns  mehrmals  die  Freude  der  Madchen  an  vielen  und 
8chonen  Puppen.  Sie  behandelten  wie  die  heutigen  Kinder,  die 
freilich  bald  zu  vomem  und  altklug  fur  dergleichen  Kixiderspiele 
eein  werden,  die  Tocke  wie  die  Mutter  ihr  Kind,  legten  sie  in 
die  Wiege  und  iibten  in  leichtem  Kindessinn  sich  zur  schweren 
Mutterpflicht  vor.  Dem  Madchen  in  seiner  stillen,  sinnigen  und 
lieblichen  Art  ist  solches  Vorspiel  der  mlitterlichen  Sorge  ange- 
boren  und  es  traumt  sich  auch  gem  in  die  eigene  Hauslichkeit. 
Die  Kinder  spielten  im  kleinen  mit  vollen  Schreinen  und  Kasten, 
mit  Hausgerate  und  Putz,  und  der  arme  Heinrich  weifz  seinem 
Gemahly  dem  freundlichen  Meiertochterlein ,  nichts  lieberes  als 
Lon  der  Theilname  zu  geben,  denn  Spiegel  und  Harbander, 
Griirtel  und  Eingelein.  Was  die  Grrofzen  treiben,  amen  die 
Kleinen  nach;  es  ist  unvollkommener ,  aber  reizender  und  un- 
schuldiger.  ^ 

Leicht  erklarlich  ist,  wefshalb  wir  von  Kinderspielen  unsres 
Alterthumes  nichts  wifzen,  und  dennoch  sind  wir  nicht  ohne  alles 
Licht  hieruber;  denn  wir  dfirfen  sicher  schliefzen,  dafz  die  mei- 
8ten  der  heutigen  Spiele  auch  den  Kindem  jener  Zeiten  bekannt 
waren.     Gerade    zu   den    Kindern    hat    sich    ein   guter  Theil  der 


')  Tocke  ist  noch  in  Oberdeutschland  und  Schlesien  iiblich.  Das  Wort  Pnppfe 
kam,  wenn  nicht  durch  das  lateinische  puppa,  durch  das  franzosische  nach  Dentsch- 
Uod.  Orimm  Kinder-  und  Hansmarchen.  3,  LVIL 

6  ♦ 


r. 


Brauche^  des  Glaubens  und  der  Poesie  der  Vorzeit  gefltiohtet, 
und  hinter  manchem  unsinnig  scheinenden  Marchen,  Liede  und 
Spruche  im  Kindermunde  hat  der  grofze  Meister  der  deutschen 
WifEenschaft,  Dr.  Jakob  Grimm ,  mit  tiefem  Sinne  und  wunder- 
barem  Wifzen  prachtiges  und  ehrwfirdiges  Geistesgut  unsrer  V^ 
ter  nachgewiesen,  Woran  die  heutigen  Madchen  sich  auf  der 
Wiese  oder  im  winterlichen  Zimmer  ergetzen,  von  dem  diirfen 
wir  ein  gutes  Tbeil  als  altes  Muttererbe  annemen. 

"  Auch  lebendiges  Spielzeug  erfreute  die  Madchen  des  Mit 
telalters ;  wenigstens  wifzen  wir  von  den  Jungfrauen  dee  10.  Jahr- 
hunderts  und  der  folgenden  Zeit,  dafz  sie  Singvogel,  z.  B.  Zei- 
sigc,  sprechende  Vogel,  z.  B.  Stare,  waren  sie  reicher,  auch  Pa- 
pageien  pflegten  *).  Ebenso  wurden  Falken  gehegt  und  zur  Lust 
pracbtig  mit  golddurcbwirkten  Seidenbandem  geschmCLckt.  (MSH.' 
1,  97.^).  Auch  kleine  und  kunstreiche  Hunde  waren  bei  den  Frauen 
beliebt.  In  den  britanischen  Eitterromanen ,  wie  im  Tristan  und 
Wigalois,  spielen  solche  Hundchen  in  der  Verwickelung  der  Be- 
gebenheiten  mit  Zur  Verbreitimg  derartiger  Unterhaltungsmittel 
mochten  die  abgerichteten  Hunde,  Affen  und  Vogel  beitragen, 
welche  ein  Theil  des  farenden  Volkes  mit  sich  fflrte.  Uebrigens 
waren  solche  Thiere  schon  im  Alterthume  beliebt*  (Plinius  hist 
nat.  10,  58—60). 

Zu  dem  Spielzeug  der  Kinder  so  wie  der  erwachsenen  Mad- 
chen gehorten  die  Wiirfel,  die  Knochel  und  das  Schadbu  So  von- 
theilhaft  Tacitus  die  Germanen  auch  schildert,  das  Laster  dee 
Spiels  hebt  er  doch  scharf  heraus,  verwundert  dariiber  wie  ein 
fionst  so  tiichtiges  und  reines  Yolk  das  Wiirfelspiel  sogar  im 
nUchternen  Zustande  bis  zur  Leidenschaft  treiben  konne.  Haben 
sie  alles  verspielt ,  so  setzen  sie  auf  den  letzten  Wurf  Leib 
und  Freiheit ;  der  verlierende  wird  sammt  Weib  und  Kind  Sklave 
und  von  dem  Gewinner  verkauft,  der  die  Schmach  eines  solchen 
Gewinnstes  sich   gern   aus  den  Augen  r&ckt.    (Germ.  24.)1  Das 


«)  Minnesinger  von  Hftgen  3,  260/1,  124/— -Bndlieb  8,  14.MSH«I,  122'  - 
MSH.  1,  112.'  122.'  Vgl.  JTauriel  histoire  de  la  poesie  proven^ale  2,  80. 


85 

Wiirfelspiel   und   das    Knocheln   (topelspiL   bickehpil)   blieben   das 

ganze  Mittelalter  hindurch  bei  den  Deutschen  beliebt  %  und  auch  ^ 

die  Frauen    trieben   es    eifrig.     Glofsen,  Konzilienbeschliifze  und 

Stellen  verschiedener  Gfedichte  beweisen  das;    die  Knochel  schei-. 

nen  nach  einer  Glofse    (Diefenbach  GK  252)   zu   urtheilen,  aogar 

recht  eigentlich  Spielzeug  der  Madchen,  und  dafz  das  Wtlrfelspiel 

beliebter   Zeitvertreib   ,^unger  megd^   war,  erseheij  wir  aus  Kon- 

rads  von  Wiirzburg  Trojanerkrieg  (15875 — 84.).  Es  war  auch  ein 

gewonliches   Mittel    zur  Unterhaltung    der  Gaste,    wenn  dieselbe 

den  Tdchtem   des  Hauses  iiberlafzen  war.  ^o  lesen  wir  im  Ge- 

dichte  von  Hudlieb.  wie  Rudlieha  Neffe  mit  der  Tochter  desHau- 

6689   in   dem  er  mit  dem  Ohm  einkerte,     sich  zum  Wiirfelspiele    | 

eetzt  und  King  und  Herz  verspielt.  Auch  den  Mdnchen  und  Non- 

oen  war  diese  Unterhaltung  sehr  angenem  und  sammt  demTrink- 

gelage  Entschadigung  fur  verbotene  Freuden.  Um  sie  von  solcher 

weltlicher  Lust  einigermafzen  abzuziehen  oder  dieselbe  moglichst 

geistlich   zu  machen,     erfand  der  Bischof    Wibold  von  Kambray 

(972)  ein    besonders    kunstreiches  und  auf  geistliche  Sachen  um- 

gedeutetes  Wiirfelspiel ,  das  viel  verbreitet  gewesen  zu  sein  scheint. 

(Pertz   mon.  9,  433.)    Indefsen   wurde  der   weltliche  Wiirfel  da- 

dorch   nicht  verdrangt^    und  Konzilien  wie  Synoden  haben  stets 

verge}>en8  dagegen  gekampft  *).  ^^ A  '  ^XA'^*^'*-'''^''*'*''''^ 

I  Neben  dem  Wiirfelspiel  war  das  Brettspiel  und  das  Schach- 
spiel  fruhzeitig  unter  den  Germanen  verbreitet.  Auch  die  Frauen 
spielten  es  gem  und  es  war  eine  der  beliebtesten  Unterhaltungen 
in  Gesellschaflen  •) ,  wie  es  auch  zu  den  ritterlichen  Vollkommen- 
heiten,     den  A^en  prohitatesy    gerechnet  wurde  *^.     Die  Figuren 


')  Bei  andem  VOlkem  nicht  minder.  In  ItalJen  waren  die  Verbote  gegen 
die  Spielhftufer  {Zghelhiiifer  zn  deutsch)  Bchon  im  l3.  Jabrhunderte  sehr  streng. 
Hulhnann  St&dtewesen  4,  249.  ')  Das  Wilrfelbrett:  wurfzabel.  Die  Wiirfel  wa- 
rm znweilen  aus  Elfenbein.  (Hon.  boic.  7,  502).  Die  Wiirfe  wnrden  nach  der  Zahl 
der  Angen  also  gezahU:  ^t,  dusy  trioy  quatter,  zingoj  fes*  —  Das  Schachbrett: 
zabelbretf  angels,  idfl.  bleobord»  —  Die  Schachfiguren  ifteina^  fchdchzabelg^eine:  kuneCj 
rocky  kurrier,  riter,  vende.  *)  Gnnnlaugs  s.  c.  4.  Mai  u.  Beafl.  230,  S3.  ^)  Defshalb 
wird  auch  in  den  mittelalterlichen  Bomanen  von  Alexander  diesem  Erz-Ritter  die 
groste  Fertigkeit  im  Schach  beigelegt.     In  dem  166.  cap.   der   Gefia  Bomanonim 


m 


waren  im  13»  Jahrhundert  gewonlich  voo  Holz  <Wigal.  10586) 
kostbare  Scliachspiele  waren  aus  Elfenbein,  im  Norden  auch  aui 
Wallrofszahn  gearbeitet.  Wenn  wir  nach  skandinayiBcheii  Spielei 
urtheilen  diirfen,  deren  einige  jiingst  aufgefunden  wurden,  so  warei 
die  Figuren  bedeutend  handfester  als  die  unsrigen  und  man  be- 
greift  sehr  wol,  dafz  Antikonie  ihrem  Freunde  Gawan  keine  ver- 
achtliche  Hilfe  gewarte,  alfe  sie  die  unberafenen  Storer  ihrei 
Schaferstunde  mit  Schachfiguren  beschofz.  Wen.eiu  solcher  Wur 
traf,  der  mochte  „dne  Jinen  danc''  straucheln  ^).     (Parz.  408,  19.^ 

Im  13.  Jahrhundert  scheinen  auch  schon  die  Spielkarten  er- 
funden  gewesen  zu  sein  ^) ;  im  14. ,  15.  ist  die  Spielsucht  aucl 
hiermit  schon  so  grofz,  dafz  polizeiliche  Mafzregeln  ergriffen  werdcE 
mtifzen*  Auch  hierin  stunden  die  Frauen  den  Mannem  nicht  nach, 
denn  sie  hielten  untereinander  gleich  den  modernen  Damen  Spiel- 
kranzchen ,  sogenannte  Karthofe.  Junge  Frauen  musten  herkomm- 
licher  Weise  ihren  Freundinnen  dergleichen  Festlichkeiten  baW 
nach  der  Hochzeit  veranstahen. 

Von  dem  Ballspiele  und  andem  Unterhaltungsmitteln  werdei 
wir  noch  bei  der  Schilderung  des  geselligen  Lebens  zu  reden  habeT 
Die  Zahl  der  Spiele  war  im  Mittelalter  sehr  bedeutend  ^) ;  in  d€ 
Provence  soil  es  im  13.  Jahrhundert  eigene  Unterrichtsanstaltc 
dafiir  gegeben  haben.  Wer  von  derFiilie  der  Spiele  im  IG.Jabi 
hundert  eine  Vorstellung  haben  will,  lese  in  Rabelais  Gargantt 
das   22.  Kapitel  des   ersten  Buches  *) ,    und   in  unserem  Fischa 


(ed.  Keller  p.  270.  ff.)  findet  sich  eine  mjstische  Auslegang  des  Schfichbrett; 
unck  der  Figuren.  — *  Vgl.  Val.  Schmidt  Petri  Alfonjt  dUciplina  clericalt 
p.  115.  f.  ')  Leitfaden  zur  nordischen  Alterthumskunde.  Kopenhagen  183 
S.  67.  S.  auch  Frisch  d.  lat.  Wb.  2,  123.'  und  d.  W.  roch.  —  Ueber  das  Schad 
spiel  siehe  unter  andern  Massmann  Greschichte  des  mittelalterlichen  und  yo 
zugsweise  des  deutschen  Schachspiels.  Quedlinb.  1839.  *)  Pv  Lctcroix  torigu 
des  cartes  a  jouer*  Par.  1835.  Fr.  Michel  et  Monmerqu^  Theatre  franfois.  p.  12" 
Reiffenberg  im  XI V»  Bd.  der  Schriften  der  k.  Acad,  zn  Brftssel.  —  Dte  siic 
deutschen  Stadte,  namentlich  Ulm  und  Augsburg,  doch  auch  Niimberg,  batten  \n 
riirate  Kartenfabriken.  Vgl.  Jiiger  Ulm  518,  540 — 44.  585.  Hiillmann  Stadtewese 
1 ,  382.  ')  Vgl.  unter  andern  eine  von  Fr.  Michel  in  dem  Theatre  frangais  p.  68.  J 
mitgetheilte  Stelle  aus  einer  altfranz.  Handschrift.  ^)  Uebersetzung  von  Begi 
1,  68—70,  dazu  2,  98—110. 


81 

das  noch  reichhaltigere  Kapitel  „von  mancherley  Spilen  des  Gar- 
gantua."  (Kap.  25.  Ausg.  von  1590.  S.  317  ff.) 

Von   den  Spielen  woUen  wir   zu  der  Darstellung   des  Un- 
terrichtes  der  Madchen  Gbergehen.  Wir  sind  freilich  dabei  auf  die 
reicheren  und  vornemeren  Kreise  beschrankt,  denn  den  armen  ver- 
bietet  die  Not  des  Lebfinj8.mg^geistige  und  hOier^^^^ 
und  aufzerdem  schweigen  die  Denkmaler  von  ihnen.       ' 

^  Die  Tochter  der  Vornemen  wuchsen  entweder  bei  Pflegeel- 
tern  auf  oder  wurden  der  Obhut  einer  Erzieherin  iibergeben, 
MeUterin  oder  2juchimei8terin  genannt,  die  zugleich  fiber  die  ge- 
sammte  weibliche  Umgebung  des  Frauleins  gesetzt  war.  Ffirsten- 
tdchter  waren  n'amlich  mit  einer  Schar  junger  Madchen  aus  den 
beaten  Geschlechtem  des  Landes  umgeben,  die  ihre  Gespielen 
und  die  Genofzen  der  Lehre  und  Unterhaltung  Waren  *).  Die 
Meisterin  unterwies  in  weiblichen  Arbeiten,  in  der  Anstaadslehre 
und  zuweilen  auch  in  Musik;  aufzerdem  war  sie  die  Ehrendame 
der  Pfleglinge.  Neben  ihr  stund  ein  Hofbeamter,  der  Kammerer, 
als  Schutz  und  Hiiter  der  jungen  Fiirstenstocbter ,  dem  es  ver- 
stattet  war  in  die  Erziehung  einzugreifen  und  zu  riigen  und 
befzem  wo  es  ihm  notig  schien.  (Gudr.  411?  1528.  Engelh.  1843  ^)., 

Einen  Blick  in  die  Erziehungsart  des  vornemen  Madchens 
gestattet  Einhards  Bericht  fiber  die  Weise,  wie  Karl  der  Grofze 
seine  Tochter  unterrichten  I'afzt*  (Einhardi  vita  Kar.  M.  c.  19). 
Bestrebt  sich  selbst  in  Wifzenschaften  noch  spat  auszubUden,  liefz 
er  das  bei  ihm  versaumte  bei  seinen  Kindern  wol  wahrnemen  und 
Sohne  wie  Tochter  wurden  in  alien  Kenntnissen,  die  er  selbst 
zu  gewinnen  suchte,  unterrichtet.  Die  Tochter  musten  aufzerdem 
weben  und  spinnen  lemen  damit  sie  die  Mufzestunden  niitzlich 
verbriwhten  und  wurden  zu  dem,  was  zur  Zucht  und  Sitte  ge- 
bort ,  angeleitet.  Auch  schon  vor  Karl  des  Grofzen  Zeit  war  in 
Neustrien  ein  gewifser  wifzenschaftlicher  Unterricht  der  Madchen 


*)  Angilberd  1.  III.  182.  ff.  (Pertz  2,  396.  ff.)  Gudr.  566.  Lanz.  4067. 
*)  Ueber  das  ausgebreitete  Amt  des  Kftmrneres  siebe  Waitz  deutsche  Verfafzungs- 
geicfaichte  2,  360,  f. 


88 

iiblich.  Als  Chlothair  das  thtiringische  Reich  zerstort  hat  (529), 
lafzt  er  Madgund,  des  letzten  Konig  Hermanfrids  Niohte,  zur 
feineren  Erziehung  nach  Franken  bringen,  wo  sie  anch  im  lesen 
und  schreiben  (in  Uteris)  unterrichtet  wird.  (Venant.  Fort  vita 
Radeg.  2).  Bei  den  Ostgothen  hatte  das  Muster  der  Romer  auf 
die  Erziehung  der  M^chen  Einflufz.  Tlieoderich  kann  dem  thii- 
ringischen  Hermanfried  die  Bildung  seiner  Nichte,  die  er  dem- 
selben  vermahhe  nicht  genug  riihmen  ^) ;  und  Amalcamnih  gait  fiir 
eine  gelehrte. 

Den  gelehrten  Theil  des  Unterrichtes  leitete  wol  iimner  ^ 
Geistlicher  oder  Mouch.  An  den  Hofen  iibemam  der  Kapellan 
die  Lehrstunden ;  oft  anch  wurden  die  Madchen  gleich  den  Kna- 
ben  in  Klosterschulen  geschickt«  In  England'  wurde  diefz  bald 
nach  der  Bek^rung  des  Landes  Brauch;  da  es  aber  anfangs  an 
guten  Klostem  fehlte,  wurden  die  Kinder,  die  besonders  gut  un- 
terrichtet werden  solten,  in  franzosische  Klosterschulen  gegebenT] 
Das  dauerte  bis  der  ostanglisohe  Konig  Sigebert  mit  HiKe  kenti- 
scher  Geistlicher  Klosterschulen  nach  gallischem  Muster  in  seinem 
Lande  griindete,  die  nach  dem  Antritte  des  Erzbischofs  Theo^ 
dortia  (668)  sehr  bliihend  wurden.  In  den  englischen  Frauenklo- 
stern  wurden  aucb  klassische  Studien  getrieben,  so  weit  diese 
damals  giengen.  Am  ausgezeichnetesten  scheint  das  KlosterWin- 
brunn  gewesen  zu  sein.  Dort  machten  die  Nonnen  sogar  lateini- 
sche  Verse  und  in  diesem  Kloster  wurde  auch  Lioba  (Leobgydh) 
eine  Verwandte  des  Bonifaz  gebildet,  welche  fiir  die  deut- 
schen  Frauenkloster  und  Klosterschulen  wichtig  ist.  Sie  folgte 
namlich  dem  Rufe  des  Bonifaz  nach  Deutschland  und  wardVor^ 
steherin  des  Klosters  Bischofsheim  an  der  Tauber,  im  Wiirzbur- 
ger  Sprengely  das  von  dem  Apostel  zur  Bildungspflanzstatte  der 
deutschen  Nonnen  bestimmt  war  ^).  Diese  Bildung  scheint  freilich 


')  In  seinem  pedantischen  und  gezierten  Kanzleistyl  schreibt  Kassiodor  an 
Hermanfried :  habebit  feliy  Thoringia  quod  nutrivit  Italia,  Uteris  doctam^  moribus 
eruditam,  decoram  non  solum  genere  quantum  et /oeminea  dignitate,  ut  nou  minus 
patria  vestra  istius  splendeat  moribus  quani  suis  triumphis,  Cassiodor.  var.  4,  I* 
*)  Kettberg  Kirchengeschichte  Deutschlands  2.  336. 


80 

im  allgemeinen  sehr  bescfarankt  geblleben  zu  sein,   denn  das  Le- 
sen  der  heiligen  Schrift  nam  die  meiste  Zeit  ein. 

Auf  den  Grundlagen,  welche  hier  und  anderwarts  durch 
die  englischen  Nonnen  gelegt  waren,  baute  die  Folgezeit  weiter 
und  die  Franenkloster  wurden  die  gewonlichen  ErziehungsanstaU 
ten  der  reicheren  Madchen.  KenntniTa.  der  Legenden^  der-Gebete 
nnd  einiger  bibliacber  G:e6chicbten.  nebst  weiblicheiiL  feizieren»Ar^ 
l^eiten  ^)  haben  von  jeher  diese  Klosterbildung  gemacht ,  welche 
nicht  im  mindesten  gerechten  Anforderungen  einer  Frauenerzie- 
hung  entspricht* 

jT^Der  Unterricht  begann  yde  h^Utfi  ungefar  mit  fiinf  Jahren«  ] 
Ansgar  ward  aJs  fiin^ahriges  Kind  in  die  Schule  geschickt  (Pertz  ' 
2,  690) ,  Bruno  der  heilige  mit  vier  Jahren  (929)  dem  Bischofe 
Balderich  von  Utrecht  iibergeben.  (Pertz  6,  255).  Der  junge  Fhre 
ifit  fiinf  Jahre  alt,  da  lafzt  ihn  sein  Vater  „zu  den  Buchern  se- 
tzen,"  eingedenk  dafz  den  Kindern,  sobald  sie  irgend  yerstandig 
werden ,  die  Lehre  am  besten  gedeihe*  Der  Knabe  kann  sich  aber 
von  seiner  Gespielin,  der  gleich  alten  Blanachefiury  nicht  trennen, 
and  weiTz  es  bei  seinem  Vater  durchzusetzen ,  dafz  sie,  dieToch- 
ter  einer  Sklavin,  an  dem  Unterrichte  Theil  nenien  darf.  Um 
den  Kindem  mehr  Lust  und  Eifer  zu  machen,  lafzt  seine  Mut- 
ter noch  sechszig  kleine  Madchen  mit  in  die  Schule  gehen.  (Flore 
1395).  Im  Norden  scheinen  sieben  Jahre,  also  der  Zeitpunkt,  wo 
der  Knabe  der  miitterlichen  Erziehung  ferner  trat ,  den  Anfang 
des  Unterrichts  gegeben  zu  haben.  Der  Jarl  Hakon  lafzt  seinen 
Zogling,  den  Konigssofan  Hakon  ^  als  er  sieben  Jahre  alt  ist,  zu 
den  Btichem  setzen.  (Fornmanna  s.  9,  241). 

Die  Unterweisung  in  den  Elementen  der  Wifzenschaft  fand 
indefsen  bei  den  Germanen  wenigstens  in  Bezug  auf  die  Knaben 
nur  schwer  Eingang.  Dem  Manne  gehorten  die  Waffen,  sie  ft- 
ren  zu  lernen  war  seine  Erziehung  ^) ;' das  Weib  allenfalls  mochte 
sich    die   geheimen  Kiinste   des  lesens  und    des  schreibens  aneig- 


')  ^^1*  u^^i"  ^e  Erziehong   der  Mathilde,  K.  Heinrichs  I.  Gemahlin,    im 
Kloflter    Herford    Fartz  monum.  rer.  germ.   6,  285.  ')  Ueber  die  karperlichen 

Fertigkeiten  der  Nordlander  s.  Ni&ls  s.  c.  15.  ^ 


90 

nen ;  so  dachten  und  sprachen  sie.  j  Wir  lernen  diese  AnBicbten 
aus"^em  Streite  kennen,  in  den  Amalasvinth,  die  Tochter  des 
grofzen  Ostgothenkonigs  Theoderich,  mit  den  Farem  ihres  Vol- 
kes  gerat.  Sie  lafzt  ihren  Sohn,  den  jungen  Konig  Athalarich, 
von  einem  romischen  Grammatiker  unterrichten  und  hat  ilun  aufzer- 
dem  drei  alte  Gothen  zu  Erziehem  gesetzt.  Dariiber  wird  das 
Volk  unwillig  und  beantragt  durch  Abgeordnete  die  Aenderung 
der  Erziehung.  Konig  Theoderich  babe  keine  Kinder  der  Gothen 
in  die  Schulen  schicken  lafzen;  Gelehrsamkeit  ent&emde  dem 
Manne  mannlichen  Sinn,  denn  er  werde  dadurch  furchtBam  und 
weibisch.  Dem  Knaben  gehore  der  Ger  und  das  Schwert  zur 
Uebung.  Amalasvinth  mufz  diesen  Antragen  nachgeben  und  gibt 
fortan  statt  der  Greise  ihrem  Sohne  gothische  Knaben  zu  Gefar- 
ten.  (Procop.  b.  goth.  1 ,  2).  Seltsame  Ironie  ist  es  iibrigens,  dafz 
demselben  Athalarich  in  einem  Edicte  durch  seine  romischen 
Rate  Fiirsorge  fiir  die  Grammatiker  und  eine  tlberschwangliche 
Lobrede  auf  die  Grammatik  eingegeben  wird  ^).  Zu  beachten 
bleibt  auch  bei  diesem  Widerstreben  der  gothischen  Patrioten 
gegen  die  romische  Bildung,  dafz  von  Theodat,  dem  Mitkonige 
der  Amalasvinth  gesagt  wird,  er  sei  in  lateinischer  und  giiechi- 
scher  Literatur  und  in  theologischer  Wifzenschaft  bewandert  ge- 
wesen  ^).  Der  Widerstand  gegen  jede  wifzenschaftliche  Erziehung 
blieb  das  ganze  Mittelalter  hindurch  unter  den  Mannem;  eie  kam 
ihnen  pfaffisch  oder  weibisch  vor.  Die  Klage  des  Kapellans  El* 
Konradti  11. ,  des  gelehrten  Wippo ,  dafz  die  Deutschen  jede  Bil- 
dung nutzlos  und  schmahlich  diinke,  warend  sie  in  Italien  ge- 
sucht  und  angesehen  sei '),  konnen  wir  iiber  unser  gauzes  Mittel- 
alter erheben.  Es  gab  einzelne  gelehrte  und  tiichtige  Manner,  die 
Mengeaber,  vorneme  wie  geringe,  glich  jenen  Vettem  Ulrichs  von 
Hutten ,   die  iiber  den  gebildeten  Verwandten  die  Achsel  zuckten. 


')  Es  heifzt  nnter  anderm  in  diesem  Edicte :  hae  (grammcaica)  non  ututOur 
hnrhari  rcgrs:  apud  legates  dominos  manere  cognoscitur  singularis.  Casiod.  var,  IX^  21* 
*)  Casiodor.  var.  X,  3.  ^)  Solis  Teutonicis  vctcuum  vel  turpe  videtur  ut  doceant 
aliquem  nisi  clericus  accipiatur.  Wippon.  panegyr,  ad  Henric,  HI.  p.  196,  (^Canisiut 
/m|.  antiqu.  IL),  Vgl.  Stenzel  frank.  Kaiser  I,  l33. 


91 

Tacitus  sagt  zwar,  dafz  die  deutschen  Manner  und  Frauen 
Geheimnifs  der  Schrift  nicht  verstiinden  (genn.  19),  allein 
seine  Angabe  ist  zu  beschr'anken.  Schrift  im  romischen  Sinne 
kannten  die  Germanen  allerdings  damals  noch  nicht,  obschon  der 
Briefwechsel  Marbods  und  Adgandesters  mit  Tiberius  beweist,  dafz 
auch  romische  Sprache  und  Schrift  durch  die  fortwarende  BerQrung 
mit  Rom  zeitig  in  Deutschland  bekannt  war  (Tacit,  ann*  11.  63. 
88);  allein  Kunenschrifl,  die  doch  auch  Buchstabenschrift  war, 
mag  bereits  aus  Asien  den  Germanen  in  die  westliche  neue  Hei- 
mat  gefolgt  sein  und  sie  war  mehrfach  im  Volke  verstanden.  Die 
Priesterinnen  und  weisen  Frauen  musten  das  Ritzen  und  Lesen 
der  Runenzeichen  in  ihrer  Gewalt  haben  und  aus  den  Eddalie- 
den  von  den  Nibelungen  wie  aus  den  nordischon  Geschichtbii- 
chem  in  Prosa  ergibt  sich ,  dafz  die  Runenkenntnifs  iiberhaupt 
ein  Theil  der  weiblichen  Bildung  war.  Mit  der  EinfCirung  des 
Kristenthums  nam  die  romische  Schrift  die  Stelle  der  als  heid- 
nisch  und  zauberhafl  verdammten  Runen  ein.  Auch  dasVerstand- 
nifs  dieser  Zeichen  war  bald  am  hSufigsten  bei  den  Weibern  zu 
finden,  wie  wir  es  namentlich  hinsichtlich  derNonnen  wifzen.  Im 
Jahre  789  mufz  ihnen  verboten  werden,  sich  Volkslieder  aufzu- 
zeichnen  und  einander  mitzutheilen  ^). 

[Von  einer  angels'achsischen  Nonne,  Namens  Eadburg,  erbit- 
^t  8ich  Bonifaz   die  Briefe  des  Petrus ,    welche  sie  mit  goldenen 
Buchstaben  abgeschrieben  hatte,  indem  er  durch  die  schone  Schrift 
auf  die  deutschen  Heiden  wirken  wollte^  (ep.  19.)  ^).    Bei  Frauen, 
welche  sich  zu  dem   Inhalte  der  heiligen  Schrift  hingezogen  fiil- 
*en,  wirkte  der  Wunsch  diese  n'aher  kennen  zu  lemen  dahin,  dafz    , 
8ie  lesen  und  schreiben  zu  lernen  suchten.  Mathilde,  Konig  Hein-  / 
nchs  des  L  Witwe  holt   nach  des    Gemahls  Tode  das   versaumte  , 
nach  und  lafzt  sich  und  ihren  weiblichen  Hofstat   in  jenen  Kiin-  j 
8teii  unterweisen.  (Pertz  5,  466).  Ebenso  hielten  verstandige  Miit- 


*)  Winileod  scribere  vel  mittere*  Pertz  3,  68.  ')  Wie  er  seine  Verwandte, 
uie  englische  Nonne  Lioba  nach  Deutschland  berief,  um  durch  ihr  Wirken  im 
Klo8ter  Bischofsheim  das  Lesen  der  heiligen  Schrift  unter  den  deutschen  Nonnen 
^eimisch  zu  machen,  ist  schon  erwahnt.  ^^ 


ter  daraof,  dafz  ihre  T5chter  solche  Kenntnirs  fnoli  aneigneten 
(Pertz  5,  336).  Wenn  es  mOglich  war,  suchte  sich  jede  Frau  hei- 
lige  Biicher  zu  verschaffen.  Psalter  und  dergleichen  Schriften  wa- 
ren  recht  eigentlich  Frauengut,  wie  das  auch  im  Erbrechte  aus- 
gesprochen  wird,  wo  sie  zar  Gerade  gerechnet  sind.  (Sachsensp.  1. 
24,  3.)-  So  sagt  auch  Bruder  Berthold  in  seinen  Predigten :  9,Un<- 
ser  Herr  will  dafz  man  ihn  um  seiner  Werke  Willen  praise,  wie 
ihr  Frauen  in  dem  Psalter  lesen  konnt^'TDie  Tochter  der  hdheren 
Stande  lernten  auch  den  Psalter  auswendig  ^);  von  Gisela,  Kaiser 
Konrad  des  U.  Gemahlin,  erfaren  wir  dafz  sie  den  Psalter  und 
das  Buch  Hiob  in  Notkers  Uebersetzung  sich  abschreiben  liefz 
und  manches  reiche  Madchen  mochte  ein  solches  heiliges  Buch 
als  Theil  der  Mitgift  erhalten,  wie  moglicherweise  eine  westgo* 
thische  Konigstochter  die  silbeme  Handschrift  der  Ulfilaschen  K- 
belubersetzung,  die  dadurch  nach  Eheinfranken  kam^).  J 

f  Bei  der  Seltenheit  und  dem  grofzen  Preise  aller  Bftcher  konn<- 
ten  natiirlich  nur  sehr  reiche  Frauen  Biicher  besitzen.  Auch  diir- 
fen  wir  die  Kunst  des  Lesens  gerade  nicht  so  allgemein  verbrei- 
tet  glauben  als  es  zu  sein  scheint;  denn  warum  wiirde  es  sonst 
Bernard  von  Ventadour  (ungefahr  1140 — 1195)  besonders  heraus* 
heben,  dafz  seine  Herzensgebieterin  sich  auf  das  Lesen  verstehe? 
Neben  den  frommen  Biichern  sahen  die  Frauen  natiirlich  auch  gem 
weltliche  Lieder  und  erzalende  Gedichte  in  ihrem  Besitze  und  legten 
sie  wie  die  heutigen  Damen  auf  ihren  Tischen  aus,  um  wenigstens 
den  Schein  der  Belesenheit  fiir  sich  zu  gewinnen.  So  hatte  die  Grafin 
Flamenca  von  Nemours,  die  Gemahlin  Archimbalts  von  Bourbon  den 
Boman  von  Blancaflor  auf  einem  Tischchen  ihres  Zimmers  liegen  ')• 
Wie  gemeiner  iibrigens  die  Kunst  des  Lesens  und  Schrei- 
bens  bei  den  Frauen  als  bei  den  Mannern  war,  zeigt  sich  na- 
mentlich  im  13.  Jahrhundert,  wo  selbst  beriihmte  Dichter  dieser 
Kenntnifse  entberten.  Wolfram  von  Eschenbach  konnte  bekannt- 
lich  nicht  lesen  und  schreiben ,  obschon  er  sich  bedeutende  Stoffe 


')  Albert.  Stad.  p.  277.  ')  Grimm  Gesch.  der  deutschen  Sprsche  S.444. 
Vgl.  auch  W.  Wackemagel  Literaturgeschichte.-  §.  43.  Amn.  34.  3)  IU3  nouArd 
lexiqae  roman  1,  30« 


anzueignen  und  auf  so  auswalende  ^  tiefe  und  geietreiche  Weise  / 
zu  behandeln  wuste,  wie  er  das  im  Parzivali  in  dem  Gedichte  / 
Yon  Schionatulander  und  Sigune  und  im  beiligen  Wilhelm  gezeigt 
hat.^Auch  Ulrich  von  Lichtenstein,  da^^  arme  minnerlin,  verstund 
die  edle  Kunst  nicht  und  hat  dadurch  manche  Not  in  seinem  yer- 
liebten  Herzen  gelitten.  Er  sendet  seiner  Gebieterin  einen  poeti- 
schen  Brief  {ein  buechlm)  und  sie  schreibt  ihm  wieder.  Allein  der 
arme  Herr  hat  seinen  Schreiber  nicht  zur  Hand,  der  zugleich 
sein  Vorleser  ist,  und  so  mufz  er  zehn  Tage  lang  die  theuren 
Zeilen  bei  sich  tragen ,  ohne  das  Biichlein  lesen  zu  konnen  ').  J 
Dergleichen  konnte  indefsen  auch  Frauen  begegnen,  und  auch 
sie  musten  ofter  zu  ihren  Schreibem  die  Zuflucht  nemen,  wie 
Krimhilt  nach  dem  Gredichte  vom  Eosengarten  (C.  474).  Zuweilen 
yersah  auch  ein  Madchen  des  Hofstates  das  Amt  des  Yorlesers 
(Wigal.  2710ff.),  das  ein  ziemlich  unentberliches  war,  indem  das 
Vorlesen  der  erzalenden  Gedichte  zu  den  beliebtesten  Unterhal- 
tungen  kleinerer  wie  grofzerer  Oesellschaften  gehorte*). 

fWas  das  aufzere  des  schreibens  angeht,  so  wurden  die  Ue- 
bongen  darin  auf  Wachstafeln  durch  einen  GriflFel  vorgenommen 
(Eneit  16454);  auch  auf  Tafeln  von  Elfenbein  wurde  geschrie- 
ben.  (Greg.  547.).  Die  Griffel  waren  von  Gold  oder  anderem  Me- 
tall ,  von  Glas  oder  Holz.  Das  Pergament  konnte  bei  seiner  Kost* 
barkeit  nur  von  reicheren  gebraucht  werden;  alt  war  der  Ge- 
brauch  von  Staben  und  Holztafeln;  die  Tintenbehalter  batten  die 
Gestalt  unserer  Tintenspicker.  Sie  waren  von  Horn,  giengen  unten 
8pitz  zu  und  wurden  durch  ein  Loch  in  das  Schreibpult  gesteckt  ^). 
Die  Briefe  wurden  in  hOfischer  Zeit  auf  anliche  Art  wie  heute 
behandelt.  Nachdem  sie  fertig  geschrieben  waren,  wurden  sie  zu- 
Bammengelegt,  gefaltet  und  beschnitten,  mit  Wachs  zugesiegelt 
UDd  iiberschrieben.  (Eracl.  1679.  ff.) 


')  Frauendienst,  Aasg.  von  Lachmann  60,  1 — 5.  *)  Das  Vorlesen  (sagen) 
der  erz&lenden  Gedichte  war  recht  eigentlich  Sache  der  Frauen.  Vgl.  daiiiber  F.  Wolf 
aber  die  Lais,  Sequenzen  und  Leiche.  S.  262.  ff.  ')  Herrads  von  Landsberg,  Hor- 
tu  deliciarum,  herausg.  von  Engelhardt.  p.  101.  Taf.  8.  In  altester  Zeit  wurden  die 
Schriftzeichen  nur  geritzt  oder  gegraben.  Vgl.  W.  Qrimm  Bunen  S.  65 — 79.  37* 


Oi 

Seitdem  die  Germanen  mit  anderen  Volkem  in  dftere  und 
genauere  Beriirungen  kamen,  erlangten  sie  auch  die  KenntnifB 
fremder  Sprachen.  jEs  kann  nattlTlich  fiir  jene  Zeiten  kein  eigent* 
licher  Unterricht  darin  vorausgesetzt  werden,  der  Gebrauch  imd 
der  gegenseitige  Verkehr  waren  die  Sprachmeister.  Slayen  und 
finnische  Stamme  wirkten  friihzeitig  auf  germanische  Mundarten 
ein ;  die  Kenntnifs  der  Rede  jener  Volkerschaften  wird  also  hier 
und  da  vorauszusetzen  sein.  Die  griechische  und  die  lateinische 
Sprache  gewannen  bald  noch  grofzere  Bedeutung  als  jene;  die 
Ostgermanen  erfuren  von  Byzanz,  die  westlichen  von  Rom  jene 
Einwirkung,  welche  iiberlegene  Geistes-  und  Lebensbildung  steto 
ausubt.  Gothische  Jtinglinge  lernten  in  Konstantinopel  griechisch, 
wie  so  viele  junge  Oberdeutsche  in  Rom  rOmische  Rede  und  Sitte 
sich  aneigneten.  Auch  die  Frauen  scheinen  nicht  selten  rait  den 
Mannern  in  solcher  Wifzenschaft  gewetteifert  zu  hnben.  Von 
Amalasvinth,  des  grofzen  Theoderichs  Tochter,  ruhmt  Kassiodor 
dafz  sie  neben  grofzer  Gewandheit  im  Gothischen  in  attischer 
Zunge  beredt  gewesen  sei  und  sich  in  romischer  prachtig  aus- 
drfickte.  (Var.  11,  1.  10,  4).  Der  Anschlufz  der  moisten  Germa- 
nen an  die  rdmische  Kirche  gab  der  lateinischen  Sprache  eine 
grofze  Verbreitung.  Wie  einer  der  Merovingischen  KOnige,  Chil- 
perich  I.  (f  584)  als  lateinischer  Dichter  genannt  wird,  ist  bekannt '). 
Auch  in  den  NonnenklOstern  ward  schon  damals  lateinisch  ge- 
lehrt;  eine  Nonne  Baudonivia  verfafzte  in  merovingischer  Zeit  eine 
Lebensbeschreibung  der  heiligen  Radgund;  im  achten  Jahrhun- 
dert  schrieb  in  dem  bairischen  EHoster  Heidenheim  eine  Nonne 
das  Leben  der  Bekerer  Willibald  und  Wunibald*).  Unter  Karl 
dem  Grofzen  erhielten  alle  diese  Bestrebungen  einen  hoheren  Auf- 
schwung;  Karl  gieng  selbst  mit  mannlicher  Entschiedenheit  sei- 
nein  Volke  darin  vor  und  gab  in  der  Erziehung  seiner  Kinder 
ein  Beispiel.   Zu  dem  Unterrichte  seiner  altesten  Tochter  Hruod- 


')  Auch  unter  den  Vandalen  traten  merere  als  lateinische  Dichter  anf. 
Anthol.  lat.  ed.  Meyer  n.  545 — 547.  Unter  den  Gothen  erwarben  sich  nicht  we- 
nige  gelehrte  Kenntnisse,  so  sehr  auch  die  Menge  des  Volkes  diesen  ahgeneigt  war. 
')  Bettherg  Kirchengeschichte  Deutschlands  2,  357.  356.  Vgl.  auch  $«  300. 


95 

thrud  wurde  Paul  Wamefned  an  seinen  Hof  gezogen;  sie  lemte 
iib^^efz  durch  einen  Eunuchen  Griechisch ,  weil  sie  an  den  Kai- 
ser Konstantin  VI.  verlobt  war.  Die  sachsischen  Kaiser  schritten 
auch  in  der  Theilname  fQr  hohere  Bildung  auf  Karls  Bahn  fort; 
ihre  Verbindungen  mit  Byzanz  offneten  auch  griechischer  Sprache 
das  Thor.  Die  Tochter  Herzog  Heinrichs  I.  von  Baiem,  Hedwig, 
hatte  wegen  eines  Verlobnisses  in  derKindheit  griechisch  gelemt; 
als  die  Verlobung  aufgehoben  war,  gieng  sie  in  das  Kloster 
St  Gallen  um  dort  lateinisch  zu  lemen.  Sie  brachte  es  so  weit 
um  Horaz  und  Virgil  zu  verstehen  und  theilte  spater  ihrem  Ge- 
mahle,  dem  Herzog  Burkhard  II.  von  Schwaben,  die  Liebe  zu 
den  klassischen  Studien  mit  ^).  Bekannt  ist  die  Gandersheimer  Nonne 
flrofwitha  durch  ihre  lateinischen  Gedichte  und  Komodien ;  sie 
beweist  dafz  unter  den  pttonen  in  den  Nonnenklostern  die  latei- 
nische  Sprache  gepflegt  wurdeTvDie  Biographin  der  Lioha  bezeugt 
Bodann,  dafz  sich  auch  angelsachsische  Nonnen  mit  lateinischer 
Dichtkunst  beschaftigten.  Die  lateinischen  flir  Frauen  bestimmten 
Gebete,  die  sich  in  Handschriften  des  12.  und  13.  Jahrhunderts 
finden,  so  wie  die  Einmischung  lateinischer  Worte  und  Verse  in 
deutsche  geistliche  Gedichte  des  11.  und  12.  Jahrhunderts  lafzen 
auch  &ir  diese  Jahrhunderte  auf  eine  nicht  ganz  seltene  Kenntnifs 
des  Lateinischen  wenigstens  bei  den  Klosterfrauen  schliefzen.    , 

C  Der  grofze  Anstofz ,  den  die  Bildung  in  dem  11.  und  12. 
Jahrhondert  durch  das  Ritterthum  und  die  Kreuzztige  erhielt, 
wirkte  auch  auf  die  Sprachkenntnifse.  Der  Verkehr,  welcher  un- 
ter den  verschiedenen  Volkern  eintrat ,  machte  die  Bekanntschaft 
ihrer  Sprachen  ihnen  gegenseitig  notwendig.  In  Nord-Frank- 
reich  kamen  die  sudfranzOsischen  Mundarten,  das  bretonische, 
auch  das  italienische  und  deutsche  ^)  in  Aufname  und  Lehre ; 
in  Deutschland  das  franzosische  und  theilweise  auch  das  flami- 
8che,   da  Flandem  die  Vermittelung  der  neuen  Bildung  iibernam, 


')  Eckehardi  IV.  cas.  S.  Galli  a.  965.  (Pertz  2,  122—125).  «)  Fur  letz- 
teres  gibt  ein  franzusisches  i^^ablian  (Meon  4,  185)  Zeugnifs:  lore  commence  a  parler 
latin  et  pottroillcu  et  alemarU  et  puis  tyois  et  puis  flemmanU 


06 


und  in  Tracht,  Sitte  und  Eede  zu  flS.men  guter  Ton  war.  In 
Laufe  des  13.  Jahrhunderts  wurde  es  bei  den  Vomemen  Branch 
Franzosen  an  ihren  HOfen  zu  halten  und  ihre  Kinder  firanzoiisci 
lernen  zu  lafzen  ^).  Ob  die  politischen  Beziehungen  DeutBch- 
lands  zu  Sftd-Frankreich,  Italien  und  England  auch  auf  erne  ver- 
breitete  Kenntnifs  der  Sprachen  dieser  Lander  bei  den  Deutschen 
einwirkten ,  ist  so  viel  ich  weifz  nicht  bestimmt  zu  sagen ;  ebenso 
Tafzt  sich  nur  vermuten,  dafz  manche  Nordlanderinnen  und  Eng- 
rdnderinnen  das  deutsche  erlernten.  *  Interessant  bleiben  immer 
Zeugnifse  iiber  die  Sprachkunde  in  andem  Landem.  fSo  rfihmt 
Gottfried  von  Strafzburg  der  irischen  Konigstochter  Isolde  die 
Kenntnifs  der  Sprache  von  Dublin,  des  franzOsischen  und  latei- 
nischen  nach./ (Trist.  7988).  Eine  franzdsische  Jungfrau,  Dorame, 
soil  nach  dem  Roman  von  Karl  dem  Kahlen,  franzdsischy  latei- 
nisch,  lombardisch,  romanisch  (rommion),  bretonisch,  limosinisch,  in 
allem  vierzehn  Sprachen  verstanden  haben  ^).  Einem  Proven^alen, 
Vileme  de  Nevers,  einem  Inbegriflfe  aller  ritterlichen  VoUkom- 
menheiten,  wird  im  Roman  de  Flamenca  Fertigkeit  im  burgun- 
dischen,  franzosischen ,  deutschen  und  bretonischen  beigelegt') 
Genug,  wir  sehen  dafz  der  lebendige  Volksverkehr  jener  Zeit  nud 
in  dieser  Hinsicht  seine  Friichte  trug.  Die  Kriege,  Reisen  un' 
langerer  Aufenthalt  in  fremden  Landem  gaben  den  Mannem  di 
Fertigkeit  in  andem  Zungen,\Knaben  und  Jiinglinge  wurden  ^ 
diesem  Zwecke  auf  Reisen  gesehickt.  Als  Tristan  sieben  Jahi 
alt  ist,  sendet  ihn  sein  Pflegevater  mit  einem  verstandigen  Mant 
aus,  damit  er  die  Sprachen  der  Fremde  leme  (Trist.  2041).~p^ebei 
haupt  gait  das  Reisen  schon  damals  als   ein  treffliches  BiTdun^ 


')  Beweis  ist  eine  Stellein  Adenbs  Roman  de  Berte.  Adenbs,  geb.  am  13' 
schildert  natiirlich  nicht  die  Zeit  Karl  des  Grofzen,  sondem  seine  eigene: 

Tout  droit  a  celui  temps  que  je  ci  vous  devis 
Avoit  une  coustume  ens  el  Tyois  pais, 
Que  tout  It  grant  seignor  It  conte  et  It  marchis 
Avoient  entour  aus  gent  frangoise  tous  dis 
Pour  aprendre  frangois  leur  filles  et  leur  Jils. 
Vgl.  noch  anderes  bei  Massmann  Eraklins  562.  f.       -)  Monmerqu€  et  Michel  Th£cU 
/rangais,  p.  601.  Note.       ')  Raynouard  lex,  ram,  1,  22. 


91 

mitlel  und  im    skandinavischen  Norden    war   es   ein  wesentHcher 
Theil  der  Erziehung  *).  Fiinfzehn  Jahr  alt  bittet  Gunnlaug  Orms* 
toDga  Beinen  Vater   ihn  auf  Reisen  zu   schicken  und  drei  Jiahre 
spater  macht  es  ihm  der  Vater   seiner  geliebten  Helga  zur  aus- 
drficklichen  Bedingung  det*  Verlobung,    vor  der  Heirat  noch  an- 
derer  Leute  Sitten   kennen  zu    lemen.  (GunnL   Ormst.   s.  c.  5.)# 
Bei  solchem  Leben   kbnnten    sich   auch  in   dem  abgeschlofzenen 
Skandinavien  Sprachkenntnifse  inannielifaGher  Art  Verbreiten  und 
anfzer  dem  finnischen,  das  auch  mancke  Frau^n  in  ililrei^  Jugend 
in  Finnland  setbst  lemten ,   mochte  das  deutsche ,  das  angelsach-r 
sische  und  auch  keltische  und  rbmanisdhe  Dialecte   mehrfach  be- 
kannt  sein  so  wie  auch  das  wendischeff  Das  Bildungsmittel  des 
Reisens  gieng  freilich  den  JPrauen  ab  und  sie  waren-  auf  den  Uu'- 
tcrricht  im  Hause  besehrankt,  wenn  sie  nicht  in  ihrer  Jugend  ins 
Ausland  geschickt  waren.     Auch  fur  die  Sprachen  waren   geist- 
liche   Lehrer    am    gewonlichsten,    darum    wird    das    Lateinische 
vieHach  im  B^sitz  der  Frauen  erw'ahnt.    Eine  tiefere  Kunde  des- 
selben  diirfen  wir  freilich  nicht  annemen.     Neben  den  Geistlichen 
traten  die  Spielleute  hau£g  als  Sprachmeister  auf,   diese  leichten 
ZQgvogel  welche  als    Handelsleute   der    geistigen   und    sittlichen 
Waren  von  Volk  zu  Volk  zogen.  Die  prov^i^alischen  schweift^n 
von  Spanien   bis  in   die   Lombardei  und  Deutschland,    und  auch 
die  deatschem  Versuchten   sich   in   der  Fremde.  'Deutsche    Spiel- 
leute waren  in  Italien,  deutsche  Geiger  namentlich  in  Frankreich 
im  13.  Jahrhundert  sehr  beliebt  *).  Die  Spielleute  waren  zugleich 
for  ilire  Schtderinnen  wie  iiberhaupt  fur  Frauen  luid  Manner  die 
Vermittler  der  Poesie  des  Tages.  Sie  ersetzten  auf  treffliche  Weise 
die  Armut  an  B&chern  und  die   Bchwierigkeit  schriftlich  die  poe- 
tiachen  Enseugnisse  der  Gegenwart  kennen  zu  lernen.    Indem  sie 
zngleich   mehr  oder  minder    die   alten    volksmafzigen   Lieder  in 
der  Gewalt    hatten ,    waren    sie   befahigt  allseitig  den  poetischen 
Schatz  des  Volkes  aufzuschliefzen  oder  wenigstens  den  Schliifzel 
dazu  in  die  Hand  zu  geben. 

*)  Erici  disquisitio  de  peregrinatione   hlandorum.    Lips.    1755.  ')  Roman 

de  Cliomadps,  vgl.  Michel  theatre  fratu;,  p.  105.  Poeti  del  primo  sscolo.  2,   175, 


96 

Frauen,   deren    geistiges  Leben   geweckt   und  nicht  durch 

mancherlei   Halbwifzen  gedammt  war,     erfreuten  sich  nicht  blofz 

empfangend  an  der  Poesie  sondem  auch  schaffend.     Das    Prie- 

sterthum  mit   seinen  Gebeten  und  Gesangen,   das  Amt  der  wei- 

sen  Frauen  mit  dem  Schatz  an    Spriichen  und    Sagen,    schlugen 

machtig  an  die  dichterische  Quelle  in  der  weiblichen  Brust,  und 

wie  hatte  eine  Frau  nicht    ebenso  gut  wie   ein  Mann  und  nicht 

oft  befzer  ein  Gedicht  schaffen  kunnen  ?  Waren  doch  Worte,  Bil- 

der    und  Thatsachen  gegeben    und  kam    es  doch  nur  eigentlich 

darauf  an,     gliicklich  zu  finden  und    zu    walen.7  Freilich  ist  die 

Art  unserer   altesten    Dichtung  dem  weiblichen  Sinne  nicht  recht 

gemafz*  Das  kurze,  scharfe,  andeutende,  das  gebundene  und  for- 

melhafte,  will  sich  zu  der  Liebe  ffir  das  weiche,  breite,    ausge* 

fiirte,   zu   dem   Hange    die   eigene  Innerlichkeit   hervortreten   zu 

lafzen ,  ja  zu  dem  weiblichen  Eigensinne  nicht  recht  fiigen.   Indes- 

sen  zweifle  ich  nicht,    dafz  uns  auch  in  den  altesten  Zeiten,  wenn 

iiberhaupt  Dichtemamen    genannt  werden   konnten,    Dichterinnen 

erscheinen  wiirden.     Die  Dichtkunst  selbst  dachten  sich  die  Grer- 

manen  als  Weib:    Saga^    die  Gottin  der  Poesie,  wont  unter  den 

rauschenden    Meereswogen    und    der   grofze  Himmelsgott  ^Odhin 

trinkt  taglich  in  ihrem  Arme    den   kostlichsten  Met*    Wir  finden 

auch  eine  Reihe  Dichterinnen  unter  der  Menge  der  Skalden   und 

Reste  ihrer  Poesien  sind  hier  und  da  iiberliefert.  Von   einer  Vala 

Heidhr  sind  drei  Strophen  erhalten,  in  denen  sie  dem  unglaubigen 

Oddr  sein    Geschick    vorhersagt  *)    (Orvarodds.    s.  c.    2) ,     von 

Hildr,  der  Mutter  Gdngurolfs,  des  Eroberers  der  Normandie,  er- 

hielten   sich  Verse,   durch  die  sie  bei  Hdrald  Mrfagr  die  Riick- 

name   der  Verbannung    ihres   Sones    erhalten   wolte,    weiche  er 

durch   Raubereien  in  Norwegen   verwirkt  hatte    (Fommannas.  4, 

60).  Ein  paar  Zeilen  erhielten  sich  aus  einem  Gedichte  derDich- 

terin    Jorun    auf  den   schdnharigen  Hdrald,   (Fornm.  s.  4,    12); 

einige  Strophen  von  Steinun^  der  Mutter  Skdldhrefs,  die  sie  dich- 


')  Eine   andere  Seherin  verkiindete  dem  ^Asbibm  prudhi  sein  Schicksal  in 
Yersen  (Fonunannas*  3,  202.). 


.  .1         III 

i£ief    als  der   Sturm   das   Schlff   des   Bekerers  Tliangbrand  von 

der  islandisehen  Ktiste  abtrieb   (Fomm.   s,   2,    204).     Auch   die 

Geschichte     des     Skalden    Egil  Skalagrimsson    kennt   ein    paar 

Frauengedichte.     Egil  zeichnete  sich  schon  friih  durch  kGne  und 

freche  Thaten  aus  und  nam  sehr  jung  an  einem  Raubzuge  seines 

Bruders  Th(yrolf  Theil.     Sie   keren   einmal  friedlich  bei  dem  Jarl 

Amfidr  in  Halland   ein  und  als   bei  dem  Gastgelage  die  Manner 

und  Frauen  durch  das  Lofz  gepart  werden,  wird  Egil  der  Toch- 

ter  des  Jarl  zugelost.  Das  Madchen,  dem  in  der  Nordlandswcise 

an  einem  so  jungen,     wie  es  scheint  noch  unerprobten  Tischge- 

nofzen  nichts  liegt,     erfindet  rasch    ein   par  Verse,    in  denen  sie 

fragt   was   er   auf   ihrem  Platze  wolle?     er  habe  noch  nicht  dem 

Wolfe  warmenFrafz  gegeben,   die  Raben  noch  nicht  im  Herbste 

liber  Leichen  schreien  horen,  er  sei  noch  nicht  im  Schwertgewftl 

gewesen.     Egil   antwortet    mit   einer   Aufzalung    seiner   Thaten. 

(Egilss.  c.  48).    In  spaterer  Zeit  ist  Egil  einmal  bei  einem  Bauer 

Namens  AmrfiSd   Skegg   eingekert    und    wird    schlecht   bewirtet. 

Auf  dem  erhohten  Quersitz  sitzt  die  Hausfrau  mit  ihrer  zehnjah- 

rigen  Tochter   und    sie  schickt   das  Kind   mit  einer  Strophe  zu 

Egily  in  der  sie  ihn  zur  Vorsicht  vor  ihrem  Manne  mant.      Der 

Skalde  straf t  den  Wirt  auf  rohe  und  grausame  Weise.  (Egilss.  c.  74). 

Die  eben  «rwahnten  nordischen  Dichterinnen  gehOren   dem 

9.  und  10.  Jahrhunderte  an.     Auch  in  Deutschland  konnen  wir  in 

der   zweiten  Halfte  des   10.  Jahrhunderts  eine  Dichterin  aufwei- 

8en,/(iie  bekannte  Grandersheimer  Nonne  Hroswitluz,  die  nach  ge- 

lehrtem  Beispiele   die  Muttersprache   verschm'ahte  und  ihr  Talent 

in  lateinischen   erzalenden  Gedichten  und  sogenannten   Komodien 

offenbarte  0- ITDie   erste   deutsche   nach weisbare  Dichterin   war 

eine  fromme  Fran  Namens  Ava ,  eine  Oesterreicherin  oder  Steier- 

markerin,    deren  Leben  in  die  erste  Halfte  des  12.  Jahrhunderts 

fallt.  Eine  gereimte  Bearbeitung  des  Lebens  Jesu  mit  einem  An- 

hange   vom  Antichrist  und   dem  jftngsten  Gericht  hat  Anspruch 


*)  Von  angelsachsischen  Nonnen ,    welche  lateinisch   dichteten,    haben  wir 
oben  gesprochen. 

7« 


ioo 

auf  8ie  als  Verfafzerin ;  wie  sie  selbst  am  Schlufze  sagt ,  «o 
wurde  sie  von  ihren  beiden  Sonen  bei  der  Arbeit  linterstlitzt; 
das  Gedicht  ist  iibrigens  ganz  im  niichternen  Karakter  jener  Zeir: 
die  Thatsachen  sind  mit  kurzemAtem  erzalt,  die  Gedanken  sind 
einfaeh  und  ohne  Schwung  und  die  Sprache  ist  glanzlos  und 
herb ;  nichts  weist  auf  ein  weibliches  Gemiit  als  Quelle  ^).  Auch 
sonst  versuchten  Frauen  ihr  poetische;?  Talent  an  heiligen  Stoflfen, 
80  besitzen  wir  einige  Gebete  in  Poesie  und  Prosa  von  w^ibliehen 
Verfafzerinnen  ^).  Ale  ein  Beweis,  dafz  sie  auch  die  Legendendich- 
tung  bereicherten ,  gilt  die  Bearbeitung  der-  Geschichte  des  heili*- 
gen  Alexius  aus  dem  14.  Jahrhundert,  welche  eine  Frau  unter- 
nam  *).  Die  Legenden ,  Evangelienharmonien  und  die  Dichtungen 
aus  dem  Kreise  des  alten  Testamentes  hatten  unter  den  Frauen 
auch  eine  geneigte  Horerschaft*  Fiir  jene  Zeit  war  die  Xrocken- 
heit  fast  aller  dieser  Gedichte  weniger  fiilbar,  denn  sie  waren 
die  Hauptquelle  far  die  Laien  den  Inhalt  der  Bibel  kennen  zii 
lemen  und  sprachen  jedenfalls  ein  ungelehrtes  Ohr  mehr  an  ale 
eine  lateinische  Predigt  oder  Sequenz.  Ueberdiefz  waren  die  mei- 
eten  Psalterfrauen  wie  heute  iiber  die  Grenze  der  schwerel'  be- 
friedigten  Jugend  hinaus  und  namen  dasLesen  und  Horen  die* 
ser  Brcimereien  als  eine  angeneme  Bufze  fiir  die  Lieder  und 
Scherze  ihrer  weltlichen  Jahre. 


')  Die  Sequenz  ans  dem  Kloster  Mnrr ,  welche  Diemer  dieser  Ava  zn- 
schreiben  mocbte,  ist  von  ganz  anderem  Karakter  als  diese  Dichtung.  ^-^  Diomem 
Matinal'zangen  iiber  Ava  und  ihre  Sohne  s.  in  seinen  Gedichten  des  11.  and  IS, 
tJahrhunderts.  XIV— XXXV.  ')  Haupts  Zeitschr.  f.  d.  A.  2»  193—199.  8,  298—302. 
Diemer  Gredichte  375.  fF.  —  Es  ist  zu  beachten,  dafz  sich  auch  viele  lateinische  Gebete 
aus  dem  12.  Jahrhunderte  iinden,  welche  fiir  Frauen  bestimmt  (schwerlich  von  ihneii 
verfafzt)  sind.  Eine  Lambrechter  hs.  und  eine  Murische  geben  eine  ziemliche  An- 
zahl.  Diemer  a.  a.  0.  XVII.  Diut.  2,  288 — 97.  —  Unter  den  deutschen  spricht 
namentlich  das  prosaische  Abendmalsgebet  durch  fromme  und  warme  Stimmung  an« 
Es  enth&lt  auch  keinfe  lateinischen  Einmischungen,  deren  die  beiden  in  poetischer 
Form  verfaTzten  (Diemer  a.  a.  O.  375—78.  Haupt  Z.  f.  d.  A.  2,  193— «199)  nicht 
ganz  ledig  sind.  ^)  Haupt  zu  Engelhard  v.  Konr.  v.  Wiirzb.  S.  229.  Maismann 
Alexius  45—67.  —  Ueber  eine  Hs.  des  13.  Jahrhunderts,  welche  deutsch  beschrie- 
bene  Visionen  einer  Nonne  enthalt  s.  Pertz  Archiv  8,  742.  V^l.  auch  Wh.  Wa- 
ckemagel  deutsche  Literaturgeschichte  §.  44.   14.  36.  Anmerk. 


lei 


Auf  die:  Zeit  der   geistlichen   Poesie  folgte    die  Poesie  der 
Ritter  und  Frauen.  Alte  Sagen,     die   bisher   in   dem  Munde  des 
Volkes  der  verschiedenen  Lander  gelebt  batten,  wurden  nun  von 
den  Kunstdich tern    erfafet   und   mit  dem  neuen  Geiste,     der  das 
kristliche  Abendland  beschattete ,  durchhaucht.     Die  Fcauenliebe 
trat  gebietend  auf  und  wo  sie  wandelte  sprofzten  Liederblunieii  aufl^ 
dem  Basen ,     maienduftig »    klingend  wie  Nachtigallienacblag  und 
bleich  bald  wie  Mondenstral,    bald  glub^nd  wie  die  Sonue.    Pa^ 
Leben    des  Herzens    ward    der  Hauptgege^stand    der    ly^-ischeu 
Poesie,    die  Verherrlicbung   der  Frau   iljii?  Ziel.     E^  ergifet  siQh 
hieraus   dafz   die  Frauen  an  S9leher    D^htung  nvx   enipfangend 
nicht  zeugend   theilnen^en   konnten,     es   sei   denp    daf^    sie   den 
Mann  auf  solche  Weise  verherrlichen  woUten  wie 'sie  verherrlichi 
wurden.  In  der  That  stunden  auch  in  SCidfrankreich ,  der  Wiege 
der  modemen  Lyrik,  Frauen  auf,   welcbe  ihre  dichterische  Gab^ 
zum  Preise   des.  Geliebten   verwandten.     Ihre  Gedichte  sind  d^m 
weiblichen  Wesen  gemafz    weich    ofTen  und  vol!   Gemfit  und  da- 
durch  ebengo   vop  den  Qedichten  der  Troubadours  unterschiedei^ 
wie  durch   eine   gewifse  Nachlafzigkeit  der  Form.     Auch  neigeQ 
sie  sich    der    yolksmafzigen    Gattung    des    Tanzliedes    (ballada) 
zu ').    In  Nordfrankreich   felte   e^   ebenfalls   nicht  an  dichtendei^ 
Frauen,    die  beriibm teste  ist  Marie  de  France^);  in  Deutschlaud 
dagegen  begegnet  uns  keine  Spur ,    dafz  sich  die  Frauen  an  de^r 
Lyrik  betheUigten ;  sie  liefzen  sich  daran  geniigen ,  mittelbar  ihre 
Quelle    zu   sein.     Einzelne  hervorragende  Frauen  haben   rich  in 
Deutschland  von  jeher  um  dieLiteratur  verdient  gemacht,  indem 
sie  Yoll  Theilname  an  ihr  bedeutende  Krafte  fiir  sie  zu  gewinn^ 
und  die  Menge  zu  ihr  heranzuziehen  strebten.    So  sind  denn  als 
bedeutsam    fur   die    Geschichte   der    hOfischen   Poesie    ein  par 
Frauen  aufzufftren,    die  freilich  Auslanderinnen  waren  aber  docb 
antreibend  fiir  das  Deutsche  wirkten.  Als  die  eine  ist  Agnes  von 


*)  Fauriel  htstoire  de  la  poesie  provengale  2,  74  76.  90.  Ditx  Ziehen  der 
Troubadours  64.  ff.  *)  Poesies  de  Marie  de  France  y  pohte  .inglonormande  du 
XJJI.  Steele  —  par  Roquefort,  Par.  1820.  2  voll.  —  Chefs-d'oeuvre  poidques  du 
domes  fran^aises  d€puis  le  XIII,  sikcle  jusque  au  XVIL  Paris  1841. 


102 

Poitou   zu   nennen,     die  Tochter  Wilhelms  VIII^  und  Schwester 
des  vielberiihrnten  Wilhelm  IX.  Grafen  von  Poitou  und  Herzogs 
von  Aquitanien ,  der  an  dem  Anfang  der  proven^alischen  Lyriker 
steht.    Sie  ward   1043  mit  Kaiser  Heinrich  III.  vermahlt  und  ich 
schliefze  aus  ihrem  Geburtslande  und  au&  der  Pflege,  welche  ihr 
vaterlicher  Hof    der  Wifzenschaft    und  Poesie    angedeihen    Hefz, 
dafz   sie    auch  fiir  die  deutsche  Literatur  anregend  und  fdrdemd 
war.    Wir    konnen    freilich    keine    unmittelbare   Wirkurig   nach- 
weisen,   die  sie  auf  die  deutsche  Poesie  hatte,    allein  der  Boden, 
aus  dem  fiber  ein  Jahrhundert  spater  eine  reiche  Saat  der  Poesie 
aufgiengy     mufz   lange  vorbereitet   gewesen   sein  und   zu  denen,  . 
welche    still  den  Samen   in  die  Erde  legten ,     mochte  ich  Agnes 
von  Poitou  rechnen.   Das  wifzen  wir  wenigstens ,    dafz  sie  Man- 
ner begiinstigte,  welche  die  Wifzenschaf ten  und  Kfinste  pflegten  ')• 
Bestimmteres  konnen  wir  dagegen  von  einer  Verwandten  des  pik- 
tavischen  Grafenhauses  berichten,  von  der  Gemahlin  Herzog  Hein- 
richs  des  LOwen ,     einer  Tochter  Konig  Heinrichs  11.  von  Eng- 
land,    deren  Mutter   eine  Enkelin  des  Grafen  Wilhelm  IX*  war. 
Aus  einer  Familie,   welche  die  Literatur  sch'atzte,  Schwester  K- 
chards  Ldwenherz,  der  in  proven9alischer  und  nordfranzOsischer 
Zunge  dichtete,  kannte  sie  die  franzosischen  Epen  und  bestimmte 
ihren  Gemahl  eines  derselben,  das  franzOsische  Rolandslied,  nach 
Deutschland    bringen  zu  lafzen  *).     Es  ward  hierauf  durch  einen 
PfafFen    Konrad     zuerst   ins     lateinische    und    dann    ins    deut- 
sche iibersetzt,  einWerk,  das  1173 — 77  gedichtet,  ein  wertvoUes 
Denkmal  unserer  Literatur  ist.    In  der  Zeit  der  hofischen  Poesie 
mag  sich  noch  mehr  als  eine  deutsche  vorneme  Frau  um  die  Li- 
teratur durch  Schutz  und  Unterstutzung  derDichter  verdicnt  ge- 
macht  haben,    defsen  ganz  zu  geschweigen  dafz  der  grOste  Theil 
jener  Lyrik  auf  der  Begeisterung   beruht    welche   das  Weib  dem 


*)  Stenzel  Geschichte  Deutschlands  unter  den  frankischen  Kaiscm  1,  134. 
*)  Ob  die  Herzogin  blofz  nach  dem  Anblick  der  Handschrift  und  nicht  nach  dem 
Inhalt  begierig  war,  wie  Wh.  Grimm  in  Haupts  Z.  f.  d.  A.  3,  283  will ,  mag 
zweifelhaft  sein.  W.  Wackernagel  Literatnrgesch.  96.  schreibt  ihr  anch  die  EnU 
Btehong  des  Tristan  von  Eilhart  von  Oberge  zu 


108 

Manne  einhauchte.   Auch  die  volksmafzige  Gattung  der  lyrischen 
Poesie,  das  Tanzlied,    ist  bei  der  ungemeinen  Liebe  mit  welcher 
die  Weiber  den   Reihen  traten  und  sangen,    ohne  weiteres  unter 
ihren  besondern  Schutz  zu  stellen,  denn  hier  mischten  sich  noch 
altheidnische  Erinnerungen  bei  und  es  gait  ein  altesErbe  zu  erhal- 
ten;  dieKirche  hatte  darum  auch  starkenKampf  gegen  dieTanz- 
lieder  der  Madchen,     Und  soke   nicht  bei  allem  diesem  mancher 
der  Reihen  von  einem  Weibe  gedichtet  sein?     Genug,    die  Lite- 
ratur  des    12.   und    13.    Jahrhunderts    hat    bedeutenden  Antrieb 
durch  die  Frauen  erhalten  und  ihr  Karakter  ist  wesentlieh  durch 
sie  beetinunt  worden.     Es  war  auch  fur  die  Poesie   kein   Gewinn 
dafz  die  Frauen  wieder  zuriicktr^ten  und  statt  der  Liebe  und  des 
Tanzes  Lehrhaftigkeit ,  diisteres  Allegorisiren  und  triibe  Fromme- 
lei,  aufzerdem   aber  wiistes  Zechen    Jagen  und  Raufen  die  Zeit 
erfullte.    Noch   in   den  nS/Chstfolgenden  Jahrhunderten  nam  sich 
diese  und  jene  deutsche  Ftirstin   der  Literatur    an,     allein  auch 
Bolche  Pflege  vermochte  die  krankende  nicht  zu  heilen.  Mit  vOUig 
neuer  Zeit  muste  ein  neuer  Geist  kommen  und  als  dieser  sich  her- 
abgesenkt  hatte  und  aus  schwerem  Kingen  ein  junges  schOnes  Kind 
geboren  war,  dann  war  auch  fiir  die  Frauen  wieder   die  Zeit  ge- 
kommen  zu  pflegen ,  zu  htiten  und  zu  wecken,  so  viel  an  ihnen  war. 
!  Mit  der  Poesie  war  im  Mittelalter  die  Musik  auf  das  engste 
verkniipft.  Erst  allmah'g  trat  eine  Scheidung  zwischen  Singen  und 
Sagen,    zwischen  dem  musikalischen  und  dem  blofz  recitirenden 
Vortrage  der  Gedichte  ein.  Gesang  und  Listrumentalmusik  waren 
gewOnlich  verbunden  und    der    Dichter   der  hofischen  Zeit  hatte 
nicht  blofz  die  Worte  sondem  auch  die  Weise  zu  erfinden,   die 
er  auf  der  Harfe ,  der  Botte  ^)  oder  der  Fidel  begleitete.  Die  Jon- 
gleurs und  die  Spielleute  machten   aus  der  Instrumentalmusik  ein 
besonderes  Gewerbe  und  gebrauchten  sie   theils   allein  theils  .ver- 
bunden mit  Gesang  dazu,  anderen  Unterhaltung ,  sich  selbst  aber 
Unterhalt  zu  verschafifen.  —  Man  mufz  sich  vergegenwartigen  wie 


')  Bin  Saiteninstrnment,  das  zwischen  Harfe  und  Fidel  in  der  Mitte  stund. 
VgL  F.  Wolf  fiber  die  laie  244—48. 


104 


diirchzogen  von  Liedern  das  gesammto  Alterthum  war ,  wie  jedes 
Ereignifs  seinen  Geeang  hatte,  wie  die  Gesellschaft  eine  besondere 
Freude  an  der  Musik.fand,  um  zu  begreifen  dafz  die  Frauea  aidi 
gem  eine  so  beliebte  und  beliebt  machende  Kunst  aiigeeignet  ha- 
ben  werden.  Von  dem  Gesange  verstieht  sich  das  von  selbsiy  um 
BO  mehr  als  er  damals  nicht  so  wunderbar  kunstreich  wie  heate 
war,  sondem  nur  im  Moduliren  weniger  TOne  bestund  das  keine 
Kunst  erforderte  und  wie  noch  unsere  Volkslieder  m*achtiger  zur 
Seele  sprach  denn  alle  L'aufer  und  Trillen 

Aber  aucfa  die  Instrumentalmusik  wurde  von  den  Wdbeni 
gepflegt.  Es  wird  von  den  getischen  Frauen  erzalt  dafz  sie  zur 
Erlustigung  der  Manner  zur  Cither  greifen  musten  und  gleiches 
kOnnen  wir  ohne  weiteres  von  den  verwandten  gothischen  und 
iiberhaupt  den  germanischen  Weibem  aussagen.  Auffiillend  ist 
nur  dafz  in  den  ausfiirlichen  und  genauen  Schilderung^n  des 
skandinavischen  Lebens  nirgends  von  Frauen  gesprobhen  wird 
welche  lustrumente  spielen,  warend  wir  erzalen  horen  dafz  die 
Manner  dort  gem  zur  Harfe  grififen.  Wer  denkt  nicht  an  Konig 
Gunthers  letzten  Harfenschlag  im  Schlangenthurm  ?  Auch'  die 
Angelsachsen  und  die  Go  then  liebten  es  bei  ihreh  G^lagen  selbat 
zur  Harfe  zu  greifen  und  ihre  Lieder  dabei  zu  singen.  Das  Spiel 
wird  kunstlos  gewesen  sein  wie  der  Gesang.  Ein  Fortschritt 
muste  durch  die  Bekanntschaft  mit  griechischer  -und  ronuBcher 
Musik  erfolgen,  welche  bei  den  Deutschen  gern  gehort.wiirde. 
Chlodwig  erhielt  aus  Italien  einen  Citherschlager  und  Karl. der 
Grofze  liefz  von  dort  die  Verbefzerer  des  frankischen  Kirekenge- 
sanges  iommen ,  warend  unter  Kaiser  Otto  I.  der  Aquitaner 
Gerbert  die  Musik  in  Ttalien  und  Nordfrankreich  verbefzerte  und 
verbreitete.  (Richer,  hist.  3,  49).  —  Im  11.,  12. /IS.  Jahrhun*- 
dert  sind  die  Harfe ,  Rotte ,  Fidel  und  Flote  in  der  ganzen  ge- 
bildeten  Welt  verbreitet.  Der  Unterricht  auf  einem  oder  mehreren 
von  ihnen  scheint  damals  auch  zu  der  feinerenMadchenerziehunggehort 
zu  haben.  Wenigstens  Isolde,  das  Vorbild  einer  feinen  Dame  des 
13.  Jahrhunderts,  ward  von  einem  Spielmanne  auf  der  Harfe ,  der 


$ 


105 


Lira  und  der  welschen  Fidel  unterrichtet  *),  und  weifz  di^  TOn« 
behende  binauf  und  herab  zu  fiiren  und  stifz  und  wol  dazu  zu 
Bingen.  Dieser  Gesang  mag  also  kunstreicher  gcwesen  sein  aU 
der  Hildjegunds  9  der  burgundischen  Konigstochter ,  ^  mit  dem  sie 
den  gellebten  Walther  einsingt,  als  sie  ihn  nach  Janger  Flucht  ia 
stiller  Wald-  und  Nachteinsamkeit  bewacht.  Im  13.  Jahrhundert 
war  Gbrigeus  das  Singen  der  jungen  Damen  bei  ihnen  selbst  und 
in  Gesellsehaften  ein  eben  solcl^er  Gegenstand  dea  Begerens  und 
der  Eitelkeit  wie  heute.  Eine  altfranzosische  Anstandslehre  gibt 
dariiber  mancherlei  Mittheilung,  Der  Gesang  sei  ein  Tro^t  wenn 
sie  allein  seien ,  m  Gesellschaft  mache  er  beliebt ;  man  solW  sich 
also  nicbt  zu  lange  darum  bitten  lafzen,  aber  auch  nicht  zu  yiel 
singen ,  denn  das  entwert^  den  schonsten  Gesang ;  singe  man 
zu  einem  Instrument ,  so  solle  man  laut  singen  ^).  Diese  Stella 
hat  auch  fiir  Deutachland  Kraft;  wenigstens  lernen  wir  aus  einer 
Predigt  Bruder  Bertholds,  dafz  die  Frauen  mit  dem  Wolsingen 
hochfartig  thaten,  was  der  Monch  nicht  zu  strafen  unterl^fzt. 
(S.  323,  Kliug).  J 

Jener  Spiel mann  ,  welcher  die  junge  Isolde  in  fremden  Spra^ 
chen  und  in  der  Musik  unterrichtete ,  suchte  ihr  noch  andere 
Kenntnifise  zu  eigen  zu  niachen ,  „die.  Moralitat."  Man  verstund 
darunter  die  Kunst  der  schonen  Sitten  oder  des  aufzeren  Bene- 
mena  nach  der  gesellschaftlichen  Vorschrift,  wobei  man  innerlich 
80  unmoralisch  sein  darf  als  man  'aufzerlich  verbergen  kann. 
Seiche  Moralitat  war  natiirlich  eine  unerlafzliche  Eigenschaft  der 
feinen  Frauenzimmer  und  auf  sie  war  das  Augenmerk  allerZucht- 
meiater  und  Meisterinnen  gerichtet.  Denn  wie  notig  ist  es  zu  wi- 
feen  wie  man  steht  und  geht,  wie  man  sich  verneigt  und 
schweigt  und  redet  und  wie  man  ^hrbar  und  ziichtig  scheinen  kann. 
Dafz  sich  bei  dem  geselligen  Verker  feste  Satzungen  aus- 
bUden  miifzen,     ist  klar.     Es   mufz  geltende  Vorschriften   geben 


*)  l>\ii  webche  Fidel  (auch  Georg  2457  erwfthnt)  ist  das  erwtk  triikant,  eine 
ilreiaeitige  Fidel ,  welche  weniger  Kan^t  erforderte  al»  die  seclasseitige  crwth ,  die 
Rotte  Oder  Lira,  F.  Wolf  ftber  die  lais  244.  f.       ^)  Chastoiement  de  dames  447—462. 


106 

liber  das  Benemen  in  den  verschiedenen  Lagen  des  Lebens,  uber 
das  Betragen  als  Wirt  und  als  Gast,  gegen  Mtoner  und  Franen, 
bei  Tische  und  beim  Tanze;  die  Sitte  mufz  den  Leidenschaften 
einen  Zugel  iiberwerfen  und  wer  den  Anstand  verletzt,  mufz  eine 
Riige  erfaren.  So  hoi  und  bedeutungslos  oft  das  gesellige  Gresetz 
ist,  das  Leben  kann  ohne  dafzelbe  den  feineren  Schwung  nicht 
bewaren.  Die  Sucht  zu  sciieinen  mufz  in  diesen  unterwiilten 
Verhaltnissen  die  Wonne  und  Herrlichkeit  etwas  tiichtiges  zu 
sein  ersetzen. 

rWer  das  Mittelalter  einigermafzen  kennt,  weifz  wie  streng 
geregelt  in  ihm  das  Benemen  war ,  wie  die  Haltung  des  Korpers, 
das  Tragen  der  Kleider ,  das  Reden ,  genauen  Vorschriften  unter- 
lag,  so  dafz  etwas  stereotypes  durch  die  Menschen  gieng,  das 
uns  ungezwungenen  Kindern  nicht  selten  ein  Lacheln  abzwingt 
Schon  Jakob  Gi^mm  hat  als  anschauliche  Zeugnisse  da&r  die 
Bilder  der  Handschriften  angefGrt  *^) ,  und  es  ist  in  der  That  sehr 
anziehend,  noch  auf  den  Holzschnitten  der  fliegenden  Blatter  des 
16.  Jahrhunderts  dieselben  Haltungen  warzunemen  wie  in  den 
Miniaturen  und  an  den  Bildsaulen  des  10.  und  der  fblgenden 
Jahrhunderte  *>.  Wenn  sich  auch  vor  dem  12.  Jahrhundert_in 
Deutschland  keine  im  spateren  Sinne  feine  Gesellschaft  anaemen 


')  Wiener  Jahrbucher  1825.  Bd.  32.  S.  232.  *)  Die  Literatur  ttber  dit 
Anstandslehre  des  MA.  ist  nicht  unbedeatend.  Fiir  Deutschland  konnen  wir  anf 
den  welschen  Gast  des  Thomasin  von  Zirklftre,  auf  den  Winsbeken  und  die  Wint- 
bekin  verweisen ;  fur  Frankreich  auf  das  Chastoiement  des  dames  und  das  ChoMtoiU' 
ment  du  pere  au  Jils  CMeon  fabliaiis  et  contes  2,  184 — 219.  39 — 183)  cbenso 
gehoren  Stellen  des  Romans  de  la  Rose  und  des  Beaudous  von  Robert  du  Blots 
hierher.  Eine  proven^al.  Anweisnng  fiir  eine  junge  Dame  yon  Amanieu  des  JSscas 
steht  bei  Raynouard  choix  des  poesies  II.  263.  ff.  Von  Arnaut  van  Marsan  gibt 
cs  Lebensregeln  fiir  den  Adel  (BruchstQcke  daraus  bei  Raynouard  choix  XL  301.  u. 
V,  41—44).  Aus  der  ital.  Literatur  fure  ich  an  Fr.  de  Barberino  del  reggimenio 
e  de  costumi  delledomne  (Aasg.  Rom  181 5)  und  ae'me  documenti  cTamore  (ed.  Fred. 
Ubaldini  1640).  Natiirlich  h'angt  diese  Literatur  mit  der  didactifichep  iiberhaapt 
zusammen  und  Petri  Alfonsi  disciplina  clericalis,  Joh,  v,  Capuas  directorium  Ati- 
manae  vitae,  die  sieben  weisen  Meister ,  die  orientalischen  Fabelsammlongen  (Pamfa 
tantra,  Hitopadesa^  Kalila  va  IHmna)  a.  a.  gehoren  mehr  oder  minder  hierher, 
wie  auch  Ovid  manchen  Einflufz  hatte. 


107 

^fet^o  weist  doch  genug  darauf  hin,    dafz  sich  frOh   unter  den 
germanischen   Volkern   eine   feste   Meinung    iiber   das  anstandige 
gebildet  hatte.  Zu  der  Moralitat  der  hofischen  Zeit  bedurften  in- 
defsen  unsere  Vater   erst'fremder  Anregung   und  Anleitung  und 
auch  BO  fiel  es   ihnen    noch    schwer   sich    in    den    galant   homme 
det  Welschen^  einzustudiren.     Dafz    diesen   die  deutsche  Sprache 
roh  wie   Gekreisch   der  VOgel   und  Hundegebell  vorkam,     ganz 
wie  einst  dem  feinen   Julianus  Apostata,  dariiber  woUen  wir  und 
nieht  wundem.    Aber  auch   die   Sitten  der  Deutschen  erachienen 
den  westlichen  Nachbarn  plump.   In  den  lateiniscfaen  Bearbeitun- 
gen  der  Thiersage,  Ecba/is,  Ifengrimus  und  lieinarduSy  reden  und 
benennen    sich    die   feineren    Thiere   franzosisch,    die    plumperen 
wilden  und  dummen,    wie  Wolf  und  Esel,   werden  als    deutsche 
geschildert.     Solche  Meinung  von  den  Deutschen  herrschte  auch 
in  SGd-Frankreich.    Ein  so  himverbrannter  Narr,   wie  der  Trou- 
badour   Peter  Vidal,    erlaubte  sich  zu  sagen    er  finde  die  Deut- 
schen ungeschliffen   und  tolpelhaft  (deschauzitz  e  vilans)  und  wolle 
lieber  in    der    Lombardei   als   Sanger   bei   seiner   blonden  Dame 
bleiben  denn  fiber  Friesland  Herr  sein.  (Raynouard  5,  339).  Wir 
wifzen  ja  wie   der  Glaube   an   deutsches    Ungeschick    sich  bis  in 
die  neueste  Zeit  hielt  und  wie  die  Deutschen  selbst  daran  glaub- 
ten  und  an  ihrer  Berechtigung  zu  selbst standiger  Sitte  und  Tracht 
verzweifelnd  sich  den  Nachbarn  in  die  Arme  warfen.   Doch  wenn 
endlich  die  Zeit  gekommen    sein  wird,    in   welcher   der  Deutsche 
nach  langer  Priifung  reif  und  tftchtig  und  selbstbewufzt  aufzutreten 
wagt,  dann  wird  er  auch  diese  Schwache  abwerfen  und  nicht  mehr 
angstlich  damach  trachten    franzosische  Plattheiten  und  englische 
Ungezogenheiten  nachzu'affen. 

Wie  die  franzosische  Sprache  im  13.  Jahrhundert  einzudrin- 
gen  begann,  so  war  auch  die  Moralitat  wesentlich  den  Nachbarn 
abgeborgt  und  nur  weniges  in  der  Anstandslehre  lafzt  sich  als 
echt  deutsch  behaupten.  Doch  diefz  wenige  gerade  ist  ein  Zeug- 
nifs  deutscher  Zucht  und  beweist  wie  zart  und  keusch  das  Ver- 
halten  zwischen  den  beiden  Geschlechtem  urspriinglich  unter  uns 
behandelt  wurde* 


108 


,  Waa  die  Hand  eines  fremden  Mannes  berOrt  ha  tte,  durfts 
die  Frau  nicht  anfafzen.  (Parz»  512,  13).  Noch  str^iger  unter- 
sagte  die  Sitte  den  Frauen  Mannerkleider  zu  tragen.  Die  drei 
Furstentochter,  die  mit  deiu  jungen  Hagen  von  Irland  auf  dw 
Greifeninsel  gelebt  haben,  sind  als  sie  erlost  warden  ohne  Kd- 
^r,  und  doch  nemen  sie  nur  widerstrebend  und  dorch  die  Not 
gedrungen  die  Gewander  an ,  welche  ihnen  die  Schi£fer  bieten. 
(Gudr.  114).  Als  Gudrun  und  Hiltburg  am  Wintennorgen  fflr 
die  bose  Gerlint  am  Meere  waschen  mtifzen  nnr  von  einem  Hemde 
bedeckt,  und  ihnen  Herwig  und  Ortwin  nahen  und  M&ntd  an- 
bieten,  da  schlagt  Gudrun  trotz  Scham  und  Frost  sie  aus,  den 
niemand  solle  an  ihrem  Leibe  Manneskleider  sehen  (Grudr.  1S32. 33.). 
Erlaubte  sich  eine  Islanderin  Hosen  zu  tragen,  so  konnte  sich  ihr 
Mann  von  ihr  scheiden.  (Laxdoelas.  c.  53.)  '). 

(Emen  Mann  lange  und  starr  anzusehen,  verbot  das  eigem 
Gefiil  wie  die  Sitte.  (Welscher  Gast  bei  Wackemagel  A.  L.  802, 
19.  Nib.  382.  Chastoiem.  d.  dam.  139~-.162).  Indefsen  durfte  diefi 
keine  Frau  bestimmen  ,  auf  einen  Grufz  entweder  gar  nicht  irie 
das  heutige  Damen  lieben  (der  Polinnen  zu  geschweigen)  oder  nor 
sehr  herablafzend  zu  danken.  Gegen  arme  wie  reiche,  lantete 
die  Yorschrif t ,  miifze  man  gleich  artig  und  freundlich  sein  (Konr. 
troj.  kr.  14992.  Chast.  d.  dam.  76 — 90).  In  Frankreich  namen  die 
Damen  beim  Grufze  sogar  ihre  Hauben  ab  *). 

Fur  das  Ausgehen  der  Frauen  gab  es  mannigfache  Begehu 
Sie  musten  leise  auftreten  und  keine  zu  grofze  keine  zu  kleine 
Schritte  machen  ^).  Die  Gedichte  vergleichen  diesen  zClchtigen 
Frauengang  dem  Pfauen-  und  Kranichenschritt,  die  ganze  nette 
Erscheinung  des  Weibes  der  hohen  glatten  Art  der  Falken 
Sperber   und  Sitticbe  *).     Den  Daumen  der  linken  Hand  in  die 


')  Die  Kirche  erliefz  schon  friih  Verbote  gegen  die  Mftnnertracht  der  W«*- 
ber  (can.  cone.  Gangrensis  (a.  324.)  cap.  18.)«  £rinnerung  an  den  Kleiderwecb- 
sel  der  Geschlechter  bei  manchen  heidnischen  Festen  mochte  Anlafss  znm  B^ 
schreiten  geben.  *)  S.  Palaye  (Kluber)  Ritterwesen  1,  188.  *)  Welsch.  0^ 
(Wack.  I.  508,  6.)  Trist.  10998.  Frauend.  282,  82.  Chast.  d.  dam.  65  -^  ^' 
*)  Freid.  80,18.   Walth.  19,  81.  Amgb.  83.'  Bergmann  Ambraser  Liedttb.  18*  ^ 


109 

• 
Spjinge  oder  das  Schnfirlein   geschlagen,    das   den   Mantel   untei* 
dem  Halse   zusammenhielt  >    mit  zwei   t^ingem   der  Rechtdh  den 
Mantel  etwas  emporziehend  und  ihn  geschlofzen  etwas  imter  det 
Brast  haltend,  so  Bchxitt  eine  hofische  Frau  einh^.  {rrist.__lD9i2). 
Otae  Mantel  auszngehen  gait  fiir  unsehicklich.  Koketten  trotzten 
indessen  ofi  der  Sitte,    denn  mit  dem  blofzen  Kleide  kchnten  si^ 
lockender  epielen   indem   sie  es  theils   hoher  als   gewonlich   hin- 
aafzogen   so  dafz  die  Fiifze  sioh  zeigten  j    theils  den  Schnitt  des 
Kleides  an  Brust  und  Seiten  zu  zeigen  dtrebfen  *).  Eine  ztichtige 
deaische  Frau  hielt  es  freilich  far  die  gtoste  Schande,    wenn  eiii 
Mann  ihre  blofzen  Fiifze  sah.    Adalgisa,  die  Frau  des  Longobaf- 
den-Fftrsten  Sighttrt,  begleitete  einmal  ihren   Gemahl  auf  einem 
Kriegszuge  und  safz  da  feines  Tages  die  Fiifze  badend  im  Zelte. 
Da  gieng  z1ifd.llig  ein  vomemer  Longobarde  vorCiber  und  dan  die 
FOrstin.    Aufzet  sich  dafiiber  befiehlt  diese  seiner  Frau  die  Klei- 
der  bis  an  die  Waden  abiuschneiden  und  sie  also  durch  das  La- 
ger zii  fiiren.     Die  Folge  ist,    dafz  sich  jener  mit  einem  anderh 
des  Volkes,   defsen  Weib  Sighart  schwer  beechimpft  hatte,    ver- 
bindet  und   den   Fiireten  ermordet  *).     Grieng  eine   Fl-au  auf  del* 
Strafze  oder  sonst  offentlich,  so  muste  sie  vor  sich  hinsehen  und 
die  Blicke  nicht  bin  und  her  fliegen  lafzen ,  denn  das  verrat  un- 
staten   Sinn*    Sie  durfte   sich   natiirlich   auch  nicht   oft  umsehen, 
allein  ein  wenig  riickwarts  blicken   gehorte   zu    den  unverbotenen 
KOnsten  eines   schotien  Weibes.    Wie  der   Falke   auf   dem   Aste 
weder  starr  hinblickt  iioch  beweglich  den  Kopf  wendet,    so  soke 
der  Blick  einer  Frau  sein  ^). 

Stund  sie 9    so  hielt  sie,    wie   das  auch  Mannerbrauch  war, 
die  Hande  tibereinander  in   der  Gegend  der  Taille  *).    Die  Brust 


169,  10.  VgL  iiberfaaapt  Rpm.  de  1a  Rose  13786 — 78.  —  Konrad  troj.  kr.  7523. 
10177.  Fragm.  19.'  *)  Welsdier  Gast  (Wackv  504,  1.)  Bother  2081.  Konr.  troj. 
kr.  15123.  BonL  de  la  Rose  9331.  13736.  Chastoiem.  d.  datn.  183.  *)  Chron. 

Saleniit.  c  76.  (Pert*  5,  505).  Anch  fitf  einen  Mann  war  es  eine  Sch&nde  bar- 
Uf  gesdien  zQ  werden.  Clirdn.  Salem,  c.  83.  Kaisercht-on.  6711  ff.  ')  Fragm.  19.* 
Wilth.  46,  10.  Welscher  Gast  (Wack.  604,  8)  Winsbekin  5.  7.  Konrad  txojan. 
bkg  14997.  Chast  d.  dam.  75.  *)  Hanpt  t.  ifcngelh.  3678.  —   Wigal.  1553, 

Bother  2799  and  die  Bilder  vieler  Handscbn'ften. 


110 

ward  eingezogen,  der  Unterleib  mehr  nach  vom  getragen.  Beim 
SItzen  gait  es  fiir  unschicklich  die  J&emB^zuLJsreuzen.  (Welsch- 
Gast.  Wack.  503,  1.).  Die  Haltung  des  Mantels,  dieses  notwen- 
digen  im  Sommer  und  Winter  gleich  getragenen  Toilettenstuckes^ 
war  im  Sitzen  ziemlich  der  im  Stehen  gleich.  Er  wurde  iiber 
dem  Schofz  zusammengeschlagen ,  der  linke  Arm  ruhte  auf  dem 
Knie,  der  rechte  ward  freier  gehalten  so  dafz  das  Untergewand 
ziemlich  weit  hervorsah.  Trat  ein  Mann  grufzend  an  die  sitzende 
oder  in  das  Zimmer,  so  erhub  sie  sich  vom  Sefzel  und  ware  de 
die  machtigste  Konigin  gewesen.  Auch  hieran  konnen  sich  heu- 
tige  Frauenzimmer  ein  Beispiel  nemen  '). 

Ob  der  Mann  rechts  oder  links  der  Frau  safz,  scheint  sicb 
nach  Umstanden  gerichtet  zu  haben.  Krimhilt  sitzt  rechts  yon 
Etzel  (Nib.  1298);  an  den  nordischen  Hofen  war  der  Sitz  der  K& 
nigui  auf  der  linken  Seite  des  Hochsitzes,  rechts  safz  der  Bl 
schof  ^).  Vor  Einfiirung  des  Kristenthums  mag  wol  ihr  Sitz  rechti 
gewesen  sein.  Uebrigens  sehen  wir  auf  Miniaturen  des  Festlandet 
eine  'anliche  Riicksicht  auf  die  Greistlichkeit ,  indem  falls  eii 
vornemer  Priester  in  der  Gesellschaft  ist  dieser  rechts  imd  di< 
Frau  links  sitzt  ^), 

Besondere  Sorgfalt  ward  dem  Benemen  bei  Tische  suge- 
wandt  und  dariiber  eine  umstandliche  Lehre  gebildet,  die  in  be* 
sondem  Gedichten  dargestellt  wurde*).  Vorziiglich  ward  dei 
Frauen  eingescharft  nicht  zu  viel  bei  Tische  zu  sprechen  und  in 
Efzen  und  Trinken  nicht  unmS^fzig  zu  sein  ^).  Der  linke  Arm  ruht< 
auf  dem  Tische. 


')  Gudr.  334.  1631.  Mei  u.  Beafl.  217,  30.  Brud.  Berthold  S.  76  (Kling 
Staufenberg  298.  Ygl.  Nib.  1718.*  19.*  24.  MSHagen  2,  192.'  ')  Fommannaa 
5,  332.  Ni&Is  s.  c.  35.  —  Auf  der  zweiten  Bankreihe  (nordhri  oder  ikaedhri  beckr 
waren  die  Sitze  der  Frauen  zur  rechten  des  Hochsitzes.  Ygl.  Gunnlangs.  not  99 
*)  Pertz  monum.  ^rm,  hist.  VIII.  tab.  1.  *)  Tanhausers  Hofzucht  bei  Hanp 
Zeitschr.  fiir  d.  A.  VI,  488.  Dazu  VII,  174.  Tischzucht  im  rosenton  Altd.  Biftt 
ter  1,  281  ff. ,  eine  andere  ebendas.  111.  Contenance  de  table  ebd.  266.  Jako] 
Kobels  Tischzucht  ebd.  288.  VgL  femer  Welsch.  Gast  (Wack.  &04)  Klara  Hatslerii 
276.'  Chast.  de  dames  491 — 532.  Bonrefin  de  quinquaginta  curialitatibiis  ad  menfam 
^)  Chast.  d.  dam.  297—336.  Bom.  de  la  Rose  13629-^78.  Letztere  Stelle  berah 
zum  Theil  auf  Ovid,  de  art,  amandi  III.   765.  fif. 


Ill 

Greschwazzigkeit  und  vorlautes  Wesen,    zu  starkes  und   ra- 
jches  Sprechen,  Rufen  Lachen  oder  Fluchen  bezeichnete  die  Sitte,   • 
wie  8ich  von  selbst  versteht,   als  unschicklich  %   Die  Frau  mufz  ^ 
Mafz  halten,  denn  so  nur  vermag  sie  Anmut  und  Zartheit,   ohne 
die  keine  Weiblichkeit  besteht,  zu  bewaren. 

Den   Furstentochtern   ward  aufzer  in  den  erwahnten  Punk- 

ten  fiber  noch  eine  Tugend  Lehre  gegeben ,   liber  d^e  Freigebig- 

keit  {milte).    Man   mufz  sich   die  Hofhaltung   der  germanischen 

Stammhaupter  oder  der  Konige  vergegenwartigen ,  wie  sich  eine 

Schar  kampftiichtiger   Manner  um   sie  vereinigt,     in  ihrer  Met- 

balle  von  Morgen  bis  Abend  zecht  und  in  allem   auf  den  Schatz 

des  Fiirsten  angewiesen  ist.  Soil  ein  kriegerischer  Zug,   ein  fest- 

liches  Untememen  angegriffen    werden,    so   bediirfen   die    Geno- 

fzen,    deren  Habe  das  Schwert  ist,  des  Eofses  der  Kleider   des 

Schmuckes ;    und  keren    sie   zurQck  glficklich  und  siegreich ,    so 

verlai^en  sie  den  Lon,     War  der  Herr  mild  oder  konnte  er  frei- 

gebig  sein,    so  war  die  Zahl  der  Gefarten  um  ihn  grofz;     daher 

fitrebten  die  Fiirsten  oft  auf  eine  uns  st5rende  Weise  nach  Reich- 

thum,   nur  dieser  war  das  Mittel  ihr  Geschlecht  und  Volk  grofz 

und  ruhmreich   zu    machen.    Bei   dem   Einflufze,     den  sich  die 

Frauen   meistens  auf  die  offentlichen  Uiitememungen  des  Gatten 

zu  verschaffen  wusten,     war  ihre  Gesinnung,    6\g^  kaxg    ob  Irei- 

gebig ,  von  Bedeutung.   Auch  sie  spendeten  von  Statswegen  Ga- 

ben  und   namentlich  an  den  grofzen  Festen  trat  ihre  Milde  her- 

Yor,    wo  sie   nicht   nur  den  Hofstat  neu  zu  kleiden  und  schmti- 

cken  batten,    sondem  auch  den  G^sten   den  vomemsten  wie  den 

geringsten   eine   Gabe   reichen  musten,    bald  ein  kostbares   Ge- 

wand  bald   einen  Armring   oder  ein  anderes  Kleinod.    Das  Ge- 

schenk  kauft  in  das  Herz  ein;  zog  eine  neuvermahlte  FQrstin  in 

das  Land   des  Gatten,     so   suchte    sie   bald  durch  reiche  Gaben 

die  Herren  des  Landes    und   die  Frauen   des  Hofstates   fbr  sich 

zu  gewinnen,   und  es  war  darum  der  Vater    Sorge   die   Tochter 


•)  Nith.   Ben.  318.  Welsch.  Gast  (Wackern.  502,  16.  504,  14.)  Konrad  Troj. 
Kr.  15013-20.  42.  Gudr.  1474,  1,  Chast.  d.  d.  14—20.  499.  249.  295. 


Hi 

mit   dem   nOtigeo  Sch&tze    zu   versehen.     Allein  sie  tnusteti  aucli 
wifzen    wie   und  wem  sie  geben    solten ;    darum  ward  in  die  Ua- 
terrichtsgegenstande    aufgenommen ,     wie   man  auf  rechte  Weia^ 
mild  sein  nnd  wem  man  versagen  solle.  (Graf  Eudolf  y*).  Auffal- 
lend  bleibt  es  in  dem  Gredicht  von  KOnig  Ortnit,  dafz  seitke  Frau 
Sidrat,    des  KOnigs  von  Syrien  Tochter,    erst  in  der  Freigebig- 
keit  unterrichtet  werden  mufz,    als  er  sie  in  sein  Beich  I/arapar- 
ten  bringt.     Man  scheint  also  die  Milde  fhr  eine  eigentlich  krist- 
Hche    und    abendlandische  Tugend   gehalten  zu  haben ,     obschon 
Saladin  vielfach  als  Muster  der  Freigebigkeit  den  kristlicheri  Fiir- 
sten  von  unsem  hOfischen  Dichtern  vorgehalten  wird.    Wie  iiber- 
trieben  und  wahnsinnig  hier  und  da  die  Freigebigkeit  geiibt  ward, 
lafzt    sicih   kaum    ahnen.     Je  mehr  verschwendet  und  hutzlos  for 
irgend  jemand  vergeudet  wurde,     um  so  hoher  glaubten  manche 
ihren    Ruhm  ^).     Die   nimmersatten    farenden    Sanger    Spielleute 
und  Gaukler  trugen  nat'firlich  dazu  bei,     um  im  12.,     13,  Jahr- 
hundertdieHoffestezuwahren  Weihnachtsbescherungen  zu  machen, 
denn  nicht  allein  der  Wirt  und  die  Wirtin   gaben    sondem  auch 
die  meisten  Gaste  und   natiirlich  wem    anders  als  dem  una^Iigen 
Volke    der  Farenden,    das   alles  nam  was  es  bekommen  kontite, 
getragene  Kleider,  Pferde,  Waflfen,  Geld.    Diese  Leute  machten 
die  Tugend  zu  einer  Notwendigkeit ,  denn  der  karge,     das  heifzt 
derjenige  welcher  ihren  Heifzhunger  nicht  stillte,  ward  gesohmiiht 
und  verspottet,    und  wenige  nur  hatten   Starke  genug    wie  Ru- 
dolf von  Habsburg    den  gesungenen  Vorwurf  ruhig  hinzunemen. 
Mit  dem  Verfalle  des  hofischen  Lebens  horte  natiirlich  auch 
die  Gelegenheit  zur  Freigebigkeit  im  grofzen  auf;    die  geselligen 
und   politischen  Verh'dltnisse    anderten  sich    &berhaupt   und    die 
Milde  des  Fftrsten    war  fortan  keine  Lebensbedingung  seines  Oe- 
schlechtea  und  seines  Landes.   Viele  der  deutschen  h6hen  Frauen . 
haben    aber   bis    in   die    neueste  Zeit   ihren  Schatz   nicht   in  den 
Rhein  versenkt,  sondem  ihn  als  anvertrautes  Gut  betrachtet,  von- 
dem  sie  spendeten   wenn  die  Not,    die    Kunst    und  Wifzenschaft 


')  Diez  I^bcn  der  Troubadours  S.  ."^97. 


lis 

■  ■    ■'  -  ■  — ^^^ 

dazn  manten.  Und  wahrlich  der  Schmuck  der  Milde  ist  ein  prach- 
tiger  Stem  auf  der  weiblichen  Brust. 

Der  wifzenschaftllche  Unterricht^  der  Madchen ,  wenn  wir 
dIeseBezeichnimg  tiberhaupt  brauchen  diirfen,  stund  unter  mann- 
liclier  Hand,  die  Unterweisung  im  Anstand  meistens  in  weibli- 
cher.  Isolde  ward  von  einem  Spielmann  darin  geleitet  und  das 
mag  iiberhaupt  ofter  geschehen  sein ,  denn  gerade  die  Spielleute 
musten,  sobald  sie  eine  feinere  Anlage  batten,  durch  ihre  Be- 
kanntschaft  mit  den  feinsteu  Kreisen  des  gebildeten  Abendlandes 
vorzug9weise  befahigt  sein,  das  was  wolansteht  zu  lehren.  Frei- 
fich  konnte  sorgliche  Eltem  vieles  abhalten  diesen  leichten  San- 
gemjiie  heranwachsenden  Tochter  zu  vertrauen. 

I  Ein  anderer  wichtiger  Theil  des  Unterrichtes,  die  Anleitung 
fu  den  Handarbeiten ,  war  natiirlich  Sache  der  Mutter  oder  der 
Meisterin.  Spinnen,  weben,  sticken  und  schneidem  war  notwen- 
dige  Fertigkeit  des  deutschen  Weibes  und  solte  es  auch  dereinst 
die  Kaiserkrone  tragen.  Auch  die  vornemsten  Frauen  stellten  sich 
damals  nicht  aufzerhalb  des  Hauswesens;  die  Kuche  und  die 
Nahstube  waren  ihnen  wolbekannte  Raume ,  denn  sie  waren  sich 
alle  bewusty  dafz  sie  nicht  blofz  vergniigt  sein  und  vergniigen 
Bondem  auch  thatig  sein  und  niitzen  solten.  Was  frommt  das 
malen  nnd  musiciren  und  welschen  der  vomem  erzogenen  Mad- 
chen unser  Gesellschaf t ,  wenn  das  Haus  ihnen  fremd  ist  und  sie 
nicht  wifzen  was  es  heifzt  eine  Frau  sein.  Hauslichkeit  und 
Natiirlichkeit  sucht  ein  Mann  bei  solchen  angemalten  Puppen  gar 
schmerzlich  vergebens. 

Das  Zeichen  des  deutschen  Mannes  war  das  Schwert, 
das  Sinnbild  der  Frau  die  Kunkel ;  Schwertmagen  hiefzen  die 
Verwandten  vaterlicher  Seite,  Spindelmagen  die  der  Mutter.  Der 
Flachsbau  und  das  Spinnen  war  der  Obhut  der  hochsten  Gottin 
yertraut  und  Nomen  wie  Schwanjungfrauen  und  Riesinnen  dreh- 
ten  feine  Faden  aus  kostUchem  Flachs.  Schon  in  altester  Zeit  mufz 
also  das  Leinengespinnst  in  unserm  Volke  beliebt  gewesen  sein ; 
fiir  das  erste  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  wird  uns  das 
GiberdieCz  bezeugt,   denn  Plinius  erzahlt  dafz  die  deutschen  Wei- 

8 


114 

ber  leinene  Kleider  fiir  die  schonsten  hielten  und  in  der  Kunst 
sie  zu  weben  wol  erfaren  waren  ^).  Der  Flachsbau  ist  also 
zeitig  in  Deutschland  sorgsam  betrieben  worden  und  mag 
wie  die  Ackerbestellung  zum  grosten  Theil  unter  der  Leitung 
wenn  auch  nicht  unter  der  Hand  der  Weiber  gestanden  haben. 
Nach  dem  salischen  Gesetze  wird  Diebstahl  im  Flachsfelde  sehr 
hoch  bestraf t.  Die  Zubereitung  des  Flachses ,  das  blauen  (bliuwen) 
schwingen  (dehsen),  hecheln,  biirsten,  bis  er  auf  den  Eocken 
kam ,  besorgten  bei  den  reicheren  natiirlich  nur  die  Magde ;  am 
Rocken  selbst  aber  safz  die  Unfreie ,  die  Bauerin  und  die  Fiirstin  '). 
War  das  Garn  gesponnen  und  aufgewunden,  so  verarbeiteten  es 
die  Frauen  wiederum  selbst  an  dem  Webstule,  und  wie  dieNor- 
nen  und  Walkiirien  webend  gedacht  wurden,  so  schamten  sich 
auch  deutsche  Furstinnen  so  wenig  wie  friiher  eine  Penelope  die- 
ser  echt  weiblichen  Kunst ,  sondern  setzten  eine  Ehre  darein 
recht  fein  zu  weben  und  die  Magde  zu  schoner  Arbeit  an- 
zuleiten  ^), 

Neben  der  Leinweberei  war  auch  frfth  die  Wollweberei  be- 
kannt  und  auch  hier  waren  die  Weiber  vom  Beginne  der  Zube- 
reitung an  thatig,  so  dafz  sie  die  Gew'ander  von  Anfang  bis  zur 
Vollendung  unter  der  Hand  batten.  Das  Bedflrfnifs  der  vomemen 
Frauen  stets  die  Kammer  voll  Kleidungsstoffen  zu  haben ,  war 
grofz.  Sie  benutzten  daher  die  Menge  ihrer  unfreien  Madchen 
hauptsachlich  zur  Weberei,  so  dafz  das  Wort  gynaecemn^  Frauen- 
haus,    bald  den  Nebenbegriff  Webehaus  erhielt*),     Es  war  recht 


')  Ueber  die  damals  brauchlichen  unteirirdischen  Webstatten  s.  Wacker- 
nagel  uber  tung  in  Haupts  Zeitschn  7,  128.  *)  Ueber  dem  Grabe  der  Tochter 
K.  Otto  I.,  Liutgart  Qemalin  des  Herzog  Eonrad  von  Lothringen  and  FrankeD, 
wnrde  eine  goldene  Spindel  aufgehangt.  —  Die  Spinnrftder  sind  erst  in  nenerer 
Zeit  (15.  Jahrhundert)  erfanden.  Auf  alien  Bildern  des  Mittelalters,  ebenso  noch 
anf  Holzschnitten  de^  16.  Jahrhunderts  sieht  man  denBocken  zwischen  den  Knieen 
gehalten  oder  in  einem  Fufzgestelle  stecken.  Die  Spindel  wird  in  der  ELand  gehalten* 
3)  Romanische  Volker  haben  eine  Konigin  Berta  zur  Beprasentantin  dieser  wirt- 
lichen  FUrstinnen  gemacht.  Italiener  und  Franzosen  nennen  die  goldene  alte  Zeit 
die  Zeit  als  Berta  spann.  J.  Grimm  Mythologie  257.  —  Zu  dem  oben  angefuhr- 
ten  vgl.  Odyfs.  a,  356  xa  a*  avrijff  iqya  nofiits,  taxov  r*  lyXaxariyy  xs  %al  a(Hpi- 
noXoLOi  nilsvB  igyov  inoC%SGQ'aL.        ^)  Durch  die  Schold  derHerren  bekAm  es 


115 

eigentlich  ein  Fabrikhaus,  denn  eine  arbeitete  der  andern  in  die 
Hand ;  diese  sonderte  den  Flachs  oder  die  WoUe ,  jene  bereitete 
ihn  weiter  zu,  die  kunstreichsten  webten  oder  stickten.  Bei  dem 
grofzen  Bediirfnisse  solcher  Arbeiterinnen  suchten  sich  auch  arme 
freie  Frauen  hierdurch  zu  emaren;  allein  der  Lohn  der  Spinne- 
linnen  wenigstens  war  sehr  gering ,  so  dafz  Bruder  Berthold  die 
Wollenspinnerin  geradezu  als  Vertreterin  der  Armen  braucht  ^). 
Das  stimmt  also  zu  den  heutigen  Verhaltnissen.  Die  Weber  aber 
welche  ihr  Gewerbe  im  grofzen  treiben  konnten,  gelangten  bald 
zu  bedeutendem  Reichthum  und  gehorten  in  Flandem  und  am 
Niederrhein  wie  in  den  suddeutschen  Stadten  zu  den  iibermiitig- 
8ten  Gewerbsleuten,  ganz  wie  die  BaumwoUenwaren-  und  Linnen- 
fabrikanten  unserer  Tage. 

Auch  in  den  Nonnenklostem  ward  das  Weben  bald  ztim 
Vergniigen  bald  zum  Erwerbe  betrieben.  Ueppige  angelsachsi- 
Bche  Nonnen  des  siebenten  Jahrhunderts  benutzten  ihre  Kunst- 
fertigkeit  um  ihre  Liebhaber  mit  kostbaren  Gew'andern  zu  be- 
Bchenken.  (Bedahist.  eccl.4,  25).  Auf  dem  Achener  Koncil  von  816 
ward  den  Nonnen  das  Spinnen  und  Weben  als  bester  Zeitvertreib 
in  den  gebetfreien  Stunden  empfolen  *). 

Die  kunstlose  Tracht  der  germanischen  Manner  und  Frauen 
bis  zum  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  liefz  die  Weiber  auch 
zur  Schere  und  Nadel  greifen  und  die  Kleider  zuschneiden  und 
nahen*  Die  Fiirstinnen  namen  auch  hieran  Theil  und  schnitten 
zu,  von  den  Frauen  umgeben,  welche  das  zugeschnittene  nah- 
ten  •).  Wie  beschaftigt  musten  da  nicht  die  Hande  sein ,  wenn 
plotzlich  von  den  Mannem  eine  Festfart  beschlofzen  war  und 
nun  jeder    oft  doppelt  neu  gekleidet  werden  soUte  *)  ?     Wie  die 


Mh  noch  andere  Bedentung.  —  Abgaben  von  verarbeitetem  un(J  von  rohem 
Flachs  waren  in  Deutschland  and  Skandinavien  mehrfach  iiblich.  ')  Vgl.  aucli 
Beatrijs  445.  2)  Hartzheim  concil.  Germ.  1,  521.    Zu  Grande  liegt  der  Brief 

des  Hieronjmns  an  Demetrias.  *)  Nib.  353..  gr.  Radolf  a.'  Wilh.  63,  13.  Parz. 
1S7,  l«  0  Konig  Frodi  IV.  von  D&nemark  kommt  einmal  am  seine  und  seiner 
Lente  Kleidong  in  nicht  geringe  Verlegeuheit,  als  seine  Tochter  Gnnnvor  mit  ihren 
Fraaen  den  Hof  verl&fzt.  Saxo  V.  p.  68. 

8* 


116 

EHeider  beschaffen  waren  uud  wie  das  Aualand  auch  hier  ein- 
wirkte ,  dariiber  in  emem  besondem  Kapitel.  Hier  ist  nur  zu  er- 
w'ahnen,  dafz  mit  der  Ausbildung  des  hofischen  Lebens  auch  die 
Schneiderkunst  verfeinert  wurde  und  nunmehr  auch  Schneider* 
meister  oder  mannliche  Kunstschneider  sich  fanden  ^),  denen  wol 
die  neumodischen  Sachen  uberlafzen  wurden..  Sie  scheinen  gut 
bezahlt  worden  zu  sein  ^),  denn  Bruder  Berthold  eifert  iiber  die 
Thorheit ,  einem  der  ein  gutes  Gewand  zum  Hader  mache ,  so 
viel  zum  Lohn  zu  geben  als  das  ganze  Zeug  koste. 

[  Besondere  Sorgfalt  ward  auf  die  Naht  yerwandt ;  sie  muste 
so  fein  sein  dafz  man  sie  nicht  sah  (Herbert  8475)  oder  sie  war 
irgend  wie  verziert.  Kunstreiche  Nahte  gehorten  durchaus  in  der 
feinen  ritterlichen  Zeit  auf  ein  modisches  Kleid  (Berthold  121. 
Kling)*  Diese  sorgsame  Behandlung  der  Naht  wird  besonders  da^ 
durch  erklarlich  dafz  die  Kleider  sehr  oft  aus  verschiedeoarti- 
gen  oder  wenigstens  verschiedenfarbigen  Stoffen  bestunden. 

Auch  das  Wirken  und  Sticken  war  eine  beliebte  Beschaf- 
tigung  vomemerer  oder  reicherer  Weiber.  Sie  wirkten  seidene 
Bander ,  Borten ,  welche  sie  mit  Gold  und  edlen  Steinen  besetzt 
auf  die  Kleider  die  Decken  und  den  Kopfschmuck  aufnahten  •); 
oder  sie  stickten  mit  Gold,  Silber,  Seide  und  Steinen  auf  die 
Gewander  Buchstaben  oder  allerlei  Bilder ,  in  denen  sie  zugleich 
ihre  Kenntnisse  in  heiliger  und  profaner  Geschichte  zeigen  konn«>> 

m 

ten.  Namentlich  die  Ecken  und  Enden  der  Kleider  und  Bofsde- 
cken  waren  mit  Borten  eingefafzt  und  mit  Buchstaben  bestickt, 
welche  oft  den  Wahlspruch  des  Ritters  enthielten  (Engelh.  25S3» 
Lafsberg  Liedersal  1 ,  577) ;    vorziiglich  aber  war  die  Haube  bei 


')  Tri8t»  2543.  Wilh.  196,  6.  Helmbr.  142.  Frauend.  258,  2.  273,  15. 
451,  3.  MSHag.  3,  299/  Lohengr.  61.  Eine  Lohn naherin  wird  Eracl.  534  erwahnt 
*)  In  den  Statuten  der  Stadt  Marseille  von  1293  ist  eine  Taxe  fiir  die  Bchneidjur 
festgestellt.  Vgl.  Du  Cange  s.  v.  almucium.  ■)  Nib.  31 ,  1.  349.  Gndr.  1879.  Wilh. 
60,  4.  Titur.  137,  2.  Gate  Fran  1944.. —  Die  Werkzeuge,  mit  denen  an  der  Bame 
gearbeitet  wurde,  hiefsen  fpelten  und  drihen ;  das  Arbeiten  selbst  brtten,  breiten,  drihem, 
rihen,  ricken,  stricken^  zetteln*  —  Die  feminae  fresum  facientes  der  lex  Anglorum  €t 
Werinorum  4,  20,  die  um  '/,  hoher  gebiifzt  wurden  als  andere  Weiber  ihres  Stand«8, 
weisen  auf  das  hohe  Alter  und  den  Wert  der  Wirkerd  unter  den  Oermanen  hitt. 


in 


Mannem  und  Frauen  mil  Stickereien  geschmiickt.  In  dem  anzie- 
henden  Gredichte  von  dem  Meiersohn  Helmbrecht  (um  1240  verfafzt) 
wird  die  Haube  des  jungen  Bauers  beschrieben.  In  der  Mitte 
zieht  sich  ein  Streif  bin,  der  mit  Vogeln  bestickt  ist;  auf  der 
rechten  Halfte  war  die  Belagerung  und  Zerstorung  Trojas  sammt 
Eneas  Flucht  zu  sehen ;  auf  der  linken  die  Thaten  Konig  Karls 
und  seiner  Gesellen  Roland,  Turpin  und  Oliver.  Zwischen  den 
Ohren  stund  die  Kabenschlacht,  wie  Witege  Helches  beide  Sohne 
erechlug;  dazu  war  von  einem  Ohr  zum  andern  mit  glanzender 
Seide  ein  Tanz  genaht,  zwischen  je  zwei  Frauen  stund  ein  Rit- 
ter  und  die  Fiedler  stunden  dabei.  AUes  das  befand  sich  auf  der 
Haube  und  man  weifz  nicht,  soil  man  die  Stickerei  oder  den 
grofzen  Kopf  des  jungen  Helmbrecht  mehr  bewundern ,  auf  dem 
alte  und  neue  Geschichte  und  Vogel  und  Tanze  Platz  batten. 
Das  Prachtstuck  war  von  einer  entsprungenen  Nonne  genaht  und 
der  Lohn  war  eine  Kuh  nebst  viel  Eiem  und  Butter  *). 

CAllem  nach  zu  urtheilen  batten  die  germanischen  Frauen 
seit  alter  Zeit  eine  grofze  Grewandtheit  in  der  Fertigung  von  Sticke- 
reien ,  die  zu  Kleidern  Decken  Vorhangen  und  zum  Schmucke 
der  Wande  verwandt  wurden.  Eine  solche  Tapete  stickte  nach 
dem  Eddaliede,  „Godrunsklage"  Godrun  (Krimhilt)  als  sie  nach 
Sigurds  (Sigfrids)  Ermordung  sieben  Halbjahre  in  Danemark  bei 
Hakons  Tochter  Thora  verweilte.  Sie  stellte  die  siidlichen  (franki- 
schen)  Sale  und  die  danischen  Manner  dar,  und  bildet  zum  wehmiitig. 
sofzen  Andenken  die  roten  Schilde  der  frankischen  Recken  und 
das  behelmte  schwertgegurtete  Volk,  das  den  geliebten  umgab. 
Sie  greift  in  die  Geschichte  der  Vorfaren  Sigfrids  und  stickt 
Sigmunds  Schiffe,  wie  sie  geschmiickt  vom  Strande  faren  und 
wie  sich  Siggeir  und  Sigar  schlagen*  Auch  Brynhild  schildern 
einige  jiingere  Darstellungen  der  Sage  am  Stickramen ,  als  Sigurd 
zuerst  ihrer  Burg  naht.  Die  deutschen  und  die  englischen  Frauen 
waren  im  Ausland  wegen  dieser  Kunst  beriihmt  und  ihre  Manner 


*)  Gestickte  Hauben  werden  fcrner  erwahnt  von  Neithart  (MSU.   2,   107") 
nd  im  Hogdieterich  65.  (Haupt  4,  408)« 


118 

wegen  der  kuDstreich  gestickten  Kleider  oft  bewundert.  Ein  be- 
deutender  Rest  solcher  alten  Stickerei  ist  in  einer  leinenen  Tapete 
erhalten,  welche  220  Fufz  11  Zoll  lang  und  19  Zoll  hoch  in  der 
Kathedrale  von  Bayeux  aufbewart  wird  und  den  Sieg  Wil- 
helms  n.  von  der  Normandie  iiber  den  Grrafen  Harald  von  Kent 
in  der  Schlacht  bei  Hastings  darstellt.  Sie  soil  von  der  Gemahlin 
Wilhelms  des  Eroberers,  Mathilde  (f  1084)  herriiren,  nach  an- 
dern  von  einer  andern  Mathilde,  der  Tochter  Heinrichs  I.  von 
England,  Mutter  Heinrichs  H.  ^).  Man  sieht  wie  grofzartig  diese 
Arbeiten  betrieben  warden  und  wie  sie  zugleich  eine  nicht  ge- 
ringe  Bedeutung  hatten.  Sie  dienten  den  Frauen  zur  Verherrli- 
chung  ihres  Geschlechtes  und  Volkes  oder  stellten  einen  Gegen- 
stand  dar,  welcher  im  Geiste  der  Zeit  Anklang  fand ,  wie  die 
Erinnerungen  an  Karl  und  seine  Paladine  und  die  antiken  Sagen- 
stoffe.  Diese  Arbeiten  hatten  also  eine  geistige  Bedeutung,  die  in 
den  heutigen  Damenstickereien  vergebens  gesucht  wird.  Von  gro- 
fzem  Einflufze  auf  das  technische  namentlich  der  gewirkten  Ta- 
peten  waren  iibrigens  die  spanischen  Araber;  denn  von  ihnen 
kam  nicht  allein  die  meiste  Seide  in  das  kristliche  Abendland, 
sondem  auch  die  beriihmten  Seidenwebereien  desLandes  wirkten 
auf  die  kristliche  Kunstfertigkeit  ein.  Jedoch  schon  fruher,  aU 
wir  den  industriellen  Yerkehr  mit  dem  muhamedanischen  Spanien 
annemen  diirfen,  war  die  Seidenarbeit  in  Deutschland  bekannt 
Es  erklart  sich  das  aus  der  Verbindung  mit  Griechenland ,  von 
wo  der  rohe  Stoff  wie  die  kunstreiche  Verarbeitung  der  Seide  sich 
friih  durch  slavische  und  auch  durch  einzelne  deutsche  Kaufleute 
nach  dem  Abendlande  verpflanzte.  Im  12.  Jahrhundert  ist  auch 
Italien  und  namentlich  Sizilien  fur  die  Seidenarbeiten  von  Bedeu- 


*)  Die  Abbildung  eines  Theils  der  Stickerei  gab  Lancelot  im  6.  Bande  der 
Memoires  de  Pacademie  des  inscript.  et  bell.  let.  (1724)  das  ganze  im  8.  Bande, 
dnnn  bei  Montfaucon  hist,  de  la  monarchie  /rang,  par  les  monumens,  I.  II.  1730. 
oinc  Nachbildung  im  kleinen  bei  d'Agincourt  hist,  de  Vart  par  les  monum.  Taf.  167* 
Vgl.  de  Larue  Recherches  sur  la  tapisserie  r€pr€sentante  la  conqu€te  de  VAngleterre 
par  les  Normands  et  appartenante  a  V^glise  cathridrdle  de  Bayeux.  Caen,  1824. 
d*OrviUe  notice  historique  sur  la  tapisserie  hrod€epar  la  reine  Mathilde.  Paris,  An  XII' 


119 

tung;  natiirlich  wirkte  der  Zustand  dieser  ihm  verbundenen  Lan- 
der auf  Deutschland  nicht  gering  ein  ')* 

Bei  dem  meisten,  was  wir  iiber  die  Erziehung  der  germa- 
nischen  Madchen  gesagt  haben ,  stand  uns  die  hohere  Gesellschaft 
vor  Augen.  \yon  den  niederen  Schichten  des  Volkes  wird  nichts 
erzalt  oder  ist  nichts  zu  erzalen^  Spinnen,  weben  und  fchDeidern 
waren  natiirlich  notwendige  Beschaftigungen  der  Tochter  von  Bur- 
gem  und  Bauem  und  auch  fticken  und  an  der  Rame  wirken  ward 
von  ihnen  bald  zum  Erwerb  bald  zur  Lust  getrieben.  —  Was  mu- 
eikalische  Fertigkeiten  betrifiPt,  so  lafzt  sich  auch  das  erraten;  denn 
das  fingen  der  kurzen  alten  Gesange  hatte  hier  seine  rechte  Hei- 
mat ;  die  yomemen  zogen  sich  allnialig  von  den  volksthiimlicheren 
Freuden  zur&ck.  Die  Lesekunst  scheint  auch  nicht  auf  die  hoher 
geborenen  beschrankt.  Was  diesen  oft  kostbarer  Unterricht  oder 
lange  Uebung  erst  einlehrt,  das  eignet  sich  ein  armeres  durch  blo- 
fzes  hinhoren  und  gluckliche  Naturanlagen  spielend  an.  Ueber  den 
Eanon  des  Wolanstandigen  ist  dafzelbe  zu  sagen. 

Von  zwei  wichtigen  Dingen,  dem  Hauswesen  und  demTanze 
woUen  wir  spater  reden.  Was  wir  im  allgemeinen  iiber  die  Erzie- 
hung des  Madchens  zu  urtheilen  haben ,  wird  sein ,  dafz  dieselbe 
vorzQgsweise  auf  den  Nutzen  des  Hauses  gerichtet  war  ,^afzjdia 
germanischen  Madchen  auch  in  der  hofischen  Zeit  mehr  zu  tiichti- 
genFrauen  als  zu  Porzellanpuppen  und  andem  nippes  gebildet  wur- 
den^j  und  dafz  diefz  so  lange  blieb  bis  das  welsche  Wesen  in  den 
deutschen  Landern  verderblichen  Einflufz  gewann.  Ein  guter  Theil 
des  Volkes  wuste  jedoch  stets  wenigstens  einen  Rest  des  alten  Sin- 
nes  fiir  den  heimlichen  traulichen  Herd  zu  bewaren,  und  erlagen 
auch  die  Bauem  dem  Drucke ,  die  Vomemen  der  Sittenverderbnifs, 


')  Ueber  Stickereien  des  MA.  vgl.  noch  Les  anciennes  tapisseries  histori^es 
ou  collection  des  monumens  les  plus  remarquables  de  ce  genre  j  qui  nous  sont  restis 
du  iHoyen-dge.  —  Texte  par  A,  luhinal^  gravures  d*apris  les  dessins  de  Vict.  Son- 
ionetti.  Paris.  1838,  39,  —  Ach.  lubinal  Reckerckes  sur  Vusage  et  Vorigine  des 
tapisseries  a  personnages  dites  histori^es  depuis  Vantiquit€  jusqu*au  10.  si^cle. 
Avec  figures.  Par.  1840.  —  Schnaase  Geschichte  der  bildendcn  KOnste.  4,  I. 
8.  341<— 343.    W.  Wackemagel  Literaturg.  §.  43,  74.  77.  Anm. 


120 


das  deutBche  Burgerm'adchen   zeigte   noch  oft    was  em  sittsames 
achtbares ,  was  ein  deutsches  Weib  ist. 

Wir  wiirden  von  den  Verhaltnifsen  germanischer  Madchen 
kein  vollstandiges  Blld  erhalten,  wenn  wir  nicht  ihre  Stellung 
zur  Familie  und  zur  Gemeine  uns  deutlich  zu  machen  versuchten. 
Grundsatz  derGermanen  war,  dafz  nur  derjenige  ein  selbst- 
standiges  und  voUberechtigtes  Glied  des  Volkes.sein  konnte,  der 
alle  Pflichten,  welche  die  Gemeine  auferlegte,  zu  erfOllen 
vermochte.  Damit  ist  die  Unselbststandigkeit  der  Weiber  ausge- 
sprochen ,  denn  das  Waftenfiiren  kam  ihnen  nicht  zu  und  damit 
ist  zugleich  bestimmt,  dafz  sie  keinen  Landbesitz  haben  konnten, 
weil  sieh  an  ihn  alles  Recht  und  alle  Pflicht  des  Gemeinegliedes 
kniipfte.  Die  Germanen  waren  aber  zu  billig,  als  dafz  sie  daa 
Weib  rechtlos  machen  wolten;  es  ward  ihm  daher  eine  recht- 
liche  Vertretung  und  Vertheidigung  seiner  Person  gegeben,  wel- 
ches VerhaltnifsMundschaft  oderVormundschaft  (mundiurn)  heifzt*). 
Auch  der  Knabe  stund  so  lange  bis  er  werhaft  gemacht  war 
und  liegendes  Eigen  zu  selbststandiger  Verwaltung  empfieng,  in 
der  Mundschaft;  das  Weib  aber  entwuchs  ihr  nie  und  nur  aus* 
namsweise  trat  es  in  ein  freieres  Verh'altnifs. 

/  Wir  haben  zwei  Stufen  der  Bevormundung  zu  Bcheidj^; 
auf  der  ersten  befand  sich  das  Weib,  so  lange  es  unerwachsen 
war;  ^uf  die  zweite  freiere  trat  es,  sobald  es  zu  seinen  Jabren 
kam  oder  mannbar  (vollzeitig,  fullttdha)  wurde  ^).  Die  nordgerma* 
nischen  Eechtsbucher  geben  dafur  das  fiinfzehnte,  die  Islandiscben 
das  sechszehnte  Jahr  an;  bei  den  sudgermanischen  Stammen 
scheint  das  zwolfte,  vierzehnte  oder  sechszehnte  Jahr  der  Punkti 
wo  das  Madchen  grofzere  Selbststandigkeit  erlangt*  Sie  bezog 
sich  haupts'achlich  auf  das  Vermogen.  Nach  norwegischen  Ge- 
setzen  konnte  ein  fiinfzehnjahriges  Madchen  sein  Erbe  antreten  •) ; 
nach  islandischen  kam  der  unverheirateten  Frau  mit  sechazehn 
Jahren  der  voile  Niefzbrauch  ihres  Vermogens  zu,  die  freic  Ver- 


')  Die  verschiedencn  Namen  des  Schutzverhaltnifses  nnd  des  Schtitsenden 
bci  Kraut  die  Vorman  dschaft  I.  §.  1.  ')  J.  Grimm  deutsche  Bechtsalterthfimer 
411,  flf.       •)  er  komin  til  Jiarhalds.  Frostathinga  b.  9,  23.  Gulath.   128. 


^      121 

fiigung  dariiber  jedoch  erst  mit  zwanzig.  Die  Verheiratung,  auch 
wenn  sie  vor  sechszehn  Jahren  erfolgte,  gab  ihr  beides.  (Gr&g&s 
arfath*  4.).  In  dem  norwegischen  Frostathingsgesetz  ist  sogar  der 
Satz  aofgestellty  dafz  Weib  wie  Mann  ihr  Vermogen  so  lange 
selbst  yerwalten  diirfen,  ale  sie  Kraft  haben  sich  auf  dem  Se- 
fzel  sitzend  zu  erhalten  ^), 

Eine  zu  weite  Auslegung  der  weiblichen  Selbststandigkeit 
mufzen  wir  indeCsen  zuriickweisen ;  denn  sobald  es  einen  Kauf 
oder  Verkauf  oder  sonst  welche  rechtliche  Verfiigung  fiber  das 
Vermogen  gait,  so  war  die  Einstimmung  und  die  ofFentlich  er- 
klarte  Erlaubnifs  des  Yormondes ,  fur  die  Ehefrau  also  ibres  Man- 
nes,  unumganglich  erfordert*  Nur  wenn  sich  die  geborenen  Ver- 
treter  nachl&fzig  bewiesen,  konnte  die  Frau,  wenigstens  nach 
den  Frostathingsgesetz  (11,  17  ),  ganz  selbststandig  handein  und 
Unzucht  allein  verwirkte  ihr  diefz  Becht. 

Auch  bei  den  sudgermanischen  Std^mmen  war  eineLockerung 
der  alten  strengen  Mundschaft  des  Weibes  mehrfach  eingetreten. 
Bei  Guterverkaufen ,  welche  Frauen  unter  ^alischem ,  lombardi- 
schem,  allemannischem  oder  auch  rdmischem  Bechte  vomemen, 
steht  in  Urkunden  des  eilften  Jahrhunderts  die  Unterschrift  der 
Frau  voran ;  die  Bestatigung  durch  den  Mann  darf  freiUch  nicht 
fehlen  \  Einen  nicht  geringen  Grad  von  Selbststandigkeit  verrat 
sodann  der  suddeutsche  Branch,  dafz  die  Freilafzung  eines  eige- 
nen  durch  ein  sechszehn-  oder  vierzehnjahriges  Madchen  yollkom- 
men  gCdtig  war  •).  Gab  ein  Madchen  unter  vierzehn  Jahren  einen 
unfreien  los,  so  war  dieHandlung  nicht  rechtskraftig  (Schwaben- 
spiegel  Landrecht  72).  Ferner  trat  nach  ripuarischem  Gresetz 
(LXXXT)  mit  fiinfzehn  Jahren  auch  fur  die  Madchen  die  Be- 
fahigung  ein,  gerichtlich  zu  klagen  und  verklagt  zu  werden. 
Nach  westgothischem  Gesetz  (II.  4,  11)  konnten  Madchen  und 
Ejiaben    mit    vierzehn    Jahren    ein    rechtsgiiltiges  Zeugnifs   able- 


')  Jialfr  fkal  hverr  rddha  fi  fino  medhan  harm  md  fitja  i  dndvegi  ainOy  fvA 
kona  sem  karlmadhr,  Frostath.  9,  29.  *)  Muratori  antiquit,  dissert.  22.  (II.  267.) 
")  Vierzehn  Jahre  waren  durch  die  Grewonheit  den  gesetzlichen  sechszehn  gleioh- 
gestellt  worden. 


122 

gen  ').  Noch  bedeutender  ist  aber  jedenfalls  das  Recht  schwa- 
bischer  Madchen,  mit  zwolf  Jahren  selbststandig  eine  gtdtige 
(staete)  Ehe  abzuschliefzen.  (Schwabensp.  Landr.  55).  Im  longo- 
bardischen  Gesetz  [Luitpr.  LII  (2,  6)]  findet  sich  dieselbe  Be- 
stimmung,  aber  mit  der  Beschrankung,  dafz  die  M'adchen  unter 
anderem  Vormunde  als  Vater  oder  Bruder  stehen  miifzeny  indem 
die  Befugnifs  dieser ,  sie  wem  sie  woUen  zu  verloben ,  ihr  Selbst- 
verlobungsrecht  ausschlofz.  Nach  friesischem  Rechte  wurde  die 
Verheiratung  eines  unerwachsenen  (unjereg)  Madchens  sehr  schwar 
gebiifzt,  und  zwar  durfen  wir  den  Grund  nicht  in  der  natiirlichen 
Unreife  sondem  darin  suchen  dafz  es  unter  seinen  Jahren  f&r 
ganz  unselbststandig  gait  und  eine  verfriihte  Vermahlung  demnach 
fur  eine  Verletzung  des  Einspruchrechtes  des  Madchens  genom- 
men  wurde  *). 

Mochte   die  Vormundschaft  strenge  oder  locker  sein,    ohne 

dieselbe  lebte  kein  germanisches  Weib.     Wem  kam  sie  aber  zu? 

Wir  sehenhier  von  denEhefrauen  und  Witwen  ab  und  han- 

deln  vorlaufig  nur  von  dem  unverheirateten  Weibe.  Flir  dieses  war 

naturlich  der  Vater  so  lange  er  lebte  der  gebome  Vormund ;  er 

hatte  fiir  die  Tochter  einzustehen  wo  zu  biifzen  war,   einzutreten 

i  wenn  sie  verletzt  wurden  und  seine  Einwilligung  zu  allem  zu  ge- 

:  ben  was  ihre  Person  und  ihr  Vermogen  betraf*  Nach  seinem  Tode 

folgte  meistens  der  alteste  Schwertmag  des  Madchens,    also  sein 

altester  Bruder,  nach  einigen  Rechten  fiel  indefsen  das  Mundium 

der  Mutter  zu ').  Es  bestund  diefz  jedoch  fiir  diese  fast  allein  in 

dem   Verlobungsrechte ,    denn    die  vaterlichen  Verwandten  batten 

einen  naheren  oder  femeren  Theil  an  der  Vormundschaft  und  far- 


')  In  gewissen  FSIlen  war  das  Zengnifs  der  Frauen  vor  Gericht  ebenso 
giiltig  wie  das  der  Manner ;  so  in  Sachen  wegen  Totschlag  und  Unsucht  (Frostath. 
4,  39.  Uplandslag  Vni,  11»  Borgarthings  kristenr.  II.  14).  Ueber  Zauberei  ist  ihr 
Zeugnifs  entscheidcnd  (Gnlatb*  c.  28).  Solte  festgestellt  werden  ob  ein  bald  nach 
der  Geburt  gestorbenes  Kind  wirkb'ch  gelebt  babe ,  so  gait  ein  Franenzengnifs 
gleich  zwei  Mftnnerzeugnifsen.  (Uplandsl.  III.  11.)  *)  Brockemer  ges.  166.' 
Westerlawer  ges.  388,  25.  Westergoer  ges.  474,  11.  *)  L.  Wisigoth.  III.  I,  7. 
IV.  2,  13.  L.  Burgund.  59.  85,  1.  Freiburg.  Stadtr.  32.  Uplandl.  III.  1,  7.  Sjel- 
land.  1.  1,  47.  48. 


128 

ten  namentlich  die  Oberaufsicht  iiber  das  Vennogen  (vgl.  Ostgotal* 
giptab.  18) ;  ebenso  mueten  sie  in  alien  gerichtlichen  Fallen  zur 
Hand  sein.  Dem  germanischem  Geiste  entsprach  weit  mehr  und 
war  auch  gewonlicher,  dafz  der  alteste  Sohn  ale  gebornes  Haupt 
der  Famllie  nach  des  Vaters  Tode  die  Mundschaft  iiber  sammt- 
Kche  weibliche  Glieder  des  Hauses ,  die  Mutter  inbegriffen,  so 
wie  iiber  die  unmiindigen  BrQder  erhielt.  War  er  selbst  noch  un- 
mflndig,  so  iibemam  der  nachste  Verwandte  vaterlicher  Seite  die 
Mundschaft*  Nach  deutschem  Rechte  war  diefz  der  Bruder  des 
Vaters ,  nach  nordischem  stund  dieser  Schwertmag  ferner  und  die 
Grofzvater  und  die  Grofzmtitter,  zuweilen  auch  die  Muttersbriider 
giengen  ihm  voran  ^)»  Die  Vormiinder  traten  iiberhaupt  nach  dem 
Grade  der  Yerwandtschaft  ein,  in  defsen  Bestimmung  sich  bei  den 
verschiedenen  Rechten  grofze  Abweichung  kund  thut*  In  den  einen 
Behen  wir  namlich  Kognaten  den  Agnaten  ziemlich  gleich  stehen, 
80  dafz  sie  gemischt  folgen ;  andere  lafzen  die  weiblichen  Verwand- 
ten  auf  die  mannlichen  folgen;  nach  andem  sind  die  Verwandten 
miitterlicher  Seite  ganz  ausgeschlofzen  und  der  Grundsatz ,  dafz  nur 
Schwertmagen  Vormiinder  sein  konnen,  ist  so  weit  ausgebildet,  dafz 
der  Richter  beim  Ausgehen  der  vaterlichen  Verwandten  mit  Ueber- 
gehung  der  Spillemagen  einen  Vormund  kiirt,  wobei  er  jedoch  jene 
beraten  mufz  *),  Indefsen  scheint  hier  und  da  der  Familie  miitter- 
Kcher  Seite  eine  gewifse  Mitaufsicht  zugestanden  zu  sein;  so 
l^aben  nach  ostgothlandischem  Gesetze  (giptab.  20)  die  miitterlichen 
Verwandten  das  Recht  der  Kinder ,  wo  sie  es  beeintrachtigt  meinen, 
warzunemen  und  sie  gerichtlich  zu  vertreten ,  obschon  im  iibri- 
gen  die  Vormundschaft  bei  den  Agnaten  steht. 

Die  geborenen  Vormiinder  sind  die  altesten  und  natiirlich- 
sten;  die  Wahl  eines  Vormundes  durch  den  Vater  ist  eine  junge 
Einrichtung.   (Schwabensp.  323,  2).    Aelter   ist,    dafz  das  Stats- 


0  L.  Saxon.  7,  5.  Nordfrief.  ges.  568,'  9.  L.  Wisigoth.  III.  1,  7.  Grag 
^«8tath.  1.  Uplandsl.  III.  1.  Sjellands.  1.  1,  47.  48.  Jydske  lov  1,  33.  *)  Magde- 
Wer  Schoffenurtheil.  S.  Kraut  Vormundschaft  169.  Deutsches  Privatrecht  393 
(3.  Aufl.) 


oi>erhaupty  wenn  gebome  Vormimder  feUen,  die  Mundschaft  mit 
alien  Kechten  an  Bufzen  und  Erbe  iibemam.  Es  bemht  diefz  anf 
der  natiirlichen  Verbindung  von  Greschleehtem  und  Stat;  war 
namlich  ein  Geechlecht  in  seinen  werhaften  Gliedem  ansgestor- 
ben,  so  muste  der  Vorsteher  der  Gemeine  den  Schutz  der  wer- 
losen  an  sich  nemen,  bis  sie  irgend  wie  zur  Bildung  eines  voU- 
standigen  Geschlechtes  wieder  gelangt*waren.  Hieraus  entwickelte 
sich  die  Obervormundschaft  des  Konigs  iiber  alle  onmiindige  und 
schutzbedurftige. 

Die  Pflichten  des  Vormundes  bestunden  in  der  Verwaltung 
des  Vermogens  seines  Miindels  oder  der  Beaufsichtigung  der  Ver- 
waltung; sodann  in  der  Wamemung  der  personlichen  Interessen* 
namentlich  in  der  Verlobung ;  endlich  in  der  rechtlichen  Vertre- 
tung  desselben:  einmal  also  in  der  Pflicht  die  Klage  zu  erheben, 
das  andere  Mai  ihr  zu  antworten.  In  der  nahen  Verwandschaft 
des  Vormunde  lag  zugleich  die  Entschadigung  fiir  seine  Miihen, 
denn  er  trat  nach  dem  etwaigen  Tode  des  Miindels  mit  bedeu- 
tcndem  Erbanspruche  ein  und  hatte  auch  nach  verschiedenen  Bech- 
ten  Theil  an  den  Bufzen  welche;  den  Bevormundeten  geleistet 
wurden. 

'  Es  lafzt  sich  schon  im  Yoraus  annemen,  dafz  die  Oermanen 
Verletzungen  des  Weibes  nicht  leichter  im  Rechte  fafzt^i  als  des 
Mannes ,  dafz  also  Wergeld  und  Bufzs&tze  fur  Mann  und  Frau 
wcnigstcns  gleich  waren.  So  finden  wir  es  auch  im  friesischen, 
angel sachsischen ,  den  meisten  nordischen  und  beziehungsweise 
auch  im  westgothischen  Rechte,  ebenso  noch  in  einem  hefzischen 
Weisthume.  0.  Andere  Stamme  hoben  jedoch  die  Werlosigkeit 
des  Weibes  hervor  und  fafzten  deshalb  seine  Verletzung  schwe- 
rer,  setzten  darum  auch  die  Bufzen  hoher  an;  so  unter  den  frie- 


')  Add.  sapient,  in  1.  Fris.  V.  Adelb.  dom.  73.  Grftg.  vigsl.  c  48.  Oatgd- 
tat.  drapah,  9.  Gulath.  c.  159.  weist.  3,  325.  In  der  1.  Wisig.  IV.  4,  3  steht  das 
Weib  iibor  50  Jahro  dem  Manne  gleich,  im  Alter  ron  15—20  Jahren  gilt  es 
100  foK  mehr.  Wilda  Strafr.  572  bemerkt  dafz  die  ausdruckliche  Erwahnimg  in 
dor  Grag&s  und  im  friesischen  Volksrecht,  das  Geschlecht  mache  keinen  Unter- 
schied,  auf  cine  friihere  abweichende  Meinung  deute. 


125 

Bischen   Landrecbten  die  Westergoer   Gesetze  (463,    23)  um  ein 

viertel;    die  Brockemer  (178.*),    die   Emsiger  (15.  28)   und  noch 

andere  (Richth.  281,^  30.  318,*'  14)  um  ein  drittel;   das  Fivelgoer 

Landrecht  (11.  12.  27),  femer  das  uplandische,  alemannische,  baie- 

riscbe,    burgundiscbe   Recht  um  die  Halfte  ')♦    Die  hx  Saaonum 

(n.  2)  lafzt  nur  die  Jungfrau  hoher  biifzen,   jedes  andere  Weib 

setzt  sie  dem  Manne  gleich.  Das  baierische  Gesetz  bestimmt  dafz 

ein  Weib  durch  Waffentragen  das  ihm  sonst  gebiirende  doppelte 

Wergeld  verKere,  ebenso  das  longobardiscbe  (ed.  Roth.  381).  Ein 

dreifaches   Wergeld  geben .  dem   Weibe  die   Langewolder  Kiiren 

yon  1282  (§.  34)  und  fiir  das  fruchtbare  Alter  auch  das  salische 

Gesetz  (XXXIV,  2.  LXXIV). 

Wie  die  Germanen  in  ihrer  hoheren  Auffafzung  des  Weibes 

mehrfacb  mit  der  Kirche  zusammenstiefzen,    so  auch  hier.     Die 

^Qreistlichkeit,    gewont  die  Frau   als   ein  unreines    und  niedriges 

JTesen  za  betrachten,  wobei  Evas  Siindenfall  als  Hauptgrund  die- 

nen  muste,  konnte  sich  mit  ihrer  rechtlich  hohen  Schatzung  nicht 

vereinen  und   wirkte  darauf,    dafz   das   Weib    rechtlich  an  Wert 

verlor.     So  wird  denn   im  Schwabenspiegel  (Landr*  310)  und  im 

Sachsenspiegel  (III.  45,  2)  den  Frauen  nur  die  halbe  Bufze  und 

das  halbe  Wergeld   eines  Mannes  ihres  angeborenen   oder  erhei- 

rateten  Standes  gegeben. 

Eiinige  Volksrechte  theilten  die  Satze  nach  den  Lebensstufen 
des  Weibes  ein.  Das  thiiringische  und  salische  Gesetz  (1.  Angl.  et 
Werin.  X.  3.  4.  1.  Sal.  XXVIH.  7—9.  LXXV)  setzten  das  Wer- 
geld fiir  eine  Frau,  die  keine  Kinder  bekommen  konnte,  dreimal 
niedriger  als  fiir  eine  mannbare  und  noch  fruchtbare.  Das  west- 
gothische  Recht  (VHI.  4,  16)  machte  mehrere  Unterschiede:  fiir 
ein  M'adchen  unter  fiinfzehn  Jahren  *)  ward  nur  das  halbe  Wer- 
geld des  Mannes  gezahlt,  von  15 — 20  Jahren  war  es  um  100  fol. 
hoher,  von  20 — 50  Jahren  seltsamer  Weise  50  fol.  niedriger,  von 


')  L.  Aleinann  LXVIII ,  3.  LXIX.  1.  Bajuv.  ni.  13,  2.  3.  1.  Burg.  LIL 
Uplands!.  IV.  11.  •)  In  der  lex  sal.  (fuld.  cod.)  wird  von  zwolf  Jahren  das 
maunbare  Alter  gerechnet. 


126 

50 — 65  slund  es  gleich;  uber  diesem  Alter  erhalt  die  Frau  die 
Halfte  des  nachst  vorangehenden  Satzes.  Auch  far  die  verschie- 
denen  Jahre  der  Manner  sind  verschiedene  Satze  genommen.  Wie 
im  sachsischen  Gesetz  die  Jungfrauschaft  auch  im  Wergeld  be- 
riicksichtigt  wurde,  ist  schon  erwahnt.  Von  selbst  versteht  sich, 
dafz  iiberall  wo  die  Standesunterschiede  stark  hervortreten,  auch 
die  Bufze  und  Wergeldsatze  nach  dem   Stande  verschieden  sind. 

Die  einzelnen  Bufzsatze  anzufuren,  wird  man  mir  hier  gem 
erlafzen.  Aufzer  der  Geldvergutigung  fur  die  Totung  (w&rgeli) 
gab  es  feste  Beetimmungen ,  wie  korperliche  oder  sittliche  Verle- 
tzungen  gebiifzt  wurden.  Wie  der  Satz:  Leben  um  Leben,  der 
durch  den  Brauch  der  Blutrache  hindurchgeht,  allmalig  trotz  man- 
cher  sittlichen  Bedenken  in  den  Satz:  Leben  um  Geld  gewandelt 
wurde,  so  wurden  auch  jene  Verletzungen  statt  mit  dem  Verluste 
des  Leben  s,  eines  Gliedes,  der  Freiheit,  der  Heimat  oder  des 
Friedens  mit  Geld  abgebiifzt,  wenn  sich  der  Angeklagte  nicht 
durch  Eide  zu  reinigen  vermochte.  Unsere  Volksrechte,  deutsche 
wie  nordische  *) ,  sind  hierin  sehi;  ausftirlich  und  gewaren  bei  dem 
Eingehen  in  Einzelheiten  manchen  SSchlufz  auf  die  sittlichen  Zu- 
stande  des  betreffenden  Stammes. 

War  eine  Verletzung  der  Unmiindigen  eingetreten,  so  hatte 
der  Vormund  die  Klage  zu  erheben  und  war  sie  gegriindet  und 
der  verklagte  iiberfUrt,  so  wurde  die  Bufze  geleistet.  Dafz  die- 
selbe  dem  Vormund  iibergeben  ward,  unterliegt  keinem  Zweifel; 
welchen  Theil  er  aber'von  ihr  zog,  ist  nicht  so  klar.  In  d^i 
Fallen  natiirlich,  wo  eine  Verletzung  seines  Rechtes  geschehen 
war,  wie  bei  unrechtmafziger  Verlobung,  Entfiirung  und  unrecht^ 
mafzigem  Beiliegen,  kam  ihm  die  voile  Bufze  zu^.  Bei  eigent- 
lichen  Verletzungen  des  Miindels  aber  zog  er  entweder  gar  nichts 


*)  Vgl.  Grimm  Rechtsalterth.  404.  ff.  Wilda  Strafrecht  der  Germanen  cap.  6. 
besonders  SS.  398-438.  *)  L.  Fris.  9,   11.  13.  Sax.  VI.  2.  Sjelland*  1.  III.  38. 

Liutpr.  121.  Bajuv.  VII.  10.  Gulath.  c.  51.  Uplands].  III.  1.  Zusatz  zu  VeaU 
gdtaL  II,  (^Collin  och  Schlyter  corp,  jur,  Sveogoth.  anU  I.  239).  Im  longobard* 
Becht  (ed.  Both.  139)  wird  die  Bafze  zwischen  die  beiden  Mundschaftsbehorden. 
den  Konig  und  den  Vormund  getheilt 


127 

(SjelL  1.  n.  20^  m.  38)  oder  nur  die  Halfte  oder  gar  nur  ein  Drittel 
(1.  Fris.  9,  8.  9»  Sax*  6.  OjlgOtal  vadham.  14,  Grog.  mgsL  54)* 
Lag  Totschlag  vor,  so  theilte  sich  der  Vormund  als  Verwandter 
mit  den  iibrigen  nachstberechtigten  Magen  bald  von  der  Schwert- 
seite  allein  bald  auch  von  der  Spilleseite  in  das  Wergeld  ').  War 
der  Vormund  selbst  der  Verletzer,  wie  diefz  bei  Verletzungen  der 
Frauen  durch  ihre  Manner  vorkommen  konnte,  so  wurde  die  Klage 
und  Bufze  von  ihrem  nachsten  Schwertmagen,  der  ihr  Verlober 
gewesen  war,  erhoben  und  die  Bufze  zu  der  Mitgift  gelegt,  (Oft- 
gdtal.  vadham.  10.    Veftgdtal.  IL  Fridhb.  8). 

Gewifs  ist  femer,  dafz  das  Weib  Theil  am  Wergelde  eines 
Verwandten  haben  konnte.    Weibliche  GKeder  der  Familie  waren 
in  altester  Zeit  nicht  von  der  Pflicht  zur  Blutrache  ausgeschlofzen, 
es  muste   ihnen   also  auch  •  das  Kecht  auf  das  Wergeld  zugestan- 
den  werden^  Als  der  Riese  Thiassi  von  den  Gottem  erschlagen  ist, 
macht  sich  seine  Tochter  Skadhi  auf  nach  Asgard  und  droht  mit 
der  Blutrache,  wenn  nicht  genugende  Siihne  geboten  werde.  Als 
Dag  den  Helgi  erschlagen,  bietet  er  seiner  Schwester  Sigrun  Wer- 
geld ftbr  den  Gemahl.  (Saem.  165.  fO*  Das  islandische  Recht  theilt 
ihnen  auch  noch   ein  Drittel  des  Wergeldes  zu  (Grdg.  fest.  20. 
vigsL  54)  wovon  sie  aber  den  dritten  Theil  dem  Vormund  abge- 
ben  mufzen ;  ebenso  scheint  das  friesische  Gesetz  (I.  1.)  die  Wei-^ 
ber  nicht  auszuschliefzen.  Eigenthiimlich  sind  die  Verhaltnisse  im 
norwegischen  Gulathingsbuch  (c.  221).    Hier  werden  die  Mutter, 
die  Tochter,    die   Schwester  und  die  Frau  des  Erschlagenen  im 
Genufze   einer   Geldsuhne    (kvengiaver)   angefiirt;    allein   dieselbe 
ist  von  dem  Wergelde  verschieden,    denn  dieses  wird  von  ihren 
nachsten  Schwertmagen,  also  hier  von  dem  Vater  der  Mutter  des 
Erschlagenen ,    vom  Sohne  der  Tochter  oder  Schwester,    in  Em- 
pfang  genommen.  (Gulath.  b.  c.  225.  26.).  Ebendort  sind  die  Spille- 
magen  des  Morders  zur  Wergeldleistung  verpflichtet  (c.  227.  231. 
232.  235.  245).    Es  bestund  also  nach  diesem  Recht  wie  nach  dem 
angelsachsischen  (Alfredhs  ges.  c.  27)    die   Einrichtung  einer  Fa- 


')  Kraut  Vormundschaft  1,  335. 


128 

milienbiirgschaft  ^),  von  der  die  Prauen  nicht  ausgeschlofzen  wa- 
ren.   In  einem  gewifsen  Falle  sehen  wir  sogar  im  islandiech^i  und 
norwegischen  Rechte  die  Verpflichtung  and  das  Anrecht  der  Frau^a 
auf  das  Wergeld  ganz  beBtimmt  heranstreten.  HinterlaCzt  n&mlicb 
der  Getotete  nur  eine  Tochter  und  niemand  ist  naher  als  sie  znr 
Hauptbufze  (hofudhhaugr)  berechtigt,    so  nimmt  sie  gleich  einem 
Sohne  die  Bufze  2).  Ebenso  ist  die  Tochter  des  Morders,  im  Falle 
kein  Sohn  lebt,  zur  Erlegung  des  Wergeldes  verpflichtet.    Beides 
gilt  indessen  nur  von  den  unverheirateten  Tochtern,  denn  mit  der 
Vermahlung  gehen  Recht  und  Pflicht  auf  die  nachsten  Schwertmagen 
liber  (Gr&g.  vigsl.  114).  Im  norwegischen  Gulathingsbuch  (c.  275) 
hat  die  Schwester  dafzelbe  Recht  wie  die  Tochter ')♦    Es  weist 
demnach  fast  alles  darauf,  dafz  die  Weiber  in  altester  Zeit  voUen 
Theil  am  Wergeld  hatten  und  das  thiiringische  und  longobardi- 
sche  Recht  haben  sich  also,  indem  sie  das  Wergeld  den  Schwert- 
magen  allein  zutheilen,  von  dieser  urspriinglichen  Auffafzung  be- 
deutend  entfemt.  (1.  Angl.  et  Wer.  VL  !♦  5.   1.  Liutprandi  13). 
So  wie  derVormund  den  Prozefz  zu  erheben  (foekjc0  hatte, 
so  muste  er  auch  der  Klage  antworten  (fvara).   Der  Sachsenspie- 
gel  setzte  fest,  dafz  der  Richter  der  Angeklagten  einen  Fiirspre- 
cher  zu  bestellen  habe,  wenn  ihr  rechter  Vormund  nicht  zur  Ebnd 
sei.    Erforderliche  Eide  musten  von  den  Frauen  selbst  geleistet 
werden*);  ward  die  Entscheidimg  einem  Gottesurtheil   iiberlafzen 
und  wurde  auf  Kampf  erkannt,  so  hatte  ihr  nachster  Schwertmag 
fur  sie  einzutreten  *) ;  nur  in  einzelnen  Fallen  und  wahrscheinlich 
erst  in  jungerer  Zeit  war  den  Weibern  selbst  der  Kampf  iiberge- 
ben.  Im  eng  anschliefzenden  IQeide  kampften  sie  mit  einem  Steine 
den  sie  in  den  Schleier  gebunden  hatten  gegen  den  Mann,  der  sich 


')  Waitz  deutsche  Verfafzungsgeschichte  1,  228.  Wilda  Strafrecht  872.  885. 
')  Sie  hcifzt  dann  haugrygr  (Bufzweib:  haugr^  Bafze;  rygr  Weib).  ■)  Vgl. 
auch  Frosthath.  6,  4.  *)  Sachsp.  I.  47,  1.  Schwabensp.  Landr.  75.  Eine  Eides- 
formcl  fur  Frauen  Weisth.  3,  777.  Ueber  den  nastahit  s.  unten.  •)  Vermoc  Jten 
sie  keinen  ihrer  Schwertmagen  zu  stellen,  so  pflegtcn  sie  Mietkampfbr  (campiones) 
anzunemen.  Vgl.  Gaupp  Gesetz.  der  Thiiringer  405 — 7. 


129 

halb  in  einer  Grube  mit  einem  Stocke  vertbeidigte  ')•  Arten  des 
Grottesurtheils,  die  den  Weibem  haufig  zuerkannt  wurden,  waren 
die  Probe  mit  gliihendem  Eisen  das  sie  in  blofzen  Handen  neim 
Schritte  weit  tragen,  mit  neun  gluhenden  Pflugscbaren  iiber  die 
fiie  schraten  mosten,  der  Kefzelfang,  wobei  sie  einen  Stdn  toa 
einem  Kefzel  siedenden  Wafzers  suchen  musten  nnd  die  kalte 
Wafzerprobe,  die  noch  bei  den  Hexen  im  17.  Jahrhundert  baufig 
angewandt  wurde.  Dag  Weib  ward  liamHch  ins  Wafeer  geworfen 
nnd  ward  iiir  unecbuldig  erkjart  wenn  es  untergieng,  fiir  schul- 
dig  aber  wenn  es  sich  oben  hielt;  denn  der  Grlanbe  war,  dafz 
das  Wafzer  nichts  unreines  nnd  )keinen  MifsethHter  in  sicb  dulde. 
Anch  die  Krenzesprobe  scheint  nicht.  s^ten  gebraucht  zu  sein. 
Beide  Parteien  stunden  mit  erhobenen  Armen  warend  einer  Messe 
an  dem  Krenze;  wer  die  Arme  zuerst  sinken  Uefz,  ward  des  Yer- 
brechens  oder  der  Liige  iU^eifiirt  gehaltai  ^. 

War  die  Angeklagte  iiberwiesen  und  auf  Gelds^rafe  gegen 
sie  erkannt,  so  zahlte  der  Vormund  die  Bufze  ans  dem  VermSgen 
des  Miindels.  Reichte  das  nicht  aus^  so  scheint  er  mit  seinem 
^genen  Yermogen  herangezogen  worden  zu  sein,  wenigat^ns  liegt 
es  im  Wesen  der  Mundsohaft,  dafz  der  Yormund  nicht  blofz 
achiitzt  sondem  auch  biirgt  Wo  er  nicht  solidarisch  verpflich- 
tet  isty  findet  sich  Abweichung  von  der  urspriinglichen  Auf- 
faTznng'). 

/iBei  Kindem  unter  ihren  Jahran  und  bei  Wahnsinnigen 
dorfte  keine  andre  als  Greldstrafe  vorkommen,  erwachsene  Wei- 
ber  dagegen  wurden  auch  peinlidi  gestraft^i  Die  altgermanischen 
Grnudsatze  zeigen  jedoch  auch  bi^  eine  imlde  Beurtheilung  der 


')  Majer  Gregch.  der  Ordalien  270—274.  Philipps  die  Ordalien  bei  den  Ger- 
manen  p.  10.  Vgl.  iiberhanpt  J.  Grimm  Rechtsaltcrth.  908—937.  Wilda  Ordalien 
M  Ersch  und  Grubers  Encyklop«adie  III.  4,  452—490.  »)  Vgl-  Gengler  deatsche 
Rechtggeschichte  401  if.  Anm.  30.  •)  Vgl.  hieriibcr  Kraut  Voraiundschaft  I. 
H«  37.  38.  —  Zahlte  der  Vormund  keine  Bufze  oder  hatte  die  Frau  kcinen  Vor- 
mnnd  im  Lande,  so  verlor  sie  die  Freiheit.  OftgotaL  vadam.  35.  37.  Die  Weigerung 
dci  Vormunds  in  der  gesetzlichen  Frist  von  fiinf  Tagen  die  Bufze  zu  erle- 
gen,   zog  ihm  Friedlosigkeit    ^nd  Vermogenseinziehung  zu.     Ostgotai  drapab.  9. 

9 


ISO 

Frau,  wie  eie  spater  in  der  goldenen  Bulle  (c.  24  §.  ^•)  sswbt 
auBgesprochen  aber  nicht  durchgefiirt  war.  Die  altnordisclien 
Gesetze  lafeen.  wenigstens  ;darauf  schliefrzen;  denn  flir  VerlrfAjhwi 
wo  den  Mannem  deif  Tod  gewifs  war^  stund  den  Frauen*  Aii&- 
gleichung  dutch  Geld  mehrfach  frei.  Ihre  Strafe  wur  in  den 
oberischwedisohen  G^setzen  schon  dadurch  milder^  dafz  sie  nicht 
friedlos  werden  konnten  und  ihr  Landbesi<:z  demgemftfz  ikicht 
eingezogen  werden  durfte  (egh  ma  hdnna  bo  skiptas),  Konigs- 
friedenbruch  (edh/ore)^  Konigsbufze  (enfak)  und  Herrehetrafe  (hdt^ 
rathocke)  konnten  sie  nicht  auf  sich  laden  ^).  Ward  ein  Weib 
fiii*  einen  veriibten  Mord  von  dem  Blutracher  aui'frischer  That 
erschlageuy  so  lag  es  ungebtLfzt.  {Oatgdtali  drdpab*  9*  vadha/ni.  16, 
22,  35).  .  • 

Die  Lebensstrafen ,  die  an  den  Weibem  Tollzogen  warden, 
waren  verschieden.  Gegen  das  Hangen  straubte  eich  das  G^fiihl. 
Wie  das  Uplandslag  (IV»  29)  bestimmt,  dafz  kein  Weib  gehangt 
Oder  geradert ,  sondem  lebendig  begraben  werden  solle ,  80  setzt 
auch  das  Riber  Stadtrecht  (25)  fest,  wegen  der  weiblichen  Ehre 
(for  en  quynddigh  aeraes  achyld)  solle  kein  Weib  gehangt,  sondem 
begraben  werden  ^),  Das  ostgothlandische  Gesetz  (vadham*  38)  ge- 
stattete  indefsen  fur  eine  auf  frischer  That  ergriffene  Diebin  den 
Strang,  ebenso  die  Westerlawer  Gesetze  fur  eine  Ehebrecherin 
(404^  11) ;  das  schauerliche  lebendig  begraben  ward  also  fShr'  gerin- 
ger  geachtet  als  das  Hangen.  Neben  diesen  Strafen  waren  Tteinigen 
und  ertranken  fur  weibliche  Verbreoher  sehr  iiblich.  Ebrschliig 
ein  Mann  seine  Frau,  so  ward  er  geradert,  totete  die  Frau  ihren 
Mann ,  so  wurde  sie  gesteihigt  (Uplandsl.  IV.  13).  Fur  eine  Gift* 
mischerin ,  durch  die  jemand  gestorben ,  bestinunte  das  uplandi- 
sche  Gesetz  den  Feuertod  (IV.  19).  Nicht  ungewonlich  w%r  fer- 
ner  in  alterer  Zeit,  Frauen  zur  Lebensstrafe  unter  die  Huie  der 
Rofse    zu    werfen    oder    sie    uberfaren    und    von    Pferden    zer- 


*;  Ueber  Befreiungen  der  Frauen  in  Frankreich  Schaflftier  Recbtsrerf. 
Frankr.  3,  188.  »)  Vgl.  Erich  Clipping.  Stadtr.  v.  1294.  n.  27.  Die  Hexcn- 
inquisitoren  namen  auf  die  weibliche  Ehre  keine  Riicksicht. 


reifzen  zu  lafzen ').  So  wurd^  die  schone  Schwanluld  auf  den 
Befehl  des  Gothenkonige  Ermanrich  de^  Sage  nach  getptet ,  ala 
de  ihre  Liebe  dem  Sohne  das  greisen  Brautigams  scbenkte 
(Saem.  267). 

EiniB  besondere  Eucksicht  ward  iibrigena  auf  die  Schwan- 
geren  genommen.  Gewonlich  wurden  die  Strafen  erst  nach  er- 
folgter  Entbindiuig  voUzogen  oder  iiberhaiipt  gexnildert  *)♦    . 

Nadbdem  wir  eine  Uebersicht  iiber  die  Mjindschaftsver- 
haltnisse  des  Madchens  und  seine  Stdlung  zum  ofientlichen  Recht 
zu  gewinnen  suchten,  liegt  uns  noch,  ob  sein  Erbrecht  kurz 
darzulegen. 

G^rmanischer  Grundsatz  war,  wie  schon  erwahnt  wurde, 
dafz  nur  der  Mannesstamm  den  Landbesitz  des  Geschlechtes  fiirte 
nnd  die  weiblichen  Glieder  allein  am  bewej^ichen  Gute'  Theil 
batten^Es  beruhte  darauf ,  dafz  an  dem  liegenden  Eigen  die  Ge- 
meinepflichten  und  Rechte  hafteten,  deren  voile  Uebemame  fiir 
das  Weib  unmoglich  war.  ^s  war  in  der  eigentlichen  Grundbe- 
deutung  djQg  . Wortes^  niebtr  erbf ahig  ^). 

AUe  nord-  und  siidgermanischen  Yolksreclite  baben  diesen 
Grondeatz  gehegt  und  erst  allmalich,  nachdem  in  der  Gemeine- 
verfafzung  Aenderungen  eingetreten  waren  und  das  romische 
Becht  wie  die  Kirche  Einflufz  erlangte,  wsurd  auch  auf  dieFrauen, 
Land  vererbt.  Interessant  ist  es  dieVermittelung  von  dem  schrof- 
fen  Aosschliefzen  mit  der  Gleichberechtigung  zu  beobachten. 

War  kein  Sohn  vorhanden,  so  gestatteten  das  sachsische^ 
borgondische ,  alemannische  und  longobardische  Recht  den  Uebejc-: 
gaog  alles  Erbes  auf  die  Tochter  *),  Dafzelbe  geschah  auf  Island,, 
wo  sogar  ein  Godhord  (Hof  mit  Priester-  und  Richterrecht)  auf  die 
Tochter  erben  konnte,  die  aber  natiirlich  das  darauf  ruhende 
Richteramt  durch  einen  Mann  des  Drittels  verwalten  lafzen  mu- 


0  Greg.  Tur.  III.  7.  Chron.  NovaUc.  III.  14  (Pertz  9,  101).  *)  Gr&g. 
^gsl.  c.  35.  fest.  c.  48.  ThordDegnes  art  A.  16.  B.  19.  ')  arbi  ager,  heredtfas, 
Grimm  Geschichte  der  deutschen  Sprache  54.  Den  Sinn  ^liegendes  Eigen"  hat 
f^ediuu  unter  andem  1.  Sax.  7,  1.  *)  L.  Sax.  7.  5.  Burgund.  14,  1.  Alam.  57. 
Liutpr.  1,  I. 


9 


182 

Bten  (Gr&g.  festath.  21 .  thingsfk.  61).  Das  thiiringische  Rechf  (1.  Angl. 
et  Werin.  6,  1)  bestimmte  wie  folgt:  Ist  kein  Sohn  vorhanden, 
80  fallt  der  Gxundbesltz  an  den  n&chsten  Schwertmagen,  die  fa- 
rende  Habe  an  die  Tochter  oder  an  die  Sohwester  Oder  an  die 
Mutter,  welche  nun  da  ist;  aber  in  dieser  Keihenfolge,  Iiebt  kei- 
nes  dieser  Glieder,  so  nimmt  der  Schwertmag  alles  Ejrbie*  Die 
Schwertmagen  erbten  iibrigens  nur  bis  zum  funften  Grad ,  dann 
fiel  allesErbe,  Kegendes  wie  farendes,  an  die  weibliche  Verwand- 
scbaft.  Das  uprandische  Kecht  (UI^  12)  geht  noch  weiter.  Wenn 
die  Zahl  der  Landgiiter  (bolbyaer)  die  zu  vererben  sind,  dieZald 
der  Sohne  iibersteigt,  so  kann  aitch  die  Tochter  am  liegendte 
Erbe  theilnemen  ^).  Ebenso  weist  die  Bestimmung  dee  Gtdathing- 
buches  (c.  278),  dafz  Tochter  und  Schwestem  beim  Ausgehen 
nahere'r  mannlicher  Verwandter  das  Wergeld  empfangen  Und  alle 
Bechte  und  Pflichten  der  Manner  in  solchem  Falle  haben,  anf 
ihre  Pahigkeit  in  liegendem  Eigen  zu  erben  hin.  Alle  diestf  Be- 
stimmungen  stehen  bereits  unter  dem  Einflufze  des  neuen  Gei- 
stes,  der  auch  schon  im  westgothischen  Gesetzbuche  (IV,  2) 
spricht,  wo  den T6ch tern,  wenn  dieEltem  nicht  anders  beetimm- 
ten,  gleiches  Erbtheil  mit  den  Sohnen  ausgesetzt  wird«  Andere 
Gesetze,  wie  noch  der  Sachsenspiegel  (I«  17,  1)  beschrtoken 
die  liegende Erbschaf t  auf  den  Fall,  dafz  keine  mi&nnlichen  ^eieh 
nahen  Verwandten  leben ;  nicht  viel  spatere  Bechte  and  Statuten 
stellen  Sohne  und  Tochter  dem  gesammten  Erbe  gleich  nah,  imd 
auch  an  das  Lehngut  erhalten  die  Weiber  allmalich  gleiohen  An- 
spruch  mit  den  Mannem  *).  In  den  Weisthiimem  erhielt  sioh  in- 
defsen  hier  und  da  die  alte  Ausschliefzung  der  Tochter.  So  be- 
stimmt  das  Domheimer  Weisthum  (ostl.  Schwarzwald,  Ghrfanm 
Weisth.  1 ,  378)  dafz  die  Knaben  im  liegenden ,  die  Tochter  im 
farenden  Gute  das  Erbe  haben  soUen.  Nur  wenn  nicht  eo  viel 
farendes  vorhanden  sei,  sollen  die  Madchen  durch  liegendes  ent- 
schadigt  werden. 


0  Tha  taki  fyfiir  Jin  lot  i  bolbynum.  ^  MiUhaa8«ner  Statat«  Soefter 
Stat.  166.  8,  Kraut  Frivatrecht  (8.  Aafl»)  422.  f,  —*  Ueber  die  franz.  VerhSlt- 
nifse  Sch&ffher  Rcchtsverf.  Frankreichs  2,  230. 


Di6  Schwerthaud  geht   im  Allgemeinen  nach  altem  Bechtc 

derSpillehand  vor*    Wareofl  sich  die  Tochter  an  die  unbedeuten- 

dere  faremde   Habe    zu    halten    batten ,   erbten  die  $5hne ,   wie 

ao8ge(Urt ,  das  Grundeigenthum ;  als  aber  dieser  Unterschied  weg- 

fid,  namen  die  Sohne  von  allem  zwei  Drittel,    die   Toditer  eia 

Drittel  0 1    ^^^  weiteres  Nachgeben  raumte   den  Frauen  gldchen 

Theil  mit  den  Mannem  ein,  Yor  derErbth^ung  fand  nach  sach- 

nschem  Beohte  eine  Vorausname  statt;    die  mannliche  Seite  nmx 

namlich  das  H^gewate,  die  weibliche  die  Gerade');  das  Haupt- 

theil  des   ersten  war  das  Schwert,  das  wesenUiche  des  letzteren 

der  Schmuck ;  in  beiden  prftgte  sich  also  das  karakteriatische  der 

beiden  Geschlechter  aus.  Schon  das  thurin^sche  Gesetz  (1.  AngL 

et  Werin*  7,3.  6,  6)  f urt  unter  dem  Namen  der  rhedo  den  weib* 

lichen  Schmuck  auf:    Halsketten,   Hafte,   Armbauge,   Ohrringe, 

Frauenkleider,    was   alles  den  Tochtern  allein   zufalle,    warend 

die  Sohne  Land,  Vi^  und  Unfreie  erhalten*).    Im  Sachaenspie- 

gel  und  den  sich  daran  lenenden  Gesetzen  wird  der  Umfang  der 

Gerade  nooh  ausfurlioher  angegeben;   aufzer  deoa  Kleinodien  wer* 

den  dazu   gezalt  aUe  Betten,  Pfuhle,   Kiifsen,  Bett-  und  Tisch- 

wasche,   Teppiche,    Umh&nge,    Kasten  mit  erhabenem   Deckel, 

Laden,    Sefzel,   Spiegel,   Bursten,  Soheeren,  Leuchter,  Becken, 

alles  Gam,  die  Kleider,  die  gottesdienstlichen  Buoher,  die  Granse 

und  Schafe.    Unverarbeitetes  Leinenzeug  und   Gold  und  Silber 

geh5rten  nicht  dazu*).     Ln  norwegischen  Bechte  (Frostath.  9,  9. 

H4konarb«  c,  75)   Werden    'anliche    Sachen   als    Erbe  der  Tochter 

und  der  Mutter  aufgefiirt;  ebenso  entsprechen  gewifse  Vorausna- 

men  vom  nngetheilten  Gute  nach  uplandischem  und  ostgothlandi- 

8chem  Bechte  der  Gerade  und  dem  Hergewate*   Die  Frau  nimmt 

uamlich   nach   kinderloser  Ehe  von  ungetheiltem  Gute  voraus  ihr 

Tollst&ndiges  Bette,  ihre  Kirchenkleider  und  drei  andere  Kleider 


0  O/lgdtaL  arfdhab,  1.  Uplandsl  III.  11.  Jydfke  1.  I.  4.  5.  Sunon.  leg. 
Sean.  L  4.  Brockem.  ges.  167.'  Nordfries.  ges.  562/  7.  Ghroening.  stadsb.  (1425) 
art  31.  *)  Jao.  Grimm  Bechtsalterth.  576—586.  ')  VgL  aneh  L«  Barg.  51,  3. 
*)  Sachsensp.  I.  S4,  8.  Weisth.  3,  43.  103.  197«  235.  Gl.  z.  saclu*  Lehnr.  56. 
RiideD.    Stadtr.  58. 


184 

(staenizay  kiurtily  iwirklaedhr) ;  der  Mann  nimmt  Rofs  und  Waffen 
und  seine  Kirchenkleider.  (Uplaiidsl.  HI.  10).  Nach  oetgothlandi- 
Bchem  Rechte  (giptab.  15)  nimmt  die  Prau  aufzer  ihrer  Mitgift 
und  dem  Gegenkauf  zwei  Ueberkleider ,  einen  Mantel  lind  zwei 
Kopftiicher;  die  Erben  des  Mannes  neinen  die  andem  Kleider 
und  drei  Waffen  0« 

Die  Gerade  erbt  auf  die  nachste  weibliche  Verwaridte,  auf 
die  Tochter  also  oder  auf  die  nachste  Nichte  ^).  Sind  merere 
TochteJr  vorhanden  und  eine  oder  merere  von  ihnen'  sind  schon 
auBgestattet  {Mgeradet) ,  so  erbt  die  nicht  ausgestattete'  die  Gerade 
(Sachsensp.  I.  5,  2).  Ueberhaupt  ward  bei  der  Erbtheilutig  billige 
Bticksicht  darauf  genommen  ob  die  Tochter  schon  ausgestattet 
waren  oder  nioht.  Die  unverheirateten  namen  daher  von  deinErbe 
einen  Theil  hinweg,  weloher  der  Ausstattung  der  verheir^teten 
entsprach  (Frbstath.  11,  2).  EinVerlust  alien  Erbreohtes  trat  nach 
altestem  Recht  fur  die  Tochter  dann  ein,  wenn  sie  den  Vorwurf 
der  Unkeuschheit  auf  sich  gezogen  hatten.  Die  islandischfe  Gr&- 
gd;6  (arfath.  23)  ebenso  der  Sachsenspiegel  (L  5,  2)  hoben  diese 
Bestimmung  auf,  das  ostgothlandische  Recht  (arfdhab.  1)  machte 
die  Verzeihung  der  Eltern  zur  Bedingung  des  Wiedereintritts 
der  Erbfilhigkeit;  der  Schwabenspiegel  (Landr.  15)  sagt,  ein 
Madchen  unter  funf  und  zwanzig  Jahren  verwirke  in  solcfaem 
Falle  Vater-  und  Muttererbe;  sei  es  alter,  so  konne  es  wol  seine 
Ehre,  aber  nicht  sein  Erbe  verlieren. 


')  Vgl.  auch  Hans  priyil.  42.  *)  Nach  Sachsensp.  I.  7,  3.  Weist*  8, 108  nimmt 
die  Slteste  Tochter  die  Gerade,  nach  Weist.  3, 189  (Engem)  die  jtingste.  (Vgl.  anch 
Weisth.  1,  283. 376. 3, 102).  Bei  horigen  Lenten  fiel  sie,  wenn  keine  unberatene Tochter 
da  war ,  an  den  Herm.  (Weisth.  1.  75. 106. 270.  3,  33.  56. 185.)  War  aber  die  Toch- 
ter nnberaten  und  sie  so  ebenskr&ftig ,  dafz  sie  die  vier  Wftnde  ersieht  (Weisth 
1,  290)  dafz  man  sie  durch  die  Wand  schreien  hort  (W.  3,  l48),  dafz  sie  die 
vier  Wande  beschrcit  (W.  3.  103),  eine  brennende  Ampel  ansblasen  (W.  3,  102) 
anf  einer  Bank  stehen  and  der  Mutter  Kasten  aufschliefzen  kann  (W.  3,  208), 
so  fallt  dieser  die  Oerade  zu.  Vgl,  Grimm  Bechtsalterth.  410.  —  Auch  der  Bni- 
der,  welcher  GeistUcher  ist,  aber  noch  kein  Amt  (kerken  oditx  provende)  hat,  erbt 
▼on  derGkrade.  Sie  wird  aber  bei  ihm  zum  Erbe,  denn  von  seiner  Hinteriafseii- 
schaft  wird  keine  Gerade  genommen.  (Sachsensp.  1.  5,  3.) 


185 

Ke  Beihen  der  Erbfolge  sind  verschieden ,    denn   die  Nahe 

der  Verwandschaft    ward    bei  den  verschiedeneh  Stamihen  nicht 

gleich  beurtheilt.'  Ein  Grundzug  I'dfzt  slch  jedoch  deutlich  erken- 

nen,  der  auch  von  Tacitus  (germ.  20)  angegeben  wird ,  wenn  er  als 

die  nachsten  Erben  die  Kinder ,    dann   die  Briider ,    hierauf  die 

Vatersbruder   (patrui)   und   die   Muttersbriider  {avuncult)   anJRirt; 

fiir  die  beiden  letssteren  kOnnen  wir  im  Allgemeinfen  die  n*achsten 

Scbwertmagen  utid  die  nachsten  Spillemagen  ^^tzen/ '  WJr  sehen  dem- 

nach  dnrch  das  natiirHche  Gesetz  gef ordfert  dem  Verstorbenen  zunachst 

den"  Sohn,  daiin  die^ohter,  den-Bnider,  'die  Schw^et  und  die  Ge- 

schwisterldnder-folgen:^  Sefar  ausfiirlich  sind  aucih  hierin  ffie  nordi- 

schen  Gesetebiicher.  Am  alterthiimlichsten  erscheint  mir  dabei  dds 

Gulathingsbuch  (cc.  103.  104) :  in  ihm  stehen  auf  erster  Stiife  Sohn 

undVater,  die  si^h  ge^enseitig  beerben j  d^nh  folgen  Tpchter  und 

Sohnessohn,  die  erstere  fiir  die  f arende  Habe,  dieser  fiir  den  Grund- 

besitz  ;  hieraufj  der  Vatersvater,  dann  der  Bruder  vom  selben  Vater, 

dann  die  Mutter  und  auf  sic  mit  gleichem  Anspruch  der  Vatersbru- 

der  und  der  Bruderssohn ;  dann  der  Bruder  vom  derselben  Mutter, 

nachst  ihm  die  unehelichen  aber  spater  legitimirten  Kinder ,  dann 

Muttersvater-  und  Tochterssohn ;  auf  sie  der   Mutterbruder-  und 

derSchwestersohn  und  so  fort.  In  den  beiden  gothlandischen  Rechten 

folgt  der  Vater  auf  die  Tochter  und  nach  ihm  die  Mutter ,    dann 

Bruder  und  Sch wester ;  in  der  islandischen  Grkg&&  folgen  Tochter, 

Vater,  Bruder  von  demselben   Vater,  Mutter  und   Sch  wester  von 

demselben  Vater.  Die  unehelichen  Kinder  erben  hier  nach  den  Ge- 

schwistem  von  derselben  Mutter  0-    Die  wesentliche  Uebereinstim- 

mung  der  frankischen  Rechte  mit  diesen  nordischen  Bestimmungen 

beweist  iibrigens  den  echtgermanischen  Gang  dieser  Erbfolge;  in 

ihnen  folgen  auf  die  Kinder  Vater  und  Mutter,  dann  Bruder  und 

Sch  wester,  Sch  wester  der  Mutter,  Sch  wester  des  Vaters  und  dann 

die  nachsten  Scbwertmagen  *)  Wir  verf olgen  diefz  nicht  weiter  und 


')  6j}g6lalag  ar/dhab.  §.  2,  1.  §.  3.  V^gStal  I.  arfdhah.  1.  (II.  3.)  Gr&. 
gd»  arfdhath.  1.  vgl.  noch  Frostath.  8,1.  »)  L.  Sal.  LXII  (59).  1.  Rip.  LVI 
(58).    Vgl.  hierftber  Waitz  Salisches  Recht    108.  f. 


IM 


erwabnen  zum  Schlufze  nur  noch  den  Branch  ^  der  sich  .bei  cl 
formlichen  Uebemame  dee  Erbes  im  Norden  wenigstens  unter  den  vt 
nemen  Gescblechtemlangeerbielt,  ein  Toten*  undErbmal  {erf)  ai 
zurichten.  Der  Erbe  safz  zum  Anfange  dea  Grelages  auf  einer  Ba; 
vor  dem  Hochsitze  des  VerBtorbenen  bia  ein  Beoher  hereingebrac 
wurde,  auf  den  er  atebend  ein  Gelubde  ablegte  und  ihn  dann  ai 
trank»  Hierauf  wurde  er  auf  den  Hochsitz  gefurt  und  ubernt 
das  gesammte  Erbe  (Ynglingas.  c.  40)  0*  Diefz  Malscheintofif 
nur  ein  Erinnerungefest  ohne  Bezug  auf  Erbname  gewesen  zu  sei 
ein  solches  veranataltet  wenigstens  Godrun  (KrimhUd),  als  il 
Briider  Gunnar  und  Hogni  durch  Atli  gefallen  sind.  (Saei 
260»>)  ^. 


>)  Der  Becher  hiefz  wie  cLer  Jolbecher    Bragibecher  (Bragc^ull).      *)  V 
€kngler  dentsche  Bechtsgeschichte  S.  311.  Note  85. 


Ftlnfter  Abschnitt. 


Fraaendlenst* 

Wa%  waere  mannes  wUhm,  d^  frSUte  Jtck  Jtn  lipf 
e%  entaeten  fckoene  meide  und  Mrltchiu  ipipf  NibeL  273, 1.2. 

Swd  du  guotes  w(be8  vingerRn  Er  gew<m  nie  manltehen  muot 

^igeit  enowbtn  WU  ir  gruox^  der  mht  toerHahe  twft 

^%  mm:  ex  tuot  dir  humbert  buox*  eUw^nne  dutch  diu  ipip* 

dufoU  zir  kvfse  gdhen  Lan^el.  1017. 

wd  ir  lip  vaft  umbevdhen : 

^  git  geiUoke  und  hShen  muot  ' 

opfi  k^chd  ifi  unde  gui^.        JP^r^T.  127,  29.  ^. 

JLo  d^  AleiCEmdera^g^  findet  sidk  dae  M^chcm  vm  den  scho- 
neq  Blumen  ism  Walde,  auB  deren  festem  rot  uud/  weifssem  BlU- 
teoballe,  venn  dc^  S^hnee  zergaiigen  ist,  JieblicbQ  Ml^}x$bw  ber- 
MMpringeiiy  die  d^ii  Sommer  in  reizender  Jugend  unt^rdan  Wal- 
deaschatten  und  dem/Vogelgesang  bioleben.  Wexin  aber  die  Brun- 
Qen  2u  fliefzen  mflioren ,  der  Wald  &1  wird  und  die  V5gel  ver* 
Btoinmen,  dann  scbwinden  die  Kinder  der  Blumen  auch  dahiigi 
iiod  ihr  kur^es  Leben  vergeht.  Den  wunderaamen  Blumen  lafzen 
fiich  die  Menschenioddcben  yergleicben*  Ist  der  Yorfriiling  voir- 
bei  und  daa  junge  Men^chenkind  aus  den  eraten  Jabren  beraus- 
gethautf  daon  0cbief;&t  ee  auf  wie  jene  Waldpfl^n^en ;  upd  weuQ 
die  Zeit  der  Beife  genaht  ist  und  Anung  und  Schnen  sich  UW 
He  junge  Brust  legt ,   dann ,  tritt   aus  der  apringenden  Hiille  dee 


188 

Kindes  das  siifzeste  Wesen  der  Schopfung,  die  Jungfrau.  Aber 
die  Brunnen  der  Jugend  versiegen,  die  Blatter  der  Schonheit  rie- 
seln  eines  nach  dem  andem  auf  die  braune  Erde  und  der  Lebens- 
ton  der  Liebe  verhallt.  Da  verhullt  das  Weib  sein  Antlitz  und 
Heil  ihm,    wenn  es  sterben  kann  wie  jene  Frauen  des  Marchens. 

Das  jungfr'auliche  Weib  birgt  einen  unnennbaren  Reiz ;  An- 
mut  und  hauchlose  Reinheit  flechten  sich  wie  Eoseu  und  Myrthen 
zusammen  und .  driicken  dem  einfaclisten  Weibe  eine  glanzende 
Krone  auf  das  Haupt.  Reine  Volker,  auch  wenn  sie  keinen  ho- 
hen  Bildungsgrad  besitzen,  haben  vor  der  Jungfi^ulicKkeit  stets 
eine  heilige  Scheu  gehabt.  Sie  wusten  die  Wiedergeburt  der  Grott- 
heit  nicht  anders  zu  vermitteln,  ale  dafz  sie  den  menschwerdenden 
Gott  durch  eine  Jungfrau  gebaren  liefzen.  Sie  verliehen  der  Jung- 
frau Krafte,  welche  das  menschliche  Mafz  iibersteigen;  die  Grabe 
der  Weifzagung  ward  ihr  vertraut  und  Zauber  zu  kniipfen  und 
zu  losen  vermochte  zumeist  die  Reinheit  des  Weibes. 

Wir  Germanen  dftrfen  mit  gerechtem  Stolze  auf  unsre  Vater 
blicken,  wie  sie  uns  der  Romer  schildert.  Es  ist  ein  reined  knlf- 
tiges  keusches  Volk,  ein  Volk  das  rauh  und  ungebildet  in  vi^- 
lem  doch  ein  zartes  Gefuhl  im  Herzen  tragt.  Auch  ohne  aus- 
dnickliche  Zeugnifse  miifzen  wir  auf  eine  besondere  Achtung  der 
Jungfrau  unter  den  Germanen  schliefzen;  unter  den  Gottinnen 
unseres  Volkes  hat  eine  Reihe  lieblicher  Bilder  bewieHen  wie  hier 
das  Madchen  verklart  ward,  und  auch  im  Rechte  findeh  wir  die 
Jungfratilichkeit  beriicksichtigt.  Wir  sehen  jedoch  hier  eihen  eigen-' 
thiimlichen  Streit  zwischen  IVau  und  Jungfrau  ^treten.  *  Wa- 
rend  in  einigen  Volksrechten  (1.  Sax.  11.  2.  Hunsihgoer '  Bufzt. 
12.  13)  Beleidigungen  der  Jungfrauen  hoher  gebiifzt  werden  als 
die  verheirateter  Frauen,  zeigen  andere  (1.  Alem.  LVlll,  3.  BajuV. 
VII.  8.  10 — 13)  einen  Vorzug  der  letzteren,  indem  de  die  Verle- 
tzung  der  Rechte  des  Ehemanns  hoher  anschlagen  ale  die  Beiri- 
digiing  der  Jungfi^ulichkeit.  Das  friesische  Recht  stellt  Jung- 
frauen und  Witwen  gleich  ausgezeichnet  vor  die  verheirateten 
Weiber. 

Selbst  im  Kriege  suchten  die  Germanen  ihre  Achtung  und' 


189 

Hochhaltung  der  Frauen  zu  bewaren^'  Als  Konig  Rudolf  926 
(fie  Stadt  Auga  (Eu)  erstiirmt ,  in  die  sich  die  Normannen  unter 
Bollb  geworfen  faaben,  werdenalle  Manner  niedergeina,chtv  die 
Frauen  aber  unberiihrt  gelafzen.  (Richer,  hist  I.  80).  Glei<5he 
Schonung  h^tte  fruter  Totila  den  Neapolitanerinnen  und  RSineriiinen 
bewiesen,  und  als  efn  vornemer'  Gothe  slich  eine  Ungeburlichkeit 
gegen  ein  neapolitanische^  MSdchen  erlaubt  hktte,  liefz  er  ihn  iroit 
der  Verwendiing  aller  hiiirichten  und  sein  Verm5gen  jenem  MM* 
chen  geb6n.  (Procop.  b.  gotlb.  IH,  6.  8*  20)  *)•  Die  Skandinatiei^ 
hatten  den  Frauenfrieden  (quenagridh)  gesetzlich  festgesetzt  -und 
hielten  ihn  in  Kriegen  uridF-atnilienfehden;  ebensO  geiiofzeii  nach 
deutechen  Gesetzen  die-^dber  alle  Tkge  lind  alle  Zeitari- ihrem 
Leibe  und  Giite  Friede.  pSachseiisp.  2.  66,  1.  Henrici  treuga  1. 
(1230)].  Noch  in  der  Sitte  zeigt  sich  die  bevorzugte  Stellung  der 
Jungfrauen  augenscheinlich,  dafz  als  festeste  Biirgschaft  des  Frie- 
dens  zweier  Stamme  oder  Staten  vomeme  Jungfrauen  als  Geiseln 
gegeben  wurden  (Germ.  8.)  Auf  diese  Weise  kam  der  Sage  nach 
die  burgundische  Konigstochter  Hildgund  an  Atilas  Hof. 

Soil   ich    ein  Bild    der    aufzeren  Erscheinung  der  germani- 

Bchen  Frauen   entwerfen,    so   kann   ich  Tacitus  Schilderung  der 

Deutschen  iiberhaupt  benutzen.  Hohe  lo^tige  Gestalten  mit  hoch- 

blondem  Hare  und  blaulichen  Augen  treten  uns  entgegen,  Leiber 

die  yen  der  unberilrten  Kraft  des  Stammes  zeugen  und  die  frische 

Farbe  des  Wald-  und  Feldlebens  tragen;  es  waren  kernigeBlon- 

dinen,  wie  wir  sie  im  Norden  und  auf  den  Gemalden  der  Nieder- 

lander  h^ufig  sehen.'  Wie  in  jedem  Volke  zu  jeder  Zeit  die  Schonr 

heit  einzelne  Stamme  und  Gegenden  zu  Lieblingen  sich  wait,  so 

werden  auch  bei  den  Germanen  die  einen  YolkerschaAen  die .  an^ 

dern  an  leiblicher  Ausstattung  iibertroffen  haben.  Die  gothisehen 

Stamme  zeichneten  sich  namentlich  durch  hohen  Wuchs,  schones 

Gesicht  y  weifze  Haut  und  blondes  Har  aus  (Procop  -bw  yand,  1 ,  2) 


■)  Die  Thiiringer  hatten  wftrend  ihrer  Kampfe  gegen  die  Fnmken  sich 
keiner  finlichen  Mftfzignng  befleifzigt,  sondem  gegen  die  frankischen  Frauen  and 
Kinder  arge  Qransamkeiten  yerubt.  Greg.  Tnr.  III.  7. 


14» 

1 

nnd  ibre  Frauen  waren  allgemein  so  tiberraschend  8ch5n ,  da£i 
selbet  die  verwonten  Ostromer  ihr  Erstaunen  dar&ber  laut  anTzer- 
ten  (Procop  b»  goth.  3,  1).  Im  spateren  Mittelalter  waren  in 
Frankrelch  die  deutschen  Manner  und  die  flandrischen  Franen 
als  die  schonsten  ihres  Gescbleohtes  beriihmt  0*  ^  Dentschland 
aber  giengen  im  Volke  durcb  vide  Jahrhunderte  bis  in  die  Ge- 
genwart  nngereimte  und  gereimte  Spriiche,  in  denen  die  Weiber 
verschiedener  Landschaften  gepriesen  wurden  Qder  welche  sm 
den  einzelnen  Sch5nheiten  einzelner  Gaue  das  Bild  eines  yollkom- 
menen  Weibes  zusammensetzten. 

Es  mag  pedantisch  erscheinen ,  wenn  ich  nun  Mosaik  xoache 
\ind  aus  unserer  mittelalterlichen  Poesie  die  Schonheit  des  Weibes 
im  einzelnen  zu  schildem  versuche.  Indefsen  gewart  es  doch  em 
Interefse  fiir  die  historische  Aesthetik  in  die  Herzens-  und  KuiisU 
kammer  der  Dichter  des  12.  und  13,  Jahrhunderts  zu  blicken.  Sir 
Entziicken  iiber  die  weibliche  Schonheit  spricht  sich  in  folgenden 
Yersen  eines  der  lyrischen  Dichter  deutlich  aus: 

!Frea'  ein  andrer  sich  der  Sonne 
Wenn  sie  Tor  dem  Berg  anfgeht, 
Sei  es  eines  andern  Wonne 
Wenn  die  Ros*  im  Thane  steht, 
Mich  ^rfrent  allein  ein  Weib 
Sanft  von  Herzen  schon  von  Leib.    | 

(Minnesinger  von  v.  d.  Hagen  1,  34S*), 

\  Mehr  als  einer  verweilt  gem  und  l^ge  bei  dem  Preise  einer 
schonen  Frau  und  erklart  sich  unfahig  eine  seiche  SchOnheit  yoUig 
zu  schildem.  Ein  Beispiel  geware  Konrad  Fleckes  Beschreibang 
der  schdnen  Blanscheflur.  Goldglanzende  Hare ,  sagt  der  Dichter^ 
fielen  um  die  Schlafe  die  weifzer  als  Schnee  sind;  feine  gerade 
Brauen  zogen  sich  tiber  die  Augen ,  deren  Gewalt  sich  keiner  mil 
aller  Kunst  erweren  konnte ;  Wangen  und  Mund  waren  sohOn  rot 
und  weifz ,  die  Zane  ohne  Tadel  und  elf enbeinem ,  Hals  und  Na- 


')  Le  Grand  et  Roquefort  vie  priv€e  3,  405*  In  ein  paar  proyen9ali8chea 
Yersen  I  die  Kaiser  Friedrich  II.  zngeschricben  werden,  ist  der  Handfi  and  Go* 
sichter  {careu)  der  Englanderiunen  preisend  gedacht.  Saynonard  choix  5,  1&4* 


141 

cken  wie  vom  Schwan ;  die  Seiten  waren  lang  und  der  Leib  in  der 
Taille  zart  and  fein.  Alles  war  so  8ch5n  dafz  man  jeh  keinem  Ende 
des  Lobes  kame  und  lobte  man  auch  noch  so  lange  0- 

/  Wit  wenden  uns  zu  den  einzelnen  Schonbeiten.   Ein  bedeu- 
tender  Theil  derselben  war  das  lange  blonde  Har.    Wir  wifzen 
welchen  Geschmack  die  Romerinnen  daran  fanden   und  wie  das 
hochblond  unter  ihnen  Modefarbe  wurde.  Diese  Vorliebe  gieng  lA 
das  Mittelalter  iiber  und   erhielt   sich   dafzelbe  hindurch  in  den 
romanischen  Landem ,  wo  natiirlich  ^e  dunkelharigen,  Damen  zU 
allerlei  Farbemitteln   greifen  musten«     Die  germaniscben   Frauen 
hidten  was   die  Fremde  an  ihnen  schatzte   selbst  sehr  hoch  und 
dieser  Schmuck    wird  tiberall    besonders   hervorgehoben,     Helga 
Thorsteins  Tocbter  gait  f&r  das  schdnsteMadcben  auf  Island  and 
nicht  wenig  tnig  ibr  Haar  bei  das  wie  Gold  glanzte  tihd  so  lang 
war,  dafz  sie  sich  ganz  darein   htdkn    konnte.  :(Gxmnlaug8  Sw  c. 
4)*).    Wifzen    wir    doch    dafz    iuich    die    Manner,     bei    denen 
es  zugleich   das  Zeichen   der  Freiheit  war  (Rechtsalterth.   288) 
auf  das   lange   Haar   viel  hielten   und  es    sogar  noch  sorgsamer 
pflegten,    denn   die  Frauen  (Plin.  h.  n.  28,   51).     Das  riirendste 
Beispiel    gibt  eine  bekannte  Stelle  des  Jomsvikingasaga  (c.  15)* 
Als  die  kiinen  Seerauber  der  Jomsburg  endlich  tiberwunden  und 
gefangen  sind  und  in  langer  Eeihe  dasitzen,  um  einer  nach  dem 
andem   enthauptet  zu   werden,    und  der   Tod   an   den  jiingsten 
kommt,  bittet  er  man  m6ge  ihm  sein  schOnes  blondes  Haar  zuvor 
tinaufbinden  damit  es  nicht  blutig  werde.  Die  Lust  an  dieser  scho* 


»)  Flore  6873.  Wigal  867.  Engelh.  2966.  Altdeutsche  Bl&tter  I.  242. 11.  392. 
Idederbuch  der  Klara  Hatzlerin  37.*  38."  Baynouard  choix  III  202.  M€on  fabliaux 
^  contes  3,  424.  Monmerqu€  et  Michel  theatre  /rang,  58.  Vgl.  auch  Ci  sont  les  di- 
^^iions  des  soixante-douze  hiauUs  qui  sont  en  dames,  bei  M^on  rec.  de  fahL  /.  Ju- 
^^^l  Jongleurs  et  trouv^res  119.  182.  Blasons  anatomiques  des  cors  feminin.  Lyon 
*537.  Rabelais  Gargantua  (v.  Regis)  II.  203.  Fischarts  Gargantua  (1590)  141. 
^oflmannswaldaus  Abbildung  der  vollkommenen  Schonheit  (Neukirchs  Sammlung. 
Leipzig  1697.  2,  62).  Zu  erwahnen  ist  auch  Bertrands  Ton  Born  Lied:  Domna 
'***<>»»  de  mi  no  us  cal  (Rayn.  choix  3,  139)  wo  er  sich  aus  den  Reizen  der  da- 
^^h  berflbmten  Schonbeiten  das  Bild  einer  (Jeliebten  sfiisammensetzt.  *)  Vgl. 
^®  *1.  Note  der  Kopenhagener  Ausg.  der  Gunnlaugs-Ormstungu  Saga  1775, 


142 

nen  Zier  des  Mannes  und  der  Frau  hat  sich  so  lange  erhaltea 
bis  die  Kalkopfigkeit  in  jungen  Jabren  baufiger  wurde.  Da  ward, 
das  Har  erst  kiinstlicb  nacbgebildet ,  dann  entstellt,  gemifsban- 
delt  und  endlicb  ganz  abgescbnitten.  Darftber  wie  sicb  die  unver- 
beirateten  und  die  verbeirateten  Frauen  in  der  Hartracbt  unter- 
scbieden,  so  wie  Hber  den  Kopfputz  im  einzebien  wird  an  einer 
aijidej'en  Stelle  dieses  Bucbes  gebandelt  werden. 

■  Die  Gesicbtsfarbe  wurde  rot  und  weifz  gemiscbt  verlangt; 
die  Wangen  rot  wie  eine  tbauige  Rose  (Wolfr.  9,  36)  das  iibrige 
Antlitz  rotlicb  oder  weifz  (Herb.  608).  iVerirrung  war  es,  dafz 
die  Englanderinnen  des  12.  und  13.  Jabrbunderts  die  bleicbe  Farbe 
vorzogen  und  dureb  allerlei  Sebminken  zu  erreicben  sucbten  '). 
Gesiinder  war  der  Franzosinnen  Gescbmack,  welcbe  sicb  wenn 
sie  blafs  waren ,  dureb  gutes  Friibstiick  befzer  zu  farben  such- 
ten.  (Chastoiem.  d.  dam.  367 — 72).  Rot  und  durchscbeinend  wie 
eine  Bliite ,  gliibend  als  konne  Feuer  daraus  springen  (Parz. 
257,  20)  lockt  der  Mund.  Trotzig  und  sauber  scheint  er  zu  fra- 
gen:  Ja,  trutzl  werwagtzu  kiifsen  micb?  (MSH.  2,  25*);  kleio, 
festgescblofzen  und  scbwellend  verbeifzt  er  dem  entziickten  Manne 
die  siifze  Wonne  des  Kufses.  Wie  Hermelin  aus  Scbarlacb  bli- 
cken  aus  ibm  dem  siifzatmenden  die  weifzen  ebenen  Zane  ^). 
Mund  bringen  aber  zu  Mund  die  freundlicben  Blicke,  die  wie 
Sonnenscbein  aus  den  lauteren  klaren  Frauenaugen  in  das  Herz 
spielen  und  deren  Glanz  bald  dem  Glase  bald  der  Spiegeihelle 
verglicben  wird  ').  Die  Augenbrauen  liebte  man  etwas  geb(^n, 
scbarf  und  schmal  wie  einen  Pinselstricb,  bald  blond  bald  braun 
im  Abstande  zum  blonden  Hare.  (Flore  6889.  MSH.  2,  65.*  264/ 
3,  468.*)  Aucb  bierin  ist  die  engliscbe  Mode  des  12.  Jabrbunderts 
unnatiirlicb ,   welcbe   die  Brauen  moglicbst  diinn  zu  macben  und 


')  Anselmi  Cantuar.  opera  II.  B.****  p.  197.  (Lntet  1675).  Daraus  Alex. 
Neckam  (Th.  Wright  efsays  1,  193).  *)  MSH.  2,  218,'  71,'  1.  120.*  Herb.  2494. 
')  la  der  franz.  Poesie  ist  eine  Lieblingsbezeichnimg  schoner  Aagen  voir  (varius) 
les  yex  ot  plus  vairs  cruris  faucons.  £s  ist  die  unbestimmte  Farbe  der  Angen  dier 
Falken  und  anderer  Vogel,  welcbe  sich  aucb  im  Menschenauge  findet  und  in  ver- 
schiedencn  Zeiten  einen  verscbiedenen  Ton  hat. 


143 

dem  Auge   durch  Ktlmste  einen  schmachtenden  Ausdruck  zti  ge- 

ben  suchte.    — ■  Der  Zwischenraum  zwischen  den  Augen  (rmtrer 

oil  mbrueil)   muste   breit    sein  0 »   die  Nase    gerade   lang    weder 

zu  stnrnpf   noch  zu  spitz    (Engelh;  2976,  E.  d.  Rose  532 ,    812, 

1200) ;  das  Kinn  gerimdet  mit   einem .  Griibchen  weifz   wie  El- 

fenbein  Schnee  und   Schlehenbltfte  ^) ;    der    Hals   weifz  und  voll 

und  fast ;    rund  klein  und    weifz    die  Brust ,   deren  Schonheit  zu 

mehr  als    einer  Vergleichung   aufforderte  *^).  \T>iq  Gestalt  liebten 

die  Frauenkenner  dee  hofischen  Mittelalters  mafzig  grofz  schlank 

und  dodb  voll',   in  der  Mitte  des  Leibes  schmal  und  gelenk  wie 

eine  Ameise  (Parz.   806 ,   26)  *)jrdie   Hiiften   voll  und  zart ,  die 

Seine  gerade  und  rund  wie  feine?Kerze  (Engelh.  3003) ;  die  Fiifze 

Bchmal  klein  und  gewolbt,    dafz    sich  ein  Voglein  darunter  ver- 

bergen  konnte^)y]die  Arme  und  Hande  weifz  gerundet  und  fein; 

die  Finger  lang""  gerade   und    glatt.     Man  sieht,    das  Mittelalter 

verstunddie  weibliche  Schonheit  und  wenigstens  diefz  werden  seine 

erklartesten  Feinde  ihm  zugestehen.  Nicht  minder  anerkennenswert 

8ud  die  feststehenden  Bezeichnungen  schOner  Frauen,    die  sich 

in  unsrer  altesten  Poesie  finden. ,    Da  erhalten    sie  die  Beiworte 

die  stralende,  sonnenweif ze ,  schnee weifze,  die  schwanweifze ,  die 

glanzendarmige,  /von  deren  Armen  Lufl  und  Meer  wiederstralen, 

die  mit  leuchtendem  Antlitze,  die  weifzbrauige.  Wir  werden  da-» 

bei  an  Homer  und  tlberhaupt  an  jede   volksmafzige  Poesie  erin- 

nert  und  finden  noch  Nachklange  in  unseren  Yolksliedem.    Diese 


')  M€on  fabl.  4,  409.  Rom.  de  la  Rose  530.  Die  Ansichten  der  Fran- 
lonimen  uber  SchOnheit  stimmen  iiberall  zu  den  in  Deutschland  herrschen- 
den.  *)  MSH*  1,    15.*  22/  61.'  210.'  2,    23.'  Konr.  troj.  kr.   19866.  Fragm. 

43.*  M^n  fabl.  4,  410.  »)  MSH*  2,  98.'  3,  468.'  Fragm,  26.'  j.  Tit.  1297,  3. 
(alt.  Druck)  Lohengr.  79.  M^on  fabl.  4,  410.  —  Wigam.  4931.  —  M^on  fabl. 
1,  393.  —  Fragm.  43/  —  Konr.  troj.  kr.  20094.  Schmeller  bair.  Wb.  2,  243.  — 
Fischart  Garg.  (1590)  S.  142.  —  Die  Englanderinnen  des  12.  Jahrhunderts. 
lochten  den  Busen  so  klein  als  moglich  zu  machcn.  Anselm  Cantua.  a.  a.  O. 
*)  Both.  75.  Alex.  6046.  Herb.  610.  Konr.  troj.  kr.  19882.  90.  Wigam.  4905 
MSH.  1,  22.'  2,  84.'  3,  468.*  Kl.  Hatzl.  55.'  Ambras.  Liederb.  246,  1.  Simrock 
Sprichw.  6727.  —  Wolfdict.  338.  MSH.  2,  86.'  93'  Fragm.  26.'  Wigam  4908. 
Lohengrin  79.         *)  Grimm  Rechtsalterth.  83.  MSH.  2,  93'  Konr.  troj.  kr.  19894 


l4/k 

Ansdriicke  beruren   eich  mit  den  Koseworten,    welche  achOpfe- 
riscbe  Liebe  erzeugt. 

^Man  sagt  wol  die  Liebe  sei  nnter  den  Deutechen  in  ihra 
Heimat,  andere  Yolker  besafzen  eie  auch,  allein  es  sd  das  cii 
aufzeres  sinnliches  verrauschendes  Gefiihl;  nur  bei  den  Deut 
Bchen  bliihe  die  innige,  durch  Greist  OemQt  and  Leib  drin< 
gende,  zwei  Seelen  verschmelzende  ewige  Macht^  die  wir  mi 
einem  alten  schonen  Worte  Minne  heifzen.  Idi  mag  den  an- 
dem  Yolkem  kein  Unrecht  thun,  sie  waren  bemitleidenswer 
wenn  sie  nur  einen  Sinnenrausch  oder  gar  keine  AnfwaUung  dei 
Herzens  kennten;  die  allgemein  menschliche  Anlage  und  ihn 
Poeeie  spricht  iiberdiefz  dagegen«  Das  aber  ist  gewifs,  dafz  dai 
deutsche  Wesen  in  seiner  Beschaulichkeit ,  seinem  Selbatver- 
senken  und  Traumen,  seinem  Gemiitesreichtlium  und  seiner  be- 
Bcheidenen  Selbstsucht  alle  Stoffe  bietet,  um  eine  rechte  Liebe 
oder  Minne  mOglich  zu  machen.  Ein  deutsches  Madchen  mufa 
anders  lieben  als  eine  Siidfranzosin ,  ein  deutscher  Mann  anden 
als  ein  Italiener  oder  Pole.  Die  Liebe  ist  nicht  flammenheLDz  und 
sttkrmisch,  nicht  so  augenblicklich  sich  offiiend,  aber  flie  ist 
warm ,  vertrauend ,  treu  und  ideal*  Jene  mag  raffinirter  und  pi- 
kanter  sdn,  die  deutsche  ist  reizender,  sie  ist  zauberisch.  Lang- 
sam  wie  die  Muschel  erschliefzt  sich  das  Herz  der  deutachei 
Jungfrau ,  um  dem  geliebten  Manne  die  Perla  treuer  anendlid] 
liebender  Weiblichkeit  zu  zeigen.  Das  deutsche  Madch^oi .  siehl 
in  ihm  nicht  das  mannliche  Geschlecht,  nicht  den  Vergniigei 
und  Ernarer,  sondern  den  Freund  den  Vertrauten  den  ewiget 
Gefarten  in  Freud  und  Leid  diefseits  und  jenseits  des  Grabes 
Die  deutfiche  Liebe  ist  unsterblich  und  glaubt  die  Unaterblich* 
keit,  die  undeutsche  entsteht  und  vergeht  mit  der  Stunde  6ti 
Rausches  und  ihr  grant  vor  langerem  Leben  als  in  einer  Spann< 
Zeit.  Die  deutsche  Liebe  ist  firomm  und  rein  wie  Gretchen ,  die 
undeutsche  ist  wie  die  Semiramis  der  Sage. 

Das  Wort  Minne  ist  ein  Kronedelstein  unserer  Spraehe. 
Aus  einer  Wurzel  entsprofzen,  welche  geistige  Thatigkeit  be- 
zeichnety    driickt  es   das  denken  an  das  geliebte  aus:    Andenken 


t 


145 

Mtzt  68  wortlich.  Es  bezeugt  uns  hiermit  das  reine  und  geistige 

der  deutschen  Liebe,   die  vor  allem  in  der  Seele  ruht,    —   Auch 

das  Wort  Minne  hat   seine  Greschichte  gehabt  und   seine  Emie- 

drigung,  zuletzt   selnen    Tod  erlebt*    Die   geistigste  Liebe   kann 

ohne  Sinnlichkeit   nicht   bestehen,    denn   die  Liebe  ist  das  Eins 

sein  in  Allem.    So  lange   sich   die  Liebe  edel   und  iiberwiegend 

geistig  hielty  bewarte  auch  diefz  Wort  seine  edle  Bedeutung;  als 

die  Menge  aber  iiber   dem   sinnnlichen   den  Genufz   der   Seelen 

vergafz,    diungte    sich    auch   die  Bezeichnung  sinnlicher  Lust  in 

den  Begri£P  des  Wortes  und    man  verschmahte  allmalich  seinen 

Gebrauch.     In    der  Mitte   des   13.  Jahrhunderts  ist    Minne  noch 

&berwiegend   ein  geachtetes  Wort.    Reinmar   von    Zweter   sagt: 

Minne  ist    das   beste  Wort,    eine  Vergoldung  des  Unedlen,    ein 

Schatz*  Hber  aller   Tugend,    ein  Schlofz    des   Geistes  das   gute 

Werke  hiitet  und  verschliefzt.  Sie  ist  ein  Lehrer  reiner  Sitte,  ein 

Hausgenofze  der  Keuschheit  und  Treue,   das  edelste   was  in  der 

Welt  ist,  dem  nur  das  Weib  sich  vergleichen  lafzt.   Den  Thoren 

scheuet   sie,    dem   Weisen    gesellt    sie   sich,    Ehre    Treue   xind. 

Scham  starkt  die  Minne  (MSH.  2 ,    183.')*    Auch  Konrad  von 

Wiirzburg    erklart    die   Ehre    und    Treue    von    der    Minne   un- 

trennbar  und  zur  Liebe  eines  reinen  Weibes  erforderlich  (MSH. 

2,  321.^).  Die  falsche  Minne  wird  also  hier  von  der  wahren  scharf 

nnterschieden ,    allein    sehr  bald  wird  die  sinnliche  Neigung  und 

derSinnengenufz  in  dem  Worte  vorherrschend  (Minnenlehre  2301) ') 

and  die  feinere  Sprache  stofzt  es  aus. 

(Die  Zuneigung  der  Geschlechter  ward  in  derZeit  derHerr- 
schaft  des  Wortes  Minne  noch  gar  nicht  oder  nur  selten  mit  dem 
Worte  ,,Liebe*'  bezeichnet.  Man  verstund  unter  diesem  das  an- 
mntige,  wolthuende,  freundliche;  Keben  hiefz  etwas  lieb  ma- 
chen,  etwas  freundliches  erweisen,  wol  thun,  auch  lieb  sein» 
Liebe  und  lieben  drang  erst  iiber  das  hinsterbende  Minne  imd 
minnen  in  den  Vordergrund  und  in  seine  heutige  Stellung.    Fur 


')  Vgl.    abrigens    schon    Nib.    588.    601.    783.  797.    Erec     9105.    MSHag. 
I,   259/ 

10 


1^ 

das  Liebkosen    in   aJIer    seiner  Mannichfaltigkeit  ward  das  Wort::. 
triuten  verwandt  ^). 

Alle  Benennungen  der  liebenden,    alle  Schmeicbelworte  un— 
serer  hofiscfaen  Dichter  aufzuzalen,    mochte   zu   weit  furen.    Di^ 
Liebenden  (gelieben)  nannten  sichFreimd  und  Traut  (tfik);  herz 
trUtf    liebiu  triuUnne,    trUtt  herzentr^tkin  bezeiebnen  das  traulicb 
und  innige  des  Verhaltnifses,    Walther   von  der  Vogelweide  sag^ 
zu  seiner  Geliebten:   Freund  und  Geselle  die  sind  dein,    so  sei 
nun   Freundin  und  auch  Fraue  mein.     Lieb,  Herzlieb,  Herzens^ 
konigin,  Frau,  Konigin  liber  Leib  und  Gut,  sind  heute  noch  in 
dem  Liebesworterbuch  so  haufig  wie  damals.  Siifze   Kose;  Maien- 
bliite;  Lindendolde;  meines  Herzens  Klee  ^ ;  mein  Zuckerknludein ; 
mein  Gold,  mein  Hort  und  Edelstein ;  mein  Herzblatt ;  meines  Her- 
zens  Oeterspiel;    meiner  Augen  Spiegelglas,  mein  bochster  Trost 
und   Gl&ckstag ,    sind  gar   anmutige  und   schone  Liebkosnngen. 
Besonders  ansprechend  sind  die  Vergleichungen   mit   den  G«stir- 
nen :    mein  siifzester  Sonnenschein  ^) ,    mein  Morgenstemlein.    In 
diesem  Sinne  singt  Heinrich  von  Morungen : 

\  Wo  ist  nun  hin  mein  lichter  Morgenstem  ? 
Was  hilt'ts  mich  dafz  die  Sunne  stieg  hinauf? 
Sie  ist  zu  hoch  mir  und  sie  steht  zu  fern 
Und  halt  im  Mittag  langsam  ihren  Lauf. 
Wol  saeh*  ich  noch  den  liehen  Ahend  gern, 
Denn  sinkt  die  Sonne,  steigt  mein  Trost  herauf.  ''(MSH.  125.^) 

Ftlr  das  schuchtern  und  verzagt  sein,  wie  fiir  die  heftige 
leidenschaftliche  Liebe  bietet  unsere  alte  Sprache  und  Poesie  eine 
Anzafal  Ausdriicke,  die  zum  Theil  aus  der  Sage  entnommen  auch 
in  andern  Volkern  sich  finden.  Dem  Schiichternen  wird  zugeru- 
fen,  die  Frau  sei  kein  wildes  Thier;  jvon  dem,  der  an  der  Ge- 
liebten Mund  fortwarend  hangt,  wird  spottisch  gesagt,  er  afze  sie 


0  Nib.  556,  4,  609,  3.  585,  5.Erec  2937.  Wigal.  2072.  *)  MSH.  3,445.' 
J.  Grimm  Gedichte  auf  Friedrich  den  Staufer  76.  —  Wittenweilers  Ring  12,*  38* 
13,  12*  —  MSH.  2,  25.'  —    MSH.  1,  156.'  —  Parz.  710,  28.  *)  Cod.  exon. 

252,  20.  —  MSH.  3,  307.'  Grimm  Ged.  auf  Friedr.  73.  Ring  12,*  35.  In  einem 
8chwodischen  Tanzliede  (Dybek  Runa  1842.  4,  74)  heifzt  es;  und  sehe  ich 
mdne  Liebste  im  Tauze  gleich  dem  Morgenstcme  gchen. 


IW 


ftrBrot ').    Das  „vor  Liebe  frefzen"  knQpft  sich  zugleich  an  den 

alten  Abei^lauben ,     dafz   Frauen   lebenden    Mannern    das  Herz 

aii8  der  Brust  stelen  und  efzen  konnten ,    damit  diese  in  sie  ver- 

liebt  wQrden.  (Grimm  Mythol.  1034).  Erschien  doch  die  Liebe  als 

zauberhaft  und  wunderbar  in  Entstehung  und  Wirkung,   so  dafz 

emer  Zeit   die   an   Zaubereinflufz   auf   Leib   und    Gemiit  glaubte 

dieAnname  eines  Liebeszaubers  nabe  liegen  muste.    Auch  hierzu 

finden  wir  im  skandinavischen  Norden  die  Runen   verwandt.    Der 

Skald  Egil  Skalagrimsson  kommt    auf    einer  Keise  zu  dem  Bauer 

Thorfinnr  und  findet  defsen  Tocbter  Helga  krank.    Er  abnt  Zau- 

ber  and   es  findet  sich  aucb  beim  Nachsuchen  ein  Runenstab  im 

Bette  des  Msdehens.  Der  ibn  schnitt,  verstund  namlicb  dieKunst 

nicht  recht  und  statt  Liebesrunen  {manriinar)  die  er  ritzen   wolte, 

hatte  er  Siechrunen  geschnitten  (Egils  s.  c.  75.   78).     Als  Freys 

Diener  Skimir  fur    den  Gott   die  Liebeswerbung  bei    der  Riesin 

Gerdr  anbringt  und  sie  weder  Bitten   noch  Versprechungen  noch 

Drohungen  nachgeben  will,  droht  er  zuletzt  Runen  gegen  sie  zu 

ritzen.  Hierauf  gibt  Gerdr  nach  (Saem.  86').  Auch  aus  den  nor- 

dischen   Liedem   von  Siegfried    werden   uns   dergleichen  Liebes- 

mittel  bekannt.    Durch  Zaubertrunk   macht   Grimhild    (Ute)  den 

Sigurd  seiner  Liebe  und  seines  Verlobnifses  mit   Brynhild  verge- 

fzen  und  flofzt  ihm  Liebe  zu  Godrun  (Krimhild)  ein  (Saem.  177), 

In  dem   ersten  Brynhildliede   werden   uns   aufzer   andern  Runen 

SQch  hierher  gehorige  mitgetheilt.  Die  Rune  Naudh  (N6t)  auf  den 

Nagel,  Olrunen   auf  den   Rucken   der  Hand   und   auf  das  Horn 

geritzt,   worin  der  Liebestrank  (minnisveig)  geboten  wird,    waren 

gldch  der   Rune   Biarg   zu    solchem   Zwecke  wirksam.     Als  be- 

ctrnders    kraftig   gait    aber    ein  Trunk    mit  Zauberspriicfaen    und 

allerlei  Zuthat  reich  ausgestattet  ^),  Mit  solchenKunsten  versuchte 

aich  das  ganze  Mittelalter  und  die  kirchlichen  Bufzbestimmungen 


*)  Min  frouwe  bi:^et  iuwer  nikt.  Jw.  2269.  jo  enwas  ich  nikt  ein  eber  wilde, 
MSHf  1,  97.'vgl.  Haapt  Zeitschr.  2,  192.  6,  462.  ^  dtfen  fumer  hat  er  fi  gekouwen 
9»fibr  brdt  HSH.  2,  111/  vgl.  VV.  Wackernagel  bei  Haupt  6,  294.  *)  Bior 
faeri  ek  thery  brynthtngs  apaldr!  magni  blandinn  ok  megintiri;  fuUr  er  harm  Uodha 
ok  Wa^ftafa^    gddhra  galdra   ok  gamanruna,   Saem.  194.'  vgl.  Saem.  207.'  234.' 

10* 


148 

geben  auch  in  dieser  Beziehung  manchen  interersanten  Beitrag 
zur  Sittengeschichte  ^).  Ueber  diesen  Aberglauben  spricht  Bruder 
Berthold  treffende  Worte;  das  eine  Mai  sagt  er:  Pfi,  glaubst  du 
dafz  du  einemManne  sein  Herz  aus  dem  Leibe  nemen  und  ihm 
Stroh  daiiir  hineinstofzen  konnest?  und  ein  anderMal:  Es  gehen 
manche  mit  bosem  Zauber  urn,  dafz  sie  wanen  eines  Bauem 
Sohn  oder  einen  Knecht  zu  bezaubern.  O  du  rechte  ThorinI 
warum  bezauberst  du  nicht  einen  Grafen  oder  einen  Kdnig,  so 
warest  du  eine  Konigin*  (S.  58.  Kling)  ^).  Als  die  Hexenverfol- 
gungen  bltihten,  brachte  nicht  selten  vermeintlicher  Liebeszauber 
ein  Weib  auf  den  Scheiterhaufen ,  und  manches  Madchen  muste 
fur  seinen  Liebreiz  mit  dem  Tode  biifzen.  So  weit  gieng  die 
Dummheit  und  Bosheit  der  sonst  sehr  klugen  und  firommeoi  He-* 
xenrichter. 

tLafzen  wir  nun  die  Liebesbezauberung  auf  kiinBtlichem 
Wege  und  werfen  wir  einen  Blick  auf  die  Wirkungen  des  natiir- 
lichen  Liebezaubers ,  auf  die  Liebe  also  wie  sie  in  dem  Ver- 
haltnifse  zwischen  Mann  und  Frau,  oder  wenn  wir  lieber  wollen, 
zwischen  Madchen  und  Mann  sich  ausdriickt.  Das  Wesen  des 
Volkes  mufz  sich  hierin  bekunden  und  das  haben  wir  schon 
envahnt,  aber  auch  die  Stufe  seiner  Bildung,  das  Ergebnifs  seines 
geschichtlichen  Lebens,  mufz  hierin  hervortreten  und  diese  Ver- 
haltnifse  zeitlich  verschieden  erscheinen  lafzen^  Hier  werden  wir  nun 
auf  ein  zusammenschmelzen  des  deutschen  mit  dem  auslandischen,  ja 
auf  ein  verlieren  des  volksthiimlichen  in  das  welsche  stofxeDi 
so  dafz  wir  in  gewifser  Zeit  nicht  mehr  das  germanische  son- 
dem  das  allgemein  mittelalterliche  darzustellen  haben.  Der  bunte 
Tand  lockte  den  Deutschen  und  er  warf  das  heimische  Gold  weg» 


')  Vgl.  nnter  andern  Hrabani    canones.  25.  30.  *)  Eine  merkwfirdige 

lateinische  Formel  urn  das  Herz  jemandes  zur  Liebe  zu  bcwegen,  steht  in  einer 
Handschrift  des  Klosters  Mori  (Diutiska  2,  296.  Diemer  deutsche  Gedichte  XXXI.}. 
Eine  Menge  bei  Namen  genannter  magischer  Wesen  werden  bei  Oott,  Maria,  alien 
Erzengeln,  Patriarchen,  Propheten,  Aposteln,  Martjrern,  Bekennern  nnd  beiligen 
Jnngfrauen  beschworen   „t<f  feriatis   et   incendicUis   cor  et    mentem  N.  in 


TMum.** 


149 

urn  sich  mit  Mefsingschellen  zu  behangen.  Der  hofische  Frauen- 

dienst  oder  der  MinDedienst   hat  indefsen  auf  das  deutsche  We- 

Ben  auch  gunstig  gewirkt,  ja  in  manchem  die  Entwickelung  edler 

Anlagen   gefordert.    Er  war   eine  Notwendigkeit   der  ganzen  Zeit 

und  fiir    unedle  Naturen   ein  Zwang  wenigstens  aufzerlich  gegen 

die  Frauen   Rohheiten   zu  vermeiden.    Freilich   brachte   er  auch 

manche  Siinde  in  die  Welt,  denn  die  urspriingliche Feinheit  und 

die  edle    Richtung  diente  bald   zur   Hiille    der    ausgesuchtesten 

Sinnlichkeit ;     die    gar    zu    kiinstliche    Spitze    brach    rasch    ab 

und  stiirzte  mit  alien  die  sich  daran  hielten   in  den  Sumpf.     Die 

Folge  war  ein  bedeutender  Riickschritt  hinter  den  urspriinglichen 

Sfandpunkt,  wie  die  Geschichte  iiberhaupt  keine  statig  fortschrei- 

tende  Bewegung  zeigt,  sondem  sich  in  Spriingen  bewegt  so  dafz 

nach  gethanenem  Sprunge  zum  Anlaufe  far  den  neuen  erst  einige 

Schritte  riickwarts  geschehen  m&fzen. 

Die  Hochstellung  der  Frauen  unter  den  Germanen,  die  wir 
tier  und  da  zu  bemerken  Gelegenheit  batten,  war  eine  mehr  re- 
li^ose  als  weltliche,  mehr  eine  pafsive  als  aktive.  Man  betrach- 
tete  das  Weib  als  ein  kSrperlich  schwaches  geistig  starkes  We- 
sen,  das  Anspruch  auf  Schutz  und  Schonung  auf  Ehrerbietung 
und  Heilighaltung  hatte.  Wir  wiirden  sehr  irren,  wenn  wir  die 
Frauen  im  Vordergrunde  des  Vdlkes  und  als  die  Mittelpunkte 
der  Gesellschafl  und  des  geistigen  Lebens  ansetzen  wolten^  Die 
altgermanische  Frauenverehrung  ist  durchaus  nicht  zu  moderni- 
siren;  das  Weib  war  Weib,  zu  deutsch  ein  Wesen  hinter  dem 
Manne ,  und  Frauen  wie  jene  Veleda ,  die  wir  in  hervorragender 
Stellung  sehen,  stunden  nicht  mehr  auf  weiblichem  sondern  auf 
dbermenschlichem  Boden.  Rechtlich  war  die  Lage  der  Frau  volHg 
nntergeordnet  und  lafzt  sich  durchaus  mit  der  desKindes  im  va- 
terlichenHause  vergleichen.  Und  dennoch  stund  die  deutsche  Frau 
hoch  fiber  der  griechischen  romischen  oder  romanischen.  Der 
keusche  Sinn  des  Volkes  war  die  Grundrechturkunde  des  Weibes, 
weibliche  Zucht  und  Ehre  gait  dem  Leben  gleich ;  wo  aber  solche 
Ansicht  herrscht,  da  fallt  dem  Weibe  ein  befzeres  Lofz,  als  dort 
wo  es  zwar  biirgerlich  selbststandig  aber  einzig  und  allein  ein  Mittel 


160 

f 

einnlicher  Lust  ist.  \  Rauh  kann   es  behandelt  werden  aber  iiicht 
roh ,  es  kann  korperliche  Misfaandlungen  erfaren  aber  keine  sitt- 
lichen*    Ein  leuchtendes  Beispiel  ist  die  gefangene  Konigstochter 
Gudrun,  die  Hartmut  von  Normannenland  demVater  ranbte.  Sie 
ist  viele  Jahre   unter  den   Feinden   gefangen ,   Hartmut  liebt  sie  . 
mit   aller  Macht,    aber  seine  Bitten   so  wenig  wie  seiner  Mutter  ■ 
Mishandlungen  vermogen  sie  die  Einwilligung  zurEhe  zu  geben, 
und  Hartmut   denkt  tuchtig   genug  um   nicht  mit  Gewalt  zu  er- 
zwingen,  was  ihm  versagt  wird.  Das  ist  germanische  ArtO»"\ 

Was  wir  Liebesverhaltnifse  nennen,  setzt  eine  Ausbildong 
des  gesellschaftlichen  Lebens  voraus  die  wir  in  unseren  altesten 
historisch  erkennbaren  Zeiten  nicht  annemen  dfirfen.  Ich  will  dem 
folgenden  Kapitel  nicht  vorgreifen  wo  ich  von  der  Verlobung 
handeln  werde,  allein  das  mufz  hier  bemerkt  werden  dafz  die 
Hand  der  Frau  vom  Vater  Bruder  oder  dem  sonst  nachsten  Vtf- 
wandten  vergeben  wurde  und  dafz  dem  Madchen  in  friiheBter 
Zeit  kein  Einspruchsrecht  zustund.  Wer  sich  um  ein  MadclieD 
bewarb,  hatte  also  nicht  zuerst  bei  demHerzen  defselben  ansu- 
klopfen ,  sondern  in  feierlicher  gemefzener  Weise  gieng  er  den 
gesetzlichen  Verlober  um  die  Abtretung  des  Familiengliedes  in* 
Es  herrschte  also  ein  Verfaren ,  das  mancher  Vater  noch  heute 
far  das  allein  rechtmafzige  und  gehorige  halt. 

'  Lacherlich  ware  die  Behauptung ,  dafz  damals  alle  Eh^ 
ohneLiebe  geschlofzen  worden  seien;  diese  uralte  zeugende  Wei*" 
kraft  war  auch  in  der  altesten  Zeit  in  den  germanischen  Jiin^' 
lings-  und  Madchenherzen  heimisch,  nur  in  ihrem  VerhaltniT^ 
2ur  Ehe  mag  einige  Verschiedenheit  mit  der  spateren  Zeit  g^" 
herrscht  haben.  Der  Mann  fiilte  sich  damals  in  seiner  voU^?^ 
Macht;  es  war  die  Zeit  wo  das  Schwert  und  die  Leibeskraft  g'^ 
bot,  die  Zeit  wo  sich  jeder  freie  Mann  ein  Pair  dunken  mua*^^ 
denn  er  stund  allein  unter  dem  Gesammtwillen  gleichfreier.  L-^ 
konnte   die  ITnterwurfigkeit  gegen   ein  Madchen ,    das  Auiopfer"^ 


*)  Man  darf  jcdoch  nicht  vcrgefzcn  dafz  auch  bei  den  Germanen  eine  8^** 
tiefe  Luge  der  Wciber  dieser  befzercn  vorangegangen  war  und  ihr  Ged&chtiB-** 
in  cinzelnen  Bechten  dee  Mannes  noch  sehr  lange  fortlebte. 


ISl 

dee  Manneswillen ,  am  wenigsten  das  Girren  und  Schmachten  in 
kein  Mannerherz  kommen;  dieLiebe  entsprang  in  demBusen  des 
Weibes  imd  der  Mann  nam  sie  hin  als  eine  Anerkennung  seiner 
Tu^d^git  die  er  fordem  konnte  und  die  er  mit  ehrlicher  Zu- 
neigung  zu  belonen  hofte.  Ein  solches  Verhaltnifs  tragt  eine  sitt- 
liche  Strenge  in  sich ,  die  mancfaen  neueren  Biindnifsen  zu  wiin* 
schen  ware ;  die  Achtung  und  Liebe  des  Weibes  auf  der  einen 
Seite,  der  Wille  des  Mannes  zu  strenger  Pflichterfullung  auf  der 
andem ,  verheifzen  die  Bliite  des  Gliickes.  Auch  damals  wird 
manche  Efae  geschlofzen  worden  sein  deren  Gatten  sich  nie  ge« 
liebt  und  nie  geachtet  baben,  ganz  wie  bei  uns  modernen  Ger- 
manen ;  indefsen  die  strafFe  Haltung  des  Verhaltnifses  und  die 
Einfachheit  des  Lebens  unterdriickten  von  Anfang  an  die  meisten 
Leiden  der  heutigen  Ehen. 

Wenn  nach  Zeugnifsen  for  das  eben  gesagte  gefragt  wird, 
so  sind  sie  theils  in  der  Natur  der  damaligen  Verhaltnifse  zu 
finden,  theils  in  derPoesie  des  ganzen  vorderen  Mittela Iters  nach- 
zuweisen.  Unter  den  altnordischen  Gedichten,  die  in  demLieder- 
buche  der  Edda  enthalten  sind,  zeichnen  sich  die  Helgilieder 
durch  Alter  Einfachheit  und  poetische  Kraft  aus.  Namentlich  ra- 
gen  aber  die  zwei  Lieder  von  Helgi  dem  Sohne  Siegmunds 
dem  Stiefbruder  Siegfrieds  hervor '),  die  uns  schone  Zeugnifse 
auch  for  die  Liebe  bieten. 

Helgi  ist  ein  echter  Walsung.  Den  Freunden  eine  Wonne 
schiefzt  der  Knabe  wie  eine  Ulme  auf;  er  spart  das  Gold  nicht 
wo  es  den  Gefarten ,  das  Schwert  nicht  wo  es  deii  Feinden  gilt; 
und  als  er  funfzehn  Jahre  alt  ist,  da  racht  er  seinen  VaterSieg- 
mund  an  dem  Konig  Hunding  der  ihm  Leben  und  Land  nam. 
Handings  Sohne  erbieten  sich  erschreckt  zurBufze  fiir  Siegmund, 
obschon  sie  den  eigenen  Vater  mit  Blut  zu  siinen  batten;  allein 
der  Jiingling  weist  das  Gold  zuriick,  er  freut  sich  auf  Odhins 
Grrimm  und   der  Geere   Un  wetter,    Gierig  heulen  die  Wolfe  des 


*)  Saemnndar  Edda  ex  rccens.  Rask.  pp.  149 — 169.  Die  Edda  iibersetzt  von 
Karl  Simrock  1851.  Ss.  128—145. 


162 

Schlachtengottes  um  dasWalfeld;  eine  reiche  Leichensat  wird  ge* 
saet  und  der  junge  Held  erschlagt  das  ganze  Geschlecht  der  Feinde. 
Da  blitzt  es  tiber  den  Bergen  und  unter  Helm  und  in  bludger 
Briinne,  Stralen  um  die  Gere,  reiten  Schlacfatjungfrauen  am  Him- 
melsfelde  hinauf.  Helgi  rufl  sie  an  und  ladet  sie  ein  mit  ibm  heim 
zu  reiten  und  des  Gelages  in  der  Halle  zu  geniefzen;  aber  vom 
Eofse  herab  entgegnet  Sigrun  Hagens  Tochter :  ,,Anderes  als  ze- 
chen  liegt  una  am  Herzen.  Einem  ungeliebten  Manne ,  dem  grim- 
men  Hodbroddr  bin  ich  vom  Vater  verlobt  und  in  wenig  Nachten 
flirt  er  mich  heim ,  wenn  du  mich  nicht  rettest  und  den  Konig  auf 
das  Walfeld  ladest."  Schmeichelnd  schlingt  sie  den  Arm  um  den 
geliebten  und  des  Jiinglings  Herz  neigt  sich  zu  dem  Weibe.  — 
Helgi  hat  den  Hodbroddr  zur  Schlacht  gefordert  und  beide  segehi 
mit  ihren  Scharen  zu  dem  bestimmten  Walplatz.  Die  Schiffe  ran- 
schen  durch  das  Mer  und  der  Sturm  kommt  und  die  Wogen  wer- 
fen  sich  Helgis  Kielen  trotzig  entgegen.  Die  Felsen  mOchten  in 
derwiitendenFlut  zerbrechen,  aber  Sigrun  schiitzt  den  geliebten  and 
rettet  ihn  aus  der  Merfrauen  rauberischen  Armen.  Eine  unzalbare 
Menge  von  Schiffen  und  Volkern  hat  Hodbroddr  gesaramelt;  auch 
SigruDS  Vater  und  Brfider  stehen  bei  ihm ,  denn  sie  zumen  dem 
kecken  Brautrauber.  Die  Erde  bebt  da  die  falen  Gere  zusammen- 
faren,  aber  Helgi  ist  unerschrocken  voran  im  Gewiil  und  die 
Schlachtjungfrauen  beschirmenihn.  Die  Feinde  fallen  und  Babe  und 
Wolf  halten  ein  reiches  MaL  Als  nun  der  Kampf  schweigi,  wan- 
delt  Sigrun  Hber  das  Schlachtfeld ;  in  den  Jubel  iiber  des  Geliebten 
Sieg  mischt  sich  aber  bittere  Klage  um  den  gefallenen  Vater  und 
die  Briider,  deren  einer  nur  vor  Helgis  Schwerte  Gnade  fand* 
Niemand  ist  nun  der  das  Par  zu  trennen  wagte, 

Aber  das  Gliick  ihrer  Liebe  wart  nicht  lange  denn  ea  gieng 
aus  Blut  hervor.  Dag ,  Sigruns  Bruder ,  hat  dem  Schwager  zwar 
Friede  geschworen,  aber  machtiger  denn  der  Eid  ist  die  Blut- 
rache.  Odhin  selbst  reizt  ihn  zur  That,  leiht  ihm  den  eigenen 
Ger  und  Helgi  fallt  durch  die  Waffe,  gegen  die  nichts  schiitzt 
Als  sein  eigener  Anklager  tritt  darauf  Dag  vor  die  Schwester: 
er  habe  den  besten  Fiirsten  der  Welt  erschlagen.  Umsonst  bietet 


153 

\ 

erdasreichsteWergeld,  yergebens  walzt  er  die  Schuld  auf  Odhm  ; 
Sigrun  verflucht  den  Bruder:  em  Wolf  soil  er  sein  draufzen 
im  Walde,  alle  Freude  soil  ihn  fliehen,  das  Kofs  das  Schiff 
wurzele  unter  ihm  und  safze  ihm  der  Feind  im  Nacken. 

Ueber  Helgis  Leiche  wird  der  Totenhiigel  aufgeworfen.  Am 

Abend    geht  eine  Magd  zum    Grabe    und   siehe   da   kommt   der 

tote  Herr   geritten  mit   grofzem  Gefolge   und  heifzt  die  Dienerin 

der  Frau  sagen ,   er  sei  gekommen  und  bitte  sie  die  Wunde  ihm 

KU  stillen*   Da  steigt  Sigrun  hinunter  in  den  Hiigel  zum  Gemahl 

und  ehe   er   die    blutige  Briinne   abstreifen  konnte,  umhalst  und 

kiifzt   sie    ihn    und   klagt   wie  kalt  seine  Hande  und  wie  benetzt 

TonSchlachtenthau  er  sei,  Und  Helgi  entgegnet:  „Du  allein  hast 

Schuld  daran;  denn  jede  Thrane  die  du  weinst ,  tallt'als  bitterer 

Blntstropfen  auf  meine  Brust  kalt  und  schneidend.  Aber  wolauf  1 

lafst  uns  den  kostlichen  Met  trinken,  keiner  klage  Hber  die  Wunde 

»uf  meiner  Brust,  die  Gattin   ist  doch  bei  mir  dem  toten,"  Und 

Sigrun  bereitet  das  Lager   das   heitere,    an  seiner  Brust  will  sie 

achliunmem  wie  sie    that  als  er   noch  lebte,  und  Helgi  ergriffen 

▼on   solcher  Liebe    die  auch  den    Tod   nicht   scheut,    ruft   aus: 

yyG^schehen  ist  was  niemand  wante:    weder    spat    noch  friih    die 

weifze  Hagenstochter  die  lebendige   schlaft    dem   toten  im  Arm." 

So  schlunmiem   sie  bis  zum  Morgengrauen ;    da  mufz  Helgi  auf, 

denn  ehe  der  Hahn  kraht,    soil  er  uber  den  rotlichen  Wegen  im 

Westen  sein.  Sie  scheiden ;  Helgi  reitet  nach  Walhalla,  Sigrun  geht 

zum  einsamen  Gemache.  Am  Abend  harrt  sie  auf  die  Wiederkunft 

des  Geliebten,  aber  sie  hart  vergebens;  und  nicht  lange  sitzt  sie 

sehnend  und  verlafzen  am  Totenhtigel,  denn  ihr  Herz  bricht  an  der 

Trennung  von  dem  Geliebten.    Die  Sage  aber  erweckte  das  Par  von 

den  Toten  und  Sigrun  lebte  als  Kara,  Helgi  als  Helgi  Haddings- 

schade   zu  neuer  Liebe  auf.    Im  Liede  aber  leben  sie  ewig  ^). 

Ich  wiiste  kaum  eine  ergreifendere  Verherrlichung  der  Frauen- 
Kebe  aufzuweisen  als  diese  Helgilieder  und  doch  ist  die  Liebe 
die  sie  schildem    anders  in   ihrer  Entstehung,    als   die  heutigen 

')  An  die  Verwandtschaft  der  Lenore  von  B&rger  mit  dieser  Sage  hat  schon 
W.  Wackemagel  erinnert  Haupt  and  Hofhnann  Altdeatsche  Blatter  1,  177. 


Liebesgeschichten  und  unser  Geful  woUen.  Die  Neigung  entspringt 
in  dem  Madchen  und  dieses  gesteht  sie  dem  Manne,  defsen  Treff- 
lichkeit  sie  unbewust  erzeugte.  Es  ordnet  sick  von  An£ang  an 
unter,  es  sieht  wie  eine  Magd  zu  dem  Gebieter  auf  und  doch  ist 
das  Verhaltnifs  so  zart  so  innig  so  poetisch  wie  es  nur  dai] 
beste  sein  kann  das  sich  nach  moderner  Weise  entspinnt.  Das 
Madchen  ist  rein  und  der  Mann  ist  edel;  da  ist  es  gleich  wer  den 
ersten  Schritt  thut;  dasZiel  ist  gewifs,  es  ist  die  dauemdste  Liebe* 

Auch  das  Gedicht  von  Walther  von  Aquitanien.  kann  ioh 
zum  Zeugnifs  auffordern,  dafz  die  Liebesverhaltnifse  in  den  fr&- 
heren  Jahrhunderten  anders  waren  als  in  der  hofischen  Zeit  ^, 

Der  Hunenkonig  Atila  hat  von  den  Franken,  Burgundem 
und  Aquitanern  Geiseln  genommen;  aus  Burgund  die  Konigs- 
tochter  fiUldgund,  aus  Aquitanien  den  Konigssohn  Walther,  hub 
Franken  Hagen  von  Troja.  Durch  Aiunut  der  Sitten  und  kunst- 
reiche  Arbeit  wird  Hildgund  der  Gemahlin  Atilas,  Ospirin,  bald 
lieb  und  sie  macht  sie  zur  Aufseherin  des  Schatzes.  Hagen  und 
Walther  iiberragen  die  Hunen  rasch  an  Tapferkeit  und  Starke, 
und  der  Konig  stellt  sie  an  die  Spitze  des  Heeres.  Ak  Hagen 
aber  von  seines  Konigs  Gibich  Tode  hOrt,  entflieht  er,  denn  er 
meint  sich  jetzt  nicht  mehr  zur  Geisel  verpflichtet;  Walther  aber 
den  Atila  fester  an  sich  ketten  will,  weist  unter  scheinbar  trifti- 
gem  Vorwande  den  Vorschlag  einer  Vermahlung  mit  einem  huni- 
schen  Madchen  zuriick.  In  einem  folgenden  Kriege  zeichnet  or 
sich  abermals  aus  und  mit  Kuhm  geschmuckt  kehrt  er  an  den 
Hof  zuriick.  Da  tritt  er  miide  und  durstig  in  ein  Gemach  des 
Paliastes  und  findet  hier  Hildgund  allein.  £r  umarmt  und  kiifst 
sie  und  bittet  um  eineu  Labetrunk  und  warend  er  trinkt^  halt 
er  ihre  Hand  fest.  Freundlich  spricht  er  dann  weiter  zu  ihr  und 
erinnert  sie  dafz  sie  als  Kinder  von  den  Eltem  sich  verlobt  wor- 
den  seien ;  was  wolten  sie  davon  unter  einander  schweigen  ?  I£ld- 
gund  nimmt  die  Rede  fur  Spott  und  nach  einiger  Stille  erwideri 


^)  Waltharius    nianu    fortis,  hcrausgcgcbcn   tod   J.   Grimm    in  soinon  und 
Schmellers  latcin.  Gedichten  des  10.  and  11.  Jahrhnnderts*  S  S.  1     126. 


155 

8ie:  „Wa8  lafzt  du  die  Zunge  reden,  was  das  Herz  verschmaht? 
ein  Madchen  wie  mich  kannst  du  nicht  zor  Braut  haben  woUen/' 
£r  aber  iiberzeugt  sie  dafz  er  aus  dem  Herzen  spreohey  er  redet 
Yon  gemeinsamer  Flucht,   theilt  ihr  den  Plan  mit  den   er  langst 
verfafzt   und   dem&tig  erklart  Hildgund,    sie  folge  wohin   er   sie 
fBure.  —  Die  Siegesfeier  wird  zur  Flucht  benutzt ;    als  die  Hunen 
alle  trunken  sind,    brechen  Walther  und  Hildgund  mit  Kostbar- 
keiten  des  koniglichen  Schatzes  reich  beladen  auf.  Am  Tage  ver- 
bei^en  sie  sich  im  Dickigt,   in   der  Nacht  fluchten  sie  auf  unge- 
banten    Pfaden    weiter.    So  erreichen   sie  den  Rhein,   setzen   bei 
Worms  iiber  und  suchen  sich  im  Wasgenwalde  eine  sichere  Statte, 
um   die  erste  Nachtruhe   seit  dem  Aufbruche  aus  Hunenland  zu 
halten.    Walther  vertraut  sich  Hildgunds  Wachsamkeit  und  bei 
ihren    Liedem   schlummert  er  ein.     Allein    er  soil   keiner  langen 
Ruhe  geniefzen.     Ganther,   der  Frankenkonig,   hat  von  Walthers 
Ueberfart    bei  Worms   gehort;    er    ist   nach  den  Schatzen  begie- 
rig  welche  der  Westgothe  mit  sich  fQrt  und  hat  sich  aufgemacht 
mit  Hagen  und  manchem   andern,    den   Fluchtling   aufzusuchen. 
Sie  nahen  im  Walde   der  Ruhestatte    des  Pares;    Hildgund  ge- 
wart  die  gewafineten    die   sie   fiir   Hunen  halt,    weckt  Walthem 
und  fleht  ihn  an  sie  zu  toten ,    auf  dafz  keiner  sie   beriire   nach- 
dem   sie   nicht  die  seine  werden  soUe.    Walther  aber  erkennt  die 
Franken  und  auch  Hagen,    greift  aber  doch  zu  den  WafFen  und 
es  thut  Not,  denn  Giinther  trotz  Hagens  Abmanung  verlangt  die 
Schatze  heraus  und  Walther  vertheidigt  sie.     Einer  der  Franken 
nach  dem  andem  tritt  hervor  und   einer   nach   dem   andem  fallt 
vor  d«ii  gewaltigen  Walther;  der  Kampf  ruht  nicht  eher  als  Ha- 
gen Giinther  und  Walther  schwer  verwundet  sind  und  die  kecke 
Eanjpfeslust   gebiifzt  ist.     Die  sich  vorher  das  Leben  bedrohten, 
eitzen  nan  friedlich  beisammen ;  Hildgund  verbindet  die  Wunden, 
mischt  den  Wein,   und  Scherze  und  freundliche  Rede   gehen   im 
Kreise    herum.    Dann   keren    die   beiden  Franken    nach   Worms 
heim  und  Walther  zieht  mit  Hildgund    weiter  gegen  Aquitanien, 
wo  sie  von  den  Eltem  frOlich   empfangen  das  Fest  der  Vermah- 
long  b<^ehen. 


ISO 

Wir  sehen  in  diesem  Gedichte  allerdings  die  LiebeserUa- 
rung  von  dem  Manne  geben  y  allein  das  behauptete  Verhaltnifs 
wird  dadurcb  nicht  geandert.  Hildgund,  die  burgundische  K5- 
nigstochter,  nimmt  das  Gestandnifs  des  ibr  ebenbiirtigen,  ebenso 
Mae  sie  gefangenen  Westgothen  nicht  wie  ein  Madcben  der  hofi- 
schen  Zeit  oder  unserer  Tage  auf,  wie  eine  sehr  erklarliehe  Hul- 
digung  ihrer  Reize;  sondern  sie  erblickt  in  Walther  den  vielver- 
dienten  hochgefeierten  Mann ,  fiir  den  wol  sie  Liebe  und  Ver- 
ehrung  aufzern  konne,  defsen  Liebe  zu  ibr  dem  einfachen  Mad- 
cben aber  wie  Spott  erscheint.  Als  sie  der  Wahrheit  gewifs  ist, 
zeigt  sie  sich  fortwarend  demiitig  und  seinem  WiUen  zu  folgen 
bemiiht;  sie  freut  sicb  dafz  ihre  Liebe  dem  Manne  etwas  ist,  aber 
sie  spielt  mit  dieser  Liebe  nicht,  denn  sie  ist  ibr  zu  hoch  und 
heilig.  Schon  ist  das  Bild  im  Wasgenwald,  wie  sie  selbst  mfide 
liber  den  ermatteten  Walther  wacht  und  den  Tod  von  ihm  be- 
gert,  als  sie  seinen  Tod  und  ihre  Schmach  vor  Augen  sieht 
Rein,  jungfraulich  zieht  sie  mit  dem  Brautigam  in  seine  Heimat 
ein  imd  ein  langes  gltickliches  Leben  belont  sie. 

Fflrwahr  vor  einem  Volke,  wo  solche  Madchen  und  Manner 
waren,  mufz  man  Hochachtung  haben.  Das  sind  kemige  tuchtige 
Zeiten  und  Menscheu,  deren  Anblick  Wehmut  in  uns  wach  rufen 
mochte.  Tausende  unserer  Madchen  konnten  von  dieser  Konigs- 
tochter  Hildgund  lemen,  was  es  heifzt  einen  wackem  Mann  lie- 
ben  und  besitzen,  Es  mag  ihnen  die  Ahnung  kommen,  dafz  aller 
eitler  Tand  ihres  Leibes  und  Geistes  gegen  diese  innere  Tiich- 
tigkeit  verfliegt  und  dafz  sie  mit  ihrer  Art  Liebe  armselige  Siin- 
derinnen  sind*  Ein  schlechter  Trost  kann  ihnen  sein,  dafz  die 
beutigen  Manner  znm  grosten  Theile  einer  Hlldgundliebe  nicbt 
wert  sind. 

Es  liefzen  sich  noch  mehr  Belege  fur  diese  Weise  der  Liebe 
aus  der  gesammten  vorhofischen  Poesie  des  Mittelalters  anfiiren, 
indefsen  mag  es  an  Sigrun  und  Hildgund  genug  sein.  Das  ge- 
sammte  Leben  dieser  Zeit  unterscbeidet  sich  von  dem  der  nach- 
folgenden  Jahrhunderte  vollstandig ;  die  Verhaltnifse  sind  alle  sehr 
einfach  und  ohne  Schmuck,  das  Kriegerwesen  ist  ohne  jene  ideale 


157 

und  fast  phantastische  Ausstattung  des  Ritterthums,  die  Manner 
sind  herb  ohne  Glanz,  die  Frauen  voll  demiitiger  Liebe  treu 
nnd  keusch.  Es  geht  kein  poetischer  Schwung  durch  die  Lebens- 
verhaltnifse,  sie  sind  btirgerlich  tiichtig.  Wie  angedeutet,  so  ver- 
anlafzten  nicht  blofz  germanische  Denkmale  zu  diesen  Bemerkun- 
gen  sondem  auch  romaniscbey  indem  das  Leben  in  den  welschen 
Landem  vielfachen  Einflufz  durch  das  deutsche  erfaren  hatte,.- 
Wir  findBn  jedoch  hier  auch  Auswiichse.  Zwar  bieten  die  alteren 
italienischen  Gedichte  des  kerlingischen  Kreises  nichts  dergleichen  y, 
allein  in  den  altfranzosischen  Eomanen  gewaren  wir  leider  die 
Friichte,  welche  eine  solche  eigenthiimliche  Auffafzung  der  Liebe, 
dieses  Werben  des  Weibes  um  den  Mann,  dort  tragen  muste 
wo  die  Sittlichkeit  fehlte.  Wie  weit  sind  nicht  jene  kristlichen 
und  sarazenischen  Fiirstentochter,  die  fiir  den  ersten  den  liebsten 
Landstreicher  in  Leidenschaft  geraten  und  sich  ihm  sogleich  auf 
das  schamloseste  anbieten*),  von  unsern  Hildgunden  und  Sigrunen 
unterschieden.  Sie  gehSren  durchaus  mit  den  Jammergestalten  der 
bretonischen  Eitter  in  eine  Eeihe  und  haben  auch  in  den  breto- 
nischen  Weibem  Seitenstiicke,  welche  ihnen  den  Preis  in  der  Un- 
weiblichkeit  streitig  machen.  Ich  erinnere  nur  an  den  Roman  von 
Lanzelot,  wie  er  durch  Ulrich  von  Zezikhofen  in  die  deutsche 
Poesie  verpflanzt  ist  Wen  widert  nicht  die  Tochter  des  Galagan- 
dreifz  an,  die  ein  vollkommenes  Muster  aller  dieser  bretonischen 
und  franzosischen  freien  Weiber  ist  und  an  der  sich  die  modemen 
emandpirten  Dirnen  erlaben  mufzen.  Drei  Gasten,  die  auf  des 
Vaters  Burg  einkerten,  bietet  sie  sich  einem  nach  dem  andem  an. 
Die  ersten  beiden  weisen  sie  ab,  der  junge  Lanzelet  nimmt  sie 
an.  Am  Morgen  fordert  ihn  ihr  Vater  zum  Kampf ,  Lanzelet 
erlegt  den  Gtdagandreifz  und  die  liebende  Tochter  freut  sich  ihrem 
Geltlste  nunmehr  frei  folgen  zu  konnen«  Sie  trftgt  sogleich  dem 
Bulen  Hand  und  Land  an. 


.    .  V 


*)  L.  Banke  zur  Geschichte  der  italienischen  Poesie.  S.  18.  ^)  Fauriel 

histoire  de  la  poesie  proven^ale  2,  272.  ff.  Vgl.   auch  Diez   Altspanische   Roman-* 
ten  8.  108. 


158 

Die  Abspiegelung  solcher  Gestalten  m  der  Poeaid  einee  Vol- 
kes  setzt  einen  bedauernswerten  Verfall  der  Sittlichkeit  voraus  and 
ein  Verhaltnifs  zwischen  Mann  und  Weib,  das  man  nicht  Liebe 
nennen  darf.  Leider  scheinen  im  romanischen  und  bretonischen 
Europa  die  Zustande  uberall  so  gesunken  gewesen  zu  sein,  und 
nur  vor  dem  gennanischen  Geiste  wichen  sie  scheu  zurQck.  Dag 
Weib  ward  in  unserm  Volke  wol  mit  eisemer  Faust  angepackt, 
aJlein  seine  Ehre  gait  holier  als  Gold  und  wie  ein  Wetterstral 
fur  da«  germanische  Racherschwert  in  den  Unzuchtssumpf ,  wel- 
cher  die  romischen  Provinzen  uberflutete.  Wiederholt  hebe  ich 
indefsen  hervor,  dafz  das  Leben  der  germanischen  Frauen  im 
Uebrigen  nicht  sehr  zart  behandelt  wurdc.  Der  Vater  hatte  fiber 
dieTochter,  der  Ehemann  iiber  die  Frau  eine  unbesohrankte  jQe- 
walt;  und  nun  denke  man  sich  jene  germanischen  Manner,  die 
zwar  einen  tuchtigen  Kern  in  der  Brust  trugen,  aber  eine  sehr 
rauhe  Schale  darum  hatten.  Jahzornig,  zum  Trunke  geneigt,  das 
eigene  Leben  wie  das  anderer  gering  anschlagend,  an  Schlacht 
und  Gefar  gewont,  den  Ausdruck  eines  weichen  Gefules  ver- 
schmahendy  wie  konnten  solche  Manner  den  Tochtem  Frauen, 
Schwestern  mit  jener  unterwiirfigen  Siifzigkeit  begegnen ,  welche 
meistens  unter  der  germanischen  Frauenverehrung  verstanden  wird? 
Handelte  das  Weib  nicht  nach  seines  Schiitzers  Sinne,  so  ward 
es  geziichtigt  und  der  Grad  der  Ziichtigung  wurde  nicht  immer 
abgemefzen.  Als  der  alte  Normannenffirst  Ludewig  sich  nach  dem 
Raubzuge  in  Hegelingenland  seiner  Burg  nahert,  zeigt  er  der  ent- 
furten  Gudrun  das  Land  und  spricht:  Alles  sei  Euer,  wollt  Ihr 
Hartmut  lieben«  Und  da  sie  unwiUig  das  zuriickweist,  falzt  er 
sie  am  Hare  und  wirft  sie  fiber  Bord  ins  Meer,  dafz  sie  Hart- 
mut nur  mit  Mfihe  retten  kann.  Der  Mann  konnte  seine  Frau 
ungebiifzt  tot  schlagen,  sobald  er  einen  giltigen  Grund  aufzawdsen 
vermochte,  er  konnte  sie  verschenken  und  vererben.  Die  Auffor- 
derung  Siegfrieds  die  er  nach  unserm  Gedichte  von  den  Nibelun- 
gen  in  Folge  des  Streites  ihrer  Weiber  an  Gunther  richtet,  strenge 
Zucht  zu  handhaben,  ist  ganz  ernst  zu  nemen.  Die  ungeschmink- 


150 

ten  und  ungegrdtteten  Formen  des  gesammten  Lebens  muBten  sich 
im  hauslichen  Verkere  scharf  auspragen. 

Mit  den  Zustanden  der  ganzen  Gesellschaft  und  vor  allem 
mit  dem  Leben  zwischen  Mann  und  Weib  gieng  indefsen  seit  dem 
tl.  Jahrhundert  m  dem  Abendlande  eine  bedeutende  Veranderung 
vor.  Statt  rauher  Kriegsleute  treten  una  geglattete  Ritter  entgegen, 
die  sich  in  festen  feinen  Formen  bewegen;  statt  dafz  die  Weiber 
bescheiden  zuriickstehen ,  bewegen  sie  sich  im  Mlttelpunkte  des 
Lebens  und  gebieten  stolz  iiber  die  Manner,  welche  sich  um  ihre 
Liebe  verzeren.  Alles  ist  anders  gewor den :  die  nuchteme  Strenge 
ist  poetischer  Leichtfertigkeit  gewichen,  der  Herbsttag  ist  mit 
einem  milden  Sommerabend  vertauscht  der  vol!  Duft  Glanz  und 
Gesang  schwimmt,  an  dem  die  Seele  in  siifzen  Traumen  vergeht 
und  das  junge  Herz  leicht  wie  eine  Lerche  zum  Himmel  des  Ge- 
nufzes  fliegt. 

Der    TJmschwung    in   den   die  Kreuzziige    ihre  Zeit  schleu- 

derten  ist  nicht  bedeutend  genug  zu  veranschlagen.  Es  kam  eine 

80  vollkommene  Umwalzung   in   den  Geist    der  Gesellschaft  wie 

kaum   noch   einmal  in   der  Geschichte.     Die  Wande  des  Hausos 

zerbarsten,  die  Berge  und  Walder  der  Landesmarken  thaten  sich 

auf ,  die  Sicht  schweifte  iiber  das  Meer  in  das  feme  Morgenland 

und    der   Mensch    sah    sich    erstaunt   mit    neuen  Gedanken    und 

Wiinschen   erfullt,    die  er   in   der   Heimat   durchzufiiren    suchte. 

Die  vomemsten  Manner  des  sGdlichen  und  nordlichen  Frankreichs, 

Flamlands,  Englands,  Italiens  undDeutschlands  stromten  zusam- 

men,    die   einen  in   diesem   die    andern    in  jenem    ausgezeichnet ; 

Bie  lemten  die  byzantinischen  Lander  kennen ,    in  denen  sich  die 

altromische  und  altgriechischeKultur  eigenthiimlich  gemischt  und 

weitergebildet  hatte ;  sie  thaten  tiefe  Blicke  in  die  Zustande  ihrer 

muhamedanischen  Feinde  und  sahen    ein   Leben  so   reich  an  gei- 

stigen  und  sinnlichen  Feinheiten,  so  zauberhaft  mit  Poesie  Liebe 

nod    aufzerer    Kunst    geschmiiekty     dafz    sie    die    heimatlichen 

Verh&ltuifse   frostig  und    niichtern   diinken   und    zur   Umbildung 

nach  solchen  Mustem  rufen  musten.   Die  Siidfranzosen  fanden  in 

ihremLande  noch  manche  alte  Erinnerung  an  romische  und  selbst 


/.- 


IflO 

an  griechlsche  Bildung;  sie  hatten  seit  Jahrhunderten  mit  den 
arabischen  Nachbaren  in  Spanien  bald  in  Fehde  bald  in  Friede 
gelebt,  die  ihren  morgenlandischen  Glaubensgenofzen  an  Bildung 
nichts  nachgaben.  Bei  den  SQdfranzosen  fand  der  neue  Geist  den 
Boden  am  meisten  vorbereitet,  in  Siidfrankreich  entwickelte  sich 
zuerst  und  am  feinsten  jenes  Leben  das  wir  das  ritterliche  oder 
hofische  nennen. 

Das  Lehnswesen   war  fur  die  Scharen  der  adeligen  Mftnner 
ein  festes  Band ,  das  zugleieh  ordensmafzig  war.  Ebenso  hatte  das 
Kriegswesen  zu  bestimmten  Formen  geftirt,  denn  iiber  die  Weise 
des  Kampfes  und  das  Verhalten  der  Kampfer  gegen  einander  bil- 
deten  sich  seit  lange   Gesetze;    die  Erziehung    des  Ejiaben  zum 
wafFenfahigen  Manne    so  wie    seine    Aufname  in  die  Reihen  der 
Manner   trugen  seit  altester  Zeit  eine  feste  Gestalt.     Der  Krieg 
ward  uberdiefz   von  den  Germanen  als  religioser  Dienst  betrach- 
tet:  die  Schlacht  war  ein  grofzes  Opferfest  das  sie  dem  Stamm- 
gotte  brachten*     Das  feindlicbe  Her  ist  das  Opfer  das    vor  dem 
Beginne   des  Kampfes  geweiht  wird  und   das  Schwert  das  prie- 
sterliche  Opfermefzer.     Die  Kirche  wuste  so  bald  sie  zu  einigem 
Einflufze   in   den   germanischen  Landem  gelangte  diese  alte  reli- 
giose AufFafzung  des  Krieges  zu  benutzen,    und  stellte  den  Be- 
kerten   den  Kampf    gegen   die  Heiden  als  einen  Dienst  des  Kri- 
stengottes    dar.    Der   freie  oder  edle   Krieger,    welcher  an  feste 
Pflichten   schon    gewont  war,    iibemam   nunmehr  zu  ihnen  noch 
die    kirchliche;    er    war    gewifsermafzen    ein    Priester    mit    dem 
Sehwerte  wie  der   Geistliche  ein  Krieger  mit  der  Stola  und  der 
Krieg    war    die    fromme     Uebung     welche    ihm     den    Himmel 
zusicberte.  Durch  die  Kampfe  der  kerlingischen  Zeit  gegen  die  Un- 
glaubigen  in  Deutschland  Aquitanien  und  jenseits  der  Pyrenaen 
geht  dieser  Zug  hindurch:  ich  erinnere  an  Roland  Olivier  Tur- 
pin  an  Karl  selbst. 

Die  Kirche  zog  das  Ritterthum  an  sich  und  suchte  es  zu  einer 
Anstalt  zu  bilden  welche  ihr  ein  Schutz  ihren  Zwecken  ein 
Werkzeug  war.  Die  Aufname  in  die  Schar  der  streitbaren  adeligen 
Manner,    in  die  Ritterschafl ,  wurde  zur  kirchlichen  Feierliohkeit 


161 

gemacht ;  gleich  dem  Geistlichen  und  dem  MOnche  beim  Ordens- 
eintritte  legte  der  aufzunemende  einen  Eid  ab  worin  er  sich  der 
Kirche  verpflichtete ,  anderer  Brauche  zu  geschweigen  die  reli- 
giosen  nachgebildet  waren. 

Die  Kreuzziige  boten  die  vollste  Gelegenheit  das  bisher  nur 
vereinzelt  und  in  einzelnen  Zeiten  erfolgreich  durchgefurte  zur 
festen  allgemeinen  Sitte  zu  erheb^n*  Das  ordensmafzige  im  Ritter- 
thume  bildete  sich  nun  vollig  aus  und  das  kirchliche  ward  bis  zu 
den  ritterlichen  Monchsorden  fortgebildet ,  in  derPoesie  bis  zu  dem 
Orden  der  Hiiter  vom  heiligen  Gral.  Allein  auch  die  weltliche 
Seite  gelangte  nunmehr  zu  rascher  und  hoher  VoUendung  und  dar- 
auf  haben ,  wie  ich  schon  andeutete ,  die  Araber  Spaniens  und  des 
Morgenlandes  grofzen  Einflufz  geiibt, 

Mit  grofzen  Naturanlagen    unter  einem  gliicklichen  Himmel 

lebendy  Erben  einer  alten  Bildung,  ebenso  kriegerisch  als  schwar-^,^,^^ 

merisch,    stunden  die  Araber  in  Wifzenschaft    Kunst    und  Indu-  h^J^4^ 

Btrie ,    kurz  in  allem  Sehmueke   des  Xebens  bedeutend  iiber   den  ^^^^  ^ 

kristliclien    Vslkem.     Den    rauhen    starren    und    ungelenken  Zu-    ^J'tA 

Btanden  dieser  gegeniiber  war  bei   ihnen  alles  fein    geschmeidig, 

ideal   gefarbt  und  durchhaucht.    Der  Krieg  ward  nicht  mit  jener 

unendlichen  Freude  an  Wunden  und  Tod  mit  aller    Grausamkeit 

entfefzelter    Naturkrafte    gefiirt,     sondem    er    war   eine   geistige 

Wette  um  den  hOchsten  Ruhm,    er  bot   die  Entfaltung  des  gan- 

zen  Menschen.  Den  abendlandischen  Vergniigungen  des  Trinkge- 

lages   fremd   erhoben    sie  die  Frauenliebe    zur  Lust  des  Lebens, 

durcb  die  poetische  Stimmung  ihres  Wesens  durch  das  phantasie- 

reiche  und  leidenschaftliche  des  morgeniandischen  Blutes  an  alien 

Fadendazu  geftirt.  Eine  Nacht  unter  den  arabischen  blitzendenSter- 

nen,  in  dem  leichten  Zelt ,  das  Schwert  an  der  Hiifte ,  das  edle  Rofs 

zur  Hand,   das  schwarzaugige  gliihende  Madcheu  im  Arm;    imd 

dagegen  ein   nordischer  Winterabend    in    der   langen   Halle,    wo 

trQbe  Feuer  vor  den  B&nken  der  Manner   brennen,    die  an  Bier 

wid  Barenfleiscb    sich   ergetzen ,    die    hochstens  ein  kurzes  Lied 

▼on  alten  Kampfen    singen   oder  einen    ratselhaften  Spruch  mit- 

theilen:   wo   flutet   der  Lebensstrom    rascher  und  freier  und  wo- 

11 


_r  .<-»Jt*i'V 


162 


hin  drangt  es  ein  feurigesHerz  zur  Wahl?  Denken  wir  ans  nun 
den  lebenslustigen  Aquitaner  und  Proven^alen  ;  muste  ea  ihn  nicht 
machtig  Ziehen,  ein  Leben  zu  gewinnen  wie  er  es  die  unglHubi-i 
gen  furen  sah?  Er  erwachte  von  schwerem  Schlafe  und  sein  Ent- 
schlufz  zu  neuem  voUem  Leben  stund  fertig  in  ihm.  Er  brachte 
Kampf  und  Friede  in  feinere  freundlichere  Formen  und  in  die 
Mitte  des  ganzen  Lebens  hob '  er  die  Frau ,  deren  Verkla^ 
rung,  wie  ihn  die  Heiden  gelehrt  batten,  eine  Yerkliurung  des 
Lebens  war. 

Und  siehe,  da  nahte  ihm  dieKirche  und  hielt  ihm  dasBild 
einerFrau  entgegen ,  die  er  anbeten  und  gottlich  yerehren  solte. 
Was  er  draufzen  in  derWelt  als  hochstenSeiz  geschaut,  stralte 
ihm  wunderbar  geschmiickt  von  heiliger  State  entgegen  und  un- 

__  < 

willk&rlich  beugte  er  das  Knie  vor  dem  Bilde  des  Uerzens. 

Der  Mariendienst  ist  allerdings  viel  alter  als  das  11.  und 
12.  Jahrhundert,  allein  erst  zu  dieser  Zeit  w«r  er  zu  allgemei- 
nerer  Bedeutung  gelangt.  Im  Morgenlande  entstanden,  hielt  er 
sich  zun'achst  in  Gemiitem,  welche  einer  Briicke  zwischen  aioh 
und  der  Gottheit  bedurften;  besonderen  Einflufz  auf  seine  Idrch** 
liche  Stellung  hatte  die  thrakische  Sekte  der  KoUyridianerinneD, 
welche  den  Marienkult  ganz  in  heidnischer  Weise  behandelteiL 
Die  vOllige  Gleichsteilimg  Kristi  mit  Gott,  die  daraua  gezogene 
dogmatische  Erhebung  der  KristusgebSLrerin  zur  Gottgebareriny 
hob  Maria  im  funften  Jahrhundert  bedeutend  empor  und  im 
sechsten  gab  die  Kirche  den  Marienfestei)  schon  einen  grofzen 
Raum  ein  ^).  Das  Abendland  unterschied  sich  indefsen  allem 
Anscheine  nach  von  der  morgenlandischen  Kirche  hierin  noch 
lange  und  die  romische  zogerte  der  heiligen  Jungfrau  eine  be- 
deutendere  Stellung  in  ihrer  Lehre  zu  geben  ^).    Li  alien  germa^ 


')  Seit  dem  Koncil.  von  Ephesus  (431)  w«rde  die  Jungfran  mit  dem  KiiuU 
auf  dem  Schoofze  dargestellt.  Auf  Bildern  des  6.  Jabrhunderts  crscheint  tie  in 
Kristusgleicher  Bedeutung.  Vgl.  Schnnase  Gesch.  der  bildenden  Kiinste  3,  176.  f. 
')  Ueber  die  Marienfeste  im  9.  Jahrhundert  Rettberg  Kircliengescbiehte  Dentfch- 
Unds  2,  791. 


168 

nischen  Q^ichten ,  welche  die  Verbreitung  kristlicher  Lehre  und 
Anschauung  unter  dem  Volke  bezwecken ,  findet  sich  keine  Spur 
einer  hervorragenden  Stellung  der  heiligen  Fran ,  da  doch  gerade 
eine   solche  Gestalt   auf  die  empftinglichen  Gemiiter    der  neube- 
kerten  unlS.ugbaren  Eindruck  hatte  machen   miifzen.     Es  scheirit 
demnach   datfz   erst  die   lebendigen  BerQrungen    mit  der  morgen- 
landischen  Kircbe  bei  den  Kreuzziigen  den  M arienkultus  im  Abend-* 
lande   yerstarkten    und  die  romische  Geistlichkeit  mit  feiner  Ah- 
Dung  in  ihm  ein  Mittel  entdecken  liefzen,    die   weltlichen  Seelert 
der  Kirc^e  fester  zu  verbinden.    Das  zwplfte  Jahrhundert  ifit^did 
BlQtenzeit   des    Marriendienstesi    Leben    Glaube   Poesie    werden 
von  ihm  erfafzt  und  die  Vererung  der  Himmelskonigin  mit  einer 
Innbrunst  und  zugleioh  mit  einer  Naivetat  gepflegt,  die  nur  einer 
Zeit  moglioh  war    welche-  neben  die  feinete  Schwarmerei  unver- 
mittelt    die  nackteste  Katiirlichkeit   zu    stellen   vermochte.    Ganz 
notwendig  hatte  der  Dienst   der  himmlischen  Frau  auf  die  Stel- 
lang  des  irdischen  Weibes  einen  grofzen  Einflufz;  ward  sie  doch 
nicht  in    abstracter   GOttlichkeit  ^    sender n    schOn    anmutig   mild 
als  em  Vor-  und  Musterbild  defselben  dargestellt.  Wer  die  himm- 
lische  Frau    in    die   Mitte    seiner   religiosen   Vererung    brachte, 
konnte  die  ir^che  nicht  ohne  weltliche  Achtung  und  ohne  zarte 
Behandlung    ]afzen«    Der  Mariendienst   kam    also    der   aus   dem 
Strome  d^r  Welt  heraufdohiefaenden  Ansicht  Ton  dem  Weibe  als 
StarkuBg  und  Stiitze  zu  Hilfe:    er  war  aber   zugleich   ein  Mit- 
tel die  von  den  Saraze&innen  geblendeten  Augen  der  Kreuzfarer 
lu  entzaubem  und  die  vom  Heidenthum   miterzeugte  gesellschaft- 
liche  Revolution   als   eine  kirchliche  erscheinen  zu  lafzen.    Einen 
all  za  grofzen  Ehiilufz  darf  man  jedoch  dem  Mariendienst  auf  die^ 
Erwecknng  des  Minnedienstes  nicht  zuschreiben.   Nicht  zu  iiber- 
iiehen   ist  in  dieser  Beziehung,    dafz  Wolfram   von   Eschenbach, 
weicljer   die  BltLte    des  Ritterthums  in    seinen   Werken   darstellt, 
der  Jungfrau  Maria  ganz  geschweigt,  warend  die  Dichter  in  der 
Zeit  des  Verfalls   ritterlichen  und  hOfischen  Lebens  ihren  Kultus 
auf  das  iiberschwanglichste  hervortreten  lafzen. 

Wir   haben  die  Quellen   des  hdfischen  Lebens  und  der  rit* 

11* 


kr 


164   _ 

terlichen    Frauenvererung    aufgesucht ,    stellen    wir   una   nun    an 
den  vollen  Strom. 

Das  Ritterthum  ist  ein  halbweltlicher  halbkirchlicher  Orden ; 
seine  Aufgabe  ist  der  Schutz  der  Kirche  der  Frauen  und  aller 
Schutzbediirftigen,  sodann  der  Kampf  gegen  die  unglaubigen  und 
gegen   alle    welche   seinen   Ideen    sich   feindlich  zeigeh.     Solchen 

/  Kampf  aufzusuchen  ist  Pflicht  des  Ritters,  sich  darin  auszuzeich- 
nen  sein  Streben.  Zwar  alien  Frauen  zum  Dienste  verpfliehtet, 
weiht  sich  der  Ritter  doch  einer  vor  alien ,  gibt  sich  in  ihren 
Dienst  und   sucht*  durch  Tieue  und    Kiinheit   ihre  Gunst  zu  cr- 

j  ringen.  Das  Weib  ist  also  nicht  mehr  der  bewundemde  und  wer- 

,  bende  Theil  sondern  der  Mann ;  nicht  mehr  die  mannliche 
Tflchtigkeit  ist  die  Quelle  der  Liebe  sondern  die  weibliche 
Schonheit;  nicht  mehr  Magd  ist  das  Weib  sondern  Herrin. 

Die  proven9alischen  Troubadours  haben  eine  wahre  Liebes- 
kunst  ausgesonnen  und  den  Minnedienst  streng  gegliedert.  Sie 
nemen  in  ihm  vier  Stufen  an:  auf  der  ersten  steht  der  schftch- 
teme  welcher  eine  heimliche  Liebe  im  Herzen  tragt  und  sie  der 
geliebten  nicht  zu  gestehen  wagt  (feignaire) ;  hat  er  ermutigt  durch 
die  Frau  das  Gestandnifs  gewagt,  so  tritt  er  auf  die  zweite,  er 
wird  ein  bittender  (pregaire);  nam  sie  ihn  zum  fdrmliohen  Lie- 
besdienst  an,  so  wurde  er  ein  erhorter  (entendeire) ;  ist  ihm  die 
hochste  Gunst  gewart,  so  heifzt  er  derLiebhaber  (drute)  der  Frau  ')• 
Man  sieht  schon  hieraus ,  dafz  der  ErhOrung  eine  PrOfimgazeit 
vorangicDg  welche  theils  die  Treue  theils  die  ritterliehe  T&ch- 
tigkeit  des  Verehrers  betraf.  Wie  lange  dieselbe  dauerte,  scheint 
dem  Gutdiinken  der  Dame  uberlafzen ,  die  gem  die  sprOde  spielte 
und  vor  dem  officiel  erlaubten  Dienst  den  Ritter  lange  BchniAch- 
ten  liefz.  Nach  einigem  zu  schliefzen,  dente  sich  die  Probe  nicht 
selten  auf  ftinf  Jahre  aus  ').  Hatte  der  Ritter  diese  Zeit  gliicklich 

'  liberwunden,  so  ward  er  derVasall  seiner UerzenskOnigin,  welche 
ihn   mit  aller  Ceremonie   des  Belehuens    in    den  Dienst   aufoam. 


')  Fauriel  hist,  de  la  poesie  proven^^  1,  502.        *)  Parz.  346,  3—15.  370, 
16.  Vgl.  auch  Diez  Altspan.  liumanzeu  S.  84. 


105 

Wie  sich  der  Dienstmann  vor  dem  sitzenden  Herm  auf  das  Knie 
lafzt  und  mit  gefalteten  Handen  das  Lehn  begehrt  und  die  Treue 
verapricht,  wie  der  Herr  seine  Hatide  zwischen  die  des 
Mannes  legt  nnd  ihm  mit  einem  aufzeren  Zeichen  das  Lehen 
fibergibt,  mit  einem  Kufse  das  Verhaltnifs  besiegelnd;  ganz  eben 
so  nam  auch  die  Frau  den  Maim  zu  ihrem  Ritter  an ;  wenig- 
stens  in  Siidfrankreich ,  dem  Lande  des  ausgebildeten  Minnedien- 
Btes,  herrsohte  solcher  Branch*  Dafzelbe  Knieen  und  Handefalten, 
dieselbe  Ceremonie  von  der  Fran  wie  von  dem  Lehnsherrn,  ebenso 
wie  dort  der  Kufs  und  gewonlich  ein  Ring  als  Zeichen  derVer- 
bindung.  Der  Branch  der  hier  und  da  bei  der  Aufname  in  den 
Ritterstand  statt  hatte,  die  Hare  zu  scheren,  wurde  auch  manch- 
mal  beim  Eintritte  in  den  Minnedienst  geiibt.  Um  die  vielgefeierte 
Grafin  Gruida  von  Rodes  hatten  sich  mehr  als  hundert  Ritter  die 
Kdpfe  scheren  lafzen.  (^Raynouard  choix  5 ,  172).  Auch  priester- 
liche  Einsegnung  des  Verhaltnifses  lafzt  sich  nachweisen,  wodurch 
auch  bei  Auflosung  desBundes  priesterlicher  Beistand  notig  ward. 
Indem  damals  die  kirchh'che  Trauung  noch  nicht  durchgedrungen 
war,  mogen  wir  diesen  Brauch  fiir  eine  Nachbildung  der  kirch- 
lichen  Theilname  am  Ritterschlage  nemen.  (Rayn.  ch*  3 ,  243). 

Der  Ritter  trug  nunmehr  die  Farben  der  Frau  und  auch 
ein  Wappenzeichen,  das  sie  ihm  gegeben  hatte.  Es  war  das  bald 
ein  Ring,  bald  ein  Giirtel,  ein  Haarband,  ein  Schleier  oder  ein 
Aennely  den  sie  getragen^  Er  befestigte  das  Liebeszeichen  auf 
aeinem  Schilde  oder  seiner  Lanze  und  je  zerhauener  es  im  Kampf* 
spiel  oder  in  der  Schlacht  wurde,  um  so  grofzer  war  die  Freude 
der  Dame.  Wenn  es  moglich  war,  gab  es  ihr  der  Ritter  gegen 
&n  neues  zur&ck  und  sie  trug  es  wie  den  schonsten  Schmuck 
(Parz.  390,  26).  Schon  friiher  war  es  Sitte  gewesen ,  dafz  die 
Franen  ihre  Liebhaber  mit  selbst  gearbeiteten  Gewandem  be- 
Bchenkten;  die  kunstreichen  arabischen  Frauen  statteten  ihre  Rit- 
ter ebenso  aus  ^)  und  die  abendlandischen  Kristinnen  wurden  durch 
sie  noch  mehr  zu  solchen  Liebesgaben  veranlafzt.    Am  weitesten 


*)  Wilh.   19,  25.  55,   12.  364,  20. 


_    1«6  _ 

ist  die  Sitte  solcher  Geschenke  in  dem  gegenseitigen  TauBohe  dcr 
Hemden  geftirt^  Als  der  Kastellan  von  Coucy  von  eeiner  Dame 
scheiden  muste,  sandte  er  ihr  sein  Hemd  zum  Trost  undLiebes* 
epiel  *).  j  Wenn  Gahmuret  in  den  Krieg  oder  zunft  Tumiere  ritt, 
gab  ihm  Herzeloyde  ein  Hemd  da?  sie  getragen  und  er  legte  64 
Uber  den  Harnisch  an. :  Ihrer  sind  acbtzehn  durchstochen  ebe  ef 
in  den  letzten  Kampf  zieht  und  die  Frau  hat  mit  W(Mine  dieae 
zerhauenen  „Hader"  wieder  angethan  (Parz,  101,  9.  Ill,  14), 
Man  sieht  wie  fein  diese  Zeit  im  Liebesgenufze  war  und  wie  jeder 
Nerv  den  Geliebten  schmekte  und  fiilte. 

Die  Damen  liefzen  sicb  zuweilen  nicht  daran  geoOgen,  von 
den  Hittern  im  allgemeinen  Beweise  der  Liebe  z\x  yerlangen;  sie 
heiscbten  auch  im  beaondem  diese  oder  jene  That  dea  Geharsama 
welche  die  Geduld  der  Manner  oder  vielmehr  ihren  Mangel  an 
Stolz  bewundem  I9.rzt,  Bei  aller  Yerehrung  die  man  ^em  gro* 
fzen  Theile  des  weiblichen  Geschlechtes  mit  Freuden  bringen 
mufz,  mag  man  doch  geatehen  dafz  eine  grofze  Anzahl  MUdchen 
und  Weiber,  sobald  sie  das  GlUck  einigermafzen  keimaucht, 
dafzelbe  nicht  wiirdig  ertragen,  sondern  zur  Launcmhaftigkeit  und 
zum  ganzlichen  Vergefzen  der  Achtung  die  sie  den  Maimeni 
schulden  verfiirt  werden.  Die  aufzerordentliehe  Stellung,  in  welche 
der  ritteriicbe  Geist  die  Frauen  gebracht  hatte,  machte  aie  achwin- 
deln;  sie  vergafzen  dep  eben  erst  verlafzenen  beacheideixeD  Flats, 
vergafzen  dafz  ihre  Herrschaft  von  der  augenblicklichen  Zeitadu* 
mung  abhangig  sei  und  beti*achteten  den  Mann  als  ein  Spielsesg 
mit  dem  man  sich  die  Zeit  vertreiben*  konne,  nnd  der  Maim  wv 
Thor.genug  mit  sich  spielen  zu  laizen. 

I  Die  Bldtenjare  des  hofischen  Lebens  sind  reich  aa  Aeufsenm- 
gen  weiblicher  Laune.  Der  ungluckliche  Minner  ward  in  Au^ 
sicht  entfernter  Gunstbeweise  auf  jede  Art  geqmUt,  mit  Auf-» 
gaben  beladen  die  er  nicht  erfiillen  konnte,  und  durok  fnrohtbare 


')  Sa  chemise  qu'of  veshie  menvoia  par  embracier;  la  nuit  quant 8  amornCat* 
gue  ,  la  met  delez  moi  cnuchier  toufe  nuil  a  ma  char  nue  por  men  tnalz  e^toiiffier. 
l^ii  dame  dou  Faiel  ^  bei  Fr.  Michel  Chansons  du  chdtelmn  de  Coucy  p.  98. 


W7 

Ungenade  geatraft,  welche  er,  well  es  Mode  War,  mit  groster  Selbst* 

?erlaugnung  and  meist  mit  wirklichem  Schmerze  ertrug.  Nicht  iibel 

ziichtigt  der  Tanhauser,  einer  der  spateren  deutschen  Lyriker  des 

13.  Jahrh. ,  diesen   weiblichen  Uebermut  Er  sagt :    Bald  soil  der 

fchonen  ich  den  Salamander  bringen,    die  Rhone   bald  in  Nurn- 

berg  stromen  lafzen ,  die  Donau  dann  den  Rhein  hiniiber  echwin- 

gen  und  nOch  auf  meiner  Bitt'  Erhorung  pafsen.  Ja  Dank  sei  ihr, 

ihr  Nam'  ist  Gute ;  sprech'  ich  ein  Ja ,  so  spricht  sie  Nein ,  drum 

stimmen  tsiets  wir  iiberein;    es  blieb  zu  fern  ihr  wol  die  strenge 

Bote.  -—  Der  Hofinnng  eine  ist  mir  noch  geblieben:   zergeht  der 

MsLusebei^  gleich  wie  der  Schnee,    so  will  sie  lonen  mir  mit  sii- 

fzem  Lieben.    Wonach  mein  Herz  begert ,    wird  dann  von  ihr  ge- 

wftrt,   bau'  ich  ein  Hans  von  Elfenbein,  wohin  sie  will,  auf  einen 

See  und   bring  ich   ihr  aus  GalilS  den  Berg  worauf  Herr  Adam 

safz.    Hei,  h^i,  welch  lieber  Dienst  war  das  I  —  ISin   Baum  steht 

fern  in  India;  bring'  ich  den  grofzen  Baum  ihr  nah,  so  wird  mein 

Wille  gidich  gethan.    Sie  will  den  heil'gen  Gral    auch  han,    den 

Parzival  gehiitet    hat;    des  Apfels  gert  sie  drauf  zur  Statt,    den 

Paris  Veiius  hat  gegeben;  den  Zaubermantel  auch  dancben,    der 

BUT  den  treuen  Frauen  pafst.    O  weh,  ich  bin  ihr  gjinz  verhafzt> 

ichafT  ich    ihr    nicht  die  Arche    rasoh  zur   Hand ,    daraus   tierr 

Noah  Tauben  hat   entsandt  ^).  —   Eifli    anderer    Epigone    unseres 

mittelalterlichen    Minnegesanges ,    Herr   Steinmar ,    weifz  sich  mit 

eben    so  guter  Laune   ftber   den  Eigensinn    seiner  Gdiebten  hin- 

wtgzusetzen.     Er  meint   es    sei  ein    altes  MS,re,    ein  Minnerlein 

das  sei  ein  Marteraere;  er  woUe  aber  kein  Martyrer  werdeti  und 

darum  sich  einem  Dienste  zuwenden,  der  befzer  lone.     Statt  der 

Liebe  woUe  er  fortan  den  Herbst   preisen.    Als   Lon  bedinge    e> 

sich   zehnerlei   Fische    und    Ganse,    Hiiner,    Schweine,    Pfauen, 

Wlirste   und  welschen  Wein.     Schiifzel   und  Becher  \^olle  er  bis 

zum  Grund  leren  und  seinen  Liebesgram  damit  trosten  (MSHag. 

2,  f54). 

Nur  wenige  freilich  wusten  sich  so  gut  iiber  ihr  Liebesleid  zu 


')  Minnesitiger  von  v.  d.  Hagcn  2.  91     93. 


168 

erheben.  Sie  wurden  lieber  Kitter  von  der  traurigen  Gestalt  *),  als 
dafz  sie  sich  aufgerafft  und  der  Dame  den  Handschuh  ins  Ge- 
sichit  geworfen  h'atten.  Die  edleren  der  Frauen  musten  sich  darum 
selbst  gegen  solches  hiindisches  Wesen  emporen  und  mehr  aU 
eine  benutzte  die  ihr  verliehene  Gewalt  einen  dieser  erbarmlichcn 
Wichte  zu  ziichtigen.  Wir  konnen  hier  aus  der  deutschen  Welt 
den  vielbekannten  steirischen  Edelherren  Ulricb  von  Lichtenstein 
anfiiren,  der  ein  langes  Leben  in  dem  Dienste  einer  Frau  zu- 
brachte,  welche  ihn  verhonte.  Eine  ToUheit  begieng  er  nach  der 
andem,  eine  thorichte  Aufgabe  nach  der  andem  erfiillte  er,  urn 
fortwarend  verspottet  und  nie  von  seinem  Wanwitze  geheilt  zu 
werden.  ISchon  als  Edelknabe  walte  er  sich  die  Dame  seines  Her- 
zens  und  war  bald  so  tief  in  dem  Liebeswansinn ,  dafz  er  mit 
Entzucken  das  Wafzer  trank  worin  sich  die  Geliebte  gewaschen 
hatte.\Mitden  Jahren  wachst  seine  ToUheit;  er  lafzt  sich  eine  allzu- 
breite  Oberlippe  abschneiden,  weil  die  Frau  es  verlangt;  er  mischt 
sich  einmal  in  die  ekelhafte  Schar  der  Aussatzigen,  um  verge- 
bens  auf  eine  Zusammenkunft  mit  ihr  zu  barren;  er  lafzt  sich 
einen  Finger  ^  der  ihm  bei  einem  Stechen  zu  ihrer  Ehre  bescha- 
digt  war,  abhauen,  weil  sie  die  Wunde  fiir  nichts  grofzes  hielt. 
Als  er  ihr  den  Finger  geschmiickt  in  reichem  Kastchen  zusendet, 
bricht  sie  in  Verwunderung  aus  dafz  ein  verstandiger  Mensoh 
solche  Narrheit  thun  konne.  Und  dieser  selbe  Ulrich  hat  ein  ehe- 
liches  Weib  auf  seiner  Burg ,  das  ihn  liebend  empfangt  und  ihn 
freundlich  pflegt  wenn  er  einmal  von  seinen  Landfarten  heim- 
kert  und  das  er  auch  zu  lieben  gesteht,  obschon  er  zur  Herrin 
fiber  sich  ein  anderes  Weib  habe*).  Doch  das  ist  ein  Schaden 
der  Zeit,  auf  den  wir  bald  ausfilrlicher  zu  aprechen  kommen 
werden^ 

Der  Finger  des  deutschen  Lichtenstein  erinnert  an  eine  an- 


')  Qui  d'amor  es  ben  feritz  mout  deu  efser  efcoloritz  magres  e  teirut  ejlae$ 
e  vans  et  en  als  fia  fort  ben  fans.  Rom,  de  Flamenca.  (Rayn,  L  rom,  1,  27.) 
Vgl.  auch  Chastiem.  d.  dam.  1039—49.  2)  Ulrichs  von  Lichtenstein  Frauen- 

biich  und  Frauendienst   mit  Anmcrk.  von  Th.  v.  Karajan  herausg.  von  K.  Lach- 
maun,    Berl.  1841.  Vgl.  namentlich  222,    1-27.  251,  22.  318,  25. 


169 

llche  proven^alische  Geschichte.  Der  Troubadour  Guillem  de  Balaun 
hatte  ein  Liebesverhaltnifs   mit  Guilhelma,   der  Frau  des  H^rrn 
Peter  von  Javiac.    In  einer  Laune  fiel   es   ihm  ein   zu  erproben 
ob  die  Freude  der  Vdrsonung  mit  der   GeKebten  das  Gliick  der 
ersten  Liebeagewifeheit   iibertreffe  und   er   stellte   sich    gegen  die. 
Dame  erzQmt.     Sie  versuchte  erst  auf  das  zartlichste  ihn  zu  be- 
Banftigen;  als  es  aber  mifslang,  beschlofz  sie  den  Querkopf  seiner 
Grille  zu  uberlafzen  und  liefz  ihn  schlufzlich,  als  er  selbst  Ver- 
sonung  suchte,  aua  ihrem  Schlofze  werfen*    Der  Ritter  geriet  in 
Verzweiflung,  allein  Guilhelma  blieb  standhaft  und  wolte  von  ihm 
nichts  sehen  noch  horen.    Diefz  dauerte  ein  Jahr ').   Da  erbarmte 
sich  der  beste  Ritter  der  Gegend,  Herr  Bemart  von  Anduza,  des 
trauemden   und  hielt  bei  der   Dame  von  Javiac  eine  FOrsprache 
fur  Balaun.    Sie  gab  endlich  nach  und  verhiefz  ihn  wieder  anzu- 
nemen,  wenn  der  Troubadour  sich  den  Nagel  seines  kleinen  Fin- 
gers ausziehen  lafze  und  ihr  mit  einem  Gedichte  iiberreiche,  worin 
er  sich  selbst  wegen  seiner  Thorheit  tadele*    Diefz  geschah  denn 
und  Guillem  von  Balaun  ward  wieder  zu  Genaden  aufgenommen. 
Gtullems  verzweifeln  und    ganzliches   sich   fiigen  I'afzt  sich 
allenfalls  erklaren,  denn  er  fuhlt  sich  gegen  seine  Herrin  schuldig ; 
allein  auch   seine    Demut   grenzt   an  Verriicktheit.    Ein   anderer 
Troubadour  zeigt   uns  den  romantischen  Wansinn    in   noch  stra-> 
lenderem  Lichte.   Peter  Vidal,  der  Sohn  eines  Ktirschners  in  To- 
losa  (Toulouse) ,  hatte  sich  trotz  seiner  biirgerlichen  Herkunft  sehr 
rasch  in  die  adeligen  Pafsionen  gefunden  und  rechnete  sich  aufzer- 
lich  zum  Adel,    seitdem    er  eine  Griechin  auf  Cypem  geheiratef 
hatte,   welche  von  einem    griechischen  Kaiser    abstammen   solte. 
Er  beanspruchte  nunmehr  kaiserlichen    Titel ,    meinte  Anspriiche 
auf  das  ostrOmisohe  Reich  zu  haben  und  trieb  diesen  Unsinn  Ian- 
gere  Zeit  fort.    Der  eigentliche  Punkt  seiner  Himlosigkeit  war  die 
Liebe.   Er  glaubte  dafz  jede  Frau  in  ihii  verliebt  sein  ihiifze,  bat 
jede  um  ihre  Liebe  und  jede  sagte  Ja  um  ihn  zu  verspotten.  Am 


Faunels  Erzahlung  (hist,  de  la  poesie  provenrale  1,  541)    ist  fliichtig  und 
falsch.  Vgl.  die  provenyal.  rida  Guillems  bei  Raynouard  choix  5,  180.  ff. 


no 

tollsten  aber  ward  er,  da  er  eich  in  Loba  von  Carcafsev  verKebt 
hatte.  Herr  Peter  wolte  das  Wappen  seiner  Herrin  redht  sichtbar 
fiiren  und  liefz  sich  also,  da  sie  WOlfin  (Loba)  hiefz^  Wolf  (Lop) 
nennen^  zog  einen  Wolfsbalg  an  und  lief  auf  alien  Vieren  heulend 
in  den  Bergen  von  Cabaretz  herum.  Leider  verstunden  sich  die 
Hirten  und  ihre  Hunde  auf  den  Minnedienst  schleclit  und  namen 
die  Spielerei  des  armen  Minnerleins  zu  ernst.  Sie  hieben  und 
bifzen  ihn  wie  einen  wirklichen  Wolf  und  richteten  ihn  so  iibel  zu 
dafz  er  fiir  tot  in  das  Schlofz  einer  andem  Dame  seines  Herzens^ 
der  Loba  von  Puegnautier,  getragen  wurde.  Dort  wurden  seine 
Wunden  geheilt,  sein  Wanwitz  aber  blieb  ihm  bis  an  sein  Ende  *). 
Solche  Geschichten  sprechen  den  Geist  des  Ritterthums  aufs 
schlb-fste  aus»  Zwar  haben  nur  wenige  sich  zu  der  Virtuositat 
eines  Vidal  oder  Lichtenstein  in  der  Narrheit  aufgeschwungen, 
allein  die  Anlage  dazu  war  fast  bei  alien  galanten  Mannem  jener 
Zeit  vorhanden  und  nur  wenige  wagten  es  den  launischen  Gebo- 
ten  ihrer  Dame  nicht  zu  folgen.  Nicht  immer  jedoch  benutzten 
die  Frauen  ihre  Machtvollkomraenheit  zu  Spiel  und  Hohn;  sie 
aufzerten  sie  zuweilen  um  den  Ritter  zu  einer  grofzen  und  ruhm- 
reichen  That  oder  zu  einem  Untememen  zu  bew^en,  das  ihm 
und  zugleich  ihr  froramen  solte.  Die  Ritterschaft  Frankrevchs  wie 
Deutschlands  entschlofz  sich  fast  durchgehends  schwer  das  Kreuz 
zu  nemen  oder  verschob  wenigstens  die  Ausfiirung  so  lange  alii 
moglich.  Die  Geistlichkeit  mante  vergebens ;  da  erhoben  siob 
ofters  Stimmen  welche  gehorsameres  Ohr  fanden,  di^  Frauen* 
Viele  von  ihnen  verlangten  geradezu  den  Kreuzeug  als  Beweis 
der  Liebe,  viele  bewogen  aufzerdem  mittelbar  Ritter  zam  heiligen 
Kriege,  wenn  sie  sprode  waren  oder  die  Liebe  aus  itgeod  einem 
Grrunde  nicht  erwidem  konnten.  So  namf  der  wackere  Friedrich 
von  Hansen »  ein  Stem  deutscher  Ritter  und  Dichter,  aus  unglQok^ 
licher  Leidensehaft  das  Ereuz.  Die  fast  allgemeine  Stimmung 
der  Rhter,  wenm  sie  durch  den  Minnedienst  zu  einem  Kreazzuge 
verpflichtet  wurden ,  spricht  Hartmann  von  Aue  aus  eigenem  Er- 


*)  Bajnooard  ohoix  6,    334.  ff,  Mahn  Werke  der  Troubadovra  1»  216.  ffl 


171 

lebnifse  aus.  „Ich  fare  dahin,  8agt  er  *)*  ihr  Herm  und  Preunde, 
und  neme  Abschied  von  Leuten  und  Land.  Frage  mich  niemand 
nach  meiner  Reiee  Zial:  die  Liebe  liefz  ndch  eine  Fart  geloben 
und  jetzt  heifzt  sie  mioh  die  Fart  thun.  Ich  mufz  fort,  denn 
Geliibde  und  Schwur  mdg  ioh  nicht  breohen.  Mancher  rtdimt 
sich  defsen  was  er  auB  Liebe  thue,  aber  wo  aind  die  Werke? 
Mochte  doch  mancher  um  solchen  Dienst  gebeten  werden,  wie  ich 
Dun  leisten  soil.  Das  heifzt  wol  Liebe,  wenn  man  um  ihretwillen 
in  die  Fremde  ftrt.  Ich  will  nun  iiber  das  Meen  Ja,  ware  Sa- 
ladin  und  all  sein  Heer  noch  dort,  sie  biilchten  mich  keinen  Fufz 
aus  Franken.  Ihr  Minnesinger,  schlecht  miifzt  ihr  von  Liebe  sin- 
gen  denn  ihr  kennt  sie  nicht,  ich  aber  mag  von  ihr  reden  denn 
mein  ist  die  Geliebte  und  ihre  Liebe.  Warum  ihr  armen  konnt 
ihr  nicht  so  Heben  wie  ich  ?" 

Die  Ansicht   von  dem  Krcuzzuge  als  einem  gar  schweren 

und  bitteren  Untememen   spricht  sich  in  den  meisten   proven^ali- 

schen  franzosischen  und  deutschen  Kreuzliedern  aus.     Nur  selten 

gewaren  wir  jene  Glut  der  B^eisterung,  die  man  mit  den  Kreuz- 

zj^gen   gewonlich  verbunden  glaubt;    sie   bieten  ein   verstandiges 

Ueberlegwi    der  Vorthdle  und  Nachtheile,    eine   etwas  trockene 

Erinnerung  an  die  Leiden  Kristi  und  das  jiingste  Gericht,  defsen 

Sehrecken  der  beilige  Krieg^dampfen  soil.    Nur  wenn  die  Lieb^ 

hineingezogen  wird ,    werden  die  Kreuzlieder  lebetidig ;    da  wird 

der  Abschied   von   der    GMiebteii   gesehildert ,   aber    der  heilige 

Zug  selbst  erscheint  dann  um  so  mehr  als  erneBufze  und  Strafe 

und  nicht  wie  die  freiwilHge  freudige  That  ernes  glaiiabigen  ritter- 

lichen  Herzen. 

EineD  so  bedefitenden  Beweis  der  Liebe  wie  einen  Ereuz- 
zug  zu  verlangen,  muste  iibrigens  ein  besonderer  Grund  vorhan- 
den  son,  denn  im  allgemeinen  konnte  die  lange  Entfemung  eines 
Sitters  nicht  in  den  Wiinsch^)  seiner  Dame  liegen.  Sie  ent- 
berte    der  Auszeichnung ,    welche  der  Minnedienst  stets  gewarte 


*)  MSHag.  1.  334,    H«upt  die  Lieder   und   Bacfaloin  and  der  arme  Hein- 
rich  Ton  HartmaBn  von  Aue,  pu  22. 


1T2 

und  der  fortwarenden  Befriedigung  ihrer  Eitelkeit  zu  lange,  als 
dafz  sie  sich  leicht  zu  solcher  Aufgabe  entschlofzen  hatte.  Das 
abenteuemde  Herumschweifen  des  Herzenvasallen  in  der  Heimat 
oder  in  benachbarten  Landem  brachte  ihr  einen  weit  statigeren 
Genufz ,  denn  jeder  Sieg  den  er  erfocht  ward  zu  ihrem  Rubme 
erfochten,  ein  jeder  Gegner  den  er  tiberwand  und  in  Pflicht 
nam  ward  fiir  sie  iiberwunden,  denn  der  Ritter  sohickte  ihn  ihr 
als  Gefangenen  zu  den  sie  nach  Gutdiinken  frei  lafzen  kbnnte. 
Die  unHberwindlichen  Helden  der  Tafelrunde  sammeln '  auf  Bolche 
Weise  ganze  Here  von  Gefangenen  um  die  Dame  ihres  Schwertes. 
Wir  wenden  una  nun  zu  der  Frage:  wie  war  das  Liebes- 
verhS^Itnifs  ?  liefz  sich  der  Ritter  an  den  Miihsalen  und  einer 
gelegentlichen  Freundlichkeit  der  Frau  geniigen  oder  verlangte 
er  wirklichen  Lohn  und  gewarte  sie  ihm  denselben  ?  Wir  mfifzen 
zugestehen  dafz  eine  grofze  Anzahl  dieser  Yerhaltnifse  ideal 
waren  und  blieben  und  dafz  der  Kufs,  welchen  die  Dame  bei  der 
Aufiiame  in  ihren  Dienst  gab,  der  einzige  blieb  den  der  Mann 
empfieng.  Es  war  Forderung  der  Zeit  an  jeden  Ritter,  einer 
Frau  zu  dienen ;  wie  sollten  wir  nicht  annemen  diirfen,  dafz  eine 
grofze  Menge  nur  der.Sitte  folgte  und  bei  dem  Minnedienste  kei- 
nen  andem  Wunsch  hegte  als  der  Mode  gemafz  zu  leben.  Sinn- 
liche  Beimischung  fehlte  sehr  vielen  dieser  V erhaltnifsen ;  gab  es 
doch  Ritter,  welche  sich  auf  blofzes  Geriicht  hin  in  eine  ferne 
SchOnheit  verliebten  O9  fur  sie  ihre  Lanzen  brachen  und  auf  sie 
Gedichte  machten,  ohne  Ho&ung  auf  Lohn  und  Genufz.  Der 
proyen9alische  Troubadour  Jaufres  Rudel  Prinz  yon  Blaia  mag 
diese  Herren  um  seines  riirenden  Schicksals  willen  darstellen. 
Er  hatte  durch  Pilgiime  aus  dem  Morgenlande  yon  der  SchOn- 
heit und  Vortrefflichkeit  der  Grafin  von  Tripolis  gehort,  und 
ohne  sie  gesehen  zu  haben  verliebte  er  sich  in  sie  und  riohtete 
Lieder  an  sie*    Aus  Verlangen  nach  ihrem  Anblicke  nam  er  das 


*)  Schon  in  einer  besonderen  Gattung  epischer  deutscher  Gedichte  des  IS. 
Jahrhunderts  ist  der  Zug  zu  finden,  dafz  sich  ein  FUrst  auf  das  blofzc  Gterticht 
hin  in  eine  feme  Schonheit  verliebte*  Die  Liebe  ist  aber  nicht  so  tranmerisch 
und  sentimal,  sondem  sucht  sogleich  zu  einem  realen  Ziele  lu  kommen. 


1T3 


Kreuz  und  verliefz  die  Heimat.  Allein  auf  dem  Meere  befiel 
ihn  eine  schwere  Krankheit  und  als  sie  bei  Tripolis  landeten, 
war  er  dem  Tode  nah.  Man  schaffte  ihn  in  eine  Herberge  und 
liefz  die  Grafin  alles  wifzen.  Da  kam  sie  und^  nam  den  Ster- 
benden  in  ihre  Arme,  der  Gott  pries  und  dankte  dafz  er  ihn  so 
lange  hatte  leben  lafzen  bis  er  sie  gesehen  hatte.  So  starb  er 
an  dem  Herzen  der  vielgeliebten ;  sie  aber  nam  den  Schleier  im 
Schmerz  iiber  den  Tod  des  Musters  ritterlicher  Liebe '). 

Der  starkste  Beweis  fiir    das  aufzerliche   dieser  Minnebiind- 
nifse  ist   die  Einwilligung,  welche  die  Ehemanner   sehr   oft  dazu 
ertheilten  dafz  andere  ihren  Frauen  dienten  %  zumal  wenn  es  Dich- 
ter  waren   welche    durch  die  Verherrlichung  der  Schonheit    oder 
Anmut  der  Frau  zugleich  auf  den  Gemahl  einen  Strahl  des  Ruh- 
mes   warfen.    Ein  vertrantes   Biindnifs   war   also  keineswegs   die 
notwendige  Folge  des  Minnedienstes,  allein  es  war  doch  sehr  oft 
vorhanden.    Man  mufz  sich  erinnern  auf  welcher  niedrigen  Stufe 
der  Sittlichkeit  die  vomemsten  Frauen  der  romanischen  und  bre- 
tonischen  Lander  stunden;  man  mufz  femer  durch   die  Literatu- 
ren  einen  Blick  in    die  moralischen  Zustande  der   hofischen   Zeit 
gethan  haben,    um  alsbald   zu  begreifen   dafz   die   vierte    Sprofze 
der  Liebesleiter  im  Wunsche  nicht  blofz  vieler  Ritter  sondem  auch 
sehr  vieler  Damen  war.    Die  Zeit  hatte  die  verschiedenen  Grade 
des  sinnlichen  Genufzes  sehr  tief  studiert  und  die  Dame  von  Welt 
war  ungemein  geschickt  dem  Liebhaber  zu  rechterZeit  bald  die- 
sen  bald  jenen  zu  gonnen  oder   zu   verweigern.     Sie    wuste  dass 
in  dem  hastigen  Gewaren  der  Schmelz  verwischt  werde,    sie  war 
erne  KCknstlerin   in   der  Liebe  und  verstund    alle  Hilfsmittel   wol 
zu  walen  und  am  rechten  Orte  zu  verwenden. 

Die  Nachbildung  des  Lehnsverhaltnifses  fiirte  zu  einem. 
Brauche  ganz  eigenthumlicher  Natur.  Es  war  Sitte  dafz  der 
Lehnsherr  von  den  anwesenden  Vasallen  zu  Bette  begleitet  wurde 
die   sich    erst   entfernten    wenn    er   sich   niedergelegt   hatte.     Die 


0  Bajnouard  choix  5,  165.  Mahn  Troubad.    1,  61.         ')  Fr.  Diez  Leben 
aid  Werke  der  Troubadours  92 — 120. 


IT4 

Frau  war  der,  Lehnsherr,  der  Ritter  der  Lehnstr&got;  warum 
hatte  man  den  Dienst  nicht  auch  so  weit  ausdenen  soUen?  Der 
begiinstigte  Liebhaber  begleitete  also  die  Frau  in  ihr  Schlafge- 
mach,  half  ihr  beim  Aiiskleiden  und  entfemte  sich  nachdem  sie 
sich  niedergelegt  hatte  ').  Hinzuzufiigen  bleibt  nur  dafz  man  in 
jenen  Zeiten  gewonlich  ohne  alle  Gewander  Bchlief.  —  Man  mag 
iibrigens  hierbei  ni(*.ht  die  Sitte  vergefzen^  dafz  die  Gaste  von 
den  TCchtem  oder  Frauen  des  Hauses  bis  an  das  Bett  geleitet 
wurden^  ja  dafz  diesclben  so  lange  warteten  bis  sich  der  Fremde 
niedergelegt  hatte.  In  einfachen  und  reinen  Zeiten  und  L'&nderD, 
wie  auf  Island,  vermochte  sich  der  Branch  lange  zu  halten  ohne 
zu  irgend  welcher  Ungehorigkeit  zu  ffiren.  Allein  in  d^r  galan- 
ten  Gesellschaft  des  Mittelalters,  die  zwischen  Naivetat  und  Lu- 
sternheit  schwankte,  war  eine  solche  Sitte  wenigstens  eine  sehr 
bedenkUche  Versuchung  der  Menschlichkeit.  Man  gieng  gewon- 
lich noch  weiter.  Die  Frau  gewftrte  namlioh  dem  Liebhaber 
zuweilen  eine  Nacht  in  ihren  Armen,  wenn  er  sich  eidlich  ver- 
pflichtete  sich  nichts  weiter  als  einen  Kufs  zu  erlauben.  Diese 
Probenachte  der  Enthaltsamkeit  scheinen  im  Mittelalter  iiber  das 
ganze  kultivirte  Europa  verbreitet  gewesen  zu  sein ;  so  berichtet 
ein  Kronist  dafz  unter  Kaiser  Friedrich  11.  die  Italieneriimen  ih- 
ren Geliebten  diese  Vergiinstigung  einr&umten  und  dafz  die  Zeit 
darin  etwas  unschadliches  sah  ^).  Dafz  die  Sitte  auch  in  Deutsdi- 
land  bliihte,  beweist  ihr  Fortleben  unter  dem  Laudvolke;  fast  in 
alien  deutschen  Landem  ist  den  Liebhabem  der  Laadmiidchen 
eine  Nacht  im  Jahre  oder  gar  in  der  Woche  znm  Besuche  ihrer 
Sch9,tze  gestattet  und  es  soil  diefz  in  manchen  Gegenden  stets  in 
alien  Ehren  ablaufen ;  in  andem  wird  der  Branch  dadurch  ge- 
rechtfertigt  dafz  das  Par  fortab  fdr  verlobt  gUt  und  ihm  also 
nur  die  kirchliche  Trauung  fehit,  welche  sich  im  Volke  iiberhaupt 
schwer  einbtirgerte.  Der  Mann  der  nach  solcher  VetgOnstigung 
treulos  wird,  ist  in  der  Meinung  des  Volkes  gebrandmarkt^). 


')  Raynouard  Loxique  roman  1,  388.  Fauriel  histoire  de  la  po^e  proren- 
^ale  2,  31.         *)  Rauiner  Ilulienstaufen  6^  449.         ')  Die  Naman  dar  Sitte  aiad 


175 


Als  Zeugnifs  dafz  fiolche  euthaltsame  Liebesnflchte  in  der 
Provence  Sitte  waren,  mag  statt  vieles  andem  dne  Tenzone  der 
Troubddoure  Aimeric  von  PegiiUain  und  Elias  von  Uisel  dienen. 
Herrn  Aimerik  hat  seine  Dame  eine  Naoht  verheifzen,  wenn  er  ihr 
schwore  eich  amKufse  zu  begniigen  und  wenigstens  gegen  ihren 
WiUen  nicht  weiter  zu  gehen.  Er  fragt  nun  denFreund  um  Rat, 
ob  er  dieMarter  ertragen  oder  meineidig  werden  soUe,  und  Elias 
erwidert,  er  wifze  sebr  wol  wie  er  sich  in  solchem  Falle  zu  hal- 
ten  habe:  aeine  D^me  soil  ihn  meineidig  sehen.  Aimerik  blieb 
aber  bedenklieh ,  denn  durch  den  Eidbruch  verliere  er  Gott  und 
die  Geliebte  zugleich ,  er  woUe  eich  also  lieber  am  Kufse  ge- 
niigen  lafzen*  Doch  Elias  scbilt  ihn  ob  seiner  bfirgerlichen  Be- 
8chr5.nktheit  (mlania)  ^us ;  die  Dame  werde  durch  Thranen ,  Gott 
aber  durch  eine  Fart   nacb  Syrien  versont.    (Raynouard  4 ,    22). 

Es  ware  ebenso  lacherlieh  als  unfruehtbar,  wolten  wir  un- 
tersuchen  ob  die  Zahl  der  Aimerikaner  oder  Eliasisten  grofzer 
war;  genug,  die  Sitte  war  im  Schwunge  mit  und  ohne  Eidesfor- 
derimg,  mit  und  ohne  Eidesbruch  ^).  Wir  konnen  ihr  iibrigens, 
was  die  Poesie  betriffi,  sehr  dankbar  sein,  denn  sie  hat  eine  der 
schOnsten  lyrischen  Gattungen  des  Mittelalters  erzeugt ,  die  Tage- 
Keder  (albas  y  aubades). 

Das  Scheiden  zweier  liebenden  nach  heimlich  genobeneif 
Liebesfreude ,  das  Erwachen  aus  siifzem  Traum  zu  der  bittern 
Notwendigkeit  rascherTrennung,  ist  wol  ein  lockender  und  dank- 
Wer  Stoff  der  Poesie.  Sobald  sich  die  Dichtkunst  des  Mittelal- 
ters der  Liebe  tiberhaupt  zuwandte ,  konnte  die  Entdeckung  die- 
ser  anmutigen  Situation  nicht  ausbleiben ,  denn  das  Leben  hoi 
8ie  allenthalben  dar.  Die  deutsche  und  die  franzosische  Lyrik 
^^  darum  jede   fur  sich  auf  das  Tagelied  gekommen  sein ;    die 


^erschieden :  schweiz.  Kilt  (Abend)  gang,  Gafzel  gehn :  baier.  fenstera;  schwab. 
fttgen,  Vogesen  schwararaen  ;  Karnthen  brenteln ;  frftnkisch  schnurren.  *)  Hart- 
Daann  v.  Aue  spricht  in  Iwein  von  dem ,  welcher  es  bezweifelt  dafz  ein  Mann 
"*•  einem  nicbt  rerwandten  Weibe  liegen  konne  ohne  es  zu  berftren:  dem  weix 
^m  da%  ein  biderbe  man  Jtch  alles  des  enthalten  kan  des  er  fich  enthalten  wih  Er 
%t  aber  selbst  hinzu  :  weix  got  dem  ift  aber  niht  vil.  Iwein  6575.  ff. 


176 

weitere  Ausbildung  dieser  Gattung  m  Deutschland  ist  jedoch  nicht 
ohne  nachbarliche  Einwirkung  geblieben ,  wenn  dieselbe  auch 
mehr  auf  die  Form  als  auf  den  Inhalt  sich  erstreckte.  Denn  die 
Ijrrisohe  Anlage  des  deutschen  Volkes  mifzt  sich  ohne  Weiteres 
mit  der  der  Sudfranzosen  y  iibertrifft  die  der  Nord£ranzosen  aber 
um  ein  bedeutendes. 

Wir  besitzen  von  der  bedeutenden  Schar  unserer  Minne- 
dichter  eine  nicht  kleine  Zahl  Tagelieder.  Sie  sind  meistentheils 
sehr  weich ,  vol!  Gefiihl  und  Leben  und  konnen  mit  den  pro- 
ven^alischen  Albas  die  Wette  um  den  Preis  wagen  *).  Anfang- 
lich  druckte  das  Tagelied  nur  die  Erinnerung  an  die  siifze 
Nacht  und  das  bittere  Scheiden  aus.  In  dieser  Weise  sind  zwei 
Lieder  des  Burggrafen  von  Kegensburg^)  und  selbst  noch  ein 
weit  jiingeres  von  Heinrich  von  Morungen.  (MSH.  1,  129.  f.) 
Dieses  letztere  lautet  iibertragen  also: 

O  weh,  o  weh,  o  dafz  doch  je  „0  weh,  o  weh!  o  dafz  doch  je 

Mir  noch  mocht'leuchtendurch  die  Nacht  Er  noch  den  Tag  bei  mir  erschant' 

Ihr  siifzer  Leib  so  weifz  wie  Schnee,  Und  dafz  er  dann  nicht  von  mir  geh 

Der  Freud'  und  Leid  mir  hat  gebracht.  Ob  es  auch  hell  im  Osten  grant. 

Er  trog  die  Augen  mein;  Ich  sah  das  Morgenrot 

Ich  wftnt  es  solte  sein  Bei  dem  er  jiingst  entbot 

Des  lichten  Mondes  Schein.  Mir  bittern  Scheidens  Not, 

Da  tagt  es.  Da  tagt  es." 

O  weh,  o  weh,  wol  hundertmal  „0  weh,  o  weh,  wie  oft  er  hat 

Hat  sie  mich  weekend  da  gekiifst,  An  moiner  Seite  sich  erblickt. 
Von  Thranen  matt  des  Auges  Strahl       So  war  er  nie  vom  Kosen  satt, 

Dafz  ich  aus  ihrem  Arm  gemufzt.  So  war  er  endlos  doch  entz&ckt 

Und  als  dort  Trost  ich  fand  Wenn  er  die  Hiille  rein 

Dafz  still  die  Thrftne  stand,  Grestreift  Tom  Arme  mein; 

Als  sie  mich  fest  umwand,  Es  mocht  ein  Wunder  sein. 

Da  tagt  es.  Da  tagt  es*" 


')  Friedr.  Diez,  der  tiichtige  Kenncr  der  proyen(;.alischen  Poesie,  gesteht 
den  deutschen  Tageliedern  sogar  grolzere  Zartlichkeit  als  den  proven^alischen  xa. 
S.  Foesie  des  Troubadours  265.  vgl.  151.  *)  ,,Jch  lac  den  winter  etW*  and 
„jlV«  heit^ent  fi  mich  miden:'  MSH.  2,  171/  Auch  Heinrichs  VI.  Lied:  ,,Wol  kdker 
denne  riche**  geliort  hiorlier. 


in 

Man  war  indefsen  schon.frlili  von  dieeer  epischen  erz&len-^ 
den  Weise  zn  der  dramatiscbefi  yorgeschritten ,  indem  das  Tage- 
lied  die  Daratellong  enthielt  wi^  die  Frau  erwacht  den  Grelieb- 
ten  weokt  und  darauf  geschieden  wird.  In  dieser  Art  ist  bereits 
em  TageHed  dee  Herrn  Dietmar  v6n  Eist.  (MSH*  I,  lOl*). 

„Schla&t  da  noch  Geliebter  mein?  f^nlch  war  entschlafen  aaoft  and  Und, 

Wir  sollen  leider  wach  nun  sein.  Nun  weckst  da  leider  mich  mein  Kind. 

ESn  VSgelein  gar  wol  gethan  Liebe  mag  nicht  ohn*  Leiden  sein; 

Stimmt  auf  der  Liiid'  sein  Taglied  an/*  loh  folg*  dem  Bufe,  Liebste  mein."  " 

Da  ward  toU  Tbrftnen  wol  ibr  Blick, 
,^an  reitst  du  fort,  lafzt  mich  zarilck: 
All  meine  Frende  geht  mit  dir; 
Wann  kommst  da  wieder  her  sa  mir?" 

Defgelben  Inbaltes  aber  geschmiickt  mit  ausgebildeter  Kunst 
und  aller  poetischen  Fiille  des  grofzen  Dichters  ist  ein  Tagelied  Wolf- 
rams von  Eschenbach  (E:^  ift  nu  tac  da^  ich  wol  mac,  Lachm.  7 ,  41), 
wie  denn  gerade  diese  einfache  aber  zarte  Darstellung  jenes  Ver- 
hiltnifses  ip  einer  ganzen  Eeibe  Tagelieder  zu  finden  ist  ^).  Die 
obrigen  suchen  die  Scene  dadurch  noch  dramatischer  zu  machen, 
dafz  der  Wachter  auf  der  Zinpe  der  Burg  bei  dem  Anbruch  der 
Horgenrote  ein  Lied  anstimmt,  worin  er  die  welche  heimlicher 
Liebe  geniefzen  wamt.  Wolfram  von  Eschenbach  hat  diese  Si- 
tuation in  seine  anderen  Tagelieder  aufgenommen  und  sein  Bei- 
spiel  fand  zahlreiche  Nachamer.  Er  hatte  iibrigens  romanische 
Vorbilder;  in  einer  Alba  des  Proven^alen  Guirautz  de  Bpmeill 
ist  z.  B.  dieselbe  Anname  dafz  das  Par  einen  W&chter  hat; 
nur  ist  hier  vie!  zarter  das  Hiiteramt  einem  Freunde  des  Bitters 
iibertragen.  Als  die  Morgenrote  nahet,  bittet  er  Gott  und  den 
Sohn  der  heiligen  Maria,  dafz  er  seinen  Gefarten  scbiitze  und 
itimmt  dann  ein  Lied  an  worin  er  den  Freund  weckt.  Er  bore 
die  Vogel  im  Gebiiscbe  singen,  der  Freund  moge  an  das  Fenster 


»)  Bei  Ulrich  v.  Winterstetten  (MSH.  1,  157.  166).  Ulrich  v.  Singenberg 
(1,  291.  298).  Brano  von  Homberg  (2,  66).  Rubin  (1.  817).  Konrad  v.  Wiirz- 
hng  (2,  819).  HeJnrich  Teschler  (2,  128). 

12 


gehen  und  die  Zeichen  des  HimmelB  anseben,  denn  es  sei  Zeit. 
Aber  dieser  aDtwortet,  er  sei  so  prachtig  beberbargt  dafz.  er 
wiinsche  es  werde  nimmer  Tag.  Er  halte  die  anmutigste  im^Amii 
die  je  von  einer  Mutter  geboren  ;8ei  und  die  Marker  aohte  er  so 
wenig  als  die  Morgenrote.  (Raynouard  choix  3,  31 3),  -^  Sobald 
•dejr  Thurmwachter  als  der  Vertraute  des  Pares  auftrat,  lag  eine 
Herabziehung  des  ganzen  nahe,  denn  das  zarte  und  innige  war 
dadurch  entheiligt  und  das  Geheimnifs  von  der  Willkiir  eines  Men- 
seben  abbangig,  der  oft  darauf  trotzte  um  bestocben  zu  werden. 
Am  widerwarfigsten  zeigen  sicb  die  Folgen  dieser  dritten  dra- 
matischen  Person  in  einem  Tageliede  Konig  Wenzels  von  Bdmen. 
(MSH.  1,  9.  10).  Die  Tagelieder  erhielten  sicb  iibrigens  weit  iiber 
die  Dauer  der  bofiscben  Lyrik  binaus  und  wurden  nocb  im  16.  Jabr- 
bundert  auf  fliegende  Blatter  gedruckt,  welcbe  an  dem  Titel  im 
groben  Holzscbnitte  den  Wacbter  mit  dem  Horn  auf  der  Zinne 
zeigen.  Unsere  Volkslieder  baben  nocb  viele  Tagelieder  unter  sich. 

Neben  den  Albas  bat  die  proven^aliscbe  Lyrik  eine  ver- 
wandte  Gattung,  das  Abend-  oder  Nachtlied  (serena)  worin  sicb 
das  Verlangen  des  Mannes  nacb  der  verbeifzenen  Liebesnacht 
ausspncbt.  Die  deutscbe  mittelalterlicbe  Poesie  kann  nichts  an- 
licbes  aufweisen  und  aucb  die  Proven 9alen  baben  nur  wenig 
Serenas  gedicbtet« 

Wenn  die  Liebesverbaltnifse  in  eine  so  starke  Wirklicbkeit 
biniibergiengen ,  wie  die  eben  gescbilderten  Tbatsacben  beweisen, 
so  muste  es  die  angelegentlichste  Sorge  der  Liebenden  sein,  die 
groste  Verscbwiegenbeit  zu  bewaren.  Besonders  scbwierig  war 
diefz  aber  fiir  die  ritterlicben  Sanger,  welcbe  demLiede  ihreLiebe 
anvertrauten  und  sie  dadtircb  zu  einer  offenilicben  Sacbe  machten. 
Um  weriigstens  den  Scbein  des  Gebeimnifses  zu  retteh,  war  es  ihnen 
daber  eine  Ebrenpflicbt  den  Namen  der  Frau  ent weder  gar  nicht  oder 
nur  verbiiiit  zu  nennen;  deutlicber  zu  sein,  gait  fJIr  Tborheit 
und  Kjnderei  (follia  et  enfanza.  Raynouard  cboix  5,  192). 

Grofze  Not  macbten  den  Liebenden  die  Au^afser  oder  wie 
der  Kunstausdruck  fiir  die  Feinde  golcber  Verbaltnifse  war,  die 
Merker.  Nicbt  wenige  Minnelieder  bringen  Elagen  iiber  dieae  Nei- 


179 

der  and  Stdrer ,    wdche  die  Freude  bei  Tag  und  bei  Nac^t  ver- 

nichten  oder  wenigstens  verbittem.  Um  das  Uebel  von  Grund  aus 

Ku  heflen,    eifem    die  Dichter  auch  meist  gegen  jede  zu  strenge 

Beaufsichtigiiiig  der  Frauen,    g^gen  die  huote,    Sie  meinen  diese 

Hiitung   sei  eine  Bute   mit  der   aich   der  Mann   selbst  ziiclitige; 

er  siede  und  braue  sich  hierdurch  was  ihn  selbst  spater  reue  und 

m  nfttse  ihm  nichts.    In  dem  proyen^aliscben  Bomane  Flamen^a. 

ier  gegen   die   huote  gedichtet  ist,    bieifzt  der  eiferstlchtige,    der 

sein  Weib  durchaus  behiiten  wiU,   ein  Narr,     denn  wenn  es  ihm 

nicht  Gewalt  raube,    so  neme   es   ihm   die   List  ^).     Und  in  dec 

That  war   fiis  damals  wie  heute  das  Beste,   dem  Weibe  selbst  zu 

vertrauen,    und  wenn   man     eine   Untreue   entdeckte^    es   durch 

giinzliche    Verachtung    und    volliges    Uebersehen    zu   strafen  im 

Fjdle  nicht  die  Zeichen  aufrichtiger  Bene  vorlagen* 

DieJVlanner  giengep,  freilich  ihren  Frauen  mit  keinein  JSei- 
gpiele  der  TxfiUfiJjQi:  und  von  beideh  Seiten  wurde  die  Ehe  juit 
Fii£?en  getreten.  Das  ist  ein  trauriger  Vorwurf  den  wir  der  fei- 
nen  Gesellschaft  des  Mittelalters  machen  m^zen^  denn  wo  die  v^^ 
£3ie  aus  den  sittlichen  Fugen  ist  da  fault  die  Gesammtheit.  Das  >,.^ 
hatte  Tacitus  wol  erkannt^  als  er  den  Bdmem  das  strenge  Bild 
germanischer  Sittlichkeit  und  ehelicher  Treue  aufirifz  und  ihnen 
die  eigene  Schande  donnernd  zurief.  Das  scheinen  aber  diejenigen 
vergefzen  oder  nie  erfaren  zu  haben ,  welche  das  Mittelalter  als 
die  Zeit  der  Frommigkeit  lirid  GefQlsinnigkdt  anpreisen.  Ge- 
fiil  hatte  man  aber  ein  falsch  geleitetes ,  fromm  wax  man  aber 
in  unrechter  Weise:  Aufgehen  in  Schwarmerei  und  feiges  Ver- 
lafzen  auf  aufzerlichen  Dienst  wont  in  schurkischen  Seelen*  Man 
gehe  doch  einmal  die  Marienlegenden  durch ,  diese  starksten  Be- 
lege  der  mittelalterlichen  Fronamigkeit  und  man  wird  ihnen  bei 
parteiloser  Stimmung  einen  moralischen  Wert  fast  durchgehends 
absprechen  mtifzen^). 


')  Ben  es  foU  giloe  que  f'ea  forfa  de  guardar  moillier,  guar  fe  forfa  non  ta 
iU  to/,  ben  la'l  tolra  geinz.  Rayn.  lex.  rom.  1,  28.  Vgl.auch  Eracl.  2490.  2519.  3952. 
^  ICaa  lese  was  Clarus  in  seiner  Darstellung  der  spanischen  Literatnr  im  Mittel- 
alter (Mainz  1846)  1,  254  ff.    uber   das   hier   einschlagende   Gedicht  des   Gonzal 

12* 


♦ 


V 


180 

Die  Ehe  ward  als  eine  aufzere  Verandtaltimg  betrachtet,  die 
man  wegen  dieses  oder  jenes  Vortheils  eingieng,  die  aber  in  iel* 
tenen  Fallen  eine  innere  Wirkung  hatte.  Bei  den  Tomemen  Hcbreii 
Frankreichs  war  die  eheliche  Verbindung,  wie  in  den  hohen 
Standen  aller  Zeiten  und  Lander,  eine  politische  Untememong^ 
ii  mit  der  das  Herz  nichts  zu  thun  hatte.  Bei  dem  Einflufze  der 
Yomemen  nnd  bei  der  allgemeinen  Neigung  zu  nuuaniohfaohem 
Genufze  breitete  sich  di5  Geringschatzung  der  Ehe  auf  alle  aii0» 
welche  vomem  und  fein  erscheinen  wolten,  und  es  wtod  allge* 
mach  Grundsatz  Liebe  und  Ehe  vollig  zu  trennen,  so  dafs 
selbst  in  den  wenigen  Fallen  wo  dem  LiebesverhaltnifBe  die 
Vermahlung  folgte,  fortab  die  Zartlichkeit  ausgeschlofzen  wurde. 
Die  Lebensphilosophie  jener  Zeit  hatte  naturlich  einen  Gnind  da* 
fur ,  den  wir  durch  Nostradamus  kennen  lemen.  Dieser  Moneh  ^) 
antwortet  auf  die  Frage  ob  zwischen  Ehegatten  die  Liebe  statt- 
haben  konne :  das  sei  unmoglich ,  denn  Wesen  der  Liebe  sei  ea 
in  ihren  Gaben  an  keinen  Zwang  gebunden  zu  sein  und  alles  fiei- 
willig  zu  geben.  Die  Ehe  yerlange  aber  unbedingtes  Fiigen  in 
den  Willen  dee  andem  und  das  schliefze  die  Liebe  au8«  Dalier 
gait  in  weitester  Ausdenung  der  Satz,  die  Ehe  sei  kein  Grand 
ein  angetragenes  Liebesverhaltnifs  auszusohlagen ,  und  durch  mehr 
als  ein  Jahrhundert  ward  diese  Lehre  in  die  krafseste  Praads 
iibersetzt ').  Wer  auf  die  reiche  Novellenliteratur  des  Mittelaltert 
geachtet  hat,  wer  die  kleinen  Geschichten  kennt ,  die  sich  im  IS. 
13.  und  den  folgenden  Jahrhunderten  in  groster  Fiille  dutch 
Frankreich  England  Italien  und  Deutschland  trugen  und  kennte 


von  Berceo  (etwa  ron  1198—1268)  sftgt.  Wir  beeiteen  aach  in  der  denteeheii  Li- 
teratar  eine  grofze  Anzal  Marienlegenden.  Ein  Theil  wnrde  von  Fr.  Ffeifi^  Statt- 
gart  1846  herausgegeben.  ')  Er  ist  mit  dem  weit  sp&teren  beriihmten  Ante  und 
Astrologen,  Michael  Nostradamus  f  1566,  den  Gotbe  in  dem  enten  Monologe  dflt 
Faust  nennt,  nicbt  zu  verwechseln.  *)  Catisa  conjugii  ab  amore  non  est  exemsttdo 
certa.  Nostrad.  f.  103  (Rayn.  choix.  2,  CV).  In  dem  Roman  von  FUunencaww. 
den  der  Grafin  sehr  leichte  Grundsatze  iiber  die  Ehe  in  den  Mnnd  gelegt  Bfaa 
diirfe  sich  durch  sie  im  Genuize  nicht  storen  lafzen,  car  beautatz  faill  «  wmem 
dura,  aifsi  con  Ovidis  retrai,  (Rayn.  1.  rom.  1,  37).  Ovid  nnd  nameatHdi  uaa» 
Bucher  de  arte  amandi  galten  vielfach  als  Auctoritat  in  Liebesfragen. 


181 

er  selbet  nor  BoccaziosDekamerone,  wird  in  eeinem  G^dfkhtnirse 

eine  Menge  von  Geschichten  auireibeni  welche  mn  Hohn  auf  die 

Ehe  and  die  Sittliohkeit  uberhaupt  sind«    I)ie  Ehd  gait  in  d^r 

That  gar  nichtsjund  es  ist  ein  Zeicken  der  mensehlichen  Selbst- 

sucht,  dafz  die  leichtfertigen  Ehem toner  nooh  leifersiiohtig  wareo* 

febsr  yon  Auvergne  yergleicht  sie  sehr  treffend  den  listigen  Sehel- 

men,  welche  fremdes  Brot  stelen  und  das  leigene  verschliefzen  ^). 

Wenn  wir  dieLebensbeschreibungen  der  Troubadours  lesen^ 

w  moekte  uns  vor  den  schdnen  geistreichen  und  gewandten  Wei- 

bem,  die  darin  spielen  ein  Grauen  ankommen,  denn  da  ist  keine 

Zacht  keine  Scham ;/  die  Perle  der  Weiblichkeit  ist  in  den  Staub 

geworfen  und  wird  mit  frechen  Fiifzen  getreten.  i  Zwar  wird  den 

Pioven^alinnen  besondereLeichtfertigkeit  schuld  gegebeo,  allein  in 

den  meiaten   andern  Landern   war  es   nichi:   befzer.    Es  geborte 

dock  ein  grofzer   Grad    von  Yerderbtkeit  dazu,    dafz  jene  Erza- 

limgen  in  der  Gesellsckaft  aller  Lander   die  weiteste  Verbreitung 

£anden.  « 

Es  wiirde  zuletzt  anwidem,  wolte  icb  fortfaren  jener  Zeit 
den  Sckleier  von  den  Sunden  abzuzieken ;  ich  kann  auf  die  Le- 
bensgeschickten  der  proyen<^iacken  Troubadours  yerweisen,  die 
dnrck  Fr.  Diez  aus  den  alt^iQueUen  mitgetkeilt  worden  sind  und  in 
denen  sick  die  lebendigsten  Sittensckilderungen  finden  ^).  Ick  will 
nor  die  Gesckickte  Guillems  yon  Cabestaing  erzalen. 

GuiUeni  yon  Cabestaing,  ein  trefflicher  Ritter  und  Dickter 
aoB  der  Grafsckaft  IloufsiUony  war  am  Hofe  des  Grafen  Baimond 
yon  Roursillon  beliebt  und  weihte  der  Grafin  Margarida,  Bai- 
monds  Gemaklin  seinen  Dienst.  Durck  Lieder  und  ritterlicke 
Thaten  ausgezeicknet ,  wurde  aus  dem  aufzerlicken  Verkftltnifse 
rin  sekr  yertrautes  und  man  sprack  bald  yon  dieser  Liebe*  Das 
Geriickt   kam  auck   an  des  Grafen  Okr,    der  sick  sehr  dariiber 


»)  Diez  Leben  und  Werke  der  Troubadours.  73.  *)  Leben  und  Werke 

der  Troubadours.  Zwickau  1829.  —  Vgl.  vor  allem  die  Art  wie  sich  die  Damen 
dor  bciden  Dichter  Gnillem  tod  Saint  Didier  und  Gaucelm  Faidit  gegen  dieselbea 
kMnea,  a.  a.  O.  324.  377. 


182 

betrlibte;  denn  es  that  ihm  leid  einen  lieben  Freund  zu  verliereiiy 
und  mehr  noch  schmerzte  ihn  die  Schande  seiner  Frau.  Als-'Ghiil- 
lem  einmal  auf  der  Jagd  ist ,  reitet  ihm  der  Graf  nach  und  fragt 
ihn  auf  Glauben  und  Gewifzen ,  ob  er  eine  Dame  habe  um  deren 
Liebe  er  singe.  Guillem  bejaht  diefz,  denn  ohne  Li^be  'wiirde  er 
nicht  dichten  k6nnen;|al8  er  aber  nach  den  Namen  gefragt  wird, 
verweist  er  auf  den  Grundsatz  dafz  dieser  verschwiegen  bleiben 
miifze.  Der  Graf  lafzt  sich  indefsen  nicht  abweisen,  sondem 
dringt  weiter  in  den  Dichter,  bittet  um  voUes  Vertrauen  und 
verheifzt  die  Hilfe  des  Freundes.  Da  erliigt  Guillem  eine  Liebe 
zu  Margaridas  Schwester  und  Raimond  erfreut  dartiber  €rbietet 
sich  sogleich  mit  ihm  auf  Schlofz  Liet  zu  reiten  ^  wo  Agnes  and 
ihr  Gemahl  Robert  von  Tarascon  wonen.  Sie  werden  dort  wol  auf- 
genommen  und  der  Graf  zieht  die  Schwftgerin  bald  bei  Seite, 
fragt  sie  ob  sie  liebe  und  Agnes ,  welche  nach  der  proTen^ali- 
Bchen  yida  Guillems  aus  des  Dichters  Traurigkeit  bald  die  Sach- 
lage  erraten  hat,  gesteht  dafz  sie  mit  dem  Troubadour  ein  Vcr- 
haltnifs  habe.  Sie  zieht  ihren  Gemahl  in  das  Vertrauen,  der  ihr 
alles  erlaubt  um  den  Schwager  zu  tauschen  und  die  Fran  ent- 
blodet  sich  nicht  den  starksten  Schein  eines  vertrauten  Verlralt* 
nifses  mit  Cabestaing  dem  Grafen  vorzuspiegeln.  Befriedigt  und 
frohlich  kehrt  dieser  auf  sein  Schlofz  zuriick  und  erzalt  sogleioh 
seiner  Frau  was  er  von  der  vermeintlichen  Liebschaft  Ghiillems 
und  der  Schwester  weifz*  Margarida  unterlafzt  nicht,  sobald  sie 
den  Geliebten  allein  sprechen  kann,  ihm  die  bittersten  Vorwllrfe 
liber  seine  Untreue  zu  machen;  vergebens  sucht  sie  dieser  zu 
aberzeugen  dafz  alles  nur  Not  und  Schein  sei ;  er  erhalt  die  Ao^abe 
ein  Gedicht  zu  machen  worin  er  Offentlich  bekenne,  er  liebe  keine 
andere  als  sie  und  der  Troubadour  thut  es.  AIs  der  Graf  von 
diefzem  Liede  vernimmt,  lafzt  er  Guillem  vor  das  Thor  seiner 
Burg  kommen ,  haut  ihm  den  Kopf  ab ,  schneidet  ihm  das  Herz 
aus  der  Brust  und  lafzt  es  braten«  Bei  Tische  setzt  er  es  seiner 
Frau  vor  und  als  sie  davon  genofzen,  sagt  er  ihr,  sie  habe'Guil- 
lems  von  Cabestaing  Herz  genofzen.  Zum  Beweise  zieht  er  des 
ungltlcklichen  Kopf   aus   seiner  Jagdtasche.     Da  antwortet  Mar- 


1^ 

garida,  es  sei  eine  so  treffliche  und  wolschmeckende  Speise  ge- 
weseiiy  dafz  fortan  keine  andete  ihre  Lippen  berClren  8oll6,  und 
ne  eilt  von  dem  Graf  en  mit  dem  Schwerte  verfolgt  zu'eiAem 
Balkon  und  stiirzi  i^ch  in  die  Tiefe.  Kasch  dringt  das  GetticM 
von  dem  traurigen  Ende  dieset^ 'tiebenden  duirch  Katalonien  und 
das  ganze'  Reich  Aragon  und  alle  ergreifl  der  tiefste  Schmerz. 
Alle  liiebenden  greifen  zum  Schwerte  gegen  den  Grafen ,  seine 
Borg  wird  genommen  und  Alfons  von  Aragon,  sein-Lehnsherr, 
entBetzt  ihn  seiner  ScUdTzer  und  L&nder.  Guillem  und  Marga- 
rida  wurden  zusammen  in  der  Kirche  yotx  Schlofz  Perpignac  be- 
graben  und  lange  ward  der  Jahrestag  ihres  Todes  als  Feier-  und 
Bettag  der  Liebenden  der  Nachbarschaft  begangen.  Des  Grafen 
Lehen  wtirden  an  die  Verwandten  Guillems  und  Margaridks  ver- 
theilt;  Baimond  selbst  etarb  im  Gefangnifse  ^).  So  hatte  den  Mann, 
welcheir  s^en  Schwager  ruhig  hintergehen  sah  und  die  Schande 
seiner  Schwagerin  freudig  unterstiitzte ,  die  Rache  dafiir  ereilt 
dafz  er  sich  imd  seine  Frau  fur  dergleichen  Schmach  zu  hoch 
hielt*). 

Mehrfach  hibe  ich  auf  di^  Ausbildiiiig  bestimmter  Vor- 
schriften  fiir  den  Liebesverker  hinge wiesen.  In  dem  so  viel  bi^- 
w^ten  feinen  Leben  dieser  Zeit  das  sich  utn  die  Liebe  als  um 
semen  Mittelpufikt  bewegte ,  in  dieseii  Kreisen  galanter  Damen 
Yomemer  Herren  und  geistreicher  Dichter  muste  sich  naturKch 
em  Kanon  fftr  die  Beriirungen  der  beiden-GescMechter,  eine  Wi- 
fzenschaft  der  Liebe  ausbilden.  Die  Dichter  warfen  iiber  streitijge 
PunkteFragen  auf  und  suchten  sie  in  den  Streitgedichten  (Tenzo- 
nen)  zu.  losen ,  indem  der  eine  diese  der  andere  jene  Ansicht  ver- 
fodit.  So  besitzen  wir  eine  Tenzone ,  worin  drei  Troubadours  dar- 
ilber  straiten  y  welchen  von  ihtiien  ihre  gemeinsame  Dame  am  mei- 


')  Baynonard  cboix  5,  189.  £F.  Eine  kurzere  und  wahrscheinlich  ftltere  vida 
Giullems  Ton  Cabestaing  (5,  187)  weicht  in  der  Erzalang  bis  zum  Tode  des 
Troubadours  mehrfach  von  der  mitgetheilten  ab.  *)  Ueber  die  einigermafzen  ver- 
wndte  Greschichte  des  Kastellan  von  Coucy  siehe  Crapelet  Vhiftoire  du  chdteldin 
it  Coney  et  de  la  dame  de  FayeL  Par.  1829.  —  Chansons  du  Ch&lelain  d&Couey  — 
par  Fr.  Michel.  Far.  1830. 


18i 

8ten  ausgezeichnet  habe.  Sie  safzen  alle  drei  bd  ihr  und  des 
einen  eah  sie  freundlich  an,  dem  andem  driickte  eie  die  Band, 
dem  dritten  trat  sie  seufeend  und  y^stolen  auf  don  Fufz.  Wie 
in  diesem  Falle,  .so  warden  die  Streitfiragen  gew&dich  der  Ent- 
Bcheidung  einer  vielgefeierten  Frau  unterwotfen  and  JtieraoB  kat 
man  gesehlofzen ,  dafz  in  Siidfrankreich  fSrmHche  I^beahSfe  be- 
litunden,  welcfae  als  stehendeGrerichte  uber  die  yorgelegteaai  Streit- 
fragen  zu  entecheiden  gehabt  batten.  Die  Grtinde,  welohe  dalBr 
angefiirt  werden ,  sind  indefsen  nicht  probehaltig  und  wir  mttTzen 
derartige  Anatalten  f&r  das  sftdliche  Frankreich  ganz  aUeugnen  0* 
In  Nordfrankreich  dagegen,  wo  sich  derVerstand  fur  die  Lidbeapoeaie 
auch  einen  aufzeren  Tbron  schaffen  wolte,  sind  solche  Hofe  wirklieh 
vorbanden  gewesen  und  waren  bald  aus  Frauen  allein  bald  au0  ittc)i- 
tem  beider  Geschlechter  zusanunengesetzt,  Wie  Nordfrankreich  auf 
Deutscbland  und  namentlich  auf  den  Niederrbein  in  den  Formen 
des  Lebens  und  der  Poesie  damals  einen  bedeutenden  Ein- 
flufz  ubte,  so  hat  es  auch  diese  MinnehSfe  Deutechlaiid  liberiie- 
fertt  Freilich  gediehen  sie  bier  nicht  so  wie  jenseits  der  deutschen 
Sprachgrenze  und  ich  kann  nur  ein  einziges  Zetignif s ,  die  Bruch- 
stucke  eines  niederrbeinischen  Gedicbtes  auf  Adolf  von  NaTsau  *), 
anfuren,  Hier  werden  wir  in  ein  Minnegericht  eingelbrt,  dma 
aus  Frauen  und  edlenHerren,  wie  den  Grafen  yon  Jiilich,  Spon- 
heim,  Reiferscheid ,  zusammengesetzt  ist.  Finer  der  Bittar,  der 
Graf  yon  Greiienstein ,  wird  yon  dem  Boten,  der  ihm  die  etreir 
tige  Sache  mittheilt,  zum  Fursprecber  erwalt;  dieser  tragi  den 
Fall  yor  und  Frauen  und  Hitter  geben  ihr  Urtheil  der  fieihe 
nach  ab.  Auch  die  Tenzonen  sind  der  besten  Zeit  unserer  hofi- 
schen  Poesie  fremd ;  sie  finden  sich  erst  zalreicher  und  werden 
ausgebildet  als  das  Geful  hinter  das  Griibeln  zuriickwich* 

Die  Belege  fiir  meine  Darstellung  des  hofischen  Minnedien- 
stes  hatte  ich  zum  grosten  Theil  aus  dem  Welschen  entlehnt* 
Ich  muste  diefz  thun  weil  sich  hier  das  Leben  der  Zeit  am  frei- 


')  Vgl.  Diez  Poesie  der  Troubadoun  Zwickau  1826.  8.  29.  if.       *)  flaufH 
Z.  L  d.  A.  3,  jf— 12, 


185 

sten  entwickelte  und  weil  hier  die  Quellen  am  reichsten  fliefzen* 
ELatten  wir  eben  solche  Lebensbeschreibungen  uiiserer  Mmiieiwii<^ 
ger,  wie  die  Siidfranzosen  in  den  vidas  ihrer  Troubadours ,  so 
waren  Uberall  eben  solche  deutsche  Geschichten  zu  bericbteu  ge- 
wesen*  Die  einzigen  Denkwtirdigkeiten  dieser  Art,  Ulrichsyoii 
lAohfjPsnf^\^\n  Vra^ft jdifinflf  /  p^^fen  RtnflT  gfiniig  an   die  Hand  um 

das  Treiben  in  Deutschland  fiir  ebenso  wenig  sittlich  zu  halten 
als  das  westnachbarliche*  Und  auch  aufzer  dem  Liclitensteinischen 
Werke  fehlt  es  keineswegs  an  Zeugnifsen,  die  una  den  V«rker 
zwischen  den  beiden  Geschlechtem  fiir  sebr  frei  und  auch  fiir 
sehr  raffinirt  halten  lafzen  ^).  In  den  Minn^edem  yerhelen  viele 
Dichter  ihre  aufzersten  Wiinsche  durchaus  nicht  und  wie  wir  von 
Siidfranzosinnen  Lieder  baben ,  die  allerlei  Aufschliifze  uber  ihr 
WoUen  geben,  so  besitzen  wir  anliche  Gedichte  von  deutsohen 
Dichtern ,  die  Weibem  in  den  Mund  gelegt  sind  *)♦  Kurz  jenseits 
wie  diefseits  des  Bheines  war  *  das  Yolk  in  dieser  Hinsicht  daf- 
selbe;  Ritter  wie  Bauem^  Manner  wie  Frauen  fafzten  das  Le- 
ben  leicht  und  wenn  wir  auch  nicht  das  ganze  Volk  fur  sittUdb 
unterwult  ausgeben  wollen^  die  yoruemen  Kreise  waren  es  fast 
durchgangig  und  ihr  Beispiel  fand  wie  immer^sehr  gelehrige 
Nachamer* 

£s  ist  eine  Unmoglichkeit  sich  das  bewegte  Treiben  dieser 
SSeit  dme  die  Scharen  der  ritterlichen  Dichter  zu  denken ;  denn 
wie  hatte  sich  das  Zogem  der  Frau,  das  Schmachten  Zagen  und 
Verzweifeln  des  Eitters,  die  Wonne  der  Erhorung,  der  Jubel 
deg  Grenufzes  so  schon  durchleben  und  nachleben  lafzen ,  ware 
nicht  die  Poesie  zu  Hilfe  gekommen.  Mit  den  Antangen  des  ho- 
fiechen  Lebens  zeigen  sich  auch  die  Anfange  der  hofischen  Poesie, 
mit  seinem  Hinwelken  stirbt  auch  sie*  Wie  wir  in  Siidfrankreich 
demnach  bereits  gegen  das  Ende  des  11*  Jahrhunderts  die  ho- 
fiscke  Lyrik  sich  entfalten  sehen ,    so  mufz  sich  auch  damals  je- 


')  Herbort  701—718.  Parz.  406,  28.  j.  Tit  1296—1301  (1246  —  51  Hahn.) 
I^e  deatschen  Novellen,  obschon  sie  yielfach  undeutschen  Ursprungs  sind,  mufzen 
<Mi  in  Anschlag  gebracht  werden.  Vgl.  v.  d.  Hagen  Gesammtabenteuer  Stuttg. 
^8M>.  3  Bde.       ')  Kurenberk  MSH.  1,  97.  Veldeke  MSH.  1,  40. 


180 


nerUmachwungin  dergesellfichaftlichenStelluhg  der  Frau  voUzogen 
haben.  Im  nordlichen  Frankreich  trat  die  gesellschaftliclie  Umwal- 
ziing  erst  gegen  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  ein ,  in  Deutschland 
um  1170.  Die  Wiege  dieser  modemen  Kultur  ist  Aquitanien  und  die 
Prbvence;  das  Morgenland  hat  an  ihrer  Erzeugung  Theil  geliabt 

Interefsant  bleibt  immer  dieWam6mung,  dafz  sich  die  mo- 
deme  LebensauiSarzung,  als  derenZeiige  ohne  Weiteres  diePoerie 
zu  nemen  ist ,  erst  so  spat  nach  ihrer  Entwickelung  im  Siiden 
in  das  franzosische  und  deutsche  Land  verpflanzte.  Das  germa- 
riische  Wesen,  das  auch  in  Frankreich  iiberwog,  widerstuhd  also 
im  Anfang  kraftig  dieser  neuen  Behandlung  und  BetrachtHilg  defl 
Lebens,  wie  sich  das  unter  anderm  in  manchen  Klagen  franzGsi- 
scher  Kronisteh  fiber  das  leichte Volk  das  aus  dem  Mittag  komm< 
tind  die  Sitten  verderbe,  ausspricht.  Der  emste  und  schwerfallig 
Deutsche  hat  sich  auch  in  die  ganze  Feihheit 'der "Fortnen  ni 
vOllig  hineinfinden  kOnnen;  er  wiiste  das  Ziel  derselben,  de 
Geniifz,  recht  gut  zu  begreifen  lind  auch  ^u  erlangen ;  all-in  hi 
den  meisten  ,  wo  wir  das  genauer  beobachten  konAen ,  hat  dc 
Frauendienst  etwas  gemachtes.  Ulrich  von  Lichtenstetns  Lebd 
ist  doch  nur  ein  Zerrbild  des  Minnedienstes ;  man  nierkt  ihf 
schier  die  Muhe  an,  welche  ihm  das  Treiben  macht  uiict'do  s^h 
er  auch  genial  sein  mochte,  es  gelingt  ihm  nicht.  WeftH  abe 
Peter  Vidal  sich  zu  Ehren  seiner  Danle  als  Wolf  halbtot  beifze: 
lafzt,  so  ist  das  zwar  verriickt  aber  Genialitat  lafzt  sich  den 
Narren  nicht  absprechen. 

Kaum  erbliiht  wird  das  modeme  Leben  von  den  deutschei 
Dichtern  auch  schon  ^Is  verf alien  b'eklagt,  ein  sicheres  2ieich« 
wie  wenig  es  in  das  Blut  des  Volkes  iibergegangen  war.  Bale 
nach  1250  ist  nicht  viel  mehr  als  ein  Schatten  iibrig;  die  Frai 
tritt  wieder  zuriick,  der  Mann  sucht  andem  Zeitvertreib  als  Lie 
besphantasien  und  die  Verhaltriifse  werden  im  Grunde  wiedei 
die  alten.  Der  Mann  befiehlt,  die  Frau  gehorcht;  der  Mann  leb 
auf  dem  Rofse,  im  Walde,  beim  Trinktische ,  die  Frau  ist  Haua 
wirtin  und  Mutter ;  sie  tritt  in  dieEhe  mit  und  ohne  Liebe,  abei 
ohne  der  Gogenstand  einer  eitraiimtcn ,    mit  pbantastischen  Tha- 


i8t 

tcH  Tind  Worten  vei*br&tnten  Liebe  gewesen  zu  eein.  Das  p6li- 
tieofae  Leben  hatte  lalieti  Glanz  verloren  und  ward  eng<3  itnd 
trQbe;  die  Poeele  1<^ch  aus  dem  geselligen  Lebeil  titid  nui*  au«-« 
er¥^lte  hielten  sie  itn  Intiel^  und  im  engeren^  Krfeise*  zuriick^ 

SkandmaVien  hat  sich  Ton  der  romariischeii  Kttlhlr  des  Mif^- 

telaltefB  fast  ganzfrei  erh^ltenund  seine  germ^nisciheEig^thiitnlich- 

keit   anch   in  den    ge«elIschaftUchen  Verbal tnifsen   liiwftrt ,    Wft- 

rend   in    England  durch  die   normannische    Besitzergreifung   dats 

romanische  Element    auoh    in    dieter  Hinsicht   grofie  Kraft'  ent- 

faltete.    Die  Danen  Norweger  tmd'  Islatider  kameh  auf  ihren  be- 

deutenden  Seefaften   allerdings   auch  in  roriiariische  Landed' 'tfnd 

lemten  das  dortigeLebeii  kenn^n,'  t>'iHEiclrten  sogafr  fast  alle  h8fidobe 

Epen   mit  in  die  Heimat,    die  hiei^'fleifzig  Tibei*8etzt  wnriden  und 

also  Anklang  fanden')$  alleiti -es  griff  diese  BekanntSchaft  durch- 

aos  nicht  tief  in  das  nordiscbe  Lebeh  ein.    Nur  )9pate  islandische 

Geschichten   versucben!  ihrer  Erzalung  eineh   romantischen   An- 

strich  zu  geben,    aber  es   gelingt  liinen  liicht  <fen  Widerspruoh 

zwischen  der  Volksthftmlichkeit   und  dein-ft-eniden  Wesen  zu  iO- 

een*).  Das  bedeutendsteZeugnifs  dafhr  dafz  Skandinavieh  aufe^r- 

halb  der  romantischen  BteWegung  "blieb ,  ist  der  Mangel  ein^Lie^ 

beslyrik.  Wir  haben  zwar  uriter  der'bedeutendenMengis  der  Skal- 

den^edichte  auch   Liebesgedich'ie ,   jedoch    im   Verh'altnifse    nut. 

wraige.  *  Sie '  wurden   nicht  wie  im  Mittag  die  heri*echende'  Oat* 

tiing/son<leni  giengen  nur  nebenhei*,  wenn 'die  Leid^iischaft  des 

Angenblioks  od^r   sonst   ein  Anlafz  'den  Skalden   bewegten.     Sie 

Bind  durcbaus    nicht   der    Trager   einer   allgemeinen    Stimmting, 

nicht  das  Bediirfnifs  der  ganzen  Zeit,  sotidem  der  einzelne  Aus*- 

drnck  einer  einzelneii  Stimihimg.  Dem  ilordischen  strengeti  Sinne 

galtuberdiefz  das  Liebesgedicht  far  straflich.     ZWar  heiftt  es  in 

der  jungeren  Edda  von  Freya,    welchie  die  Liebe  iiberhaupt  be- 

whirmt ,    dafz   ihr    der  Liebesgesang  (manf5ngr)  wol  gefalle  (Sii. 

E.  29.  Riifk);  allein  dieses  theologische  Gutheifien  derselben  war 


•)  P.  E.  Mttller  Sagabibliothek  III.  480— 485.— ^rtri4/bn  Fdrtekning  6/ver 
fawiyL  bihliothekets  i  Stockholm  islSndfka  handfkrifter.  Stockh.  1848.  S.  17.  171.  f. 
*)  Vgl.  den  Inbalt  des  dritten  Bandes  der  Fornaldarfbgur,   '  '  ,     1 1 


188 

kein  biU'gerliches.  Auf  Island  atund  Friedlosigkeit  daranf »  wenn 
jemand  einLiebeslied  auf  einMs^dchm  machte  (GrrftgA^  vlgsl.  106); 
dmn  trat  zugleich  einer  der  Falle  ein,  wo  dasMadchen  eiiie  ge- 
wifse  biirgerliche  Selbststandigkeit  genofz.  War  es  namlich  zwaa- 
zigJahre  oder  daraber,  so  lag  dieKlage  in  seiner  eigenen  Hand; 
war  es  jiinger  oder  wolte  es  nicht  klagen,  so  mnste  der  Vor- 
mnnd  den  Prozefs  erheben.  Die  strenge  Strafe  konnte  durehGkld 
abgebilTzt  werden ,  allein  der  Satz  war  sehr  hoch.  Idi  will  ein 
par  Beispiele  dieses  Verbrechens  erz'dlen,  —  Der  Islander  Ingolf 
Tborst^ips  Sohn  hatte  ein  LiebeBverhaltnifs  mit  Walgerd^  Ottam 
Toahier*  Beide  Vater  sahen  denVerkehr  ihrer  Kinder  nicht  geme 
und  dem  Ingolf  ward  der  Besuoh  der  GeUebten  untersagt.  Da  Qiaojita 
er  ein  langes  Liebesgedicht  auf  Walgerd  und  pbschon  di^  Poosie 
in  Ottars  Hause  beliebt  sein  solte,  da  sein  Sohn  Hallfirpd  (vcmd" 
raedhajMld)  einer  der  bedeutendsten  Skalden  war,  so  wur^  doob 
dieser  Liebesgrufz  sehr  schlecbt  aufgenommen*  Ottar  verklagta  d^ 
Dichter.  Die  Folge  war  dafz  Thorstein  eine  bedeutende  l^tze  fiir 
den  Sohn  zahlen  muste ;  indefsen  verstund  sich  Ottar  dazu  seip  Guf 
zu  yerkaufen,  in  eine  andere  Landschaft  zuziehen  und  dadlirch  dep 
Grund  zu  ferneren  ProzefsQn  aufzuheben.  (Fornmannas,  2 ,  13.  14.) 
Auch  in  den  andem  skandinavischei)  Landem  wur^m  4i^ 
verliebten  SSrnger  verfolgt.  Der  Skald  Ottar  der  schwiqrM  hatl# 
ein  Gedioht  auf  Astrid ,  die  Tochter  Konigs  01a£s  von  Sdhw/edoii 
gemacht.  Er  wurde  deshalb  eingesperrt  und  solte  am  dritten  Tage 
hingerichtet  werden.  Aus  dieser  bedenklichen  Lage  rettete  ihn 
sein  Freund  Sigh  vat,  der  ihoi  ein  Lobgedicht  auf  den  Koooig  xu 
machen  riet.  Als  er  nun  zum  Tode  geiiirt  wird,  singt  er  vor 
Olaf  und  Astrid  noch  einmal  als  Schwanengesang  jenes  verderbliohe 
Lied 9  kniipft  aber  rasch  das  Lobgedicht  auf  den  KCnig  an,  das 
seine  Wirkung  nicht  verfehlt.  Olaf  schenkt  ihm  nicht  nqx  das 
lieben ,  sondem  auch  als  hergebrachte  Sangergabe  einen  Ring  und 
Astrid  reicht  ihm  einen  Fingerreif.  (Fornmannas.  8,  173  — 175)  ^). 


'}  Als  Beleg  fur  die  Seltenheit  der  Liebespoesie  in  SkandJnayien  Iciuin  gel- 
tei^  dafz  der  Skald  Thdrmddhr  von  ssinen  Gedichten  auf  Thdrbiorg  Kolbdla  den 
Beinamen  KolbrCAarfk&ld  empfieng.  Landnamab.  II.  25. 


^. 


t 

In  der  Weise  dieser  Lieder  lag  durchaus  nichts  ansturziges 

oder  verletzendes ;    sie  haben   keine  Spur    von  der  weichen  Sinn- 

lichkeit  der  romanischen  und  deutechen  Minnelieder,  sondem  sind 

ganz  au8  dem  nordischen  Geiste,    mehr  eine  Uebung  des  Scharf- 

sinns    im    Zusammenschichten    ratselhafter    Umschreibungen    als 

ein  Erzeugnife    des  Herzens^    Es    war  dem   germanischen  Sinne 

znwider  mit  einem  zarteren  Gefiile  an   die  Oeffentlichkeit  zu  tre- 

ten  (Germ,  c,  27»  Adam  ge$U  Hamab.  eccL  pontif.  IV,  9.) ;    sie 

namen  es  fflr  eine  Entweibung  der   inneren  Friedstatte.     Daraus 

konnen   wir   es   voUstandig  erklaren,  warum  die  Lyrik  erst  nach 

der    Schwacbung  der   Volksthiimlicbkeit   durch  die  Kirche  und 

durch  die  Fremde  in  Deutschland  aufbluhte. 

Das   Verbaltnifs  zwischen  Mann  und  Weib    bielt  sich  wie 

die  Poesie  im  Norden  ganz  frei  von  romanischem  Einflufze*    Das 

MUdchen  war  dort  niemals  Gegenstand  einer  weicblichen  phanta- 

Stidcheti   Vererung,     aber    sehr  oft  das  Ziel  inniger  Liebe.    Die 

Gesebidhten    der  nordischen  Dicbter  und   Helden   unterscbeiden 

neb  also  atifs  scb&rfste  utid  zu  ibrem  Vortbeile  von   den  Erieb- 

niben  der  Troubadours.   Wer  konnte  die  Gescbicbte  des  Skalden 

Gunnlatig   Scblangenzutige  lesen,    obne  innig  ergriffen  zu  wer- 

^?  Dieser  raube  barte  Mann,   der  wie  die  Nordlander  alle  als 

Feind  blutig  und  grausam  war,  tragt  eine  beifze  feste  Liebe  sein 

Leben  lang  im  Herzen,    die   und   mit  ibm   yersdnt;    sie    ist  rein 

wie  Islands   Sebnee   und  weder  auf  ibn   nocb  auf  seine  geliebte 

Helga  *  fUllt   der  matteste  Scbein  unrecbter  Vertraulicbkeit.     Wir 

haben   aucb  nocb   von   andem    nordiscben   Dicbtem    ausfiirlicbe 

Lebensbescbreibungen;    aber  iiberiEdl  wo  ibre  Liebe   beriirt  wird» 

tritt  derselbe  reine  Glah^  gennaniscber  Sittenstrenge  bervor,  der 

rich  in  Deutscbland  leider  damals  scbon  verdunkelt   batte.    Die 

Franen  stunden  auf  keiner  eingebildeten   Hobe  aber   auf  einem 

featen   und    sicbem   Boden,    auf  dem   sie  uberdiefz   sicb  selbst* 

Bfindiger  bewegten  als  der  Bucbstabe  der  Gesetzbiicber  aussagt 


Sechster  Abschnitt. 


Die  Term&hluiij^. 

_  .  •  ;       . 

JJie  Verbindungen  der  hofischen  Zeit,  welche.  bloHz  ^ixic  ^ 
iibergehende  Befriedigung  der  Eitelkeit  oder  siimlicbeii  Wo 
fallens  bezweckten,  waren  dort  nicht  moglichy  wp  aJle  YeA 
nifse  und  namentlich  die  der  Familie  streng  aufgefafzt  wur 
LiebjBleien  oder  Minnedienst  kannte  der  Germane  in  der  Zeit 
ner  unbefleckten  Yolksthumlichkeit  nicht ;  hinter  der  geauUze 
Zuneigung  stund  jedesmal  die  Ehe  oder  wenigstena  der  An 
zu  ihr ,  welche  durch  die  Verlobung  abgeschlofzen ;  durch 
bald  mehr  bald  minder  rasche  Heimfiirung  der  Braut,  angeti 
wur^e. 

,  Die  altesten  Berichterstatter  tiber  germanische  Zustande^  C 
ui^d  ^Tacitus  stimmen  darin  tiberein,  dafz  die  Deutschen  erst  ip 
ferem  Alter  eich  verheirateten.  Casar  sagt  (de  bellp  gall.  6,  21) 
die  ganze  Erziehung  des  Mannes  bei  den  Germanen  yon  friih  an 
Abhartungund  Krdftigung  gehe,  so  s^i  es  auchein  grofzesLpl 
hnen  lange  keusch  zu  bleiben,  denn  dadurch  werde  der  Leib  { 
und  gestalt.  Yor  dem  zwanzigsten  Jahre  mit  einem  Weibe  zu  i 
zu  haben ,  sei  die  hochste  Schande.  Und  Tacitus  sagt  eben 
(Germ.  20)  ')  dafz  die  JCinglinge  den  geschlechtlichen  Genufz 


*)  Vgl.  auch  Pompon.  Mela  de  situ  orbis  HI.  8. 


101 


kennen  lemten;  daher  konxme  auch  ihre  UDerschopfte.  Mannlich- 
keit.  Auch  die  Madchen  eiltennicht  ^sur.  iplhe.  Gleich  .an  ^  Alter 
und  K5iper  eeiea,  die  sl^ch  ehe}ichten  uiid/  die  J^n^f&r  bezeugten 
diese.  Kemigkpit  de^r  Eltern.  -^  Die  ,8itt€t  ispislten  Qeiratens  hat 
sidb  noch  lange  in  unserm  Volke  gehalten  und  is.t  -^^  wie  es 
scheint  um  das  13»  Jahrjiunde?rt  .verlsfommen.  EJer/  Dic^bt^^jdef 
Dietrichsflupht  eijrzalt.  dafz  yor  Be^nejs  Helden  J)ieltwaj;t  Zeit  ;wedef 
Mann  noch  Weib  /rtiher  als  ,  uait  dreiCzig  Jabren  hab.^,  heiraten 
darfen.  Leider  sei .  ^i^z  nun  n/ieht  mehr  Sitte;  und.  die  Fqlg^  J^ifSr 
ten  rich  an,  der  Welt  (160-^187),  :  In  Italien  war  noch  im  13t 
Jahrhui^dert  das  dreifzigsteJahrfClr  Manner  und  Frauen  das  Al- 
ter wo  sie  die  £hen  einznge^ien  pflegtea,^).    =  ;  .     ., 

Dennochfehlt  es[nicht  anZeugnifsen.fur  eine  weit  f riihere  Ab- 
8chliiefzuj;ig  der  Ehe  unte^  den  gernoanischen  Stammen^  ja  fiir  Ehen 
in  eineni;  Alter  wo  es  unserm  GefCihle  ganz  widersteht.  Bei  denLon-; 
gobaid^  waren  die  Heiraten  zwolfj3,hrige^  Knaben  und  M^d^hen 
vollig  giltig,  ebenpo  nach  sachsischem  und  friesischem  Rechte*);; 
und  auch. im  franzpsischen .  Lehnrecht  §ind  zwolf  tiahre  fur  das 
Madchen.  ein  fester  Zeitpunkt  der  Vernaahlung. ,  Nicht  mmder  kpna- 
men  Ehen  von  ungleichem  Alter  vor,  in  denen  meistens  die  Ver- 
lobte  erwachsen  der  Brautigam  aber  ein  kleiner  Kn^Jbie  war:  ein 
Verhaltnjfs  das  notwendig  zu  viel  Ungehorigkeitjen  Aniafz  gab, 
gegen  welohe  gesetzlich  eingeschritten  werden  n^iuste^).  Skandi- 
nayien  z^igt  gleichfalls  Abweic^YPgen  von  der  Ge^pnheit.  Aua 
einer  Reihe  Beispielie  fiire  ich  nur  An  dafz  Konig  Magnus  der  B^rfu- 
tzige  von  Norwegen  seinen  Sohn  Sigurd  im  Alter  von  neun.  Jah- 
ren  mit  der  irischen  Konigstochter  Biadmyi^a,  die  fiinf  J^ahr  ri^t, 
▼erm'^lt  (ForQinannas.  .7,  50)..  J^  allgeo^ieji^en  scheinen  ti^nhehn 
itHae  for  die  Madchen  das  gewdnlichQ  Heiratsalter  nach  norwe- 


»)  Bicobald.  Ferrar.    bei    Muratori  IX.  138.  ')  L.  Lintpr.  XII.  CXII, 

▼gl.  hieriiber  Kraut  Vonnundschaft  1,  J  23 — 132.  —  Westerlaw.  ges.  420,  7.  — 
I^oXxntla^e  reckerches  sur  la  condition  civile  et  politique  des  ferhmes  p.  2*7.  — 
Vienefan  Jahre  alsgebotenes  Aker  derYennahlung  eigener  Mftdchen  Weist.  I,  311. 
*)  L  Wisigoth.  III.  1,  4.  1.  Langob.  Karoli  M.  c.  145.  Hludov.  U.  conv,  Ticin. 
«iO  (Pertz  L   U  414). 


gischem  Rechte  ^)  und  anch  die  Manner  mtkrzen  sach,  da  gleiches 
Oder  wenigstens  anliches  Alter  der  Graiten  fest  gehalten  wnrde,  n 
nicht  8pS,teren  Jahren  yermahlt  haben.  Dieser  fr&he  AbsGhlufz  der 
£he  zeigt  sich  nicht  blofz  in  den  hohem  Standen,  wo  oft  Sofzere 
Riicksichten  dazu  fOrten  (Beispiele  aus  Dentschland  liefzen  sich 
viele  anfOren),  sondem  auch  in  den  niedeniy  unter  dem  Liandyolke. 
Im  allgemeinen  jedoch  mag  die  alte  gute  Sitte  gewart  worden  sein. 
\  Bevor  ich  uber  die  Eingehung  der  Ehe  weiter  handle,  will 
ich  dieselbe  durch  Bruder-Berthold  empfelen  lafzen*  Er  hatiiber 
die  Oefaren  der  Ehelosigkeit  gesprochen  nnd  fart  also  fort: 
Darum,  du  junge  Welt,  gehe  in  starker  Bnfze  in  dich  und  znr 
Ehe  oder  mit  der  Ehelosigkeit  auf  den  Grand  der  floUe.  ,3i^* 
der  Berthold,  ich  bin  noch  ein  junger  Knabe  nnd  die  mich  gem 
name,  die  will  ich  nicht  und  die  ich  gem  nSme,  die  will  mich 
nicht."  Sieh,  so  nimm  aus  aller  Welt  eine  zur  Ehe,  mit  der  du 
recht  und  gesetzlich  lebest  Willst  du  die  eine  nicht,  so  nimm 
die  andere ;  willst  du  die  kurze  nicht,  so  nimm  die  lange ;  wiDst 
du  die  lange  nicht,  so  nimm  die  kui*ze ;  willst  du  die  weifze  nicht, 
80  nimm  die  schwarze;  willst  du  die  schlanke  nicht,  so  nimm  die 
dicke.  Nimm  dir  nur  eine  Ehefrau  aus  aller  Welt  „Bnider  Ber- 
thold,  ich  bin  noch  arm  und  habe  nichts."  Es  ist  weit  befzer  dafz 
du  arm  ziun  Himmelreich  farest  als  reich  zur  Holle*  Du  wirst 
schwerer  reich  in  der  Ehelosigkeit  als  in  der  Ehe.  ,,BruderBer- 
thold,  ich  habe  mein  Brot  noch  nicht."  Ich  hOre  wol  du  wilkt 
die  Ehe  nicht.  Da  du  nun  die  Unehe  haben  willst,  so  nimm  dir 
wenigstens  nur  eine  zur  Unehe.  Nimm  dieselbe  an  die  eine  Hand 
und  den  Teufel  an  die  andere  und  nun  geht  alle  drei  mit  ein- 
ander  zur  HoUe  wo  euch  nimmer  geholfen  wird  rS.  80«  Kling.) 
Schon  als  wir  die  rechtlichen  Yerhaltnifse  aer  Madchen  be- 
trachteten,  hatten  wir  Gelegenheit  die  starke  Familiengemeinscluift 
der  Germanen  warzimemen.  Das  Yolk  theilte  aich  aufzer  in 
Staten  und  Gemeinen  in  Geschlechter  imd  diese  waren  der  Grand  ' 
des  ganzen  dffentlichen  und  privaten  Lebens.  Es  zeig^  sich  darin 


'}  Frostath.  11,  18.  Fornmannas.  2,  21. 


das  feste  und  geschlofzene  der  alt  germanischen  Art,  das  zu  tin* 
serer  heutigen  Zerfarenheit  und  dem  Lockersein  der  hauslichen  Zu» 
stande  in  bitterem  Gegensatze  steht*  Wie  der  Aelteste  an  der  Ge*- 
meme  oder  des  States  Spitze,  so  trat  der  Vater  oder  Bruder 
kurz  das  nachstberechtigte  mannlicbe  Familienglied  an  das  Haupt 
des  Geschlechtes,  ratend  und  verwaltend,  vertretend  und  schiitzend. 
Das  einzelne  Glicd  des  Hauses  war  kein  unabhangiges  souveranes 
Wesen  sondem  der  Theil  eines  geordneten  GiKnzen,  das  seine 
Pflichten  gegen  dafzelbe  hatte  und  ohne  die  Einwilligung  des  Ge- 
schlechtsbauptes  nicbt  aus  dem  Verbande  scheiden  durfte*  Die  £in-> 
gehung  der  Ehe  war  aber  seitens  der  Frau  eine  Lossagung  von 
deiD  angeborenen  Geschlechte  und  der  Eintritt  in  ein  gekorenes 
oder  gebotenes.  Aufzer  dem  Selbstwillen  muste  daher  auch  der 
Geschlechtswille  befragt  und  gehOrt  werden. 

Der  Yprmund  ist  der  Verlober  des  Weibes.  Nach  dem,  was 
wir  bereits  iiber  die  Mundschaftsverhaltnifse  mittheilten,  hat  zu- 
nachst  der  Vater  iiber  die  Hand  des  Madchens  zu  verfiigen,  der 
wenn  die  Ehe  irgend  eine  Ehe  und  nicht  eine  tyrannische  AUein- 
herrschaft  war,  seine  Frau  zu  Rate  zog  0»  Nach  dem  Tode  des 
Vaters  iibemam  laut  mehrerer  germanischer  Gesetze  *)  die  Mutter 
diefz  Recht ;  nach  der  island ischen  Gr4g&8  tritt  sie  erst  nach  dem 
altesten  Bruder  der  Braut  ein ;  Bedingung  war  naturlich  dafz  sie 
noch  unverheiratete  Witwe  war,  denn  in  anderm  Falle  war  sie 
aus  dem  Geschlechte  ihrer  Kinder  geschieden.  Uebrigens  war  sie 
fast  das  einzige  Weib  welches  das  Kecht  der  Verlobung  person* 
lich  ausuben  durfte;  fiir  die  iibrigen  berechtigten  weiblichen 
Verwandten  traten  mit  einer  einzigen  Ausname  ihre  Gatten  ein« 
Waren  sie  unverheiratet  so  wurden  sie  ubergangen^  indem  wie 
diefz  das  uplandische  Gesetz  ausspricht^  keine  Jungfrau  eine  Jung* 
frau  verloben  darf ').  Die  Verwandten  folgen  in  den  vel-schiedenen 
Volksrechten    nach  dem  jedesmal  angeuommenen  Grade  der  Ver- 


')  Frostath.  11,  2.  Hakonarb.  c.  50.  sagen  geradezu /ac/AtV  ok  modhir  fkal 
ridha  giptingum  doetra  finna.  ')  L.  Wisigoth.  III.  1,  7.  Uplands  L  III.  1.  SjelL 
I.  1.  47.  48.       ')  Uplandsl.  III.   1.  aei  ma  md  m6  giptae* 

13 


194 

wandschaft,  wobei  abermals  darauf  hinzuweisen  ist,  dafz  im  skaii- 
dinavischen  Rechte  die  Vaters-  und  Mutterbriider  zu  den  ent- 
femteren  Geschlechtsgliedern  gerechnet  werden.  Auf  sie  lolgen 
die  Bruders-  und  Schwestersohne  und  hiemacli  ihre  Frauen,  welche 
mit  der  Mutter  die  einzigen  zu  personlicher  Verlobung  berech- 
tigten  Weiber  sind  (Gr^g^s  festath.  1.).  Eine  Ausiiame  von  der 
gemeinen  germanischen  Rechtsansicht  zeigt  das  VerlobungsgeBetz 
der  Gr^g^s  darin,  dafz  auch  die  unehelich  geborenen  Verwandten 
in  die^Reihe  der  Verlober  eintreten. 

/Bei  unfreien  hatte  begreiflicher  Weise  der  Herr  das  Verlo- 
bungsrecht.  Seine  Einwilligung  war  gewonlich  an  die  Entrich- 
tung  eines  Zinses  gekniipft ') ,  der  bald  in  Geld  bald  in  andem 
Leietungen  bestund.  Ganz  besonderen  Verpflichtungen  war  natiir- 
lich  nachzukommen ,  wenn  ein  eigener  die  horige  eines  anderen 
Herren  heiratete*  Fur  solche  Falle  errichteten  merere  Herrschaf- 
ten,  z.  B.  einige  Schweizer  Stifte,  eine  Genofzenschaft  worin  die 
gegenseitige  Verheiratung  der  Leute  dieser  Herrschaften  gestattet 
war,  Heiratete  aber  ein  eigener  seine  Ungenofzin,  so  muste  er 
im  Falle  er  sich  nicht  mit  seinem  Herm  verglich,  einen  jahrlichen 
Strafzins  zahlen  ^)  und  sein  Weib  und  seine  Kinder  erbten  nichts 
von  dem,  was  er  als  eigener  Mann  hatte  (Weisthiimer  1,  674,  823). 
Statt  ihrer  trat  sein  nachster  der  Herrschaft  horiger  Verwandte 
die  Erbschaft  an  (Weist.  1,  669.  3,  130.  346).  Strenger  nooh  ward 
der  bestraft ,  welcher  eine  Verwandte  aus  der  Genofzenschaft  ver- 
heiratete,  denn  er  selbst  kam  lebenslanglich  in  das  Gefangnifs  und 
sein  ganzes  farendes  Gut  verfiel  der  Herrschaft  (Weist  1,  813). 
Aufzer  dem  Zins,  welchen  der  unfreie  Brautigam  an  seinen  Herm 
zu  entrichten  hatte,  bezog  der  Gebieter  der  Braut  naturlich  den 
Brautkauf  {maritagium^  bumede);  bei  einigen  Volkem,  so  bei  den 
spateren  Romem ,  den  Schotten ,  Franzosen  und  Rufsen  hatte  er 
aufzerdem  das  jus  pjimae  noctis  ^).  Bei  den  Germanen  ist  die  Be- 


*)  Eichhom  dcutsche  Staats-  iind  Rechtsgcschichte  §.  339.  Anm.  (5.  Anfl. 
2,  556).  *)  Vjrl.  1.  sal.  cmeirl.  29.  6.  hciratct  ein  unfreier  die  horige  eines  frem- 
dcn  Herm  ohnc  Kinwilligunp^  sc'iicr  Herrschaft,  so  vcrffiJlt  er  in  Bufzc  von  120  Denar. 
')  Grinun  liechtsalterth.  379.  ff.  Du  Cange  «.  v»  marcheta.  Grupen  de  uxore  iJuO' 


195 


griindung  des  rechtlichen  Anspruchs  zweifelhaft,  denn  ein  gerades 
Zeugnifs  gew'art  nur  epi  Schweizer  Weisthum  von  1543  (weist 
1,  43) ;  dafz  der  Brauch  aber  vielfach  statt  f and  und  Gewonheit 
wurde  die  oft  als  Recht  betrachtet  ward,  ist  nicht  abzuleugnen. 
Das  Erlaubnifsgeld  zur  Heirat  der  Unfreien  wurde  sebr  bald  als 
eine  Ablosung  dieses  rohen  Scheinrechtes  betrachtet.  j 

Die  Erlaubnifs  zur  Heirat  war  aber  nicht  allein  den  eigenen 
Leuten  notig,  sondem  auch  den  Freien  welche  im  Lehensverhalt- 
nifse  stunden.  Es  entsprang  hieraus  das  Recht  der  Fursten  und 
Herren,  nach  Gutdunken  Ehen  unter  ihren  Unterthanen  zu  stif- 
ten  und  ihnen  ein  Ehegebot  oder  den  Zwang  binnen  eines  bestimm- 
ten  Alters  zu  heiraten  aufzulegen  0-  Zunachst  erstreckte  sich  diefz 
Recht  auf  die  welche  zu  dem  Hofe  in  einem  naheren  Verhaltnifse 
etunden,  und  diesen  gegeniiber  mafzten  sich  es  bereits  die  gothi- 
echen  Konige  an,  durch  das  Beispiel  der  Byzantiner  vielleicht 
aufgefordert.  Ein  junger  Gepide,  Namens  Vila,  Spertrager  des 
gothischen  Konigs  Ddibadus  hatte  sich  mit  einem  Madchen  ver- 
lobt,  das  er  sehr  liebte.  Warend  er  im  Kriege  war,  gab  indefsen 
der  Konig  seine  Braut  einem  andem  zur  Frau;  Vila  aber  dariiber 
aufs  hochste  aufgebracht,  totete  den  Ildibadus  (Procop  de  bello  goth» 
3,  1.  vgl.  1,  11).  Geduldigere  Untergebene  hatten  die  Merowinger, 
welche  auch  in  dieser  Hinsicht  mit  der  aufzersten  Willkiir  ver- 
faren  *).  Nicht  minder  hegten  die  KaroHnger  dieses  sogenannte 
Kecht,  welches  ein  Hohn  auf  alle  personliche  Freiheit  war.  Selbst 
die  Giinstlinge  der  Konige  mafzten  es  sich  an;  so  erlaubte  sich 
der  Bischof  Liutprant  von  Vercelli  die  emporendsten  Eingriffe  in 
die  Familieni'echte,  indem  er  die  Tochter  der  edelsten  Geschlech- 
ter  Deutschlands  und  It  aliens  an  seine  Geschopfe  verheiratete, 
ohne  dafz  er  oflfenen  Widerstand  gefunden  zu  haben  scheint '). 
So  tief  war  bereits  das  Mannerbewustsein   der   Germanen   gesun- 


Hsea  1—^5.  Schaffncr  Gesch.  der  Rcchtsvcrfafzung  Frankreichs  3,  185.  Der  Bi- 
schof von  Amiens  erlaubte  sich  bis  1336  sogar  fiir  die  crsten  drei  Nachte  eine 
Gebtthr  zu  fordem    (marquetta.    droit  de  jambe,   cuifsage).  ')  Vernachlafzigung 

iks  Ehegebots  wurde  mit  Geld  gcbiilzt.  Weisthiiraer  1,  169.  311.  2,  568.  ')  Waitz 
<leatfiche  Verfafzungsgeschiclite  2,   135.       *)  Pertz  monum.  1,  404. 

13* 


196  _ 

ken  !  —  Sobald  in  Skandinavien  die  freiere  Verfafzung  emem  star- 
ken  Konigsthume  gevrichen  war,  tauchte  auch  diese  Vermahlungfl- 
willkiir  der  Ftirsten  auf.  Sie  vermahlten  nicht  selten  au8  Grc- 
Bchlechtem  denen  sie  eine  Siine  zu  leisten  batten,  die  Tochter 
mit  einem  ihrer  GUnstlinge,  zuweilen  auch  mit  sich  selbst  *).  Der 
reiche  Bonde  Th6rolf  Kvelmilf  ist  in  einer  Fehde  gegen  Konig 
Harald  Schonhar  umgekommen.  An  Haralds  Hofe  sind  ThSrolfs 
Freunde  und  Mutterbriider  Eywind  Lambi  und  Olver  Hnufa, 
welche  durch  den  Unfall  verstimmt  den  KOnig  um  Urlaub  bitten, 
aus  dem  Gefolge  zu  scheiden.  AUein  Harald  verweigert  diefz  und 
fiirt  eine  Sfine  herbei,  indem  *er  dem  Egwind  das  ganze  Erbe 
Thorolfs  sammt  defsen  Witwe  Sigrid  zuspricht.  Sigrid,  die  schon 
in  Th&rolfs  Hand  durch  eine  Schenkung  ihres  ersten  Gatten  gc- 
langt  war,  halt  es  fiir  das  geratenste  dem  Machtspmch  des  Ko- 
nigs  sich  zu  fiigen  (Egils  s.  c*  22.).  In  Deutschland  war  die  Ehe- 
stiftung  ein  kaiserliches  Privilegium  geworden,  dem  sich  indefsen 
bereits  im  13.  Jahrhundert  einzelne  Stadte  durch  Befreiungsur- 
kunden  zu  entziehen  wusten*  Landesherrliche  Eh  est  if  tun  gen  er- 
hielten  sich  jedoch  noch  bis  in  das  16.  Jahrhundert  2) ;  bei  ihrem 
Hof state  und  der  Dienerschaft  spielten  vorneme  wie  niedrige  Herren 
bis  in  die  neueste  Zeit  die  gnadigen  Verlober.  Der  Heiratskonsens, 
den  die  Beamten  mancher  Lander  noch  heute  bedurfeii,  ist  ein 
Rest  des  alten  Einwilligungsrechtes  des  Herm* 

Diese  Befugnifs  der  Landesherrn  lag  in  ihrem  obervormund- 
schaftlichen  Verhaltnifse  zu  einem  grofzen  Theile  der  Landsafzen 
begriindet.  Ausgchend  von  denen,  welche  des  Schutzes  eines 
Geschlechtsverbandes  entberten,  dente  sich  diese  Macht  auf 
alle  Werlose  aus  *) ,  erfur  aber  auch  bedeutende  Einwirkrng 
durch  die  lehnsherrliche  Gewalt  der  Ftirsten,  Das  unumschrankte 
Verfugungsrecht  uber  die  Hand  des  Weibes  war  altgermanisch ; 
der  Vormund  durfte  es  vermahlen    wem   er  wolte  und  mit  Ehren 


')  Fornmannas.  1,  183.  196.  2,  49.  3,  35.  7,  50.  Die  Yerm&hlang  Skadhis 
mit  Niiirdh  gchOrt  ebenfalls  hierher.  Pflicbt  des  Morders  war  es  einen  Ersatz  fllr 
deu  verlorenen  Schiitzer  zu  geben.  *;  Grimm  Rechtsalterth.  488.  ')  Knuit 
Vormumlschaft  1,   63  —  99. 


konnte ,  ohne  dafz  die  Tochter  Sch wester  oder  wer  sonst  die 
Schutzbefolene  war,  ihre  Neigung  und  Einwilligung  erklarte;  er 
besafz  das  Zwangsrecht  ^).  Besooders  durch  den  £influfz  dee  Kri- 
8tenthums  milderte  sieli  indefsen  diese  Harte  des  Verfarens  in 
mereren  Landem.  fDie  longobardischen  Gesetze  bereits  bestimmen 
dafz  derjenige,  welcher  ein  Madchen  gegen  defsen  Willen  ver- 
lobt,  die  Mundschaft  iiber  es  verliere;  ausgenommen  von  dieser 
Strafe  sei  allein  der  Vater  und  der  Bnider  des  Madchens,  weil 
von  diesen  nur  die  beste  Fiirsorge  zu  erwarten  sei  ^)\  Angeleach- 
sische,  norwegische,  oberschwedische  ^  und  friesische  Bestim- 
mungen  fbrdern  die  Zustimraung  des  Weibes  zur  Vollgiltigkeit 
der  Verlobung*  Hatte  ein  westerlandischer  Friese  seine  Tochter 
gegen  ihren  Willen  verheiratet  und  es  geschieht  ihr  dadurch  ein 
Leid,  so  hat  er  sie  zu  biifzen  als  habe  er  sie  mit  seiner  Hand 
erBchlagen.  (Richthofen  474,  11^.  Zwang  zur  Vermahlung  war 
nach  dem  Eidsivathingsrecht  (Kristenr.  c.  23)  Grund  zur  Schei- 
dung  sobald  die   Klage  in  Jahresfrist  angebracht  wurde, 

Ein  Schritt  auf  diesem  Wege  weiter  muste  zu  einer  grofzeren 
Selbststandigkeit  der  Frauen  furen  als  ihnen  nach  der  streng  germa- 
niscben  Auffafzung  des  Familienlebens  zustund*  Wo  wir  dieFrauen 
im  Besitze  eines  mehr  oder  minder  unbeschrankten  Selbstverlo- 
bungsrechtes  finden ,  da  ist  ein  neuer  Zeitgeist  m'achtig,  Merere  der 
tier  einschlagenden  Gesetze  zeigen  ubrigens  das  friihere  Verhalt- 
nifs  noch  nicht  ganz  beseitigt.  Das  norwegische  Frostathingsbuch 
(11,  18)  gesteht  einem  Madchen ,  das  in  voiles  Erbe  getreten  ist, 
mit  funfzehn  Jahren  die  Befugnifs  zu,  sich  zu  verheiraten  wem 
es  wolle;  es  mufz  aber  seinen  nachsten  Verwandten  zu  Rate  Zie- 
hen. Nach  jiitischem  Rechte  durfte  die  Frau  wenn  sie  keinen  na- 
hen  Verwandten  hatte  das  Verlobungsrecht  ubertragen  wem  sie 
wolte  (1 ,  33) ,  eine  Bestimmung  die  im  Schleswigschen  Stadtrecht 
(§.  6.  neueres  Stadtr,  §.  9)  dahin  gestaltet  ist,  dafz  sich  dasMad- 


»)  Vgl.  Wilda  Strafrecht  der  Germanen  802.  *)  Ed.  Roth.  196.  1.  Liutpr. 
12.  vgl.  anch  Ed.  Roth.  182.  1.  Liutpr.  120.  nicht  minder  1.  Wisigoth.  III.  3,  4.  11. 
';  Cnak  dom.   1.  72.  Frostath.  III.  22.  Vestgotal.  Zubatz  II. 


'        198 

/  chen  selbst  verloben  kann,  ini  Falle  es  der  gekoreneVormund 
nicht  verheiraten  will  ^).  In  der  mittleren  Zeit  wurde  in  Deutsch- 
land  voUjarigen  Weibern  die  Selbst verlobung  ohne  Vormund 
gestattet  ^) ;  doch  mag  sich  das  Gefiihl  des  Volkes  gegen  diefz 
Recht  mehrfach  gestraubt  haben;  es  ward  wenigstens  die  Ein- 
willigung  der  Familie  verlangt.  So  sagt  Ulrich  von  Lichtenstein 
in  seinem  Frauenbuche  (626,  9 — 12);  „ein  Madchen  das  keine 
Eltern  hat ,  folge  der  Freunde  Rat ;  will  es  sich  selbst  dem 
Manne  geben,  so  mag  es  wol  mit  Schande  leben."  Auch  ^erin 
hat  Martin  Luther  seinen  deutschen  Sinn  entschieden  bewart, 
indem  er  sagt:  Gott  hat  ein  Mannlein  und  ein  Fraulein  geschaf- 
fen ,  die  soUen  und  mufzen  bei  einander  sein ,  wie  er  es  verord- 
net  hat:  das  ist  nach  seinem  Willen,  den  er  den  Eltern  gegeben 
hat,  sollen  sie  zusammenkommen  und  sich  verheiraten.  (Tischre- 
den.  Von  der  Ehe.  n.  88).  Die  kanonistische  Ansicht  achneidet 
gegen  diese  AufFafzung  wie  wir  weiter  sehen  werden,  bedeutend 
ab  und  erweist  sich  auch  hierin  als  undeutsch. 
^  Bei  vomemen  Frauen ,    zumal    wenn   sie  keine    nahe  Ver- 

i  wandte  batten,  lafzt  sich  schon  in  alter  Zeit  die  Selbstverlobung 
nachweisen ;  ich  erinnere  nur  an  Theudelind ,  des  longobardischen 
Konigs  Authari  Wit  we,  welche  sich  dem  Herzog  Agilulf  aus 
eigener  Macht  vermahlte.  AUein  solche  Falle  sind  Ausnamen  *), 
wie  die  spat  ere  Gewonheit  Abweichung  war  von  der  altgerma- 
nischen  Auffafzung  der  Familienverhaltnifse.  Zur  rechtsgiltigen 
Verlobung  gehorte  durchaus  dafz  das  Weib  von  dem  rechten 
Vormunde  dem  Manne  vermahlt  wurde.  Sobald  irgend  jemand 
anderes  als  der  berechtigte  Mundwald  die  Verlobung  voUzogy 
war   dicselbe  ungiltig  und  die  schuldigen  traf  Strafe.   Nach  islan- 


')  Diesclbc  Erlnubnirs  stund  nach  franzosischcm  Lehnrecht  dem  Mftdchen 
zu  sobald  es  der  Lehnsherr  nicht  verloben  wolte.  Laboulaye  recherches  p.  257. — 
Nach  jiitischcm  Rechte  (I,  8)  hatte  der  Konig  ein  Madchen  auf  die  Klage  dafz 
seine  Vcrwandtcn  cine  pafscndc  Ileirat  ab>vicsen,  zu  verheiraten:  die  Ver- 
wandten  batten  indefsen  Beirai.  Vgl.  auch  Thords  Dcgcns  art  B.  38.  ")  Krant 
Vormundschaft  1,  326.  3)  Die  ganze  Erztihlung  Pauls  von  Theudelind  unter- 
licgt  iibcrdiefz  bedeutcnden  Bedcukeu.    Vgl.  Kettberg  Kirchengoschichto  2,  180. 


199 

dischem  Eechte  (Grfi.g^  festath.  6.)  hatte  der  rechte  Vormund 
den  Brautigam  vorzufordem  und  auf  defsen  Verbannung  so  wie 
auf  Geldentschadigung  fiir  den  vorenthaltenen  Brautkauf  anzutra- 
gen.  Konnte  derselbe  durch  Eideshelfer  beweisen ,  dafz  er  den 
welcher  die  Verlobung  voUzog  fiir  den  Berechtigten  gebalten, 
80  wurde  er  zwar  nicht  verbannt,  aUein  die  Entschadigung  muste 
er  dennoch  zalen;  der  Anmafzer  aber  wurde  Landes  verwiesen* 
Sobald  indefsen  kein  vorgeblicher  Vormund  sondern  die  Braut 
sich  seibst  verlobt  hatte ,  so  half  kein  ReinigUDgseid  und  die 
Sache  wurde  als  fleischliches  Verbrechen  (legordh)  behandelt.  In 
den  ubrigen  nordischen  Rechtsbiichem  *)  ist  die  Rechtsauflfafzung 
dieselbe;  nur  dieStrafen  haben  sich  alle  in  Geldbufzen  verwandeit. 
Die  Verletzung  des  Rechtes  der  Verlobung  (faestningardn) 
80  wie  die  Vorenthaltung  des  Brautkaufs  werden  jene  an  dem 
unrechten  Verlober,  diese  am  Brautigam  gestraft.  Gab  sich  eine 
Frau  ohne  Verlobung  dem  Manne  zum  Weibe,  so  trat  sie  hier- 
dorch  freiwillig  aus  der  Geschlechtsverbindung ,  verzichtete  also 
stillschweigend  auf  alle  Rechte  als  Mitglied  der  vaterlichen  Familie 
und  biifzte  demgem'afz  alle  Erbanspriiche  auf  das  Hausvermogen 
ein.  Erst  wenn  ihr  die  Eltern  vergaben  und  sie  wieder  zur  Tochter 
des  Hauses  annamen,  ward  sie  wieder  erbfahig.  Mit  diesen  Rechts- 
bestimmungen  lauten  fast  alle  ubrigen  alteren  und  mittleren  ger- 
manischen  Gesetze  gleich  *).  Das  jiitische  Recht  (1 ,  33)  war  etwas 
milder ,  indem  die  Frau  durch  ihre  unrechte  Vermahlung  allerdings 
personlich  das  Elternerbe  nicht  antreten  durfte,  allein  es  konnten  doch 
ihre  Kinder  nach  ihrem  Tode  in  den  Besitz  des  Erbtheils  gelangen. 
Eine  femere  Milderung  findet  sich  im  friesischen  Westerwolder 
Landrecht  (1,  1)  und  dem  Kopenhagener  Stadtrecht  von  1294 
(n.  92)  wonach  die  Frau  nach  dem  Ableben  der  Eltern  ihr  ange- 
borenes  Verraogen  erhalt.  Im  scharfen  Widerspruch  zu  diesen  mil- 
den  Urtheilen    steht  die    strenge   Bestimmung   des  salischen   Ge- 


»)  Uplandsl.  III.  1.  Ostgotal.  giptab.  4.  Vestgotal.  II.  Zus.  8.  Gulath  5U 
Gutal  21.  ')  L.  Angl.  et  Werin  X,  2.  Wisigoth  III.  2,  8.  Burg  XII,  5.  Hamb. 
Stadtr.  V.  1270.  X.  4.  Liib.  recht.  cod.  Brock.  1,  10.  Freyberg  stat  v.  1676,  §.  77, 


200 

getzes  fXIV)  dafz  das  Madchen  im  Falle  der  bewiUigten  Enffii- 
rung  nicht  blofz  das  Vermogen ,  soudem  auch  die  Freiheit  (inge^ 
nuitatem)  einbiifzt  0-  Es  ist  diefz  wol  die  altgermanische  Beurthei- 
lung  dieser  Selbstentziehung  des  Geschlechtsverbandes. 

Zu  den  schwersten  Verbrechen  rechneten  unsere  Altvorderen 
die  gewaltsame  Untfiirung,  den  Frauenraub.  Die  Verletzung  dee 
Friedens  der  Frauen  und  ihres  Schamgefiils  ^)  kam  mit  dem  Brache 
des  Rechtes  ihrer  Verwandten  zusammen.  Verbannung  traf  nacfa 
islandischem  Rechte  nicht  allein  den  Entfiirer  oder  den  fiir  wel- 
chen  das  Madchen  entfiirt  wurde ,  sondem  auch  alle  welche  mit- 
wifzend  n^heren  oder  ferneren  Antheil  an  der  That  hatten.  Ge- 
sch'arft  wurde  die  Strafe  bis  zur  vollkommenen  Friedlosigkeit,  wenn 
die  Frau  auf  geschehene  Aufforderung  nicht  ausgeliefert  wurde. 
(Gr^g,  festath.  29.  38.  39.  42).  Wir  sehen  in  vielen  andem  Ge- 
setzen  den  Tod  auf  Frauenraub  geselzt.  Wer  bei  der  Entfiirung 
erschlagen  wurde,  lag  nach  upl3.ndischem  Rechte  (11.  6.)  unge- 
biifzt;  der  Rauber  war  friedlos,  so  lange  er  nicht  den  rechtm'd* 
fzigen  Verlober  versOnt  hatte.  Wer  eine  Gotlanderin  raubte, 
wurde  getotet  oder  muste  das  Leben  mit  seinem  Wergelde  er- 
kaufen.  (Gutal.  24).  Das  westgothische  Gesetz  ist  nicht  minder 
streng.  Kann  die  geraubte  dem  Entfiirer  ungeschandet  entflie* 
hen,  so  biifzt  dieser  nur  sein  halbes  Vermogen;  hat  er  aber 
seinen  Willen  gehabt,  so  wird  er  der  Frau  mit  allem  Vermogen 
ubergcben,  bekommt  offentlich  zweihundert  Hiebe  imd  iat  ihr  be- 
standiger  Sklave.  Erklart  sich  die  Frau  bereit  den  Rauber  zu 
heiraten,  so  sind  beide  des  Todes  schuldig;  fliehen  eie  zu  einer 
Kirche  oder  zum  Bischof,  so  wird  ihnen  allerdings  das  Leben 
geschenkt,    allein    ihre   Ehe  ist  ungiltig  und  sie  sind  Horige  der 


')  Vj^l.  Wilda  Strafrocht  der  Germanen  S.  801.  *)  Notzucht  und  Franen^ 
raub,  obschon  bcide  streng  genommen  zu  scheidcn  sind,  fallen  in  den  Gesetiea 
niehrfach  zusammen.  Ith  verweise  wegen  der  gesetzlichen  Bcstimmungen  ftber  die 
Notzucht  auf  Wilda  Strafr.  829—39.  Vgl.  auch  Grimnf  Rechtsalterth.  633;  fiber 
Entfiirung  und  Frauenraub  Wilda  839 — 849.  —  Ueber  beide  Verbrechen  n»- 
mcutlich  in  Bc/.ug  auf  die  Ehe  unterscheiden  sicb  die  germanischen  Bechtsansicb* 
t^n  t><2hr  streng  von  den  antiken  und  den  Ciebrauchen  wilder  Volkerachaften. 


201 

Eltem  der  Frau.  Strenge  Strafe  triffit  sogar  die  Briider  der  Frau, 

wenn   sie   um   die   That  wusten.    (1.   Wisig.  III.  3,   1 — 4).    Das 

Asylrecht,    was  hier  der  Frauenrauber   geniefzt,    ist   aBderwarts 

aufgehoben.     So    setzte   es  der   frankische  Childebert  11.  fiir  sein 

Land  aufzer  Kraft,    Chlothar  11.  stellte  es  indefsen  fiir  alle  Ver- 

brechen  wieder  her.    (Pertz   leg.  I.  12).    Bei    den  Friesen  gaJt  es 

nicht.  Floh  der  Kauber  mit  der  Frau  aus  dem  Hause  in  ein  an- 

deres,    von   diesem   zu  ein  em  dritten,    von   hier  zur  Kirche,    so 

muste  der  Richter  die  drei  Hauser  verbrennen ,  die  Kirche  erbre- 

chen  und  den  Rauber  herausnemen  *).  Karl  der  Grofze  bestimmte 

785  zu  Paderborn  den  Tod  fiir  den ,    welcher  die  Tochter  seines 

Herm  entfiirte  (Pertz  leg.  1.  49);    im  iibrigen  belegte  die  Kirche 

die  Frauenrauber    mit   dem  Banne  ^).  (^Erwahnt   werde   noch   die 

Bestimmung  des  Hamburger  Stadtrechtes  von  1270  (X.  4.  Lap- 

penberg  1,  62)  wonach  derjenige  straflos  war,  welcher  ein  Mad- 

chen    liber    sechszehn    Jahre    alt    unbekleidet    und    mit     seinem 

Willen   entfurte ,    die   Todesstrafe    aber   auf  den    fiel ,     welcher 

ein  jiingeres  wenn  auch  mit  defsen  Willen  oder  ein  alteres  gegen 

defsen   Willen  raubte.  }Jene  Strenge  des  westgothischen  Gesetz- 

buches   erstreckt   sich    auch    auf  die  Verjahrung  der  Klage  iiber 

Frauenraub,    die  erst   nach   dreifzig  Jahren  eintritt  (III.  3,    7), 

warend  das   milder   urtheilende   longobardische   Recht    dem  Vor- 

munde  die  Riickforderung  des  geraubten  Miindels  verbot,  sobald 

es  sich  bereits   ein  Jahr  lang   im  Besitz   eines  dritten   befunden 

hatte  *).  Dafz  die  alte  Strafe  fiir  den  Frauenraub ,    der  Tod  oder 

die  gleich   bedeutende  Friedlosigkeit ,    auch   in  den  iibrigen  ger- 

manischen    Stammen    bestanden    habe,    ist   daraus    zu  schliefzeu,     i 

dalz  sie  eine  hohe  Geldbufze  in  diesen  Fallen   ansetzen,    gemafz 

dem  in  sie  entweder  vollig  oder  theilweise  eingedrungenen  Grund- 

satze  von  dem  Abkaufen  der  Schuld.  Die  Summe  entspricht  bald 


')  Siebcnte  Fries.  Ueborkiir.  Bichthofen  100.  *)  Die  kirchlichen  Bestim- 
njungen  stiitzeu  sich  auf  concil.  Ancyr.  c.  10.  cone.  Chaleed.  c.  38.;  sie  wurden 
auf  dem  cuncil.  Aquisgran.  v.  816  c.  23.  24.  wiederholt,  vgi.  Hartzlicim  coucU. 
Germ.  I.  546.  Ansgisi  cupit.  I.  98.  99.  (Pertz.  leg.  L  285);  der  Kirchenbaon  itimmt 
Ztt  der  weltUchen  Friedlosigkeit.       ^)  Form,  ad  ed.  Both.  222. 


( 


202 

dem  Brautkaufe  bald  dem  theilweisen  oder  ganzen  Wergelde  des 
Madchens  *).  DerRauber  ist  zugleich  genotigt  die  entfiirte,  wenn 
es  derVater  verlangt,  zuriickzugeben ;  einem  gutlichenVergleiche 
ist  hier  und  da  der  Weg  angebant.  (1.  Alam  LIV.) 

Schwerer  noch  als  in  den  bisher  behandelten  lHUen  war 
natiirlich  die  Rechtsverletzung  wenn  die  entfiirte  einem  andern 
verlobt  war.  Aufzer  den  Blutsverwandten  war  namlich  der^Brau- 
tigam  zu  siinen,  welcher  zu  dem  Madchen  durch  die  Verlobmig 
bereits  in  naher  Beziehung  stund.  Am  voUstandigsten  sind  hier- 
iiber ,  die  Angaben  des  sachsischen  und  longobardischen  Kechtes. 
Nach  der  lex  Saxonum  (X)  hat  der  Brautrauber  dem  Vater  und 
dem  Brautigam ,  jedem  300  Solidi  zu  zalen  und  aufzer  dem  noch 
das  Mundium  der  Frau  mit  300  Sol.  zu  erwerben ;  raubte  er  sie  von 
der  Seite  der  Mutter  weg ,  so  erhielt  auch  diese  300  Sol. ;  er  hatte 
also  dreifachen,  beziehungsweise  vierfachen  Brautkauf  zu  erlegen. 
•Das  edictum  Eotharis  (190,  193)  bestimmt  dafz  der  Entfurer, 
wenn  die  Braut  eingewilligt  hatte,  dem  Vormunde  40  Sol.  und 
den  Mundkauf  nach  bestehender  Hohe,  dem  Brautigam  aber  die 
doppelte  meta  zu  zalen  hatte.  Wusten  auch  die  Eltem  von  der 
Entfiirung,  so  batten  sie  ebenfalls  dem  BrS^utigam  den  doppel- 
ten  Brautkauf  zu  geben ;  es  fand  demnach  ein  erhohter  Btlckkauf 
statt^  Dieselben  Grundsatze  des  Riickkaufs  der  Braut  herrschen 
im  westgothischen  Gesetzbuche ;  die  Eltem  haben  hier  im  Falle 
des  Mitwifzens  den  vierfachen  Brautkauf  zu  entrichten.  (HI.  3,  3)  *). 

Auf  die  Entfiirung  einer  Ehefrau  stund  friiher  ebenfalla  der 
Tod;  noch  danische  Gesetze  der  mittleren  Zeit  halten  an  dieser 
Strafe  fest  (Thords.  Deg.  art.  B.  54.  Rib.  stadtr.  17.).  Schon  frtlh 
war  indefsen  auch  fiir  dieses  Verbrechen  Siine  durch  Geld  ein- 
gef iirt ,    die  natiirlich  dem  verletzten  Ehemanne  zu  leisten  war  •). 


*)  L.  Alam.  LIV.  Bajuv.  VII.  ed.  Roth.  187.  188.  Liutpr.  CXIV.  1.  Burg. 
XII.  XIV.  Sal.  XIV.  Rip.  XXXIV.  XXXV.  Angl.  et  Werin.  X.  Sax.  VI.  Fris. 
IX.  Brock,  ges.  136.'  166.'  Aedhclb.  dom.  81.  83.  Hansprivil.  84.  *)  Vgl.  fiber 
Brautraub  noch  1.  Sal.  XIV.  8.  9.  Alam.  LII.  Bajuv.  VII.  1 6.  Wisigoth.  lU.  8,  6. 
Sax.  X.  Vcstgotal.  1.  giftarb.  S.Frostath.  11,1.  Hludov.  cap.  817  (Pertz  leg.  1, 211)  - 
sodann  Wilda  Strafr.  849  —  852.      *)  1.  Alam.  LI.  Sal.  XVI.  1.  Ripuar.  XXXV. 


20S 

Ganz  besonders  schwer  war  die  Strafe  fur  den  Raub  eines  Wei-) 
bes,  das  sich  fiir  das  Klosterleben  entschieden  hatte,  auch  wenn 
68  noch  nicht  wirklich  Nonne  war  (1.  Liutpn  XXX).  Die  Ver- 
letzung  der  Rechte  des  himmlischen  Brautigams  und  der  Raub 
an  der  Earche  warden  von  der  Greistlichkeit  gleich  hoch  in  An- 
schlag  gebracht. 

Die  strenge  Beurtheilung  der  Entfurung  wirkte  auch  auf  die 
Kinder,  die  aus  der  ungesetzlichen  Verbindung  hervorgiengen ; 
weil  die  Ehe  nicht  unter  den  geforderten  Formen  geschlofzen 
war,  galten  sie  fiir  nicht  erbfahig*  Ein  merkwCirdiges  Beispiel 
wird  in  der  Egilssage  erzalt.  Biorgolf  hatte  halb  mit  Gewalt  die 
Ehe  mit  Hildirid,  Hognis  Tochter,  geschlofzen.  ©bschon  er 
den  gesetzHchen  Forderungen  bei  Abhaltung  des  Brautlaufs  ge- 
niigt  hatte,  wurde  den  Kindern  doch  vorgeworfen,  sie  seien  nicht 
erbfahig  {arfbomir)  weil  ihre  Mutter  gewaltsam  geehelicht  sei  *)• 

Die  Riicksicht  welche  alle  Gesetze  auf  den  Frauenraub  nemen, 
beweist  wie  zahlreich  er  vorkam.  Sobald  der  Freier  von  den  El-  / 
tern  abgewiesen  wurde  oder  sich  irgend  andere  Hindemifse  der  ^ 
VecHiahlung  entgegenstellten,  griff  er  rasch  entschlofzen  zur  Selbst- 
hilfe.  Aus  vielen  skandinavischen  Geschichten  will  ich  nur  eine 
anftiren.  Der  Norweger  BiOm  Brynjulfsson  hatte  sich  in  Thora, 
die  Tochter  des  Thorir  Hroaldsson  verliebt,  war  aber  mit  einem 
Korbe  heimgeschickt  worden.  Da  raubte  er  das  Madchen  und 
brachte  es  zu  seinen  Eltern ,  die  indefsen  iibel  damit  zufrieden 
waren  und  den  Sohn  anhielten  es  zurlickzugeben.  Da  entschlofz 
sich  Biom  zu  neuem  Raube,  entfiirte  Thora  aus  dem  Gemache 
seiner  Mutter  und  fliichtete  sie  auf  ein  Schiff  das  nach  Island 
gieng.  Unterwegs  hielt  er  den  Brautlauf  mit  ihr.  Anif  Island  fand 
er  bei  Skalagrim,  einem  Freunde  seines  Geschlechtes,  gastfreund-  . 
liche  Aufname;  als  aber  dieser  erfur  wie  es  eigentlich  urn  Biorn 
stund,  so  hub  er  alien  Verker  mit  dem  Frauenrauber  auf,  be- 
sonders da  Thoras  Vater  sein  Pflegebruder  war.  Er  trieb  ihn  je- 
doch  nicht    aus    dem  Hause  sondern  iiberliefz    die  Sorge   fiir  die 


*)    Vaeri  medh  valdi  tekin  ok  hernumin  heim  hd/dh.  Egilss,  c.  9: 


204 

Gaste  seinem  Sohne  Thdrolf.  Biom  war  nun  in  scMimmer  Lage: 
in  Norwegen  war  er  wegen  seines  Raubes  durch  Kdnig  Harald 
Schonhar  friedlos  gelegt,  auf  Island  wird  er  schlimm  ajigeeehen 
iind  nur  geduldet,  weil  ihm  einmal  Gastfreundschaft  zugesagt  ist. 
Er  findet  jedoch  an  Thorolf  einen  Retter ;  dieser  weifz  seinen  Va- 
ter  zu  be  wegen  die  Vermittelung  zwischen  Biom  und  Thorir  zu 
iibernemen  und  es  gelingt.  Die  Friedlosigkeit  wird  in  Folge  defsen 
aufgehoben  und  der  Frauenrauber  darf  nach  Norwegen  zuriick- 
keren  (Egilss.  c.  32 — 35). 

Die    Entfurungen   mit   und   ohne  Willen  des  Madchens  ka- 

men  in  dem  wirklichen   und  dem   gedichteten  Leben  des  Mittel- 

alters  sehr.haufig  vor,  sowol  in  der  vorritterlichen  Zeit  al8  in  der 

ritterlichen.     Sie  boten   fiir  diese    einen  unendlichen   Keiz :    diefz 

Trotzen   auf  den   eigenen  Willen,    diefz  Hindurchbrechen  durch 

Gefaren  und  Tod ,    die  Treue  der  Freunde  und   Mannen  die  da- 

bei  sich  besiegeln  lafzen  konnte,  alles  diefz  lockte  zusammen  mit 

der  siifzen  Frucht  verbotener  oder  verweigerter  Liebe  und  leuch- 

tete  dem  suchenden  Ritter  aJs  schonstes  Abenteuer  entgegen.  Die 

Kreuzziige  zeigten  sich  auch  hier  von   bedeutender  Wichtigkeit; 

da  lernten  die  abendlandischen  Ritter  schone  Griechinnen  und  rei- 

zende  Heidinnen    kennen  und  mit   beiden    war  ein  Liebesgenufz 

meist  nurmoglich  durch  Raub  und  Entfurung;  es  bildeten  sich  die 

Epen    von    kiinen    gefarvoUen   Werbungen   und    Brautfarten  aus 

dem  Abendlande  nach  Byzanz  und  dem   Morgenlande ;   hier  und 

da  mischte    sich   die    gelehrte    Erinnerung    jener  altesten   Rau* 

bereien  der  Europaer  an  asiatischen  Frauen  hinein;  in  der  Heimat 

selbst  ward  die  Lust  zu  solchen  kecken  Farten  wieder  neu  und  alte 

Sagen  von  Normannenziigen  und  dem  Gegenkampfe  der  beraubten 

,  Vater    und  Brautigame    erstunden.    Das  zwolfte   und  dreizehnte 

Jalirhundert    haben   demgemafz    merere    deutsche    Epen,    deren 

Voiwurf  eine   Entfurung  ist,  hervorgebracht ;    einige  sind  in  der 

rohen  und    zugleich   halbgelehrten  Spielmannsweise ,    das  eine  ist 

aber  ein   echt  deutsches  Gedicht  und    stellt  uns  mitten  hinein  in 

die  Seeziige,  welche  von  Skandinaviern  nach  den  friesischen  und 

s'achsischen  Kiisten  gcschahcn.     Es  ist  ein  festlandisches  Gegen- 


205 

bild  zu  den  zaireichen  Erzalungen   anlicher  Art,    welche  uns  die 

Skandinavier  verzeichnet  haben.     Die  unschatzbaren   islandischen 

Familien-  und  Konigsgeschichten ,  die  man  eine  zweite  Germania 

Dennen  mochte,  bieten  uns  auch  hiervon  die  scharfsten  und  deut- 

llchsten  Bilder   des  Lebens,    die   man   fast   Daguerrotype  nennen 

kann,  nut   so   niiehtemer    Wahrheit  sind  sie  meistens  gezeichnet* 

Da  treten  uns  auch  Brautwerbungen  entgegen  welche  nicht  befzer 

als  Raubereien  sind,  denn  die  Zunge  des  Freiers  ist  das  Schwert* 

Ein  Berserker,    Liot   der   bleiche,    hatte  um    Gyda    die  Tochter 

einer  Witwe  angehalten,  allein  der  wilde  rohe  Mensch  war  abge- 

wiesen  worden.   Da  forderte  er  den  jungen  Bruder  des  Madchens, 

Fridgeir,  auf  den  Holm,  damit  der  Zweikampf  entscheide  ob  er  die 

Braut  erhalte  oder  nicht.  Der  Ausgang  war  unzweifelhaft  und  das 

Haus  der  Witwe  in   Trauer;     allein  diefzmal  solte  die  rohe  Ge- 

walt  nicht  siegen.  Der  Skald  Egil  Skalagrimsson,  mit  dem  Schwert 

80  tuchtig  wie  mit  dem  Worte,    erbot    sich  fiir  den  Knaben  ein- 

zutreten  und   der  Berserker    fiel   (Egilss^  c.  67).     Zu   den  nordi- 

schen  Bildern  liefzen  sich  siidliche  halten  aus  dem  Lande  zwischen 

Rhone  und  Alpen  und  aus  den  norditalischen  Gauen.   Da  spielen 

die  Farben  der  Schwarmerei  und  flackemder  Leidenschaft  hinein, 

aber  iiber  sie  wie  iiber  die   nordischen  fallt  der  diistere  Schatten 

des  Unrechtes,   an  den  sich  grell  ein  blutioter  Streif  kettet.    Die 

Liebe  will  errungen  nicht  erzwungen  sein,    die   Ehe   will    Segen 

nicht  Fluch  zu  ihrem  Grundbaue. 

iZu  der  rechtsgiltigen Ehe  in  derZeit  der  unverletzten Volks- 
thiimlichkeit  der  Germanen  gehorte  die  Verlobung  durch  die  Hand 
de8  nachsten  Verwandten.  Wie  sich  das  ganze  Leben  unserer  Vor- 
zeit  nicht  nach  dfem  augenblicklichen  Gutdiinken  und  der  Willkiir 
des  einzelnen  richtete,  sondern  in  festen  Formeln  gleich  der  Poesie 
bewegte,  so  war  auch  das  wichtige  Untememen  der  Verlobung 
in  allem  was  dabei  geschehen  muste  fest  bestimmt.  Hatte  ein 
Jiingb'ng  aus  den  Geschlechtern  der  stolzen  freien  nordischen 
Landbesitzer  vor,  um  die  Tochter  eines  anderen  Geschlechtes  zu 
werben,  so  nam  er  falls  er  sich  nicht  allein  angesehen  gpnug 
dauchte,    einen  Fiirsprecher  in    seinem  Vater   oder  einem  alteren 


206 

Freunde  und  Verwandten  mit ,  und  ritt  begleitet  von  einer  Schar 
anderer  Genofzen  zu  dem  Hofe ,  wo  das  Madchen  wonte  ^).  Dort 
flirt  der  Fiirsprecher  das  Wort  und  spricht  zu  dem  Vater  der 
ersehnten  Braut  ungefar  also:  „Mein  Sohn  (oder  mein  Freund) 
will  um  deine  Tochter  bitten.  Du  kennst  sein  Geschlecht  sein 
Vermogen  und  die  Macht  seiner  VerWandten  und  Freunde.'* 
Hierauf  beginnt  die  Besprechung  fiber  Brautkauf  Mitgift  und  die 
andem  notigen  Dinge,  und  ist  alles  nach  dem  Wunsche  beider 
Theile,  so  erfolgt  die  Verlobung.  —  Auf  die  Begleitung  des 
f  Werbers  ward  viel  gegeben.  Der  junge  Gunnlaug  Ormstunga  hat 
allein  um  Helga  Thorsteins  Tochter  angehalten,  allein  der  Vater 
sieht  diefz  fiir  Spott  an  und  weist  den  Jtogling  ab.  Ala  aber 
Gunnlaug  mit  seinem  Vater  Illugi  und  elf  andem  Mannem  zu 
Thorstein  kommt ,  so  sagt  dieser  nach  einigem  Verhandeln :  we- 
gen  deiner  Rede  und  unserer  Freundschaft  sei  Helga  dem  Gunn- 
laug versprochen.  (Gunnlaugs  s.  c.  5).  Nur  sehr  angesehene  Man- 
ner wagten  ohne  Fiirsprecher  anzuhalten;  so  wirbt  Thorolf  Ska- 
lagrims  Sohn  selbst ,  wenn  auch  von  guter  Fartgenofzenschaft  *) 
umgeben ,  um  Asgerd ,  Biornstochter.  (Egils  s.  c.  42).  Der  Fur- 
sprecher*),  der  Fiirer  und  Aelteste  des  Werbezuges,  scheint  bei 
alien  germanischen  Stammen  der  ordnungsmafzigen  Werbung 
notwendig  gewesen  zu  sein;  selbst  der  Gott  Freyr  wagte  der  Sage 
nach  nicht  allein  sondem  nur  durch  den  Fiirsprecher  Skimir 
um  die  Geliebte  zu  freien.  Bei  den  Fiirsten  geschah,  sobald  das 
Madchen  aufzerLandes  war,  die  Werbung  stets  und  allein  durch 
Genandte*);  da  verleitete  wol  die  Begier,  die  Braut  vor  der  ge- 
setzten  Zeit  zu  sehen ,  manchen  jungen  heifzbliitigen  Fiirsten  sich 


^)  Altnord.  bdnordhsf^r,  Wcrbungsfart,  til  kvdnhoena  ridha,  auf  die  Froite 
reiten.  —  meifjar  bidhja  einumhverjum  til  handa,  um  ein  Madchen  fur  jemandcn 
nnhulten.  *)  Foruneyti,  althochd.  truht.  alts,  druht.  ags.  dryht.  *)  Ahd.  brut' 
bitil.  brutiboto.  himachari*  truhtinc.  truhtigomo.  alts,  drohtinc,  nicderd.  brutkneht,  brut' 
Jorer,  ags.  dryhtealdor.  dryhfgvma.  br^dhguma.  hadhfvapa.  inas,  fuarman.  altn.  bidkilL 
altschw.  bryttughe.  gerdaman.  forviftaman.  *)  VeftgdtaL  I.  giptab,  1.  vgl.  die  Ge- 
dichtc  von  Gudrun,  Rother,  St.  Oswald.  S.  auch  Engelstoft  122  —  124.  Der  Auf- 
zug  des  jungen  Fiirsten  Sigisiner  den  Sidon.  Apoll.  ep.  4,  20  beschreibt,  gait 
schwerlich  der  Werbung  der  Braut)  sondem  war  bereits  der  Brautlauf. 


2(rt 


verkleidet  unter  die  Gesandtschaft  zu  mischen ,  wie  diefz  der 
Sage  nach  der  longobardische  Konig  Authari  that ,  ale  er  um 
die  bairieche  Herzogstochter  Theudlind  werben  liefz.  In  den  hoch- 
8ten  Standen  hat  sich  diefz  Werben  durch  andere  bis  heute  er- 
halten ,  nicht  minder  im  Bauemstande  der  neben  dem  hohen 
Adel  alte  Sitten  am  treuesten  bewarte.  Wir  gedenken  hieV  zu- 
nachst  aus  mittlerer  Zeit  des  Berichtes  des  Neokorus  in  seiner 
dietmarsisehen  Kronik  ^),  Der  junge  Dietmarse  bat  seine  Eltern 
oder  zwei  seiner  Vettem  oder  guten  Freunde  mit  den  Verwand- 
ten  des  gewiinschten  Madchens  zu  sprechen,  nachdem  er  selbst 
vorher  mit  den  seinen  iiber  dieWahl  reiflichRat  gepflogen  hatte. 
Die  Werbersleute  wurden  gut  empfangen  and  nach  langer  Be- 
sprechung  ihnen  eine  Zeit  bestimmt,  wann  sie  wieder  anfragen 
konnten.  Dabei  ward  wol  vorgesehen  dafz  bei  ihrem  fortgehen 
keine  Schaufel  oder  dergleichen  an  der  Thiir  stiinde ,  denn  das 
war  ein  altes  Zeichen  des  Abweisens*  Warend  der  gegebenen 
Frist  ward  unter  der  Hand  alles  gethan  um  die  Sache  zu  for- 
dern,  und  am  bestimmten  Tage  kam  es  dahin  dafz  die  Ver- 
eprechung  (bekentnifse)  angesetzt  wurde^  Zu  dieser  kam  der 
Brautigam  gewonlich  selbst,  indefsen  liefz  er  sich  zuweilen  auch 
dabei  noch  durch  einen  Verwandten  vertreten ,  dem  an  seiner 
Stelle  die  Braut  zur  Ehe  verlobt  wurde. 

In  solcher  Weise  geht  es  noch  heute  unter  den  nieder-  und 
oberdeutschen  Bauern  her ,  mehr  so  dafz  uber  Geld  und  Gut  als 
uber  die  Herzen  verhandelt  wiirde.  Nicht  selten  ist  das  Heirats- 
8tiften  zu  einem  Gewerbe  geworden ,  indem  sich  Manner  und 
Frauen  zu  Heiratsvermittlern  fur  die  niederen  Stande  aufwerfen 
und  gegen  ein  Stuck  Geld  das  Zusammenbringen  der  Heiratslustigen 
ubememen.  Was  Neokorus  von  den  Dietmarschen  erzalt,  dafz 
es  bei  ihnen  fiir  eine  grofze  Schande  gelte  wenn  sich  ein  Mad- 
chen  antragen  lafze,  war  zu  seiner  Zeit  bereits  anderwarts  iiblich 
und  heute  findet  es  in  alien  Gegenflen  statt.  Gleich  manchen  der 
alten  Nordlander    vertrauen    indefsen   auch    heute   manche  junge 

')    Van  friewervinge^     uthfchuven  unde  hochtidlichen  frouden  der  Ditmerfchen 
(Dahlmann  I,   100-123). 


208 

Bauern  auf  eich  selbst  und  tragen  sich  ohne  Freiwerber  dem 
Madchen  oder  der  Witwe  an,  Diefz  „auf  die  Heirat  gehn"  zeigt 
una  ganz  das  practische  des  Bauemstandes.  Wo  der  Mann  von 
eiiiein  vermogenden  Weibe  hort,  mag  es  auch  sonst  manche  Man- 
gel haben,  da  beglbt  er  sich  bin  und  bringt  mit  Darlegung  seiner 
Verhaltnifse  die  Werbung  an.  Erhalt  er  einen  Korb,  so  weifz  er 
sich  zu  trosten  und  feiert  nicht  selten  als  heiterster  Hochzeitgast 
die  Vermahlung  eines  gliicklicheren  Bewerbers  mit.  Liebe  ist  nicht 
im  Spiele,  die  Ehe  wird  als  eine  Anstalt  betrachtet  das  VermOgen 
zu  vergrofzern  oder  eine  tuchtige  Wirtin  ohne  Miete  und  Gefahr 
des  Wechsels  zu  erlangen ,  und  auf  Seiten  des  Weibes  walten 
gewonlich  eben  so  wenig  idealei  Rucksichten  ob.  Es  ist  diefz 
gerade  herausgesagt  die  altgermanische  Weise  des  Eheab- 
schlufzes,  denn  auch  hier  war  der  wichtigste  Theil  der  Bere- 
dung  die  Vermogensfrage.  Beide  Seiten  batten  gewifsen  Gesetz* 
forderungen  zu  geniigen :  der  Brautigam  muste  das  Madchen 
erwerben  (kaulen),  die  Verwandten  defselben  batten  die  Mitgift 
auszusetzen  und  der  Brautigam  der  Mitgift  eine  Gegenschenkung 
entgegenzustelleu ,  abgesehen  von  Gaben  an  Braut  und  Braut- 
verwaiidte. 

Ehe  wir  uns  zu  dieser  Grundlegung  der  Ehe  wenden,  werde 
ein  islandisches  Tanzlied  (vikivaki)  angefiirt,  in  welchem  sich  wie 
in  vielen  anderen  Volksspielen  und  Keihen  ein  alter  Kechtsbrauch 
und  zwar  der  lies  Brautkaufes  erhalten  hat  *). 

Madchen  sind  in  einem  Hause  versammelt  und  singen  wa- 
rend  ihre  Liebhabcr  an  die  Thiiie  treten  : 

Was  wll  Hof  und  was  will  Alf,  Was  bieten  alle  Burschen  HofiB? 

,, Stein  bietet  Hof,  Stein  bietet  Alf,  Stein  bieten  alle  Burschen  Hofs." 

Sie  werden  honisch  abgewiesen ,  gehen  fort ,  keren  zu- 
riick,  der  Gesang  beginnt  in  voriger  Weise  und  die  Burschen 
bieten  Kupfer  zum  Brautkauf.  Weniger  verachtlich  abgewiesen 
bieten  sie  zum  diitten  Male  Gold.  Da  singen  die  Madchen: 


>;  Mitgcthcilt  von  V.  E.  Muller  iu  Lyngbye  faeroiske  quAeder.  p.  37. 


2W 

il 

Wlllkommen  Hdf ,  willkommen  Alf ,  willkotnmen  ftU  ihr  Bur* 
tchen  Hoffil  Die  Manner  treten  in  das  Hand  und  der  Tanz  be-^ 
ginnt  *}• 

"  Die  erste  litid  hauptsachlicfaste  der  geaetzlichen  Leistungen 
war  der  Brautkauf  *).  Er  ist  die  Ablosung  der  Braut  von  der 
angeborenen  Mundscbaft  und  die  Bedingung  des  rechtmafzigen 
£intritt8  in  das  Gescblecht  und  den  Schutz  des  Bt-'autigams.  £in 
Erkaufen  der  Person  lag  in  der  altesten  Zeit  darin  ^) ;  in  der  histo- 
rischen  war  er  nur  Ausdruck  der  Erwerbutig  aller^echte^  welehe 
uch  auch  in  Hin^icbt  des  Vermogens  an  die  Uebemame  der 
Vormnndschaft  der  Braut  kniipften.  Obne  Mahlschatz  gehorte 
di^  Frau  nur  ihrem  angeborenen  Geschlechte  an,  ihre  etwaigen 
Kinder  erbten  ddber  nur  in  ihrer  Familie  ^)  und  wurden  als  keine 
rechten  Olieder  des  Geschlechtes  des  Vaters  betrachtet;  sie  mu-^ 
fiten  sich  Sohne  einer  Beischlaferin  (frillusy)  schelten  lafzen.  Der 
Bn^utkauf  mac^hte  die  Ehe  erst  zurEhe  >  das  heifzt  zu  einer  ge^ 
Betzmafzigen  Verbindung. 

So  weit  wir  nnser  Alterthum  vermittelst  Gesetzbucher  und 
Geschichtsschreiber  durehschauen  k5nnen,  sehen  wir  iiberall  den 
Brautkauf  gezalt.  Er  scheint  urspriinglich  nur  in  beweglicher  Habe 
gegeben  zu  seiti  y  allein  schon  zur  Zeit  der  Aufzeichnung  der 
Volksrechte  bestund  er  auch  in  Land,  was  den  sofariftlichen 
Vertrag  ziirFolgehatte.  Die  Hohe  des  Mundschatzes  war  verschie- 
deh.  Von  der  Verlobting  der  angUschen  Konigstochter  mit  dem 
tamiscben  KonigssohAe  Hermigisil   bericbt^t  Procop   ganz  allge- 


')  VgU  auch  ein  schlesisches  Volkslied  bei  Hoffmann  nnd  l^ichter  Schles. 
Volkslieifier  S.  119.  No.  dS.  *)  mahalfeda,  mwhtfccit,  hriUmiete'Umgdb^  rhetcL  burgund. 
•fttoM.  age.  VMiuma^  fcSi.  cedp:  fries,  wetma,  htuetfcaU  altn.  mundr.  faftingaft, — 
aitteUat.  mundiwnu  J)pot\falitium.  arrket.  pretium  enuionis.  nuptiale  pretium.  dos.  — 
^Mifrau  kattfeUf —  mid  cedpe  cvSne  gebicgan,  —  keypa  gw4n, -—  uxor  em  emere.  — 
(^rimm  Rechtsalterth.  421.  Ki'aat  Vormnndschaft  §§.  20.  35.  ')  Das  beweist  das 
Becht  des  Mannes  seine  Frau  wie  eine  Sache  zn  verkaufen  nnd  verschenken.  Er 
bit  mt  gekanft,  dai'uin  kann  er  tlber  sie  v^rfiigen.  V^.  darftber  das  siebente 
Ktpitel.  *)  Gr&g.  arfatb.  S.  Frostath.  S,  U«  Yestfotal.  I.  arfdh.  7.—  Der  Sohn 
ciiier  Ften  i%r  welehe  kein  Mundschatz  geisalt  war  nnd  deren  Hochzeit  niclit 
dflenUi'jh  war,  hiefz  nach   Gulathingsbdk  c.  104.  homnngr« 

14 


210 

mein ,  dafz  grofze  Schatze  als  Brautkauf  gegeben  seien ') ; 
ebenso  erzalt  Paul  Wamefrieds  Sohn  (III.  27)  nur,  dafz  der 
Longobardenkonig  Authari  mit  grofzen  Gescfaenken  (munera)  um 
die  Schwester  des  Frankenkonigs  Childebert  11.  wirbt.  In  den 
Eddaliedem  ^)  wird  bald  allgemein  von  Gold  gesprochen ,  bald 
bestimmteres  an  gegeben.  ^tli  gab  fiir  Godrun  eine  Menge  Kost- 
barkeiten,  viel  Silber,  dreifzig  Knechte  und  sieben  MagdeJ  Wir 
diirfen  mit  Bestimmtheit  annemen  dafz  urspr&nglich  die  Hohe 
des  Brautkaufes  dem  Uebereinkommen  der  beiden  Seiten  iiber- 
lafzen  wurde,  wie  das  in  den  longobardischen  und  westgothisphen 
Gesetzen  geradezu  ausgesprochen  \yird  *),  und  sodann  dafz  er  sich 
nach  dem  Stande  des  Mannes  richtete.  Es  bildeten  sich  nur  all- 
malich  gewifse  Satze  fiir  die  hochste  und  fiir  die  geringste  Za- 
lung,  um  einerseits  die  Verschwendung  und  unbillige  Anspriiche 
andererseits  die  Kargheit  zu  ziigeln.  , 

Auf  Island  ward  eine  Mark  (VI.  alna  aurar)  als  geringster 
Mundsehatz  angenommen  und  Kinder  einer  Frau,  die  um  gerin- 
geren  Preis  erkauft  war,  galten  nicht  fiir  erbfahig.  (Gr&g*  arf.  3). 
Fiir  eine  edle  Friesin  waren  acht  Pfund  acht  Unzen  acht  Schilling 
achtPfennige  die  wetma  (21.  Fries.  Landrecht) ;  ein  hochsterSatz 
scheint  der  s'achsische  Brautkauf  zu  300  sol.  (1.  Sax.  VI,,  1). 
Die  hochste  meta ,  welehe  der  vornemste  Longobarde ,  der  judex, 
zalen  durfte ,  betrug  400  solidi ,  andere  edele  zalten  300  sol. 
(1.  Liutpr.  6,  35).  Die  westgothische  dos  soUte  den  zehnten  Theil 
des  Vermogens  des  Brautigams  nicht  iibersteigen ;  vomeme  duif- 
ten  aufzerdem  zehn  Knechte,  zehn  Magde  und  dreifzig  Pferde 
oder  Schmuck  zu  1000  solidi  geben,  (1.  Wisig.  III.  1,  5);  auch 
hier  kam  iibrigens  alles  auf  das  getroffene  Uebereinkommen  an 
(HE.  1 ,  2).  Bei  den  Burgundern  betrug  der  Brautkauf  fiir  die 
ersten  Stande  (optimates.  mediocres)  50  sol. ,  fiir  den  leudis  16  sol., 
bei  den  Alemannen  werden  40  sol.  angegeben  *).  Wir  mogen  alle 


')  Froc.  de  b.  goth.  4,  20*  xQVf'^''^  fisydXa  tm  z'qs  fi^vfjctsCas  owf 
dBSoDHoag  loyo),  »)  Saem.  65.'  vgl.  83.  flF.  —  Saem.  263.'  *)  Ed.  Both.  190. 
191.  215.  1.  Liutprandi  VI.  35.  1.  Wisigoth.  III.  1,2.  *)  Kraut  Vormmidichaft 
1,  310. 


211 

ftiese  Satze  fiir  hochste  annemen ;  denn  einige  derselben,  wie  der 
sachsische  sind  in  der  That  sehr  hoch,  aufzerdem  neigt  sich  aber 
der  germanische  Geist  schon  friih  dahin,  den  Brautkauf  nur  als 
einen  Scheinkauf  festzuhalten  der  an  und  fur  sich  unbedeutend 
eine  Rechtsformalitat  wird.  Diefz  let  bei  den  Salfranken  zeitig 
geschehen ,  wo  schon  zur  Zeit  Chlpdwigs  der  Brautkauf  nur  einen 
Solidus  und  einen  Denar  betrug;  mit  dieser  Summe  wurde  Chlo- 
thilde  dem  Chlodwig  verlobt  ^).  Die  Folge  war  dafz  der  Braut- 
kauf allmalich  verschwand  und  nur  in  der  lange  noch  dauernden 
Eedensart  „ein  Weib  kaufen"  ^)  fortlebte.  Das  Mundschafts-  und 
Geschlechtsverhaltnifs  war  locker  geworden ,  andere  Leistungen 
seitens  des  Mannes  hatten  sich  ausgebildet  und  die  Kirche  stelte 
sich  dem  vermeintlichen  Erkaufen  einer  Seele  entgegen  ^).  Nur 
im  Norden  und  bei  denFriesen,  wo  die  ahen  Familienbande  sich 
am  langsten  fest  erhielten,  leistete  der  auf  sie  gegriindete  Brautkauf 
den  neuen  Ansichten  einen  hartnackigeren  Widerstand.  Einzelne 
Erinnerungen  an  die  Bechtssitte  des  Mahlschatzes  haben  sich 
noch  in  den  Hochzeitsgebrauchen  des  deutschen  Landvolkes  er- 
Iialten. 

In  der  Bedeutung  des  Brautkaufs  als  emer  Loskaufung  von 
der  Mundschaft  des  vaterlichen  Geschlechts  der  Frau  liegt  es, 
dafz  die  Zalung  dem  Vormund  derselben  zu  leisten  war  *);  sie 
wurde  in  Gegenwart  von  Zeugen  dem  rechtmafzigen  Verlober  zu 
seinem  Eigenthume  libergeben.  So  war  die  urspriingliche  Rechts- 
gewonheit  und    dahin  ist   auch    die    bekannte  Stelle  des  Tacitus 


')  Gregor.  Turoii.  epit.  c«  18.  form.  Lindtnbrog.  75.  Bignon.  6.  vgl.  L 
SaL  47  f  1«  wo  der  Brautkauf  der  Witwe  in  derselben  Summe  festgesetzt  wird. 
*)  Grimm  Rechtsalterth.   421.    Kraut  Vormundschaft    1,  175*  *)  Das    concil. 

Trerir.  von  1227  verbietet  den  Verwandten  oder  Vormundern  des  Brautpars 
^uoeunque  colore  quetesito  aliquam  pecuntam  pro  matrimonio  contrahendo  vel  contra' 
indo  impediendo  zu  nemen.  Hartzbeim  3,  529.  Das  Verstftndnifs  des  Brautkaufs 
gieng  in  Dentschland  friih  verloren.  Saxo  grammat  erzftlt  mit  Vorwurf  von  den 
Nordlandem,    dafz  bei   ibnen  die  Ehen  feil  seien.  *)  Vgl.  Grimm   Rechtsalt. 

*i8.  C  —  Bei  den  Slaven  fand  gleicbes  Statt.  In  kleinrufzischen  Hochzeitge- 
biinchen  hat  rich  der  Brautkauf  noch  als  Scberz  erbalten.  Der  jiingste  Bruder 
d<r  Braat  verkanft  seine  Schwester  um  ein  par  Dukaten. 

14* 


212 

(Germ.  18)  zu  deuten,  obschon  er  die  Gaben  welche  der  Mann 
gibt,  als  Gaben  an  die  Braut  gefafzt  hat.  Trotz  der  schOnen 
Gedanken  welche  er  daran  knupft  ,  bringt  es  ihre  Beschaflfen- 
heit  schon  mit  sich,  sie  fiir  Leistungen  an  die  Verwandten  der 
Frau  zu  erklaren.  Es  sind  Kinder ,  ein  gezaumtes  Rofs ,  ein 
Schild  Geer  und  Schwert;  Dinge  welche  noch  in  spaterer  Zeit 
als  Bestandtheile  des  Brautkaufes  vorkommen.  So  werden  im 
westgothischen  Gesetz  neben  Sklaven  y  dreifzig  Pferde,  in  firan- 
kischen  Formeln  Pferde  Kinder  und  anderes  Vieh,  in  aleman- 
nischen  Urkunden  *)  Kofse  Kinder  Tiicher ,  im  Norden  sogar 
das  Schwert  (Saem*  65.)  als  Theile  des  Mundschatzes  erwahnt* 
Von  dieser  naturgemS-fzen  in  seinem  Begrifte  begriindeten  Ver- 
wendung  des  Brautschatzes  entferute  man  sich  indefsen  allgemach 
und  liefz  bald  theilweise  bald  ganz  die  Braut  in  seinen  Grenufz 
treten.  Nach  der  lex  Saxonum  (VI,  1)  wird  der  Mundschatz  den 
Vormiindem  des  Weibes  ausgezalt ;  bei  den  Longobarden  kam  er 
wie  es  scheint  bis  gegen  das  siebente  Jahrhundert  eben  denselben 
zu^  dann  aber  wich  man  vom  alten  Kechte  ab:  im  siebenten  Jahr- 
hundert bereits  wird  die  Meta  allerdings  dem  Vormunde  iiberge- 
ben,  dieser  schenkt  sie  aber  der  Frau  (ed.  Koth*  178.  199).  Hier 
finden  wir  also  den  Weg ,  wie  sich  die  Bestimmung  dee  Braut- 
kaufes veranderte,  klar  angegeben.  Die  weitere  Folge  trat 
bereits  ein  Jahrhundert  spater  dort  ein,  indem  er  unmittelbar  der 
Braut  iibergeben  wurde.  (1.  Liutpr.  VI.  35.  49.  61)»  Bei  den 
Franken  kam  er  wie  es  scheint  stets  dem  Vormunde  zu  (PauL 
Diac.  in^  27.),  wobei  seine  geringe  Hohe  in  Anschlag  zu  bringen 
ist*  Im  burgundischen  Geeetze  wird  der  Mundschatz  Bur  dann 
der  Frau  gegeben,  wenn  sie  die  dritte  Ehe  schliefzt;  bei  der 
ersten  Ehe  fallen  zwei  Drittheile  defselben  den  nachsten  Verwand- 
ten (Schwertmagen  oder  Mutter  und  Schwestem^,  und  nur  ein 
Drittheil  der  Braut  zu;  bei  der  zweiten  Ehe  kommt  der  ganze 
wittemo  an  die  Eltem  des  verstorbenen  Mannes.     In  dieser  letz- 


0  Sklaven  auch  1.  Alam.  45,  2.  *)  Nengart  eod.  dipl.  AImiu  L  487. 

(a.  890)« 


2ia 


ten  Bestimmuog  zeigt  filch  wieder  klar  die  Bedeutung  des  Braut- 
kaufes  als  eineir  AblOsung  der  Frau  von  der  bisherigen  Mundschaft 
Das  westgothidche  Gesetzbuch  hat  diefz  ganz  vergefzen  und  spricht 
die  do8  nur  der  Frau  zu.  Ebenso  fiel  im  Norden  zur  Zelt  der 
Abfafzung  der  iiberkommenen  Rechtsbiicher  der  mundr  tiberall 
der  Braut  anheim  M. 

Der  Brautkauf  bedurfre  in  altester  Zeit  keiner  anderen  Ent- 
gegnung  als  die  in  der  Uebergabe  der  Braut  lag.  Sobald  in- 
defsen  seine  urspriingliche  Bedeutung  sich  abschw'achte  und  er 
mehr  ein  Geschenk  an  die  Familie  der  Braut  oder  an  diese  selbst 
als  ein  Kechtskauf  wurde ,  so  muste  sich  eine  Gegenleistung  e^i- 
finden  die  wir  in  der  Mi  t  gift*)  sehr  friih  eintreten  sehen.  Das 
Verhaltnifs  des  Mannes  zur  Mitgift  war  indefsen  ein  ganz  an- 
deres  als  das  der  Frau  zum  Brautkauf;  denn  sie  ward  nicht 
Eigenthum  d^s  Mannes ,  sondern  blieb  wenn  nicht  anderes  aus- 
drucklich  bestimmt  war  wenigstens  in  altester  Zeit  stets  der 
Frau  eigen.  Ich  kann  darum  auch  in  dem  Waflfengeschenk ,  das 
nach  Tacitus  die  Braut  dem  Manne  zubrachte ,  nicht  eigentlich 
eine  Mitgifl  sehen  sondern  nur  ein  Geschenk,  dem  sich  andere 
Geschenke  Seitens  des  Brautigams  vergleichen  lafzen,  Tacitus 
Bcheint  mir  iiber  das  Wesen  des  germanischen  Brautkau&s  und 
der  Mitgift  ganz  im  Unklaren. 

Durch  den  Ausschlufz  des  Weibes  von  liegendem  Eigen  er- 
gibt  sich  dafz  ursprunglich  den  Brauten  nur  farende  Habe  mit- 
gegeben  wurde.  Der  frankische  Konig  Chilperlch  gab  seiner 
Tochter  bei  ihrer  Vermahlung  mit  dem  WestgotheilkOnig  viel 
Kostbarkeiten  mit,  ebenso  ward  sie  von  der  Mutter  mit  Gold 
wnd  Silber  und  Gewandem  ausgestattet  und  die  Grofzen  des  Eei- 


*)  Saem.  83.  fif.  Gr&gas  festath.  50,  Gulath.  b.  c,  54.  64.  vgL  Engelstoft 
p.  150.  —  Au8  Grag.  festath.  7.  lafzt  sich  schliefzen  dafz  der  Munischatz  we- 
^igstens  durch  die  Hand  des  Verlobers  gieng.  *)  heimftiur,  hiftiur,  —  ingeddm 
(Grupen  de  uxore  theot.  125)  —^  boldbreng.  fletjeve.  —  hetmgidf.  heimanfylgja.  hem- 
jyk<^K  heimanferd.  hemfaerdh,  medhfylgdh^  heimanmundr.  dmynd,  mala.  •—  hier  und 
^(We3terwold.  Landr.  v.  1470.  Brom.  ritterr.  125.  §.  1.)  hruetfcoL  — faderfium. 
P^^ophemalia,  illata.  dos. 


) 


214 

ches  brachten  als  die  befolene  Ausstattungsbeisteuer  thefls  Gold 
theils  Silber,  die  meisten  aber  Kleider  ^).  Brynhild^  Godmn, 
Oddrun ,  Svanhild  wurden  nach  den  Eddaliedem  mit  Gold  und 
kostbaren  Gewandem  ausgestattet  *^ ;  ebenso  erscheint  Greld  ver- 
arbeitetes  edles  Metall  und  kostbares  Pelzwerk  auch  sonst  im 
Norden  als  Mitgift.  Bei  Fiirstentochtem  oder  TOchtem  grofzerer 
Grundbesitzer  war  ein  mehr  oder  minder  grofzes  Hofgesinde, 
au3  Ministerialen  und  TOchtem  lehnspflichtiger  bestehend,  nicht 
selten  ein  Theil  der  Mitgift.  So  lafzt  Chilperich  seiner  Tochter 
einen  grofzen  Hofstat  folgen  3),  und  zuSigeband  von  Irland  zieht 
die  junge  Fiirstin  von  Norwegen  von  einer  grofzen  Schar  Sitter 
und  Jungfrauen  begleitet.  (Gudrtln  9.  12.)  Bei  der  Erzidiung  der 
Madehen  ward  bereits  des  Branches  gedacht ,  dafz  die  Unfrde 
welche  mit  der  freien  Todhter  des  Hauses  aufgewaphsen  war,  ihr 
gewonlich  zu  dem  Gatten  folgte.  Auch  der  Schwabenspiegel 
(Ian  dr.  73)  gibt  eigene  Leute  als  Aussteuer  an. 

Wie  bei  dem  Brautkauf ,  so  kam  noch  mehr  bei  der  Mit- 
gift als  einer  nicht  unbedingt  notigen  Leistung  alles  auf  das 
getroffene  Uebereinkommen  und  die  Vermogenszustande  der  Brant 
an.  Im  ostgothlandischen  Gesetz  (giptab.  2)  finden  wir  jedoch 
einen  festen  Satz  (laghadmynd) ,  der  bei  der  geringen  Hohe  nur 
fiir  die  niedrigste  Mitgift  gel  ten  kann.  Fiir  freie  betragt  sie  nam- 
lich  neun  Ore  *) ,  die  sogar  nach  dem  Tode  einer  Frau ,  welche 
ohne  Mitgift  verheiratet  worden  war,  behufs  der  Erbtheilung  aus 
dem  Vermogen  des  Mannes  herausgenommen  wurde;  bei  Ehen 
zwischen  freien  und  unfreien  sechs  Ore ,  bei  unfreien  nur  zwd 
Ore  (giptab.  29,  1.  2).  Im  Gutalag  (65)  sind  als  hochste  Mitgift 
zwei  Mark   Goldes    angesetzt,    die    nicht    iiberschritten   werden 


')  (Sreg.  Tur.  VI.  45.  Ueber  die  Prinzefsinnensteuer  Gmpen  de  nxore  theot. 
p.  29.  *)  Saem.  218.*  230.'  241.'  267.'  Der  technische  Ausdiuck  war  mcy  gulU 
gaedhoy  reifa.  —  gera  mey  heiman  vidk /S  ok  guilt.  Fommannas.  3,  110.  10,  75. 
■)  Chilperich  verfur  daboi  mit  der  grosten  Willkiir  und  zwang  trot*  ihres  Wider- 
strebcns  alle  freie,  die  er  ausgewalt  hatte,  mit  nach  Spanien  zu  Ziehen.  Gregor. 
Turon.  VI,  45.  *)  Acht  Ore  giengen  auf  die  Mark  Silber.  Wilda  Strafttoht 
der  Germanen.  S.  324. 


215 


diirfen  ') ;  ebenso  sind  auch  sonst  Bestimmungen  iiber  die  erlaubte 
HOhe  gegeben.    Auf  Island  durfte,  wie  das  sehr  begreiflich  war, 
dieMitgift  dasErbtheil  derSohne  nicht  tiberragen  (Grftgas  arfath. 
2.);  auf  Seeland,    wo  die  Tochter  nur  halbes  Sohnestheil  erbten, 
war  die  Aussteuer  an  diesen  Satz  gebunden.  (Sjel.  L  1.  7).    Mit 
der  'Umandening    dafz    die    Frauen  auch    Land  erben   konnten, 
war  naturlich  auch    die   Moglichkeit    gegeben,    dafz  die  Toch- 
ter mit  liegendem  Eigen  ausgestattet   wurden.     Das  alteste  Bei- 
spiel  ist   bei    der    Vermahlung  der    Schwester   Theoderichs    des 
Grofzen ,  Amalafrid,  mit  dem  YandalenkOnig  Trasamund,   indem 
ihr  der  Bruder    das    sicilische  Vorgebirge  Lilybaum    zur  Mitgift 
auBsetzt   (Procop  b.  vand*  1 ,  8)*     In  den  nordischen  Geschichten 
erecheint  Landbesitz  nicht  selten  als  Mitgift  der  FiirstentOchter  *)♦ 
Als  der  schwedische  Konig   Ingi   seine   Tochter   Margarete  dem 
norwegischen   Konige    Magnus    dem    baarfiifzigen   vermahlt,    be- 
stimmt  er   die  Giiter  in   Gautland,    um   die    sie  zuvor  gestritten 
hatten,  zur  Aussteuer  (Fornm.  s.  7,  62).   Konig  Ingi  Bardarsohn 
von  Norwegen    beseitigte  seinen   GegenkOnig   Philipp    durch  die 
Heirat  mit  seiner  Nichte  Kristina.  Die  Birkibeiner ,  Ingis  Anhan- 
ger,    batten   aber  ausdrucklich  bedungen    dafz    merere  norwegi- 
8che  Landschaften ,    Upplond  und   ein  Theil  von  Vik ,  Ejristinas 
Aussteuer  sein  solten.  (Fornm.  s.  9,  183).  Mehrere  skandinavische 
Rechtsbucher   lafzen   ebenso    unbedenklich  im  allgemeinen  liegen* 
des  Eigen   zu   Mitgift    geben   und  vererben  *).    Im  ostgothlandi- 
Bchen  Heiratsrecht  wird  ausfiirliches  fiber  die  Aussteuer  bestimmt, 
Zjierst  soUe  man  der  freien  Frau  ein  Kopfpolster  aussetzen,    so- 
danji  liegendes  Eigen   wenn  solches  vorhanden,    und  zum  dritten 
Gold   und  Silber.      Ist  sie  unvermogend,    so  neme  man   was  da 
bt  and  bilde  die  Mitgift  nach  jenen  drei  Haupttheilen  (giptab.  !)• 


')  Schildener   nimmt  diese   fylgi   nicht    als    eigentliche  Ausstattnng,    son- 
deni  ftir  ein    Andenken  das  die  Eltern    mitgaben.  ')  Nach    der    Snorra-cdda 

(27)  bringt  Skadi  dem  Niordh  ihr  vaterliches  Gut  Thrymheim  zu.  Skadi  tritt  iiber- 
kanpt  in  jeder  Art  als  Erbin  des  Vaters  auf.  —  Vgl.  auch  Grimm  Rechtsalt.  430. 
*)  VgL  Vestgotal.  I.  idrdhb.  l.Ostgotal.  giptab.   16.    12,   I. 


i 


216' 

Auch  im  uplandischen  Gresetze  (III.  8)  wird  liegendes  Eagaa  neben 
farender  Habe  ausdriicklich  als  Mitgift  erw&hnt  ^). 

Wer  die  Mitgift  f estsetzte  ist  deutlich ;  natlirlich  dnd  M  die 
rechtmafzigen  Verlober,  also  die  Eltern  oder  die  Briider  oder  die 
BODBt  nachsten  Yerwandten.  Die  Mutter  -scheint  eich  namentlich 
bei  deF  Aussteuer  der  Toehter  betheiligt  zu  haben^),  wie  denn 
fluch  ihre  Mitgift  entweder  ganz  oder  zum  grOsten  Theile  auf  die 
Toehter  yer^rbt  (OatgStal  giptab.  12.  23).  Sind  die  Eltern  tot, 
00  haben  die  Briider  die  Schwesteni  mit  dem  ihnen  ^ukommen* 
den  £Jrbtbeile  auszustatten ;  sitsen  YoUr  und  HalbbrUder  xngleioh 
im  Gate ,  go  gind  nur  jene  zur  Beistcuer  yerpflichtet  (OstgotaL 
giptab,  28),  Yerheiratet  sich  ein  Wit  wer  wieder,  so  muC?  er  sei- 
nen  jSob^cn  dieUrgaf  geben,  das  heifzt,  ihnen  sein  halbes  Yermo* 
gen  abtreten;  die  Toehter  m&fzen  sich  mit  ihrer  Ausstattung  be- 
gntigen  (OstgStal.  arfdhab^  9.)  ').  Waren  einige  Toehter  ausge- 
stattet  und  yerheiratet  und  die  anderen  nicht,  so  batten  die  ver» 
heirateten  nach  dem  Tode  des  Yaters  ihre  Mitgift  zur  Krhthei* 
lung  zuriickzubringen  und  die  ganze  Mafse  ward  nun  uoter  die 
Kinder  nach  den  bestehenden  Yorschriften  yertheilt  *).  £rhabeii 
sich  nach  der  Yermahlung  Streitigkeiten  liber  die  Aussteaer,  so 
hatte  nach  ostgothlandischem  Eecht  (giptab.  11.)  der  Verlober 
seine  Aussage  uber  das,  was  er  gegeben  hatte ,  mit  dem  Eide 
zweier  Yerwandten  und  zwClf  gekorener  Zeugen  (meth  tyem  af  ni^ 
thinne  ok  tolf  yalinkunnum)  zu  unterstiitzen ;  nach  dem  norwegischen 
Hakonarbuehe  (c.  50)  entschied  das  Zeugnifs  zweier  Zeugen  der 
Yerlobung.  War  man  vorher  dariiber  uneinig,  so  batte  nach  frie- 

')  Von  der  Mitgift  wird  haufig  die  Ausstattung  (Aussteuer ,  Kistcn- 
pfand,  Brautwagen,  inged6m  boldbreng)  unterschieden  und  d&runter  die  Qetchenke 
zur  hftuslichen  Einrichtung  und  in  die  Wirtachaft  verstanden,  welohe  die  Utani 
dem  jungen  Fare  geben.  Vgl.  Mittermaier  deutsches  Friyatr.  §.  892.  (II.  SdS). 
Die    Scheidung    ist  jedoch    schwer    durchzufiiren.  *)  Vgl.    Grftg&s  arfiatli.  %• 

Ostgotal.  giptab.  12.  '}  Nacb  mehreren  spateren  franzosischen  Bechten  sind  die 
TOchter  mit  der  Mitgift  abgefunden  und  haben  keinen  weiteren  Anspruch  an  das  T&ter- 
liche,  es  sei  denn  sie  seien  nur  mit  einem  Bosenkranz  (chapel  de  rose)  d.  h.  mit  nicbtt 
ausgestattet  worden.  Vgl.  Laboulaje  recherches  245.  Le  Grand  et  Boqnefort  t.  ptir- 
d.  Fran^.  2,  246.  —  S.  iibrigens  Sch&fiEher  Rechtsverf.  Frankreiclis  8,  1*9.  ^  U. 
Both  199.  Uplandsi.  III.  8. 


2n 

Biechem  Rechte  (Brockemer  geg.  166.')  der  rfidjeva  (Kchter)  eineu 
Verlober  (nriekere)  zu  ernennen  und  dieser  mit  zwei  zuverlafzigen 
Mannem  oder  Frauen  die  Mitgift  festzusetzen ;  nach  Emsiger 
Satzungen  (Pfennigsch,  §.  16)  bestimmte  der  Pfarrer  des  Wohp- 
ortes  der  Braut  mit  dem  Verlober  und  zwei  ehrenfesten  Mannem 
die  Mitgift. 

Schon   au8   einigen    der   hier   ang^fiirten    gesetzlichen    Be- 

stimmungen  iiber  die  Mitgift  erhellt   dafz  sie  ein   loses   Gut  war/ 

uber  daa   der  Mann   kein   Yerfiigungsrecht    hatte  und  das   mit\ 

der  Familie   der    Frau    in    einem    bleibenden    Zusammenhang^  1 

stand.    Am    deutlichsten   spricht    diefz   das    uplandische   Gesetz  \ 

aas  (in*  8)  9   das  den   Besitz  der  Mitgift  fiir  die  Frau  als  ab^  ) 

hangig  von   dem  Widerrufe  der  Eltern  darsteUt,   denn  niemand/ 

koDne  einen  lebeuden  beerben.  AnderwSxts  tritt  ein  Aufsichtsrecht 

der  Verwandten  der  Frau  Gber  die  Mitgift  hervor,  wie  im  friesi- 

schen  Landrechte  (4) ;  Verkaufe  oder  Tausch  sind  daher  von  der 

Einwilligung  des  Hauptes  ihrer  Familie  abhangig.  Yiel  kam  darauf 

ui  ob  die  Ehe  kinderlos  war  oder  nicht.    Waren  Kinder  vorhan- 

den,  also  Erben  der  Frau  im  Gesohleohte  des  Mannes,  so  war 

auch  die  Mitgifl  in  festerer  Verbindung  mit  diesem ;  das  ostgoth* 

findische  Gesetz  gestattete  dahef  auch   den  Verkauf  der   Mitgift 

Ane  Einwilligung  des  friiheren  Vormundes,    sobald  dersolbe  nur 

?ortheilhaft  war  ^).  Kinderlosigkeit  bedingte  aber  den  Eiickfall  der 

Mitgift  an  die  Eltern  und  namentlich  an  die  Mutter  der  Frau  *)  naoh 

dem  Tode  derselben ,    so  wie  naturlieh  eine  vollige  Ausschliefzung 

dieses  Vermogens  von  dem  Verfiigungsrechte  des  Mannes  ').  Glau- 

Uger  defselben  batten  darum  nicht  den  mindesten  Anspruch  auf  die 

Mitgift  *)*     Nur    in  zwei   Fallen   durfte  nach    ostgotblandischem 

Bechte  (giptab.    14,    1)  der  Mann  die  Mitgift   seiner  Frau  ver- 

iofsem:  erstens  wenn  er  bei  einer  Hungersnot  schon  alles  eigene 

Gut  verkauft  hatte,  und    zweitens   wenn  die  Frau  im  Kriege  ge- 


0  Til  bcBtra  ok  egh  til  $aembra.  Ostgotal.  giptab  14,  1.  '}  Ed.  Roth.  121. 
Grig.  ar£ath.  2.  Gutal.  20,  18.  OstgCtal.  giptab.  7.  ')  Brockem.  ges.  136/  16. 
Weist  1,  147.       «)  Gulath.  115.  Hakonarb.  73. 


218 


raubt  war  und  er  zu  ihrer  AuslOsung  nichts  besafz.  Im  erster 
Falle  rauste  er  sie  jedoch  sobald  sich  seine  YermogensumBtandc 
gebefzert  batten  zuriickerstatten ,  ausgenommen  er  babe  an  den 
Niefzbrauche  des  Verkaufgeldes  keinen  Tbeil  genommen. 

Obschon  wir  bier  fast  nur  auf  die  nordischen  Rechte  Rfick 
I  sicht  namen,  so  diirfen  wir  das  gesagte  aucb  fiir  Deutschland  all 
s  giltig  erklaren*  Nocb  im  dreizebnten  Jabrbundert  gait  die  Mit 
j  gift  fiir  ausscbliefzlicbes  Eigentbum  der  Frau  und  der  Mann  be- 
idurfte  bei  Verfiigung  darfiber  stets  ibrer  Einwilligung  ').  Alleii 
es  gieng  bald  eine  Aenderung  darin  vor  und  im  Hamburger  Stadt 
recbt  von  1497  (G.  VII)  z.  B,  finden  wir  dem  von  1270  entge 
gen  die  Bestimmung  dalz  der  Mann  aucb  iiber  das  Grundeigen- 
tbum  der  Frau  obne  ibre  Einwilligung  verfiigen  konne.  Ebensc 
wird  im  baieriscben  Landrecbt  11,  14  Verfiigung  und  Beerbnnj 
der  Heimsteuer  falls  nicbt  anderes  bestimmt  wurde  vorausgesetzt  *) 
So  wenig  das  Eingebracbte  der  Frau  nacb  allem  diesem, 
wenigstens  in  alterer  Zeit ,  Eigentbum  des  Mannes  war ,  so  xog 
er  docb  mebr  oder  weniger  Genufz  davon  und  es  lag  darom  in 
dem  Billigkeitsgefule,  nacbdem  der  Brautkauf  bis  auf  einen  Schflin 
oder  volHg  verscbwunden  war  oder  wenn  er  von  der  Mitgift  alku- 
sebr  iiberragt  wurde,  dafz  der  Frau  von  dem  Manne  ein  Theil 
seines  Gutes  zur  Gegengabe  ausgesetzt  wurde.  Nacb  ostgotbliD- 
discbem  Recbte  (giptab.  3.  15)  muste  der  Mann,  wenn  die  Jfitr 
gift  den  secbsten  Tbeil  eines  attung  von  bebautem  Lande  (i  byg- 
dum  by)  oder  drei  Mark  von  abgesondert  liegendem  Pelde  (jl  humpi 
aella  bapi)  *)  betrug,  zwei  Mark  als  Gegenkauf  (vidarmund) und 
zebn  Ore  als  Mantelkauf  (mottulkop)  dagegen  legen.  Bdde 
Summon  werden  zur  Mitgift  getban  und  die  Witwe  nimmt  b» 
samt  dieser  von  dem  ungetbeilten  Erbe  des  Mannes  voraus.  B> 
den  iibrigen  scbwediscben  Gesetzen  ist  das  Wesen  dieser  Wider- 


')  Schwabensp. .  landr.  73.  Hamburger  Stadtr.  v.  1270.  art.  I.  20.  ■)  KrW* 
Grundrifz  z.  deutschen  Privatrccht.  S.  354  (3.  Aufl.)  *)  Athingaer^  eeriaft^ 
dam  pars  pagi.  —  humper  solum  a  communi  pago  agro  separattan  9t  extra 
nioneni  vicinorum  pojttum*  (Jlo  sar.  zu   V^gdtalag, 


219 

lage  nicht  klar  ausgeblldet  ').  Neben  ihr  findet  sich  hiernoch  der 
laghathridhjung,  das  ist  das  gesetzmafzige  Drittheil  der  farenden 
Habe  dee  Mannes  das  die  Witwe  von  seinem  ungetheilten  Erbe 
Torausnam  *). 

Der  allgemeine  Name  jener  Widerlage  in  Norwegen  wenig- 
stens    wo    das   skandinavlsche  Recht  sich  am  reichsten  entfaltete, 
iibrigens  aj^ch  in  einem  Theile  Schwedens,  war  Zugabe,  tilgiof  '). 
Sie  wird  am  Verlobungstage  sobald  das  Verlobnifs  geschlofzen  ist 
ubergeben  und  erscheint  ganz  wie  der  Brautkauf,  nachdem  dieser, 
zum  Eigenthume   der  Braut   geworden   war.    Zur  Mitgift  stimmt 
sie   in  so  fern    sie  ebenfalls    zum   Niefzbrauche  der  JFrau  diente 
(besonders  war  sie  fiir  ibre  Witwenscbaft  bestimmt),    unterschei- 
det  sich  aber  von  ibr  darin  dafz  die,-  Verwandten  derselben  keine  \ 
Anspriiche  an  sie   baben.    Stirbt   die  Frau  vor   dem  Manne,    so    \ 
ffQlt  die  Zugabe  an  den  Mann  zuruck*);  ebenso  fiel  Zugabe  und     \ 
Brautkauf  an  diesen  bei  Ehebruch  oder  bQslicher  Verlafzung  sei- 
tens  des  Weibes  (Frostatb.  11,  14).    Bei  einer  Ver^ufzerung  der 
Zugabe  hatte  der  Mann  natiirlich  ein  gleiches  Einspruchsrecht  wie 
die  Frau  bei  der  Mitgift.    Ibre  Hobe  muste  sich  ihrer  urspriing- 
lichen  Bestimmung  gemafz  nach  der  Mitgift  richten;  Brauch  ward    \ 
dafz  sie  dem  dritten  Theile  dieser  gleich  kam  und  sie  hiefz  darum     I 
auch  Drittels vermerung,  thridhjungs  auki. 

Ueber  das  Bestehen  der  Zugabe  in  Danemark  lafzt  sich 
nichts  sagen  ;  auf  Island  war  sie  nicht  notig,  da  hier  der  Brautkauf 
in  voller  Kraft  fort  bestund  und  der  Frauzufiel.  In  England  verhielt 
es  sich  also  damit»  Der  Brautkauf  war  wie  es  scheint  durch  den 
Einflufz  der  Geistlichkeit  bald  abgekommen  oder  wenigstens  eigen- 
thiimlich  als  eine  Erziehungsentschadigung  (fSsterledn^  ftLr  die 
Verwandten  der  Braut  betrachtet.  Nach  Edmunds  Bestimmungen 
(von  940)  hat  der  Brautigam  dem  Verlober  (forfpreca)  zu  ver- 
sprechen  und  bezeugen  dafz  er  die  Braut  nach  Recht  undBillig-^ 


•;  Thorlacius  matrim.  p.  212.  Engelstoft  157—160.  ')  Vestgotal.  I.  arfth. 
^8.  giptaK  9,  2.  Uplanclsl.  III.  3.  7.  *)  Vgl.  EngelHtoft  a.  a.  o.  Grimm  Rechts- 
alterth.  430.       *)  H&konarb.  51.  Biarkcyjar  r.   105.   123. 


220 

keit  halten  wolle;  sodann  gelobt  und  verwettet  er  den  Erzie- 
hungslohn,  bestimmt  die  Morgengabe  und  das  was  sie  nach  sei- 
nem  Tode  haben  solle,  also  eine  Summe  die  wir  der  tilgiof  ver- 
gleichen  durfen.  Nachdem  hierdurch  der  Vermogensanspruch  der 
Frau  bestimmt  ist,  wird  die  Verlobung  mit  Verblirgung  derVer- 
wandten  fiir  das  Gelobte  festgeschlofzen  *). 

In   deu    deutscheh  Rechten   ist  die  Forderung  der  Wider- 
lage  (wederwerf)  sehr  ausgebildet,    da   bier  der  Brautkauf  zeitig 
abkam  ').    Sie  wurde  also  eine  notwendige  Leistung  des  Mannes 
wodnrch   die  Mitgift  aufgewogen  wurde  imd  worauf  diese  v5llig 
in  den  Besitz  des  Mannes  kam»   so   dafz   die  Frau  fortab  keine 
Anspriiche  mehr  an  sie   hatte  ^).    Nach   dem  Tode    des  Mannes 
hatte  sie   die  Wahl  ob   sie  ihr  Eingebrachtes   heraushaben  oder 
das  ausgesetzte  Leibgedinge  nemen  wolte.  Es  stund  diefz  letztere 
ganz  in   demselben  Rechte    wie  die    tilgiof  und    anderwarts   die 
Mitgift  y  haftete  also  nieht  fiir  des  Mannes  Schulden,  konnte  nicht 
fOr   ein  Verbrechen    defselben  eingezogen  noch  ohne  ihre  Bewil- 
ligung   und  ohne   Ersatzleistung    vergabt   oder  verkauft  werden, 
und    blieb  ihr   auch  bei   der  Ehescheidung.    Es  haftete  an  ihrem 
Lieibe  und  fiel  nach  ihrem  Tode  an  des  Mannes  nachsten  Erben, 
oder  war  es   Lehngut  an  den  Herm  zuriick,     Indem  die  Wider- 
lage   besonders    fiir  den    Lebensunterhalt   der  Witwe   ausgesetzt 
war,   hiefz  sie  Leibzucht  oder  Leibgedinge*).     Verschie- 
den  hiervon   ist  das  frankische  Wittum  *),   das   allerdings  auch 
fiir  den  Unterhalt  der  Witwe  bestimmt   aber  ohne  Btlcksicht  auf 
das  Eingebrachte    der  Frau  ausgesetzt  ist.    Das  Recht  derselben 


')  Grupen  do  oxore  theotisca  232—  243.  ')  In  der  do8  der  1.  Saxon,  dt  S. 
kann  ich  keine  Widerlage  (Leibgedinge)  sehen,  sondem  neme  sie  mit  Ganpp  Ar 
die  Morgengabe.  ■)  Kraut  Grundrifz    §.  206,    2—4.  7.  9.    8.  857   (S.  Aiifl.). 

*)  Dotalitium,  donatio  propter  nuptias.  —  IJeber  daa  Leibg^edinge  in  Sachflen,  Brsn* 
denbnrg,  Schlesien,  Pommem,  das  auch  der  wiederheiratenden  Witwe  ana  den  Zin- 
sen  ihrer  dem  Manne  ganz  verfallenen  Mitgift  gegeben  wird,  s.  Mittermaier  Priratr. 
§.  395.  »)  Vidualitium,  —  wittun  ahd.  widamo  (traditio)  ist  mit  witawa  (Witwe) 
wie  schon  mehrfach  bemorkt  wnrde,  nicht  rerwandt.  In  der  1.  Bnrgnnd.  tit.  W 
heifzt  der  Brautkauf  wittemo,  und  kann  so  heifzen  da  der  Begriff  traditio  a«ch 
auf  ihn  pafzte. 


221 

an  das  Wittum  wftrend  und  nach  der  Ehe  ist  dafzelbe  wie  an 
Leibzucht  und  Widerlage*  An  den  schwedischen  loffhathridjzmg 
erinnert  der  zlemlich  verbreitete  deutsche  Branch,  der  Frau  das 
Drittelsrecht  in  alien  Giitem  des  Mannes  als  Leibgedinge  zu 
geben  ^).  Ein  bestimmter  Ertragstheil  des  Landgutes,  farende 
Habe  und  Grundbesitz,  eigener  wie  zu  Lehen  empfangener,  alles 
konnte  als  Leibzucht  ausgesetzt  werden. 

Neben  der  2ugabe  (tilgiof)  sehen  wir  in  den  gothlandischen 
Recfaten  eine  gesetzlich  geforderte  Leistung  welche  sich  auch  erst 
aus  den  veranderten  Brauchen  gestaltete,  die  Vingdf  (Verwandten- 
gabe).  Sie  wurde  an  den  Verlober  als  an  das  Haupt  der  Familie 
der  Braut  gezalt  und  betrug  nach  westgothlandischem  Recht  (!♦ 
^ptab*  2)  gesetzlich  drei  Mark.  Am  Verlobttngstage  beredet 
ward  sie  erst  nach  Beschreitung  des  Ehebettes  gezalt*)  und  ist 
im  wesentlichen  der  Brautkauf,  nur  unter  anderem  Namen,  iJso 
eine  Loskaufung  der  Braut  aus  der  angeborenen  Mundschaft. 

Etwas  anliches  wenn  auch  nur  als  Geschenk  und  nicht  als 
pflichtmafzige  Leistung  von  rechtlicher  Wirkung  lafzt  sich  in  den 
Ehrungen  nachweisen,  welche  im  14.  und  15.  Jahrhundert  in 
Baiem  der  Brautigam  an  die  Eltem  und  Geschwister  der  Braut 
gab  ■).  Haufiger  und  in  deutschen  G^genden  noch  heute  Branch  \ 
dnd  Geschenke  der  Braut  an  die  Familie  des  Mannes.  Sie  mft-  \ 
fzen  in  Skandinavien  in  sehr  alter  Zeit  gesetzliches  Herkommen 
gewesen  sein,  denn  das  Eddalied  von  Thrymr  erzalt  wie  die 
Schwester  des  Eiesen  von  der  vermeinten  Braut  des  Bruders  die 
Brautgabe  (br6dhf6)  verlangt.  Dieselbe  scheint  in  Geld  und  Schmuck- 
Bachen  bestanden  zu  haben  (Saem.  74*  Bask).  In  baierischen  Ge- 
genden  schenkt  die  Braut  heute  den  Verwandten  des  Mannes  und 
dem  Brautfurer  Schnupftficher  und  auch  wol  ein  Hemde  (Schmeller 
a.  a.  O.  1,  426.  3,  643)*  Aenliche  Gaben  kommen  in  Schlesien  dem 


')  Glofsa  lignic.  znm  Sachsenspiej^el.  Vgl.  Homeyer  Sacbsensp.  II.  361,  — 
NiefzbraQcfa  des  dritten  Theils  der  Hinterlafzenschaft  des  Mannes  wird  schon  I. 
Bttrg.  62,  1  der  Witwe  bestimmt.  *)  Aen  thar  komcB  bathi  a  en  bulftcer  ok  undir 
OM  hUo.   VcstgOtal.  I.  gipt.  2.    Ostgotal.  giptab.  10,  2.  ■)  Mftnchener  Magi- 

itraUverordnang  von  l405  (Schmeiler  "baierischeg  Worterbuch  1,  96). 


^ 


222 

Braxitfurer  oder  Hochzeltbitter  zu,  der  vielfach  an  die  Stelle  des 
Verlobers  des  Madchens  getreten  ist. 

Seit  alter  Zeit  iiberreichte  der  Brautigam  der  Braut  am  Yer- 
lobungstage  Geschenke,  die  meistens  in  kostbaren  Ringen  und 
andem  Schmucksachen  bestundeir  ^).  Bereits  im  13.  Jahrhundert 
war  es  notig  Verordnungen  iiber  diese  Verlobnngsgaben  zu  er- 
lafzen  um  die  Verschwendung  einigermafzen  zu  ziigeln,  ^So  be- 
stimmte  die  Hamburger  Hochzeitordnung  von  1292  *)  dafz  der 
Brautigam  der  Braut  nur  ein  Par  Schuhe  schicken  dUrfe,  die 
Braut  ifam  dagegen  ein  Par  Linnenkleider  eine  Haube  einen 
Gtirtel  und  einen  Beutel.  Anderwarts  waren  andere  Gaben  branch- 
lich  und  erlaubt.  In  Lubeck  gab  nach  der  labischen  Hochzeit- 
ordnung von  1566  ^)  ein  Brautigam  seiner  Braut  am  Verlobunge- 
tage  einen  Eosenkranz  (vifftich),  in  spateren  Zeiten  drei  oder  vier 
goldene  Ringe,  zwei  goldene  Ketten,  drei  Sammtkragen  und  drei 
Par  Aermel  (mouwen) ;  war  er  ein  Patrizier,  aufzerdem  einen  wei- 
fzen  Patrizierkragen,  den  witten.  Die  Braut  verehrte  dem  Brauti- 
gam eine  Badekappe  und  ein  Hemd,  in  spaterer  Zeit  kamen  zu 
dem  Hemde  zwei  Schnupftiicher  ein  Barett  und  der  Trauring*). 
Zu  dem  iQbischen  stimmt  im  wesentlichen  der  Branch  der  noch 
heute  in  Schlesien  gilt.  Der  Brautigam  gibt  der  Braut  das  Braut- 
kleid  den  Schmuck  und  ein  Gebetbuch,  die  Braut  ihm  das  Brilu- 
tigamshemd  ein  Schnupftuch  und  zuweilen  die  Weste,  aufzerdem 
bringt  Ae  fiir  ihn  gewonlich  noch  ein  haib  Duzend  Hemde  und 
ein  Duzend  Taschentucher  mit. 

Auch  die  Zeugen  der  Verlobung ,  so  wie  iiberhaupt  die 
nachsten  Verwandten  scheinen  in  alterer  Zeit  die  neuverlobten 
beschenkt  zu  haben.  In  dem  unter  dem  Namen  Kudlieb  bekann- 
ten  lateinischen  Gedichte  des  10.  Jahrhunderts    wird   erzalt    dafz 


^)  Fornmannas.  2,  128.  Alexius  230.  *)  Lappenberg  Hambarger  Bechti- 
alterthiimer  1,  160.  *)  Michelsen  nnd  Asmufsen  Archiv  Kiel  1838.  I.  1,  60.  C 
*)  Der  Verlobungsring  ward  in  alter  Zeit  an  mereren  Often  yon  dem  Verlobert 
also  von  Seiten  der  Braut,  dem  Braatigam  iibergeben.  Budlieb  XIV,  63.  Schwi- 
bisches  Verlobnifs  bei  Mafsmann  kl.  Sprachdenkmale  179. 


228 

Rudlieb  seinem  Neffen  bei  der  Verlobung.  ein  langes  Pelzkleid 
und  ein  gezaumtes  Bofs,  der  Braut  aber  SpaDgen  Armringe 
Fingerreife  und  einen  kostbaren  Pelz  gibt  Ebenso  geben 
die  andem  Zeugen  Geschenke.  (Rudl.  XIV ,  90  —  98).  Jetzt  sind 
diese  Gaben  auf  den  Antritt  der  Ehe  verlegt  worden,  da  die 
Verlobung  selbst  von  ihrer  alten  Bedeutung  das  meiste  verlo- 
ren  hat. 

C^Nachdem  die  Beredung  iiber  das  Vermogen  beider  Theile 
beendet ,  Brautkauf  und  Mitgift  und  wo  das  Branch  war  auch 
die  Widerlage  die  Verwandtengabe  und  die  andem  Geschenke 
festgesetzt  und  beziehungsweise  gegeben  waren  ,  schritt  man  zu 
der  Vollziehung  der  Verlobung  ').  Hauptbedingung  war 
dafz  dieselbe  von  den  rechtm'afzigen  Verlobern  erfolgte,  sodann 
dafz  sie  offentlich,  wie  sich  KSnig  Hans  von  Danemark  aus- 
driickt  (Privileg.  25)  am  Tage  und  nicht  in  der  Nacht  geschah, 
und  dafz  Zeugen  zugegen  waren.  Tacitus  hebt  (Germ.  18)  die 
Gegenwaxt  der  Eltem  und  Verwandten  hervor;  wie  dieselben  von 
Gemiit  und  dem  Gesetz  uberall  gleich  verlangt  war ,  so  sind  nach 
den  Gesetzbiichem  auch  noch  andere  Zeugen  in  kleinerer  oder 
grofzerer  Zahl  erforderlich.  DasBiarkeyrecht  erwahnt  zweiBraut- 
omnner  und  zwei  Brautfrauen  aufzer  dem  gridhmadr  und  der 
gridhkona  (Zuchtmann  und  Zuchtfrau)  als  wesentliche  Zeugen 
(c  132);  Konig  Hans  von  Danemark  bestimmte  es  solten  wenig- 
Btens  zwolf  Personen  gegen\»  artig  sein. 

Die  Zeugen   schlofzen    einen  Kreis   (Bing)  und   das  Braut- 


')  Vermahlnng.  Vermahlen  (gemaheleuy  altn.  mcela)  heifzt  bereden,  im 
besondem  die  Ehe  bereden,  verloben.  gemahele  die  Verlobten,  mahelfcaz  Braat- 
schatz,  mahelvtngerlin  Verlobungsring.  —  Andere  deutsche  und  nordische  Worte  fur 
▼erloben:  {GBten,  /efta;  haxidSesten^handfefiajungfrumannitil  Aando.  Verlobungs- 
tag  in  den  skandinayiscben  Gesetzen :  fdftingaftemma,  f&f'tnadharjltemma,  Brauti- 
gam :  fSftimadhr,  Braut:  faftikona, —  verloben  ags.  veddian  td  vi/e  and  td  reht  life.  — . 
Fir  Verlobung  sind  femere  deutsche  Bezeichnungen  Brautkauf  (Schmeller  8,  270), 
Stnelfeste,  Heirat,  Heiratstag  (Schmeller  2,  U.  3,  633;  1,  434.  2,  131.)  — Br  ft  u- 
tigam :  hrittf/ads,  prutigomo,  hrydguma,  brudhgumi.  Braut:  hrutha,  pr^t,  brjd, 
^eidj  britdhr. 


224 

par  ward  in  die  Mitte  defselben  gefiirt  ^).  Dann  tmt  der  Ver- 
lober  zu  ihnen  und  richtete  zuerst  an  deil  Mann ,  dttnn  sn  dfl6 
Madchen  die  Frage  ob  sie  einander  2sur  Ehe  wolteti.  So  wsr  dfi 
bei  den  Verlobungenkoniglicher  Pare,  bo  auchmd^n  unterdten  Stln- 
den.  Eine  Verlobung  aus  diesen  Kteisen  flchildert  das  Gredicht 
von  dem  Meiersohne  Helmbrecht*  Der  batterische  Raaber  Lem- 
berslind  soil  der  Bauerstochter  Gotelind  vermahlt  werden.  Ein 
alter  Greis  steht  auf  der  aller  gehOrigen  Worte  und  Brauche 
kundig  ist,  stellt  das  Par  in  den  King  und  aagt  tn  dem  Manne: 
Wolt  ihr  Gotelind  zur  Ehe  nemen,  so  saget  ,Ja/'  Lemberslind 
thut  diefz,  thut  es  auch  zum  zweiten  Male  und  zu^^  dritten 
spricht  er:  „Bei  Seele  und  Leib  ich  neme  gem  diefz  Weib.* 
Darauf  spricht  der  alte  zu  Gotelind :  „Wolt  ihr  Letnberslind 
gem  zum  Manne?"  Ja  Herr,  entgegnet  sie,  wenn  mif  Qoti  ihn 
g5nnt.  „Nemt  ihr  ihn  gem?"  fragt  er  wieder.  j,Gem,  Herr,  gebt 
mir  ihn  her."  Zum  dritten  Male:  „Wolt  ihr  ihn?*'  Gem,  mm 
gebt  mir  ihn.  Darauf  gab  er  Gotelind  zum  Weibe  Lemberslind 
und  Lemberslind  zum  Manne  Gotelind.  Da  sangen  t&lle  dazu  mid 
der  Mann  trat  der  Frau  auf  den  Fufz  *).  -— -  Die  KShier  Statuten 
aus  dem  14.  Jahrhundert  schreiben  folgende  Form  der  Verlobung 
yor  ') :  Wer  zwei  zur  Ehe  zusammen  gibt ,  soil  zuerst  den  Mann 
fragen:  Willst  du  Sibyllen  (oder  wie  sie  nUtt  heifztj  zu  einem 
ehelichen  Weibe  und  einem  Bettgenofzen  haben?  So  soU  der 
Brautigam  sagen :  Ja.  Dann  soil  er  die  Brant  bei  ihrem  Namen 
fragen:  Willst  duHeinriehen  (oder  wie  er  heifzi)  iknam Voradunde 
und  Bettgenofzen  haben?  so  soil  sie  sagen  Ja.  Dann  soil  der 
Brautigam  den  King  nemen  und  ihn  der  Braut  an  den  Finger 
nachst  dem  kleinen  Finger  stecken  und  der  sie  zusammen  gibt 
soil  ein  seidenes  Tuch,  worin  zwolf  Toraeschen  *)  sind,  nedften  and 
sprechen :    Ich   befele   euch  zusammen  auf  frankischer  Erde  mit 


')  Nib.  568,  3.  1621.  Gadr.  1648.  Heinr.  Trist.  639.  Helmbr.  4507.  Dj- 
beck  Rona  4,  70.  75.  (1842).  *)  Zu  vergleichen  ist  aach  die  VenkiAliIiiiig  tou 
Betze  and  Metze.  Liederbuch  der  Klara  Hatzlerin.  S.  260.  nnd  Ton  Bertsclu  Ttkt' 
nas  und  Metze  Rtierenzumpf  in  Wittenweilers  Ring  S.  140.  ff.  *)  Weftthflmer  1, 
836.  Wackeraagel  in  Haupts  Z.  t  d.  A.  2,  553.  f.       *)  Kleine  Silberm&n*6ti  von  Tovft 


mit  Gold  und  Gestein,  Silber  und  Gold  nach  Franken  Weise 
and  Sachsen  Becht,  dafz  euer  keines  das  andere  lafzen  eoll  um 
lieb  noch  um  leid  noch  um  irgend  etwas  daa  Gott  an  ihm  ge-« 
schaffen  hat  oder  schafien  wird.  Dann  soil  er  das  Tuch  mit  dem 
Grelde  einem  geben  der  es  der  Braut  behalte,  die  6s  armen  Leu- 
ten  um  Gottes  Willen  geben  muf^.  Darauf  soil  der  Brautigam 
der  Braut  aus.  dnem  Becber  schenken  und  er  soil  vor  der  Braut 
trinken  *). 

Sehr  interefsant    ist  dodann  die  dem  12.  Jahrhundert  ange- 
horige  Verlobungsformel  freier  Schwaben  *).   Nachdem  der  Brau- 
tigam unter  dem  Zeichen  Ton  sieben  Handschuhen  seinen  Schutz 
and  seine  Habe    der   Braut  zu   seinem  und   ihrem    Becbte    mit 
seinem   VoUwerte   gegen    ihren   VoUwert   verlobt   und   verwettet 
hat,   nimmt   der   gekorene  Vormund   der  Frau  die  Pfander  Und 
die  Braut  und  ein  Schwert,   ein    gulden  Binglein   einen  Pfennig 
and    einen   Mantel,    steckt   den   Hut  auf  des   Schwertes  Spitze, 
den  Ring   an   den  Schwertgriff  und   iiberantwortet  die  Frau  dem 
Manne  indem  er  spricht:  ,,Hi0rmit  befele  ich  mein  Miindel  eurer 
Treue  und  Gnade  and  bitte  euch  bei  der  Treue,  mit  der  ich  sie 
each    befele ,   ihr   woUet   ihr   ein  rechter  Vogt  und  ein  gnlldiger 
Vogt  sein  und  ihr  kein  schlechter  Vormund  i?^erden/'  Hiermit  ist 
die  Frau  dem  Manne   iibergeben.    —    In   diesem   Verlobnifs    ist 
znnachst   die  Aufzalung   der   allgemein    rechtlichen  Bedingungen 
zu   beach  ten,   welche  der  Brautigam   selbst   unmittelbar   vor  der 
Uebergabe  der  Braut  ausspricht;  es  ist  diefz  nur  eine  allgemeine 
Verweisung  auf  die  beso^eren  Vertrage,  welche  der  VermShlung 
Yorausgehen  musten.  Sodann  sind  die  Sinnbilder  der  abgetrctenen 
Mundschaft   in    Schwert^)    Hut   und    Mantel   zu    bemerken,   so 


')  Dieser  Trunk  des  Brautpares  hat  sich  in  Norwegon  and  Schweden  bis 
heute  erhalten,  nur  ist  er  jetzt  auf  den  Brantlanf  verlegt  nnd  wird  unter  Tans 
ond  Gresang  als  besondere  Ceremonie  vorgenommen.  Vgl.  Dybcck  Buna  2,  62.  ff. 
(1842.  Stockholm). —  Der  Trunk  war  bei  dem  Abschliefzen  alier  Vertr&ge  Branch. 
Bechtsalterth.  191.  ^)  Mafsmann  kleine  Sprachdenkinale  179.  f.  Waokemagei 

iltd.  Lesebnch  190.       ')  Die  Bedeutung  des  Schwertes  bei  Hocbzei ten  als  Zeichen 
der  yoUen  Mundschaft  des  Mannes  fiber  die   Frau    spricht   sich  am  sohftrfsten  in 

15 


1 


220 

wie  die  hiermit  zusatnmenhangende  Ueberreichung  des  Binges 
am  Schwerte.  Es  ist  diefz  letztere  eine  altgermanische  Sitte  *). 
Das  dem  10.  Jahrhundert  angehorende  Gedicht  von  Budlieb  schil- 
dert  wie  Rudlieb  seinem  Neffen  ,  den  er  verlobt ,  den  Vermah- 
lungsring  am  Hefte  seines  Schwertes  iibergibt  (Rudlieb  XIV ,  64), 
nnd  auf  einem  angelsachsischen  BUde  des  achten  Jahrhunderts 
sieht  man  den  Brautigam  der  Brant  den  Bing  anf  einem  Stabe 
(oder  Schwert)  darreichen.  Sitte  scheint  es  nach  allem  zn  schlie- 
fzen  dafz  der  Brautigam  den  Bing  der  Braut  selbst  ansteckte, 
BO  wie  dafz  er  den  Bing  von  dem  Verlober  empfieng ;  es  ist 
diefz  letztere  eine  notwendige  Folge  der  ganzen  Auf&fzung  der 
Vermahlung*  Beim  Anstecken  des  Binges  sprach  der  Brftutigam 
bedeutungsvolle  Worte  ^).  „Wie  der  Bing  den  Finger  fest  um- 
schliefzt,  so  gelobe  ich  dich  in  fester  Treue  zu  umschliefzen. 
Auch  du  must  sie  mir  halten  oder  der  Tod  triffi  dich,*'  sagte 
Budliebs  Neffe  zur  Braut.  Als  Wigamur  seinen  Bing  dem  Mad- 
chen  angesteckt  hatte,  sprach  sie:  „Nun  soUt  auch  ihr  den  mei- 
nen  nemen.  Gott  gonne  mir  dafz  ihr  lange  gesund  seid,  denn 
alle  meine  Freude  liegt  an  euch.  (Wigam.  4633)."  Der  Bing  ist 
das  rechte  Zeichen  des  geschlofzenen  Bundes,  die  Urkunde  der 
Treue  und  Minne ').  In  alterer  Zeit  scheint  statt  des  Binges  ein 
Faden  oder  Band  Zeichen  derVerlobung  gewesen  zu  sein,  ebenso 
wie  bei  den  Indern  friiher  statt  des  Vermahlungsringes  eine  Schnur 
(kautuka)  gebrauchlich  wan  Darauf  lafzt  theils  die  grofzere  Ein- 
fachheit  des  Lebens  schliefzeu ,  welche  sich  mit  moglicJist  ein- 
fachen  Mitteln  begniigte  sobald  diese  nur  ihren  Zweck  erfiillten, 
theils  deuten  es  bestehende  Yolkshr^^uche  an,  in  denen  -sieh  der 
Faden  oder  das  Band  bei  der  Vermahlung  neben  und  fiir  den 
Bing  0  findet.  In  einem  Spieltanze ,  welcher  in  der  schwedischen 


einem  friesischen  Oebrauche  aus.  S.  Rechtsalterth.  167.  f*  vgl.  auch  Bechtaalt  426. 
481.  Mythol.  281.  Anm.  ')  Freunde  welche  ihre  Armringe  tauschten,  rdchten 
sie  sich  aaf  der  Schwert-  oder  Gerspitze.  ')  heita  hvert  ddkru  trii  Jtnni  —  dd 
er  ft  gelobete  und  ouch  in  diu  meiL  Nib*  570,  1.  ")  Vgl.  Grimm  Bechtsalterth. 
177.  432.  *)  Ring  bedentet  allgemein  das  nmgebende,  amschliefzende :  nebtti 
annuluM  nnd  circulus  auch  vinculum,  vitta.  Gratf  Althochd.  Sprachschatz  4,  1165. — 


227 

Landschaft  Nerike  tmd  auch  in  einlgen  dalekarlischen  Orten  ge- 
8{lielt  wird  und  eine  Verlobung  darstellt,  heifzt  es: 

Eomm  komm  Maria  lieb  and  reich  mir  xdeine  Hand, 
Hier  hast  du  das  Bin^elein  und  tun  den  Arm  das  Band  ^) 

Und  alle  in  dem  Ereise  hier  bezeugen  mir  es  lant 
Maria  hat  gelobet  hier  zu  werden  meine  Brant. 

(B.  Dybeck  Buna  4,  70  (1842). 

Em  upVandischer  Reihen  lautet  also: 

Es  kommt  ein  Bitter  geritten  her 
So  Instig  solte  er  rejten 

For  h&  h&  h& 

For  n&  n&  nS. 
So  lustig  solte  er  reiten. 

Der  Bursche   der   warend  dieses  Versus  m  den  K^eis  getre- 
ten  ist,  geht  auf  ein  Madchen  zu  und  singt: 

Und  schonste  Jungfran  darf  ich  sie 
Wol  an  das  Herze  schliefzen  ? 
For  h&  h&  a.  s.  f. 

Das  M&dchen: 

Und  willst  mich  schliefzen  ans  H^rze  dein 
Sollst  mir  vor  geben  ein  Bingelein, 

Der  Bursclie: 

Hier  hast  da  Bing  and  Verlobungsband ') 
Da  sollst  mich  nicht  betrftgen. 

Das  Madchen : 

Und  willst  mich  schliefzen  ans  Herze  dein 
Sollst  mir  zavor  geben  ein  Kronelein. 

Der  Bursche: 

Hier  hast  da  Kron  und  Kranz  dazu, 
Da  sollst  mich  nicht  betrtlgen. 

[Buna  4,  75.  (1842)] 


Am  kirchlichen  Mafzregeln  erfaren  wir  dafz  Scheinverlobungen  durdi  Bin^  von 
Binsen  oder  Stroh  statt  fanden.  Die  Eirche  erklftrte  dieselben  aber  fiir  giUtig, 
da  der  Stoff  des  Binges  gleichgiiltig  sei.  Vgh  Du  Cange  s.  v.  annulus  de  junco, 
')  hir  har  du  ringen,  ail/band  om  din  arm,  *)  och  hdr  har  du  ringen  och  fSfi' 
ningeband, 

15  • 


228 

Auf  diefz  Verlobungsband  mag  auch  der  rote  Sddenfaden 
zu  deuten  sein ,  welchen  die  Braut  im  Hayellande  nm  den  Hals 
tragt  *) ,  wobei  noch  ein  religioser  epater  zu  erwahnender  Grand 
fiir  die  Farbe  des  Fadens  hinzutritt.  Die  Bedeutnng  des  Bandes 
war  dieselbe  wie  des  Ringes :  es  war  das  aufzere  Zeichen  des  ge- 
kniipften  Biindnifses. 

An  die  Beringung  schliefzt  sich  wesentlich  die  Umarmung 
und  der  Kufs;  hierdurch  ist  die  Verlobung  vollkommen  geschlo- 
fzen  und  das  Par  gilt  als  offentlich  zusammengesprochen.  Wie 
das  Beschreiten  des  Ehebettes  vor  Zeugen  das  gesetzliche  Zeichen 
der  begonnenen  ehelichen  Gemeinschaft  war,  so  ist  der  Kufs  vor 
Zeugen  das  offentliche  Zeichen  des  Antritts  der  Brautschaft  •). 
Aus  schwedischen  Volksliedem  schliefzt  J.  Grimm  (BechtsaltertL 
433)  dafz  dort  der  Brautigam  die  Braut  zum  Zeichen  dafz  er  sie 
anneme  auf  seinen  Schofz  setzte.  Noch  ein  anderes  altes.  Siim- 
bild  der  Aufname  der  ^rau  in  die  Mundschaft  des  Mannes  war 
die  Ueberreichung  eines  Schuhes  nach  der  Beringung  und  dem 
Kufse.  Noch  in  der  Hamburger  Hochzeitsordnung  von  1292  wird 
ein  Par  Schuhe  als  Gabe  des  Brautigams  an  die  Braut  erw&hnt  *). 
Wir  erinnern  uns  dabei,  wie  bei  der  Adoption  der  aufziuemende 
in  einen  frischgeschnittenen  Schuh  treten  muste,  in  dem  der  Va- 
ter  unmittelbar  vorher  gestanden  hatte  und  dafz  unterwoifene 
Fiirsten  den  Schuh  ihres  Siegers  als  Zeichen  des  Gehorsams  tra- 
gen  musten  (Grimm  Rechtsalt.  156).  Fine  modeme  Erinnenuig 
sind  die  Pantoffeln  gebietender  Fhefrauen*  Ein  gleiches  Symbol 
der  angetretenen  Gewalt  war  der  Tritt  des  Br&utigams  auf  den 
Fufz  der  Braut  (Helmbr.  1534);  solche  Fufztritte  oder  daa  Setzen 
des  Fufzes  auf  Land  oder  anderes  Gut  war  ein  verbreitetes  Zei- 
chen der  Besitzergreifung  (Bechtsaltertbt  142).  Noch  heute  ist  es 


')  Kuhn  and  Schwarz  Korddentsche  Sagen  S.  433.  VgL  dazu  die  Anmerk* 
8.  522.  Hoebzeit.  ")  Prqferens  annulum   earn  coram  omnibiu  fuharrhavii  «t  m 

ofcuh  reeepii,  Arnold.  Lubec.  VII.  19.  -  (Vgl.  p/bw/o  rum  inUrvtnieiUB  Jw€  Jj^m- 
JUB  Jive  fpof^fa  obierit,  totem  infirmari  donationem  et  donatori  fponfo  fivt  kisredihw 
^t  r^tuu  cod.  Theod.  III.  5,  5.)  —  Nib.  470.  4.  Gndr.  1650.  WigsL  •440. 
Wigam.  4641.        ';  £in  par  Schuhe  als  Morgengabe  Wittenweilers  Bing  48/  21. 


220 

bier  und  da  Glaube,  dafz  die  Braut  die  Herrsehaft  in  der  Ehe 
erlange,  wenn  sie  dem  Brautigam  bei  der  Trauung  auf  den  rech* 
im  Fufz  ferete. 

Sobald  das  Verldbnifs  yor  Zeugen  gescUofzen  und  die  Binge 
empfangen  und  gegeben  waren,  durfte  es  nicht  mehr  gebrochen 
werden.  In  bestimmter  Zeit  folgte  die  Heimfurung  der  Braut ; 
die  nordiach^i  Rechte  geben  zwolf  Monate  als  langate  Frist,  in 
den  deutschen  scheint  die  Zeit  etwas  linger  gestecktund  dieVerlo- 
bung  zwei  Jahre  giltig  gewesen  zu  sein  9-  T^^^  einfachste  Folge  der 
Versaumnifs  dieser  Frist  war  das  Nichtigwerden  der  Beredung 
(Febtath.  64);  meist  ward  aber  absichtliche  Verzogerung  und  be* 
zweckte  Auflosung  des  Vertrages  angenommen  und  darum  be- 
sondere  Strafe  darauf  gesetzt.  Das  longobardische  Gesetz  (ed.  Roth. 
178)  legte  also  neben  der  Aufhebung  des  Verlobnifaes  die  Zalung 
der  bedungenen  meta  auf,  und  ebenso  setzt  die  islandische  Grau- 
gans  (Festath.  6)  fest ,  dafz  der  Br&utigani  im  Falle  eines  Zuriick- 
tretens  zwar  sbnst  keine  Strafen  zalen  soUe,  aUein  den  bedunge- 
nen Brautkauf  am  Tage  vor  dem  anberaumten  Brautlauf  erlegen 
miifze.  Das  upltindische  Gesetz  (III.  1.)  bestimmt  aufzer  dem  Ver- 
la8t  des  schon  gezalten  Mundschatzes  eine  Bufze  von  drei  Mark; 
das  salfrankische  Becht  belegte  dap  grundlose  Zuriicktreten  von^ 
rechtmafziger  Verlobung  mit  einer  Strafe  von  62^2  sol.  (LXX). 
Besonders  streng  ist  aber  das  Gulathingsbuch  (c.  51).  Will  ein 
Mann  seine  Yerlobte  nicht  nemen,  so  ist  ihm  ein  Tag  auf  dem 
Tiling  anzusetzen  und  er  zu  belangen  dafz  er  seine  Yerlobte  flicht ; 
ergibt  sich  die  Klage  als  richtig,  so  wird  er  Landes  verwiesen. 
Entzieht  sich  eine  Braut  dem  bestimmten  Yermahlungstage '),  so 

•  *     _  _ 

i8t  sie  ebenfalls  auf   das    Thing   zu  fordem  und  des  Landes  zu 
verweisen. 


')  Grag&s  fcstath.  54.  Gulath.  b.  c.  61.  Frostath.  III.  12.  —  Ed.  Rotli.  178. 
I.  Wifligoth.  III.  1,  4.  —  Das  Verlobnifs  des  Merovingers  Theodebert  mit  der 
wegtgoth.  Kiinigstochter  Wisigart  zeigt  sich  noch  nach  sieben  Jahren  giltig.  Greg. 
Tor.  3,  27.  *)  kemr  eigi  i  eindaga  at  giftazt  them  manni  er  hon  f^i  fik.  —  hum 
^  et^'  aoekja  eindaga.  Ein  abtriinniger  Brautigam  heifzt  fu<iflogi,  eine  treulose 
^nt  flannfluga. 


MO 

Gesetzlich  giltige  Verzogerungsgrunde  waren  allein  Krank- 
heit,  Verwundung  und  unfreiwillig  verlangerter  Aufenthalt  auf 
Reisen  (Frostath.  3,  12);  ebenso  Verlust  der  Au^stattung  durch 
Brand  oder  Raub;  letzteres  mufz  jedoch  durch  zwei  Manner  ge- 
richtlich  angezeigt  werden  und  der  Brautigam  kann  den  Beweis 
der  Wahrheit  durch  zwei  Zeugen  und  zwolf  Eideshelier  verlan- 
gen  (Vestgotal.  I.  giptarb.  9,  5).  Ueber  Krankheit  als  Verz6- 
gerungs-  und  Auflosungsgrund  dee  Verlobnifses  schreibt  die  Grau- 
gans  (Festath.  5.  6.)  ausfiirliches  vor.  Der  Brdutigam  hatte  dem 
Vormunde  der  Braut  Anzeige  von  seiner  Krankheit  zu  machen 
und  der  Brautlauf  ward  auf  ein  Jahr  verschoben ,  es  sei  denn  er 
genese  eher  und  trage  auf  friihere  Hochzeit-an.  Er  hat  dieselbe 
aber  auf  seine  alleinigen  Kosten  zu  veranstalten.  Ebenso  wird  es 
bei  Krankheit  der  Braut  gehalten,  Wird  das  kranke  nicht  binnen 
Jahresfrist  befzer,  so  ist  das  Verlobnifs  im  Falle  es  beide  Theile 
nicht  anders  wollen,  aufgelost  *).  Ist  die  Braut  ohne  dafz  es  der 
Brautigam  wuste ,  mit  einem  Gebrechen  oder  einer  sckweren 
Krankheit  behaftet,  so  wird  der  Verlober,  wenn  die  Gebrechen 
offenkundig  werden,  Landes  verwiesen,  der  Brautigam  aber  kann 
zurGcktreten ,  denn  er  hat  die  Verlobung  in  Voraussetzung  dafz 
alles  richtig  sei  (heilt  rddh  ok  heimill  ok  eigi  ella)  geechlofzen* 
Beweist  jedoch  der  Beklagte  dafz  er  selbst  von  den  Felem  nichts 
wuste,  so  wird  er  nicht  verwie«en,  allein  er  darf  den  Brautkanf 
nicht  fordern  (Festath.  7.)  Auflosung  des  Verlobnifses  und  Zurflck- 
name  alles  gegebenen  setzt  auch  das  longobardische  Becht  fur 
den  Fall  fest,  dafz  die  Braut  aussatzig  oder  besefzen  oder  auf 
beide  Augen  blind  wird  (ed.  Roth.  180). 

Auch  das  absichtliche  ZurQckhalten  der  Braut  durch  den 
Verlober  war  Strafen  unterworfen  welche  dem  Meiden  durch'  die 
Verlobten  entsprechen.  Der  Verlobte  wurde  verbannt  (Gulath. 
c.  51)  oder  er  hatte  dem  Klager  Geldbufze  zu  leisten  *).  Die 
Hochzeit  wurde  hierauf  bald  gefeiert,  nur  iibergab  statt  des  Vor- 


0  Vgl.  auch  Gulath.  b.  c.  51.        *)  Vestgotal.  I.  giptarb.  9,  4.  Ostgotal. 
gipt.  8.  k.  Hans  privil.  81.  32.   v.  1488. 


281 

mundes  wenigstens  nach  ostgothlandischem  Bechte   der  Herrads- 
Vorsteher  die  Braut. 

Die  schwere  Strafe  der  Landesverweisung  traf  den  Verlober, 
wenn  er  wifzentlich  ein  schwangeres  Madchen  verlobte  (Gritg. 
festath.  51).  Kaon  er  beweisen  dafz  er  nicht  um  den  ZuBtand 
wuste,  so  ist  er  straflos  (Festath.  8).  Wird  die  Braut  nach  der 
Verlobung  schwanger,  so  hat  es  der  Vormund  dem  Brautigam 
anzTizeigen.  Will  dieser  nicht  zurQcktreten ,  so  wird  er  als  Ur- 
heber  der  Schwangerachaft  angeklagt  und  hat  dem  Verlober  die 
gesetzliche  Bufze  ftir  Unzucht  mit  defsen  Miindel  zu  erlegen*  Im  ent» 
gegengesetzten  Falle  empfangt  der  Brautigam  die  Bufze  (Festhath.  6). 
So  fest  auch  die  Verlobung  die  Braut  dem  Manne  verband,  sO 
gab  sie  diesem  doch  noch  nicht  die  Kechte  des  Ehegatten*  Das 
Zusammenleben  der  Verlobten  ward  daher  streng  untersagt  und 
fur  vorzeitiges  BeiUegen^  empfieng  der  Verlober  Bufze ').  In  un- 
sera  Sagen  begegnen  uns  mehrfach  die  Erzahlungen  von  keuschem 
Beisammenschlafen  Verlobter;  da  legt  der  Brautigam  ein  blofzes  j 
Schwert  zwischen  sich  und  die  Braut  und  sie  ruhen  wie  Bruder 
und  Sch wester  neben  einander.    So  lag  Sigfqed  bei  Brunhild. 

Ueber  offenbare  Untreue  der  Braut  waren  die  Gesetze  sehr 
streng.  Wenn  auch  nur  das  westgothische  und  longobardische 
Gesetz^)  wahrscheinlich  durch  romischen  Einflufz  solches  Ver- 
gehen  wie  Ehebruch  ansehen,  so  neigen  doch  fast  alle  germa- 
nische  Gesetze  dahin ,  die  Verletzung  der  Bechte  des  Brautigams 
sehr  scharf  hervorzuheben.  Das  burgundische  Gesetz  legte  der 
Braut  Tod  oder  Unfreiheit  auf ,  wenn  sie  nicht  durch  ihr  Wer- 
gild (300  sol.)  amsgelost  wurde.  Der  Schuldige  wurde  getOtet, 
^enn  er  nicht  selbzwolft  beeiden  kann,  dafz  er  von  dem  Verlob- 
^ifse  nichts  wuste.  Ist  ihm  der  Eid  moglich,  so  biifzt  er  nur 
seinWergeld  (1.  Burg.  LVl).  Bewies  sich  dieAnklage  als  falsch, 
^  nauste  der  Brautigam  die  Braut  heiraten  oder  die  doppelte 
^eta  erlegen  (1.  Burg.  179).   Ueber  Untreue  des  Brautigams  ge- 


')  Vestgotal.  I.  giptab.  6,  1.  Gulath.  c  51.  Frostath.  3,  13.       *)  LWisigoth. 
^I-  4,  2.  ed.  Roth.  179.  —  Vgl.  Wilda  Strafrecht  849.  ff. 


'■•{ 


2S8 

hen  die  Gesetze  leichter  weg  ')•  Die  Graugans  (Festatli.  6)  sagt 
nur,  wenn  der  Brautigam  wegen  eines  fleischlichen  Yergehens 
verklagt  sei^  worauf  Tod  oder  Verweisung  stehe,  so  diirfe  die 
Braut  das  Verh'altnifs  aufheben;  yon  einer  Bufze  an  die  Braut 
scheint  nirgends  die  Rede  zu  sein*  Das  Hambui^er  Stadtrecht  von 
1270  (in.  13)^)  bestimmt,  wenn  der  Brautigam  von  einemWeibe 
wegen  Gemeinschaft  mit  ihm  verklagt  werde,  so  solle  die  Braut 
dreiMonat  auf  die  Entscheidung  warten;  kdnne  dieSache  nor  in 
Rom  gefurt  werden,  ein  Jahr;  ist  der  Prozefz  au6h  dann  nocfa 
nicht  zu  Ende,  so  ist  das  Yerlobnifs  aufgeldst  und  der  Braut 
eine  Bufze  von  40  Mark  Pfennig  zu  zalen.  Dafzelbe  gilt  fiir  eine 
Klage  gegen  die  Braut. 

Ehe  wir  zu  der  Verehelichung  mit  den  mannichfachen  Br&n- 
chen  imd  den  weiteren  gesetzlichen  Forderungen,  die  sich  an  sie 
knupfen ,  tibergehen ,  haben  wir  noch  einiges  zu  erwahnen,  was 
deni  Ehebiindnifse  iiberhaupt  hinderlich  sein  konnte  oder  beson- 
dere  Folgen  hatte.  Ich  beriire  zuerst  die  Ebenbtirtigkeit  In 
den  alteren  und  einfaoheren  Zeiten  sind  streng  genommen  nur 
zwei  Theile  im  Volke ,  die  freien  und  die  unfreien ;  eine  Ver^ 
mittelung  machen  die  Freigelafzenen  und  die  Liten,  die  wir  eher 
milder  behandelte  Unfreie  denn  besohrankte  Freie  nennen  mogen. 
Die  Freien  schieden  sich  in  merere  Schichten:  gemeinfireie,  edio 
und  Ftirsten ;  allein  sie  waren  anfanglich  durch  keinen  Reohts- 
unterschied  getrennt;  das  Vertrauen  des  Volkes ,  bedeutende  Tha- 
ten ,  ruhmreiche  Vorfaren  gaben  dem  prinoeps  selbst  einea  mehr 
personlichen  als  einen  Standesvorrang.  Diese  grofze  Gemeinsofaaft 
der  Freien  kann  daher  ursprtinglich  auch  kein  Bedenk^n  getra- 
gen  haben,  sioh  in  ihren  verschiedenen  Schichten  gegenseitig  so 
verheiraten ;  genofzen  doch  die  Kinder  des  freien  Landbauers  an 
und  fiir  sich  kein  geringeres  Recht  als  die  des  nobilis  oder  prin- 
ceps,  Als  aber  die  Verhaltnifse  zusammengesetzter  wurden ,  ak 
sich  die  monarchische  oder  die  aristokratische  Verfafzung  in  den 
verschiedenen  Stammen  ausbildete ,    als   die  Ungleichheit  im  Bc- 


')  Vgi.  Wilda  Strafrecht  812.       «)  Vgl.  Stadtr.  von  1292.  E.  IS.  1497.  J.  4. 


238 

sitz  grdfzer  ward ,  kurz  als  sich  die  Fiirsten  und  die  adeligen 
Ton  befzerem  Blute  als  die  gemeinfreien  zu  dtinken  begannen, 
da  trat  auch  die  Ansicht  hervor  dafz  freie  untereinander  un- 
ebenbiirtige  Ehen  schliefzen  konnten.  Wir  besiteen  indefsen  ge-» 
nug  Beweise  dafCir  dafz  noch  tief  ine  Mittelalter  hinein  nur  Ehen 
zwischen  freien  und  unfreien  oder  freigelafzenen  fllr  ungleich 
galten.  Entschieden  erklare  ich  mich  daher  wenigstens  gegen  die 
Halfte  der  bekannten  Angabe  Budolfs  vod  Fulda  in  der  trans- 
latio  S.  Alexandri  c.  1. ')  dafz  bei  den  Sachsen  Todeastrafe  dar- 
anf  Btehe  ,  wenn  der  edie  nicht  eine  edle,  der  freie  nicht  eine 
freie,  der  freigelafzeiie  nicht  eine  fi'eigelafzene ,  der  unfreie  nicht 
eine  unfreie,  eondem  eine  Ungenofzin  zumal  cine  hoher  geborene 
heirate.  Ehen  zwischen  edlen  und  freien  werden  wie  Gberall 
auch  bei  den  Sachsen  zalreich  und  als  nichts  gesetzwidriges  vor- 
gekommen  sein ;  Ehen  zwischen  freien  und  unfreien  aber  werden 
auch  bei  den  Sachsen  sehr  hart  und  mit  dem  Tode  bestraft  wor- 
den  sein ,  so  dafz  Rudolfs  Angabe  also  in  der  Halfte  richtig  sein 
mag.  Sehen  wir  doch  auch  im  burgundischen  und  longobiardi- 
schen  Gesetze  *)  auf  Heirat  oder  fleischliche  Vermischung  einer 
freien  mit  einem  unfreien  den  Tod  oder  Unfreiheit  gesetzt,  und 
auch  im  salischen  Gesetz  (XVI,  4)  wird  die  Ehe  zwischen  einem 
freien  und  einer  lida  mit  Geldstrafe  belegt.  Verlust  der  Freiheit 
ftr  den  freien  Theil  bestimmt  auch  das  ribuarische  Recht  (LVIII* 
18),  wenn  die  freie  Frau  nicht  in  der  gebotenen  Wahl  zwischen 
Schwert  und  Kunkel  das  Schwert  wait  und  den  .unfreien  Gatten 
tStet  Dieeelben  Bestimmungen  bieten  das  edictum  Theodorici,  und 
fer  die  Ehe  zwischen  einer  freigelafzenen  und  einem  HOrigen  der 
Kirche  das  alemannische  Recht  (XVIII,  1.),  anderer  nachher  zu 
erwahnender  Stellen  zu  geschweigen. 

Aus  Norwegen ,  dem  Lande  der  freiesten  Entwickelung  ger- 
manischer  VolksthUmlichkeit    lafzen    sich   genug   Beweise  holen» 


')  Pertz  n.  675.  Vgl.  aufzer  andem  Waitz  dentsche  Verfafzangsgeschichte 
h  84.  Wilda  bei  Eichter  kHt.  Jahrb.  1,  350.  und  y.  Sybel  Entstehung  des  deut- 
•chen  Ktnigthums  94.       *)  1.  Burg.  XXXV.  2.  8.  ed.  Roth.  222. 


/ 


2a* 

dafz   die  freien  in  ihren  verschiedenen  Abstufungen  Ehen  unteTr 
einander  schlofzen.     Es  gait  fiir  keine  Miaheirat.  wenn  eine  E0<- 
nigstochter    einen  freien   Landbauer  heiratete,    der  durch  bedeu- 
tenden    und   langererbten  Landbesitz  die  hinreichenden  Mittel  zu 
einem  reichlichen  Leben  bot  ^).  Konig  Ingi  vermahlte  aeine  Schwe- 
Bter    Sigrid    dem  Thorgrim   von    Lianes   (Fommannas.    9,  21); 
Einar  Prestr  heiratete  die  Tochter  KOnig   Sverris,  die  Schwester 
Konig  Hakons  (Fomm.  9,  3) ;  Ingrid,  Enkelin  Konig  Ingis  Steinkek- 
Bohn ,  Witwe  Konigs  Harald  Gilli  vermahlt  sich  dem  Ottar  Bir- 
ting,  einem  angesehenen  Landbesitzer  undnach  defsen  Tode  einem 
andern  Bauer,  dem  Arni  von  Stodreim.  (Fommannas.  7 ,  176.  .229). 
Auch   eine   Stelle    dee    westgothischen   Gesetzbuches    (IIL  1,    1) 
mochte  ich ,     obschon   sie    zunachst  die  Ehen   zwiachen  Bomern 
mid  Gothen  im  Auge  hat,  dennoch  fiir  die  Anaicht  auabeuten  dafz 
auch  dort  unter  Freien  selbst   damals  noch^)   keine   Misheiraten 
geschlofzen   werden  konnten.    Sie  bestimmt   ausdrucklich  dafz  e^ 
jedem    freien    des  westgothiachen    Volkea    erlaubt    sei    eine  freie 
welche  er  woUe  zu  heiraten,    sobald  die  Verbindung  an  mid  fur 
aich  ehrbar   aei  und  die  Familie  ao  wie  der  Graf  seine  Zuatim- 
mung   und  Erlaubnifa   gegeben   habe.     Auch  die  Ehen  zwischea 
Bittern  und  Baueratochtern  oder  Bitterstochtem  und  Bauem  Bind 
anzufiiren,  welche  im  13.  Jahrhundert  in  Oesterreich  mid  Baiem 
vielfach    vorkamen.     Wenn   auch    manche  Adelige,    wie  der  alte 
Seifried  Helbling    (8,  217—227)    aich   darftber  beklagen  und  e» 
wie  einen  Verfall   ansehen,  ao  erscheint  doch  nirgends  eine  Strafe 
oder   aelbst   ein  rechtlicher  Nachtheil  der  aich  an  die  SprOfzlinge 
dieser  Verbindung   kniipfte.    Auch  daa   aachaiache  Becht   spricht 
das  deutlich  aus ,    denn   nach  ihm  aind  Kinder  aua  der  £he  von 
Bittern    und  Bauern    wenn    auch  nicht  im  Lehngute,  was  ritter- 
liche   Geburt  bedingte,    aber    doch    im  eigenen  Gute  des  Vaters 
erbfahig.    Als  Misheiraten  wurden  demnach  aolche  Verbindungen 


')  Vgl.  uber   den    holdr   Wilda  in   Richters   krit  Jahrbiichern   I,  386.  ff» 
*)  Fiir  altere  Zeiten  ist  es  unbedenklich  zu  behaupten. 


235 

durchaus  nicht  betrachtet.   (Glofse  zu    Sachsensp.   L   5 ,   1.  zum 
Sachs.  LehDrecht  20). 

So    bestimmt    nach    allem    diesem   behauptet  werden   darf^ 

dafz  Ehen   zwischen   den   verschiedenen  Schichten  der  freien  ur- 

spriinglich    und    lange   Zeit   als    keine    rechtswidrige    betrachtet 

wurden,    ebenso   sicher  ist  es  dafz  der  altgermanische  Grundsatz 

der  Ebenbiirtigkeit  aller  freigeborenen  schon  frfth  umgangen  und 

zariickgesetzt  wurde.  Politische  Riicksichten  machten  es  denFiir- 

8ten    wiinschenswert    nur   Ehen    mit    andem   Furstenh'aueem .  zu 

schliefzen,   und  so  drangte  man  hier  und   da  schon  im  5.  und  6. 

Jahrhundert   nach    der   Ansicht   hin,    dafz   allein   KOnigstochter 

ebenblirtige  Frauen    der  Konige   seien  und  dafz  nur  ihre  Kinder 

Anspruch    auf    die   Thronfolge    hatten ').     Bekannt    ist,    wie   die 

Merovinger    diesem    im    frankischen    State    sich    hervorarbeiten- 

den  Satze   doch   thatsachlich    mehrfach    widerstrebten    und    nicht 

blofz  freie    geringeren  Standes,    sondern    selbst   unfrei  geborene 

Weiber  zu  retihter  Ehe  namen.     Auch   die  Karolinger   vermahl- 

ten   sich   ohne  Bedenken    mit   den  Tochtem  Edler  ihres  Reiches. 

Karls  des  Grofzen  Gemahlin  Hildegard  war  eine  edle  Schwabin, 

Fastrada   dne    Ostfrankin,    Luitgart    eine    Alemanniri' (Einhardi 

vita  Karoli   c.    18)  *).     Ludwigs    des  Frommen  Gemahlin  Judith 

war  die  Tochter   des  bairischen  Grafen  Welf.     Ebenso  sind  die 

Ehen  der  Sohne  Ludwigs   des  Deutschen   und  Karls  des  Kahlen 

zu  beachten.     Die   eigentlichen  Parteig'anger   fur  die  neue  Lehre 

von  der  Ebenbiirtigkeit  waren  die  Frauen ;   es  ist  diefz  ein  Zug 

des  weiblichen  Karakters  der  sich  noch  heute  stark  aufzert ,  denn 

wie  viele  Geschlechter ,    adelige  und  biirgerliche,  weisen  nicht  in 

fcrer  Geschichte  starrsinnige  Schwestem  und  Matter  auf,  welche 

rich  gegen  jedes  Glied  von  vermeintlich  niederer  Herkunft  unver- 

Bonlich  zeigen.     Das  Weib  ist  die  orthodoxe  Priesterin  des  haus- 

Kchen  Herdes,  es  will  seine  Flammedurch  vornemen  Stoff  immer 


*)  Greg.  Tur.  5,  21.  Vgl.  Waitz  deutsche  Verfafzungsgeschichte  2,  125.  ff. 
*)  Die  Tochter  Karls  d.  Gr.  konnen  hier  nicht  erwahnt  werden,  da  sie  bekannt- 
lich  in  keinen  legitimen  Verbindungen  stnnden. 


886 

heller  und  m^qhtiger  machen,  68  iat  die  konserrative  Macht  des 
Geschlechtes ;  der  Mann  ist  dagegen  im  Bewufztsein  seiner  eigencutt 
Kraft  und  Wtirde  und  er  weifz  den  Diamant  aus  den  Wogen 
des  Lebens  herauszugreifen ,  unbekummert  dafz  er  znvor  noch 
nicht  in  Gold  gefafzt  war. 

Neben  jenen  norwegischen  KCnigstdchtem  die  sich  ofane 
Bedenken  mit  freien  Bauem  yerma^hlten,  erscheinen  auch  stoLee 
Damen.  Die  Fehde  zwischen  dem  Konig  Ingi  Bardarsohn  nnd 
seinem  Gegenkonig  Philipp  liefert  ein  anziehendes  Beispiel.  Philipp 
hat  sich  zum  Biicktritte  bereit  erklart,  wenn  er  die  Nichta  Ingis» 
die  Tochter  Konig  Svenis,  mit  einem  Theile  des  Landes  belnxne, 
und  der  Bischof  Nikolaus  ist  beauftragt  Kristinas  Einwilligong 
zu  erlangen.  Er  stellt  ihr  vor  dafz  es  befzer  sei  Philipp  zu  bei- 
raten,  wenn  er  auch  nicht  vom  koniglichen  Gebliite  sei,  als  ihn 
auszuschlagen  und  an  einen  Bauer  oder  weit  weg  aus  dem  Lande 
gegeben  zu  werden,  wo  fiir  ihre  Nachkommen  dieHoffiiung  auf  Nach*. 
folge  im  Reiche  ganz  verloren  sei.  AUein  es  ist  umsonst;  Kristina 
antwortet  sehr  hochfarend,  sie  werde  sich  nie  einem  Manne  ver* 
ehelichen  der  geringer  als  ihr  Yater  oder  ihr  Mutterbruder  sd  % 
Aenliches  bietet  das  deutsche  Gedicht  yon  Gudrun.  KOni^  Her^ 
wig  von  Seeland  ist  bei  seiner  Werbung  um  Gudrun,  die  Tochter 
des  machtigen  KCnigs  Hettel  von  Hegelingen,  stolz  abgewiesea 
worden,  denn  er  schien  nicht  machtig  genug  und  seine  Herknnft 
nicht  ganz  ebenbiirtig  ^).  Er  erkampft  sich  jedoch  die  Braat  und 
seine  Tapferkeit  bei  Erstiirmung  der  Burg  besiegt  alle  thOrigen 
Bedenken  Gudruns.  Schon  vor  ihm  wurde  ein  anderer  Freier, 
Konig  Hartmut  von  Normannenland,  abgewiesen,  weil  sein  Yater 
Ludwig  ein  Lehnstrager  von  Gudruns  Grofzvater  ist,  (Gudr.  810)  *). 
Aus  Norwegen  fiire  ich  noch  als  Beispiel  des  Gebartsstokes 
Bagnhild,  die  Tochter  des  norwegischen  KOnigs  Magnus  an,  welche 

')  Fornmannas.  9,  180.  *)  mtr  tft  dax  gefeit  —  dax  ich  iu  vtffmiht 
durch  min  lihte^  kiinne.  ofte  bi  den  armen  hdnt  riche  liute  guote  wttnne,  Gadr.  666. 
•)  Von  den  Normannen  die  mit  Wilhelm  dem  Eroberer  nach  England  kamen,  r&hmt 
Gnilclmns  Malmesbnrensis  (de  gestis  reg.  Angl.  III.)  dafz  sie  mit  ihren  Unter- 
gebenen  (cum  subditis)  Ehen  schlofzen.  Sie  werden  iiberhaupt  in  TorUieilhAftem 
Gegensatze  zu  den  Angelsachsen  gescbildert. 


287 

ihren  Mann  Hagen  Ivdrsofan^  einen  freien  Bauer,  nicht  eher  freund- 
lich  behandelte,  bis  er  zum  Jarl  erhoben  war.  Die  Frauen  und 
die  Manner,  welche  an  eine  Mischnng  des  menschlichen  Blutea 
nach  Nummem  d^  Feinheit  glaubten,  blieben  indefsen  lange  ge- 
nug  in  der  Mihoritat  und  vermochten  Jhre  Ansicht  nie  mit  Ein- 
stimmigkeit  durchzusetzen.  Es  gab  unter  dem  hohen  und  dem 
niedem  Adel  stets  elsterfarbige  Leute,  urn  diefz  Bild  Seifrieds 
Hdbling  von  den  Abkommlingen  ungleich  standischer  Eltern  zu 
brauchen,  und  es  war  nicht  so  leicht  einen  Ritter  oder  Grafen 
oder  Fiirsten  zu  finden ,  der  seine  Anenprobe  nach  strengen  For- 
derongen  ablegen  konnte  0^  Waren  nur  dieEItem  beide  von  freier 
Gfeburt,  so  konnte  sich  nach  echt  germanischer  Ansicht  kein  recht- 
licher  Nachtheil  daraus  entwickeln. 

Anders  stund  es  um  die  Ehen  zwischen  freien  und  unfreien. 
Wir  diirfen  aus  schon  angefurten  Stellen  schliefzen  diafz  ur- 
spriinglich  der  Tod  darauf  gesetzt  war;  spater  ward  dem  freien 
Theile  dieWahl  zwischen  Tod  und  Unfreiheit  gelafzen  und  hier- 
ans  bildete  sich  fiir  die  folgende  Zeit  der  Bechtssatz  dafz  in  sol* 
dien  Ehen  der  freie  Gatte  samt  den  erzeugten  Kindem  un&ei 
werde  und  der  argeren  Hand  folge*).  Nur  wenn  die  Frau  die 
Unfreiheit  des  Mannes  nicht  kennt ,  bleibt  sie  frei  sobald  sie 
die  Ehe  sogleich  auflost ').  Der  erwahnte  Grundsafz  war  iibri- 
gens  eine  Quelle  des  Betruges,  denn  manche  nichtswiirdige  Herren 
aehickten  ihre  Knechte  aus,  um  unter  dem  Scheine  als  seien 
ue  Freie  um  freie  Frauen  zu  werben.  War  die  Ehe  geschlofzen, 
80  forderten  die  Besitzer  der  unfreien  nicht  blofz  diese  sondem 
aach  die  Frauen  als  ihr  Eigenthum  ein*  Das  Gesetz  muste  na- 
toilich  solchem^Freyel  weren  und  that  es  durch  die  Bestimmung 
dafz   in   solchem  Falle  der  Herr   auch  seinen  Anspruch  auf  den 


')  die  Hut  tool  halp  fint  aJftervich^  da:^  mUelich  iemen  vtnden  kan  einen  reht 
gmtrten  man  her  von  finem  kunne  Heifr.  Helbl.  8,  386 — 389«  Vgl*  iiberhanpt 
«W  895.  »)  1.  Sal.  XIV.  7.  il.  1.  Rib.  58,  9.  15.  16.  Fris.  VL  1.  2.  Wisigoth. 
IIL  S,  3.  Schwabensp.  55,  28.  Henrici  VI.  stat.  de  filUs  minist  e  liber,  mulier. 
(Pens  legg.  IL  187.)  Bodulfi  8ent«  1282  (Pertz  legg.  II.  439)  Petr.  de  Andlaw  de  imp. 
G«im.  2, 12.       3)  I.  Fris.  VI,  1.  2. 1.  Sjell. III.  1 7.  Pippin,  eapit.  757 (Pertzlegg.  I.  28), 


2S8 

•  — 

I  Knecht  verloren  habe  und  der .  frei  bleibe,  den  er  daffir  ausgab  ^). 
MerkwQrdig  mild  ist  die  Bestimmnng  des  uplandiachcn  Oesetzes 
(III.  19)  dafz  ein  unfreies  Weibdurch  die  Ehe'mit  einem  freien 
samt  den  Kindern  frei  werde.  Fiir  die  Elinder  setzt  aueh  das.  oet- 
gothl'andische  Eecht  dieFolge  der  befzernHand  fest  (gipt  29,  1). 
Eine  Reihe  anderer  Gesetze  bestimmte  ganz  allgemein  dafz  der 
Stand  des  Vaters  fGr  die  Kinder  mafzgebend  sei  *)•  Wie  es  nun 
auch  damit  gehalten  wurde,  diese  Folge  kniipfte  sich  an  aDe 
nicht  ebenbQrtigen  £hen ,  das  ist  an  die  Ehen  zwiscben  freien 
und  unfreien  oder  freigelafzenen ,  dafz  die  Bander  aus  ihnen  nicht 
in  das  Erbe  des  befzeren  Theils  eintreten  durften.  Dieser  Grand-* 
satz  ist  noch  heute  bei  den  morgan  atischen  Ehen  oder  den  Ehen 
zur  linken  Hand  festgehalten ,  indem  die  Kinder  aus  soichen 
Yerbindungen  nicht  im  eigentlichen  Hauserbe  des  Vaters  oder  im 
Lehen  folgen  konnen,  sondern  sich  mit  einem  besonders  ausge- 
setzten  begniigen  milfzen  ^).  Die  morganatischen  Ehen  sind  eine 
Folge  des  ausgebildeteren  St^ndeunterschiedes  und  mit  dem  Kon- 
kubinate  nicht  zu  verwechseln,  auch  nicht  aus  ihm  herzuleiten  *)• 
Es  waren  gesetzliche  „eheliche"  Verbindungen  unter  recfatlichen 
Formen  (defponfatio)  geschlofzeuy  allein  dadurch  in  den  Folgen 
beschrankt,  dafz  die  Frau  nicht  von  gleichem  Stande  (minus 
nobilis  II.  F.  29)  war.  Sobald  die  yoUe  Standesgleichheit  Forde- 
rung  zu  voUer  Erbfahigheit  der  Kinder  wurde,  wie  diefz  im 
Lehnswesen  stattfand,  so  musten  nattirlich  derartige  Yerbin- 
dungen hinter   die    voU   ebenbiirtigen  Ehen  zuriicktreten,   ohne 


0  1.  Wisigoth.  III.  2,  7.  Ostgotal.  giptab.  29.  «)  Ed.  Roth.  919.  Greg. 
Tur.  V.  21.  Qlofse  zu  Sachsensp.  III.  73.  Gorlitz.  Landr.  Art  47,  6.  — •  Nach 
nordischem  Gesetz  waren  die  Kinder  eines  friedlosen,  wenn  sie  wiireadder  Fried* 
losigkeit  gezcngt  und  geboren  sind,  unfrei,  gehoren  dem  Konige  und  sind  natftr- 
lich  nicht  erbfahig  (Egilss.  c.  ,57.J  *)  earn   defponfavit  ea  lege  ut  nee  ip/a  nee 

filii  gu8  amplius  habeant  de  bonis  patris  quam  dixerit  tempore  fpor\faUorym  —  ^w>d 
Mediolanenfes  dicunt  accipere  uxor  em  ad  morganaticam ,  alibi  lege  SaUca.'  JL  'F. 
29.  (Kraut  priyatr.  134  (3.  Aufl.).  *)  Wie  das  die  gewOnliche  AnsichI  UU  V^ 
Grimm  Eechtsalterth.  439 :  „Die  Benennung  morganatische  Bhe  rfihrt  daher  daft 
den  Konkubinen  eine  Morgengabe  bewilligt  zu  werden  pflegte,  es  whren  Ehenattf 
blofze  Morgengabe."  —  Kraut  Grundrifz  S.  134. 


2S9 

damit  zum    Konkubinat   herabzusinken.     AIs    nocb    die    Ansicht 

gait,  dafz  jeder   freigebome    dem   andem    freigebornen    ebenbiir- 

tig  sei,  fand  keine  morganatische  Efae  Statt,    so  yiel  auch  Kon* 

kubinate  bestunden.   Jener  stolze  und  im  sohonsten   Sinne  demo- 

kratische   Grundsatz   ward    aber    allmalicb    gemeuchelt   und  man 

denkt  oft   bei   der   Geringschatzung   welche   die  einzelnen  Stufen 

der  freien  Gememschaft   gegen  einander  aufzern,  an  jenen  nordi- 

schen  Kampfen  Starkodd,  der  eine  Magd  welche  seine  tiefen  Wun^    i 

den  verbinden   will,  emport   ziiriickweist,    weil   ein    so    geringes 

Weib  nicht  wert  sei  eine  Hand    an    ihn   zu  legen. '  Not  und  Be- 

dr'aDgnifs  jeder  Art  batten  das  Bewufztsein  des  Wertes  der  Frei- 

heit  in  einem   grofzen   Theile   der   gemeinfreien    geschwftcht  und 

gar  zu  leicht  gaben  sie  sich  um  Schutz  oder  Unterhalt  zu  finden 

in  die  Horigkeit  eines  m'achtigeren  freien  oder    edeln   oder  eines 

geistlichen   Stiftes  ^).     So   wirkten   die  gemeinfreien   selbst   gegen 

sich  und    trugen  zu  einer   schroffen  Stellung  der  librigen   freieii 

Stande  gegen  sie  das  ihrige  bei,  wie  die  Moharchie  und  nament- 

bch  die  Feudalherrschaft  zu  einer  bedeutenden  Unterordnung  der 

Edlen  unter  die  Fiirsten  hinarbeitete, 

Neben   der   Ebenbiirtigkeit  trat  als   ein  Umstand  von  man- 
cherlei  Folgen  far  die  Ehen  die  Gleichheit  des  Stammes  und  d«a    i. 
Glaubens  in  Frage. 

Die  germanischen  Stamme  sind  von  jeher  ihres  gemein- 
Bamen  Ureprungs  nicht  sehr  eingedenk .  gewesen ;  Zwietracht 
und  Eifersucht  scheint  als  uralter  Fluch  in  unsere  Mitte  ge- 
schleudert.  Man  hat  es  seit  alter  Zeit  nicht  verschmaht  fremde 
gegen  die  verwandten  herbeizurufen  und  errStete  wie  heute  so 
auch  friiher  nicht  vor  dem  Verrate  an  den  Volksgenofzen.  Die 
Verheiratungen   der   angehCrigen    verschiedener    Stamme    werden 


')Das  letztere  war  namentlich  bei  Frauen  und  Witwen  mit  Eindem  haufig 
der  Fall.  Mon.  boic.  I.  178.  182.  .3,  76.  297.  Lacombl.  I.  n.  157.  In  einer  Ur- 
konde  von  1170  (Mon.  boic.  I,  178)  sprechen  drei  Schwestem  den  Grand  ihres 
FreihdtSTerzichtes  aas :  ut  tutiores  fub  protectione  advocati  loci  praedicti  Owefju 
videlicet  defenfae  fedeant. 


240  • 

sich  nach  der  jeweiligen  freundliehen  oder  feindlichen  Stellung 
gerichtet  haben ,  nach  der  Achtung  welche  eine  Vdlkerschaft  vor 
der  andem  hatte.  Selbst  nahverwandte  Stamme  sehen  wir  zuwei- 
len  unvermischt  neben  einander  wonen  ,  wie  Ostgothen  und  fe^i- 
gier ,  von  denen  letztere  genau  darauf  hielten  mit  den  Gothen 
fiich  nicht  zu  verheiraten  0-  Diese  waren  in  dieser  HinsiclLt  weni- 
ger  streng ;  friiher  giengen  eie  mit  den  Alanen  ^)  and  den 
Byzantinem  Ehen  ein,  in  Italien  mit  den  Bomern.  Yon  dem 
Volke  der  Baetamen  erz'alt  schon  Tacitus  (Germ.  46)  dafz  sie 
obschon  zu  ihrem  Sebaden  sich  mit  den  Sarmaten  yermischten. 
Spater  hielten  die  Deutschen  die  Verheiratungen  mit  den  Nord- 
slaven  (Lutizen  und  Obotriten)  fiir  unehrlich.  (Stenzel  frank. 
Kaiser  1,  43.).  Fiir  Vermischung  der  Germanen  mit  den  Kelten 
spricht  die  Ehe  Ariovists  mit  der  Schwester  dee  noriachen 
Konigs  Vocio.  (Caes.  b.  g.  1 ,  53).  Die  Abneigung  einielner 
deutscher  Volkerschaften  sich  untereinander  zu  Terbeiraten^ 
Bcheint  ubrigons  ziemlich  lange  angehalten  zu  haben,  denn  ein 
Beschlufz  des  Koncils  von  Tribur  vom  Jahre  895  (c.  39/  zeigt 
dafz  die  Stammesverschiedenheit  zuweilen  als  Vorwand  zur  Ehe- 
Bcheidung  benutzt  wurde«  Die  Verschiedenheit  des  Staniinrech- 
tes  konnte  allerdings  zu  mancherlei  Streitigkeiten  zwischen  dem 
Manne  und  der  Faniilie  der  Frau  fiiren  und  in  Rticksicht  hier* 
auf  mag  man  solche  Ehen  mehrfach  gemieden  haben  ^).  Die  Frau 
trat  gem&fz  der  germanischen  Ansicht  mit  der  Vereheliehung  in 
das  Recht  des  Mannes  und  es  ist  nur  Ausname  und  Unregel- 
mafzigkeit  wenn  aie  ihr  geborenes  Kecht  beibehielt  *). 

Weit  leichter  als  unter  einander  verheirateten  sich  die  deutsohen 
Stamme  mit  den  Romem^),  wenigstens  bei  den  Ostgothen »  Yaa- 


')  Procop.  de  bello  goth.  2,  14.  3,  2.      ')  J.  Grimm  Greschichte  der  deni- 
schen  Sprache  472.  ')  Krauts  Behauptung   Vormnndsch.  1,  89  dafi  die  Ehe 

zwischen  Genofzen  verschiedenen  Stammes  nach  weltlichem  Bechte  nicht  gOtig  war, 
l&fzt  sich  nicht  halten.  *)  Vgl.  Gaupp  die  germanischen  Ansiedelnngen  «od 
Landtheilungen.  S.  246.  ^)  Vgl.  Gaupp  a.  a.  O.  fiber  das  Konnabinm  twuchea 
Germanen  nnd  Romem.  (§.  31.).  '—  Vgl.  auch  Schaifher  Gesch.  der  KedhtSTer- 
fafznng  Frankreichs  1,  260. 


241 

dalen,  Biirgunden  und  Liongobarden  unteriiegt  es  keinemZweifelj 
dasEheverbot,  das  fiir  Westgothen  und  Romer  bestund^  warddurch 
Rekeswinth  (f  672)  aufgehoben.  Nur  l^ei  den  Ripuariem  erscheint  ein 
Widerstand,  indem  hier  dieRomer  iiberhaupt  in  geringerem  Ansehen 
stunden.  Die  Kinder  aiis  solchen  Mischehen  folgten  der  argeren  Hand 
und  wurden  niedriger  als  die  Ripuarier  und  gleieh  den  ROmem  ge* 
biifzt  (l.Rip.LVin.  11);  dieee Ehen  galten  also  fiir  liicht  ebenbOrtig. 
Bei  den  Heiraten  zwischen  Gertnanen  tind  R5inem  kam 
iibrigens  auch  die  Verscliiedenheit  des  Glanbens  in  Betracht,  denn 
die  Germanen  welcbe  rait  den  Romem  hauptsachlich  in  Beriiriing 
kamen  waren  Arrianer ,  die  Romer  Katholiken ;  es  war  diefz  eine 
Scbeidewand  die  nieht  selten  mehr  bedeu tete  als  Stamm*  und 
Geburtsyerschiedenheit  ^).  Es  ist  diefz  um  so  auffallender  als  die 
krietlichen  Germanen  keine  Bedenklichkeit  bei  Ehen  init  ibren 
heidnischen  Stammgenofzen  zeigen.  Konig  Herinanfried  von  Thtt-» 
ringen  war  allem  Anscheine  nach  ein  Heide  und  doch  rermahlt 
ibm  der  arrianische  OstgothenkOnig  Theoderich  seine  Tochte? 
Amalaberga  *).  Der  heidnische  Konig  Ethelbert  von  Kent  hat 
die  frankische  katholische  Konigstochter  Berta  gebeiratet  und  von 
den  Eltern  mit  der  Bedingung  erhalten ,  dafz  er  sie  in  der  Aus* 
iibung  ihres  Glaubens  nicht  store.  Gegen  den  Bischof  Augustin, 
der  Berta  als  Glaubenshuter  begleitet ,  zeigt  er  sich  sehr  duld- 
*ain  und  sagt  ihm,  wenn  er  auch  die  schonklingende  aber  neue 
^d  unsicAere  Botschaft  nieht  mit  dem  Glauben  vertauschen  konne 
an  dem  er  und  sein  Volk  so  lange  gehalten,  so  wolle  er  ihri  doch 
^icht  stOren  und  werde  ihn  gastfreundlich  behandeln.  (Beda  h. 
«ccl.  L  25).  Spater  bekert  sich  Ethelbert  dennoch  und  gibt  seine 
Tocbter  Ethel berga  dem  heidnischen  Konig  Edwin  von  Northum- 
berland  unter    denselben    Bedingungeny     unter   denen   er   frOhe^ 


')  Gaupp  ko^nte  damm  wol  schliefzen ,  dftfz  bei  dem  fanatisches  Arria- 
oismus  der  Vandaleli  an  Ehen  zwischen  ihft^n  Und  den  ROmerh  nicht  Tin  denkeii 
^^^  ft*  a.  0.  S12,  allein  politische  Biicksichten  haben  die  dogmatischen  Bedeftken 
ftbervvunden.  Vgl.  Priacus  p«  29*  ed.  Venet. —  Der  frank.  Konig  Childebert  nmchte 
<l>e  Verlobung  seiner  Schwester  init  dem  arrianischen  Longobardenkonig  riickgiln' 
^R  als  der  katholische  Westgothenkonig  ura  sie  anhielt.  Paul.  Diac*  III.  27^ 
")  Vgl.  Rettberg  Kirchengeschichte  Deutschlands  2,  297. 

16 


242 

Berta  erhalten  hatte  (Beda  II,  9).  Schwieriger  war  Eonig  Oarich 
von  Northumberland,  der  seine  Tochter  Elfleda  dem  mittelengli- 
schen  Eonige  Peada  erst  gab ,  nachdem  sich  dieser  samt  semem 
Volke  hatte  taufen  lafzen  (Beda  III.  21).  Auch  der  heidnische 
Frankenkdnig  Chlodwig  warb  ohne  Bedenken  um  die  burgun- 
dische  Chrothild  welche  Eristm  war  und  gab  ihr  sogar  nach 
dafz  der  erstgeborene  Sohn  Ingomer  getanft  werde.  Als  das  Kind 
stirbt  schiebt  er  das  der  Ohnmacht  des  Kristengottes  zu  (Greg. 
Tun  n.  29).  Auch  in  Skandinavien  wurden  zwischen  Heiden  und 
Eristen  Ehen  geBchlofzen.  So  heiratet  Eonig  Olaf  Tryggvason 
von  Norwegen  zur  Siine  dafz  er  ihren  Vater  t5teu  liefz,  Gu- 
drun,  die  Tochter  Jamskeggis,  eines  der  eifrigsten  heidnischen 
Drontheimer  (Fommannas.  2,  49).  Spater  ist  er  allerdinga  pein* 
licher  und  verlangt  von  der  Eonigin  Sigrid  von  Schweden  mit 
der  er  sich  vermahlen  will,  dafz  sie  sich  taufen  lafze.  Als  sie 
aber  fest  an  dem  alten  Glauben  halt,  beleidigt  er  sie  tief  und 
Sigrid  sucht  in  der  Yerma^hlung  mit  dem  Danenkonig  Svein  Tio- 
guskegg  die  Macht  zur  Eache«  Olafs  Tod  ist  ihr  Werk  (Fomm. 
8.  2.  130).  Auch  tiber  seinen  Skald  HaKred  war  Olaf  sehr  er- 
ziimt,  da  er  sich  mit  einer  Heidin  verheiratet  hatte.  Die  Fran 
muste  sich  taufen  lafzen,  Halfred  Eirchenbufze  thun  und  zur 
Bettung  seiner  Seele  ein  religidses  Gedicht  (die  uppreistandrftpa) 
machen  (Fommannas.  2,  88.  212).  Im  all^cmeinen  werden  wir 
annemen  diirfen,  dafz  dort  wo  das  Eristenthum  noch.  nicht  die 
Obermacht  in  einem  Volke  hatte,  die  Mischehen  haufiger  vor- 
kamen ') ,  denn  das  Heidenthum  war  duldsam ,  die  Eristen  aber 
fanden  es  theils  nicht  geraten  heidnische  Bewerbimgen  abzuwei- 
sen ,  theils  glaubten  sie  dadurch  zur  Bekerung  des  andern  Tbeiles 
nvirken  zu  konnen  oder  politische  Rucksichten  veranlafzten  sie  den 
Glaubensunterschied  zu  iibersehen.  Als  das  Eristenthum  aber 
machtiger  ward ,  wurden  solche  Verbindungen  verdammt  und  be- 
straft,  zumal  die  Verbreitung  defselben  nunmchr  ein  Mittel  der 
Furstenpolitik  geworden  war.    Wenn  in  den  echten  Strophen  der 

')  Paulas   hat  sich  im  ersten   Korinthorhriof^  7,    12 — 15   sehr  mfld  fiber 
Mischehen  ansgesprochcn. 


248 

■ 

Nibelnngen  Not,  die  von  Krimhilds  nndEtzels  Vermalilaiig  hah'- 
deb,  Krimhild  yor  dem  Heidenthume  der  Himen  keine  Scheu 
zeigt,  so  ist  das  alte  und  volksmafzige  Ansicht 

Ein  Hindemifs  vieler  Ehen  in  kristlicher  Zeit  war  die  Lehre 
von  den  verbotenen  Verwandschaftsgraden*  Die  Iieidnischen  Ger- 
manen  waren  in  dieser  Hinsicht  sehr  freidenkend  und  aufzer  den 
Heiraten  zwischen  Eltem  nnd  Kindem  scheinen  alle  Ehen  erlaubt 
gewesen   zu  sein.   Dafz  die  Geschwisterehe  bestund,  beweist  die 
Verbindung  Niordhs  und  seiner  Schwester  (Saem*  65.) ;  denn  wenn 
dieselbe  audi  in  dem  Eddaliede  zum  Vorwurfe  erhoben  wir4,  so 
spricht  sich  darin  nur  die  Ansioht  anderer  Zeit  und  eines  ver- 
schiedenen   Stammes  aus  0*    Bei  den  Vamen  und  Angelsachsen 
war  die  Ehe  mit  der  Stieftnutter  gestattet «);  der  vamisclie  Konig 
Hermigisil  befielt  sogar  auf  dem  Totenbette  dafz  sein  Sohn  Bad- 
ger seine  Witwe  heirate.     Konig  Eadbald  von  Kent,  der  am  Hei- 
denthume   fester   als  sein  Vater   Ethelbert  hieng,   ehelicht  nach 
defsen  Tode  seine  Stiefmutter  und  gibt  damit  fiir  alle,   die  sich 
unter  Ethelbert  aus  allerlei  Riicksichten  batten  taufen  lafzen,  das 
Zeichen  zum  Kiickfall  (Beda  U,  5.)-    Noch  im  neunten  Jahrhun*- 
dert  finden  wir  diese  Ehe  englischer  Konige  mit  ihren  Stiefmiit- 
tem,  die  eine  alte  politische  Einrichtung  gewesen  sein  mufz.  Der 
westsachsische  K5nig  Etfaelbald  heiratet  namlich  zum  grofzen  Aer- 
gemifs   der  Kirche  die  Witwe  seines  Vaters  Ethelwulf,   Judith, 
die  vielberiichtigte  Tochter  Karls  des  Kalen  *). 

Noch  weit  weniger  Anstand  nam  man  natiirlich  an  Ehen  mit 
der  Bruderswitwe,  mit  der  Schwester  der  friiheren  Frau  und  mit 
emem  Geschwisterkinde.  Chlothar,  Chlodwigs  Sohn,  heiratet  bald 
nachdem  sein  Bruder  Chlodomar  gegen  die  Burgunder  gefallen 
war,  defsen  "Witwe  Gutheuka  (Greg.  Tur.  Ill,  6.);  ebenso  lebte 
er  in  Bigamie  mit  zwei  Schwestern  (Greg.  IV,  3.);  andere  batten 

*)  Vgl.  Rosenvinge  Danske  Rcttshistorie  §.  85.'  ')  Procop  de  bello  goth. 
4,  20.  Beda  hist.  eccl.  I.  27.  *)  Prudent.  Trecens.  a.  858  (Pertz  m.  I.  451)  — 
VgL  Gforer  Geschichte  der  ost-  and  westfrSukischen  Karolinger  1,  325.  —  Man 
wird  iibrigens  an  alte  asiatischc  Gewonheiten  bei  diesen  Ehen  erinnert,  indem 
bei  Scythen,  Persem  und  Israeliten  der  Thronfolger  die  Weiber  seines  Vorgangers 
aU  einen  Theil  des  Erbes  ubcmam. 

16* 


eine  Schwester  zur  Frau,  die  andere  zur  Kebse.  (Greg.  IV,  26). 
G^ug,  nicht  blofz  bei  Skandinaviern,  Angelsachsen,  Vamen  und 
Franken,  sondem  iiberall  bei  den  Germanen  wtiste  man  nichts 
von  der  Lehre  der  verbotenen  Verwandschaftsgrade ,  welche  die 
Kirche  anfangs  leise  und  allmalich,  dann  aber  mit  voller  Strenge 
und  Folgerichtigkeit  aufstellte  und  in  die  weldiche  Gesetzgebung 
einzufiiren  wuste  ').  Das  Gesetz  des  longobardischen  Konigs  Kother 
(ed.  Eoth.  185)  zeigt  noch  am  wenigsten  von  dem  kirchlichen 
Einflufze,  denh  es  werden  hier  nur  die  Ehen  niit  der  Stiefmutter 
der  Stieftochter  und  der  Brudersfrau ,  die  also  fruher  vorkamen, 
verboten  und  mit  grofzer  Geldbufze  belegt.  Bedeutend  weiter  geht 
schon  das  Gesetz  Konigs  Liutbrand  (XXXII.  f.)  und  das  bai- 
rische  (IV,  1)  und  alemannische  Gesetz  (XXXIX).  Milder  als 
die  letzten  ist  das  salische  Recht  ^)  yv  elches  die  Ehen  mit  Schwe- 
ster, Bruderstochter ,  Brudersfrau  und  andern  Verwandten  zwar 
fur  unrechtmafzig  erklart  und  sie  trennt,  allein"  keine  weiterq  Strafe 
als  dafz  die  Kinder  nicht  erbfahig  sind,  darauf  legt.  In.  den  nor- 
dischen  Rechten  ist  die  kirchliche  Lehre  mit  aller  Sorgfalt  auf- 
genommen  und  ins  kleinliche  ausgefiirt  worden^);  hier  galten  auch 
die  geistlichenVerwandschaften  (gudhfi^ar),  welche  zwischen  Tauf- 
und  Firmelpaten  und  deren  Kindem  so  wie  mit  dem  taufenden 
Priester  und  defsen  Abkommlingen  bestehen.  Man  mufz  sich  da- 
her  wundern,  dafz  es  bei  der  nicht  allzugrofzen  Bevolkening 
noch  moglich  war  jemanden  aufzufinden  mit  dem  man  nioht  ir- 
gend  weltlich  oder  geistlich  verwandt  war.  Um  die  Ehe  in  verbote- 
nem  Grade  zu  verhindern  bestimmt  das  islandische  Gesets,  dab 
derjenige  welcher  sich  verheiraten  will  auf  dem  FriilingBthing 
vor  dem  Goden  seines  Bezirkes  und  vor  vier  Zeugen  in  moglichst 
zalreicher  Versammlung  einen  Eid  schwore,    dafz   zwischen   ihm 


')  Vgl.  Richhom  deutsche  Staats-  nnd  Rechtsgeschichte  §.  183.  1,  710^715 
(5.  Aufl.)  Rettberg  Kirchengcschichte  Deutschlands  2,  758—762.  Wilda  Strafrecht 
der  Germanen  855.  ff.         ^)  Nov.  40.  (ed.  Merkel  p.  58).  *)  Grfig&a  featath. 

2-  6.  10.  11.  31.  32.  44.  55.  Frostath.  3,  3.  Grag.  festatli.  4.  Gnlath.  b.  c.  26. 
Frostatli.  3,  8.  Borgarth.  kristi  nr.  c.  15.  Uplands!.  I,  11.  vgl.  auch  1.  Lintpr. 
XXXIV.  Atlielredlis  dom.  IV.   12. 


245 

und  seiner  Braut  keine  strafbare  Verwandsckaft  bestehe  (Festath.  9.). 
Deneelben  Zweck  hatte  das  kirchliche  Aufgebot  ^).  Es  ward  zwar 
hier  und  da  in  die  Landrechte  aufgenoinmen  ^) ,  allein  noch  im 
15.  Jahrhundert  war  es  nicht  allgemein  geworden.  Damals  straubte 
man  sich  noch  in  Halle  a.  S.  dagegen  als  wider  eine  Neuerung. 
(Dieck  Gewifzensehe  S.  76.) 


Spatestens  ein  Jahr  nach  voUzogener  Verlobung  erfolgte  dem 
Gesetze  nach  die  Ehelichung  ^)  oder  die  Hochzeit,  um  das  heur 
tige  Wort  dafur  zu  brauchen ,  das  in  friiheren  Tagen  eine  jede 
hoheZeit  und  jedes  Fest  bezeichnete.  Dafz  sich  um  diese  fr&uden 
Uhjezii  des  Lebens  eine  Menge  Gebrauche  sammelten  und  jeder 
Stamm  geschaftig  war  sie  moglichst  zu  schmiicken  und  auszu* 
zeichnen,  ist  wol  erklarlich;  denn  fur  die  meisten  Mehschen,  we- 
nigstens  fflr  die  welche  die  Liebe  empfanden  und  so  gliicklich 
waren  das  geliebte  Wesen  zu  ^  erringen ,  ist  der  Tag  der  Heim- 
fiirang  der  Brapt  der  schonste  des  Lebens.  Lange  ersehnt,  oft 
mit  Kummer  und  Kampf  errungen,  ist  er  ein  Tag  erfiillter 
Wunsche  und  inhaltsschwerer  Verheifzung.  An  ihm  soUen  Freude 
und  Ernst  gleichen  Theil  haben.  Freilich  wird  der  Ernst  meisteins 
von  dem  Jubel  ubertaubt  und  die  aufzere  Welt  lafzt  der  inneren 
Belten  Augenblicke  der  Sammlung  und  des  Nachdenkens^  die  em- 
fiterem  Sinne  unerlafzlich  sind.  Auch  in  den  Gebrauchen,  die 
sich  seit  alter  Zeit  daran  knQpfen,  ist  des  storenden  und  selbst 
des  verletzenden  viel ;  allein  sie  haben  in  ihrer  ersten  Zeit  einen 
guten  Sinn  gehabt  und  waren  damals  unverfanglich.  Sie  alle  auf- 
zufiiren  und  dabei  namentlich  auf  die  einzugehen,  welche  sich  in 
dengermanischenVolkern  noch  erhalten  haben,  ware  eine  vielfach 


')  EiDgefiirt  wurde  es  durch  das  vierte  LaterankoncJl  (1215)  can.  51.,  in 
I'entschland  angenommen  durch  das  Koncil  von  Trier-  1227.  c.  5.  und  auf  der 
^arzbiirger  Diocesansynode  von  1298.  c.  18  (Hartzheim  4,  29).  *)  Upland.  1. 
^- 15.  LOppersum.  sendbr.  von  1424  (Richthof.  SU.')-  *)  A.M,MleicK  kikileich. 
"•'•af.  hrutlouft,  brutleite,  ags.  gift,  altnord.  gifting,  brudhlaup.  brudhkaup,  kvdnfdng. 
^^^k  feftarol.  veitsla.  Altschwed.  gipt.  bryllSp.  dlftemna,  —  heiraj;en :  hiwjan^ 
«»cfl.  gehijan, «—  gewiben,  —  briuten,  —  quehun  neman  leitan^  kalon,  drecka  brudhlaup. 


246 

lonende  aber  eine  besondere  und  weitschichtige  Arbeit.  Sdlion  aus 
dem  was  ich  hier  zusammenfiirtey  wird  sich  ein  allgemeineB  Bild 
der  Hochzeitfeierlichkeiten  der  Germanen  entwerfen  lafzen* 

Die  gewonliohe  Zeit  zum  heiraten  war  der  Herbst  und 
Wintersanfang.  Am  Sonntage  nach  Martinstag  waren  in  Ost-  und 
Westgothland  die  grofzen  Kirchspielsgilden  (munngatstidbir),  an 
denen  auch  die  Hochzeiten  gehalten  warden  ')  und  noch  heute  ist 
in  Sohweden  der  Herbst  die  gewonliohe  Brautlaufszeit  ^)«  Auf 
der  friesischen  Insel  Silt  wurden  bis  ins  achtzehnte  Jabrhundert 
die  meisten  Ehen  in  der  Woche  vor  dem  ersten  Advent  ge- 
schlofzen^)*  Dafz  es  in  den  deutschen  Landem  ebenso  war,  be- 
weist  dafz  noch  heute  sich  die  Hochzeiten  gegen  den  Herbst  und 
Winter  am  meisten  drangen  *),  Der  Landmann  kommt  nach  der 
Emte  zur  Euhe  und  denkt  daran  sein  Haus  zu  ordnen  und  zu 
bestellen ,  und  die  andem  welche  auf  Heimf iirung  der  Braut  sin- 
nen  5  scheuen  den  langen  einsamen  Winter  und  woUen  ihn  holbo 
zweit  verleben.  Bel  der  Bestimmung  des  Heiratst^gea  ward  auch 
auf  die  Mondzeit  geachtet;  alter  Aberglaube  weifzagte  den  Elhen, 
die  im  zunemenden  Mondlichte  geschlofzen  wurden,  beeonderen 
Segen*).  —  Der  Wochentag  wurde  verschieden  gewalt  Tn  den 
nordischen  L'andem  war  der  Sonntag  beliebt,  namentlich  in  Ost- 
gothland ;  auch  zwei  norwegische  Konige,  Magnus  und  Hakon  Ha- 
kons  Sohn,  traten  ihre.  Ehe  am  Sonntag  an  ®).  In  Lubeck  war 
dieser  Tag  noch  im  15.  und  16.  Jahrhymdert  zu  solchcm  Zwecke 
auserlesen '') ,  obschon  die  Kirche  sich  dagegen  fruhzeitig  aof- 
lente.  Das  Koncil  von  Tribur  (895)  legte  wenigstens  eirie  vier- 
jahrige  POnitenz  darauf  *).  Fur  den  Mondtag  sind  mir  keine  Zeug- 


')  Vestgiital.  I.  giptab.  9.  Ostgotal.  gipt.  8.  *)  Rich.  Dybeck  Bona  4, 

60(1842)  — vgl.  noch  Fornmannas.  10,  46.  Egilss.  c.  9.  42.  Gnnnlangs  8.  c  9.— 
Beispiele  nordischor  Heiraten  im  Sommer  Fommannas.  10,  28.  9,  379.  *)  Mi- 
chelsen   und   Asmufsen   Archiv   (Altona)  I.  413.  *)  In  Polen  ist  ef  ebeoM. 

*)  Die  Griechen  schlofzen  die  Ehen  gem  zur  VolhnondzeiL  Lobeck  AgUopha^ 
mos  433.  «)  Fommannas.  9,  372.  10,  106.  *)  Michelscn  und  Agmaffen  Ar- 
chiv (Kiel)  I.  1,  66,  »)  Die  Worte:  Jt  quis  nupferit  die  domuUeo  (Hartihflim 
2,  411)  konnen  freilich  auch  nach  dem  unreinen  Sinne  von  nubere^  den  das  Wort 
in  der  Eirchenspraehe  hat,  gedentet  werden. 


8« 

nifse  ans  alterer  Zeit  bekannt;  doch  wird  er  im  Borgarthings  Kri- 
stenrecht  (c.  7)  als  erlaubter  Hochzdttag  aufgefort  ^) ;  dagegen 
wird  der  Dienstag  bier  verpont*  Gerade  dieser  Tag  ist  heute  im 
ostlichen  Deutschland  (Schlesien,  Lausitz,  Meifzen)  sehr  beliebt 
ond  war  es  auch  in  Schlesien  schon  im  17.  Jahrhundert  seit  altar 
Zeit  (Logau  Sinngedichte  n.  131) ;  ebenso  wird  er  durch  s&ddeutsoheti 
Volkfiglauben  nel)en  dem  Freitag  fiir  die  Heiraten  empfolen^) 
Neben  Dienstag  verbietet  das  Borgarthing  Existenrecht  noch  Don- 
nerstag  und  Sonnabend.  Der  Donnerstag  ist  bei  den  Oietmarschen, 
Friesen  und  den  Niedersachsen  ein  beliebter  Hochzeitstag  ^)  und 
aus  der  Bedeutung  des  Donnerers  for  die  Ehen  diirfen  wir  gerade 
diesen  Tag  in  dieser  Beziehung  auch  bei  unsem  heidniaohen  Va- 
tern  fiir  angesehen  halten»  Als  eine  Sonnabendhochz^it  ist  die  von 
Skald  Bafn  und  Helga  zu  ^betrachten,  da  sie  zum  WinteiBanfang 
(at  vetm&ttum)  angesetzt  wird,  der  gesetzlich  auf  Sonnabend  (lau- 
garqueld)  f&Ut.  An  einem  Freitag  vermahlte  Konig  Imgi  Bardar- 
sohn  von  Norwegen  seine  Schwester  Sigrid  dw  Thorgrim  von 
Lianes  (Fommannas.  9>  21);  dafz  dieser  Tag  m  SiiddeutsdUand 
fiir  die  Heiraten  empfolen  wird,  ward  scbon  vorhin  bemerkt.  Fiir 
Mittwoch  kann  ich  kein  entschiedenes  alteres  Zeugnifs  auffinden ; 
in  einem  schlesiscfaen  Kirchspiele  ^)  fallen  viele  Hochzeiten  auf 
diesen  Tag. 

Yon  verbotenen  Heiratszeiten  hat  unser  Heidenthum  sdiwer- 
lich  etwas  gewufzt;  erst  die  kristliche  Kirche  strebte  sie  im 
Abendlande  geltend  zu  machen,  nachdem  sie  dieselben  bereits 
im  4»  Jahrhundert  ausfindig  gemacht  hatte.  Die  islUndische  Ge- 
setzgebung  zeigte  sich  auch  in.  dieser  Hinsicht  den  geistlichen 
Anforderungen  sehr  willfarig  und  fast  der  ganze  Winter  wurde 
dadurch   zum  Eheabschlufze  ungesetzlich.    Vom  Sonnabend  vor 


0  Der  Mondtag  ist  in  Folen  fiir  ELeiraten  sehr  beliebt,  aber  auch  der 
Sonntag.  *)  Panzer  Beitrag  zar  deutschen  Mythologie  S.  268  (n.  191).  ')  Neo- 
korus  herausg.  von  Dahlmann  1,  110.  Michelsen  and  Asmufsen  Archiv  1,  413. 
(Altona).  Wh.  Miiller  Gesch.  and  System  der  altdeatschen  Religion  246.  *)  In 
der  evangeL  Farochie  Beichenbach,  dem  Eirchspiele  meines  Vaters. 


2«_ 

WeihnacKten  bis  eine  Woche  nach  Epiphanias  und  neun  Wochen 
vor  Ostern  bis  acht  Tage  nach  Ostem  durfte  man  bei  Strafe  dor 
Verbannung  nicht  heiraten  (Festath.  18).  Winters  Anfang  ist  je- 
doch.freigelafzen  und  diese  Freigebung  der  Adventzeit  ist  wol  su 
beachten  0»  Dispensationen  waren  freilich  iiberall  von  der  Geist- 
lichkeit  zu  erlangen.  In  Baiem  war  das  Mittel  dazu  die  Opferung 
einer  schwarzen  Henne,  eine  merkwiirdig  damniische  Oabe  (Schmelr 
lers  baier.  Worterb.  2,  199,  3,  549). 

Der  Tag  der  Hochzeit  war  ausgew^lt  und  bestimmt  und  yon 
beiden  Seiten  riistete  man  sich  dazu.  Die  Braut  lud  ihr©  Ver- 
wandten  und  Freunde  ein,  der  Brautigam  die  seinen,  beide  bald 
selbst  bald  durch  die  wichtige  Person  des  Brautfftrew ,  Braut- 
mannesy  Hochzeitbitters  oder  wie  er  sonst  hiefz  und  heitzt*). 
So  viel  ergibt  sich  aus  den  verschiedenen  Quetllen,  dafz  das 
eigentliche  Fest  im  Hause  des  Brautigams  gefeiert  ward  •)  und 
dafz  es  also  wirklich  eine  Heimholung  war,  ein  Brautzug  oder 
Brautlauf ,  wie  die  alte  germanische  Benennung  ist.  Bei  der  Ab- 
holung  der  Braut  herrschte  verschiedene  Sitte,  je  nachdem  der 
Brautigam  selbst  oder  sein  BevoUmachtigter  sie  ubemam.  HOren 
wir ,  wie  es  bei  den  Dietmarschen  zugieng.  Donnerstag  nach  dw 
kirchlichen  Einsegnung  des  Pares  sendet  der  Brautigam  seeks, 
acht,  zehn  oder  mehr  seiner  nachsten  Verwandten  und  Freuode 
.als  Brautknechte  nach  der  Braut  ab ,  die  st^ttlich  zn  Pferde  sind. 


')  Norwegische  Bestimmungen  iiber  die  Unzeiten  (utidhir)  im  Gnla^ngsbadi 
c.  27.  Frostath.  3,  9.  Borgarthings  Kristenrecbt  c.  7.  *)  Die  Abbildnng  einer 

Braut  von  der  friesischen  Insel  Fohr  wie  sie  zur  Hocbzeit  ladet  bei  We»tph*l«B 
Monum.  ined.  I.  tab.  XIX.  einer  Braut  yon  Stapelholm  bei  Westphalen  L  tab.  V. 
Auf  den  nordfriesischen  Insein  gieng  die  Braut  iiberall  selbst  heram.  Vgl*  den 
Silter  Branch  bei  Michelsen-Asmufsen  Arcbiv  (Altona)  1,  413..  C  —  Die  Ver- 
wandtenzahl,  die  nach  ostgothland.  Kecht  (gipt.  9)  vom  Brautigam  bei  Strafe  ein* 
zuladen  war,  mochte  manchmal  ungeheuer  sein,  da  die  Verwandten  selbst  ddttflO 
Grades  (Geschwisterenkel)  geladen  werden  musten.  *)  Engeltofts  Meimmg  (179) 
dafz  die  Hochzeit  im  Brauthause  gehalten  wurde  ist  nicht  richtig.  Zuweilen  w»rd 
allerdings  hier  das  ganze  Fest  gefeiert,  allein  es  ist  diefz  Ausname.  In  der  Saobe 
ligt  es  dafz  der  Br&utigam,  in  defsen  Haus  die  Braut  einzieht,  die  Festliehkelt 
zu  yerai^stalten  bat. 


249 


Mit  ihnen  faren  vier  Wagen ,  auf  deren  erstem  die  Kleiderfrauen 
sitzen,  welche  gew^nlich  die  Weiber  der  Brautknechte  sand  und 
die  Kleider  der  Braut  zu  besichtigen  ejnpfangen  and  heim  zu 
bringen  haben.  Der  zweite  ist  far  die  Braut  mit  ihren  Spriddel- 
docken  oder  Beiaitzerinnen  und  fUr  die  Spielleute  bestimxnt.  Wenn 
die  Eeiter  und  Wagen  im  BraiUthause  angelangt  sind,  so  wer- 
den  sie  herrlich  aufgenommen  und  der  altesteBrautknecht  brifigt 
blofzen  Hauptes  die  Bitte  vor,  dafz  man  ihnen  den  Brautwagen 
folgen  lafze.  Die  Kleiderfrauen  schafFen  hierauf  die  Kleider  und 
Betten  samt  dem  mannslangen  Brautbrote  und  dem  Brautkase 
auf  den  Wagen  und  die  Brautknechte  laden  die  Kisten  der  Braut 
auf.  Nachdem  die  Wagen  mit  den  Sachen  fort  sind,  stattet  der 
alteste  Brautknecht.im  Namen  des  Brautigams  und  seiner  ^Mitge- 
sellen  den  Dank  ab  und  die  Gresellschaft  wird  zum  Sitzen  gepo- 
tigt.  Sie  werden  nun  bewirtet,  wobei  ein  guter^  Trunk  die  Haupt- 
sache  ist,  ,,auf  dafz  solche  Gaste  wifzen  wo  sie  gewesen  sind." 
Nachdem  das .  Efzen  wieder '  abgetragen  ist  und  die  Brautknechte 
der  Reihe  nach  den  Vortanz  gehalten  haben ,  tritt  der  Wortfftrer 
wieder  auf  und  begehrt  Gehon  Wenn  ihm  diefz  nach  einigem 
Weigem  gewartist,  dankt  er  zuerst  dafz  ihm  der  Wagen  verab- 
fblgt  ist,  dafz  ihnen  Ehre  und  Gutes  erwiesen  wurde  und  bittet 
darauf  dafz  nunmehr  die  Braut  in  daa.  Zimmer  komme ,  dieweil 
sie  darum  abgesandt  seien  und  den  Brautigam  aufs  hochste  nach 
ihr  verlange.  Ohne  Zweifel  verlange  auch  die  Braut  nach  ihm  und 
wenn  nicht  nach  ihm ,  so  doch  nach  ihrem  Wagen  und  Klei- 
nodien.  Nachdem  das  Begeren  mehrmals  abgeschlagen  ist  so 
dafz  oft  der  andere  Tag  herankommt,  wird  die  Braut,  die  bis  da 
mit  ihren  Frauen  und  Jungfrauen  in  einem  besonderen  Gemache 
war,  mit  ihren  zwei  Spriddeldocken  hereingefiirt ,  in  jungfrauli- 
chem  Schmucke,  das  Haupt  ganz  verhiillt.  Wenn  alles  zur  Ab- 
reise  fertig  ist,  wird  sie  dem  Brautknechte  von  ihrem  nlichsten 
Verwandten  ubergeben ,  ihr  des  Brautigams  Hut  aufgesetzt  *)  und 


')  Zeichen  dafz  sie  in  die  Mundschaft  desselben    tritt.  —    Ueber  den  Uttt 
^  Rechtssymbol  J^  Grimm  deutsche  Bechtsalterthiimer  148—151. 


250 

unter  Gliick-  und  Segenswunsch  der  ihren  abgefareny  die  hier- 
auf  noch  eine  Zeit  lang  in  Frolichkeit  beisammen  bleiben.  Unter- 
defsen  sind  die  Wagen  mit  der  Ausstattung  im  Hause  des  Brila- 
tigams  angekommen  und  abgeladen  worden.  Die  Braat  selbet 
nahert  sich  mit  denBeitem  und  Spielleuten  und  stellt  sich,  naoh- 
dem  die  Pferde  bei  Seite  geschaffi;  sind,  mit  ihren  Grdeitfrauen 
▼or  der  Thur  des  Hauses  auf.  Jetzt  erst  erscheint  der  Brautigam, 
tritt  barhauptig  vor  die  Braut  und  fragt  dreimal:  Elann  ich  wol 
mit  Ehren  meine  Braut  einfuren?  —  Dreimal  wird  geantwortet: 
Fiiret  sie  in  Gottes  Namen  ein«  Darauf  nimmt  er  sie  bei  der 
Hand/  lafzt  sie  dreimal  herumdrehen  und  schwingt  sie  in  das 
flaus  binein  indem  er  spricht:  Mit  Ehren  fiire  ich  meine  Brant 
ein*  Vor  der  Stubenthiir  wiederholt  sich  das  herumdrehen  und 
hineinschwingen ;  dann  verlafzt  er  sie  und  geht  in  sein  G^mach. 
Ein  Gastmal  und  Tanz  reihen  sich  an  und  die  Ceremonie  in  der 
Brautkammer  beschliefzt  den  Tag3). 

Lebendiger  noch  ist  die  nordfriesische  Sitte^  wie  sie  auf 
Silt  bis  in  die  Mitte  des  achtzehnten  Jahrhunderts  lebte.  Am 
Hochzeitmorgen  9  einem  Donnerstag,  sammeln  sich  alle  geladenen 
Manner  bei  dem  Brautigam  und  leiten  diesen  und  den  Braut- 
mann  (fuarman^  an  der  Spitze  zum  Brauthause^  defsen  Thur 
verschlofzen  ist.  Nach  einigem  Klopfen  erscheint  ein  altos  Weib 
imd  fragt ,  was  sie  woUen  ?  Der  Vormann  antwortet :  Wir  haben 
hier  eine  Braut  abzuholen.  Die  Alte  schlagt  aber  die  Thiir  zu 
und  ruft,  hier  ist  keine  Braut.  Auf  ein  zweites  EQopfcn  wird 
jedoch  aufgethan.  Nach  einem  Friihstiicke  gehen  sanuntliche  Manner 
vor  das  Haus  und  die  Braut  wird  von  dem  Vater  tibergeben ;  der 
Vormann  beginnt  alsbald  mit  ihr  einen  Tanz;  den  zweiten  Taoz 
hat  der  Brautigam  und  die  anderen  Manner  tanzen  mit  den  ubri- 
gen  anwesenden  Weibem.  Nach  einer  halben  Stunde  etwa  sid- 
gen  alle  wieder  zu  Pferde ,  nachdem  ein  Junggesell,  der  Braut^ 
heber  (l)ridle£9tr) ,    die  Braut  und  ihre  bdden  Eihrenfrauen  (die 


')  Neokorus  von  Dahlmann  1,  110.  ff. 


aalerwiiffen)  auf  den  Wagen  gehobeii  hat  ')•   Das  war  aber  kelne 

leichte  Arbeit ,  denn  unter  denKnieen  durfte  der  Junggesell  nicht 

anfafzen  and   iiber  den  Knieen    war   der    Umfang    dieser  Wei- 

ber    dnrch   die  drei  gefaitelten  Friesunterrocke  und  den   faltigen 

Sdia^^elz  ungehener')*    Unter  Absingen  eines  geistlichen  Liedes 

reiten   die  Manner  hierauf  rasch  zur  Kirche,   der  Vormann  und 

der  Brautigam  var  dem  Brautwagen,  die  andem  dahinter.  In  die 

Kirche   gehen    nur  das  Brautpar    der  fuarman    und    die  aaler- 

wiiffen,  die  anderen  reiten  unterdefsen  imDorfe  nmher.  DerRiick- 

zug  geht.darauf  in  derselben  Ordnung  vor  sich,  aber  nicht  zum 

Brauthause   sondem  zu  der  Wonung  des  Brautigams ,    die  anch 

zuerst  verschlofzen  ist,   sich  aber  leichter  als  das  Brauthaus  off-^ 

net  Hier  wird  eine  Bewirtung  gereicht  und  bis  in  die  Nacht  ge- 

tanzt    Bei  dem  Tanze  haben  die  beiden  Brautjungfem  (fuarfaa- 

man)  die  Aufgabe  mit  einer  Art  Branntwein  hemmzngehen  und 

der  Gesellschaft  mit  einem  Loffel  zu  trinken  zu  geben.  Die  Braut 

Bafz  zwischen  den  beiden  Aalerwtifien  ^)« 

Ohne  noch  mehr  Gebitluche  im  besonderen  aufzufiireu  , 
konnen  wir  folgendes  als  allgemeinen  Hergang  bei  der  germa-  ; 
nischen  Hochzeit  angeben*):  Der  Br'tlutigam  sendet  eine  Schar 
BUS,  die  Braut  in  sein  Haus  zu  holen;  der  Brautfiirer  ist  selbst 
fur  den  Fall  dafz  der  Brautigam  am  Zuge  theil  nimmt,  der  Spre- 
cher  und  Unterhandler ;  er  bringt  die  Werbung  noch  einmal  vor, 
die  Braut  wird  ihm  iibergeben  und  er  furt  sie   dem  Brautigam 


')  Nach  Loccen. .  antlquit.  157  wnrde  ehedem  in  Schweden  der  Brautigam 
yon  den  Braatfiirem  in  die  Hohe  gehoben.  Es  scheint  diefz  80  wie  der  hier  cr- 
wahnte  Silter  Branch  Best  einer  der  levatio  novae  nuptae  verwandten  Sitte.  YgL 
Grimm  Bechtsalterth*  433.  *)  Die  Abbildung  einer  Silter  Braut  und  Braut- 
jongfer  bei  Westphalen  monum.  ined.  I.  tab.  21.  22.  *)  Michelsen  und  As- 
mofBen  Archiy  (Altona)  1,  413.  ff.  — «  Braut  sein:  den  briuteftuol  besizen,  im  briit- 
ftuole  sizen.  Erec  7661.  Gudr.  549.  Helmbr.  1469.  *)  Vgl.  1.  Sal.  XIII,  14.— 
Ostgotal,  gipt.  9.  Vestgotal.  I.  gipt  9,  1.  UplandsL  III.  1.  Gutal.  24.  —  Sid. 
Apoll.  ep.  ly,  20.  Fertz  6,  286*  Karajan  deutsche  Sprachdenkm.  des  12.  Jahrh. 
25,  9.  —  YgL  die  ahd.  Ausdrilcke  quenun  leitctn,  haUn,  —  Der  Zug  der  Braut 
Oder  jungen  Fran  mit  ihren  Sachen  in  ihre  neue  Heimat  „der  brdtlouf'  ist  noch 
heute  unter  dem  deutschen  Landvoike  6ine  grofzo  Festlichkelt ,  die  theils  am 
Hochzeitstage  selbst,  theils  bald  darauf  statt  findet. 


258 

zur  So  verlief  die  Ceremonle  in  alter  Zeit  and  bo  ist  sie  noch 
heute'in  vielen  deutschen  Landem  und  nicht  blofz  miter  dem 
Landvolke  am  Leben. 

Der  nordfriesische  Branch,  das  Branthaus  erst  verschlofzen 
zu  halten  und  die  Bfaut  zu  verlaugnen,  scheint  nicht  alleiii  zn 
stehen,  sonderneine  ziemlich  allgemeine  alteSitte  zu  sein,  welche 
durch  den  Trennungsschmerz  der  Eltern,  die  Scham  und  Spr5- 
digkeit  des  Madchens  und  die  Lust  der  Gaste  den  Brautigam 
aufzuhalten  und  zu  necken,  gewifsermafzen  geboteu  ist.  In  dem 
polnischen  Oberschlesien  findet  sich  ein  entsprechender  Hochzeit- 
brauch  ^).  Dem  Brautigam  wird  zuerst  ein  altes  Weib  statt  der 
Braut  Yorgefiirt,  das  in  ein  weifzes  Tuch  gehiillt  ist  und  sich 
lahm  stellt.  Auf  die  abweisende  Bede,  das  sei  nicht  die  Braut 
sondern  ein  Thier ,  wird  eine  der  Brautjungfem  vorgeffirt ,  die 
sich  rasch  vor  dem  Braut/iirer  (Starosten)  umdreht  und  jentflieht 
Der  Staroet  sagt,  das  sei  ein  scheues  Thierchen ,  die  Braut  kOnne 
es  nicht  sein;  und  jetzt  erst  und  nachdem  ein  Schdnbraatkauf 
gegeben  ist,  wird  die  wirkliche  Braut  hereingebracht. 

Der  dietmarsische  Branch  zeigte  uns  die  Braut  am  Haupte 
ganz  verhiillt;  in  Skandinavien  herrschte  dieselbe  Sitte.  Die  Braut 
ward  mit  einem  Leinentuche  bedeckt,  daa  iiber  das  ganze  Ge- 
sicht  hinunterhieng,  so  dafz  wer  sie  ansehen  wolte  sich  unter 
das  Linnen  beugen  muste  *).  Auf  Silt  war  der  Braut  das  Haupt 
so  wie  der  Oberkorper  durch  einen  Ueberhang  verdeckt,  aus  dem 
sie  durch  eine  viereckige  OefFnung  heranssah').  AUerdings  kann 
ich  fiir  diese  VerhuUung  der  Brant  aus  dem  inneren  Deutschland 


')  Von  mir  ausfurlich  schon  in  Ilaupts  Z.  f.  d.  A.  6,  462.  S,  mifcgef^eilt.  — 
In  Kleinrufzland  wird  beim  Nahen  des  Brautigams  der  Hof  d-  r  Brant  verrammelt, 
ein  zerbrochenes  Rad  vor  die  Thiire  gestellt  und  die  Gcsellscbaft  der  Braut  schickt 
sich  zur  Yertheidigung  an.  *)  Untcr  dem  Linnen  gehen  (gdnga  und  lint)  heifst 
Braut  sein  (Saem.  105.').  bundu  their  ThSr  thd  brudharlini,  Saem.  71/  lout  und 
Hnu.  Saem.  74.'  3)  Westphalen  monum.  I.  taf.  21.  — ■  Ueber  das  friesischie 
logia ,  nubere ,  s.  J.  Grimm  Vorr.  zu  E.  Schulzes  goth.  Glofsar  p,  XIII.  — 
Ueber  die  Versclileierung  der  Braut  vgl.  Tertulb'an  de  virg.  veL  11.  Ambroi. 
epist.  9. 


ass 

keine  Zeagnifse  beibringen ,  •  allein  ihr  Vorkommen  im  Norden 
warend  der  Blute  des  Heidenthums  und  der  anberiirten  Yolks- 
thiimlichkeit  mufz  gentigend  beweisen  dafz  sie  allgemein  und 
altgermanisch  wan 

Althergebrachter  Hauptschmuck  der  juBgfnlulichen  Braut 
war  das  lange  lose  Har;  es  gait  als  Zeichen  bewarter  Rein- 
heit  bei  den  niederdeutschen  Brauten  npch  im  vorigen.  Jahr- 
hondert  ^).  Indefsen  wurde  es  nicht  allgemein ,  am  Hochzeit>- 
tage  frei  getragen  ;  im  Norden  trugen  in  alter  Zeit  die  Braute 
ihr  Har  hoch  aufgebunden  und  mit  Bandem  umwickelt*),  ganz 
wie  es  noch  im  17.  Jahrhundert  in  schwedischen  Gegenden  ge- 
brauchlich  war.  Der  Brautkranz  feblle  wie  es  scheint  dabei  ganz>- 
lich ;  er  war  ersetzt  durch  das  freifliegende  Har  oder  es-  ward 
nicht  fiir  notig  geachtet,  die  Jungfraulichkeit  der  Braut  beson- 
ders  anzudeuten.  Grermanisch.ist  er  nicht  und  erst  durch  dieVer- 
mittelung  der  Kirche  *)  iiblich  geworden.  Im  dreizehnten  Jahr- 
hunderte  war  er  in  Deutschland  und  Frankreich  bereits  im  Branch ; 
er  war  in  Frankreich  von  Bosen  und  der  Brautigam  trug  ein 
Kranzchen  von  grunen  Zvreigen  *). . 

Die  iibrige  Brauttracht  scheint  nichts  besonderes  an  sich 
gehabt  zu  haben,  aufzer  dafz  die  Gewander.  neu  imd  reich  wa- 
ren  wenn  es  sonst  angieng*).  Ob  das  Kleid  der  Braut  wie  in 
Frankreich  J  in  altererZeit  eine  bestinrniteFarbe,  etwa  die  weifze, 
gehabt  habe,  kann  ich  nicht  far  gewifs  behaupten  ®).  Eine  gewon- 


')  Grupen  de  uxore  theot.  204.  —  Vgl,  auch  01.  Rudbeck  Atlantica  III. 
€17.  Herrad  von  Landsberg  hortus  deliciarum  hcrausg.  Ton  Engelhard  taf,  2. 
*)  hagliga  urn  hSfudh  typtu.  Sacra.  72,*  Es  entspricht  diesem  Kopfputze  der  li- 
thaoische  wainikkas,  der  turbanartigc  etwa  sechs  ZoU  hohe  Kop^utz  der  Braut 
von  schwarzem  Sammt,  auf  dem  der  Brautkranz  sitzt  ')  Die  Kirche  hatte  die 
Bekranzung  der  B/autleute  aus  dem  klass.  Heidentbume  beibebalten.  Tertull.  de 
foroD.  mil.  13.  Chrysost,  homil.  IX.  in.  I.  Timoth.  *)  Bertholds  Fredigten  366 
(Kling).  Le  Grand  et  Roquefort  vie  privee  2,  247.  ^)  Beatriis  166 — 180.  Neo- 
corns  1,  112.  Westphalen  men,  ined.  I.  taf.  III.  IV.  XIX.  •)  Vgl.  Karajan 
denUche  Sprachdenkm.  des  12.  Jahrb.  25,  14.  d6  ilte  er  gerwen  die  maget,  er 
l>ailet  si  mit  vlii^e,  m  f/ittu^te  da!;  wi^^e,  mit  porton  behangen,  mit  guldinen  span- 
geu  -    vgl.  cbd.  36,   18. 


Uchc  Zuthat  zu  der  brautlichen  E^leidung  waren  in  altester  Zeit  dk 
Schliifzel  als  Zeichen  der  iibemommenen  VerwaltUDg  des  Hw" 
ses.  (Saem.  72.**) 

Der  Aufwand,  der  sich  bei  den  Hochzeiten  im  Mittelalter 
in  Kleid^rn,  Schmuck,  Verzierungen  der  Wande,  In  Gresohenken 
der  G'aste  und  namentlich  in  dem  Gastmale  einfand,  war.so  be- 
deutend  und  iibermafzig  dafz  die  Polizei  dadurch  bald  zum  ISn- 
schreiten  aufgefordert  wurde.  Die  zahbreichen  HochzeitsordnnngeB 
welchc  scit  friiher  Zeit,  haufig  schon  im  13»y  am  haufigsten  aber 
im  16.  Jabrbundert  erschienen,  bezweckten  eine  Einfachheit  za- 
riickzufiiren ,  welche .  gerade  bei  diesem  Feete  stets  geherrsdit 
haben  solte.  Ftir  die  verschiedenen  Stande  warden  nunmehr 
bochste  Satze  des  erlaubten  festgestellt,  ganz  wie  bei  den  EM" 
derordnungen ;  allein  ihre  stete  Wiederholung"  beweist  wie  ▼e^ 
geblich  das  Streben  dee  States  blieb.  Wir  iibergehen  sie  *) ,  fib«> 
gehen  das  Efzen  und  Trinken  und  die  Zahl  der  Festtage,  dera 
bald  drei,  bald  filnf,  bald  acht  und  nocb  mehr  waren,  und  er- 
wahnen  nur  dafz  die  Gaste  bier  und  da  nach  den  Oesofalechten 
getrennt  wurden.  Als  Konig  Hakon  Hakonssohn  von  Norwegei 
seine  Vermahlung  mit  Margarete  Tochter  des  Herzoge  Skul 
halt,  bewirtet  er  die  Manner  in  der  Julhalle,  dieFrauen  mit  de: 
KoDigin  in  der  Sommerhalle  ^) ,  die  Klosterleute  sitzen  wiedei 
abgesondert.  Etwas  anliches  war  in  Llibeck  im  Anfang  dea  16 
Jahrhunderts  Branch*  Das  Brautpar  speiste  namlich  von  dei 
Gasten  abgesondert  in  der  Brautkammer.  Wenn  aber  der  Bratei 
kam  9  gieng  der  Brautigam  zu  den  Mannern  und  die  Frauen  ka- 
men  zu  der  Braut  ^), 


*)  Vgl.  im  allgemeinen  Hullmann  Stadtewesen  2,  449.  '4,  156.  JSger  Uln 
516,  im  besondem:  Hamburger  Hochzeitsordnung  v.  1292  (Lappenberg  Hambui^' 
Ecchtsalterth.  1,  160)  Eopenhagen.  Stadtr.  von  1294  n.  73.  (Koldernp.  Bosenfing^ 
IV).  Appingadamer  Bauembrief  v.  1327  (Richthofen  297).  Gatalag.  24.  65.  kg 
Hans  privil.  n.  36.  37.  Eristian  II.  geistl.  Rccht  129.  Erist  III.  recefs:  1689. 1598 
Erist.  IV.  y.  1615.  Weistumer  1,  384.  489.  2,  22.  3,  78.  Michelsen-AsiDiifieii 
Arch.  (£[iel)  I.  1,  69.  ^)  i  sumarhdUinni ;  die  Hdchzeit  ist  am  Trinitatifttge.  "^ 
Fommannas.  9,  372,  ')  In  Eleinrufzland  efzen  die  yom  Br&utigam  geladCB0<i 
bei  ihm,  die  Gaste  der  Braut  bei  dieser. 


856 

Die  Braut  war  das  ganze  Fest  iiber  fast  allenthalben  in  die 
Obhut  der  Brautfirau  ^)  gegeben ,  einer  nahen  Verwandten  oder 
emer  Pate,  welche  die  S telle  der  Mutter  an  diesem  Tage  ver-^ 
tritt  und  fiir  die  Braut  iiberhaupt  das  ist,  was  fur  den  Brau- 
tigam  der  BrautfUrer  oder  Vormann.  Sie  ist  die  Ehrenmutter  nach 
baierischem  Ausdruck  oder  wie  sie  das  schlesische  Volk  noch 
heute  nennt,  die  Zuchtfrau.  Auf  Silt  waren  zwei  aalerwiiJBfen  ge-r 
wonlichy  zu  denen  noch  die  zwei  Brautjungfern  treten,  welche 
in  keiner  deutschen  Gegend  noch  heute  felen  und  in  den  Braut- 
gesellen  (BrsLuiknechtGn)  ihre  mannlichen  Genofzen  finden.  Ob 
diese  nachsten  Umgebungen  des  Brautpares  sich  schon  in  Sltester 
Zeit  fanden,  mag  schwer  zu  entscheiden  sein.  Der  BrautfUrer  zwar 
Ts.  oben)  ist  als  altgermanischer  Hochzeitsmann  nachzuweisen, 
schwerer  halt  es  aber  mit  der  Brautmutter.  wenn  wir  nicht  in 
dem  Eddaliede  von  Thryms  Hammerraub  den  Loki,  welcher  als 
Magd  verkleidet  den  br3.utlichen  Tbor  begleitet,  wie  eine  Ehr- 
fraa  betrachten  wollen,  da  er  ganz  ihr  Amt  versieht,  fiir  die 
Braut  antwortet  und  sie  entschuldigt  wo  es  notig  ist.  Man  kann 
hieraof  so  wie  im  allgemeinen  auf  die  altgermanische  Sitte  der 
Zeugenschaft  von  El  tern  und  Verwandten  gest&tzt  den  kirchlichen 
Einflafz  ^)  auf  die  Bildung  dieser  beiden  BrautfUrer  abweisen. 
Ebenso  haben  die  Brautgesellen  in  dem  altherkommlichen  Ge- 
kite  desBrautigams,  so  wie  die  Brautjungfern  in  der  wol  ebenso 
alttibllchen  Genofzenschaft  der  Freundinnen  der  Braut  ihre  volks- 
thiimliche  Vorfarenschaft. 

Am   anziehendsten   namentlich   fur    die  Gegenwart   ist  die 


')  Ahd.  himachdra,  ags.  hddfv&pe,  heorclfvdpe  (das  Wort  huuelspceperfa 
^r  Erfnrter  Glofsen  Haupts  Z.  f.  d.  A.  2,  205,  huuil  scoperse  der  Marbnrger 
Glofsen  Hermann  Marb.  Progr.  1841.  S.  23.  fiir  pronuba  et  paranimpha  ist  mir 
'nidnrchsichtig)  altschwed.  hruthframma  hrutumd.  frammor,  —  Die  grtdkkona  des 
^iorkeyjarrett  (c.  132)  scheint  dafzelbe ,  so  wie  der  gridkmadhr  dem  truhtigomo 
^t«pricht.  Anfzer  ihnen  fordert  diefz  Bechtsbuch  noch  zwei  Brautm&nner  und 
^rautfrauen  als  Zeugen  der  Vermahlung,  *)  Concil.  Carthag.  IV.  c.  13.  sponstis 
^  tponsa  cum  henedicendi  sunt  a  sacerdote ,  a  parentibuB  suis  vel  a  paranymphis 
Werantur.  — •  Benedicti  capit.  III.  463.  (Pertz  legg.  II.  432)  a  sacerdote  benedu 
<^a/vr  et  a  paranymphis  ut  consuetudo  decet  custodita  et  sociata  a  proximis. 


Frage  nach  dein  gottesclienstlichon  Theile  der  Heiratsfeierliolikei- 
ten.   Die   verhandelte  Einfiirung  der  Civilehe  bewegt  so  maiiches 
Gemut  ') ;    die   einen    fiirchten   die  Aufhebung  der   priesterlichei^ 
Einsegnung    der  Ehe    und   damit  das  Abstreifen'  jeder    hoherea 
Auffafzung  dieses  Bundes ;  die  anderen  freuen  sich  der  religiosen 
Zuthat   bei  der  Hochzeit  ledig  zu  werden.    Dafz  auch  vom  State 
oder    der  Gemeine    das  bGrgerliche  Verhaltnifs   der   Ehe    durrh 
einon  biirgerlichen  Akt  sicher  gestellt  werde,  wird  bei  der  iiber- 
handnemenden  religiosen  Zerspaltung  und  Unduldsamkeit  taglieh 
notiger;    dafz    der  Stat  aber  im  eigensten  Interefse  zngleich  dar- 
auf  zu   sehen  hat ,    dafz   die  Ehe  nicht   wie  ein  Mietvertrag  der 
Sinnlichkeit  betrachtet  werde ,  sondern  als  ein   heiliger  Bund  m 
ernsten  und  hohen   Zwecken,  diefz   ist  noch   weit  erforderlicher. 

Wir  konnen  aus  unserem  Heidenthume  sehr  viel  lemen  fl\r 
eine  tiefe  Auffafzung  der  Natur  und  des  menschlichen  Lebens; 
denn  es  war  frisch  und  kindlich  und  dogmatische  Spitzfiindigkeiten 
so  wie  frommelnder  Fanatismus  und  platter  Atheismus  nnter- 
banden  ihm  noch  nicht  die  Herzensader.  Der  heidnische  Germane 
fafzte  die  Ehe  wie  ein  grofzes  und  heiliges  Unternemen,  iiberdas 
die  Gottheit  zu  befragen ,  fiir  das  ihr  zu  opferii,  das  durch  sie 
zu  weihen  sei.  Daher  bestunden  neben  den  rechtlichen  Verhand- 
lungen  gottesdienstliche  Gebrauche  und  so  mufz  es  auch  bei 
uns  sein. 

Wie  vor  jedem  wichtigen  Beginnen  scheint  es  auch  vor  den 
Heiraten  in  unserem  Heidenthume  Sitte  gewesen  zu  sein,  die 
Stimme  der  Gotter  durch  das  Lofz  zu  erforschen.  Noch  am  Ende 
des  13.  Jahrhunderts  war  Lofzwerfen  bei  Hochzeiten  so  iiblich 
dafz  es  die  Kirche  bei  Strafe  der  Exkommunikation  verbot  *)  und 
bis  heute  sind  eine  Menge  Schicksalsbefragungen  iiber  die  kfinf- 
tige  Ehe  im  Volke  iiblich ,  die  auf  Johannisabend ,  Andreas- 
tag,  Weihnachten,  Sylvester  und  andere  seit  uralter  Zeit  gehei- 
ligte  Zeiten  fallen.  —   Unter  den   germanischen    Gottheiten   sind 


')  Icli  bemeike  dtifz  diefz  Knde  1849  ^^eHchrieben  wnrde.       *)  Synod.  HerblpoL 
1298.  o.  18  (Harlzh.  4,  30). 


2&T 

nlerere  als  Vorsteher  der  Ehe  zu  bezeichnen:  Loki,  der  Gott  ded 
Feuers;  Donar,  der  freundliche  Gott  des  Welters  und  der  ErdeJ 
Fro  (Freyr)  der  Gebieter  iiber  Luft  und  Wafzer  und  jegb'chen 
Eeichthum.  Von  Fro  (Fricco)  erzalt  Adam  -von  Bremen  ^)  dafz 
ihm  die  Schweden  bei  den  Hoch^eiten  opferten  |  er  war  der  schwe- 
dische  Landgott.  Bei  den  norwegischen  und  wol  auch  bei  deut- 
schen  Hoehzeiten  iiberwog  der  Donarsdienst*  Thors  Hammer  ward 
auf  den  Schofz  der  Braut  gelegt  und  das  Verlobnifs  damit  ge- 
weiht  *).  Die  Waffe  des  Donnergottes  war  das  Symbol  des  Blitzes 
in  seiner  segnenden  und  befruehtenden  Wirkung  und  noch  heute 
wird  den  Donnerkeilen  wolthuende  und  heilende  Wirkung  zuge-* 
schrieben ;  namentlich  sollen  sie  die  Geburtswehen  erieichtem  ')* 
Nicht  minder  bedeutend  als  Tbor  mufz  der  Feuergott  ftir  die 
Hoehzeiten  gewesen  sein,  denn  Loki  ist  iiberhaupt  die  Darstel- 
lung  der  zeugenden  Kraft,  er  ist  aufzerdem  Herdgo tt  und  Schii- 
tzer  des  Hauses  und  darum  in  doppelter  Beziehung  bei  der  Griin* 
dung  eines  Hausstandes  anzurufen  und  zu  verehren  *).  Noch  heute 
ist  es  in  norddeutschen  Gegenden  Sitte,  die  junge  Frau  dreimal 
um  den  Herd  zu  fiiren,  auf  dem  ein  frisches  Feuer  brennt;  an- 
derwarts  trUgt  sie  einen  roten  Faden  um  den  Hals*  Wir  ge- 
denken  ^R)ei  urverwandter  namentlich  indischer|  Hochzeitge-*' 
brauehe,  in  denen  das  Feuer  und  seine  Gottheit  eine  gleiche  Be- 
deutung  hat  % 

Diirfen  wir  aus  den  stammverwandten  indischen  und  grie-* 
chisehen  Sitten  auf  die  germanischen  einen  Schlufz  machen,  so 
^ar  der  gottesdienstliche  Theil  des  Brautlaufs  auch  mit  Liedem 


')  Gest.  Hamab.  eccles.  poiitif.  IV.  27.  (Pertz  9,  380).  *)  bent  inn  hamaf^ 
orudki  at  viggja,  legjit  Midllni  t  meyjar  knS^  vigit  okr  faman  Varar  hendi,  Saem.  74/ 
}  Bei  den  Deutschen  des  Bohmerwaldes  mufz  die  junge  Frau  wenn  es  warend 
des  Brautzugs  donnert  rasch  einen  schweren  Gkgenstand  zu  hebcn  suchen  ;  sie 
<*balt  dadurch  Gesundbeit  und  Starke.  *)  Vgl*  im  AUgemeinen  meine  Sa'jen 
^on  Loki  in  Haupts  Zeitscbr.  f.  d.  A.  7,  1—94. ;  besonders  S.  9  ff.  und  90.  — 
Eine  hergehOrige  Stelle  aus  Loccien*  antiqu.  bei  Grimm  Rechtsalt.  431.  *)  Eubn 
^^  Schwarz  Norddeutsche  Sagen.  S.  S.  433.  522.  —  Auch  bei  den  Slayen  scheini 
Miches  statt  gefunden  zu  haben.  In  Kleinrufzland  wird  die  Braut  dnrcb  ein  Feuei* 
1^  das  Haus  des  Brautigams  geMrt. 

17 


258 

ausgestattet,  welche  den  Schutz  und  den  Segen  der  Gottheit  er- 
flehten.  Unser  Schlufz  wird  theils  durch  den  Sprachschatz  ')  theils 
durch  ausdriickliche  Zeugnifse  bestatigt ,  indem  in  dem  ganzen 
:  Mittelalter  Brautgesange  nachzuweisen  sind,  welche  theils  unmit- 
j  telbar  nach  dem  Zusammengeben  des  Pares  (Rudlieb  XIV,  87 — 89. 
Helmbr,  1535),  theils  auf  dem  Zuge  der  Braut  in  das  Haus  dea 
Brautigams  angestimmt  wurden  ^).  Wir  diirfen  dieselb^n  ohne 
weiteres  fiir  einen  Rest  der  gottesdienstlichen  AlterthQmer  der 
Germanen  erklaren.  Die  hohe  Ansicht  Kristi  von  der  Ehe  welche 
namentlich  von  Paulus  weiter  gebildet  wurde,  muste  fiir  die  Stel- 
lung  derselben  in  der  kristlichen  Kirchenlehre  bestlmmend  sein 
und  sie  als  eine  gottliche  Einrichtung  erfafzen  lafzen,  deren  Ein- 
gehung  der  kirchlichen  Theilname  nicht  zu  entziehen  war.  Der 
Presbyter  und  der  Bischof  wurden  demnach  vorher  von  dem  Vor- 
haben  der  Brautleute  unterrichtet  und  um  Rat  gefragt  •)  und  die 
Ehe  nach  dem  Genufze  des  heiligen  Abendmals  unter  priesterli- 
chem  Segen  geschlofzen.  Die  Lockerung  welche  alio  sittlichen 
Verhaltnifse  in  der  spateren  romischen  Welt  erfaren  hatten,  machte 
sich  bei  der  Ehe  natiirlich  vorziiglich  geltend ,  so  dafz  endlich 
die  Thatsache  des  ehelichen  Zusammenlebens  genfigte  ,und  die 
f  Ehe  selbst  ohne  jede  Form  angetreten  wurde  *)♦  Merere  Kais^er 
suchten  den  Nachtheilen,  die  auch  fiir  das  biirgerliche  Leben 
daraus  entspringen  musten,  zu  begegnen,  indefsen  mit  wenig  Er- 
folg.  Kaiser  Leo  bestimmte  endlich  (nov  Leon.  89)  dafz  keine 
Ehe  rechtsgiltig   sei,    welche  nicht  unter  kirchlichen  Formen  ge- 


')  brutleichf  hrutifanc.  hileich.  leichod.  ags.  hrydlac^  hr^dfanc^  hrydledd.  g\file6dh, 
*)  Sid.  Apoll.  c.  5,  218 — 20.  Karajan  deutsche  Sprachdenkm.  des  12.  Jahrh.  26,  1.  Khein. 
mus.  3,  423.  Athis  C*  96.  Neoconis  I,  116.  119.  176.  die  oben  erwahnten  SilterGe- 
brauche.  Panzer  Beitrag  S.  11  tlieilt  eino  oberbairisclie  Sage  mit,  wonach  die 
drei  wilden  Frauen  im  Frauenlocho  am  Staufeu  bei  Reicheuhall  eincn  Gesang  ho- 
ren  licfzcn,  wenii  eine  Braui  aus  dem  Hause  der  Eltcrn  gieng.  *)  Ignat.  epist. 
ad  Polycarp.  5.  Tertnll.  de  monogam.  11.  de  pudicit.  4.  cf.  ftber  die  religiose  Hoch- 
zeitsfeier  Tertull.  ad  uxorem  2,  8.  •*)  Uebcr  die  roniiscben  Grtinds&tze  von  der 
Ehe  und  iiber  die  des  kanonischen  Uechtes  im  Verhaltnif8e  /u  den  germanischcn 
vgl.  die  treiflidic  Darlcgung  Wildas  in  Rcyschers  und  seiner  Zeitechrift  fftr  deut- 
sches  Reclit  4,   171-232. 


25i» 

schlofzen  wurde  und  nunraehr  euchte  die  Kirche  mit  ihren  Be- 
schliifzen  iiber  die  priesterliche  Einsegnung  der  Ehe  iiberall  durch- , 
zudriDgen,  fand  aber  durch  die  bestehenden  bargerlichen  Einrich* 
tungen  in  den  meisten  Landem  Schwierigkeiten ,  denen  sie  sich 
bald  fiigte  bald  entschiedea  entgegenstellte.  Am  gltlcklichsten 
war  816  in  einigen  romanischen  Landem  und  in  England^  wo  die 
kirchliche  Form  der  Vermahlung  bald  allgemein  wurde  und  sich 
mit  der  biirgerlichen  voUig  verschmolz  ^).  Nicht  minder  erlangten 
die  kirchlichen  Bestimmungen  in  Skandinavien  und  besondera  auf 
Island  eine  allgemeine  Geltung,  indem  ihre  Erfiillung  neben  den 
biirgerlichen  Rechtsgewonheiten  in  alien  Gesetzbuchern  geboten 
wird  2).  Merkwiirdig  ist  namentlich  das  ostgothlandische  Recht, 
worin  die  kirchliche  Einsegnung  (vigaz)  iiber  die  biirgerliche 
Uebergabe  (giptaz)  gestellt  ist ,  indem  bestimmt  wird  dafz  die  Ehe 
sobald  die  priesterliche  Weihe  erfolgt  ist,  rechtsgiltig  mit  Bestei- 
gung  des  Ehebettes  beginne,  moge  die  biirgerliche  Uebergabe  ge- 
schehen  sein  oder  nicht.  Bei  der  Trauung  solle  indefsen  der  Ver- 
lober  (giptarmadhrinn)  zugegen  sein  und  der  Priester  sie  bei  der 
Strafe  unrechtmafziger  Verlobung  (40  Mark)  ohne  defeen  Einwilli- 
gung  nicht  voUziehen. 

In  den  deutschen  Landem  hatte  die  Kirche  einen  gro- 
fzeren  Widerstand  zu  bekampfen^  Die  ofteren  Doppelehen  der 
Merovinger,  besonders  solche  mit  zwei  Schwestera  wie  Chlo- 
thars  L  Verhaltnifs  war,  lafzen  darauf  schliefzen,  dafz  damals 
eine  kirchliche  Weihe  nicht  statt  fand.  Pippins  Kapitulare 
Von  755  verlangt  nur  die  OefFentlichkeit  der  Eheschliefzung  *)  und 
bedingt  keineswegs  die  kirchliche  Einsegnung.  Diese  wurde  zwar 
von  den  Karolingern  angenommen  *) ,  allein  damit  wurde  sie  noch 


^)  Chrodegang.  Metens.  rcg.  canon,  c.  73.  Benedict!  capit.  III.  59.   179.  463 
^Wisig.  XII.  3,  8.  —  Grupcn  de  uxore  theotisca  35.  ff.  276.        *)  Im  Uplandslag 
^-  9.  (1295  von  KOnig  Birger  Magnusson  revidirt)  ist  sogar  eine  Stolataxe.     VgL 
auch  Weisthiimer  2,  265.   769«  —  Zu  bcachten  ist  auch  dafz  nach  dem  Gutalag  24. 
^^  Brautmel'se    am    Wonorte   dcs    Brautigams  gesungen   werden    soil.  *)    Ut- 

ownes  homines  luici  publican  nupfias  facianty  tarn  nohiles  quam  ignohiles ,  Pertzlegg 
!•  26.       *)  Pertz  legg.  I.  450.  Vgl.  Biirchardi  decret.  IX.   1.  2.  XIX.  5. 

17* 


260 

keineewegs  durchgefiirt*  Selbst  in  der  Unterweisung,  welche  Pabst 
Gregor  II.  dem  Bischof  Martinian  nach  Baiem  milgab,  wird  dift 
Einsegnung  der  Ehen  keineswege  anbefolen ,  wenn  auch  vorge- 
schrieben  wird  dafz  die  Geistlichen  den  Brautleuten  die  krist- 
liche  Eingehung  der  Ehe  ana  Herz  legen  soUen  (HartzheinDi  1,  36). 
Am  lautesten  bezeugen  die  bis  ins  15.  Jahrhundert  wiederholten 
Koncilien-  und  SynodaJbeschliifze ,  welche  Schwierigkeiten  die 
Kirche  zu  iiberwinden  hatte,  ehe  sie  in  Deutschland  mit  der  For- 
derung  durchdrang  dafz  die  Ehen  mit  ihrem  Wifzen  imd  mit 
ihrem  Beistand  geschlofzen  wiirden  ^).  Am  leichtesten  fiigten  sich 
die  hoheren  Stande.  Bei  der  Verlobung  Konig  Heinrichs  TIT,  von 
Deutschland  mit  der  Grafin  Agnes  von  Poitou  ^1043)  ^aren  eine 
grofze  Anzahl  Bischofe  gegenwartig  (Pertz  9 ,  70) ;  fiinf  Erzbi- 
schofe,  dreifzig  Bischofe  und  unz'alige  Aebte  und  Probate  wonten 
der  Vermahlung  Kaiser  Heinrichs  V.  mit  Mathilde  von  England 
in  Mainz  (1114)  bei.  Einer  bestimmten  kirchlichen  Handlung  wird 
indefsen  nicht  gedacht  (Pertz  8,  247).  Die  Gedichte  vom  Ausgang 
des  12.  Jahrhunderts  an  erwahnen  jedoch  vielfach  bei  Beschrei- 
bimg  der  Heiratsfeierlichkeiten  der  priesterlichen  Einsegnung') 
und  nicht  ganz  gleichgiltig  ist,  dafz  der  Meister  hofischer  Kunst 
und  Weltanschauung,  Gotfried  von  Strafzburg,  in  seinem  Tristan 
die  priesterliche  Einsegnung  als  Biirgschait  der  Ehre  and  des 
Gliickes  empfielt  (Trist.  1624 — 1635).  Nicht  immer  geschah  jedoch 
diese  Einsegnung  an  heiliger  Std^tte,  sondern  dfters  im  Hoohzeits- 
hause  und  mitten  unter  weltlicher  Lust.  So  erzalt  Heinrich  von 
Freiberg  in  seinem  Tristan,  wie  der  Bischof  bei  der  Vermahlung 
Tristans  mit  Isote  blansche  manis  mitten  unter  den  Lftrm  und 
den  Tanz  der  Hochzeitgesellschafl  tritt  und  die  kirchliche  Hand- 
lung  vomimmt  (633).     Die  Koncilien   sahen  sich  daher  genOtigt 


')  Ich  fare  nnr  an  concil.  Trevir.  1227.  Colon.  1281.  Traject  1294.  H«rw 
bipol.  1298.  Mogunt.  1310.  Eichstad.  1354.  Magdeb.  1370.  Salisbnrg.  liSC  — 
Die  Ketzer  gegen  welche  die  KOlner  Synode  von  1146  einschritt,  verwarfen  di« 
Ehe  ftberhanpt  (Hartzheim  3,  354).  *)  Erec  2117.  6341.  Iwein  8418.  EndLtSSS. 
Athis  C*  96.  Mei  und  Beafl.  87,  1.  Heinr.  Trist.  633.  860.  Alexius  174. 


261 


gegen  solchen  Unfug  einzuschreiten ,    obschon  Bie  vergeblich  ge- 
predigt  zu  haben  scheinen  ^). 

Leichter  als  die  Benediction  yor  dem  Beilager  fand  die  Ein- 
segnung  des  jungen  Pares  nach  der  Hochzeitnacht  Eingang.  Ge- 
rade  in  Gedichten  von  volksthumlichem  Karacter  finden  wir  nur 
diese  erwahnt  ^)  und  sie  hielt  eich  im  siidlichen  Deutschland  nach- 
weislich  so  lange,  dafz  das  Salzburger  Koncil  von  1420  (c.  13) 
ausdnicklich  dieEinsegnung  vor  dem  Beilager  verlangen  muste  *)• 
Vielfach  und  namentlich  in  den  untem  Volksschichten  verschmahte 
man  aber  fortdauernd  jede  kirchliche  Theilname  und  begniigte 
sich  an  der  biirgerlichen  Verlobung  und  der  Oeffentlichkeit  der 
daraaf  folgenden  Hochzeit.  Heimlich  abgeschlofzene  Ehen  waren 
dem  germanischen  Eechtsgefiihle  zu  wider;  der  romische  Grund- 
satz:  consensus  facit  nuptias,  der  von  scholastischen  Kirchenleh- 
rem  mit  Liebe  behandelt  wurdej  widersteht  durchaus  dem  Deut- 
schen*).  Das  Volk  hielt  an  den  ererbten  Rechtsbrauchen  fest 
mochte  selbst  der  Kirchenbann  auf  den  VoUzieher  der  biirgerli- 
chen Verlobung  geworfen  werden  ^)  und  die  Kirche  muste  sich 
daher  hier  und  da  nach  dem  Volke  richten*  So  gab  Erzbischof 
Konrad  von  Salzburg  1291  so  weit  nach,  dafz  er  die  Earche 
fiir  befnedigt  erklarte,  wenn  der  Eheabschlufz  binnen  Monats- 
frist  vor  zwei  oder  drei  Zeugen  dem  Pfarrer  angezeigt  werde. 
(Hartzh«  4,  3).  Yermahlungsformeln  aus  dem  14,  iind  15*  Jahrhun- 


3)  Concil.  Treyir.  c.  5  (1227)  matrimonium  cum  honore  et  reverentia  et  in 
facie  (non  enim  rifu  et  jocose  nee  contemnatu)  ecclesiae  celebretur.  —  Concil.  Sa- 
lisbnrg.  1420.  c.  13.  si  commode  fieri  potest  in  ecclesia^  aliquando  in  alio  loco  hO' 
««to  sine  strepitu  cum  honestate  debita  fiant  matrimoniorum  copulationes,  *)  Nib. 
594.WigaL  9487.  Crane  IV.  111.  Lohengr.  6K  174.  CI.  Hfttzler.  260.  Vgl.  anch 
Rudolfa  Wilhelm  14672.  —  Im  Athis  C*  102  ist  vor  und  nach  dem  Beilager  Ein- 
^gnung.  *)  Matrimonia  quoque  quae  benedicenda  fuerint,  non  post  ut  moris 
^^'titit  ^  sed  ante  ipsorum  camalem  consummationem  ac  solemnitatis  nuptiarum 
^kbrationem  pro  benedictionis  ipsius  reverentia  benedicantur.  Hartzheim  5,  190. 
*)  In  Frankreich  dagegen  war  die  Ehe  in  Folge  dieses  Gmndsatzes  w&rend  des 
Suizen  Mittelsalters  formlos,  daher  das  Spriichwort:  Boire  manger  coucher  ensemble 
^mariage,  ce  me  semble.  Schaffher  8,  185.  »)  Concil.  Trev.  1227.  c.  5.  (Hartzh. 
3)  529)  wiederholt  auf  der  Kolner  Synode  1281.  c.  10.  in  den  Stat.  Synod,  episc. 
I'eod.  1287.  c.  9.  Magdeb.  1370.  c.  32.    Vgl.   auch    Grieshaber    Fredigten    2,  20. 


8^    _ 

dert  zeigeu  bald  deii  Widi  rstjiiid  das  Volkes  ganz  rein  und  fest. 
bald   eiu  Nachgeben    von   beiden  Seiten  ^),    so   dafz    sich   zuletzl 
dit^  biirgerliche  Sitte  dem  Gesetze  der  Kirche  unterwirft.     Merk- 
wiirdig    ist  aber  dafz  sich  noch  nach   der   Keformation    aus  dem 
Jahre    1551    eine   Hochzeit   ohne    kirchliche   Trauung  und   zwar 
aus  dem  protestantischen  hoheren  Biirgerstande  naehweisen  lafzt*). 
Denn  wenn  der  lange  Widerstand  gegen  die  priesterliche  Einseg- 
nung   sich    durch    die  Praxis   der   katholischen  Kirche  in  &(ich^ 
der  heimlichen  Ehen  leicht  erklart,    da  sie  Ehen  ohne  kirchliche 
wie  iiberhaupt  ohne  jede  Form  geschlofzen  zwar  nicht  gut  hiefz 
aber  fiir  unaufloslich  erklarte;    so  muste  Luthers  Auf&fzung  der 
Ehe  ')  bei   seinen  Anhangern    die  kirchliche  Trauung   als  unum- 
ganglich   erscheinen   lafzen   und    die   biirgerliche  Form,    wo    sie 
sich  noch  gehalten  hatte,  muste  nunmehr  verschwinden.  Zugleich 
verbreitete    sich  .allmalich    ein   grofzerer  Ernst  bei  der  Feierlich- 
keit,  und  nachdem  sie  vorher  meist  vor  den  Kirchenthiiren  voU- 
zogen  war*),  wurde  sie  nun  in  die  Kirche  verlegt.  Auch  dadurch 
wurde  jedoch   dem  Unwesen,    das  sich  an  die  Hochzeit  knOpfte, 
nicht    allenthalben   Einhalt    gethan.      So    war   ein   alter   Branch, 
dafz  der  Brautigam   unmittelbar   nach  dem  Zusammengeben  von 
den  anwesenden  Mannem  unter  furchtbarem  Schreien  gerauft  und 
gepriigelt    wurde    (cf.    Hatzlerin    260.^    King    5.    142.    S.   Frank 
Weltbuch   CXXVIIL).   Die  Kirche  kampfte  vergeblich  dawider; 
noch   im  Jahre  1607    erlicfz    der  Erzbischof   von  Koln   eine  be- 
sondere    Verordnung    dagegen  ^) ,    allein    sie  hat    nicht    viel    ge- 
friichtet.  In  Westphalen  besteht  die  Sitte  noch,  wie   Immermann 
in   seiner   prachtigen  Hofschulzengcschichte  im  Munchhausen  er* 
zalt.    Die   Gebrauche   der   alten  Zeit  batten  ihren  Sinn  verloren 
und    waren    unter  veriinderten    Ansichten   und   Geflilen    verzerrt 


•)  Vgl.   W.  Wackcruugel    bei  Ilaupt  Z.  f.  d.  A.  2,  551  —  555,         *)  Dieck 
Gcwirzcnsehe  S.  62.  ")  Vgl.  dariiber  die  ausfiirlichc  Erorternng  von  Wilda  in 

der  Zeitschrift  fiir  dcatsch^  Kecht  4,  204.  ff.  *)  Grupen  de  uxore  theot.  S76. 
concil.  Mogunt.  1310.  lib.  IV.  (Haitzheim  4,  207).  OstgOtal.  vadham.  86.  UpUndfL 
I.  15.  Lohengrin  174.  «)  Binterim  Denkwiirdigkciten  11.^  2,  81.  —  In  Poito» 
kanntc  man  gleichc  Priigelweihen  dcs  Br&utigams  nnter  dem  Namen  les  coops  da 
poing3  de0  iianvaillefi.  S.  Hegiii  Rabelais  Gargunt.  2.  592. 


263 


und  ausgeartet.  Sie  wurden  dennoch  vom  Volke  zum  Theile  aus 
Widerstand  gegen  die  Kirche  festgehalten  und  trugen  meistens  nur 
dazu  bei,  dem  Hochzeitsfeste  eine  vStorende  Beimischung  zu  geben. 
Esgiltdiefz  nicht  von  alien,  allein  von  sehr  vielen^  In  neuererZeit 
gind  in  protestantischen  wie  in  katholischen  Landem  die  verechiede- 
nen  Elemente  mehr  geschieden  worden  und  die  kirchliche  Eineeg- 
nung  hat  die  erforderliche  Wiirde  erha].ten.  Sie  wird  ihr  Leben  auch 
nach  Wiedereinfiirung  des  biirgerlichen  Vertrages  sicher  fortfiiren. 

Es  ward  bereits  erwahnt  dafz  die  Hochzeitfestlichkeiten 
merere  Tage  dauerten.  Die  Unterhaltung  bestund  dabei  meistens 
im  Tanz;  die  Festlichkeit  begann  mit  einem  Keigen  und  darauf 
folgte  das  Zusammengeben  des  Brautpares,  mochte  es  auf  biir- 
gerliche  od^  kirchliche  Weise  geschehen  *).  Ward  dabei  ein  Zug 
in  die  Kirche  beliebt,  so  wurde  er  unter  Tanz  Gesang  und 
Ballspiel ,  also  mit  einem  Tanzleich  abgehalten  ^) ,  wie  diefz  auch 
im  Morgenlande  gebrauchlich  war.  (Concil.  Laodic.  a.  363.  can. 
53.)  Einige  skandinavische  Hochzeitsgebrauche  will  ich  statt  ande- 
rer  Zeugen  diese  Brautlaufsfreuden  schildern  lafzen  '). 

In  Skogboland  in  Upland  wird  der  Brautlauf  wie  ander- 
warts  gewonlich  im  Herbst  gehalten.  Vor  dem  Brauthause  stehen 
junge  Tannen  (brurifkor)  an  denen  bis  auf  den  Wipfel  alle  Aeste 
abgeschnitten  sind.  Der  Brautzug  geht  von  den  Hofreitern  (hof- 
riddare)  geleitet  zur  Kirche,  wo  vier  junge  Madchen  warend 
der  Einsegnung  einen  Himmel  iiber  das  Brautpar  halten.  Auf 
dem  Heimgange  reiten  die  Eeiter  zwischen  dem  Zuge  und  dem 
Hause  hin  und  her;  man  setzt  sich  nun  zuTisch  und  amSchlufze 
des  Efzens  fordert  der  Geistliche ,  der  stets  dabei  ist,  zu  einer 
Sammlung  fiir  eine  Wiege  auf  9.  Darauf  beginnt  der  Tanz,  den 


1)  Crane  IV.  49.  ff.  Heinr.  Trist.  633.  Ath.  C*  96.  Vgl.  auch  den  oben 
angefuhrten  Silter  Branch.  *)  fus  giengin  die  jungin  hupjifide  unde  fpringinde,  von 
</«»  hrutin  Jinginde,  einander  werfinde  den  bal,  Ath.  C*  96.  —  Ueber  den  Brautball 
Knhn  und  Schwarz  Norddeutschc  Sagcn  S.  372.  Vgl.  ub«r  den  Kirchgang  auch 
S.  Frank  Weltbuch  CXXVIII.  (Ausg.  von  1 534.)  »)  B.  Dybeck  Runa.  En  Ikrift 
^tir  faderneslandets  fomvaiiner.  Stockh.  1842.  2,  62.  ff.  4,  60.  ff.  *)  lliom  ofs 
"«»  gode  vanuer,  J'amla  ukjot  &t  bruden  til  vagga.  —  Solche  Sanimlungeu  iiber- 
Dnnmt  in  Schlesien  die  Zuchtfrau. 


264 

der  Geistliche  mit  der  Braut  eroflinet,  Nach  einer  Weile  geht  die 
Braut  von  der  Brautfrau  (frammor)  begleitet  fort,  um  eich  um- 
zukleiden  und  theilt  dann  kleine  Geschenke,  den  WiUkomiQ 
(valfagnad)  genannt,  an  die  Gaste  aus«  Nun  heifzt  sie  Jungefrau 
(uugmor)  und  derWegtanz  (bortdanfingen^  beginnt,  bei  dem  die 
Manner  den  Madchen^  und  die  Mddchen  den  Frauen  die  Braut 
streitig  zu  maehen  suchen.  Den  Beschlufz  macht  am  ersten 
Tao'e  der  allscemeine  Tanz  der  bis  tief  in  die  Nacht  dauert.  Am 
andem  Morgen  werden  die  Reste  des  Males  verzert  und  ein 
Klotz  in  die  Stube  gestellt ,  auf  dem  fur  die  Spielleute  und  die 
Aufwascherin  gesammelt  wird,  warend  die  Gesellschaft  darum 
tanzt.  Gegen  Mittag  trennt  sich  die  Gesellschaft ,  indem  die  Man^' 
ner  einen  scherzhaften  Eaubzug  auf  die  umliegenden  HOfb  unter- 
nemen.  Die  Tanze  sind  meistens  von  Gesang  begleitet  und  haben 
besondere  Namen;  jetzt  kommen  Weise  und  Worte  schon  sehr 
ins  Vergefzen,  Der  Tanz,  den  die  Braut  mit  dem  Geistlichen 
tanzt ,  heifzt  im  Eirchspiel  Vingakr  Hoglorf  und  ist  mit  einem 
Liede  begleitet,  das  an  die  Braut  gerichtet  ist^)  und  nicht  gam 
feine  Scherze  enthielt. 

Die  alte  Sitte  dafz  das  Brautpar  bei  der  Yermahlung  einen 
Becher  zusammen  lerte  3),  hat  sich  in  einem  norwegischen  Hoch- 
zeitsbrauche  erhalten,  Im  nordlichen  Guldbrandsthal  heifzt  der 
dritte  Tag  des  Festes  Klotztag  (ftubbedagen).  Da  wird  nftmlich 
ein  gewaltiger  Fichtenklotz  in  die  Brautstube  gewalzt.  Zuerst 
steigen  Brautigam  und  Braut  hinauf  und  trinken  sich  einen  Be- 
cher zu,  dann  folgt  die  gan:;e  Gesellschaft  parweise  nach,  indem 


')  Scheinentfunmgeii  gehdrten  zu  den  griechischen  and  rdmischen  Hodi- 
zeitgebr&uchen,  wie  anch  in  yielcn  L&udern  noch  heute.  ')  Ygl.  Athis  C*  a.  a. 
O.  von  den  brutin  fmginde.  •)  Die  synod.  Andegav.  v.  1277.  c  8.  eifert  gegen 
die  herrschende  Unsitte  die  £he  durch  einen  gemeinsamen  Trunk  des  Pares  fUr  ge- 
schlofzen  zu  halten :  Intelleximus  nonnullos  volentes  et  intendentes  matrimoniwm  ad 
invicem  contrakere,  nomine  matrimonii  potare  et  per  hoc  credentes  se  ad  invieem  wuh 
trimonium  contraxifie  carnaliter  se  commiscent.  In  einigen  deutschen  Gegenden  war 
es  noch  im  16.  Jahrhnndert  Sitte  dafz  der  Pries ter  dem  Brautpareyor  dem  Altara 
au8  dem  Kclche  linen  jgesegaeten  Trunk,  den  Johannes-Segen ,  reichte*  8.  ^nuik 
W^eltbuch  a.  a.  O, 


265 

zugleich  jedes  Par  hachdem  es  von  dem  Klotze  gestiegen  ist 
dreimal  um  ihn  herumtanzt.  Zuletzt  wird  derKlotz  unter  Scherz 
in  den  nachsten  Bach  gewalzt.  Auch  in  schwedischen  Landschaf- 
ten  ist  das  Zutrinken  auf  dem  Klotze  Sitte ,  warend  die  Gesell- 
schaft  singend  und  schreiend  danim  tanzt.  Der  Tanz  heifzt  stabb- 
danfen  (Klotztanz)^  In  Westmannland  hiefz  der  Lustigmacher  Klotz- 
mann  (ftabbgubbe) ;  er  wurde  bei  dem  Klotztanze  am  dritten  Tage 
auf  den  Klotz  gesetzt  \md^  darauf  neben  diesem  unter  allgemeinem 
Jauchzen  iiber  Berg   und  Thai  in  das  nachste  Wafzer  geroUt  ^). 

Der  Tanz  ward  entweder  blofz  von  Gesang  begleitet  oder 
von  Gesang  und  Instrumentalmusik  oder  von  letzterer  allein.  Die 
Spielleute  sammelten  sich  daher  von  Alters  her  bei  den  Hoch- 
zeiten ,  wenn  sie  nur  irgend  Aussicht  auf  einen  Gewinn  hatten. 
Audi  aufzer  dem  Tanze  suchten  sie  zur  Unterhaltung  beizutra- 
gen:  sie  trugen  auf  Fiedeln  und  Floten  ihre  Weisen  vor,  er- 
zalten  beliebte  Dichtungen  und  ergetzten  durch  allerlei  Kunst- 
stiicke.  Ein  Prediger  des  13.  Jahrhunderts  schildert  die  Hoch- 
zeit  von  Kana  und  sagt :  da  waren  nicht  Pfeifer  noch  Geiger 
noch  Tanzer  noch  Singer  noch  Spielleute  wie  heute  bei  den 
Brautlauften  (Grrieshaber  2 ,  20)  ,  und  Heinrich  von  Veldeke  er- 
zalt  von  Aeneas  Hochzeit:  da  war  Spiel  und  Gesang  und  Tumier 
und  Gedrang,  Pfeifen  und  Singen,  Tanzen  und  Springen,  Trom- 
meb  und'  Saitenspiel ,  mancherlei  Freuden  viel.  (Eneit  12958). 
Diese  Unterhaltung  kam  iibrigens  dem  Brautpare  wie  den  Ga- 
sten  nicht  selten  theuer  zu  stehen,  denn  die  Spielleute  hatten 
weite  und  lochrige  Taschen  und  gegen  den  sparsamen  spitzeZun- 
gen;  iibrigens  waren  sie  nicht  walerisch,  sondem  namen  alles, 
Weil  sie  alles  brauchen  konnten  *).  Bei  vomemen  Hochzeiten  fan- 


0  Weise  und  Worte  des  westmanlandischen  ftabbdans  theilt  Djbeck  a  a.  O. 
mit.  Bingtanze  welche  sich  auf  die  Verlobnng  beziehen  and  manches  beachtens- 
werte  bieten,  beiDybeck  4,  70.  75.  *)  Vgl.  Pertz  8,  248.  Eneit  12965.  Erec2165. 
Nibel.  1309.  Gudr.  1676.  Helmbr.  1607.  Die  Hamburger  Hochzeitordnung  von  1292 
srlaabt  nur  yier  Spielleute  und  jedem  4  sol.  als  Lohn ;  sind  ihrer  mehr  so  haben  sie 
snr  das  Efzen  zu  fordem.  Die  LUbeckischen  Hochzeitordnongen  des  15.  and  If. 
Jahrlmnderts  setzten  far  die  Spielleute  mit  dem  Spielgreven  yen  Seiten  des  Br&a- 
tigams  Kleider,  Seitens  der  Braut  ein  Hemd  aus. 


den  flie  eich  In  grofzen  Haiifen  ein,    Heuschreckenapharen  gleich 
die  uber  griines  Land  herfallen. 

Gewonlich  fiirten  diese  farenden  bei  den  Hochzeiten  aach  mi- 
mische  Darstellungen  auf.  Dieselben  mogen,  wie  das  bei  diesen 
Festen  leider  gar  zu  leicht  geschieht,  etwas  derb  gewesen  sein,  allein 
unsere  frommen  Vater  vertrugen  davon  ziemlich  viel.  Weniger 
defshalb,  als  well  das  Volk  der  farenden  iiberhaupt  verachtet 
war  und  aufzer  der  Kirche  stund,  war  den  Geistlichen  geboten 
die  Hochzeiten  alsbald  zu  verlafzen,  wenn  die  Spielleute  eintra- 
ten ;  sie  solten  ihnen  nicht  einmal  eine  Gabe  reichen  ').  Aue  dem 
16,  und  17.  Jahrhundert  ist  una  die  Auffurung  wirklicher  dra- 
matiecher  Scenen  bei  den  Hochzeiten  bekannt  ^).  So  viele  ich  deren 
kenne ,  so  atraen  sie  den  Geist  aller  Hochzeitsgedichte  jener'  Zeit 
und  sagen  derBraut  mit  frechster  Stirn  Dinge,  welche  derBrau- 
tigam  nicht  hatte  dulden  soUen.  Dergleichen  Unflaterei  war  aber 
Sitte  und  die  besten  Talente ,  wie  Hofmannswaldau  und  Giin- 
ther,  besudehen  sich  leider  damit. 

Am  einfachsten  scheinen  die  altskandinavischen  Hochzeits- 
feste  gewesen  zu  sein,  denn  sie  bestunden  meist  nur  im  Zusam- 
mensitzen  und  Trinken  bis  zur  Trunkenheit.  Einzelne  Abschnitte 
machte  das  Opfertrinken  fiir  diesen  oder  jenen  Hauptgott.  Wir 
lernen  diefz  aus  einer  etwas  fabelhaften  Erzalung  (fomaldar  8. 
3,  222)  die  noch  dadurch  anziehend  ist,  dafz  sie  yon  Saitenspiel 
und  besonders  beriimten  Weisen  berichtet.  Als  die  Manner 
alle  Platz  genommen,  wird  die  Braut  mit  ihrem  G^olge  herein- 
gefiirt;  der  Brautigam  setzt  sich  aber  nicht  zu  ihr,  sondem  sitzt 
auf  dem  Hochsitz  neben  dem  Konig.  Einer  der  Gaste  greift  nach 
der  Harfe  und    beginnt   zu    spielen;    als    das    Trinken   gebracht 


*)  Zu  Grunde  licgt  nllcrdings  das  54.  cap.  des  Koncils  von  Laodicea  (363), 
allein  die  uftere  Wiederholnng  des  Inhalts  dieser  Bestimmung  mit  bald  grufserer  bald 
geringerer  Ausfiirung  bcweist  dafz  jenes  Verbot  in  Dcutechland  notig  war.  Chrod- 
gangi  reg.  can.  (762)  c.  68.  Rcgin.  can.  325.  cone  Aqnisgr.  (826)  tit  83.  Hludov. 
conv.  Mogunt.  851.  —  Verbote  das  Volk  der  Farenden  zu  beschcnken  synod.  Olmac. 
1342.  c.  7.  Frising.  syn.  1480.  Salisburg.  1490  (Hartzh.  4,  838.  6,  512.  574). 
')  Gotoched  Nothiger  Vorrath  1.  121.  Kahlert  Sohlcsiens  Antheil  an  dfirde«tBchflB 
Poesie  30. 


207 


wird  soil  er  aufhoren,  der  Konig  jedoch  erlaubt  ihm  fortzugpie- 
len.  Da  wird  der  erste  Gedatchtnifstrunk  (minni)  dem  Thor  ge- 
gebracht  und  Sigurd  begiimt  eine  Weise,  dafz  alles  tanzt  was 
beweglich  ist,  Mefzer  Tische  und  Menschen.  Demnachst  kommt 
der  Becher  fiir  alle  Gotter  (ollum  ^fum)  und  eine  zweite  wundersame 
Weise  ertonte,  die  alleljie  auf  das  Brautpar  und  d^n  Konig  von  ihren 
Sitzen  brachte.  Darauf  spielte  Sigurd  den  Gygjarflag  und  Dram- 
buflag  und  das  Hiarrandalied  (Horantes  liet).  Der  Odhinsbecher 
kommt  und  der  Harfner  schl agt  mit  einem  weifzen  goldgesaum- 
ten  Handschuh  den  Faldafeykir,  bei  jdem  die  Kopftiichef  den 
Frauen  herunterfliegen  und  alles  tanzt.  Nach  dem  Freyjatrunk  ist 
das  Zechen  zu  Ende.  Am  merkwurdigst6n  dabm  ist  zu  bemerken, 
dafz  im  Norden  warend  des  Trinkens  Sai  ten  spiel  nicht  gem  ge- 
hort  wurde;  es  ist  das  gegen  alle  sonstigen  Nachrichten  von  den 
germanischen  Gelagen. 

\  In  der  Zeit  des  ausgebildeten  Ritterwesens  waren  bei  den 
Hdchzeiten  vornemer  ritterliche  Spiele  ein  bedeutender  Theil  der 
Uiiterhaltung.  Unsere  niittelalterlichen  Gedichte  so  wie  die  Kro- 
nikengeben  genugZeugnifs  davon.  Bei  fiirstlichen  Vermahlungen  trat 
gewonlich  der  feierliche  Ritterschlag  einer  Anzal  Knappen  hinzu  ^), 
der  zuweilen  am  ersten  Tage ,  dfter  aber  am  Morgen  nach  dem 
Beilager  vorgenommen  wurde. 

Die  Uebergabe  der  Hochzeitsgeschenke  nam  gewonlich  auch 
einen  Theil  des  Festes  in  Anspruch.  Die  Sitte  dieser  Gaben  ist 
uralt  und  aus  dem  natiirliehen  Wunsche  nahestehender  und  Ver- 
waadter  entsprungen ,  dem  jungen  Pare  eine  Beisteuer  zur  Aus- 
stattung  zu  geben.  Von  den  unsittlichen  Wegen  auf  welchen  sie 
inwgenlandische  Braute  nach  der  Volksitte  erwarben,  ist  unser 
Volk  stets  femgeblieben  ^) ;  es  waren  Gaben ,  an  die  sich  kein 
Schuldbewufztsein  fiir  die  Empfangerin  kniipfte.  Bei  Fftrsten  und 


')  Nib.  596.  Gudr.  549.  Frauendienst  ll,  13 — 28.  Lohengr.  61.  2)  Die 
Oeflnung  von  Maur  (1543.  Weisth.  1,  43)  darf  hier  nicht  verschwiegen  werden,  wo- 
nach  der  Meier,  welcher  bei  den  Br^uten  der  Hofleate  das  jns  primal  noctis  hat, 
Geschenke  mitbringeu  mufz.  £s  ist  schon  gesagt,  dafz  diese  Beatimmung  gans  yer- 
einzelt  steht. 


268 

J^auem  waren  eie  gleich  gebrauchlich ;  wie  sie  in  manchen  Sta- 
ten  zu  einer  notwendigen  Leistung  der  Lehnstrager  wurden,  ist 
schon  angedeutet.  Oeffentlich  im  Kreise  der  Hochzeits^uste  an 
die  Braut  gegeben  0  $  wurden  sie  bald  der  Gegenstand  wetteifem- 
den  AufwandeSy  so  dafz  polizeiliche  Befele  n5tig  warden,  die 
sie  entweder  zu  regeln  suchten  (Jager  Ulm  819)  oder  ganz  yer- 
boten  2).  Heute  ist  die  Uebergabe  der  Geschenke  auf  die  Vor- 
feier,  den  Polterabend,  verlegt.  Neben  diesen  Gaben  der  Graste 
waren  namentlich  in  den  reichen  Kreisen  Geschenke  des  Brant- 
pares  an  die  Gaste  Qblich.  Besonders  suchten  sich  junge  F^*- 
stinnen  bei  ihrem  Einzuge  in  das  Land  desGemahls  durch  reich- 
liche  Spenden  in  die  Zuneigung  der  Hofleute  einzukaufen.  Heute 
ist  es  noch  in  vielen  deutschen  Gegenden  Sitte,  dafz  das  Braut- 
par  beim  Kirchgange  oder  bei  dem  Zuge  in  die  neue  Wonnng 
unter  die  versammelte  Menge  Geld  auswirft.  Es  wird  durch 
Yersperren  des  Weges  und  allerlei  Mummenschanz  und  Scherz 
dazu  halb  gezwungen. 

Wenn  am  ersten  Hochzeitstage  die  Nacht  heran  kam,  ward 
die  Braut  von  den  Eltem  oder  Vormiindem  und  dem  BrautfOrer 
und  der  Brautfrau ,  oft  aber  von  der  ganzen  Gesellschaft  in  die 
Brautkammer  geleitet  und  dem  Brautigam  ubergeben.  Sobald 
eine  Decke  das  Par  beschlug,  gait  die  Ehe  als  rechtsgiltig  an- 
getreten')  und  die  Braut  war  nunmehr  Ehefrau;  daher  war  die 
offentliche  Beschreitung  des  Ehebettes  zur  gesetzlichen  Bedingong 
erhoben.  Das  verletzende,  was  fur  die  jungfriluliche  Braut 
darin  lag,  ward  in  jungerer  Zeit  gewonlich  dadurch  gemildert, 
dafz  beide  sich  vollig  angekleidet  niederlegten  und  es  also^eine 
blofze  Formlichkeit  war.  AUein  diefz  war  eben  jCkn'gere  Mil- 
deruDg;  in  friiherer  Zeit  blieben  die  Brautfrauen  so  lange  im 
Gemache,   bis   die   Braut   entkleidet   dem  Arm    des  Brautigams 


*)  Vgl.  a.  H&tzlerin  262.  Ring  S.  146.      *)  AppingadamerBauembrief  r.  1S17. 
Bichthof.  297/  ')  Ist  das  Bett  beschritten,  ist  das  Becht  erstritten.    Ist  die 

Decke  iiber  den  Kopf,  so  sind  die  Ehelente  gleich  reich.  Simrock  dentaclie  Bpffldi- 
wOrter  n.  1014. 1516.  ygl.  Grimm  Bechtsalterth.  420. 


2«9 

vertraut    war.      In  Lfibeck  wurde  der  Braii.ch  bis  1612  in  voll- 
ster   alter  Weise   beibehalten    und    erst   von  da  ab  einigermafzen 
geandert.  Die  Sitte  waltete  Qbrigens  bei  hohen  und  niederen  und 
noch  Kaiser  Friedrich  HE.  hielt  bei  seiner  Vermahlung  mit  Eleo- 
nore  von  Portugal  auf  ihre    Durchfiirung,  so  fremd  sie  auch  den 
Bomanen  erschien.     Es  war  ein  echt  germanischer  Branch  0>  der 
rich  auf  den  Sinn  des  Volkes  fiir  die  Oeffentlichkeit  der  Rechts- 
Yerhaltnifse  baute  und  sich  durch  die  Forderung  der  Kirche,  sich 
die  drei   ersten  N'achte   oder   wenigstens  die  erste  des  Beiliegens 
zu  enthalten ,   nicht  storen  liefz.  Kein  deutscher  Bischof  hatte  die 
Eeckheit ,    welche  einige  franzosische  zeigten ,    sich  aus  der  Dis- 
pensation   von   diesen   Tobiasnachten   eine  Einkommensquelle   zu 
machen*).  Reste  jenes  Branches,   natiirlich  bedeutend  gemilderte, 
haben  sich  noch  heute  in  adeligen  Geschlechtem  erhalten. 

Nachdem  dasBrautpar  eine  Weile  allein  gelafzen  war,  ker- 
*  ten  die  Verwandten ,  zuweilen  auch  die  ganze  Gesellschaft  in  die 
Kanuner  zurtick  und  brachten  den  jongen  Eheleuten  einen  Trunk 
(Ath.  D.  58.  Trist.  12642.  Ring  188.).  AmMorgen  wurde  ihnen  ein 
Friihstuck,  gewonlich  ein  Huhn,  daz  briutelhuon,  vor  das  Bett  ge- 
bracht  ^).  Dieser  Trunk  und  diefz  Efzen  scheinen  eine  nicht  min- 
der alte  Sitte  als  manches  andere  bei  der  Hochzeit ;  ein  west- 
phalisches  Weisthum  (3,  42)  zeigt  sie  auf  eigenthiimliche  Weise  in 
das  Volksleben  eingedrungen.  Sitte  war  es  femer,  dem  Braut- 
pare  am  andem  Morgen  neue  Kleider  vor  das  Bett  zu  legen  *). 
Die  Frau  anderte  nunmehr  auch  ihre  Hartracht;  sie  schiirzte 
das  jungfrauliche  lose   Har   zusammen  und  legte  die  Frauenbinde 


*)  Saem.  edda  249.' Ath.  D.  1— ,61.  Crane  IV.  242.  Lohengr.  60.' Cl.  H&tzler. 
260/ Aen.  Silv.  vita  Frieder.  Ill,  p.  115.  Neocorus  1,  116.  Michelsen  u.  Asmufsen 
Archiv  (Kiel)  1833.  L  1,  69.  ')  Bened.  capit.  HI.  463  (Pertz  legg.  II.  432. 
(vgL  Grieshaber  Predigten  2 ,  18).  Grupen  de  uxore  theot.  7.  22.  •)  Parz, 
273,  26.  Heinr.  Trist.  842.  Lohengr.  61.  Wackemagel  bei  Hanpt  2,  554.  Anm. 
bilt  das  Trinken  na'^h  Gottfrieds  von  Strafzburg  Worten  fiir  eine  fremde  nnd  da« 
mals  nicht  mehr  bestehende  Sitte.  Wenn  sie  anch  dem  elsafzischen  Dichter  sa 
erschien ,  so  lafzt  sie  sich  doch  dnrch  andere  Zengnifse  als  sicher  nnd 
Unge  bestehend  nachweisen.  *)  Nib.  593.  Lohengr.  60.  Vgl.  Plinins  h.  nat^ 
8,  74. 


«0 

um  die  Stirn,  aie  band  ihrHaupt  wie  derAusdruck  daiiir  war  *)• 
Seit  dein  16.  Jahrh.  wenigstens  geschieht  das  Hauben  der  Braut 
gewonlich  unmittelbar  nach  dem  Hochzeitefzen  durcfa  die  Braut- 
frau,  welche  die  Haube  der  Braut  als  Geschenk  iibergibt.  DerKranz 
wird  ihr  dabei  aus  dem  Har  genommen  und  das  ganze  mit  Tanz 
und  mancherlei  Scherz  begangen  (Vgl.  S*  Frank  Weltbuch  a.  a.  Or). 
Jetzt  hatte  der  Brautigam  noch  eine  gesetzliche' Schenkuog 
an  die  Braut  zu  machen ,  die  Morgengabe  ^).  Sie  tragi  ihren  Na- 
men  davon  dafz  sie  am  Morgen  nach  der  Brautnacht  iibergeben 
wurde;  diefz  ist  wenigstens  die  alte  und  rechtmafzige  Zeit  daza. 
Eine  andere  irgend  probehaltigeErklarung  des  deutschen  Namens 
dieser  Leistung  lafzt  sich  nichtgeben.  Vorher  ausbeduirgen  und 
beredet*),  wurde  sie  in  Gegenwart  der  Brautfiirer  und  Braut- 
frauen  so  wie  der  nachsten  Angehorigen  der  jungen  Frau  fiber* 
geben  (!•  Liutpr.  VII.  Weisth.  3 ,  74) ;  abweichend  von  dem  Her- 
kommen  geschah  diefz  hier  und  da  des  Abends.  (Fornald.  b.  3,  399). 
In  der  Lubeckischen  Hochzeitordnung  von  1656  ist  dieee  Zeit 
sogar  fiir  die  vier  unteren  Stande  zum  Gesetz  erhoben;  nur  die 
erste  und  reichste  Klafse  hat  diis  Vorrecht  der- Uebergabe  am 
Morgen  nach  der  Trauung*).  Die  Morgengabe  ist  ein  Geschenk 
des  Mannes  als  Zeichen  der  Liebe  (in  signum  amoris)  fiir  die 
Uebergabe  der  volien  Schonheit  (in  honore  pulchritudinis)  und  der 
Jungfraulichkeit  (pretium  virginitatis).  Urspriinglich  also  nur  jung^ 
fraulichen  Brauten  gegeben ,    wurde  sie  sp^ter  auch  Witwen  ge- 


')  Parz.  202,  23.  Walth.  106,  26.  Heinr.  Trist.  310.  858.  Ulr.  Trigt  312. 
Titur.  10,  80.  —  Es  war  das  wipliche  gcbcnde.  Vgl.  das  Kapitel  von  der  Tracht. 
')  morgangeha,  margincap.  matutinale  donum  (Pertz  legg.  1,  6)  morghong&f  (F(?/J- 
gdtalcig.  Uplandslag).  hindradagsgqf,  heckjargiof.  linfi.  —  Die  Denmng  aos  dem 
lith.  merga ,  Madtthcn  ,  ist  bereits  mehrt'ach  abgewiesen ,  wie  sich  geb&hrt 
")  Daher  antefactum,  ital.  antefatto.  —  In  der  sinalandischen  Landschaft  Wafftbo 
wird  die  Morgengabe  am  ersten  Hochzeitstage  nachdem  der  herkommliche  Beeber 
von  dem  Brautpare  nnd  den  Giisten  gelert  ist,  beredet.  *)  Michelsen  and  A»- 
miifsen  Archiv  (Kiel)  1,  101.  Kunig  Hans  v.  Diinemark  Privileg.  n.  41.  bestimm- 
ten  aiisdrucklich  dafz  die  Morgengabe  n^cht  eher  als  am  zweiten  Ta^  sti  geben 
sei.  — •  Nach  den  s&ohs.  Distinctioncn  IX.  11,  17  warde  die  Morgengabe  nor  be- 
duugen  und  erst  uuch  dem  Tode  des  Mannes  iibergeben. 


2tl 


widmet,  indem  sich  ihre  erste  Bedeutung  schwachte*  Uingekert 
hatten  sie  in  einigen  Gegenden  die  Witwen  bei  ihrer  Wiederver- 
heiratung  zu  geben  wenn  ihre  Brautigame  Junggesellen  waren  '). 
Ein  BO  hohes  Gut  sie  auch  vergelten  wolte,  so  scheint  sie  doch 
in  altester  Zeit  nur  in  wenig  bedeuteiiden  Gaben  bestanden  zu  haben ; 
sie  war  nor  ein  Zeichen  der  Anerkennung  dafz  die  Braut  etwas 
geopfert  habe.  In  Westphalen  erbt;-  auf  vielen  Bauerhofen  noch 
heute  ein  Bern  stein  schmuck  von  Frau  zu  Frau  als  Morgengabe* 
Den  alteren  Ansichten  liber  Prauengut  gemafz  bestund  sie  zuerst 
nur  in  farender  Habe;  im  Norden  wurden  oft  Kleider,  Hausrat 
und  Schmuck  unter  diesenNamep  geschenkt  und  sie  hiefz  daram 
dort  auch  Linnengeld  und  Bankgabe  (linnf^,  beckjargiof)  2),  Das 
alemannische  Gesetz  (LVI,  2)  bestimmte  12  sol.  als  Hohe  der 
Morgengabe^  mochte  sie  in  Gold  ,  Silber,  Sklaven  oder  in  einem 
Rofse  gegeben  werden;  das  longobardische  Recht  setzte  feat  (L 
Liutpr.  VII)  dafz  sie  den  vierten  Theil  des  Vermogens  desBrau- 
tigams  nicht  iibersteige.  Sobald  Landbesitz  Eigenthuih  der  Prauen 
werden  konnte,  wurde  auch  liogendes  Eigen  unter  diesen  Namen 
vergabt;  bei  Fiirstinnen  war  es  gewonlich  ^).  Das  uplandische 
Gesetz  (ni.  4)  gestattete  im  allgemeinen  so  viel  liegendes  Gut 
zur  Morgengabe  zu  geben  als  der  Brautigam  wolte. 

In  den  deutschen  Rechten  verschaifte  sich  beziiglich.  der 
Morgengabe  der  Standesunterschied  Einflufz.  Wer  von  ritterlicher 
Geburt  war  durfte  nach  dem  Sachsenspiegel  (I.  20,  1.  8.  24,  1) 
einen  volljahrigen  Knecht  oder  eine  solche  Magd  und  weidendes 
Vieh  (Pferde,  Kinder ,  Ziegen ,  Schweine)  nebst  gezimmertera  und 
gezauntem  iibergeben ;  wer  nicht  Kitter  war,  nur  das  beste  Pferd 
oder  Vieh.  Der  Schwabenspiegel  (Landr.  18)  geht  noch  weiter. 
Fiirsten  und  andere  hohe  Herren  diirfen  hundert  Mark  als  Mor- 
gengabe geben,  mittelfreie  bis  an  zehn  Mark,   Dienstmannen  der 

')  SchmeUer  baier.  Worterb.  2,  616.  8,  300.  *)  Sn.  140.  Foramanna* 
2,  133.  254.  256.  Fornaldars.  3,  399.  *—  linfe  ward  ganz  allgemein  fiir  Morgen- 
gabe gebraucht  auch  wenn  sie  aus  Gold  oder  kostbareii  Kleidungsstiicken  bestund.. 
•)  Greg.  Taron.  9  .  20.  Flodoard.  ann.  a.  956.  (Pertz  5  ,  403).  vita  Math.  c.  3v 
(6,  286)  Trist.    11395. 


2t2 

FarBten  zu  fiinf  Mark,  andere  das  beste  Pferd  oder  Vieh.  Ein 
Kaufmann  und  der  freie  Bauer  darf  von  seiner  farenden  Habe 
zehn  Mark  wert  geben  nebst  einem  Viehstiick;  der  eigene  Mann 
nnr  ein  Schaf  oder  eine  Ziege  oder  fQnf  Schillinge;  der  romische 
Konig  darf  geben  so  viel  er  will,  aber  nichts  von  dem  Iteichs- 
gute.  In  einigen  Landrechten  ist  diese  Eintheilung  bis  zu  einer 
Ausschliefzung  vorgeschritten ,  indem  die  Morgengabe  zu  einem 
Vorzuge  der  Bitterbiirtigen  gemacht  ist  ^)«  Auch  die  stadtischen 
Gesetze  machten  derartige  Unterschiede ;  die  Ltibecker  Hochzeit- 
ordnung  von  1566  theilt  die  Burger  fiir  die  Morgengabe  in  fiinf 
Klafsen  ^).  Die  letzte  Klafse  gibt  einen  kamelotenen  unbeaetzten 
Kragen,  ein  vergoldetes  drei  Loden  langes  Paternoster  und  eine 
Borte  sechs  Mark  an  Wert;  die  erste  eine  goldene  Haube  bis 
zwolf  Thaler  an  Wert,  einen  silbemen  vergoldeten  Giirtel  von 
35  Loden y  eine  goldene  Kette  von  zehn  Loden,  einen  sametnen 
Kragen,  eine  damastene  scharlachene  oder  kamelotene  kurze 
Hoike  nnd  dazu  von  verarbeitetem  oder  unverarbeitetem  Silber 
bis  hundert  Thaler  an  Wert.  Das  sind  Patriziergaben. 

Die  Morgengabe  fand  sich  mit  der  Mitgift  und  den  anderen 
der  Frau  zukommenden  Vermogenstheilen  auf  derselben  Stufe; 
sie  stund  also  wenn  auch  unter  dem  Schutze  und  der  Yerwaltung 
des  Mannes ,  so  doch  aufzerhalb  seiner  Verfiigung.  Sie  ward  mil 
den  ubrigen  entsprechenden  Vermogenstheilen  von  der  Witwe 
vor  der  Erbtheilung  vorausgenommen  ("Weisth*  1,  66)  und  die 
Frau  konnte  filr  sich  und  ihre  Erben  vollstandig  iiber  cde  bestim- 
men  ^).   Der  Familie  des   Mannes  muste    natiirlich    bei    solchen 


')  Altes  Berger  Landr.  14.  Brern*  Bitter.  6,  1.  Berlin.  Stadtb.  147. 
*)  Michelsen  uad  Asmufsen  Archiv  (Kiel)  L  1.  101.  •)  1.  Wisigoth.  IV.  6,  1. 
Muratori  antiqu.  II.  117.  Schwabensp*  Landr.  20.  Baier«  Landr.  IS,  18.  D««wett- 
gothische  Gesetzbuch  hat  die  Freihcit  der  Verfiigang  beschrankt  und  drei  Viertel 
der  Morgengabe  als  Pflichttheil  der  S6hne  oder  Enkel  bestimmt.  —  False  ich 
Uplandsl.  III.  9.  richtig,  so  war  die  Morgengabe  der  unverftafserlichBte  Beaiti  der 
Frau,  da  sie  alles  andere  nur  nicht  diese,  an  den  Mann  znrlickgeben  konnte.  — 
Durch  Ehebmch  wird  Morgengabe  wie  Mitgift  yerwirkt.  Uplandsl.  IH.  6.  Froetatlu 
11  f  12.  —  Hatte  die  Frau  keine  Kinder,  so  fiel  die  Morgengabe  nach  ihrem  Todeaa 
die  nachsten  Verwandten  des  Mannes  zurftck.  Nach  dem  bnrgand.  Gkaetabncb  wh* 


27S 


JmetandeTi  daran  liegen ,  die  Morgengabe  einer  gewifsen  Be- 
ichrankung  zu  unterwerfen.  Wir  sehen  diefz  in  zwei  sonst  nicht 
^erwandten  RechtsbiichetTi ,  dem  Sachsenepiegel  <L  20,  1)  und 
dem  ostgothl&ndischen  Gesetz  (gipt.  10)  dadurch  versucht,  dafz 
die  Morgengabe  nur  am  Morgan  nach  der  Hochzeit  vom  Manne 
ohne  die  Zustimmung  seiner  Verwandten  gegeben  werden  darf. 
Ward  die  Morgengabe  der  Frau  angefochten ,  so  konnte  sie  durch 
einen  personlichen  Schwur  dieselbe  retten,  der  nach  alemanni- 
schem  Rechte  so  abgelegt  wurde ,  dafz  sie  mit  der  linken  Hand  die 
rechte  Brust  und  den  reohten  Zopf  fafzte,  warend  sie  mit  der 
rechten  Hand  schwort.  (nastahit.  1.  Alem.  LVI,  2.  Schwabensp 
Landr.  20.  Weisthiimer  1,    14). 

Die  Hochzeit  endete  wie  schon  erwahnt,  gewonlieh  nicht 
mit  der  Nacht  des  ersten  Tages ,  sondem  wurde  bei  den  reiche- 
ren  durch  merere  Tage  ibrtgesetzt.  Die  Ergezlichkeiten  blieben. 
8ich  ziemlich  gleich ;  in  den  ritterlichen  Kreisen  scheint  der 
zweite  Tag  vorziiglich  dem  Turniren  gewidmet  gewesen  zu  sein. 
War  der  Brautlauf  ausnamsweise  in  dem  Hause  der  Braut  ge- 
halten,  was  bei  Verheiratungen  in  fremdes  Land  geschah,  so  lud 
der  Bmutigam  die  Verwandten  der  Braut  mit  moglichst  grofzer 
Gesellschaft  in  fester  Frist  zu  einer  Nachfeierin  sein  Haus. 
(Volsunga  s.  c.  7.) 

In  den  bliihenden  Zeiten  des  Stadtewesens  bedurften  auch 
die  Nachhochzeiten  polizeilicher  Beschrlinkung ;  so  durften  in  Lii- 
wck  die  jungen  Eheleute  am  Tage  nach  der  Trauung  nur  ihre 
liachsten  Verwandten  zu  sich  laden.  Mit  dem  Jahre  1566  trat 
pofzere  Freiheit  ein*  Der  junge  Ehemann  versammelte  seine 
Freunde  um  zehn  Uhr  Morgens  in  der  Marienkirche  ')  und  fiirte 
8ie  in  sein  Haus  zu  einem  Male ,  begleitete  sie  um  zwei  Uhr 
wieder  in  dieKirche,  verabschiedete  sie  und  versammelte  sie  ge- 
8^n  Abend  wieder  zu  einem  Efzen ,  das  von  sechs  bis  neun  Uhr 


ten  ihre  Verwandten  in  diesem  Falle  wenigstens  die  Halfte  davon.  1.  Burg.  XXIV. 
^IL  Wisig.  IV.  2,  14.  Sax.  VIII.  ')  Die  Kirchen  dienten  iin  MitteUlter  za 

ulerlei  weltlichen  Zwecken  und  namentlich  zu  Sammelplatxen. 

18 


\ 


snr4 

dauerte.    Im  Volke  haben   eich  solche  Nachhochzeiten  unter  ve«^- 
echiedenen  Benennungen  nooh  vielfach  erhalten  0» 

Die  Sitte  einer  Vorfeier  am  Vorabende  der  Hochzeit  hal>^ 
ich  in  alterer  Zeit  nicht  erwahnt  gefunden.  Die  Liibecker  Kor^ 
van  der  brutlacht  (angeblich  aus  dem  vierzehnten  Jahrhundert; 
bringt  aber  bereits  Beschrankungen  der  Vorhochzeit*).  Die  Bran 
soil  nur  seehszehn  Jungfrauen  bei  sich  haben  und  der  Tanz  soli 
bis  zum  Nachtsang,  also  nur  bis  zwei  Uhr  Nachmittags  dauem. 
Die  Feier  war  demnach  mehr  eine  Morgengesellschaft  als  ein  Abend- 
vergntigen.  Heute  ist  der  Polterabend  (Gunkelhochzeit ,  Nacht- 
hochzeit)  sehr  in  Bliite,  was  zu  bedauem  ist,  da  er  ermattet  und 
gewonlich  den  eigentlichen  Hochzeitstag  verstimmt 


*)  Schmeller  baierisches  Worterbuch  2,  19.  34*  269.  656.  »,  260.  ")  Bei 
den  slavisclien  VOlkern  findet  sich  der  Polterabend  auch.  In  Kleinmfzland  ver- 
sammcln  sicli  die  Gespielinnen  der  Braut  am  Vorabende  der  Hochzeit  bei  ihr  und 
verbringen  den  Abend  unter  Hochzeitgesangen.  Er  heifzt  Jungfranenabend :  diewiez 
wioczor  Oder  diewicznik. 


Siebenter  Abschnitt. 


Die  Ehefran  and  dte  Wltwe. 

Die  Rede  geht  dafz  in  der  Ehe  die  Liebe  und  die  Poesie 
dee  Lebens  wie  ein  Hauch  verschwinde  und  des  Dichters  Spruch, 
dafz  mit  dem  Giirtel  und  dem  Schleier  deir  schone  Traum  dei* 
Jugend  sich  lose,  findet  ein  betaubendes  Echo.  Sehr  viele  Frauen 
sehen  eine  Braut  mit  Thranen  zum  Altate  schreiten  und  viele 
Manner  bedauem  den  Brautigam,  dafz  er  ftkr  die  goldene  Lust 
der  Freiheit  eine  eherne  Kette  tausche.  Wie  vernaitteln  sich  die 
Gegensatze  vor  und  nach  der  Hochzeit?  Keizend  steht  die  Braut 
im  Perlenschmucke.  des  Zagens  und  Hoffens ,  des  Sebnens  und 
Bangens  am  Altare ;  die  jungfrauliche  Jugend  legt  sie  mit  dem 
feeten  Ja  in  das  Opferbecken  und  demlitig  harrt  sie  defsen  was 
der  Herr  ihr  beseheiden  werde.  Wie  rasch  verrauschen  nieht  die 
ersten  Tage  des  entziiokenden  Liebesgenufzes.  Die  Leidenschaft 
erkaltet  und  die  Liebe  flieht.  Auf  den  TrQmmem  seines  Lebens 
sitzt  sehon  nach  Jahresfrist  dafzelbe  Weib  ,  das  auf  starke  Saulen 
der  Hoffnung  es  grlindete  ;  verdustert ,  vereinsamt ,  oft  verwil* 
dert  8teht  der  Mann  daneben ,  und  triiben  Auges  suchen  beide  in 
dem  Schutte  nach  der  zerstoren den  Ge wait  und  nach  einemGold- 
fliinmer  aus  der  gestiirzten  und  ausgebrannten  Prachthalle.  So 
i8t  68  immer  gewesen  und  so  wird  es  immer  sein.  Eine  gliickliche 
Ehe  verlangt  Tugenden  und  einen  Einklang  der  Seelen ,  der  nur 

18  ♦ 


87(1 

selten  ertOnt.    Aeufzere  Verhaltnifse  sind  iiberdierz  notig,  welche 
nur  im  Schoofze  der  selten  lachelnden  Gotter  liegen. 

Welch  ein  Himmel  ist  doch  die  Ehe  fiir  die  g^iicUichen, 
welche  dieLiebe  zu  bewaren  wifzen.  Ich  lafze  den  trefiTichen  Bein- 
marvon  Zweter  davon  reden  ^): 

Ein  Leib,    zwei  Seelen,  ein  Mund,  ein  Mnt, 

Die  Trene  rein  und  in  der  Keuschheit  fester  Hut, 

Hier  zwei  da  zwei  und  eins  doch  nnr  in  stater  Trene  gani! 

Wo  Lieb'  mit  Liebe  so  mag  sein, 

Da  steigt  das  Silber  nicht  nocb  Gold  und  Edelstein 

Ob  seiches  Pares  Lust ,  die  zu  nns  spricht  im  Angenglani. 

Und  wenn  die  Minne  so  die  Herzen  bindet, 

Dafz  man  die  beiden  unter  einer  Decke  findet 

Und  Arm  und  Arm  sich  t'est  umschlieTzt, 

Das  mag  wol  sein  der  Frenden  Krone. 

Dem  diel'z  geschieht,  wird  hochste  Lust  znm  Lone 

Und  Gottes  Gnnst  sein  gliicklich  Herz  geniefzt. 

Unsere  alte  Sprache  deutete  die  Biirgschaft  fiir  eine  gliick- 
licheEhe  dadurch  schon  an,  dafzsie  den  Mann  desWeibesTi^ostund 
Herren  nannte.  Sie  gab  damit  zu  erkennen,  dafz  er  ihr  ein  Schiit] 
und  Schirm  sein  solle ,  ein  Schild  gegen  alles  abwendbare  Leid, 
ein  Herr  in  defsen  Hand  sie  getrost  ihr  Leben  legen  und  zu  defl 
sie  mit  kindlicher  Liebe  und  unerschuUerlicher  Achtung  aufbli 
cken  konne,  Er  ist  ihr  Freund  (wine),  ihr  Erhalter  (atgeofa),  de 
Wirt  des  Hauses  das   sie  als  Frau  und  Wirtin  verwaltet  *). 

Der  Mann  darf  nicht  der  selbstsiichtige  Tyrann  sein,  de 
keinen  Willen  neben  sich  duldet.  „Hore,  lieber  Mann,"  sprid 
ein  trefflicher  Prediger  des  dreizehnten  Jahrhundei-ts  •)  ,JEi 
ward  nicht  gemacht  aus  einem  Fufze*  Das  bedeutet  dafz  du  dein< 
Ehefrau  nicht  schmahlich  begegnen  noch  sie  unter  deine  Ffif' 
treten    oder   werfen    solst.     Das   thut   nun  mancher  freilioh  nidi 


'^  Minnesinger  herausg.  ron  y.  d.  Hagen  2,  186.  *)  Der  Ehemaxm  goiLabc 
ahd.  chart f  altn.  karl;  ags.  ceor/;  altn.  verr,  ahd.  wirtf  man,  imariy  gomman,  wit 
Die  Gattin:  quins,  qudn,  cfiiina,  kone,  konewip,  Als  Hausfrau :  altn.  Aic{/rigra  (AiS 
fria,  hus/rugha^  kuspreae)  ags.  hlotfdhige.  britt  gait  nicht  blofz  fiir  Braut,  sondo 
aiich  fUr  die  Frau.  DieEhelente:  kihitiu,  gamaehidi,  Jtnhiun.  altn.  M&m,  *)  Ori< 
haber  Fredigten  2,  20. 


2W 


alleiD  er  behandelt  seine  Wirtin  in  iillem  gering  und  spricht  sie 
niemals  freundlich  an.  Eva  ward  auch  nicht  aus  demHaupte  ge- 
macht ;  das  bedeutet  dafz  die  Frau  nicht  iiber  ihrem  Manne  sein 
soil.  Woraus  ward  sie  denn  gemacht?  Sieh,  sie  ward  aus  seiner 
Seite  gemacht;  daran  sollen  wir  merken  dafz  der  Mann  seine 
Wirtin  recht  habe  als  sich  selbst  und  als  seinen  Leib.  Es  soil 
recht  sein  ein  Leib  und  zwei  Seelen,"  Auf  das  rechte  Machtyer- 
h&Itnifs  zwischen  Mann  und  Weib  machen  die  Spruchdichter  des 
dreizehnten  und  vierzehnten  Jahrhunderts  yielfach  aufmerksam. 
Der  Mann  sei  der  Meister  ihres  Leibes  und  Gutes ,  sie  hore  auf 
seinen  Kat  und  thue  seinen  Willen ,  er  aber  halte  sie  in  Ehren. 
Wie  stQnde  es  dafz  ein  Weib  wiirde  aus  dem  Manne  und  aus 
dem  Weibe  ein  Mann  ?  Man  sprache  dann :  Herr  Weichling  ihr 
seid  ein  Mann  mit  Weibes  Sinn  ^).  Die  Frau  selbst ,  meint  Rein- 
mar  Yon  Zweter,  mufz  den  unm'annlichen  Mann  verachten  und 
ihm  zurufen :  „Pfuil  wie  thut  ihr  so,  Herr  Adam  mit  demBarte! 
ihr  folgt  eurer  Even  allzuhart;  rafil  euch  auf,  seid  Mann  und 
lafzt  mich  Weib  aein."  Hat  sie  einen  treflflichen  Mann,  sie  kann 
nicht  zQrnen,  hangt  er  das  langere  Mefzer  an*  (MSH.  2,  195)  *). 
Dem  mannlichen  Weibe  das  Schwert ,  dem  weibischen  Manne  die 
Spindell  und  ist  das  Weib  eigensinnig  und  tibel,  so  rat  Rein- 
mar  zu  eyiem  griindlichen  MitteL  „Ziehe  deine  Freundlichkeit 
aus  und  greife  nach  einem  grofzen  Knittel,  den  mifz  ihr  auf  dem 
Riicken  immer  befzer  und  befzer  mit  aller  Kraft,  dafz  sie  dich 
als  Meister  erkenne  und  ihrer  Bosblfit  yergef^e.  (MSH.  2,  196*). 
Noch  weiter  geht  ein  anderer  Spruch : 


Wer  ain  iibel  weib  hab, 
Und  cbauf  ain  guot  past, 
Und  nera  grofzer  wolf  drey, 
Wer  gesah  dan  ye  gal  gen 


der  til  sich  ir  by  seit  ab 
henck  fy  an  ainen  ast 
die  henck  er  nahent  daby. 
Mit  ergem  palgen?*) 


*)  Meisner  (MSH.  3,  90.')  *)  dax  lenger  meXf^er  anhenkerit  da%  hnger 
mex^er  tragen  (MSH.  2,  196.'  3,  216.*)  der  Herr  in  der  Rhe  sein.  Altnordisch 
Ton  einem  beherrschten  Manne:  hafa  qudnrikiy  a/quani,  *)  Liederbneh  der  Klara 
Hitelerin  S.  219.' 


2TO 

Die   derben  dramatischen  Spiele   des  15.  und  16.  Jahrkan- 
derts    verspotten   golche   arme  Manner  >    die  unter  der  Zuchtrate 
eines    bosen  Weibes    stehen,    auf  das   argste   und  das  Yolk  hat 
noch    heute  vieler  Orten  honende  Gebrauche  gegen  sie  gerichtet 
Wenn    es  im  Markt  Partenkirchen   in  Oberbaiern   bekannt  wird, 
dafz  ein  Mann  von  seinemWeibe  geschlagen  wurde,  so  mft  das 
junge  Yolk   des  Nachts  vor  dem  Hause  des  armen  wolfeile  Knt- 
teln   auSy    die  je   nach    dem  Alter  des    geschlagenen  frisch  oder 
zah  genannt  werden  0*    ^^  Kiihnhard  in  Mittelfranken  eteht  auf 
einem  Hiigel  eine  Eiche  mit  einer  grofzen  Keule,    die  kaum  von 
einem  Manne   ertragen   werden   kann.     Wird  dort  ein  Mann  Ton 
seiner  Frau   geschlagen ,    so  wird  die  Keule  nnter  Jubel  Tor  die 
Thiir  des  Mannes  gebracht  und  nicht  eher  weggenommen  als  sich 
die  Eheleute  versdnt  haben.  Dann  mufz  der  Mann  ein  Par  Mafz 
Wein  zum  Besten  geben  ^).   Ein  altes  westphalisches  Weisthum, 
das  Benker  Heidenrecht  ^^ ,    schreibt   vor,    dafz   der  Mann,    der 
aus  seinem  Hause  durch  die  Frau  gejagt  wurde,  eine  Leiter  an 
das  Haus  seize ,   ein  Loch   durchs  Dach    mache   und   sein  Hans 
zupf ale.    Dann  neme  er  ein  Pfand   einen  Goldgulden   an  Wert, 
und  vertrinke  es  mit  zwei  seiner  Nachbam  und  sie  sollen  so  rein 
austrinken,  dafz  eine  Laus  mit  ausgestreckten  Ohren  unter  dem 
Pegel  hindurchkriechen  konne.  • 

Das  eheliehe  Kegiment  ward  in  den  meisten  Fallen  von  dem 
Manne  streng  gehandhabt ;  wie  sich  diefz  auf  die  rechtliche  Stel- 
lung  der  Frau  stiitzte,  ist  bereits  nachgewiesen.  Allein  die  Ehe 
hatte  bei  den  Germanen  fur  die  Frau,  nicht  das  herabwiirdigende 
wie  bei  den  andern  alten  Yolkem  und  namentlich  den  Orienta- 
len  und  Griechen;  die  deutsche  Ehefrau  ward  als  die  Grenofzin 
des  Mannes  an  Lust  und  Leid,  an  Kccht  und  Stand  betrachteti 
und  was  ihr  das  Gesetz  verwerte ,  r'aumte  ihr  die  Liebe  oder  ihre 
Klugheit  ein  *).     Wir  kennen  eine  grofze  Beihe  germanischer  Fiir- 


')  Schmeller  baierisches  Worterb.  2,  344,  *)  Panzer  Beitrag  snr  deoU 
schen  Mjrthologie  S.  252.  *)  J.  Gnmjoi  Wcisthumer  3,  42.  *)  Theoderich 
schroibt  an  den  KOnig  Hermanfried  yon  Thiinngen,   als  er  ihm  8^e  Niolile  nir 


2?9 

etinnen,  welche  auf  Gemahl  Sohne  und  Reich  den  grosten  Ein- 
flufz  iibten.  Ich  erinnere  an  Amalafvintha ,  dee  grofzen  Theode- 
richs  grofze  Tochter,  welche  mit  Einsicht  und  Gerechtigkeit  selbst 
das  Scepter  fiir  den  Sohn  fiirte  und  mit  ihrem  Bcharfen  Auge 
weiter  sah  als  die  Manner  ihres  Volkes.  Unter  den  merovingi- 
echen  Koniginnen  ragt  mehr  als  eine  hervor,  welche  auf  den  Ge- 
mahl und  die  Verwaltung  bedeutend  wirkte  und  als  Mitregentin 
und  Yormund  Eechts-  und  Reichshandlungen  vomam*  Harald 
Schonhar  ward  durch  seine  Frau  Gyda  zu  dem  Entschlufze  be- 
etinimt ,  sich  zum  Einkonige  von  ganz  Norwegen  aiifzuwerfen  und 
die  grofze  politische  und  religiose  Umwalzung  zu  wagen,  welche 
in  das  skandinavische  Leben  tief  einschnitt  ^)*  Und  so  liefz^i 
sich  aus  alien  germanischen  Landem  der  Frauen  genug  aufwei- 
sen,  welche  in  grofzeren  oder  kleineren  Verhaltnifsen  nicht  die 
unmfindige  Kolle  spiclten  welche  der  Buchstabe  des  Gesetzes 
vorzeichnete,  sondern  sich  den  Mannern  gleichausgestattet  und 
gleichhandelnd ,  nicht  selten  sogar  iiberlegen  bewiesen, 

Wie  sich  bei  Besprechung  der  Liebesverhaltnifse  sehr  schone 
and  tiichtige  Bilder  boten,  trotz  der  Unterordnung  des  Weibes, 
60  d&rfen  wir  auch  auf  g&nstige  ZQge  in  der  germanischen  Ehe 
hoflfen.  Jene  Helgilieder,  die  ich  frGher  als  kOstliche  Zeugnifse 
germanischen  Herzenlebens  anfurte,  verklaren  mehr  die  eheliche 
als  die  brautliche  Liebe;  altnordische  Geschichten,  welche  sonst 
von  wenig  mildem  aber  von  vielem  rauhen  und  blutigen  erzalen, 
berichten  uns  von  mehr  als  einem  Manne,  der  nach  dem  Tode 
seiner  Gattin  auf  ihrem  Grabhiigel  Nacht  und  Tag  in  tiefem  Harme 
safz.  Mancher  liefz  sie  nahe  an  seinem  Ilofe  bestatten  und  ihr 
Grab  war  fortan  seine  Hebste  Statte,  wo  er  Rat  pflog,  mit  den 
Genofzen  die  Malzciten  hielt  und  Spielen  zuschaute  ^).  Konig 
Harald  Schonhar   hatte  eine  seiner  Frauen  der  Sage  nach  so  lieb, 


Gattin  fiber^ibt:  Mittimus  ad  vos  ornatum  aulica  domusy  augmenta  generis,  solcttia 
Jiddis  consilii,  dulcedinem  suavissimam  conjugalem ,  qucB  et  dominatum  jure  vobiscum 
impleat  et  nationem  vestram  meliore  institutione  componat.  (Cafsiod.  var«  IV,  l), 
Wenn  auch  die  Rede  sehr  ubermfltig  und  anmafzend  ist,  so  sind  die  Gedanken 
duch  an  sich  schon.        0  Fommannas.  10,  181.         >)  Fornaldars.  3,  251.  456. 


280 

dafs  er ,  als  sie  starb ,  den  Leichnam  nicht  von  sich  lafzen  wolte 
Man  deutete  diefz  als  Zauberwerk ;  der  Zauberer  Svaai  soke  ^in^i 
Zaubermantel  iiber  die  Leiche  gebreitet  haben  und  so  sei  die  tote 
Sniofrid    in   unverganglichem  Liebreize   erschienen.      Drei   Jahre 
sitzt  Plarald  bei  der  Toten;  da  weifz  endlich  Egil  UUeerk  ihn  zn 
bewegen    den   Mantel  zu  entfemen,    und  es  zeigt  sich  dafz  alles 
Zauber  und  die  Schonheit   nur   Tnig  und  Hiille   der  Verwesung 
war.     Harald  jagt  hierauf  alle  Zauberer  aus   dem  Lande  ')«     Die 
Sage  erzalte  von    Karl    dem    Grofzen   eine   anlicbe   treue  liiebe, 
die  ebenfalls  auf  Zauber  sich  griinden  solte.     AUein  es  gab  auch 
der  unbezauberten  Treue  und  herzlichen  Zuneigung  im  germani- 
schen  Volke  genug,    die  sich  auf  die  rechte  und  tiiehtige  AufYa- 
fzung  der  Ehe  als  einer  Genofzenschaft  zum  gemeinsamen  Leben 
erbaute.     Dafz    es   vielfach   auch   andera  war   und  dafz  die  trage 
Selbstsucht  der  Manner,  welche  denWeibem  die  Last  des  Haus- 
und  Feldwesens  iiberliefzen,  die  Ehe  herunterdriickte ,  darf  dabei 
nicht  verschwiegen  werden;  diese  Belastung  des  Weibes  batte  aber 
nicht  jenes  schrcckliche  und  trostlose,  das  scheinbar  anlicheVer- 
haltnifse  bei  den  nordamerikanischen  Indianem  haben.     Die  Ger- 
manen  hatten  friihzeitig  eine  sittliche  Bildung,  welche  diesen  Vol- 
kerschaften  fern  liegt;  ein  Yolk,  das  in  seinen  Gtittinnen  und  in 
seiner  Sprache  von  dem  Weibe   solche  Vorstellungen  ausdriickte 
wie  die  Germanen,   kann  nicht  lange  in  indianischer  Boheit  ver^ 
sunken  gewesen  sein. 

Mit  dem  Tode  des  Mannes  erlischt  die  Sonne  der  Frau ;  wer 
durch  die  Liebe  gelebt ,  soil  freudig  durch  die  Liebe  sterben.  Dem 
Manne  der  einsam  durch  die  Pforte  der  Unterwelt  geht,  fallen 
ihre  Thftren  schwer  auf  die  Fersen  ^) ;  er  bedarf  des  Gefolges  and 
darum  totet  sich  das  Weib  weun  er  stirbt.  Brynhild  hat  den  Si- 
gurd (Sigfrid)  morden  lafzen ,  aber  Liebe  trieb  sie  dazu  und  Liebe 
treibt  sie  auch  zum  eigenen  Tode ;  der  geliebte  wird  ihr  dadurch 
wiedcr  zu  eigen.  Sie  ersticht  sich  und  lafzt  sich  auf  den  Scheiter* 
hnufen  neben  Sigfrid  legen.  Eine  Zahlihrer  DienerundDienerinnen^ 


■)  Fornmannaa.  10,  207.       *)  Saetn.  edda  996.'  Vols.  a.  o.  81. 


281 

die  Gesplelin  ihrer  Jugend ,  zwei  edle  Habichte  und  ihr  vftterli- 
ches  Erbtheil  lafzt  sie  mitverbrenneD,  (Saein*  225.  f.^  In  diesem 
Mitsterben  der  Frau  tritt  uns  ein  Brauch  entgegen,  den  die 
Germanen  mit  den  Indern,  Thrakem,  Geten,  Griechen  gemein 
hatten').  £s  liegt  ihm  freilieh  nichts  anderes  denn  die  rohe  Auf- 
fafzung  der  Frau  als  eines  Stiickes  Eigenthum  des  Mannes  zu 
Grunde,  was  gleich  seinem  Pferde  und  seinen  Knechten  mit  ihm 
sterben  mufz;  der  ergrimmte  Gebieter  will,  weil  er  in  den  Tod 
geht,  dafz  nichts  was  ihm  gehort  die  Freude  des  Lebens  ge- 
niefze.  So  verlangte  die  sterbende  Austrigild,  des  Frankenkonigs 
Gnhtram  Gemahlin,  dafz  jemand  mit  ihr  sterbe,  und  der  Konig 
liefz  ihre  beiden  Aerzte  toten.  (Greg.  Tun  5,  35.)  Allein  jene 
Sitte  hatte  doch  bei  den  Germanen  mit  ihrer  steigenden  Gesittung 
einen  sittlichen  Grund  errungen ,  die  Liebe  *) ;  und  sodann  ver- 
echwaud  sie  auch  zeitig.  Nur  von  den  Herulem  und  den  skandina- 
vischen  Stammen  wird  sie  uns  noch  bezeugt;  die  andem  hatten 
sie  bereits  zu  Tacitus  Zeit ,  der  sie  nicht  verschwiegen  hatte,  ver- 
schwinden  lafzen.  In  Skandinavien  scheint  sie  iloch  ziemlich  lange 
bestanden  zu  haben;  es  wird  erzalt  dafz  Konigs  Eirik  von  Schwe- 
den  Werbung  von  der  jungen  Sigrid  Storr4da  deshalb  abgewie- 
sen  wurde,  weil  der  Konig  alt  war  und  das  Madchen  darum 
den  baldigen  Tod  furchtete;  denn  es  war  Gesetz  im  Lande, 
dal'z  die  Gattin  dem  Manne  in  den  Totenhiigel  folge  (Fornmannas. 
10,  220). 

Konnen  wir  dem  Tode  der  Gattin  mit  dem  Gatten  allenfalls 
eine  geistige  und  sittliche  Seite  abgewinnen,  so  ist  diefz  bei  einer 
andem  Erscheinung  nicht  moglich.  Der  Germane  konnte  sein  Weib 
letztwillig  yermachen,  es  verschenken  oder  als  Inventarienstiick 
saint  Haus  und  Hof  verkaufen.  Wir  sehen  leider  unser  Volk 
hierin  auf  einer  Stui'e  stehen,  welche  heute  noch  Negerstamme 
einnemen ;  das  Weib  ist  in  diesem  Brauche  nichts  als  Sache  und 


')  Grimm  Geschichte  der  dentscheu  Sprache  139.  Bechtsalterthiimer  451. 
(Thorlac.  specim.  IV.  110.  f.  121—127).  *)  Auf  diesem  Bouen  st^bt  aach  die 
iihiuche  Sitte,  dafz  Eltern  mit  dem  geliebten  Kinde  sterben. 


282 

nur  ein  wiUenloses  Ding,  iiber  das  der  Mann  nach  Belieben  ver- 
fiigt.  Man  mufz  diese  Erscheinung  entschieden  herausheben,  BEiag 
sie  auch  mit  vielem  andern  was  fiir  eine  friihe  hohe  Aaffafzimg 
des  Weibes  in  unserem  Volke  redet,  im  Widerspruche  stehen,  mag 
sie  durch  das  Bild,  das  wir  sonst  entwerfen  konnen,  mit  hafzli- 
chem  groben  Pinselstriche  hindurchfaren.  Der  Zoll ,  den  audi  die 
beste  und  edelste  Natur  dem  Bosen  und  Gemeinen  entrichten 
mufz,  jenes  Damonische  das  uns  oft  schauerlich  aus  einer  reinen 
herrlichen  Seele  angrinst,  es  tritt  auch  aus  unserm  Volke  bier  her- 
aus  und  verletzt  uns.  In  Zeiten,  wo  die  erste  rohe  Stufe  des 
Lebens  von  den  Germanen  langst  iiberwunden  war,  zeigt  sicheiDe 
Starke  Erinnerung  daran^  und  es  ist  ein  schleehter  Trost  an  die 
Griechen  zu  denken,  welche  bei  aller  hohen  Geistesbildung ,  bei 
aller  Bliite  von  Wifzenschaft  und  Kunst  das  Weib  stiets  als  Sache 
betrachteten. 

Der  Skald  Bardr  der  weifze  ist  in  der  Schlaeht  im  Hafcirs- 
fiord  totlich  verwundet  worden.  Als  er  seinen  Tod  nafae  ftklt,  bit- 
tet  er  seinen  Herm,  Konig  Harald  Schonbar,  um  die  Erlaub- 
nifs  f rei  uber  sein  Vermogen  zu  verfiigen ,  und  vermacht  hierauf 
seine  Frau  Sigrid ,  seinen  Sohn  und  seine  ganze  fibrige  Habe  sei- 
nem  Freunde  Thorolf.  Als  Thorolf  mit  dieser  Naehricht  zu  der 
Wit  we  kommt,  sagt  sie  ihm,  sie  werde  sich  fiigen  wenn  ihr  Va- 
ter  einwillige.  Diefz  geschieht  und  die  Vermahlung  wird  vollzo- 
gen  (Egilss.  c.  9).  Aus  der  Fridthiofssage  ist  bekannt,  dafz  der 
sterbende  Konig  Ring  dem  Fridthiof  mit  seinem  Reiche  seine  Frau 
Ingibiorg  vermachte ;  mit  dem  Totenmale  ist  der  Brautlauf  der  bei- 
den  vereinigt  (c.  14),  Wir  gewaren  aber  auch  einen  Widerstand 
der  Frau.  Nach  dem  Eddaliede  von  Helgi  und  Svava  bittet  Hdgi 
sterbend  sein  Weib  sich  seinem  Stiefbruder  Hedin ,  der  sie  sehr 
liebt,  zu  vermahlen.  Allein  Svava  verwart  sich  entschieden  da- 
gegen  dafz  sie  einem  ungekannten  Manne  ohne  weiteres  ihre 
Hand  biete  (Saem.  148). 

Bei  diesen  testamentarischenVerfiigungenist  dieKauheit  derSitte 
durch  die  anzunemende  Fiirsorgc  fiir  die  zuriickbleibende  Witwe  ge- 
mildcrt.  Sie  trit^  aber  bei  den  Verschenkungen  ganz  naokt  hervor. 


288 

Ein  Islander,  Thotgils  rait  Namen,  lebte  langei*e  Zeit  mit  seiner 
Frau  in  Norwegen.     AIs  er  in  seine  Heimat  zttrtiokkeren  will ,  ist 
ihm  die  Frau,    eine  Schottin,   unbequem  und  er  lafzt  sie  seinem 
Freunde  Thorstein  dem  weifzen  als  ein  Andenken  zuriick ;  es  wird 
diese  Schenkung  iiberall  gebiUigt  (Fl&mannas.  c.  17).    Ein  solches 
Vcrfaren    muste    fur    die  Frau    die   harteste    Strafe  sein   und  als 
soKhe  finden  wir  es  begreiflicH ;  so  erzalt  Saxo  von  einem  lionig 
Frodi ,  dafz  er  seine  Frau  zur  Strafe  fiir  Untreue  einem  unbedeu- 
tenden  Manne  zum  Weibe  gab.     Das   harteste   und    emporendste 
war  aber    der  Verkauf.     Ein    nordisches   Beispiel   zeigt   zugleich 
wie  tief  das  Weib  die  Beleidigung  fulte.     Der  Islander  Dlugi  der 
rote   verkauf te   seinen  Hof  mit   aller  beweglichen  Habe,   zugleich 
mit  seiner  Frau  Sigrid,    an    Holm-Starri ;    Sigrid    aber   erhangte 
sich,    weil   sie   diesen   MenschenhandeL  nicht  ertragen   konnte  ^). 
Bei  den  andern  Stammen  war  der  Verkauf   der  Ehefrauen    eben- 
falls  Brauch.     Nachdem    die  Friesen  zur  Autbringung  der  ihnen 
von   Drusus   aufgelegten  Steuer  ihre  farende  und   liegende  Habe 
bereits  veraufzert  haben,  verkaufen  sie  noch  ihre  Weiber  und  Kin- 
der *).     Nach  der  lex  Saxonum  (XVIII. ,  1.  2.)  war  es  dem  litus 
des  Konigs  erlaubt   sich  eine  Frau  zu  kaufen    wo  er  woUe,  aber 
verboten    irgend   ein   Weib   zu   verkaufen.      Dem  freien  Sachsen 
dagegen  mufz  das  Verkaufen   seines  Weibes  freigestanden  haben. 
Wie  in  England  der  Frauenverkauf  noch  heute  vorkommt,  ist  be- 
kannt.     In   Deutschland   war  es    in   Notf alien   dem   Manne   noch 
lange  gestattet ,  sein  Weib  und  Kind  zu  verkaufen  ^).     Ueber  die 
Sitte  des  Verschenkens  gibt  noch  eine  Stelle   aus  dem  longobar- 
dischen  Gesetze  (1.  Liutpr.  CXX.)  Zeugnifs.     Unter  den  Fallen, 
welche   als  schlechte  Behandlung   der  Ehefrau  angeflirt   werden, 
ist  die   Verschenkung  an  einen  unfreien   oder    freigclafzenen  be- 
griffen ;   die  Vergabung  an  einen  freien  scheint  also  nichts  gegen 
sich  gehabt   zu  haben.     Das  Recht    das  der  Brautigam   an  seine 


»)  Landn&mab.  I.  21.  (Islendinga-fOgur.  Kiobhv.  1845.  1,  64).  ^  Tacit, 
inn.  4,  72.  ")  Grimm  Rechtsalterth.  461.  Kraut  Vormuutlschaft  1,  297.  vgl. 
Gnte  Frau  1749. 


884 

Verlobte  hattci,  scheint  sich  diesem  Verfiiguiigsreohte  gen&hert  za 
haben;  eine  altnordische  Geschichte  erzalt  wenigstens  wie  ein 
Brautigam  einem  Freunde  die  Befugnifs  gibt,  im  Falle  Br  nicht 
zuriickkere,  seine  Braut  statt  seiner  zu  heiraten  ')•  Jedenfalls 
wirft  diefz  Keeht  des  Mannes  an  seine  Frau  ein  Licht  auf  die 
alteste  Bedeutung  des  Brautkaufes. 

Wo  die  Ehe  wiirdig  aufgcfafzt  wird,  kann  nur  Einweibern 
bestehen ,  denn  die  Vielweiberei  ist  die  Herabsetzung  des  Weibes 
)  zum  Mittel  fiir  diesen  oder  jenen  aufzeren  Zweek.  Zu  dem  Lobe 
welches  Tacitus  iiber  die  germanische  Keuschheit  und  die  E^e 
vor  allem  ausspricht  (Germ.  18.  19.),  gehort  vorziiglich  dafz  aich 
die  Germanen  an  einer  Frau  geniigen  liefzen,  mit  Ausname  we- 
niger,  welche  aus  politischen  Rucksichten  in  Vielweiberei  lebten  *). 
Als  solche  durch  aufzere  Rucksichten  gebotene  Mehrweiberei  er- 
scheint  Ariovists  Doppelehe;  die  zweite  Frau  hatte  er  erst  in 
Gallien  geheiratet  ^).  Wie  jedoch  mereres  das  Tacitus  Ton  den  Gter- 
manen  aussagt,  beschrankt  und  besonders  auf  einzelne  Stamme  ver^ 
wiesen  werden  mufz,  so  auch  seine  Nachricht  hieriiber  *).  Die  germani- 
schen  Volkerschaften  stunden  auf  verschiedenen  Stufen  der  BOdong, 
die  wir  uns  vom  Osten  und  Norden  aufsteigend  denken  mdfzen. 
Die  Nordgermanen  bewarten  langer  die  alteren  Zustande ;  die 
nach  Suden  und  Westen  vorgedningenen  St'amme  schritten  m- 
gloich  in  der  allgemein  menschlichen  Kultur  vor  und  naherten 
sich  dem  Ziele  der  Humanitat.  Sie  machten  also  frfih  den  Fort- 
schritt  zur  Einweiberei,  warend  die  Nordgermanen  bei  der  Viel- 
weiberei noch  lange  verharrten.  Adam  von  Bremen  eranlt  yon 
den  Schweden  dafz  sie  in  allem  Mafz  hielten,  nur  nicht  in  der 
Zahl  der  Weiber.  Ein  jeder  neme  nach  Verhaltnifs  seines  V«?- 
mogens  zwei  oder  drei  oder  noch  mehr,  die  reichen  und  die 
Fiirsten  ohne  Beschrankung  der  Zahl,    und  es  seien  diefz  rechte 


')  Engelstoft  quindekjonnetfi  kaar  233.  (Thorlacias  matrim.  §.  25).  *)  Ex- 
eeptis  admodum  paucU  qui  non  Uhidini  fed  ob  nobilitcUem  plurimU  miptiU  ambiwi^ 
tur,  cap.  18.  ")  Caesar,  bell.  gall.  1.  53.  <)  Vgl.  Grimin  Oesehichte  dtr 
deiitBchen  Sprache  188.  f. 


m 

Ehen ,    denn    die  Kinder  daraus   seien   vollberechtigt  ^).     Adams 

Angaben  werden  duroh  die  skaDdinavischen  Geschichtsbficher  be- 

statigty    denn  fast   samtliche  Fiirsten  erscheinen  dort  viclbeweibt. 

Wie   una   bei  dem  unbeschrankten  Verfiigungsrechte  der  Manner 

tiber  die  Frauen  bei   diesen  der  Widerstand  gegen  dafzelbe  und 

damit    sein    naher   Sturz   entgegentrat ,    so    zeigt    sich    auch   die 

merfache  £he   yon   den  Frauen   angegriffen    und   dadurch    zuerst 

unterwiilt.     Sie   waren  begreiflicherweise  mit  dieser  Theilung  des 

Mannes    nicht   zufrieden    und   wirkten   mit   aller  Macht   auf  den 

Alleinbesitz.  Die  beiden  Frauen  des  KOnigs  Alrek  yon  Hordaland 

lagen  im  fortwarenden  Streite  mit  einander,   so   dafz  Alrek  end- 

lich  beschlofz  nur  eine  einzige  zu  behalten.  Er  erklarte  also  dafz 

die  bei   ihm   bleiben    soUe  welche  das   beste  Bier  brauen  werde, 

und   mit  Odhins  Hilfe   siegt  die  neugeheiratete  junge  Geirhild  *). 

Andere    Frauen    erklarten    sich   yon    yorn    herein    nicht   gewillt 

mit  anderen  die  Ehe  zu  theilen.    So  entgegnet  die  Konigstochter 

Ragnhild    dem    Harald    Schonhar   auf   sein    Werben^    dafz    kein 

Konig    so    machtig  sei  dafz  sie  sich  mit  dem  dreifzigsten  Theile 

seiner  Liebe   begniigen  woUe.    Harald   schickt  hierauf  seine  zehn 

Frauen  und  zwanzig  Kebsen  fort  und  flirt  Ragnhild  als  einziges 

Weib  heim^).     Die  Konigswitwe  Sigrid  yon  Schweden  weist  den 

norwegischen  Konig  Harald  Groenski  mit  seiner  Werbung  ab,  weil  er 

Bchon  yerheiratet  war.  Als  er  mit  den  Antragen  fortfart,  lafzt  sie  ihn 

bei  Nacht  in  seinem  Schlafgemach  yerbrennen  und  seine Witwe  ^Asta 

ist  damit  zufrieden ,  sehr  erziimt ,  dafz  der  Gemahl  solche  mehr- 

weiberische  GelCiste  hatte  %  Wo  die  Frauen  so  entschieden  gegen 

die  Polygamic  kampften,    wird  dieselbe  nicht   mehr   lange  Stand 

gehalten  haben   und  dem  Andringen   des  Kristentbumes  bald  ge- 

wichen  sein  %  Aufzer  in  Skandinayien  lafzt  sich  die  Vielweiberei 

noch  in  ziemlich  junger  Zeit  bei  jj^m  Geschlechte  der  Meroyinger 


')  Adam.  gest.  Hammab.  eccles.  pontific.  IV.  21.  (Pertz  9,  377).  Vgl, 
Dndon.  de  morib.  et  actib«  Norman.  I.  init.  *)  Fornaldars.  2,  25.  *)  Fom. 
o^nnas.  10.  194.  *)  Fornmannas.  4,  25.  ff.  *)  VgK  iibrigens  Gnlath.  b.  c  25. 
^•rkeyjar  r.  c.  8. 


286 

80  wie  bei  den  Franken  iiberhaupt  nachweisen.  Der  Merovinger 
Chlothar  1.  wird  von  seiner  Gemahlin  Ingund  gebeten  ihrer 
Schwester  Aregund  einen  wiirdigen  Gemahl  zu  geben.  Er  weifz 
keinen  befzeren  als  sich  selbst  aufzufinden  und  Aregimd  iet  da- 
mit  wol  zufrieden  ^).  Charibertl.  hatte  viele  Frauen;  der  bei  der 
Kirche  hoch  angesehene  Dagobert  I.  drei  Frauen  und  unzSlige 
Kebsen ;  Pippin  II.  zwei  Frauen ,  Plectrud  und  Alpais.  An  die* 
aer  Zweiweiberei  Pippins  namen  spatere  kirchliche  Schriftsteller 
Anstofz  und  suchten  allerlei  hervor  um  diefz  Aergemifs  zu  ent- 
fernen ;  allein  es  ist  sicher  dafz  Plectrud  und  Alpais  rechtma- 
fzige  Ehefrauen  waren  und  dafz  sich  damals  die  Geistlichkeit 
noch  nicht  daran  zu  stofzen  wagte^).  Aus  spaterer  Zeit  als  aus 
dem  achten  Jahrhundert  ist  nur  derLandgraf  Philipp  von  Hefzen 
ein  Beispiel  fur  die  Fortdauer  der  ehelichen  Mehrweiberei  ®).  Die 
steigende  Bildung  muste  das  Yolk  zu  der  einzig  w&rdigen  Art 
der  Ehe  fiiren  oder  es  darin  befestigen. 

Wir  haben  bei  diesen  polygamischen  Verhaltnifsen  bisher 
nur  wirkliche  Ehen  im  Auge  gehabt,  also  Yerbindungen  welohe 
durch  den  Brautkauf  und  mit  offentlicher  Yermahlung  eingegan- 
gen  w^urden.  Wir  wenden  uns  nun  zu  dem  Konkubinat ,  der  ne- 
ben  der  mehrfachen  Ehe  bei  denOermanen  bestund.  Die  Kebse*) 
war  nicht  gekauft  und  vermahlt  (mundi  keypt  ok  m&ldaga.  £f(ils 
s.  c.  9.  desponsata  et  dotata)^  sondern  die  gegenseitige^  oft  anch 
nur  die  einseitige  Neigung  schlofz  ohne  Formlichkeit  die  V^- 
bindung,  welche  der  Frau  nicht  Eang  und,  Eecht  der  Eheiraaf 
den  Kindern  nicht  die  Anspriiche  ehelicherNachkommen  gewarte. 
Die  Konkubinen  scheinen  urspriinglich  und  gewonlich  unfreie 
Weiber  *)  gewesen  zu  sein ,  denn  eine  freie  wird  sich  scbwer  sa 


*)  Gregor.  Turon.  4,  3.  *)  Vgl.  Rettberg  Kirchengeschichte  Deutsdi- 
lands  1,  539.  ')  Fhilipps  Doppelehe  fand  einen  Lobhudler  in  dem  Huldrich 
Neobulns ,  der  ein  Lobgedicht  anf  die  Bigamic  allerunterthanigst  zn  yerfafzen  be- 
miiht  war.  *)  Ahd.  chepifa,  friudila,  friudilinna,  ella,  gella.  ags.  ctafrft^  eifyfty 
altn./rilla,  elja.  altschw.  floekifrilla.  altd&n.  flekefriih.  altnorw.  birgitkona^  fridkku 
^)  Im  altnordiscben  hat  sich  das  Maskol.  kepsi  mit  der  Bedeutung /ertwc  erfatlMn; 
das  Wort  fheki,  das  mit  frilla  zusammengesetzt  wird ,  bedentet  aneilla  pigra,  — 


28? 

einer  solchen   mit  Nachtheilen  mehrfacher  Art  verbundenen  Ver- 

bindung'  verstanden  haben,    da  zumal    die  Vielweiberei  bestund. 

Der  Konkubinat  war  niedriger  und  loser  als  die  Ehe ,  stund  aber 

durch    eine    mehr    oder  minder    anhaltende  Pestigkeit  iiber  dem 

voriibergehenden  Zusammenlaufen  von  Mann  und  Weib  ^).  War- 

scheinlich   durch   den  Einflufz  der  Kirche  erhielt   er   aogar  nach 

einigen   nordischen  Gesetzen   durch  Verjahrung  rechtliche  Besta- 

tigung.  Das  Gulathingsbuch  (c.  125)  bestimmt,  dafz  nach  zwan- 

zigjahriger    offentlicher  Dauer   des  Konkubinats   die  Kinder  erb- 

fahig  seien;  das  jiitische  Recht  (1,  27)  setzt  fest,    wenn   jemand 

drei  Jahre   eine    Beischlaferin   bei    sich   im  Hause  habe,  mit  ihr 

Tisch  und  Bett  offen  theile  und  sie  das  Hauswesen  (laas  ok  lyckae) 

verwalte ,  so  werde  sie  rechte  Ehe-  und  Hausfrau  ^).  Fiir  beiliegen 

eines  andem  bei  der  Kebse  hatte  ihr  Besitzer  Bufze  zu  verlangen. 

(Biarkejrj.  r.  c.  129). 

Der  Konkubinat  ward  das  ganze  Mittelalter  von  den  reicheren 
gepflegt ,  ohne  dafz  die  offentliche  Meinung  ein  Aergernifs  daran 
nam.  Von  den  Fiirsten  kennen  wir  das  Privatleben  noch  am  be- 
aten; da  sehen  wir,  des  Ostgothen  Theoderich  *),  des  Westgothen 
Alarich,  des  Vandalen  Godegisil  zu  geschweigen,  namentlich  die 
Merovinger  sich  auszeichnen  und  die  Karolinger  ihnen  nicht  nach- 
stehen.  Karl  der  Grofze,  der  fur  dieses  und  anliches  im  Fege- 
feuer  von  der  Geistlichkeit  absonderlich  gestraft  ward*),  Ludwig 
der  fromme  und  alle  die  Herren  lebten  mit  Beischlaferinnen.  Die 
Kirche  begnugte  sich  meist  daran  gegen  denjenigen  Konkubifiat 
einzuschreiten,  der  neben  einer  rechtmafzigen  Ehe  bestund ;  auf  der 
Mainzer   Synode   von   851    wird   ausdriicklich   bestimmt,  jemand 


Die  Frauenhauser  {gynaececk)  in  denen  die  Herren  unfreie  Madchen  zn  den  h&ns- 
Hchen  Arbeiten  hielten,  lieferten  besonders  viel  Kebsen.  Du  Cange  s.  v.  gynaeceum. 
Gnipen  de  uxore  theot.  31.  flF.  ')  naXXa%ri  8\  ^axiv  rj  vofi^fitog  xivi  aoifiacc 
Itaqlq  ydfiov  '  17  8h  rjttov  tLfiKOtsga  (pvlrj  XsySTCCL*  Die  concubina  legitima  ist 
▼on  der  quae  quacstnm  facit  verschieden.  Du  Cange  v.  concubina.  *)  asthelkuna 

ofc  riBithe  husfrce.  *)  Theoderichs  Nachfolger  Athalarich  erliefz  eine  Verordnung 
gegen   Bigamic     und    Konkubinat,    Cassiod.    var.   IX.    18.  *)    Visio    Wettini 

1>.  659. 


288 

der  sich  an  einer  Frau,  sei  es  auch  eine  Kebse,  genftgen  lafce, 
sei  ungestraft;  gegen  Konkubinnt  neben  der  £he  werden  Aet 
Kirchenstrafen  Terhangt  ').  Die  Sitre  war  zu  tief  gewarzelt  ab 
dafz  sie  mit  einem  Sehlage  ausgerottet  werden  konnte  nnd  die 
Geistlichkeit  selbst  war  fast  allgemein  durch  den  Konkubinat  be- 
fleckt  ^).  Man  blieb  noch  lange  gegen  diese  wilden  Ehen  nach- 
eichtig;  nur  in  den  Hof-  und  Lagerordnongen ,  welche  dne 
strange  Zu.ht  yerlangen  musten,  wird  gegen  sie  entschieden 
eingeschritten  '). 

Die  Kinder  der  Kebsen  (f rillusynir)  genofzen  nicbt  der  Bechte 
ehelicher,  batten  also  vor  allem  keine  Anspriiche  auf  vaterlichee 
Erbe,  sondern  konnten  nur  von  der  Mutter  erben.  Ebenso  yer- 
hielt  es  sich  mit  der  Theilname  an  Wergeld  und  Bufzen.  Hatte 
jedoch  der  Yater,  so  bestimmten  merere  germauische  Kechte,  inf 
dem  Dinge  die  Kinder  als  die  seinen  anerkannt,  so  trat  ein  en- 
geres  Rechtsverhaltnifs  zwischen  ihm  und  ihnen  ein ;  er  hatte  An- 
spruch  auf  die  Bufzen ,  welche  fur  sie  zu  zalen  waren  *)  und  flie 
zogen  einen  Theil  seiner  Hinterlarzenschaft,  den  er  naheraufdem 
Ding  zu  bestimmen  hatte  %  oder  der  fiir  den  Fall  der  offentlichen 
Anerkennung  schon  gesetzlich  bestinunt  war  •).  Durch  eine  spS- 
tere  rechtmafzige  Heirat  der  Mutter  wurden  die  Kinder  nach  der  ' 
Ansicht  des  Yolkes  nicht  legitimirt ,  so  sehr  auch  die  EJrcfae  und 
unter  ihrem  Einflufze  eine  Menge  Gesetze  schon  friih  genug  di- 
fiir  stritten  '^).  Diese  Ehelichmachung  unehelich  geborener  hat  !»• 
in  die  neueste  Zeit  lebhafte  Anfechtung  gefunden  *)• 

Uneheliche  Sohne  der  Fiirsten  waren  nach  dem   allgemeinen 


')  Pertz  leg.  1,  415.  vgl.  Eugenii  11.  cone.  Boman.  826.  c  87.  and  oooflL 
Tolet.  c.  17.  (Pertz  legg.  II.  12.  Hartzheim  2,  209.)  —  Vgl.  Cnut.  ddm.  L  51- 
Gulathingsb.  c  25.  ^)  Schon  Bonifaz  schildert  im  J.  741  dem  Pabste  Zachariii 
die  frankische  Geistlichkeit  als  sehr  unsittlich.  Die  meisten  Diakonen  hmtten  ^ 
Oder  noch  mehr  Konkubinen.  Harzheim  1,  43.  '')  Friderid  I.  oonT.  Briz*  ^' 

(1158.  Pertz.  leg.  II.  108).  Hirdfkr&  c.  27.  *)  Ines  ftsetn.  87.  L  Scan.  ZUL  A. 
Sjell.  1.  Ill,  38.  Jyd.  1.  I.  22.  II.  20.  »)  Ostgotal.  arfdhab  4.  SjelL  1.  L  18.  *)  Ki 
Roth.  154.  157.  Sun.  1.  Scan.  III.  7.  ')  Schwabensp.  landr.  877.  Jyd.  L  If  ^ 
Sjell.  1.  1.  50.  Frostath.  3,  11.  fplandsl.  3,  18.  OstgwtaL  gipt.  5.  VeatgStaL  tt'^ 
dab.  8.         ')  Wilda  Zfit^chrift  fftr  dentsches  Recht  4,  287.  ff. 


28» 

Grundsatze  von  der  ThronFolge  ausgeschlofzeii ;  nur'  besondere 
Umstande  oder  grofze  personliche  Vorziige  reichten.  ihnen  den  Herr- 
scherstab.  Als  Alarich  gefallen  ist,  waleD  die  Westgotben  seinen 
Eebsensohn  GIserich  zum  Konig,  da  der  rechtmafzige  Erbe  Ama- 
larich  noch  zu  jung  ist  %  •  Dem  Vandalenkonig  Godegisil  folgt 
sein  ehelicher  Sohn  Gonthari,  mit  ihm  aber  herrscht  der  unehe- 
liche  Gizerichy  denn  jener  ist  noch  einKnabe  und  dazu  von  sohlaf- 
fer  Art,  dieser  aber  ist  ein  tapferer  gefurchteter  Krieger  ^).  Nach 
demErloschen  des  geraden  kerlingischenMannsstammes  inDeutsch- 
land  folgt  Karlmanns  natiirlicher  Sohn,  Amulf  Herzog von Kam- 
then ,  der  seinem  eigenen  unehelichen  Sprofzen  Zwentibold  die 
lothringische  Konigskrone  gibt.  Uneheliche  Fiirstensohn^  erhiel- 
ten  nicht  selten  hohe  geistliche  Stellen.  Kaiser  Otto  I.  erhob  954 
seinen  natiirlichen  Sohn  Wilhelm,  den  ihm  eine  Slavin  aus  vor- 
nemem  Geschlecht  geboren  hatte,  zum  Erzbischof  von  Mainz. 
Fiirstentochter  von  Beischraferinnen  wurden  von  den  Vatern  ge- 
wOnlich  recht  gut  verheiratet ; 'so  vermahlte  Theoderich  der  grofze 
seine  zwei  Tochter  Theudigodo  und  Ostrogotho,  die  er  in  Mosien 
mit  einer  Kebse  erzeugt  hatte ,  die  eine  dem  Westgothenkonig 
Alarich,  die  andere  dem  Burgunderkonig  Sigismund*  (lomand^ 
c.  58.) 

Das  Bild  von  germanischer  Enthaltsamkeit,  das  Tacitus  in 
seiner  Germania  entwarf,  ist  durch  unsere  vorangehenden  Mitthei- 
lungen  iiber  Polygamic  und  Konkubinat  etwas  blafser  geworden. 
Wir  darfen  indefsen  nicht  vergefzen,  dafz  auch  die  Kebsenwirth- 
schaft  noch  einen  festen  Boden  hatte  und  dafz  sich  eine  Freundin 
(friudila.  amie)  von  einer  offentlichen  Dime  bedeutend  unterschied* 
Von  dem  luderlichen  Leben  Roms,  von  der  Preisgebung  aller 
Scham  und  Ehrbarkeit  von  Mannern  und  Weibern  sah  Tacitus 
in  Deutschland  keine  Spur,  und  mit  Stolz  mogen  wir  noch  im 
4.  und  5.  Jahrhundert  Romer  reden  horen ,  dafz  die  Germanen 
keine  Huren  unter  sich  duldeten  und  die  Unkeuschheit  den  Ro- 
mem  uberliefzen.    Salvian  riihmt  von  den  Westgothen,   dafz   sie 


')  Procop.  bell.  goth.  I,  12.         *)  Procopv  bell,  vandal.  1,  3. 

19 


soo 


das  unziichtige  Leben  ein  Vorrecht  der   Komer  sein  liefzen 
dafz    sie   keusch    unter    unkeuschne    lebten.      Von  den    Var 
len  ^rzalt  er,    dafz    sie  mitten    in   der  Ueppigkeit   der  erobe: 
Stadte  und  Lander  alle  Unzucht    verabgcheuten ,    die  offentlic 
Dimen  aufhuben  und  verheirateten  und  auf  jede  offentliche  Uiji 
lichkeit  den  Tod  setzten  ^),    Leider  hat  dieeer  mannliche  Wv 
stand  der  germanischen  Eroberer  gegen  die  Verderbtbeit    der 
6berten  romiechen  und  keltischen  Lander  nicht  fortgedauert. 
grenzenlose  Unzucht,  welche  hier  herrschte,  und  von  der  die  Bei' 
formeln  spaterer  Jahrhunderte   noch   eineu   ekeln  NachgeBchn! 
geben,    verfelte  in  der  Lange'^des  Zusammenlebena  die  Wirk 
nicht ,  so  dafz  die  Salfranken,  die  Merovinger  an  derSpitce,  I 
ebenso  angesteckt  vom  Laster  waren  als  ihre  Unterworfenen. 
germanischen  Stamme  aber,  welche  auf  reinem  Boden  safzen,  ha 
die   altgeriihmte  Zuchtigkeit  noch   lange    bewart   und   nament 
zeichneten   sich  die  Sachsen ,   Friesen   und  Mordlander  aus. 
iStrenge  der  nordischen  Gesetze  bei  sehr  unschuldigen  Beriirunj 
wie  bei   dem  Kufse  *),    beweist   dafz   die   Sittenreiuheit  hier 

■ 

flucht  und  Schutz  gefunden  hatte.  £s  verbirgt  sich  hinter 
.Strenge  ebenso  wenig  Zlichtigthuerei  als  angstlicher  Kampf  gc 
iiberhandnemendes  Verderben. 

Die  ofTentlichen  Weiber^),  die  sich  etwa  in  alterer  Zeit 
ter  den  Germanen  fanden,  waren  keiue  germanischen  Frauen  < 
wenigstens  keine  freie.  Das  gothische  dem  finnis6hen  entlel 
W^ort    kalkjd   (Hure)    beweist    dafz    /Gothinuen   ihre    £hre   n 

')  Salvian.    de    gubematione   dd  (ed.  Bitershns.    p.  18^.  ff.  148.  ff.)  4 
die   lex    Wisigoth.  (III.  4,  17)    bestraft  die   feilen    Dirnen    eehr   strong.  — 
Procop  (b.  gotb.  II.  14)   von  den   Herulern  sagt,    scbeint  Yerliiamdaiig ;    e 
gegen  sie  eiugenommcn.       *)  Gragas  festath.  24,       *)  gemeine  /nmwen^  fr6w 
Brud.  Bertb.   143.  Haupts  Z.  f.  d.  A.  6,  425.  ^Aemene  u^jj/'Beatr.  457.  trttc  wip 
Freid.  48,  9  veile/rouwen  aiiigb.  101.  iibeUu  wip  MSB.  2,  160.  boe/iu  wip  MSH.  ft, 
262.  fwachiu  wip  Freid.  103,  7.  MSB.  2,  262.  lihtiu  wip  J^rauenb.  649,  22.  wildU 
MSli.  3,  29.  unwip  Froid.  101,  15.  18.  —  Idnelin,  Z.  Freid.  103,  ll.ytlU  Qvff.  1, 
la:i!^a  Grfif.  2,  299.  kndberin  Lds.  2,  661.  gilwerin  Bertbold   19.    horhtta.  — 
scbeint  wenn  man  aus  dem  Sanskr.  ydra  einen   Seblufz    ipacben   darf.    eigei 
^deu  V'erfiirer  sa  bezeicbneu. 


^1 


preisgaben;  fiir  die  hochdeutschen  und  skandinavischen  Stamrae 
ist  das  Wort  leDne,  lania,  'em  Zeugnifs  dafz  sie  bei  den  Kelten 
die  ereten  feilen  Weiber  (irifch:  leanan)  kennen  lemten;  das  Wort 
la;a  2eugt  sodann  dafiir,  dafz  sich  anrai)glich  nur  in  dem  Stande 
der  Lafzen  oder  Liten  solche  Unehre  einnistete.  Die  Frauenhanser 
in  den  romischen  Stadten  Siiddeutschlands  waren  in  gutem  Gredei- 
hen')  und  iibten  anf  die  germanischen  Stamme  nach  und  nach  eine 
acUimnie  Ansteckung.  Noch  Seb.  Frank  und  Fischart  eagen  dem 
Lande  Schwaben  grofzen  Reichthum  an  leichten  W^ibem  nach  *). 
Auf  den  romischen  Ureprungder  feilen  Dirnen  deutet  noch  ihr  ge- 
wonlicher  Putz  im  Mittelalter^  Die  romischen  galanten  Damen 
und  besonders  die  offentlichen  Weiber  trugen  falsches  blondes 
Har  oder  einen  gelben  Kofputz  *)  und  diese  Tracht  hielt  sich  in 
Italien  und  Deutschland  als  Abzeichen  der  leichten  Weiber;  gel- 
bee  Gebende  oder  cin  gelbes  Fanlein  auf  den  Schuhen  schrieb 
ilrnen  die  Mode  und  zuweilen  auch  das  Gesetz  vor  *).  Leider  wa- 
ren der  Anregungen  zu  dem  luderlichen  Leben  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  immer  mehr  gewo^den ;  die  Pilgerinnen  die  nach 
Bom  giengen,  lieferten  den  Stadten  Austrasiens,  Neusfers  und 
der  Lombardei  viel  feile  Weiber  (Bonifac*  ep»  73)  und  das  Icichte 
Heer  vermerte  sich,  besonders  seitdem  dfer  Orden  der  Beguinen 
oder  Trumpelnunnen  in  grofzer  Zahl  durch  das  Land  sehweifte, 
welche  mit    ihrer  ketzerischen  Lehre  der  Unzucht  frei  dienten  *). 


')  Ueber  die  Legende  von  der  heiligen  Afra  s.  Bettberg  Kirchengescbichte 
1,  144.  ff.  2j  Weltb.  53,  Gargantua.  Ausg.  von  1590.  S.  43.  ^)  nigrum  falvo  crinem 
abfcondente  galero.  JavenaL  6,  120.  vgl.  Serv.  ad  Aen.  4,  698.  Grupen  de  uxore 
Aeot  210.  f)  Berthold  19.  121.  Altd.  Blatt.  1,  235.  Haupt  Z.  f.  d.  A.  6,  425. 
Emmingbaasen  I.  217.  ~  Ein  HoBennestel  oder  ein  Gansefufz  war  Abzeichen  der 
Haren  zu  Toulouse.  Regis  Bubelais  2,  441.  Auch  die  griine  Farbe  scbeint  den 
feilen  Dirnen  zuerkannt  gewesen  zu  sein.  Matth.  Paris,  a.  1192.  vestem  sacerdotis 
w  meretricis  kabitum  convertit  tunica  viridi  feminea  indutus ,  capam  habens  ejusdem 
cohris,  6)  Unter  den  acht  Irrthiimern,  welche  Klemens  V.  zu  Vienne  1311  als 
Lebren  der  deutscben  Begharden  und  Beguinen  verdammt,  ist  der  siebente  fol- 
gender :  mulieris  osculum  cum  ad  hoe  natura  non  inclinet ,  est  mortale  peccatum : 
actus  autem  carnalia,  cum  ad  hoc  natura  inclinet^  peccatum  non  est,  maxime  cum  ten" 
tatw  exercens.  Harzheim  4,  235.  Uebrigens  muste  schon  Bonifaz  auf  die  Hut 
der  Nonnen  aufmerksam  machen.  Harzheim  1,  74. 

19* 


Wie  der  Minnedienst  auf  die  Sittlichkeit  Einflufz  tinrzerte,  ist  be- 
reits  angedeutet  worden ;  die  Riigelieder  der  Lyriker  des  13.  Jalur- 
hunderts   so  wie    das   Frauenbuch  Ulrichs   von  Lichtenstdn  entr 
rollen  udb  ein    trauriges   Bild.     Die   BeriiruDg  mit  den  Nachbu^ 
volkern   und  die  Kenntnife  des  byzantinischen  und  morgenlandi* 
Bchen  Lebens  hatte   manches   scheusliche  Laster  in  Deutschland 
keunen  gelehrt.  Der  steigende  Handelsverkehr  der  St&dte  and  der 
Reichthum,  der  hieraus  entsprang,  erweckte  im  15.  .und  10.  JalI^ 
hundert  in  Siiddeutschland  ein  Leben  yoll  Lust  und  Genufzsacht, 
das   in   die    triibe   und   niedergedriickte  Oegenwart   mit   fremdem 
Antlitz  hineinschaut.    So  beneidenswert  es  auch  um  seine  Friflche 
und  FrOlichkeit  sein  mag,  um  seine  sittliche  Farbung  war  es  ge- 
rade  nicht    zu   beneiden.     Yon  diesem  l&derlichen    Leben  hidtei 
sich   die   norddeutschen  Gegenden,    zu  ihrer  Ehre  sei  es  gesagt 
noch    lange    frei ,    und  die   tiichtige   mannliche   Art ,    welche  dii 
Volk  jenseits  der  Elbe  noch  heute  mit  unsterblichem  Buhme  kront 
sprach    sich   auch   hierin    aus.     Das  dietmarsische  Madchen^  d« 
eines  aufzerehelichen  Umganges  iiberfiirt  war,    wurde  von  seiner 
Verwandten  getotet.    Ein   gef alien  es    Madchen   wagte  niemaod  it 
heiraten,    denn   der  Spruch  gait:    de  eine  hSre  nimbt  vorfatidiUA 
vorreth   6k  wol  fin  vaderlant     So  hatte  sich  was  Bonifaz  an  da 
Sachsen  zu  riihmen  hatte ,  durch  viele  Jahrhunderte  fort  erhalten 
Und  wenn   auch  Neokorus  klagt,    dafz  sich   die  alte  Streiige  ft 
mildem  beginne  und  nun  auch  grafswedewen  und  selbst  aide  teeid<ift 
afgelevede  fruwen  um  Geldes,  Gutes  und  des  Nestes  willen  gefrdet 
wiirden  *),  das  gute  germanischc  Blut,    das  dort   rein   und  stob 
roUte ,    konnte  nicmals  so  unrein  werden,    wie  e«  im  Siiden  nnc 
Westen  durch  die  Hingabe  an  das  Fremde  geworden  war. 

Die  vorangehenden  Blatter  konnen  die  Frage ,  die*  sich  jcU' 
erhebt,  wie  es  um  die  eheliche  Treue  stund,  selbst  beantworten 
Fiir  einen  Mann ,  der  eine  mehr  oder  minder  grofze  Zahl  refk^' 
mafziger  Ehefrauen  und  eine  beliebige  Menge  Kebsweiber  hat,  ^ 


')  Vgl.  Neocorus  heraasg.  von  Dahlmann  1,  96 — 99.  Vjrl,  im    $}]gea»i^ 
Wihla  Strafrecht  809—820. 


293 


die  Treue ,  dieses  unverbHichliche  Festhalten  an  einer  auserkorenen 
nicht  vorhanden.  Mannertreue  bedingt  Einweiberei  und  wo  diese 
war ,  mag  in  den  Stammen  ,  welche  ihre  Volksthiimlichkeit  hiiteten, 
auch  jene  gehiitet  worden  sein.  Allgeineine  Forderung  auch  des 
Mannee,  der  in  Vielweiberei  lebte,  war  aber  die  Treue  des  Wei- 
bes;  denn  far  dieses  war  er  der  einzige  rechtmafzige  Empfanger 
der  Liebesaufzerungen,  keiner  dnrfte  fiber  es  verfiigen,  als  en 
Verletzte  die  Fran  die  eheliche  Treue,  so  folgte  die  schwerste 
Strafe  augenblicklich  und  nicht s  konnte  vor  ihr  retten.  Sie  die  im 
Beisein  des  Geschlechtes  vermahlt  war,  wurde.vor  den  Augen  des 
Geschlechtes  schimpflich  aus  dem  Hause  gestofzen,  des  Schmu- 
ckes  der  freien ,  des  langen  Hares  beraubt,  nackt,  unter  Schla- 
gen  von  dein  Manne  durch  das  Dorf  gejagt  *).  Wir  miifzen  hinzu- 
setzen ,  dafz  sie  all  ihr  Vermogen  an  den  Mann  verlor  und  dafz 
diese  offentliche  Verstofzung  nur  eine  Milderung  war.  Altes  Recht 
des  Germanen  war  sein  ehebrecherisches  Weib  samt  dem  Ehe- 
brecher  auf  frischer  That  zu  erschlagen;  sie  lagen  ungebiifzt,  denn 
solcheThat  der  Rache  gait  fiir  keinen  Mord  *).  Wolte  er  der  Frau 
das  Leben  schenken ,  so  stund  das  in  seiner  Macht  (poena  praesens 
et  maritis  permifsa  Germ.  c.  19j ;  sie  muste  aber  in  wenigen  und 
schleehten  Kleidern  von  dem  Hofe  gehen  (VestgOtal.  I.  gipt.  5,1. 
Sjell.  1.  n.  1)  und  ihre  farende  Habe,  namentlich  die  Morgengabe, 
derBrautkauf  und  die  Drittelvermerung  waren  verloren.  Von  ihrem 
Hegenden  Eigen  zog  der  Mann,  so  lange  sie  lebte,  Niefzbrauch; 
nach  ihrem  Tode  fiel  es  an  ihre  Erben  *).  Die  That  der  Rache 
durfte  nicht  heimlich  uiid  ohneAnzeige  bleiben.  Sobald  der  Mann 


')  Tacit,  germ.  c.  19.  *)  Ed.  Roth.  218.  Cafsiod.  var.  1,  37.  1.  Wisigoth. 
in.  4,  4.  Grag.  vigsl.  31.  Frostath.  4,  39.  Gulath.  c.  160.  H&konarb.  23.  Biark. 
r.  18.  VestgOtal.  I.  mandr.  11.  1.  Scan.  XIII,  1.  Sjell.  1.  II.  1.  Jyd.  1.  IIL  37. 
Rib.  Btadtr.  17.  Thord.  Degn.  art.  B.  18.—  Vgl.  Wilda  Strafrecht  821.  ff.  — 
In  einigen  Rechtsbiichern  (1.  Wisig.  III.  4,  6.  Gr&g.  vlgsl.  c.  31.  l<>08tath- 4,  39. 
H&k.  23.  Gnlath.  c.  160.  Biarkeyj.  18.  Wilh.  ges.  1.  37.)  gilt  diefz  Recht  des 
Totschlagens  auch  fur  den  Beischlftfer  der  Mutter,  Tochter,  Schwegter,  Nichte, 
Stieftochter,  Schwiegertochter.  *)  Uplandsl.  III.  6.  Hans  priyiU  46.  —  Frostath. 
U,  14.  —  Sjel.  II.  1. 


2W 

die  Strafe  voll^ogeiiy  muste  er  nnch  den  .nordischen  Bechtsbil- 
chcrn  die  Beweise  seiner  That,  das  blutige  Kiifsen  und  Polater, 
zuweilen  auch  die  Leichen  auf  den  Ding  briiigen ,  von  Zeugen 
unterstutzt  dafz  wirklicli  far  Ehebrach  die  That  geschehen  war  *). 
Hatte  er  die  Rache  nicht  gleich  genommen  oder  uemen  konnen, 
so  blieb  ihm  nur  dieKIage,  und  konnte  sich  der  angeklagte  nicht 
durch  Gottesurtheil  oder  Eideshelfer  reinigen  ,  so  traf  ihn  der 
Tod  oder  die  Verbannung,  im  Falle  der  Beleidigte  sich  nicht  an 
einer  Geldbufze  geniigen  liefz  ^),  Noch  in  die  neuere  Zeit  hinein 
hat  sich  fur  den  Ehebruch  schwere  Strafe  erhalten;  so  bestimmt 
das  Kopenhagener  Stadtrecht  von  1443,  dafz  im  Fallc  sich  der 
verletzte  Ehemann  mit  keiner  Geldbufze  befriedigt  erUare,  der 
Mann  mit  dem  Schwerte  gerichtet,  die  Frau  lebendig  b^rabai 
werden  soIle« 

Indem  die  Frau  nach  alterer  Rechtsansicht  keinenAnspruch 
auf  die  Treue  des  Mannes  hatte,  war  ihr  auch  kein  Anrecht  auf 
seine  Bestrafung  wegeu  Ehebruchs  gegcben.  Es  ist  nur  eine  Ab- 
weiohung  hiervon ,  dafz  das  westgothische  Gesetzbuch  befielt, 
das  Weib,  mit  dem  der  Ejiemann  siindigte,  soUe  in  die  Gewalt 
der  beeintrachtigten  Gat  tin  gegeben  werden  (III.  4,  7).  Spftter 
ist  die  Frau  mehr  zu  Recht  gekommen  und  das  Verbrechen  Mrird 
aji  dem  Pihemanne  ebeiiso  gestraft  wie  an  der  Ehefrau.  Das  up- 
laiidische  Rechtsbuch  (III.  6)  gestattet  sogar  der  Frau  ihrenMann 
auf  der  frischcn  That  des  Ehebruches  zu  toten.  Im  Leben  wurden 
iibrigens  die  gesetzlichen  Bei^timmungen  oft  stillschweigend  Aber- 
gangen  und  man cher  Ehebruch  gieng,  zumal  wenn  Zeugen  felten 
oder  der  Mann Riicksichten  zu  nemen  hatte,  ungestraft  hin.  Nor- 
dische  Geschichten  erzalen  sogar  von  Frauen,  welohe  im  Ver- 
brechen ergriffen,  ihren  Mannem  trotzten  und  sie  zum  Still- 
schweigen  zwangen.  (GMa  Surs.  c.  9). 


0  1.  Scan.  XIII.  1.  Sjell.  1.  II.  1.  Jyd.  1.  III.  37.  Bib.  Stadr.  17.  *)  QfitaL  SI. 
Uplands!.  III.  6.  1.  Scan.  XIII.  2.  Hans  priyil.  46.  — •  Nach  einigen  xnitUeren 
Studtrecliten  (Bib.  Stadr.  1267.  art.  27.  Vgl.  £rich  Glippings  Sudtr.  n.  80) 
befreite  es  die  Scholdigen  von  jeder  Strafe,  wenn  die  Fran  den  Bhebrecher 
dem  simdigen  Gllede  durch  die  Stadt  Strafze  anf  Strafze  ab  zog. 


!2tf& 


Das  Recht  des  Mannes  iiber  Leib  und  Leben  der  Frau  ist 
dieFoIge  der  erkauften  und  ubertrageiieii  Mimdschaft.  DasSchwert 
da8  bei  der  Vermahlung  von  dem  bisherigen  Vormund  dem  BraU"* 
tigam  ubergeben  wurde ,  ^ivar  das  Sinnbild  daiiir*  Mit  der  feierli- 
chen  Uebergabe  der  Frau  trat  der  Mann  die  Mundschaft  an ')«, 
Was  der  Vater  oder  der .  nachste  Verwandte  fOr  das  Madchen 
zu  leisten  und  fordern  hatte,  das  tibernam  jetzt  der  Mann  ft^  die 
Frau.  Er  hatte  sie  allenthalben  zu  yertreten  ,  ihr  Itecht  wahrzu- 
nemen,  wo  sie  verletzt  war  die  Klage  zu  erheben^  wo  sie  ver- 
klagt  wird ,  der  Klage  zu  antworteu  und  die  Bufze  zu  leisten  ^).  Sie 
theilt  seinBecht  und  sein^n  Stand  und  ist  seine  Genofzin  ^) «  auch 
wean  er  ihr  nicht  ebenbtlrtig  ware.  £r  kann  sie  zQchtigen,  wenn 
m  es  yerdienty  sie  sogar  tot^  (ed.  Eoth*  166)y  behandelt  er  sie 
aber  ohneGrund  schlecht,  so  verliert  er  ihrMundium,  die  Schei- 
dttng  tritt  ein  (ed.  Roth.  182  vgl.  L  Liutpr.  CXX)  und  nach 
jiingerem  Rechte  verliert  er  sogar  sein  Vermogen*).  Eine  Ziich- 
tigung  zum  Tode  strafte  die  spatere  Zeit  unter  alien  Umstand^ 
mit  dem  Leben.  (Ltib.  r.  cod.  Brock.  11.  304). 

Eine  notwendige  Folge  der  Mundschaft  des  Mannes  ist  sein 
genaues  rechtliches  Verhaltnifs  zu  dem  Vermogen  der  Fr^u.  Man 
darf  diefz  aber  keineswegs  als  eine  Giitergemeinschaft  fafzen,  so 
dafz  also  die  Habe  der  Frau  auch  seine  Habe  geworden  ware, 
sondem  nur  als  eine  Gutervereinigung  in  der  Hand  des  Mannes, 
der  das  Verwaltungs-  und  Nutzungsrecht  daran  hatte;  er  safz 
mit  der  Frau  in  der  Gewere  *).  HOrte  die  Ehe  durch  Tod  oder 
Scheidung  auf,  so  endete  auch  sein  Yerh&ltnifs  zu  dem  YermO- 
gen  der  Frau ;   die   vereinte  Habe  ward  getrennt  und  ihr  Besitz 


')  Nach  den  jungeren  Einrichtungen  mit  der  kirt-hlichen  Einsegnung.  So 
heifzt  68  Ostgotal.  vadhain.  36,  sobald  die  Frau  von  der  Rirche  eingesegnet  and 
libergeben  ist  {vight  Jdri  kirkiu  durum  ok  gift)^  tritt  der  Khemann  die  Bechte 
ond  Pdichten  des  Vormunds  an.  Ueber  Sachsensp.  III.  46,  3.  siehe  Kraat  Vor- 
munUsch.  1,  176.  ')  tha  fkal  heenna  husbonde  bathe  fikia  ok  fvara  fiti  hanok 

Oitgotal.  vadham.  36.  ')  Grimm  Bechtsaltertb.  447.  *)  Hamburg.  Stat.  1270. 
UL  S.  &)  Sachsensp.  I.  45,  S.  —  Vgl.  hieau  Eunde  deutsches  eheliches  GUtee- 
recht.  Oldenb.  1841.  S.  16.  i  ' 


^90 

kam  in  die  Gewere  ihres  Geschlechtes.  Man  sieht  wie  verecbie 
den  diese  Verhaltnifse  von  der  «p*ateren  and  man  mufz  sagei 
ideelleren  Giitergemeinschaft  sind'),  in  der  das  Besitzthnm  de 
Ehegatten  ein  gemeinsames  ist,  an  das  beide  Theile  gleiche  An 
sprGche  haben.  Jenes  Verwaltungsrecht  des  Ehemannes  liefz  i 
der  altesten  Zeit  die  Verbindung  des  Geschlechtes  der  Fran  mi 
ihrem  Vermogen  nicht  ganz  aufhoren.  Bei  der  Moglichkeit  daf 
dafzelbe  wieder  an  sie  zuriickfalle,  iibten*  ihre  Verwandten  ein 
gewifze  Obervormnndschaft  aus^),  die  sich  scharf  genug  in  dc 
Bestimmung  der  Liutprandischen  Gesetze  (XXII)  ausspricht,  daf 
bei  einem  Kaufe  von  dem  Vermogen  der  Ehefrau  auFzer  der  Eii 
willigung  des  Mannes  die  Anzeige  an  zwei  oder  drei  ihrer  Vei 
wandten  erforderlich  sei ').  Es  geschah  diefz  zunachst  um  di 
Frail  vor  willkiirlichen  Verfiigungen  des  Mannes  zu  schiitzen,  c 
Hegt  aber  auch  im  Interefse  der  ganzen  Familie  xmd  ist  era 
Aeiifzerung  ihrer  leise  fortdauemden  Vermogenskuratele,  welche  mi 
der  germanischen  Ansicht  von  den  eheliehen  Guterverhaltnifsen  zn 
samraenhangt.  Diese  Beaufsichtigung  verschwand  jedoch  mit  dc 
Zeit  iramer  mehr  und  der  Mann  erschien  als  der  einzige  Vermo 
genskurator  der  Frau  *).  Wie  dem  anch  war,  mochte  ihr  Ge 
schlecht  eine  Mitbevormundung  ausiiben  oder  nicht,  der  niclist 
Verwalter  und  Vormund  der  Habe  der  Fran  war  der  Ehemani 
der  voygt  und  das  Haupt  seines  weibes  j  ,,und  sie  sol  riach  sei 
nem  willen  leben  und  unterthenig  und  gehorsam  sein ,  denn  si 
ist  ihres  selbes  nicht  gewaltig  one  iren  man  weder  zu  thun  tiocl 
zu  lafzen  *)."  Die  Frau  hatte  also  kein  Verfiigungsrecht  uber  ih 
Vermogen ,  sowol  iiber  das  angeborene  als  fiber  das  darch  di 
Vermahlung  hinzugekommene;  son  dem  zum  Verschenken,  Vcc 
kaufen  undVerleihen  bedurfte  sie  der  Ein  willigung  des  Mannes  T 


*)  Vgl.  im  folgenden  die  Grundztige  der  nordisch^  Verh&Itnifse.  *)Vfi 
meine  Bemerkung  bei  Haupt  Z«  f.  d.  A.  7,  542.  ')  Aenliches  noch  in  italic* 
schen  Statuten.  S.  Mittermaier  Privatrecht  II.  302,  9.  *)  Vgl.  WidoiL  leg.  88 
Pertz   leg.  1 ,    557.  »)  Sachs,   distinct.  I.  9,  7.         •)  Sachs.  1,  81,  1.  *^ 

Schwabensp.  landr.  74.  Jyd.  1.  III.  44. 


2M 


ohne  welche  eine  jede  derartige  Handlxmg'  ungiiltig  war  *)^  — 
Ala  Yerwalterin  des  Hauswasens  hatte  die  Fxau  aine  grofzere 
Freiheit  in  Geldsachen.  Das  nordische  Recht  erlaubte  ihr  im  Auf- 
trage  des  Mannes  Kaufe  abzuschliefzen ,  ebenso  durfte  sie  wft- 
rend  der  Mann  auf  dem  Ding  war ,  den  Hansbedarf  einkaufen. 
(Grfig.  festath.  21).  Das  upl^ndische  Gesetz  .  (V.  4)  gestattete 
ihr,  wenn  der  Mann  eine  Pilgerfart  unternommen  hatte  oder  fort- 
gelaufen  war ,  durch  Verkaufe  das  NOtige  :zum  Lebensunterhalte 
herbeizuschaflfen,  Bei  der  nachherigen  Berechnung  werden  zwei 
Drittel  auf  das  Theil  des  Mannes  und  ein  Drittel  auf  die  Frau 
gerechnet.  AUgemeiner  sind  die  Bestimmungen  iiber  das  hochste, 
was  tiberhaupt  eine  Ehefrau  aus  eigener  MachtyoUkommenheit 
verausgaben  darf.  Das  ribuarische  Gesetzbuch  (LIX,  9)  erlaubte 
Personen ,  die  unter  Mundschaft  stunden  (filiis  et  filiabuo)  freie 
Verfiigung  bis  zum  Werte  von  zwoK  Solidi.  Ob  den  Ehefrauen 
bei  den  Uferfranken  und  bei  den  andem  Stammen  eine  gleiche 
Summe  freigegeben  war ,  lafzt  sich  nicht  sagen  *).  In  den  hordi- 
schen  Rechtsbfichern  ist  der  Frau  nur  ein  sehr  geringer  Weri 
smr  selbststandigen  Verfiigung  ausgesetzt;  die  isl'andische  Grau- 
gane  (festath.  21)  gab  der  Ehefrau  auf  zwolf  Monate  nur  eine 
halbe  Unze  (drei  Ellen  groben  Tuches)  an  Wert  einzukaufen  frei ; 
was  daraber  war,  konnte  der  Mann  fur  ungiltig  erklaren  und 
der  Verkaufer  verlor  nicht  blofz  alles  Riickforderungsrecht ,  son- 
dern  fiel  auch  in  Strafe.  Das  norwegische  Frostathingsbuch  (11, 
22)  scheint  fCir  ein  gewonliches  Weib  denselben  Satz  gehabt  zu 
baben;  die  Frau  eines  Erbbauern  (holdr)  durfte  bis  zu  einer 
t^nze  einkaufen.  Weit  geringer  sind  die  uplandischen ,  schooni- 
schen,  seelandischen  und  schleswigischen  Satze  ^).  Unverheiratete 


*)  Nach  Wei 8th.  1,  85  wurde  der  Kaufer  oder  f^mpfUnger  sogar  gestraft. 
(NachGr&g.  Festath.  21.  der  Verkftufer).  ')  Im  Sachsenspiegel  1.45,2,  erschei- 
iien  unverheiratete  Frauen  (megede  unde  ungemannede  wif)  unahh'angiger  bei  Ver- 
S-nfzeruugen  als  verheiratete.  ")  Vier  Pfennige  Uplandsl.  VI,  4.  fflnf  Denar  1. 
Scan.  VII.  12.  fUnf  Pfenn.  Sjell.  1.  III.  35.  zwblf  Denar  Aelt.  Schleswig.  Stadtr. 
^9  (zwolf  Schilling  neuer.  Stadtr.  59.)  —  Vgl.  auch  Alt.  Lub.  R.  (cod.  Hach.)  II. 
^^-  A.  Culm.  4,  3.  Verm.  Sachgensp.  (13)  II.  16,  11. 


MB 

Madchen  durften  nach  jutiechem  Becht  (I.  86)  in  Not  von  ihrem 
Oute  mit  Zuziehung  der  Verwandten  bis  zu  einer  halben  Mark 
Silber  verkaufen^ 

So  imselbststandig  die  Frau  war,  so  dnrfte  doch  auch  der 
Mann  fiber  ihr  Vermogen  nicht  frei  schalten  und  walten  *),  denn 
er  besafz  es  nicht ,  er  verwaltete  es  nur.  In  Not  -  allein  und  mit 
Berficksichtigung  ihrer  Erben  stund  ihm  die  Yeraufzenuig  frei. 
Nordische  und  friesische  Rechte  bestimmen  genau ,  dafz  zur  Mog^ 
lichkeit  solchen  Verkaufes  Kinder  gehdren  und  dafz  er  von  sd- 
nem  Erbgute  oder  dem ,  was  er  erkauft ,  ein  gleich  wertes  Stuck 
zum  Ersatze  oder  zum  Pfande  legen  mufz*).  Das  Westerwolder 
Landrecht  (13)  spricht  es  geradezu  aus,  dafz  das  Gut  dee  Man- 
nes  far  die  Mitgift  der  Frau  zu  Pfande  stehe,  so  dafz  er  es  also 
weder  ilberschulden  noch  veraufzem  darf.  Ein  Schritt  weiter 
aber  zugleich  ein  Schritt  zu  neuer  Rechtsauffafzung  war,  dafz 
die  Eh^gatten  bei  Bestimmungen  fiber  ihr  Yermdgen  an  die  ge* 
genseitigeEinwilligung  gebunden  wurden  (Sefawabensp.  33).  Auch 
hier  ist  die  Giitergemeinschaft  noch  nicht  ausgesprochen ,  es  ist 
vielmehr  eine  Gfiterverpfandung  mit  Berficksichtigung  davon, 
dafz  das  Gut  der  Frau,  wenn  sieKinder  hat,  an  diese  als  nachste 
Erben  fallt,  also  in  der  Familie  des  Mannes  bleibt.  Thats&chlich 
unterscheidet  sich  dieser  Zustand  von  der  Gemeinschaft  wenig, 
im  Grundgedanken  liegt  er  aber  yon  ihr  ab.  Wo*  die  Ansicht 
vom  gemeinsamen  Gute  Boden  gewann,  muste  sie  fibrigens  xu- 
nachst  die  farende  Habe  ergreifen  als  den  mehr  persdnliehen  Be- 
sitz;  bei  dem  liegenden  Eigen  als  dem  Geschlechtsgute  Jiaftete 
das  alte  Eechtsverh&Itnifs  langer.  Im  Sachsenspiegel  und  Schwa* 
benspiegel  finden  sich  auchSpuren  dafz  die  farende  Habe  als  go- 
meinsam  betrachtet  wurde');  Weisthfimer  (1,  14.  16.  102)  sch wan- 
ken  zwischen  der  Gemeinschaft  in  farender  und  der  in  liegender 


0  Grag.  festath.  50.  Liib.  r.  v.  1240.  ?.  7.  Alte  Liineb.  Stat  72.  ^  U  Scan. 
I.  5.  Sjcll.  I  III.  9.  Jyd.  1.  I.  35.  Emsig.  pfenn.  Sohnldb.  6.  3)  VgL  Mitier- 
maier  Privatrecht  I[.  312. 


and  farender  Hitbe.     Das   seel&ndische  Becht   (1.  1,   30)  kbnnt' 
ebeufalls  Gemeinschaft'  in  dem  beweglichen  Vcrmogen. 

Sehr  merkwurdig  ist  dafz  einzelne  nordische  Rechte  die 
Gfitergemeinschaft  bereits  kennen  ^),  Die  islandische  Graugans 
lafzt  den  Brautleuten  beim  Verlobnifz  (festam&t)  die  Wal  fSr^ 
sich  und  ihre  Erben  das  Vermugen  gemeinsam  zu  maclien  oder 
die  Gemeinschaft  auszuschliefzen.  Das  norwegiisehe  Gulathings^ 
buck  (c.  53)  erlaubte  die  Gutergemeinschaft  wit  Bewilligung  der 
Erben.  War  sie  ausgeschlofzei? ,  so  hatte  natUrlich  keines  das 
Eecht.  iiber  das  Vermogen  des  andern  zu  verffigen  2),  Am  weite- 
sten  geht  das  westgotblandische  Gesetzbuch  (I.  arfdhab.  16)  wo 
die  Yolle  Giitergemeinschaft  auch  eineAenderung  des  Erbrechtes 
herbeigefdrt  hat»  " 

Wie    sich   nach   dem  Tode  eines  Ehegatten  die  Erbverhalt- 
nifse  gestalteten,   lafzt    sich   aus  dem   iiber  die  Giiterverhaltnifse 
gesagten  ermefzen*  Die  Gfttervereinigung  ward  aufgelCst  und  das 
Vermogen   des    verstorbenen  fiel   an   seine  Erben,    zu  den  en  der 
iiberlebende  Theil  nur  bedingungsweise  gehorte.     Was  zuerst  die 
Fmu  betriffi^y  so  zog  sie  alles  was  ihr  gehorte  aus  demGute  des 
Mannes;  sie  nam  also  nicht  blofz  ihre  Mitgift,  sondem  auch  den 
Brautkaufy    die    Morgengabe,    die  Widerlage  und   was  ihr  sonst 
nach  dem  Landesrechte  bei  der  VermahluDg  zugekommen  war.  Ge* 
rade  und  Mustheil,  das  sind  die  schon  besprochenen  Gegenstande 
aus  der  farenden  Habe  und  die  Halfte  aller  Lebensmittel ,  welche 
sich   am   dreifzigsten  Tage  nach  dem  Tode  des  Mannes  auf  dem 
Gute  fanden ,    gab  sachsisches  und  schwabisches  Recht  hinzu  '). 
Von  Bedeutung  war  natiirlich  ob  die  Ehe  kinderlos  gewesen  war 
oder  nicht.  Bei  Kinderlosigkeit  hielten  das  burgundische  Gesetz- 
buch (XIV.  3.  4)  undein  angelsachsisches  Gesetz  (Aedhelb.  ddm. 
77  —  80)  der  Frau  die  Morgengabe  vor ,  ersteres  dem  Manne  den 
Brautkauf*).     Aus  dem  Rechtsverh^ltnifse  unmittelbar  entwickelt 


0  ^^99^0,  l6q  fe  theirra  faman^Qcrk^,  festath.  22.,  daheryS/a^.  ^)  firinuiila 
nijirigera,  ')  Saehsensp.  1.22.  24.  Schwabensp.  Landr.  25.  *)  Dafz  der  Braut- 
kanf  Erbe  des  Mannes  sein  konnte,  ist  Abweichung  Tom  alten  Rechte.  —  In  der 


iBt  die  Bestimmung  des  Frostathingbuches  (9,  19)  dafz  die  Drit- 
telvermerung  (thridhjungBauki)  nach  dem  Tode  der  Frau  an  den 
Mann  zuriickfalle;  denn  indem  die  Mitgift  an  ihre  Verwandten 
heimkam ,  war  auch  jene  B&rgschaft  unnotig  geworden  nnd  der 
Mann  muste  sie  einziehen.  Stirbt  der  Mann ,  so  erbt  die  Fran 
diese  Zugabe.  Im  allgemeinen  fiel  nach  alterem  Rechte  alles  €hit 
der  Frau  bei  kinderloser  Ehe  an  ihre  Familie  zurQck  ^) ;  eine 
Haupterbin  war  nach  islandischem  Rechte  die  Mutter,  indem  sie 
Brautkauf  und  Mitgift  erhielt. 

Eine  Umanderung  der  Erbverhahnifse  zeigte  sich  zuerst  an 
der  farenden  Habe ,  an  welcher  sich  auch  zuerst  die  Giiterge- 
meinschaft  aufzerte*  Sachsische  und  nordische  G^setzbiicher  so 
wie  siiddeutsche  Weisthiimer  stimmen  hier  iiberein.  Die  Witwe 
ninunt  nach  dem  Sachsenspiegel  die  Gerade  voraus,  der  Witwer 
erbt  alle  farende  Habe  aufzer  der  Gerade  (Sachsensp.  lU.  76,  2). 
Das  uplandische  Gesetz  (HI.  10)  lafzt  die  Frau  Bett  and  Klei- 
der,  den  Mann  die  WaflFen  vorausnemen,  das  bewegliche  Ver- 
mogen  und  selbst  die  Morgengabe  unter  die  Erben  theilen ;  das 
ostgothlandische  Eecht  (gipt.  16)  setzte  dem'Manne  alsErbe  von 
seiner  Frau  die  farende  Habe ,  das  erkaufte  Land  und  sogar  zwei 
Drittel  ihres  liegenden  Eigens  aus.  Gait  das  bewegliche  Vermo- 
gen  schon  als  gemeinsames  Gut,  so  fiel  es  natiirlich  dem  iiber- 
lebenden  Theile  ganz  zu;  der  Grundbesitz  blieb  entweder  ganx 
oder  halb  als  Leibgedinge  ^). 

Anders  g^stalteten  sich  natiirlich  die  Verhaltnifse  wenn  die 
Ehe  fruchtbar  gewesen  war ;  denn  alsdann  erbten  die  Kinder  von 
der  Mutter  und  da  sie  unter  der  Mundschaft  des  Yaters  stunden, 
blieb  bis  zu  ihrer  Miindigkeit  das  gesammte  Vermogen  in  alter 
Weise  in  der  Verwaltung  defselben.   Starb  der  Mann  zuerst,  so 


Willkur  der  Sachsen  in  Zips  von  1370.  §.  13.  wird  das  Erben  der  Morgengabe 
ebcnfall8  von  der  Geburt  eines  Kindcs  abhangig  geniacbt.  ')  L.  Allara.  LY,  1,1. 
Bajuv.  XIV.  7.  Gutal.  20,  18.  Langewold.  erbr.  19.  Emsig.  bufst.  30.  Grig, 
arfdharb.  2,  —  Nach  1.  Wisig.  IV.  2,  11.  beerben  sich  die  Ehelente  erit,  wenn 
bis  ill  das  sicbrnte  Glied  keine  Verwandten  der  verstorbenen  Seite  da  sind. 
*)  Weisthiimer  1,  203.  vgl.  1,  44. 


901 

nam  die  Witwe  Brautkauf,    Morgengabe  und  alle  VermahlungS/- 
gaben   zwar    yorauSy    allein   nach   ihrem  Tode  .fielen  sie  an:  ihr^ 
Kinder,  kamen  also  Diemals  an  ihre  Yerwandten.  Besondere  Be^t- 
stimmungen  musten  sich  iiber  die  Erbanspriiche  an  dieErrungen* 
schaf t  bilden  ,   an  das  Y ermogen  namlich ,    welches  die  Eheleute 
gemeinsam  warend  der  Ehe  erworben  batten.     Wie  es  in  iiltester 
Zeit  damit   gehalten   wurde,   wifzen   wir  nicht.     Diirfen  wir  aus 
dem  was  bei  Ostfalen  und  Engern  der  Branch  •  war*,  einen  SchluCz 
Ziehen,  so  erhielt  die  Witwe  davon  nichts,  Jiingere  Ansicht  scheint 
der  westfalische    Grundsatz  (1.  Sax.  IX) ,    dafz    die    Witwe   die 
Halfte,  der  ribuarische  (1.  Rib.  37)  dafz  sie^  ein  Drittel  zog*),  der 
westgothische  (IV.  2,  16)  dafz  die  Gatten  nach  Verhaltnifs  ihres 
Vermogens  ihren  Theil  namen.  Der  Hinneigung  zur  Giitergemein- 
schaft    gemafz ,    die   sich   in  der  Gtaugans  zeigt ,    ist  nach  ihren 
Bestimmungen   die  Errungenschaft  gemeinsam.     Es  war  iibrigens 
ein  Unterschied    zu  machen,    ob  das  warend  der  Ehe  zugekom- 
mene  Vermogen   ererbt,   erkauft  oder  erarbeitet  war;  die  letztere 
Art,    die   eigentliche   Errungenschaft    (Erkoberung,    collaboration 
acquaestus  cSnjugalis)  *)  ist  es ,    auf  welche  sich  die  vorangehend 
angefurten  Bemerkungen  beziehen.  Was  ererbtes  Gut  betriflFt,  so 
folgt  das  Hegende  Eigen,  welches  die  Frau  warend  der  Ehe  erbt, 
der  Mitgift ;  iiber  das  farende  entschieden  die  sonst  geltenden  Be- 
stimmungen. Gut  das  von  dem  VermOgen  der  Frau  erkauft  wurde, 
gehort  nach  dem  Frostathingsbuch  (11,  8)  der  Fr^u  und  ihren  Er- 
ben;  von  gemeinsam   erkauftem  (faengaekOp)  zieht  nach  dem  up- 
landischen  Rechte  (III.  9)   der  Mann  zwei  Drittel  y  -die  Frau  ein 
Drittel ;   nach  Ostgotalag  (gipt.  16)  fallt  es  dem  Manne  ganz  zu. 
Was  einem  der  Gatten  warend  der  Ehe  geschenkt  wurde,  gehort 
nach  dem  in  diesen  Verhaltnifsen  einer  jiingeren  Ansicht  folgenden 
westgothlandischen  Gesetz    (I.  vidharb.  4 ,  3)    beiden  gemeinsam* 
Von  Bedeutung   waren   ferner  die  Bestimmungen   uber  die 


')  Vgl.  auch  Ansegisi  capit.  IV.  9  (Pertz  leg.  I.  312).  ')  hogfl   und  id 

im  Guthalag  (20,   ?0)  entsprechen  wie  es  scheint  der  Errungenschaft.  Vgl.  Ihre  and 
Schildner  fiber  diese  Worte. 


Verpflichtung  der  Khegatten  zur  gegenseitig^n  Schnldencalung. 
Beriicktiichtigt  man  die  altesten  ehelichen  Giiterverhaltnirsey  80 
lafzt  sich  nicht  einsehen,  wie  damals  die  Frau  zur  Decktmg  der 
Schulden  ihres  Mannes  oder  umgekehrt  der  Mann  fbr  seine  ¥Vau 
verpflichtet  sein  konnte  *).  Das  Vermogen  beider  war  wenn  auch 
unter  einer  Verwaltung,  so  doch  getrennt;  wie  konnte  also  der 
Mann  von  dem  ihm  nur  anvertrauten  Gute  etwas  in  seinen  Nu- 
zen  verwenden?  Ganz  in  solcher  Anffarznng  Hegt  es,  dafz 
noch  im  Westerwolder  Landrecht  (15)  bestimmt  wird,  das  Ver- 
mogen der  Frau  gehe  bei  der  Erbtheilung  alien  Schulden  vor. 
Diejenigen  Rechtsbiicher  freilich,  welche  sich  mehr  oder  minder 
der  Gutergemeinschaft  zuneigen ,  mufzen  damit  auch  eine  Sohuld- 
verpflichtung  der  Eheleute  anerkennen ,  die  in  der  jiingeren 
Zeit  nach  den  veranderten  VermOgensverhaltnifsen  angenommen 
wird.  Aus  den  nordischen  Bechten  erwahne  ich  nur  die  Bestim- 
mung  des  Gulathingbuches  (115)  dafz  die  Frau  zurBezalung  der 
Schulden  des  verstorbenen  Mannes  ihre  Zulage  (tilgiof)  geben 
soil,  denn  „keiner  soil  rait  eines  andem  Gelde  eine  Frau  heira- 
ten  *)."  Der  drCickenden  Verpflichtung  zur  Tilgung  der  Schulden, 
mochten  ^ie  vor  oder  in  der  Ehe,  mil  und  ohne  ihr  Wifzen  und 
aus  welchem  Grunde  immer  gemacht  sein,  konnte  sie  nur  durch 
eine  symbolische  Handlung  entgehen ,  indem  sie  Schlufzel ,  GJfir- 
tel  oder  Mantel  auf  das  Grab  legte  und  sich  dadurch  yon  allem 
Rechte  und  aller  Pflicht  lossagte  *). 

Hatte  der  Tod  die  Ehe  getrennt  und  war  die  Witwe  in  den 
Besitz  des  ihr  zukommenden  gesetzt,  so  muste  sie  bei  kinderloser 
Ehe  alsbald  aus  dem  Gute  des  Mannes  gehen ,  das  seine  nftchsten 
Verwandten  nunmehr  in  Besitz  namen.  Erklarte  sich  die  Witwe 
nach  vorangehendcr  Unfruchtbarkeit  beim  Tode  des  Mannes  fttr 
schwanger,    so    durfte  sie   bis  zur  Entscheidung  der  Richtigkeit 


')  Vgl.  Mittermaier  deutsches  Privatrecht  §.  402.  ')  Jiri  thvi  at  emgi  fleml 
fer  kono  Icaupa  vidh  annars  fe.  ')  Grimm  Rechtsalterthiimer  161.  177»  458. 
Mittermaier  II.  367. 


i^b. 


der  Angabe  in  dem  Haiise  bleiben  ^)i     Wenn   Kinder  vorhanden 
waren,  blieb  die  Wit  we  bis  zur  etwaigen  Wiederverheiratung  bei 
diesen  und  fiirte  das  Hauswesen  fort     Im  allgemeinen  stand   sie 
dabei   unter   der  Mundschaf):  dee   naehsten    Sch^ertmagen   ihrer 
Kinder,  denn  indem  sie  im  Gutedes  Geechlechtes  blieb,  verharrte 
sie  auch  in  der  Mundsohaft  defselben  %    In  einigen  Rechtsbiichem 
findeii   sich  Abanderungen ,    so   daf^  sie  zwar  unter  Aufsidbt  der 
Verwandten  ihres  Mannes  steht,  aber  selbst  Vormund  ihrer  Kin- 
der ist  und  das  Vermogen  derselben  verwaltet ').    Schied  sie  aus 
der  Familie  ihres  verstorbenen  Mannes,  ^o  kam  sie  begreiflicher 
Weise ,    so   lange   sie  keiqe  neue  Ehe  schlofz ,    unter  den  Schutz 
ihrer   naehsten  Verwandten    zurQck,    von   deren  Zustimmung  die 
Bechtsgiltigkeit  aller  ihrer  bisherigen  Handlungen  abhieng  ^).   Ziena- 
lich  frei  scheint  ihre  Stellung  nach  dem  Frostathingsbuch  (10,  37. 
11,  7),   indem   ihr  die  Wal  des  Rechtsanwalts  darin  Irei  gestellt 
ist.     Am  selbststandigsten  aber  macht  sie  das  uplandische  Gesetz 
{ILL,  7.  Vill.,  11),  das  ihr  ziigesteht  alle  Eechtssachen  selbst  zu 
ftren  *)• 

Die  Wiederverheiratung  der  Witwe  war  in  altester  Zeit,  wo 
sie  dem  Manne  in  den  Tod  folgte ,  unmoglieh  und  auch  nachdem 
diese  Sitte  verschwunden  war ,  haftete  noch  langere  Zeit  auf  einer 
Frau ,  die  sich  zum  zweiten  Male  vern^lte ,  ein  Flecken.  Kasch 
genng  verschwand  indefsen  dieses  Geiiihl  und  schon  erwahnte 
nordische  Geschichten  berichten ,  wie  die  Witwe  entweder  zugleich 
mit  dem  Erbmale  fiir  den  verstorbenen  oder  bald  nachher  ihren 
Brautlauf  hielt.  Warend  sich  also  das  Volk  init  der  Wiederver- 
heiratung  versOnt   hatte,    wirkte   die  kristliche  Kirche   mOglichgt 


')  Sachsensp.  I.  33.  III.  38,  2.  Schwabensp.  Landr.  38.  303.  Weisth.  1,  3. 
Hamburg.  Stadtr.  v.  1270.  IV.  8.  Uplandal.  III.  10.  Vestgotal.  I.  arfdh.  4. 
(Ostgotal.  arfdab.  7)  Sod.  1.  scan.  1,  1.  Sjell.  1.  1,  2.  Jydske  Ioy.  1.  8. 
*)  Sachsensp.  I.  23,  2.  vgl.  Kraut  Voi-mundschaft  1,  187.  ff.  ")  1.  Bmu;  LIX. 
Wisig.  IV.  2,  13.  3,  13.  Sjell.  1.  1,  46.  Jydske  1.  1,  3.  29.  *)  I.  Scan.  III.  1. 
Ostgutal.  gipt.  14.  4.  Jydske  1.  1,  36.  *»)  wari  ik  ^ftalfffore  allum  akum.  — 
Ceber  die  Befreiun^en  der  Witwcn  in  Frankrelch  im  »p&teren  Mittolalter  g. 
S^halViier   R«cliTsvori.   Krankvt'ichs  3,   188. 


/ 


8M 


dagegcn  und  wenn  sie  auch  dieselbe  nicht  ganz  hindem  koni 
aufzer  bei  den  Priestern ,  so  verbot  sie  doch  die  dritte  Ehe  *)  i 
setzte  zu  frtiher  neuer  Heirat  Schranken*  GewoDlich  ward 
Jahr  als  Zeit  des  Wartens  angenommen  und  geboten^;  al 
dafz  dafselbe  nicht  eingehalten  wurde,  dafz  sogar  dieUnsitte  i 
rifz ,  noch  vor  dem  dreifzigsten  Tage  nach  des  Mannes  Tode  i 
der  zu  heiraten,  beweisen  die  Mafzregeln,  welche  im  Anfange 
neunten  Jahrhunderts  dagegen  getroflfen  werden  musten  •). 

So  abhangig  von  dem  Willen  der  bevormundenden  Verws 
ten  wie  ein  Madchen ,  ward  die  Witwe  bei  der  Wiedervermahl 
nicht  gehalten.  Sie  konnte  meistens  dem  Frdier  die  Zusage  se 
ertheilen  und  hatte  nur  den  Eat  und  die  Zustimmung  ihrer  1 
wandten  einzuholen  *),  Ein  Gesetz  des  angelsachsischen  EO: 
Athelred  (IV.,  20)  gab  der  Witwe,  wenn  sie  das  Jahr  des  Tl 
tens  richtig  eingehalten  hatte,  die  Freiheit  sich  zu  verheir 
wem  sie  woUe. 

Die  Leistungen,  welche  der  Bewerber  um  die  Witwe  zu 
fiillen  hatte ,  waren  dieselben  wie  fiir  das  Mundium  der  Jungl 
Durch  die  vorangegangene  Ehe  war  nur  in  den  Empfangem 
Leistungen  eine  Aenderung  eingetreten.  Sobald  die  Witwe 
Erzieherin  und  Wirtin  ihrer  Kinder  in  dem  Geschleckte  ihreB 
storbenen  Mannes  gebliel^n  war,  blieb  sie  auch  der  MundBC 
seiner  Yerwandten  unterworfen  und  ihr  Brautigam  hatte  an  ( 
den  Brautkauf  ganz  oder  theilweise  je  nach  der  herrechenden 
stimmung  zu  entrichten  ^).  Ihre  eigenen  Yerwandten  waren  jed 
da  sie  durch  die  Yerwitwung  zu  ihr  und  ihrem  YermCgen 
der  in  ein  naheres  Yerhaltnifs  getreten  waren ,  ebenfalls  nicht  i 
Anspriiche,  die  zu  befriedigen  waren.  Der  Brautkauf  scheint  il 
also  entweder  gemeinsam  mit  jenen  Anverwandten  zugekoni 
zu  sein,  oder  sie  wurden,  wie  das  im  salischen  Gesetze  gesch 


*)  Gregor  III.  ep.  ad   Bonifac.  732.  (Hartzh.  1,  39)  —  AUocat  sfto 
de  conjug.  illic.    743    (ebd.    1  ,    53.)  *)  Ed.    Theod.   87.    Cnnts  ddm.  1 

»)  Hludov.  cap.  817.  Pertz  leg.  1,  211.  vgl.  1,  208.  *)  1.  Burg.  LIL  ed.] 
182.  Grkg,  festath.  2.  Gulath.  51.  *)  Ed.  Both.  182.  183.  1.  Saac  7,1 
Hunsing.  buszt.  31.  Westorlaw.  ges.  429,  1.  « 


805 

durch  eine  besondere  Zalung  des  Brautigams  abgefiinden,  welche 
ihr-Verhaltnifs  zu  dem  VermOgen  der  Witwe  aufhub.  In  dies^m 
Sinne  mag  der  reipus  der  lex  ealica  (44)  zu  erklaren  sein;  dei- 
dort  erwahfite  achasius  ifit  dagegen  der  Loskauf  aus  der  Mund- 
Bchaft  des  Geschlechtes  des  verstorbenen  Mannes  ^).  Einfach  war 
das  Verhaltnifs,  wenn  die  Witwe  kinderios  in  den  Schutz  ihrer 
geborenen  Verwandten  zuruckgfekert  war ;  dann  fiel  der  Brautkauf 
natiirlich  diesen  allein  zu,  denn  jede  Verbindung  mit  dem  Ge- 
schlechte  des  verstorbenen  Gatten  wargelost*  Bei  der  Vormundschaft 
die  der  Witwe  aus  ihrer  Familie  bestellt  war  sehen  wir  im  salischen 
Rechte  eine  besondere  Bevorzugung  der  weiblichen  Verwandschaft 
hervortreten ,  indem  die  Sohne  der  Schwestem  und  der  Schwester- 
tochter  und  die  Tochtersohne  der  Mutteri^chwestem  zu  berechtig- 
tcSft  Vormiindern  und  Erben  eingesetzt  sind  *). 

Eine  sehr  begreifliche  Folge  der  Wiederverheiratung  der  Witwe 
war  dafz  gewifse  Erbgenufze  aus  dem  Vermogen  ihres  vorigen 
Mannes  aufhorten.  Aufzer  Brautkauf  und  Morgengabe  gestat- 
tete  das  longobardische  Gesetz  Aistulphs  (V:)  noch  bestimmte 
Theile  des  Vermogens  zur  Nutzniefzung  der  Witwe,  welche  mit 
der  Wiedervermahlung  natiirlich  zuriickfielen.  Das  baierische  und 
westgothische  Volksrecht  verliehen  der  Witwe  welche  bei  ihren 
Sohnen  blieb,  Sohnestheil  am  Erbe;  mit  dem  Tage  deV  Wieder- 
verheiratung verlor  sie  es  ®).  Nach  burgundischem  Recht  (XLII. 
LXXIV.)  konnte  die  Witwe  zwei  Drittel  des  Vermogens  als  Erbe 
besitzen,  so  lange  sie  unverheiratet  war.  Ebenso  wie  diese  Be- 
sitzungen  erlosch  mit  der  Verheiratung  das  Leibgedinge,  denn 
sein  Zweck ,  den  Unterhalt  der  Witwe  zu  bestreiten,  war  zu  Ende 
und  die  Frau  hatte  sich  auf  das  entschiedenste  von  der  Familie  ihres 
Mannes  losgesagt. 

Welche  Wirkung  die  Trennung  lebender  Gatten  auf  das  Ver- 


')  Vgl.  meinen  Aufsatz  Beipus  and  Achasius  bei  Hanpt  Z^  f.  d.  A.  7, 
539—544,  —  Ueber  die  Worte  reipus  und  achasius  J.  Grimm  in  der  Vorrede  zu 
^-  Merkels  Lex  salica  p.  LIII.  LIV.  *)  VgL  Waitz  das  alte  Retht  der  sali- 
schen Franken  109.  ff.         =')  1.  Bajuv.  XIV,  6.  7.  1.  Wisigoth.  IV.  2,   14. 

20 


806 

mogen  ausiibte,  hieng  von  ihrem  Grunde  ab.  War  seitens  der 
Frau  Ehebruch,  Mordversuch  oder  ein  anderes  beschimpfendes 
Verbrechen,  wie  Zauberei,  Anlafz  zur  Scheidung,  bo  verlor  sie 
sowol  ihr  eingebrachtes  als  die  Morgengabe,  den  Brautkauf 
und  die  andern  Gaben  vom  Manne.  Anders  verhielt  es  sich 
wenn  andere  Grunde  vorlagen.  Ale  solche  galten  hohes  Alter 
des  einen  Theils ,  Unvermogen  zur  ehelichen  Pflicht  oder  Ver- 
weigerung  derselben,  Widerwillen,  schlechte  Behandlnng,  leidit- 
sinniges  Yerlafzen  oder  wie  z.  B.  auf  Island  zu  viel  arme  Verwandte 
die  ernart  werden  musten  ^):  auch  wol  Emancipation  der  Fran 
in  Bezug  der  Tracht  ^).  Grofzartige  Frauen  schieden  sich  wol 
zuweilen,  wenn  der  Mann  ein  unwiirdiges  thatenloscs  Leben  fiirte 
(fich  verlac).  So  droht  Brynhild  dem  Gunnar  ihn  mii  ihrem  Ver- 
mogen  zu  verlafzen,  weil  sie  ihn  hinter  Sigurd  in  allem  zuriick- 
stehen  eieht  ®).  Ofters  wird  die  Ehe  ohne  einen  bestimiDten  Grund 
nach  beiderseitigem  Uebereinkommen  gelost;  beide  Theile  namen 
ihr  zugehOriges  Vermogen  und  waren  wieder  ungebunden  und 
frei.  Zuweilen  trepnte  der  Mann  auch  einseitig  und  eigenmachtig 
die  Ehe,  wie  Harald  Harfagr,  als  er  um  Ragnhilds  willen  sdne 
sammtlichen  Frauen  fortschickte.  Ein  solches  willkurliches  Ver- 
faren  ist  jedoch  als  kein  rechtlich  gebilligtes  zu  bezeichnen,  es 
hatte  gewonlich  auch  zur  Rache  die  Fehde  mit  der  beleidigten 
Familie  des  Weibes  hinter  sich  *).  Die  Ehe ,  welche  offen  und  vor 
Zeugen  geschlofzen  war,  konnte  auch  nur  vor  Zeugen  aus  beiden 
Fainilien  gelost  werden  (Grimm  Rechtsalterth.  454).  In  dieser 
Weise  gieng  nach  Tacitus  (Germ.  19)  die  Trennung  wegen  E3ie- 
bruchs  vor  sich  und  offen  und  mit  bestimmten  Formen  wird 


')  Grag.  fcstath.  14,  53.  *)  Grand  zur  Scheidung  war  anf  Iflland  tot- 

handcn,  wenn  die  Fran  Hosen  trug.  Laxdoela.  s.  c.  35.  *)  Das  bargandiBche 

Volksrecht  (XXXIV,  1.)  bestrafte  die  Fran  die  sich  vom  Manne  eigenmichtig 
trennte,  mit  dem  Todc,  Eichhora  (deutschc  Staats-  und  Rcchtsgesch.  1,  319) 
leugnet  daher  gegen  Grinnn  (Rechtsalterth.  454)  dafz  gich  die  Frau  nach  ihrem 
Willen  habe  echeidcn  kOnncn.  £ine  Scheidung  ohne  sehr  bedcntenden  Grand, 
wr)fur  eine  Seelenstimmung  nicht  gelten  mochtc,  ist  fiir  die  alteste  Zeit  allerdingi 
zu  Jeugnen.         *)  Fornmannas.  7,  176. 


8OT 

jeder  Ehesclieidung  verfaren  sein.  Wo  ein  geordnetes  Gterichts- 
verfaren  sich  gebildet  hatte,  wurde  in  aller  Form  ein  Frozefz 
gefiirt  und  das  Erkenntnifs  auf  Scheidung  offentlich  bekannt  ge-* 
macht  *)♦  Die  Kirche  strebte  friih  darnach.  die  Scheidung  mog- 
lichst  zu  erschweren.  Bereits  in  einigen  Volksrechten  wird  auf 
grundlose  Trennung,  wofQr  nach  dem  bairischen  Gesetz  so- 
gar  die  aus  Widerwillen  gait , .  Strafe  gesetzt  *) ;  in  den  Kapitu- 
larien  der  Karolinger  und  auf  den  Koncilien  wird  nur  Ehebruch 
und  Mordversuch  als  Scheidungsgrund  zugelafzen  •).  Hinkmar 
yon  Rheims  erkannte  in  seinem  Ghitachten  iiber  die  Scheidung 
Lothars  II*  von  Theotberga  nur  zwei  triftige  Anlafze  an :  erstens 
wenn  beide  Theile  freiwilHg  ins  Kloster  gehen  wollen  und  zwei- 
tens  wenn  ein  Theil  des  Ehebruchs  iiberfflrt  ist.  (Opera  Hinc- 
mari  I.  561.  fF.) 

Ein  Verbot  der  Wiederverheiratung  geschiedener  kannten 
die  germanischen  Stamme  nicht  und  die  Kirche ,  welche  bereits 
407  die  Lehre  von  der  Untrennbarkeit  der  Ehe  aufgestellt 
hatte,  geriet  darum,  trotzdem  sie  ihr  Dogma  in  die  weltlichen 
Rechte  hineingebracht  hatte,  in  fortwarende  und  bedeutende  Strei- 
tigkeiten  mit  dem  weniger  epekulativen  und  mehr  weltlichen  Sinne. 
Am  verwickeltesten  und  langwierigsten  waren  die  Kampfe  wegen 
der  Scheidung  Konig  Lothars  11.  und  seiner  Verheiratung  mit 
Waldrada  *).  Welchen  Antheil  an  Heinrichs  IV.  Schicksalen  seine 
ehelichen  Verhaltnifse  batten ,  ist  bekannt ;  der  Staufer  Friedrich  j. 
ward  1158  von  Papst  Hadrian  wegen  seiner  Wiederverheiratimg 
als  geschiedener  exkommunicirt  ^)  warend  in  andern  Fallen  die 
Kirche  nachsichtiger  war  ®).  Unter  gewifsen  Umstanden  gestattete 


*)  Nach  Grkg.  festath.  14.  den  Nachbarn  angezeigt.  *)  1,  Bajuv.  VII, 
U.  Bnrg.  XXXIV,  2.  1.  Grimoald.  VI.  *)  Pippin,  capit.  744.  (Pertz.  leg.  I, 
21.)  capit.  753.  (Pertz.  leg.  I.  22.)  Eugen.  II.  cone,  roman.  826.  (Pertz.  leg.  II.  17.) 
cone.  Tribur.  895.  c.  39.  —  Vgl.  Eichhorn  deutsche  St.  und  Rechtsgesch.  1,  714 
(5.  Aufl.)  *)  Vgl.  Gforer  Geschichte  des  ost-  und  westfrankiscljen  Karolinger 
1,  348—370.  »)  Pertz  VIII,  408.    vgl.  VIII,  452.         •)  Ueber  einschlagcnde 

Verhaltnifse   in    der   vomemen   proveni^alischen    Welt    Fauriel  hist,   de    la  poesie 
proveni;.  1,  498.  524.  Diez  Leben  der  Troubadours.  886.  ff. 

20* 


808 

8ie  die  Wiedervermahlung.  Hatte  die  Fran  dem  Leben  des  Man- 
nes  nachgestellt ,  so  konnte  er  sich  von  ihr  trennen  tind  due  an- 
dere  heiraten ,  die  Frau  muste  unvermahlt  bleiben  *).  Ln  Falle 
die  Ehc  wegen  Impotenz  des  Mannes  nicht  YoUzogen  war ,  durfte 
sich  die  Frau  wenn  sie  sich  scheiden  liefe  wieder  verheiraten. 
(Regin.  can.  242.  f.  Hartzheim  2,  551.) 

Unser  Alterthum ,  das  bei  der  Ehe  die  Fortpflanzung  dee 
Geschlechtes  ala  eine  wichtige  Aufgabe  ansah*),  scheint  fiber 
Ehen ,  welche  durch  das  Unvermogen  des  Mannes  gestOrt  waren, 
mancherlei  Bestimmungen  getroffen  zu  haben.  Einzelne  nieder- 
sachsische  WeisthClmer  ordneten  in  diesem  Falle  eine  Stellvertre- 
tung  an ;  der  Mann  muste  dafiir  sorgen  dafz  ein  anderer  der  Fran 
ihre  Pflege  und  Hege  thue  •).  Vielleicht  fand  auoh  in  anderen  ger- 
manischen  Gegenden  eine  solche  Aushilfe  Statt  (Grimm  Rechts- 
alterth.  443)  in  welcher  der  Sinn  des  Volkes  nichts  unsittliches 
sah.  Das  longobardische  Gesetz  (1.  Liutpr.  CXXX)  bestraft  je- 
doch  eine  solche  Stellvertretung ,  deren  Grund  nicht  angegeben 
wird ,  sehr  streng.  Die  Frau  wenn  sie  einwilligte  wird  getotet, 
der  Mann  ,  der  ihr  beilag ,  ihren  Eltem  ale  Sklave  libergeben ; 
wahrscheinlich  lag  in  diesen  Fallen  die  Gewinnsucht  des  Ehe- 
mannes  zu  Grunde* 

In  frommelnder  Zeit,  wo  die  schiefe  Lehr6  von  der  Ver- 
dienstlichkeit  ehelicher  Enthaltsamkeit  Eingang  fand,  waren  manche 
Ehen  blofze  Scheinehen.  Die  Kirche  pries  das  als  ein  heiliges 
Werk  und  einige  Furstinnen  und  Ffirsten  erwarben  sich  hier- 
durch  heiligen  Nachduft.  Man  freut  sich  um  so  inehr  fiber  die 
Synode  von  Schwerin,  welche  sich  1492  (c.  36)  sehr  entsclueden 
gegen  solche  Verbindungen  erklarfe.  Bei  kraftigen  und  verstan- 
digen  Menschen  konnte  eine  solche  Verirrung  nicht  vorkommen 
und   vor   der   Verbindung  mit   der   Kirche   wusten  unsere  Vater 


')  Pipp*    capit*    753.    Pertz  leg.    1,    22.  ')  YgL    das    niedera&chsiiohe 

Wcisthnm  bei  Grimm  Weisth.  3,  810,  was  stark  dafor  spricht.  —  Eichhorn 
(d.  St.  u.  R.  Gksch.  1,  319)  halt  die  Scheiduog  wegcn  Impotenz  ffir  nicht  ger- 
manisch.         >)  Weisth.  3,  42.  48.  311. 


809 

davon  nichts.  Sie  kannten  aber  wol  die  Sitte  und  fiirten  sie  durch, 
dafz  ein  Par  ein  Lager  theilte  ohne  sich  naher  zu  berftren, 
wenn  es  die  Umstande  heischten.  Da  legte  der  Mann  ein  nacktes 
Schwert  oder  einen  Stab  zwischen  sich  und  die  Fran  und  die 
sittliche  Trennung  ward  durch  die  aufzere  gestarkt.  Dnsere  alten 
Gedichte  erzalen  mehrfach  von  solchem  keuschen  Beiliegen ;  na- 
mentlich  berilmt  ist  das  dreinachtige  zUchtige  Beilager  Siegfrieds 
mit  Brihihild ,  ais  er  sie  in  Oiinthers  Gestalt  gefreit  hatte  0- 
Auch  die  vielverbreitete  mittelalterliche  Erzalung  von  den  beiden 
Freunden  Amikus  und  Amelius,  welche  Konrad  von  Wiirzburg 
in  seinem  Engelhard  bearbeitete,  kennt  diesen  Zug,  welcher  der 
grdste  Beweis  der  Treue  am  Freunde  ist;  denn  der  Freund  lag 
bei  des  Freundes  Gemahl ,  von  dieser  fiir  den  Gatten  gehalten, 
ohne  dem  Freunde  die  Treue  zu  brechen,  Und  so  liefzen  sich 
Doch  mehr  Beweise  dieser  mannliehen  tiichtigen  Enthaltsamkeit 
auffUren  \ 

Wir  haben  bisher  darzulegen  gesucht ,  in  welche  rechtliche 
Verhaltnifse  die  Fran  mit  der  Vermahlung  getreten  war,  wie 
sich  die  Vermogensverhaltnifse  gestalteten ,  was  sie  fiir  den  Fall 
der  Verwitwung  zu  erwarten  hatte  und  wie  es  um  die  sittliche 
Seite  der  Ehe  stund.  Wir  woUen  nun  die  Frau  in  ihrem  Haus- 
wesen  betrachten. 

So  lange  die  Germanen  auf  keinen  festen  Sitzen  waren, 
konnte  sich  auch  keine  Hauswirtschaft  bilden,  als  deren  Grund 
featee  Wonen  und  der  Ackerbau  zu  bezeichnen  ist.  Hirtenvolker 
sind  freilich  auch  nicht  ohne  h^usliche  Einrichtungen  undKQche  und 
Herd,  allein  es  ist  alles  nur  fiir  das  augenblickliche  Bediirfnifs 
und  beweglich  und  wandelbar  wie  der  Wagen ,  das  Zelt  und  die 
Viehhiirde.  —  Die  germanischen  Volker  sind  schon  in  ihren  asia- 
tiachen  Wonplatzen  aus  dem  Stande  der  Hirten  in  dien  der 
Ackerbauer  hiniibergetreten ;  darauf  lafzt  der  Wortvorrat  schlie- 
fzen,    in  dem  sich  fiir  den  Feldbau   und   die  aus  ihm  gezogenen 


')  Sacm.  edda  203.  217."       *)  Vgl.  unter    anderm  Trist  17414.    Wolfdiet* 
2«9.  ff.  Fornaldars.  3,  605. 


810 

Gewinne  und  Arbeiten  urverwandte  Worte  finden  *),  Allein  durch 
den  grofzen  Zug  nach  Nordwesten  ward  diefz  stillere  Leben  anf 
langer  unterbrochen  und  eine  nomadische  Unruhe  ergriff  dieGer- 
manen ,    welche   auch   nachdem    sie   wieder   festen  Fnfz  auf  das 
Land   setzten    ihre  Ackerwirtschaft   eigcnth&mlich   gestaltete,   bo 
dafz  Julius  Casar  die  Germanen  den  Kelten  gegenuber  fast  wie  ein 
Wandervolk  darstellen  muste.    Am  meisten  zeigten  sich  die  Nach- 
wirkuugen  der  Wanderjahre  in  der  lange  dauernden  Abneigung  des 
freien  Germanen  gegen  eigenes  Arbeiten  auf  dem  Pelde*    Er  sah 
das  Schwert    als    den  Gefftrten  und  die  einzig  wiirdige  Aufgabe 
des  Lebens  an ,  und  hielt  selbst  die  Jagd  nicht  hoch.  Trage  liegt 
er  im  Frieden  daheim ;    Schlafen ,  Trinken  und  Wtirfelflpiel  ver- 
jagen  ihm  die  Zeit;    die  Sorge  des  Hauses  und  des  Feldes  wirft 
er   auf   die  Frau ,    die   mit  den  Kindem ,    den  kriegsuntflchtigen 
Mannem   und  den   unfreien   die    Wirtschaft  bestellt    (Germ.    18. 
25).     Die  Aufgabe  des   Weibes    war   also   eine  grofze ,    denn  in 
Haus  und  Hof  Wirtin  und  Leiterin  und  Arbeiterin  stund  aufzer- 
dem  die  Erziehung  der  Kinder  in  ihrer  Hege.   Wie  vertragt  sicb 
nun  mit  dieser  Ueberlastung  jene  gottergleiche  Verehrung ,  welche 
unbedingt    auf  Tacitus  Worte   gestfitzt   so    viele   den   OermaneD 
aufpredigen  woUen  ?    Sie   war  doch  in  der  That  eine  pafsive  zu- 
gleich  eine  selbst siichtige  und  beschrankte;  denn  sie  traf  nur  ein- 
zelne  Frauen ,  sie  ward  gespendet  weil  die  Gemeine  durch  weib- 
liche  Gabe  Rat  und  Hilfc   fand   und   wurde   ertheilt  so  dafz  dei 
einzelne  in  seinem  faulen  Leben  nicht  gestort  war. 

Diese  Tragheit  des  Mannes  und  sein  ausschliefzlicher  Stolz 
auf  das  Schwert  milderten  sich ,  nachdem  das  Erobeningslebei 
friedlicheren  Zustanden  gewichen  war;  er  liefz  sich  nun  herab 
an  den  Pflug  und  Spaten  die  hochsteigene  Hand  zu  legen*  Ji 
Skandinavien  war  in  der  mittleren  Zeit  die  Frau  gewonlich  voi 
der  Feldarbeit    ausgeschlofzen  und    ihr  nur  die   Verwaltung    d« 


')  VgL  J.  Grimm  Geschichtc  der  dcutsehen  Sprache  cap.  5.;  A.  Kuhi 
zur  altosten  GcBchichte  der  indogermaiiisclicn  Volker,  neu  abgedmckt  bei  Albr 
Weber  Indische  Studicn  1,  321—363. 


311 


Hauses  und  Gehoftes  (r&dh  innan  ftocks)  iibertragen.    Allein  ander- 

warts  daiierten  die  alteren  Zustande  fort  und  noch  heute  liegt  z.  B. 

in  friesischen  Gegenden     die  gesamte    Wirtschaft  der    Frau  ob, 

die  wenn  die  Manner  Schiffer  oder  Fischer  eind ,  auch  den  Acker 

allein  bestellt.  Sind  doch  auch  im  inneren  Deutschland  die  Weiber 

und  Tochter  der  Bauern   von  der  Feldarbeit  nicht  entbunden  und 

nur  Pfliigen  und  Saen  haben    sich  die  Manner  vorbehalten.  Dafz 

die  Magde  im  Mittelalter  auch  pflugen  musten  lafzt  sich  nachwei- 

sen  ')•  Ueberhaupt  wurden  die  unfreien  zu  den  schweren  Arbeiten 

verwandt ,  die  Hausfrau  hatte  nur  die  Leitung ,  ausgenommen  das 

Ehepar  war  so  arm  dafz  ihm  keine  eigenen  Leute  gehorten.  Bei 

grofzerem  Besitz  war  nur  ein  Theil  der  HOrigen  im  Hofe ,  das  In- 

gesinde ;  ein  anderer  safz  abgesondert  auf  zugetheiltem  Lande  und 

lieferte  nur  j'ahrlichen  Zins  in  Erzeugnifseu  des  Feldes ,  der  Vieh- 

wirtfichaft  ^der  an   selbst  gearbeiteten  Linnen  und  WoUenzeugen. 

Die  Hausfrau  war  die  Aufseherin  und  nachste  Vorgesetzte  des  Ge- 

eindes;    der  eigentliche  Herr  war  immer  der  Hausvater,  obschon 

auch  die  Frau  iiber  Leib  und  Leben  der  unfreien 'Diener  zu  schal- 

ten  wagte.    Spater,   als  auch  freie  sich  in  Dienste  gaben,  konnte 

die  Hausfrau  allerdings  Vertrage  mit  ihnen  schliefzen ,  allein  die 

Giltigkeit  derselben   hieng  von    der  Bestatigung  des  Mannes   ab. 

Das  Zeichen  der  Hausfrau  waren  die  Schliifzel  ^). 

So  wenig  auch  der  freie  Germane  zu  der  beschwerlichen 
Feldwirtschaft  geneigt  war,  so  lag  doch  nicht  Verachtung 
sondem  nur  Faulheit  dem  zu  Grunde.  Dagegen  stund  die  Vieh- 
wirtschaft  im  allgemeinen  in  Verachtung,  ein  Beweis  dafiir 
dafz  sich  die  germanischen  Volker  schon  lange  vor  der  Zeit,  wo 
wir  sie  kennen  lernen,  vom  Hirtenleben  entfemt  batten.  Die 
Belege  dafu^  sind  allerdings  nicht  aus  altester  Zeit,  auch  nur 
aos  dem  Norden ,  allein  solche  Ansichten  sind  langererbt  und  be- 


')  diu  hluoge  diu  ndch  dem  pftuoge  muo%  fd  dicke  erkalten,  fchalten  den  wagen 
f^er^geftat,  MSH.  2,  159."  ')  Nach  seelandischem  Rcchte  (1,  31)  ^It  eii^ 
Frau  fur  siech ,  wenn  sie  nicht  mehr  mit  den  SchlUfzcln  gehen  und  ihr  Gresinde 
^orgen  konnte  (math  fince  lyklce  gangoe  ok  force  fin  hion  rethce). 


schranken  sich  nicht  auf  einen  einzelnen  Stamm.  Verharzten 
Feinden  warf  der  Nordlander  als  Schmahung  zu,  dafz  sie  die 
Knechtesarbeit  des  Melkens  und  Viehflittems  trieben ;  er  erstreckte 
wol  den  Hafz  6o  weit  ihnen  noch  nach  dem  Tode  dergleiclieii 
niedern  Dienst  zu  wiinschen,  warend  die  andem  die  Freude  dea 
freien  Mauneslebens  fort  genofzen  ').  Auch  wenn  Not  um  Ar^ 
belter  war,  verschmahte  die  freie  Nordlanderin  das  Vieh  ea  be- 
sorgen,  denn  das  war  eine  M'agdearbeit  durch  welche  sie  sich 
erniedrigt  hatte  ^).  So  geben  denn  auch  merere  Gesetze,  wie  das 
westgothlandische  (I.  gipt.  6)  das  Melken  der  Kuhe  als  Arbeit  der 
unfreien  an ;  und  ganz  ebenso  erscheinen  die  Verhaltnifse  in  Fries- 
land  (Richthofen  100).  Bei  den  deutschen  St^mmen  war  die  Vieh- 
wirtschaft  in  Bliite;  die  deutschen  Weideplatze  waren  bei  den 
Romern  beriihmt  ') ,  die  namentUch  jene  grofzen  Wiesen  zwischen 
Lech  Donau  und  lUer  kannten,  welche  zallosen  Herden  Narung 
gaben*).  Da  weideten  Pferde,  Rinder,  Schafe,  vor  allem  aber  die 
niitzUchen  Schweine ,  welche  bei  Skandinaviem  wie  den  West- 
gothen ,  bei  Sachsen  und  Alemannen ,  bei  Franken  und  Baiem  in 
grofzer  Zahl  gehalten  wurden  *)•  Die  Schweine,  Rinder  und 
Schafe  scheinen  den  Knechten  anvertraut  gewesen  zu  sein ,  Magde 
besorgten  die  Kiihe  und  auch  wol  die  Ziegen,  denn  Butter*-  und 
Kasebereitung  gehorte  ihnen  an  ^).  Milch  und  K&se,  diese  und* 
ten  Narungsmittel  der  Menschheit,  sind  auch  in  der  germaDischen 
flaushaltung  von  Alters  gebraucht  (Caesar  b.  g.  6,  22) ;  saure  Milch, 
geronnene  Milch  (lac  coucretum)  und  Butter  waren   beliebte   und 


')  Sacra.  154.*  Segdhu  that  t  aptan,  er  fvtnum  gtfr  ok  tikr  ydkrar  tefgir 
at  folli,  —  Helgi  spricht  zu  Handing  als  er  nach  Yalholl  kommt  nnd  den  Feind 
dort  trifft :  thu  I'kalt,  Hundingr^  hver/um  tnanni  fdilaug  geta  ok  /una  kynda,  hunda 
binda,  heta  gata,  fvinum  fodh  gefa,  Adhr  sofa  gdngir.  ')  Gr&g.  finstalli.  21.*^ 
Vgl.  Engelstoft  p.  261.  ■)  Plin.  hist,  natur.  17,  3.  *)  J&gerUlm604.  612.  699. 
*)  Vgl-  das  salische  und  westgothische  Volksrecht,  die  Schweizer  WeUthflmer  (bei 
Grimm  Weisth.  I.)  Grimm  Rechtsalterth.  262.  Leo  rectitudines  lingnlanim  per- 
sunarum  125.    Le   Grand   et  Roquefort  vie  privee  1,  307.  fT.  >)  Leo  rectitud. 

126.  vgl.    im  Allgcmeinen  iiber   Milch    (Butter,  Kasc)  J.  .Grimm  Geschidite  der 
deutschen  Sprache  997—1009. 


813 

geschatzte  Speisen  ').  Dafe  wir  Butter  und  K'dse  seit  I'^nger  als 
einem  Jahrtausend  mit  fremdem  Namen  belegen,  darf  nicht  da- 
fiir  zeugen  dafe  ihre  Kenntnlfs  erst  von  den  Romem  uns  zuge- 
bracht  sei.  In  den  Mundarten  der  hirtenreichen  Berglander  sind 
die  altgermanischen  Namen  fiir  sie  bewart, 

Neben  diesen  einfachen  Narungsmitteln,  welche  die  Viehjsucht 
gewarte,  boten  sich  die  Friichte  dea  Ackers  von  selbstdar.  Rog- 
gen,  Weizen,  Hafer,  Gerste  burden  gebaut  und  zur  Narung  raan- 
nichfach  verwandt;  besonders  die  letzten  beiden  Arten  waren 
viel  gehegt.  Das  Malen  der  Komer  geschah  auf  Handuiiilen  % 
me  harte  Arbeit  welche  besonders  den  Magdeu  oblag.  Wer  ge- 
denkt  nicht  jener  Mulm^de  aus  der  Odyfsee,  deren  Klage  und 
Treue  der  heimgekerte  Odyfseus  belauscht.  Auch  unsere  altcPoe- 
sie  berichtet  von  dergleichen  Weibern^  Zwei  gefangene  Riesinnen, 
Fenja  und  Menja,  miifzen  dem  Konige  Frodhi  Gold  Friede  und 
Gliick  auf  der  Miile  Grotti  malen.  Tag  und  Nacht  arbeiten  sie 
und  Schlaf  wird  ihnen  nicht  langer  gegonnt,  als  der  Gukuk  im 
Rufen  einhalt  und  man  ein  Lied  singen  kann.  Da  stimmen  sie 
ein  zaubemdes  Rachelied  an  und  malen  statt  Friede  auf  der  Zau- 
bermiile  ein  Feindesheer ,  das  den  Konig  erschlagt,  Aber  es  war 
nur  ein  Wechsel  des  Plagers ;  Ruhe  finden  sie  nicht,  neue  Arbeit 
wird  ihnen  gegeben  und  sie  soUen  Salz  malen*  Da  arbeiten  sie 
80  stark,  dafz  das  Schiff,  auf  dem  die  Mule  steht,  birst  und  sie 
Mi  das  Meer  sturzt.  Davon  ist  das  Meer  salzig  geworden.  (Snorra 
edda  146  ff.  Rafk.)  Helgi  .Sigmunds  Sobn  ist  auf  KundschafV  am 
Hofe  der  Feinde  gewesen  und  die  Verfolger  sind  ihm  auf  den 
Persen.  Da  rettet  er  sich  nur  durch  Verkleidung  als  Miilmagd. 
W^ie  er  so  an  den  Malsteinen  arbeitet  dafz  sie  schier  springen 
^d  seine  Augen  im  Walsungenglanze  spriihen,  werden  die  Feinde 
seiner  gewar  und  schopfen  Verdacht.     Helgis  Freund  findet  aber 


')  Leo  rectit.  199.  jNeocor.  1,  138,  — Tacit.  Germ.  23.  —  Plin.  h.  n.  28,  35. 
)  Das  goth.  Wort    quairnus    (Miile)    bezeichnet  wie    das    ahd.   quirn  eogl.  quern 
"**  poln.  kama  die  Handmiile ,    dagegen  ahd.    mult  poln.   »/%«   die  Wafzermiile. 
^^•-  ^rimm  besch.  der  d.  Spr.  67.  68. 


314 


rasch    die  Ausrede,    die  Magd   eei   eine  gefangene  Walklirie  und 
8o  Ziehen  die  Verfolger  weiter.  (Saem.  edda  158  f.)    Die  Handmft- 
len  haben  sich  zur  Qual  der  Magde  sehr  lange  erhalten  und  noch 
heute  sind  sie  in  den  Haushaltungen  zu  finden.     Daneben  gab  ea 
wol  auch  Miilen,  die  durch  Thiere  bewegt  wurden,  wie  das  go- 
thische  asiluquairnus,  Eselsmiile,  zeigf.    Und   auch  Wafzermiilen 
waren  durch  die  Romer  ^)  den  Ostgothen ,  Franken ,  Bnrgnndem 
und  Westgothen  bald  bekannt  worden  *).    Sie  dienten  nicht  blofz 
zum  Gebrauche  des  Besitzers,   welcher  sie  durchr  einen  nnfreien 
fiiren  liefz,    sondem   auch   dem   allgemeinen   Bedtirfnifse  •)-     Die 
Strafe  fftr  ihre  Besch'adigung  war  sehr  hoch,    Wafzer-  und  Wind- 
miilen  wtiren  im  achten  Jahrhundert   auch  in   England   schon  in 
allgemeinem  Gebrauche  und  fast   jeder   Ort   besafz    eine    solche 
Miile  *). 

Die  einfachste  Verwendung  des  in  der  Miile  zubereiteten 
Getreides  war  als  Griitze  und  als  Brei.  Diirfen  wir  noch  aus  heu- 
tiger  Neigung  auf  friihere  schliefzen ,  so  war  der  Griitze  beson- 
ders  im  Nordcn  beliebt;  noch  heute  ist  er  Lieblingsefzen  der 
D'anen  und  Jiiten  ').  Ihre  Vorliebe  stimmt  also  zu  der  Polen  Ge- 
schmack  an. der  Heidekomgriitze.  Mit  dem  Grfttze  ist  der  Brd 
nahe  verwandt.  Plinius  erz'alt,  die  Germanen  lebten  vorztlglich 
von  Haferbrei  •)  und  seine  Angabe  hat  fiir  viele  Jahrhunderte 
ihre  Wahrheit  behalten ;  Haferbrei  war  noch  im  dreizehnten  Jahr- 
hundert die  gewonliche  Narung  der  armeren  '').  Daneben  war  Ger- 
stenbrei  beliebt ,  auch  Bonenbrei  und  Hirsebrei  *).  Die  Breiliebe 
der  Normanen,  welche  ihnen  den  Namen  bouilleux  zuzog,  scheint 


*)  Uober  die  romischen  Wafzennulen  Plin.  h.  n.  IX.  10.  Vitrnv.  X,  10. 
')  Thcoderich  befahl  dem  rCmischen  Senate  eine  XJntersuchang  gegen  die  snia- 
Btellen,  welche  das  Wafzer  aus  den  offcntlichcn  Wafzerleitungen  ableiteten  am 
ihre  ^^  arzermiilcn  zu  trciben  (ad  aquae  molas  exercendas)  Cafsiod.  var.  8,  31. 
•)  Waitz  deutsche  Verfafzungsgeschichte  2,  22.  *)  Leo  RectitudincB.  202.  •)  Din. 
grod.  schwed.  grdt,  altn.  qrautr  (puis).  •)  Hist.  nat.  18,  44.  *)  Limbnrgcr 
Chionik  herausg.  von  Vogcl  S.  30.  *)  Hoflinann  Fundgrubcn  2,  24.  36.  Helbl. 
8,  881.  Schmcll.  1,  175.  Uhland  Volkslieder  n.  329.—  Hirsebrei  bei  den  SarmEttn 
nach  Plinius  h.  n.  18,  24  sehr  beliebt. 


815 

Nachwirkung  ihrer  germanischen  Abkunft.  Im  siebzehnten  Jahr- 
hundert  waren  Breie  auf  den  Tafeln  der  franzosischen  Konige 
ein  beliebtes  Gerioht ;  sie  mogen  freilich  von  dem  urgermaniechen 
Haferbrei  sich  bedeutend  unterschieden  haben,  wie  auch  jene 
nordischen  Breie ,  welche  als  Reizmittel  zum  Trinken  benutzt 
wnrden  (olkr&fir),  von  befzerer  Zusammensetzung  gewesen  sein 
mogen.  Im  allgemeinen  gait  Brei  wie  heute  Brot  zur  Bezeich- 
nung  von  Efzen  oder  Narung  ;  darum  eagt  Freidank :  der  Thor 
Borgt  angstlich  alle  Tage  wie  er  genug  des  Breies  erjage,  (S8, 
22)  und:  1st  dem  Thoren  Brei  zur  Hand,  was  kiimmert  ihn  das 
Vaterland.  (83,   27). 

Das  alteste  Brot  ')  war  im  Grande  nichts  anderes  als  ge- 
rosteter  Melbrei.  Ungesauert ,  in  flacher  Kuchenform  bereitet, 
verlangte  es  keine  grofze  Backkunst;  solches  Brot  hiefz  Derb- 
brot^).  Es  war  meist  aus  Gersten-  oder  Hafermel  ^) ,  auch  aus 
Dinkel,  und  das  Mel  scheint  nicht  fein  gemalen ;  darum  war  es 
schwer  und  dick.  (Saem.  100.**)  Ihm  stund  ein  befzeres  durch 
Garmittel  aufgetriebenes  Brot  gegeniiber  *) ,  das  aus  Weizenmel 
gebacken  ward  und  fchoen  br6t  auch  wei;^;  br6t  hiefz  *).  Seine 
Gestalt  war  mehr  kuchenartig  als  in  der  gewolbten  Weise  unse- 
rer  Brote.  Ganz  runde  Brote  hiefzen  Halbbrote  oder  Gastel ;  sie 
waren  von  schlechtem  Teige  und  batten  nur  das  halbe  Gewicht 
eines  guteh  Brotes  ®) ;  sie  scheinen  dafselbe  was  die  Derbbrote  zu 
sein.  Eine  feinere  runde  Brotart  hatte  den  Namen  Brotring (ringila), 
auch  Stechling,  woraus  sich  durch  allerlei  Zutaten  unsre  Napfkuchen 
Gugelhupfe  und  Torten  gebildet  haben  '').     Eine  diinne  Kuchen- 


')  hlaifs,  hlaih.  hip.  hlaifr,  hldf.  — •   poln.  chUb^  niss.  chl/eb.  litth.  klepas. 
'^t^  klaips,  *)  derb  brot  azymus,  ags.  iheorf,  hlaf.  Vgl.  im  Allgemeinen  Hoff- 

niann  Ahd.  Glofsen  15,  14—18.  Ueber  die  romischen  Brote.  Plin.  h.  n.  18,  27. 
*)6rieshaber  Predigten  2,  212.  *)  Erhaben  br6t  fermentatus.  —  Als  Garmittel 
^rden  die  Reste  des  alten  Teiges  benutzt*  Roqaef.  v.  priv.  1,  83.  In  Scblcsien 
"I  das  noch  Sitte.  *)  Schoenez  br6t  Nith.  Ben.  34,  4.  VVeist.  2,  328.  406.  606. 
Altd.Kochb.  bei  Haupt  Z.  f.  d.  A.  5^  13.  wci;?  brot  Roth.  2543.  MSH.  2,  287." 
^eist.  2,  117.  hleifr  bvitr  af  hveiti  Saem.  104.'  claen  hlaf  Leo  rectitnd.  199. 
)  Vgl.  Wh.  Grimm  zu  Graf  Rudolf  H,  15.  ')  Panis  tortus;  tourte,  tourtel 
^quefort  et  le  Grand  vie  priv^e  1,  97.  2,  276. 


816 

art  yon  feinem  Weizenmel ,  die  in  der  Herda^che  gebacken  wurde, 
hiefz  vochenza,  Fochenz  *),  bei  Germanen  wie  bei  Bomanen  be- 
kannt.  Beliebtes  Tischgeback  waren  die  Brezeln,  die  auf  Bildem 
des  zwolften  und  dreizehnten  Jahrhunderts  in  ziemlicher  GrOize 
und  in  heutiger  Gestalt  zu  sehen  sind;  sie  wurden  mit  Oel  be* 
strichen.  (Graff  3 ,  37.)  Zu  den  feineren  Backwerken  gehdrten 
noch  die  Krapfen  ^)  oder  Ffannkuchen  und  die  Kuchen  im  allge- 
meinen ;  Zwiebacke  waren  in  Frankreich  zeitig  bekannt  und  ¥nur- 
den  besonders  in  den  Klostern  genofzen.  Zu  diesem  Hausgeback 
kam  in  der  heidnischen  Zeit  noch  die  TempelbS<;kerei ,  welche 
einen  Theil  der  priesterlichen  Thatigkeit  der  Frauen  ausmacbte. 
Gotterbilder  und  heilige  Thiere  wurden  in  Teig  gekuetet,  mit 
Oel  bestrichen  und  an  geweihter  Statte  von  den  Weibern  gebacken. 
Die  Bilder  waren  so  grofz,  dafz  ein  Baldur  von  Teig,  als  er  in  dae 
Feuer  fiel,  nach  der  Fridthiofssage  seinen  Tempel  in  Brand  steckte. 
Noch  genug  Spuren  dieser  Backereien  sind  in  den  deutschen  L&a- 
dern  unter  andern  in  Schlesien  erhalten ,  wo  Manner  und  Thi«« 
(nainentlich  Schweine)  in  Semmelteig  nachgebildet  werden ;  die 
Tracht  dieser  Semmelmanner  ist,  so  weit  sie  sich  an  den  rohen  Bil- 
dem erkennen  lafzt,  eine  alterthilmliche ;  besonders  gilt  diefz  vom 
Schuhwerk  *).  Auf  religiose  Brauche  weisen  auch  die  Backwerke, 
welche  sich  an  bestimmte  Zeiten  kniipfen.  —  Im  allgemeinen  ward 
die  Backerei  namentlich  des  Brotes  in  jeder  Haushaltung  von  den 
Hausfrauen  betrieben.  Daneben  gab  es  aberauch  besondre  Backer; 
in  dem  angelsachsischen  Gesprache  Alfriks  nennt  sich  der  Backer 
die  Kraft  der  Manner  (magen  vera). 

Aufzer  beim  Backen  verwandten  die  germanischen  Frauen 
das  Getraide  noch  beim  Brauen.  Schon  Tacitus  erwahnt  ein  ge- 
gorenes  Getr^nk  aus  Gerste  oder  Weizen  als   bei  den  Germanen 


')  Mittellat.  focacius,  ital.  focaccio.  span,  hogaza,  firanz.  fouttfse,  Tgl.  Hoff* 
maun  abd.  Glofben  51,  11.  Graff  3,  44l.  Schmell.  1,  507.  Regis  Rabelais  8,  117.— 
Das  vielfacb  mifdeutete  Wort  scbeint  von  focus  herzuleiten.  *)  Sie  scheinen 
nacb  ihrer  urspriinglicben  hakcnformigcn  (krapfu  Haken)  Gestalt  benannt  Gnff 
4,  360.  597.  *)  Hier  und  da  fiiren  dicse  Biickereien  bcsondere  Nameiu  Es  ware 
erwiiuscht  reicherc  Sammlungen  dieser  Nainen  zu  besitzen. 


811 

Wiebt  (germ*  23),  das  unser  Bier  oder  wie  der  altere  heimische 
Name  lautet,  Ale  oder  Oel  ist  ').  In  dennordischen  Hatishaltun- 
gen  stund  die  Frau,  und  wftre  sie  eine  Konigin,  selbst  am  Kefzel 
um  Bier  zu  brauen*  Gotter  und  Ftirsten  liebten  das  kraftige  Ge- 
trank.  Der  Meergott  Aegir  versammelte  die  befreundeten  Gott- 
heiten  zum  Biere  bei  sich  und  Thor  untemam  die  gefahrliche 
Fart  zum  Eieseh  Hymir,  ura  den  grofzen  Kefzel  zu  holen,  der 
nach  jeder  Emte  ein  hinreichendes  Mafz  des  beliebten  Trankes 
for  die  durstigen  unsterblichen  aufnam.  Riesen  und  Helden,  Man- 
ner und  Frauen  laben  sich  am  Biere  und  die  Manner  bereiten 
sich  zu  dem  Zechen  in  Walhalla  schon  auf  Erden  tagtaglich  bis 
zur  sinkenden  Sonne  vor.  Gutes  Bier  brauen  zu  k5nnen ,  war 
daher  eine  grofze  Frauentugend  *)  und  wir  erzalten  schon,  wie 
Konig  Alf  eine  Brauwette  zwischen  seinen  beiden  unvertraglichen 
Weibem  anordnete  um  die  eine  los  zu  werden.  Bei  dieser  Gele- 
genheit  gab  Odhin  seinen  Speichel  als  GarmitteL  Was  in  altester 
Zeit  gewonlich  dazu  benutzt  wurde ,  weifz  ich  nicht  anzugeben  *) ; 
un  zwolften  Jahrhundert  wurde  der  Hopfen  angewandt ,  bei  einem 
schlechten  Haferbiere  Eschenblatter*  Bei  einigem  Luxus  im  Leben 
begann  man  mit  dem  Biere  zu  kunsteln.  Den  alten  Galliem  be- 
fits war  ein  Bier  mit  Honig  vermi^cht  bekannt;  in  Deutsohland 
ward  es  im  neunten  Jahrhundert  ebenfalls  mit  Honig  gemengt, 
daneben  auch  mit  Wein,  go  dafz  die  Koncilien  von  Aachen  (817), 
Worms  (868)  und  Tribur  (895)  dagegen  einschritten.  In  Skan- 
dinavien   liebte  man   eine  Zeitlang  gewarmtes  Bier.      Bis  in   das 


')  Bier  ist  ron  dem  mittelalterl.  bibere  abzuleiten,  wie  poln.  piwo  zu  pic 
gehort.  Es  ist  das  Getrank  xar*  i^oxrjv.  —  In  angelsachs.  Urltunden  wird 
zwischen  beor  und  ealu  unterschieden.  Leo  (Bectit.  200)  weist  dabei  anf  den  heu- 
t'gen  Unterschied  zwischen  ale  und  beer,  d.  i.  hopfeQiosem  und  gebopftem  Biere.  — 
Keltische  Etymologien  bei  Leo  Ferienschriften  1,  64.  ')*Npch  hente  Ikfzen  es 
"ch  die  Sachsinnen  in  der  Zips  in  Ungam  nicht  nemen,  Bier  und  Branntwein  fdr 
das  Hans  selbst  zu  brauen.  Strieker  Germania  1,  242.  •)  Der  Name  eines  ge- 
gorenen  Bieres,  gruit,  begegnet  in  einer  Urkunde  Ottos  III.  von  999.  Hiillmann 
Stadtewesen  1,  269.  —  In  dem  Capitul.  Karoli  M.  de  villis  c.  34  wird  nnter  dem 
Namen  garum  ein  potionis  genus  fermentatum  aufgefiii*t ,  vielleicht  ein  gego- 
'■^nes  Bier.  —  Ein  Gerstengetrank ,  yuxfiov  genannt ,  erwahnt  Priscus  (p.  38.  ed. 
'^nei).   Ueber  camum  Du  Cange  s.  h.  v. 


318 

dreizehnte  Jahrhuodert  wurde  das  Bier  auf  den  vomemsten  Ta- 
feln  gefunden;  seitdem  wurde  es  von  ihnen  durch  den  iiberhand 
nemenden  Gebrauch  des  Weines  verdrangt  0;  dagegen  hidt  ee 
sich '  fort  nnd^  fort  bei  den  weniger  reichen  und  vomemen.  In 
den  Niederlanden  waren  schon  im  zehnten  Jahrhundert  berQhmte 
Bierbrauereien ;  in  Siiddeutschland  e^tstunden  sie  seit  dem  drei- 
zehnten ;  in  beiden  Landstrichen  ward  das  Greschaft  in  das  grofxe 
getrieben  und  die  Brauer  gehorten  bald  zu  den  reichsten  und  iiber- 
miitigsten  Biirgem.  Wer  denkt  nicht  des  Jakob  Artevelde  von 
Gent?  Hier  war  das  Bierbrauen  nattirlieh  nicht  mehr  Sache  der 
Frauen 

Neben  dem  Biere  war  der  Met  ein  uraltes  Getrank;  er  ward, 
wde  seines  Namens  Ursprung  schon  beweist,  aus  Honig  bereitet  *). 
Auch  das  romische  Alterthum  kannte  ihn  und  setzte  ihn  aus 
Wafzer  und  Honig  zusammen  (Plin,  h.  n»  14,  20).  Bei  den  Ger- 
man en  ist  er  neben  dem  Biere  seit  Alters  beliebt  gewesen,  all- 
malich  verdrangte  er  dafzelbe  aus  dem  ersten  Bange.  Warend  in 
dem  Eddaliede  von  Oegis  Gastmale  das  Bier  als  G^tnnk  der 
Gotter  genannt  wird,  fiirt  die  prosaische  Bearbeitung  dieser  Sage 
den  Met  als  Asentrunk  auf  ^).  Die  alteren  Eddalieder  aus  der 
Nibelungensage  lafzen  ihre  Helden  Bier  trinken,  in  dem  jiingeren 
ersten  Brynhildliede  kredenzt  Brynhild  dem  Sigurd  Met*  Bei  einer 
JuKeier,  welche  Konig  Magnus  von  Norwegen  ^bt,  nemen  es 
die  Gaste  sehr  Gbel  dafz  ihnen  Bier  vorgesetzt  wird,  warend  die 
Gefolgsleute  des  Konigs  Met  bekommen  ^).  In  Deutschland  stand 
er  im  11.  und  12.  Jahrhundert  in  gleichem  Ansehen  wie  *der 
Wein  *).  An  dem  merovingischen   Hofe  ward  Met  mit  Wein  ge- 


')  Hiillmanii  Stadtewesen  1,  270.  Jftger  Ulm  617.  Le  Grand  et  Roquefort 
yie  priv^e  2,  342.  ff.  W.  Wackernagel  bei  Haiipt  Z.  f.  d.  A.  6,  261.  ff.  (Konrad  von 
Wiirzburgs  Ansicht  vom  Bier  ist  hier  falsch  gedeatet.  vgL  Engelh.  2116.  3892. 
Troj.  kr.  16035.  ^)  Sanskr.  madhu  mel,  pottis  inebrians,  slav.  mecf  Honig,  medo^ 
vina  Met.  poln.  midd  Honig  and  Met.  *—  Ahd.  tnetu,  ag8.  medo.  altn.  middkr, 
')  Saem.  54.  59.  Snorr.  80.  *)  Fommannas.  8,  166.  ^)  W.  Wackernagel  bei 
Hanpt  Z.  f.  d.  A.  6,  263.  Die  Stellen  aus  dem  Welschen  Gast,  Helbling  und  Renner 
sind  falsch  gedeutet. 


819 

mischt  getrunken  (Greg.  Tur.  8,  31),  wie  denn  in  Frankreich 
auch  spater  der  Met  Zuthaten  und  namentlich  Zusatze  yon  Krau- 
tem  erhielt  *)♦  Fast  in  alien  germanischen  Landem  scheint  er  haufig 
bereitet  worden  zu  sein,  nur  in  England  verliert  sich  seine  Spur 
zdtig^).  Wenn  die  Gegend  mc]^t  selbst,  wie  Schwaben,  hinreichende 
Bienenzucht  trieb  *) ,  ward  der  Honig  aus  Polen  dazu  einge-^ 
fiirt,  wo  der  Met  heute  noch  Volksgetrank  ist  und  sehr  gut  ge- 
braut  wird. 

Jiinger  als  Met  und  Bier,  obsdhon  den  Germanen  auch  friih 
bekannt,  war  der  Obstwein  *).  Seine  Bereitung  setzt  natt^rlich  eine 
Hohe  des  Obstbaues  voraus ,  welche  nicht  allzufnih  erreicht 
wurde;  aus  den  wilden  Aepfeln  welche  nach  Tacitus  von  den 
Deutschen  verspeist  wurden,  ware  schwerlich  irgend  ein  leidliches 
Getrank  zu  gewinnen  gewesen.  Die  Reste  rSmischer  Kultur  pao- 
gen  indefsen  zu  Hilfe  gekommen  sein  und  im  siidlichen  Deutsch- 
land  wie,  in  Gallien,  abgesehen  von  den  gothischen  Landgebieten, 
mag  der  Obstbau  und  mit  ihm  der  Obstwein  sich  zuerst  in 
Pflege  und  Hege  gebracht  haben.  Karl  der  Grofze  hielt  nicht  nur 
darauf,  dafz  bei  den  kaiserlichen  Meierhofen  Bimen-  Aepfel- 
Pflaumen-  Mispelb'aume  und  Johannisberstraucher  gehalten  wur- 
den, sondern  auch  dafz  Leute  vorhanden  waren  (siceratores) 
welche  Kirschen-  Aepfel-  und  Birnenwein  zu  bereiten  verstiin- 
den*).  Johannisberen,  Himberen,  Maulberen  und  Granaten  wur- 
den auch  spaterhin  in  Frankreich  zur  Obstweinbereitung  benutzt. 
In  der  mittleren  Zeit  waren  Aepfeltrank  und  Birnenmost  bei  den 
baierischen  und  osterreichischen  Bauern  beliebte  Getranke  und  noch 
heute  findet  man  in  Bauerhofen  des  siidlichen  und  mittleren  Deutsch- 
landg  den  Aepfelwein  ziemlich  haufig.  Die  mangelhafte  Obstzucht, 
welche  nur  in   einigen   deutschen  Landem   einer  befzeren  gewi- 


')  Le  Grand  et  Boqnef.  yie   priy^e  2,  339.     Ein  dentsches  Metrezept  ang 
<lein  U.   Jahrh.    bei    Haupt   Z.    f.    d.    A.    5,    12.  *)  Leo   Rectitudines   201. 

*)  Hullmann  Stadtewesen  1,  274.  Jager  Ulm  619,  *)  Leithn.  lid.  lit.  ygl.  Wa- 
ckernagel  bei  Haupt  Z.  f.  d.  A.  6,  270.  *)  Karoli  M.  capit.  de  villis  imperialibus 
812.  c.  45  (Pertz  legg.   1,  184). 


I 


S20 

chen  ist,  war  hauptB&chlich  Schuld  dafz  dicse  einfacfaen  und  an* 
gen  emeu  Fruchtweine  nicht  mehr  in  Aufname  kamen. 

Nicht  befzer  als  um  die  Obstzucht  stund  es  um  den  Wctw 
bau.  Die  Germanen  welche  mit  den  ROmem  grenzten,  batten 
durch  diese  Bchon  zu  Tacitus  Zeit  den  Wein  kennen  gelemt  imd 
erhandelten  ihn  yon  ihnen  ^).  Spater  gelangten  sie  in  den  Bedtx 
von  Rhein  und  Mosel  wo  alte  Weinkultur  war,  allein  aie  konn- 
ten  doch,  und  das  gilt  fur  das  ganze  Mittelalter ,  keinen  rechteo 
Geschmack  daran  finden.  Rhdn-  und  Moselwdny  ebeneo  der  Fran- 
ken  wein  und  Oesterreicher  werden  wol  gelobt*),  allein  man  xog 
die  feurigen  Stid-  und  Ostweine  vor.  Ungarwein  (auch  Osterwem 
und  Heunischer  Wein  genannt)  Welscher  und  Cyperwein  waren 
die  erkornen  Arten  ^) ,  an  deren  einfachem  Yerbrauche  9  so  Biifx 
und  hitzig  sie  auch  sind,  man  sich  nicht  begniigte.  Sie  wurden 
noch  mit  allerlei  Gewiirzen  und  Krautern  angemacht  und  suwei- 
Icn  auch  gekocht  und  heifz  getrunken  (vinum  coctum).  Die  Na- 
men  dieser  kiinstlichen  Weine  waren  Pigment,  Klaret,  Sinopel, 
Ilippokras  und  Lautertrank  *).  Von  welcher  Art  der  Wein  war, 
der  in  einigen  Eddaliedern  freilich  nur  in  jiingeren  •) ,  erwahnt 
wird,  lafzt  sich  nicht  sagen.  MerkwArdig  ist  dafz  Odhin  nach 
dem  Grimnismal  dadurch  auFgezeichnet  wird,  dafz  er  Wein  trinkt 
warend  die  Helden  um  ihn  Met  und  Bier  zechen.  Der  Wein,  der 
in  den  weinverschlofzenen  Norden  dringen  mochte,  kam  gewifs 
nicht  in  grofzen  Mafsen  dahin  ,  und  so  muste  er  als  Trunk  der 
Gotter  und  auch  nur  des  hochsten  Gottes  erscheinen.  Bei  der 
kiinstlichen  Versetzung   der  Weine  waren  die  Franen   naturlidi 


')  Proximi  ripac  et  vinnm  mercantnr.  Tacit  gemu  23.  ")  Das  gQt  Yom 
Baierwcine  nicht.  Baicrischer  Wein,  Jnden  und  jnng  Wolfelein  sollen  am  bettan 
in  der  Jngend  sein.  Renner  249.*  —  Ygl.  alte  Lobpreisnngen  tod  Mosel-  and  Bhein- 
wcin  bei  Wackernagel  in  Haupts  Z.  f.  d.  A.  6,  264.  ff.  *)  Anf  der  Tafel  der 

ostgoth.  Konige  waren  italischc  und  griechische  Weine  beliebt.  Cafs.  Tar.  XII,  4.19. 
*)  Vgl.  Wackernagel  a.  a.  O.  Le  Grand  et  Roquef.  vie  priv^e  2,  306.  fL  8,  64.  it 
Ucber  die  altromischen  gewiirztcn  und  Krauterweine  Plin.  h*  n.  14,  16.  18.  *)  vfii- 
ferill  in  der  Hymisquidha  als  Benennung  des  Bechers  gehort  so  den  Tielen  jtin- 
geren  Worten  diestts  spftton  Liedes. 


821 

geschaftig.  Wenn  die  Manner  von  der  miihseligen  Fart,  aus  dem 
Kriege  oder  von  der  Jagd  heimkamen,  oder  wenn  sie  in  Gast- 
lichkeit  und  Festesfeier  in  der  Halle  beisammen  safzen ,  giengen 
die  Frauen  mit  dein  Becher  unter  ihnen  herum  und  kredenzten. 
Ale  im  Wasgenwalde  der  Kampf  der  Franken  gegen  Walther  von 
Aquitanien  geendet  und  Hildgund  die  Wunden  der  drei  iiberle- 
benden  Kampfer  verbunden  hat,  miacht  sie  den  Wein  und  reicht 
den  ermatteten  den  Labetrunk.  Wir  finden  sogar  besondere  Die- 
nerinnen  fur  das  Kredenzen  bestellt.    Doch  davon  noch  spater. 

Zu  den   hauslichen  Geschaften    des  Weibes  tritt  als  Mittel- 

punkt   gewifsermafzen    die   Besorgung    der  Kiiche.     Je  einfacher 

die  Zeit  um  so  einfacher  ist  die  Bereitung  der  Speisen ;  mit  dem 

Luxus  bildet  sich  die  Kocbkunst  aus,  die  sogar  bis  zur  vermeint- 

lichen  Wifzenschaft  getrieben  wird*    In  der  Zeit  die  wir  hier  im 

Auge  haben  erscheinen  die    ersten  Anfange    ja   diese  noch  nicht, 

und  daneben  schon  Kiinsteleien,    welche  den    Kochtopf  der  Frau 

entziehen  und  eigene  Kuchenmeister  anstellen    lafzen,    deren  Ge- 

schaft  zum  Hofamt  eihoben  wird.  —  Die  al teste  Nachricht,  welche 

UD8  Ton  den  Speisen  der  Germanen  wird  (Pomp.  Mela  3,  3),  zeigt 

den  Zust'and    der   Hirten-    und    Jagervolker;    der   Gebrauch  des 

Feuers   ist    noch    unbekannt    oder   wenigstens  nicht   beliebt,    das 

Fleisch    wird    durch   Kneten    miirbe   gemacht   und    roh  verzehlt. 

Zu  Tacitus  Zeit  war  es  jedoch  schon  anders,  wenigstens  bei  den 

westlichen    Deutschen;    da    scheint    das    Sieden  *)  schon  bekannt. 

Ein  Stiick  frischen  Wildbretes  wird  an  dem  Spiefz  gebratert  oder 

ein  Thier    der  Herde   zerschnitten    im  Kefzel   gekocht.     Aus  der 

starken  Schweinezucht  diirfen  wir  schliefzen,  dafz  unsere  Abnen 

besonders  gem  Schweinefleisch  afzen ;  wir  wifzen  ferner,  dafz  alle 

Germanen  das  Pferdefleisch  liebten,   wogegen  die  kristlichen  Be- 

Wer  und    die  Priester  lange   eiuen   harten   Kampf  zu  bestehen 


')  Sieden  ist  das  germanische  Wort  fiir  das  gar  machen  der  Speisen.  Kochen 
'8t  eutlehnt.  Das  Gef&fz  zum  Sieden  wird  im  altn.  hverr,  ags.  hver  (frank,  chverio) 
"Q^^r  Sieder"  mit  dem  german.  Namen  (Jkezzll  ist  ontlehiit)  benannt.  —  hrdt^  brdto 
heifzt  Fleisch,  brdtan  das  Fleisch  zubereiten, 

21 


822 

hatten ;  es  ward  als  Eriiiuerung  an  den  Dienst  der  geliebten  Volks- 
gotter  bartnackig  festgehalten.  Indem  Binder  ^  Widder,  Schafe 
und  Bocke  zu  den  Opferthieren  gehorten ,  eehen  wir  dafz  sie 
auch  angesehene  Speisen  des  Yolkes  waren.  Dafz  Hasen  und 
Biber  verzert  wurden  und  echt  volksthumliche  vielleicbt  opfer^ 
mafzige  Braten  waren,  zeigt  das  Gebot  des  Pabstes  Zachariaa 
an  Bonifaz^  ihren  Genufz  zu  untersagen.  Ebenso  war  Baien- 
und  Hirscbfleisch  eine  angesehene  Zierde  der  Taibln.  (Chron.  no- 
valic.  III.  21.)  Was  die  Vogel  betrifft ,  so  war  unser  Alterthum 
merkwGrdig  geschmacklos ;  Papst  Zacharias  verbietet  den  Deut- 
schen  Haher,  Raben  und  Storche  zu  efzen;  auf  den  vomemsten 
Tafeln  des  zwolften  und  dreizehnten  Jabrhunderts  wurden  Kia- 
niche,  Storche,  Schwane,  Eohrdommeln  und Krahen  gekocht  und 
gebraten  als  ausgesuchte  Speisen  geschatzt ;  der  Pfau  und  der 
Eeiher  waren  nicht  blofz  eine  A  u  g  e  n  zier  der  koniglicben  Tische  *)• 
Solches  Fleiscb  konnte  natiirlich  nur  durch  die  scharfsten  Briihen 
geniefzbar  gemacht  werden.  Befzeren  Geschmack  ven^t  die  Vor- 
Hebe  fur  Fasane,  Hiiner,  Tauben,  Enten  und  kleinere  Vogel,  die 
auf  der  Falkenbeize  und  im  Jagdnetz  gefangen  wurden  *).  Fische 
waren  ein  gewonliches  Gericht ;  sie  felen  selten  auf  den  Bildem 
von  Malzeiten  welche  wir  in  den  Handschriften  finden  *).  Beson- 
ders  waren  die  Aale  beliebt  (1.  sal.  XXVII. ,  20);  die  Angefan  in 
Sussex  hatten  bis  zu  des  Bekerers  Wilfrids  Zeit  nur  Aale  ge- 
nofzen,  erst  durch  ihn  lernten  sie  auch  die  andem  FiBche  als 
ein  Narungsmittel  kennen  *).  Bauchfleisch  war ,  wie  die  bei  den 
Romem  hochgeschatzten  niarsischen  Schinken  bezeugen ,  den  Dent- 
schen  zeitig  bekannt;  Karl  der  Grofze  befielt  dafz  auf  seinen 
Meiereien  stets  Vorrat  von  Speck,  Rauchfleisch  (siccamen),  Siilse 
(sulcia)  und  gesalzeneni  Fleische  (niusahus)  geh^ten  werde.    Slil- 


')  Le  Grand  et  Roquefort  vie  priv^e  2,  19.  ff.  Ueber  die  SteUe,  welche  der 
Pfau  im  rittcrlichen  Ceremonial  einnam  vgl.  ebd.  25.  RciffenbcrgmonaiiL  5,  LXXV. 
*)  Karoli  M.  capit.  de  villis  c.  40.  —  Hoffmann  Althd.  Glofsen  16,  20—24- 
*)  Auf  der  Tafc>l  der  ostgoth.  Konige  wurde  mit  den  Fischeu  Aufwand  getriebea. 
Donan,  Rhein  und  die  See  mnsten  ihre  besten  Bewoner  liefem.  Cafsiod.  Twr.  XII,  4* 
*)  Beda  h.  eccl.  4,  13. 


S28 

«en  und  Gallerte  (galreide,  geislitze)  warden  aus  Ochsenfiifzen,  die 
feineren  Arten  aus  Hftnem  und  Fischen  gesottea-O  5  ^s  waren  be- 
Kebte  Nachtischgerichte  *).  Die  meisten  Speisen  wurden  in  ge» 
wiirzten  Briihen'  bereitet ,  so  Karpfen ,  Hausen ,  Hechte  und  Lamm- 
fleisch  in  der  vielbeliebten  Pfeflferbriihe  (MSH.  3, 310*>) ;  auch  Saf- 
fran  war  als  wiirzende  Zuthat  sehr  gewonlich.  In  einem  Speise^ 
liede  Steinmars  wird  verlangt  dafz  alios  so  gewiirzt  sei,  dafz  der 
Mund  wie  eine  Apotheke  lieche  und  ein  heifzer  Eauch  dem  Becher 
entgegensteige.  Man  bedenke  noch  dafz  auch  die  Weine  stark 
gewiirzt  waren  und  man  wird  den  starkfen  Durst  unserer  Vorfa- 
ren  begreifen  lemen.  Die  Brtihen  in  denen  das  Fleisch  lag,  mo- 
gen  die  Stellen  unserer  Suppen  vertreten  haben.  Eine  franzosische 
Kraftsuppe  wardenDeutschen  abgelernt  (brouet  d'Allemagne),  eine 
Hochzeitsuppe  den  Flamingen  (chadeau  flaraand)  '). 

Mit  einigem  Interefse  nimmt  man  die  Speisezettel  war,  welche 
in  Gedichten,  Kechtsaufzeichnungen  und  Kroniken  iiberliefert  sind. 
Der  Dichter  Hadlaub  (am  Ende  des  13.  und  Anfang  des  14.  Jahr- 
hunderts)  wiinscht  sich  zur  Malzeit  fette  Schweinebraten,  Wiirste, 
Schafgehim,  begofzenes  Brot  (mit  Fett  betraufeltes  Weifzbrot), 
Ganse,  gefullte  Hiiner,  gesottene  Kapaune,  Tauben  und  Fasane 
(MSH.  2,  287;  vergl.  3,  310.)  In  einem  Gedichte  vom  Herbste 
and  Maien  *)  wird  eine  ganze  Reihe  Leckereien  aufgetischt.  Da 
finden  wir  gerostete  Ochsennieren ,  Schweinsfiifze,  Magen  die 
mit  gehackten  Eiern  Petersilie  und  Saffran  gefiillt  sind,  Wiirste 
mit  Muskat  und  Negelein,  Siilze,  Ganse,  Speckkuchen,  Rhein- 
salmei^ ,  Hausenwammen ,  Hechte ,  Aale  und  Forellen ,  einen  jah- 
rigen  Stier  mit  Petersilie  und  Saffiran  gebraten,  und  zuletzt  be- 
tmufte  Wecken.  Alles  diefz  wird  dem  Herbst  als  riesige  HOstung 
angelegt,  als  Sporen  tragt  er  eine  Uenne  und  einen  Hahn. 

Bei    der   Einweihung   der    Weifzenfelser  Pfarrkirche  (1303) 


•)  Wolfr.  Wilh.  384,  13.  Des  von  Wirtemb.  Buch  1.  241.  *)  MSHag. 
8,  81i/.~.Ueber  franzosi/sche  sehrfeine  Stilzen  des  18.  Jahrhnnderte  (z.  B.  le  blano 
^^ger,  g^n^stine)  vgl.  vie  privee  2,  252.         ")  Vie  priv^e  2,  229.  256.   «  *)  Fragm. 

21  * 


Si4 


wurden  dem  Bischof  von  Zeiz  folgende   Speisen    vorgeeet^: 
ersten  Tage  als  -er»te  Tracht :   Eiersuppe   mit    Saffiran  PfeflFerk 
nerii  und  Honig,  ein  Hirsegemiise ,  Schaffleit«ch  mit  Zwiebeln,  e5x3 
gebratenes  Huhn  mit  Zwetschgen;    als  zweite  Tracht:  Stockfisdi 
mit  Oel  und  Rosinen,   in   Oel   gebackene  Bleie,    gesottener  Aa/ 
mit   Pfeffer,    gerosteter  Bfickling    mit    Senf;    als   dritte  Tracht: 
sauer  gesottene  Speisefische,    gebackene  Barbe,    kleine  Vdgel  in 
Schmalz  hart  gebacken  mit  Rettig,  eine  Schweinskeule  mit  Qtir- 
ken.     Am  zweiten  Tage  gab  man  als  erste  Tracht :  Schweinefleiflclii 
Eierkuchen  mit  Honig   und  Weinberen,   gebratenen    Bering;    all 
zweite  Tracht :  kleine  Fische  mit  Rosinen ,  aufgebratene  Bleie  und 
eine  gebratene  Gans  mit  roten  RCiben;    als  dritte  Tracht:    gesal- 
zene  Hechte  mit  Petersilie,  Sallat  mit  Eier  und  Gallert  mit  Man* 
deln  belegt  ^).  ^ 

Auch  aus  den  Gerichten,  welche  den  Schoften  vorgeschrie- 
bener  Mafzen  an  den  Gerichtstagen  vorgesetzt  wurden ,  kann  man 
mancherlei  entnemen.  Da  wird  ein  Kohlkopf  mit  Fleisch  gespickt 
erwahnt  (Weisth  2 ,  35) ;  anderwarts  wird  den  Schoffen  zum  PrOh- 
stCick  bedungen  eine  Suppe,  jedem  zwei  Eier,  Knoblauch,  zweier- 
lei  Brot  und  ein  gutes  Glas  diesjarigen  Weins;  zu  Mittag  als 
erstes  Gericht  Speck  mit  Erbsen,  dann  griines  Rindfleisch  mit 
Senf,  zum  drittcu  Schaffleisoh  mit  Kummel ,  zum  vierten  Rebbrei 
und  dazu  Weifzbrot  ^)  In  Kiichenzetteln  des  14.  and  15.  Jahr- 
hunderts  bemerken  wir  Fortschritte  des  Luxus.  Fiir  die  Kirchen- 
vorsteher  von  St.  Markus  in  Koln  werden  1345  zu  den  festlichen 
Gastmalern  ausgesetzt:  Enten  in  Pfeffer,  Fische  mit  Reia,  Hiuie 
und  als  Nachtisch  Birnen,  Niifze  undKase.  Dagegen  1415:  Rind- 
bruststticke,  junger  Hammelbraten,  Schinken,  Wildbret  in  Pfef- 
ferbrilhe,  iiir  je  zwei  G&ste  ein  Kapaun  oder  eine  wilde  Eutc; 
als  Getrank  Bier  oder  der  beste  Wein  der  zu  kaufen  ist  *)•  Zum 
Nachtisch  ward  aufzer  Brot  und  Kase   gewOnlich  Obst   aufgetra- 


0  Alles  das  kostete  8  fl.  15  gr.  9  pf.  «-  Lepnna  St  Klareoklotter  tu  Wei- 
Tzenfels.   Nordhansen    1837.    S.  49.  ')  WeisthiimiBr    8,    117.    vgl.    328,    779. 

*)  Hiillmann  Stftdtewesen  4,  154.  f.  Vgl.  anch  Uas  altdentsche  Kochbucfa  aiudiBm 
14.  Jahrhundert  bei  Hanpt  Z.  f.  d.  A.  5,   11 — 16. 


S25 


gen;  in  Frankreich  war  es  im  12.  und  13.  Jahrhundert  Brauch 
Eirschen  Pflaumen  Pfirsiche  Erdberen  zum  Vortisch  zu  geben, 
Aepfel  dagegen  und  Birnen  Kaetanien  und  Niifze  zur  Nachkost  ^). 
Die  Deutschen  liebten  namentlich  Niifze  zum  Nachtisch,  wozu  sie 
fleifzig  tranken  ^).  Das  schon  oft  erwahnte  Kapitulare  Karls  des 
Grofzen,  iiber  die  kaiserlichen  Villen  ist  auch  fiir  die  Geschichte 
des  deutschen  Obst-  und  Gemiisebaues  von  Bedeutung.  Die  siid- 
liche  Obstkultur  hatte  den  Kaisei"  angereizt,  auch  auf  seinen 
HausgUtern  edieres  Obst  zu  ziehen  und  er  hegte  aufzer  Kastanien, 
Pfirsichen,  Quittenbaumen,  Mandelbaumen,  Haselstauden,  Kirsch- 
und  Maulberbaumen  verschiedene  Birnen-  Pflaumen-  and  Aepfel- 
arten  (c.  70).  Fur  manche  Gemdse  war  Deutschland  von  alter  Zeit 
ein  beriihmter  Boden ;  Tiberius  bezog  von  hier  fiir  seinen  Tisch 
Morriiben;  Bonen  gediehen  gut  und  Rettige  bis  zur  Grofze  eines 
Kindes  ').  Die  Burgunder  zogen  und  speisten  viel  Knoblauch  und 
Zwiebeln  *) ;  bei  den  Salfranken  stund  der  Bau  von  Haleenfriich^ 
ten  und  Rettigen  in  Ansehen  (I.  Sal.  XXVIL,  7).  In  den  Gar- 
ten Karls  des  Grofzen  sol  ten  unter  andern  gepflanzt  werden  Gur- 
ken,  Kiirbise,  Bonen,  Kiimmel,  Erbsen,  Sallat,  Schwarzkiim- 
mel,  weifzer  Gartensenf,  Brunnenkrefse,  Petersilie,  Till,  Fenchel, 
Pfefferkraut,  Minze,  Mohn,  Riiben,  Karotten,  Pastinak,  Kolrabi, 
Schnittlauch,  Zwiebeln,  Schalotteir,  Lauch,  Kerbel.  Von  Blumen 
befahl  er  zu  ziehen  Rosen,  Lilien,  Bockshom  (fenigrecum^y  Ros- 
roarin ,  Meerzwiebel ,  Schwertel ,  Schlangenwurz ,  Sonnenblumen, 
Barwurz ,  Ligustikum ,  Tausendguldenkraut ,  und  der  Gartner  soil 
auf  seinem  Dache  Hauswurz  haben.  Wie  sich  die  Frauen  zur 
Gemiise-  und  Blumenzucht  verhielten ,  beantwortet  sich  von  selbst. 
Fiir  die  KOche  und  den  Schmuck  war  hier  gleich  viel  zu  gewin- 
nen  und  die  germanischen  Weiber  stiinden  von  je  den  Romerin^ 
^6n  nicht  nach,  deren  Gesch'aft  Besorgung  (Ics  Gartens  war. 
(Plin.  hist.  nat.  19 ,  19.)  ^) 


0  Vie  priv^e  3,  833.  338.       ')  Steirael  friinkiBche  Kaiser  1,   16  •)  Plin. 

^' «•  19  ,  28.  18,  30.   19,  26.       *)  Sidon.  Apollin.  carm.   12,  14.        »)  Es  ist  zn 

"^achten  dafz  die  romanischen  Volker  fttr   Garten  das  Wort  ans  dem  dentschen 
^Jitlehnten :  ital.  gardino ,  franz.  jardin. 


«26   _ 

Die  thatige  Theilname  welche  in  unserem  Altertfaam  aach 
die  vomemsten  Weiber  dem  Hauswesen  schenkten,  eratreckte 
sich  bis  auf  das  Gesch'aft  des  Waschens.  Koniginnen  selbst  be- 
schaftigten  sich  mil  der  Wasche  und  bis  in  die  neuere  Zeit  bin-* 
ein  war  der  Waschtag  auch  fiir  die  Frauen  der  hoheren  St&nde 
\  ein  Tag  lebendigster  Geschaftigkeit*  Die  jiingere  Edda  erz&lt  wie 
,der  Streit  zwischen  Brynhild  und  Godrun  bei  der  SchleierwSsche 
ausbricht  (Sn.  140).  Die  sch5ne  Schwanhild,  des  Gothenkonigs 
Jormunrek  Gemahl,  wird  als  sie  bei  der  Schleierbleiche  sitzt,  von 
den  ausgesandten  Mordern  liberritten  nnd  durch  die  Hufe  der 
Rofse  getotet  (Sn.  143).  Das  Waschen  der  grofzen  und  groberen 
Linnen  und  Gewander  wurde  freilich  den  M'agden  uberlafzen. 
Zur  Strafe  fiir  die  Sprodigkeit  gegen  Hartrout  ward  die  gefan- 
gene  Konigstochter  Gudrun  von  der  bosen  Gerlind  verurtheilt, 
ihr  und  ihrem  Hofgesinde  zu  waschen.  Da  mufz  sie  auch  des 
Winters  im  friihen  Morgen  hinaus  an  das  Meeresufer  und  die 
Fiifze  im  Schnee,  leichtbekleidet  den  harten  Dienst  verrichten. 
Ebenso  harte  Magdearbeit  wie  das  Waschen  war  das  Heisen  '). 
Dafz  die  Magde  dabei  von  den  Frauen  nicht  immer  gut  behan- 
delt  wurden ,  lemen  wir  aus  den  Koncilienbestimmungen ,  welche 
fur  tdtliche  Mifshandlungen  einer  eigenen  Magd  der  grausa- 
men  Herrin  sieben  Jahre  oder  wenn  die  Ztichtigung  nur  durch 
Unvorsichtigkeit  so  ungliicklich  ablief ,  fiinf  Jahre  bestimnien  *). 
Eine  weltliche  Strafe  stund  auf  solchem  Morde  nicht,  deon  die 
erschlagene  war  eine  Leibeigene. 

Werfen  wir  noch  ein  en  Blick  auf  die  hauslichen  RSume 
und  die  Einrichtung  der  vier  Pfale. 

Was  zun'achst  das  Haus  selbst  angeht,  so  war  dafzelbe 
warend  des  Hirten-  und  Nomadenlebens ,  ebenso  wUrend  der 
Wanderziige  der  Germanen  sehr  unvollkommen,  EJs  war  da  von 
keinem  wonen  oder  weilen  die  Rede;  von  Weide  zu  Weide,  von 
Land  zu  Land  zogen  die  Scharen,  die  Manner  zu  Fufz,  die 
Weiber  und  Kinder  auf  den  Wagen,    welche  auch   den  Mannem 


')  Grudr.  996.   1020.         ')  Koniii.  Worm.  868.  c.  39.  Hartzheim  S,  316. 


82t 

beiNacht  und  schlechtem  Wetter  Obdach  gewarten.  AlleVoIker  auf 
dieserStufe  der  Bildung  und  desLebens  sind  cc^a^o^ioi^^  aufWagen 
lebende,  wie  sie  dieGriechennannten.  Als  sprachliches  Zeugnifs  tritt 
dasvedische  garta  auf,  das  Wagen  und  Haus  bedeutet  ^)»  Von  den 
Khnbern  bezeugt  Plinius  (hist.  nat.  8,  40)  ausdrucklich  dafz  sie 
auf  solchen  Wage  nh'ausem  won  ten,  die  in  den  zweiradrigen  Karren 
der  Hirten  ihr  uraltes  Nachbild  finden,  welche  von  Schwaben  bis 
Hamburg,  wo  es  nur  Sitte  ist  die  Nachte  iiber  die  Herden  auf  dem 
Felde  zu  lafzen ,  noch  heute  im  Brauche  sind.  Eine  Nachbildung 
dieser  Wagenhauser  hat  man  mit  vielem  Grunde  in  der  Bauart  der 
Bauemhauser  zu  finden  getoeint  2),  welche  ira  Berner  Oberland, 
Wallis,  den  Urkantonen,  in  der  ostlichen  Schweiz,  in  den  deutschen 
Kolonien  am  Monte  Rosa ,  im  nordlichen  Schwaben  ,  in  Steier- 
mark  hier  und  da  auch  in  Schlesien  auftritt.  Auf  einem  festeren 
Erdgeschofz  ruht  ein  (urspriinglich)  holzernes  Stock  werk  ,  zu  dem 
die  Treppe  von  aufzen  fiirt  und  an  defsen  »einer  Seite  eine  Biine 
(Laube,  GnUerie)  hinlauft.  Der  Karren,  das  darauf  gesetzte  Haus- 
chen,  die  Deichsel  und  das  Tr^ttbret  am  Rande  der  Hiittentiir 
lafzen  sich  hier  wieder  erkennen. 

Es  ergibt  sich  von  selbst  dafz  kein  anderer  Baustoff  als 
Holz  zu  solchen  Hausern  gebraucht  wurde;  fliichtig  gebaut  und 
leicht  zu  zerlegen  muste  die  Hiltte  sein ,  damit  sie  an  die  neue 
Wonstatte  mitzufGren  wan  Die  Germanen  bauten  nur  von  Holz. 
Tacitus  berichtet  dafz  ihre  Hauser  ohne  festen  Bindestoff  und 
nicht  aus  Ziegeln ,  sondem  aus  unbearbeiteten  ungefiigen  Holz- 
stammen  aufgefiirt  wiirden.  Diese  Bauart  findet  sich  noch  in  sehr 
vielen  Gebirgcigegenden.  Zum  Schmucke,  berichtet  der  Romer 
weiter,  wurden  die  Holzbauten  an  einzelnen  Stellen  mit  einer  rei- 


»)  Vgl.  A.  Kiihn  bei  Albr.  Weber  Indische  Studien.  1,  360.  *)  Alb.  Schott  die 
deutschen  Kolonien  in  Piemont.  Stuttg.  1842.  Vgl.  da/u  Klcmcnt  die  Silvier  ani 
Monterosa  in  Strickers  Germania  3,  besonders  302 — 314.  An  don  schlesischen 

inlichcn  Bauteii ,  wie  ich  sie  noch  vereinzelt  aus  der  Reichenbacher  Gegend 
kenne,  fehlt  das  flache  iiberragende  Dach;  es  ist  dieses  hier  ziemlich  hoch 
und  spitz. 


S28       • 

nen  uud  gl&nzenden  Erdart  bestrichen  ^).  Im  Winter  and  als 
Yorratskammern  seien  Erdholen  beliebt,  die  oben  mit  Diinger 
tiberdeckt  warden.  In  diesen  Erdwonungen,  welohe  ein  mehr  ge- 
schiitzter  als  annautiger  Aufenthalt  sein  musten,  befanden  i?ich 
auch  gewonlich  die  Frauen ;  besonders  wurden  diese  Gruben  als 
Webewerkstatten  benutzt.  (Plin.  h.  n.  19,  1).  Nach  den  Spuren, 
die  sich  von  ihnen  in  Britannien ,  Frankreich  und  der  Schweis  er« 
halt  en  haben ,  lief  en  sie  trichterformig  zu  und  waren  in  der  Mitte 
getheilt  so  dafz  sie  aus  zwei  Stockwerken  bestundeii  deren  oberes 
zum  wonen  und  arbeiten ,  das  untere  zur  Vorratskammer  diente. 
Sie  hiefzen  wie  Glofseu  und  jiingere  Sprachquellen  angeben,  tunCj 
nach  dem  Dung  oder  Diinger  der  sie  bedeckte;  bei  Friesen  und 
Franken  fereuna^.  Auch  die  sarmatischen  Volker  kannten  nach 
Pomponius  Mela  (III,  1)  anliche  Erdholen  als  Schutz  gegen  den 
Winter. 

Dafz  Holzbauten  die  einzigen  waren ,  welche  die  Germanen 
auffiirten ,  sobald  sie  iiberhaupt  statige  Wonungen  grOndeten  ,  be- 
weist  auch  iioch  dieSprache.  Das  furbauen  am  altesten  gebrauchte 
Wort  ist  zinimern  (ahd.  zimbarjan ,  zimbardn  goth.  timijan ,  alt- 
sachsisch  a!^gelgachsisch  timbrjan ,  altnordisch  timbra),  das  za 
Zimmer,  (althoch.  zimpar,  altsachs.  tirabar,  altnord.  timbur)  ge* 
hort ,  defsen  erste  und  alteste  Bedeutung  Holz  ist ,  wie  nicht  nur 
Glofsen ,  sondern  auch  die  Vergleichung  mit  dem  slavischen  dub 
poll),  d^b  Eiche  darthun.  In  den  Eddaliedern,  wo  das  Wort  nur 
dreimal  vorkommt  '),  wird  es  zweimal  in  Beziehung  auf  horgr  ge- 
gebrauoht,  welches  mit  dem  ahd.  haruc  enge  verwandr,  zuerst  den 
Wald  ,  den  heiligen  Hain  und  dann  den  holzemen  Tempelbau  be- 


')  Germ.  c.  16.  Man  kennt  noch  heute  in  vielen  d  ntschen  Gegenden  den 
Holzanstrich  mit  einem  fcinen  weifzen  und  gl'anzenden  Thon.  Auch  das  altnord. 
fteina  farben  (Atlam.  106  Fornald.  b.  3,  426)  gehort  hieher,  wenn  es  von  fteinn  ab- 
stamt  und  nicht  aus  dem  kcltisch.  wftlsch.  yftceniaw,  bret.  fteaaia  verzinnen,  Hber- 
gtreiehen ,  farben  (Leo  Ferienscbr.  1  ,  60)  entlchnt  ist*  *)  In  Champagne  and 
Burgund  ecrene^  €cratgne,  sonst  in  Frankreich  mardelles,  in  England  pennpUtB' 
^g\.  Wh.  Wackemagel  bei  Haupt  Z.  f.  d.  A.  7,  128—133.  *)  VoluBp.  7.  thw 
er  hlJrg  oh  hqf  hdtimbrodhu.  Griiiim  16.  hdtiinbrodhum  kfirgi.  Rigsm.  19.  hH»  tU 
timbra. 


9S» 

zdchnet.  Auch  die  Yerwandschi^t  zwischen  bauen  und  Baum  0 
weist  auf  das  althergebrachte  Material  der  germanischen  Bauten. 
Am  entschiedensten  zeigt  eich  diese  Abneigung  vor  jedem  andem 
Stofi  auf  Island,  der  holzarmen  InseK  Um  in  der  alten  Weise 
zimmem  zu  konnen,  namen  die-Ansiedler  aus  der  skandinavi- 
8chen  Heimat  die  beiden  Hauptbalken  des  kunftigen  Hauses  mit 
(ondvegis  f^lur),  da  auf  der  Insel  keine  so  grofzen  Baume  vor- 
handen  waren  um  diese  Grundpfeiler  liefern  zu  konnen.  Kirchen, 
Fiirstenhauser  und  Wonungen  der  Bauem,  alles  ward  von  den 
Germanen  aus  Holz  gezimmert.  —  Im  siebenten  Jahrhundert 
vereuchte  man  in  England  zuerst  statt  der  hClzemen  mit  Schilf 
gedeckten  Gotteshauser  durch  gallische  Baumeister  nach  romi- 
scher  Sitte  wie  es  ausdriicklich  heifzt ,  steinerne  aufzufuren  *). 
Die  angeblich  alteste  norwegische  Kirche  aus  Holz  gezimmert 
und  an  und  uber  den  Thiiren  mit  Schnitzwerk  geschmiickt ,  steht 
jetzt  auf  dem  schlesischen  Riesengebirge.  Auch  in  Deutschland 
wurden  die  ersten  Kapellen  oder  Kirchlein  ganz  aus  Holz  aufgefiirt. 
Dieser  Stoff  gab  zugleich  den  Karacter  aller  altesten  germanischen 
Bauwerke.  Ein  viereckiges  langliches  Gebaude ,  das  Dach  flach 
durch  Balken  oder  Bohrlagen  gebildet  oder  nur  unter  stumpfem 
Winkel  gebrochen,  so  stellte  sich  das  aufzere  dar.  Innen  war  es 
eben  so  kunstlos  und  ungegliedert :  ein  einziger  langer  Raum, 
an  defsen  Kurzseiten  die  Thiiren  welche  zugleich  die  Fenster 
bildeten  oder  auch  nur  eine  Thiir  und  an  dem  andern  Ende  eine 
Erhohung,  Im  Norden  gaben  die  beiden  Stiitzbalk^n  eine  rohe 
Gliederung  des  inneren  Raumes.  Sie  bildeten  die  Mitte  des  Hau- 
ses, zwischen  ihnen  war  gegen  die  Sonne  gekert  der  Sitz  des 
Hausherrn;  zu  beiden  Seiten  zogen  sichBanke,  vor  ihnen  brannte 
das  Herdfeuer.  Weitere  Ausbiklung  war  eine  Erhohung  des  Rau- 
mes an  der  einen  Kurzseite ;  entweder  kam  dorthin  wie  im  Nor- 
'ien  der  Frauensitz ,  oder  wie  in  Westfalen  der  Herd.  Der  grofze 


')  Stainm  bag:     bagms    arbor  bagvan-bauan  cidificare,    vgl.  J.  Grinim  ftber 
^^  Diphtlionge    nacli    we^^ciHllenen    Konsonantcn  191.  *)  Beda  hist,  abbat* 

^iremnth.  vgl.  Lappenbcig  Gesch.  Euglands  1,   170. 


S30 

I 

das  ganze  Haus  einnemende  Sal  ward  durch  VerBchlUge  an  den 
Langseiten,  hier  und  da  auch  an  der  einen  Kurzseite  beschr&nkt, 
die  zu  Schlafstatten  und  Yorratskammem  dienten.  Lange  Zeh 
blieb  das  Dach  die  unmittelbare  Decke  des  grofzen  Won-  ScUaf- 
Efz-  und  Arbeitsraumes  ^) ,  durch  defsen  Lftcke  der  Baudi  den 
Ausgang  und  das  Licht  den  Eingang  fand.  Wenn  man  aus  alten 
germanischen  Namen  Mr  das  Fenster  (goth.  augaddra ,  althochd. 
augatdra,  angelsachs,  edgdure  (Augenfenster),  nordisch  yindanga 
Windauge)  schliefzen  darf ,  so  fanden  sich  auch  diese  Oeflfhun- 
gen  an  den  altesten  Bauten  *). 

Neben  dem  Haupthause  gab  es  bei  ausgedenterem  Besitze 
eine  AnzaJ  kleinerer  Gebaude,  die  theils  fiir  das  Vieh  theils  als 
Scheuem  und  Vorratshauser  dienten. 

Die  Hofe  in  Deutschland  (curtes)  hatten  neben  dem  Won- 
hause  die  zum  Hauswesen  gehorigen  Koch-  und  Backhallen  (co- 
quina ,  pistoria)  und  das  Frauenhaus  oder  Webehaus ,  aufzerdem 
die  Stalle  Scheuem  Speicher  und  Keller.  Dieselbe  Eintheilnng 
findet  sich  in  fast  alien  germanischen  Landern.  In  der  schwedi- 
schen  Landschaft  Westgothland  zerfiel  dasGehdft  in  zweiTfaeilei 
die  Wongebaude  (inviftarh^s)  und  die  Aufzengebaude  (ftthiis). 
Zu  ersteren  gehorten  aufzer  dem  eigentlichen  Wonhause  die  Schlaf- 
Speise-  und  Komkammern ,  zum  letztem  die  Viehstalle  und  £e 
Scheuem  (VestgotaL  I.  thiuvab.  5).     In  Upland    gehOrten  sieben 


')  Nach  der  lex  Alemannorum  tit.  XCII.  hat  das  Kind  ^lebt,  wenn  et  daa 
Dach  nnd  die  vier  Wande  gesehen  hat,  in  den  mittleren  Zeften  wo  das  Dach  nicht 
mehr  zugleich  mit  den  Tier  inneren  Wanden  des  Wonranihes  gesehen  werden 
konnte ,  ward  die  Bestimmung  anf  das  Beschreien  der  vier  Wande  beschrankt. 
Vgl.  dariiber  schon  Anton  Gesch.  der  deut&chen  Landwirtschaft  1,  89  *)  Man 
Ut  so  weit  gegangen  zu  behanpten  dafz  die  sDentschen  fiir  die  gewonlidiaUm  Theils 
des  Geb'audes  keiue  eigenthiimlichcn  Worte  haben.  Thiir  and  Dach  (aach  leta teres 
soil  entlehnt  scin!)  sind  doch  unzweifelhaft  dentseh ,  Fenster  ist  freilich  entlehnt, 
ebenso  Mnuer,  aber  das  letztere  erkl&rt  sich  darans  dafz  Ziegel  and  Steinbanten 
nicht  germanisch  waren.  Die  Gerraanen  hatten  allerdings  nur  schr  bescheidene 
Wonungen,  aber  sie  safzen  doch  nicht  auf  freiem  Felde  anter  Wolken  and  Sonne, 
wie  jene  sprachknndigcn  Laugner  architcktonischcr  deutscher  Worte  ansanemen 
schcincn.  Fiir  Fenster  sind  auch  die  altnordischen  Worte  liori  and  gluggr  so 
erw&hnen. 


Oebaude  zu  einem  vollstandigen  Hofe :  das  Wonhaua  (ftuva) ,  die 
Euche,  die  Scheuer,  die  Kornkammer ,  das  Yoiratsfaaus  (wiftae- 
hus)^  das  Schlafhaus  und  der  Yiehstall  (Uplandsl.  I.  2).  Anch 
hier  lafzt  sich  die  Gliederung  des  Gehoftes  leicht  vomemen.  — 
Der  Hof  war  mit  einem  Zaune  umgiirtet,  der  entweder  aus  le- 
bendiger  Hecke  oder  aus  Pfalen  und  Staugen  bestund  ^).  Es 
driickt  sich  in  dieser  allgemein  germanischen  Anlage,  welche  die 
Sage  auch  in  das  Totenreich  verpflanzte,  das  Streben  des  Ger-^ 
manen  nach  gesondertem  Wonplatze  aus,  das  den  Eomern  aufi'iel 
welche  nur  zusammenhangende  Hauserreihen  und  statige  Gafzen 
der  Dorfer  und  Stadte  kannten.  Noch  heute  ist  in  Westfalen ,  Hol- 
stein ,  Dietmarschen ,  Norwegen  diefz  zerstreute  Siedeln  nach  der 
Gunst  der  Lage  Grundzug  des  Bniies  der  Wonplatze.  —  Nicht 
bei  alien  Grundbesitzem  und  auch  nicht  in  alien  Gegenden  bestun- 
den  die  Hofe  aus  mereren  Theilen.  Niederi^achsische  Bauart  ver- 
einigt  alle  notigen  Raume  unter  einem  Dache  y  so  dafz  also  Won- 
haus  Viehstalle  und  Scheuer  ein  Gebaude  Widen.  Ober-  und  Mit- 
teldeutsche  ebenso  die  Friesen  verbinden  gewonlich  das  Wonhaus 
mit  den  St'allen  entweder  in  gerader  Linie  oder  unter  einem  Winkel, 
immer  jedoch  unter  einem  Dache;  die  Scheune  aber  steht  abgeson- 
dert.  In  den  alten  Hofen  bildete  das  Frauenhaus  *)  meist  einen 
anlicben  abgesonderten  Theil ,  einen  Hof  im  Hofe,  da  es  nicht 
Bclten  zu  grofzerem  Schutze  mit  einem  eigenen  Zaune  umgeben 
war  (Tomaldars.  3 ,  408).  Die  Sage  von  DornrOscheu,  die  Erza- 
lungen  von  Hugdietrich,  von  Flore  und  Blanscheflur  kennen  solche 
wolverwarte  Frauenhauser. 

Aus  dem  gesagten  ergibt  sich  dafz  die  Germanen  Hbei  ihrer 
Besitzname  romischer  Lander  den  Romem  und  Romanen  nichts 
in  der  Baukunst  zu  lehren  batten,  denn  dieselbe  war  bei  ihnen 
Doch  nicht  vorhanden.  Sie  batten  im  Gegentheil  nur  von  den  Ro- 
mem zu  lernen,  zuerst  in  Bezug  auf  den  StofF  dann  in  BetrefF 
des  Styles.    Die  Germanen  bekerten   sich  allmalich  vom  Holzbau 


')  DnF  GehOft  hiefz    diiinni-  zAtt   und   (farL         ')  Lfuur,    {gy»*e.ctum,    genez) 
*4n.  gadenu  kemenate.  dyngja.  fkemma,  hw^. 


•   * 


8i3 

zum  Steinbau.     Es    ist    schon  angeiiirt  da^z  dieser  Ton  ibnen  alt 
etwas  romisches  angesehen  wurde ;  auch  sind  die  steinemen  Won- 
gebaude   im  Mittelalter   meist    mit  einem  Worte   benannt  worden 
das  zunachst  aus  dem  mittellateinischeti   entlehnt  ist ;   die  heizba- 
ren  Woniingen,    besonders   die  Frauengemacher   hiefzen    nSmlich 
kemend>ten   nach    dem    mittellat.  camininata  ^).     Jetzt   erst  war  es 
moglich  dafz   sich  eine  eigentliche  Kunst  des  Baues  bildete.    In- 
defsen  hat  es  lange  gedauert,   ehe  die  Germanen  selbst  als  Mei— 
ster  auftraten,  ja  ehe  sie  einige  Technik  am  Steine  entwickeken. 
Jahrhunderte  lang  bedienten  sie  sich  romischer  Baumeister ,  Jahr* 
hunderte  lang  blieben  die  Formen  der  Yerfallenden  rOmischen  Zeit 
hier    und   da    durch    Eavennas    Muster    mit   byzantinischen   Be— 
standtheilen    versetzt,    bis  sich  in  der  Blute  des  mittelalterHchea 
Lebens ,  ja  fast  als  die  Bliite  der  Poesie  und  des  geseliigen  Lee 
bens  schon  abgefallen  war,  durch  den  geschmeidigen  romanischer 
Styl   hindurch   der  germanische  ausgebildet  hatte.    Auch  er  rufa 
nicht  auf  ureigenen    neuen    Grundsatzen ,    welche    die   G^rman^ 
etwa   auftftcUten;    den   Gebauden   in  welchen    er    sich  namentH<? 
zeigt ,   den    Kirchen ,    liegt  die  Form   der   romischen  Basilika  s< 
Grunde  ^);    der   romanische    Bau    ist    seine  notwendige  Voraus- 
setzung.    Allein  diese  Voraussetzungen  sind  auf  germanische  Art 
verarbeitet  und   vergeifetigt:    die    Mafsen    sind  bezwungeoy  es  ist 
alles  freier,  hOher,  aufstrebender ;  statt  schwerer  Mauem  die  kiih- 
nen  starken  Strebepfeiler  und  Strebebogen  mit  leichter  Verbindung 
und  mit  den  machtigenFenstern;  statt  der  flachenDecke  der  Basilika 


')  Diez  roman.  Grammatik  1,  27  sngt  camminata,  yon  camminus  abgdeitet, 
scheine  erst  im  8,  Jahrhundert  vorzukommen.  Das  Wort  ist  slav.  Urspmngs: 
kamien  Stein,  poln.  kamienica  steincrnes  Huus.  (Im  ganzen  ostl.  Uentgchland  sind 
die  Ortsnamen  Kemnit/  und  Kamcnz  haufig).  Auch  das  lat  caminus  Weg  (chemin. 
camino)  ist  von  slavischem  Ursprnnge,  es  ist  die  Steinstrafze.  via  lapidea,  —  Kine 
andere  Bencnnung  des  licizbaren  Geniaches  mtlt.  pifalis.  ahd.  mhd.  phirfeL  nieder- 
s&chs.  fries,  pifel,  p^eL  franz.  poifle.  poele  crinnert  ebenfalls  an  slavitche  and 
litthauische  Worte.  Lifth.  hcitzt  p^czus  der  Backofen  ,  altsiav.  pecz,  poln. />iee 
rufz.  pecz  der  Ofen,  —  poln.  piVc.  slov.  p^ct,  brennen,  backen,  braten.  *)  Kal- 
lenbach  nnd  S';hmitt  die  kristliche  Kirchenbaukunst  des  Abendlandei.  Halk 
1850.  S.  7. 


s» 


\  - 


und  dem  Rundbogen  des  romanischen  Baues  der  hinaufweisende 
Spitzbogen,  welcher  nicht  lastet  und  drtickt  sondem  gleich  den 
Blatterdachern  des  Waldes  die  natQrliche  sohone  Verbindung  der 
Bteinernen  St'amme,  der  Pfeiler  des  Domes,  ist. 

Es  liegt  hier  nicht  in  der  Absicht  eine  Geschichte  der  ger- 
manischen  Baukunst  zu   geben,   es  musten   aber  ihre  Grundziige 
angedeutet  werden ,  da  sie  auch  auf  den  Bau  der  weltlichen  Hau- 
ler, wenigstens  der  Schlofzer  und  der  grofzeren   studrischen  Ge- 
baude  Einflufz  batten*     Der  Landmann  baute,  wie  schon  nachge- 
wiesen  wurde ,  in  der  altererbten  Weise  entweder  ganz  oder  theil- 
weise  in  Holz  fort  und  diese  Baue   liefzen   romanischen  und  ger* 
maTiischen  Styl  spurlos  an  sich  voriiberwandeln   und  wieder  ver- 
sinfen.     Die  H'auser  der  reicheren  Burger  und  der  Edlen  entzogen 
sidi  weniger  den  grofzen  Vorbildern  in  den  Kirchen*    Der  Rund- 
bogen und  der  Spitzbogen   fanden    an  Thiiren  und  Fenstern  ihre 
Anwendung;    das   Langschiff  sah    sich    in   den  machtigen  Haus- 
floren,  die  Seitenschiffe  in  den  Wongemachem  nachgebildet ;  zu- 
gleich  vereinigte  sich  dainit  die  Erinnerung  an  das  altgermanische 
Haus.     Noch   grOfzere    Gelegenheit    zur  Entwickelung  des    herr- 
echenden  Kunststyls   gaben   die    offentlichen   Gebaude  mit   ihren 
notigen  grofzicn  Rs,umen  *). 

Auch  die  Malerei,  die  Skulptur  und  die  Teppichweberei  tra- 
ten  herbei  die  Kirchen  und  die  Pallaste  zu  schmiicken.  Von  By- 
zanz  her  batten  die  romischen  Bischofe  solche  Zier  der  Kirchen 
erhalten  und  die  Merovinger  besonders  aber  Karl  derGrofze  ver- 
pflanzten  sie  auch  in  die  irankischen  Kirchen.  Elarl  liefz.auch 
seinen  Pallast  in  Achen  mit  Malereien  schmiicken  und  bei  dem 
fleifzigen  und  eifrigen  Betrieb  der  Kunst,  die  namentlich  zu  St." 
Gallen  eine  Pflegestatte  fand,  lafzt  sich  annemen  daCz  auch  an- 
dere  reiche  Manner  des  deutechen  Volkes  ihre  Wonungen  durch 
die  Kunst  verzierten  ^). 


')  VgL  Schnaase  Geschich.  der  bildenden  KOnste  IV,  I,  278  -  286.  *)  Man 
Ucbte  Mcfa  reichverziertc  FufzbOden  mit  musivischer  Arbeit.  Vgl.  W.  Grimm  tu 
Athis.  F.  82. 


I 

( 


>S4 

Die  urRpriingliche  Einfachheit  der  gernianiBchen  Woniing8« 
verhaltnifse  zeigt  gich  namentlich  in  Bezug  ai^f  das  Schlafen*  Der 
grofze  Hausraum,  der  fur  die  hausliche  Arbeit,  fiir  die  geselli- 
gen  Zusammenkunfte,  fiir  Efzen  und  Trinken  diente ,  genOgte  aoch 
zur  Schlaf statte ;  beide  Geschlechter,  Herren  und  Knechte,  lebten  and 
Bchliefen  in  einem  Raum.  Im  Norden  hielt  eich  das  theilweise  noch 
bis  in  neuere  Zeit.  Wenn  die  N^cht  kam,  ward  auf  den  Elstridi 
des  Sales  Stroh  gestreut  und  jeder  legta  sich  unter  den  Tisch  wo 
er  gesefzen  hatte.  An  den  Wanden  befanden  sich  versehliefzbate 
Bchlafraume  (lokhvllur),  die  far  fremde  und  die  angeseheneren  be* 
nutzt  wurden;  um  etwaige  Ungehorigkeiten  zu  verhlktehy  bnnn- 
ten  die  Nacht  hindurch  Lichter;  die  Manner  und  die  Franen  la* 
gen  gesondert  ').  Beach  tens  werth  ist  dafz  sich  noch  in  einem  no- 
fischen  Gedichte,  dem  Tristan  Gottfrieds  von  Strafzhorg,  eina 
Spur  dieses  alten  gemeinsaraen  Schlafens  findet;  das  Kdnigspar 
herbergt  dort  mit  dem  nachsten  Hofstate  zu  Nacht  in  demselben 
Gemache  (Trist.  15135).  Gewonlich  waren  in  den  hofischen  Krei- 
sen  die  Schlaf zimmer  der  Geschlechter  getrennt ;  der  Herr  schlief 
in  Mitte  seiner  Diener,  die  Frau  unter  ihren  Weibem  und  Mid* 
chen  ^).     Seltener  ist  es  dafz  sie  ohne  diese  schlafen  % 

Im  zwolften  und  dreizehnten  Jahrhundert  waren  auoh  die 
Bett-  oder  Schlafkammem  bereits  mit  einer  gewifsen  prftchtigen 
Bequemlichkeit  ausgestattet  %  Die  armeren  begniigten  sich  frei* 
lich  nach  wie  vor  mit  einem  Strohlager ,  das  auf  den  Estrich  ge* 
breitet  wurde  oder  sich  hochstens  auf  die  breite  Ofenbank  (din 
brugge  genannt)  '^)  yerstieg ;  einen  gewifsen  Grad  yon  Wolhaben* 
heit  setzte  es  voraus ,  wenn  dariiber  ein  Linnen  gebreitet  war  and 
der  Kopf  ein  Kfifsen  zur  Unterlage  hatte  *)«    Die  reioheren  kann- 


0  Fommannas.  5,  338.  9,  476.  Engelstoft  p.  55.  *)  Die  Sage  enlUt 
¥ne  die  Gottin  Freya  ebenso  inmitten  ihrer  Franen  schlifi  Snorr.  edda  SSft* 
*)  Eneit  1330.  1438.    Konrad  Troj.   Kricg   8437.  *)  Die   Beedurdbnng   einer 

8chlafkammer,  die  mk  Betten  uud  anderem  Gerate,  mit  piUchtigen  Waiidteppielie»> 
und  weichcn  Fufzdecken  ausgestattet  ist,  wird  in  Hartmanns  Erek  (8590  £)  ge* 
gebcn.  *)  MSH.  2,  158.'  vgl.  Schmeller  hair.  Worterb.  1,  862.  ^  Heidel^ 
hs.  371.  Bl.  89.' 


ten  grofzeren  Aufwand.   ^Federbetten  mit  kostlicfaen  UeberzQgen, 
Teppichen  und  schonen  Fellen  bildeten   das  Bett.     Zuunterst  lag 
zuweilen  Stroh  (Eneit  1264),  gewonlich  aber  ein  Federbett  (pflii-' 
mit);  dariiber  eine  eeidene  Steppdecke  (kulter,  deckelachen),  auf 
ihr  weifze  leinene   Tucher.     Ein   Pfiihl,    ein    kleines  Kopfkiifsen 
(wanckfifsen ,    drkiifsen)   und   eine  Decke,    die   ein  Teppich,    ein 
Fell*)  oder   ein  Mantel   war,    voUendeten   das  Lager,    vor  dem 
Teppiche  gelegt  waren  ^).     Nicbt  selten   befanden  sich  diese  Bet- 
ten  in  sehr  hohen  Gestellen,    weshalb   eine  Bank   vor  ihnen  not- 
wendige  Zuthat  war  (Nib.  616;  Schmeller  1,  572,  du  Cange  &*  v. 
Buppedaneum) ,  welche  bei  reichen  mit  Polstern  und  seidenen  Tu- 
chern  belegt  wurde  (Heinr.  Triet.  4782).    Sehr  oft  lagen  sie  aber 
auf  blofzer   Erde,    wie   ein  Bild   in  der  Pfalzer  Handschrift  def 
Bolandliedes  den  Kaiser  Karl   schlafend  zeichnet;    zuweilen  auch 
auf  der  breiten  Ofenbank  (Wigal.  7468). 

Solche  Betten  dienten  in  Deutschland  auch  zu  Sitzen  ^);  in 
dieBem  Falle  waren  sie  nicht  so  vollstandig  wie  die  Schlafbetten, 
denn  der  Pfuhl  das  Kopfkufsen  und  die  obere  Decke  fehlten, 
allein  die  unteren  Schichten  waren  dieselben;  lagen  sie  an  der 
Wand,  so  kam  noch  ein  Kiicklachen  hinzu.  Entweder  befanden 
sich  auch  diese  Betten  in  erhohten  Grestellen  oder  sie  wurden  auf 
Teppiche  an  die  Erde  gelegt.  GewOnlichere  Sitze  als  diese  Di- 
vans waren  die  Stiile  und  die  Banke.  Die  Stule  batten  verschie- 
deue  Gestalten,  selten  zeigen  sie  eine  leichte  und  freie  Form* 
Besonders  schwerfallig  erscheinen  4ie  Sefzel,  auf  denen  nach  eini- 
gen  Bildern  Karl  der  Grofze  sitzt ;  es  sind  schwere  holzeme  Sitze 
au8  mereren  Lagen  von  Klotzen  gebildet,  die  nach  oben  zu  sich 
weiter  ausbreiten.      Es   ist  zwar   der  Versuch  ersichtlich,    durch 


')  Bettdecke  von  Ziegenhar  in  Bonifazens  Briefen  (ep.  87)  erw&hnt,  ein  Fell 
ZQ  solchem  Zwecke  el>d.  ep.  51,  eine  Leibdecke  mit  weifzen  Funkten  gegtickt 
€p-  39.  Ebenso  werden  Fnfzdecken  von  Fellen  in  seinen  Briefen  viel.  erwahnt. 
)  Vgl.  aulzer  dem  Artikel  in  Benecke  -  Mtillers  mittelhochd.  Worterbuch  (1,  109  ff.) 
^iigelhard  Herrads  v.  L.  hortus  delic.  p.  100.  taf.  5.  Bifeter  von  Staufenberg  p.  80. 
)  In  Frankreich  waren  diese  bettartigcn  Sitze  nicht  lange  beliebt  Vie  priv^e  3, 
^*8;  in  Sfidfrankroich  scheiuen  sie  Idnger  daheim  gewesen  zu  sein. 


Biegungen  und  Leisten  das  ganze  gefalliger  zu  machen ,  allein  es 
ist  nicht  gelungen.  Rucklenen  finden  sich  nichtdaran  >),  dagegea 
vor  ihnen  ein  Fufzb'ankchen.  Anderwarts  zeigen  Bich  emftche 
Bretter  auf  Saulen  ruhend;  im  dreizehnten  Jahrhundert  erschei- 
nen  auch  Riicklenen  mit  einfachen  oben  beknauften  Seitensao- 
len  *).  An  dieser  Form  entwickelte  sich  die  Grestalt  der  Thnm- 
sefzel  weiter,  die  schon  geschnitzt  mit  Verzierungen  im  Spitzbo- 
genetyl  ausgestattet  noch  eine^  Decke  iiber  das  Haupt  ats  Zuthat 
bekamen.  Leichter  und  zierllcher  sind  die  Faltstiile  (fauteuils), 
deren  Gestalt  unsere  Gartenstiile  bewart  haben«  Zwei  ziemlich 
breite  Holzer  kreuzen  sich  und  haben  etwas  iiber  dem  Kreuzpunkte 
ein  Brett  zum  Sitz  gelegt.  Die  Spitzen  und  Fiifze  sind  gewon- 
lich  zierlich  geschnitzt ,  oben  ist  ein  Thierkopf ,  unten  sind  Thie^ 
krallen  %  Der  Sitz  war  meistens  mit  einer  Decke  *)  oder  einem 
langlichen  wurstahnlichen  Polster  b?legt,  das  an  den  Enden  mit 
einer  Quaste  geschmiickt  zuweilen  mit  bunten  Streifen  verziert  war. 
Gewonlicher  noch  waren  die  Banke,  welche  als  bequemer 
bei  grofzeren  Gesellschaften  in  Frankreich  die  StCde  ganz  TW- 
drangten  (vie  priv^e  3,  149).  In  der  Einrichtung  dee  nordiscbeD 
Hauses  waren  sie  unentberlich.  Sie  zogen  sich  zu  beiden  Sei- 
ten  des  Hauptsitzes  (ondvegi)  hin;  diesem  gegeniiber  auf  der  nord- 
lichen  Langbank  war  ein  niedrigerer  Sitz  (da;^  gegensidele) ,  dc 
ebenfalls  von  Bankreihen  eingefafzt  war.  Sie  waren  nicht  sdtc^ 
hoch  (Saem.  144«)  und  mannichfach  verziert  *),  dieGestelle  kOns^ 
lich  ausge  schnitzt  und  die  Lenen,  wenn  solche  vorhanden  wares 
mit  Flechtwerk  versehen  ®).  Auch  sie  wurden  mit  Decken  im 
Polstem  belegt  '). 


')  Die  Bilder  der  Pfalzer  Hs»  zum  Rolandslied  her.  von  Wh.  Grimm  tg 
namentlich  Nr.  14.  17.  27.  *)  v.  Sara  in  den  Qaellen  und  Foncfanngen  (Wic 
1849)  S.  336.  *)  Bild  36  zum  Bolandsliede.  Herrads  hortof  S.  99.  t  (Eoge 
hardt).  —  M\t,  faldiftorium ,  fald^olium ,  faldeftola,  faudeftola:  feUa  pUcaM 
<)  ftuolgewate  Nib.  1297.  ftuollachen.  Ulr.  443.  Dietr.  fl.  1709.  »)  Saem.  94 
Was  unter  den  beckjum  aringreypum  Saem.  244.*  zu  verstehen  sei  weifi  ieh  niihi 
die   bisherigen    Erklarungen   geniigen    schwerlich.  •)  Herrada    hortni    97.    ^ 

^  banclachen,  beckklcBdhi,  —  Qreg.  Tur.  9,  35.  Wigam.  4485. 


SSY 


Die  Tische  waren  gewonlich  lanf^Hch  viereokig  und  bestuti- 
den  auj8  schweren  Tafeln ,  die  iiber  Schragen  lagen ;  ihre  Fiifze 
waren  nicht  selten  kunstreich  ausgeschnitten  ^).  Seit  friiher  Zeit, 
iiH  frankischen  Gallien  schon  im  6.  Jahrhundert,  wurde  bei  den 
reicheren  ein  Tuch  iiber  die  Tafel  gebreitet  (tischfano,  tischlachen, 
tischtuoch,  borddiikr),  das  gewonlich  ans  weifzen  Linnen,  auf 
sehr  reichen  Tafeln  aue  weifzem  oder  buntem  Seidenetoff  bestund  ^) ; 
zuweilen  war  es  gestickt  und  mit  Goidborten  besetzt  *).  Auf  Bil- 
dem  des  14.  tTahrhunderts  lafzen  sich  zwei  Tischtiicher  an  einer 
Tafel  unterscheiden ;  das  obere  hier  und  da  gelb  gestreift  bedeckt 
nur  die  Tischplatte,  das  zweite  ist  an  den  Rand  angehangt  und 
kunstreich  gefaltelt ;  es  reicht  bis  zur  Erde  *).  .Auch  die  einfachen 
TIschtucher  waren  so  lang,  dafz  sich  jemand  unbemerkt  unter 
ihnen  verstecken  konnte  (Roth.  3850).  Unter  jedem  Sitze  stund 
ein  Fufzschemmel.  Servietten  waren  nicht  iiblich,  dafUr  wurden 
vor  und  nach  Tisch  Wafzer  und  Handtiicher  *)  herumgereicht, 
an  denen  sich  zuweilen  kunstreiche  Stiokerinnen  oder  Wirkerinnen 
verherrlichten.  Im  Dome  zu  Kammin  in  Pommern  wird  ein  sol- 
ches  Handtuch  aufbewart,  das  mit  roher  damastartiger  Sticke- 
rei  gezlert  ist,  welche  Thier-  und  Menschengestalten  im  Style 
des  zwolften  Jahrhunderts  darstellt  ®). 

Die  Speisen  wurden  in  Schiifzeln  aufgetragen  ''') ,  deren  Stoff 
8ich  nach  dem  Reichthum  der  Besitzer  richtete;  bei  vermogenden 
^aren  sie  schon  zeitig  von  kostbarem  Metall  und  kunstreich  ver- 
2iert  %  Von  den  kirchlichen  Geraten  her  verbreitete  sich  die  Liebe 
2u  metallenem  kostbaren  und  schon  gearbeiteten  Hausrat  und 
^amentlich  Deutschland  war  in  diesem  Kunstzweige  fruchtbar  und 

')  Ferguut  1284.  vgl.  Joncbloet  Beatrijs  8.  67.  *)  Saem.  104."  Ernst 
2180.  Trist.  15805,  Wigam.  4431.  Im  Rigsmale  wird  nnr  bei  den  Eltern  der  Jaile 
^^8  Tischtuches  erwahnt;  die  Karle  und  Thrale  batten  keines.  ")  Hugdiet.  59 — 63. 
^ornniannas.  3,  177.  *)  Engelhard  Herrad  96.  taf.  4.  Stanfcnberg  80.  vie  privde 
3.  163,  ff.  &)  tivehcla,    hantfano^    hanttuoch^  therra.         «)  S.  Fr.  Kugler  Pora- 

'n^iische  Kunstgeschichte  170  (Baltiscbe  Stndien  8,  1.)  ')  Als  Prasentirteller 
^'t'nten  llandtiioher.  Fiirz.  244,  17.  •)  Saem.  104."  fram  eetti  bm  iuWB.  fkntla 
JHIrivardha  a  bioilh.  Bei  Atila  wurde  den  Gasten  auf  silbernen  Scbiifzeln  ,  ihm 
*^lost  uuf  einem  holzernen  Bretto  das  Ef/en  aufgetragen.  J^iscus.  p.  45.  ed.  Vcner. 

22 


ass 


friih  erfaren  ^).  Als  Trinkgefafze  dienten  in  alt^ter  Zeit  Thierhorner, 
nicht  selten  auch  die  kiinstlich  gefafzienSchadel  ersohhigenerFemde; 
spater  Becher  von  Holz  oder  Metall,  die  verschiedene  Gestalt 
hatten  und  bald  einfach  bald  schmuGkreich  waren  *).  In  den  lo- 
manischen  Landern  und  bei  den  dort  ansafzigen  Germanen  waren 
noch  andere  Tafelaufsatze  als  blofzer  Zierrat  auf  reichen  Tischen 
zu  finden.  Dergleichen  kiinstliche  Metallarbeiten  wurden  in  spi- 
terer  Zeit  in  Frankreich  zu  Getrankhaltem' gebraucfat  und  hatten 
nicht  immer  die  anstandigste  Gestalt.  Auf  Bildem  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  findet  man  bowlenartige  oder  auch  kru^nlidie 
Gefafze,  die  mit  einem  Deckel  versehen*  sind,  in  denen  derWein 
oder  Met  aufgetragen  wird* 

Loffel  und  Gabeln  gehorten  auf  den  Tafeln  des  Mittelalten 
zu  den  Seltenheiten  ');  auchMefzer  wurden  nicht  filr  jeden  Tisch- 
gast  hingelegt ,  sondern  die  Gesellschaft  begniigte  sich  mit  einer 
geringeren  Zahl.  Unter  den  Geschenken,  welche  Bonifazens  Nach- 
folger  Lullus  aus  England  erhalt ,  erscheinen  mehrmals  Mefzer, 
ein  Beweis  dafz  es  in  Deutschland  an  ihnen  felte.  Das  war 
auch  in  den  sp'ateren  Jahrhunderten  so*  Auf  einem  Bilde  des  12 
Jahrhunderts  (Herrads  hortus  taf.  4)  sieht  man  zu  vier  Personei 
zwei  Mefzer  und  zwei  Gabeln.  Die  Gabeln  sehen  wieZangen  au 
und  die  Mefzer  haben  zuweilen  oben  die  Gestalt  eines  Haken 
und  sind  unten  schmaler.  Teller  im  heutigen  Sinne  kannte  nH» 
nicht ,  sondern  benutzte  an  ihrer  Statt  Stiicke  kleiner  flacher  Bro 
oder  Kuchen^),   die  nicht  selten  vom  Safte  derdarauf  zerschni 


*)  Vgl.  Schnaase  Gesch.  der  biidenden  Kflnste  IV.  1 ,  344.  ff.  *)  Priscus  p.  ^ 
Engelhardt  Herrad  97.  Staufcnberg  80.  vie  priv^c  3,  224.  f. —  Vgl.  glofs.  Trev 
(Hoffinann  Althochd.  Gi.  15.  16.)  pechir  cyaihus.  urzil  orca.  coph  '(j^hus.  cht 
calix.  ftouph  potolicula.  crufc  amphora,  lamella  lagena.  flafgun  flafcontM*  crw^ 
curuca.  tunna,  cuofa,  cupa.   huotin  dolium.    buoterich  uter,  *)  Auf  Herrads  B 

dern  (12.  Jahrh.)  sieht  man  nirgcnds  Loffel,  auf  Bildem  yon  1430t-40  felen  LOf 
und  Gabeln  (Engelhard  Staufenberg  80).  vgl.  vie  privde  3 ,  197.  258.  van  W: 
Avondftonden  2,  73.  Die  Speisen  wurden  mit  den  Mefzem  aus  der  SehftTxel  g 
nommen*  Priscus  p.  45.  **)  Diesc .  Euchen  hiefzen  von  dem  Zerschneideii  d 
Speisen  tranchoirs  oder  tailloirs  (daher  Teller)  vgl.  vie  priv^e  1,  8K  Engelhar 
Herrad  97. 


880 

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tenen  Speisen  durchzogen  zum  Schlufze  des  Males  verzert  wur- 
den.  Auch  holzeme  Teller'  mSgen  friih  gebraucht  worden  sein. 

Die  Beleuchtungsmittel  waren  in  'altester  Zeit  sehr  einfach, 
wie  unter  dem  Landvolke  noch,  heute.  Das  Herdfeuer  oder  Holz- 
brande  die  Tangs  der  Wand  angebracht  waren,  erleuchteten  dieBaume 
(Volsunga  s.  c.  6).  Die  nordische  Sage  erzalte  dafz  die  Asenhalle 
durch  Schwerterglanz ,  Aegis  Meerpallast  durch  Gold  erhellt  wurde 
(Sn.  129.  Saem.  59).  Kienspane  Eohrlichter  (Priscus  p,  38)  und  Fa- 
ckeln,  die  einfachen  Erleuchtungsmittel ,  wurden  bei  den  reicheren 
zuweilen  durch  eigens  dazu  bestimmte  Diener  (kertifveinar)  gehalten. 
Wachskerzen  und  Lichter  aus  Talg  und  Wachs  gemischt,  gehor- 
ten  zu  den  Luxusgegenstanden ;  sie  wurden  auf  Leuchter  (kerz- 
ftal)  oder  auf  besondere  Vorrichtungen  an  den  Wanden  gesteckt '). 
Friih  finden  sich  auch  Hangelampen  die  mit  Oel  gespeist 
wurden ,  daneben  wurden  wolriechende  -  brennbare  Fliifzigkeiten 
(balfam)  in  Lampen  oder  langlichen  Glasgefafzen  gebrannt.  Auch 
in  Frankreich  wurden  in  den  S'alen  der  Vornemen  solche  wol- 
riechende Sachen  gebrannt  ^)* 

Die  Wande  und  Fufzboden  .der  Zimmer  wurden  bei  festli- 
chen  Gelegenheiten  mannigfach  gefichmuckt.  Kriegerischen  Zeiten 
war  es  angemefzen  die  WafFen  zum  Schmuck  an  den  Wanden 
aufzuhangen ;  die  Gotterhalle  in  Asgard  war  in  dieser  Weise  mit 
kuchtenden  Schilden  geziert  und  die  ritterlichen  Herren  schmiick- 
ten  ihre  Sale  auf  gleiche  Art.  Bei  der  fleifzig  getibten  Kunst 
der  Teppichstickerei  wurde  es  gewonlich  die  Salwande  mit  Tep- 
pichen  zu  schmiicken  ^).  Auf  den  Boden  waren  ebenfalls  gewirkte 
Decken  gelegt ,  die  sich  mittelst  der  Eucklachen  an  die  Wand- 
^mhange  anschlofzen  *).  Daneben  war  es  in  den  vomemstenHau- 


*)  Lanzel.  888.   Frauend.   348,    25.  Mai  91 ,    16.  *)  Eneit   8297.  9387. 

^arz.  236,  3.  Wigal.  8237.    -   Fauricl  hist,  de  la  po^s.   prov.  3,  86.  ")  Eneit 

12724.  H.  Trist.  2518.  Mai  8,  21.  Beov.  1978.  Fornm.  s.  5,  234.  Vgl.  die  Ab- 
^ildung  eines  nordischen  Trinksales  in  der  Kopenhag.  Ausgabe  der  Gunnlaugs 
^•Tnst  Saga  p.  304.  —  Das  verlorene  Gedicht  Blickers  von  Steinach  „d6r  umbehanc* 
^pfichrieb  die  Stickcrcicn  eines  Wandteppichs.  *)  Priscus  p.  43.  Erast  2Hr4. 
Kneit  12729.  Erec  8599.  Mai  8,  12. 

22* 


MO 

sem  Gebrauch  bei  festlichen  Gelegenheiten  den  Estrich  mit  fri- 
schen  Binsen  Gras  und  Blumen,  im  Winter  mit  Heu  und  Stroh 
zu  bestreuen*  Die  Sitte  hat  sich  in  Deutschland  noch  an  manchen 
Festzeiten  wie  am  Johannisabend ,  besonders  aber  zu  Hocbzeiten 
undGeburtstagsfeiemerhalten  0«  Vor  dieFenster  hieng  man  sohon 
fruh  Vorhange  und  Teppiche*  (Paul.  diac.  1,  20*  Frauend.  331,  13). 

Zur  Aufbewarung  der  Kleider  und  zugleich  als  Vorrats- 
kammem  fur  die  Gewandstoffe  dienten  besondere  Genaacher.  Die 
EJeider  waren  in  ihnen  entweder  auf  Pflocken  oder  auf  Stangen 
aufgehangt;  sehr  gewonlich  war  es  sie  zusammenzufalten ,  mit 
Schnflren  zu  umwinden  und  in  Kisten  oder  Schreinen  zu  verwa- 
ren^).  Die  Sohreine  dienten  auch  zur  Bewarung  der  etwaigen 
Schmucksachen  und  ebenso  wurden  die  Gebetbiioher  in  sie  ge- 
legt.  (MSH.  2,  158.') 

Wie  viel  Reichthum  auch  [im  einzelnen  in  der  hauslichen 
Einrichtung  im  Mittelalter  angebracht  8ein  mochte,  sie  stund  doch 
in  geschmackvoller  Pracht  und  an  Bequemlichkeit  hinter  imserer 
heutigen  Gewonheit  sehr  zuruck  und  una  verwonten  Kindem 
der  Neuzeit  mochte  es  in  einem  mittelalterlichen  Hause  nioht  wol 
gefallen.  Die  Landleute  haben  in  ihrer  Hauslichkeit  viel  altes 
ererbt  und  treu  bewart;  da  ist  nichts  unniitz,  es  ist  alles  auf 
handfesten  Gebrauch  berechnet.  Das  mag  an  den  Gnmdzug  wel- 
cher  durch  die  Hauser  unserer  Voreltem   gegangen   ist  erinneni. 


*)  Parz.  83,  28.  549,  12.  Georg:  5522.  Konr.  troj.  kr.  15188*  14560.  19357 
Troj.  orloog.  725.  Lohengr.  8.  60.  Egils  s.  c.  44.  Fornmannas.  4,  75.  Bayn.  lex. 
rom.  8,  597.  vgl.  vie  priv^e  3,  153.  285.  Dybeok  Runa  1845.  s.  53.  •)  Nib. 
1593.  Nith.  Ben.  439.  MSH.  2,  77.'  3,  219.'  235."  292.'  BrucL  Berth.  s«  130. 


Achter  Abschnitt 


Das  gesellschaftllche  I^elien. 

Wir  haben  in  den  vorausgehenden  Theilen  dieses  Buched 
die  Stellung  des  germanischen  Weibes  von  sehr  verschiedenen 
Seiten  bereits  betrachtet.  Wie  es  in  religioser  Verklaning  erschien, 
welche  Bedeutung  es  in  den  heiligen  Gebrauchen  hatte^  wie  es 
von  der  Kindheit  bis  znm  Witwenstande  lebte,  wie  Sitte  und 
Recht  tlber  sein  Leben  schaltete,  welche  Hauslichkeit  es  umfieng, 
darQber  liegen  die  Mittheilungen  bereits  vor  uns.  Aber  iiber  noch 
einiges  haben  wir  dem  F^ger  zu  antworten*  Zu  den  emsten  nnd 
den  notwendigen  Anspriichen  des  Lebens  treten  heitere  und 
leichtere;  in  den  Aehrenkranz  windet  der  Schnitter  blaue  Cyanen 
und  roten  Mohn.  Das  gesellige  Leben ,  so  weit  die  Frauen  an 
ihm  betheiligt  waren ,  verlangt  jetzt  unsere  Aufmerksamkeit. 

Tacitus  erzalt  in  seiner  Germania  (cap.  22),  wie  die  Deut- 
8chen  im  Frieden  ihre  Tage  zubrachten.  Nach  langem  Schlafe 
erheben  fiich  die  Manner,  nemen  sofort  ein  Bad,  das  im  Winter 
lau  sein  mufz,  und  halten  dann  eine  Malzeit.  HGerauf  gehen  sie 
an  ihre  etwaigen  Geschafte  oder  auf  die  Jagd,  oder  was  das  ge- 
wonlichste  war ,  sie  sammein  sich  zu  einem  Trinkgelage  bei  dem 
8ie  auch  der  wichtigsten  Besprechungen  pflegen.  Das  Trinken 
setzen  sie  bis  in  die  Nacht  fort.  Man  sieht  wie  die  Weiber  bei 
diesem  Leben  ganz  in  dem  Hintergrunde  stehen,    sie  finden  hier 


842 

nur  eine  Stelle  als  untergeordnete  Theilnemerinnen  und  als  Die- 
nerinnen.  Diefz  blieb  viele  Jahrhunderte  nach  Tacitus  und  an- 
derte  sich  im  Grunde  erst  durch  die  gesellechafUiche  Revolu- 
tion, die  im  zwolften  Jahrhundert  durchgefiirt  ward. 

Das  Baden,  das  der  Romer  hervorhebt,  hat  bis  in  die  neuere 
Zeit  eine  bedeutende  Stelle  in  der  Tageslust  der  Grermanen  ge- 
habt.  Es  gait  fiir  eine  wahre  Freude  und  Wohlthat  des  Leibes 
und  Manner  wie  Frauen  gaben  sich  ihm  auf  gleiche  Weise  hin. 
Die  Unbefangenheit  des  Alterthums  sah  nichts  unschicklicheB 
darin,  dafz  die  beiden  Geschlechter  zusammen  badeten  ^) ;  lange 
erhielt  sich  diese  Sitte,  in  Norwegen  dauerte  sie  angeblich  ohne 
verderblichen  Einflufz  bis  ins  fiinfzehnte  Jahrhundert.  Bei  Vol- 
kern,  welche  von  der  Kultur  weniger  als  wir  bficuHrjt  mnd,  findet 
sie  sich  noch  heute.  Bei  dem  Bade  im  Freien  ist  dieser  fireie  Ver- 
kehr  leichter  rein  zu  halten;  dagegen  mufz  man  sich  wondem 
dafz  er  sich  in  den  deutschen  Badestuben  bis  in  das  17:  Jahr- 
hundert fristete.  Erst  vor  zwei  Jahrhunderten  schritt  die  welt- 
liche  Macht  gegen  diese  gemeinsamen  Badestuben  ein.  Die  Earche 
hatte  sich  schon  weit  friiher  dagegen  erklart;  schon  Bonifai  un- 
tersagte  745  den  Glaubigen  den  gemeinschaftlichen  Besuch  der 
B'ader^.  Auch  die  Kloster  bedurften  in  dieser  Hinsicht  Bitten- 
polizeilicher  Aufsicht;  bald  muste  der  Zulauf  weltlicher  Badege- 
sellschaft  untersagt  und  hier  und  da  konnte  sogar  nur  den  EInuikeii 
diese  Erquickung  gestattet  werden  3).  Das  Achener  Koncil  von  817 
(c.  7.)  machte  die  BM^der  der  Monche  von  der  Erlaubnifa  des 
Priors  abhangig. 

Wie  die  Kloster,  so  hatten  die  meisten  grofzeren  Wonun- 
gen  im  Mittelalter  ihre  Badestube  und  selbst  in  vielen  Ueineren 
Hausern  fanden  sich  wenigstens  Badekufen,  in  denen  leicht  das 
einfache  Wafzerbad  bereitet  werden  konnte.  Es  war  fast  das  erste. 


*)  Caesar,  bell.  gall.  6,  '21.  *)  Statut.  n.  22.  (Hartzheim  1.  74)  Tgl. 
Can.  concil.  Laodic.  (363),  c.  30.  3)  So  in  der  Kegel  ffir  das  Kloster  Mnr- 
bach  (803.  Hartzh.  1,  381)  —  Biifzendc  und  trauerade  enthielten  sich  der  Bader. 
Beda  hist.  eccl.  4,  19.  Adam,  gesta  hamab.  eccl.  pontif.  3,  69. 


MS 

was  man   dem  Gastfreunde   erwies,    ihm  ein  Bad  zu  geben;    die 
Sorge  fur  diese  Erqiiickung  gehdrte  zu  den  Willkommensten  Auf- 
merksamkeiten.     Ale  der  junge  Hagen  von  Irland  nach  der  Sage 
glucklich  von  der   Greifenmsel  heim  gekert  ist,  vergifzt  er  unter 
dem   freundlichen,    was  er  seinen  drei  Schicksalsgefartinnen  fort 
und  fort  erweist,    dee  taglichen    Bades   nicht   (Gudr.  162).    Ala 
Gudrun  sich  durch   List  ihrer  Befreiung  gewifs  aus  dem  Magde- 
leben  herausreifzt ,   wird  ihr  als   erste  Erquickung  und  Freund- 
lichkeit   ein   Bad    bereitet.    Leichtsinnige  Fraiien    vergafzen    bei 
ihren  Freuden  mit  den  heimlichen  Liebhabem  niemals  des  Bades 
(Rom.   de  la  Rose   10133.)     Ausgebildeter   war  der  Badegenufz 
in  den  offentlichen  Badestuben,  die  in  Deutschland  wie  in  Skan- 
dinavien   sehr  fleifzig  besucht  wurden.     Die  Bedienung  und  Be- 
handlung  der  Badenden  ward  meist  von  Weibern  besorgt,   Wenn 
der  Bader   durch   Trompetenschall  auf  den  Strafzen  das  Zeichen 
gegeben   hatte    dafz   alles   bereit    sei,    schlichen  die  Badelustigen 
im  Neglig^   {mit   nmgeby/rftem  hdr  barfuetfe  dne  gurtel)  zu  seinem 
Hause.    Dort  legten   sie   ihre   Gewander  ab  und  traten  hochstens 
mit  einem  Schurze  bekleidet  in  die  heifze  Badestube,    wo  sie  die 
Diener  (da:;;  badevolk)  in  Empfang  namen.    Nachdem  sie  an  Eti- 
cken  Armen   und   Beinen  mit  lauem  Wafzer   bestrichen   waren, 
wurden  sie  am   ganzen  Korper  begofzen   und  von  den  Weibern 
gerieben  und  geknetet.    Zuletzt  that  der  Scherer  was  seines  Am- 
ies war  und    schlichtete  und   schnitt    den  Gebadeten    Bart  und 
Har  *).    Gtdante  Herren  liebten  es  mehrmals  die  Woche  die  Bade- 
Btube  zu  besuchen;    der   Tanhauser  klagt  wie  sein  Beutel  durch 
die'echonen  Weiber   leckeres   FrGhstiick  und  zweimaliges  Baden 
in  der  Woche   sehr  leide   (MSH.  2,  96.').  Inr  dreizehnten  Jahr- 
tundert  scheint  es  Branch  gewesen  zu  sein  naoh  dem  Friihstiick 
zu  baden  (MSH.  3,  310.'). 

Die   Germanen    waren,    nachdem    sie  die  Zeit  des   Hirten- 
und  Jagerlebens  iiberschritten  batten ,    anscheinend  keine  eifrigen 


0  Vgl.    das    dritte    BQchlein    Seifried    Helblings    (bei    Haupt    Z.  f.   d.  A. 

^^  83-91). 


944 


Jager.  Die  Jagd  erschien  ihnen  nicht  wichtig  und  emst  genog 
um  ihr  die  geliebte  Euhe  und  Bequemlichkeit  zu  opfern*  Allma- 
lich  anderte  eich  das  jedoch ,  denn  bald  genug  tritt  die  Jagd 
unter  die  liebsten  Ergetzungen  der  germanischen  Manner  nod 
auch  die  Frauen  nemen  an  ihr  Theil.  Unter  den  skandinavischen 
Gottinnen  erscheint  Skadhi  als  die  Vertreterin  dieser  jagdlusti- 
gen  Frauen.  Offenbar  eine  urspriinglich  nichtgermanische  Gestalt 
mag  sie  aus  der  finniecben  Welt  in  die  skandinavlBohe  .  einge- 
drungen  sein,  denn  gerade  die  nahe  wonende  VolkerBchaft  do: 
Skridefinnen  wird  uns  als  ein  Jagerstamm  gescfaildert;  Maimer 
und  Weiber  trieben  hier  nur  die  Jagd  und  lebten  und  kleideten 
sich  Ton  ihrer  Beute  ^).  Skadhi  wird  als  riistige  Jagerin  and 
Schlittschuhlauferin  geriihmt;  hatte  solche  Lebensart  den  sktn- 
dinavischeii  Weibem  nicht  nahe  gelegen  ,  so  wiirde  eine  solche 
Gottin  schwerlich  Aufnanie  in  den  heimischen  Gotterkreis  eibngt 
haben.  Ich  halte  Skadhi  darum  nicht  ihrcm  Wesen  nach  bwh 
dern  aus  andem  Grfinden,  die  ich  bei  anderer  Gelegenheit  ert- 
wickeln  werde,  fiir  nichtgermanisch.  Sie  verburgt  una  zu^cb 
dafz  die  germanischen  Frauen  auch  den  Bog6n  and  den  Jagdger 
zu  furen  verstunden.  Leichter  und  beliebter  war  indefsen  W 
ihnen  die  Jagd  durch  Stofzvogel  *).  Schon  2eitig  hatten  die 
Deutschen  grofze  Fertigkeit  in  der  Beizjagd  und  sid  richteten  die 
Falken  und  Habichte  trefflich  ab.  Fremde  Fiirsten  liefMO  bA 
solche  Vogel  aus  Deutschland  kommen  ') ;  hier  selbst  sttxndetl  A 
in  hohem  Werte ,  wie  die  BufzBatze  in  den  Bechtsbiichem  dtf 
Franken  Burgunder  und  Alemannen  zieigen.  Auch  noch  weiter- 
hin  waren  die  Deutschen  in  der  Abrichtung  dieser  JagdvSgel  ifl" 
erfarensten  und  bildeten  eine  fOrmliche  Wifzenschaft  aus,  vo" 
der  die  Abhandking  Kaiser  Friedrichs  II.  fiber  die  Kunst  0*1 
Vogeln  zu  jagen  samt  ihren  Bearbeitungen  durch  Manfred  x0 
Albertus    Magnus    ein   Zeugnifs    geben.     Die    vomemen  Eraa® 


•)  Procop.  bell.  goth.  2,  15.  Vgl.  Zeufs  die  Deutschen  p.  684.  ^  "^^ 
das  vierte  Kapitel  in  J.  Grimnis  Gesch.  der  deutschen  Sprache.  ■)  Die  "KStPi 
Ethelbert  von  Kent  und  Ethel  bald  von  Mereia  erbitten  sich  von  Boni&s  Wk* 
und  Habichte.  Bonif.  cpp.    55.  84. 


345 


Deutschlands  wie  der  Nachbarlander  namen  an  diesen  Falken-^ 
jagden  lebhaften  Theil;  der  Falke  und  Habicht  wurdenLieblings- 
vogel,  waren  in  Traum  und  Dichtung  das  Bild  des  Geliebten  ') 
und  wurden  mit  Seide  und  Gold  und  zierlichen  Kappen  reich  ge- 
schmuckt.  In  Frankreich  und  Italien  hat  sich  diese  Theilhame 
der  Frauen  an  den  Beizjagden  noch  lange  erhalten  und  mancher 
das  Leben  gekostet.  Maximilians  beide  Genotalinnen  ^  Maria  von 
Burgund  und  Blanka  Sforza  kamen  durch  einen  Sturz  vom  Pferde 
bei  der  Falkenjagd  um;  Katharina  von  Medicis  erlitt  zweimal 
auf  seiche  Weise  bedeutende  Verietzungen. 

An  den  grofzen  Jagden  der  Manner  auf  die  starkgycLThiere 
dea^Waldes"  namen  die  Ffaueii  wemgstens  als  Zuschauerinnen 
und  Wirtinnen  Theil.  Paul  Warnefrieds  Sohn  (V,  37)  erzalt 
wieHermelind  ihrenGemahl,  den  Longobardenkonig  Kunibert  auf 
der  Jagd  begleitete,  und  Angilbert  und  Ermoldus  Nigellus  achil- 
dem  uns  die  Jagdziige  Karls  des  Grofzen  und  Lud wigs  desFrom- 
men,  wie  sie  in  prachtigem  Zuge  von  der  Gattin  und  den  Toch- 
tem  begleitet  zum  Weidwerke  reiten  und  im  Waldesgriin  von 
den  Frauen  besorgt  und  g6pflegt  ein  froliches  Labungsmal  hal- 
ten^),  Diese  Theilname  der  Frauen  scheint  indefsen  nicht  sehr 
aDgemein  gewesen  zu  seiu;  als  nach  dem  Verfall  des  ritter- 
lich-  hofischen  Lebens  das  Weidwerk  wieder  in  den  Vbrdergrund 
trat  und  die  Manner  fast  den  ganzen  Tag  im  Walde  jagten ,  be- 
Uagten  sich  die  verlafzenen  Frauen  sehr  bitter  dariiber.  Sie  wa- 
ren von  dieser  Lustbarkeit  ausgeschlofzen  und  in  Deutschland 
gaben  nur  die  hochliirstlichen  Hetzjagden  vornemen  Weibem 
neue  Theilname  an  dem  Weidwerke ,  um  welche  sie  niem^id  be- 
iieiden  mag. 

Der  liebste  Zeitvertreib  der  Germanen  im  JFrieden  war  wie 
Tacitus  erzalt  und  wie  alles  andere  bezeugt,  sich  bald  nach  dem 
Fnihstiick  mit  Freunden  und  Gefarten  zusammenzusetzen  und  den 
ganzen  Tag  bis  in  die  Nacht  zu  trinken.  Viele  Jahrhunderte  nach 


')  Nib.  14.  MSH.  1,  97.'  Vols.  c.  83.    •  *)  Angilb.  III.  299  (Pdrtz  2,398) 
Ennold.  Nig.  IV.  535.  (Pertz  2,  511)  vgl.  auch  Wolfdieter.  388. 


846 


des  Romers  Zeit  war  es  noch  ebenso ;  und  als  die  adeligen  Her- 
ren  im  Nachamen  des  Welschen  wetteiferten  und  alles  edle  der 
deutschen  Sitte  mit  Fiifzen  traten,  so  hielten  sie  doch  das  dentsche 
Laster ,  das  Trinken  bis  zur  YoUerei  fest.  Sie  iibertrafen  darin 
die  Altvordem  bedeutend.  Die  Schilderungen  der  altgermaniBchen 
Gesellschaftsfreuden  lenen  sich  an  seiche  Trinktage  an.  Aiigel- 
sacbsen  und  Skandinayier  safzen,  wie  ihre  Epen  und  GreschichU- 
bilcher  erzalen ,  an  den  Tagen  der  Mufze  vom  Morgen  bis  zom 
sp'aten  Abend  in  der  Trinkhalle  und  schliirften  Met  oder  Bier 
aus  den  grofzen  Trinkhomem.  Dabei  waren  die  Frauen  fast  on- 
entberlich;  denn  ihr  Greschaft  war  es  den  grofzen  Becher  oder 
dasTrinkhom  in  denEeihen  der  G'aste  herumzureichen  und  keine 
Konigin  oder  Konigstochter  entzog  sich  dieser  wirtlichen  Pfficht 
Als  Beovulf  der  Geate  zu  dem  Danenkonig  Hrodgar  kommt, 
urn  ihm  seine  HiKe  gegen  das  Meerungeheuer  Grrendel  anzubie- 
ten,  findet  er  den  Konig  in  der  Halle,  neben  ihm  sein  Weib 
Wealhtheov,  vor  ihm  .auf  langen  Banken  seine  Manner.  Die  K5- 
nigin  erhebt  sich  von  Zeit  zu  Zeit  und  reicht  zuerst  dem  6e- 
mahl  den  Metbecher,  daan  geht  sie  von  Mann  zu  Mann  und 
kredenzt  ihnen  mit  freundlichem  Wort  den  Trank  (Beov.  1215  — 
1287).  An  einem  andem  Tage  hat  Hrodgars  Tochter  diefz  Ge- 
schaft  (Beov.  4028—4043).  An  dem  Hofe  des  GeatenkonigB 
Hygelac  sehen  wir  defsen  Frau  ebenso  beschaftigt  (Beov.  3958)* 
Wie  sehr  dieselbe  Sitte  in  Skandinavien  herrschte ,  beweist  ihre 
Verewigung  durch  die  mythische  Erzalung  von  dem  Leben  inVil- 
holl.  Hier  gehen  die  Walkfirien  unter  den  seligen  Helden  mit 
dem  Kredenzhorn  umher  wie  auf  Erden  die  Frauen  unter  ihrcn 
Gasten.  Die  Frau  oder  die  Tochter  des  Hauses  iibemam  auch  in 
Skandinavien  das  Amt  der  Scheukin  ')•  Es  fallt  darum  auf  dib 
wir  einmal  von  dazu  bestimmten  Dienerinnen  lesen  (Olfdjar. 
Egils  s.  c.  44)  y  das  andere  Mai  sogar  von  einem  Manne  der  dtf 
Trinken  kredenzt ,  warend  die  Hausf rau  mit  den  andem  Weibeni 


0  Vgl.  Saem.  170.  Snorr.  108.  Egilss.  c.  7.  Vols.  c.  18.  Tnglingai.  c  41. 
Fommannas.  3,  65. 


84t 

auf  dem  abgesonderten  Frauensitze  sich  befindet.  (Egils  s.  c.  74). 
Eis  erinnert  das  an  den  deutschen  Branch  der  hofischen  Zeit,  wo 
dieWirtinnen  dieseEhre  den  Gasten  nicht  mehr  selbst  erzeigten. 
In  alterer  Zeit  mag  jedoch  die  deutsche  Sitte  zu  der  angelsach- 
sischen  und  skandinavischen  vollig  gestimmt  haben;  mancheSpu- 
ren  davon  lafzen  sich  noch  auffinden. 

Man  darf  nicht  meinen  dafz  die  Frauen  blofz  Zuschauerin- 
nen  bei  diesen  Trinkgelagen  waren,  sie  namen  wirklich  daran 
Theil  nnd  zwar  nicht  blofz  mit  verschamtem  Nippen.  Die  Schande 
und  strenge  Strafe ,  welche  die  Komerinnen  traf,  wenn  sie  Wein 
oder  sonst  berauschende  Getranke  genofzen  (Plin.  h.  n.  XIV,  14), 
konnte  den  Weibem  eines  Volkes  nicht  drohen,  welches  das 
Trinken  so  hoch  hielt.    Wolte  die  Hausfrau  oder  ihre  Vertreterin 

A 

den  Gast  recht  ehren,  so  trank  sie  vidrklich  aus  dem  Becher'den 
sie  reichte,  und  zwar  nicht  wenig  (Yngl.  c.  41).  In  Skandinavien 
namen  die  Frauen  fast  allgemein  und  schon  in  fr&her  Jugend  an 
den  Gastgeboten  Theil;  dabei  safzen  sie  fast  immer  gepart  und 
tranken  mit  ihrem  Genofzen  aus  einem  Becher.  Bei  einem  gro- 
fzen  Gastmal  das  Konig  Sigurd  der  Jerusalemfarer  in  Dront- 
heim  halt,  sitzen  bei  ihm  sein  Anverwandter  Sigurd  Hranason 
mit  seiner  Frau  Skialdvor  und  seine  eigene  Schwester  Sigrid. 
Die  Frauen  trinken  tiichtig  und  halten  mit  dem  Konig  bis  zuletzt 
aus  ')«  Bei  den  Gastlichkeiten  der  h5fischen  Zeit  safzen  auch  in 
Deutschland  die  Geschlechtor  gewonlich  gepart  und  auch  hier 
thaten  die  Frauen  den  Manjiem  guten  Bescheid.  Auch  wenn  sie  ; 
allein  afzen ,  verschmahten  sie  den  Wein  nicht ,  der  nach  deut-  / 
8cher  und  franzosischer  Toilettenlehre  die  Gesichtsfarbe  verschd- : 
nerte  *).  So  kam  es  dafz  Bruder  Berthold  auch  gegen  die  Trink- 
sucht  der  Frauen  zu  eifem  hatte ,  die  oft  den  Schleier  vom  Haupte 
vertrQnken,  warend  der  Mann  das  Schwert  verzechte  (S.  414. 
Hing).  Auch  noch  spater  verstunden  die  deutschen  Weiber  mit 
dem  Becher  zu  kosen;  das  bezeugen  die  Trinkbiicher  welche  auf 


')  Foramannas.    7,    126.  vgl.  auch    Foram.  s.   4,  25.   10,  236.         *)  Parz. 
"^6,  4.  Salom.  u.  Mor.  92  (2.*).  Chastoiem.  des  dames  370. 


•      L 


manchen  Burgen  geh  alien  wurden  und  in  die  sich  diejenigen  mit 
Namen  und  Spruchlein  einzeichneten ,  welche  den  Trtink  uu  dem 
Willkommbecher  bray  gethan  batten.  Da  finden  sich  audi  Frauen 
verzeichnet;  in  demTrinkbuch  von  Schlofz  Anibras  in  Tyixd  er- 
offnet  Philippine  Welserin  1567  die  Eeihe  der  Frsuen  und  -bii 
1577  folgen  nicht  wenige  nach,  welche  den  drei  Mafs  haltenden 
Hiimpen  des  Einschreibens  wert  handhabten. 

Die  langen  Trinkgelage  waren  nicht  stumm  und  ohne  gcSstige 
Belebung»  Im  Gregentheile  entfaltete  sich  bei  ihnen  ein  sehr  regee 
Treiben :  die  wichtigsten  Fragen  des  Volkes  and  der  Grememe  wur^ 
den  hier  verhandelt ,  Krieg  und  Friede  beim  Becher  bosoUofsen 
(germ.  22) ,  Vertrage  und  K'aufe  abgemacht  und  Erzalungen  und 
Lieder  von  den  Gottem  Konigen  und  Helden  des  Stammes  an- 
gestimmt.  Die  Nacht  vor  der  Schlacht  brachten  die  G^ermanen 
bei  fi*olichem  Gelage  mit  heiteren  Liedern  hin  (ann.  1,  66),  gien- 
gen  sie  doch  auch  unter  Gesang  in  den  Kampf. 

Nur  uns  modernen  Germanen  ist  es  iiberlafzen  uns  bei  den 
Gastmalern  zu  langweilen.  Wie  die  Griechen  riefen  auch  unsere 
Altvordem  Musik  und  Poesie  an  die  Tafel.  Die  Harfe  wanderte 
von  Hand  zu  Hand  ^)  und  die  grofzen  Geister  und  die  alten  Tha- 
ten  ,des  Volkes  stiegen  hemiedei*.  Die  lebendigsten  Zeugnifse  bie- 
>  ten^die  angelsachsischen  Denkmaler.  In  den  unschSt^baren  Lie* 
dem  von  Beovulf  horen  wir  *  wie  Mann  fur  Mann  in  der  Met* 
halle  ein  Lied  zur  Harfe  singt ;  von  Cadmon ,  dem  VerfafKer 
biblischer  Dichtungen,  erzaltBeda  (hist.  eccl.  4,  24)  dafs  er  fra* 
her  ohne  poetisches  und  musikalisches  Talent  die  Gesellschafien 
stets  verlafzen  babe ,  sobald  man  Lieder  der  Reihe  nach  ta  sin- 
gen  begann.  Jn  Skandinavien  herrsehte  diese  schone  Weise  der 
Unterhaltung  beim  Gelage  ebenfalls*),    obschon  insofem  anders 


')  Nach  Jornandes  sangen  die  Grothen  ihre  Lieder  cur  Cither,  womnter 
wir  eine  mit  Darmseitea  bezogene  kleinere  Harfe  zn  yerstehen  haben.  (P.  Wolf 
uber  die  Lais ,  Scquenzen  und  Leiche  245).  Nach  Yenant  Fort  7,  8  wnrde  die 
Harfe  von  den  Deutschen  zur  Begleitung  ihrer  Lieder  gebrancht  *)  Der  Ge- 

sang hiefz  damm    dlteiti   Bierlust.    Egilss.    c.  31.    Tgl.  Odyft.  «,  13S.    (AoIm^  t 
OQXTjatvg  za  za  yaQ  t*  ava^'^ficcza  ^atzog. 


848 

«l8   die    objective   altepische  Poesie   hinter  die  eubjeetive  lyrische 

bei  dieser  Gelegenheit  augenscheinlich  zuriicktraL  Man  sang  dort 

wenigatens    in    der   Bliitezeit    der    Skalden    nicht  Volk^gesange, 

fiondem  jeder  trug  ein  selbstgedichtetes  Lied  vor,   das  eine  indi- 

viduelle   F'drbung   hatte    (Egils    b.   c.    31).    In  der  hofischen  Zeit 

dauerte  der  Brauch  durch  Gesang  die  Gastmaler  zu  wiirEen  fort  f" 

die  Tischgenofzen    sangen  indefsen  nicht  selbst,    sohdern  herbei- 

gerufene  Spielleute  iibernamen  die  Unterhaltnng  durch  Lied,  Vor- 

trag  von  Erzalungen  und  Musik.    Das  Volk   setzte    aber  die  alte 

Bierlust  fort  und  noch  heute  singen  die  Bauern  mancher  Gegen- 

den  am  Schenktische  ihre    Gesange  und  tragen    alte    Schwanke 

und  Scherzspiele  vor. 

Erzalungen  alter  Geschichten  waren  auch  ein  recht  eigent- 
licher  Theil  der  altgermaniechen  Unterhaltung.  Zwei  Theile  der 
wgenannten  Sjpabrra-Edda,  Gylfaginning  und  Bragaraedur,  sind 
in  dieser  Weise  abgefafzt  dafz  in  dem  ersten  Gylfi  dem  H^r, 
in  dem  andem  Bragi  dem  Aegir  auf  ihre  Fragen  ausfiirliche  Aus- 
kunft  geben  und  dabei  die  Sagen  von  der  Welt  und  den  G^ttem 
mittheilen.  Diese  Unterhaltung  (ordliafkipti)  ^•ard  oft  zu  einem 
formlichen  Wettgespr^che ,  indem  eich  zwei  zur  Priifung  ihres 
Wifzens  herausforderten.  Solche  Einkleidung  haben  einige  Ge- 
didite  der  alteren  Edda:  im  Vafthrudnisliede  versucht  Odhin 
selbst  unter  dem  Namen  Gangrad  ein  Wettgesprach  mit  dena 
vielwifzenden  Riesen  Vafthrudnir  \  Im  Alvisliode  haben  wir  eine 
Wcttrede  zwischen'Thor  und  dem  Zwergen  Alvis;  den  iiberwun- 
denen  triift  der  Tod.  Aus  diesen  Wettgesprachen  entwickelten 
sich  zwei  Arten  dichterieeher  Erzeugnifse:  das  Ratsel  und  daft 
Streitlied  (die  TenzoneJ. 

Die  Ratsel  sind  ein  uralter  vielbelicbter  Theil  unserer  Poesie^ 
welcher  mit  demSinne  unseres  Volkes  uiid  der  Art  unserer  altesten 
Dichtungen  eng  zusammen  hangt.  Sic  gaben  die  Golegrnheit 
das  Wifzen  der  alten  Sagen  und  Ijieder  in  kurzen  Zfigcn  zu  be- 
wei>»^n  und  wsiren  obenso    ein   Mittel    die   innerliche  Verarbeitung 

')  V^l.  J.^  r4riium  « rPP(*li.   il.  <lou;s(li«ii   Spuche   762. 


des    aufzerlich   gegebenen   in  kleinen  plastischen  Bfldem  an  das 

Licht  zu  bringen.     Der  Zug  des   rfttselhaften,    das  Streben   die 

innerliche  Anschauung  und  die  Empfindung  iiber  irgend  etwas  in 

ein  Gleichnife  zu  verbergen  das  die   Thatsache  und  die  Meinung 

davon  zugleich  ausdriickt,    zeigt  sich  in  der  alteren  Zeit  nnseres 

Volkes  vielfach  und  dauert  noch  heute  in  denen  fort,  welcb^  die 

Volksthiimlichkeit  stark  in  sich  tragen.     Die  altnordische  Poesie 

ist  vol!  Spuren  der  Bliite  der  Eatseldicbtung ;  ist  docfa  dieganze 

Art  der  Skalden   im  denken   und  reden   ein  st&tiges  Batselfinden 

und  Batselaufgeben.    Die  Angelsachsen  zeigen  dieselbe  Neignng; 

sie  haben  uns  in  ihrer  eignen  wie  in  lateinischer  Zunge  Denknude 

davon   hinterlafzen  ^),    und   die   deutsche   alteste  Literatur  wfirde 

uns  gleiche  Beweise  geben,  hatte  nicht  ein  ungiinstigeB  Geschick 

iiber  ihr  gewaltet.     Im   dreizehnten  Jahrhundert    treten  indeffl^ 

im  Tragemundsliede ,   in  den   Gedichten   einzelner  Lyriker*),  in 

dem  Wartburgkriege ,    die  Zeugnifse   auch  fiir  die  innerdeutflche 

Ratselpoesie'auf.     Der  Wartburgskrieg  hat   zugleich  den  urnltoi 

Zug  bewart,   dafz  der  iiberwundene  mit  dem  Leben  zahlt    Ke 

Uebertragung  der  Literatur  an  den  B&rgerstand  mochte  dem  Bat^ 

sel  neue  Narung  geben ,  denn  mit  der  Liebe  zu  dem  gnomischen 

und  allegorischen  vereinigte  sich  das  Batsel   sehr  wol.    Die  B&t^ 

sel  und  die  nicht  schulmafzigen  Gesange,    die  Yolkslieder,   Bind 

die  frische  Seite  der  Literatur  jener  Zeiten.    Wir  besitzen  merefC 

Batselbiichlein  aus  dem  sechszehnten  Jahrhundert,    welche  auch 

ihrerseits  ein  Zeugnifs  von   dem  kecken  mutwilligen  Leben  jenet 

Jahre  ablegen.     Yieles  in   ihnen   scheint  sehr  alt    und   hat  siob 

noch  bis  jetzt  im  Munde  des  Volkes  erhalten,   das  gleich  dei^ 

Gesellschaften    des    17.    Jahrhunderts    solche    Unterhaltung  liebt- 

Selbst  Batsellieder  werden  noch  heute  gesungen,  die  eine  schehi'^ 


0  Lateinische  R&tsel  verfafzten  u.  a.  Beda,  Aldhelm,  Tatvm;  aaicelsftcb' 
sische  finden  sich  im  Codex  exoniensis  (ed.  Thorpe  as.  380—441.  470 — 475- 
479—500).  *)  Vgl.  W.  Wackernagel  bei  Haupt  Z.  f.  d.  A.  3,  25.  f.  Literaturgncb- 
SS.  9,  74.  Mone  Anzeiger  Bd.  2.  4.  7.  8.  Plotz  uber  den  Sangerkrieg  «of  War^- 
burg.  1851. 


851 

bare  Bestrafung  des  besiegten  m  iiberraschender  Treue  festgehal- 
ten  haben  0« 

Mit  den  Ratselliedem  sind  die  Str^tlieder  oder  Tenzonen 
verwaudt ;  sie  sind  aber  subjectiv  und  individuell ,  warend  jene 
ein  allgemeines  objectives  Gut  sind.  Die  Tenzonen  haben  in 
Deutschland  keine  Pflege  gefunden  welche  sich  mit  ihrer  Auf- 
Dame  bei  den  westlichen  Nachbaren  vergleichen  liefze ;  in  das  Volk 
and  sie  nie  gedrungen*  Als  die  Lyrik  gelehrt  und  spitzfGndig 
wurde,  beliebte  man  wol  diese  Gattung,  allein  es  zeigt  sich  dafz 
aie  nicht  in  Saft  und  Blut  iibergieng.  Keines  dieser  Gedichte  kann 
sich  den  zum  Theil  reizenden  proven^alischen  Tensons  zur  Seite 
stellen.  Die  Ratsellieder  verdankten  ihre  Entstehung  der  Lust 
des  Volkes  an  der  Kunde  der  Vergangenteit ;  diese  gab  aber  nicht 
allein  der  Unterhaltung  Stoff ,  sondem  auch  das  Verlangen  nach 
Kunde  der  Zukunft.  Als  wir  von  den  weisen  Frauen  sprachen, 
batten  wir  mehrfach  Gelegenheit  zu  erzalen  wie  dieselben  bei 
gastlichen  Zusammenkiinften  sehr  willkoramen  waren,  indem  sie 
durch  ihr  Voraussagen  allgemeiner  Verhaltnifse  so  wie  durch 
ibe  den  einzelnen  gewidmeten  Prophezeiungen  die  Stunden  aus- 
fiiUten.  Ich  habe  nur  hinzuzuftigen  dafz  sich  Erforschungsver- 
euche  der  Zukunft  fort  und  fort  als  beliebte  Unterhaltungsmittel 
erhielten*  Das  Blei-  und  Wachsgiefzen ,  das  Spiel  mit  Nufzscha- 
lenschifFchen  und  anderes  das  nicht  blofz  zu  gewifsen  Zeiten  in 
den  Gesellschaften  getrieben  wird,  sind  Ueberbleibsel  jener  alten 
Gesellschaftsfreuden. 

Es  ist.  hier  der  beste  Ort  von  den  Spielleuten  ein  par  Worte 
zu  sagen,  welche  mit  dem  geselligen  Leben  des  Mittelalters  auf 
das  engste  verkniipft  sind.  Die  Spielleute,  unter  denen  uns  die 
Spielweiber  noch  besonders  angehn,  sind  wie  sie  ims  in  der  mitt- 
leren  Zeit  als  Volk  der  Gerenden  und  Farenden  entgegentreten, 
ein  durchaus  ungermanisches  Volk ,  denn  sie  nemen  Gut  fiir  Ehre, 
8ie  sind  ein  feiles  Volk  *).     Eine  Erbschaft  der  antiken  Welt  an 


')  Siehe  u.   a.   das   Ratsellied  bei   Simrock   deutsche    Volkslieder    Nr.  367. 
*)  Leider  hat  sich  dieser  schfine  gennnnisrhe  Grnndsatz ,    um  kein  Gut  der  Welt 


S52 


(lie  mittelalterliche   etehen   sie  jedoch   nicht   aufzer   aller   inneren 
Verbindung  mit   dieser;    denn  wie  manche  andere  GestaltCD  und 
Gesellschaften  dieser  Zeit  sind  sie   die  Erhalter  und  Fortpflanzer 
fiir  uralt  heimisches  und  volksthiimliches  geworden.    Wir  mufzen 
der  gottesdienstlichenFormen  unseresHeidenthumes  gedenkcD,  un- 
ter  denen  Gesang  und  Tanz  nicht   unbedeutend   hervortreten  wir 
mufzen  darauf  achten  wie  die  Bekerer  und  die  Geistlichkeit  noch 
mehrere  Jahrhunderte   gegen  Gesang   und  Tanz  des  Volkes  und 
besonders  der  Weiber  in  und  vor  der  Kirche  eifem,  und  wie  das 
was  wir  hiervon    erfaren   mit   mancherlei  Kiinsten  der  SpieDeote 
zusammentriffl: ,   um   zu  erkennen    dafz    das  Volk   der   Gerenden 
und  Farenden,    als   es   aus  Welschland   nach   Deutschland  kam, 
viel  Boden    fand  um  Wurzel  zu   fafzen,     Ueberdiefz  waren  unter 
den  Germanen    seit  alter   Zeit  wenn^auch  keine    Sangerkaste  so 
doch  Sanger   und  Spielleute   vorhanden ,    welche  die  Kunst  zum 
Lebensberuf  gemacht  batten.     Die  germanischen  Fiirsten  strebten 
danach.,    ihre  Hofhaltungen  durch  Manner  zu  schmGcken  welche 
mehr  als  die  Menge  von   den   alten  Sagen  und  Liedern  kannten 
und  deren  Geschicklichkeit   im  Harfenspiel   das   allgemeine  Mafz 
fibers tieg.     Diese  Sanger  und  Spielleute  stunden  in   hohen  Ehren 
um  so  mehr  als  sie  nicht  haufig  waren.     So  ziehen  sie  denn  von 
einem  Fiirsten  eines  kleinen  Stammes  zum  andem  und  durchwaii- 
dern  das   ganze  weitverzweigte  Volk,    iiberall  wol  aufgenommen, 
mit  der  alten  SS-ngergabe,  dem  goldenen  Armring,  beschenkt  und 
den  Fiirsten  w'arend  ihres  Aufenthaltes  eng  zur  Seite.  Beim  Wei- 
terziehen  wurden  sie  oft  mit  einer  Botschaft  betraut,  denn  im  Ge- 
nufze  eines  besonderen  Friedens  waren  eie  die   sichersten  Gesand- 
ten  0;    auch  erhielten  sie  wol  den  Auftrag  eine  That  von  beeon- 


die  Ehre  hinzugeben  und  der  Abschea  gegen  alle  feile  Seelen  seit  langer  Zeit 
unter  uns    verloren.  ')  Vgl.    Vilkinas.    c.  118.    120.  —    In   dem  Botenamte 

der  Sanger  einen  Kest  priesterlichen  Geschaftes  zu  finden ,  wie  J.  Ghimm 
Gesch.  d.  d.  Sprache  820,  kann  icli  mich  nicht  recht  entsehliefEen ;  denn  das  Bo- 
tenamt  der  Pricster  ist  mir  durch  die  initiriQV'iiSLa  der  getischenPriester  nicht  ge- 
nu^ bezeugt.  Die  Priester  sind  wol  die  Yerkiinder  des  gottlichen  Willen,  sie  k&n- 
nen  auch  wichtige  Geuandschat'ten  ubernemen,  allein  dafz  sie  su  blnfften  Botea  der 


35S 

lerer  Ruhmwiirdigkeit  oder  Schande  zu  verbreiten  und  gemein 
su  machen,  sie  waren  der  Mund  des  Volkes.  Jenes  Botenamt  ( 
and  diefz  Scheltamt  haftete  ihnen  so  feet  an,  dafz  es  noch  auf  ihre 
Qiediigeren  Nachfolger,  die  Farenden,  iibergicDg.  Spielweiber  wur- 
den  zu  Boten  (Parz.  362,  21),  Spielleute  zu  Scheltern  gebraucht, 
welche  Lob  und  Tadel  je  nach  dem  Auftrage  ausbreiteten  ^). 

Mit  der  allgemeinen  Aenderung  welche  sich  nach  und  nach 
in  der  '  mittelalterlichen  Gesellschaft  und  namentlich  in  der  Fiir- 
Btenmacht  und  dem  Hofleben  ergab,  anderte  sich  auch  diefz  und 
jenes  m  Bezug  dieser  Sanger.  Aus  dem  weiten  Raume  zwischen 
der  Volkskonigschaft  und  der  vollen  Ausbildung  des  mittelalter- 
lichen States  sind  uns  von  den  Hofsangern  nur  geringe  Spuren 
erhalten,  denn  die  Skalden,  deren  Bliite  in  diese  Zeit  fallt,  un- 
terscheiden  sich  von  ihnen.  Bei  diesen  ist  die  Poesie  nicht  das 
einzige,  was  sie  auszeichnet  und  ihre  Ge^enwart  den  Fiirsten  an- 
genem  machte;  sie  sind  die  edelsten  und  kiinsten  der  nordischen 
Manner,  deren  Schwert  mit  ihrer  Zunge  an  Furchtbarkeit  wett- 
eifert.  Nur  wenige  von  ihnen  geben  sich  in  ein  eigentliches  Hof- 
verh'altnifs ,  von  einem  Gewerbe  machen  aus  der  Kunst  sind  si6 
veit  entfernt.  Mehr  Aenlichkeit  mit  jenen  altgermanischen  S'an- 
gern  haben  die  Dichter  der  hofischen  Zeit.  Auch  sie  ziehen  votf 
einem  Fiirstenhofe  oder  von  einer  Burg  zur  andern,  treten  wo 
es  geht  zu  den  schiitzenden  Herren  in  ein  naheres  Verhaltnifs 
und  Buchen  sich  ihre  Stellung  moglichst  zu  sichern  und  dauernd 
2u  machen  Indefsen  ist  dieselbe  nicht  mehr  so  gunstig  wie  die 
der  alten  Sanger;  denn  sie  sind  weniger  geeucht  als  suchend,  sie 
leiden  unter  der  zalreichen  Mitbewerbung  und  selbst  ausgezeich- 
Dete  konnen  es  selten  hoher  als  zur  notdiirftigen  Fristung  ihres 
Lebens   bringen,     Diese  ritterlichen  Sanger  und  die  befzeren  der 


^enschen  gebraucht  wurden,  scheint  mir  bei  ihrer  sonstigen  Stellung  als  Bichter 
^d  Aelteste  nicht  recht  glaublich.  ')  Grimm  Recbtsalterth.  953.  Iwein  SS.  349.  544. 
Seifr.  Helbl.  II.  1290.  if.  VII.  803.  Fur  die  allgemeinere  Bedeutung  von  fceltdri 
(dinotator)  spricht  die  von  Lachmann  aus  Grieshabers  Prcdigten  1,  67  angefUrte 
Stelle.  —  fceltan  mag  weniger  zn/culan  als  zu  fcal  (natiirlich  durcl^  die  Form  fcU 
▼ermittelt)  gehoren. 

23 


354 

biirgerlichen  Melster  sind  jedoch  noch  volHg  von  dem  Volke  der 
Farenden  oder  den  Spielleuten  unterschieden.  Sie  adelte  die  6abe 
der  Poesie,  diese  traf  aller  Fluch  der  sich  an  die  Knnst  heftet 
wenn  sie  nach  Brot  gehen  mufz,  und  ihre  Kunst  bestund  oft  in 
nichts  anderem  als  in  dem  niedrigen  Haschen  nach  einem  Lachen 
der  Menge. 

Die  Banden  von  Musikem,    Gauklem,    Puppenspielem  und 
Tanzem,  welche  sich  aus  der  verfallenden  romischen  Welt  in  die 
aufsteigende  moderne   hineinretteten ,    sind  ohne  Vorfaren   in  dem 
germanischen  Volke.   Die  Germanen  kannten  wol  Volksspiele  von 
alter   Zeit,    ihre   Jiinglinge   fiirten   offentliche    Schwertt&nze   auf, 
allein   nur  zur    Ehre   nicht   um   Gut  ^).    Wenn   Snorri   Sturluson 
(Snorr.  edda  1.  Yngl.  s.  c.  5.)  von  der  Gottin  G^fion  erzalt,  dafz 
sie  als  farendes  Spiel weib  umherzog,  so  ist  das  fur  eine  der  jiing- 
sten  nordischen  Sagen  zu  erklaren;    der  freie  Germane  hielt  sei- 
ches Leben  for  eine  Schmach;    wie  hatte  er   seine  GOtter  ismil 
belasten  sollen  *)  ?  Das  Scherzspiel  (fkemtun)  das  zur  gesellschaft- 
lichen   Unterhaltung   in    den   alteren   Zeiten   im  Volke   aufgeftkrt 
ward,  lafzt   sich  noch  in  seinen  Hauptziigen  zeichnen  und  ist  fflr 
die  alteste  Geschichte  der  Spielleute  von  Bedeutung.    Feinen  gei- 
stig  verklarten  Scherz  diirfen   wir  nicht  erwarten;    wenn  wir  die 
Pofsen  des  Landvolkes    oder    der   Kinder  betrachten,    so  mSgen 
wir  die  Spiele  unseres  Alterthumes  erblicken.    Rohe  ungeschickte 
LeibesbeweguDgen,    Priigel  oder  andere  Verletzungen  welche  den 
Getroffenen   zu  grimmigen   Aeufzerungen   des  Schmerzes  reicen, 
plumpe  Mummerei,  das  sind  die  Mittel  zum  Lachen  und  Lachen 
ist  die  Hauptsache.    Skadhi,  die  Tochter  des  erschlagenen  Biesen 
Thiafsi,  hat  zu  einer  der  Suhnbedingungen  gemacht  dab  man  ihi 
ein  Lachen  ablocke.     Da  bindet  Loki   ein    Band   mit  dem  eineD 
Ende  um  den  Bart  einer  Ziege,  mit  dem  andem  um  seine  Schax^ 


')  Exercitatio  artem  paravit,  ars  decorem,  non  in  quautttm  tamen  out 
eedem,  quamvis  audacis  lascivicB  pretium  est  voluptcts  spectantium,  Gtemou  cap.  ^^ 
*)  Gefion  war  als  Meergottin  FreuuiLin  von  Gesang  Mosik  and  Tarn.  Dftimn  ^' 
jene  junge  Sage  gekniipft. 


S55 

und  schleppt  sich  springend  mit  dem  Thiere  henim.  Dariiber  lacht 
die  Gottin  und  die  Stthne  ist  geschehen  ').  Als  Vorbild  jener  Un- 
terhaltung  kann  femer  der  Aufzug  des  Herzogs  Berker  mit  sei- 
nen  Riesen  am  byzantinischen  Hofe  angefiirt  werden ,  durch 
welchen  er  die  notige  Einsamkeit  fur  die  Zusammenkunft  seines 
Konigs  Rother  mit  des  Kaisers  Tochter  gewinnt.  Mit  ungefQgen 
pofsenhaften  Bewegungen  ziehen  die  Riesen  durch  die  Strafzen; 
Widolt  mit  der  Stange  hiipft  und  springt  wie  ein  Hirsch,  Asprian 
der  Spielmann  iiberschlagt  aich ,  Grimme  springt  zwolf  Klaftern 
nach  einem  Steine  den  er  vor  sich  her  scbleudert  und  alles  Volk 
eammelt  sich  und  staunt  und  lacht  ^).  Das  Nachaffen  der  Thiere 
hat  an  diesen  Pofsen  einen  grofzen  Theil;  es  hangt  diefz  sowol 
mit  einer  menschlichen  oder  kindischen  Neigung,  als  auch  mit 
der  religiosen  Bedeutung  der  Thiere  zusammen.  Als  Symbole  und 
Begleiter  <Jer  Gottheiten  wurden  sie  in  die  gotte&dienstlichen  Auf- 
und  Umzuge  verflochten ,  die  besonders  bei  (Jen  Jahrzeitfeiern 
Btatt  fanden.  Die  beliebtesten  Thiere  in  dieser  Art  waren  der  Bar 
und  der  Schimmel,  dieser  mit  Bezug  auf  Wodan,  jener  wie  es 
Bcheint  wegen  Donars.  Beide  Thiere  erscheinen  noch  heute  in  den 
Volksspielen ,  zwar  nicht  mehr  in  eigener  Gestalt,  aber  dqrch 
vermummte  Menschen  dargestellt.  Unser  Alterthum  liebte  naTOcnt- 
lich  kunstreich  abgerichtete  Baren.  Das  I^teinische  Gedicht  von 
Budlieb  erzalt  von  zwei  solchen  Thieren,  die  weif?  mit  schwarzen 
Beinen  und  Fiifzen  waren  und  aufrecht  wie  ein-  Mensch  giengen 
und  die  Vorderfufze  wie  Arme  zum  IJeben  von  Gefftf^en  benutz- 
ten.  Wenn  die  Spielleute  die  Seiten  stricjien,  tanjsten  sie  im  Tacte 
nach  der  Weise.  Dann  sprangen  sie  in  die  Hobe  und  iiberscblugen 
sich,  oder  sie  rangen  mit  einander  und  tru^en  sich  wechseUeitig. 
Auch  unter  die  Zuschauer  drangen  sie  ein  und  boten  den  Weibern 
brummend  den  Arm  zum  Tanz ,  den  diese  lustig  springend  mit 
ihnen  traten  ^)»    Oft  arteten  diese  Barenspiele  aber  ins  Grausame 


0  Ueber  die  Bedeutung  welche  diese  Sage  in  Lokis  Geschichte  hat  s.  meine 
Bagen  von  Loki  S.  72.  f.  £ine  Unanstandigkeit  der  Baabo  brachte  nach  griech.  Sage 
di«  trauernde  Oemeter  zum  Lachen.      *)  Roth.  2152—2165.      ")  Uudlieb  III.  84 — 98. 

23* 


356 

auSy  denn  es  wurden  ihnen  auch  Menschen  mit  Honig  bestrichen 
zum  Frafz  vorgeworfen  ^),  ein  Rest  dee  Menschen opfers  welches 
dem  Gotte  gait,  defsen  Symbol  der  Bar  war.  Diese  grausame 
Rohheit  eben  so  wie  das  freche  und  unanstandige  was  bei  dlesen 
Spielen  mit  dem  Bar  gewesen  zu  sein  scheint,  veranlafzte  die 
Kirche  die  Theilname  daran  zunachst  den  Pries  tern  zu  verbieten  *)♦ 
Alle  jene  Pofsen,  Aufziige,  Reihen,  Sprtinge  und  Gesangey  welche 
von  dem  Volke  und  namentlich  von  den  Weibern  auf  Strafzen 
Platzen  und  in  den  Vorhallen  der  Kirchen  wie  mitten  in  diesen 
bei  Tag  und  Nacht  getrieben  wurden,  waren  librigens  allgemeine 
Volkssache  und  nicht  Erzeugnifse  der  Spielleute.  Allein  sie  boten 
den  festen  Halt  an  den  sich  diese  anklammerten  und  durch  wel- 
chen  sie  sich  einbiirgerten. 

Die  romischen  Gaukler  und  Mimen ,  die  joculatorea ,  hi- 
ftriones ,  thymelici  und  wie  sie  hiefzen ,  batten  sich  fiber  die  Zeit 
des  romischen  Reiches  hinaus  in  den  germanischen  Landem  er- 
halten.  Der  Ostgothenkoiiig  Theoderich  hatte  in  seiner  allgemei- 
nen  Sorge  fur  die  bestehenden  romischen  Verhaltnifse  auch  den 
Histrionen  seine  Theilname  zugewandt ,  suchte  sie  durch  den 
tribunus  voluptatum  zu  einiger  Ordnung  zu  bringen  und  sorgte 
tHr  alte  Mimen,  da  er  ihren  Lebensberuf  fiir  keinen  unniitzen 
ansah  indem  sie  dem  offentlichen  Vergnftgen  dienten.  (Cafsiod.  var. 
2,  9,  3,  51.  4,  51.  7,  10).  Theoderich  11.  der  Westgothe  war 
kein  Freund  ihrer  Kiinste^).  Dagegen  ergetzten  sich  die  Yanda- 
len  gem  an  diesen  romischen  Gauklem  ^),  Am  zalreichsten  gedie- 
hen  diese  Ban  den  im  siidlichen  Frankreich.  Die  Poesie  war  nur 
Nebensache  bei  ihnen,  Gaukelkunste ,  Tlkize,  allerlei  Seilt&nzer- 
stuckchen,  pantomimische  Auffbrungen ,  Spiele  mit  abgerichteten 
Thieren ,  das  waren  ihre  hauptsachlichen  Uebungen  und  Fertig- 
keiten.    Aus  dem  Siiden  suchte  das  Yolk  nach  dem  Norden  und 


')  Maiicoy.  comment.  L.  Y.  p.  359.  ')  Nee  turpia  joea  cum  itr*o  vel  tot' 
natricibus  ante  se  facere  permittant.  Hincmari  cap.  ad  presbyteros  c  14.  W.  Wa- 
ckcrnagel  bei  Haupt  6,  185.  ^)  Sidon.  AppoUin.  ep.  I,  2.  *)  Procop.  b. 

vaud.  II,  6. 


85? 


Oaten  zu  dringen,  was  ihm  auch  seit  dem  achten  Jahrhundert 
gelungen  ist.  Dafiir  zeugen  die  deutschen  Namen  welche  die  Glo- 
fsen  seit  jener  Zeit  fiir  Pofsenreifzer ,  Schauspieler ,  Tanzer  und 
Springer  aufRiren  0-  Ich  lege  dabei  besonderes  Gewicht  darauf, 
dafz  diese  Namen  nicht  durch  Sanger  und  Harfen spieler  wieder- 
gegeben  werden ,  und  meine  demnach  dafz  die  einheimischen 
Volkssanger  und  Harfen  spieler  sich  im  Anfange  von  diesen  frem- 
den  Seiltanzem  und  Mi  men  vOllig  absonderten  und  eine  hohere 
Stellung  noch  lange  behaupteten.  Als  eine  leichte  Reizung  aber 
auch  als  schwerstes  Gewicht  zu  tiefem  Sinken  batten  sich  diesen 
Spielleuten  und  Tanzem  seit  romischer  Zeit  Weiber  angeschlofzen. 
Schon  Childebert  I.  sah  sich  um  554  veranlafzt  gegen  den  Un- 
fug  dieser  Weiber  (banfatrices)  einzuschreiten  (Pertz  legg^  I.  1) 
und  Hincmar  von  Bheims  warnt  seine  Priester  vor  diesen  toma- 
trices;  die  Glofsen  aber  setzen  ohne  weiteres  hinter  ihre  Namen 
das  Zeiignifs  ihrer  Sittlichkeit  ^).  Die  Tanze  und  die  pantomimi- 
Bchen  Darstellungen  in  denen  sie  auftraten ,  mOgen  etwas  frei 
und  frech  gewesen  sein  ') ;  dasVolk  scheinen  sie  jedoch  sehr  er- 
getzt  zu  haben. 

Das  leichte  Volk  der  Farenden  und  Gerenden  war  auf  die 
Gunst  der  Menge  angewiesen  und  muste  sich  also  nach  derZeit- 
stimmung  richten.  Sie  trieben  in  der  ersten  Zeit  nur  jene  schon 
beschriebenen  Kiinste  und  unterhielten  wol  auch  durch  Pup- 
penspiele.  Diese  von  Holz ,  Lappen  oder  Wachs  gemachten  To- 
cten  *)  wurden  an  Faden  gezogen  und  ihnen  ganz  wie  heute 
^lerlei  Reden  und  Gesprache  in  den  Mund  gelegt  ^).    Sie  erhiel- 


')  Spiliman:  fcurra  mtmus»  hiftrio.  thimelicus  fcenicus.  Graff  2,  746.  HUmdri : 
^y^^o,  jcurra,  f alius.  Graff  5,  424.  trutdri :  faltator.  Graff  5,  b*22*  fprangdri : 
^^fator  Graff  6,  399.  fcirno:  fcurra,  joculator.  faltator,  fcortator,  Graff  6,  550. 
^^pAari:  hiftrio  Graff  1,  788.  *)fpilwtp:  tympaniftria.  fcortum.  Grff.  1.  SbS.fpOama* 
P^larra:  theatrica.  meretrix*  Graff.  6,  331.  Andere  Namen  waren  bachi:  faltatriv 
'*"^«  3,  29.  turner/chin  (von  tumon  rotari),  ')  Adam.  gest.  bamab.  eccl.  pont.  3,  38. 
^ocha:  miina.  pupa  bereits  in  sehr  alten  Glofsen.  Graff  5,  364.  vgl.  MSH.  2, 
**•*  In  Schlesien  heifzen  die  Marionettenspieler  und  Gaukler  noch  heute  Tocken- 
*^^ler.  5)  1,1  Herrads  hortus  delic.  ist  mit  der  Ueberschrift   ludus  monfltrerum 

^     I'ockenspiel  abgcbildet;    es  sind  zwei  Bitter  die  mit  einander  fechten.    Zu  be- 


8S8 

ten  anscheinend  auch  altmythische  Gestalt,  wenigstens  heifzen 
sie  zuweilen  Kobolde  und  Wichtel  und  etehen  vielleicht  nicht 
aufzer  Verbindung  mit  dem  heidnischen  Gotterdienste  (Vgl.  Grimm 
deutsche  Mythologte  1,  468)» 

Die  Poesie   war  den  Spielleuten   in  Deutschland  noch  lan- 
gwe  Zeit    verschlofzen )    denn   die   geistliche  und  gelehrte  Dicht* 
kunst  war  ihnen  von  selbst  verwert»  die  volksthAmliche  aber  waf 
im  Besitze  eigener  Sanger   und   das  Volk  wird   sein   altes  Erbe 
gewifs  nicht  so  leicht  in  dett  Mund  dieser  verachteten  Menschea 
gegeben  haben>  Dafiir  namen  eich  die  Farenden  bald  der  InstrU'' 
mentalmusik    an»     Zu   ihren  Tansen   Und  Pantomimen    batten  sie 
seit   alter   Zeit   Floten-   Lauten-    und  Paukenbegleitung;    hierzu 
traten    allmalich    verschiedene   Arteti   Von   Harfen  >    die  Fiedeln, 
Geigen   und   mancherlei  Blaseinstrumente.     In  der  hofischen  Zeit 
ward  die  Fertigkeit  auf  folgenden  Tonwerfcaeugen  von  ihnen  ver* 
langt :   Fiedel ,   Geige  >  Eotte  ') ,  Laute  (mandura)  >  Flote ,  Quer* 
pfeife  y  Bohrpfeife  ("caramella)  >  Dudelsack  ^  Dfehorgel  (fymphoniei 
chifonie) ,  Horn  ^  Trompete ,  Posaune  Und  Trommel ').   Die  deut* 
Bchen  Spielleute  scheinen  hinter  den  welschen  nicht  iSurUckgestan- 
den  zu  haben ;  es  werden  sogar  in  Frankreich  die  deutschen  Gel- 
ger  und   die   bomischen  Flotenspieler  beeonders  geriimt^und  die 
deutschen  Instrumente  stunden  bei  den  Proven^alen  und  LombaT'* 
den  in  besonderem  Ansehen  ^). 

Die  Spielleute  gewannen  jedoch  noch  weiteren  Boden.  E« 
gab  unter  den  Geistlichen  und  Monchen  seit  friiher  Zeit  pflicht- 
vergefzene  und  leichtsinnige ;  bekannt  ist  dafz  ihre  Zahl  unter  den 
Franken   namentlich   nicht   gering   war  und  dafz  pflichttreue  Bi- 


achten  ist  auch  eine  Stelle  aus  Malagis,  bei  Hagen  Germania  8,  880.  Dafs  di» 
nordischcn  leikarar  auch  Tocken  (  marackar)  mit  sich  ffLrten  beweist  die  Stelle 
Furnmannas.  8,  207.  ')  rota  und  fauteri  (pfalterion)  werden  im  Roman  de  FU- 
menca  geschicdcn,  obschon  sie  sonst  zusammen  zu  fallen  scheinen.  Wolf  Lais  S45» 
^)  Raynouard  lex.  rem.  1,  9.  4,  167.  Diez  Foesie  der  Troubadours  42.  45.  t  vgl* 
auch  Du  Cange  s.  v.  baudosa.  W  Wackemagel  Literaturgesch.  Ss.  17,  97.  108. 
")  et  81  avoit  bona  leuteurs  et  des  flauteurs  de  Behaigne  et  des  gigtioMrs  dAUmaigmB 
liom.  de  Cl^omades  (Monmcrquc  et  Michel  theatre  frani;.  105.)  — •  ecMtar  damzat 
a  la  provenzalesca  con  u{ffrumenti  novi  d'Aleniagna,  Potti  del  primo  teeoh  S,  175* 


hofe  und  auch  Karl  der  Grofze  durch  sie  zuletzt  2um  ganzli- 
en  Verzichten  auf  ihre  Befzerungsversuche  genotigt  wurden  ^)» 
ele  dieser  Idderlichen  Kleriker  streiften  in  den  Lftndern  umher 
d  gerieten  dabei  mit  dem  Volke  der  Spielleute  in  BerQrung; 
3  leichte  halbkiinstlerische  Treiben  zog  sie  an  wie  in  epaterer 
t  verdorbene  Genies  durch  die  Komodianten  gelockt  wurden, 
]  sie  mischten  sich  unter  die  Banden.  Mehr  als  einmal  haben 
Synoden  und  Koncilien  im  13.  und  14.  Jahrhundert  gegen 
sen  Unfug  geeifert  und  die  Kleriker  welche  Jokulatoren ,  Hi- 
ionen  ,  Galiarden  und  Bulffonen  wurden,  mit  Ausstofzung  aus 
n  Orden  und  der  geistlichen  Gemeinschaft  bedroht  *).  Es  half 
ht  viel.  Das  Leben  war  so  frei  und  verfurerisch ,  selbst  bei 
gerer  Kost  lebte  es  sich  mit  den  lockeren  Gesellen  und  den 
alligen  Weibern  auf  der  Landstrafze  befzer  als  am  fetten 
che  im  diisteren  Refectorium,  und  manchmal  war  sogar  ein 
er  Gewinn  zu  erhaschen.  Verliefz  doch  in  der  Blutezeit  der  siid- 
izosischen  Lyrik  selbst  ein  Prior  des  Klosters  Montaudon  seine 
sterliche  Stellung  und  schweifte  freilich  nicht  als  Spielmann 
ylars) ,  aber  doch  als  farender  Dichter  und  Sanger  durch  das 
nd.  Indem  er  seinen  Gewinn  dem  Kloster  zuwandte,  erhielt 
von  seinen  Oberen  die  Erlaubnifs  zur  Fortsetzung  seines  welt- 
len  Lebens,  gieng  nach  Spanien,  war  bei  Alfons  von  Aragon 
iebt  und  trat  zuletzt  wieder  in  eine  Priorei,  die  ihm  sein 
t  zum  Lone  gegeben  hatte  '). 

Die  Kleriker  und  farenden  Schiller ,  welche  hinzutraten  *), 
)en  den  Spielleuten  zum  Danke  fur  mancherlei  Lust  und  Na» 

J^ 

*)  Rettberg  Kirchengesch.  Deutschlands  2,  657-^gj^ .  *)  Stat,  synod*  e^^c. 
d.  1287.  c.  12,  5.  (Hartzh.  3,  700).  Concil.  Salisburg.  f»10.  §.  3.  (Hartzh?^, 
).  Vesont.  concil.  1480.  c.  6.  (Hartzh.  5,  509.)  *)  Uebit  den  Monch  voft 
itaudon  s.  Diea  Lcben  der  Troubadours   S.  333.  *)  Die  'I^Mrenden   Schuler 

ten  sich  im  allgemeinen  mit  den  Spielleuten  zusamiiien.  vgl.  I>imBj}rger  Kronik 
gel)  S.  129.  Gegen  die  vagi  scholares  geht  unter  andem  das  S«.  cap.  der  constit, 
onradi  archcpisc.  Salisb.  1291.  —  Mit  diesen  Leuten  yerbanden  sich  nicht 
3n  die  Kampfer  (campiones),  denen  die  chevaliers  sauvages  (cavalier  saiiMbtge) 
entsprechen  scheinen.  '"  l 


860 

rttng  erne  Erweiterung  ihres  Feldes.  So  gering  Uuch  ihre  gelertell 
Kenntnifse  sein  mochten,  so  hatten  sie  doch  die  Anung  erner 
verschwundenen  herrlichen  Geisteswelt  >  zu  deren  HeranfbeschwO' 
rung  die  Zauberzeichen  in  ihren  Biichereien  lagen.  Die  antiken 
Sagen  waren  wenn  auch  kraus  und  wunderlich  zu  ihrem  Ohre 
gekommen,  der  kirchliche  Dienst  hatte  ihnen  Miisik  und  Poesie 
nahe  gebracht ,  und  ihr  Leben  untef  den  Farenden  stelte  die  For* 
derung  an  sie ,  aufzuweisen  was  sie  zur  Unterhaltung  und  zam 
Erwerbe  vermochten*  Die  Spielleute>  denen  Erzalung  tind  Lied 
bisher  nur  in  seltenen  Fallen  wenn  iiberhaupt  vergonnt  gewesen 
war,  erhielten  nun  ein  Feld  wo  sie  weder  mit  der  Eirche  noch 
mit  der  Volkspoesie  zusammenstiefzen*  £s  trat  tiberhaupt  der 
grofze  Umschwung  in  dem  abendliindischen  Leben  ein  welcher 
die  Kunstpoesie  erbliihen  liefz  und  ftir  die  Spielleute  fielen  gol* 
dene  Blatter  von  den  Baumen*  Die  befzeren  und  talentYolIe^ 
ren  traten  zu  den  Dichtern  als  Begleiter  ihrer  Gedichte  nut  Fie* 
del  oder  Rotte  und  als  Verbreiter  ihrer  Dichtungeii  in  eiil  nahe* 
res  Verhaltnifs.  Die  Spielleute  sind  fur  die  mittelalterliche  poeti* 
sche  Literatur  was  die  Prefse  fur  die  heutigen  Dichter  ist  Durch 
sie  wurden  die  Gedichte  von  Land  zu  Land  getragen  und  die 
Sale  wie  die  Strafzen  und  Plsltze  damit  erfcQlt.  Es  wurde  nun* 
mohr  fiir  die  ausgezeichneteren  Spielleute  Notwendigkeit  eineii 
Vorrat  von  neuen  Dichtungen  im  Gedachtnifse  2U  haben.  Ihw 
oigene  Productivitat  stund  zu  der  Mafse  defsen ,  was  sie  ^eclti^ 
ton ,  in  keinem  Verhaltnifs*  Aus  dem  zwolften  Jahrhundert  and 
uns  iiierere  deutsche  epische  Gedichte  erhalten,  welche  vonSpid- 
loutcn  herzuriiren  scheinen  und  in  denen  wir  also  die  Wirkuug 
ihres  Verkeres  mit  Klerikem  und  farenden  Schiilem  vorliegen 
haben.  Der  Stoflf  derselben  ist  aus  der  Legende  (Orendel.  Os- 
wald) ,  aus  der  Volkssage  (Rother)  und  aus  gemischter  Sap 
(Salomon  und  Morolf)  genommen;  alle  sind  in  roher  aber  lebeo- 
(lljjfcr  Form,  zum  Theil  in  roher  und  gemeiner  Auilkfzung,  hier 
und  da  mit  frechem  Spott  geschrieben,  wie  ihn  jene  leichtfertigCD 
Kleriker  auch  iiber  heilige  Gegenstande  ergofzen.  Man  sieht  am 
diesen  Gedichten  wie  aus  den  volksthiimlichen    Epen  dee  wnken* 


861 

ien  13.  Jahrhunderts ,  dafz  diese  Leute  zum  dichten  zu  ungebil* 
let  waren.  Es  ergibt  sich  zugleich  dafz  eie  nunmehr  auch  die 
i/^olkssage  behandelten ;  sie  begniigten  sich  nicht  mehr  an  dem 
rfiher  verwerten  ^  an  dem  Vortrage  altererbter  Lieder ,  sondern 
ie  wolten  eie  verarbeiten*  DieErzalung  war  tiberhaupt  ein  frucht- 
)are8  Feld  fur  sie ;  alle  jene  kleinen  Geschichten  und  Schwan  ke, 
seiche  zum  Theile  aus  dem  Morgenlande  gekommen,  aus  romi- 
ichen  und  byzantinischen  Quellen  vermehrt,  von  den  Geistlichen 
[epflegt  und  im  Volke  gem  gehort  wurden^  trugen  die  Spielleute 
^on  Ort  zu  Ort  Und  Vervielfachten  sie  wol  aus  eigener  Phanta- 
ie  und  eigenen  Erlebnifsen.  Dieselben  waren  der  Wortkommentar 
;u  den  luderlichen  Streichen  und  obscOnen  Darstellungen  ihres 
jebens* 

Es  Waren  im  Ganzen  nur  wenige  Spielleute  welche  das  an- 
tandige  Leben  als  Begleiter  der  Dichter  uniS  Verbreiter  ihrer 
3ichtungen  erwalen  konnten,  denn  neben  geistiger  Begabung  war 
in  feineres  Benemen  notig,  da  sie  durch  die  Kunst  in  die  be- 
iten  Gesellschaften  gefiirt  wurden.  In  aufzerer  Achtung  und  im 
^nzen  Leben  Unterschied  sich  der  grofze  Haufe  der  Farenden 
^on  diesen  vornemeren  Spielleuten  sehr  scharf.  Auqh  in  Frank- 
eich  wurden  die  bouflFons  von  den  jongleurs  getrennt;  auf  An- 
rag  des  Troubadour  Guiraut  Riquier  bestatigte  Konig  Al- 
one X.  von  Kastilien  1275  diese  Scheidung.  Die  boufFons  waren 
nernach  die  gemeinen  Kerle,  welche  Affen  Hunde  Bocke  und 
foge\  Kunststiicke  machen  lafzen,  fiedeln  und  blasen  und  ihre 
5uhGrer  auf .  den  Strafzen  finden.  Die  Jongleurs  dagegen  sind 
i&nstler  auf  ihren  Instrumenten  und  begleiten  die  Lieder  ande- 
er  oder  tragen  selbst  Lieder  und  Erzalungen  vor,  welche  die 
troubadours  verfafzt  und  komponirt  hatten.  Ihre  aufzere  Bildung 
pbt  ihnen  Zutritt  in  die  vornemsten  Hauser.  Von  der  Menge  der 
■arenden  entwirft  auch  ein  deutscher  Dichter  aus  dem  Ende  des 
^'  Jahrhunderts,  der  Kanzler,  eine  bittere  Schilderung.  Der 
■^^tQ  lebe  von  Betrug,  der  zweite  von  Spiel,  der  dritte  liige  sich 
^^  den  Hofen  herum  ,  der  vierte  sei  ein  Seiltanzer ,  der  fiinfte 
piele  denNarreU)  der  sechste  lebe  von  epotten  und  schelten,  der 


M2 

eiebente   handle   mit  alten  Kleidem ,    der   achte  sammle  Federn, 
der    neunte  thue  Botendienste ,    der  zehnte   lebe   von  der  Lfider- 
lichkeit  seines  Weibes ,  seiner  Tochter   oder  Ma<./d  ^).    Man  hum 
eich  nichts  widerlicheres  denken    als   diese  entsittlichten  hungern* 
den    und   lungemden  Banden ,    welche  zn  Hunderten   dnrch  du 
Land   streiften,    wo    sich  nur  ein   Fest   zeigte   den    Kaben  gleick 
eich  samraelten   und  ihre  durchlocherte  Hand  frech  fordemd  lun- 
hielten.  Scharen  von  farenden  Leuten  begleiteten  auch  dieEieoz* 
farer  nach  Asien;    hier  lemten  sie  mancherlei  zu,  denn  auch  bei 
den  Morgenlandern  waren  Gaukler  seit  alter  Zeit  zu  finden,   die 
mancherlei  neues  den  abendlandischen  Spielleuten  zeigen  konnteii* 
Die   kristlichen    Ritter  waren   gegen   diese    heidnischen   KQnsder 
und  namentlich  gegen  die  Kiinstlerinnen  nicht  unempfindlich  und 
Kaiser  Friedrich  11.   nam  sogar  ein  Par  sarazenische  Spielweiber 
mit  nach  Europa,  die  er  sp'ater  durch  andere  ersetzt  zu  haben  scheint, 
denn   noch    1244   ergetzte   er   Richard    von  Komwall    bei  einem 
Besuche  durch  die  Tanze  und  Kiinste   zweier  sarazenischer  Wd- 
ber.  Sie  furen  singend  und  mit  pantomimischen  Bewegungen  and 
Cymbel  schlagend  aufKugeln  an  dem  glattenFufzboden  hemm'). 
Warend  seines  Aufenthaltes  in  Syrien  unterhielt.  er  einmal  (1229) 
Sarazenen,  die  bei  ihm  afzen,  durch  die  KCinste  kristlicher  Spiel* 
weiber,    was   ihm    nicht   wenig  von  den  orthodoxen  Kristen  ubd 
genommen    wurde  ^).     Genug  wir  sehen  die  Elreuzziige  auch  von 
Einflufz   auf   die  Spielleute   und  die  Stellung  der  Spielweiber' n 
den   vornemen  frivolen  Kreisen  wird  zugleich  klarer.    Auf  ihn» 
lastete   der   ganze  Fluch  solchen  farenden  Lebens  Qatiirlich  nock 
schwerer   als    auf  den  Mannern.  Wenn  sie  nicht  gleich  ihrer  Ur- 


')  MSH.  2,  390/  —  Ueber  die  provenzalischen  joglars  eine  Btelle  «• 
Matfre  Ermenguan  bei  Diez  Poesie  der  Troubadours  S.  57.  ■)  Solche  tiU«- 
terefses  und  tjmberefses  werden  auch  im  Rom.  de  la  Rose  767  ft,  erwllmt  Bo- 
queforts  Deutung  (Glofs.  rom.  2,  595)  des  Wortes  tableterefse  von  table  (Brtrt* 
spiel)  ist  falsch.  Eine  Beschreibung  des  Tanzes  dreier  Kunsttiiuer  in  Galfridi  de 
Viuosalvo  poetria  nova  v.  632  flf.  bei  P.  Leyser  hist.  poet,  et  poem.  mcd.  »f^ 
p.  806.  ff.  0  Math.  Paris.  II  361.  569.  Ueber  Friedrichs  H.  Vorliebe  tb^ 
farenden  vgl.  auch  Cento  novelii  antiche  nov.  XI.  Ueber  Manfrede  BpieUentA  «■• 
Stelle  bei  Ottakor.  von  Steier  (Mafsmann  Kaiserkronik  2,  595.) 


ten 

s 

^nkelin  Philine  eine  tugendsame  Maske  umzunemett  vermochten, 
waren  sie  von  den  wirklich  gutett  Gesellschaften  strehger  ttls  die 
Spielmanner  ausgeschlofzen  ^ ;  die  Folge  War  dafz  sie  um  so 
defer  sanken. 

Aus  der  tlefen  Verachtnng  der.  Farenden  folgt  ihre  tief e 
Stellung  im  Rechte*  Die  Germanen  dauchte  es  unnatUrlich  dafz 
jemand  seine  Ehre  um  Geld  hingebe;  ein  solcher  ward  denen 
gleichgesetzt )  welche  die  Freiheit  mit  Unfreiheit  vertauschten ; 
er  hatte  kein  Recht  und  keine  Porderung  an  Bufze.  Der  Klopf- 
fechter  um  Geld  konnte  hach  dem  altfriesischen  Rechte  (1.  Fries. 
V,  1)  straflos  erschlagen  werden;  der  Sachsen Spiegel  gab  ^en 
Spielleuten  und  denen  die  sich  «u  eigen  geben  nur  eine  Schein- 
bufze,  namlich  den  Schatten  eines  ManneS)  den  Kampen  und 
ihren  Kindern  nur  den  Glanz  den  ein  blinkender  Schild  gegen 
die  Soune  wirft  (Sachsensp.  HI.  46)»  Die  gothlandischen  Rechte 
gestatteten  den  Erben  eines  erschlagenen  Spielmannes  dann  die 
voile  Bufze,  wenn  er  es  VermOge  eine  junge  ungefcamte  Kuh, 
die  einen  Hiigel  hitiunter  gepeitscht  wird,  mit  fettigem  Hand- 
fichuh  am  Schwanze  zuriick  zu  halten  ^).  Der  Schwabenspiegel 
(Landr.  18.  41.)  enterbte  den  Sohn  der  gegen  seines  Vaters 
Willen  Spielmann  wird  und  erklarte  die  Spielleute  fiir  rechtlos; 
die  Stadtrechte  verweigerten  ihnen  d6n  Zutritt  oder  zwangen  sie 
2U  offentlichen  Arbeiten ,  und  Konig  Rudolf  I.  schlofz  sie  von 
dem  Landfrieden  von  1287  aus  %  Die  Kirche  hatte  sich  seit  alter 
Zeit  gegen  sie  erklart  und  behandelte  sie  wie  abgefallene;  nur 
eelten  war  ihnen  der  Zutritt  zu  dem  Altare  gestattet.  Auch  ihre 
aufzere  Erscheinung  wies  auf  ihre  niedrige  Stellung  im  Rechte 
nin;  es  scheint  namlich  durchgehende  Forderung  gewesen  zu  sein 
dafz  die  Spielleute  ihr  Har  und  ihren  Bart  schoren.  Das  lange 
Har,   der  Schmuck    des    freien    Mannes,    war   ihnen  also  gleich 


*)  Eine  Sangerin  und  Fiedlerin  in  koniglicher  Gesellschaft  Georg  2455  ff 
^ne  Spielmannin  mit  der  Rotte  vor  Krimhilt  Roseng.  C.  999—1002.  *)  Vest- 
Sotal.  1.  Lekarr.    Ostgotal.  drapab.   18,    1.    vgl.  Rechtsalterth.  678.  *)  n.  48. 

I^crtz  legg.  II.  430. 


364 

den  Knechten  versagt  0-  Ini  iibrigen  scheinen  sie  in  DeutscUand 
kiirzere  Oberkleider  getragen  zu  haben  als  gewonlich  war;  in 
Frankreich  putzten  sie  sich  moglichst  auf,  liebten  es  in  Beideneii 
Gewandern  zu  gehen  die  phantastisch  mit  allerlei  Knoten  be- 
eetzt  waren,  und  trugen  auf  dem  Kopfe  einen  schwankenden 
Schmuck  von  Pfauenfedern  ^).  Wer  mochte  zweifeln  dafz  die 
deutschen  Spielleute  sich  nieht  ebenso  aufputzten ,  wenn  es  ihnen 
nur  moglich  war.  Gemeine  Komodianten  und  Seiltanzer  eachen 
ja  noeh  heute  durch  auffallende  Tracht  die  Menge  zu  locken. 

Die  Spielleute  belebten   nicht    nur    die   vomemeren  GreflcE- 
schaften  in    den  Zimmern,    sondem   eijustigten   auch   die  Menge 
auf  den   Strafzen   und  freien  Platzen.   Das    Offentliche  Leben  im 
Freien   haben   wir  durch   das    zunemende   Zuruckziehen    auf  ffie 
innere  Ilauslichkeit,  das  mit  der  Beschrankung  unserer  politiechen 
Macht    nach   aufzeii  Hand   in  Hand  gieng,    so  gut  wie  verlorwi. 
Wir  arbeiten  im  Zimmer,  wir  erlustigen  uns  im  Zimmer,  gleieb 
als  sei    draufzen  unter  dem  blauen  Gotteshimmel  kein  Raum  f&r 
frohe  Menschen.  Nur  die  Kinder  und  zuweilen  die  Landleute  be- 
trachten    die   Strafzen    und    Platze   und    griinen  Wieeen  als  die 
echtesten  Erholungsorte.  —   In  der  Vorzeit  war  es  anders.    Der 
Gottesdienst  und  das  Gemeineleben  batten  ihre  Staten  im  Walde 
auf  Hijgeln    und  Feld.     Die  Natur  war  mit  dem  Volke  eng  ver- 
bunden,  es  sah  in  ihr  die  Wonung  der  hohen  Goiter  und  in  ihren 
Erscheinungen  die  Aeufzerungen  der  Macht  derselben.   Der  Got- 
tesdienst  war    wesentlich  ein  Naturdienst ;    der  Sommer  in  aeiner 
Hohe,   die   Ernte,    der  Winter   als  Vorlaufer   des  Friihlings  und 
dieser    selbst ,     der   griinharige  Knabe    mit   den    Veilchenaugen, 
wurden  jubelnd   |?egrufzt  und  den  treuen  Gottheiten  Dank  dafUr 
geweiht  und  neue  Bitte  angekniipft.     Es  waren  fiir  jung  und  alt, 
reich    und   arm ,    Mann   und    Weib    Feste ,    welche   als  goldener 
Ramen  sich  um  die  Zeiten  des  Jahres  spannten  und  sie  erhellten. 


')  Die  Bilder  in  der  Heidelberger  Handschr.  des  Sachsenspiegels  und  Rnct 
Glabcr  be!  Dii  Chcsue  IV,  38.  *)  Fauriol  hist,  de  la  poesie  provenfale  8,  %A%. 
vgl.  auch  Sid.  Apoll.  ep.  II.  ^. 


865 

- 

Die  heiterste  Zeit  war  der  Lenz  ').  Schon  zum  Jahresanfang' 
s^enn   sich    die    Sonne    wandte ,    wurde    in  der  Hoflfnung  auf  ihn 
jin  Fest  gefeiert  und  die  Jahreszeitgotter  durch  allerlei  Umziige, 
lie  sich  bis  heute  erhielten,    angerufen    und    um  glQckliches  Ge- 
leihen   des    neuen  Jahres    gebeten.     Nach    wenig  Wochen   waren 
eue  Festtage;  mit  griinen  Tannenreisern  die  festlich  geschmiickt 
^aren ,    hielt    man    Umziige    und    sang   zu    den   Gottem  Lieder; 
der  es  ward  ein  Wettkampf  zwischen  Winter  und  Sommer  ver- 
Qstaltet.     Der  Winter    trat   auf  in  Moos    Stroh    oder    Pelz  ver- 
lummt,    der  Sommer  in  Epheu.oder  weifze  Gewander  gekleidet 
nd    unter  Zurufen   des  Volkes    begannen   sie    einen   Wettgesang 
der    einen  Zweikampf  der  mit   des  Winters  Niederlage    endete. 
>a  nahete  nun  der  Friihling  und  zu  Ehren  der  Ostara ,  der  Auf- 
angsgottin,    loderten   Feuer   auf   den  Hiigeln,    froliche  Gesange 
rschallten ,  Reigen  zogen  sich  um  die  heilige  Flamme  und  Friih- 
ngsblumen  wurden  geopfert.     Die  Welt   war  zu  dieser  Zeit  rei- 
er;    heiliges    keusches  Feuer    wurde    entziindet*),    das    Wafzer 
atte  besondere  Krafte  und   die  Erde  erhob  sich  zu  neuer  frischer 
^hatigkeit*     Frohlockend  ward    jedes  Zeichen    des  neuen  Lebens 
►egrufzt :  wer  das  erste  Veilchen   fand ,  verkiindete  es  den  Nach- 
>arn  und  alles  zog  zu  der  Stelle  wo  der  freundliche  Fruhlingsbote 
profzte.  Das  Bliimchen  ward  auf  eineStange  gesteckt,  die  auf  dem 
Canzplatz  befestigt  wurde  und  mitGesang  und  Tanz  drehte  sich  die 
Slenge  darum.  Die  erste  Schwalbe,  der  erstfe  Storch,  der  ersteMaik'afer 
?vurden  festlich  empfangen ;   wie  die  Erde  zum  Himmel  aufjauchzt, 
ier  die  gramliche  Ehemannsmiene  abgestreift  hat  und  ihr  freund- 
lich  und  lockend  wie  ein  Br'autigam  die  Arme  entgegenbreitet,  soju- 
belte  auch  das  Volk  auf  und  Anger  und  Strafzen  wurden  voll  Menschen 


0  Vgl.  hier  J.  Grimm  deutsche  Mythologie  cap.  XXIY.  Sommer  und 
Winter.  *)  In  Alt-Henneberg  in  Oberbaiem  durfte  sich  diesem  Feuer  kein  Weib 
der  Madchen  nahen.  Panzer  Beitrag  zur  Mythologie  S.  213.  Ich  zweifle  dafz 
diefz  germanisch  ist,  glaube  im  Gegentheil  dafz  hier  die  Kirche  mit  ihrer  An- 
8icht  vom  Weibe  als  einem  unreinen  Wesen  eingewirkt  hat.  Das  Osterfeuer 
^ird  dort  mit  einem  Licht  angesteckt  das  an  heiligem  Kirchenfeuer  entzUndet 
wurde. 


am  Foierabend  und  am  Ruhetage  ^).  Und  kam  nnn  der  Mai  uni 
kara  Pfingsten,  das  Fest  der  Freude,  war  die  fale  Heide  giiin  ge- 
worden   und  stritten  die  Blumen   mit  dem  Grase  war  von  ihnen 
langer  sei ,  sehlugen  die  Nachtigallen   Zeisel  und  Amsel,  da  brack 
der  Strom  der  Lust  nocb  unaufhaltsamer  herror,  Strafzen  Bnm« 
nen  und  Thiiren  wurden  durch  die  weifzen  Stamme  der  za^tenBi^ 
ken  und  durch  duftige  Krauter  in  anmutige  Baumgange  verwan- 
delt,    die   Bursehen  schmiickten  mit  den  schSnsten  Baumen   das 
Haus  der  geliebten ,  pflanzten  wol  keck  einen  Maienaweig  auf  dcfl 
Daches  First  und  in  lustiger  griiner  Verkleidung  durchzogen  ric 
die  Dorfer.    Mancher  Branch   ware   hier  zu  berichten,  denn  kdn 
Land  kein  Dorf  war   so  niiehtem  dafz  es  nicht  zu  dieser  Zeit  eio 
Zeichen  der  Freude  gegeben  hatte,     Verkleidungen  in  Laub  und 
Blumen,  das  Aufsuchen  eines  geschmiickten  Pares  im  Walde  und 
ihr  heiterer  Einzug  im  Dorfe,    Verfolgungen  in  Moos  gekleideter 
und  anlichcs  finden  sich  in  mannichfacher  Abwechselung.  Der  ]^ 
zug  der  Sommergottheit  und  die  Vertreibung  der  letzten  NachzQg- 
ler  der  Winterherrschaft  sind  die  bedeutendsten  Ziige  daraus. 

Der  Sommer  schritt  vor  und  die  Sonne  kam  an  die  SteDe  wo 
sie  vom  neuen  sich  wendet.  Der  Ian  gate  Tag  gl&nzte  fiber  der  Erie 
und  in  seiner  spaten  Dammerung  blitzten  erst  in  den  Thaleniy  dann 
auf  denHugeln  und  zuletztauf  denBergesgipfelnFeuer  auf;  munteie 
Soharen  sammelten  sich  darum  und  jauchzten  mit  Lied ,  Beigen  nod 
Scherz  dem  nahen  Morgen  zu.  Wer  gleich  mir  Johannisabenderinne^ 
rungen  h^t,  wirdihrer  tief  poetischenStimmungstetseiDgedenksdn, 
mag  er  auch  ihren  Schauplatzen  entfurt  sein^).  Ich  sehe  das  achOnerei'' 
che  Thai  meiner  schlesischen  Heimat  mit  dem  prachtigen  dunkebOe* 
birgsgurtel  gen  Mit  tag,  im  Nor  den  den  Hohenzug  des  Zobten,  Croer- 
bergs  und  Koltschen,  gegen  Osten  eine  liebliche  Hiigelkettei  gen 
Westen  iiber  Hohen  hinaus  hinter  dem  hohen  Thurme  von  Schweid' 


*).  Vgl.  anch  die  Schildernng  der  siidfransosisclien  LdnzMlnst  im  Rom.  delb' 
menca;  El  pais  /on  acostumcU  q*el  pascon,  quant  horn  ha  fopqt,  tota  li  ^Mf  Mi 
e  trefca  e  fegor  lo  terns  Ji  refrefca,  cella  nuh  las  maias  gitenm  €ptrfif^P 
deporteron  (Raynouard  lex.  rom.  I,  26.)  *)  Ich  schreibe  dicfi  in  KnkW  ■* 

sehe  es  un  Drucke  durch  in  Steiermark. 


z  die  drei  Berge  von  Striegau  und  die  niederschlesische  FernCr 
enn  der  Abend  kam ,  stromten  wir  hinaus  auf  die  Schanzen^ 
Iche  in  schwerem  Kriege  aufgeworfen  als  anmutige  Spazier- 
ige  das  freundliche  Reichenbach  umgiirten.  Zu  den  Fiifzen  der 
.dt  dehnt  sich  die  lange  Dorferkette,  dariiber  hinaus  steigt  rasch 

fruchtbares  Feld  zu  dem  waldigen  Eulengebirge  auf.  Wir 
auten  und  lugten  um  die  Wette,  wer  das  erste  Johannistags- 
er  (Johanstigfoierla)  erbliekte.  Und  eieh!  da  glanzte  auf  deji 
dem  von  Langenbielau  eins ,  dort  eins  hinter  Peilau,  dort  bei 
erswaldau,  dort  bei  Habendorf,  hier  auf  dem  Herrleberge  wa 

neckischen  Herrlein  wonten,  da  auf  dem  Zobten  wohin  sie 
;ogen  sind ,  und  nun  tauchten  sie  auf  bei  Schweidnitz  und  bei 
berberg.  Merere  und  merere  stiegen  in  die  Hohe,  einzebi  und 
Haufen  und  nun  loderten  auf  der  Eule  und  der  Sonnen- 
)pe  Holzstofze  empor  dafz  Thai  und  Berge  von  Johanniswurmern 
.'chflogen  schienen.  Von  dem  Pafze  bei  Warta  bis  iiber  Frei- 
:g  hinaus  flammte  das  Gebirge  und  der  Zobten  gab  derEbene 
J  Zeichen  dafz  die  Berge  heute  ihren  Faekeltanz  hielten.  Spat 
te  die  schauende  Menge  in  die  Hauser  zuriick ,  am  ungerh- 
Q  sehieden  wir  Kinder.  Wir  konnten  uns  nicht  satt  sehen  und 
umten  die  ganze  Nacht  und  das  ganze  Jahr  von  den  Freuden 
i  Johannisabends.  Wir  beneideten  die  Jungen  welche  die  letz- 
.  Wochen  vorher  von  Haus  zu  Haus  alte  Besen  bettelten ,  dafz 

an  diesem  Abende  sich  solehe  Lust  machen  durften.  Sehn- 
jhtig  sch auten  wir  nach  den  Pliitzen  wo  sie  mit  den  pechge- 
nkten  Hexenpferden  gaukelten  und  schrieen  laut  auf  wenn  der 
•gliihende  Stumpf  in  die  Hohe  geschleudert  ward.  So  glanzend 
3  vor  funfzehn  Jahren  sind  dort  die  Johannisfeuer  nicht  mehr; 
!  lobliche  Polizei  hat  zu  wenig  Poesie  und  Kindlichkeit  um 
h  daran  zu  erfreuen  und  auch  die  Forster  storen  die  Leute 
f  den  Bergen.  Nur  1848  wo  die  Polizei  etwas  kindlicher  ge- 
>rden  war,  flammten  die  Johannisfeuer  in  alter  Pracht. 

Die  Hauser  wurden  mit  Blumen  geschmuckt,  die  Strafzen 
kranzt  und  die  geheimnifsvolle  Johannisnacht  horte  die  sehn- 
chtige  Frage  manches  Madchens  nach  dem  kunftigen  Gatten  uud 


808 

der  Zeit  des  Brautkranzes.     Manches  Fest   schliefzt  sicli  an  £e* 
sen  Tag  bis  zur  Emte ;  es  sind  lebendige  poetische  Spiele  m  Wald 
und  Feld  und  auf  dem  Wafzer  *),  welche  die  Fahigkeit  des  Vol-i 
kes  bezeugen ,    sem  Gefiil  und    seine  Gedanken  zur  dramatischen 
Erscheinung  zu  bringen.      Die  Ernte  naht   und  wenn  die  letzten 
Garben  fallen  sollen,    wird  der  Gottheit  die  gn&dig  doriiber  wal- 
tete   ein  Dankgebet  und  Opfer  gebracht,     Aufziige  mancher  Art, 
in  denen  Wodans  Sehimmel  und  Donars  Bar  nicht  felen  diirfen, 
setzen  die  Feier  fort.    Die  Lust  mufz  sich  zuletzt  aus  dem  Freien 
in  die  enge  Stube  ziehen;    die  Heide  wird  braun  und  gelb,    die 
Vogel   schweigen    und   ziehen   fort  und   es  wird  kalt  und  finster. 
Die  Zeit   kommt   wo  die  Hausfrau  den  Flachs   vertheilt   und  die 
Weiber  iind  Knechte  um  den  Rocken  sitzen.    Da  pocht  es  an  das 
Fenster  und  die  alte  Gottin  des  Flachsbaues  und  der  Erde  schaut 
herein.     Den  fleifzigen  lobt  sie,  dem  faulen  droht  sie,  und  wenn 
sie  fort  ist ,  drcht  sich  an  dem  Faden  deS'Flachses  die  Erzalung* 
Da  kommen  auch  noch  andere  Besucher ;  der  heilige  'Martin  er- 
schien   statt  Wodans  auf  dem  Sehimmel,.  Bischof  Nikolaus  kam, 
der  alte  Joseph  polterte  und  der  Wodanbergende  Ruprecht,  Maria 
nahete,  das  Kristkind,  Petrus,  der  Erzengel  Gabriel,  die  drei  K5- 
nige  aus  Morgenland.     Das  Volk  spiel te  alte  und  neue  Geachichte, 
heiliges    und   profanes;    es   zeigte   die  regste  Theilname   an  dem 
was  es  erfafzte  und  Lust  zuckte  durch  alles. 

Es  ist  noch  hier  und  da  ebenso  wie  ich  geschildert  habe,  das 
Bild  ist  aus  noch  bestehenden  Gebrauchen  entworfen*  Die  Theil- 
name an  dieser  Lust  ist  aber  jetzt  beschrankter,  das  Volk  ergetzt 
sich  nur  in  seinen  unteren  und  jungen  Gliedem  daran,  die  G;^ 
brauche  haben  ihre  Bedeutung  im  Bewufztsein  der  G^genwart 
verloren  und  stehen  darum  verktimmert  da.  Names tlich  ist  die 
Frilhlingsfeier  sehr  eingeengt.  Das  alte  Band,  das  den  Menschen 
mit  der  Natur  verkniipfte,  ist  langst  morsch  geworden  und  er 
sieht  Wald  Flur  Berg  und  Wafzer  nur  als  ein  nutzbares  Kapi* 
tal  an.    Die  Kinder  gehen  wol  noch  Veilchen  suchen,  aber  mei^ 


')  Ueber  letztere  vgl.  E.  Sommer  Sagen  aus  Sachsen  and  Thiiringen  157— Itfl, 


S60  ^ 

stens  nur  um  sie  zu  verkaufen ,  und  der  Bauer  wiirde  es  fur  nar- 
risch  halten  um  solch  ein.  Bliimchen  zu  tanzen.  Jene  Lust,  die 
80  voll  und  frisch  im  Tanze  und  Ballspiele  wogte,  rinnt  nur  noch 
vereinzelt  in  den  Pfingsttanzen,  die  sich  hier  und  da,  unter  an- 
dem  in  Thtiringen,  erhalteu  haben.  Mitten  im  Dorfe  steht  die 
Linde;  da  sammelt  sich  alt  und  jung  an  den  Pfingsttagen  und  der 
froHche  Tanz  darum  beginnt.  Nahen  sich  fremde  Wanderer,  so 
werden  sie  freundlich  von  den  Burschen  mit  einem  Trunke  einge- 
laden  und  sie  miifzen  mit  den  Madchen  tanzen.-  Der  Tanz  nimmt 
unter  den  geselligen  Freuden  der  Vorzeit  eine  eben.so  bedeutende 
Stelle  ein  wie  unter  den  heutigen  und  verlangt  daher  einige  Er- 
wahnung. 

Wir  konnen  iiber  die  alteste  Zeit  auch  hinsichtlich  des  Tan-  . 
zes  nur  geringes  sagen.  Tacitus  beschreibt  (Germ.  c.  24)  einen 
Schwertertanz  germanischer  Jiinglinge,  der  aus  Spriingen  und  kii- 
nen  Bewegungen  unter  Schwertern  bestund.  Auch  die  gothischen 
Worte  fiir  tanzen  (laikan ,  laiks  Tanz)  weisen  auf  das  springende 
und  hiipfende.  Dabei  zeigt  sich  Einflufz  fremder  Volker  auf  gothische 
Tanzweise ,  denn  das  aus  dem  slavischen  entlehnte  Wort  plinsjan  *) 
konnte  doch  nur  zusammen  mit  der  Tanzart  die  es  bezeichnete 
aufgenommen  werden.  In  der  alteren  althochdeutschen  Zeit  ist 
wie  es  scheint  tumon  das  einzige  einheimische  Wort  fiir  tanzen  ^. 
Es  bedeutet  sich  im  Kreise  bewegen  und  scheint,  wenn  man  die 
verwandten  Worte  (ags.  tumbjan,  engl.  tumble,  das  nhd.  tum- 
meln  und  taumeln)  hinzunimmt,  einen  Tanz  zu  bezeichnen,  der 
ein  Herumgehen  im  Kreise  mit  schwebender  Bewegung  war,  daa 


')  Schon  Miklosich  (radic.   linguae  sloven,   p.  65)   leitet    das  goth.  plinsjan 

Tom  altslav.  pl^sati  OQX^Cad'cct  ab.    Im  poln.  heifzt  pl^fai^  (bom.  und  sloven,  plefati) 

lustig  tanzen,  springen  ;    pl%fy  und  pl^fy  (plur.  zu  pls^s)  bezeichnet  einen  Kreis- 

tanz  und  dann  iiberhaupt  einen  lustigen  Tanz  und  das  Springen.  Uebrigenb  namen 

die  Slaven  auch  ein  goth.  Wort  fiir  Tanz  in  ihre  Sprache.  Wie  Ulfila  Matth.  11,  17 

OQiBia^ai  durch  das  slav.  plinsjan  ubersetzt,  so  wird  in  eiuer  altserb.  Bibel  Luc, 

15,  25  xoffog  durch  das  ursprunglich  germ,  lih  (laiks)  iibertragen  (altserb.  likovati 

lOQSVfiv  Miklosich  radices  p.  44.)       *)  Matth.  11,17  wird  bei  Tatian  faltare  durch 

falzdn  wiedergegeben,  das  entlehnt  ist.  fpringen,  fckricken^  tanz,  reie  sind  damals 

noch  gar  nicht  oder  wenigstens  nicht  in  ihrer  nachherigen  Bedeutnng  im  Brauche. 

24 


8T0 

also  was  ungefar  nachher  umgSnder  tanz  genaant  wurde  ^).  As- 
ziehend  ist  bei  dieser  Unslcherheit  und  Diirftigkeit  der  anderai 
Angaben  die  Beschreibung  eines  Tanzes  in  dem  lat.  Oedichte  toq 
Rudlieb  (um  das  Jahi*  1000).  Ein  JiiDgling  und  dxi  Madohen  tao- 
zen  mit  einander ;  er  bewegt  sich  einem  Falken  gleich  in^  Erase 
und  sie  wie  eine  verfolgte  Schwalbe*  Nahern  sie  siob ,  80  gesohieht 
es  nur  um  rasch  bei  einander  vorbei  zu  faren ;  aie  schwimmt  gldch- 
sam  in  der  Luft,  er  bewegt  sich  rascher  und  heftiger  und  mit 
Handen  und  Ftifzen  begleiten  sie  die  Weise  des  Harfenspiek 
(Eudl*  Vni.  43 — 55).  Ungefar  in  gleicher  Weise  waren  manche 
Arten  der  franzosischen  Bundtanze.  Im  Eoman  von  der  Bose 
(763  ff.)  wird  eine  carole  *)  beschrieben,  welche  zwd  MadcheD 
tanzen  und  die  fast  dem  Rudliebschen  Tanze  gleich  ist.  Sie  &ksi 
sich  zierh'ch  entgegen,  neigen  sich  wenn  sie  einander  nahe  mi 
eng  zusammen,  faren  aber  rasch  wieder  fort  und  entfemen  ach 
um  so  weiter.  Wie  dem  auch  sei ,  die  Spuren  der  beiden  Haujrf- 
tanze  des  12.  und  13*  und  der  folgenden  Jahrhunderte,  des  umgehen- 
den  Tanzes  (carole)  und  des  springenden  (espringale)  lafzen  sich 
schon  in  der  fruheren  Zeit  auifinden* 

Durch  die  Schilderungen  in  den  epischen  Gedichten  80  wie 
durch  die  Tanzlieder  und  die  hofische  Dorfpoesie  des  13*  Jahr- 
hunderts  wird  uns  auf  den  Tanz  dieser  Zeit  ein  ziemlich  hdler 
Blick  gegount.  Wir  sehen  daraus  dafz  der  ruhigere  blofz  ge- 
tretene  oder  gegangene  Tanz  der  vorzugsweise  hofische  war.  Es 
wurde  ein  Kreis  gebildet,  jeder  Mann  nam  eine  Frau  oder  zwei 
bei  der  Hand  imd  unter  Seitenspiel  imd  Gesang  hielte9  die  Pare 
mit  schleifenden  leisen  Schritten  ihre  Umgange  ')*    Ein  ander  Mai 


')  folchen  g^anck  der  vmme  genden  tentz  als  fckamperlieder,  AUd.  BL  1,  55. 
fchcmper  (Tantz)  und  fchampem  (tiinzeiDd  gehen)  sind  in  der  schleflischen  Mimd- 
art  noch  erhalten.  *)  carole,  von  den  franzosischen  Gelerten  yon  cAoreo,  ekanu 
abgeleitet,  wird  von  F.  Wolf  (Lais  185)  auf  carrau^  charau  d.  i.  carrilre,  tme, 
chemin,  Oang,  Umgang  zuriickgefiirt.  ')  fchoene  umheflifen  MSEL  1,  201/  d6  mam 
die  tenze  fleif  Ntth.  Ben.  380.  uf  den  zehen  flichents  hin  nach  dem  niuwtit  hqf^fuk 
MSH*  3,  196»'/u;er  niht  tritel  treten  kan  als  zuo  einer  henne  ein  hcM — zippelzeheM^ 
fchocken  dar,  ftrichen  mit  den  verfen,    MSH.  3,  283/  zippelzehen  hSfifen  ndek  der 


ward  ein  Rundtanz  gemacht;  die  Gesellschaft  schlofz  einenKreid 
iind  mit  sanfter  Bewegimg  giengen  sie  eingend  in  derRunde  hertim^ 
iodem  der  Inhalt  des  Gesangcs  durch  irgend  eine  einfache  Hand-^ 
lung  aufzerlich  dargestellt  wurde*  Bei  der  Besprechung  derVer- 
maUungsfeierlichkeiten  wurden  schon  solche  Ej*ei6tanze  erwahnt 
ifelche  die  Feier  des  Verlobnifses  Dachbildeten.  Grade  diese  dra- 
natische  Gattung  der  Rundtanze  war  sehr  mannichfach  und  hat 
lich  im  Volke  noch  ziemlich  reichlich  erhalten. 

Am  einfachsten  waren  Tanze  wie^  sie  auf  den  Faroem  bis 
n  die  neueste  Zeit  vom  ganzen  Volke  getanzt  werden.  Manner 
ind  Frauen  bilden  eine  einzige  lange  Reihe ;  sie  bewegen  sich  drei 
5chritte  nach  vorn  oder  drei  Sehritte  zar  Seite ,  bleiben  dann  sich 
lin  und  her  biegend  eine  kurze  Weile  stehen  und  thun  wieder 
Irei  Sehritte  zuriick.  Die  ganze  Reibe  sirigt  dazu  Lieder  welche 
ron  entsprechenden  Gebarden  begleitet  werden.  Dieser  Tanz  scheint 
m  ganzen  Norden  verbreitet  gewesen  zu  sein ;  er  war  recht  eigent- 
ich  ein  getretener  Tanz  ^).  Diese  ruhigeren  Tanze  finden  sich 
iuch  in  dem  frolichen  Leben  der  oberdeutschen  Bauem  des  13« 
fahrhunderts ;  sie  wurden  durch  die  Einwirkung  der  hofischen 
iundtanze  untersttitzt  und  gegen  die  im  ganzen  bei  dem  Land- 
rolke  beliebteren  Springtanze  aufrecht  gehalten.  Unter  den  umge- 
lenden  Tanzen  der  Bauem  scheint  die  Stadelweise  beliebt  und  von 
{anfteuL  und  sentimalem  Karacter  *) ;  auch  fremdltadische  treten 
luf,  wie  der  Ridewanz^  der  Fulafranz,  der  Murmun,  der  Try* 
30tey ;  der  Achselrote  und  Houbetschote  scheinen  ebenfalls  hierher 
5u  gehoren.  Die  ostlichen  Nachbaren  mogen  iibrigens  ebenso  auf 
lergleichen  Tanze   gewirkt  haben  wie  die  westlichen  ') ;    indefsen 


^gen^  wandelieren  kin  und  her*  MSH.  3,  280.*  —  Vgl.  Pars.  689,  28.  Helmbr. 
01.  945.  Heinr.  Trist.  618.  MSH.  1,  141.*  ')  Vgl.  P.  E.  MuUer  bei  Lyngbye 
aeroiske  quaeder  pp.  8 — 10.  37.  ')  MSH.  1,  206.*  diu  vil  fUexe  ftadelivife 
zunde  ftarken  kumber  krenken;  then  trdtens  unde  life.  *)  Der  ridewanz  (vgl.  uber 
hn  MSH.  3,  190."  289.*)  ist  nicht  mit  W.  Wackemagel  von  franz.  roiuenge  {prov» 
^etroer\fa)  abzuleiten  und  mit  dem  hof.  rotuwange  nicht  zn  vermengen.  Wort  nnd 
Sache  scheint  zunachst  aus  dem  slavischen  anfgenommen.  radowa^  radawaezka 
St   ein    bom.  Tanz;    neuslov.    rajati,   wend,  reiwa^  bedenten  tanzen;    wend,  ref'a^ 

24* 


8T2 


woll^n  wir  der  Fremde  auch  keinen  zu  grofzen  Einflafz  ( 
raumen,  da  frerndklingende  entstellte  Namen  noch  kem  sichc 
Zeugnifs  des  Fremdseins  sind  und  wir  noch  aus  hentiger  E: 
rung  wifzen,  wie  reich  einzelne  germanische  Stamme  an  vol 
thQmlichen  Tanzen  sind.  Grade  der  hofische  Tanz,  der  am  n 
sten  fremder  Mode  unterworfen  sein  muste,  zeigt  eine  grof; 
Einformigkeit  als  der  landliche ,  obschon  wir  bei  der  Unkennt 
der  Tanzmelodieen  kein  ganz  sicheres  UrtheU  fallen  konnen.  IJ] 
den  deutschen  Landem  war  Thtlringen  im  Anfang  des  13.  Jf 
hunderts  als  Quelle  neuer  Tanzweisen  beriihmt  (Parz.  639, 
was  sich  aus  dem  kiinstlerischen  Leben  am  fiofe  zu  Eisenacb 
kl'art.  In  Frankreich  stund  LotJiringen,  also  doch  deutschesE 
in  besonderem  Ansehen  darum  ^). 

Die  umgehenden  Tanze  hiefzen  vorzugsweise  Tanze,  wc 
gen  die  Springtanze  (^springales ,  ^springeries)   den  Namen  Ba 
fiirten  ^).  Der  Tanz  wird  getreten ,  der  Reie  wird  gesprungen ; 
Tanz  bewegte  sich  vorziiglich  in  geschlofzenen  Baumen ,  der  I 
wird  in  seiner  Ausgelafzenheit  meist  auf  Strafzen  und  Anger 
dem   niederen    Volke   aufgefiirt.     Instrumentalmusik    und  Gres 
sind  beiden  gemeinsam;    natiirlich  mufz  der  Tact  und  die  W 
des  Eeien  lebendiger  gewesen  sein.     Den   umgehenden  Tanz  ' 
teie  gewonlich  ein  Vorsanger  oder  eine  Vorsangerin,   den  Bi 
ein  oder  merere  Vortanzer,   denen   die  Pare  nachsprangen. 
Frauen  giengen  rechts  (MSH  3,  256*)  und  wurden  entweder 
der  Hand  oder  am  Ermel  gefiirt  *)  und  beide  Theile   wetteife: 


poln.  ref,  Beihen,  Tanz.  Indefsen  mOchte  man ,  da  slav.  Wnrzeln  xn  felen  m 
nen  (man  miiste  altslav.  rad  poln.  rad  lubens ,  rados^  Icetitia  radowcLt  latcuri 
beiziehen)  auf  das  dentsche  Beihen  oder  sein  Stammwort  riga  Kreislinie,  rigw 
einander  reihen,  zuriickgehen.  —  Die  andem  Tanznamen  kann  ich  nicht  erkl&n 
Trypotey  steht  im  Neythart  von  1537.  C.  II.  *)  ft  charUent  li  wm  rofmei 
li  autres  notes  Loherenges,  porce  qu*en  Jet  en  Lokeregne  plus  cointes  nates  g^ei 
regne.  Bom.  de  la  Bose  752.  ff*  ^)  Tanz  nnd  Beie  haben  zaweilen  nicht  < 

entgegengesetzte  Bedeutung,  sondem  bezeichnen  das  Tanzen  Uberhanpt.    In  d 
Bedeutnng   findet   man  auch  den  reigen   treten ,    an  dem  reien  gftn  wie  den 
treten,  an  einem  tanze  gin.   Wie  sich  reien  nnd  tanzen  entgegenstehen,  so  fi 
caroler  und  danaer,       »)  MSH.  3,  198.' 218/  256.'  2,  79.* 


878 

in  kunstreichen  weiten  und  hohen  Spriingen.  Allem  nach  zu 
arteilen  waren  diese  Reien  nicht  anmutig:  sie  werden  dem  uin- 
springen  der  Baren  und  Bocke  verglichen  *)  und  die  weibliche 
Zucht  kann  nicht  gewart  sein,  wenn  es  dabei  von  den  Fraueii 
heifzt  dafz  sie  weiter  ale  eine  Klafter  sprangen  (MSH  2,  122**) 
oder  wie  ein  Vogel  in  die  Hohe  flogen  oder  hoher  als  eine  Hinde 
hiipften  *)♦  Auf  Island  hiefz  ein  solcher  Springtanz  faldafykir 
TuGherschleuderer ,  weil  die  Kopf tucher  der  Frauen  (Taldar)  dabei 
ringsum  flogen.  DiePolizei  sah  sich  daher  auch  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert  genotigt  das  „Umwerfen"  der  Frauen  zu  verbieten ;  allein 
auch  in  dieser  Hinsicht  drang  sie  nicht  durch ;  noch  Fischart  fand 
Gelegenheit  seinen  beifzenden  Spott  iiber  diese  Springtanze  aus- 
zugiefzen  ^). 

Wie  sich  unter  den  umgehenden  Tanzen  verschiedene  Arten 
zeigten ,  so  treten  deren  auch  unter  den  Beien  auf  und  durch  seine 
Lebendigkeit  bedingt  merere  als  dort*  Eine  Art  war  der  krumme 
Reie;  er  wurde  gesprungen  und  gehinkt  und  scheint  sehr  wild 
gewesen  zu  sein.  In  einem  Tanzliede  heifzt  es:  da  schrieen  sie 
allzugleich  nach  einem  Spielmann:  „mach  uns  den  krummen  Reien 
den  man  hinken  soli.  Das  gefallt  uns  alien  wol  und  LOchlein  ist 
es  der  ihn  fiiren  soil."  Der  Spielmann  stimmt  die  Pauken,  die 
Reifen  fest  er  wand,  da  nam  sich  auch  der  Lochlein  ein  Madchen 
an  die  Hand.  „  O  du  frecher  Spielmann ,  mach  uns  den  Reien 
lang  I  Ju  heia  wie  er  sprang  I  Herz  Milz  Lung'  und  Leber  sich 
rundum  in  ihm  schwang"  *).  —  Der  Hoppoldei  mag  verwandt 
gewesen  sein ;  er  war  anscheinend  ein  heimischer  Tanz  *) ,  der 
mancherlei  Umbildungen  fahig  war ,  da  neue*  Hoppoldeiweisen  er- 
wahnt  werden  (MSH  3,  223 ».  283»>;.     Aus  dem  Rufe:  heifthei  und 


0  MSH.  3,  198/225.'  *)  MSH.  3,  196.'  228.'  *)  Fischart  Gargantua 
Kap.  7.  24.  (SS.  154.  313.  Ausg.  von  1590).  Vgl.  auch  Siebenkas  Materialien  1, 
172.  ff.  Michelsen  und  Asmufsen  Archiv  (Kiel)  L  1,  108.  *)  MSH.  3,  312.'  — 
MSH.  3,  249."  250.'  256.'  Nith.  Ben.  313.  358.  *)  Hoppoldei  scheint  aus  dem 
deutschen  Stamme  hoppen,  hoppern,  hopsen  =»  hiipfen  gebildet.  vgl.  auch  Fischart 
Grargantua  Kap.  17  (1590.  S.  375)  :  Frfunden  newe  biind,  newe  dantz,  newespriing, 
aewe  pafsa  repafsa,  newe  hoppelfantz. 


S74 

bei  der  dabei  ertCnte  (MSH  3,  283^)  Bchliefze  ich  dafz  der  Heiov 
leis  eine  Unterabtheilung  des  Hoppoldei  war^  So  wenig  ioh  diese 
Tmze  far  f remde  erklaren  mag ,  so  wenig  auch  den  Firlefei  (MSH 
3,  252^)  ^).  Man  mufz  Uberhaupt  bei  der  Deutung  dieser  Tbiue* 
jiamen  voraichtig  eein  und  sie  nicht  so  rasch  als  fremde  beseiti* 
gen,  Viele  werdeu  durch  mundartliche  Ausdriicke  erhellt,  viele 
verdanken  ibr  Entstehen  keeker  Bildungslust ;  die  franzSsisohea 
Endungen  sind  aus  deni  halbkomischen  Streben  des  damaligen 
Landvolkes  bervorgegangen,  firanzosische  oder  flazoiscbe  Formen  in 
seioe  Rede  zu  verflechten, 

Geforderte  Begleitung  des  Tanzes  war  die  Masik,  ISntwe* 
der  spielten  Spielleute  dazu  auf  Geigen,  Pfeifen,  Floten,  Trom-» 
meln  und  Tambourins  ^)  oder  die  Tq.nzer  begleiteten  sich  selbst 
durcb  Gesang,  Wen»  aucb  zuweilen  diese  Lieder  von  der  gan-' 
zen  Menge  zugleich  gesungen  warden ,  so  war  es  doch  gew6nli<p 
oher  dafz  ein  Vorsanger  oder  eine  Vorsangerin  das  J^ied  TOrtru-' 
gen  und  die  Menge  nur  in  den  Kefrain  einstimmte  oder  Aie  ein- 
zelnen  Verse  nachsang ').  Der  Inhalt  der  Tanzlieder  war  sehr 
verschieden;  wir  finden  unter  ibnen  Liebeslieder,  historische  Ge- 
sange,  politische  und  Riigelieder.  Die  Lieblingslieder  enthalten 
meist  das  Lob  des  Friihlings ;  der  Lenz  im  Herzen  und  der  Lens 
in  der  Welt  schlugen  zuaammen  in  reizenden  Tonen,  Die  Lie- 
beslieder  sind  die  haufigste  und  ^ne  notwendige  Begleitung  der 
Tanze,   welche  eine  Quelle  so  vieler  Liebe  waren.    Sie-  sind  be» 


')  Tirlefey  steht  neben  Tateley  and  dem  Spisinger  ei  Fischart  GeschichtkL 
K.  8.  Die  Formen  tirle  nnd  firle  wechseln  auch  in  dem  schles.  Namen seines  Kin* 
dcrspielwerkes :  Firletanz  pud  Tirletanz.  In  dem  Bergkreyen  tod  der  Earmei  d«r 
vollen  Bauem  Nr.  41.  in;  Bergkreyen-  Zwickau  1533.  wird  ein  Tans  FirlefSuis 
erwalmt:  ,,do  pfiif  er  ihr  den  Firlcfanz  wol  nach  der  DorfFer  sitten,  do  tanxten 
3ie  den  hottostan.'*  Das  Wort  firlo  wird  durch  die  achlesische  Mondart  eridait, 
in  der  gciirle  und  gefirre  fiir  hurtig  bchende  gebraucht  wird.  ^  £a  ist  nielit 

Grofzsprecheroi  des  Tanbausers,  wie  Wackernagel  (Altfrana.  Lieder  298)  meiiit, 
wenn  er  von  flouten  und  fumbern ,  von  tambnraeren  nnd  trumbsnaeren  sprMit 
(MSH.  2,  85.'  89.")  vgl.  namUch  MSH.  I,  201/  2,  79.*  3,  197.*  269.'  SSS/  912.' 
Bom.  de  la  Bose  148.  ff.  *)  MSH.  2,  78.'  Bom.  de  l»  Bose  748.  &  rfgu  ¥. 
Wolf  Lais  185. 


875. 

greiflicher  Weise  in  ihrem  Tone  sehr  verschieden;  von  schtich- 
temem  halb  verholenem  Preise  der  Geliebten^achreiten  sie  bis  zur 
offenen  Erklarung  der  Neigung  und  selbst  bis  zur  kecken  Aeufze- 
rang  der  letzten  Wiinsche  vor.  Neben  lyrische  Ausdriicke  des 
Gefiils  stellen  sieh  epische  Schilderungen  einer  Liebesbegebenheit 
und  selbst  drattiatische  Darstellutigen  verschiedener  Seiten  des 
Liebelebens.  Ebenso  reich  ist  die  Gattung  der  geschichtlichen 
Tanzlieder.  Germanische  und  rotnanische  Volker  wetteiferten  darin 
mit  einander  den  Reigen ,  in  dem  sich  das  ganze  Volk  ^usammen- 
fand,  zum  Mittel  zu  machen  die  alten  Erinnerungen  des  Vol- 
kes  zu  beleben  und  waeh  zu  erhalten.  Wir  konnen  daher  anne- 
men  dafz  die  Lieder  von  den  Amelungen ,  von  Dietrich  von  !Bem, 
von  dem  Franken  Siegfried  und  den  BurgunderkOnigen ,  kurz 
dafz  alle  historischen  Lieder  der  germanischen  Stamme  schon  in 
altester  Zeit  zu  ihren  Tanzen  gesungen  wurden.  Einen  iiberraschen- 
den  Beweis  dafiir  geben  die  faroischen  Tanzlieder,  unter  denen 
eine  reiche  Zahl  aus  der  Nibelungensage  g'enommen  und  noch  in 
neuester  Zeit  gesungen  wurden  ^).  Ebenso  diirfen  wir  auf  die 
faroischen  Ges'dnge  gestQtzt  behaupten  dafz  Lieder  aus  der  Got- 
tersage  zum  Tanz  gesungen  wurden.  Aber  nicht  blofz  aus  weiter 
Vergangenheit  waren  die  Gesange  genommen^  Was  grofzes  oder 
seltsames  in  der  Gegenwart  sich  ereignete,  ward  in  ein  Lied  ge- 
bracht  und  zum  Tanze  gesungen.  Die  Diet«iarsen,  welche  sich  im 
15.  und  16.  Jahrhundert  gegen  die  danische  Anmafzung  tapfer  werten 
wie  heute  ihre  ruhmreichen  Urenkel ,  sangen  ihre  Thaten  zu  ihren 
Tanzen.  Wenn  aus  dem  iibrigen  Deutschland  nichts  entsprechendes 
bekannt  ist,  so  liegt  dies  nur  daran  dafz  hier  nichts  grofzes  ge- 
schah,  nichts  wenigstens  das  an  dasHerz  desVolkes  gegriffen  hatte*). 
Dennoch  ist  es  moglich  dafz  die  Lieder  von  den  Stadtefehden  und 
einzelnen  kiinen  Raubern  auch  zum  Tanze  gesungen  wurden.   Bei 


*)  Lynghye  FcerStfke  quceder  om  Sigurd  Fqfnersbane  og  kans  at  Randers  1822. 
•)  Ein  Tanzlied  des  Tanhauser  (MSH.  2,  81)  enthftlt  in  seinem  ersten  Theile  den 
Freis  Kaiser  Friedrichs  II.  Man  sieht  also  auch  hier  das  politische  and  geschicht- 
liche  nicht  ausgeschlofzen. 


876 

den  romanlschen  Yolkern  und  den  Englandem  stunden  diese  epi- 
schen  Tanzlieder  in  groster  Bliite;  aus  diesem  historischen  In- 
halte  derselben  bildete  sich  bekanntlich  der  Sprachgebrauch,  ein 
jedes  episches  Lied  ein  Tanzlied  oder  eine  Ballade  zu  nennen  ^). 
Mit  dem  epischen  Inhalte  des  Tanzliedes  h'angt  die  Darstellung 
der  Gegenwart  und  ihrer  Sitten,  die  Schilderung  der  Ereignifse 
des  gewonlichen  Lebens  im  Tanzliede  zusammen,  me  diefz  na- 
mentlich  in  der  hofischen  Dorfpoesie  zu  bemerken  ist.  Daran 
knlipft  sich  die  Kritik  der  bestehenden  Zust'dnde ,  das  Ellage-  und 
Riigelied.  Ein  Tanzlied  Konrads  von  Wiirzburg  beklagt  den  Ver- 
fall  des  geselligen  Lebens  (MSH  2,  312—314);  Etige  und  Spott 
drang  in  das  Tanzlied  tief  ein.  Noch  heute  werden  auf  den  Fa- 
roern  Spottlieder  zum  Eeigen  gedichtet  und  der  Gegenstand  der- 
selben mufz  sie  mittanzen.  Er  wird  von  zwei  starken  Afimnem 
an  den  Han  den  gefafzt  und  gezwungen  in  dem  Eeigen  zn  bleiben 
bis  das  Lied  zu  Ende  ist.  Hat  sich  dafzelbe  des  Beifalls  erfrent, 
so  wild  es  in  den  allgemeinen  Gesangschatz  aufgenommen  *).  Auch 
anderer  Inhalt  zeigt  sich  in  diesen  Gesangen ;  auf  den  Faroem 
wurden  sogar  geistliche  Lieder  zum  Tanz  gesungen  und  noch  Yor 
wenig  Jahrzehnten  hielten  es  dort  altere  Geistliche  nicht  unter 
ihrer  Wiirde  in  der  Amtstracht  an  diesen  freilich  sehr  anstandi* 
gen  und  ehrbaren  Tanzen  Theil  zu  nemen«  Auch  modeme  Alien 
wurden  gesungen ,  wiew  auf  Silt  hoUandische  Duintis  ').  In  Ober- 
deutschland  sind  noch  heute  Tanzlieder  verschiedener  Gattusg 
daheim. 

Die  Form  der  Tanzlieder  war  gleich  ihrem  Inhalte  mannich- 
fach.  Ihre  alte  Benennung  Leich  (goth.  laiks),  die  eine  Vereini- 
gung  von  Harfenspiel  Gesang  und  Tanz  ausdriickty  gibt  kund 
dafz  die  Worte  oder  der  Text  in  ihnen  in  untergeordnetem  Ver- 
haltnifse  zur  Weise  und  zur  Korperbewegimg  stunden  *).    Warend 


')  F.  Wolf  Lais  233.  f.  Fauriel  hist.  d.  1.  poes.  proven^.  2,  88.  S.  *)  Lyngbye 
faroifke  Quadcr.  S.  14.  ")  Michelsen  und  Asmufsen  Aichiv  (Altona)  1,  418. 
*)  Ueber  die  Lciclie  vorweise  ich  auf  die  Abhandhmg  Lnchmanns  im  Bheiniscben 
Museum .    iiuf   das    pvh  hrt«    Buch    Ferd.    Wolfs  iiber    die    Lais    Sequeniea  and 


3W 

das  Lied  eine  strenge  und  gleichmafzige  Gliedenmg  seiner  Verse 
und  Strophen  bedingte,  bewegte  sich  der  Leich  freier,  ganz  in  der 
Weise  der  kirchlichen  Sequenzen.  Das  Steigen  und  Fallen  dee 
Harfenspiels ,  die  Bewegungen  der  Tanzenden  gaben  die  Absatze 
die  Lange  und  Kiirze  der  Verse ;  die  Worte  waren  blofze  Beglei- 
tung  der  Weise ,  um  diese  dem  Munde  gerechter  zu  machen  und 
ohne  die  Forderung  dafz  sich  diese  ihnen  anpafze.  Die  Geschichte 
des  Leiches  gehort  nioht  hierher;  es  mag  nur  erwahnt  werdeij, 
dafz  die  Kunstdichtung ,  von  der  Kirchenpoesie  zunachst  dazu 
veranlafzt,  die  Form  des  Leiches  und  der  Sequenzen  aufnam. 
Neben  religiosen  Leichen  erscheinen  weltliche  oder  Tanzlieder. 
Sie  waren  dem  alten  Karacter  gemafz  Gesange  ohne  gleichfor- 
mige  strop hische  Abtheilung,  ohne  gleiche  Lange  der  Verse,  in 
Strophen-  und  Versbau  abwechselnd.  Das  Hiipfen  imd  Springen, 
das  bald  weite  bald  kurze  Umherschleifen  und  Wenden ,  das  An- 
halten  und  rasche  Bewegen  spiegelt  sich  in  dem  Baue  ab;  der 
Leich  ist  die  naturgemd^fze  Begleitung  der  Springtd;nze.  Die  ruhi- 
geren  umgehenden  Tanze  verlangten  auch  ruhjgeren  Gesang.  Sie 
bewegten  sich  in  Wiederholungen  derselben  Gange,  der  Tritt  war 
gleichm'afzig,  sie  forderten  also  auch  die  Wiederker  derselben 
Strophenart  und  Gleichmafzigkeit  des  Versbaues.  Das  Lied  ge* 
horte  dem  Tanze,  der  Leich  dem  Reigen. 

Zu  dem  Tanze  kamen  im  Freien  noch  Spiele.  Die  ger- 
manischen  Jiinglinge  verbanden  damit  gefarliche  Uebungen  un- 
ter  den  Waffen;  in  der  spateren  Zeit  wurde  namentlich  BalL- 
spiel  in  den  Tanz  eingeflochten*  Das  Ballspiel  war  eine  alte  be- 
liebte  Unterhaltung  der  Germanen;  es  iibte  die  korperliche  Ge- 
wandheit ,  forderte  Sicherheit  des  Auges  .und  der  Hand  und  hielt 
mit  seinem  jagd-  und  kriegsanlichen  Treiben  alle  Krafte  ange- 
spannt.  Auf  Island  war  es  Sitte  grofze  Ballspiele  (kn&ttleikar) 
anzusetzen ,  welche  weit  und  breit  besucht  wurden  (Egils  s.  c,  40)' 


Leiche  and  auf  W.  Wackernagels  klare  und  kurze  Darstellung  in  seinen  alt- 
franz.  Liedem  und  Leiclien.  Vgl.  auch  Mijllenhoff  de  antiquifsima  Germanorum 
fotfi    chorica. 


818 

Auch  in  Deutschland  und  unter  den  romanischen  Volkem  wuidi 
es  fleifzig  getrieben  und  bei  der  Bedeutung  des  Tanzes  geschah  un- 
willkiirlich  eine  Verbindung  dieser  beiden  LustbarkeiteD.  Wenn 
wir  heute  noch  elnTanzf  est  Ball  nennen,  sogriindet  sioh  dieb  anf 
jene  Vereinigung.  Das  mittelalterliche  Ballspiel  mag  mancheiid 
Arten  gehabt  haben;  eine  der  gewOnlichsten  scheint  die  folgende 
gewesen  zu  sein,  die  noch  heute  gespielt  wird*  Die  spielendoi 
theilen  sich  in  zwei  Parteien,  die  eine  wirft  den  Ball,  die  andere 
fangt  ihn.  Die  werfenden  wechseln  ab  und  Buchen  den  BaU  so 
weit  als  moglich  zu  schleudem,  die  anderen  haschen  damach 
und  werfen  ihn  unter  die  andere  Schar.  Wer  davon  getroffen  wird, 
mufz  zu  der  fangenden  Seite  iibertreten  und  diefz  geht  fort  bb 
die  ganze  werfende  Partei  aufgelost  ist  *).  Wie  heute  wurde  der 
Ball  auch  frQher  mit  Stecken  und  Scheiten  geschlagen  urn 
ihn  recht  weit  zu  treiben  ^).  Etwas  anderes  mochte  dae  Spiel  nut 
den  Palmen  sein,  langlich  runden  Ballen  mit  drei  Handhaben. 
Auf  einem  Holzachnitte  des  16.  Jahrhunderts ,  der  solches  Fd- 
menschiefzen  ^)  darstellt ,  stehen  die  spielenden  in  zwei  ParteieOf 
auf  der  einen  die  Manner ,  auf  der  anderen  die  Frauen;  jede 
Partei  scheint  so  viel  Palmen  als  Personen  zu  haben*)*  And 
diese  Ballspiele  wurden  mit  Gesang  und  allerlei  Scherz  b^eitet 
und  die  Weiber  wetteiferten  darin  mit  den  Mannem.  Noch  andere 
Spiele  scheinen  bei  dem  Tanze  iiblich  gewesen  zu  B&n'},  dena 
er.war  der  Mittelpunkt  der  gesammten  geselligen  Lust  and  flbtt 
eine  unbeschreibliche  Anziehungskraft  auf  alles  was  dae  Vott 
zu  geselliger  Freude  bewegte* 

Die  Beantwortung  der  Frage,  wo  getanzt  wurde,  ergibt 
sich  aus  dem  was  bisher  dariiber  gesagt  wurde.  Die  vomemeGo- 
sellschaft  tanzte  in  den  Salen ,  das  sogenannte  Yolk  im  Frflliliiig<0 
und  iiberhaupt   in   der   schonen  Jahreszeit   auf  Platzen  Strafseo 


*)  Vgl.  namentlich  MSH.  2,  113.  f.       ')  Altdeutsche  Blatter  1,  54.      ^  *wr« 

dd  man    die   palmen  fchd^,   MSH.  2,  99.'  —  palme  franz.  paume*  griech.  Wf^' 

*)  Der  Holzschnitt  steht  im  Ncythart  von  1537  vor  dem  27.  Liede:  Es  scindkhi^ 

Leut  wollen  wir  etc.  etc.       »)  Altd.  BL  1,  54  —  MSH.  3,  288.' wild  dM 

flahen  in  der  Stube  erwahnt. 


inf  dem  Anger  an  der  Heide*  Jedes  Dorf  hatte  seine  Linde 
urn  welche  sich  der  Reigen  drehte  (MSH.  3 ,  199.**  IS?.**)  oder 
jeinen  Tanzhiigel  (MSH.  3 ,  298*) ,  wie  das  noch  heute  in  Thu- 
ingen  zu  finden  ist^  Im  Winter  fliidbtete  man  in  die  Stuben ,  welche 
«  grofzerer  Geraumigkeit  von  aUem  Gerate  geraumt  wurden 
der  manchmal  in  die  Scheuern  ^)*  Aber  auch  die  Kirchen  ihre 
''orhallen  und  die  Kirchhofe  waren  seit  alter  Zeit  ein  beliebter 
latz  zum  Tanzen  und  die  Geistlichkeit  hat  auf  Synoden  und  auf 
er  Kanzel  vergebens  dagegen  geeifert*  Bis  zum  Ende  des  Mit- 
dalters  hielt  diese  Unsitte  an  *). 

Zu  jeder  Zeit  wenn  sich  eine  dazu  bereite  Gesellschaft  zu-> 
immenfand,  begann  man  den  Tanz;  der  Lenz  lockte  aber  vor 
Jem  dazu,  und  wenn  die  Feierstunde  Abends  natite,  schmiick-* 
jn  sich  Diemen  und  Weiber  und  eilten  ins  Freie  zum  Reigen. 
ranze  Tage  wurden  in  dieser  frolichen  Zeit  vertanzt ;  eine  Haupt- 
lage  gegen  den  Winter  war  dafz  nun  das  Leben  auf  dem  An- 
er  enden  miifze,  Der  Tanz  felte  zwar  auch  den  winterlichen 
resellschaften  (den  govenanzen)  nicht,  allein  er  war  beschr^nk- 
er;  zur  Entwickelung  der  voUen  Tanzeslust  und  der  damit  ver- 
mndenen  Spiele  felte  der  Raum,  denn  aus  den  Kirchen  mochte  die 
Talte  vertreiben.  —  In  den  hoheren  Gesellschaften  wurde  der  Tanz 
Btets  in  den  Salen  aufgefiirt;  Sommer  oder  Winter  machte  hier 
keinen  tJnterschied,  nur  in  der  Tageszeit  herrschte  Abwechselung. 
Im  allgemeinen  richtete  man  sich  wie  es  scheint  nach  den  vor- 
handenen  Unterhaltungsmitteln.  Indem  der  Morgen  und  die  Zeit 
nach  dem  Hauptefzen  gewonlich  anderweitig  ausgeftdlt  war,  hub 
^er  Tanz  meist  gegen  Abend  an,  wenn  der  Buhurt  zu  Ende 
gegangen  war ;  er  dauerte  bis  gegen  die  gewonliche  Zeit  des 
Schlafengehens  ').   Indefsen  wurde  wol  auch  manchmal  bald  nadi 


*)  MSH.  1,  201/  2,  lOS."  109/  111.'  123.  3,  249/  275/  282/  288/  ►— 
''  206.  2)  Regin.  can.  1,  70»  Synod,  dioec.  Herbipol.  1298.  c.  3.  (Hartzh.  4.  26.) 
concil.  Vesontin»  1480.  c.  7.  (Hartzh.  5,  509.)  vgl.  Altd.  Bl.  1,  62.  Fanriel  hist. 
^8  la  poesie  proven9.  1,  167.  ff.  •)  Ath.  C*  163.  Lanzeh  657.  Parz.  639,  3i 
Helmbr,  939.  Heinr.  Trist.  618.  Lohengr.  S.  26.  ' '^'^ 


X 


880 

dem  Morgenimbifz    oder  auch  nach   der  Hauptmalzeit  der  Tanz 
begonrien  *). 

Dem  grofzen  Haufen  desVolkes  waren  wie  heute  die  Sonn- 
undFeiertage  die  bequemste  Zeit  zu  ihren  Lustbarkeiten.  Da  ruh- 
ten  die  Arbeiten  des  Hauses  und  Feldee  und  von  weit  und  breit 
stromten  die  Scharen  zu  beliebten  Tanzplatzen  (MSH.  3,  249*). 
Die  Kirche  eiferte  wol  gegen  diese  Sabbatentheiligung ,  allein 
was  half  es?  Das  Predigen  war  vergebens  und  Bruder  Berthold 
ergofz  seine  Beredsamkeit  umsonst.  Trotz  aller  Berufung  auf  den 
heiligen  Augustin ,  trotz  allem  Vorhalten  wie  die  Feldarbeit  am 
Sabbat  immer  noch  eine  geringere  Todsunde  als  Tanzen  sei  *) ,  liefz 
sich  das  Volk  seine  Lust  nicht  nemen,  die  es  fbr  eine  Woche 
vol!  schwerer  Miihe  entschadigen  muste. 

Was  war  natiirlicher  als  dafz  sich  die  Frauen  znm  Tanze 
besonders  schmiickten?  In  den  grofzen  Gesellscbaften  der  vome- 
men  Welt  war  es  sogar  Sitte  dafz  die  Frauen  vor  dem  Tanze 
neue  Toilette  machten  ');  die  M'adchen  und  Weiber  der  Bauem 
aber  legten,  wenn  es  zum  Beigen  gieng,  ihre  Werkeltagakleider 
ab  und  namen  das  schonste  Gewand  aus  den  Falten  und  Schrei- 
nen.  Wie  oft  schildern  nicht  die  Dichter  der  Dorflust  den  Streit 
zwischen  einer  tanzlustigen  Tochter  und  einer  besorgten  oder 
neidischen  Mutter,  welche  die  Kleiderkammer  oder  den  Kasten 
nicht  offnen  will.  Das  Har  mit  Seidenborten  umwundeOi  im 
Kleide  mit  modischer  Schleppe,  in  der  Hand  oder  auch  an  einer 
seidenen  Schnur  die  am  Halse  hieng  einen  kleinen  Spiegel  % 
vor  allem  aber  mit  einem  Blumenkranzlein  auf  dem  Haupte,  00 
eilten  in  den  frulichen  Zeiten  des  13.  Jahrhunderts  die  landlicn^ 
Schonen  auf  den  Tanzplafz.  Der  Kranz  war  nicht  blofz  ein 
Schmuck,  er  diente  auch  zur  Auszeichnung ,    denn  er  ward  Yoa 


')  Erec  2141.  Kl.  Hatzlerin  130/  —  Rom.  de  Flamenca  (Bayn.  L  ron. 
1,12).  *j  Bertholds  Prcdigten  (von  Kling  S.  64.  ff.  342.)  s.  auch  Wei^th.  1,  490. 
.■)  Lohengr.  S.  25.  die  vrouwen  anderweite  wurden  fchdne  gekleidet,  U  eine  rfir  dU 
andere  durch  ein  gduden.  ein  tanz   d6  gemachet  wart.  *)  MSH.  S,  78.  3,  SOO.* 

209.'  277.'  Nith.  Ben.  306.  368.  407.  CI.  H&tzlerin.  263.*  Rom.  de  U  Bos«  9S14* 


881 

den  Tanzerinnen  ihren  Lieblingen,  von  den  Tanzem  ihren  Scho- 
nen  gegeben  ^) ,   wie  Jbeute  Schleifen  und  anderer  Tand. 

Ein  weit  yerbreiteter  schwedischer  Kundtanz  gibt  una  von 
diesem  alien  Branch  noch  heute  Zeugnifs.  In  dem  Kreise  der 
Tanzenden  Bteht  ein  junger  Mann  oder  ein  Ms^dchen  und  windet 
einen  Kranz.     Die  Tanzenden  singen : 

Das  Magdlein  (der  Bnrsche)  steht  hier  mitten  im  Tanz 
Und  pfliickt  sich  Bosen  wunderfein, 
Es  windet  draus  den  schonsten  Kranz 
Wol  fur  den  herzgeliebten  sein. 

Das  Madchen  setzt  darauf  einem  Burschen  den  Kranz  auf 
und  die  andem  singen  : 

Eomm  du  mein  geliebter  her 
Den  ich  mir  hier  ausersah, 
Willst  du  die fz 'und  wol  noch  mehr, 
Beich  die  Hand  und  sprich  ein  Ja. 

Das  Par  tanzt  in  dem  Kreise  herum  und  das  Spiel  beginnt 
dann  von  vom  ^. 

Wie  der  Spiegel  den  Frauen  ein  lieber  Schmuck  war,  so 
entberten  die  Manner,  wenigstens  die  reichen  Bauem  in  Baiern 
und  Oesterreich ,  die  gem  den  Ritter  spiel  ten ,  beim  Tanz  nicht 
leicht  des  Schwertes.  Es  war  mogliehst  lang  und  breit  und  hatte 
einen  verzierten  Knopf ').  Die  Folge  war  dafz  blutige  Schlage- 
reien  beim  Tanze  entstunden ,  denn  der  leicht  entziindeten  Eifer- 
fiucht  war  das  Mittel  der  Eache  nur  zu  bald  zur  Hand.  So  blieben 
einmal  um  eines  Rosenkranzleins  willen  zwei  und  dreifzig  oster- 
reichische  Bauern  auf  dem  Kampfplatze  tot;  ein  andermal  sechs 
und  dreifzig*).  Aber  das  hinderte  nicht  das  nachste  Mai  in  der 
alten  Frolichkeit  zum  Reigen  zu  eilen.  Das  Leben  der  Dorfler 
war  in  den  reicheren  und  freieren  Landschaften  so  frisch  und 
genufzsQchtig  dafz  die  voruemeren  sie  wol  darum  beneiden  konnten 


')  Nith.  Ben.  320.  MSH.  3,  281/  *)  Bich.  Dybeck  Buna  4,  66.  (1842.)' 

•)MSH.  2,  80.'  3,  246/  — MSH.  3,   188.'  225.'— MSII.  3,  271.'  Nith.  Ben.  380. 

•)  MSH.  3,    221.'  260.'   vgl.   noch    MSH.  3,  188.  200.  212.'  277.    Wittenweiiers 
Kng  p.  1 72.  ff. 


882 

<MSH.  1,  204"^).  Freude  an  der  Schonheit  der  Natur,  Tans 
Spiel  und  Liebe  flochten  sich  zu  einem  Feste  susammen ,  gegen 
welches  das  Yergnugen  der  Sale  nur  eine  blafse  Nachfder  war. 

Einen  geringen  Ersatz  fur  die  freieLust  in  Heide  und  An-« 
ger  gaben  der  vomemeren  Gesellschaft  die  Baumgftrten^  wddbe 
sich  meist  im  umfriedeten  Burgraum  befanden  i).  Dordiin  zog 
man  sich  aus  den  Salen ,  wenn  man  eine  fireiere  Lust  wolte.  Die 
Manner  namen  hier  ihre  Leibesiibungen  vor^  es  ward  gefochten 
geschofzen  nach  dem  Ziele  gesprungen,  man  liefz  Falken  und 
andere  Stofzvogel  steigen,  Fiedler  und  Sanger  wurden  vorge- 
lafzen  und  Tanz  und  Spiel  mancher  Art  begonnen*).  Wie  um- 
fangreich  diese  Baumgarten  waren  ergibt  sich  daraus  dafe  zu- 
weilen  grofze  Feste  darin  gefeiert  (Mei  u.  Beafl.  87,  27)  und 
Gerichtsversammlungen  gehalten  wurden®).  Sie  dienten  uberhaupt 
zu  Sammelorten  und  lagen  oft  so  dafz  sie  die  Frauen  als  si- 
chere  Schauplatze  bei  Tumieren  benutzen  konnten.  Oft  waren 
auch  Thierg'arten  und  Schlangengehege  in  ihnen*)*  Uebrigens 
waren  auch  diese  geselligen  ZusammenkUnfte  in  den  Haus^urten 
den  Landleuten  nicht  unbekannt*  Noch  heute  sind-  die  Heimgar- 
ten,  diese  sommerlichen  Yorbilder  der  winterlichen  Spinnstubeni 
in  Oberdeutschland  viel  beliebt  und  sie  geben  mit  ihren  Scheizen 
Spafzen  und  kurzen  Liedchen,  mit  dem  Plaudem  und  Tanzen  ein 
frisches  Bild  von  der  alten  Lust  der  DOrfler.  Bruder  Berthold 
predigte   auch  gegen  sie» 

Man  darf  wol  nach  dem  Tone  der  Unterhaltung  .fragen, 
die  in  den  geselligen  Zusammenkunften  der  hofischen  Zeit  ge- 
pflegt  wurde*  Die  Unterhaltung  war  insofern  mehrfach  geregelt 
und  in  ihrem  Tone  bestimmt,  als  das  Yorlesen  d«cl)^ebter^ 
epischen  Gedichte  und  der  Yortrag  lyrischer  Lieder  einen  nicht 
unbedeutenden  Theil  ausmachte.     Sodann  gaben  die  beiden  An- 


*)  WigaU  668.  vgl.  Joncbloot  Beatrijs  p.  69.  *)  Rolandsl.  21,  5--S2,  9. 
Flore  161—167.  221—227.  MSH.  2,  116.'  289.'  Mel.  Stoke  2,  184  (Hiiydekoper> 
*)  Flore  6541.  Grimm  Bechtsalt.  795.  In  einem  Baumgarten  ist  die  avcntiiire  Mi- 
bonagrins,  die  Erec  siegreich  bcstcht.  Erec.  8697.  ff.  *)  Ueber  wurmUgt  ond 

wurmgatre  Wh.  Grimm  zu  Atbis  C*  17. 


«8S 

gelpunkte  des  damaligen  Lebens ,  die  Liebe  nnd  die  Waffenthaten 
einen  stehenden  Stoff^).  Die  epitzfundigen  Lehren  fiber  den  Lie- 
besverker  waren  zwar  in  Deutschland  nicht  so  daheim  wie  im 
Westen.  Das  Streiten  iiber  verwickelte  Liebesfragen ,  das  sophi- 
BtischeLQgen  und  Triigen  fefzelte  dieDeu^schen  nicht  sehr,  allein 
ohne  alles  derartiges  Geschwatz  gieng  es  doch  damals  ebenso 
wenig  wie  heute  in  den  geistreichen  deutschen  Gesellschaften  ab. 
Die  Beispiele  mochte  man  der  Moral  selbst  freilich  vorziehen, 
und  mit  diesen  Geschichtchen ,  die  einer  Sundflut  gleich  daa 
mittelalterliche  Europa  iiberfluteten ,  war  auch  ein  freier  Ton  der 
Unterhaltung  gegeben^  der  bis  zur  Schamlosigkeit  frech  werden 
konnte.  Man  gebe  iiberhaupt  auf  gewifsen  Seiten  das  Schwarmen 
TOD  der  zarten  Sentimentalitat  und  dem  frommen  Thun  und  Fii- 
leD  der  vomemen  Gesellschaft  des  Mittelalters  auf;  diese  Kreise 
bleiben  sich  stets  gleich ;  die  Schilderungen  des  Minnedienstes, 
die  ich  oben  gab,  werden  bewiesen  haben  dafz  sie  auch  damals 
im  allgemeinen  tlber  aller  biirgerlichen  Sittlichkeit  stuudeu*  Allein 
auch  in  den  weniger  geglatteten  und  raffinirten  Gesellschaften 
war  die  Unterhaltung  nicht  immer  von  allerjei  Schmuz  frei.  Die 
deutschen  Manner  waren  im  Grunde  das  wofiir  sie  die  Welschen 
erklarten :  gerade  Degen  mit  rauher  B^aut  Hand  und  Zunge^ 
and  die  deutschen  Frauen  waren  einfache  ungezierte  Weiber.  Es 
^eng  darum  in  den  Gesprachen  oft  sehr  naturlich  und  wol  auch 
derb  her  und  Ausdriicke  und  Spriiche  wurden  offen  vor  den 
Damen  gebraucht,  welche  sich  die  heutigen  nur  schalkhaft  la- 
chebd  in  das  Ohr  flilstern').  Die  gegenseitigen  Benennungen  in 
Scherz  und  Ernst  waren  auch  nicht  immer  zart;^  man  denke 
nor  an  die  Zornrede,  mit  der  Dietrich  von  Bern  die  Koni-^ 
gin  Krimhild  andonnert ,  als  sie'  erbittert  fragt  wer  die  ver- 
ratenen  Burgunder  gewamt  habe.  Wjenn  die  Manner  ihre  lusti- 
gen  Spriiche  zu  erzalen   begannen,   dann    verliefzen  die   Frauen 


')  Herbert  v.  Fritslar  7299.  d6  fd%en  ft  inne  unde  fagten  von  der  minneund 
van  wibe  nature  fchSne  aventure,  von  ftrite  unde  vrede  heten  Jt  manege  redsy  in  der 
Awi  zehanden  von  eren  unde  fchanden.  *)  Vgl.  da8  Lied  Ulrichs  von  "Wlnter- 
rtetten.  MSH.  1,  172.' 


884 

gewonlich  die  Gesellschaft  *).  Ihre  Reden  waren  indefsen  imincr 
noch  sittlicher  als  die  Geschichten  der  Spielleute,  denn  wenn 
auch  derb  so  waren  sie  keine  ausgesonnenen  Wegweiser  zu  aller 
Unsittlichkeit. 

Einen  Ueberblick  fiber  das  geselHge  Treiben  der  hofischeQ 
Zeit  gewaren  die  grofzen  Festlichkeiten ;  da  roUt  sich  zwischen 
Morgen  und  Abend  dasBild  von  der  Lust  der  hoheren  Stande  snf^ 

Wenn  ein  reicher  hoherHerr  einFest  feiem  wolte,  schicbe 
er  zuerst  Boten  in  das  Land,  um  die  Freunde  und  alle  wit  de- 
nen  er  in  irgend  einer  Verbindung  stund  einzuladen.  Es  ward 
alles  geriistet  und  der  Kammerer  und  der  Truchsefz  trafen  An- 
stalten  fiir  die  Beherbergung  der  Gaste.  War  keine  Moglichkeh 
sie  in  der  Pfalz  oder  Burg  oder  in  dem  Burgflecken  unteraubrhi- 
gen ,  so  wurden  draufzen  auf  freiem  Felde  holzerne  WoDUDgen 
und  Zelte  von  nicht  selten  kostbarem  Stoffe  aufgeschlagen.  Aufxfl^ 
dem  wurden  Tische  und  Banke  gezimmert  die  ebenfalls  unter 
dem  blauen  Himmel  errichtet  wurden ,  denn  drinnen  in  den  Bu> 
gen  war  selten  fiir  grofzere  Gelage  gentig  desRahmes.  DieHftiu- 
frau  war  unterdefsen  inmitten  ihrer  weibliohen  Umgebung  sdtf 
thatig;  da  gab  es  nicht  nur  fur  sich  neue  Gewander  zu  fertigeo, 
sondern  auch  die  Manner  vom  Hausherrn  bis  zum  letzten  EmP* 
pen  waren  neu  zu  kleiden  und  auch  fiir  die  Gaste  moate  eo 
Vorrat  an  Kleidem  bereit  sein.  Die  Wande  von  Sal  und  Zim- 
mcrn  wurden  mit  Teppichen  undWafien  behangt,  die  bettart^ 
Sitze  mit  den  Riicklachen  die  Wande  entlang  gelegt,  der  Bodes 
mit  Decken  iiberbreitet  oder  mit  frischen  Blumen  und  Grw  b®- 
streut  *)  und  Tische  und  Banke  sauber  geputzt.  Die  Gaste  nil- 
ten ;  der  Wirt  mit  seiner  Frau  und  mit  reichem  Gefolge  giengo* 
bis  vor  die  Burg  hinaus  oder  ritten  ihnen  ein  Stiick  Weges  ent- 
gegen  und  empfiengen  sie  freundlich  mit  Grufz  undKnfs.  Indi> 
Ilaus  gcleitet  ward  ihnen  alsbald  ein  Trunk  gereicht. 


')  Gudr.  337.  —  Gudr.  343.  Biter.  12571.  *)  Pauli  diac.  L  1,  SaSi*- 
48.'  73."  94/  Egilss.  c.  9.  Fornmannas.  4,  75.  7,  147.  807.  10,  16.  Bodi.  H* 
En.  12724.  Heinr.  Trist.  2518.  Eom.  de  Flamencan.  (Bay  1.  r.  1,  6). 


385 


Jeder  Fest-  und  Gesellschaftstag  ward  mit  dem  Besuche 
er  Mefse  begonnen,  die  in  damaliger  Zeit  gewonlich  um  neun 
Jhr  des  Morgens  gehalten  wurde ').  Der  Zug  dahin  gab  Gele- 
enheit  Pracht  und  ritterliche  Gewandheit  zu  entwickeln.  Jede 
rau  gieng  oder  ritt  zwischen  zwei  Bittern  welehe  das  Schwert 
ezogen  batten  wie  eine  Ehrenwache  und  sich  die  Unterhaltung 
er  Dame  angelegen  sein  liefzen  2).  Die  jungeren  Eitter  hielten 
nterwegs  ein  Lanzenreiten  ')  und  weltlicbe  Musik  vermerte  den 
arm  und  die  Zerstreuung.  Die  Reihenfolge  in  dem  Kircbgange 
ie  iiberhaupt  bei  offentlichen  Aufziigen  unterlag  festen  Regeln, 
ie  jedoch  nicht  zu  alien  Zeiten  und  Orten  gleich  waren.  An 
ner  Stelle  des  Otfriedisehen  Gedichtes  wird  besehrieben  wie  die 
rauen  den  Zug  eroffnen,  dann  die  M'anner  kommen  und  die  Kin- 
er  zuletzt  gehen  (I.  22,  13.).  Angilbert  beschreibt  einen  Jagd- 
ag  Karls  d.  Gr.  An  der  Spitze  reitet  Karl,  nach  ihm  seine  Ge- 
lahliu  Luitgart,  dann  seine  Sohne  Karl  und  Pippin  und  hier- 
iif  die  Tochter  Rotthrud,  Berta,  Gisela,  Rotheit,  Theodrada  und 
tilttrud.  Jedes  Glied  der  kaiserliehen  Familie  ist  von  seinem 
[ofstate  umgeben;  fainter  ihnen  folgen  die  Rate*).  Auch  sonst 
Jhen  wir  die  Frauen  im  zweiten  Theile  des  Zuges  (Wigal.  7396 
V^ittenweilers  Ring  33,°  43.);  im  allgemeinen  scheint  jedoch  in 
er  mittleren  Zeit  die  Reihenfolge  so  gewesen  zu  sein:  zuerst  die 
nverheirateten  Frauen,  dann  die  verheirateten  und  im  besonde- 
*n  die  Hausfrau  oder  die  vornemste  der  Gesellschaft ,  dann  die 
fanner  und  fainter  ifanen  die  Jiinglinge  ^). 

So  wenig  dieser  Zug  zur  Kirche  Gelegenheit  zu  frommer 
amralung  bot,  so  wenig  bemiifate  man  sich  sie  in  der  Kirche  zu 
-winnen.  Die  Prediger  von  der  mittelalterlichen  Frommigkeit 
^gen  auf  die    Stimmen    der  Prediger  jener  Zeit  achten ,    welehe 


')  Rettberg  Kirchengesch.  Deutschlandn  2,  786.  '^  Nib.  277.  587.  548. 

7.  1290.    Gudr.  481.    Eracl.   2704.  Heinr.  Trist.   1172.  WigaL  8869.         *)  Nib. 
'<>— 756.  Frauend.  175—180.  Mei  u.  Beafl.  7,  7.  83.  —  Ermold.  Nig.  eleg.  1,  S3. 
'ertzll.  516)  Nib.  298.  Salomo«  undMor.  48— 64  (1.*).  Altd.  BK  1,  242,  Walth. 
1»  17—21.  ')  Angilb.  carm.   de  Karolo  M.    lib.  III.  (Pertz  II.  396—398.) 

Nib.  547.  Wigal.   7397.  Wigam.  4449.  Grimm  Rechtsalterth.  409. 

25 


/ 


386 

eiii  arges  Bild  von  der  Theilnamlo3igkeit   namentlich  der  Weiber 
nicht  blofz  bei  solchen  Festlichkeiten  entwerfen.    Die  Earche  gait 
als  Gesellschaftsort  wo  man  Neuigkeiten  austauBchte,    iiber  Kin- 
der und  Gesinde  schwazte  und  lieb^ugelte  *).    Die  vomemeren  be- 
suchten  fiir  gewonlich  die  Pfarrkirchen  nicht ,    sondem  nur  ihre 
Hauskapellen.    Schon  friih,  auf  der  Mainzer  Synode  von  886,  Bah 
man  sich  daher  genotigt  ihnen  den  offentlichen  Kirchenbesuch  an- 
zubefelen,  damit  nicht  immer  den  armen  und  betriibten  gepredigt 
werde  ihr  Leid  geduldig  zu  ertragen,    sondem   auch  den  reichen 
und  m^chtigen    ihre   Harte  und   Gewaltthat  vorgehalten   und  gie 
gestraft  und  ermant  werden  kOnnten  (Pertz  leg.  L  431.). 

Nach   der  Ruckkunft   von   der  Mefse  setzte   man   sich  zum 
Morgenimbifz  ^) ;  wir  finden  also  den  altgermanischen  Branch  bald 
nach  dem  Aufstehen  eine  formliche  Malzeit  zu  halten  (Tacit,  germ, 
c.  22)  in  dem  hofischen  Leben  bewart,  wie  er  sich  auch  hier  und 
da  bis  heute  unter  dem  Landvolke  erhalten  hat^).   Diese  Zeit  nacli 
der  Mefse  war  zugleich  die  Stunde  wo  Besuche  gemacht  wurdexi 
und  die  Fursten  Gehor  gaben ;  Gesandte  wurden  dann  vorgelafzezi 
und    die    wichtigsten    Geschafte   verhandelt  *).     Nach  dem  Imbirz 
verabschiedeten  sich  auch  die  Gaste  von  den  Wirten.  Wurde  das 
Friihstuck   nicht  zur   formlichen   Hauptmalzeit   erweitert  sonderxi 
von  dieser  getrennt,  so  gieng  man  hierauf  zu  allerlei  gesellschaft- 
licher  Unterhaltung.    Es   wurde   getanzt,   oder   die   waffenfahigen 
Manner    hielten    ein  kurzes  Turnier   dem   die  Frauen  zuschauten* 
Sobald  die  Zeit  des  Hauptefzens  herankam,  die  nicht  fest  bestimmt 
gewesen  scheint  *) ,   ward  ein  Zeichen  gegeben ;  gewOnlich  wurde 


')  Brud.  Bertholds  Pred.  (Kling  S.  343.)  Chastoiem.  des  dames  890.  ")  Ercc 
667.  2944.  8644.  Wigal.  248.  Otte  38.  Fornmaunas.  4,  150.  7.  147.  Da  Csi&g« 
6.  V.  accubitus.  Bom.  de  Flamenca  (Bayn.  1.  r.  1,  7).  ')  lu  Frankreich  war  ^ 
noch  im  15.  Jabrhundert  Sitte  die  Hauptmalzeit  um  10  Uhr  Morgens  sn  btlteii} 
um  4  Uhr  wurde  soupirt.  Im  17.  Jabrhundert  gait  der  Satz:  lever  k  six,  dii*^ 
a  dix,  souper  a  six,  coucher  a  dix  fait  vivre  Vhomme  dix  foit  dix.  *)  Nib.  11^*' 
1191.  Dietr.  Flucht  7613.  Fornmannas.  4,  118.  7,  146.  —  Erec  5278.  Nib.  I6«fi' 
Egilss.  c.  77.  *)  Wenne  was  des  et^t^ens  warden  zitf  ich  hSrte  ie  fwenme  €%  ^ 
wirt  hat  unde  git.  Lohengr.  81.  An  Atilas  Hofe  wurde  um  drei  Uhr  su  Ti»cb« 
gcgangen.    Pribcus  p.  44.  ed.  Vcnet. 


887 

211  Tisch  geblasen  ').   In  den  Kreisen  wo  die  deutsche  Sitte  fest- 

gehalten  wurde  trennten  sich  nunmehr  die   Geschlechter :  Manner 

und  Frauen  speisten  in  verschiedenen  Raumen  und  hochstens  die 

Wirtin  kam  zu    den  Mannem    um    den    Gasten    gegeniiber   ihre 

Pflichten  warzunemen  *).    In  Frankreich  dagegen    safzen   die  bei- 

den  Geschlechter  gemeinschaftlich    und    parweise    zu  Tische,    so 

dafz  sie  von  einem  Teller  afzen,    aus  einem  Becher  tranken  und 

die  Frau  dem   Manne  sogar  die  Speisen  vorschnitt  ^).     FranzOsi- 

scher  Einflufz  fiirte  diesen  Brauch  auch  in  Deutschland  ein*).  Zu 

bemerken   ist  dabei    dafz    im  Norden,    wo  die  Frauen  tiberhaupt 

mehr  Antheil  an  der  Geselligkeit  als  in  Deutschland  hatten,  diefz 

Gepartsein  bei  Ticsche  (tvimenningr)  alte  Sitte  war;   nur  die  Wi- 

kinger  vermieden  es  aus  Grundsatz.    Um  eine  anscheinend  partei- 

liche  Vertheilung  der  Frauen  zu  vermeiden,  wurden  die  Pare  zu- 

sammengelofzt  *);    auch   hier  tranken  die  zusammensitzenden  aus 

einem   Becher   oder  Home*   Als    eine   Vermittelung   des   parweis 

sitzens   und   des    voUigen   getrenntseins  erscheint  im  Norden  und 

auch  in  Deutschland  die  Einrichtung,  dafz  die  Geschlechter  zwar 

in  einem  Sale  aber  an  verschiedenen  Tischen  Platz  nemen  ®).  Zu 

Tacitus  Zeiten  safzen  die  Deutschen  beim  Efzen  jeder  fiir  sich  an 

einem  besonderen  Tischchen  (germ.  c.  22.)» 

In  welchen  Kreisen  das  gepart  sitzen  angenommen  war, 
fiirten  die  M'anner  ihre  Frauen  an  den  vom  Kammerer  angewie- 
8enen  Platz  ').  Ehe  man  sich  setzte  kamen  die  Kammerer  oder 
die  Knappen  mit  Becken  Wafzerkanne  und  Handtiichern  und  die 


')  Laurin  177.  Heelu  8862.  vgl.  Joncbloet  Beatrijs  p.  56.  —  In  Frank- 
•^ich  war  nach  Le  Grand  et  Roquefort  vie  priv^e  3,  310  das  comer  I'eau  ein  Vor- 
fecht  der  vornemsten.  =)  Nib.  1610.  Etzels  Hollialt.  9  (vgK  auch  Nib.  608.  744.) 
^ornmannas*  10,  107.  *)  Manger  a  la  m§me  ^cuelle.  —  Chev.  au  cygne  4469. 
Chastoiem.  des  dames  501.  *)  Georg  2487  wird  er  ausdriicklich  als  „der  Fran- 
*^yfer  fite"  bezeichnet  und  sein  Vorkommen  der  franz.  Geburt  der  Wirtin  zuge- 
scbrieben.  —  Vgl.  auch  Roth.  1805.  Ath.  C*  20.  138.  Parz.  762,  6»  Wilh.  251, 
^- Mai  u.  Beafl.  8,  28.  89,  37.  Crane  IV.  120.  Heinr.  Trist.  893«  Lohengr.  s.  14. 
)  Egilss.  c.  7.  48.  thnr  var  hlutadhr  tvimenningr  sem  sUlhvenja  var  til.  ')  Gunn- 
laugg  Ormst.  s.  •;.  11.  vgl.  not.  93  der  Kopenhagen*  r  Ausg.  —  Parz.  636,  19. 
')  Ath.  C*  138.  Lohengr.    S.   14. 

2S* 


888 

Hande  wurden  gewaschen;  die  Frauen  wuschen  sioh  snersf,  die 
Manner  folgten  nach  ihrem  Range  ^).  Diefz  Waachen  der  Hande 
ist  eine  gute  altgermanische  Sitte ,  die  sich  bei  dem  Mangel  der 
Sorvietten  gewifsermafzen  von  selbst  verstund  *).  Bei  Tiscke 
machten  in  den  ritterlichen  Kreisen,  die  hier  vorzngsweise  ira 
Auge  sind,  die  Knappen  die  Bedienung;  zuweilen  wurden  die 
Speisen  von  berittenen  Truchsefzen  an  die  Tische  gebracht,  je- 
doch  scheint  diefz  in  Deutschland  nur  selten  geeehehen  zu  sein  •). 

DieZeit  bei  Tische  wurde  durch  GeBprach  verkiirzt,  Spiel- 
leute  wurden  vorgelafzen  und  ergetzten  durch  Saitenspiel  6e- 
sang  und  Pantomimen  *).  Aelterer  Brauch  aber  war  dafz  die 
Tischgenofzen  der  Reihe  nach  Lieder  anstimmten*  Bereits  Tacitas 
berichtet  diefz  von  den  Germanen  (Annal.  1,  68)  und  von  An— 
geleachsen  und  Nordlandem  wird  es  noch  aus  epateren  Jahrhun— 
derten  bezeugt  (Egilss.  c.  31.  Beda  hist.  eccl.  4,  24).  Li  Frank— 
reich  niuste  noch  in  hofischer  Zeit  jeder  bei  Tische  ein  Liedchen 
singen  oder  eine  Geschichte  erzalen  (Vie  privde  3,  364).  So 
gieng  das  Efzen  voriiber.  Nach  dem  letzten  Gerichte  wurde  wie— 
der  Wafzer  zum  Hande waschen  gereioht ,  das  Tischtuch  abg©— 
nommen  ^)  und  dann  entweder  aufgestanden  oder  es  gieng  nuxt 
zum  eigentlichen  Trinken  (Priscus  p.  45.  Greg.  Tur.  10,  27).  Inge— 
mischten  Gesellschaften  war  indefsen  das  letztere  weniger  Brancb* 

Ein  jeder  Gast  suchte  nach  aufgehobener  Tafel  den  ihio 
gefalligen  Zeitvertreib  Die  einen  setzten  sich  an  da8  Schnchbret^ 
zum  Brettspie]  oder  zu  einem  Gliickspiele  mit  Wiirfeln  oder  Hoi-' 
miinzen ,   andere   giengen    lustwandeln ,   noch  andere  unterhielteo 

•)  H.  Trist  602.  Welsch.  Gast  (Wackern.  505,  33.)  *)  Saem.  ll/Kit>- 
560.  Ath.  C*  143.  Karlmainet  68.  Ernst  2717.  Wolfdiet.  436.  vgl.  S.  PalayeK** 
terwesen  (von  Kluber)  1  ,  13.  Le  Grand  et  Boquef.  r.  priv.  3,  818,  887.  ▼<>** 
Wijn  Avondstonden  2 ,  96.  Joncbloet  Beatrijs  56.  Dietrich  bei  Hanpt  3,  88S>- 
•)  Crane  4 ,   132.    vgl.  vie  privee  3,  345.  *)  Priscus  p.  45.  Sidob.  ApdL  cp- 

1,  2.  Thegan.  vit.  Ludov.  c.  19.  Nib.  1900.  Wolfdiet.  440.  Wigam.  459S.  LoheaiT^- 
81.  Rom.  de  Flamenta  (Rayn.  1.  r.   1,   15.)  *)  Roth.  1251.  Welsch.  Gast  (Wa- 

ckern. 505,  30.)  Roseng.  C.  93.  Dietr.  gesellsch.  75.  Lohengr.  25.  BeatrO*  •>- 
Rom.  de  Blondel  (Th.  Wright  anecdot.  lit.  s.  74).  Hnyde  -  coper  zn  Meln  Stolt* 
4,  1376.  Es  failt  auf  dafz  in  dem  niedcil.  Walewein  (f.  1.')  das  HftndewMcheB  hI» 
Sitte  vornemcr  Leute  darges.ellt  wird. 


889 

sich  mit    den   Frauen    oder   machten   einen  Tanz  *).     Unterdefeen 
wurden   die  Rofse   bereit   gehalten ,    die    WaflPen    und   Riistungen 
zur  Hand   gebracht   und   dann    brach  die  ganze  Gesellschaft  auf, 
um  theils  den  Buhurt    zu  reiten    theils  ihm;  zuzuschauen.     Diese 
ritterlichen  Uebungen  ,    die   nicht    selten  einen  blutigen  traurigen 
Verlauf  batten ,  wefshalb  sie  die  Kirche  mermale  verbot  *) ,  war- 
ten  entweder    bis  zur  Vesperzeit ,    wo  die  Frauen  gewonlich  zur 
Kirche  giengen,  oder  bis  zur  anbrechenden  Dammerung.  Manner 
nnd   Frauen    vereinigten   sich  hierauf  zu   abermaligem   frolichem 
Beisammensein.     Die  Abendmalzeit   gieng   unter   denselben    Ver- 
haltnifsen  vor  sich  wie  die  Hauptmalzeit;    auf   sie   folgte   zuwei- 
len   noch  allerlei   Unterhaltung :    entweder   Tanz   oder    Brettspiel 
oder  Unterredung  ^) ;  gewonlich  aber  gieng  man  bald  zu  Bette*), 
Die    vomemen  Gaste   wurden  von  dem  Hofstate  zu  ihrer  Schlaf- 
kanamer  geleitet    (Nib.  581»  Lohengr.  79). 

Wir  haben  besonders  festliche  Tage  des  geselligen  Lebens 
i>ei  dieser  Schilderung  vor  Augen  gehabt.  Wir  sahen  hierbei  die 
l^'rauen  in  steter  Begleiturig  der  Manner  und  bemerkten  keine 
^l>ge8chlofzenheit  des  Verkeres.  Nur  in  einigen  Quellen ,  auf 
lei'eii  volksthiimlichen  deutschen  Gehalt  wir  deuteten ,  ergab  sich 
•61  Tische  eine  Sonderung.  Es  scheint  dafz  bei  den  deutschen 
•ta-Ttimen  diese  gemeinsame  Geselligkeit  erst  in  der  hofischen  Zeit 
"g^nonimen  wurde  und  dafz  vorher  die  Frauen,  die  Wirtin 
tw^?4  ausgenommen,  an  denZusammenkiinften  der  Manner  keinen 
"^il  namen.  Siegfried  ist  ein  Jahr  bereits  an  dem  Hofe  der 
^>"gundenkonige  in  Worms  und  hat  die  ersehnte  Krimhild  noch 
^^-b^t  gesehen.  Die  Jungfrau  konnte  ihn  nur  heimlich  von  den 
6*^  stern  ihrer  Kemenate  aus  erblicken.  An  dem  grofzen  Sieges- 
8t^    erscheint  es    als  eine  besondere  Gunst  Konig  Giinthers  ge- 


')  Fornald.  s.  3  ,  464.  Rom.  de  Blondel  (Th.  Wright  s.  74.)  -  Ferguut 
^*  ^S.  God.  de  Bouillon  4583.  Rom.  de  Flamenca  (Rayn.  1.  r.  7.  14.)  ')  Concil. 
*^'^t-.   a.    1139.    c.    14.  cone.  Rhen.    c.   18  (1148)   syn.    Halensis    1175.    (Hartzh. 

•  "^^Os.)         ")  Crane  4,  236.   fabliaux   et  contes  p.  Meon.  3,  426.  Troj.  orl.  879. 
>  l^tieit  10819.  Kaiserkr.  4537.    Karlm.   128.    Herbort  944.    Wigam.  4562.    Rom* 

*  ^"lamenca  (Rayn.   1,  14.^ 


390 

gen  seine  Gaste,  dafz  er  die  Frauen  zur  Gesellschaft  kommen 
lafzt^  Diese  Abgeschlofzenheit  der  Weiber  war  auch  bei  deoa 
anglischen  Stamme  allem  Anscheine  nach  Sitte  0  9  ^^  Skandioa- 
vien  dagegen  theilten  die  Frauen  echon  seit  fruher  Jugend  *)  die 
geselligen  Freuden.  Der  neue  Geist,  der  in  der  hofifichen  Zeit  rich 
regte ,  brach  auch  in  Deutschland  die  beschrslnkenden  Wande  deir 
Frauengemacher  und  fiirte  sie  mindestens  an  den  Festtagen  in. 
das  Gewoge  der  Manner.  Fruher  war  es  den  abgeechlofzenen  eiix 
kleiner  Ersatz,  diesen  oder  jenen  der  Gaste  in  ihr  G«mach  rm:* 
laden  und  nach  der  Welt  und  ihrer  Lust  zu  fragen.  Jeizt  be — 
wegten  sich  auch  die  vomemen  Frauen  freier,  obschon  dieBancL^s 
der  Anstandsgesetze  sie  stets  umschniirten  und  sie  nie  die  vol 
Lust  schlurfen  durften  ,  welche  den  minder  vomenaen  seit  alte: 
Zeiten  neben  dem  bitteren  Tranke  der  Not  als  ein  Ersatz  spnidelt^^- 
Die  liebste  Unterhaltung  der  Frauen  auf  den  Burgen  ua.^ 
Schlofzem  war  an  den  Fenstem  oder  Sollem  zu  8teii^i_Jiim  ^ 
in  die  Weite  zu  schauen,  ob  auf  den  Strafzen  jemand  nake 
ihnen  bunte  Kunde  in  das  alltagliche  Grau  der  hauslichen 
schafte  bringe.  Ein  Gast  brachte  stets  besondere  Bewegung  i^i 
das  Haus  wo  er  einkerte,  und  Gaste  nahten  dem  Schlofze  yr^^ 
der  Hiitte.  Die  germanische  Gastfreundlichkeit  war  altberiihrn. '^  9 
schon  Casar  und  Tacitus  hatten  sie  der  Welt  verkQndet  •).  C^' 
sar  erzalt  wie  heilig  sie  das  Gastrecht  hielten ,  wie  den  Fremd^i* 
alle  Hauser  offen  stiinden  und  ihnen  geboten  wiirde  wa«  ^^^ 
Speise  und  Trank  vorhanden  sei.  Tacitus  spricht  aus,  dafz  ricsb 
kein  anderes  Volk  mit  den  Germanen  in  dieser  Tugend  mefz^** 
konne ;  kein  Fremder  wer  er  auch  sei  werde  von  einem  Dad*® 
abgewiesen,  es  werde  dem  Gaste  vorgesetzt  was  das  Haus  bicfc^* 
und  sei  alles  aufgezert  dann  gehe  der  Wirt  mit  dem  Gaste 
dem  nachsten  Hofe ,  wo  beide  gleich  freundlich  aufgenomm' 
wiirden.  Beim  Abschiede  wiirden  erbetene  G^scbenke  gem  ^^^ 
wart.  Was  die  Romer  hier  riihmen,  wird  uns  viele  Jahrhunder**^ 


')   Vgl.  die  Stellen  im  Beovulf  1215.  1840.  2430.  3958.  4088.        ")  GnO**' 
laugs  OrniHt.  s.  c.  3.  Egils  s.  c.  74.         ')  Caesar,  b.  gall.  6,  Sd.  TrndU^trau  ^'' 


891 

spater  von  Kronisten  und  in  Gedichten  und  Erzalungen  von  den 
Islandem  und  Angelsachsen  und  den  deutschen  Stammen  berich- 
tet.  In  Sitte  und  Spruch  ')  hatte  sich  eine  feste-  Kegel  uber  die 
Aufhame  des  Gastes  gebildet,  die  ebenso  zart  und  rucksichtsvoU 
als  edelsinnig  und  vol!  Vertrauens  war.  Die  Gesetze  erhoben 
BO&car  die  Sitte  zur  Forderung  und  verlanfften  von  einem  jeden, 
mochte  er  arin  oder  reich  sein,  dafz  er  keinen  wer  er  auch  eei 
von  Haus  und  Herd  weise,  denn  die  Gastfreundschaft  ser  etwas 
billiges  und  heiliges  *).  Von  dem  Gaste  forderte  man  dagegen 
dafz  er  die  Gastlichkeit  nicht  mifsbrauche  und  nicht  zu  lange 
anter  einem  und  demselben  Dache  verweile.  Drei  Nachte  (oder 
Tage)  waren  in  Skandinavien  die  angenommene  langste  Frist  und 
in  England  gait  der  gleiche  Grundsatz,  denn  mit  der  dritten 
Nacht  h6rte  derFremde  aufGast  zu  sein  und  trat  in  ein  naheres 
Verh'altnifs  zu  seinem  Wirte  *).  Eine  Erweiterung  der  Frist  ergab 
sich  auf  Island  bei  dem  Winteraufenthalte  Fremder  von  selbst ; 
die  nordische  Gastlichkeit  bewarte  sich  zugleich  dabei  auf  das 
Bchonste.  Ganz  unbekannte  wurden  samt  ihrem  Schiflfsgefolge 
von  den  Israndcm  in  das  Haus  aufgenommen  und  den  langen 
Winter  hindurch  wie  Glieder  des  Hauses  gehalten*  Selbst  unan- 
geneme  Entdeckungen  an  den  Gtwten  anderten  im  wesentlichen 
nichts ;  der  Wirt  zog  sich  wol  von  dem  Verkere  mit  ihnen  zu- 
ruck,  liefz  ihnen  indefsen  nach  wie  vorObdach  und  was  sie  be- 
durften  zukommen.  Eine  schone  formelhafte  nordische  Rede  war, 
dafz  sich  bei  der  Ankunft  eines  lieben  und  ersehnten  Gastes  die 
Hunde  freuen  und  das  Haus  von  selbst  offne  (Saem.  lll*')^  In 
vielen  islandischen  Hausern,  die  an  der  Landstrafze  lagen,  stund 
stets  ein  Tisch  fiir  Gaste  bereit  und  die  Hausfrau  safz  draufzen 
vor  der  Thiir  um  jeden  Wanderer  einzuladen  unter  ihr  Dach  zu 
treten  und  sich  drin  wol  sein  zu  lafzen*).  Es  war  iiberhaupt  For- 


0  Vgl'  unter  andem  die  hierher  gehorigen  Theile  von  H&vam&l  undLodh- 
fafnismai.         *)  L.  Burgund.  38,  1.  capit.  Karoli  802.   803.    vgl.   Grimm  ■  Bechts-' 
alterth.  400.       3)  1.  Eduard.  conf.  c.  27.  —  Ein  alter  englischer  Spruch  war;   die  erste 
Nacht  fremd  {uncudh),  die  zweite  Nacht  Gast,  die  dritte  Hausgenofze  (ageninne). 
*)  Landnamab.  II,  6»  13.  III.  8. 


892 

derung  auch  noch  irn  hofischen  Leben  dafz  der  Wirt  des  Hau- 
ses ,  wenn  er  einen  Gast  kommen  sah  ,  ihm  entgegengiengy  ilut 
bewillkommte  und  einzutreten  bat  (Erec  3616— 3L  8172).  Me 
Wirtin  gleng  gewonlich  mit  und  fiigte  dem  Grufze  den  KufB 
hinzu ').  In  den  vornemen  und  modernen  EjreiBen  wurde  der 
Willkommenskufs  indefeen  nur  dem  ebenbiirtigen  zu  Theil*)- 
Gieng  die  Wirtin  nicht  mit  vor  das  Haus,  so  muste  sie  doch. 
wenigdtens  wenn  der  Gast  in  das  Zimmer  trat,  aufstehen  oncL 
ihn  willkommen  heifzen.  Freilich  felte  es  auch  damals  nicht  an. 
eigensinnigen  und  ungezogenen  vornemen  Weibem,  welche  ihr^ 
Pflicht  vergafzen  und  den  Gast  mieden.  Sie  vrfxfden  indefsen  da- 
fiir  in  der  ofFentlichen  Meinung  gestraft  ^)^ 

Freundlich  und  aufmerksam  war  die  Aufname  in  der  einfii^ 
chen  Hiitte  Skandinaviens*  Dem  Gaste^  der  iiber  die  kalten  Ge- 
birge  und  durch  feuchte  Nebelluft  kam,  that  Warme  und  tro- 
ckene  Kleidung  not.  Darum  war  es  das  erste  ihn  an  den  Herd. 
zu  fiiren,  ihm  seine  Kleider  auszuziehen  und  warme  trocken^ 
Gewander  zu  reichen.  Dann  brachte  man  ihm  Speise  undTrank*)* 
Die  Aufname  auf  den  Eitterburgen  stimmt  damit  iiberein.  Dem. 
ritterlichen  Fremden  wurde  von  der  Frau  oder  der  Tochter  de» 
Hauses  seine  Riistung  abgenommen ,  ihm  frische  reinliche  Klei- 
dung gereicht  *) ,  und  nachdem  er  einen  Ti;unk  genofzen  •)  ein. 
Bad  geboten,  das  fiir  dieEitter  namentlich  eine  grofze  Ergetzung^ 
war ,  die  vielleicht  lange  in  der  schweren  schmutzigen  Riistunjr 
gesteckt  hatten ''').  Nach  dem  Bade  legte  sich  der  Gast  entweder 
fiir  kurze  Zeit  zu  Bette  oder  mit  den  Kleidern  des  Wirtes  ange- 


0  Fylgja  skal  kvedhju  koss.  Saem.  112.'  —  cas.  S.  Galli  a.  914  (Perti  S  ,  86). 
vgl.  Priscus  p.  39.  *)  Parz.  22,  15.  48,  5.  Nib.  1288.  vgl.  auch  Lanzel.  608.  ff. 
Wigal.  9609.  Tarz.  310,  2.5.  Nib.  544.  737.  Gudr.  1576.  *)  Welsdi.  Q»«t  (Waekern. 
I,  501,  16.  ff.  vgl.  Nib.  342.  1166.  Gudr.  334.  Lanzel.  608.687.  *)  H&Taiii.8. 
Egilss.  0.  7.  43.  Fornmannas.  2,  98.  vgl.  auch  Codex  exoniensis  (ed.  Thorpe) 
339;  25.  s)  Pa'z.  549.  Iw.  312—389.  S.  Palaye  (Kluber/l,  12.  •)  Saem.  8S. 
94.'  Nib.  392.  697.  1127.  Gudr.  336.  767.  Lanz.  6345.  3492.  Parz.  406,  21.  Mel 
u.  Beafl.  73,  11.  Frauend.  539.  26.  ')  Pertz  2,  86.  Parz.  167,2.  Wigal.  5974. 
Wigam.   1226. 


sds 


than  begab  er  sich  zu  der  Hausgenofzenschaft  wo  unterdefsen 
eiiie  Malzeit  bereitet  war.  Hier  nam  er  den  Sitz  den^  Wirte  ge- 
geniiber  (da;^  gegenfidcle)  als  den  *Ehrenplatz  ein  >)♦  Neben  ihn 
getzte  sich  die  Wirtin  oder  die  Tochter  des  Hauses  um  ihm  den 
Becher  zu  kredenzen  und  die  Speisen  vorzuschneiden  *) ,  denn  es 
soke  ihm  alles  recht  bequem  sein. 

Diese  Aufmerksamkeit  erstreckte  sich  bis  auf  die  Nacht- 
ruhe  des  Gastes.  Die  Hausfrau  oder  ihre  stellvertretende  Toch- 
ter begleitete  ihn  zu  der  Kammer  um  nachzusehen  dafz  dem 
Lager  nichts  fele,  und  kam  nach  einer  Weile  wieder  um  zu  er- 
faren  ob  er  gut  gebettet  sei,  Dabei  wurde  ihm  gewonlich  ein 
Nachttrunk  gebracht  ^).  Diese  Sitte  welche  noch  heute  aul  Island 
leben  soil  ist  nur  der  Schatten  einer  andem,  von  der  sich 
im  Mittelalter  Spuren  nachweisen  lafzen;  der  Wirt  legte  dem 
Gaste  seine  Frau  auf  guten  Glauben  bei  *).  Der  Mifsbraueh  des 
Vertrauens  mochte  die  Sitte  iibrigens  zeitig  verbannen;  Stimmen 
aus  dem  13.  Jahrhundert  klagen  uberhaupt  iiber  den  Undank, 
welchen  die  Gaste  in  ihrem  Benemen  gegen  die  Hausfrauen 
aufzem  *^).  Der  Branch  wurzelt  iibrigens  mit  seinen  aufzersten 
Enden  in  jener  friihen  Zeit,  wo  das  Weib  auch  den  Germanen 
als  eine  Sache  gait ,  durch  die  man  gleich  wie  durch  Trank  oder 
warme  Kleider  dem  Fremden  etwas  angenemes  erweise.  Noch 
heute  betrachten  bekanntlich  manche  hochasiatischen  Stamme  nicht 
minder  die  Kamtschadalen  ihre  Frauen  und  Tochter  mit  diesen 
Augen  und  bieten  sie  ihren  Gasten  an. 

Die  freundliche  Sorgfalt  welche  den  Gast  zu  Bett  geleitet 
tatte  suchte  ihn  am  Morgen  wieder  auf.     Vor  seinemBette  fand 


0  Alexand»  3099.  Rud.  A',  4.  Nib.  571.  Staufenberg  1053.  Mystik.  I.  10, 
»5.  Foromaunas.  3,  153.  4,  78.  Yngl.  s.  c.  41.  *)  Parz.  33,  11.  176,  18.279, 
n.  551,  3.  H.  Trist.  5278.  Mei  u.  Beafl.  229,  15.  vgl.  Hugdiet.  75.  »)  £neit 
1256.  1298.  Eaiserkron.  4536.  Parz.  243,  20.  552,  23.  Wigam.  4569.  Fommannaa. 
^y  25.  Kabl.  et  contes   (par  Meon  3,  426).  *)  Es  ist  in  dem  Niderlandt  auch 

<l«r  bruch  so  der  wyrt  ein  lieben  gast  hat,    da^   er  jm  syn  frow  zulegt  vflf  gnten 
gloubea.   Mnmer    Geuchmatt.  Geschworne  Art.  9.  —    S.  auch   Saem.    edda  101, 
102/  104.'         5)  Hagen  Germania  8,  296.  ff. 


S94 

er  frische  Wasche  ") ,  die  Wirtin  erkundigte  eich  wie  er  geschla- 
fen  habe  (Parz.  5^3  ^  26)  und  wolte  er  bald  weiter  reisen,  so 
iibernam  sie  cs  samt  dem  Wirte  ihm  die  Bustung  anzulegen^ 
Nur  das  Schwert  nam  mancher  nicht  gem  aus  Frauenhaod 
(Wigal.  6194);  er  mochte  meinen  dafz  seine  Mftnnlichkdt  dft- 
durch  gelamt  und  durch  geheime  Ktlnste  das  Schwert  gestumptt 
werden  konne;  altnordischer  Glaube  sprach  wenigstens  vonWei- 
bem  die  an  den  Strafzen  sitzen  und  die  Schwerter  zum  Eampfe 
unfahig  machen  (Saem.  197*). 

Ehe  der  Gast  aufbrach,  ward  ihm  noch  Imbifz  und  Trunk 
gereicht ')  und  alte  Sitte  wolte  dafz  der  Wirt  seinem  Gaste  einGast' 
geschenk  gab ,  das  dieser  wol  auch  forderte  ^).  Auch  ein  Austauee 
von  Geschenken  zwischen  Gast  und  Wirt  (Priscus  p.  38)  und  de 
Abschlufz  eines  daucmden  Freundschaftsbundes  lafzt  sich  nachwei 
sen  und  erinnert  an  die  althellenische  Sitte  (Egilss.  c  78).  Be 
dem  Aufbruche  ward  der  Gast  ein  Stiick  Weges  begleitet  •). 

Neben  dieser  herzlichen  und  zwanglosen  Behandlung  des  6a 
stes  zeigt  sich  auch  eine  gemefzenere  welche  an  heutige  Zustandi 
erinnert.  Der  Gast  muste  zuvor  angemeldet  werden  ehe  der  Wij 
an  ihm  irgend  einen  Antheil  nam  ^) ;  er  muste  seinen  Mantel  ftb 
legen  ehe  er  sich  nahte  (Erec  3722)  und  durfte  nicht  bewafihet  ein 
treten,  sondern  muste  an  der  Thtir  sein  Schwert  abgeben  (Nit 
1583,  2.  1683).  Steifere  Formen  zeigen  sich  indefsen  im  Mittelal 
ter  nur  in  sehr  vomemer  Gesellschaft;  man  wuste  Feinheit  nn^ 
ungezwuiigene  Freundlichkeit  dem  Gaste  gegeniiber  and  wir 
er  der  fremdeste  gewesen,  befzer  zu  vereinigen  wie  heate,  wo  dm 
Wirtinnen  ihre  Pflichten  oft  gar  nicht  kennen. 

Manche  Frauen  mochten  dem  Gaste  um  so  lieber  die  von  de 


*)  Helmbr.  1044.  Cod.  exon.  339,  17-25.  *)  Pars.  560,  ll.WiplW^ 
6130.  6175.  £s  war  iiberhaupt  Branch  dafz  die  Manner  von  ihren  Franeii  gc 
wappnet  wurdcn.  Crane  4,  469.  Ortnit  270.  271.  Wolfdiet.  461.  Eteels  hofh.  1*^ 
•)  Nib.  1626.  1265.  Gudr.  778.  Erec  5273.  Egilss.  c.  67.  77.  FommannM.  5,1*^ 
*)  Tacit,  germ.  21.  —  Nib.  1633.  ff.  Gudr.  433.  Saem.  27.  Fommaiinaf.  7,  1*^ 
Fornaldar  s.  3,  39.  »)  Gudr.  1689.  Mei  96,  7.  Egilw.  c  67.  •)  Bwr.  •»* 
Nib,  513.  516.  Lohengr.  87,  155. 


895 

Sitte  geforderte  Freundlichkeit  erweisen  als  sie  selbst  schon  das 
wolthuende  sorgsamer  Gastfrieundschaft  erfaren  batten;  denn  es 
warlange  Zeit  im  Mittelalter  moglich  dafz  Frauen  allein  sicher  und 
ohne  iibele  Nachrede  durch  das  Land  reisten  ^).  Ihre  Weiblichkelt 
ward  geachtet  und  niemand  wagte  irgend  eine  Unbilde  ihnen  zuzu- 
fiigen  (Wigal.  2358.  Wigam.  1565).  Im  13.  Jahrhundert  batte  sich 
das  aber  geandert.  Die  offentliche  Meinung  erklarte  sicb  dagegen 
und  redete  soleben  Frauen  allerlei  iibeles  nacb  (Wigal.  2367); 
die  Manner  verboten  daher  den  Frauen  allein  oder  nur  selbander 
zu  reisen  (Lanzel.  2326).  Dazu  kam  dafz  die  Unsicherheit  im 
Lande  durch  die  politischen  Zerwiirfnifse  und  die  daraus  folgende 
Storung  der  offentlichen  Rube  zunam ,  so  dafz  schon  Keinmar  von 
Zweter  klagt  wie  sich  die  Frauen  nicht  mebr  fiber  Feld  wagen 
diirften  ohne  von  R'aubem  (durch  fchaz  und  niht  durch  rehter 
^nue  gelt)   angefallen  zu  werden  ^), 

Die  germanischen  Frauen  reisten  gewonlich  zu  Pferde ;  Freya 
uf  dem  Eber  und  die  Walkurien  auf  ibren  Rofsen  zeigen  uns  die 

r  

ergottlichung  der  Reiterinnen.  Von  mancher  Nordlanderin  wird 
^richtet  wie  tiichtig  sie  ibr  Rofs  tummelte ,  und  noch  heute  reiten 
e  Islanderinnen  fast  bei  alien  ibren  Ausfliigen.  In  Deutschland 
a.!*  es  nicht  anders.  —  Die  Weiber  safzen  gewonlich  seitwarts  zu 
^  Ts ,  die  hofiscbe  Regel  verlangte  dafz  sie  dabei  das  Haupt  ge- 
^Ti  den  Kopf  des  Thieres  kerten  ').  AufFallend  ist  daher  dafz  auf 
ttem  Siegel  der  Gemablin  Wilbelms  I.  von  Holland  von  1223  diese 
iirstin  schrittlings  wie  ein  Mann  zu  Pferde  sitzt  *).  Die  Sattel 
^^'en  zu  dem  Querreiten  besonders  eingerichtet.  —  Zur  Sicherhei'' 
^^*den  oft  die  Pferde  der  vornemen  Frauen  von  dazu  bestimmten 
^^ppen  gefiirt  *) ,  welche  zugleich,  wenn  nicht  zuvorkommende 
itter  sich  nacb  diesem  Dienste  drangten,  das  Amt  batten  die  Frauen 


*)  Zur  Zeit  Konig  Edwins  von  Northumberland  war  solcher  Friede  in.Eng- 
^  ^afz  es  sprichwortlich  hiefz  eine  Fran  habe  mit  ihrem  kleinen  Kinde  unver- 
Von  Meer  zu  Meer  durch  die  Insel  gehen  konnen.  Bed.  h.  eccl.  2,  16, 
■^SH.  2,  217.'  vgl.  auch  Wilhelm  v.  Oesterreich  (Haupt  Z.  f.  d.  A.  1,  218.) 
^elsch.  Gast.  (Wackern.  I,  503,  10.)  *)  Joncbloet  Beatrijs  s.  53.  *)  Eneit 
^^'  Nib.  583,  3.  Fornmannas.  10,  87. 


396 

von  den  Rofsen  zu  heben.  Dabei  dienten  Bogenannte  Hebeeisen  % 
wie  es  scheint  kleine  eiserne  Tritte    welche  in  die  Hohe  gehalten 
wurden  und  auf  welche  die  Frauen  traten  (Frauendienst  37,  5). 
Aufzerdem   werden   auch    Schemmel   zu   diesem  Zwecke  erwahnt 
(Nib.  531.)  —  Die  Fiifze  ruhten  beim  Reiten  entweder  auf  schein- 
melartigen  Brettchen  die   an   den   Rofsen    herabhiengen  ^  oder  in. 
Stegreifen,    welche  von  Metall  Leder  oder  kostbaren  Borten 
ren.   Die  metallenen  waren  zuweilen  sehr  kunstvoll;  im  Erek 
uns  ein  Par  beschrieben  das  aus  zwei  Goldreifen  in  Drachenge««^ 
stalt  besteht  die  sich   in  den  Schwanz  beifzen  (Erec  7668).    6c^«- 

wonlich  waren  sie  wie  die  Vorderblatter  der  Schuhe  gestaltet. 

Das  Reitzeug  war    bei   den    vornemen   und   reichen  prachtig  n^it 
Gold   Edelsteinen  und    Stickereien   verziert.      Den  besten  Bao^-sn 
dazu  bot  das  Satteltuch,  das  bis  auf  die  Hufe  der  Pferde  reichte    ^ 
Hartmann  v.  Aue  beschreibt   uns  im  Erek  weitlaufig  eine  rei<^^Sie 
Stickerei,    welche   alle  vier  Elemente   mit    Gottern  Thieren  u.'sid 
Menschen  auf  diesem  seidenen  Tuche  versammelte  (Er.  7590 — 76&T)* 
Allein  auch  der  Sattel,  der  Zaum,  das  furbiiege  (der  Brustriem^^), 
der  Darmgurtel   und    die  Steigleder  waren    theils   gestickt    tli^ls 
mit  kostbaren  Rinken  und  Steinen  besetzt.  Ebenso  war  das  Ji^tZf 
das  iiber  den  Rucken  des  Pferdes  lag  (die  vafen),  oft  verschwcn- 
derisch  geschmiickt  *).     Wie  gern  die  Frauen  mit  ihrem  BeitEeo^ 
prunkten ,    ergeht  aus  einer  Bestimmung  des  Trierischen  Koncob 
von   1227,    wo   den  Nonnen  verboten  wird  vergoldete  jSattd  uod 
Zaume  zu  haben  '). 

Das  gewOnliche  Reisekleid   der   Frauen    war   die   Kappe^)* 


')  ftapha,  ftapedesy  faltatorict,  amn^QLai^  fautoirs,  -^  Sie  waren 
von  £i8en.  Vgl.  Du  Cange  s.  v.  staffa.  *)  Engelhardt  zu  Herradt  Ton 
berg  bonus  deliciarum  S.  95.  vgl.  denselb.  zum  Bitter  Yon  StaafBiiberg  8.  S^* 
■)  Erec  7585.  Gudr.  15.  Wolfr.  Wilb.  360,  14.  Ueber  das  fatelkleii  (^fat^kmc^ 
kovertiure)  vgl.  v.  Sava  iu  „Quelleii  and  Forscbungen  znr  yaterlandischen  Q^' 
schichte  Literatur  und  Kunst.*'    Wien  1849.  SS.  339.  f.  *)  Die  Beachreibu^^ 

cines   pbantastisch-prachtigen    Krauenreitzeuges   in   Hartmanns    Erek  75*6—776^' 
vgl.    anf/erdem    Graf  Rudolf   A/  Nib.    530.    741.    Gudr.    1701.     Wiganu    15»^' 

•)  c.  16.  Hartzheiin  3,  535.        <>)  Frauend.  48,   14.  Lanzel.  5933.  Endt.  17S0. 

Auch  die  Manner  trugen  Kappen  auf  Reisen.  WigaL  8869.  Triit.  53SI6. 


3OT 

ein  kurzes  mantelartiges  Gewand,  das  zugleich  den  Kopf  verhiillte 
und  gegen  Regen  Sonne  und  Staub  den  besten  Schutz  gab.  Auch 
hieran  wurde  allerlei  Verschwendung  getrieben ;  auf  dem  erwahn- 
ten  Trierer  Koncil  wurde  den  Nonnen  geboten  keine  allzu  langen 
und  gefaltelten  Ueberwurfe  zu  tragen. 

Die  Frauen  reisten   nicht  blofz    zu  Eofse  sondem   auch   zu 

Wagen.    Auf  den   Wanderziigen   begleiteten   sie  in  dieser  Weise 

ihre  Stamme;  [fiir  die  Konigin  der  Vandalen  war  der  Wagen  das 

herkommliche  Reisemittel  ^).    Gerade  die  grofze  Erdgottin  fur  zu 

Wagen  durch  das  Land  und  im  iibrigen  wifzen  wir  dafz  die  GOt- 

terbilder  durch  das   Volk  gefaren   wurden.     Im  Norden  war  auch 

der  Wagen  fiir  die  Reisen  der  Frauen  so  beliebt  wie  dasReitpferd  *). 

Grofze  Bequemlichkeiten  boten  diese  alten  Wagen  nicht ;  es  wa- 

ren  viereckige  Kasten  auf  niedrigen  Radern,  die  mit  Schnitzwerk 

nnd  Farben  und  Gold  wol  verziert  waren   aber  keinen  angenemen 

Sifz  boten.     Zum    Schutze   gegen    das  Wetter  wurde  eine  Decke 

dariiber  aufgerichtet.   Ueber  die  altesten  Reisewagen  sprachen  wir 

bereits  als  wir  in  dem  Hause  dieNachbildung  derselben  nachzu- 

weisen  such  ten. 


Wir  haben  in  dem  Vorhergehenden ,  indem  wir  die  geselli- 

gen  Freuden   mit   namenflicher  Beriioksichtigung  der  Theilname 

der  Frauen  zu   schildern  versuchten,    ganz  besonders    die  Bliite- 

zeit  des  hofischen  und  ritterlichen  Lebens  im  Auge  gehabt.  Was 

vor  dem  zur  Lust    des    Tages   diente,    suchten  wir  ebenfalls  zu 

b^richten;  es  war  zum  Theil  dafzelbe,    zum  Theil  war  es   einfa- 

cher   und    volksthiimlicher.      Aufzerdem    war    in    den    vorange- 

benden   Jahrhunderten    keine   solche   Scheidung   zwischen    gebil- 

deten    und    ungebildeten    wie    sich    allmalich    einstellte,     wenn 

^uch    die   Trennung    in    verschiedene    Stande    schon    seit    langer 

Zeit  vorbereitet    und    auch    durchgefiirt    war.     Die    Sitten  waren 


')Procop.  bell.  vand.  II,  9.  vgl.  B.  goth.   1,  1.  ')  Engelstoft  Quindek- 

jonnetskaar  S.  60. 


398 

gemeinsamer  y  und  die  Geistlichkeit  und  wenige  weltliche  aas- 
genommen  stund  das  ganze  Volk  fast  auf  derselben  Stufe  gel 
stiger  Hohe. 

Sitte  und  Sittlichkeit  sind  sich  nahe  verwandt,  wird  sich  ii 

jener  spiegeln.    Ueber  die  sittlichen  Zustande  der  Germanen  unc 

besonders  der  deutschen  Stamrae  konnten  wir  bereits  an  verschifr 

denen  Stellen   dieses   Buches   die   lebendigsten   Zeugnifse    nieder- 

legen:    das  Weib  und  das  Yerhalten  des  Mannes  zu  ihm  ist  dei 

Tugendmefzer  eines  Volkes.    Wir  sahen  wie  die  Germanen  zwai 

rauh    und   hart    waren,    aber    die   Weiblichkeit    die   Zucht   unc 

Scham  ehrten;    Ziige  aus  der  Zeit  roher  Naturkraft  wo  daa  Weil 

als  Sache  gait,  waren  jedoch  nicht  ganz  verschwunden.  Aub  den 

Lastersumpfe  worin  die  romanische  Welt  yersunken  war,    ragen 

die    Germanen   als   feste   trostende  Eilande    hervor.    Die  Stiirme 

welche   die   germanische  Welt  im  innern  aufwiilte,    die  Vemich- 

tungskampfe  eines  Stammes  gegen  den  andem,   der  Umsturz  der 

alten  Statsverfafzung  und  des  ureigenen  Glaubens,  die  Umwalzungen 

in  den  gesellschaftlichen  Verhaltnifsen ,    konnten   nicht   ohne  die 

groste  Einwirkung   auf  Sitte   und  Sittlichkeit  bleiben.    ]l4ehr  all 

ein  germanisches  Yolk  gieng  in  dem  Romanenthum  unter,  und  in 

den  Kampfen  von  Germanen  gegen  Germanen,   von  Kristenthum 

gegen  Heidenthum,  von  selbstsuchtigem  Furstengeliist   gegen  die 

Volksfreiheit,  wurden  die  finsteren  Machte  des  menschlichen  We- 

sens   entfefzelt.     Die  Zeiten  des   Ueberganges  raumten   allm&lieh 

ruhigeren    den  Platz,    der  neue   Geist   gewann  an  innerer  Herr- 

schaft   und    die  Sitte  ward  von  ihm  befruchtet.     Das  Konigthum 

war  fest  begriindet,    die   Idee    des    Kaiserthuros  trat  hinzu.     Die 

Kirche   gewann    an   steigender  Macht ,    die  hohen  Reichsbeamten 

wurden   zu  kraftigen  Reichsfiirsten ,    der   Adel   bildete   sich   zum 

Ritterstande,  die  Gemeinfreien  schwanden   durch  Gewalt  hin  und 

eine  neue  Erscheinung  das  Stadtewesen  erhob  sich.    Die  verschie- 

densten  Bestrebungen  kreuzten  sich  in  dem  Volke,   die  Zust&nde 

wurden   zusammengesctzter,    Licht  und  Schatten  vertheilten   sich 

schroffer    als   vorlier.     Das    Vermogen    und   die   Bildung    wurden 


399 


scharfer  geschieden  ,  die  zerfrefzenen  gesellschaftlichen  Verhalt- 
nifse  unserer  Zeit  bereiteten  sich  vor.  Em  inneres  Leben  entstund 
das  nur  den  bevorzugten  zuganglich  war;  jene  geistige  Republik, 
in  der  Konig  und  Bauer  gleiche  Theile  waren,  wurde  von  der 
Geistlichkeit ,  der  Gelehrsamkeit  und  der  Poesie  fremder  VOlker 
gesturzt ;  in  ihren  Triimmern  safzen  die  Blinden  und  die  Armen ; 
alles  andere  zog  in  den  aristokratischen  Stat  der  modernen  Kul- 
tur.  Die  hoheren  Stande  gewannen  durch  das  Ritterthum  und  das 
hofische  Leben  auf  eine  Spanne  Zeit  an  aufzerem  Glanze;  mit 
dem  Glanze  griff  aber  auch  der  Schein  um  sich  und  bald  genug 
verschwand  er  wie  ein  triigerischer  Traum  in  diisterer  Nacht, 
Au8  der  Hose  des  ritterlich-romantischen  Gartens  schofz  der  Wurm 
der  tJnsittlichkeit  und  des  politischen  Ungliicks  einem  Riesen  gleich 
hervor;  jener  Glanz  war  die  Rote  auf  den  Wangen  eines  Schwind- 
siichtigen.  Kaum  erhebt  sich  die  Lyrik  dieser  neuen  Zeit,  noch 
ist  ihr  Epos  nicht  zur  hochsten  Entwickelung  gediehen  und  schon 
tragt  das  Leben  das  sie  verherrlichen  die  Flecken  des  nahen 
Todes.  Mitten  in  die  Pracht  schallt  die  klagende  und  riigende 
Stimme  der  Dichter,  dafz  Treue  Zucht  und  jEhre  «iecb  seien  oder 
schon  gestorben  und  dafz  die  rechte  innige  Heiterkeit  und.Fieude 
mit  ihnen  schwinde  ^).  Wer  in  Einfachheit  keusche  Liebe  treu 
beware,  sei  zum  Spotte  (Wigal.  10246) ;  zwischen  trefflichen  Man- 
nern  und  schamlosen  Buben  werde  von  den  Frauen  nicht  mehr 
unterschieden ,  ja  die  schlimmen  rohen  und,  wilden  seien  ihnen 
die  liebsten  ^) ;  manche  biete  sogar  ihre  Liebe  um  Geld  feil  *). 
Eg  trug  schlirame  Friiehte  dafz  die  Deutschen  von  den  schim- 
memden  Fruchten  Hesperiens  kosteten  und  die  geniale  Liider- 
lichkeit,  die  auf  ihren  Leib  nicht  pafzte,  gegen  Ernst  und  Zucht 
eingetauscht  batten.  Die  eheliche  Treue  ward  ein  Spott,  listiger 
Ehebruch  und  frevelhafte  Unzucht   wurden    in  unzaligen  kleinen 


')  Heinr.  v.  Veldeke  MSH.  1,  37.'  Walth.  31,  16.  Nithart  MSH.  3,  226. 
*)  Walth.  48,  25.  Reimar  MSH.  1,  179.^  Walth.  32,  7.  90,  31.  ')  Walth.  31, 
19.  Minne  lere  477.   1374. 


400 


Gedicliien  gepriesen  und  belacht,  die  Tracht  ward  gemem  nnd 
schamlose  Gestalten  dienten  zum  Schmuck  der  Tafeln.  Die  Yor- 
nemen  Stande  waren  bis  in  das  Mark  vergiftet  und  steckten  alle 
an  9  die  sie  beriirten ;  die  Frommelei  der  sie  dem  alten  Sprich- 
worte  treu  in  die  Arme  fielen,  war  ein  weiterer  Verlauf  der  Ver- 
derbnifs.  Ein  Yolk  wird  niemals  politischen  Schiffbrach  leiden, 
so  lange  mnnnhafte  Sittlichkeit  in  denen  lebt  die  seine  Oeschicke 
leiten  oder  die  in  seinem  Vordergrunde  stehen ;  wem  Deutschland 
sein  Ungliick  dankt ,  wifzen  wir.  Die  Kampfe  zwischen  Kaiser 
und  Pabst,  die  selbstsuchtigen  Bestrebungen  der  einzelnen  Fftr- 
sten  gegen  die  Einheit  und  Macht  des  Reiches,  die  religiose  Un- 
befriedigtheit  des  Volkes,  die  Sittenlosigkeit  und  Rohheit  der  Vor- 
nemen  wirkten  furchtbar.  Damals  giengen  die  ersteii  Stftnde  flkr 
die  Hoffnung  Deutschlands  verloren ;  dagegen  erhob  sich  der  Biir- 
ger  und  die  Stadte  wurdcn  zum  grunen  Zweig  von  dem  die  Taiiiie 
der  Freiheit  ihr  Hoffnungsblatt  bricht. 

Die  Verdiisterung  und  Verschlechterung  der  Zeit,  die  Frfim- 
melei  Bohheit  und  alles  Leid  mag  statt  alter  andem  Aosffinm- 
gen  durch  den  steirischen  Bitter  Ulrich  von  Lichtenstein  geschil- 
dert  werden ,  der  uns  bereits  durch  seinen  wansinnigen  Minne- 
dienst  bekannt  ist.  Der  Dichter  spricht  in  seinem  Frauenbnche, 
das  er  1257  dichtete,  in  Gestalt  eines  Gespraches  zwieichen  anem 
Bitter  und  einer  Frau  Uber  den  Verfall  der  Gesellschaft ;  ee  ist 
ein  Streit  wer  das  Unheil  verschulde,  ob  die  Manner  oder  ffie 
Frauen,  ein  Streit  der  auch  sonst  erhoben  wird  (Walth.  44,  85)* 
Der  Bitter  wirft  den  Frauen  vor,  sie  triigen  Schuld  an  dem  Zu- 
riickziehen  und  der  Verwilderung  der  Ma^nner,  denn  sie  fltiefzeD 
dieselben  von  sich  zuriick.  Kaum  dankten  sie  auf  den  Gmfi  mid 
wolle  man  ein  Gesprach  anspinnen ,  so  verstumme  ihre  Zonge, 
sie  antworteten  nicht  einmal  Ja  und  Nein.  Da  sei  es  wol  natOr- 
lich  dafz  sich  die  Manner  andere  Unterhaltung  aufsuchien  ')*  Die 


*)  Ulrich  von  Lichtenstein.  Herausge«;ehen  von  Lachmann  mit  Anmerkon- 
gen  von  Th.  v.  Karajan.     Berlin  1841.  SS.  597.  598. 


401 

Frau  entgegnet  hierauf ,  dafz  die  Manner  diefz  Schweigen  hervor^ 
rufen.    Wie   konnten    sie  freundlich  und   unbefangen    antworten 
wenn  die  Frauen   wiisten  wie   iibel  das   gedeutet  werde,    welche 
BcUimme  Folgerungen  jene   daraus  zogen,    denn  auf  ein  Lachelp 
bin  schneide  man  einem  Weibe  die  Ehre  ab  (SS.  599.  600.)  Der 
Ktter  wendet  sich  nun  zu  einer  anderen  Angrififsseite ;  er  spricht 
iiber  den  Anzug   der   Frauen   und   wie  schon  dieser  die  Manner 
abschrecke.     Gleich    Klosterschwestern    verhfiUten    sie  jetzt    mit 
Schleier  und  Binde  Wangen  Mund  und  Stim  bis  auf  die  Augen, 
und  wenn  sich  eine  weltlich  und  heiter  kleide,    sp  trage  sie  we<- 
nigstens   ein   Paternoster    als    Brustspange ,     damit   die    Manner 
uberall  an  das  Fr5mmeln  erinnert  wiirden.     Sei  das  Herz  geist- 
lich,   was    babe   der   Mund  davon  zu  reden  und  der  Rosenkranz 
damit  zu  pralen?    Keine  der  Frauen   sei  jetzt   heiter ;    Gast  und 
Wirt,    Freund  und   Gemahl  miifzen   unter  den  Betriibungen  lei- 
den,  die  Tag  und  Nacht  getrieben   werden  (SS.  601,  602),    Die 
Frau  wirft  auch   diesen  Yorwurf   auf  die  Manner  zuriick.     Ein 
Weib  miifze  sich  kleiden  wie  sein  Mann  woUe;  die  dtistere  Klei- 
dung  sei  ihnen  durch  die  Manner  aufgedrungen.    Wozu  solle  sich 
denn  ein^  in   heitere  Gewander  httllen?   die  Zeit  sei  yoriiber  wo 
die  Wirtin  den   Gast  bei  Tische  mit  freundlichem  Grufze   und 
Knfse  empfieng  und  sich  in  den  Tanz  mischen  durfte.    Heiterer 
Sinn   werde   falsch    ausgelegt,    drum    batten   sie   ihn   verbannt. 
Wiesen  nicht  die  Manner  ihre  eigenen  Frauen  ab,    wenn  sie  mit 
fretindlicher  Liebkosung  ihnen  nahten?  Grramlich  spricht  er:  lafz 
sem,  es  ist  zu  viell   Und  wie  vernachlafzige  nicht  mancher  sein 
Weib  I  Kaum  grant  der  Tag,    so  verlafzt  er  das  Lager  ^  ruft  die 
Hunde  und  eilt  in  den  Wald.    Den  ganzen  Tag  liegt  er  auf  der 
Jagd,    spat  Abends  kehrt  er  heim.    Da  wirft  er  sich  breit  auf 
einen  Tisch  und  verlangt  das  Brettspiel.     Bis  Mittemacht  spielt  * 
er,  dann  erst  sucht  er  das  Bett.    Freundlieh  heifzt  ihn  die  Frau 
in  der  Rammer  willkommen,  mit  Zucht  steht  sie  auf,  er  antwor- 
tet  ihr  nicht   und  eilt   einzuschlafen.     Wenn   solle   die  Frau  da 
heiter  sein,   w^n   der  Freude  pflegen,   wenn  und  warum  gute 
Kleider  anthun?    Und  sind  die  Manner  nidit  auf  der  Jagd,  so 

26 


402 

eitzen  sie  beim  Weine  0  und  schneiden  den  Frauen  die  Ehre  ab. 
Jedcr   riihmt  sich   defsen  was   ihm  zu  Liebe  geschah  tmd  nennt 
die   schwachen  Weiber  bei  Namen.     Das  war  vor  diesem  nicht; 
wer   Minnegunst    erningen ,     der   wuste    verschwiegen    zu   sein 
(SS.  603 — 611).   Der  Eitter  antwortet  dem  Vorwurfe  mlt  andem 
Vorwiirfen.    Wenn  die  Liebe  nicht  in   alter  Reinheit  bestehe,  so 
trage  auch  das   die   Schuld    dafz   gar   viele  Frauen  sie  urn  6e- 
schenke    oder   gar  um    Geld  verkauften,    und   welche    sie  nicht 
feil    biete,     die    verscfaleudere    sie    an    einen    gemeinen   Kneclt 
(SS.  613 — 614).    Die  Frau  wirft  nun  sehr  schwere  Beschuldignn- 
gen   auf  die    vomemeren   Manner.    Wie   konne    sicli   ein  Wdb 
ihnen   ergeben  da  man  wifze   welche   unnatiirliche   Laster  unter 
ihnen    wucherten.     Der   reinen   und   zt^chtigen   Frauen    gebe  w 
noch  genug  die   ihre   Gunst   weder   feil  hielten  noch  versdJeu- 
derten,  aber  die  Manner  wiisten  solche  Perlen  nicht  zu  schatien 
(SS.  614 — 616).     Die  Eede  ist   auf  so   schlimme  Dinge  geraten 
dafz  der  Eitter   sie   zu  enden  beschliefzt.     Er  legt  nur  noch  ein- 
mal  seine  Ansicht  dar,   wie  sich  die  Manner  den  Frauen  freufig 
und  dienstwillig  nahen  warden,  wenn  sie  heiter  w&ren ,  ihr  Aen- 
fzeres  nicht  vernachlS^fzigten    und   das    frommelnde   Kopfhangen 
liefzen.  Habe  ein  Weib  einen  wusten  oder  einen  m&Tischen  ManUi 
so  scbenke  sie  ihre  Liebe  einem  der  sie  zu  schatzen  wifze.   Vnr 
sittlichkeit    gegen   Unsittlichkeit  ist  also   das  Heilmittel  des  Sit- 
tenpredigers ,    dem    es   um  eine  emste  tiefe  Befzemng  nicht  «tt 
thun    ist,    sondern   nur    um    Aufheiterung   des   geselligen  V«^ 
kers.     Bei  solcher   Gesinnung   und  bei  den  gewaltigen  Schadcfl, 
die  sich  uiis  hier   aufdeckten,    konnte  es  nicht   anders  kommca 
als    dafz    die   Manner    in    Rohheit    weiter    versanken   und  Sf^ 
Frauen  entweder   in  Frommelei   oder  in   Liederlichkeit  oder  * 
beiden   zugleich  vergiengen.    So  konnte  ein  franzosischer  Dichtff 
jener  Zeiten   den  schwersten   Hohn  dem  weiblichen   G^scUcdito 


*)  Vgl,  auch  Hclmbr.  990.    i  vant  man   werde    liute  bt  den  fchoam  «*■• 
wen ,    nu    muo:^    man  fi  fchouwen    hi  dem  veilen  wine. 


403 

fegenwerfen  0  der  ihm  in  den  sittenlosen  Gesellschaften  der 
Bren  Zeit  ebenfalls  zugenifen  wurde,  Dem  Hohne  dieser 
de  mit  der  Revolution  geantwortet ,  jener  verschallte  in 
01  Elend  das  in  den  nimmer  sterbenden  Krieoren  und  Feb- 
,  den  Hungersnoten  und  Pesten  iiber  die  Ld.nder  herein- 
3b.  Eine  traurige  Schilderung  von  dem  Leben  des  funf- 
nten  Jahrhunderts  gibt  unter  andem  das  Gedicht  ^^der  Kittel" 
—  55). 


')  Jean  de  Meung  im  Eoman  de  la  Rose  9193. 
toutes  eftes  feres  ou  Jutes 
de  fait  ou  de  volente  putes. 
et  qui  bien  vous  en  cercheroit, 
toutes  putes  vous  trouveroit. 


26* 


Neunter  Abschnitt. 


Die  Tracht. 

iN  achdem  die  Untersuchungen  beinahe  zu  dem  Ende  geffirt 
sind ,  welches  wir  uns  fiir  diefz  Mai  steckten ,  mufz  nodi  ein 
Pfad  eingeschlagen  werden  der  eine  neue  Aussicht  gewSrt.  Wis 
haben  inneres  und  S^ufzeres  zu  yerblnden  gesucht,  denn  dieses  ut 
nur  der  Ausdruck  von  jenem,  Wir  wollen  also  noch  ein  ptr 
Blicke  auf  die  Tracht  der  germanischen  Weiber  werfen.  Die 
Kleidung  hangt  yielleicht  mehr  als  anderes  von  Sinn  und  Bildnng 
eines  Volkes  ab ;  in  der  gegebenen  Tracht  treten  durch  den  Wit 
len  und  Geschmack  des  einzelnen  Aenderungen  ein ,  welche  mehr 
als  Gesichtsziige  den  Karakter  bezeichnen.  Der  Stand  des  Vol- 
kes in  der  Yerarbeitung  roher  Stoffe,  seine  Geschmacksbildiugy 
seine  Handelsverbindungen  alles  diefz  kommt  hier  zum  Ausdrack 
und  verleiht  der  Untersuchung  Hber  die  Tracht  mehr  Anziehendes 
als  der  Gegenstand  an  und  fiir  sich  verspricht  *). 

Die  altesten  Nachrichten  iiber  die  Kleidung  der  Qermum 
gibt  Julius  Casar.  Er  sah  die  Deutschen  mit  denen  er  kSmpAs 


')  Ich  bedauere  die  Untersuchang  nicht  mit  erschOpfender  Yollstiiidis^fltt 
fiiren  zu  konnen ,  da  mir  durch  einen  Ungliicksfall  der  hierzu  gesammelte  Stof 
theilweise  vernichtet  wurde  und  mir  hier  (in  Krakan)  kein  gen&gender  Enati  n 
Gebote  steht. 


405 

r  in  Felle  gehiillt ,  welche  einen  Theil  des  KOrpers  unbe- 
ckt  liefzen.  Der  Winter  anderte  in  dieser  mangelhaften  Be- 
jidung  nichts  (bell.  gall.  4,  1^6,  21).  Pomponius  Mela  (III.  3) 
salt  dafzelbe.  Nicht  viel  spater  wird  una  dutch  den  altereh 
inius  (hist.  nat.  19,  2)  eine  Nachricht,  welche  ein  befzeres 
cht  auf  die  deutschen  KulturzustS^nde  wirft;  er  sagt  nem* 
h  dafz  die  deutschen  Frauen  treffliche  Leinwand  webten  und 
2sen  Stoff  jedem  andem  fiir  ihre  Bekleidung  vorzOgen.  Es 
Tzt  sich  also  annemen  dafz  schon  zu  Casars  Zeit  die  Verar- 
itung  des  Flachses  in  Deutschland  bekannt  war  und  dafz  die 
eiber  Linnen  trugen.  Die  Felle  waren  freillch  leichter  zu  ge- 
nnen,  denn  Jagd  und  Viehzucht  gaben  sie  ohne  Anstrengung; 
td  noch  sehr  lange  galten  sie  als  eigenthiimli^^he  KleiduDg  der 
^rmanen.  Klaudian  (bell.  get.  481),  Sidonius  Apollinaris  (ep.  I. 
carm.  VII,  349.)  und  Hieronymus  nennen  die  Gothen,  Fortunat 
,  5)  die  Franken  bepelzte  Manner ;  in  einem  byzantinischen 
eihnachtsspiel  traten  zwei  Gothen  in  Pelzen  auf  ^) ,  und  noch 
dor  bezeichnet,  wo  er  von  den  Volkstrachten  redet  (orig.  19,  23) 
J  Felle  (renones)  als  germanische  KJeidung  *).  Wir  werden  spa- 
erfaren  dafz  im  ganzen  Mittelalter  die  Pelze  bei  den  Germa- 
a  sehr  beliebt  blieben  und  dafz  sie  einen  bedeutenden  Handels- 
^enstand  ausmachten.  Schon  zu  Tacitus  Zeit  wird  einiger 
if  wand  damit  getrieben ;  seine  Schilderung  der  deuts<3hen  Tracht 
>t  uns  uberhaupt  weitere  Aufschliifze*  Er  sagt  nemlich  in  der 
rmania  (cap.  17)  zuerst,  die  allgemeine  Bekleidung  sei  ein  Um- 
ag  (fagum) ,  der  durch  eine  Spange  oder  auch  durch  einen  Dom 
jammengehalten  werde ;  der  ubrige  Korper  sei  unbedeckt.  So 
it  stimmt  also  seine  Beobachtung  mit  Casars  iiberein.  Die  rei- 
jren  aber ,  f iigt  Tacitus  hinzu ,  tragen  noch  andere  Kleidung 
d  zwar   keine  weite    die   den  Korper   ganz  verhiillte,    wie  die 


*)  Constant,  porphyrog.  de  ceremon.  aulae  byzant.  2,  83.  —  Ueber  die  Pelz- 
en der  Geten  Ovid.  Trist.  V.  7,  49.  *)  Im  mittellat*  wird  Pelz  zuweilen 
ch  reptis  wiedergegeben ,  das  Papias  als  gewonliches  Wort  ftir  reno  anfiirt. 
nord.  ript^  rift,  angels,  reft  geltcn  allgemein  fiir  UmhtlUang,  Gewand;  sie  ste- 
L  jedenfalls  in  Verwandtschaft  mit  dem  mlt.  reptis. 


406 

Sarmaten  und  die  Farther^  sondem  eine  enge,  welche  die  eiiicel- 
nen  Glieder  deutlich  hervortreten  lafzt.  Ihre  Peize  vendezen  die- 
jenigen  Stammey  welche  Handel  treiben,  mit  allerlei  farbigen  und 
fremden  Pelzstucken.  Die  Kleidung  der  Weiber  unterscheide  tich 
im  wesendichett  nicht  von  der  mannlicheiiy  nur  sei  bei  ihnen  der 
Gebrauch  von  Linnenkleidern  haufiger,  die  sie  zuweilen  mit  Pur- 
purstreifen  verzieren  ^)*  Auch  sei  ihr  Kleid  ohne  Aermel,  00  dafz 
der  ganze  Arm  unbedeckt  bleibe  und  eben  80  werde  der  Hals 
(proxima  pars  pectoriB)  frei  getragen.  —  Machen  wir  uns  nach 
diesen  Angaben  ein  Bild  von  der  deutschen  Tracht  im  ersten 
Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung,  so  erscheint  der  reichere  Mann 
mit  einem  kurzen  eng  anliegenden  Bocke  mit  Aermein  und  Bdn- 
kleidem;  iiber  die  Schultem  h^ngt  ihm  ein  Mantel  von  Fellenf 
der  durch  eine  Spange  zusammengehalten  ist.  Die  Fraaen  haben 
ein  weit  Islngeres  Gewand  ohne  Aermel,  im  Uebrigea  tragen  sie 
denselben  Mantel  wie  die  Manner  ^).  Wir  haben  darin  mgleich 
die  wesentlichen  Ziige  der  ganzen  mittelalterlichen  Tracht. 

Bei  nichts  war  Einfiufz  der  Fremde  leichter  tmd  in  niehts 
haben  sich  die  Germanen  williger  der  Fremde  .gefilgt  als  in  der 
Kleidung.  Es  h'angt  diefz  zum  Theil  mit  ihrer  geringen  Fihig- 
keit  Formen  zu  schaffen  zusammen,  welche  sich  anf&nglich  aach 
in  der  Baukunst  aufzerte  und  die  uns  Deutschen  in  neuester  Zeit 
noch  in  hoheren  Dingen  Wunden  geschlagen  hat  Nach  dem 
LJntergange  der  mittelalterlichen  Tracht  schwankten  die  Deatschen 
zwischen  den  Elleidungsarten  ihrer  Nachbaren  umher,  bis  sie  end- 
lich  ganz  den  Franzosen  verfielen.  Aber  sohon  weit  frUher  zeigt 
sich  Einwirkung  der  Fremde ,    denn  die  Gt)then')  bereits  haben 


')  Friskns  nnd  die  anderen  byzantinigchen  Gesandten  welche  lich  Atilai 
Gemahlin,  der  Eerka,  yorstcllen  lafzcn,  finden  sie  umgeben  von  ihren  Migdeo, 
welche  feine  Leinwand  bunt  f&rben ,  die  zum  Schinuck  anf  die  Kleider  gesettt 
wird  {od'ovag  ;i;9o>fia(;i  Si^noUMoVy  impXri^riaoiisvas  nqog  no^fLOP  h^i^^Mtrnw 
§aQ§aQi'Kav).  Friscus  exc.  Icgat.  p.  43.  ed.  Yenet.  Polen  nnd  andere  Slayen  Ter- 
zieren  ihre  Linnt-nrocke  hente  noch  mit  bunten  Streifen.  ^  Gkni  ersonnea  ud 
falsch  sind  die  Abbildungeu  welche  Spalart  Versuch  iiber  dai  Kost&m  IL  toe 
den  Trachten  der  altesten  Germanen  gibt         *)  Der  anon.  Valesii  beriohtei  nni 


40? 

Zeugnifse  dafur  in  ihrem  uns  erhaltenen  Wortvorrate.  Den  Uni- 
kang  nannten  sie  mit  anscheinend  fremdetn  Worte  fnaga,  das 
TJntergewand  mit  finnischem  Ausdrucke  paida  ^).  Indem  sich  diefz 
letztere  Wort  auch  bei  den  hochdeutschen  Stammen  und  den 
Sachsen  findet,  scheint  eine  Verpflanzung  dieser  Kockart  unter 
dieselben  durch  die  Gothen  verraittelt  worden  zu  sein  Weiterhin 
werden  wir  elavische  Einwirkungen  bemerken^  Auch  der  Orient 
deutete  schon  fruh  seine  kiinftige  Bedeutung  fiir  das  stoffliohe 
Leben  in  der  Unter  werfung  der  Vandalen  unter  seine  KJeidung 
an  (Procop.  bell.  vand.  2,  6.). 

Zwischen  den  Nachrichten  des  Tacitus  iiber  die  germanische 
Tracht  imd  spateren  vermitteln  Angaben  des  Bischofs  Sidoniiis 
ApoUinaris.  In  einem  Briefe  (ep»  IV,  20)  schildert  er  den  Braut« 
zug  eines  jungen  germanischen  Konigssohnes  *)♦  Es  mogen  Bur- 
gunder  oder  allenfalls  Westgothen  sein,  deren  Aeufzeres  im  funf- 
ten  Jahrhundert  wir  hierdurch  kennen  lemen.  Der  Brautigam  in 
seinem  roten  mit  Gold  und  weifzer  Seide  gestickten  Gewande 
zieht  uns  weniger  an  als  sein  Gefolge.  Der  Rock  dieser  vorne- 
men  Krieger  ist  bunt,  eng,  reicht  kaum  bis  an  das  Ejaie,  die 
Schenkel  und  Waden  sind  nackt,  bis  an  die  Knochel  reichen 
Schuhe  deren  aufzere  Seite  noch  das  Har  des  Thierfelles  tragt* 
Der  Unterarm  ist  blofz ;  iiber  den  Rock  fallt  ein  griiner  Mantel 
der  unten  mit  Purpurstreifen  umsaumt  ist.  Das  WergehSnge  vou 
beschlagenem  Rennthierfelle  und  Schild  Geet  und  Beil  voUen^ 
den  die  Ausstattung.  Das  Alltagsgewaud  schildert  Sidonius  Apol-^ 
linaris  in  einem  seiner  Gedichte  (carm.  VII,  454 — 59)  ').  Sie  ka- 
men  zur  Yolksversammlung  in  einem  kurzen  Linnengewand^  dar* 


ein  Sprichwort  des  ostgothischen  Tbeoderich,  was  im  allgemeinen  die  gegenseitige 
Nachaffung  der  Gothen  und  Eiimer  ausspricht:  Romanus  miser  imitatur  Gothum  et 
utilis  Gothus  imitatur  Romanum,  ')  finn.  paita,  — •  ahd.  mhd.  pfeit,  (in  oberdeatschen 
Volksmuudarten  heifzt    das  Hemd  noch   p/ait  j    pfoai)  altsach.  peda,  *)  Vgl. 

dariiber  J.  Grimm  in  dem  Monatsbericht  der  Berb'ner  Akademie  der  Wifzcnschaf- 
ten.    Febr.  1851.    SS.   109  —  112,  •)  fqualent   vefles  ac  fordidae  macro  Lintea 

pinguefcunt  tergo  nee  langere  pofsunt  Altatce  furam  pelles  ac  poplite  nudo  Peronem 
pauper  nodus  fvfpendit  equinum. 


408 

uber  ein  Fell,  das  bis  an  das  Knie  reicht ;  der  hohe  Schnh  (pero 
equinus)  wird  durch  einen  armseligen  Riemen  fiber  der  Wade  fest- 
gekntipft.   Es  sind  Westgothen,  die  hier  beschrieben  Bind. 

Einige  Gunst  des  Geschickes  hat  weitere  KenntaifB  der  51- 
teren  Trachten  auf  uns  kommen  lafzen.  Paul  Wamefirieds  Sohn 
schildert  die  EJieidung  der  Longobarden  des  siebenten  Jahrhun- 
derts  folgendermafzen  (de  gest.  Longob.  4,  23)*  Die  Gtewander 
sind  weit  und  meist  von  Linnen  wie  bei  den  Angelsachseii  and 
mit  breiten  bunten  Saumen  besetzt.  Die  Schuhe  sind  durch  Bie- 
men  festgehalten  und  vom  bis  auf  die  Zehen  aufgeschnitten. 
Ueber  ihnen  tragen  sie  weifze  Binden  (1,  24).  Spftter  namen  sie 
wie  Paul  sagt  von  den  Romem  die  Hosen  an,  uber  die  sie  bdm 
Beiten  wollene  Kamaschen  ^)  zogen.  Das  Haupthar  war  hinten 
kurz  abgeschnitten ,  vorn  hieng  es  bis  nicht  ganx  an  daa  Kinn 
herab  und  war  mitten  gescheitelt.  Ein  G^malde,  das  die  liOngo- 
bardenkonigin  Theudlind  in  ihrer  Pfalz  zu  Modicia  (MoniEa  an 
den  Alpen,  zwOlf  Meilen  von  Mailand)  anfertigen  liefz,  yerdeutlicht 
Pauls  Schilderung  ').  Der  Konig  Agilulf  erscheint  hier  in  emem  mit 
Streifen  eingefafzten  Mantel,  der  mitten  unter  dem  Halse  durdi 
Ba^nder  an  einigen  der  Knopfe  befestigt  ist,  welehe  die  Bmst 
hinab  gesetzt  sind.  Der  darunter  befindliche  Hock  ist  ziemlich 
weit  und  reicht  wie  das  Bild  des  neben  dem  knieenden  FOraten 
stehenden  Mannes  deutlicher  zeigt,  bis  iiber  die  halbe  Wade. 
Unter  der  Brust  wird  er  durch  einen  Gfirtel  zusammengehalten. 
Die  Aermel  scheinen  doppelt ;  bis  an  den  halben  Unterarm  xeicht 
namlich  ein  weiterer  Aermel,  der  mit  einem  Saume  eng  an  dcm- 
selben  abschliefzt;  dieser  geht  bis  an  das  Handgelenk,  endet  mit 
einem  Besatz  und  ist  an  der  oberen  Seite  mit  einer  Seihe  Kno- 
pfe besetzt.  Der  Hals  ist  frei  und  ungeschmiickt*  Der  Eonig 
tragt  eine  Art  Stiefeln  mit  Sporen,  der  daneben  stehende  Mann 
die  von   Paul  beschriebenen   Schuhe.    Die  Frauentracht  ist  nicht 


*)  tubragos  birreos.  —  tubrng  ist  wie  J.  Grimm  Gesch.  d.  devttchen  Spr 
695  deutot,  das  deutsche  diohbruoch.  ')  Eine  Nachbildong  findet  tich  bd  Ma< 
ratori  rcrum  italic,  scriptores.  I.  460. 


400 

bedeutend  hiervon  verschieden.  Die  Konigin  Theudlind  tragt  iiber 
ihre  Krone  das  Schleiertuch  welches  wir  durchgehends  im  Mit- 
telalter  finden  werden.  Der  Mantel  hangt  frei  auf  den  Schultern 
tlnd  wlrd  unter  beiden  Armen  gegen  die  Brust  hinaufgezogen ;  er 
ist  am  untern  Ende  mit  einem  Streifen  besaumt.  Das  Unterge- 
wand  reicht  bis  auf  die  Fiifze  und  ist  etwas  unter  der  Brust 
durch  eine  Schnur  umgurtet,  deren  bequastete  Enden  bis  auf  die 
Kniee  herabhangen.  Der  obere  Theil  bis  auf  den  Gtirtel  ist  mit 
einem  breiten  Saume  verziert  der  rings  um  den  Hals  und  mitten 
die  Brust  entlang  geht;  an  der  Brust  hinunter  ist  eine  Reihe 
Knupfe  gesetzt.  Die  Aermel  scheinen  von  den  Mannerarmeln  nicht 
verschieden.  Eine  neben  der  Konigin  stehende  Frau  ist  ohne 
Mantel.  Ihr  Untergewand  ist  weit  und  von  einem  weichen  Stoffe ; 
um  den  Hals  ist  ein  Besatz  der  in  Art  einer  nach  uuten  gekehr- 
ten  Mauerzinne  ausgeschnitten  ist  und  an  den  sich  drei  Streifen 
ansetzen,  welche  am  Gurtel  in  einen  Punkt  zusammenlaufen.  Sie 
scheinen  gleich  dem  Gurtel  aus  verschiedenen  Farben  zusammen- 
gesetzt.  Die  Schuhe  der  Frauen  sind  auf  dem  Fufzblatte  nicht 
aufgeschnitten. 

Ein  Jahrhundert  etwa  spater  zeigt  die  Tracht  der  Longo- 
barden,  wie  ich  glaube  durch  frankischen  Einflufz,  einige  Aban- 
derungen  *).  Wir  konnen  unsere  Bemerkungen  abermals  einer 
bildlichen  Darstellung  aus  Modicia  entnemen,  einem  Belief  an  der 
dortigen  Basilika,  welches  die  Kronung  Konigs  Hildibrand  dar- 
stellt  *).  Der  Konig  sowol  als  die  ttbrigen  Longobarden  mit  Aus- 
name  eines  einzigen  tragen  nicht  mehr  das  lange  Untergewand 
sondern    ein  kurzes   das   nur   bis    an    die  Kniee  reicht  und  nicht 


')  Stiem.  233/  (Godhriinarharmr  19.)  werden  vomeme  Longobarden  beschrie- 
ben  in  roten  ROcken,  blankcn  Briinnen,  hohen  Kelmen,  rait  Schwertem  nmgiirtet 
nnd  in  braunen  Barten.  Es  sind  Boten  welche  die  Frankenkonige  an  ihre  Schwe- 
ster  Godhrun  (Krimhilt)  schicken.  Die  Verhaltnifse  der  Longobarden  zu  den  Ka- 
rolingern  liegen  hicr  vor.  Die  slavischen  Namen  Jarisleifr  und  Jariskar  welche 
»wei  dieser  Boten  fiiren  und  die  dem   nordischen   Dichter  zufallen ,    erklaren    sich 

aus    den    Berilrungen  zwischen  Skandinavien  und  dem  Wendenreiche.  ")  Mu* 

ratori  I,  509. 


410 

wie  fruher  unter  der  Brust  sondem  tiber  den  Hiiften  gegiirtet 
ist*  Der  Giirtel  ist  bald  einfach  bald  mit  Bogen  ausgeschnitten ; 
einer  der  Manner  tragi  mitten  auf  dem  Leibe  ein  Taschchen  daran» 
Dem  Untergewande  felen  die  Aermel  welche  den  Unterann  be- 
decken;  sie  schneiden  am  Elbogen  ab,  aber  nicht  mehr  mit  engem 
Anschlufz  sondem  weit  und  mit  langem  Zipfel.  Ueber  den  Man- 
tel wird  ein  Kragen  getragen  der  bis  an  die  Mitte  der  BroBt 
reicht  und  aus  zwei  Streifen  besteht,  auf  welche  grofze  Zacken 
gesetzt  sind.  An  den  Kragen  schliefzt  sich  eng  eine  bdmariige 
Miitze  an  9  welche  zugleich  Hals  Schultem  und  Hare  T^hfillt* 
nur  das  Gesicht  frei  lafzt  und  nach  hinten  schleierartig  hinahr 
hangt.  Sie  scheint  aus  einem  weichen  Zeuge  gemacht  2a  sein* 
Der  Konig  hat,  weil  er  gekront  wird,  diese  Miitze  nicht  auf,  sein 
Har  fallt  frei  auf  die  Schultern.  Statt  der  Schuhe  tragen  alle  mit 
Ausname  des  Langrocks  bis  iiber  die  Kniee  reichende  Hosen. 
Handschuhe  tragi  auf  diesem  Bilde  nur  der  Bischof.  —  Wenden 
wir  uns  nun  zu  den  Franken.  Ihre  Tracht,  welche  frjihe  einzelne 
Andeutungen  erraien  lafzen,  wird  durch  Einhards  Beschreibung  0 
Karls  des  Grofzen  sehr  deutlich.  Der  grofze  Kaiser  der  durch;- 
aus  deutsch  .war  und  den  die  Franzosen  vergeblich  zum  Kelto- 
romanen  machen  wollen,  hieng  fesi  an  der  Kleidung  seiner  Fran- 
ken  und  verschmahte  alle  fremde  Mode ,  mochie  sie  auch  noch 
so  glanzend  sein.  Nur  zwei  Male  in  seinem  Leben,  das  eine  auf 
instandiges  Bitten  des  Pabstes  Hadrian,  das  andere  auf  beson-? 
deres  Anliegen  des  Pabstes  Leo,  liefz  er  sich  bewegen  die  lange 
romische  Tunika  die  Chlamys  und  romische  Schuhe  anzuthun. — 
Karl  trug  ein  leinenes  Hemde  und  leinene  Bekleidung  der  Ober- 
schenkel,  dariiber  Hosen  und  einen  kurzen  Bock  mit  seidenem 
Saunie.  Die  Beine  wurden  mit  Binden  umwunden;  die  Fiifze 
staken  in  Schuhen.  Schultem  und  Brust  bedeckte  im  Winter 
ein  Pelz  von  Seeotter  und  Hermelin  ^).   DarQber  hieng  ein  blaui- 


')  Einhardi  vita  Karoli  M.  c.  23.  vgl.  hierzu  Monach.  S.  GaU.  de  geatu 
Karuli  1,  34.  ^)  Der  Monch  von  S.  Gallen  sagt  dagegen  der  gewdnlicfae  Fell 
Karls  sei  eiu  schlechtes  Schopscnfell  gewesen. 


411 

licher  Mantel.  Stets  war  Karl  mit  dem  Schwert  umgiirtet.  An 
festlichen  Tagen  waren  seine  Kleider  kostbarer,  allein  der  hei- 
mische  Sclinitt  blleb.  Der  Mantel  hatte  dann  eine  goldene  Spange, 
der  Rock  war  mit  Gold  durchwirkt  und  die  Fufzbekleidung  mit 
Sdelst'einen  besetzt.  Karl  unterechied  sich  auch  in  dieser  unter- 
geordneten  Sache  von  eeinen  Nachfolgem  vortheilhaft.  Diese  neig- 
ten  sich  der  Fremde  namentlich  Byzanz  in  der  Tracht  zu,  in- 
dem  sie  den  morgenrdndischen  Kaisem  an  aufzerer  Pracht  nicht 
nachstehen  wolten.  Die  lange  Tunika  reich  mit  Gold  und  Edel- 
steinen  gestickt,  die  Chlamys  prachtig  verziert,  das  Schuhwerk 
Bchon  geschmfickt  nam  die  Stelle  der  einfacben  frankischen  Tracht 
ein.  Auch  die  Frauen  des  Hofes  anderten  ihre  Kleidung  hiernach, 
wie  die  Bildsaulen  mere vingi  sober  Fiirstinnen  am  Dome  von  Char- 
tres  zeigen,  die  aus  karolingischer  Zeit  stammen.  Die  Gewander 
Bind  ungemein  reich  mit  Stickereien  besetzt,  die  Aermel  fallen 
weit  um  das  Handgelenk^  um  die  Mitte  des  Leibes  ist  ein  breiter 
Shawl  gewunden;  liber  die  eine  Schulter  hangt  ein  gestickter 
Bchmaler  Mantel.  Nur  der  Harschmuck  ist  deutsch,  denn  die 
Zopfe  hangen  lang  und  frei  herab.  Auch  an  Karls  des  Grofzen 
Hofe  verschmahten  die  Frauen  und  manche  Hoflinge  weit  weni- 
ger  als  er  selbst  fremde  und  kostliche  Gewander.  In  der  Be- 
Bchreibung  eines  Jagdzuges  Karls  mit  seiner  Gemahlin  Liutgart 
und  seinen  Tochtem ,  die  Angilbert  in  gezierten  Versen  gibt  *) 
glanzen  die  Fiirstinnen  von  Gold  und  Edelstein  an  Stim  Hals 
und  Gewandern.  Indefsen  scheint  so  weit  man  urteilen  kann, 
der  Schnitt  der  Kleider  nicht  undeutsch.  Die  morgenlandischeu 
Stoffe  freilich,  die  Seidenzeuge  von  verschiedenem  kunstreichem 
Gewebe,  weisen  deutlich  auf  dje  folgende  Zeit.  Das  eigentliche 
Volk  widerstund  den  fremden  Einwirkungen  langer.  Auf  einem 
Bilde  der  Bibel,  welche  von  dem  Metzer  Martin skloster  dem  Kai- 
ser Karl  dem  Kalen  geschenkt  wurde,  sehen  wir  vomeme  Fran- 
ken  in  der  alten  volksthGmlichen  Tracht*).     Sie  tragen  den  kur- 


*)  Angilberti  carmen  de  Karolo  M.  3,  185  if.  (Pertz  monam.  2,  396 — 398). 
*)  Baluzius  Capitularia  regum  Francoinni  11.  1276— '78. 


412 

zen  frankischen  Sock  der  nicht  bis  an  die  Kniee  reicht  und  fiber 
den  Hiiften  gegdrtet  ist.  Nicht  blofz  unten  sondem  aack  seiner 
Lange  nach  ist  er  mit  bun  ten  Streifen  besetzt;  der  untere  Saam 
ist  auch  gestickt.  Die  oberen  Hosen  (bmoch)  werden  mit  Knie- 
bandem  festgehalten,  die  unteren  (die  eigentlichen^Hosen  oder  nn- 
sere  Strtimpfe)  lafzen  die  Zehen  unbedeckt  und  sind  mit  Kreuz- 
bandem  umschniirt ;  sie  enden  iiber  der  halben  Wade  and  sind 
durch  eine  Schleife  fest  gebunden.  Der  Mantel  lafzt  die  xechte 
Seite  £rei  und  ist  auf  der  rechten  Schulter  mit  Enopf  und  Ban- 
dem festgehalten.  Um  den  Eopf«  der  nach  damaliger  frSntdacJier 
Sitte  ringsum  geschoren  ist,  liegt  eine  schmale  Binde  die  hinten 
in  einer  Schleife  endet.  Der  Kaiser  trilgt  einen  langen  an  den 
Saumen  reich  gestickten  Mantel,  der  sein  Unterkleid  mehr  ver- 
hiillt  als  dafz  man  daruber  etwas  angeben  konnte.  Seine  FuTzbe- 
kleidung  ist  ebenfalls  nicht  deutlich  zu  erkennen ;  auf  einem  an- 
deren  Bilde  trS^gt  er  jedoch  Schuhe  welche  nicht  frankisch  amd 
Zwei  Wachen  auf  dem  ersten  Gemalde  haben  die  frankischen 
Beinkleider  und  den  Mantel;  der  Hock  und  die  heLmartige  Elopf- 
bedeckung  aber  scheinen  rdmi8.ch. 

Der  kurze  Rock  blieb  frankische  Yolkstracht*  Als  der  sach- 
sische  Otto  (936)  zum  deutschen  Eonige  gekront  ward  wuate  er 
dem  machtigen  Stamme  der  Franken,  auf  dem  in  der  Yolks- 
meinung  die  Konigswiirde  ruhte,  nicht  entschiedener  zu  schmei- 
cheln,  als  dafz  er  in  dem  kurzen  frankischen  Bpcke  erscluen')* 
Die  Sachsen  trugen  namlich  im  Gegensatze  einen  langen  Bock 
und  waren  den  Franken  dadurch  schon  frQher  aufgefallen  (Widu- 
kind  I,  9.)«  Beide  Yolkerschaften,  die  so  viel  verschiedenes  hatten 
und  eine  tiefe  Abneigung  nicht  bekampfen  konnten,  hielten  an 
der  verschiedenen  Art  ihres  Bockes  fest.  Die  Sachsen  legten  erst 
mit  Ende  des  Mittelalters  den  langen  Bock  ab,  die  Franken  ver- 
k&rzten  den  kurzen  immer  mehr.  Auf  der  Bheimser  DiOcesan- 
synode    von    Montnotredame    im   Mai  972   wurden  viel  Klagen 


')  Widukindi  res  gestae  saxunicac  2,   1. 


41> 

fiber  die  eingerifzene  Verweltlichung  der  Kloster  gefiirt  und  unter 
andem  auch  die  geckenhafte  Tracht  der  Monche  besproclien.  Sie 
hatten  die  vorgeschriebene  Ordeoskleidung  ganz  abgelegt  und  tru- 
gen  die  kostlichsteft  Seiden-  und  .WoUenatojBfe  und  wertvollee  Pelz- 
werk  in  modernster  weltlicher  Fafzung.  Der  Bock  war  so  kurz 
dafz  er  kaum  den  Leib  bedeckte ,  die  Aermel  waren  weit ,  die 
Besatze  daran  zwei  Hande  breit,  die  Beinkleider  hatten  einen 
Umfang  von  fiinf  und  einem  halben  Fufz  und  waren  von  sehr  diin- 
nem  Stoffe,  die  Schuhe  waren  eng  langschnablig  und  auf  ihren 
Spiegelglanz  ward  viel  gehalten  (Richer,  hist.  HI.  37 — 41.).  Die 
S&dfranzosen  welche  ungefar  um  das  Jahr  1000  nach  der  Yer- 
mahlung  Roberts  von  Nordfrankreich  mit  Konstanze  von  Aqui- 
tanien  in  grofzerer  Zahl  in  das  Frankenland  kamen,  brachten  wei- 
tere  Umwalzungen  in  der  franzosischen  Tracht  hervor,  zum  gro- 
fzen  Aerger  derer,  welche  bis  da  an  der  alten  frankischen  Klei- 
dung  festgehalten  hatten.  Dieselbe  hatte  durch  die  normannischen 
EindringHnge  schon  deshalb  keine  Veranderung  erfaren,  well  die 
Tracht  derselben  der  frankischen  nahe  verwandt  war. 

Die  Skandinavier  trugen  namlich  ebenfalls  einen  kurzen  Rock^ 
leinene  enge  Beinkleider  und  einen  Mantel^^).  Der  Rock  war  zu- 
weilen  an  der  Seite  mit  Bandern  geschmiickt  Warend  die  Nor- 
manner  also  die  frankische  Kleidung  nicht  andem  konnten,  ge« 
Btalteten  sie  doch  die  angelsachsische  durch  ihre  Herrschaft  in 
England  um,  indem  sie  den  langen  sachsischen  Rock  dort  ver«* 
drangten.  Zur  Zeit  Wilhelms  des  Eroberers  trugen  die  Angel* 
sachsen  ihr  Unterkleid  nur  bis  zum  Knie^).  Die  Nordmanner 
Bcheinen  von  ihnen  die  bunten  Farben  und  die  Besatze  entlehnt 
zu  haben  (Egilss.  c  70)  welche  schon  Paul  der  Diakon  an  der 
angelsachsischen  Kleidung  bemerkte,  die  der  longobardischen  ahn* 


')  Egilss.  c.  80.  Gunnlaugs  s.  c.  6.  Fornmannas.  7,  34.  vgl.  /inch  Forn- 
mannas.  7,  63.  ')  Guilelm.  Malmcsbur.  de  gestis  reg.  Angl.  lib.  III.  Die  Ab- 
bildungcn  angcls'achsischcr  Tracht  welche  Strutt  horda  Angelcjnan  und  nach  ihm 
Spalart  Versuch  fiber  das  Kostiim  II.  1.  taf.  8.  24  gibt,  zeigen  bereits  die  yer- 
anderte  s&chsische  Kleidung. 


4U 

lich  war.  Von  der  Frauentracht  der  altnordischen  Qermanen  wird 
dafzelbe  zu  sagen  sein ,  was  iiberhaupt  von  der  EI«idang  der 
germanischen  Weiber  gilt;  sie  trugen  einen  langen  Bock  and  einen 
Mantel*  In  dem  Eddaliede  Rigsmal,  das  die  Stifiung  der  drei 
Stande  (Ejiechte,  Freie,  Edle)  durch  den  Gott  Heimdhall  besingt, 
heifzt  es  yon  Amma,  der  Mutter  Karls  des  Freien,^  sie  habe  ein 
Tuch  liber  den  Kopf  gehabt,  eins  um  den  Hals,  Spangen  des 
Mantels  auf  den  Achseln  und  an  dem  Leibe  einen  Bock  (Saem. 
102.*).  Karls  Weib  trug  einen  Rock  von  Ziegenhar  *)  und  hatte 
Schlufzel  angehangt.  Modhir,  die  Mutter  der  Edlen,  hatte  weite 
Bocke  (slaedhur) ,  einen  dunkeln  Mantel  ^ ,  iiber  den  Kopf  einea 
ScUeier  und  auf  der  Brust  eine  Spange  (Saem.  103.)  die  Schnlie 
wurden  durch  Bander  angekniipft;  Manner  und  Frau^ti  tmgen 
sie.  Beiden  Geschlechtern  war  auch  der  Pelz  gemein ;  im  iibrigrai 
gait  auch  im  Norden  die  Leinwand  als  bester  volksthOmlichster 
Stoff.  Die  Seezuge  brachten  ubrigens  fruh  genug  die  Erzeagnifse 
der  siidlicheren  Gegenden  dem  Norden  zu. 

Im  inneren  Deutschland  dauerte  die  alte  von  Tacitus  benchrie- 
bene  Tracht  fort  und  anderte  sich  wie  schon  bemerkt  bis  zom 
vierzehnten  Jahrhundert  fast  gar  nicht  im  Schnitte.  Ueber  im 
leinenes  oder  wollenes  Untergewand  trug  man  den  Bock,  der  bd 
den  Frauen  weiter  als  bei  den  Mannem  hinabfiel  und  darBber 
den  Mantel  der  durch  eine  Spange  festgehalten  worde.  Mlimer 
und  Frauen  hatten  Schenkel-  und  Wadenbekleidongen  von  Lein- 
wand; dazu  umwanden  die  Manner  wenigstens  die  Obersohenkdl 
mit  Binden  von  oft  kostbarem  Stoffe  ').  In  Stiefein  und  Sohuhen 
wurde  Aufwand  getrieben,  nachdem  man  sich  vorher  lange  mit 
der  einfachsten  Fufzbekleidung  beholfen  hatte.  Der  Bock  ward 
umgurtet;  ebenso  bedurften  die  Oberbeinkleider  eines  Bandes 
(bruochach.  fries.  br6kgerdel.  altn.  brdkabelti.  brdklindi). 


*)   geitakyrtill.  Fommaxmas.    10 ,    204    wird    ein   Franenroek   nm  Fell 
erw&bnt  defsen  Aermel   bis   an   den   Ellenbogen  reichen.  *)  ferkr  itt  u 

dieser  Stelle  dnrch  Mantel  wiederzngeben.  Mikloslch  radices  lingnag  thfvd  e, 
p.  85  hat  das  altslav.  fraczica ,  neuslov.  frqfca  tiiccTiov  yerglidien.  *)  Bid- 
lieb.  fragm.  13,  91.   ff. 


415 

Die  hochdeutschen  Stamme  zeigten  ebenfalls  Hinneigung  zu 
fremder  Kleidung ;  daf iir  zeugt  manche  Benennung  der  Kleidungs- 
8t&cke ,  die  nicht  deutsch  ist.  Es  ward  schon  erwS.hnt  dafz  das 
finnische  Wort  paita  wahrscheinlich  durch  die  Gothen  zu  ihnen 
kam  und  die  heimlBchen  Benennungen  hemidi  und  fmoccho  be- 
einti^chtigte.  Auch  das  Wort  Eock,  das  seit  dem  9.  Jahrhiindert 
nachzuweisen  ist,  mufz  fremd  sein;  es  findet  sich  im  mittellatei- 
nisclien,  im  keltischen  und  in  den  slavischen  Sprachen  ^) ,  aJlein 
wo  es  seine  Heimat  hat,  bleibt  mir  verborgen.  Die  alte  deutsche  I 
Bezeichnung  fur  das  was  wir  Bobk  uennen,  wird  hemidi  oder  t 
fmoccho  gewesen  sein ;  denn  wir  durfen  annemen  dafz  ursprung- 
lich  nur  ein  Untergewand  unter  dem  Mantel  getragen  wurde.  Das 
Wort  Mantel  ist  aus  dem  lateinischen  entlehnt;  die  deutschen 
Namen  dafiir  waren  aufzer  Fell  und  Reft  wol  gifang,  zufsa 
und  [td^. 

Ehe  wir  weiter  iiber  die  Kleider  sprechen,  miifzen  wir  einen 
genaueren  Blick  den  Stofifen  zuwenden ,  denn  wir  sahen  bereits 
nicht  mehr  die  ursprungliche  Einfachheit,  nicht  mehr  blofz  Felle 
und  Leinwand  oder  grobes  Wollentuch,  sondem  Seide  und  feine 
WoUenzeuge,  anderen  Schmuckes  zu  schweigen.  Die  Germanen 
hatten  in  den  eroberten  Landern  das  tippige  Leben  der  HSmer 
und  Byzantiner  kennen  gelernt,  die  Werkstatten  waren  von  ihnen 
nicht  zerstort  worden  und  der  Widerstand  gegen  Bequen^ichkeit 
und  Pracht  dauerte  nicht  lange.  In  Spanien  hiatte  sich  das  be- 
triebsame  gebildete  Volk  der  Araber  niedergelafzen,  das  seine  Er- 
zeagnifse  gem  an  die  ostlichen  Nachbam  verhandelte;  die  italieni- 
schen  SeestS^dte  sandten  ihre  Schiffe  nach  dem  Morgenlande  und 


')  Mlt  roccus.  —  gal.  rocan*  walsch  rhuch.  rhuwcL  bret.  rokeden.  &• 
Leo  Ferienschriften  I,  63.  —  altslav.  ruchoj  neuslov.  ruha,  Croat.  rtiAo,  serb. 
ruo.  Gewand.  —  vgl.  auch  neugriech.  Qovyta,  mlt.  raca  und  gpriech.  (d'Kog.  — 
Das  Wort  raub,  das  aufzer  dem  geraubten  oder  der  Beute,  Gewand  bedeutet 
glanbe  icb  in  dieser  zweiten  Bedeutung  als  ein  besonderes  und  zwar  aus  dem 
lith,  Slav,  entlehntes  Wort  von  der  deutschen  Wurzel  „raub**  absondem  zu 
ttttfzcn.  Altslav.  r%6  ^axoff.  kftmt.  rdb,  wend,  rub,  bom.  raub,  poln»  rt^bek,  Lin- 
nentuch.  Zeugstuck.  Hader.  lith.  rubiti  kleiden.  rUbat  Kleid.  KlddungsBtftck. 


416 

suchten  fdr  die  erhandelten  Stoffe  den  Absatz  nach  dem  Norden. 
Schon  unter  Karl  dem  Grofzen  flbcrechwemmte  Yenedig  das  Fran- 
kenland  mit  Seide  und  WoUe  0-  Auch  die  Donau,  die  grofze 
deutsche  Wafzerstrafze  nach  dem  Osten ,  ward  ein  Weg  auf  dem 
Avaren  und  Ungarn  den  Beichtlmm  ihrer  Lander  und  des  byzan- 
tinischen  Reiches  den  Deutschen  zufiirten.  England  und  die  Nie* 
derlande  thaten  sich  sehr  friih  durch  Hervorbringung  und  Yer- 
arbeitung  feinerWolIen  hervor;  die  Nordseestadte  und  die  Platze 
in  den  Ostmarken  vermittelten  mit  Sebweden  Slayen  und  Preufzen 
einen  Tauschhandel  der  herrliches  Pelzwerk  einbrachte;  die  Yer^ 
arbeitung  der  Metalle  bliihte  an  yerschiedenen  Orten  sehr  firflh 
80  dafz  sie  selbst  in  den  germanischen  Sagen  einen  Platz  eribielt; 
kurz  seit  der  Zeit  Karls  des  Grofzen  waren  alle  Bedingangen 
zu  reicher  Tracht  im  voUsten  Mafze  vorhanden  und  wurden  toq 
den  reichen  auch  benutzt. 

Wir  bemerken  unter  den  Kleidungsstoffen  zuniohst  die 
Leinwand.  Schon  mehrmals  ward  erwahnt  dafz  die  Bonier  die 
Linnenweberei  der  deutschen  Frauen  riihmten  und  dftTz  dit 
Leinwand  fortwarend  sehr  geschatzt  blieb.  Sie  ward  vielfach  fiber 
das  Wollenzeug  gestellt.  Als  die  Eonigin  Ethelfride  yon  Snfaex 
in  das  Eloster  gegangen  war,  lebte  sie  sehr  streng;  aie  trog 
fortab  keine  linnenen  Gewander,  sondem  nur  wollene  (Beda  h* 
eccl.  4,  19).  In  England  stund  die  Linnenweberei  in  beeondeier 
Bliite,  aber  auch  die  Niederlande,  Niedersachsen  und  Sehwaben 
zeichneten  sich  friih  darin  aus^).  Die  thatigen  lombardiedien 
Stadte  blieben  nicht  zuriick;  veronesische  Leinwand  hatte  einen 
vorzuglichen  Ruf.  Im  spateren  Mittelalter  war  vomamlich  die 
brabantische  beruhmt;  Leinwand  von  Yalenciennes  und  BrQgge 
gieng  weit  nach  Osten.  —  Obschon  die  Deutschen  solcher  G^ 
stalt  im  eigenen  Lande  treffliche  Linnen  genug  hervorbrachten,  folg- 
ten  sie  doch  auch  hier  der  alten  Neigung  fur  das  Fremde  und 
hielten  byzantinische  Leinwand  fiir  die  feinste.    Die   Gh)then  be- 


')  Monach.  S.  Gall.  2,  17.       *)  Nachweisungcn  bei  Hailmana  Sltdfwwm 
des  Mittelalters  Bonn  1826.  1,  257—262. 


41T 

reits  bezogen  dieselbe  unter  dem  Namen  faban  und  die  hochdeut- 

Bchen  Stammo  samt    den   Romanen    kennen  gleichen  Namen  und 

gleichen  Stoff^).  Im  ganzenMittelalter  verstund  man  unter  Saben 

ein  besonders  feines  und  weifzesLInnen,  unter  defsen  besten  Er- 

zeugungsorten  das  KCnigreich  Marocko  in  den  Gedichten  genannt 

wird  (Lanzel.  4427).  In  welchem  Werte  es  war,  sieht  man  dar- 

aus  dafz  der  Saben  neben  Samt  und  Purpur  (Ulr.  Trist.  774),  ein 

andermal  weit  iiber  Purpur  und  Baldekin  gestellt  wird  (Gudr.  301). 

Er  ward   zu    Hemden,    Kleidemf  Waffenrocken,    Satteldecken, 

Hutbeziigen    und  Banieren    gebraucbt  und   oft  mit  Gold  durch- 

wiirkt*).    —    Eine   einheimische  Gattung  feiner  Linnen  hiefz  von 

dem  gleifzenden  Aussehen  gli:;:a;  wir  lemen  sie  bereits  im  neun- 

ten  Jahrhundert  kennen').    Doppeltgewebte  Leinwand  hiefz  zwl- 

lich,  Zwilich. 

Aufzer  dem  Lein  oder  Flachs  wurde^'auch  der  Hanf  als  / 
Webestoff  gebraucbt ;  Karl  der  Grofze  bestimmte  dafz  auf  seinen 
Meierhofen  hanfenes  Gewebe  (canava,  canavina,  caneYaHum)  ge- 
halten  werde.  Die  BaumwoUe  kam  naturlich  erst  spater  unter  die  [ 
deutschen  Volker.  Die  Araber  verarbeiteten  sie  in  Spanien  sehr 
haufig  und  schickten  ihre  Gewebe  besonders  von  Barcelona  nach 
Oberitalien,  von  wo  aus  sie  weiter  verhandelt  wurden.  Inde- 
fsen  fanden  sich  hier  bald  Nebenbuler  indem  Venedig  wie  die 
meisten  oberitalischen  Stadte  allmalich  eigene  BaumwoUenwebe- 
reien  anlegten.  Deutschland  folgte  erst  spater  nach;  der  robe 
Stoff  kam  iiber  Italien  *)  zu  uns. 

Seit  sehr  friiher  Zeit  wurde  die  Wo  lie  von  den  Germanen  I 
2u  Tuchem  verarbeitet.  SchafwoUe  und  Ziegenhare  *)  wurden  be- 
nutzt    und   zum   Theil   von    den   heimischen   Herden   genommen 
zum  Theil  vom  Auslande  bezogen.  Die  besteWolle  lieferte  unter 


')  cdpccvovy  mlt.  sabanum,  favanum.  span,  favana,  provenc.  favena.  —  ahd. 
khan,  mhd.  fahen.  mnld.  fahele.  *)  Lanzel.  3273.  4424.  Nib.  584.  Gudr.  801. 

*82.  1189.  Ulr.  Trist.    774.    Ferguut  68.   mnl.  fragm.  v.  d.  Nibcl.  37.  »)  Du 

Cange  8.  V.  glizzum.  Graff  4,  291.         *)  HiiUmann  Stftdtewesen    1,  71.         »)  Ge- 
^^be  aus  Ziegenharen  schon  Saem,  103.  Bonifac.  ep.  3. 

27 


418 


den  germanischen  Landern  England,    das  beste  Tuch  wurde  be- 
reits  im  achten  Jahrhundert  an  den  Kiisten  der  Nordsee ,  in  Fries- 
land  bereitet ').    Unter  den  Erzeugnifsen  seines  Keiches,    welche 
Karl  der  Grofze  dem  Chalifen  Harun  schickte ,  waren  auch  frie- 
sieche  Tiicher  von  verschiedenen  Farben:    weifze,    graue,   blaue 
und  bunte  (Monach.  sangall.  2,    9.  Einhardi  vita  c.  16)*).    Dea 
Friesi^chen    Tuches   Kuhm    erbte    das   niederrdndische.     Es  ward 
ineist   aus   englischer  WoUe  gefertigt  und  hatte  seine  besten  Er- 
zeugungsorte    in    Gent  *) ,    Brygge ,    Ypern ,    Mecheln ,    Briifself 
Antwerpen    und    vielen    andem   flandrischen    und    hollandisoheo 
Stadten.    Theils  iiber  Italien  theils  auf  der  Donau  gieng  es  nach 
Byzanz  und  Syrien.     Die  Donau  herauf  kam  ungarische  Wofle, 
die  in  Oesterreich  z.  B.  in  Tuln  und  St  POlten  *) ,   weiterhin  in 
Pafsau,  Regensburg,  Speier  und  anderen  mi tt elrheinischen  Orten 
verarbeitet  ward.  Auch  Niedersachsen  lieferte  beliebte  Tuche  mit 
denen    seine  Seestadte   einen    sehr  ergiebigen  Tauschhandel  nach 
Preufzen  gegen  kostbares  Pelzwerk  trieben  *).  Warend  frtkher,  da 
Deutschland  erst  bekert  war,   englische  Tuche  hierher  gebracht 
wurden  (Bonifac.  ep.  89.  124),  musten  spaterhin  aus  den  Nieder- 
landen  die  feineren  Arten   nach  England  gefurt  warden ,   defsen 
Tuche   erst    durch   niederlandische   Weber  verbefzert   wurden*). 
Seit  dem   kam    namentlich  Londisches  Tuch  tiber  Hambuig  bis 
Sliddeutschland  (Schmeller  baier.  Worterb.  2,  480). 

Neben  den  heimischen  WoUenzeugen  wurden  durch  4en  Ver- 
ker  mit  Italien  Spanien  und  dem  Morgenlande  eine  nicht  un- 
bedeutende  Zahl  fremder  bekannt  und  uachgemacht.  Wir  bemer- 
ken  unter   ihnen   zuerst   den  Barragan''),    einen  leichten  aber 


•)  Bonifac.    ep.  42.   Hullmann  Stadtewesen  1,  217—246.  C   Barthold  G«- 
Bchichte  der  deutschen  Stadte.  (Leipzig  1850)  1  ,    68.  135.  »)  Vgl.  Wdl  Ge- 

Bchichte  der  Chalifen  2,  162.  *)  Helbl.  2,  77.  Loliengr.  78.  —  Blanes  TuchtW 
1  landern  Kittel  44,  22.  *)  Hclbl.  1,  314.  MSH.  3,  249.'  v.  Karnjan  W  Hi»P« 
Z.  f.  d.  A.  4,  252.  »)  Adami  gest.  Hamaburg.  eccl.  pontif.  4,  18.  •)  Indm 
jungen  Gedichtc  der  Kittel  (berausg.  Stuttg.  1850)  wird  ein  scbdnef  iwreoro'"* 
Tuch  von  England  erwahnt,  in  das  Frau  Ere  gekleidet  ist  Kittel  42,  ai.  *)  ^^^ 
barrcicanus.  provenc.  barragagan.  franz.  baracan. 


419 


Ichtgewebten  Stoff,  der  noch  heute  unter  dem  Namen  Bergan 
ekannt  ist.  Er  wurde  besonders  inRegensburg  gefertigt  und  als 
in  feineres  Zeug  in  den  alten  Statuten  von  Klugny  verboten  '). 
;h  finde  roten  und  griinen  Baragan  erwahnt  (Lanz.  4828.  Nith. 
►en.  399).  Der  Bergan,  ^der  noch  jetzt  in  Schlesien  und  Sach- 
3n  von  den  Landleuten  getragen  wird ,  ist  ein  moir^artig  ge- 
ebter  steifer  Zeug,  entweder  grun  oder  griin  uiid  rot  gestreift.  Dem 
laragan  ahnlich  war  der  Buckeram^),  aus  Ziegen-  oderBock- 
aren  gewebt ,  woher  sein  Name  kommen  soil.  Feine  Arten  ,  zu 
lenen  der  Stoff  aus  Syrien  Armenien  Persien  und  Cypern  kam, 
Henten  zu  Hemden  Hosen  Waffenrocken  Frauen-  und  Monebs- 
leidem  ').  Seine  gewonlichste  oder  beste  Farbe  scheint  weifz  ge- 
^esen  zu  sein.  Zu  den  WoUenstoffen  gehOrte  auch  der  B  run  it 
der  Brunat,  ein  dunkeles  oder  ganz  schwarzes  Zeug*),  def- 
len  Wert  verschieden  war,  da  neben  feinem  auch  schlechter 
Jrunit  erwahnt  wird  den  der  Geiz-  (ravarice)  tragt  (Rom.  de 
a  Rofe  214).  Der  Broinit  gehorte  zu  den  verbotenen  Gew^and- 
stoffen  der  Monche  und  Nonnen  (panni  irregulares).  Ein  feines 
Wdlentuch  war  der  Diasper**^,  seinem  Namen  nacb  ein 
verschiedenfarbiges  schillemdes  Zeug ;  indefsen  wird  auch  weifzer 
Diasper  erwahnt.  Der  F  err  an®)  scheint  ein  Tuch  aus  Wolle 
und  Seide  gemischt;  die  Farbe  war  apfelgrau,  wie  der  Name 
andeutet.  Von  reiner  Wolle  dagegen  war  der  Fritschal  (mlt. 
Wtfalum),   der    in   griin   und  gelb  vorkommt.    Bekannter  ist  der. 


')  Jager  Schwabisches  Stftdtewesen  des  Mittelalters.  Bd.  1.  (Ulms  Verfa- 
*zang  etc.)   63.    Lang   Baierische    Jahrbiicher  346.  *)  Mlt.  boqueramnus,  pro  v. 

^oqueran.  hocaran,  franz.  bouqueran.  bougran,  ital.  bocarani.  ')  Hiillmann  Stadte- 
wesen  l,  41.  —  Parz.  588,  15.  Eracl.  4702.  vgl.  Martina  130.  Walih.  Ill,  14. 
^rauendienst  79,  20.  —  Roquefort  glofs.  1,  172.  Raynouard.  lex.  rom.  2,  232. 
)  fwarz  als  ein  beck  von  brunite  Engelh.  4692.  de  nigra  bruneta,  concil.  Trevir. 
^227.  c.  16.  —  Mlt.  bruneta.  brunetum.  prov,  bruneta,  franz.  brunette.  ^)  Mlt. 
«»a/pn<«.  diafpra.  prov.  diafpra^  diafpe,  franz.  diaspr^,  diapr€,  —  cf.  Du  Cange 
*•  V.  diafpratus.  Italis  diafpro  est  jafpis ,  nostris  diaspri  variegaius ,  diverficolor 
^^ftar  jafpidis.  *)  lAU.  ferrandus.  ferrandinus.  Tgl.  Du  Cange  s.  y,  ferrandus. 
^ynouard  lex.  rom.  6,  24.  Roquefort  glofs.  rom.  1,  587.  590.  Lacbmann  zu  den 
Njbelungen  535,  3. 

27* 


420 

K  a  me  lot    oder    Kambelin  *),     ein    Zeug    aus  KamelhareD, 
das  am  beaten   in  Itallen    und   Amiens    und   Kambray   gefertigt 
wurde;  er  ist  heute  noch  bekannt.    Yon  ihrer  Leichtigkeit  mid 
der    seidenartigen    Feinheit    hatte     die    Serge^     den    Namen, 
welche  aufzer  in  Flandern  besonders  gut  in  England  und  Irlmd 
gewebt  ward.     Am  beliebtesten  unter  den  feineren  WoIlemEeugeo 
war  indefsen  der  S  char  la  oh  ^).  Seine  gewonlichen  Farben  siod 
rot  und  braun,  daneben  wird  griiner  und  blauer  und  selbst  wd- 
fzer  erwahnt  ^).  Der  beriimteste  ward  in  den  Niederlanden  gefertigt, 
besonders  in  Gent^j  und  Ypern,   wobei  die  trefflichen  niederlin- 
dischen  Farbereien  in  Betracht  kommen.  Daneben  ward  der  engliache 
und  der  Regensburger  Scharlach  friih  geschatzt.  In  Deutschkmdi 
Skandinavien ,  England  und  Frankreich  gehorte  der  Scharlaoh  zu 
den  geechatztesten  Kleidstoffen:    fcharlachen  ift  ein  riche  gewant 
und  kleidet   wol  die  liute  sang  der  Gut'are    (MSH.  3,  42*»).  Ei 
war    der   eigentlich   ritterliche    Zeug ,    das  .  kostlichste  Felxwerk 
diente   zu  seiner  Yerbramung    und  goldene  Stickerei    hob  seine 
Farben    prachtig  hervor.     Sine  Scharlaehart    war  yielleicht  der 
Schiirbrant.     Schiirbrant  von  Arras  wird  als  Ueberzng  einer 
Marderdecke  genannt  (Parz.  588,    19)»     Die   Sei*)  war  ein  &i- 
neres  Wollenzeug;    eine  grobere  Gattung,    die   zu  Schnben  und 
Hosen  benutzt    ward,  (Wilh.  196,    3.    Iwein    3456)   wurde  M» 
Ziegenharen  gewebt.  Eine  Unterart  war  der  Seit,  der  meist  rot 
gefarbt  zu  Rocken  und  Schuhen  verarbeitet  wurde  ^). 

Noch    mannichfaltiger   als    die  Wollenzeuge  waren  die  Sei- 


')  Mlt.  camelinum,  franz.  cameltn.  cameline*  *)  Mlt.  fargium^  ftu^Mtiti^ 
prov.  ferga,  faxdiU  franz.  farge ,  farger ,  f argil,  *)  Mlt  fcarlaivm,  farUtKM' 
efcarletum.  fcarlata.  fcarlacum,  franz.  efcarlate.  prov.  efcarlctt,  *)  Pan.  282, 8*« 
Wilh.  63,  22.  Wigal.  8871.  Eracl.  3594.  Engelh.  3098.  Ulr.  Triflt.  776.  Heinr. 
Trist.  1942.  Wigam.  863.  1746.  4336.  4684.  Georg  1462.  —  Karlmainet  S8. - 
Fischart  Gcschichts  Klitt.  c.  56.  —  Fr.  Michel  im  Theatre  fran?.  p.  102  und  Bitf" 
fenberg  zu  Godefr.  de  Bouillon  3524  behandeln  das  Wort  ^carlate  mit  iuin5ti|« 
Schwierigkeit.  »)  Wilh.  63,  22.  Lohengr.  78.  vgl.  Lachmann  zn  KibeL  3M,  *• 
Le  Grand  et  Roquefort  vie  privee  3,  404.  •)  Mlt.  faga.  fagick,  fata,  /V*" 

prov.  faga.  fata,    franz.  faye,         ')  fagetum.  franz.  faiette^         Iw.  3464.  ^iifSr' 
1425.  Hehnbr.  140.  Schmeller  baier.  Worterb.  3,  289. 


421 

'  1 

enstoflfe ,  deren  Heimat  Hochasien  ^>  zumal  das  Land  der  Se- 
er war,  die  aber  spater  auch  im  Abendlande  in  Spanien  Ita- 
en  und  selbst  in  den  Niederlanden  ^)  gewebt  wurden.  Der  allge- 
xeine  Name  dafiir  war  und  ist  S  e  i  d  e  ^.  Die  Gedichte  des 
Gttelalters  nennen  uns  die  bald  wirklichen  bald  ertraumten  Orte 
irer  Herkunft;  da  erscheint  Seide  von  Arabien,  von  Libien , 
f arokko ,  Ninive ,  Alexandrien ,  Syrien ,  aus  Zazamank  ,  Aza- 
lauk,  Abakie  und  Sefsoak;  wir  werden  also  auf  die  asiatische 
md  afrikanische  Heimat  gefiirt.  Die  Farbe  war  verschieden : 
chneeweifz,  griin  wie  Klee,  rot,  gelb,  schwarz,  wolkenblau ; 
las  verschiedenste  ward  aus  Seide  gefertigt:  Hemden ,  ROcke, 
Ceppiche ,  Bettbeziige  und  Fanen ;  ausschweifende  Dicbterphan- 
asie  lafzt  sogar  Segel  daraus  machen  (Gudr.  267). 

Der  bekannteste  und  verbreitetste  Seidenstofif  hiefz  Pfellel,  ( 
?feller  oder  Pfelle*).  Urspriinglich  nur  Benennung  eines 
Jtats-  oder  Kirchengewandes  (pallium)  iibertrug  sich  von  dem 
JeidenstoflF,  aus  dem  jenes  gewonlich  gemacht  war,  das  Wort  auf 
las  Zeug.  Die  wunderbarsten  Namen  und  Sagen  tonen  uns  in 
ien  Gedichten  iiber  Bereitung  imd  Herkommen  des  Pfellels  ent- 
gegen.  Im  Wigalois  (7431)  wird  erzalt  wie  in  der,  grofzen  Asia 
ein  weiter  holer  Berg  liege  voll  ewigen  Feuers,  in  dem  die  Sa- 
lamanderwiirme  einen  unendlich  kostbaren  Pfellel  wQrken  der 
unverbrennbar  ist  *').  Im  Wigamur  (14462)  heifzt  es ,  in  der  wii- 
sten  India  bei  der  Burg  Grarimort  wachse  ein  schlichter  Baum, 
der  trage  die  feinste  Seide  glanzend  wie  gesponnen  Gold;  Pfellel 
daraus  verleihe  demjenigen  der  ihn  tragt,  unendliche  Pracht. 
Fast  alle  Ortsnamen    wo    der   kostliche  Zeug   daheim   sein    soil. 


')  Vgl.  K.  Ritter  Erdkunde  8,  694.  ff.  «)  Nith.  (Benecke)  351.  Nibel.  1763. 
/  Mlt.  ital.  feta,  prov.  span,  feda*  ceda»  franz»  foie.  Vgl.  Ritter  Erdkunde  8,  708. 
)  Mli.  pallium,  palla.  prov.  pallu  pali,  span.  ital.  paUo,  franz.  paile,  —  Altnord* 
ptll  — .  Dafz  Pfelle  in  mhd.  Zeit  kein  BaumwoUenstoff,  sondern  Seide  war  (vgl. 
•^»  Wackernagel  im  Glofsar)  ergeben  aufzer  vielen  andern  Stellen  auf  das  dent- 
Hchste.  Nib.  408.  533.  534.  Wigal.  7442.  *)  Eine  besondere  Art  des  Pfellels 
•^efz  Salamander.  Wilh.  366,  5—11.  Lohengr.  164.  Grimm  Ged.  anf  Friedrich  den 
Staufer  114.*  Der  Spiegel  (Stuttg.  1850)  133,  22.  Sleigertuechlin  209,  14. 


422 

weisen  auf  Afrika  und  Asien.  Aufzer  Arabiea,  Libien,  Syrien, 
Sarrazenenland ,  Griechenland,  Babylonien,  Ninniye,  Persien, 
Salonichi,  Alexandrien  klingen  uns  Namen  entgegen  wie  Adra- 
mahut  ^)  in  Morland,  Akraton,  Alamansura ,  Azzabe,  Agatyrs- 
jente,  Afsigarzionte ,  EcidemoDis,  Ethnise,  GniduDte,  Gampfa- 
fsasche,  Ipopotikon,  Kalomidente,  Kampalie,  Neuriente,  Pat- 
schar,  Pelpiunte,  Sarant,  Sun  tin,  Tabronit  im  Lande  Tribalibot, 
Thasme,  Thesaite,  Thopedifsimonte,  Tryant,  Auf  sicherem  Bo- 
Ccn  stehen  wir  dagegen  bei  Almaria  dem  beriimten  Hanptsitze 
der    arabisch  -  spanischen  Seidenarbeiten  und  bei  dem  gewerbflei- 


')  Adramahut  scbeint  das  alte  *A,TQocfivtTiov,  das  hentige  Adramiti,  Lesbos 
gegeniiber  un^er  dem  Ida»  Akraton  vielleicht  Alexandria  Arachoton,  hente  Kan- 
dahar. Bei  Alamansura  bieten  sich  verscbiedene  Orte;  icb  mochte  an  ManTznn 
dcnken  am  Indus ,  eine  bedeutende  Handelsstadt  fur  Inder  and  Chinesen,  wdche 
u.c  Araber  eroberten  (Weil  Cbalifen  2,  305).  Ein  Almanszurah  am  ontem  Tigris 
und  Mauszurah  in  Egypten  an  dem  Canal  zwischen  Damiette  nnd  dem  See  lien- 
zaleb,  mocbtcn  aucb  zu  beach  ten  sein.  In  Spanien  (Granada)  ist-ein  KfistenflnTi 
Almaiizora  bekannt.  Azzabe  ist  ohne  Zweifel  Afsabee,  Ecebeh,  am  ZnsaoimeD- 
flufz  von  Tigris  und  Eaphrat.  Fatschar  ist  vielleicht  das  bedeutende  Banra  am 
vucren  Euphrat,  ein  wichtiger  Ort  fiir  die  Araber  (\7eil  Cbalifen,  1,  78).  Bei 
Sarartt  ist  vielleicht  an  Sari  oder  Saria  am  Tedjenflufze  zn  denken,  die  bedeu- 
tende Stadt  in  Tabrestan,  jenem  Gebirgslande  siidlich  vom  kaspischen  See,  wo  die 
Seide  Hauptprodukt  war  (K.  Bitter  Erdkunde  8,  529).  Auf  Tabristan  mSchte  ich 
auch  Tabronit  zuriickfiiren.  Das  Land  Tribalibot  worin  Tabronit  naoh  Wol£rtm 
V.  Eschcnbach  (Parz.  374 ,  29)  liegt ,  erinnert  an  den  Thrakischen  Stamm  der 
Ti'iballer,  die  in  Mosien  sal'zen,  so  wie  bei  Agatyrsjente  der  Name  des  skjthiadieB 
Stammes  der  Agathyrsen  anklingt,  welche  Herodot  und  Ftolemans  nennen.  (ZeoTi 
die  Deutschen  274.  278.  ffj.  Ob  bei  Tryant  an  das  sfidtirolische  Trient  oder 
das  italischc  Yorgebirge  Trianto  zu  denken  sei  oder  woran  sonst,  ist  mir  zweifel- 
haft.  A'^^agouk  ist  vielleicht  aus  Gazaka  am  Urmiasee  verst&mmelt ,  vieUeicht  is^ 
es  aber  ebenso  erdichtet  (vgl.  Lachmann  zu  don  Nibel.  417,  6)  wie  so  riele  die- 
ser  seltsamen  Namen,  welche  aller  Erklarung  trotzen.  Auf  Spanien  weieen  die 
Endungen  in  Agatyrsjente,  Afsigarzionte,  Gnidunte,  Kalomidente,  Keoriente,  Pel' 
piuute,  Thopedifsimonte.  Man  mufz  sich  erinnem  wie  im  12.  nnd  18«  JahritnB' 
dertc  zu  den  fabclhaftcn  Kunden  aus  dem  Morgenlande  mancherlei  Mittheilungen 
aus  den  antiken  Beisewerken  traten,  die  zum  grosten  Theil  durch  Isidors  Onff^ 
vermittelt  wurden,  um  das  wunderbare  Gemisch  in  den  geographischen  Angola 
sich  zu  erklaren  und  auch  manche  meiner  obigen  Dcutnngen  nicht  absnrd  sn  ^ 
den.  Zeunes  Aufsatz  liber  Erdkundliches  im  Nibelungenliede  ist  mir,  dieCs  !■ 
nachtriiglich  bemerkt,  nie  zn  Gesicht  gekommen. 


428 

fzigen  flandrischen  Arras.  Wolfram  vonEschenbach,  bei  dem  sich 
viele  jener  wunderbaren  Ort-  und  Landernamen  finden,  beschenkt 
una  auoh  mit  einigen  besondern  Pfellelnamen.  Einen  Pfellel  so 
heifz  an  Glanz  dafz  ein  Straufz  seine  Eier  daran  hatte  ausbrii- 
ten  konnen,  nennt  er  Pofufz  (p&%.  Wilh.  364,  27.  367,  26); 
einen  andern  DrianthasmS  (Parz.  775,  5),  noch  anderen  Saran- 
thasmS  (Parz.  629,  27.  756,  28).  So  verscbieden  diese  Namen,  so 
verschieden  waren  die  Farben  des  PfeJlers ;  schon  in  althochdeut- 
scher  Zeit  wird  brauner,  roter,  gelber,  grftner,  schwarzer  erwahnt, 
spater  noch  weifzer,  violetter  und  tausendfarbiger.  Ebenso  mannich- 
fach  war  seine  Verwendung,  denn  er  ward  zu  Kleidern,  zu  Ueber- 
ziigen  bei  Betten  und  Schemeln,  zu  Rofs-  und  Zeltdecken 
verbraucht. 

Sehen  wir  nun  welche  andere  Seidenstoffe  bei  uns  im  Mit- 
telalter  getragen  wurden.  Als  gruner  arabischer  Zeug,  befzer  als 
Samt ,  wird  der  Achmardi')  geschildert.  Aus  Bagdad  oder 
Baldak  kam  der  Baldekin,  urspriinglich  ein  sehr  kostbarer 
Stoff,  aus  Seide  und  Goldfaden  moir^artig  gewoben  ^) ,  der  in- 
defsen  hier  und  da  schlecht  und  leicht  gefertigt  ward  (Eneit 
12738.  Gudr.  301.  Kittel  24,  26).  Er  war  einer  der  getragensten 
Zeuge  und  stund  im  allgemeinen  in  hoher  Achtung.  Dem  befzeren 
Baldekin  war  der  Blialt  oder  Bliat  verwandt*),  ein  theuerer 
golddurchwiirkter  StoflF,  defsen  beste  Farbe  purpurbraun  oder 
schillernd  war*).  Urspriinglich  bezeichnete  das  Wert  einGewand, 
das  allenfalls  auch  aus  Hanfgewebe  oder  BaumwoUe  gemacht 
sein  konnte  (Du  Cange  s.  v»  bliaudus).  Aus  Seide  und  Gold  be- 
stund  auch  der  Ciklat  oder  Siglat^);  auch  diefz  Wort  be- 
zeichnete anfanglich  ein  Kleid  und  dann  den  Stoff  aus  dem  daf- 
selbe  gewGnlich  geschnitten  wurde.    Die  Araber  nannten  ein  fei- 


*)  Parz.  14,  20.  36,  27.  71,  25.  235,  20,  Lohengr.  p.  63.  *)  Mlt.  bal- 
dakinus.  franz.  haudequin.  —  Ernst  1697.  Frauend.  347,  19.  482,  29.  Georg  1459. 
Dietr.  Flucht  658.  —  Schwarzer  Baldekin  Kittel  43,  25.  gruner  Kittel  45,  1.  — 
Vgl.  Ritter  Erdkunde  10,  275.  *)  Mlt.  hlialdus.  bliaudus,  blizaudus.  prov.  blial- 
bliau,  blizaut.  franz.  bliaut.  bllaus,  *)  Eneit  1265.  Konr.  troj.  kr.  146.*  *)  Prov. 
fisclaton.  fisclato,  franz.  fifjlaion.  J'iyleton.  rgl.  Baynouard  lex.  rom.  5,  238. 


424  _ 

nes  buntes  Tuch  aus  Kamelhar  Siglat.  Zu  dem  sohlechteren  Bal* 
dekin  stimmte  der  Kate b latin  0*  I^^r  Palmat  ersoheint  bei 
Wolfram  von  Eschenbach  als  ein  leichteres  Seidenzeug,  andeiv 
warts  als  ein  feiner  weicher  Stoff^.  Eine  pfauenartig  achillemde 
Seide ,  P  f  a  w  i  n  genannt ,  wurde  besonders  in  England  (London 
und  Sincester)  gefertigt*).  Sie  war  eine  Nachamung  derPfauen- 
fedem,  die  nebst  andern  Vogelfedern  schon  zu  Karls  des  Grro- 
fzen  Zeit  in  der  Lombardei  von  den  jungen  Stutzem  auf  Seiden* 
zeug  getragen  warden  (Monacb*  sangall.  11.  17).  Wenig  sohemt 
der  Pur  ein  im  Brauch,  ein  griechischer  Stoff  (Konr.  troj.  kr, 
14919),  und  der  Kosat  (Wigal.  2748).  Dagegen  stund  der 
/  P  u  r  p  u  r  im  hochsten  und  allgemeinsten  Anseben  *).  Er  war  wie 
der  Blialt  eine  schwere  meist  golddurchwebte  Seide ,  deren  Name 
mit  der  Farbe,  ebenso  wie  das  beim  Scharlach  sich  zeigte,  we- 
nig im  Zusammenhang  steht.  Zwar  wird  purpurbrauner  tind 
violetter  Purpur  *)  erwahnt ,  daneben  aber  auch  wachsgelber 
und  weifzer  ^) ;    der  kdstbarste  war   der  scfaillemde.     AIr   Kaiser 

• 

Lothar  1135  zu  Merseburg  Hof  hielt,  kamen  byzantinische  Oe- 
sandte  und  brachten  Gold  Edelsteine  imd  verschiedeinfarbigen 
Purpur '') ;  im  Eraklius  (35849)  wird  ein  griin  und  schwarz  spie- 
lender  Purpur  beschrieben.  Seine  Farben  waren  steta  glan- 
zend  und  kraftig  ^).  Ebenso  gediegen  und  wertvoU  war  der 
/  Samt^.  Aus  dem  Morgenlande  bezogen  (von  Persian  y  Azagaak, 
Ethnise,  wie  die  Dichter  sagen^  ward  er  in  Italien  gleich  andern 
guten  Seidenzeugen  nacbgemacht  und  von  bier  nach  Deutachland 
eingefiirt.  In  Deutschland  wurde  die  Samtweberei  erst  naoh  1515 


^)  Mlt.  Eatablattion  —  Eneit  12737.  Da  Ganges,  y.  catablattion.  *)  Pan. 
652,  17.  683,  13.  760,  14.  790,  7.  Wilh.  100,  10.  353,  19.  —  Trist.  1688S. 
Schwanenr.  120.  1047.  Wolfdiet.  349.  •)  Parz.  313,  10.  605,  8.  722,  18.  tj^.  Pan* 
225,  2.  690,  13.  Du  Cange  s.  v.  pavonatilis  pannns.  *)  Mlt  purpura.  'prOT,  porpra. 
polpra.  franz.  porpre.  ^)  Trist.  1584.  Konr.  troj.  kr.  2943.  ^)  Konr.  troj.  kr. 
12074.  Da  Cange  s.  h.  v.  0  Annal.  Erphesfard.  Pertz  8,  540.  *)  In  der  Ghidnn 
(301)  wird  der  Parpur  nebst  dem  Baldekin  gegen  die  Leinwand  (fabsii)  herabge- 
setst.  *)  Mlt.  examitum»  xcmitum,  famitum,  famita,  prorensv  famit.  firans.  famti* 
famgnie. 


')  )  Jager  Ulm  649.  *)  Chronic,  mont  Cafs.  3,  18  (Pertz  9,  711).  — 
triblattus.  trihlatton.  ")  Eneit  9233.  Wigal.  2233.  8906  —  Trist  11125.  *)  imflW, 
findal.  zenddt.  mlt.  cendalum,  cendcttum,  fendcUum,  zendardum,  proY.  eendaL  cenddt* 
itaL  zendato.  franz.  cendaL  cendau.  fandal,  fendal,  *)  Qegi,  abb.  Fontanellens. 
823—833.  Fertz  2,  295.  *)  HaUmann  Stadtewesen  1,  64.  66.  335«  Grimm  and 
Schmeller  Lat.  Gedichte  des  10.  und  11.  Jahrhunderts  233.  Le  Grand  et  Boqaef. 
Tie  privde  3,  404. 


425 

betrieben  ^).  Der  Samt  wurde  in  mereren  Farben  getragen,  in 
rot,  grun,  gelb,  blau,  parpur,  weifz,  8chwar2  und  braun.  Eine 
geringere  Art,  die  unser^m  Manchester  entsprochen  habefi  magy 
hiefz  Bastardsamt  (Parz.  S52,  12).  Aufzer  zu  Eleidern  wurde 
der  Samt  auch  zu  Bett-  und  Satteldecken  und  Scbildriemen  ge- 
braucht.  Weniger  bekannt  ist  der  Sarumin,  in  Morfzi  im  Hei- 
denlande  am  besten  gewirkt  (Lanzel.  864);  der  Satin  (zatouiny 
und  der  Taft  (taflfata.  taffeta)  werden  in  'alterer  Zeit  gar  nictit 
bei  una  genannt.  Eine  befzere  Seide  war  der  Triblat.  Der  Abt 
Desiderius  im  Kloster  Monte  Cafsino  wolte  zwanzig  Triblattii- 
cher,  die  er  in  Amalfi  gekauft  hatte^  dem  Kaiser  Heinrich  lY. 
zum  Frommen  des  Klosters  verehren  ^).  Den  Namen  hat  man  da- 
hin  gedeutet  dafz  das  Zeug  dreimal  in  Scharlach  oder  Purpur 
(blatta)  gefarbt  sei.  Brauner  Triblat  wird  auch  erw9.hnt  (Lanz. 
4817).  Im  allgemeinen  wird  er  unter  die  Pfellerarten  gerechnet 
(Biter.  9859.  Wigam.  1532).  Weniger  gut  mag  der  Zimit  oder 
Tim  it  gewesen  sein ,  von  dem  ich  eine  grtline  und  eine  braune 
Art  erwahnt  finde^).  Ebenso  war  der  Zindal*)  leichtere  Seide, 
die  schon  im  neunten  Jahrhundert  in  den  verschiedensten  Far- 
ben  bei  uns  getragen  wurde  *).  Am  oftersten  fand  er  sich  rot, 
gelb,  blau,  griin,  schwarz  und  weifz.  Am  beisten  Wurde  &t  in 
Italien  in  Lucka ,  in  Spanien  in  Granada  gefertigt ;  ailcti  kam 
griechischer  Zindel  die  Donau  herauf;  Kegehsburg  lieferte  eben- 
falls  diefz  Seidenzeug  ®). 

Die    befzeren    Seidenstoffe    wurdeni    kum    Theil    mit    Gold   I 
durchwebt.  Wir  haben  aufzetdem  schon  von  den  Stickereien  ge- 
sprochen  worin  die  germanischen  Frfttlen  frtih  erfaren  waren.  In 


426 

der  prachtliebenden  hOfischen  Zeit  warden  dieselben  noch  kostba- 
rer  als  friiher,  indem  an  Gold  Seide  und  Edelsteineh  nichti 
gespart  ward.  Was  heute  die  reichen  Hals-  und  Stimbandcr  sind, 
das  waren  damals  diese  Arbeiten  mit  der  Nadel:  eine  Grel^en- 
heit  namlich  den  Reich thum  zur  Schau  zu  legen.  Die  Borten, 
die  Nahte  der  Roeke ,  die  Saumstreifen ,  die  Hauben  atrotzten 
yon  Gold  Perlen  und  Edelstein*  Die  Gedichte  geben  auch  hier 
wieder  Egjpten  und  Indien,  Grieehenland ,  Cypem,  Arabien, 
Heidenland ,  den  Kaukasus  und  Azagauk ,  Kurianz ,  Kusart  und 
andere  fabelhafte  Orte  des  Orients  als  den  Fundort  dieser  Smt- 
ragde,  Saphire,  Jacbanten,  Topase,  Jaspise,  Onichilus,  Chry- 
solitbe,  Kalcedone,  Berylle,  Amethiste,  Eubine,  Karneole,  K«r- 
funkel  und  sardischen  Steine>  der  Perlen  und  des  Goldes  du 
sie  reichlich  an  ihre  Helden  und  die  liebenswurdlg^i  Fnoen 
verschwenden. 
i  Zu   der   reichen  E[leidung  gehorle  femer  das   Pel«wert 

Tacitus  schilderte  uns  bereits  welchen  Wert  die  Germanen  anf 
schone  Felle  legten  und  wie  dieselben  einen.  Handelsg^enstind 
ausmachten,  sobald  die  Yerbindungen  mit  dem  Osten  und  Norden 
^ch  einigermafzen  erweiterten.  Mit  Schweden  und  Norwegen 
Preufzen  und  Eufzland  trat  ein  lebhafter  Tauschverker  ein,  wd- 
cher  Felle  von  Mardern,  schwarzen  Fuchsen,  Hermelinen  and 
Zobeln  und  Grau-  und  Buntwerk  nach  Deutsohland  brachte.  Dm 
Hansestadte  handelten  mit  den  Schweden  und  Preufzen ,  sfld- 
deutsche  Kaufleute  standen  durch  die  Donau  mit  den  ^Slaven 
Ungara  und  Griechen  inVerbindung  oder  sie  giengen  wol  sielbat 
nach  Moskau,  welches  damals  ein  solcher  Stapelplatz  fur  dea 
Pelzhandel  war  wie  heute  das  E^loster  Nishney  -  Novgorod  an 
der  Wolga.  Regensburg  und  Ulm  trieben  den  Handel  mitBauch- 
waren  in  ausgedentester  Art  und  sandten  ihre  Gfiter  nach  Jem 
Westen ,  nach  Byzanz ,  nach  dem  Siiden  und  gen  Norwegen,  wdr 
ches  feines  rufzisches  Pelzwerk  von  ihnen  erhandelte.  Die  befxeien 
Gattungen  gehOrten  auch  damals  zu  den  grOsten  KostbarkeiteD 
und  bildeten  schon  in  altester  Zeit  einen  Hauptgegenstand  fOn^* 


4at 

licher  Geschenke  ^) ;  ja  die  Erlaubnifs  sie  zu  tragen  war  nur  den 
vornemen,  in  der  ritterllchen  Zeit  nur  den  Rittern  gegeben. 

Am  gewonlichsten  unter  den  befzerenFellen  war  dasGrrau-  \ 
w e r k  und  das  Buiitwerk  oder  V e h  *).  Unter  Grau werk  ver- 
stund  man  die  Ruckenfelle  der  grauen  Eichhomchen,  unter  Bunt 
oder  Veh  ihre  Bauchfelle  und  die  Balge  der  Ziselmause*  Polen 
Rufzland  und  Ungam  lieferten  beides  am  besten^  Wie  es  meist 
zum  Futter  von  Manteln  und  Decken  verwandt  wurde,  so  auch 
der  Hermelin  (hermin.  harm*).  Unsere  alten  Dichter  nennen  I 
seine  Weifze  weifzer  als  blank,  durchscheinend  blau,  und  glan- 
zend  wie  Schwan ').  Seltener  war  gutes  Harder  fell.  Bremen 
ertauschte  es  von  den  Preufzen  und  Schweden,  Regensburg  von 
den  Ungam,  defsen  Konige  die  Abgaben  darin  erhuben.  Aus 
Schweden  kamen  auch  Biberfelle,  allein  nicht  haufig,  denn 
die  Schweden  selbst  erhandelten  sie  erst  von  den  finnischen  Nach- 
bam  *).  Auch  Luchs  Fischotter  und  Genit  waren  nicht  gewan- 
lich  oder  vielleicht  nicht  hochgeschatzt  und  darum  nicht  gesucht» 
Um  so  hoheren  Wert  hatte  der  Z  o  b  e  1.  Er  ward  hauptsachlich  I 
zum  Besatz  und  Vorstofz  auf  Hermelin  gebraucht,  von  defsen 
Weifze  seine  Schwarze  blendend  sich  hob.  Nicht  selten  schnitt  man 
aus  ihm  an  denSchilden  auf  Hermelingrund  das  Wappenbild  aus  oder 
€r  war  umgekehrt  der  Grund  zum  hermelinen  Wappenzeichen  *). 
Am  meisten  ward  er  aus  Rufzland  bezogen,  doch  kam  er  auch 
liber  Griechenland  ®)  aus  dem  tiefen  Asien ;  merkwiirdig  ist  dafz 
in  dem  Gedichte  von  Athis  und  Prophilias  (D.  144 — 163)  auch 
Zobel  von  Riigen  genannt  wird. 


*)  Priscus  exc.  legat.  (p.  48,  cd.  Venet.)  sagt  dafz  Pferde  und  Thierfelle  die 
gewonlichen  Geschenke  der  skythischen  Konige  seien.  Unter  den  Geschenken 
welche  die  byzantinischen  Gesandten  der  Fran  Bledas  bringen,  befinden  sich 
aufzer  silbemen  Gefafzen  indischem  Pfeffer  und  Sddfriichten  auch  rote  Felle. 
Priscus  p.  38.  *)   Grd  und  hunt,  grd  und  veh,   grifeum  et  vartum,  prov.  var  e 

gris.  franz.  gris  et  vair.  3)  Biter.  1165.—  Engelh.  3100. —  Wigal.  2409.  2289. 
*)  Egilssaga  c.  13.  14.  «)  Parz,  18,  7.  Erec  2305.  Lanzel.  374.  Fraaend.  482, 
27.  Konr.  troj.  kr.  11987.  *)  Im  Erec  2002  wird  Eonneland  zwischen  Griechen 
und  den  Heiden  als  bestes  Zobelland  gerftmt.  M.  Haupt  deutet  es  auf  Ikonium.  — 
In  Lanzel.  8866  wird  Zobel  aus  Cunils  genannt  „(/a  Jibille  din  alte  wi^age  was." 


428 

Aufzer  diesen  eigentlichen  Pelzen   warden  auch  Felle  yon 
'    Seethieren  getragen ,    wie  schon  jene  Stelle  in  der  Germania  des 
Tacitus   (^ap.  17)   schliefzen  liefz.  Plinius  (hist.  nat.  6,  28)  be- 
richtet  von  gleicher  Kleidung  bei  dem  Volke  der  Chelonophagen 
in    Karamanien.     Unsere    mittelalterlichen    Dichter    beschreiben 
glanzende  StofFe  die    aus   Fischhar  gemacht  seien,   und  EQeider 
aus  Fischhaut  geschnitten  0*  Unter  dem  Namen  Schinat  *)  kannte 
man  ein  glanzend  blaues  goldgepunktes  Fischzeug ;  auch  Schlan- 
genh'aute  scheint  man  zuweilen  an  den  Gewandem  verwandt  zxl 
haben  (Ferguut.  f.  27'). 

Die   Kunstepen  unserer  mittelalterlichen    Literatur  sind  be- 
kanntlich  so  uberwiegend  auf  das  aufzere  Leben  gebaut  und  ver- 
mogen  mit   hochst    sparsamen  Ausnamen  so  wenig  den  Stoff  cu 
liberwinden,   dafz  sie    in  reichlichen  Bemerkungen   hieriiber   ihr 
Verdienst  suchen  und  finden.  Man  mOchte  sie  schier  jenen  heroi- 
schen  Gedichten  der  Hoipoeten  und  Ceremonienrate  des  17.  und 
18.  Jahrhunderts  vergleichen  welche  in  der  Beschreibung  von  Cte- 
wandem  Pferden  und  Aufzugen  Dichterruhm  und  goldenen  Bei£aII 
erstrebten.  Uns  komtjene  Schwache  zuNutze,  dawir  hier  BOlehen 
aufzeren  Dingen  fronen  miifzen. 

Wir  finden  sehr  h&ufig  Kleiderschilderungen  in  den  erzalen- 
den  Gedichten  des  12.  und  13.  Jahrhunderts*  Im  Anfang  ver* 
raten  sie  naive  Treue  und  trockene  Sorgfalt,  in  der  Mitte  bd 
den  befzeren  eine  vorneme  Verspottung  dieses  Dichterherkom- 
mens,  weiterhin  eine  ekelhafte  Breite  und  Gesuchtheit  *)•  Die 
Trostlosigkeit  aller  hofischen  Poesie  spricht  sich  auch  hier  aus; 
erkiinstelt  wie  sie  ist,  felt  ihr  allenthalben  natiirliche  Warme 
und  frische  mannliche  Haltung. 

Lafzen  wir  uns  nun  zuerst  die  ganze  Erscheinung  einer  fiunen 


')  Lanzel.  4838.  Wigal.  810.  — Nib.  354.  Parz.  570,  2.  Gudr.  lS5ti.  Biter. 
1156.  Wigam.  433.  ')  Konr.  troj.  kr.  2980.  20120—39.  ')  Ygl.  fOr  letsterof 
als  einzigen  aber  schlagenden  Beweis  die  Schilderung  in  Konrads  t.  Wftnlmig 
Engelhart  3008 — 3102. 


429 

Frau  der  hofischen  Zeit  beschreiben  und  durchmustern  wir  als- 
dann  die  einzelnen  Kleidungsstiicke. 

Ueber  einem  feinen  Hemde  das  lange  Aermel  hatte  und 
defsen  gefaltelter  Halsbund  etwas  sichtbar  blieb ,  lag  der  Rock 
der  ,mit  einem  Borten  gegurtet  wurde.  Er  war  gewonlich  so  lang 
dafz  die  Fiifze  nicht  sichtbar  waren,  welche  in  Schuhen  und 
farbigen  Hosen  oder  Str&mpfen  staken.  Um  den  Sock  lief  ge- 
wonUch  ein  Pelzbesatz,  und  er  war  meist  mitPelzwerk  gefattert. 
Mitten  an  der  KopfoJB&iung  (dem  houbetloche)  warer  mit  einer 
Spange  oder  einem  kunstreichen  Vorspan  geziert  Die  Aermel 
lagen  eng  an  und  schlofzen  sich  mit  einem  Armbande  an  das 
Handgelenk;  indefsen  wurden  sie  vielfach  geandert.  Ueber  dem 
Bocke  hieng  der  Mantel.  Er  ward  nur  selten  oben  mit  den  Ta- 
fseln  oder  den  Haftbandem  geschlofzen,  und  fiel  lose  und  leicht 
an  den  Schultem  hinab.  Der  linke  Daume^  so  wolte  es  die  feine 
Sitte ,  hielt  die  eine  Spange ,  die  rechte  Hand  hob  den  Mantel 
etwas  unter  der  Hiifte  empor  so  dafz  sich  ein  voUer  Faltenwurf 
bildete  und  das  Pelzfutter  weiter  hervortrat.  Bock  und  Mantel 
waren  mit  farbigen  breiten  Saumen  eingefafzt.  Auf  dem  Kopfe 
lag  bei  den  unverheirateten  Frauen  ein  Kranz  frischer  Blumen 
und  Laubes  oder  aus  Edelstein  Perlen  Gold  und  Seide  ein  Ge- 
winde  oder  auch  ein  metallener  Beif.  Sonst  schmiickt^i  Schleier 
das  Haupt,  Binden  Stim  und  Wangen.  Handschuhe  durften  nach 
der  Hofvorschrift  dem  vornemen  Anzuge  nicht  felen  0» 

Bei  der  folgenden  Durchmusterung  muTzen  wir  etwas  tief 
in  die  Geheimnifse  des  weiblichen  Anzuges  eindringen.(^ch  mache 
also  Leserinnen ,  welche  die  Worte  Hemde  Hose  und  Bein  fiir 
unschicklich  halten ,  im  Voraus  darauf  aufmerksam  dafz  die- 
selben  in  den  nachsten  Satzen  haufig  aufstofzen  werden  und 
bitte  sie  dieselben  zu  liberschlagen ,  indem  ich  unglucklich  sein 
wiirde  ihren    zarten  Seelen  ein  Erroten  zu  erregen.\  Leider  ver- 


fk 


\-U 


')  Vgl.  Eneit  1692-1726.  Erec  1543—71.  Ath.  C*  57- 75.  D  134^168. 
Eracl.  3577  —  3601.  Wigal.  749—847.  10531—66.  Trist.  10904—48.  Franend. 
347,  30,  ff. 


«30 

langt  es  die   Vollstandigkeit  yon  solchen  unaoBtandigen  Sacheir3 
zu  handeln. 

''■         Das  Hemde,    ein  KleidungsBttlck  das  den  alten  Volkern  nn^^ 
bekannt  war,    scheint  germanischen  Ursprungs,    denn   als  Won^ 
genommen  -findet   es  seine   Erklarung  nur  im   Deutschen  0*   Icl — 
habe  schon  angedeutet  dafz  es  anfanglich  das   einzige  Unterge— 
wand  geweaen  sein  mag;    es  mufz  sich  aber  von  der  roiiiiBoIie^= 
Tunika  und  dem  griecbischen  Chiton  unterschieden  haben,  da  e^ 
Griechen  und  Romem  etwas  neues  war.    Sein  Stoff  war  in  ftlte— 
ster  Zeit  Leinwand  und  WoUe  ^).    Die  Leinwand  wechselte  be— 
greiflicher  Weise  je  nach  dem  Vermogen  zwischen  Sacktuch  und 
feinem  Saben;   unter   den   WolIenstoiFen    ward  der  Buckeram  zu 
Hemden  gebraucht  (Parz.  588,  15);  in  der  feinen  Zeit  des  Idlttel- 
alters  trugen  die  reichen  Frauen  Hemden  von  weifzer  Seide.  Dem 
kostbaren  Stoffe  verbanden  sich  Verzierungen ;  die  Nahte  wurden 
mit  Goldf&den  geschmiickt  (Wigal.  768)  und  zwischen  dem  Bnut- 
theil  des  Hemdes   (dem  muoder)  und  der  Faltenreihe  am  Hab- 
kragen  ward  zuweilen  ein  Stiick  Goldstoff  eingesetzt  (WigaL  3036). 
Auf  die  Faltelung  am  Halsbund^)  wurde  besonderer  Fleifz  Ter- 
wandt  (Herbert  618.  Wigal.  754)   da  dieser  Theil  sehr  oft  sicht- 
bar  war.     An   den  Seiten  befand  sich  eine  Vorrichtung  zum  Zn- 
schnftren   des  Hemdes ,    die   zuweilen  auch  mit  Gold  dnrchzogen 
war  (Engelh.  3042).     Die  Aermel   hiengen    wie   bei   den   Bocken 
nicht  am  Ganzen,  sondem  waren  abgetrennt  und  musten  jedetmal 
erst  angenEht  oder  angereiht  werden  ^).  Der  obere  Theil  des  Hem- 


')  hemidi,  einfacher  hamo  (altn.  hamr)  bezeichnet  jede  UmhfUluiig.  Uekam* 
(entstellt  in  Lcichnam)  ist  die  leibliche  UmhtUlung  der  Korper.  — ^  Die  ronuuL 
Wortc ;  mit.  camifia.  span,  camifa.  ital.  camicia,  frani.  ehemife.  sind  auB  dem  ger- 
manischen entlebnt.  Ueber  die  alten  Deutungen  von  camifia  s.  Val.  Schmidt  Petri 
Alfonsi  disciplina  clericalis  p.  134.  *)  Das  leinene  Hemd  hiefs  mit.  eaaJUii^ 

das  wollene  farciUs.  Guerard.  polyp t.  Irmin.  2 ,  71 7.  •)  Der  nc  —  riffon  (pit. 
reh)  bedeutet  reihenweise  anheften,  besonders  die  Falten  anheften.  Im  BchleeieclieB 
heifzt  gerigen  (und  schwach:  gereigeC)  gefHltelt.  —  Die  knoden  (Pan.  857,  14. 
260,  6)  sind  vielleicht  der  Streif  an  den  die  Falten  angesetzt  warden  und  an  dem 
die  Bander  sich  befanden.  *)  Frauend.  160,  27.  166,  25.  176,  7.  ^^  Herbert 

621.  Eracl.  1818. 


«1 

des  scheint  zuweilen  von  dem  unteren  trennbar  gewesen  (Wolf- 
<lieten  Adelung  Vatikan.  Handschr.  1^  234);  unter  dem  Land- 
Tolke  mancher  Gegenden  (z.  B.  in  Schlesien,  der  Oberlausitz)  ist 
bei  den  Frauen  ein  Oberhemd  gewOnlich,  das  nur  bis  etwas  un- 
ter die  Brust  reicht. 

Die  Nacht  iiber  ward  das  Hemde  in  der  Bliitezeit  der  mit- 
telalterlichen  Gesellschaft  gewonlich  anbehalten  0;  im  vierzehnten 
Jahrhundert  jedoch  ward  es  Sitte  ganz  blofz  das  Bett  zu  bestei- 
gen  2).  Als  Schlafrock  diente  entweder  ein  Mantel  oder  ein  Pelz  ^) 

Seit  sehr  alter  Zeit  scheint  bei  den  German  en  eine  beson- 
dere  UmhuUung  des  Beines  Sitte  gewesen  zu  sein.  Ovid  erzalt 
dafz  die  Umwoner  des  schwarzen  Meeres,  Geten  und  Sarmaten, 
ihre  Schenkel  durch  Pelzbekleidung  vor  der  Kalte  schiitzten  (Trist^ 
V.  7,  49.  10,  33)  *>;  Gallien  hatte  von  seinen  hosentragenden  Kel- 
ten  den  Namen  Gallia  bracata  erhalten,  und  die  ROmer  namen  von 
diesen  Volkern  dieselbe  Tracht  an.  SkytLen,  Inder  und  Perser  tru- 
gen  ebenfalls  Hosen,  von  den  Germanen  verrat  es  uns  Tacitus  sehr 
deutlich.  —  Das  deutsche  Beinkleid  zerfiel  im  allgemeinen  warend 
des  ganzen  Mittelalters  in  zwei  getrennte  Theile:  die  Bekleidung 
der  Oberschenkel  hiefz  Bruch  (bruoch,  brdk,  braca);  von  dem 
Kjiiee  bis  liber  die  Knochel  oder  auch  iiber  den  ganzen  Fufz  zo- 
gen  sich  die  Hosen '^)  (die  heutigen  Striimpfe).  Unter  dem  Bein- 
kleid wurden  Linnenlappen  um  die  Beine  geschlagen ,  Hosen  und 
Bruch  durch  Binden  und  Bander  festgehalten.  —  Uns  geht  hier 
die  Frage  naturlich  am  nachsten  an  ob  die  Weiber  auch  Bein- 
kleider  trugen.    So    weit  meine  Kenntnifs   reicht  verzichteten  sie 


')  Nib.  584.  Eracl.  3031.  3366.  Engelhardt  Herrads  y.  Landsberg  hortus 
deiiciarum.  S.  90,  —  ygl.  aber  auch  Konr.  troj.  kr.  9080.  *)  Joncbloet  Beatrjis 
s.  50.  Engelhardt  Bitter  Stanfenberg  s.  80.  101.  —  Die  Holzschnitte  and  GemElde 
des  1 6.  Jahrhunderts  gewaren  viel  Belege.  *)  Erad.  170.  Lobengr.  60.  Fergnat. 
765,  2265.  2311.  Eommannas.  9,  477,  —  Konr.  troj.  kr.  9077.  Fommannas*  3, 
199.  Fabl.  et  coutes  p.  Meon  3,  428,  *)  Dafzelbe  berichtet  Ammian  (XXXI,  2) 
von  den  Hunnen.  *)  Das  Wort  Hose  mit  der  Bedeatung  Stiefel  und  Strumpf 
findet  sich  auch  iiTi  kcltiscben.  WHIsch.  Jios.  Ao,  an.  hiuz,  kom.  hos,  Leo  Eerien- 
Rchriften  1,  57. 


4» 

in  der  ftlteren  Zeit  auf  die  Bruch  und  trugen  nur  Hoeen.  M«b 
Bchien  jene  in  einzelncn  Landem  fiir  eine  ausschliefslich  miim- 
liche  Tracht  za  halten  und  erklarte  es  unter  andem  auf  Uind 
fiir  ein  Ueberschreiten  der  weiblichen  Grenze  und  einen  Qnmd 
zur  Ehescheidung  wenn  ein  Weib  die  Bruch  trug  0*  Die  Hosen 
und  Strfimpfe  dagegen  lafzen  sich  seit  dem  10.  Jahrhundert  qd- 
gefar  als  weibliche  Bekleidung  nachweisen  *).  Meiflt  rot  oder 
grun  waren  sie  aus  WoUe  Seide  oder  Samt,  wenn  die  Fna 
wolhabend  war;  sie  scblofzen  wie  gesagt  am  Knie  ab  und  war- 
den durch  ein  Band  festgehalten ;  bei  den  Mannem  ward  hier 
die  oft  hobe  weite  linnene  Bruch  hineingesteckt  Im  13.  Jahrhun- 
dert waren  einmal  iiber  Rhein  her  eine  besondere  Art  roter 
Striimpfe  unter  dem  Namen  Golzen  (calzae)  Mode  geworden. 
Heute  finden  sich  in  Oberdeutschland  bei  den  Weibem  sowol  dk 
Bruche  als  die  Hosen ;  letztere  sind  im  ostlichen  Theile  Knochd- 
striimpfe,  im  westlichen  Ganzstrumpfe  ®).  Die  Friesinnen  tragen 
meist  Halbstrumpfe. 

Ich  will  hier  noch  beifiigen  dafz  sich  auf  den  Bildem  der 
Heidelberger  und  Wolfenbirttler  Handschriften  des  Sachsenspie- 
gels,  deren  erste  etwa  dem  Anfang  die  letztere  entschieden  dar 
Mitte  des  14.  Jahrhunderts  nngehort,  beachtenswerte  Darstellungai 
der  Beinbekleidungen  finden.  Die  vomemeren  Manner  tragea  die 
gewonlichen  farbigen  Hosen  ohne  Schuhe;  die  Bauem  dagegen 
haben  eine  Bruch  die  bis  uber  die  halbe  Wade  hinabreichty  skh 
also  unsern  gegenwartigen  Beinkleidern  sehr  nahert.  Danm  ent 
scbliefzt  sich  die  Hose,  die  durch  weifze  Binden  befestigt  und  nut 
der  Bruch  zuweilen  gleichfarbig  ist.  Diese  Tracht  der  sachBisclien 


^)  Laxdoclas.  c.  35.  '—  Folgende  kirchliche  Bestimmnng  mag  hiemit  nt- 
glichcn  wcrden:  concil.  Gangrensie  (a.  324)  c.  13.  yV  qua  tnulier  propter  emtauUti^ 
qua  putatur  habitum  mutat  et  pro  folito  muUehri  amictum  virilem  fumat,  emoAtMBfi* 
*)  Kniehofa:  colza  (chaufse.  nl.  couse).  wihdhofun:  perifceltdes*  Graff  4,  IWI. 
heingiwerida:  perifcelides  Graff  1  ,  930.  vgl.  Grupen  de  uxore  theotisca.  p.  M- 
■)  Vgl.  Alb.  Schott  die  dcutschen  Kolonien  in  Piemont.  Stuttg.  184S.  KlemeBtdie 
Silvier  am  Monterosa,  in  Strickers  Germania  3,  .276  ff,  (In  dicsem  letztem  Aif" 
satz  sind  die  Mittheilangen  uber  die  Friesen  allein  von  Wert.) 


Bauern  erinnert  an  die  fruher  beschriebene  lougobardische.  Die 
Kampfer  um  Geld  haben  auch  verlangerte  Bruche,  allein  ohne 
Fiifzlinge;  die  Spielleute  dagegen  tragen  die  gewonlichen  Hosen. 
Die  Wenden  sind  mit  den  langen  Hosen  ohne  Fiifzlinge  aber  mit 
verschiedenfarbigen  Socken  abgebildet ;  die  Hosen  sind  mit  Bin- 
den  umwunden  ^).  Auf  den  Bildern  der  Wolfenbiittler  Handachrift 
bemerken  wir  einen  jungen  modisch  gekleideten  Mann,  der  lange 
Beinkleider  tragt ,  die  auch  den  ganzen  Fufz  bedecken.  Bruch 
und  Hose  sind  also  in  einera  Stiick ;  die  Fiifze  stecken  aufzerdem 
in  Schuhen  ^).  Darf  man  aus  dem  Vorkommen  des  Wortes 
So  eke*)  einen  ScWufz  machen,  so  wurden  unter  den  Nordger- 
manen  diese  Kurzstriimpfe  haufig  getragen  lind  der  Kurzhose 
durch  Binden  ebenso  angeschlofzen  wie  die  Heidelberger  Bilder 
diefz  bei  den  sachsischen  Bauem  zeigen,  Unter  den  oberdeutschen 
Stammen  waren  die  Socken  indefsen  auch  schon  frtih  bekannt 
(Graff  6,  134,). 

Die  Schuhe  der  Germanen  waren  in  alterer  Zeit  nicht  sehr 
geformt  und  sauber.  Sidonius  Apollinaris  (IV.  20)  sagt,  sie  seien 
aus  Fellen  geschnitten  deren  Hare  nach  aufzen  stunden.  Wie  ge- 
ring  die  Arbeitsfertigkeit  war  ersieht  man  daraus  dafz  noch  im  1 3# 
Jahrhundert  der  Gebrauch  von  Ale  und  Borsten  als  etwas  beson- 
deres  erwahnt  wird ,  was  aber  bei  dem  feinen  Schuh  notwendig  sei 
(Konrad  troj.  114  — 117).  Jedenfalls  gewaren  uns  jene  Schuhe 
ein  Bild  der  Fufzbekleidung  altester  Zeit,  die  im  Jahre  1817  in 
einem  Torfmoor  Ostfrieslands  an  einem  Leichnam  gefunden  wurden, 
Sie  bestunden  aus  einem  Stiicke  ungegerbten  Leders  das  mit  Rie- 
men  iiber  dem  Fufze  zusammengehalten  ward,  die  durch  Locher 
langs  des  Fufzblattes  gezogen  wurden.  Der  Schuh  war  ohne  be- 
sondere  Sole  *).  Noch  die  longobardischen  Schuhe  des  7.  Jahrhun- 
derts    waren   bis   fast    auf  die  Zehen  offen;    dagegen  haben   sie 


')  Kopp  Bilder  und  Schriften  der  Vorzeit.  (Mannheim  1819).  Bd.  1.  Bilder 
2u   SS.  64.    98.    105.    125.    126.  -)  Kopp  Bilder  und  Schriften  Bd.  2,  S.   11. 

"*)  Fries,  focka.  angs.  fock,  island,  fockr.  "*)  Spangenberg  Neues  vaterlandisch. 

Archiv   1822.   2,  59. 

28 


4S4 

schon  derbe  Solen.  Die  Riemen  waren  notwendig  um  den  Schuh 
zusammenzuhalteny    was    entweder   durch   Schniiren  od^  durch 
Umwinden  oberhalb  der  Knochel  geechah.  Bei  denGothen  schd- 
nen    diese    Eicmen    in    einer  Quaste    geendet  zu  haben  ^);   ihre 
Schuhe  waren  mehr  eine  Art  Stiefel ,  denn  sie  giengen  hoch  hin- 
auf.     Sie  waren  von  Pferdehaut.     Die  Fraiiken  trugen  wie  Bchon 
bcschrieben  ihre  Hose  bis  an  die  Zehen  und  aufzer  ihr  gew(^nlich 
nichts,  so  dafz  sie  mit  der  Fufzspitze  ganz  bar  giengen.  IndefBen 
waren  ihnen  die  Schuhe  nicht  unbekannt ,  wie  Einhards  Beschrd- 
bung  derTracht  Karls  des  Grofzen  zeigt.  Aus  dem  Geeetzbuche 
der   ribuarischen   Franken    ersehen    wir    dafz    dieser    frankische 
Stamm    auch  Stiefehi    trug.    —    Wie   die   bjzantinische  Tracht 
iiberhaupt  auf  das  frankische   Statskleid  wirkte,    so  bildetoi  eich 
auch    die  Schuhe   hiemach*     Die  Statsschuhe   wurden   von  Seide 
oder  anderm  feinem  Stoffe  gemacht  und  neben  der  Sole  und  fiber 
dem  Fufzriicken  mit  Perlen  oder  kostbaren  Steinen  besetzt*  Die- 
ser  reiche  weiche  Schuh  scheint  sich  lange  erhalten  zu  haben ,  denn 
noch  auf  Statuen  des  13»  Jahrhunderts  ist  er  zu  gewaren.  Unter- 
defsen  bildete    sich  der   gemeine    Schuh    weiter    aus;   er    auchte 
f einer  zu  werden ,  schmiegte  sich  fester  an  den  Fufz  um  sich  der 
I'astigen  Riemen  entledigen    zu  konnen  und  streckte   sich  in  die 
Lange.  Auf  der  Rheimser   Synode  von  972 ,   die  wir   schon  ab 
Fein  din    der    modesiichtigen  Klerisei  erwahnten,    werden   soharfe 
Rugen  auch  uber  die   engen  Schnabelschuhe  gesprochen ,  die  mit 
allerlei  Ausschnitten  verziert   waren    (Richer,  hist.   III.  39).    In 
Deutschland  wurde  zu  gleicher  Zeit  viel  Aufwand  mit  denSchu- 


')  Goth,  fkaudaraips,  —  poplite  nudo  peronem  pauper  nodus  fuspendit  equi- 
num.  Sidon.  Apoll.  caiin.  VII,  457.  —  Dafz  mit  den  Schahriemen  bei  den  Gk>then 
Aufwand  getrieben  wurde,  kann  man  daraus  schcn  dafz  Priscus  als  einen  Bewdt 
wie  einfach  Atila  sich  kleidete,  anfurt,  er  hubc  ungesohmiickte  vno^ripuirmv  &ecao{ 
getragen  (p,  45.  ed.  Venet.).  Die  Hunnen  unter  Atila  stehen  in  ihren  Sitten  ganx 
unter  gothisehem  £iuflnfz ;  kurz  vorhcr  sind  sie  nach  Ammians  Schildemng 
(XXXI,  2)  Tollig  robe  Nomaden.  Ihre  Schuhe  waren  damals  ganz  formlog  and 
hiulerten  sie  ini  gehen. 


485 

hen  getrieben;  Seide  und  Korduan  wurden  daran  verschwendet. 
Ueber  eine  rotseidene  Socke  scheinen  korduane  Riemen  gelegt 
worden  zu  sein  (Rudlieb  13,  94),  wie  sich  das  auch  auf  byzan- 
tinischen  Kaisermunzen  bemerken  lafzt  *).  Jenes  feine  spanische  Le- 
der,  das  von  seiner  besten  Bereitungsstatte  Korduba  benannt  war^  ist 
das  ganze  Mittelalter  hindurch  beliebt  gewesen  und  wurde  in 
Siidfrankreich  und  in  deutschen  Stadten,  unter  andern  in  Zurich 
nachgemacht,  Im  dreizehnten  Jahrhundert  kauften  Deutsche  und 
Niederlander  den  meisten  Korduan  auf  dem  Markte  zu  Troyes  *). 
Aufzer  dem  roten  wird  auch  weifzer  erwahnt,  Gewonlicher  und 
wolfeiler  als  Korduan  war  das  Schafleder  oder  noch:  derbe- 
res.  Fiir  diese  Schuhe  war  die  schwarze  Farbe  die  gewOnlichste. 
Indefsen  suchte  man  Abwechselung  durch  weifze  Streifen  und 
Punkte  hinein  zu  bringen.  Auf  einem  Bilde  in  der  Aebtifsin 
Herrad  von  Landsberg  hortus  deliciarum  tragt  die  Superbia  einen 
sehr  zierlichen  Schuh.  Er  lauft  schnabelartig  aus  und  ist  von 
schwarzem  Leder ;  iiber  die  Mitte  des  Fufzblattes  geht  eine  Reihe 
weifzer  Punkte,  die  durch  weifze  Streifen  mit  der  Sole  verbun- 
den  sind.  Anderwarts  ist  der  haufig  erscheinende  weite  Ausschnitt 
auf  dem  Fufzblatt  mit  weifzem  Saume  umfafzt,  an  den  sich 
Streifen  nach  unten  bin  anfiigen* 

In  Skandinavien  war  der  Schuh  ein  notwendiges  Kleidungs- 
stuck;  niemand  schame  sich  seiner  Bruche  und  Schuhe,  wenn 
sie  auch  schlecht  sind,  war  ein  altes  dahinzielendes  Sprichwort 
(Saem.  E.  17**).  Weil  dasAnziehen  der  Schuhe  eines  ihrerHaupt- 
geschafte  war,  hiefzen  die Kammerdiener  Schuhknechte  (fkdsvei- 
nar) ;  das  putzen  und  schuhbinden  war  auch  der  Kammermftd- 
chen  erste  Obliegenheit  (Saem.  212^).  Ein  hinterlistiger  spdtti- 
scher  Mensch  wurde  einem  alten  Lederschuh  verglichen,  der  die 
Ferse  reibt  (Saem.  78'') ;  das  Geschaft  des  Schuhmachers  zalte 
man  zu  den  undankbarsten ,  da  er  es  selten  jemandem  recht 
mache  (Saem.  26').     Zu   dem  Aufwrifcde  der  auf  dem  Festlande 


')  Du  Cangc  glofsartum  ad  scrip  fores  media  et  infima  latinita/tis,    torn.  III. 
fig.  tab.   1.  (Francf.   1681).         ==)  Hullmann  Stadteweseii  1,  72.  867. 

28* 


430 


init  den  Schuhen  getrieben  ward ,  scheint  man  sich  niclit  verirrt 
zu  haben.  —  Hier  schwankte  man  fortwarend  zwischen  spitzer 
und  breiter  Gestalt,  und  Verzierungen  durch  AuBSchnitte  bante 
Farben  und  mancherlei  Besatze  wurden  stets  von  neoem  ausge- 
dacht.  Bei  den  Mannern  war  das  noch  haufiger  als  bei  den 
Frauen,  deren  Fiifze  durch  die  Ian  gen  E^eider  verdeckt  wnrdoi 
wo  also  weniger  Aufforderung  zu  ihrem  Schmucke  yorhanden 
war.  Jedoch  ward  auch  von  ihnen  nicht  alle  Verschwendong  ver- 
mieden  und  Schuhe  von  Borten  zusammengesetzt  gehorten  znm 
feinen  Anzuge  (Wigal.  10535)*  Das  vierzehnte  Jahrhundert  zeich- 
nete  sich  in  Schuhkiinstelei  aus.  Auf  der  KOlner  Synode  von 
1337  ward  gegen  die  roten  blauen  und-  griinen  Stiefehi  ein  neuer 
Beschlufz  gefafzty  nachdem  schon  1260  zu  KObi  die  bunten 
Schuhe  und  1316  zu  Mainz  die  Stiefeln  den  Klerikem  verboten 
waren.  Zugleich  trat  jene  Synode  gegen  die  modischen  Schuhe 
auf,  welche  auf  mannichfache  Art  durchbort  und  ausgeechnitten 
waren  ').  Diese  Synodalbeschlafze  setzten  sich  das  ganze  vier- 
zehnte und  funfzehnte  Jahrhundert  hindurch  fort^).  Dnrchge- 
hends  erscheint  im  vierzehncen  Jahrhundert  ein  waiter  Ausscfanitt 
auf  dem  Fufzblatte  so  dafz  das  Oberleder  im  Grunde  nur  an« 
schmalen  Seitenstreifen  besteht ,  welche  die  gewonliche  schnabel- 
formige  Spitze  mit  dem  Hinterleder  verbinden  •).  Zuweilen  gehen 
sie  etwas  weiter  hinauf  und  es  entsteht  eine  Art  Schniirhalbstie- 
fel.  —  Die  Reiteretiefeln  haben  ganz  die  Gestalt  der  PosdlloD- 
stiefeln  oder  Studentenkanonen  ;  sie  gehen  wie  diese  bis  iiber  das 
Knie  und  erweitem  sich  hier  mit  einem  Ausschnitte.  Absitie 
und  Hufeisen  scheinen  sie  nicht  zu  haben  (Kopp  Bilder  2/  16). 
Rot  und  blau  gefarbt  hielten  sie  i^ich  bis  zum  Ende  des  16. 
Jahrhunderts   und   dartlber  hinaus.    Die  Gestalt   der  Schuhe  im 


')  Calceis  modo  varia  perforatis  et  incifis ,  Jlc  edam  quod  i$te\fu 
aliquihus  in  calceis  appendet  per  /rufta  volitantia  hinc  et  inde.  Hartzheim  4, 444. " 
cf.  Hartzheim  3,  594.  4,  260.  *)  Synod,  Colon.  1371.  c.  10.  Halbentad.  1406. 
c.  5.  Mogunt.  1423.  c.  3.  Aichstad.  1484.  ')  Kopp  Bilder  and  Schriften  S,  U* 
13.  Eugclhavdt  Staufenberg  94.  100.  Limburger  Chronik  (v.  Vogel)  SS.  8S.27.4& 


43t 

16.  Jahrhundert  war    ansprechender ;   sie  sahen  bequem  und  nett 
zugleich  au8  ;  doch  wechselte  die  Mode  bestandig  '). 

Wir  wenden  uns   nunmehr  zu  anstandigeren  Kleidungsstii- 
cken    nachdem  diese  unteren   Bekleidungen    beseitigt   sind.     Wir 
haben  gesagt  dafz  der  Rock  von  den  Frauen  langer  als  von  den  I 
Mannern    getragen    wurde ;    nur    bei   den   armeren  Frauen    denen  f 
die  L'ange  hinderlich  gewesen  sein  mochte ,  wurde  er  etwas  iiber 
den  Knocheln    abgeschnitten  2).     TJeber   die  Stoffe  aus  denen  der 
Rock  je    nach  Vermogen   oder  Willen  der  Inhaberin  geschnitten 
werden   konnte,    ist   schon    gehandelt ;    es    mag    nur  hinzugefUgt 
werden    dafz    von  den  Frauen  leichtere  Zeuge  als  von  den  Man- 
nern  gewalt   wurden.     Oefter   wurden   sogar  so  diinne  verwandt,  \ 
dafz    die  Farbe   des   Leibes   hindurchleuchtete    (MSH.   2,    300*. 
Kittel  24,    26).     Manche  Dichter  jener   Jahre   klagen   daher   im 
Winter,  wo  die  Kalte  etwas  mehr  Sittsarakeit  forderte,  liber  die 
schweren   zitkleit,   die   ihnen    den  vollen  Anblick   der  weiblichen 
Schonheit  entzogen  '). 

Bei  Auffurung  der  Stoffe  zeigte  sich  dafz  alle  Farben  ge-  | 
tragen  wurden,  Es  lafzt  sich  indefsen  eine  Auswal  unter  ihnen 
bemerken ,  die  dem  Geiste  jener  Zeiten  gemafz  auf  das  helle  und 
selbstst'andige  fiel ,  was  wir  grell  und  schreiend  nennen ;  denn  bei 
uns  haben  die  halben  unbestimmten  Farben  den  Sieg  gewonnen, 
die  Moscherosch  Bastartfarben  heifzt  ,,weil  sie  verbasterte  halb- 
ehrliche  Gemiiter  haben  *)."  Gelb  und  rot  in  den  hellsten  Lich- 
tern  waren  am  beliebtesten ,  daneben  erscheinen  griin  und  blau 
zunachst  gebraucht,  auch  reines  weifz  und  schwarz ;  Mischungen 
von    rot,    violett,    braun  fanden    sich    ebenfalls  ziemlich   haufig. 


0  Noch  bey  menschen  gedachtniifz  trug  man  spitzige  schnch  mit  langen 
schnabeln  ,  kleyne  enge  kurtze  kleyder ,  kappen  mit  zotten  ,  yetz  ist  es  alles 
anders  rnd  vmbk6rt ,  weyt  grofz  ,  die  schuch  breyt  vnd  maulecht.  Seb.  Franck 
Weltbuc'h.  1534.  XLVII.  vw.  ')  Vgl.  die  Schilderung  des   iirmlichen  Anzugs 

der  Isolde  als  sie  znm  Gottesgerichte  geht.  Trist.  15660—67.  ')  MSHagen  2, 
281."  287."  3,  83/  Dafz  in  Griechenland  und  Rom  die  dOnnen  Frauenkleider  eben- 
falls beliebt  waren,  ist  bckannt.  *)  Philander  von  Sittewald  2,  150.  (Ausg, 
von   1666.) 


t     •  "•     ■   (       l*s> 


4»8 

Scliwnrz   war  auch  im   Mittelalter   wie  in  dem  romischen  Altar* 
thum  und   in   der  neaen  Zeit  die  Farbe  der  Trauerkleider,    Ala 
der  Troubadour  Peter  Vidal    den  Tod   des  Grafen  Baimond  yon 
Toulouse  erfur,  legte  er  schwarzeKleider  an,  schor  sich  und  sd- 
nenDienern  die  Hare,  denPferden  schnitt  erOhren  undSchwanxe 
ab  und  liefz  sich  Bart  und  N'agel  wachsen  0*    Hadamar  yon  La- 
ber  (Jagd  Str.  248)   nennt   schwarz   die    leide   Farbe,    ein  Leid- 
anfahen   und   ein  Freudenende   und  elend  sei   der  sie  mit  Grrand 
trage.  Konig  Johann   von  Bomen  trauerte  in   ischwarzen  Gewftn- 
dem  als  ihm  seine  Frau  gestorben  war.     Fischart  sagt  in  seinem 
Gargantua  (1890.  S.  239):  ,,alle  Nationen  (aufsgenommen  die  alte 
Syrakusaner  vnd  etliche  Argiver ,  welchen  die  Seel  vberzweroli 
gelegen)  alle  Sprachen ,   alle  Zungen ,    alle  Volker ,  alle  Heyden, 
wann   sie  aufserlich   anzeigen  jr  Traurigkeit,    so   tragen  toe  ein 
Schwartz  Kleid  ^)." 

Die  Symbolik  der  Farben,  welche  sich  in  dieserBedeutong  des 
schwarz  veri^t,  war  ilberhaupt  im  Mittelalter,  besonders  in  dem 
allegoriensiichtigen  14«  und  15*  Jahrhundert  sehr  ausgebOdet 
Wir  haben  merere  Gedichte  des  13. — 15.  Jahrhunderts  zu  Quet 
len  3).  In  Hadamar  von  Labers  Jagd  (Str.  243 — 250)  heirzt  es, 
griin  zeige  den  Anfang  der  Minne  an,  weifz  bedeute  Hoffiiang, 
rot  ein  liebebrennendes  Herz,  blau  rechte  Treue,  gelb  erfiiSte 
gewarte  Liebe ,  schwarz ,  wie  wir  schon  vemommen ,  Leid.  Un- 
gefar  dieselbe  Deutung  der  sechs  Farben  gibt  ein  anderes  vielleioht 
gleichzeitiges  Gedicht  (Liederb.  der  Kl.  Hatzlerin  S.  168  — 170). 
In  dem  Gedichte  „der  Kittel"  welches  dem  15*  Jahrhunderte 
angehort ,  werden  merere  allegorische  Gestalten  beschrieben:  Fnw 
Venus  in  goldenem  Kleide,  Frau  Ere  in  rosenrotem  englischeii 
Tuche,    Frau  Treue   in   einem  schwarzen  Baldekin,   Frau  StSto 


')  Malm  die  Werkc  der  Troubadours  1,  218.  *)  YgL  hiezv  Babelaif  L 
c«  10.  mit  (Icr  Anmerkung  von  Regis  2,  54.  Lappenbergs  Bemerkangen  fiber  dii 
Traucifarbc  (Miniaturen  zum  Hamburger  Stadtr.  S.  36)  sind  nnzareicheiid  0aA 
anderen  seiner  Ausfurungen  uber  die  Tracht.  ^)  Vgl.  im  allgemeineii  F*  Portil 
Couleurs  aymholiques  dans  Vanliquit^,  le  moyen  age  et  les  temps  modemes. 


n9 

Bestandigkeit)  in  blauem  flandrischem  Tuche,  Frau  Mafze  (Ma- 
zigung)  in  einem  weifzen  perlendurchwirkten  Gewande  (S.  42-  47). 
28  geschah  dafz  diese  Farben  geradezu  als  ein  offentlicher  Liebes- 
nzeiger  gebraucht  wurden.  Die  Manner  trugen  also  ihre  ROcke 
iets  von  der  Farbe,  zu  welcher  sie  die  Gunst  oder  Ungunst  ihres 
eliebten  veranlafzte  oder  sie  erlogen  auch  diese  oder  jene  Gunst 
irch  die  angenommene  Farbe  (Kl.  Hatzlerin  SS.  165.  166» 
58 — 170).  Durch  die  Zusammensetzungen  der  Farben  konnte 
an  diese  Farbensprache  noch  ausdenen:  griin  und  blau  bedeu- 
te  Anfang  in  St'atigkeit;  weifz  und  blau  states  und  gutes  Lie- 
jsgedenken;  weifz  und  schwarz  gutes  Andenken  im  Leid;  grau 
id  grun  edle  und  schone  Liebe;  schwarz  und  grau  Leid  nach 
iebe;  blau  und  schwarz  state  Reue  (Vgl.  Kl.  Hatzlerin  168.  f.) 
iese  Zusammensetzung  der  Farben  fiirt  auf  die  Zusammense- 
ung  der  Kleider. 

Sehr  oft  wurde  namlich  der  Rock  aus  Stiicken  verschieden- 
rbigen  Zeuges  zusammengenaht.  Es  geschah  diefz  meist  so,  dafz 
e  Kleider  der  Lange  oder  der  Breite  nach  mitten  getheilt  wur- 
m ,  zuweilen  wurde  die  eine  Seite  wieder  gehalftet  und  zwar 
ler  in  der  Mitte;  seltener  geschah  es  dafz  auch  die  andere  aus 
vei  Stiicken  bestund  und  das  ganze  Kleid  also  in  vier  Theilen 
eich  einem  quadrirten  Wappen  erschien.  Bei  den  Querteilungen 
iden  sich  auch  drei  Farben ;  die  Streifen  sind  dann  zuweilen 
hrag  gelegt.  —  Die  einzelnen  Stiicke  waren  entweder  samtlicb 
nfach  oder  zum  Theil  gestickt  und  durchwirkt  oder  gestreift* 
I  Frankreich  wurden  die  Wappentiere  des  Geschlechtes  nicht  sel- 
Q  in  die  Felder  gestickt ,  so  dafz  die  Frau  in  der  That  wie  ein 
andelndes  Wappen  aussah.  Bruder  Berthold,  der  eifrige  Sit- 
nprediger  aus  der  zweiten  Halfte  des  13.  Jahrhunderts,  sprioht 
ih  auch  hieriiber  aus.  Es  genugt  nicht,  sagt  er,  dafz  ihnen  der 
Imachtige  Gott  die  Wal  gelafzen  hat  unter  den  Kleidem,  sagend  > 
dlt  ihr  sie  braun,  wolt  ihr  sie  rot  blau  weifz  griin  gelb 
hwarz.  Nein,  in  ihrer  grofzen  Hochfart  mufz  man  ihnen  das  Ge- 
and  zu  Flecken  zerschneiden,  hier  das  rote  in  das  weifze,  dort 
is  gelbe  in  das  griine,    das   eine   gewunden    das   andere   gestri- 


j«0 

chen,  dn,s  bunt,  jenes  braun,  hier  den  Lowen,  dort  den  Adler. 
Die  Hochfart  komt  in  dem  Ausdenken  nicht  zu  Ende  und  wenn 
jemand  einen  neuen  Fund  findet,  so  miifzen  ihn  alle  yersuchen. 
Und  der  euch  das  gute  Kleid  zu  einem  Hader  macht,  dem  gebt 
ihr  so.viel  Lohn  als  das  ganze  Kleid  kostet  (Kling  S.  293). 
'  Griin  und  rot,    gelb  und  rot,    weifz  und  rot  waren  gew5n- 

*  lich  zusammen  gestellt  ') ;  die  Streifen  selbst  wurden  nicht  immer 
gleichmafzig  vertheilt,  wenn  mehr  als  zwei  Farben  gebraucht  wur- 
den ;  so  sab  man  ein  schrag  gestreiftes  Gewand  zum  Hanpttheile 
aus  gelbem  Stoflfe,  der  mit  weifz  rot  weifzen  Streifen  wechselte, 
in  denen  das  rote  der  breiteste  Theil  ist.  Gleichmafzigkeit  des 
StofFes  herrschte  eben  so  wenig  wie  Gleichheit  der  Farbe,  doch 
suchte  man  Zeuge  von  gleicheni  Werte  mit  einander  zu  verhin- 
den.  Weit  verbreitet  wie  die  getheilten  E^leider  waren,  haben  sie 
sich  auch  laiige  erhalten,  denn  noch  heute  tragen  die  Weibel  des 
Schweizer  Kantonprasidenten,  die  Nachtwachter  zu  Niimberg,  die 
Waisenkinder  zu  Amsterdam,  die  Baugefangenen  zu  Magdeburg 
und  in  andem  Festungen  Kleidung  von  getheilter  Farbe  *).  Manche 
Muster  der  gedruckten  Zeuge  unserer  Tage  rufen  una  ubrigens  jene 
geschmacklose  Si tte  vor  die  Augen. 

Bei  der  Zusammensetzung  aus  verschiedenen"  Farben  und 
StofFen  ward  die  sorgsame  Behandlung  der  Naht  sehr  notig.  Anf 
kunstreiche  Naht  ward  ein  grofzer  Wert  gelegt  und  yerlangt  diifx 
man  sie  gar  nicht  bemerke  (Herbort  8475).  Ein  andermal  wurde 
sie  gerade  recht  bemerkbar  gemacht ,  indem  sie  mit  Gold-  und 
Silberfaden  oder  mit  Perlen  durchzogen  wurde  (Herb.  483.  Wigam. 
2573.)  Auch  Besatze  durch  feine  Pelzstreifen  verdeckten  die  Naht. 
Besatze  des  gaiizen  Gewandes  mit  Borten  erscheinen  ebenftlk; 
es  wird  diefz  aber  eine  heidnische  Sitte  genannt,  die  von  den  Sank 
zenen  entlehnt  sei  und  sie  wird  den  Templern  defshalb  verboten*). 


')  Wigal.  746.  Wigam.  2566.  Mejer  Nalezingen  p.  108.  Fommamiai*  W» 
14.  Godefr.    Bouillon    3525.   —  Wigal.  730U  Fornmannas.  S,     2«1.  ")  KopP 

Bilder  und  Schriften  1,  80.    Lappenberg  Miniaturen  des  Hambnrger  Stadtrechw 
S.  37.       •'')  Trist.  2532.  Regula  Templariorum  e.  29.  cf.  Du  Ganges,  v.  taq«»W 

vcstcs.  burda. 


441 

Von  dem  seltsamen  Zerschneiden  und  Zerstuckeln  der  Rocke, 
welches  im  13.  und  14.  Jahrhundert  bei  den  Miinnem  zu  sehen 
war,  haben  sich  die  Frauen  anscheinend  frei  gehalten.  Ebenso 
iiberliefzen  sie  den  Rittern  den  Besatz  der  Kleider  mit  Schellen. 
Das  Mafz  der  schicklichen  Lange,  was  die  Manner  an  ihren 
Rocken  oft  darin  verletzten ,  dafz  sie  dieselben  auf  auffallende 
Weise  verkiirzten  0  j  ward  von  den  Frauen  stets  bewart,  ja  eher  1 
libertrieben.  Ein  Kleid,  das  nur  bis  auf  die  Knochel  reichte,  gait 
schon  fiir  unschicklich  (Lanzel.  5860).  Es  ward  geradezu  ein  zu 
viel  in  der  Lange  gesucht  und  die  Synoden  legten  ihre  alles  be- 
riirende  Theilname  auch  mehrraals  hiergegen  zu  Tage  *).  Von 
Edelfrauen  und  reichen  Bauerinnen  wurden  Schleppen  (fwenze) 
getragen,  die  sorgfaltig  gefaltelt  waren  und  bei  keiner  Festlichkeit 
namentlich  beim  Tanze  nicht  felen  durften  ^).  Man  hatte  in  man- 
chen  Zeiten  von  den  staubfegenden  Schleppen  ein  Stiick  abschnei- 
den  und  oben  ansetzen  mogen ,  denn  gegen  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts  und  gegen  die  Mitte  des  14.  begann  die  Unsitte  den 
Busen  nicht  zu  verhiillen.  Das  Kleid  war  weit  ausgeschnitten  und 
Achseln  und  Brust  waren  so  tief  entblofzt  wie  in  den  ruhmrei- 
chen  Zeiten  der  letzten  Ludwige  *).  Es  erhoben  sich  Dichter  und 
Kronisten  dagegen  und  ihre  Stimme  scheint  im  13.  Jahrhundert 
die  schamlose  Tracht  bald  vertrieben  zu  haben.  Als  sie  aber  im 
14.  Jahrhundert  wieder  erschien,  war  sie  hartnackiger  und  be- 
hauptete  sich.  Die  PoHzei  mischte  sich  wol  hinein,  allein  nur  um 
den  Weibern  und  TOchtern  der  Bauem  zu  verbieten  unanstandig 


')  Richer.  III.  41.  anon.  Leob.  ad  a.  1336  ^^Petz  script,  rer.  aostr.  1.  947) 
synod.  Colon.  1337.  (Harrzh.  4,  443).  Kittel  52,  21—29.  *)  Concil.  Monspell.  a. 
1195  (Mansi  22,  670).  cone  Salisburg.  1420.  c  30  (Hartzh.  5,  193.)  vgl.  auch 
Heinrich  vom  gemeinen  leben  320.  *)  Nith.  Ben.  419.  MSH.  2,  77.'  78.'  86." 

290.'  3,  85.'  vgl.  Schmeller  baier.  Worterb.  3,  543.  *)  Konr.  troj.  kr.  20096. 
Seifr.  Helbl.  1,  1107.  1373.  Gesta  Romanorum  (deutsche  Uebers.  p.  158.  Keller) 
Limburger  Kronik  (Vogel  p.  27)  Engelhardt  Staufenb.  p.  97.  Haupt  Zeitschr.  f.  d. 
A.  4,  251.  8,  469.  Kittel  50,  27.  Hiillmann  Stadtewesen  4,  145.  Roro.  de  la 
Rose  13521.  Pockels  Versuch  einer  Karakteristik  des  weiblichen  GeschlechteB 
(1798.)  2,    77.  ff. 


I  _^_^_ 

i 

ZVL  sein ,  da  diefz  ein  Vorrecht  der  vomemeren  sei  *).  So  gewa- 
ren  denn  die  Bilder  und  Holzschnitte  aus  dem  15.  und  16*  Jahr. 
hundert  sehr  oft  ebenso  widrige  Anblicke  wie  die  Konterfaita  dor 
Hofdamen  und  yornemen  Diemen  des  18.  In  den  ziichtigerai 
Zeiten  wurde  zuweilen  auch  der  Hals  jnit  einem  Tuche  oder  einem 
Pelzstreifen  verhuUt  (Saem.  102.^  WigaL  927.) 

Tacitus    sagt  (Germ.  17)    dafz  der  germanische  Franenrock 
Hals  und  Arme  unbedeckt  lafze.     Diese  armellosen  Rooke  aoheir 
nen   hier   und    da    allgemein    gewesen   zu   sein  und  einem  sne^- 
schen    Volksstamme,    den  Armalausi^    den   Namen    gegeben    zu 
haben  ^)«     In  den  Zeiten  jedoch ,  wo  die  Gedichte  genauerea  fiber 
die  Trachten  berichten,    wird    das  armellose  Gewand  nioht  mehr 
gefunden.     GewOnlich  lag   der  Aarmel  des  Rockes  ziemlich  eng 
an  dem  Unterarm.  Auf  der  einen  Seite  war  er  wegen  des  Aiude- 
hens  aufgeschnitten  und  wurde   hier   zugeschniirt ,    yemaht,    wie 
der  Kunstausdruck   war;    oder    er   wurde   durch  EjiOpfe  zusam* 
mengehalteuy    die  schon  bei  den  Longobarden  gebraucht  wurden 
und    im    zehnten    Jahrhunderte   in   Skandinayien  nach  englischer 
Sitte   die   Rocke    besetzten  ^)*     Bereits   im    zehnten   Jahrhundert 
wurde    der  Aermel   ein  Feld    wo  die  Schneider  ihre  Erfindungs- 
gabe  entwickelten.    Damals  wurden  iibermafzig  lange  Aermel  ge- 
tragen  (Richer.  III.  37).  Im  12.  herrschte  eine  anliche  Sitte.   Bei 
einer  Darstellung  derSuperbia  in  Herrads  yon  Landsberg  hortOB 
deliciarum  erscheint  dieselbe   in  einem    Rocke  mil   Unteiunneln, 
die   eng   am  Handgelenke    abschliefzen,    yon  denen  aber  auf  der 
Mitte    des  Unterarmes   ein  Oberarmel    weit   und  lang  herabiiUt* 
Diese  langen  Aermel  wurden    wenn  sie  irgend  hinderlich  werden 
konnten ,    um  den  Arm  gewickelt ;    so  schlagt  Brunhild  bei  dem 
Wettspiele   auf  dem  Isenstein   ehe   sie   Schaft  und  Stein  BcUeu- 


')  Polizeiord.  von  1501.  Schmeller  baier.  Worterb.  2,  33.  S.  Franck  Wdt- 
buch  1534.  XLVII  sagt  iibngens :  der  weiber  klcydung  ist  jetz  kOstlich,  ftbor 
erber  gemacht,  vnd  wcnig  (aufzgeaammen  den  fiirwitzigen  uberflnfz)  ra  tedlen. 
*)  J.  Grimm  Geschichte  der  dcutschen  Sprache  499.  *)  Egilss.  c.  70.  vgl.  hienn 
Benecke  zu  Wigal.  440.  —  Uebcr  das  vemaejen.  Wilh.  Grimm  zn  Athii  U.  107. 
Ilaupt  z.  Konr.  y.  Haslau  93. 


MS 

dert ,  die  weifzen  Aermel  um  den  Arm  (Nib.  427),  Diese  Ober-' 
armel  0  gehSrten  nicht  eigentlich  zu  dem  Kleide,  sondem  be- 
stunden  fur  sich  und  wurden  bei  dem  jedesmaligen  Gebrauche 
erst  an  den  Rock  angeschntirt  oder  an gehef tet.  Weit  wie  sie  wa- 
ren  dienten  sie  im  Winter  als  MujBfe  und  Nasenhiiter  (MSH.  2, 
287'').  Dem  Putzsinne  erschienen  sie  zugleich  als  giinstige  Stelle 
der  Zier  und  wurden  mit  Pelzwerk  Stickereien  Borten  und 
Edelsteinen  besetzt  und  noch  anderweitig  bedacht*).  Bald  wurde 
der  linke  Stauche  von  anderem  Zeuge  und  langer  als  der  Rock 
gemacht,  ba;ld  geschah  es  mit  beiden.  Das  fiinfzehnte  Jahrhun- 
dert  war  auch  in  dieser  Hinsicht  erfinderisch  und  man  suchte 
etwas  darin  moglichst  lange  und  weite  Aermel  zu  tragen.  Die 
Geistlichkeit  die  im  Mittelalter  keineswegs  nach  einem  geistlichen 
Aeufzeren  trachtete  wetteiferte  mit  den  Laien  auch  in  den  Aer- 
meln  und  die  Synoden  musten  sie  fortwarend  an  das  wolanstan- 
dige  erinnem^). 

Der  Rock  verlangte  eine  Umgiirtung,  die  ihn  dem  Leibe 
n'aher  anschmiegen  und  die  Kleidung  sauberer  machen  konne. 
Der  Giirtel  war  daher  ein  altes  StQck  der  germaniscben  Tracht 
und  namentlich  den  Frauen  unentberlich.  Unter  den  Namen  der- 
selben  erscheint  Gerd ,  die  gegiirtete ,  ein  Wort  das  sogar  allge- 
mem  fiir  Frau  gebraucht  und  durch  Gerdr,  die  schOne  Riesin 
und  Freys  Gemablin ,  deni  unsterblichen  Kreise  eingereiht  ward* 
Wir  miifzen  annemea  dafz  der  Giirtel  liberall  gebraucht  wurde. 
Die  Vandalen  ^eigten  auch  hieran  den  afrikanischen  Reichthum 
den  sie  erobert  batten  und  trugen  goldene  Giirtel  (Procop.  bell. 
vandal.  2,  7);  bei  den  andem  Stammen  mochten  die  reichen 
eben  solchen  Aufwand  treiben,  die  armeren  namen  was  wolfeil 
and  zweckdienlich  war:   ein  Band,    einen  Riemen  oder  was  sich 


*)  Ahd.  ftucha,  mhd.  ftuche    in    oberdeutschen  Volksmundarten    erhalten. 

(boier.    Stauchen.)  —  Niederdeutsch :    mowe,    niederl.   mouw.    mauwe.    fries,    mowe, 

movwe.  —  Das  aus  dem  franz.  moufle  (mit.  muffUla)  entlehnte  Wort  Muff  iat  ur- 

spronglich  deutsch.       *)  Herbort9931.  anon.  Leob.  (Petz  script.  1,  947.)       ')  ConciL 

Trevir.    1337.   synod.    Colon.  1351.    Halberstad.  140S.   c  2.  cone.    Mogunt.  1423. 

c  8.  synod.  Vratisl.  1446.  —  Jagcr  Ulm  s.  511. 


444 

sonst  binden  liefz  und  feet  war.  Die  feinen  Weiber  der  ritterli- 
chcn  Zeit  erkoren  den  Giirtel  zu  einem  Schmnckstiicke.  ¥in 
Riemen  von  rotem  spanischem  Leder  (Erec»  1587)  oder  ein  eng- 
Hsches  Seidenband  ^)  waren  die  Grundlage;  Gold  und  Edelstem 
prangten  reichlich  darauf  und  die  Enden  musten  lang  und  ver- 
ziert  herabfallen.  Die  einfachen  Gurtel  wurden  blofz  zusanunen- 
geschniirt,  indem  das  eine  Ende  durch  ein  Loch  in  dem  andern 
gesteckt  und  allenfalls  durch  einen  Dorn  festgehalten  wurde;  an 
den  reicheren  befand  sich  ein  kostbarer  Ring  mit  einem  Platt- 
chen,  das  zu^veilen  als  schonergeschnittener  Stein  beschrieben  wird^. 
Mitunter  waren  die  Gurtel  drei  Hande  breit  (Frauend,  172,  20). 
Das  vierzehnte  Jahrhundert,  das  in  der  Erfindung  von 
Trachten,  in  der  Baukunst  und  manchem  anderen  eben  so  frucht- 
bar  war  als  unfruchtbar  in  der  Dichtkunst,  brachte  im  GOrtel- 
.  wesen  manches  neue.  Die  Gtirtel  wurden  mit  Glocken  und 
!  Schellen  verziert  und  aus  Erz  ojemacht.  Eine  Art  derselben  nannte 
man  Dupfing;  sie  waren  entweder  glatt  oder  bestunden  aus 
viereckigen,  zuweilen  erhaben  en  Flatten').  Sie  lagen  um  dieHiif- 
ten,  warend  vorher  der  Gurtel  oberhalb  derselben  in  derKrenke 
(Taille)  getragen  wurde*).  Die  Kleiderordnungen  wandten  aich 
nunmehr  der  Beaufsichtigung  derselben  entschieden  zu.  Den 
Ulmer  Frauen  wurden  1411  die  silbernen  und  vergoldeten  Gur- 
tel mit  den  Glocken  und  Schellen  verboten  (Jager  Ulm  511). 
Die  Liibeoker  Kleiderordnung  von  1454  machte  fiir  die  versohie- 
denen  Vermogensreihen  Slitze :  die  reichsten ,  die  wenigstens 
4000  Mark  im  Vermogen  hat  ten,  durften  Dupfings  tragen,  min- 
der reiche  musten  sich  an  golden  en  Ketten  oder  einem  beacUt- 
genen  Seidenborten  geniigen  lafzen  ^).  Es  ist  iibrigens  aufiallend 
dafz  man    hier  und   da  gar  keine  Gurtel  an  der  Frauenkleidang 


')  Jung.  Titer.  1300  (Alt.  Druck).  Wigam.   1536.  2414.  ")  Wilh.  IW, 

29.  Minne  lerc  705.  ')  Engelhardt  Staufenberg  93.  97.  Limbnrger  Kronik 
(Vogel)  S.  101.  Der  Name  schcint  slavischen  Ursprungs ;  im  polnitchen  liefi0  ^ 
sich  durch  dop^k   wiedergeben.     Uebcr  p§k  Pfung  weiter  nnten.         *)  Fan.  888i 

30.  MSH.  2,  86.'         *)  Michelsen  und  Asmufsen  Archiv  (Kiel)  L  I,  79. 


445 

sieht,  z.  B.  an  den  Statuen  in  der  Stifterkapelle  des  Naumbur- 
ger  Doras*  Anderwarts  ist  der  Gtirtel  durch  die  dariiber  gezo- 
gene  obere  Halfte  des  Rockes  so  vei^eckt ,  dafz  er  nicht  sicht- 
bar  wird.  Von  diesera  RockgOrtel  ist  ubrigens  der  Giirtel  wel- 
cher  bei  symbolischen  Rechtshandlungen  in  Betracht  kommt,  wol 
zii  iinterscheiden ;  er  ist  das  Band  urn  das  unterste  Gewand  *). 

In  Frankreich  hatte  man  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
einc  Erfindung  gemacht,  welche  die  Giirtel  tiberfliifzig  und  zu 
einem  blofzen  Schmuckstiick  machte.  Die  deutschen  Frauen  namen 
diese  franzosische  Erfindung  an.  Der  Rock  ward  namlich  um  die 
Taille  verengt  und  der  ganze  Schnitt  in  mafziger  Lange  und 
Weite  gehalten.  Die  Dichter  welche  von  dieser  neuen  Art  spre- 
chen  ,  nennen  sie  ausdriicklich  eine  franzosische  oder  kerlin- 
grsche  ^).  Schon  friiher  hatte  man  den  Versuch  gemacht  die  Klei- 
der  an  der  Seite  zu  schniiren ,  indem  durch  einen  dort  ange- 
brachten  Schliz  Faden  gezogen  wurden  ').  Diese  Erfindung  hielt 
sich  ziemlich  lange.  Gefallsiichtige  und  schamlose  Weiber  be- 
nutzten  diese  Oeffnung  um  die  Weifze  ihrer  Haut  den  Bewunde- 
rern  zu  zeigen  *) ,  denn  anscheinend  war  an  derselben  Stelle  in 
dem  Hemde  ein  gleicher  Schnitt.  Dieser  Schliz  war  ubrigens  mit 
Pelzbesatz  und  Seide  verziert. 

Mit  der  Verengung  des  Rockes  in  der  Taille  lafzt  sich,  so 
viel  ich  viBrstehe,  auch  nur  die  Faltelung  vereinen,  welche  im 
13.  Jahrhundert  an  den  Kleidern  der  Frauen  erwahnt  wird  *). 
Im  14.  Jahrhundert  wuiden  die  Kleider  ebenfalls  in  der  Taille 
eng  getragen,  sie  legen  sich  voUkommen  wie  die  heutigen  an  den 
Oberleib  an  und  sind  um  die  Brust  weit  ausgeschnitten  Durch 
das  ganze  Obertheil  geht  zuweilen  ein  Schnitt ,  der  mit  Knopfen 
zugeheftet  wird  (Engelhardt  Staufenberg  97).  Gegen  die  Mitte 
des    15.  Jahrhunderts   wird   zwar  die  Brust   hier  und  da  wieder 


*)  Jak.  Grimm    deutsche  Rechtsalterthumer.  157.  *)  Ere'j    1547.   Ath; 

C*63.  D    160.  LanzeK  5800.  Trist.   10908.       ■)  Eneit  1692.  MSH.  2,   109.'  110. 
Engelh.  3042.         *)  MSHag.  2,  93.'  Clastoiement  des  dames  190.         *)  MSH.  2, 
106.'  Nith.  (Ben.)  441.  Frauend.  161,  25.  257,   15. 


446 

verdeckt  *) ,  der  enge  Schnitt  dauert  indefsen  fort ;  der  GUrtel 
liegt  bald  unmittelbar  unter  dem  Busen,  bald  mnfarzt  er  den 
Leib  weiter  unten.  Die  Taille  geht  zuweilen  bis  auf  die  Huften« 
Die  Aermel  sind  doppelt;  die  einen  bedecken  nur  den  Obenurm 
und  fallen  von  bier  weit  hinab ;  die  Unterarmel  sind  enggefaltelt 
und  reichen  bis  zum  Handgelenk.  An  Kleidern,  welche  Haus- 
rocke  zu  sein  scheinen,  sind  die  Aermel  einfach ;  sie  warden  o()en 
ziemlich  weit  getragen,  verengen  sich  jedoch  nach  derHandzu^. 
Das  Anziehen  des  Bockes  wurde  durch  die  Einschnitte  er- 
leichtert ,  welche  von  dem  Hauptloche ,  der  Oeffiiung  ffir  den 
Kopf ,  bald  nach  vorn  bald  auf  dem  Riicken  gemacht  waren. 
I  Das  Anziehen  war  wie  erwahnt  mit  Einschniiren  verbimden,  wie 
,  bei  den  heutigen  Schniirmiedern.  Bei  eiligem  Ausziehen  miiste 
also  die  Naht  aufgerifzen  werden  (arm.  Heinr*  1193)*  Franzo- 
sische  Sitte  scheint  es  im  Anfang  des  13*  Jahrhunderts  gewesen 
zu  sein,  die  Naht  hier  und  da  offen  zu  lafzen;  sie  £and  jedoch  in 
Deutschland  nicht  viel  Nachamung  (Wigal.  10551). 

Ueber  dem  Rocke  ward  gewonlich  der  Mantel  unmittelbar 
getragen,  allein  zuweilen  fanden  sich  noch  besondere  Oberge- 
wander  als  Zwischenglieder.  Am  fruhesten  erscheint  darunter  der 
Kurzebold^),  defsen  unter  diesem  Namen  Bchon  im  elften 
Jahrhundert  in  Glofsen  gedacht  wird.  Er  war  ein  kunes  Qe- 
wand  9  im  Schnitt  der  rOmischen  Cyklas  anlich,  aber  weit  kiir^ 
zer  und  gleich  ihr  als  Statskleid  getragen  (Roth.  4571.  Erad. 
2243).  Unter  dem  Namen  Cyklas  wird  der  Kurzebold  bereits  an 
dem  Statsanzuge  der  Gremahlin  Piping,  der  Berhtrada,  erw&hnt; 
im  elften  Jahrhundert  erscheint  er  einigemal  unter  den  Pracht- 
gewandem  bomischer  Fiirstinnen  ^).  In  Frankreich  fiirte  anch  der 


')  Nach  dem  elsafsischen  Gcdichte  der  Eittel  das  dem  15.  Jahrimndert  an- 
gehort,  und  anderen  Qnellen  dauerte  die  schamlose  Entbldfsiuig  der  Brait  Cort; 
um  den  Lcib  lag  bei  Manncm  und  Frauen  das  Eleid  eng  an.  Die  Mftnner  pol- 
sterteu  die  Bnist  mit  Baumwolle  aus,  um  „lewen  brt^ft*'  zn  machen.  Kittrl 
50 — 52.  Die  Weiber  erhOhtcn  einen  andern  Theil  und  trugen  also  cnls  de  Paris 
Hanpt  Z.  f.  d.  A.  8,  469.  *)  Engelhardt  Stanfenberg  S.  77.  ff.  *)  lilt  eioviii- 
baldus.  curceboldus.  franz.  courtibaul.  —  Das  Wort  ist  jedenfalls  dentseh;  ttinegMi 
befriedigende  Erkl&rung  will  indefsen  nicht  gelingen.       *)  Du  Cange  ■•  r.  cjtiu. 


447 

Ueberwurf ,  den  der  Priester  bei  der  Mefse  tragt,  den  Namen 
Kurzibald.  In  das  dreizehnte  Jahrhundert  hinein  verschwmdet  en 
Dagegen  erscheinen  zu  jener  Zeit  andere  UeberrOcke.  Einer  der- 
selben  hiefz  S  u  k  e  n  i  e  *)  und  war  wie  der  Name  zeigt,  nrsprOng- 
lich  ein  slavisches  Kleid,  das  sich  aber  unter  die  abendlandischen 
Volker  weit  verbreitet  hatte,  da  es  aufzer  bei  den  Deutschen 
auch  bei  mittellateinischen  mittelgriechischen  und  franzosischen 
Schriftstellem  erwahnt  wird.  Die  Sukenie  ist  unzweifelhaft  ein  | 
Oberkleid ;  sie  wird  mit  dem  Rocke  zusammen  erwahnt  ^)  und 
erschemt  nach  einer  Stelle  im  Roman  de  la  Rose  (1216  — 1224) 
als  ein  enganliegendes  sehr  vortheilhaftes  Gewand.  Wir  konuen 
uns  also  die  Sukenie  in  der  Art  der  polnischen  Frauentiberrocke 
(kabat)  denken,  deren  Schnitt  vor  mereren  Jahren  unter  dem 
Namen  Pole  in  Deutschland  bekannter  wurde.  Zuweilen  wurde 
die  Sukenie  unmittelbar  iiber  dem  Hemde  getragen  ')  (Frauen- 
dienst  347 ,  33) ;  sie  war  Frauen  und  Mannem  gemein. 

Ein  anderes  Obergewand  war  der  Surkot*).  In  wie  fern  / 
er  sich  von  der  Sukenie  unterschied,  kann  ich  nicht  angeben. 
Als  er  um  1350  in  der  Lahngegend  das  Festoberkleid  der  Frauen 
war,  hatte  er  weite  Aermel  und  war  an  den  Seiten  von  unten 
aufgeschlitzt  (Limburg.  Kronik  23).  Die  Kolner  Synode  von 
1260  (can,  5)  und  die  Mainzer  von  1316  (c.  13)  verboteu  die  far- 
chotes  den  Monchen. 

Wie  der  Surkot  war  auch  derKursit  oderKursat  durch  1 
Frankreich  den  Deutschen  bekannt  geworden ;  die  Champagne  *) 
iibernam  gleich  Flandem  die  Uebermittelung  der  Trachten.    Der 


^)  Mlt.  foskania.   aov%ccvia»    franz.  fousquenie,  fouscanie*  forquanie.  —  Za 
dem  Worte  ist  zu  vergleichen  das  altslav.  fukno  (lith.  fukti)    Gewand,   WoUenge- 
^and.  — •  BOni.  poln.  slov.  fukno  Wollentuch.  poln.  fuknia.  bom.  fukn^  Weiberrock. 
*)  Heinr.  Trist.  4499.   Konr.  trqj.   kr»  2962.    Mei  Beafl.  40,  38.    Grieshaber  Pre- 
digten  1,  319.  ')  Fr.  Michel  im  Thdatre  fran9ais  p.  103.  anm.  stellt  die  ein- 

eeitige  Behauptung  auf,  die  Sukanie  sei  ein  Ueberrock  gewesen.  *)  Mlt.  /wrco- 
eium.  h&nz.  furcot.  fercot,  mnl. /ercocf.  —  vgl.  ota  franz.  cote:  Tunica. /t/rcol  heilzft 
also  wortlich  Ueberrock.         *)  MSH.  2,  80.*  ftn  kurjit  wcu  ein  fchampenns. 


448 

Kursit  war  ein  Pelzoberrock  :  eine  Ktlrsen  0  >  <iie  mit  Seide  oder 
WoUenzeug  Qberzogen  einen  ziemlich  weiten  Ueberwurf  bildete. 
Die  Aermel  lagen  eng  an;  derUeberzug  war  gewonlich  bo  ko«t- 
bar  irestickt  als  das  Pelzwerk  wertvoU  war*).  Gleich  den  Waf- 
fenrOcken  warden  die  Kursits  von  den  Rittern  flber  dem  Har- 
ni8ch  getragen  (Eracl.  4745).  Im  14.  Jahrhundert  scheinen  we 
verschwunden  zu  sein. 

Von  den  westlichen  Nachbaren  kamen  auch  die  Tabarde 
oder  Tapperte  zu  una').  Sie  mogen  ein  rund  geschnittener 
langer  Ueberwurf  gewesen  sein,  von  dem  hinten  ein  langer 
Streif  auf  die  Erde  fiel  Bereits  1281  wurden  sie  auf  der  Koi- 
ner  Synode  (c.  3)  den  MOnchen  verboten;  die  Versammlung 
von  Cambray  1311  erlaubte  sie  jedoch  den  Pfarrem  beim  Aus- 
gehen.  Gewonlicher  wurden  sie  erst  seit  1370  in  DeutscUand; 
Manner  und  Weiber,  edel  und  unedel  trugen  sie.  Die  Frauen 
giirteten  sie  in  der  Mitte  mit  den  Dupfings;  die  Manner  trugen 
sie  in  beliebiger  Lauge  und  steckten  ein  grofzes  weites  Tuch 
an ,  das  bis  auf  die  Erde  hieng  *).  Noch  im  18.  Jahrhundert  hie* 
I'zen  die  hinten  angesteckten  mantelartigen  Streifen  an  derKleiduog 
der  protestantischen  Geistlichen ,  uber  welche  Nikolai  durch  Cho- 
dowieckis  Zeichnungen  unterstutzt  in  seinem  Sebaldus  Nothanker 
sprach,  Tapperte').  Sie  haben  sich  noch  hier  und  da  an  der 
Kleidung  der  Kirchendiener  erhalten. 

In  der  z weiten  Halfte  des  14.  Jahrhunderts  kamen  auch  die 
Gugeln  oder  Kogeln  in  Branch,  die  von  den  Frauen  iiber  den 
Kopf  hangend  getragen  wurden.  ,,Sie  stunden  ihnen  vomen  auf  xQ 
Berg  iiber  das  Haupt,  als  man  die  heiligen  malet  mit  den  IKft- 
demen"  (Limburger  Kronik  49,  102)®). 


1)  Das  Wort  Kursen  scheint  slavisch,  was  sich  daraus  sdir  wol  erUir* 
dafz  das  Pelzwerk  besonders  von  den  Slaven  bezogen  wnrde.  Altbdm.  krxtio  Pdi- 
kleid.  Croat,  kerzno,  Verwandt  ist  corium,  *)  Eneit  1702.  Wigam.  865.  4459. 

5332.  Minne  lere  689.  ')  Mit.  tabardum.  tabaldas.  span,  tabardo.  itaL  tabarrt 

franz.  tabart.    tabar,  engl.  tabart.  *)  Limburger    Kronik   (Vogel)   8.  61.  lOl* 

Das  Ueberk  cid  das  Engelhardt  (Staufenberg  77)  von  einem  Bilde  einer  Stnfi- 
burger  Hs.  (1430 — 40)  beschreibt,  scheint  ein  Tappert  gewesen  zn  sein.  *)  VtiMch 
deutsch-lateinisches  Worterbuch  2,  362.       «)  Frisch  deutsch-Ut  Wdrterb.  1,981- 


449 

AUgemeiner  verbreitet  und  weit  langer  im  Brauch  waren 
die  Kappen,  weite  Ueberge wander  mit  Aermeln,  welche  die/ 
ganze  Gestalt  von  Kopf  bis  Fufz  verhullten.  Fiir  den  Kopf 
war  ein  besonderer  Theil  in  Art  unserer  Kapuzen  bestimmt, 
der  auch  zuriickgeschlagen  werden  konnte.  Die  Kappen  waren 
fiir  Reisen  vorziiglich  geeignet  *)  und  wurden  von  Frauen  und 
Mannem  getragen.  Der  Schnitt  war  sehr  weit  und  bequem ;  heute  , 
noch  nennt  man  einen  Mantel  oder  einen  weiten  Rock  ohne  Taille 
und  Schnure  eine  Kappe.  Die  Kappen  wurden  mit  Aermeln  und 
Kopf h  ill  le  auch  in  Skandinavien  getragen  (Fornaldar.  s.  III.  250). 
Das  beliebteste  Zeug  fiir  sie  war  der  Scharlach. 

Fiauen  und  M'annern  gleichfalls  gemein  war  die  Garnasch 
oder  G  a  r  n  a  8  c  h  e.  In  Deutschland  wenig  in  Brauch  *) ,  wurde 
sie  in  Italien  und  Frankreich  mehr  getragen.  Die  Garaasch  war 
ohne  Aermel ,  hatte  vorn  von  unten  nach  oben  einen  Schliz  und 
war  mit  Pelz  gefiittert  ^). 

Wir  wenden  uns  jetzt  zu  dem  Mantel.  Zwar  mit  lateini-  ) 
schem  Namen  bezeichnet  *),  ist  er  doch  ein  echt  germanisches  Ge- 
wand,  defsen  Gebrauch  bei  Mannern  und  Frauen  schon  von  Ta- 
citus erwahnt  wird.  Ein  Stiick  Zeuges,  das  mit  einer  Spange  oder 
einem  Dome  zusammengehalten  wird,  hangt  er  von  den  Schul- 
tern  herab.  Einfach  zwar  ward  er  doch  gleich  der  romischen 
Toga  verschieden  getragen.  Die  Longobarden  hefteten  ihn  mitten 
auf  der  Brust  zusammen  und  vertheilten  ihn  fiber  Riicken  und 
Schultern  gleichmafzig ;  er  reichte  etwas  uber  die  Wade.  Auf 
ihm  trugen  sie  jenen  Kragen,  von  dem  ich  schon  gesprochen  habe. 
Der  Frauenmantel  ist  weiter  und  langer ;  Saume  umgeben  die  I 
Seiten  und  die  unteren  Enden.  Die  Franken  trugen  den  Mantel 
auf  der  rechten  Schulter  durch  Knopf  und  Band  befestigt ;  er  ist 


')  Parz.  778,  19.  Wigal.  8870.  Franend.  40,  14.  Dq  Cange  a,  T.  cappa. 
')  Parz.  588,  17.  Welscher  Gast  (Wackernagel  Leseb.  504,  8)  ^)  Ital.  gamaccia, 
franz.  garnache.  garnachette.   Du  Cange  s.  v.  garnachta,  *)  Festus:    mantilium^ 

^^MuUelium ,  mantellum  ,    mantile :   tegumenti  humeralis  genus   quo  brachium  manusque 
involvebatur, 

OQ 


4S0 

etwas  langer  als  der  longobardische  und  ebenfalls  mit  Streifen 
besetzt.  —  Friih  mochte  es  Sitte  sein  den  Mantel  mit  Pelzwerk 
zu  fiittern  von  der  Beliebtheit  defselben  haben  wir  schon  ge- 
sprochen.  In  dem  Gedichte  von  Rudlieb  (13,  108)  wird  cin 
Mardermantel  erwahnt;  in  den  folgenden  Jahrhunderten  wurden 
die  guten  Mantel  auch  im  heifzesten  Sommer  mit  Fellen  aasge- 
schlagen  getragen.  Aufzer  dem  Futter  felten  dem  Mantel  nicht 
kostbare  Sd^ume  und  Spangen,  die  aus  Borten  mit  Odd  oder  Edel- 
stein  gemacht  waren.  Der  Stein  der  als  Enopf  diente  war  m- 
weilen  eine  Gemme.  Gewonlich  ward  der  Mantel  auf  der  redi- 
ten  Schulter  zugemacht,  so  dafz  der  rechte  Arm  ganz  firei  blieb. 
Die  Frauen  trugen  bei  ruhigem  Verharren  den  Mantel  gewonlich 
offen  und  zogen  die  rechte  Seite  unter  den  Arm  hinauf,  die  an- 
dere  Hand  fafzte  ihn  oben  zusammen*  Im  gehen  jedoch  legten 
sie  den  linken  Daumen  in  die  geschlofzene  Spange  imd  hoben 
den  Mantel  mit  der  rechten  Hand  etwas  in  die  Hohe.  An  den 
M'annerarmeln  bemerkt  man  Schlize,  um  die  Arme  durchzuste- 
eken ;  sie  sind  mit  Pelz  oder  Borten  eingefafzt.  Statt  des  einen 
Schlizes  ist  auch  ein  Aermel  in  dem  Mantel.  Mit  diesen  Mantel- 
armeln  wurde  eben  solche  Spielerei  getrieben  wie  mit  den  Ober- 
armeln  der  Kocke. 

Bei  schlechtem  Wetter  trug  man  eine  Kappe  von  grOb^ 
rem  Zeuge;  den  ^rmeren  mochte  ein  Stiick  Tuch  za  demselben 
Zweck  geniigen.  Noch  heute  werden  solche  Regentdcher  von  den 
Landleuten  mancher  Gegenden  vorsorglich  selbst  bei  gatem  Wet- 
ter auf  weitere  Wege  mitgenommen. 

Gegen  die  Sonnenhitze  schiitzten  die  Sachsen  ihre  Stroh- 
hute;  ein  Zweig  vollen  Laubes  (MSH.  1,  26*),  spaterhin  eb  F8- 
cher  aus  Pfauenfedern  ^)  diente  den  Frauen  als  Sonnensohirm. 

An  dem  Giirtel  hieng  gewonlich  ein  B  e  u  t  e  1  oder  eine 
Tasche*  Schon  auf  den  longobardischen  Bildem  zu  Monsa 
sieht  man  dergleichen  Taschen;    sie   laufen  trichterformig  in  eine 


')  Schineller  baier.  Worterb.  1,  511. 


451 

Spitze  aus.  Spater  gewart  man  die  mannichfachsten  Formen,  denn 
^uch  diese  Sachen  stunden  unter  dem  Einflufze  der  Fremde,  wie 
bereits  die  fur  sie  im  Mittelalter  gewonlichen  Namen :  Pfung  und 
Phose  *)  zeigen ;  auch  die  Worte  Tasche  und  Sack  scheinen  nicht 
deutsch.  Das  Morgenland  hatte  auf  ihren  Schmuck,  vielleicht 
auch  auf  ihre  Gestalt  weitere  Einwirkung  ^) ;  die  kostbaren  Tasch- 
chen  musten  den  Klerikern  auf  dem  Salzburger  Koncil  von  1386 
(c.  6)  verboten  werden.  Diese  Gurteltaschchen  dienten  iibrigens 
zu  dem  verschiedensten ;  als  Almosenborsen  (ausmosnieres)  als 
Riechbiichsen  ')  und  als  Beh'alter  fur  allerhand  Kleinigkeiten  und 
Kleinode  (Lanz.  6050).  —  Aufzer  der  Tasche  wurden  Mefzer  i 
und  selbst  Dole  he  von  den  Frauen  am  Giirtel  gefftrt  (Joncbloet  ' 
Beatrijs  p.  41);  sie  amten  natiirlich  den  Mannern  nach*),  unter 
denen  selbst  die  Geistlichen  w'arend  der  heiligen  Handlungen  der- 
gleichen  Waffen  am  Giirtel  trugen.  Die  Synode  von  Koln  muste 
1337  dagegen  einschreiten  (Hartzheira  4,  444.).  Weiblicher  war 
68  dafz  die  Frauen  Schlufzel*),  Spin  del  und  Scheere  an 
den  Giirtel  h'angten.  Die  schone  alte  Tracht  der  dietmarsischen 
Weiber  zeigt  diese  echten  Schmuckstiicke  der  Frauen. 

Zum  vollstandigen  Anzuge  gehoren  noch  die  Handschuhe.) 
Auf  den  longobardischen  Bildern  sieht  man  sie  nur  an  dem  Bi- 
schofe;  der  Konig  und  seine  Vomemen  sind  barhandig.  Im  ach- 
ten  und  neunten  Jahrhundert  miifzen  sie  indefsen  schon  allgemein 
gewesen  sein.  Die  Bestimmungen  von  Achen  aus  dem  Jahre  817 
(c.  22)    zeigen   dafz  im  Winter  Handschuhe  von  Fellen  (mufiulae 


')  Goth,  puggs,  ahd.  pfunc,  ags.  pung.  vgl.  griech.  novyyi,  das  ans 
dem  slav.  entlehnt  scheint*  poln.  p^k.  Biindel.  Paket.  lith.  pungelis ,  Btinde). 
Micklosich  Lautlehre  p.  14.  leitet  puggs  von  asU  p%gva  corymbus.  —  Ahd« 
phofo.  ags.  pofa  ,  aus  dem  slavischen :  altslav.  pqjafati  giirteu.  poln.  pas  Gurt. 
Gurtel.  bom.  pas.  wind.  pafs.  *)  Im  Rom.  de  la  Kose  werden  ausmosnieres  ou 
bourses  sarazinoises  erw'ahnt.  —  Zu  den  joiaus  einer  Dame  rechnet  das  chastoiement 
de  dames  (235)  bel  corroie  (Borse  am  (jurtel)  ou  biau  coutel,  aumosniere,  ctfiche 
ou  anel.  *)  Engelh.  516.  MSH.  8,  245.'  Minne  lere  496.  —  olfactoriola  Vita 
Hathumodae  (Pertz  6,  167.  a.  874).  *)  Die  Obersteirer  tragen  an  der  rechten 
Seite  ihr  Efzbesteck.  ^)  Die  Landleute  um  Krakau  tragen  an  dem  breiten  Le- 
dergHrtel  der  ihren  Bock  umschliefzt  Mefzer  and  Schliirzel. 

29* 


452 

I 

vervecinae)  und  WoUe,  im  Sommer  leichtere  (wantl)  getragen 
wurden.  Der  Handschuh  war  im  9.  Jahrhundert  sogar  bereitg 
unter  die  Rechtssymbole  aufgenommen ;  durch  seine  Uebergabe 
ward  das  rechtliche  Verzichten  bezeichnet.  Hingeworfen  erkl&rte 
er  den  Ausspruch  des  Bannes  ^).  Die  Pelzhandschuhe  wie  iiber- 
haupt  die  groberen  scheinen  ohne  Fingerlinge ,  blofz  mit  einem 
Daumlingy  also  Klotzhandschuhe  gewesen  zn  sein;  so  war  auch 
jener  Handschuh  des  Riesen  Skrymir,  in  den  sich  Thor  saint 
Loki  und  Thialfi  auf  seiner  Fart  zu  Utgardaloki  fliichtete  (Snor- 
raedda  51).  Vielleicht  waren  auch  ThorsEisenhandschuhe  (iamglofar) 
so,  mit  den  en  er  den  zuriickkerenden  Blitz,  seinen  Hammer  Mi^hur, 
wieder  aufHeng.  Sie  beweisen  iiberdiefz  wie  althergebracht  die  Hand- 
schuhe  unter  den  altnordischen  Stammen  waren.  —  An  den  feinen 
Handschuhen  der  hofischen  Kreise  zeigte  sich  die  Fahigkeit  jener 
Zeit  angenemen  Schmuck  zu  erfinden. .  Buntgestickte  Frauenhand- 
schuhe  wurden  schon  im  11.  Jahrhundert  getragen  *)•  Mitten  auf 
dem  Handriicken  wurde  ein  grofzerer  Edelstein  angebracht,  klei- 
nere  Steine  und  Perlen  wurden  sonst  verwandt.  Byzanz  nnd  der 
Kirchenschmuck  gaben  die  Vorbilder.  Die  anstandigste  Farbe  war 
wie  heut  zu  Tage  die  weifze  ^) ,  der  Stoff  bald  Seide  bald  feines 
Leder.  Sie  reichten  bis  an  das  Handgelenk,  an  den  halben  Un- 
terarm  oder  bis  an  den  EUenbogen  *).  Die  Ringe  wurden  dariiber 
getragen.  Bei  Besuchen  werden  die  Handschuhe  wie  Hut  Mantel 
Schwert  Mefzer  und  Sporen  abgelegt  (Konr.  v.  Haslaus  Jiingling 
vv,  712.  720.  fF.  vgl.  oben  S.  394.). 

Zu  alien  diesen  Gewandstiicken  kam  als  Verziemng  noch 
das  eigentliche  Geschmeide.  Die  G^rmanen  haben  sich  fHih 
auf  die  Verarbeitung  der  Erze  verstanden;  denn  wenn  sie  auch 
nur  wenig  Eisen  und  gar  kein  Gold  oder  Silber  gegraben  zu 
haben  scheinen,  well  sie  die  Arbeit  zu  beschwerlich  nnd  des  freien 


^)  J.  Grimm  Rechtsalterth.  152.  15.5.  *— <  Die  Erklamng  der  Fehde  dvrch 
den  Handschuh  ist  jiinger  und  anscheinend  fran/.usischen  Ursprnngs.  J.  Grinuii 
Reinhard  Fuchs  LXVIII.  f.  *)  Muratori  antiqu.  3,  648.  •)  Wigal.   1428. 

Minne  Icrc  489.  Fornaldar.  s.  3,  222  Bom.  de  la  Rose  565.  Das  Bild  Fr.  t.  Hasent 
in  der  Weingartner  Liederhandschrift.         *)  Nith.  Ben.  309.  MSH.  8,  a4B.' 


45S 

Mannes  nicht  wiirdig  dauchte,  so  verarbeiteten  sie  (loch  das  Eisen 
sehr  gut  (Tacit,  germ.  6.).  Die  Vandalen  hatten  sp'aterhin  den  Ruf 
besonders  trefflicherWaffenschiniede(Caf8iod.  var.  5,  1.),  dieLongo- 
barden  genofzen  unter  Alboin  defselben  Kuhmes  (Paul.  diac.  1,  27.) 

Auch  die  Goldschmiedkunst  fand  bald  Aufname  und  Pflege. 
Allerdings  scheint  es  den  geschichtlichen  Zeugnifsen  nach,  als 
ob  nur  Romer  und  Kelten,  mittelfreie  oder  Horige,  diese  Kunst 
im  Dienste  der  Germanen  geiibt  hatten;  allein  die  Bemerkung 
dafz  der  germanische  Glaube  Untergotter  und  Halbgottheiten  di^ 
trefflichsten  Schmiede  sein  lafzt,  bezeugt  zur  |Genfige  dafz  diese 
Kunste  auch  von  den  freien  Germanen  getrieben  wurden.  Wie- 
land ,  jener  Waldgott  der  einer  Schwanjungfrau  vermahlt  war, 
hatte  durch  seinen  Reichthum  und  durch  seine  Kunst  den  Neid 
des  Konig  Neithart  (Nidudh)  von  Jutland  auf  sich  geladen*  Er 
wird  in  der  Nacht  gefangen  genommen ,  gelamt  und  auf  eine 
kleine  Insel  in  eine  einsame  Werkstatt  gesetzt,  wo  er  Schwerter 
und  Bauge  Brastkringe  und  Ringe  und  andem  Schmuck  dem 
Konige  Schmieden  mufz,  bis  er  Ge;legenheit  findet  sich  an  dem- 
selben  auf  das  grausamste  zu  rachen  und  zu  entfliehen.  Die  Zwerge 
ferner  trugen  den  Rtil  ausgezeichneter  Schmiede  bis  in  die  heu- 
tigen  Volkssagen  hinein  ;  Weisheit  und  Schlauheit  ist  alien  die- 
sen  Wesen  zugel^U;  wie  sie  das  rote  Gold  und  das  dunkle  Erz 
zusammenschmelzen  und  schlagen,  so  Schmieden  sie  auch  klu- 
gen  scharfen  Rat.  Unter  den  jiingeren  Gebilden  der  nordischen 
Sagenschopfung  erscheinen  merere  Vergottlichungen  des  Frauen- 
schmuckes  (Hnofs.  Gerfemi).  Die  Gestirne  aber  dachte  man  sich 
als  prachtiges  Halsband  um  Freyas  Schonheit. 

Die  erste  Stelle  unter  dem  Geschmeide  namen  die  Bauge')  <\ 
ein ,  jene  grofzen  Ringe  um  Arm  und  Hals  ,    die  das  Verlangen 
von  Konigen  und  Dienstmannen ,   von  Helden  und  Sangem  wa- 
ren.     Sie    gal  ten  als  die  beste  Gabe  die  gegeben  werden  konnte, 
als    der  Orden    mit  Schwertern    und  Krone   und  pour  le  jn^rite. 


')  bouc  (ags.  bedf/.  altn.   haugr)   arinilla»   dextrale.   brachiale.  —  Das    Wort    f 
bcdeutet  eiiifath  das  gebogene. 


454 

Als  stehende  Beinamen  batten  die  Konige  in  der  Dichtereprache 
die  Benennungen  Baugvertheiler  und  Baugbrecher  ');  iiber  Bauge 
walten  biefz  Teic\  sein.  In  den  Scbatzkammem  der  Fiirsten  lagen 
bunderte  dieser  Spangen  aufgeh'auft.  Als  Waltber  von  Aquitanien 
dem  Hunnenkonig  Etzel  entfliebt,  nimmt  er  so  viel  Bauge  aus 
defsen  Hort ,  dafz  er  dem  Frankenkonige  Giintber  •  hundert  als 
Ebrengabe  bieten  kann.  Freunde  tauscbten  ibre  Armspangen  nn-' 
ter  einander.  Hildebrand,  Dietrichs  von  Bern  Gefarte,  kert  ans 
langem  Elende  beim.  Da  begegnet  ibm  sein  Sobn  Hatbubrand: 
er  erkennt  ibn,  der  ihn  nicbt  anerkennen  mag  und  reicbt  ibm 
auf  des  Schwertes  Spitze  seine  gewundenen  Bauge,  die  aos  by- 
zantiniscben  Goldmiinzen  gescblagen  waren.  —  Algis,  der  Sobn 
des  letzten  Longobardenkonigs  Desiderius,  war  ein  starker  kiiner 
Mann.  Er  kam  auf  Kundschaft  an  Karls  des  Grofzen  Hoflager 
nacb  Ticinum  und  safs  unerkannt  mit  zur  Tafel.  Als  Karl  auf- 
stund,  sab  er  unter  dem  Orte  da  jener  gesefzen  einen  unge- 
beuern  Haufen  Knocbensplitter.  Erstaunt  fragt  er  wer  dort  afz 
und  erf  art,  es  sei  ein  Mann  gewesen  der  Baren-  und  Hirsdb- 
und  Rindsknocben  wie  Hanfstengel  zerbifz.  Da  errat  der  Kaiser 
dafz  es  Algis  war  und  fordert  dafz  man  ibm  den  entronnenen 
zuriickbringe.  Ein  Franke  erbietet  sicb  dazu  wenn  Karl  seine 
Armbauge  ihm  anvertraue,  damit  er  mit  ihnen.  den  Longobarden 
locken  konne.  Der  Konig  gibt  sie  und  jener  setzt  dem  Feinde  naoh. 
Er  trifft  ibn  auf  dem  Flufze  im  Kane  und  ruft  ibm  freundlioh 
zu :  „Karl  scbickt  dir  bier  seine  Bauge  zum  Gescbenk ,  er  tadelt 
dicb  dafz  du  so  beimlicb  aufbrachst.  Aber  komm  an  das  Ufer 
damit  icb  dir  sie  gebe."  Der  Franke  batte  die  Spangen  auf  sei- 
nen  Ger  gesteckt  und  Algis  erriet  den  Verrat.  Rascb  ergrifif  er 
seinen  Scbaft,  steckte  seine  eigenen  Armringe  darauf  und  nam 
,die  gereichten  warend  er  die  seinen  auf  des  f*ranken  Ger  schob. 
,Mit  dem  Gere  reichst  du  sie ,  mit  dem  Gere  empfange  icb  sie. 
Scbickt  mir  auch  Karl  die  Gabe  in  Hinterlist ,  icb  will  sie  unver- 


')  Aim.  hftuffKrlt'ilir.  hauynfpiUlr.  hamjbrofi    ags.  hedya  brytta* 


455 

golten  nemen;  bring  ihm  meine  Bauge  zur  Gegengabe."  Der 
Franke  sah  den  Feind  geriistet  und  wagte  nicht  den  offenen 
Eampf;  er  gieng  zuriick  und  brachte  dem  Konige  die  Range, 
die  aber  fiir  Karls  kraftigen  Arm  zu  grofz  waren,  denn  statt 
am  Oberarme  zu  haften,  fielen  sie  iiber  die  Schultem  hinauf. 
Da  erstaunte  er  und  rief:  „ich  achte  es  fiirwahr  fortan  als 
kein  Wunder,  dafz  jener  Mann  die  starksten  schlagt/'  Und  er 
furchtete  den  jungen  Longobardenfiirsten  seitdem  mehr  denn  frii- 
her ').  —  Auch  Frauen  theilten  Bauge  als  hohe  Gaben  aus.  Da 
Siegfried  nach  Worms  kam,  Krimhild  zu  verkiinden  dafz  ihr  Bru-, 
der  Giinther  mit  der  gewonnenen  Braut  komme  und  da  er  einen 
Botenlohn  verlangt ,  reicht  ihm  die  Furstin  vier  und  zwanzig  Arm- 
spangen  (Nib.  522).  Beim  Abschied  der  Burgunder  spannt  die 
Markgr'afin  Gotelind  von  Bechlaren  dem  trefflichen  Volker  von 
Alzei  zwolf  Bauge  um  die  Hand  (Nib.  1644).  Der  Beispiele  lie- 
fzen  sich  noch  viele  bringen,  wo  die  Armringe  als  Ehrengaben 
erscheinen  und  wo  zugleich  ihr  sonstiger  hoher  Wert  sich  dar- 
stellt  Als  der  vielgewanderte  Dichter  Widsid  an  den  Hof  seines 
heimischen  Fursten  Eadgils  zuriickkehrt,  reicht  er  diesem  zum 
Dank  dafz  er  ihm  sein  vaterliches  Besitzthum  wieder  gab,  den 
goldenen  Bang,  den  ihm  Ermanrich,  der  grofze  Gothenkonig,  als 
Sangerlohn  gegeben.  Ealhild,  die  Gemahlin  des  Myrgingerfursten, 
gab  ihm  aber  einen  andern  ^).  Das  hochste  Lob  was  ein  Dichter 
im  ganzen  Mittelalter  einem  Fursten  spendete,  war  das  was 
jener  angelsachsische  Sanger  dem  longobardischen  Alboin  gab, 
dafz  keines  andern  Hand  so  leicht,  keines  andern  Herz  so  frei-  ^ 
gebig  an  Ringen  und  leuchtenden  Baugen  sei  ^).  So  vermag  denn 
auch  der  ritterliche  Dichter  Rudolf  von  Rotenburg  seine  Liebe 
nicht  hoher  zu  schildern  als  dafz  er  sagt  die  Geliebte  sei  ihm 
theurer  denn  alle  griechischen  Bauge  (MSH.  1,  87.').  Wie  hoch 
dieses  Schmuckstiick  gait,  beweist  auch  dafz  Eide  auf  dafselbe  ab- 
gelegt  wurden  (Saem.  24.*).  Dafz  es  tief  in  das  ganze  Leben  griff, 


')  Chronicon  Novaliciense  III.  21.  22.         *)  Codex  exoniensis  ed,  Thorpe 
(London  1842)  324,  1—22.         ')  Codex  exoniensis  322,  30.  flf. 


456 


zeigt  der  Umstand  dafz  im  Norden  Baug  eine  allgemeine  Wert- 
bestimmung  wurde  und  namentlich  die  Sfttze  fCLr  Bufzen  iind 
Briiche  ausdriickte  '). 

Die  Bauge  waren  nicht  blofz  Schmuck  des  Unter-  und  Ober- 
armes,  sondern  es  gab  auch  Halsbauge*  Sie  mochten  bald 
eingliedrige  bald  spiralforraig  gewundene  Ringe  sein ,  die  den 
Hals  in  frelerer  Weise  umschlofzen  *).  Letztere  werden  noch  viel- 
fach  aus  den  alten  Grabern  ausgegraben.  Der  Halsschmnck  war 
verschiedenartig.  Freyas  Brisingamen  ')  beweist  dafs  gegliederte 
Halsketten  sehr  alt  sind;  Ausgrabungen  haben  gezeigt  dafz  anch 
darchborte  Miinzen  getragen  worden  sind. 

Mit  dem  Halsschmuck  hieng  der  Brustschmuck  oft  un- 
mittelbar  zusammen.  Jenes  Kleinod,  das  die  Zwerge  der  Freya 
geschmiedet  batten,  zierte  Hals  und  Brust.  Die  Gestalt  war  na- 
turlich  ebenfalls  sehr  mannichfaltig.  Angereihte  Ringe  welche 
vom  Halse  herabhiengen  *) ,  und  eckige  oder  runde  Fiirspane  be- 
gegnen  neben  einander.  Diese  Vorstecker  waren  gleich  den  heu- 
tigen  Broschen,  deren  Name  schon  im  Mittelalter  erscheint*),  oft 
sehr  kostbar;  Gold  und  Edelstein  und  Perlen  wurden  daran  ver- 
schwendet.  Sie  waren  gewonlich  blofzes  Schmuckstiick ,  zu- 
weilen  dienten  sie  auch  um  den  Rock  tiber  dem  Buscn  zusam- 
monzuheften.  An  dem  Mantel  befand  sich  zum  Zusammenhalten 
eine  Spange  oder  Nftsche®).  Die  Zwerge  auf  den  Schnhem 
(dvergar  ^  0x1  um)  die  in  einem  Eddaliede  (Saem.  102.**)  erwfthnt 
werden,  waren  vielleicht  Mantelnuschel  oder  andere  Verzierungen 
der  Achseln,  deren  sich  aus  dem  13.  Jahrhundert  auch  in  Deutsch- 
land  nachweisen  lafzen.    Noch   weit   spater   waren   Aermelbander 


')  Wilda  Strafrecht  der  Germancn  300.  439.  *)  Halsbougdj  eircuU  oMrti 
e  collo  pendentes,  Graff  3,  39.  *)  Die  alteste  germanische  Bezeichnnng  fiir  FI»b- 
schmuck  ist  mani,  ags.  mene^  altn.  men ,  dem  sich  sanskr.  mani^  lat.  mon-ile,  altsbr. 
moni-sto  poln.  manela  vergleichen  lafzen.  *)  brioftkringlur  Saem.  187.*  —  arf**^ 
muoter  juncfromoen  ir  vingerlin  an   fn'de.ren  tragent.  Parz.   123,  28.  •)  bratfe^ 

unde  vurfpan,  Diut.   1.  365.     In  der  Lubecker  Kleiderordnung   von  1454  hr^tft^ 
hoykenhreetfen.  *)  Ahd.  nvfcja.  nufm:  Jibvla,  nufcili.    niifchel:     moniU*  Uuoilo* 

fpinter.  nufcjan:  Jibularc. 


457 

Schmuck  und  Liebeszeichen  der  Frauen  ')♦  Die  Tracht  der  Al- 
tenburgerinnen  zeigt  noch  heute  anliches*  Hier  an  Hals  und 
Brust  wurde  auch  der  Bernstein  getragen,  diefz  schone  Erzeug- 
nifs  der  Ostsee,  das  bei  den  Eomerinnen  schon  beliebt  war  (Plin. 
h.  n.  37,  11).  Die  Germanen  schatzten  ihn  ebenfalls;  ihren  Ftlr- 
sten  war  er  ein  willkommenes  Geschenk  (Cafsiodor.  var.  5,  2.) 
In  dem  spateren  Mittelalter  batten  die  Kiistenstadte  der  Ost-  und 
Nordsee  aufzer  dem  Handel  mit  dem  „Danziger  Harz"  auch  seine 
Verarbeitung  Gbernommen.  Am  beriihmtesten  aber  waren  die  Ve- 
nediger  Bernsteinarbeiten  mit  denen  die  LagunenkCnigin  einen 
weiten  Handel  trieb  ^). 

Aufzer  diesen  Spangen  und  Haften  wurden  die  Giirtel-  I 
schnallen  sehr  friih,  wie  die  Ausgrabungen  lehren,  mit  Kunst  be- 
handelt  und  zu  den  Schmuckstiicken  gerechnet.  Es  finden  sich 
allerlei  Bildwerke  an  ihnen.  Auch  in  der  spateren  Zeit  wetteifer- 
ten  Goldschmid  und  Steinschneider  bei  ihrer  Ausschmtickung. 
Aermere  begniigten  sich  statt  des  Goldes  mit  Kupfer  statt  der 
Steine  mit  Glas. 

Wie    die   Fingerringe   viel   getragen    wurden    und  in    dem 
Liebes-   und   Verlobungsleben   von   Bedeutung   waren ,    wie    von 
dem  Stroh-  und  Grasring  die  Stufe  bis  zum  wertvoUsten  Goldreif 
mit  edelstem  Stein  sich  baute,  ist  schon  an  verschiedenen  Orten 
dieses  Buches  bemerkt  worden.  Als  Schmuck  galten  in  der  &lteren  \ 
Zeit  die  Armringe  hoher  denn  die  Fingerringe.    Auch  die  Ohr-  f 
ringe    sind  seit  Alters  eine  Verzierung ') ;    sie  wurden  ebenfalls 
wenn    irgend   moglich    kostbar   und    kunstreich  gewalt,     Auf  die 
Schmiickung  des  Hauptes  ward  iiberhaupt  grofze  Sorge  verwandt, 
und  damit  die  Frauen  stets  ihren   Putz   mustern  konnten,  fiirten 
sie  einen  kl einen  Handsp^egel  mit  sich,    der  darum  auch  zu  den  i 
Schmuckgegenstanden   gehOrte.    Er  war  von  edlem  Metalle  oder 


0  J.  Grimm    bei    Haupt    Z.  f.  d.  A.  8,  20.  *)  Hiillmann  St&dtewesen 

1,  39.  ")  drgolt.  6rrinc.  angs.  edrprednas.  edrhtingas.  —  Est  etiam  teneres  aures 
qui  perforet,  ut  fie  Aut  auruni  aut  cams  pendeat  inde  lapis,  Anselm.  Cantuar.  oper* 
ed.  Gerberon.  2,  197.  Miklosich  Lautlehre  der  altslovenischen  Sprache  (Wien  1850) 
p.  14  Icitct  das  altsl.  ^userQg"'  inanris  ana  dem  gothischen  ab. 


458 

Elfenbein.  Schon  im  achten  Jahrhundert  waren  diese  Spinel  im 
Brauche  (Beda  h.  e.  2,  11)  und  noch  im  16.  gehorten  sie  za  dem 
notwendigen  Putze. 

Als  nattirlichste  Zier  des  Kopfes  war  das  Har  seit  den  &1- 
testen  Zeiten  von  den  Germanen  geachtet*  Die  meisten  germani- 
Bchen  Volker  trugen  es  frei  auf  Schultem  und  Riicken;  nur  die 
Sveven,  die  sich  auch  in  anderm  unterschieden,  kammten  es  Mtr 
warts  zuriick  und  banden  es  in  einen  Knoten  (Germ.  38.)»  Go- 
then,  Franken,  Alemannen,  Burgunden,  Friesen,  Sachsen,  Nord- 
lander ,  alle  liefzen  es  frei  fliegen ;  es  hatte  eine  hOhere  Bedeu- 
tung  unter  ihnen  0  9  denn  es  war  Zier  und  Kennzeichen  des  freien 
Mannes;  dem  Knechte  wurde  das  Har  kurz  abgeschoren  *)  und 
bei  schwerer  Strafe  ihm  verboten  es  zu  pflegen.  Die  Edien  und 
die  Konige,  besonders  die  Merovinger  zeichneten  sich  vor  den 
Freien  noch  durch  langeres  und  mehr  gepflegtes  Har  aufi  ') ;  der 
Merovinger  dem  das  Har  geschoren  wurde,  war  unfahig  zu  herr- 
schen.  Einzelne  Karolinger  wichen  von  der  Sitte  ihres  Volkee 
ab  und  schnitten  sich  das  Haupthar  kurz  ab ;  seitdem  legten  die 
Franken  iiberhaupt  die  langen  Locken  ab.  Die  Longobarden  tru- 
gen das  Har  im  Nacken  kurz,  vorn  hieng  es  gescheitelt  und  lang 
herab;  bei  den  Baiern  war  es  eben  so  geworden*  Die  Sachsen 
bewarten  das  lange  Har  wie  ihre  langen  Kocke  und  fielen  duroh 
beides  den  Franken  auf  (Widukind  I.  9.) 
\  Das  schone  voile  Har  der  Germanen  und  seine  rotlichgelbe 

Farbe  war  den  ROmern  nicht  entgangen,  und  ihre  nach  neuem 
Putze  gierigen  Weiber  wolten  fortan  nur  falsche  Flechten  von 
deutschen  Haren  tragen.  Wir  erfaren  dabei  dafz  die  Deutschen 
ihr  Har  mit  beizenden  Salben  aus  Ziegentalg  und  Buchenasche 
bestrichen  und  dafz  die  Manner  die  Frauen  in  der  Eitelkeit  weit 
ubertrafen  (Plin.  h.  n.  28,   51.).    Die  Homer  hatten  auch    diese 


*)  Grimm  deutsche  Rechtsalterthiimer  239—241.283—286.  Grupen  de  nxort 
theotisca  141.  f.  ^)  Die  Uuuneo   trugen  das   Har  kurz  nnd  nmd  geftchnitten. 

Priscug  p.  40.  ed.  Venct.  ')  Za  den  von  Grimm  Bechtsalterth.  239.  fL  tagp* 

furten  Stellen  vergl.    noch  Waitz  deutsche  Verfafsungsgeschichte  8,   104.  f. 


450 

Salbe    angenomraen  *)  und  sie  farbten   aufzerdem  ihr   Har ,    das 
sich    in    seiner    siidlichen    Schwarze    gegen    die    KOte    naturlich 
straubte.    Es  war  iibrigens  das  ganze  Mittelalter  hindurch  Branch  . 
nur   blondes  Har  schon  zu  finden*),  bei  den  Romanen  sowol  als 
bei  den  Germanen. 

Wenn    auch   aufzer   dem   romischen    Zeugnifse   viele  Nach* 
richten  aus  dem  Mittelalter  daftir  sprechen  dafz  die  Manner  vor- 
zugsweise  Sorgfalt  auf  ihr  Har  verwandten,    so   ist   doch  ebenso 
sicher  und  bedarf   keines  Beweises  dafz  auch  die  Weiber  diesen 
angeborenen  Schmuck    sorgsam   behandelten.     Er  hatte   auch  bei 
ihnen  eine  hohere  Bedeutung.     Wie  der  freie  Mann  in  dem   Ian-  ^ 
gen  Hare  das  Zeichen  seiner  Wurde  trug,  so  waren  bei  der  Jung- 
frau  die  freifallenden  Locken  die  Urkunde  ihrer  unberiirten  Ehre. 
Die  verheirateten  Frauen  banden  das  Har  auf;  gefallene  und  un-^  r 
freie   Weiber   musten    den  Kopf  scheren*     Bis   in   das  18.  Jahr-*  ' 
hundert    haben    sich   Spuren  der  jungfraulichen    Bedeutung   des 
langen  Hares  erhalten  '). 

Das  Har  ward  in  der  Mitte  gescheitelt.  Der  Scheitel  durfte  i 
nicht  zu  breit  sein  *)  und  ward  durch  ein  Band  oder  einen  Bei- 
fen  in  Ordnung  gehalten  %  Mit  den  Haren,  die  l^ngs  den  Wan^ 
gen  herabhiengen^ward  gektinstelt;  sie  durften  nicht  schlicht  und 
in  gleicher  Lange  mit  den  andem  fallen,  sondern  wurden  kQrzer 
gehalten  und  zu  Locken  gedreht.  Zierlich  ringelten  sich  diese  ^ 
Lockchen  um  das  Ohr  herum  (Konr.  troj.  kr.  19795  Kittel  25,  7.) 
oder  sie  hiengen  Trauben  gleich  etwas  herab  (Fragm.  26.').  Manch- 
mal  wurden  sie  rings  um  Stim  und  Wangen  einzeln  gedreht 
und  gaben  mit  Borten  durchwunden  das  Ansehen  einer  Krone 
(Wilh.  154,  15).    Um  den  Glanz  des  Hares  zu  erhohen,    wurden 


')  Martial.  8.  33,  20.  14,  26.  27.  *)  Fr.  Michel  Theatre  frantjai's.  p.  58. 
note*  Vgl.  Nachweisungen  aus  alterer  Zeit  bei  Zeufs  die  Deutschen  und  die  Nach- 
barstamme  (Mttnchen  1837).  S.  51.  f.  ')  Grupen  de  uxore  theotisca  190.  204. 
Grimm   d.  Rechtsalterthiim.  286.  *)  Wigal.  870.  Kl.  Hatzler.  220/  vgl.  Eneit 

5126.         *)  undirbant:  deceniiculum,  omamentum    virginaUa  capitis    tx  auro,  Graff 
3,   137.  nl.  hcRrfnoer,  fcheideJfnoer,  reytfcappen* 


400 

sie  sehr  haufig  mit  Seide  durchflochten  (MSH.  2,  lia.**  3,  230.*). 
Bruder  Berthold  konnte  den  Frauen  nicht  mit  Unrecht  den  Vor- 
wurf  machen  dafz  sie  das  halbe  Jahr  mit  ihrem  Hare  beschaftigt 
seien  (S.  400*  Kliug).  Auch  hierin  wetteiferten  die  Manner  mit 
den  Frauen ;  sie  trugen  schon  in  'altester  Zeit  kiinstlich  gedreh^e 
Locken  und  Juvenal  (13,  164)  spottet  bereits  der  germanischen 
Harhomer.  Diese  Locken  gehorten  zu  der  Eigenthiimlichkeit  ger- 
\  manischer  Tracht  ^).  Sie  wurden  gebrannt.  Konig  Alfred  von 
England  schenkte  einem  Presbyter  ein  silbernes  Werkzeng  zom 
Krauseln  der  Hare  (Bonif.  ep.  102).  Also  auch  die  Geietlicben 
hielten  sich  von  dieser  weltlichen  Eitelkeit  nicht  frei.  Bonifu 
eiferte  vergebens  dagegen.  Auf  der  deutschen  Synode  von  744 
ward  ausdriicklich  den  Klerikern  das  lange  Har  verboten  und 
bestimmt  dafz  der  Archidiakonus  einen  jeden  langharigen  Priester 
scheren  solte  (Hartzheim  1,  55).  Was  half  es?  Bruder  Berthold 
predigte  noch  im  13.  Jahrhundert  mit  gleicher  Heftigkeit  gegen 
die  langgelockten  PfafFen ;  er  griff  zum  Mittel  der  Yerdachtignng^ 
sagte  die  langen  Hare  der  Geistlichen  seien  Zeichen  ihrer  heim- 
lichen  Ketzerei  *),  (aber  seine  Worte  verhallten  in  den  Wind.)  Bald 
nach  seiner  Thatigkeit  im  J.  1298  muste  die  Mainzer  Synode 
den  Klerikern  die  Locken,  die  gemeinlich  KruUe  hiefzen,  Ton 
neuera  verbieten  (Hartzh.  4 ,  588)  und  noch  im  15.  Jahrhundert 
beschaftigten  sich  die  Synoden  mit  dieser  wichtigen  Angelegenheit 
Die  Eichs tatter  Synode  von  1484  erlaubte  endlich  den  GWstK- 
chen  das  Har  bis  an  den  Hals  zu  tragen  (Hartzh.  5,  570.)  Du* 
Liebe  zu  den  Locken  ist  natiirlich  nur  ein  Abglanz  der  wdt- 
lichen  Lust  an  diesem  Schmucke.  Wie  weit  man  hier  gieog) 
kann  man  aus  der  Schilderung  eines  jungen  Bauers  des  13-  Jaltf' 
hunderts  ersehen,  der  seine  Locken  schon  am  Abende  vor  einem 
Festmorgen  drehen  und  wickeln  liefz  damit  voile  Zeit  dariMu 
verwendet  werden  konne,  und  sie  des  Nachts  sorgeam  in  eine 
Haube  zwangte,  um  sie  am  andern  Morgen  recht  frisch  und  schon 


')  Tertull.  de  veland.  virgin.    Isidor.  origin.  19,  23.    vgl.  Grapen  de  V^^^ 
theot.   144.  Grupen  halt  die  cirri  fur  ZOpfe.  *)  Klings  AuBg.  806,  400. 


461 ^ 

zu  haben  (Ntth.  Ben*  351).  Selbst  eine  so  riesenhafte  Erscheinung 
wie  der  alte  Wate  in  den  Gudrunliedernj  ist ,  mufz  sich  der 
modischen  Ansicht  des  Zeitalters  des  Dichters  fugen  und  seine 
greisen  Locken  mit  Borten  umwinden.  Solche  geckenhafte  und 
weibliche  Eitelkeit  steht  in  schlimmen  Gegensatze  zu  den  Kauh- 
heiten  derselben  Zeiten. 

Die  Hare,  welche  nicht  gelockt  wurden,  fielen  entweder  frei 
den  Riicken  herab  oder  wurden  in  Zopfe  geflochten.    Die  Zopfe 
haben  eine  lange  Geschichte  bei  uns.   Fiir  die  Frauen  batten  diese 
Harflechten   den   Nachtheil   dafz    sie   bei   Ausbriichen  mannlicher  1 
Rohheit,    die  auch  in  den  feinsten  Kreisen  der  ritterlichsten  Zeit  ' 
nicht  felten,  eine  gute  Handhabe  abgaben  ^).     Die  Zopfe  wurden 
meist    fiber   die    Schultern    nach  vorn  gelegt  und   mit  Goldfaden 
Perlenschniiren  und  Borten  durchflochten  ^).    Spaterhin  liefz  man 
sie  nicht  frei  hinabf alien  sondem   baut^  allerlei  Verzierungen  aus 
ihnen  auf  ^).     Auch  aufzer  den  Zopfen   wurde   das   Har  von  den 
Frauen    auf   mancherlei  Weise  in  Knoten  geschurzt.     Urspriing- 
lich  wie  es  scheint  nur  Tracht  der  verheirateten,  wurde  sie  doch  \ 
auch   von   den   un verheirateten   angenommen    (Du  Cange  s.  v.  in 
capillo).    Diefz   in  Knoten  schurzen  scheint  mit  einem  Kunstaus- 
drucke  balzieren  genannt  worden  zu  sein* 

Im  Gegensatze  zu  dem  alten  Brauche  Nacken  und  Hals  i 
mit  den  Haren  zu  verdecken,  stund  eine  Sitte  des  13.  Jahr- 
hunderts,  welche  freilich  vielen  Tadel  und  Hohn  hervorrief.  Die 
Frauen  banden  namlich  wahrscheinlich  in  Nachafferei  der  Fran- 
zosinnen  ihr  Har  ganz  hinauf,  so  dafz  der  Nacken  ganz  kahl  V 
erschien.  Trotz  der  bitteren  Bemerkungen  zwei  so  angesehener 
Dichter  wie  Walthers  von  d.  Vogelweide  (111,  17 — 21)  und  Neit- 


')  Parz.  151,  24.    Wilh.  147,    19.  Gudr.  960.  *)  Angilbert.  III.  223. 

Wigal.  863.    1743.    7412.   Frauend.  161,    2.  ')  Agrikola  Aiislegung  gemeiner 

deutsclier  Sprichworter  (1528.  n.  370.)  an  etlichen  ortten  als  am  Rejn ,  ynn 
Schwa  ben  vnd  Bey  em,  auch  ynn  Schweitz,  schlagen  sie  die  harflechten  hynder 
sich  zurucke.  Ynn  Meyfsen  vnd  Duringen  flechten  sie  die  zopffe  auif  yhren 
hcubtcrn  hoch  empor  wie  ein  storcks  nest,  Ynn  Sachsen  nnd  Hessen  schlagen  sie 
■ie  vmb  yhre  ohren  herumb. 


4«2 

harts  (376.  Ben*),  dauerte  die  Tracht  wenigstens  einzeln  noch  in 
der  zweiten  Halfte  des  13.  Jahrhunderts  fort  (TurL  Wilh.  152.* 
Konr.  troj\  kr.  7491)  und  hielt  sich  vielleicht  nooh  spftter  (EL 
Hatzl  180.^). 

Nicht  blofz  mit  den  Haren  suchte  man  den  Kopf  zn  schmO- 
cken,    man    verlangte   auch   nach   anderer   Zier.     Am  ersten  bot 

\  sich  ein  Kranz  von  Laub  oder  Blumen,  der  als  schCnster  nnd 
einfachster  Kopfputz  das  ganze  Mittelalter  namentlich  bei  dra 
Tanzen  beliebt  blieb  ').  Auf  diese  Kranze  ward  allmalich  durch 
franzosischen  Einflufz  eine  Benennung  ftbertragen,  welche  ur- 
spriinglich  jeder  Bedeckung  des  Kopfes  zukam ,  namlich  Scha- 
pel^).  Der  Kranz  hiefz  nun  oflers  vomem  das  BJpmenj cha- 
pe P),  im  Gegensatz  zu  dem  kiinstliehen  oder  eigentlichen  Schapeli 
einem  Bande  oder  einer  Schnur  die  einem  Kranze  gleich 
den  Kopf  umschlofz.  Entweder  lag  das  Schapel,  das  sehr  oft 
auf  das  kostbarste  mit  Perlen  und  Edelsteinen  besetzt  war  oder 
auch  ganz  aus  Gold  bestund,  wie  ein  einfacher  Reif  nm  die 
Stirn  oder  gieng  kreuzweis  verschlungen  uber  den  Kopf*).  Seinen 

;  deutschen  Vorganger  hatte  es  an  dem  Harbande  oder  Unterbande 
das  seit  Alters  zur  Festhaltung  des  Scheitels  diente  and  wie  uns 
Angilberts  Schilderung  von  Karls  des  Grofzen  Tochter  Bottrud 
lehrt ,  gleich  dem  Schapel  kostbar  verziert  wurde  •).  Auch  Std- 
len  aus  Dichtern  des  13.  Jahrhunderts  beweisen,  dafz  man  das 
Harband  noch  immer  deutsch  zu  nennen  wagte  (Herbert  612. 
8200.  Wigam.  2701.  4925.  5326).  Der  Kranz  und  das  kiinstliche 
Schapel  wurden    Ofters   zusammen  getragen   (Heinr.  Triat*  976B. 


')  Walth.  74,  20.  MSH.  2,  212.'  238.'  3,  189.'  212.'  230/  LameL  W8. 
Heinr.  Trist.  3765.  Konr.  troj.  kr.  626.  Du  Cange  s*  v.  crinile.  Le  Grand  et  Ro- 
quefort 2.  245.  *)  fchapeL  franz.  chapel,  chapiau,  chapelet.  Es  ist  dem  Ild^ 
capellus  entlehnt  capellus  :  galerus ,  pifeus,  a  capa  dieius,  quafi  parva  capa  9M 
caput  tegitur^  Du  Cange.  ')  Parz.  232,  17.  LanzcL  870.  Walth.  76,  86.  Trift 
17608.  Konr.  troj.  kr.  16317.  *)  Erec  1571.   Die  Bilder  in  der  Weingartener 

Liedcrhandschr.  and  in  der  Handschr.  des  Ritters  v.  Stanfenberg  von  1430  —  40. 
*)  Angilb.  III.  215.  —  Reiffcnbergs  Behanptung  (Monumens  V.  p.  X.  1848)  dafi 
das  chapelet  nicht  vor  dem  11.  Jahrhundert  yorkomme  ist  jedenfallt  aarOfikn- 
weisen. 


468 

Rom.  de  la  Rose  551);    beide  waren  iibrigens  nur  ein  Schmuck 
der  Jungfrauen  (Georg  970.  Fragm,  23.^). 

Mit   dem   klinstlichen    Schapel  fiel,    wenn  es   aus   Erz    ge- . 
macht  war,  die  Krone  zusammen ,    die  keineswegs  ein  Vorrecht 
fiirstlicher  Geburt  war ,    sondern  von    alien  edelen  Frauen  getra- 
gen  ward.      Sie  bestund  aus  einem  einfachen  Goldreif  der  zuwei- ' 
len  mit  Edelsteinen  besetzt  war  '). 

Ein  gewonlicher  Schmuck  des  Hauptes  und  zugleich  eine 
Verhiillung  war  das  Kopftuch  oder  der  Schleier^)*  Bereits  I 
von  den  Gothinnen  wurden  lange  feine  weifze  Schleier  getragen 
(Prise,  p,  39.  ed.  Venet.).  Der  Schleier  ist  auch  in  die  Mjthen 
aufgenommen,  denn  eine  der  vernichtenden  Thaten  Lokis  gait 
dem  Schleier  Sifs,  der  Gemahlin  Thors.  Die  gewonliche  Farbe 
des  Kopftuches  war  weifz.  Es  Jag  etwas  iiber  die  Stim  hiniiber 
und  fiel  zu  beiden  Seiten  des  Gesichts  in  Falten  auf  die  Schul- 
tem  und  den  Nacken  herab*  Nicht  seiten  war  das  Linnen  ver- 
ziert  um  seinen  Glanz  zu  erhOhen  (Saem.  177.*  267.^).  Der  Schleier 
war  von  Seide ;  die  sehr  galanten  Damen,  deren  Ruf  nicht  immer 
der  beste  war,  trugen  gelbe  Schleier;  dieselben  waren  im  16* 
und  17.  Jahrhundert  wieder  allgemein  in  Auf  name  ').  Die  Non- 
nenschleier  waren  linger  und  schmaler  als  die  anderen  und  braun 
rot  und  blau;  die  der  Laienschwestem  schwarzlich  griinlich  oder 
schwarz.  Es  kamen  auch  Aenderungen  in  die  Art  den  Schleier 
zu  tragen.  Auf  Bildem  des  12.  Jahrhunderts  sieht  man  ihn  tur- 
ban ar  tig  um  den  Kopf  gewunden  und  die  Enden  auf  die  Schul- 
tem  fallend  oder  in  den  Turban  geschlagen  *).  Dieselbe  Aufwin- 
dung  des  Kopftuches   war   einmal   in   alter  Zeit  unter  den  Nord- 


')  Roth.  4578.  Rosengarte  C.  214.  Fragm.  18.*  vgl.  Parz.  812,  2.  Trist 
10966.  Heinr.  Trist.  4.512.  Mei  Beafl.  42,  9.  2)  Dgg  Wort  Schleier  ist  erst  in 
mittler  Zeit  zu  finden.  Aufzer  dem  mittelhochd.  nnd  neuhochd.  ist  es  im  niederl. 
(fluier)  schwedischen  (floja)  und  danischen  (fldr)»  In  alterer  Zeit  galten  andere 
Namen  dafiir:  hulla.  wi^huUa.  houhittuoch.  —  Altnord.  faldr*  haddr*  fveigr, 
*)  Fischart  Geschichtklitter.  c.  16.  Vokab.  von  1618  (bei  Schmeller  Bair.  Wb.  3> 
447.)  Friseh  Worterb.  2,  197.*  *)  Engelhardt  Herrads  v.  Landsberg  hortus  de- 
liciarum  S.  92. 


464 

germanen  Brauch.  Da  Thor  als  Freya  verkleidet  wird  urn  dem 
Riesen  Thrym  als  Braut  zugefurt  zu  werden ,  wird  ihm  ein 
solcher  hoher  Kopfputz  (tupp.  typpi)  angelegt  (Saem.  73.*).  Spa- 
ter  wurde  der  Scfaleier  zugleich  als  Brusttuch  benutzt,  indem 
er  liber  die  eine  Schulter  genommen ,  vorn  iiber  die  Brust  ge- 
legt  und  iiber  die  andere  Schulter  zuriickgeschlagen  wurde. 
Diefz  ist  gegen  die  Mitte  des  15.  Jahrfaunderts  gebrauchlich  ge- 
wesen  (Engelhardt  Staufenb.  78).  An  vielen  und  wechsebideii 
Verzierungen  hat  es  begreiflicher  Weise  nicht  gefelt.  Der  Uhner 
Stadtrath  sah  sich  gegen  Ende  des  14»  Jahrhunderts  daher  ge- 
notigt  den  Biirgerinnen  eine  Schleierordnung  zu  geben.  Nur 
die  Frauen  aus  den  alten  Geschlechtern  durften  eeidene  Schleier 
von  zwanzig  Faden  tragen,  die  Weiber  der  Handwerker  muBten 
sich  an  zvvolffadigen  geniigen  lafzen.  Die  Enden  sollen  dick 
genaht  oder  gewirkt  sein;  die  diinnen  feinen  Enden  waren  ver- 
boten  ,  weil  mit  ihnen  unnotiger  Aufwand  getrieben  wurde. 
Nach  1406  kam  es  den  Herren  vor  als  ob  die  Schleier  zu  kuM 
seien,  sie  verordneten  also  dafz  sie  bis  auf  den  Nacken  gehen 
sollen  (J'ager  Ulm  510.  513).  Ein  fliegendes  Blatt  aus  der  ersten 
Halfte  des  16.  Jahrhunderts:  „Ein  hiibsch  new  Liede  von  eyner 
stoltzen  Haufzmayd"  ')  sagt  von  den  putzsuchtigen  Magden :  „Sie 
schmucken  sich  wie  HofQunckfrawen  in  jr  schon  Sammat  pentle  — 
darzu  tragen  sie  praiine  schlayerlein  auff —  haben  vorn  schwartxe 
endtle  —  darzu  tragen  sie  die  zendlen  halfztuch  —  fehenhanben 
auff  freyknechtisch  schuch  —  mit  Sammat  seynd  versetzt  jr  menteL" 
Fischart  spricht  von  der  Frawenzimmer  Nasenfuttem  vnd  mund- 
schleyern  von  sammat  taffat  und  galHscher  schleyerleinwant  (Ge- 
schichtklitt.  c.  16);  Moscherosch  lafzt  auch  hier  seine  derben  aber 
treffenden  Bemerkungen  los,  indem  er  von  den  k  la  mode  Jung- 
fern  des  17.  Jahrhunderts  sagt:  sie  bedecken  jhre  geeichter  mit 
krepp,  zendel,  daffet  oder  flor,  damit  man  meynen  solte,    ob  ein 


')  Ohne  Druckort  und   Jahrzahl,    in  einem   Sammelbande  der  Zwickanar 
Bibliothek  sign.  XXX.  V.  22. 


465 

schoner   unflat   dahinden  verborgen    steckte  (Phil,  von  Sittew.  1, 
454.)    Es  weist  diefz  alles  auf  den  Aufwand  der  mit  den  Schleiern  ] 
getrieben    wurde    und    auf    das    kokette   Spiel  dem    sie   sehr  oft 
dienten. 

Indem  der   Schleier  nicht   blofz   von  Prauen    eondem  auch 
von  Jungfrauen  getragen  wurde  '),  erregt  es  Verwunderung  dafz  ' 
er  an  einigen  Stellen  als  Zeichen  der  verlorenen  JungfrauHchkeit 
genommen  vvird   (Winsbekin  45,  10.   Ambras.  Liedejrb.  224,  36)» 
Vielleicht  war  diefz  nur  landschaftlicher  Brauch  ^)* 

Der  Schleier   bedeckte  den  Scheitel  und  hieng  frei  am  Ge- 
sichte  herab;  fur  Wan  gen  Kinn  und  Stirn  gab  es  besondere  Ver- 
hiillungen,  welche  unter  dem  Namen  Gebende  begriffen  waren,  I 
ein  Wort  das  allgemeiner  genommen  den  ganzen  Kopfschmuck  be- 
zeichnete.  Gebende  im  engeren  Sinne  nannte  man  die  Stirn-  und  \ 
Wangenbinden  oder  die  W  i  m  p  e  1  und   die  K  i  s  e.    Wimpel  be* 
zeichnete  die  eigentliche  Stirnbinde  (Erec  8243.  8944),   die   Rise 
gieng  um  Wangen  und  Kinn  (MSH.  3,  260.*);  im  weiteren  Sinne 
war    Rise    auch    das   ganze  Gebende.     Die  gewonliche  Farbe  der 
Risen   war  weifz,    der  Stoff  Leinwand  oder   Seide;    gelbe  Risen 
hiengen  mit   den   gelben  Schleiern   zusammen.    Verzierungen  der 
Bind  en  durch  Stickereien  und  goldene  Saume  kamen  faaufig  vor; 
die  Breite  war  verschieden ,  schmale  Risen  wechselten  mit  brelten 
die   das  ganze  Gesicht  verdeckten  *) ;    bei   dem   Kufse   muste  die  i 
Rise  fast  stets  bei  Seite  geschoben  werden,  indem  sie  vom  Kinne 
hoch  heraufragte.    Das  Gebende   war  das  Zeichen  der  Vereheli-  I 
chung;    am  Morgen   des  ersten  Ehetages  ward  der  jungen  Frau 
gebunden.    Da  die  Risen  auch  von  Jungfrauen  getragen  wurden, 
so  scheint  die  Anlegung  der  Stirnbinde   das  wesentliche  hierbei. 


1)  Sacm.  177.'  267."  Hagen  Germania  8,  263.  *)  Bemerkt  mag  werden 

dafz  der  neuvermahlten  in  Lithauen  am  Tage  nach  der  Hochzeit  eine  Haube  (kyka) 
mit  eincm  grofzen  Schleier  (nunn^tas)  als  frauenmafziger  Kopfputz  aufgesctzt 
wurde.  Vgl.  Nefsclmanri  Lithauischcs  Worterbuch  (1850)  S.  424.  *)  Trist.  1229. 
Parz.  779,  38.  Fraucnd.  177,  1.  —  Das  Wort  ./wen^e/,  das  fur  die  Schleppcn  an 
niereren  Stdlcn  gebiaucht  wivd,  scheint  an  andem  einen  Kopfputz  zu  bezeichneu. 
vgl    J.  Xirinmi  bei  Uaupt  Z.  f.  d.  A.  8,  20. 

30 


406 

I  Ilnubc    und    Hut   mogen   die  Besprechang   dea  KopfputzeB 

bcenden.  Wie  kostbar  die  Hauben  oft  waren,  welchc  Stickcreien 
darauf  sich  fanden ,  wie  sie  von  Miiniiern  und  Weibern ,  von  den 
ersteren  jedoch  weit  haufiger  getragen  wurden ,  ist  schon  fruher 
gesagt  woideiK  Die  folgenden  Jahrhunderte  wandten  ihre  Track- 
tenzeugungekrafl  besonders  den  Weiberhauben  zu  und  wolte 
man  hier  in  die  Volkstrachten  eingehen,  so  liefzen  sich  dicke 
B(\oher  schrciben,  die  vici  Samlerfleifz  und  manches  hfibsche 
liild,  allein  wenig  mehr  zeigen  warden.  Ich  verzichte  hicr  selir 
gorn  darauf. 
I  In  deni  Mittelalter  wurden  die  Hute  von  den  Frauen  mehr 

'  getragen  als  die  Hauben ;  sie  gehorten  zum  vollen  Kopfpatx. 
Fi>rn\  und  St  off  niogen  sehr  verschieden  gcwesen  sein.  Von  den 
Diohtern  wtTden  sehr  kostbare  Hiite  aus  Seide  und  Samt,  be- 
sonders aber  gestickte  und  Pfauenfederhiite  geschildert.  Die  Ictx- 
ti'ron  wurden  in  Deutsehland  mehr  getragen  als  in  Frankreich, 
wo  sie  nur  den  vornemsten  zukamen  *).  Darf  man  nach  Bildern 
urthoilen  woh*he  die  Weingartener  Liederhandschiift  von  Man- 
\  norhiiton  gibt,  so  hatten  diese  Hiite  die  Gcstalt  hoher  Barctei 
Danobon  gab  os  jedoch  Hiite  mit  breitem  tiefem  Rande,  wdche 
das  (iosioht  verdeokten  (Wahh.  75,  5 — 8)  und  die  besonders  in 
1  >t*t»tornuoh  von  den  Frauen  getragen  wurden  (Hadloub.  MSH.  % 
*2^\V%  Die  Sohatonhiite  mogen  ihnen  gleich  gewesen  sain,  Nicht 
Hiulors  haben  wir  uns  den  tiefen  weiten  Hut  zu  denken  wd- 
olu'u  Ddhin  trug,  das  Sinnbild  des  dunkehi  Nachthimmeb» 
dor  dio  Sonne,  des  Hinimelsgottes  Auge,  bedeckt.     Die  altsacb- 

'    nirtolion    Strohhnte  hatten   einen   spitzen    Kopf  und   einen   herab- 

• 

hangondeu  Uand;   sie   waren  gleich  den  heutigen  Strohhiiten  aiu 


•)  Tarz.  225,  12.  313,  10.  605.  8.  690,  13.  722,  IS.  Wigal.  2417.  8Wa 
\N  i^rtm.  5aaa.  MJSll.  2,  82.'  Le  Grand  et  Uoquefort  vie  priv^  1,  363.  —  VgL 
**«uM  uooh  Kueit  1723.  Eracl.  ^600.  Waltli.  75,  7.  NSth.  (Ben.)  349.  439.  Gndr. 
iMi>  Kiauouilionst  166,  12.  Konr.  troj.  kr.  7480. —  Der  deutsche  Hursogshntwv 
iui(  oiuiMu  Kodorkrauze  umgebcn  (circumdatus  scrto  pinnito).  Constitutio  dooUu 
Aiuti'iao.  §.  IS. 


467 

einzelnen  Streifen  an  einander  genaht  *)•  Ina  15.  Jahrhundert  \ 
Btroint  eine  Fliit  der  verschiedensten  Hutbildungen.  Da  se- 
hen  wir  lange  Roren  mit  daran  hangendem  Zeugstreifen  wie  an 
den  Helgol'anderu ;  Hcilbkreise  welche  das  Gesicht  zu  beiden 
Seiten  verdecken  mit  langem  spitzem  Kopfe;  viereckige  rauten- 
artige  und  runde  Hiite  mit  vorn  aufgeschlagener  Krempe  und 
schifFartigem  Hinlertheil;  flache  runde  Felbelhiite  mit  breitem 
Eande*);  doch  genug  der  Formen,  sie  lafzen  sich  in  das  unend* 
Kche  vermeren. 

Wir  haben  der  Mittel  eine  ziemliche   Zahl   kennen    gelernt, 
welche  die  Weiber  zur  Hebung  ihrer  Schonheit  benutzten,  wenn 
sie  reich  genug  waren.     Wir  haben  nur  noch  einige  Worte  iiber 
das  Schminken  zu   machen,    diese  Untugend  welche  nach  des  V 
alteren   Plinius   Zeugnifs  (hist»    nat.  22,  2)  bei   Daken,    Sarma* 
ten  und  Kelten   herrschte  und  den    Germanen    schon   in   altester 
Zeit.nicht  fremd   gewesen  sein  mag.     Seit   dem    12.  Jahrhundert 
war   sie   wie    eine  Pest   iiber  alle  Lander  gekommen,  die  sich  zu 
den  gebildeten  rechneten.     Die  Ansichten    der   Frauen   iiber   dia 
schOnste  Gesichtsfarbe  waren   verschieden  und   darnach  richteten. 
sich  natiirlich  die  Schminken.  Die  Engrdnderinnen  des  12.  Jahr-  \ 
hunderts  hielten  Blafse  fiir  schon  und  vomem,  sie  hungerten  also 
und  liefzen   sich  zu  Ader   und   schlug  diefz   noch   nicht  an,    so 
strichen    sie   allerlei   weifze   und   graue  Farbe   in   das  Gesicht '). 
Die  Pariserinnen  des  17.  und  18.  Jahrhundert s  verschluckten  be- 
kanntlich    Sand  und   Asche  um   blafs   zu  werden.     Die  Franco-, 
sinnen  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  hielten  im  Gegentheil  frische  J 
Rote  fiir  schon  und   wie  die  Englanderinnen   dieselbe   durch  Fa- 
sten   zu   vertreiben    suchten,     so   strebten    sie   darnach   sie  durch 
gutes   Friihstiick   zu   erhalten   (Chastoiem.   des    dames  367.)     Es 
war  diefz  wenigstens  ein  unschuldigeres  Mittel  als  jenes  welches 


»)  Kopp  Bilder  und  Schriften  der  Vorzeit  1 ,    126.  *)  Engelbardt  Hit- 

ter   von   Staufenberg  ;    Lappenberg    Miniaturen    Eum    Hamburger    Stadtrecht   von 
1497.  ")  Anselin.  Cantnar.    archiep.   opera   ed.   Gerberon^   1675.   2,  197.  und 

bieraus  Neckam  bci  Th.  Wright  Efsays  1,  193. 

30* 


4(W 

die  vcrdorbenen  Fraucn  aus  Ludwigs  des  XIV.  Zeiten  anwand- 
ten  um  mit  frischer  Rote  in  die  Gesellschaften  zu  treten  *)•  Da- 
neben  griffen  aber  auch  die  Franzosinnen  der  alien  Zidt  nach  den 
Farbentopfen  und  bemalten  sich,  und  die  deutschen  Franen  mal- 
ten  fleifzig  nach.  Quccksilber  Weizenmel  mancherlei  Bot  altes 
Fett  wurden  gebraucht  (Seifr.  Helbl.  1 ,  1145)  und  der  Mittel 
gab  es  so  viele  dafz  der  Monch  von  Montaudon  dreihundert  BBch- 
sen  verschiedener  Schminken  rechnen  konnte.  Die  Dichter  eN 
j  klarten  sich  auf  das  scharfste  gegen  diese  Unsitte  und  der  ge- 
sunde  Spruch  des  Yolkes  unterstiitzte  sie ;  die  fremde  eriogene 
Farbe  ward  als  Zeichen  zweideutiger  Liebe  und  Tugend  und  nn- 
verrafzlicken  Sinnes  gedeutet  ^) ;  die  Prediger  aber  erklarten  das 
Schminken  geradezu  fiir  eine  Gotteslasterung  (Berthold  heraus- 
gegeben  von  Kling  20.  249.  401.).  Diesen  Gedanken  hat  ein  pro- 
ven9alischer  Dichter,  'der  Monch  von  Montaudon  (1180 — 1200) 
witzig  in  zwei  Tenzonen  durchgefurt.  Die  erste  schildert  cinen 
Prozefz  der  Monche  gegen  die  Weiber ;  jene  haben  diese  vor  Gott 
verklagt,  dafz  ihre  Kunstwerke,  die  Votivgemalde,  durch  die  Ma- 
lereien  der  Weiber  auf  ihren  Gesichtem  verdunkelt  wiirden.  Die 
zweite  Tenzone  fiirt  den  Dichter  im  Gesprache  mit  Gott  ein,  der 
unwillig  tiber  die  Malerei  der  Weiber  ist  und  ihr  Schminken  als 
ein  Trachten  nach  ewiger  Jugend  rugt,  das  ein  vermefzenes  Stre- 
ben  nach  Gottanlichkeit  sei ').  —  Lafzen  wir  diefz  Kapitel  unsem 
Moscherosch  beschliefzen,  der  auch  hier  die  rechten  Worte  fin- 
def:  „Und  ich  sahe  deren  einen  hauffen,  die  im  Gesichte  waren 
als  ob  sie  geschropft  batten  oder  sich  picken  und  hacken  lafzen: 
dann  an  alien  orten,  die  sie  gern  wolten  beschauet  haben,  waren 


»)  Pockels  Vcrsuch  ciner  Karaktcristik  des  weiblichen  Gescblechts  (Han- 
nover 1798)  2,  66.  67.  *)  Walth.  Ill,  12—16.  Winsbeke  26  (mit  Hanpts 
Anmerk.)  Frauend.  566,  10—16.  Vgl.  noch  folgenden  Spruch  ans  „Ich  wil  ein 
wcib  nemen  vnd  wil  Haushalten"  (Gedr.  Drefsden,  Wolfg.  StOckel  o.  J.  (le.Jahr- 
hundert.  A.  III.  rw.) :  Gezwungene  lieb  vnd  gcriebenc  rOthe  seindt  beydo  nichts 
werdt.  —  Logau  8,  75:  Wenn  sich  weiber  schminken  Ist  es  als  ein  winken, 
dafz  man  aufgenommen  Wolle  man  ja  kommen.  —  Vgl.  Nib.  1594.  Heinr.  gem. 
leben  324.         ")  Diez  Leben  der  Troubadours  338.  ff. 


409 


sie  mlt  schwartzen  kleinen  pflasterlein  behencket  und  mit  runden 
langen  breyten  schmalen  spitzen  mucklein,  flohcn  und  andern 
fitzirlichen,  zum  Anblick  tringenden,  zum  zugriff  zwingenden 
mausfallen  gestalten  bekleybet.  Etliche  Bchabeten  das  gesicht  mit 
elnem  glas;  etliche  ropffeten  sich  mit  Bech  die  grofze  augbrauen 
aufs :  andere  so  keine  augbrauen  batten ,  mahleten  solche  mit 
einem  wenig  schwartze  an.  —  Andere  damit  sie  ihre  schandflecken 
und  rothkupferigte  habichtgesichter  zieren  mochten,  schameten 
eich  nicht  mit  weiblichen  vnreinen  tachem  sich  alle  morgen  zu 
reiben,  zu  wuschen  und  zu  w'dschen,  und  tausenterley  lose  stiicklein 
mehr,  welche  alle  doch  den  wust  und  vnflat  so  gar  nit  verbergen 
mochten"  ^). 


0  Philanders  von  Sittenwald  Gesichte  1,  454.  (1666.) 


Zehnter  Abschnitt. 


Rfickblicke. 

W  enn  der  Wanderer  am  Abende  East  macht ,  schickt  er 
die  Gedaiikcn  den  Weg  zurfick  um  zu  holen  was  er  im  Ge- 
striippe  und  unter  den  Steinen  verier.  Die  Muhsal  des  Pfades 
hatte  ihm  den  Genufz  getriibt,  die  Aussichten  waren  ihm  bold 
durch  Wolken  verhiillt  bald  diirch  Sonnendunst  v^rkfirzt;  aber 
was  er  einbiifzte,  ersetzt  ihm  jetzt  Erinnerung  und  die  EinbOdimg. 
I)a8  cinzclne  tritt  im  grofzen  Zusammenhange  vor  sein  Auge  und 
BchaH't  erst  das  schone  Bild.  —  Wir  thuen  nichts  neiies,  worn 
wir  (lielz  Gleichnifs  aut  uns  anwcnden.  Auch  uns  ist  auf  dem 
Wcge  der  Untersuchung  oft  vielleicht  zu  oft  die  allgeineine 
An»i(ht  verdeckt  gcwesen ;  die  Untersuchung  blieb  hier  und  da 
wol  zu  sehr  Untersuchung  und  stelte  das  freie  Ergebnifs  nickt 
hell  genug  heraus.  Ein  Riicksenden  der  Gcdanken  thut  deshalb  not 

Zuorst  gilt  es  die  Stellung  dcs  gernianisehen  Weibes  unfl 
iu)vh  einiual  richtig  zu  vergegenwartigen.  Die  gewonlichen  An- 
Hit'hten  dariiber  haben  bekaiulich  eine  grofze  Einforniigkeit ,  deim 
'racitus  VVorte  von  der  Heilighaltung  und  der  hohen  Verehrung 
cli'H  W(iibes  unter  den  Gcrmanen  werden  fast  von  alien  glSobig 
iuich«4t!Hprochcn.  Der  Minnedieust  der  ritterlichen  Zeit  wird  die- 
ser  Aiisicht   zu  Hilfe   gerufen   und  das  Volk  der  Germanen  ^n 


4T1 

Uranfang  bis    wcnigstens   in   das  dreizehnte  Jahrhundert  als  ein 
frauendienerisches  schinachtendes  Grcschlecht  dargestelt. 

Wir  haben  dagegen  gefunden  dafz  die  Germanen  wie  alle 
anderen  Volker  mit  der  urrohen  und  starksinnlichen  Auffafzung 
des  Weibes  als  einer  blofzen  Sache  und  eines  Werkzeuges  zu 
einnlicher  Befriedigung  begannen.  Die  Forderung  dafz  sich  das 
Weib  mit  dem  toten  Manne  verbrennen  lafze,  ^^as  Eecht  des 
Mannes  seine  Frau  zu  vermachen  zu  verschenken  und  zu  ver- 
kaufen  oder  seinem  Gaste  anzubieten,  bewiesen  diese  Bildungs* 
8tufe  und  zeigten  sich  vereinzelt  noch  in  den  Zeiten  des  Minne^ 
dienstes.  Wir  konten  das  Mitsterben  des  Weibes  mit  dem  Manhe 
durch  eineninnerenGrundbeschonen,  wir  konten  diefz  auoh  mit  der 
Rechtlosigkeit  versuchen  welche  auf  den  Frauen  lastete;  indefsen 
war  beides  nur  ein  gesuchter  Versuch  und  darf  die  cigentlicben 
Zustande  nicht  verhiillen  wollen.  Das  Weib  hatte  von  der  Ge- 
burt  bis  zu  dem  Tode  kein  anderes  Recht  als  den  Wilien  seines 
maniilichen  Beschiitzers,  und  Milderungen  dieser  VeiSiaRni^^ 
Abwcichungen  von  dem  altgermanischen  Beohtsbegn^o.  Durch 
die  Genade  des  Vaters  ward  ihm  zu  leben  erlaubt;  durch  Geld 
dem  Vater  abgekaufl  muste  es  Leib  und  Leben  einem  Fremden 
iibcrlafzen ;  gegen  Geld  oder  sonst  konte  es  dieser  einem  andern 
iibergeben;  stumm  und  still  muste  es  sich  fiigen,  denn  es  hatte. 
kein  Recht  und  stumm  muste  es  zuletzt  in  den  Tod  gehen.  Die 
Last  des  Tages  ruhte  aufzerdem  allein  auf  seinen  Schultem; 
Haus  und  Feld  muste  es  bestellen  warend  der  Mann  theilnamlas 
derMtihsal  zusah. —  Trotz  allem  diesem  haben  wir  jene  altgerma- 
nische  Frauenverehrung,  von  der  Tacitus  redet,  nicht  in  das  Reich 
der  Traume  verwiesen,  allein  whr  haben  sie  auf  einige  bevorzugte 
Weiber  beschrankt.  Wir  haben  aufzerdem  hervorgehoben,  dafz 
der  keusche  Sinn  der  Germanen  und  dieAchtung  der  weiblichen 
Ehre,  die  Anerkennung  gewifser  Geiste^gaben  und  selbat  die  na^ 
tiiiHche  Schwache  des  Geschlechtes  jenen  Nachtheilen  im  Rechte 
grofze  VortheUe  im  Leben  entgegensetzten.  Die  Deutung  der 
taciteischen  Worte  auf  einen  schmachtenden  Frauendienst  m^ 
fzen  wir  aber  auf  das  entschiedenste  verwerfen. 


472 

f 

Der    gesunde   Kern     des    germanischen    Wesens   gab  cine 
rasche  Fortentwickclung  von  der  Stufe  der  rohen  Sinnenkraft  zu 
der  freien  Menschlichkeit,  In  Bezug  auf  die  Frauen  aufzerte  sich 
diefz   In   elner  Menge  Ausnamen  von  den  alten   Bechtssatzungen 
welche    allm'alich    eintraten.    Das  Madchen    erhielt  gewifse  Zuge- 
standnifse  beziiglich  der  Verfiigung  iiber  sein  VermSgen ;  bei  der 
Vermahlung   kam    eeln   eigener  WiUe   durch    die  Forderung  der 
offentlichen  Meinung   zu    einigem   Ansehen;    die  Erkaufung  von 
Leib    und  Leben    wandelte  sich    im  Begriflfe  in    erne  ErwerbuBg 
des  Schutzrechts ;  die  Macht  des  Ehemannes  ward  beschriuikter; 
die  Witwe  endlich,  abgcsehen  davon  dafz  jenes  Sterben  mit  dem 
Manne  nur  in   wenigen  Gegenden  in  die  mittleren  Zeiten  hinein 
sich   erhielt,    bekam  manche  Rechte    welche   an  mannliche  strei- 
fen.     Die   weibliche   Klugheit  vermerte  das  was  die  Nachgiebig* 
keit  der  Manner  einraumte ;    mancher  rechtlich  freie  Mann  ward 
ein  unfreier  durch  das  rechtlose  Weib ;  Weiber  griffen  tief  in  das 
gesellschaftliche  Leben  ein ,  Weiber  leiteten  die  Staten. 

Die  Zeiten  des  Ritterthumes  erschienen  und  die  Frau  ward 

Gegenstand   eines    gchwarmerischen   Dienstes.     Wir   haben  dem 

Trugbilde    den    Schleier    weggerifzen   und    gezeigt    wie    mit   der 

traumerischen  Andacht  und  Liebe  die    groste   Rohhcit   und  Sit* 

jtenlosigkeit  bestund  und  wie  namentlich  in  Deutschland  derMin- 

jnedienst    gemacht  und  leicht    verzerrt   war.     Die  Frauen  kamen 

dadurch  wol  zu  inanchem  Lebensgenufze  und  mancher  Unterhal* 

i  tung;  die  Manner  m  us  ten  ihre  rauhen  Hande  etwas  glatten ;    ein 

Gewinn   im  Ganzen    und   von  Dauer   war  aber  nicht  vorhatiden, 

•  im  Gegentheile  ftirte  der  Rausch  zu  einer  Abspannung  und  eihem 

Versinken  der  Sittlichkeit ,  das  hochlich  zu  beklagen  war. 

Die  Stellung  des  Weibes  im  Rechte  ward  allmalich  immer 
freier;  im  Leben  blieb  im  Grunde  die  alte  Schranke  und  sie 
muste  bleiben,  Die  H'auslichkeit  ist  das  angeborene  Reich  der 
Frauen,  Was  die  Natur  gebot,  soil  der  Mensch  nicht  aiidem. 
Das  Weib  ist  der  Haft  derFamilie  und  damit  ist  ihm  die  grobe 
Aufgabe  gestelt ,  der  Zukunft  das  neue  Volk  zu  erziehen;  hiennit 
hat   es  seine  Theijname  an   dem  offentlichen  Leben  zw  erfullen. 


473 

Da8  Wcib  sei  Wcib ,    der  Mann  sei  Mann   und  das  iibrige  wird 
uns  von  selbst  zufallen. 

Nachdem  wir  den  Bannkreis  uraschrieben  in  dem  sich  die 
germanische  Frau  bewegte,  wollen  wir  das  Wesen  derselben 
zeichnen.  Es  soil  kein  ertraumtes  Bild  sein,  sondem  ein  ge- 
schichtliches ;  und  wenn  sich  des  allgemein  weiblichen  viel  in 
ihm  findet ,  so  wird  doch  auch  mancher  besondere  volksthiim- 
liche  Zug  darin  uns  fefzeln. 

Wir  sahen  den  Vater  als  Haupt  des  Geschlechtes  von  un- 
umschrankter  Macht  begleitet;  er  konte-das  Kind  aussetzen  und 
die  Verfiigung  iiber  dafselbe  war  auch  spater  ganz  seiiiem  Wil- 
len  anheim  gegeben.  Thorigt  ware  es  diefz  strenge  Familienrecht 
als  den  Gegner  zartlicher  Liebe  darzustellen;  allein  etwas  un- 
heimliches  lag  in  diesem  Verhaltnifse.  Wie  der  Vater  das  neu- 
gcborene  Kind  aussetzen  durfte,  so  konteu  die  Kinder  die  alters- 
schwachen  Ehern  toten  ^).  Wir  miifzen,  um  das  grausige  zu 
mildern ,  auf  die  von  der  heutigen  ganz  verschiedene  Schatzung 
des  Lebens  in  unserm  Alterthume  hindeuten.  Dem  Manne  wie 
der  Frau  erschien  das  Leben  nicht  als  Gewonheit  des  Atmens 
sUfz ,  sondern  nur  als  Genufz  der  voUen  Kraft  und  als  Bad  in 
dem  frischen  Strome  der  Wonne.  Darum  war  es  frei\villiger  Ent- 
schlufz  der  alternden  ihrem  Leben  selbst  ein  Ende  zu  machen 
und  sie  sahen  die  Hilfe  dazu  als  eine  Wohlthat  an,  die  sie  wol 
von  den  Kindern  verlangcn  durften.  Die  Germanen  haben  diesen 
grausigen  Branch  nicht  allein;  schon  J.  Grimm  hat  alle  vor- 
gchnellen  Verurtheiler  germanischen  Wesens  darauf  verwiesen 
dafz  derselbe  auch  bei  ROmern  Slaven  und  Preufzen  bestund.  . 
Er  beruht  auf  einer  allgemeinen  Ansicht,  die  sich  auf  der  Stufe 
einer  liarten  und  strengen  Bildung  notwendig  ergeben  mufz. 

Ich  habe  sclion  sonst  auf  das  grundsatzlicheZuriickdrangen 
alles  weicheren  Gefules  bei  den  alten  Germanen  aufmerksam  ge- 
macht.     Man  scheute  die  Ausbriichc  defselben,  richtete  aber  das 


•)  J.  Grimm  deutsche    Rechtsalterthumer  486—490    und    Haiipts    Zeitschr. 
f.  dcu laches  Alterth.  5,  72, 


W4 

Handeln  nach  der  inncren  Stimme.  So  inochte  es  auch  zwischen 
Eltern  und  Kindern  sein ;  nichts  von  weichlichem  Verziehen  und 
Spielen  mit  den  Kindern,  nichts  von  schwarmerischer  schonre- 
dendor  Verehrung  der  Eltem,  allein  in  entscheidenden  FaUen 
brach  der  zuriickgehaltene  Strom  der  Liebe  wie  ein  Lavastrom 
gliihend  und  sturmisch  aus  den  starken  Herzen. 

Dem  gewaltigen  Skalden  Egil  Skalagrimsson  war  sein  Sohn 
Bodvar  ertrunken.  Das  fafzte  den  starken  Mann :  er  ^eng  in 
seine  Schlafkammer ,  riegelte  sie  zu  und  nam  nicht  Speise  noch 
Trank.  Drei  Tage  lag  er  so;  da  schickte  Asgerd  sein  Weib  zu 
Thorgerd,  der  altesten  Tochter  Egils,  die  fern  auf  der  Insel  ver^ 
helratet  war.  Spat  am  Abend  erhalt  das  junge  Weib  diese  Bot- 
schaft ,  es  steigt  sogleich  zu  Rofs  und  reitet  die  ganze  Nacht 
durch  ohne  einen  Bifzen  zu  sich  zu  nemen.  Als  die  Mutter  bei 
der  Ankunft  ihr  einen  Imbifz  bietet,  weiset  sic  ihn  ab;  sie  habe 
kein  Nachtmal  gehalten  und  wolle  keines  nemen  bis  sie  zu  Frejra 
komme.  „Ich  will  es  nicht  befzer  als  mein  Vatcr  haben,  icb  wiB 
meinom  Vater  und  Bruder  nicht  nachleben."  Darauf  geht  Thor- 
gerd in  die  Kammer  wo  der  Vater  liegt  und  legt  sich  schwei- 
gend  in  ein  Bett.  Egil  aber  spricht:  Du  thatest  wol,  meine  Toch- 
ter, dafz  du  deinem  Vater  folgen  wilst;  du  hast  mir  grofze  Liebe 
daran  gezeigt.  Was  ist  das  fiir  ein  Wahn  dafz  ich  mit  solchero 
Harme  leben  wolle  ?"  So  lagen  sie  bis  sie  brennender  Durst 
qualt.  Sie  verlangen  einen  Trunk  Wafzer,  allein  Asgerd  reicht 
ihnen  listig  Milch  und  nachdem  sie  einmal  den  Lebenstrank  *) 
genofzcn,  erheben  sie  sich  groUend  dafz  man  ihnen  den  Tod  were, 
allein  sie  leben.  (Egils  saga  c.  80). 

Die  starken  Mcnschen  jener  kraftigen  Zeiten  aufzerten  ihr 
Gefiil,  wenn  die  hennnende  Schale  einmal  durchbrochen  war, 
gewaltig.  Nicht  einsame  zartliche  Thranchen  benetztcn  die  Wim- 
pcrn,    sondern    die    Flut  des   Auges  rolte   blutuntermischt   liber 


')  Milch  mid  Houig   Biirgsobaftcn    dcs   Lcbcns.    Orimm  Bechtsaltorthfimer 
457.  f. 


475 

Wangen  und  Gewand  ').  Manner  wie  Weiber  schamen  sich  der 
gclinden  Bewegung  aber  nicht  der  gewaltigen  Aeufzerung  der 
Leiden snhaft.  Irn  Schmcrz  schlagt  Brunhild  die  Hande  zusam- 
raen  dafz  es  im  Gemache  wiederlialt  ^)  und  die  Vogel  im  Ge- 
hofte  erschrocken  auffaven  (Saem.  220.");  von  ihreni  bittern  Ge- 
lachter  bei  Siegfrieds  Tode  erbebt  das  ganze  Haus  (Saem.  208.°) ; 
der  Sinn  walk  auf  bei  heftiger  Bewegung,  brandheifz  wogt  der 
Hafz   in   der  Brust ;  sie   beifzen  den  Zom  mit  den  Zanen  zusam- 

ft 

men  ')  und  von  dem  machtigen  Wogen  des  Busens  springt  Freyas 
Gestirnenschmuck.  Der  Zorn  der  Hafz  die  Sorge  der  Schmerz 
Liebe  undLeid  sind  wildeGeister,  die  in  dem  Brustgehause  durch 
die  Willensstarke  des  Menschen  gefefzelt  liegen,  die  sich  riitteln 
und  regen  und  das  Herz  angreifen  und  deren  der  Wille  nicht 
immer  Herr  bleibt.  Sich  ihnen  ohne  Kampf  ergeben ,  ist  unmann- 
lich  und  das  furchtet  der  Germane ,  Mann  wie  Weib, 

Wir  haben  von  der  germaiiischen  Liebe  gesprochen  und  sie 
wol  von  dem  welschen  Minnedienste  unterschieden.  Hildegund, 
des  aqiiitanischen  Walthers  Braut  und  Helgis  des  Hundingtotcrs 
Gemahl  Sigrun  konten  uns  sagen,  was  deutsche  Liebe  sei.  Das 
Verdienst  des  Mannes  erzeugt  diefz  zarte  Geful  in  des  Weibes 
Brust;  auch  dem  erst  ungeliebten  neigt  das  Weib  sich  zu,  vvenn 
er  tiichtig  und  mannlich  ist.  So  ist  jener  Stolz  ein  natiirliches 
Geful ,  der  uns  ofters  bei  den  germanischen  Madchen  begegnet,  nur 
dem  wackersten  die  Hand  zu  reichen.  Er  schuf  in  dem  deutschen 
Gedichte  von  den  Nibelungen  jenes  Wettspiel  defsen  Preifz  Briin- 
hild  ist ;  er  gab  der  Sage  nach  den  Anlafz  zu  der  grofzen  Staten- 
veranderung  die  Harald  Schonhar  in  Norwegen  vomam.  Harald 
warb  um  Gydha ,  die  Tochter  eines  kleinen  norwegischen  Konigs ; 
sie  liefz  ihm  aber  sagen,  sie  wolle  ihre  Jungfraidichkeit  nicht  an 
eiiien  Konig  hingeben,  der  iiber  nur  wenig  Gaue  gebiete.  Wunder- 


')  Mcin  spicileciium  formularum   -  ex  antiquifsimis  Gemianorum  carminihus  — 
(Ilalis   1847)  p.  30.    J.  Grimra    Andreas  und    Eleno  zu  V.   1134.  E.  *)  Vgl. 

auch    Gudr.  927.  do  des  kunayes  wip  ir  man  fo  fere    klagete^    man  hSrte  den  fal 
erdia^en.         *'')  Mein  npicileyium  formularum  pp.  28 — 30. 


476 

lich  dftiike  es  sie  dafz  keiner  unter  den  Landesfftrsten  gaiiz  Norwe- 
gen  haben  woUe,  wie  ihnen  Gorm  in  Danemark  und  Erich  in  Schwe- 
dcn  C8  vorgezcigt  hatten.  Das  reizt  Harald  und  er  b^innt  seine 
Kampfe  um  die  Alleinherrschaft  von  Norwegen  und  nimmt  die 
Btoize  Gydha  0-  Allein  er  solte  noch  ein  stolzeres  Madchen  kennen 
lernen.  Zehn  Frauen  und  zwanzig  Kebsen  hat  er,  da  lockt  ihn 
die  Schonheit  der  Konigstochter  Reginhild  von  Danemark  zu  neuer 
Werbung.  Die  Jungfrau  aber  lafzt  ihm  sagen ,  und.  sei  er  aiich 
ein  machtiger  Konigy  so  sei  doch  kein  Konig  der  Welt  so  nweh- 
tigy  dafz  sic  ihre  Jungfraulichkeit  gegen  den  dreifzigsten  Thai 
seiner  Liebe  vertauschen  wolle.  Harald  schickt^  seine  dreifzig 
Weiber  fort  und  nam  die  einzige  Reginhild  ^.  Wie  die  Madchen 
so  waren  auch  die  Frauen  besorgt  um  den  Ruf  der  Manner;  sie 
woUen  lieber  den  Geliebten  von  sich  lafzen  um  ihn  vielleicht 
nie  wieder  zu  sehen,  als  dafz  er  feig  und  unmannlich  ge- 
scholten  werde.  Der  groste  Spott,  der  dem  wafFenfahigen  Manne 
werden  konte ,  war  dafz  er  sich  um  seines  Weibes  willen  ver- 
liege,  und  die  Frauen  scheuten  diese  Nachrede  so  sehr  wie  die 
M'anner  selbst. 

Die  Tiichtigkeit  des  Mannes  erweckte  nicht  blofz  Stolz  son- 
dern  auch  Diemut.  Es  kam  zuweilen  ein  Verzagen  Cber  das  weib- 
lichc  Herz  ob  es  auch  wiirdig  neben  dem  wurdigen  Manne  stebe. 
Der  longobardische  Herzog  Bemmo  in  Forum  Julii  hatte  Ratberg 
ein  treffliehes  Weib  zur  Gattin,  dem  jedoch  aufzere  Anmut  ab- 
gieng.  Diefz  bekummerte  sie  oft  und  sie  lag  den  Mann  an  dafz 
er  sich  von  ihr  scheide  und  eine  schonere  heirate.  Allein  Bemmo 
war  verst'andig  genug,  die  Demut  die  Ziichtigkeit  und  das  ireS" 
liche  Herz  der  Gattin  hoher  als  Schonheit  zu  achten  und  die  Ehe 
blicb  eine  sehr  gliickliche  *). 

Von  dem  ziichtigen  Sinnc  der  germanischen  Weiber  haben 
wir  zur  Geniige  gesprochen.  Auch  wir  haben  unsere  Lukretia  und 
unsere   Judith.     Der  longobardische  Fiirst   Sighard  verliebte  sich 


')  Forumimiuifogur  I,  2—4.  X,  181.       *)  i'ornmHnnas.  X,  194.       3)  Paul. 

diiicuii.  gcbt.  Lonj-obard.  6,  26. 


4n 


in  die  schone  Frau  des  Nannigo,  eines  seiner  Leute.  Sie  wies 
aber  seine  Antrage  mit  Zorn  ab  und  Sighard  erginfF  jenes  alte 
Mittel,  schickte  den  Mann  mit  scheinbarer  Gunst  als  Gesandten 
nach  Afrika  und  zwang  die  Frau  mit  Gewalt  zu  dem  was  sie 
verweigert  hatte.  Seit  diesem  Augenblicke  legte  sie  alien  Schmuck 
ab,  that  schlechte  und  schmutzige  Kleider  an,  wusch  und  salbte 
si  eh  nicht  mehr  und  schlief  auf  der  blofzen  Erde.  Nannigo  kerte 
zurQck.  Der  erste  Willkommen  seiner  Gattin  war  die  Bitte  das 
Schwert  zu  Ziehen  und  ihr  den  Kopf  abzuhauen ;  ein  fremder  habe 
ihre  Ehre  befleckt.  Nannigo  suchte  sie  indefsen  zu  trosten,  zwang 
sie  wieder  zu  baden  und  sich  zu  schmQcken,  allein  das  Herz  des 
Weibes  war  gebrochen  und  kein  Lacheln  kam  seitdem  auf  ihren 
Mund  ').  Ein  anderer  Longobarde  war  stolzer  und  mannlicher  als 
Nannigo  und  wuste  seine  Frau,  wie  wir  friiher  schon  erzalten,  zu 
rachen  indem  er  den  ehebrecherischen  Fiirsten  totete.  Von  einem 
frankischen  M'adchen  wird  erz'alt  dafz  es  seine  eigene  R'acherin 
war.  Amalo,  ein  vomemer  Franke,  hatte  sich  in  ein  M'adchen 
verliebt  und  benutzte  die  Abwesenheit  seiner  Frau  zur  Ausfiirung 
seines  Planes.  Er  schickte  seine  Diener  aus  um  ihm  dafzelbe  mit 
Gewalt  zuzufiiren.  Die  widerstrebende  wird  gemifshandelt ,  ent- 
gcht  aber  doch  dem  argsten,  da  Amalo  vom  Weine  schwer  ein- 
8chlS,ft.  Sie  ist  mit  ihm  allein,  Gber  dem  Bette  hangt  sein 
Schwert.  Sie  zieht  es  und  verwundet  ihn  tief  in  den  Kopf. 
Sterbend  von  Reue  ergriffen  befielt  er  seinen  Dienern  der  Jung- 
frau  kein  Leid  zu  thun  und  Konig  Childebcrt  nimmt  sich  ihrer 
gegen  Amalos  Verwandte  an  (Gregor.  Turon.  9,  27.). 

Mit  dem  Hal  ten  auf  die  Ehre  und  Ziichtigkeit  ist  die  ehe- 
liche  Treue  genau  verbunden.  Ich  verstehe  darunter  nicht  blofz 
die  aufzere  Reinhaltung  des  ehelichen  Bettes,  eondern  die  fcste 
uiid  innigc  Ergebung  an  den  Mann,  das  Verwachsen  in  sein  Le- 
ben  und  Sterben.  Ein  treftliches  Beispiel  gibt  die  aus  gcrmani- 
schen  Wurzeln  entspi-ofzene  Erzalung  von  Gerhard  von  Roufsillon. 


')  Chronicon  salernitanum  c.  65.  Pertz  mon.  rer.  germ.  6,  500. 


478 

Soinc  Gcmahlin  Borta  hjingt  feet  an  ihm  trotzdem  8ie  weifz,  der 
Gcmalil  lic^bt  ihrc  Schwcstcr  mchr  als  sie ;  und  da  er  in  Ungluck 
gorilr  und  in  die  Einsamkeit  fliichtcn  inufz,  folgt  sie  ihm,  trostet 
und  erlu  bt  ihn  und  wird  zuletzt  seine  Retterin  ')•  Hier  bliiht  mu 
die  wahre  Poesie  der  Treue  entgegen,  welche  von  der  widerlichen 
Griseldiserzalung  erstickt  wird. 

Ein  Beis?piel   vergottHchter  Treue  1st  Nanna,  die  GemaUin 
des  Gottes  Baldur.  Der  Goliebte  ist  durch  Lokis  List  dem  Tode 
erlegen,  der  Scheiterhaufen  ist  fur  ihn  auf  dem  Schiffe  aufgerich- 
tety  brennend  soil  er  in  das  Meer  hinaustreiben.    Aber  Nanna  cr- 
tragt   solchen  Anblick   nicht   und  ihr  Hdrz  zerspringt.     Sie  geht 
niit  Baldur  zusammen  zu  Hel.  Nicht  mindere  Treue  erfart  LoM 
von  seinem  Weibe  Sigyn.    Er  ist   trotz  allem  listigen  Widerstre- 
ben   von  den  anderen  Gottern  gefangen  und  soil  unschadlich  ge- 
macht  werden.    Mit  den  Eingeweiden  seines  Sohnes  wird  er  fiber 
einen  Fels  gebunden  und  Skadhi,  der  er  einst  den  Vater  erschliig, 
hangt  eine  giftige  Schlange  iiber  ihm  auf,   dafz  ihr  Eiter  in  sein 
Gesicht  falle.    Sein  Weib   Sigyn  verlafzt  ihn  jedoch  nicht;   tren 
steht  sic   zu   ihm  und  fangt  das  Gift  in  einem  Becken  auf.    Das 
dauert  bis  zum  Weltuntergange.     In   der  deutschen  Heldensage 
ist  Siegfrieds  Krimhild  das   grofzartigste  Beispiel  der  Liebe  fiber 
den  Tod  hinaus.     Seit  dem   sie  den  geliebten  Gemahl  erschlagen 
vor  ihrcr  Kammerthiire   aufhob,    geht  all  ihr  Sinnen  und  Trach- 
tcn    dahin,     ihrc   Liebe    durch    Rache   an   den    Mordem   zu  be- 
sicgeln.  Sie  verlafzt  die  Heimat  an  dem  grunen  Rhein,    vermahlt 
sich  dom  Heidenkonig  F^tzel    in  Ungerland ,    gibt  allee   auf,  da« 
reine  schuldlose  Frauengewifxen ,     die  milde  begluckende  Anmut 
und   wird  um  dcs  Geliebten  willen  zum  furchtbaren  Rach^eiste. 
Nachdem  die  Rache  gcschehen,  ist  der  Todesstreich  durch  Hilde- 
brands  Hand   fur   sic  ein    Gnadenstreich.     Ihr   Ziel    ist  erreicht, 
ihr  Leben   ist    zu    Eude.  —   Wie  in   der   deutschen   Sage  Krim- 
hild ,    so   ist  in  der  nordischen  Brunhild  ein  gewaltiges  Bild  der 


')  Knuricl  histoire  dc  la  pot  sic  i>roven(;ale  ;i,    46 — 56. 


479 


Treue  ').  Siegfried  loste  den  Bann  welchen  Wodan  iiber  die  wi- 
derspenstige  Schildjungfrau  sprach  und  verlobte  sich  mit  Briin- 
hild.  Er  vergifzt  aber  durch  Zaubermittel  dee  Verlobnifses  und 
erwirbt  fiir  Giinther  die  Braut,  selbst  mit  Giinthers  Schwester 
vermahlt.  In  Briinhilds  Brust  jedoch  ist  der  Eid  dcs  herrlichen 
Helden  nicht  vergefzen  ^) ;  mit  furchtbarem  Schmerze  erblickt  sie 
den  Mann,  der  ihr  gehorte,  an  einer  anderen  Seite  und  ist  Zeuge 
seiner  Zartlichkeit ;  gleich  Schnee  und  Eis  koinmen  kalte  Ent- 
schlufze  iiber  sie  (Saem.  217.*)  und  sie  reizt  Gtather  zum  Morde. 
Sie  will  ihn  mit  allem  was  sie  zubrachte  verlafzen,  denn  sie  er- 
trage  es  nicht  einen  andern  Fiirsten  gcwaltiger  als  ihn  zu  wifzen. 
Siegfried  miifze  darum  sterben  und  sein  Kind  zugleich;  mit  dem 
Wolfe  miifze  seine  Brut  vertilgt  werden.  Giinther  schwankt  zwi- 
schen  der  Furcht  Briinhilds  Schatze  zu  verlieren  und  der  Scheu 
den  Bluteid  zu  brechen  den  er  Siegfried  zuschwor;  Hagen  rat 
von  der  That  entschieden  ab;  endlich  siegt  die  Goldgier  in  dem 
schwachen  Giinther  und  Guttorm  mufz  die  Hand  zum  Mord^  lei- 
hen.  Als  Briinhild  Krimhilds  verzweifeltes  Klagegeschrei  ver- 
nimmt,  lacht  sie  hell  auf.  Die  verhafzte  Nebenbulerin  ist  nun  fiir 
inimer  ungliicklich ,  der  totlich  Geliebte  ist  tot ,  sie  mufz  ihm 
folgen  denn  jetzt  kann  er  noch  der  ihre  werden.  Briinhild  ersticht 
sich  und  lafzt  sich  mit  Siegfried  verbrennen* 

Solche  Liebe  und  Treue  ist  wol  furchtbar ,  allein  sie  zeigt 
die  AUgewalt  dieser  Seelenmachte  am  grofzartigsten.  Trotz  Un- 
treue  und  Verschmahen  bleibt  in  der  Brust  des  Weibes  die  Liebe 
und  fiirt  zu  dem  verwegenen  Entschlufze  den  Geliebten  eher  zu 
vernichten  als  ihn  einer  andern  zu  iiberlafzen ;  ini  Tode  kann  sie 
den  vielleicht  besitzen,  den  ihr  das  Leben  nicht  gonnen  wolte^ 
Diefz  Gefiil  durchzuckte  auch  jene  Norwegerin  Ingibiorg,  Gud- 
munds    von    Glasisfcld  Tochter,    als   sie   ihren    Geliebten    lafzen 


*)  Ucbcr  die  I^mdndcruTig  der  Sage  durch  Aendcrang  der  sittlichen  Begriffe 
W.  Grimm  deutsche  licldeiisage  SS.  360.  jBf.  *)  jjfg^  ^^>  Sigurdhr  felda  eidha^ 
eidha  felda,  alia  loyna.  Sacm  207.' 


480 

muste.    Sic  griff  ihm  beide  Augen   aus   damit   sich   keine  andcre 
an  ihm  erfreue  (Fommannas.  3,  141.). 

Das  Gemiit  des  Weibes  ist  sanft  und  friedlich,  doch  gleicht 
08  jencn  sagenhaften  Seen ,  die  in  tiefer  Buhe  liegen ,  iiber  die 
aber  ein  furchtbares  Wetter  aufzieht  wenn  der  kleinste  Stein  in 
ihren  Spiegel  schliigt.  Die  Gcwalt  der  Leidenschaft  ergreift  daa 
Frauenherz  weit  stiirmischer  als  den  Mannessinn,  denn  mit  aller 
Samlung  auf  ein  en  Ort  stiirzt  es  die  Glut  der  Empfindung  ohne 
Racksicht  und  Riickbalt,  ziigel-  und  fefzellos,  aber  Fels  und 
Kluft  dem  Ziele  zu.  Milde  Erbarmen  Zucht  und  Scham  brechen 
vor  solcher  Gewalt  nieder;  Befriedigung  der  Leidenschaft  ist  der 
einzige  Halt  und  nach  diesem  faJlt  das  Weib  zusammen.  Liebe 
Eifersucht  Rache  bilden  eine  enge  Kette  und  manches  Weib  hat 
sich  von  der  Liebe  zu  dem  boseu  Geist  der  Rache  verirrt,  der 
es  verschlang. 

Wir  scheiden  die  hohere  und  die  niedere  Rache;  diese  ist 
von  engen  persunlichen  Riicksichten  bestimmt ,  jene  wird  durch 
hohere  in  der  Zeit  liegende  Griinde  geleltet  und  nahert  sich  der 
strafenden  Gerechtigkeit.  So  war  die  Blutrache ;  die  Prauen  hat- 
ten  Pflicht  und  Recht  dazu,  sie  erfiillten  sie  mit  allem  Eifer  den 
die  Liebe  ihnen  gab  und  scheuten  aucli  kein  Mittel.  Konig  Wfel- 
sung  ist  von  Sigger  samt  seinen  Sohnen  bis  auf  Sigmund  ge- 
totet ;  auf  diesen  und  auf  Signy ,  die  an  Sigger  vermahlt  ist, 
fallt  die  Pflicht  der  Blutrache.  Das  Weib  gliiht  und  sinnt  nur 
auf  diefz  eine;  nur  voUe  Wclsungen,  meint  sic,  konnen  die  That 
voUfiircn  und  sie  schleicht  in  fremder  Gestalt  in  Sigmunds  Wald- 
versteck  und  empfangt  von  ihm  einen  Sohn.  Als  der  Knabe 
Sinfiotli  (Sintarfizilo)  heranwachst ,  schiokt  sie  ihn  dem  Bruder 
zu.  Lange  priitt  ihn  dieser ,  denn  er  weifz  nicht  dafz  er  sein 
eigenes  Bhit  ist ;  endlich  ist  er  seiner  Unerschrockenheit  and  Starke 
gcwifs  und  er  beschlicfzt  mit  ihm  die  lange  reife  Rache  zu  voll- 
ziohen.  An  einem  Abendc  schleichen  sich  Sigmund  und  Sinfiotli 
in  Siggers  Haus.  Sie  verstecken  sich  in  einem  Winkel,  werden 
aber  durch  des  Konigs  kleine  Suline  beiin  Spiele  entdeckt*  Sie 
haucn  die  Knaben  auf  Signys  eigenes  Geheifz  nieder,  werden  er- 


481 

grlflFen  und  soUen  am  andem  Morgen  lebendig  begraben  werden. 
Der  Grabhiigel  ist  fertig  und  beide  sind  schon  hineingesetzt ; 
da  kommt  Signy  ehe  der  Schlufzstem  darauf  gelegt  wird  und 
wirft  ihnen  in  Stroh  ein  Stiick  Fleisch  hinab.  Als  sie  hungern, 
reifzt  Sigraund  das  Fleisch  auf  und  findet  ein  Schwert  darin, 
das  er  am  Griffe  als  das  seine  erkennt.  Damit  graben  sie  sich 
aus  dem  Grabe  heraus  und  gehen  in  das  Konigshaus  wo  alles 
schlaft.  Sie  werfen  Brande  hinein  und  der  Dampf  und  die 
Glut  erweckt  die  Schlafer.  „Du  solst  nun  wifzen,  ruft  Sigmund 
dem  Sigger  zu,  dafz  die  Welsungen  nicht  alle  tot  sind."  Er 
heifzt  darauf  die  Schwester  aus  dem  Hause  gehen ,  allein  sie 
verweigert  es.  Sie  habe  alles  gethan  um  die  Bache  an  des 
Vaters  Mordern  moglich  zu  machen ;  sie  habe  die  eigenen  Kin- 
der darum  nicht  geschont,  sie  habe  unerkannt  dem  Bruder 
sich  ergeben,  Sinfiotli  sei  Sigmunds  und  ihr  Sohn;  sie  habe  ihr 
Begeren  erreicht  und  nun  sterbe  sie  gern  mit  Sigger.  Drauf 
kufst  sie  noch  einmal  Sigmund  und  Sinfiotli  und  stiirzt  sich  in 
die  Flammen  ^). 

In  der  Sage  von  den  Welsungen  und  Nibelungen  ist  ein  Schafz 
germanischer  Art  niedergelegt;  sie  liefert  uns  auch  fiir  die  Blut- 
rache  mehrere  Beispiele.  Die  Krimhild  des  deutschen  Gedichtes  er- 
fiillt  nichts  anders  als  die  Pflicht  derselben;  in  der  nordischen  Krim- 
hild oder  Godrun  ist  nur  das  Ziel  ein  anderes.  Krimhild  (wir  woUen 
den  bekannteren  Namen  walen)  sitzt  in  furchtbarem  Harme  an 
Siegfrieds  Leiche ;  die  Wolthat  der  Thranen  versagt  sich  ihr ;  um- 
sonst  bemiihen  sich  die  Frauen  sie  ihr  zu  entlocken ;  erst  da  man 
Siegfrieds  Wunden  enthiillt  brechen  sie  hervor.  Krimhild  verlafzt 
den  Hof  der  Bruder  und  geht  nach  Danemark«  Sieben  Halbjahre 
weilt  sie  hier  ;  dann  gibt  sie  den  Bitten  der  Mutter  und  der  Briider 
nach,  kehrt  heim  und  nimmt  von  ihnen  Siine  an,  womit  sie  auf 
die  Rache  fiir  Siegfried  verzichtet.  Sie  wird  spftter  mit  Brfinhilds 
Bruder    Etzel    vermahlt;     es   soil   diefz    ihm,    der  fur  Briinhilds 


')     Viilsungasaga  c.  8. 

31 


482 

Tod  Bufze  verlangt,  ein  Mittel  der  Vereonung  sein;  allein  Eted 
zeigt  sich  so  unversonlich  wie  die  Krimhild  der  deutschen  Sage. 
Er  ladet  in  heimlichen  Rachegedanken  die  Schwager  zu  einem 
Feste;  Krimhild  warnt  die  Briider,  ihre  Frauen  wamen  sie  durch 
bose  Traume  erschreckt,  dennoch  kommen  sie  und  finden  nach 
hartem  Kampfe  den  Untergang.  Hagen  wird  das  Herz  ausge- 
schnitten,  Gunther  wird  in  einen  Schlangengarten  geworfen.  Krim- 
hild hat  die  Briider  zu  rachen  und  '.hr  Herz  treibt  sie  dazu,  denn 
seit  der  Sune  hatte  sie  ihnen  vergeben.  Namentlich  an  Hagen 
hieng  sie,  mit  dem  sie  zusammen  aufgewachsen  war  *)•  Sie  rich- 
tet  das  Totenmal  fur  die  Briider  an  und  setzt  dem  Etzel  die 
Herzen  der  beiden  Knaben  vor,  die  sie  ihm  gebar.  Trunken 
kann  er  nur  in  ohnm'achtige  Wut  ausbrecheo,  als  sie  ihm  das 
schreckliche  zuruft;  und  darauf  ziindet  sie  den  Sal  an,  so  dafz 
Etzel  und  die  trunkenen  Hunen  verbrennen.  So  rachte  sie  die 
Briider. 

Nach  einer  Fortsetzung  der  Sage  stiirzte  sich  Krimhild  anf 
diese  That  in  das  Meer,  allein  die  Wogen  verschlingen  sie  nicht, 
sondern  tragen  sie  an  das  Land  Jonakurs,  der  sich  mit  ihr  ver- 
mahlt.  Spater  wirbt  der  machtige  Gothenkonig  Ermanrich  um 
Schwanhild,  ihre  und  Siegfrieds  Tochter;  allein  es  ist  kein  Hdl 
bei  dieser  Werbung.  Durch  den  hinterlistigen  Rat  Sibichs  wird 
Ermanrichs  Sohn  bewogen  unterwegs  das  schone  Madchen  zu 
sein  em  Weibe  zu  machen  und  das  junge  Par  wird  auf  des 
Konigs  Befel  getotet.  Krimhild  hat  von  neuem  Rache  zu  nemeo. 
Sie  reizt  ihre  und  Jonakurs  Sohne  dazu  welche  nach  langem  Wi- 
derstreben  die  gefiirliche  Fart  wagen.  Sie  verwunden  den  Gt)then- 
konig  zwar  totlich,  allein  sie  kommen  selbst  dabei  um« 

Wir  mogen  uns  wol  von  solchen  Frauen  entsetzt  abkeren; 
unsre  ganze  Sinnesart  ist  eine  andere  geworden.  Wenn  wir  nns 
auch  mit  dem  Gedanken  der  Blutrache  vertriigen,    so  verlangen 


')  hrcefflka  eh  um  hvevefna  medhan  Hogni  lifdhi,  Alin  vit  up  v&rum  t  emu 
hufi^  lekum  leik  morgan  ok  t  lundi  oxum  Atlam.  70,  71.  (8aem.  260.*).  vj^. 
Godhriinarhvot  3.   17. 


488 

wir  wenigstens  dafz  ihr  auf  edle  Weiee  geniigt  werde;  die  Un- 
bedenklichkeit  in  den  Mitteln  und  die  ausgesuchte  Grausamkeit 
stofzen  uns  voUig  zuriick.  Wem  fiele  nicht  bei  diesen  Geschichten 
jene  Gepidin  Rosamunde  ein,  die  Tochter  des  von  Albwin  erschla- 
genen  Konigs  Kunimund,  die  sich  der  junge  Longobardenfiirst  ver- 
mahlt  hatte.  Als  sie  einst  mit  dem  Gemahle  bei  Verona  an  hei- 
terer  Tafel  safz,  hiefz  Albwin  in  rohem  Scherze  Rosamunden 
den  Becher  reichen ,  den  er  nach  alter  Sitte  aus  Kunimunds 
Schadel  hatte  machen  lafzen,  Er  heifzt  sie  mit  dem  Vater  trin- 
ken  und  das  unglGckliche  Weib  mufz  den  rohen  Befel  erfullen. 
In  seiner  Brust  keirat  die  Rache;  es  sucht  Albwina  Schildtrager 
Helmigis  fiir  sich  zu  gewinnen  und  dieser  empfielt  den  st'arksten 
Mann  des  Hofes,  Peredeo,  zum  VoUstrecker  des  Mordes.  Peredeo 
weigert  sich  jedoch  der  Schandthat.  Da  tauscht  Rosamunde,  die 
vor  keinem  Mittel  bebt ,  nachtlich  das  Lager  mit  Peredeos  Ge- 
liebter  und  zwingt  ihn  dadurch  den  Konig  zu  morden ,  wenn  er 
nicht  von  diesem  getotet  werden  will.  Meuchlings  wird  der  un- 
bewaffnete  erschlagen;  Helmigis  und  Rosamunde  entfliehen  vor 
dem  Zorne  des  Volkes  nach  Ravenna  zu  dem  ostromischen  Pra- 
fecten  Longinus.  Dieser  wirft  ein  Auge  auf  die  Konigin  und  be- 
wegt  sie  leicht  des  Longobarden  sich  zu  entledigen.  Als  Hel- 
migis aus  dem  Bade  steigt ,  reicht  ihm  das  Weib  einen  vergif- 
teten  Trank;  er  fiilt  bald  die  Wirkung  und  zwingt  Rosamunden 
den   Rest  zu  nemen.     So  schliefzt  sie  ihr  elendes  Leben  '). 

Auch  bei  Rosamunde  trotz  allem  was  uns  anwidem  mag,  ist 
der  Grund  der  That  eine  so  tiefe  Verletzung  des  innersten  hei- 
llgsten  Gefiiles,  dafz  die  Rache  einigermafzen  gerechtfertigt  ist. 
Weniger  gilt  diefz  von  jenen  kleineren  Beleidigungen,  die  dennoch 
ein  Weib  in  die  furchtbarste  Leidenschaft  versetzen  konnen  und 
zur  tief  durchdachten  beharrlich  durchgefurten  Rache  leiten.  Olaf 
Tryggvason  von  Norwegen  wirbt  um  Siegrid,  die  verwitwete  KO- 
nigin  von  Schweden.  Sie  ist  aber  Heidin  und  Olaf  strenger  Krist; 


')  Paul,  diacon.  gest.  Longob.  2,  28.  29. 

31* 


48* 

er  verlangt  also  dafz  sie  sich  taufen  lafze,  was  sie  aber  abweist; 
er  moge  glauben  woraD  er  wolle,  sie  lafze  nioht  yon  dem  Glaa- 
ben  ihrer  Vater.  Olaf  schlagt  ihr  im  Zom  daruber  mit  dem  Hand- 
schuhe  in  das  Gesicht  und  sie  trennen  sich,  indem  sie  sagt,  die- 
ser  Schlag  werde  sein  Tod  sein.  Siegrid  heiratet  den  K5nig  Sveb 
von  Danemark  und  stiirmt  so  lange  in  diesen,  bis  er  sich  mit 
ihrem  Sohne  Olaf  von  Schweden  und  dem  norwegischen  Jarl 
Erich  Hakonsson  gegen  Olaf  Tryggvason  verbtindet.  Bei  dcr 
Insel  Svolt  komt  es  zu  einem  furchtbaren  Seetreffen,  in  dem  der 
norwegische  Konig  fallt.   So  ist  Siegrids  Kache  erfiillt  *). 

Solche  Rachsucht  fallt  mit  der  Mordsucht  zusammen*   "Wlr 
konnen  auch  hier  aus  dem  reichen  Vorrate  altnordischerGeschicht^ 
eine  statt  der  vielen  walen,  die  leider  zu  Gebote  stehen.  Mit  dem 
Jarl  Arnfinn  von  den  Orkneys  war  ein  Weib,  Beginhild  von  Na- 
men,  vermahlt.    Sie  lafzt  ihn  morden  und  vermahlt  sich  mit  sei- 
nem  Bruder  Haward.   Nach  kurzem  seiner  miide,  reizt  sie  seinen 
Schwestersohn  Einar  Klining  zum  Morde,  indem  sie  ibm  die  Hand 
und  die  Herrschaft  iiber   die  Inseln  verspricht.    Nach  voUbrach- 
ter  That  laugnet   sie   ihm   aber  alles    versprochene   ab,   lafzt  ihn 
durch  eincn  andern  NefFen,  Einar  Hardkiopt,  als  Blutracher  toten 
tauscht  auch  ihn  durch  falsche  Versprechungen  und  vermahlt  nch 
mit  Liot,  dem  Bruder  von  Arnfinn  und  Haward,   der  hierdnrch 
Ilerr  der  Inseln  wurde.    Mit  dem  Morde  Einars  Hardkiopt  durch 
Liot  beschliefzt   sie   die  Reihe  ihrer  Verbrechen  (Fommann&s.  1, 
198).   Es  ist  ein   grausiges   Spiel  mit   dem  Menschenleben ,   das 
diefz    Weib   trieb;     Mord    und   Brand   waren    in    der   Hand  80 
mancher    Frau    ein    Mittel    sich    las  tiger     zu    entledigen.      Jene 
Konigin  Siegrid  von  Schweden,    welche   Olafs  Tryggvaaons  Tod 
verursachte,    war  wS-rend  ihrer  Witwenschaft  viel  umfrrit  Auch 
zwei  kleine  Fiirsten,  Harald  der  <.<ronische  und  Wisiwald  von  Gar- 
darik  warben  um  sic  und  liefzen  sich  durch  keine  abweiaende  Ant- 
wort  entfernen.    Da  gab  die  Konigin  Befel  das  Haus  anzuziindeiif 
worin  jene  beiden  schliefen,  und  beide  verbrannten.    ,,So  will  ich 


')   Fornniaiinasiigur  2,   130.  fF. 


486 

es  alien  kleinen  Konigen  verleiden,  sprach  sie,  von  fern  zu  konfi- 
men  und  um  mich  zu  freien."  (Fommannas.  4,  26.) 

Die  Rache  und  Mordsucht  der  Frauen  muste  sich  meist  mit 
Hinterlist  verbinden ;  diese  gehorte  iiberhaupt  zu  den  Mitteln  durch 
welche  sie  gern  ihre  Zwecke  erstrebten,  Darum  giengen  allerlei 
Spriiche  iiber  die  Unzuverlafzigkeit  der  Weiber  und  fiber  die  Not- 
wendigkeit  gegen  sie  auf  der  Hut  zu  sein.  Das  Eddalied  Hava- 
mal  bietet  uns  folgende:  Dem  fliegenden  Spere,  der  fallenden 
Woge,  dem  jungen  Eise,  der  geringelten  Schlange,  den  Liebes- 
reden  der  Geliebten,  dem  gebrochenen  Schwerte,  dem  Spiele  des 
Baren  ,    dem  Sohne  eines  Fiirsten  traue  niemand  (Saem.  20.^). 

Den  Worten  eines  Madchens  traue  niemand,  noch  dem  was 
zu  dir  spricht  ein  Weib;  denn  wie  ein  Kad  drehen  ihre  Herzen 
sich  und  Wandel  ist  in  ihre  Brust  gelegt  (Saem,  20.^), 

Den  Tag  soil  man  am  Abend  loben,  die  Frau  wenu  sie  be- 
graben  ist,  das  Schvvert  wenn  es  im  Kampf  erprobt,  die  Jung- 
frau  wenn  sie  ist  verm'ahlt,  das  Eis  wenn  man  dariiber  schritt, 
das  Bier  wenn  es  getrunken  ist  (Saem.  20.^). 

Es  ist  kein  anmutiges  Bild  das  wir  zuletzt  zeichneten.  Die 
Eifersucht ,  die  Rache ,  die  Mordsucht,  die  Hinterlist  fallen  als 
tiefe  Schatten  neben  die  Lichtstellen.  Es  sind  freilich  Ausnams- 
zuge,  allein  sie  bezeugen  doch,  wie  sich  auch  die  furchtbarsten 
Leidenschaften  und  verderbliche  Feler  in  das  Herz  des  germani- 
schen  Weibes  verirren.  Der  Mensch  bleibt  unter  alien  Himmeln 
Mensch;  warum  solten  sich  nicht  neben  den  Tugenden  die  dS,mo- 
nischen  Gegensatze  entwickeln?  Erinnern  wir  uns,  um  mit  heite- 
rem  Eindrucke  von  dem  germanischen  Weibe  zu  scheiden ,  an 
die  Weisheit  und  Klugheit  die  so  vielen  unserer  Ahnmiitter  ver- 
liehen  war  und  vergefzen  wir  namentlich  nicht  die  Hauslichkeit 
und  Wirtlichkeit.  Bis  zuni  heutigen  Tage  ist  das  deutsche  Weib, 
wenn  es  die  vorneme  Luft  nicht  verderbte,  durch  diese  Tugenden 
vor  alien  anderen  ausgezeichnet.  Nur  der  deutsche  und  der  stamm- 
verwandte  Englander  und  Skandinavier  konnen  sich  an  ihrem 
Herde  heimlich  und  wol  fiilen;  nur  das  germanische  Weib  ver- 
steht  es  jene  Ordnung  und  trauliche  Warme,  jene   saubere  Zier- 


486 

lichkeit  und  anmutende  Freundlichkeit  in  das  Haus  za  bringen, 
welche  die  Grundpfeiler  des  Familiengl&ckes  sind.  Die  gate  Frau 
ist  der  hochste  Schatz  des  Mannes  und  die  Gr&ndeiin  der  Wol- 
fart  des  Gcschlechtes.  Der  Mann  schafft,  das  Weib  erhftlt  end 
mehrt ;  ware  es  der  goldenste  Same  and  fiele  er  auf  steiniges 
Laud  oder  unter  Dornen,  so  raiiste  er  verdorren  oder  ersticken. 

Die  Familie  ist  die  Grundlage  der  Kraft  eines  Volkes;  die 
Frau  ist  die  narende  und  warmende  Flamme  der  Geschichte. 
Triibe  Wolken  hangen  seit  lange  iiber  dem  deutschen  Himmel 
und  jeder  fluchtige  Sonnenschein  beschwort  eine  schwarzere  Nacht. 
Viele  wollen  an  unsqrer  Zukunft  verzagen  und  weifzagen  Grie- 
chenlands  und  Koms  Geschick  dem  Lande  zwischen  Etsch  und 
Eider.  Wir  aber  glauben  nicht  daran,  eine  unserer  Hofthungen  ist 
das  deutsche  Weib.  Das  gegenwartige  Geschleeht  der  Manner  wird 
vergehen  und  mufz  vergehen;  die  deutschen  Mutter  werden  dem 
Vaterlande  befzere  Manner  geben. 

Fromm  Weib  des  Lebens  Heill 


Machweis. 


Seite. 

Seite. 

Abendlied 

178 

Aeufzeres  der  Frauen 

139 

Abendmalzeit    , 

389 

Ausftattung 

216 

Abgcschlofzenheit  der  Frauen 

389 

Azagouk  .... 

422 

Abholung  der  Braat 

248 

Azzabe     .... 

422 

Ablautende  Namen  . 

21 

' 

Abstracte  Gestalten 

49 

Baden     .... 

342 

achafius    .... 

305 

Backen     .... 

315 

Achraardi 

423 

Balaun  Guillem  de  . 

169 

Adramahut 

422 

Baldekin  .... 

423 

Aegis  Tochter  . 

31 

Ballfpiel  .        ♦         ,         . 

377 

Agnes  von  Poitou     . 

101 

balzieren  .        .         .        .        . 

461 

Alamanfura       .         , 

422 

Banke       «... 

336 

Algis         .... 

454 

Barragan  .... 

418 

Almaria     .... 

422 

B&r  in  Eigennamen  . 

12 

Alter  fiir  das  heiraten 

190 

B&renfpiele       .         .        .         , 

355 

Amalafvinth 

.    90.  94 

Bauge       

453 

Amazonen 

42 

baugrygr 

128 

Ammen    .... 

79 

Baumgarten      .        .        .         , 

382 

Angclsachsen  Tracht 

408.  413 

Baumwolle 

417 

Anmelden  der  Fremden    . 

394 

Beguinfen  ■         .         .         .         < 

291 

Anftandslehre  . 

107 

Beinkleider        .        •        .         ' 

413.  431 

Araber      .         .         .         .         , 

161 

beckjargiof       .         .         .        . 

271 

Aermel      .         408.  410.  430. 

442.  450 

Belehnung  mit  der  Minne 

164 

Aermelbander   .         .         .         < 

456 

Beleuchmng 

339 

Amifpangcn      ♦         .          .          , 

454 

Berchte 

8*  45 

Afa  ...... 

13 

Bornftein 

457 

Asylrecht  fiir  Frauenrauber 

201 

Befachsftande  .         .         .         « 

386 

Athalarich  .... 

90 

Bette         •         •         •        . 

334 

Aufgcbot  kirchliches 

245 

Bettbank 

335 

Auflosung  des  VerlObnifses      J 

230.  232 

Beutel      .        .        .         •        , 

450 

Aufzfige  Beihenfolge 

385 

BeTormandang 

ISO 

Seite. 

SeiM. 

Hberfclle 

437 

Brnftgefchmeido       . 

.        456 

Bier 

317 

Brnfltuoh 

4C4 

Bilweifie .         . 

47 

Buckerani 

419.  4t0 

Bl&ia  Prinz  von 

172 

Bucher      .... 

M 

Blialt 

423 

417 

Blumenfchapol 

462 

bSrgerllche  Vermahlnng  . 

-soauL 

Blutrache          .         . 

127.  4S0 

Bufchweib 

S7 

Borten  in  den  Haren 

459.  4fil 

Burden      .... 

114.  lit 

Bortcnbefatz 

116.  440 

Botenamt  der  Spiellente 

353 

Dcmut    .... 

471 

bouffbns   .         .         , 

361 

Derbbrot. 

S» 

braneD      . 

816 

Diafpor    .... 

419 

Bnnt        .         . 

!> 

.    M.lt 

Braaiball 

S68 

Donar      .... 

n 

Brant  verhiillt 

252 

4tt 

Brautfran 

255 

DriiteUrcchl     .         .         . 

Ul 

Branlfurer 

20S.  355 

■1*.  too 

Brautgaba 

221 

drflt           .... 

.    14.  M 

Brautgefj-ge    .          . 

S58 

Dapfing    .... 

444 

Bruuthans 

252 

268 

EbenbUrtigkeit 

•SI 

Brantkauf         .         . 

209.  219.  299 

Edcirteina 

4» 

Braulkauf  der  Witwe 

804 

S0».  474 

Brautlanf 

248.  251 

EhcliiMt  oltenllich  befchritteo 

SIS 

Broiunacht 

268 

Ehebruch 

179.  H> 

Braumaohtoficn 

2B9 

EheerlaubnifB  . 

194 

Bmutraub 

802.  264 

EhegOtter 

■57 

Braotlraihl 

252 

BratitCrunk       . 

264 

Ehtfr(«imODt    . 

9T< 

Brauiwerbuiig  gnwaltsiim 

205 

906.  ff. 

Brei 

314 

Ehoftiftnng       .         . 

19* 

BrPltfpicl          .         . 

85 

Eha  nnd  Liebe          .         150. 

180.  IH 

BtCAcla     . 

31G 

Ehre  weibliche 

476 

BriRneamcn      , 

456 

Eide          .... 

lie 

Brofthe    . 

4.S6 

Eiil  Qber  die  Morgoog&be 

87S 

Brot 

315 

Eigtinnamcn      . 

7 

Bruch       . 

431 

Einladung  lur  Hochceit  . 

94< 

brfldhfe     . 

221 

Einrichtung  banaliche      . 

894 

Brunhild  . 

475.   479 

Elbcn       .... 

47 

Bmnit      . 

419 

Eltem  getiitet  . 

,         47S 

BrufC 

143.  441 

Entfiinmg    .        ,        .         SOD.  C  ISI 

Erbe 

Erbe  verwirkt  . 

Erbe  und  Ausftattung 

Erbfolge  , 

Erbgeniifze  der  Witwe 

Erbmal     . 

Erbrecht  , 

Erbrecht  eheliches   . 

ErdgOttin 

Erlaubnifs  zur  Heirat 

Ermngenfchaft 

Erziehung 

espringale 

Jr  aldafykir 

Falken 

Faltftule  . 

FamilienverbinduDg  . 

Farben     . 

farendes  Volk . 

Farende  rcchtlos 

farende  Habc   . 

faftningaran 

Feb 

Feldwirtfchaft   . 

Felle 

feroea 

Fenfter     . 

Ferran 

Festlichkeitcn   . 

Firlefei 

Fifche 

Fifchharftofife    . 

Fifchbaut 

flat  .... 

Fochenz    . 

foftri.  foftrman 

Franken  Tracht 

Frau 

Frauenbindc 

Fraaenfriede 


Seite. 

Seite. 

131 

Fraaenhans 

• 

• 

114.  830 

134 

Frauenranb 

1                • 

■ 

.  200.  ff. 

134 

Fraaenfchmuck 

vergottlicht 

453 

135 

Frauenyerehmng 

149.  158 

805 

Freigebigkeit    . 

111 

136 

Freiwerbnng 

205 

.  131.  ff. 

Fremde  Tracht 

406.  411 

299.  ff. 

Freya 

.    30.  68 

.    26.  34 

Freyr 

15. 

30.  54.  58 

194 

fri    . 

6 

301 

Fricke      . 

29 

.     80.  ff. 

Fritfchal  . 

419 

370 

Fro 

.    15.  30 

Frouwa    . 

30 

267 

Frfihlingsgebrftuche . 

.    365.  f. 

.  84.  344 

Falla 

>                  a 

50 

336 

Fafzboden 

>                  . 

333.  340 

192 

Fiifztritt  bei  der  Vermahlang          228 

.  437.  ff. 

fylgja       . 

>                  • 

• 

49 

.  354.  ff. 

363 

Gabeln   . 

338 

131.  213 

Qallerte   . 

•       ■ 

. 

323 

199 

gandr 

60 

427 

Gamaf ch . 

449 

310 

Gartenbau 

325 

405 

G&fte 

39S 

5 

Gaftfreandfchaft 

390 

330 

Gaftgefchenke 

394 

419 

Gatten 

276 

384 

Gaukler   . 

356.  362 

374 

Gebende  . 

465 

322 

Getion 

854 

428 

Gegenkauf 

218 

428 

gegenfidele 

398 

8 

Geifeln     . 

139 

316 

Gelb 

291.  438 

81 

Gemiife    . 

325 

410 

Gepartfein  bei 

Tische 

387 

3 

Gterade     . 

t               • 

133.  899 

269.  465 

Gerhard  von  B 

lOufsillon 

477 

189 

Gefchenke  der 

Verlobte 

n 

322 

400 


8eite. 

Mte. 

Gkfchmeide 

452 

hauben  der  Brant    . 

270.  465 

Geschwisterehe 

243 

Hauptmalzeit    . 

S86 

Gefichtsfarbe    . 

142.  467 

Hausbau  der  Gemumen   . 

tfM 

Gefinde    .        . 

3ll 

Hansgeifter 

48 

Getheilte  Kleider 

.  437.  ff. 

Hebeeifen 

896 

Gewandftoffe    . 

.  415.  ff. 

Heidbr 

.     60.  t 

gl^a         ... 

417 

Heierleis  .        .        •        . 

874 

Glanz  in  den  Namen 

.       8.  ff.' 

Heilkunft 

6S 

Glaubensverfchiedenheit  bei  derEhe  241 

Heimdhalls  Matter  . 

81 

Goldfchmicdekunst  . 

453 

Heimftirungsfrist 

f29 

Golzen 

432 

Hciratsfrist  der  Witwen  , 

804 

Gottesurtheil    . 

128 

Heiratszeiten    . 

.  S46.  f. 

Gotter  und  Namen  . 

13 

xiel  .        •        •        •        • 

S9 

G6;5a 

13 

Heldenfinn 

41 

Grauwerk 

427 

Helgi  and  Sigrun     . 

151 

griechische  Sprache 

94 

l^emde     .        .        •         . 

415.  480 

Griitze 

314 

Hergewate 

188 

Gugeln     .        4 

448 

Herke       .         .         •         . 

85 

Gtirtel 

410. 

443.  451 

Hermelin 

427 

Giirtelfchnallen 

457 

Hexen    '  . 

•     66.  ff. 

Giitergemeinfchaft 

298 

Hiarranda  liodh 

S67 

Gtiterrecht  obeli ches 

.  295.  ff. 

Hildgnnd  nnd  Walther    . 

154 

Gfitervereinigung 

295 

Hiftrionen         .        « 

856 

gjnaeceam 

114 

bocbdentfche  Tracht 
Hochfitz  .        .        •         . 

414 

8S9.  886 

Halbbrot                  .  . 

315 

Hochzeit  .        .        .        . 

146 

Halsbaage 

456 

Hocbzeitgefchenke    . 

967 

Hammerweihe  der  Ehen 

257 

Hochzeitordnangen  . 

S54.  166 

Handfchuhe 

451 

Hof 

880 

Handfpiegel 

457 

Holle        .        .        .        . 

86 

Handtach 

337 

Uolzbau   .        .        .        . 

817 

Ilandwafchang  bei  Tifche 

388 

Hoppoldei 

878 

Ilanfgewebe 

• 

417 

Hofcn       .        .        .        . 

481 

Har 

• 

141.  458 

Uunde  abgerichtete 

81 

Har  blondes 

• 

459 

huote        .        .        .        . 

179 

Har  langes  der  Geiftlichen 

460 

Huren       .        .        .        . 

190 

Harald  Schoenhar    . 

475 

Hiite         .         .         .         . 

466 

Harband  . 

462 

Harkfinftelei     . 

460 

vlagd        .         .         .         . 

844 

Harfalben 

458 

lamfaxa  .        .        .        . 

16 

Haube 

116.  466 

lamvidhjar 

S7 

401 


Seite. 

Seite. 

idis  .         •         .         .         * 

5 

Kopftracht  der  Frauen    . 

.  458.  fT. 

Idife          .         . 

40 

Kopftuch 

463 

Idhun       .... 

50 

Korduan 

435 

lordh        .... 

26 

Kofeworte 

146 

Inftrumente  mufikalifche 

104.  858 

Kranz       .        .         • 

462 

Johannisfeaer   .         .         . 

366 

Kranz  beim  Tanz    .         • 

380 

Jongleurs          .         .         . 

361 

Krapfen    .         .        .         . 

816 

Jungfrauliches  Har  . 

459 

Kreuzzug  als  Minnedienft 

170 

Jungfraulichkeit  und  Bufzen 

138 

KreuzziigeundderFraucnverker  159.  ff. 

jus  primae  noctis 

194 

Kriegcrische  Namen 

15 

Krimhild  .         .         .         117. 

478.  481 

Cabeftaing  Guillem  de    . 

181 

Krone      .... 

463 

Kamelot,  Kambelin 

420 

Knrsit      .... 

447 

K'ammerer         .         .         .         . 

87 

Kurzebold 

446 

Kappe       .... 

396.  449 

Kufs  bei  der  Verlobung  . 

228 

Karl  der  grofze  Erziehung     . 

87.  94 

Kv^ns       .... 

2 

Karl  der  grofze  Tracht    . 

410 

Kyenaland 

43 

Carole        .... 

370 

Kvengiaver       .        . 

127 

Kateblatin 

424 

kaufen  ein  Weib 

211 

lagathridjung  . 

219.  221 

Kebfe       .... 

286 

laghadmynd 

214 

Kebfenfone 

288 

laiks         •         .        . 

369.  376 

Kemenate 

332 

Lampen    .... 

339 

Kinderausfetzung 

75 

Landerbe  der  Frauen 

.  131.  ff. 

Kinderlofigkeit 

299 

latcinische  Sprachkentnifs 

94 

Kirche  als  Tanzplatz 

379 

Ia;;a          .... 

291 

Kirche  als  Versamlungsort 

278 

Lehendienst  und  Minnedienst 

164.  178 

Kirchenbefuch 

386 

Leibgedinge,  Leibzacht    220. 

300.  805 

Kirchgang  der  Brautleute 

263 

Leich       .         >         •         • 

376 

Kirchgang  bei  Felten 

385 

Leinwand 

405.  416 

Kirche  und  Vennahlung  . 

258 

leis 

8 

Kiftenpfand 

216 

leane-        •        .        .        • 

291 

Kleriker  farende 

358 

lefen        .... 

92 

Kloftererziehung 

89 

Lichtenftein  TJlrich  von   . 

168 

Knoden     .... 

430 

Liebesdichtung  in  Skandinavien        187 

Knopfe     .... 

442 

Liebesfarbcn     . 

438 

kochen      .... 

321 

Liebeshofe 

184 

Kogeln     .... 

448 

Liebesverh&ltnifs  altgermanifches      150 

Konkubinat 

286 

Liebestrank 

147 

Connubium  verfchiedener  Voll 

^er     239 

Liebeswappen  . 

165 

Kopftracht  der  Braut 

253 

Liebeszanber    . 

147 

408 


Seite. 

Sdte. 

llnfd 

• 

271 

Miilen 

•         . 

313 

liioba  Bonifazens  Nichte 

88 

Mundfcbaft  des  Madchens 

ISO 

Lfiffel 

• 

338 

Mundfchaft  der  Ehefrau  . 

199 

Loki 

•                i 

257 

Mundfcbaft  der  Witwe     . 

803 

Locken    . 

•                 fl 

459 

Mnndfchatz      • 

■         • 

909 

loDgobardische  Tracht 

408 

mnoder    . 

.  •         • 

430 

Lofzwerfen 

•                 • 

.  68.  256 

mufikalische  Fertigkeiten 

108 

lyrische  Poefie 

•                 • 

101.  187.  ff. 

Mnstbeil  . 

.  •         • 

299 

Maget    . 

•                 f 

6 

Afacbbochzeit  . 

■  •         • 

278 

Magde  Behandlnng 

• 

326 

Nacbtlager 

•         • 

834.  898 

Mantel    .  .         405. 

409.  ' 

415..  429.  449 

Nacbttmnk 

•        • 

808 

Mahlfchatz 

209 

Nahte      . 

•         • 

440.  446 

Mantelkauf 

218 

Nacken  kabl  getragen 

411 

Marderfell 

427 

Namen  fremde 

•         * 

24 

Mariendienft     . 

162 

Namengebung  . 

•         • 

78 

Marienlcgendcn 

179 

Nanna 

•        • 

.  50.  478 

maritagium 

.         .         194 

Natarfreude  in  den  Namen 

0 

Matbilde  von  Engla.Tid 

102 

Nertbus  . 

•         • 

15.  29.  56 

Menglodh 

64 

Nesteid  wegen  der 

Morgengabe       273 

Mefse 

385 

nia  . 

•                • 

8 

Mefzer 

338.  451 

normanniscbe  Tracht 

418 

Met 

318 

Nomen 

.    81.  59 

milte 

111 

Notzucbt  . 

200 

Mima 

15 

Nufche     . 

456 

Mimen 

356 

Minne 

144 

Obft       .        . 

825 

Minnedienst     . 

.   164.  £f. 

Obstwein 

812 

Minnedicbtung 

185 

Odhin       . 

.    26.  65 

Minnehofe 

184 

Oel  . 

817 

Miftila     . 

14 

Opfer 

57 

Mitgift     . 

213.  300 

Obrringe  . 

457 

Mitftcrben  der  Wit  we 

280 

Oftara 

87.  865 

Mittagefzen 

386 

Modenamen 

23 

Paida 

407 

Moralitat . 

105 

Palmat 

424 

morganatische  Ebe 

238 

Palinonfchiefzen 

878 

Morgengabe     . 

270.  299 

Patf(tbar  . 

422 

Morgeuimbifz  . 

386 

Pelzwerk 

405 

.  410.  426 

mottulkop 

218 

Pfauenfederbiite 

- 

466 

moawe,  Muff   . 

443 

Pfawin 

424 

z  der 


Pfeit 

Pfellel 

Pfingstt&nze 

Pfofe 

Pfang 

phiefel 

plinsjan    . 

Poesie  unter  Einflur 

Pofufz      V 

Polterabend 

Priefterinnen    . 

Probenachtd 

Probezeit  der  Minne 

Prfigelweihe  des  Brautigams 

Pappen     . 

Puppenfpieler  . 

Purein 

Purpur     . 

Qvdns.  qvind    . 

Qvenaland 

qvengiaver 


i^n        .         .         . 
B&tfel 
Baab 

Bechte  dcs  Ehemannes 
Begentficher     . 
Beigen 

Beihe  krummer 
Beihenfolge  in  Aufziigen 
reipns 

Beifen  als  Bildungsmittel 
Beifen  der  Fraaen 
Beiten 
Beitzeug  . 
reptis 
ric,  rigan 
Bidewanz 
Bing 
Bife 


Seite. 
407 
421 
369 
451 
451 
332 
369 
Fraaen  101 
423 
274 
54*  58 
174 


164 
262 
83 
857 
424 

424 

2 
43 

127 

31 
349 
415 
295 
415 
372 
373 
385 
305 

96 
395 
395 
396 
405 
430 
371 
226.  457 
.  465 


Bifenweiber 

Bitterfcblag 

Bittertbmn 

Bock        •         407.  409. 

Bofat 

Bnndt&nxe 

Bnnen      • 

Idaben 

Sichnsche  Tracht 

Saga 

Salamander 

Samt 

Sftnger     . 

Sarant     . 

Saranthasme 

Sarumin  • 

Satin 

Satteltneh 

Schach     • 

Schapel    . 

Scharlach 

SchanTpiele  bei 

Scheinehen 

Scheitel   . 

Schelter   . 

Sdienkenamt  der  Wirtm 

Schenkinnea 

Schersfpiel 

Schinat    . 

SehlaiTtfttteii 

Schlangen  and  Fraaen 

Schleier    . 

Scbleppen 

Sehl&fsd. 

Schminken 

Scbneidermeifter 

Schneidem 

Scbnftren  der  Kleider 

Schonheit 

Sehreiben 


415. 


Hocbzeiten 


Seite. 

267 
160 
429»  437 
424 
370 
55 

41J7 
419 

50 
421 
424 
35t 
42t 
428 
425 
486 
396 
85  388 
462 
42Q 
.  268 
808 
459 
86t 
84« 
846 
354 
4td 
884 

11 
448 
441 
31 U  451 
447 
114 
114 
444 
140 
•U9II 


4M 


Seite. 

Sdto. 

Schreine  .... 

340 

Spiegel     .... 

380.  457 

Schnho     •        •         .        • 

.  433.  fif. 

Spielkarten 

86 

Schuh  als  Zeichen  der  Mnndfchaft  228 

Spielleute          .         .    265.  S51 

[.  if.  86S 

Schuldenzalung  in  der  Ehe 

302 

Spiolleute  als  Lehror 

97.  118 

Schiller  farcnde 

359 

Spielmannspoesie 

360 

Schiirbrant        .         • 

• 

420 

Spielweiber       •        •       863. 

357.  862 

Schiifzel   . 

B 

337 

fpinnen     .... 

118 

Schutzgcifter    . 

1 

48 

Sprachkentnifse 

.    94.  96 

Schwane  und  Frauen 

» 

10 

Springtanz        • 

370 

Schwanjungfrauen    . 

.    88.  68 

ftabbdansen      .        ii 

S65 

Schwangerfchaft  der  Braut 

231 

Stadelweife 

371 

Schwangcrfchaft  der  Witwe 

302 

Stammesgleichheit  in  der  Ehe 

289 

Schwarz  als  Trauerfarbe 

438 

Stauche    .... 

448 

Schweinezucht 

312 

Stegreifen         .        •        • 

396 

3ei  .... 

420 

Steinbau  .... 

838 

Seide        .... 

421 

Stellvertretnng  in  der  Ehe 

808 

feidhr 

62 

Stiefeln     .... 

•      '  484 

Seit          .... 

420 

Stiefmutter,  Ehe  mit  ihr 

248 

Selbftverlobung 

197.   199 

Stickerei  .        .        .        .    11< 

S.  ff,  425 

Serge 

420 

Strafen     .... 

129 

ferkr        .... 

414 

Streitlicder 

851 

fieben  Jahre    . 

82 

Strohhflte 

450.  466 

Sif  . 

26 

Strtimpfe .... 

482 

Siglat 

423 

Stule        .... 

385 

Signy       .... 

.  41.  480 

Sukenie    .... 

447 

Sigrun  und  Helgi     . 

151 

Surkot      .... 

447 

Sigyn 

478 

Symbole  der  Vermiihlung 

825 

Sittlichkcit  d.  Gefellfchaft  1 73.  ff.  398.  ff. 

Symbolik  der  Farben 

438 

Sitzbetten 

335 

Skadhi        ...         28. 

344.  354 

Tabart   .... 

448 

Skalden      ...         98. 

188.  353 

Tabristan 

4tS 

fkandinaYische  Tracht 

413 

Tabronit  .... 

4S2 

fkandinavische  Licbesdichtung 

;          187 

Taft 

428 

Socko        .... 

433 

Tagelieder 

178 

Sommer    . 

69 

Tanz         .         .         263.  369. 

87».  889 

Sommer  und  Winter 

365 

Tanz  priefterlicher  . 

56 

Sonnenfehirm   . 

450 

Tanz  umgehender    . 

870 

fortiariae  . 

68 

Tanzlieder         .         .         208. 

986.  874 

Spangc    .... 

456 

Tanzplatze 

878 

fp&konur .... 

59 

Tapferkeit 

41 

Speifezettel 

323 

Tappert    .... 

448 

405 


Seite. 

s 

Seite. 

Tafche      .         .         .         . 

450 

Unfreie  mit  freien  erzogen 

80 

Taufe 

78 

Unterband         .         .         .         459.  468 

Teller 

338 

Unterhaltung,  ihr  Ton     . 

382 

Tempclbackerei 

316 

Unterhaltung  bei  Tifch    . 

388 

Tenzonen 

183.  351 

Unterricht         .... 

88.  fr. 

Teppiche  . 

117.  339 

Untreue 

231 

testamentarische  Verfugunj 

y  uber 

urgftf        

216 

die  Frau 

282 

Theoderich  der  Oftgothe . 

88 

Valkyriur      ..         .         .38. 

60.  346 

Thiere  uud  Frauennamen 

10 

Vaterliebe        .        . 

474 

Thor         .         .         .         . 

.    26.  69 

Vech 

427 

Thorbiorg 

i                 i 

60 

Verfall  fittlicher       . 

398 

thridhjungsauki 

219 

Verfugungsrecht  der  Frau 

297 

tilgiof 

219.  302 

Verkauf  der  Frau    . 

283 

Timit 

425 

Verlober 

198 

Tifche      . 

837 

Verlobunj^        .... 

223 

Tifchgefiinge 

348.  388 

Verlobungsband 

226 

Tifchtuch 

337.  388 

Verlobungsforineln   . 

224 

Tifchzucht 

110 

Verlobungsrecht  bei  unfreien  . 

194 

Tocke 

83 

Verlobungsring         .         , 

226 

Topelfpiel 

85 

Verlobuug  unrechtm&fzige 

198 

Tracht 

405.  ff. 

Vermogen  der  Frau,  Recht  4et 

Tranerfarbe 

438 

Mannes 

298 

Tiiballibot 

422 

Vermogensantritt 

120 

Triblat      . 

425 

VermOgenskuratele  . 

296 

Trinkbiicher 

348 

▼em&hen  .... 

442 

Trinkgefiifze 

338 

Verfchenkung  der  Frau   . 

282 

Trinkgelage 

346.  f.  388 

Vertrautheit  des  Minnedienftef 

i         172 

Truchsef/en  berittene 

388 

Verwandtfchaft  ein  Ehehind^n 

Hfs    24S 

Trunk  in  der  Brautnacht 

269 

Verwandtfchaft  in  Eigennamei 

I           21 

trut 

54 

Verzogerung  des  Brautlaufs 

230 

Tuch         .         .         .         . 

418 

Vidal  Peter      . 

169 

tumon       .         .         ,         , 

369 

yidharmund 

218 

tunc          .         .         .         . 

328 

Viehwirtfchaft .         .         .        < 

311 

tupp          .         .         .       . , 

464 

Vielweiberei 

284 

Turnier     .         .         .         . 

267.  389 

yingaf 

221 

tvimenningr 

387 

V(3gel  als  Speisen    . 

322 

typpi          .         .         .         . 

464 

Vogel  als  Spielzeng 

84 

Volksnamen  Frauennamen 

19 

Mnehelichc  Kinder     .     2( 

33.  209.     288 

Volljarigkeit 

120 

Unfreie  niit  frc 

ien  V 

erheir 

atet  233.  237 

Volur       .... 

59 

406 


Seite. 

Sdte 

• 

Vorhochzeit 

274 

wirken      .         •        .        • 

.       Ill 

Vormund 

122.  305 

Wirtin  dem  Gafte  zngelegt 

898 

Vorfanger,  Vortftnzer 

372    874 

Wirtin  ihre  Pflichten"      . 

346.  89S 

Wittnm    .... 

SSO 

lil^affenfchmiede     . 

453 

Witwe       .         .         .         .280 

.  802.  ff. 

Waifnnng 

394 

Witwe  und  die  Morgengabe 

S71 

Wagen     . 

327.  397 

Wolf  in  Eigennamen        •    * 

IS 

Waldfrauen 

44 

Wolle       .... 

114.  416 

Walther  und  Hildgund 

154 

Wonungen 

.        SS€ 

Wandalen 

407.  453 

Wonungen  ihre  Einrichtiing 

U4 

Wandverzierungen    . 

339 

Wuotan    .... 

Sf 

wafchen    .         .         .         . 

326 

Wurfel      .        .         .      •  . 

84 

Wafchen  der  Hande 

388 

Wiirzen    .... 

828 

Wafzerfrauen    . 

45 

• 

Wafzergottinnen 

31 

^auberer 

71 

Wafzerlifse 

46 

Zeagnifs  der  Frauen 

Itt 

weben      .         .         .         , 

114 

Ziegenbartuch  . 

417 

wederwerf 

220 

Ziklat       .... 

4S3 

Wein 

320 

Zimit        .         .         . 

m 

Weifzagung 

55.  351 

zimmem  .... 

8S8 

Werbungsfart  . 

206 

Zindel       .... 

4S6 

Wergcld  . 

124.  127 

Zobel        .... 

•        4t7 

weftgothische  Tracht 

407 

Zopfe       .... 

481 

Wettgefprache . 

349 

Zacht  Fran 

50 

Widerlage 

220 

ZuchtmeifteriB 

87 

Wiederverheiratung  gefch 

iedener      307 

Zugabe     .... 

219.  80S 

Wiederverheiratang  der  "N 

Vitwen       303 

Zuriickhalten  der  Braut-  . 

S80 

Wiege 

79.  263 

Zufammenretzung  der  Kleider 

4S9 

Wieland   .         .         .         . 

453 

Zweikampf  der  FraUen     . 

»8 

W  impel    . 

465 

Zwerge    .... 

48.468 

wip  .         .         .         .         , 

3 

Zwieback .      •  . 

* 

818 

wip  in  Erauennamen 

19 

■ 

Berichtigungen. 


Seite       4  Zeile  14  vrouw  lies  vrouwe 

1  Bercwi:?  (Jarawi;?)  Deatwi;;  lies  Burcwi? ,  Turnw!;? ,  Deotwi;?, 
20  larngedr  1.  larngerdr 
27;    45,  3  weifen  1.  weifzeu 
24  Thiotgerdr  1.  Thiodhgerdr 

4  Gerdrit  1.  Gerdrftt 

13  Ohanna  1.  Of  anna 

2  v.  n.  Skridafinnen  I.  Skridhfinnen 

5  „      f&rfagende .  1.  furforgende 
22  Geidriful  1.  Geirdriful 

4  V.  u.  weibl.  1.  weftl. 

7     ,,       nach  1.  aus 

1     „       Gefchafte  1.  Gefchaften 

1  V.  u.  Nonageftr  1.  Nornageftr 
20  Guhdridhr  1.  Gudhridr 
20  fchcincn  U  erfcheinen 

6  V.  u.  C.  1.  L. 

16  „      rotes  ist  zu  tilgen 

10  „       und  1.   nnter 

3  ,,       Bonyefin  1.  Bonvefin 

2  „       3)  1.   .). 

11  Egwind  I.  Eywind 

15  frillufy  1.  frillufynir 
2  V.  u.  Brom.  1.  Brem. 

4  „       wittun  1.  wittum 

17  diefelben  1.  diefelbe 

6  Y.  u.  mit  zu  tilgen 

14  ist  hinzuzufiigen :  vgl.  Fomald.  f.  3,  550. 
11   Fefthat.  1.  Feftath. 
22  upprciftandrapa  1.  uppreiftardrd-pa 

16  halb  1.  felb 

7  da,mniiscbe  1    damoniscbe 
20  leiten  1,  reiten 
22  5.  1.  S. 

2  unkeufchne  1.  unkeufchen 
7  V.  u.  iriu  1.  irriu 
7     „       von  I.  vor 


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231 

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242 

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246 

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11 

248 

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250 

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262 

51 

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J? 

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295 

>» 

Se 


ite  297 
328 


358 
384 
388 
398 

401 
414 
420 
436 
457 


Zeile  14  filiabuo  I.  filiabiu 

13  lies:  die  fkythischen  Volker  [Satardien] 

14  III,  U  1.  II,  1. 
8  v.  n.  marackar  I.  fm^rackar 
1     „      Flamencan.  Bay  1.  Flamenca.  Bajn. 

3  „       Huy de-coper  1.  Huydecoper 

4  ist  „die8C**  vor  „wird'*  ausgefaUen. 

15  aufwulte  1.  anfwiilten 
15  Betriibungen  1.  Betiibungen 

3  V.  u.  sloveni  c.  1.  slovenicae 
10     „       farletum  1.  fcarletum 

5  „       varia  1.  yario 
5  f&ge  hinzu:  Tacit,  germ.  45. 


AuFzer  dem  find  auf  den  erf  ten  Bogen  zuweilen  fz  nnd  fs  yerwedi 
word  en;  einigemal  find  die  Buchstaben,  i,  1  oder  f ,  aasgefpningen}  bier  mid 
find  die  Unterfcheidungszeichen  falsch  gesetzt. 


«- 


I  • 


<J    i:U44    V<if    404     14/ 


A  ONE  IS  INCURRED  IF  THIS  BOOK  IS 
NdtiETUaNED  TO  THE  idSg^Y  ON 
OrIBbRB  the  LAST"D*^  mjMT'ED